Ralph Cudworth – System aus Transformation: Zur Naturphilosophie der Cambridge Platonists und ihrer Methode 9783110286342, 9783110286229

Ralph Cudworth’s (1617-1688) True Intellectual System of the Universe is considered the high point of philosophical prod

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German Pages 545 [548] Year 2012

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Table of contents :
1. Einleitung: Text, System und Methode
1.1 Autor und Text: Der Anspruch
1.2 Transformationsanalyse und Intertextualität
1.2.1 Cudworths Antike
1.3 Johann Lorenz Mosheim und sein Kommentar zum True Intellectual System
1.4 Das naturphilosophische System - Synthese aus Atomismus, Neuplatonismus und christlicher Theologie
1.4.1 Gott - ein binnendifferenziertes Prinzip
1.4.2 Die Seelen - Energiezentren und Wirksphären
1.4.2.1 Plastic natures - teleologisches Wirken auf atomarer Ebene
1.4.3 Die Materie - Passivität und Prädisposition
1.4.4 Zu Gott - von Gott: Die Argumentationsbewegung im System und die Lektüre als Weg zur deificatio
1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway – antagonistische Formationsbedingungen und Parameter für Cudworths True Intellectual System
1.5.1 Descartes: Mechanist und Atheist
1.5.2 Hobbes: Radikalisierter Mechanismus
1.5.3 Walter Charleton: Religiöser Atomist und reduktionistischer Atheist
1.5.4 Anne Conway - christlicher Hylozoismus
2. Transformation und Konstruktion: Empedokles als „religious atomist“ und exemplum eines „true system“ of the universe
3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus
4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der göttlichen, transzendenten Ursache
4.1 Cudworths Gott als sich entäußernde Kraft
4.2 Der ontologische Status der plastic nature als „dienende Kraft“
4.2.1 Die plastic nature als Ergebnis einer kombinierenden Transformation stoischer Vorstellungen
4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe: Neuplatonische Transformationen vorsokratischer Philosophie -Fokussierung, Ausblendung und Kombination
4.3.1 Die plastic nature als law of nature
4.3.2 Die weitere Beschreibung des Wirkens der plastic nature in der Welt
4.3.3 Pneumatische Magie
4.3.4 Cudworths Empedokles: Neuplatoniker und Magier
5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott als liebendem Ursprung der Welt
5.1 Ein konstruierter Monotheismus: Cudworths Umgang mit antik-paganen Texten und sein systematischer Gehalt
5.1.1 Präfigurationen der Trinität
5.1.2 Der allen gemeinsame Gott als δύναμις πάντων
5.1.3 Eros oder die Liebe Gottes
5.2 Die Gründungsväter der prisca theologia – metaphysische Theologie zu Beginn der Geschichte
5.3 Metaphysik in der Dichtung - Cudworth und die integumentale Hermeneutik als Möglichkeit, Religionsphilosophie zu betreiben
6. Cudworths neuplatonische Trinität oder die Binnendifferenzierung Gottes als dynamische Wirkeinheit und Lektüreerfahrung
7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs in Bezug auf Gottes Verhältnis zur Natur – Cudworths Trinität im Diskurs der Umstände
7.1 „God is always understood a creator [...] out of nothing“ – Die Trinität als schöpferische Kraft
7.2 „The Deity [...] is [...] more indivisible, and more one with itself, than any thing that is little, and more powerful than any thing that is great" – Gott als Minimum und Maximum der Schöpfung
7.3 „God himself is called place“ – die Notwendigkeit eines trinitarischen Gottes und wie seine Anwesenheit in der Welt zu denken ist
7.4 Engelhafte Wesen als virtutes Dei – Ursächlichkeitsformen Gottes in der stofflichen Welt
7.5 „An energy as is within the very substance or essence of that which thinketh“ – Die Seele als gottähnliche Kraft in der Welt
7.6 „Angelical and human souls are [...] not bodies, yet they are always in bodies, or clothed with bodies“ – Die Seele, der Körper und die vital union: Imago der Anwesenheit Gottes in der Welt
7.7 „[...] that an unextended Deity is no impossible idea [...] because there is something unextended even in our very selves“ – die Seele als Abbild göttlicher Schöpferkraft
7.8 „So that ‘cogitation’ is, in order of nature, before ‘local motion’“ – Nous und Seele als οὐσιωδεȋς δυνάμεις und ihr Platz in der Hierarchie des Seins
8. Die Kontinuität des Seins – „But however thus much is certain, that brute animals [...] cannot be quite excluded“
8.1 „Nor does justice in God clash with goodness“ – das Problem der Verschränkung von göttlicher Vorsehung und Naturphilosophie als Normativ
8.2 „[...] there must of necessity be some natural bond or vinculum to hold them all together“ – die Verschränkung von göttlich durchwobener Natur und Staat im System
Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Primärtexte
Sekundärliteratur
Personenregister
Sachregister
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Ralph Cudworth – System aus Transformation: Zur Naturphilosophie der Cambridge Platonists und ihrer Methode
 9783110286342, 9783110286229

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Lutz Bergemann Ralph Cudworth ⫺ System aus Transformation

Transformationen der Antike

Herausgegeben von Hartmut Böhme, Horst Bredekamp, Johannes Helmrath, Christoph Markschies, Ernst Osterkamp, Dominik Perler, Ulrich Schmitzer

Wissenschaftlicher Beirat: Frank Fehrenbach, Niklaus Largier, Martin Mulsow, Wolfgang Proß, Ernst A. Schmidt, Jürgen Paul Schwindt

Band 23

De Gruyter

Lutz Bergemann

Ralph Cudworth ⫺ System aus Transformation Zur Naturphilosophie der Cambridge Platonists und ihrer Methode

De Gruyter

Gedruckt mit Mitteln, die die Deutsche Forschungsgemeinschaft dem Sonderforschungsbereich 644 „Transformationen der Antike“ zur Verfügung gestellt hat.

ISBN 978-3-11-028622-9 e-ISBN 978-3-11-028634-2 ISSN 1864-5208 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. 쑔 2012 Walter de Gruyter GmbH & Co. KG, Berlin/Boston Einbandgestaltung: Martin Zech, Bremen Logo „Transformationen der Antike“: Karsten Asshauer ⫺ SEQUENZ Druck und Bindung: Hubert & Co. GmbH & Co. KG, Göttingen ⬁ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Das Buch zu „Ralph Cudworth – System aus Transformation. Zur Naturphilosophie der Cambridge Platonists und ihrer Methode“ ist die berarbeitete Version meiner gleichnamigen Habilitationsschrift zum Thema neuplatonischatomistischer Transformationen in der englischen Philosophie der Frhen Neuzeit. Zu dieser Schrift (und zu diesem Schritt) wre es ohne Verena Lobsien nicht gekommen. Sie hat als Teilprojektleiterin im SFB 644 „Transformationen der Antike“ der Humboldt-Universitt zu Berlin nicht nur die entscheidenden Anstçße zu diesem Buch gegeben, sondern auch die Arbeiten daran stets beraus aufgeschlossen, engagiert, geduldig und interessiert begleitet und gefçrdert. Fr dieses Engagement bin ich ihr sehr dankbar. Thomas Leinkauf von der Westflischen Wilhelms-Universitt Mnster hat die Arbeit als Betreuer organisatorisch und inhaltlich intensiv begleitet. Dafr und besonders fr seine freundschaftliche Offenheit und sein persçnliches Eintreten gebhrt ihm mein aufrichtiger, tiefempfundener Dank. Walter Mesch hat es bernommen, ein Habilitationsgutachten zu verfassen. Fr diese Bereitschaft, sein Interesse und fr seine Bemhungen mçchte ich mich hiermit ganz herzlich bei ihm bedanken. Jens Halfwassen, der ein weiteres Gutachten verfasst hat, danke ich ebenfalls fr seine Bemhungen und dafr, dass er mir nachhaltig deutlich gemacht hat, wie wichtig eine kritische, selbstreflexive philosophiehistorische Forschung ist. Hartmut Bçhme und den Herausgebern der Reihe „Transformationen der Antike“ danke ich fr ihre Bereitschaft, diesen Titel in ihre Reihe aufzunehmen. Dem SFB 644 „Transformationen der Antike“ und der DFG mçchte ich fr die bernahme der Druckkosten danken. Nadja Degen und Dorothee Barsch haben es bernommen, den Text der Arbeit korrekturzulesen. Fr diese Bemhung und die Sorgfalt, mit der sie diese – und alle weiteren Aufgaben – erledigt haben, sei ihnen an dieser Stelle herzlich gedankt. Die Arbeitsatmosphre im SFB war und ist fr mich geprgt von solidarischer Offenheit, Zusammenhalt und sehr konstruktiver Zusammenarbeit ber die Fach- und Projektgrenzen hinweg. Meiner direkten Kollegin im Projekt, Cornelia Wilde, verdanke ich daher nicht nur beraus hilfreiche und konstruktive Einsichten in die platonisch geprgte Freundschaftskultur im frhneuzeitlichen England. Darber hinaus bin ich ihr vielmehr wegen mehr als sieben Jahren entspannter und sehr freundschaftlicher, produktiver und kollegialer Zusammenarbeit zu Dank verpflichtet. Aus demselben Grund mçchte ich

VI

Vorwort

mich auch bei den Mitgliedern der Transformations-Arbeitsgruppe nicht nur fr ihre extrem hilfreichen Anregungen, sondern auch und gerade fr eine wirklich gute Zeit bedanken: Julia Weitbrecht, Martin Dçnike, Albert Schirrmeister, Georg Toepfer und Marco Walter – Rock out! Timm Reimers und Michael Weichenhan haben beide auf je eigene Art und Weise die Zeit im SFB ebenfalls zu einer sehr guten Zeit werden lassen, an die ich mich sehr gerne erinnern werde. Vielen Dank dafr! Dem Carpe Diem, seiner Wirtin Gaby und seinen Stammgsten Therese, Nidi, Stefan, Arno, Christian, George (†) und Ecki (†) mçchte ich fr ihre Geduld, ihr Interesse und die guten Gesprche in langen Nchten danken. Ohne meine Freundin und Gefhrtin Solveig wre ich schon lange aus der Wand gefallen – ihr bin ich in Liebe, Freundschaft und Dankbarkeit zutiefst verbunden. „We said wed walk together baby come what may […] I ll wait for you, and should I fall behind, wait for me.“ Meine Eltern und meine Schwester haben es mir durch ihre Anregungen, ihre Zuwendung, uneingeschrnkte Loyalitt, Untersttzung und Liebe nicht nur ermçglicht, diese Arbeit berhaupt erst zu beginnen und zu Ende zu bringen, vielmehr haben sie mir immer auf die verschiedenste Weise geholfen, einen eigenen Weg zu finden. Dafr kann ich ihnen nicht genug danken. Ihnen ist diese Arbeit in Liebe und Dankbarkeit gewidmet. Lutz Bergemann

Berlin, April 2012

Inhalt 1. Einleitung: Text, System und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Autor und Text: Der Anspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Cudworths Antike . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Johann Lorenz Mosheim und sein Kommentar zum True Intellectual System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Das naturphilosophische System – Synthese aus Atomismus, Neuplatonismus und christlicher Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Gott – ein binnendifferenziertes Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Die Seelen – Energiezentren und Wirksphren . . . . . . . . . . . . 1.4.2.1 Plastic natures – teleologisches Wirken auf atomarer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Die Materie – Passivitt und Prdisposition . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.4 Zu Gott – von Gott: Die Argumentationsbewegung im System und die Lektre als Weg zur deificatio . . . . . . . . . . . . . 1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway – antagonistische Formationsbedingungen und Parameter fr Cudworths True Intellectual System . . . . . . . . . . . . . . 1.5.1 Descartes: Mechanist und Atheist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Hobbes: Radikalisierter Mechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.3 Walter Charleton: Religiçser Atomist und reduktionistischer Atheist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5.4 Anne Conway – christlicher Hylozoismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Transformation und Konstruktion: Empedokles als „religious atomist“ und exemplum eines „true system“ of the universe . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Cudworths Gott als sich entußernde Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Der ontologische Status der plastic nature als „dienende Kraft“ . . . 4.2.1 Die plastic nature als Ergebnis einer kombinierenden Transformation stoischer Vorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe: Neuplatonische Transformationen vorsokratischer Philosophie – Fokussierung, Ausblendung und Kombination . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Die plastic nature als law of nature . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Die weitere Beschreibung des Wirkens der plastic nature in der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Pneumatische Magie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Cudworths Empedokles: Neuplatoniker und Magier . . . . . . . 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott als liebendem Ursprung der Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Ein konstruierter Monotheismus: Cudworths Umgang mit antik-paganen Texten und sein systematischer Gehalt . . . . . . . . . . . 5.1.1 Prfigurationen der Trinitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Der allen gemeinsame Gott als d¼malir p²mtym . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Eros oder die Liebe Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Grndungsvter der prisca theologia – metaphysische Theologie zu Beginn der Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Metaphysik in der Dichtung – Cudworth und die integumentale Hermeneutik als Mçglichkeit, Religionsphilosophie zu betreiben

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6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes als dynamische Wirkeinheit und Lektreerfahrung . . . . . . . . . . . 275 7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs in Bezug auf Gottes Verhltnis zur Natur – Cudworths Trinitt im Diskurs der Umstnde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 „God is always understood a creator […] out of nothing“ – Die Trinitt als schçpferische Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 „The Deity […] is […] more indivisible, and more one with itself, than any thing that is little, and more powerful than any thing that is great“ – Gott als Minimum und Maximum der Schçpfung . . . . . . . 7.3 „God himself is called place“ – die Notwendigkeit eines trinitarischen Gottes und wie seine Anwesenheit in der Welt zu denken ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Engelhafte Wesen als virtutes Dei – Urschlichkeitsformen Gottes in der stofflichen Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 „An energy as is within the very substance or essence of that which thinketh“ – Die Seele als gotthnliche Kraft in der Welt . . . . . . . . . 7.6 „Angelical and human souls are […] not bodies, yet they are always in bodies, or clothed with bodies“ – Die Seele, der Kçrper und die vital union: Imago der Anwesenheit Gottes in der Welt . . . . . . . . .

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Inhalt

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7.7 „[…] that an unextended Deity is no impossible idea […] because there is something unextended even in our very selves“ – die Seele als Abbild gçttlicher Schçpferkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 7.8 „So that cogitation is, in order of nature, before local motion“ – Nous und Seele als oqsiyde?r dum²leir und ihr Platz in der Hierarchie des Seins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 8. Die Kontinuitt des Seins – „But however thus much is certain, that brute animals […] cannot be quite excluded“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 8.1 „Nor does justice in God clash with goodness“ – das Problem der Verschrnkung von gçttlicher Vorsehung und Naturphilosophie als Normativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 8.2 „[…] there must of necessity be some natural bond or vinculum to hold them all together“ – die Verschrnkung von gçttlich durchwobener Natur und Staat im System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 Schlussbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 Primrtexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 Sekundrliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530

1. Einleitung: Text, System und Methode 1.1 Autor und Text: Der Anspruch Ralph Cudworths Leben (1617 – 1688), seine Ttigkeit als Theologe, Philosoph und Universittslehrer besitzt ein klares rumliches wie intellektuelles Zentrum: Cambridge.1 Dort studiert er von 1630 – 1639 und wird anschließend fellow am Emanuel College in Cambridge. Nach umfassenden Studien „[of] all parts of literature“2 erhlt er 1644 den „Bachelor of Divinity“. Im selben Jahr wird er „master of Clare Hall“ in Cambridge, wo er von 1645 – 1651 ebenfalls das Amt eines Professors fr Hebrisch innehat. 1651 erhlt er den Doktortitel in Theologie. Ab 1654 bekleidet er bis zu seinem Tod das Amt des master im Christs College, dem auch Henry More als fellow angehçrt. In diesem Umfeld beendet Ralph Cudworth die Arbeit an seinem monumentalen Werk The True Intellectual System of the Universe (kurz: System) im Jahr 1671;3 erst 1678 jedoch geht es in Druck. Die lange Zeit zwischen Imprimatur und eigentlicher Publikation wird allgemein als Zeichen dafr gewertet, dass Cudworths Buch, sein Stil und sein Inhalt durchaus nicht unumstritten waren und kritische Reaktionen auf allen Seiten hervorriefen.4 Cudworth gilt gleichwohl als einer der gebildetsten und der platonischneuplatonischen Metaphysik am intensivsten verpflichteten Vertreter der sogenannten Cambridge Platonists.5 Eingebettet in die latitudinarische Weltsicht der Cambridge Platonists,6 versucht er in seinem Werk die Harmonisierung der spannungsvollen Tendenzen kritischer frhneuzeitlicher Naturphilosophie mit dogmatischen Welt- und Gottesbildern und vertraut dabei gleichzeitig „auf die grundstzliche Kommunikabilitt eines rationalen [Hervorh. L. B.] Glaubens“,7 1 2 3 4 5 6

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Zu den folgenden biografischen Angaben siehe z. B. Lowrey (1884), 27 – 36 und Powicke (1926/1971), 110 – 116. Lowrey (1884), 27. Vgl. z. B. System I, introduction VII und System I, Birch Account XV. Vgl. z. B. System I, Birch Account XV-XVII, Lowrey (1884), 32 – 34 und Powicke (1926/ 1976), 115 f. Siehe u. a. Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 469. Die (relativ) tolerante und um Integration der verschiedenen Glaubensstrçmungen bemhte Einstellung der Cambridge Platonists wurde von strengglubigeren Clavinisten und Puritanern als Laxheit und Gleichgltigkeit kritisiert; vgl. Leinkauf, in Horn/ Mller/Sçder (2009), 465. Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 465.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

d. h. eines Glaubens, der auf einem Gottesbegriff aufbaut, den der Mensch mit seinem Intellekt (fast) vollstndig erfassen kann. Dieser Anspruch lsst sich deuten als Konsequenz eines zentralen systematisch-neuplatonischen Grundsatzes des System: Cudworths neuplatonisch-christlicher berzeugung zufolge, deren Explikation und Nachweis das System dient, verwirklicht sich nmlich die vernnftige noetische Struktur des Geistes Gottes in der Welt und lsst sich von ihr aus erschließen. Anders gesagt: Es ist dem Menschen durchaus mçglich, an der gçttlichen Vernunft in hohem Maße bewusst zu partizipieren.8 Die Cambridge Platonists selbst und mit ihnen Ralph Cudworth verstehen und charakterisieren sich aufgrund derartiger berzeugungen als eine Gruppe von Geistlichen und Theologen, die in den kirchlichen, theologischen, sozialen, naturphilosophischen und erkenntnistheoretischen Diskussionen ihrer Zeit explizit eine Position der vernunftbegrndeten Mßigung vertreten, allerdings zugleich im Konflikt zwischen Anglikanern, Katholiken und radikal-protestantischen Sekten fr die Bewahrung der bestehenden kirchlichen Strukturen eintreten.9 Dabei befinden sich die Cambridge Platonists in der Auseinandersetzung auch und gerade mit den zeitgleich entstehenden bzw. sich entwickelnden mechanistisch-materialistischen Formen der Natur- und Welterklrung und deren in ihren Augen grundstzlich atheistischen Tendenzen.10 Im Zuge dieser Auseinandersetzung versuchen sie, in Opposition zu bzw. als Ersatz fr das traditionelle aristotelisch-scholastische Weltmodell die Ergebnisse und Anstze der neuen naturphilosophischen und wissenschaftlichen Bewegungen bestmçglich in ihre christlich-neuplatonischen Horizonte zu integrieren.11 Damit knpfen die Cambridge Platonists an die christlichen Neuplatonismen der italienischen Renaissance, z. B. Ficinos und Patrizis an, greifen aber darber hinaus ebenso umfassend auf die platonisch-neuplatonischen Quellentexte der (Spt-) Antike zurck und wenden diese, gleichsam philologisch aufbereitet, auf die zeitgençssischen Probleme an.12 Mit seinem System positioniert sich Cudworth 8 Vgl. z. B. EIM 601. 9 Kroll, in Kroll/Ashcraft/Zagorin (1992), 1 – 28. Aufgrund dieser gemßigten, vernunftorientierten Gesinnung werden sie als „Latitudinarier“ bezeichnet. Zum Begriff „Latitudinarier“ und seiner philosophischen Bedeutung im Kontext der Cambridge Platonists siehe Cassirer (2002/1932), 250 – 255; Flores (2008), 123 und Leinkauf, in Horn/ Mller/Sçder (2009), 465. 10 Zur Bedeutung des Begriffs „Atheismus“ bei Cudworth s. Hedley, in Corrigan/Turner (2007), eine knappe Definition ebd. 155 f. 11 Vgl. Kroll, in Kroll/Ashcraft/Zagorin (1992), 1 – 28. 12 Vgl. Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 463, insgesamt ebd. 463 – 466 mit weiterer Sekundrliteratur; Vienne, in Rogers/Vienne/Zarka (1997), IX: „They debated with Descartes and took a keen interest in his mechanism and his dualism; they brought the atomistic theories of Democritus back into repute; and they sought to provide a detailed account of the causality linking all phenomena. But at the same time they fought against every form of materialism and atheism; they constructed their universe on a finalistic

1.1 Autor und Text: Der Anspruch

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in diesem wissenschaftlich-theologischen Spannungsfeld. Sein Text ist Ausdruck der philosophisch-theologischen Haltung der Cambridge Platonists und ihrer Stellung in den zeitgençssischen Debatten. Er gilt darber hinaus als „[…] the natural culmination of a collaborative effort to ground the latitudinarian middle way on reason and the prisca theologia. […] Reason and tradition were now demonstrated to be one.“13 Wenn Cudworth also umfassend aus antiken und sptantiken sowie patristischen Referenztexten verschiedenster Art zitiert und die unterschiedlichsten antiken und sptantiken Positionen referiert und zueinander in Beziehung setzt, geschieht dies immer mit Blick auf die zeitgençssische Debatte und ihre prominenten bzw. konstellationsrelevanten Vertreter(innen) wie z. B. Anne Conway, Ren Descartes, Thomas Hobbes, Walter Charleton oder Francis Glisson.14 Trotz seines Umfangs von beinahe 900 Folioseiten in der ersten Auflage ist das Projekt einer umfassenden Welterklrung von Cudworth nicht vollendet worden, sondern der eine, allein in gedruckter Fassung vorliegende Band des System stellt nur den ersten Teil seines Gesamtsystems dar.15 Zwar sollte das Gesamtsystem wohl eine „deutlich ethisch-religiçse Stoßrichtung“16 besitzen und der Abwehr und Widerlegung der verschiedenen sowohl materialistischen als auch theologischen Formen von Notwendigkeit dienen, die Cudworth zufolge sowohl den menschlichen Glauben an Gott als auch seine Freiheit und damit die Fundamente jeder Ethik und Moral bedrohen.17 Der allein realisierte erste Teil aber setzt sich mit der als „Democritic fate“ bezeichneten Form des Atheismus auseinander und besitzt im wesentlichen die Form einer metaphysisch-theologisch perspektivierten Auseinandersetzung mit den verschiedenen zeitgençssischen materialistisch-mechanistischen Naturphilosophien und ihren antiken Vorlufern.18 Cudworth richtet sich folglich mit seinem Werk zum einen explizit an die Atheisten in der schwachen Hoffnung, sie durch eine Vorgehensweise, die antike und zeitgençssische Positionen mit-

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model derived from Plato; and they maintained that the world could be understood only on vitalist principles. Occupying a territory that lies between the system of Descartes and that of Leibniz, between rationalism and empiricism, between ancient and modern science, between religion and philosophy, the Cambridge Platonists were at the heart of the formation of modern thought, and many of their questions are still our own, even if their solutions are no longer accepted.“ Levine, in Kroll/Ashcroft/Zagorin (1992), 100. Vgl. Flores (2008), 145. Siehe z. B. Powicke (1926/1976), 115. Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 469. System I, preface to the reader, XXXIII-XXXIV. Dies kommt auch im Titel des Werks zum Ausdruck, der vollstndig lautet: „True Intellectual System of the Universe: the first part, wherein all the reason and philosophy of atheism is confuted, and its impossibility demonstrated“. Vgl. auch System I, preface to the reader, XXXV.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

einander integriert, von ihren Irrtmern abbringen zu kçnnen. Er hat also offenbar einen naturphilosophisch durchaus versierten Rezipientenkreis im Auge (eben z. B. Anhnger von Hobbes und Descartes). Zum anderen soll das System dem Zweck dienen, verunsicherte Theisten von der Richtigkeit ihrer Position zu berzeugen, d. h. es soll das metaphysisch-naturphilosophische Weltmodell der Theisten sowohl fundierend darstellen als auch gegenber den Entwrfen von mechanistischen Atomisten und Hylozoisten als berlegen erweisen.19 Im System entwirft Cudworth zu diesem Zweck eine Art philosophisches Kontinuum, in dem seine Zeitgenossen zusammen mit den entsprechenden antik-paganen Philosophen und Dichtern eine reprsentative Rolle einnehmen – sie werden zu Stellvertretern einer Auseinandersetzung auf dem Feld der Metaphysik und Theologie,20 die sich fr Cudworth bis in die Zeit der Vorsokratiker zurckverfolgen lsst und ber den Hellenismus, die Sptantike und die Renaissance bis in die eigene Zeit andauert. Das aber bedeutet, dass zumindest in diesem ersten (und einzigen) Teil des System der Schwerpunkt auf naturphilosophischen und metaphysisch-theologischen Problemen liegt. Er kann daher zurecht als der erste grçßere umfassende Versuch angesehen werden, die zu Cudworths Zeit entstehende Wissensform, die fr sich den Anspruch erhebt, eine traditionsunabhngige „Wissenschaft“ (von der Natur) zu sein, mit den lteren, hauptschlich antik-sptantiken Positionen und Traditionen zu verbinden.21 Cudworth realisiert diese Synthese, indem er unter Verwendung zahlloser (spt-)antiker Referenztexte in einem intertextuellen Gewebe eine neuplatonische Metaphysik und Theologie entwickelt und sie in der kritischen Auseinandersetzung mit den mechanistisch-materialistischen Positionen als einzig in Frage kommende und dem christlichen Glauben angemessene Alternative in der Tradition der prisca theologia legitimiert und etabliert. Er folgt dabei zumindest strukturell den Discussiones Peripateticae Patrizis, deren „spezifische Verbindung von geschichtlicher Konstruktion und philosophischem Gehalt [..] fr einen gewaltigen Impuls gesorgt [hat], der von Patrizi ber Campanella bis weit ins 17. Jahrhundert hinein neue naturphilosophische Entwrfe initiiert hat, die sich als Rekonstruktionen der nur bruchstckhaft berlieferten frhen Weisheit verstanden“.22 Denn Cudworth entwickelt, wie zu zeigen sein wird, 19 System I, preface to the reader, XLVII: „But as to Atheists, these so confident exploders of them are both unskilled in the monuments of antiquity, and unacquainted with the present age they live in; […] Nevertheless, this labour of ours is not intended only for the conversion of downright and professed Atheists, […] but for the confirmation of weak, staggering, and sceptical Theists.“ 20 Siehe Passmore (1951/1990), 14. 21 Siehe Passmore (1951/1990), 18. 22 Mulsow, in Mulsow (2002a), 169. Cudworth besaß dieses Werk Patrizis, s. Millington (1697), 27.

1.1 Autor und Text: Der Anspruch

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sein eigenes System ebenfalls in wesentlicher Verschrnkung mit einer ebenso religionsphilosophischen wie historischen Konstruktion der paganen Antike. Allerdings gehen die Einschtzungen von Cudworths umfassender synthetisierender Bemhung weit auseinander.23 Zwar wird das Werk (auch heute noch) gewrdigt als eines „der wirkmchtigsten und eindrucksvollsten Werke der ganzen Schule des Cambridger Platonismus“24, als „most comprehensive argument for the implausibility of atomistic materialism that was produced in the seventeenth century“ und „one of the classic philosophical texts of the early modern period“25. Aber die Form, in der Cudworth auf der Ebene der Textualitt sein Vorhaben durchfhrt, stçßt bis heute auf Kritik und Unverstndnis. Besonders die enge Verschrnkung von spezifischer Text- und Wissensform, die das System auszeichnet, bleibt dabei beinahe vollstndig unbercksichtigt. Unbercksichtigt bleiben damit auch Fragen nach der Art des Wissens, die im System generiert wird, sowie nach dem Verlauf und der besonderen Art und Weise der argumentativen Bewltigung der in ihm zu beantwortenden Fragen.26 Diese Verengungstendenzen hinsichtlich des Textes lassen sich bereits bei Thomas Wise beobachten, der das System in der Einleitung zur 1706 erschienenen – gekrzten – zweibndigen Version als „the vastest magazine [Hervorh. L. B.] of reasoning and learning that ever appeared against Atheism“ charakterisiert und damit nicht unbedingt eine Ordnungsform impliziert, die der von Cudworth im System realisierten, gleichsam organischen Form der Entfaltung von Wissen gerecht wird, die sich aus der Organisation der angeeigneten Texte ableitet.27 Die Einschtzung von Wise findet in verschrfter Form ihre Fort-

23 Die theologische Kritik am System, die sich hauptschlich gegen Cudworths Trinittskonzeption und seine allzu ausfhrliche Darstellung der atheistischen Materiekonzepte richtet, muss an dieser Stelle ebenso unbercksichtigt bleiben wie die kritische Rezeption des Konzepts der plastic nature; siehe dazu u. a. System I, Birch XV-XXII. Im Fokus der folgenden Ausfhrungen stehen dagegen die grundstzlichen Einschtzungen des Stils, in dem Cudworth sein System verfasst hat, und die Frage, ob das System seinem Anspruch, eine systematische Explikation einer ebenso naturphilosophischen wie metaphysisch-theologischen Welterklrung zu sein, in den Augen seiner Rezipienten und Kritiker gerecht wird. Denn vor diesem Hintergrund sollen Fragestellung und methodisches Vorgehen der vorliegenden Arbeit entwickelt werden. 24 Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 469. 25 System I, introduction, IX. 26 Die performative Qualitt dieses Textes, die durch dessen Beendigung mit einem „Amen“ zum Ausdruck gebracht wird, findet dementsprechend ebenfalls nur selten Bercksichtigung. 27 Der Begriff „magazine“ bedeutet nmlich eher eine Ansammlung wenn auch geordneter so doch getrennt und unverbunden nebeneinander bestehender Einzeldinge („pile“, „depot“, „storehouse“ etc; vgl. OED s. v. magazine I 1a und II 4b), deren Gebrauch unabhngig von der Ordnung im magazine ist. Die Texte in Cudworths System sollten jedoch vielmehr als integrale Bestandteile in ihrem gegenseitigen Bezug

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1. Einleitung: Text, System und Methode

setzung in dem als „Advertisement to the present edition“ betitelten Text der dreibndigen Ausgabe von 1845, wo das System sowohl als „treasury of erudition and research“,28 aber auch zweimal als „mass [Hervorh. L. B.] of learning“ oder „curious erudition“29 vorgestellt wird, in der sich der Leser wie in einem Labyrinth zurechtfinden muss.30 Beachtenswert ist an diesen Formulierungen, dass in ihnen der bereits im Titel explizit gemachte systematische Anspruch von Cudworths Werk stark in den Hintergrund gert. Cudworths Zeitgenosse John Locke betrachtete das System entsprechend als (An-)Sammlung platonischer Quellentexte,31 und auch im folgenden 18. Jahrhundert erfolgte ein guter Teil der Rezeption des System unter dieser Perspektive: Das System wurde, neben anderen Texten, zu einer Art „encyclopaedia of Platonic thought“, die im Text des System funktionalisierten Zitate „took the place of a modern source book“.32 Damit gert jedoch der eigentmliche Gehalt des systematischen Anspruchs des System fast vollstndig aus dem Fokus. Der Versuch, nachzuzeichnen, wie dieser Anspruch in Cudworths Text realisiert wird, lsst sich somit vernnftigerweise angemessen nur in Form eines eng dem Text selbst folgenden und interpretierenden Nachvollzugs realisieren, in dem es darum geht, das ursprngliche Textgewebe des System so weit als mçglich zu erhalten, das, so die These dieser Arbeit, fr Cudworths eigentmliche Form von Argumentation und Systematik konstitutiv ist.33 Die scheinbar alles berwuchernde Dichte intertextueller Bezge irritiert auch diejenigen Rezipienten, die ihren Blick auf das Systematische und den philosophischen Gehalt des System bewahren. So kommt z. B. Powicke zur folgenden, ußerst ambivalenten Einschtzung des System: „one of the most amazing monuments of promiscuous [Hervorh. L. B.] learning ever written“34, d. h. Frederick J. Powicke betrachtet Cudworths Werk als einen Text, der aus

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zueinander und ihrer jeweiligen Funktion im Gesamttext und seiner Argumentation verstanden werden. System I, advertisement, III. System I, advertisement, III und IV. Vgl. System I, advertisement, VI: „It is to be regretted […] that this valuable mass of curious erudition is not furnished with an ordinary Index. A singular clue to the labyrinth the author has offered by a running head on every single one of the thousand pages […].“ Auch Locke rechnet also mit einer Systematik, die sich von der des System grundlegend unterscheidet: Whrend Locke die Systematik der reinen Sammlung und die des Wissensarchives zugrundelegt, ist, wie gezeigt werden soll, das System in seiner Systematik als ein Werk neuplatonisch fundierter, kombinatorischer Universalwissenschaft zu begreifen. Siehe Breteau (2006), 48; vgl. auch Powickes Einschtzung (1926/1971), 114 f. Flores (2008), 190 f., die sich hier auf Notopoulos beruft. Dieser Ansatz lsst sich jedoch im Folgenden nicht immer durchhalten, da die Vermeidung von Redundanzen zu strker zusammenfassenden, umstellenden und systematisierenden Darstellungen fhrt. Powicke (1926/1971), 115.

1.1 Autor und Text: Der Anspruch

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einzelnen Versatzstcken besteht, die ohne systematische Ordnung zu einer Masse zusammengestckelt wurden.35 Dieser Ansicht schließt sich Ernst Cassirer an, der eine „Zersplitterung des Grundgedankens“36 im System durch Cudworths Stil diagnostiziert und dem System als Konsequenz jede „rechte architektonische Gliederung eines umfassenden Ganzen“37 abspricht. In dieser vorherrschenden Tradition der Cudworth-Lektre steht schließlich Cristina Flores, die ihrer Interpretation des System folgende Bemerkung voranstellt: Two things should be noted here prior to the analysis of Cudworths work. On the one hand, the chaotic, dark prose used by the author to represent his also chaotic reasoning. This fact represents a great difficulty in the attempt to decipher and describe his thought. On the other hand, Cudworth greatly often uses other philosophers arguments and quotes them widely sometimes to refuse them, sometimes to support his own theories. The difficulty here results from the fact that he, whether consciously or unconsciously, is usually unfaithful to the original sources. This distortion of the true [beide Hervorh. L. B.] arguments of ancient philosophers is extensively commented by Mosheim along the numerous footnotes that he introduced in his Latin edition: […]38

Hier tritt neben die negative Beurteilung des Stils zudem die bis auf den Theologen, Cudworth-bersetzer und -Kommentator Johann Lorenz Mosheim (1694 – 1755) zurckzuverfolgende und vom 18. bis ins 21. Jahrhundert kontinuierlich wiederholte, allerdings von Flores unbegrndet bernommene ebenso negative Einschtzung von Cudworths interpretierend-aneignendem Umgang mit seinen Quellen- oder Referenztexten, eine Einschtzung, die in dieser Arbeit spter in der Besprechung der Leistungen Mosheims fr das Verstndnis des System nher (kritisch) zu untersuchen ist.39 Auch Sarah Hutton, die zwar im Allgemeinen den Inhalt des System in seiner Systematik positiv einschtzt, entkoppelt ihn in gewisser Weise von seiner textuellen Realisation und von der Bedeutung der Referenztexte in diesem Zusammenhang.40 Vor diesem Hintergrund ist es zu Beginn eines neuen Versuchs, die spezifische Form argumentativer Systematik zu analysieren, die sich im System fin35 Siehe OED s. v. promiscuous A 2: „consisting of […] elements massed [Hervorh. L. B.] together without order“ und A 1a: synonym mit „unsystematic“. 36 Cassirer (1932/2002), 345. 37 Cassirer (1932/2002), 352. Vgl. dazu die negative Einschtzung, die Cragg (1968), VI-IX vom Stil der Cambridge Platonists insgesamt gibt, sowie von Cudworths Stil ebd. 5. 38 Flores (2008), 144. 39 Zu Mosheim s. u. den Abschnitt „Johann Lorenz Mosheim und sein Kommentar zum True Intellectual System“. 40 Hutton, in Crocker (2001), 62: „In spite of [Hervorh. L. B.] the vast range of ancient sources on which Cudworth draws to underpin his philosophical-theological views with consensus gentium arguments his philosophical system is remarkably self-consistent [Hervorh. L. B.]. Cudworths conception of God and His attributes is integrally related to his ethics but also, […] to his epistemology and his view of nature.“

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1. Einleitung: Text, System und Methode

den kçnnte, sinnvoll, auf der metatextuellen Ebene Cudworths eigene Einschtzungen bzw. Aussagen ber seinen Text in den Blick zu nehmen und die anstehende Deutung aus Cudworths Text selbst grundstzlich zu legitimieren. In seinem „Vorwort an den Leser“ thematisiert Cudworth ausgehend von seinem Vorgehen in Kapitel 4, in dem er ausfhrlich den Spuren des Monotheismus in der paganen griechisch-rçmischen Antike nachgeht, ausdrcklich die intertextuelle Intensitt des System. 41 Zum einen sollen die antiken Pr- bzw. Referenztexte passend zum intendierten Rezipientenkreis des System – unsicheren bzw. verunsicherten Theisten – einen didaktisch-pdagogischen Anspruch erfllen: Sie sollen, der philosophischen Argumentation beigemischt, den weniger versierten und weniger strengen Lesern die Lektre erleichtern, indem sie Vielfalt (varietas) in den Text bringen.42 Zum anderen betrachtet Cudworth die Implementierung antiker und sptantiker Referenztexte als notwendig fr sein Werk, das insgesamt seine Version der Religionsphilosophie enthalten soll,43 und warnt seine Leser implizit davor, den Wert der Prtexte fr die Argumentation zu unterschtzen, da sie den jeweiligen thematischen und systematischen Ansprchen entsprechend in den Text eingefgt seien („as occasion requireth“). Cudworth behauptet damit eine den systematischen Ansprchen seines Vorhabens durchaus angemessene und darber hinaus diese sttzende und veranschaulichende Verwendung der herangezogenen Referenztexte, die keineswegs die „architektonische Gliederung“ des Werkes berlagern oder gar chaotisch pluralisieren. Im Gegenteil: Das umfngliche Zitieren und Einfgen antiker, sptantiker und patristischer Texte scheint ihm von der Sache selbst her im Sinne einer ihr angemessenen Darstellung gefordert zu werden. Entsprechend charakterisiert er sein System als 41 System I, preface to the reader, XLIV: „In this fourth chapter, we were necessitated, by the matter itself, to run out into philology and antiquity; as also in the other parts of the book we do often give an account of the doctrine of the ancients: which, however, some over-severe philosophers may look upon fastidiously, or undervalue and depreciate, yet as we conceived it often necessary, so possibly may the variety thereof not be ungrateful to others; and this mixture of philology, throughout the whole, sweeten and allay the severity of philosophy to them; the main thing which the book pretends to, in the meantime, being the philosophy of religion. But for our parts, we neither call philology, nor yet philosophy, our mistress; but serve ourselves of either, as occasion requires [alle Hervorh. L. B.].“ 42 Gleichzeitig ist diese varietas nicht nur didaktisch, sondern immer auch systematischmetaphysisch angelegt: In oder hinter der Vielfalt zeigt sich nmlich die sie bestimmende und ordnende Einheit, und in dieser Struktur konvergieren Text und Welt im System. 43 In diesem Zusammenhang nimmt Cudworth bereits die zuknftige Kritik an seiner stilistisch-inhaltlichen Umsetzung des Themas vorweg: den berdruss der bergenauen Philosophen, die den Wert der antiken Referenztexte unterschtzen und entwerten bzw. herabwrdigen – exakt das, was bis zu Flores geschieht.

1.1 Autor und Text: Der Anspruch

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ein Ganzes44 und als einen Kçrper und Organismus, in den sich sogar die von Cudworth selbst zunchst als „digression“ bezeichneten Ausfhrungen zur plastic nature als notwendige und zugleich natrliche Funktionszusammenhnge einfgen.45 Schon fr sich genommen wird in dieser Begrifflichkeit und Metaphorik ein starker Anspruch auf systematische Kohrenz zum Ausdruck gebracht, den Cudworth noch dadurch intensiviert, dass er in seinem Treatise Concerning Eternal and Immutable Reality (kurz: EIM) sein gesamtes Werk an die Stelle des „Buches der Natur“ setzt und mit den wesentlichen Attributen des Naturzusammenhangs gleichsam systematisch aufldt.46 Denn der systematische Text wird dadurch mçglich, dass sich die Welt fr Cudworth als (neuplatonischer) sympathetischer Zusammenhang darstellt: Die Welt ist ebenso System: „[…] the great mundane system“.47 Das System, das im Text Ausdruck findet, und die Welt haben es gemeinsam, eine „intellectual music and harmony“48, eine in sich stimmige Ganzheit auszubilden. Das System bietet seinen Lesern also gerade durch seine Intertextualitt eine „variety of knowledge“49, die sich zu einer wundervollen Szenerie fgt, in der die intertextuelle varietas in ihrem Zusammenhang die Einheit des Systems konstituiert und dabei die bergeordnete noetische, d. h. gçttliche, Struktur abbildet. Um wiederum diese systematische Struktur zu erkennen, bedarf es aber auch der „inward activity“ und des syn44 System I, preface to the reader, XXXVI: „[…] this volume […] containing all that belongeth to its own particular title and subject, and being in that respect no piece, but a whole“. 45 System I, preface to the reader, XLII. 46 EIM 601: „But now, in the room of this artificial book in volumes, let us substitute the book of nature, [Hervorh. L. B.] the whole visible and material universe, printed all over with the passive characters and impressions of divine wisdom and goodness, but legible only to an intellectual eye; for to the sense both of man and brute, there appears nothing else in it but as in the other, so many inky scrawls, i. e. nothing but figures and colours; but the mind or intellect, which hath an inward and active participation of the same divine wisdom that made it; and being printed all over with the same archetypal seal, upon occasion of those sensible delineations represented to it, and taking notice of whatsoever is cognate to it, [Hervorh. L. B.] exerting its own inward activity from thence, will not have only a wonderful scene and large prospect of other thoughts laid open before it, and variety of knowledge, logical, mathematical, metaphysical, moral displayed; but also clearly read the divine wisdom and goodness, in every page of this great volume, as it were written in large and legible characters.“ Zum Ausdruck kommt hier mit Emphase das neuplatonische, metaphysisch-theologische Fundament eines rationalen Gottesglaubens und dessen Entfaltung in eine Naturphilosophie, d. h. in eine Manifestation intelligibler Strukturen im Text selbst, die es von den Lesern zu erkennen und zu realisieren gilt. 47 EIM 600. Vgl. auch System II, 34: „this harmonious system of the world“. 48 EIM 600. 49 EIM 601.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

thetisierenden „active principle“ des Lesers, der den Wegen und Spuren des System folgt und das Werk durch seine eigenen Organisationsleistungen komplettiert, dessen systematische Harmonie aktuiert und den inhaltlichen Zusammenhang rekonstruiert.50 Als „whole“, als ein Ganzes, eine Ganzheit ist die Natur, wie sich zeigen wird, ein Gewebe miteinander verbundener Wirkformen, das ein Ganzes nur durch Gottes Allanwesenheit wird, an der die Natur und die Formkrfte partizipieren. Auf den Text bertragen bedeutet das, dass sich „ein Netz von Querverweisen durch [ihn] spannt, das sich im Grunde indifferent zur chronologischen Genese des Ganzen verhlt und sich als Ganzes immer schon voraussetzt“.51 Es bedeutet weiterhin, dass der von Cudworth entwickelte Prinzipienbegriff, seine Form des trinitarischen Gottes, mit allen seinen systematischmetaphysischen Implikationen selbst dann bei der Lektre als eine Art textueller causa formalis und finalis mitzudenken ist, wenn er noch nicht explizitsystematisch entwickelt worden ist und eventuell lediglich in ersten Abschattungen und Vorformen gleichsam anthematisiert wird. Der Text erweckt daher an vielen Stellen und in vielen Zusammenhngen den Eindruck einer petitio principii, der sachlich-argumentatorisch gerechtfertigt sein mag, der allerdings seine Problematik verliert, wenn man den Text als organische Ganzheit erfasst, worauf Cudworth mit dem Vergleich seines Textes mit einem organisch gewachsenen Kçrper auch selbst Bezug zu nehmen scheint.52 bertragen auf die Szenerie des Landschaftsgartens hieße das, das Wegnetz im Garten abzuschreiten und zugleich die Gesamtanlage aus der Vogelperspektive gegenwrtig zu haben. Diese Qualitt des Textes bringt auch der Titel des Werkes zum Ausdruck, wobei besonders die beiden das Substantiv „System“ qualifizierenden Adjektive „True“ und „Intellectual“ nhere Aufmerksamkeit verdienen. George Berkeley (1685 – 1753), in dessen philosophischem System „Idealismus und Immaterialismus […] in konzeptueller Wechselbeziehung [stehen]“,53 charakterisiert in 50 Er hnelt darin dem Besucher eines englischen Landschaftsgartens, worauf Kroll (1991), 54 f. hinweist und worauf Cudworth mit seiner Metapher von der „wonderful scene“ mçglicherweise anspielt. Das wiederum lsst es als sinnvoll erscheinen, das System in Form einer dem Text folgenden Transformationsanalyse zu erschließen, die der spezifischen Textstruktur auch bezglich der Anforderungen des Textes an das synthetisierende „active principle“ des Lesers gerecht wird, d. h. die vorgezeichneten Wege nicht zu verlassen und vorerst keine „Abkrzungen“ einzuschlagen. Vgl. dazu auch Flores (2008), 167. 51 Leinkauf (1993), 14, der sich allerdings nicht auf Cudworth, sondern auf Athanasius Kirchers Texte bezieht bzw. allgemein die Besonderheit kombinatorisch angelegter Texte der barocken Universalwissenschaft benennt. 52 Siehe System I, preface to the reader, XLII. 53 Zu Berkley siehe Kulenkampff, in Ueberweg: 18. Jahrhundert 1/1 (2004), 321 und 337.

1.1 Autor und Text: Der Anspruch

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seiner Abhandlung Siris das „true System of the World“ der Pythagorer und Platoniker folgendermaßen: The Pythagoreans and Platonists had a notion of the true System of the World. They allowed of mechanical causes, but actuated by soul or mind […] they understood physical causes in a right sense: they saw that a mind infinite in power, unextended, invisible, immortal, governed, connected and contained all things: they saw that there was no such thing as absolute space: that mind, soul, or spirit truly and really exists: that bodies exist only in a secondary and dependent sense.54

In diesem Zitat ist klar der ontologisch-naturphilosophische Anspruch zum Ausdruck gebracht, den ein wahres System der Welterklrung aus der Sicht eines christlich-neuplatonischen Theologen der Frhen Neuzeit einlçsen muss: Es darf bei der Erklrung natrlicher Phnomene nicht auf der atomistischmechanistischen Ebene stehen bleiben, sondern muss die metaphysisch-theologische Ebene des Intelligiblen und Transzendenten als wesentlich miteinbeziehen.55 Cudworth markiert also mit dem Adjektiv „true“ im Titel seines Werkes die Reichweite und Tiefe seines Ansatzes. In einem ersten Schritt wird dieser Anspruch, wie zu zeigen ist, zu Beginn des System in der Konstruktion des „wahren“ mosaischen und religiçsen Atomismus metaphysisch ebenso begrndet wie legitimiert. Diese metaphysische Ausrichtung der Argumentation nimmt das Adjektiv „intellectual“ auf. Entsprechend rechtfertigt Cudworth selbst im „Vorwort an den Leser“ die Verwendung von „intellectual“ im Titel seines Werkes zunchst in Auseinandersetzung mit zeitgençssischen Weltsystemen.56 Zwar will auch er eine umfassende Welterklrung geben, aber anders als z. B. Ptolemus, Tycho Brahe oder Nikolaus Kopernikus çffnet sein System seinen Horizont zum Unstofflichen und Intelligiblen, denn Cudworth geht es, wie bereits erwhnt, darum, den demokriteischen Atomismus – den Cudworth ja als reduktionistischen Materialismus und damit zugleich als Atheismus begreift – zusammen mit seiner stofflich verursachten Notwendigkeit (rkijμ !m²cjg) zu widerlegen. Auf diesem Weg versucht er zugleich, die Wahrheit eines speziellen Gottesglaubens zu erweisen und so seinen systemspezifischen Prinzipienbegriff zu entwickeln.57 Bezglich der Systematik des System bezeichnet das Adjektiv „intellectual“ jedoch zudem deren spezifisch noetische Struktur oder Qualitt und liefert damit ein weiteres Indiz, die aufgefhrten und zitierten Referenztexte nicht einfach als ordnungslose Textmasse oder bloße Sammlung abzutun, die das eigentlich relevante philosophische System berlagert, sondern sie in ihrer in54 55 56 57

Berkeley (1744), 127 (§266); siehe Brown, in Hedley/Hutton (2008), 249. Siehe Brown, in Hedley/Hutton (2008), 249. System I, preface to the reader XXXV. Zu Anlage und Intention des System vgl. z. B. auch Lotti, in Simonutti (2007), 388 f. mit Anm. 20.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

tratextuellen kombinatorischen Dynamik ernstzunehmen. Plotin weist in Enneade V 8 das noetische Erfassen bzw. die Struktur des gçttlichen Nous, auf die sich „intellectual“, gerade auch in seinem sthetischen Anspruch, ebenfalls zu beziehen scheint, folgendermaßen aus: […] dass es dort oben kein diskursives Erfassen gibt, dass vielmehr jedes Bild dort oben Weisheit und Wissenschaft ist und zugleich deren Voraussetzung, dass in einem einzigen Akt verstanden wird und nicht diskursives Denken und Planen ist. […] Er aber mçge kommen und seine Welt mitbringen, zusammen mit allen den Gçttern in ihr, als Einer, der doch sie alle ist, und jeder von ihnen ist sie alle, sie sind zu einer Einheit verbunden, nach ihren Krften sind sie unterschieden, aber nach jener einen vielfachen Kraft sind sie alle Einer, oder vielmehr ist der Eine sie alle; […]58

Vor diesem epistemologisch-metaphysischen Hintergrund liegt es nahe, dass Cudworth im System auf der Ebene des Textes die Korrespondenz zwischen der metaphysischen Wahrheit des 4m p²mta und der schriftlichen Form der systematischen Darstellung inszeniert. In dieser Form der Darstellung geht es mithin darum, alle (p²mta) Aspekte der einen (6m) religiçs-metaphysischen Wahrheit im wechselseitigen Bezug zueinander zu entfalten.59 So wird der Durchgang durch das System in der Lektre zur ebenso noetischen wie sthetischen Intuition und zum Nachvollzug eines metaphysischen Prozesses, in dem es keine Abkrzungen geben kann und darf, da jedes Element in diesem Gewebe seinen passenden Ort besitzt. Aufgrund dieser berlegungen zur metatextuellen Charakterisierung des Textes lsst sich das System dem kombinatorischen „universalwissenschaftlichen Schrifttum“ des 17. Jahrhunderts zuweisen,60 in dem in hçchstem Maße die Textstruktur an die zu beschreibende und zu erklrende dynamische Gewebestruktur von Welt und Sein angenhert wird. Erst mit diesen Beobachtungen zur Textstruktur des System ist das Fundament freigelegt fr die Beobachtungen Eckhard Lobsiens zur Erarbeitung des systematischen Gehalts des System aus dem Text heraus: Die Welt kann umfassend und wahr nur als ,Einheit aus vordergrndig Sichtbarem und Unsichtbarem bestimmt werden, und zwar so, daß allein vom immateriellen Intellectual System her sich ihre Verfassung aussagen und ihr Sinn begreifen lßt: das ist der platonische Leitgedanke in Ralph Cudworths monumentalem Weltaufriß. […] Diese allmhliche Emanation des Geistes aus dem Stoff, also der wahren Beschaffenheit einer uns immer zuerst stofflich begegnenden Welt, wird in Cudworths Text mimetisch vermittelt. Es verhlt sich nicht so, wie es das stereotype Vorurteil will, daß der Grundgedanke einer Fundierung der Welt in einem geistigen Grund hier durch immer neue Abschweifungen und gelehrte Materialsammlung zugedeckt wrde, ganz im Gegenteil: Dieser Gedanke eines Intellectual Sys58 Plotin, Enn. V 8, 6, 7 – 9 und 9, 14 – 18. 59 Damit legt auch die Inszenierung des Sachlichen im Text eine dem Textverlauf im Idealfall weitestgehend folgende Interpretation nahe. 60 Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 463.

1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt

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tem arbeitet sich aus den riesigen Stoffmassen langsam heraus, gewinnt prozeßhaft Plausibilitt und Kontur. Die gewaltige Textmenge ist nçtig, weil anders bloß Thesen statt Gedanken, Resultate statt Prozesse, Weltdefinitionen statt Weltbewegungen zustande kmen.61

Ist auf diese Weise der Systemanspruch des System in seiner Spezifik gegenber Kritikern wie z. B. Powicke oder Cassirer rehabilitiert bzw. gegenber denen etabliert, die ihn wie z. B. Locke auf diese, dem System angemessene, Weise gar nicht erst stellen, ist im nchsten Schritt zu analysieren, wie der Systemanspruch realisiert wird. Nach den vorausgegangenen berlegungen ist anzunehmen, dass das Systematische des System aus der Form, in der es prsentiert wird (und die eben Cassirer und Powicke kritisierten und Locke allenfalls unangemessen verstanden hatte), und dem (natur-)philosophisch-theologischen Inhalt erwchst (der z. B. von Katholiken und Protestanten abgelehnt oder kritisiert wurde). Eine Untersuchung des System muss daher, um dem noetischen Strukturanspruch gerecht zu werden, den der Text an sich selber stellt, versuchen, Form und Inhalt in ihrer wechselseitigen Verschrnkung zu bercksichtigen. Was wiederum bedeutet, dem Verlauf des Textes so dicht wie mçglich zu folgen. Damit allerdings rcken die Referenztexte, aus denen der Text des System zum großen Teil besteht, unmittelbar in das Zentrum der Analyse, und es ist zu fragen, wie das kombinatorische Wissen und Schreiben Cudworths auf einer intertextuellen Ebene realisiert wird, auf der spezifisch ausgewhlte Referenzoder Prtexte zueinander in Beziehung treten, so dass sich aus diesen Kombinationen heraus zusammen mit dem Ttig-Werden des „active-principle“ der Leser im Lektreprozess ein System entwickelt.

1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt Unter dieser Perspektive sollen bestimmte Anstze der Intertextualittsanalyse zum Ausgangspunkt genommen werden, um sie philosophiehistorisch zu operationalisieren und weiterzufhren. Zunchst ist grundstzlich festzuhalten, dass „Intertextualitt“ als „Beschreibungskategorie fr Texte, deren Struktur durch die Interferenz von Texten oder Textelementen organisiert ist“,62 funktionalisiert werden soll, und dass fr diese Interferenz von Texten oder Textelementen im System aufgrund der bisherigen Untersuchungen zum Systemcharakter von 61 Lobsien (2003), 174 – 175; siehe auch Leinkauf (1993), 14 f. Zu beachten ist, dass Lobsien noch von „Stoffmassen“ [Hervorh. L. B.] spricht, auch er offenbar der intertextuellen Struktur des Textes als Form noetisch-kombinatorischen Schreibens nicht gengend Aufmerksamkeit schenkt, sondern gleich zum Ergebnis der Lektre bergeht. Seine Ergebnisse, besonders auch zum „platonischen Leitgedanken“, sind daher zu modifizieren und zu erweitern. 62 Lachmann (1990), 56.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Cudworths Werk gilt, dass sie intentional erfolgt, d. h. nicht bloß Folge oder Ausdruck sinnverstellender oder –entstellender Gelehrsamkeit ist. Vielmehr dient das im System zu beobachtende „Einspielen von Texten der Vergangenheit in einen ,neuen textuellen Zusammenhang“63 der Generierung neuer Sinngebungsprozesse,64 wobei unter Umstnden in der Verschrnkung der „manifeste[n] Zeit des Textes und der Zeiten der Prtexte“65 die ,Originalbedeutung [der Pr- oder Referenztexte] aufgehoben bzw. argumentationsspezifisch transformiert werden kann und soll. Es gilt also, eine Form der „Intertext-Entzifferung“66 zu entwickeln, die diesen Parametern retro-aktiver, sinngebender und sinngenerierender Wirksamkeit von Intertextualitt in einem Text mit philosophisch-theologischem Systemanspruch gengt. Sie sollte es ermçglichen, zu beschreiben, wie im System als Intertext, d. h. als dem „Text, der eine Vielzahl von Texten absorbiert, wobei er gnzlich auf einen Sinn konzentriert bleibt“,67 die Auswahl- und Kombinationsprozesse ablaufen, die der zentripetalen Sinnverdichtung dienen. Abschließend sollte es mit dieser Form der „Intertext-Entzifferung“ mçglich sein, zu erfassen und zu typologisieren, welchem „Verfahrensrepertoire“ dieses Machen bzw. Generieren des Textes verpflichtet ist.68 Die entsprechende Form der Intertext-Analyse fokussiert damit auf das „Zusammenspiel“ der Fragmente und die Rekonstruktion der jeweiligen ursprnglichen Sinnhorizonte bzw. textuellen Rahmen-Ordnungen der Referenzoder Prtexte,69 die in der aktiven, gleichsam synthetisch vervollstndigenden Lektre zu erschließen sind, verbunden mit der Frage nach „impliziten Prmissen“70, die diese Kombinationen lenken. Die vorliegende Arbeit folgt in ihrer Analyse daher auch aus diesem Grund eng dem Text des System und seiner Argumentationsbewegung, um so mçglichst przise dieses Zusammenspiel in seinem sinn- und systemstiftenden Potential nachzuzeichnen. Auf diese Weise kann die Analyse des System der spezifischen Gewebestruktur dieses Textes gerecht werden und begrndet aufzeigen, wie Cudworth die „Emanation des Geistes aus dem Stoff“, von der Eckhard Lobsien spricht,71 im Text inszeniert,

63 64 65 66 67 68 69 70

Lachmann (1990), 11. Vgl. Lachmann (1990), 37. Lachmann (1990), 37. Lachmann (1990), 48 f. Lachmann (1990), 123, die sich hier mit einem Ansatz von Jenny auseinandersetzt. Lachmann (1990), 65 – 67 und 85. Vgl. Lachmann (1990), 49. Zur Rolle der „impliziten Prmissen“ in philosophiehistorischen Textanalysen siehe Beckermann/ Perler, in Beckermann/Perler (2010), 15. 71 Lobsien (2003), 174 f.

1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt

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seinem Leser performatorisch vermittelt und welche spezifischen Argumentationsformen diesbezglich verwendet werden.72 Wie gezeigt lsst sich die Intertextualittsform, die diesen Prozess trgt und zum Ausdruck bringt, im Fall des System als eine spezifische Form der Aneignung (Einspielung) antiker Pr- bzw. Referenztexte verstehen, die dem Ziel der Sinn- und Systemgenerierung dient.73 Da diese System- und Sinnschçpfung im System zudem unter einer spezifischen Perspektive und z. T. unter Absehung der ,Originalbedeutung“ der zitierten Referenztexte erfolgt und sie die Antike damit um- und berschreibt, um so Antike und Gegenwart in eine enge Beziehung zu setzen, bietet sich das Konzept der Transformationsanalyse zur Beschreibung der intertextuellen Struktur und Dynamik des System an, wie es im Sonderforschungsbereich 644 „Transformationen der Antike“ bisher entwickelt wurde. Es besitzt große Nhe zu Christoph Asmuths Ausfhrungen zur systematischen Relevanz philosophiehistorischer Interpretationen, die er paradigmatisch in einer Analyse des „Platonbild[es] bei Fichte, Schelling, Hegel, Schleiermacher und Schopenhauer“ entwickelt.74 72 Allerdings ist es dabei nicht auszuschließen, dass es zu imaginierten, vom Transformationbeobachter (re-) konstruierten Argumentationsablufen oder -zusammenhngen kommt und die Reihenfolge der Argumente und zitierten Texte im System in der interpretierenden Darstellung aufgebrochen wird. 73 Im Unterschied zur literaturwissenschaftlichen Textanalyse, die sich primr mit textuellen Interferenzen in literarischen Texten wie z. B. Romanen auseinandersetzt, fokussiert die intertextuell ausgerichtete Transformationsanalyse in diesem Fall auf einen Fachtext, einen Text, der ein philosophisches System darstellt. Daher geht die Transformationsanalyse nicht von einer gleichsam „unkontrollierbaren Interaktion“ der Referenztexte aus, sondern von einer beobachtbaren und beschreibbaren vorgegebenen Sinndeterminierung und Sinnkonstruktion durch den Autor des Textes. 74 Asmuth, Christoph, Interpretation – Transformation. Das Platonbild bei Fichte, Schelling, Hegel, Schleiermacher und Schopenhauer und das Legitimationsproblem der Philosophiegeschichte, Gçttingen 2006. In diesem Buch unternimmt es Christoph Asmuth, „einen Vorschlag zu unterbreiten, wie das Verhltnis der Philosophie zu ihrer Geschichte selbst philosophisch gedacht werden kann“ (ebd. 11). Zu diesem Zweck analysiert er die Formen der Aneignung, in denen sich die genannten Idealisten die Platonische Philosophie zueigen gemacht und in ihre Systeme eingefgt haben: „Es soll im folgenden der Versuch unternommen werden, exemplarisch nachzuzeichnen, wie eine engagierte Interpretation historischer Texte vor sich gehen kann. Es wird darum gehen, zu beschreiben, wie ein anderes theoretisches und historisches Umfeld [der „Aufnahmebereich“ des Transformationskonzepts] zu einer Neubewertung der Platonischen Texte fhrt. Es wird darum zu tun sein, die Bedingungen aufzuweisen, unter denen das ursprnglich fremde Material in eine neue Gedankenkonstellation eindringt und letztlich eine Transformation erfhrt“ (ebd. 16). Dabei wird in einer Phase der Distanzaufhebung, Aneignung und der Transformation „eine rigorose Pragmatik (ebd. 333)“ auf Seiten der Aneignenden entfaltet: „Das Vergangene wird fr die Gegenwart verbraucht, die sich erneut in eine Vergangenheit verwandelt, von der die nchste Zukunft zehrt“ (ebd. 333). Diese Phase gliedert sich in

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Als Transformationen antiker Referenzsphren – im Falle des System antiker Texte – werden nmlich Akte der Aneignung bezeichnet, die sich zwischen einem antiken Referenzbereich und in diesem Fall einem frhneuzeitlichen

die Stufen Projizieren, Dekontextuieren, Implementieren, Identifizieren, die von Asmuth auf den Seiten 334 – 345 ausfhrlicher beschrieben werden und die einige berschneidungen mit der Typologie des Transformationskonzepts aufweisen. Schon an dieser Problemstellung und am festgelegten Untersuchungsbereich lsst sich erkennen, dass Asmuth ein Thema bearbeitet, das paradigmatisch auch fr die folgende Untersuchung von Cudworths System ist. Noch interessanter ist, dass Asmuth als Konsequenz seiner Analysen zentrale Einsichten des Transformationskonzepts deutlich zum Ausdruck bringt: so die Feststellung, dass derartige „engagierte Interpretationen“ bzw. „systematisch ausgerichtete Transformationen“ (ebd. 17) retroaktiv wirksam wrden und derart ein Verstndnis „normaler“ Kausalitt unterliefen (ebd. 17). Etwas, das dem Begriff der „Allelopoiese“ sehr nahe kommt, beschreibt Asmuth in diesem Kontext und konkret im Bezug auf die Philosophiegeschichte dabei folgendermaßen: „Indem die Philosophiegeschichte sich jedoch dem Vergangenen zuwendet, stellt sie diejenigen Zusammenhnge allererst her, als deren Produkt sie sich begreift. Sie konstruiert ihr eigenes Herkommen als Rekonstruktion. Der gegenwrtige Standpunkt ist dabei zugleich hervorgebracht und hervorbringend, erzeugt und erzeugend, konstruiert und konstruierend [Hervorh. L. B.]“ (ebd. 311; vgl. auch S. 286: „Die konstruktive Ttigkeit scheint dem Schichtenmodell genau entgegenzulaufen. Es wird nicht mehr die Herkunft aus der Einbahnstraße der Geschichte rekonstruiert [Hervorh. L. B.], sondern in einem Wechselspiel mit dem Gegebenen konstruiert [Hervorh. L. B.]“). So betont Asmuth entsprechend die „konstitutive Leistung des Interpreten“ (ebd. 18) und hebt folglich ebenso hervor, dass „auch die Geschichte [..] immer wieder neu entworfen wird“ (ebd. 18). Daher sei unter dieser Fragestellung eine Bewertung derartiger Platoninterpretationen/-transformationen nach den Kriterien von „richtig“ oder der antiken Wirklichkeit entsprechend nicht sinnvoll anzustellen (ebd. 17). Besondere Nhe zum Transformationskonzept weist konsequenterweise auch sein zusammenfassendes Fazit auf, in dem er seine auf den einzelnen Untersuchungen aufbauende „Theorie von Interpretation und Transformation“ (ebd. 22) folgendermaßen beschreibt: „Es ergibt sich ein Gegenspiel von Aneignung und Differenzsetzung, das geeignet erscheint, Wahrheit und Historie nicht als statisches Gegenber, sondern als produktive, prozessuale Spannung aufzufassen, nicht als Aporie oder Dilemma, sondern als Motor einer innovativen Philosophiegeschichte. In letzter Konsequenz vertritt dieser Entwurf die Auffassung, dass es nicht nur eine Macht der Deutung ber das Gedeutete, sondern auch eine Freiheit des Deutenden gegenber der Geschichte gibt. Das enthlt eine normative Seite: Es ermçglicht die Bewertung des vergangenen wie des deutenden Denkens, allerdings nicht an der Objektivitt des Faktischen, sondern an der Weise der Objektkonstitution wie an der systematischen Kraft der Deutung. [Hervorh. L. B.] Dass die Deutung dabei ohne festen Boden auskommen muss, ist nicht ihr Mangel, sondern ihre Mçglichkeitsbedingung: ihre Freiheit“ (ebd. 22). Genauso werden im Folgenden die Transformationen eben als Transformationen beurteilt, d. h. in der Relevanz, die sie in ihren jeweiligen Aufnahmebereichen besitzen bzw. zugeschrieben bekommen, und innerhalb der Parameter, die in ihren Aufnahmebereichen etc. gelten. Vgl. dazu auch Bçhme, in Bçhme/Bergemann/Dçnike/Schirrmeister/Toepfer/ Walter/Weitbrecht (2011), 9 – 10.

1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt

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Aufnahmebereich vollziehen. Dabei werden im Akt der Aneignung sowohl Aufnahme- als auch Referenzbereich modifiziert: Transformationen generieren also Dynamiken der kulturellen Produktion, in denen immer auch das verndert wird, was der Transformation voraus liegt, worauf sie sich reflexiv bezieht und was erst im Laufe der Transformation spezifiziert wird. Diese Prozesse sind dennoch nicht linear, d. h. im Sinne einer Einbahnstraße zu begreifen, sondern sind durch Verhltnisse der Interdependenz gekennzeichnet: Transformationen sind bipolare Konstruktionsprozesse, in denen die beiden Pole einander, im Sinne einer kulturellen Selbstdeutung, wechselseitig konstituieren und konturieren. Dieser Aspekt der Selbstreferenz kann bewusst reflektiert werden als Zusammenspiel von ,Eigenem und ,Fremdem, er kann aber auch als uneingestandene Projektion oder Identifikation in die Transformation eingehen. Diesen spezifischen Aspekt produktiver Wechselseitigkeit kultureller Inhalte von Referenzund Aufnahmekultur bezeichnet der Begriff Allelopoiese. Daraus folgt fr die Gegenstnde der Transformation, dass sie nicht als konstante Entitten im Rezeptionsprozess gleichsam unverndert durchgereicht werden. Input und Output von Transformation sind vielmehr als sich im Transformationsprozess wechselseitig hervorbringende, performative Elemente zu verstehen, die durch die jeweiligen Kontexte der Referenz- und Aufnahmekultur bedingt sind.75

Das Transformationskonzept rechnet also ausdrcklich mit einer retroaktiven Wirkung im Vollzug der In-Gebrauch-Nahme antiker Referenztexte, die deren Semantik unabhngig von der (problematischen) Annahme konstant feststehender ,Originalbedeutungen jeweils spezifisch entwickelt und konstruiert. Es geht somit grundstzlich von der Offenheit des semantischen Potentials der Referenztexte aus, die deren intertextuelles Einspielen erlaubt. Statt die Frage nach einer an der ,Originalbedeutung zu (ber-)prfenden Angemessenheit der Aneignung und Verwendung von Referenztexten zu stellen, hebt dieses Konzept daher primr auf die Analyse der Verwendung der Referenztexte und die Typen und Formen ihrer Aneignung und ihres Zusammenspiels im Intertext ab. Daher ist das Transformationskonzept zunchst grundstzlich geeignet, den Ansatz der Intertextualittsanalyse im Fall des System philosophiehistorisch zu operationalisieren und zu konkretisieren. Darber hinaus ermçglicht das Transformationskonzept unter den Kategorien des Aufnahmebereichs (der in diesem Fall als „Konstellation“ ins Spiel kommt), des Agenten und der Medien von Transformationen, extratextuelle Faktoren in die Intertextanalyse miteinzubeziehen und zu beschreiben, wie diese auf jeweils spezifische Weise die Aneignung und Interferenz antiker Referenztexte im System beeinflusst und systematisch konturiert haben kçnnten. 75 Bergemann/Dçnike/Schirrmeister/Toepfer/ Walter/Weitbrecht, in Bçhme/ Bergemann/ Dçnike/ Schirrmeister/ Toepfer/ Walter/Weitbrecht (2011), 43.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Die extratextuellen Einflsse sollen als Transformationsfaktoren bezeichnet werden. Sie ergeben sich aus der Einbettung Cudworths in eine spezifische „Diskursformation“ bzw. eine wissenschaftliche Konstellation, die den „Horizont [bezeichnet], in dem bestimmte Wahrheitsansprche berhaupt mçglich waren, innerhalb dessen bestimmte Theorien und Thesen sinnvoll waren.“76 Die Konstellation bestimmt also den Rahmen, der vorgibt, welche Fragen berhaupt gestellt werden kçnnen und welche Formen ihrer Beantwortung mçglich sind.77 Innerhalb dieser Sinnhorizonte entwickelt Cudworth im System sein (zumindest in Aspekten) innovatives Weltmodell78 als „eine Antwort auf eine situationsbedingte Herausforderung, die ausgehend vom vorgegebenen diskursiven Rahmen Vernderungen erarbeitet, die der Herausforderung besser entsprechen“ und mit „Bedeutungsverschiebungen und semantischen Umschlagseffekten“ verbunden sind.79 Cudworth selbst ist in die Konstellation der Cambridge Platonists mit ihren spezifischen Konzeptionen und Begriffsformen eingebunden, zu denen ganz wesentlich die Auseinandersetzung mit den verschiedenen mechanistisch-materialistischen Atheisten wie Ren Descartes, Thomas Hobbes und Walter Charleton bzw. Pierre Gassendi und mit hylozoistischen Anstzen wie z. B. dem Anne Conways gehçrt.80 Die Einflsse ihrer Systeme auf Cudworths Text und seinen Umgang mit den antiken Referenzen lassen sich damit als Transformationsfaktoren kategorisieren, und nur unter dieser Perspektive wird eine Auseinandersetzung mit diesen Philosophinnen und Philosophen in der intertextuell orientierten Transformationsanalyse des System erfolgen. Von den Transformationsfaktoren deutlich zu unterscheiden sind die Transformationstypen. Die Typen der Transformation bezeichnen die „Formen

76 Mulsow (1998), 22 – 25, Zitat 24. 77 Vgl. Beckermann/Perler, in Beckermann/Perler (2010), 15. 78 Zum Begriff „Weltmodell“ siehe Blumenberg (1996), 473, Anm. 310: „Unter ,Weltmodell verstehe ich die von dem jeweiligen Stand der Naturwissenschaften abhngige und die Gesamtheit ihrer Aussagen integrierende Systemvorstellung der Wirklichkeit; […]“. Metaphysische Grundlage ist die immer wieder bemhte neuplatonische t²nir deut´qym ja· pq¾tym (die Ordnung der zweiten und ersten [Dinge]), vgl. z. B. Procl., Inst. § 11. 79 Beide Zitate aus Mulsow (1998), 25. 80 Cudworths im System entwickelte Synthese aus Atomismus und neuplatonischer Metaphysik, die sich in einem trinitarischen Prinzipienbegriff fundiert, ist u. a. als Antwort auf bzw. als Alternative zu diesen konkurrierenden Weltmodellen zu verstehen; s. u. „Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway – antagonistische Formationsbedingungen und Parameter fr Cudworths True Intellectual System“.

1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt

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[…], in denen antike Elemente bei Transformationen Verwendung finden“.81 Mit ihnen lsst sich beschreiben, wie das „Einspielen“82 der Referenztexte in den Intertext erfolgt und welche intertextuellen Strukturen sich daraus ergeben, nach welchen Mustern Cudworth beim Machen seines Textes,83 bei der Auswahl und Kombination der Referenztexte verfhrt. Auf der Analyse dieser innertextuellen Dimension des System liegt der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit. Damit wird ein zentraler Aspekt des System fokussiert, der bisher in der Forschung keine Beachtung gefunden hat, die sich diesem Text weitestgehend unter Ausschluss einer Intertextualittsanalyse zugewandt hat. Das Transformationskonzept bietet allerdings genau dafr mit seiner differenzierten Typologie ein begriffliches Instrumentarium, das geeignet ist, das System hinsichtlich des ihm wesentlichen Zusammenspiels der Referenztexte und -elemente und der Rekonstruktion der jeweiligen system- und zusammenhangstiftenden Hintergrundannahmen und „Textensembles, denen sie angehçrt haben mochten“,84 zu entziffern und die entsprechenden Interferenzstrukturen und zusammen mit ihnen die sich daraus ergebenden Sachgehalte freizulegen.85 Cudworth verhlt sich zur Antike als der Sphre und dem Reservoir, aus dem er seine Referenztexte gewinnt, grundstzlich im Modus der Identifikation, d. h. einer Einstellung großer Nhe.86 Dabei perspektiviert er die Antike projektiv, d. h. er sieht seine eigenen berzeugungen durch antike Positionen bezeugt und zugleich autorisiert. Die Antike wird auf diese Weise zum Resonanzboden des Eigenen. Es ist dieser Blick auf die Antike, der Cudworths Weise der Antikenaneignung, seine Art des „Einspielens von Texten der Vergangenheit“87 in den eigenen Text grundstzlich bestimmt – viele zeitgençssische Positionen betrachtet Cudworth im Gegenzug entsprechend als Wiederholungen, Affirmationen oder Verflschungen antiker Lehren und ihrer Darstellungen. So 81 Antrag SFB 644 (2008), 30. Siehe auch Bergemann/Dçnike/Schirrmeister/Toepfer/ Walter/Weitbrecht, in Bçhme/Bergemann/Dçnike/Schirrmeister/Toepfer/ Walter/Weitbrecht (2011), 23 f., und 47. 82 Vgl. Lachmann (1990), 11. 83 Vgl. Lachmann (1990), 65 und 67: „,Machen bedeutet die Produktion eines Textes als Auswahl- und Kombinationsprozess, der sich an einem bestimmten Verfahrensrepertoire orientiert […] Machen von Literatur bedeutet damit in erster Linie Machen aus Literatur, das heisst Weiter-, Wider- und Umschreiben.“ 84 Lachmann (1990), 49. 85 Hier korreliert die Transformationsanalyse als Interpretation einer „systematisch ausgerichteten Transformation“ (Asmuth [2006], 17) mit dem Anspruch Asmuths, „das Verhltnis der Philosophie zu ihrer Geschichte selbst philosophisch [zu denken]“ (Asmuth [2006], 11). 86 Zu den im Folgenden auf Cudworth angewandten Modi der Transformation siehe Antrag SFB 644 (2008), 39 – 40. 87 Lachmann (1990), 11.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

kçnnen die antiken Referenzen zu denen der eigenen Zeit in eine enge Beziehung gesetzt werden. Die Intention, die diese In-Gebrauch-Nahme motiviert, lsst sich als introjizierende Identifikation beschreiben. Cudworth bernimmt dabei als ideal und normativ anerkannte antike Inhalte und macht sie durch die Einfgung in sein System stabilisierend in einer Situation produktiv, die er als krisenhaft und verunsichernd empfindet. Aus dieser Haltung heraus ist es Cudworths Bestreben, diejenigen Momente antiker Literatur in das dynamische Gefge der ihn einbettenden diskursiven Formation einzubringen, von deren Autoritt und inhaltlicher Geltungskraft er annimmt, dass sie seinen Systementwurf strken und sttzen und so gleichfalls die Position der Cambridge Platonists in ihrer Auseinandersetzung mit den atheistischen Weltmodellen strken kçnnen. Hierbei dienen Cudworth Autoren wie Marsilio Ficino, Francesco Patrizi und Agrippa von Nettesheim als mçgliche Vorbilder, deren Texte er sich fr das eigene Vorgehen strukturell zunutze machen kann. Sie sollen exemplarisch in dieser Funktion als Transformationsfilter bercksichtigt werden. Diese Kategorisierung bedeutet allerdings nicht, dass inhaltliche Aspekte, die Cudworth aus den Anstzen dieser Philosophen bernimmt und die sein Verstndnis der antiken Referenztexte mitbestimmt haben kçnnten, unbercksichtigt bleiben.88 Im Zuge dieser Aneignung adaptiert Cudworth die Referenztexte so, dass sein eigenes System als kontinuierliche Wiederaufnahme (und eventuell als Weiterentwicklung) der von ihm als wichtig anerkannten Antikereferenzen erscheint. Dabei kommt es zu erheblichen Systematisierungen, die nçtig sind, „um Willkr und Kontingenz der berlieferungen“ in die sachlichen und begrifflichen Anforderungen des eigenen Systems zu berfhren.89 Cudworth interpretiert seine Texte also grundstzlich aus dem Modus der projektiven Identifikation heraus und funktionalisiert sie im Modus der introjizierenden Identifikation. Im Vollzug dieser Funktionalisierung wendet er sich den Texten zugleich adaptiv und systematisierend zu. Es ist also im Blick auf den Transformationsakteur Cudworth eine Art Schichtung von Transformationsmodi bzw. Einstellungen gegenber der Antike als Referenzsphre zu beobachten: Die projektive Identifikation aktiviert bzw. motiviert grundstzlich die Introjektion des Antiken in das Eigene. Diese Introjektion konkretisiert sich gleichsam in den Formen der Adaption und der Systematisierung. In ihrer Verschrnkung realisieren diese Modi die allelopoietische Wirksamkeit von Transformationen, in der der eigene zeitgençssische Horizont mit dem des sptantiken Neuplatonismus verschmolzen wird auf dem Fundament der Annahme einer bis in Cud88 Eine knappe Einschtzung des Verhltnisses Cudworths zu derartigen Autoren bietet Hutton, in Mulsow/Hfner/Neumann/Zedelmaier (1997), 221 f. 89 Antrag SFB 644 (2008), 41.

