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German Pages 261 Year 2006
JAN C. SCHUHR
Rechtsdogmatik als Wissenschaft
Schriften zur Rechtstheorie Heft 230
Rechtsdogmatik als Wissenschaft Rechtliche Theorien und Modelle
Von Jan C. Schuhr
Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Sommersemester 2005 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 29 Alle Rechte vorbehalten © 2006 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0472 ISBN 3-428-12079-5 978-3-428-12079-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 θ Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommersemester 2005 von der Juristischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Ntirnberg als Dissertation angenommen. Ich möchte allen danken, die Anteil am Entstehen dieser Arbeit haben. Ganz besonders gilt dies für meinen verehrten Doktorvater, Prof. Dr. Joachim Hruschka. Schon im Studium führte er mich an die Rechtsphilosophie heran und bald auch an das wissenschaftliche Arbeiten. Die Entwicklung der vorliegenden Arbeit begleitete er mit Interesse und steter Unterstützung. Ebenfalls besonderer Dank gilt Prof. Dr. Matthias Jestaedt für wertvolle Hinweise zu Gegenstand und Darstellung der Arbeit und die Erstellung des Zweitvotums. Einige Tagungs- und Seminarreihen lieferten mir durch die dortigen Vorträge und Diskussionen wertvolle Anregungen und waren Ansporn für die vorliegende Untersuchung: die von Prof. Dr. Sharon Byrd, Prof. Dr. Joachim Hruschka und Prof. Dr. Jan C. Joerden veranstalteten Tagungen zum Jahrbuch für Recht und Ethik sowie deren rechtsphilosophische Seminare, das Intradisziplinäre Forum Franken von Prof. Dr. Matthias Jestaedt und Prof. Dr. Oliver Lepsius, das Colloquium Logico-Philosophicum von Prof. Dr. Christian Thiel sowie das Seminar zur Philosophie der Mathematik von Prof. Dr. Volker Peckhaus. Unter mehreren Mathematikern, denen ich meine Einblicke in die Mathematik und schon in früher Studienphase eigene Eindrücke von der aktuellen wissenschaftlichen Arbeit in der Algebra verdanke - was für die vorliegende Arbeit enorm hilfreich war - möchte ich vor allem Prof. Dr. Peter Plaumann und auch Prof. Dr. Herbert Lange hervorheben. Für Diskussionen über frühere Entwürfe, viele Anregungen und Korrekturen danke ich insbesondere Dr. Hannes Unberath, Irina v. Schilling, Ufuk Özbe und Daniel Plaumann herzlich, ebenso meinen Eltern für die Unterstützung beim Korrekturlesen. Der Schmitz-Nüchterlein-Stiftung danke ich für die Auszeichnung meiner Dissertation mit einem Förderpreis, meiner Fakultät für die Auszeichnung mit ihrem Promotionspreis. Prof. Dr. h.c. Norbert Simon und Dr. Florian R. Simon bin ich für die Aufnahme der Untersuchung in die Reihe der Schriften zur Rechtstheorie sehr verbunden. Erlangen, im März 2006
Jan C. Schuhr
Inhaltsübersicht Überblick
13 Kapitel 1 Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
A. B. C.
Recht als vorgegebener Gegenstand? Unabhängigkeit der Betrachtung von Normgeltung Gegenstand und Zielsetzung rechtlicher Theorien Kapitel 2 Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
A. B. C.
Deduktive Theorie und Motivation der Prämissenwahl Die rechtsdogmatischen Fragestellungen Anwendung rechtlicher Theorien Kapitel 3 Bestandteile rechtlicher Theorien
A. B. C. D. E.
Betrachtungsweisen und Modelle Unterscheidung von Modellen, Zuordnungen und Rechtssätzen Modelle Zuordnungssätze Rechtssätze und die Beantwortung der Ausgangsfrage Kapitel 4 Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
A. B. C.
Verhältnis der Teile rechtlicher Theorien zueinander Qualität von Modellen Fundamentale Modelle aller rechtlichen Theorien
23 25 37 45
59 59 66 85
95 96 112 117 144 152
177 177 191 204
Schlußbemerkung
217
Anhang: Zum Modellbegriff
221
Literaturverzeichnis Personenverzeichnis Sachverzeichnis
227 246 249
Inhaltsverzeichnis Überblick 1. 2. 3. 4.
13 13 13 15 18
Fragestellung Theoriebegriff Modelle Gang der Untersuchung
Kapitel 1 Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
23
1. Begriff der Rechtswissenschaft 2. Gegenstand von Wissenschaften und Theorien A. Recht 1. 2. 3. 4. 5.
23 24
als vorgegebener Gegenstand? Veränderung des Gegenstandes durch die Theorie? Theorie als objektive Betrachtung Theorie und Praxis Veränderung des Rechts Erzwingung der Gegenständlichkeit von Recht?
25 25 26 28 30 31
B. Unabhängigkeit der Betrachtung von Normgeltung 1. Geltendes Recht als Theorie? 2. Vernunftrecht: Erzwingung des Theoriecharakters? 3. Untauglichkeit des geltenden Rechts zur Theorie 4. Rechtspositivismus vs. Vernunftrecht 5. Geltung 6. Betrachtung möglicher Rechtsordnungen als Theoriebildung
37 37 38 39 39 40 42
C. Gegenstand und Zielsetzung rechtlicher Theorien 1. Recht als abstrakter Gegenstand 2. Abbildung nachgeordneter Gegenstände 3. Normative Handlungstheorie 4. Rechtliche Sätze 5. Deskriptive, präskriptive und askriptive Sätze 6. Normen und rechtliche Beziehungen 7. Prognosen 8. Handlungsspielräume 9. Optimierungsproblem der Rechtswissenschaft (ein Ausblick)
45 45 46 48 48 50 52 53 55 56
....
10
Inhaltsverzeichnis Kapitel 2 Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
59
A. Deduktive Theorie und Motivation der Prämissenwahl 1. Hypothetisch-deduktive Theorien 2. Wissenschaftliche Freiheit bei der Auswahl der Normen 3. Motivation der Prämissen 4. Rechtsphilosophie und Rechtspolitik 5. Motivation und Wissenschaftlichkeit 6. Geltung als Motiv 7. Systematische Entwicklung der Prämissen
59 59 60 61 62 63 63 64
B. Die rechtsdogmatischen Fragestellungen 1. Klassifikation rechtsdogmatischer Fragen 2. Rechtswissenschaft und die exakten Wissenschaften 3. Forderungen nach Vollständigkeit und Unabhängigkeit 4. Konsistenz 5. WertungsWidersprüche 6. Ausarbeiten einer rechtlichen Theorie
66 66 66 71 76 79 83
C. Anwendung rechtlicher Theorien 1. Zweiteilung der Anwendung 2. Gesetzgeber und Rechtspraxis 3. Rechtswissenschaft 4. Geltendes Recht und Widerspruchsfreiheit 5. Anwendung des geltenden Rechts
85 85 89 92 92 93
Kapitel 3 Bestandteile rechtlicher Theorien A. Betrachtungsweisen und Modelle 1. Positivistische und konstruierende Betrachtungsweise 2. Unterscheidung von Gegenständen nach der Betrachtungsweise 3. Zweifelhaftigkeit der Differenzierung 4. Abhängigkeiten unter den unterscheidbaren Gegenständen 5. Einheitliche Gegenstände 6. Modelle erlauben die Einheitlichkeit 7. Notwendigkeit von Modellen 8. Modellbezogenheit von Theorien
95
...
96 96 99 101 102 103 104 107 108
B. Unterscheidung von Modellen, Zuordnungen und Rechtssätzen 1. Modelle und Aussagen als Teile von Theorien 2. Rechtssätze, Modellsätze und Zuordnungssätze 3. Modelle und die betrachtete Rechtsordnung
112 112 113 116
C. Modelle 1. Begriffe und Regeln 2. Minimalmodelle 3. Aufgabe der Rechtswissenschaft
117 117 119 120
Inhaltsverzeichnis I. Eigenschaften von Modellen 1. Grundbegriffe 2. Unvollständigkeit des Regelsystems 3. Unwiderlegbarkeit von Modellen
121 121 123 123
II. Modell und Modelliertes 1. Vorbild und Abbild 2. Positivistischer und konstruierender Standpunkt 3. Verkürzung und Gleichheit 4. Nicht-Eindeutigkeit und Pragmatismus
125 125 126 126 128
III. Bewährte Modelle im Recht 1. Tatbestände und Sachverhalte 2. Rechtsinstitute 3. Körperschaften 4. Staatsmodelle 5. Kodifikationen
128 129 130 131 131 132
IV. Besonderheiten rechtlicher Modelle (ein Exkurs) 1. Objektarten und Satzklassen 2. Strukturelle und semantische Modelle in der Rechtswissenschaft 3. Abstrakta 4. Kumulation von Modellen
134 134 137 139 143
..
D. Zuordnungssätze 1. Modelle und Zuordnungssätze 2. Hermeneutische Bedeutung 3. Interpretation und Motivation 4. Theorien ohne Zuordnungssätze 5. Risiken der Theoriebildung 6. Angewandte Wissenschaft 7. Juristische Literatur 8. Übertragung von Modellen und Theorien 9. Doppelfunktion der Zuordnungssätze
144 144 145 147 147 148 148 149 149 151
E. Rechtssätze und die Beantwortung der Ausgangsfrage 1. Bezug zur Ausgangsfrage 2. Rechtssätze und Modellregeln
152 152 152
I. Statische Normen und Abbildung geltender Rechtsordnungen 1. Sprachebenen 2. Strafrecht 3. Vertragsrecht 4. Die übrigen Rechtsgebiete 5. Theorie der Gesetzgebung bzw. Geltung II. Präskriptive Aussagen und exakte Urteile 1. Problem der präskriptiven Aussagen 2. Begriff der Aussage 3. Präskriptive Aussagen 4. Sätze des Aussagenteils 5. Exakte Urteile und Wertungen 6. Ergebnis
153 153 154 157 158 159 163 163 165 167 173 174 176
Inhaltsverzeichnis
12
Kapitel 4 Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
177
A. Verhältnis der Teile rechtlicher Theorien zueinander 1. Vollständigkeit der Klassifikation rechtlicher Sätze 2. Logisches Verhältnis der rechtlichen Sätze zueinander 3. Klassifikationskriterien 4. Indikatoren für die Klassifikation 5. Übergang von einer Satzart zur anderen 6. Extremfälle
177 178 180 180 183 184 190
B. Qualität von Modellen 1. Qualität einer Theorie 2. Kritik eines Modells 3. Naturwissenschaftliche Modelle 4. Unzulässige Modelle 5. Ökonomische Natur der Theoriebildung 6. Unbeweisbarkeit von Modellen
191 191 192 194 195 199 202
C. Fundamentale Modelle aller rechtlichen Theorien
204
I. Rechtssubjekte 1. Rechtssubjekte und äußere Wirklichkeit 2. Teile des Modells 3. Rechtssubjekte und Staat II. Zurechnung 1. Rechtssubjekt und Außenwelt 2. Rechtssubjekte untereinander
204 205 205 206 206 207 212
III. System von Verhaltensregeln
212
IV. Konzepte der Methodenlehre 1. Auslegung 2. Subsumtion 3. Analogie 4. Vermutungen
213 214 215 215 216
Schlußbemerkung
217
Anhang: Zum Modellbegriff 1. Etymologie 2. Erweiterter Modellbegriff 3. Bedeutungsverwandte Begriffe
221 221 223 225
Literaturverzeichnis Personenverzeichnis Sachverzeichnis
227 246 249
Überblick 1. Fragestellung. Die vorliegende Untersuchung zielt auf die Beantwortung der Frage: Ist in der Rechtswissenschaft eine strengen wissenschaftlichen Maßstäben genügende Theoriebildung möglich, und, falls ja, wie kann sie aussehen ? 2. Theoriebegriff Die ,strenge Schuldtheorie', die eingeschränkte Schuldtheorie' in verschiedenen Spielarten und die ,Theorie der negativen Tatbestandsmerkmale' betreffen die rechtlichen Konsequenzen eines Erlaubnistatbestandsirrtums und die Anwendung von § 16 Abs. 1 S. 1 StGB. Die ,Anerkennungstheorie' und die ,Heimatrechtstheorie' beschäftigen sich mit der Rechtsfolge von Art. 3 des Haager Übereinkommens über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5. Oktober 1 9 6 1 E s gibt zahllose weitere solcher Stellungnahmen zu Einzelfragen, die man in der Rechtswissenschaft als ,Theorie' bezeichnet. Hier soll nicht erörtert werden, ob der besondere rechtswissenschaftliche Sprachgebrauch, schon einzelne Antworten auf einzelne Fragen eine Theorie' zu nennen, sinnvoll ist. In der vorliegenden Untersuchung ist mit ,Theorie' jedenfalls etwas anderes gemeint, nämlich eine inhaltlich zusammenhängende, in sich widerspruchsfreie und für ihren Gegenstandsbereich mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit auftretende Darstellung. Im Hinblick auf die Rechtswissenschaft geht es bei der Theoriebildung im hier verwendeten Sinne des Wortes darum, eine Rechtsordnung oder zumindest ein Rechtsgebiet einigermaßen erschöpfend zu beschreiben und dadurch auszuformen. Dabei muß eine gewisse Allgemeinheit in Form allgemeingültiger Regeln erreicht werden. 2 Theorien im Sinne des folgenden Textes befas1
Bundesgesetzblatt (BGBl.) 1971 Teil II, S. 219 (für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten am 17. September 1971). 2
Für das Recht ergibt sich die Forderung nach Allgemeinheit schon aus den leitenden Prinzipien der Gleichheit der Rechtsanwendung, der Gesetzesgebundenheit und der Rechtssicherheit (vgl. Claus-Wilhelm Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983, § 1 II. 2., S. 17 sowie Eike von Savigny, Juristische Dogma-
14
Überblick
sen sich also mit einem Komplex von Fragen und geben strukturierte, insbesondere widerspruchsfreie Antworten. In diesem Wortsinn kommen etwa das Strafrecht oder das Gesellschaftsrecht insgesamt als Theorie oder Teil einer Theorie in Betracht. Der jeweilige Ausarbeitungszustand des Straf- oder Gesellschaftsrechts ebenso wie der anderer Rechtsgebiete wird in der Regel nicht völlig frei sein von Fehlern und daher eher als Entwurf einer Theorie denn als fertige Theorie angesehen werden können. In dieser Eigenschaft unterscheidet sich der jeweils aktuelle Zustand rechtswissenschaftlicher Theorien bzw. ihrer Teile nicht vom jeweils aktuellen Zustand der Theorien anderer Wissenschaften. Die Naturwissenschaften und die Mathematik haben in den letzten anderthalb Jahrhunderten den Wissenschafts- und den Theoriebegriff stark geprägt. In der Rechtswissenschaft sind in dieser Zeit sowohl Versuche einer Annäherung an die Naturwissenschaften unternommen 3 als auch eine Abgrenzung von den Naturwissenschaften propagiert 4 worden. In der vorliegenden Untersuchung werden Vergleiche mit der Mathematik und der Physik immer wieder eine Rolle spielen, weil sich die Wissenschaftstheorie bei der Ausarbeitung ihrer Begriffe stark an ihnen orientiert. Diese Vergleiche haben indes keinen Selbstzweck. Es geht in der vorliegenden Arbeit weder um eine Annäherung der Rechtswissenschaft an die Naturwissenschaften noch um eine Abtik und Wissenschaftstheorie, 1976, S. 104 ff. (8. Untersuchung)). Sie ist aber darüber hinaus die zentrale Forderung an alle wissenschaftlichen Theorien. Carl Gustav Hempel, Aspects of Scientific Explanation, in: Aspects of Scientific Explanation and other Essays, 1965, (IV. 12.) 11., S. 488 spricht z.B. sehr treffend davon, es bedürfe auch eines „system of uniformities represented by [...] laws or theoretical principles", um empirische Fakten verständlich zu machen (vgl. dazu ferner derselbe , Studies in the Logic of Explanation (1948), a.a.O. (IV. 10.), III. 6., S. 264 ff. sowie II. 5., S. 259). 3
Eine allgemeinere Darstellung hierzu mit zahlreichen Einzelnachweisen findet man bei Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, I. Teil, dort vor allem S. 26 f. (I 2 2.), S. 36 ff. (I 3), S. 51 f. und S. 55 (I 3 3.), S. 63 ff. (I 3 5.) sowie S. 87 (I 4 1.). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die differenzierte Untersuchung von Dietrich Tripp, Der Einfluß des naturwissenschaftlichen, philosophischen und historischen Positivismus auf die deutsche Rechtslehre im 19. Jahrhundert, 1983, insbesondere S. 166 ff. In ihr wird der Zusammenhang zwischen verschiedenen rechtspositivistischen Strömungen und vorhergehenden Entwicklungen in anderen Wissenschaften dargestellt und dabei - pointiert formuliert - auch der Frage nachgegangen, inwieweit das BGB seine Entstehung dem „Vorbild der exakten Wissenschaften" verdankt. Von den zahlreichen Beispielen für solche Bestrebungen sei hier nur eines erwähnt: Rudolph von Jhering schreibt im Geist des römischen Rechts, Teil II/2, § 41, S. 361 der 4. Aufl. von 1883, die wissenschaftliche Jurisprudenz lasse sich als „Naturwissenschaft auf geistigem Gebiet" bezeichnen. (Diese Stelle ist im Zusammenhang mit Teil III, § 59, 5. 318-323 der 4. Aufl. von 1888 zu lesen.) 4
Vgl. z.B. Hans Kelsen , Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, Vorwort, S. III (S. IX des Neudrucks von 1985) sowie I. 2., S. 2.
Überblick
wendung von ihnen. Es geht ausschließlich um die Theoriebildung in der Rechtswissenschaft, und es wird untersucht, wie rechtliche Theorien aufgebaut sein müssen, um strengen wissenschaftlichen Maßstäben zu genügen. Einige Unterschiede zwischen den Naturwissenschaften auf der einen und der Rechtswissenschaft auf der anderen Seite sind nicht zu übersehen: In den Naturwissenschaften werden die Kandidaten für Gesetzmäßigkeiten induktiv erarbeitet. Ihre Sätze sind deskriptiv und werden am empirischen Falsifikationskriterium gemessen. Die Rechtswissenschaft hingegen kann zu gesicherten Ergebnissen nur deduktiv gelangen. Ihre Sätze sind präskriptiv und können nicht empirisch falsifiziert werden, denn sie bilden gerade Normen des empirisch Wahrnehmbaren. Wird in der Literatur auf diese Unterschiede hingewiesen, so geschieht dies zumeist um zu belegen, daß Naturwissenschaften und Rechtswissenschaften ganz unterschiedlich arbeiteten, daß die Methoden der einen Wissenschaft in der anderen nichts taugten, daß sie ganz verschiedenartige Theorien entwickelten und weitere Vergleiche sich verböten. Doch die genannten - unbestreitbaren - Unterschiede tragen die behaupteten Schlußfolgerungen nicht. Sie bieten insbesondere kein durchschlagendes Argument dafür, daß die betreffenden Wissenschaften keine gemeinsamen Methoden verwenden und keine in gewisser Hinsicht gleichartigen Theorien entwickeln könnten.5 Die bezeichneten Unterschiede sind zunächst einmal lediglich Unterschiede. Sie können und werden sich verschiedentlich auf die jeweils zu verwendenden Methoden und die jeweils zu bildenden Theorien auswirken. Doch wie und wo das geschieht, muß erst einmal untersucht werden. 3. Modelle. Für das Verständnis von Theorien spielen - wie im Laufe der Untersuchung detailliert dargelegt werden wird - Modelle eine zentrale Rolle. Bei ,Modell' war und ist zunächst an körperliche Veranschaulichungen (etwa das kleine Holzmodell einer Kirche) zu denken, sodann allgemeiner an Analogien. Mechanischen Analogien kam dabei im Verlauf der Entwicklung aller Wissenschaften besondere Bedeutung zu. 6 Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begannen etliche Naturwissenschaftler, Mathematiker und Philosophen, sich rege mit einzelnen Modellen, insbesondere mit Atommodellen, thermodynamischen Modellen und Modellen der nicht-euklidischen Geometrie auseinanderzusetzen. Im Zuge dessen entstand eine Diskussion um das Konzept des Modells und das Modellieren als solches. Sie war Teil der Grundlagen5
Darauf hat insbesondere schon Ralf Dreier nachdrücklich hingewiesen (vgl. Zur Theoriebildung in der Jurisprudenz, 1978, II 2. b, S. 82 in: derselbe, Recht-Moral-Ideologie, 1981). 6 Vgl. dazu Rudolf Seeliger, Analogien und Modelle in der Physik, Studium Generale 1. Jg. (1947/48), S. 127 ff. und Hermann Fertig, Modelltheorie der Messung, 1977, 1.1.1, S. 16 f.
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Überblick
diskussion dieser Wissenschaften. ,Modell' wurde die „schematisch vereinfachende, idealisierende Darstellung eines Objekts oder Objektbereichs, in der die Beziehungen und Funktionen der Elemente des Objekts deutlich werden/' 7 Im 20. Jahrhundert entwickelte sich besonders in der Logik und der Mathematik, aber auch in den Sozialwissenschaften ein Interesse an Modellen und dem Modellkonzept im allgemeinen, und es wurde mit dem Aufbau einer , Allgemeinen Modelltheorie' begonnen. Die Auseinandersetzung mit Modellen wurde in teils recht unterschiedlicher Begrifflichkeit dargestellt. So wurde z.B. danach gefragt, inwiefern etwas, das mittels Formeln beschrieben wird, die äußere Wirklichkeit sein kann; es wurden Analogien untersucht, wissenschaftliche Konstruktionen, Schemata etc. Im vorliegenden Text werden aus Begriffen und Regeln aufgebaute Systeme, die den Gegenstand einer Theorie bzw. einen Teil eines solchen Gegenstandes (sprachlich) verfassen, als ,Modelle' bezeichnet, weil kein anderer Begriff so gut zum Ausdruck bringt, daß es um eine allgemeine, den Gegenstand einer Theorie verfassende Konzeption geht. Von ,Analogie' zu sprechen wäre oft ebenso möglich; das Konzept ist ähnlich allgemein und die Begriffe sind häufig austauschbar. In der Rechtswissenschaft wird mit , Analogie' heute jedoch vor allem die Erweiterung des Anwendungsbereichs einer Norm 8 über ihren Wortsinn hinaus assoziiert. Darum wird es im folgenden nur selten gehen, und diese Assoziation würde die Darstellung allzu oft stören. Die Bezeichnung ,Modell' geht einem wissenschaftstheoretischen Sprachgebrauch konform. Dieser ist indes noch nicht so weit gefestigt, daß man sagen könnte, es werde der wissenschaftstheoretische Modellbegriff verwendet. Oft ist in wissenschaftstheoretischen Texten mit dem Begriff ,Modell' zugleich, teils sogar hauptsächlich (wie in der mathematischen Modelltheorie), die Interpretation der verwendeten Ausdrücke, also das, was hier Zuordnungen' genannt werden wird, gemeint.9 Die Untersuchung von Modellen (noch meist unter anderen Bezeichnungen) brachten am Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts namentlich 7
Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9. Aufl. 1976, Bd. 16, Artikel „Modell", siehe hierzu ferner Karl Friedrich Bonhoeffer, Über physikalisch-chemische Modelle von Lebensvorgängen, Studium Generale 1. Jg. (1947/1948), S. 137. 8 Wird hier von einer (rechtlichen) Norm gesprochen, dann ist damit nichts anderes gemeint als eine (meist positiv-gesetzlich gefaßte) rechtliche Regel oder Begriffsbestimmung. Mit den Begriffen ,Regel' und ,Norm' wird also nicht etwa zwischen einer präskriptiven Regel und einem in dem Sinne Satz, daß er eine Bewertung (z.B. „Handlungen von der Art ... sind gut.") festlegen würde, unterschieden (vgl. unten 2. Kapitel B. 4. b) ). 9
Siehe dazu aber auch im 3. Kapitel B. 3. b).
Überblick
Ernst Mach (1838-1916) und Heinrich Hertz (1857-1894) voran. Ihre Einsichten wurden insbesondere vom Wiener Kreis aufgegriffen. Für die Entwicklung und Dokumentation einer allgemeinen Modelltheorie stehen Namen wie Herbert Stachowiak, Wolfgang Stegmüller und Roland Müller. 1 0 Den Weg dorthin hat eine unübersehbare Vielzahl von Autoren geebnet, vor allem Piaton (427-347), Aristoteles (etwa 384-322), René Descartes (1596-1650), David Hume (1711-1776) und Immanuel Kant (1724-1804) mit ihren erkenntnistheoretischen Schriften sowie diejenigen, die sich im mittelalterlichen Universalienstreit zu Wort gemeldet haben. Die Rechtswissenschaft hat weder in der Methodenlehre noch in der Rechtsphilosophie eine Modelltheorie etabliert, 11 obwohl auch in ihr am Ende des 19. Jahrhunderts eine ganz ähnliche Grundlagendiskussion wie in den Naturwissenschaften aufkam. Damals wurden zur Fundierung der Rechtswissenschaften insbesondere konstruierende Ansätze (z.B. der pandektenwissenschaftliche Aufbau komplexer Begriffsgefüge) und positivistische Ansätze (z.B. die Analyse von im Volke vorherrschenden Rechtsüberzeugungen, vom Willen der Agenten oder einfach von geschriebenen Rechtsnormen) einander gegenüber gestellt, diskutiert und kritisiert. Der danach beschrittene (wenngleich keineswegs neue) Weg, das geschriebene Recht als vorgegeben zu untersuchen und seine Voraussetzungen nicht oder kaum zu hinterfragen, bedeutete eine Unterdrückung der beginnenden Grundlagendiskussion. Sie wurde lediglich in der stark reduzierten Form der Fragen ,Gibt es Lücken im Recht?4 und ,Wie sind Lücken zu schließen?' sozusagen bei schwacher Flamme vor dem endgültigen Ersticken bewahrt. Diese haben heute ihren schon fast rituellen Ort in der ,Lehre vom Analogieschluß' und der ständigen Naturrecht-versus-Rechtspositivismus-Debatte. Der beschrittene Weg ersparte der Rechtswissenschaft Grundlagenkrisen, wie andere Wissenschaften sie zu bewältigen hatten. Die Schattenseite solchen Vorgehens aber unterstreicht Martin Heidegger mit dem Satz: „Niveau einer Wissenschaft bestimmt sich daraus, wie weit sie einer Krisis ihrer Grundbegriffe fähig ist." 1 2 Die folgende Untersuchung führt eine der lange vermiedenen Überlegungen weiter, nämlich die Suche nach Gemeinsamkeiten in der Theoriebildung der Rechtswissenschaft mit anderen Wissenschaften, namentlich der Mathe10 Unter http://www.muellerscience.com/ betreibt letzterer auch ein interessantes Internetprojekt, das den Einstieg in die philosophische Auseinandersetzung mit Modellen erleichtert. 11 Die Modell Vorstellung wurde allerdings hin und wieder aufgegriffen, so z.B. von Erk Volkmar Heyen, Das staatstheoretische und rechtstheoretische Problem des Beliehenen, 1973, IV. Teil, 16. Abschnitt, S. 131 ff. 12
Martin Heidegger, Sein und Zeit, 1927 (zitiert aus der 17. Aufl. von 1993), § 3, S. 9, Hervorhebung im Original.
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Überblick
matik und den Naturwissenschaften. Die zentrale Gemeinsamkeit besteht in der Verwendung von Modellen beim Aufbau der Theorien, 13 obwohl die neuere wissenschaftliche Diskussion über Modelle und Modellierung weitgehend ohne Beteiligung der normativen Wissenschaften stattgefunden hat. 4. Gang der Untersuchung. Um die Frage zu beantworten, ob und wie eine ,strengen wissenschaftlichen Maßstäben4 genügende Theoriebildung in der Rechtswissenschaft möglich ist, wäre es naheliegend, mit der Definition einer Theorie zu beginnen und danach Möglichkeiten ihrer Erfüllung in der Rechtswissenschaft zu suchen. Doch eine zwingende oder zumindest allgemein anerkannte Begriffsbestimmung von ,Theorie' gibt es noch nicht. Die weitgehende Klärung des Begriffs im letzten Jahrhundert für die empirischen Wissenschaften und die Mathematik beruht teilweise auf deren Besonderheiten. Ein Großteil der Arbeit, der zur Klärung der Ausgangsfrage erforderlich ist, wird deshalb darin bestehen, nach und nach die an die Theoriebildung anzulegenden Maßstäbe herauszuarbeiten und den Begriff einer ihnen genügenden rechtlichen Theorie schrittweise zu entwickeln. Obwohl dies geschehen wird, um die Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft begründen zu können, wird keine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Begriff der Wissenschaft erforderlich sein und deshalb auch nicht erfolgen. Die sukzessive entwickelten Maßstäbe werden hohe Anforderungen beinhalten, die es auf jeden Fall rechtfertigen, eine ihnen genügende Darstellung als wissenschaftliche Theorie' zu bezeichnen. Mit diesen hinreichenden Bedingungen für die Wissenschaftlichkeit einer rechtlichen Theorie ,begnügt' sich die vorliegende Untersuchung und wird die Frage offen lassen, ob und (wenn ja) unter welchen Voraussetzungen man auch eine Darstellung, die diesen Maßstäben nicht genügt, als wissenschaftlich ansehen darf. 14 Ausgangspunkt der Untersuchung werden Vorstellungen sein, die jeweils eng mit den empirischen Wissenschaften bzw. der Mathematik verbunden sind. Diese gilt es so anzupassen, daß sie für die Rechtswissenschaft adäquat werden, ihre Funktion der Sicherung und 13
Man darf sich die Mathematik dabei freilich nicht naiv als ,die quantitative Wissenschaft' vorstellen. Die Gemeinsamkeiten haben nichts mit Rechenverfahren, sondern mit deduktiver Theoriebildung zu tun. Siehe dazu auch Raymond Boudon , Modèles et méthodes mathématiques, in: Tendances principales de la recherche dans les sciences sociales et humaines, 1970, Chapitre VIII, S. 654 ff. (S. 47 ff. der Übersetzung von 1972). 14 Ob man die hier entwickelten hinreichenden Bedingungen auch für notwendige Begriffsmerkmale von wissenschaftlich' hält, bleibt also - als reine Definitionssache - jedem selbst überlassen (vgl. hierzu insbesondere Aulis Aarnio, Denkweisen der Rechtswissenschaft, 1979, 2.3.5-2.3.7, S. 37-40). In der vorliegenden Untersuchung wird weder behauptet noch soll mit ihr suggeriert werden, daß die Ausarbeitung von Theorien in dem im folgenden zu entwickelnden Sinne die einzige rationale Auseinandersetzung mit Recht wäre (vgl. dazu Andrés Ollero , Derecho y Sociedad, 1973, I. 1., insbesondere S. 18., sowie I. 3., S. 53 und S. 66).
Überblick
Strukturie rung von Erkenntnissen jedoch behalten. Gelingt es, diesen beiden Forderungen gerecht zu werden, ist die Ausgangsfrage zu bejahen. Da jede Theorie stets auf einen Gegenstand gerichtet ist und dieser die Besonderheiten der konkreten Theorie maßgeblich bestimmt, ist es hilfreich, ihn schon vorab zu klären (7. Kapitel). Diese Klärung wird auf die Notwendigkeit führen, einen abstrakteren Gegenstand als das geltende Recht zu betrachten, so daß Fragen der Ausarbeitung und Anwendung einer solchen Theorie und ihres Verhältnisses zum geltenden Recht besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist (2. Kapitel). Das Kernstück der Untersuchung besteht dann darin, die formale Struktur von Theorien in einzelne Teile zu gliedern, diese Teile für die Rechtswissenschaft mit Bedeutung zu füllen und daraus den Begriff einer rechtlichen Theorie aufzubauen (3. Kapitel). Abschließend gilt es, ihre materielle Struktur aufzuzeigen, soweit dies allein anhand des hier entwickelten Begriffs einer rechtlichen Theorie möglich ist; der Schlüssel zur Erkenntnis dieser Struktur liegt in einer näheren Betrachtung ihrer Modelle (4. Kapitel). Die Frage, ob und in welchem Sinne man von der Jurisprudenz behaupten kann, eine Wissenschaft zu sein, ist nicht neu. 15 Das Verständnis von Wissenschaft und Theoriebildung hat aber im vergangenen Jahrhundert solche Fortschritte erzielt (die sich nicht zuletzt im Hervorbringen der modernen Wissenschaftstheorie zeigen), daß sich eine neuerliche Untersuchung dieser Frage als lohnend erweisen wird. Im 17. und 18. Jahrhundert haben die namentlich von Samuel Pufendorf 1 6 und Christian Wolff 1 7 forcierten Bestrebungen, einen an ,geometrischer 4 Beweisführung orientierten Standard in der Rechtswissenschaft zu etablieren, schon einmal zu nachhaltigem Fortschritt geführt. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung lassen sich in folgenden Thesen zusammenfassen: 7. Kapitel: Der Gegenstand einer Theorien erarbeitenden Rechtswissenschaft kann nicht das geltende Recht sein. Das Recht im Sinne eines Gefüges von - nicht notwendigerweise irgendwo tatsächlich staatlich durchge15 Man vgl. nur die Diskussion um Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, die durchaus nicht die erste derartige Diskussion war, aber für uns heute noch besonders gut greifbar ist. 16
Vgl. insbesondere Samuel Pufendorf Elementorum Jurisprudentiae Universalis Libri Duo, 1660, Praefatio, S. ix ff. der Ausgabe Cambridge 1672. 17 Siehe insbesondere Christian Wolff, Philosophia Practica Universalis, Pars Prior 1738, Universalis Prolegomena §§ 3 ff., S. 2 ff., die auch schon den Untertitel „methodo scientifica pertractata" führt und im Titel des ersten Teils die Wörter „a priori demonstrantur" enthält.
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Überblick
setzten - Normen, d.h. im Sinne möglicher Rechtsordnungen, ist vielmehr selbst als Theorie zu verstehen. Die dabei jeweils vorausgesetzten Normen und Begriffe verfassen den Gegenstand solcher Theorien in der gleichen abstrakten Weise wie alle hypothetisch-deduktiven Theorien. Hinter diesem abstrakten Gegenstand kann man letztlich Handlungen sehen und rechtliche Theorien daher ,normative Handlungstheorien' nennen. 2. Kapitel: a) Die Rechtswissenschaft kann hypothetisch-deduktive Theorien bilden. Diese zeichnen sich - jedenfalls bislang - durch eine besonders große Anzahl von Prämissen aus. Neben der mit Mitteln der Normenlogik durchzuführenden deduktiven Ausarbeitung einer Theorie spielt die Begründung und Kritik (Motivation) der jeweils vorausgesetzten Prämissen - die prinzipiell nicht ihrerseits streng logisch erfolgen kann eine wichtige Rolle. b) Die Anwendung rechtlicher Theorien erfolgt zweigeteilt: Die Voraussetzungen für eine Anwendung schafft der Gesetzgeber, indem er die Voraussetzungen der von ihm ausgewählten rechtlichen Theorien herstellt. Das geschieht dadurch, daß er die in ihnen gemachten Prämissen in Form von geltendem Recht anordnet. Die Rechtspraxis entnimmt dieser Anordnung dann die Entscheidung darüber, welche rechtliche Theorie sie auf einen bestimmten Fall anzuwenden hat, und stellt unter Verwendung der Resultate dieser Theorie die Rechtsfolgen in dem ihr jeweils vorliegenden Fall fest. 3. Kapitel: a) Die Tätigkeit der Rechtswissenschaft läßt sich gedanklich so strukturieren, daß sie die Ausarbeitung und Überprüfung von Theorien ist. Rechtliche Theorien zerfallen - wie andere Theorien auch - in mehrere Teile: Der erste Teil stellt die nötigen Begriffe (die Theoriesprache) zur Verfügung. Der zweite Teil ordnet den auf die Außenwelt bezogenen Begriffen jeweils die bezeichneten Objekte zu (Interpretation). Der dritte Teil enthält Sätze, die diese Begrifflichkeit verwenden und in Gesetzesform (sowohl im allgemeinen wissenschaftlichen Sinn des Wortes als auch im Sinne von geltendem Recht) gebracht werden können oder bereits so vorliegen. In der vorliegenden Untersuchung werden die Sätze aus allen drei Teilen rechtliche Sätze genannt. Die Inhalte des ersten Teils werden als ,Modelle', die des zweiten Teils als ,Zuordnungen' und die des dritten Teils als ,.Rechtssätze' bezeichnet. Sie haben Aussagecharakter. Die Unterscheidung dieser drei Teile ermöglicht eine weitere Ausdifferenzierung der Unterscheidung von Verhaltensregeln und Zurechnungsregeln. 18 18
Siehe zu letzterer unten Fußnote (Fn.) 434.
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b) Die verbreitete Vorstellung, daß die Naturwissenschaften exakte Feststellungen erarbeiten, die Rechtswissenschaft dies aber nicht vermag und daher gar nicht erst danach streben soll, ist falsch. Es trifft zu, daß sich kein realer Fall exakt ,lösen' läßt. Auf den Fall bezogene Rechtsfragen erlauben keine vollständig exakte Antwort. Vielmehr gehen in die Beantwortung jeder derartigen Frage Wertungen ein. Dies führt aber nicht dazu, daß sich keine rechtliche Frage exakt beantworten ließe. Es führt nicht einmal dazu, daß keiner der gedanklichen Schritte zur Lösung einer auf einen konkreten Fall bezogenen Rechtsfrage exakt zu vollziehen wäre. Wie die Anwendung jeder anderen Theorie auch, setzt die Anwendung rechtlicher Theorien stets bestimmte Zuordnungen von äußeren Umständen zu den Begriffen der Theorie voraus, die prinzipiell nicht exakt vorgenommen werden können. Unter Voraussetzung dieser Zuordnungen erlauben rechtliche Theorien aber ebenso exakt abgeleitete Urteile wie die Theorien anderer Wissenschaften. Wie bei der Anwendung anderer Theorien sind im Recht die nicht-exakten und die exakten gedanklichen Schritte strikt voneinander zu trennen. c) Die Ausgangsfrage nach der Möglichkeit echter Theoriebildung in der Rechtswissenschaft ist bejahend zu beantworten. 4. Kapitel: a) Ein isolierter rechtlicher Satz läßt sich oft nicht als Modellsatz, Zuordnungssatz oder Rechtssatz klassifizieren. Diese Eigenschaft bezieht er nur aus seiner Stellung innerhalb einer Theorie. Bei der Fortentwicklung von Theorien kann sich diese Stellung auch ändern. Ausdifferenzierung von Modellen bedeutet eine Umwandlung von Zuordnungssätzen in Modellsätze, Verallgemeinerung von Modellbegriffen die gegenläufige Umwandlung. Analoge Umwandlungen von Modellsätzen in Rechtssätze und umgekehrt finden bei der Ausdifferenzierung bzw. Abstraktion rechtlicher Regelungen statt. Obwohl sich diese Entwicklungen in entgegengesetzte Richtungen vollziehen können, kann mit jeder von ihnen ein Fortschritt der rechtlichen Theorie verbunden sein. b) Modelle sind prinzipiell nicht falsifizierbar. Dennoch lassen sich Kriterien für ihre Qualität angeben. c) Es gibt fundamentale Modelle, die allen rechtlichen Theorien zugrunde liegen. Dies sind die Modelle vom Rechtssubjekt, der Zurechnung von Handlungen (und Kenntnissen) zum Rechtssubjekt sowie des Systems von Verhaltensregeln. Ferner lassen sich die zentralen metatheoretischen Konzepte der Methodenlehre in der Modellterminologie darstellen. Der zentrale Begriff der vorliegenden Untersuchung, , rechtliche Theorie \ wird entwickelt werden, ohne daß zuvor die Begriffe ,Recht' und ,Geltung' geklärt würden und ohne daß es einer solchen Klärung bedürfte. Auch dies,
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die Unabhängigkeit des in der Untersuchung entwickelten Konzepts rechtlicher Theorien von dieser Klärung, ist - in Anbetracht der Schwierigkeiten, die diese Klärung seit jeher macht - ein wesentliches Resultat 19 der Untersuchung. Umgekehrt käme in Betracht zu versuchen, das hier entwickelte Konzept zur Klärung der Begriffe ,Recht4 und ,Geltung4 heranzuziehen. Das jedoch ist gerade nicht Ziel und deshalb auch nicht Teil der vorliegenden Untersuchung.
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Die Unabhängigkeit rechtlicher Theorien von Geltung wird gefordert, also vorausgesetzt werden. Das Resultat besteht im Nachweis, daß eine solche rechtliche Theoriebildung möglich ist und die Rechtswissenschaft ihren Aufgaben gerecht wird, wenn sie an ihr arbeitet.
Kapitel 1
Der Gegenstand der Rechtswissenschaft 1. Begriff der Rechtswissenschaft. Um das Recht scharen sich eine ganze Reihe einzelner Wissenschaften. Karl Larenz nennt als wichtigste die Rechtsphilosophie, Rechtstheorie, Rechtssoziologie, Rechtsgeschichte und die Rechtsdogmatik (Jurisprudenz 20 ). 21 Man kann sie alle gemeinsam als Rechtswissenschaften' bezeichnen. Die Rechtsdogmatik22 nimmt unter ihnen aber insofern eine herauszuhebende Stellung ein, als nur sie sich bemüht, eine einzelne Rechtsordnung für sich allein zu schildern. Im Gegensatz dazu suchen die Rechtsphilosophie und die Rechtstheorie nach grundsätzlichen Einsichten in das Recht im allgemeinen und beziehen sich höchstens exemplarisch auf konkrete Regelungen. Die Rechtssoziologie stellt Betrachtungen über Tatsachen an, die in Beziehung zu wirksamen Rechtsnormen und sozialen Gefügen stehen. In rechtsgeschichtlichen Betrachtungen schließlich ist der Blick maßgeblich auf die (vergangene) Entwicklung des Rechts gerichtet. Die im folgenden dargelegten Überlegungen zur Theoriebildung in der Rechtswissenschaft, insbesondere zu ihrem Gegenstand, betreffen in erster Linie die Rechtsdogmatik. Um die übrigen rechtswissenschaftlichen Fächer geht es nur indirekt, nämlich soweit sie Metawissenschaften zur Rechtsdog20
Damit ist hier nicht nur die Rechtspraxis, sondern auch die wissenschaftliche Rechtsdogmatik gemeint, der es - wie sich Kurt Kettembeil , Zum Charakter der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1975, auf S. 7 ausdrückt - „um eine sachlich-fundierte Rechtspraxis zu tun" ist. (Die Begriffe ,Jurisprudenz' und Rechtswissenschaft' werden im folgenden aber - anders als bei Kettembeil - nicht verwendet, um ein eher theoretisches Interesse einem eher praktischen Interesse gegenüberzustellen.) 21 22
Karl Larenz , Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, II 1 1., S. 189.
Damit ist die Konstruktion und Systematisierung der rechtlichen Begriffe und Bestimmungen sowie die Klärung des Inhalts dieser Bestimmungen und ihre gedachte Anwendung gemeint, hingegen weder die Untersuchung der mit ihnen verbundenen Gesetzgebungsprobleme noch die der auf sie bezogenen persönlichen Präferenzurteile oder der von ihnen entfalteten sozialen Wirkung (Aulis Aarnio , Denkweisen der Rechtswissenschaft, 1979, 2.3.1, S. 34, der seiner eigenen Untersuchung einen hierüber hinausgehenden Begriff der ,Rechtsforschung' zugrundelegt; ähnlich Nils Jansen, Dogmatik, Erkenntnis und Theorie im europäischen Privatrecht, ZEuP 2005, S. 750, 754 ff. (vor I. sowie I. 1.)).
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
matik sind. In dieser Untersuchung ist mit ,Rechtswissenschaft' daher nur die Rechtsdogmatik unmittelbar gemeint.
(im Singular)
2. Gegenstand von Wissenschaften und Theorien. Setzt man voraus, daß jede Wissenschaft einen Gegenstandsbereich besitzt und untersucht man Wissenschaften hinsichtlich ihrer Theorien über ihren Gegenstandsbereich, 23 dann fällt der Gegenstandsbereich einer Wissenschaft mit demjenigen ihrer Theorien zusammen. Idealiter wird eine Wissenschaft mit einer einheitlichen, umfassenden Theorie über ihren gesamten Gegenstandsbereich abgeschlossen. Doch die Entwicklung einer solchen Theorie - alle lebenden Wissenschaften befinden sich noch im Stadium dieser Entwicklung, und die gegenwärtig ausgearbeiteten Theorien sind mehr oder minder weit von ihrem Ziel entfernt - erfolgt regelmäßig über kleinere, eingeschränkte Theorien. Deshalb wird es innerhalb einer Wissenschaft regelmäßig Theorien geben, die sich nur mit einem Teil des Gegenstandsbereichs befassen. Dann fällt der Gegenstandsbereich der Wissenschaft aber zumindest mit demjenigen der anvisierten Theorie zusammen sowie - wenn alle seine Teile auch tatsächlich bearbeitet werden - mit dem vereinigten Gegenstandsbereich ihrer eingeschränkten Theorien. In diesem Sinne läßt sich also der Gegenstandsbereich einer Wissenschaft mit demjenigen ihrer Theorien identifizieren. Die Sprechweise vom ,Gegenstandsbereich' statt ,dem Gegenstand' einer Wissenschaft ist die präzisere und von Vorteil, wenn man innerhalb des Gegenstandsbereichs einzelne Gegenstände unterscheiden und über sie quantifizierte Aussagen24 machen möchte. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn eine formale Sprache, etwa ein logischer Kalkül, verwendet werden soll. Doch darum geht es im folgenden nicht. Die Rechtswissenschaft ist von einer einheitlichen, umfassenden Theorie weit entfernt, und es ist in keiner Weise ausgemacht, daß eine formal-sprachliche Darstellung in ihr hilfreich wäre. In der vorliegenden Untersuchung wird es erst ab dem dritten Kapitel um Gegenstandsindividuen gehen, und auch dort spielen quantifizierte Aussagen 23 Mit dieser Voraussetzung ist nicht gesagt, daß sich die jeweilige Wissenschaft allein über ihren Gegenstandsbereich definieren würde. Das betrachtete Etwas ist namentlich niemals davon unabhängig, welche Methoden bei seiner Betrachtung zum Einsatz kommen (vgl. unten Fn. 31 f.). Soll ein Gegenstandsbereich abgegrenzt werden, dann müssen diese zuvor festliegen.
Zu einer umfassenden Konstruktion von Gegenstandsbereichen (bzw. des einen zusammenhängenden „Gebiets" von Gegenständen der Wissenschaft sowie verschiedenen „Gegenstandarten" innerhalb dieses Gebiets) vgl. Rudolf Carnap , Der logische Aufbau der Welt, 1928, passim, insbesondere §§ 4, 17 ff., 27 und 106 ff. 24
Siehe Joseph IM. Bochenski, Formale Logik, 1956, § 44 A, 44.01 ff., S. 403 ff. sowie bereits 12.03, S. 67 f. mit entsprechenden Nachweisen sowie Wilhelm Kamiah und Paul Lorenz.en, Logische Propädeutik, 2. Aufl. 1973, V. § 3, S. 161 ff.
Α. Recht als vorgegebener Gegenstand?
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kaum eine Rolle. Eine Sprechweise, die auf die Differenzierung einzelner Individuen innerhalb des Gegenstandsbereichs zielt, wäre daher nicht sehr nützlich, würde aber vom wesentlichen ablenken. Deshalb wird im folgenden kurz von ,dem Gegenstand' der Rechtswissenschaft (ab dem dritten Kapitel vom ,großen' Gegenstand) gesprochen.
A. Recht als vorgegebener Gegenstand? 7. Veränderung des Gegenstandes durch die Theorie? Nach dem Gegenstand der Rechtswissenschaft scheint man nicht lange suchen zu müssen: „Gegenstand der Rechtswissenschaft ist das Recht." 25 Diese Aussage findet sich in zahllosen Abhandlungen über die Rechtswissenschaft. Man kann auch nicht gut daran zweifeln, daß es in der Rechtswissenschaft in irgendeiner Form um das Recht geht. Aber es ist nicht unmittelbar klar, was das Wort ,Gegenstand' in dieser Aussage bedeutet.26 Kann es dasselbe bedeuten, wie wenn vom ,Gegenstand einer Theorie' die Rede ist? „Es ist [...] der fast einzigartige Vorzug der Rechtswissenschaft unter den Kulturwissenschaften, nicht neben und hinter dem Recht einherzugehen, sondern das Recht selbst und das Leben in und unter dem Recht mitgestalten zu dürfen." 27 Diese Bemerkung von Karl Engisch gibt Anlaß zu Zweifeln. ,Gegenstand' wird in dieser Bemerkung offenbar als das verwendet, was das Grimmsche Wörterbuch einen philosophischen Kunstausdruck' nennt und wozu es als Quellenbeispiel anführt: „eine jede wirkende Ursache musz etwas vor sich haben, darein sie wirket.. dieses nennet man das object oder den gegenständ, z.e. das object des Zimmermannes ist das holz, so er behauet, mein gegenständ aber ist itzo die ontologie oder die grundlehre daran ich denke, imgleichen das papier darauf ich schreibe." 28 Aber kann der Gegenstand einer Theorie und damit der Gegenstand einer Wissenschaft etwas sein, in das die Theorie erstens selbst 25 Stellvertretend für zahllose entsprechende Feststellungen anderer Autoren sei hier Norbert Horn, Einführung in die Rechtswissenschaft und Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 2004, Rn. 39 genannt. 26
Es ist auch durchaus nicht klar, was das Wort ,Recht' in dieser Aussage bedeutet. Die spitze Bemerkung Kants „Noch suchen die Juristen eine Definition zu ihrem Begriffe vom Recht" (Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1. Aufl. (A) 1781, 2. Aufl. (B) 1787, II., 1. Hauptstück, 1. Abschnitt, A 731 Β 759 in der Fn., in der Ausgabe der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften (zit. AA) Bd. III, S. 479, Z. 34 f.) ist heute ebenso zutreffend wie damals. 27
Karl Engisch, Einführung in das juristische Denken, 7. Aufl. 1977, Kapitel I, S. 8 (S. 3 der 10. Aufl. von 2005). 28 Johann Christoph Gottsched, Weltweisheit, theoretischer Theil § 320, zitiert nach dem Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, Artikel „Gegenstand", 2) a).
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
hineinwirkt, das von ihr also verändert wird, und das zweitens Außenwirkung (hier auf das Leben der Rechtssubjekte) entfaltet? 2. Theorie als objektive Betrachtung. Ursprünglich meinte Θεωρία die Betrachtung und Beobachtung vor allem sakraler Festlichkeiten sowie die Pilgerschaft offizieller Gesandtschaften zu solchen Festlichkeiten. 29 In abgeleiteter Bedeutung entstand maßgeblich unter dem Einfluß von Piaton und Aristoteles der philosophische Begriff der Θεωρία. Er bezeichnet (neben einer kontemplativen Art zu leben) die „Erkenntnishaltung (des interessefreien, rein konstatierenden wissenschaftlichen] Wissens)" 30 . Dieser Begriff schließt es aus, von einer Theorie zu sprechen, wenn die Betrachtung eines Objekts unter Einflußnahme des Betrachters stattfindet. Zwar wissen wir seit Immanuel Kant, daß sich diese Vorstellung von einer Theorie so nicht durchhalten läßt: Kein Gegenstand der Anschauung erscheint gänzlich unabhängig vom erkennenden Subjekt. 31 Er richtet sich vielmehr nach der Beschaffenheit unseres Anschauungsvermögens sowie den ihn bestimmenden Begriffen. 32 Aber eine solche Beeinflussung ist von ganz anderer Art, als die von Engisch beschriebene: Das erkennende Subjekt verschafft sich durch die von ihm gebildeten Begriffe und sein Anschauungsvermögen lediglich intellektuellen Zugang zu seinem Gegenstand. Anders könnte es ihn gar nicht erfassen. Diese Tätigkeit des Subjekts ist für seine Vorstellung von dem betreffenden Gegenstand allerdings erst konstitutiv und kann daher noch gar keine Veränderung des letzteren bedeuten.33 Auch für den heutigen Theoriebegriff gilt daher, daß man sich während der Ausarbeitung einer Theorie jeder Veränderung ihres Gegenstandes zu enthalten hat. Theoriebildung meint eine objektive Betrachtung, und die Objekti29 Hierzu und zum folgenden vgl. Christian Thiel , Artikel „Theorie", in: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 4 und Ian C. Rutherford (übersetzt von St. Krauter), Artikel „Theoria [1]", in: Hubert Cancik und Helmuth Schneider (Hrsg.), Der Neue Pauly, Bd. 12/1 sowie Franz Passows Handwörterbuch der Griechischen Sprache, Artikel „θεωρία ". 30
Franco Volpi, Artikel „Theoria [2]", in: Hubert Cancik und Helmuth Schneider (Hrsg.), Der Neue Pauly, Bd. 12/1, mit dem Nachweis entsprechender Textstellen bei Piaton und Aristoteles. 31
Immanuel Kant , Kritik der reinen Vernunft, 1781/1787, I., 1. Teil, 2. Abschnitt, § 7, A 38 Β 55 (AA Bd. III, S. 62, Z. 28 f.) sowie § 8, A 42 f. Β 59 f. (AA Bd. III, S. 65 f.) und die Vorrede zur zweiten Auflage, Β X V I (AA Bd. III, S. 11 f.). 32 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl. 1787, Vorrede zur zweiten Auflage, Β X V I I (AA Bd. III, S. 12, Z. 18-26). 33
Johann Gottlieb Fichte, Grundlage des Naturrechts nach Principien der Wissenschaftslehre, 1796, § 1 Erster Lehrsatz, Beweis, III. sowie § 2 (S. 18 und 23 in Immanuel Hermann Fichte (Hrsg.), Johann Gottlieb Fichte's Sämmtliche Werke, 1845).
Α. Recht als vorgegebener Gegenstand?
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vität der Betrachtung fällt gerade mit der Gegenständlichkeit ihres Gegenstandes' zusammen, d.h. sie erfordert, daß die Betrachtung an einem manipulationsfreien Objekt vorgenommen wird. 3 4 Dieser Begriff von Theorie und Gegenstand schließt keineswegs aus, daß eine Theorie sich auf einen abstrakten Gegenstand - d.h. einen Gegenstand, den derjenige, der die Theorie ausarbeitet, durch seine Definition selbst bestimmt - bezieht. Alle mathematischen Theorien haben diese Gestalt, und insbesondere Aristoteles 35 und Kant 3 6 beziehen den Theoriebegriff ausdrücklich auch auf die Einsichten der Mathematik. Eine Theorie über abstrakte Gegenstände ist deshalb unter demselben Theoriebegriff möglich, weil sie vor ihrer Betrachtung abschließend zu definieren sind und diese Definition während der Untersuchung dann unantastbar bleibt. Die Vorstellung von der Rechtswissenschaft, für die hier Engisch stellvertretend genannt wurde, kann sich aber schon deshalb nicht auf das Recht als einen solchen abstrakten Gegenstand beziehen, weil sie dann nicht zugleich von einer unmittelbaren Beeinflussung des Lebens der Menschen durch das Recht ausgehen könnte. Abstrakte Gegenstände entfalten gerade keine unmittelbare Wirkung auf die Außenwelt, sondern nur vermittelt durch die Handlungen von Menschen (wenn in deren Handlungsentschluß die theoretischen Überlegungen wirksam werden). Letzteres aber bleibt vom Standpunkt der Theoriebildung aus völlig kontingent. Engisch hingegen spricht nicht von unverbindlichen Vorschlägen für die Maximenbildung für Handlungen, sondern von einer ganz konkreten 34
So leitet z.B. auch Kelsen beide Auflagen der Reinen Rechtslehre mit den Worten ein „Die Reine Rechtslehre ist eine Theorie ... Als Theorie will sie ausschließlich und allein ihren Gegenstand erkennen." (jeweils I 1., S. 1). Vgl. ferner Julius Hermann von Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, S. 6 f. Moritz Schlick stellt hierzu klar: „Bleibt damit der menschliche Geist den Dingen und Vorgängen und Beziehungen, die er erkennen will, nicht ewig fremd und fern? Kann er sich den Gegenständen dieser Welt, der er doch selbst als ein Glied angehört, nicht inniger vermählen? Wir antworten: er kann es wohl; aber sofern er es tut, verhält er sich nicht e r k e n n e n d . Das Wesen des Erkennens fordert schlechthin, daß derjenige, der es ausüben will, sich in eine Ferne und eine Höhe über die Dinge begebe, von der aus er ihre Beziehungen zu allen Dingen überblicken kann. Wer sich ihnen nähert, teilnimmt an ihrem Weben und Wirken, der steht im Leben, nicht im Erkennen; ihm zeigen die Dinge das Antlitz ihres Wertes, nicht ihres Wesens." (Allgemeine Erkenntnislehre, 1918,1. 11., S. 66, Hervorhebung im Original). 35
Z.B. Aristoteles, Metaphysik, 6. Buch, 1. Kapitel, 1025bl und 1026a5 ff. in der Ausgabe von Immanuel Bekker, Berlin 1831 ; verwendet wurde auch die über die Perseus Digital Library der Tufts University (http://www.perseus.tufts.edu/ ) verfügbare Ausgabe, die auf W.D. Ross, Aristotle's Metaphysics, Clarendon Press Oxford 1924 beruht. 36
Z.B. Immanuel Kant, Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis, in: Berlinische Monatsschrift, Bd. 22 (Juli-Dezember 1793), S. 204 (vor I.; AA Bd. VIII, S. 276, Z. 26-29).
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
Beeinflussung des Lebens. Ob sich diese mit einer unmittelbaren Beeinflussung des Lebens verbundene Vorstellung von der Rechtsdogmatik mit dem Vorhaben wissenschaftlicher Theoriebildung verträgt, wird in den folgenden Überlegungen zu klären sein. 3. Theorie und Praxis. Aristoteles selbst hat es nicht in Betracht gezogen, eine juristische Tätigkeit als Theoriebildung aufzufassen. Er unterscheidet zwischen theoretischer (auf Erkenntnisse gerichteter), praktischer (auf Handeln gerichteter) und poietischer (auf das Herstellen von etwas gerichteter) Geistestätigkeit.37 An verschiedenen Stellen faßt er die letzteren beiden zusammen, so daß sich eine Gegenüberstellung von Theorie und Praxis ergibt, wobei beide je ein Gebiet philosophischer Reflektion bezeichnen, nämlich zum einen das Nachdenken über Dinge (vom Menschen vorzufindende oder von ihm sich selbst vorgegebene Dinge) und zum anderen das Nachdenken über menschliches Tun. Diese Gegenüberstellung ist also eine ganz andere als in dem Satz „Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis". Dieser sogenannte Gemeinspruch und Kants Auseinandersetzung mit ihm, 3 8 in der Kant sich die in diesem Spruch verwendete Terminologie selbst zueigen macht, 39 beruht auf einer Wortbedeutung von ,Theorie 4 , die weiter ist als bei Aristoteles. Die theoretische, die praktische und die poietische Tätigkeit im Sinne Aristoteles sind in der weiten Bedeutung des Wortes ,Theorie' gleichermaßen Theoriebildung. 40 Es wäre falsch zu behaupten, der Theoriebegriff, für den hier stellvertretend für unzählige andere Autoren Aristoteles angeführt wird, sei alt und allein der andere aktuell. Er ist auch heute oft gemeint, wenn von wissenschaftlicher Theoriebildung die Rede ist. Nur wenn er zugrunde gelegt wird, ergibt die Unterscheidung von theoretischer und praktischer Philosophie Sinn. Auch Kant, der gerade für die Verwendung des Wortes ,Theorie' in der weiteren Bedeutung des Wortes - wiederum stellvertretend für zahlreiche andere Autoren - angeführt wurde, meint an vielen Stellen mit ,Theorie' den engen Begriff. 41 Aber nicht zuletzt in dem ange37
Aristoteles , Metaphysik, 6. Buch, 1. Kapitel, 1025b25.
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Immanuel Kant , Über den Gemeinspruch, 1793.
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„Man nennt einen Inbegriff selbst von praktischen Regeln alsdann T h e o r i e , wenn diese Regeln als Principien in einer gewissen Allgemeinheit gedacht werden, und dabei von einer Menge Bedingungen abstrahirt wird, die doch auf ihre Ausübung nothwendig Einfluß haben." (Immanuel Kant , Über den Gemeinspruch, 1793, vor I., S. 201, AA Bd. VIII, S. 275, Z. 1-4, Hervorhebung im Original). 40 Zu der von Aristoteles in der Nikomachischen Ethik in diesem Zusammenhang verwendeten Begrifflichkeit siehe Ursula Wolf, Aristoteles' ,Nikomachische Ethik', 2002, X 2. a), S. 242 f. 41
Vgl. nur Immanuel Kant , Kritik der Urteilskraft, 1790, 1. Teil, 1. Abschnitt, 2. Buch, § 43, S. 172 (AA Bd. V, S. 303, Z. 30 f.) und (ebendort) Allgemeine Anmerkung zur Te-
Α. Recht als vorgegebener Gegenstand?
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führten Text von Kant zeigt sich, daß die Verwendung des Wortes ,Theorie' auch in wissenschaftlichem und philosophischem Zusammenhang nicht von vornherein durch seinen engen, aristotelischen Sinn beschränkt werden muß. Dies unterstreicht Henry Sidgwick, wenn er über die Ethik sagt „The student of Ethics seeks to attain systematic and precise general knowledge of what ought to be, and in this sense his aims and methods may properly be termed 'scientific': but I have preferred to call Ethics a study rather than a science, because it is widely thought that a Science must necessarily have some department of actual existence for its subject-matter." 42 In der vorliegenden Untersuchung geht es darum, bestimmten Gemeinsamkeiten der (im aristotelischen Sinne) praktischen Tätigkeit der Rechtswissenschaft mit der (weiterhin im aristotelischen Sinne) theoretischen Tätigkeit von Mathematik und Naturwissenschaften nachzugehen. Soweit sich daraus, daß die Rechtswissenschaft - anders als Mathematik und Naturwissenschaft viel mit Handlungen und präskriptiven Sätzen zu tun hat, Unterschiede ergeben, sind diese zu berücksichtigen. Es ist hier aber nicht sinnvoll, von vornherein die aristotelische Trennung von Theorie und Praxis vorzunehmen, mit der suggeriert wird, es handle sich schon der rein geistigen Tätigkeit und nicht nur dem Gegenstande nach um ganz unterschiedliche Betrachtungen. Der Begriff der Theorie wird hier deshalb nicht in der Weise beschränkt, daß alle Betrachtungen, die sich auf Handlungen beziehen, prinzipiell aus ihm ausgeschlossen bleiben müßten.43 Der Begriff der Theoriebildung soll dabei durchaus nicht verwässert werden, insbesondere nicht in der Weise, daß jede von einem Wissenschaftler vorgenommene Äußerung schon ,Theoriebildung' hieße. An den bislang herausgearbeiteten bzw. vorausgesetzten Eigenschaften einer Theorie ist festzuhalten: Nur eine der Logik unterworfene allgemeine Betrachtung eines feststehenden Gegenstandes ist Theoriebildung. Wenn eine solche Betrachtung sich im Hinblick auf Handlungen als möglich erweist, erfaßt der Begriff der Theoriebildung auch diese. Es wird aber keineswegs dogmatisch gefordert, daß eine auf Handlungen bezogene Theoriebildung möglich sein muß. In der Tat setzt das Erfordernis, daß der Gegenstand einer Theorie durch diese nicht verändert werden darf, gerade der Bildung praktischer Theorien' enge Grenzen. Soweit - wie Aristoteles sich das vorstellt - die praktische Tätigkeit auf die Auswahl und Bestimmung von
leologie, S. 472 (AA Bd. V, S. 482, Z. 6-7) sowie derselbe, Die Metaphysik der Sitten, 1797, Einleitung in die Metaphysik der Sitten, II., S. 12 (AA Bd. VI, S. 217, Z. 32-36). 42
Henry Sidgwick , The Methods of Ethics, 7 t h ed. 1907 (1 st ed. 1874), Book I, Chapter I, § 1, S. 1. 43 Vgl. dazu auch Theodor Sternberg, Allgemeine Rechtslehre, 1904, 1. Teil, § 12 6., S. 143-146.
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
Handlungen gerichtet ist, wäre es in der Tat falsch, diese Tätigkeit als Theoriebildung und die Handlungen als ihren Gegenstand zu bezeichnen. 4. Veränderung des Rechts. Das ,Veränderungsverbot' des Gegenstandes betrifft natürlich nur die Betrachtung selbst, d.h. der Gegenstand darf lediglich bei der Theoriebildung nicht verändert werden. Eine Anwendung der Theorie darf hingegen ohne weiteres zur Veränderung eines Individuums aus dem Gegenstandsbereich der Theorie führen. Viele Theorien werden gerade mit diesem Ziel aufgestellt. Führen z.B. theoretische Einsichten über das Verbrennungsverhalten von Kohle, Eigenschaften von Wasserdampf etc. zum Bau einer Dampflok, dann verlieren die Ausgangsüberlegungen nicht dadurch ihren Theoriestatus, daß bei Inbetriebnahme der Lok die Kohle, das Wasser etc. verändert werden. Aber einerseits ist eine solche Theorie nur dann sinnvoll anwendbar, wenn sie in Abhängigkeit von einem Ereignis (z.B. der Befüllung und Befeuerung der Lok) eine inhaltliche Prognose von weiteren Ereignissen erlaubt, die an den Gegenständen auftreten werden (z.B. Verbrennen der Kohle, Dampf- und Rauchentwicklung sowie Anfahren der Lok). Das ist mit Bezug auf das Recht aber nicht möglich, weil Veränderungen des positiven Rechts stets unmittelbar in entsprechenden menschlichen Handlungen bestehen, die weder weitere (später am Gegenstand, dem Recht, nachfolgende) Ereignisse determinieren noch ihrerseits vorhersagbar sind. Andererseits reicht die Einflußnahme der Rechtswissenschaft auf das Recht viel weiter, als daß sie nur die theoretischen Erkenntnisse, die eine Änderung des Rechts gestatten würden, zur Verfügung stellte: Bei bloßen Vorschlägen de lege ferenda ließe sich noch erwägen, ob sie nicht als Betrachtungen des geltenden Rechts angesehen werden können, die dieses unverändert lassen und nur Kenntnisse zu seiner Veränderung bereitstellen. Soweit es allein um die Manipulationsfreiheit des Gegenstandes geht, ließe sich diese Auffassung sicherlich aufrechterhalten. Man würde mit ihr allerdings dem de lege ferenda arbeitenden Rechtswissenschaftler nicht gerecht, denn seine Tätigkeit wäre dann als Theoriebildung nur faßbar, indem man ihm unterstellte, er würde den unverändert gelassenen Gegenstand (das geltende Recht) gerade um seiner Vernichtung (Veränderung) willen betrachten. Tatsächlich geht es demjenigen, der den Vorschlag ausarbeitet, aber um die neuen Normen bzw. die Lösung eines hinter den Normen stehenden rechtlichen Problems und nicht um eine Betrachtung des geltenden Rechts. Daß die Einflußnahme der Rechtswissenschaft auf das jeweils behandelte Recht indes noch wesentlich weiter reicht als bei expliziten Vorschlägen de lege ferenda , zeigt sich - obwohl sowohl Rechtsgeschichte als auch Rechtsdogmatik bisweilen das Recht untersuchen, als wären ihre Überlegungen ohne Einfluß auf dasselbe - besonders deutlich an Begriffen aus der juristischen
Α. Recht als vorgegebener Gegenstand?
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Methodenlehre, derer sich auch die Rechtswissenschaft bei der Behandlung (des in Form geschriebener Normen positivierten Teils) einer Rechtsordnung bedient: „Teleologische Reduktion", „geltungserhaltende Reduktion", „lükkenfüllende Analogie" etc. tragen die Veränderung der Vorschriften, auf die sie angewendet werden, bereits im Namen. Gäbe es für die jeweiligen Verfahren eindeutig bestimmte Regeln darüber, welche Vorschriften wann in welchen Punkten zu reduzieren bzw. zu erweitern sind, ließe sich noch darüber streiten, ob diese sogenannte Auslegung nur das freilegt, was ohnehin geltendes Recht ist, oder dennoch die betreffenden Vorschriften verändert. Solche Regeln liegen ihnen aber nicht zugrunde. Deshalb muß man den Einsatz dieser Methoden schon um des aus ihnen niemals vollständig hinwegzudenkenden dezisionistischen44 Elements wegen als Veränderung ansehen. Der Rechtswissenschaftler nimmt bei der Feststellung des jeweils behandelten positiven Rechts also in gewissem Umfang selbst gestalterischen Einfluß. 45 5. Erzwingung der Gegenständlichkeit von Recht? Es gibt nur zwei Wege, auf denen die Vorstellung vom Recht als Gegenstand einer Theorie erhalten werden kann. Entweder man beschränkt die Tätigkeit des Rechtswissenschaftlers auf eine bloße Beschreibung eindeutig feststellbarer Normen bzw. das bloße Konstatieren von Unklarheiten oder man betrachtet das (dann nicht notwendigerweise geltende) Recht als einen abstrakten Gegenstand. a) Den ersten Weg hat insbesondere Hans Kelsen vorgeschlagen. Er will eine ,Reine Rechtslehre 4 u.a. durch Ausschluß jeder Recht schaffenden Tätigkeit aus der Rechtswissenschaft 46 erreichen. Letztere soll danach ein ihr vorgegebenes Recht „gleichsam von außen her 4 ' 47 untersuchen. Dabei geht es ihm um das Ziel, die Rechtswissenschaft zu entpolitisieren, 48 und nicht dar44 Würde dem Wort nicht im heutigen juristischen Sprachgebrauch immer der Geschmack von Regelwidrigkeit anhaften, könnte man die eigentlich treffende Bezeichnung ,willkürlich' verwenden. 45 Theodor Sternberg, Allgemeine Rechtslehre, 1904, 1. Teil, § 12 3., S. 128 f. spricht sogar von „Identität der Jurisprudenz mit ihrem Gegenstande". 46
Vgl. z.B. Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934,1. 1., S. 1.
47
Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, III. 16., S. 74.
48
Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, Vorwort, S. III, V ff. (S. IX, X I ff. des Neudrucks von 1985). Kelsen streitet für die Entpolitisierung der Rechtswissenschaft, die Reinigung „von aller politischen Ideologie" (a.a.O.), nicht für die Verbannung aller Ideologie aus derselben. Letzteres wird zwar vielfach behauptet und auch von Kelsen selbst immer wieder suggeriert, indem er allgemein den „ideologischen Charakter" oder die „ideologische Tendenz" seiner Gegner und ihrer Lehren behauptet, als Argument gegen diese verwendet und sich sogar ausdrücklich hinter die Forderung einer ,,ideologiefreie[n] Theorie des Rechts" (Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, III. 17., S. 37) stellt. Er geht indes selbst (bei Meidung einer endgültigen Positionierung) davon aus,
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
um, ihr das Recht als Gegenstand zu sichern; 49 dennoch betreffen seine Vorschläge das hier behandelte Problem und erfordern eine etwas eingehendere Untersuchung. Kelsen weist allein dem Gesetzgeber (genauer: dem zuständigen Rechtsorgan) den Erlaß von Normen und der Rechtswissenschaft ausschließlich die Beschreibung 50 solchermaßen erlassener Normen zu. Der Gesetzgeber ist ohne Unterstützung durch Rechtswissenschaft und Rechtsprechung für den Erlaß aller abstrakt-generellen Normen zuständig und dabei auf sich allein gestellt. Die Rechtswissenschaft hat für Kelsen nichts mit der Entwicklung und Anwendung von Normen zu tun. Sie steht deshalb außerhalb des Rechts und beschreibt nur noch von außen die Anwendbarkeit und die Funktionen der Normen. 51 Eine solche Rechtswissenschaft ist keine normative Wissenschaft mehr, sondern rein deskriptiv. Die stete Verbesserung einer bestehenden Rechtsordnung wird von Kelsen niemandem als Aufgabe zugewiesen, sondern bleibt aus der Betrachtung ausgeschlossen. Man mag diese Auffassung schon allein auf Grund der genannten Aspekte für unangemessen halten, ein anderer Einwand geht jedoch noch weiter: Kelsen weist sowohl dem Gesetzgeber als auch der Rechtswissenschaft nicht nur möglicherweise unangemessene Aufgaben zu, sondern sogar solche, die sie aus prinzipiellen Gründen regelmäßig gar nicht bewältigen können. Unser parlamentarischer Gesetzgeber ist dafür geschaffen und ausgerichtet, in einem demokratischen Prozeß über jeweils einzelne Interessenkonflikte generell zu entscheiden. Von einem solchen Gesetzgeber und dieser Ausrichtung geht auch Kelsen ausdrücklich aus. 52 Eine Rechtsordnung ist aber wesentlich mehr als eine Menge solcher Konflikt-Entscheidungen. Das Recht muß seinen Subjekten vor allem Handlungs- und Organisationsformen zur „daß sich Gesellschaft von Natur überhaupt nur als Ideologie von einer Realität abhebt" (Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, III. 16., S. 35) und räumt ein, für sich und seine Reine Rechtslehre lediglich eine „anti-ideologische Tendenz" (Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, III. 17., S. 38) in Anspruch nehmen zu können. 49
In Allgemeine Theorie der Normen, 1979, 1. Kapitel II., S. 1 kritisiert er allerdings, daß die Rechtswissenschaft oft mit dem Recht identifiziert würde. Damit meint er dasselbe wie das hier diskutierte Problem unter etwas anderem Blickwinkel. 50 Kelsen nennt diese Beschreibungen in der 2. Aufl. der Reinen Rechtslehre Rechtssätze' (vgl. dort insbesondere S. 73 ff. sowie S. 57 f. und S. 114). 51 Kelsen selbst hat das nicht wahrgenommen. Ähnlich wie Niklas Luhmanns mit „von außen" (z.B. Das Recht der Gesellschaft, 1993, Kapitel 11,1., S. 496) „Fremdbeobachtung" (z.B. Die soziologische Beobachtung des Rechts, 1986, II., S. 19) meint, d.h. die Sichtweise der Soziologie als empirischer Gesellschaftswissenschaft auf das Recht (wodurch sich die Rechtssoziologie von den normativen Wissenschaften abhebt), sieht auch Kelsen nur diesen Aspekt (vgl. Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960,1. 2., S. 2). 52
Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, II. 8. und 9., S. 15 ff.
Α. Recht als vorgegebener Gegenstand?
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Verfügung stellen. Die Gesetzgeber, die unsere Kultur bisher hervorbrachte, sind zur gänzlich eigenständigen (d.h. ohne Rückgriff auf wissenschaftliche Vorarbeiten auskommenden) Neuschaffung entsprechender Rechtssätze, die sich stets bruchlos in das System bereits vorhandener Normen einfügen müssen, nicht in der Lage und betrachten sie (völlig zu recht) nicht als ihre Aufgabe. Die Gesetzgeber erwarten vielmehr regelmäßig, daß - ehe sie die Einleitung eines entsprechenden Gesetzgebungsverfahrens überhaupt ernsthaft in Erwägung ziehen - die Rechtspraxis sich dem jeweiligen Problem bereits gestellt und die Rechtswissenschaft Vorschläge zu seiner Lösung unterbreitet hat. Nur so können sie (durch Betrachtung einer bereits laufenden Entwicklung) die wesentlichen Interessenkonflikte ausmachen und (durch Auswahl eines Lösungsvorschlags oder Kombination mehrerer Lösungsvorschläge) entscheiden. Für etwas anderes wurden sie gar nicht geschaffen. Wird nun indes die Rechtswissenschaft auf das bloße Beschreiben bereits gesetzter Normen und die Rechtspraxis auf die Konkretisierung dieser Normen für den Einzelfall beschränkt, bricht der Gesetzgebungsprozeß zwar nicht de jure, aber de facto (,de qualitate') zusammen. Ohne auf neue Probleme bezogene Erfahrungswerte aus der Rechtspraxis und ohne eine systematische Aufarbeitung der Problemsituation, zusammen mit entsprechenden systematisch entwickelten Gesetzesvorschlägen, erhält der Gesetzgeber nicht einmal die für eine halbwegs vernünftige Entscheidung erforderlichen Informationen. Er ist gezwungen, auf Ad hoc- oder Experimentiergesetzgebung auszuweichen und liefert damit der Rechtspraxis und der Rechtswissenschaft nur noch in seltenen Glücksfällen Normen zur weiteren Behandlung, die dem eigentlichen Problem angemessen sind. Die Arbeit der Beteiligten stagniert oder erfolgt ,blind'. Der Einfluß des Rechts auf das Verhalten der dem Recht unterworfenen Personen sinkt. 53 Die Rechtswissenschaft soll nach Kelsen nur noch vorgegebene Normen für den Rechtsanwender beschreiben. Aber sie arbeitet nicht am Einzelfall. Sie hat kein Individuum und keine konkreten Situationen vor sich, sondern nur Normen und Erzählungen von Fällen. Sie wendet die Normen in der Regel nur selten an und verfügt somit nicht über die nötigen Erfahrungen, um ihre Anwendbarkeit treffend beschreiben zu können. Sie könnte sich daher nur auf das Paraphrasieren der Normen oder schieres Nacherzählen der entschiedenen Fälle verlegen, d.h. sozusagen in das Geschäft der Parlamentsund Gerichtsreporter einsteigen (und selbst das nur unvollständig).
53 Leonard Nelson, Rechtswissenschaft ohne Recht, 1917, Einleitung, Gesammelte Schriften Bd. IX S. 133.
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
Der Kelsensche Rekurs auf eine - von einer der zahlreichen Varianten 54 seiner sogenannten Grundnorm abgeleitete - rein rechtliche Kompetenz zur Normschaffung ist lediglich eine Scheinlösung. Kein Rechtsorgan erhält durch eine rein rechtliche Kompetenzschaffung die tatsächliche Fähigkeit zu einer im vollen Sinne kompetenten Lösung. Kelsen beschreibt eine Rechtstheorie, die aus den genannten prinzipiellen Gründen keiner befriedigenden Implementierung fähig ist. Er selbst preist es als Vorzug, daß nach seiner Vorstellung die Wissenschaft das Recht weder als richtig noch als gerecht legitimieren darf. 55 Doch es ist nur ein schwacher Trost, wenn die Wissenschaft keine Scheinlegitimierungen gibt, während dem Gesetzgeber tatsächlich die Grundlage für eine auch nur leidlich informierte und vernünftige Gesetzgebung entzogen und der Rechtswissenschaft die Arbeit an der Fortentwicklung des Rechts verboten wird. b) Man kann diese Probleme teilweise auch an unserer aktuellen Rechtswirklichkeit beobachten. Das liegt natürlich bei weitem nicht nur an Kelsen. Schon 1814 hatte Friedrich Carl von Savigny die Ausbildung solcher Mißstände für die Zeit nach Inkrafttreten umfassender Gesetzbücher vorhergesagt. 56 War das Ende des 19. Jahrhunderts noch - neben anderen Kodifikationen - vom Erlaß des im wesentlichen wissenschaftlich ausgearbeiteten BGB geprägt und gekrönt, entwickelte sich danach das Selbstverständnis der Rechtswissenschaft immer stärker in die beschriebene Richtung, und die nachteiligen Konsequenzen für die Gesetzgebung blieben nicht aus. Erfüllen aber Rechtswissenschaft und Gesetzgebung ihre eigentlichen Aufgaben, die in der steten Fortentwicklung des Rechts bestehen, nicht oder nur unvollständig, dann wird die Rechtsprechung zur Übernahme von Aufgaben gedrängt, die sie nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung eigentlich nicht übernehmen darf und zu deren Übernahme sie auch nicht über eine angemessene personelle Ausstattung verfügt. Würde sie sich diesen Aufgaben nicht dennoch stellen, müßte sie indes in vielen Fällen dem Bürger die Rechtsgewährung versagen. Der Rechtsprechung bleibt gar nichts anderes übrig, als nach Kräften zu versuchen, die sich akkumulierenden Mängel im Recht selbst zu beheben und die fehlenden Einsichten in seine Anwendbarkeit selbst zu gewinnen. War die deutsche Rechtsprechung zu Zeiten von Kaiserreich und Weimarer Republik noch regelmäßig bemüht, sich eng an das ihr vorgegebene Gesetz zu halten, 57 54
Siehe die (nicht abschließende) Auflistung bei Stanley L. Paulson, Die unterschiedlichen Formulierungen der „Grundnorm", 1993, II., S. 58 ff. 55
Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, VIII. 48. f), S. 128. Friedrich Carl von Savigny, Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft, 1814, insbesondere S. 22 ff. 56
57 Man vgl. nur die Urteile des 4. Strafsenats des Reichsgerichts vom 20. Oktober 1896, Rep. 2609/96, abgedruckt in der amtlichen Sammlung der Entscheidungen des
Α. Recht als vorgegebener Gegenstand?
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so konnte sie dies in der Bundesrepublik in vielen Fällen nicht mehr durchhalten. 58 Der Grund für diese mißliche Situation liegt in der Trennung zwischen der dem Gesetzgeber zugewiesenen Rechtsetzung auf der einen und der Wissenschaft und Rechtsprechung zugewiesenen Rechtsbeschreibung und -anwendung auf der anderen Seite. Diese Trennung beruht auf der naiv-positivistischen Vorstellung, man habe Normen erst zu setzen, sich ihrer dann klar zu werden und sie schließlich anzuwenden. Diese Vorstellung ist positivistisch in dem Sinne, daß sie ihren Ausgangspunkt bei gesetzten Normen nimmt, und deshalb naiv, weil sie den ganzen auf Jahrtausende der Vorarbeit zurückblikkenden juristischen Prozeß des Nachdenkens über eine gute Rechtsordnung und ihre stete Verbesserung durch einen einzelnen politischen Akt substituieren will. c) Die Rechtswissenschaft auf ein ihr vorgegebenes Recht zu beschränken, sie etwa bloß eindeutig feststellbare Normen beschreiben bzw. Unklarheiten schlicht konstatieren zu lassen, ist daher kein befriedigender Weg zur Sicherung ihres Gegenstandes. So würde zwar in der Tat ein von der Rechtswissenschaft unabhängiger Gegenstand erzwungen, die Rechtswissenschaft aber gleichzeitig nicht nur des von Engisch gepriesenen Vorteils, sondern jeglicher Funktion im Prozeß der Fortentwicklung des Rechts beraubt. Es gibt auch niemanden, der in die entstehende Lücke eintreten könnte. Jede Möglichkeit zu wissenschaftlichem Fortschritt im Recht ginge verloren. Der Rechtswissenschaft steht ebensowenig der Weg offen, Recht als ihren Gegenstand aus der Wahrnehmung von (wiederkehrenden) Situationen oder Ereignissen zu gewinnen. Es gibt zwar etliche in diese Richtung zielende rechtsrealistische Vorschläge, 59 doch letztlich scheitern sie alle an der HumeReichsgerichts in Strafsachen (RGSt) Bd. 29, S. 111-116 und des 1. Strafsenats vom 1. Mai 1899, Rep. 739/99, RGSt Bd. 32, S. 165-191, in denen nach damaliger Rechtslage die Strafbarkeit der Entziehung elektrischer Energie unter Berufung auf nulla poena sine lege als obersten Grundsatz des Strafrechts (RGSt 29, 116) verneint wird. 58
Ein gutes Beispiel dafür ist der Beschluß des Großen Senats für Strafsachen vom 19. Mai 1993, GSSt 1/93, abgedruckt in der amtlichen Sammlung Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen (BGHSt) Bd. 39, S. 221-232. In dieser geht es um den Rücktritt vom Versuch bei außertatbestandsmäßiger Erreichung des Handlungsziels. Der Große Senat hat dort die Begründung der Sachentscheidung (III 3., S. 230-232) ganz klar in einen Teil a) und einen Teil b) gegliedert, wobei unter a) auf weniger als einer Seite eine juristische Argumentation und danach unter b) auf anderthalb Seiten ausdrücklich eine kriminalpolitische Überprüfung erfolgt. Ausweislich des einen darauf noch folgenden Satzes unter c) erfolgt die Entscheidung des Großen Senat erst auf Grund von a) und b) zusammen. 59 Ganz klar drückt das z.B. Joseph W. Bingham , What is the Law?, Michigan Law Review Vol. X I (1912), S. 109, Fn. 29 aus: „ I use the phrase 'law' in the sense of se-
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
sehen Einsicht, daß es unzulässig ist, von äußeren Tatsachen auf Sollenssätze zu schließen.60 Die Rechtswissenschaft hat sich aber letztlich immer mit präskriptiven Sätzen auseinanderzusetzen und kann sich deshalb nicht ausschließlich auf Tatsachen gründen. Man darf ferner Zielsetzung und Gegenstand nicht miteinander verwechseln. Auch wenn es ein Ziel der Rechtswissenschaft ist, konkrete Handlungen zu prognostizieren, z.B. die des Richters bei einer Entscheidung,61 führt diese Zielsetzung doch höchstens mittelbar auf einen Gegenstand: Stellt man sich vor, die zu prognostizierende Handlung gehe aus einer reflektierten Anwendung von Normen hervor und werde durch diese bestimmt, dann geht es in der rechtlichen Betrachtung noch immer in erster Linie um eine Ausarbeitung dieser Normen, zu der die tatsächliche Handlung unmittelbar nichts beiträgt außer der Zielsetzung der Betrachtung. Stellt man sich die Handlung hingegen nicht als durch Normen vorherbestimmt vor, kann sie schon deshalb kein feststehender Gegenstand einer rechtlichen Theoriebildung sein, weil sie entweder überhaupt nicht vorhersagbar ist oder jedenfalls die Regeln, auf denen eine Vorhersage beruhen würde, keine präskriptiven Sätze sind (sondern nur deskriptive, z.B. solche der Psychologie). Die Bemerkungen zu den letzten beiden, auf die eine oder andere Art rechtsrealistischen, Vorstellungen lassen sich zu der folgenden Forderung verallgemeinern: Auch wenn (wie hier) Möglichkeiten untersucht werden, die Methode der wissenschaftlichen Theoriebildung in die Rechtswissenschaft zu übernehmen bzw. zu reintegrieren, so darf doch auf keinen Fall ein naturwissenschaftlicher Gegenstand übernommen werden! Alles in allem bleibt nichts anderes übrig, als sich von der Vorstellung zu verabschieden, ein vorgegebener Bestand geltender Vorschriften sei der Gegenstand der Rechtswissenschaft, 62 soweit sie Theorien im eigentlichen Sinne quences of external facts and their concrete legal consequences through the concrete operation of governmental machinery." Siehe dort ferner insbesondere S. 5 und 9 f. 60 Zu diesen sogenannten Schlüssen vom Sein aufs Sollen siehe David Hume, A Treatise of Human Nature, 1740, Book III, Part I, Section I, S. 245 der Ausgabe von Τ.Η. Green und Τ.Η. Grose , The Philosophical Works of David Hume (zit. GG), Vol. II. 61
Vgl. etwa Oliver Wendell Holmes , The Path of the Law, Harvard Law Review Vol. 10 (1896/97), S. 461: „The prophecies of what the courts will do in fact, and nothing more pretentious, are what I mean by the law." 62
Das hat besonders nachdrücklich Georg Jellinek vertreten. „Alles Recht hat als notwendiges Merkmal das der G ü l t i g k e i t . Ein Rechtssatz ist nur dann Bestandteil der Rechtsordnung, wenn er gilt; ein nicht mehr geltendes Recht oder ein Recht, das erst Geltung gewinnen soll, ist nicht Recht im Wahren Verstände des Wortes." (Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914/1921, 11. Kapitel I., S. 333) Interessant ist, daß Jellinek seinen Gedanken nicht einmal auszudrücken vermag, ohne die Begriffe ,Recht' und ,Rechts-
Β. Unabhängigkeit der Betrachtung von Normgeltung
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entwickelt. Ihr liegt kein realer oder auch nur fest vorgegebener Gegenstand zugrunde. Der Gegenstand der Rechtswissenschaft muß demnach abstrakt sein, d.h. idealisiert oder hypothetisch vorausgesetzt. 63 Wie dies genau aussieht, wird (später in diesem Kapitel) zu klären sein.
B. Unabhängigkeit der Betrachtung von Normgeltung 1. Geltendes Recht als Theorie? Zweifelsohne arbeitet die Rechtswissenschaft am geltenden Recht. Sie versucht, die einzelnen Normen aus verschiedenen Erkenntnisquellen herauszuarbeiten und jeweils von bestimmten denkbaren Normen zu zeigen, ob sie dazugehören. Sie interessiert sich für die Entwicklung des Rechts in der Zeit, für alternative Rechtsordnungen und für eine möglichst einfache und zugleich vollständige Darstellung des jeweils geltenden Rechts. Ganz ähnlich werden in den exakten 64 und den empirischen Wissenschaften aus verschiedenen Beobachtungen Kandidaten für Aussagen gewonnen, und untersucht, ob diese in die jeweilige Theorie hineingehören, d.h. sie zu belegen oder zu widerlegen. Ebenso besteht grundsätzlich ein Interesse an der Kenntnis älterer Ausarbeitungszustände der Theorie, an alternativen Erklärungen, d.h. alternativen Theorien, sowie - vor allem - an einer möglichst einfachen und vollständigen Darstellung des gegenwärtigen Wissens. Es besteht also eine starke Ähnlichkeit zwischen der Funktion, die das Recht für die Rechtswissenschaft hat und der Funktion, welche die jeweils in der Ausarbeitung befindlichen Theorien für die Mathematik und die Naturwissenschaften haben. Auch in anderen Geisteswissenschaften als der Mathematik, soweit sie an der Ausarbeitung einer Theorie arbeiten, ist die Funktion dieselbe. Anders als bei diesen Geisteswissenschaften ist die Ausarbeitung von Theorien heute für das Selbstverständnis der Mathematik und der Naturwissenschaften aber ähnlich prägend, wie die Arbeit am Recht für die Rechtswissenschaft. satz' für etwas zu verwenden, das sie nach seiner Auffassung gerade nicht bezeichnen sollen, nämlich gerade nicht geltende Normen. 63 Zum Begriff des ,abstrakten' Gegenstandes vgl. z.B. Gereon Wolters, Artikel „Modell", in: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.), Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, Bd. 2 sowie (unter der Bezeichnung , logischer Gegenstand') Rudolf Carnap, Der logische Aufbau der Welt, 1928, § 107. 64 Für die exakten Wissenschaften, d.h. Mathematik und Logik, muß man natürlich betonen, daß sie aus der Beobachtung von Tatsachen höchstens Inspirationen gewinnen können für Sätze, die dann unabhängig von diesen Tatsachen gültig sind oder nicht. Aber diese Möglichkeit, insbesondere aus der Physik Anregungen zu erhalten, besteht für die exakten Wissenschaften nicht nur abstrakt, sondern solche Anregungen waren und sind auf sie von erheblichem Einfluß.
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
Diese Ähnlichkeit gibt Anlaß, die folgende Parallelsetzung zu erwägen: Man verstehe die (ausformulierten) geltenden Normen einer Rechtsordnung als rechtliche Aussagen und betrachte die Gesamtheit dieser rechtlichen Aussagen als eine Theorie. Eine solche Parallelsetzung trägt dem Umstand Rechnung, daß sich das geltende Recht, ebenso wie viele wissenschaftliche Theorien, stets im Zustand der Weiterentwicklung befindet. Die Grenzen dieser Parallelisierung sind jedoch sofort erkennbar: Hat die Rechtswissenschaft einerseits zu starken Einfluß auf das Recht, als daß es den Gegenstand rechtlicher Theorien bilden könnte, so kann sie andererseits nicht ausreichend selbständig über den jeweiligen Stand des geltenden Rechts verfügen, als daß ihre Arbeit am Recht der Ausarbeitung von Theorien in der Mathematik und den Naturwissenschaften entspräche. Die Geltung 65 der positiven Rechtsnormen ist unabhängig von der wissenschaftlichen Bestätigung ihrer Aussagen. Der Rechtswissenschaft zumindest teilweise vorbehalten bleiben nur die Voraussetzung einer Grundnorm und die staatsrechtliche Behandlung des In-Geltung-Setzens von Normen durch ein bestimmtes (Gesetzgebungs-)Verfahren sowie eines (meist weitgesteckten) materiellen Rahmens für künftige positive Rechtsnormen (z.B. durch Grundrechte und Staatsprinzipien). Ansonsten entziehen sich Fragen der Normgeltung einer rechtsdogmatischen Betrachtung. Darin, daß Aussagen ohne wissenschaftliche Bestätigung zum geltenden Recht gehören, liegt aber ein erheblicher Unterschied zwischen dem Recht und wissenschaftlichen Theorien im allgemeinen. Versteht man das Recht als ausschließlich aus positiven Rechtsnormen zusammengesetzt, spitzt sich dieser Unterschied noch zu, denn dann ist jede Aussage der ,Theorie' unabhängig von wissenschaftlicher Bestätigung - man erhielte eine armselige Theorie. 66 2. Vernunftrecht: Erzwingung des Theoriecharakters ? Wollte man die Parallelisierung unverändert durchhalten, wäre die Betrachtung des Rechts auf ein aus der, Vernunft' ableitbares Recht unter Ausschluß allen rein positiven Rechts zu beschränken. Auch solche Bestrebungen hat es in der Rechtswissenschaft immer wieder gegeben. Besonders stark war der Versuch, eine Rechtswissenschaft more geometrico zu etablieren. 67 Auf diesem Weg - wird 65
Zum Begriff der Geltung des Rechts vgl. insbesondere Robert Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 1992, passim, speziell S. 139-143 sowie S. 199 ff., mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 66
Kant meint dazu: „Eine bloß empirische Rechtslehre ist (wie der hölzerne Kopf in Phädrus' Fabel) ein Kopf, der schön sein mag, nur Schade! daß er kein Gehirn hat." (Die Metaphysik der Sitten, 1797, Einleitung in die Rechtslehre, § B, S. 32, AA Bd. VI, S. 230, Z. 4-6). 67
Vgl. oben Fn. 16 und 17.