1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt

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worths eigene Zeit reichenden inhaltlichen Kontinuitt einer speziellen Form philosophischer und theologischer Wahrheit. Ihren philosophie- (und theologie-)historischen Ausdruck finden diese Modi und der ihnen zugrunde liegende Kontinuittsgedanke fr Cudworth nmlich in der Annahme der sogenannten prisca theologia und der mit ihr verbundenen pia philosophia, die damit ebenfalls in wesentlicher Weise Cudworths Perspektivierung der Antike und seinen Umgang mit den Referenztexten bestimmen.90 Cudworth stellt sich damit in die Tradition des religiçsen Neuplatonismus, denn auch er vertritt das Ideal einer pia philosophia, die zugleich eine prisca theologia neuplatonischer Grundlage ist: Auch fr ihn konvergieren das Christentum als monotheistische Religion und fromme, wenn auch heidnische Philosophie im Zentrum einer primordialen, uranfnglichen Offenbarungswahrheit,91 die wesentlich neuplatonisch charakterisiert ist.92 Dies zeigt sich an vielen Stellen, z. B. bei seiner Interpretation der Gestalt des Orpheus oder des Wahrheitsgehaltes der altgyptischen Religion.93 Cudworth steht dabei auf dem Fundament einer 90 Vgl. dazu Hutton, in Mulsow/Hfner/Neumann/Zedelmaier (1997), 220 – 222, deren Skizze von „Cudworths sense of philosophical history“ die hier angefhrten berlegungen zu den fr das System relevanten Transformationsmodi grundstzlich verpflichtet sind. 91 Vgl. z. B. System I, 502 und 537. Diesen wesentlichen Zug in Cudworths Denken konstatiert u. a. Aspelin (1943), 5, 18 und 31 f. in seiner Bedeutung fr den Umgang mit den Antikereferenzen im System; vgl. auch Lotti, in Simonutti (2007), 388 – 390. Auch Osborne (2009), 11 f. hebt Cudworths „appeal to revelation“ bei der Konstruktion des ,wahren Atomismus der Vorsokratiker hervor. 92 Wie sehr Cudworth diesem Gedanken verpflichtet ist, zeigt z. B. seine Auseinandersetzung mit den Ergebnissen Casaubons hinsichtlich der Datierung des Corpus Hermeticum in System I, 537 – 555. Dem hypothetischen Vorwurf, er wrde anachronistisch argumentieren, stnde Cudworth verstndnislos gegenber, denn die Wahrheit, die er in den antiken Texten mit Hilfe einer neuplatonisch geprgten Hermeneutik sucht, ist die uranfngliche, zeitlose Wahrheit. Zu dieser hermeneutischen Konstruktion bei Ficino siehe Leinkauf (1992), 736 f. Zur systematischen Funktion der sog. philosophia perennis, die darin zu sehen ist, dass diese Vorstellung „Philosophie und Theologie durch den Anspruch einer grundstzlichen Einheit und einer Harmonie der Wahrheit [verbindet]“, s. Frank (2003), 228 f. und speziell bei Cudworth ebd. 270 – 281, sowie Gaukroger, in Gaukroger (1991), XIII, der diesbezglich von einem „allegorical reading“ der zu harmonisierenden Texte spricht. Vgl. auch Schmidt-Biggemann (2007), 124. Beierwaltes (1998) hingegen geht statt von einer historisch immer wieder zu relativierenden und zu hinterfragenden Perspektivierung des Verhltnisses zwischen neuplatonischer Philosophie und christlicher Theologie aus von einem „dialektischen Bezug“ (11) zwischen Philosophie und Theologie, der in einem – offenbar berzeitlichen und ahistorischen – „sachlichen Fundament“ begrndet ist. Die hier durchgefhrte Transformationsanalyse steht damit komplementr zum Ansatz Beierwaltes. 93 Grundstzlich zur Bedeutung der Renaissance fr Cudworths Aneignung antiker Philosophie siehe Aspelin (1943), 4 und 37. Aspelin weist auch darauf hin, welches Bild von Philosophiegeschichte aus dieser Tradition heraus fr Cudworth bestimmend ist: das des Umgangs mit einer unvernderlichen Wahrheit, die im Laufe der Geschichte nur ver-

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Hermeneutik und Exegesepraxis, die z. B. von Ficino im Vorwort zur bersetzung der Enneaden Plotins in aller Deutlichkeit formuliert wird: Es ist eine Tatsache, dass eine gewisse fromme Philosophie gewissermaßen sowohl bei den Persern unter Zoroaster wie bei den gyptern unter Hermes geboren wurde und, sich von beiden her vereinigend, hierauf bei den Thrakern unter Orpheus und Aglaophemus genhrt wurde und bald auch unter Pythagoras bei den Griechen und Italern heranwuchs, um schließlich aber von dem gçttlichen Platon in Athen vollendet zu werden. Es war Brauch der alten Theologen, die gçttlichen Geheimnisse sowohl mit mathematischen Zahlen und Figuren wie mit dichterischem Schmuck zu verschleiern, damit sie nicht, von irgendjemande[m] in die ffentlichkeit getragen, entweiht werden. Plotin schließlich entkleidete deren Theologie von den Schleiern als erster und einziger, wie Porphyrius und Proklos besttigen, und durchdrang durch gçttliche Fgung die Geheimnisse der Alten. (bs. Scheuermann-Peilicke [2000], 24. Alle Hervorh L. B.)94

Diese neuplatonische „Wahrheit“ und ihre philosophischen Vertreter bilden folglich fr Cudworth eine Art systematischen und weltanschaulichen Rahmen aus. Dieser gibt wiederum auf der Ebene der Systemrelevanz die jeweiligen Formeln und Konstruktionsregeln vor, nach denen andere antike Texte, die der Argumentation aufgrund ihrer zunchst als widersprchlich erscheinenden Inschieden deutlich artikuliert wird bzw. zu Zeiten sogar verborgen oder verflscht werden kann. Eine echte Entwicklung, die zu wesentlich neuen Einsichten fhrt, ist hier jedoch nicht denkbar; s. Aspelin (1943), 6 – 7 und 32. Diese Beobachtung wird aufgenommen von Hutton, in Dematteis/Fosl (2002), 147. Vgl. auch Breteau (1991), 98. Breteau (1991), 93 – 100 zeichnet ein differenziertes Bild der Verbindungen und Abhngigkeiten zwischen den Cambridge Platonists und dem Florentiner Neuplatonismus und bercksichtigt dabei u. a. die historischen Leitvorstellungen der prisca theologia und der philosophia perennis, deren spezifische Konturierung durch die Cambridge Platonists er u. a. in der Auseinandersetzung mit Hobbes und Descartes begrndet sieht. 94 „[…] factum est, ut pia quaedam philosophia quodam et apud Persas sub Zoroaster, et apud Aegyptios sub Mercurio nasceretur, utrobique sibimet consona: nutriretur deinde apud Thraces sub Orpheo atque Aglaophemo: adolesceret quoque mox sub Pythagora apud Graecos et Italos tandem vero a Divo Platone consumaretur Athenis. Veterum autem Theologorum mos erat, divina mysteria cum mathematicis numeris et figuris, tum poeticis figmentis obtegere: ne temere cuilibet communia forens. Plotinus tandem his Theologiam velaminibus enudavit: primusque et solus, ut Porphyrius Proculusque testantur arcana veterum divinitus penetravit“ [Hervorh. L. B.](Epistolae, fols. CXXXV v.– CXXXVI v., sig. tv v.– tvi v. [Opera, pp. 871 – 872] (zitiert nach Allen [1998)], 16, Anm. 27 sowie Scheuermann-Peilicke [2000], 24, Anm. 56, dort der Verweis auf das Prooemium zur Plotinbersetzung). Grundstzlich zu Cudworths Perspektivierung Ficinos s. Breteau, in Simonutti (2007), 353 – 380, der Cudworths Verhltnis zu Ficino an drei Beispielen untersucht: der Einschtzung des Corpus Hermeticum, der Funktionalisierung der Kosmogonie des Platonischen Timaios und der Bedeutung des Atomismus. Aus dieser Analyse ergibt sich ein differenziertes Bild von Cudworths Ficino-Gebrauch, der sich in einer spannungsvollen Dynamik zwischen oberflchlicher Ablehnung bis zur Anerkennung und bernahme zentraler Grundgedanken vollzieht, vgl. bes. 363 – 364. Im Falle der hermeneutischen Relevanz Plotins ist mit der bernahme dieses wesentlichen Gedankens Ficinos durch Cudworth zu rechnen.

1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt

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halte erst noch angepasst werden mssen,95 den Funktionalisierungsansprchen des System entsprechend um- bzw. eingeformt und transformiert werden. Durch dieses spezifische hermeneutische Verfahren werden also die brigen Texte, die nicht mittelbar oder unmittelbar dem neuplatonisch-christlichen Sinnhorizont entspringen, funktionalisiert, dabei unter neuplatonischer Perspektive transformiert und so den jeweiligen Argumentationszielen entsprechend angeordnet und konfiguriert. Aus diesem Vorgehen ergibt sich zugleich eine enge und wesentliche Verzahnung von Religion und einer dezidiert Plotinisch fundierten neuplatonischen Metaphysik auf der Basis einer argumentationsspezifisch angewandten Philologie mit dem Ziel der Konstruktion philosophisch-theologischer Exempla als Vertreter der prisca theologia und der Explikation ihrer zentralen Inhalte.96 Diese kann Cudworth dann wiederum dazu nutzen, den Materialismus der atheistischen Atomisten und Mechanisten zu widerlegen.97 Cudworths Auseinandersetzung mit den antiken Referenztexten fhrt so zur Legitimation seiner eigenen Gottes- und Prinzipienvorstellung und zugleich zur theologischen und systematischen Legitimation seiner Naturphilosophie, die von dieser Gotteskonzeption abhngig ist. Eine differenzierte Untersuchung von Cudworths Umgang mit der Antike ist daher eine wesentliche Voraussetzung fr die Analyse der im System auftretenden Konfigurationen von (Neu-)Platonismus und Atomismus, da sie die Basis fr diese Auseinandersetzung bildet. Dabei ist zu beobachten, wie ein Textgewebe entsteht, in dem Cudworth aufgrund seines neuplatonischen Strukturdenkens Gattungsgrenzen und -ordnungen dynamisiert, Zitate aus verschiedensten Textgattungen im Zuge zielgerichteter Argumentation zueinander in Beziehung setzt, sie wechselseitig perspektiviert und sein ebenso dynamisches wie einheitliches Weltmodell auch literarisch eindrucksvoll inszeniert. Schließlich wird auch der Leser beim aktiven Nachvollzug dieser prgnant figurierten Denk- und Argumentationsstrukturen entsprechend dem Motto des System „bungssttte der Seele [ist] die menschliche Weisheit, 95 Wie z. B. die antik-paganen Dichter mit ihrem Polytheismus. Vgl. zu dieser perspektivierenden Kraft des Neuplatonismus die grundstzlichen Bemerkungen bei Flores (2008), 124. 96 Vgl. System I, preface to the reader, XLIV. Zur besonderen Bedeutung Plotins fr die Cambridge Platonists s. Flores (2008), 124 – 129, die sich allerdings auf inhaltlich-metaphysische Aspekte konzentriert und die systematische Bedeutung Plotins, die sich durch Ficino vermittelt, nicht erwhnt. Zur Perspektivierung Plotins duch den „Filter“ Ficino im England des 17. Jhs. vgl. den Hinweis bei Powicke (1926/1995), 12 – 13. 97 In diesem Sinne hat Cudworth ein dezidiert neuplatonisches Weltbild, whrend sein Weltmodell eine Mischung aus Atomismus, Cartesianismus und Neuplatonismus zu sein scheint. Zum Unterschied zwischen Weltbild und Weltmodell vgl. Blumenberg (1996), 473, Anm. 310. Vgl. dazu auch Wimmer (2005), 33 f., der Bourdieus Konzept des „Habitus“ heranzieht, um grundlegende Prdispositionen von Sinnproduktion und Welterschließung zu bezeichnen; s. auch ebd. 42 f.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Ziel aber die gçttliche“ anagogisch eingebt.98 Gerade in dieser Hinsicht kçnnte sich Cudworth neben Agrippa an Ficino und dessen Vorstellung einer Anhnlichung an den Geist/Nous Gottes mittels sogenannter circuitus spirituales orientiert haben.99 Diese bestehen in verschiedenen „mentalen Operationen“, wie z. B. dem „Analysieren und Synthetisieren von komplexen Strukturen“.100 Es sind eben solche operationes mentales, die die Lektre des System von dessen Lesern fordert und aus denen die anagogische Wirksamkeit des Textes resultiert. Um die antiken Texte als wesentliche Elemente des eigenen Textes aus den beschriebenen Transformationsmodi heraus und im systembildenden Rahmen der prisca theologia in sein System einfgen zu kçnnen, bedient sich Cudworth besonders im vierten Kapitel seines Werkes einer besonderen Form der theologischen Hermeneutik, die mit Frank Bezner als integumentale Hermeneutik oder „Hermeneutik des Hintersinns“101 bezeichnet werden soll. Diese Lesart wurde bereits im Mittelalter entwickelt, um eine Form des Umgangs mit explizit antik-paganen Texten (und ihrer Deutung) zu finden. Cudworth geht diesbezglich von verschiedenen semantischen Ebenen eines Textes aus: Einer Ebene der integumenta oder velamina bzw. volucra, die den wahren Sachverhalt eines Textes gleichsam verhllen, einerseits und der ontologisch-theologischen Sinnebene der Prinzipienspekulation andererseits, auf die hin die integumenta zu deuten und auszulegen sind. Die Annahme dieser „semantischen Dynamik“102 macht sich Cudworth zunutze, um Texte der verschiedensten Gattungen (z. B. aus der Dichtung, aber auch philosophische Texte selbst, die anderen als dem neuplatonischen System entstammen) im Sinne seiner Argumentation als Ausdruck einer eigentlich gemeinten, neuplatonischen Metaphysik und Prinzipienbzw. Gotteslehre zu funktionalisieren. Mit dieser Technik einer „philosophicalliterary analysis“103 bertrgt Cudworth gleichsam die fr das System zentrale metaphysische Struktur der Immanenz des Transzendenten auf die Ebene des Textverstndnisses: Wie die Welt und ihre Phnomene auf das erste Prinzip hin zu deuten sind, das sich seiner Wirkung gemß in ihnen manifestiert, so sind die Referenztexte auf die neuplatonische Metaphysik hin zu verstehen, die in ihnen verborgen ist und die sich in abbildlicher Form in diesen integumenta zeigt. So 98 Vgl. Origenes, Contra Celsum VI, 13. Dieses Motto wurde fr die Ausgabe von 1845 gewhlt. So ist das System gerade aufgrund seiner vielen Zitate wesentlich mehr und Anderes als eine Art Sammlung (platonischer) Quellentexte, als die es bereits von Locke angesehen wurde (dazu Breteau [2006], 48) und als die es im 18. Jh. schnell betrachtet und genutzt wurde, wie Flores (2008), 191 feststellt. 99 Dazu, auch im Folgenden, siehe Leinkauf (2002), 48. 100 Leinkauf (2002), 48. 101 Bezner (2005), 66 u. ç. 102 Bezner (2005), 57. 103 Wetherbee (1972), 36.

1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt

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konkretisiert sich in diesem Deutungsverfahren eine Konvergenz zwischen transformierender Ttigkeit und ontologischem Systemdenken als Ausdruck und Konsequenz einer Religionsphilosophie, die in der neuplatonischen Metaphysik ihr unhintergehbares und unhinterfragbares Fundament zu besitzen meint, das seinerseits aufgrund des Modus der projektiven Identifikation auf den Referenzbereich der gesamten Antike bertragen und angewendet wird. Damit sind die verstndnis- und aneignungsleitenden Grundlagen und ihre inhaltlichen Vorannahmen skizziert, aus denen heraus sich Cudworths Formen des Umgangs und der Aneignung antiker Referenztexte im System (die Transformationstypen) in ihrem Zusammenspiel bestimmen lassen.104 Die Transformationstypen, die sich im Text des System beobachten lassen,105 kçnnen zunchst den Oberbegriffen der Inklusion und der Rekombination zugeordnet werden. „Rekombination“ der antiken Referenz- oder Prtexte beschreibt die Tatsache, dass diese im Intertext so zueinander in Beziehung gesetzt sind, dass sie einander im Sinne der Systembildung sinnverdichtend ergnzen, potenzieren und sich gegenseitig erklren.106 Inklusion bezeichnet entsprechend zugleich Qualitt und Resultat dieser Rekombination: Das Zueinander-in-Beziehung-Setzen der Referenztexte erfolgt nmlich nicht mit dem Ziel, die in ihnen enthaltenen Sinnpotentiale auszugrenzen, sondern dient vielmehr dem Zweck, sie in die Argumentation des System zu integrieren und als Ausdruck des eigenen Weltmodells zur Sttzung und Legitimation der eigenen Naturphilosophie zu funktionalisieren. Bestimmend ist der Transformationstyp der Montage. 107 Im System lsst sich konsequent beobachten, dass unterschiedliche isolierte Textelemente aus dem Bereich der gesamten antiken und sptantiken Textmasse bernommen und miteinander in Beziehung gesetzt werden mit dem Ziel, aus ihrem Zusammenspiel spezifisch intendierte Bedeutungsdimensionen zu erzeugen. Diese Integration von Texten zu neuen Einheiten kann durchaus innovative Sinndi104 Zu den im Folgenden thematisierten Transformationstypen siehe Antrag SFB 644 (2008), 29 – 39 und Bergemann/Dçnike/Schirrmeister/Toepfer/Walter/Weitbrecht, in Bçhme/Bergemann/Dçnike/Schirrmeister/Toepfer/Walter/Weitbrecht (2011), 47 – 56. 105 Die im Folgenden verwendeten Begriffe zur Beschreibung der Formen von In-Gebrauch-Nahme antiker Sachverhalte, wie z. B. „Ignoranz“, sind daher eben genau dies: rein deskriptiv. Sie sind keinesfalls wertend gemeint, sondern lediglich Ausdruck eines hermeneutischen Instrumentariums. In diesem Sinne (aber wohl auch auf vielen anderen Ebenen) ist natrlich die vorliegende Studie zu Cudworth gleichfalls ebenso fokussierend wie ignorant. 106 Vgl. Lachmann (1990), 44. 107 Dieser Typ bildet quasi die Grundlage fr Cudworths noetisches, neuplatonisches Schreiben. Zugleich ist allerdings zu beachten, dass Inklusion immer auch zugleich die Exklusion des allzu Unpassenden und nicht Integrierbaren bedeutet und immer zugleich Selektion und (produktive) Ignoranz ist. Die allumfassende Inklusion gelingt auch im System nicht.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

mensionen erzeugen, die den Textelementen in ihrem „ursprnglichen“ Zusammenhang mçglicherweise nicht zugesprochen wurden und die damit Antikes um-, ber- und weiterschreiben. Diese Montagen werden vollzogen als Reaktionen auf die oben angefhrten (und noch zu erçrternden) zeitgençssischen Transformationsfaktoren, d. h. als Antworten auf die Anforderungen, die die Konstellation an Cudworth stellt. So kommt es zu Hybridisierungen, die auf der Ebene der Transformationstypen das Verschmelzen der verschiedenen Zeithorizonte abbilden. Es entstehen nmlich aus den Referenzinhalten der antiken Philosophie und den Einfluss- und Anspruchsfaktoren des wissenschaftlichen Feldes, in das Cudworth eingebettet ist, spezifische neuartige Transfigurationen, die berschneidungen und Verschmelzungen aus antiken und zeitgençssischen Elementen darstellen. Ein Beispiel ist Cudworths Darstellung des antiken Hylozoismus, der Elemente stoischer und zeitgençssischer Hylozoismen in sich vereint und als Prfiguration des zeitgençssischen Hylozoismus in deutlichem Gegenwartsbezug zu lesen ist.108 Die miteinander verschrnkten Modi der projektiven und introjizierenden Identifikation bedingen auch die folgenden Transformationstypen, die Montage und passgenaue Hybridisierungen ermçglichen. In seinem Zugriff auf das antike Referenzmaterial (gleichermaßen die Gesamtheit aller berhaupt verfgbaren und ihm bekannten Prtexte) fokussiert Cudworth erkennbar auf montagegeeignete Texte, d. h. Texte, deren Begrifflichkeit, Motivik und Metaphorik eine Integration und ein produktives Zusammenspiel im Rahmen einer neuplatonisch fundierten prisca theologia erlauben oder erleichtern bzw. die sich dem Zugriff der integumentalen Hermeneutik korrespondierend zeigen. Dieser Transformationstyp hat eine Verengung der Sichtweise auf die Antike zur Folge, von der so hinsichtlich ihrer Religiositt ein vereinheitlichtes Bild gezeichnet wird. Man kann diese Form des Umgangs mit dem antiken Angebot auch als bewusste Ignoranz betrachten, die allzu Unpassendes oder wesentlich Widersprechendes und Unvereinbarendes nicht zur Kenntnis nimmt oder sich nicht damit auseinandersetzt. Fokussierung und bewusste Ignoranz mnden in argumentationsspezifische, differenzierte Selektionsprozesse, die nicht nur die Auswahl der zitierten antiken Texte, sondern auch die Art und Weise des Zitierens selbst betreffen.109 So kann Cudworth bestehende, auch durch die Syntax klar 108 Vgl. Passmore (1951/1990), 14. Zusammengefasst kann man beobachten, dass Montage eine Hybridisierung ermçglicht, die wiederum eine Suspendierung von Zeitlichkeit impliziert. 109 Analogisiert man Cudworths Vorgehen in diesem Fall mit dem von Ragep (1996), XXVI beschriebenen Prozess der Transmission von Wissen von einem Kulturkreis in einen anderen, lsst es sich mit Ragep folgendermaßen als „naturalization“ charakterisieren: „Our next grouping falls under Sabras category of naturalization, the process by which the transmitted knowledge from foreign sources comes to be transformed over time so

1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt

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erkenntliche Sinneinheiten aufbrechen, um genau nur den Textausschnitt zu zitieren, der fr eine argumentationssttzende oder -lenkende Montage gebraucht wird. Die Typen der Fokussierung, Ignoranz und Selektion bestimmen also, ihrerseits geformt durch die Modi der projektiven und introjizierenden Identifikation und der Systematisierung und die mit ihnen verbundenen Vorentscheidungen, die Menge und Art des in Frage kommenden antiken Referenzmaterials und richten es dann gleichsam montagetauglich zu. Dieses Syndrom von Transformationstypen (Fokussierung, Ignoranz, Selektion, Montage und Hybridisierung) initiiert eine weitere Abfolge von Transformationstypen, die ihrerseits als miteinander verbundene und letztlich einander bedingende Phasen intertextueller Dynamik auf der Ebene der Systemkonstitution verstanden werden kçnnen: Zunchst ermçglichen sie eine der Argumentationsentwicklung jeweils genau angepasste Um- bzw. Ausdeutung des semantischen Potentials der Referenztexte. Diese bleiben als solche im Zitat zwar ausdrcklich erkennbar und mssen aufgrund des Denkens in Kontinuitten, die sich fr Cudworth u. a. in Homonymien zu manifestieren scheinen, erkennbar bleiben, werden aber auf der Ebene der Semantik Verschiebungen bis hin zu Inversionen unterzogen. Diese semantischen Verschiebungen oder „Umschlagseffekte“, wie Martin Mulsow sie charakterisiert,110 ergeben sich ihrerseits aus der Interferenz der einzelnen Zitate in den Montageeinheiten. Als deren Elemente werden die einzelnen Referenztexte dem System als ihrem Intertext, der sie aufhebenden Einheit, appropriiert, d. h. den Interessen des Systems eingefgt, das Cudworth entwirft. So bestimmen systematisch-inhaltliche berlegungen bis in die Mikroebene die Parameter, nach denen die Texte transformiert und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Zugleich etabliert Cudworth sein System auf diese Weise als Fortsetzung und Erbe der fr ihn wesentlichen antiken Tradition.

that it takes on the symbols and meanings that are the trappings of its new home and becomes ,comfortable in its new setting. Naturalization may appear to be of crucial importance for institutionalizing a scientific tradition, making it, so to speak, a part of the social fabric and securing for it a stable, sustaining, and supportive environment.“ Dabei wird allerdings, der antiken Exegesepraktik folgend, nur ein Teil der ursprnglichen Lehre bernommen. Dieser wird zustzlich „rekonzeptualisiert“: „Often only selected parts of a tradition are transmitted, and these parts, by being detached from the whole tradition, may become decontextualized. Here particular ideas, theories, data or whatever become transformed to such an extent by the act of transmission that they take on unexpected meanings as they are put into new contexts […] a second [stage] of transmission that results in the transmitted object or objects (whether ideas, theories, or even instruments and institutions) being reconceptualized to such an extent that they take on a ,new inward meaning even if they maintain a similar ,outward sign“ (Ragep [2009], XXI-XXII). 110 Siehe Mulsow (1998), 25; s. o. S. 18.

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Ihren gleichsam systematisierenden Abschluss findet diese Typenkombination und -abfolge in der Implementierung der jeweiligen, zu Sinneinheiten zusammengefassten Referenztexte in das System, also in ihrer umfassenden Funktionalisierung im System „unter Bercksichtigung von dessen Rahmenbedingungen [zu denen auch Transformationsfilter und -faktoren zu rechnen sind], Regeln und Zielvorgaben“.111 Dabei kommt den bersetzungen, die Cudworth allen Zitaten beifgt, eine nicht unerhebliche Rolle zu. In ihnen nimmt Cudworth die Vorleistungen der Aneignungsformen von Fokussierung, Ignoranz und Selektion auf und konkretisiert sie hin auf die abschließende Implementierung der jeweiligen Texte in den Argumentationsablauf. So dienen seine bersetzungen dem Zusammenhalt der system-konstituierenden Textmontagen. In ihnen kann Cudworth semantische Entscheidungen festlegen (z. B. Vereindeutigungen und Umprgungen bis hin zur Inversion) und durch Ergnzungen gegenber dem Originaltext inhaltliche Weichenstellungen und Schwerpunktsetzungen in seinem Sinne vornehmen. Sie haben damit gerade auch gegenber den Lesern des System eine dezidiert verstndnislenkende Funktion, die hilft, seine Transformationen zu plausibilisieren. Im Ergebnis lsst sich beobachten, dass und wie im System immer wieder ein Netz neuplatonischer Terminologie und Vorstellungen ausgespannt wird und die einzelnen Texte in diesem Netz einen organischen Verweisungszusammenhang ausbilden, dessen Gerst Leitbegriffe wie „Kraft“ (energy, power, d¼malir, 1m´qceia), „radii Deitatis“ oder „umfassen“ (contain, comprehend, peqi´weim) und mit ihnen verwandte Wendungen und Metaphern bilden. Diese Leitbegriffe formen zugleich das sprachlich-semantische Gerst, auf das Cudworth mit seiner integumentalen Hermeneutik immer wieder abzielt. Auf diese Weise vermittelt das System den Eindruck einer umfassenden Ganzheit („a whole“), in der die einzelnen Textelemente zueinander in einer sinnstiftenden Beziehung stehen und ihr semantisches Potential im wechselseitigen Bezug aufeinander systemgenerierend entfalten. Cudworth instrumentalisiert sein umfassendes Wissen in Form der beschriebenen Transformationstypen, die im Zusammenspiel eine geschlossene sinnstiftende Transformationsdynamik hervorbringen, um der einen Wahrheit und der ihr zugehçrigen Synthese aus Philosophie und Theologie Ausdruck zu verleihen, die er als einzige Alternative zu den atheistischen Positionen seiner Zeit ansieht. Der Evidenz des empirischen Experiments und der mathematischen Beschreibung mechanischer Naturablufe stellt er in immer neuen Variationen die Autoritt der prisca theologia entgegen, deren Gottesbegriff er zugleich als Prinzipienbegriff in der naturphilosophischen Debatte in Gebrauch nimmt und aus dem er sein eigenes True Intellectual System zur Welterklrung 111 Antrag SFB 644 (2008), 32.

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entwickelt. Entwickeln kann er dieses System mit seinem Anspruch, die Fortsetzung einer uralten Offenbarungswahrheit zu sein, nur im Rckgriff auf die Antike, die er folglich, um diesen beiden Zielen gerecht werden zu kçnnen, transformieren muss: Cudworths System ist damit nicht „nur“ ein naturphilosophisches System zur Welterklrung, in dem sich Philosophie und Theologie verschrnken. Es ist vielmehr ebenso systematische Konstruktion einer in Cudworths Augen gçttlich begrndeten, uralten und alle Schichten und Zeiten der antiken Kultur umgreifenden religiçsen Tradition, in der die Wahrheit ber die Welt und ihr Prinzip eine gltige Form des Ausdrucks gefunden hat und deren Vertreter gehçrt werden mssen. Das System ist in dieser Hinsicht Religionsphilosophie auf dem Fundament einer von Cudworth adaptierten neuplatonischen Metaphysik, eine „philosophical theology“112. Ersichtlich wird aus diesen berlegungen, dass die Einfgung der antiken Referenztexte in das System zahlreichen Parametern unterliegt, die einem „angemessenen“ Umgang mit den antiken Texten als antiken nur in geringem Maße – wenn berhaupt – verpflichtet sind: Ein derartiger „angemessener“ Umgang wre dagegen historistischen und philologischen Kriterien verpflichtet und wrde versuchen, eine Art genuin antiken Sinn dieser Texte festzustellen und die Texte diesem Sinn entsprechend auszulegen und zu verwenden. Da eine Transformationsanalyse von Fragen einer derartigen „Angemessenheit“ des jeweiligen Antikegebrauchs absieht – auch wenn sie bei der Beschreibung und Einstufung der Transformationen antiker Referenzsphren mit deren Widerstndigkeit bzw. Eigensinn rechnet –, ist es bei der Untersuchung, wie Cudworth aus seinen antiken Referenztexten den Text seines System macht, zwar beobachtenswert, ob die jeweiligen Verfasser der von Cudworth angefhrten Texte Kenntnis von der neuplatonischen Bedeutung der jeweils interessanten Begriffe haben konnten oder ob sie diese Bedeutung berhaupt intendierten (bzw. intendieren konnten).113 Entscheidend ist aber, ber diese bloß beobachtenswerte Feststellung hinaus, dass Cudworth aufgrund seiner Annahme einer prisca theologia, die sich in derartigen Texten manifestiere, diese Texte so gelesen und verwendet hat, als ob deren Verfasser derartige Kenntnisse und Absichten besessen htten, und er so eine seinen Ansprchen gengende Antike konstruiert. Das Interesse der vorliegenden Arbeit ist es nmlich, zu untersuchen, warum und in welcher Weise Cudworth diese Texte aufgrund ihrer Terminologie in sein System an der jeweiligen Stelle aufnimmt, derart per112 System II, 256. 113 Zu dieser spezifischen Suspendierung der Geltungsfrage, die fr das Vorgehen bei einer Transformationsanalyse typisch und wesentlich ist, siehe Bçhme, in Bçhme/Bergemann/ Dçnike/Schirrmeister/Toepfer/Walter/Weitbrecht (2011), 18 – 21 und Bergemann/ Dçnike/Schirrmeister/Toepfer/Walter/Weitbrecht, in Bçhme/Bergemann/Dçnike/Schirrmeister/Toepfer/Walter/Weitbrecht (2011), 45 f.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

spektiviert und im Rahmen seiner z. T. fiktiven Semantik gebraucht, nicht aber, zu rekonstruieren, was der genuine Sinn der antiken Texte an sich gewesen sein kçnnte und ob Cudworth diesem eventuell gerecht wird.114 Entsprechend geht es bei dieser Analyse des Umgangs mit (spt-)antiken Texten primr auch nicht darum, den Text des System daraufhin zu befragen, ob hier eventuell ein richtiges oder falsches Verstndnis der antiken Texte und ihrer Inhalte vorliegt. Noch viel weniger kann und soll in dieser Analyse zudem eine fr eine derartige Beurteilung notwendige eigenstndige Untersuchung der (spt-) antiken Inhalte und der bestehenden und umfassenden Forschungen zu ihnen geleistet werden, da es nicht um die antiken Inhalte als solche zu tun ist. Vielmehr geht es im Folgenden mindestens ebensosehr um das „Wie“ der Argumentation wie um deren „Was“. Die Transformationsanalyse ermçglicht es demgemß, Cudworths Form der Darstellung als Form neuplatonisch-universalwissenschaftlichen Schreibens nher in den Blick zu nehmen: Die im sinnstiftenden Rahmen der projektiven Identifikation zu Sinneinheiten kombinierten Referenztexte bilden Verweisungszusammenhnge aus, die ihrerseits den Text des System als in sich differenzierte Ganzheit erscheinen lassen. So bildet das System als Text, wie bereits festgestellt wurde, die noetische Struktur der Welt ab. Die Transformationsanalyse wird dieser Art des noetischen Schreibens gerecht: Als spezifische Weiterfhrung, Operationalisierung und Konkretisierung von Anstzen der Intertextualittsanalyse rckt sie grundstzlich das dynamische Verhltnis zwischen Ganzheit und Teil als Verhltnis zwischen Intertext und Referenztexten in den Blickpunkt der Untersuchung, ein Verhltnis, das bisher keine Beachtung in der Forschung zum System gefunden hat. Indem die Transformationsanalyse Cudworths Umgang mit den antiken Texten unter den Transformationstypen der Kombination, Hybridisierung und Implementierung versteht, ermçglicht sie zum einen den Nachvollzug des Prozesses, der zur fertigen Textganzheit gefhrt haben kçnnte,115 und zum anderen eine Einschtzung des Resultats, da sie ebenso Stellung und Funktion der einzelnen Texte und Sinneinheiten in der Argumentation bercksichtigt. Der Blick auf bergeordnete Implementierungszusammenhnge schließlich zeigt das Textgeflecht in seiner internen Dynamik, deren Gewebe von Leitbegriffen die sich immer schon voraussetzende Textganzheit impliziert und genau in dieser Eigenschaft der noetischen Struktur der Welt und sogar des Geistes Gottes hnelt.116

114 Vgl. zur Suspendierung der Geltungsfrage im Zuge einer Transformationsanalyse auch Asmuth (2006), 22. 115 Untersucht und beschrieben werden also Konstruktionsmechanismen und -ablufe, die das System als intertextuelle Ganzheit ausmachen. 116 Es lassen sich daher verschiedene Formen der Interferenz im System beobachten: die der Referenztexte untereinander in den jeweiligen Sinneinheiten bzw. Montageblçcken

1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt

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Die vorliegende Untersuchung stellt somit den ersten umfassenden Versuch dar, ausgehend von den Selbsteinschtzungen Cudworths auf der metatextuellen Ebene des System und ausgehend vom Titel des Werkes das System nicht als bloßes „Aggregat und Konglomerat […], das jeglicher inneren Einheit […] entbehrte“117, abzutun, sondern als Beispiel einer neuplatonisch geprgten Textund Wissensform zu beschreiben und zu verstehen, die dem „universalwissenschaftlichen Schrifttum“118 zuzurechnen ist. Dabei wird die Darstellung von Cudworths Naturphilosophie in Form einer mçglichst am Textverlauf des System orientierten Transformationsanalyse entwickelt, denn nur so kann nachvollzogen und herausgestellt werden, wie die fr das „universalwissenschaftliche Schrifttum“ so charakteristische Verschrnkung von „dynamischer Struktur und Methode“119, von Inhalt (das naturphilosophische System) und zugrunde liegender, im voraus unhinterfragt vorausgesetzter Seins- und Prinzipienstruktur auf der Ebene des (Inter-)Textes im Zusammenspiel der Referenztexte realisiert wird. Das Erreichen dieser Tiefenstruktur des System durch die Rezipienten setzt allerdings beim Lesen ein aktives Kombinieren und vor allem auch Supplementieren von Texten und das Erschließen von Hintergrnden voraus.120 Dies kann von einem Leser geleistet werden, der Cudworths Hinweisen zur Textgestalt gefolgt ist und die Argumentation als Explikation und Abbild der nach außen gerichteten Schçpferkraft Gottes versteht. Der Text wird so zum semantischen Vexierbild und damit zugleich zum Bild der Welt und der zu differenzierenden Perspektiven auf die Welt, wie sie von Cudworth in System III, 84 und 93 eingefhrt werden – allerdings bei einer klaren Wertung und Hierarchisierung der Perspektiven. Die atomistisch-reduktionistische Perspektive auf die Welt fhrt in den Selbstwiderspruch und den Atheismus. Die neuplatonisch-theistische Sicht auf die Welt fhrt hingegen aus dem Widerspruch heraus zu Gott als dem „perfect Being“. Analog dazu ist bei der Lektre des

117 118 119 120

oder -zusammenhngen; die der Referenztexte zur Ganzheit des Intertextes, d. h. im bergeordneten Argumentationsablauf und schließlich die des Intertextes auf die Referenztexte. Sie finden in der Transformationsanalyse Bercksichtigung, indem sowohl die einzelnen Textkombinationen, deren Einordnung in die Argumentation und die Wirkung der projektiven Identifikation auf den Umgang mit den antiken Zitaten und ihre bersetzung beachtet werden. Die im Text zu beobachtenden Redundanzen sind daher nicht notwendigerweise Ausdruck des Unvermçgens oder der Nachlssigkeit, sondern sie kçnnen vielmehr als integraler Bestandteil des „noetischen“ Schreibens angesehen werden, das immer wieder die Struktur des „Alles in Allem“ abbildet, wie sie z. B. von Plotin in Enneade V 8 veranschaulicht wird. Cassirer (1932/2002), 324. Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 463. Leinkauf (1993), 15. Vgl. Kroll (1991), 22, 39 und 54 – 57 sowie bereits Agrippa, De occulta philosophia, 599, ed. Perrone Compagni.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

System nicht bei einer partikularistischen und partikularisierenden Betrachtung einzelner Antikebezge oder Argumentationsabschnitte stehenzubleiben. Darber hinaus sind eventuelle Hintergrundannahmen/-texte hinzuzuziehen und die verschiedenen Texte zueinander und zum gesamten Text sowie der Prinzipien- und Gottesvorstellung in Beziehung zu setzen; die Lektre impliziert damit, im Einzelnen das Ganze und Umfassende als das konstituierende Prinzip des Einzelnen zu vergegenwrtigen: eine (spirituelle) bung fr alle Leser des System. 121 Das antike Zitat wird in dieser Form des modifizierenden Gebrauchs zur „Metapher seiner selbst“ mit metaphysischer Valenz und zielt so auf das „zentrale Performanzerlebnis“, das im Nachvollzug der vielfltigen Formen der Kombination antiker Referenztexte im System beim Lesen erzielt wird.122 Der nachgezeichnete Transformationsprozess weist dabei eine Struktur auf, die sich wiederholt im System beobachten lsst und die das performative Texterleben bedingt: Er lsst sich nmlich beschreiben als ein „hierarchisiertes Ensemble“123 verschiedener Transformationstypen, vollzogen vor den entsprechenden ebenso vorstellungsleitenden wie transformationslenkenden Hintergrundannahmen. Die interpretierende Darstellung dieses Vorgehens wird auch dann noch an der einzelnen Transformationsanalyse ein Interesse haben, wenn sie keinen systematischen Fortschritt, keine wesentliche inhaltliche Ergnzung bedeutet, sondern sich an ihr beobachten lsst, wie Cudworth an einem weiteren Referenztext den integrativen Anspruch seiner projektiven und introjizierenden Identifikation gleichsam abarbeitet, um die Kontinuitt und allgemeine Gltigkeit der prisca theologia an einem weiteren Beispiel aufzuzeigen, wobei er 121 bertrgt man – mit aller Vorsicht – die Ergebnisse, die Hammond, in Zwicker (1998), 152 bei seiner Untersuchung der bersetzungsformen Drydens hinsichtlich dessen bertragung der Aeneis ins Englische erzielt hat, auf Cudworths Vorgehen im System, kann man mit Hammond in diesem Fall davon sprechen, dass es Cudworth darauf ankomme, seine Leser „into a complex mode of reading“ zu initiieren, der im System darber hinaus in eine anagogische Bewusstseinshaltung oder -erfahrung mnden soll. 122 Meine Bemerkung wendet die Beobachtungen Eckhard Lobsiens zu Miltons Text Paradise Lost als „Artefakt“ auf Cudworths Text an, s. Lobsien (2003), 173 f. Zieht man den zeitgençssischen Kontext heran, kçnnte man den Text des System als Ausdruck der von Bisterfeld entwickelten und von Samuel Hartlib nach England vermittelten immeatio mentalis verstehen, deren Struktur die Transformationsanalyse erfassen hilft. Bisterfeld, von dem Cudworth ein Werk besaß (siehe Millington [1697], 3), beschreibt die immeatio mentis, die hier als „philosophical term designating the intellectual procedures at the very core of a combinatorial encyclopaedia“ (Antognazza, in Mulsow [2009], 77) zu verstehen ist, in seiner Logica folgendermaßen: „Immeatio mentalis ineffabilis est inexplicabilis cogitationum penetratio, qua unus conceptus alterum parit, nutrit, ac auget […] Hinc oritur inexhausta verborum immeatio ac copia.“ Sie ist der Modus der trinitarischen Perichoresis auf der Ebene der Textualitt; dazu Antognazza, in Mulsow (2009), 77 – 81 (Zitat aus Bisterfeld ebd. 77, Anm. 79). 123 Antrag SFB 644 (2008), 31.

1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt

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Texte und Inhalte miteinander vereint, die auf den ersten Blick als unzusammengehçrig oder unvereinbar erscheinen.124 Dem modernen Leser als solche erscheinende Redundanzen sind im System selbst daher keine berflssigen Wiederholungen, sondern vielmehr wichtige Beweise fr die Gltigkeit und Autoritt der tradierten Wahrheit, als deren Vertreter Cudworth sich selbst sieht und in deren Kontinuitt er sich stellt. Als solche sind sie in einer Analyse des System ernstzunehmen und zu bercksichtigen. 1.2.1 Cudworths Antike Die zentrale Grundannahme der Transformationsanalyse, dass „Antike nicht nur gewesen [ist], sondern sie […] im Fortgang der Geschichte zugleich geworden [ist]“125, dass Antike immer wieder neu gemacht und erfunden, ihre semantischen Repertoires und Potentiale nach den Anforderungen der jeweiligen Aufnahmebereiche immer wieder umgeprgt, weiter-, ber- und umgeschrieben werden und solcherart viele aktuelle Antiken entstehen, lsst sich somit besonders auf Cudworth und die Cambridge Platonists produktiv anwenden.126 Zumal Cudworth selber die von ihm explizierte hybride Philosophie in EIM 551 „this Novantique [Hervorh. L. B.] philosophy“ nennt und so in einem einzigen Adjektiv, im brigen einem hapax legomenon, sein gesamtes Vorgehen und seine Position zur Antike zusammenfasst. Dem wird die Transformationsanalyse gerecht: 124 Vgl. Hutton, in Rogers/Vienne/Zarka (1997), 93: „It must be said that Cudworth uses his auctoritates (authorities) not for the weight of their names, but for the content of particular passages. The sources he quotes figure as representatives of a philosophia perennis which has remained unchanged since the beginning of time – or at least since the creation of Adam. Underlying the True Intellectual System is an abiding sense of the systematic unity of philosophy discernible in all its practitioners. Beneath the diversity and multiplicity of philosophical doctrines, Cudworth perceives the homogeneity of fundamental tenets of philosophy and the singleness of truth. Cudworths syncretic turn of mind enables him to draw from a range of philosophical sources which today would be regarded as mutually exclusive.“ Frank (2003), 274 hebt ebenso die systembildende Grundlage dieser Annahme hervor, die er in der philosophia perennis und der sie fundierenden „Theorie einer sich in der Geschichte durchhaltenden Wahrheitssubsistenz“ begrndet sieht. Erst diese Annahme ermçglicht und legitimiert Cudworths hermeneutisches Vorgehen, s. u. zur integumentalen Hermeneutik. 125 Bergemann/Dçnike/Schirrmeister/Toepfer/Walter/Weitbrecht, in Bçhme/Bergemann/ Dçnike/Schirrmeister/ Toepfer/Walter/Weitbrecht (2011), 41. 126 Bereits Aspelin (1943), 25 spricht in seiner Analyse von Cudworths Umgang mit der griechischen Philosophie durchaus angemessen von „Cudworths construction [Hervorh. L. B.] of history“ und benennt so klar den retroaktiven Aspekt der im System vorliegenden Antiketransformation; vgl. ebd. 32.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Da sie weder mit einer durch alle Zeiten und Kulturbereiche hindurch gltigen Sicht auf die Antike rechnet noch mit einer kontextenthobenen, universell gltigen „richtigen“ Antikedeutung, fragt sie ebenfalls nicht danach, ob die zu beobachtenden Antikekonstruktionen und die mit ihnen verbundenen Sinnansprche und Interpretationen korrekt sind im Sinne einer Angemessenheit hinsichtlich einer unvernderlichen Originalbedeutung, eines ursprnglich gemeinten Sinns. Vielmehr ist es u. a. das Ziel einer Transformationsuntersuchung, zu beschreiben, wie in den einzelnen Kontexten Antike als allelopoietisches Referenzobjekt konstruiert wird, d. h. wie in der Verschmelzung der unterschiedlichen Zeithorizonte eine Antike geformt wird, die dann ihrerseits auf den sie konstruierenden Aufnahmebereich zurckwirkt bzw. dort wirkend gemacht werden kann: So wie z. B. das System als Stellensammlung dient, um bis ins 18. Jahrhundert einer spezifischen Form des antiken Monotheismus (der ja im System erst aus den Texten der Antike herauskonstruiert wurde) und damit einer je spezifischen zeitgençssischen Gottesvorstellung Geltung zu verschaffen.127 Aus den Modi der projektiven Identifikation und des Systematisierens folgt, dass Cudworth ein stark vereinheitlichtes Bild der Antike bzw. der antiken Religiositt entwirft – das Bild einer Antike des Als-Ob: Alle literarischen Zeugnisse sind zu lesen, als ob sie Ausdruck der Wahrheit der „philosophical theology“ wren; antike Religiositt ist entsprechend in ihren (von Cudworth zu solchen gemachten bzw. erklrten) Zeugnissen ebenfalls so auszulegen, als ob sie im Kern einen neuplatonisch geprgten Monotheismus enthielten.128 Der 127 Gaukroger, in Gaukroger (1991), IX formuliert diesen Ansatz mit Blick auf die Kontroversen in der Frhen Neuzeit folgendermaßen: „Antiquity was conceived of, put to use, and reassessed in various ways in natural philosophy and what might broadly be termed metaphysics in the period between Copernicus and Newton. […] The failings of this picture of what came to be termed ,the quarrel between the ancients and the moderns are now well known. It fails to face up to the way in which the past was used in the sixteenth and seventeenth centuries. It fails to take account of the complex ways in which it was extensively drawn upon to defend or attack contemporary views both by the followers of the ,ancients, and the ,moderns alike.“ Gaukroger spricht davon, dass die Antike in dieser Zeit als „fund of ideas or a source of evidence“ dient, und lenkt die Aufmerksamkeit auf „[…] the ways in which an image of antiquity was constructed and put to use in contemporary debates“ (alle Zitate ebd.). Zentral ist auch hier der – methodisch und theoretisch jedoch nicht weiter reflektierte – Anspruch, nicht eine wie auch immer geartete und zu entdeckende Antike an sich zu thematisieren, sondern die Antike als funktionalisierbares und funktionalisiertes Konstrukt in den Blick zu nehmen. 128 Ein Beispiel fr dieses Vorgehen liefert Cudworths Interpretation der Gestalt des Orpheus, die Cudworth folgendermaßen zusammenfasst: „Now these three philosophers, the Platonic, the Pythagoric and Orphic, symbolizing so much together, it is probable, that as the Platonic and Pythagoric, so the Orphic likewise derived all their gods from one self-existing Deity“ (System I, 499). Beachtenswert ist im Kontext einer Transfor-

1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt

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Eindruck, der sich dem Leser aufdrngt und sicherlich auch aufdrngen soll, denn er ist eines der wichtigsten Argumentationsziele, die Cudworth mit seinem System verfolgt, ist der eines ber die Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende in seinen wesentlichen Punkten konstant bleibenden ebenso metaphysischen wie religiçsen Systems.129

mationsanalyse die diesbezgliche Einschtzung Mosheims (System I, 499, Anm. 4): „Our learned author does not appear to make a sufficiently accurate distinction here between two questions, which however, are in fact distinct and separate. The first is: whether there existed in the most ancient times a certain Thracian, named Orpheus, who enlightened Greece with his poems and sung many things concerning the gods. The other: whether the Orphic poems now extant, and occurring especially in the works of the ancient champions of Christianity and of the later Platonists, are fragments of the poems of that most ancient bard. […] Nor do I consider the Orphic poems with which the later Platonists […] were so delighted, as to interpret and inculcate them in their own schools, to be of high antiquity, but, like many others, to have been forged by that crafty and deceitful sect of philosophers, for the purpose of showing that even Orpheus belonged to their creed.“ Der Referenzbereich, auf den sich Cudworth bezieht, scheint eben nicht die eine und einzige Antike in ihren unmittelbaren Zeugnissen und vermeintlich unmittelbar zugnglichen Wahrheiten zu sein, sondern eine, wie oben erwhnt, „Antike des Als-Ob“, eine Art virtueller Antike, die Cudworth aus dem Bild ableitet, das sich ca. 600 – 1000 Jahre nach dem mçglichen Auftauchen der Orphiker die Sptantike von der Zeit der frhen Antike der Vorsokratiker gemacht hat und das Cudworth sinnvoll in seine Systematik einfgen kann. Damit zeigt sich das System zudem als Glied einer langen Transformationskette. Mulsow charakterisiert dieses Vorgehen mit Blick auf Persio und Bessarion, die analog zu Cudworth betrachtet werden kçnnen, folgendermaßen: „Wenn man Denker wie Parmenides mit Simplicius als ,Theologen interpretierte, dann lag es nahe, die Genealogie von ,Theologien vor Aristoteles und die ,theologische Interpretation der neuen Naturphilosophie zu einem Ganzen zusammenzuschließen. Die prisca theologia, nach der man fahndete und die man zu rekonstruieren versuchte, war eine solche Genealogie von frhzeitlichen Erkenntnissen des Ursprungs der Welt, die Aristoteles und die sich auf ihn berufende Scholastik nur unterbrochen hatten. Diese in der Renaissance so mchtige Vorstellung hatte in ihrer Orientierung nach rckwrts auf eine archaische ursprngliche Weisheit immerhin eine große vereinheitlichende und zudem ,utopische Wirkung“ ([1998], 324). 129 Vgl. Cudworths Ausfhrungen zur „philosophic theology“ in System II, 230: „Wherefore the philosophic theology, both of Scaevola and Varro, and others, was called natural, not as physiological only, but (in another sense) as real and true; it being the theology neither of cities, nor of stages or theatres, but of the world, and of the wise men in it: philosophy being that properly which considers the absolute truth and nature of things. Which philosophic theology therefore was opposed both to the civil and poetical, as consisting in opinion and fancy only.“ Hier manifestiert sich nachdrcklich das Vertrauen der Cambridge Platonists in die Befhigung der Vernunft des Menschen, Erkenntnisse von der Wirklichkeit und Struktur Gottes zu erlangen. Zu diesem epistemologischen Optimismus und seiner letztendlich theologischen Begrndung, die in den intellektiven Vermçgen des Menschen die „candle of the Lord“ sieht, siehe u. a. Pailin, in Hedley/Hutton (2008), 94 und Flores (2008), 130 – 134.

36

1. Einleitung: Text, System und Methode

Dieser Anspruch auf die Universalitt des Monotheismus ist zugleich Ausdruck der latitudinarischen Gesinnung Cudworths, aufgrund derer er die Spannweite seines Konzepts ebenso zeitlich wie ethnologisch betrchtlich ausweiten kann: Es soll u. a. Perser, gypter, Chinesen, Peruaner und nordamerikanische Indianer bzw. deren Religiositt integrieren helfen und bis in Cudworths Gegenwart hinein Geltung besitzen:130 Dem globalen Monotheismus der Antike korrespondiert der globale Monotheismus der Gegenwart. Im Rahmen dieser „Konkordanzbildung“131 wird die Philosophie des Neuplatonismus als integrierendes Instrument benutzt, um aus den Bedrfnissen der eigenen Situation heraus die Vergangenheit zu modellieren und zu erfinden.132 Diese Antike ist eine Konstruktion von zeitlicher Indifferenz, in der sich auf allen Ebenen der Philosophie, der Literatur und der Religiositt die neuplatonische Metaphysik und ein neuplatonisch-christlicher Prinzipienbegriff manifestieren.133 Im Zuge dieser Suspendierung zeitlicher Differenz werden die antiken Philosophen und Theologen zu Prfigurationen des Eigenen und anderer zeitgençssischer Positionen. Dem Anspruch des True Intellectual System entspricht die aus den antiken Textzeugnissen herausprparierte „natural and true theo-

130 131 132 133

System II, 165 – 170. Neugebauer-Wçlk, in Neugebauer-Wçlk (1999), 12 – 13. Vgl. zu diesem Vorgehen Neugebauer-Wçlk, in Neugebauer-Wçlk (1999), 17. Vgl. zur hybridisierenden, zeitliche Abstnde nivellierenden und identittsstiftenden Kraft dieser Annahme einer prisca theologia auch Cudworths Aussage in System II, 197 – 198: „It hath been already observed out of Origen, that not only the Egyptians, but also the Syrians, Persians, Indians, and other barbarian Pagans, had, beside their vulgar theology, another more arcane and recondite one amongst their priests and learned men; and that the same was true concerning the Greeks and Latins also, is unquestionably evident from that account that hath been given by us [Hervorh. L. B.] of their philosophic theology [Hervorh. L. B.]. […] And by their more arcane or recondite theology, is doubtless meant that which they [Hervorh. L. B.] conceived to be the natural and true theology. […] Wherefore it was acknowledged, that the vulgar theology of the Pagans, that is, not only their fabulous, but even their civil also, was oftentimes very discrepant from the natural and true theology; though the wise men amongst them, in all ages, endeavoured as much as they could, to dissemble and disguise this difference, and by allegorizing the poetic fables of the gods, to bring that theology into some seeming conformity with the natural and philosophic; but what they could not in this way reconcile, was by them excused upon the necessity of the vulgar.“ Ermçglicht wird diese auf einen gemeinsamen Sinngehalt hin perspektivierte Zusammenschau der verschiedenen Ebenen antiker Religion durch den Modus der projektiven Identifikation, in dem sich Cudworth die Antike aneignet. Die projektive Haltung lsst sich in diesem Textabschnitt am Gebrauch der Personalpronomina ablesen: Der „account given by us [Hervorh. L. B.]“, d. h. die eigene Interpretation, ist fr Cudworth erkennbar identisch mit dem, was er als Auffassung der antiken Priester etc. ausweist: „that which they [Hervorh. L. B.] conceived to be the [..] true theology (System II, 197 f.)“.

1.2 Transformationsanalyse und Intertextualitt

37

logy“134, die sowohl antik zu sein vorgibt als auch als Antwort auf zeitgençssische Fragen und Herausforderungen konzipiert ist. So steht die Antike der „natural and true theology“ ber den Zeiten und verbindet die Zeit, in der die antiken Referenztexte entstanden, bruchlos mit der, in der Cudworth das System verfasst. Dieser Aspekt der Antike des System konkretisiert sich in den dort zu beobachtenden Hybridisierungen antiker und zeitgençssischer Positionen, die damit nicht notwendig als Verflschungen antiker Sachverhalte eingestuft werden mssen, sondern als Konsequenzen projektiver Identifikation verstndlich werden, die sich auf eine immer neu formbare Antike richtet.135 Antike wird auf diese Weise zugleich zum zeitber- wie umgreifenden Ideal, das in die eigene, instabile Zeit religiçser und naturphilosophischer Radikalisierungen und Verunsicherungen eingebracht wird. Diese Tendenz zur Idealisierung wird besonders gegen Ende des System sprbar, wenn Cudworth nach der Rechtfertigung der Welt einen entsprechenden ebenso normativen wie idealisierten Gesellschaftsentwurf vortrgt. Es ist – in jedem Fall – diese Antike Cudworths, die in einer aus den Ansprchen der Gegenwart konstruierten Vergangenheit eine bessere Zukunft sichtbar werden lsst.

134 System II, 197 f. 135 Als erluterndes Beispiel fr eine derartige Hybridisierung, ihren konstruktiven Gehalt und ihre argumentative Funktion sei Cudworths kritische Parallelisierung des Vorsokratikers Anaxagoras und der zeitgençssischen Materialisten in System II, 34 angefhrt: „And we have the rather told this long story of him, because it is so exact a parallel with the philosophic humour of some in this present age, who, pretending to assert a God, do, notwithstanding, discard all mental and final causality from having anything to do with the fabric of the world; and resolve all into material necessity and mechanism [hier ist Hobbes impliziert], into vortices [ein Descartes-Bezug], globuli [Atomisten, aber auch z. B. Bruno, Kepler, Descartes, die alle eine runde Atomform annahmen, siehe Lthy, in Lef vre/Renn/Schoepflin [2003]), and striate particles [hier ist wohl Glissons Faser assoziiert], and the like. Of which Christian philosophers we must needs pronounce, that they were not near so good Theists as Anaxagoras himself was, though so much condemned by Plato and Aristotle; forasmuch as he did not only assert God to be the cause of motion, but also the governor, regulator, and methodizer of the same, for the production of this harmonious system of the world, and therefore toO ew ja· jak_r aQt¸am, ,the cause of well and fit. Whereas these utterly reject the latter, and only admitting the former, will needs suppose heaven and earth, plants and animals, and all things whatsoever in this orderly compages of the world, to have resulted merely from a certain quantity of motion, or agitation, at first impressed upon the matter, and determined to vortex.“ Zugleich legitimiert und strkt Cudworth auf diese Weise, zumindest implizit, sein eigenes naturphilosophisches Konzept der plastic nature in der zeitgençssischen Konkurrenzsituation im kritischen Rckgriff auf einen vorsokratischen Philosophen. Mit dieser Einschtzung des Anaxagoras durch Cudworth deckt sich die Boyles ca. 20 Jahre vor Verçffentlichung des System. Zu Boyles und Cudworths Anaxagorasfigur und ihrer gegenseitigen Bezugnahme aufeinander siehe Hunter/Davis (1996), 262 – 264.

38

1. Einleitung: Text, System und Methode

1.3 Johann Lorenz Mosheim und sein Kommentar zum True Intellectual System Der deutsche Kirchenhistoriker, bersetzer, Philologe und Philosoph Johann Lorenz Mosheim (1694 – 1755) ist der einzige, der das System Cudworths im Rahmen einer bersetzung ins Lateinische (1733: Radulphi Cudworthi, Theol. D. et in Cantabrigiensi Professoris, Systema intellectuale huius universi: seu de veris naturae rerum originibus commentarii, quibus omnis eorum philosophia, qui deum esse negant, funditus evertitur) vollstndig kommentiert und dabei kritisch beurteilt hat.136 Sein Kommentar umfasst sowohl rein philologische Ergnzungen wie die przisen Stellenangaben zu den von Cudworth zitierten Texten als auch Hinweise auf allzu freie oder nach Mosheims Ansicht unzulngliche bersetzungen, in seinen Augen sinnentstellende/-verstellende Zitationsweisen und die Diskussion von Begriffsbedeutungen bei gleichzeitiger Darstellung und umfassender Begrndung der eigenen (hufig von Cudworth elementar abweichenden) Positionen. Zudem ist Mosheims Kommentarttigkeit durchzogen und geprgt von der Ablehnung und Abwertung der neuplatonischen Philosophie, sowohl was deren Wert als hermeneutischer Schlssel fr das Verstndnis der antiken Philosophie, Literatur und Religion angeht als auch was die Engfhrung von Neuplatonismus und christlicher Theologie betrifft.137

136 Die folgenden Anmerkungen zu Mosheim beziehen sich auf die Ergebnisse von Sarah Hutton, in Mulsow/Hfner/Neumann/Zedelmaier (1997), 211 – 227, die Mosheims Kommentierung des System untersucht hat und dabei die grundverschiedenen Haltungen zur Antike charakterisiert und gegeneinander abhebt, die Cudworth und Mosheim an den Tag legen und die ihren Umgang mit der Antike prgen. 137 Vgl. die Kritik, die Mosheim unter Heranziehung von Bayle an Cudworth bt (System II, 142 – 145, Anm. 10): „In general, he [Bayle] charges Dr. Cudworth with want of selection in his testimonies, […] and with having drawn to his own side many dicta of the ancients, which, if their real meaning be strictly attended to, are altogether repugnant to the doctrine of one supreme God, […] Which accusation, it must be owned, is not wholly destitute of truth; […] nor is it surprising, that in such a multitude of testimonies the able and erudite author should sometimes have attended to the words rather than their meaning; more especially as he seems to have cited not a few of the passages from memory. […] As respects the first, I should not deny its truth, nor suppose, that the opinions either of Plato or of the other ancient philosophers, can be learnt from the dogmas of the junior Platonists. To declare my own sentiments, indeed, Dr. Cudworth has unquestionably attached too much importance to this sect.“ Mosheim stellt mithin sowohl dar, unter welcher Perspektive bzw. in welchem Modus Cudworths Transformation der Antike sich vollzieht als auch unter Anwendung welcher Eingriffe an den Referenztexten sie erfolgt. Wie Mosheim selbst dieses Vorgehen beurteilt, zeigt recht drastisch System II, 175: „But to try to reduce all the religions of the globe to the standard of the one Platonic sect, is even much more insane.“

1.3 Johann Lorenz Mosheim und sein Kommentar zum True Intellectual System

39

Grundstzlich ist Mosheims kritische Kommentierung der Art, wie Cudworth seine Referenztexte benutzt, von einer Perspektive auf die Antike bestimmt, die man als historistisch bezeichnen kann. So lehnt Mosheim es strikt ab, antike Philosophen als Prfigurationen frhneuzeitlicher Positionen zu verstehen und deren Lehren zum Resonanzboden des Eigenen zu machen. Vielmehr mssten die antiken Philosophien und ihre Begriffe „according to the rule and standards of the ancient [Hervorh. L. B.] philosophers“138 beurteilt und gedeutet werden bzw. wie es Sarah Hutton zusammenfasst: „[…] it was now [d. h. unter Mosheims historisierender Perspektive] possible to approach [ancient philosophy] in its own terms [Hervorh. L. B.], to recognise its distinctness from the Christian tradition and to acknowledge the diversity within the ancient corpus.“139 Mosheim wendet sich daher den Zitaten im System zu, als stnden sie je fr sich unverbunden neben- oder hintereinander, und beurteilt sie, ebenso wie ihre bersetzungen, dann nach den Kriterien seiner historistischen Philologie, die auf die Adquatheit mit der ursprnglichen, aus dem antiken Kontext abzuleitenden Bedeutung dieser Texte abzielt. Darauf aufbauend nimmt er dann z. T. die Funktion der Texte in Cudworths Argumentation in den Blick und kritisiert sowohl die Unangemessenheit des Zitierens selbst als auch die der semantischen Ausdeutung und der Bedeutung des Referenztextes fr die Argumentationsentwicklung insgesamt. In seinem Kommentar setzt Mosheim damit seine Interpretation der antiken Texte gegen diejenigen Cudworths und gegen die Art und Weise, wie Cudworth die Referenztexte in Gebrauch nimmt. Dabei richtet sich Mosheims Verstehensbemhung nicht primr auf das System, sondern auf die antiken Referenztexte als antike Texte. D. h. sein Kommentar z. B. zu von Cudworth zitierten und funktionalisierten Hesiod-Versen versucht, diese gerade unter Absehung ihrer intertextuellen Einbettung zu deuten, wobei Cudworths Gebrauch gerade noch als kritisch eingeschtzter Ausgangspunkt fr einen Kommentar dient, der nicht Cudworth und das System, sondern eben Hesiod zum Thema macht.140 Daher kommen fr Mosheim die antiken Zitate gerade nicht als Referenztexte eines Intertextes und als Produkte zielgerichteter Transformation in den Blick und werden von Mosheim so ihrer Funktion entkleidet, die sie von Cudworth selbst im Vorwort an seine Leser und in der abschließenden Charakterisierung seines Werkes in der EIM, wie gezeigt, zugewiesen bekommen. Die Kommentierung Mosheims thematisiert daher auch nicht das Zusammenspiel der Referenztexte, ihre sich daraus ergebende Funktion im Lauf der Argumentation oder die beim Lesen zu ergnzenden Hintergrundannahmen, 138 System III, 124, Anm. 4. 139 Hutton, in Mulsow/Hfner/Neumann/Zedelmaier (1997), 226. 140 Z. B. System I, 176, Anm. 3; 229, Anm. 7; 400, Anm. 1.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

die z. T. die Interferenz der Texte bestimmen oder strukturieren. Sie fragt nicht danach, warum genau Cudworth an den kritisierten Stellen genau so zitiert, wie er zitiert, und so bersetzt, wie er bersetzt, sondern weist generell auf seine neuplatonische Voreingenommenheit und seine projektive Haltung hin, die, so Mosheim, zum falschen Umgang mit der Antike fhre. So kommt es z. B. in System I, 267 Anm. 9 zu folgender, typischer Aussage und Einschtzung der Vorgehensweise Cudworths durch Johann Lorenz Mosheim: „The learned author has incorrectly interpreted the passage of Aristotle, following somewhat inconsiderately the later Platonists, Simplicius especially, the very worst interpreter of this kind.“ Eine Einschtzung von Beurteilungen dieser Art fhrt direkt ins Zentrum einer transformationstheoretischen Analyse der Argumentation Cudworths. Whrend Mosheim anzunehmen scheint, Cudworth ginge es primr um eine korrekte Interpretation der Ansichten des Aristoteles, und ihn aufgrund dieser Vorannahme kritisieren zu kçnnen glaubt, geht es bei der Untersuchung von Transformationsprozessen darum, zu beschreiben und zu verstehen, wie und warum bestimmte antike Referenztexte gebraucht und funktionalisiert werden. Dabei wird nicht primr nach den Geltungsansprchen einer wie auch immer zu legitimierenden korrekten Interpretation gefragt, noch wird diese, so es sie berhaupt geben kann, auf die zu untersuchenden Transformationsformen angewendet und auch die Ergebnisse von Transformationen werden nicht nach derartigen Geltungskriterien beurteilt. Aus diesem Grund ergibt sich, dass die vorliegende Analyse des True Intellectual System nicht primr auf die Inhalte der antiken Texte selbst fokussieren kann und soll. Obwohl Mosheim also entschieden andere Fragen an den Text des System und die in ihm enthaltenen Referenztexte stellt, bedeutet sein Kommentar dennoch eine grundlegende Hilfe und Erleichterung fr die beschriebene Transformationsanalyse. Erst der przise Nachweis der Stellen ermçglicht die Kontextualisierung zitierter Texte und damit sowohl die Erschließung mçglicher Hintergrundannahmen als auch die Einschtzung der Intensitt der von Cudworth vorgenommenen transformierenden Eingriffe. Fr einen Beobachter von Transformationsprozessen erweist sich Mosheim darber hinaus gerade bezglich auftretender Transformationen antiker Texte aufgrund seiner historistischen Perspektive als ußerst sensibler Transformationsindikator, der diese zwar nicht als solche in ihrer Funktion im System zu erklren versucht, aber gleichsam ex negativo ihr Vorhandensein durch seine Kritik anzeigt, z. T. sogar Hinweise auf ihre Typisierung und ihre Modi liefert. Darauf aufbauend ist dann differenzierter zu fragen, was Cudworth zu derartigen Antikeaneignungen gefhrt haben kçnnte, wie sie sich im Text vollziehen und welchen naturphilosophischsystematischen Ertrag diese Transformation bringt.141 Aus diesem Grund wird 141 Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Mehrwert der Eingliederung eines (antiken) Textes in das System nicht unbedingt immer in einer wesentlichen inhaltlichen

1.4 Das naturphilosophische System

41

fr die folgende Transformationsanalyse der 1995 erstellte Nachdruck von John Harrisons Ausgabe des System aus dem Jahr 1845 benutzt, die alle Anmerkungen von Mosheim in englischer bersetzung enthlt. Aufbauend auf einem transformationsspezifischen Antike-Begriff geht die vorliegende Untersuchung des System grundstzlich darin ber Mosheims Kommentar hinaus, dass sie die Referenztexte und ihre Verwendung im System wesentlich anders perspektiviert und befragt, als Mosheim es getan hat. Im Zentrum der Fragestellung stehen In-Gebrauch-Nahme und Aneignungsformen der antiken Texte, die Beschreibung der sich daraus ergebenden Interferenzen und das aus dieser intertextuellen Dynamik erwachsende System. Wie genau realisieren sich die beschriebenen Transformationstypen im Text? Wie werden die transformierten Texte systematisch im Argumentationsverlauf funktionalisiert und welche naturphilosophischen und theologischen Inhalte vermitteln sie dabei? Lassen sich Vorlufer, d. h. je spezifische Transformationsfilter ausmachen? Welche konstellatorischen Transformationsfaktoren lassen sich erschließen? Welche Hintergrundannahmen tragen die beobachtbaren Transformationsprozesse, auch wenn sie nicht explizit gemacht werden? Der Schwerpunkt bei der Beantwortung dieser Fragen liegt auf den innertextlichen Transformationen selbst und, darauf aufbauend, auf der Rekonstruktion des naturphilosophisch-theologischen Systems, das Cudworth in der Kombination und Abfolge der Referenztexte entwirft.

1.4 Das naturphilosophische System – Synthese aus Atomismus, Neuplatonismus und christlicher Theologie Cudworth entwickelt sein System innerhalb der Parameter einer neuplatonischen Metaphysik, die er an die Bedrfnisse seiner Zeit und der Konstellation, in der er sich befindet, anpasst und mit der er zeitgençssischen Tendenzen entgegenzutreten versucht, die seinem Welt- und Glaubensmodell widersprechen.142 Er entwickelt so einen „Neoplatonism recharged to meet the challenge of Hobbist and Spinozistic materialism by adopting some fundamentals of seventeenth-century corpuscularian philosophy“143. Ergnzung zum naturphilosophischen Systementwurf liegt, sondern hufig darin, einen weiteren Philosophen oder eine weitere antik-pagane Gottheit anhand eines Textes in das System und damit in die Tradition der prisca theologia einfgen zu kçnnen und so deren universalen Wahrheitsanspruch weiter zu strken. 142 Siehe z. B. Hutton, in Rogers/Vienne/Zarka (1997), 98 f. 143 Hutton, in Rogers/Vienne/Zarka (1997), 99. Wenn im Folgenden die Begriffe „neuplatonisch“ oder „Neuplatonismus“ etc. gebraucht werden, ohne nher spezifiziert zu werden, bezeichnen sie diesen hybriden, frhneuzeitlichen Neuplatonismus, nicht den sptantiken oder gar den Plotinischen Neuplatonismus.

42

1. Einleitung: Text, System und Methode

Die neuplatonische Metaphysik bedeutet fr Cudworth in dieser Auseinandersetzung mit den von ihm abgelehnten Positionen der Atomisten, Mechanisten und Hylozoisten das Fundament einer attraktiven Welterklrung. Seine mechanistisch argumentierenden Gegner vertreten in seinen Augen ein Weltmodell, in dem die Welt als komplexer, rein mechanischen Gesetzen von Druck und Stoß gehorchender Mechanismus vorgestellt und erklrt wird. Nach anfnglichen Schçpfungs- und Strukturierungsimpulsen durch Gott luft dieser Mechanismus nun weitestgehend autonom und ohne weitere (besondere) Eingriffe Gottes ab, d. h. aus dem Schçpfungsstoff, der Struktur seiner Teilchen, den ihnen zukommenden Bewegungsgesetzen und der ihnen von Gott ebenfalls „eingegebenen“ Bewegung selbst entwickelt sich die sinnlich wahrnehmbare Welt mit ihrer Vielfalt von Formen und Phnomenen gleichsam von alleine. Gott wird jetzt zur Erklrung natrlicher Phnomene nicht mehr gebraucht, woraus sich bei allen derartigen philosophischen Anstzen eine Tendenz zum Atheismus ergibt. Abgesehen davon weisen diese Anstze, wie noch zu zeigen sein wird, in den Augen Cudworths zahlreiche Erklrungsdefizite auf: Etwa bei der Erklrung von Wirkungen ohne direkten Kontakt und ber weite Entfernungen (actio in distans), der bertragung, Erhaltung und (kontinuierlichen) Initiierung von Bewegung und Leben bzw. Lebensprozessen, der Erklrung von Entstehung und Erhalt komplexer zweckvoller Strukturen wie z. B. lebendiger Organismen und der Erklrung seelischer Empfindungen und aller Arten von Bewusstseinsphnomenen.144 Auf dem Spiel stehen also nicht nur die zentralen Aspekte einer Art „physikalischer“ Welterklrung mit den Fragen nach dem Verhltnis Gottes zur Welt, dem Wesen von Bewegung und Bewegungs- bzw. Naturgesetzen, sondern auch das Wesen des Menschen: Wird er primr zu einer wenn auch hochkomplexen Maschine, so dass sich Bewusstseinsphnomene aus dem Zusammenspiel der Maschinenteile emergentistisch ableiten lassen, oder gibt es Erklrungen, die Autonomie und Freiheit des Menschen auf der Ebene metaphysisch-naturphilosophischer Spekulation retten kçnnen? Und das, ohne wie z. B. Gassendi und in seiner Nachfolge Charleton der eigenen Naturphilosophie ein ihr fremdes Konzept gleichsam nachtrglich an- bzw. eingliedern zu mssen? Wie ist in diesem Kontext das zentrale Problem der Interaktion zwischen intelligiblen unstofflichen Wesenheiten wie der Seele und dem stofflichen Kçrper lçsbar? Welcher Status kommt dem Leben insgesamt zu und damit den Tieren als Lebewesen? Sind sie, wie der Mensch, mehr als komplexe Automaten? Diese Fragen zeigen, dass sehr verschiedene Weltmodelle und -erklrungen auf dem Spiel stehen, die alle zentralen Fragen des Welt-, Natur-, Gottes- und Selbstverstndnisses des Menschen betreffen. 144 Vgl. hierzu z. B. Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 468; Lowrey (1884), 37 – 65 und unten zur Konstellation/diskursiven Formation, in der sich Cudworth befindet.

1.4 Das naturphilosophische System

43

Wie auch sein Freund und Kollege Henry More entscheidet sich Cudworth fr eine Welterklrung im Rahmen neuplatonischer Metaphysik und damit fr „eine Wiederaufnahme und Restitution eines starken Konzepts von Immaterialitt, Durchdringlichkeit, Omniprsenz und Instantaneitt, die alle im Einheits- und Kraftbegriff des Neuplatonismus grnden.“145 Im Gegensatz zu den mechanistisch-atomistischen (und auch den hylozoistischen) Anstzen zur Weltund Naturerklrung bietet der Neuplatonismus Cudworth die Mçglichkeit, die Welt als Ergebnis bzw. Phase eines dynamischen, in sich gegliederten Kontinuums zu begreifen,146 das seinen Ursprung in Gott besitzt. In diesem Denken gibt es zwar eine klare Unterscheidung zwischen Ursache und Verursachtem, Prinzip und Prinzipiiertem, Gott und Welt und weitere differenziertere Abstufungen, aber die Ursache bleibt immer auch mit dem Verursachten verbunden und ihm, den Formen ihrer Wirkung und ihrer gestuften Explikationen gemß, immanent. Cudworth zeigt sich damit als – anachronistisch ausgedrckt – metaphysischer Realist. Er vertritt den Anspruch, eine wahre Erklrung der Welt zu besitzen. Da diese Naturerklrung seiner Ansicht nach der, in diesem Fall gçttlichen sanktionierten, ebenso inneren wie intelligiblen Struktur der Welt korrespondiert, kann er Anspruch auf absolute Gltigkeit erheben,147 die eine „experience of intellect as the unifying ground of all individuated existence“148 einschließt. Um dieser Naturphilosophie entsprechend systematischen Ausdruck zu verleihen und um sie mit den zentralen Aspekten seiner Gottes- und Prinzipienvorstellung verschrnken zu kçnnen, wie z. B. der Allmacht, Liebe und Weisheit Gottes, konzipiert Cudworth sie ausdrcklich auf der Grundlage kraftmetaphysischer berlegungen und Anstze.149 An der Spitze allen Seins und ber allem geschaffenen Seienden (der Welt) steht Gott als unendliche Kraft,150 als auf alles Nachgeordnete gerichtete Schçpferkraft, die alles aus sich hervorbringt und erhlt. Das aus Gott hervorgehende Kraftkontinuum, Resultat seiner „energy“ oder „actio ad extra“, differenziert sich – nach Vorleistung Gottes – in gleichsam absteigender Richtung als hierarchisch strukturierter descensus aus.151 Dabei besitzt die metaphysische Grundannahme, dass die Ursache immer das Verursachte an Vollkommenheit bertrifft, in diesem hierarchisch geordneten Kontinuum unbedingte und von Cudworth unhinterfragte 145 146 147 148 149

Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 468. Vgl. Cassirer (1932/2002), 10 – 11. Vgl. dazu Rappe, in Wagner (2002), 72 f. Rappe, in Wagner (2002), 89. Zum Neuplatonismus als Kraftmetaphysik vgl. die Monografien von Buchner (1970) und Bergemann (2006). 150 Zu Gott als „unendliche Kraft“ siehe u. a. Cassirer (1932/2002), 33, der in diesem Zusammenhang aus Cusanus de pace fidei zitiert. 151 Dazu jetzt Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 471.