Β. Unabhängigkeit der Betrachtung von Normgeltung
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er konsequent zu Ende gegangen - läßt sich der Theoriecharakter des wissenschaftlich ausgearbeiteten, geltenden Rechts erzwingen. Das geschieht, indem man nur noch (von der Wissenschaft als prinzipiell erkennbar vorausgesetzte) Vernunftgründe für die Geltung der betreffenden Rechtssätze akzeptiert, aber nicht mehr die Setzung eines Rechtssatzes durch irgendein Rechtsorgan. Selbst der überzeugteste Vernunftrechtler würde indes nicht bezweifeln, daß es rechtliche Vorschriften gibt, die im Wege der Gesetzgebung, als Richterrecht oder Gewohnheitsrecht gesetzt werden, z.B. das Rechts- oder Linksfahrgebot im Straßenverkehr. Obwohl dieses positive Recht - bis auf die Untersuchung der Bedingungen seiner Geltung - bei der wissenschaftlichen Ausarbeitung des Rechts (nach vernunftrechtlichem Verständnis) keine Rolle spielt und innerhalb des gesamten geltenden Rechts dem wissenschaftlich ausgearbeiteten Recht gegenüber nachrangig ist, gehören auch vom vernunftrechtlichen Standpunkt aus positive Normen zum Recht. Damit ist aber die Ausklammerung solcher Rechtssätze aus der rechtswissenschaftlichen Theorienbildung ebenfalls keineswegs befriedigend. Soll die Arbeit der gesamten Rechtswissenschaft, und nicht nur eines Teils, unter dem Aspekt der Ausarbeitung von Theorien strukturiert werden, muß - ebenso wie auf eine rechtspositivistische Beschränkung - auch darauf verzichtet werden, diese Tätigkeit von vornherein vernunftrechtlich zu beschränken. 3. Untauglichkeit des geltenden Rechts zur Theorie. Unter dieser Voraussetzung lassen sich die beiden folgenden Feststellungen treffen, die das geltende Recht und wissenschaftliche Theorien einander gegenüberstellen: (1) Es kommen keinesfalls alle (möglicherweise gar keine) Normen dadurch zur Geltung, daß sie aus prinzipiell frei wählbaren Axiomen gefolgert werden (während eine Aussage in den exakten Wissenschaften dadurch als Teil einer Theorie erkannt wird, daß man die Aussage unter ausschließlicher Verwendung der Axiome dieser Theorie beweist). (2) Ebensowenig kommen alle (sondern eventuell gar keine) Normen dadurch zur Geltung, daß man sie in reproduzierbaren Experimenten bestätigt und sich vergewissert, daß sie in keinem Widerspruch zu bisherigen Beobachtungen stehen (während dies das Aufnahmekriterium in eine naturwissenschaftliche Theorie ist). Für das geltende Recht - und damit insbesondere das positiv geltende Recht - funktioniert die bisher vorgeschlagene Parallelsetzung daher nicht. 4. Rechtspositivismus vs. Vernunftrecht. So wie diverse rechtspositivistische Ansätze 68 als Vorschläge zur Erzwingung des geltenden Rechts als Ge68
Hier sind nur diejenigen rechtspositivistischen Ansätze gemeint, welche die bereits erörterten Eigenschaften aufweisen. Nachdem Juristen oft recht freigiebig mit dem Attribut positivistisch' umgehen, sind das keineswegs alle Vorschläge, denen dieses Attribut
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Kapitel 1: Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
genstand rechtlicher Theorien verstanden werden können, sind diverse vernunftrechtliche Ansätze als Vorschläge zu verstehen, die erzwingen, daß das geltende Recht selbst eine rechtliche Theorie ist. Beide Ansätze betreffen also die Frage, wie sich Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz und Geltungsanspruch des Rechts miteinander vereinbaren lassen. Beide arbeiten mit einer erheblichen Beschneidung des uns bekannten ,üblichen' Tätigkeitsfeldes der Rechtswissenschaft. Beide führen zu einer erheblichen Einschränkung des Rechtsbegriffs: der eine durch Ausschluß allen nicht-positiven Rechts , der andere durch Ausschluß allen positiven Rechts. Schließlich führen auch beide Ansätze zu einer erheblichen Einschränkung der mit rechtlicher Theorienbildung verfolgten Zielsetzung: Durch den einen wird dem Rechtswissenschaftler eine ausschließlich beschreibende, inhaltlich völlig einflußlose, rein konsumierende' Beschäftigung angesonnen, der andere macht Ergebnisse vom Auffinden letztbegründender Vernunftsätze abhängig. Diese beiden Ansätze zur Etablierung einer wissenschaftlichen Behandlung des Rechts stehen einander diametral gegenüber. Der Überschneidungsbereich ihres Rechtsbegriffs ist leer. Natürlich gibt es von beiden Vorschlägen abgeschwächte Varianten mit einander überschneidenden Rechtsbegriffen. Die meisten der bislang unterbreiteten Vorschläge haben nicht die hier dargestellte radikale Form. Doch diese Abschwächungen sind für die vorliegende Untersuchung kaum von Interesse. Abgeschwächte Varianten der Vorschläge sind ungeeignet, der Rechtswissenschaft geltendes Recht als Gegenstand oder Theorie zu sichern. 5. Geltung. Das Problem, daß sich das geltende Recht weder sinnvoll als Gegenstand einer rechtlichen Theorie noch als wissenschaftliche Theorie selbst auffassen läßt, entsteht gerade durch die Geltung des Rechts. Möchte man sich mit den drastischen Selbstbeschränkungen 69 der Rechtswissenschaft, die mit den bisherigen Vorschlägen verbunden sind, nicht abfinden, besteht nur die Alternative, bei der rechtswissenschaftlichen Theoriebildung von der Geltung des Rechts abzusehen. 70 in der Vergangenheit zugesprochen wurde. Vgl. dazu z.B. Dietrich Tripp , Der Einfluß des naturwissenschaftlichen, philosophischen und historischen Positivismus auf die deutsche Rechtslehre im 19. Jahrhundert, 1983, insbesondere die Bemerkungen zu Carl Schmitt auf den S. 236 ff. 69
Diese fordert Kelsen explizit, vgl. Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, Vorwort, S. V I (S. X I I des Neudrucks von 1985). 70
Vgl. dazu in anderem Zusammenhang Hermann Kantorowicz , Der Begriff des Rechts, 1957, 2. Kapitel, 2., S. 32 f.: „Der am weitesten verbreitete, aber vielfach unbewußte Mißbrauch des Wortes ,Recht' besteht darin, es auf (absolut ) bindende Regeln zu beschränken. Diese Eigenschaft wird häufig als Geltung bezeichnet, d.h. als die Eigenschaft, verbindlich zu sein...". Vgl. ferner Julius Hermann von Kirchmann , Die Werth-
Β. Unabhängigkeit der Betrachtung von Normgeltung
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Die rechtliche Theoriebildung muß in dem Sinne abstrakt erfolgen, daß sie sich von der Geltung der jeweils behandelten Rechtssätze ebenso unabhängig macht, wie sie sich (nach David Hume) eines Schlusses von festgestellten Tatsachen auf Normen zu enthalten hat: Allein die positiv-rechtliche Geltung eines Rechtssatzes ist kein Garant für seine Zugehörigkeit zu einer (erst recht nicht zu jeder) rechtlichen Theorie. Umgekehrt bringt die Zugehörigkeit eines Rechtssatzes zu einer Theorie allein keine Geltung hervor. Deshalb sind rechtliche Theoriebildung und Geltung voneinander ebenso unabhängig wie rechtliche Theoriebildung und äußere Tatsachen. Man kann weder daraus, daß etwas der Fall ist, darauf schließen, daß dies auch der Fall sein soll, noch bewirkt allein die Anordnung eines Sollens-Satzes, daß die Wirklichkeit ihm tatsächlich entspricht. Aus diesem Grund ist der Versuch Kelsens zum Scheitern verurteilt, Recht als Gegenstand der Rechtswissenschaft in einer der Erkenntnistheorie (und zwar derjenigen Kants) entsprechenden Weise zu erkennen und eine Rechtsepistemologie aufzubauen, indem er von geltungsbegründenden Prämissen (der sogenannten Grundnorm) als einer „erkenntnis-theoretisch-transzendental[en]" „Kategorie des Rechts" 71 ausgeht. Seine Theorie der positiv-rechtlichen Geltung ist keine Erkenntnistheorie im eigentlichen Sinne und kann nicht auf das Recht als ihren Gegenstand gerichtet sein. Der Vorschlag Kelsens, die positive Rechtsgeltung erkenntnistheoretisch zu hypostasieren und auf den Gerechtigkeitsanspruch des Rechts zu verzichten, 72 vermag der Rechtswissenschaft ihren Gegenstand nicht zu retten. Statt dessen ist nicht nur (wie von Hume begründet) auf den Realitätsanspruch rechtlicher Theorien, sondern auch auf einen Geltungsanspruch zu verzichten. Es muß darum gehen, eine in diesem Sinne ,abstrakte Rechtstheorie' (genauer: eine Theorie abstrakter rechtlicher Theorien) auszuarbeiten. Die in diesem Sinne abstrakten Theorien müssen sich natürlich auf die äußere Wirklichkeit beziehen73 - sie haben an Tatsachen anzuknüpfen und Regeln für die Handlungen konkreter Menschen vorzuschlagen - , und ihre Regelungen müssen zur Geltung gebracht werden können (oder bereits gelten). Beides ist - wie gerade gezeigt - keine inhaltliche Voraussetzung rechtlicher Theorien, aber entscheidend dafür, daß die Ausarbeitung dieser Theorien sinnvoll ist, denn sie müssen anwendbar sein. Es wird daher in allen folgenlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, S. 14, 16 f. und Robert Alexy, Begriff und Geltung des Rechts, 1992, 2. III. 2.1, „Geltungsfreie und nicht geltungsfreie Rechtsbegriffe", S. 44 ff. 71
Beides Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, III. 11. b), S. 24.
72
Z.B. Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, insbesondere II. 8 bis III. 10., S. 12-20. 73
Das ist keine Besonderheit dieser abstrakten Theorien. Die Theorien müssen diese (und die sogleich folgende) Eigenschaft besitzen, weil jede rechtliche Theorie sie besitzen muß.
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
den Teilen der vorliegenden Untersuchung ganz wesentlich darum gehen, den Zusammenhang zwischen den im genannten Sinne abstrakten rechtlichen Theorien, den äußeren Tatsachen sowie dem geltenden Recht zu klären. Gelingt es, diesen Zusammenhang herzustellen, erweist das die mit den bisherigen Lösungsvorschlägen verbundenen Fesseln als unnötig. Die Rechtswissenschaft sollte sie abwerfen, um die ihr obliegenden Dienste bei der steten Verbesserung der Regeln, die ein freiheitliches Zusammenleben ermöglichen, in vollem Umfang leisten zu können. 6. Betrachtung möglicher Rechtsordnungen als Theoriebildung, a) Kommt es nach dem Selbstverständnis der Rechtswissenschaft nicht darauf an, ob die Normen, an denen sie arbeitet, gelten oder nicht, dann kann sie die betrachteten Normen prinzipiell selbständig auswählen oder verwerfen und verfügt genau so über die betrachteten Normen, wie andere Wissenschaften über die Aussagen ihrer Theorien verfügen, nämlich allein beschränkt durch ihre wissenschaftliche Methode. Auf diesem Wege lassen sich die Einwände dagegen, Recht insgesamt als Theorie zu begreifen, ausräumen. Der Rechtswissenschaftler, der eine Theorie ausarbeitet, muß ihr Normen zugrundelegen. Nachdem deren Geltung kein zwingendes Kriterium für ihre Auswahl als Prämisse der Theorie sein soll, ist er bei seiner Wahl prinzipiell frei. Durch sie (und ihre Nennung) bestimmt er das von ihm betrachtete rechtliche Normgefüge. Er betrachtet also mögliche Rechtsordnungen bzw. Teile davon. Die Theorie der betrachteten Rechtsordnung (bzw. des betrachteten Teils einer Rechtsordnung) entsteht, indem er deduktiv die Konsequenzen aus ihren Prämissen nach und nach ausarbeitet und so das durch die vorausgesetzten Normen bestimmte Recht darlegt. Die Theorie stellt das jeweilige Wissen 74 über die betrachtete Rechtsordnung im einzelnen dar. 75 Als etwas vom Menschen Geschaffenes kann das Recht in nichts anderem als dem Wissen von diesen Einzelheiten bestehen. Die rechtliche Theorie fällt deshalb mit dem jeweils ausgearbeiteten Recht selbst zusammen. Sollen wissenschaftliche Theorien in der Jurisprudenz einen Platz haben, dann besteht die Theoriebildung in der rechtswissenschaftlichen Ausarbeitung einer möglichen Rechtsordnung. Eine mehr oder minder ausgearbeitete mögliche Rechtsordnung (bzw. ein Teil davon) ist als (mehr oder minder ausgearbeitete) rechtliche Theorie aufzufassen.
74
Zur Präzisierung des Begriffs ,Wissen4 vgl. z.B. Aldis Aarnio, Denkweisen der Rechtswissenschaft, 1979, 2.1 (insbesondere 2.1.10), S. 9-18. 75 Rein formal betrachtet besteht das in der deduktiven Theorie dargestellte Wissen stets darin, daß ihre Voraussetzungen (bekanntermaßen) die Resultate implizieren.
Β. Unabhängigkeit der Betrachtung von Normgeltung
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b) Nicht nur für den Rechtspositivismus, sondern vor allem für die juristische Hermeneutik ist die Auseinandersetzung mit Rechtstexten, d.h. ein textlicher Zugang zum Recht, wesentlich. Eine der zentralen Einsichten aus hermeneutischen Überlegungen ist, daß das Verstehen eines jeden Textes ein Vorverständnis dessen voraussetzt, wovon der Text spricht. Sich allein mit einem Rechtstext, evtl. gar nur einem Gesetz beschäftigen und daraus das Recht originär entnehmen zu wollen, ist ,hermeneutisch unmöglich 4 . 76 Außerdem wird eine solche Herangehensweise dem Autor des Textes meist in keiner Weise gerecht. Einem parlamentarischen Gesetzgeber 77 geht es so gut wie nie um die in einer Bestimmung zu Papier gebrachte Anordnung, sondern um einen ,politisch-gesellschaftlichen Effekt 4 - was immer das genau sein mag. Außerdem muß der Gesetzgeber - unabhängig davon, ob ihm das gefällt und ob er sich dessen bewußt wird - ein logisch widerspruchsfreies Gesamtsystem wollen, wenn er überhaupt etwas Verständliches und Umsetzbares ausdrücken möchte. Deshalb wird, wer sich mit einer gesetzlichen Bestimmung als etwas im Gesetzestext originär Vorgegebenem auseinandersetzt, weder einem wissenschaftlichen Anspruch noch dem Gesetzestext selbst noch dem Autor des Textes gerecht. Erjagt ein Phantom. Dennoch haben es weder der Rechtspositivismus noch die Bewegung zur juristischen Hermeneutik vermocht, sich von den textlich fixierten Vorschriften zu lösen. Ihre Vertreter ziehen oft durchaus wesentlich mehr als nur isolierte Gesetzestexte in Betracht und betonen die Bedeutung von außerhalb des Textes liegenden Umständen. Aber es geht ihnen dabei doch letztlich immer nur um den Text. Die weiteren Umstände bleiben unwägbare, schwer zu fassende Faktoren. Die Natur- und Vernunftrechtslehre vergangener Jahrhunderte war in dieser Hinsicht schon viel weiter. Sie hat ihre Aufgabe - insoweit völlig zutreffend - in der Ausarbeitung einer Rechtsordnung gesehen. Sie ist an der Begründung der Geltung der von ihr erarbeiteten Rechtsordnungen gescheitert, nicht aber an der wissen76 Arthur Kaufmann, Wozu Rechtsphilosophie heute?, 1971, zitiert nach: derselbe, Beiträge zur Juristischen Hermeneutik, 1984, III., S. 13 f. schreibt zur ,hermeneutischen Unmöglichkeit' des Rechtspositivismus: „Jeder zu verstehende Text, also auch der Gesetzestext, hat denknotwendig einen Bezug zu einer Sache außerhalb des Textes, nämlich seinen Sinn; da jedoch der Positivismus alles, was außerhalb des Textes ist, exkludiert, ist er gar nicht in der Lage, den Sinn, auf den der Text bezogen ist, zu erfassen..." Siehe dazu ausführlich Joachim Hruschka, Das Verstehen von Rechtstexten, Zur hermeneutischen Transpositivität des positiven Rechts, 1972, insbesondere Abschnitt III, V I I und XI, S. 17-19, 52 ff., 92-94. Beide geben weitere Nachweise aus der Literatur zur Hermeneutik. 77
Auch einem verfassungsgebenden Gesetzgeber würde man nicht gerecht. Speziell zur Grundrechtsinterpretation siehe Matthias Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, 4. Teil II. 1., S. 280 ff.
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
schaftlichen Auseinandersetzung mit ihnen. Zu dieser muß zurückkehren, wer eine wissenschaftliche Rechtsdogmatik erreichen will. Der Textbezug kann die (positive) Geltung von Prämissen begründen, und in diesem Zusammenhang ist eine Auseinandersetzung mit den Gesetzestexten erforderlich. Das ist eine die Rechtspraxis treffende Aufgabe. Bei ihrer Bewältigung kann der Wissenschaftler Hilfe leisten. Das ist dann aber Hilfestellung bei der Lösung eines fremden Problems. Es wäre hingegen sinnlos (dem Sinn der rechtswissenschaftlichen Tätigkeit zuwider), sich dieses Problem als Wissenschaftler zu eigen zu machen.78 Die Entwicklung rechtlicher Theorien - also die Hauptaufgabe des Wissenschaftlers - über einen Textbezug leisten zu wollen, entstammt dem fehlgeleiteten Versuch, der Rechtswissenschaft einen quasi-empirischen Gegenstand sichern zu wollen: bedrucktes Papier, nachdem die Sache selbst schon nicht empirisch greifbar ist. Man sollte sich statt dessen - soweit es die Rechtswissenschaft betrifft - an die Mahnungen Julius von Kirchmanns und ihm nachfolgender Methodiker erinnern, die Theodor Sternberg folgendermaßen zusammenfaßt: „Der Buchstabenkultus, soweit er noch vorhanden, und soweit er juristische Geistestätigkeit mit dem Makel der Inferiorität behaftet, der Textualismus, der das Gedruckte dem Gedanken vorgehen läßt, soll beseitigt werden." 79 Das bedeutet - wie die vorliegende Untersuchung ergeben wird - keineswegs, daß man dieses Ziel in gleicher Weise (freirechtlich) auf die Rechtspraxis zu übertragen hätte. Für die Rechtswissenschaft hingegen hat die Mahnung heute sogar noch an Gewicht gewonnen, wo es in einem sich einigenden Europa darum geht, auch im geltenden Recht nationale Idiosynkrasien zu überwinden und das Zusammenleben teilweise auch durch gemeinsame Normen zu erleichtern. Über fünfundzwanzig Rechtswissenschaften, die irgendwelche nationalen Privattexte aufbereiten - wie durchdacht und einflußreich sie auch immer sein oder gewesen sein mögen - leisten dabei nicht die Hilfe, die von einer Rechtswissenschaft geleistet werden könnte, die den folgenden beiden Grundsätzen genügt: (1) Diese eine Rechtswissenschaft muß auf den großen Kodifikationen und strukturellen Einsichten, die noch nicht in Gesetzbücher gegossen worden sind, aufbauen. Aber es darf keine Rolle spielen, ob sie aus dem jeweiligen Heimatstaat des Wissenschaftlers stammen oder nicht. (2) Gegen Vorschläge für neue Normen und Vorschläge, etwas gerade nicht allgemein zu normieren, kann nicht sinnvollerweise vorgebracht werden, daß sie bislang noch von keinem Parlament umgesetzt wurden. Es besteht also keine Be78 Die Fragestellung betrifft ihn nur sekundär, nämlich im Zusammenhang mit der Motivation seiner Prämissen. Vgl. dazu unten 2. Kapitel A. 3. 79
Theodor Sternberg , J.H. v. Kirchmann und seine Kritik der Rechtswissenschaft, 1908, Einleitung S. VIII, zu entsprechenden Belegen bei Kirchmann selbst siehe unten Fn. 441 ff.
C. Gegenstand und Zielsetzung rechtlicher Theorien
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schränkung der Rechtswissenschaft auf das irgendwo gerade positiv geltende Recht. Die Ausarbeitung möglicher Rechtsordnungen ist ihr Geschäft, die Entwicklung (der Entwurf) einer besonders ,guten'* 0 Rechtsordnung ihr Ziel.
C. Gegenstand und Zielsetzung rechtlicher Theorien 7. Recht als abstrakter Gegenstand. Die Rechtswissenschaft arbeitet nicht empirisch und kann daher prinzipiell nicht induktiv zu Einsichten gelangen. Sie kann natürlich Situationen beobachten und bei dieser Gelegenheit Kandidaten für Rechtssätze entwickeln. Aber es ist nicht so, daß allein die Betrachtung und Beschreibung von Situationen durch Verallgemeinerung zu den Rechtssätzen führt. Will man rechtliche Theorien entwickeln, müssen sie deduktiv sein.81 Ihre Resultate beziehen sich prinzipiell auf vorausgesetzte Sätze und Grundbegriffe, die gerade das bestimmen, was in der jeweiligen Theorie betrachtet wird. Sie konstituieren also den betrachteten Gegenstand, denn nur auf sie (und bereits bekannte, aus ihnen abgeleitete Resultate der Theorie) kann sich der Blick desjenigen, der die Theorie ausarbeitet, richten. Der Gegenstand dieser Theorien - und damit der Gegenstand der Rechtswissenschaft - ist also ein abstrakter, durch die jeweils vorausgesetzten Sätze vorgegebener Gegenstand. Die Prämissen rechtlicher Theorien konstituieren eine mögliche Rechtsordnung als abstrakten Gegenstand, 82 deren Eigenschaften die Theorie dann darlegt. 83 Die Situation ist analog zu derjenigen in der Mathe80 Das Wort wird hier zunächst einmal ohne nähere Bestimmung verwendet. Einige nähere Bestimmungen werden insbesondere unten unter 9. sowie im 2. Kapitel Abschnitt A. entwickelt werden. Im wesentlichen bleibt die Entwicklung von Kriterien aber wohl immerwährende Aufgabe der Rechtswissenschaft, also eine Aufgabe, der man sich zwar stellen, die man aber nie abschließend lösen kann. 81
Rechtswissenschaftliche Theorien können sich daher auch nicht - wie Theodor Viehweg dies letztlich unter Verzicht auf Theoriebildung im hier behandelten Sinne für die Rechtswissenschaft propagiert, vgl. Topik und Jurisprudenz, Einleitung III., S. 14 auf eine topische Techne des Problemdenkens beschränken. Dazu, daß es in der Rechtswissenschaft um deduktive Theorien geht, vgl. auch Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1932, § 2 1., S. 7 f., Gesamtausgabe, 1993, S. 232 und John Rawls , A Theory of Justice, 1972, Part I, Chapter I, § 9, S. 47. 82
Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Sprechweise Hruschkas von der „Sache Recht", die jeder, der einen Rechtstext verstehen möchte, hermeneutisch notwendig voraussetzt (Joachim Hruschka, Das Verstehen von Rechtstexten, 1972, Abschnitt VIII, S. 56 sowie S. 93 f. im Abschnitt XI). 83
Ralf Dreier, Zur Theoriebildung in der Jurisprudenz, 1978, I 2. g), S. 77 f., in: derselbe, Recht-Moral-Ideologie, 1981 spricht von „Rechtsgebietstheorien", bezieht sie aber nur auf geltendes Recht und diskutiert die damit verbundenen Probleme (siehe dort
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
matik, in der die jeweils vorausgesetzten A x i o m e den abstrakten Gegenstand der Betrachtung (z.B. klassisch die Ebene der euklidischen Geometrie 8 4 und modern z.B. Gruppen, Ringe und Körper in der A l g e b r a 8 5 ) konstituieren und die jeweilige Theorie das aktuelle Wissen über ihre Eigenschaften enthält. 8 6 Der einzige (freilich gewichtige) Unterschied zur Mathematik besteht darin, daß die Prämissen und damit auch ihre Konsequenzen zumindest teilweise präskriptiv sind, während die Mathematik ausschließlich deskriptiv bleibt. 2. Abbildung nachgeordneter Gegenstände. Wegen der wissenschaftlichen Freiheit bei der W a h l der Voraussetzungen (,Definitionsfreiheit 4 ), darf nicht (allgemein) unterstellt werden, der abstrakte Gegenstand bilde ein geltendes Recht ab. Derjenige, der eine Theorie aufbaut, kann natürlich Sätze des geltenden, positiven Rechts wählen und bei seiner Betrachtung voraussetzen. Er kann die vorausgesetzten Sätze und Begriffe auch so wählen, daß sie Rechtsinstitute des geltenden Rechts, die noch nicht positiviert sind, begrifflich fassen. Es steht ihm indes ebenfalls frei, in seinen Prämissen ganz andere Objekte - z.B. wohltätige Handlungen, Kosten minimierendes Verhalten oder Einkommen maximierendes Vorgehen (solche Objekte werden im folgenden auch III. 2., S. 87 ff.). Vgl. ferner Claus-Wilhelm Canaris, Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien, JZ 1993, S. 386 (IV. 3. a) ). Nils Jansen, Dogmatik, Erkenntnis und Theorie im europäischen Privatrecht, ZEuP 2005, S. 753 ff. (I. 1. und passim), insbesondere S. 758, will Rechtsordnungen und zugehörige Theorien gemeinsam als „Recht" untersuchen und schreibt dabei beiden Geltung zu. Er kommt so im Ergebnis zu einer ähnlichen Tätigkeit der Rechtswissenschaftler, wie der hier entwickelten, doch einen unabhängigen Gegenstand und die mit der Unterscheidung objekt- und metasprachlicher Sprachebenen (vgl. dazu im 3. Kapitel E. I. 1.) verbundene Klarheit erhält man so nicht. Ferner müssen bei diesem weiten Gegenstand der Raum möglicher Erkenntnis (dort II. 1., S. 763) und die verfügbaren Falsifikationskriterien (II. 4. c), S. 771 ff.) gesondert eingeschränkt werden. 84
Euklid, Die Elemente (στοιχεΐον ), um 300 v. Chr., 1. Buch: Definitionen, Postulate und Axiome (verwendet wurde der Nachdruck der Übersetzung von Clemens Thaer, 1933-1937, dort S. 1-3). 85
Siehe z.B. Paul Moritz Cohn, Algebra, Vol. 1, 2 n d ed. 1982, 3.2 G. 1-4 (S. 46), 6.1 R. 1-3 (S. 136) sowie 6.1 S. 137 („field" bedeutet Körper). 86 Man beachte, daß es hier keineswegs - wie Rudolph von Jhering das Vorgehen der Begriffsjurisprudenz anprangert (Geist des römischen Rechts, Teil III, § 59, 4. Aufl. 1888, S. 317-325) - um einen „Cultus des Logischen" (S. 321) geht, in der sich „der Begriff zur Rolle des Demiurgen" (S. 319) aufschwingt. Kein Begriff wird als von vornherein vorgegeben (positiv) vorausgesetzt. (Die Deduktion bezieht sich überhaupt nicht auf Begriffe, sondern stets auf Sätze.) Gerade die Untersuchung möglicher Rechtsordnungen ist es, wodurch sich die Rechtswissenschaft - ganz der Forderung Jherings entsprechend - vom ihr vorgegebenen „Kanon des juristisch Denkbaren" (S. 321) emanzipiert und der „Unmündigkeitserklärung der heutigen Wissenschaft oder, was dasselbe, wissenschaftliche[n] Bankrotterklärung" (ebendort) entkommt.
C. Gegenstand und Zielsetzung rechtlicher Theorien
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nachgeordnete Gegenstände' genannt) - sprachlich abzubilden. Schließlich kann er Sätze und Begriffe seiner Betrachtung auch um ihrer selbst willen zugrundelegen, ohne daß sich seine Zielsetzung dabei auf ein weiteres hinter diesen Annahmen stehendes Objekt beziehen müßte. Man darf daher von einer rechtlichen Theorie nicht einfach annehmen, daß sie einen anderen als den abstrakten, durch ihre jeweiligen Voraussetzungen konstituierten Gegenstand besitzt. Ebensowenig ist zu unterstellen, daß sie rein deskriptiv wäre, 87 denn in der Regel werden die vorausgesetzten Sätze präskriptiv sein und die im Zuge der Ausarbeitung der Theorie aus ihnen abgeleiteten Sätze präskriptiv bleiben. 88 Aber jede rechtliche Theorie muß vorausgesetzte Sätze und Begriffe enthalten. Deshalb besitzt jede rechtliche Theorie einen abstrakten Gegenstand, der in ihr betrachtet wird. Dieser ist allen möglichen weiteren Gegenständen stets (sprachlich) vorgelagert und im wesentlichen durch präskriptive Sätze konstituiert. Die möglicherweise zusätzlich vorhandenen nachgeordneten Gegenstände spielen für die Theoriebildung streng genommen keine Rolle. Der abstrakte Gegenstand bestimmt, was betrachtet wird; weitere Gegenstände haben nur etwas mit den Motiven für die Betrachtung zu tun. Bilden die gewählten Prämissen einen nachgeordneten Gegenstand fehlerhaft ab, kann es sein, daß der Wissenschaftler das Ziel seiner Betrachtung verfehlt. Will er etwa Sätze des geltenden Rechts untersuchen und die gewählten Sätze gehören gar nicht dazu, wird er durch den Aufbau seiner Theorie in der Regel nichts über das geltende Recht erfahren. Doch selbst wenn er dies nicht einmal bemerkt, betrifft sein Irrtum die Richtigkeit oder Unrichtigkeit seiner Resultate innerhalb der Theorie in keiner Weise. In keiner Theorie gibt es Kriteren, um die Richtigkeit ihrer Resultate an einem nachgeordneten Gegenständen zu messen. Solche Kriterien könnten immer nur innerhalb einer auf diesen nachgeordneten Gegenstand bezogenen Theorie entwickelt werden, also in einer anderen (und niemals rechtlichen) Theorie. Wenn sich ein Wissenschaftler in Wirklichkeit für die (übersubjektive) Geltung von Normen interessiert, muß er eine Theorie der Geltung entwickeln. Die Begründung einer solchen Theorie gehört in die politische Philosophie im weiteren Sinne, d.h. in die sowohl von der Fachphilosophie als auch von der Rechtsphilosophie betriebene Philosophie der sozialen Ordnungen. Interessiert er sich in Wirklichkeit für wirtschaftlich vernünftiges Verhalten, muß er eine ökonomische Theorie aufbauen. Interes87 Das schließt nicht aus, deskriptive Aussagen über die präskriptiven Sätze zu machen, wie Kelsen dies mit seiner Lehre vom Rechtssatz bezweckt (vgl. Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, III. 16., S. 77). Dabei führt man aber nur neue Aussagen ein und ändert nichts daran, daß die Sätze, um die es eigentlich geht, präskriptiv bleiben. 88 Zur näheren Analyse präskriptiver Sätze siehe Georg Henrik von Wright , Norm and Action, 1963, V. 1.-10., S. 70 ff.
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Kapitel 1: Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
siert er sich für das tatsächlich in einer Gesellschaft vorherrschende Verhalten, muß er eine soziologische Theorie ausarbeiten, u.s.w. All diese Theorien sind keine rechtswissenschaftlichen (immer im Sinne von rechtsdogmatischen) Theorien. Rechtswissenschaftliche Theorien sind logisch unabhängig von allen weiteren, dem abstrakten Gegenstand der jeweiligen Theorie nachgeordneten Gegenständen. Solche weiteren Gegenstände resultieren nur aus den jeweiligen Zielsetzungen der die Theorie ausarbeitenden Wissenschaftler. 3. Normative Handlungstheorie. Einen über ihren abstrakten Gegenstand hinausgehenden, konkreteren Bezug haben allerdings alle rechtlichen Theorien: Nachdem sie in erster Linie aus präskriptiven Sätzen aufgebaut sind, sagen sie stets etwas über Handlungen 19 aus. Man kann rechtliche Theorien daher immer als normative Handlungstheorien auffassen. Weil die Handlungen, über die etwas ausgesagt wird, letztlich nur durch die Prämissen der Theorie bestimmt werden, liegt in dem Wissen um die Handlungen, mit denen sich die Theorie beschäftigt, allerdings keine über den abstrakten Gegenstand dieser Theorie hinausgehende Information. Die Kenntnis des abstrakten Gegenstandes der Theorie ist dasselbe wie die Kenntnis der Handlungen, auf die sich diese Theorie bezieht, und der präskriptiven Aussagen der Theorie über diese Handlungen. Es wäre deshalb etwas übertrieben, diese Handlungen als eigenständiges, dem abstrakten Gegenstand nachgeordnetes Objekt zu bezeichnen. Die Vorstellung von Handlungen macht den abstrakten Gegenstand indes oft wesentlich anschaulicher. Sie beugt außerdem der durch die Bezeichnungen ,abstrakter Gegenstand' und ,deduktive Theorie 4 möglicherweise entstehenden Fehlvorstellung vor, rechtliche Theorien wären wirklichkeitsentrückte „Glasperlenspiele 44. Das sind sie keineswegs. In ihnen geht es um das Verhalten ganz konkreter Menschen, und der inhaltliche Bezug auf reale Fälle darf durchaus nicht aufgehoben werden. Die Sprechweise vom , abstrakten Gegenstand4 und der ,deduktiven Theorie 4 dient nur dazu, die logische Struktur der rechtlichen Theorien deutlich zu machen. Inhaltlich geht es in diesen Theorien um Handlungen, die durch die Sätze der Theorie bestimmt werden. 4. Rechtliche Sätze. Man kann die Sätze, die zu einer rechtlichen Theorie gehören können, inhaltlich präzisieren und damit auch zugleich die Handlungen, auf die sie sich beziehen, näher angeben. Betrachtet man rechtliche Normen unabhängig von ihrer Geltung, steht die rechtliche Geltung natürlich auch hierfür nicht als Kriterium zur Verfügung (womit nicht gesagt sein soll, 89 Der Begriff ,Handlung' wird hier so verwendet, daß er positives Tun und Unterlassen gleichermaßen einschließt.
C. Gegenstand und Zielsetzung rechtlicher Theorien
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daß sie überhaupt ein taugliches Kriterium wäre). Schon deshalb ist es erforderlich, rechtliche Sätze anders zu charakterisieren. a) Sätze, die eine im eigentlichen Sinne rechtliche Aussage beinhalten, sind präskriptiv, beziehen sich auf Handlungsmöglichkeiten mindestens zweier Personen 90 (d.h. die sog. ,äußere Freiheit'), 91 können von einer Personengemeinschaft in Geltung gesetzt und ihre Anordnungen danach mit formalisiertem Zwang durchgesetzt werden. Der Satz „Töte keinen anderen Menschen!" z.B. ist präskriptiv, bezieht sich auf mindestens zwei Personen (eine, die eine bestimmte Art von Handlungen nicht vornehmen soll, und eine andere, deren völlige Aufhebung von Handlungsmöglichkeiten im Räume steht), taugt ausweislich § 212 StGB zur staatlichen Vorschrift und ist dann mit Zwang durchsetzbar. Jede rechtliche Theorie muß unter ihren Prämissen Sätze dieser Art enthalten. b) Indes ist nicht jeder rechtliche Satz von dieser Art. „Sachen sind körperliche Gegenstände." (vgl. § 90 BGB) etwa weist keines der genannten Merkmale auf. Er könnte auch in völlig anderem als rechtlichem Zusammenhang stehen und gibt doch eine in allen Rechtsgebieten wichtige Bestimmung. Unser geltendes Recht kennt viele solche Sätze. Sie werden dadurch zu rechtlichen Sätzen, daß sie Sätzen, die eine im eigentlichen Sinne rechtliche Aussage treffen, zur Bezugnahme an die Seite gestellt werden. Innerhalb einer rechtlichen Theorie geschieht dies entweder dadurch, daß man sie den vorausgesetzten Sätzen mit eigener rechtlicher Aussage (sprachlich) gleichordnet, oder dadurch, daß sie sich als Folgerungen aus den Voraussetzungen ergeben. Rechtliche Sätze dieser Art sind nur aus dem Kontext als rechtlich zu erkennen und müssen außerhalb einer rechtlichen Theorie keine rechtliche Bedeutung haben. c) Eine Theorie ist also genau dann rechtlich, wenn ihre Voraussetzungen (auch) im eigentlichen Sinne rechtliche Aussage enthalten. Alle zu einer rechtlichen Theorie (als Voraussetzungen oder Folgerungen) gehörenden Sätze sind rechtlich. Aus dieser näheren Bestimmung rechtlicher Sätze ergibt sich, daß es im Recht immer nur um solche Handlungen geht, deren Auswirkungen auch an90 Vgl. dazu schon Aristoteles, Nikomachische Ethik 5. Buch, 15. Kapitel, 1138a20 sowie bereits 6. Kapitel, 1131a20. Verwendet wurde auch die über die Perseus Digital Library der Tufts University verfügbare Ausgabe (http://www.perseus.tufts.edu/ ), die auf J. By water, Aristotle's Ethica Nicomachea, Clarendon Press Oxford 1894 beruht. 91 Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797, Einleitung in die Rechtslehre, § B, S. 32 (AA Bd. VI, S. 230, Z. 7-11); vgl. ferner (ebendort) Rechtslehre, II. Teil, § 43, S. 162 (AA Bd. VI, S. 311, Z. 24-29) sowie Einleitung zur Tugendlehre, I., S. 4 ( A A B d . VI, S. 380, Z. 16-18).
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
dere Rechtssubjekte als den jeweils Handelnden betreffen können, und daß es um jede Handlung nur insoweit geht, als sie andere Rechtssubjekte betreffen kann. Die im eigentlichen Sinne rechtlichen Sätze einer rechtlichen Theorie beziehen sich darüber hinaus stets auf eine allgemein umrissene Klasse 92 von Fällen, nicht auf Einzelfälle. 93 Der Einzelfall ist nicht Sache des Rechtswissenschaftlers, soweit er eine Theorie ausarbeitet, sondern kommt erst bei der Anwendung der Theorie in den Blick. Freilich ist es auch Sache des Rechtswissenschaftlers, sich der Anwendbarkeit seiner Theorie zu vergewissern und sie an einzelnen Fällen zu erproben. Die eigentliche wissenschaftliche Arbeit besteht jedoch in der Beschäftigung mit Sätzen, die immer eine ganze Klasse von in bestimmter Hinsicht gleichen Fällen betreffen. Rechtliche Sätze einer Theorie weisen deshalb stets eine gewisse, über die Einzelfälle hinausgehende Allgemeinheit auf. 5. Deskriptive , präskriptive und askriptive Sätze. Die namentlich von J. L. Austin 94 vorbereitete, aber erst von R. M. Hare 95 eingeführte und hier gerade vorausgesetzte Unterscheidung deskriptiver und präskriptiver Sätze ist nicht unproblematisch. 96 Erstens hat schon Hare selbst dargestellt, daß es Begriffe - die evaluativen Begriffe wie ,gut' und ,richtig' - gibt, die je nach Verwendung deskriptive oder präskriptive Bedeutung haben können. 97 Zweitens ist die Klassifikation keinesfalls dichotom, denn es lassen sich Sätze angeben, die eindeutig weder deskriptiv noch präskriptiv sind, z.B. die askriptiven Sätze, die ein Zurechnungsurteil ausdrücken wie „Ich rechne Dir diesen Vorgang als Handlung bzw. diesen rechtswidrigen Schadenseintritt zur Schuld zu". 9 8 Die92 Zu diesem Begriff siehe Wilhelm Kamiah und Paul Lorenzen , Logische Propädeutik, 2. Aufl. 1973,111. §5, S. 93. 93 Zu dieser Allgemeinheit gehört insbesondere, wie H.L.A. Hart , The Concept of Law, 1961, II. 2., S. 21 zurecht betont, daß sowohl die erfaßten Handlungen als auch die erfaßten Personen allgemein bestimmt sind. 94 John Langshaw Austin , How to do Things with Words, The William James Lectures delivered at Harvard University in 1955, hrsg. von James Opie Urmson 1962, passim, vgl. insbesondere Lecture I, S. 3. 95
Richard Mervyn Hare , The Language of Morals, 1952, insbesondere Part I. 1., S. 1 der Ausgabe von 1978, und Part II. 7., S. 111 ff. 96 Vgl. hierzu und zur folgenden Darstellung auch Wilhelm Vossenkuhl, Artikel „Präskriptiv", in: Joachim Ritter und Karlfried Gründer (Hrsg.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 7 sowie Walter Brinkmann , Praktische Notwendigkeit, 2003, S. 23. 97 Siehe z.B. Richard Mervyn Hare , The Language of Morals, 1952, Part II. 7.1, S. I l l der Ausgabe von 1978, und Part III. 10.4, S. 159. 98 Vgl. dazu Joachim Hruschka, Über Schwierigkeiten mit dem Beweis des Vorsatzes, in: Festschrift für Theodor Kleinknecht zum 75. Geburtstag, 1985, S. 201 sowie
C. Gegenstand und Zielsetzung rechtlicher Theorien
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sen Befund zu kennen ist wichtig, damit man nicht den aussichtslosen Versuch unternimmt, jeden rechtlichen Satz als entweder deskriptiv oder präskriptiv zu klassifizieren. Aber auch er verhindert nicht, daß sich die Klassifikation - soweit sie reicht - nutzbringend verwenden läßt. Ein drittes und weiterreichendes Problem besteht aber darin, daß die Klassifikation auch bei Sätzen, für die sie eingeführt wurde," als formale Unterscheidung nach der Ausdrucksweise des Satzes oft nicht ohne weiteres durchgeführt werden kann. Betrachten wir den Satz: „Niemand darf einem anderen eine fremde bewegliche Sache in Zueignungsabsicht wegnehmen." Diesen Satz als deskriptiv oder präskriptiv zu klassifizieren, birgt Schwierigkeiten. „Du darfst keinem anderen eine für Dich fremde bewegliche Sache in Zueignungsabsicht wegnehmen." wäre ein eindeutig formulierter präskriptiver Satz, aber der Ausgangssatz ist es zunächst einmal nicht. Der Ausgangssatz ist als Satz innerhalb einer Rechtsordnung auch nicht deskriptiv zu verstehen, denn das Beschriebene könnte nur die Rechtsordnung selbst sein. Man erhielte einen zirkulären Bezug einer Beschreibung auf sich selbst, also eine nicht auflösbare Sprachebenenvermischung; das wäre ein Konstruktionsfehler, weil der Satz keinen überprüfbaren Wahrheitsgehalt mehr hätte. Dennoch sollte der Satz als deskriptiv oder präskriptiv zu klassifizieren sein. Auch für dieses Problem gibt es bereits eine Lösung: John R. Searle 100 hat Überlegungen von G.E.M. Anscombe 101 aufgreifend eine Klassifikation der Illokutionsakte' 102 entwickelt. An die Stelle der Unterscheidung deskriptiver und präskriptiver Sätze setzt er die schärfere Unterscheidung zwischen repräsentativen Sprechakten („representatives"), in denen die Wörter (nach dem, was der Sprecher glaubt) der Welt entsprechen sollen, und kommissiven oder direktiven Sprechakten, in denen der Adressat des Sprechakts verpflichtet (bei den „commissiJoachim Hruschka, Verhaltensregeln und Zurechnungsregeln, Rechtstheorie 22 (1991), passim, insbesondere S. 460. 99
Ob John Rawls mit seiner Kritik daran, die Unterscheidung zwischen deskriptiv und präskriptiv überhaupt für einzelne Wörter vorzunehmen (A Theory of Justice, 1972, Part III, Chapter VII, § 62, S. 404 ff.), recht hatte, mag hier dahinstehen, denn in der vorliegenden Untersuchung werden stets nur ganze Sätze auf diese Weise klassifiziert, so daß das genannte Problem hier nicht auftritt. Obwohl Rawls zunächst die Unterscheidung nur auf ganze Theorien zu beziehen scheint, spricht doch auch er später von der deskriptiven bzw. präskriptiven Bedeutung eines Wortes wie ,gut' innerhalb eines einzelnen Sprechakts. 100
John Rogers Searle , A classification of illocutionary acts, Lang. Soc. Vol. 5 (1976), IV., S. lOff. Die hier verwendeten Übersetzungen entsprechen Paul Kußmaul (Hrsg. und Übersetzer), Sprechakttheorie, 1980, S. 92-99. 101 102
Gertrude Elisabeth Margaret Anscombe, Intention, 2 n d ed. 1963, §§ 46-48, S. 83-89.
Der Begriff „illocutionary act" stammt von John Langshaw Austin, How to do Things with Words, 1962 (1955), Lecture VIII, S. 98.
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
ves") oder veranlaßt (bei den „directives") werden soll, den Wörtern des Sprechakts entsprechend auf die Welt einzuwirken. 103 Mittels dieser Unterscheidung kann man - sich am Gebrauch des zu klassifizierenden Satzes statt an formalen Kriterien wie Wortwahl und Grammatik orientierend 104 - in Zweifelsfällen tatsächlich eine Klärung herbeiführen. So ist der obige Ausgangssatz innerhalb einer Rechtsordnung zum Beispiel eindeutig direktiv. In der vorliegenden Untersuchung wird die auf Hare zurückgehende und nach und nach erweiterte Terminologie beibehalten und von deskriptiven, präskriptiven und askriptiven Sätzen gesprochen, statt Searles Bezeichnungen zu übernehmen. Dies geschieht, weil sie nach wie vor bekannter und gebräuchlicher ist und weil die rechtlichen Sätze hier als Teil eines Systems von Sätzen, nämlich einer rechtlichen Theorie, und nicht als einzelne Sprechakte betrachtet werden. Die Verwendung der Begriffe wird aber stets so sein, wie es sich aus der Searleschen Klarstellung ergibt. Mit präskriptiven Sätzen sind im Zweifel solche gemeint, deren Äußerung (im jeweiligen Zusammenhang) einen direktiven Sprechakt darstellen würde. 6. Normen und rechtliche Beziehungen. Den rechtlichen Normen über Handlungen korrespondieren rechtliche Beziehungen zwischen dem Handelnden und den übrigen von der jeweiligen Handlung Betroffenen. Eine rechtliche Beziehung ist eine Relation zwischen Handelndem und Betroffenem, zu der mindestens eine Rechtspflicht und gegebenenfalls ein Recht oder mehrere Rechte gehören. Der Pflicht, niemanden in seinem Eigentum zu stören, entspricht z.B. eine rechtliche Beziehung jedes Eigentümers zu jedem anderen Rechtssubjekt, die aus dem Recht des Eigentümers an der Sache und der Pflicht des anderen, den Eigentümer nicht zu stören, besteht. Ist die genannte Pflicht eine (z.B. durch Sozialbindung, Notstandsregelungen etc.) eingeschränkte Pflicht, dann treten in diesen Beziehungen gegebenenfalls weitere Rechte auf, z.B. das Recht zum Eingriff in das Eigentum in Notstandsfällen (vgl. § 228 BGB und § 34 StGB). Man kann die Gesamtheit der rechtlichen Sätze einer Theorie als den objektiven Teil der jeweils betrachteten Rechtsordnung bezeichnen und die Gesamtheit der rechtlichen Beziehungen in dieser Rechtsordnung als ihren subjektiven Teil. Dann ist der objektive Teil in dem Sinne objektiv, daß er die Aussagen über den Gegenstand der Theorie umfaßt, und der subjektive Teil ist in dem Sinne subjektiv, daß in ihm die Rechtssubjekte zueinander in Be103
Daneben führt Searle noch Expressi va („expressives"), Deklarationen („declarations") sowie Repräsentativdeklarationen ein. 104
Dieses Vorgehen entspricht ganz der Feststellung des späten Wittgenstein, die Bedeutung der Wörter (und damit auch der Sinn der Sätze) hänge vom Gebrauch in der Sprache ab (Philosophische Untersuchungen 1953, § 43).
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Ziehung gesetzt werden. Der objektive und der subjektive Teil einer Rechtsordnung enthalten jeweils schon für sich die ganze Information der jeweiligen Rechtsordnung: Jede rechtliche Beziehung ist bereits allein durch den objektiven Teil der Rechtsordnung bestimmt, und dieser objektive Teil enthält nichts, was über eine sprachliche Fixierung dieser Beziehungen hinausgeht. 105 Diese Dualität gehört zu jeder Rechtsordnung. Mit ihrer Hilfe läßt sich formal angeben, wann zwei Rechtsordnungen (deren objektive Teile sehr unterschiedlich formulierte Sätze enthalten können) ,die gleichen' Rechtsordnungen in dem Sinne sind, daß sie trotz etwaiger Formulierungsunterschiede dieselben Handlungen erfassen und inhaltlich übereinstimmende präskriptive Aussagen über diese Handlungen treffen, sie also immer zu gleichen rechtlichen Konsequenzen führen. Nennt man zwei derartige Rechtsordnungen äquivalent, läßt sich definieren: Zwei Systeme rechtlicher Sätze sind genau dann äquivalent, wenn zu ihnen dieselben Rechtsbeziehungen gehören, die durch sie bestimmten Rechtsordnungen also in ihrem subjektiven Teil übereinstimmen. Statt zwischen den objektiven Teilen solcher Rechtsordnungen noch weiter zu unterscheiden, wird man in der Regel alle innerhalb einer solchermaßen bestimmten Äquivalenzklasse 106 liegenden Rechtsordnungen miteinander identifizieren. 107 7. Prognosen. Die Rechtswissenschaft unterscheidet sich von den Naturwissenschaften und den meisten anderen Wissenschaften dadurch, daß ihre Theorien maßgeblich aus präskriptiven Sätzen aufgebaut sind. Diese Besonderheit ist für die Rechtswissenschaft charakteristisch. Dennoch lassen sich die allgemeinen Ziele einer Theoriebildung auch für rechtliche Theorien bestätigen. In deskriptiven und konstatierenden Theorien geht es vor allem um zwei Dinge: Erstens sollen beobachtete Abläufe erklärt bzw. in dem Gesche105
Der Begriff des subjektiven Teils einer Rechtsordnung ist hier weiter gefaßt als der Begriff der subjektiven Rechte, falls man von einem subjektiven Recht (nur) dann spricht, wenn eine Person Inhaber eines einklagbaren Anspruchs ist. Der hier verwendete Begriff ist näher an dem im Zivilrecht üblichen Begriff des subjektiven Rechts, der alle Ansprüche, Gestaltungsrechte, Gegenrechte und absoluten Rechtspositionen umfaßt. Er reicht gegenüber diesem aber noch immer insofern weiter, als auch solche rechtlichen Beziehungen, in denen eine Partei verpflichtet, die andere aber nicht entsprechend berechtigt ist, von ihm umfaßt werden (siehe als Beispiel das Urteil des OLG Frankfurt vom 27. 10. 1988, 1 U 171/87, NJW-RR 1989, S. 794-796, wonach § 323c StGB kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB ist). 106 107
Vgl. unten Fn. 208.
Vgl. dazu auch Rudolf Carnap, Der logische Aufbau der Welt, 1928, wo das Verfahren der Betrachtung von Äquivalenzklassen statt Gegenstandsindividuen bereits (noch in anderer Begrifflichkeit) beschrieben und die Bezeichnung „Quasigegenstand" eingeführt wird (insbesondere §§27 und 33).
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
hen vorkommende Handlungen verstanden werden. Zweitens will man die Voraussetzungen schaffen für Prognosen über das weitere Geschehen in bestimmten Situationen. Diese Ziele werden auch mit rechtlichen Theorien verfolgt. a) Die präskriptiven Aussagen antworten für den Normadressaten auf die Frage „Was soll ich (in bestimmten Situationen 108 ) tun?". Verhält sich der Adressat rational in dem Sinne, daß er sich von dem Sollenssatz leiten läßt d.h. handelt er in der Terminologie Kants ,aus Pflicht' - , erklärt die Norm dieses Verhalten. Wenn die Norm nicht zu den in der rechtlichen Theorie vorausgesetzten Normen gehört, lassen sich dadurch, daß man die Deduktionskette, die zu der Norm führt, zurückverfolgt, immer tiefergehende Erklärungen für die Handlung finden. 109 Auf Grund der Norm können wir ein in ihr gestattetes oder gar gebotenes Verhalten als gutes, rechtlich richtiges Verhalten und ein in ihr untersagtes Verhalten als schlechtes, rechtlich falsches Verhalten verstehen. b) Neben dem bloßen Verstehen und Beurteilen fremder Handlungen interessiert uns unser eigener Handlungsspielraum. Vermutlich gilt ihm sogar das primäre Interesse. Wir möchten die Folgen des uns möglichen Verhaltens abschätzen und danach unsere eigenen Handlungen auswählen können. Erst so entstehen Handlungsspielräume. Zur Erreichung dieses Ziels ist ein Verfahren für einigermaßen verläßliche Prognosen künftigen Geschehens erforderlich. Für Prognosen ohne Berücksichtigung menschlicher Handlungen sammeln die Naturwissenschaften Kenntnisse. Mit Prognosen menschlichen Verhaltens auf Grund empirischer Daten beschäftigen sich die Psychologie, die Soziologie und weitere empirische Sozialwissenschaften. Aber das Verhalten eines ,frei' handelnden Menschen kann niemals Gegenstand induktiv vorgehender Wissenschaften sein und wird daher von Prognosen, die sich auf Ergebnisse der genannten Wissenschaften stützen, prinzipiell nicht erfaßt. Freie Handlungen sind nicht naturgesetzlich prognostizierbar. Dennoch haben wir ein ganz erhebliches Interesse daran, die Handlungen anderer 108 Wie sehr die Rechtswissenschaft situationsbezogen ist, zeigt sich z.B. daran, wie erfolgreich Rechtsvergleichung und Rechtsgeschichte ganz unterschiedliche Vorschriften derselben rechtlichen Fragestellung zuordnen können. Die Situationsbezogenheit ist im übrigen keine Besonderheit der Rechtswissenschaft. Auch andere Wissenschaften formulieren ihre Aussagen für bestimmte Situationen. 109
Mit dieser Art der Erklärung steht die Rechtswissenschaft nicht allein. Sie ist auch für die empirischen Wissenschaften von Bedeutung. Vgl. dazu die „explanation by deductive Subsumtion under laws or theoretical principles", die Carl Gustav tiempel, Studies in the Logic of Explanation (1948), in: Aspects of Scientific Explanation and other Essays, 1965, (IV. 10.) passim, insbesondere I. 3., S. 250 f. behandelt. (Das Zitat stammt aus dem Postscript (1964), a.a.O. S. 291.)
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Rechtssubjekte prognostizieren zu können. Kooperation mit anderen Menschen, jede Kommunikation, alles friedliche Zusammenleben hängt entscheidend davon ab, daß erstens unsere Mitmenschen mit ihrem Verhalten bestimmte Grenzen nicht überschreiten und wir zweitens mit unserem eigenen Verhalten einigermaßen vorhersehbare Reaktionen von ihnen hervorrufen können. So müssen wir z.B. (zu erstens) davon ausgehen dürfen, nicht von unseren Mitmenschen umgebracht zu werden, oder von friedlichem Zusammenleben kann keine Rede sein. Ebenso muß ich mich (zu zweitens) mit einem Partner auf ein gemeinsames künftiges Vorgehen einigen können und danach davon ausgehen dürfen, daß er sich an die Vereinbarung hält, oder von Kooperation kann keine Rede sein. Für beides benötigen wir Regeln und Absicherungen dafür, daß diese Regeln eingehalten werden. Ein Großteil unserer Handlungsmöglichkeiten entsteht deshalb überhaupt erst durch derartige Regeln und Absicherungen. Rechtliche Theorien beinhalten solche Regeln in Form von Verhaltensregeln und Absicherungsmöglichkeiten z.B. in Form von Sekundäransprüchen und Sanktionen. 110 Wird eine rechtliche Theorie umgesetzt, d.h. als geltendes Recht implementiert und danach gelebt, ist sie tatsächlich Grundlage für Prognosen. Unser geltendes Recht etwa ermöglicht die in den beiden Beispielen genannten Prognosen. Im ersten Fall beruht dies auf § 212 StGB, dem strafrechtlichen Sanktionensystem und einer funktionierenden Justiz, im zweiten Fall - nach Abschluß eines Vertrages - auf dem System zivilrechtlicher Ansprüche und ihren Vollstreckungsmöglichkeiten. Das geltende Recht ist nicht das einzige Regel- und Absicherungssystem mit der genannten Prognosefunktion. Auch gutes Benehmen und andere Fragen des sozialen Zusammenlebens sind Regeln (z.B. „Man grüßt Bekannte ...") und Absicherungen („... oder man wird geschnitten.") unterworfen. Aber das geltende Recht ist das einzige derartige System, das von einer Wissenschaft mitgestaltet wird und dessen Absicherungssystem formalisiert und mit monopolisiertem Zwang durchsetzbar ist. 8. Handlungsspielräume. Die auf Recht gestützten Prognosen erreichen nicht dieselbe Sicherheit, die Prognosen auf Grund von Naturgesetzen erreichen. Aber Rechtswissenschaft und Rechtspraxis arbeiten permanent daran, die Prognosetauglichkeit des Rechts auf ein immer höheres Niveau zu bringen. Sie haben dabei zu berücksichtigen, daß die Prognosetauglichkeit des Rechts nicht Selbstzweck, sondern Mittel zur Herstellung von Handlungsspielräumen für den Einzelnen ist. Auch darin, daß die Prognosen und die Prognosesicherheit nur der Herstellung von Handlungsspielräumen für den ] 10
Ferner gehören hierher (formellrechtliche) Regeln zur Durchsetzung derselben (sie sind Teil der dritten Art der „secondary rules" bei H.L.A. Hart, The Concept of Law, 1961, V. 3., S. 94).
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
Einzelnen dienen, unterscheidet sich die Rechtswissenschaft nicht von anderen Wissenschaften, insbesondere nicht von den Naturwissenschaften. Ein Unterschied zu den Naturwissenschaften besteht nur in der Weise, daß wir Naturgesetze als prinzipiell unverbrüchlich erfahren: Ihre Absicherung ist unserem Einfluß entzogen, und die Handlungsspielräume werden mit wachsender Prognosesicherheit in der Regel größer. 111 Eine Maximierung der Prognosesicherheit im Recht maximiert hingegen keineswegs den Handlungsspielraum: Wenn eine Rechtsordnung nur sehr wenige Handlungen zuließe und ihre Regeln martialisch absicherte, wäre eine besonders hohe Prognosesicherheit zu erwarten, aber keine größeren Handlungsspielräume als bei wenigen Rechtsregeln und schwacher Absicherung. Im Recht wachsen die Handlungsspielräume nur bis zu einer gewissen (schwer bestimmbaren) Regel- und Absicherungsdichte. Ab einer gewissen Schwelle schwinden sie aber wieder. Während man in den Naturwissenschaften eine immer bessere Kenntnis der Regeln und die dadurch wachsende Prognostizierbarkeit und Prognosesicherheit stets als Fortschritt ansehen und daher direkt die Optimierung der Prognosen anstreben kann, obwohl letztlich ein anderes Ziel dahintersteht und indirekt verfolgt wird, darf man das in der Rechtswissenschaft nicht. Wegen dieser Besonderheit ist sie gehalten, die Handlungsspielräume all derjenigen, die von einer Rechtsordnung betroffen sind, als individuelle Handlungsspielräume im Blick zu behalten. Dieser Befund zeigt insbesondere, daß durch normative Aussagen rechtlicher Theorien keinesfalls ein immer gleiches Standard-Verhalten für jeweils bestimmte Situationen auszuzeichnen (d.h. den Normunterworfenen vorzuschreiben) ist. 1 1 2 Solche Vorschriften würden zwar besonders einfache Prognosen ermöglichen, das hinter der Theoriebildung stehende Ziel aber dennoch verfehlen. Eine gute rechtliche Theorie gibt immer nur eine Prognosegrundlage, die zu möglichst großen Handlungsspielräumen der einzelnen Beteiligten führt. 9. Optimierungsproblem der Rechtswissenschaft (ein Ausblick). Man mag es als Ziel jeder Wissenschaft ansehen, letztlich eine große, einheitliche Theorie zu entwickeln. Ob ein solches Ziel für die Rechtswissenschaft erreichbar sein kann, ist hier nicht zu entscheiden. Der Begriff rechtlicher 111
Ob in der Naturwissenschaft der einfache Zusammenhang besteht, daß bessere Prognosen immer zu größerem Handlungsspielraum führen, ist damit noch nicht gesagt. In der Tat spricht einiges dafür, daß auch naturwissenschaftliche Erkenntnisse (z.B. eingesetzt in der Waffentechnik) Handlungsspielräume schmälern können. Aber der Glaube daran, daß der genannte Effekt hinreichend häufig eintritt, um sich von der Regel leiten zu lassen, gehört zu unserem modernen naturwissenschaftlichen Fortschrittsglauben. 112
Siehe dazu vor allem auch im 4. Kapitel B. 4. a).
C. Gegenstand und Zielsetzung rechtlicher Theorien
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Theorien, um den es in der vorliegenden Untersuchung geht, liefert, für sich allein genommen, dafür jedenfalls noch nicht die nötige Information. Um eine bestimmte rechtliche Theorie eindeutig vor anderen rechtlichen Theorien auszuzeichnen, müßte die Rechtsphilosophie Kriterien dafür entwickeln, welche Prämissen ,die richtigen 4 sind, d.h. sie müßte Gründe für eine Einschränkung der Freiheit bei der Wahl der Prämissen angeben und darlegen, welche Prämissen auszuwählen sind. Wenn die Rechtswissenschaft aber jemals eine solche Theorie zu entwikkeln vermag, d.h. falls sie irgendwann das eine, vollkommene Recht unter den möglichen Rechtsordnungen herausfinden sollte, wird dieses Recht jedenfalls die Handlungsspielräume der Betroffenen und nicht die Prognosesicherheit maximieren. Wir kennen heute keine Lösung dieses ,Optimierungsproblems 4 und sind weit von einer Antwort auf die Frage entfernt, ob es eine eindeutige Lösung dieses Problems überhaupt geben kann. Bislang fehlt sogar die nötige wohldefinierte Begrifflichkeit, um das Optimierungsproblem exakt formulieren zu können. Insbesondere verfügen wir nicht über leistungsfähige Möglichkeiten, Handlungsspielräume theoretisch zu erfassen und miteinander zu vergleichen. Die meisten bisherigen Vorschläge laufen auf inakzeptable Vereinfachungen hinaus, etwa die Vermengung von Handlungsspielräumen verschiedener Personen, die Reduzierung von Handlungsspielräumen auf abzählbare Mengen möglicher Handlungen oder - mit Abstand am beliebtesten und oft sogar als ,genuin politisch 4 und demokratisch 4 bezeichnet - eine „objektiv-rechtliche 44 Bewertung einzelner Handlungsoptionen als gut und schützenswert oder schlecht und vernachlässigbar, obwohl sie keine anderen Rechtssubjekte in deren Handlungsoptionen beschneiden würden. Diese Vereinfachungen führten immer dazu, daß mit der rechtlichen Theorie eigene Präferenzentscheidungen des Normgebers an die Stelle der Entscheidung der Rechtssubjekte gestellt wurden. Das mag in einem unausgereiften Zustand rechtlicher Theorien hilfreich sein, um drängende Alltagsfragen zu lösen, bewirkt aber einen Mißstand im Recht. Unter dem Gesichtspunkt der Maximierung von Handlungsspielräumen läßt sich heute noch nicht in allzu vielen Fällen eine Auswahl unter zwei verschiedenen rechtlichen Theorien treffen. Die Auswahl funktioniert nur, wenn alle nach einer Theorie entstehenden Handlungsspielräume auch bei Geltung der anderen Theorie entstehen würden, die Klasse der auf Grund der ersten Theorie möglichen und zulässigen Handlungen also in der Klasse der auf Grund der zweiten Theorie möglichen und zulässigen Handlungen vollständig enthalten ist. Dabei ist ein echtes, ,mengentheoretisches4 Enthaltensein gemeint. Jede einzelne Handlungsmöglichkeit aus der ersten Klasse muß auch Bestandteil der zweiten Klasse sein - so wie auch eine Menge nur genau dann in einer anderen Menge enthalten ist, wenn jedes einzelne ihrer Elemente in
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Kapitel 1 : Der Gegenstand der Rechtswissenschaft
der anderen Menge enthalten ist. Der Vergleich darf keineswegs etwa nur der Anzahl von Handlungsmöglichkeiten nach stattfinden. Ebensowenig dürfen die Handlungsoptionen nur entsprechend irgendeiner Bewertung in den Vergleich eingestellt werden, also nicht manche Optionen als weniger wichtig oder schützenswert behandelt und von anderen, wichtigeren oder schützenswerteren, aufgewogen werden. Es darf also keine Verrechnung von Optionen stattfinden. Die Beschränkung auf Vergleiche, die mit einer reinen Enthaltenseinsbeziehung arbeiten, ist notwendig, weil sich keine allgemeingültigen (und sich nicht ihrerseits erst aus einer rechtlichen Theorie ergebenden) Kriterien für eine Bemessung und Gewichtung von Handlungsoptionen angeben lassen. Ist aber bei zwei rechtlichen Theorien die Klasse aller durch die erste Theorie eröffneten Handlungsoptionen in der Klasse aller durch die zweite Theorie eröffneten Handlungsoptionen vollständig enthalten und schafft die zweite Theorie darüber hinaus weitere Handlungsoptionen, dann ist stets die zweite Theorie vorzuziehen. Obwohl dies im Moment nur bei speziellen rechtlichen Theorien, die sich mit der Behandlung einzelner Probleme beschäftigen, der Fall sein dürfte, 113 kann die bislang lediglich in vager Sprache mögliche obige Formulierung des Optimierungsproblems - programmatisch verstanden - die Rechtswissenschaft doch immerhin in eine Richtung leiten, in der man von ihr eine stete Annäherung an eine Lösung erhoffen darf.
113 Ein Beispiel für eine solche gibt mein Aufsatz A Certain Way of Life, Imposed by the Dead upon the Living, JRE Bd. 10 (2002), II. und III., S. 134 ff.
Kapitel 2
Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien A. Deduktive Theorie und Motivation der Prämissenwahl 1. Hypothetisch-deduktive Theorien. Möchte man rechtliche Theorien wissenschaftstheoretisch klassifizieren, wird man sie hypothetisch-deduktiv nennen. 114 Diese Bezeichnung bezieht sich auf den logischen Zusammenhang zwischen den Voraussetzungen und deren Konsequenzen innerhalb der Theorien. Sie sind hypothetisch-deduktiv, weil ihre Aussagen - d.h. die Eigenschaften der jeweils betrachteten Rechtsordnung - aus den Prämissen folgen müssen und die jeweils betrachtete Rechtsordnung erst durch die Prämissen der Betrachtung zugänglich gemacht wird. Die Bezeichnung hat nichts mit hypothetischen Imperativen zu tun, und es geht hier nicht um solche Theorien, die versuchen, das Recht auf biologische, anthropologische oder andere tatsächliche Annahmen zu stützen. 115 Ob Imperative, die in einer rechtlichen Theorie der hier vorgestellten Struktur enthalten sind, nur hypothetisch oder aber kategorisch gelten, hängt allein von der Geltung der Prämissen ab und ist keine strukturelle Frage. Weil sich die hier vorgestellten Theorien zur Geltung der Prämissen neutral verhalten, sind sie weder auf hypothetische noch auf kategorische Imperative beschränkt (noch überhaupt auf geltende Imperative). In Form von hypothetisch-deduktiven Theorien werden letztlich immer nur Wenn-Dann-Beziehungen ausgearbeitet. Diese bestehen ganz unabhängig davon, ob ihre Voraussetzungen erfüllt sind oder nicht, denn sie sagen lediglich aus, daß ein konkreter Gegenstand (eine geltende Rechtsordnung) stets die ausgesprochenen Eigenschaften besitzt, wenn er die Voraussetzungen erfüllt (also eine konkrete Instanz des abstrakten Gegenstandes der Theorie ist).
114 Zur Präzisierung dessen, was mit ,deduktiv' gemeint ist, siehe Christiane und Ota Weinberger , Logik, Semantik, Hermeneutik, 1979, I. 3.2 f., S. 31 ff. und II. 4.9-5.8, S. 51 f. 115
Vgl. zu diesen die prägnante Kritik von Hans Welzel , Grenzen der Rationalität in der Rechtswissenschaft, in: Festschrift für Ernst Heinitz zum 70. Geburtstag, 1972, passim, insbesondere S. 35.
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
Die Prämissen müssen insbesondere nicht,selbstevident' sein, wie dies in der aristotelischen Tradition von Axiomen gefordert wurde, 116 sondern werden im modernen Sinne 117 axiomatisch gesetzt. 2. Wissenschaftliche Freiheit hei der Auswahl der Normen. Die Freiheit bei der Wahl der betrachteten Normen garantiert, daß kein Rechtspositivist oder Vernunftrechtler gehindert wird, seine bisherigen Untersuchungen fortzusetzen. Der Rechtspositivist kann selbstverständlich Gefüge geltender Normen für seine Betrachtungen wählen. Der Vernunftrechtler kann weiterhin nach einer Letztbegründung von Rechtssätzen suchen. Eine Rechtswissenschaft, die von der Geltung bzw. Nichtgeltung der betrachteten Normen absieht, verliert dadurch also nichts. 118 Alles, was Rechtspositivisten wie Vernunftrechtler aufzugeben haben, ist ihr Ausschließlichkeitsanspruch , d.h. den Versuch, Kollegen der jeweils anderen Fraktion Verbote aufzuerlegen. Der Wert des hier unterbreiteten Vorschlags besteht unter anderem darin, die Wissenschaftlichkeit auch solcher Untersuchungen zu begründen, die unter die genannten Beschränkungen fallen würden, sich aber als Aufbau einer Theorie in dem gerade dargestellten Sinne betreiben lassen. Es geht also darum, die Untersuchungen, die tatsächlich immer zur Tätigkeit der Rechtswissenschaftler gehört haben, bruchlos in eine Theorien bildende Rechtswissenschaft einzugliedern, ohne dabei einen die Wissenschaftlichkeit aufhebenden Freibrief für eine nicht mehr rationalisierbare Tätigkeit zu erteilen.
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Vgl. dazu mit Blick insbesondere auf Thomas von Aquin Joaquin : GarciaHuidohro , How is the Natural Law Known?, Rechtstheorie 30 (1999), S. 481 ff. 117
Damit ist die maßgeblich von David Hilbert geprägte heutige axiomatische Methode gemeint, nach der er seit seinen Grundlagen der Geometrie von 1899 (verwendet wurde hier die 3. Aufl. von 1909 sowie die 10. Aufl. von 1968) arbeitete. Dort sind zwar keine ausformulierten Erläuterungen dieser Methode enthalten, aber ein paar ganz knappe Bemerkungen in der Einleitung, in § 1, im Schlußwort sowie in Anhang IV (Über die Grundlagen der Geometrie , Erstveröffentlichung in Math. Ann. Bd. 56 (1902) - in der 10. Aufl. auf den Seiten 1-3, 125 und 179). Dennoch geht es in dem ganzen Buch um diese Methode. Es führt sie vor und zeigt ihre Leistungsfähigkeit. Erläutert (und differenziert) wird die Methode später in Hilbert und Bernays, Grundlagen der Mathematik, 1. Aufl. Bd. 1 1934, § 1, S. 1. Zu den Bezeichnungen ,frühe', ,klassische' und ,moderne Axiomatik' vgl. ferner Herbert Stachowiak , Rationalismus im Ursprung, Die Genesis des axiomatischen Denkens, 1971, 6. Kapitel, S. 309 ff. sowie zur Vorgeschichte derselbe, Erkenntnisstufen zum Systematischen Neopragmatismus und zur Allgemeinen Modelltheorie, in: derselbe (als Hrsg.), Modelle - Konstruktionen der Wirklichkeit, 1983, S. 98 f. (1.4 f.). 118
„Hundert wirkliche Thaler enthalten nicht das Mindeste mehr, als hundert mögliche." (Immanuel Kant , Kritik der reinen Vernunft, 1781/1787, I., 2. Teil, 2. Abteilung, 2. Buch, 3. Hauptstück, 4. Abschnitt, A 599 Β 627, AA Bd. III, S. 401, Z. 23-24).
Α. Deduktive Theorie und Motivation der Prämissenwahl
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Mit Freiheit bei der Wahl der betrachteten Normen ist gemeint, daß diese Wahl nur durch eine formale Bestimmung eingeschränkt ist, nämlich nur dadurch, daß die betrachteten Normen konsistent sein müssen; 119 die sich aus ihnen ergebenden Konsequenzen wären sonst beliebig. Die Sicherung der Wissenschaftlichkeit der Rechtsdogmatik erfordert es nicht, daß die Wahl im übrigen noch weiter vorweggenommen wird. 3. Motivation der Prämissen. Diese Freiheit bedeutet aber nicht, daß es völlig belanglos wäre, welche Wahl getroffen wird. Ebensowenig wie jede wahre Aussage immer auch interessant ist, wäre jede Zusammenstellung von Normen ein lohnender Anfang für die Weiterentwicklung zu einer Theorie. Derjenige, der eine rechtliche Theorie ausarbeitet, wird seine Voraussetzungen unter Umständen zu rechtfertigen haben, und die Geltung der vorausgesetzten Sätze kann bei einer solchen Rechtfertigung eine Rolle spielen. Er muß die Wahl, die er trifft, deshalb begründen können, weil sie auch andere Menschen als ihn selbst betrifft, z.B. diejenigen, die er mit den Ergebnissen seiner Untersuchung konfrontiert, etwa die Leser seiner Aufsätze, oder - wenn er die entwickelte Theorie als geltendes Recht implementiert sehen möchte diejenigen, die den Normen unterworfen wären. Er hat also die Begründung 120 , die Motivation für die Wahl der betrachteten Normen anzugeben. Der Begriff ,Motive' ist in diesem Zusammenhang in der Rechtswissenschaft heute selten geworden. Er ist gleichwohl in genau diesem Zusammenhang in ihr heimisch. Das zeigt sich schon daran, daß zu Zeiten der großen Kodifizierungen im 19. Jahrhundert die Begründung dessen, was mit dem jeweiligen Gesetzbuch positiviert werden sollte, oft unter der Bezeichnung ,Motive' veröffentlicht wurde. 121 Diese Motive beziehen sich in der Regel auf 119
Die Normen des geltenden Rechts sind bei beliebig naivem Verständnis im allgemeinen nicht konsistent. Die Herstellung von Widerspruchsfreiheit innerhalb eines Vorschriftenbestandes (insbesondere dadurch, daß man eine geeignete Auslegung der Vorschriften entwickelt) ist eine der wichtigsten Tätigkeiten von Rechtswissenschaftlern. In diesem Punkt divergiert auch die rechtspositivistische Auffassung von Rechtswissenschaft und Recht keineswegs. Die Konsistenzforderung schränkt daher einen Rechtspositivisten in keiner Weise ein. Auch ihm geht es um die Herstellung von Widerspruchsfreiheit im (geltenden) Recht. Wann immer er ein ganzes Normgefüge behandelt, setzt er es als widerspruchsfrei voraus. Die rechtspositivistische Arbeit ist daher ohne weiteres als Spezialfall in der hier vorgeschlagenen Rechtswissenschaft enthalten. 120
Siehe dazu insbesondere Jan C. Joerden , Nochmals: Rechtsethik ohne Metaphysik, JZ 1982, S. 671, 673 f. (I. und IV), derselbe , Drei Ebenen des Denkens über Gerechtigkeit, ARSP Bd. 74 (1988), S. 307 ff. passim, Joseph Raz., Practical Reason and Norms, 1975, 1.1, S. 15 ff. sowie John Rawls , A Theory of Justice, 1972, Part III, Chapter IX, § 87, S. 577 ff. 121 Am bekanntesten sind vielleicht die ,Motive zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich', 1888. Der Begriff wurde aber allgemein verwen-
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
einen konkreten Gesetzentwurf, so daß sich in ihnen zwei verschiedene Arten von Motiven unterscheiden lassen: einerseits die Gründe dafür, daß eine Vorschrift bzw. das Gesetz insgesamt so sein sollte, wie es im Entwurf steht, und andererseits die Gründe dafür, daß eine solche Vorschrift bzw. ein solches Gesetz zum gegenwärtigen Zeitpunkt erlassen, also positives Recht werden sollte. Obwohl in den veröffentlichten Motiven manchmal bloße Zusammenfassungen und Inhaltsangaben des Entwurfes selbst zu lesen waren, enthalten viele von ihnen doch eine recht sorgsame Angabe von Gründen der beiden genannten Arten. Diesen ganz entsprechend lassen sich auch für rechtliche Theorien, d.h. für die Betrachtung möglicher Rechtsordnungen, zwei Arten von Gründen, die gemeinsam eine Motivation der Betrachtung ergeben, unterscheiden: einerseits solche, die prinzipiell für eine bestimmte Prämisse oder für eine mögliche Rechtsordnung sprechen, andererseits solche, die dafür sprechen, diese eine Prämisse oder die ganze Rechtsordnung jetzt zu untersuchen. 4. Rechtsphilosophie und Rechtspolitik . Die Frage, wie eine Rechtfertigung der rechtlichen Prämissen bzw. der zu erlassenden Vorschriften jeweils zu erfolgen hat, ist keine wissenschaftstheoretische, sondern eine erkenntnistheoretische oder pragmatische. Die Rechtfertigungen selbst gehören daher nicht zur rechtlichen Theoriebildung im eigentlichen Sinne, 122 also nicht mehr zur Rechtswissenschaft im Sinne von Rechtsdogmatik. Sie sind ihr vorgelagert. Es ist ein verbreiteter Irrtum, daß diese Fragen durchwegs politisch seien. Nur die Rechtfertigung der zu erlassenden Vorschriften ist eine rechtspolitische Angelegenheit (und hat in dem Rahmen zu erfolgen, den die Einsichten der politischen Philosophie ihr stecken). Die Rechtfertigung der jeweiligen rechtlichen Prämissen hingegen ist keineswegs ein politischer Vorgang. Mit der Entscheidung für oder gegen eine Prämisse entfaltet sich keinerlei politische Macht. Diese Fragen sind Fragen der Rechtswissenschaft im weiteren Sinne. Sie gehören in die Rechtsphilosophie. Der Befund, daß die Motivation der Prämissenwahl der rechtlichen Theoriebildung vorgelagert und selbst nicht rechtsdogmatisch, sondern rechtsphilosophisch ist, stellt keinen Hinderungsgrund dar, sich mit ihnen als Rechts-
det (vgl. z.B. die ,Motive zu dem Entwürfe einer Prozeßordnung für das Königreich Bayern' von 1831 und den ,Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das Großherzogthum Hessen nebst Motiven' von 1842). 122 Theodor Viehweg spricht in diesem Zusammenhang von der ,,erste[n] Einbruchsteile der Topik" (Topik und Jurisprudenz, § 7 III., S. 88) und weist - bei entsprechend weitem Verständnis von Topik zurecht - darauf hin, daß „am Anfang eines sachhaltigen Systems, hier eines Rechtssystems, die Topik überhaupt nicht beseitigt werden kann" (Topik und Jurisprudenz, § 7 II., S. 86).
Α. Deduktive Theorie und Motivation der Prämissenwahl
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Wissenschaftler zu beschäftigen. Im Gegenteil gehören diese Fragen als der Theorie unmittelbar vorgelagerte Fragen zu einer vollständigen Darstellung der wissenschaftlichen Ergebnisse und ihrer Grundlagen. Mit rechtspolitischen Fragen ist das anders. Ihre Behandlung ist keine rechtsdogmatische Tätigkeit, und eine rechtlichen Theorie sollte damit nicht vermengt werden. 5. Motivation und Wissenschaftlichkeit. Die Motivation einer Betrachtung und deren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit sind sauber voneinander zu trennen. Die Gründe für das Interesse an einer Betrachtung bewirken keine Wissenschaftlichkeit. Umgekehrt werden sie auch nicht durch ihren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit bestimmt. Betrachtungen eines Gegenstandes können wissenschaftlich fundiert und richtig, aber uninteressant sein. Ebenso gibt es interessante, praktisch sehr bedeutsame Bemerkungen über die verschiedensten Gegenstände, die nicht über ein wissenschaftliches Fundament verfügen. Juristische Betrachtungen bilden hier sicher keine Ausnahme. Dies ist der eigentliche Grund, weshalb die Geltung von Rechtssätzen innerhalb einer rechtlichen Theorie als Kriterium nichts verloren hat. Die Geltung einer Norm kann ein Motiv - und zwar ein starkes Motiv - für die Betrachtung dieser Norm sein. Geltung ist aber weder das einzig denkbare Motiv noch garantiert sie in irgendeiner Weise die Wissenschaftlichkeit der Betrachtung. 6. Geltung als Motiv. Als Motiv für die Auswahl bestimmter Normen als Prämissen einer Theorie kann ihre Geltung eine erhebliche Rolle spielen und verdient besondere Aufmerksamkeit. Hier liegt die Bedeutung der Normgeltung für rechtswissenschaftliche Betrachtungen, während ihr innerhalb von Theorien gerade keine Bedeutung zukommt. Aus denselben Gründen, aus denen nicht nur geltendes Recht Gegenstand einer rechtlichen Theorie sein kann, ist die Geltung einer Norm auch nicht das allein mögliche Motiv ihrer Untersuchung. Geltung nimmt aber insoweit eine herausgehobene Stellung unter den Motiven, eine Norm zugrundezulegen, ein, als sich die Motive für Untersuchungen zum geltenden Recht meist schon implizit ergeben und im allgemeinen ohne weiteres als tragfähig angesehen werden. In den meisten Fällen versteht es sich von selbst, daß es nützlich ist, Fragen zu dem Recht zu klären, das die Rechtspraxis anwendet, und dabei zugleich wissenschaftliche Neugier zu befriedigen und dieser Praxis zuzuarbeiten. Auch bei systematischen Untersuchungen, die vom geltenden Recht unabhängig sind, oder bei Betrachtungen de lege ferenda läßt sich die Motivation bisweilen unmittelbar aus der gestellten Frage oder aus bekannten Gesetzgebungsvorhaben erschließen. Wenn das aber nicht der Fall ist, gehört es zu der wissenschaftlichen Untersuchung regelmäßig dazu, sie explizit zu motivieren.
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
Man sollte sich schließlich auch die Einschränkungen der Faustregel, daß Betrachtungen am geltenden Recht sich ,νοη selbst' rechtfertigen, bewußt machen. Erstens sind in einem ,Unrechts-Staat' aktuell wirksame Vorschriften denkbar, die nicht Teil einer rechtstaatlichen Ordnung sein könnten und deren wissenschaftliche Untersuchung aus diesem Grund - trotz ihrer Umsetzung durch die dortige Rechtspraxis - reine Zeitverschwendung wäre. Zweitens - und fundamentaler - schließt es der auf der Hand liegende, unmittelbare Nutzen von Betrachtungen am geltenden Recht nicht aus, daß der Nutzen anderer Betrachtungen viel größer wäre. Hruschka 123 gibt in diesem Zusammenhang zu bedenken, daß andere Wissenschaften gerade erst dadurch durchgreifende Fortschritte erzielt haben, daß sie sich von einer innigen Verbindung mit ,der Praxis' gelöst und Theorien aufgebaut haben, die einerseits mit idealisierten - d.h. in der Wirklichkeit so weder vorzufindenden noch herstellbaren - Grundannahmen operieren und deren praktische Anwendbarkeit keineswegs von Anfang an sicher war. Beispiele hierfür sind u.a. die Entwicklung der modernen Chemie, die erst dadurch möglich wurde, daß die Alchimisten sich von dem praktisch bedeutsamen Ziel der Goldsynthese abwandten und viel allgemeineren Fragen nachgingen, sowie die Entwicklung der modernen Medizin, die keineswegs die größten Fortschritte dadurch erreicht, daß sie nach einer kurzfristigen Linderung von Symptomen schielt. Auch in der Rechtswissenschaft könnte eine solche Emanzipation von aktuellen Belangen der Anwender Vorbedingung für nachhaltigen Fortschritt sein. 7. Systematische Entwicklung der Prämissen. Daß die Prämissen einer rechtlichen Theorie prinzipiell frei wählbar sind bedeutet keineswegs, daß sie willkürlich zu wählen wären. Die Freiheit ist eine wissenschaftliche Freiheit', und das bedeutet, daß die Prämissen nicht inhaltlich vorgegeben, aber methodisch und systematisch zu entwickeln sind. Hierfür läßt sich zwar kein abgeschlossener Methodencorpus oder vorgegebenes System nennen, jedoch gibt es ,Beispiele' für ein solches Vorgehen. Ein sehr umfassendes ,Beispiel', welches allgemein das methodisch-systematische Entwickeln von Prämissen erläutert, ist das von Hruschka beschriebene 124 Ausarbeiten von Fallsystemen. Diese Methode wurde insbesondere von ihm selbst und von Joerden im Strafrecht explizit angewendet.125 123 Joachim Hruschka , Kann und sollte die Strafrechtswissenschaft systematisch sein?, JZ 1985, S. 9 (VII.). 124
Joachim Hruschka , Kann und sollte die Strafrechtswissenschaft systematisch sein?, JZ 1985, S. 6 ff. (IV. 3. und danach passim). 125
Beispiele dafür (mit unterschiedlich abstrakt gefaßten Fallsystemen) sind: Joachim Hruschka , Strafrecht nach logisch-analytischer Methode, 2. Aufl. 1988, passim, derselbe, Zur Logik und Dogmatik von Verurteilungen aufgrund mehrdeutiger Beweisergeb-
Α. Deduktive Theorie und Motivation der Prämissenwahl
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Mit Ausarbeiten von Fallsystemen' ist nicht das Sammeln und Ordnen möglichst vieler tatsächlich aufgetretener Fälle in Baconscher 126 Manier gemeint, sondern das selbständige Konstruieren von Fällen zu bestimmten Klassifikationskriterien. Man geht dabei von einem oder mehreren Kriterien für die Klassifikation von Fällen aus, verschafft sich einen Überblick über alle möglichen Kombinationen dieser Kriterien und bildet für jede dieser Kombinationen Fälle. 127 Anhand dieser Fälle erwägt man Regeln (Kandidaten für Prämissen einer rechtlichen Theorie), die tatbestandlich an die vorausgesetzten Klassifikationskriterien anknüpfen, und zwar idealiter nur an diese. Mit dem Verfahren lassen sich einerseits die zugrunde gelegten Klassifikationskriterien auf ihre Tauglichkeit zum Tatbestandsmerkmal in einer allgemeinen Regelung hin untersuchen, andererseits die Regeln selbst an einem vollständigen Fallsystem testen. Der Wert dieses Vorgehens gründet sich dabei gerade auf die formale Vollständigkeit dieses Fallsystems, die sich daraus ergibt, daß alle möglichen Kombinationen der Kriterien betrachtet werden. Die als Prämissen in Betracht gezogenen Regelungen werden also nicht mehr nur anhand einzelner Fälle, für die sie besonders überzeugend sein mögen, oder anhand der zufälligerweise vor Gericht gebrachten Fälle diskutiert, sondern anhand einer in gewisser Hinsicht (nämlich bzgl. dieser formalen Vollständigkeit) objektivierten Fallauswahl. Diese Vollständigkeit ist freilich keine absolute Vollständigkeit. Innerhalb einer oder mehrerer der betrachteten Fallgruppen kann es noch immer differenzierungswürdige Fälle geben, die allein anhand der vorausgesetzten Kriterien nicht differenzierbar sind. Das ist indes kein tauglicher Einwand gegen dieses Vorgehen, denn es kann stets so sein, daß Differenzierungskriterien im Laufe der Wissenschaftsgeschichte später oder niemals bekannt werden oder wieder in Vergessenheit geraten. Ferner gibt dieses Verfahren keine inhaltlichen Kriterien vor, welche Regelungen für die konstruierten Fälle als besser oder schlechter als andere an-
nisse im Strafprozeß, JZ 1970, S. 638 ff. (II. ff.), Jan C. Joerden, Der auf die Verwirklichung von zwei Tatbeständen gerichtete Vorsatz, ZStW Bd. 95 (1983), S. 565 ff. passim und derselbe, Dyadische Fallsysteme im Strafrecht, Berlin, 1986, passim. 126
Francis Bacon, Novum Organum, 1620, passim, insbesondere Teil I, Aphorismen 18 ff., 82, 99 ff., 112, 117. 127 Dieses Vorgehen ist maßgeblich von Ulrich Klugs Aufsatz ,Zum Begriff der Gesetzeskonkurrenz', ZStW Bd. 68 (1956), S. 399 ff. beeinflußt, in dem anhand der ,logisch' (eigentlich mengentheoretisch) eingeführten Begriffe der Subordination und Interferenz (ferner der Heterogenität und Identität) die möglichen Arten der Gesetzeskonkurrenz vollständig klassifiziert werden (insbesondere III. 3. c) S. 407 f. und V. 1. S. 414).
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
zusehen sind. Auch das ist dem Verfahren nicht vorzuhalten, denn solche Kriterien würden ihrerseits bereits die Prämissen voraussetzen, die gerade erst entwickelt werden sollen. Ein Verfahren zur Entwicklung von Prämissen kann diese nicht inhaltlich bestimmen, sondern nur ein formal objektiviertes ,Testfeld' für sie abstecken. Weil das Verfahren der Betrachtung von Fallsystemen genau dies umfassend leistet, ist es auch nicht einfach nur irgendein Beispiel für methodisches Vorgehen, sondern bereits eine recht umfassende Beschreibung des methodisch-systematischen Vorgehens zur Auswahl von Prämissen für eine rechtliche Theorie.
B. Die rechtsdogmatischen Fragestellungen 7. Klassifikation rechtsdogmatischer Fragen. Wie sieht nun die Ausarbeitung einer möglichen Rechtsordnung (oder eines Teils von ihr), die als Ausarbeitung einer rechtlichen Theorie verstanden werden soll, aus? Man wählt zunächst die Normen, die betrachtet werden sollen, aus. Hieran schließt sich die Frage nach der Widerspruchsfreiheit dieser Normen bzw. die Herstellung von Widerspruchsfreiheit an (rechtsdogmatische Fragestellung ersten Typs). Sind die Normen widerspruchsfrei, dann bilden ihre Aussagen den Anfang einer Theorie, d.h. einer möglichen Rechtsordnung. Diese läßt sich weiter ausarbeiten, indem man prüft, welche Aussagen sich (logisch notwendig) aus den vorausgesetzten Normen ergeben (zweiter Typ) und welche weiteren Aussagen zu den Voraussetzungen widerspruchsfrei wären, ohne aus ihnen zu folgen (dritter Typ). Diese drei Typen rechtsdogmatischer Fragestellungen geben der Rechtswissenschaft keinerlei anderen Inhalt als den gewohnten. Sie sind lediglich eine formale Klassifikation, die einen Überblick über die Rechtsdogmatik vermittelt. Zum ersten Typ gehören beispielsweise die Abgrenzungsprobleme von Vorschriften und Rechtsinstituten sowie die Frage nach der geltungserhaltenden Reduktion einer Norm. Zum zweiten Typ gehören alle Fragen danach, was bestimmte Normen aussagen. Von dieser Struktur ist der wohl größte Teil der Einzelfragen, mit denen sich Juristen täglich beschäftigen. Hierher gehört insbesondere die Frage „Was muß ich auf Grund der vorausgesetzten Normen tun?". Vom dritten Typ sind beispielsweise die Fragen „Was darf ich tun (ohne dazu verpflichtet zu sein)?" und „Welche weiteren Normen könnten erlassen werden, ohne andere zu ändern?". 2. Rechtswissenschaft und die exakten Wissenschaften, a) Der Wert dieser Klassifikation besteht darin, daß sich aus ihr eine Parallelisierung der Rechts-
Β. Die rechtsdogmatischen Fragestellungen
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dogmatik mit den axiomatisch vorgehenden exakten Wissenschaften ergibt. 128 Die eingangs gewählten Normen entsprechen als (innerhalb der Theorie) nicht zu hinterfragende Anfangsaussagen den Axiomen einer Theorie. Diese wird dann - ganz wie in den exakten Wissenschaften - entwickelt, indem Konsequenzen aus jenen Voraussetzungen untersucht und bewiesen werden. So entsteht die allgemeine Theorie. Innerhalb dieser lassen sich auftretende Fälle klassifizieren und Betrachtungen anstellen, die nur auf einzelne der differenzierten Fallklassen bezogen sind. Geht es um eine gesellschaftsrechtliche Theorie, kann man beispielsweise zwischen Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften differenzieren und Betrachtungen anstellen, die sich nur auf eine der beiden Gesellschaftsarten beziehen. Solche Klassifikationen und die Beschränkung der Betrachtung auf eine bestimmte Klasse von Fällen haben (logisch) den Vorzug, daß (durch Beschränkung auf jeweils nur einen der unterschiedenen Fälle) detaillierter bestimmte abstrakte Gegenstände entstehen. Dabei ergeben sich jeweils zusätzliche Voraussetzungen, aus denen man Folgerungen ableiten kann. Werden Betrachtungen in dieser Weise auf einen Teil des Gegenstandsbereichs der allgemeinen Theorie beschränkt und Aussagen unter Verwendung der so gewonnenen weiteren Voraussetzungen bewiesen, entstehen die speziellen Teile der Theorie. b) Man darf diese Klassifikation nicht in der Weise mißverstehen, daß alle juristischen Untersuchungen die aus der Mathematik und der Logik bekannte ,formale Form 4 von Beweisen annehmen sollten oder auch nur könnten. Das hat zwei Gründe: 129 Zum einen ist hier nur der Teil rechtswissenschaftlicher Tätigkeit beschrieben worden, der sich mit der Ausarbeitung von Theorien beschäftigt, also die im eigentlichen Sinne wissenschaftliche Arbeit eines Juristen. Diese kann aber - wie in allen anderen Wissenschaften auch - nicht allein stehen. Zu einer vollständigen wissenschaftlichen Untersuchung im weiteren Sinne gehören ebenfalls eine Reflexion der Gründe für die bearbeitete Fragestellung (d.h. eine Motivation der Prämissen) sowie Anwendungsbeispiele der Theorie. Diese beiden zusätzlichen Teile wissenschaftlicher Tätigkeit im weiteren Sinne können nicht mehr selbst theoriebildend sein, sondern leisten die Vorarbeit zu einer Theorie bzw. die Grundlage für eine Kritik der Theorie und damit die Vorarbeit zu einer neuen, verbesserten Theorie. Sie können methodisch durchgeführt werden, aber nicht in der logischen Strenge der Theoriebildung selbst. Schon weil die eigentliche Theoriebildung ein recht aufwen128
Vgl. dazu auch Joachim Hruschka, Kann und sollte die Strafrechtswissenschaft systematisch sein?, JZ 1985, S. 8 (V.), ferner Eike von Savigny, Juristische Dogmatik und Wissenschaftstheorie, 1976, S. 8 f. (1. Untersuchung) und S. 120 ff. (9. Untersuchung). 129 Siehe ferner Ulrich Klug, Juristische Logik, 3. Aufl., 1966, IV. § 17, S. 174 f. sowie I. §3, S. 17 ff.
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
diges Unterfangen ist, kann es lohnend sein, besondere Akribie auf die Motivierung und die Anwendung der Theorie ,unter Laborbedingungen' zu verwenden. Dies gilt erst recht, weil meist gerade eine systematisch entwickelte Motivation und systematisch entwickelte Beispiele neue bzw. verbesserte Prämissen für die eigentliche Theorie liefern. Man wird von kaum einem einzelnen Wissenschaftler erwarten können, daß er allein eine vollständige wissenschaftliche Untersuchung im weiteren Sinne anfertigt. Viele Arbeiten werden sich also nur mit einem Teil der geschilderten Aufgaben befassen und können dann evtl. schon aus den genannten prinzipiellen Gründen zwar methodisch, aber nicht logisch-deduktiv vorgehen. Zum anderen beruht die Effizienz formaler Beweisverfahren in der Mathematik und der Logik darauf, daß in ihnen Theorien mit relativ wenigen Prämissen 130 und relativ langen Deduktionsketten entwickelt werden. Jedenfalls beim derzeitigen Stand der Rechtswissenschaft ist in ihr beides nicht der Fall. Juristen arbeiten mit ungleich größeren Prämissenmengen. Ihre Argumentation kommt daher mit ungleich kürzeren Ableitungsketten aus. 131 Das ist keineswegs ein logischer Fehler, stellt aber andere Probleme in den Vordergrund des Interesses als in der Logik und der Mathematik. Auf Grund der wesentlich größeren Zahl von Prämissen erfordert - anders als in der Mathematik - die Sicherung der Widerspruchsfreiheit dieser Prämissen einen Großteil der Aufmerksamkeit, während das Auffinden der Begründung für vermutete Konsequenzen aus den Prämissen in der Regel wesentlich weniger aufwendig ist als die Suche nach einem mathematischen Beweis. Deshalb wäre auch der Nutzen eines formalen Kalküls, der die logischen Ableitungszusammenhänge präzisiert und übersichtlich macht, bei weitem nicht so groß wie in der Mathematik und der Logik. 1 3 2 Gleichzeitig steht oder fällt der Erfolgjuristischer Theoriebildung mit einer Präzisierung der jeweiligen Prämis-
130 Bei Gottloh Frege , Grundgesetze der Arithmetik, 1893, Vorwort, S. V I heißt es: „Es muss danach gestrebt werden, die Anzahl dieser Urgesetze möglichst zu verringern, indem man Alles beweist, was beweisbar ist." Alle bisherigen Erfahrungen deuten darauf hin, daß man diesem Ziel (und es muß von Anfang an betont werden, daß es sich nicht um mehr als ein Ziel handelt) in der Mathematik ungleich näher kommen kann als in der Rechtswissenschaft. 131 Deshalb ist Theodor Viehwegs (von Gian Battista Vico übernommene) Behauptung, die kritische, beweisende Begründung von Sätzen nach Art der Geometrie arbeite mit „möglichst langen Kettenschlüssen (sorites)" (Topik und Jurisprudenz, § 1 II., S. 17) Panikmache und mit der genannten Methode keineswegs notwendig verbunden. 132 Obwohl in der vorliegen Untersuchung durchaus nicht die Verwendung eines formalen Kalküls in der Rechtswissenschaft propagiert wird, wäre die hier entwickelte Position in der Terminologie von Joseph Horovitz sicherlich zu den „formalistic conceptions" zu zählen (vgl. Law and Logic, 1972, insbesondere S. 196 ff.).
Β. Die rechtsdogmatischen Fragestellungen
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sen. Hierin dürfte die wohl größte Herausforderung für die Rechtswissenschaft liegen. 133 c) Auch die Rechtswissenschaft strebt danach, ihre Prämissen übersichtlich zu halten, d.h. eventuell auch, ihre Anzahl möglichst zu reduzieren. 134 Oft wurden (und werden) deshalb nur einzelne inhaltliche Grundprinzipien explizit genannt und weitere nötige Prämissen ,heimlich' eingeführt, indem sie entweder gänzlich ungenannt bleiben, was zu einer unvollständigen Argumentation führt, oder indem sie - oft unter Verwendung des Attributs natürlich' - fälschlicherweise als Teil der die Schlüsse regierenden Logik ausgegeben werden. Die Vorstellung, wenige inhaltliche Prinzipien oder gar ein Verfassungstext könnten als Prämissen zur logischen Deduktion der Resultate einer irgendwie interessanten Theorie ausreichen, ist aber letztlich abwegig. 135 Das Verdienst, eine starke Reduzierung der Prämissen und zugleich eine Vermeidung dieser Fehler versucht zu haben, hat sich vor allem Kant erworben. Sein Vorschlag, einen großen Teil der Rechtssätze (nämlich diejenigen, die nicht nur rein positiv gesetzt werden können, wie das Rechtsfahrgebot im Gegensatz zum Linksfahrgebot im Straßenverkehr) auf ein einziges allgemeines (formales!) Prinzip des Rechts zurückzuführen, ist ein wegweisender Versuch, Übersicht in die rechtlichen Prämissen zu bringen. Dieses Prinzip lautet „Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann." 1 3 6 Dieses Prinzip spezifiziert den Kategorischen Imperativ, der neben Rechts- auch reine Tugendpflichten liefern kann, für das Recht. 137 Kant unterscheidet zwischen Maximen und (praktischen) 133
Engisch ist durchaus darin zuzustimmen, daß die Deduktion in der Rechtswissenschaft nicht „fast die Sache selbst ist", sondern nur „Gedankengerüst" (Karl Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, Studium Generale 10. Jg. (1957), S. 176). Aber erst dieses Gerüst garantiert die Durchdringung der (logischen) Zusammenhänge innerhalb des betrachteten (abstrakten) Gegenstandes und damit die wissenschaftliche Reife seiner Darstellung. 134
Dies Ziel betont z.B. Claus-Wilhelm Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983, § 2 I 3. b), S. 28. 135
Vgl. zu letzterer Vorstellung Matthias Jestaedt, Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, 4. Teil II. 1., S. 284 f. mit entsprechenden Nachweisen. 136 Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797, Einleitung in die Rechtslehre, § C, S. 33 (AA Bd. VI, S. 230, Z. 29-31). 137
Letzterer lautet in der Formulierung, die auf die Tauglichkeit einer Maxime zu einem allgemeinen Gesetz abstellt, „handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde" {Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785, 2. Abschnitt, S. 52, AA Bd. IV, S. 421, Z. 7-8). Vgl. dort auch bereits 1. Abschnitt, S. 17 (AA Bd. IV, S. 402, Z. 7-9) sowie im 2. Abschnitt S. 71 ff. (AA Bd. VI, S. 432 ff.).
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Gesetzen, wobei Maximen die jeweils subjektiven Prinzipien sind, nach denen das handelnde Subjekt tatsächlich handelt und die von seinen Kenntnissen und Neigungen abhängen, während Gesetze objektive, für jedes vernünftige Subjekt gültige Grundsätze sind, nach denen es handeln soll. 1 3 8 Die Prämissen einer rechtlichen Theorie treten in dieser Terminologie deshalb als ,Gesetze4 auf. Mit dem von Kant angegebenen Prinzip sind noch nicht alle Probleme als gelöst anzusehen; seine Anwendung stößt auf verschiedene Schwierigkeiten - insbesondere was die Spezifizierung von Maximen einer konkreten Handlung betrifft. 139 Es ist aber auf jeden Fall ein sehr weitgehender Versuch, Übersicht in rechtliche Prämissen zu bringen. d) Man sollte sich allerdings auch nicht zu sehr um die Anzahl der verwendeten Prämissen sorgen. Es ist nämlich durchaus nicht so, daß die Übersichtlichkeit einer Theorie und die Anzahl ihrer Prämissen indirekt proportional wären oder in einem ähnlich einfachen Zusammenhang stünden: In vielen Axiomatisierungen mathematischer und logischer Theorien werden sogenannte Axiomenschemata 140 verwendet, und das bedeutet, es werden mindestens abzählbar unendlich(!) viele Axiome vorausgesetzt. Diese lassen sich aber oft auf ganz wenigen Zeilen angeben, und die Theorien können trotz ihrer unendlich vielen Prämissen sehr übersichtlich sein. 141 Andererseits läßt sich jede Prämissenmenge durch logische Und-Verknüpfung aller enthaltenen Prämissen formal zu einer einzigen vereinen. Diese eine trägt dieselben Schlüsse wie die Ausgangsmenge. Auf diese Weise läßt sich jede Theorie auf jeweils eine einzige Prämisse gründen. Ihrer Übersichtlichkeit ist das natürlich alles andere als zuträglich. Die Einfachheit und Übersichtlichkeit der Theorie ist das eigentliche Ziel. Dies gilt es im Auge zu behalten und nicht mit sekundären Forderungen zu verstellen. Wie einfach eine Theorie erscheint, hängt nicht allein von der Überschaubarkeit der verwendeten Prämissen ab, sondern vor allem von der Übersichtlichkeit der Begründungen für die behaupteten Resultate. 138
Immanuel Kant , Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785, 1. Abschnitt, S. 15 Fn. (AA Bd. IV, S. 400, Z. 34-37 Fn.) sowie 2. Abschnitt, S. 51 Fn. (AA Bd. IV, S. 420 f., Z. 36 ff. Fn.**). 139
Vgl. dazu Nelson Potter , How to Apply the Categorical Imperative, Philosophia Vol. 5 (1975), insbesondere II. und IV. (S. 399, 404 ff.); derselbe , Maxim's in Kant's Moral Philosophy, Philosophia Vol. 23 (1994), 67 ff. (III ff.) sowie Richard McCarty , The Maxims Problem, The Journal of Philosophy 2002 (Vol. 99), S. 29 ff. passim. 140
Zum Begriff vgl. Hilbert und Ackermann , Grundzüge der theoretischen Logik, 6. Aufl. 1972, 1. Kapitel § 11,S.40. 141 Vgl. als Beispiel die Axiomatisierung der Aussagenlogik bei Franz. von Kutschern und Alfred Breitkopf Einführung in die moderne Logik, 7. Aufl. 2000, 6.1, S. 69.
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e) Die große Anzahl von Prämissen kann dazu führen, daß es unzweckmäßig wäre, sie immer alle an den Anfang einer Darstellung zu stellen und die Folgerungen nach ihnen zu sammeln. Eine solche Ordnung kann den Überblick über die Prämissen und eine Prüfung ihrer Widerspruchsfreiheit zwar fördern, den Rest der Darstellung auf Grund ständiger Rückbezüge aber unlesbar machen. Daß die Prämissen den Folgerungen voranzugehen haben, beschreibt die logische Struktur des Schlusses, hingegen nicht notwendigerweise seine optimale Darstellungsweise. Ein Blick in ein (fast) beliebiges Mathematikbuch genügt um festzustellen, daß auch dort bis kurz vor dem Ende immer wieder Definitionen oder Annahmen erfolgen, mit denen sich der Autor neue Prämissen für weitere Beweise verschafft. Worauf es allerdings ankommt, ist eine saubere Trennung von Prämissen und Folgerungen, d.h. eine Klarstellung, was als Prämisse vorausgesetzt wird, sowie eine präzise Formulierung derselben. 142 Deshalb ist es auch keineswegs so, daß eine vollständige Axiomatisierung der Rechtswissenschaft erforderlich wäre, ehe mit der Ausarbeitung von Theorien in dem hier entwickelten Sinne begonnen werden kann. Nur ehe man davon sprechen darf, daß eine rechtliche Theorie fertig ausgearbeitet ist, muß sie in axiomatisierter Form vorliegen. Ein solcher Zustand ist für eine ernsthaft interessante Rechtsordnung sicherlich nicht allzu bald zu erreichen und wird kaum je das Werk eines einzelnen oder einiger weniger Wissenschaftler sein. Für die Arbeit an einer rechtlichen Theorie in dem hier entwikkelten Sinne - also für in einem strengen Sinne wissenschaftliches Arbeiten ist es hingegen ausreichend, die Prämissen, von denen die jeweils durchgeführte Betrachtung eines meist sehr kleinen Teils einer möglichen Rechtsordnung (die selbst mangels Allgemeinheit noch nicht als Theorie zu bezeichnen ist) ausgeht, nach Kräften vollständig anzugeben und darzulegen, welche dieser Prämissen in den einzelnen Argumentationsschritten verwendet werden. 3. Forderungen nach Vollständigkeit und Unabhängigkeit. Es ist immer wieder zu lesen, Widerspruchsfreiheit, Unabhängigkeit und Vollständigkeit seien notwendige Voraussetzungen, um eine Prämissenmenge als Axiomensystem bezeichnen zu dürfen. 143 Die einzig wesentliche Forderung an ein 142
Auch dies hat Gottlob Frege , Grundgesetze der Arithmetik, 1893, Vorwort, S. V I hervorragend klar ausgedrückt: „Dass Alles bewiesen werde, kann zwar nicht verlangt werden, weil es unmöglich ist; aber man kann fordern, dass alle Sätze, die man braucht, ohne sie zu beweisen, ausdrücklich als solche angesprochen werden, damit man deutlich erkenne, worauf der ganze Bau beruhe." Vgl. ferner a.a.O. Einleitung S. 1 sowie speziell für die Rechtswissenschaft statt vieler Nils Jansen, Dogmatik, Erkenntnis und Theorie im europäischen Privatrecht, ZEuP 2005, S. 770 (II. 4. a) ). 143 Vgl. z.B. wiederum Theodor Viehweg, Topik und Jurisprudenz, § 7 II. S. 83, der die Forderung nach logischer Unabhängigkeit besonders betont und sich dadurch die eigene
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
Axiomensystem ist aber seine Widerspruchsfreiheit. 144 Auch die beiden anderen Forderungen in die Definition eines Axiomensystems aufzunehmen, würde einen zu engen Begriff ergeben. Sie können in gewissem Umfang gleichwohl Ziele einer Axiomatisierung sein. a) Die Forderung nach Vollständigkeit ist immer wieder für Versuche verwendet worden, nachzuweisen, daß die axiomatische Methode für die Rechtswissenschaft unbrauchbar sei. 145 Die Argumentation basiert dabei regelmäßig auf einem Mißverständnis: Es wird angenommen, daß nur dann von einer axiomatisierten Theorie gesprochen werden dürfe, wenn sich alle bisherigen Erkenntnisse des gesamten Wissensgebiets, zu dem die Theorie gehören soll, aus den aufgestellten Axiomen ableiten lassen. Teilweise wird sogar gefordert, daß sich alle wahren Sätze dieses Wissensgebiets aus den Axiomen ableiten lassen müssen. Dabei ist dieser Begriff von Vollständigkeit nicht zu kritisieren. 146 Vollständigkeit ist aber nur eine mögliche Eigenschaft eines Axiomensystems - hingegen weder eine begriffsnotwendige Voraussetzung 147 noch eine allgemein sinnvolle Forderung. Letzteres ist bekannt seit der Veröffentlichung von Kurt Gödels , erstem Un Vollständigkeitssatz' im Jahre 1931, nach dem die Forderung nach Vollständigkeit im allgemeinen unerfüllbar ist. 1 4 8 Die Voraussetzungen dieses Satzes sind insbesondere in den
Argumentation so weit vereinfacht, daß sie - weil auf dieser keineswegs notwendigen Voraussetzung beruhend - nicht mehr zu überzeugen vermag. 144 Ganz in diesem Sinne auch bereits Hilbert und Ackermann , Grundzüge der theoretischen Logik, 1. Aufl. 1928, 1. Kapitel § 12, S. 30. Speziell für rechtliche Theorien ganz entsprechend Nils Jansen, Dogmatik, Erkenntnis und Theorie im europäischen Privatrecht, ZEuP 2005, S. 768 f. und 775 (II. 3., 4. vor a) und 4. d) ). 145 Vgl. neben dem gerade zitierten Viehweg insbesondere auch Claus-Wilhelm Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1969, 2. Aufl. 1983, § 2 I 3. b), S. 26 ff. 146 Man bezeichnet ein Axiomensystem genau dann als vollständig, wenn sich von zwei beliebigen einander kontradiktorisch widersprechenden und ausschließlich aus Ausdrücken der Theorie aufgebauten Sätzen stets mindestens einer aus den Axiomen beweisen läßt (siehe dazu Alfred Tarski , Einführung in die mathematische Logik, 5. Aufl. 1977, erstmalig 1936 in polnischer Sprache, Erster Teil V I 41, S. 143 ff.). Diese Definition ist formaler und präziser; doch inhaltlich ist wohl meist nichts anderes gemeint, wenn gefordert wird, daß sich alle wahren Sätze dieses Wissensgebiets aus den Axiomen ableiten lassen. - Einen noch stärkeren Begriff von Vollständigkeit entwickeln Hilbert und Ackermann , Grundzüge der theoretischen Logik, 1. Aufl. 1928, 1. Kapitel § 13, S. 33. 147
Vgl. Hilbert und Ackermann , Grundzüge der theoretischen Logik, 1. Aufl. 1928, 1. Kapitel §§ 12 f., S. 29 ff. sowie vor allem 3. Kapitel § 9, S. 65 ff., insbesondere S. 68. 148 Kurt Gödel , Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I, Monatshefte für Mathematik und Physik Bd. 38 (1931), Satz VI
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meisten Theorien der Mathematik erfüllt, d.h. die betreffenden Theorien können weder vollständig sein noch vervollständigt werden. Man würde indes nicht auf die Idee kommen, daraus auf die Unmöglichkeit axiomatischen Arbeitens in der Mathematik zu schließen. Richtigerweise geht es, wenn die Vollständigkeit eines Axiomensystems diskutiert wird, nicht um die Frage, ob überhaupt eine Axiomatisierung vorliegt, sondern nur um die Leistungsfähigkeit der gerade ins Auge gefaßten Axiomatisierung. Auch wenn David Hilbert 1899 in der Einleitung seiner Grundlagen der Geometrie davon spricht, sie sei der Versuch eines vollständigen Systems von Axiomen für die Geometrie, 149 hat er dabei das im Auge, was später zum Satz der Vollständigkeit wurde. 150 Dieser sagt (in etwa) aus, daß die betrachteten „alten" geometrischen Objekte um keinerlei „neue" erweitert werden können, solange die gesetzten Axiome aufrecht erhalten werden sollen. In diesem Sinne werden tatsächlich ,alle' geometrischen Objekte von der Theorie erfaßt. Vollständigkeit' bezieht sich hier aber auf einen Gegenstandsbereich, nicht auf die Resultate der Theorie. 151 Dennoch hat u.a. diese Textstelle zu dem hier kritisierten Mißverständnis geführt. 152 Durch Gödels Unvollständigkeitssätze ist es aber in Mathematik und Logik ausgeräumt worden, und es gibt keinen Grund mehr dafür, daß es dennoch immer wieder in die Rechtswissenschaft hineingetragen wird. (und VIII), S. 187 (und 193); siehe dazu auch Ebbinghaus, Flum, Thomas, Einführung in die mathematische Logik, 4. Aufl. 1996, Satz 7.8, S. 199. 149
Hilbert, Grundlagen der Geometrie, Einleitung, S. 1. Auf diese oder ähnliche spätere Bemerkungen beziehen sich (oft indirekt) die meisten Autoren, die für jedes Axiomensystem Vollständigkeit im gerade angegebenen Sinne fordern. 150
Hilbert, Grundlagen der Geometrie, 10. Aufl. 1968, § 8 Satz 32, S. 31.
151
Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Geometrie nur der Teil der Mathematik ist, dessen Gegenstandsbereich durch die Hilbertschen Axiome bestimmt wird, kann es nur bedingt richtig sein zu sagen, daß sich jeder bekannte geometrische Satz aus den Hilbertschen Axiomen ableiten ließe. Man kann nämlich immer spezielle Situationen betrachten, und auch vor Hilbert sind regelmäßig immer wieder viel speziellere geometrische Situationen betrachtet worden, als Hilbert dies tut. Solche speziellen Situationen sind gerade dadurch gekennzeichnet, daß in ihnen weitere (nicht in der Axiomatisierung enthaltene, aber zu den Axiomen widerspruchsfreie) Voraussetzungen gelten. Die Resultate für solche Situationen lassen sich natürlich nicht isoliert aus den Axiomen ableiten. Aus den Axiomen ist höchstens herzuleiten, daß unter der Bedingung, daß zusätzlich auch die weiteren Voraussetzungen der spezielleren Situation gelten, die speziellen Resultate folgen. Letzteres ist indes keine weiter bemerkenswerte Eigenschaft dieser Axiome. Aus jedem Axiomensystem lassen sich Wenn-Dann-Beziehungen mit beliebigem Dann-Teil herleiten, solange man in der Wahl seiner Bedingungen im Wenn-Teil frei ist. 152
Auch das ,Hilbertprogramm' (vgl. dazu Volker Peckhaus, Hilbertprogramm und Kritische Philosophie, 1990, insbesondere Kapitel 1.1, S. 1 ff., sowie Kapitel 2, S. 23 ff., jeweils mit weiteren Hinweisen) selbst war von ihm ursprünglich nicht ganz frei.
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
Möchte man in Anlehnung an den Vollständigkeitsbegriff eine sinnvolle Forderung aufstellen, kann das - neben der Selbstverständlichkeit, daß sich aus dem Axiomensystem alle tatsächlich behaupteten Aussagen herleiten lassen müssen - nur eine relative Forderung sein: Man kann ein neues Axiomensystem an einer bereits vorhandenen axiomatisch-deduktiven Theorie messen und verlangen, daß auch die neuen Axiome alle Aussagen der bekannten Theorie tragen (sowie ggf. weitere Vorteile besitzen 153 ). Die Juristen, die ihre Bedenken gegen axiomatische Theorien in der Rechtswissenschaft mit der Unerreichbarkeit von Vollständigkeit zu begründen versuchen, setzen hingegen voraus, daß sich jede bisher als richtig angenommene juristische Aussage aus einer akzeptablen Axiomatisierung herleiten lassen müsse und daß außerhalb dieser Axiome keine inhaltlichen Prämissen in die Theorie eingeführt werden dürfen (also insbesondere auch nicht, indem die zu beweisende Aussage in Form eines Wenn-Dann-Satzes formuliert und die weiteren Annahmen dabei im Bedingungsteil hypothetisch vorausgesetzt werden). Diese Voraussetzungen sind völlig überspannt und ergeben sich keineswegs aus dem Begriff eines axiomatischen Systems, zumal schon die als richtig angenommenen bisherigen rechtlichen Aussagen nicht als Bestandteile einer einheitlichen deduktiven Theorie, geschweige denn als Bestandteile einer axiomatisierten Theorie vorliegen. Im allgemeinen ist nicht einmal ihre Widerspruchsfreiheit gesichert. Unter solchen Voraussetzungen die Forderung nach Vollständigkeit in der von diesen Autoren vorausgesetzten Bedeutung des Wortes zu erheben, ist sinnlos. Daß sich ihre Erfüllbarkeit nicht zeigen läßt, beweist gar nichts. Die einzige in diesem Kontext generell an axiomatische Theorien zu richtende Forderung ist zugleich die Minimalforderung an jede deduktive Theorie: Alle als Resultat behaupteten Aussagen müssen sich tatsächlich aus den Prämissen (Axiomen) ableiten lassen. Es ist aber selbstverständlich in jeder axiomatischen Theorie sowohl zulässig, daß Resultate die Form von WennDann-Sätzen annehmen und so (im ,Wenn-Teil 4 ) weitere Voraussetzungen einführen, als auch, daß die Axiomenmenge später erweitert wird. Vollständigkeit ist lediglich eine interessante - aber leider seltene - Eigenschaft von Axiomensystemen, jedoch keine sinnvolle allgemeine Forderung. b) Unabhängigkeit meint logische Unabhängigkeit der Prämissen voneinander (d.h. keine der gesetzten Prämissen läßt sich allein unter Verwendung der übrigen Prämissen beweisen) und ist eine rein ökonomische 154 Forderung. Ist ein Axiomensystem bis zur Unabhängigkeit der Axiome voneinander re153 Vgl. z.B. Hilbert , Über die Grundlagen der Geometrie, zitiert nach: Grundlagen der Geometrie, 10. Autl. 1968, Anhang IV, S. 178 f. 154
Vgl. dazu im 4. Kapitel B. 5.
Β. Die rechtsdogmatischen Fragestellungen
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duziert worden, dann liegt eine relativ gute Vereinfachung (bei unveränderter Stärke, d.h. ohne daß eine logische Folge dabei verloren geht) dieses Systems durch Elimination bestimmter ,logischer Überschneidungen' vor. 1 5 5 Sieht man allein auf die Prämissenmenge, so bewirkt dieses Vorgehen - anders als eine bloße Reduzierung der Anzahl der Axiome - tatsächlich eine Vereinfachung. Unabhängige Axiome vermitteln einen relativ guten Überblick über die Voraussetzungen der Theorie. Sie erleichtern außerdem die Überprüfung der Widerspruchsfreiheit. Im Recht ließen sich auf der Grundlage einer Theorie mit logisch unabhängigen Prämissen ferner verhältnismäßig kurze Gesetze erlassen, was vorteilhaft und ein erstrebenswertes Ziel sein kann. Ein reduziertes System von Prämissen und kurze Gesetze können die Übersichtlichkeit der Theorie bzw. des Bestandes an positiv-geltendem Recht fördern, doch beides kann - weil die Ableitungszusammenhänge möglicherweise entsprechend komplizierter werden - auch das Gegenteil bewirken. Kurze, aber abstrakt und technisch gehaltene Gesetze und Theorien müssen keineswegs immer leicht verständlich sein. 156 Die Untersuchung der Unabhängigkeit eines Axiomensystems kann daher interessant sein, muß es aber nicht. Für die Richtigkeit der Theorie und ihre Axiomatisierung ist sie nicht von Bedeutung und hat auch mit der Wissenschaftlichkeit der Arbeit nichts zu tun. Es kann sich sogar als praktisch erweisen, für ein und dieselbe Theorie zwei äquivalente (d.h. dieselben Schlußfolgerungen tragende) Prämissenmengen zu verwenden: eine reduzierte, welche die Anwendung der Theorie erleichtert, und eine reichhaltigere, welche das
155 Unabhängigkeit ist keineswegs die stärkste Forderung, die man an die Reduziertheit eines Axiomensystems stellen kann. Auch logisch unabhängige Prämissen lassen sich evtl. weiter vereinfachen. Beispiel: Gegeben seien zwei Axiome A und Β. A lasse sich logisch als Und-Verknüpfung zweier Aussagen a und c darstellen, Β als Und-Verknüpfung der Aussagen b und c. Dann folgt weder A aus Β noch Β aus A, beide sind also in dem oben angegebenen Sinne logisch voneinander unabhängig. Dennoch würden sowohl das Axiomensystem ,A und b' als auch das Axiomensystem ,a und B' dieselben Schlußfolgerungen tragen wie ,A und B' und wären doch noch einfacher (denn A impliziert a und Β impliziert b, die Umkehrungen gelten aber nicht). 156
Entsprechend schreibt Hilbert: „Gewiß sind auch in dem von mir aufgestellten System noch einzelne Bestandteile entbehrlich; doch habe ich von einer weiteren Untersuchung dieses Umstandes abgesehen aus Rücksicht auf die Fassung der Axiome und vor allem, weil ich eine verhältnismäßig zu komplizierte und geometrisch nicht übersichtliche Beweisführung vermeiden wollte." (Über die Grundlagen der Geometrie, zitiert nach: Grundlagen der Geometrie, 10. Aufl. 1968, Anhang IV, S. 179).
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
Ziehen von Schlußfolgerungen erleichtert, 157 deshalb zu kürzeren Beweisen führt und dadurch evtl. die Darstellung vereinfacht. 4. Konsistenz, a) Zentrale Forderung an jede Theorie ist allein die Widerspruchsfreiheit ihrer Sätze. Die Sicherung der Konsistenz einer Theorie beginnt bei ihren Prämissen. Konsistente Prämissen gewählt zu haben bedeutet, daß alle anderen Sätze der Theorie automatisch' konsistent sein müssen, solange sie nur logische Konsequenzen der Prämissen sind. Das ist indes leider nicht nur eine ,nette Eigenschaft' konsistenter Prämissen, sondern die Definition der Widerspruchsfreiheit: Eine Prämissenmenge ist genau dann konsistent l, wenn sich kein Widerspruch aus ihnen ableiten läßt, d.h. wenn es keine aus diesen Prämissen ableitbare Aussage gibt, deren Negation ebenfalls aus diesen Prämissen ableitbar ist. 1 5 8 Gäbe es eine solche Aussage, wären auch die Und-Verknüpfung dieser Aussage sowie deren Negation wahr. Symbolisiert man diese Aussage mit φ, wäre also auch ,zugleich φ und nicht φ' ableitbar. Weil diese Aussage aber stets unwahr ist und für die logische Implikation der Satz gilt ,ex falso sequitur quodlibet' (d.h. unwahre Aussagen jede beliebige Aussage implizieren), würde die gesamte Theorie inhaltlich völlig beliebig werden, wenn eine Aussage wie φ aus den Prämissen ableitbar wäre. Dies zeigt zweierlei: Erstens steht und fällt auch die mindeste Brauchbarkeit von Aussagen damit, daß sie widerspruchsfrei sind. Zweitens ist die Sicherung oder gar der Nachweis der Widerspruchsfreiheit alles andere als eine einfache Aufgabe.
157 Die Äquivalenz der Prämissenmengen ist dabei natürlich von entscheidender Bedeutung. Erlaubt die reichhaltigere Prämissenmenge mehr Schlußfolgerungen als die reduzierte, begeht man einen Selbstbetrug und provoziert eine fehlerhafte Anwendung der Theorie. Die Verwendung zweier Prämissenmengen ist kein Zaubermittel, um Schlüsse aus dem Nichts zu ziehen, sondern eine rein technische Erleichterung. Beispiele für ihren Einsatz gibt es z.B. in der mathematischen Gruppentheorie (etwa bei Paul Moritz Cohn, Algebra, Vol. 1, 2 n d ed. 1982, 3.2 G. 1-5, S. 46) und in der Geometrie (vgl. Henri Jules Poincaré , Wissenschaft und Hypothese, 2. Aufl. 1906, 2. Teil 3. Kapitel, S. 36 ff., Übersetzung des Buchs La Science et l'Hypothèse durch Ferdinand und Lisheth Lindemann). 158
Dabei ist, wenn Prämissen unterschiedlicher Sprachebenen (vgl. dazu im 3. Kapitel E. I.) verwendet werden, unbedingt auf die gesamte Prämissenmenge abzustellen. Die Prämissenmenge ist also auch dann konsistent, wenn sich aus Untermengen von ihr Widersprüche ableiten lassen, diese aber von in der Prämissenmenge enthaltenen Kollisionsnormen gelöst werden. Beispiel: Körperverletzung sei strafbar, nicht aber eine in Notwehr begangene Tat. Die letztere Prämisse gehe der ersteren vor. Für in Notwehr begangene Körperverletzungen läßt sich aus den ersten beiden Prämissen - solange man nur diese betrachtet - der Widerspruch einer zugleich strafbaren und nicht strafbaren Handlung ableiten. Die Prämissenmenge ist dennoch - wegen der in ihr enthaltenen Kollisionsregel - konsistent.
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Der zweite dieser beiden Befunde wurde durch die mathematische Grundlagenforschung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts weiter substantiiert: Die Widerspruchsfreiheit einer mathematischen Theorie, die nur die PeanoAxiome der Arithmetik enthalten und widerspruchsfrei sein muß, läßt sich schon nicht mehr innerhalb ihrer selbst nachweisen. 159 Das ist die Aussage des ,zweiten Gödelschen Unvollständigkeitssatzes'. 160 Deshalb ist durchaus nicht zu erwarten, daß innerhalb einer rechtlichen Theorie ein strenger Widerspruchsfreiheitsbeweis gelingen kann. Die Widerspruchsfreiheit einer Prämissenmenge würde sich regelmäßig nur aus einer erweiterten Prämissenmenge ergeben, deren Widerspruchsfreiheit sich wiederum aus denselben prinzipiellen Gründen nicht beweisen ließe. Solange man den Bereich der bloßen Ausarbeitung einer Theorie nicht verlassen möchte, wird man sich daher mit einer gezielten Suche nach Widersprüchen begnügen müssen. Auch wenn dabei keine Widersprüche gefunden werden, ist es nicht sicher, daß die Theorie tatsächlich widerspruchsfrei ist, doch es wurde das Mögliche getan, um die Theorie widerspruchsfrei zu halten. b) Für die gezielte Suche nach Widersprüchen ist es hilfreich, die folgenden ,drei' (zwei spezielle und eine allgemeinere) besonders häufigen Arten von Widersprüchen zu kennen: In einer rechtlichen Theorie liegen Widersprüche unter anderem dann vor, wenn (a) ein Rechtssubjekt in einer Situation nicht allen in dieser Situation konkret 161 bestehenden rechtlichen Pflichten gleichzeitig nachkommen kann (ungelöste Pflichtenkollisionen), (b) ein Rechtssubjekt in einer Situation eine konkrete Pflicht trifft, sich in bestimmter Weise zu verhalten, und es zugleich konkret das Recht hat, sich anders zu verhalten (z.B. gleichzeitiges Bestehen eines Eingriffsrechts und einer Unterlassungspflicht), (c) Vorschriften von einer dichotomen Klassifikation von 159 Daß die Theorie vorausgesetztermaßen widerspruchsfrei ist, gehört dabei nicht zu den Prämissen der Theorie selbst und darf daher beim Nachweis ihrer Widerspruchsfreiheit nicht verwendet werden. Die Voraussetzung ist nötig, weil sich aus einer widersprüchlichen Prämissenmenge jede beliebige Aussage herleiten läßt, also insbesondere auch die Aussage, die Prämissenmenge sei widerspruchsfrei. 160
Kurt Gödel, Über formal unentscheidbare Sätze der Principia Mathematica und verwandter Systeme I, Monatshefte für Mathematik und Physik Bd. 38 (1931), Satz XI, S. 196. In diesen Zusammenhang gehören auch der Satz von Tarski sowie die Einsicht, daß schon die Widerspruchsfreiheit der nach Ernst Zermelo und A.A. Fraenkel axiomatisierten Mengenlehre mit Auswahlaxiom sich nicht innerhalb dieses Axiomensystems selbst nachweisen läßt. Zum Ganzen siehe Ebbinghaus, Flum, Thomas, Einführung in die mathematische Logik, 4. Aufl. 1996, Sätze 7.7-7.10, S. 199-201. 161 Es liegt also kein Widerspruch vor, wenn das Rechtssubjekt in der Situation allgemein zwar verschiedenen kollidierenden Pflichten unterworfen ist, auf Grund einer Kollisionsnorm aber nur noch eine in der Situation konkret bestehende (erfüllbare) Pflicht übrig bleibt. Siehe hierzu auch Jan C. Joerden, Der Widerstreit zweier Gründe der Verbindlichkeit, JRE Bd. 5 (1997), insbesondere S. 49.
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
Fällen ausgehen (z.B. in Täter, Teilnehmer und Unbeteiligte oder vorsätzliche, fahrlässige und weder fahrlässige noch vorsätzliche Verwirklichungen eines Tatbestandes), ein und derselbe Fall aber gleichzeitig mehreren dieser Klassen zuzuordnen ist. Der Widerspruchstyp (c) besitzt unter den dreien den höchsten Grad an Allgemeinheit und umfaßt die beiden anderen. 162 Soweit zu den auf Konsistenz zu prüfenden Normen bereits Literatur vorhanden ist, bietet es sich an, diese insbesondere im Hinblick auf ,Abgrenzungsprobleme' durchzusehen. Besteht ein solches, bedeutet dies immer, daß die voneinander abzugrenzenden Vorschriften für sich allein nicht konsistent sind. Die Konsistenz der Normen ist erst durch eine oder mehrere (zusätzliche) Meta-Normen herzustellen, die je nach Fall den Vorrang (d.h. die alleinige Anwendung) der einen oder anderen kollidierenden (d.h. für sich allein inkonsistenten) Norm anordnen. Um diese wird besonders häufig gestritten. c) Nicht nur die Suche nach positiven Gründen für die Widerspruchsfreiheit einer rechtlichen Theorie erfordert Mittel, die innerhalb dieser Theorie selbst nicht zur Verfügung stehen. Das Auffinden von Widersprüchen ist durch bloßes Ausarbeiten der Theorie - also mit rein rechtsdogmatischen Mitteln - möglich und wird immer wieder geschehen. Sie zu beheben ist hingegen nur dadurch möglich, daß einige der Prämissen der Theorie abgeändert oder fallengelassen werden. Welche der Prämissen abzuändern bzw. aufzugeben sind (und in welcher Weise sie abzuändern sind), kann sich ebensowenig aus der Theorie selbst ergeben, wie die Prämissenwahl sonst durch die erst zu erstellende Theorie bestimmt sein kann. Jedem Rechtswissenschaftler stellen sich hier also Aufgaben, die nicht rein rechtsdogmatisch angegangen werden können, sondern in einem strengen Verständnis bereits zur Rechtsphilosophie gehören, weil sie genau genommen ,meta-rechtsdogmatisch' sind. Gleichwohl sind sie jedenfalls teilweise mit den Mitteln der juristischen Methodenlehre zu erfüllen. Deshalb nehmen die meisten Juristen den Umstand, daß es sich bei der Erfüllung dieser Aufgaben nicht um eine rein 162
In Fällen vom Typ (a) bestehen mindestens zwei unvereinbare Pflichten Pj und P 2 . Die Klassifikation in Fälle, in denen Pi besteht und solche, in denen Pj nicht besteht, ist dichotom. Nun impliziert P 2 , daß es auch erlaubt ist, das von P 2 gebotene Verhalten an den Tag zu legen. P| aber impliziert nach Voraussetzung, daß dieses Verhalten nicht erlaubt ist. Der Fall ist also - weil P 2 besteht - als ein Fall zu klassifizieren, in dem P] nicht besteht. Zugleich ist der Fall nach Voraussetzung ein Fall, in dem P! besteht. Alle Situationen vom Typ (a) sind also stets zugleich Situationen vom Typ (c). Die Pflicht in Fällen vom Typ (b) sei kurz Ρ genannt. Dann kann man wiederum dichotom in Fälle, in denen Ρ besteht, und Fälle, in denen Ρ nicht besteht, klassifizieren. Das vorausgesetzte Recht impliziert, daß wir einen Fall, in dem Ρ nicht besteht, vor uns haben. Zugleich ist es - nach Voraussetzung - ein Fall, in dem Ρ nicht besteht. Auch alle Situationen vom Typ (b) sind daher Situationen vom Typ (c).
Β. Die rechtsdogmatischen Fragestellungen
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rechtsdogmatische Tätigkeit handelt, gar nicht wahr (es war unter anderem Kelsens Verdienst, auf diesen Umstand deutlich hinzuweisen 163 ). Andererseits zeigt sich hier, daß die Unmöglichkeit, ein Problem innerhalb einer rechtlichen Theorie zu lösen, noch lange nicht bedeutet, daß dieses Problem nicht methodisch anzugehen wäre. Die hier zu verwendenden Methoden (wie z.B. die Abgrenzung verschiedener Rechtsinstitute oder Vorschriften voneinander) erlauben (weil außerhalb der Theorie stehend) keine rein logische Überprüfung und können daher auch keinen Anspruch der Resultate auf Wissenschaftlichkeit begründen. Sie sind aber damit zu rechtfertigen, daß sie erforderlich sind, um wissenschaftliches Vorgehen (durch das Ausräumen von Widersprüchen) überhaupt zu ermöglichen. 164 5. Wertungswidersprüche, a) Im Zusammenhang mit der Widerspruchsfreiheit rechtlicher Theorien ist regelmäßig die Forderung zu lesen, daß sie nicht nur frei von logischen Widersprüchen - um die es hier bislang allein gegangen ist - zu sein haben, sondern darüber hinaus auch keine ,inneren Wertungs Widersprüche' oder , Prinzipien Widersprüche' enthalten dürften. 165 Das ist allerdings eine Scheinforderung: Entweder die einer Norm zugrundeliegenden Wertungen lassen sich inklusive ihrer Wirkungen für die Handlungen, um die es in der Theorie geht, explizit angeben, dann sind sie (oder die Voraussetzungen, aus denen sich diese Wertungen ergeben) als Prämissen 163
Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, VI. 35. ff., S. 92 ff.
164
Ob diese Rechtfertigung schon genügt, um die Methoden selbst als wissenschaftlich zu bezeichnen, ist ausschließlich eine Frage der Definition von Wissenschaft und als reine Definitionsfrage hier nicht weiter von Interesse. 165
Siehe dazu insbesondere die systematische Darstellung von Claus-Wilhelm Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983, § 5 II., S. 97 ff. sowie §6, S. 112 ff. sowie derselbe, Funktion, Struktur und Falsifikation juristischer Theorien, JZ 1993, S. 385 (IV. 2. a) ). Ein Beispiel für einen sogenannten , Wertungs Widerspruch' ist der folgende Fall: Das billige Spielzeugschiff des Kindes Κ versinkt im See. Der Spaziergänger S könnte dieses Schiff mit seinem wertvollen Gehstock herausholen, der dabei einen erheblichen Wertverlust erleiden würde. Κ ist nicht (insbesondere nicht nach § 34 StGB) gerechtfertigt, wenn es S zwingt, die Rettung vorzunehmen, und S dürfte sich gegen einen solchen Angriff wehren. Es kommt aber in Betracht, daß S nach § 323c StGB verpflichtet ist, das Schiff von sich aus zu retten. Unter der Annahme, daß die Zumutbarkeit bei § 323c StGB nur Schulderfordernis ist (so vertreten noch von Hans Welzel, Das deutsche Strafrecht, 11. Aufl. 1969, § 68 I. 3., S. 473) und § 34 StGB nicht auch für Unterlassungen gilt (die Vorschrift spricht von „eine Tat begeht"), besteht diese Rettungspflicht. Das aber führt zu einem , Wertungs Widerspruch', wenn man die folgende , Wertung' anerkennt: ,In zwei prinzipiell gleichen Situationen darf die Handlungspflicht eines unbeteiligten Dritten nicht weiter gehen als seine entsprechende Duldungspflicht.' (vgl. Joachim Hruschka, Strafrecht nach logisch-analytischer Methode, 2. Aufl. 1988, II. Fallgruppe 3, S. 91 ff., insbesondere S. 96).
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
aufzunehmen (denn alle logischen Voraussetzungen der Theorie sind als solche explizit anzugeben) und die Forderung nach Freiheit von Wertungswidersprüchen ist in der Forderung nach logischer Widerspruchsfreiheit mit enthalten. Oder die Wertungen lassen sich nicht explizit angeben, dann läßt sich die Wertungswiderspruchsfreiheit auch nicht überprüfen, und eine entsprechende Forderung wäre sinnlos. b) Das Aufnehmen der Wertungen unter die Prämissen lohnt eine etwas nähere Betrachtung und gibt Anlaß, die Begriffe präskriptiv , normativ und deskriptiv einander gegenüberzustellen. Man kann diese Begriffe so definieren, daß präskriptive Aussagen stets eine Handlungsanweisung und normat i v o Aussagen eine Bewertung von etwas (insbesondere einem Zustand oder einer Handlung) beinhalten. Diese naheliegend scheinende Definition hat soweit es um den Aufbau rechtlicher Theorien geht - schwere grundsätzliche Nachteile, die im folgenden dargestellt werden. Wegen dieser Nachteile wird nach ihrer Erörterung ,normativ' anders definiert werden. Um Verwechslungen zu vermeiden, steht, solange die gerade oben erwogene Definition zugrunde liegt, in spitzen Klammern. Mit einem Satz können zugleich mehrere Aussagen gemacht werden. Der Sprecher des Satzes „Du sollst das Hindernis dort vorne entfernen, denn es stört." trifft die deskriptiven Aussagen ,Dort vorne steht ein Hindernis.' und ,Du bist fähig, das Hindernis zu entfernen.', die Aussage ,Der Zustand, daß das Hindernis dort steht, ist schlecht.' sowie die präskriptive Aussage ,Du sollst das Hindernis entfernen.'. Keine dieser Aussagen ergibt sich aus den anderen, und zwar nicht einmal dann, wenn sie Teil eines größeren Systems von Aussagen sind und jeweils aus anderen, vorausgesetzten Aussagen abgeleitet werden können. Weder präskriptive noch Aussagen können sich aus rein deskriptiven ergeben. Deskriptive Aussagen beschreiben nur das, was ist, bzw. das, was der Sprecher sich vorstellt, und zwar unabhängig von einer Bewertung des Beschriebenen und einer eventuellen Handlungsaufforderung. Umgekehrt läßt sich weder aus einer Handlungsanweisung noch aus einer Bewertung auf das Bestehen der betreffenden Situation schließen. 166 Deskriptive Aussagen lassen sich also auch nicht aus präskriptiven oder (logisch) ableiten. 166
Aus der (konkret bestehenden) Pflicht, eine bestimmte Handlung vorzunehmen, läßt sich nur auf die Möglichkeit zur Vornahme dieser Handlung schließen (,Sollen impliziert Können'). Das ist zwar ein zulässiger Schluß von einer präskriptiven auf eine deskriptive Aussage, aber erstens sind die präskriptiven Aussagen rechtlicher Theorien allgemeine und gerade noch nicht auf eine bestimmte Situation bezogene Aussagen, und zweitens kommt in der genannten deskriptiven Aussage stets der Modaloperator ,es ist möglich, daß ...' vor. Die deskriptive Aussage ist also weder eine Aussage über die Vornahme der Handlung noch über den Eintritt eines Erfolges.
Β. Die rechtsdogmatischen Fragestellungen
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Schließlich ist auch das Verhältnis von präskriptiven zu Aussagen nicht durch einfache Ableitungen zu kennzeichnen. 167 Aus der normativem Aussage ,Der Zustand, daß das Hindernis dort vorne steht, ist schlecht.' allein läßt sich keineswegs ableiten, daß eine bestimmte Person das Hindernis entfernen soll. Jedenfalls müßte zu dieser Aussage noch ein Kriterium zur Auswahl des Verpflichteten hinzutreten sowie (durch eine entsprechende deskriptive Aussage) die Möglichkeit dieser Person zur Vornahme der Handlung vorgegeben sein. Es ist keineswegs so, daß ein positiv bewerteter Zustand immer hergestellt werden bzw. ein negativ bewertetes Ereignis stets vermieden werden soll. Zum Beispiel kann die Tötung eines Menschen grundsätzlich als sehr schlecht bewertet werden, und dennoch kann die Rechtsordnung den Eltern eines Kindes, das von einem Dritten rechtswidrig lebensgefährlich angegriffen wird, gebieten, diesen Dritten zu töten, wenn die Gefahr für das Kind nicht anders abzuwenden ist. Auch in dieser Situation ist es keineswegs so, daß irgend jemand (oder irgendein Normenssystem) die Tötung für ,gut' erklären muß. Jedermann kann den Tod des Dritten aufrichtig zutiefst bedauern. Man muß noch nicht einmal davon ausgehen, das Leben des Dritten sei in dieser Situation weniger wert als das Leben des Kindes. Das genannte Gebot, die Tötung dennoch vorzunehmen, steht weder zum absoluten Wert' menschlichen Lebens im Widerspruch noch dazu, keinen Tod als ,gut' zu bewerten. Dieser Befund zeigt, daß aus einer präskriptiven Aussage im allgemeinen nicht auf eine Aussage zu schließen ist. Es wurden - insbesondere für die Ethik - viele Systeme entwickelt, in denen präskriptive Aussagen auf beruhen und durch diese rationalisiert werden. Das ist formal dadurch möglich, daß besondere präskriptive Prämissen gesetzt werden, die Aussagen in präskriptive überleiten (z.B. ,Tue das Gute und meide das Böse.', Jeder soll die Welt nach Kräften verbessern.', ,Fördere stets das größte Glück der größten Zahl.' 1 6 8 ). Sofern die Aussagen Bewertungen konkreter Situationen liefern und die präskriptive Prämisse, welche die Aussagen in präskriptive überleitet, geeignet ist, um einen konkreten Verpflichteten zu bestimmen, lassen sich Vorschriften aus den Aussagen gewinnen. Entsprechend kann man Aussagen aus präskriptiven ableiten, wenn man eine entsprechende ,Überleitungs-Prämisse' für die umgekehrte Richtung 167
Vgl. José Llompart, Kann noch heute die Rechtsgeltung begründet werden? 2003, insbesondere These 3, S. 981 f. 168
Vgl. Jeremy Bentham, An Introduction to the Principles of Morals and Legislation, 1780, Chapter I 1. mit seiner Anmerkung vom Juli 1822 (Collected Works, 1970, S. 11) sowie Chapter X V I I § i 2. (Collected Works S. 282), ferner derselbe , A Fragment on Government, 1776, Preface (Collected Works S. 393) und Chapter I 48. mit Anmerkungen (Collected Works S. 446).
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
aufstellt (etwa ,Alles, zu dessen Hervorbringung man verpflichtet ist, ist gut.' oder Jede Handlung, zu der man verpflichtet ist, ist gut.'). Werden solche Überleitungs-Prämissen für die eine oder andere Richtung aufstellt, wird dadurch aber jeweils nur das übergeleitete System von Aussagen in das andere Aussagesystem (als Prämissen) eingebettet. Es ergibt sich dasselbe, als wären zu den ursprünglichen (präskriptiven bzw. ) Aussagen jeweils analoge ( bzw. präskriptive) Prämissen formuliert worden - allerdings auf einem komplizierteren, weniger durchsichtigen Weg. Weil zusätzlich zu den Prämissen eine präskriptive gefordert werden muß, verdoppelt sich auch der Begründungsaufwand: Nun sind die jeweils ursprünglichen Aussagen und die Überleitungsprämisse zu motivieren. Mit der Motivation der letzteren sind regelmäßig - jedenfalls soweit es rechtliche Theorien betrifft - größte Schwierigkeiten verbunden, wie z.B. obiger ElternFall zeigt. Es ist nicht a priori ausgeschlossen, daß eine Motivation präskriptiver Prämissen auf dem Umweg über Wertungen erfolgreich ist. Aber es ist keinesfalls so, daß man einfach nur Wertungen anzugeben hätte und diese allein (auf irgendeine magische Art) eine Begründung für präskriptive Aussagen liefern würden. Es führt kein Weg daran vorbei, daß rechtliche Urteile auf präskriptiven Prämissen beruhen müssen. Diese methodisch-systematisch zu motivieren kann eine mühsame Aufgabe sein. Die Rede von Wertungen ist dabei kein Ausweg. Sie verschleiert oft nur die Tatsache, daß gerade keine Motivation der Prämissen (die meist zudem nur implizit vorausgesetzt werden) erfolgt und ist deshalb bei dem Bestreben, eine konsistente Theorie aufzubauen, in der Regel keineswegs hilfreich. Selbst explizite Wertungen können, solange sie keinen Niederschlag in präskriptiven Sätzen gefunden haben, weder eine Begründung für die Prämissen einer rechtlichen Theorie liefern noch in Widerspruch zu deren Aussagen geraten. Systeme rein Sätze und Systeme rein präskriptiver Sätze sind voneinander stets logisch unabhängig. Haben Aussagen ihren Niederschlag in präskriptiven Sätzen gefunden, dann tragen die Wertungen über die präskriptiven Sätze hinaus auch nichts mehr zur rechtlichen Theorie bei. Aussagen in dem bisher diskutierten Sinne sind für den Aufbau rechtlicher Theorien daher nicht weiter von Interesse. In der vorliegenden Untersuchung wird das Adjektiv ,normativ' deshalb aus dieser engen, terminologischen Verwendung gelöst und für sämtliche Aussagen präskriptiver oder Art - d.h. insbesondere für alle nicht rein deskriptiven Aussagen rechtlicher Sätze - verwendet. Der Begriff ,normative Aussage' ist Oberbegriff zu ,präskriptive Aussage'. 169
Β. Die rechtsdogmatischen Fragestellungen
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6. Ausarbeiten einer rechtlichen Theorie. Während die rechtsdogmatische Fragestellung ersten Typs gewissermaßen die Vorbedingungen jeder Theorieausarbeitung zu schaffen hat, gilt den Antworten auf die Fragen des zweiten und dritten Typs das eigentliche Interesse. a) Die Resultate zu Fragen des zweiten Typs geben (positiv) die Eigenschaften der betrachteten Rechtsordnung an. Mit ihnen werden die Konsequenzen aus den rechtlichen Voraussetzungen der betrachteten Rechtsordnung im einzelnen dargelegt. Hierbei handelt es sich um eine Aufgabe, die niemals abschließend zu erfüllen sein wird. Die Vollständigkeit der Darstellung ist ein nicht zu erreichendes Ziel. Darüber hinaus ist es in deduktiven Theorien aber auch immer so, daß die überwältigende Mehrzahl der logisch wahren Aussagen gar nicht interessant ist. Nur weil sich eine Aussage aus den Prämissen ableiten läßt, formuliert sie noch lange keine wissenswerte Eigenschaft der Rechtsordnung. Ebensowenig wie alle möglichen Rechtsordnungen lohnender Gegenstand einer Betrachtung wären, sondern man bei jeder rechtlichen Theorie auch die Motive ihrer Ausarbeitung zu reflektieren hat, wäre die Vollständigkeit der Ausarbeitung einer rechtlichen Theorie in dem Sinne, daß alle Konsequenzen der Prämissen anzugeben wären, ein lohnendes Ziel. Daß es sich bei den Resultaten einer rechtlichen Theorie um Konsequenzen aus ihren Prämissen zu handeln hat, ist eine Forderung der rationalen Überprüfbarkeit von Behauptungen. Ist sie erfüllt, bedeutet sie die Wissenschaftlichkeit der juristischen Tätigkeit, mit der diese Resultate gefunden und begründet werden. Um sie geht es in der vorliegenden Untersuchung. Mehr garantiert diese Forderung allerdings nicht. Ebenso wie bei den Prämissen hat sich der Rechtswissenschaftler auch bei den Resultaten einer Theorie die Frage zu stellen, welche interessant sind und welche nicht. Die Frage, ob die Darstellung einer Theorie vollständig sein kann, darf nicht mit der Frage verwechselt werden, ob eine Rechtsordnung in dem Sinne vollständig sein kann, daß sie jeden denkbaren Fall erfaßt. 170 Die letztere Frage ist gleichbedeutend mit derjenigen, ob die Prämissen einer rechtlichen Theorie so ergänzt werden können, daß sich aus ihnen für jeden Fall (über jede denkbare Handlung) ein rechtliches Urteil ergibt. Diese Frage ist bejahend zu beantworten. Man kann jede für sich allein noch nicht in diesem Sinne vollständige Prämissenmenge durch Hinzufügen der Regel ,Jede Handlung, die nicht auf Grund der bisherigen Prämissen verboten ist, ist erlaubt. 4 (bzw. 169 Vgl. auch Georg Henrik von Wright , Norm and Action, 1963, I. 2., S. 3 sowie derselbe, The Varieties of Goodness, 1963,1. 4., S. 6. 170 Man darf sie ebensowenig mit der oben unter 3. a) behandelten Vollständigkeit der Axiomatisierung einer Theorie verwechseln.
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
durch die komplementäre Regel Jede Handlung, die nicht auf Grund der bisherigen Prämissen erlaubt ist, ist verboten.') im Hinblick auf das Rechtmäßigkeitsurteil über Handlungen vervollständigen. Ganz entsprechend lassen sich das System der Ansprüche durch die Regel ,Kein Anspruch ohne Anspruchsgrundlage', das System der strafrechtlichen SanktionsVoraussetzungen durch die Regel , Keine Strafbarkeit ohne vorherige gesetzliche Bestimmung und Androhung' u.s.w. vervollständigen. 171 Damit ist nicht gesagt, daß eine solche brachiale Vervollständigung gerade bzgl. des Rechtswidrigkeitsurteils über Handlungen sinnvoll ist. Der Vorteil, daß eine solche Theorie für jede Handlung eine rechtliche Wertung bereit hält, kann durchaus dadurch aufgehoben werden, daß diese Wertung ohne inhaltlichen Bezug zur Handlung einfach nur willkürlich gesetzt wird. b) Die Resultate zu den Fragen des dritten Typs geben gewissermaßen als negative Eigenschaften einer betrachteten Rechtsordnung an, zu welchen Aussagen sich die Rechtsordnung neutral verhält (nicht zu verwechseln mit der Gesamtheit der Eigenschaften, welche die Rechtsordnung nicht hat). Auch das Gegenteil der Resultate zu Fragen des zweiten Typs gibt jeweils solche Eigenschaften an, ohne daß mit ihnen ein über die Antworten auf Fragen des zweiten Typs hinausgehender Erkenntnisgewinn verbunden wäre. Die Fragen des dritten Typs hingegen werden aus eigenem Recht gestellt. Mit ihnen werden Freiräume, in welchen die Rechtsordnung das rechtmäßige Verhalten unbestimmt läßt, geklärt. 172 Ihre Klärung fällt zusammen mit der Frage, welche Erweiterungen' diese Rechtsordnung zuläßt. Erweiterung' meint dabei die Ergänzung weiterer Normen (als Prämissen), was keineswegs mit einer Erweiterung des Handlungsspielraums der Rechtssubjekte zusammenfallen muß, aber mit einer solchen zusammenfallen kann. Resultate zu den Fragen des dritten Typs kann es nur dann geben, wenn die Prämissenmenge nicht in der Weise vervollständigt wurde, daß sie bereits jeden denkbaren Fall erfaßt. Gibt es solche Resultate, lassen diese sich aber ebensowenig vollständig darstellen wie die Resultate zu Fragen des zweiten Typs.
171
Vgl. Hans-Martin Rn. 61, S. 33.
Pawlowski , Methodenlehre für Juristen, 1. Aufl. 1981, §5
172 Daß das rechtmäßige Verhalten unbestimmt bleibt, bedeutet natürlich nicht, daß die Rechtmäßigkeit eines solchen Verhaltens unbestimmt bleibt. Daß dieses Verhalten rechtmäßig ist, wird im Begriff des rechtmäßigen Verhaltens ja gerade vorausgesetzt. Aber ein anderes als dieses Verhalten wäre in der betrachteten Situation eben auch rechtmäßig.
C. Anwendung rechtlicher Theorien
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C. Anwendung rechtlicher Theorien 1. Zweiteilung der Anwendung, a) Die Anwendung rechtlicher Theorien ist zweigeteilt'. Einerseits muß festgestellt werden, welche rechtliche Theorie anzuwenden ist, so daß die Prämissen dieser Theorie für alle Beteiligten verbindlich festliegen (gelten). Andererseits müssen die Resultate der Theorie, d.h. die im Zuge der Ausarbeitung der Theorie erkannten Konsequenzen aus ihren Prämissen, auf den jeweils vorliegenden konkreten Fall bezogen werden. Die Überprüfung, ob eine Theorie ihren Voraussetzungen nach auf eine Gruppe von Fragestellungen anwendbar ist, bzw. das Herbeiführen der Voraussetzungen für die Anwendbarkeit einer Theorie, und die Beantwortung einer konkreten Frage unter Verwendung der Theorie sind voneinander zu unterscheiden. Das ist nichts Ungewöhnliches, sondern gilt für jede Theorie und ist keine rechtliche Besonderheit. Wer z.B. eine physikalische Theorie zur Berechnung von Geschwindigkeiten anwenden möchte, tut gut daran, zunächst zu prüfen, ob die Größenordnung der zu erwartenden Geschwindigkeiten es erlaubt, sich auf die klassische Physik zu beschränken, oder ob eine relativistische Berechnung erforderlich ist. Eine Besonderheit der rechtlichen Theorien besteht aber darin, daß diese beiden Schritte nicht von demselben Subjekt durchzuführen sind. Dieses Prinzip ist heute vor allem als Ausprägung des Grundsatzes der Gewaltenteilung bekannt und hat sich als sinnvolle Vorkehrung gegen allzu leichte Manipulationen durch den Gesetzesanwender erwiesen. Weil die beiden Anwendungsschritte rechtlicher Theorien nicht in derselben Hand liegen sollten, muß man sie bei der Auseinandersetzung mit rechtlichen Theorien im allgemeinen zwingend voneinander unterscheiden. b) Der erste Anwendungsschritt geht nicht nur dem zweiten logisch voraus, sondern in gewisser Weise auch der Ausarbeitung der Theorie: Der Wissenschaftler, der eine Theorie ausarbeitet, muß die von ihm zu verwendenden Prämissen genauso fixieren, ehe er Schlußfolgerungen aus ihnen ziehen darf, wie sie fixiert worden sein müssen, ehe man anhand der Theorie etwas über einen konkreten Fall aussagen kann. Es wäre aber ein Irrtum, daraus zu schließen, daß der erste Schritt der Anwendung schon erfolgt sein muß, ehe die Theorie ausgearbeitet werden kann. (Was darauf hinausliefe, in rechtlichen Theorien doch nur geltendes Recht zu betrachten.) Die logische Struktur stimmt überein, keineswegs aber die praktische: Wer Prämissen fixiert, um aus ihnen Schlußfolgerungen zu ziehen, hat für letztere Zeit. Er hat außerdem Zeit, die Widerspruchsfreiheit seiner Prämissen zu überprüfen, kann sich also nach und nach vergewissern, ob seine Voraussetzungen sinnvoll 173 sind. Soll mit der Fixierung bestimmter Normen hinge-
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
gen ihre Geltung verbunden sein, dann ist damit gemeint, daß diese Normen fortan mit allen ihren Konsequenzen Anwendung finden. Das setzt - ohne daß sich die Überprüfung aufschieben ließe - voraus, daß die Normen tatsächlich sinnvoll (widerspruchsfrei) sind. Daraus ergeben sich zusätzlich zu den bereits oben 174 erörterten inhaltlichen Schwierigkeiten weitere, mit der logischen Struktur zusammenhängende Schwierigkeiten für die verbreitete Vorstellung, die einer rechtlichen Theorie zugrundezulegenden Normen hätten bereits vor der Ausarbeitung dieser Theorie zu gelten: (1) Eine Norm kann überhaupt nur dann allgemein gelten, wenn für ihre Adressaten irgendwann die Möglichkeit besteht, sich ihr gemäß zu verhalten, denn sie ist in jedem konkreten Fall nur dann anwendbar, wenn ihr Adressat aktuell die entsprechenden Möglichkeiten hat (impossibilium nulla obligatio est 175). Diese Regel bezieht sich zwar unmittelbar nur auf die tatsächliche Möglichkeit, sich der Norm gemäß zu verhalten, und nicht auf die Kenntnis des Handelnden von der Norm und ihrer Konsequenzen. Doch wenn noch gar keine rechtliche Theorie zu den gesetzten Prämissen ausgearbeitet worden ist, kennen nicht nur einzelne normunterworfene Individuen die Konsequenzen dieser Normen nicht, sondern niemand kennt sie (im Zeitpunkt des Erlasses). Niemand kann sein Verhalten konsequent nach diesen Normen ausrichten, und man kann auch keinem - außer dem Gesetzgeber - vorwerfen, sich schlecht informiert zu haben. Die Situation entspricht im Ergebnis - soweit es die Konsequenzen, nicht die Prämissen selbst betrifft - einer Promulgation nach der Art Kaiser Caligulas. Dieser Einwand hat unterschiedliches Gewicht, je nachdem wie weitgehend die Konsequenzen sind und wie schwierig es ist, sie aus den gesetzten Prämissen zu erkennen. Es gibt übersichtliche Normgefüge, bei denen die genannten Schwierigkeiten weniger stark oder gar nicht entstehen. Diese Normgefüge sind indes in der Regel gerade das Produkt langer Anstrengungen der Theoriebildung, in deren Verlauf die Prämissen immer wieder so verändert wurden, daß bei gleicher Aussagekraft der Theorie ihre Übersichtlichkeit stieg. Unterbleibt eine solche Auseinandersetzung mit den Normen, führt dies oft zu Normgefügen, die genau die genannten Schwierigkeiten aufwerfen. Man kann zwar nicht sinnvollerweise verlangen, daß diese Probleme gar nicht auftreten dürfen, d.h. alle (logischen) Konsequenzen zu setzender Nor-
173
Ob sie Uberzeugend motiviert sind, ist noch eine weitere Frage.
174
Siehe 1. Kapitel A. 5.
175
Celsus D.50.17.185 (siehe z.B. die Ausgabe Paul Krüger und Theodor Mommsen (Hrsg.), Corpus Iuris Civilis, Bd. 1, Digesta, 25. Aufl. 1993, S. 925); siehe hierzu auch Joachim Hruschka, Zwei Axiome des Rechtsdenkens, in: Aus dem Hamburger Rechtsleben, 1979, S. 459 ff. (I.).
C. Anwendung rechtlicher Theorien
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men bereits im voraus bekannt sein müssen. 176 Diese Forderung wäre regelmäßig unerfüllbar (und man hätte sich - nur um Vollständigkeit zu gewährleisten - mit einer Flut uninteressanter Konsequenzen zu beschäftigen). Je weitergehend aber die Konsequenzen der gesetzten Prämissen sind, desto weniger darf man annehmen, der Adressat dieser Normen könnte, auch ohne daß es eine ausgearbeitete Theorie zu diesen Prämissen gibt, sich den Normen entsprechend verhalten, und desto zweifelhafter wird es, von einer Geltung und Bindungswirkung dieser Normen zu sprechen. Wie weitgehend die Konsequenzen einzelner Prämissen sind, läßt sich aber regelmäßig überhaupt nicht abschätzen, ohne daß zuvor zumindest der Versuch unternommen wurde, eine rechtliche Theorie auf der Grundlage dieser Prämissen wissenschaftlich auszuarbeiten. Die Geltung der Konsequenzen aus einer Norm und die Geltung der Norm selbst sind nicht voneinander zu trennen. Deshalb sind Gesetze grundsätzlich kein geeignetes Instrument, um einzelne (isolierte) politische Ziele zu verwirklichen. (2) Die gleichen Probleme stellen sich im Hinblick auf die Widerspruchsfreiheit der festgesetzten Prämissen. Das ist an sich selbstverständlich; Widersprüche sind ja nichts anderes als spezielle Konsequenzen aus den Normen. Im Hinblick auf mögliche Widersprüche ist die Problematik aber besonders einschneidend, denn diese betreffen nicht mehr ,nur die Bürger', worüber ein institutionalisierter Gesetzgeber geneigt sein könnte hinwegzusehen, sondern stellen den Sinn der fixierten Prämissen insgesamt in Frage. Zuerst eine rechtliche Theorie auszuarbeiten und erst danach über den ersten Schritt ihrer Anwendung nachzudenken, ist vor allem auch um der Vermeidung von Widersprüchen willen der richtige Weg. c) Aus diesen Überlegungen ergibt sich eine zwingende Unterscheidung zwischen originärer und angewandter Beschäftigung mit dem Recht: Die Rechtswissenschaft hat auf der Anwendungsseite nichts verloren, ebensowenig wie der Gesetzgeber in den Voraussetzungen einer Theorie etwas verloren hat. 177 Die Rechtswissenschaft liefert durch den Aufbau von Theorien die ori-
176 Claus-Wilhelm Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983, § 3 I., S. 62 spricht von ,Offenheit des wissenschaftlichen Systems' bzw. einem , Systementwurf'. 177 So bereits Rudolph von Jhering, der dazu im Geist des römischen Rechts, Teil II/2, § 41 nichts an Klarheit zu wünschen übrig läßt: „Der Gesetzgeber soll nicht construiren, er greift damit in die Sphäre der Wissenschaft über, entkleidet sich seiner Autorität und Macht als Gesetzgeber und stellt sich mit den Juristen auf eine Linie. Haben nun zwar aus diesem Grunde die Constructionen des Gesetzgebers keine andere als doctrinäre Bedeutung, lassen sie sich mithin jeder Zeit durch die Jurisprudenz berichtigen und beseitigen, so sind sie darum doch nicht weniger bedenklich." (S. 371 f. der 4. Aufl. 1883) Vgl.
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ginären, aber abstrakten rechtlichen Einsichten. 1 7 8 Gesetzgebung und Rechtspraxis hingegen leisten beide die Anwendung dieser Theorie: die eine durch Auswahl und Umsetzung der Voraussetzungen, die andere durch das Fällen von Entscheidungen auf Grundlage derjenigen Theorien, deren Voraussetzungen v o m Gesetzgeber implementiert wurden. Es ist die Angelegenheit der Rechtswissenschaft, deduktive Theorien (in präskriptiven Sätzen) auszuarbeiten. Die Angelegenheit der Legislative ist es, unter verschiedenen möglichen Voraussetzungen zu wählen und die entsprechenden Vorschriften zur Geltung zu b r i n g e n . 1 7 9 Die Angelegenheit der Rechtspraxis (namentlich der Rechtsprechung) schließlich ist es, die Resultate der Theorie auf die jeweiligen Einzelfälle zu beziehen. Nur so k o m m t jeder von ihnen eine ihr angemessene Aufgabe z u , 1 8 0 und es w i r d darüber hinaus gleichzeitig das v ö l l i g berechtigte Kernanliegen Kelsens - die Entpolitisierung der Rechtswissenschaft 181 - umgesetzt, denn die Rechtswissenschaft bleibt frei von politischen Entscheidun-
dort insbesondere auch Fn. 515 auf S. 372, in der Jhering die hieraus folgende Kritik an Justinian übt. 178 Vgl. dazu auch Joachim Hruschka , Kann und sollte die Strafrechtswissenschaft systematisch sein?, JZ 1985, S. 8 und 10 (V. und VII.). 179
Hans Welzel schreibt in ähnlichem Zusammenhang: „In Wahrheit ist der Wissenschaft als vornehmste Aufgabe anvertraut, die sachlogischen Strukturen im Rechtsstoff herauszuarbeiten, die auch dem Gesetzgeber vorgegeben sind [...] Dieses Verhältnis zu Strukturen, an die auch der Gesetzgeber gebunden ist, gibt der Wissenschaft erst ihre volle Verantwortung gegenüber dem Recht, den Ernst ihrer Tätigkeit und den Glanz ihrer Würde: sie ist zu ihrem Teile Hüterin des Rechts gegenüber dem Gesetzgeber!" (Naturrecht und Rechtspositivismus, in: Festschrift für Hans Niedermeyer zum 70. Geburtstag, 1953, S. 291; Abhandlungen 1975, S. 284) Auch Welzel stellt klar, daß diese Aufgabenverteilung nicht unmittelbar die Frage der Geltung des gesetzten Rechts betrifft (S. 290 f., 293; Abhandlungen 1975, S. 283 f., 286). Ähnlich auch Nils Jansen, Dogmatik, Erkenntnis und Theorie im europäischen Privatrecht, ZEuP 2005, S. 755 (I. 1.). 180
Im übrigen lassen sich umgekehrt die vom Gesetzgeber zur Geltung gebrachten Vorschriften auch gar nicht anders verstehen als unter Rückgriff auf die rechtliche Theorie, zu der sie als Prämissen gehören. Vgl. dazu - unter hermeneutischem Blickwinkel und in der entsprechenden Terminologie - insbesondere Arthur Kaufmann , Durch Naturrecht und Rechtspositivismus zur juristischen Hermeneutik, JZ 1975, zitiert nach: derselbe , Beiträge zur Juristischen Hermeneutik, 1984, S. 84 f. (III.). 181 182
Vgl. dazu schon oben Fn. 48.
Handelt der Gesetzgeber so wie hier beschrieben, d.h. steht hinter den positivrechtlichen Normen tatsächlich eine geschlossene rechtliche Theorie, dann ist dies zugleich der beste Weg, die politischen Entscheidungen auch nicht auf die Gerichte abzuwälzen. Bernd Rüthers bemerkt „Gesetzestexte können bei der Rechtsanwendung benutzt werden wie Kleiderhaken, an denen durch die Richtersprüche wechselnde weltanschauliche Zeitmoden aufgehängt werden." (Wissenschaft und Weltanschauung am Beispiel der Jurisprudenz, 1995, Hypothese 11, S. 26) und gibt ein Beispiel aus dem Decretum Gratiani , canon 11 distinctio 96. Indem der Gesetzgeber die Prämissen einer rechtlichen
C. Anwendung rechtlicher Theorien
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2. Gesetzgeber und Rechtspraxis, a) Die Begriffe Gesetzgeber' bzw. L e gislative' und ,Rechtspraxis' bzw. Rechtsprechung' bezeichnen dabei einfach nur die Träger der jeweiligen Aufgabe, d.h. diejenigen, die den ersten bzw. den zweiten Anwendungsschritt zu vollziehen haben. Die obige Aufgabenzuordnung ist also zugleich als Definition dieser Begriffe zu lesen. Mit,Rechtspraxis' sind hier all diejenigen gemeint, die aus dem geltenden Recht die anzuwendende Theorie erkennen und aus ihr die Konsequenzen für den Einzelfall ziehen. Das sind in erster Linie die rechtstreuen Bürger, in zweiter Linie das staatliche Personal in Verwaltung und Rechtspflege. Die Rechtsprechung (klassisch als ,Richter' bezeichnet) nimmt dabei eine besondere Stellung ein: Einerseits hat sie nur eine nachrangige' Rechtsanwendung zu leisten, denn sie entscheidet Fälle im allgemeinen im nachhinein, und ihr fällt primär die Aufgabe der Korrektur von vorher begangenen Anwendungsfehlern (falscher oder unterlassener Anwendung) zu. Andererseits ist sie aber diejenige, welche die Absicherung der Prognosen realisieren kann und muß. Deshalb ist die Rechtsprechung vor der übrigen Rechtspraxis dadurch ausgezeichnet, daß sie als einzige institutionalisiert und zu konkreten Handlungen fähig sein muß. Nur so kann sie Rechtsfolgen tatsächlich aussprechen und umsetzen (vollstrecken). Auch für andere Teile der Rechtspraxis bietet es sich an, sie in gleicher Weise zu verfassen; begriffsnotwendig ist das jedoch nicht. Vor allem aber ist die Rechtsprechung der einzige Teil der Rechtspraxis, der den zweiten Anwendungsschritt vollständig reflektiert auszuführen hat. 183 Daher ist ihre Rolle für die gesamte Rechtspraxis paradigmatisch. Anhand der Rechtsprechung läßt sich die Rechtspraxis im Hinblick auf die Anwendung rechtlicher Theorien am besten studieren, weshalb die Begriffe Rechtsprechung' und ,Rechtspraxis' in der vorliegenden Untersuchung nahezu synonym verwendet werden. Vom Standpunkt der allgemeinen Untersuchung rechtlicher Theorien aus ist das dem Gesetzgeber zufallende Fixieren der Prämissen hingegen auf sehr Theorie und nicht mehr oder minder heterogene oder widerspruchsvolle Normen zur Geltung bringt, erreicht er, daß die Richter die Gesetzestexte nicht so benutzen müssen. 183 Daraus, daß die vorrangige Anwendung rechtlicher Theorien durch Menschen erfolgt, die sich für die Struktur wissenschaftlicher Theorien meist gar nicht und für ihren Inhalt in der Regel kaum interessieren, läßt sich übrigens weder ein Argument gegen die Theoriebildung als solche noch gegen axiomatische Theorien im besonderen gewinnen. Man führe sich nur vor Augen, welche Fortschritte die Kenntnisse der allgemeinen Bevölkerung seit dem 17. Jahrhundert, in dem Newton eine axiomatisierte Mechanik vorlegte (Isaac Newton, Philosophise naturalis principia mathematica, London 1686), auf dem Gebiet von Naturwissenschaft und Technik gemacht haben. Die wenigsten Menschen kennen diese oder eine andere physikalische Theorie als solche, doch ohne sie wäre auch das physikalische Wissen, das heute zur Allgemeinbildung gehört, nicht zu erwerben gewesen.
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
unterschiedliche Weise vorstellbar. Jede geltende Rechtsordnung setzt eine (ihre) Theorie der Geltung voraus, anhand derer zu bestimmen ist, welche Normen gelten. Diese Theorie der Geltung bestimmt auch jeweils darüber, wer konkret der Gesetzgeber ist. b) Einige - keineswegs abschließende - Beispiele für unterschiedliche Formen von Gesetzgebern mögen dies verdeutlichen: Der Gesetzgeber kann parlamentarische Form haben. Die Normunterworfenen selbst können (als autonome Individuen) Gesetzgeber sein, etwa indem sie Verträge schließen und Gewohnheitsrecht setzen. Der Gesetzgeber ist aber auch als objektives Abstraktum, etwa als praktische Vernunft' 1 8 4 vorstellbar. Entscheidend ist nur, daß er die Geltung der Prämissen herstellt (man könnte ihn auch ,Normgeber' oder ,Prämissensetzer' nennen) und die Rechtsprechung diese zu erkennen vermag. Inwieweit hierfür eine dezisionistisch agierende Institution wie ein Parlament (klassisch als ,Fürst' bezeichnet) erforderlich ist oder bestimmte Normen immer schon vorgegeben (etwa durch eine allen Menschen gemeinsame praktische Vernunft) und deshalb ,objektiv richtiges Recht ' sind, 185 hängt davon ab, was sich zur Motivation der betreffenden Normen anführen läßt. Die Erkenntnis, daß eine bestimmte Norm zum objektiv richtigen Recht gehört, müßte darin bestehen, daß man diese Norm mit zwingenden Gründen motivieren kann. Eine solche Begründung liegt genau dann vor, wenn sich die in Rede stehende Norm aus den Prämissen der maßgeblichen Theorie der Geltung logisch ableiten läßt. Ob und wann das möglich ist, ist also eine Frage der Theorie der Geltung und betrifft nicht die Struktur der hier untersuchten rechtlichen Theorien. Vom Standpunkt der letzteren sind Theorien der Geltung, welche die Erkenntnis von objektiv richtigem Recht zulassen, ohne weiteres möglich, 186 aber keineswegs notwendig. 187
184 Neben Immanuel Kants Kritik der praktischen Vernunft von 1788 vgl. dazu insbesondere das gleichnamige Werk Leonard Nelsons von 1916/1917 (darin vor allem §§ 29, 85 f., 177, 285 f., Gesammelte Schriften Bd. IV, S. 53, 133, 136, 367, 588 ff.). 185
Für letzteres plädiert vehement Leonard Nelson , Rechtswissenschaft ohne Recht, 1917, passim, insbesondere Einleitung, Gesammelte Schriften Bd. IX S. 132 f. Zu den sich in diesem Fall ergebenden ,Schranken' staatlicher Gesetzgebung und legitimer Machtentfaltung am Beispiel der Rechtslehre Kants vgl. B. Sharon Byrd , Two Models of Justice, JRE Bd. 1 (1993), insbesondere S. 47 ff. (I.). Siehe auch bereits im 1. Kapitel C. 9. 186 Im trivialen Fall setzt die Theorie der Geltung schon selbst die Norm, um deren Motivation es geht, als Prämisse voraus. 187
Es besteht „keineswegs [eine] Bindung an irgendein metaphysisches oder antimetaphysisches System", wie Ulrich Klug , Juristische Logik, 3. Aufl., 1966, IV. § 17, S. 173 das ausdrückt (Hervorhebungen im Original).
C. Anwendung rechtlicher Theorien
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Denkt man an Normen wie das Rechts- oder Linksfahrgebot (oder gar Verordnungen über die Beschaffenheit von Flüssigkeiten, die unter der Bezeichnung ,Bier' im Geschäftsverkehr verkauft werden dürfen), erscheint es allerdings kaum vorstellbar, daß sich in irgendeiner Rechtsordnung je alle Normen auf solch starke Weise motivieren lassen. Deshalb ist wohl davon auszugehen, daß die Aufgabe des Gesetzgebers stets zumindest teilweise von einer zu ebenso konkreten Handlungen fähigen Institution wie der Rechtsprechung (z.B. einem Parlament) wahrgenommen werden muß. c) Praktisch häufig ist der Fall der Gewaltenverschränkung zwischen Rechtsprechung und Gesetzgeber (z.B. unter der Bezeichnung Richterrecht), d.h. der Zuweisung gesetzgeberischer Aufgaben an die Rechtsprechung. Dies ist immer ein Verstoß gegen das Prinzip, verschiedene Subjekte mit den beiden Anwendungsschritten zu betrauen und birgt stets Mißbrauchsgefahren. In der Struktur rechtlicher Theorien gibt es aber keine Gründe, die eine solche Verschränkung ausschließen würden. Insbesondere dann, wenn - was in der Regel der Fall ist - ausgewiesene Fachleute mit der Rechtsprechung betraut werden, können die Vorteile einer solchen Verschränkung die mit ihr verbundenen Gefahren durchaus überwiegen, zumal der Gesetzgeber kaum je alle zu entscheidenden Fälle gezielt mit geltenden Normen erfaßt haben wird. Dabei lassen sich zwei in ihrer Intensität stark unterschiedliche Formen der Gewaltenverschränkung voneinander trennen: Einerseits kann der Rechtsprechung (z.B. durch das Prinzip der Verbindlichkeit von Präzedenzentscheidungen) die Setzung künftig geltender Prämissen zukommen. Andererseits kann der Rechtsprechung bei der Entscheidung des jeweils aktuellen Falles die ad hoc-Ergänzung der geltenden Prämissen um weitere Prämissen zukommen. Das erste Verfahren ist das des common law, das zweite begegnet uns z.B. in Form von Analogieschlüssen und Art. 1 Abs. 2 des schweizerischen ZGB, der die Richter in Ermangelung einschlägiger Vorschriften ermächtigt, nach den Regeln zu entscheiden, die sie als Gesetzgeber selbst aufstellen würden. Art. 1 Abs. 2 schZGB ist eine angenehm klare Regelung, die besagt, daß das Gericht die rechtliche Theorie, auf Grund derer es den Fall entscheiden wird, innerhalb des vom positiven Recht vorgegebenen Rahmens selbst wählen darf. Das ist im übrigen durchaus keine erstaunliche Vorschrift, denn wenn das geltende Recht tatsächlich keine den Fall erfassende Regel enthält 188 und das Gericht dennoch den Fall entscheiden soll, wird ihm gar nichts anderes übrig bleiben, als selbst eine rechtliche Theorie auszuwählen. Ungewöhnlich an Art. 1 schZGB ist nur, daß er diese Situation offen anspricht und den Gerichten sogar noch Leitlinien mit auf den Weg gibt. 188 Das kann der Fall sein, wenn nicht ein Satz der Art ,Kein Anspruch ohne Anspruchsgrundlage' gilt und einschlägig ist (siehe dazu im 2. Kapitel B. 6. a) ).
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
3. Rechtswissenschaft . a) In dieser Rollenverteilung zwischen der Theorien entwickelnden Rechtswissenschaft einerseits sowie Gesetzgeber und Rechtspraxis andererseits, die beide - in zwei ganz unterschiedlichen Funktionen - an der Anwendung rechtlicher Theorien mitwirken, kommt die Aufgabe rechtlicher Theorien besonders deutlich zum Ausdruck: In ihnen soll der Wissenschaftler nicht - obwohl das Wort heute häufig genau so verwendet wird - mittels einzelner isolierter Thesen darauf reagieren, daß eine einzelne Vorschrift des positiven Rechts seines Erachtens unklar formuliert ist oder daß ihm einzelne Regelungen des positiven Rechts mißbehagen. Er soll in ihnen vielmehr eine konsistente, möglichst umfassende und anwendbare Lösung eines rechtlichen Problemkreises - d.h. die Ausgestaltung eines Rechtsgebiets - vorlegen. Dabei ist es natürlich nicht die Aufgabe jedes einzelnen Wissenschaftlers, das Rad immer wieder neu zu erfinden. Er wird sich meist auf die Mitarbeit an der Fortentwicklung bereits vorhandener und oft schon (zumindest teilweise) mit Geltung ausgestatteter Theorien konzentrieren. Dabei ist es selbstverständlich legitim, sich nur zu einzelnen Detailproblemen zu äußern. Solche Stellungnahmen sind aber eben allein keine Theorien. Man kann sich auch nicht sinnvoll mit ihnen als Theorien beschäftigen. Es sind vielmehr einzelne Bemerkungen zu einer Theorie. Diese können geistvoll, hilfreich und wert sein, von anderen Wissenschaftlern fortan als Bestandteil der gemeinsam entwickelten Theorie angesehen zu werden. Sie dürfen aber nicht mit der Theorie selbst verwechselt werden, oder die Wissenschaft verliert ihre Zielsetzung aus dem Auge. b) Aus der hier dargestellten Aufgabenverteilung ergibt sich auch der einzig sinnvolle Begriff einer ,herrschenden Meinung' : Eine wissenschaftliche Auffassung herrscht genau dann, wenn (und nur soweit wie) sie in einer herrschenden Theorie' ausgedrückt ist. Eine Theorie herrscht genau dann, wenn ihre Prämissen vom Gesetzgeber mit Geltung versehen wurden, und genau so lange wie dieser geruht, es dabei zu belassen. Allein daß viele Wissenschaftler einer Meinung sind, mag ein gedeihliches Arbeitsklima begründen, aber keine Herrschaft. 4. Geltendes Recht und Widerspruchsfreiheit . Für die Rechtsprechung entstehen besondere Probleme bei der Feststellung der vom Gesetzgeber ausgewählten rechtlichen Theorie dadurch, daß niemand einen Souverän daran hindern kann, widersprüchliche Vorschriften zu erlassen. Zu widersprüchlichen Vorschriften paßt unmittelbar überhaupt keine rechtliche Theorie, auf die sich die Rechtsprechung stützen könnte. Juristen fühlen sich deshalb oft ohne weiteres berechtigt, die Widerspruchsfreiheit des Rechts herzustellen, z.B. durch Konstruktion von Pflichtenkollisionsregeln oder durch eine Dogmatik zur Abgrenzung von Fallgruppen bzw. Rechtsinstituten voneinander. Das erstge-
C. Anwendung rechtlicher Theorien
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nannte Vorgehen bedeutet, einen präskriptiven Satz auf metasprachlicher Ebene 189 oberhalb der kollidierenden Normen zu den vorausgesetzten Normen hinzuzufügen. Das zweite Vorgehen bedeutet, unter den in Betracht kommenden Normen eine Auswahl zu treffen und letztlich auf den Fall nur noch einen Teil der einschlägigen Normen anzuwenden. Zu behaupten, man würde hier das Recht irgendeinem Willen irgendeines Gesetzgebers entsprechend anwenden (und zwar das ganze von ihm gesetzte Recht) läuft auf einen glatten Selbstbetrug hinaus. Tatsächlich werden die anzuwendenden Normen ausgewählt oder neue ,hinzugedichtet'. Das ist vollkommen unvermeidbar, soll in diesen Situationen überhaupt irgend etwas vom geltenden Recht angewendet werden. Wenn eine geltende Rechtsordnung Widersprüche enthält, können ihre Rechtssätze nicht vollständig und ausschließlich' in eine rechtliche Theorie aufgenommen werden, d.h. nicht ohne einige von ihnen fortzulassen oder zusätzliche Rechtssätze (nämlich Kollisionsregelungen) hinzuzufügen. Um sich davon zu überzeugen, daß auch unser geschriebenes Recht momentan nicht frei von Widersprüchen ist, genügt es, im Strafgesetzbuch nach einer allgemeinen Pflichtenkollisionsnorm zu suchen und sich, nachdem man sich vom Mangel einer solchen gesetzlichen Vorschrift überzeugt hat, zu fragen, ob es einen außergesetzlichen Rechtssatz diesen Inhalts gibt. Man wird nichts Derartiges finden, obwohl es Situationen gibt, in denen sich aus dem Strafgesetzbuch Pflichten ergeben, die nicht alle zugleich erfüllbar sind. Selbstverständlich gehen Strafrechtler (völlig zurecht) davon aus, daß es Pflichtenkollisionsnormen gibt. Aber ihr Anwendungsbereich und ihr genauer Inhalt sind weit davon entfernt, klar und bekannt zu sein. (Man ist sich nicht einmal darüber einig, ob Unterlassungspflichten kollidieren können.) Wir verfügen über verschiedene, teils sehr gute Vorschläge zur Behebung dieses Mangels, nicht aber über einen präskriptiven Satz, von dem sich zutreffend sagen ließe, er gebe das geltende Recht wieder. Dieser Zustand ist keineswegs ein Fehler der Strafrechtler, sondern beruht auf der Natur des Verhältnisses von positiv geltenden Rechtssätzen und rechtlichen Theorien sowie dem Umstand, daß Rechtswissenschaftler rechtliche Theorien, nicht aber unmittelbar das geltende Recht auszuarbeiten haben. 5. Anwendung des geltenden Rechts. Auch wenn sich nicht alle Rechtssätze einer geltenden, widerspruchsbehafteten Rechtsordnung gemeinsam in eine rechtliche Theorie aufnehmen lassen, ohne daß Regeln hinzugefügt werden, die diese Widersprüche auflösen, so kann aus der Rechtsordnung doch ein konsistenter Teil an Vorschriften übernommen und zum Ausgangspunkt einer eigenen Theorie gemacht werden. Ebenso kann man eine inkonsistente 189
Dazu genauer 3. Kapitel E. I.
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Kapitel 2: Ausarbeiten und Anwenden rechtlicher Theorien
Gruppe von Vorschriften zusammen mit Regelungen, die diese Widersprüche auflösen, zum Ausgangspunkt einer rechtlichen Theorie wählen. Auf diese Weise läßt sich immerhin jeder Teil , also insbesondere jeder Rechtssatz einer geltenden Rechtsordnung behandeln. Pointiert formuliert ist jede geltende Rechtsordnung deshalb ein Steinbruch', aus dem Teile herauszugreifen sind, ehe eine wissenschaftliche Behandlung ebenso wie eine Anwendung überhaupt möglich werden. Der Wissenschaftler, dem es um die Fortentwicklung seiner Theorien mit dem Ziel größerer konsistenter Normgefüge und Freiheitsspielräume für die Rechtsunterworfenen geht, hat bei dieser Auswahl wissenschaftliche Freiheit. Über diesen Luxus verfügt der Anwender des Rechts, der Entscheidungen in konkreten Fällen zu treffen hat, nicht. Er darf keine eigene (vom Standpunkt der Anwendung aus willkürliche) Auswahl aus den vorhandenen Vorschriften treffen, und zwar selbst dann nicht, wenn diese Widersprüche in sich bergen. Gleichzeitig läßt sich seinem Problem prinzipiell nicht mit Mitteln der Logik begegnen. Allein auf der Grundlage der widersprüchlichen Vorschriften kann keine Entscheidung gefällt werden, wie ihre Widersprüchlichkeiten aufzuheben sind. Das sagt gerade der Satz „Ex falso sequitur quodlibet.". Es kann kein allgemeines Verfahren zur ,Konsistentifizierung' widersprüchlicher Prämissen geben. Regeln für die Auswahl der nichtigen' Rechtssätze aus der Gesamtheit einer positiven Rechtsordnung, um sie einer Entscheidung zugrunde zu legen, können nur in Form einzelner Metaregeln für die Kollisionen entwickelt werden. Heute allgemein anerkannte derartige Regeln sind z.B. „Lex posterior derogat legi priori." und „Lex specialis derogat legi generali.". Diese Metaregeln gehören aber nicht mehr in die eigentliche Rechtswissenschaft (immer im Sinne von Rechtsdogmatik), sondern in ihre Methodenlehre. Vom Standpunkt der Rechtswissenschaft aus sind sie vorwissenschaftlich, was nicht ausschließt, daß auch die Methodenlehre selbst wissenschaftlich betrieben wird.