44

1. Einleitung: Text, System und Methode

Geltung.152 Dies hat zur Folge, dass sich in seinem System Urschlichkeit ausnahmslos „von oben nach unten“ vollzieht.153 Rein atomistische Anstze kçnnen damit als invertierte (und in Cudworths Augen per-vertierte) Ordnungen der Wirklichkeit zurckgewiesen werden, da sie aus einer chaotisch bewegten Materie und damit dem Niedrigsten und Unvollkommensten dieser Hierarchie Hçheres wie Leben, Bewusstsein oder ordnungsvolle Bewegungen hervorgehen lassen wollen.154 Dieses Kraftkontinuum differenziert sich grundstzlich in drei Stufen: Though the whole scale of entity is here also taken notice of; and the general ranks of substantial beings below the Deity (or Trinity of Divine hypostases) considered; which yet, according to our philosophy, are but two; souls of several degrees (angels themselves being included within that number) and body or matter; as also the immortality of those souls proved.155

Insgesamt ergibt sich aus diesen Annahmen und Einteilungen das Bild einer concordia mundi als einer organischen Ganzheit,156 die sich im Ineinandergreifen der besonderen, hierarchisch strukturierten (Einzel- und Seelen-)Krfte als Ausdruck gçttlicher Weisheit und der noetischen Struktur Gottes realisiert. Der Welt der Mechanisten, die nach ihrer Schçpfung Gott (relativ) autonom gegenbersteht, wird damit ein Weltmodell entgegengestellt, in dem die Welt in bestndiger Verbindung mit Gott steht, dessen Explikationsformen sie permanent tragen, durchdringen und strukturieren, und in dem Welt nicht als Maschine, sondern als lebendiger Organismus begriffen wird.157 Die innere Strukturursache dieses Organismus ist die Liebe als ebenso gestalterische wie harmonisierende Wirkform gçttlicher All-Kraft,158 die sowohl den Gesamtorga152 Sie wird z. B. von Proklos in §75 der Inst. formuliert: „Every cause properly so called transcends its resultant. […] Accordingly every cause properly so called, inasmuch as it both is more perfect than that which proceeds from it (prop. 7) and itself furnishes the limits of its production, transcends the instruments, the elements, and in general all that is described as a by-cause“ (bs. Dodds, S. 73 u. 75)“. 153 Vgl. Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 471. 154 Zu dieser Kritik Cudworths am Materialismus siehe u. a. Lowrey (1884), 68. 155 System I, preface to the reader, XXXVI. 156 Vgl. zu dieser Vorstellung Cassirer (1932/2002), 127 f. 157 Vgl. z. B. System I, 259 f.: „Besides this plastic nature which is in animals, forming their several bodies artificially, as so many microcosms or little worlds, there must be also a general plastic nature in the macrocosm, the whole corporeal universe, that which makes all things conspire every where, and agree together into one harmony.“ 158 Die „Liebe“ ist eine der zentralen Leitvorstellungen, entlang derer Cudworth seine systematische Verknpfung zwischen Theologie und Naturphilosophie vollzieht: Sie findet sich als innertrinitarischer Gottesaspekt und ber diverse Abstufungen als Bewegungs- und Strukturprinzip auf atomarer Ebene. Vgl. Cassirer (1932/2002), 154 f. Sie ist fr Cudworth (idealerweise) das exakte naturphilosophisch-metaphysische quivalent der Liebe unter den Menschen, dazu Passmore (1951/1990), 76 f.

1.4 Das naturphilosophische System

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nismus Welt als auch die verschiedenen Ebenen phnomenaler Komplexionen bis hin zur Mikroebene der Urschlichkeit zwischen den atomaren Materiepartikeln durchzieht. Als Abbild eines bzw. des wesentlichen Zuges trinitarischer Struktur verweist sie zurck auf das allesumfassende Urbild: Gott.

1.4.1 Gott – ein binnendifferenziertes Prinzip In den Spuren der Renaissance-Theologie konzipiert Cudworth seinen Gottesbegriff, der systematisch Position und Funktion des ersten Prinzips seiner Naturphilosophie und Metaphysik einnimmt, als dynamische Dreieinheit,159 deren Binnenstruktur schließlich eine schçpfungsspezifische Konturierung erhlt. Cudworths Konzeption konzentriert sich dabei vorrangig auf die Entwicklung der Dynamik in der Trinitt und die jeweiligen Funktionen der Gottesaspekte in ihr, so dass die theologische Auffassung der drei gçttlichen Personen und ihre soteriologische Bedeutung in den Hintergrund tritt. Dieser dynamischen Auffassung der Trinitt liegt, neben den patristischen Spekulationen, die u. a. auf Porphyrios zurckzufhren sind,160 bei Cudworth mit einiger Sicherheit das Ousia-Dynamis-Energeia-Schema des spteren Neuplatonismus zugrunde, das u. a. bei Iamblich Verwendung findet. Dieses Schema steht fr ein dynamisches Verhltnis und Kontinuum, in dem aus der wesenhaften und ursprnglichen Ousia, bewirkt durch die strukturierend und vermittelnd wirkende Dynamis, eine Wirkung, die Energeia, hervorgeht. Cudworth kçnnte dieses Schema als (spt-)antike Prfiguration der christlichen Trinittsvorstellung gelesen haben, wie z. B. seine berlegungen zur Gçttertrias Jupiter-Minerva-Juno nahelegen.161 Diesem Vorverstndnis gemß wird das Schema dann der eigenen Argumentation und Systematik eingepasst. Cudworth kombiniert nmlich im Zuge seiner Konzeptionierung der Prinzipien-Trinitt dieses Schema desweiteren mit Plotins Vorstellung von der Einheit des Nous und seiner Inhalte im Vollzug ihrer Wahrnehmung und wendet diese Kombination wiederum auf das Verhltnis der drei gçttlichen Hypostasen 159 Vgl. Cassirer (1932/2002), 104 f. zur dynamischen Konzeption der Trinitt in der Renaissance. 160 Dazu siehe z. B. Beierwaltes (1998), 7 – 99 und (1980), 57 – 74. 161 Vgl. System II, 150. Zum Ousia-Dynamis-Energeia-Schema bei Iamblich im spteren Neuplatonismus siehe Dillon (1973), 233, Stcker (1995), 50 – 62 und Bergemann (2006), 228 – 233. Cudworth konnte dieses Konzept nicht nur aus Proklos und anderen spteren Neuplatonikern kennen. Es spielt zudem eine prominente Rolle als „ein universales Strukturmuster der Wirklichkeit“ und als „universale dynamische Konstante der Ordnung der Welt“ bei Ficino, siehe Leinkauf (1992), 739 f., mit Anm. 36 auf S. 752, sowie im auf Galen gesttzten frhneuzeitlichen medizintheoretischen Diskurs, siehe Hartbecke (2006a), 37 f.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

oder Aspekte zueinander (oder eher ineinander) an. Damit bertrgt er Vorstellungen, die Plotin zwar klar dem Nous zuspricht, aber vom ersten Einen fernhlt, auf sein erstes Prinzip: Gott. Er expliziert so die Vorstellung einer Einheit, in der alle drei Aspekte, wesentlich miteinander verschrnkt, sich im wechselseitigen Bezug aufeinander konstituieren. Der „godhead“ kommt dabei die Funktion des gleichsam substantiellen, allen Aspekten gemeinsamen und sie durchwaltenden Zuges zu, whrend der Nous (Geist) Gottes den unhintergehbaren und fr die gesamte Trinitt grundlegenden (und verpflichtenden) vernnftigen Strukturaspekt Gottes bezeichnet und mit dem Christus-Logos identifiziert werden kann. Der dritte Aspekt der Trinitt, die Weltseele, wird in diesem Zusammenhang von Cudworth gegenber dem neuplatonischen Vorbild christlich modifiziert und bekommt eine doppelte metaphysische Ausrichtung zugewiesen, die Ausdruck der spezifischen Erfordernisse einer dynamischen trinitarischen Einheit ist: Als Liebe ist sie zugleich nach außen wie nach innen gerichtet. Als Rckliebe realisiert die Weltseele die reflexiv in sich zurckgewendete Durchdringung des ersten Aspekts durch den dritten und zweiten, so dass eine als Sphre vorzustellende Einheit entsteht bzw. vielmehr ewig schon ist.162 Damit ist die Dynamik der Trinitt in ihrer internen Struktur charakterisiert. Diese Struktur denkt Cudworth realisiert durch trinitarische Aspekte, die er nach dem Vorbild der neuplatonischen Kraftvorstellung versteht. Bereits Plotin hatte den Kraftbegriff gebraucht, um die Einheit des Nous zu erklren, in der sich drei verschiedene Formen oder Ausprgungen des Geistes gegenseitig durchdringen, wechselseitig konstituieren, dabei eine Einheit bilden und dennoch ihre jeweilige aspektische bzw. funktionale Eigentmlichkeit und Eigenheit bewahren.163 Cudworth scheint diese kraftmetaphysische Konzeption mit der reflexiven Einheitsstruktur der Trinitt zusammenzudenken, so dass diese ihr Korrelat findet in einer Einheitsvorstellung, derzufolge sich drei Kraftformen so durchdringen, dass sie sowohl ihre funktionale Eigentmlichkeit bewahren als auch zusammen die umfassende Kraft der „godhead“ bilden.164 Als

162 Vgl. System II, 430 – 431. 163 Zu Plotin diesbezglich s. Beierwaltes (1985), 52 – 64: Beierwaltes interpretiert den Nous und dessen Verhltnis zu sich selbst und den Noeta als in sich dynamische Einheit und Identitt, in der „die Reflexion in die Einheit […] die Vielheit des Nus zu einer dynamischen, d. h. in sich durch Denken bewegten Identitt macht, [in der] [..] jedes Einzelne zugleich perspektivisch das Ganze [ist]“ (ebd. 56). Halfwassen (2004), 74 – 84 bestimmt diese Form der Verschrnkung von Einheit und Vielheit im Rekurs auf Hegel als „konkrete Totalitt“; vgl. dazu auch Bergemann (2006), 110 – 122 mit einem kraftmetaphysischen Erklrungsversuch. 164 Zu den Vorlufern dieser Trinittskonzeption siehe unten das Kapitel „Eine neuplatonische Trinitt […]“ und u. a. Beierwaltes (1985), 52 – 69, hier besonders die Schilderung des Nous und Gottes als „Form einer hçchstmçglichen Einheit trotz der Differenz“ (55), also als „dynamische Identitt“ (56 u. ç.), und die Darstellung der

1.4 Das naturphilosophische System

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diese Krafteinheit ist Cudworths Gott das denkbar am intensivsten verdichtete Kraft- oder Energiezentrum und erste schçpferische Monade, deren transitiven Aspekt die Weltseele als nach außen gerichteter Aspekt der Trinitt bezeichnet.165 Das gçttliche Kraftzentrum besitzt nmlich ebenso eine „l¸am 1m´qceiam, ,one and the same energy or ,action ad extra“.166 So kommt die trinitarische Einheit Gottes ausdrcklich hinsichtlich ihres transitiv nach außen gerichteten Wirkens auf die Welt hin und in sie hinein in den Blick als erstes Prinzip der Welt und d¼malir p²mtym.167 Sie kommt in den Blick als die auf alles gerichtete Schçpferkraft und Cudworths Version der Allmacht Gottes. Als erstes Prinzip ist Gott der einzige, der im Bezug auf alles Nachgeordnete ber eine existenzverleihende Schçpfungskraft verfgt. Er ist der einzige, der aus dem (absoluten) Nichts Etwas erschaffen kann. Diese erste, existenzstiftende Kraftexplikation Gottes versteht Cudworth auch als „Raum“, als unendliche in sich homogene Kraftsphre,168 die zugleich Gottes erstes und grundstzliches Verhltnis zur Schçpfung manifestiert: In Gott als Raum und erster Ursache ist alles; als Kraft-Raum und erste Ursache umfasst Gott alles.169 Gottes Kraft-Raum ist das schçpfungsumgebende Kraftreservoir auch fr alle Gott nachgeordneten intelligiblen Wirkformen und -krfte, d. h. fr die „Seelen“, von denen Cudworth in seiner Skizze der „scale of being“ im Vorwort an seine Leser spricht. Als derartiges Kraftreservoir ist die nach außen gerichtete Schçpfungskraft Gottes zugleich „effectiveness“,170 die das durch den Geist Gottes noetisch-rational vorgefilterte Verstrçmen Gottes nach außen aufnimmt und konkret wirksam werden lsst. So ist die Vernnftigkeit des vermittelten Wirkens Gottes in der Welt garantiert. In dieser Funktion und Struktur der

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christlichen Trinittsvorstellung in der Sptantike als Transformation einer Synthese des Porphyrios und bei Dionysios Areopagita (198 f., 213 – 215). Die hier vorgelegte Untersuchung von Cudworths Trinittskonzept ist also hauptschlich auf dessen naturphilosophische und metaphysische Relevanz gerichtet. Eine Einschtzung aus theologisch-dogmatischer Perspektive und eine ausfhrliche Explikation der Entwicklung dieses Konzepts im sptantiken Christentum kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. System II, 420. Siehe dazu und zu der dezidiert unaristotelischen Verwendung von d¼malir in diesem Kontext u. a. die knappe Darstellung bei Schurmann, in Wagner (2002), 170 f. und Bergemann (2006), 69 – 86, dort auch weitere Sekundrliteratur. Mçglicherweise orientiert sich Cudworth dabei an Patrizis Raumkonzeption, s. Pancosmia I, 61r und v; sowie unten im Kapitel „,God himself is called place – die Notwendigkeit eines trinitarischen Gottes und wie seine Anwesenheit in der Welt zu denken ist“. Hier kçnnte sich Cudworth an Plotins Aussage, dass alles im Einen sei, orientiert haben, siehe Enn. III 9, 4, 8 f.; vgl. auch V 3, 12, 44 f. Cudworth kann dementsprechend seine Vorstellung vom Raum als Wirksphre Gottes sinnvoll mit dem Motiv des Umfassens (peqi´weim) verbinden, das fr das System ebenfalls von zentraler Bedeutung ist. System II, 394.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

„action ad extra“ Gottes manifestiert sich zugleich Gottes Liebe: Sie ist Ausdruck sowohl der trinitarischen Wesensbestimmung, „zum Hervorbringen aus sich heraus zu treten“,171 als auch der in der Struktur der Trinitt begrndeten noetischen Eindmmung der schçpfungsrelevanten Explikation von Gottes produktiver Allmacht. Mit dieser Konzeption von Gottes „action ad extra“ tritt Cudworth der in nominalistischen Vorannahmen begrndeten voluntaristischen Position entgegen, die den Standpunkt vertritt, Gott kçnne jederzeit und vçllig willkrlich die Strukturgrundlagen der Naturablufe ndern, aufheben oder in sie eingreifen. Cudworths Trinitt realisiert sich nmlich nur im Vollzug der noetischen, und das heißt fr Cudworth: im Vollzug der vernnftigen Selbstkonstitution, die als notwendiger Modus der Selbstdurchdringung der gçttlichen Substanz deren Wesen (mit-)konstituiert. Dieser Modus prgt dann notwendig zugleich auch Gottes nach außen gerichtete Emanation, die nach dem ihr zugrunde liegenden Energeiai-Schema Plotins die Wesenszge der sie hervorbringenden Kraftsubstanz bewahrt.172 Indem Cudworth diese spezifisch konfigurierte Schçpfungskraft Gottes als Weltseele bezeichnet, weist er sie explizit als systematische Voraussetzung fr seine Konzeptionierung der nachfolgenden Seelenarten einschließlich der plastic nature aus und bringt damit die Bedeutung seiner Trinitts- und Prinzipienspekulationen fr seine gesamte Naturphilosophie zum Ausdruck.173 171 So Ficino in de amore, oratio tertia, c. II, 24r-24v/161/1328 – 1329, ed. Blum/bs. Hasse. 172 Siehe Plotin, Enn. V 4, 2; dazu Bergemann (2006), 69 – 86, dort auch die grundlegende Sekundrliteratur. 173 Ein Text aus Aristides (die beiden Zitate aus Themistius und Kyrillos erscheinen gegenber Lnge und Wucht der Aristides- und Plotinstellen eher als chronologisches Anhngsel), den Cudworth in System II, 139 – 141 im Rahmen seiner Trinittsspekulation in Gebrauch nimmt, weist die fr Cudworths System zentralen Aspekte des antiken und christlichen Monotheismus auf: Gott ist das erste, hçchste und sich selbst hervorbringende Prinzip, eine Kraft (p²tqor dum²leyr), von der alles Weitere in Form einer Emanation abhngig ist. Dementsprechend ist die Schçpfung ein von der Gottheit umfasstes Kontinuum, das von einer hierarchisch geordneten Krftefolge, der seiq², durchwaltet wird, die vollstndig von Gott abhngt und die auch ihr Bestehen Gott verdankt: „9po¸gse d³ pq_tor aqt¹r 2autºm […] aqt¹r 1n artoO cemºlemor […] ja· 5stai eQsae· aqtop²tyq […] pqºteqom aqt¹r 2aut¹m 1n 2autoO 1po¸gse“ steht in deutlicher Verbindung zu Plotin, Enneade VI 8, 14 – 16, die Cudworth heranzieht, um Platons Gottesvorstellung zu explizieren, vgl. bes. mit VI 8, 15, 8 – 9: oxtor b poi_m 2aut¹m ja· j¼qior 2autoO und mit aqt¹m pepoigj´mai artºm in VI 8, 13, 55. Beide Stellen werden von Cudworth in System II, 71 herangezogen. Auffllig ist auch das extrem seltene griechische Wort aqtop²tyq zur Bezeichnung der vollstndigen Autonomie des ersten Prinzips: Es ist in Zusammenhang mit Adjektiven wie aqtovu¶r zu sehen; vgl. das Kapitel „Metaphysik in der Dichtung – Cudworth und die integumentale Hermeutik […]“. Die neuplatonische Vorstellung der „Schçpfung“ als Emanation bringt Aristides dadurch zum Ausdruck, dass er die von Zeus abhngigen Gçtter als dessen !poqqo¶

1.4 Das naturphilosophische System

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1.4.2 Die Seelen – Energiezentren174 und Wirksphren Auch wenn Cudworth in seinem Vorwort an den Leser zunchst keine weitere Differenzierung zwischen den verschiedenen Arten von Seelen vornimmt, lassen sich unter Bercksichtigung spterer Ausfhrungen, in denen Cudworth seinen Seelenbegriff weitergehend erlutert, zunchst zwei Klassen von Seelen unterscheiden: Aufgrund ihrer internen Struktur und ihrer kognitiven Fhigkeiten trennt Cudworth klar zwischen den Seelen hçherer Wesenheiten wie Engeln und Dmonen sowie Menschen einerseits und den verschiedenen Formen der plastic nature andererseits.175 Damit verbunden sind differenzierte Funktionszuweisungen an die verschiedenen Seelenklassen: So fungieren z. B. zumindest menschliche Seelen nicht als Naturgesetze. Allen Seelentypen gemeinsam ist ihre Eigenschaft oder Beschaffenheit, von Gott ausgehende Radialkrfte zu sein, die, ob reflektiert oder nicht, gçttliche Vorgaben und Strukturen im Bereich der Schçpfung umsetzen und realisieren und dabei auf eine Weise in direkte Interaktion mit der atomar strukturierten Materie treten, die ihrem Status als Geschçpf angemessen ist. Von den plastic natures unterscheiden sich die „hçheren“ Seelenformen jedoch dadurch, dass sie die innere Struktur der Trinitt insgesamt und des Nous-Aspekts im Besonderen wesentlich intensiver und hnlicher abbilden als die plastic natures, was entsprechend Konsequenzen fr ihre interne Struktur und ihren Status als Bewegungsprinzipien hat. Hatte Cudworth den Nous in der Trinitt nach dem Vorbild Plotins als oqs¸a 1m´qceia („act and energy“)176 bestimmt, die sich selbst reflexiv zugewandt ist und so sich und ihre Inhalte erfasst und konstituiert, so wird von ihm entsprechend die Seele ebenfalls zunchst als „energy“ und als „mind“ klassifiziert: Das Denken der Seele, ihr Wesen, ist „an internal energy, that is, such an energy as is within the very substance or essence bezeichnet, deren innere Struktur er als seiq² versteht und damit ein fr Cudworth zentrales Motiv anfhrt, das im Sinne des spteren Neuplatonismus ausgedeutet werden kann. Die aus neuplatonischer Perspektive relevanten Termini, die den Aristidestext so interessant machen, sind in diesem Fall also p²tqor dum²leyr, seiq²m, di¶qtgtai, 1n/ptai und die Wendung t± p²mta sum´woiem. Besonders zu sum´woiem vgl. System II, 91, 135 (Gott als tμm t_m fkym sumejtijμm aQt¸am ; vgl. dazu Platon, R. 533 c-d und Bergemann [2006], 26 und 136 zu Gottes Wirken als sum´weim tμm t_m fkym "qlom¸am te ja· syteq¸am – ein Beispiel dafr, wie im System ein zentrales Motiv ber Wiederholungen und Zitate transportiert wird). Zum Kontinuumsgedanken siehe auch die Formulierung p²mta d³ pamtawoO Di¹r lest², was nicht bedeutet, dass Zeus/Gott selbst unmittelbar anwesend ist, sondern dass er vermittels Liebe, Notwendigkeit und den anderen Gçttern das Stoffliche ordnend durchzieht. 174 Vgl. z. B. Gysi (1962), 11 – 16. 175 Vgl. Passmore (1951/1990), 24. 176 System III, 71.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

of that which thinketh.“177 Diese „energy“ steht fr die interne, selbstreflexive Struktur der Seele, die derart den noetischen Aspekt der Trinitt in sich abbildet und realisiert und ebenfalls als kompaktes Energie- oder Kraftzentrum, d. h. als Monade klassifiziert werden kann.178 Die substantiale Selbstreflexivitt der Seele setzt Cudworth dann, ebenfalls orientiert an der neuplatonischen NousVorstellung,179 gleich mit der „self-activity“ einer „self-active substance“180, so dass die Seele aufgrund ihrer inneren Struktur zum autonomen Bewegungsprinzip wird. Denn Denken als „self-activity“ wird nun im Rekurs auf Plotin mit Selbstbewegung (aqtoj¸mgsir) identifiziert und auf diese Weise naturphilosophisch funktionalisiert. Da diese Selbstbewegung der Seele als „cogitation“ zugleich noetische Muster reproduziert, wird sie zum innerweltlichen Vermittler der urbildlichen noetisch strukturierten innertrinitarischen Bewegung. Cudworth vertritt damit im Bereich der Naturerklrung eine Art „vertikaler Urschlichkeit“, in der er die Ursachen innerweltlicher Bewegung und Vernderung mit den intelligiblen, ordnenden und strukturierenden Prinzipien der stofflichen Welt identifiziert, die ihrerseits als intelligible Krfte von bergeordneten intelligiblen Ursachen abhngen.181 Von zentraler Relevanz wird im Rahmen einer derartig angelegten Ursachenhierarchie damit das Problem der Interaktion zwischen dem seelischen Kraftzentrum und der atomar strukturierten Materie, zwischen Intelligiblem und Stofflichem, ohne die es keine von der Seele prinzipiierte bzw. initiierte Bewegung im Kçrper und in der Welt geben kann. Allgemein bezeichnet Cudworth die Form des Wirkens der Gott nachgeordneten intelligiblen Formkrfte auf die ausgedehnte Materie als „a certain amplitude of active power ad extra, or a sphere of activity upon body“182 und weist diese Formkrfte derart auch in ihrem Wirken nach außen als imagines Dei aus.183 177 System III, 395. 178 System III, 392 f. und 395. 179 Grundlegend ist hier die Vorstellung, dass das Sein des Geistes sich in seinem Selbstbezug als Ttigkeit und Wirken, als 1m´qceia, realisiert; siehe Halfwassen (2004), 59 – 68. 180 System III, 415 f. 181 Zu dieser Art der Urschlichkeit im Neuplatonismus siehe Wagner, in Wagner (2002), 279. Im Unterschied zu dieser vertikalen Urschlichkeit argumentieren die Atomisten und Hylozoisten mit einer horizontalen Kausalitt (ebd.). Daraus wiederum leitet sich folgende Hauptaufgabe einer neuplatonischen Naturphilosophie ab, die man auch als Grundsatzprogramm des System annehmen kann: „[…] to discern how our cosmos as a whole and all of its parts in fact are governed by, are manifestations of, or are explicable in terms of a system of archetypal (necessary) truth“. 182 System III, 396. Bereits vor Cudworth hat der englische, atomistisch geprgte Naturphilosoph Walter Warner (1562 – 1643), wohl im Rekurs auf die scholastische Vorstellung der sphera activitatis, die Wirkform der als formae informantes und assistentes im Kçrperlichen wirkenden Seelen charakterisiert als „sphericall extension or emanation of luminosity“; dazu siehe Clucas (1997), 260 f. Der bei Cudworth beobachtete Gedanke

1.4 Das naturphilosophische System

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Im Unterschied zu Gott als einzigem, dessen Auszeichnung es ist, seine Wirkung ber eine vçllig unstoffliche und homogene Kraftsphre zu entfalten, sind alle kreatrlichen, von Gott geschaffenen und von ihm abhngigen Wirkkrfte immer mit einem spezifischen Kçrper verbunden und brauchen ihn, um im Stofflichen ihre Wirkungen entfalten zu kçnnen. Cudworth entwickelt seine Theorie dieses kçrperlichen Mediums, das die „activity“ der Seele an den Kçrper (und vice versa) bermittelt, an der antiken und sptantiken Lehre des sog. Seelengefhrts, des ewgla. Da die Seele aufgrund ihrer „self-activity“ wesentlich Bewegungsprinzip ist, muss sie immer mit einem „luciform body“184 verbunden sein, an den sie ihre Selbstbewegung bertragen und den sie so bewegen kann. Das bedeutet zunchst, dass Seele und Ochema eine unlçsbare Verbindung ausbilden und einen stabilen Wirkkomplex konstituieren. Das aitherische Seelengefhrt ist dabei in mehrfacher Hinsicht geeignet, als „Grenzform“185 die Verbindung bzw. Vermittlung zwischen Seele und grobstofflichem Kçrper zu realisieren. So ist es schon in der Tradition sptantiker Religionsphilosophie als Medium zum Empfang intelligibler, d. h. in diesem Fall gçttlicher, Einwirkungen ausgewiesen. Cudworth reaktiviert und funktionalisiert also mit dieser Vorstellung die fr ihn verpflichtende Tradition der prisca theologia. Darber hinaus lassen aber auch zentrale systematische Grnde die Verwendung dieses Konzepts als sinnvoll erscheinen: Der „Stoff“, aus dem das Ochema besteht, ist kein „richtiger“, materiell-kçrperlicher Stoff, sondern der Aither changiert aufgrund seiner Feinststofflichkeit zwischen den Bereichen des Stofflichen und des Intelligiblen. Zugleich besitzt er die Fhigkeit, sich aufgrund aufgenommener Einwirkungen zu verdichten, d. h. grobstofflicher zu werden. Cudworths Kombination der antiken Texte in diesem Zusammenhang legt eine Interaktionsvorstellung nahe, dergemß die Seele als substantielle Kraft nach dem Energeiai-Schema Plotins eine zweite Dynamis aus sich hervorbringt und mit ihr das ihr zugehçrige zeigt sich damit als ein Konzept, das in der fr Cudworth relevanten Konstellation vertraut ist. Zu beachten ist dabei allerdings, dass die „sphere of activity“ bei Cudworth eine allen seelenartigen, Gott nachgeordneten Wirkkrften als Modus ihres Wirkens-auf zukommt, whrend sie bei Warner eher einer bestimmten Art der „assistant form“ zugeschrieben wird, siehe Clucas (1997), 261. Bei Kenelm Digby wird dann diese Wirksphre vollstndig „materialisiert“, siehe Clucas (1997), 265. 183 Zum sehr hnlichen Konzept der power (vis) bei Walter Warner siehe Clucas (1997), 262: „[Warner] described it [vis/power] as […] a motive, alterative force which acts on and organizes the discrete parts of matter.“ Walter Warner scheint damit als relevanter Transformationsfaktor fr die Erklrung bzw. Herleitung der von Cudworth favorisierten Form der Wirkurschlichkeit der Seelen ebenfalls in Betracht zu kommen; siehe zum Konzept der vis bei Warner auch Jacquot, in Shirley (1974), 118 – 120, der die sich sphrisch verstrçmende und die Welt erfllende Kraft Warners mit der neuplatonischen Weltseele vergleicht. 184 System III, 266 f. 185 Zum Begriff „Grenzform“ in diesem Zusammenhang siehe Leinkauf (1993), 68 – 72.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Ochema erfllt und mit sich verbindet. Diese zweite Dynamis differenziert sich in ihrem Wirken auf den Aither des Ochemas gemß den noetisch vorgegebenen Mustern in der Seele (der „cogitation“) aus in t_m 1kk²lxeym cºmiloi pqºodoi (hier orientiert sich Cudworth aller Wahrscheinlichkeit nach an Procl., Inst. §98; 86, 31, ed. Dodds: „fecund outpouring[s] of its irradiations“). Diese initiieren ihrerseits Vernderungsprozesse und Bewegungen im Ochema und machen sich gleichsam die Elastizitt des Aithers zunutze, um so in je spezifischer Weise ihre Bewegungsimpulse und -muster an den grobstofflichen Kçrper zu bertragen. Die „sphere of activity“, durch die oder in der die Seele dem Kçrper wirkend und bewegend anwesend ist, konstituiert sich also im Zusammenspiel zweier Grenzformen: dem Aither des Seelengefhrts als feinststofflicher Grenzform von seiten des Kçrperlich-Stofflichen her und der cºmiloi pqºodoi als Form unterster Kraftexplikation von Seiten der Seele als intelligibler Formkraft her. Diese Form der Wirkeinheit realisiert dann die „vital union“ zwischen Seele und Kçrper, sie ist das auf allen Ebenen des Kreatrlichen gltige Modell fr die „vital union“, vermittels derer jede Seele ihre wesentlichen Wirkungen auf das Kçrperliche entfalten kann. Da dabei z. B. die dem Leben entsprechende Ausstrahlung aus dem Seelenzentrum als Kraft klassifiziert wird, die bestndig mit der sie hervorbringenden oqsi¾dgr d¼malir (der substanzhaften Kraft) verbunden ist, bezeichnet Cudworth Leben als „substantial life“, das eben gerade keine emergentistische Konsequenz atomarer Kombinationen, sondern intelligibel verursacht ist und das Vorhandensein einer unkçrperlichen, aktiven Substanz (!s¾lator oqs¸a), also der oqsi¾dgr d¼malir, voraussetzt. Cudworth versucht so, die Wirkungen des Intelligibel-Unstofflichen in der Welt zu erklren, ohne das Intelligible bzw. dessen Funktionen und Eigenschaften im Stofflichen aufzuheben und ohne einen hylozoistischen Substanzmonismus zu entwickeln, wie ihn z. B. Anne Conway entwarf, und ohne das Intelligibel-Geistige aus dem Bereich des Stofflichen, der res extensa, derart umfassend zu verbannen, wie z. B. Descartes und noch radikaler Hobbes es tun. In genau diesem Kontext expliziert Cudworth das Konzept der zweiten Klasse von Seelen und der mit ihr verbundenen Struktur- und Wirkungsformen: die plastic natures. 1.4.2.1 Plastic natures – teleologisches Wirken auf atomarer Ebene Mit seinem Konzept der plastic natures schaltet sich Cudworth in die naturphilosophische Diskussion seiner Zeit an drei zentralen Punkten ein: der Diskussion um den Begriff des Naturgesetzes, dessen Bedeutung zu dieser Zeit keinesfalls feststeht, sondern gerade auch im Umfeld der Royal Society z. B. durch Boyle problematisiert und diskutiert wurde, der Erklrung komplexer,

1.4 Das naturphilosophische System

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zweckvoller lebendiger Ganzheiten (Organismen) und – damit wesentlich verknpft – der Diskussion um die Annahme von causae finales bei der Erklrung von Naturphnomenen und -prozessen.186 Als Radialkrfte, die aus der gçttlichen Energiemonade via deren Kraftraumsphre hervorgehen, lassen sich die plastic natures als „virtutes per opus mundanum diffusas“187 bestimmen, die in ihrer Abhngigkeit von Gott und in ihrer weltgestalterischen Funktion auch als rpouqco· dum²leir, als „dienende Krfte“ bezeichnet werden kçnnen.188 Diese Krfte weisen eine in sich gestaffelte Hierarchisierung auf: Neben einer „plastic nature of the universe“189 gibt es verschiedene „particular plastic powers in the souls of animals“ und weitere „plastic natures […] in some greater parts of the universe“.190 Diese Differenzierung hat ihren Sinn offenbar darin, die plastic natures nach dem Umfang und dem Bereich ihrer Koordinierungsleistungen zu unterscheiden. Cudworth selbst ußert sich allerdings nicht weiter zu diesem Thema. Annehmbar wre jedoch, dass z. B. die „plastic nature of the universe“ in Form der Gravitationskraft (und das heisst grundstzlich wie alle anderen plastic natures auch: als Zugkraft) die Ordnung des gesamten Universums ausbildet und erhlt, whrend nachgeordnete plastic natures z. B. fr Naturablufe wie Ebbe und Flut oder Klima verantwortlich wren und die niedrigsten plastic natures alle Formen organischer und anorganischer Strukturen und Komplexe ausbildeten. Zusammen bilden alle Formen der plastic nature die niedrigste, die ußerste Grenze des Intelligiblen,191 wobei die bergeordneten Formen der plastic natures die untergeordneten in sich enthalten, sie in sich umfassen. Ihnen allen gemeinsam ist die ihrem Wirken zugrunde liegende Struktur: Wie die Seelen setzen sie noetische Muster um, die ihnen anscheinend unmittelbar eingeprgt werden. Cudworth lsst es offen, wie diese „Einprgung“ zu denken ist. Allerdings besitzen die plastic natures keinerlei reflexives Wissen von sich, den ihnen eingeprgten noetischen Wirkungsmustern oder von ihrem Tun: Ohne zu wissen, wirken sie lediglich. Es hat dabei den Anschein, dass Cudworth das Resultat des konzertierten Wirkens der plastic natures, und das bedeutet eben die Realisierung des 186 Vgl. System I, 220 f. „Teleologisch“ wirkt nach Cudworth etwas, „which makes [Hervorh. L. B.] all things to conspire all to one end“ (EIM 591). Siehe Passmore (1951/1990), 34. 187 System I, 456; Cudworth nimmt hier eine Wendung von Maximus Madaurensis auf. Vgl. dazu besonders auch System II, 205 und 240 – 245. Die systematische Bedeutung dieser Vorstellung fr das True Intellectual System, die Cudworth ebenso als metaphysische Begrndung benutzt, um den antiken Polytheismus auf einen Monotheismus zu reduzieren, ist daran abzulesen, dass Cudworth sehr hufig und an den wesentlichen Punkten seiner Antikendarstellung auf sie zugreift, z. B. System I, 365, 577 f., 582; II, 171, 205, 223, 226, 240. 188 System II, 171. 189 Siehe System I, 260. 190 System I, 271. 191 System II, 619 – 620 im Rekurs auf Proklos.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

noetischen Geflechts in der Welt und als Welt, als Harmonie auf den verschiedenen Stufen der Welt begreift. Diese Harmonie ußert sich in gegenseitiger Sympathie der einzelnen Elemente oder Teile zueinander und ist als gegenseitige Anziehung mit anschließender Ausbildung harmonischer Ganzheiten auf den verschiedenen Stufen des Kosmos anzusehen. Ihre Wirkung entfalten die jeweiligen plastic natures dabei als Zugkrfte, deren Wirken auf das Stoffliche wie bei den hçheren Seelenarten ebenfalls durch ein pneumatisch-aitherisches Medium bertragen wird. Es scheint allerdings, dass die plastic natures in diesem Rahmen auf eine andere Weise Bewegung (und damit Struktur) verursachen als die hçheren Seelen: Da ihnen Selbstreflexivitt fehlt, initiieren sie Bewegung unmittelbar durch Anziehung. Mehrfach hebt Cudworth in diesem Zusammenhang hervor, dass die plastic natures in dieser Form von innen wirken. Sie sind „inward principle[s]“,192 die als den Dingen innewohnende 1meqce¸ai tewmija¸ die ihnen habituell verfgbaren Programmabfolgen gleichsam automatisch-intuitiv ohne Wissen um diese Muster oder um das eigene Tun umsetzen. Auf dieser Ebene werden die plastic natures von Cudworth funktional mit den Naturgesetzen identifiziert, denn sie sorgen nicht nur fr den Erhalt von Bewegungen und deren bertragung von einem Kçrper auf den anderen, sondern garantieren deren ordnungsvollen, aufeinander abgestimmten Ablauf von der Ebene der Einzelatome ber die Gestaltung von Pflanzen und Tieren bis hin zur Ordnung der Himmelskçrper und deren Bewegungen.193 Sogar die Gravitation wird durch die „plastic nature of the universe“ realisiert.194 Mit den plastic natures erklrt Cudworth „the grandest of all phenomena, the orderly regularity and harmony of things, which the mechanic Theists, […], can give no account at all of“.195 Durch sie wird die Welt insgesamt zu einem Organismus, der konstituiert, durchzogen, strukturiert und erhalten wird von Gottes vermittelter Prsenz. Cudworth betont mehrfach die ungebrochene Kontinuitt seiner metaphysischen Grundannahmen, so dass es in dieser Welt auf keiner Stufe etwas gibt, das nicht in der ihm spezifischen Form am Gçttlichen partizipierte. Das gilt besonders fr die Tiere, deren Seelen auf dieselbe Weise mit den Tierkçrpern verbunden sind wie die Seelen der Menschen mit den menschlichen Kçrpern. Statt wie Descartes die Welt und die Tiere zu zwar komplexen, aber seelenlosen Automaten zu machen, betrachtet Cudworth sie als beseelte Lebewesen, die in sich einen Aspekt der noetischen Struktur der gçttlichen Trinitt abbildlich realisieren.

192 193 194 195

Vgl. System I, 235. System I, 225 f. System I, 219 – 220. System I, 281.

1.4 Das naturphilosophische System

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1.4.3 Die Materie – Passivitt und Prdisposition Das Konzept der Materie ist der systematische Ort, an dem Cudworth neuplatonische Kraftmetaphysik und atomistischen Materialismus zusammenbringt zur Synthese seines System. 196 Cudworth entwickelt folglich eine Vorstellung von Materie, aus der er die Notwendigkeit der Annahme von intelligiblen Wirkkrften ableiten kann, die diesem Konzept von Materie zufolge den Atomismus wesentlich ergnzen und ergnzen mssen, sowohl um bestimmte Naturphnomene erklren zu kçnnen als auch um den theologischen Ansprchen seiner Gottesvorstellung zu gengen. Derart gelangt er zu einer Form des Atomismus, die ergnzend zu den stofflichen Atomen intelligiblen und unstofflichen Wirk- und Formkrften nicht nur erklrenden Raum lsst, sondern diese notwendig fordert – er gelangt zu der Variante des Atomismus, die die fr ihn allein wahre sein kann, zum religiçsen Atomismus. Grundstzlich bestimmt Cudworth den Stoff, aus dem die Welt hervorgebracht wird, als vçllig passive Materie, die von Gott aus dem Nichts geschaffen wurde und die aus sich heraus weder Bewegung noch irgendwelche strukturierten prozessualen Ablufe generieren kann. Diese Materie ist in ihrer weltrelevanten Form gleichsam oberflchlich atomar strukturiert, d. h. sie besteht aus kleinsten, ausgedehnten Partikeln, die, so ist anzunehmen, aufgrund ihrer inneren Kompaktheit und Festigkeit gegeneinander widerstndig sind.197 Auf diese Atompartikel bertrgt Cudworth allerdings die Eigenschaften der neuplatonischen Materie, so dass der ursprngliche, epikureische Atombegriff neuplatonisch berformt wird. Wie die Materie insgesamt sind auch diese Partikel vollstndig passiv und besitzen weder ein intrinsisches Bewegungspotential noch eine ihnen schon immer zukommende Bewegung. Allerdings ist ihnen die entscheidende grundstzliche Befhigung zu eigen, Einwirkungen intelligibler Wirkformen in sich aufnehmen (d´weshai) zu kçnnen, womit diese Materie hin zum Gçttlich-Intelligiblen geçffnet ist. Cudworth exemplifiziert und autorisiert diese Materieauffassung u. a. an der Figur des Empedokles und dessen Lehre, den er diesbezglich als einen religiçsen Atomisten konstruiert. Cudworth spezifiziert diese neuplatonische „Qualifizierung“ der Materie, die sich bis auf Platons Dialog Timaios zurckverfolgen lsst,198 weitergehend u. a. zu dem Zweck, sie mit der Art und Weise, wie die plastic natures ihre Wirkungen in der Materie entfalten, nher in Einklang zu bringen. Die plastic 196 Zum synthetisierenden Charakter von Cudworths Systementwurf siehe u. a. Gysi (1962), 8 und Flores (2008), 146 und 151. 197 Siehe System I, 117, 214 und III, 106. Cudworth lsst damit, wie noch zu zeigen ist, die Materiekonzeptionen von Descartes und Hobbes auf der einen Seite und die Epikurs, Gassendis und Charletons auf der anderen Seite zusammenfließen: Seine Materie ist „antitypous extension“ (System III, 106). 198 Pl., Ti. 49a: die „dritte Art“ als rpodow¶.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

natures treten nmlich als „mixture“199 an die Materie heran und in sie ein, um dort „gradually and successively“200 ihre Wirkungen zu realisieren. Da sie dies nach Art eines Tnzers tun, der ohne zu denken vorgegebenen Schrittmustern folgt, implizieren diese Wendungen eine zum Wirken der plastic natures (und anderer Seelen) passende strukturelle Prdisposition der Materie. Diese Prdisposition, die z. B. bei Athanasius Kircher, dessen Philosophie Cudworth kannte, als Panspermie bezeichnet wird, rumt Gottes schçpferischer und gestalterischer Kraft gegenber und in der Materie wesentlich mehr Raum ein, als die Neuplatoniker dem Einen gegenber der Materie zugestanden haben. Man mag in ihr eine christlich-neuplatonische Reaktion sehen auf das, was Walter Charleton in seiner Physiologia Epicuro-Gassendo-Charltoniana von 1654 die „Disposition or Dispensation of the Chaos of Atoms […]“201 genannt hat. Cudworth weist diese Materie – trotz ihrer Prdisposition – zugleich jedoch wiederholt als Chaos aus, wohl deshalb, weil alle spteren Strukturen nur latent und noch miteinander vermischt in ihr vorliegen. So erweist sich Cudworths Materie als ein Konzept, in dem die Aspekte der ungeordneten Atombewegung der Epikureer, des chaotischen Zustandes der „dritten Art“ aus Platons Timaios und der Schçpfungsmasse in der Genesis mit denen der Passivitt und der Fhigkeit zur Aufnahme intelligiblen Wirkens, die Cudworth aus der neuplatonischen Metaphysik bernimmt, zusammenlaufen. Indem Cudworth diese Materie zugleich wesentlich als Ausdehnung bestimmt und ihr eine atomare Struktur nach epikureischem Vorbild verleiht, bindet er seine Konzeption an die zeitgençssischen Entwrfe Descartes, Hobbes und Gassendis/Charletons an, als deren Synthese seine Materie nun ebenfalls erscheint. Der Gedanke einer zustzlichen protostrukturellen Prdisposition dieser Materie verbindet im Rahmen der Naturphilosophie Materie und auf sie einwirkende plastic natures auf systematischer Basis (die plastic natures passen zur Materie wie der Schlssel ins Schloss). Im Ergebnis stellt sich die Welt damit als harmonisches Ganzes dar, dessen Struktur bedingt ist von der sympathetischen Wechselwirkung aufeinander bezogener, hierarchisch geordneter Wirkkrfte, die in ihrer Abhngigkeit von Gott ein ontisches Kontinuum ausbilden.202 Im systematischen berblick ergibt sich derart die Kontur einer Naturphilosophie, die im wesentlichen auf der neuplatonischen Metaphysik aufbaut. Deren erstes Prinzip, das „Eine-Gute“, wird im Zuge transformierender An199 200 201 202

System I, 220 f. EIM 581. Walter Charleton, Physiologia (1654), 13. Zur Vorstellung, dass „every creature in the universe is a source of radiation and the universe a vast network of forces“ und ihrem Ursprung im Traktat „De radiis“ des frhmittelalterlichen arabischen Philosophen al-Kindi siehe Lindberg (1986), 12 – 14. Bei Cudworth finden sich derartige neuplatonisch-religiçse Vorstellungen in seinem Konzept der Radialkrfte, der radii Deitatis, wieder.

1.4 Das naturphilosophische System

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eignung verschiedener antiker und patristischer Vorbilder durch Cudworth trinitarisch binnendifferenziert. So wird es zu einem Amalgam, in dem Cudworth Zge des Christus-Logos, des Plotinischen Nous, der neuplatonischen Weltseele, der absoluten Einheit des Einen-Guten sowie der Liebe und Gte Gottes zusammenzufhren und dabei ber das Konzept der reflexiven Selbstdurchdringung den Vorwurf der Subordination zu vermeiden versucht. Bereits bei seiner Konzeption des ersten Prinzips wird deutlich, dass Cudworth intensiv die dynamische, kraftmetaphysische Seite neuplatonischer Metaphysik aufgreift und adaptiert, um zu einem adquaten Gottes- und Prinzipienbegriff zu gelangen. Dieser Gott entußert sich wesentlich und primr in einer homogenen Kraftsphre, dem Raum. Diese primre Form der Explikation gçttlicher, allumfassender Schçpferkraft, Cudworths Version der Allmacht Gottes, ist noetisch, d. h. vernnftig durchformt und vermittelt so die Struktur des Nous Gottes, des Christus-Logos, nach außen. Diese wird von den verschiedenen Formen der Seelen, die Cudworth alle in ihrem Wirken als Form- und Wirkkrfte versteht, aufgenommen und in der atomar strukturierten und zur Aufnahme der Wirkungen intelligibler Formkrfte passend prdisponierten Materie zur sinnlich erfahrbaren Manifestation gebracht. Es entsteht das Bild einer Welt, die im von Gott ausgehenden Kontinuum erhaltender und strukturierender Krfte permanent in vermittelter Form von Gott durchdrungen wird und so, als abbildliches Resultat seines Wirkens, bestndig auf ihn als auf ihre Ursache und ihr Urbild verweist. Im Rahmen dieser Welterklrung denkt Cudworth Urschlichkeit als Urschlichkeit von Kraft (d¼malir, 1m´qceia, power, energy), die etwas bewirkt, einen Prozess initiiert, eine Struktur und vor allem: Bewegung hervorbringt.203 Das Verhltnis zwischen der Natur oder dem Wesen von etwas, das eine derart wirkende Kraft hervorbringt, und der nach außen wirkenden Kraft selber konzipiert Cudworth entlang der Linien des Energeiai-Schemas Plotins: D. h. die Wirkungen von etwas, das als und durch Kraft wirkt, sind zentral mit dessen Wesen und der Struktur dieses Wesens verbunden.204 Da nach diesem neuplatonischen Schema die nach außen gerichteten Wirkkrfte die innere Struktur der sie hervorbringenden wesentlichen Krfte abbildlich bewahren, erlauben sie und die Wirkungen, die von ihnen hervorgebracht werden, Rckschlsse auf das Wesen des Wirkenden. Zudem kann Cudworth aus der neuplatonischen Metaphysik den Grundsatz bernehmen, dass Krfte unstofflich und damit berrumlich sind. Diese Annahme erlaubt ihm die Konzeptionierung selbstreflexiver und somit selbstbe203 Vgl. Harr (1970), 87. 204 Vgl. Harr (1970), 91 f. und 95, der dieses Verhltnis beschreibt, es aber nicht auf Plotins Schema zurckfhrt.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

wegter Kraftzentren,205 die in ihrem Wirken ganz als ganze in jedem Teil organischer Kçrper anwesend sein kçnnen – dies sind die hçheren Seelenformen. Die plastic natures realisieren abschließend als einfache aber ebenfalls berrumliche Krfte die ihnen vorgegebenen Musterfolgen. Wie die Gott nachgeordneten „souls“ also letztendlich in der Welt das Abbild des noetischen Zugs der Binnenstruktur Gottes sichtbar machen, so macht der Text des System in der Lektre eine noetische Struktur im Medium des Intertextes erfahrbar: In ihm verbinden sich als Ausdruck kombinierenden universalwissenschaftlichen Schreibens Form und Inhalt miteinander, durchdringen einander auf eine performatorisch wirksame Weise und bilden so noetische Einheit in der varietas der Referenztexte ab (zur varietas diesbezglich s. u. S. 209, Anm. 12.).

1.4.4 Zu Gott – von Gott: Die Argumentationsbewegung im System und die Lektre als Weg zur deificatio Eine derartige Lesart des Textes, die auch dessen performative Eigenschaften als transformationsrelevante Faktoren zu bercksichtigen versucht, lsst sich historisch weitergehend plausibilisieren. Zunchst ist zu diesem Zweck zu konstatieren, dass das „Amen“, mit dem dieser einzig gedruckte Teil des System nachdrcklich endet, durch den Anklang an die Textgattung der Predigt einen „Wirkungsbezug auf das [Lese-]Publikum“206 her- und so die performative Qualitt des Textes herausstellt.207 Eine Bercksichtung dieser fr Cudworth damit wichtigen Eigenschaft des Textes im Rahmen einer Transformationsanalyse bedeutet folglich, die spezifische Wirkung des Textes auf seine Rezipientinnen und Rezipienten ebenfalls in die Untersuchung einzuschließen und ebenso nach den „dynamischen Strategien“ zu fragen, durch die diese Wirkung bei den Leserinnen und Lesern hervorgebracht wird, denn diese Wirkung bezeichnet ihrerseits das, was Cudworth jenseits der Vermittlung bloßer sachlicher Inhalte mit diesem Text erreichen will.208 Vorbereitet wird diese Art des Textverstndnisses und die zugehçrige literarische Strategie fr Cudworth mçglicherweise bereits durch Ficinos sptneu205 Vgl. Gysi (1962), 73. 206 Meyer-Kalkus, in Handbuch Literaturwissenschaft I (hg. v. Thomas Anz; Stuttgart/ Weimar 2007), 213. 207 Zur Predigt als der performativen Textgattung im frhneuzeitlichen protestantischen England siehe Dçring, in Rupp/Dçring (2005), 20. Als Prediger wird Cudworth selbst sehr genau um die performative Qualitt von Texten und den gezielten Einsatz performativer, psychagogischer Techniken gewusst haben. 208 Vgl. dazu Dçring, in Rupp/Dçring (2005), 17 und 20. Es geht, um es mit Dçhring (ebd.) auszudrcken, um die Untersuchung der „actions performed through texts“.

1.4 Das naturphilosophische System

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platonisches Verstndnis von Philosophie: Ficino schreibt nmlich im Rekurs auf Iamblich und Proklos der Philosophie (und damit auch ihren Texten) eine dezidiert soteriologische Funktion zu.209 Das aber impliziert, dass die Texte tatschlich bei ihren Rezipientinnen und Rezipienten eine seelenverndernde Wirkung generieren. Legitimiert werden diese Texte in ihrem diesbezglichen Anspruch bereits bei Ficino durch die Berufung auf ihre Zugehçrigkeit zur prisca theologia, die auch bei Cudworth eine zentrale Rolle spielt.210 Im Rekurs auf theurgische Praktiken und deren Darstellung u. a. bei Iamblich setzt Ficino Metaphysik und seelenreinigende und propdeutische Texteffekte zueinander in Beziehung, vermittels derer die Erlangung der nçtigen seelischen Dispositionen initiiert werden soll:211 Summatim vero, quicumque voto, studio [Hervorh. L. B.], vita, moribus beneficentiam, actionem, ordinem coelestium imitantur, eos existimato tam, quam supernis similiores, ampliores illinc dotes accipere: […]212

Ficino schreibt hier dem Nachdenken und dem wissenschaftlichen Eifer die Eigenschaft zu, urschlich ein nachahmendes Handeln hervorbringen zu kçnnen, das die seelische Disposition des oder der jeweiligen benden verbessern kann. Diese Einstellung gegenber der transienten Wirksamkeit auch von theoretischen Texten findet sich ebenfalls im protestantischen Kontext des frhneuzeitlichen England, in dem Cudworth predigt und schreibt.213 Um den Zustand der Gnade zu erreichen, bedarf es, dem Prediger und Theologen Thomas Brooks (1608 – 1680) zufolge, einer „Transformation des Wissens (transforming Knowledge)“214. Diese Vernderung des eigenen Wissens impliziert wesentlich eine vernderte Einstellung zur sichtbaren Welt, in der Gott in einer Art epistemologischer Wende aktiv als „Ganzer in Allem (all in all)“ erfahren wird und sich das eigene Handeln nach dieser Erkenntnis ausrichtet.215 Gerade auch dieses Prinzip findet in der Form des „Hen panta“ oder „Hen kai pan“ im System Beachtung und wird zudem gegen Ende der Schrift politisch 209 Siehe Celenza, in Allen/Rees (2002), 82. Zum diesbezglichen Philosophieverstndnis bei Iamblich siehe u. a. Shaw (1995). 210 Celenza, in Allen/Rees (2002), 85. 211 Textstelle bei Celenza, in Allen/Rees (2002), 94, Anm. 81. 212 Ficino, De vita III, 22 (Basel 1529). Vgl. auch ebd.: „Similiter ratio vel per imaginationem spiritumque vel per deliberationem [Hervorh. L. B.] vel utrimque sic ad Iovem imitatione quadam comparare se potest, ut multo magis ob dignitatem propinquitatemque suam ipsa Iovem capiat et munera Iovis quam imaginatio sive spiritus.“ In Verbindung mit deliberatio lsst sich die Bedeutung von studium mçglicherweise auf eine Art universitres bzw. wissenschaftliches Nachdenken und Arbeiten und das hieße eben auch auf die Arbeit mit „wissenschaftlichen“ Texten festlegen. 213 Dazu und zum Folgenden siehe Rupp, in Rupp/Dçring (2005), 123 – 131. 214 Zitiert bei Rupp, in Rupp/Dçring (2005), 124. 215 Rupp, in Rupp/Dçring (2005), 128.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

operationalisiert,216 so dass man das System als eine Form der in diesem Kontext propagierten „heavenly meditation“ lesen kann, die die Welt auf ihren Urheber Gott hin transparent macht und deren Ertrag sich in einem entspechenden Handeln manifestieren soll.217 Wesentlicher Bestandteil einer derartigen „meditation“ ist, wie fr Cudworth, zudem ein Naturverstndnis, das das Buch der Natur als einen Modus der Offenbarung Gottes versteht und so eine starke Erfahrung der kontinuierlichen und dynamischen Verbindung zwischen Gott und Schçpfung erfahrbar werden lsst.218 Genau um diese „Erfahrung“ bzw. um das Erreichen derselben im aktiven Nachvollzug der Wechselwirkung zwischen Inhalt und Textstruktur geht es auch im System. 219 Um diese Behauptung zu sttzen soll es im Folgenden um die „effective structures“ im Text des System gehen, die den „reading process“ in einen „formative [process]“ verwandeln und den Text in einen Akt, der dazu in der Lage ist, den Leser zu „formen“.220 Im Unterschied zur im vorigen Unterkapitel erfolgten rein systematischen Darstellung der philosophischen Inhalte des System korrespondiert der Lektrebewegung, die dem Text folgt, dementsprechend eine Platonische Erkenntnisbewegung, die zunchst den Aufstieg auf der „scale of being“ von „unten nach oben“ spiegelt: Cudworth beginnt mit der Klassifizierung der Materie und den philosophischen Lehren, die sie richtig beschreiben.221 Da diese Materie nur durch intelligibel-unstoffliche Wirkformen in Bewegung versetzt und gestaltet werden kann und zudem wesentlich dazu prdisponiert ist, eben diese Wirkungen aufzunehmen, schließt sich eine Erçrterung der nchsthçheren Stufe

216 S. u. das Kapitel 8.2. 217 Siehe Rupp, in Rupp/Dçring (2005), 128. Zu dieser Bedeutung von „Transparenz“ und ihren neuplatonischen Aspekten im Kontext protestantischer Religiositt und Literatur siehe Olejniczak Lobsien (2010), 1 – 29. 218 Dazu Rupp, in Rupp/Dçring (2005), 130. Cudworth nimmt exakt diesen Aspekt der „heavenly meditation“ in EIM 601 auf, siehe z. B. oben S. 9 und unten S. 502 – 504. Vgl. die Charakterisierung der Haltung, die nach Olejniczak Lobsien (2010), 102 f. Thomas Browne (1605 – 1682) von den Lesern seiner Texte fordert: „What is required of us is an attitude which combines contemplation and study in a ,devout and learned admiration and which in a spirit of ,judicious enquiry attends to the truths and wonders inscribed in the Book of Nature.“ 219 Das System wird damit ebenso lesbar als Ausdruck der „tendency in Protestant theology to forge a strong union between heaven and earth“ (Rupp, in Rupp/Dçring [2005], 130), die bei Cudworth dazu fhrt, alle philosophischen Versuche als atheistisch zu verwerfen, die diese Verbindung im Bereich der Naturerklrung kappen, indem die Natur autonomisiert und Gott als wirkende Ursache aus ihr verbannt wird. Dies betrifft so unterschiedliche Entwrfe wie die Descartes und Francis Glissons. 220 Ich bernehme an dieser Stelle berlegungen aus Olejniczak Lobsien (2010), 48 zu den Fowre Hymnes Spensers und bertrage sie auf Cudworth. 221 Dies schließt eine umfassende Behandlung der in seinen Augen falschen Materiekonzepte der reduktionistischen Mechanisten und Hylozoisten ein.

1.4 Das naturphilosophische System

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oder Phase im ontischen Kontinuum an: der plastic natures, ihrer Beschaffenheit, ihrer Funktion und der Art ihres Wirkens. Die plastic natures weisen in ihrer Abhngigkeit ihrerseits auf die Ursache hin, von der sie ausgehen, und damit ber die hçheren Seelenformen hinaus auf Gott und die verschiedenen Aspekte seines trinitarischen Wesens als erstes Prinzip. So folgt auf die Thematisierung der plastic natures eine Annherung an den Gottes- und Prinzipienbegriff des System. Cudworth gibt dieser Annherung die Form einer Konstruktion des antiken Monotheismus aus den verschiedensten antiken Referenztexten, die einander ergnzend und im wechselseitigen Zusammenspiel sowohl Cudworths Gottes- und Prinzipienbegriff vorbereiten als auch Status und Funktion der plastic natures bzw. der Gott nachgeordneten Wirkkrfte weiter explizieren.222 In der Lektre schließt sich Cudworths eigene, strker christlich-theologisch ausgerichtete Prinzipienbestimmung an diesen ausfhrlichen religionsphilosophischen Abschnitt zur heidnischen Antike sinnvoll an. Cudworth fhrt in seinem Gottes- und Prinzipienbegriff die zuvor einzeln thematisierten Aspekte des hçchsten Gottes zusammen und macht sie zudem naturphilosophisch produktiv. Diese Synthese ist damit der Abschluss seiner religionsphilosophischen Konstruktion des antiken Monotheismus mit ihrem propdeutischen Charakter. Cudworth kombiniert dabei in seiner Explikation des Prinzipienbegriffs Performanz und Intertextualitt zu anagogischer Wirksamkeit. Erreicht werden sollen zugleich die inhaltliche Bestimmung der trinitarischen Dynamik und eine durch die Lektre vermittelte Erfahrung des trinitarischen Zusammenhangs, die sich als Ergebnis des aktiven, verstehenden Nachvollzugs der noetischen Textstruktur dieses Abschnitts interpretieren lsst.223 222 Vgl. Hutton, in Mulsow/Hfner/Neumann/Zedelmaier (1997), 220 und Lobsien (2003), 185. So behandelt Cudworth an den antiken Texten z. B. die Selbst-Existenz Gottes, seine Charakteristik als Monade, anhand des Hesiodeischen und des orphischen Eros die Liebe als prototrinitarischen Aspekt und das Verhltnis Gottes zur Welt. In ihrer Kombination und Hinordnung auf das folgende Kapitel werden die verschiedenen Reprsentanten des antiken Monotheismus wie bei Leibniz „unterschiedlichen Linien vergleichbar, die vom Zentrum, von der Alles einenden Wahrheit, zur Peripherie gezogen werden und den All-Mittelpunkt von ihrem Blickwinkel aus auf je individuelle Weise reprsentieren“ (so Neumann [2008], 248 zu Leibniz Traditionsverstndnis). Sachlich gesehen kçnnte man mit Beierwaltes (1985) in Bezug auf Cudworth auch von der Annahme einer im neuplatonischen Denken und seiner Tradition fundierten „Begrndung des traditionellen Polytheismus und dessen Versçhnung mit dem Begriff der Einheit“ in Form einer „Verbindung [..] ,monotheistischer und ,polytheistischer Intentionen“ (210 f.) sprechen, die den „Zusammenhang des Absolut-Gçttlichen mit dessen individuellen Konkretionen oder Erscheinungen“ (ebd.) erstrebt. Konsequenz dieses Strebens ist aber eben die Hervorbringung eines ganz spezifischen Antikebildes, einer ganz besonderen Antike. 223 Vgl. dazu Leinkauf (2002), 48 – 49 zu den „operationes mentales“ bei Ficino, die in ihrer zirkulren Struktur den menschlichen Geist „Gott mçglichst hnlich machen“. Gerade

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1. Einleitung: Text, System und Methode

An dieser Stelle des Textes ist eine Art Scheitelpunkt im System erreicht. Der Leser, der nun im Besitz eines umfassenden Prinzipienwissens ist, steigt jetzt vom Ursprung, vom Beginn der „scale of being“ dieselbe gleichsam wieder hinunter. Die sich im Text nun anschließenden Erçrterungen sind daher keine Prfigurationen oder Vorbereitungen mehr, sondern Explikationen dieses vollstndigen Prinzipienbegriffs, die dem Zweck dienen, seinen Wahrheitsanspruch und seine welterklrende Relevanz zu erhrten, z. B. indem die reflexiven Seelenstrukturen in der Analyse als Abbild der Trinitt ausgewiesen224 oder die Interaktion zwischen intelligiblen Formkrften und Stofflichem nach dem Ur- und Vorbild der ersten Entußerungsform Gottes verstndlich gemacht werden, so dass das fr Cudworth absolut evidente Phnomen der „vital union“ zum Symbol fr Gottes dynamisches, noetisch strukturiertes Wesen wird. Auf diese Weise formt Cudworth abschließend sogar die menschliche Gemeinschaft und seinen eigenen Text zum signum Dei. Analog zur Welt ist es auch im System der Prinzipien- bzw. Gottesbegriff, der an zentraler Stelle als „vinculum to hold [..] all together“225 fungiert. Im System als performativem Text werden somit zwei zentrale Aspekte aus den Zentralgleichnissen der Politeia Platons miteinander verbunden: Zum einen vollzieht der Leser in der Lektre exakt die Erkenntnisbewegung, die auch der (angehende) Dialektiker im Linien- und Hçhlengleichnis vollzieht:226 von der untersten Stufe der Wirklichkeit hinauf zur Erkenntnis des wirklichkeitskonstituierenden Prinzips und nach der Prinzipienerkenntnis mit dem entsprechenden Wissen und verndertem Blick wieder zurck; aus der Hçhle hinaus bis zum Blick in die Sonne und dann, nach der zweiten Umwendung, wieder zurck in die Hçhle. Erst der Dialektiker erkennt das erste Prinzip als Ursache eines Seins, das zusammengeflochten ist, das ein Gewebe, ein Geflecht ausbildet.227 Zum zweiten reflektiert das System eben diese Seinsstruktur, wie bereits gezeigt, auf der Ebene von Text und Lektre. Dem urbildlichen Geflecht, dem Geist Gottes,228 korrespondiert das System als Ganzheit, d. h. als platonisch-

224 225 226 227 228

im Trinittskapitel werden von Cudworth und den seinem Text folgenden Lesern die bei Ficino angefhrten „operationes mentales“ durchgefhrt, so dass die Lektre des Textes die von Ficino zum Ziel erklrte „deificatio“ des Lesers initiieren kann. Vgl. auch Taliaferro (2005). Vgl. Kany (2007), 520 zu einem sehr hnlichen Vorgehen bei Augustinus. System III, 509. Platon, R. 511b-c und 534b-c. Platon, R. 533c. Vgl. dazu u. a. Plotin VI 2, 21, 55 – 59: „[…] so ist der Geist diese Zusammenfgung und gleichsam Verflochtenheit aller Dinge, die in dem Einen sind; und indem er die seienden Dinge in sich enthlt, ist er das allvollendete Lebewesen, das ,Lebewesen im Seinssinne; indem er aber dem aus ihm Stammenden seinen Anblick gewhrt, wird er zum geistigen Gegenstand und gibt ihm die Mçglichkeit, ihn sachgemß zu benennen.“

1.4 Das naturphilosophische System

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neuplatonisch konzipierter Intertext, dessen Interferenzstrukturen der Leser in der Lektre zu erfassen lernt.229 Man kçnnte also sagen, dass Cudworth im System „die metaphysische Struktur in eine literarische Strategie transformiert“230. Diese literarische Strategie initiiert dann ihrerseits einen Bewusstseinswandel bei den Lesenden. Der erste Schritt dazu ist deren Einsicht, dass der Text Abbild einer noetischen Struktur, einer organischen Ganzheit ist und so auf seiner Ebene ein systematisch-organisches Gewebe ab- und ausbildet. Da Cudworth zwar die Explikation seines Systems ankndigt, aber in diesem – dem einzigen gedruckten Teil – des System nicht ausdrcklich durchfhrt,231 muss jeder Leser sie nun in dem allein vorliegenden Text und in dessen Lektre selbst erbringen, d. h. das System muss aus dem Gewebe der Interferenzen der transformierten und sich gegenseitig transformierenden Referenztexte gewonnen werden. Indem Cudworth seinen Text als Buch mit der Natur als Buch Gottes analogisiert, liefert er diesbezglich einen wesentlichen Hinweis, wie diese Lektre auszufhren sei: Analog zur Anagoge, die sich in der Bewegung von der Betrachtung einzelner Naturphnomene hin zum Erfassen von Gottes noetischer Struktur vollzieht,232 bewegt sich der Leser in der Lektre vom Verstndnis der einzelnen Referenztexte ber das Erfassen der verschiedenen Montageblçcke hin zur Erkenntnis des System als Ganzes. Er erfasst es dann als eine Harmonie, die in sich die einzelnen Elemente im sinnstiftenden Zusammenspiel und Verweisungszusammenhang aufhebt und performatorisch wirksam werden lsst. Der Leser wird auf diese Weise wie bei der Betrachtung des „mundane system“233 so auch bei der zusammenschauenden Lektre des System nicht nur „delighted“, sondern sogar „enthusiastically transported“: Er wird emporgehoben zur Erkenntnis der sulpkoj¶ der Ideen und des Seienden im Geist Gottes, des Einheit und Zusammenhang stiftenden Urbildes, des „archetypal and exemplary cause [of the mundane system conspiring into one

229

230 231

232 233

Dieser Geist ist „Eines-Vieles“ (ebd. 22, 10), dem auf der Ebene der Textproduktion und -rezeption strukturell die immeatio mentis entspricht; vgl. oben S. 32, Anm. 122. Diese „Sichtweise“ korrespondiert auffllig mit der „experience of Gods allness“, die Rupp, in Dçring/Rupp (2005), 128 als Ergebnis der „heavenly meditation“ und als Anfang der „conversation in heaven“ markiert. So Olejniczak Lobsien (2010), 54, deren Beobachtung auf Cudworths System zu bertragen ist, ber die poetische Strategie Spensers. System I, 276 f.: „The answers to which atheistic arguments ought, according to the laws of method, to be reserved for the last part of the whole treatise, where we are positively to determine the right intellectual system of the universe; […]“ Vgl. EIM 597 f. EIM 598.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

perfect harmony], containing the plot [Hervorh. L. B.] of the whole mundane music, as one entire thing made up of so many several parts within himself“.234 Geleistet werden kann diese Lektre, die in eine anagogische Erfahrung der noetischen Struktur des Seienden mnden kann (und soll), also erst, wenn Cudworths Gottes- und Prinzipienbegriff als ein bzw. das wesentliche Strukturprinzip des Textes erkannt wird, das aus dem System als Intertext eine sulpkoj¶ werden lsst, die der sulpkoj¶ der Welt korrespondiert.235 Voraussetzung dafr ist, dass sich die Leser ihrer eigenen „inward active powers of the mind“236 bedienen, um die notwendigen, dem Textgewebe entsprechenden synthetisierenden Erkenntnisleistungen zu erbringen. Nichts anderes hatte bereits Agrippa von Nettesheim von den Lesern seiner Occulta Philosophia gefordert:237 Vos igitur, doctrinae et sapientiae filii, perquirite in hoc libro colligendo nostram dispersam intentionem quam in diversis locis proposuimus et quod occultatum est a nobis in uno loco, manifestum fecimus in alio, ut sapientibus vobis patefiat. […] Nemo ergo irascatur mihi, si veritatem huius scientiae aenigmatibus intricatam et variis locis dispersam abscondimus, […]

Auf die Anforderungen bertragen, die das System an seine Leser stellt, bedeutet dies u. a., dass bei der Lektre zentrale Leitbegriffe in ihrer systemkonstituierenden und zusammenhangstiftenden Funktion erkannt werden sollten, derartige Begriffe in systematische Verbindung zum Gottes- und Prinzipienbegriff zu setzen sind und die Rezipientinnen und Rezipienten in der Lage sein sollten, derart zwischen den einzelnen Montageblçcken Zusammenhnge herzustellen. Dabei sind immer auch vorausgesetzte Hintergrundannahmen mitzudenken, die diese Zusammenhnge ebenfalls fundieren. Anzunehmender Zielpunkt einer derartigen Lektre des System ist demnach eine zusammenfassende „Gesamtperspektive“238, die dem Text als ganzheitlichem Intertext gerecht wird und so im Bewusstsein des Lesers ein Abbild und eine Erfahrung der „Verflochtenheit aller Dinge“ und des „Lebewesens im Seinssinne“ hervorruft, das der gçttliche Nous ist.239 Erst in einer derartigen 234 EIM 598; vgl. auch Flores (2008), 167 f. zu dieser Passage, deren berlegungen sich jedoch nicht auf die Lektre des System und die Charakterisierung der performativen Qualitt des Textes richten, obwohl dies durch die Verwendung des Begriffs „plot“ zur Bezeichnung der Weltharmonie durch Cudworth selbst durchaus nahegelegt wird. 235 Eine eindrckliche Charakterisierung dieses Weltzusammenhangs und der Position des Einzelnen darin, das sich in einer perspektivierenden Zuwendung unter Bewusstsein seiner universalen Vernetzung und Verwebung immer nur approximativ erfassen lsst, bietet Rappe, in Wagner (2002), 74 f. Diese Art der Weltbetrachtung ist auf die Lektre des System zu bertragen, wenn es darum geht, das Verhltnis von Intertext und einzelnen eingespielten Texten zu beschreiben. 236 EIM 566; vgl. Flores (2008), 167. 237 Agrippa von Nettesheim, De occulta philosophia, 599 f., ed. Perrone Compagni. 238 Neumann (2008), 248. 239 Plotin, Enn. VI 2, 21, 57 – 58: „B p²mtym […] sulpkoj¶ […] ja· d 5sti f_om.“

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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Lektre wird der Text zur „unity of the whole harmony, into which all the several parts conspire“, dem „whole“ und „body“, von dem Cudworth bereits in seinem Vorwort zu seinen Lesern spricht. Die Transformation der antiken Referenztexte im Intertext des System mndet im aktiven Nachvollzug, gleichsam in einer Art des metaphysischen Reenactment der Struktur des Intertextes in die Transformation des Bewusstseins und der seelischen Disposition der Lesenden.240 Die Lektre selbst mndet in eine metaphysisch-theologisch motivierte Vision der Einheit und Schçnheit der Welt und Gottes.241

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway – antagonistische Formationsbedingungen und Parameter fr Cudworths True Intellectual System Cudworth konzipiert und verfasst diesen Text in einem dynamischen wissenschaftlichen Feld, einem Denkraum bzw. einer Konstellation, deren verschiedene Aspekte als Transformationsfaktoren die Gestalt(ung) des System und damit die Verwendung antiker Texte in ihm beeinflussen. Versteht man nmlich die Konstellation als einen Ort „agonaler Kommunikation“,242 wird sie zum Ort einer Problemanordnung und eines Motivationskontextes, aus dem heraus sich das System als Lçsungsversuch verstehen lsst. Aus dem „Krftefeld“243 von naturphilosophischen und theologischen Konzeptionen und Begriffsformen im England des 17. Jahrhunderts erwachsen so produktive, antagonistische Strukturen, auf die die Cambridge Platonists und mit ihnen Cudworth reagieren. Allerdings richtet die vorliegende Arbeit ihren Schwerpunkt auf die Analyse von Transformationsprozessen und -typen im Text des System selbst, die sich auf die Antike als auf ihren Referenzbereich beziehen, und bietet daher 240 Vgl. Olejniczak Lobsien (2010), 72: „Reading, we are made to perform a Neoplatonic figure of thought, at least an intellectual movement from an imagination of the visual towards the cognitive, from the sensual towards the spiritual, and conversely.“ Lobsien interpretiert hier allerdings Andrew Marvells Gedicht „On a Drop of Dew“. Ihre Interpretationen zu den Figuren von Transparenz und Dissimulation in der frhneuzeitlichen Literatur çffnen jedoch einen produktiven hermeneutischen Horizont, vor dem sich auch Cudworths Vorgehen besser verstehen lsst. 241 Gysi (1962), 58, Anm. 2. ber die Schçnheit dieser Vision erschließt sich dann eine weitergehende anagogische und verndernde Wirksamkeit des Textes, vgl. Olejniczak Lobsien (2010), 10. In diesem Sinne kçnnte man das System mit Olejniczak Lobsien (2010), 14 als kalon ergon bezeichnen, „which makes possible transformative, educational and modelling (anagogic) functions, or, in other words, is capable of bringing about change; […]“, vgl. auch ebd. 29. 242 Fssel, in Mulsow/Stamm (2005), 190. 243 Fssel, in Mulsow/Stamm (2005), 191.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

keine eigen- und vollstndige Konstellationsanalyse.244 Im folgenden soll jedoch zumindest der Versuch unternommen werden, anhand von vier Philosophen exemplarisch einige antagonistische Impulse zu beschreiben,245 die als Formationsbedingungen ebenfalls produktiv die Entstehung des System beeinflusst haben (kçnnten). Diese vier Philosophen – Ren Descartes, Thomas Hobbes, Walter Charleton und Anne Conway – sollen ausgehend von einer zentralen Beobachtung Blumenbergs in den Blick genommen werden: Blumenberg zufolge unternehmen es die Naturphilosophien der Frhen Neuzeit, der (anfnglichen) Unordnung in der Natur eine Gesetzlichkeit zuzuschreiben, die auf der Fhigkeit der Natur zur Selbstregulation beruht und ohne das Eingreifen, zumindest ohne das kontinuierliche und mehr als bloß erhaltende Eingreifen, eines transzendenten Faktors auskommt.246 Sie beginnen also damit, die Welt als Schçpfung vom Schçpfer zu entkoppeln. In dieser Tendenz ist der Grundzug des Impulses zu sehen, auf den die Cambridge Platonists reagieren.247 Im Zuge dieser Reaktion eignen sie sich die mechanistischen Anstze zur Natur- und Welterklrung im Rahmen ihrer spezifisch neuplatonisch konturierten christlichen Weltsicht an und versuchen, wie Cudworth im System, nachzuweisen und aufzuzeigen, „that the mechanical philosophy provided an assurance not offered by Renaissance naturalism that God was needed not only to create but to conserve and energize the universe from moment to moment through his ordinary Providence. In addition, they insisted that only the mechanical philosophy protected us from mistakenly deifying and idolizing the creation rather than the creator“.248 Ebenso sieht Cudworth im Atomismus die Mçglichkeit, sich die wahrnehmbare Welt wissenschaftlich verstndlich zu machen unter Verwendung eines Materiebegriffs, der zwar, wie gezeigt, in wesentlicher Weise und aus systematischen Grnden die Annahme intelligibler Formkrfte und Gottes als 244 So bleiben z. B. auch theologische Problemlagen als Transformationsfaktoren weitestgehend unbeachtet. 245 Entsprechend dieser Schwerpunktsetzung und der daraus resultierenden Konzentration auf das System als solches findet die Einbeziehung kontextueller Transformationsfaktoren und Bezge hufig in den Anmerkungen und unter Heranziehung der jeweils relevanten Sekundrliteratur statt. 246 Blumenberg (1996), 184 f. und 240 f. 247 Siehe Taliaferro (2005), 39: „The Cambridge Platonists faced the prospects of a mechanical science that construed the cosmos as a giant machine. The cosmos had a divine maker and sustainer, but a maker whose principle tools are matter, motion, mathematics, and geometry. The Cambridge Platonists worried about two undesirable alternatives. One is that Gods sovereign, creative will overwhelms nature, ruling out free will. The other is that God retreats from nature and we have a universe that is essentially a self-perpetuating, impersonal machine.“ Vgl. auch Dockrill, in Rogers/Vienne/Zarka (1997), 59. 248 Olson, in Burwick (1987), 42.