Kapitel
3
Bestandteile rechtlicher Theorien Die bisherige Analyse rechtlicher Theorien bezog sich auf ihre logische Struktur. Die Prämissen rechtlicher Theorien und Folgerungen aus ihnen wurden unterschieden und der Gegenstand der Rechtswissenschaft als abstrakter, durch diese Prämissen konstituierter Gegenstand vorgestellt, hinter dem gleichwohl konkrete Objekte - wie z.B. Handlungen - stehen können. Eine weitere Differenzierung innerhalb des Gegenstandsbereichs erfolgte dabei nicht. Als unmittelbare Gegenstände rechtlicher Theorien wurden nur mögliche Rechtsordnungen behandelt, also die ,großen' Gegenstände, die man durch Ausarbeitung der ganzen rechtlichen Theorie insgesamt betrachtet und denen man im Zuge der Anwendung einer Theorie zu Geltung, Konkretisierung und Durchsetzung verhilft. Eine weitere Differenzierung, d.h. ein Eingehen auf ,kleinere', spezielle' Gegenstände hätte nichts beigetragen zu einer Antwort auf die Fragen, in welchem Sinne ,das Recht' Gegenstand einer normativen (präskriptiven) Wissenschaft sein kann und was die Ausarbeitung und Anwendung rechtlicher Theorien allgemein bedeutet. Innerhalb einzelner Rechtsgebiete - d.h. in einem zusammenhängenden Teil einer Rechtsordnung - geht es aber jeweils um eigene, spezielle Gegenstände ; im Gesellschaftsrecht z.B. um Gesellschaften und diverse einzelne Gesellschaftsformen. Es ist nicht vorauszusetzen, daß alle rechtlichen Theorien eine bestimmte Zielsetzung verfolgen (mit Ausnahme des Ziels, Handlungen zu betrachten). 190 Dennoch können die jeweiligen Zielsetzungen für das Verständnis und die Struktur rechtlicher Theorien von erheblicher Bedeutung sein. Die besonderen Zielsetzungen finden ihren Ausdruck in den speziellen Gegenständen der Theorie. Auch wenn man nicht voraussetzen darf, daß mit jeder rechtlichen Theorie eine bestimmte Zielsetzung verfolgt oder ein bestimmter spezieller Gegenstand (bis auf Handlungen im allgemeinen) untersucht wird, läßt sich immerhin formal beschreiben, wie die Betrachtung spezieller Gegenstände einer rechtlichen Theorie strukturiert ist, wenn solche betrachtet werden (was praktisch immer der Fall ist). Genau dies wird hier durch die Einführung und Darstellung des Modellkonzepts erfolgen. Die Rolle der Mo190
Vgl. 1. Kapitel C. 2. und 3.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
delle innerhalb einer rechtlichen Theorie entspricht der Rolle der speziellen Gegenstände bei einer rechtlichen Betrachtung. Diese speziellen Gegenstände werden ihrerseits durch rechtliche Normen bestimmt, die innerhalb der Theorie den Status von Prämissen haben.191 Daher sind auch diese Gegenstände von einem formalen Standpunkt aus als abstrakt anzusehen. Man verbindet mit ihnen aber meist sehr konkrete Vorstellungen; jedermann hat ein mehr oder minder präzises Bild davon, was eine Gesellschaft, eine Handlung etc. ist. Deshalb lassen sie sich in der Regel unmittelbar auf die Realität beziehen und als Bezeichnung für einen Lebenssachverhalt auffassen, obwohl es sich formal um abstrakte Gegenstände handelt. Findet man mehr darüber heraus, wie spezielle Gegenstände rechtlicher (Teil-) Theorien verfaßt und entwickelt werden, wie die Prämissen und Resultate, die einen speziellen Gegenstand bestimmen, in anderen rechtlichen Sätzen verwendet werden und wie der Zusammenhang zwischen speziellen Gegenständen und der Außenwelt entsteht, dann sind dadurch Einsichten in die innere Struktur rechtlicher Theorien zu erwarten. Um diese Fragen wird es deshalb im folgenden gehen.
A. Betrachtungsweisen und Modelle 7. Positivistische und konstruierende Betrachtungsweise. Gegenstände insbesondere die hier ,speziell' genannten - können prinzipiell auf zweierlei unterschiedliche Art verfaßt (vorgegeben) sein: Sie können positive, d.h. bereits vorhandene, natürlich oder von fremder Hand vorgegebene Objekte der Untersuchung sein. Sie können aber auch geistige Konstruktionen sein; dann gibt derjenige, der die Theorie entwickelt oder wenigstens gedanklich nachvollzieht, sich die Gegenstände durch Setzen der Prämissen der Theorie - im Gegensatz zu den im obigen Sinne positiven Gegenständen - selbst vor. Der Unterschied sei am Beispiel der Theorie der Genossenschaften verdeutlicht: Man kann sich Genossenschaften einerseits als vorgegeben denken. Es gibt Menschen, die sich zusammentun, um bestimmte Probleme mit gemeinsamen Einrichtungen, Verfahren oder Beschäftigten zu lösen. Diese Menschen handeln dabei - insbesondere, wenn sie gemeinsame Entscheidungen treffen, in Kontakt zu Dritten treten oder Kosten umlegen - nach mehr oder minder einheitlichen Regeln und werden meist davon überzeugt sein, daß die191
Und auch ihre näheren Eigenschaften werden in Form von Resultaten der Theorie (und zwar derjenigen Resultate, die sich nur auf diesen speziellen Gegenstand beziehen) im einzelnen dargelegt.
Α. Betrachtungsweisen und Modelle
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se Regeln sie binden. Das Verhalten dieser Menschen - oder der über ihre Fälle entscheidenden Richter - kann den Gegenstand einer rechtlichen Theorie der Genossenschaften bilden (nämlich soweit es nicht soziologisch oder psychologisch als äußeres Faktum untersucht wird, das es zu beschreiben, systematisieren und prognostizieren gilt, sondern als Ausdruck von Rechtsüberzeugungen, als in die Tat umgesetzte Normen). Eine solche Sichtweise auf einen (speziellen) Gegenstand einer rechtlichen Theorie soll positivistische oder realistische Betrachtungsweise heißen. 192 Ihre wesentliche Eigenschaft ist, daß die dabei untersuchten Normen als von fremder Hand vorgegeben angesehen werden und insoweit äußeren Tatsachen gleichen. Diese vorgegebenen Normen werden dabei in der Regel - wie hier im Beispiel - auch aus äußeren Tatsachen erschlossen, 193 doch das ist nicht notwendigerweise der Fall. Andererseits sind Genossenschaften auch als rechtliche Konstrukte vorstellbar. Es gibt sie dann nur, wenn und weil das Gesellschaftsrecht diese Rechtsform vorsieht (und zwar unabhängig davon, ob auch nur eine einzige solche Gesellschaft tatsächlich gegründet wurde), und sie sind so (d.h. sie haben die Organe, Handlungsmöglichkeiten, Rechtsmacht, Rechtspersönlichkeit etc.), wie das Gesellschaftsrecht sie vorsieht (und zwar unabhängig davon, wie sich irgendwelche eingetragenen Genossenschaften im Rechtsverkehr tatsächlich verhalten). Diese Betrachtungsweise soll konstruierende 194 oder ra192 Es gibt so viele verschiedene und teils konträre Verwendungsweisen der Begriffe positivistisch' und »realistisch4 (sowie der sogleich einzuführenden Begriffe ,konstruierend' und nationalistisch'), die sich nicht nur von Disziplin zu Disziplin unterscheiden, sondern auch innerhalb einer Disziplin von Thema zu Thema, oft innerhalb derselben Auseinandersetzung von Autor zu Autor und manchmal sogar bei demselben Autor von Phase zu Phase wechseln, daß man die Begriffsbestimmungen hier wirklich als solche nehmen muß und es leider nicht einmal ausgeschlossen ist, daß sie in einem anderen Text das genaue Gegenteil bedeuten. Den eindeutigen, ,richtigen' Gebrauch dieser Wörter gibt es nicht. Einen Überblick über einige Positivismusbegriffe aus anderen Wissenschaften vermittelt z.B. Dietrich Tripp, Der Einfluß des naturwissenschaftlichen, philosophischen und historischen Positivismus auf die deutsche Rechtslehre im 19. Jahrhundert, 1983, in den ersten fünf Kapiteln. Er stellt danach auch verschiedene Formen von Rechtspositivismus vor. 193
Kelsen z.B. legt großen Wert auf die tatsächliche Wirksamkeit der auf Grundlage der Reinen Rechtslehre untersuchten Normen. Diese Voraussetzung relativiert er später teilweise, nimmt sie aber nicht zurück (vgl. insbesondere Allgemeine Theorie der Normen, 1979, 1. Kapitel VII., S. 3 f., wo er ausdrücklich feststellt, daß eine unwirksame Norm ihre Geltung verliere, sowie 34. Kapitel II., S. 112). 194
Die Begriffe Konstruktion' bzw. konstruierend' werden hier weniger ihres philosophischen Gebrauchs wegen verwendet (wo es auch ,konstruktiv' bzw. konstruktivistisch' hieße) als vielmehr deshalb, weil sie in der Rechtswissenschaft traditionell so verwendet werden, wie dies hier geschieht. Vgl. dazu z.B. Rudolph von Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil II/2, wo als Fundamental-Operationen der juristischen Technik die „juristische Analyse", die „logische Concentration" und die „juristische Construe-
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
tionalistische Betrachtungsweise genannt werden. Ihre wesentliche Eigenschaft ist, daß die dabei untersuchten Normen selbstgesetzt sein bzw. als selbstgesetzt angesehen werden können. Diesen Unterschied gibt es in der Rechtswissenschaft bei praktisch jedem betrachteten speziellen Gegenstand. Er ist bekannt als Streit diverser - im einzelnen weiter differenzierter - Schulen mit unterschiedlichen Antworten auf die Frage, was ,das Recht' (das von ihnen allen unkritisch als Gegenstand der Rechtswissenschaft vorausgesetzt wird) eigentlich ist, namentlich als Streit zwischen Rechtsrealisten, Rechtspositivisten, Anhängern der Historischen Schule, der Begriffsjurisprudenz, des Naturrechts, des Vernunftrechts, um nur einige Gruppen zu nennen. Abgesehen von den Besonderheiten in der Bezeichnung dieser Gruppen unter den Juristen ist der zugrundeliegende Unterschied aber keine Besonderheit der Rechtswissenschaft. Er ist ein erkenntnistheoretisch fundamentaler Unterschied zweier möglicher Arten, sich die Gegenstände einer Betrachtung vorgegeben zu denken, und deshalb in diversen Wissenschaften immer wieder anzutreffen. Es gibt allerdings Wissenschaften, die ihre Objekte regelmäßig nur auf eine dieser möglichen Arten betrachten: Der Realwissenschaftler (namentlich der klassische Physiker, nicht mehr ohne weiteres der moderne theoretische Physiker) betrachtet seine Objekte positivistisch. Der Mathematiker hingegen kann seine Gegenstände nimmt er sie als mathematische Objekte ernst - nur rationalistisch betrach-
tion" genannt werden (2. Buch 1. Abschnitt III. A. II. II. - §§ 39-41 - , insbesondere § 41, S. 359 f., 370 ff. der 4. Aufl. 1883). Ein entsprechender Wortgebrauch besteht in der Rechtswissenschaft auch heute, wobei auf Details der jeweiligen Definition zu achten ist. Von der „konstruktiven Jurisprudenz" Nils Jansens, Dogmatik, Erkenntnis und Theorie im europäischen Privatrecht, ZEuP 2005, S. 765 (II. 2.) etwa unterscheidet sich die konstruierende Betrachtungsweise, indem sie keineswegs auf „einzelne, gedanklich unverbundene Rechtsnormen" beschränkt ist, sondern vielmehr regelmäßig einen eigenen (nicht notwendig neuen) „begrifflich-systematischen Rahmen" entwickeln wird. 195 Dem stehen auch aktuelle Ansätze vor allem in der amerikanischen Philosophie der Mathematik, deren Vertreter sich als ,Realisten' bezeichnen und mit der Anwendbarkeit mathematischer Methoden in physikalischen Theorien argumentieren, nicht entgegen (siehe dazu z.B. Michael D. Resnik, Mathematics as a Science of Patterns, 1997, insbesondere Part One, Chapter 3, S. 41 ff. mit weiteren Hinweisen). In ihnen wird jeweils aus dem Nutzen der rationalen Konstruktion ihre Realität geschlossen. Ob (und unter Voraussetzung welchen Realitätsbegriffs) ein solcher Schluß sinnvoll ist, spielt hier keine Rolle. Jedenfalls würde es, selbst wenn die These zuträfe, nicht bedeuten, daß der Mathematiker bei der Entwicklung seiner Konstruktionen diese auch schon als vorgegeben voraussetzt. Der Mathematiker setzt seine Axiome prinzipiell frei (eingeschränkt nur durch das Erfordernis der Widerspruchslosigkeit) und bestimmt durch sie die dann im Zuge der Entwicklung der Theorie mühsam zu deduzierenden Konsequenzen.
Α. Betrachtungsweisen und Modelle
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2. Unterscheidung von Gegenständen nach der Betrachtungsweise, a) Die beiden Betrachtungsweisen , eines4 Gegenstandes sind nicht ohne weiteres Betrachtungsweisen desselben Gegenstandes. Wer Genossenschaften als tatsächliche Personengesamtheiten, Rechtsüberzeugungen, rechtliche Überlieferungen oder ähnliches untersucht, betrachtet etwas anderes als derjenige, dessen Genossenschaft zumindest gedanklich davon unabhängig ist, ob sie gegründet wurde, ob die Mehrheit der Beteiligten über die betreffenden Regelungen irrt und ob die Normen historisch gewachsen und dokumentiert sind. Streng genommen ergeben sich deshalb je nach Betrachtungsweise unterschiedliche Gegenstände, die lediglich (in der Regel) dieselbe Bezeichnung tragen (z.B. Genossenschaft). 196 b) Dies hat auch unmittelbar Auswirkungen auf die jeweils entwickelte Theorie. Nachdem in der vorliegenden Untersuchung der Möglichkeit hypothetisch-deduktiver Theoriebildung nachgegangen wird, die angestrebte Theorie also unabhängig davon, welche der beiden verschiedenen Betrachtungsweisen von Gegenständen gewählt wird, einen in (hinreichende) Prämissen und (notwendige) Folgerungen gegliederten Aufbau haben soll, spiegelt diese stets gleiche logische Struktur der Theorie jeweils unterschiedliche Teile der Betrachtung des Gegenstandsbereichs wieder: (1) Für konstruierende Betrachtungen gibt sie eine vollständige Begründung der Resultate, denn sie umfaßt den selbstgesetzten Ausgangspunkt der Überlegungen und die sich aus diesem ergebenden Konsequenzen. Die Prämissen führen die inhaltlichen Vorgaben der Betrachtung in die Theorie selbst ein. Durch gedankliches Nachvollziehen der Begründung der Resultate wird die ursprüngliche Betrachtung wiederholt (in der Regel nur zügiger, mit weniger Irrwegen und weniger mühevoll, als das Ausarbeiten der Theorie verlief). Die Theorie stellt ihren Gegenstand und die an ihm gewonnenen Erkenntnisse - also die ganze Betrachtung - dar, nur nicht ihre Motivation. (2) Bei einer positivistischen Betrachtung ist das anders. Die Prämissen können den Gegenstand nur nachbilden, nicht originär schaffen. Die materi196
Die Unterscheidung in ,selbstvorgegebene' (rationalistisch betrachtete) und ,nicht selbstvorgegebene' (positivistisch betrachtete) Gegenstände ist dichotom und damit vollständig. Sie ließe sich aber natürlich weiter differenzieren. Unterschiede man z.B. außerdem noch danach, ob (a) bestimmte tatsächliche Personengesamtheiten, (b) Rechtsüberzeugungen bestimmter Personen, (c) auf bestimmte Weise autorisierte oder begründete Konstruktionen etc. den Gegenstand einer Untersuchung bilden, so ließen sich entsprechend weitere Betrachtungsweisen voneinander trennen. Je nachdem, wie viele Betrachtungsweisen unterschieden werden, ergeben sich auch entsprechend viele unterscheidbare Gegenstände. Die beiden hier dargestellten Betrachtungsweisen lassen sich deshalb als Schema zur Klassifikation möglicher Betrachtungsweisen auffassen, das für die folgenden Überlegungen aber völlig ausreichend ist.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
eilen Vorgaben der Betrachtung bleiben deshalb notwendig außerhalb der Theorie. Die Theorie ist hier nur eine Form der Darstellung der gewonnenen Erkenntnisse , und nur insoweit stimmt sie mit einer konstruierenden Betrachtung überein. Sie kann ihren Gegenstand selbst nicht umfassen. Die Prämissen führen lediglich einzelne relevante Eigenschaften dieses Gegenstandes in die Theorie ein. Die Theorie führt die gewonnenen Erkenntnisse auf diese Eigenschaften zurück. Sie stellt die Betrachtung des Gegenstandes also insoweit dar, wie sich die Erkenntnisse aus diesen Eigenschaften ergeben. Den Teil der Betrachtung aber, der zur Einsicht dieser Eigenschaften geführt hat, vermag sie auf Grund ihrer logischen Struktur prinzipiell nicht zu erfassen. Dies führt regelmäßig zu dem Vorwurf, „daß eine logisch stringente Axiomatisierung die komplexen Ereignisfelder außerphysikalischer Erfahrungsbereiche stark ,verkürzt 4 , merkmalsverarmt, und daß die axiomatische Methode, konsequent angewendet, letztlich hindrängt zum inhaltsleeren Formalismus." 197 Dieser Vorwurf wäre indes nur dann berechtigt, wenn die Theoriebildung zu etwas hypostasiert würde, das sie nicht ist, nämlich dem einzigen Verfahren zur Betrachtung eines Gegenstandes. Es mag sogar so sein, daß die hypothetisch-deduktive Theorie die einzig mögliche wissenschaftliche Darstellung der Resultate einer Betrachtung ist und Betrachtungen nur insoweit als wissenschaftlich gelten dürfen, als sie zu einer solchen Theorie führen. Ob das so ist, hängt davon ab, was man unter dem Wort Wissenschaft' versteht, und diese Frage ist nicht Teil der vorliegenden Untersuchung. Selbst dieser engste Wissenschaftsbegriff könnte aber nichts daran ändern, daß die in positivistischer Herangehensweise entwickelte Theorie stets Betrachtungen voraussetzt, die sich nicht hypothetisch-deduktiv darstellen lassen und man deshalb - solange positivistisches Vorgehen möglich sein soll - Wissenschaftler nicht sinnvoll auf die enge Tätigkeit der eigentlichen Theoriebildung beschränken kann. Daß der Teil wissenschaftlicher Tätigkeit, der in Theoriebildung besteht, zu „inhaltsleerem Formalismus" würde, ist zwar nicht falsch, verfehlt aber den entscheidenden Punkt: Die Theorie stellt den Teil einer Betrachtung dar, der sich anhand der allgemeingültigen logischen Ableitungsregeln 198 nachvollziehen läßt und von dessen innerer 199 197
Herbert Stachowiak , Rationalismus im Ursprung, Die Genesis des axiomatischen Denkens, 1971, 1. Kapitel, S. 3, Hervorhebung im Original. 198
Axiome und Ableitungsregeln (auch Deduktions-, Schluß- oder Transformationsregeln genannt) sind zu unterscheiden (vgl. dazu z.B. Rudolf Carnap, Logische Syntax der Sprache, 1934, I.B. 10., S. 25) und - wenn man ein formales System entwickeln möchte - jeweils vollständig anzugeben. (Ein formales System besteht aus einer formalen Sprache, einer Axiomenmenge - den Prämissen - und Ableitungsregeln.) In der vorliegenden Untersuchung geht es aber weder um die Darstellung eines formalen Systems noch um eine allgemeine Erörterung derselben. Ein vertieftes Eingehen auf Ableitungsregeln würde die vorliegende Diskussion der allgemeinen Möglichkeit einer
Α. Betrachtungsweisen und Modelle
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Richtigkeit man sich deshalb mit einem Höchstmaß an Gewißheit überzeugen kann. Die Ausdrücke inhaltsleerer Formalismus' und ,Höchstmaß an Gewißheit' bedeuten hier genau dasselbe. 3. Zweifelhaftigkeit der Differenzierung, a) Obwohl die beiden Betrachtungsweisen zu unterscheidbaren Gegenständen führen, ist es üblich, diese Unterscheidung nicht zu treffen, sondern von einem einheitlichen, von den beiden Betrachtungsweisen unabhängigen Gegenstand (z.B. der Genossenschaft) auszugehen. Die alltägliche juristische Diskussion funktioniert meist hervorragend, ohne daß die Beteiligten jeweils angeben oder auch nur darüber nachdenken würden, wie sie sich ihre Gegenstände (z.B. Genossenschaften) verfaßt denken, und nur relativ selten ließen sich Mißverständnisse vermeiden, wenn sie es täten. Dies ist ein starker Indikator dafür, daß gar nicht erst versucht werden sollte, diese Unterscheidung in die juristische Alltagsdiskussion einzuführen. Sie wäre in den meisten Fällen offensichtlich eine unnötige Verkomplizierung. b) Neben einer möglicherweise entbehrlichen Unterscheidung von Gegenständen je nach Betrachtungsweise steht durch den Streit diverser Schulen zur Frage, was ,das Recht' sei - der als Streit um die Frage, wie der Gegenstand ,richtig' zu betrachten sei, geführt wird - etwas noch viel schädlicheres im Raum: Die Parteien dieses Streits betrachten eine Rechtsordnung im wesentlichen immer nur auf die eine oder andere Weise und beschränken ihren Begriff von ,Recht', und damit ihren Gegenstandsbereich, jeweils entsprechend. Hielten sie dieses Vorgehen für die jeweils betrachteten speziellen Gegenstände konsequent durch, 200 dürften ,Positivisten' nur fremd vorgegebene (spezielle) Gegenstände akzeptieren und ,Konstruktivisten' nur von ihnen selbst konstruierte Gegenstände. Die auf spezielle Gegenstände einer Theorie bezogene positivistische bzw. konstruierende Betrachtungsweise korrespondiert jeweils dem auf Rechtsordnungen bezogenen rechtspositivistischen bzw. vernunftrechtlichen Standpunkt.
konkreten Art von Theorien - nämlich der Möglichkeit rechtlicher Theorien - nur unnötig erschweren. Die Regeln rechtlicher Ableitungen, d.h. die logischen Regeln, mit denen sich die Normlogik beschäftigt, werden hier ohne nähere Behandlung als feststehend und bekannt vorausgesetzt (und nur unter E. II., wo es um den Aussagecharakter von Rechtssätzen geht, kurz gestreift). Für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung genügt es, sich allein auf die Axiome (Prämissen) zu konzentrieren. 199 Es geht hier nur um die Richtigkeit der Ergebnisse unter der Voraussetzung, daß die Prämissen die Eigenschaften des betrachteten Gegenstandes korrekt angeben. 200
Das ist tatsächlich nur teilweise der Fall, denn sie nehmen die speziellen Gegenstände oftmals nicht als solche wahr. Das beseitigt jedoch nicht die im folgenden dargestellte Gefährlichkeit der Situation.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
Der Unterschied der Gegensätze könnte auch hier nicht größer sein: Ebenso wie sich keine einzige Norm finden läßt, die zugleich unter einen konsequent positivistischen Rechtsbegriff wie auch unter einen konsequent vernunftrechtlichen Rechtsbegriff fällt, 201 so läßt sich im strengen Sinne auch kein spezieller Gegenstand angeben, den sowohl ,Positivisten' als auch ,Κοηstruktivisten' betrachten könnten. Auch hier gäbe es also keine Überschneidung der jeweiligen Gegenstandsbereiche. Problematisch ist diese Beschränkung deshalb, weil die Parteien es nicht bei einer Selbstbeschränkung bewenden lassen, sondern regelmäßig auch noch versuchen, den anderen deren Betrachtungsweise zu verbieten und die eigene aufzuzwingen. Sollte dies einer Seite gelingen, wäre das in beiden Fällen ein beträchtlicher Verlust für die Rechtswissenschaft, denn sie würde nur noch einen Teil ihres eigentlichen Gegenstandsbereichs untersuchen. Die durch die beiden möglichen Betrachtungsweisen bedingte Komplexität ist aus der Rechtswissenschaft ebensowenig wie aus anderen Wissenschaften auszuschließen. Die Frage, für welche Betrachtungsweise sich die Rechtswissenschaft entscheiden sollte, wäre verfehlt. Beide haben ihre Berechtigung, und beiderlei Betrachtungen werden bei der Entwicklung einer Theorie sinnvollerweise angestellt. Wer ein Genossenschaftsrecht konstruiert, wird seine Konstruktion an dem orientieren, was er kennt und potentielle Genossen sich vorstellen. Wer andererseits Genossenschaften als vorgegebene rechtliche Gegenstände begreift, nimmt in seine Vorstellung die nötigen Abstraktionen vom unmittelbar sinnlich Wahrnehmbaren mit auf, obwohl es in der Natur von Abstraktionen liegt, daß sie durch das Wahrgenommene nicht vollständig bestimmt sein können, und die mit der Abstraktion verbundene Idealisierung nichts anderes ist als begriffliche Konstruktion. c) Deshalb gilt es zu klären, unter welchen Voraussetzungen eine Identifikation der beiden unterscheidbaren Gegenstände zu einem von der Betrachtungsweise unabhängigen einheitlichen Gegenstand zu rechtfertigen ist. Nur in Fällen, in denen diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, müssen die Gegenstände tatsächlich unterschieden werden (was dann natürlich in allen Diskussionen, die sich nicht mit Scheinproblemen beschäftigen sollen, durchzuhalten ist). 4. Abhängigkeiten unter den unterscheidbaren Gegenständen. Die (nur) durch die verwendete Betrachtungsweise unterscheidbaren Gegenstände sind keineswegs voneinander unabhängig. Daß sie eng zusammenhängen müssen, ist schon auf den ersten Blick plausibel, denn die juristische Diskussion funktioniert auch ohne ihre Unterscheidung meist problemlos. 201
Vgl. dazu bereits im 1. Kapitel B. 4.
Α. Betrachtungsweisen und Modelle
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Die Abhängigkeit dieser Gegenstände läßt sich jedoch auch formal angeben: Betrachte ich einen Gegenstand positivistisch und habe ich ihn gut genug erkannt, um alle seine Bestandteile, auf die ich mich in meiner Theorie beziehen möchte, benennen und alle seine Eigenschaften, aus denen sich die Resultate meiner Theorie ergeben, sprachlich beschreiben zu können, dann kann ich diese Benennungen und Beschreibungen auch verwenden, um sie als Prämissen einer rationalistischen Theorie zugrundezulegen. Die Benennungen und Beschreibungen bleiben dabei gleichlautend, sie erhalten aber einen anderen logischen Status, denn sie werden nun vorausgesetzt und konstituieren einen abstrakten Gegenstand, statt ihrerseits von einem vorgegebenen Gegenstand abzuhängen. Die Resultate der auf diesem Weg zu gewinnenden rationalistischen Theorie stimmen völlig mit den Resultaten der positivistischen Theorie überein. In diesem Sinne - d.h. im Sinne einer Substituierbarkeit eines abstrakten, rationalistisch verfaßten Gegenstandes für positivistisch verfaßte Gegenstände - hängen dann auch der positivistisch verfaßte Gegenstand der ersten Theorie und der rationalistisch verfaßte Gegenstand der abgeleiteten Theorie zusammen. 202 Hierin zeigt sich eine Überlegenheit der rationalistischen Theoriebildung und abstrakter Gegenstände: Die Resultate einer jeden positivistischen Theorie lassen sich - auf dem gerade beschriebenen Weg - auch als Resultate einer rationalistischen Theorie darstellen. Das Umgekehrte ist jedoch nicht der Fall, denn es läßt sich nicht einmal zu jedem denkbaren Gegenstand - d.h. zu jedem durch Prämissen konstituierbaren Gegenstand - ein fremd vorgegebener, positivistisch betrachtbarer Gegenstand auffinden; nicht alles, was man sich vorstellen kann, muß es bereits tatsächlich geben. 5. Einheitliche Gegenstände. Die gesuchten Voraussetzungen, die es rechtfertigen, die (nur anhand der Betrachtungsweise) unterscheidbaren Gegenstände miteinander zu identifizieren, lassen sich den gerade angestellten Überlegungen zur Ableitbarkeit einer rationalistischen Theorie aus einer beliebigen positivistischen Theorie unmittelbar entnehmen. Sie liefern die formale Begründung für einen in der Sache nicht weiter erstaunlichen Befund: Es kommt auf die Unterscheidung der nur unterschiedlich betrachteten Gegenstände genau dann nicht an, wenn ihre Bestandteile und Eigenschaften feststehen und übereinstimmen. In diesem Fall stimmen nämlich auch die Resultate der diese Gegenstände betrachtenden Theorien überein, und die in diesen Theorien entwickelten Regelungen würden im Falle ihrer Anwendung unabhängig von der Betrachtungsweise des Gegenstandes in denselben Situationen dieselbe Wirkung entfalten. Unter genau diesen Voraussetzungen ist die 202 Vgl. dazu auch Ludwig Wittgenstein, Logisch-philosophische Abhandlung (Tractatus logico-philosophicus) 1921, 4.01 (zusammen mit 2.12) sowie 2.0123 und 2.01231.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
Unterscheidung der Gegenstände also nicht praktisch relevant. Weil die Unterscheidung dann auch keinen Erkenntnisgewinn bringt, ist sie bei der Theoriebildung selbst ebensowenig nützlich. Beide Gegenstände sind dann zu identifizieren und z.B. (weiterhin) gleichermaßen als Genossenschaft' zu bezeichnen. Nur wenn die Eigenschaften eines Gegenstandes bzw. seine Gliederung in einzelne Bestandteile in Frage stehen, ergeben sich aus den verschiedenen Betrachtungsweisen Unterschiede: Für die rationalistische Betrachtung werden beide (in Form von Prämissen) gesetzt und sind damit im Rahmen der Ausarbeitung der Theorie nicht weiter zu hinterfragen (sondern nur die Motivation dieser Prämissen kann diskutiert werden, und zwar außerhalb der Theoriebildung). Bei einer positivistischen Betrachtung hingegen kann man versuchen, die zugrundegelegten Eigenschaften bzw. die Gliederung in Bestandteile am Gegenstand selbst zu messen. Wie dies konkret vonstatten gehen kann und ob die „adaequatio rei et intellectus" 203 sich überhaupt überprüfen und eventuell sogar herstellen läßt, ist ein hier unmittelbar anschließendes erkenntnistheoretisches Problem, das sich bis heute nicht mit rational befriedigenden Gründen affirmativ beantworten ließ. Dieser Umstand zieht den Nutzen der positivistischen Betrachtungsweise in Zweifel. Da das Augenmerk der vorliegenden Untersuchung jedoch auf der rechtlichen Theoriebildung liegt und diese stets voraussetzt, daß sich Unklarheiten über die Beschaffenheit des Gegenstandes beheben lassen, ist dieses Problem hier nicht weiter zu vertiefen, sondern es genügt, diejenigen Situationen näher zu betrachten, in denen die Voraussetzungen dafür vorliegen, die sich aus den beiden Betrachtungsweisen ergebenden Unterschiede zu ,ignorieren'. 6. Modelle erlauben die Einheitlichkeit, a) ,Ignorieren' darf dabei nicht heißen, einfach dieselbe Bezeichnung für zwei verschiedene Gegenstände zu verwenden und sie fleißig in Aussagen über wahlweise den einen oder den anderen zu gebrauchen. Daß zwei Gegenstände unterscheidbar sind, bedeutet gerade, daß es Aussagen gibt, die für den einen wahr sind und für den anderen nicht. 204 Würde eine solche Aussage über die beiden Gegenstände unter Verwendung ihrer einheitlichen Bezeichnung aufgestellt, wäre - je nach In203
Wahrheit ist die Übereinstimmung der Vorstellung mit der Sache, so Thomas von Aquin , Summa Theologiae, I a pars, quaestio XVI, articulus 1&2, insbesondere articulus 2 argumentum 2, S. 208 der Opera Omnia, torn. 4, 1888 mit weiteren Nachweisen am Rande. 204
Bei positivistisch bzw. konstruierend verfaßten Gegenständen gilt dies z.B. trivialerweise für die Aussagen ,Dieser Gegenstand ist positivistisch verfaßt.' und ,Dieser Gegenstand hat die Eigenschaft χ nicht deshalb, weil der Urheber der Theorie dies so bestimmt hat, vielmehr hat erst die Betrachtung des Gegenstandes das Vorliegen dieser Eigenschaft ergeben.'
Α. Betrachtungsweisen und Modelle
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terpretation der Bezeichnung - sowohl diese Aussage als auch ihre Negation wahr, die Theorie wäre also nicht mehr widerspruchsfrei. 205 Mit der bloßen Erklärung, die Gegenstände als einheitlichen Gegenstand betrachten zu wollen, ist es also nicht getan. Meint man mit einer Bezeichnung einfach unter der Hand verschiedene Gegenstände, ist das Entstehen von Widersprüchen und damit das Auftreten vermeidbarer Scheinprobleme vorprogrammiert. b) Wenn man positivistisch und rationalistisch verfaßte Gegenstände einheitlich betrachten will, darf man nur an das, worin sie übereinstimmen, - die ihnen gemeinsame Gliederung in Bestandteile und ihre gemeinsamen Eigenschaften - anknüpfen. Diese (im Hinblick auf positivistische oder konstruierende Betrachtung) einheitliche Verfassung 206 von Gegenständen wird im folgenden ihr Modell genannt werden. Modelle verfassen die Gegenstände einer Theorie, indem sie deren Bestandteile und Eigenschaften bezeichnen und festlegen. 207 Die logische Struktur der sich nunmehr auf das Modell beziehenden Theorie ist dieselbe, als würde ein rationalistisch verfaßter Gegenstand betrachtet. Das bedeutet aber keineswegs eine (versteckte) Parteinahme für diese Betrachtungsweise, denn sie stimmt auch mit derjenigen überein, die bei einer positivistischen Betrachtung entsteht, nachdem die Gliederung des Gegenstandes und seine Eigenschaften sprachlich fixiert worden sind. Die Unterschiede liegen außerhalb der logischen Struktur: Mit dem Modell eines Gegenstandes wird nichts darüber ausgesagt, wie man zu dem Modell kommt bzw. gekommen ist und unter welchen Bedingungen man sich genötigt sähe, 205
Vgl. bereits 2. Kapitel B. 3.
206
Hier von , verfassen' bzw. ,konstituieren' zu sprechen, geht auf Rudolf Carnap zurück. „Werden die konstituierten Gebilde ,vom Denken erzeugt', wie die Marburger Schule lehrt, oder vom Denken ,nur erkannt', wie der Realismus behauptet? Die Konstitutionstheorie verwendet eine neutrale Sprache; nach ihr werden die Gebilde weder ,erzeugt4 noch ,erkannt', sondern konstituiert' und es sei schon jetzt nachdrücklich betont, daß dieses Wort konstituieren' hier stets völlig n e u t r a l gemeint ist." (Der logische Aufbau der Welt, 1928, § 5, Hervorhebung im Original; zum Begriff konstituieren' vgl. vor allem auch § 2, zur „realistischen Sprache" sowie der „Sprache der fiktiven Konstruktion" insbesondere §§ 95, 98 ff.). 207 Dabei wird nicht etwa nur eine Definition vorgenommen, die einen Gegenstandsbereich aus irgendeinem Gegenstandsuniversum abgrenzt. Dann könnten den unter die Definition fallenden Gegenständen Eigenschaften zukommen, von denen in der Definition gar nicht die Rede ist (vgl. unter der Bezeichnung „connotation" hierzu John Stuart Mill , A System of Logic, 1843, Book IV, Chapter IV, § 2 ff., S. 668 ff. der Collected Works Vol. VIII, 1974). Dies wäre der Fall, wenn das Gegenstandsuniversum zufälligerweise so beschaffen ist, daß alle von der Definition erfaßten Gegenstände auch noch weitere Eigenschaften gemeinsam haben. Hier werden die Gegenstände aber nicht aus einem vorgegebenen Universum ,herausgehoben', sondern originär (geistig) ,geschaffen'. Sie haben die (und nur die) Bestandteile und Eigenschaften, die ihnen bei der Modellierung zugeschrieben werden.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
es abzuändern. Der Positivist würde es ändern, wenn er Unstimmigkeiten zwischen seiner Vorgabe und dem Modell entdeckt, der Rationalist, wenn sein Interesse sich wandelt. Das Modellierte spielt also je nach Betrachtungsweise unterschiedliche Rollen. Die oben unter 2. b) erläuterten Unterschiede zwischen der von einem Rationalisten und der von einem Positivisten entwikkelten Theorie bleiben auch nach Einführung von Modellen unverändert erhalten. Indem sich eine Theorie auf das Modell ihres Gegenstandes und nicht unmittelbar auf denselben bezieht, kann sie die Betrachtung von Gegenständen, die nur durch ihre positivistische oder rationalistische Konstitution unterschieden sind, einheitlich durchführen. Die Grundlage der Betrachtung ist nun tatsächlich einheitlich, ohne daß dabei verschiedene Gegenstände unzulässig vermengt würden. Durch das Modell werden zwei unterscheidbare Gegenstände - nämlich einerseits der positivistisch verfaßte und andererseits der rationalistisch verfaßte - modelliert; doch nachdem die Theorie nur das Modell selbst zugrundelegt und sich nur auf Teile oder Eigenschaften der Gegenstände bezieht, die dem Modell selbst zu entnehmen sind, bleibt eine einheitliche Theoriebildung trotz der Mannigfaltigkeit des Modellierten methodisch einwandfrei. 208 c) Allgemeiner ausgedrückt ist es so, daß die modellierten Gegenstände wegen der Verwendung von Modellen unabhängig von den sie betreffenden ontologischen und erkenntnistheoretischen Fragen betrachtet werden können. 209 Diese Fragen bleiben natürlich bestehen und werden zu Fragen der Modellierung der Gegenstände. Sie können aber aus der theoretischen Betrachtung hinaus und bis in die Modellierung (die Begründung der Wahl eines konkreten Modells) zurückgedrängt werden. Die von der jeweils gewählten Betrachtungsweise unabhängigen Aussagen über die speziellen Gegenstände einer Theorie lassen sich hingegen so formulieren, daß sie nur auf den Mo208
Die formale Ausarbeitung dessen, was hier gerade beschrieben wurde, erfolgte in der Mathematik unter der Bezeichnung Äquivalenzklassenbildung' (vgl. Franz von Kutschern , Elementare Logik, 1967, 5.3, S. 318). Man spricht in der Mathematik davon, Objekte unter Angabe einer Äquivalenzrelation zwischen ihnen zu identifizieren. Die Rechtfertigung für die einheitliche Betrachtung von Gegenständen, die übereinstimmend modelliert werden, ergibt sich durch Setzung der allgemeinen Äquivalenzrelation ,zwei Gegenstände sind genau dann äquivalent, wenn die Resultate ihrer jeweiligen Betrachtung sich in dieselbe rationalistische Theorie überführen lassen'. Für jede einzelne Theorie ergibt sie sich aber auch schon jeweils unter Verwendung der einfachen Äquivalenzrelation ,zwei Gegenstände sind genau dann äquivalent, wenn sie durch das Modell der Theorie modelliert werden'. (Siehe zur Anwendung in der Physik bereits Hermann von Helmholtz , Einleitung zu den Vorlesungen über Theoretische Physik, 1903, §§4, 10 und 11, S. 7 ff., 26 ff. Siehe ferner oben Fn. 107.) 209
Diese Betrachtungsweise wurde teilweise als ,metaphysikfrei' bezeichnet.
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dellen der Gegenstände beruhen, und erfordern keine Bezugnahme auf die eine oder andere der Betrachtungsweisen. Man kann etwa in einem Rechtssatz von der Leitungsmacht des Vorstandes einer Gesellschaft bestimmter Form sprechen und bezieht sich dabei auf den Vorstand und die Leitungsmacht, die Teil des Modells der Gesellschaft sind, ohne daß dabei ein realistisches oder ein rationalistisches Verständnis der Aussage ausgeschlossen würde. Auf diese Weise wird es berechtigtermaßen vermieden, die Gegenstände rechtlicher Theorien durch Abschneiden der einen oder anderen Betrachtungsweise unnötig zu reduzieren und damit zu verzerren. 7. Notwendigkeit von Modellen. Modelle sind gerade als Lösung für das Problem einer erwünschten einheitlichen Betrachtung trotz der Unterschiede zwischen positivistisch und rationalistisch verfaßten Gegenständen eingeführt worden. Darin erschöpft sich ihre Funktion innerhalb von Theorien indes nicht. Diese Problemlösung ist weder der einzige noch der stärkste Grund dafür, Theorien auf Modelle von Gegenständen zu beziehen. Die Verwendung von Modellen ist vielmehr in jeder Theorie, deren gedankliche Schritte explizit in sprachlicher Form angegeben werden sollen, unvermeidbar. Um das einzusehen, seien noch einmal positivistische und rationalistische Theorie einander gegenübergestellt: (a) Sollen fremd vorgegebene Gegenstände (positivistisch) betrachtet werden, müssen sie auf irgendeine Weise im weitesten Sinne durch Anschauung 2 1 0 zugänglich sein. Um eine Theorie über Gegenstände entwickeln zu können, darf es aber nicht beim flüchtigen Anschauen derselben bleiben. Die Gegenstände müssen so fixiert werden, daß sie sich nicht durch die weitere Betrachtung ändern können. Sie sind begrifflich so darzustellen, daß anderen Menschen sprachlich ein Bild dieser Gegenstände vermittelt werden kann, das alle ihre wesentlichen Charakteristika enthält. Hierzu muß derjenige, der die Theorie ausarbeitet, die Gegenstände und ihre untersuchten Teile in Begriffe fassen und ihre Eigenschaften offenlegen. Dies ist der Kern dessen, was hier Modellieren genannt wird. 2 1 1 „Was es für eine Bewandtnis mit den Gegenständen an sich [...] haben möge, bleibt uns gänzlich unbekannt' 4212 , weil 210
Damit ist nicht nur die Sinneswahrnehmung des Auges gemeint, sondern auch die als Vorstellung („im Gemüte") stattfindende reine Anschauung (vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781/1787, I. 1. Teil § 1, A 20 f. Β 34 f. (AA Bd. III, S. 50, Z. 15-27) sowie I., 1. Teil, 2. Abschnitt, § 8, A 42 Β 59 (AA Bd. III, S. 65, Z. 9-10). 211 Man kann das hier entwickelte Modellkonzept deshalb auch als Fortentwicklung und Präzisierung der Konstruktion juristischer Körper' im Sinne von Rudolph von Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil II/2, §41, dort insbesondere S. 357 f. und 362-369 der 4. Aufl. von 1883 ansehen. 212 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781/1787, I. 1. Teil, 2. Abschnitt § 8, A 42 Β 59 (AA Bd. III, S. 65, Z. 17-19), Hervorhebung hinzugefügt.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
„alle unsre Anschauung nichts als die Vorstellung von Erscheinung [ist, d.h.] die Dinge, die wir anschauen, nicht das an sich selbst sind, wofür wir sie anschauen" 213 . Wenn man sich aber klar macht, „daß Körper oder Dinge abkürzende Gedankensymbole für Gruppen von Empfindungen sind, Symbole, die außerhalb unseres Denkens nicht existieren" 214 , dann ergibt sich daraus sowohl der Sinn der Sprechweise von vorgegebenen Objekten als auch die Notwendigkeit, nicht nur für abstrakte Gegenstände, sondern auch für reale Objekte ein Modell anzugeben, ehe man eine Theorie über sie ausarbeitet. Die Gegenstände einer Betrachtung werden der Theoriebildung erst dadurch zugänglich, daß man sie jeweils in einem Modell erfaßt. Nachdem der Gegenstand ursprünglich vorgegeben ist, bildet das Modell die Eigenschaften des Objektes ab, um die es in der Theorie gehen wird. (b) Im Fall rationalistischer Theorien ist die Beschreibung bzw. Definition der Gegenstände bereits erforderlich, um diese überhaupt erst hervorzubringen. Die Gegenstände entstehen gewissermaßen dadurch, daß sie modelliert werden. Die Modelle bilden hierbei allerdings nicht die Teile und Eigenschaften der Gegenstände ab, sondern geben sie für die weitere Untersuchung vor. (c) Eine Theorie hingegen, die sich ohne Modell unmittelbar auf ihre Gegenstände bezöge, würde stets von unausgesprochenen und damit rational nicht kontrollierbaren Eigenschaften der Gegenstände ausgehen. Die Richtigkeit neuer Resultate einer solchen Theorie ließe sich nicht überprüfen, und ihr wissenschaftlicher Wert wäre zweifelhaft. Unabhängig davon, ob man sich seinen Gegenstand positivistisch oder rationalistisch verfaßt denkt, werden theoretische Aussagen über ihn also immer erst dadurch möglich, daß man ihn modelliert. Die Aussagen der Theorie beziehen sich stets auf das Modell des Gegenstandes. Wer ihn sich als positives Objekt denkt, geht davon aus, in dem Modell einen konkreten Gegenstand zu modellieren. Wer ihn sich als geistige Konstruktion denkt, verzichtet auf eine solche Vorstellung. 8. Modellbezogenheit von Theorien, a) Für eine geisteswissenschaftliche Theorie, deren Gegenstände niemals nur einfach Ausschnitte der äußeren Wirklichkeit sein können, ist es offensichtlich, daß ihr Gegenstand in dem an2,3 214
Ebendort (AA Z. 9-11).
Ernst Mach, Die ökonomische Natur der physikalischen Forschung, 1882, S. 231. Auf derselben Seite heißt es ferner „Wenn wir in Gedanken einen Körper lostrennen von der wechselnden Umgebung, in welcher sich derselbe bewegt, so scheiden wir eigentlich nur eine Empfindungsgruppe von verhältnismäßig größerer Be s t ä n d i g k e i t , an welche wir unser Denken anklammern, aus dem Gewoge der Empfindungen aus." (Hervorhebung im Original).
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gegebenen Sinne modelliert werden muß, ehe intersubjektiv vermittelbare Betrachtungen an ihm stattfinden können. 215 Doch auch für naturwissenschaftliche Theorien gilt letztlich nichts anderes. 216 Sie beziehen sich auf einen Wirklichkeitsbereich, z.B. die newtonsche Mechanik auf Bewegungen von Körpern. Sie sagen über ihren Wirklichkeitsbereich etwas aus, wie das mechanische Trägheitsgesetz (,Ein Körper, auf den keine Kraft einwirkt, verharrt im Zustande seiner Bewegung.' 217 ), das dynamische Grundgesetz (,Die auf einen Körper wirkende Kraft führt zu einer der Kraft proportionalen und richtungsgleichen Beschleunigung.' 218 ) und das Gegenwirkungsprinzip (,Übt ein Körper auf einen anderen eine Kraft aus, so übt stets auch letzterer auf ersteren eine gegengleiche Kraft aus.' 219 ). Die Aussagen bedienen sich dabei einer Begrifflichkeit, die keineswegs bloß auf primitive Wahrnehmungen referiert. Beispielsweise geht das Trägheitsgesetz von dem hypothetischen Szenario aus, daß auf einen Körper keinerlei Gravitation, Reibung etc. wirken. Alle drei Gesetze beziehen sich auf Kräfte, obwohl diese sich nicht unmittelbar wahrnehmen lassen. Man kann lediglich ihre Wirkung, z.B. die Beschleunigung eines Körpers (oder auf Grund seiner Beschleunigung eintretende Zustände, wie etwa die Kompression einer Feder), sehen. 220 In dem Szenario, von dem die Gesetze ausgehen, stecken also einerseits idealisierende Annah-
215 Zur Bedeutung von Modell Vorstellungen als Charakteristikum menschlichen Denkens überhaupt vgl. Hermann Fertig, Modelltheorie der Messung, 1977, 1.1.1, S. 15. Eine ausführliche Darstellung in Form eines entwicklungsgeschichtlichen Abrisses geben Roland Müller, Zur Geschichte des Modelldenkens und des Modellbegriffs, in: Herbert Stachowiak (Hrsg.), Modelle - Konstruktionen der Wirklichkeit, 1983 (passim) sowie Herbert Stachowiak, Erkenntnisstufen zum Systematischen Neopragmatismus und zur Allgemeinen Modelltheorie, 1. Kapitel (Erkenntnisstufen), ebendort (passim). 216
„Die Reihe der Erlebnisse ist für jedes Subjekt verschieden. Soll trotzdem Übereinstimmung in der Namengebung erzielt werden für die Gebilde, die auf Grund der Erlebnisse konstituiert werden, so kann das nicht durch Bezugnahme auf das gänzlich divergierende Materiale geschehen, sondern nur durch formale Kennzeichnung der Gebildestrukturen." Rudolf Carnap, Der logische Aufbau der Welt, 1928, § 16. 217 „Corpus omne perservare in statu suo quiescendi vel movendi uniformiter in directum, nisi quatenus a viribus impressis cogitur statum illum mutare." Isaac Newton, Philosophise naturalis principia mathematica, London 1686, S. 12 Lex I. 218
„Mutationem motus proportionalem esse vi motrici impressae, & fieri secundum linearti rectam qua vis illa imprimitur." Newton, Principia 1686, S. 12 Lex II. 219 „Actioni contrariam semper & aequalem esse reactionem: si ve corporum duorum actiones in se mutuo semper esse aequales & in partes contrarias dirigi." Newton, Principia 1686, S. 13 Lex III. 220
Das ist etwas ganz anderes als die Wahrnehmung der Kraft selbst. Das dynamische Grundgesetz würde tautologisch, wenn man sich Kräfte von vornherein (per definitionem) nur aus der entsprechenden Beschleunigung von Körpern erschlösse.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
men (z.B. Absehen von Reibung und G r a v i t a t i o n 2 2 1 ) , und andererseits abstrakte Konzepte (z.B. das der Kraft); die entsprechenden physikalischen Hypothesen haben deshalb auch nur einen metaphorischen S i n n . 2 2 2 Dies w i r d dadurch kurz ausgedrückt, daß man sagt, die Gesetze gingen von ihrem M o dell der W i r k l i c h k e i t aus. 2 2 3 Die Modellbezogenheit ist also keine Besonderheit geisteswissenschaftlicher Theorien, sondern ein allgemeines Kennzeichen aller Theorien. Die neuere Auseinandersetzung mit Modellen, die am Ende des 19. Jahrhunderts begann und i m 20. Jahrhundert vertieft wurde, entstammt sogar der Reflektion naturwissenschaftlicher T h e o r i e n . 2 2 4 Das W o r t , M o d e l l 4 wurde zudem schon viel früher für die Beschreibung eines Gegenstandes zum Zwecke der Theoriebildung i n naturwissenschaftlichem Kontext verwendet, beispielsweise 1576 von Thomas D i g g e s . 2 2 5 221 Die Gesetze der newtonschen Mechanik sind natürlich ohne weiteres auch auf Situationen anwendbar, in denen Gravitation und Reibung bestehen. Sie finden im newtonschen Modell als Kräfte ganz kanonisch ihren Platz. Die newtonsche Mechanik (und insbesondere ihr Trägheitsgesetz) erstreckt sich aber auf Situationen, in denen weder Gravitation noch Reibung bestehen und damit auf von der irdischen Wirklichkeit stark abstrahierte Situationen. 222 Henri Jules Poincaré , Wissenschaft und Hypothese (La Science et l'Hypothèse), 2. Aufl. 1906, 4. Teil 10. Kapitel, S. 165 ff. 223
„So würde es auch der Naturwissenschaft nicht ziemen, in ihren selbstgeschaffenen veränderlichen ökonomischen Mitteln, den Molekülen und Atomen, R e a l i t ä t e n hinter den Erscheinungen zu sehen, vergessend der jüngst erworbenen weisen Besonnenheit ihrer kühneren Schwester, der Philosophie, eine mechanische M y t h o l o g i e zu setzen an die Stelle der animistischen oder metaphysischen, und damit v e r m e i n t l i c h e Probleme zu schaffen." (Ernst Mach , Die ökonomische Natur der physikalischen Forschung, 1882, S. 237 f.; Hervorhebungen im Original) „Zum Erkennen gehören stets z w e i Glieder: etwas, das erkannt wird, und dasjenige, als was es erkannt wird." (Moritz Schlick,Allgemeine Erkenntnislehre, 1918,1. 11., S. 68, Hervorhebungen im Original). 224
Insbesondere die Arbeiten von Ernst Mach und Heinrich Hertz über naturwissenschaftliche Theoriebildung sind in diesem Zusammenhang zu nennen. 225 „Hauing of late (gentle Reader) corrected and reformed sondry faultes that by negligèce in printing haue crept into my fathers G e n e r a l i Prognostication: Amonge other thinges I founde a description or Modill of the world and situation of Spheres Celestiali and Elemètare according to the doctrine of Ρ t ο 1 ο m e, whereunto all Vniuersities (ledde therto chiefly by the auctority of A r i s t o t l e ) sithens haue consented. But in this our age one rare witte (seing the continuali errors that from time to time more & more haue bin discouered, besides the infinite absurdities in their Theorickes, which they haue bin forced to admit that woulde not confesse any mobilitie in the ball of the earth) hath by long Studie, painfull practise, and rare inuention deliuered a new Theorick or model of the world , shewing that the Earth resteth not in the Center of the whole world, but onely in the Center of this our mortali world or Globe of Elementes which enuironed and enclosed in the Moones Orbe, and together with the
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b) Modelle dienen der Bestimmung des Objekts der Erkenntnis der jeweiligen Theorie. Das Verfahren der Modellbildung zeigt darüber hinaus einen Weg auf, wie man von einer ursprünglich positivistischen Betrachtung zu interessanten rationalistischen Betrachtungen gelangt, wenn das irgendwann einmal angestrebt wird: Wer das Modell gedanklich von dem zu erkennenden Objekt löst - also die Vorstellung aufgibt, Modelle würden etwas Vorgegebenes erfassen - gewinnt die Gestaltungsfreiheit eines Konstrukteurs, der sich einen neuen, nunmehr gedanklichen (d.h. ,idealen') Untersuchungsgegenstand erzeugt. 226 Doch ehe dieser Schritt möglich wird, müssen erst einmal Modelle entwickelt worden sein, die sich von dem durch sie Modellierten abstrahieren lassen. Die Auseinandersetzung mit der begrifflichen Verfassung einer äußeren Realität ist dazu gewissermaßen der natürliche' Weg. c) Daß Theorien sich nicht unmittelbar auf wirkliche Situationen beziehen, sondern mit Idealisierungen und Abstraktionen arbeiten, d.h. mit für die Theoriebildung extra modellierten Gegenständen, ist Grund für ihre Leistungsfähigkeit, kostet aber seinen Preis: Keine Theorie sagt unmittelbar etwas über die Welt aus. In ihr herrschen keine Laborbedingungen, und die Objekte der Außenwelt richten sich nicht nach den Idealisierungen ihrer Modelle. 227 Erst besondere gedankliche Schritte bei der Anwendung einer Theorie stellen ihren Bezug zur Wirklichkeit her. Deshalb entsteht während jeder whole Globe of mortalitie is caried yearely rounde aboute the Sunne, which like a king in the middest of all raigneth and geeueth lawes of motion to [the] rest, sphaerically disparsing his glorious beames of light through al this sacred Celestiali Temple. [...1" ( Thomas Digges schreibt dies am Anfang von A Perfit Description of the Celestiali Orbs , erschienen 1576 als Teil des Almanachs seines Vaters {Leonard Digges) A Prognostication everlasting , den Thomas Digges nach dessen Tod überarbeitet herausgab. A Perfit Description of the Celestiali Orbs enthält eine Wiedergabe der kopernikanischen Vorstellung von unserem Sonnensystem und eigene Argumente für diese. Die Schrift gewann insbesondere in England erheblichen Einfluß. - Die kursiv gedruckten Hervorhebungen wurden hinzugefügt, die gesperrt gedruckten Stellen sind auch im Original hervorgehoben.) 226 Dennoch darf man die durch Modelle entstehenden abstrakten Gegenstände nicht mit Idealen im Sinne von Sanne Taekema, The Concept of Ideals in Legal Theory, 2003 verwechseln. Dort heißt es „ideals are the desirable states of affairs that one aims to realize" (1.4, S. 13). Abstrakte Gegenstände hingegen sind als Objekte wissenschaftlicher Betrachtung zunächst einmal ganz neutral anzusehen. Es ist keineswegs vorausgesetzt, daß sie erwünscht sein sollten. Sie dienen im allgemeinen - anders als die Ideale Taekemas - auch nicht als inhaltliches Ziel rechtlicher Prinzipien oder Optimierungsgebote. Der Begriff des abstrakten Gegenstandes ist wesentlich weiter und nicht auf Zielvorstellungen beschränkt. Nichts anderes ist mit dem ,idealen' Untersuchungsgegenstand gemeint. 227
Nach Kant ist einschränkend hinzuzufügen, daß dies nur gilt, soweit die Idealisierungen nicht schon die Anschauung des Objekts, etwa das Meßverfahren, betreffen (vgl. die obigen Zitate Fn. 210-213).
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
Ausarbeitung einer Theorie eine mehr oder minder lange Phase, in welcher der Wissenschaftler seinen Blick von der Wirklichkeit abwendet und nur auf seine abstrakten Gegenstände richtet, obwohl sich in diesem Stadium noch kein praktischer Nutzen der Theorie zeigen kann. 228 Theorien trotz des hohen Aufwandes auszuarbeiten, rechtfertigt sich daraus, daß nur durch sie exakte Aussagen ermöglicht werden. Auf der Exaktheit ihrer Aussagen beruhen Leistungsfähigkeit und Erfolg der modernen Wissenschaften. Obwohl streng genommen die Anwendung einer Theorie auf die Wirklichkeit niemals zu exakten Aussagen führt - denn bei der Anwendung auf konkrete Situationen gehen die begrifflichen Idealisierungen und Abstraktionen und mit ihnen auch die Exaktheit der Aussagen (die dann konkrete Urteile, Prognosen etc. sind) verloren - , sondern nur die Aussagen einer Theorie selbst exakt sein können - denn Exaktheit wird allein durch die Modellierung der Gegenstände und die Modellbezogenheit der Aussagen ermöglicht - , ist es gerade diese zwischenzeitlich' erreichte Exaktheit, die eine strenge Überprüfbarkeit der Aussagen gewährleistet und so einen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit rechtfertigt. Ist er gerechtfertigt, kann sowohl von wissenschaftlichen Aussagen als auch von einem wissenschaftlich begründeten Ergebnis der Anwendung gesprochen werden. Um letzteres geht es in einer angewandten Wissenschaft wie der Rechtswissenschaft.
B. Unterscheidung von Modellen, Zuordnungen und Rechtssätzen /. Modelle und Aussagen als Teile von Theorien, a) Wissenschaftliche Theorien bestehen allgemein aus Modellen ihrer Gegenstände und Aussagen, die auf diese Modelle bezogen sind. 229 Im Modell wird der Gegenstand für die weiteren Betrachtungen zugänglich gemacht. Die Modelle stellen die Begrifflichkeit zur Verfügung, in der die Theorie formuliert wird. Die Aussagen der Theorie sind Sätze (Urteile) über die modellierten Gegenstände. Man kann die Aussagen der Theorie auch als Theorie im engeren Sinne bezeichnen. Ist im folgenden von ,den Modellen (oder dem Modell) einer Theorie' die Rede, dann ist damit immer der Teil der betreffenden Theorie gemeint, der aus den Modellen (oder dem Modell) besteht, auf die sich die Aussagen 228
Joachim Hruschka , Kann und sollte die Strafrechtswissenschaft systematisch sein?, JZ 1985, S. 9 (VII.). 229
Eine solche Analyse wissenschaftlicher Theorien findet sich z.B. bei Stephen Hawking , A Brief History Of Time, Bantam Press 1988, im zweiten Abschnitt von Kapitel 1, S. 10.
Β. Unterscheidung von Modellen, Zuordnungen und Rechtssätzen
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dieser Theorie beziehen und nicht etwa Modelle, welche die Theorie selbst modellieren. b) Jede wissenschaftliche Theorie läßt sich in ihre Modelle und ihre auf diese Modelle bezogenen Aussagen gliedern. Die Sätze, die zu einem Modell gehören, müssen in der Theorie nicht explizit als solche gekennzeichnet sein. Ebensowenig muß die Bezugnahme auf ein Modell explizit als solche erfolgen. Ferner betrifft die Gliederung einer Theorie in Modelle und auf diese bezogene Aussagen immer eine Theorie als Ganze. Von isolierten Sätzen ist nicht zu entscheiden, ob sie zu einem Modell gehören oder zu den Aussagen einer Theorie, denn man kann nur dann, wenn auch die übrige Theorie und ihre Gegenstände bekannt sind, feststellen, ob ein Satz zusammen mit anderen Sätzen der Theorie die Beschaffenheit eines speziellen Gegenstandes dieser Theorie angibt oder eine modellbezogene Aussage macht. c) Die Analyse wissenschaftlicher Theorien, die zur Unterscheidung ihrer Modelle von ihren Aussagen führt, geht mit der Einsicht einher, daß Theorien nicht in einem System von Begriffen, sondern in einem System von Sätzen bestehen.230 Die Modelle stellen die nötigen Begriffe zur Verfügung, mit denen die Aussagen der Theorie - ihre Resultate - als Sätze formuliert werden. Stellt man sich das Ausformulieren einer Theorie als Sprachspiel 231 vor, sind die Modelle eine Sammlung semantischer Regeln für dieses Spiel und die Aussagen der Theorie (sowohl die vorausgesetzten Prämissen als auch die Resultate) Spielzüge. Sind die Modelle der Theorie als ein Teil von ihr erkannt, der von den Aussagen der Theorie, d.h. den Sätzen über die Modelle, zu unterscheiden ist, ermöglicht dies, den Modellteil der Theorie getrennt von der übrigen Theorie zu kritisieren. Weil alle übrigen Sätze der Theorie sich auf die Modelle beziehen, spielen letztere eine zentrale Rolle für die Leistungsfähigkeit, die Übersichtlichkeit, die Anschaulichkeit und andere Qualitätsmerkmale der (ganzen) Theorie. Sich mit ihnen zu befassen und sie so gut wie möglich zu entwickeln, ist Voraussetzung dafür, die Theorie insgesamt in den bestmöglichen Zustand zu bringen. Dies ist der wichtigste Grund dafür, Modellen auch innerhalb rechtlicher Theorien besondere Aufmerksamkeit zu schenken. 2. Rechtssätze, Modellsätze und Zuordnungssätze, a) Weil Theorien stets sowohl Modelle als auch auf diese bezogene Aussagen beinhalten, kann man innerhalb rechtlicher Theorien zwei Klassen entsprechender rechtlicher Sätze bezeichnen: Einerseits muß es in jedem eigenständigen Teil einer rechtlichen Theorie rechtliche Sätze geben, welche die Modelle der speziellen Gegen230
Karl Popper, Logik der Forschung, 1935, 1. Kapitel 4., S. 9 der 10. Aufl. von 1994.
231
Siehe dazu Ludwig Wittgenstein,
Philosophische Untersuchungen, 1953, § 7.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
stände des jeweiligen Rechtsgebietes ausmachen. Andererseits wird es Normen geben, die Rechtssätze über die modellierten Gegenstände sind. Schon diese (gleich noch etwas weiter zu differenzierende) Unterscheidung verallgemeinert die bekannte Unterscheidung von Zurechnungs- und Verhaltensregeln. 232 Zum Beispiel gibt § 25 Abs. 1 StGB darüber Auskunft, daß sowohl unmittelbare als auch mittelbare Täter von dem Modell einer Straftat erfaßt werden, welches das StGB zugrundelegt, und daß das StGB seine Verbote an Rechtssubjekte, die ,durch einen anderen' handeln, ebenso richtet wie an solche, die ihre Handlung unmittelbar selbst vornehmen. § 212 StGB hingegen bezieht sich auf Modelle: Als an den Richter gerichtete Verhaltensregel sagt §212 StGB aus, daß der Richter gegen den Täter, der sein Opfer (vorsätzlich etc.) getötet hat, eine mindestens fünfjährige Freiheitsstrafe verhängen soll. Dabei bezieht sich die Vorschrift (implizit) auf ein Täter-Opfer-Modell der Straftat. Die in § 212 StGB vorausgesetzte, an die Allgemeinheit gerichtete Verhaltensregel besagt, daß kein Subjekt eines seiner Cosubjekte töten darf. Insoweit bezieht sich § 212 StGB auf ein Subjekt-Cosubjekt-Modell. Während § 25 StGB also über das Modell (genauer: die beiden gerade unterschiedenen Modelle), das § 212 StGB (sowie den anderen Deliktstatbeständen) zugrunde liegt, Auskunft gibt, statuiert § 212 StGB Vorschriften mit Bezug auf dieses Modell, namentlich eine auf den Täter bezogene Strafanordnung und eine als Verbot ausgedrückte Beziehung zwischen jedem natürlichen Rechtssubjekt und seinen Cosubjekten. Diese Unterscheidung innerhalb der rechtlichen Sätze hat praktische Bedeutung, denn sie betrifft die Anwendung der Vorschriften. Wer Täter, wer Opfer, wer ein im Fall vorkommendes Subjekt oder Cosubjekt ist, sagt § 212 StGB nicht. Man kann diese Information daher auch weder durch Auslegung noch anderweitig aus dieser Vorschrift ermitteln. 233 Das sind Fragen, welche die Modelle selbst bzw. die Zuordnung von tatsächlichen Umständen der Außenwelt zu Begriffen der Modelle betreffen. Um sich einer Antwort zu nähern, ist nicht zu fragen, was § 212 StGB sagen will, sondern was er voraussetzt. Es ist nach Angaben über das Modell zu fragen, von dem § 212 StGB bereits ausgeht. 232 233
Siehe dazu genauer im 4. Kapitel C. II.
Vgl. hierzu insbesondere Arthur Kaufmann , Durch Naturrecht und Rechtspositivismus zur juristischen Hermeneutik, JZ 1975, zitiert nach: derselbe , Beiträge zur Juristischen Hermeneutik, 1984, III., S. 85. Dazu, daß diese Information auch durchaus nicht vom Anwender der Norm durch eine Bewertung des Geschehens einzuführen ist, siehe Hans Welzel, Über Wertungen im Strafrecht, Der Gerichtssaal Bd. 103 (1933), S. 343 (Abhandlungen 1975, S. 25).
Β. Unterscheidung von Modellen, Zuordnungen und Rechtssätzen
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b) Über das Verständnis der zugrundeliegenden Modelle hinaus setzt eine Anwendung von § 212 StGB aber auch voraus, daß den Teilen der Modelle, auf die § 212 StGB Bezug nimmt, - direkt oder indirekt - tatsächliche Umstände zugeordnet wurden. Es bietet sich daher für rechtliche Theorien an, innerhalb der Sätze, die Gegenstände verfassen, weiter zu differenzieren: Die Konstitution der abstrakten Gegenstände erfolgt in Modellen, während der Bezug zur Wirklichkeit durch eine dritte Art rechtlicher Sätze hergestellt wird: Eine rechtliche Theorie muß dem Praktiker letztlich drei sehr verschiedene Arten von Information, und damit drei sehr unterschiedliche Arten von rechtlichen Sätzen, bereitstellen: Erstens muß sie Modelle angeben, in denen ihre Gegenstände verfaßt sind. Die Sätze, welche die Modelle konstituieren, werden im folgenden Modellsätze genannt. Zu ihnen gehört üblicherweise z.B. die Festlegung, welche Organe bestimmte juristische Personen besitzen. Zweitens muß die Theorie unter Bezug auf diese Modelle (präskriptive) Sätze angeben, welche die rechtlichen Aussagen beinhalten, z.B. Verhaltensregeln für die modellierten Rechtssubjekte. Solche Sätze heißen im folgenden Rechtssätze. Drittens muß sie Regeln angeben, wie einzelne Aspekte der Wirklichkeit Teilen des Modells zuzuordnen sind. Derartige Sätze werden im folgenden als Zuordnungssätze bezeichnet. Zu ihnen gehören z.B. Anordnungen über die Bestellung von Vorständen und insbesondere auch die konkreten Zurechnungsnormen 4 . 234 c) Als Beispiel sei eine rudimentäre Genossenschaftstheorie (als gesellschaftsrechtliche Theorie) gegeben: Zum Modell der Genossenschaft könnten etwa folgende Sätze gehören: ,Das Objekt heißt Genossenschaft und besteht aus Mitgliedern, einer Mitgliederversammlung, einem Vorstand und Einlagekapital. Zweck der Genossenschaft ist die Förderung ihrer Mitglieder. Die Willensbildung der Genossenschaft geschieht im Vorstand, in besonderen Fällen in der Mitgliederversammlung. Der Vorstand handelt für die Genossenschaft.' Die Zuordnung ss ätze dieser Theorie müßten insbesondere durch Bestimmungen über den Erwerb und Verlust der Mitgliedschaft und die Wahl zum Vorstand festlegen, wer als Mitglied bzw. Vorstand zu bezeichnen ist, und durch Ausgestaltung der Vertretung klären, welche Handlungen der zum Vorstand gehörenden Personen als Handlungen der Genossenschaft anzusehen sind. In Rechtssätzen würde die Theorie z.B. aussprechen, unter welchen Bedingungen die Mitglieder oder der Vorstand für Schäden haften, daß der Vorstand verpflichtet ist, den Zweck der Genossenschaft zu verfolgen, daß die Genossenschaft Trägerin von Rechten und Pflichten ist etc. d) Die Rechtswissenschaft muß nicht alle in ihren Theorien verwendeten Modelle selbst ausarbeiten. Sie kann und wird sich regelmäßig auf Erkennt234
Dieser Begriff wird im 4. Kapitel unter C. II. 1. a) näher erläutert werden.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
nisse und Konstruktionen anderer Fachdisziplinen, z.B. der Physik und technischer Wissenschaften, der Psychiatrie und Ökonomie beziehen. 235 Solche Bezüge weisen aber weiter keine strukturellen Besonderheiten auf und werden deshalb im folgenden nicht speziell behandelt. 3. Modelle und die betrachtete Rechtsordnung, a) Nachdem alle Prämissen einer rechtlichen Theorie gemeinsam den abstrakten Gegenstand dieser Theorie verfassen, bilden sie und die aus ihnen gewonnenen Resultate auch gemeinsam das ,Modell 4 der jeweils betrachteten Rechtsordnung. Man könnte daher bei einer rein formalen und globalen (d.h. auf die Theorie als Ganzes bezogenen) Betrachtung rechtlicher Theorien auch alle rechtlichen Sätze, die nicht Zuordnungssätze sind, als Modellsätze bezeichnen. Die Kategorie der Rechtssätze würde dabei überflüssig. Dann würde sich in der Struktur der Theorie aber der Unterschied zwischen der betrachteten Rechtsordnung insgesamt (dem ,großen 4 Gegenstand der Theorie) und den einzelnen speziellen Gegenständen nicht mehr widerspiegeln. Dies wäre mißlich, denn in unserem Umgang mit einzelnen Normen sind die in ihnen bezeichneten Gegenstände für uns in der Regel von großer Bedeutung, während der Umstand, daß auch eine bestimmte einzelne Norm zur Konstitution einer Rechtsordnung (die der Gegenstand unserer rechtswissenschaftlichen Betrachtung ist) beiträgt, für sich allein genommen nur äußerst selten interessiert. Die Begriffe ,Modell 4 und ,Rechtssatz4 werden in der vorliegenden Untersuchung daher so verwendet, daß die Rechtsordnung insgesamt als ein zu modellierender Gegenstand außer Betracht bleibt. Modelle verfassen (hier) stets spezielle Gegenstände. Deshalb kann es (und wird es in der Regel) in rechtlichen Theorien sowohl Prämissen als auch Resultate geben, die zu keinem Modell gehören und deshalb zu den Rechtssätzen zu zählen sind. Die Rechtssätze bleiben weiterhin als selbständige Kategorie rechtlicher Sätze erhalten. b) Den gesamten abstrakten Gegenstand (und damit die ganze Theorie) selbst als ein Modell aufzufassen, entspräche dem Standpunkt der mathematischen Modelltheorie. In ihr haben Modelle aber eine andere Bedeutung: Sie sind „Erfüllungsgegenstände' 4236, d.h. Beispiele für (abstrakte) Objekte (die selbst zugleich als Theorie aufzufassen sind), welche die Axiome einer Theorie (und zwar einer anderen als der im Modell verfaßten Theorie) erfüllen. 235
Vgl. hierzu auch Ralf Dreier, Zur Theoriebildung in der Jurisprudenz, 1978, I 1., S. 72 in: derselbe , Recht-Moral-Ideologie, 1981. 236
Veit Pittioni , Modelle und Mathematik, in: Herbert Stachowiak (Hrsg.), Modelle Konstruktionen der Wirklichkeit, 1983, S. 183 (1.2.2); siehe zum Modellbegriff der mathematischen Modelltheorie auch Jon Barwise , An introduction to first-order logic, in: derselbe u.a. (Hrsg.), Handbook of Mathematical Logic, 1977, S. 17 (A.l § 3) und Η. Jerome Kreisler , Fundamentals of Model Theory, ebendort A.2 § 2, S. 50.
C. Modelle
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Solche ,Modelle höherer Stufe 4 bzw. ,Modelle von Theorien' sind in der Rechtswissenschaft nur dort sinnvoll, wo es auch um Theorien höherer Stufe geht. Gelänge es etwa, eine geschlossene rechtsphilosophische Theorie - z.B. die ,Theorie des richtigen Rechts4 - auszuarbeiten, bestünde natürlich großes Interesse an Erfüllungsgegenständen - im Beispiel Rechtsordnungen des nichtigen Rechts4. Dann würde das Erkenntnisinteresse strukturell dem der mathematischen Modelltheorie entsprechen, und die Übernahme ihres Modellbegriffs läge nahe. 237 Die vorliegende Untersuchung verfolgt aber eine viel bescheidenere Fragestellung. Ihre Theorien bleiben auf Ebene der Rechtsdogmatik, und deshalb sind auch ihre Modelle „Gebildemodelle 44238 , d.h. sie beschränken sich darauf, einen speziellen Gegenstand zu modellieren.
C. Modelle /. Begriffe und Regeln. Modelle verfassen die (speziellen) Gegenstände von Theorien, 239 indem sie für die einzelnen Gegenstände, ihre Teile und Eigenschaften, auf die man sich beziehen möchte, Bezeichnungen vorsehen (.Begriffsbestimmungen) und möglicherweise Regeln festlegen, die das Verhältnis der durch die Modellbegriffe bezeichneten Dinge zueinander betreffen. 240 237 Man beachte, daß sich die genannten Modellbegriffe alle in eine einheitliche Struktur stellen lassen, es gewissermaßen nicht um verschiedene Modellbegriffe, sondern nur um verschiedene „Modellstufen" geht (Veit Pittioni, Modelle und Mathematik, a.a.O., 1.2 und 2., S. 180 ff., insbesondere Tafel 1 aufS. 191). 238
Veit Pittioni, Modelle und Mathematik, a.a.O., 2.1, S. 193.
239
In der Begrifflichkeit von Hilbert und Bernays, Grundlagen der Mathematik, 1. Aufl., Bd. 1, 1934 würde es sich bei einer axiomatisierten rechtlichen Theorie, deren Gegenstände über Modelle konstituiert werden, deshalb um eine axiomatische Theorie im engeren Sinne handeln (§ 1 S. 1), d.h. im Sinne der Verschärfung, die der Begriff der Axiomatik 1899 in Hilberts Grundlagen der Geometrie erfahren hat. Es ist aber nicht notwendigerweise der Fall, daß auch eine „Axiomatik in der engsten Bedeutung" entwickelt wird, denn die Unabhängigkeit der juristischen Betrachtung von der Einnahme eines positivistischen oder konstruierenden Standpunktes bedeutet gerade, daß die Gegenstände der Theorie durch die Modelle möglicherweise nur als Gattungen von (fremd vorgegebenen) Dingen eingeführt werden. 240
Hermann Fertig formuliert dies etwas weiter: „Ein Modell ist jeweils ein System, das sich aus Entitäten bestimmter Art (die unter Umständen verschiedenen Bereichen angehören können) konstituiert und in dem ein bestimmtes Beziehungsgefüge (in Gestalt von Beziehungen und funktionellen Abhängigkeiten) zwischen diesen Systemelementen gegeben ist. Die Entitäten können materieller, gedanklicher oder sprachlicher Art sein." (Modelltheorie der Messung, 1977, 1.1.2 Nr. 1, S. 29, mit weiteren Hinweisen zum Begriff des Systems, Hervorhebung im Original.) In der vorliegenden Arbeit wird
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
Selbstverständlich ist das Wort ,Modell' an sich keineswegs auf sprachliche Modelle beschränkt, sondern erfaßt vor allem auch plastische Modelle. Solche Modelle werden in der Regel aber in ganz anderem als dem hier interessierenden Zusammenhang verwendet, nämlich zur Veranschaulichung eines theoretisch bereits eingesehenen, aber schwer vorstellbaren Zusammenhangs. In der vorliegenden Untersuchung geht es jedoch darum, erst einmal Theorien aufzubauen und mitteilen zu können, nicht um einen späteren vereinfachenden Überblick. Weil die Darstellung von Theorien, insbesondere rechtlichen Theorien, selbst sprachlicher Natur ist, sind auch die in ihnen angegebenen Modelle sprachlich. Sie bestehen aus den Begriffen für die Teile und Eigenschaften des modellierten Gegenstandes und einer Beschreibung derselben in dieser Begrifflichkeit. Es gibt zwei Arten von Begriffsbestimmungen : einerseits Definitionen, die einen neuen Modellbegriff nur unter Bezugnahme auf andere Modellbegriffe einführen und gemeinsam mit den Regeln des Modells die Modellsätze bilden, 241 andererseits Definitionen, die einem Modellbegriff Aspekte der Außenwelt zuordnen, die nicht ihrerseits durch Modellbegriffe bezeichnet sind. Letztere erfahren als Zuordnungssätze eine gesonderte Behandlung und liefern die semantischen Inhalte der Begriffe; die Begriffsbestimmungen unter den Modellsätzen hingegen wären rein syntaktische Definitionen, gäbe es keine Zuordnungssätze. Als ,Regeln' werden hier im Zusammenhang mit Modellen Sätze bezeichnet, die Begriffe eines Modells zueinander in Beziehung setzen, ohne einen davon zu definieren, also keinen Begriff des Modells vollständig auf andere der Begriff des Modells auf Systeme sprachlicher Entitäten' beschränkt. Ferner muß ihr Beziehungsgefüge im Sinne Fertigs „konkret bestimmt" sein. Er spricht in diesem Fall von „Modellprinzipien" (a.a.O.; wobei er sich allerdings - mit Blick auf die Physik eine mathematische Formulierung der Prinzipien vorstellt, die hier nicht vorausgesetzt wird). Vgl. auch Carl Gustav Hempel, Typological Methods in the Natural Sciences, zitiert nach: Aspects of Scientific Explanation and other Essays, 1965, (III. 7.) 5., S. 168 f. Die vorliegend entworfene Unterscheidung von Begriffsbestimmungen, Modellregeln und Rechtssätzen weist gewisse Ähnlichkeiten zu Samuel Pufendorfs Unterscheidung von definitiones, principia und propositiones auf, die er seinen Elementorum Jurisprudentiae Universalis Libri Duo (1660) zugrunde legt (vgl. Praefatio, S. ix der Ausgabe Cambridge 1672, und passim). Freilich verfügt Puf endo rf dabei noch nicht über ein Modellkonzept und folglich auch über nichts, was Zuordnungssätzen entspräche. Ihn interessiert das logische Problem der Begründung (Deduktion) rechtlicher Sätze, nicht das erkenntnistheoretische der Verfassung von Gegenständen einer Theorie. 241 So wie Henri Poincaré über die Axiome der Geometrie sagt, sie seien nur verkleidete Definitionen (Wissenschaft und Hypothese (La Science et l'Hypothèse), 2. Aufl. 1906, 2. Teil 3. Kapitel, S. 51), hat man diese Begriffsbestimmungen zugleich auch als Axiome aufzufassen.
C. Modelle
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Modellbegriffe zurückführen. Regeln sind insoweit schwächer' als Begriffsbestimmungen, als sie keinen Begriffsinhalt vollständig festlegen. Dennoch liefern sie Informationen über die enthaltenen Begriffe. Zuordnungssätze, die einen solchen Begriff belegen, müssen zu ihnen konsistent sein. 242 Deshalb bedeutet jede Modellregel eine Einschränkung der Menge möglicher Zuordnungssätze243 und legt eine Eigenschaft des modellierten Gegenstandes fest. 244 Modelle werden verwendet, indem man ihre Begriffe gebraucht. Das geschieht in den rechtlichen Sätzen einer rechtswissenschaftlichen Theorie, und diese Verwendung steht hier im Mittelpunkt. Rechtliche Modelle werden aber auch außerhalb rechtlicher Theorien in jeder Kommunikation, die etwas mit Recht zu tun hat, verwendet. Ihre Bedeutung geht deshalb weit über die vorliegende Darstellung hinaus. 2. Minimalmodelle. Jedes Modell muß mindestens einen Begriff zur Verfügung stellen, da sonst eine Bezugnahme darauf nicht möglich wäre und es zur Theorie nichts beitragen könnte. Ein Modell muß hingegen weder explizite Begriffsbestimmungen enthalten - denn alle Begriffe können durch Zuordnungssätze bestimmt werden - noch notwendigerweise Regeln. Letztere kennzeichnen in einem Modell diejenigen unabänderlichen Eigenschaften des Gegenstandes, die sich nicht schon unmittelbar aus den Begriffsbestimmungen ergeben. Viele Gegenstände sind indes bereits ausreichend bestimmt, sobald die nötigen Begriffe festgelegt wurden. So läßt sich anhand von § 25 StGB ein Täterschafts-Modell entwickeln, das die verschiedenen im StGB vorausgesetzten Formen von Täterschaft allein mittels Begriffsbestimmungen verfaßt. Andererseits wird unser Eigentumsmodell sicher am besten ausgedrückt, wenn auch Regeln - z.B. über den Eigentumserwerb an beweglichen 242
Regeln können (und werden oftmals) präskriptive Sätze sein und sind dann natürlich auch, was das Konsistenzerfordernis angeht, als solche zu verstehen: Zuordnungssätze, welche die in einer präskriptiven Modellregel verwendeten Begriffe belegen, müssen so beschaffen sein, daß die Regel sinnvoll wird, d.h. daß Situationen entstehen, in denen die Regel durch entsprechende Handlungen erfüllt werden kann. Die Zuordnungssätze müssen also keineswegs (und dürfen auch gar nicht) schon begrifflich sicherstellen, daß die Regel befolgt werden wird, denn dann hätte kein Handelnder eine Alternative zur Erfüllung der Regel, und sie wäre als präskriptiver Satz nicht sinnvoll. 243
Vgl. dazu Ludwig Wittgenstein, gico-philosophicus) 1921, 2.0123. 244
Logisch-philosophische Abhandlung (Tractatus lo-
Siehe hierzu grundlegend die Bemerkung von Gottfried Wilhelm Leibniz , Dialogus de connexione inter res et verba, 1677 (veröffentlicht 1765, S. 24 in Sämtliche Schriften und Briefe, 6. Reihe, Philosophische Schriften, 4. Bd., Teil A, 1999, beginnend mit „B: ita est, sed hoc"), daß in deduktiven Ausführungen die Verknüpfungen der „characteres" (Zeichen) immer der Verbindung und Ordnung der Teile des Gegenstandes entsprechen müssen, den sie bezeichnen. Siehe hierzu ferner Ludwig Wittgenstein, Logisch-philosophische Abhandlung (Tractatus logico-philosophicus) 1921, 4.463.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
Sachen - mit aufgenommen werden. Diese spielen für unseren Eigentumsbegriff eine wesentliche Rolle und lassen sich nicht sinnvoll nur als Definition von ,Eigentumserwerb an beweglichen Sachen4 fassen, denn es geht dabei nicht um die Schaffung eines neuen Begriffs, sondern um die Ausgestaltung einer Eigenschaft (nämlich Übertragbarkeit) des Eigentums. 3. Aufgabe der Rechtswissenschaft. Die Entwicklung von Modellen, d.h. das Bereitstellen von Begriffen für Rechtssätze, ist ureigenste Aufgabe der Rechtswissenschaft. Kein Gesetzgeber verfügt über die nötige Muße und meist auch weder über die nötige Erfahrung noch den erforderlichen Sachverstand, um selbst rechtliche Modelle zur Bezugnahme in seinen Normen zu erstellen. Gesetzgeber suchen statt dessen nach vorhandenen rechtlichen Modellen (die keineswegs schon zum geltenden Recht gehören, aber der Rechtswissenschaft bekannt sein müssen) und verwenden das ihnen für die eigenen Zwecke am besten geeignet erscheinende. Gefallt ihnen keines der vorhandenen Modelle, fingieren sie eines, indem sie in den zu erlassenden Normen mehr oder minder verständliche Wörter verwenden und ,die Klärung ihrer Bedeutung Rechtsprechung und Wissenschaft überlassen'. Gibt es tatsächlich kein passendes Modell und ist eine Regelung auf dem betreffenden Gebiet nötig, dann bedeutet diese (in den Bundestagsdrucksachen nicht selten zu lesende) Floskel, daß die Rechtswissenschaft ihre Aufgabe nicht erfüllt hat. Es mag sein, daß ihr bei schwierigen Materien hieraus kein Schuldvorwurf zu machen ist, doch sie sollte sich jeweils fragen, ob ihr nicht weitergehende Anstrengungen zuzumuten gewesen wären. Mit dieser Aufgabe ist für die Rechtswissenschaft auch ein besonderer Gestaltungsspielraum verbunden. Je umfassender ein Modell ist (insbesondere je weitergehende Regeln es enthält), desto stärker nimmt es normative Entscheidungen vorweg. Das liegt in der Natur von Modellen, ist unvermeidlich und kein Fehler. Im Hinblick auf die Konsistenz von Normgefügen ist dieser Umstand, wenn das Modell fachgerecht ausgearbeitet wurde, für die Rechtsordnung sogar vorteilhaft. Der sich auf das Modell beziehende Gesetzgeber braucht innerhalb des durch das Modell geregelten Bereichs schon keine Widersprüche mehr zu befürchten. Indes gewinnt die Rechtswissenschaft - und das muß ebenfalls betont werden - durch die Entwicklung von Modellen keine gesetzgeberischen Kompetenzen: Ob ein Modell zur Grundlage geltender Rechtssätze wird und seine Regeln selbst Geltung erlangen, entscheidet allein der Gesetzgeber; ob eine solche Entscheidung gefallen ist, erkennt allein die Rechtsprechung.
C. I. Eigenschaften von Modellen
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I. Eigenschaften von Modellen Als Beispiel sei das im Strafrecht weithin beliebte ,conditio sine qua non '-Modell der Kausalität (einer einzelnen vorgenommenen Handlung) betrachtet. Zu den Begriffen des Modells gehören neben ,Kausalität' mindestens auch ,Handlung' (als Ursache) und ,Erfolg' (als Wirkung). ,Handlung' und , Erfolg' bezeichnen Ereignisse innerhalb eines Gesamtgeschehens, K a u salität' bezeichnet eine Relation dieser Ereignisse. Der Begriff ,Handlung' wird dabei aus einem anderen, komplexeren Modell übernommen, nämlich dem der Zurechnung von Vorgängen als Handlung. 245 Die beiden anderen Begriffe werden im Kausalitäts-Modell etwa folgendermaßen bestimmt: (1) Zwischen zwei nicht gleichzeitigen Ereignissen, von denen das erste eine Handlung ist, besteht genau dann ,Kausalität', wenn das zweite Ereignis nicht stattgefunden hätte, falls die Handlung nicht vorgenommen worden wäre. (2) Ereignisse, die zu einer Handlung in Kausalbeziehung stehen, werden als ,Erfolg' dieser Handlung bezeichnet. Dieses Beispiel ist besonders schlicht. Es kommt ohne Modellregeln aus und vereinfacht das im Strafrecht tatsächlich verwendete Kausalitäts-Modell insofern, als die (,hypothetische') Kausalität von Unterlassungen sowie einige Spezialfälle (insbesondere alternative Kausalität') außer Betracht bleiben. Schon an diesem Beispiel sind einige Eigenschaften, die allen Modellen zukommen, gut zu erkennen: /. Grundbegriffe. Es können niemals alle in einer Theorie verwendeten Begriffe definiert werden. Wohlgeformte Definitionen müssen frei von Zirkeln sein, und jede Kette von Definitionen muß an irgendeiner Stelle abbrechen. Bei der Einführung der Begriffe einer Theorie und ihrer Modelle müssen also immer irgendwelche Grundbegriffe als bereits bekannt vorausgesetzt werden. Man kann deshalb zwei Arten von Begriffen, die in Rechts- und Modellsätzen vorkommen, unterscheiden: Entweder wird ein Begriff im Rahmen der Theorie definiert, dann gehört er zu einem Modell, das im Extremfall nur diesen einen Begriff zur Verfügung stellt, in der Regel aber aus einem größeren Gefüge von Begriffen für einzelne Teile des Modells und Zusammenhängen zwischen diesen Teilen (Regeln) besteht. Oder der Begriff wird nicht innerhalb der rechtlichen Theorie definiert, dann wurde er von demjenigen, der die Theorie ausgearbeitet hat, als Grundbegriff vorausgesetzt. 246 Keine Theorie kann ohne solche Grundbegriffe auskommen. 247 245
Vgl. Joachim Hruschka, Verhaltensregeln und Zurechnungsregeln, Rechtstheorie 22 (1991), S. 451 ff., der hier von „Zurechnung erster Stufe" (S. 452) spricht. 246 Der Begriff ,Grundbegriff' wurde in der Rechtswissenschaft (wie in anderen Wissenschaften) teils in einem - nicht unbedingt klaren - engeren Sinne verwendet, der „die
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
Im Beispiel kommt der Begriff ,Ereignis 4 als Grundbegriff in Betracht. Doch das Wort ,Ereignis' wird in der Rechtswissenschaft im allgemeinen in sehr eigener Weise verwendet, die insbesondere Bezugnahmen auf eine ,rechtliche Wirklichkeit' 2 4 8 zuläßt (z.B. den Ablauf einer Frist) und nicht erfordert, daß sich das Ereignis örtlich bestimmen läßt (während die Bestimmtheit in Raum und Zeit in der an der Physik orientierten Alltagssprache wohl zu den Begriffsmerkmalen zu zählen ist). Das spricht eher dafür, den Begriff mittels eines Zuordnungssatzes zu bestimmen, z.B. als tatsächlichen oder rechtlichen Vorgang, der zeitlich bestimmt sein muß (obwohl der Zeitpunkt natürlich nicht bekannt zu sein braucht)'. Dieser Zuordnungssatz enthält dann diverse Grundbegriffe (,Vorgang', ,Zeit' etc.). Die methodische Auseinandersetzung mit Begriffen, die von einem Modell zur Verfügung gestellt werden, gehört zum Gebiet der (in der vorliegenden Untersuchung behandelten) , rechtswissenschaftlichen Modelltheorie '. Zur methodischen Auseinandersetzung mit Grundbegriffen vermag die Modellvorstellung hingegen nicht unmittelbar etwas beizutragen. Die Grundbegriffe werden vom Verfasser der Theorie als klar vorausgesetzt. Werden sie erfolgreich hinterfragt, bedeutet das eine Fortentwicklung der Theorie, nicht allein ein Ringen um das Verständnis dieser Theorie selbst. Das Hinterfragen der Grundbegriffe kann deshalb nicht ausschließlich mit Mitteln dieser Theorie geschehen. Die Modellvorstellung tritt dabei nur mittelbar in Erscheinung, nämlich dann, wenn ein ehemaliger Grundbegriff als Ergebnis tiefer gehender begleitende Vorstellung einer ihnen innewohnenden hohen D e n k n o t w e n d i g k e i t " voraussetzt und ebenso, daß sie „rein erhalten werden" (Theodor Sternberg, Allgemeine Rechtslehre, 1904, 1. Teil. § 13 B. S. 170-175; Zitate von S. 173 und 171, Hervorhebung im Original) - was immer das beides bedeuten mag. Anders als dieser engere Begriff hat der Begriff in der vorliegenden Untersuchung aber keine „metaphysischen Bedürfnisse]" (S. 174) zu erfüllen, sondern nicht mehr und nicht weniger als die logische (delinitorische) Struktur der Begriffe einer Theorie (rein formal) auszudrücken. 247 Ebenso wie (interessante) rechtliche Theorien dadurch gekennzeichnet sind, daß sie einer besonders großen Anzahl von Axiomen bedürfen, setzen sie auch eine gegenüber mathematischen Theorien ungleich größere Zahl von Grundbegriffen voraus. Engisch hat das als unüberwindliches und letztlich die Verwendung der axiomatischen Methode in der Rechtswissenschaft ausschließendes Hindernis angesehen (Karl Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, Studium Generale 10. Jg. (1957), S. 175). Doch jede rechtliche Darstellung und damit erst recht die Anzahl der verwendeten Grundbegriffe ist notwendig endlich. Deshalb ist die große Anzahl von Grundbegriffen lediglich eine Besonderheit der Rechtswissenschaft, welche den Überblick eventuell erschwert, aber keine die axiomatische Theoriebildung prinzipiell ausschließende Hürde. 248
Die Einführung einer rechtlichen Wirklichkeit' ist ein Kunstgriff, der gerade durch Modellbildung möglich wird. Die rechtliche Realität wird in dem Sinne frei modelliert, daß sie keine als vorgegeben vorgestellten Ereignisse oder Zustände abbildet. Vielmehr wird sie selbst erst durch Normen konstruiert. Solche Modelle sind verzichtbar, aber manchmal überaus hilfreich.