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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ihrer Ursache fordert, aber zugleich eine Naturerklrung auf mathematischphysikalische Weise erlaubt.249 Im Unterschied zu Descartes, Hobbes und Charleton sieht Cudworth deshalb die Welt in ihrem Ablauf gerade nicht entkoppelt vom Wesen und Wirken Gottes, sondern als abbildliche Manifestation der in der menschlichen mens erfahrbaren noetischen Struktur Gottes.250

1.5.1 Descartes: Mechanist und Atheist Die atheistischen Zge eines in seinen Augen falsch konzipierten mechanistischen Weltbildes findet Cudworth bereits bei Ren Descartes,251 wobei anzunehmen ist, dass Cudworth Descartes unter dem Eindruck von Hobbes Philosophie perspektiviert. Im Folgenden soll es daher nicht darum gehen, eine umfassende oder adquate Darstellung der zentralen naturphilosophischen Lehren Descartes zu geben, sondern anhand exemplarisch ausgewhlter Textpassagen einige Zge seiner Naturphilosophie herauszuarbeiten, die Cudworths Kritik motiviert haben kçnnten, auf die er mit dem System antwortet und denen er sein System entgegenstellt. In einem Gedankenexperiment imaginiert Descartes eine „neue Welt“, an der er paradigmatisch die Grundstze seiner Naturphilosophie und Metaphysik erçrtert. Nachdem Descartes Gott die Materie hat hervorbringen lassen, wendet er sich der Charakterisierung derselben zu und bestimmt dabei das weitere Verhalten Gottes zur Materie und zur Welt.252 249 Vgl. dazu auch Gysi (1962), 8. 250 Vgl. Gysi (1962), 96: „The mechanical causes (suma¸tia), when disconnected from the transcendent aQt¸a, the divine moOr, are meaningless, because their significance is found exclusively in their acting towards the realisation of one reasonable system of coherent meaning and purpose, which ultimately is the divine moOr itself.“ 251 Vgl. dazu grundstzlich Lowrey (1884), 41 – 44. Siehe auch Sailor (1962), der Cudworths kritische Auseinandersetzung mit Descartes an den Punkten der (bei Descartes fehlenden) Verschrnkung der res cogitans mit der res extensa, der Ablehnung von causae finales durch Descartes und des voluntaristischen Gottesbildes Descartes thematisiert. 252 Descartes, Die Welt, 40 – 43, ed./bs. Tripp (1989): „Da wir uns nun einmal die Freiheit nehmen, diese Materie nach unserer Phantasie zu erfinden, lassen wir ihr, wenn es Ihnen gefllt, eine Natur zukommen, in der es berhaupt nichts gibt, das nicht ein jeder so vollstndig wie mçglich erkennen kçnnte. Und zu diesem Zweck nehmen wir ausdrcklich an, sie habe weder [..] Form […] und auch keine […] Qualitten […] oder anderes Vergleichbares […] Und denken wir aber andererseits nicht, sie sei die erste Materie der Philosophen, die man so gut all ihrer Formen und Qualitten beraubt hat, dass schließlich nichts an ihr brig geblieben ist, das klar verstanden werden kçnnte. Sondern begreifen wir sie als wirklichen Kçrper, vollkommen fest, der gleichmßig alle Lngen, Breiten und Tiefen dieses großen Raumes ausfllt, in dessen Mitte wir unser Denken verweilen lassen; […] Fgen wir dem hinzu, dass diese Materie in alle Teile und Gestalten geteilt werden kann, die wir uns vorstellen kçnnen und dass jeder ihrer Teile

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Die zweite „Phase“ der Schçpfung nach der Hervorbringung der Materie ist gleichsam der Beginn des Chaos: Die Materie, ursprnglich ein vollstndig kompakter, fester und homogener Kçrper, der den gesamten zur Verfgung stehenden Raum ausfllt,253 wird von Gott in Teilchen unterteilt, die von verschiedener Grçße und von aller erdenklichen Gestalt sind. Trotzdem bilden sie ein vollkommenes Massekontinuum aus, in dem es kein Vakuum gibt, denn die Partikel sind unendlich teilbar und, zumindest diejenigen von ihnen, die das Element „Feuer“ konstituieren, elastisch und formbar. Sie sind also keine epikureischen Atome. Diese Weltmasse besitzt allerdings in sich Bewegung, denn Gott teilt den einzelnen Partikeln je spezifische Bewegungsimpluse mit, die nach den von Gott ebenfalls eingesetzten Naturgesetzen entweder fortgesetzt oder auf andere Partikel bertragen werden. Zu Beginn dieser Phase stellt sich die der Schçpfungsmasse intrinsische Bewegung und diese Masse selbst in Bewegung dar als „das verwirrteste und unklarste Chaos“.254 Mit der Erklrung, wie aus diesem Chaos „die Form einer hçchst vollkommenen Welt“255 werden konnte, wird Descartes imaginierter Schçpfungsentwurf zum provokanten Impuls: Es sind nmlich allein die Materieteilchen fr sich, die sich selbst in diese vollkommene Ordnungsstruktur bringen. Es ist allein die Materie, die „die Unordnung des [ursprnglichen] Chaos entwirren kann“.256 Die dazu notwendigen Vernderungen kçnnen dabei folglich nicht „im eigentlichen Sinne [..] der Ttigkeit Gottes zugeschrieben werden.“257

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fhig ist, in sich alle Bewegungen aufzunehmen, die wir obendrein ersinnen kçnnen. Und nehmen wir weiter an, dass Gott sie wirklich in mehrere solcher Teile trennt, die einen grçßer, die anderen kleiner; die einen von dieser, die anderen von einer anderen Gestalt, […] nehmen wir an, dass der ganze Unterschied, den er hineinlegt, in der Verschiedenheit der Bewegungen besteht, die er ihnen gibt, und dass er so vom ersten Augenblick ihrer Schçpfung an bewirkt, dass die einen beginnen, sich in die eine, die anderen in eine andere Richtung zu bewegen; die einen schneller, die anderen langsamer […] und dass sie danach ihre Bewegung nach den gewçhnlichen Naturgesetzen fortsetzen. Denn Gott hat diese Gesetze so wunderbar eingerichtet und obgleich wir annehmen, dass er nicht mehr schafft, als ich gesagt habe und sogar weder Ordnung noch Maß hineinbringt, sondern das verwirrteste und unklarste Chaos bildet, das Dichter beschreiben kçnnen, reichen sie aus, um zu bewirken, dass die Teile dieses Chaos sich von selbst entwirren und in so eine gute Ordnung bringen, dass sie die Form einer hçchst vollkommenen Welt besitzen werden.“ Descartes, Die Welt, 40 – 43, ed./bs. Tripp (1989): „un vray corps, parfaitement solide“ (40). Descartes, Die Welt, 43, ed./bs. Tripp (1989): „[…] un Cahos, le plus confus & le plus embroill que les Po tes puissant decrire.“ Vgl. auch ebd. 60/61. Descartes, Die Welt, 42/43: „la forme dun Monde tres-parfait“. Ebd. 44/45. Ebd. 44/45; vgl. dazu Blumenberg (1996), 240 f.: „Die cartesische Kosmogonie hat eine radikal andere Funktion als die platonische des Dialogs „Timaios“. War es dort um die mythische Versicherung der dem Idealen nahekommenden Qualitt des Kosmos ge-

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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So steht Gott in dieser entscheidenden Phase der Welt gegenber, statt ihr wirkend anwesend zu sein. Die ihm bei Descartes wesentlich zukommende Unvernderlichkeit schrnkt sein Verhltnis zur Welt darauf ein, in der Materie die Disposition der Partikel zum ordnungsvollen Ablauf der Ausbildung zum Kosmos zu schaffen, der so vorbereiteten Materie die entsprechenden Bewegungsimpulse mitzuteilen und die Regeln, d. h. die Naturgesetze festzulegen, nach denen Bewegung sich vollzieht oder bertragen wird.258 Nachdem das geschehen ist, besteht Gottes Verhltnis zur Welt allein darin, das Quantum der in ihr enthaltenen Bewegung konstant zu erhalten.259 Diese Marginalisierung Gottes fhrt in den Augen der Cambridge Platonists zu erheblichen Reduktionismen und damit verbunden zum Atheismus in der Naturerklrung, denn Gott wird aus dem Ablauf der Naturprozesse verdrngt. In der Welt und zur Erklrung ihrer Phnomene wird letztlich nur eine Substanz postuliert:260 der durch Lnge, Breite und Tiefe, also durch rumliche Ausdehnung bestimmte Kçrper, dem sonst keine weiteren Eigenschaften zukommen.261 Er ist lediglich „ausgedehnte Substanz“.262 In Die Welt wird diese Vorstellung dadurch ergnzt, dass die einzelnen Kçrper entsprechend der Natur der Schçpfungsmaterie fest sind. Die einzige Befhigung dieses Kçrpers ist die, „in sich alle Bewegungen aufzunehmen [Hervorh. L. B.]“,263 womit nichts ber die Hervorbringung bzw. innerweltliche bertragung und Weitergabe von Bewegung gesagt ist. Zudem gibt es in Descartes Welt nur Ortsbewegung, also die Bewegung, „wodurch ein Kçrper aus einem Ort an einen anderen bergeht.“264 Diese in der

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gangen, um die Sanktion des Bestehenden und seiner Einsichtigkeit als Abbild der reinen Sphre dessen, was sein soll, so ging es hier, in der Skizze des Descartes, um die Reduktion des Bestehenden auf die bloße Materialitt seiner Voraussetzungen, um die Nichteindeutigkeit des Nexus zwischen Ausgangspunkt und Resultat, zwischen dem Chaos und dem Kosmos.“ Vgl. Osler (1979), 450. Vgl. z. B. Die Welt, 52/53 und Prinzipien der Philosophie, 48 f., ed./bs. Buchenau (1908). Vgl. auch Prinzipien der Philosophie, 63: „Denn ich gestehe offen, dass ich keine andere Materie der kçrperlichen Dinge anerkenne, als in jeder Weise (omnimode) teilbare, gestaltbare und bewegliche, welche die Geometer als Grçße bezeichnen und zum Gegenstande ihrer Beweise nehmen, und dass ich in ihr nur diese Teilungen, Gestalten und Bewegungen beachte und nichts an ihnen als wirklich anerkenne, was nicht aus jenen Gemeinbegriffen, an deren Wahrheit man nicht zweifeln kann, so klar abgeleitet wird, dass es als mathematisch bewiesen gelten kann. Da nun auf diese Weise alle [Hervorh. L. B.] Naturerscheinungen erklrt werden kçnnen, wie das Folgende ergeben wird, so halte ich andere Prinzipien der Naturwissenschaft weder fr zulssig noch fr wnschenswert.“ Aus diesem Text lsst sich zudem ableiten, dass Descartes auch die Annahme von Finalursachen zur Erklrung innerweltlicher Prozesse ablehnt. Descartes, Prinzipien der Philosophie, 32. Descartes, Prinzipien der Philosophie, 33. Descartes, Die Welt, 40 – 43. Descartes, Prinzipien der Philosophie, 41 f.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Welt allein relevante Bewegung versteht Descartes als „[…] die berfhrung eines Teiles der Materie oder eines Kçrpers aus der Nachbarschaft der Kçrper, die ihn unmittelbar berhren und die als ruhend angesehen werden, in die Nachbarschaft anderer. […] Ich sage ,berfhrung und nicht: die Kraft oder Ttigkeit, welche berfhrt, um zu zeigen, dass die Bewegung immer in der bewegten, nicht in der bewegenden Sache ist, welche beide man nicht sorgfltig genug unterscheidet, und dass sie bloß ein Zustand ist und keine fr sich bestehende Sache, und die Ruhe nur ein Zustand der ruhenden Sache ist.“265 „Bewegung […] geht [also] aus einem [Kçrper] zu den anderen ber“266 und zwar genau dann, wenn sich zwei oder mehrere Kçrper „begegnen“ und „der eine den anderen fortstçßt“.267 Diese Weitergabe von Bewegung versteht Descartes auch als Einwirkung von Kraft des einen auf einen anderen Kçrper.268 Die „Regeln“, die sowohl die Formen als auch die Art und Weise bestimmen, nach der sich die einzelnen Kçrper bewegen und nach der Bewegung bertragen, von den entsprechenden Kçrpern aufgenommen und dann fortgesetzt wird, nennt Descartes „Naturgesetze“.269 Sie beschreiben letztendlich nur Zweierlei: Erstens, wie sich Kçrper fr sich genommen, entweder ruhend oder einmal in Bewegung versetzt, verhalten, und zweitens das Verhalten der Kçrper bei der bertragung von Bewegung in der Reaktion auf Stçße als Resultat ihrer „Begegnung“ mit anderen Kçrpern. Vçllig offen bleibt zumindest aus der Perspektive eines Neuplatonikers wie Cudworth, wie genau die eigentliche bertragung von Bewegung von einem Kçrper zum oder auf einen anderen zu erklren ist, wenn Kçrper allein die Fhigkeit besitzen, Bewegung aufzunehmen. Auch der Begriff der „Kraft“, die ein allein durch Ausdehnung und Fhigkeit zur Aufnahme von Bewegung bestimmter Kçrper besitzen soll, hilft hier nicht weiter, da dieser Begriff in diesem Fall als Ursache von Bewegung vçllig unterbestimmt bleibt und systematisch nicht mit dem Begriff des Kçrpers verbunden wird.270 Mit diesem Problem verknpft ist der Umstand, dass Descartes ebenfalls unbestimmt lsst, warum oder wie zu erklren ist, dass sich Kçrper an die Naturgesetze halten, bzw. wie Naturgesetze auf Kçrper wirken und welchen ontologischen Status sie dabei haben, wenn Descartes die Naturgesetze ausdrcklich als „zweite und besondere Ursachen [Hervorh. L. B.] der verschiedenen Bewegungen“271 klassifiziert. Denn im Unterschied zu Gott als allgemeiner Bewegungsursache bringen sie keine Bewegung hervor, sondern beschreiben nur den Verlauf von Bewegung. 265 266 267 268 269 270 271

Descartes, Prinzipien der Philosophie, 42. Descartes, Prinzipien der Philosophie, 53. Descartes, Prinzipien der Philosophie, 53. Descartes, Prinzipien der Philosophie, 52 f.; vgl. Die Welt, 16/17. Descartes, Prinzipien der Philosophie, 49; Die Welt, 44/45 – 56/57. Vgl. Prinzipien der Philosophie, 52 f.; dazu Cottingham, in Rogers/Vienne/Zarka (1997). Descartes, Prinzipien der Philosophie, 49.

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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Damit ergibt sich als weiteres zentrales Problem, dass Descartes in Cudworths Lesart zudem keine zufriedenstellende Erklrung fr komplexe Prozesse und das Entstehen zweckvoller Strukturen anfhrt. Die Entwicklung auch der komplexesten Strukturen, z. B. lebendiger Organismen, wird nmlich ausschließlich der Selbstorganisation einer Materie zugeschrieben, deren Teile sich letztlich aufgrund von Druck und Stoß in einem urschlich geschlossenen System gegenseitig bewegen, das keine anderen Wirkformen zulsst.272 Die zentralen Zge, die sich in der Naturphilosophie des Systems Cudworths erkennen lassen, kçnnen auch als Antworten auf Descartes Schçpfungsund Weltimagination und ihre – z. T. bereits von Henry More kritisierten – Lcken gelesen werden.273 Im Unterschied zu Descartes çffnet Cudworth gleichsam die Geschlossenheit des innerweltlichen Kausalzusammenhangs und macht so die Einbettung intelligibler, unstofflicher Wirkkrfte als Bewegungsursachen in seinen Systementwurf mçglich. Dafr schreibt er, wie gezeigt, zunchst der Materie eine Aufnahmefhigkeit zu, die sich jedoch nicht auf die Anoder bernahme einer durch Stoß oder Impuls vermittelten Ortsbewegung beschrnkt, sondern ebenso die Aufnahme von Wirkungen intelligibler Formkrfte einschließt. Es sind ausdrcklich diese Krfte, die die bertragung von Bewegung zwischen zwei Kçrpern garantieren und leisten und die die Quantitt an Bewegung in der Welt erhalten.274 Zugleich realisieren diese Krfte die noetischen Strukturen des Geistes Gottes in der Welt und sollen so, entweder als rein ausfhrende plastic natures oder als ihr Selbst und ihr Tun reflektierende Seelen, eine Erklrung fr zweckvolle, komplexe Ordnungen und ordnungsvolle Prozesse in der Welt geben, die damit gerade nicht allein aus der sich selbst strukturierenden Materie entstehen. Diese, ihre noetischen Binnensignaturen umsetzenden Krfte nennt Cudworth ebenfalls Naturgesetze. So vermeidet er im Unterschied zu Descartes sowohl eine, zumindest aus neuplatonischer Perspektive als solche zu verstehende, metaphysische berlastung des Kçrperbegriffs (denn es wird bei Descartes nicht klar, wie seine Kçrper eine Bewegungsbertragung verursachen kçnnen) als auch eine des Naturgesetzbegriffs, 272 Vgl. McLaughlin (1993), 157 – 159. 273 Zu Henry Mores substantieller Kritik an Descartes Bewegungslehre hinsichtlich der Natur der Bewegung als „berfhrung“ und der Urschlichkeit von Bewegung siehe Cottingham, in Rogers/Vienne/Zarka (1997). 274 System I, 226: „[…] and that their laws of nature concerning motion are really nothing else but a plastic nature, acting upon the matter of the whole corporeal universe, both maintaining the same quantity of motion always in it, and also dispensing it (by transferring it out of one body into another) according to such laws, fatally impressed upon it. Now if there be a plastic nature, that governs the motion of matter every where, according to laws, there can be no reason given, why the same might not also extend farther to the regular disposal of that matter, in the formation of plants, and animals, and other things, in order to that apt coherent frame and harmony of the whole universe.“

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1. Einleitung: Text, System und Methode

denn bei Cudworth sind Naturgesetze Bewegungs- und Ordnungs- bzw. Strukturprinzipien. Bei Descartes dienen sie hingegen lediglich als Grundlage fr die Mathematisierbarkeit von innerweltlichen Bewegungsablufen.275 Whrend Descartes dabei in seinem Weltmodell mit einer Art der Bewegung auskommt, der reinen Ortsbewegung, die Cudworth als „heterokinesy“ qualifiziert, fhrt Cudworth im System mit den plastic natures und den hçheren Seelen zustzlich zwei Formen der Selbstbewegung ein, die aus sich heraus oder fr sich genommen Bewegung initiieren kçnnen. In Abgrenzung von Descartes, der Bewegung gerade nicht als „Kraft oder Ttigkeit“, sondern als „berfhrung“ und „Zustand“ bestimmt,276 ist sie fr Cudworth ein Wirken und eine auf etwas anderes gerichtete Kraft, eine 1m´qceia 1j t/r oqs¸ar nach Plotins Schema. Indem Cudworth derartig Urschlichkeit als Urschlichkeit von Krften in einem hierarchischen Kraft- und Ursachenkontinuum begreift, an dessen Ursprung Gott als binnenstrukturierte Kraftquelle steht, hebt er auch die Entkoppelung von Gott und Schçpfung auf. In keiner Phase seiner Entwicklung ist Cudworths „universe“ ohne Gottes zwar vermittelte, immer aber erhaltende und strukturierende Prsenz denkbar.277 Diese am zentralen Aspekt der Bewegung aufgewiesenen Punkte der Naturphilosophie des System, die wesentliche Eckpfeiler des rationalen Theismus der Welterklrung Cudworths markieren, sind allerdings nicht ausschließlich als Reaktion auf Descartes zu verstehen. Vielmehr kçnnen sie in ihrer systematischen Gesamtkonzeption als Antworten auch auf die atheistischen Tendenzen des Hobbesschen Mechanismus und des Atomismus Charletons verstanden werden. Dabei scheint es durchaus denkbar, dass gerade die Radikalisierung, die Hobbes gegenber Descartes Naturphilosophie vornimmt, Cudworths Blick fr das atheistische Potential im Cartesischen System geschrft und eine derart umfassende systematische Antwort motiviert haben kçnnte, die darber hinaus ebenso als Alternative zum Atomismus Charletons wie auch zum Hylozoismus Conways taugt. 1.5.2 Hobbes: Radikalisierter Mechanismus Thomas Hobbes (1588 – 1679) bernimmt Descartes naturphilosophische Anstze und verschrft sie. Seine philosophischen berzeugungen vom Aufbau der Natur und vom Wesen des Menschen sind es, gegen die Cudworth im System vorrangig anschreibt – aus verschiedenen Grnden:278 wegen Hobbes reduk275 276 277 278

Vgl. Cottingham, in Rogers/Vienne/Zarka (1997), 163. Descartes, Prinzipien der Philosophie, 42. Vgl. Olson, in Burwick (1987), 10 f. Vgl. zu Cudworths Stellung gegenber Hobbes z. B. Lowrey (1884), 46; System I, introduction, VIII und Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 463 und 469.

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tionistischen Mechanismus bzw. Materialismus, des sich daraus ergebenden Determinismus und der ebenfalls mit Hobbes radikalem Reduktionismus verbundenen atheistischen Zge, die Gott in der Natur- und Welterklrung noch nachhaltiger marginalisieren, als es bei Descartes der Fall war. Hobbes Naturphilosophie sucht die „schlichte Wahrheit“ ber „Ordnung [..] Ursachen und Wirkungen“ der „Dinge der Schçpfung“.279 In diesem Zusammenhang bestimmt Hobbes Philosophie als „rationelle Erkenntnis der Wirkungen oder Erscheinungen aus ihren bekannten Ursachen oder erzeugenden Grnden und umgekehrt der mçglichen erzeugenden Grnde aus den bekannten Wirkungen“ und damit als „Berechnung“.280 Das Verhltnis zwischen Ursache und Wirkung ist fr Hobbes also vollstndig berechenbar (nach geometrischen Regeln). Der grçßte Wert der Philosophie liegt dementsprechend in der grçßtmçglichen Fçrderung des menschlichen Lebens durch Technik: „Die grçßte Fçrderung verdankt das menschliche Geschlecht der Technik, d. h. der Kunst, Kçrper und ihre Bewegungen zu messen, schwere Lasten zu bewegen, zu bauen, Schiffahrt zu treiben, Werkzeuge zu jeglichem Gebrauch herzustellen, die Bewegungen am Himmel, die Bahnen der Gestirne, den Kalender und so weiter zu berechnen [Hervorh. L. B.].“281 Entsprechend konsequent grenzt Hobbes den Gegenstand, auf den sich die Naturphilosophie richtet, ein auf den Kçrper.282 Wo es keine „wissenschaftliche Berechnung“283 von rein kçrperlichen Zusammenhngen gibt, gibt es auch keine 279 Hobbes, Vom Kçrper, ed./bs. Frischeisen/Kçhler (19672), 3; De corpore, ed. Schuhmann (1999), 7, 4 – 7: Philosophie ist „ratio humana naturalis […] ea, quae vera sunt, renuntians“. 280 Hobbes, Vom Kçrper, 6; De corpore, 12, 14 – 15 und 25: Philosophie ist ratiocinatio und computatio. Vgl. De corpore, 13, 34 – 36. 281 Hobbes, Vom Kçrper, 9 f.; De corpore, 15, 9 – 15. 282 Hobbes, Vom Kçrper, 11 f.; De corpore, 16, 30 – 17, 6: „Der Gegenstand oder die Materie der Philosophie, die sie behandelt, ist jeglicher Kçrper, dessen Erzeugung wir begrifflich erfassen und den wir mit Rcksicht hierauf mit anderen Kçrpern vergleichen kçnnen; oder auch, bei dem Zusammensetzung und Auflçsung statt hat; d. h. jeder Kçrper, von dessen Erzeugung und Eigenschaften wir Kenntnis haben. Abgeleitet aber wird dieser Satz aus der Begriffsbestimmung der Philosophie selbst, deren Aufgabe es ist, entweder die Eigenschaften der Kçrper aus ihrer Entstehung oder ihre Entstehung aus den Eigenschaften zu erforschen; wo es also kein Entstehen oder keine Eigenschaften gibt, hat Philosophie nichts zu tun. Daher schließt die Philosophie von sich aus die Theologie aus, ich meine die Lehre von der Natur und den Attributen Gottes, des Ewigen, Unerschaffenen, nicht zu Erfassenden, in welchem nichts zusammengesetzt, nichts geteilt und nichts von Entstehung erkannt werden kann. Sie schließt ferner die Lehre von den Engeln und allen jenen Dingen aus, die man weder fr Kçrper noch fr Affektionen von Kçrpern hlt; weil es auch bei ihnen keine Zusammensetzung oder Teilung, ebensowenig wie ein Mehr so ein Weniger, d. h. wissenschaftliche Berechnung gibt.“ 283 Hobbes, Vom Kçrper, 12; De corpore, 17, 6: „ratiocinatio“.

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Philosophie. Der Wahrheitsanspruch der Philosophie begrndet und erschçpft sich fr Hobbes demzufolge in der Berechenbarkeit des Wirkungszusammenhanges oder Wirkungsverhltnisses zwischen Kçrpern, in der Berechenbarkeit und Geometrisierbarkeit von Bewegungen zwischen Kçrpern, ihren rein kçrperlichen Wirkungen und Ursachen. Um diesen Anspruch zu begrnden, verbindet Hobbes zunchst den Begriff der Ursache mit dem des Subjekts. Im Anschluss daran wird der Begriff des wirkenden Subjekts auf den des Kçrpers reduziert: Wirkungen kçnnen nur bestimmt und erfasst werden, wenn sie auf Ursachen zurckgefhrt werden, die man ihrerseits von den ihnen zugrunde liegenden Subjekten bzw. den Subjekten und ihren Eigenschaften her erklren kçnnen muss. Derartige Subjekte kçnnen aber, wie gerade gezeigt, aufgrund der Hobbesschen Kriterien fr Erkenntnis und Erklrung nur Kçrper sein. Im Zuge eines derartigen Erklrungsprozesses mssen zustzlich auch die Subjekte und ihre Eigenschaften mitbercksichtigt werden, in denen die spezifischen Wirkungen hervorgebracht werden.284 Wie bei Descartes spielt Bewegung eine zentrale Rolle bei der Erklrung und Bestimmung von Wirkungen zwischen Subjekten, die Hobbes deshalb abschließend als Kçrper (und kçrperlich verursacht) bestimmen kann, weil fr ihn gemß der epikureischen Lehre, der er hierin folgt, nur Kçrper Bewegung bertragen kçnnen und in der geschaffenen Welt alle Wirkungen Bewegungen sind, deren Ursachen ihrerseits als Bewegungen bestimmt werden.285 Alle phnomenale Vielfalt beruht fr Hobbes also auf der Bewegung der kleinsten Kçrperteilchen, und auch er reduziert die Frage nach Wesen und Ursprung dieser Bewegungen auf die Bestimmung des Vollzugs und der Vollzugsformen von Bewegungen zwischen Kçrpern und Kçrperteilchen nach den Gesetzen der Geometrie.286 Das hat (erneut) zur Folge, dass die einzigen Subjekte, die Wirkungen und d. h. ausschließlich Bewegungen hervorbringen kçnnen, Kçrper sind, weil nur sie als Bewegungsursachen brig sind, die zusammen mit ihren Eigenschaften vollstndig beschrieben werden kçnnen. Nachdem Hobbes derart den Begriff des wirkenden Subjekts auf den des Kçrpers eingegrenzt hat, definiert er „Kçrper“ als das, was „von unserer Vorstellung ganz und gar unabhngig ist“ und das eben „wegen seiner Ausdehnung“ Kçrper genannt wird.287 Kçrper ist „wegen seiner Unabhngigkeit von unserem Denken ein Ding, das durch sich selbst besteht, und, weil es außerhalb von uns ist, das Existierende [alle Hervorh. L. B.]“.288 Orientiert an Descartes Unterscheidung zwischen res 284 Hobbes, Vom Kçrper, 56; De corpore, 57, 24 – 58, 1. 285 Hobbes, Vom Kçrper, 59; De corpore, 60, 16 – 29: „Denn die Mannigfaltigkeit aller Formen entsteht aus der Mannigfaltigkeit der Bewegungen, durch welche sie gebildet werden, und als Ursache der Bewegung kann nur Bewegung angenommen werden.“ 286 Hobbes, Vom Kçrper, 62; De corpore, 62, 11 – 25. 287 Hobbes, Vom Kçrper, 85; De corpore, 82, 19 – 83, 5. 288 Hobbes, Vom Kçrper, 85; De corpore, 82, 19 – 83, 5.

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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extensa und res cogitans erhebt Hobbes den Kçrper zum alleinigen Subjekt mit Wirkungsvermçgen in der Welt und autonomisiert ihn als subsistens per se und existens in einem fr Cudworth unerhçrten Maße (fr Cudworth ist allein Gott, das erste und hçchste Prinzip „self-existent“). Da Hobbes zudem die sog. Material-, Formal- und Finalursachen (causa materialis, formalis und finalis) als entweder unsinnig (Formalursache) oder als Wirkursache begreift,289 bleibt allein der Kçrper als einzige, nmlich als Wirkursache, und das heißt fr Hobbes im ursprnglich Aristotelischen Sinne als Bewegungsursache,290 in der Welt zur Erklrung aller Phnomene durch kçrperverursachte Bewegung brig. Entsprechend seiner Bestimmung des Kçrpers als Subjekt per se subsistens kann ein derartiger Kçrper fr Hobbes nach den Leitlinien der natrlichen Vernunft weder „erzeugt werden [noch] untergehen“291, immer bewahrt er sein Wesen: die Ausdehung bzw. Grçße; alles andere aber, also das, was den Kçrper in unserer sinnlichen Wahrnehmung bestimmt, kann werden und vergehen.292 Dem epikureischen Grundsatz folgend, dass „Nichts aus Nichts“ entstehen kçnne, bleiben die Kçrper als ausgedehnte existent, whrend sie in immer verschiedenen Kombinationen auf verschiedene Weise wahrgenommen werden. Werden und Vergehen finden also wie bei den Atomisten lediglich auf den Ebenen der sekundren Sinnesqualitten und Atom- oder Kçrperkombinationen, nicht aber auf der eigentlich atomaren oder elementaren Ebene der Einzelkçrper statt. Hinsichtlich ihres Prinzipienstatus unterscheidet Hobbes zwischen ttigen aktiven Kçrpern, die in oder an anderen Kçrpern hinsichtlich deren Akzidenzien Vernderungen bewirken, und erleidenden passiven Kçrpern, denen diese akzidenziellen Vernderungen widerfahren.293 Alles Wirken und jede Wirkung lsst sich fr Hobbes konsequent als Resultat von Bewegung und Akzidenzienkombination des aktiven Kçrpers im Wechselspiel mit denen des passiven Kçrpers bestimmen. Jede Vernderung besteht ausschließlich in Bewegung und Bewegung ist ausschließlich Ortsbewegung, d. h. eine Bewegung, die in unmittelbarem Kontakt von einem Kçrper an einen anderen irgendwie bertragen wird.294 Jede Wirkung wird somit durch bertragung von Bewegungsenergie erklrt, die dabei auch gemindert oder gehemmt werden kann. Vçllig offen 289 290 291 292

Hobbes, Vom Kçrper, 109 f.; De corpore, 103, 12 – 23. Siehe Aristoteles, Metaphysik 984a25 – 30. Hobbes, Vom Kçrper, 96; De corpore, 92, 9 – 19. Hobbes, Vom Kçrper, 86. Das scheint auch die Festigkeit der Kçrper zu betreffen. Whrend Descartes zumindest in Die Welt (vgl. aber dagegen Prinzipien der Philosophie, 35) der Materie im Moment der Schçpfung neben der Ausdehnung noch die Festigkeit zugesprochen hatte, ist fr Hobbes die materia prima „der Kçrper universal betrachtet“, also reine Quantitt, d. h. rumlich ausgedehnte Grçße. 293 Hobbes, Vom Kçrper, 100 – 101; De corpore, 95 f. 294 Hobbes, Vom Kçrper, 100 u. 103; De corpore, 95, 19 u. 97, 37 – 38.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

bleibt jedoch wie bei Descartes so erst recht bei Hobbes, der seinen Kçrpern sogar Festigkeit abzusprechen scheint, wie die fr die Erklrung von Einwirkungen eines Kçrpers auf einen anderen absolut zentrale bertragung von Bewegung in Form des von Hobbes so genannten „conatus“ zu begrnden und zu verstehen ist. Die von Henry More an Descartes diesbezglich geußerte Kritik trifft also in noch wesentlich nachhaltigerer Form auf Hobbes reduktionistischen Mechanismus zu, denn dessen geometrische Regeln des Bewegungsverlaufs bieten hier ebenfalls keine Lçsung. Hobbes verlagert die Wirkurschlichkeit (fast) vollstndig in die Bewegung selbst: „[…] d. h. die Wirkung erfolgt nicht deswegen, weil der aktive Kçrper Kçrper ist, sondern weil er ein Kçrper von bestimmter Art und Bewegung [Hervorh. L. B.] ist“.295 Er lçst damit aber keinesfalls das Problem der bertragung von Bewegung. Dieses mechanistische Erklrungsmuster wendet Hobbes dann auf komplexe Phnomene an, die ebenfalls als Wirkungen rein kçrperlicher Bewegungen etc. erklrt werden, die also ontologisch zu bloßen Akzidenzien an der Kçrpersubstanz werden und sich aus dem Zusammenspiel der verschiedenen Kçrper in Bewegung ergeben. So ist „Leben“ fr Hobbes eine spezifische Kçrperbewegung, nmlich die von Blutkçrperchen im (Blut-)Kreislauf „durch die Venen und Arterien“.296 In seinen Obiectiones tertiae ad Cartesii Meditationes bestimmt Hobbes das „denkende Ding [d. h. das vernnftige, bewusste Subjekt] entsprechend als etwas vollstndig Kçrperliches, da die Subjekte aller Ttigkeiten fr ihn, wie gezeigt, immer Kçrper sind.297 Geist und Denken werden so zu „Bewegung[en] in gewissen Teilen des organischen Kçrpers“.298 Sie lassen sich damit vollstndig aus Dispositionen und Interaktionen von Kçrpern durch reine Ortsbewegung ableiten und erklren. D. h. fr Hobbes ist die denkende Substanz vollstndig materiell. 299 Damit ist der Dualismus Descartes, den Cudworth positiv aufgenommen hatte, schließlich bei Hobbes aufgehoben. Ein derart kçrperliches Bewusstsein, dessen Inhalte ebenfalls allein auf kçrperliche Bewegungseinflsse zurckgefhrt werden, die von begrenzten Kçrpern ausgehen, kann schießlich auch keine Idee oder Vorstellung von Gott entwickeln.300 Schon aus diesem Grund besitzt Gott keinen Platz in Hobbes Naturphilosophie. Aber er spielt auch sonst als Ursache keine Rolle – wie sollte sich Gottes Urschlichkeit in diesem System berechnender Vernunft auch denken lassen, ohne ihn zu einem Kçrper zu machen? Mit der „mongrel philosophy“ 295 296 297 298 299 300

Hobbes, Vom Kçrper, 100 – 101; De corpore, 95, 29 – 30. Hobbes, Vom Kçrper, 149 f.; De corpore, 278, 32 – 279, 2. Siehe Hobbes, Vom Kçrper, Anhang, 164 f. Siehe Hobbes, Vom Kçrper, Anhang, 169. Hobbes, Vom Kçrper, Anhang, 165. Hobbes, Vom Kçrper, Anhang, 170.

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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Leukipps, Demokrits und Epikurs als „philosophical atheology“ ist also ebenso Hobbes zusammenzusehen, wenn Cudworth deren Naturerklrungen als „a gigantical and Titanical attempt to dethrone the Deity, not only by solving all the phenomena of the world without a God, but also by laying down such principles, from whence it must needs follow, that there could be neither an incorporeal nor corporeal Deity“ inkriminiert.301 In Hobbes geschlossenem materialistisch-mechanistischem Weltsystem geschieht folglich alles aus berechenbaren und somit notwendigen Grnden.302 Daher gibt es keinen freien Willen: Auch die Freiheit, zu wollen oder nicht zu wollen, ist im Menschen nicht grçßer als in anderen Lebewesen. Wo ein Begehren entsteht, war die vollstndige Ursache dafr da; daher konnte, wie Kap. 9 Abs. 5 gezeigt ist, das Begehren selbst unmçglich nicht folgen, d. h. es folgte mit Notwendigkeit. Eine Freiheit, die Freiheit von Notwendigkeit wre, kommt weder dem Willen der Menschen, noch dem der Tiere zu.303

Neben Kçrpern, ihren Akzidenzien und ihren Bewegungen gibt es also absolut keine weiteren Formen von Urschlichkeit oder Ursachen: Wird aber davon geredet, dass irgend etwas durch sich selbst sich bewege oder erzeuge, oder von Spezies, von Eigenschaft, von substantialen Formen, von unkçrperlichen Substanzen, von Instinkt, von Antiperistasis, von Antipathie, von Sympathie, von okkulten Qualitten: so sind das alles nur leere Formeln der Schulsprache, die zu nichts dienen.304

Mit dieser Absage an alle brigen traditionellen Erklrungen des Verhltnisses zwischen Ursache und Wirkung, die neben scholastischen auch Anstze der Renaissance einschließt, beendet Hobbes sein Werk ber die Naturphilosophie. Viele dieser traditionellen Anstze wird Cudworth im System aufnehmen und ihnen zentrale Positionen in seiner Welterklrung zuweisen, so den „unkçrperlichen Substanzen“, der „Selbstbewegung“ und dem Konzept der Sympathie. Cudworth scheint mit seinem System dem Werk von Hobbes auf zwei Ebenen entgegenzutreten und auf es zu reagieren: zum einen auf der Ebene der Textgestalt, der Darstellung und der darin zum Ausdruck kommenden Intention. Der am Ideal der computatio orientierten Philosophie Hobbes,305 ihren 301 System I, 106. Lowrey (1884), 51 bezieht diese Stelle auf Hobbes; vgl. auch System I, 106, Anm. 10 von Mosheim zum Hobbes-Bezug. 302 De corpore, 102, 9: „a causis necessariis“. 303 Hobbes, Vom Kçrper, 151; De corpore, 280, 5 – 10. 304 Hobbes, Vom Kçrper, 161; De corpore, 353, 23 – 27. 305 Vgl. Hobbes, Vom Kçrper, 6: „Der Schwierigkeit, eingerostete, durch das Ansehen der beredtesten Schriftsteller befestigte Anschauungen aus den Kçpfen der Leute auszutreiben, bin ich mir wohl bewusst. Zumal da die wahre (d. h. exakte) Philosophie nicht nur die Schminke der Worte, sondern auch fast jeglichen Schmuck vorstzlich zurckweist; die ersten Grundlagen jeder Wissenschaft sind auch keineswegs blendend, sie

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Inhalten, ihrem Stil und ihrer Art der Darstellung306 stellt Cudworth den durch die Tradition der prisca theologia verbrgten Wahrheitsanspruch einer ausdrcklichen Verschrnkung von Tradition, Naturphilosophie, Metaphysik und Theologie entgegen, dem Stil der computatio den noetisch-organisch strukturierten Intertext des System. 307 Zum anderen erfolgt die Auseinandersetzung wie bei Descartes auf der inhaltlich-systematischen Ebene: Entscheidend ist auch hier, dass Cudworth einen ganz anderen Kçrperbegriff entwickelt und damit verbunden eine eigene, auf der neuplatonischen Kraftmetaphysik basierende Vorstellung von Urschlichkeit und Wirken (s. o. im Unterkapitel „Descartes: Mechanist und Atheist“ zu Cudworths Alternativen zu Descartes, die alle auch auf Hobbes anwendbar sind). Hobbes aktivem, ttigem Kçrper steht Cudworths vollstndig passive Materie und damit ein vçllig passiver Kçrper gegenber, der Wirkungen von intelligiblen Formkrften, von unkçrperlichen Substanzen erfhrt, die ein Ursachengeflecht sympathetischer Beziehungen ausbilden. Wie in der Auseinandersetzung mit Descartes bildet dabei Cudworths Konzept der Selbstbewegung der Seele, die als Energiezentrum ihre Bewegung als nach außen gerichtete Krfte (1meqce¸ai 1j t/r oqs¸ar) auf die Kçrper bertrgt, die Alternative zu Hobbes Reduktion der Bewegungsarten auf die Ortsbewegung zwischen Kçrpern. Dem doppelten Reduktionismus Hobbes, der zunchst die Formen von Urschlichkeit auf die der causa efficiens reduziert und die causa efficiens ihrerseits ausschließlich als selbstexistenten Kçrper bestimmt, stellt Cudworth z. B. sein grundverschiedenes Konzept der plastic nature erscheinen vielmehr unansehnlich trocken und fast hsslich. […] Philosophie ist die rationelle Erkenntnis der Wirkungen oder Erscheinungen aus ihren bekannten Ursachen oder erzeugenden Grnden. […] Unter rationeller Erkenntnis vielmehr verstehe ich Berechnung. […] Aber rationelle Erkenntnis geht jedenfalls auf zwei Geistesoperationen zurck: Addition und Subtraktion.“ 306 Wie Richard F. Jones (1930, [982]) charakterisiert, zeichnet sich Hobbes Ideal sprachlicher Darstellung durch die Verwendung einer „significant, proper, and brief language“ aus, die auf den Gebrauch unklarer oder sinnloser Begriffe, Metaphern und Tropen verzichtet. Zur weiteren zeitgençssischen Kritik an einer Wissenschaftssprache, wie sie Cudworth nutzt, und deren Abhngigkeit von vornehmlich antiken Autoritten, die sich in umfangreichen Zitationen ußert, siehe Jones (1930), 985. Deutlich wird der ,reduzierte Stil als Stil der Royal Society von Thomas Sprat propagiert, siehe Jones (1930), 897 f. Cudworth scheint sich mit dem System mit aller Macht gegen diese Tendenz stemmen zu wollen. 307 Indem Cudworth seine Auseinandersetzung mit Hobbes im historischen Kontext der prisca theologia sieht, wird dieser zu einem Protagonisten „in a struggle perennial to philosophy, between materialism and rationalism, atheism and theism“ (Passmore [1951/ 1990], 14). Daher kann Cudworth auch auf der Ebene der Textgestalt nicht die einfache direkte Auseinandersetzung mit Hobbes gengen, sondern muss das System aus der Kontinuitt der gesamten – konstruierten – Tradition theistischer Theologie und Metaphysik heraus entwickelt werden.

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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entgegen. Diese ist nmlich als Formkraft eingebunden in ein hierarchisch strukturiertes Krftekontinuum und in ihrer Existenz, ihrer Struktur und ihrer Funktion vollstndig und kontinuierlich von Gott abhngig. Zustzlich bernimmt sie die Position der causa finalis im System und soll ausdrcklich die bertragung von Bewegung erklren. Besonders die Konzeption der Seele als Energiezentrum, das aufgrund seiner Selbstreferentialitt zumindest in der Welt Autonomie erlangt, besitzt aber noch eine weitere, mindestens ebenso bedeutende Funktion: Dieses selbstreferentielle und damit selbstbewegende und -bewegte Energiezentrum stellt zudem das metaphysische Fundament dar, die Willensfreiheit gegen Hobbes umfassenden Determinismus argumentativ und aus der Metaphysik des System heraus zu sichern. Desweiteren lsst sich aus diesem Prinzipienbegriff eine Vorstellung von „Leben“ ableiten, die „Leben“ nicht vollstndig als Bewegung von und zwischen Kçrpern begreift, sondern als Kraftentfaltung der Seele, als etwas, das wesentlich vom Kçrper, der durch es belebt wird, verschieden und gerade kein Akzidenz des Kçrperlichen ist. Darber hinaus lassen sich Cudworths religionsphilosophisches Kapitel 4 zur antik-paganen Monotheismusvorstellung, das als Vorbereitung der Explikation des eigenen Gottesbegriffs dient, und diese Explikation selbst als ausdrckliche Korrektur bzw. Widerlegung der Behauptung von Hobbes verstehen, der Mensch kçnne keine Idee von Gott entwickeln und Gott kçnne in der Naturerklrung nicht die Funktion eines bzw. des ersten Prinzips einnehmen: Beides wird von Cudworth ebenso systematisch wie religionsphilosophisch realisiert und in der an Platon orientierten Argumentations- und Lektrestruktur inszeniert. Anstelle der Exklusion von Tradition, Theologie und Metaphysik aus der Naturphilosophie zelebriert Cudworth im System deren ausdrckliche Inklusion und Integration.

1.5.3 Walter Charleton: Religiçser Atomist und reduktionistischer Atheist Walter Charleton (1620 – 1707) gilt als einer der versiertesten Wegbereiter einer christlich modifizierten atomistischen Naturphilosophie in England, indem er den christlich transformierten Epikureismus des franzçsischen Philosophen Pierre Gassendi (1592 – 1655) dort bekannt machte.308 Wie Cudworth erhebt Charleton den Anspruch, dass ein richtig verstandener, christlich-religiçser Atomismus mit dem christlichen Gottesglauben nicht nur vereinbar sei, sondern 308 Kargon (1966), XIV. Das in diesem Zusammenhang zentrale Werk Charletons ist die Physiologia Epicuro-Gassendo-Charltoniana: Or a fabrick of science natural, upon the hypothesis of atoms, founded by Epicurus, repaired by Petrus Gassendus, augmented by Walter Charleton, London 1654; zitiert nach dem Reprint 1966, ed. Robert Hugh Kargon. Allgemein zu Gassendi als Ziel der Kritik Cudworths siehe Osborne (2007), 4.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

im Rahmen der entsprechenden Prinzipienspekulation die christliche Theologie sogar notwendig fordere, um sein Ziel einer vollstndigen und zufriedenstellenden Naturerklrung zu erreichen. Er baut damit, wie es auch im Titel seines diesbezglich wichtigsten Werkes klar zum Ausdruck kommt, auf Gassendis Epikureismus-Transformationen auf. Auf keinen Fall akzeptabel waren fr die christlichen Naturphilosophen, die im Atomismus eine Alternative zu den peripatetischen Naturerklrungen der (Spt-)Scholastik suchten,309 die epikureischen Annahmen, dass die Atome ewig existierten und von Ewigkeit an in Bewegung seien (dass die „Welt“ bzw. ihre „Bausteine“ also ewig und unvergnglich seien); dass es außer der Atombewegung und den Atomkollisionen keine bergeordnete Ordnungsinstanz geben solle, die die Struktur der Welt erklren und garantieren kçnne (und solle); dass die Seele ein Atomverbund, d. h. vollstndig stofflich und daher auch vollstndig vergnglich sei.310 Die grundlegenden anpassenden Korrekturen nimmt bereits Gassendi vor (siehe im Titel der Physiologia: „[…] repaired [Hervorh. L. B.] by Petrus Gassendus […]“): Er fhrt die Seele als immaterielle Grçße in Epikurs materialistisches System ein und setzt zudem Gott als Urheber bzw. Initiator aller innerweltlichen Atombewegung an. Gott erschafft die Atome außerdem in begrenzter Anzahl und derart, dass sich aus ihnen und der ihnen spezifischen Bewegung zugleich die ersten Atomgruppen zusammenfgen, die semina rerum, die ihrerseits die Protostrukturen und Prdispositionen fr alle weiteren Prozesse des Werdens und Vergehens ausmachen.311 Auf diese Weise wird „Gott als Schçpfer die primre Ursache aller Prozesse des Universums“.312 Charleton bernimmt alle diese Anpassungen. Die Frage ist nun, welche Impulse von Charletons Version einer christlich-epikureischen Naturphilosophie ausgegangen sein kçnnten, auf die Cudworth in seinem System reagiert. Wie im Falle der Auseinandersetzung mit den Systemen von Descartes und Hobbes ist auch bei Charleton davon auszugehen, dass Spuren der Reaktion im System auf der Ebene der Behandlung des Verhltnisses zwischen Ursache und Wirkung und des Status, der Beschaffenheit und der Anzahl von innerweltlichen Wirkprinzipien zu finden sind. Charleton bezeichnet Gassendi als „the greatest Antiquarian […] who out of a few obscure and immethodical pieces of him [Epicurus], scattered upon the rhapsodies of Plutarch and Diogenes Laertius, hath built up the despised Epicurus again, into one of the most profound, temperate, and voluminous 309 Dazu z. B. Kargon (1966), XVIII; vgl. auch Bloch, in Ueberweg: 17. Jahrhundert 2/1 (1993), 217. 310 Vgl. Charleton, Physiologia (1654/1966, ed. Kargon), 126. 311 Siehe Bloch, in Ueberweg: 17. Jahrhundert 2/1 (1993), 218. 312 Siehe Bloch, in Ueberweg: 17. Jahrhundert 2/1 (1993), 218.

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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among Philosophers“.313 Zugleich hebt er Gassendi als bedeutendsten der „Renovators“ hervor, also der Philosophen, die sich der Antike transformierend zugewandt haben.314 So stellt er zum einen sich selbst zusammen mit Gassendi in die ber Diogenes Laertios und Plutarch bis auf Epikur zurckreichende Tradition. Zum anderen charakterisiert er sich selbst als einen Eklektiker und Synkretisten, der nach den Kriterien des Vernunfturteils und des Experiments aus allen Anstzen und Schulen heraussucht und kombiniert, was wahr ist und zustzlich sogar den Grundstzen des christlichen Glaubens entspricht.315 Insgesamt resultiert diese Haltung hnlich wie bei Cudworth darin, dass Charleton seinen Text als Intertext konzipiert, er allerdings intensiver auch die Texte seiner Zeitgenossen wie Mersenne oder Descartes zitiert und so deutlicher und expliziter als Cudworth die antike Tradition mit der zeitgençssischen Naturphilosophie verbindet. Derart lçst er seinen selbstformulierten Anspruch des „Recentioribus adjungere“316 ein. Dieser wiederum verschafft ihm gleichsam den nçtigen Freiraum, christliche Elemente in die epikureische Philosophie einzuweben. Zunchst konzipiert Charleton die Seele des Menschen als „Form substantiall“ und damit ebenso als „self-subsisting Entity“, die wesenhaft unterschieden von den stofflichen Atomen ist, die die Materie der Welt ausmachen.317 Damit ist gleichzeitig Raum geschaffen fr die Annahme weiterer immaterieller Substanzen im eigentlich rein materialistischen Weltmodell des Atomismus.318 Auch wenn Charleton so intelligible Wirkprinzipien in seiner Naturphilosophie zuzulassen scheint, bedeuten seine weiteren christlichen Modifikationen eher das Gegenteil, denn sie begrnden auf geradezu paradoxale Weise die Ge313 Charleton, Physiologia, 4. 314 Charleton, Physiologia, 4. 315 Charleton, Physiologia, 4: „Ego quidem arbitror, re diu perpensa, nullius unquam scientiam fore absolutam, quin Empedoclem, Platonem, Aristotelem, Anaxagoram, Democritum adjungat Recentioribus, & ab unoquoque quod verum est, rejectis falsis, eligat. His enim Principibus peculiori ratione Coeleste Lumen affulsit: & quamvis Corporis imbecilitate multa corruperint; plurima tamen, quae Fidei lumine discernimus, scripsere verissima.“ 316 Charleton, Physiologia, 4. 317 Charleton, Physiologia, 423. Offen bleibt zumindest an dieser Stelle, wie Charleton sich die Interaktion zwischen dieser Seele und den Kçrpern vorstellt. Die hier verwendete scholastische Terminologie legt jedoch die Annahme nahe, dass er sich, hnlich wie die Scholastiker, diese Interaktion ber das Medium einer „certain tenuious Contexture of most subtile and most active Atoms“ denkt, also ber ein s_la aqcamijºm, wie es bereits Aristoteles konzipiert (vgl. dazu u. a. die Monographie von Bos [2003]) und wie es spter als ewgla bei den Neuplatonikern thematisiert wird. Auch Cudworth eignet sich dieses Konzept an. 318 Charleton, Physiologia, 68; vgl. auch 70 f. Offen bleibt auch hier, wie diese Substanzen in Charletons geschlossenes System rein stofflich-kçrperlicher Urschlichkeit eingebunden werden sollen.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

schlossenheit des innerweltlichen, mechanistisch-kçrperlichen Ursache-Wirkungszusammenhangs gerade dadurch, dass mit ihnen ein erstes transzendentes und vollstndig intelligibles Prinzip eingefhrt wird: Gott. Gottes Wirken fhrt nmlich seinerseits dazu, die Annahme menschlicher Seelen als intelligibler Formursachen in diesem Weltmodell eigentlich berflssig zu machen, bzw. sie aus dieser Welt auszuschließen: Denn Charleton entwickelt die Einbindung Gottes in sein System und zwei der wesentlichen Eigenschaften Gottes aus einer Kritik an einem in seinen Augen wesentlichen Erklrungsdefizit des unmodifizierten Epikureischen Atomismus: For, They take it for granted, that the Chaos of Atoms was not only eternal and Increate, but also that it disposed, and compacted itself into that Form, which constitutes the World, by the spontaneous motion inhaerent in Atoms, and their fortuitous coalescence in such and such respective Figures: when to a sober judgment it appears the highest Impossibility imaginable, that either the Chaos of Atoms could be eternal, self-principate, or increate, or dispose and fix it self into so vast, so splendid, so symmetrical, so universally harmonical, or Analogical a structure, as this of the World. For, as the Disposition or Dispensation of the Chaos of Atoms into so excellent a form, can be ascribed to no other Cause, but an Infinite Wisdom: so neither can the Production or Creation of the same Chaos be ascribed to any other Cause, but an Infinite Power, as we have formerly demonstrated in our Darkness of Atheism, cap. 2 [Kursivierungen im Original].

In der Art eines Genesis-Kommentars konkretisiert Charleton diese Kritik zu folgender systemtragender Aussage ber Gott und dessen Prinzipiencharakter im Atomismus: „As a proficient in the sacred School of Moses, I may answer, that the fruitful Fiat of God, out of the Tohu, or infinite space of Nothing, called up a sufficient stock of the First Matter, for the fabrication of the World in that most excellent Form, which He had Idead in his own omniscient intellect from Eternity.“319 Im Rahmen einer Zusammenfassung der zentralen Gedanken zu diesem Thema aus seiner der Physiologia vorausgehenden Schrift The Darkness of Atheism Dispelled by the Light of Nature: a physico-theological treatise von 1652 expliziert Charleton genauer, was er unter diesem ordnungs- und bewegungsinitiierenden Impuls Gottes, dem „fruitful Fiat of God“ versteht: 1) That Atoms were produced ex nihilo, or created by God, as the sufficient Materials of the World, in that part of Eternity, which seemed opportune to his infinite Wisdom, (2) that, at their Creation, God invigorated or impregnated them with an Internal Energy, or Faculty Motive, which may be conceived the First Cause of all Natural Actions, or Motions, (for they are indistinguishable) performed in the World; (3) that their gravity cannot subsist without a Centre; (4) that their internal Motive Virtue necessitates their perpetual Commotion among themselves, from the moment of its infusion, to the expiration of Natures lease. For, by virtue of these Correctives, the poisonous part of Epicurus opinion, may be converted into one of the most potent Antidotes against our Ignorance: the 319 Charleton, Physiologia, 103.

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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Quantity of Atoms sufficing to the Materiation of all Concretions; and their Qualities and Affections, as our immediately subsequent Discourse doth professedly assert [Kursivierungen im Original].320

Nach diesen prdispositiven Maßnahmen Gottes ist der Boden bereitet, alle weiteren Naturphnomene allein aus den beiden Grçßen „Body and Inanity“,321 d. h. Kçrpern (also Atomzusammensetzungen, s. u.) und Bewegung durch den leeren Raum hindurch erklren zu kçnnen, so dass fr Wirkprinzipien, die von Atomen und Atomzusammenballungen verschieden sind, (eigentlich) kein Raum mehr bleibt. Denn es wirken ausschließlich Kçrper auf Kçrper durch Ortsbewegung aufeinander ein.322 Und zunchst scheint es, Charleton habe seinen Kçrperbegriff in engem Anschluss an Gassendi entsprechend metaphysisch aufgeladen,323 um ihn zu einem bzw. dem einzigen stofflichen innerweltlichen Bewegungsprinzip zu erheben. In seinem Kçrperbegriff vereint Charleton nmlich zunchst alle Eigenschaften des Epikureischen Atoms: Sein Kçrper ist ausgedehnt und fest, d. h. unteilbar. Diese Festigkeit (oder Hrte) und Unteilbarkeit sind Konsequenz der Eigenschaft, dass jedes Atom vollstndig kompakt und ausgefllt ist und es in sich keinen leeren Raum aufweist.324 Aufgrund dieser „indissolubilis soliditas“325 sind die Atome gegeneinander widerstndig und unnachgiebig326 und kçnnen einander nicht gegen- oder wechselseitig durchdringen.327 Diese Einzel-Atome sind als real existierende „Monaden“328 zu unterscheiden von den primren Atomzusammenballungen,329 d. h. einer Art Molekle, die die eigentlichen Wirkprinzipien im Universum darstellen. Es ist anzunehmen, dass diese Molekle, die jede weitere Ordnung und Struktur der Welt bestimmen, Konsequenz des ersten „fruitful Fiat“ Gottes sind, der die Atome so formt, vereinzelt und in Bewegung versetzt, dass sich aus ihnen diese Molekle entsprechend zusammensetzen: Hence comes it, that of them are first composed certain Moleculae, small masses, of various figures, which are the seminaries of various productions; and then, from 320 Charleton, Physiologia, 126. 321 Charleton, Physiologia, 20: „That there is in the Universe no Third Nature besides that of Body and Inanity.“ 322 Vgl. Charleton, Physiologia, 343; es gibt in Charletons System keine andere Bewegung als Ortsbewegung: Physiologia, 437. 323 Zu Gassendi diesbezglich Bloch, in Ueberweg: 17. Jahrhundert 2/1 (1993), 218. 324 Charleton, Physiologia, 85 f. und 111. 325 Charleton, Physiologia, 86. 326 Charleton, Physiologia, 112. 327 Charleton, Physiologia, 71. 328 Charleton, Physiologia, 86 und 89. 329 Diese Unterscheidung z. B. als Unterscheidung zwischen t± 1n ¨m aR sucjq¸seir und t± sucjq¸lata in Physiologia, 85.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

those determinate seminaries do all specifical Generations receive their contexture and Constitution, so praecisely, that they cannot owe their Configuration to any others.330

Diese Molekle sind jedoch nicht nur die „Immidiate Principles“ der sogenannten Elemente (von denen Charleton Feuer, Wasser und Luft anfhrt), sondern zugleich aktive Wirkprinzipien, denn sie bilden auch die chemischen Prinzipien Salz, Schwefel und Quecksilber aus.331 Dieser Status der Molekle lsst sich erst erklren, wenn man genauer ins Auge fasst, warum die Molekle und zuvor die Atome, aus denen sie aufgebaut sind, als Prinzipien von Bewegung fungieren.332 Als Prinzip bzw. Ursache fr die Atombewegung gilt Charleton, der darin Gassendi folgt, die „gravity“.333 Daher wird sie auch bei Charleton „nicht wie bei Epikur als ein Streben verstanden, sich von oben nach unten zu bewegen, sondern ,als natrliches und inneres Vermçgen oder Kraft, durch die sich das Atom selbst in Bewegung setzen und bewegen kann“.334 Charletons Atome besitzen demzufolge eine „Congenial and intestine Motion“.335 Und es ist zugleich diese „internal [Hervorh. L. B.] Motive Virtue“, die auch die interne Bewegung und damit das Gesamtbewegungsmuster molekularer Atomverbindungen auf je spezifische Weise ausmacht.336 330 Charleton, Physiologia, 105. Charleton folgt hier schließlich einer Grundlehre des Epikureismus, die z. B. von Lukrez in DRN I, 169 – 173 (ed. Bchner) folgendermaßen formuliert wird: “at nunc seminibus quia certis quaeque creantur, // inde enascitur atque oras in luminis exit, // materies ubi inest cuiusque et corpora prima; // atque hac re nequeunt ex omnibus omnia gigni, // quod certis in rebus inest secreta facultas.”; vgl. auch DRN I, 817 – 822. Zur Rolle der semina im christianisierten Atomismus siehe z. B. Goodrum (2002), 215: Im Bezug auf den frhneuzeitlichen englischen Gelehrten Matthew Hale stellt Goodrum heraus, dass die semina den Atomisten dazu dienten, die Kluft zwischen trger, unbelebter Materie und Belebtem zu berbrcken, und ihnen daher vielfach gleichsam seelische Eigenschaften zugesprochen wurden. 331 Charleton, Physiologia, 426; vgl. auch 430. 332 Bereits die Tatsache, dass sich die jeweiligen Atome treffen („meet together“, Physiologia, 426) mssen, um sich dann miteinander zu verflechten und so die entsprechenden Molekle auszubilden, setzt Atombewegung voraus und impliziert deren zentrale Bedeutung. Charleton hebt diese u. a. in Physiologia, 435 explizit hervor: „Because, Motion being the Heart, or rather the Vital Faculty of Nature, without which the Universe were yet but a meer Chaos; must also be the noblest part of Physiology: and consequently, the speculation thereof must be the most advantageous Introduction to the Anatomy of all other parts in the vast and symmetrical Body of this All, or Adspectable World. […] if Generation, Corruption, Augmentation, Diminution, Alteration, be only certain species, or more properly the Effects of Motion, as our immediately praecedent Chapter cleerly imports; […]“. 333 Charleton, Physiologia, 121; vgl. 112. Zur Funktion der gravitas bei Gassendi s. Bloch, in Ueberweg: 17. Jahrhundert 2/1 (1993), 218. 334 Bloch, in Ueberweg: 17. Jahrhundert 2/1 (1993), 218. 335 Charleton, Physiologia, 121. 336 Charleton, Physiologia, 125.

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Der Prinzipiencharakter der Molekle wiederum lsst sich weitergehend am Wirken des Samens und der Tierseele exemplifizieren: Der Samen eines Tieres, den Charleton als „a certain Contexture of the most subtile and moveable Atoms“, also als Molekl versteht, entfaltet nach seiner Aufnahme offenbar aufgrund der ihm eigenen Oberflchengestalt und Bewegungsmuster ein erstaunliches Repertoire an Wirkungen, die z. T. weit ber eine reine Bewegungsinitiation oder –vernderung hinausgehen: Secondly, such things are conceived to be generated [jat± pqºshesim] by Addition or Accession, which are not spontaneous in their original, but of seminal production, and specificated by the univocal virtue of their seeds: because in Propagation, rightly accepted, a very small quantity of seed, pervading a greater mass of matter, doth ferment, coagulate, and successively appose more and more parts thereof to itself, and to conform the same into the species of that thing, from which it was derived, and impraegnated with the idea of the whole and every part thereof [Kursivierungen im Original].337

Auf gleiche Weise wirkt die Tierseele – „the very Forme of the thing moved“ – als Molekl, als Verbund stofflicher Atome: „a certain tenuious Contexture of the most subtile and most active Atoms, which […] doth, by the impression of its force or Virtue motive, upon the whole, or any sensible part thereof, become the Principle of motion to the whole body: […]“338 An diesen Beschreibungen molekularer Urschlichkeit zur Erklrung natrlicher Phnomene ist weniger als bei Descartes und Hobbes die Erklrung der Bewegungsbertragung an sich das Problem. Denn anders als Descartes und Hobbes verfgt Charleton ber einen konkreteren Kçrperbegriff: Als Atom ist fr Charleton jeder Kçrper bereits per se ein fester, kompakter und damit widerstndiger Kçrper, der aufgrund dieser Eigenschaften in direktem Kontakt mit anderen Kçrpern Bewegungsenergie abgeben und/oder aufnehmen kann. Ein Problem bildet vielmehr die Ausbildung komplexerer Strukturen aus den Moleklen allein auf mechanistischer Grundlage. Mit den Verben „ferment, coagulate […] and conform into the species of that thing, from which it was derived“, beschreibt Charleton diesen Prozess eher als er ihn erklrt. Charleton selbst scheint hier ein Erklrungsdefizit empfunden zu haben, denn er fhrt die Natur als eine Art causa formalis in diesem Zusammenhang ein: „The Energy of Nature is definite and praescribed: nor is she Commissioned with any other Efficacy, then what extends to the moulding of Old Matter into New Figures; and so, the noblest Attribute we can allow her, is that of a Translator [Kursivierungen im Original].“339 Zunchst scheint „Nature“ nur die Funktion zu haben, aus bereits Vorhandenem etwas Anderes, etwas Neues zu formen, d. h. 337 Charleton, Physiologia, 433. 338 Charleton, Physiologia, 436. 339 Charleton, Physiologia, 88.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

bestehende Molekle, die aus Gottes ursprnglichem Bewegungs- und Ordnungsimpuls aus den Einzelatomen hervorgegangen sind, entsprechend zu kombinieren. Letztlich ließe sie sich in ihrer Funktion als „Translator“ verstehen als Personifikation des Vorgangs, den Charleton an anderer Stelle folgendermaßen beschreibt: „Because, to the composition of every thing in specie, is required such a special disposition in the Atoms, which compose it, as that they must appose to themselves such other Atoms, as are congruous and suitable to them, and as it were refuse the society and combinations of others that are not.“340 Allerdings treibt Charleton die Personifikation in seiner Explikation des „moulding of Old Matter into New Figures“ so weit, dass sie quasi ein argumentatives Eigenleben gewinnt und die Natur als natura daedala 341 und damit als eigenstndige Formalursache zu den Moleklen hinzuzutreten scheint: Now, if we attentively compute, how many particles go to the composure of each of those organical parts, and how many Myriads of Atoms go to the contexture of each of those particles (for even the Spirits inservient to the motion of one of its toes, are compositions consisting of many thousands of Atoms), as we shall think it no wonder, that the exile and industrious fingers of Nature have distinguished, sequestred, selected, convened, accommodated, coadunated, and with as much aptitude as decorum disposed such an incomprehensible multitude of Parts, in the structure of so minute an Animal; so may we, in some latitude of analogy, conjecture the extreme Parvity of Her common Material, Atoms.342

Trotz dieser etwas diffusen Ursachenpluralisierung, die von Charleton nicht weiter thematisiert wird, bleiben fr ihn alle Lebensformen „unterhalb“ des Menschen Maschinen. 343 Alle Lebewesen mit Ausnahme des Menschen sind vollstndig aus „material principles“ zusammengesetzt,344 die als Molekle miteinander reagieren. Folglich sind auch die Tierseelen vollstndig stofflich und gehen gleichsam emergent aus den je spezifischen Atomgefgen hervor, die zuvor aus seminaler Musteraktivitt heraus geprgt und anschließend bewegt wurden: That the Forme of a thing, considered abstractly or by it self, is therefore onely a meer Quality, Accident, or Event, of which the Atoms, which compose that Body or substance, are naturally capable, when thus consociated and mutually related: whether we understand it to be the Forme of the whole Compositum, or that most subtile and active part of the substance commonly called the Soul, or specifical 340 Charleton, Physiologia, 434. 341 Vgl. Leinkauf, in Leinkauf/Hartbecke (2005), 4. Siehe dazu Lukrez, DRN V, 234, wo die naturaque daedala rerum als oberste, freigiebige Handwerksmeisterin – zumindest fr die Tiere – gepriesen wird. 342 Charleton, Physiologia, 115. 343 Vgl. z. B. Charleton, Physiologia, 115: Hier bezeichnet Charleton den Organismus des „Hand worm“ als „Machine“. 344 Charleton, Physiologia, 425.

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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Forme (V. G. of an Horse) the same being (Not a New, or freshly created substance, as Aristotle, and the Schools upon his Authority conceive, but) only a certain Contexture of the most subtile and moveable Atoms in the composition.345

Damit ist die diesbezgliche Autonomisierung der Welt abgeschlossen: Mit Ausnahme des Menschen kçnnen alle Naturphnomene und -ablufe auf die mechanische Interaktion von Moleklen zurckgefhrt werden.346 Zu ihrer Erklrung bedarf dieses System keines Gottes mehr, der zwar wie bei Descartes gebraucht wird, um den alles entscheidenden ersten Strukturierungs- und Bewegungsimpuls zu geben, dann aber (mit Ausnahme der Existenzerhaltung) keine urschliche Funktion mehr einnimmt. An die Stelle seiner (vermittelten) innerweltlichen Wirksamkeiten treten die kompakten stofflichen Atome mit ihrer von Gott am Beginn der Schçpfung eingegebenen „internal Motive Virtue“347 und die aus ihnen zusammengesetzten Molekle als aktive Prinzipien. Zwar erhebt Cudworth ebenso wie Charleton den Anspruch, einen religiçsen Atomismus, d. h. einen mit dem christlichen Glauben kompatiblen und dementsprechend transformierten Atomismus zu vertreten, aber in zentralen Aspekten steht er in klarer Opposition zu Charletons Positionen. Obwohl Cudworth wie Charleton und anders als Descartes und Hobbes seine kçrperlichen Weltbausteine nach dem Vorbild der Atome Epikurs konzipiert, kann er sie aufgrund seines neuplatonischen Weltmodells nicht wie Charleton zu aktiven Bewegungs- und Strukturprinzipien weiterentwickeln. Dem Konzept Charletons stellt Cudworth seinen neuplatonischen Begriff vom vçllig passiven, aber zum Empfang intelligibler Wirkkrfte befhigten Atom entgegen, das kontinuierlich der durch plastic natures und andere Seelenformen vermittels der Seelenkçrper bertragenen und weitergegebenen Einwirkung Gottes bedarf, um sich zu bewegen, Strukturen auszubilden und zu erhalten. So wird Gott, wenn auch in vermittelter, aber doch abbildhafter und bestndiger Form in Cudworths System wieder in die Welt eingebracht. Zudem rettet Cudworth zumindest aus neuplatonisch-christlicher Perspektive die Dignitt aller Lebensprozesse und Lebewesen, die er, wie bereits gezeigt, im Kern nicht auf den Vollzug mechanischer Ablufe reduziert, wie es auch Charleton zu tun scheint, sondern die er von den sie verursachenden und hervorbringenden intelligiblen Formkrften her bestimmt. Im Rahmen seines Ursache und Wirkung umfassenden kraftmetaphysischen Erklrungsansatzes, in dem Cudworth in klarer Abgrenzung vom atomistischen Entwurf den Begriff des atomaren Kçrpers vom ontologisch bergeordneten Begriff der intelligiblen Wirkkraft und dessen systematischen Ansprchen her bestimmt und die antike 345 Charleton, Physiologia, 426. 346 Diese Autonomisierung ist nicht absolut: Charleton sagt z. B. klar, dass die geschaffene Welt bestndig von Gott in ihrer Existenz erhalten werden muss, s. Osler (1979), 452. 347 Charleton, Physiologia, 126.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Tradition entsprechend konstruiert, lassen sich daher die menschliche Seele und andere intelligible Wirkprinzipien leichter systematisch integrieren als in Charletons Weltmodell. Cudworth geht damit zwar von einem Atombegriff aus, der in vielen Aspekten dem Charletons sehr hnlich ist, schlgt aber bei seiner Entwicklung und Konstruktion der richtigen, religiçsen Form des Atomismus aus der Metaphysik des Neuplatomismus heraus einen ganz anderen Weg ein als Charleton, der eher eine cartesische Variante whlt und Gott auf diese Weise zwar nicht vçllig obsolet werden lsst, ihn aber gleichfalls in einer fr Cudworth unzulssigen Weise an den Rand drngt. Mçglicherweise reagiert Cudworth außerdem auf Charletons (und Gassendis) Art der Textgestaltung: Vielleicht ging, ergnzend zu den weiteren mçglichen Vorbildern Ficino und Patrizi, ebenso von Charletons Physiologia, ihrem Anspruch, die richtige, auf den antiken Autoritten aufbauende Variante des Atomismus zu bieten, und aufgrund der damit verbundenen Form der intertextuellen Darstellung ein wesentlicher Impuls aus, das System ebenfalls als Intertext zu konzipieren. Damit trte das System nicht nur auf inhaltlich-systematischer Ebene als Antagonist zu Charletons Physiologia auf, sondern es versuchte auch, die Physiologia durch Flle und Varianz der funktionalisierten Referenztexte zu berbieten.

1.5.4 Anne Conway – christlicher Hylozoismus Die mit Gassendi begonnene und in Charletons Moleklvorstellung weitergefhrte Autonomisierung und metaphysische Aufladung der Materie wird im Hylozoismus des 17. Jahrhunderts zugespitzt, in dem der Materie zahlreiche Lebensfunktionen per se zugesprochen werden. Die englische Philosophin Anne Conway (1631 – 1679) ist diesbezglich in doppelter Hinsicht interessant.348 Zum einen war sie eng mit Henry More befreundet und durch ihn mit der Konstellation der Cambridge Platonists und deren philosophischer Agenda verbunden und vertraut. Zum anderen entwickelte sie eine originelle Form des Hylozoismus, der zwar deutlich zwischen Gott als erstem Prinzip und Christus einerseits und andererseits dem Bereich des Kreatrlichen unterscheidet, aber im Bereich des Kreatrlichen anders als Descartes, More und Cudworth zu348 Zu Anne Conway insgesamt siehe Hutton (2004); speziell zu ihrer Verbindung mit den Cambridge Platonists s. Hutton, in Mulsow/Stamm (2005), 340 – 342 u. 352 – 358 sowie Hutton (2004), 92 f. mit Anm. 58 zu ihrer Verbindung mit Ralph Cudworth. Wie Hutton (2004), 90 f. nachweist, beschftigte sich Conway mit der Frage des Substanzmonismus und des Substanzdualismus bereits im Zeitraum 1652 – 1662, also vor der Publikation des System Cudworths. Ihre Ansichten, die sich ausformuliert erst in den Principles von 1690 finden, kçnnten daher im Rahmen innerkonstellatorischer Kommunikation vor Abfassung des System von Cudworth aufgenommen worden sein.