C. I. Eigenschaften von Modellen
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Untersuchungen Teil eines - in einer neuen Fassung der Theorie neu eingeführten - Modells wird, welches (indirekt über entsprechende Zuordnungssätze) neue Grundbegriffe voraussetzt. 2. Unvollständigkeit des Regelsystems. Die Begriffsbestimmungen und Regeln eines Modells müssen durchaus kein in sich geschlossenes System bilden. Sie können auf andere Modelle durch deren Begriffe und Regeln Bezug nehmen, solange die Bezüge insgesamt frei von Zirkeln bleiben, also irgendwann abbrechen. Im Ausgangsbeispiel wird durch den Begriff ,Handlung' auf das ganze System der Regeln über die Zurechnung eines Vorgangs als Handlung Bezug genommen. Die Bestimmung des Begriffs ,Kausalität' setzt implizit ein System von Regeln voraus, nach dem unter der kontrafaktischen Hypothese, daß die Handlung nicht vorgenommen wurde, zu erschließen ist, ob das zweite betrachtete Ereignis dennoch stattgefunden hätte oder nicht. Schließt man auch die Unterlassung von Handlungen in das Modell ein, werden hier sogar zwei unterschiedliche Regelsysteme benötigt: die Regeln über ,Kausalketten' und diejenigen über sogenannte , hypothetische Kausal Verläufe'. 249 3. Unwiderlegbarkeit falsch sein.
von Modellen. Ein konsistentes Modell 2 5 0 kann nicht
Man kann dem Modell in unserem Beispiel nicht entgegenhalten, es beschreibe nicht,Kausalität'. Das Modell mag dem in der Philosophie, den Naturwissenschaften und auch in der Jurisprudenz über Jahrtausende tradierten Sprachgebrauch widersprechen, indem es eine notwendige (Real-)Bedingung 251 ihrer Notwendigkeit wegen als ,kausal' bezeichnet und hinreichende, aber nicht notwendige Bedingungen nicht ,kausal' nennt. Es mag irreführend, ungeschickt und wenig effizient sein, ein solches Modell aufzubauen, in dem die hauptsächlich interessanten Regeln in dem (doppelten) Regelsystem verborgen werden, das die erste Begriffsbestimmung lediglich voraussetzt. Aber nicht einmal diese - etwas zugespitzt formulierten - Einwände gegen unser Kausalitätsmodell tragen die Falschheit des Modells vor. Sie könnten es gar 249 Siehe dazu insbesondere Jan C. Joerden, Dyadische Fallsysteme im Strafrecht, Berlin, 1986, 1. Kapitel V., S. 40 Anm. 58 sowie 5. Kapitel IL, S. 148 f. mit weiteren Nachweisen. 250
Damit ist ein Modell gemeint, das innerhalb seiner Begriffsbestimmungen und Regeln (also den in ihm enthaltenen Prämissen) keine Widersprüche aufweist. 251 Es geht um eine innerhalb der tatsächlich abgelaufenen Ereigniskette notwendige Bedingung (sogenannte Realbedingung) und nicht um eine allgemein notwendige (sich schon allein aus den Naturgesetzen logisch ergebende) Bedingung für den Eintritt des Erfolges.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
nicht, denn als Kombination aus Definitionen und postulierten Regeln ist das Modell gegenüber solchen Einwänden erhaben, solange nur die Definitionen wohlgeformt und die Regeln widerspruchsfrei sind. Die Einwände tragen andersartige Defizite des Modells vor und legen nahe, dieses Modell durch ein besseres zu ersetzen, wenn man ein solches findet. Dies aber sind keine logischen, sondern in einem weiteren Sinne immer pragmatische 252 Gründe, denen prinzipiell nur mit anderen pragmatischen Gründen zu begegnen ist. Um diesen Punkt weiter zu verdeutlichen, sei noch ein Beispiel gegeben: Zu einer ^naturwissenschaftlichen') Theorie über die Erde, in der diese als Scheibe modelliert ist, gehöre die Aussage ,Wer strikt in westliche Richtung segelt, gelangt niemals an einen Punkt, an dem er schon einmal war.'. Nun segelt jemand auf strikt westlichem Kurs und kehrt dabei an seinen Ausgangspunkt zurück. Er widerlegt damit die Aussage, nicht aber das Modell. Nur Aussagen lassen sich falsifizieren, Modelle niemals. Wurde, wie hier, eine Aussage widerlegt, so hat der Theoretiker sie zurückzuziehen. Er kann dann entweder rein im Bereich der Aussagen reagieren und sie durch eine andere ersetzen bzw. ersatzlos streichen oder aber seine Reaktion auf das Modell erstrecken und dieses ergänzen bzw. ersetzen. 253 Im Beispiel wird der Theoretiker ohne Änderung des Modells und ohne Änderung der Voraussetzungen der Aussage keine Prognose formulieren können, die mit dem Ausgang des Experiments übereinstimmt. Nach allem, was wir heute wissen, wäre es recht effizient, das Scheiben-Modell durch ein Kugel-Modell zu ersetzen. Der Theoretiker ist dazu aber nicht gezwungen. Zunächst kann er (durch Streichen entsprechender anderer Prämissen bzw. Einschränkung des Gegenstandsbereichs der Theorie) stets darauf verzichten, eine Prognose abzugeben, d.h. die Aussage ersatzlos aus der Theorie streichen. So kann er sein Modell (um den Preis der Leistungsfähigkeit der Theorie bis hin zur völligen Nutzlo252 Mit ,pragmatisch' ist nur die Pragmatik der Theoriebildung gemeint, d.h. es geht um die Handlungen der Konstrukteure einer Theorie bei ihrem Aufbau und nicht um Handlungen ihrer Anwender. Insbesondere meint ,Pragmatik' hier nicht das teilweise beliebte Zauberwort, mit dessen Hilfe sich diverse inhaltliche Annahmen zu Fragen der politischen Philosophie sprachlich bruchlos in die Wissenschaftstheorie einschmuggeln lassen.
Zum pragmatischen Charakter der Modellbildung siehe insbesondere Herbert Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie, 1973, 2.1.1.3, S. 132 ff., ferner 1.3.2, S. 50 ff. sowie derselbe , Erkenntnisstufen zum Systematischen Neopragmatismus und zur Allgemeinen Modelltheorie, in: derselbe (als Hrsg.), Modelle - Konstruktionen der Wirklichkeit, 1983, S. 116 ff. (2.2 und danach passim), ferner jüngst Nils Jansen, Dogmatik, Erkenntnis und Theorie im europäischen Privatrecht, ZEuP 2005, S. 770 (II. 4. a) ) und S. 777 ff. (II. 6.). 253
Ein sorgfältig beschriebenes weiteres Beispiel dazu findet man bei Gerd Graßhoff und Hubert Treiber , Naturgesetz und Naturrechtsdenken im 17. Jahrhundert, 2002, B.III. 1.5, S. 34 ff.
C. II. Modell und Modelliertes
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sigkeit) immer ohne Widerspruch zu Experimenten erhalten. Ist er zur Einbuße an Aussagekraft nicht bereit, kann er sein Modell oft durch eine bloße (im Extremfall frei erfundene) Ergänzung weitgehend retten. So könnte er im Beispiel an dem Modell der Scheibe festhalten, indem er ihm einen Engel hinzufügen, der den Segler immer kurz vor dem Abgrund auf die andere Seite der Scheibe setzt, ohne daß dieser das bemerkt. Genau dasselbe, ein bloßes Hinzufügen weiterer Regeln statt einer Revision des Modells, ist historisch auch im Falle des strafrechtlichen Beispiels geschehen, als die Betrachtung ,bloßer Ersatzursachen' verboten, dann unter besonderen Bedingungen doch zugelassen und die ,kumulative Kausalität' sowie die alternative Kausalität' zu Sonderfällen erklärt wurden. All diese Regeln machen Ausnahmen und Gegenausnahmen von dem Grundsatz, genau die conditiones sine quibus non seien kausal. Als Ergänzungen des Modells bedeuten sie den Übergang zu einem komplizierteren Modell. Die Komplexität kann irgendwann für den Wechsel zu einem ganz anderen Modell ausschlaggebend werden. Doch die Gründe bleiben pragmatisch.
I I . Modell und Modelliertes Nachdem Modelle die Funktion haben, spezielle Gegenstände zum Zwecke der Theoriebildung zu verfassen, ist das Verhältnis zwischen Modell und Modelliertem von besonderem Interesse. Eine Auseinandersetzung mit ihm zeigt einige strukturelle Eigenschaften und sinnvolle Klassifikationen von Modellen auf. 254 /. Vorbild und Abbild. Statt Modelliertes' wird häufig der Begriff »Original4 verwendet. Er paßt in vielen Fällen, aber nicht immer. Das Modellierte ist höchstens dann ein Original, wenn es Vorbild (auch: ,Urbild') und das Modell sein Abbild (auch kurz: ,Bild') ist. Die Beziehungen Modell-Modelliertes und Vorbild-Abbild sind aber nicht unbedingt gleichlaufende Beziehungen. Auch das Modell kann Vorbild und das Modellierte dessen Abbild sein. 255 Angenommen, es soll eine Brücke gebaut werden. Für Bauprojekte wird nicht selten zuvor ein Modell (hier als plastische Miniatur) angefertigt, z.B. in Gips. Zu der später errichteten Brücke ist es ein Vorbild. Weiter angenommen, die Brücke muß nach einiger Zeit renoviert und dazu eingekleidet werden. 254
Vgl. zu den folgenden Ausführungen insgesamt grundlegend Herbert Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie, 1973, insbesondere 2.1, S. 128 ff. sowie 1.3.3, S. 56 ff. 255 Vgl. mit Bezug auf die Naturwissenschaften Ernst Mach, Die ökonomische Natur der physikalischen Forschung, 1882, S. 220 f.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
Sie ist aber mittlerweile zur touristischen Attraktion geworden, und man entschließt sich, den Touristen zumindest ein Modell der Brücke zu zeigen, solange sie das Original nicht sehen können. Deshalb wird wiederum eine kleine Gipsfigur gefertigt, welche die Brücke darstellt. Dieses Modell kann dem ersten völlig gleichen und doch ist nun die Vorbild-Abbild-Beziehung umgekehrt: Zunächst war die Brücke ein Abbild. 2 5 6 Später ist die Brücke ein Original und das Modell bildet sie ab. In welcher Richtung die Abbildung verläuft - ob vom Modellierten zum Modell oder umgekehrt - liegt allein in der Verwendung des Modells. Selbst wenn Modell und Modelliertes unverändert bleiben, kann die Abbildungsbeziehung umgekehrt werden: Wäre in unserem Fall das erste Gipsmodell erhalten geblieben, hätte es als Abbildung der Brücke für Touristen dienen können. Die Abbildbeziehung läßt sich sogar immer wieder umkehren. Möchte man später z.B. den Bau der Brücke dokumentieren, kann dasselbe Modell erneut als Vorbild der Brücke ausgestellt werden. Ein Modell, das als Abbild fungiert, soll im folgenden kurz ,Abbild-Modell' heißen, eines, das als Vorbild fungiert, kurz ,Vorbild-Modell'. 2. Positivistischer und konstruierender Standpunkt. Dieser Unterschied in der Verwendungsweise ist auch für den Unterschied zwischen der positivistischen (realistischen) und der konstruierenden (rationalistischen) Betrachtungsweise eines Gegenstandes kennzeichnend: Soweit man einen Gegenstand für vorgegeben hält, ist er das Original. Die Begriffe und Beschreibungen, die in diesem Fall in der Theorie des Gegenstandes Verwendung finden, bilden ihn ab, und das Modell ist eine Abstraktion des Originals. Stellt man sich hingegen vor, den Gegenstand erst zu konstituieren, ist das geschaffene Modell Vorbild. Ein Abbild, das einem solchen Vorbild-Modell entspricht, ist die Realisierung , Implementierung , Umsetzung der Konstruktion. Wer (positivistisch) ein Abbild-Modell von Genossenschaften verwendet, sieht Genossenschaften als vorgegebene Gegenstände an und modelliert sie mit Hilfe eines Systems von Sätzen, das die Charakteristika der Genossenschaften, auf die er sich beziehen möchte, zutreffend und übersichtlich wiedergeben soll. Wer hingegen (konstruktiv) ein Vorbild-Modell verwendet, betrachtet die Genossenschaften als erst durch das Modell selbst verfaßt. 3. Verkürzung und Gleichheit. Hat das Modell ein Original, wird es dieses in der Regel verkürzen, d.h. nicht alle seine Eigenschaften abbilden. Ist das Original ein reales Objekt, so ist es schlechterdings unmöglich, all dessen Eigenschaften explizit anzugeben. Doch auch wenn das Original selbst eine 256 Hier die Brücke oder das Modell ein ,Original' zu nennen, wäre beides eine irritierende Sprechweise.
C. II. Modell und Modelliertes
127
Theorie oder ein anderes geistiges Konstrukt ist, interessieren im Rahmen einer bestimmten Theorie oft gar nicht alle Eigenschaften. Gute Verkürzungen sind nichts anderes als gelungene Vereinfachungen. Es ist ein wichtiger Aspekt von Modellen, daß sich durch sie das betrachtete Original auf seine für die Theorie relevanten Bestandteile und Eigenschaften reduzieren läßt. 257 Die Modellbeziehung besteht also immer nur in bestimmter Hinsicht, nämlich in der Korrespondenz bestimmter Merkmale des Modellierten und des Modells. Im Hinblick auf die nicht berücksichtigten Merkmale gibt es dagegen keine Modellbeziehung. Ein Globus ist z.B. ein vielfach brauchbares Modell bzgl. der Form der Erde, ihrer Kontinente sowie der relativen Lage der Kontinente zueinander. Er kann aber bzgl. der chemischen und geologischen Zusammensetzung der Erde und ihrer Masse kaum ernsthaft als Modell verwendet werden. Die Verkürzung hat den Effekt, daß Originale, die sich in den bei der Modellierung unberücksichtigt bleibenden Merkmalen unterscheiden, in den übrigen Merkmalen aber übereinstimmen, auf völlig übereinstimmende Modelle abgebildet werden. Man wird diese nicht mehr unterscheidbaren Modelle der Übersichtlichkeit halber identifizieren und davon sprechen, die Originale würden auf ,dasselbe4 Modell abgebildet. 258 Daraufhin läßt sich sogar die Unterscheidung der Originale aufgeben und von dem einen Gegenstand dieses Modells sprechen. 259 Ziel einer Theorie ist immer ein gewisses Maß an Allgemeinheit. Man möchte für gleichartige Fälle eine einheitliche Regel angeben. Erst die Verkürzung des Originals - ganz gleich um was für einen Gegenstand es sich dabei handelt - versetzt uns in die Lage, zwei nicht identische Originale in dem Sinne als gleich zu erachten, daß sie unter dasselbe Gesetz fallen können. Wollen wir in ähnlich gelagerten Situationen nach einem einheitlichen Naturgesetz Prognosen über ihren weiteren Fortgang geben, ist dafür ein verkür-
257 Vgl. Ernst Mach, Die ökonomische Natur der physikalischen Forschung, 1882, passim, insbesondere S. 236 f., ferner Manfred Pesche/, Grundprinzipien der Modellbildung, in: Friedhart Klix u.a. (Hrsg.), Mathematische Modellbildung in Naturwissenschaft und Technik, 1976, S. 1 f. und 5 f. (1., 4. und 9.) sowie bereits René Descartes , Regulae ad directionem ingenii, posthum 1701, Regula XII, 11. ff., S. 417 ff. der (Euvres des Descartes von Adam und Tannery, Bd. X, 1908 (AT Τ. X). 258 Streng genommen handelt es sich also nicht um dasselbe Modell, sondern um die Äquivalenzklasse der identifizierten Modelle. Das ,eine' Modell, das man sich vorstellt, wenn man all die völlig gleichartigen Modelle identifiziert, ist dann Vertreter dieser Äquivalenzklasse (vgl. oben Fn. 208). 259 Vgl. Ernst Mach, Die ökonomische Natur der physikalischen Forschung, 1882, S. 232.
128
Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
zendes Modell der Situation erforderlich. 260 Fordern wir, im wesentlichen gleiche Fälle rechtlich gleich zu behandeln, dann setzt auch das die jeweiligen Fälle entsprechend verkürzende Modelle voraus. 4. Nicht-Eindeutigkeit und Pragmatismus. Es kann von ,demselben' Modellierten viele Modelle geben (in jeweils unterschiedlichen Theorien). Verträge modelliert das BGB z.B. als Versprechen aus Antrag und Annahme, während das Vertragsmodell des common law auch consideration enthält. Die Modellierung läßt sich dem Gegenstand niemals selbst entnehmen. Je nach Zielsetzung einer Untersuchung oder Normierung kann man mehr oder minder zweckdienliche Modelle unterscheiden und unter gleichermaßen zweckdienlichen nach anderen Kriterien auswählen. Eine Suche nach einem optimalen Modell hängt immer von der eigenen Zwecksetzung ab. 261 Die Optimierung eines Modells erfolgt nach pragmatischen, nicht nach notwendigen Merkmalen. Deshalb gibt es niemals ,das' Modell eines Gegenstandes im Sinne eines eindeutig bestimmbaren Modells. Sobald ein (nach den jeweils maßgeblichen pragmatischen Gesichtspunkten) besseres Modell gefunden wird oder sich die jeweils maßgebliche Zwecksetzung verändert, wird das verwendete Modell ausgetauscht werden. Modelle ersetzen ein Original nur temporär bzw. geben eine Realisierung nur temporär und abhängig von bestimmten Bedürfnissen vor. Weil dies immer die Bedürfnisse von Personen sind, und zwar der Personen, die sich das Modell schaffen und verwenden, 262 wird auch von einem Modellsubjekt gesprochen 26^ und die Trias Modell, Modelliertes (oft Modelloriginal) und Modellsubjekt betrachtet. 264
I I I . Bewährte Modelle im Recht Die meisten rechtswissenschaftlichen Konzepte, die unter den hier entwickelten Modellbegriff fallen, werden im alltäglichen juristischen Sprachgebrauch nicht als ,Modell' bezeichnet. Es ist vielmehr ein allgemeiner, diese Konzepte charakterisierender Gesichtspunkt (und keine Frage der 260
Ernst Mach , Die ökonomische Natur der physikalischen Forschung, 1882, S. 230.
261
Vgl. z.B. Hermann Fertig , Modelltheorie der Messung, 1977, 1.1.2 Nr. 2, S. 29.
262 Siehe dazu Herbert Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie, 1973, 2.1.1.3, S. 132 f. Einen Überblick über die diesen Punkt betreffende Kritik Henri Bergsons an Kants Kritik der reinen Vernunft, in der es letztlich noch nicht um eine pragmatische, sondern um eine theoretische Erkenntnisleistung geht, findet man bei Mirjana Vrhunc, Bild und Wirklichkeit, 2002, insbesondere Kapitel 3.1, S. 133 ff. 263 Vgl. Wilhelm Steinmüller, Informationstechnologie und Gesellschaft, 1993, II. 2.3.3, S. 181 ff. 264 Siehe bereits René Descartes , Regulae ad directionem ingenii, 1701, Regula XII, 2., AT Τ. X S . 411.
C. III. Bewährte Modelle im Recht
129
Bezeichnung), daß sie innerhalb rechtlicher Theorien den Status von Modellen haben bzw. annehmen können. Deshalb und um die Vorstellung von Modellen durch Beispiele anzureichern, lohnt es, einige Modelle vorzustellen, die sich in der Rechtswissenschaft besonders bewährt haben und unter den juristischen Begriffsbildungen einen besonderen Rang einnehmen. /. Tatbestände und Sachverhalte. Jedenfalls für die heutigen kontinentaleuropäischen, durch Kodifikationen geprägten Rechtsordnungen, ist die Bildung von Tatbeständen ein zentrales rechtliches Konzept. Als typisierende Schilderungen von Situationen, die im Moment der Anwendung der Norm bereits in der Vergangenheit liegen, sind sie retrospektiv und deskriptiv zu verstehen und deshalb Abbild-Modelle. Diese Einordnung erschöpft ihren Sinn aber keineswegs. Der Deliktstatbestand eines Unterlassungsdelikts etwa sollte bei der Lektüre des StGB durchaus auch als Teil einer (impliziten) Gebotsnorm verstanden werden, d.h. prospektiv und präskriptiv. Insoweit ist das darin verwendete Modell Vorbild-Modell. Begreift man den Tatbestand (oder die Rechtsfolge) einer Regelung als Modell einer Situation, ist man - bis zu einem gewissen Grad ähnlich wie auf Grund eines Naturgesetzes - berechtigt, Aussagen über den Eintritt bzw. Nicht-Eintritt der modellierten Situation abzuleiten. Genau wie bei Naturgesetzen kann man auf die Norm eine sichere Aussage darüber stützen, ob der Eintritt der Situation mit der Gesamtheit der maßgeblichen Normen (die, wenn sie zu einer Rechtsordnung gehören, ebenso als konsistent vorauszusetzen sind, als gehörten sie zu einer naturwissenschaftlichen Theorie) konsistent wäre. Darüber hinaus läßt sich auf Grund der Norm auch der Eintritt der Situation prognostizieren. Dabei stimmen Inhalt und Herleitung strukturell mit naturgesetzlich gestützten Prognosen überein. Nur die Sicherheit der rechtsnormgestützten Prognose ist niedriger als die derjenigen auf Grundlage von Naturgesetzen. 265 Der abbildende Charakter des Tatbestandes266 kommt in dem älteren Ausdruck species facti, 267 ,Bild der Tat\ besonders gut zum Ausdruck. Damit ist ,Tatbestand4 in dem älteren, aber heute noch prozessual gebräuchlichen Sinn von Sachverhalt' (insbesondere demjenigen, der einer Entscheidung zugrundeliegt) gemeint. Der Begriff ist deshalb interessant, weil er den abbildenden 265
Vgl. dazu im 1. Kapitel C. 7. und 8.
266
Vgl. zu diesem auch Hans Welzel, Über Wertungen im Strafrecht, Der Gerichtssaal, Bd. 103 (1933), S. 346 (Abhandlungen 1975, S. 27). 267
Siehe dazu Joachim Hruschka, Die species facti und der Zirkel bei der Konstitution des Rechtsfalles in der Methodenlehre des 18. Jahrhunderts, in: Jan Schröder (Hrsg.), Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik - Rechtswissenschaft, Philosophie, Theologie, 2001, insbesondere S. 205 ff. (II.) und S. 211 ff. (VII.).
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
Charakter der sprachlichen Schilderung unterstreicht und so zwei Linien der Weiterentwicklung überhaupt erst ermöglichte. Einerseits konnte sich diese Schilderung verselbständigen (indem sie als Bild, d.h. als etwas potentiell eigenständiges, verstanden wurde) und durch stärkere Abstraktion zum Tatbestand im heutigen normtheoretischen Sinne werden. Andererseits ermöglichte das Verständnis der Schilderung als Bild, sie durch präskriptive Formulierung von einem Abbild in ein Vorbild zu verwandeln. Diese Umkehr wurde im österreichischen Sprachgebrauch sogar unter Verwendung des Wortes , Bild 4 vollzogen: Im österreichischen Strafrecht ist heute der Ausdruck ,Tatbild' gebräuchlich, wo in deutschen Rechtssätzen ,Tatbestand4 (im Sinne von objektivem Deliktstatbestand) stehen würde. 268 2. Rechtsinstitute. Ein wichtiges Verfahren, um rechtliche Handlungsmöglichkeiten zu schaffen oder zu erweitern, ist das Entwickeln von Rechtsinstituten. Durch sie werden Handlungsoptionen auf Begriffe gebracht. Zu diesen gehört jeweils ein System von Voraussetzungen und Zusammenhängen, welches die konkrete Ausgestaltung des Rechtsinstituts ausmacht. 269 Deshalb fallen sie unter den Modellbegriff. 270 Die Einführung von Wohnungseigentum in dem entsprechenden Gesetz vom 15. März 1951 271 beispielsweise brachte in die bundesdeutsche Rechtsordnung eine Begrifflichkeit ein, welche die neuen rechtlichen Möglichkeiten (namentlich Wohnungseigentum und Teileigentum) 272 und die einzelnen Bestandteile der Konstruktion (z.B. Teilung, vertragliche Einräumung von Sondereigentum, Wohnungs- und Teileigentumsgrundbuch, Wohnungseigentümerversammlung etc.) bezeichnet. Außerdem werden die Zusammenhänge der einzelnen Teile der Konstruktion beschrieben, z.B. in den Vorschriften 268
Beispielsweise lautet § 5 Abs. 1 öStGB (Vorsatz) „Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, daß der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.", während es in der dieser Norm am nächsten kommenden deutschen Vorschrift, § 16 Abs. 1 S. 1 StGB (Irrtum über Tatumstände), heißt „Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich." 269
Joachim Hruschka , The Permissive Law of Practical Reason in Kant's Metaphysics of Morals, Law and Philosophy Vol. 23 (2004), S. 45 ff. stellt dies - ohne Modellterminologie - in Bezug zu Kants Erlaubnisgesetz der praktischen Vernunft. Von dort stammt auch das folgende Beispiel (S. 55). 270 Vgl. hierzu auch Erk Volkmar Heyen , Das staatstheoretische und rechtstheoretische Problem des Beliehenen, 1973, IV. Teil 16. Abschnitt B., S. 134 f. 271 272
BGBl. 1951 Teil I, S. 175, berichtigt auf S. 209.
Das Gesetz beschäftigt sich ferner mit dem Rechtsinstitut des Dauerwohnrechts, aber das Beispiel gewönne nicht, würde dies auch noch berücksichtigt.
C. III. Bewährte Modelle im Recht
131
über die Begründung des Wohnungseigentums. Hierdurch wird ein rechtliches Modell geschaffen, worauf sich dann weitere rechtliche Aussagen beziehen können; nach unserer Rechtsordnung sind dies vor allem Privatverträge und die Vorschriften des Sachenrechts im BGB. 3. Körperschaften. Mit dem Konzept der Körperschaft werden Vorstellungen, die sich zunächst auf Menschen beziehen, auf organisierte Vereinigungen von Personen, Territorien, Vermögen etc. erstreckt. Dies ist auch beim Konzept der Juristischen Person4 der Fall. Die Ideen der Rechtsfähigkeit, rechtliche Handlungsfähigkeiten etc., die nur für Menschen unmittelbar einsichtig sind, werden jeweils auf abstraktere Rechtssubjekte übertragen. Dadurch wird es opportun, den Menschen als natürliche Person4 der Juristischen Person4 gegenüberzustellen und beispielsweise Verträge, Haftung und Prozeßhandlungen an die ,Person 4, der nun nicht mehr ein einzelner Mensch zu korrespondieren braucht, anzuknüpfen. Diese Funktion, Anknüpfungspunkt rechtlicher Aussagen zu sein, macht die abstrahierte Person, das Rechtssubjekt, zu einem Modell bzw. Teil von Modellen. Die Konstruktion des Modells Juristische Person4 wird im Begriff Körperschaft 4 prägnant zusammengefaßt: Begreift man juristische Personen als Körperschaften, so vergleicht man sie mit dem menschlichen Körper und zieht Analogien. Ihnen werden dabei Organe, Glieder, Wille, Handlungen, Verantwortung, Würde und Repräsentationsfähigkeit zugesprochen. Sie sind nicht nur konstruktiver Anknüpfungspunkt für Rechte und Pflichten, sondern ihrerseits nach dem Vorbild des Menschen modelliert. 4. Staatsmodelle. Seit den Staatsphilosophen der Aufklärung ist es üblich, von der Modellierung des Staates, seiner Regierung sowie seiner Armee zu sprechen. Thomas Hobbes z.B. verwendet den Begriff 4 model' in mehreren seiner Werke, und zwar in dieser für die Zeit typischen, aber wohl gerade erst üblich gewordenen Weise: 273 Im Behemoth von 1668 (erschienen posthum 1680) steht das Wort sowohl als Nomen als auch als Verb. Es bezeichnet dort jeweils die (Neu-)Organisation einer besonderen Gruppe von Personen, nämlich der Armee, des Kommandos bzw. der Regierung. 274 Diesen Sinn hat es 273
Vgl. für weitere Nachweise zum Gebrauch des Wortes die Einträge „model" (Substantiv und Verb) im Oxford English Dictionary, 2 n d ed. 1989, hrsg. von J.A. Simpson und E.S.C. Weiner. 274
,,[T]hey voted a new modelling of the army" {Hobbes, Behemoth, Part III, S. 326 der Ausgabe von Sir William Molesworth , The English Works of Thomas Hobbes of Malmesbury (zit. EW), Vol. VI), „The new modelled army" (Behemoth, Part III, EW Vol. VI, S. 327), „present [...] a new model of the government" (Behemoth, Part IV, EW Vol. VI, S. 411), „produced speedily their model of government" (Behemoth, Part IV, EW Vol. VI, S. 413 f.).
132
Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
auch als Teil der feststehenden Bezeichnung für die maßgeblich von Sir Thomas Fairfax und Oliver Cromwell Anfang 1645 aus diversen Privatarmeen aufgebaute, umgestaltete und bald erfolgreiche Armee des Parlaments, die berühmte ,New Model Army' . Im Leviathan von 1651 schreibt Hobbes „considering the model of the whole work". 2 7 5 Hier ist das Wort wohl gezielt mehrsinnig verwendet. Hobbes meint eine Betrachtung des gesamten Werks, welches in der Schaffung der Voraussetzungen für ein commonwealth besteht. Der Ausdruck „model of the whole work" bezeichnet dabei sowohl das im Leviathan entwickelte Staatsmodell als auch einen Überblick über den Aufbau des Textes. In der letzteren Bedeutung verwendet Hobbes das Wort auch in The Art of Rhetoric (erst 1681 posthum erschienen, aber wohl etwa 30 Jahre zuvor geschrieben). Dort benennt er mit ihm das Konzept einer Rede, das der gute Redner in einem Überblick zu Beginn der Rede voranstellt. 276 Die wichtigsten Typen von Staatsmodellen sind sicherlich Demokratie, Aristokratie und Monarchie. Neben dieser Typisierung gibt es eine ganze Reihe weiterer Klassifikationen für Staatsmodelle, z.B. Rechtsstaat, Sozialstaat und Polizeistaat. Sie alle haben nicht nur in der Allgemeinen Staatslehre ihren Platz. Vielmehr gehören zu jedem dieser Modelle Begriffe und Zusammenhänge, auf denen die Rechtsordnungen, deren Staat dem jeweiligen Modell folgt, ihre Normen aufbauen. 5. Kodifikationen, a) Die Modelle, die den heutigen verfassungsrechtlichen Normen über den positivierten Teil unserer Rechtsordnung (die Normenhierarchie, die Gesetzgebungskompetenz, das Zustandekommen der einzelnen Gesetze etc.) zugrunde liegen, entstanden aus den Ideen der Kodifikation, der strukturierten schriftlichen Fixierung von Normen, der Hierarchie und der zeitlichen, inhaltlichen oder sonstigen Priorität bestimmter Normen über andere sowie der Zuständigkeit zur Gesetzgebung. Ferner wird das kodifizierte Recht in manchen rechtspositivistischen Vorstellungen sogar zum Paradigma allen Rechts hypostasiert. Das Modell seines Entstehens und seiner Geltung wird verwendet, um das Entstehen und die Geltung von Recht überhaupt zu erfassen. Zugleich liefert (nach diesen Vorstellungen) die Auseinandersetzung mit dem Textbestand der Kodifikationen die Begriffe und Grenzen - also das Modell - für die gesamte Rechtswissenschaft, die, soweit sie sich im Rahmen dieses Modells hält, als ,rein' bezeichnet wird. 2 7 7 275
Hobbes, Leviathan, Part II, Chapter 24, Paragraph 10, EW Vol. III, S. 237.
276
,,[E]xhibit a model of his oration" (Hobbes, The Art of Rhetoric, Book 3, Chapter 13, Paragraph 5, EW Vol. VI, S. 501). 277
Hans Kelsen , Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934,1. 1., S. 1.
C. III. Bewährte Modelle im Recht
133
b) Vor allem aber wurde schon manche Kodifikation selbst in dem Sinne zum Modell, daß spätere Kodifikationen ihrer Begrifflichkeit, Struktur und sachlichen Entscheidungen folgten. Manchmal, namentlich innerhalb der Stadtrechtsfamilien, folgte nicht nur die Gesetzgebung (bzw. übernahm die Vorlage vollständig), sondern auch die Rechtspraxis, insbesondere die Rechtsprechung, wurde an die des Vorbildes (durch den sog. Oberhof) gekoppelt. Schon die Begriffe ,Stadtrechtsfamilie 4 und ,Oberhof 4 unterstreichen diesen engen Zusammenhang. Man könnte ebensogut davon sprechen, eine Tochterstadt sei dem Modell z.B. des Magdeburgischen oder des Lübischen Rechts gefolgt. Heute ließe sich z.B. davon sprechen, der französische Code Civil, das deutsche BGB, das niederländische Niuew Burgerlijk Wethoek oder das schweizerische ZGB hätten Modell gestanden für nachfolgende Kodifikationen in anderen Staaten. Manche modernen Kodifikationen werden sogar von Anfang an als Vorbild für andere Gesetzgebungsvorhaben bzw. als Anregung für solche Vorhaben konzipiert und tragen die Bezeichnung ,Modell 4 schon als Bestandteil ihres Namens. Das 1923 gegründete American Law Institute in den Vereinigten Staaten von Amerika beispielsweise entwickelt seinem ursprünglichen Zweck 2 7 8 gemäß heute nicht mehr ,bloß4 Restatements of the Law, sondern auch Codifications , von denen einige explizit Model Codes genannt werden und innerhalb der Vereinigten Staaten eine teils beeindruckende Wirkung entfalten. So wurde 1942 der Model Code of Evidence veröffentlicht. Das heute wohl bekannteste derartige Projekt ist der Model Penal Code von 1962. Er hat in den Einzelstaaten starken Einfluß auf die strafrechtlichen Kodifikationen ausgeübt und wurde von der Rechtsprechung regelmäßig argumentativ aufgegriffen. Das American Law Institute hat seine Umsetzung und Anwendung besonders durch die Ausarbeitung der Model Penal Code Commentaries (1976-1985) aktiv begleitet. Man kann dieses Projekt als ein gelungenes Beispiel für die wissenschaftliche Ausarbeitung einer Theorie ansehen, deren Prämissen später von diversen Gesetzgebern zu mehr oder minder großen Teilen mit positiv-rechtlicher Geltung versehen wurden. Auch im Zuge der europäischen Rechtsvereinheitlichung wird neuerdings begrifflich an dieses erfolgreiche Projekt angeknüpft und die Forderung nach einem ,Europäischen Modellstrafgesetzbuch' 219 erhoben. „The particular business and objects of the society are educational, and are to promote the clarification and simplification of the law and its better adaptation to social needs, to secure the better administration of justice, and to encourage and carry on scholarly and scientific legal work." (Certificate of Incorporation of The American Law Institute (23. Februar 1923) sowie in seinen aktuellen Bylaws (1994) 1.01). 279 Siehe z.B. Ulrich Sieber, Memorandum für ein Europäisches Modellstrafgesetzbuch, JZ 1997, S. 369 ff. passim.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
IV. Besonderheiten rechtlicher Modelle (ein Exkurs) Wie schon eingangs erwähnt, kann man den Begriff ,Modell 4 in einem weiteren Sinne verwenden, als er unter C. 1. bestimmt worden ist. Die folgenden Überlegungen (hier in C.IV.) gehen von einem weiteren Modellbegriff aus, klassifizieren die unter ihn fallenden Modelle und führen vor, weshalb der hier verwendete Modellbegriff für den Aufbau rechtlicher Theorien am besten geeignet ist. 1. Objektarten und Satzklassen . a) Der Modellbegriff aus C. 1. sei - nur für die Betrachtungen dieses Abschnitts - dahingehend erweitert, daß sowohl das Modell als auch das jeweils Modellierte in einem Objekt bzw. einer Art von Objekten (z.B. irgendwelchen Dingen der Außenwelt) oder in sprachlichen Aussagen, also Sätzen bzw. Klassen von Sätzen (z.B. Beschreibungen solcher Dinge), bestehen kann. (Ansonsten wird der Modellbegriff in der vorliegenden Untersuchung stets so verwendet, daß die Modelle selbst sprachlicher Natur sind.) Dabei können Modell und Modelliertes gleichartig sein, d.h. Objekte können Modell anderer Objekte sein, und ebenso kann eine Klasse von Sätzen eine andere Satzklasse modellieren. Sie müssen indes nicht gleichartig sein; eine Satzklasse kann auch eine Objektart modellieren und umgekehrt. Daher sind die folgenden vier Arten von Modellen zu unterscheiden. Unter Wissenschaftstheoretikern scheint sich noch keine einheitliche Terminologie für diese Modellarten durchgesetzt zu haben; die Sprechweise der folgenden Ausführungen ist an Wilhelm K. Essler 280 orientiert. Modelle, die in einer Art von Objekten bestehen, welche eine andere Objektart modelliert, werden als strukturelle Modelle bezeichnet. Dazu gehört beispielsweise der Globus, der die Erde veranschaulicht. Besteht ein Modell in einer Klasse von Sätzen, die eine Objektart modellieren, heißt es idealisiertes Modell. Hierher gehören z.B. physikalische Atommodelle. 281 Wird eine Klasse von Sätzen durch eine andere Satzklasse modelliert, spricht man von einem theoretischen Modell. Beispiel einer solchen Satzklasse ist Henri Poincarés Veranschaulichung der projektiven Geometrie. 282 Semantische Mo280
Wilhelm K. Essler , Wissenschaftstheorie
, Bd. 2, 1971, S. 39 ff.
Die Begriffe sind in Abbildung 1 schematisch dargestellt. Der Kreis gibt jeweils an, zu welcher Gegenstandsart das Modell selbst gehört. Die Linie weist auf die Gegenstandsart des Modellierten. 281 Gemeint sind nicht Konstruktionen aus Holz oder Metall, sondern die Einheiten und Beziehungen, mit denen Theorien formuliert und Berechnungen durchgeführt werden. Das entspricht dem üblichen Sprachgebrauch, in dem z.B. vom Bohr sehen Atommodell die Rede ist. 282 Henri Jules Poincaré , Wissenschaft und Hypothese (La Science et l'Hypothèse), 2. Aufl. 1906, 2. Teil, 3. Kapitel, S. 42 ff.
C. IV. Besonderheiten rechtlicher Modelle (ein Exkurs)
135
delle schließlich bestehen in einer Art von Objekten, die Modell einer Klasse von Sätzen ist. Die Himmelskörper unseres Sonnensystems bilden z.B. ein recht gutes semantisches Modell der newtonschen Mechanik.
Objekt(arten)
r (1)
Satzklassen
(2) idealisiertes Modell
^
Λ (3) theoretisches Modell
strukturelles Modell (4) semantisches Modell
1
J
Abbildung 1 : Erste Einteilung von Modellen
Die Modelle, um die es in rechtlichen Theorien geht, sind idealisierte oder theoretische. Dennoch treten in juristischem Zusammenhang, namentlich bei der Anwendung rechtlicher Theorien, auch die jeweils umgekehrten Modellbeziehungen auf. Deshalb soll der Modellbegriff im folgenden in ein etwas weiteres Blickfeld als dem der bloßen Ausarbeitung einer Theorie genommen werden. In jeder der genannten vier Modellbeziehungen kann das Modell sowohl als Abbild als auch als Vorbild auftreten. Beschreibungen von Handlungen z.B. sind idealisierte Modelle dieser Handlung, und sie können deskriptiv oder präskriptiv gemeint sein.283 Wird eine bereits vorgenommene Handlung beschrieben, ist die Beschreibung ein idealisiertes Abbild-Modell. Wird hin283
Eine ,präskriptive Beschreibung' ist sprachlich vielleicht irritierend. Aber viele unserer Vorschriften bestehen in Beschreibungen, die so zu verstehen sind, daß das Beschriebene angestrebt werden soll. Sowohl Deskriptionen als auch Präskriptionen erreichen die Vorstellung des Lesers von dem, was sie beschreiben bzw. vorschreiben, dadurch, daß sie es sprachlich modellieren und das Modell entweder deskriptiv oder präskriptiv vorstellen. Für diese Modellierungen selbst kennt die deutsche Sprache keinen besseren Ausdruck als ,Beschreibung'. Man kann seine Terminologie nun entweder so wählen, daß Präskriptionen Deskriptionen enthalten können - was bedeutet, die Präskription nicht mehr der Deskription gegenüberzustellen, sondern nur noch der ,reinen Deskription' (als nicht-präskriptiv verwendete Deskription) - oder man hält an der Gegenüberstellung von Präskription und Deskription fest und verwendet das deutsche Wort ,Beschreibung' nicht mehr synonym mit,Deskription', sondern für eben die in Präskriptionen ebenso wie in Deskriptionen enthaltenen sprachlichen Modellierungen. Die letztere Alternative führt zu kürzeren Ausdrücken und wurde deshalb hier gewählt.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
gegen eine Handlung vorgeschrieben, ist die Beschreibung idealisiertes Vorbild-Modell. Kehrt man in beiden Situationen die Modellbeziehungen um, betrachtet also jeweils die Handlung als Modell der Beschreibung, dann erhält man semantische Modellbeziehungen. Im Fall der deskriptiven Beschreibung ist die Handlung semantisches Vorbild-Modell, im Fall der präskriptiven Beschreibung semantisches Abbild-Modell (Realisierung). b) Die Klassifikation ist zunächst anhand physikalischer und teilweise mathematischer Modelle entwickelt worden und auf solche zugeschnitten. O b jekte 4 sind reale Dinge, z.B. Sachen, Geschehensabläufe, Ereignisse. Diese müssen nicht sichtbar oder greifbar sein. Auch Kräfte, Impulse oder Energie gehören hierzu, und ebenso läßt sich ein abgeschlossener Vertrag oder eine bestehende Gesellschaft hierunter fassen. ,Satzklasse4 meint jedes Konglomerat von Sätzen. Die meisten hier interessierenden Satzklassen werden einigermaßen systematisch geordnet sein. Zu ihnen gehören insbesondere Theorien. 2 8 4 c) Werden die Begriffe ,Objekt' und ,Satzklasse' in diesem Sinne verwendet, lassen sich auch aus der Rechtswissenschaft für alle vier Modellarten Beispiele angeben: (1) Das ,Holen' von Frühstückssemmeln beim Bäcker läßt sich als Modell der Realakte beim Kauf heranziehen. Dann ist eine Art von Objekten Modell einer anderen Objektart. (2) Das Kaufvertragsrecht und das Sachenrecht modellieren das Verhalten bei Abschluß und Durchführung von Kaufverträgen. Dabei ist eine Satzklasse Modell des Objekts. (3) Die rechtlichen Regeln über den Abschluß von Kaufverträgen werden im BGB durch allgemeine Vorschriften über den Abschluß von Verträgen modelliert. Hier modelliert eine Klasse von Sätzen eine andere Satzklasse. (4) Schließlich kann man etwa Grundstückskaufvertragsurkunden im Immobiliarkaufrecht als greifbare Modelle seiner Sätze verwenden. Die Übertragung dieser Klassifikation auf Modelle der Rechtswissenschaft gibt zu einigen weitergehenden Überlegungen Anlaß. Zum einen sind die strukturellen und semantischen Modelle in der Rechtswissenschaft nicht in gleicher Weise zu Hause wie theoretische und idealisierte Modelle. Zum anderen erfordert die Zuordnung abstrakter Begriffe zu einer Gegenstandsart besondere Aufmerksamkeit. 284
Oben wurde erläutert, daß sich Theorien in Modelle und Aussagen gliedern lassen. Wenn nun ganze Theorien als Modell auftreten, steht das dazu schon deshalb nicht im Widerspruch, weil das Modell nicht Teil einer Theorie sein muß. Freilich kann (und wird in den hier interessierenden Fällen) das Modell Teil einer Theorie sein. Diese ist dann eine Metatheorie gegenüber der modellierten Theorie. (Zur Rechtstheorie als Metatheorie des Rechts vgl. jüngst Matthias Jestaedt , Das mag in der Theorie richtig sein ..., 2006, passim, insbesondere S. 17 f. und S. 85, II. 2. bzw. V. 2. f) )·
C. IV. Besonderheiten rechtlicher Modelle (ein Exkurs)
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2. Strukturelle und semantische Modelle in der Rechtswissenschaft. a) Theoretische und idealisierte, also gerade die unter die Begriffsbestimmung in C. 1. fallenden Modelle treten in der Rechtswissenschaft laufend auf. Als weitere Beispiele theoretischer Modelle nehme man nur das im Baugenehmigungsvorbehalt und dem Anspruch auf Erteilung einer solchen Genehmigung vorausgesetzte (auch Auflagen, Bedingungen etc. vorsehende) Modell einer konkreten Baugenehmigung; ebenso das in ,pacta sunt servanda 4 vorausgesetzte allgemeine Vertragskonzept in Bezug auf ein konkretes Vertragsrecht. 285 Idealisierte Modelle treten insbesondere in den Tatbeständen und Rechtsfolgen von Normen zu Häuf auf. Überall dort, wo es um das sprachliche Erfassen einer Situation geht (also gerade in Tatbeständen), wird mit idealisierten Abbild-Modellen gearbeitet. Umgekehrt sind die sprachlichen Beschreibungen dessen, was von den Beteiligten umgesetzt werden soll, idealisierte Vorbild-Modelle. (Sie betreffen also vor allem die Formulierung der Rechtsfolgen.) Begreifen wir die Rechtswissenschaft als eine Disziplin, die sich mit der Konstruktion und Anwendung von Regeln beschäftigt, dann geht es in ihr um Gefüge normativer Sätze. Diese setzen gerade die erwähnten idealisierten und theoretischen Modelle voraus, strukturelle und semantische Modelle aber nicht. b) Zu interessanten strukturellen und semantischen Modellen kann der Jurist nur von einem positivistischen Standpunkt aus gelangen. Statt sich allein mit dem normativen Sinn der rechtlichen Sätze zu beschäftigen, muß er entweder auf die äußere Erscheinung einzelner Sätze sehen und diese als historisches Faktum begreifen, oder er muß auf konkrete Tatsachen sehen, die bestimmte normative Voraussetzungen erfüllen oder normative Anordnungen umsetzen. Im ersten Fall macht er sich diese Erscheinungen zum Gegenstand und eine andere gleichartige Erscheinung zu ihrem Modell. Beispielsweise kann er sich die Publikation einer Verordnung zur Änderung von Vorschriften über Bauabstandsbestimmungen im Landesverordnungsblatt zum Gegenstand machen und Ausführungsbestimmungen formulieren. Geschieht dies mit der entsprechenden Autorität, kann er diese ihrerseits als historische Tatsache (d.h. als strukturelles Modell der Verordnung) ansehen. Im zweiten Fall kehrt er in den idealisierten Modellen, welche die Rechtsnormen voraussetzen, die Beziehung zwischen Modell und Modelliertem um. Er betrachtet vorgegebene Tatsachen als Modell der normativen Beschrei285
Das sind unterschiedliche Konstrukte: Anders als beim allgemeinen Vertragskonzept muß in einem konkreten Vertragsrecht z.B. entschieden sein, ob bei der Beurteilung eines Vertragsabschlusses an consideration anzuknüpfen ist oder nicht.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
bungen. Auch dies ist eine positivistische Betrachtung, und sie ist oft sehr erhellend. Es erleichtert häufig das Verständnis einer Norm, sich anzusehen, wie sie kurz nach ihrer Entstehung umgesetzt wird bzw. wurde oder welche Fälle kurz vor Erlaß der Norm auftraten und erfaßt werden sollten. So ist es z.B. sinnvoll, den Fall von RGSt Bd. 29, S. I I I 2 8 6 als Modell des Gesetzes betreffend die Bestrafung der Entziehung elektrischer Arbeit vom 9. April 1900 287 (und heute von § 248c StGB) anzusehen. c) Als Qualitätskriterium dieser Modelle wird der Jurist regelmäßig die Konformität der Modell-Vorschriften bzw. -Tatsachen mit den Vorschriften, die er sich zum Gegenstand gemacht hat, wählen. Er wird also z.B. fragen, ob sich die Ausführungsbestimmungen im Einklang mit der Verordnung befinden. Dies ist nur möglich, soweit er die Vorschriften normativ versteht und neben der Form, in der die Vorschriften ergingen, ihren jeweiligen Sinn betrachtet. Auch der Rechtspositivist prüft eine ihn interessierende strukturelle Modellbeziehung, indem er eine ganz andere, nämlich eine theoretische Modellbeziehung untersucht. Ganz entsprechend prüft er semantische Modellbeziehungen - etwa die alltägliche Frage, ob ein konkreter Fall von einer bestimmten Vorschrift erfaßt wird - , indem er subsumiert , d.h. eine idealisierte Modellbeziehung untersucht. In beiden Fällen betrachtet er Satzklassen und nicht vorgegebene Objekte. Obwohl der Jurist seine strukturellen und semantischen Modelle nur von einem positivistischen Standpunkt aus zu erlangen vermag, kann er also nicht vom rein positivistischen Standpunkt aus entscheiden, ob diese Modelle ihren Gegenstand in einer juristisch akzeptablen Weise modellieren, sondern muß zu einer konstruierenden Betrachtung wechseln. d) Obwohl das strukturelle Modell niemals allein ausreicht, um rechtlich zu urteilen, gilt das Interesse des praktisch arbeitenden Juristen häufig gerade dem strukturellen Modell, denn es geht ihm um bestimmte Ausführungsbestimmungen, bestimmte Verordnungen etc. Das theoretische Modell ist dann eher notwendiges Hilfsmittel. Beziehungen, die sich positivistisch als strukturelle und konstruktiv als theoretische Modellbeziehungen betrachten lassen, liegen vielen rechtlichen Figuren zugrunde, die sich mit Ermächtigungen, Hierarchien und Delegation beschäftigen, etwa auch der Rahmengesetzgebung und Verordnungsermächtigung. So wie sich Ausführungsbestimmungen als strukturelles Modell der Verordnung ansehen lassen, kann man eine einigermaßen umfassende Verordnung ihrerseits als strukturelles Modell des ermächtigenden Gesetzes und Gesetze, die ein Gebiet abschließend regeln, als
286 287
Siehe dazu oben Fn. 57.
RGBl. 1900, S. 228; mit dem dritten Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl. 1953 Teil I, S. 735 f., 749) in das StGB inkorporiert.
C. IV. Besonderheiten rechtlicher Modelle (ein Exkurs)
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strukturelles Modell der positiv-verfassungsgesetzlichen Gesetzgebungsbefugnis auffassen. 3. Abstrakta. Die Rechtswissenschaft arbeitet vielfach mit abstrakten Dingen 288 , die sich nicht auf eine offensichtliche und eindeutige Weise als O b jekt' oder ,Satzklasse4 in obigem Sinne einordnen lassen. 289 Ein solches Abstraktum ist z.B. der Vertrag als rechtliches Institut (nicht ein bestimmter abgeschlossener Vertrag). Er ist kein Ding der physikalischen Außenwelt. 290 Man kann ihn sich als menschliches Gedankenkonstrukt vorstellen, konstituiert durch eine Klasse von Sätzen, nämlich die vertragsrechtlichen Normen. Dann ist er unproblematisch als Satzklasse einzuordnen. Man kann den Vertrag aber auch positivistisch betrachten, ihn in Untersuchungen als vorgegebenen Gegenstand auffassen, modellieren und das Modell als Idealisierung ansehen. Theorien und Aussagen über ihn sind in diesem Fall keine intellektuellen Konstruktionen, sondern höchstens Rekonstruktionen, und er spielt weitgehend die Rolle, die reale Dinge in der Physik spielen. Vom letzteren Standpunkt aus wäre es weniger naheliegend, den Vertrag als Satzklasse und ein ihn betreffendes Modell als theoretisches anzusehen. Nun lassen sich folgende Ansätze erwägen, um die Klassifikation der Modelle in strukturelle, idealisierte, theoretische und semantische auf die Rechtswissenschaft zu übertragen: Es wäre möglich, für die Klassifikation rechtswissenschaftlicher Modelle (a) auf die Kategorie der realen Dinge zu verzichten und die Kategorie der Abstrakta an ihre Stelle zu setzen oder (b) eine gemeinsame Kategorie realer und abstrakter Dinge zu bilden. In beiden Fällen würden die Abstrakta als Objektarten auftreten. Ein Verzicht auf die Kategorie der Satzklassen wäre hingegen nicht sinnvoll, denn in diesen findet der Hauptteil juristischer Arbeit statt. Aber man könnte (c) die bisherige Klassifikation um die Abstrakta als eigene, weitere Gegenstandskategorie ergänzen oder (d) die Abstrakta weiter analysieren, ihre Bestandteile den bishe-
288 Zur Bedeutung und Unterscheidung von Abstrakta {abstracto), Abstraktoren und Abstraktion vgl. Wilhelm Kamiah und Paul Lorenzen, Logische Propädeutik, 2. Aufl. 1973, III. §7, S. 101 ff. 289
Jede Wissenschaft arbeitet damit. In der Physik sind z.B. Kraft, Impuls und Energie abstrakte Begriffsbildungen in dem Sinne, daß sie kein unmittelbar wahrnehmbares Objekt bezeichnen. Sie werden in der Mechanik vielmehr als nur indirekt meßbare Kenngrößen verwendet, mit denen sich die Theorie elegant formulieren läßt. Daß Abstrakta in der Rechtswissenschaft eine größere Rolle spielen, ist eher eine Aussage über die Selbstwahrnehmung der betreffenden Wissenschaftler als über den Gegenstand der Wissenschaft. 290 Zur durchaus ebenfalls erheblichen Rolle von Abstraktionen in der Physik vgl. aber Nina Hager, Modelle in der Physik, 1982, 2.3.1, S. 42 ff.
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Kapitel 3: Bestandteile rechtlicher Theorien
rigen Gegenstandskategorien und Modellarten zuordnen, sie jedoch nicht als eigene Kategorie betrachten. (a) Viele Rechtssätze knüpfen in ihren Tatbestandsmerkmalen und Rechtsfolgen begrifflich an die äußere Realität an, d.h. sie verwenden Modelle realer Dinge. Dies müssen sie, denn Rechtssätze betreffen die äußere Freiheit der Menschen. Solche Modelle sind oft nicht spezifisch juristisch. Meist werden schlicht alltagssprachliche Ausdrücke verwendet. Sie sind aber notwendig, um die Bedeutung der Normen zu klären, und an einigen Stellen verfügt die Jurisprudenz auch zur Bezeichnung realer Dinge über ihre eigenen Begriffsbildungen 291 . Würde auf die Kategorie der realen Dinge verzichtet und nur noch eine ,rechtliche Wirklichkeit 4 betrachtet, verlöre man diese wichtigen Modelle aus dem Auge. (b) Auch die Unterscheidung zwischen realen und abstrakten Dingen spielt für das Recht eine besondere Rolle. Im Strafrecht wird dies augenfällig, wo es um Irrtümer über normative Tatbestandsmerkmale geht. Die Terminologie ist dabei unglücklich gewählt. Es gibt im eigentlichen Sinne keine nicht-normativen Tatbestandsmerkmale. 292 Jeder Begriff in einer Norm ist ein normativer Begriff, denn das Recht kann ihm seine eigenen Modelle zugrundelegen. Gemeint ist in diesem Zusammenhang dennoch eine sinnvolle Unterscheidung, nämlich die zwischen Begriffen, die zu einem idealisierten Modell gehören von solchen, die zu einem theoretischen Modell gehören. Dabei ist regelmäßig davon auszugehen, daß der Laie die Beziehungen in idealisierten Modellen, die nicht spezifisch juristischer Natur sind, vollständig nachzuvollziehen hat, während er die Beziehungen in theoretischen Modellen, die spezifisch juristisch sind, nur ,nach Laienart' nachvollziehen muß. 293
291
Man denke nur an das gefährliche Werkzeug' in § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB.
292
Vgl. Karl Engisch , Die normativen Tatbestandselemente im Strafrecht, in: Festschrift für Edmund Mezger zum 70. Geburtstag, 1954, S. 153 mit weiteren Nachweisen. 293
Eigentlich werden hier (wie in der Diskussion um die normativen Tatbestandsmerkmale) zwei verschiedene mögliche Unterscheidungen vermengt: Einerseits läßt sich zwischen Tatbestandsmerkmalen, denen ein idealisiertes Modell zugrunde liegt, und solchen, denen ein theoretisches Modell zugrunde liegt, unterscheiden. Andererseits läßt sich zwischen Tatbestandsmerkmalen, denen ein alltagssprachliches Modell zugrunde liegt, und solchen, deren Modell nicht alltagssprachlicher Art ist, unterscheiden. Die erste Unterscheidung ist die sachdienlichere. Die Regel, daß bzgl. normativer Tatbestandsmerkmale' eine bloße ,Parallelwertung 4 zu fordern sei, ist eine Haftungsverschärfung bzgl. dieser Merkmale, denn der Täter verwirklicht den subjektiven Deliktstatbestand bereits dann, wenn er sich nur ein Wertungsanalogon vorstellt, selbst wenn er die Modellierung nicht überblickt. Nun wäre es eigenartig, wenn der Gesetzgeber allein durch die Verwendung besonders komplizierter Modelle von einfach auszudrückenden Umständen diese Haftungsverschärfung herbeiführen könnte. Würde die Unterschei-
C. IV. Besonderheiten rechtlicher Modelle (ein Exkurs)
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Noch fundamentaler ist die Bedeutung der Unterscheidung aber auf Rechtsfolgenseite. Wird dort nur auf Abstrakta Bezug genommen, garantiert diese Norm nicht die Herbeiführung eines bestimmten Zustandes der Außenwelt (denn sie selbst spricht dann ja nicht von der Außenwelt), z.B. nicht die Durchsetzung eines Anspruchs. Recht ist aber seiner Idee nach mit einer Zwangsbefugnis verbunden, und subjektive Rechte müssen grundsätzlich durchsetzbar sein. Ob eine Norm Mittel zur Durchsetzung zur Verfügung stellt oder nicht, ist eine entscheidende Frage für das Verständnis der Norm. Würden reale und abstrakte Dinge in dieselbe Kategorie geworfen werden, ginge diese Unterscheidung innerhalb der Modelle verloren.
(c) Abstrakta als eigene, weitere Kategorie einzuführen bedeutet, insgesamt drei Kategorien (reale Dinge, abstrakte Dinge und Satzklassen) zu unterscheiden. Dadurch steigt ebenfalls die Zahl möglicher Modellbeziehungen. Sowohl das Modellierte als auch das Modell können jeder dieser drei Gegenstandsarten angehören. Entsprechend ließen sich 3 2 =9 statt wie bisher 4 Beziehungen zwischen Modell und Modelliertem unterscheiden. Dieser Weg ist prinzipiell gangbar, ohne inhaltlich etwas zu verlieren, macht die Klassifikation der Modelle aber weniger übersichtlich und mühsamer. (d) Man muß sich nicht vorstellen, daß Abstrakta in einem strengen Sinne Dinge sind, d.h. überhaupt selbst existieren. Wenn hier davon gesprochen wird, abstrakte Dinge zu modellieren, hat das nichts mit einem Versuch zu tun, ein ,Ding an sich4 zu erkennen. Es ist vielmehr so, daß der Ausdruck abstraktes Ding' eine bequeme Sprechweise für intellektuelle Konstruktionen dung entlang der Grenze zwischen alltagssprachlichen und nicht-alltagssprachlichen Modellen vorgenommen, wäre der Bürger in dieser Hinsicht schutzlos.
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teile rechtlicher Theorien
ist, die von vielen Personen immer wieder gleich vorgenommen werden und oft schon von Generationen vor dem jeweiligen Betrachter durchgeführt worden sind. Die Positivität des Objekts, d.h. der Umstand, daß es nicht selbstgeschaffen, sondern vorgegeben ist, ist nicht nur Charakteristikum realer Dinge, sondern kann auch Satzklassen zukommen. Wer eine solche Konstruktion selbst nachvollzieht, kann sie in vielerlei Hinsicht wie ein reales Ding behandeln: Es gibt ein quasi-empirisches Richtigkeitskriterium für die Vorstellung von dem abstrakten Ding, nach welchem die fremde Konstruktion dann erfaßt' wird, wenn man sie tatsächlich nachvollzieht, d.h. wenn die eigene Vorstellung der zu übernehmenden Vorstellung entspricht. 294 Wer eine eigene Untersuchung durchführt, wird von den fremden Konstruktionen regelmäßig nur einen ,Teil' betrachten, nämlich auf die eigenen Zwecke zugeschnittene Vereinfachungen, in denen er nur einzelne Aspekte der Konstruktionen berücksichtigt oder viele ähnliche Konstruktionen wie eine behandelt. Auch die abstrakten Dinge werden also noch weiter idealisiert. Bei dieser positivistischen Betrachtung der Abstrakta geschieht letztlich eine Modellierung fremder Modelle, d.h. eine Modellbildung zweiter Stufe. Der Umgang mit Abstrakta läßt sich deshalb als Metabetrachtung kennzeichnen. Die Bequemlichkeit der Sprechweise von ,abstrakten Dingen 4 besteht darin, daß wir es durch die Einführung dieser neuen Kategorie vermeiden können, ständig die Objektebene und verschiedene Stufen von Metaebenen295 auseinanderhalten zu müssen. Sie ginge verloren, wenn wir auf die Abstrakta als eigene Kategorie verzichten würden. Gleichwohl wäre dies möglich, weil sie als Metabetrachtung mittels der beiden bisherigen zwei Gegenstandsarten und ihren vier möglichen Modellbeziehungen darstellbar sind. Reaktion (a) bedeutet das, was man ,Realitätsverlust' nennt, und kann nicht zu brauchbaren Ergebnissen führen. Reaktion (b) vermengt verschiedene Kategorien, was entsprechend eingeschränkte Ergebnisse zur Folge hat. Die Reaktionen (c) und (d) sind hingegen prinzipiell beide akzeptabel, obwohl sich in ihnen zeigt, daß die Bequemlichkeiten der Klassifikation naturwissenschaftlicher Modelle in der Rechtswissenschaft nicht zu erhalten sind. Einer dieser beiden etwas steinigeren Wege muß eingeschlagen werden, wobei jeweils nur darstellungsökonomische Gründe den Ausschlag für (c) oder (d) geben können. 294
Dies korrespondiert dem empirischen Kriterium, nach dem ein reales Objekt dann erfaßt ist, wenn die eigene Vorstellung der Wirklichkeit entspricht. Unten (insbesondere im 4.Kapitel unter B. 2. a) ) wird noch darauf eingegangen werden, daß es sich hier nicht um exakte Richtigkeitskriterien, nicht um echte Verifikationskriterien handeln kann. Vielmehr läßt sich beide Male nur die abgeschwächte negative Form dieser Kriterien, d.h. eine Falsifikation, exakt durchführen. 295
Dazu sogleich näher unter E. I.
C. IV. Besonderheiten rechtlicher Modelle (ein Exkurs)
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Wenn nach (c) Abstrakta als eigene Kategorie eingeführt werden, sind die Kategorien nicht mehr disjunkt und irreduzibel; derselbe Gegenstand der Betrachtung kann bei eingehender Analyse eventuell mehreren Kategorien zugeordnet werden. Das muß so sein, denn eine dieser Kategorien wäre ja sogar (um den Preis der komplexeren Darstellung nach (d)) komplett verzichtbar. Bei (c) entstehen deshalb auch mehr unterschiedliche Modellbeziehungen als nötig. Gleichzeitig ist es so, daß, wenn (nach (d)) diese zusätzliche Kategorie nicht eingeführt wird, Gegenstände aufgespaltet und ihre Teile verschiedenen Begriffen des Klassifikationsschemas zugeordnet werden müssen, die (nach (c)) auch als einheitliches Ding betrachtet werden können und oft so betrachtet werden. Zum Zwecke der Analyse von Modellen und ihrer Verwendung ist Weg (d) im allgemeinen mit weitergehenden Erkenntnissen verbunden, denn nur er ermöglicht eine von Doppeldeutigkeiten freie Begriffsbildung. Er wird daher im folgenden bevorzugt. Die Ergebnisse dieser Analyse lassen sich dann aber eventuell unter Verwendung der Kategorien von (c) vereinfacht darstellen. 296 4. Kumulation von Modellen. Es mag ein Charakteristikum der Rechtswissenschaft sein, daß der Jurist regelmäßig mit besonders vielen Modellbeziehungen gleichzeitig konfrontiert ist. Dies läßt sich gut am Beispiel von Verträgen zeigen, die sich (nach dem soeben Gesagten) folgendermaßen darstellen lassen: Verträge dienen der Prognose künftiger Handlungen, Ereignisse oder Zustände.297 Mit ihnen läßt sich zwar nicht dasselbe Maß an Verläßlichkeit erreichen, das wir Naturgesetzen erfolgreich zuschreiben. Die Zielsetzung ist dennoch grundsätzlich die gleiche. Verträge bestehen zunächst einmal aus einer Klasse von Sätzen, die künftiges Verhalten vorgeben. Als solche sind sie idealisierte Vorbild-Modelle dieses Verhaltens. Wird eine dem Vertrag entsprechende Handlung vorgenommen, setzt diese das vertraglich fixierte Modell um, und man kann sie als semantisches Abbild-Modell des Vertrages ansehen. Die Frage, ob eine Verhaltensweise den Vertrag erfüllt, fällt daher mit der Frage zusammen, ob sie ein semantisches Modell dieses Vertrages ist. Nun wird in Verträgen oft nicht einfach ein bestimmtes Verhalten vorge296 Durch diese Vereinfachung entstehen dann notwendig Doppeldeutigkeiten, die man aber in Kauf nehmen darf, weil sie sich stets wieder auflösen lassen, indem der Sachverhalt erneut auf dem Weg (d) betrachtet wird. 297 Damit ist nicht gemeint, daß die vertraglichen Bestimmungen als Prognosen zu verstehen sind, sondern daß die Vertragsparteien (oft zusätzlich auch Dritte) nach Abschluß eines Vertrages das Verhalten ihres Vertragspartners besser prognostizieren können und daß die Schaffung einer solchen Basis für Prognosen eines der Hauptmotive für den Abschluß von Verträgen ist.
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schrieben, sondern es werden Vereinbarungen für verschiedene mögliche Fälle getroffen. Solche Vereinbarungen enthalten nicht nur das idealisierte Vorbild-Modell künftigen Verhaltens, sondern beziehen sich (in ihrem Tatbestand, ihrer Bedingung) zugleich auf weitere Modelle, welche die verschiedenen geregelten Fälle vorgeben. Die einschlägigen rechtlichen Regelungen schließlich (d.h. das Vertragsrecht) beziehen sich in ihren Tatbeständen auf ein Modell von Verträgen, d.h. auf ein Modell der gerade genannten Modellbeziehungen und vertraglichen Aussagen. Ordnen sie Rechtsfolgen an, die den Vertrag selbst betreffen, etwa eine bestimmte Interpretation oder inhaltliche Änderungen, beziehen sie sich auch auf der Rechtsfolgenseite auf dieses Modell. Die Verwendung des Vertragsmodells auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite charakterisiert solche Regeln als (vertragliche) Metaregeln. Andere vertragsrechtliche Normen modellieren in ihren Rechtsfolgen Handlungen der Beteiligten.
D. Zuordnungssätze /. Modelle und Zuordnungssätze. So wie der Begriff von Modellen hier eingeführt wurde, konstituiert ein Modell streng genommen nur einen abstrakten Gegenstand. Hinter ihm können konkrete Gegenstände stehen, doch ist das nicht notwendigerweise der Fall. 2 9 8 Deshalb sind das Modell und seine Belegung durch die Zuordnung konkreter Gegenstände (bzw. ihrer Teile) oder Eigenschaften von Gegenständen zu den Begriffen des Modells zu unterscheiden. Dies gibt Anlaß, die Zuordnungssätze , in denen eine Belegung der Modellbegriffe 299 ihren sprachlichen Ausdruck findet, als eigenständige Art rechtlicher Sätze zu untersuchen. Werden allen Begriffen des Modells, die nicht schon innerhalb des Modells (durch entsprechende Definitionen) auf andere Begriffe zurückgeführt wurden, konkrete Gegenstände oder Eigenschaf298
Hierin besteht der wesentlichste Unterschied zu empirischen Theorien. In solchen ist das notwendigerweise der Fall. Wegen dieses Unterschiedes ist auch die Übertragung wissenschaftstheoretischer Ergebnisse auf juristische Theorien oft schwierig. Die meisten wissenschaftstheoretischen Untersuchungen beschränken sich selbst dann noch auf den empirischen Fall, wenn sie über die Betrachtung der Naturwissenschaften hinausgehen. Vgl. beispielhaft Carl Gustav Hempel , Typological Methods in the Natural Sciences, in: Aspects of Scientific Explanation and other Essays, 1965, (III. 7.) 5., S. 169 ff. sowie derselbe , The Function of General Laws in History (1942), a.a.O. (IV. 9.) 1., S. 231 und derselbe , Studies in the Logic of Explanation (1948), a.a.O. (IV. 10.), I. 4., S. 251 ff. 299 Mit,Modellbegriff' werden hier jeweils die durch das Modell eingeführten Begriffe (also nicht der Begriff vom Modell) bezeichnet.
D. Zuordnungssätze
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ten zugeordnet, so daß - nach allem, was bislang über diese Gegenstände und ihre Eigenschaften bekannt ist - die Regeln des Modells erfüllt sind, dann liefern die betreffenden Zuordnungssätze eine Interpretation des Modells. 300 In den Zuordnungssätzen kann die Bezeichnung dessen, was den Modellbegriffen zugeordnet wird, nur durch Grundbegriffe erfolgen. Man kann deshalb zwei Arten von Begriffsbestimmungen unterscheiden: Wenn ein neuer Begriff unter Verwendung von bereits eingeführten Modellbegriffen definiert wird, gehört die Begriffsbestimmung zu einem Modell und ist ein Modellsatz. Werden hingegen nur Grundbegriffe verwendet, steht der Satz außerhalb aller Modelle und ist ein Zuordnungssatz. 2. Hermeneutische Bedeutung, a) Es ist stets erforderlich, daß bei allen Beteiligten (denjenigen, welche die Theorie ausarbeiten, ebenso wie denjenigen, die sich später mit ihr beschäftigen) bereits eine relativ klare Vorstellung von dem Zuzuordnenden vorhanden und eine Bezeichnung dieser Vorstellung (der Grundbegriff) akzeptiert ist. Die Theorie ist letztlich ein Text, und die hermeneutische Spirale ist deshalb auch bei ihrem Verständnis unvermeidlich. 3 0 1 Die Unterscheidung der innerhalb eines Modells erfolgenden Begriffsbestimmungen von den außerhalb der Modelle stehenden Zuordnungssätzen 300 Vgl. insoweit ganz entsprechend (für empirische Theorien) Carl Gustav Hempel, The Theoretician's Dilemma (1958), zitiert nach: Aspects of Scientific Explanation and other Essays, 1965, (III. 8.) 4., S. 184 ff., ferner jüngst Jochen Bung, Theorie der Interpretation: Davidson, in: Sonja Buckel u.a. (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, 2006, S. 299 ff. (3.).
In der mathematischen Modelltheorie, in der eine etwas andere Terminologie üblich ist, steht die Interpretation sogar noch weiter im Mittelpunkt: Dort würde man das, was hier Modell genannt wird, zwar zur Theorie zählen, aber nicht als Modell bezeichnen. Gibt es eine Interpretation in dem gerade angegebenen Sinne (wobei die zugeordneten Gegenstände wiederum abstrakte mathematische Gegenstände sein können), dann wird das, was den Begriffen (die dann ,Individuenvariable' und ,Relationen' heißen) zugeordnet wurde, insgesamt ein Modell der Theorie genannt. (Siehe dazu oben Fn. 236 und zur Frage, wie solche Modelle aus Sicht anderer Einzelwissenschaften erscheinen, Carl Gustav Hempel, Aspects of Scientific Explanation, in: Aspects of Scientific Explanation and other Essays, 1965, (IV. 12.) 6., S. 445 ff.). 301 Vgl. Hans-Georg Gadamer , Wahrheit und Methode, 1960, 2. Teil, II. 1. a), S. 250 ff. (Gesammelte Werke, 1986, S. 270 ff.), sowie c), S. 275 ff. (Gesammelte Werke, 1986, S. 296 ff.) mit weiteren Nachweisen.
Speziell zu juristischen Texten vgl. Arthur Kaufmann, Über den Zirkelschluß in der Rechtsfindung, Festschrift für Wilhelm Gallas zum 70. Geburtstag, 1973, zitiert nach: derselbe, Beiträge zur Juristischen Hermeneutik, 1984, IV., S. 74 ff. mit weiteren Nachweisen. Zur Bezeichnung als ,Spirale' statt als ,Zirkel' vgl. Wilhelm Kamiah und Paul Lorenzen, Logische Propädeutik, 2. Aufl. 1973, II. § 2, S. 52.
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kann nicht bewirken, daß die Begriffe rechtlicher Theorien einen vom Vorverständnis der Beteiligten unabhängigen ,objektiven Sinn' erhielten. Bei der Belegung von Allgemeinbegriffen für Gegenstände der Außenwelt wird stets an bereits vorhandene Muster angeknüpft. Das ist keine juristische Besonderheit, und keine noch so sorgfältige Theoriebildung vermag daran etwas zu ändern. Jede Subsumtion sinnlicher Anschauungen unter Verstandesbegriffe kann nur erfolgen, wenn schon zuvor eine diese Subsumtion vermittelnde, gleichzeitig intellektuelle und sinnliche Vorstellung - in der Terminologie Kants ein ,Schema' - vorhanden ist. 3 0 2 Für die Bezeichnung menschlicher Handlungen sind deshalb „eingespielte Verhaltensmuster, Stereotypen, Standards" 303 notwendige Voraussetzung. Die vorhandenen Muster sind der Rechtswissenschaft indes nicht starr vorgegeben. Sie kann und soll selbstverständlich auch die Entwicklung und Klärung ihrer Grundbegriffe selbst aktiv betreiben. 304 b) Das „Hin- und Herwandern des Blickes" 305 gehört zum Umgang mit Zuordnungssätzen und nur zu diesem. Bei ihm sind der technische Ausdruck (der Modellbegriff) und der Wirklichkeitsausschnitt des Falles abwechselnd in den Blick zu nehmen und dabei aufeinander zu beziehen. Modell- und
302
Siehe Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, 1781/1787, I., 2. Teil, 1. Abteilung, 2. Buch, 1. Hauptstück, A 138 Β 177 (AA Bd. III, S. 134, Z. 27) und A 140 Β 179 (AA Bd. III, S. 135, Z. 24). Siehe dazu auch Martin Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik, 1929, §§ 20-23, Gesamtausgabe, Bd. 3 (1991), S. 92 ff., insbesondere S. 109 ff. sowie Wilhelm Kamiah und Paul Lorenzen, Logische Propädeutik, 2. Aufl. 1973, IV. § 2, S. 131. 303
Arthur Kaufmann, Wozu Rechtsphilosophie heute?, 1971, zitiert nach: derselbe, Beiträge zur Juristischen Hermeneutik, 1984, III., S. 19 mit weiteren Nachweisen und sehr hilfreichen Beispielen. 304 Innerhalb der Ausarbeitung rechtlicher Theorien, wie sie in der vorliegenden Untersuchung beschrieben wird, läßt sich die Auseinandersetzung mit „Prinzipen" im Sinne von Robert Alexy, Rechtsregeln und Rechtsprinzipien, ARSP Beiheft Nr. 25 (1985), S. 13 ff. und anderen Autoren (siehe die dortigen Nachweise) an dieser Stelle einordnen, wenn man das Resultat ihrer Anwendung jeweils in der Bestimmung eines konkreten Objekts sieht, z.B. in der Bestimmung eines angemessenen' Verhaltens oder einer verhältnismäßigen' staatlichen Maßnahme (vornehmlich als dem Staat zuzurechnender tatsächlicher Handlung einer natürlichen Person). Soll das in einer rechtlichen Theorie dargestellte „Rechtssystem" Prinzipien nebst Vorrangregeln enthalten (S. 21 ff.), so haben diese im Falle einer „starken Prinzipientheorie" (S. 22 f.) innerhalb der Zuordnungssätze ihren Platz, andernfalls als Versuch einer näheren Bestimmung ihrer Grundbegriffe (die der Theorie selbst vorgelagert ist). 305
Karl Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl. 1963, S. 15; siehe hierzu ferner Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, II 1 3., S. 204-214 mit weiteren Hinweisen.
D. Zuordnungssätze
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Rechtssätze hingegen setzen diesen Bezug bereits voraus. Er ist in ihnen nicht neu herzustellen. Wandert der Blick ihres Lesers ebenso hin und her, dann schweift er ab und verkennt dabei notwendigerweise ihre Bedeutung. Ihre Begriffe sind als schon interpretiert vorausgesetzt. Etwaige Mängel der Interpretation müssen durch Korrektur der Zuordnungssätze oder eine diesen vorgängige Klärung der Grundbegriffe behoben werden. Soweit es den Bezug auf die bezeichneten Aspekte der Außenwelt angeht, sind Modell- und Rechtssätze in diesem Sinne stets klar und eindeutig. 3. Interpretation und Motivation. Soweit Modellsätze innerhalb der Theorie den logischen Status von Prämissen haben, sind auch sie zu motivieren. Hierzu kann die Interpretation eines Modells dienen: Ist die Situation, die dem Modell durch die Interpretation zugeordnet wird, interessant, motiviert die Interpretation das Modell; die Prämissen sind dann deshalb gut gewählt, weil sie eine interessante Situation modellieren. 4. Theorien ohne Zuordnungssätze, a) Zuordnungssätze sind nicht in jeder Theorie notwendiger Bestandteil. In der Tat gibt es ganze Wissenschaften, die auf Zuordnungssätze völlig verzichten können. Dies ist z.B. in der reinen Mathematik der Fall. Eine rein mathematische Theorie kann Aussagen über eine nur in einem Modell verfaßte Situation treffen, ohne die Teile des Modells auf irgendeine äußere Realität zu beziehen. Die Theorien sind dann in diesem Sinne völlig abstrakt und allgemein. b) Diese Theorien liefern dennoch durchaus einen Erkenntnisgewinn. Er kann sich zwar nicht auf Einzelheiten der Außenwelt beziehen, denn von dieser wird gerade abstrahiert. Aber durch die Ausarbeitung der Theorie werden Erkenntnisse über notwendige Zusammenhänge und Folgerungen, die sich bereits allein aus der im Modell dargestellten Situation (ohne Bezugnahme auf die Außenwelt) ergeben, hervorgebracht. Solche Erkenntnisse haben als intellektuelle Errungenschaften schon an sich einen Wert. Man kann die Ergebnisse darüber hinaus aber auch für Anwendungen fruchtbar machen, wenn Zuordnungssätze gefunden werden, die sich der Theorie sinnvoll hinzufügen lassen und die Aussagen der Theorie auf tatsächliche Situationen beziehen. Weil in der Regel nicht zu prognostizieren ist, ob und wann eine solche Interpretation gefunden wird, läßt sich die Anwendbarkeit einer derartigen Theorie auf tatsächliche Situationen nicht nur nicht vor der Ausarbeitung dieser Theorie vorhersagen, sondern oft nicht einmal für bereits ausgearbeitete Theorien bestimmen. Man kann immer nur von einem bisherigen Nutzen sprechen. Ein bisher geringer Nutzen schließt jedoch keineswegs aus, daß die Theorie Potential zu erheblich größerem Nutzen besitzt. 306
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5. Risiken der Theoriebildung. Trotz der möglicherweise sehr lange bestehenden Ungewißheit über die Anwendbarkeit einer abstrakten Theorie gibt es selbst dann, wenn man an ihren Erkenntnissen nicht um ihrer selbst willen interessiert sein sollte, sondern letztlich doch nur auf eine Anwendung schielt, gute Gründe, abstrakte Theorien auszuarbeiten. Wird von Anfang an Wert auf einen Bezug der ausgearbeiteten Theorie zu konkreten Situationen gelegt, schränkt dies die Freiheit bei der Wahl von Modellen und übrigen Prämissen erheblich ein, denn man muß für die verwendeten Modelle stets eine Interpretation angeben und die übrigen Prämissen mit Bezug auf konkrete Situationen motivieren können. Wird hingegen anfänglich auf den Bezug zur Außenwelt verzichtet, entsteht dadurch beträchtliche Freiheit bei der Wahl der Modelle und weiteren Prämissen. Sie können dann insbesondere so gewählt werden, daß sie weiterreichende Schlußfolgerungen tragen als eng an tatsächliche Gegebenheiten angelehnte (also nur schwach abstrahierende) Modelle zulassen würden. Letztere werden leicht so kompliziert, daß sich aus ihnen nur wenig interessante Konsequenzen ergeben. Findet man aber für erstere eine Interpretation, dann sind deren Anwendungen oft besonders interessant und die Theorie besonders leistungsfähig. Die Frage, wie abstrakt man seine Modelle wählt, läuft also unter dem Gesichtspunkt der Anwendbarkeit der Theorie auf konkrete Situationen im wesentlichen auf die Frage nach der Bereitschaft hinaus, ein unbestimmbares Risiko der Nicht-Anwendbarkeit einzugehen, um sich (ebenfalls letztlich unbestimmbare) Aussichten auf besonders effektive Anwendungen zu schaffen. Wird die Theorie von vornherein stark auf konkrete Situationen bezogen, so minimiert dies das Risiko der Nicht-Anwendbarkeit (,Anwendungsrisiko '), schafft aber das Risiko, nur wenig interessante Schlußfolgerungen aufweisen zu können (,Resultatrisiko '). Wird die Theorie von Anfang an mit Blick auf interessante Ergebnisse entworfen, minimiert dies das letztere Risiko, schafft aber die Gefahr, daß die Theorie auf längere Sicht ohne Anwendung bleibt. Ein Verfahren zur risikofreien Ausarbeitung von Theorien in dem Sinne, daß das Verfahren einen Lohn für die investierte Zeit garantiert, also insbesondere beide genannten Risiken minimiert, ist bislang nicht bekannt und auch in Zukunft durchaus nicht zu erwarten. 6. Angewandte Wissenschaft. Die Rechtswissenschaft ist traditionell eine angewandte Wissenschaft. Das bedeutet, daß sie das ,Anwendungsrisiko' ge306
Deshalb schießt es auch weit über das Ziel hinaus, wenn Francis Bacon, Novum Organum, 1620, Teil I, Aphorismus 124 (S. 218 der Werkausgabe von Spedding, Ellis und Heath , The Works of Francis Bacon, Vol. I 1858) Wahrheit und Nutzen identifiziert, wo es ihm eigentlich nur darum geht, daß Modelle („modulos mundorum") Nutzen bringen sollen.
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ring hält und damit ein entsprechendes ,Resultatrisiko' in Kauf nimmt. Sie hält ihre Theorien wenig abstrakt, denn sie entwickelt Theorien von vornherein, um die Aussagen auf Einzelfälle beziehen und über diese urteilen zu können. 307 Ihre Theorien zielen jeweils auf Gruppen in bestimmter Hinsicht gleichgearteter Einzelfälle. Diesen Bezug stellen die Zuordnungssätze her, und aus diesem Grund haben Zuordnungssätze traditionell ihren festen Platz unter den Sätzen juristischer Theorien. Die Rechtswissenschaft ist eine angewandte Wissenschaft, weil sie ihre Theorien von vornherein durch Zuordnungssätze interpretiert entwickelt. Die interpretierte Theorie steht der abstrakten Theorie gegenüber und unterscheidet sich von dieser dadurch, daß sie auch Zuordnungssätze umfaßt. Dieser Befund ist gänzlich unabhängig von der Frage, ob sich die Wissenschaftler auch mit Anwendungen der Theorie beschäftigen: Ein angewandter Wissenschaftler muß interpretierte Theorien behandeln; er kann, aber muß sich nicht mit einzelnen Anwendungsfällen beschäftigen. Umgekehrt ist die Beschäftigung mit einzelnen Anwendungsfällen für die Entwicklung einer interpretierten Theorie zwar nicht unbedingt hinderlich, führt aber auch bei Wissenschaftlern keineswegs notwendig zu einer solchen. 7. Juristische Literatur. Man darf nicht erwarten, viele reine Zuordnungssätze im Gesetz zu finden. Gesetzliche Normen, die etwas über die dem Gesetz zugrunde liegenden Modelle aussagen, geben in der Regel aber zugleich Zuordnungen an. So stellt § 25 StGB den im Strafgesetzbuch verwendeten Täterbegriff (zumindest teilweise) vor. Die Vorschrift sagt etwas über das Modell, zu dem dieser Begriff gehört (z.B. die Konstruktion von mittelbarer Täterschaft und Mittäterschaft), und damit gleichzeitig über die Zuordnung bestimmter Handelnder zum Begriff des Täters einer Straftat aus. Gesetze enthalten bislang nur selten reine Modell- bzw. Zuordnungssätze. Sie enthalten aber immer wieder Sätze, die zugleich Modell- und Zuordnungssätze sind. In der juristischen Literatur ist das anders. Dort finden sich in jeder Literaturgattung regelmäßig sowohl reine Modell- als auch reine Zuordnungssätze. Dabei sind reine Modellsätze für Lehrbücher und Aufsätze typisch, reine Zuordnungssätze hingegen für Kommentare. 8. Übertragung von Modellen und Theorien, a) Aus einer Theorie, die Zuordnungssätze enthält, lassen sich diese Sätze (nach Belieben) ganz oder teilweise eliminieren. Die dabei entstehende abstrakte Theorie kann man dann wieder um neue Zuordnungssätze ergänzen. Ergibt sich dadurch auch eine 307 Vgl. z.B. Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797, Vorrede, S. III f. (AA Bd. VI, S. 205, Z. 10-14 und Z. 26 f.).
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neue Interpretation der verwendeten Modelle, ist die vorhandene Theorie auf eine neue Situation übertragen worden. 308 Dieses Verfahren wurde bei großen' Theorien schon oft sehr erfolgreich angewendet. Der Erfolg etlicher wichtiger Theorien gründet sich sogar gerade auf deren Übertragbarkeit. 309 Zum Beispiel hat die physikalische Wärmelehre große Fortschritte durch die Entwicklung der Thermodynamik erzielt, in der die Zuordnungssätze aus der Mechanik für die Zwecke der Wärmelehre adaptiert wurden. 310 Auf diesem Wege ließen sich in der Wärmelehre bahnbrechende, zur Mechanik analoge 308 Eine frühe, noch sehr auf die modellierten Dinge statt auf eine Theorie blickende Darstellung dieses Vorgehens gibt George Berkeley : „ I f I mistake not, all sciences, so far as they are universal and demonstrable by human reason, will be found conversant about signs as their immediate object, though these in the application are referred to things. The reason whereof is not difficult to conceive. For, as the mind is better acquainted with some sort of objects, which are earlier offered to it, strike it more sensibly, or are more easily comprehended than others, it seems naturally led to substitute those objects for such as are more subtle, fleeting, or difficult to conceive. Nothing, I say, is more natural, than to make the things we know a step towards those we do not know; and to explain and represent things less familiar by others which are more so. [...] We substitute things imaginable, for things intelligible, sensible things for imaginable, smaller things for those that are too great to be comprehended easily, and greater things for such as are too small to be discerned distinctly, present things for absent, permanent for perishing, and visible for invisible. Hence the use of models and diagrams. Hence lines are substituted for time, velocity, and other things of very different natures. Hence we speak of spirits in a figurative style, expressing the operations of the mind by allusions and terms borrowed from sensible things, such as apprehend, conceive, reflect, discourse , and such like: and hence those allegories which illustrate things intellectual by visions exhibited to the fancy. [...]" (Alciphron or The Minute Philosopher, 1732, Seventh Dialogue, Section 13, S. 305 f. der Ausgabe von A.A. Luce und Τ. E. Jessop, The Works of George Berkeley, Bishop of Cloy ne (zit. LJ), Vol. III; erste Hervorhebung nicht im Original). Siehe zur Übertragung ferner (vor allem mit Blick auf deduktive physikalische Theorien) Mary Brenda Hesse, Models and Analogies in Science, 1966, passim, insbesondere S. 57 ff. und S. 170 ff. 309
Hermann Fertig spricht hier von der „abstrakten Modellmethode" als einem Spezialfall der „strukturellen Modellmethode". Sie gehört zu den wichtigsten Methoden der theoretischen Physik und läßt sich für die klassische Physik dadurch charakterisieren, daß unterschiedliche physikalische Probleme auf dasselbe mathematische Variationsproblem (bzw. dieselbe Differentialgleichung) zurückgeführt werden (durch entsprechende Zuordnung der jeweiligen physikalischen Größen zu den Parametern des mathematischen Modells). In der modernen Physik kommt meist hinzu, daß die verwendeten Modelle die Wirklichkeit zunächst gezielt verkürzend darstellen und deshalb einen Approximationsprozeß voraussetzen, durch den die Theorie eine näherungsweise adäquate Erklärung ihres Gegenstandes gibt bzw. durch den eine Anwendung der Theorie näherungsweise zutreffende Resultate liefert. (Modelltheorie der Messung, 1977, 1.1.1, S. 19 ff. insbesondere S. 21 f.). 310 Rudolf Seeliger entwickelt seinen Modellbegriff sogar gerade aus diesem Gesichtspunkt (Analogien und Modelle in der Physik, Studium Generale 1. Jg. (1947/48), S. 127).
D. Zuordnungssätze
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Resultate gewinnen. Auch die Rechtswissenschaft arbeitet so, wenn sie beispielsweise das Modell der natürlichen Personen als Rechtssubjekte auf juristische Personen transferiert und Begriffen wie Organ, Handlung und Wissen dabei angepaßte Bedeutungen gibt. b) Auf dieser Übertragbarkeit beruht auch eine bestimmte Art von Widerspruchsfreiheitsbeweisen: Wenn sich ein Gedankengang in der Begrifflichkeit eines Modells und unter Beachtung der Regeln dieses Modells ausdrücken, die gedachte Situation sich also (durch entsprechende Zuordnungssätze) dem Modell zuordnen läßt, kann man dies - wenn die Widerspruchsfreiheit des Modells feststeht - verwenden, um die Widerspruchsfreiheit des Gedankengangs zu beweisen. Ein solches Verfahren wendete Henri Poincaré an, als er mittels eines euklidischen Modells der projektiven (nicht-euklidischen) Geometrie die Widerspruchsfreiheit derselben zeigte. 311 In der Rechtswissenschaft sind Beispiele dafür das Werkzeug als Modell der mittelbaren Täterschaft, die Körperschaft als Modell der juristischen Person und deshalb auch der Mensch als Modell des modernen Staates, der nicht mehr mit einer natürlichen Person zu identifizieren ist. Natürlich wird nur die Widerspruchsfreiheit der modellierten Sätze gezeigt. Daß die entsprechende Teiltheorie sich in jede Gesamttheorie einfügt, wird nicht und kann nicht gewährleistet werden. Die Konsistenz der Teiltheorie mit der übrigen Theorie muß durch andere Überlegungen begründet werden. c) Mit Hilfe dieser Vorstellung von der Übertragung einer Theorie läßt sich auch die Sprechweise von „möglichen Welten4' verstehen. Man denkt sich aus einer - als einheitlich vorausgesetzten - Theorie die Zuordnungssätze hinweg und verlangt von einer ,möglichen Welt', daß für sie neue Zuordnungssätze vorstellbar sind, bei deren Verwendung alle Aussagen der ursprünglichen, für die reale Welt interpretierten Theorie wieder gelten. 9. Doppelfunktion der Zuordnungssätze. Aus den letzten Überlegungen ergibt sich, daß die Funktion der Zuordnungssätze eine zweifache ist: Sie stellen erstens den Bezug der Theorie zu bestimmten Fällen her. Zweitens machen sie Modelle übertragbar, schaffen also ein technisches Hilfsmittel, mit dem sich ausgereifte Theorien auf andere Problemfelder anwenden lassen. 312 Gerade ihrer zweiten Funktion wegen ist es sinnvoll, solche Sätze nicht einfach zu den Modellsätzen zu zählen, sondern sie von diesen abzuheben. 311 Siehe oben Fn. 282 (dort stehen auch Hinweise auf die bereits früher mit anderen Methoden von Nikolai lvanovich Lobatschewsky und Georg Friedrich Bernhard Riemann geführten Beweise). 312
Ob eine Übertragung zu einer guten neuen Theorie führt, ist damit noch nicht gesagt, sondern muß jeweils getrennt untersucht werden. Die Übertragung ist lediglich ein Instrument zur Konstruktion neuer Theorien, manchmal allerdings ein sehr leistungsfähiges.
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E. Rechtssätze und die Beantwortung der Ausgangsfrage 1. Bezug zur Ausgangsfrage. Eine Erläuterung des Begriffs ,Rechtssatz4 ist kaum erforderlich, denn bei ihm liegt - im Gegensatz zu ,Modellsatz' und ,Zuordnungssatz' - keine neue, erklärungsbedürftige Begriffsbildung vor. Jeder Jurist hat aus seiner alltäglichen Arbeit eine recht klare Vorstellung von Rechtssätzen. Bei ihrer folgenden Erörterung geht es daher primär um einen besonderen Aspekt: Wenn sich das Projekt dieser Untersuchung erfolgreich abschließen läßt, müssen die Rechtssätze als dritte und letzte Art rechtlicher Sätze den Kreis rechtlicher Sätze und damit die rechtlichen Theorien in dem Sinne vervollständigen', daß die Ausgangsfrage Ist in der Rechtswissenschaft eine strengen wissenschaftlichen Maßstäben genügende Theoriebildung möglich , und, falls ja, wie kann sie aussehen? positiv beantwortet werden kann. Wie rechtswissenschaftliche Theorien auszusehen haben, falls es solche geben kann, wurde durch die Entwicklung des Begriffs rechtlicher Theorien bereits im Detail dargestellt. Dieser Begriff kann nun bei der Beantwortung der Ausgangsfrage vorausgesetzt werden. Bei der Erörterung von Rechtssätzen ist daher ,nur' mehr eine positive Antwort auf die Ausgangsfrage zu begründen. Dies erfolgt in zwei Schritten: Zunächst wird gezeigt, daß mit Rechtssätzen innerhalb rechtlicher Theorien das Ziel der Rechtsdogmatik, eine Rechtsordnung insgesamt auszuarbeiten bzw. darzustellen, erreicht werden kann. Dazu wird erläutert, wie sich Rechtsordnungen - insbesondere eine geltende Rechtsordnung - in rechtlichen Theorien abbilden lassen. Danach wird gezeigt, daß rechtliche Theorien durch ihre Rechtssätze im strengen Sinne wissenschaftliche, exakte Resultate liefern. Zu diesem Zweck wird begründet, weshalb man Rechtssätze in einem wissenschaftstheoretisch-technischen Sinne als Aussagen bezeichnen darf. 2. Rechtssätze und Modellregeln. Rechtssätze sind in der Regel das Kernstück rechtlicher Theorien. Sie umfassen einerseits die Prämissen, die neben den Modellsätzen erforderlich sind, um die zu betrachtende Rechtsordnung zu bestimmen, und andererseits die Resultate der Theorie, d.h. die Aussagen über diese Rechtsordnung, soweit sie nicht Modellsätze (nämlich Modellregeln) sind. Hieraus ergibt sich, daß Rechtssätze - trotz der oben unter B. 3. gemachten Einschränkung für die Verwendung der Bezeichnung ,Modellsatz' - kein notwendiger Bestandteil rechtlicher Theorien sind: Es ist theoretisch vorstellbar, daß alle Sätze einer rechtlichen Theorie, die keine Zuordnungssätze sind, den Charakter von Modellsätzen haben. Dieser Zustand dürfte in tatsächlich ausgearbeiteten rechtlichen Theorien ohnehin kaum eintreten, 313
E. I. Statische Normen und Abbildung geltender Rechtsordnungen
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ist aber auch in theoretischer Hinsicht kein Problem. Die folgenden Überlegungen werden zeigen, daß selbst bei Zulassung solcher Theorien von der positiven Antwort auf die Ausgangsfrage keine Abstriche zu machen sind, denn die hier anhand der Rechtssätze vorgeführten Eigenschaften derselben kommen ohne Abstriche auch den Modellregeln zu. I. Statische Normen und Abbildung geltender Rechtsordnungen 1. Sprachebenen. Will man rechtliche Theorien in dem soeben skizzierten Sinne und Rechtsordnungen geltenden Rechts einander gegenüberzustellen, ist es hilfreich, unterschiedliche Sprachebenen zu trennen. Die hierzu nötigen Unterscheidungen haben Alfred Tarski 314 und Rudolf Carnap 315 in anderem Zusammenhang (zur Entwicklung semantischer Konzepte in formalen Sprachen) eingeführt. In Anlehnung an ihre Begrifflichkeit soll hier ein präskriptiver Satz, der eine Pflicht ausdrückt, im folgenden ,objektsprachlicher (präskriptiver) Satz' genannt werden. Solche Sätze können ihrerseits Gegenstand anderer Sätze werden, die dann ,metasprachliche Sätze' genannt werden. Ebenso wie objektsprachliche Sätze können auch metasprachliche Sätze präskriptiv sein (und dann Vorschriften über Vorschriften enthalten) 316 oder deskriptiv (als Beschreibungen von Vorschriften). Die hier interessierenden metasprachlichen Sätze sind in der Regel präskriptiv. Die Bildung sprachlicher Metaebenen läßt sich iterieren: Normen über Rahmenverträge etwa enthalten Vorschriften über Regelungen über präskriptive Sätze bezüglich der einzelvertraglichen Bestimmungen, also Sätze einer Metasprache zweiter Stufe. 317
313
Vgl. dazu insbesondere im 4. Kapitel A. 6.
314
Alfred Tarski, Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen, in: Studia Philosophica Vol. 1 (1935), insbesondere S. 282 (§ 2; zit. nach Steven R. Givant, Ralph und N. McKenzie, Alfred Tarski Collected Papers, 1986, Vol. 2, dort S. 75; dies ist eine erweiterte Fassung der polnischen Monographie Poj^cie prawdy w j^zykach nauk dedukcyjnych von 1933) führt den Begriff der Metasprache ein. Diese hier übernommene Begrifflichkeit ist spätestens in Alfred Tarski, The Semantic Conception of Truth, in: Philosophy and Phenomenological Research, Vol. 4 (1944), S. 349 (I 9.; Collected Papers S. 673) voll entwickelt. 315
Rudolf Carnap, Logische Syntax der Sprache, 1934, Einleitung 1., S. 4, führt den Begriff der Objektsprache ein. (Das, was hier ,Metasprache' genannt wird, nennt er , Syntaxsprache'.) 316 Siehe hierzu grundlegend Georg Henrik von Wright , Norm and Action, 1963, X., S. 189 ff. 317
Einen Satz als metasprachlich zu bezeichnen, sagt also nur, daß er sich seinerseits auf einen anderen Satz (oder mehrere Sätze) bezieht, der näher an der objektsprachlichen Ebene ist. Möchte man die metasprachliche Ebene präzisieren, bleibt einem nichts
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2. Strafrecht . a) In rechtlichen Vorschriften, die aus objektsprachlichen präskriptiven Sätzen bestehen (d.h. Sätzen, die Pflichten eines Rechtssubjekts statuieren), geht es immer um mindestens zwei Personen. 318 Der Text der Vorschrift mag dabei von nur einer Person sprechen. Aber alle Rechte und Pflichten betreffen das Verhältnis von mindestens zwei Personen zueinander; dies kommt sowohl in der Sprechweise der Abgrenzung von Freiheitssphären 319 zum Ausdruck als auch in der Sprechweise vom Ausgleich bzw. der Entscheidung von Interessenkonflikten. 320 Die einfachsten präskriptiven Sätze einer rechtlichen Theorie behandeln daher Pflichten im Zwei-Personen-Verhältnis . Um derartige Sätze geht es im größten Teil des Strafrechts. Die meisten strafrechtlichen Sätze betreffen das Verhältnis zwischen einem Handelnden (Täter) und einem möglicherweise Geschädigten bzw. Gefährdeten (Opfer). Auch das Strafrecht kennt und behandelt Situationen mit weit mehr als zwei Personen; man denke nur an die Mittäterschaft, mittelbare Täterschaft, Teilnahme, Dreiecksbetrug oder Banden - wo die Täter-Opfer-Konstellation jeweils auf der einen oder anderen Seite um zusätzliche Personen erweitert wird - oder das Auftreten von außerhalb der Täter-Opfer-Beziehung stehenden ,Dritten 4 . Das Strafrecht entwickelt jedoch alle seine Regeln aus der Zwei-Personen-Beziehung: Wir rechnen Mittätern die Verwirklichung von Tatbestandsmerkmalen gegenseitig zu, behandeln die Mittäter im übrigen aber einzeln. Wir betrachten den Vordermann in Fällen der mittelbaren Täterschaft ähnlich einem mechanischen Werkzeug und eliminieren ihn dadurch, soweit es um die Strafbarkeit des Hintermannes für die in mittelbarer Täterschaft begangenen Taten geht, aus der Drei-Personen-Konstellation. Die Vorschriften über die Bestrafung von Teilnehmern und die Behandlung von Dreianderes übrig, als anzugeben, welche Sätze gerade als Sätze der objektsprachlichen Ebene betrachtet werden und welche metasprachlichen Bezugsstufen zwischen diesen objektsprachlichen Sätzen und dem bezeichneten Satz liegen. 318 Vgl. oben Fn. 90. 319
Sie ist angelegt bei Immanuel Kant , Kritik der praktischen Vernunft, 1788, 1. Teil, 1. Buch, 1. Hauptstück, § 8, Lehrsatz IV, Anmerkung I, S. 60 (AA Bd. V, S. 34, Z. 3-7) und bezieht sich heute oft auf Die Metaphysik der Sitten, 1797, Einleitung in die Rechtslehre § B, S. 33 (AA Bd. VI, S. 230, Z. 24-26) sowie (ebendort) Einleitung in die Rechtslehre, Einteilung der Rechtslehre B., S. 45 (AA Bd. VI, S. 237, Z. 29-32). Dazu, daß indes keineswegs nur Kant mit ihr zu assoziieren ist und er auch nicht der erste war, der die Idee der Abgrenzung von Freiheitssphären in die Moralphilosophie einführte, vgl. z.B. Georg Geismann, Politische Philosophie - hinter Kant zurück?, Jahrbuch für Politik Bd. 2 (1992), S. 322. Zu dieser Ausdrucksweise vgl. ferner Johann Gottlieb Fichte , Darstellung der Wissenschaftslehre aus dem Jahre 1801, 1845, 2. Theil § 30 2), S. 82 und § 45 2), S. 144. 320
Grundlegend dazu Philipp Heck , Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, AcP Bd. 112 (1914), passim, insbesondere S. 11 (II. (§ 2) 1.) mit zahlreichen weiteren Hinweisen.
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ecksbeziehungen (z.B. beim Betrug) ergeben sich jeweils, indem im ZweiPersonen-Verhältnis zwischen Täter und Geschädigtem auf der einen oder anderen Seite eine weitere Person hinzugefügt wird, ohne etwas an dieser grundsätzlichen Gegenüberstellung zu ändern. Besonders deutlich wird dies in Begriffen wie ,Lagertheorie'. 321 Echte Dritte sind im allgemeinen nicht mit eigenen Rechten und Pflichten von Bedeutung, sondern meist nur auf diese Personen bezogene besondere Umstände. b) Das Strafrecht spielt sich ferner weit überwiegend auf unterster (, Objekt sprachlicher' 322) Sprachebene ab: Aus den Deliktstatbeständen (bzw. ihren Rechtsfolgeanordnungen) ergeben sich Pflichten für Bürger und Richter, aus den Rechtfertigungsnormen Eingriffsrechte und korrespondierende Duldungspflichten. Entschuldigungsgründe statuieren Beschränkungen dieser Pflichten (und Rechte) der Richter bzw. des Staates. Dabei kennt das geltende deutsche Strafrecht durchaus metasprachlich gefaßte Vorschriften, z.B. die Regeln über die sogenannten unechten Unterlassungsdelikte (§ 13 StGB) und den Versuch (§§ 22, 23 StGB). Diese beziehen sich auf Deliktstatbestände des besonderen Teils des Strafgesetzbuchs. Sie ordnen an, daß - unter bestimmten Voraussetzungen - zu den dort stehenden objektsprachlichen präskriptiven Sätzen vom Anwender des Strafgesetzbuchs jeweils zusätzliche objektsprachliche präskriptive Sätze zu bilden (und anzuwenden) sind. In den Beispielen sind das die Deliktstatbestände, die sich auf Unterlassungstaten bzw. auf im Versuchsstadium steckengebliebene Taten beziehen. Es sei betont, daß der Text des deutschen Strafgesetzbuchs solche Deliktstatbestände gerade nicht enthält, sondern nur Vorschriften über die selbständige Bildung von diesen Deliktstatbeständen durch den Rechtsanwender. Derartige Vorschriften liegen auf der ersten metasprachlichen Ebene. Diese metasprachlichen präskriptiven Sätze sind indes nicht notwendig in jedem Strafrecht enthalten, das Regeln über Unterlassungstaten und bloß versuchte Taten kennt. Insbesondere hätte auch der Gesetzgeber des deutschen Strafgesetzbuchs die objektsprachlichen präskriptiven Sätze (die Deliktstatbestände), die auf Grund der entsprechenden metasprachlichen Sätze zu bilden sind, selbst unter die Deliktstatbestände aufnehmen können (wie er dies z.B. für viele, wenn auch nicht alle Fahrlässigkeitstaten getan hat). Der Weg, 321 Vgl. dazu Theodor Lenckner, Anmerkung zum Urteil des OLG Stuttgart vom 14. 7. 1965, 1 Ss 360/65, JZ 1966, S. 320 f., 321 1. Sp. unten. 322
Es entspricht nicht ganz dem üblichen Sprachgebrauch, einen Satz, der nicht notwendig Gegenstand eines anderen Satzes ist, als ,objektsprachlich' zu bezeichnen. Um eine kurze Ausdrucksmöglichkeit zu schaffen, wird dies hier dennoch getan. Gemeint ist in diesen Fällen ein Satz, der sich kein anderes sprachliches Konstrukt zum Gegenstand macht und daher in keiner Weise metasprachlich ist. Die streng technische Bezeichnung wäre also ,objektsprachlich oder nicht-metasprachlich'.
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den der deutsche Gesetzgeber ging - die Anordnung jeweils einer metasprachlichen Vorschrift statt vieler objektsprachlicher Vorschriften - , fördert die Übersichtlichkeit des Gesetzestextes und das Verständnis der rechtlichen Struktur erheblich. Er soll keinesfalls negativ kritisiert werden, ist aber kein notwendiger Weg. 3 2 3 Inhaltsgleiche Vorschriften können stets rein objektsprachlich formuliert werden. Deshalb sind metasprachliche Regeln für das Strafrecht nicht charakteristisch. Zum Strafrecht gehören indes auch einzelne Vorschriften, die notwendigerweise metasprachlich sind: die verschiedenen Kollisions- und Konkurrenzregelungen. 324 Sobald eine Theorie mindestens zwei präskriptive Sätze enthält, die für dieselbe Situation miteinander unvereinbare Handlungen anordnen (wie z.B. in Pflichtenkollisionsfällen), ist - um die Theorie konsistent zu halten - ihre Kollision durch eine Vorrangregel zu lösen. Vorrangregeln sind stets metasprachlicher Natur, denn sie sagen gerade etwas über das Verhältnis zweier Normen einer niedrigeren Sprachebene (nämlich meist objektsprachlicher Normen) aus. c) Man kann sich das Strafrecht und diejenigen Teile der anderen Rechtsgebiete, die sich objektsprachlich fassen lassen und darüber hinaus nur solche metasprachlichen Regelungen enthalten, welche die Konsistenz der objektsprachlichen Regelungen gewährleisten, schließlich sogar als statisches Gefüge präskriptiver Sätze vorstellen. ,Statisch' bedeutet dabei, daß die Regelungen ihren ganzen Sinn entfalten, ohne daß man sich dabei irgendeine Änderung am System der präskriptiven Sätze selbst vorzustellen bräuchte. 325 Wird an diesen Sätzen etwas geändert - durch den Gesetzgeber oder den eine
323
Indem das geltende deutsche Strafgesetzbuch zwischen Deliktstatbeständen und Rechtfertigungstatbeständen unterscheidet (und in ihm insbesondere keine Gesamtunrechtstatbestände formuliert werden), setzt es ferner eine metasprachliche Regelung (implizit) voraus, welche den Vorrang der Rechtfertigungen anordnet und sie so erst zu Ausnahmen von den Deliktsnormen werden läßt. Auch dies ist für die Übersichtlichkeit des Gesetzes sehr förderlich, aber nicht der einzig gangbare Weg, wie die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen betont. Zu den Begriffen ,negatives Tatbestandsmerkmal' und ,Gesamtunrechtstatbestand' siehe Adolf Merkel , Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 1889, § 30 2., S. 82 sowie Harro Otto , Grundkurs Strafrecht, Allgemeine Strafrechtslehre, 7. Aufl. 2004, § 5 Rn. 20 ff. 324
Ein Strafrecht, das auf Konkurrenz- und Kollisionsregelungen gänzlich verzichtet, ist prinzipiell sogar vorstellbar. Man kann es aus jedem beliebigen Strafrecht entwikkeln, indem alle bis auf einen Deliktstatbestand, alle Rechtfertigungsgründe und alle Entschuldigungsgründe abgeschafft werden. Das wäre aber kein brauchbares, praktisch interessantes Strafrecht mehr. 325 Vgl. dazu auch Hans Kelsen , Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, VII. 43., S. 107 und 2. Aufl. 1960, III. 15., S. 72 sowie IV., S. 114 ff.
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Theorie konstruierenden Rechtswissenschaftler - , entsteht ein neues, wiederum als statisch betrachtbares geltendes Recht bzw. eine statische Theorie. d) Im Hinblick auf die genannten drei Eigenschaften - erstens die stark reduzierbaren Personen-Konstellationen, zweitens niedrige Sprachebenen und drittens weitgehende Statik - ist das Strafrecht in rechtstheoretischer Hinsicht besonders einfach und deshalb das für grundsätzliche rechtstheoretische Betrachtungen am besten geeignete Rechtsgebiet. Das bedeutet: Wenn eine Theorie über das Recht ein Rechtsgebiet adäquat erfassen muß, dann das Strafrecht. Erfaßt sie nicht einmal dieses, ist sie schon im Ansatz ungeeignet, zu einer allgemeinen Rechtstheorie ausgearbeitet zu werden. 326 3. Vertragsrecht. Das Vertragsrecht ist bezüglich der genannten drei Eigenschaften grundsätzlich anders strukturiert. a) Verträge können zwischen einer beliebigen Anzahl (größer oder gleich zwei) von Parteien geschlossen werden. Diese Situationen sollen n-PersonenVerhältnisse heißen. 327 Für viele Einzelfrage lassen sich die n-Personen-Verhältnisse auf Zwei-Personen-Verhältnisse reduzieren. Beispielsweise trägt im Vertragsrecht die Behandlung von Schuldverhältnissen, in denen ein Schuldner und ein Gläubiger auftreten, sehr weit. Bei Verträgen mit mehr als zwei Personen lassen sich einzelne derartige Schuldverhältnisse unterscheiden und getrennt voneinander behandeln. Man kann aber niemals alle Aspekte eines Vertrages zwischen mehr als zwei Parteien auf Zwei-Personen-Verhältnisse reduzieren, denn die Bestimmungen solcher Verträge sind im Sinne aller Parteien gleichzeitig zu verstehen („auszulegen"). In jede vertragliche Bestimmung gehen potentiell die Interessen aller beteiligten Parteien ein. Würden sämtliche vertraglichen Beziehungen auf Zwei-Personen-Verhältnisse reduziert, gäbe es nicht mehr die einheitlich für alle Parteien geltenden Bestimmungen des Vertrages, sondern möglicherweise ebenso viele Varianten der einzelnen Bestimmungen, wie sich Paarungen unter den Vertragsparteien bilden lassen. Der gemeinsame Vertrag ginge also verloren. Auch wenn viele vertragsrechtliche Vorschriften von höchstens zwei verschiedenen Personen sprechen, geht es im Vertragsrecht prinzipiell um n-Personen-Verhältnisse. 326
Dies ist eines der zentralen Probleme der Kelsenschen Reinen Rechtslehre, die nur eine Theorie der Erzeugung von (positiv-geltenden) Normen und damit strukturell eine Theorie der Gesetzgebung liefert. Ihre Grundsätze werden zwar auf den ganzen Prozeß der Normkonkretisierung (durch Setzen neuer Normen und schließlich durch einen Realakt) erstreckt. Sie beschränkt ihre Betrachtung also keineswegs auf einen parlamentarischen Gesetzgeber, sondern zieht Normgebung verschiedenster Art in Betracht. Aber eine Theorie statischen Sachrechts - insbesondere des Strafrechts - liefert sie nicht (und zwar auch - trotz des Titels - nicht im IV. Kapitel der 2. Aufl. der Reinen Rechtslehre). 327
η steht dabei für eine unbekannte ganze Zahl größer oder gleich zwei.
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b) Darüber hinaus statuiert das Vertragsrecht nur ganz selten unmittelbar Pflichten, die zwischen den Vertragsparteien bestehen. Solche Pflichten ergeben sich in erster Linie aus den Verträgen, während es im Vertragsrecht um die Verträge selbst geht. Das Vertragsrecht ist daher nicht aus objektsprachlichen präskriptiven Sätzen aufgebaut, sondern enthält Sätze, die gegenüber den präskriptiven Sätzen der Verträge auf metasprachlicher Ebene stehen. Das Vertragsrecht legt fest, wie Verträge zustande kommen, welchen Inhalt sie haben können und welche Inhalte in Ermangelung expliziter vertraglicher Bestimmungen oder im Falle unzulässiger Bestimmungen zu ergänzen sind. Ohne Vertrag (bzw. vorvertragliche Rechtsverhältnisse) ergibt sich aus dem Vertragsrecht keine Pflicht zwischen den potentiellen Parteien. 328 Die vertragsrechtlichen Regelungen können dabei unterschiedlichen metasprachlichen Ebenen angehören. Regelungen über Rahmenverträge z.B. gehören einer Sprachebene an, die gegenüber den in Rahmenverträgen getroffenen Regelungen metasprachlich ist. Diese wiederum sind ihrerseits gegenüber den einzelvertraglichen Regelungen metasprachlicher Natur. c) Schließlich ist das Vertragsrecht auch nicht sinnvoll als rein statisch vorstellbar. Es lebt gerade davon, daß Verträge geschlossen werden und damit stets neue präskriptive Sätze der objektsprachlichen Ebene ins Spiel kommen. Würden derartige Veränderungen nicht zugelassen, ginge das Vertragsrecht an seinem Ziel vorbei. In ihm läßt sich klar zwischen einem (z.B. gesetzlich angeordneten) statisch bleibenden Normgefüge und einem (vertraglich vereinbarten) dynamischen Anteil unterscheiden. Oft denkt man beim Wort ,Vertragsrecht 4 zwar nur an den erstgenannten Teil, aber auch der andere spielt in jedem vertragsrechtlichen Fall eine große Rolle. Die vertragsrechtlichen Normen setzen also eine begrenzte Dynamisierung voraus, um sinnvoll zu sein. Dennoch kann man sich diese Normen selbst als statisch vorstellen. 4. Die übrigen Rechtsgebiete, a) Die Ausführungen zum Vertragsrecht lassen sich ohne weiteres auf das Verwaltungsrecht übertragen, nur daß hier die objektsprachlichen präskriptiven Sätze nicht immer durch Einigung, sondern regelmäßig durch einen einseitigen Akt (den Verwaltungsakt) variiert werden. Durch die gleichen wie die bereits angestellten Überlegungen kann man sich davon überzeugen, daß auch alle übrigen Rechtssätze innerhalb des durch das Vertragsrecht abgesteckten Rahmens (Betrachtung von n-PersonenVerhältnissen, Verwendung der sprachlichen Objektebene und ihrer Metaebenen, Begrenzung der zugelassenen Dynamik in obiger Weise) bleiben, so328
Dabei ist der Begriff des Vertragsrechts entsprechend eng zu fassen. Vorvertragliche Haftung etwa wird dann nicht von ihm erfaßt, sondern zum Recht der unerlaubten Handlungen gezählt.
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lange es in ihnen nicht um Änderungen des Rechts selbst geht. Nachdem es ohnehin nur eine endliche Anzahl Personen in der Welt gibt und durch den Rahmen keine Beschränkung der Sprachebenen stattfindet, besteht die einzige echte Einschränkung in folgendem: Die Dynamik muß auf Sätze beschränkt bleiben, die außerhalb der rechtlichen Theorie stehen, und die Sätze der rechtlichen Theorie dürfen im Hinblick auf dynamische Sätze lediglich voraussetzen, daß es sie gibt (d.h. daß zu den Umständen, auf welche die rechtliche Theorie angewendet werden soll, auch dynamische Sätze - z.B. abgeschlossene Verträge - zählen). b) Alle Normen einer Rechtsordnung bis auf diejenigen, die sich mit der Gesetzgebung' 329 beschäftigen, lassen sich also in ein und derselben rechtlichen Theorie erfassen. Entscheidend ist dafür nur, daß man nicht verlangt, daß die Rechts- und die Modellsätze immer auf objektsprachlicher Ebene liegen, sondern Sätze zuläßt, welche die genannte begrenzte Dynamisierung voraussetzen, selbst aber innerhalb der Theorie unverändert bleiben. Beides ist unproblematisch. 5. Theorie der Gesetzgebung bz.w. Geltung. Regelungen über die Änderung von Rechtssätzen hingegen enthalten weitere Komplikationen. Allein, daß diese Regelungen nicht mehr auf einer der bisher genannten (endlichen) Metaebenen liegen können, weil sie Regelungen über alle bislang ins Auge gefaßten Rechtssätze treffen sollen und sich deshalb sprachlich auf einer Metaebene oberhalb all dieser endlichen Metaebenen befinden müssen, macht die Vorstellung zwar etwas kompliziert, würde aber noch kein unüberwindliches Hindernis darstellen. 330 Das eigentliche Problem ist fundamentaler. a) Ein System von Sätzen vermag nur solange Schlüsse zu tragen, wie es sich nicht verändert. Der Grund dafür, eine Aussage aus Prämissen abzuleiten, ist ja gerade, daß die Prämissen dann die Aussage begründen. Wenn nicht gewährleistet ist, daß die Prämissen unverändert bleiben, ist dieses Ziel nicht zu erreichen, und man kann überhaupt keine Begründungen mehr geben. Weil Regelungen über die Gesetzgebung' aber nur dann zu verstehen sind, wenn man sich all diejenigen Normen, die erlassen, verändert und aufgehoben werden dürfen, ohne Einschränkung dynamisch vorstellt, können in einem Sy329 Der Begriff Gesetzgebung' steht hier jeweils in Anführungszeichen, weil er unpräzise ist. Er steht pars pro toto z.B. auch für Vorschriften, welche die Satzungsgebung oder den Abschluß von Tarifverträgen regeln, soweit sie Rechtsnormcharakter erhalten. 330 Es besteht eine starke Ähnlichkeit dieser Situation zur Konstruktion der ersten Limeszahl (Limesordinalzahl) in der Mathematik, welche die Kardinalität der natürlichen Zahlen angibt (vgl. Heinz-Dieter Ebbinghaus in: derselbe u.a. (Hrsg.), Zahlen, 1983, Kapitel 13 § 3 1., S. 271 sowie bereits Felix Hausdorff, Grundzüge einer Theorie der geordneten Mengen, Math. Ann. Bd. 65 (1908), insbesondere §§ 1-3, S. 439 ff.).
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stem, das zugleich Gesetzes- und Gesetzgebungsvorschriften enthält, die Gesetze (logisch) keinerlei Wirkung mehr entfalten. Sie werden durch ihre Wandelbarkeit als Prämissen für Schlüsse unbrauchbar. Nur aus den Gesetzgebungsvorschriften (soweit zumindest diese statisch bleiben), ließen sich noch Schlüsse ziehen. 331 Wenn wir unser geltendes Recht betrachten, berücksichtigen wir diesen Umstand schon ganz intuitiv. Normen werden stets zu einem bestimmten Stand angewendet, d.h. die Rechtsordnung wird zu einem Zeitpunkt fixiert. Soll eine Veränderung der Rechtsordnung juristisch analysiert werden, ordnet man die Normen unterschiedlichen Hierarchiestufen zu 3 3 2 und bestimmt die oberste Hierarchiestufe, in der noch Veränderungen auftreten. Normen aus dieser und allen niedrigeren Stufen dürfen nicht verwendet werden, um für die Veränderungen maßgebliche inhaltliche Schlüsse zu ziehen, also inhaltliche Vorgaben für die zu verändernden Normen abzuleiten. 333 Nur während des ganzen Änderungsprozesses statisch bleibende Normen vermögen Schlüsse zu tragen. b) Die Lehre von der Normhierarchie, dem „Stufenbau der Rechtsordnung 4 ' 334 , kann deshalb richtigerweise nicht als Erklärung verstanden werden, wie die ,einfachen Normen 4 und Regelungen über die Veränderung dieser Normen ein gemeinsames System bilden könnten. Sie beinhaltet vielmehr den Befund und die Erklärung dafür, daß sie dies nicht können. Weil man auf der Grundlage sich beliebig ändernder Voraussetzungen keine Schlüsse ziehen 331
Das schließt nicht aus, daß eine Gesetzesurkunde, z.B. das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Vorschriften enthält, die unterschiedlichen, aufeinander bezogenen Sprachebenen zuzuordnen sind. Um diese Vorschriften anwenden zu können, sind aber eben die Sachvorschriften (der Objektebene) von den Änderungsvorschriften (der Metaebenen) zu trennen. Die Vorschriften können nicht gemeinsam als ein System logisch gleichgeordneter Sätze aufgefaßt werden. 332
Siehe hierzu Hans Kelsen , Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, V., S. 196 ff. sowie grundlegend Adolf Julius Merkl , Prolegomena einer Theorie des rechtlichen Stufenbaues, 1931, insbesondere S. 466 ff. der Gesammelten Schriften Bd. 1/1 1993. In dessen Begrifflichkeit geht es hier um den Stufenhau der (im Hinblick auf ihre Geltung) einander bedingenden und bedingten Rechtssätze (S. 467), nicht etwa den durch Vorrangregeln entstehenden Stufenbau der derogierenden und derogierbaren Rechtssätze (S. 468 f.; z.B. auf Grund einer Regel wie ,Bundesrecht bricht Landesrecht'), denn letztere Hierarchisierung ist auch für rein statische Normgefüge möglich und hat deshalb mit dem hier diskutierten Problem nichts zu tun. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Matthias Jestaedt , Grundrechtsentfaltung im Gesetz, 1999, 4. Teil II. 2., S. 300 ff. mit weiteren Nachweisen. 333
Die Normen der von den Veränderungen betroffenen Ebenen dürfen und müssen freilich verwendet werden, um zu überprüfen, ob die neuen Normen mit ihnen konsistent sind. 334
Siehe wiederum Fn. 332.
E. I. Statische Normen und Abbildung geltender Rechtsordnungen
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kann, macht es keinen Sinn, Regelungen über Änderungen von Rechtssätzen und diese Rechtssätze selbst als Teil desselben Satzsystems zu betrachten. Eine einheitliche Rechtsordnung im Sinne eines einheitlichen Satzsystems kann es nur geben, solange alle zu diesem System gehörenden Sätze statisch bleiben. Eine deduktive Theorie, welche die Sätze einer auch Gesetzgebungsvorschriften 4 umfassenden Rechtsordnung insgesamt enthielte, wäre sinnlos. Es ist aber unproblematisch möglich und sinnvoll, zu jeder Normschicht eine eigene rechtliche (deduktive) Theorie zu entwickeln, welche die Sätze der betreffenden Normschicht und aller höheren Schichten als statische Sätze enthält und sich auf die Normen der niedrigeren Schichten als variable rechtliche Sätze bezieht. Weil die Normen der niedrigeren Schichten inhaltlich im allgemeinen nicht aus den Normen einer höheren hierarchischen Schicht zu erschließen sind (weil diese Normsetzungsakte erfordern), können auch die Sätze einer rechtlichen Theorie ,niedrigerer Stufe' im allgemeinen nicht aus einer Theorie ,höherer Stufe' erschlossen werden. Bei der Hierarchisierung von Normen geht es darum, die Geltung von Normen einer niedrigeren Stufe durch die Konformität von Normsetzungsakten mit den einschlägigen Normen einer höheren Stufe zu begründen. Eine rechtliche Theorie ,höherer Stufe' beschäftigt sich deshalb stets mit der Frage, in welchem rechtlichen Verfahren die Prämissen einer Theorie niedrigerer Stufe mit Geltung versehen werden können. Vom Standpunkt der Theorie niedrigerer Stufe ist sie also eine Theorie der Geltung. Sie beschäftigt sich nicht mit der Frage, wie man zu den abgeleiteten Rechtssätzen kommt, denn darauf kann allein die (juristische) Logik eine Antwort geben. Sie gibt auch nicht vor, welche Prämissen zu setzen sind, denn dies geschieht durch die prinzipiell freien Setzungsakte. Wie im ersten Kapitel ausgeführt, schränkt nicht einmal der Umstand, daß eine bestimmte Prämissenmenge durch einen Gesetzgeber mit Geltung ausgestattet wurde, den Rechtswissenschaftler auf eine Betrachtung gerade dieser Prämissen ein. Aber wenn ein Rechtswissenschaftler eine Reihe hierarchisch strukturierter rechtlicher Theorien betrachtet, müssen diese ein besonderes Konsistenzerfordernis erfüllen: Die Theorien niedrigerer Stufe dürfen nur solche Prämissen enthalten, die nach den Resultaten der Theorien höherer Stufe mit Geltung ausgestattet werden können. c) Möchte man den Begriff der Rechtsordnung auf alle Normen inklusive derjenigen über die Änderung anderer Normen erstrecken, muß man ihn als Sammelbegriff für verschiedene, hierarchisch strukturierte Systeme rechtlicher Sätze verstehen. Eine solche Rechtsordnung kommt aber nicht als abstrakter Gegenstand einer Theorie in Betracht. Der Gegenstand einer Theorie muß während der Betrachtung unverändert bleiben, während eine solche Rechtsordnung (ohne Einschränkung) dynamisch wäre. Ein derartiges ,dyna-
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misches System4 insgesamt als einen Gegenstand zu betrachten, ist nur von außen möglich, etwa soziologisch als geschlossenen gesellschaftlichen Ablauf. 335 Ein einheitliches und dabei Normen aller Hierarchiestufen enthaltendes rechtliches System ist hingegen nicht möglich. Wenn in der vorliegenden Untersuchung von einer Rechtsordnung als Gegenstand einer rechtlichen Theorie die Rede ist, dann ist damit immer nur ein eingeschränkter Begriff gemeint, nämlich ein System rechtlicher Sätze, die höchstens die für das Vertragsrecht eingeführte begrenzte Dynamisierung aufweisen und ansonsten statisch sind. Alle hier über eine solche Rechtsordnung im eingeschränkten Sinne gemachten Aussagen lassen sich allerdings auf Rechtsordnungen in dem gerade angegebenen weiteren Sinne (der dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch entspricht) übertragen, indem man die Rechtsordnung im weiteren Sinne Hierarchiestufe für Hierarchiestufe betrachtet, d.h. jeweils Rechtsordnungen im eingeschränkten Sinne (als Teil der Rechtsordnung im weiteren Sinne) untersucht. Die Einschränkung ist daher nicht inhaltlich, sondern nur eine Frage präziser Sprechweise: Wenn Aussagen auf eine gesamte Rechtsordnung im weiteren Sinne bezogen werden sollen, wäre präzise von ,allen Hierarchiestufen der Rechtsordnung (im weiten Sinne)4 zu sprechen. Aussagen über eine Rechtsordnung im weiteren Sinne sind also ohne weiteres möglich und genau genommen über eine Vielzahl zusammenhängender Theorien quantifizierte Aussagen. Weil es in der vorliegenden Untersuchung nicht um spezielle Probleme der Gesetzgebung4 geht, lassen sich alle hier über Rechtsordnungen im engeren Sinne getroffenen Aussagen in dieser Weise verallgemeinern. Deshalb ist hier eine Differenzierung zwischen der eingeschränkten und der weiteren Bedeutung des Wortes nicht erforderlich. Wann immer schlicht von ,einer Rechtsordnung 4 gesprochen wird, bleibt es dem Leser überlassen, darunter nach seinem Belieben entweder eine Rechtsordnung im eingeschränkten Sinne zu verstehen oder sich die Aussage als über alle Hierarchiestufen einer Rechtsordnung im weiteren Sinne quantifiziert zu denken. d) Als Ergebnis dieser Überlegungen ist also festzuhalten, daß sich jede komplette geltende Rechtsordnung - unter Voraussetzung ihrer Konsistenz auch mit Gesetzgebungsvorschriften 4 in rechtliche Theorien abbilden läßt, nicht aber in nur eine einzige. Letztere Vereinigung ist aus prinzipiellen Gründen in keiner Theorie möglich und nicht etwa ein Fehler der hier entwikkelten rechtlichen Theorien. Keine Wissenschaft kann eine Theorie, die Re335
Niklas Luhmann spricht hier von „normativ geschlossen" (Das Recht der Gesellschaft, 1993, Kapitel 2, VI., S. 77; siehe dort ferner insbesondere Kapitel 2, S. 38 ff. passim und Kapitel 11, S. 496 ff. sowie oben Fn. 51).
E. II. Präskriptive Aussagen und exakte Urteile
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geln über die Auswahl von Prämissen anderer Theorien enthält, mit diesen anderen Theorien zu einer einheitlichen vereinigen. Dieses Ergebnis stellt dem im ersten Kapitel vorgetragenen Grund, aus dem eine geltende Rechtsordnung als solche nicht Gegenstand der Rechtswissenschaft sein kann, einen zweiten Grund an die Seite. Die Untersuchung hat aber auch gezeigt, daß und in welchem Sinne man von der Abbildung einer geltenden Rechtsordnung in rechtlichen Theorien sprechen darf. Diese Voraussetzung für eine rechtswissenschaftliche Theoriebildung ist also erfüllt.
I I . Präskriptive Aussagen und exakte Urteile 7. Problem der präskriptiven Aussagen. Sätze können insbesondere deskriptiv oder präskriptiv sein (aber auch anderer Natur, z.B. Fragen, Vorwürfe, performative Sprechakte' 336 ). Die Resultate einer rechtlichen Untersuchung sind im wesentlichen präskriptiver Natur. Dabei ist das, was hier präskriptiver Satz genannt wird, von einem bloßen Befehl zu unterscheiden, der isoliert gegeben wird, nur Befolgung fordert und keine Richtigkeit beansprucht. 337 Ferner hat man präskriptive Sätze und deren Beschreibungen also deskriptive Aussagen, die den präskriptiven Sätzen gegenüber metasprachlicher Natur sind - zu unterscheiden. 3j8 Es geht hier weder um Befehle noch um deskriptive Aussagen über präskriptive Sätze, 339 sondern nur um präskriptive Sätze in dem zuerst genannten Sinne, d.h. um die Normen im Sinne der Normenlogik. 340 Der Begriff Aussage wird in vielen Abhandlungen allein für deskriptive Sätze verwendet. 341 Darüber hinaus insistieren zahlreiche Autoren, präskrip336
Zum Begriff vgl. John Langshaw Austin , How to do Things with Words, 1962 (1955) Lecture I, S. 4 und passim; vgl. ferner derselbe , Performative Utterances, BBC 1956, in: James Opie Urmson und Geoffrey James Warnock (Hrsg.), J.L. Austin: Philosophical Papers, 1961, S. 220 ff. sowie bereits derselbe , Other Minds, Proceedings of the Aristotelian Society, Supplementary Vol. XX (1946), zitiert nach: Philosophical Papers, dort S. 67 ff. 337
Georges Kalinowski , La logique des normes, 1972, Chapitre 1 2., S. 20 ff. (Übersetzung S. 8 ff.). 338
Siehe dazu Georg Henrik von Wright , Norm and Action, 1963, VI. 8., S. 103 f.
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Solche sind z.B. die Rechtssätze bei Kelsen (vgl. Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, III. 16., S. 77). Siehe hierzu ferner derselbe, Allgemeine Theorie der Normen, 1979, 41. Kapitel, S. 130 ff. 340
Vgl. z.B. Georges Kalinowski, (Übersetzung S. 6 ff.).
La logique des normes, 1972, Chapitre 1 2., S. 17 ff.
341 Vgl. statt vieler in der juristischen Literatur Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, II 2 1. b), S. 257 (Seine Ausführungen in ,Der
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tive Sätze könnten weder wahr noch falsch sein. 342 Es gibt namhafte Stimmen, die dieser Auffassung entgegentreten, z.B. Georges Kalinowski, 343 doch sie bilden bislang eine Minderheit. 344 Deshalb kann man die Begriffe Aussage' und ,Wahrheit' 345 nicht gut ohne Angabe einer näheren Begründung so verwenden, wie dies in der vorliegenden Untersuchung geschieht, nämlich so, daß auch von präskriptiven Aussagen die Rede ist. Diese Begründung wird im folgenden gegeben (ohne daß zu diesem Zweck ein rechtsrealistischer Standpunkt vorausgesetzt würde). Der andere und noch wesentlichere Grund für die folgenden Bemerkungen ist: Es wird dargestellt werden, daß die Verwendung des Begriffs ,Aussage' in der vorliegenden Arbeit durchaus mit der ihm üblicherweise beigelegten Bedeutung übereinstimmt 346 (solange man nicht einen radikalen empiristischen Standpunkt voraussetzt, mit dem jede normative Wissenschaft notwendigerweise ihre Probleme hat), weshalb auch die Ausarbeitung der hier vorgestellten rechtlichen Theorien das Prädikat wissenschaftlich verdient. Selbstverständlich ist keineswegs jede Aussage wissenschaftlich. Man kann nicht allein aus dem Aussagecharakter von Sätzen auf die Wissenschaftlichkeit einer Theorie schließen. Bei den hier entwickelten rechtlichen Theorien sind Rechtssatz als Bestimmungssatz', in: Festschrift für Karl Engisch zum 70. Geburtstag, 1969, S. 153 sind hingegen differenzierter und stehen nicht im Widerspruch zu der hier im folgenden eingenommenen Position.) 342 Vgl. z.B. Klaus Adomeit , Rechtswissenschaft und Wahrheitsbegriff, JuS 1972, S. 634 (VIII.). 343
Vgl. Georges Kalinowski , Le problème de la vérité en morale et en droit, 1967, 2. Partie, insbesondere S. 153, 163 (Chapitre III, § 1) und 243 (Chapitre V, § 1) sowie Conclusion, S. 268 f. 344
Diese Minderheit ist immerhin namhaft; siehe dazu Husserls Auseinandersetzung mit den Positionen von Aristoteles und Bolzano und seine Unterscheidung zwischen objektivierenden und nichtobjektivierenden Akten, wobei die ersteren auch präskriptive Sätze umfassen können (Edmund Husserl , Logische Untersuchungen, 2. Bd., II. Teil §§ 67-70, insbesondere § 69 3.; S. 734 ff., 745 ff. des 4. Bandes der Gesammelten Schriften), siehe ferner Georg Henrik von Wright , Norm and Action, 1963, VI. 9. f., S. 104 ff. sowie die ausführliche Darstellung des Streitstandes bei Georges Kalinowski , Le problème de la vérité en morale et en droit, 1967, 1. Partie, S. 21 ff. Dazu, daß es darüber hinaus auch Autoren gibt, die ganz unproblematisch von „rechtswissenschaftlichen Aussagen" sprechen und damit präskriptive Sätze meinen, vgl. z.B. Theodor Sternberg, Allgemeine Rechtslehre, 1904, 1. Teil § 12 3., S. 128. 345 Vgl. zu diesen Begriffen Christiane und Ota Weinberger, Logik, Semantik, Hermeneutik, 1979, 1. 3.1, S. 29 ff. und II. 4.2 f., S. 39 f. sowie jüngst Peter Baumann, Erkenntnistheorie, 2002, Kapitel VI, S. 141 ff., deren Ausführungen im folgenden teilweise vorausgesetzt werden. 346 Vgl. dazu, wie die Verwendung und die Bedeutung von Wörtern einander nach Wittgenstein korrespondieren, schon oben Fn. 104.
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aber alle übrigen (möglicherweise) von einer wissenschaftlichen Theorie zu fordernden Merkmale vorhanden, denn im Hinblick auf diese wurde der Begriff der rechtlichen Theorien gerade konstruiert. Es fehlt nur noch (und folgt nun) die Rechtfertigung der Behauptung, daß die Rechtssätze innerhalb rechtlicher Theorien die gleiche Rolle spielen wie deskriptive Aussagen in den deduktiven Theorien der Mathematik und der Naturwissenschaften. Die Sprechweise von ,Aussagen' ermöglicht eine weitergehend übereinstimmende Begrifflichkeit für deskriptive und präskriptive Theorien, als es ohne sie der Fall wäre, und man sollte nicht durch seine Begrifflichkeit stärkere Unterschiede in der Theoriebildung suggerieren als nötig. Wo es auf den Unterschied zwischen deskriptiven und präskriptiven Sätzen ankommt, können sie als solche bezeichnet werden. Diese Differenz in den Begriff der Aussage hineinzutragen, schösse aber über das Ziel hinaus. Deshalb wird hier dafür plädiert, aus dem Begriff der Aussage präskriptive Sätze nicht von vornherein auszunehmen. Inhaltlich hängt natürlich nichts davon ab, ob man präskriptiven Sätzen die Bezeichnung ,Aussage' zugesteht oder nicht. Das ist eine reine Definitionsfrage. Man könnte den Begriff , Aussage' in diesen Ausführungen ebensogut durch den des (deskriptiven oder präskriptiven) , Satzes einer deduktiven Theorie' ersetzen und innerhalb der Theorie ihre Sätze, Modelle und Zuordnungen (statt ihrer Aussagen, Modelle und Zuordnungen) unterscheiden oder eine beliebige andere begriffliche Vereinbarung treffen. Inhaltlich kommt es allein darauf an, daß auch den Rechtssätzen die Eigenschaften zukommen, welche Aussagen zu den Komposita ausgearbeiteter wissenschaftlicher Theorien (und zum Gegenstand der Aussagenlogik) machen. Diese Eigenschaften gilt es im folgenden zu überprüfen. 2. Begriff der Aussage. Aussagen sind Sätze, denen das Prädikat ,wahr' zugesprochen werden kann 3 4 7 und die deshalb mit Wahrheitsanspruch zu behaupten sind. Die Behauptung einer Aussage fällt mit der Behauptung der Wahrheit dieser Aussage zusammen.348 Aussagen sind (jedenfalls in der hier vorausgesetzten zweiwertigen Logik) immer entweder wahr oder falsch, 349 d.h. wahrheitsdefinit. Das bedeutet indes erstens nicht, daß die Wahrheit immer 347 Siehe dazu Wilhelm Kamiah und Paul Lorenzen, Logische Propädeutik, 2. Aufl. 1973, IV. § 1, S. 117 sowie VII. § 2, S. 209 ff. 348
Vgl. dazu Gottfried Wilhelm Leibniz, Dialogus de connexione inter res et verba, 1677 (1765), S. 20 ff. in Sämtliche Schriften und Briefe, 6. Reihe, Philosophische Schriften, 4. Bd., Teil A, 1999 sowie Gottlob Frege , Funktion und Begriff, 1891, S. 16, 21 und Über Sinn und Bedeutung, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 100 (N.F., 1892), S. 34. 349 Aristoteles, Organon II (Lehre vom Satz, Peri hermeneias / de interpretatione) 4, 16b33 - 17a4.
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auch feststellbar sein muß, was das folgende Beispiel verdeutlichen mag: Unterstellen wir, daß Sir Isaac Newton ein Apfel auf den Kopf fiel. Dann ist der Satz „Der Apfel, der Sir Isaac Newton auf den Kopf fiel, hatte schon vorher eine Druckstelle." entweder wahr oder falsch, also wahrheitsdefinit, obwohl wir heute keine Möglichkeit haben, die Wahrheit dieser Aussage zu überprüfen. Zweitens kann eine Aussage auch in der Weise unvollständig sein, daß sie ohne Kontext schlicht kontingent ist, wie etwa die Aussage „Es regnet.". Um wahrheitsdefinit sein zu können, muß der (vollständige) Aussagesatz eine inhaltlich geschlossene Vorstellung vermitteln, d.h. einen bestimmten Sachverhalt' intendieren. Diese vom Aussagesatz objektiv (unabhängig von psychischen Vorstellungen des Sprechers) ausgedrückte Vorstellung ist sein Sinn. 350 Der Aussagesatz kann in einer anderen Situation, von einem anderen Sprecher, vor anderen Adressaten, sinninvariant wiederholt werden. 351 In diesem Sinne bezeichnet man ihn als deklarativ 352 Wer den Begriff ,Aussage' allein für deskriptive Sätze verwendet, muß auch nur ein auf solche Sätze beschränktes Wahrheitskriterium 353 liefern. Tatsächlich ist es für viele Zwecke sogar ausreichend, sich lediglich implizit auf einen empirischen Wahrheitsbegriff zu beziehen. ,Empirische Wahrheit' meint Varianten der (letztlich notwendigerweise vagen) „adaequatio rei et intellectus" 354 , d.h. Übereinstimmung der in der Aussage objektiv intendierten 350 Siehe dazu Gottlob Frege , Über Sinn und Bedeutung, Zeitschrift für Philosophie und philosophische Kritik, Bd. 100 (N.F., 1892), S. 26 ff. 351 Willard van Orman Quine, Word and Object, 1960, Chapter VI, § 40, S. 191 ff. insbesondere S. 193. 352
Vgl. dazu Thomas von Aquin , Summa Theologiae, I a pars, quaestio XVI, articulus 1, responsum, S. 207 der Opera Omnia, torn. 4, 1888 unter Hinweis auf Hilarius von Poitiers. 353
Ein solches ist strikt von einem Verifikationsverfahren zu trennen. Ein Wahrheitskriterium gibt an, wann einer Aussage das Prädikat (der Wahrheitswert) ,wahr' zukommt. Ein Verifikationsverfahren hingegen versetzt in die Lage, die Wahrheit nachzuweisen. Die allquantifizierte Aussage ,Ohne auf ihn wirkende Kraft verharrt jeder Körper im Zustande seiner Bewegung.' z.B. ist genau dann wahr, wenn jederzeit für jeden Körper χ gilt ,Ohne auf ihn wirkende Kraft verharrt jt im Zustande seiner Bewegung'. Unterstellt man, daß klar ist, was das letztere bedeuten soll, dann ergibt sich ein Wahrheitskriterium für die allquantifizierte Aussage. An ein Verifikationsverfahren hingegen ist gar nicht zu denken. Die Aussage wird ständig experimentell bestätigt. Aber einen Nachweis, der es ausschließt, daß sich irgendwann einmal ein Körper anders verhält, gibt es nicht. (Vgl. hierzu Karl Popper , Logik der Forschung, 1935, z.B. 1. Kapitel 3., 2. Kapitel 9., 10. Kapitel 79., in der 10. Aufl. von 1994 auf S. 8, 22 f. bzw. 199.) Insbesondere deshalb, weil er Wahrheitskriterium und Verifikationsverfahren nicht auseinanderhält, ist Kelsens detaillierte Begründung (Allgemeine Theorie der Normen, 1979, 46. Kapitel, S. 143 ff.) seiner Ansicht, daß man Normen nicht als Aussagen auffassen könne, nicht überzeugend. 354
Vgl. oben Fn. 203.
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Vorstellung mit der als objektiv erkennbar vorausgesetzten Wirklichkeit. Diese war auch in dem gerade gegebenen Apfel-Beispiel stillschweigend, aber im Kontext eindeutig, gemeint. Wer darüber hinaus empirische Wahrheit zum alleinigen Wahrheitsbegriff erklärt, der kann sogar behaupten, daß nur deskriptive Sätze Aussagen sein können. Er würde die Wahrheit dann aber auch z.B. aus der Mathematik verbannen, denn auch ihre Aussagen sind - obzwar deskriptiv - prinzipiell nicht empirisch verifizierbar. Ein derart eingeschränkter Begriff von Wahrheit wäre also noch nicht einmal für den Prototyp der deduktiven Wissenschaften befriedigend. 355 Man muß daher prinzipiell mehr als bloß empirische Wahrheitskriterien zulassen. Wer präskriptive Aussagen machen möchte, muß etwas mehr leisten und sein Wahrheitskriterium klarstellen. Insbesondere war der naturrechtliche Versuch, ein absolutes Wahrheitskriterium für präskriptive Sätze aus dem Konzept der Vernunft abzuleiten, nicht in der Weise erfolgreich, daß sich die Wahrheitsdefinitheit präskriptiver Sätze unter diesem Kriterium allgemein überzeugend hätte dartun lassen. 3. Präskriptive Aussagen, a) Um ein Wahrheitskriterium angeben zu können, müssen zunächst Wahrheit und Geltung präskriptiver Sätze unterschieden werden. Genauer gesagt sind sogar zwei unterschiedliche Begriffe der Geltung bzw. Gültigkeit solcher Sätze zu unterscheiden. Erstens gibt es den logischen Begriff der Gültigkeit eines Schlusses. Ein Schluß ist die Ableitung einer Aussage (Konklusion) aus anderen, vorausgesetzten Aussagen (Prämissen). Ist die Ableitung logisch zulässig, spricht man von einem (allgemein-) gültigen Schluß und kann auch die Konklusion als (relativ zu den Prämissen) gültigen Satz bezeichnen. Von diesem Begriff ist zweitens das normative Konzept der Geltung eines präskriptiven Satzes zu unterscheiden. Ohne letzteres hier im Detail klären zu wollen, geht es dabei darum, daß der betreffende Satz anzuwenden ist, um über Sollens-Fragen zu urteilen. Dieser Begriff läßt sich in einer weiteren Bedeutung auch mit Bezug auf deskriptive Sätze verwenden, nämlich wenn solche Sätze als wahr vorausgesetzt werden, damit aus ihnen wiederum Urteile abgeleitet werden können. Man spricht dann davon, daß unter der Geltung der Prämissen auch das abgeleitete Urteil gilt. Während in nominalen Wendungen terminologisch zwischen ,Gültigkeit' 355
Er ist allerdings durchführbar. Man kann die Aussagen der Mathematik als WennDann-Sätze auffassen und ihnen Allgemeingültigkeit zugestehen, aber so lange keine Wahrheit zusprechen, wie ihre Begriffe nicht auf reale Dinge bezogen, die Sätze also nicht angewendet werden. Eine derartige Wortverwendung mag für bestimmte Betrachtungen hilfreich sein und ist in wissenschaftstheoretischen Abhandlungen immer wieder zu finden. Würden die Worte aber allgemein derart beschränkt verwendet, spräche man eine unnötig verkümmerte Sprache, in der sich intellektuell erkannte Beziehungen zwischen abstrakten Gegenständen nur noch in künstlichen Formulierungen ausdrücken ließen.
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und ,Geltung4 unterschieden werden kann, spricht man verbal in beiderlei Bedeutung von ,gelten' und trennt nur selten zwischen ,gelten' und ,gültig sein'. Die Behauptung, ein Satz gelte, ist für sich allein also zweideutig und muß jeweils aus dem Kontext geklärt werden. Wahrheit schließlich ist sowohl von Geltung als auch von Gültigkeit zu unterscheiden. Bezüglich eines empirischen Wahrheitskriteriums kann sich z.B. der Satz „Dort steht ein Baum." durch Beobachtung als (empirisch) wahr erweisen, ohne daß er allgemeingültig ist und sich schon allein aus der Geltung anderer Sätze ergibt. Während man umgekehrt aus der Allgemeingültigkeit ein Wahrheitskriterium formen kann - was im folgenden näher ausgearbeitet wird - , läßt sich Geltung nicht als Wahrheitskriterium heranziehen, denn die Geltung einer Vorschrift ist gerade nicht von der Situation, vom Sprecher und seinem Adressaten unabhängig. Präskriptive Sätze wären unter diesem Kriterium also nicht deklarativ. Wer sich nur für die Geltung betrachteter Rechtssätze interessiert, muß also auf einen Wahrheitsanspruch rechtlicher Sätze verzichten. Er erhält in diesen Sätzen folglich auch keine Aussagen und daher insgesamt keine wissenschaftliche Theorie. Die mit solchermaßen verstandenen Sätzen aufgebauten ,Theorien' bleiben stets dem Vorwurf der Beliebigkeit ausgesetzt. b) Man kann indes ein allgemeines Verifikationskriterium für präskriptive Sätze finden und diesem sogar - unter Voraussetzung des oben begründeten Optimierungsziels der Rechtswissenschaft - ein Falsifikationskriterium zur Seite stellen: (1) Präskriptive Sätze lassen sich - analog den Aussagen einer mathematischen Theorie - folgendermaßen mit Wahrheitswerten versehen: 356 Eine mathematische Theorie geht von axiomatisch geforderten Aussagen aus, die als wahr gesetzt werden, ohne daß diese Aussagen über ihre Setzung hinaus einem weiteren Kriterium entsprechen müßten. (Sie sollten freilich widerspruchsfrei sein; die Theorie würde sonst beliebige Resultate liefern.) Beweisbare Aussagen sind solche, die sich aus den Axiomen logisch ableiten las-
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Ein ganz ähnliches Vorgehen, aber eine andere Sprechweise wählen Jürgen Rödig, Kritik des Normlogischen Schließens, Theory and Decision Vol. 2 (1971), III., S. 89 ff. und (bei gleichzeitiger Kritik am Vorgehen Rödigs) Christiane und Ota Weinberger , Logik, Semantik, Hermeneutik, 1979, I. 3.4 (S. 35 f.), III. 7.2 f. (S. 97 ff.). Siehe dazu ferner Ota Weinberger , Bemerkungen zur Grundlegung der Theorie des juristischen Denkens, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 2 (1972), 7. und 8., S. 152 ff. sowie jüngst Jochen Bung, Theorie der Interpretation: Davidson, in: Sonja Buckel u.a. (Hrsg.), Neue Theorien des Rechts, 2006, S. 302 f. (4.).
E. II. Präskriptive Aussagen und exakte Urteile
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sen. 357 Alle beweisbaren Aussagen sind wahr. Dieses Kriterium hat offensichtlich nichts mit Deskriptivität zu tun. Ebenso können präskriptive Sätze axiomatisch gefordert und die logische Ableitbarkeit eines präskriptiven Satzes als Beweis für seine Wahrheit angesehen werden. 358 Der beweisbare präskriptive Satz ist dann als Aussage relativ zu den vorausgesetzten Axiomen gerade deshalb wahr, weil die Aussage, daß die vorausgesetzten Axiome gemeinsam den auf ihrer Grundlage bewiesenen präskriptiven Satz implizieren, 359 allgemeingültig ist. 3 6 0 Beweisbarkeit ist ein positives Wahrheitskriterium, ein Verifikationskriterium. Ihr korrespondiert das Falsifikationskriterium, daß eine Aussage, deren Negation bewiesen werden kann, falsch ist. Sie ist aber kein Kriterium, mit dessen Hilfe sich ein Verfahren angeben ließe, das für jeden Satz in endlich vielen Schritten darüber entscheidet, ob er wahr ist oder nicht. Zu jeder widerspruchsfreien Axiomenmenge kann es Sätze geben, für die (oder deren Gegenteil) die einzelnen Schritte einer logischen Ableitung noch nicht bekannt sind, sowie Sätze, die sich prinzipiell auf Grundlage dieser Axiome weder beweisen noch widerlegen lassen. (2) Wenn man anerkennt, daß es Ziel der Rechtswissenschaft ist, das im 1. Kapitel unter C. 8. skizzierte Optimierungsproblem zu lösen (was für die folgenden Überlegungen weder vorausgesetzt noch weiter diskutiert werden muß, aber durchaus vorgeschlagen werden soll), läßt sich daraus sogar ein absolutes Falsifikationskriterium für rechtliche Theorien als Ganzes ableiten: Eine rechtliche Theorie Ti ist stets dann falsch, wenn eine andere rechtliche Theorie T 2 angegeben werden kann, so daß die Klasse der durch Ti abgesicherten Handlungsspielräume in der Klasse der durch T 2 abgesicherten Handlungsspielräume vollständig enthalten ist, beide Klassen aber nicht übereinstimmen. Dieses Falsifikationskriterium liegt freilich auf einer anderen Sprachebene als das Kriterium unter (1). Mit ihm läßt sich eine Gesamtheit von Prämissen 357
Rudolf Carnap, Logische Syntax der Sprache, 1934, I. B. 10., S. 26 (die dortige Definition erschließt sich nur aus der vorhergehenden Definition von , Ableitbarkeit' und Carnaps Sprachgebrauch, in dem Prämissen immer über die Axiome hinausgehende Voraussetzungen sind) sowie IV. B. a) 47., S. 124. 358
Vgl. dazu im 2. Kapitel B. 1., 2. und 5. b).
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In Symbolen lautet die Aussage A,(./A, —• P, wobei / die Indexmenge, welche die axiomatisch vorausgesetzten Aussagen indiziert, A, zu iel die einzelnen axiomatisch geforderten Aussagen, A i c I A j die Und-Verknüpfung dieser Aussagen (nicht die Allquantifikation von Aj-+P !) und Ρ die aus ihnen bewiesene präskriptive Aussage bezeichnet. 360
Daß es genau darum geht, betont z.B. auch Hans Welzel, Naturrecht und Rechtspositivismus, in: Festschrift für Hans Niedermeyer zum 70. Geburtstag, 1953, S. 292; Abhandlungen 1975, S. 285.
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für untauglich erklären, als Grundlage für rechtswissenschaftliche Betrachtungen herangezogen zu werden. Man kann es in bestimmten Fällen aber auch auf einzelne präskriptive Sätze beziehen: Ein präskriptiver Satz ist stets dann falsch (und daher insbesondere als Axiom untauglich), wenn jede rechtliche Theorie, die ihn in ihren Aussagen enthält, falsch ist. Mit diesem (zweigeteilten) absoluten Falsifikationskriterium gibt es für die präskriptiven Sätze der Rechtswissenschaft sogar ein negatives Wahrheitskriterium mehr als für mathematische Sätze. Dieses Kriterium erinnert an das empirische Falsifikationskriterium der Naturwissenschaften, wonach jede Theorie falsch ist, die eine Gesetzmäßigkeit enthält, welche im Widerspruch zu Beobachtungen steht. c) Schon auf Grundlage von Kriterium ( l ) 3 6 1 lassen sich auch präskriptive Sätze bruchlos als Aussagen bezeichnen. 362 Man kann diese Kriterien als Präzisierung der vageren Regel „Eine Verhaltensregel ist wahr, wenn es so ist, daß das mit ihr intendierte Verhalten umgesetzt werden soll/' auffassen, welche die Wahrheit von Verhaltensregeln analog dem empirischen Wahrheitskriterium bestimmt. In ihnen wird die Kenntnis dessen, was umgesetzt werden soll, ebenso naiv vorausgesetzt, wie die Kenntnis dessen, was ist, im empirischen Wahrheitskriterium. 363 Kriterium (1) hingegen gibt eine Präzisierung, indem es diese Information explizit als axiomatische Voraussetzungen fordert. Wer sich trotz dieser Möglichkeit, Wahrheitswerte für präskriptive Sätze zu konstruieren, dagegen sträubt, und argumentiert, es sei sprachlich einfach nicht richtig, eine Vorschrift als ,wahr' oder ,falsch' zu bezeichnen (sondern etwa nur als ,geltend' bzw. ,gültig' oder ,nicht geltend' bzw. ,ungültig'), sei daran erinnert, daß z.B. auf „Man soll nicht in der Nase bohren." ein beifälli361 Eine ähnliche Vorstellung setzt Alan H. Goldman in Moral Knowledge, 1988, S. 12 für das Recht voraus: „In other areas, perhaps mathematics for example, and more assuredly law, a proposition is true if and only if it coheres with others. A proposition of law (of the form 'It is the law that...') is true if and only if it coheres better with the settled body of law than its negation (not if it corresponds to some property, being legal, independent of other propositions of law)." Er konfundiert indes unzulässigerweise Rechtssätze („propositions of law") und die diesen Sätzen gegenüber metasprachlichen Sätze der Form „It is the law that ..." und bleibt mit dem offenbar graduell gedachten Kriterium „coheres better" seines „coherentism" (vgl. insbesondere S. 134 ff., 213 f. desselben Buchs) erheblich hinter der Exaktheit des hier vorgeschlagenen Verständnisses zurück. 362 So scheint das auch Ralf Dreier , Zur Theoriebildung in der Jurisprudenz, 1978, II. 2. b), S. 82 f. in: derselbe , Recht-Moral-Ideologie, 1981 sowie III. 1., S. 87 vorauszusetzen. 363
Vgl. dazu auch Ernst Cassirer , Erkenntnistheorie nebst den Grenzfragen der Logik, Jahrbücher der Philosophie 1. Jg. (1913), S. 2 ff. (I.), Gesammelte Werke 2001 (Hamburger Ausgabe) Bd. 9, S. 140 ff.
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ges „Das ist wahr! 4 ' sprachlich paßt, die Bemerkung „Dies g i l t ! " hingegen eher albern w ä r e . 3 6 4 Präskriptive Sätze in dem hier dargestellten Sinne als Aussagen zu bezeichnen, bedeutet nicht, sie mit absoluten Wahrheitswerten zu versehen. 3 6 5 Insbesondere w i r d keine metaphysische Letztbegründung für Normen gegeben. W o l l t e man von einem präskriptiven Satz absolut sagen, ob er zum Recht gehört, müßte man K r i t e r i u m (1) noch wesentlich, nämlich zu einem absoluten Wahrheitskriterium verstärken. Vorschläge dieser A r t - beispielsweise der Kategorische Imperativ K a n t s 3 6 6 - sind vorgetragen und - z.B. von 364
Dieses Beispiel setzt einen Kontext voraus, in dem der Sprecher des Satzes ,Man soll nicht in der Nase bohren.' diese Norm nicht originär zur Geltung bringen will, sondern diese Norm voraussetzt und zitiert. Dabei ist es egal, ob die Norm als positiv geltend angesehen oder nur (von allen Beteiligten) hypothetisch vorausgesetzt wird. Der Kontext entspricht also genau demjenigen einer rechtlichen Theorie, durch die ja auch keine Vorschrift originär zu Geltung gebracht wird, sondern deren Resultate sich stets auf Prämissen beziehen. Das Beispiel bestätigt Kelsen insoweit, als seinen „Sollsätzen" Wahrheitswerte zukommen (Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, III. 16., S. 75 f.), während man seine (stets positiv gültigen oder ungültigen) „Sollnormen" richtigerweise nicht als einzig mögliche Referenz der von der Wissenschaft erarbeiteten Sollsätze ansehen darf. 365 Siehe hierzu auch Jürgen Rödig, Über die Notwendigkeit einer besonderen Logik der Normen, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 2 (1972), S. 171 ff. (II. 4.) sowie Ota Weinberger, Bemerkungen zur Grundlegung der Theorie des juristischen Denkens, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie Bd. 2 (1972), S. 152 f. (7.0) Entgegen der Ansicht des letzteren wird ,Wahrheit' dadurch freilich nicht zum „Spaltbegriff": Daß eine Aussage bezüglich einer Axiomenmenge wahr, bezüglich einer anderen aber falsch ist, ist in keiner Weise bedenklich. Insbesondere in der Mathematik käme niemand auf die Idee, das zu bemängeln. Möchte man in der Rechtswissenschaft (oder irgendwo sonst) absolute Einsichten finden, dann sind Gründe zu suchen, die bestimmte Axiome als ,allein richtig' erweisen (was hier in keiner Weise ausgeschlossen, aber auch nicht vorausgesetzt wird - vgl. 2. Kapitel C. 2. b) ) oder die Aussagen formal zu Tautologien ergänzen. Wer sich für absolut wahre Aussagen begeistert, kann statt einer einzelnen aus der Axiomenmenge A folgenden (und deshalb bezüglich dieser wahren) Aussage a jederzeit die absolut wahre (tautologische) ,Wenn-Dann-Aussage' „Unter Voraussetzung der Axiomenmenge A ist die Aussage a wahr." betrachten. Das macht die Darstellungen umständlicher, führt aber stets zu absolut wahren Aussagen. Wer sich hierauf nicht versteift, kann - unter der Voraussetzung der jeweiligen Axiomenmenge die Aussage a aber auch jederzeit wieder abtrennen (modus ponens). Mit dem Wahrheitsbegriff hat all das nichts zu tun. 366
Die beiden wohl wichtigsten Formulierungen finden sich bei Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785, 2. Abschnitt, S. 52 (AA Bd. IV, S. 421, Z. 6-8) sowie S. 66 f. (AA Bd. IV, S. 429, Z. 9-12.) Eine Skizze, weshalb der kategorische Imperativ einen Vorschlag der genannten Art darstellt, ergibt sich anhand der folgenden Textstellen: Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797, Einleitung in die Metaphysik der Sitten IV., S. 20 (Verbindlichkeit, AA Bd. VI, S. 222, Z. 3-4), S. 21 f. (kate-
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den Vertretern des Rechtspositivismus - kritisiert worden. Es würde wesentlich zu weit führen, auf diese Diskussion hier einzugehen. An dieser Stelle genügt es, einen Begriff von Aussagen eingeführt zu haben, der mit beiden Positionen vereinbar ist. Wer von einem absoluten Wahrheitskriterium ausgeht, wird an diesem seine Prämissen testen und kann die hier vorgestellte Konzeption als mit der eigenen Auffassung völlig konsistente Abschwächung verstehen. Vertreter anderer Auffassungen können von beliebigen, positivrechtlichen oder anderweitig spezifizierten Prämissen ausgehen und bleiben dann dabei, daß die Wahrheit der präskriptiven Aussagen sich nur relativ zu den jeweils gewählten Prämissen zeigen läßt. d) Abschließend sei noch unterstrichen, daß auch der hier verwendete Aussagebegriff selbstverständlich nicht dazu berechtigt, von einem Sein auf ein Sollen zu schließen. 367 Bildet man im Aussagenkalkül Implikationen mit deskriptiven Aussagen in der Bedingung (implicans ) und einer präskriptiven Aussage in der Folge (implicatimi), dann bedeutet das nicht, daß es einen Erkenntnisgrund für die Vorschrift darstellen könnte, einzusehen, daß der beschriebene Sachverhalt besteht. Auch jede andere Implikation besagt nur, daß die implizierte Aussage stets dann wahr ist, wenn die vorausgesetzte Aussage wahr ist, aber nicht, daß der von der implizierten Aussage ausgedrückte Sachverhalt vorliegt, weil der von der vorausgesetzten Aussage ausgedrückte Sachverhalt vorliegt. Implikationen sind immer nur Wenn-Dann-Beziehungen. Als reine Wenn-Dann-Beziehung sind Aussagen der Form ,Stets dann, wenn sich A in der und der Situation befindet, trifft ihn die und die Pflicht.' aber durchaus sinnvoll. In einer derartigen Bedeutung ist weder eine Formalisierung als Implikation noch eine Formalisierung unter Verwendung anderer logischer Junktoren, bei der deskriptive und präskriptive Aussagen gemischt auftreten, zu beanstanden.368 gorischer Imperativ und Nötigung, A A Bd. VI, S. 222 f., Z. 35 ff.), S. 25 f. (Einfachheit des kategorischen Imperativs und Mannigfaltigkeit der Folgen, A A Bd. VI, S. 225, Z. 6 - S. 226, Z. 3), S. 28 (Gesetz, A A Bd. VI, S. 227, Z. 10-11) sowie 1. Teil, 2. Hauptstück, 2. Abschnitt, § 19, S. 100 (Unbeweisbarkeit, AA Bd. VI, S. 273, Z. 17-18). 367 Zu der prinzipiellen Unmöglichkeit solcher Schlüsse vgl. David Hume a.a.O. oben Fn. 60. 368 Die Formalisierung von Schlüssen, in denen präskriptive Aussagen vorkommen, ist aber oft erst dann interessant, wenn sich die einzelnen präskriptiven Aussagen unter Verwendung von Prädikaten und Relationen differenzierter darstellen lassen. Regelmäßig werden - obwohl dies nicht immer so sein muß - tatsächlich erst dadurch die Voraussetzungen für logisches Schließen geschaffen. Durch die Verwendung bestimmter Prädikate und das Bestehen bestimmter Relationen sind die präskriptiven Aussagen dann fast immer auch schon formal von den deskriptiven Aussagen abgehoben. Vgl. hierzu Christiane und Ota Weinberger , Logik, Semantik, Hermeneutik, 1979, III. 7.3.1 4., S. 100 f., die einen Überblick über Schwierigkeiten bei der Formalisierung geben,
E. II. Präskriptive Aussagen und exakte Urteile
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Wenn deskriptive und präskriptive Aussagen gemischt auftreten, ist besondere Vorsicht geboten. Daß es sich beide Male um Aussagen handelt und sie prinzipiell logisch voneinander abhängen können, bedeutet keineswegs, daß in einem konkreten System von Aussagen auch nur eine einzige solche Abhängigkeit besteht. Wenn s eine deskriptive Aussage über das Vorliegen eines Sachverhalts und ρ eine präskriptive Aussage über das Bestehen einer Pflicht ist, so gilt grundsätzlich weder impliziert ρ' noch ,p impliziert s' (weil Sein und Sollen voneinander grundsätzlich logisch unabhängig sind). Es ist aber nicht ausgeschlossen, eine logische Verknüpfung zwischen einer deskriptiven und einer präskriptiven Aussage in eine Theorie axiomatisch einzuführen, was dann - wie jedes Axiom - zu motivieren ist. 4. Sätze des Aussagenteils. Der Aussagenteil einer rechtlichen Theorie enthält nun einerseits die (im allgemeinen präskriptiven) axiomatisch vorausgesetzten Sätze und andererseits die (ebenfalls im allgemeinen präskriptiven) Sätze, welche diejenigen Rechtswissenschaftler, die die Theorie ausgearbeitet haben, aus den Voraussetzungen abzuleiten vermochten, also die Resultate der Theorie. Sätze beiderlei Art zusammen sind, soweit sie nicht als Regeln zu den Modellen gehören, die Rechtssätze. Eine solche rechtliche Theorie muß sich in ihrem Anspruch keineswegs verstecken. Wer nicht mehr gebannt allein auf die Geltung von Sätzen blickt, gewinnt etwas viel Wertvolleres, nämlich ein Ableitungsgefüge 369 nach dem Vorbild der exakten Parade-Wissenschaft Mathematik. Es sei unterstrichen, daß die Rechtswissenschaft damit keineswegs zu Mathematik wird. Eine rechtliche Theorie muß einerseits regelmäßig wesentlich mehr Prämissen voraussetzen als eine mathematische Theorie Axiome, und anderseits sind die Überlegungen der Rechtswissenschaftler bei der Ausarbeitung einer rechtlichen Theorie im allgemeinen Überlegungen zu einzelnen Rechtssätzen. Sie aus diesen Schwierigkeiten aber zu weitgehende Konsequenzen für die Normenlogik ziehen wollen. 369 Innerhalb einer Theorie geht es konsequent nur um logische Deduktion. Ergeben sich daraus unerwünschte Ergebnisse, ist diesen nicht mit Manipulationen innerhalb ihrer Begründung, sondern mittels einer Änderung der Prämissen zu begegnen. So sind sukzessive befriedigendere Theorien zu entwickeln. Ob dabei je eine völlig befriedigende Theorie entsteht oder ob Leo Katz mit seiner Vermutung recht hat, daß Umgehungsmöglichkeiten und damit unerwünschte Resultate in deontologischen Systemen unvermeidbar sind - diese These macht er anhand einiger herrlicher Beispiele in Evading Responsibility: The Ethics of Ingenuity, JRE Bd. 2 (1994), S. 191 ff. passim sogar recht plausibel - ist dabei unerheblich. Selbst wenn eine perfekte Theorie unerreichbar sein sollte, bleibt es sinnvoll und notwendig, nach der jeweils besten erreichbaren Theorie zu streben. (Siehe hierzu auch Joachim Hruschka, Strafrecht nach logisch-analytischer Methode, 2. Aufl. 1988, Vorbemerkung, S. X X I I f.).
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teile rechtlicher Theorien
erinnern kaum an die Verfahren der modernen Struktur-Mathematik 370 , obwohl auch die Rechtswissenschaft bisweilen nach allgemeinen Strukturen sucht. Dieser Unterschied ist kein Fehler der Rechtswissenschaft, sondern einfach nur ein Unterschied zu einer recht effizient und umfassend axiomatisierten deduktiven Wissenschaft. Die hier bemühte Analogie zu mathematischen Theorien begründet den Aussagecharakter präskriptiver Sätze, sollte aber nicht als weitergehende Gleichsetzung von Mathematik und Rechtswissenschaft mißverstanden werden. 5. Exakte Urteile und Wertungen, a) Dadurch, daß eine Theorie ihre Gegenstände nur indirekt über Modelle bezieht, lassen sich innerhalb dieser Modelle' - d.h. soweit ausschließlich Begriffe der Modelle verwendet werden (und unter diesen Begriffen keine Grundbegriffe sind 371 ) - auch exakte Urteile über die rechtliche Situation fällen, also Rechtssätze exakt anwenden. 372 Diese Urteile sind entweder richtig oder falsch, nicht nur ,vertretbar 4, herrschend' oder ähnliches. An der Klassifikation der drei unterschiedlichen Arten rechtlicher Sätze ist aber auch unmittelbar zu erkennen, daß kein rechtlicher Fall je vollständig exakt lösbar sein wird, denn Fälle spielen sich nicht in Modellen, sondern in der Wirklichkeit ab. Die Wirklichkeit muß erst durch die Zuordnungssätze rechtlich erfaßbar gemacht, sie muß in das Modell abgebildet werden. Damit können sich die Zuordnungssätze selbst aber nicht innerhalb der Modelle bewegen. Sie können nicht von einer bereits exakt vorerfaßten Situation ausgehen, sondern müssen diese Situation (die interpretierten Modelle) ihrerseits erst schaffen. Die Anwendung der Zuordnungssätze kann daher niemals in exakten Urteilen bestehen. Sie wird unvermeidbar immer auch das bedeuten, was man ,wertende Betrachtung des Einzelfalls' nennt. Dennoch erreichen 370 Siehe dazu Nicolas Bourbaki , Éléments de Mathématique, Livre I, Théorie des Ensembles, 1970, Introduction, E 1.9 und Chapitre IV § 1 4. ff., E IV.4 ff. Zu dieser Bezeichnung vgl. auch Rudolf Carnap, Der logische Aufbau der Welt, 1928, § 12., ferner Ludwig Wittgenstein , Logisch-philosophische Abhandlung (Tractatus logico-philosophicus) 1921,2.032 und 2.15.
Einen Überblick über strukturtheoretische Bemühungen in der Rechtswissenschaft gibt Andreas Funke , Allgemeine Rechtslehre als juristische Strukturtheorie, 2004. Ein aktuelles Beispiel solcher Bemühungen ist Jan C. Joerden , Logik im Recht, 2005. 371
Vgl. dazu, inwieweit diese Klammerbemerkung eine eigenständige Voraussetzung ausdrückt, im 4.Kapitel A. 3. b). 372 Dieser Einsicht kommt Leibniz bereits sehr nahe, obwohl er noch keineswegs über eine der Sprechweise von Modellen ähnliche Terminologie verfügt, sondern schlicht die Bedeutung der „definitiones" (Definitionen) hervorhebt (Nova Methodus discendae docendaeque Jurisprudentiae, 1667, insbesondere Pars I I § 7 und § 11, S. 295 f. und 299 in Sämtliche Schriften und Briefe, 6. Reihe, Philosophische Schriften, 1. Bd., 1930).
E. II. Präskriptive Aussagen und exakte Urteile
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wir durch die Unterscheidung der drei Arten rechtlicher Sätze die Möglichkeit partieller Exaktheit, und das ist ein großer Fortschritt: Die inexakte Betrachtung ist nicht mehr auf die ganze rechtliche Beurteilung eines Falles bezogen, sondern läßt sich durch vollständig ausgearbeitete Modelle und eine darauf aufbauende, den Fall erfassende rechtliche Theorie auf seine tatsächlichen Umstände beschränken. Wir können also für viele der rechtlichen Urteile, nämlich die (ausschließliche) Anwendung von Rechts- und Modellsätzen, Exaktheit anstreben und wertende Betrachtungen auf ihren notwendigen Anteil an der rechtlichen Beurteilung eines Falles reduzieren. Keine andere Wissenschaft kann für ihre Urteile eine weitergehende Exaktheit beanspruchen. 373 Nur auf diesem Weg läßt sich das von Kelsen prägnant formulierte Ziel, ,,[d]ie Jurisprudenz [...] dem Ideal aller Wissenschaft, Objektivität und Exaktheit, soweit als irgend möglich anzunähern" 374 , erreichen. b) Die getroffenen Differenzierungen ermöglichen also Aussagen darüber, welche rechtlichen Feststellungen mit Anspruch auf Exaktheit getroffen werden können, für welche dies also überhaupt sinnvoll anzustreben ist. Mit exakten Urteilen sind - wie in den exakten Wissenschaften - die Ergebnisse gemeint, für die sich zumindest ein scharfes Falsifikationskriterium angeben läßt. (Dazu gehören alle deduktiv gewonnenen Urteile.) Ihnen stehen die wertenden Feststellungen gegenüber. Beide Arten von Feststellungen sind nach bestimmten, aber eben strukturell unterschiedlichen Regeln zu treffen. Aus diesem Grund ist die Unterscheidung der drei Arten rechtlicher Sätze von erheblicher praktischer Bedeutung. Sie ermöglicht es dem Praktiker zu erkennen, welche Art rechtlicher Feststellungen zu treffen sind. Wenn er urteilt, muß er in jedem Schritt der Begründung seines Urteils deduktive Schlüsse und wertende Feststellungen voneinander trennen, oder die Begründung wird nicht nachvollziehbar. Außerdem hat er in jedem Schritt die richtige Art von Feststellung zu treffen, oder die Begründung wird fehlerhaft. Um eine nachvollziehbare, richtige Begründung seiner Entscheidungen geben zu können, muß er also jeweils wissen, welche Art rechtlicher Sätze in den einzelnen (argumentativen) Schritten seiner Entscheidungsbegründung anzuwenden ist.
373 Dies ist nicht einfach nur eine empirisch wahre Bemerkung, sondern ein wesentliches Charakteristikum von Wissenschaft. Rudolf Carnap formuliert es sogar als zentrales Resultat seiner Untersuchungen „über die Form wissenschaftlicher Aussagen" im logischen Aufbau der Welt (§ 16, Hervorhebung im Original): „Zunächst halten wir fest, daß es für die W i s s e n s c h a f t m ö g l i c h und z u g l e i c h n o t w e n d i g ist, sich auf S t r u k t u r a u s s a g e n zu b e s c h r ä n k e n . " Vgl. ferner Stefan Seit, Die Orientierung des Denkens in der Unvermeidlichkeit der Sprache. Johannes' von Salisbury ratio indifferentiae, 2002, S. 126. 374 Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aufl. 1934, Vorwort S . I I I (S. IX des Neudrucks von 1985).
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Kapitel
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teile rechtlicher Theorien
6. Ergebnis . Die Ausgangsfrage nach der Möglichkeit rechtswissenschaftlicher Theorien ist auf Grund der Feststellung, daß auch in der Rechtswissenschaft in dem vollen von einer Wissenschaft zu fordernden Umfang exakte Urteile möglich sind und diese auf denselben Theorien beruhen können, in die sich eine Rechtsordnung abbilden läßt, bejahend zu beantworten. Das hier vorgestellte Konzept rechtlicher Theorien gibt Auskunft darüber, wie derartige rechtswissenschaftliche Theorien konkret strukturiert sind.
Kapitel 4
Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien Dieses letzte Kapitel behandelt einige weitere Fragen, die im Zusammenhang mit den hier vorgestellten rechtlichen Theorien auftreten. Es vervollständigt ihre Darstellung, ohne noch die Möglichkeit rechtswissenschaftlicher Theoriebildung zu betreffen. Vielmehr führt es zu einigen allgemeinen inhaltlichen Feststellungen über rechtliche Theorien und läßt diese anhand etlicher weiterer Beispiele plastisch werden. Folgende Fragen werden behandelt: 1. Wie verhalten sich die einzelnen Satzarten rechtlicher Theorien zueinander ? Die Bestandteile rechtlicher Theorien, d.h. die drei Arten rechtlicher Sätze, wurden jede für sich bereits erörtert. Auch ihre wichtigsten Beziehungen - daß nämlich die Rechtssätze auf die Begriffe der Modelle referieren und die Zuordnungssätze wiederum die Modellbegriffe interpretieren - wurden bereits dargestellt. Weshalb die Klassifikation rechtlicher Sätze in Rechtssätze, Modellsätze und Zuordnungssätze aber vollständig ist und wie sich im Zuge der Fortentwicklung einer rechtlichen Theorie Sätze einer dieser Arten in Sätze einer anderen Art umformen lassen, ist noch zu erläutern. 2. Nach welchen Kriterien bemißt sich die Qualität eines Modells? Nachdem auch Modelle auf Prämissen ihrer Theorie beruhen, können sie nicht ihrerseits mit deduktiven Verfahren an der Theorie gemessen werden. Es ist nicht allgemein bestimmbar, wie das Modell eines Gegenstandes aussehen ,muß\ Dennoch lassen sich Qualitätskriterien finden, und diese sagen etwas darüber aus, wann die vom Modell umfaßten Prämissen ,gut motiviert 4 sind. 3. Welche Modelle gehören zu jeder rechtlichen Theorie? Die Antwort auf diese Frage gibt zugleich Aufschluß darüber, welche speziellen Gegenstände in jeder rechtlichen Teiltheorie Gegenstand der Betrachtung sind.
A. Verhältnis der Teile rechtlicher Theorien zueinander Rechtliche Sätze werden in der voliegenden Untersuchung nicht aus Selbstzweck klassifiziert. Die Unterscheidung der drei Arten rechtlicher Sätze dient der Erklärung, weshalb und in welchem Umfang im Recht exakte Ur-
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Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
teile und damit wissenschaftliches Arbeiten möglich sind. Doch auch um dieses Ziel zu erreichen, muß man sich davon überzeugen, daß die Klassifikation durchführbar ist. Deshalb wird sie im folgenden näher besprochen und mit einigen Beispielen versehen. Eine scheinbare Schwierigkeit ist dabei schon vorab auszuräumen: Sätze, wie sie im juristischen Alltag auftreten, lassen sich in der Regel nicht komplett einer dieser drei Arten zuordnen. Zumeist werden in einem Satz mehrere Dinge ausgesprochen, und der Satz hat mehrere Funktionen gleichzeitig. Möchte man sie klassifizieren, müssen diese Sätze zunächst in einzelne Teilaussagen zergliedert werden. Diese lassen sich dann eindeutig zuordnen. Weil das immer möglich ist, wird im folgenden bei der Klassifikation rechtlicher Sätze stillschweigend vorausgesetzt, daß die behandelten Sätze nur genau eine der zur Klassifikation angegebenen Eigenschaften besitzen (also schon entsprechend zergliedert sind). 7. Vollständigkeit der Klassifikation rechtlicher Sätze, a) In Theorien in dem hier verwendeten Sinne des Wortes wird das Wissen über einen Gegenstand in deduktiver Form geordnet, d.h. es wird in Prämissen und abgeleiteten Aussagen formuliert. Die Ableitungsbeziehungen strukturieren einerseits die Darstellung und begründen andererseits die Richtigkeit der Aussagen (relativ zu den Prämissen). 375 Auch eine solche deduktive Theorie ist die Betrachtung eines Gegenstandes mit dem Ziel, seine Eigenschaften fest- und darzustellen: Angenommen, eine bestimmte rechtliche Theorie enthält den präskriptiv zu verstehenden Satz (von dem ggf. Ausnahmen zu machen sind, die hier zwar nicht genannt werden, in der Theorie insgesamt aber natürlich anzugeben sind): „Niemand darf einem anderen eine fremde bewegliche Sache in Zueignungsabsicht wegnehmen." Dann gibt es eine metatheoretische Aussage - d.h. eine Aussage über diese Theorie - , die zu der genannten Aussage ,duaV ist - in dem Sinne, daß sich die neue Aussage aus der ersten ableiten und umgekehrt die erste Aussage aus der neuen zurückgewinnen läßt 376 - , weil sie genau diese 375 376
Vgl. im 3. Kapitel E. II.
Gelegentlich wird auch eine Dualität zwischen Geboten und Verboten sowie Handlungen und Unterlassungen behauptet in dem Sinne, daß sich durch Vertauschen der Prädikate ,ist geboten' und ,ist verboten' bzw. durch Vertauschen der Begriffe Handlung' und »Unterlassung* jeweils eine duale Rechtsordnung gewinnen ließe. Wenn eine solche Behauptung irgendwie richtig sein kann, dann jedenfalls nicht in dem üblichen, hier angegebenen Sinn von Dualität. Es ist nämlich möglich (und regelmäßig der Fall), daß es in einer Situation gleichzeitig (und zwar frei von Kollisionen) geboten ist, z.B. eine andere Person am Leben und eine Sache unbeschädigt zu lassen, während entsprechende Verbote in derselben Situation regelmäßig zu Pflichtenkollisionen führen wür-
Α. Verhältnis der Teile rechtlicher Theorien zueinander
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Voraussetzung feststellt: „In der betrachteten Rechtsordnung gilt (d.h. aus den Prämissen folgt), daß niemand einem anderen eine fremde bewegliche Sache in Zueignungsabsicht wegnehmen darf/ 4 Dieser Satz konstatiert eine Eigenschaft des in der Theorie betrachteten Gegenstandes: Gegenstand ist die durch die Prämissen als abstrakter Gegenstand konstituierte mögliche Rechtsordnung, und daß der genannte Satz in ihr gilt - d.h., unter der Voraussetzung, daß ihre Prämissen mit Geltung versehen werden, auch positiv gilt - , ist eine konkrete Eigenschaft dieser Rechtsordnung. Weil es offensichtlich zu jedem Satz der Theorie einen auf genau die gleiche Weise gebildeten dualen metatheoretischen Satz gibt, ergibt sich aus jedem Satz der Theorie eine Eigenschaft des betrachteten Gegenstandes (der möglichen Rechtsordnung). In diesem Sinne stellt die Theorie eine Betrachtung des (abstrakten) Gegenstandes dar. Eine Theorie soll nichts anderes leisten, als eine deduktiv geordnete Betrachtung eines bestimmten Gegenstandes mit dem Ziel, interessante Anwendungen oder um ihrer selbst willen interessante Erkenntnisse zu gewinnen. Sie hat also nichts anderes zu enthalten als Sätze, welche die Eigenschaften des Gegenstandes angeben, und zwar entweder, um diese für die späteren Ableitungen vorauszusetzen, oder als Folge aus den vorausgesetzten Eigenschaften. Weil sich aus den Modellsätzen und den Rechtssätzen einer rechtlichen Theorie zusammen alle (vorausgesetzten und abgeleiteten) Eigenschaften des betrachteten Gegenstandes ergeben, wäre für eine abstrakte - d.h. nicht auf Objekte der Außenwelt bezogene - Theorie schon diese Klassifikation vollständig. Die Zuordnungssätze ergänzen diese Sätze nun in der Weise, daß sie die genannten Bezüge herstellen. Durch sie - und nur durch sie - wird die Theorie konkret. Auch in einer konkreten Theorie, wie den rechtlichen Theorien, haben daher keine Sätze Platz, die nicht zu den Rechtssätzen, Modellsätzen oder Zuordnungssätzen gehören. Die Klassifikation ist somit vollständig. b) Obwohl sich die Vollständigkeit der Klassifikation aus den angegebenen Gründen ganz einfach einsehen läßt, kann die Betrachtung geltender Gesetze eines Staates doch stutzig machen. Man findet dort Normen, die nicht zu den genannten drei Arten rechtlicher Sätze gehören, nämlich die Normen, die als ,Schlußbestimmungen4 bezeichnet werden und die räumliche, zeitliche, persönliche etc. Geltung regeln. Diese Normen haben indes innerhalb einer rechtlichen Theorie, welche die Sachvorschriften dieses Gesetzes umfaßt, keinen Platz. Sie enthalten ja den. Eine Rechtsordnung hat bzgl. der beiden genannten Vertauschungen nur das triviale Duale, das entsteht, wenn man beide Vertauschungen gleichzeitig vornimmt, denn dabei entsteht wieder die Rechtsordnung selbst. Sie ist also in diesem Sinne ,selbst-dual\
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Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
selbst keine rechtliche Aussage, sondern sagen nur etwas über die Geltung anderer rechtlicher Sätze aus (nämlich derjenigen, aus denen der Hauptteil des Gesetzes besteht). Sie können aus den gleichen Gründen, aus denen sich Gesetzgebungsvorschriften nicht in dieselbe rechtliche Theorie abbilden lassen wie die von ihnen abhängigen Sachvorschriften, 377 ebenfalls nicht Teil derselben rechtlichen Theorie sein wie die rechtlichen Sätze, deren Geltung sie betreffen. Sie sind aber - anders als die Gesetzgebungsvorschriften - in der Regel auch nicht als Bestandteil einer eigenen rechtlichen Theorie gedacht. Sie konkretisieren vielmehr die Anwendung gleich zweier rechtlicher Theorien: Der Normgeber vollzog den ersten Teil der Anwendung einer rechtlichen Theorie, indem er ihre Prämissen mit Geltung versah. 378 Dies tat er jedoch nicht im vollen, ihm möglichen Umfang, sondern - mittels der betreffenden Normen - mit näheren Maßgaben in räumlicher, zeitlicher, persönlicher etc. Hinsicht. Gleichzeitig stellen diese Normen auch eine konkrete Anwendung einer (schon zuvor mit Geltung versehenen) rechtlichen Theorie dar, welche den Erlaß von Gesetzen der Hierarchiestufe des Gesetzes, das die betreffenden ,Schlußbestimmungen' enthält, betrifft. Als Anwendungsakte können sie bzw. die Normen, die auf sie angewendet werden, natürlich auch unter dem Gesichtspunkt der Theoriebildung untersucht werden. Man darf sich aber nicht dadurch, daß sie im selben Gesetz stehen, zu dem Fehlschluß verleiten lassen, sie würden auch zu derselben rechtlichen Theorie gehören und deshalb einen weiteren Typ rechtlicher Sätze erfordern. 2. Logisches Verhältnis der rechtlichen Sätze zueinander. Zuordnungssätze klären semantische Fragen und liefern eine Interpretation der in den Modellen verwendeten Begriffe. Sie spielen im formal-logischen Aufbau einer Theorie auf der Sprachebene von Modell- und Rechtssätzen keine Rolle, denn sie drücken keine materielle Aussage aus. Modellsätze und Rechtssätze hingegen liefern materielle Aussagen. Beide können sowohl vorausgesetzt worden sein (also den logischen Status von Prämissen haben) als auch abgeleitete Aussagen (Resultate) der Theorie darstellen. 3. Klassifikationskriterien, a) Welcher Satz ein Modellsatz, welcher ein schlichter Rechtssatz und welcher ein Zuordnungssatz ist, hängt davon ab, ob sich ein Modell angeben läßt, innerhalb dessen er eine Begriffsvereinbarung bzw. eine Regel (d.h. eine Relation zwischen mindestens zwei Begriffen des Modells) formuliert - dann ist er Modellsatz - oder das einen Begriff enthält, dem er (direkt oder indirekt unter Bezugnahme auf andere Zuordnungssätze) eine äußere Situation zuordnet - dann ist er Zuordnungssatz . Ist beides nicht 377
Vgl. im 3.Kapitel E. I.