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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mindest den Dualismus zwischen Intelligiblem/Seelischem und Stofflichem in einem „vitalistic monism“349 aufhebt und nur noch eine einzige Substanz zulsst. Diese bekommt zwar einerseits zahlreiche aktive Eigenvermçgen zugesprochen, wird aber andererseits im Punkt der Bewegungsverursachung in die vollstndige Abhngigkeit von Gott gestellt. Anzunehmen ist daher, dass entscheidende antagonistische Anregungen, die zur Konturierung des System auf inhaltlicher wie auch auf der Ebene der Textgestaltung beigetragen haben, von Conways Konzeption des Kreatrlichen ausgegangen sein kçnnten bzw. Conways Vorstellungen im Rahmen einer Transformationsanalyse gleichsam als Paradigmen fr hnliche Konzepte stehen kçnnen, auf die Cudworth in seiner Auseinandersetzung mit dem Hylozoismus insgesamt reagiert haben kçnnte.350 Conways Ansatz ist aus diesem Grund die grçßte Herausforderung bzw. Provokation fr Cudworth, weil Conway trotz der Autonomisierung der Materie Gott in entscheidender Weise als Wirkursache in die geschçpflichen Urschlichkeitsrelationen ihres Systems einzubeziehen vermag. Conway konzipiert Gott hinsichtlich seiner naturphilosophischen Relevanz wie Cudworth neuplatonisch-christlich als Prinzip der Flle und Gte: For God is definitely Good, Loving, and Bountiful; yea, Goodness and Charity it self; an infinite Fountain, and Father of Goodness, Charity, and Bounty. Now how can it be, that this Fountain shall not always plentifully flow, and send from it self Living Waters? And shall not this Ocean perpetually abound with its own Efflux to the Production of Creatures, and that with a certain continual Stream? For the Goodness of God in its own proper Nature is Communicative, and Multiplicative, and seeing in him nothing is wanting, neither can any thing be added unto him, by reason of his absolute fulness, and transcendent fertility: […]351

In dieser Funktion ist Gott wesentlich Schçpfer, aber ein Schçpfergott, der ausdrcklich kontinuierlich mit seiner Schçpfung, dem Bereich des Kreatrlichen, verbunden ist: „[…] and the conversation or continuation of Creatures is a continued Creation, as is generally granted, and already before demonstrated, that God is a perpetual Creator; […]“352 Entsprechend vergleicht Conway Gott diesbezglich mit dem „most exceeding great and infinite Light“ und dem hçchsten Guten.353 Ihr Gott ist „omnipresent“354 und wesentlich mit der Welt

349 Hutton (2004), 87 – 89; Zitat 87. 350 Zu denken ist hier desweiteren an die Konzepte Francis Glissons oder Margaret Cavendishs. 351 Conway, The principles of the most ancient and modern philosophy, ed. Loptson (1982), 154 (kurz: principles). 352 Conway, principles, 181. 353 Conway, principles, 151. 354 Conway, principles, 149.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

der Schçpfung verbunden, ihr zugleich immanent und transzendent.355 Von Gott erhalten die Geschçpfe „Being and Activity“356. Da Gott fr Conway in ihrem Weltmodell eine derart intensive Wirkung im Bereich der geschaffenen Welt entfaltet, ist es von zentraler Bedeutung, wie sie Gottes Anwesendsein in der Welt, seine immanente Omniprsenz konzipiert, die zugleich die Bedingung der Mçglichkeit seines Wirkens in der Welt ist. Gottes Anwesenheit in der Welt realisiert sich im Modus des Messias, der als modales Medium zwischen Gott und Welt vermittelt: This Messias […] to whom he [God] might farther communicate the Light or Rays of his Divine Nature, […] which were the unitive Acts of the Creator and Creatures; […] God is infinite, to be considered without and above Production. Secondly, God is the same as in [Hervorh. L. B.] the Messias. Thirdly, That God is the same, as when with [Hervorh. L. B.] the Messias in [Hervorh. L. B.] the Creatures fitted by the least degree of Light to the perception of his Creatures. […; 151] For so God perpetually worketh; and his Work is to Create, or give Being to Creatures, according to that Eternal Idea or Wisdom which is in him. […] But whatsoever is wrought in, and by the way of the Creatures, is done by the Messias, who is not so Immense as the Aensoph himself. 8. BUT this continual Action or Operation of God, as it is in him, or proceeding from him, […] is together, and always present with God; [161; …]357

In diesem modalen Verbund sind Gott und Christus allem Kreatrlichen „intimately present“.358 Der „Messias“ wird dabei ausdrcklich als die schçpfungskonforme Form dargestellt, in der sich Gott selbst in seiner Kreationskraft gleichsam abschwcht und anpasst, um im Kreatrlichen wirken zu kçnnen. In dieser Filterfunktion liegt die Hauptbedeutung Christi:359 Der Messias ist der einheitliche, schçpfungsrelevante Modus gçttlichen Seins und Wirkens. Ihm korrespondiert eine monistische Konzeption der Substanz alles Geschçpflichen, die jedoch nicht „atomistisch“ strukturiert ist.360 Vielmehr ist sie systematisch 355 Conway, principles, 149: „[…] he is […] most strictly and in the highest degree intimately [Hervorh. L. B.] present in them [his Creatures] all; yet so as they are not parts of him, nor can be changed into him, nor he into them: […]“. 356 Conway, principles, 150. 357 Conway, principles, 151 und 161; vgl. auch 167 f. und 169 f. 358 Conway, principles, 191 und 203: Diese Befhigung zur „intimate“ oder „Intrinseck Presence“ ist gleichzeitig ein auszeichnendes Merkmal Gottes und des Messias allein, das keinem Kreatrlichen zukommt. 359 Anders als Hutton (2004), 87 vertrete ich daher nicht die Ansicht, dass dieser Messias als „natura media“ in vielem mit Mores „spirit of nature“ bereinstimmt: Die von diesem wie von Cudworths plastic natures vorgenommenen Strukturierungs- und Harmonisierungsleistungen z. B. werden bei Anne Conway dezidiert nicht vom Messias, sondern zunchst und grundstzlich von der kreatrlichen Substanz selbst geleistet. 360 So Hutton (2004), 87. Zwar ist alles Kreatrliche fr Conway ausgedehnt, aber der Atombegriff – im engeren, epikureischen Sinne – impliziert einige wesentliche Aspekte mehr als bloße Ausdehnung, z. B., wie an Charleton gezeigt werden konnte, Festigkeit

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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vollkommen dem Gottesbegriff der principles angepasst und auf ihn ausgerichtet. Der Substanzmonismus im Bereich des Geschaffenen wird von Conway explizit hervorgehoben: „Now I Answer to the First, I grant that all Creatures are originally one Substance, from the lowest to the highest, and consequently convertible or changeable, from one of their Natures into another.“361 Diese Grundannahme Conways ließe zunchst an einen reduktionistischen Materialismus denken. Dabei ist Conways ausgedehnte kçrperliche Substanz in einem gewissen Maße unendlich teilbar, allerdings begrenzt Gott seine Teilungsmacht aus seiner eigenen Gte, Weisheit und seinem Kooperationswillen mit dem Geschaffen heraus, so dass Conway im Fall ihrer Substanzpartikel von „Physical Monades“362 sprechen kann. Die aus der Selbstbeschrnkung Gottes zu erklrenden kreatrlichen Monaden sind allerdings keinesfalls einfache Atome im Sinne hçchst fester, in sich homogener Stoffteilchen, sondern in sich ußerst komplexe Gebilde. Sie bilden nmlich je fr sich in sich die beiden Pole des Conwayschen Substanzkontinuums ab und aus, das sich zwischen dem Geist als Feinstkçrperlichem und dem Grobkçrperlichen (zwischen „spirit“ und „body“) erstreckt. Conway klassifiziert diese beiden Enden auch in den Kategorien der Feinheit, Weichheit und Hrte sowie nach denen von Licht und Dunkelheit, wobei Licht im Falle des Kreatrlichen – anders als bei Gott – als eine Art Befhigung zu hçheren Vermçgen wie Wissen und Liebe bzw. sogar als diese Vermçgen selbst zu verstehen ist.363 Zur Bezeichnung des geistigen „Pols“ dieses Substanzkontinuums verwendet Conway entsprechend den Begriff „Aether“,364 der zugleich das aktive Prinzip in jeder komplexeren Kreatur ausmacht, whrend der eigentliche Kçrper das „passive“ Prinzip und der passive Anteil ist.365 Auf dieser Ebene, d. h. der Ebene der komplexeren Geschçpfe, spricht Conway noch davon, dass jeder Kçrper seinen „spirit“ und jeder „spirit“ seinen Kçrper hat und dass der „spirit“ dem Kçrper gegenber die Funktion des Formprinzips einnimmt.366 Dieser Verbund aus Kçrper und Geist erweist sich dann als hierarchische und ord-

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und vor allem das Konzept der „gravity“, die bei Conway in dieser Form nicht auftreten, sondern durch deren Vorstellung der einen aktiven Schçpfungssubstanz ersetzt werden. Und auch Conways „Monade“ ist, wie zu zeigen ist, eher eine Art dynamisches Zustndlichkeitskontinuum, als dass dieser Begriff ein einzelnes homogenes Partikel bezeichnen wrde. Conway, principles, 223. Schon diese Feststellung lsst sich mit dem epikureischen Atomismus nicht mehr vereinbaren. Conway, principles, 163. Conway, principles, 225. Conway, principles, 188. Conway, principles, 188. Conway, principles, 189 sowie 185 und 190.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

nungsvolle Struktur aus unzhlbar (zwar „innumerable“, aber nicht „infinite“) vielen Kçrper- und Geistmonaden,367 deren Kohsion und Einheit ein „Central or governing Spirit“ garantiert.368 Wird auf dieser ontologischen Ebene noch der Eindruck erweckt, im Bereich des Kreatrlich-Stofflichen gbe es voneinander verschiedene, allerdings in sich homogene Kçrperchen, von denen die spirituellen dem Aither zugeordnet und mit dem stoischen pOq tewmijºm analogisiert werden kçnnten, verlagert Conway darber hinaus ihre spannungsvolle Substanzpolaritt in die kreatrlichen Monaden selbst und radikalisiert und differenziert zugleich damit ihren Substanzmonismus. Auf dieser Ebene ist jeder Kçrper Geist und jeder Geist Kçrper: And indeed every Body is [Hervorh. L. B.] a Spirit, and nothing else, neither differs any thing from a spirit, but in that it is more dark; therefore by how much the thicker and grosser it is become, so much more remote is it from the degree of a Spirit, so that this distinction is only modal and gradual, not essential or substantial.369

Jedes Teilchen ist in sich ein Kontinuum zwischen den Zustndlichkeiten FeinGrob und Weich-Hart oder den Modi Licht-Dunkel und Aktiv-Passiv,370 wobei in jedem Teilchen diese Aspekte je unterschiedlich intensiv und umfassend re367 Conway, principles, 190; vgl. 175. 368 Conway, principles, 210. An diesem Punkt stehen sich Conway und Glisson nahe, dessen Materie „ihre Teile ineinander [verbirgt], [sich] kontrahiert und konzentriert, oder aber […] verborgene Teile hervortreten [lßt], expandiert und [sich] verdnnt“, die Materie wird so zum „kontraktil-dilativ[en] selbstbewegt[en] Substrat der Naturdinge“ (Hartbecke [2006a], 258 f.]. 369 Conway, principles, 190. Damit wird natrlich auch die menschliche Seele kçrperlich, zumindest ist das die Aussage, die Conway in folgendem hypothetischen Satz impliziert und spter (215 f.: “the Soul even in its greatest Purity always partakes of Corporeity”) ebenfalls voraussetzen muss: “But if it be granted, that the Soul is of one Nature and Substance with the Body, […] then all the aforesaid difficulties will vanish,[…]” (Conway, principles, 214). 370 Vgl. Conway, principles, 189 und 205: „Neither is there any other difference between Body and Spirit, […] but this that a Body is the grosser part of a thing, and Spirit the subtiler, […]“ Eine sehr hnliche Ansicht der lediglich graduellen Unterschiede zwischen Kçrpern und Geist (spiritus) vertrat vor Anne Conway der dnische Paracelsist Pierre Sverin (Peder Sørensen), siehe Hirai (2005), 233 und 245. Die auffllige Paralle zeigt, wie bedeutend mçglicherweise dieser, vielleicht von JeanBaptiste van Helmont an die englische Konstellation vermittelte (zu den Einflssen Sverins auf van Helmont siehe Hirai [2005], 439 – 445), Aspekt des medizintheoretischen Diskurses fr die Entwicklung von Naturphilosophien ist, die sich der strikten cartesischen Trennung zwischen res extensa und res cogitans zu entziehen versuchen. Damit wird auch dieser Diskurs zu einem transformationsrelevanten Faktor der Konstellation, in der Cudworth sein System entwickelt. Denn wie die Untersuchung von Cudworths Umgang mit Straton und Hippokrates zeigen wird, findet gerade in diesem Bereich eine intensive berblendung von zeitgençssischen und antiken Denkmustern statt, s. u. S. 128 – 133.

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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prsentiert bzw. ausgebildet sind und die jeweilige Anteiligkeit vernderlich ist.371 So kçnnen sich dann z. B. viele „Monaden“ mit einem hçheren oder hohen Geistanteil in ihrem Binnenkontinuum zu einer „unity of Spirits“372 mit großer Kohsionskraft, d. h. zu einem „Centre“,373 zusammenschließen und gemeinsam die Seele eines komplexeren Lebewesens bilden, in dem sie dann ihrerseits den eigenen Geistanteil manifestieren und reprsentieren. Jeder, also auch der kleinste Kçrper und damit auch die Monade, „is a certain Spirit or Life in its own Nature, and that the same is a certain intelligent Principle, having Knowledge, Sense, Love, Desire, Joy, and Grief; as it is this or that way affected; and by consequence hath Activity and Motion, per se“.374 Als Konsequenz lehnt Conway (wie Francis Glisson) ebenso den cartesischen wie den neuplatonischen Dualismus entschieden ab,375 in denen streng zwischen Materie und geistigen Wirkformen unterschieden wird.376 In ihrer Auseinandersetzung mit dieser fr sie abzulehnenden Materiekonzeption entwirft Conway ein weiteres Bild, um das innermonadische Geist-Kçrper-Kontinuum darzustellen, mit dessen Hilfe die kreatrliche Monade und Gott urschlich-systematisch miteinander verbunden werden und das in genau diesem Zusammenhang per analogiam auf die zusammengesetzten Geschçpfe und ihre Art der Abhngigkeit von Gott bertragen wird. Hobbes, Descartes und den Neuplatonikern wirft Conway vor, mit ihren Materie- und Kçrperkonzepten, die die Materie allein auf Ausdehnung, Undurchdringlichkeit und Beweglichkeit reduzierten, lediglich eine Art ußerer Hlle der Materie zu beschreiben, dabei aber nicht zu deren Zentrum oder 371 Vgl. Conway, principles, 217: „[…] that Spirit and Body are originally of one Nature and Substance, and that Body is nothing but fixed and condensed Spirit, and a Spirit nothing but a subtile and volatile Body.“ 372 Conway, principles, 210; alle Geschçpfe und damit auch die Monaden realisieren aus sich heraus eine wesentliche Tendenz, sich zusammenzuschließen, so dass einzelne Monaden eigentlich nicht vorkommen, s. principles, 209. 373 Conway, principles, 210. 374 Conway, principles, 191. Auch Francis Glisson erkennt jedem minimum naturale seiner Materie ein wahrnehmendes, strebendes und bewegendes Vermçgen zu, siehe Hartbecke (2006a), 174 – 177. Conway kçnnte von diesem Theorem Glissons und der fr sie ebenso interessanten biousia durch Henry More erfahren haben, der sich kritisch mit Glissons Theorie auseinandergesetzt und sie mit dem Ansatz Spinozas verglichen hat, dazu Hartbecke (2006a), 178 f. Im Unterschied zu Glisson jedoch, der sich aufgrund seiner Behauptung „einer autarken, auf Gott verzichtenden Selbstformung der Materie“ (ebd. S. 179, Anm. 540, vgl. auch das Fazit S. 180) leicht den Vorwurf des Atheismus zuziehen konnte (vgl. dazu Hartbecke [2006a], 239), bleibt Gott in Conways System wesentlich mit den Naturablufen verbunden. 375 Conway, principles, 221 f. 376 An dieser zentralen Stelle weist Conway daher ebenfalls große bereinstimmung mit den grundstzlichen Annahmen Francis Glissons auf, die sich ihrerseits bis auf hermetische Materiespekulationen zurckverfolgen lassen, vgl. Hartbecke (2006a), 69.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Kern vorzudringen. Diesen Kern setzt Conway offenbar mit dem spirituellen, aktiven und dynamischen Aspekt der Materie bzw. Materieteilchen gleich. Conways Sprachgebrauch an dieser Stelle, sie verwendet die Begriffe „Kernel“ und „Centre“377, um das Spirituelle, „Husk or Shell“ um das Kçrperliche der Schçpfungssubstanz zu beschreiben, vermittelt das Bild einer Art runden, nussartigen Monade, deren mehr oder weniger großes und intensives Zentrum aus dem aktiv-spirituellen „Kern“ und deren ußere Peripherie oder Schale aus dem grçberen, verdichteten, dunklen, stofflichen Aspekt besteht. Nur wenig spter fhrt Conway bei einer weiteren Explikation ihres Materiebegriffs die diesbezglich bezeichnende Differenzierung zwischen „Material and Virtual Extension“ ein, die das zuvor entworfene Bild kongenial ergnzt – zumal Conway den „Spirit“ schon zuvor als „Sphere full of Light“, „central Nature“ und 1mtek´weia bezeichnet hat – und die den geisthaften Lichtaspekt als bewegungsurschliches Moment der Monade ausweist:378 And so we may distinguish Extension into Material and Virtual, which two-fold Extension every Creature hath; Material Extension is that which Matter, Body, or Substance hath, as considered without all Motion or Action; and this Extension (to speak properly) is neither greater or lesser, because it would still remain the same. A virtual Extension is a Motion or Action which a Creature hath, whether immediately given from God, or immediately received from its Fellow Creature. That which is immediately given of God (from whom also it hath its Being,) and which is the natural and proper effect of its Essence, is in a more proper way of speaking, a proper Motion of the Creature, proceeding from the innermost parts thereof; and therefore may be called Internal Motion, as distinguished from External, which is only from another; […]379

Man kçnnte nun annehmen, Conway wrde die Urschlichkeit von Bewegung und Strukturierung im Geschçpflichen ber das Zusammenspiel von „Virtual“ und „Material Extension“ als Zusammenwirken von „Internal Motion“ und „External“ bzw. „Local and Mechanical Motion“ erklren.380 Aber sie schlgt einen vçllig anderen Weg ein. Sie sagt nmlich ganz deutlich, dass allein Gott (zusammen mit bzw. in seinem Medialmodus „Messias“) Urheber jeder Bewegung ist, whrend die Seele an sich, d. h. der spirituell-lichte, dynamische Kern eines Geschçpfes, keine Bewegung an sich hervorbringen, sondern lediglich deren Richtung bestimmen kann.381 Jede Bewegung wird von Gott neu her377 378 379 380 381

Conway, principles, 225. Conway, principles, 205. Conway, principles, 229. Conway, principles, 226 – 229. Conway, principles, 213: „For as a Creature cannot give Being to it self, so neither can it move it self; for in him we Live, Move, and have our Being; so that Motion and Essence come from the same cause, sc. God the Creator, who remains immoveable in himself; neither is he carried from place to place, because he is equally present everywhere, and gives Being to Creatures: But the case is far different, when the Soul moves the Body;

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vorgebracht und zwar entsprechend der Dispositionen der jeweiligen „Virtual Extensions“ der beteiligten Geschçpfe, die Gott dabei in dem Sinne als Instrumente der Bewegungshervorbringung dienen, als sie die jeweils individuellen Mçglichkeitsstrukturen zur Bewegungshervorbringung durch Gott bedeuten, die Gott gleichsam aktuiert.382 Conway scheint also grundstzlich keine mechanistische oder kraftmetaphysische Bewegungsbertragung und -hervorbringung anzunehmen, sondern einen okkasionalistischen Ansatz zu vertreten, in den sie allerdings kraftmetaphysische Aspekte integriert. Theologisch-metaphysisches Fundament dieser Bewegungslehre ist dabei das Konzept der „intrinseck Presence“. Sie ist das Medium, das sich im spirituellen Aspekt des Kreatrlichen manifestiert und das erst dann in seiner Kontinuitt die bertragung jeglicher Bewegung ermçglicht:383 „[…] every Motion requires its proper Medium to transmit the same […] Motion may be transmitted through diverse Bodies, […] by intrinseck Presence“.384 Diese Form der Anwesenheit oder des Gegenwrtigseins ist allein Attribut Gottes im Modus des Messias. In diesem Modus ist Gott der Schçpfung omniprsent,385 allen Geschçpfen zugleich auf innerlichste Weise anwesend und verbindet so „All Creatures […] after a certain manner“.386 Wie in der von

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for the Soul is not the Author of Motion, but only determines it to this or that particular Thing: And the Soul it self is moved, together with the Body, from place to place; […]“ Conway nimmt hier eine Differenzierung vor, auf die auch Leibniz bei seiner Beurteilung der innerweltlichen Bewegungslehre Descartes hinweist und die von Descartes selbst thematisiert wird, siehe McLaughlin (1993), 155 und 162. Conway, principles, 230: „[…] That Motion is not propagated from one Body to another by Local Motion, because Motion it self is not moved, but only moves the Body in which it is; for if Motion could be propagated by Local Motion, this Motion would be propagated of another, and this again of another, and so ad infinitum, which is absurd. Therefore the manner of the said propagation is (as it were) by real Production or Creation; so that as [only] God and Christ [.. can] create the Substance of a Thing, [in der englischen bersetzung steht an dieser Stelle ursprnglich „ God and Christ can only“, allerdings hat der lateinische Text hier „Deus & Christus solummodo“ und „solummodo“ qualifiziert nicht das nachfolgende Wort, wie es die ursprngliche bersetzung impliziert, sondern die vor ihm stehenden Begriffe] when as no Creature can Create or give Being to any Substance, no not as an Instrument; so a Creature, not of itself, but in subordination to God, as his Instrument may [Hervorh. L. B.] give existence to Motion and vital Action, and so the Motion in [Hervorh. L. B.] one Creature may [Hervorh. L. B.] produce Motion in another: […]“. Siehe auch Conway, principles, 226. Conway, principles, 228. Conway, principles, 167. Conway, principles, 157; siehe auch 169 f.: „[…] neither can any one suppose the Son to be such a Medium between God and the Creatures, as though God was not immediately present in all his Creatures, and immediately filled all things; for he immediately operates in all things in a proper sence: But this is to be understood of that union and Communion which Creatures have with God; so that although God immediately ope-

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Conway hier zur Veranschaulichung herangezogenen Analogie zwischen gçttlich induzierter Bewegung mit der Bewegung der Enden eines Holzbalkens, dessen sich im ganzen Balkenkçrper befindliche Massivitt eine unverzgliche bertragung der Bewegung von einem Ende des Balkens an das andere garantiert und ermçglicht,387 so sorgt Gott aufgrund seiner Allanwesenheit in 388 den spirituellen Zentren oder Anteilen des Kreatrlichen fr die unverzgliche Hervorbringung entsprechender Bewegungsformen und Impulse im Zusammenspiel sich disponierender Geschçpfe. Conways Materie kann sich anscheinend zwar autonom zu einem Instrument Gottes formen (obwohl auch das eigentlich Bewegung und damit Gottes Wirken voraussetzt) und so die Voraussetzungen fr mçgliche Bewegung schaffen,389 die bertragung dieses speziellen Impulses in Form der Neuschçpfung von Bewegung in einem entsprechend disponierten Gegenber kann aber ausschließlich nach okkasionalistischem Modell durch Gott vorgenommen werden. In diesem Sinne kann Conway auch sagen, dass er „[…] immediately operates in all things in a proper sence: […]“390 Auf diese Weise gelingt es Conway zum einen, die Substanz der Schçpfung in einem Maße zu dynamisieren und zu autonomisieren, das weit ber Gassendis und Charletons Anstze einer „internal motive virtue“ hinausgeht und Leben, Empfinden und Wissen zu intrinsischen Eigenschaften alles Materiellen macht. So lçst sie das Problem der Interaktion zwischen Kçrper und Seele und der Erklrung der Entstehung komplexer natrlicher Strukturen und ordnungsvoller Ablufe. Zum anderen wird das Materiell-Kreatrliche im entscheidenden Punkt der Bewegung und Bewegungsbertragung gleichsam weitgehend entmachtet: So wird seine Funktion diesbezglich von Conway darauf beschrnkt, eine Art Vorstrukturierungsleistung auf instrumenteller Ebene erbringen zu kçnnen, auf deren Angebot oder Verfgbarkeit Gott dann eingeht (und aufgrund seiner Gte und Weisheit auch immer eingehen wird). Es lassen sich nun mehrere Aspekte aus Conways System destillieren, die als paradigmatische Impulse hylozoistischer Naturphilosophien auf das System gewirkt haben kçnnten. Zunchst reagiert Cudworth auf die Autonomisierung

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rates in all things, yet he uses this Medium as an Instrument, by which he co-operates in his Creatures; […]“. Conway, principles, 227. Gott, das unendliche Licht, findet quasi Aufnahme im „spiritus“ als „capacity of light“ im Kreatrlichen, d. h. Gottes Wirken manifestiert sich im „spiritus“ als dem ihm spezifischen Medium, das zur Aufnahme dieses Einwirkens besonders geeignet ist. Conway, principles, 225: „[…] and the Creatures have Time by Working still to promote themselves [Hervorh. L. B.] to a greater Perfection, as the Instruments of the Divine Wisdom, Goodness and Power, which operates in, and with them; for therein the Creature hath the greater Joy, when it possesseth what it hath, as the Fruit of its own labour [Hervorh. L. B.]“. Conway, principles, 169.

1.5 Transformationsfaktor Konstellation: Descartes, Hobbes, Charleton und Conway

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und Dynamisierung der Materie im Hylozoismus mit einem Dualismus im Kreatrlichen: Der bipolaren Monade Conways mit ihrer an Vorstellungen der Poseidonischen Stoa erinnernden und sie zugleich modifizierenden Verschrnkung von virtual und material extension in einer Substanz bzw. einem Substanzpartikel steht im System das Konzept des vollstndig unstofflichen intelligiblen Kraftzentrums gegenber, dessen Wirkkraft sich mit dem vollstndig passiven (grob-) stofflichen Kçrper zu einer temporren Einheit verbindet. Diese Verbindung realisiert sich ber eine sich dynamisch verdichtende und ausdnnende semikçrperliche Sphre, die den liminalen Raum zweier Grenzformen markiert (das Ochema). Mit dieser Explikation der vital union entwirft Cudworth eine Interaktionsform zwischen Intelligiblem und Stofflichem im dualistisch konzipierten Bereich der Schçpfung, die Antworten auf Dualismuskritiken gibt, wie sie z. B. Conway ußert und mit ihrem Konzept zu lçsen versucht.391 Beide Konzepte arbeiten dabei mit je angepassten Begriffen von Zentrumsvorstellungen und Kraftsphren. Aber whrend Conway in ihrem Konzept mit Action und Motion lediglich einen Modus der immer zugleich kçrperlich und geistig seienden, einen kreatrlichen Substanz zugrunde legt,392 arbeitet Cudworth zunchst mit einer rein intelligiblen Wirkform, nmlich der 1m´qceia 1j t/r oqs¸ar der wesentlichen seelischen Energeia, d. h. der d¼malir oqsi¾dgr, die die Seele als Kraftzentrum ist.393 So „rettet“ Cudworths Dualismuskonzeption zugleich die vçllige Unstofflichkeit der Seele, die bei Conway im Rahmen ihres vitalistischen Substanzmonismus immer auch kçrperlich sein muss. Eine weitere zentrale Anregung fr Cudworths Konzeptionierung der plastic nature kçnnten Anstze wie die Conways gewesen sein, das Problem der innerweltlichen Bewegungsbertragung durch eine Kombination aus Hylozoismus und Okkasionalismus zu lçsen. Cudworth kritisierte dann besonders die okkasionalistische Tendenz derartiger Anstze, d. h. dass sie „be forced perpetually to concern the Deity in the immediate motion of every atom of matter throughout the universe […]“.394 Die explizite Positionierung der plastic natures als dienende Krfte, die im Bereich des Kreatrlichen exakt die Funktion der bertragung von Bewegung leisten, macht Gottes omniprsente und wirkurschlich relevante unmittelbare „intrinseck Presence“ im Kreatrlichen berflssig und entbindet ihn gleichsam von der Pflicht, aus diesem Modus heraus 391 Zur Dualismuskritik siehe z. B. Conway, principles, 211 f., 214 und 221 – 223. 392 Conway, principles, 229: „Motion and Action […] are nothing else but Modes or Manners of created Substances […]“. 393 Kurz gesagt bricht Cudworth den „vitalistic monism“ Conways bzw. hnlicher Anstze dadurch auf, dass er deren Argumente zur Widerlegung des Dualismus (dazu Hutton [2004], 87 – 89) kraftmetaphysisch zu entkrften und entsprechende Alternativen aus der Metaphysik des Neuplatonismus heraus zu entwickeln versucht. 394 System I, 224.

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1. Einleitung: Text, System und Methode

Bewegung immer neu hervorbringen zu mssen. Zudem vermeidet Cudworth auf diese Weise die Gefahr, des Pantheismus verdchtigt zu werden, der Konzepte wie das Conways durch die Rede davon ausgesetzt sind, Gott sei unmittelbar in allen Geschçpfen prsent, auch wenn sie mit den verschiedenen Begriffen eines Mediums zwischen Gott und Welt arbeiten.395 Durch seine kraftmetaphysische Konzeption einer vermittelten Anwesenheit Gottes in der Welt entgeht Cudworth diesem Vorwurf und kann trotzdem, wie Conway, von seinem Gott sagen, er sei wirkend und berall in der Welt und ihren Geschçpfen bis auf die Ebene der Einzelatome hinunter anwesend. Beide Systeme gehen von einem sehr hnlichen Begriff des ersten Prinzips aus, beide operieren auf der Ebene des Kreatrlichen bei der Erklrung von Bewegung mit sehr hnlichen Begriffen wie z. B. Zentrum, Sphre, Kraft (virtue). Trotzdem fallen ihre Erklrungen hçchst unterschiedlich aus: Gegen das hylozoistische Konzept versucht Cudworth mit seinem Entwurf zu zeigen, dass ein schçpfungsimmanenter Dualismus mçglich und denkbar ist. Wie zuvor werden die entscheidenden Differenzen nicht nur im Bereich der Konzeption des ersten Prinzips/Gottes ausgetragen, sondern ebenso umfassend im Bereich der Einstufung und Charakterisierung der Materie, in dem ein zuvor entwickelter Prinzipienbegriff auf das zentrale Problem der Bewegungserklrung angewendet wird. Mçglicherweise entwickelt Cudworth aus derartigen konstellatorischen Impulsen und berlegungen heraus im Durchgang durch die antike, sptantike und patristische Philosophie im System zuerst seine Form des Atomismus und damit die seinem System entsprechende Materiekonzeption und unterzieht dann die Konkurrenzkonzepte (Mechanisten, Reduktionisten und Hylozoisten) einer – auch im weiteren Verlauf des System immer wieder aufgenommenen – Kritik. Das Problem der Bewegung und d. h. auch der Strukturierung der Materie steht damit am Beginn der Lektrebewegung des System, das in seiner intertextuellen Struktur von dort zum Prinzipien- und Gottesbegriff und wieder zurck zur Materie und den Formen von Gottes vermitteltem Wirken in ihr fhrt und gerade aufgrund seiner Anlage in einmaliger Weise Text- und Weltstruktur ineinander abbildet und die Lektre zur Realittserfahrung werden lsst.

395 Besonders Conways Analogie zwischen einem Holzbalken und Gottes Funktion als Medium jeder Bewegung kçnnte derartige Pantheismusgedanken motivieren, denn wie die Massivitt vollstndig im Balken aufgeht, gleichsam dessen Modus ist, wrde Gott als Bewegungsmedium, als das er allem Kreatrlichen zudem unmittelbar anwesend ist, zu einem Modus des Kreatrlichen; vgl. Conway, principles, 227.

2. Transformation und Konstruktion: Empedokles als „religious atomist“ und exemplum eines „true system“ of the universe1 Ausgehend von der Bedeutung der Frage nach dem ontologischen Status der Materie, ihrer Struktur und ihren wesentlichen Eigenschaften in den Welterklrungen der ebenso naturphilosophisch wie theologisch fokussierten Cambridge Platonists, versteht auch Cudworth im Rahmen seines Weltmodells den Atomismus folglich nicht in dem Sinne, dass mit ihm bzw. auf der Grundlage eines reduktionistischen Atomismus vollstndig erklrt werden kçnnte, wie und nach welchen Gesetzen die beobachtbaren Naturprozesse ablaufen. Vielmehr funktionalisiert er einen angepassten Atomismus in dem Sinne, dass er ihn gebraucht, um zu bestimmen, welchen ontologischen Status die stofflichen Dinge haben, was sie vermçgen und was nicht.2 Diese Bestimmung erfolgt mit dem

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Aspelin (1943), 11 benennt in diesem Zusammenhang die grundstzliche Motivation, die im Rahmen des oben skizzierten wissenschaftlichen Feldes zu Cudworths Versuchen, Neuplatonismus und Atomismus zusammenzudenken, gefhrt haben kçnnte: „Cudworth […] attempts to beat the enemy on his own ground by showing that a natural science conception of the world must lead to a religious and spiritualistic metaphysic.“ Die sich daraus ergebende Syntheseleistung, die Cudworth im System erbringt, wird ebd. 15 kurz skizziert: „In his metaphysical system the conception of God of the Christian theology, interpreted in accordance with Platonic categories, is united with the animistic conception of nature of the Renaissance, and with the new conception of matter of mathematical physics.“ Auf den synthetisch-integrativen Charakter des Ansatzes der Cambridge Platonists weist Flores (2008), 125 ebenfalls hin. Auf dieselbe Weise wie Empedokles wird auch Pythagoras von Cudworth in das System integriert (siehe System II, 5 – 21). Die Beobachtungen zu Empedokles bauen dementsprechend ergnzend auf den Analysen Neumanns auf, die dessen Grundthese in ußerst berzeugender Weise explizieren, dass Cudworth „den Pythagoreismus zum reinen noch unverflschten Prototyp eines Systems des religiçsen Atomismus [stilisiert], in dem neben materiellen auch immaterielle Substanzen proklamiert werden, an deren hierarchischer Spitze die transzendente Gottheit (die pythagoreische Monas) situiert ist: […]“ (Neumann [2008], 229 – 238, Zitat 229). Nicht zustimmen kann ich allerdings Neumanns Schlussfolgerung, „Cudworth eher als Pythagoreer denn als Platoniker zu bezeichnen“, denn, wie Neumann selbst teilweise zeigt, stellt sich die pythagorische Lehre bei Cudworth als hochgradig neuplatonische Konstruktion dar. Siehe Aspelin (1943), 16. Aspelins Beobachtung ist jedoch weitergehend zu differenzieren, u. a. sind Cudworths Konfigurationen des atomistischen Konzepts zu untersuchen, die Albee (1924), 265 f. in seiner Einschtzung der Funktion des Atomismus im

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2. Transformation und Konstruktion: Empedokles als „religious atomist“

Zweck, aus ihr die Notwendigkeit der Annahme intelligibler Wirkkrfte, die den Atomismus wesentlich ergnzen, fr eine Naturphilosophie abzuleiten, die dem Anspruch gengt, die Naturphnomene umfassend in ihrer, letztlich von Gott abhngigen, Prozessualitt erklren zu kçnnen. Vor diesem Hintergrund nimmt Cudworth eine grundlegende Differenzierung in gute, religiçse und in schlechte, atheistische Atomisten vor.3 Um jeweils aussagekrftige Exempla der jeweiligen Gruppe anzufhren, setzt sich Cudworth mit den Vorsokratikern auseinander, die ihm unter vereinheitlichender Perspektive beinahe alle zu Atomisten werden. D. h. er bernimmt Vertreter einer sehr frhen Phase der Philosophiegeschichte samt der ihnen in der spteren Doxographie zugewiesenen „Lehren“,4 um sie im Sinne seiner speziellen und aus den Bedrfnissen seiner Argumentation motivierten Einteilung in seine Ausfhrungen einzugliedern und zu funktionalisieren. Dabei geht er u. a. davon aus, dass selbst solche Positionen, die er als atheistisch einschtzt, eine gewisse Form von Wahrheit aufweisen und auf diese hin befragt werden kçnnen, wie ein Abschnitt aus seiner frhen Schrift „The True Notion of the Lords Supper“ zeigt: „All great Errours have ever been intermingled with some Truth.“5 Hinsichtlich der Problemstellung einer Transformation antiker Ausgangssachverhalte ist also zu fragen, was Cudworth in der Auseinandersetzung mit den atheistischen Atomisten aus dem antiken Bestand oder Material, das ihm zur Verfgung steht, bernimmt, und wie er dabei verfhrt, dieses Material unter einer gleichfalls den Anforderungen der Konstellation angepassten und

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System als eine von zwei „interior difficulties or inconsistencies“ vollstndig unbeachtet lsst. Vgl. dagegen Neumann (2008), 228 – 230 zu System I, 34. Z. B. in System I, 34 u. ç. Zur Funktion dieser Differenzierung in Cudworths Argumentation siehe z. B. Hutton, in Dematteis/Fosl (2002), 148: „By citing examples of good and bad among earlier proponents of atomism he sought to prove that atomism and atheism do not necessarily go together.“ Die Unterscheidung bereitet also gleichsam den Boden fr Cudworths eigene naturphilosophische Synthese. Zugespitzt formuliert bei Osborne (2007), 20: „So the irony is that Cudworth will draw the antidote to atheism out of the very theories that the atheists have used in its support.“ Vgl. auch Breteau (1991), 98 f. zu dieser historischen Konstruktion und ihrer Relevanz fr Cudworth, More und ihre Zeitgenossen. Zugleich weist Breteau darauf hin, dass auch und gerade Descartes in diese „dualistische“ Geschichte des Atomismus eingeordnet und so quasi zum Brennspiegel der aus christlicher Perspektive kontrren Potentiale des Atomismus wird. Bei den sog. Vorsokratikern ist zu beachten, dass deren „Lehren“ damit bereits durch mindestens eine, zuweilen mehrere Transformationsphasen umgeformt wurden, bevor sie in der Form vorlagen, auf die sich Cudworth jeweils als genuine, vorsokratische Lehre bezieht. Es lsst sich beobachten, dass sich Cudworth diese Transformationsfilter im Zuge der produktiven Aneignung der jeweiligen Texte zunutze macht, wie z. B. bei seiner Empedoklesinterpretation den „Filter“ Stobaios. Cudworth, A Discourse Concerning The True Notion Of The Lords Supper, London 1642, 1. Siehe dazu Hedley, in Corrigan/Turner (2007), 160 – 161.

2. Transformation und Konstruktion: Empedokles als „religious atomist“

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durch sie modifizierten neuplatonischen Perspektive in seine Argumentation einzufgen,6 um ber einen rein materialistischen Atomismus hinauszugelangen hin zu einem Atomismus, der ergnzend zu den stofflichen Atomen intelligible und unstoffliche Wirkkrfte nicht nur zulsst, sondern notwendig fordert.7 Bevor Cudworth mit der Darstellung der „guten“ Atomisten beginnt, wird zuerst der Gegner konstruiert und bestimmt: der Atomismus Leukipps und Demokrits,8 den Cudworth bereits als eine Depravation des ursprnglichen, wahren9 Atomismus begreift. Schließlich behauptet Cudworth, weder die spteren antiken noch die modernen Vertreter des Atomismus htten diese Lehre wahrhaft verstanden, denn sonst wren sie aufgrund der systemimmanenten Ansprche des wahren Atomismus nicht zu Atheisten geworden.10 Der Exposition dessen, was er selbst unter dem wahrhaftigen Atomismus versteht, dient u. a. seine transformierende Interpretation der Lehre des Empedokles,11 der ebenfalls in den Gegensatz zwischen „Moschical“ und „Democritical atomical 6 Vielleicht kann man diesen Vorgang so charakterisieren, dass Cudworth „Umbesetzungen in einem Funktionsgerst“, in seinem Fall den naturphilosophischen Diskursen und der neuplatonisch fundierten Annahme einer pia philosophia bzw. prisca theologia, vornimmt. Zu dieser Vorstellung siehe Blumenberg (1996), 539 – 542; Blumenberg spricht dabei davon, dass slots in einem vorgegebenen Stellensystem umbesetzt werden ([1996], 87 f.). Siehe auch die exzellenten Ausfhrungen bei Neumann (2008), 227 – 238. 7 Siehe z. B. System II, 54 – 58, 66 und 77 – 78 in der Darstellung antiker Positionen. Eine „ontologische Ersetzung der Kategorie der Substanz durch die Kategorie der Quantitt“ (Blumenberg [1996], 407) findet also bei Cudworth entgegen der zeitgençssischen Tendenzen, die sich paradigmatisch im Selbstverstndnis und den Texten der Royal Society spiegeln, gerade nicht statt. Siehe auch System I, 34: „Before Leucippus and Democritus, the doctrine of atoms was not made a whole entire philosophy by itself, but looked upon only as a part or member of the whole philosophic system, and that the meanest and lowest part too, it being only used to explain that which was purely corporeal in the world; besides which they acknowledged something else, which was not mere bulk and mechanism, but life and self-activity, that is, immaterial or incorporeal substance; the head and summit whereof is the Deity distinct from the world. So that there have been two sorts of Atomists in the world, the one atheistical, the other religious.“ 8 System I, 11 – 16 und 90, eine Rekonstruktion aus Aristoteles. Zu Cudworths Vorgehen, zwei Gruppen von Atomisten in einer historischen Konstruktion voneinander abzuheben, siehe auch Bondi, in Simonutti (2007), 345 – 347. 9 „Wahr“ ist in diesem Kontext in dem oben im Rekurs auf Berkeley explizierten Sinn zu verstehen. 10 System I, 20; vgl. dazu auch die Darstellung der „Italic philosophers“ in System III, 83 und 111 f. 11 Hier ist zu beachten, dass fr Cudworth Empedokles als Pythagorer gilt. Zu Pythagoras als Vertreter des „guten“ Atomismus s. Osborne (2007), 20 und Neumann (2008), 227 – 238. Zu Empedokles an dieser Stelle im System siehe Osborne (2007), 21 – 22, die allerdings bei der rein seriellen Deskription des Inhalts einiger zitierter antiker Texte stehenbleibt, ohne nach deren (mçglicher) Funktion in der Argumentation des System zu fragen.

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2. Transformation und Konstruktion: Empedokles als „religious atomist“

philosophy“ hineingestellt wird, in den Gegensatz zwischen einem religiçsen Atomismus, dessen Wurzeln bis auf Moses zurckgefhrt werden und der mit Gottes bestndigem Wirken in der Welt rechnet, und einem reduktionistischmechanistischen Atomismus, der alles Intelligible und Transzendente aus dem Bereich urschlicher Naturerklrung verbannen mçchte.12 Grundlegend gilt: Ein Atomismus ohne !s¾lator oqs¸a, ohne intelligible Substanz und Wirkform, ist ein Selbstwiderspruch, da sich in ihm, wie Cudworth spter in verschiedenen Argumentationszusammenhngen explizieren wird, weder ordnungsvolle Strukturen noch Bewegung erklren lassen.13 Diese grundstzliche und von Cudworth selbst nicht weiter thematisierte, geschweige denn problematisierte Annahme einer aus systemimmanenten Grnden notwendigen Ergnzung rein stofflicher Atome um unkçrperliche Wesenheiten zum Zweck der naturphilosophischen Erklrung weltlicher Phnomene zeigt deutlich seinen produktiv-umgestaltenden Umgang mit der Antike: Die Annahme ist letztendlich bedingt durch eine subjektive, aus theologischen wie aus naturphilosophischen und hermeneutischen Grnden motivierte Entscheidung, neuplatonisch zu argumentieren. Daher muss Cudworth die atomistischen Positionen fr eine neuplatonische Transformation çffnen und Platonismen und korpuskularistische Anstze im Vollzug dieser Transformationen verschiedenartig konfigurieren. Den systematischen Transformationskern fr dieses Vorgehen bildet Cudworths Konzept (oder vielleicht eher Konstrukt) einer atomistischen „Materie“ in ihrer Verknpfung mit dem Wirken der unkçrperlichen Wesenheit. Hier wird besonders das Problem der Interaktion zwischen Intelligiblem und Stofflichem virulent, und es ist zu untersuchen, wie Cudworth es zu lçsen versucht und ob er dabei auf platonisch-neuplatonische Lçsungsstrategien zurckgreift. 12 System I, 101. Aspelin (1943), 18 – 22 bietet einen Abriss ber die Quellen, die zu dieser „conception of a philosophia mosaica“ (ebd. 22) gefhrt haben kçnnten; s. dazu auch Bondi, in Simonutti (2007), 341 – 344 fr die Darstellung dieser Konstruktion durch More in der Auseinandersetzung mit Descartes und 345 – 348 zu Cudworths Konstrukt eines mosaischen Atomismus. Besonders auf diesen Beobachtungen, in denen u. a. Cudworths hybridisierendes Vorgehen diskutiert wird, bauen die folgenden berlegungen auf. Siehe auch Sailor (1964), der in seinem Aufsatz die historische Konstruktion der „Moschical atomical philosophy“ mit der Epikureismus-Renaissance in der zweiten Hlfte des 17. Jhs. in England verknpft; zu Cudworth ebd. bes. 11 – 12. Vgl. dazu auch Passmores Einschtzung von Kapitel 1 des System I als „medley of history and myth composed in the spirit of the Florentine Academy“ (Passmore [1951/1990], 20). Zur Vorstellung, dass eine atomistische Welterklrung bis auf Moses bzw. den mit Moses identifizierten Mo(s)chus zurckgehe bei Cudworths Freund und Kollegen Henry More siehe desweiteren Hall (1990/1997), 110 – 111. Sailor (1988), 511 – 513 weist darber hinaus nach, dass Newton diese Konstruktion aus Cudworths System bernommen hat. 13 Vgl. die Aufnahme dieser Problematik u. Kap. 7.5.

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Damit also Empedokles als Exemplum dieses Atomismus dienen kann, den Cudworth fr den ursprnglichen Atomismus hlt, der sich allerdings aus der Beobachterperspektive als neuplatonisch gefrbte Transformation darstellt, muss Cudworth an Empedokles Lehre zwei Punkte aufzeigen kçnnen: 1) dass Empedokles einen Atomismus demokriteischer Prgung gelehrt hat (alles ist aus kleinsten Teilchen aufgebaut, denen außer Form, Grçße und Gewicht keine Qualitten zukommen)14 2) dass Empedokles unstoffliche Wirkprinzipien mit diesem Atomismus systematisch verbunden hat. Erst wenn diese beiden Bedingungen erfllt sind, ist Empedokles aufgrund von Punkt 1) ein „religous Atomist“ und aufgrund von Punkt 2) ein „religious Atomist“.15 Um eine Empedoklesfigur im Sinne eben dieser Konstruktion eines religious atomist schaffen und aus antiken Texten belegen zu kçnnen, greift Cudworth auf ein Zeugnis des Stobaios zurck.16 Schon die Wahl dieses Quellentextes erfolgt offensichtlich gezielt, da Cudworth mit Stobaios einen Autoren heranzieht, der im frhen 5. Jahrhundert nach Christus geschrieben hat.17 Zudem kann Cudworth sich in diesem Fall auf kein Zitat, sondern lediglich auf eine von Stobaios selbst verfasste Zusammenfassung der Lehre des Empedokles berufen. Diese wird von Cudworth im Original zitiert und anschließend bersetzt. Aus dieser bersetzung und der sich unmittelbar daran anschließenden Paraphrase geht hervor, dass Empedokles Elemente nochmals aus kleinsten 14 Nur in diesem Fall nmlich kann sein Aufweis der systematischen Notwendigkeit intelligibler Prinzipien auch als Widerlegung von zeitgençssischen Atomisten wie z. B. Gassendi und Charleton „funktionieren“, da nur so vom selben stofflichen Prinzip ausgegangen wird. Vgl. z. B. System I, 66: Cudworth bezeichnet hier Empedokles 1k²wista hqa¼slata als !tºlour !po¸our. Cudworth ist also darum bemht, zu zeigen, dass Empedokles denselben Atombegriff hatte, wie ihn auch Gassendi/Charleton benutzen, d. h. den Atombegriff von Demokrit bzw. Epikur – in jedem Fall allerdings, wie zu zeigen ist, neuplatonisch angereichert. Zudem scheint Cudworth diesen Atombegriff auch mit Hobbes Kçrperbegriff zu identifizieren. Carr (1953), 344 weist entsprechend darauf hin, dass die Zuordnung der Demokriteisch-Epikureischen Stoff- und Atomvorstellung an Hobbes, die Cudworth vornimmt, der Materiekonzeption Hobbes in wesentlichen Punkten nicht gerecht wird. Cudworth transformiert also auch Hobbes Lehre projektiv, um ein mçglichst einheitliches Bild von der Position zeichnen zu kçnnen, die er ablehnt. So entsteht eine zeitenbergreifende Hybridvorstellung des Atomismus. 15 System I, 34. 16 System I, 26 – 27. Cudworth bezieht sich auf Stobaios, Anthologium 1, 17, 1 (ed. Hense/ Wachsmuth). 17 Stobaios Zusammenfassung, die hier von Cudworth fr die Darstellung der Lehre des Empedokles gebraucht wird, findet z. B. keine Bercksichtigung in der Sammlung der Vorsokratikerfragmente von Kirk/Raven/Schofield.

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Teilchen bestanden, die Cudworth ohne zu zçgern als Atome ausweist (wofr es sonst in dem uns heute zur Verfgung stehenden Textbestand keinen Anhaltspunkt gibt; es liegt sogar ein Gegenzeugnis des Aristoteles vor, das Cudworth jedoch leichthin vom Tisch wischt).18 Hier ist der erste grundstzliche transformatorische Eingriff darin zu sehen, dass Cudworth seine bersetzung mit einem erklrenden Einschub ergnzt. In diesem Einschub identifiziert er die hqa¼slata, von denen Stobaios in Bezug auf Empedokles spricht und aus denen, Stobaios zufolge, Empedokles Elemente zusammengesetzt sein sollen, als Atome des Demokrit, d. h. er deutet sie als qualittslose kleinste, unteilbare Materieteilchen. So erhalten sie eine Bedeutung, die der Begriff hqa¼slata zunchst nicht ohne weiteres deckt.19 Mosheim weist in einer seiner Anmerkungen zu diesem „Zitat“ bei Cudworth weitergehend darauf hin, wie stark Cudworth fokussierend und ausblendend mit dem griechischen Text und damit schließlich auch mit der Version der Lehre des Empedokles, die Stobaios bietet, im Sinne seiner eigenen Ziele umgeht. Stobaios charakterisiert die „Elemente der Elemente“ (die hqa¼slata) nmlich weitergehend mit dem eigentmlichen Adjektiv bloioleq/.20 Genau den Satzabschnitt, der dieses Wort enthlt, lsst

18 System I, 27: „Empedocles makes the smallest particles and fragments of body that is, atoms [Hervorh. L. B.] to be before the four elements.“ 19 Zur Originalitt dieser Verfahrensweise vgl. System I, 34, Anm. 5 von Mosheim. Nach Mosheim ist Cudworth der erste, der diese Konstruktion eines vorsokratischen Philosophen im Sinne der pia philosophia versucht. 20 Die Anwendung dieses Begriffs auf die Philosophie des Empedokles ist ohnehin sehr problematisch. Im allgemeinen wird er mit der Philosophie des Anaxagoras in Verbindung gebracht und ist erst seit Aristoteles in Gebrauch. Dass Empedokles dieses Adjektiv tatschlich verwendet haben kçnnte, ist also sehr fraglich. Zudem scheint Stobaios sein Referat der Lehre des Empedokles fast wçrtlich von Plutarch bernommen zu haben. Interessant ist nun, dass Cudworth alle diese – vielleicht modern zu nennenden – Argumente nicht anfhrt, denn das wrde die gesamte Darstellung der Lehre des Empedokles bei Stobaios in Frage stellen und Cudworth in die unangenehme Situation bringen, dass Empedokles gar keine Elemente von Elementen postulierte und eben gerade nicht der Atomist war, den Cudworth fr seine Konstruktion und die Legitimation der Behauptung eines wahren, mosaischen Atomismus braucht. Vgl. auch Cudworths Auseinandersetzung mit Anaxagoras z. B. in System II, 168 („spurious atomism“) und die aufschlussreiche Kontrastierung von Anaxagoras und Empedokles in System II, 30: „Anaxagoras therefore supposed two substantial self-existent principles of the universe, one an infinite Mind or God, the other an infinite Homoiomery of matter, or infinite atoms; not unqualified, such as those of Empedocles and Democritus, which was the most ancient and genuine atomology [Hervorh. L. B.], but similar, such as were severally endued with all manner of qualities and forms, which physiology of his was a spurious kind of atomism [Hervorh. L. B.].“ Siehe auch System III, 226 f., wo Cudworth von „qualified atoms“ bei Anaximander spricht. Auch diese Stelle zeigt, dass er sich der Unterschiede zwischen den Homoiomerien-Lehren der Vorsokratiker und der Lehre der Atomisten sehr deutlich bewusst war, die entsprechenden Ausfhrungen des

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Cudworth in seinem Zitat jedoch einfach weg. Dieses Adjektiv bezeichnet nmlich den Sachverhalt zwischen Teilen und Ganzem, dass jedes Teilchen dem Ganzen, das aus eben diesen Teilchen zusammengesetzt ist, genau entspricht, d. h. es liegen in diesem Fall, wie Cudworth selber allerdings an spterer Stelle anmerkt,21 gerade keine qualittslosen Atome vor, und das, was in Cudworths System die plastic nature leisten soll, wre bereits in die kleinsten Teilchen selbst verlagert. Genau diese Taktik der Modifikation bzw. Erweiterung des Atombegriffs wenden zeitgençssische Atomisten wie Gassendi, Charleton oder Petty an,22 um ohne die Annahme intelligibler Wirkformen zu erklren, wie Gott seine Zwecke in der Natur umsetzt. So postuliert z. B. Gassendi und mit ihm Charleton seminale Korpuskelcluster, denen eine Art vis finalis inhriert, oder Petty konzipierte seine Atome als eine Art „Mini-Magneten“ mit all den okkulten Qualitten und Krften des sichtbaren Magneten.23 Ließe Cudworth derartige Charakterisierungen der „Atome“ des Empedokles zu, verlçre seine intendierte, neuplatonisch fundierte Verbindung zwischen Atomen und intelligiblen Wirk- oder Formkrften ihre kritische Spitze gegen den zeitgençssischen Atomismus, denn Cudworths Kritik und auch seine Alternativentwrfe besitzen nur dann eine berzeugende Aussagekraft, wenn in ihnen, zumindest in dieser Hinsicht, ein strenger Atombegriff zugrunde gelegt wird, der Cudworths Auffassung vom Kçrperbegriff z. B. Hobbes korrespondiert. Erst ein derartig strenger Atombegriff setzt Cudworth nmlich in die Lage, dessen Vertretern den Verstoß gegen die Grundprmisse des Atomismus vorzuwerfen, dass es nmlich unmçglich sei, dass etwas aus Nichts entstehe. Denn Cudworth versteht dies, wie zu zeigen sein wird, in seinem neuplatonischen Horizont so, dass es nach dieser Prmisse eigentlich unmçglich sei, aus niedrigeren Eigenschaften wie z. B. Grçße, Gestalt und Gewicht eines ordnungslos bewegten stofflichen Kçrpers hçhere Vermçgen wie Leben oder Bewusstsein quasi emergentistisch abzuleiten, Atomisten wie Gassendi oder Petty in seinen Augen dies aber trotzdem tun. Es wird deutlich, dass Cudworth Stobaios zwar braucht, um einerseits zu zeigen, dass bereits Empedokles Atome im demokriteischen Sinne (kleinste Teilchen mit klar begrenzten primren Eigenschaften, die in keiner Verbindung zu den sekundren Eigenschaften stehen, die das aufweist, was aus den Atomen Stobaios zu den „Atomen“ des Empedokles also ignorieren muss, damit ihm Empedokles statt zum „spurious atomist“ zum „religious atomist“ werden kann. 21 Vgl. die vorhergehende Anmerkung, außerdem System I, 168 und III, 84 f. 22 Siehe den entsprechenden Abschnitt zu Charleton in der „Einleitung“. William Petty (1623 – 1687) gilt, orientiert an Bacon, als einer der wichtigsten Vertreter der Royal Society und Anhnger der Methoden der „neuen Wissenschaft“; vgl. Wood, in Ueberweg: 17. Jahrhundert 3/2 (1988), 408 – 412. 23 Zu Gassendi siehe Osler (2001), zur Atomkonzeption Pettys s. Henry (1986), 351; zu der Charletons ebd. 340 – 341.

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zusammengesetzt ist) annahm, dass er andererseits allerdings alles im Zitattext weglsst, was seiner systematischen Intention abtrglich ist, einen demokriteischen Atomismus mit intelligiblen Wirkprinzipien neuplatonischer Provenienz im Rahmen der pia philosophia zusammenzudenken. Die systematischen Ansprche des bergeordneten Vollzugsrahmens der Argumentation, die es fordern, aus Empedokles einen sozusagen neuplatonischen Atomisten zu machen, fhren dazu, dass Cudworth zunchst in dieser Phase der Darstellung einen Aspekt der Lehre des Empedokles mit Hilfe eines selektiven Umgangs mit dem benutzten Textmaterial hervorhebt, fast verabsolutiert.24 Die transformative Funktionalisierung des sptantiken Textes vollzieht sich also zunchst quantitativ durch selektiven und ausblendenden Umgang mit der Menge des zur Verfgung stehenden Referenztextmaterials. Dieser fhrt seinerseits zur Anpassung des Inhalts an die systematischen Vorgaben bzw. das Argumentationsziel dieses Textabschnitts im System. In einem zweiten Schritt zeigt Cudworth dann,25 dass Empedokles zustzlich zu den stofflichen Atomen unstoffliche Wesenheiten annahm und er deshalb nicht den „Democritical Atomists“ zugerechnet werden darf, die ein falsches, reduktionistisches und daraus folgend auch atheistisches Weltbild vertreten.26 Bisher scheint es sein Ziel gewesen zu sein, seinen Lesern Empedokles als materialistischen Atomisten darzustellen bzw. als einen Philosophen, der denselben Atombegriff besaß wie Demokrit. Was Empedokles jedoch fr Cudworth auszeichnet und ihn als eine Art Scharnier- oder Vermittlungsfigur so interessant gemacht haben drfte, ist die Tatsache, dass dessen Lehre noch zwei weitere, von den Elementen verschiedene Grçßen aufweist: Liebe (vikºtgr) und Streit (me?jor), die die Funktion der „bewegenden Krfte“ des kosmischen Kreislaufs innehaben.27 An diesen beiden Grçßen setzt Cudworth mit einer weiteren Transformation an, um zu zeigen, dass bereits Empedokles mit unkçrperlichen Wesenheiten neuplatonischer Charakteristik argumentierte. Er bernimmt zu diesem Zweck diese beiden Konzepte aus Empedokles und interpretiert sie durch eine Kombination mit anderen antiken Texten, die sich z. T.

24 Dieser selektive Umgang zeigt sich auf zwei Ebenen: Zum einen daran, dass Cudworth hier ausgerechnet Stobaios auswhlt, zum anderen daran, dass er das Zitat bewusst so aus dem ursprnglichen Kontext ausschneidet, dass es problemlos in seine Argumentation passt. Er nutzt also verschiedene Transformationstypen und -techniken, um Empedokles in das fr die eigene Argumentation „richtige Licht zu setzen“. 25 Mçglicherweise wird Cudworth hier nicht nur von seinen eigenen Systemansprchen motiviert, sondern auch von Aristoteles, Metaph. A, 985a4 ff. 26 Vgl. z. B. System I, 168. Dort fhrt Cudworth gegen diesen Reduktionismus Aristoteles an. 27 Vgl. KRS, Frg. 317.

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direkt, z. T. implizit auf Empedokles beziehen (Aristoteles, Simplikios, Plotin).28 Im Zuge dieses Verfahrens, auf das spter zurckzukommen ist, bildet Cudworth bei Empedokles die beiden bereits angesprochenen Transformationskerne (!s¾latoi oqs¸ai einerseits und atomistisch strukturierte Materie andererseits) heraus, so dass am Ende dieser Interpretation, die zugleich einer Umdeutung entspricht, Liebe und Streit als Wirkkrfte mit formender, strukturierender Wirkung stehen,29 die zwischen einer intelligiblen, archetypischen Ideenwelt und dem stofflichen Kosmos vermitteln.30 Aus den Empedokleischen Konzepten wird eine „plastic power superior to fortuitous mechanism“ neuplatonischer Frbung.31 Cudworth versteht sogar, wie noch zu zeigen ist, Plotin, Enn. III 2, 16 geradezu als Kommentar zu Empedokles,32 d. h. er legt gemß der hermeneutischen Prmisse Ficinos33 mit Plotin den seiner Ansicht nach ursprnglichen, gçttlich offenbarten (und neuplatonischen) Sinn der Empedokleischen Lehre frei. Zu diesem Zweck weist er flankierend diejenige, mit der Vorstellung einer planvoll im gçttlichen Auftrag agierenden Kraft (und mit dem biblischen Schçpfungsbericht) schlecht zu vereinbarende, Theorie des Empedokles als oberflchlich zurck, die in der Entwicklung der Lebewesen durchaus Stadien der Fehlentwicklung und vçlligen Unvollkommenheit, mithin der Irrationalitt, zulsst.34 Damit hat Cudworth zum ersten Mal gezeigt, dass Empedokles neben seinen „Atomen“ auch noch unstoffliche Wirkkrfte annahm,

28 Vgl. unten das Kapitel „Naturgesetze, Magie und Liebe: Neuplatonische Transformationen vorsokratischer Philosophie – Fokussierung, Ausblendung und Kombination“. 29 In System I, 352 betont Cudworth zudem, dass Liebe und Streit fr eine Wirkkraft stnden, die den Wechsel von Werden (als Zusammentreten von Atomverbindungen) und Vergehen (als Auseinandertreten) verursacht, dieser Doppelaspekt der einen Kraft in ihrer Wirkung also die unterschiedlichen Namen begrnde. Siehe auch unten im Kapitel „Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe: Neuplatonische Transformationen vorsokratischer Philosophie – Fokussierung, Ausblendung und Kombination“. 30 Siehe System I, 49, 228 und 230 f. 31 System I, 49. 32 System I, 230; vgl. auch 186. 33 S. o. S. 21 – 23 mit Anm. 94 auf S. 22. 34 Vgl. z. B. die Frgg. 333 – 335 bei KRS, die alle sog. B-Fragmente, d. h. von Diels/Kranz als authentisch eingestufte Zitate, ausmachen. Cudworth konnte diese Unterscheidung natrlich nicht treffen. Man muss vielmehr annehmen, dass fr ihn zunchst einmal alle Zeugnisse in gleichem Maße als authentisch galten. Allerdings geht er in diesem Fall davon aus, dass Aristoteles Empedokles an dieser Stelle entweder missverstanden habe oder aber ein verderbter Text des Aristoteles vorliege (System I, 48). Vgl. dazu die kritischen Bemerkungen Mosheims in Anm. 5. Cudworth scheint hier trotz allem also wider besseres Wissen zu argumentieren und sich die Texte in der Haltung einer systembildenden Ignoranz anzueignen, die alles ausblendet, was nicht in die eigene Argumentation passt.

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die Strukturen des rein Intelligiblen – irgendwie – in das Stoffliche bertragen. Er wird auf diese Vorarbeiten zurckkommen.35 In einem letzten Transformationsschritt bringt Cudworth schließlich diese beiden Aspekte der Lehre des Empedokles systematisch zusammen. In diesem Schritt tritt Cudworth den Nachweis an, dass Empedokles, gerade weil er ein „echter“ Atomist ist, neuplatonische Wirkprinzipien zulassen muss, und der reduktionistische Atomismus sie eigentlich notwendig fordert.36 Der Fehler, den Demokrit, Leukipp und z. B. Hobbes begangen haben, liegt also darin, genau diese Notwendigkeit nicht gesehen zu haben, whrend Empedokles ihn nicht macht, zumindest in der Konstruktion und Version, die Cudworth von seiner Lehre gibt. Die metaphysische Notwendigkeit dieser Verknpfung lsst sich allerdings nur auf der Grundlage der neuplatonischen Metaphysik fordern und durchsetzen, die Cudworth aufgrund seiner Annahme einer prisca theologia und pia philosophia nicht anzweifelt.37 Daher nutzt Cudworth verschiedene Texte und die in ihnen auftretenden Homonymien aus, um durch Kombination zunchst die Atome zum Stoff, aus dem etwas „gemacht wird“, umzugestalten.38 Um weitergehend zu explizieren, auf welche Weise aus diesem Atom-Stoff etwas „gemacht wird“, deutet Cudworth ihn dann zur Materie als einem aufnehmenden Prinzip (eine genuin platonisch-neuplatonische Vorstellung) um.39 So werden letztendlich die Atome, die Stoff sind, ber den Zwischenschritt der Gleichsetzung dieses Stoffs mit der aufnehmenden Materie zur neuplatonischen Materie. Um nun diese Deutung zu fundieren, fhrt Cudworth zunchst in System I, 52 erneut Stobaios an. Aus dem an dieser Stelle zitierten Text geht hervor, dass das, worauf sich das gestalterische Wirken der – so zumindest bersetzt Cudworth – gçttlichen pqºmoia richtet, die Atome sind, aus denen die Welt aufgebaut ist und die derart zu den Objekten dieses Wirkens werden. Im Neuplatonismus hat eben diese Objekt-Position die Materie inne, so dass Cudworth mit diesem Schritt die Gleichsetzung von Materie und Atomen aufgrund derselben Position vorbereitet, die sie im ontischen Gefge innehaben, und 35 Seiner eigenen historistischen Einstellung entsprechend sieht Mosheim eine derart transformierende Aneignung der antiken Zeugnisse zu Empedokles sehr kritisch, siehe System I, 229 f., Anm. 7. 36 Vgl. dazu System I, 168: Aristoteles wird von Cudworth als Gewhrsmann gebraucht, um die Notwendigkeit beider Aspekte in ihrem Bezug aufeinander auf metaphysischer Ebene zu erweisen bzw. um zu zeigen, dass diese Vorstellung aufgrund ihrer universellen Verbreitung den Status von Wahrheit besitzt. 37 Zumal dann, wenn man, wie Cudworth, das peripatetische Erklrungsmodell des Verhltnisses von Materie und Form im Zuge der allgemein vorherrschenden Ablehnung (spt-)scholastischer Erklrungsanstze zurckweist. Vgl. z. B. System I, 89. Dazu u. a. Frank (2003), 221 und Cassirer (2002), 231 – 240. 38 Diese „Funktion“ der Materie erlutert Cudworth u. a. in System I, 55 – 57 an Zitaten aus Seneca, Cicero, Aristoteles und Plutarch. 39 Vgl. Bergemann (2006), 183 – 187 und Halfwassen (2004), 120 – 122 und 124.

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aufgrund derselben Funktion, die sie erfllen. Darauf aufbauend konstruiert Cudworth durch Kombination verschiedener antiker und sptantiker Texte einen neuen Sachverhalt, der durch die Zuschreibung an Empedokles jedoch als dezidiert antik ausgewiesen wird und zugleich eine aktuelle Funktionalisierung in der Debatte mit zeitgençssischen Philosophen wie z. B. Descartes und Hobbes erlaubt: Anhand eines spten Autors (Stobaios) zeigt er, welche Funktion die Atome bernehmen, um dann an stoischen und mittel-neuplatonischen Texten zu „beweisen“,40 dass die Materie (Hyle) dieselbe Funktion bernimmt. Vor diesem Hintergrund kann er schließlich Materie und Atome identifizieren. So werden Empedokles Atome, die Cudworth zu Beginn der Argumentation aus dem Text des Stobaios herauskonstruiert hat, zum passiven, materialen Prinzip, das seiner Gestaltung und Strukturierung harrt. In einem nchsten Schritt weist Cudworth nach,41 dass die Mehrzahl der antiken Philosophen die Ansicht vertrat, dieses stoffliche Prinzip sei notwendig mit einem intelligiblen Wirkprinzip verbunden, da es selbst fr sich aufgrund seiner vollstndigen Passivitt nicht in der Lage ist, sich zu bewegen oder irgendwie zu strukturieren. D. h. um Bewegung und Strukturierung des passiven Prinzips zu erklren, muss ein zweites aktives Prinzip angenommen werden. Cudworth ersetzt bei diesem Vorgehen die Prmisse der Atomisten, die Bewegung sei den Atomen gleichsam inhrent, durch den neuplatonischen Kçrperbegriff. Seine Transformation der Empedokleischen Lehre beruht dabei zudem auf folgenden implizit vorausgesetzten Platonisch-neuplatonischen Hintergrundannahmen: Zunchst lsst sich aus Platon ableiten, dass die Materie an sich unbewegt ist.42 Gravierender jedoch ist Proklos Festlegung, dass Kçrper allein berhaupt keine Wirkung ausben kçnnen, Urschlichkeit jeder Art im Stofflichen also anders als durch eine Einwirkung von Kçrpern auf Kçrper erklrt werden muss.43 Spter wird Cudworth im Zusammenhang mit der Einfhrung seines Konzepts einer plastic nature auf andere Erklrungsdefizite des reduktionistischen Atomismus eingehen. An dieser Stelle der Argumentation fokussiert er ausgehend von (s)einer Platonisch-neuplatonischen Kçrpervorstellung auf das grundstzliche Problem von Urschlichkeit im Bereich des Stofflichen. Um diese erklren zu kçnnen, ist aufgrund der Kombination von Bewegungslosigkeit und Passivitt der stofflichen Materie und ihrer Partikel, d. h. der „Atome“, ein weiteres Wirkprinzip notwendig, um die vielheitlich und ordnungsvoll strukturierten 40 System I, 56 f.; vgl. auch 303. 41 System I, 55 – 57. 42 Pl., Lg. 893b-895b: Aus der Differenzierung zwischen Autokinesis und Heterokinesis lsst sich auf die Bewegungslosigkeit der Materie schließen. 43 Siehe Proklos, ET § 80: „%poiom d³ ja· !d¼malom t¹ s_la jah artº7 […]“. Im Unterschied dazu ist die Einwirkung von Kçrpern auf Kçrper die einzige Form der Urschlichkeit, die der Atomismus zulsst, siehe z. B. Lukrez, DRN I, 304 und 440 – 444 (ed. Bchner).

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Phnomene der Welt erklren zu kçnnen. Ein Wirkprinzip, das Cudworth zudem als ein Prinzip erweisen kann, das (fast) der gesamten antik-paganen Philosophie gemeinsam ist. Dabei begrndet dieser Nexus des Atom-KçrperMaterie-Begriffs mit einer intelligiblen Form der Urschlichkeit, dessen Notwendigkeit auf einer neuplatonisch motivierten Transformation des Atombegriffs fundiert ist, Cudworths zentrale Behauptung, „that there is no inconsistency betwixt the atomical physiology and theology, but also that there is, on the contrary, a most natural cognation between them“.44 Der neuplatonische Hintergrund, mit dem Cudworth argumentiert und aus dem heraus er seine Sicht der antiken Philosophie entwickelt, ist auch in seiner weiteren Charakterisierung der atomaren Materie zu erkennen: Cudworth bezeichnet hier das passive Prinzip (t¹ p²swom) als das „which suffers and receives“, dem weiterhin ein aktives, wirkendes Prinzip (t¹ poioOm) entspricht, das zugleich als Bewegungsursache eingefhrt wird.45 Auch wenn Cudworth zunchst und um eine Verbindung zum in System I, 52 zitierten Stobaiostext herzustellen,46 eine stoische Konzeption der Materie als eines passiven Prinzips zu vertreten scheint – er fhrt zu Beginn Cicero und Seneca an, um diesen Materiebegriff zu explizieren, – zeigt doch seine Wortwahl: „which suffers and receives [Hervorh. L. B.], dass er das stoische Konzept neuplatonisch erweitert denkt. Mit „and receives“ bringt Cudworth nmlich eine neuplatonisch konnotierte Funktion der Materie zum Ausdruck. Whrend die Kçrper auch bei Proklos das sind, was eine Einwirkung erleidet,47 wird die Materie z. B. von Plotin eindeutig in ihrer Funktion als das bezeichnet, das die Einwirkung intelligibler Formkrfte in sich aufzunehmen geeignet ist.48 Die Platonisch-neu44 System I, 54; vgl. auch 58. 45 System I, 55. 46 Stobaios hatte hier unter Bezug auf den Pythagorer Ecphantus die (notwendige) Verknpfung von Atomismus und ordnender Pronoia Gottes behauptet. 47 Siehe Proklos, ET § 80. 48 Diese Vorstellung geht zurck auf den Timaios Platons, in dem die „dritte Art“ als aufnehmendes Prinzip und eine Art Prgemasse bezeichnet wird (Ti. 49a). Cudworth greift in seiner Auslegung des passiven Prinzips damit auf den im Neuplatonismus terminologisch gebrauchten Begriff des d´weshai zurck; dazu Bergemann (2006), 184 – 187. Vgl. auch Gysi (1962), 117, Anm. 3 mit einem Zitat aus 1 Serm. 26. Zur Materie als pahgtijºm im Platonismus siehe auch Hager (1962), 434. Cudworth braucht diese Funktion der Materie, um einen Aspekt in der stofflichen Welt zu haben, der dem ad extra gerichteten Aspekt der Omnipotenz Gottes entspricht, vgl. System I, 307 – 308: „But because this infinite power is a thing, which the Atheists quarrel much withal, as if it were altogether unintelligible, and therefore impossible; we shall here briefly declare the sense of it, and render it (as we think) easily intelligible or conceivable, in these two following steps: First, that by infinite power is meant nothing else but perfect power, or else as Simplicius calls it, fkg d¼malir, ,a whole and entire power, such as hath no alloy and mixture of impotency, nor any defect of power mingled with it. And then again, that this perfect power (which is also the same with infinite) is really nothing else but a

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platonische Vorstellung einer aufnehmenden Materie geht damit ber die stoische Konzeption der passiven und erleidenden Materie, also das ex qua bzw. unde fiat, hinaus. Cudworth ergnzt und przisiert das stoische Konzept in seinem Sinn, indem er es hin zum Intelligiblen çffnet und damit einen stoischen Immanentismus von vornherein verhindert. Zugleich wird sein neuplatonischer Ansatz um die stoische Semantik erweitert. Cudworth wird sich diese Kombination in spteren Zusammenhngen noch wiederholt zunutze machen (so z. B. bei seinen Ausfhrungen zur plastic nature). Auf diese Weise stellt Cudworth zugleich sicher, dass das aktive Prinzip, die intelligible Wirkkraft, in ihrem Wirken gleichsam nicht ins Leere luft, denn nun korrespondiert die plastic power systematisch mit den Atomen als dem, das dieses Wirken aufnehmen und worin oder an dem sie ihr gestaltendes Wirken vollziehen kann.49 Dieser Konzeption entspricht, dass Cudworth Tierseelen als vereinzelte Ausstrahlungen einer transzendenten, intelligiblen Quelle des Lebens darstellt,50 die, sobald sie auf eine Materie treffen, die spezifisch geeignet ist, sie aufzunehmen und durch sie in den Zustand des Seins-dem-Vollzug-nach versetzt, d. h. aktuiert zu werden, die Materie beleben und mit Sinneswahrnehmung etc. ausstatten.51 In diesen neuplatonischen Systemkontext gehçrt auch die schließlich ins Christliche gewendete Annahme, die Materie verdanke ihr Dasein der ersten Ursache und drfe nicht als selbstndiges oder ewiges Prinzip gedacht werden.52 Zustzlich erhlt diese Materie aber auch Aspekte der res extensa des Descartes zugeschrieben, die Cudworth funktionalisiert, um grundstzlich die Existenz des Stoffes berhaupt zu etablieren.53 Auch Descartes wird dabei einer Art Transformation unterzogen, die ihn zu einem Vertreter einer atomistischen Materieauffassung mit neuplatonischen Einschrnkungen macht und die mit seiner Annahme einer unendlich teilbaren Materie eigentlich nicht zu vereinbaren ist. Darber hinaus weist Descartes Stoff in sich Teilchen

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power producing and doing all whatsoever is conceivable, and which does not imply a contradiction; for conception is the only measure of power and its extent, as shall be showed more fully in due place.“ Ebenso System I, 570. Vgl. dazu Gysi (1962), 117, Anm. 3. Zum neuplatonisch-Plotinischen Prinzip, dass eine Wirkkraft etwas braucht, um daran ihre Wirkung zu entfalten, vgl. Bergemann (2006), 158 f. und System I, 236, wo Cudworth Plotin, Enn. III 8, 1 zitiert. Vgl. auch System I, 168. Hier zitiert Cudworth Arist., Met. I, 8, 988b, um seine Annahme einer notwendigen Verknpfung von Materie und Unstofflichem zu sttzen. System I, 80. Cudworth unterscheidet daher konsequent u. a. in System I, 214 die Vorstellung der neuplatonischen Materie als einer aufnehmenden von der des Hylozoismus. Cudworth fhrt in diesem Zusammenhang als Beleg dafr, dass dies eine uralte gyptische Glaubenswahrheit sei, Iamblich und Proklos an, ber die er dieses Philosophem als Lehre des Hermes Trismegistos (re-)konstruiert, die dann von Orpheus (wieder belegt mit Proklos) bernommen worden sei (System I, 570 – 571). System I, 57, 67, 117, 252 und kritisch 275. Vgl. Gysi (1962), 153 – 154.

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2. Transformation und Konstruktion: Empedokles als „religious atomist“

auf, die sich gegenseitig nach mechanischen Gesetzen bewegen, whrend Gott den Erhalt dieser Bewegung garantiert.54 Die Fhigkeit, Bewegung zu verursachen und zu bertragen, spricht Cudworth hingegen explizit den Stoffteilchen ab und der unkçrperlichen Substanz zu.55 Der ursprnglich Cartesische Dualismus zwischen einem ausgedehnten, kontinuierlichen und seit der Schçpfung in sich bewegten Stoffkontinuum (der res extensa) einerseits und der sich selbst bewussten res cogitans andererseits wird derart von Cudworth zwar sprachlich aufgenommen, aber semantisch wesentlich umgeformt. Die „extension, which is corporeal substance“56 ist zugleich ein „passive bulk“ aus atomaren Partikeln. Ihr korrespondiert eine res cogitans, die von Cudworth allerdings als „internal self-activity or life […] to which [..] belongs […] also the power of moving body“ charakterisiert wird und damit als Ursache von Bewegung wesentlich mehr ist als Descartes res cogitans. 57 So lsst sich diese Materie-Konzeption als Hybridisierung aus den verschiedenen antiken, sptantiken sowie zeitgençssischen Anstzen verstehen, die sich den Zielsetzungen des System in der Auseinandersetzung mit den agonalen Impulsen verdankt, auf die Cudworth reagiert. Damit ist Empedokles zu einem frhen Paradigma eines „religiçsen Atomisten“ stilisiert und in die zeitgençssischen Debatten eingebunden. Zustzlich zu den, aus einem Stobaios-Text herauskonstruierten, Atomen, die dank der fokussierenden Bearbeitung dieses Textes den Demokriteisch-Epikureischen Atomen entsprechen, dann aber im Zuge einer semantischen Umwertung zur ebenso passiven wie aufnahmefhigen Materie werden, erschließt sich Cudworth außerdem die diesem materiellen Prinzip spezifisch korrespondierenden unstofflichen Wirkkrfte, indem er Empedokles Wirkgrçßen Liebe und Streit als plastic power interpretierte, die Bewegung und Struktur an die bedrftige58 Materie vermitteln.

54 Zum Nachweis der Notwendigkeit der Existenz von Materie fhrt Cudworth im Bezug auf Descartes ein an Plotin Enn. IV 7 erinnerndes Kriterium an, das neben der Materie eine intelligible Substanz notwendig macht. 55 System I, 57. Vgl. dazu auch System I, 252. 56 System I, 57. 57 Cudworths Qualifizierung der res cogitans setzt bereits seine spteren Explikationen der Seele und ihrer Urschlichkeit voraus und ist als Merkmal des noetischen, universalwissenschaftlich-kombinatorischen Schreibens anzusehen. 58 Zu dieser Materiekonzeption vgl. Cudworths Beschreibungen der Materie als „dead and stupid“ z. B. in System I, 90, 162 f., 169 und 172. Zur Bedeutung von „stupid“ als „destitute of sensation, consciousness, thought or feeling“ siehe Aspelin (1943), 25, Anm. 1. Zu Patrizi als mçglichem Vorbild fr Cudworth, die Materie als „dead“ zu bezeichnen, s. Lotti, in Simonutti (2007), 413 – 414. Mit dieser Materievorstellung wendet er sich zugleich gegen hylozoistische Anstze wie die Cavendishs, die den Materieteilchen selbst Leben und Wahrnehmung zuschreibt, siehe Clucas (2000), 126 f. und die Glissons, der sich ausdrcklich gegen ein Verstndnis der Materie als „materia stupida“ wendet, siehe dazu Hartbecke (2006a), 198 f. Anne Conway wiederum kçnnte sich mit ihrer aus-

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Gezeigt werden sollte, warum und wie Cudworth zu dieser Konstruktion kommt. Den Weg hin zu ihr zeichnet die Tradition der pia philosophia und der prisca theologia, verstanden als hermeneutische Leitlinien im Sinne Ficinos, vor. Cudworth stellt sich in diesen harmonisierenden und integrativ wirkenden Traditionszusammenhang, der ihm die Grundzge der Argumentation und der Interpretation vorzeichnet:59 eine alte Wahrheit in den Texten der Antike zu finden, die zudem, und gerade darin folgt Cudworth Ficino, neuplatonisch fundiert bzw. geprgt ist, d. h. eine metaphysische Wahrheit ist. Diese hermeneutische Matrix formt und bestimmt seine Auswahl und seinen umgestaltenden Umgang mit den von ihm benutzten Texten, die er durch bewusst selektive Begrenzung der Textmenge oder des Textausschnitts und die Kombination verschiedener Texte miteinander in ihrem Sinngehalt seinem Argumentationsverlauf und -ziel anpasst. Als Konsequenz wird aus Empedokles Lehre eine den spezifischen argumentatorischen Anforderungen seines Systems angepasste Konstruktion, die den Boden fr die folgenden Ausfhrungen vorbereitet. Empedokles Lehre als solche bot sich Cudworth besonders deshalb an, weil sie mit ihren vier Elementen in Kombination mit der atomistischen Ausdeutung derselben durch Stobaios sowohl einen materiellen Aspekt als auch mit den beiden Grçßen Liebe und Streit einen potentiell immateriellen Aspekt aufweist. Durch die spezifische Ausgestaltung und Nutzung des semantischen Potentials dieser beiden Aspekte in einer neuplatonischen Lesart kann Cudworth sie als Ausgangspunkt nutzen, um unter Anwendung verschiedener Transformationstechniken wie Kombination, Selektion und Fokussierung Empedokles als einen ursprnglichen religiçsen Atomisten im Sinne seiner „pia metaphysica“ darzustellen,60 einer pia metaphysica, in deren Rahmen er u. a. Atomismus und neudrcklichen Ablehnung der Idee einer „toten Materie“ kritisch mit Cudworth auseinandersetzen; zu Conway siehe Clucas (2000), 133. Die Tendenz, die Materie zu personalisieren, ist bereits bei Plotin zu beobachten, z. B. in Enn. III 2 und I 8. Zu Liebe und Streit des Empedokles als intelligible Wirkkrfte siehe u. a. System I, 183 und 186. 59 Zur prisca sapientia und ihrer Bedeutung fr die Legitimierung antik-paganer Texte in der Philosophie der Frhen Neuzeit siehe Leinkauf (1993), 246 – 254, dessen einfhrende berlegungen zu diesem Konzept bei Kircher auch auf Cudworth zutreffen: „Identisch ist der Wahrheitsgehalt der sapientia, verschieden nur die Intensitt, die sich nach der zeitlichen Nhe zum Ursprung bemißt. Alle Arkanlehren […] werden so zu historischen Momenten einer Tradition, gleichsam zu Gliedern einer catena aurea, die den Wahrheit Suchenden kurzschließt mit den Anfngen des Wissens. […] Entscheidend ist aber ebenso, dass die ganze Palette der prisca-sapientia-Texte zu einem in sich konvertiblen Zusammenhang wurde […] und dass die Theologisierung der paganen Weisheit deren Lehrer und Schulhupter zu legitimen Sukzessoren christlicher Autoritten (Adam, Moses, Noah) machte [alle Hervorh. im Original]“ (Zitat auf S. 248 – 249). 60 Unter „pia metaphysica“ verstehe ich Cudworths religiçs motivierten Syntheseversuch, die neuplatonische Metaphysik in modifizierter Form zu benutzen, um atomistische und

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2. Transformation und Konstruktion: Empedokles als „religious atomist“

platonische Geistmetaphysik zusammenzudenken versucht.61 Besonders Empedokles Prinzip der Liebe ist dabei in einem christlich-neuplatonischen Kontext dazu angetan, zur Wirkursache par excellence, sogar zum ersten Prinzip zu werden.62 In diesem Zusammenhang sind die kritischen Anmerkungen Mosheims zu bercksichtigen, denn sie kçnnen einen ersten, gleichsam im Negativ verfassten Aufschluss darber geben, wie Cudworth mit seinem heterogenen Textmaterial verfhrt, um die Liebe zu der neuplatonischen intelligiblen Grçße zu machen, die er fr seine Argumentation bençtigt.63 Wie im Kapitel der Analyse von Cudworths Konzept der plastic nature zu zeigen ist, fungiert also Empedokles „Liebe“ fr Cudworth gleichsam als prfigurierende Explikation der eigenen Vorstellungen. Die inhaltlichen Parameter der Transformationen, die Cudworth an den ihm zur Verfgung stehenden Referenztexten vornimmt, werden also grundstzlich von der am Umgang mit der Figur des Empedokles zu erkennenden systematischen Verknpfung unterschiedlicher Elemente im Rahmen dieser pia metaphysica bestimmt: erstens seines Konzepts der strukturierend wirkenden oqs¸a !s¾lator, zweitens des neuplatonisch-atomistisch konfigurierten Konzepts der Materie und drittens der Konzeption einer Interaktion zwischen diesen beiden Bereichen. An diese Ergebnissse kann Cudworth anschließen und seine eigene Systematik entwickeln. Bevor er jedoch zur Explikation der fundamentalsten intelligiblen Formkraft in der Welt kommt, bereitet er der Einfhrung der plastic nature systematisch-argumentatorisch den Boden, indem er sowohl auf einen seiner Ansicht nach intrinsischen Hauptwiderspruch und die damit verknpfte Defizienz des reduktionistischen Atomismus hinweist als auch die hylozoistisch modifizierten Atomismusvarianten zu widerlegen versucht, die die strksten Konkurrenten seines eigenen Entwurfs sind.

christliche Positionen vor dem Hintergrund der sich in England im 17. Jahrhundert entwicklenden new sciences miteinander zu vereinbaren. 61 Zur Rolle des Empedokles als Pythagorer in der catena philosophorum bei Ficino vgl. Allen (1998), 25. Nach Allen scheint Empedokles fr Ficino keine derart prominente Rolle wie bei Cudworth als ein exemplum des wahren, religiçsen Atomismus zu spielen. 62 Siehe System I, 142, 176 und 327. So wird z. B. die Liebe bzw. der Eros Hesiods in ein christlich-neuplatonisches Prinzip transformiert. Vgl. auch System I, 400 f. 63 Z. B. System I, 176, Anm. 3; 229, Anm. 7; 400, Anm. 1; zur Liebe bei Hesiod siehe 406, Anm. 2. Fr Cudworth kann, im Unterschied zur Interpretation der entsprechenden Stelle bei Hesiod durch Mosheim, Liebe auf keinen Fall eine rein immanentistische „interior generating power“ sein, die vollstndig dem Bereich der Materie zugehçrt. Denn 1) ist seine Materie ein vollkommen passives und rein empfangendes Prinzip, das daher keine immanenten, ihm eigenen Krfte aufweisen darf, und 2) ist Liebe bzw. die ihr korrespondierende plastic nature ein Prinzip, das quasi von oben, aus dem gçttlichen Geist (Nous) kommend in das Stoffliche hinein- und dann erst in ihm wirkt.

3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus Dementsprechend legt Cudworth zunchst in Kapitel 2 des System ausfhrlich die von ihm so bezeichnete „atomistische Grundprmisse“ aus, dass „Nichts aus Nichts entstehe“.1 Diese wird von ihm zum Zweck einer umfassenden Atomismuskritik instrumentalisiert, die darauf basiert, „that the Democritic philosophy, which is made up of these two principles, Corporealism and Atomism complicated together, is essentially atheistical“.2 Er expliziert also seine Kritikpunkte an der von ihm strikt abgelehnten reduktionistischen Form des Atomismus,3 die alles aus der bloßen Bewegung von Atomen im Leeren herleiten mçchte und keine anderen Prinzipien oder Substanzen außer Kçrpern und der Notwendigkeit ihrer Bewegungsablufe zulsst. In seiner Argumentation fhrt diese Annahme zur ausschließlichen Forderung nach einer causa materialis und zu der daraus folgenden – fr Cudworth atheistischen – Behauptung, dass alles in der Welt sich als Modus des Stoffes erklren lassen solle, also zu einer Position, die von Descartes, Hobbes und Charleton vertreten wird, die Cudworth kurze Zeit spter erwhnt bzw. implizit 1

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System I, 110 f. Die Prmisse besitzt schon bei Lukrez eine beraus prominente Rolle als „principium“ von „naturae species ratioque“ (so in DRN I, 148 – 150 und çfter; siehe auch Epikur, ad Hdt. § 38; vgl. auch Arist., Metaph. 1062b: Hier gilt dieser Satz als Prmisse aller Naturphilosophen) und wird z. B. von Hobbes bernommen; s. o. in der „Einleitung“ zu Hobbes. Zu den neuplatonischen Implikationen, die dieser – atomistische – Lehr- und Grundsatz fr Cudworth im System besitzt, siehe Carr (1953), 346 und unten das Kapitel „God is always understood a creator […] out of nothing – Die Trinitt als schçpferische Kraft“. System I, 100. Zum Reduktionismus dieser Form des Atomismus gegenber dem „wahren“ Atomismus siehe Aspelin (1943), 31: „Democritus makes use of the mechanical aspect in Pythagorean philosophy. But as he holds on to this thought in a one-sided way, and denies a spiritual world, he maims and deforms this true physiology.“ Diese Form des Atomismus wird explizit vertreten von Lukrez, DRN I, 154 – 155 (ed. Bchner 1973/ 2005): „perspiciemus, et unde queat res quaeque creari // et quo quaeque modo fiant opera sine divum [Hervorh. L. B.].“ Es liegt nahe, dass Cudworth die Inhalte und Formulierungen aus DRN mit anderen Texten zum Atomismus, z. B. aus Aristoteles und Texten zu Epikur, z. B. aus Diogenes Laertios oder Cicero, zu einem Gesamtbild amalgamiert, um den „atheistischen“ Atomismus in seinem Sinne zu konturieren, der zustzlich mit zeitgençssischen atomistischen Anstzen, z. B. von Descartes oder Hobbes, aufgeladen wird.

116 3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus verhandelt.4 Da fr Cudworth bestimmte Zustndlichkeiten wie z. B. Leben, Denken oder (Selbst-) Bewusstsein energetische Zustnde sind, die sich aus dem Seelenkern als selbstreferentiellem Energie- oder Kraftzentrum oder der Energieform der plastic nature ableiten, kçnnen sie nicht aus rein stofflichen Eigenschaften (wie Grçße, Gestalt, Lage und Bewegung) abgeleitet werden, da sie, per definitionem, fr Cudworth (und jeden Neuplatoniker) einer vollstndig anderen, hçheren ontischen Ebene zugehçren. Daher bedeuten fr Cudworth rein atomistische Erklrungen dieser hçheren Zustndlichkeiten5 einen Widerspruch zur Prmisse, dass niemals Etwas aus Nichts erklrt werden kann, wobei Cudworth eine Erklrung ohne – aus seiner Sicht – hinreichenden Grund mit einer Erklrung gleichsetzt, die etwas aus Nichts hervorgehen lassen will. Seine „berformung“ des Konkurrenzmodells, die zugleich eine Transformation dessen antiker Vorlufer impliziert, konzentriert sich nun primr auf den Begriff der Materie bzw. des atomaren Kçrpers als des kleinsten Materiebestandteils. Entgegen den berlegungen Plotins zur Materie,6 die Cudworth bewusst ausblenden muss, entwickelt Cudworth sein eigenes Konzept einer atomar strukturierten Materie mit neuplatonischen Zgen. Er setzt voraus, was er bereits in der Abgrenzung der „religiçsen Atomisten“ von den falschen, reduktionistischen Atomisten und in der Kritik an den hylozoistisch geprgten Formen des Atomismus an Grundstzlichem entwickelt hat: Seine Materie ist oberflchlich atomar strukturiert, vçllig passiv hinsichtlich dieser Oberflche, ordnungslos-chaotisch, aber geeignet und prdisponiert, die Wirkungen intelligibler, von Gott abhngiger Wirk- und Formkrfte aufzunehmen und durch sie aktuiert zu werden. Infolgedessen konzentriert sich Cudworth zunchst auf eine Auseinandersetzung mit dem aus seiner Sicht zentralen Problem der atomistischen Bewegungslehre, in deren Vollzug alle fr seine Argumentation wichtigen Punkte thematisiert werden kçnnen. Derart setzt er sich zugleich mit den antagonistischen Impulsen der Konstellation auseinander, in der er sich befindet. Zu diesem Zweck reiht Cudworth schlicht Gegenbehauptungen gegen Lehrstze der Atomisten aneinander:7 Ohne an dieser Stelle (anders in System II, 588) auf die atomistische Prmisse, die Atome seien „schon immer“ in Bewegung gewesen,8 einzugehen, setzt Cudworth den neuplatonischen Kçrper4

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Z. B. Gassendis Anstze in 105 oder Hobbes in System I, 108 f. u. ç. sowie Descartes in System I, 117 – 118, wo Cudworth ausdrcklich von „res extensa“ spricht und „extended substance, body or matter“ miteinander gleichsetzt. Siehe u. a. System I, 122. Z. B. in Enn. II 4, 7, 20 – 28. System II, 586 – 587. Die Einheitlichkeit und der Zusammenhang der Interpretation von Cudworths Vorgehen insgesamt sowie das Bestreben, Redundanzen wenigstens z. T. zu vermeiden, machen es hier notwendig, Inhalte zusammenzufhren, die im Text des System selbst weit auseinander liegen. Vgl. dazu z. B. KRS Frg. 577.

3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus 117

begriff als allgemein gltig an und kann in diesem Zusammenhang auf seiner Konstruktion des Empedokles als einer Art Scharnierfigur und wahrem Atomisten aufbauen: „For first, it is undeniably certain, that motion is not essential to all body as such, […]“. Hinter dieser Behauptung ist, wie gezeigt, eine Vorstellung zu vermuten, wie sie in §80 der Institutio des Proklos formuliert wird: „%poiom d³ ja· !d¼matom t¹ s_la jah artº“.9 Diese „Atome“ kçnnen als neuplatonisch-atomistische Hybridfiguration aufgrund ihrer Passivitt und Inaktivitt nicht von sich aus bewegt sein: „Again, it is certain likewise, that matter or body, as such, has no power of moving itself freely […]“10. Damit ist eine wesentliche Position im atomistischen System radikal und explizit umbesetzt. Mit diesem Ansatz verschrnkt Cudworth zugleich den bekannten Kritikpunkt, dass eine „einfache“ Atombewegung, die ohne intelligible ordnende und strukturierende Formkraft, also „furtuitous“, ablaufe, keinerlei rational erkennbare Ordnungsstrukturen in der Welt hervorbringen kçnne. Aufbauend auf diesen Kritikpunkten, die sich z. T. erst als Ergebnis eines transformatorischen Eingreifens ergeben und den Atomismus selbst nicht direkt treffen wrden, kann Cudworth dann die von den Atomisten zur Erklrung komplexer Gebilde bis hin zu Weltsystemen vorgebrachten Modelle schlichtweg ignorieren, da sie alle ganz grundstzlich eine Eigenbewegung der Atome/ Kçrper voraussetzen und zustzlich den Begriff der Atombewegung nach seiner Ansicht teleologisch berbelasten.11

9 Mit %poiom d³ ja· !d¼matom werden zwei „Negativ-Attribute“, die bei Plotin allein der Hyle zukommen, die zwar die Grundlage oder „Tiefe des Kçrpers“ ausmacht (Enn. II 4, 5, 6 – 7), keinesfalls aber schon selbst Kçrper und damit wiebeschaffen ist, dem „Kçrper“ zugesprochen. Da Atome immer schon Kçrper sind (vgl. KRS Frg. 588: die Atome sind pq_ta s_lata), wird Cudworth durch diese von Proklos vorgenommene bertragung die Umformung der Atome in Partikel der neuplatonischen Materie und damit die Verschmelzung zweier ursprnglich nicht vereinbarer Konzepte erleichtert. Mçglich wird dies aber wie gesagt nur, wenn Cudworth andere Aussagen Plotins zur Materie ignoriert, die ihr gerade die atomare Struktur absprechen. 10 System II, 587. 11 Zu diesen Erklrungsmodellen siehe z. B. KRS Frgg. 578 – 580, 583, 584. Zur Entstehung von Welten siehe u. a. KRS Frgg. 563 – 566, 568. Zugleich ignoriert Cudworth in seinen Widerlegungen die vom atomistischen System ausdrcklich zugelassene und geforderte Bewegung von Atomen innerhalb eines Gefges, vgl. KRS, S. 463 mit System II, 586. Cudworth lehnt ebenfalls eine hylozoistische Konzeption der Materieteilchen ab, die diese zu lebendigen und wahrnehmenden „Monaden“ macht. Mçglicherweise denkt Cudworth in diesem Fall an Leibniz, der in der Mitte der 1670er-Jahre Stuart Brown zufolge die Ansicht vertreten haben soll, Atome seien nur aus dem Grunde unzerstçrbar, weil sie mit „minds“ verbunden seien, siehe Brown, in Hedley/Hutton (2008), 246 f. Eine hnliche Vorstellung taucht bereits bei Albertus Magnus auf, der den atomartigen „Samen“ oder Elementen von Steinen und anderen Dingen Seelen zuspricht, siehe Bonk, in Bonk (2003), 28, Anm. 20. Ihre weitere frhneuzeitliche Aus-

118 3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus Nachdem er auf diese Weise den atomistischen Kçrperbegriff umgewandelt hat, reduziert Cudworth auch den Bewegungsbegriff und passt ihn an seinen eigenen, hybriden Kçrperbegriff an. Alle Bewegungsarten des Kçrpers werden so als reine Ortsbewegung klassifiziert, die als „heterokinesy“ nur durch eine vom Kçrper ausdrcklich unterschiedene Bewegungsursache hervorgerufen werden kann.12 Die Bewegungsursache bestimmt Cudworth im Rahmen seiner metaphysischen Systematik und ihres neuplatonischen Fundaments als „active force“ und „vis movens“, als „energy of a self-active substance upon that sluggish matter or body.“13 Das beste Beispiel fr eine derartige Substanz ist die (Einzel-)Seele, die schon bei Platon im Phaidros als t¹ aqt¹ jimoOm charakterisiert wird.14 Um die (Einzel-)Seele als unstoffliches, belebendes und strukturierendes Prinzip etablieren zu kçnnen, identifiziert Cudworth entsprechend und ohne es zu explizieren „self-activity“ und „autokinesy“. Damit wird die (Einzel-)Seele zur „self-active substance“, die ihre Energie bzw. Wirkkraft auf den passiven Kçrper bertrgt, mit dem sie in „vital union“ verbunden ist15 und

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gestaltung findet diese Annahme neben Leibniz, wie bereits erwhnt, u. a. bei Cavendish, Glisson und Conway. System II, 589. Mçglicherweise greift Cudworth damit, wenn auch vermittelt, eine neuplatonische Differenzierung von Bewegungsarten auf, die bei Proklos, Inst. § 14 einen exemplarischen und bndigen Ausdruck findet: „All that exists is either moved or unmoved; and if the former, either by itself or by another, that is, either intrinsically or extrinsically (aqtoj¸mgtom […] 2teqoj¸mgtom): so that everything is unmoved, intrinsically moved, or extrinsically moved. […] the mover is superior to the moved […] the first thing set in motion is the self-moved, which is in fact the link between the unmoved and the things which are moved extrinsically. At once mover and moved, the self-moved is a kind of mean term between the unmoved mover and that which is merely moved“ (bs. Dodds). Hier wird am konkreten Fall einer neuplatonisch integrierten Aristotelischen Vorstellung und Bewegungsdifferenzierung Cudworths Konzept der plastic nature prfiguriert. Fr die einzelnen Konzepte und ihre Platonischen sowie Aristotelischen und peripatetischen Ursprnge siehe Dodds, 201 im Kommentar zur entsprechenden Propositio. Besonders die Bestimmung der aqtoj¸mgta als zugleich bewegt und bewegend im Kontext einer Erçrterung der 5muka eUdg in Proklos Th. Pl. I (xiv), 32 ff. macht die Zuordnung zu Cudworths plastic nature zustzlich plausibel. Ebenso hat vor ihm Patrizi in seiner Panarchia I, 1r-1v, ausgehend von der Differenzierung zwischen den griechischen Begriffen aqtoj¸mgta und 2teqoj¸mgta, das Bewegungsprinzip zusammenfassend als „anima“ bestimmt. Cudworths Formulierung – statt von „Seele“ ist hier zunchst allgemein von „force“, „vis“ und „energy“ die Rede – zeigt die kraftmetaphysische Spezifikation seines Neuplatonismus gerade auch im Bereich der Naturphilosophie. System II, 589. Phdr. 245a. Denkbar ist, dass Cudworth diese Vorstellung vermittelt durch Proklos oder von Ficino bernommen hat; zu Ficino siehe Leinkauf (2006), 105 – 106, der besonders auf Ficinos Betonung der Verbindung von Selbstbewegung und belebender Funktion der Seele hinweist, mit der Platon zwar aufgegriffen aber auch umakzentuiert und transformiert wird – eine Verbindung, die auch bei Cudworth von Relevanz ist. System II, 589; siehe auch System I, 217, 245, 247.

3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus 119

den sie derart in Bewegung versetzt. Unter „self-activity“ ist folglich die Fhigkeit der Seele, sich auf sich selbst zurckzuwenden (die Selbstreflexion), gemeint und zwar in der Form, die ihr Proklos in Inst. §20, §186 (in Verbindung mit §83) und §189 gibt und die er zur physisch wirksamen Bewegung erweitert, was entscheidend ist fr die Verwendung bei Cudworth. Erst vor diesem Hintergrund wird einsichtig, warum Cudworth bergangslos Denken mit reflexiver Selbstbewegung identifizieren16 und damit einen gnzlich unatomistischen, nmlich neuplatonischen, Sachverhalt in die Argumentation einfgen kann. Im Atomismus dient die Seele nmlich keinesfalls als grundstzliches Prinzip fr jede Art von Bewegung.17 Die neuplatonische Systematik, die in diesem Fall ihre deutlichste Ausprgung bei Proklos in der Institutio findet, koppelt desweiteren die Fhigkeit zur Selbstreflexion mit der Unstofflichkeit dessen, was diese Fhigkeit besitzt. Es ist eben diese Kopplung, die es Cudworth im selben Argumentationszug ermçglicht, „some other substance besides body“18 zu postulieren und so den Weg frei zu machen fr die Einfhrung intelligibler Wirkursachen, seien diese nun als Seele oder als plastic nature konzipiert.19 Um die damit problematisch gewordene bertragung der bewegungsverursachenden Kraft auf den Kçrper zu erklren, expliziert Cudworth sein Konzept der „vital union“ zwischen Bewegungsursache und Bewegtem nher.20 Er handelt damit einen Themenkomplex ab, der in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden Modellen zur Erklrung von Naturprozessen von zentraler Bedeutung ist, und reagiert so auf einen weiteren agonalen konstellatorischen Impuls. Ausgehend von dem Gottesbegriff, den er in seinem Trinittskapitel entwickelt, werden dabei Gott und sein Verhltnis zur Welt in enge Beziehung zum Wirken der Gott nachgeordneten Krfte in der Welt gesetzt, so dass er die beiden Bereiche des Intelligiblen und des Stofflichen hinsichtlich ihrer Konzeptionierung wechselseitig erhellen kann. Er betont an dieser Stelle, dass die schçpfungsimmanenten Krfte Ausdruck der (vermittelten) gçttlichen Liebe und Gte seien, die die Welt weder sich selbst berlsst noch zum Spielball ihrer Willkr werden lsst.21 Damit lehnt 16 17 18 19

System II, 589: „[…] cogitation, which is self-activity or autokinesy […]“. Zum atomistischen Seelenbegriff siehe KRS, S. 465 f. und Anm. 26 auf S. 465. System II, 589. Vgl. Procl., Inst. § 15, Dodds 16/17 und 17/18. Cudworth scheint insgesamt in diesem Abschnitt des System stark von der Proklischen Systematisierung des Neuplatonismus in der Institutio beeinflusst zu sein, worauf besonders seine Differenzierung der Bewegungsarten in „autokinesy“ und „heterokinesy“ hinweist. Das griechische „2teqojimgs¸a“ ist im LSJ nur fr Proklos belegt. 20 Entgegen der Annahme Gysis (1962), 24, Cudworth lasse es offen, wie diese „vital union“ zu verstehen sei, bemht sich Cudworth offenbar doch darum, eine Konzeption zur Beantwortung dieser Frage zu entwickeln. 21 System II, 591. Dieser Passus ist gegen Descartes sowie gegen Okkasionalisten, radikale Calvinisten und Voluntaristen gerichtet, besitzt also einen zeitgençssischen Bezug. Vgl.

120 3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus Cudworth genau die theologische Position ab, die von vielen Vertretern der experimentell-mechanistischen Naturphilosophie fr die Legitimation der eigenen Methode geltend gemacht wird und die schließlich, nach Cudworths Einschtzung, dazu fhrt, nur noch stoffliche, rein materieimmanente Aktivitts- und Strukturprinzipien anzunehmen.22 Diese Prinzipien bekommen damit einen vollstndig anderen ontologischen Rang als die Cudworths. Cudworth verbindet also explizit seine berlegungen mit seinem Trinittskonzept, dem auf diese Weise, d. h. ber die Differenzierung der aus dem Stoffbegriff abgeleiteten unterschiedlichen Bewegungsarten der Auto- und Heterokinesis und ihrer Ursachen, ein entsprechender, systemkonformer Stoffbzw. Atombegriff zugeordnet werden kann. Dieser ermçglicht es Cudworth, die Form nher zu bestimmen, in der sich die nach außen wirkende „active energy“ des trinitarischen Gottes schließlich schçpfungsadquat umsetzen lassen kçnnte und die zugleich zur Widerlegung der verschiedenen atheistischen Positionen taugt. Cudworths Atome, an sich vçllig passiv und bewegungslos, bedrfen nmlich autokinetischer Bewegungsursachen und intelligibler Beweger, um in Bewegung zu kommen und um Bewegung, verstanden als Heterokinesis, von einem Kçrper auf den anderen bertragen zu kçnnen. Eine Art çkonomischer berlegung, die auf den noetischen, in diesem Fall als zweck-rational gedeuteten Zug im Wesen Gottes zurckgefhrt werden kann (Gott wirkt in hçchstem Maße effizient), gestattet es ihm zustzlich, mechanistische Wirkformen in sein Modell zu integrieren als eine Art Arbeitsmittel und -erleichterung fr die plastic natures, die sich dieser Strukturen gleichsam bedienen kçnnen: Nevertheless, we acknowledge that God and nature do things every where in the most frugal and compendious way, and with the least operoseness; and therefore that the mechanic powers are not rejected, but taken in, so far as they could comply serviceably with the intellectual model and platform; but still so as that all is supervised by one understanding and intending cause […] and that without setting his hands immediately to every work too, there being a subservient minister under him, an artificial nature, which, as an Archeus of the whole world, governs the fluctuating mechanism thereof, and does all things faithfully, for end and purposes intended by its director.23

Cudworth fhrt in diesem Abschnitt mehrere fr das Verstndnis seiner Materie-Konzeption zentrale naturphilosophische Zge zusammen. Die zeitgeMosheim in System II, 591, Anm. 2. Vgl. zu Cudworths diesbezglicher Ablehnung des Calvinismus Cassirer (2002/1932), 284 f. Vgl. auch Aspelin (1943), 9 f. und Breteau, in Hedley/Hutton (2008), 143: „[…] the main drive of his thought: a downright denunciation of theological voluntarism“ und 144 sowie Attfield, in Hedley/Hutton (2008), 148. 22 Vgl. Henry (1986), 365 f., wo Henry klar die Zusammenhnge zwischen den verschiedenen Gottesvorstellungen und Materiekonzeptionen herausarbeitet. 23 System II, 594.

3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus 121

nçssischen naturphilosophischen/-wissenschaftlichen Strçmungen nimmt er mit der Anerkennung der „mechanic powers“ auf eine pauschalisierende Weise auf. Zugleich werden diese jedoch dem teleologischen Wirken der intelligiblen Krfte untergeordnet und in Form dieser Unterordnung in Cudworths System integriert. Schließlich werden diese Krfte hierarchisch differenziert. Es ist anzunehmen, dass der Weltseele, die hier als Aspekt der gçttlichen Trinitt zu verstehen ist, eine zweite Form der All-Seele nachgeordnet ist, die Cudworth als „Archeus of the whole world“ bezeichnet, der seinerseits, wie der Gebrauch dieser Terminologie an anderen Stellen nahelegt,24 einer hçheren Stufe der plastic natures entspricht und daher unmittelbar in der Materie der Schçpfung wirkt. Diese wiederum wird indirekt als eine neuplatonische Materie charakterisiert, wenn Cudworth den in ihr ablaufenden Mechanismus als „fluctuating“ bezeichnet und dabei eine Eigenschaft der Materie, nmlich ihre vçllige Unbestndigkeit, auf mechanische Ablufe bertrgt, die zumindest nach dem Verstndnis der neuzeitlichen experimentellen Naturphilosophen nicht unbedingt als „fluctuating“ angesehen werden,25 weshalb dieses Partizip eher die den mechanischen Ablufen zugrunde liegende Materie meinen wird. Es ist diese Eigenschaft, die Cudworth seinen weiteren Ausfhrungen zur Materie und zur Interaktion zwischen dem Wirken des Intelligiblen und dem Stofflichen zugrunde legen kann, die er jedoch zugleich auf eine spezifische Art „atomistisch“ modifiziert. Wie bei Plotin steht diese Materie nmlich grundstzlich den Einwirkungen der untersten gçttlichen Formkrfte widerstndig gegenber, womit Cudworth der vordergrndig atomistischen Konzeption des Weltstoffes einen weiteren Aspekt der platonisch-neuplatonischen Materiekonzeption hinzufgt. Deutlich wird dies an der Personifikation der Materie, mit der Cudworth diesen Aspekt akzentuiert: Von den anfangs zu rein passiven Kçrpern umgedeuteten Atomen gelangt Cudworth nun zur personifizierten „irrational, senseless, and stupid matter“26, die in ihrer Unkoordiniertheit zweckgerichtete Entwicklungen und Strukturen weder hervorbringen, geschweige denn aufrechterhalten kann.27 Daher bedarf es der vernunfthaften Struktur des gçttlichen Nous/Logos, die der Materie im unmittelbaren Akt der Schçpfung und noch vor der Aktuierung durch die plastic natures mitgeteilt wird (offen bleibt, wodurch): „The divine Mind and Wisdom hath so printed its seal or signature upon the matter of the whole corporeal world, as that fortune and 24 Vgl. System I, 232, 238, 260. 25 Zu dieser Eigenschaft der Materie bei Plotin siehe Bergemann (2006), 198 – 200. Sie lsst sich eventuell zurckverfolgen bis Pl., Ti. 49a-50b. Cudworth bezeichnet die Materie direkt als „flssig“ z. B. in System I, 172, 174, 179, 622. 26 System II, 601. Vgl. auch die „stubborn [Hervorh. L. B.] necessity of matter“ in System II, 594. Siehe ebenso System I, 90, 162 f., 169, 172. 27 System II, 601.

122 3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus chance could never possibly have counterfeited the same.“28 Cudworth scheint hier in der Auseinandersetzung mit Descartes29 zwei Schçpfungsmodelle zu kombinieren bzw. das platonisch-neuplatonische Modell christlich-neuzeitlich zu konkretisieren. Sein Wortgebrauch („printed its seal or signature upon the matter“) lsst zunchst an Platons Timaios 50c denken: „Denn ihrer Natur nach liegt sie [die Natur, die alle Kçrper in sich aufnimmt] fr alles als Prgemasse bereit. […] Das Ein- und Austretende aber sind Nachbildungen der stndig seienden Dinge, nach diesen auf eine schwer auszusprechende, wundersame Weise geprgt, der wir ein andermal nachforschen mssen (bs. Schleiermacher).“ Zwar wird hier die „dritte Art“ als „Prgemasse“ bezeichnet, geprgt werden aber die nur schemenhaft bestimmten „Aus- und Eintretenden“, so dass in diesem Punkt die Platonische Beschreibung von der Vorstellung Cudworths abweicht. Zudem suggeriert Cudworths Wortgebrauch eine bestndige „Protostrukturierung“ der Materie, die mit der Einstufung der Materie im Neuplatonismus nicht zu harmonieren scheint.30 Cudworth argumentiert an dieser Stelle also mit einer christlich-frhneuzeitlich berformten Materievorstellung, die Gottes schçpferischer Stellung und seiner noetisch-liebenden Zuwendung zur Materie sowie der daraus resultierenden Struktur wesentlich mehr Raum gewhrt. Dabei greift er den Gedanken der panspermia auf.31 Diese wird ver28 System II, 602. 29 Zu Descartes Position s. o. u. a. den entsprechenden Abschnitt zu Descartes Die Welt, 40 – 43 (ed. Tripp) in der „Einleitung“, Abschnitt 1.5.1. 30 Zur vçlligen Affektionslosigkeit der Materie, die ein Bewahren dieser eingeprgten Strukturen verhindert, siehe z. B. Plotin, Enn. III 6, 9, 9 – 13. Auch wenn Plotin in III 6, 9, 7 – 9 als eine Mçglichkeit der Affektion der Materie den „Abdruck einer Form in Wachs“ andenkt, ist dies fr ihn jedoch nicht angemessen, die Art und Weise zu denken, der gemß die Formen in der Materie sind. Passender scheint ihm die vçllige Affektionslosigkeit des Spiegels. Dieses Bild wiederum passt nur schlecht zu Cudworths Metaphorik. 31 Zur panspermia bei Kircher, an der sich Cudworth orientiert haben kçnnte, siehe Leinkauf (1993), 100. Ausdruck findet dieser Gedanke mçglicherweise schon in den Sentenzen des Petrus Lombardus, Sententiae in IV libris distinctae, distinctio VII, cap. 41 (9), S. 364 (ed. Collegii S. Bonaventurae Ad Claras Aquas [Grottaferrata, 1971]): „Sed non est creator nisi qui principaliter ista format; nec quisquam hoc potest nisi unus creator Deus. Aliud est enim ex intimo ac summo causarum cardine condere ac ministrare creaturam, quod facit solus creator Deus; aliud autem pro distributis ab illo viribus et facultatibus aliquam operationem forinsecus admovere, ut tunc vel tunc, sic vel sic exeat quod creatur. Ista quippe originaliter ac primordialiter in quadam textura elementorum cuncta iam creata sunt, sed acceptis opportunitatibus prodeunt:“ Dazu Blumenberg (1996), 618 mit Anm. 93. Da Cudworth eine Ausgabe des Sentenzenkommentars des Lombardus besaß (s. Millington [1697], 2), ist eine Bezugnahme zumindest mçglich. Zu denken ist aber auch an eine transformierende bernahme der Plotinischen Vorstellung der „Vorskizzen“ in der Materie, siehe die nchste Anm. Oder an eine Kombination beider Anstze. Als weiterer Transformationsfilter in dieser Hinsicht, der die Anstze des Lombardus fortfhrt, kçnnte der medizintheoretische

3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus 123

standen als „dem gçttlichen Intellekt entspringende Formenflle“32, die mit der Materie zugleich geschaffen wird. Der entscheidende Punkt ist, dass die dieser „Formenflle“ korrespondierende Materie wesentlich dazu geeignet ist, diese Strukturen in sich aufzunehmen, von ihnen geprgt zu werden, auch wenn sie zunchst in ihr verborgen bleiben und noch aktuiert werden mssen. Damit liegt eine transformatorische Steigerung der genuinen Aufnahmefhigkeit der Materie vor, die ber die von Plotin angedachte Fhigkeit zur Aufnahme intelligibler „Vorskizzen“ hinausgeht33 bzw. diese in einem spezifischen Sinn auf die christlichen Vorstellungen des Schçpfergottes hin spezifiziert. Cudworth erweitert oder modifiziert diese Materiekonzeption jedoch wie gezeigt um den Aspekt, dass sich dieses stoffliche Substrat in einer zunchst vçllig ungeordneten, chaotischen Bewegung befindet.34 So entsteht eine hybride Konzeption der ursprnglichen Materie, die Aspekte der ungeordneten Bewegung der Atome,35 den chaotischen Zustand der „dritten Art“ in Platons Timaios 36 und der Welt vor dem ordnenden Eingreifen Gottes in der Genesis mit der Passivitt und der Fhigkeit zur Aufnahme intelligiblen Wirkens,37 die der

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Diskurs des 16. und 17. Jahrhunderts von Bedeutung sein. Cudworth kçnnte mit Blick auf dessen Konzepte von semen, vis vitalis und materia analogisch seine Vorstellungen von plastic nature und atomar strukturierter Materie gedacht oder besttigt gesehen haben. So formuliert z. B. Fernel, von dem Cudworth eine Gesamtausgabe besaß (siehe Millington [1697], 27): „[…] simul ,vitae seminarium coelitus immisit, & in tantulo semine vitalem vim inclusit, quae deinceps materiam sic aptaret, praepararet, gignendisque rebus accomodaret, ut omni tempore vim illam animabilem, et spirabilem, de coelo excipere posset & illicere, sicque continuata fieret rerum caducarum sese excipientium series, semine quidem materiam suppeditante & praeparante, coelo vero inducente formam“, siehe Hirai (2005), 86 f. (dort auch das Zitat aus Fernel) und 89 – 92. Aus dem vom Himmel eingegebenen seminarium, der protostrukturellen Vorbereitung oder Prdisposition der Materie, entsteht unter Aufnahme und damit formgebenden Einwirkung der vis animabilis, die hierin Cudworths plastic nature entspricht, die Abfolge der vergnglichen Dinge. Leinkauf (1993), 100. Plotin, Enn. VI 7, 7, 8 – 16. Z. B. in System II, 590, 592, 601, 602, 620. Auch hier ist an Descartes-Anklnge zu denken, siehe Die Welt, 43 (ed. Tripp). Vgl. Httemann, in Hartbecke/Schtte (2006), 197. Zur Atombewegung siehe KRS, Frgg. 577 – 582 und S. 463. Aus KRS, Frgg. 545, 557 und 587 geht hervor, dass diese Atome nur durch Berhrung aufeinander einwirken. Fr Cudworths Wirkform der plastic nature sind sie daher in unvernderter Form ungeeignet. Auch aus diesem Grund muss Cudworth den atomistischen Atombegriff mit dem der neuplatonischen Materie berformen, die als rpodow¶ zur Aufnahme intelligiblen Wirkens bereit und geeignet ist; zu dieser Vorstellung der Materie im Neuplatonismus vgl. z. B. Plotin, Enn. II 4, 1 und Bergemann (2006), 185 – 186. Pl., Ti. 52d-53b. Dazu – ergnzend zum Panspermie-Gedanken – siehe Bergemann (2006), 185 – 194.

124 3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus neuplatonischen Materie zukommen, unter dem Dach der Panspermie-Vorstellung kombiniert.38 Folgerichtig setzt sich Cudworth vor dem Hintergrund dieser Materiekonzeption mit der in seiner Zeit prominenten naturphilosophischen KonkurrenzPosition auseinander, die bestimmten Problemen des reduktionistischen Atomismus wie z. B. der Erklrung von Lebensprozessen und komplexen, ordnungsvollen Strukturen und Ablufen dadurch zu entgehen versucht, dass sie die Materie selbst gleichsam transzendent aufldt und zu einem Prinzip macht, das aus sich heraus auf sich selbst einzuwirken und derart in sich eine Wirkung zu entfalten vermag: dem sog. Hylozoismus.39 Auch den Hylozoismus kritisiert Cudworth aus seiner christlich-neuplatonischen Perspektive heraus als eine atheistische Position, als „hylozoic atheism“.40 Seiner Darstellung zufolge handelt es sich bei dieser Konzeption um 38 Zu einem durchaus hnlichen Vorgehen bei Kircher siehe Leinkauf (1993), 360 – 361. Cudworth argumentiert also keinesfalls in einem fr seine Zeit ungewçhnlichen Rahmen. Ein Hinweis auf diese im Hintergrund wirksame Vorstellung kçnnte an dieser Stelle sein, dass Cudworth seine plastic nature in System II, 606 als „spermatic nature“ bezeichnet. Agrippa von Nettesheim hatte diese Vorstellung in De occulta philosophia 93 (ed. Perrone Compagni) hinsichtlich des Elementes Erde konkretisiert: Sie enthlt zugleich „omnium rerum semina seminales virtutes“ und ist „receptaculum omnium radiorum influxumque coelestium“. Agrippa spricht der materiehnlichen Erde also die gleiche neuplatonisch geprgte Korrespondenz zwischen Aufnahmevermçgen und seminaler Struktur zu, derer sich auch Cudworth bedient; zu Agrippa siehe Hirai (2005), 67 f. 39 Cudworth wird hier u. a. Positionen von Margaret Cavendish oder Francis Glisson vor Augen gehabt haben. Cavendishs Position mag ihrerseits von Gassendis Atom- und Moleklkonzeptionen beeinflusst worden sein, die Cudworth vielleicht ebenfalls im Auge hatte, vgl. Carr (1953), 343 u. 345; zu Gassendis diesbezglicher Erweiterung des Epikureischen Atomismus siehe Osler (2001), 160 – 161. Zu Cavendishs hylozoistisch eingefrbtem Atomismus siehe Wilde (2007), 71 – 80; vgl. desweiteren zu Cavendishs und Conways Hylozoismus Clucas (2000), der ebenfalls die Annahme vertritt, Cudworth beziehe sich mit seiner Hylozoismuskritik u. a. auf Cavendishs Materiekonzeption: ebd. 128 f. Zu Glisson siehe auch unten im Kapitel „Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe …“ sowie Breteau (2006), 10 – 11. Breteau sieht entsprechend in Spinoza nicht den Hauptgegner Cudworths, wofr er auch chronologische Grnde geltend machen kann (ebd. 60 – 61 u. 68). Die Vorstellung einer Materie, die aus sich selbst Formen aktualisiert und sie in ihrem Dasein erhlt, findet sich auch bei Giordano Bruno am Ende des vierten Dialogs aus seinem Werk De la causa, principio, et Uno. Dazu u. a. Blumenberg (1996), 690 und 693. Cudworth kçnnte sich also mit seiner Argumentation auch gegen Bruno und dessen Tendenz richten, die Materie zu vergçttlichen. Allerdings weist Millingtons Katalog der Bibliothek Cudworths kein Werk Brunos nach. 40 System I, 141. Vgl. grundstzlich Garrett (2003), 76 f.: Das Konzept einer aktiven Materie wird zwar als Alternative zum cartesischen Mechanismus mit seinen Erklrungsdefiziten anerkannt, bleibt aber dem Vorwurf des Atheismus ausgesetzt, da es Gottes vermitteltes Wirken in der Welt vollstndig immanentisiert, materialisiert und Gott

3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus 125

ein rein materialistisches Weltmodell, das zur Erklrung der Vielheit und der Strukturen des Sinnlich-Wahrnehmbaren keine intelligiblen Grçßen und keinen Gott braucht, da das „Leben“ als strukturierende Kraft dem Stoff bereits wesentlich ist und ihm inhriert, d. h. die Materie ist aus sich selbst heraus zu Formen der Selbstorganisation in der Lage.41 Diese Charakterisierung des stofflichen Prinzips unterscheidet sich mithin deutlich von der reduktionistischen Version des Atomismus,42 mit der Cudworth in seiner Widerlegung der atomistischen Positionen von Hobbes etc. zu tun hat. Da im Hylozoismus eine ernstzunehmende Alternative zu seinem eigenen neuplatonischen Modell und dem diesem Modell innewohnenden Interaktions-Dualismus vorliegt, setzt sich Cudworth systematisch mit ihm auseinander und versucht zu zeigen, dass diese Position in den Atheismus fhrt oder von der seinigen nur durch den Wortgebrauch, nicht aber der gemeinten Sache nach verschieden ist. Besonders die Strukturquivalenzen zwischen Cudworths plastic nature und der nature des Hylozoismus, die in System I, 147 folgendermaßen beschrieben wird: „perfectly wise, without knowledge or consciousness of itself“, legen eine derartige semantische Annherung nahe. Trotz dieser aufflligen Affinitten bezeichnet er dieses Konzept einer hyleimmanenten nature an dieser Stelle jedoch als „a piece of very mysterious nonsense“.43 Aus System I, 154 wird deutlich, warum Cudworth in dieser Naturvorstellung ein unklares, zwiespltiges Prinzip sieht: „But to assert any such plastic nature as is independent upon any higher intellectual principle [Hervorh. L. B.], and so itself the first and highest principle of activity in the universe, this indeed must needs be either that Hylozoic atheism already spoken of, or else another different form of atheism, which shall afterwards be described.“44 Die hylozoistische Variante der plastic nature ist zwar ihrer

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damit schließlich gleichsam berflssig macht; vgl. auch Smith, in Gçttler/Neuber (2008), 285 und Olson, in Burwick (1987), 1 – 2. Siehe System I, 144: „[…] but the hylozoic admits of a certain natural or plastic life, essential and substantial, ingenerable and incorruptible, though attributing the same only to matter [Hervorh. L. B.]“. Damit scheint er neben Anne Conway deutlich auf Francis Glisson anzuspielen, siehe Hartbecke (2006a), 153 – 162, die zeigt, dass Glisson seiner Materie nicht nur eine Form der Wahrnehmung, sondern auch „Herausfhrung und Erhaltung der Form“ aus der „energeia duplex der Materie“ zuerkennt (beide Zitate S. 157). Ergnzend zu den bisherigen Beobachtungen sei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass Cudworths Zeitgenossen z. B. Glissons Materie als „perceiving living Matter“ einstuften, s. Hunter/Davis (1996), 257. Vgl. System I, 144 – 145 und 152 – 154. Siehe auch System I, 148. Zu der dieser Kritik zugrunde liegenden Naturkonzeption und vor allem ihrer philosophischen Tradition und Genese bis in die Frhe Neuzeit siehe Leinkauf (1993), 39 – 55. Seinen Untersuchungen zum Naturbegriff bei Kircher, besonders der Herausstellung der Natur als „a type of internal force“, als eines „immanenten Aspekts“ gçttlicher Schçpferkraft sind die folgenden Beobachtungen zu Cudworth grundstzlich verpflichtet. Da Cudworth Kirchers Texte gekannt hat, ist eine Orientierung Cudworths an

126 3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus Funktion nach eine neuplatonische Formkraft, wie sie auch Cudworth konzeptioniert, sie ist aber ihrem ontologischen Status und ihrer metaphysischen Klassifikation nach etwas vollstndig Verschiedenes. Denn im Hylozoismus ist sie nicht die intelligible Kraft, die unkçrperliche, von Gott abhngige und kontinuierlich mit ihm verbundene Wesenheit, sondern vielmehr die stofflichaktive Rckseite der einen materiellen Medaille, die sie zusammen mit dem passiven Aspekt derselben und untrennbar mit ihm verbunden, bildet: […] hylozoism on the contrary, makes all body, as such, and therefore every smallest atom of it, to have life essentially belonging to it (natural perception, and appetite), though without any animal sense or reflexive knowledge, as if life, and matter or extended bulk, were but two incomplete and inadequate conceptions of one and the same substance, called body [Hervorh. L. B.].45

Cudworth scheint mit dieser Darstellung des antiken Hylozoismus wie bereits angedeutet auf dessen zeitgençssische Varianten bezug zu nehmen. Seine Formulierungen an dieser Stelle lassen besonders an Positionen denken, die zu Cudworths Zeit von Francis Glisson, Margaret Cavendish und Anne Conway vertreten wurden. Er wendet sich dabei zum einen nicht nur gegen Glissons wahrnehmungsfhige Materie, sondern insbesondere auch gegen Cavendishs Konzept einer „sensitive matter“, die, quasi unter Anleitung der „rational matter“, einer Arbeiterin gleich den „unbeseelten oder unbelebten Aspekt der Materie (inanimate matter)“ formt.46 Diese Kritik liegt schon deshalb nahe, weil sich Cavendishs Konzept der „sensitive matter“ und Cudworths Konzept der plastic nature zumindest in zentralen Punkten ihrer Funktion und Umsetzungskapazitten ganz wesentlich berschneiden.47 Cudworths explizite Gleichsetzung von Substanz und „body“ bezieht sich zum anderen auf Konzepte, wie sie u. a. von Conway in ihrer Auseinandersetzung mit Descartes und Henry More entwickelt wurden: „NOW that I may den Konzepten Kirchers nicht auszuschließen, seine Positionen lassen sich allerdings auch allein aus den herangezogenen antiken Referenztexten ableiten. 45 System I, 144. Cudworth scheint hier deutlich auf die distinktionstheoretischen Differenzierungen Bezug zu nehmen, die Francis Glisson seiner Materietheorie zugrunde legt: Glisson verwendet nmlich zur differenzierten Beschreibung der Eigenschaften seiner Materie “abstrakte conceptus inadaequati, [in denen] dieselbe Sache unter einer bestimmten jeweiligen Akzentuierung ihrer natura intrinseca erfaßt [wird]” (Hartbecke [2006a], 94, insgesamt dazu 85 – 101). Er verwendet also Begriffe, die einen gemeinsamen Seinsgrund, ein fundamentum in re besitzen. So kann er Leben etc. separat beschreiben, ohne, wie Cudworth, eine ontologische Differenz zwischen Leben und Bewusstsein einerseits und Materie andererseits zu implizieren, vielmehr bilden fr Glisson Materie, Leben und Perzeptionsvermçgen eine ontologische Einheit. 46 Cavendish, Observations upon Experimental Philosophy I, 157 f. (ed. Eileen O Neill [2001]). Siehe dazu Wilde (2007), 74 – 76, deren Darstellung meine Zusammenfassung der Position Cavendishs folgt. 47 Cavendish, Observations upon Experimental Philosophy I, 157 f. (ed. Eileen O Neill [2001]); Hinweis bei Wilde (2007), 75 f.

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more clearly demonstrate, that every Body [Hervorh. L. B.] is a certain Spirit or Life in its own Nature, and that the same is a certain intelligent Principle, having Knowledge, Sense, Love, Desire, Joy, and Grief; as it is this or that way affected; and by consequence hath Activity and Motion, per se [Hervorh. Anne Conway]; […]“48 Wie beim Eunuchen und der Fledermaus aus dem Rtsel Platons49 sind Status und Funktionsweise derartiger Materiepartikel, wie sie Cavendish und besonders Conway konzipieren, nicht eindeutig zu bestimmen, zumindest nicht im Rahmen einer hierarchisch strukturierten neuplatonischen Metaphysik, da sie Eigenschaften verschiedener Substanzklassen in einer einzigen, der materiellen Substanz zusammenfhren und so in Cudworths Augen einen nicht eindeutig zu klassifizierenden ontologischen Hybrid erzeugen. Zugleich bietet diese Position als „misunderstanding of the plastic power“50 Cudworth die Mçglichkeit, sein eigenes Konzept in Form der Auseinandersetzung mit dem Hylozoismus vorzubereiten. Dabei bemht sich Cudworth darum, bestimmte Teilinhalte des Hylozoismus zu adaptieren und in seinem Sinne umzufunktionalisieren. Auf diese Weise wird der ontologische Status der stofflichen Atome vereindeutigt und zugleich des atheistischen Potentials entkleidet, das die hylozoistischen Materieteilchen z. B. bei Cavendish und – mit Einschrnkungen – Conway besitzen.51 Diese Bestrebungen bestimmen weiterhin Cudworths transformatorischen Umgang mit den antiken Texten, indem Cudworth versucht, das Schillernde und Changierende des Hylozoismus in seinem Sinne zu einem Atheismus oder zu einer Vorluferposition der eigenen Ansichten semantisch zu vereinheitlichen.52

48 Conway, princ. 191 (ed. Loptson). Vgl. auch ebd. 205 und 221 f.: „[…] that Spirit and Body are originally in their first Substance but one and the same thing, […]“ „Body“ ist fr Conway eben gerade keine „mere dead Mass“ (ebd.) wie fr Descartes und Cudworth. Zugleich sind auch Bezge zu den Vorstellungen Henry Powers und Newtons (wie sie in den Propositions von 1669 geußert werden) denkbar; zu Power und Newton siehe Henry (1986), 342 – 343. Henry weist in seinem Aufsatz insgesamt nach, dass die Annahme quasi okkulter, vitalistischer, aktiver und zugleich materieller Prinzipien unter den englischen „Mechanisten“ durchaus weit verbreitet war. Mçglicherweise richtet sich Cudworths Argumentation und Kritik gegen diesen Trend im Allgemeinen. Osborne (2007), 24 sieht hingegen in Spinoza den Hauptbezugspunkt fr Cudworths Auseinandersetzung mit dem Hylozoismus. Dagegen allerdings Breteau (2006), 60 – 61 und 68. 49 Pl., R. 479b-c. Cudworth nimmt auf diese Stelle in System I, 148 Bezug. 50 System I, 148. 51 Conway umgeht einen mçglichen Atheismus-Vorwurf durch ihr Konzept der spezifischen „intrinsick presence“ Gottes im Geschaffenen. 52 Lotti, in Simonutti (2007), 402 f. weist darber hinaus auf Ficino als wichtige Vorlage fr Cudworths Hylozoismuskritik hin.

128 3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus Hauptexponent dieser zwiespltigen Lehre wird bei Cudworth in diesem offensichtlichen Bezug zu zeitgençssischen Positionen der Philosoph Straton von Lampsacus, gegen den Cudworth den Hauptvorwurf erhebt, dass dessen inwendige, gestalterische Natur als vollstndig immanentes und stoffliches Prinzip gerade nicht ber das Kçrperliche und die Materie herrsche, wie es seiner eigenen metaphysischen Systematik zufolge aufgrund ihrer neuplatonischen Prgung, die implizit als Maßstab der Beurteilung vorausgesetzt wird, eigentlich der Fall sein sollte.53 Erschwerend kommt hinzu, dass jedem einzelnen Materieteilchen eine eigene Aktivitt zukomme, aber eine integrierende, bergeordnete Ordnungskraft fehle, die die einzelnen Teilchen zu einer geordneten Ganzheit fgt. Cudworth exemplifiziert diese Position, die als vereinfachte Version der Anstze Glissons oder Conways gelesen werden kann (so lsst Cudworth z. B. berlegungen zu einer hierarchischen Struktur der Teilchen zueinander außer Betracht, wie sie z. B. Conway in princ. 190 anstellt,) mit einem Stratonreferat Plutarchs.54 Seine Einleitung, bersetzung und Deutung dieses Textes verdeutlichen dieses hybridisierende Vorgehen: Furthermore, it is to be observed, that though Strato thus attributed a certain kind of life to matter, yet he did by no means allow of any one common life, whether sentient and rational, or plastic and spermatic only, as ruling over the whole mass of matter and corporeal universe [Hervorh. L. B.]; which is a thing in part affirmed by Plutarch, and may in part be gathered from these words of his: T¹m jºslom aqt¹m oq f_om eWmai vgsi, tºde jat± v¼sim 6peshai t` jat± t¼wgm, !qwμm c±q 1mdidºmai t¹ aqtºlatom, eWta ovty peqa¸meshai t_m vusij_m pah_m 6jastom, “Strato affirmeth that the world is no animal (or god), but that what is natural in every thing, follows something fortuitous antecedent, chance first beginning, and nature acting consequently thereupon.” The full sense whereof seems to be this, that though Strato did not derive the original of all mundane things from mere fortuitous mechanism, as Democritus before him had done, but supposed a life and natural perception of matter, that was directive of it; yet not acknowledging any one common life, whether animal or plastic, as governing the whole [Hervorh. L. B.], but only supposing the several parts of matter to have so many plastic lives of their own, he must needs attribute something to fortune, and make the mundane system to depend upon a certain mixture of chance and plastic or orderly nature both together, and consequently must be an Hylozoist.55

Eine deutsche bersetzung dieses griechischen Textes, die Cudworths Intention ungefhr entsprechen kann, wrde folgendermaßen lauten: „[Straton] sagt, dass der Kosmos selbst kein Lebewesen sei [, d. h. als ganzer betrachtet,] und dass das Naturgemße dem folgt, was dem Zufall gemß ist, denn [er] lasse das Selbst-Aktive [t¹ aqtºlatom ; fr diese bersetzung spricht auch die von Mos53 Vgl. System I, 150. 54 Plutarch, Adversus Colotem, 1107d-1127e (ed. Westman, Leipzig 1959). 55 System I, 150.

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heim in System I, 150, Anm. 9 angefhrte lateinische bersetzung durch Cicero] als anfngliche Ursache (!qwμm) zu, [und] entsprechend fhre sich jedes einzelne der natrlichen Widerfahrnisse selbst zu seinem Ziel [peqa¸meshai ist Medium].“56 Statt eine hierarchisch von oben durch eine bergeordnete Formkraft aktivierte Ordnung zuzugeben, innerhalb derer die Einzelpartikel ihre Funktion „erfllen“, lsst Straton ein insgesamt planloses Gewimmel der Einzelpartikel zu, die in ihrer Vereinzelung aus Cudworths Sicht eben keine organische Ordnung, keinen Kosmos als Lebewesen ergeben kçnnen. Cudworth funktionalisiert den Plutarchtext also, um auf ein, aus seiner Perspektive, wesentliches ebenso metaphysisches wie theologisches Defizit der Hylozoismen (z. T. auch der zeitgençssischen) hinzuweisen: Sie reichen nicht aus, um bergeordnete und komplexe Ordnungsstrukturen zu erklren, denn diese verlangen, so Cudworth, eine koordinierende Herrschaft ber das Einzelne, die auf das Ganze gerichtet ist und die fr ihn nur als intelligible Wirkform konzipiert werden kann. Da die Hylozoisten wie Cavendish und Conway aber (ungerechtfertigter Weise, wie Cudworth mit Plutarch nachgewiesen zu haben meint) glauben, mit ihrem Ansatz die Ordnung der Welt erklren zu kçnnen, autonomisieren sie in unzulssiger Weise die Naturablufe. Darber hinaus kappen sie so die Verbindung zwischen Gott und Natur, so dass sie sich zudem den Atheismusvorwurf zuziehen, da fr sie Gott als letzte Ursache komplexer, umfassender und ordnungsvoller Prozesse berflssig wird. Indem Cudworth derart an Plutarchs Text die Notwendigkeit einer die Materiepartikel umfassend ordnenden und strukturierenden Grçße aufweist, kann er diesen Text unmittelbar als Vorbereitung der sich direkt anschließenden Konstruktion der Hippokratesfigur (und, mit Einschrnkungen, des Anaxagoras) in Gebrauch nehmen.57 Auch Hippokrates scheint nmlich in Cudworths Darstellungen die der Gestaltung des Empedokles entsprechende Funktion einer vermittelnden Scharnierfigur einzunehmen, die Cudworth in diesem Kontext entwickelt, um exemplarisch und anschaulich eine antike Alternative zum reinen Hylozoismus 56 Vgl. dazu Mosheims Beobachtungen in System I, 150 – 151, Anm. 9, der auf die semantischen Probleme dieses Plutarch-Textes hinweist, die in Cudworths Deutung ebenso wie in der hier vorgeschlagenen bersetzung ins Deutsche unbercksichtigt bleiben, da der Text Plutarchs einem vorgegebenen Argumentationsablauf eingepasst wird. 57 Zu Anaxagoras siehe System I, 182 – 183, wo die Position des Anaxagoras bewusst auf den Dualismus Nous – Stoff reduziert wird (vgl. auch System I, 281). In System I, 160 wird der Nous des Anaxagoras gebraucht, um zu zeigen, dass schon die Vorsokratiker die Notwendigkeit der causa finalis ergnzend zum stofflichen Prinzip anerkannten und der Zweckursache zugleich dem Stoff gegenber Prioritt einrumten (daher muss dieses Prinzip auch ber das stoffliche herrschen, wie es Cudworth fordert). Cudworth kann dabei durchaus auf den Interpretationen Aristoteles in Metaph. A 984a-b aufbauen.

130 3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus und seinen Defiziten zu entwerfen, die Cudworth an Straton exemplifiziert hat. So beginnt Cudworths Referat der Positionen des Hippokrates mit Zitaten, die dessen Konzept der v¼sir thematisieren und die in gewisser Weise Cudworths eigenes Konzept einer plastic nature vorwegzunehmen scheinen:58 But to assert any such plastic nature as is independent upon any higher intellectual principle, and so itself the first and highest principle of activity in the universe, this indeed must needs be either that Hylozoic atheism already spoken of, or else another different form of atheism […] But though Hippocrates were a corporealist, yet we conceive he ought not to lie under the suspicion of either of those two atheisms; forasmuch as himself plainly asserts a higher intellectual system, than such a plastic nature, in the universe, namely an Heraclitic corporeal God, or understanding fire, immortal, pervading the whole world, in these words: Doj´ei d´ loi d jak´olem heql¹m, !h²matºm te eWmai, ja· moe?m p²mta, ja· bq0m, ja· !jo¼eim, ja· eQd´mai p²mta t± emta ja· t± l´kkomta 5seshai, “It seems to me, that that which is called heat or fire, is immortal and omniscient, and that it sees, hears, and knows all things, not only such as are present, but also the future.” Wherefore we conclude that Hippocrates was neither a Hylozoic nor Democritic Atheist, but a Heraclitic corporeal Theist.

Analog zur Umdeutung der vikºtgr/vik¸a, die Cudworth im Zuge seiner Empedoklesadaptation vornimmt, wird das feurige Wirkprinzip des Hippokrates59 implizit durch die im Folgenden angefhrten Platonzitate und -deutungen zu einer intelligiblen Wirkkraft umgeformt.60 In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass Cudworths Transformationen durch vorausliegende Spekulationen zum Begriff des calor innatus in der Renaissance vorbereitet sind.61

58 System I, 153 – 154, besonders die abschließende Einschtzung: „But though Hippocrates were a corporealist, yet we conceive he ought not to lie under the suspicion of either of those two atheisms.“ Die folgende Begrndung jedoch ist ambivalent, da sie sich auf eine stoisch berformte Heraklitinterpretation grndet, vgl. dazu die kritische Anmerkung von Mosheim, System I, 154, Anm. 4 und 155, Anm. 5. Zur schwierigen berlieferungslage der Heraklitfragmente siehe Gemelli (2007), 334 – 337. Aus der Perspektive des wissenschaftlichen Beobachters dieser Transformationsvorgnge wird hieran erkenntlich, wie sich Transformationsprozesse fortschreiben und dabei ineinandergreifen. So kann Cudworth auf die innerantiken Transformationen vorsokratischer Lehren zugreifen und sie in seinem Sinne weiterfhren und gebrauchen, auch indem er sie mit Anstzen der calor-innatus-Konzeption der Renaissance verknpft. 59 Cudworths explizite Bezugnahme auf Hippokrates ist im Zusammenhang mit dem „Hippokratismus des 16. Jahrhunderts“ (Mulsow [1998], 233) zu sehen, also ebenfalls als legitimierende und nobilitierende Bezug- und In-Dienst-Nahme eines Vertreters der prisca theologia; dazu Mulsow (1998), 233. 60 System I, 154 – 155. 61 Zu diesem Punkt siehe Mulsow (1998), 201 – 250, auf dessen Forschungsergebnissen zur Annherung des Begriffs des calidum innatum an den der Seele und dessen transformierender Entwicklung ber Ficino, Paparella bis zu Cardano und Telesio meine Beobachtungen zu Cudworth aufbauen. Siehe auch sein Zitat aus Leibniz Antibarbarus

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Ausgehend von einer Passage in Aristoteles Schrift De generatione animalium II, 362 kommt es bei Ficino, Paparella und Cardano zu einer zunehmenden Intelligibilisierung des calidum innatum, die eine entsprechende Implementierung des Hippokrates in Cudworths Argumentation erst ermçglicht: „Allein schon die Referenz- und Bedeutungserweiterung der beiden Terme [bei Cardano] bedeutet eine Annherung von Wrme und Seele: Beides sind universale Begriffe, die Wrme hat Prinzipiencharakter angenommen und ist so in ihrer Bedeutung der Seele nhergekommen, die Seele hat auch dort ihren Platz gefunden, wo fr Aristoteliker nur die Natur der Dinge die Prozesse bestimmt, bei elementaren Vorgngen. In einem groben Bild: Die Referenz der Wrme ist nach oben, die der Seele nach unten ausgeweitet worden.“63 Setzt man diesen Hintergrund voraus, lsst sich besser verstehen, warum Cudworth den von ihm zitierten Hippokrates-Text als Ausdruck der Herakliteischen Lehre vom Feuer verstehen kann. Dem gestaltenden calor-spiritus der Aristotelesstelle entsprche dann eine stoisch berformte Lehre vom Feuer bei Heraklit: Bei Hippolytos und Clemens werden nmlich der „Blitz“ und das „Feuer“ Heraklits zu einer Art stoischem pOq tewmijºm.64 Indem Cudworth dann heqlºm aus dem Hippokrateszitat mit „heat or fire“ bersetzt, kann er Hippokrates vor dem Hintergrund derartiger Heraklitauslegungen zum einen in den legitimierenden und seine eigene Hippokratesauslegung sttzenden Zusammenhang der calor-innatus-Spekulationen stellen. So wird Hippokrates heqlºm zu einem der Seele hnlichen Strukturprinzip. Zum anderen wird durch die Ergnzung „or fire“ der Rckbezug auf Heraklit und dessen stoische Semantisierung angebahnt. Im Kontext der calor-innatus-Lehre kann Hippokrates fr Cudworth damit zum „Heraclitic corporeal Theist“ werden, also einer systemrelevanten Scharnierfigur. Sie geht gerade darin ber Hylozoisten vom Schlage Stratons hinaus, dass mit dem heqlºm, das nun zugleich als Herakliteischer „Blitz“, Herakliteisches „Feuer“ und stoisches pOq tewmijºm gedeutet wird, in eben dieser semantischen Verschrnkung mit dem pOq tewmijºm genau die bergeordnete Ordnungskraft ins Spiel kommt, die den anderen Hylozoisten fehlt.65 Es ist Mosheim, der

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physicus in Mulsow (1998), 249 – 250, wo Leibniz das derart transformierte Konzept des calidum innatum als zu „ganz neuen Krfte[n] (novissimae vires)“ gehçrig bezeichnet. Siehe Aristoteles, Opera Omnia, Bd. III, ed. Didot, Paris 1854/3. Nachdruck Hildesheim 2007. In der lateinischen bersetzung: „Inest nempe in semine omnium, quod facit ut foecunda sint semina, videlicet quod calor vocatur, idque non ignis, non talis facultas aliqua est, sed spiritus, qui in semine spumosoque corpore continetur, et natura, quae in eo spiritu est, proportione respondens elemento stellarum.“; entspricht De gen. an. 736b33 – 737a1 (ed. Ludlofs, Oxford 1965). Mulsow (1998), 225 – 226. Siehe die Fragmente 38 und 40 zu Heraklit bei Gemelli (2007) (= DK 22 B 64 und DK 22 B 30) und Gemellis Kommentar zu diesen Fragmenten in Gemelli (2007), 357 – 360. So liegt eine gleichsam gestaffelte Transformation im Dienst der Argumentation vor: Mit seiner Konstruktion der Lehre Stratons zeigt Cudworth die Defizite des Hylozo-

132 3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus darauf hinweist, dass Cudworth durch einen Eingriff in den quantitativen Aspekt des Ausgangstextes, also durch selektives Zitieren, die Semantik des Textes seinen argumentatorischen Bedrfnissen anpasst, indem er auf diese Weise das Hippokrateische heqlºm zu einem hçherstehenden Ordnungsprinzip macht. Daher scheinen die Begriffe t¼wg, v¼sir, t´wmg, 1pitqope¼y, eQj0, sumt²tty, vqºmgsir und besonders diajubeqm²y66 aus dem Platonischen Philebos,67 den Cudworth zur Explikation des Hippokrates weiterfhrend heranzieht, fast die Funktion von Lenk- und Leitzitaten bzw. -begriffen zu bernehmen, um Cudworths eigene metaphysische Theorie der plastic nature vorzubereiten und durch diese Vorbereitung autoritativ zu sttzen. Dies legt den Schluss nahe, dass Cudworth in der Auseinandersetzung mit dem Hylozoismus Stratons anhand der Figur des Hippokrates und der spezifischen Explikation der hippokratischen Lehre, die sich als Resultat einer Kombination von Texten des Corpus Hippocraticum mit Platonischen Texten ergibt, die das hippokratische Konzept eines feurigen Wirkprinzips zur intelligiblen Formkraft terminieren, im wesentlichen die Notwendigkeit eines zweiten, bergeordneten und umfassenden Prinzips neben dem stofflichen weiter ausarbeiten wollte.68 Der Vorbereitung der eigenen Theorie der plastic nature als intelligibler Form gçttlichen Wirkens im Stofflichen und Fortsetzung der schçpferischen Liebe Gottes dient dann in Form einer sinnvollen Ergnzung die Exposition der stoischen Kosmologie und Metaphysik, die Cudworth ebenfalls, zumindest in seiner Deutung,69 als eine dualistische versteht, die neben dem stofflichen ein intelligibles (Wirk-)Prinzip kennt. Indem Cudworth den von Heraklit gebrauchten Begriff „Logos“70 mit dem weltordnenden Logos der Stoiker identifiziert, konstruiert er in einem ersten Schritt, dem Rahmen der philosophia perennis folgend, eine mehrere Jahrhunderte bergreifende Gemeinsamkeit der „right Heraclitic and Zenonian

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ismus auf, mit der des Hippokrates eine antike Verbesserung dieser Position, die gleichzeitg auf sein eigenes Konzept vorausweist. Pl., Phl. 28d System I, 156; auch 156 – 157, Anm. 8 scheint in diese Richtung zu lenken. Diesem Zweck scheint auch der Rckgriff auf Aristoteles Kritik an bestimmten Positionen der Vorsokratiker in System I, 158 – 159 zu dienen, der direkt zu Anaxagoras berleitet, dessen Lehre hier stark reduziert und funktionalisiert dargestellt wird. Siehe z. B. Cudworths Kritik am Atombegriff des Anaxagoras in System II, 30 und 168 sowie III, 226 f. Diese Darstellung wird von Mosheim ebenfalls kritisch hinterfragt: System I, 195 f., Anm. 9 und 197, Anm. 1 und 2: „But unless I am entirely mistaken, the learned Doctor gives more weight than was right to the opinion which he had adopted concerning plastic nature, and divides things which the Stoics considered as indissolubly united. […] But I cannot bear that Cudworth should add to the God of the Stoics a certain producing or plastic energy, which obeyed the divine commands; a sentiment which certainly formed no part of the creed of Stoics“ (System I, 196, Anm. 9.). Vgl. die Frgg. 2, 3, 16 und 17 bei Gemelli (2007) (= DK 22 A 1; A 4; B 1 und B 2). Zur Semantik von kºcor bei Heraklit siehe Gemelli (2007), 337 – 339.

3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus 133

Cabala“,71 die seine Vorstellung vom „Heraclitic corporeal Theist“ fortsetzt. Deren Vorzge gegenber den mittlerweile im System deutlich herausgearbeiteten Defiziten der materialistischen und der hylozoistischen Positionen charakterisiert Cudworth nun folgendermaßen (womit er seine Deutungen zum heqlºm des Hippokrates aufgreift und weiterfhrt): […] the right Heraclitic and Zenonian Cabala, which seemed to contain these two things in it; first, that there was an animalish, sentient and intellectual nature, or a conscious soul and mind, that presided over the whole world, though lodged immediately in the fiery matter of it: secondly, that this sentient and intellectual nature, or corporeal soul and mind of the universe, did contain also under it, or within it, as the inferior part of it, a certain plastic nature, or spermatic principle which was properly the fate of all things.72

Vor diesem Hintergrund kann Cudworth schließlich zugunsten seiner weiteren Argumentation und in offensichtlicher Auseinandersetzung mit den beherrschenden zwei naturphilosophischen, bzw. naturerklrenden Positionen seiner Zeit die verschiedenen Formen des Atheismus auf die fr ihn und sein System wichtigen zwei reduzieren: den atomistischen und den hylozoistischen.73 Aus beiden Entwrfen bernimmt er wesentliche Vorstellungen und modifiziert sie, wie im Folgenden zu zeigen ist, auf eine ihm spezifische Weise. Vom atomistischen, demokriteischen Atomismus bernimmt er die „true notion of body, that […] is nothing but resisting bulk devoid of all manner of life“, eine Vorstellung, die er jedoch in der neuplatonischen Vorstellung der „dead and stupid matter“ als „first and immediate recipient of life“ aufgehen lsst, die so zu einer atomar strukturierten Materie wird.74 Von den Hylozoisten, die der „right Heraclitic and Zenonian Cabala“ anhngen, bernimmt er zunchst die an Descartes gemahnende Prmisse, dass Leben, Wahrnehmen, Bewusstsein etc. wesentlich von der rein mechanischen Ortsbewegung zu unterscheiden seien, d. h. nicht durch die Bewegung der vollstndig stofflich gedachten Atome erklrt werden kçnnen, und die Vorstellung einer Hierarchie von Wirk- und Formkrften zur Erklrung komplexer und umfassender ordnungshafter Prozesse in der als Lebewesen aufgefassten Welt. 71 72 73 74

System I, 196. System I, 196. System I, 214. System I, 214, vgl. auch 252 zur Kombination atomistischer, cartesischer und neuplatonischer Elemente in Cudworths Materiekonzeption. Der Vorstellung der (zunchst) toten Materie als Empfngerin von Leben korrespondiert die Vorstellung der plastic nature als Leben und als intelligibel, z. B. System I, 244 – 246 und 282: „Notwithstandig which, forasmuch the plastic nature is a life, it must needs be incorporeal. One and the same thing, having in it an entire model and platform, and acting upon several distant parts of matter at once coherently, cannot be corporeal; […]“.

134 3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus Entwickelt wird auf diese Weise eine in sich klar konturierte und klare Zuweisungen und Distinktionen aufweisende Geschichte der antiken Philosophie, die den hermeneutischen Prmissen und den argumentatorischen Anforderungen von Cudworths System folgt, die ihrerseits von den Anforderungen des diskursiven Feldes bestimmt sind, in dem sich Cudworth als Akteur bewegt. In diesem Fall geht es in der Reaktion auf Defizite rein atomistischer und hylozoistischer Welterklrungen darum, an antiken Philosophen wie Straton (in der Darstellung Plutarchs) zu zeigen, dass derartige Anstze aufgrund fehlender Strukturprinzipien der beobachtbaren und von Atomisten wie Charleton durchaus anerkannten weltlichen Ordnung nicht gengen und dass materialistische Konzepte, selbst wenn sie ihren Schçpfungsstoff auf rein terminologischer Ebene und damit nur scheinbar aufwerten, trotzdem einen atheistischen Materialismus enthalten. So kommt es dazu, dass Cudworth immer wieder Philosophengruppen konstruiert, um durch wechselseitige Abhebung der verschiedenen Ansichten voneinander die positiven Anlagen und Potentiale der eigentlich abzulehnenden, seiner Ansicht nach atheistischen Lehren herauszustellen und in seine Philosophie zu amalgamieren,75 bzw. vor einem negativen Hintergrund die in seinen Augen wahre atomistische Naturlehre umso deutlicher hervortreten zu lassen.76 Dazu gehçrt ebenso die klare Feststellung, dass die Position der „Materialists“ zudem mit einem christlich-neuplatonischen Weltmodell schon aufgrund des Inhalts des christlichen Gottesbegriffs nicht zu vereinbaren ist, dessen schçpferischen Aspekt Cudworth auf eine ihm spezifische Weise am Beispiel des Eros Hesiods expliziert. Ausgehend von einer Aristotelesstelle,77 deren Interpretation durch Cudworth von Mosheim auf das schrfste kritisiert wird,78 steigert sich Cudworth bei der Darstellung der Liebe als causa efficiens, die Gottes Wesen ausmacht, in einen Prosahymnos hinein, der mit der metaphysisch defizitren materialistischen Position kontrastiert.79 In dem Schlussabschnitt der kurzen Passage zum antiken Eros an dieser Stelle fließen die christlichen und neuplatonischen Motive, die theologischen und metaphysischen Aspekte zu75 Vgl. z. B. die Kontrastierung von Anaxagoras, Aristoteles und Platon auf der einen und den „old materialists“ auf der anderen Seite in System I, 160. 76 Z. B. System I, 162. 77 Aristoteles, Metaphysica 984b. 78 System I, 176; Mosheims Kritik in Anm. 3: „If these words can be made to signify that Hesiods love was itself a god, I certainly do not know, what interpretation may not be given to them; nor can I blame those persons who fancy they find without labour, both in Aristotle and Plato, what they themselves only last night dreamed.“ 79 System I, 178 – 179. Mit dieser exponierten Auslegung, die wenig argumentatives Gewicht besitzt und eher durch ihre rhetorische Wucht „berzeugt“, wendet sich Cudworth mçglicherweise auch gegen calvinistische und voluntaristische Gottesvorstellungen, in denen Allmacht und Willkr Gottes besonders betont und hervorgehoben werden; vgl. Gysi (1962), 124 – 127 u. ç.