378
Vgl. im 2. Kapitel C. I.und2.
Α. Verhältnis der Teile rechtlicher Theorien zueinander
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der Fall, so ist er Rechtssatz. Die Verwendung dieses Kriteriums hängt davon ab, daß man weiß, welches die speziellen Gegenstände der untersuchten Theorie sind. Das Kriterium ist also kein rein formales Kriterium, sondern setzt materielle Information über den Gegenstandsbereich der Theorie voraus. Das ist keine echte Einschränkung, denn derjenige, der sich mit einer Theorie beschäftigt, sollte ihren Gegenstandsbereich ohnehin kennen. b) Setzt man voraus, daß keine der Bezeichnungen für einen speziellen Gegenstand oder Teil davon ein Grundbegriff ist, sondern entweder innerhalb des Modells definiert oder durch einen Zuordnungssatz explizit belegt wird, und daß keiner der Rechtssätze Grundbegriffe enthält, läßt sich dieses Kriterium bzgl. der Zuordnungssätze noch etwas verbessern: Alle Sätze, die Grundbegriffe enthalten, sind dann Zuordnungssätze. Die beiden Voraussetzungen sind nicht notwendig im Begriff der Modell- bzw. Rechtssätze enthalten. Eine ,gut' ausgearbeitete rechtliche Theorie erfüllt sie dennoch: Ein Modell, das einen Grundbegriff verwendet, würde den mit diesem Begriff bezeichneten Teil oder Aspekt des modellierten Gegenstandes nicht bestimmen (sondern nur seinerseits voraussetzen, daß alle Beteiligten wissen, was der Grundbegriff bedeutet), obwohl es in Theorien gerade darum geht, ihre Gegenstände zu betrachten und deren Teile und Eigenschaften darzustellen. Ein Rechtssatz, der einen Grundbegriff enthält, ließe keine exakte Anwendung zu, denn der logisch-deduktive Teil seiner Anwendung könnte nicht von der Subsumtion unter den Begriff abgetrennt werden. Es ist (ebenfalls unter den beiden weiteren Voraussetzungen) möglich, auch die Unterscheidung von Rechts- und Modellsätzen noch etwas formaler auszudrücken: Wird in dem rechtlichen Satz ein Modellbegriff bestimmt, so ist es ein begriffsbestimmender Modellsatz. Ist das nicht der Fall und gehören alle in dem Satz verwendeten Begriffe zu demselben Modell, so ist es eine Regel dieses Modells, also wiederum ein Modellsatz. Andernfalls, d.h. wenn Begriffe unterschiedlicher Modelle verwendet werden, handelt es sich um einen Rechtssatz. - Hierbei werden auch die Resultate, die sich allein aus den im selben Modell enthaltenen Prämissen ergeben, zu den Modellsätzen dieses Modells gezählt. Das geschieht letztlich willkürlich und nur, um die Klassifikation zu erleichtern. Um die Funktion der drei Arten rechtlicher Sätze für die Rechtfertigung des Anspruchs rechtlicher Theorien auf Wissenschaftlichkeit zu erhalten, könnte man die Modellregeln ebensogut auf die Prämissen beschränken und alle Resultate zu den Rechtssätzen zählen. Der jeweils modellierte Gegenstand wäre in gleicher Weise verfaßt und die Rechtssätze würden sich wiederum nur auf Modellsätze beziehen. c) Eine weitergehende Formalisierung des Klassifikationskriteriums, so daß es ohne die Kenntnis der speziellen Gegenstände der untersuchten Theorie auskäme, ist aus prinzipiellen Gründen nicht möglich. Rein formal läßt
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Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
sich nicht entscheiden, ob zwei Begriffe demselben Modell angehören, und daher ebensowenig, ob ein Satz, der nur Modellbegriffe verwendet, Modellsatz (weil alle Modellbegriffe zum selben Modell gehören) oder Rechtssatz (weil dies nicht der Fall ist) ist. Das hat folgenden Grund: Man kann mehrere Einzelmodelle immer formal zu einem Gesamtmodell vereinigen, das dann alle Begriffe und Regeln der Einzelmodelle enthält. 379 Umgekehrt ist ein Modell mit mehreren Modellbegriffen auch immer in der Weise formal reduzierbar, daß man einen Begriff und alle Sätze, die diesen Begriff verwenden, aus ihm entfernt. 380 So ist es insbesondere stets möglich, alle Modelle einer Theorie formal zu einem einzigen Modell zu vereinen oder jeweils bis auf einen einzelnen Begriff zu reduzieren. Bei beiden Operationen entstehen Satzgebilde, die formal die Eigenschaften von Modellen besitzen. Doch wird durch nichts garantiert, daß dabei sinnvolle Modelle entstehen, die einen speziellen Gegenstand konstituieren, an dem bei der Ausarbeitung der jeweiligen Theorie tatsächlich Interesse besteht. Nur wenn sich auch bei Vereinigung aller Einzelmodelle einer Theorie zu einem einheitlichen Modell noch ein interessanter spezieller Gegenstand angeben läßt, ist die stärkere Voraussetzung bzgl. der Modellsätze gerechtfertigt und berechtigt zur Verwendung des unter b) angegebenen rein formalen Klassifikationskriteriums. Aus den genannten Gründen läßt sich auch nicht rein formal entscheiden, ob zwei Modellsätze zu demselben Modell gehören. 381 Die Modelle einer Theorie können grundsätzlich nicht rein formal unterschieden werden. Eine solche Unterscheidung würde voraussetzen, daß man ein einzelnes Modell einem bestimmten speziellen Gegenstand der Theorie zuzuordnen vermag, also weiß, welche Gegenstände jeweils in einzelnen Modellen verfaßt werden sollen. Dies aber ist bereits eine inhaltliche und keine rein formale Frage. Darüber hinaus würden selbst diese inhaltlichen Informationen nicht ausreichen. Es ist möglich, daß ein Modell andere Modelle - bis hin zu allen anderen Modellen der Theorie - enthält, sich also Teile eines Modells zugleich als eigenständiges Modell auffassen lassen. 379
Wird »derselbe Begriff' (dasselbe Wort) in mehreren dieser Modelle unterschiedlich definiert, muß man dabei die verwendeten Bezeichnungen natürlich entsprechend abändern. Die Vereinigung erfolgt formal letztlich genauso, wie die im 2. Kapitel unter B. 2. d) beschriebene Vereinigung von Prämissen. 380 Dies läßt sich solange wiederholen, bis nur noch der Extremfall eines Modells mit einem einzigen Begriff übrig ist. - Diese Reduktion ist freilich i.a. mit einem Verlust an Aussagekraft verbunden. 381
Wüßte man, welche Begriffe zu demselben Modell gehören, ließe sich allerdings daraus, daß zwei Sätze nur Begriffe desselben Modells verwenden (und keine Grundbegriffe), darauf schließen, daß auch sie diesem Modell angehören.
Α. Verhältnis der Teile rechtlicher Theorien zueinander
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Selbst wenn alle Sätze einer rechtlichen Theorie klassifiziert sind, ergibt sich daraus allein - ohne Kenntnis der speziellen Gegenstände der Theorie noch kein Überblick über alle Modelle der Theorie. Ein Modell kann aus nur einem einzelnen Begriff bestehen, ohne einen einzigen Satz zu enthalten, denn schon ein einzelner Begriff, der durch einen Zuordnungssatz (also unter Verwendung von mindestens einem Grundbegriff) bestimmt wird, ist ein Modellbegriff und bezeichnet den im Zuordnungssatz bestimmten speziellen Gegenstand.382 Solche Minimalmodelle sind gewissermaßen der Nukleus für die Fortentwicklung zu einem umfassenderen Modell, denn sie allein bestimmen noch keinerlei Struktur 383 des bezeichneten Gegenstandes und entziehen sich einer Klassifikation nach Sätzen. d) Das umfassende Modell , das alle anderen Modelle der jeweiligen Theorie beinhaltet, und das Minimalmodell sind die beiden Extremfälle von Modellen wissenschaftlicher Theorien. 4. Indikatoren für die Klassifikation. Die richtige Klassifikation eines Satzes als Modell-, Rechts- oder Zuordnungssatz hängt also stets von der ganzen Theorie (und der Kenntnis ihrer speziellen Gegenstände) ab und nicht nur von dem einzelnen Satz selbst. Dennoch gibt es Indikatoren, die sich nur auf einen isolierten Satz beziehen und dennoch die Einordnung einiger Sätze erleichtern können: Gebote und Verbote sind meist Rechtssätze. „Du sollst nicht stehlen!" etwa statuiert ein Verbot und kommt nicht als Definition in Betracht. Sollte es eine Relation sein, dann müßten ,Du' und ,stehlen' Begriffe desselben Modells sein und durch diesen Satz korreliert werden, was denkbar ist, aber ein recht ungewöhnlicher Aufbau wäre. Ebenso gibt es Sätze, die in der Regel Zuordnungssätze sind, nämlich solche, die einen Begriff mit einer relativ ausführlich beschriebenen Situation gleichsetzen, etwa ,Eine körperliche Mißhandlung ist eine üble, unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wird.' 3 8 4 . Zwar müssen Modellbegriffe durchaus nicht aus einem Wort bestehen und Begriffsbestimmungen und Relationen können sich auf mehrere Begriffe gleichzeitig beziehen (so wird man etwa ,Eine Ur382
Vgl. dazu bereits im 3.Kapitel C. 2.
383
Dies ist der gleiche Strukturbegriff, der oben bei der Erörterung des Verhältnisses von Modell und Modelliertem verwendet wurde, und der letztlich auch mit dem der l o gischen Struktur' zusammenfällt. Vgl. dazu näher Rudolf Carnap , Der logische Aufbau der Welt, 1928, passim, insbesondere §§ 11, 12 und 16. 384 Vgl. das Urteil des 3. Strafsenats des BGH vom 23. Januar 1974, 3 StR 324/73, BGHSt Bd. 25 (1975), S. 277-280, 278.
184
Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
kuhde ist eine verkörperte Gedankenerklärung, die einen Aussteller erkennen läßt und die zum Beweis einer rechtlich erheblichen Tatsache geeignet und bestimmt i s t / 3 8 5 möglichst als Begriffsbestimmung innerhalb eines Urkundsmodells auffassen, das auf den Begriffen der Gedankenerklärung, des Ausstellers sowie der Beweisgeeignet- und -bestimmtheit aufbaut), doch je länger eine Beschreibung wird, desto unpraktischer ist sie für eine Begriffsbildung, und je untechnischer sie formuliert ist, desto weniger handhabbar ist sie als Begriffsbestimmung (bzw. ihre verwendeten Worte als Modellbegriffe), so daß sich der genannte Indikator ergibt. Dennoch gibt es nicht nur kein festes Kriterium, um einen isolierten Satz einer der drei Arten rechtlicher Sätze zuzuordnen, sondern von vielen rechtlichen Sätzen - namentlich solchen, die Teil der Konstruktion eines Rechtsinstituts und ihrer Struktur nach Wenn-Dann-Sätze sind, etwa Normen über die Begründung von Vertretungsmacht, Eigentumserwerb, Mitgliedschaft im Vorstand einer Genossenschaft - läßt sich nicht einmal ein allgemeiner Indikator dafür angeben, um welche Art rechtlichen Satzes es sich bei ihnen handelt. - Verfügt die Theorie über ein Modell der Stellvertretung, des Eigentums, der Genossenschaft, dann werden diese Normen zu den betreffenden Modellen gehören. Ist die Theorie nicht in der Weise aufgebaut, daß sich solche Modelle ausmachen lassen (etwa weil die nötigen Begriffe fehlen oder die Relationen zwischen ihnen nicht ausgearbeitet sind), sind die betreffenden Sätze schlichte Rechtssätze. 5. Übergang von einer Satzart zur anderen. Dieser Zusammenhang zwischen der richtigen Klassifikation eines Satzes und dem Entwicklungszustand der Theorie bedeutet, daß nicht nur ein und derselbe Satz in zwei verschiedenen rechtlichen Theorien unterschiedlich zu klassifizieren sein kann, sondern daß auch im Verlauf der Fortentwicklung einer Theorie - damit ist hier im Gegensatz zur Ausarbeitung einer Theorie, dem Ermitteln und Darstellen der Konsequenzen aus vorgegebenen Prämissen, die schrittweise Veränderung der Prämissen gemeint, die mit dem Ziel erfolgt, ihre Modelle und sonstigen Annahmen zu verbessern - ein Satz von einer der drei Arten in eine andere Art übergehen kann. Nachdem es drei verschiedene Arten rechtlicher Sätze gibt, sind insgesamt sechs derartige Übergänge zu unterscheiden. Bei ihrer Beschreibung wird davon ausgegangen werden, daß die unter 3. b) genannten Voraussetzungen jeweils erfüllt sind.
385
Vgl. die Urteile des 3. Strafsenats des BGH vom 18. Juni 1953, 3 StR 166/53, BGHSt Bd. 4 (1954), S. 284-286, 285 und des 2. Strafsenats des BGH vom 1. Juli 1959, 2 StR 191/59, BGHSt Bd. 13 (1960), S. 235-241, 238 ff.
Α. Verhältnis der Teile rechtlicher Theorien zueinander
185
a) Rechtssätze können zu Modellsätzen werden. Ein solcher Vorgang findet statt, wenn ein Modell der rechtlichen Theorie erweitert wurde und nun alle der in dem bisherigen Rechtssatz verwendeten Begriffe als eigene (Modell-)Begriffe umfaßt, so daß der Satz ab sofort eine Relation zwischen den Begriffen desselben Modells klärt. Man kann sich beispielsweise vorstellen, daß eine rechtliche Theorie in einer früheren Entwicklungsstufe ein Eigentumsmodell verwendet, das einen Eigentumsbegriff zur Verfügung stellt sowie die Terminologie und Regeln für einen ursprünglichen Eigentumserwerb und die Aufgabe (Dereliktion) von Eigentum, nicht aber für seine Übertragung. Für letztere gelte der Rechtssatz „Eigentum an beweglichen Sachen wird übertragen durch Einigung und Übergabe.", wobei „Einigung" und „Übergabe" noch Begriffe eigener Modelle und nicht Teil eines umfassenden Eigentumsmodells seien. Werden in einer späteren Entwicklungsstufe einer solchen Theorie die beiden Begriffe in ein konsolidiertes Eigentumsmodell aufgenommen und dieses um die bisherige Regel für die Übertragung von Eigentum erweitert, wird der angegebene Satz dadurch von einem Rechtssatz zu einem Modellsatz. Weitere, vielleicht noch typischere Beispiele ergeben sich immer dann, wenn die Begriffe aus mehreren verschiedenen Rechtssätzen in ein Modell aufgenommen und die Rechtssätze zu einer Regel dieses Modells zusammengefaßt wurden, z.B. verschiedene Schadenshaftung begründende Tatbestände in einer einheitlichen Regel über die Haftung für unerlaubte Handlungen, 386 Haftung auf Grund in Anspruch genommenen Vertrauens, 387 Staatshaftung etc. 388 Die Erweiterung eines Modells bedeutet, daß dieses Modell einen komplexeren abstrakten Gegenstand verfaßt. Wenn Rechtssätze zu Modellsätzen werden, bedeutet das also einen höheren Komplexitätsgrad des betrachteten Gegenstandes und in der Regel eine verstärkt begrifflich arbeitende Jurisprudenz. Daraus, daß der im komplexeren Modell abstrakt verfaßte Gegenstand in einem zu entscheidenden Fall als tatsächlich vorliegend erkannt wird, ergeben sich dann wegen der höheren Komplexität meist auch weiter reichende Konsequenzen. b) Durch den umgekehrten Vorgang werden Modellsätze - genauer gesagt Regeln eines Modells - zu Rechtssätzen. Obwohl dieser Vorgang davon abhängt, daß ein bisheriger Modellbegriff aus dem betreffenden Modell ausge386
Vgl. § 823 Abs. 1 BGB.
387
Vgl. Claus-Wilhelm Canaris , Ansprüche wegen „positiver Vertragsverletzung" und „Schutzwirkung für Dritte" bei nichtigen Verträgen, JZ 1965, S. 475 ff. 388 Die bisherigen einzelnen Rechtssätze ergeben sich dann jeweils als Konsequenz, d.h. als abgeleitete Modellsätze, aus der neuen einheitlichen Regel des Modells.
186
Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
gliedert wird, kann auch mit einer solchen Entwicklung ein Fortschritt verbunden sein. Dies ist dann der Fall, wenn man feststellen muß, daß mit der bisherigen Modellverwendung zu unterschiedliche Fälle erfaßt wurden und das Modell deshalb keinen homogenen Gegenstand konstituiert, oder wenn die in dem Modell festgelegten Mechanismen überholt wurden. Der Fortschritt liegt dann also in einer stärkeren Ausdifferenzierung des Rechts oder in der Aufgabe unzeitgemäßer Mechanismen. Als Beispiel ist ein Rechtsinstitut vorstellbar, welches das Einstehen eines Dritten für eine Schuld ausformt und das hier - im Hinblick auf die folgenden weiteren Annahmen historisch wohl nicht korrekt 389 - ,Bürgschaft' genannt wird. Man stelle sich vor, daß in diesem ursprünglich die Stellung von Geiseln und ein bestimmtes Verfahren zum Umgang mit den Geiseln vorgesehen war. Es sei ferner angenommen, daß in einer solchen Rechtsordnung zu dem Modell der Bürgschaft auch der Begriff der Vorausklage gehörte und die Regel galt „Der Bürge haftet subsidiär.", womit gemeint sein soll, daß dem Bürgen grundsätzlich die Einrede der Vorausklage zusteht. Werden nun dieser Begriff der Bürgschaft und das komplexe, zu ihm gehörende Modell aufgegeben - etwa um die Stellung von Geiseln abzuschaffen - und wird dabei eine neue Kollektion von rechtlichen Sicherungsmechanismen für Ansprüche entwickelt, innerhalb deren das Wort,Bürgschaft' nur noch für ein gegenüber der ursprünglichen Konzeption stark eingeschränktes Einstehen für die Verbindlichkeit eines anderen verwendet wird, dieses aber noch nicht selbst wiederum in einem ganzen Modell ausgearbeitet, sondern nur anhand einzelner Rechtssätze eingeführt worden ist, dann kann es auch in dieser Rechtsordnung den Satz „Der Bürge haftet subsidiär." weiterhin geben, aber er ist von einem Modellsatz zu einem Rechtssatz geworden. c) Der entsprechende Vorgang, bei dem aus Modellsätzen Zuordnungssätze werden, betrifft meist eine Begriffsbestimmung statt einer Regel. Auch dieser Übergang findet dann statt, wenn ein Begriff eines Modells aus diesem herausgenommen wird. Doch hier genügt es nicht, wenn man ihn in ein anderes Modell aufnimmt oder in einem eigenen Modell einführt. Der Begriff muß von einem Modellbegriff zu einem Grundbegriff werden. Damit ist ein Fortschritt verbunden, wenn ein Modell durch unnötige Begriffe aufgebauscht war und durch Entfernen von diesen vereinfacht wird. Ein solcher Vorgang kann insbesondere mit der Verallgemeinerung einiger Modellbegriffe, die
389
Siehe zur historischen Entwicklung Franz Beverie , Der Ursprung der Bürgschaft, Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung, Bd. 47 (1927), S. 567 ff., der die Bürgschaft vom Treugelöbnis statt der Geiselschaft her erklärt (S. 571, 574 ff., 581 ff.), aber zahlreiche Hinweise auf gegenteilige Vorschläge - insbesondere von Otto Friedrich von Gierke - gibt.
Α. Verhältnis der Teile rechtlicher Theorien zueinander
187
dann andere Begriffe innerhalb dieses Modells überflüssig machen, zusammenhängen, also mit einem höheren Abstraktionsgrad der Theorie. Als Beispiel kann man sich eine Rechtsordnung vorstellen, deren Familienrecht ein Modell verwendet, das zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern unterscheidet, aber die Regel beinhaltet, daß nichteheliche Kinder genau so behandelt werden wie eheliche Kinder. Wird dieses Modell überarbeitet und die überflüssige Unterscheidung eliminiert, dann besagt die Regel nur noch, daß alle direkten Abkömmlinge einer Person gleichermaßen dem Begriff des Kindes dieser Person zuzuordnen sind. d) Wiederum gibt es auch den umgekehrten Vorgang, den Übergang von Zuordnungssätzen zu Modellsätzen. Dies geschieht, wenn sich die in einem Zuordnungssatz verwendeten Grundbegriffe zu Modellbegriffen wandeln. Das ist der Fall, wenn unterschiedliche, aber bislang demselben Modellbegriff zugeordnete Situationen innerhalb des Modells begrifflich unterschieden werden, man das Modell also verfeinert. Arbeitet zum Beispiel eine strafrechtliche Theorie mit einem Tätermodell, das unter dem Begriff des Täters zwar unmittelbare und mittelbare Täterschaft gleichermaßen erfaßt, aber nicht zwischen ihnen differenziert und dies durch den Zuordnungssatz „Täter ist, wer eine Tat selbst oder durch einen anderen begeht." ausdrückt, und wird dann ein verfeinertes Modell eingeführt, das den mittelbaren vom unmittelbaren Täter trennt, wird der bisherige Zuordnungssatz zu einer Begriffsbestimmung, die den Begriff des Täters innerhalb des Modells als Oberbegriff für Personen einführt, die in einer der beiden nun unterschiedenen Formen von Täterschaft handeln. Weil es sich beim Übergang von Zuordnungs- zu Modellsätzen um einen besonders wichtigen, auf Modellbildung beruhenden Fortschritt einer rechtlichen Theorie handelt, sei noch ein weiteres Beispiel gegeben: Es ist eine rechtliche Theorie vorstellbar, die noch nicht rechtlich institutionalisierten Gewahrsam, Besitz und Eigentum kennt (also nicht über entsprechende Modelle verfügt), innerhalb derer man aber dennoch bereits einem Rechtsobjekt das Prädikat ,Sache von X 4 zuordnen und in rechtlichen Sätzen daran anknüpfen darf. Nehmen wir an, daß für dieses Prädikat die folgenden drei Zuordnungssätze gelten: (1) Eine Sache ist ,Sache von A \ wenn A nach der Verkehrsanschauung die tatsächliche willensgetragene Sachherrschaft über sie besitzt. (2) War eine Sache einmal ,Sache von B' und hat A sie von Β nur vorübergehend erhalten, so bleibt die Sache weiterhin auch Sache von B. (3) Satz 1 kann für dieselbe Sache auf verschiedene Personen angewendet und auch Satz 2 kann wiederholt angewendet werden, dieselbe Sache also vielen Personen gleichzeitig zugeordnet werden. Beginnt man nun, dieses Prädikat in Form eines Modells (eines Vorläufermodells unserer heutigen
188
Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
Modelle von Gewahrsam, Besitz und Eigentum) auszuarbeiten, das die Begriffe der willensgetragenen Sachherrschaft, der Verkehrsanschauung, des vorübergehenden Überlassens etc. als technische Begriffe entwickelt, dann werden die genannten Zuordnungssätze zu Modellsätzen. Die Schwierigkeiten, diese Begriffe auszuarbeiten und sich in anderen rechtlichen Sätzen auf sie zu beziehen, werden später durch Ausdifferenzieren und Fortentwickeln dieses ersten, einfachen Modells zu weiteren Fortschritten führen. e) Der Übergang von einem Zuordnungssatz zu einem Rechtssatz kann nicht ganz ohne Bedeutungsänderung geschehen, denn aus der Belegung eines Begriffs wird dabei eine Vorschrift. Als Beispiel seien zwei unterschiedliche Konstruktionen der gleichen Rechtslage im allgemeinen Verwaltungsrecht einander gegenübergestellt: 390 In der ersten rechtlichen Theorie soll es so sein, daß die Unwirksamkeit eines Verwaltungsakts für den Fall angeordnet wird, daß dieser entweder an einem besonders schweren, offenkundigen Fehler leidet oder einen aus einem Katalog im einzelnen genannter Fehler aufweist. Ferner gelte der folgende Zuordnungssatz: „Ein nichtiger Verwaltungsakt ist ein solcher, der auf Grund eines besonders schweren, offenkundigen Fehlers oder eines der im einzelnen aufgezählten Fehler unwirksam ist." Man könnte sich diesen Satz natürlich auch als Begriffsbestimmung innerhalb eines Modells vorstellen; aber die Theorie soll so beschaffen sein, daß sie kein entsprechendes Modell beinhaltet, z.B. weil „besonders schwerer Fehler" und „offenkundig" nicht in Modellen bestimmt werden, sondern Grundbegriffe sind. In der zweiten rechtlichen Theorie sei angeordnet: „Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam. Er ist nichtig, wenn und soweit er an einem besonders schweren, offenkundigen Fehler leidet. Er ist ferner nichtig, wenn und soweit ...", wobei dieselben Fehler aufgezählt seien wie in der ersten Theorie. Ferner sei in dieser Theorie die Bedeutung aller in diesen drei Sätzen verwendeten Begriffe explizit angegeben, d.h. die ehemaligen Grundbegriffe seien als Modellbegriffe entweder in (verschiedenen 391) Modellen definiert oder durch Zuordnungssätze bestimmt. Nun ist in der zweiten Theorie der Zuordnungssatz aus der ersten Theorie Rechtssatz und zwar ein Resultat, das sich aus den drei in dieser Theorie angeordneten Sätzen ergibt. Die beiden rechtlichen Theorien sind „im Ergebnis" gleich, d.h. bei ihrer Anwendung wären gleiche Fälle jeweils gleich zu entscheiden, unabhängig davon, ob man die eine oder die andere Theorie zugrundelegt. Es besteht jedoch ein Unterschied in der begrifflichen Konstruk390
Vgl. zum folgenden Beispiel §§ 43 Abs. 3, 44 Abs. 1-4 VwVfG.
391
Sonst entstünde ein Modellsatz.
Α. Verhältnis der Teile rechtlicher Theorien zueinander
189
tion: In der ersten Theorie ist der Begriff des nichtigen Verwaltungsakts für die Anordnung der Unwirksamkeit entbehrlich. Er kann nur dazu verwendet werden, um weitere Konsequenzen an die Nichtigkeitsgründe zu knüpfen (z.B. Schadensersatzansprüche). In der zweiten Theorie hingegen wird dieser Begriff bereits für die originäre Anordnung eingeführt. Ein solcher Übergang kann zwei Vorteile mit sich bringen: Einerseits vermag es die Übersichtlichkeit einer rechtlichen Theorie zu fördern, schon die originäre Rechtsfolge an den später ohnehin verwendeten Begriff zu knüpfen. Andererseits bedeutet es eine weiter fortgeschrittene Reflektion über die verwendeten Begriffe und die mit ihnen bezeichneten Fälle, wenn die Bedeutung ehemaliger Grundbegriffe explizit angegeben werden kann. f) Wird ein Satz von einem Rechtssatz zu einem Zuordnungssatz, bedeutet das die Aufgabe mindestens eines Modellbegriffs (der dabei zum Grundbegriff wird) und einen Bedeutungswandel des Satzes von einer Vorschrift hin zur Belegung eines Begriffs. Die gerade gegebene Charakterisierung betrifft - wie schon die fünf zuvor gegebenen Charakterisierungen - einen Übergang von einer Satzart in eine andere, wobei der Satz ursprünglich objektsprachlicher Art ist und dies auch bleibt. Dies sind die einfachsten und zugleich häufigsten, also charakteristischen Fälle. Um zu zeigen, daß mit dem Übergang von einer Satzart in eine andere indes auch ein Wechsel von einer Sprachebene in eine andere verbunden sein kann, sei als Beispiel die Vorschrift „Der als Bundeskanzler Gewählte ist vom Bundespräsidenten zu ernennen. 4 ' 392 betrachtet. Diese Vorschrift kann zweierlei ausdrücken, und zwar möglicherweise gleichzeitig: eine Pflicht des Bundespräsidenten (die insbesondere als Rechtssatz in Betracht kommt) und einen Zuordnungssatz metasprachlicher Art, der bestimmt, wie die Zuordnung einer Person zum Begriff (und Amt) des Bundeskanzlers vor sich zu gehen hat. Soll der Satz klassifiziert werden, sind diese beiden Bedeutungen voneinander zu trennen. Daher gibt es drei Möglichkeiten, wie er in einer rechtlichen Theorie vorkommen kann: nur als Rechtssatz, nur als Zuordnungssatz oder sowohl als Rechtssatz als auch als Zuordnungssatz. In einer Theorie, die diesen Satz nur als Rechtssatz kennt, könnte die Zuordnung z.B. schon auf Grund der Wahl vorgenommen werden und die statuierte Pflicht diente etwa dazu, diese Zuordnung in einem traditionellen Zeremoniell bekanntzumachen. Demgegenüber kann es ein Fortschritt sein, wenn der Satz zu einem Zuordnungssatz wird, das Zeremoniell also nicht mehr nur deklarativ ist, sondern für die Zuordnung konstitutiv wird, etwa damit derjenige, der sie vornimmt, die Wahl und ihr Ergebnis prüft und letzteres 392
Vgl. Art. 63 Abs. 1 und 2 GG.
Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
190
verbindlich feststellt. Dabei kann der betreffende Satz sowohl von einem Rechtssatz zu einem Zuordnungssatz werden und nur noch letzterer übrig bleiben, als auch (statt dessen) der Zuordnungssatz aus dem Rechtssatz als zusätzlicher Satz der Theorie hervorgehen. Anders als im rein objektsprachlichen Fall wird hier zwar nicht notwendigerweise ein Modellbegriff aufgegeben, dennoch wechselt der Begriff g e wählter' in genau der für den objektsprachlichen Fall angegebenen Bedeutung seinen Bezug: Im Rechtssatz muß er an einen belegten Modellbegriff anknüpfen, d.h. es muß einen Zuordnungssatz geben, der aussagt, wer gewählt ist (woraus bei den Theorien, die diesen Satz zugleich als Rechts- und als Zuordnungssatz beinhalten, natürlich eine Schwierigkeit erwächst). Im metasprachlichen Zuordnungssatz hingegen wird derjenige bezeichnet, der dem Begriff erst noch zuzuordnen und dessen objektsprachliche Bezeichnung (Name) ein Grundbegriff ist. Im metasprachlichen Zuordnungssatz wird aus dem Modellbegriff also ein Verweis auf einen Grundbegriff. Ganz entsprechend lassen sich auch in den übrigen fünf Fällen möglicher Übergänge ( a)e) ) die angegebenen Charakterisierungen auf Übergänge mit Sprachebenenwechsel erstrecken. 6. Extremfälle. Schon daß mit jedem der sechs Übergänge ein Fortschritt verbunden sein kann zeigt, daß weder eine stete Vergrößerung noch eine möglichst starke Verkleinerung von Modellen für rechtliche Theorien von Vorteil wäre. Bei der Betrachtung von Modellen geht es darum, ihre Rolle für die Bedeutung rechtlicher Sätze sowie für die Möglichkeit exakter Urteile auf deren Grundlage zu klären. Aber weder eine immer abstraktere Modellierung noch möglichst schwache Abstraktionen sind ausnahmslos erstrebenswert. Ein klassisches Beispiel der Kritik insoweit zweifelhaften Vorgehens sei hier in den Zusammenhang gesetzt: Ernst Beling formuliert „den - von manchen Seiten ja sehnlichst herbeigewünschten - Schurkenparagraphen [...]: ,Jeder Schurke wird ... bestraft.'" 393 als Paradebeispiel eines Verstoßes gegen den Satz „Verbrechen kann nur die Handlung sein, die einem fest formulierten Tatbestande entspricht" 394 . Es geht ihm darum, daß ,Schurke' im Schurkenparagraphen als (positivrechtlich und explizit) nicht näher bestimmter Begriff verwendet und auf dieser Grundlage gestraft (bzw. von ,Verbrechen' gesprochen) wird. Dabei wendet er sich ausdrücklich gleichermaßen gegen die Fälle, in denen ein solches Tatbestandsmerkmal rechtlich überhaupt nicht näher bestimmt (also als Grundbegriff verwendet) wird, wie auch gegen Fälle, in denen es zwar näher be393
Emst Beling , Die Lehre vom Verbrechen, 1906, § 4 II, S. 22.
394
Ebenda.
Β. Qualität von Modellen
191
stimmt wird, diese Bestimmung aber nicht positiviert worden ist. Daß Beling mit seinen Ausführungen recht hat, beruht auf besonderen, speziell das Strafrecht betreffenden Überlegungen zur Verbesserung und Sicherung der Rechtsstaatlichkeit (obwohl es Beling selbst noch nicht um Rechtsstaatlichkeit, sondern um Verbrechenstypik ging). Teilweise ergibt sich ihre Richtigkeit aber auch schon aus den in der vorliegenden Untersuchung angestellten Überlegungen zur Sicherung und Verbesserung der Wissenschaftlichkeit rechtsdogmatischer Arbeit: Wird der Begriff ,Schurke 4 oder ein anderes Tatbestandsmerkmal als Grundbegriff verwendet, ist der betreffende Satz weder Modell- noch Rechtssatz einer rechtlichen Theorie und erlaubt deshalb prinzipiell keine exakte Anwendung. Es liegt also eine defizitäre Einführung nötiger Modelle vor. Steht hinter dem Begriff hingegen ein umfassendes, alle Straftaten unter detaillierter Angabe ihrer Voraussetzungen in sich fassendes ,Schurken-Modell 4 , dann arbeitet die Theorie mit einem aufgedunsenen, der Übersicht sehr hinderlichen Modell. Eine solche Theorie ist auf Grund der übertriebenen Modellbildung schlecht, und zwar unabhängig davon, ob dieses Modell positiviert wurde (so daß die Belingsche Kritik schon gar nicht mehr griffe) oder nicht.
B. Qualität von Modellen /. Qualität einer Theorie. In der vorliegenden Untersuchung stehen die Frage nach der Möglichkeit wissenschaftlicher Theoriebildung sowie eine entsprechend formale Betrachtung der Tätigkeit des Rechtswissenschaftlers im Vordergrund. Dabei soll keineswegs suggeriert werden, die Einhaltung der formalen Erfordernisse rechtlicher Theoriebildung, namentlich der Bezug von Rechtssätzen (und Modellregeln) auf Modelle, sei bereits eine hinreichende Bedingung für das Entstehen ,guter 4 - d.h. insbesondere interessanter, aussagekräftiger und gerechter - Theorien. Die formale Betrachtung liefert notwendige, d.h. unbedingt einzuhaltende Erfordernisse. Werden sie nicht eingehalten, geht die mit ihnen verbundene Wissenschaftlichkeit verloren. Sie herauszuarbeiten war das Ziel der vorliegenden Untersuchung. Das bedeutet aber keinesfalls, daß man sich gegenüber der eigenen Tätigkeit auf einen rein formalen Standpunkt zurückziehen darf. Die inhaltlichen Fragen rechtlicher Theoriebildung sind zwar nicht mehr Gegenstand der vorliegenden Untersuchung, um aber zu unterstreichen, daß erst sie innerhalb des weiten, durch die formalen Erfordernisse wissenschaftlicher Theoriebildung abgesteckten Rahmens Kriterien für eine qualitativ befriedigende Theorie liefern können, sei die Frage nach der Qualität von Modellen innerhalb rechtlicher Theorien zum Abschluß der Untersuchung zumindest kurz angerissen. Sie ist ein wesentli-
192
Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
eher, wenn auch wiederum nicht der einzige 395 inhaltliche Faktor, der über die Qualität einer Theorie entscheidet. 2. Kritik eines Modells, a) Ein fundamentales Resultat, das die Qualität von Modellen betrifft und zeigt, daß die Frage nach der Qualität eines Modells bereits eine genuin inhaltliche Frage ist, hat die bisherige Untersuchung bereits ergeben: Solange die Sätze, die ein Modell ausmachen, in sich und zum Rest der Theorie konsistent sind, ist das Modell nicht (logisch) widerlegbar. 396 Ferner kann ein Modell im Sinne eines einfachen Korrespondenzbegriffs von Wahrheit, nach dem eine Aussage genau dann als wahr bezeichnet wird, wenn sie mit der Wirklichkeit übereinstimmt, 397 weder wahr noch falsch sein. Mit dem Modell wird das Modellierte, d.h. das betrachtete Objekt, gerade erst der wissenschaftlichen Betrachtung zugänglich. Die Frage, ob das Modell mit dem Modellierten übereinstimmt, wäre deshalb naiv und - bei präziser Sprechweise - niemals zu beantworten. Soweit man sich das Modellierte als vor seiner Modellierung bestehend vorstellt - das ist der Standpunkt desjenigen, der ausgehend von einem Vorbegriff des Gegenstandes ein Modell des Gegenstandes für eine Theorie sucht - , sind Modell und Modelliertes logisch voneinander unabhängig. Soweit man sich das Modellierte als durch sein Modell gegeben vorstellt - das ist der Standpunkt desjenigen, der die Theorie dann ausarbeitet - sind Modell und Modelliertes zwar logisch abhängig, aber in der Weise, daß die Wahrheit einer Aussage über das Modellierte aus einer entsprechenden wahren Aussage über das Modell unmittelbar folgt. In beiden Fällen ist das Modell durch eine Betrachtung des modellierten Gegenstandes also weder zu bestätigen noch zu widerlegen. b) Ist die Konsistenz des Modells erwiesen, müssen Argumente, die für oder gegen das Modell vorgebracht werden, etwas mit dem Aufbau der Theorie oder ihrer Anwendung zu tun haben und dürfen nicht mehr rein formal sein. Hermann Kantorowicz formuliert das prägnant: „Die Nutzlosigkeit einer Begriffsbestimmung kann oft durch ein rein formales Verfahren festgestellt 395
Als weiterer Faktor kommt namentlich die ,Einheit' der rechtlichen Theorie in Betracht. Dieser ließ sich bislang weder ansatzweise formalisieren noch sonst in befriedigender Weise bestimmen. Gemeint ist etwa, daß sich die Theorie ohne Einzelausnahmen darstellen läßt und Erklärungen für ihre Ergebnisse liefert, diese also insbesondere nicht einfach unmittelbar fordert. Eine gute Charakterisierung dieser Forderung anhand einer Systemvorstellung, die aber auf axiomatisch-deduktives Vorgehen ausdrücklich verzichtet, gibt Claus-Wilhelm Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Aufl. 1983, § I I I . , S. 13 ff. 396
Vgl. oben 3. Kapitel C. I. 3.
397
Vgl. oben Fn. 203.
Β. Qualität von Modellen
193
werden; ihre Brauchbarkeit hingegen muß außerdem noch empirisch geprüft werden." 398 Beziehen sich solche Argumente für oder gegen ein Modell auf den zu modellierenden Gegenstand, muß dieser noch in anderer Weise als durch das zu kritisierende Modell zugänglich sein, d.h. es muß mindestens ein weiteres Modell dieses Gegenstandes zur Verfügung stehen; letztlich werden alternative Modelle miteinander verglichen und deren Vor- und Nachteile erwogen. c) Ein frühes Beispiel einer gelungenen Kritik an der Qualität eines Modells findet man in den Dialogues concerning Natural Religion (1779 posthum) von David Hume: „But, allowing that we were to take the operations of one part of nature upon another, for the foundation of our judgment concerning the origin of the whole, (which can never be admitted,) yet why select so minute, so weak, so bounded a principle, as the reason and design of animals is found to be on the planet? What peculiar privilege has this little agitation of the brain which we call thought, that we must thus make it the model of the whole universe?" 399
Hume verwendet das Wort 'model' dabei, um etwas zu bezeichnen, das für eine Erklärung mit umfassendem Anspruch dienlich gemacht, zur Begründung der Existenz des Erklärten verwendet und als Maßstab für die Realität herangezogen wird. Seine Verwendung des Wortes an der zitierten Stelle gleicht also dem in der vorliegenden Arbeit vorgestellten Modellbegriff. Die Textstelle ist schon der Verwendung dieses Begriffs wegen interessant, vor allem aber, weil Hume das Modell zugleich angreift, während er das Verfahren, überhaupt Modelle anzugeben und zu verwenden, (soweit das Modell etwas anderes als Gott und das ganze Universum erfassen soll) nicht prinzipiell kritisiert, sondern voraussetzt, und seine knappen Bemerkungen mit den gerade angestellten Überlegungen zur Unwiderlegbarkeit von Modellen völlig konsistent sind. Hume kritisiert das Modell nicht als falsch und prüft gar nicht erst seine ,Wahrheit'. Er macht nicht den aussichtslosen Versuch, zu untersuchen, ob das Modell ,zutreffend' ist. Dennoch gelingt es ihm ohne Fundamentalkritik in den Kategorien ,wahr' und ,falsch', argumentativ zu begründen, weshalb er das Modell für unpassend hält. Hume hält dem Modell entgegen, es sei zur Erklärung der ganzen komplexen Welt unplausibel einfach, selbst Teil des zu Erklärenden (und daher jedenfalls untauglich, seine Entstehung zu begründen) sowie vor anderen Modellen gleicher Güte (die ja schon aus den ersten beiden Gründen sehr gering 398 399
Hermann Kantorowicz,
Der Begriff des Rechts, 1957, 2. Kapitel 2., S. 36.
David Hume, Dialogues concerning Natural Religion, Part II, Paragraph 19, GG Vol. II, S. 396; vgl. auch Part III, Paragraph 12, GG Vol. II, S. 404 und Part VII, Paragraph 16, GG Vol. II, S. 425.
194
Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
ist) in keiner Weise positiv ausgezeichnet. 4 0 0 M a n kann aus dieser K r i t i k erste Qualitätskriterien und Tests für Modelle ersehen: Erstens stellt Hume in einer vagen Abschätzung die Komplexität des Modells und des Modellierten einander gegenüber und gewinnt so einen Plausibilitätstest dafür, ob das M o d e l l eine Grundlage für eine befriedigend detailreiche Erklärung des Modellierten w i r d abgeben können oder nicht. Zweitens fordert Hume, nicht einen Effekt innerhalb des Modellierten zum M o d e l l zu machen. Das Erfüllen dieser Forderung ist notwendige Voraussetzung der logischen Unabhängigkeit von M o dell und Modelliertem in dem gerade angegebenen Sinne. Drittens legen Humes weitere Ausführungen nahe, daß ein Vergleich verschiedener in Betracht kommender M o d e l l e zentrales Hilfsmittel für die Auswahl eines (relativ zu den anderen in Betracht gezogenen Modellen) besten Modells sein wird. 3. Naturwissenschaftliche Modelle. Soweit es darum geht, einen Gegenstand zu modellieren, um an i h m auftretende Effekte nach A r t der Naturwissenschaften vorherzusagen, läßt sich ein auf die Anwendung der Theorie bezogenes K r i t e r i u m gewinnen, das Heinrich Hertz folgendermaßen ausdrückt: „Wir machen uns innere Scheinbilder oder Symbole der äußeren Gegenstände, und zwar machen wir sie von solcher Art, daß die d e n k n o t w e n d i g e n F o l g e n der B i l d e r stets w i e d e r die B i l d e r seien von den d e n k n o t w e n d i g e n F o l g e n der a b g e b i l d e t e n Gegenstände. [...] Die Erfahrung lehrt uns, daß die Forderung erfüllbar ist [ ] Ist es uns einmal geglückt, aus der angesammelten bisherigen Erfahrung Bilder von der verlangten Beschaffenheit abzuleiten, so können wir an ihnen, wie an Modellen, in kurzer Zeit die Folgen entwickeln, welche in der äußeren Welt erst in längerer Zeit oder als Folgen unseres eigenen Eingreifens auftreten werden; wir vermögen so den Tatsachen vorauszueilen und können nach der gewonnenen Einsicht unsere gegenwärtigen Entschlüsse richten. - Die Bilder, von welchen wir reden, sind unsere Vorstellungen von den Dingen; sie haben mit den Dingen die eine wesentliche Übereinstimmung, welche in der Erfüllung der genannten Forderung liegt, aber es ist für ihren Zweck nicht nötig, daß sie irgend eine weitere Übereinstimmung mit den Dingen haben. In der Tat wissen wir auch nicht, und haben auch kein Mittel zu erfahren, ob unsere Vorstellungen von den Dingen mit jenen in irgend etwas anderem übereinstimmen, als allein in eben jener einen fundamentalen Beziehung." 401
400 Der letztere Punkt wird noch deutlicher, wenn Hume dem kritisierten Modell das der Brahminen , die eine unendliche Spinne als kosmologisches Modell verwenden, gegenüberstellt (Dialogues concerning Natural Religion, Part VII, Paragraph 16, GG Vol. II, S. 425). 401 Heinrich Hertz , Die Prinzipien der Mechanik in neuem Zusammenhange dargestellt, Drei Beiträge 1891-1894, Einleitung, S. 67 in Ostwalds Klassiker der exakten Wissenschaften Bd. 263, 2. Aufl. 1996 (Kursivdruck im Original, gesperrte Hervorhebung hinzugefügt).
Β. Qualität von Modellen
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Dieses Kriterium operiert mit zwei ,Abbildungen'. Beide gehen von derselben Situation aus. Auf dem einen Abbildungsweg wird für diese Situation ein Modell substituiert und auf dessen Grundlage eine Prognose darüber erstellt, in welchen späteren Zustand diese Situation übergeht. Auf dem anderen Abbildungsweg wird die Fortentwicklung der Situation sich selbst überlassen und die Lage zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Prognose bezieht, beschrieben. Das Modell hält dem Test stand, solange sich keine für die Erreichung des Zwecks der Prognose relevanten Unterschiede zwischen den beiden Beschreibungen ergeben. Dieses Kriterium ist mit dem empirischen Falsifikationskriterium eng verwandt. Soweit in der Rechtswissenschaft derartige Modelle verwendet werden, ist dieses Kriterium auch in ihr von maßgeblicher Bedeutung. Sie verwendet solche Modelle vor allem dann, wenn es um , Kausal Verläufe' geht. Diese Modelle sind für die Rechtswissenschaft indes nicht charakteristisch, und eine weitere Ausarbeitung des Kriteriums daher hier nicht von Interesse. 4. Unzulässige Modelle . a) Ein bedeutsames Negativ-Kriterium für spezifisch rechtliche Modelle läßt sich hingegen aus Texten von John Stuart M i l l entwickeln. Man könnte es etwa folgendermaßen formulieren: Bei der Verwendung von Modellen in rechtlichen Theorien geht es nicht darum und darf es nicht darum gehen, bestimmte Verhaltensweisen in Form von Modellen zur Nachahmung vorzuschreiben. Es ist vielmehr ein konsistentes Begriffsgefüge zu schaffen, mittels dessen sich mögliche Handlungen beschreiben lassen, und zwar unabhängig davon, ob irgend jemand (sei er Normgeber oder -adressat) sie sich wünscht oder nicht. Diese Begrifflichkeit wird natürlich auch deshalb zur Verfügung gestellt, damit sie in Normen, die Handlungen anordnen oder verbieten, verwendet werden kann. Aber bei der Auseinandersetzung mit Modellen geht es zunächst gerade noch nicht um Verhaltensvorschriften. Modelle der hier vorgestellten Art sollen spezielle Gegenstände, auf welche sich die Normen später beziehen können, gedanklich und sprachlich verfassen. Das bedeutet, die Modelle zeigen - da sie Teil einer normativen Handlungstheorie sind bzw. werden sollen - in erster Linie Handlungsmöglichkeiten auf. Diese entstehen, soweit es um die Kooperation mehrerer Personen geht, regelmäßig überhaupt erst dadurch, daß man ein entsprechendes gemeinsames Modell vorstellt, denn nur ein solches ermöglicht die Koordination der Handlungen. 402 In diesem Sinne dient die Auseinandersetzung mit Modellen dazu, Handlungsmöglichkeiten allererst zu schaffen. Schriebe man hingegen die Nachahmung einer bestimmten Modellhandlung vor, so bezweckte das nur negativ, daß der 402
Vgl. dazu insbesondere im 3. Kapitel C. III. 2.
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Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
Angewiesene von keiner seiner übrigen Handlungsalternativen Gebrauch macht. M a n würde seinen Handlungsspielraum also lediglich (normativ) einschränken, statt neue Handlungsalternativen zu erzeugen. Diese Einschränkung wäre sogar noch stärker, als sie durch Verhaltensregeln - wie z.B. diejenigen des StGB - erreicht wird, denn es würde nicht nur die Vermeidung bzw. Herbeiführung eines Erfolges, einer Gefahr oder einer Risikoverringerung zur Pflicht gemacht, sondern der Verpflichtete hätte darüber hinaus auch noch einem idealtypischen Verhaltensmuster nachzueifern. 4 0 3 M i l l s Ausführungen zu diesem Thema sind auf das Verhältnis zwischen Gesellschaft und I n d i v i d u u m und nicht auf den Aufbau von Theorien bezogen. I h m geht es jedoch durchaus auch um die E n t w i c k l u n g einer deduktiven Politik- und Moralwissenschaft. 4 0 4 Für rechtliche Theorien ist insbesondere seine folgende Bemerkung von größter Bedeutung und bemerkenswerter Klarheit: „There is no reason that all human existence should be constructed on some one or some small number of patterns. If a person possesses any tolerable amount of common sense and experience, his own mode of laying out his existence is the best, not because it is the best in itself, but because it is his own mode. [...] If it were only that people have diversities of taste, that is reason enough for not a t t e m p t i n g to shape them a l l after one m o d e l . [...] The same mode of life is a healthy excitement to one, keeping all his faculties of action and enjoy403 Vgl. z.B. John Stuart Mill , On Liberty, 1859, Chapter I (Collected Works Vol. XVIII, 1977, S. 219 f.): „Like other tyrannies, the tyranny of the majority was at first, and is still vulgarly, held in dread, chiefly as operating through the acts of the public authorities. But reflecting persons perceived that when society is itself the tyrant society collectively, over the separate individuals who compose it - its means of tyrannizing are not restricted to the acts which it may do by the hands of its political functionaries. Society can and does execute its own mandates: and if it issues wrong mandates instead of right, or any mandates at all in things with which it ought not to meddle, it practises a social tyranny more formidable than many kinds of political oppression, since, though not usually upheld by such extreme penalties, it leaves fewer means of escape, penetrating much more deeply into the details of life, and enslaving the soul itself. Protection, therefore, against the tyranny of the magistrate is not enough: there needs protection also against the tyranny of the prevailing opinion and feeling; against the tendency of society to impose, by other means than civil penalties, its own ideas and practices as rules of conduct on those who dissent from them; to fetter the development, and, if possible, prevent the formation, of any individuality not in harmony with its ways, and c o m p e l a l l characters to f a s h i o n themselves upon the m o d e l o f its o w n . There is a limit to the legitimate interference of collective opinion with individual independence: and to find that limit, and maintain it against encroachment, is as indispensable to a good condition of human affairs, as protection against political despotism." (Hervorhebung hinzugefügt). 404 Genau darum geht es ja im ganzen VI. Buch von A System of Logic, 1843 unter dem Titel „The Logic of the Moral Sciences".
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ment in their best order, while to another it is a distracting burthen, which suspends or crushes all internal life. [...] But the man, and still more the woman, who can be accused either of doing 'what nobody does,' or of not doing 'what everybody does,' is the subject of as much depreciatory remark as if he or she had committed some grave moral delinquency. " 4 0 5 b) Die Rechtswissenschaft erlangt ihre Theorien nicht induktiv, d.h. es w i r d nicht allein daraus, daß eine Verkettung von Ereignissen häufig und bislang ausnahmslos stattfand, darauf geschlossen, daß diese Ereignisse stets verkettet sein sollen. D e m Bäcker, der mir das gewünschte Brötchen gegeben hat, schulde ich den Preis nicht allein deshalb, w e i l ich in der Vergangenheit immer brav bezahlt habe. Schlüsse solcher A r t wären als naturalistische Fehlschlüsse zu identifizieren. Es mögen induktive Schlüsse vorkommen, doch selbst wer von einer normativen Kraft des Faktischen ausgeht, behauptet nicht, daß allein das Faktische normativ w i r k t , oder er entleert den Begriff des Rechts als eines von den Naturgesetzen zu unterscheidenden Regelsystems. Ganz entsprechend gestatten rechtliche Theorien auch keine experimentelle Widerlegung. Es k o m m t von Zeit zu Zeit vor, daß ein Mensch einen anderen umbringt, aber der Satz „ D u sollst nicht töten!" kann durchaus unter den Prämissen oder den Resultaten einer rechtlichen Theorie seinen Platz haben. Experimente liefern nur Wahrnehmungen von Ereignissen, die in Satz-
405 John Stuart Mill , On Liberty, 1859, Chapter III (Collected Works Vol. XVIII, 1977, S. 270), Hervorhebung hinzugefügt.
Einige Seiten zuvor steht die ähnlich treffende und eindrucksvolle Passage: „He who lets the world, or his own portion of it, choose his plan of life for him, has no need of any other faculty than the ape-like one of imitation. He who chooses his plan for himself, employs all his faculties. He must use observation to see, reasoning and judgment to foresee, activity to gather materials for decision, discrimination to decide, and when he has decided, firmness and self-control to hold to his deliberate decision. And these qualities he requires and exercises exactly in proportion as the part of his conduct which he determines according to his own judgment and feelings is a large one. It is possible that he might be guided in some good path, and kept out of harm's way, without any of these things. But what will be his comparative worth as a human being? It really is of importance, not only what men do, but also what manner of men they are that do it. Among the works of man, which human life is rightly employed in perfecting and beautifying, the first in importance surely is man himself. Supposing it were possible to get houses built, corn grown, battles fought, causes tried, and even churches erected and prayers said, by machinery - by automatons in human form - it would be a considerable loss to exchange for these automatons even the men and women who at present inhabit the more civilized parts of the world, and who assuredly are but starved specimens of what nature can and will produce. H u m a n nature is not a machine to be b u i l t after a m o d e l , and set to do exactly the work prescribed for it, but a tree, which requires to grow and develope itself on all sides, according to the tendency of the inward forces which make it a living thing." John Stuart Mill , On Liberty, 1859, Chapter III (Collected Works Vol. XVIII, 1977, S. 262 f.), Hervorhebung hinzugefügt.
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form die Gestalt deskriptiver Sätze annehmen, und können präskriptiven Sätzen prinzipiell nicht widersprechen. Hierin unterscheidet sich die Rechtswissenschaft von den Naturwissenschaften. Diese arbeiten induktiv, und Naturgesetze beanspruchen Allgemeingültigkeit in dem Sinne, daß niemals ein ihrer Regel entgegenstehender Fall auftritt. Genau deshalb lassen sich Naturgesetze im Gegensatz zu Rechtssätzen experimentell widerlegen. Auch zu einem rechtlichen Gesetz gehört es indes begriffsnotwendig, eine allgemeine Vorschrift zu sein. Das Gesetz spricht nur nicht deskriptiv aus, daß es immer so ist , wie in der Rechtsfolge der Vorschrift vorgesehen, sondern daß es in jedem vom Tatbestand erfaßten Fall so sein soll. Die Situation ist also in gewisser Weise zu derjenigen von Naturgesetzen analog: Ein Naturgesetz macht eine über seinen Anwendungsbereich allquantifizierte deskriptive Aussage, ein rechtliches Gesetz eine durch seinen Tatbestand allquantifizierte präskriptive Aussage. Das Naturgesetz steht im System aller deskriptiven Aussagen über die (physikalische) Welt und ist widerlegt, wenn es in diesem System eine als wahr erkannte Aussage gibt, die ihm widerspricht. Das rechtliche Gesetz steht im System aller präskriptiven Aussagen über die (moralische 406 ) Welt und ist ebenso widerlegt, wenn es in diesem System eine wahre Aussage gibt, die ihm widerspricht. Das Problem dieser Analogie besteht jedoch darin, daß die Beobachtung ein recht gutes Kriterium für die Bestätigung einzelner Aussagen über die physikalische Welt ist, während die Beobachtung in der moralischen Welt keine unmittelbare Entsprechung hat (es sei denn, man postuliert einen der sinnlichen Wahrnehmung vergleichbaren 'moral sense' 407 ). c) Nach Immanuel Kant läßt sich diese Analogie dennoch weiter treiben: Analysiert man die Situation nicht mehr in der gerade verwendeten Begrifflichkeit der Betrachtung von außen, sondern vom einzelnen Subjekt her, ergibt sich folgendes: Ich kann eine angenommene, meine konkrete Situation betreffende Gesetzmäßigkeit nur dann selbstwiderspruchsfrei einer Prognose 406
Damit ist der alte, weite Begriff von ,moralisch' gemeint, der sich ganz allgemein auf menschliche Handlungen bezieht - unabhängig davon, ob sie gerade an rechtlichen, ethischen oder gar nicht an Normen gemessen werden und unabhängig davon, ob man sie gutheißt oder nicht. Mit der ,moralischen Welt' ist die Welt der (als frei gedachten) Handlungen gemeint. Sie steht der physikalischen, naturgesetzlich determinierten Welt gegenüber. Vgl. hierzu (mit etwas anderer Terminologie) auch Immanuel Kant , Kritik der praktischen Vernunft, 1788, 1. Teil, 1. Buch, 1. Hauptstück, I., S. 74 f. (AA Bd. V, S. 43, Z. 10 ff.). 407
Siehe dazu insbesondere Francis Hutcheson , An Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections with Illustrations on the Moral Sense, 1728, Treatise II, Sect. 1, S. 213-216.
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zugrunde legen, wenn ich keine Fälle kenne, die ihrer Verallgemeinerung zu einem Naturgesetz entgegenstehenden. Entsprechend kann ich nur nach einer solchen Maxime 4 0 8 selbstwiderspruchsfrei handeln, von der ich wollen kann, daß sie ein allgemeines Gesetz wird. „Der kategorische Imperativ ist also nur ein einziger und zwar dieser: handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde." 409
Kant hat also ein Negativ-Kriterium formuliert, anhand dessen sich nicht nur Modelle, sondern alle Prämissen einer rechtlichen Theorie überprüfen lassen und das dem experimentellen Falsifikationskriterium in der gerade dargestellten Weise entspricht. 410 Den in der Analogie zu den Naturgesetzen auftretenden Mangel einer Entsprechung für Beobachtungen hat er durch Einführen des „Wollen-Könnens" behoben. Ebenso wie das empirische Kriterium geht Kants Kriterium im Zeitpunkt des Setzens der Prämissen einer Theorie nicht über die Forderung nach Konsistenz mit allen übrigen Annahmen (je nach Theorie gehören hierzu auch alle bekannten Beobachtungen bzw. alle vorhandenen Rechtsüberzeugungen) hinaus. Aber aus vernünftigen Erwägungen4 kann sich zu einem späteren Zeitpunkt die Einsicht einstellen, daß eine Prämisse nicht zu halten ist, ähnlich wie dies in empirischen Wissenschaften auf Grund von Beobachtungen geschehen kann. 5. Ökonomische Natur der Theoriebildung, a) Ein Positiv-Kriterium für eine gelungene Theorie bzw. eine Zielsetzung für diejenigen, die am Aufbau wissenschaftlicher Theorien arbeiten, entwickelt 411 Ernst Mach: „Die Ökonomie der Mitteilung und Auffassung gehört zum Wesen der Wissenschaft, in ihr liegt das beruhigende, aufklärende und ästhetische Moment derselben f . . . ] . " 4 1 2 408
Zu diesem Begriff siehe im 2.Kapitel B. 2. c).
409
Immanuel Kant, Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 1785, 2. Abschnitt, S. 52 (AA Bd. IV, S.421,Z. 6-8). 410 Zu den hierfür bereits von anderen vor Kant geleisteten gedanklichen Vorarbeiten vgl. Joachim Hruschka, Universalization and Related Principles, ARSP Bd. 78 (1992), S. 289 ff. passim. 411
Damit ist die klare gedankliche Ausarbeitung gemeint, nicht die erstmalige Äußerung eines ähnlichen Gedankens. Mit der Prioritätsfrage beschäftigt sich Ernst Mach am Anfang seines Vortrags ,Über das Prinzip der Vergleichung in der Physik' von 1894 und hebt dort insbesondere Adam Smith hervor. (Vgl. dazu auch Ernst Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung, 1883, 4. Kapitel, 4. 10., S. 506 der 7. Aufl. von 1912, ferner Roland Müller, Zur Geschichte des Modelldenkens und des Modellbegriffs, in: Herbert Stachowiak (Hrsg.), Modelle - Konstruktionen der Wirklichkeit, 1983, 3.2, S. 64 ff.). 412 Ernst Mach, Die Mechanik in ihrer Entwicklung, 1883, Einleitung 6., S. 29 f. der 7. Aufl. von 1912.
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Mit Bezug auf die Naturwissenschaft schreibt er: „ D e n sparsamsten, e i n f a c h s t e n b e g r i f f l i c h e n chen e r k e n n t sie als i h r Z i e l . " 4 1 3
A u s d r u c k der Tatsa-
Seine These von der ökonomischen Natur des Ziels von Forschung und Theoriebildung leitet Mach folgendermaßen her: „Der Glaube an geheime Zaubermächte in der Natur ist allmählich geschwunden; dafür hat sich aber ein neuer Glaube verbreitet, jener an die Zaubergewalt der Wissenschaft, f...] Am besten werden die bescheidenen Anfänge der Wissenschaft uns deren einfaches, sich stets gleich bleibendes Wesen enthüllen. Halbbewußt und unwillkürlich erwirbt der Mensch seine ersten Naturerkenntnisse, indem er instinktiv die Tatsachen in Gedanken nachbildet und vorbildet, indem er die trägere Erfahrung durch den schnelleren beweglichen Gedanken ergänzt, zunächst nur zu seinem materiellen Vorteile. [...] Diese ersten psychischen Funktionen wurzeln in der Ökonomie des Organismus nicht minder fest als Bewegung und Verdauung. [...] Die wichtigsten Fortschritte haben sich stets ergeben, wenn es gelang, instinktiv längst Erkanntes in klare begriffliche, also mitteilbare Form zu bringen, und so dem bleibenden Eigentume der Menschheit hinzuzulegen. [...] Die wunderbarste Ökonomie der Mitteilung liegt in der Sprache. [...] Mosaikartig setzt die Sprache und das mit ihr in Wechselbeziehung stehende begriffliche Denken das Wichtigste fixierend, das Gleichgültige übersehend, die starren Bilder der flüssigen Welt zusammen, mit einem Opfer an Genauigkeit und Treue zwar, dafür aber mit Ersparnis an Mitteln und Arbeit. [...] Gesteigert ist natürlich die Ökonomie der Sprache in der wissenschaftlichen Terminologie. [...] Die wissenschaftliche Mitteilung enthält stets die Beschreibung d.i. die Nachbildung einer Erfahrung in Gedanken, welche Erfahrung ersetzen und demnach ersparen soll. [...] Am meisten ausgebildet ist die Gedankenökonomie in jener Wissenschaft, welche die höchste formelle Entwicklung hat, [...] in der Mathematik. So sonderbar es klingen mag, die Stärke der Mathematik beruht auf der Vermeidung aller unnötigen Gedanken, auf der größten Sparsamkeit der Denkoperationen, f...] So wie ein Mensch allein auf seine Arbeit angewiesen, niemals ein merkliches Vermögen sammeln würde, sondern die Ansammlung der Arbeit vieler Menschen in einer Hand die Bedingung von Reichtum und Macht ist, so kann auch in endlicher Zeit und bei endlicher Kraft nur durch ausgesuchte Sparsamkeit in Gedanken, durch Häufung der ökonomisch geordneten Erfahrung Tausender in einem Kopfe ein nennenswertes Wissen erlangt werden. So ist also alles, was Zauberei scheinen
413
Ernst Mach , Die ökonomische Natur der physikalischen Forschung, 1882, S. 238.
Dort heißt es einige Seiten zuvor: „Alle physikalischen Sätze und Begriffe sind gekürzte Anweisungen, die oft selbst wieder andere Anweisungen eingeschlossen enthalten, auf ökonomisch geordnete, zum Gebrauch bereit liegende Erfahrungen." (S. 234) Siehe hierzu und zum Verhältnis der Forderung nach ökonomischer Darstellung zum empirischen Falsifikationskriterium ferner Willard van Orman Quine, Word and Object, 1960, Chapter I, § 5, S. 19 f.
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könnte, wie es ja genügend oft im bürgerlichen Leben auch vorkommt, nichts als vortreffliche Wirtschaft." 414
Der Ausgangspunkt von Machs Überlegungen ist die Theoriebildung in der Physik, und mit Bezug auf sie formuliert er seine Resultate. 415 Doch sein Blick ist keineswegs nur auf die Physik oder andere Naturwissenschaften gerichtet. Er sagt ausdrücklich, daß „der S t o f f [seiner Ausführungen] allen Gebieten gemeinsam" 416 ist. Natürlich läßt sich diese Formulierung des Ziels wissenschaftlicher Theoriebildung nicht wörtlich in die Rechtswissenschaft übernehmen, denn die Begriffe ,Erfahrung' und ,Tatsachen' wären fehl am Platz. Die einfachste Erklärung der bisherigen Wahrnehmungen' kann kein Optimierungskriterium einer normativen Wissenschaft sein. Die einfachste Formulierung einer rechtlichen Theorie' hingegen ist ein handfestes Kriterium, um unter äquivalenten Theorien eine optimale herauszufinden. Der von Mach als vorgegeben vorausgesetzten Tatsachenlage kann in einer normativen Wissenschaft nur eine fixierte Prämissenmenge entsprechen. Letztere ist nach dem Kriterium durch Umformulierung der Prämissen in eine Form zu bringen, in der die Menge der von den Prämissen implizierten Aussagen gleich bleibt, die sprachliche Darstellung der Theorie aber eine einfachst mögliche Vermittlung ihrer Inhalte an Personen, welche die Theorie noch nicht kennen, und eine einfachst mögliche Anwendung erlaubt. 417 Nachdem die Ausgestaltung der Modelle einer Theorie die zentrale Rolle für die Einfachheit ihrer sprachlichen Darstellung spielt, ist dies vornehmlich ein Kriterium für die Qualität der zu dieser Theorie gehörenden Modelle, d.h. für die Frage, wie die Prämissen durch Gruppierung in Modellen strukturiert werden. b) Die ,Übernahme' dieser Idee in die Rechtswissenschaft bedeutet nicht - das sei mit aller Deutlichkeit gesagt - , einen für die Rechtswissenschaft ganz neuen Gedanken in sie einzuführen. Mach hat etwas ausgesprochen, das den Theoretikern der Rechtswissenschaft längst halbwegs, aber eben auch nur halbwegs bewußt war. Dieses Bewußtsein war bei ihnen noch nicht zu vergleichbarer gedanklicher Klarheit gediehen. 418 Die Machsche Idee in die 414
Ernst Mach , Die ökonomische Natur der physikalischen Forschung, 1882, S. 220229 (Hervorhebungen im Original). 415 Vgl. dazu insbesondere Ernst Mach , Die Mechanik in ihrer Entwicklung, 1883, 4. Kapitel 4., S. 494 ff. der 7. Aufl. von 1912, mit weiteren Nachweisen. 416
Ernst Mach , Die ökonomische Natur der physikalischen Forschung, 1882, S. 220.
417
Vgl. hierzu auch bereits das „Gesetz der juristischen Schönheit" von Rudolph von Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil II/2, § 41 Die juristische Construction und ihre Gesetze 3., S. 379-383 der 4. Aufl. 1883. 418 Siehe dazu bei Rudolph von Jhering, Geist des römischen Rechts, Teil II/2, § 38 ,,[d]ie quantitative Vereinfachung" (1. Aufl. 1858: S. 342, 4. Aufl. 1883: S. 329) und
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Rechtswissenschaft zu übernehmen bedeutet aber dennoch nur, diese Klärung zu übertragen bzw. - soweit die Vorstellung in der Rechtswissenschaft in der Folgezeit verschüttet wurde (weil die meisten ihrer Wissenschaftler immer weniger an die Entwicklung umfassender Theorien dachten) - die Idee zu 419
reimportieren. c) In Abschnitt A. wurde dargestellt, daß rechtliche Sätze ihren Typ ändern können, sich Modelle zusammenfassen und trennen lassen etc. Die dortigen Beispiele belegen, daß derartige Übergänge in jedweder Richtung einen Fortschritt bedeuten können. Die Einsicht in die ökonomische Natur der Theoriebildung' liefert dafür nun eine allgemeine Begründung: Selbst wenn mit einem Übergang keine Änderung der Resultate der Theorie verbunden ist, also keine außerhalb der Theorie stehenden (in der Motivation der Prämissen relevanten) Gründe für einen solchen Übergang sprechen, ist er jedenfalls immer dann vorteilhaft, wenn er eine einfachere Darstellung der Theorie ermöglicht. d) Willard van Orman Quine stellt neben das Prinzip der Darstellungsökonomie zwei weitere Prinzipien, das der , familiarity of principle "42° und des „sufficient reason" 421. Mit ihnen ist gemeint, daß bekannte Prinzipien gegenüber neuen bevorzugt werden und daß für Änderungen einer vorhandenen Theorie - insbesondere für das Einführen neuer Gegenstände - hinreichende Gründe bestehen müssen. Sie sind eher als Hinweis auf wichtige Ausformungen des Ökonomieprinzips gedacht, denn als eigenständige Prinzipien. Beide Gründe sind von Quine - wie auch das Prinzip der Darstellungsökonomie selbst - bewußt unscharf gehalten. 6. Unbeweisbarkeit von Modellen . Ebensowenig wie ein konsistentes Modell logisch widerlegt werden kann, läßt es sich verifizieren, und zwar aus denselben Gründen. „das Gesetz der Sparsamkeit" (1. Aufl.: ebendort, 4. Aufl.: S. 330), wo bereits ausdrücklich davon gesprochen wird, „mit dem Material zu Ökonomisiren", vor allem aber „[dlie qualitative Vereinfachung des Rechts" (1. Aufl.: S. 345 ff., 4. Aufl.: S. 333) sowie „die logische Concentration" (§40, l.Aufl.: S. 379-384, 4. Aufl.: S. 352-357). Zur ,Ökonomisierung' vgl. ferner Teil I § 4, 1. Aufl. 1852: S. 44 f., 5. Aufl. 1891: S. 53 sowie Teil III § 55 (1. Aufl. 1865: S. 195 ff., 4. Aufl. 1888: S. 207 ff.), vor allem aber §56, 1. Aufl.: S. 229-234, 4. Aufl.: S. 242-247, wo Jhering von „juristischer Oekonomie" spricht. „Die juristische Oekonomie" ist außerdem der Titel des 2. Buchs 1. Abschnitt III. B. (3) II. (§§ 56-58). 419
Entsprechendes dürfte im übrigen für das gesamte Modellkonzept gelten. Dies im einzelnen nachzuweisen würde jedoch den Rahmen der vorliegenden Untersuchung sprengen. 420
Word and Object, 1960, Chapter I, § 5, S. 20.
421
Word and Object, 1960, Chapter I, § 5, S. 21 sowie § 6 S. 21 ff.
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Mit dem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit sind landläufig Vorstellungen von Richtigkeit verbunden. Der Aufwand wissenschaftlich-methodischen Vorgehens wurde lange damit gerechtfertigt, daß die Methode verläßliche Ergebnisse verbürge. In einem umfassenden Sinne verläßlich können die Ergebnisse aber nur sein, wenn es ein Verifikationskriterium gibt, mit dessen Hilfe sich Theorien insgesamt, d.h. vor allem auch ihre Prämissen, bestätigen lassen. Die induktiv arbeitenden Naturwissenschaften verfügen tatsächlich über ein Kriterium zum Test ihrer Theorien: den Versuch. Dieses Testes wegen sind sie empirische Wissenschaften. Der Test ist aber - wie Karl Popper be422 tonte - kein Verifikationskriterium, Wir können niemals eine auf Naturgesetzen beruhende Prognose anders bestätigen als im Nachhinein durch die Wahrnehmung des prognostizierten Ereignisses. Naturgesetze selbst sind eine allgemeine Form von Prognosen. Sie zu verifizieren hieße, alle auf diese Gesetze zu stützenden Prognosen im voraus zu bestätigen. Naturgesetze lassen sich durch Versuche nicht verifizieren, sondern nur falsifizieren. Widerspricht der Ausgang eines Versuchs einer auf das zu überprüfende Naturgesetz zu stützenden Prognose, so ist das Naturgesetz falsch. Das ist das einzige sichere Resultat, das auf Empirie gestützt werden kann. Einen im Sinne logischer Allgemeingültigkeit sicheren induktiven Schluß gibt es hingegen nicht. Hypothesen, denen bislang keine Erfahrung widerspricht, sind unwiderlegt. Hypothesen, die systematisch entwickelten und häufig wiederholten Versuchen standhalten, kann man als gut bestätigt ansehen. Beispielsweise ist es sicher ratsam, dem herabfallenden Ziegel auszuweichen, auch wenn sich das newtonsche Fallgesetz aus prinzipiellen Gründen nicht verifizieren läßt. Aber eine weitergehende Bestätigung kann eine Hypothese über ein empirisches Gesetz der Außenwelt prinzipiell nicht erfahren. Auch wenn sich die Modelle und die übrigen Prämissen einer rechtlichen Theorie letztlich nicht belegen, sondern nur mehr oder minder gut motivieren und durch plausible Konsequenzen mehr oder minder gut bestätigen lassen, stehen rechtliche Theorien ihren naturwissenschaftlichen Schwestern hierin also nicht nach.
422 Siehe dazu oben Fn. 353. Moritz Schlick will diesen Befund sogar bereits in der Bedeutung von Sätzen berücksichtigen, die ein Naturgesetz ausdrücken. Das hat aber Konsequenzen für den Aussagecharakter dieser Sätze: „Es ist ja oft bemerkt worden, daß man von einer absoluten Verifikation eines Gesetzes eigentlich nie sprechen kann, da wir sozusagen stets stillschweigend den Vorbehalt machen, es auf Grund späterer Erfahrung modifizieren zu dürfen. Wenn ich nebenbei ein paar Worte über die logische Situation sagen darf, so bedeutet der eben erwähnte Umstand, daß ein Naturgesetz im Grunde auch nicht den logischen Charakter einer , Aussage' trägt, sondern vielmehr eine , Anweisung zur Bildung von Aussagen' darstellt." (Die Kausalität in der gegenwärtigen Physik, Die Naturwissenschaften, 19. Jg. (1931), S. 151, unter Hinweis auf Ludwig Wittgenstein).
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Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
C. Fundamentale Modelle aller rechtlichen Theorien Es gibt Modelle, die - in ihrer konkreten Ausgestaltung jeweils variiert jeder rechtlichen Theorie, Jedem Recht' zugrunde liegen. Daß dem so ist, wird schon aus Äußerungen wie der von Jhering, „die wahren Juristen aller Orten und aller Z e i t e n reden dieselbe Sprache", 4 2 3 plausibel. Die folgenden Überlegungen belegen die Existenz solcher - hier als fundamental bezeichneter - Modelle durch einige Beispiele. Weil Modelle spezielle Gegenstände verfassen und die einzigen notwendigerweise in jeder rechtlichen Theorie betrachteten speziellen Gegenstände Handlungen sind, 424 werden die fundamentalen Modelle rechtlicher Theorien immer auf irgendeine Weise Handlungen erfassen. Zu diesem Zweck sind zunächst diejenigen zu modellieren, die handeln und zugleich den Normen des geltenden Rechts unterworfen werden, nämlich die Rechtssubjekte. Im nächsten Schritt sind diese Rechtssubjekte zur Außenwelt und zu ihresgleichen in Beziehung zu setzen, ihnen insbesondere Handlungen zuzurechnen. Daraus ergeben sich die allen rechtlichen Theorien gemeinsamen Modelle der (sprachlichen) Objektebene des Rechts. Die letzteren Modelle beziehen sich natürlich ihrerseits auf Modelle der Außenwelt, doch diese werden von der Rechtswissenschaft weitgehend aus anderen Wissenschaften oder der Alltagssprache übernommen und erfassen je nach behandeltem Rechtsgebiet ganz unterschiedliche Dinge. Zu den Modellen der rechtssprachlichen Objektebene treten allgemeine Modelle auf Metaebenen hinzu. Sie betreffen einerseits die Strukturierung von rechtlichen Normgefügen (und damit den Aufbau rechtlicher Theorien), andererseits die zur Anwendung derselben erforderlichen methodischen Konzepte.
I. Rechtssubjekte Alles, was Recht über Handlungen aussagt, ist an Rechtssubjekte geknüpft. Dasselbe gilt für alle durch Recht hergestellten Beziehungen. Die Eigenschaft, als Rechtssubjekt verfaßt zu sein, entscheidet darüber, zur Rechtsgemeinschaft zu gehören oder nicht. In diesem Sinne sind Rechtssubjekte Ausgangspunkt jeder rechtlichen Theorie. Da sie jeder rechtlichen Theorie zugrunde liegen, nehmen sie auch den Rechtsobjekten gegenüber eine herausgehobene Stellung ein. Man kann sich rechtliche Theorien vorstellen, die nichts über Rechtsobjekte aussagen. Eine rechtliche Theorie z.B., die 423 Rudolph von Jhering , Geist des römischen Rechts, Teil II/2, §37, S. 315 der 4. Aufl. von 1883 (auch im Original hervorgehoben). 424
Vgl. im 1.Kapitel C. 3.
C. I. Rechtssubjekte
205
nur den einen Rechtssatz enthält „Handle so, daß Deine Willkür mit der Willkür eines jeden andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann.", 425 enthielte keine Referenz auf Rechtsobjekte. 4 2 6 Eine rechtliche Theorie ohne Rechtssubjekte aber kann es nicht geben. /. Rechtssubjekte und äußere Wirklichkeit. Rechtssubjekte gibt es ausschließlich im Recht. Insbesondere ist kein Rechtssubjekt im eigentlichen Sinne ein Mensch, denn Menschen gehören nur zur äußeren Wirklichkeit. Wir ordnen heute jedem Menschen ein Rechtssubjekt zu und identifizieren oftmals einen Menschen mit seinem zugehörigen Rechtssubjekt. Aber das ist eine erst im Zuge der rechtlichen Theoriebildung hergestellte Relation. Rechtssubjekte werden für die rechtliche Anknüpfung konzeptionell verfaßt. Man kann das Konzept,Rechtssubjekt' daher als Modell, und zwar als grundlegendes Modell aller rechtlicher Theorien ansehen. Daß jeder Mensch in dieser Weise modelliert wird, gehört zu den Zuordnungssätzen unserer heutigen rechtlichen Theorien. Dieser Zuordnungssatz war nicht immer selbstverständlich; es gab Rechtsordnungen, in denen z.B. nur die Zugehörigen eines bestimmten Volkes oder nur ,freie Bürger' als Rechtssubjekt verfaßt wurden. Auch heute ist uns dieser Zuordnungssatz noch so bemerkenswert, daß immerhin § 1 BGB ihn ausdrückt. Von den konstruktiven Möglichkeiten, die darin begründet sind, daß es sich beim Rechtssubjekt um ein Modell handelt und Zuordnungssätze für die Belegung dieses Modells erforderlich sind, machen wir regen Gebrauch: Wir kennen keineswegs nur natürliche Personen als Rechtssubjekte, sondern konstruieren auch verschiedene juristische Personen und zählen sie zu den Rechtssubjekten. Diese Rechtssubjekte verfassen dann jeweils eine wesentlich komplexere soziale Realität als nur einzelne Menschen. 2. Teile des Modells. In unserem geltenden Recht sieht das Modell des Rechtssubjekts nicht nur diesen einen Begriff, sondern auch einige Eigenschaften vor: Neben der Unterscheidung verschiedener Arten von Rechtssubjekten kennen wir unterschiedliche Geschäfts-, Prozeß- und Deliktsfähigkeiten bzw. diverse rechtliche Handlungsfähigkeiten und Grade an Rechtsfähigkeit. Eine deutsche GmbH ist z.B. nicht testierfähig, natürliche Personen können sich nicht teilen. An diese Eigenschaften knüpfen zahlreiche Vor425 Dies ist die zur Verhaltensregel abgeänderte kantische Charakterisierung des Rechts von Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797, Einleitung in die Rechtslehre § B, S. 33 (AA Bd. VI, S. 230, Z. 24-26). 426
In der kantischen Theorie ist das freilich - insbesondere ausweislich des rechtlichen Postulats der praktischen Vernunft, Immanuel Kant, Die Metaphysik der Sitten, 1797, 1. Teil, 1. Hauptstück, § 2, S. 56 (AA Bd. VI, S. 246, Z. 5-6) - nicht der Fall.
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Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
Schriften implizit an, denn ihr Vorliegen oder NichtVorliegen besagt jeweils, ob eine bestimmte Gruppe von Vorschriften auf das jeweilige Rechtssubjekt (prinzipiell) anwendbar ist. Vorschriften, in denen es um einen Testator geht, beziehen sich mit diesem Begriff in unserem geltenden Recht z.B. prinzipiell nicht auf juristische Personen, sondern nur auf testierfähige Rechtssubjekte. Die Regel „Nur natürliche Personen sind testierfähig." 427 ist ein Beispiel für einen Satz, der ausschließlich an das Modell des Rechtssubjekts anknüpft, d.h. nur Teile dieses Modells zueinander in Beziehung setzt. 3. Rechtssubjekte und Staat. Hier läßt sich am Rande eine Konsequenz des bisherigen Befundes für die recht verbreitete Vorstellung, Grundrechte würden in der Verfassung erst durch den Staat gewährt, bemerken: Weil jede rechtliche Theorie an Rechtssubjekte anknüpfen muß, kann es auch keine rechtliche Theorie mit Staatsbegründung geben, in der die Rechtssubjekte nicht bereits in Modellen verfaßt sind. Insbesondere kann es keine gesellschafts- und staatsvertragliche Konstruktion des Staates geben, die nicht bereits konstituierte Rechtssubjekte voraussetzt. Man kann auf spezielle rechtliche Materien außer der Staatsbegründung beschränkte Theorien aufstellen, welche das Modell der Rechtssubjekte übernehmen, das zum Grundgesetz gehört. Dieses Modell kann sich jeder, der die Theorie ausarbeitet, als staatlich gewollt vorstellen. Aber jede rechtliche Theorie, die eine Staatsbegründung umfaßt, muß Rechtssubjekte vorsehen, deren Konstitution, d.h. deren Modell, vom Staat unabhängig ist. Das bedeutet, daß nach jeder allgemeinen, sachlich nicht auf einzelne rechtliche Problemstellungen beschränkten rechtlichen Theorie die Freiheiten, die für diese Rechtssubjekte konstitutiv sind, nicht staatlich gewährt, sondern nur staatlich anerkannt werden können.
I I . Zurechnung Bei den bisher betrachteten Teilen des Rechtssubjektsmodells ging es nur um einzelne Rechtssubjekte und ihre jeweils unterschiedlichen Eigenschaften. Das Modell sah bislang weder Beziehungen zwischen Rechtssubjekten untereinander noch Beziehungen von Rechtssubjekten zur Außenwelt vor. Diese Beziehungen müssen aber in den fundamentalen Modellen rechtlicher Theorien erfaßt werden. Es geht im Recht nur um Handlungen, die auch andere Rechtssubjekte betreffen können, und das setzt immer irgendeinen äußeren Vorgang im Zusammenhang mit mindestens zwei Rechtssubjekten voraus.
427 Vgl. § 2229 sowie §§ 1922, 2064 BGB und Wolfgang 65. Aufl. 2006, § 1922 Rn. 2.
Edenhofer
in: Palandt,
C. II. Zurechnung
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Zunächst bedarf die Bemerkung, die Beziehung der Rechtssubjekte zur Außenwelt wäre noch nicht im Modell erfaßt, einer Erläuterung. Schließlich wurden Zuordnungssätze für das Rechtssubjektsmodell, nach denen Teile der Außenwelt Begriffen des Modells zuzuordnen sind, bereits behandelt, als es unter anderem darum ging, daß wir heute jeden Menschen mit einem Rechtssubjekt identifizieren. Eine solche Zuordnung stellt aber nur die Verbindung zwischen Modell und Modelliertem her. Sie bietet keine Begrifflichkeit, in der eine rechtliche Theorie Aussagen mit Bezug auf das Verhältnis zwischen Rechtssubjekten und der Außenwelt machen kann. Wenn die Beziehungen zwischen Rechtssubjekt und Außenwelt in einer rechtlichen Theorie faßbar werden sollen, sind sie ihrerseits erst einmal zu modellieren. Das können Zuordnungssätze gerade nicht leisten. Deshalb bedarf das bisherige (Rechtssubjekts-)Modell der Erweiterung. /. Rechtssubjekt und Außenwelt, a) Rechtliche Theorien gehen davon aus, daß Rechtssubjekt und Außenwelt einander wechselseitig beeinflussen. Einerseits wirkt das Rechtssubjekt durch seine Handlungen auf die Außenwelt ein. Andererseits erkennt es jeweils verschiedene Zustände der Außenwelt (mehr oder minder zutreffend) und macht sich eine Vorstellung von der Lage der Dinge. Beides läßt sich prinzipiell nicht durch Gesetzmäßigkeiten innerhalb der Außenwelt beschreiben (und zwar unabhängig davon nicht, ob man letztlich an die Freiheit der Handlungen glaubt und was man darunter genau verstehen will), denn die Rechtssubjekte gehören nicht zur Außenwelt; sie sind gedankliche Konstrukte zum Zwecke der rechtlichen Theoriebildung. Wenn also von einem Rechtssubjekt gesagt werden soll, es habe ein bestimmtes Ereignis in der Außenwelt bewirkt bzw. nicht bewirkt oder es habe einen bestimmten Zustand gekannt bzw. nicht gekannt, muß unser Modell das Rechtssubjekt und das Ereignis bzw. den Zustand erfassen und eine Verursachungsbzw. Kenntnisbeziehung vorsehen. Das Recht kann dabei nur für das Ereignis bzw. den Zustand Modelle der Naturwissenschaften mitverwenden. Alle anderen Teile des Modells sind den normativen Theorien spezifisch. Das so erweiterte Modell ist das Zurechnungsmodell erster Stufe. In ihm werden den Rechtssubjekten Handlungen und gegebenenfalls Erfolge sowie Kenntnisse zugerechnet. Die Regeln, nach denen diese Zurechnung erfolgt, d.h. die Beziehungen zur Außenwelt hergestellt werden, heißen Zurechnungsregeln. Nachdem die Beziehungen selbst zum Modell gehören, handelt es sich bei den ,konkreten Zurechnungsnormen' - womit diejenigen gemeint sind, die unmittelbar den Außenweltbezug herstellen - stets um Zuordnungssätze. Freilich sind bereits recht weit entwickelte Zurechnungsmodelle bekannt, 428 in denen ehemals konkrete Zurechnungsnormen zu modellbezogenen Sätzen fortentwickelt wurden.
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Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
Diese ,abstrakten Zurechnungsnormen 4 haben dadurch schon den Status von Modellsätzen erlangt. Zu ihnen gehört in unserem geltenden Strafrecht z.B. die ungeschriebene Regel, daß ein Vorgang nur dann als Handlung (als Tun oder als Unterlassen) zugerechnet werden kann, wenn er für das betreffende Rechtssubjekt in der fraglichen Situation auch vermeidbar gewesen wäre (d.h. das Rechtssubjekt sich bzgl. dieses Vorgangs nicht in einer necessitas absoluta befand) oder das Rechtssubjekt seine Unfähigkeit zur Vermeidung des Vorgangs selbst zu verantworten hat (actio libera in causa). 429 Diese Regel zeigt auch gleich eine häufig auftretende Zweigliedrigkeit von Zurechnungsregeln: 430 In ihrer ersten Alternative macht sie eine ganz gewöhnliche Voraussetzung, in ihrer zweiten knüpft sie an eine Verantwortlichkeit für das Nichtvorliegen dieser Voraussetzung an. Man spricht von ordentlicher Zurechnung, wenn die gewöhnlichen Voraussetzungen nach Art der ersten Alternative in den jeweils einschlägigen Zurechnungsregeln vorliegen (und deshalb zugerechnet wird), und von außerordentlicher Zurechnung , wenn die Zurechnung nur auf Grund einer Ausnahme nach Art der zweiten Alternative erfolgt. b) Neben den Zurechnungsregeln kann eine rechtliche Theorie auch Sätze über das Verhältnis verschiedener Zurechnungsurteile enthalten, die zu den Aussagen dieser Theorie gehören. Eine solche ist § 8 S. 1 des österreichischen Strafgesetzbuchs (Irrtümliche Annahme eines rechtfertigenden Sachverhaltes): „Wer irrtümlich einen Sachverhalt annimmt, der die Rechtswidrigkeit der Tat ausschließen würde, kann wegen vorsätzlicher Begehung nicht bestraft werden." Falls dem Rechtssubjekt bzgl. Umständen, die insgesamt einen Rechtfertigungstatbestand erfüllen, (fehlerhafte!) Kenntnis zuzurechnen ist, so kann seine Strafbarkeit nach dieser Regel nicht an eine ordentlich zurechenbare Handlung geknüpft werden. Diese Norm sagt nichts explizit über 428
Vgl. zur Entwicklung der Zurechnungslehre im 17. und 18. Jahrhundert Joachim Hruschka, Zurechnung und Notstand, Begriffsanalysen von Pufendorf bis Daries, in: Jan Schröder (Hrsg.), Entwicklung der Methodenlehre in Rechtswissenschaft und Philosophie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, 1998, S. 165 ff. (II.) mit weiteren Nachweisen. 429 Zu dieser Regel und insbesondere zur Verwendung des Begriffs der , actio libera in causa' im Zusammenhang mit der Handlungsqualität eines Vorgangs (zusätzlich zu der auch heute noch allgemein bekannten Verwendung im Zusammenhang mit einer Schuldzurechnung) vgl. Joachim Hruschka , Ordentliche und außerordentliche Zurechnung bei Pufendorf, ZStW Bd. 96 (1984), S. 667 ff. (III.) ferner derselbe , Die actio libera in causa - speziell bei § 20 StGB, mit zwei Vorschlägen für die Gesetzgebung, JZ 1996, insbesondere S. 66. sowie derselbe , Der Einfluß des Aristoteles und der Aristoteles-Rezeptionen auf die Bildung heutiger Rechtsbegriffe am Beispiel der „actio libera in causa", in: Festschrift für Christoph Link zum 70. Geburtstag, 2003, insbesondere S. 704. 430
Insbesondere ist jede der beiden hier erläuterten Zurechnungsstufen (Zurechnung als Handlung und Zurechnung als Erfolg bzw. des Erfolges zur Schuld) ihrerseits in diesem Sinne zweigliedrig.