3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus 135

sammen, die das grundstzliche metaphysisch-theologische Defizit der materialistisch-mechanistischen und hylozoistischen Anstze beseitigen und zugleich Cudworths eigene Prinzipienspekulation im Text des System prfigurieren: Wherefore we see no very great reason, but that in a rectified and qualified sense this may pass for true theology; that Love is the supreme Deity and original of all things; namely, if by it be meant eternal, self-originated, intellectual Love, or essential and substantial goodness, that having an infinite overflowing fullness and fecundity dispenses itself uninvidiously, according to the best wisdom, sweetly governs all, without any force or violence (all things being naturally subject to its authority, and readily obeying its laws), and reconciles the whole world into harmony. For the Scripture telling us that God is love, seems to warrant thus much to us, that love in some rightly qualified sense is God [Alle Hervorh. L. B.].80

Die platonisch-neuplatonische Attributenreihung, die das Prinzip der Flle expliziert,81 mit ihren Abfolgen von gleichendenden Adjektiven und Substantiven, die Wirkungen und Wirkbereiche der Liebe aufzhlen, wird mit der genuin christlichen Lehre von Gott als Liebe in chiastischer Konstruktion eindringlich zum Abschluss gebracht: „[…] God is Love, […] love […] is God“.82 Diese Auszeichnung enthlt bereits das fr Cudworth zentrale Charakteristikum Gottes, das sich sowohl in seinen naturphilosophischen Spekulationen zur plastic nature und zum Aufbau der Welt als auch in seinen Trinittsspekulationen an zentraler Stelle wiederfinden wird. Obwohl Cudworth abschließend anerkennt, dass der atomistische Atheismus aufgrund seiner breiten çffentlichen Wirkung zuerst widerlegt werden msste, macht er sich zunchst den metaphysischen Spielraum zunutze, den er sich mittels seiner Konstruktion u. a. des Empedokles als eines religiçsen Ato80 System I, 178 f. Dieser Prosahymnos ist orientiert an Ficinos Kommentar zum Platonischen Symposion. Von Bedeutung ist hier das zweite Kapitel der dritten Rede Amor est auctor omnium et servator. Mçglicherweise greift Cudworth folgende, zentrale Momente der Darstellung Ficinos auf und passt sie den Erfordernissen seines Argumentationsganges an: “Cupiditas perfectionis proprie propaganda amor quidam est […] Ex quo propagandi amore creata ab eo sunt omnia. Iccirco Dionysius noster: divinus, inquit, amor non permisit regem omnium sine germine in se ipso manere. […] Quod si amor omnia fecit, servat etiam omnia. Eiusdem enim semper est effectionis et conservationis officium”( De amore, oratio tertia, c. II, 23r-24r/160 – 162/1328 – 1329). 81 Zum Prinzip der Flle und seiner Geschichte siehe immer noch Lovejoy (1993/1936). 82 System I, 179. Gottes Liebe wird im System entsprechend auch I, 314 – 317 und 327 dargestellt. Leslie Armour weist in seinem Aufsatz zur Gotteskonzeption Cudworths auf die Aufflligkeit der Formulierung in System I, 179 hin. Auf seinen Beobachtungen ist aufzubauen (Armour, in Hedley/Hutton [2008], 113 – 129), allerdings sind seine Feststellungen zur Liebe als „nature of substantial goodness“ (114) und als „essence of the God“ (123) um den Aspekt des perichoretischen pqos¶jeim zu ergnzen, den Cudworth in seiner ausfhrlichen Erçrterung der Trinitt in System II behandelt, dazu s. u. das Kapitel „Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes als dynamische Wirkeinheit und Lektreerfahrung“.

136 3. Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus misten und der „right Heraclitic and Zenonian Cabala“ geschaffen hat. Denn jetzt geht es ihm vorrangig darum, zu zeigen, dass sich neben Hobbes eben auch Descartes darin irrt, in der stofflichen Welt keine anderen Wirk- und Bewegungsursachen als rein kçrperlich-mechanische anzunehmen.83 Cudworth evoziert dabei mit der Charakterisierung der Welt als „a mere heap of dust, fortuitously agitated“84 eine zentrale Vorstellung des Epikureischen Atomismus, die von Lukrez in seinem Lehrgedicht De Rerum Natura II anschaulich beschrieben wird.85 Dieser Welterklrung wird dann im zweiten Teil des Satzes („nor indeed any other vitality acting in it, than only the production of a certain quantity of local motion, and the conversation of it according to some general laws; […]“) der Ansatz Descartes und Hobbes als ebenso abzulehnender zur Seite gestellt. Beiden Weltmodellen fehlt nmlich die fr Cudworth wesentliche Annahme einer durch intelligible Wirkkrfte vermittelten Anwesenheit Gottes in der Welt, wie sie von Cudworth anhand der Interpretationen des Hesiodeischen Eros und der „right Heraclitic and Zenonian Cabala“ in verschiedenen Ausdrucksformen nachgewiesen worden ist. Durch die Parallelisierung des Epikureischen Modells mit dem Descartes und Hobbes wird so am Ende der Ausfhrungen zu den abzulehnenden Systementwrfen zum einen Descartes Position in der Verbindung mit Hobbes zu einer atheistischen Ansicht radikalisiert und zum anderen der hellenistische, epikureische Ansatz gleichsam in Cudworths Gegenwart gehoben. Sein eigener Lçsungsvorschlag fr die Erklrung der sinnlich wahrnehmbaren Welt und ihrer Zustndlichkeit fhrt vor diesem historischen Horizont allerdings wie zu erwarten weit ber die systematischen Grenzen des reduktionistisch-materialistischen Atomismus hinaus hin zur Annahme und Explikation einer bisher u. a. als „Liebe“ oder „Wrme“ bzw. „Feuer“ qualifizierten „divine causality“.86 Diese manifestiert sich fr Cudworth in der Welt in Form der sogenannten plastic nature.

83 System I, 217 mit Anm. 6 von Mosheim sowie 244 – 246. Vgl. auch Dockrill, in Rogers/ Vienne/Zarka (1997), 59, der darauf hinweist, dass Cudworth den atomistisch-mechanistischen Ansatz der Welterklrung gerade in Auseinandersetzung mit Descartes mit einer theistischen Gotteskonzeption zu vereinbaren versucht. Anzumerken ist allerdings, dass, wie Cudworths berlegungen zur Trinitt zeigen, der Begriff der Weltseele im System differenzierter gebraucht wird, als es Dockrills Formulierungen vermuten lassen: Von der auf die gesamte Welt gerichteten plastic nature ist Cudworths modifizierte Version der (neu-)platonischen Weltseele als Aspekt der Trinitt nach ontologischem Status und Funktion klar unterschieden. 84 System I, 217. 85 Lukrez, DRN II, 114 – 132 (ed. Bchner 1973/2005). 86 System I, 217.

4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache1 Die plastic nature bernimmt im Kontext der Naturphilosophie Cudworths (die immer mit theologischen berlegungen verschrnkt bleibt) zunchst die Funktion der zielgerichtet wirkenden causa finalis. 2 Wie schon bei allen anderen 1

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Zur plastic nature siehe Blumenberg (1996), 625 hinsichtlich einer korrespondierenden Vorstellung bei Cusanus. Desweiteren zu entsprechenden mittelalterlichen Vorstellungen und ihren Vertextungen siehe Economou (1972); siehe auch den historischen berblick ber das Konzept der plastic nature bei Flores (2008), 136 – 143. Zur Vorstellung der Naturkrfte als vires substantiales, „die in sich differenzierte Prozessganzheiten darstellen und den metaphysischen Prinzipienhorizont mit dem innerphysischen Bereich des Prinzipiierten verbinden“ bei Athanasius Kircher siehe Leinkauf (1993), 43 – 45 und 54 – 55. Auf das von Henry More zuvor entwickelte und in jeder Hinsicht sehr hnliche Konzept des „spirit of nature“ kann hier leider nicht weiter eingegangen werden. Vgl. dazu z. B. die Ausfhrungen von Httemann (2001), 139 – 147; Cheung (2006), 31 – 33, Jacob, in Gaukroger (1991), 103 – 110 und Hall (1990), 112 – 122 sowie Hunter (1950) und Greene (1962), der jedoch teilweise zu tendenziçsen und anachronistischen Einschtzungen neigt. Einen berblick ber die Literatur zum Thema der plastic nature bei Cudworth bietet Lotti, in Simonutti (2007), 381 f., Anm. 1. Lotti arbeitet ebd. 381 – 419 die Bezge heraus, die sich hinsichtlich des Konzepts der plastic nature zwischen Cudworth, Ficino und Patrizi im Kontext der Auseinandersetzung Cudworths mit dem cartesischen Weltmodell beobachten lassen. Besonders seine Beobachtungen zu Patrizi stellen eine notwendige Ergnzung zu den im Folgenden angestellten Betrachtungen dar. Ergnzend zu den oben in der Einleitung zum System Cudworths und zur Konstellation als agonaler Diskursformation angestellten Beobachtungen hinzuzuziehen fr eine Skizze des Kontextes und der Fragen, auf die das Konzept der plastic nature eine Antwort geben soll, ist Hunter (1950). Flores (2008), 149 – 169 umreisst in ihrer auf die inhaltlichphilosophischen Aspekte der plastic nature konzentrierten Wiedergabe der „Digression“ alle wesentlichen Punkte dieses Konzepts und hebt u. a. die vermittelnde Funktion der plastic nature hervor, durch die Cudworth die fr sein System spezifische Immanenz des transzendenten Gottes darstellt. Allerdings geht sie nicht weiter darauf ein, wie Cudworth diese Vermittlung darstellt und begrndet. Im Unterschied zu Flores und anderen geht es mir im Folgenden darum, zu zeigen, wie Cudworth diesen systematischen Gehalt aus der Aneignung der antiken Referenztexte herausarbeitet und in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden zeitgençssischen Positionen entwickelt. Dieses Vorgehen fhrt schließlich zu differenzierteren Interpretationen auch auf der systematisch-inhaltlichen Ebene. Z. B. System I, 218: „a plastic nature, that acts 6mej² tou“; vgl. auch 234 und 275, hier direkt als Kritik an Descartes (und sicherlich auch an Bacon und Hobbes). Descartes lehnt die Annahme von Finalursachen z. B. in AT, VII:55 ausdrcklich ab, siehe Wilson,

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zuvor betrachteten Philosophen findet Cudworth diesbezglich u. a. bei Aristoteles den fr seine eigene Systematik wesentlichen Anhaltspunkt, um das Eigene im Antiken zu entdecken: In diesem Fall nutzt er Aristoteles, um dem Bild des antiken Monotheismus den Gesichtspunkt der Teleologie bzw. der causa finalis und ihrer systematischen Eingebundenheit hinzuzufgen. Er eruiert nmlich bei Aristoteles das Konzept der vom Nous/Geist abhngigen plastic nature,3 die Gott als Instrument dient, die Schçpfung teleologisch zu gestalten, und die derart als aUtiom toO jak_r ja· aqh_r fungiert. Voraussetzung dafr ist allerdings die Annahme einer neuplatonischen per-seKausalfolge, innerhalb derer das hçchste Prinzip nicht unmittelbar, sondern nur vermittelt wirkt. Sie ist fr Cudworths Aristoteles-Interpretationen bestimmend:4 Der hçchste Gott, der am Beginn dieser Ursachenreihung steht, sie hervorbringt und sie vermittelt und vermittelnd durchzieht, bleibt damit als Nous oder „mind“ zugleich der ultimative Garant fr die sinnvolle Ordnung des Kosmos.5

3 4

5

in Hedley/Hutton (2008), 187. Zur grundlegenden Funktion der plastic nature siehe auch Armour, in Hedley/Hutton (2008), 118, sie soll der Abwehr eines „theistic pan-particularism“ und des „deistic creationism“ dienen. Zur wesentlichen Ergnzung der hier angestellten berlegungen trgt seine Feststellung bei, dass die plastic nature eine Form sei, die sowohl der Welt ermçglicht, sich zum Besseren zu entwickeln, als auch einen Rahmen bereitet, in dem sich der freie Wille des Menschen entfalten kann (in Hedley/ Hutton [2008], 127). Zur Ablehnung der Finalursachen bei Bacon, Descartes und Spinoza s. Osler (2001), 155. Osler weist ausdrcklich darauf hin, dass sich diese Ablehnung auf die „immanente Finalitt“ bezieht, also z. B. das teleologische Wirken der sog. substantiellen Formen. Wie zu zeigen sein wird, versucht Cudworth mit seiner plastic nature gerade diese Form teleologischer Urschlichkeit zu erklren, ohne dabei auf die scholastischen Modelle zurckzufallen. System II, 87. In System III, 76 kommt dieses Prinzip ebenfalls klar zum Ausdruck: „Unquestionable, that the Platonists supposed one substance to receive its whole being from another; in that they derive their second hypostasis or substance, though eternal, from the first; and their third from both; and all inferior ranks of beings from all three“ [Hervorh. L. B.]. Hier ist vorgreifend die Funktion der Trinitt als Wirkeinheit grundgelegt, dazu s. u. Kapitel 6 „Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes als dynamische Wirkeinheit und Lektreerfahrung“. Zur per-se-Kausalfolge (bei Plotin) siehe Gatti, in Gerson (1996), 29 – 31. Mosheim hat Cudworths spezielle Perspektivierung der Aristotelestexte auch hier erkannt und aus seiner Sicht dementsprechend kritisch beurteilt: „Our worthy author explains Aristotles precepts concerning the Deity entirely in accordance with the opinion of the junior Platonists: and in doing so, I consider him not to have exercised sufficient caution. If I possess any faculty of judging in such matters, we ought not, I conceive, to estimate the opinions of Aristotle and other philosophers on God and divine things from a few short passages picked out here and there, but from the general tenor and context of their entire doctrine.“ System II, 88. Diese Interpretation der Aristotelischen Gottesvorstellung enthlt zugleich einen deutlichen kritischen Bezug auf die radikalen Calvinisten und deren Gottesbild, das Allmacht und Willkr betont: „Whether of these two hypotheses concerning

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Dabei lsst die Bemerkung, Galen wrde die Weisheit der Natur noch hçher einschtzen, wenn er ein Mikroskop besessen htte, vermuten, dass Cudworth hier implizit mit einem Organismusbegriff argumentiert,6 der sich u. a. auf mikroskopische Untersuchungen und Ergebnisse sttzt, wie sie z. B. Hooke in seiner Schrift Micrographia: or some Physiological Descriptions of Minute Bodies made by Magnifying Glasses with Observations thereupon (London, 1665) eindrucksvoll prsentierte. So versucht Cudworth in einem ersten Argumentationsstrang, ber den Organismus als „Endprodukt“ eines teleologischen Prozesses eine Form zweckgerichteter Vernunft als wirkendes Prinzip systematisch zu rechtfertigen.7 Vor dem Hintergrund einer als per-se-Kausalfolge strukturierten Welt kommt dann der plastic nature die Position des Ausfhrenden zu,8 das den reinen Mechanismus9 u. a. Descartes und Hobbes berwinden soll und zwar als etwas Lebendiges und Magisches, das fr die kunstvolle und komplexe Struktur z. B. eines lebendigen Organismus in Entwicklung, Vollendung und Erhalt verantwortlich ist.10 Am Beginn der Explikation seines Konzepts der plastic nature leitet Cudworth aus der ps.-aristotelischen Schrift De mundo 11 Position und Funktion

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God, one of the ancient pagan philosophers, that God is as essentially goodness as wisdom, or, as Plotinus after Plato calls him, decency and fitness itself; the other, of some late professors of Christianity, that he is nothing but arbitrary will, omnipotent and omniscient; I say, whether of these two is more agreeable to piety and true Christianity, we shall leave it to be considered.“ Die Opposition der Cambridge Platonists gegen radikale Puritaner und Calvinisten motiviert sich aus einer theologischen Anschauung heraus, die sich letztendlich ebenso im Kontrast zwischen dem Ideal des „praktischen Wirkens“ und dem rein kontemplativen Zug, der zur Gottesliebe fhrt, begrndet wie in ihren vçllig kontrren Gottesideen (Freiheit und Liebe gegen Macht und Schrecken); siehe Cassirer (2002/1932), 274 – 289, 316 – 322. Lotti, in Simonutti (2007), 389 – 390 weist mit Harrison darauf hin, dass diese Frontstellung gegen die Calvinisten den Rckbezug der Cambridge Platonists auf die platonischen Systeme der italienischen Renaissance wenn nicht erforderte, so doch fçrderte. System I, 221, 260 und 307. Vgl. Olson, in Burwick (1987), 23 – 25. Vgl. z. B. System I, 219 und 224, wo Cudworth von der „concurrent instrumentality of any subordinate natural cause“ spricht. „Mechanismus“ sei hier und im Folgenden nach der Definition Margaret J. Oslers verstanden: „Final causes, at least immanent final causes, were problematic for the mechanical philosophy for several related reasons. The mechanical philosophy, as conceived in the programmatic writings of a number of its adherents, sought to reduce all causality to the contact and impact between particles of matter, that is, to efficient causes. Accordingly, mechanical philosophers interpreted all causal action to be external [Hervorh. M. J. Osler] to the material particles“ (Osler [2001], 154). Z. B. System I, 220, wo Cudworth klar die Einstellung vertritt, dass Tiere eben mehr als nur reine Automaten seien. De mundo, 398b (ed. Lorimer, Paris 1933).

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seiner plastic nature ab, und zwar im Anschluss sowohl an seine Interpretationen zum antiken Eros als erstem schçpferischem Prinzip, das mit der Liebe Gottes gleichgesetzt wird, als auch an seine Deutungen zum Herakliteisch-stoischen Logos:12 Cudworth entwirft die plastic nature als eine von der Gottheit abhngige Wirkkraft (d¼malir),13 die den gesamten Kosmos durchdringt und bewegt. Damit etabliert er eine mittel- neuplatonische Vorstellung. Da diese DynamisNatur wesentlich weniger (wirk-)mchtig als Gott selbst ist, unterlaufen ihr gleichsam Fehler in der Umsetzung der gçttlichen Vorgaben. Diese Unvollkommenheit erklrt ihrerseits die der Welt.14 Auch diese Konzeption ist neuplatonisch fundiert und erklrt, wie in Cudworths System Zufall und gçttliche Planung bzw. Providenz zusammengedacht werden kçnnen.15 Basierend auf dieser Beobachtung der neuplatonischen Grundstruktur der Konzeption der plastic nature ist daher im Folgenden zu untersuchen, wie, mit welchen Begriffen und nach welchen Modellen Cudworth die Interaktion zwischen seiner plastic nature als neuplatonischer d¼malir und der atomar strukturierten neuplatonischen Materie als dem Stofflichen beschreibt und wie er sich damit u. a. von seiner polemisch berzeichneten Version der Lehre Descartes und hylozoistischen Positionen abzugrenzen versucht.16 In der Auseinandersetzung mit zeitgençssischen und von ihm abgelehnten Entwrfen zur Naturerklrung folgt Cudworth auch in diesem Abschnitt im Umgang mit den antiken Positionen konsequent der hermeneutischen Strategie der philosophia perennis: Aufgrund seiner berzeugung, dass sein Konzept der plastic nature in sich vollstndig vernnftig und vor allem aus seinem Gottesbegriff abgeleitet ist, geht Cudworth davon aus, dass es Ausdruck der gçttlichen Offenbarungswahrheit ist und folglich die Besttigung der verstndigsten Philosophen aller Zeiten finden muss (und musste).17 Sein Konzept der plastic 12 System I, 223. 13 Siehe auch System I, 227. 14 Perfektion durch Gottes Allmacht ist deshalb unmçglich, weil die unvermittelte Allmacht zerstçrerisch wirkt, vgl. Gysi (1962), 21 – 25 und 98 – 105. 15 Plotin formuliert die Abnahme intelligibler Formkraft als Grundsatz seiner dynamischen Ontologie in Enn. V 8, 1, 28 – 32: „[…] kurz: jede Wirkkraft verliert an Kraft, und Schçnheit verliert an Schçnheit. Und: das erste Erschaffende muss, als solches genommen, immer strker sein als das, was es erschafft: […]“ (bs. Tornau). 16 Zu Cudworths idiosynkratischer Darstellung von Descartes Lehre siehe System I, 225, Anm. 3: Mosheim zieht in dieser Anmerkung einen Brief Descartes an Henry More heran, um zu zeigen, dass Descartes von Cudworths eigener Position nicht sehr weit entfernt ist, was auch Cudworth selber im Haupttext, wenngleich wesentlich weniger harmonisierend, unterstellt. 17 Besonders System I, 281, das Ende der von Cudworth selbst so genannten „Digression concerning the Plastic Life of Nature“, zeigt, dass er davon ausgegangen zu sein scheint, den Nachweis eines derartigen Konzepts fr die antike Philosophie insgesamt erbracht zu haben: „The agreeableness of this doctrine with the sentiments of the best philoso-

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nature ist daher in den Kontext der allen Menschen gemeinsamen „metaphysics concerning God“18 einzubetten.19 In diesem Zusammenhang begegnet erneut Empedokles, auf den spter noch zurckzukommen ist und dessen vik¸a und me?jor Cudworth zur vermittelnden !qwμ dqast¶qior umdeutet, die er dann quasi als Vorwegnahme seiner eigenen plastic nature versteht, wie es bereits in System I, 49 der Fall war. Allerdings vollzieht Cudworth nun eine ausfhrliche Erklrung und Begrndung dieser Annahme. Mosheim weist darauf hin, dass diese neuplatonisierende Art der Empedokles-Interpretation und damit der Transformation ein Novum und tatschlich Cudworth selbst zuzuschreiben ist:20 Neither Aristotle, nor any other of the ancients, have any where said that the friendship and discord of Empedocles is the one plastic nature, so denominated by Empedocles from the double office it performs of separating and conjoining. I am aware that some regard vik¸a and me?jor, as efficient natures and causes, nor do I forget that Clemens Alexan. Exhort. Ad Gentes, cap. 5 p. 55. 56 represents Empedocles as adding these two principles to the number of the gods. But there was never a single writer, so far as I know, who ever supposed these two things to be the one nature which produces and again dissolves all bodies. Nor does the doctrine of Empedocles allow of any ones thinking so: […]21

Da Cudworth von einer Funktionszuweisung ausgeht, in der er die plastic nature als „immediate operator“22 vermittelnd in die Schnittstelle seines ontologischen Systems stellt, d. h. in die Position, an der gçttliches Wirken aus dem intelligiblen Bereich heraus in den des Stofflichen hinein reicht, liegt es fr ihn zunchst nahe, eine spezifisch perspektivierte Version des Plotinischen Konzepts der formenden physis zur Erluterung heranzuziehen.23 Plotins physis wird von Jens

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phers in all ages, Aristotle, Plato, Empedocles, Heraclitus, Hippocrates, Zeno, and the Paracelsians.“ Vgl. auch I, 226: „And as this plastic nature is a thing, which seems to be in itself most reasonable, so hath it also had the suffrage of the best philosophers in all ages.“ System I, 536. Bemerkenswert und im Folgenden nher zu untersuchen ist Cudworths Vorgehen: Von Aristoteles geht Cudworth ber zu Empedokles, der mit Plotin und Simplikios interpretiert wird. Darauf folgt eine Erçrterung Heraklits. Dann folgt Cudworth einer Chronologie, die ber Hippokrates und die Stoiker zum Archeus des Paracelsus und der Alchemisten fhrt. Cudworth scheint fast so etwas wie eine alternative, dem Thema und den vorausgehenden Erçrterungen angepasste catena philosophorum zu entwickeln. System I, 229, Anm. 7. Es wird in den sich anschließenden Kapiteln zu Cudworths plastic nature als Ergebnis einer Antiketransformation schwerpunktmßig darum gehen, nachzuzeichnen, wie Cudworth diese von Mosheim strikt abgelehnte Interpretation des Empedokles vornimmt. System I, 228 (als bersetzung von !qwμ dqast¶qior). Dieses Vorgehen ist schon bei Ficino zu beobachten, an dem sich Cudworth hier mçglicherweise orientiert, vgl. Leinkauf (1993), 49, Anm. 26 mit seinem Hinweis auf die Beobachtungen von Alfonso Ingegno: „Es ist von A. Ingegno richtig gesehen worden, dass z. B. bei Ficino die Natur, die dem Universum wie eine umfassende Form einwohnt

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Halfwassen als „Logos“ und als „Kraft zu rationaler, vernnftig erkennbarer Formung ihrer Produkte (III 8, 2)“ charakterisiert.24 „Plotin knpft damit“, wie Halfwassen schreibt, „an die stoische Lehre von den ,logoi spermatikoi an, den logoshaften Formkrften, die als Teile des einen Weltlogos alle Einzeldinge immanent strukturieren und ihre Entwicklung vom Entstehen bis zum Vergehen bestimmen; […]“25 Es ist genau diese Amalgamierung Plotinischer und stoischer Anstze, die sich Cudworth fr seine Verwendung antiker Texte zum Zweck der Darstellung seines Konzepts der plastic nature nutzbar machen wird.26 Hier ist, auch mit Rcksicht auf die Abgrenzung Cudworths von Descartes Position, besonders auf den Gebrauch der Prpositionen zu achten, mit denen Cudworth das Wirken der bergeordneten wie auch der einzelnen plastic nature beschreibt.27 Cudworth betont, dass die plastic nature von innen heraus ohne Mhen wirke, nicht von außen wie z. B. ein Baumeister, der mit Maschinen und Werkzeug mhsam ein Haus baue. Damit setzt sich Cudworth in unmittelbare Opposition zu den Anstzen derjenigen Atomisten und Mechanisten, die alles innerweltliche Geschehen vollstndig durch externe Bewegungen und Bewegungsbertragung, durch Druck und Stoß, erklrt sehen wollen. Um dagegen seinen Ansatz zu veranschaulichen, greift Cudworth auf das hellenistische Konzept der 6nir zurck.28 Ein Zitat zur Lehre des Stoikers Zenon, das Cudworth argumentationsbedingt transformiert, kann dabei in vielerlei Hinsicht von ihm funktionalisiert werden, da es mit v¼sir, 6nir und speqlatijo· kºcoi drei zentrale Vorstellungen enthlt, die Cudworth alle in einer eigentmlich amalgamierten Form zur Erklrung des Wesens und des Wirkens der plastic nature heranzieht.29 Daher soll Cudworths transformatorischer Umgang mit diesem Text im Folgenden genauer untersucht werden. Zu diesem Zweck soll jedoch in einem ersten Schritt kurz Cudworths Gotteskonzeption in ihrer fr die plastic nature

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(inest), als eine ,seconda anima mundi bezeichnet werden kann, die als artifex universalis, ars vivens, medium naturalis unterhalb der intellektualen oder rational-reflexiven Ebene die Impulse und die Befehle der getrennten (separata), nicht ein- sondern anwohnenden (adest), intellektuellen Substanz Weltseele umsetzt.“ Halfwassen (2004), 114. Halfwassen (2004), 114. Mçglicherweise orientiert Cudworth sich bei diesem Vorgehen an Ficino, der in seinem Kommentar zu den Enneaden Plotins ebenfalls auf die herausragende Bedeutung der logoi spermatikoi in der Plotinischen Naturerklrung hinweist und ihnen dabei explizit auch die Funktion der Bewegungsursache zuschreibt, siehe Hirai, in Allen/Rees (2002), 277 und 279. Z. B. System I, 234: „causality in [Hervorh. L. B.] the world“. System I, 232. Z. B. in System I, 240 und 242.

4.1 Cudworths Gott als sich entußernde Kraft

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relevanten Form dargestellt werden, d. h. als erste wirkende Ursache, da sich aus dieser Konzeption das grundstzliche Wesen der plastic nature ableitet.30

4.1 Cudworths Gott als sich entußernde Kraft31 Um Gottes Wirken in der Welt zu erklren und systematisch zu fundieren, konzipiert Cudworth Gott – im Ausgang aus seiner bereits dargestellten Konzeption der schçpferischen Liebe und angelehnt an die christliche, bereits im Mittelalter durch Dionysios Areopagita bekannte und durch Ficino in der Renaissance an die Frhe Neuzeit vermittelte Formel des bonum diffusivum sui –32 als ein dynamisches und damit schçpferisches Prinzip, das er zudem spezifisch christlich und zugleich naturphilosophisch konturiert: „And now we have proposed the three principal attributes of the Deity. The first whereof is infinite goodness with fecundity; the second infinite knowledge and wisdom; and the last infinite, active, and perceptive power. […] Which idea of the Deity is sufficient, in order to our present undertaking.“33 Es sind nun genau die drei fr Cudworth an dieser Stelle wesentlichen Attribute oder Aspekte Gottes, nmlich Kraft und Macht, Gte und Gutheit sowie Weisheit und Vernunft (power, goodness, wisdom),34 die ebenso wie fr Cudworth auch fr die Mitglieder der Royal Society als einzige Aspekte Gottes in dessen Bezug zur Weltordnung von Belang sein sollen, wie Thomas Sprat in seiner Charakteristik der theologischen Selbstbeschrnkung der Mitglieder der Royal Society beschreibt: „[The Fellows of the Royal Society] meddle no otherwise with Divine things, than only as the Power, and Wisdom, and Goodness of the Creator, is displayd in the admirable order, and workman-ship of the Creatures. It cannot be denyd, but it lies in the Natural Philosophers hands,

30 Dazu ist es nçtig, die entsprechenden Texte aus den spteren Kapiteln, in denen Cudworth anhand (spt-)antiker Texte seine eigene Prinzipienspekulation sowohl vorbereitet als auch diese selbst darstellt, zu einer berblicksdarstellung zusammenzufhren. 31 Die Seiten 143 – 174 enthalten die berarbeitete Version des Aufsatzes „Ralph Cudworths Konzept der plastic nature: Hinwendung zur Antike als neuplatonische Transformation eines stoischen Konzepts“, in Busche/ Hessbrggen-Walter (2011), 253 – 270. 32 Dazu siehe Leinkauf, in Hfner/Vçlkel (2006), 100 Anm. 62 mit weiterer Literatur und 108 – 109. Vgl. zu dieser Vorstellung bei Kircher Leinkauf (1993), 320 – 321 und 336: Als diffusivum sui wird der „ad extra-Aspekt“ Gottes charakterisiert. Zum ad extra-Aspekt der Trinitt bei Cudworth, die auf diesem grundstzlichen Konzept Gottes aufbaut, s. u. das Kapitel zu Cudworths Trinittsbegriff. 33 System I, 316 – 317. 34 Dass der „Wille“ Gottes hier keine Erwhnung findet, ist auffllig. Diese auffllige Abwesenheit hebt ex negativo hervor, dass der Wille Gottes in diesem Zusammenhang fr Cudworth keine Rolle spielen wird.

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best to advance that part of Divinity; […]“35 Bereits aus diesem Textbefund mit seiner aufflligen berschneidung der jeweiligen Gotteskonzeption mit ihren entsprechend relevanten Attributen, die sich zwischen Cudworths System und der Darstellung beobachten lsst, die Sprat von den Vorgaben oder Vorstellungen der Royal Society liefert, kann eine naturphilosophische Ausrichtung und Funktion der dynamisch-schçpferischen Gotteskonzeption im System abgeleitet werden.36 Unter dieser Voraussetzung beschrnkt sich die folgende Analyse des Wesens Gottes, die auf dessen Bedeutung fr die Bestimmung des ontologischen Status der plastic nature fokussiert bleiben soll, auf den Aspekt der power,37 denn er ist in grundstzlicher Weise und verbunden mit dem Aspekt der „gçttlichen Liebe“ bestimmend fr Cudworths Entwurf der plastic nature und ihrer Wirkweise. In Anlehnung an ein Simplikios-Zitat38 bestimmt Cudworth 35 Thomas Sprat, The History of the Royal Society (London 1667); siehe Amos Funkenstein (1986), 8; Hervorhebungen im Original. Mçglicherweise macht sich hier der Einfluss des Comenius auf die Royal Society bemerkbar, der 1642 auf Anregung Hartlibs nach England eingeladen worden war, um dem Parlament sein Erziehungsprogramm der Pansophia vorzustellen. Diesem Programm gemß ist es die Aufgabe des Menschen, Gott in seinen Wirkungen in der Schçpfung zu entdecken, wobei die sichtbare Welt verstanden wird als Spiegel der „power, wisdom and goodness“ Gottes; zu Comenius siehe Rohls, in Hedley/Hutton (2008), 66 – 67. Mit Hartlib wiederum stand Cudworth in den 40er Jahren in brieflicher Korrespondenz, s. Hutton, in Dematteis/Fosl (2002), 145. Cudworth kçnnte also ber Comenius Ansichten und Gottesvorstellung informiert gewesen sein. Ein korrespondierendes Programm verband auch Robert Boyle mit seinen Texten zur Naturphilosophie und zur experimentellen Methode, denn auch sie sollten die Leser von Gottes „wisdom“ und „power“ berzeugen und zum Glauben an Gott bewegen, s. Davis, in Hunter (1994), 162. Cudworth bewegt sich also mit seiner theologisch-religiçs motivierten Funktionalisierung der plastic nature, die ihrerseits einen Aspekt seiner Aneignung antiker Texte ausmacht, in einem konstellatorisch gut zu rekonstruierenden Feld. 36 Schließt man sich Blumenbergs Diagnose an, dass die sptmittelalterliche „Steigerung der Theologie zu ihrem maximalen Anspruch gegen die Vernunft das unbeabsichtigte Resultat [hatte], den Anteil der Theologie an der Welterklrung auf ein Minimum zu reduzieren“ (Blumenberg [1996], 405), so ist Cudworths Vorgehen und seine Konzeption eines ebenso vernnftigen wie dynamischen Gottes als Gegenbewegung dazu anzusehen. Gerade indem Cudworth mit dem Nous/Logos die Vernunft als wesentliches Moment in die Trinitt Gottes aufnimmt und diese zugleich als zur Schçpfung ausgerichtete Wirkeinheit begreift, verschafft er sowohl der Theologie, der Vernunft und der (neuplatonischen) Tradition einen Raum im Rahmen der Naturerklrung (allerdings mit ganz anderen Zielen als denen, die Blumenberg fr das Entstehen einer autonomen Naturwissenschaft in der Frhen Neuzeit aus dieser Vorbedingung herleitet). 37 Zu diesem Gottesattribut vgl. Lowrey (1884), 67, der kurz auf den Aspekt der fkg d¼malir als „power of producing“ hinweist, nicht aber den philosophiehistorischen Kontext thematisiert. 38 Vgl. u. a. Simplikios, In Aristotelis physicorum libros commentaria, Vol. 10, 1105, 5, 11, 17, 20 (ed. Diels, Berlin 1895).

4.1 Cudworths Gott als sich entußernde Kraft

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gleich zu Beginn seiner Ausfhrungen zum natrlichen und damit auch antikpaganen Gottesbegriff den schçpferischen Gott als fkg d¼malir, als „perfect and whole entire power“, die als Ursprung der Welt alles umfasst.39 Damit wird die christlich-calvinistische Vorstellung der Allmacht Gottes umgedeutet zu einem neuplatonischen, dynamisch-schçpferischen Aspekt Gottes, wobei Cudworth die Mehrdeutigkeit des englischen Begriffs power, dessen Bedeutung zwischen Kraft und Macht changiert, ebenfalls fr diese Funktionalisierung ausnutzen kann. Wie lsst sich nun diese Umdeutung etwas genauer nachzeichnen bzw. mçglicherweise verstndlich machen? Zu fragen ist dabei nach mçglichen auch unausgesprochenen Vorentscheidungen und an dieser Stelle unthematisierten systematischen Verknpfungsmçglichkeiten des Konzepts dynamis-power mit antiken Denkmustern bzw. metaphysischen Inhalten, die dann leitend werden fr Cudworths Theorie einer plastic nature. Zunchst verweist die Formulierung p²mtym aUtiom des Simplikios-Textes,40 aus dem auch die Wendung fkg d¼malir stammt, auf Platons Charakterisierung der Idee des Guten, also ebenfalls des hçchsten Prinzips, in der Politeia als p²mtym aUtior (Pl., R. 516 c). Warum aber wird von Cudworth dieses erste und hçchste Prinzip ausdrcklich mit Simplikios als dynamis, als Kraft oder Wirkkraft, eingefhrt?41 Der Weg zur Beantwortung dieser Frage fhrt von Platon 39 „[… God] is the sole principle and source, from which all things are derived. But because this infinite power is a thing, which the Atheists quarrel much withal, as if it were altogether unintelligible, and therefore impossible; we shall here briefly declare the sense of it, and render it (as we think) easily intelligible and conceivable, in these two following steps: First, that by infinite power is meant nothing else but perfect power, or else as Simplicius calls it [vgl. System I, 371], fkg d¼malir, a whole and entire power, such as hath no alloy and mixture of impotency, nor any defect of power mingled with it. And then again, that this perfect power (which is also the same with infinite) is really nothing else but a power of producing and doing all whatsoever is conceivable, and which does not imply a contradiction; […]“ (System I, 308; Hervorhebung L. B.). Vgl. dazu Lowrey (1884), 67, der diese Vorstellung allerdings lediglich referiert. 40 Cudworth zitiert diesen Text in System I, 371, verweist aber mit fkg d¼malir, das er als einzelne Wendung in System I, 308 zur Charakterisierung Gottes heranzieht, auf eben diese Stelle im System voraus. So bildet sich ein Verweisungsgeflecht in der Konsequenz noetischen Schreibens, d. h. bereits an dieser Stelle ist das erst spter Ausgefhrte mitzudenken (und umgekehrt). Es liegt am Leser, diese Bezge mitzudenken und zu realisieren. 41 Diese Platonisch-neuplatonische Deutung des Begriffs d¼malir ist deshalb angebracht, weil Cudworth ihn dezidiert in diesem Sinne versteht, wenn er von einer „power of producing and doing all“ schreibt, und das Konzept einer d¼malir poigtij¶ ein Platonisch-neuplatonisches ist, vgl. dazu z. B. die Monographie von Buchner (1970) und Bergemann (2006), 27 – 28 und 225 – 233. Von dieser Bedeutung ist der aristotelische Begriff der Potenz klar zu unterscheiden, der hier meiner Ansicht nach nicht gemeint ist. Zum Poseidonischen Kraft-Begriff als Vorlufer der Plotinischen Konzeption siehe Reinhardt, in RE XXII, 1 (1953), Sp. 648 – 651 und 654 – 655 u. ç.

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ber Simplikios zu Plotin. Aus einigen Hinweisen lsst sich schließen,42 dass der Text des System hier via Simplikios eine Vorstellung Plotins aufnimmt und zur Darstellung bringt: Plotin beschreibt nmlich im Rahmen einer Prinzipienexplikation das mit Platons Idee des Guten identifizierte Eine in Enneade V 4 und ganz ausdrcklich in Enneade III 8 ebenfalls mit Blick auf seine schçpferische Funktion als d¼malir p²mtym, als urschliche, auf alles gerichtete Wirkkraft.43

4.2 Der ontologische Status der plastic nature als „dienende Kraft“ Damit ist der erste Schritt, Gott zu einem integralen Moment der Naturphilosophie und der Naturerklrung werden zu lassen, getan. Denn Cudworths System zufolge differenziert sich dieser Aspekt Gottes, die alles begrndende und existenzerhaltende d¼malir p²mtym zu sein, in seinem Wirken nach außen aus in verschiedene einzelne Krfte,44 in virtutes per opus mundanum diffusas, wie es Cudworth mit Maximus Madaurensis ausdrckt, der in einem Brief an Augustinus 390 n. Chr. derart die polytheistische Religion der Rçmer rechtfertigt.45 Diese, die Welt durchwaltenden, differenzierten Krfte versteht Cudworth als Explikationen46 Gottes.47 Diese Krfte gehçren zwar mit zur Schçp42 Zu diesen Hinweisen sind die Vorstellungen des Ineinanders von Wirken und Wahrnehmen zu rechnen (System I, 316), die Darstellung Gottes als erstes Prinzip, das alles in sich „enthlt“ (System I, 317; hier wird das neuplatonische Konzept des peqi´weim aufgenommen; dazu Nasemann [1991], 58 – 67), und die damit verbundene Beschreibung Gottes als „Quelle“ (System I, 317), denn alle diese Wendungen werden im Neuplatonismus Plotins terminologisch verwendet. 43 Siehe Plotin, Enn. III 8, 10, 1: „Was ist [das Eine] dann? Die Kraft zu allem [d¼malir p²mtym]“; auch V, 4, 2, 26 – 33 und Bergemann (2006), 70 – 74. Vgl. Gysi (1962), 105 f. und 112 – 114. Zu Philon als Vorlufer Plotins in dieser Hinsicht siehe Radice, in Kamesar (2009), 130 f. 44 Zu sehr hnlichen Vorstellungen bei Henry More siehe Fouke (1997), 29 – 35. 45 Siehe System I, 456. Auch beim sptantiken neuplatonischen Aristoteleskommentator Philoponos findet sich eine sehr hnliche Vorstellung, vgl. In Physicorum II, 1 [zu Arist. p. 192b8], 198, 6 – 8 und 199, 23 – 201, 9 (ed. Hieronymus Vitelli, Berlin 1887 [CAG Bd. 16]). Siehe dazu das entsprechende Zitat in Leinkauf (1993), 53, Anm. 33: „natura est quaedam vita sive vis quae per corpora diffunditur, eorum formatrix et gubernatrix, […]“. 46 System I, 515 und II, 141. Mçglicherweise ist es Philon von Alexandria, der die dynameis Gottes als erster sowohl als theologisch-metaphysische Erklrung fr die wirkende Immanenz Gottes in der Welt und gleichzeitig als exegetisches Prinzip verwendet, um die Einheit Gottes trotz seiner Vielnamigkeit zu bewahren; siehe Radice, in Kamesar (2009), 136. 47 Vgl. System I, 453, wo Cudworth aus Kaiser Julians Werken zitiert und folgendermaßen bersetzt: „For whereas in the common Father all things are perfect, and one is all, in the particular or partial deities one excels in one power [d¼malir], and another in another.“

4.2 Der ontologische Status der plastic nature als „dienende Kraft“

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fung,48 sind aber als Emanationen der ursprnglichen Kraft Gottes keine stofflich zu denkenden Grçßen. Vielmehr sind sie intelligibel im Sinne ihrer Unstofflichkeit, wie auch ihr Ursprung unstofflich und berrumlich ist.49 Diese Krfte werden die plastic natures. Diese Positionszuweisung oder systematische Verortung der plastic nature impliziert, dass sich die Kraft Gottes bzw. des ersten Prinzips nur vermittelt auf das Stoffliche verstrçmt. Daran lsst sich beobachten, dass Cudworths metaphysisches System im Verlauf der Argumentation zunehmend detaillierter Gestalt annimmt und von Cudworth zudem auf seine eigene Trinittskonzeption hin konturiert werden kann:50 And thus we have already showed that the more high-flown and Platonic Pagans (as Julian, Apuleius, and others) understood these Consentes and select gods, and all the other invisible ones, to be really nothing else but the ideas of the intelligible and archetypal world, (which is the divine intellect;) that is indeed, but partial considerations of the Deity, as virtually and exemplarily containing all things: whilst others of them, going in a more plain and easy way, concluded these gods of theirs to be all of them but several names and notions of the one supreme Deity, according to the various manifestations of its power in the world; […] as the Pagans in Eusebius apologize for themselves, that they did heopoie?m t±r !oq²tour dum²leir aqtoO toO 1p· p÷sim, “deify nothing but the invisible powers of that God, which is over all.” Nevertheless, because those several powers of the supreme God were not supposed to be all executed immediately by himself, but by certain other rpouqco· dum²leir, “subservient ministers under him”, appointed to preside over the several things of nature, parts of the world, and affairs of mankind, (commonly called demons;) […]

Diese auf Gott hingeordnete Bestimmung seiner plastic natures in ihrer Abhngigkeit und Funktion als Kraftexplikationen Gottes und „dienende Krfte“ (rpouqco· dum²leir) sichert Cudworth zustzlich mit einem Plutarch-Zitat51, um ihre Position in seiner Systematik nachdrcklich zu bestimmen.52 Denn im Anschluss an dieses Zitat heißt es weiter: Where Plutarch plainly affirms, that the several religions of the pagan nations, whether Greek or Barbarians, and among these the Egyptians also, as well as others, consisted in nothing else but the worshipping of one and the same supreme 48 System I, 250. 49 Vgl. System I, 577, wo Cudworth als einen Aspekt der natrlichen Gottesvorstellung dessen Transzendenz bei gleichzeitiger Immanenz anfhrt und dies mit einem Zitat aus Athenagoras ber Athene/Minerva belegt, das er folgendermaßen deutet: „Wherefore, it may be here observed, that those Pagans who acknowledged God to be a mind, and incorporeal being secrete from matter, did notwithstanding frequently consider him not abstractedly by himself alone, but concretely together with the result of his whole fecundity, […]“ (Hervorhebung L.B.). Vgl. dazu auch Lowrey (1884), 122 – 124. In dieser Ausdeutung ist zugleich eine implizite Kritik an Descartes Gotteskonzeption zu sehen. 50 System II, 239. 51 Plutarch, De Iside et Osiride, 378a (ed. Sieveking, Leipzig 1935, repr. 1971). 52 System II, 171.

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mind, reason, and providence, that orders all things in the world, and of its rpouqco· dum²leir 1p· p²mta, its subservient powers or ministers, appointed by it over all the several parts of the world; though under different names, rites, and ceremonies, and with different symbols.53

Im Sinne einer klaren Differenzierung zwischen der noetischen Ebene, d. h. dem Vernunft-Aspekt des ersten Prinzips einerseits, und den plastic natures, die ihm nachgeordnet sind, andererseits, greift Cudworth auf die Lehre von der Gçttlichkeit der Ideen zurck,54 d. h. auf die Gleichsetzung von mogt² und mogto· heo¸. Die (Neu-)Platoniker fhren dabei die fr gçttlich gehaltenen Naturdinge oder -phnomene in einem ersten Schritt auf die Ideen zurck, die wiederum in ihrer Abhngigkeit von Gott zu sehen sind. Mit Plotin gilt nmlich, dass die Ideen nicht außerhalb des Geistes seien, dass der Geist sie also umfasst. Dabei kommt es zu einem transformationstheoretisch interessanten Gebrauch der Vorstellung des „Umfassens“ an dieser Stelle. Obwohl dieser Begriff Cudworth in den meisten Fllen dazu dient, das Verhltnis zwischen Ursache und Verursachtem im Rahmen der neuplatonischen Metaphysik zu beschreiben, verwendet er ihn hier nuancierter. Wohl vor dem komplexen Hintergrund des wechselseitigen Ineinanders von Nous, Noeta und Noein in den Darstellungen Plotins,55 die eine eindeutige Zuschreibung des Status der Ursache an den Nous und des Verursachten an die Noeta verbieten, werden die „divine ideas“56 zu Binnenaspekten Gottes, der sie umfasst und in sich trgt: Sie sind „partial considerations of one God“57. Das bedeutet, dass sie tatschlich die Gedankeninhalte Gottes sind, zugleich aber auch in der Reihe der per-se-Kausalfolge als erste, allerdings innertrinitarische Stufe der Wirkaspekte Gottes angesehen werden mssen, als „causes of all things“: „Now these causes of all things contained in God are no other than the divine ideas.“58 Die 53 System II, 171. Leinkauf, in Leinkauf/Hartbecke (2005), 4, Anm. 11 fhrt eine interessante Paralle bei Laktanz an, wo “die knstlerisch-kunstvolle (daedala) Natur, …, als eine ,Dienerin Gottes bezeichnet [wird]” (Hervorhebung L.B). Ursprnglich ist bei Lukrez ganz atomistisch-materiell von einer “daedala tellus” die Rede, z. B. in DRN I, 7 und 228. 54 System II, 277. 55 Vgl. Cudworths beilufige Art, dieses schwierige Thema zu bergehen: „Which eternal ideas, however supposed to have been generated from that first divine hypostasis of the Platonic and Egyptian trinity [Hervorh. L. B.], and called intelligible gods, were nevertheless acknowledged by them all to exist in one divine intellect, according to that of Plotinus, oqj 5ny toO moO t± mogt², ,That the intelligibles exist nowhere of themselves, without mind or intellect; […]“ (System II, 278). Ihm kommt es an dieser Stelle auf ein in seinem Sinne funktionalisierbares Ergebnis der komplexen Nousspekulationen an, nicht auf den przisen Nachvollzug der neuplatonischen Gedankengnge. 56 System II, 278. 57 System II, 278. 58 System II, 278.

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semantische Umprgung des terminologisch gebrauchten Begriffs „Umfassen“ ermçglicht Cudworth also in diesem speziellen Kontext die Verschrnkung neuplatonischer Anstze mit der Vorstellung des christlichen, personalen Gottes. Diese Ideen, im gçttlichen Geist ebenso aufgehoben wie von ihm umfasst, werden so zu einer Ganzheit und zugleich in sich differenzierten Einheit integriert. In dieser Position sind sie die ersten innertrinitarischen Vermittlerinnen und Transformatorinnen der gçttlichen Schçpferkraft. Von ihnen sind die plastic natures als „dienende“ und vor allem unmittelbar schçpfungsimmanente Wirkkrfte klar zu unterscheiden. Die systematisch relevante Verbindung zwischen diesen „Ideen“ und den ihnen „dienenden“, d. h. ihre Strukturen in der Schçpfung umsetzenden und realisierenden plastic natures begrndet Cudworth, indem er den Begriff der gçttlichen Weisheit mit dem der gçttlichen Liebe in eine Beziehung setzt.59 Die Kombination von Weisheit, Liebe und Schçpferkraft (es ist Gott, der „alles macht/p²mta poie?m“ und der die „geheime Kraft der zuvor verborgen gebliebenen Wirkkrfte hervortreten lsst/j tμm !vam/ t_m jejqull´mym kºcym d¼malim eQr v_r %cym“)60 verschrnkt die christlichen Anstze mit neuplatonischer Metaphysik. „Liebe“ ist hier nmlich zu verstehen als „infinite goodness with fecundity“61, und damit als Gte, die nach dem Vorbild des Platonischen Timaios konzipiert und Anlass dafr ist, dass sich die Gottheit berhaupt in Form von Krftexplikationen in die Schçpfung verstrçmt, um dort ihre strukturierende Kraft im Aktuieren latenter Seminalstrukturen (t_m jejqull´mym kºcym d¼malim) umzusetzen: Bereits mit einem Zitat aus einem Gedicht des Dichters Septimius (2. Jh. n. Chr.?): „O cane rerum Sator [Hervorh. L. B.]“62 spielt Cudworth mit „Sator“ auf seine in der Auseinandersetzung mit den Hylozoisten entwickelte Form der Panspermie an.63 Die auf das Septimus-Zitat folgenden beiden Texte, besonders das kurze Zitat aus Iamblich,64 nehmen diesen Gedanken auf und fhren ihn weiter: „j tμm !vam/ t_m jejqull´mym kºcym d¼malim eQr v_r %cym“. Gott garantiert die rationale, seminal-potentiale Vorstruktur der Materie, in der sich die Ideen des Geistes Gottes abbildlich und auf niedrigerer Stufe realisieren, 59 System II, 279 f. Cudworths Erçrterungen an dieser Stelle sind mit denen in System I, 307 ff., bes. 316 f., zusammenzusehen. 60 Alle Zitate aus System II, 279, siehe nchste Seite. 61 System I, 316. 62 System II, 279. 63 Zur Panspermie bei Kircher, den Cudworth in System II, 279 ebenfalls, allerdings in anderem Kontext, erwhnt, siehe Leinkauf (1993), 92 – 110, bes. 93. Francis Glisson vertritt, wenn auch rein immanentistisch, ein analoges Modell einer prdisponierten „Seminalmaterie“, in der der „zuknftige Entwicklungsgang vorgezeichnet [ist]“, siehe Hartbecke (2006a), 216 und 226. 64 De mysteriis VIII 3, 263, 9 – 10 (ed. des Places, Paris 1966).

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und aktuiert dieses Potential zugleich in vermittelter Form, nmlich durch die plastic natures. Mit Phanes/Love hebt Cudworth dann, wie erwhnt, den rational vermittelten Charakter dieses Schçpfungs- und Aktuierungsprozesses eben als rationales, als liebend zugewandtens Wirken im Gegensatz zum Willkrakt hervor. Wesentlich fr die Status-Bestimmung der plastic nature ist nun, dass Cudworth mit zwei Zitaten aus Proklos65 und einem Zeugnis zu Pherecydes66 das fr das Wirken seiner plastic nature zentrale Motiv der innerlichen und harmonischen sowie gleichsam beschwerdefreien Wirkung Gottes in der Welt akzentuieren kann. Denn auf diese Weise ist klar deren Ort bzw. ihre Position im Weltkontinuum bestimmt: in der Schçpfung. Cudworths kombinierende Transformation antiker Texte lsst schließlich folgende Kette von Struktur- (und Bewegungs-)ursachen erkennen: Ideen als „Inhalte“ des Nous und innergçttliche Schçpfungsprinzipien des liebenden christlichen Gottes bilden sozusagen das hçchste und erste Glied dieser Kette. Sie sind zudem auf eine nicht nher bestimmte Weise die Matrix, die sich in der Struktur der Panspermie als unterster Strukturbedingung ausbildet.67 Damit ist zugleich ein Hinweis gegeben, wie sich Cudworth den Status der Materie „vor“ dem Einwirken der plastic nature vorstellen kçnnte. Nach dem Modell der Panspermie ist diese Materie als ein Substrat zu denken, das ein von Gottes Geist her abgeleitetes „Zur-Disposition-Stehen eines samenhaften ,alles in allem vorentfaltet in sich [trgt]“,68 das allerdings hnlich wie das Chaos in den Metamorphosen Ovids69 aufgrund dieses ungesonderten Ineinanders als chaotisch charakterisiert wird. Auf die spermatische Prdisposition hin-, und in dieser Funktion den gçttlichen Ideen klar nachgeordnet, entfalten die plastic natures ihr Wirken als dienende Vermittlerinnen zwischen Gott und Materie in der Welt. 65 In Platonis Timaeum commentaria III, 101 (ed. Diehl, Leipzig 1906); In Platonis Alcibiadem, 66, 13 und 233, 17 f. sowie In Platonis Timaeum commentaria I, 434 (ed. Diehl, Leipzig 1903). 66 System II, 279 – 280. Das entsprechende Fragment findet sich bei Proklos, In Platonis Timaeum commentaria II, 54 (ed. Diehl, Leipzig 1904). 67 Zu dieser Vorstellung z. B. bei Ficino siehe Hirai, in Allen/Rees (2002), 264 – 267. Erkennbar wird durch die Darstellungen Hirais, dass auch Ficino die Aufnahmebereitschaft der Materie gegenber dem Einwirken aus dem Bereich des Intelligiblen besonders betont und christlich-telelogisch funktionalisiert. 68 Leinkauf (1993), 100; vgl. auch 360 mit Anm. 111; 361, wo Leinkauf auf eine Passage aus dem Iter Extaticum Coeleste Kirchers verweist: „Deum […] non ex nihilo prorsus creasse, sed ex elementis unicuique creaturae congruis, veluti ex subiecto quodam praeexistente, formas rerum de potentia seu virtute materiae in actum eduxisse“ (Iter Extaticum Coeleste, Itinerarium II, Dialogus II, 78; 1660). 69 Ovid, Metamorphosen I, 5 – 9 (ed. Georges Lafaye, Paris 1957): „Ante mare et terras et, quod tegit omnia, caelum // Unus erat toto naturae vultus in orbe, // Quem dixere chaos, rudis indigestaque moles // Nec quicquam nisi pondus iners congestaque eodem // Non bene iunctarum discordia semina rerum.“

4.2 Der ontologische Status der plastic nature als „dienende Kraft“

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Da sich das aktuierende Verstrçmen gçttlicher Schçpfungskraft auf diese Substrat-Materie demgemß vermittelt vollzieht, und zwar, wie Cudworth in den unmittelbar vorausgehenden Erçrterungen nochmals gezeigt hat, vermittelt durch die Ideen bzw. den Geist,70 kann Gott auch als Minerva bezeichnet werden. Diese Bezeichnung zielt nmlich exakt auf den Vorgang des vermittelten Verstrçmens Gottes, der sich als Weisheit, d. h. als Geist, verstrçmt und entfaltet. Cudworth kann hier implizit auf die Bestimmung „Minervas“ als „wisdom itself diffusing itself through all things“ rekurrieren,71 die seine Argumentation in deutliche Opposition gegen z. B. calvinistische und voluntaristische Positionen stellt und seine Vorstellung vom schçpferischen ChristusLogos in der metaphysisch ausgedeuteten antiken Religiositt systematisch fundiert.72 Auf diese Weise lsst sich also der ontologische Status der plastic nature przise bestimmen: Es sind die „dienenden Krfte“, durch die und vermittels derer Gott auf die Materie und damit auch in ihr wirkt.73 Diese Status- und Wesensbestimmung ist nun hinsichtlich mçglicher antiker Vorbilder und Anregungen und Cudworths Umgang mit ihnen genauer zu betrachten: Eine prominente Rolle bei der Erklrung der Entstehung der Welt und der Beschreibung Gottes zu seiner Schçpfung nehmen derartige dynameis bereits bei Philon von Alexandria ein, der seinerseits Lehren der Stoiker und des Aristobulos (2. Hlfte 2. Jahrhundert vor Christus) bernimmt.74 Wie Aristobulos erklrt auch Philon mittels der „Krfte“ Gottes dessen Wirken auf und in der Welt und schafft somit einen Ausgleich zwischen der Transzendenz Gottes gegenber der Welt und seiner wirkenden Immanenz in ihr.75 70 Auf die dadurch erzielte Abmilderung gçttlicher Kraft von der willkrlichen Allmacht zur rational strukturierten Schçpferkraft ist dann das kurze an dieser Stelle angefhrte Prokloszitat zu beziehen: „[…] this Phanes I say, was in the Orphic and Egyptian theology, as Proclus upon Platos Timaeus informs us, styled "bq¹r 5qyr, ,tender and soft Love“ (System II, 279). 71 Siehe u. a. System II, 200. 72 In dieser schçpferisch-kosmologischen Thematisierung der „Schçpfungsmittlerschaft Christi“ geht u. a. Ficino den Ausfhrungen Cudworths voraus: Bereits bei Ficino bekommt Christus als „mundani vero architecti ratio et intelligibile verbum“ eine gleichsam instrumentelle und vermittelnde oder bertragende Funktion im Schçpfungsakt durch Gott zugeschrieben, siehe Lauster, in Allen/Rees (2002), 55 f. Versucht man nun, die Rolle Ficinos als Transformationsfilter in diesem Zusammenhang zu bestimmen, wre von der Annahme auszugehen, dass Cudworth bei seiner Interpretation der Minerva als „wisdom itself diffusing itself through all things“ u. a. die Christusinterpretation Ficinos auf die antike Gçttin projiziert, die so zu einer Vorform eines zwischen Gott und Schçpfung wirksam vermittelnden Christus-Logos wird. 73 Vgl. Passmore (1951/1990), 27 f. und Gysi (1962), 21 – 22. 74 Dazu und zum Folgenden siehe Radice, in Kamesar (2009), 135 f. und 140 f. 75 Siehe Radice, in Kamesar (2009), 143: Philon scheint zugleich einer der ersten gewesen zu sein, die die Platonischen Ideen zu „productive powers that take the place of God in

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

Zustzlich kçnnte Cudworth Plotin, Enneade VI 4, 3 als systematische Darstellung vor Augen gehabt haben bezglich der Art und Weise, wie die Immanenz des ersten Prinzips bei gleichzeitiger Bewahrung seiner Transzendenz vermittels des Kraft-Begriffs zu denken bzw. darzulegen ist: Wird nun Jenes selber beiwohnen, oder wird es auf sich selber stehen und werden nur Krfte [dum²leir] von ihm zu allen Dingen ausgehen, und ist in diesem Sinne gesagt, dass es ,berall sei? (In diesem Sinne sagen sie, dass die Seelen gleichsam Lichtfunken sind, indem Jenes in sich selbst gegrndet ruht, die Seelen aber von ihm ausgesendet eintreten in immer neue Lebewesen.) Nun, bei den Dingen, bei denen gilt, dass Jenes nicht die ganze Wesenheit bewahrt, die in ihm selber ist, dort wird, wem es beiwohnt, nur eine Kraft [d¼malim] von ihm beiwohnen (indessen wird auch dann nicht Jenes berhaupt nicht beiwohnen, denn auch dann ist Jenes nicht abgetrennt von seiner Kraft, die es ihm dargab; sondern der Empfangende vermochte nur soviel aufzunehmen, whrend das Ganze zugegen war.) Wo aber alle seine Krfte wirken, da wohnt es klrlich selber bei, ist freilich dennoch abgesondert; denn wenn es nur die Form dieses Dinges wre, so htte es aufgehçrt, alles zu sein und berall in sich selber zu sein und nur akzidenziell einem anderen zu gehçren. […] So ist es also in keiner Weise befremdlich, dass Jenes in diesem Sinne in allen Dingen ist, weil es wiederum in keinem von ihnen derart ist, dass es ihnen gehçrte; […] Man darf sich auch nicht wundern, dass Jenes, ohne an einem Orte zu sein, allem, was an einem Orte ist, beiwohnt; […] (Enn. VI 4, 3, 1 – 24; bs. Harder/Beutler/Theiler).76

Diesem Text Plotins als einer metaphysischen Hintergrundannahme, die Cudworths systematisches Denken bestimmt, entspricht eng seine Darstellung der ontologischen Position und des ontologischen Status der plastic nature gegenber dem ber ihr stehenden gçttlichen Geist in der Digression concerning the plastic nature of life. Als „signature of the divine wisdom“77 muss sie gemß der platonischen Urbild-Abbildtheorie, auf die sich Cudworth hier bezieht, wie bereits gezeigt definitiv eine niedrigere, geringere Position einnehmen als die gçttliche bzw. noetische Weisheit. Um diese Differenz zwischen verschiedenen the process of creation“ transformiert haben. Sie sind „incorporeal powers, that is, active forces that execute the work of creation“ (ebd.). 76 Vgl. diese Darstellung bei Plotin mit Cudworths Darstellungen orphischer und auch christlicher Charakterisierungen des Verhltnisses Gottes zur Welt bzw. zur Schçpfung in System I, 515: „The second is, because the world produced by God, and really existing without him, is not therefore quite cut off from him, nor subsists alone by itself as a dead thing, but is still livingly united to him, essentially dependent on him, always supported and upheld, quickened and enlivened, acted and pervaded by him; according to that Orphic passage: 9m d aqto?r aqt¹r peqim¸ssetai, God passes through and intimately pervades all things. Now, it is very true that some Christian theologers also have made God to be all, according to these latter senses; as when they affirm the whole world to be nothing else but Deum explicatum, God expanded or unfolded, and when they call the creatures, as St. Jerome and others often do, radios Deitatis, the rays of the Deity.“ 77 System I, 238; vgl. auch 251, 273, dort wird die plastic nature als „shadowy imitation“ des Nous bezeichnet und damit gemß der ontologischen Hierarchie des Linien- und des Hçhlengleichnisses aus Platons Politeia auf die unterste Stufe der Seinsarten gestellt.

4.2 Der ontologische Status der plastic nature als „dienende Kraft“

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ontischen Ebenen bzw. Stufen nher zu erlutern, bedient sich Cudworth hier der Unterscheidung zwischen innerseelischem Logos und ausgesprochenem, lautlich geußertem Logos (kºcor 1mdi²hetor und kºcor pqovoqijºr), einer Analogie, die auch Plotin heranzieht, um das Verhltnis zwischen intelligiblen Wesenheiten zu veranschaulichen.78 Cudworth weist ebenso darauf hin, dass die plastic nature als verursachte oder hervorgebrachte von der gçttlichen Weisheit als ihrer Ursache abhngig ist.79 Hinzu kommt, dass sie keinerlei autonome Kreativitt besitzt und ihr ausschließlich eine ausfhrende Funktion zukommen soll. Der Erçrterung dieses Aspekts dient die Charakterisierung der plastic nature als einfacher Handwerker (weiqot´wmgr), der kein Verstndnis von dem und fr das besitzt, was er tut, und dem der Architekt vor- und bergeordnet ist.80 Diesen, die Abhngigkeit und den niedrigeren ontischen Status der plastic nature explizierenden Zug macht sich Cudworth desweiteren zunutze, um die Unvollkommenheit ihres Wirkens weiter zu rechtfertigen, d. h. im neuplatonischen Kontext, dass die Unvollkommenheit der epistemologischen Vermçgen des wirkenden Prinzips, die zugleich dessen ontischen Status bedingen und an ihn gekoppelt sind, die Unvollkommenheiten des Ge- und Bewirkten bedingen.81 Zur Explikation dieses Sachverhalts dient Cudworth als Autoritt Plotin, von dem er zwei Texte (aus verschiedenen Schriften: IV 4, 13 und II 3, 17) heranzieht.82 Im ersten Text (IV 4) wird die Natur bestimmt als Abbild (Umdakla) der Weisheit,83 dessen strukturbildende Kraft bereits stark abgenommen hat und das nur noch wirken (poie? ) kann, aber kein Wissen mehr besitzt (oqj oWde), d. h. dem Abnehmen der Formkraft korrespondiert ein Abnehmen der reflexiv-vernnftigen Kompetenz.84 Dies wiederum hat Cudworth bereits damit veranschaulicht, die plastic nature als einfachen Handwerker zu klassifizieren. Jetzt erfolgt mit Plotin die ontologische Rechtfertigung dieses Vergleichs. Im zweiten Text (II 3) spricht Plotin zwar von spermatic logoi und 78 Z. B. in Enn. V 1, 3, 6 – 10. Ursprnglich ist diese Differenzierung stoisch, vgl. Tornau (2001), 349, Anm. 21. Die Analogie bei Cudworth in System I, 238. 79 Vgl. auch System I, 251 f.; eventuell ist hinter diesen berlegungen Cudworths Procl., Inst. §143 zu vermuten. 80 System I, 238 – 239 mit einem Zitat aus Arist., Metaphysik 981a30. 81 Halfwassen (2004), 116 f. charakterisiert dementsprechend den Bewusstseinsmodus der Natur bei Plotin als „ein prreflexives Haben [Hervorh. Jens Halfwassen] der Betrachtung, die kraft dieses Habens ußere Anschauungsgehalte produziert“, und als „Quasi-Bewusstsein“ und „produktive Anschauung, die sich vorbewußt, aber dennoch nicht vçllig bewußtlos vollzieht“. 82 System I, 238 – 239. 83 Zur damit verbundenen und in diesem Textauszug aus Plotin ebenfalls auftretenden Uwmor-Metapher vgl. Bergemann (2006), 185 und 203. 84 Die Abnahme der intelligiblen Wirkraft in der ontischen Hierarchie des Neuplatonismus ist gleichsam ein allgemeines Gesetz der neuplatonischen Metaphysik. Plotin formuliert es u. a. ganz allgemein in V 8, 1, 28 – 30, s. o. S. 140, Anm. 15.

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

nicht direkt von der v¼sir wie im ersten Zitat, allerdings birgt diese begriffliche Variation fr Cudworth keine Schwierigkeit. Denn, wie noch zu analysieren ist, wird von Cudworth mit Enneade II 3, 17 ein Text in die Argumentation implementiert, in dem der Logos als d¼malir tqetijμ t/r vkgr bestimmt wird, die wie eine Formkraft in Wasser wirke. So bekommt der Logos exakt die Funktion zugewiesen, die in Cudworths System die plastic nature innehat: die des direkten Einwirkens auf die und in der Materie, deren neuplatonische Konzeptionierung hier nochmals deutlich hervortritt (besonders weil Cudworth den impliziten Vergleich der Materie mit dem Wasser „oXom […] vdati“ mitzitiert).85 Besondere Bedeutung hat diese Textstelle im gegenwrtigen Kontext jedoch deshalb, weil die Unfhigkeit des Logos, gestalterisch auf die Materie einzuwirken, durch das Fehlen noetischer Vermçgen (oq mºgsir, oqd³ fqasir, oqj eQdu?a, !kk± dq_sa lºmom) begrndet wird.86 Dieser epistemologische Mangel ist damit ein deutliches Zeichen der niedrigen ontischen Stellung der plastic nature und ihrer Abhngigkeit in jeder Hinsicht von Gott, der die bergeordnete Schçpfer- und Ordnungsinstanz ist.87 Diese Textbefunde legen es somit nahe, das Konzept der plastic nature verstanden als Form des weltimmanenten Wirkens Gottes eingebettet in die oben skizzierte neuplatonisch-christliche Metaphysik einer Hierarchie von Wirk- und Ordnungsformen oder -stufen zu verstehen.88 Diese Einbettung be85 Zur Materie als einer Art absoluter Flssigkeit siehe Bergemann (2006), 198 f. und 203. Diese Vorstellung hat Cudworth vorbereitet durch Wendungen wie „floating matter“ und „fluid matter“ (System I, 172 u. 174). 86 Vgl. dazu System II, 57 ff. Dort wird die Abhngigkeit der plastic natures von der bergeordneten, koordinierenden Instanz der gçttlichen Vernunft/des Nous anhand mehrerer Beispiele anschaulich illustriert. Die Abhngigkeit wird hier demnach grundstzlich auf das Fehlen der noetischen Vermçgen bei der plastic nature bzw. dem Logos zurckgefhrt. 87 Vgl. auch System I, 250. Dort spricht Cudworth der plastic nature ausdrcklich das Selbstbewusstsein und damit eben das Strukturmerkmal ab, das im Neuplatonismus das Wirkende im Intelligiblen fundiert und erklrt, vgl. z. B. Enn. V 1, 3, 15 ff.; 7, 5 ff. und 35 ff. Der plastic nature fehlt die suma¸shgsir und damit die Selbstwahrnehmung, vgl. Tornau (2001), 356 f. Gerade diese Unvollkommenheit erçffnet Cudworth den Raum fr die Annahme eines hçheren, bergeordneten Prinzips, fr Gott: „If there be v¼sir, then there must be Nous“ (System I, 272). Thiel, in Gaukroger (1991) entwickelt ausgehend von dieser Textpassage des System eine Interpretation von Cudworths ,Theorie oder Vorstellung des (Selbst-)Bewusstseins, der zufolge Cudworth zwischen einem Wissen um die Grnde und Zwecke des eigenen Tuns und einem Wissen darum unterscheidet, dass man weiß, dass man etwas tut, wenn man es tut (ebd. 88 f.), um so den cartesischen Dualismus durch die Einfhrung der plastic nature als Lebens- und Formkraft mit Semibewusstsein zu unterlaufen. 88 Eine kurze Darstellung und Deutung der plastic nature bezglich der Kategorien der Immanenz und der Transzendenz bietet auch Lowrey (1884), 162 – 163; s. auch Gysi (1962), 17 – 24. Flores (2008), 128 – 130 legt dar, dass die wesentliche Funktion der plastic nature bei More und Cudworth darin zu sehen ist, Gottes wirkende Immanenz in der

4.2 Der ontologische Status der plastic nature als „dienende Kraft“

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deutet fr den Umgang Cudworths mit den antiken Texten, dass die neuplatonische Systematik seinen Umgang mit der entsprechenden Textbasis weiterhin wesentlich perspektivieren und mitbestimmen wird, wenn es ihm darum zu tun ist, die plastic nature als Alternative zu den Positionen von Hobbes, Descartes, Conway und wohl auch Francis Glisson oder Kenelm Digby zu entwickeln.89

4.2.1 Die plastic nature als Ergebnis einer kombinierenden Transformation stoischer Vorstellungen Die diesem Zweck entsprechende transformierende Aneignung antiker Texte, die im wesentlichen verschiedene Formen innerweltlicher Wirkprinzipien zum Inhalt haben, soll nun am Beispiel der In-Gebrauch-Nahme eines ursprnglich stoischen Konzepts analysiert werden. In einem ersten Schritt soll dazu ein Text betrachtet werden, den der Neuplatoniker Proklos verfasst hat und der neuplatonische Metaphysik und eine stoisch-neuplatonische Terminologie derart miteinander verbindet, dass die wiederholt im System beobachtbare Amalgamierung neuplatonischer und stoischer Anstze fr Cudworth mçglich wird. Mit diesem Text ist dementsprechend der integrative Horizont markiert, vor dem Cudworth die dann im Anschluss zu untersuchende Implementierung stoischen Gedankenguts zur plastic nature in seine Argumentation vollzieht. In diesem zweiten Schritt wird es also darum gehen darzustellen, wie die aus dem Proklos-Text abgeleitete Konzeption Cudworths den quasi exegetischen und transformierenden Umgang mit einem Text bestimmt, der stoisches Gedankengut enthlt. Der entsprechende Proklos-Text findet sich im System erheblich nach der Digression zur plastic nature, in der Cudworth die Aneignung stoischer Anstze in sein plastic-nature-Konzept vornimmt: Nach seinen Ausfhrungen zur plastic nature und zur antik-paganen Mythologie und Philosophie im Hinblick auf den Aufweis eines allgemeinen Monotheismus entwickelt Cudworth seinen eigenen Welt bei gleichzeitiger Wahrung seiner Transzendenz zu sichern und zugleich ber Descartes Anstze zum Verhltnis Gottes zur Welt in einem synthetisierenden Ansatz hinauszugehen. Allerdings ist ihre Feststellung, dass „the Plastic Nature is one [Hervorh. L. B.] step below God“ (ebd. 130) zu differenzieren und zu korrigieren. 89 System I, 217: „Besides all which, in order to a fuller and more thorough confutation, both of the Cosmo-plastic and Hylozoic Atheisms, we shall in this very place take occasion to insist largely upon the plastic life of nature, giving in the first place, a true account of it; and then afterwards showing how grossly it is misunderstood, and the pretence of it abused by the asserters of both these Atheistic hypotheses.“ Zu den Personen und deren Lehren, die Cudworth hier neben Anne Conway und Margaret Cavendish im Auge haben kçnnte siehe u. a. Hartbecke, in Leinkauf/Hartbecke (2005), 298, Anm. 80 zum Bezug auf Francis Glisson; siehe auch Cheung (2008) 43 – 46 und 132 – 144.

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

Gottesbegriff ausfhrlich in dessen trinitarischen Aspekten. Diese Gottesvorstellung wird dann produktiv gemacht und gegen die reduktionistischen und in seinen Augen atheistischen Argumente der atomistisch und mechanistisch argumentierenden Naturphilosophen ins Feld gefhrt.90 Auch in diesem Fall ist Cudworth viel daran gelegen, deren a- oder sogar antiteleologische Argumentation zu widerlegen.91 Dazu greift er auf das einige hundert Seiten zuvor zu genau diesem Zweck entwickelte Konzept der plastic nature zurck. Anders als in den noch zu untersuchenden vorausliegenden Textabschnitten legt Cudworth hier, auf das Wesentliche beschrnkt, eine auf den neuplatonischen Kern konzentrierte Definition bzw. Funktionsdarstellung der plastic nature vor und zieht dazu einen Text des Proklos heran,92 den er folgendermaßen bersetzt:93 „Nature is the last of all causes that fabricate this corporeal and sensible world, and the utmost bound of incorporeal substances. Which being full of reasons and powers [pkgqμr d³ kºcym ja· dum²leym], orders and presides over all mundane affairs.“94 Es sind die kºcoi und dum²leir, so das Zitat weiter, durch die als urschliche Formen die vergnglichen Dinge ihren Zusammenhalt und ihre relative Bestndigkeit erhalten. Die plastic nature ist damit als eine von Gottes Allkraft abhngige rpouqc¹r d¼malir, als eine untergeordnete, „dienende“ und das heißt vermittelnde Wirkkraft gekennzeichnet, die zugleich als „Bndel“ weiterer

90 Vgl. dazu Gabbey, in Kroll/Ashcraft/Zagorin (1992), 111 – 112. 91 Zum Verhltnis zwischen der Annahme von Finalursachen und Theorien des Mechanismus in der Frhen Neuzeit s. Osler (2001), 154 – 157. Zu Cudworths eigenem Verstndnis von „teleologisch“ siehe Passmore (1951/1990), 34. 92 Procl., In Tim. I, 11(ed. Diehl, Leipzig 1903). Ficino bernimmt die hier von Proklos dargelegte Vorstellung in seinem eigenen Timaioskommentar im selben Problemkontext, siehe Hirai, in Allen/Rees (2002), 263. Ficino kçnnte hier also fr Cudworth als Transformationsfilter gedient haben. 93 System II, 619 – 620. Auf die Bedeutung dieses Textes fr Cudworths Konzeption der plastic nature weist bereits Lowrey (1884), 161 hin. 94 Dass Ficino als Transformationsfilter angesehen werden kann, der Cudworth zur Auswahl dieses Proklos-Textes bewogen haben kçnnte, kann man an De amore II, 5 sehen, wo Ficino beschreibt, wie sich die noetische Schçnheit Gottes stufenweise an die Welt vermittelt: Vom Lichtstrahl (radius) dieser Schçnheit gilt nmlich, dass sie abschließend „die Natur mit den Keimformen strkt und die Materie mit Formen ausstattet (Naturam fulcit seminibus. Materiam formis exornat)“. In den semina und formae kçnnte Cudworth ein quivalent zu den kºcoi speqlatijo¸ gesehen haben, die er zur Erluterung seiner eigenen Theorie heranzieht und die ber die Position und Funktion der Natur und ihrer semina bei Ficino einen Bezug zum Text des Proklos in genau diesem Problemkontext ermçglichen. Zur Stellung der semina bei Ficino diesbezglich siehe Hirai, in Allen/Rees (2002), 258 – 262; zu einer analogen Vorstellung bei Jean Fernel, den Cudworth ebenfalls kannte, siehe Hirai (2005), 98 f.