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die Zurechenbarkeit und ist deshalb keine Zurechnungsregel. Sie sagt aber etwas über das Verhältnis zweier denkbarer Zurechnungen und sperrt die weitere Anknüpfung an eines dieser Zurechnungsurteile. c) Nicht alle Normen des geltenden Rechts sind so formuliert, daß sie sich eindeutig den Zurechnungsnormen oder den rechtlichen Aussagen zuordnen lassen. § 16 Abs. 1 StGB läßt sich z.B. nach seinem Wortlaut „handelt nicht vorsätzlich" so verstehen, daß er ein als Handlung zurechenbares Verhalten des Täters voraussetzt und im Falle mangelnder Kenntnis des Täters von deliktstatbestandlich relevanten Umständen dieser Handlung das Prädikat „nicht vorsätzlich" verleiht, sie also den Folgen des § 15 StGB unterwirft. § 16 Abs. 1 StGB läßt sich aber auch als die folgende Zurechnungsregel verstehen, die § 15 StGB gleich beinhaltet: Kann einem Rechtssubjekt bzgl. eines Merkmals, das zum gesetzlichen Tatbestand gehört, die nötige Kenntnis (der dieses Merkmal erfüllenden Umstände) nicht ordentlich zugerechnet werden („nicht kennt"), so ist ihm auch das nach diesem Tatbestand zu beurteilende Verhalten nicht ordentlich als Handlung zurechenbar („handelt nicht vorsätzlich"); gegebenenfalls ist die Kenntnis aber außerordentlich zurechenbar, und dann kann auch die Handlung außerordentlich zugerechnet werden (fahrlässige Tat). Während die Diktion des StGB insgesamt das erstgenannte Verständnis nahelegt, entspräche ein Verständnis der Vorschriften im zweiten Sinne der Tradition, die zwei Ausschlußgründe für die ordentliche Zurechnung eines Vorgangs als Handlung kennt: Das Vorliegen einer necessitas absoluta sowie das Vorliegen einer ignorantia facti. 431 Den ersten Grund drückt die oben angegebene, im heutigen deutschen Strafrecht sicherlich gültige Regel aus. Den zweiten Grund drückt § 16 Abs. 1 StGB aus, wenn er als die angegebene Zurechnungsregel verstanden wird. Das dem erstgenannten Verständnis von § 16 Abs. 1 StGB zugrundeliegende Zurechnungsmodell kann (muß aber nicht) einen weiteren Handlungsbegriff zur Verfügung stellen als Zurechnungsmodelle von Theorien der zweiten Art dies können: In letzteren muß jede Handlung entweder vorsätzlich (bzgl. der nötigen Kenntnis ordentlich als Handlung zurechenbar) oder fahrlässig (bzgl. der nötigen Kenntnis außerordentlich als Handlung zurechenbar) sein. Theorien der ersten Art können z.B. auch Handlungen vorsehen, deren Umstände für den Täter überhaupt nicht erkennbar waren. 432 In Zurechnungsmodellen mit engerem Handlungsbegriff birgt die Zurechenbar431 Joachim Hruschka, Verhaltensregeln und Zurechnungsregeln, Rechtstheorie Bd. 22 (1991), S. 454 ff. 432
Sie können auch denselben engen Handlungsbegriff verwenden. In diesem Fall ist es möglich, daß sie sowohl die genannte rechtliche Aussage als auch die Zurechnungsregel enthalten. Die geschilderten unterschiedlichen Interpretationen des § 16 Abs. 1 StGB stehen deshalb nicht unbedingt zueinander im Widerspruch.
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Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
keit eines Vorgangs als Handlung mehr Information und ermöglicht daher knappere, prägnantere Rechtssätze. Das ist der Vorteil von Theorien der zweiten Art. Der weitere Handlungsbegriff hingegen ermöglicht, gerade weil er selbst viel weniger leistet, eine stärkere Ausdifferenzierung durch die Rechtssätze, und setzt eine Theorie der ersten Art voraus. Um die Frage, wie das geltende deutsche Strafrecht richtig zu interpretieren ist, so daß die Interpretation der Vorschrift insbesondere zu seinen übrigen Vorschriften paßt, geht es hier nicht. Wichtig ist allein, daß sich sowohl rechtliche Theorien denken lassen, die einen dem erstgenannten Verständnis entsprechenden Rechtssatz enthalten, als auch solche mit der genannten Zurechnungsregel, und daß sowohl ein enger als auch ein weiter Handlungsbegriff unter Umständen vorteilhaft sein kann. d) Das hier skizzierte fundamentale Zurechnungsmodell erster Stufe liegt in irgendeiner Spielart jeder rechtlichen Theorie zugrunde. 433 Wie schon das Rechtssubjektsmodell ist auch dieses Modell erheblicher Erweiterungen fähig, die aber nicht notwendig in jeder rechtlichen Theorie enthalten sind. Zu ihnen gehört die Zurechnung fremder Handlungen oder - noch weiter - fremden Verhaltens als Handlung einer anderen Person, wie dies etwa unsere gegenwärtigen Vorschriften über die mittelbare Täterschaft, die Mittäterschaft, die Stellvertretung oder die Vertretung einer Gesellschaft durch eines ihrer Organe vorsehen. An letzterem Beispiel sieht man auch, daß die Erweiterungen des Rechtssubjektsmodells und des Zurechnungsmodells nicht voneinander unabhängig sein können: Gibt es in einer rechtlichen Theorie juristische Personen als Rechtssubjekte, muß die Theorie in ihrem Zurechnungsmodell zumindest für diese Personen auch die Zurechenbarkeit fremden Verhaltens vorsehen. Entsprechend läßt sich das Zurechnungsmodell um die Möglichkeit der Zurechnung fremder Kenntnisse erweitern, wie dies in unserem geltenden Recht z.B. in bestimmten Fällen für Kenntnisse von Stellvertretern und Gesellschaftsorganen der Fall ist. e) Das Zurechnungsmodell stellt eine recht abstrakte Begrifflichkeit zur Verfügung. Die wenigsten Rechtssätze werden die Begriffe in dieser Abstraktheit verwenden. So ist es z.B. auch im Tatstrafrecht wenig geschickt, mit der allgemeinen Frage zu beginnen, ob ein potentieller Täter (irgendwie) gehandelt hat. Es gibt in jeder realen Situation unzählige Vorgänge. Niemand könnte sie alle auf ihre Zurechenbarkeit als Handlung hin untersuchen. Es ist
433
Ein Beispiel dafür, wie sich dieser Umstand zur Analyse von Normgefügen nutzbar machen läßt, ist Joachim Hruschka, Das Opferverhalten als Schlüssel zum System der Sachentziehungsdelikte, JRE Bd. 2 (1994), S. 180 ff. (II. f).
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immer nach einer speziellen Handlung fragen, etwa einer Wegnahme oder einer Verteidigung. Die Belegung des Zurechnungsmodells wird man daher praktisch nicht nur nach den Zuordnungssätzen vornehmen, sondern darüber hinaus danach einschränken, welche Belegungen im Hinblick auf die anzuwendende Norm überhaupt interessieren können. Wenn hier das Zurechnungsmodell losgelöst von den Normen, die es verwenden, charakterisiert wird, soll das keineswegs darüber hinwegtäuschen, daß die Beurteilung eines Falles auf Grundlage einer konkreten rechtlichen Theorie keineswegs in abstrakter Weise mit diesem Modell arbeiten wird, sondern Modellbelegungen immer nur ausgehend von einer konkreten Norm in Betracht zieht. f) Außer der Zurechnung von Kenntnissen und Handlungen ist oft von Erfolgszurechnung sowie Risiko-, Schadens- und Haftungszurechnung die Rede. Diese gehören nicht zum fundamentalen Zurechnungsmodell, denn nicht jede rechtliche Theorie muß auf ihnen aufbauen. Sie zeigen aber die Erweiterungsfähigkeit des Modells. Bei der Zurechnung von Erfolgen kann es zunächst einmal darum gehen, Ereignisse, die einer zugerechneten Handlung nachfolgen und in irgendeiner näher anzugebenden Weise auf ihr beruhen, dem handelnden Rechtssubjekt ebenfalls zuzuschreiben. Die Erfolgszurechnung spielt oft gleichzeitig mit der Handlungszurechnung eine Rolle, denn vielfach werden Handlungen in gesetzlichen Tatbeständen gerade durch die eintretenden Folgen beschrieben (in §212 StGB z.B. „Wer ... tötet ..."). Dann ist die Zurechenbarkeit eines als tatbestandliche Handlung in Betracht gezogenen Ereignisses allein nach dieser Vorschrift nur insoweit interessant, als sie auch die Zurechnung eines entsprechenden Erfolges trägt. (Freilich kann durch andere Vorschriften, - etwa die Anordnung einer Versuchsstrafbarkeit - das Blickfeld wieder geweitet werden.) Die Zurechnung von Erfolgen kann aber auch andere Ausgangspunkte nehmen als Handlungen, z.B. wenn einem Hauseigentümer Verletzungen auf Grund herabfallender Dachziegel selbst dann zugerechnet werden, wenn er das Haus gerade erst geerbt hat und bislang noch nicht darauf einwirken konnte. Bei den übrigen genannten Zurechnungsgegenständen ist für jede rechtliche Theorie, in der die Bezeichnung fällt, zu klären, ob es sich wirklich um Zurechnungen handelt (d.h. ob ein ausgearbeitetes Modell zugrundegelegt und tatbestandlich verwendet wird) oder ob die Sprechweise von einer Zurechnung bloße fa$on de parier ist, mit welcher der Sprecher lediglich Rechtsfolgen bezeichnet. Insbesondere dürfte die Feststellung, daß eine bestimmte Person haftet, i.a. gleichbedeutend sein mit der Aussage, für diese Person bestehe eine Handlungspflicht (zur Zahlung). Diesen rechtlichen Zustand seinerseits besonders zu modellieren, dürfte in den wenigsten Fällen sinnvoll sein.
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Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
g) Eine weitere rechtliche Zuordnung, die das Verhältnis von Rechtssubjekt und Außenwelt betrifft und in den meisten rechtlichen Theorien (wenn auch nicht notwendig in allen) vorkommen wird, ist die Zuordnung von Rechtsobjekten zu Rechtssubjekten. In den verschiedenen Rechtsordnungen finden sich dazu im Detail durchaus divergierende Modelle. Im gegenwärtigen deutschen Recht spielt die Zuordnung von Eigentum, Besitz, Gewahrsam, Vermögen und Einkünften eine wichtige Rolle. Namentlich die ersten beiden Zuordnungen arbeiten mit hoch entwickelten Modellen, was auch in der Bezeichnung als ,Rechtsinstitut' zum Ausdruck kommt. Möchte man eine einheitliche Begrifflichkeit, kann man auch diese Zuordnungen als Zurechnung bezeichnen. 2. Rechtssubjekte untereinander. Das Modell für die bisher betrachtete Zurechnung modelliert grundsätzlich nur das Verhältnis eines Subjekts zur Außenwelt. Es kann zwar erweitert werden, so daß es mehrere Subjekte erfaßt und z.B. die gegenseitige Zurechnung von Handlungen zweier Subjekte auf Grund von Mittäterschaft vorsieht. Auch solche Mehr-Subjekt-Erweiterungen modellieren aber noch nicht das Verhältnis der Subjekte zueinander, sondern nur das Verhältnis der jeweiligen Subjekte zur Außenwelt. Das Verhältnis der Rechtssubjekte zueinander wird erst auf einer zweiten Zurechnungsstufe erfaßt. Weil es im Recht immer nur um Handlungen, die auch andere Rechtssubjekte betreffen können, also die Wahrung und Abgrenzung von Freiheitssphären der beteiligten Rechtssubjekte, geht, wird auch sie von jeder rechtlichen Theorie vorausgesetzt. Zu ihr gehört die Zurechnung von Verantwortung, Verdienst und Schuld, eventuell auch von Rechten und Pflichten. Die Zurechnung zweiter Stufe ist bis auf zwei wesentliche Unterschiede mit derjenigen erster Stufe strukturgleich. Die Unterschiede bestehen darin, daß erstens das Verhältnis der Rechtssubjekte untereinander (also zweier gleichartiger gegenstände') modelliert wird und zweitens die Zurechnung zweiter Stufe diejenige erster Stufe logisch voraussetzt (denn das Verhältnis der Subjekte zueinander ist rechtlich nur insoweit bedeutsam, wie es Einwirkungsmöglichkeiten auf die Außenwelt, also Handlungen, betrifft).
I I I . System von Verhaltensregeln Jede normative Handlungstheorie muß zu normativen Aussagen über die Handlungen ihrer Rechtssubjekte gelangen. Das bedeutet, sie hat Verhaltensregeln aufzustellen. Um mit dem Anspruch einer Theorie auftreten zu können, müssen diese Aussagen konsistent sein. Ferner ist es das Ziel jeder rechtlichen Theorie, für ihren Gegenstandsbereich, d.h. für die Situationen, mit denen sie sich beschäftigt, ein möglichst vollständiges' Gefüge von Aussagen
C. IV. Konzepte der Methodenlehre
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zu entwickeln. Der Aussagenteil jeder einigermaßen ausgearbeiteten rechtlichen Theorie enthält daher als Kernstück ein System von Verhaltensregeln. Arbeitet man die Struktur dieser systematischen Verhaltensregeln aus, 434 dann erhält man ein Modell des zentralen Aussagenteils jeder rechtlichen Theorie. Ausgehend von diesem - denkbar einfachen - Modell lassen sich dann auch umfassendere Modelle der jeweiligen rechtlichen Theorie entwikkeln. Relativ zur Sprachebene der Theorie selbst geht es hier stets um Metamodelle. Das Modell der Verhaltensregeln muß sich an der sprachlichen Struktur normativer Aussagen über Handlungen orientieren. Diese zerfallen in einen Voraussetzungsteil (Tatbestand) und einen Teil, in dem eine Handlungsweise vorgeschrieben wird (Rechtsfolge). Beide Teile bestehen aus einer Beschreibung. Der erste beschreibt die Situation, für die der zweite eine rechtliche Konsequenz aufstellt. Der zweite beschreibt (oft nur indirekt) die Handlung, die in dieser Situation vorgenommen (bzw. unterlassen) werden soll. Beide verwenden der Theorie zugrundeliegende Modelle oder Grundbegriffe. Der Aufbau aus Tatbestand und Rechtsfolge ist allgemeiner, als daß er nur Verhaltensregeln zukäme. Auch viele andere Normen, beispielsweise Zuordnungssätze, haben diese Struktur. Für die Verhaltensregeln charakteristisch sind nur Inhalt und Sinn der Rechtsfolge. In ihr wird eine Verhaltensweise beschrieben, und die Vorschrift ist als Anordnung dieses Verhaltens zu verstehen. Auf der nun vollendeten Grundlage läßt sich die Struktur der einfachsten rechtlichen Theorien, die sich in allen anderen rechtlichen Theorien (erweitert) wiederfindet, angeben: Sie bestehen aus einem Rechtssubjektsmodell und Zurechnungsmodellen beider Stufen, Zuordnungssätzen hierfür und einem System von Verhaltensregeln.
IV. Konzepte der Methodenlehre Die Konzepte der juristischen Methodenlehre gehören nicht in rechtliche Theorien und betreffen auch nicht ihren logischen Aufbau. Sie gehören zu eigenen Theorien über den Umgang mit rechtlichen Theorien, sind diesen gegenüber also Metatheorien (d.h. in einer sprachlichen Metaebene formulierte Theorien). Einige zentrale Begriffe der juristischen Methodenlehre sollen im folgenden in der Sprechweise von Modellen charakterisiert werden. Dabei 434 Vgl. auch dazu Joachim Hruschka, Verhaltensregeln und Zurechnungsregeln, Rechtstheorie Bd. 22 (1991), S. 449 ff. passim, sowie Joachim Hruschka, Kann und sollte die Strafrechtswissenschaft systematisch sein?, JZ 1985, S. 8 (V.) und 10 (VII.), ferner Hannes Unberath, Ist der Schwangerschaftsabbruch ein Unterlassen?, JRE Bd. 3 (1995), S. 437 ff. passim mit einem ausgearbeiteten Anwendungsbeispiel zur Unterscheidung von Verhaltens- und Zurechnungsregeln.
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geht es nicht so sehr um eine Klärung der jeweiligen Konzepte - sie sind auch ohne den Modellbegriff gut verständlich - als vielmehr darum, diese Konzepte zum Modellbegriff in Beziehung zu setzen und dabei zu zeigen, wie leistungsfähig der Modellbegriff und die mit ihm verbundenen Vorstellungen sind. 7. Auslegung. Eine Auslegung von Rechtssätzen (und Modellregeln) bedeutet die Klärung des Inhalts ihrer Aussagen und geschieht, indem die einzelnen (begrifflichen) Merkmale ihres Tatbestandes und ihrer Rechtsfolge isoliert sowie die Bedeutung und das logische Verhältnis dieser Merkmale geklärt werden. Jede ausformulierte Regel in einer rechtlichen Theorie zerfällt in Tatbestand und Rechtsfolge, denn sie knüpft stets eine bestimmte Anordnung an bestimmte rechtliche Voraussetzungen. Die Anordnung muß dabei nicht notwendig ein bestimmtes Verhalten vorschreiben. Auch eine Änderung der Rechtslage (z.B. ein Eigentumsübergang) kann in ihr ausgesprochen werden, 435 wodurch indirekt aber wiederum Handlungsanweisungen entstehen. Die Zergliederung eines Normtextes in seine einzelnen begrifflichen Merkmale bereitet meist keine besonderen Schwierigkeiten. Die Analyse der logischen Zusammenhänge solcher Merkmale wird (neben anderem) von der Rechtslogik untersucht. Die Frage, wie die Bedeutung der einzelnen Merkmale aufzufinden ist, hat hingegen bislang nur wenig systematische Antworten zugelassen. Die allgemeinen Auslegungsmethoden4, insbesondere teleologische, historische, systematische und wörtliche Auslegung, geben lediglich allgemeine Fingerzeige, wie nach der Bedeutung zu suchen sei. Die Aufgliederung rechtlicher Theorien in Modelle, modellbezogene Aussagen und Zuordnungen vermag hier mehr zu leisten. Für Begriffe, die von einem Modell zur Verfügung gestellt werden, vermittelt die Modellvorstellung gerade die Einsicht, daß der Begriff nicht isoliert zu verstehen, sondern als Bezeichnung für einen Teil oder eine Eigenschaft eines Gegenstandes gemeint ist und nur im Zusammenhang dieses Modells geklärt werden kann. Wenn man so will, ist die Untersuchung des Begriffs im Zusammenhang seines Modells eine Form der systematischen Auslegung. Sie führt aber keineswegs zu einer Beschränkung auf diese eine Auslegungsmethode, denn wenn das Modell in der rechtlichen Theorie nicht im Detail explizit ausgearbeitet ist - und das ist es nur in den seltensten Fällen - , wird man sich für die Bestimmung des Modells wiederum des Kanons der allgemeinen Auslegungsmethoden zu bedienen haben.
435 Hierauf weist insbesondere Karl Larenz , Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991,112 1. b), S. 254 hin.
C. IV. Konzepte der Methodenlehre
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Hier wurde nur die Auslegung einer ausformulierten Aussage einer rechtlichen Theorie betrachtet. Freilich ist es nicht der Fall, daß jede Vorschrift eines beliebigen Gesetzes genau eine Aussage der in diesem Gesetz positi vierten rechtlichen Theorie enthalten muß. Vorschriften können mehrere Aussagen enthalten, und es kann so sein, daß eine Aussage sich erst aus mehreren Vorschriften gemeinsam ergibt. Die Auslegung des Gesetzes bzw. seiner Vorschriften ist dann komplexer als die Auslegung einer einzelnen Aussage, weil zunächst aus den Vorschriften die präskriptive Aussage rekonstruiert werden muß. Dennoch ist es alles andere als eine willkürliche Vereinfachung, wenn hier statt der Auslegung des Gesetzes die Auslegung einer normativen Aussage betrachtet wird. Beginnt der Anwender einer gesetzlichen Vorschrift diese auszulegen, dann geht es ihm nicht abstrakt um das Verständnis ihres Textes, sondern darum, welche Konsequenzen aus ihr für bestimmte vorgegebene oder noch zu ermittelnde Sachverhalte folgen. Es ergeben sich aber nur insoweit Konsequenzen, als die Vorschrift Teil einer rechtlichen Aussage ist. Deshalb muß der Rechtsanwender in jedem Fall die rechtliche Aussage rekonstruieren, um die es ihm mit Blick auf den untersuchten Sachverhalt geht. Es gibt kein vom Verständnis dieser Aussage unabhängiges Verständnis einer Vorschrift. Einen Zugang zur Vorschrift kann der Jurist nur über die hinter ihr stehende Aussage (oder die hinter ihr stehenden Aussagen) finden. 2. Subsumtion. Die Subsumtion eines Sachverhalts unter ein Tatbestandsmerkmal eines Rechtssatzes, das von einem Modell verfaßt wird, ist die Anwendung eines Zuordnungssatzes dieses Modells. 3. Analogie. Bei Analogieschlüssen, mit denen sich die juristische Methodenlehre traditionell beschäftigt, geht es darum, „offene" Regelungslücken, d.h. planwidrige Unvollständigkeiten einer (positivierten) rechtlichen Theorie, dadurch zu beheben, daß man den Anwendungsbereich einer Norm erweitert, also die Voraussetzungen einer rechtlichen Aussage abschwächt. Es geht also um eine Fortentwicklung der Theorie in kleinem Umfang. Obwohl diese Fortentwicklung klein genug ist, um sie gegebenenfalls vom Rechtsanwender zu erwarten, sind diese Analogieschlüsse ein entscheidender Motor für Fortschritte in der jeweiligen Theorie und die Technik der Analogieschlüsse dabei ein wichtiges Verfahren. Karl Larenz nennt als Voraussetzungen für die analoge Anwendung einer gesetzlichen Regel (neben dem Bestehen der Gesetzeslücke), daß positiv die Feststellung getroffen werden kann, daß der zu beurteilende Sachverhalt dem im Gesetz geregelten in jeder für die rechtliche Bewertung maßgeblichen Hinsicht gleicht und daß negativ die Feststellung getroffen werden kann, daß die verbleibenden Unterschiede nicht von solcher Art sind, daß sie die dem
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Kapitel 4: Materielle Eigenschaften rechtlicher Theorien
Gesetz zugrundeliegende Wertung ausschließen.436 Die hier zur Anwendung kommende Technik ist die der Verallgemeinerung eines Modells: Es geht darum, einen Sachverhalt durch einen oder mehrere Begriffe des Tatbestandes eines Rechtssatzes bzw. einer Modellregel mit zu erfassen, obwohl dieser Sachverhalt nach den in der Theorie maßgeblichen Zuordnungssätzen tatbestandlich nicht erfaßt wird. Um dies zu erreichen, müssen die Zuordnungssätze erweitert werden. Die Frage, ob sich die Zuordnungssätze so abändern lassen, daß eine Verallgemeinerung des ursprünglichen Modells entsteht, welche dieselben rechtlichen Wertungen trägt wie das ursprüngliche Modell, ist gleichbedeutend mit der Frage, ob sich die obige positive und negative Feststellung treffen lassen. Eine Norm analog anzuwenden bedeutet also, ein Modell wertungsinvariant zu verallgemeinern. 4. Vermutungen. Auch Vermutungen gehören zu den Zuordnungssätzen. Sie ordnen an, daß eine bestimmte Situation von einem Begriff eines Modells erfaßt wird. Widerlegliche Vermutungen treffen diese Anordnung nicht kategorisch, sondern sehen die Möglichkeit von Ausnahmen vor. Unwiderlegliche Vermutungen hingegen sind ausnahmslos geltende Zuordnungssätze. Kontrafaktische Vermutungen haben die Besonderheit, daß sie einem Begriff des Modells Situationen zuordnen, die der Begriff seinem alltagssprachlichen Wortsinn nach nicht erfaßt.
436
Karl Larenz , Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, II 5 2. b) S. 381 f.
Schlußbemerkung Das Gesamtergebnis dieser Untersuchung und die wichtigsten Teilergebnisse wurden ihr bereits vorangestellt. Der einleitende Überblick schildert indes nur den systematischen Teil des Resultats dieser Untersuchung, d.h. die Resultate, deren Bedeutung unabhängig davon ist, wie die rechtsphilosophische und rechtstheoretische Diskussion der hier behandelten Fragen historisch verlief. Ihm ist ein weiterer wesentlicher Befund hinzuzufügen: Die Gegenüberstellung von positivistischer oder realistischer Betrachtungsweise einerseits und konstruierender, rationalistischer, idealistischer bzw. vernunftrechtlicher Betrachtungsweise andererseits erwies sich als wiederkehrendes Thema. Dabei stellte sich heraus, daß nicht nur eine weitere Differenzierung dieser Betrachtungsweisen zum Zwecke der vorliegenden Untersuchung nicht hilfreich, sondern schon eine die jeweils andere Betrachtung aus der Rechtswissenschaft ausschließende Parteinahme für eine dieser Positionen verfehlt wäre. Daß dem so ist, ließ sich letztlich auf die Notwendigkeit der Verwendung von Modellen in rechtlichen Theorien sowie den Umstand, daß die gleichen Modelle oft sowohl als Vorbild-Modelle als auch als Abbild-Modelle auftreten, zurückführen. Parteigänger beider Fraktionen reduzieren - sobald sie mit Ausschließlichkeitsanspruch auftreten - die Betrachtung, indem sie die nötigen Modelle nur unvollständig aufbauen bzw. einsetzen. Sie schließen damit jeweils einen Teil des Gegenstandsbereichs der Rechtswissenschaft von vornherein aus der Betrachtung aus. Trotz dieses Befundes und ohne mit ihm im Widerspruch zu stehen, weiß sich die vorliegende Untersuchung beiden Fraktionen indes in Zielsetzung und Methode in mancherlei Hinsicht durchaus verbunden: Das mit rechtspositivistischen Bestrebungen nach Art Kelsens verbundene Ziel einer in dem Sinne entpolitisierten Rechtswissenschaft, daß Rechtswissenschaftler bei der Entscheidung von Interessenskonflikten nicht ihre eigenen subjektiven Präferenzen zu rechtlicher Geltung zu bringen versuchen, wird ebenso für maßgeblich erachtet wie die Ablehnung der ,Kausalmethode' in der Rechtswissenschaft (die Kelsen oft mißverständlich überspitzt und insofern zu weit greifend als Ablehnung naturwissenschaftlicher Methodik propagiert 437 ).
Schlußbemerkung
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Eine ebenso enge Verbindung besteht zu vernunftrechtlichen Ansätzen, in denen die deduktive Ausarbeitung eines Rechtssystems eine große Rolle spielt. Die vorliegende Untersuchung wurde zwar in einer gegenüber Letztbegründungsfragen neutralen Weise durchgeführt, d.h. von den Prämissen einer rechtlichen Theorie wird - ganz der modernen axiomatischen Methode (im Gegensatz zum klassischen Axiomenbegriff) 438 entsprechend - in keiner Weise vorausgesetzt, daß sie unmittelbar einsichtig sind bzw. sich rein aus der Vernunft und/oder göttlicher Setzung ergeben. Hierin besteht ein nicht unerheblicher Unterschied zu den Arbeiten von Samuel Pufendorf, Christian Wolff und anderen in der Tradition des mos geometricus stehenden oder doch zumindest der deduktiven Methode verschriebenen Naturrechtlern. Es wird allerdings ebensowenig ausgeschlossen, daß es außerhalb der Theorie selbst zwingende Argumente für ihre Prämissen geben kann. Die hier ausgearbeitete Theoriebildung ist deshalb nicht relativistisch, wie etwa die Radbruchsche 439 Rechtsphilosophie. Diese Neutralität ist nicht einfach nur ein Verzicht auf eine Stellungnahme, sondern Vorbedingung für eine ordentliche Untersuchung von der Möglichkeit und der Struktur rechtlicher Theorien. Die Frage nach Letztbegründung oder Relativismus hingegen ist eine Frage nach der materiellen Kennzeichnung tauglicher Prämissen und gehört nicht zur Auseinandersetzung mit der Theoriebildung selbst. Eine gewisse, erwähnenswerte Verbindung besteht ferner zwischen den Ergebnissen dieser Arbeit und dem bis heute kontrovers diskutierten, 1847 von Julius von Kirchmann gehaltenen Vortrag über „Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft". Sie stützen seine Einschätzung der Wissenschaftlichkeit der Jurisprudenz zwar durchaus nicht, sondern widerlegen gerade die These, wissenschaftliches Arbeiten wäre der Rechtsdogmatik fremd und müsse ihr fremd bleiben. 440 Sie belegen aber ganz im Geiste Kirchmanns, daß nicht einfach das positive Recht, das „Zufällige und Mangelhafte" 441 , Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Betrachtungen sein kann. 442 437 Siehe z.B. Hans Kelsen, Reine Rechtslehre, 1. Aull. 1934, Vorwort, S. III (S. IX des Neudrucks von 1985) im Zusammenhang mit I. 4., S. 5. 438
Vgl. oben Fn. 117.
439
Gustav Radbruch, Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1932, § 2 2., S. 11 f. (Gesamtausgabe, 1993, S. 235 f.) und § 3 8., S. 24 f. (Gesamtausgabe S. 250 f.). 440
Insbesondere Julius Hermann von Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, S. 5, 23 ff. sowie in der vorliegenden Untersuchung 3. Kapitel E. II. 441 Julius Hermann von Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, S. 16. 442
Siehe im 1. Kapitel A. und B. (insbesondere bei Fn. 79) sowie Julius Hermann von Kirchmann, Die Werthlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, S. 6 ff., 14, 16 f. und 22 f.
Schlußbemerkung Die Resultate der vorliegenden Untersuchung legen ferner - gerade auch i m Interesse eines nachhaltig (um das M o d e w o r t einmal an passender Stelle zu verwenden) verbesserten Nutzens für die Rechtspraxis - eine echte Theoriebildung nahe, eine Arbeit an umfassenden deduktiven Theorien. Diese setzt voraus, daß die Rechtswissenschaft ihre Angst vor Fortschritten durch eigene Fortentwicklung des Rechts abstreift und wieder beginnt, diese - ohne sich gesetzgeberische Befugnisse anzumaßen - als ihre Aufgabe, richtigerweise sogar als ihre Hauptaufgabe, zu begreifen. 4 4 3 Die E n t w i c k l u n g rechtlicher Modelle ist das Kernstück einer solchen T ä t i g k e i t . 4 4 4
443 Vgl. zu den beiden letzten Bemerkungen insbesondere im 2. Kapitel der vorliegenden Untersuchung A. und C. und im 3. Kapitel E. sowie Julius Hermann von Kirchmann, Die Wertlosigkeit der Jurisprudenz als Wissenschaft, 1848, S. 10 f., 14 f., 23 und 31.
Rudolph von Jhering unterscheidet diesbezüglich im Geist des römischen Rechts, Teil II/2, §41 sehr treffend „zwischen niederer und höherer J u r i s p r u d e n z . " (S. 358 der 4. Aufl. 1883) „Die Thätigkeit der niederen Jurisprudenz läßt sich mit einem Wort als I n t e r p r e t i e r e n bezeichnen." (ebendort) Die höhere Jurisprudenz hingegen beschäftigt sich damit, „den gesammten Rechtsstoff [durch Konstruktion von Rechtsinstituten (S. 357-389 passim)! zu gestalten" (S. 360, vgl. auch S. 370), wobei die Rechtsinstitute als „juristische Körper" (S. 360) im Gegensatz zu ,,bloße[n] Conglomerati en] von einzelnen Rechtssätzen stehen" (S. 359). „Erst auf der höheren Stufe wird ihre Aufgabe und Methode eine spezifisch juristische, erst hier gewinnt sie ihren eigentümlichen wissenschaftlichen Charakter" (S. 359). Hier wird sie „fv]on einer Lastträgerin des Gesetzgebers, einer Sammlerin positiver Einzelheiten [...] zur freien [...] Wissenschaft [....]." (S. 361) (Hervorhebungen im Original) Vgl. in diesem Zusammenhang auch Karsten Schmidt, Jherings Geist in der heutigen Rechtsfortbildung, in: Okko Behrends (Hrsg.), Jherings Rechtsdenken, 1996, insbesondere S. 204 ff. (II.). 444
Siehe im 3. Kapitel C. 3.
Anhang
Z u m Modellbegriff /. Etymologie. Man nimmt an, daß das Wort ,Modell' zweimal ins Deutsche entlehnt wurde. Im 16./17. Jahrhundert wurde das Wort mit der dem Deutschen eigentlich fremden Betonung auf dem ,e' entweder direkt aus dem Italienischen (,modello') 4 4 5 oder indirekt über das Französische (,modèle') 446 entlehnt. Im 16. Jahrhundert soll es insbesondere unter süddeutschen Goldschmieden für Blei- und Gipsformen gebräuchlich gewesen sein. Spätestens in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde es freier verwendet, etwa für Proplasma (griechisch πρόπλασμα : Vorbild, Modell; πλάσμα: Bildung, Gestaltung, Gebilde, Erdichtetes, Vorstellung), Forma, Typus, Exemplar, 447 und es kamen Wendungen wie ,Modell stehen' und ,ein Modell abgeben' in Gebrauch. Vor der ersten Jahrtausendwende war das Wort,Model' jedoch schon einmal aus dem Lateinischen (,modulus') ins frühe Hochdeutsch entlehnt worden. 448 Damals gehörte es zur Fachsprache der Kirchen-Baumeister und bezeichnete ein Maß für die Proportionierung von Säulen. Unter Karl dem Großen waren zahlreiche römische und südfranzösische Werkleute in den deutschen Sprachraum gekommen und könnten das Wort dort etabliert haben. Schon im 10./11. Jahrhundert war es aber im Sinne von ,Verhaltensregel' im freieren Gebrauch. Später findet sich etwa die Wendung ,nach dem model des Vertrags, secundum pacti normam, vulgo regulativum'. Das Wort,Model' hat sich in der Baukunst bis in die moderne Sprache erhalten. In Mathematik,
445
So das Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm, dem auch die folgenden Hinweise entnommen sind; siehe ferner Roland Müller, Zur Geschichte des Modelldenkens und des Modellbegriffs, in: Herbert Stachowiak (Hrsg.), Modelle - Konstruktionen der Wirklichkeit, 1983, 2.7, S. 46 ff. mit weiteren Nachweisen. 446
So z.B. noch Johann Christoph Adelung, Grammatisch-kritisches Wörterbuch der hochdeutschen Mundart, 1811. 447 Deutsches Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm unter Hinweis auf das Vollständige deutsche Wörterbuch von Christoph Ernst Steinbach, Breslau 1734, Bd. 2. 448
Siehe hierzu und für Nachweise zu den folgenden Ausführungen wiederum das Grimmsche Wörterbuch a.a.O.
222
Anhang
Physik und Technik wurde aus ihm ,Modul'. Im übrigen ist seine Bedeutung später von ,Modell' aufgenommen worden. Unser ,Modell' stammt also indirekt vom Lateinischen modulus (Maß, nach dem etwas gerade im Moment gemessen wird, Maßstab; Rhythmus, Tonart, Melodie) ab. In der Bedeutung, in der es ursprünglich ins Deutsche gekommen war, wurde es z.B. von Marcus Vitruvius Pollio im 1. Jahrhundert v. Chr. in De Architectura rege verwendet. Modulus ist eigentlich Diminutiv von modus (absolutes Maß, nach dem man etwas (immer) mißt, Anzahl, Größe, Länge, Umfang; Grenze; Zweck eines Verhaltens; Vorschrift, Regel; Abrede, Auflage; Art und Weise). Beide stehen in ihrer Bedeutung mensura (als Ergebnis einer Messung ermitteltes Maß) gegenüber. 449 In das Wortfeld, aus dem unser ,Modell' stammt, gehören ferner modius (römisches Getreidemaß), modo (etwa ,mit Maßen'; insbesondere Begriffe, Behauptungen oder Voraussetzungen auf ein Maß beschränkend), modulatio (proportioniertes Maß, Grundmaß; das Harmonische, Melodische, Rhythmische, Rhythmus), modulator (Tonsetzer, Tonmeister), modulatus (taktgemäß, melodisch) und modulari (messen, abmessen, einrichten, regeln, im Takt bzw. melodisch singen oder spielen) sowie modiatio (Messen nach römischen Scheffeln), modicus (das gehörige Maß nicht überschreitend), modificano (Abmessung einer Sache), modificare (gehörig abmessen, ein Maß setzen, mäßigen) und modimperator (Präses eines Gelages, der vorschreibt, wieviel jeder trinken soll). 4 5 0 Im mittelalterlichen Latein finden sich ferner modellus und modellum 451, das Adjektiv modelus 452 sowie (wiederum Substantive) modamen und modela 453. Die letzteren beiden standen in ihrer Bedeutung der heutigen von ,Modell' nahe. Modellus wird in den hier zitierten Lexika am häufigsten genannt. 454 Die Revised Medieval Latin Word-List from British and Irish Sour-
449
Vgl. Karl Ernst Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch Bd. 2, 8. Aufl. 1918, Stichwort „modus" (Sp. 970). 450 Siehe hierzu und zum vorhergehenden Roland Müller, Zur Geschichte des Modelldenkens und des Modellbegriffs, in: Herbert Stachowiak (Hrsg.), Modelle - Konstruktionen der Wirklichkeit, 1983, insbesondere 1.3, S. 20 f. und 2.1, S. 23 f. mit weiteren Nachweisen. 451 Charles du Fresne Du Cange, Glossarium Mediae et Infimae Latinitatis, 1883-1887 (1954), Bd. 4. 452
Thesaurus Linguae Latinae, 1936-1966, Bd. 8 (M).
453
W.-H. Maigne d'Arnis, Lexicon manuale ad scriptores mediae et infimae latinitatis,
1858. 454 Vgl. auch Herbert Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie, 1973, S. 129 sowie Alois Walde und Johann B. Hofmann, Lateinisches etymologisches Wörterbuch, 3. Aufl. 1954, beim Eintrag modus.
Zum Modellbegriff
223
ces 455 gibt das sechste Jahrhundert als Zeitpunkt des Auftretens an und nennt „support" als eventuelle Bedeutung, warnt aber vor „doubtful meaning or date". Das Lexicon Latinitatis Medii Aevi von Albert Blaise 456 und andere übersetzen es vornehmlich mit Weinflasche, aber auch mit Balken. Modulus hat etymologisch wohl keinen griechischen Vorgänger. 457 Zum lateinischen modius finden sich aber μόδιος (Scheffel) und μέδιμνος (der Messende, das Hauptmaß des Trockenen, Scheffel). 458 Griechische Wörter im Bedeutungsfeld von ,Modell' gibt es aber namentlich in der Herkunft von ,Homologie', etwa όμοιος bzw. όμοιος (gleich, gleichartig, ähnlich, gemeinsam, gemeinschaftlich bzw. der Gleiche), δμοιον (das Gleiche, die gleiche Lage, die Gleichheit), ομοίωμα (Abbild, Bildnis, Gleichnis), όμοίωσις (das Ähnlichmachen, das Ähnlichwerden, die Ähnlichkeit) und όμολόγημα, ομολογία (Übereinstimmung, Eintracht, Zugeständnis, Übereinkunft, Vergleich, Konvention, Vertrag). 2. Erweiterter Modellbegriff. Auch heute muß nicht alles, was sprachlich als ,Modell' bezeichnet wird, das Modell einer Theorie sein. In der Tat ist jedenfalls in der Selbstsicht der Naturwissenschaften die Rolle von Modellen, die für die vorliegende Untersuchung die wesentliche ist, nicht von primärer Bedeutung. Viele Wissenschaftler verhalten sich so, als wären die Aussagen ihrer Theorien unmittelbar auf einen Bereich der Wirklichkeit bezogen, und sie hinterfragen nicht direkt, inwieweit die verwendeten Begriffe und Vorstellungen Abstraktionen und Idealisierungen beinhalten. 459 Mit ,Modell' werden 455
R.E. Latham, Revised Medieval Latin Word-List from British and Irish Sources,
1965. 456
Albert Blaise , Lexicon Latinitatis Medii Aevi, 1975.
457
Das in ähnlicher Bedeutung verwendete lateinische embates (Fachbegriff der Baukunst: Maß, nach dem die Proportionen der Verzierungen bestimmt werden) aber stammt vom griechischen έμβάτης (Schuh, insbesondere tragischer Kothurn, d.h. Bühnenschuh mit hoher Sohle). 458 Herbert Stachowiak, Allgemeine Modelltheorie, 1973, S. 129, spricht von einer griechisch-germanischen Wurzel med/mod (z.B. in μέόω, μέδομαι - ich denke an etwas, erwäge - und modius sowie modestus) die auf die indogermanische Wurzel *meH zurückgehe. Jean Gebser 1992, S. 129-131 sowie Kommentar S. 202, führt ,Mensch', ,Denken', ,Messen' und ,Modell' auf die gemeinsame Wurzel ma:me zurück und zeigt verschiedene darauf basierende Bildungen in den indogermanischen Sprachen. 459 Diese Frage tritt aber eventuell dennoch in etwas variierter Gestalt auf, z.B. in Form der Frage, wie bestimmte Größen zu messen sind oder wie ähnlich ein bestimmtes Ding (etwa ein bestimmtes Gas) dem Gegenstand der Theorie (etwa dem idealen Gas) tatsächlich ist. Die Überprüfung und die Anwendung von Theorien lassen sich von Modellierungsfragen nicht durchgängig trennen. Beim Aufstellen einer Theorie kann es aber durchaus ökonomisch sein, das Modell des Gegenstandes vorläufig unkritisch mit dem betrachteten Wirklichkeitsbereich zu identifizieren.
224
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dann vorrangig körperliche Veranschaulichungen oder Analogien - und zwar hauptsächlich mechanische Analogien - assoziiert. Beispiele solcher Veranschaulichungen sind Globen als Modell der Erde und das Atomium in Brüssel. Beispiel einer Analogie ist die in der Wärmelehre erfolgreiche thermodynamische Betrachtung, die das untersuchte Objekt (z.B. Gase) aus vielen kleinen bewegten Teilchen zusammengesetzt sieht und so Ergebnisse der Mechanik in die Wärmelehre übertragen kann. Ein ganz ähnlicher Befund ergibt sich für die Rechtswissenschaften. Wer einschlägige Aufsätze liest, stößt insbesondere in den folgenden Zusammenhängen auf das Wort,Modell': Erstens wird es für Kodifikationen (und kleinere Normzusammenhänge oder Verträge) verwendet - z.B. ausdrücklich in der Bezeichnung ,Model Penal Code' und neuerdings in ,Europäisches Modellstrafgesetzbuch'. Ferner spricht man davon, daß ein Gesetzbuch (z.B. der Code Civil oder das BGB) für nachfolgende Kodifikationen in anderen Staaten ,Modell stand'. 460 Zweitens wird es auf rechtliche Konstruktionen bezogen. Wir klassifizieren solche Konstruktionen meist nach dem angestrebten oder erreichten Ziel und sprechen z.B. von Steuer(spar)modellen, Staatsmodellen, verschiedenen Modellen der Vertragsgestaltung (Timesharing-Modelle, Finanzierungsmodelle etc.). Beispiele für einzelne derartiger Konstruktionen sind das Bauherrenmodell, das Bauträgermodell und das Erwerbermodell, ebenso das Modell der parlamentarischen Demokratie, der direkten Demokratie, der absoluten oder konstitutionellen, erblichen oder Wahl-Monarchie. Im Strafrecht kennen wir zur Begründung der Strafbarkeit einer (deliktstatbestandsmäßigen und rechtswidrigen) actio libera in causa das Vorverlegungs- und das Ausnahmemodell. Die rechtliche Konstruktion kann dabei noch allgemeiner und abstrakter sein. Die meisten Lehrbücher des Strafrechts schildern z.B. weite Bereiche des Strafrechts allein am Modell der vorsätzlichen Begehung eines Erfolgsdelikts, die auch zur Vollendung führt. Drittens findet man die Bezeichnung ,Modell' für Realisierungen eines Konzepts. So lassen sich soziale Marktwirtschaft, Gewaltenverschränkung und die Kombination von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht am Modell der Bundesrepublik Deutschland studieren. Ebenso kann man die Umsetzung von Planfeststellungsbeschlüssen z.B. am Modell des Baus einer bestimmten Eisenbahnlinie betrachten. Werden neue Konzepte erprobt, ist regelmäßig von ,Modellversuchen' die Rede. Im Hinblick auf die Argumentationstheorie wurde sogar vorgeschlagen, die Rechtswissenschaft insgesamt als Modellwis-
460
Vgl. dazu ausführlicher im 3.Kapitel C. III. 5. b).
Zum Modellbegriff
225
senschaft anzusehen und wissenschaftliche Argumentation am Modell der Rechtswissenschaft zu studieren. 461 Viertens werden idealtypische Situation so bezeichnet. Beispielsweise wird der entschuldigende Notstand oft am Modell des Brettes des Carneades vorgeführt und vorvertragliche Schutzpflichten am Modell der Bananenschale im Kaufhaus oder der herabstürzenden Teppichrolle. Diese Verwendungsweisen des Wortes ,Modell' bzw. des englischen 'model' sind teilweise seit mehreren Jahrhunderten gebräuchlich. Dies ist insbesondere für Modelle vom Staat 462 sowie Modellversuche 463 der Fall. 3. Bedeutungsverwandte Begriffe. Es soll deshalb keineswegs suggeriert werden, ,Modell' könne nur das bezeichnen, wofür dieses Wort in der vorliegenden Untersuchung verwendet wird. Umgekehrt soll ebensowenig behauptet werden, das Wort ,Modell' sei das einzig passende. Um den Überblick über das, was in der vorliegenden Arbeit als ,Modell' angesprochen wird, abzurunden, seien daher abschließend einige in diesem Zusammenhang besonders wichtige bedeutungsverwandte Begriffe zusammengestellt: Modelle vermitteln eine Idee, zeigen eine Struktur. Sie tun dies, indem sie Beziehungen zwischen den Teilen ihres Gegenstandes, dem Modellierten, herausstellen. Zwischen Modell und Modelliertem muß eine Entsprechung, Korrespondenz bestehen; sie müssen in der zu modellierenden Struktur (aber nicht in jeder Hinsicht) übereinstimmen. Je nach Übereinstimmung sind sie homomorph, isomorph, homolog, analog oder auch nur metaphorisch. Modelle haben mit Abbildungen zu tun. Sie können darin als Vorbild, Urbild, Original auftreten oder statt dessen einen Gegenstand als Bild, Abbild, Realisierung oder Skizze wiedergeben. In beiden Fällen können sie als Typ, einzelnes Exemplar oder Beispiel eine Gattung vertreten oder als Prototyp für eine Neuentwicklung stehen. Wichtigstes Mittel der den Juristen interessierenden Modellbildung ist die Sprache. Viele juristische Modelle sind begrifflich, und vielfach fallen Modell und Begriffsbildung zusammen. 464 461 So Ivanhoe Tebaldeschi, Rechtswissenschaft als Modellwissenschaft, 1979, passim, siehe insbesondere I. 1., S. 4 f. und II. 6. S. 14. 462
Vgl. im 3. Kapitel C. III. 4., aber auch Fn. 306.
463
„Would it not be prudent to try the success of your principles on a small model in some remote corner?" George Berkeley, Alciphron, 3. Aufl. 1752, Second Dialogue, Section 22, LJ Vol. III, S. 102 (Zeile 16). 464 Wieder einmal handelt es sich keineswegs um ein Spezifikum der Rechtswissenschaft (vgl. dazu im 4. Kapitel B. 5.).
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Personenverzeichnis Die Zahlenangaben beziehen sich auf die Seiten der vorliegenden Untersuchung. Halbfett gedruckte Zahlen bezeichnen jeweils die bedeutsameren Fundstellen. Kursiv gedruckte Zahlen verweisen auf Fundstellen in den Fußnoten.
Aarnio, Aulis 18, 42 Ackermann, Wilhelm 70, 72 Adelung, Johann Christoph 221 Adomeit, Klaus 164 Alexy, Robert 38,41, 146 Anscombe, Elisabeth 51 Aristoteles 17, 26-30, 49, 60, 110, 164 f. Austin, John Langshaw 50, 51, 163
Canaris, Claus-Wilhelm 13, 46, 69, 72, 79, 87, 185, 192 Carnap, Rudolf 24, 37, 53, 100,105, 109, 153, 169, 174f., 183 Carneades 225 Cassirer, Ernst 170 Celsus, Publius Iuventius (filius) 86 Cohn, Paul Moritz, F.R.S. 46, 76 Cromwell, Oliver 132
Bacon, Sir Francis 65,148 Barwise, Jon 116 Baumann, Peter 164 Beling, Ernst 190 f. Bentham, Jeremy 81 Bergson, Henri 128 Berkeley, George 150, 225 Bernays, Paul 60,117 Beyerle, Franz 186 Bingham, Joseph W. 35 Blaise, Albert 223 Bochenski, Joseph I.M. 24 Bohr, Niels 134 Bolzano, Bernhard 164 Bonhoeffer, Karl Friedrich 16 Boudon, Raymond 18 Bourbaki, Nicolas 174 Breitkopf, Alfred 70 Brinkmann, Walter 50 Bung, Jochen 145, 168 Byrd, B. Sharon 90
Daries, Joachim Georg 208 Descartes, René 17, 127f. Digges, Thomas und Leonard 110 Dreier, Ralf 15, 45, 116, 170 Du Cange, Charles du Fresne 222
Fairfax, Sir Thomas 132 Fertig, Hermann 15, 109, 117, 128, 150 Fichte, Johann Gottlieb 26, 154 Flum, Jörg 73, 77 Fraenkel, Adolf Abraham Halevi 77 Frege, Gottlob 68, 71, 165f. Funke, Andreas 174
Caligula (Gaius Julius Caesar Germanicus) 86
Gadamer, Hans-Georg 145 Garcia-Huidobro, Joaquin 60
Ebbinghaus, Heinz-Dieter 73, 77, 159 Edenhofer, Wolfgang 206 Engisch, Karl 25-28, 35, 69, 122,140, 146 Essler, Wilhelm K. 134 Euklid 15,46, 151
Personenverzeichnis Geismann, Georg 154 Georges, Karl Ernst 222 Gierke, Otto Friedrich von 186 Godei, Kurt 72 f., 77 Goldman, Alan Η. 170 Gottsched, Johann Christoph 25 Graßhoff, Gerd 124 Gratian, Johannes 88 Grimm, Jacob und Wilhelm 25, 221 Hager, Nina 139 Hare, Richard Mervyn 50-52 Hart, Herbert Lionel Adolphus 50, 55 Hausdorff, Felix 159 Hawking, Stephen 112 Heck, Philipp 154 Heidegger, Martin 17, 146 Helmholtz, Hermann von 106 Hempel, Carl Gustav 14, 54, 118, 144 f. Hertz, Heinrich 17,7/0,194 Hesse, Mary Brenda 150 Heyen, Erk Volkmar 17, 130 Hilarius von Poitiers 166 Hilbert, David 60, 71-75, 117 Hobbes, Thomas 131 f. Hofmann, Johann B. 222 Holmes, Oliver Wendell 36 Horn, Norbert 25 Horovitz, Joseph 68 Hruschka, Joachim 43, 45, 50, 64, 67, 79, 86, 88, 112, 121, 129f., 173, 199, 207-210,213 Hume, David 17, 36, 41, 172, 193 f. Husserl, Edmund 164 Hutcheson, Francis 198 Jansen, Nils 23, 46, 71 /, 88, 98, 124 Jellinek, Georg 36 Jestaedt, Matthias 43, 69, 136, 160 Jhering, Rudolph von 14, 46, 87, 97, 107, 202, 204,279 Joerden, Jan C. 61, 64, 77, 123,174 Justinian 88 Kalinowski, Georges 163,164 Kamiah, Wilhelm 24, 50, 139, 145/, 165
247
Kant, Immanuel 17, 26-29, 38, 41, 49, 54, 60, 69 f., 90, 107, 111, 128, 130, 146, 149, 154, 171, 198 f., 198,205 Kantorowicz, Hermann 40, 192, 193 Katz, Leo 173 Kaufmann, Arthur 43, 88, 114, 145f. Kelsen, Hans 14, 27, 31-34, 40 f., 47, 79, 88, 97, 132, 156f., 160, 163, 166, 171, 175, 2Y1,218 Kettembeil, Kurt 23 Kirchmann, Julius Hermann von 79, 27, 40, 44, 218,2/9 Klug, Ulrich 65, 67, 90 Kopernikus, Nikolaus 111 Kreisler, H. Jerome 116 Kußmaul, Paul 51 Kutschera, Franz von 70, 106 Larenz, Karl 14, 23, 146, 163, 214, 215 f. Latham, R. E. 223 Leibniz, Gottfried Wilhelm 119, 165, 174 Lenckner, Theodor 155 Llompart, José 81 Lobatschewsky, Nikolai Ivanovich 151 Lorenzen, Paul 24, 50, 139, 145f., 165 Luhmann, Niklas 32, 162 Mach, Ernst 17, 108-110,125-128, 199-202 Maigne d'Arnis, W.-H. 222 McCarty, Richard 70 Merkel, Adolf 156 Merkl, Adolf Julius 160 Mill, John Stuart 105, 195-197 Müller, Roland 17, 109, 199, 221 f. Nelson, Leonard 33, 90 Newton, Sir Isaac 89, 109 f., 135, 203 Ollero, Andres 18 Otto, Harro 156 Paulson, Stanley L. 34 Pawlowski, Hans-Martin 84
248
ererzeichnis
Peano, Guiseppe 77 Peckhaus, Volker 73 Peschel, Manfred 727 Phädrus 38 Pittioni, Veit 776 Piaton 17,26 Poincaré, Henri Jules 76, 110,118, 134, 151 Popper, Karl 775, 766, 203 Potter, Nelson 70 Ptolemaios, Klaudios 110 Pufendorf, Samuel von 19,118,208,
218 Quine, Willard van Orman 766, 200, 202 Radbruch, Gustav 45,218 Rawls, John 45,51,61 Raz, Joseph 67 Resnik, Michael D. 98 Riemann, Georg Friedrich Bernhard 151 Rödig, Jürgen 168, 171 Rutherford, Ian C. 26 Rüthers, Bernd 88 Salisbury, Johannes von 175 Savigny, Eike von 13, 67 Savigny, Friedrich Carl von 34 Schlick, Moritz 27, 110, 203 Schmidt, Karsten 279 Schmitt, Carl 40 Searle, John R. 51 f. Seeliger, Rudolf 15, 150 Seit, Stefan 175 Sidgwick, Henry 29 Sieber, Ulrich 133 Smith, Adam 799 Stachowiak, Herbert 17, 60, 100, 109, 124-128,222 f.
Stegmüller, Wolfgang 17 Steinbach, Christoph Ernst 227 Steinmüller, Wilhelm 128 Sternberg, Theodor 29, 31, 44, 722, 164 Taekema, Sanne 111 Tarski, Alfred 72, 77, 153 Tebaldeschi, Ivanhoe 225 Thiel, Christian 26 Thomas von Aquin 60, 104, 166 Thomas, Wolfgang 73, 77 Treiber, Hubert 124 Tripp, Dietrich 14, 40, 97 Unberath, Hannes 213 Vico, Gian Battista 68 Viehweg, Theodor 45, 62, 68, 71 Vitruvius Pollio, Marcus 222 Volpi, Franco 26 Vossenkuhl, Wilhelm 50 Vrhunc, Mirjana 128 Walde, Alois 222 Weinberger, Christiane 59, 164, 168, 172 Weinberger, Ota 59, 164, 168, 171 f. Welzel, Hans 59, 79, 88, 114, 129, 169 Wittgenstein, Ludwig 52, 103, 113, 119, 164, 174, 203 Wolf, Ursula 28 Wolff, Christian 19,218 Wolters, Gereon 37 Wright, Georg Henrik von 47, 83, 153, 163f. Zermelo, Ernst 77
Sachverzeichnis Die Bedeutung der Angaben entspricht denen des Personenverzeichnisses.
Abbild 108, 722, 125 f., 129 f., 135, 223, 225 - Abbild-Modell 126, 129, 135-137, 143,217 - Abbildung 46, 127, 129, 152 f., 162 f., 174, 176, 180, 194 f., 200, 225 Abgrenzung 14, 66, 78 f., 92,105, 154,212 Abhängigkeit 103, 7/7, 128, 173 Ableitbarkeit 67-76, 80-83, 90, 103, 169, 173, 178 Ableitungsregel 100 Absicherung 55 f., 89 abstrakt 41, 88, 110, 136, 147-150, 210, 215, 224, siehe auch hei Gegenstand, Rechtstheorie, Theorie und Zurechnungsnorm - Abstraktion 21,28, 102, 111 f., 126, 130, 139, 190, 223 -Abstraktionsgrad 187,190,210 - Abstraktum 90, 139-142 abzählbar 57 actio libera in causa 208, 224 ad hoc 33,91 adaequatio rei et intellectus 104,142, 166, 192 Alchimie 64 Algebra 46 Allgemeingültigkeit 13,58, 100, 166169, 198, 203 Allgemeinheit 13, 29 f., 50, 64 f., 6971,78, 80, 86, 127, 147, 157, 174, 198 f., 204, siehe auch Theorie: allgemeine und Verallgemeinerung - Allgemeinbegriff 146
Alltagssprache 122, 140 f., 204, 216 American Law Institute 133 Analogie 15-17, 31, 82, 91, 140, 150, 170, 174, 198 f., 215 f., 224 f. Anfang (einer Theorie) 61, 66 f., 94 Anschauung 107, 777, 118, 134, 146, 224 - Anschauungsvermögen 26 Anspruch 53, 55, 84, 97, 137, 141, 185 f., 189 Anthropologie 59 Anwendung 13, 19-21,23, 30-36, 41, 50, 63 f., 67 f., 75 f., 85-94, 95, 98, 103, 111 f., 135-138, 145-151, 155, 160, 174, 179-181, 188, 191-194, 201, 204, 215, 223 - Anwendungsfehler 89 - Anwendungsrisiko 148 Anzahl (von Prämissen) 20, 68-71, 75, 122 äquivalent 53,75,86,201 - Äquivalenzklasse 53, 106, 127 Architektur 221 f., 223 Argumentation 35, 68 f., 71, 175, 192, 225 Arithmetik 77 Armee 131 askriptiv 50-52 Aufgabe 22, 32-35, 4 3 ^ 5 , 68, 78, 88-92, 120,219 Ausarbeitung einer Theorie siehe Theoriebildung Ausdifferenzierung 20 f., 186, 188, 210 Ausgangsfrage siehe Fragestellung Auslegung 31, 61, 114, 157, 214 f.
250
averzeichnis
- systematische 214 Ausnahme 125, 156, 178, 192, 208, 216, 224 Aussage 20, 37-39, 42, 47, 52, 5961, 66 f., 74-76, 80, 83, 101, 106109, 112 f., 124, 136, 149, 152, 159, 162, 163-175, 178, 180, 182, 192, 203, 207 f., 213 f., 223 - Aussagenlogik 70, 165 - deskriptive 47, 80-82, 163, 165, 172,198 - exakte siehe Urteil: exaktes - normative 56, 80-82, 212, 215 - präskriptive 48, 53 f., 80-82, 163175, 198,215 - rechtliche 38, 49, 74, 115, 131, 164, 170, 180, 209,215 Ausschließlichkeitsanspruch 60, 217 außen 31 f., 100, 162, 198 - Außenwelt 20, 27, 32, 96 f., 111, 114, 118, 134, 139-141, 146-148, 179 f., 198, 203-207,212 Auswahl 42,93, 128, 194 - Auswahlaxiom 77 - der Prämissen 60, 63, 66, 78, 88, 163 Axiom 39, 46, 60, 67, 70-77, 98, 100, 117 f., 122, 168-170, 173,218 - Axiomatisierung 10-11,83, 100 - Axiomensystem 71-77, 169 Baugenehmigung 137 Bauherrenmodell 224 Befehl 163 Begriff 20-26, 46, 102, 107, 113, 118-121, 140, 144, 222, siehe auch Modellbegriff - Begriffsbestimmung 16, 97, 112, 117-119, 123, 145, 180-188, 192 - Begriffsbildung 129 f., 139, 225 Begriffsjurisprudenz 17,46,98 Belegung 119, 144-146, 181, 188190, 205,211 Beobachtung 26, 37, 39, 45, 53, 168, 170, 198 f. - Fremdbeobachtung 32 Beschäftigung mit Recht: originäre und angewandte 87
Beschränkung 28-35, 38-45, 60, 67, 100-102, 159, 166, 175,214, 222 Beschreibung 13,31-35,40,45,51, 80, 103, 118, 126, 134-138, 153, 163, 184, 200,213 - präskriptive 135 Bestandteil 57, 74, 92, 103-107, 127, 147, 152, 177 Bestätigung 38, 192, 198,203, siehe auch Verifikation Betrachtung siehe Theorie - Betrachtungsweise 96-107, 126, 217 Betrug 154 Beweis 19,66-77, 151, 159, 178 - beweisbar 168 f., 202 Bewertung 57, 80-82, 114, siehe auch Wertung Beziehung 117 f., 125, 138, 194,206, 225 - rechtliche 52 f., 204, 206 BGB 14, 34, 49, 52 f., 61, 128, 131, 133, 136, 185, 205 f., 224 Bild 107, 125, 129, 225, siehe auch Urbild, Vorbild und AbbM ΒindungsWirkung 87 Biologie 59 Bundesrepublik Deutschland 13, 35, 160, 224 Bürger 34,87, 89, 141, 155,205 Bürgschaft 186 Chemie 64 Code Civil 133,224 common law 91, 128 Commonwealth 132 consideration 128, 137 Darstellung 13, 16, 37, 63, 71, 76, 83, 100, 118, 142, 178,201 f. de lege ferenda 30, 63 Deduktionskette 68 deduktiv 15, 42, 45, 59,119, 173-179, 192, 196, 218, siehe auch hypothetisch-deduktiv - Deduktion siehe Folgerung - Deduktionskette 54, 68 Definition 18,1\, 79, 105, 118, 121, 124, 144, 165, 174, 183
verzeichnis - Definitionsfreiheit 46 - Definitionskette 121 deklarativ 166,168,189 Demokratie 32, 57, 132, 224 Derogation 94,160 deskriptiv 15, 32, 46 f., 50-54, 80, 129, 135, 153, 169, siehe auch hei Aussage und Satz dezisionistisch 31,90 Diebstahl 51, 178, 183 Ding an sich 26, 141 direktiv 51 f. Dualität 53, 178 Duldungspflicht 79, 155 Durchsetzung 49, 55, 95, 141 dynamisch 158-161 - begrenzte Dynamisierung 158 effizient 68, 123, 174 Eigenschaft 41, 45, 59, 74, 83, 96, 100-108, 117, 119, 121, 126, 144, 153, 157, 165, 170, 177-179, 181 - negative 84 Eigentum 52, 119, 184-188,211 f., 214 - Wohnungseigentum 130 Einbettung 82 Eindeutigkeit 31, 57, 128, 147, 178, 209 Einfachheit 37, 70, 133, 157, 201 Einfluß 38,40,44, 133 - des Rechts 33 - Einflußnahme 26, 30 Eingriffsrecht 155 Einheit 24, 56, 74, 96, 103-108, 127, 134, 161 f., 192 - Rechtsvereinheitlichung 133 Einzelfall 33, 50, 65, 83, 85-94, 112, 146, 149, 151, 174,215 Eliminieren von Zuordnungssätzen 149 empirisch 14, 15, 38, 45, 142, 144, 166, 193 Empirismus 164 Enthaltensein 57, 169 entlehnt 221 Entpolitisierung 31, 88, 217 Entscheidung 36, 88, 175 Entschuldigungsgrund 155
251
Entziehung elektrischer Energie 35, 138 Erde 124,134,224 Ereignis 122, 136, 197, 203, 207, 211 Erfolg 80, 207, 211 Erflillungsgegenstand 116 Erkenntnis 27, 28, 30, 56, 84, 88, 90, 99, 110, 111, 116, 128, 147, 207 - Erkenntnisgrund 172 - Erkenntnistheorie 17, 41, 62, 98, 104, 106, 118 erklären 53, 194 erlaubt 83 - Erlaubnis 130 - Erlaubnistatbestandsirrtum 13, 156, 208 Ermächtigung 138 Erweiterung 84 - eines Modells 185 Erzwingung - der Gegenständlichkeit 31 - des Theoriecharakters 38 Ethik 29,81 Europa 44, 133 evaluativ 50 exakt 21, 152, 181 Exaktheit 112, .174-176, 177 - partielle 175 Experiment 39, 124, 166, 197-199, 203 - Experimentiergesetzgebung 33 Extremfall - einer rechtlichen Theorie 190 - eines Modells 121, 182, 183 Fahrlässigkeit 78, 155,209 Fall siehe Einzelfall - Fallgruppe 65, 92 - Fallsystem 64-66 Falsifikation 21, 124, 742,203 Falsifikationskriterium 15, 168 f., 175 - empirisches 170, 195, 199 f. familiarity of principle 202 Fehler 47,68, 175 - Anwendungsfehler siehe dort -Fehlerfreiheit 14, siehe auch Widerspruchsfreiheit - Fehlerlehre 188 - Konstruktionsfehler 51
252
averzeichnis
Fehlschluß: naturalistischer 36, 41, 80, 172 f., 197 Feststellung 21,31,92, 166, 175, 177, 190 fixieren 85, 89, 160, 200 Folgerung 39, 46, 49, 53, 59, 61, 6690, 95, 98, 99,118, 147 f., 159, 167 f., 173, 178 f., 184 f., 194, 201, 215 formal 19,42,49-55,61,65-70,95, 103, 116, 172, 180-182, 191 f. - Formalismus 100 Fortentwicklung - des Rechts 34 f., 38, 219 - von Theorien 21, 92, 94, 122, 177, 183 f., 215 Fortschritt 19, 21, 35, 56, 64, 89, 150, 175, 186-190, 200, 202,215,219 Fragestellung 13, 18 f., 21, 44, 85, 152 f., 176 - rechtsdogmatische 66, 83 Freiheit 42, 54,94, 111,206 - äußere 49, 140, 154,212 - bei der Wahl der Prämissen 42, 46, 57, 60 f. - bei der Wahl von Modellen 148 - der Willkür 69, 205-207 - wissenschaftliche 46, 60, 64, 94, 111 Freiheitssphäre siehe Handlungsspielraum Freirecht 44 Fürst 90, siehe auch Gesetzgeber Gebot 54,81, 129, 178, 183, 195 Gegenstand 16, 19, 23-49, 52, 83, 95120, 134-139, 162 f., 177-179, 186, 192, 202,218 - abstrakter 19 f., 27, 31, 37, 45-48, 59, 67, 69, 95 f., 103, 107-117, 139-145, 161, 167, 179, 185 - einheitlicher 101-107, 127 - ,großer' 25,95, 116 - konkreter 59, 95, 144 - modellierter 106-114, 118, 193 - nachgeordneter 47 - positiver 96, 194 - quasi-empirischer 44 - Quasigegenstand 53
- realer 37, 108, 126, 136-141 - spezieller 95-98, 101, 106, 1 Π Ι 17, 125, 177, 181-183,204 - Unterscheidbarkeit 99, 101, 104 - vorgegebener 37, 96, 99, 101-103, 107, 111, 117, 126, 139 Gegenstandsbereich 13, 24, 30, 67, 73, 95,99-102, 105, 181,212,217 Geisel 186 Geisteswissenschaften 37, 108 Geltung 21 f., 3 7 ^ 9 , 40, 59-63, 8592, 95, 120, 132 f., 161, 167-173, 179 f., 215, 217 - In-Geltung-Setzen 38,87-90, 161 - Theorie der Geltung 47, 90, 161 Gemeinsamkeit: in Theoriebildung 17, 29, 201 Gemeinspruch 28 Genossenschaft 96-104, 115, 126, 184 Geometrie 46, 60, 68, 73, 118, 134 - projektive 15, 151 Gerechtigkeit 34, 41, 191 Gesandtschaft 26 Geschäftsfähigkeit 205 Gesellschaft 32,43,48,96, 107, 136, 162, 196,210 - Gesellschaftsrecht 14, 67, 95, 97, 115 - Gesellschaftsvertrag 206 Gesetz 20, 70, 75, 87, 127, 138, 149, 160, 179, 198 f., 215 - Gesetzbuch 34, 44, 61, 224 - Gesetzestext 43 f., 88, 156, 214 Gesetzgebung 23, 33, 38 f., 63, 86-92, 132, 138 f., 159-162 - Gesetzgeber 20, 32-35, 43, 86-92, 120, 133, 140, 155, 161,219 - Gesetzgebungsvorschriften 160— 162, 180 - Theorie der Gesetzgebung 157, 159 Gestaltungsspielraum 120 Gewaltenteilung 34, 85 - Verschränkung 91, 224 Gewohnheitsrecht 39, 90 Gipsform 125,221 Glasperlenspiel 48 Gleichheit 73,50, 127,223 Grammatik 52
verzeichnis Grundbegriff 17, 45, 121-123, 145 f., 174, 181-183, 186-191,213 Grundlagen 16,34,55 - Grundlagendiskussion 17 - Grundlagenforschung 77 - Grundlagenkrise 17 Grundnorm 34,38,41 Grundrecht 38, 43, 206 Gültigkeit 167, 170 Haftung 131,7 58, 185,211 Handlung 20,27-30,36,41,48-58, 69, 79-86, 89,779, 121, 135, 146, 151, 195, 204-214, und passim - Handlungsfähigkeit 131,205 - Handlungsform 32 - Handlungspflicht 80 - Handlungsspielraum 49, 54-58, 84, 86, 94, 97, 779, 130, 154, 169, 195,212 Handlungstheorie: normative 20, 48, 195,212 Heimatstaat 44 Hermeneutik 43, 45, 88, 145 - juristische 43 - Spirale 145 Hierarchie 138, 160 - der Normen 132, 160-162, 180 Hilbertprogramm 73 Hin-und Herwandern des Blickes 146 Historische Schule 98 historisches Faktum 137 Homologie 223, 225 hypothetisch 37 - Hypothese 110, 123,203 - hypothetisch-deduktiv 20, 59, 99 f. Ideal 777 - Idealisierung 16, 37, 64, 102, 109112, 139, 142, 223 - idealistisch 217 identifizieren 24, 53,102-107, 127, 151,205,207 Ideologie 31 ignorantia facti 209 Imperativ - hypothetischer 59 - kategorischer 59, 69 f., 171 f., 199 Implementierung 34, 55,126
253
Implikation 76, 172 impossibilium nulla obligatio 86 Indikator 183 Individuum 24, 30, 33, 56, 196, 205 induktiv 15,45,54, 197,203 Inklusion siehe Enthaltensein Interesse 61, 63, 69, 75, 83, 87, 106, 111, 116, 722, 147, 157, 182, 191, 211 - interessefrei 26 - Interessenkonflikt 32, 154,217 Interpretation 16,20, 144-150, 174, 180,2/9 Irrtum 130, 140, 208, siehe auch Erlaubnistatbestandsirrtum und ignorantia facti Isomorphic 225 Jurisprudenz 19, 23, 40, 42, 123, 133, 175, 218, siehe auch Rechtswissenschaft - niedere und höhere 279 Jurist: wahrer 204 Justiz siehe Rechtspraxis Kalkül 24,68, 172 Kardinalität 159 Kauf 91, 136, 225 Kausalität 121-125, 195,207 - Kausalkette 123 - Kausalmethode 217 Kenntnis 21, 48, 70, 86, 170, 207-211 Kind 187 Klasse siehe auch Äquivalenzklasse - von Fällen 50, 67 - von Handlungen 57, 169 - von Sätzen 134, 139, 141 Klassifikation 51,59,65 - d e r Modelle 139 - möglicher Betrachtungsweisen 99 - rechtlicher Sätze 21, 174, 177184,189 - rechtsdogmatischer Fragen 66-69 - von Fällen 78 - von Modellen 125, 134 - von Staatsmodellen 132 Kodifikation 34, 44, 61, 129, 132 f., 224
254
averzeichnis
Kollision 76, 78, 93, 156, 178, siehe auch Pflichtenkollision Kommentar 149 kommissiv 51 Kommunikation 55, 119 Kompetenz 34, 120, 132 Komplexität 100, 102, 125, 143, 185, 193,205,215 konkretisieren 33,95, 137, 180 Konkurrenz 65, 156 Konsequenz siehe Folgerung Konsistenz siehe Widerspruchsfreiheit konstatieren 26,31,53 konstituieren siehe verfassen Konstruktion 16, 23, 65, 96-102, 107111, 116, 126, 130, 137-141, 157, 184, 189, 196, 205-207, 224 - konstruierend 17, 96-102, 104 f., 117, 126, 138,217 - Konstruktionsfehler siehe bei Fehler - Konstruktivismus 97 Kontext 49, 166-168, 171 Kooperation 55, 195 Körper 15, 46, 108 f., 131, 2/9, 224 - Körperschaft 131, 151 - Körperverletzung 76, 183 Kraft 109, 139, 200 - normative Kraft des Faktischen 197 Kultur 33 - Kulturwissenschaften 25 Kürze 68, 75, 108, siehe auch Verkürzung Leben 25-28,81 Legislative 88, siehe auch Gesetzgeber Lehrbuch 149 Leistungsfähigkeit 57, 73, 111-113, 124, 148,214 Letztbegründung 40, 60, 171, 218 Literatur 15,78,149 Logik 16, 29, 37, 46, 66-87, 94, 100, 124, 167, 180, 203,213 -juristische 161 - zweiwertige 165 logisch-deduktiv 68, 181 Lösungsvorschlag 33
Lücke 17,31,35,215 Marburger Schule 105 Maßstab 222 Mathematik 14-21,27,29,37,46, 67-73,77, 98, 106,118, 136, 147, 150, 165-173,200, 221 Maxime 27, 69, 199 Mechanik 15, 85, 89, 109 f., 135 f., 139, 150, 154, 203,224 Medizin 64 Meinung: herrschende 92, 174 Mengenlehre 57, 65, 77 Menschenrecht 206 messen 222 f. Metabetrachtung 142 Metaphysik 90, 106, 110, 122, 171 Metaregel 94, 144 Metasprache 93, 142, 153-159, 163, 170, 189, 204 Metatheorie 21, 136, 178,213 Metawissenschaft 23 Methode 15,24,29,36,42,64,67, 203, 218 f. - axiomatische 60, 72, 100 Methodenlehre 17, 21, 31, 78, 94, 204, 213 Miniatur 125 Minimalforderung 74 Modell 15-21,95,105-153,165, 173-225 - fundamentales 21,204 - idealisiertes, semantisches, theoretisches und strukturelles 134-144 -plastisches 118 - rechtliches 119 f., 131, 134, 195, 219 - sprachliches 118, 135 Modelle - A t o m m o d e l l 15,134,224 - Kausalitäts-Modell 121 - Metamodell 213 - Minimalmodell 119, 121, 183 - Modellbegriff 16, 21, 117, 134, 144-147, 174, 180-190, 207, 214 - Modellbeziehung 127, 135-144 - Modellbezogenheit 110-112,207, 214
verzeichnis - modellieren 15, 18, 106-113, 124, 134, 141, 150, 194, 225 - Modelliertes 106, 111, 125-127, 134, 137, 192-194, 207 - Modellregel siehe Regel - Modellsatz 20, 115-118, 145, 147, 149, 151 f., 159, 175-188, 208 - Modellsubjekt 128 - Rechtssubjektsmodell 205 f., 210, 213 - Schurken-Modell 191 - Subjekt-Cosubjekt-Modell 114 -Täter-Opfer-Modell 114,154 - Vertragsmodell 128, 144 - Zurechnungsmodell 207-213 Modellgesetze - europäisches Modellstrafgesetzbuch 133,224 - Model Code of Evidence 133 - Model Penal Code 133,224 Modelltheorie 17 - allgemeine 16 f. - mathematische 16, 116, 145 - rechtswissenschaftliche 122 Modellversuch 224 Modellwissenschaft 225 Modul 222 Monopol 55 moral sense 198 moralisch 198 Moralwissenschaft 196 more geometrico 19,38,218 Motivation 20, 44, 47, 61-63, 67, 82 f„ 90, 99, 104, 147 f., 173, 177, 202 f.
86,
naiv 35, 170, 192 Natur 200 - Naturgesetz 54 f., 109, 123, 127, 129, 143, 197-199, 203 - Naturrecht 17, 43, 98, 167, 218, siehe auch Vernunftrecht -Naturwissenschaften 14-21,29, 36-39, 53-56, 89, 98, 109 f., 123125, 142, 144, 165, 170, 194, 198203,207,217, 223 necessitas absoluta 208 f. neutral 59, 84, 7 0 5 , / / / , 218 New Model Army 132
255
Norm 15 f., 20, 31-42, 52, 54, 78 f., 86, 96, 163, 189, 206 - Adressat einer Norm 54, 86 f., 195, 204 - Normenkollision siehe Kollision - Normenlogik 20, 707, 163, 775, 214 - Normgeber 57,90, 180, 195, siehe auch Gesetzgeber normativ 32, 48, 80-82, 137 f., 167, 197 Notstand 52, 79, 81,225 Notwehr 7(5,81 nulla poena sine lege 35 Nutzen 63 f., 98, 112, 125, 128, 147 f., 192,219 Objekt siehe Gegenstand - objektiv 26, 52, 70, 90, 146, 166 - objektivierend 65, 164 - Objektivität 26, 175 Objektsprache 142, 153-159, 189, 204 Ökonomie 47, 74, 770, 116, 142, 199202 Ontologie 25, 106 Optimierung 47, 56, 777, 128, 169, 201 Organ 97, 115, 151,210 Organisation 32, 131 Original 125-128,225 Parlament 32, 43 f., 90, 132, 757, 224 Partei: eines Vertrages 157 Person 128, 131, 189,211 - Anzahl von Personen 49, 154, 157 -juristische 115, 131, 151,205,210 - natürliche 131, 151, 205 Pflicht 52-54,77,93, 115, 131, 153158, 173, 189,212 Pflichtenkollision 77,92, 156 Philosophie 15, 28 f., 40, 98, 110, 123 f. - politische 47, 62 Physik 14, 37, 85, 89, 98, 100, 110, 116, 118, 122, 134-136, 139, 150, 198-201,222 Planfeststellung 224 Poiesis 28
256
averzeichnis
Politik siehe Entpolitisierung - Politikwissenschaft 196 - politisch 35, 43, 57, 62, 87 Positivismus 14, 43, 97, 101, 106, siehe auch Rechtspositivismus - positivistisch 17, 35, 39, 96-111, 117, 126, 137-139, 142,217 Präferenzentscheidung 57,217 Pragmatik 62, 124 f., 128 Prämisse 20, 41 f., 45, 49, 59, 68, 71, 75,79, 83-85, 95 f., 99,101, 104, 116, 123, 152, 159-161, 167, 169, 178, 199, 201, 203, 218, und passim - einzige 70 - Überleitungsprämisse 81 präskriptiv 15, 29, 46-54, 80, 88, 93, 129 f., 135, 153, 163, siehe auch hei Aussage und Satz Praxis 28 f., 64, siehe auch Rechtspraxis Präzedenzfall 91 Präzision 68, 71, 162 Prinzip 69, 146 Prognose 30, 36, 53-57, 89, 97, 124, 127, 129, 143, 147, 195, 198, 203 Promulgation 86 Proplasma 221 prospektiv 129 Prototyp 167,225 Psychologie 36,54,97 Qualität 21, 113, 124, 128, 138, 177, 191-201 Quantifikation 24, 162, 166, 198 quantitativ 18 quasi-empirisch 142, siehe auch bei Gegenstand rational 54,83,95 - rationalistisch 96-111, 126,217 Realisierung 126, 128, 136, 224 f. realistisch 97, 98, 107, 126, 217 - Realismus 105 Realität 98, siehe auch Außenwelt und Wirklichkeit - Realitätsanspruch 41 - Realitätsverlust 142
Recht 21, 25, 31, 35-42, 57, 61, 87 f., 98, 101, 141, 157, 177, 204, und passim - Eingriffsrecht 77 - geltendes 20, 30, 37-42, 47, 55, 61-63,85,89-93, 120, 153, 157, 209,212 - kodifiziertes 132 - objektiv richtiges 57, 90 - positives 30 f., 39, 45, 62, 75, 88, 92, 172, 190,218 - Sache Recht 45 - subjektives 52, 115, 131, 141, 154, 212 Rechtfertigung 81, 155 f., 208 - der Prämissen 62 Rechtmäßigkeit 84 Rechtsdogmatik 23, 28, 30, 38, 44, 48, 61-63, 66 f., 78, 94, 117, 152, 191, 218 Rechtsfähigkeit 131,205 Rechtsfahrgebot 39,69,91 Rechtsfolge 13, 20, 89, 129, 137, 140, 144, 189, 198,211-214 Rechtsgebiet 13, 92, 95, 114, 204 Rechtsgeschichte 23, 30, 54 Rechtsgewährung 34 Rechtsinstitut 46, 66, 79, 92, 130, 139, 184, 186 f., 212, 219 Rechtslogik siehe Normenlogik Rechtsobjekt 187,204,212 Rechtsordnungen 13,23,32,36,46, 83, 101, 116, 120, 152-163, 161, 176,218 - alternative 37 - Ausarbeitung 42 f. - geltende 59, 90, 93, 132, 152, 162 - gute 35, 45 - interessante 71 - kontinental-europäische 129 - mögliche 20, 42, 45, 57, 66, 71, 83,95, 179 - objektiver und subjektiver Teil 52 Rechtsorgan 32,34,39 Rechtsphilosophie 23, 47, 57, 62, 78, 117, 217 f. Rechtspolitik 62 Rechtspositivismus 74,17,39,43, 60 f., 98, 101, 132, 138, 172,217,
verzeichnis siehe auch Positivismus und positivistisch Rechtspraxis 20, 23, 33, 44, 55, 63 f., 87-92, 133, 138, 175,219, siehe auch Rechtsprechung Rechtsprechung 32, 34, 55, 87-92, 120, 133, siehe auch Rechtspraxis Rechtsquelle 37 Rechtsrealismus 35,98, 164 Rechtssatz 20, 37, 69, 101, 114-116, 118, 120 f., 140, 152, 159,170, 173191,210 - im Sinne Kelsens 32, 47, 163 Rechtssicherheit 13 Rechtssoziologie 23, 32 Rechtsstaat 64, 132, 191 Rechtssubjekt 21, 50, 52, 57, 70, 77, 86, 94, 97, 114 f., 130 f., 151, 198, 204-213 Rechtstheorie 23,34, 157,217 - abstrakte 41 Rechtsüberzeugungen 17, 97, 99, 199 Rechtsvergleichung 54 Rechtswidrigkeit 84 Rechtswissenschaft 13, 23-25, 30, 36 f., 42, 44 f., 50, 53, 56, 60-62, 67, 87, 92, 93 f., 98, 102, 112, 115, 120, 137, 139, 143, 148, 161, 173, 176, 198, 202, 217, 219, 224, und passim Reduktion - geltungserhaltende 31,66 - teleologische 31 - von Modellen 182, 202 reduzieren 69, 75, 76, 107, 127 Regel 16, 40, 55 f., 65, 117-127, 137, 152, 180-182, 185 f., 191,214,216 - semantische 113 reimportieren 202 Reine Rechtslehre 31, 132, 157 Rekonstruktion 139,215 Relativismus 218 Reporter 33 repräsentativ 51 restatements 133 Resultat 20, 22, 45, 47, 63, 69, 73 f., 79, 83-85,96, 100, 103, 108, 113, 116, 148 f., 152, 163,777, 173, 175, 180 f., 188, 202 f.
257
- Resultatrisiko 148 f. retrospektiv 129 Richter 36,89,97, 114, 155 - Richterrecht 39, 91 Risiko 148,196,211 Rücktritt (vom Versuch) 35 Sache 49, siehe auch Recht Sanktion 55, 84 Satz 80, 165, 183 f. - deskriptiver 36, 51, 163, 167, 198 - gültiger 167 - metasprachlicher 153, 155, 158 - metatheoretischer 179 - normativer 137 - objektsprachlicher 153-155, 158 - präskriptiver 36, 47, 51, 115, 119, 153-158, 163, 164, 167-174, 178, 198 - rechtlicher 20 f., 48-51, 96, 113 f., 115, 116-119, 144, 152, 161, 175, 177, 180, 184, 190 Satz von Tarski 77 Satzklasse siehe Klasse von Sätzen Scheffel 223 Scheibe 124 Schema 16, 70, 146 Schluß - induktiver 203 - logischer 167, 772, 175 Schlußbestimmung 179 Schuld 50, 79, 120, 186, 208, 212 Schurkenparagraph 190 Selbstbeschränkung siehe Beschränkung selbstevident 60 Selbstverständnis 34, 37, 42 Semantik 113, 118, 153, 180 Sicherheit: einer Prognose 55,129, 143 Sicherung - der Widerspruchsfreiheit 68 - der Wissenschaftlichkeit 61 - des Gegenstandes 35 Sinn 43,52, 138, 146, 166,213 Situationsbezogenheit 54 Souverän 92 Sozialwissenschaften 16,54 Soziologie 32,48, 54, 97, 162
258
averzeichnis
species facti 129 Sprache 107, 111, 777, 200 f., 204, 225 - formale 24, 153 Sprachebene 51, 76, 153-159, 169, 180, 189,213 Sprachspiel 113 Sprechakt 51 - performativer 163 Staat 131, 146, 151, 155, 179,206, 225 - Staatsprinzipien 38 Stadtrechtsfamilie 133 statisch 156-162 Steinbruch 94 Stellvertretung 184,210 Steuersparmodell 224 Strafrecht 14, 35, 55, 64, 84, 93, 121, 130, 133, 140, 154-157, 187, 191, 208-210, 224 Straftat 114, 190 Struktur 14, 19,89, 125, 174 f., 183, 204,225 - innere 96 - logische 48, 71, 86-91, 95-100, 105, 722, 183 - rechtlicher Theorien 90, 95, 116, 218 Stufenbau siehe Hierarchie Subjekt - erkennendes 26, 109 - Rechtssubjekt siehe dort - subjektiv 52 Subsumtion 54, 138, 143, 146, 181, 215 System 13, 23, 29, 43, 64, 68, 74, 81, 792, 203,214 - deontologisches 173 - dynamisches 162 - formales 100 - geschlossenes 123, 162 - offenes 87 - rechtliches 162 - vollständiges 73 - von Aussagen 80, 82, 173, 198 - von Begriffen 113 - von Regeln 123, 197 - von Sätzen 52 f., 82, 113, 136, 156, 159
- von Verhaltensregeln 213 Tatbestand 65, 78, 129 f., 137, 140, 144, 154-156, 190 f., 198, 209-216 - Deliktstatbestand 129 f., 155 - normatives Tatbestandsmerkmal 140 Täter 78, 114, 119,130, 149, 151, 154, 187, 209 - Täterschaft 210,212 Tätigkeitsfeld 40 Tatsache 23,36,37,41,97, 137, 200 f. Teilnehmer 78, 154 Text 43 f., 145, 215, siehe auch Gesetzestext Theorie 13, 18, 26-30, 45, 63, 76, 85, 92, 100, 108-110, 113, 118, 121, 133, 136, 162, 168-170, 174, 178 f., 191, 201-203, 213, 223, und passim - abstrakte 41, 75, 147-151, 179 - allgemeine 67 - anzuwendende 89 - axiomatische 74, 89, 117 - deduktive 18, 20, 42, 45, 48, 74, 83,88, 99 f., 150, 161, 165, 178, 219 - des richtigen Rechts 117 - empirische 144f. - herrschende 92 - im engeren Sinne 112 - interpretierte 149-151 - konkrete 179 - mathematische 37, 73, 77, 722, 168, 173 - normative 207 - ohne Zuordnungssätze 147 - rechtliche 15, 42, 45, 49, 59, 71, 80, 85,88, 95, 115 f., 1 19, 722, 135, 152-154, 159, 161-164, 173, 176, 179, 184, 190, 195, 199, 201, 204, 213, 218, und passim - spezielle Teile 67 - statische 157 - wissenschaftliche 14, 18, 38, 89, 112, 165, 168, 183 Theorie der ... siehe jeweils dort Theoriebildung 13, 17-19,26-30,36, 40-42, 53, 71, 83, 85 f., 89, 92 f.,
verzeichnis 95, 100, 102-104, 107, 111, 115, 722, 124, 145, 157, 164, 173, 176, 181, 184, 191,200, 205, 218 f., 223 Theoriesprache 20 Thermodynamik 15,150,224 Timesharing 224 Topik 62 Totschlag 49,55,81, 114, 197,211 Tugend 69 Übereinstimmung 53, 103, 138, 165 f., 192, 194, 223 Übergang - von einem Modell zu einem anderen 125,185-188 - von einer Satzart zu einer anderen 21, 184, 202 - von einer Sprachebene in eine andere 189 Überschneidung - logische 75 - Überschneidungsbereich 40, 102 Übersichtlichkeit 68-71,75,86, 113, 127, 156, 189 Übertragung von Modellen 150 f., 224 umgangssprachlich siehe Alltagssprache Unabhängigkeit 22, 26, 35, 48, 59, 71, 74-76, 80, 82, 97-104, 106, 777, 149, 168, 192, 194 - von Geltung 41, 48, 63 Und-Verknüpfung 70, 75 f., 169 unendlich 70 unerlaubte Handlung 755,185 Universalienstreit 17 Unterlassung 79, 121, 123, 129, 775, 208 - Unterlassungsdelikt 155 - Unterlassungspflicht 77, 93 Unvollständigkeitssatz 72 f., 77 Unwiderlegbarkeit 123, 193 Urbild 125,225 Urkunde 184 Urteil 21, 54, 82 f., 112, 138, 149, 167 - exaktes 112, 174-178, 190 Utilitarismus 81 Verallgemeinerung 21,36,45, 114, 162, 186, 199,216
259
Veränderung - des Gegenstandes 26, 161 - des Rechts 30, 158 - Veränderungsverbot 30 Verantwortung 55,208,212 Verbindlichkeit 40, 85, 91, 186, 190 Verbot 34, 54, 60, 83, 114, 775, 183, 195 Verdienst 212 Vereinfachung 75, 127, 142, 186,207 Vereinigung - von Modellen 182,202 - von Prämissen 70 verfassen 16,45-47,96,101-104, 105, 117, 125 f., 144, 204-206 - Staatsverfassung 69, 206 Verfeinerung 187 Verhaltensmuster 146, 196 Verhaltensregel 20 f., 55, 114, 170, 195 f., 212, 221 Verifikation 142, 166-169, 202, siehe auch Bestätigung - Verifikationskriterium 142, 168 f., 203 Verkürzung 100,126-128,200 Vermutung 216 Vernunft 38, 167,218 - praktische 90, 130, 205 - Vernunftrecht 38-40, 43, 60, 98, 101, 217 f. Verordnung 91, 137 f. Verrechnung 58 verstehen 43,54,215 Versuch 155,211, siehe auch Experiment und Modellversuch Vertrag 55,90, 131, 136-139, 143, 153, 157, 221,223 f. - Rahmenvertrag 158 - Vertragsrecht 157 Vertrauen 185 Verwaltung 89 - Verwaltungsakt 158, 188 - Verwaltungsrecht 158, 188 Vollständigkeit 37, 63, 65, 67, 71-74, 83 f., 87, 93,99, 102, 174,212 - der Klassifikation 179 - Vervollständigung 73, 84 - Vollständigkeitssatz (Geometrie) 73
260
averzeichnis
Vollstreckung 55, 89 Vorarbeiten: wissenschaftliche 33-35, 67 Vorbild 108, 125, 130, 133, 135, 173, 196, 221,225 - V o r b i l d - M o d e l l 126, 129, 136 f., 143,217 vorgegeben 17,28,31-37,43,64,90, 96-98, 201, siehe auch hei Gegenstand Vorsatz 78, 114, 130, 208 f. Vorstellung 135,142, 146, 166, 194, 214 Vorverständnis 43, 146 Wahrheit 51, 61, 76, 104, 148, 163172, 192 f. - wahrheitsdefinit 165-167 Wahrheitskriterium 47, 166-172, 192 Wahrheitswert 166, 168, 170 - absoluter 171 Weimarer Republik 34 Weiterentwicklung siehe Fortentwicklung Welt 51, 111, 193, 200, siehe auch bei außen - mögliche 151 - moralische 198 - reale 151 Wenn-Dann-Beziehung 59, 73, 74, 167, 171, 172, 184 Wertung 21, 79-82, 174-176, 216, siehe auch Bewertung - Wertungswiderspruch 79-82 Widerspruch 39, 76 f., 93, 105 - Widerspruchsfreiheit 13, 33, 43, 61, 66, 68-80, 85-87, 92, 98, 119 f., 124, 151, 156, 168, 192, 199,212 - Widerspruchsfreiheit in Normhierarchie 161 Wiener Kreis 17 Wille: des Gesetzgebers 93 Willkür 31, 64, 84, 94, siehe auch bei Freiheit Wirklichkeit 16, 41, 48, 60, 64, 108111, 115, 142, 146, 167, 174, 192 f., 197, 205, 223, siehe auch Außenwelt
- rechtliche 122, 140, 198 - soziale 205 Wirksamkeit 97, 188 Wissen 26, 42, 46, 72, 151, 178, 200 Wissenschaft 13-29, 18, 42, 46, 53, 56, 79, 87f., 92, 94, 100, 102, 112, 139, 162, 175, 199-201,218, siehe auch diverse Einzelwissenschaften und Gattungen - angewandte 112, 148 - deduktive 167, 174 - empirische 37, 54, 199, 203 - exakte 37-39, 67, 175 - normative 18, 32, 95, 164, 201 -Wissenschaftlichkeit 75,61-63, 69, 71, 75, 79, 83, 100, 108, 112, 133, 164, 176, 178, 181, 191,203, 218 Wissenschaftstheorie 14, 19,59,62, 124, 134, 144 Zeichen 108, 119, 150, 194 Zeit 37, 85, 122, 128, 148, 179, 194, 200, 204 Zielsetzung 13, 22, 31, 36, 40, 45-58, 64, 70, 72, 75,83,87, 92, 95, 127, 143, 149, 152, 169, 175-179, 184, 191, 199-201,212,217, 224 Zirkel 121-123, 145 Zivilrecht 53, 55 Zufall 65, 105, 218 Zuordnung 16, 114, 144, 165, 212, 214 - Zuordnungssatz 20, 115-119, 122, 144-152, 174, 177-190, 205,207, 211,215 f. Zurechnung 21, 50, 121, 123, 146, 154,204, 206-213 - abstrakte Zurechnungsnorm 208 - außerordentliche 208 f. - konkrete Zurechnungsnorm 115, 207 - ordentliche 208 f. - Zurechnungsregel 20, 114,207210, 213 -Zurechnungsstufen 727,207-212 Zwang 49, 55, 141