4.2 Der ontologische Status der plastic nature als „dienende Kraft“

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Krfte charakterisiert ist,95 deutliche Berhrungspunkte mit Philons Konzeption der dynameis Gottes besitzt und darber hinaus ber den Begriff „kºcym“ terminologische Verbindungslinien zur stoischen Philosophie aufweist. Da sich die Verschrnkung neuplatonischer und stoischer Gedanken entlang derartiger terminologisch-sachlicher Berhrungspunkte vollzieht, mçchte ich mich im Folgenden darauf beschrnken, darzulegen, wie Cudworth dem Stoiker Zenon sein neuplatonisches Konzept durch Ausnutzung von Homonymien und semantischen Verschiebungen oder berlagerungen auf der Grundlage einer implizit vorausgesetzten neuplatonischen Semantik nachweist, die oben skizziert und exemplarisch auf ihre Hintergrundannahmen bei Philon und Plotin hin expliziert wurde. Diese Verschrnkung ist schon deshalb brisant, da Cudworth die Stoiker, und mit ihnen Zenon, fr ihre Welterklrung an anderer Stelle scharf kritisiert.96 Diese Kritik findet sich u. a. im Rahmen einer Zurckweisung der (antiken) Annahme, man kçnne Gott mit der Weltseele identifizieren. Gottes Immanenz in der Welt stellt sich nmlich in dieser Sichtweise dar als Vermischung Gottes mit der Schçpfung, die schlimmstenfalls bis zur Gleichsetzung von Gott und geschaffener Welt fhrt. Der Atheismus dieser Position wird in Cudworths Augen zustzlich verschrft durch ihren Materialismus: Moreover, this soul of the world was by such of these Pagans as admitted no incorporeal substance, itself concluded to be a body too, but keptºtatom ja· t²wistom, a most subtle and swift body [Hervorh. L. B.], […] (though endued with perfect mind and understanding, as well as with spermatic reasons [kºcoi speqlatijo¸]) which insinuating itself into all other bodies, did permeate and pervade 95 Die Vorstellung des Kraftbndels ergibt sich meiner Ansicht nach aus der Formulierung „full of reasons and powers“ in System II, 619 – 620. Vgl. auch System II, 336: „Where it may be obiter observed, that these Platonists supposed, below the universal Psyche, or mundane soul, a universal physis, or substantial nature also; but so as that besides it there were other particular logoi spermatikoi, seminal reasons, or plastic principles also.“ Zur Vorstellung der Weltseele als eines „Bndels“ von Formkrften vgl. z. B. Plotin, Enn. IV 3, 5, 17 – 18. Cudworth scheint diese nachgeordneten plastic natures oder Formkrfte nicht als eigenstndige Hypostase zu begreifen. Dem korrespondieren exakt seine Ausfhrungen zur plastic nature in EIM 581: „[…] as the spermatick or plastick power doth virtually contain within itself, the forms of all the several organical parts of animals, and displays them gradually and successively, framing an eye here and an ear there“ (Hinweis bei Baldi, in Simonutti [2007], 434, Anm. 60). Jede plastic nature kann so, den vorgegebenen Prdispositionen in der Panspermie wie eine Tnzerin der vorgegebenen Choreografie gleichsam blind und intuitiv folgend, komplexe organische Strukturen aktivieren und realisieren. Flores (2008), 140 zufolge vertritt z. B. auch Ficino die Vorstellung einer Weltseele, die in sich weitere Seminalkrfte enthlt. Cudworth kçnnte sich also diesbezglich u. a. an Ficino orientiert haben. 96 System II, 288 f.

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

the whole universe, and frame all things, inwardly [Hervorh. L. B.] mingling itself with all.97

Trotz wesentlicher Berhrungspunkte mit seinem eigenen Konzept der plastic nature wird an dieser Stelle die stoische Vorstellung der jq÷sir di fkym eines vollstndig stofflich konzipierten Vernunft- und Gestaltungsprinzips kritisiert, das als v¼sir und eben auch als Gott bezeichnet werden kann.98 Klar zu erkennen ist im Rahmen dieser Kritik, dass sich Cudworth der Identifikation der physis als des vernnftigen Struktur- und Formprinzips in der Welt mit Gott, die die Stoiker vornehmen, eigentlich vollkommen bewusst ist.99 Abgesehen von der Stofflichkeit dieses Prinzips ist ebenso die Gleichsetzung von Gott und physis im gerade explizierten Sinn gerade nicht mit dem Konzept der plastic nature im System zu vereinbaren. Denn die plastic nature ist ja, wie gezeigt, als unstoffliche, intelligible Wirkkraft konzipiert, die Gott wie eine Dienerin untergeordnet, von ihm abhngig und damit als verursachte von ihrer Ursache verschieden ist. Allerdings, und auch das ist von Wichtigkeit, denn an diesem Punkt kann Cudworths Argumentation und Interpretation anknpfen und auf seinen vorangehenden berlegungen zur stoischen Naturphilosophie aufbauen, bleibt die stoische Vorstellung der Immanenz von Gottes teleologischem Wirken in der Welt ausdrcklich von der Kritik ausgenommen. Wie also gelingt es, im Verlauf der Argumentation in der Digression den Eindruck zu erwecken, auch der Stoiker Zenon vertrete eine neuplatonische Ansicht der plastic nature? Zunchst benennt Cudworth den kleinsten gemeinsamen Nenner zwischen seiner und der Position der Stoiker: Sowohl die Stoiker als auch er selbst nehmen eine in der Welt teleologisch wirkende Formkraft, eine plastic nature, an,100 die unmittelbar auf die und in der Materie wirkt und ohne die komplexe Strukturen wie z. B. Organismen nicht zu erklren sind. Einleitend wird diese dann mit einem Zitat aus der Schrift De mundo als dynamis bestimmt. Dabei erfolgt bereits jetzt die bertragung des entsprechenden griechischen Textes in einem neuplatonischen Sinne leserlenkend: aus tμm d¼malim aqtoO (dessen, d. h. Gottes, Wirkkraft) wird eine „certain power and virtue101 derived from him 97 System II, 289. 98 Zu den stoischen Vorstellungen vgl. z. B. Long/Sedley (2000/1987), Frgg. 46 A-P mit Kommentar, 327 – 333 (Konzept des stofflichen Gottes/Vernunftprinzips) und Frgg. 48 A-F mit Kommentar, 345 – 350 (zur Mischung). Zum Nouskonzept des Vorsokratikers Anaxagoras als einem mçglichen Vorlufer der stoischen Position siehe Ross (1924), Bd. I, 137. 99 Siehe dazu besonders seine Stellungnahme zu dieser Vorstellung in System II, 288. 100 Siehe System I, 217. 101 „Virtue“ als zweite, pleonastische bertragungsvariante zustzlich zu „power“ kçnnte bereits an dieser Stelle auf die „virtutes per opus mundanum diffusas“ in System I, 456 vorausweisen bzw. dort wieder aufgegriffen werden und so die Geschlossenheit der Darstellung untersttzen.

4.2 Der ontologische Status der plastic nature als „dienende Kraft“

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[God]“.102 „Derived from him“, also „ab- oder herstammend von Gott“, bertrgt den einfachen Genetiv „aqtoO“ der Vorlage und macht um einiges deutlicher, dass diese plastic nature nicht mit Gott gleichzusetzen, sondern von ihm als von ihrer Ursache bzw. ihrem Schçpfer abhngig und damit verschieden ist. Dadurch, dass diese ontologische Umwertung mit dem Begriff der dynamis verbunden ist und dieser sowohl eine stoische wie auch eine neuplatonische Konnotation besitzt,103 erfolgt die Einpassung des stoischen Inhalts in die neuplatonische Rahmung zumindest auf der Ebene der verwendeten Begrifflichkeit zunchst in Form einer recht behutsamen Vorbereitung. Die weitergehende Implementierung der Ansicht Zenons in die Systematik des System erfolgt dann, nachdem zuvor Empedokles mit Plotin in Kombination mit Simplikios ausgelegt wurde.104 Auch dies geschieht in der Absicht, das Konzept der plastic nature bereits bei diesem Vorsokratiker freizulegen.105 Damit ist der Leser zustzlich auf die von Cudworth konstruierte Einheitlichkeit antiker Naturphilosophien bzw. -erklrungen und auf die grundstzlich neuplatonische Les- und Interpretationsart eingestimmt, gemß der in diesem Zusammenhang die antiken philosophischen Texte perspektiviert werden und die so dieser Einheitlichkeit als Bedingung zugrunde liegt. Er ist also fr das Folgende bestens „vorbereitet“. Kurz vor dem „Leitzitat“ zur stoischen plastic nature weist Cudworth nochmals ausdrcklich darauf hin, dass diese von innen, also als „inward principle“ wirkt und sich damit trotz ihrer Intelligibilitt in ihrem Wirken ganz wesentlich durch eine bestimmte Form der Immanenz auszeichnet.106 Damit 102 System I, 223. Es kommt hinzu, dass selbst das aqtoO von Cudworth im griechischen Text hinzugefgt worden zu sein scheint, s. u. S. 183. 103 Zur stoischen d¼malir vgl. z. B. SVF II, 1133: Hier wird die v¼sir zugleich als pOq tewmijºm, als 6nir und als B dioijoOsa t¹ f_om d¼malir beschrieben, d. h. als eine Kraft, die das Lebewesen strukturiert. 104 System I, 228 – 231; bes. 230: „Which Plotinic doctrine may well pass for a commentary upon Empedocles, accordingly as Simplicius briefly represents his sense: […]“. 105 Hier ist neben der Integration des Empedokles in die Reihe der prisci theologi grundstzlich eine Intention zu vermuten, die im Rckgriff auf die „Dignitt des Archaischen“ (Mulsow [1993], 233) die eigene Position und deren Transformationen legitimiert sehen mçchte. Zu einem analogen Vorgehen bei der Transformation galenischer Lehren durch den Rckgriff auf den lteren und ursprnglichen Hippokrates in der Naturphilosophie des 16. Jahrhunderts siehe Mulsow (1993), 230 – 234. 106 System I, 223. Zur fr Cudworth so wichtigen Immanenz der plastic nature siehe Gysi (1962), 114. In diesem Punkt unterscheidet sich Cudworths Erklrung von Naturablufen entscheidend von mechanistischen Anstzen, denen zufolge ausschließlich die externen Faktoren von Bewegung und Stoß als wirkende Ursachen gelten kçnnen, s. o. diesbezglich die Einleitung zu den Anstzen von Descartes, Hobbes und Charleton. Gemeinsamkeiten lassen sich hingegen mit dem zeitgençssischen medizintheoretischen Diskurs erkennen, der ebenfalls mit in der „Tiefe“ der Kçrper wirkenden Krften arbeitet, die den Kçrper vollstndig ganz als ganze durchdringen. Diese Erklrungsmuster

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

markiert er den zentralen Konvergenzpunkt zwischen seiner Auffassung eines immanenten Formprinzips und der der Stoiker. Die Position der Stoiker gibt Cudworth dann paradigmatisch in einer aus Diogenes Laertios ausgewhlten Darstellung der Lehre Zenons zur „Natur“ als aktivem Prinzip wieder:107 =sti d³ v¼sir 6nir 1n aqt/r jimoul´mg jat± speqlatijo»r kºcour, !potekoOs² te ja· sum´wousa t± 1n art/r 1m ¢qisl´moir wqºmoir, ja· toiaOta dq_sa !v oVym !pejq¸hg, “Nature is a habit [6nir] moved from itself according to spermatic reasons or seminal principles, perfecting and containing those several things, which in determinate times are produced from it, and acting agreeably to that from which it was secreted.”108

Dieses Zitat enthlt einige Wendungen und Termini, die auf der Ebene einer impliziten Semantik mit Cudworths neuplatonischem Verstndnis einer naturimmanenten Formkraft korrespondieren und damit im Sinne einer erleichterten systematischen Anschlussfhigkeit dazu beitragen, diese ursprnglich stoische Darstellung in die neuplatonische Systematik des System zu integrieren. Daher ist sowohl auf das von Cudworth hier angenommene neuplatonische Potential dieser Wendungen kurz einzugehen als auch zu untersuchen, wie Cudworth zu einer derartigen semantischen Umprgung gelangt. Beide Konzepte berschneiden sich vor dem Hintergrund dieses Textes darin, Bewegungsprinzipien zu sein, denn die Physis der Stoiker ist selbstbewegt. Fr die weitergehende Auslegung ihres Prinzipienstatus, die schließlich die Art und Weise begrndet, wie diese Physis im Stofflichen wirkt und Bewegung nicht nur initiiert, sondern auch bertrgt, ist dann der Begriff der 6nir bzw. des habit von besonderer Bedeutung. Cudworth funktionalisiert ihn zwar an spterer Stelle, um das ebenso teleologisch-planvolle wie zugleich vollstndig unreflektierte Wirken der plastic nature zu erklren, aber derselbe Begriff besitzt noch eine weitere, zentrale naturphilosophische Dimension von besonderer Relevanz hinsichtlich der plastic nature als einer inneren Dynamik. Dass Cudworth diese dynamische Bedeutung des Begriffs hexis gekannt haben oder ein Verstndnis von ihr gehabt haben kçnnte, lsst sich zeigen, wenn man die bisher zu diesem Thema herangezogenen Texte aus dem System in Bezug setzt zu folgender Bedeutung der „dynamischen Hexis“ im stoischen Weltsystem, die Shmuel Sambursky vorschlgt: „Kçrper besitzen Kohrenz und bestimmte lassen sich ihrerseits bis auf Galen und dessen stoische Einflsse zurckfhren, siehe Hartbecke (2006a), 41. Es scheint, dass dieser medizinische Diskurs ebenfalls als Transformationsfaktor mit bestimmten Ansprchen an eine gelingende Naturphilosophie und Naturerklrung Cudworths Antikeaneignungen beeinflusst haben kçnnte. 107 Zur vis/virtus seminalis und den logoi spermatikoi bei Ficino als mçglichem Bezugspunkt Cudworths, der sich bis Plotin (und darber hinaus bis zu Philon und Poseidonios) zurckverfolgen lsst und mit dem sich Cudworth kritisch auseinandersetzt, s. Lotti, in Simonutti (2007), 393 – 395. 108 System I, 232.

4.2 Der ontologische Status der plastic nature als „dienende Kraft“

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physikalische Eigenschaften kraft der andauernden Bewegung eines sie durchdringenden, ußerst dnnen und elastischen Mediums. Da Materie absolut kontinuierlich ist, vollziehen sich diese fluktuierenden Spannungsbewegungen innerhalb der Materie selber, mit der jenes Medium in totaler Mischung vereint ist. Der dynamische Aspekt der Hexis, die den physikalischen Zustand des Kçrpers definiert, ist demnach mit dem verwandt, was wir heute ein Kraftfeld nennen wrden.109 Die inhrente Logik des wissenschaftlichen Denkens fhrte somit vom stoischen Kontinuittsbegriff zur Vorstellung von Krften kontinuierlicher Natur, die sowohl Ursache der Kohsion als auch der spezifischen Eigenschaften aller Materie bilden. […] Die Stoiker waren die ersten Denker, die dem Gedanken wohldefinierter Krfte Ausdruck gaben, die in der Materie wirken und ihre Form bestimmen.“110 Cudworth thematisiert nun verschiedene Aspekte dieser semantischen Dimension des stoischen Hexis-Begriffs in seiner Auseinandersetzung mit den Stoikern, so dass davon auszugehen ist, dass er diese Bedeutungsdimension der Hexis im Kontext stoischer Welterklrung kennt. So nimmt er in seiner Kritik an der stoischen jq÷sir di fkym in System II, 289 das Motiv des „ußerst dnnen und elastischen Mediums“ auf, da er sich dabei auf ein keptºtatom ja· t²wistom bezieht, einen ußerst schnellen und feinen Stoff, der die Kçrper durchdringt, sich inwendig mit ihnen mischt und sie strukturiert. Hinsichtlich der Immanenz der aktiv formenden Hexis ist daran zu erinnern, dass Cudworth, wie gezeigt, als wichtigen Aspekt der Gemeinsamkeit zwischen seiner Konzeption und der stoischen wiederholt den der Immanenz der Wirkung anfhrt: Auch seine Formkraft ist ein „inward principle“, und Cudworth sagt vom stoischen Formprinzip ebenso: „inwardly mingling itself with all“.111 Die Vorstellung, dass die Hexis „den physikalischen Zustand des Kçrpers definiert“ nimmt der Text des System ganz explizit im Zitat aus Diogenes Laertios112 mit „perfecting and containing [!potekoOs² te ja· sum´wousa] those several things“ auf und wiederholt sie entsprechend in der Hylozoismus-Kritik in System II, 288 f. mit 109 Cudworth selbst entwickelt ausgehend von seiner Konzeption intelligibler Wirkkrfte als einer Art von Energiezentren in Kçrpern in Kombination mit der Vorstellung des Seelengefhrts eine Form der Interaktion zwischen intelligibler Formkraft (Seele oder plastic nature) und Kçrper, die er als „sphere of action“ versteht, s. u. die Kapitel „An energy as is within the very substance or essence of that which thinketh – Die Seele als gotthnliche Kraft in der Welt“ und „Angelical and human souls are […] not bodies, yet they are always in bodies, or clothed with bodies – Die Seele, der Kçrper und die vital union: Imago der Anwesenheit Gottes in der Welt“. 110 Sambursky (1965), 212. 111 System II, 289. Vgl. dazu Sambursky (1965), 211 f. (= SVF II, 458) zur Hexis als innerem Wirkprinzip in der stoischen Naturphilosophie. Diese Form wirkender Immanenz stellt gleichfalls die Verbindung zum paracelsischen Archeus her, mit dem die plastic nature in System I, 232 und 238 ebenfalls verglichen wird. 112 Diogenes Laertios, Vitae Philosophorum I, 148 (ed. Long, Oxford 1964, repr. 1966).

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„frame all things“. Die berfhrung des „stoischen Kontinuittsbegriff[s] zur Vorstellung von Krften kontinuierlicher Natur“ findet sich ebenfalls im System: Cudworth betont mehrfach, so z. B. in System I, 253 und 282, dass die plastic nature kontinuierlich, ohne sich zu teilen an verschiedenen Orten und in verschiedenen Teilen zugleich wirke. Mit sum´wousa im Text aus Diogenes Laertios schließlich wird der Aspekt, dass die stoische Hexis Kohsions-Ursache ist, direkt angesprochen, bekommt aber in der bersetzung durch Cudworth zudem eine neuplatonische Konnotation: Indem Cudworth das griechische Partizip mit „contain“ bersetzt, suggeriert seine bersetzung, dass hier nicht nur ein Zusammenhalten, sondern auch ein urschliches Umfassen gemeint sei und im Griechischen statt sum´weim peqi´weim stnde, das im Neuplatonismus dazu dient, das Verhltnis zwischen urschlicher Formursache und Verursachtem zu beschreiben. Dabei kçnnte er sich zudem, wie bereits hinsichtlich seines Konzepts der rpouqco· dum²leir, auch auf Texte Philons gesttzt haben,113 in denen der Begriff der hexis mit dem der physis und der Seele verknpft und in einen Zusammenhang gesetzt wird. Cudworth scheint desweiteren auf den Aspekt der Immanenz einer formenden Kraft, die er als plastic nature bezeichnet und die die Stoiker im oben angefhrten Text aus Diogenes Laertios 6nir nennen, Bezug zu nehmen, wenn er direkt im Anschluss an das Zitat aus Diogenes Laertios zu Zenon und mçglicherweise als ber- und Einleitung zu den neuplatonischen berlegungen als zeitgençssische Variante zu diesem Konzept, das ja zugleich sein eigenes ist, den sogenannten Archeus der Chymiker und Anhnger des Paracelsus anfhrt.114 Denn er spricht ihm zwar eine dem stoischen Konzept sehr hnliche Funktion zu, hebt aber den ontologischen Status des Archeus von der stoischen, stofflich gedachten, vollstndig immanenten 6nir deutlich ab: Der Archeus wird von ihm

113 Z. B. bei Long/Sedley (2000/1987), 339, Frgg. P-R. 114 Zur dynamisch-energetischen Natur des Archeus in seinen verschiedenen Ausprgungen bei Paracelsus und J. B. van Helmont siehe Bonk, in Bonk (2003), 32 f. und Hirai (2005), 190. Gerade die von Bonk, der sich auf eine Untersuchung von Walter Pagel beruft, hervorgehobenen intrinsischen, formenden und kraftartigen Aspekte des Archeus ermçglichen es Cudworth, sich zur Veranschaulichung und Erklrung seiner plastic nature vergleichend auf dieses Konzept zu berufen; dazu auch Hartbecke (2006a), 74 – 76. Pagel, in Faivre/Zimmermann (1979), 68 weist auf eine Vorstellung Paracelsus hin, der zufolge die Archei Schmieden gleich aus einer Art panspermischer Gesamtheit „die Einzeldinge heraushmmern“. Bonk allerdings bersieht den mçglichen Bezug zwischen der mittel-neuplatonischen Logoi-Lehre sowie deren entsprechenden Konzepten im Stoizismus einerseits und dem Konzept der Archei andererseits, daher ist seine Einschtzung der Archei als „kleine […] Weltseelen“ etwas irrefhrend formuliert; zu den Logoi bei Plotin s. o. S. 141 f. und Preus, in Wagner (2002), 46 – 49; vgl. dazu u. a. auch Bergemann (2006), 200 – 215. Zur Vorstellung der Archei bei Henry More s. Greene (1962), 454.

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nmlich als eine intelligible neuplatonische Formkraft verstanden.115 Mçglicherweise nimmt Cudworth mit dieser Anbindung des Archeus an neuplatonische Vorstellungen und der Transformation stoischer Anstze Bezug auf die Untersuchungen Francis Glissons, der in seinem Tractatus de Natura Substantiae Energetica von 1672 in seiner Einleitung an den Leser den Arch(a)eus als eine vis plastica bezeichnet, die er allerdings stofflich und vollstndig immanent als anima materialis bestimmt und die fr die Gestalt und die Struktur von Tieren und Pflanzen verantwortlich ist.116 An dieser Stelle wird erneut deutlich, dass die Argumentation im System nicht nur gegen reduktionistische Atomisten und Mechanisten gerichtet ist, sondern, wie z. B. Karin Hartbecke aufgezeigt hat,117 auch gegen zeitgençssische hylozoistische Erklrungsmodelle, die sich auf die Ursachen organischer und lebendiger Kçrper richten, wie z. B. die Anstze Glissons oder Conways. Zu dieser Beobachtung passt, dass die Unstofflichkeit und die Intelligibilitt, die im Unterschied z. B. zu Glissons Konzept Cudworths Formprinzip charakterisieren, im Sinne einer impliziten Semantik durch zwei Wendungen im Diogenes-Laertios-Text zumindest aus Cudworths Sicht ebenfalls mitthematisiert werden. Derart kçnnen diese Formulierungen als Ausgangspunkte einer weitergehenden Explikation in seinem Sinne dienen: Erstens durch die Selbstbewegung der 6nir, die fr Cudworth und in der Philosophie des (Neu-)Platonismus allgemein ein wesentliches Merkmal von Intelligibilitt ist und dem Stofflichen aberkannt wird.118 Zweitens durch die Wendung „from which it was 115 System I, 232: „Lastly, as the latter Platonists and Peripatetics have unanimously followed their masters herein, whose vegetative soul also is no other than a plastic nature; so the Chymists and Paracelsians insist much upon the same thing, and seem rather to have carried the notion on further, in the bodies of animals, where they call it by a new name of their own, the Archeus.“ 116 Tractatus, Ad Lectorem, Abschnitt 18, zitiert bei Hartbecke (2005); vgl. auch Cheung (2008), 139: die Tierseele als „modus essentialis et simul vitalis“ der Materie, und Hartbecke, in Leinkauf/Hartbecke (2005), 285 zur absoluten Immanenz des energetischen Naturaspekts sowie 295 f. Begrndet ist diese vollstndige Immanenz in der sog. biousia der Natur, aufgrund derer Sein und Ttigsein in eins fallen, siehe Hartbecke (2006a), 109 f., so dass schließlich hinsichtlich der Materie gilt: „tota dignitas formae in materiam […] quodammodo transfertur“ (siehe Hartbecke [2006a], 115). Bereits im sptantiken Platonismus finden sich Spuren der Vorstellung einer materiellen Seele, vgl. z. B. Hager (1962), 443 zu Chalcidius, In Tim. 297 p. 326, 17 ff. Wr., dort ist von einer „bçsen Materie-Seele“ die Rede und von einem kçrperhaften Seelenteil der menschlichen Seele. 117 Hartbecke, in Leinkauf/Hartbecke (2005), 298, Anm. 80; dort auch der Verweis auf weitere Literatur. 118 Vgl. z. B. System I, 252 und II, 589 f. sowie Proklos, Inst. §§ 14 – 17, 186 und 189. Siehe auch Lowrey (1884), 75, der darauf hinweist, dass die Ortsbewegung, die allen Kçrpern als einzige Bewegung zukommt, immer heterokinesy ist. Selbstbewegung kann also nur intelligiblen, unstofflichen Krften zukommen, da alle Kçrper fremdbewegt sind.

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secreted“, die meiner Ansicht nach nur dann sinnvoll ist, wenn man sie an dieser Stelle als Transzendenzformel in dem speziellen Sinne versteht, dass sie auf die Unstofflichkeit der plastic nature hinweist, da sie ansonsten mit Cudworths eigener und expliziter Annahme der Wirkimmanenz dieser Formkraft und ihrer Darstellung als „ratio mersa et confusa“119 unvereinbar bliebe. Legt man dieses Verstndnis einer „dynamischen Hexis“ als impliziten semantischen und fr die weitere Argumentation im System bedeutungsvollen Gehalt zugrunde, lassen sich die an das Diogenes-Laertios-Zitat anschließenden Ausfhrungen als Explikationen eines von Cudworth implizit vorausgesetzten neuplatonischen Gehalts, der sich fr ihn aufgrund der Annahme einer prisca sapientia 120 in der stoischen Konzeption der hexis gleichsam verbirgt, in einem sinnvollen Zusammenhang verstehen.121 Die im Stoff wirkende plastic nature erlutert Cudworth nun zunchst ausgehend von zwei aristotelischen Texten als t´wmg (art, Kunst),122 die von innen unmittelbar gestaltend nach außen wirkt: „And thus we have the first general conception of the plastic nature, that it is art [t´wmg] itself, acting im-

119 System I, 238. 120 System I, 226: „And as this plastic nature is a thing, which seems to be in itself most reasonable, so hath it also had the suffrage of the best philosophers in all ages.“ 121 Gegen die Einschtzung von Powicke (1926/1971), 114 gehe ich daher davon aus, dass Cudworth durchaus planvoll sein argumentatorisches Ziel verfolgt und sein Wissen strukturiert und transformierend anwendet. 122 Hutton, in Crocker (2001), 66 – 67 weist auf die wichtige Implikation hin, dass die plastic nature als t´wmg/art immer auch die Intelligibilitt der Naturphnomene und -prozesse garantiert. In dieser Hinsicht ist sie die weltimmanente und abbildliche Explikation des noetischen Aspekts der binnendifferenzierten Trinittsdynamik, s. u. das Kapitel „Cudworths neuplatonische Trinitt […]“. Zur v¼sir als t´wmg toO heoO bei Platon (Sph. 265c-e) siehe Leinkauf, in Leinkauf/ Hartbecke (2005), 3. Vgl. auch Leinkauf (1993), 46 – 55 zu dieser Vorstellung bei Athanasius Kircher. Besonders fr die folgenden berlegungen zur plastic nature als Naturgesetz ist folgende Beobachtung Leinkaufs grundlegend, die zeigt, wie dicht beieinander die berlegungen Kirchers und Cudworths gerade in zentralen Bereichen immer wieder liegen: „Dabei ist zu beachten, dass der innerweltliche Horizont von Natur wiederum nicht primr die in je verschiedenen Konstellationen vorliegenden Einzeldinge (res) meint […], sondern die diesen innerweltlich zu Grunde liegenden, intelligiblen Gesetze und Krfte [Alle Hervorh. im Original]“. Diese Art der naturphilosophischen Aitiologie, die letztendlich in eine Kraftmetaphysik mndet, findet sich bereits bei Poseidonios, siehe Reinhardt (1953), Sp. 578 – 579, 597, 624 – 626. Zu dessen Bezgen und Unterschieden diesbezglich zum Neuplatonismus ebd. Sp. 619. Lotti, in Simonutti (2007), 398 – 402 arbeitet die Gemeinsamkeiten (und Unterschiede) heraus, die zwischen Ficinos Konzeption der natura als ars und Cudworths diesbezglicher Charakterisierung der plastic nature gesehen werden kçnnen: So ist z. B. die Innerlichkeit des Wirkens der Naturkrfte bei Ficino hervorgehoben, die auch Cudworth betont.

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mediately on the matter as an inward principle“ (System I, 235).123 Auf diese Weise ist, unabhngig vom Kontext und anderen mçglichen Bedeutungen dieser Textstellen bei Aristoteles selbst, die Inwendigkeit und die strukturierende Dynamik des stoischen hexis-Begriffs explizit gemacht und mit dem Begriff der t´wmg verknpft,124 der sich wiederum seinerseits aus Cudworths Perspektive mçglicherweise ber die Vorstellung des pOq tewmijºm125 mit der stoischen Naturphilosophie verbinden lsst, so dass diese Aristoteles-Stellen in sinnvoller Weise zur Deutung des Zenon-Referats bei Diogenes herangezogen werden drfen. Im Zuge der daran anschließenden126 Darstellung der Abhngigkeit der plastic nature vom bergeordneten Geist Gottes wird diese t´wmg dann mit Aristoteles als kºcor toO 5qcou %meu vkgr, als „stofflose Formkraft einer Sache/ eines Werkes“127 definiert. Auf diese Weise bringt Cudworth den fr seine weitere neuplatonische ber- und Umformung des stoischen Textes so wesentlichen Begriff des kºcor ins Spiel, der sich jetzt aufgrund dieses Zitats gegenber dem formenden Prinzip der Stoiker ganz dezidiert durch seine Stofflosigkeit, mithin seine Intelligibilitt, auszeichnet.128 Vom gçttlichen Logos allerdings wird die plastic nature als kºcor in Cudworths Darstellung dann unterschieden wie vom Urbild das Abbild oder vom Logos in der Seele der ausgesprochene Logos. Auch wenn diese Differenzierung ebenfalls ursprnglich stoischer Provenienz ist,129 scheint der Argumentation im System hier eher Plotin V 1, 3, 7 – 11 zugrunde zu liegen, wo genau dieses Verhltnis zwischen Logoi per analogiam auf das zwischen Geist und Seele bertragen wird. Entscheidend fr die Funktion und die Explikation des Logos-Begriffs und der mit ihm verbundenen impliziten Semantik, die die Argumentationsstrategie Cud123 Cudworth bezieht sich dabei auf Aristoteles: Physica II, 199b28 – 33 und partes animalium 640a31 f. 124 Zugleich ist damit, wie Hedley bemerkt, direkt Stellung gegen die atomistisch-epikureische Heranziehung des Zufalls zur Erklrung von Weltentstehung und Naturphnomenen bezogen, s. Hedley, in Corrigan/Turner (2007), 166. 125 Vgl. z. B. SVF II, 1133 und Long/Sedley (2000/1987), Frgg. 46 A-P mit Komm., 327 – 333. In SVF II, 1133 wird das Konzept des pOq tewmijºm von Galen direkt mit dem der v¼sir und der 6nir verknpft. 126 Zuvor hat Cudworth bereits in System I, 236 f. die Immanenz und die Besonderheit des Wirkens der plastic nature in einer Kombination aus Plotin- und Aristoteleszitaten expliziert. 127 System I, 238. Cudworth bezieht sich auf Aristoteles, De partibus animalium 640a (ed. Louis, Paris 1956). 128 Radice, in Kamesar (2009), 138 beobachtet einen sehr hnlichen Umgang mit dem stoischen Prinzip des Logos bereits bei Philon: „Philo, however, would not be able to accept the pantheistic implication of such a statement, and he ,corrects the Stoic view in the following sense. While God is the cause of the world and its material is the four elements, ,the Logos is the instrument through which the world has been created (Cher. 127). In this manner Philo reorients the Stoic Logos in a Platonic sense, […]“. 129 Vgl. Tornau (2001), 349 zu V 1, 3, 6 – 9.

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worths an dieser Stelle bestimmen, ist auf den ersten Blick sicherlich die Darstellung des Abhngigkeitsverhltnisses zwischen Seele und Geist bei Plotin. Nicht weniger wichtig drfte eben diese Plotin-Stelle, auf die Cudworth mit seiner logoi-Analogie deutlich anspielt, deswegen fr ihn sein, weil Plotin in diesem Zusammenhang in V 1 den Begriff des kºcor, der ja mittlerweile ebenfalls ganz wesentlich fr das Konzept der plastic nature geworden ist, als 1m´qceia, d. h. ebenfalls als Kraft bestimmt und wie ein Synonym zu 1m´qceia gebraucht.130 Auf diese Weise kann Cudworth die stoische v¼sir des DiogenesLaertios-Textes in einem ersten Schritt aufgrund der impliziten Bedeutung der physis-hexis als einer immanenten, dynamischen t´wmg und als kºcor in einem zunchst ußerst selektiven, eher aristotelisch-stoischen Sinn deuten. Der Begriff des kºcor wird dann vermittels der Anspielung auf Plotin V 1, 3 aus diesem Kontext gelçst und zu einer neuplatonischen Grçße transformiert, die gleichbedeutend mit dem Begriff 1m´qceia ist, wobei diese Umprgung wesentlich durch die zuvor angefhrte Wendung des kºcor toO 5qcou %meu vkgr vorbereitet und erleichtert wird, die Cudworth Aristoteles entimmt. Derart lsst sich aufgrund der im Neuplatonismus mçglichen Gleichsetzung von 1m´qceia und d¼malir, die Cudworth beide als „power“ oder „energy“ verstehen kann, das gesamte Zitat aus seinem ursprnglich stoischen Rahmen lçsen und in einen neuplatonischen Kontext implementieren, woran das argumentatorisch-systematische Gerst erkennbar wird, das Auswahl und Abfolge der antiken Zitate in diesem Textabschnitt des System bestimmt und ihnen Kohrenz verleiht. Konsequent deutet Cudworth nmlich nun den Logos-Begriff, der ja die plastic nature als 6nir bezeichnet, mit Plotin im Sinne der beobachteten Hintergrund-Semantik und entsprechend seiner eigenen Systematik mit ihren antiatomistischen und anti-hylozoistischen Absichten aus und knpft so außerdem direkt an die Wendung speqlatijo· kºcoi aus dem Diogenes-Laertios-Zitat zur Lehre Zenons an:131

130 „[…]; so wie der ausgesprochene Gedanke (Wort) ein Abbild des Gedankens (Wort) in der Seele ist, so ist die Seele selbst der ausgesprochene Gedanke des Geistes, die ganze Wirkungs- und Lebenskraft [1m´qceia ; Hervorhebung an dieser Stelle: L. B.], die er ausstrçmt, um ein anderes zur Existenz zu bringen; so wie beim Feuer zu scheiden ist die ihm innewohnende und die von ihm gespendete Wrme – […]“ (Plotin, Enn. V 1, 3, 7 – 11). Frchtel (1970), 51 – 54 weist auf die funktionale berschneidung von Logos und Energeia hin und beschreibt dabei die Funktion des Logos als „Schilderung“ des „Hereinwirkens [des Intelligiblen] in die sinnliche Welt, [wobei der Logos] der platonischen Idee, mehr noch aber der aristotelischen Form (loqv¶) [gleiche]“ (ebd. 53). Zum Plotinischen Logos siehe außerdem Corrigan, in Gerson (1996), 110 f. (mit Anm. 24, dort weitere Literatur); Wagner, in Gerson (1996), 136 f. und Bergemann (2006), 200 – 216. 131 Zugleich bindet Cudworth seine Darstellung damit in die Terminologie des zeitgençssischen wissenschaftlichen und naturphilosophischen Feldes ein, vgl. z. B. in diesem

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[…] b c±q kºcor 1m vk, poie?, ja· t¹ poioOm vusij_r, oq mºgsir, oqd³ fqasir, !kk± dq_sa lºmom, oXom t¼pom ja· sw/la 1m vdati, “[…] for the plastic reason or form acts or works in matter, and that which acts naturally is not intellection nor vision, but a certain power of moving matter, which doth not know, but only do, and makes as it were a stamp or figure in water.”132

Zunchst wird durch den beinahe wçrtlichen Anklang von !kk± dq_sa lºmom bei Plotin an ja· toiaOta dq_sa bei Diogenes Laertios der Eindruck vermittelt, dass Plotin bei Zenon ebenso wie bereits bei Empedokles als „commentary“ zum fraglichen Text gelesen werden kann, der eventuell Unklares oder Implizites ganz im Sinne des hermeneutischen Verfahrens Ficinos verstndlich machen und auf den Begriff bringen kann.133 Gleich im ersten Teil des Satzes: kºcor 1m vk, poie?, wird deutlich, dass der kºcor immanent, als „inward principle“, wirkt, wie die Natur als 6nir bei Zenon, whrend das Adverb vusij_r zustzlich den Bezug zum Begriff v¼sir bei Diogenes erleichtert. Mit der Vorstellung eines gestalterischen Wirkprinzips in oder „innerhalb der Materie selber“ ist ein fr Cudworths Transformation zentraler Punkt der stoischen hexis-Konzeption aufgegriffen. Entscheidend fr die Transformation dieses Begriffs in eine neuplatonisch konzipierte plastic nature ist nun die explizit vorgenommene Bestimmung des kºcor als d¼malir („a certain power“), die die Materie bewegt und die mit ihrer Stofflosigkeit und berrumlichkeit, kurz: ihrer Intelligibilitt, deutlich neuplatonische Merkmale aufweist.134 Damit nmlich ist die ursprnglich stoische physis-hexis als Logos, der nun endgltig und terminologisch eindeutig zur neuplatonischen d¼malir umgeprgt ist, mit dem Zitat aus De mundo verbunden,135 wo die plastic nature des System als von Gott abhngige, intelligible d¼malir bestimmt worden ist. Die physis-hexis ist derart weiterhin eingebunden in die gesamte neuplatonische Metaphysik des True Intellectual System of the Universe und verknpft mit dessen ebenfalls stark neuplatonisch geprgter Gottesvorstellung, der gemß Gott als sich entfaltende fkg d¼malir aufzufassen ist. Einer derartigen systematischen Einbettung in Form der Amalgamierung stoischer und neuplatonischer Anstze korrespondiert der Textbefund, dass diese spezifisch neuplatonische Junktur der Begriffe kºcor und d¼malir in der Passage aus Proklos erneut auftaucht, mit der ich die nheren Ausfhrungen zum Status der plastic nature begonnen habe. Dort heißt es von der plastic nature, sie sei „full of reasons and powers“ – pkgq/r d³ kºcym ja·

132 133 134

135

Zusammenhang ergnzend zu den Ausfhrungen zum Archeus Paracelsus und Glissons das Logos-Konzept bei Henry More; dazu Fouke (1997), 34 sowie Cheung (2006), 33 ff. System I, 240; bs. der Passage Plot., Enn. II 3, 17, 1 – 6. Vgl. System I, 230 zu Plotin als Kommentar zu Empedokles. Cudworth hebt in System I, 253, 273 und 282 diese, in diesem Zusammenhang wesentlichen, Eigenschaften der dynamis hervor, um die Besonderheit ihres Wirkens zu beschreiben bzw. zu erklren, und orientiert sich dabei deutlich an neuplatonischen Vorstellungen; vgl z. B. Plotin, Enn. V 1, 2, 27 – 40 und IV 3, 22, 14 – 23, 31. S. o. S. 158 f.

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dum²leym. Cudworth zitiert sicherlich mit Bedacht aus Proklos einen Text, in dem zur Bestimmung der v¼sir und ihrer Funktion genau die beiden Begriffe verbunden miteinander auftauchen, die sich bereits bei der Einformung der stoischen Position in die eigene Systematik und damit bei der Bestimmung des Prinzipienstatus der plastic nature als wesentlich erwiesen haben. Die beobachtete Kombination von Texten und Begriffen im Rahmen der Explikation eines impliziten oder unterstellten semantischen Gehalts nutzt demnach vorhandene Homonymien (kºcor, d¼malir, t´wmg) und die durch das religionsphilosophische Konstrukt der prisca theologia gesicherte Annahme einer allen diesen Texten gemeinsamen Wahrheit systematisch aus, um das stoische Konzept eines vollstndig weltimmanenten und stofflichen aber eben auch dynamischen Formprinzips neuplatonisch zu transformieren zur intelligiblen, unstofflichen und zwischen Gott und Welt vermittelnden – wenn auch ebenfalls in der Welt wirkenden – „dienenden Kraft“, zur rpouqc¹r d¼malir bzw. d¼malir tqeptijμ t/r vkgr. Dabei wird der semantische Gehalt der stoischen Begrifflichkeit deutlich und nachdrcklich hin zum Intelligiblen, zur Unstofflichkeit und zur Transzendenz bei gleichzeitig immanentem Wirken ausgeweitet,136 whrend die stoische Konzeption der dynamischen 6nir dazu beitrgt, die 136 Vgl. Hedley, in Corrigan/Turner (2007), 166. Hedley weist kurz darauf hin, dass sich Cudworth in der Auseinandersetzung mit stoischen Positionen an Plotin, Enn. III 8 orientiert habe, um die Immanenz von Gottes Wirken in der Welt mit dessen Transzendenz zusammenzudenken. Den Gedanken der inneren Wirksamkeit der plastic nature erçrtert Cudworth bereits in System I, 235. Er definiert die plastic nature dort als t´wmg, die 1m/m 1m […] poie?, und verdeutlicht durch einen aristotelischen Vergleich, dass sie unmittelbar, und das heißt eben von innen, auf den Stoff wirke. Aristoteles vergleicht nmlich in der Physik die Natur mit jemandem, der sich selber heilt. Aus der griechischen Konstruktion des Qatqe¼ei aqt¹r 2autºm (direkt reflexives Personalpronomen als Akkusativobjekt des Prdikats) scheint Cudworth das unmittelbare Wirken der plastic nature abzuleiten und als Wirken-in zu przisieren, wie es der Hexis entspricht. Schon die bersetzung des Aristotelestextes bei Cudworth erfolgt leserlenkend: Um den Anschluss an die von innen wirkende t´wmg, die er implizit mit der stoischen Hexis gleichgesetzt hat, zu intensivieren, wird ihm der mnnliche Jemand, mit dem Aristoteles die Natur vergleicht, zur „medical art“, die vom Arzt auf sich selbst angewendet wird. Zu bedenken ist auch, dass Cudworth diese erste Analogie in ihrem Wert zugunsten des Archeus etwas spter in System I, 238 relativiert. Es ist sicherlich lohnend, in diesem Zusammenhang zu untersuchen, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es zwischen Cudworths Konzept der plastic nature und der Natur als einem metaphysischen Konstrukt bei Giordano Bruno gibt, der die Natur ebenfalls als eine Kunst versteht, „eine von innen heraus, aus dem Material die Form schaffende Ttigkeit“ (Blum [1999], 27). D. h. auch, dass die Kausalitt der Natur rein welt- oder stoffimmanent ist, denn der Schçpfer wirkt nicht von außen. Als Konsequenz kann durch den Begriff der plastic nature eine rein empirische Naturphilosophie legitimiert werden, die zur Naturerklrung nicht notwendig auf Gottes unvermitteltes Eingreifen in Naturablufe zurckgreifen muss. Vgl. System I, Vorwort 41 f. und

4.2 Der ontologische Status der plastic nature als „dienende Kraft“

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Art dieses Wirkens der intelligiblen Formkraft im Stofflichen zu konkretisieren. Auf diese Weise entsteht ein neuplatonisch-stoisches Hybrid-Konzept (allerdings mit deutlich neuplatonischem bergewicht). Insgesamt macht sich Cudworth bei dieser kombinierenden Umformung die grundstzliche Dynamik zunutze, die beide Formen der Naturerklrung kennzeichnet. So kann er sein Konzept in Bezug setzen zu rein weltimmanenten, mechanistischen Konzepten von Naturkausalitt, die seiner Ansicht nach, fußend auf seiner vorausgehenden Atomismuskritik, teleologisch zu erweitern sind.137 Zu diesem Zweck bestimmt er seine d¼malir tqeptij¶ mit einem weiteren Zitat aus Plotin passend zum vorhergehenden Argumentationsverlauf als 1m´qceia tewmij¶, die so agiert, wie sich ein Tnzer bewegt, der sich vollstndig der Schrittfolge des Tanzes berlsst, also quasi von dieser bewegt wird, ohne zu wissen, was er tut. Cudworth bersetzt diese Textpassage folgendermaßen: „The energy of nature is artificial [tewmij¶], as when a dancer moves; for a dancer resembles this artificial life of nature, forasmuch as art itself moves him, and so moves him as being such a life in him“ (System I, 242). An dieser Stelle ist ein kritischer Bezug zu Descartes Naturphilosophie zu vermuten, die Cudworth um die Finalursachen erweitert, die von Descartes selbst abgelehnt wurden.138 Dabei ist das bereits erwhnte Plotin-Zitat, das Cudworth dazu dient, die plastic nature als 1m´qceia tewmij¶ zu bestimmen, ergnzend vor dem Hintergrund einer weiteren Plotin-Stelle zu lesen, die Cudworth hier zwar nicht angefhrt hat, die aber als Element seines impliziten neuplatonischen semantischen Horizonts gelten kann und die die Integration der Vorstellung einer 1m´qceia tewmij¶, die wie ein Tnzer agiert, in Cudworths naturphilosophische Systematik erleichtert.139 Die Rede ist von Plotin, Enneade VI 7, 7, 8 – 16: Warum sollen wir nicht annehmen, dass die Kraft [d¼malir] der Allseele im voraus skizziert, ist sie doch die All-Formkraft, bevor noch die von ihr ausgehenden Seelenkrfte [xuwij±r dum²leir] [dorthin] gelangen, und dass diese Vorskizze gleichsam vorgngige Erleuchtungen in die Materie ist, und dass dann die Seele, die [die vorgngigen Erleuchtungen] entsprechend ausgestaltet und die diesen Spuren przise folgt, sie ausdifferenzierend ausfllt [und sie auf diese Weise] wirkt, und dass jede einzelne [ausgestaltende Seele] das wird, dem sie naht, nachdem sie 85 f. sowie 219 – 221, 223 und 224. Derart wird einsichtig, warum der plastic nature Willen- und Denkvermçgen abgesprochen werden – erst das garantiert die stoffimmanente (Natur-)Gesetzlichkeit ihres Wirkens: „[…] so nature acts immediately upon matter, as an inward and living soul, or law in it.“ Vgl. auch Brunos natura-Begriff, den er vorbereitend zu seinen Thesen im Acrotismos in Auseinandersetzung mit der Position des Aristoteles entwickelt; dazu Blum (1999), 106 – 108. 137 Vgl. z. B. Cheung (2008), 43 – 46. 138 Siehe System I, 244 – 247 und besonders II, 612 – 615. Vgl. Gysi (1962), 92 – 98 und Lowrey (1884), 43 – 46. 139 Auch im medizinischen Diskurs der Zeit werden „Lebensfunktionen als Effekte“ einer vusijμ d¼malir erklrt, wie Hartbecke (2006a), 33 nachweist. Cudworth kçnnte also durchaus auch durch diesen Konstellationsfaktor beeinflusst worden sein.

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

sich selber so geformt hat, wie der Tnzer im Tanz sich der Handlungsanweisung anpasst? (bs. Harder/Beutler/Theiler, leicht gendert)

In diesem Text beschreibt Plotin das Wirken der xuwija· dum²leir, der untergeordneten Seelenkrfte, die unmittelbar mit der Materie interagieren, als Anpassung an von der Weltseele vorgegebene Strukturen im Stofflichen und vergleicht diese Form nachvollziehenden Wirkens ebenfalls mit den Bewegungen eines Tnzers, der sich, ohne nachzudenken, vollstndig der ihm vorgegebenen Schrittfolge und Melodie anpasst. Wie der Tnzer in diesem gleichsam gedankenlosen „Aufgehen“ in der Bewegung seine Aufgabe erfllt, so wirken die ußersten Krfte der Seele ohne Reflexion oder Wissen in ihrer vollstndigen Anpassung an die bereits vorfindliche Struktur und verwirklichen sie damit. Dieses gleichsam automatisierte oder habituelle Umsetzen einer Struktur wird dabei explizit dum²leir, (Wirk-)Krften, zugeschrieben. Der Text Plotins kçnnte daher von Cudworth ganz im Sinne einer Explikation seines Konzepts der plastic nature als einer „dienenden Kraft (rpouqc¹r d¼malir)“ aufgefasst und im selben Kontext gesehen worden sein wie der Text Plotins, mit dem Cudworth die plastic nature in Bezug setzt zu einer 1m´qceia tewmij¶, die gleichfalls analog zum Tanzen des Tnzers wirkt.140 Wenn man zustzlich Enneade VI 7, 7, 8 – 16 als Hintergrund zulsst, kann mit diesem Bild zugleich das Wirken der plastic nature mit der Annahme einer spermatischen Prdisposition der Materie, d. h. der Panspermie, verbunden werden: Wie der Tnzer vorgegebenen Schrittfolgen nachgeht, so vollziehen die plastic natures ihr strukturierendes Wirken nach den „vorgngigen Erleuchtungen“ in der Materie, d. h. nach den in der Materie bereits zuvor angelegten, latenten Strukturpotentialen der Panspermie, denen sie sich gleichsam „berlassen“ kçnnen. Als rpouqc¹r d¼malir im Sinne der neuplatonisch berformten, ursprnglich stoischen physis-hexis ist die plastic nature damit im Stoff nicht einfach als intelligible Wirkkraft aktiv, sondern ist eingebunden in einen noetischen Wirkungszusammenhang: Als 1m´qceia tewmij¶ setzt sie dabei zunchst ihr vorausliegende Strukturen gleichsam automatisch um und verwirklicht sie, ohne dabei 140 Zu Henry Mores Annahme, dass die plastical power ber keine Wahrnehmung und kein Wissen von ihrem Tun verfge, vgl. Jacob, in Gaukroger (1991), 105. Jacobs Analyse der plastic nature bei Cudworth fllt jedoch oberflchlich und allzu schematisch aus und erweist sich als korrekturbedrftig: So wird z. B. entgegen Jacobs Aussage (ebd. 112) von Cudworth durchaus erklrt, wie die „vital motion“ nach dem Energeiai-Schema zu denken ist. Auch Cudworths Lçsung, die wirkende Ausdehnung der intelligiblen Formkraft vermittels eines differenzierten Konzepts von Ochemata zu denken, findet bei Jacob keine Erwhnung, vielmehr konstatiert er, Cudworth habe „no clear notion of the extension of spirit“ (ebd. 112); vgl. dagegen auch Cheung (2008), 49. Zu Cudworths Konzept des Ochema siehe unten das Kapitel „Angelical and human souls are […] not bodies, yet they are always in bodies, or clothed with bodies – Die Seele, der Kçrper und die vital union: Imago der Anwesenheit Gottes in der Welt“.

4.2 Der ontologische Status der plastic nature als „dienende Kraft“

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Wissen von diesen Strukturen oder vom eigenen Tun zu haben. In Verbindung mit dem Gedanken der Panspermie garantiert diese habituell verfgbare Information, fr die Cudworth bei Plotin das Bild der nachvollziehenden Bewegung des Tnzers findet, allerdings abschließend ihre teleologische Kausalitt.141 Damit leistet sie etwas, das Descartes allein den von ihm abgelehnten Finalursachen zuschreiben wrde, und sie leistet es, gegen Descartes, als Erklrungsprinzip in der stofflichen Welt als dynamische, zur neuplatonischen d¼malir tqeptij¶ transformierte 6nir, die weder ber Bewusstsein noch Wissen verfgen muss, um in der Welt des System ihre „Aufgabe“ erfllen zu kçnnen. Beide Aspekte der plastic nature kçnnen als neuplatonische Explikationen eines implizierten semantischen Potentials der stoischen hexis verstanden werden, das Cudworth durch die planvolle Kombination des Textes bei Diogenes Laertios mit weiteren antiken Texten und der Vorstellung der Panspermie freisetzt. Mit der von Plotin bernommenen Analogie zwischen den plastic natures und mehreren Tnzern, die vorgegebenen Schrittmustern folgen, wird dementsprechend von Cudworth ein weiterer Aspekt des Wirkens der plastic nature thematisiert, auf den bisher erst oberflchlich eingegangen werden konnte. Im Zuge seiner neuplatonisch orientierten Argumentation gert Cudworth nmlich in die schwierige Lage, erklren oder veranschaulichen zu mssen, wie genau man sich das Wirken der plastic nature, das ohne noetische Reflexion und ohne Selbstbewusstsein sich vollziehende Tun, das „not knowing but only doing“ vorstellen kçnne. Hintergrund der Explikation dieses Aspekts der plastic nature als 1m´qceia tewmij¶, die die Form ihres Wirkens betrifft, kçnnte dabei die 1650/ 51 ausgetragene Auseinandersetzung zwischen Henry More und Thomas Vaughn gewesen sein, die Cudworth mçglicherweise fr genau dieses Problem sensibilisierte, wie man teleologisches Wirken ohne Wissen vom eigenen Tun erklren kçnnte.142 Cudworth lçst dieses Problem, indem er das Konzept der 141 Zugleich kann sich Cudworth in diesem Zusammenhang an den medizinischen Vorstellungen Johann Baptista van Helmonts zum Wirken des archeus orientiert haben, das Hartbecke (2006a), folgendermaßen charakterisiert: „Ist eine Idee aber einmal in den archeus wie auf eine Tafel ,gemahlt und mit ihm ,vermhlt, kann dieser nichts anderes verrichten als das, was sie ihm diktiert. Er spult – modern ausgedrckt – ein genetisches Programm ab.“ 142 Die entscheidende Vorlage fr diese Einschrnkung des Wesens bzw. der Kapazitt der plastic nature kçnnte Ficino geliefert haben, wie Lotti, in Simonutti (2007), 399 – 401 nachweist. Zum Streit zwischen More und Vaughn s. Greene (1962), 456 – 459. Robert Boyle formuliert 1686 (oder bereits 1680) in seiner Schrift A Free Enquiry Into the Vulgarly Receivd Notion Of A Nature eine Definition von „Naturgesetz“, welche die Erfllung desselben vollstndig an die kognitiven Fhigkeiten des Wesens knpft, das das Gesetz befolgen soll: „to speak properly, a Law being but a Notional Rule of Acting according to the declard Will of a Superior tis plain, that nothing but an Intellectual Being can be properly capable of receiving and acting by a Law [Alle Hervorh. im Original]“, in: The Works of Robert Boyle, ed. Hunter/Davis, London 2000, vol. 10, 457;

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

Hexis, die er nun als habit verstanden sehen mçchte, als eine Art unbewusstes, handlungsleitendes Muster ausweist, das, vollstndig verinnerlicht und in Verbindung mit der Prdisposition der Materie, Handlungen vollziehen lsst, ohne zugleich ein Bewusstsein dieses Vollzugs mitzuimplizieren. Diesen Aspekt lsst er dann in die Ausdeutung zur plastic nature als „artificial energy (1m´qceia tewmij¶) einfließen und kombiniert so phnomenologisch- psychologische und metaphysische Erklrungsanstze miteinander: But because this may seem strange at the first sight, that nature should be said to act 6mej² tou, “for the sake of ends,” and regularly or artifically, and yet be itself devoid of knowledge and understanding, we shall therefore endeavour to persuade the possibility, and facilitate the belief of it, by some other instances: and first by that of habits, particularly those musical ones of singing, playing upon instruments, and dancing [Hervorh. L. B.]. Which habits direct every motion of the hand, voice, and body, and prompt them readily, without deliberation, or studied consideration, what the next following note or motion should be. […] Thus […] the legs and the whole body of a skillful dancer, are directed to move regularly and orderly, in a long train and series of motions, by those artificial habits in them, which do not themselves at all comprehend those laws and rules of music or harmony, by which they are governed. So that the same thing may be said of these habits, which was said before of nature, that they do not know, but only do. And thus we see there is no reason why this plastic nature (which is supposed to move body regularly and artificially) should be thought to be an absolute impossibility, since habits do, in like manner, gradually evolve themselves in a long train or series of regular and artificial motions, readily prompting the doing of them, without comprehending that art and reason by which they are directed.143

An diese berlegung knpft Cudworth an mit einer selektiv zitierten Textstelle aus William Harveys De generatione animalium von 1651. Harvey weist in ihr darauf hin, dass die Menschen, um das Wirken der Natur zu verstehen, gleichsam als eine Art regulativer Idee, ein zielgerichtetes Handeln zugleich als vernnftig ansehen mssen, was allerdings dem echten Wesen der plastic nature gerade nicht gerecht wird, die ja ohne jegliches eigenes Vernunftvermçgen trotzdem teleologisch zu wirken vermag.144 Auf diese Weise fhrt er die beiden Argumentationstrnge, die seine Darstellung der plastic nature ausmachen, abschließend zusammen. Eingebettet in seine bergeordnete neuplatonische Systematik verbindet Cudworth derart in Form einer kombinierenden und siehe Hunter/Davis [1996], 254). Mçglicherweise reagiert Boyle damit auf Cudworths Expositionen zum law of nature und der plastic nature im System. Zu Boyles Definition des Naturgesetzes in diesem Kontext s. ebd. 254; zur Auseinandersetzung Boyles mit dem System ebd. 260 – 264. Zugleich markiert Boyles Ansatz aber auch eine Haltung, mit der sich Cudworth konfrontiert gesehen haben kçnnte. 143 System I, 242. Eine ausfhrliche Kritik an Cudworths Explikationen durch Mosheim, die alle wesentlichen Punkte berhrt, bietet System I, 243, Anm. 8. 144 Genau diese Problematik wird auch im zeitgençssischen medizinischen Kontext verhandelt, siehe Hartbecke (2006a), 32.

4.2 Der ontologische Status der plastic nature als „dienende Kraft“

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amalgamierenden Transformation verschiedene antike und zeitgençssische Positionen und Anstze, die, miteinander verschrnkt, zusammen den Komplex plastic nature ausmachen: als d¼malir, als v¼sir, als kºcor und eben als 6nir.145 Da die plastic nature von Cudworth mittels des Begriffs des „act“ immer schon in einen Bezug zu einem von ihr verschiedenen Objekt gesetzt ist (ein selbstreflexiver Bezug wird ihr von Cudworth systembedingt abgesprochen),146 richtet sie sich in ihrem Wirken-auf notwendig auf die atomar strukturierte Materie als auf das von ihr Verschiedene. Wie aber ist dieses Wirken-auf nher zu denken, das Cudworth seiner plastic nature zuschreibt? Bei der Beantwortung dieser Frage wird der bereits bekannten Figur des Vorsokratikers Empedokles eine zentrale Rolle zukommen, und auch das Konzept des kºcor speqlatijºr wird aufgegriffen werden und eine vertiefte Deutung erhalten.

145 Siehe auch die Beschreibung der plastic nature in System II, 619 – 620: „But to this also the reply is easy, that though the divine Wisdom itself contrived the system of the whole world for ends and good, yet nature, as an inferior minister, immediately [Hervorh. L. B.] executes the same; I say, not a dead, fortuitous, and merely mechanical but a vital, orderly, and artifical nature. Which nature, asserted by most of the ancient philosophers, who were Theists, is thus described by Proclus: J v¼sir 1sw²tg l´m 1sti t_m t¹ sylatoeid³r toOto ja· aQshgt¹m dgliouqco¼mtym aQt¸ym, ja· t¹ p´qar toO t_m !syl²tym oqs¸ym pk²tour7 pk¶qgr d³ kºcym ja· dum²leym, di ¨m jateuh¼mei t± 1cjºsla7 toia¼tg d³ owsa pqoek¶kuhem !p¹ t/r fyocºmou he÷r, M¾toir d !lv·, he÷r v¼sir %pketor A2¾qetai7 !v Hr p÷sa fyμ pqºeisim, E te moeq± ja· B !w¾qistor t_m dioijoul´mym7 1ngqtgl´mg d 1je?hem ja· !p,yqgl´mg, voitø di± p²mta !jyk¼tyr, ja· p²mta 1lpme?, di Dm t± !x¼wyta xuw/r let´wei tim¹r, ja· t± vheiqol´ma l´mei diaiym¸yr 1m t` jºsl\, ta?r 1m aqt0 t_m eQd_m aQt¸air sumewºlema7 -qwei di aw v¼sir !jal²tg jºslym te ja· 5qcym7 Vgs· t¹ kºciom, Oqqam¹r evqa h´, dqºlom !¸diom jatas¼qym7 Ja· t± 2n/r, „Nature is the last of all causes that fabricate this corporeal and sensible world, and the utmost bound of incorporeal substances. Which being full of reasons [kºcoi = „Formkrfte“] and powers, orders and presides over all mundane affairs. It proceeding (according to the Magic Oracles) from that supreme goddess, the divine wisdom, which is the fountain of all life, as well intellectual, as that which is concrete with matter. Which wisdom this nature always essentially depending upon, passes through all things unhinderably; by means whereof even inanimate things partake of a kind of life, and things incorruptible remain eternal in their species, they being contained by its standing forms or ideas, as their causes. And thus does the oracle describe nature, as presiding over the whole corporeal world, and perpetually turning round the heavens.“ Here we have a description of one universal substantial life, soul, or spirit of nature, subordinate to the Deity: besides which the same Proclus elsewhere supposeth other particular natures, or spermatic reasons, […]“. 146 „Act“ ist gleichbedeutend mit dem griechischen poie?m und wird von Cudworth als „act upon“ verstanden, siehe System I, 236. Zum Platonischen Dynamisbegriff, der diesen Vorstellungen zugrunde liegt, siehe Bergemann (2006), 21 – 30.

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe: Neuplatonische Transformationen vorsokratischer Philosophie – Fokussierung, Ausblendung und Kombination147 Da mit der plastic nature als einer Kombination aus d¼malir-kºcor-6nir eine Art Mittler- Begriff gefunden zu sein scheint, der die Brcke zwischen intelligiblem und stofflichem Bereich darstellt und das Wirkprinzip intelligibler Anwesenheit im Materiellen bezeichnet, stellt sich umso drngender die Frage, wie die Interaktion zwischen der derart im System positionierten und funktionalisierten plastic nature und dem Stoff bzw. der Materie vorzustellen sei. Cudworth beschreibt das Verhltnis zwischen plastic nature und Materie in einem ersten Schritt als „vital sympathy“.148 Mçglicherweise impliziert Cudworth mit dieser Wendung, die er in der Junktur „vital union“ aufnimmt, eine Vorstellung, die ebenfalls bei Henry More thematisiert wird. Henry More geht bei der Erçrterung des Verhltnisses zwischen dem „plastic part of the Soul“ und der Materie von einer Disposition der Materie aus, die diese gleichsam wie ein Schloss harmonisch zum Schlssel der strukturierenden Kraft des „plastic part“ passen lsst, so dass zwischen Materie und Seele eine „vital congruity“ herrscht und die Einzelseele in ihrem Wirken wie die plastic nature bei Cudworth vorgegebenen Dispositionsspuren folgt. Wie Cudworth kçnnte dabei auch More vom Gedanken der Panspermie beeinflusst worden sein.149 Im Folgenden wird dem-

147 Die Seiten 174 – 206 enthalten die angepasste Version des Aufsatzes „Naturgesetze, Magie und Liebe: Neuplatonische Transformationen vorsokratischer Philosophie bei Ralph Cudworth“, in Toepfer/Bçhme (2010), 63 – 91. 148 System I, 245 und 247. 149 Zur Vorstellung der „vital congruity“ bei More s. Taliaferro (2005), 40 – 41; zur Panspermie siehe u. a. oben den Abschnitt 1.4.3. „Die Materie – Passivitt und Prdisposition“ in der Einleitung und die Seiten 122 f. Siehe dazu System I, 220 – 221: Die plastic nature tritt als mixture zum mechanischatomistischen Naturablauf hinzu und wirkt in ihm, d. h. ergnzend mit ihm zusammen. Vgl. auch Cudworths Darstellung der Wirkweise der plastic nature in EIM 581: „As the spermatic or plastic power doth virtually contain within itself the forms of all the several organical parts of animals, and displays them gradually and successively [Hervorh. L. B.], framing an eye here and an ear there.“ Diese Darstellung impliziert, dass, wie bei Athansius Kircher, so auch bei Cudworth „Gott sich gleichsam selbst ein Substrat seines differenzierenden und entfaltenden schçpferischen Ttigseins voraus[setzt], das in perfekter Weise zu dem prdisponiert ist, was er aus ihm ,herausholen will“ (Leinkauf [1991], 361. Leinkauf verweist in Anm. 113 auf S. 361 auch auf eine Textpassage aus Augustinus (gen. litt. IX 17, 32), die Cudworth ebenfalls, ohne direkte Kenntnis von Kirchers berlegungen, zu diesem Konzept motiviert haben kçnnte. Zu diesem Konzept der bei Kircher sog. Pamspeql¸a als ein „Zur-Disposition-Stehen eines samenhaften ,alles in allem vorentfaltet in sich tragenden Substrats“ siehe auch Leinkauf (1993), 100. Cudworth scheint nach den bisherigen Beobachtungen den Gedanken eines der-

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe

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entsprechend ein zweiter wesentlicher Argumentationsstrang zur plastic nature in der Digression untersucht, der deren Wirken zum Inhalt hat. Whrend bisher die Klrung des ontologischen Status der plastic nature und ihrer Position im Weltkontinuum im Fokus stand und Cudworth auf einer gleichsam epistemologischen Ebene das zweckgerichtete Wirken der plastic nature in ihrer Struktur als habitueller 1m´qceia tewmij¶ begrndete, das ohne die Annahme ihr eigener hçherer Vernunftvermçgen auskommt, geht es jetzt darum, die Wirkweise der plastic nature auf der physikalischen Ebene der Bewegung der atomaren Partikel der Materie nher zu beschreiben und zu erfassen. Diese Verschiebung in der Problemstellung lsst sich daran ablesen, dass Cudworth sein Konzept der plastic nature in der Explikation des Verhltnisses zwischen ihr und der Materie mit dem des Naturgesetzes auf das Engste verschrnkt.150 Cudworth differenziert nun folglich den fr die Klrung der innerweltlichen Formen von Urschlichkeit relevanten Interaktionsbegriff der „vital sympathy“ aus: Die plastic nature wirke auf die und in der Materie „fatally, magically and sympathetically“.151 Daher ist zu klren, wie diese Begriffe sich zum einen selbst als Ergebnis einer Antiketransformation verstehen lassen, es andererseits aber auch bei ihrer Konzeptionierung zu verschiedenen retroaktiven Transformationen anderer antiker Referenzbereiche kommt, die am Beispiel des Empedokles als zentralen exemplums fr eine „wahre“ systematische Welterklrung untersucht und typologisiert werden sollen. Da Cudworth das Problem der Interaktion zwischen intelligibler plastic nature und Materie im Kontext der frhneuzeitlichen Naturgesetzdebatte verhandelt, ist es geboten, von diesem Punkt auszugehen, um so nachzuzeichnen, nach welchen Modellen und Vorstellungen Cudworth das Wirken seiner plastic nature konzipiert. Sein Vorgehen, eine – auch an spteren Stellen im System immer wieder aufgenommene und weitergefhrte – differenzierte Darstellung des Wirkens der plastic nature zu geben, ist demgemß kontextuell durch kritische Einwnde motiviert, wie sie z. B. von Boyle, wie erwhnt, bereits Mitte der 1650er Jahre formuliert wurden. In kritischer Auseinandersetzung mit peripatetischen und anderen Naturphilosophen bringt Boyle schließlich folgendes Argument vor: [Both Aristotelians and others who ascribe so much to nature, that they will not be reduced to acknowledge an author of it ; Ergnzung L. B. nach Hunter/Davis] […] content themselves to tell us, That Nature does such and such a thing, because it was fit for her so to do; but they endeavour not to make intelligible to us, what they artigen Substrats zumindest implizit in seiner Argumentation vorauszusetzen; dass er ihn direkt aus Kircher bernommen hat, lsst sich jedoch nicht zweifelsfrei nachweisen. 150 Die folgenden Analysen bauen also auf den bisherigen Ergebnissen zu Status und Funktionsweise der plastic nature auf, die nun entsprechend ihrer Funktionalisierung in der zeitgençssischen Diskussion erweitert und przisiert werden. 151 System I, 249 und 250.

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

mean by this nature, and how meer, and consequently brute, Bodies can act according to Laws, and for determinate Ends, without knowledge either of the one or of the other.152

Der Naturgesetzbegriff ist diesem Zitat gemß im Kontext der naturphilosophischen und sich entwickelnden naturwissenschaftlichen Diskussion der Frhen Neuzeit allgemein als „eine Antwort auf ein genuin frhneuzeitliches Problem“ zu betrachten,153 nmlich als Versuch, im Ausgang von einer grundstzlich passiv gedachten Materie ohne Rckgriff auf scholastische Lçsungen, wie z. B. substantielle Formen oder reale Qualitten, ordnungsvolle Strukturen und Regelmßigkeiten zu erklren.154 Dabei ist die Rolle der Naturgesetze funktional bestimmt, so dass es bei einer historischen Untersuchung dieses Begriffs primr um die Frage geht, „wie die Ausfhrung der Naturgesetze gedacht wurde“155 und, so ist im Zusammenhang der hier zu behandelnden Fragestellung nach der Bedeutung des Antikegebrauchs hinsichtlich des Gesetzesbegriffs und der daraus abzuleitenden Form des Wirkens der plastic nature in der Welt zu ergnzen, als was die Naturgesetze dabei vorgestellt werden kçnnen und auf welche historischen Vorlufer und Modelle bei der Beschreibung von Naturgesetzen im 17. Jahrhundert zurckgegriffen wird.156 Dabei ist zu beachten, was Hartbecke zum Begriff des Naturgesetzes in der Frhen Neuzeit fest152 Robert Boyle, Some Considerations touching the Usefulnesse Of Experimental Naturall Philosophy, 1663, in: The Works of Robert Boyle, ed. Hunter/Davis, London 1999, vol. 3, 247); siehe Hunter/Davis (1996), 243 f. Zum Verhltnis Boyles zu den Cambridge Platonists s. Hunter/Davis (1996), 246 und 262 mit Anm. 145. Boyle hat wohl am ehesten Mores Konzeption im Auge. Mit Blick auf Cudworth ist weiterhin zu bedenken, dass er mit seiner plastic nature neben den bereits erwhnten Hylozoisten und Hylozoistinnen auch auf die Kritik an Naturentwrfen alchemistischer Prgung reagiert, wie sie z. B. von Paracelsus und van Helmont vertreten wurden, denen ebenfalls vorgeworfen wurde, durch eine allzu intensive metaphysische Aufladung der Materie die Natur bzw. die Schçpfung zu deifizieren und so Gott gleichsam berflssig zu machen, da er fr eine Erklrung des Ablaufs und des Erhalts der Naturprozesse nicht mehr gebraucht wrde. Diese Kritik wurde z. B. von Charleton und Boyle geußert, s. Olson, in Burwick (1987). 153 Httemann, in Httemann (2001), 7. 154 Httemann, in Hartbecke/Schtte (2006), 198 – 199. 155 Httemann, in Hartbecke/Schtte (2006), 199. Vgl. ders. (2001), 10: „Das Thema der Kausalitt ist in der frhen Neuzeit deshalb ein prominentes Thema, weil – nach der Zurckweisung der scholastischen Begriffe – neue Theorien darber entwickelt werden mssen, wie [Hervorh. L. B.] ein Gegenstand auf einen anderen einwirken kann.“ 156 In diesem Zusammenhang ist auch die von Leinkauf (1993), 48 – 49, Anm. 25 beobachtete Entsprechung zwischen der natura naturata incorporea J. H. Alsteds und Athanasius Kirchers lex sive leges naturae beachtenswert, besonders da der natura naturata incorporea nach Leinkauf im Bereich der geschaffenen Welt ihrerseits die strukturierende Funktion einer natura naturans zukommt. Fast kçnnte man den Eindruck gewinnen, als habe Cudworth diese beiden Vorstellungen, basierend auf den berlegungen Plotins und Ficinos fr seine Konzeption der plastic nature zusammengefhrt.

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe

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stellt: dass seine Verwendung ein „kontextsensitiver und dynamischer Vorgang, in dem sich Neuerung und Rezeption berlagern“, sei, in dem vor theologischen und metaphysischen Hintergrundannahmen je spezifische Begriffsaneignungen und -transformationen ablaufen.157 Konkret ist an dieser Stelle dreierlei aufzuzeigen: Zum ersten, welche Darstellungsstrategien Cudworth berhaupt in diesem Argumentationsabschnitt zum naturgesetzlichen Wirken der plastic nature im Umgang mit antiken Referenztexten anwendet. Zum zweiten, wie sich diese unter transformationstheoretischer Perspektive auf seinen Umgang mit dem Vorsokratiker Empedokles ausgewirkt haben, und zum dritten, welche inhaltlichen Konsequenzen das fr sein Konzept der plastic nature und deren Wirken hat. Auszugehen ist von Cudworths Gleichsetzung von Naturgesetz und plastic nature als strukturierender Kraft (d¼malir) mit besonderem Augenmerk auf die auffllige Charakterisierung des Wirkens der plastic nature als Naturgesetz durch die Adverbien „fatally“, „magically“ und „sympathetically“. Diese Charakterisierung soll dann durch die Einbindung in die zeitgençssische Diskussion konturiert und auf inhrente Probleme, die Cudworth im Rahmen bzw. aufgrund der eigenen systematischen Voraussetzungen zu lçsen hat, untersucht werden, denn sie bestimmen seinen speziellen Gebrauch und die Transformation des Empedokles in diesem Textabschnitt. In harmonischer Entsprechung zu der bereits geschilderten Art, mit bzw. in der Cudworth bei der Status- und Funktionsbestimmung der plastic nature stoische (eventuell Poseidonische) Anstze zu neuplatonischen formt, gelangt er nmlich auch bei dieser Problemlage von einer auf den ersten Blick stoisch geprgten, rein weltlich-immanenten, beinahe hylozoistischen Erklrung des „Wie“ der Ausfhrung von Naturgesetzen zu einer magischen Erklrung der Funktion des Naturgesetzes nach neuplatonischem Muster, indem er den magisch-stoischen Funktionstrger Pneuma u. a. durch den magisch-kosmogonisch wirkenden Eros neuplatonischer Prgung ersetzt. Diese Umbesetzung bestimmt dann ihrerseits die Konstruktion der Empedoklesfigur, die Cudworth vor dem Hintergrund der Plotinischen Magieerklrung vornimmt, und zugleich, wenn auch implizit, sein Wissenschaftsverstndnis.158 Dieser Prozess soll als Abfolge von aufeinander bezogenen Transformationen in den Blick kommen, wobei es besonders auf die Erhellung impliziter Hintergrundannahmen ankommen wird, die Cudworths Verstndnis von Magie ausmachen kçnnten. Nicht zuletzt sind es gerade diese Annahmen, die seinen fokussierenden Umgang mit den antiken Bezugstexten lenken und so zugleich die Authorisierung und Legitimation des eigenen Ansatzes durch Empedokles ermçglichen. 157 Hartbecke, in Hartbecke/Schtte (2006), 31. 158 Zum Verhltnis von Magie und (Natur-)Wissenschaft in der Frhen Neuzeit und im 17. Jahrhundert vgl. u. a. Leinkauf (1993), 44 f., Anm. 19 und Heinekamp (1978).

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

4.3.1 Die plastic nature als law of nature Den im 17. Jahrhundert von Descartes im naturwissenschaftlichen Diskurs so prominent gemachten Begriff des Naturgesetzes fhrt Cudworth ausdrcklich in seiner Digression concerning the plastic nature of life ein:159 And indeed those mechanic Theists, […] would have God to contribute nothing more to the mundane system and economy, than only the first impressing of a certain quantity of motion upon matter, and the after-conserving of it, according to some general laws: these men (I say) seem not very well to understand themselves in this. Forasmuch as they must of necessity either suppose these their laws of motion [Hervorh. L. B.] to execute themselves, or else be forced perpetually to concern the Deity in the immediate motion of every atom of matter throughout the universe, in order to the execution and observation of them. The former of which, being a thing plainly absurd and ridiculous, and the latter that, which these philosophers themselves are extremly abhorrent from, we cannot make any other conclusion than this, that they do but unskillfully and unawares establish that very thing, which in words they oppose; and that their laws of nature concerning motion are really nothing else but a plastic nature, acting upon the matter of the whole corporeal universe, both maintaining the same quantity of motion always in it, and also dispensing it (by transferring it out of one body into another) according to such laws fatally impressed upon it [Hervorh. L. B.].

In der Digression geht es Cudworth damit um die Erklrung der Entstehung und Umsetzung gesetz- oder regelmßiger Strukturen durch Bewegung, die seiner Ansicht nach ausschließlich weder mit den rein mathematisch-geometrisch beschreibbaren Bewegungsgesetzen der Mechanisten, als deren Hauptvertreter er Descartes und Charleton ansieht, noch mit den reduktionistischen Anstzen der Atomisten oder denen der Okkasionalisten begrndet werden kçnnen.160 Fr ihn gilt es, im System ein Konzept fr die Funktion des neuen, aktuellen Begriffs „Naturgesetz“ zu entwickeln, das eine Alternative zu den vielen Formen des Atheismus bietet, den Cudworth in der naturphilosophischen Debatte seiner Zeit nicht nur mit den Mechanisten und Atomisten, sondern ebenso, wie gezeigt, mit den Ansichten der Hylozoisten verbindet. 159 System I, 225 – 226. Zum Naturgesetzbegriff in der Debatte des 17. Jahrhunderts vgl. u. a. Steinle, in Httemann (2001), 78 – 80, Httemann, in Hartbecke/Schtte (2006), 195 – 199 und Waschkies, in Hartbecke/Schtte (2006), 175 und 182. Cudworth fhrt den Begriff law of nature ein in System I, 220 und greift ihn auf in 224 – 226 und 236. Sailor (1962), 135 wertet die kritischen Formulierungen in diesem Abschnitt als eindeutige Descartes-Bezge. Zur Debatte zwischen Vitalisten und Mechanisten und den verschiedenen Ausprgungen von Alternativen zu Descartes Mechanismus bzw. einem reduktionistischen Atomismus siehe z. B. Pat Garret (2003, †1908). 160 So z. B. System I, 220 – 221: Organische Komplexitt bersteigt mechanistische Erklrungsmodelle; vgl. u. a. Httemann, in Httemann (2001), 143 – 145; 152 und Hartbecke/Schtte (2006), 200.

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe

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In diesem Zusammenhang ist in Ergnzung zu den Beobachtungen in den Unterkapiteln 4.2 und 4.2.1 zunchst von Interesse, wie Cudworth in der direkten Auseinandersetzung mit zeitgençssischen, d. h. aktuellen Konkurrenzmodellen, aber unter Gebrauch antiker Texte und Naturerklrungen, die ontologische Position seiner plastic nature bestimmt. Denn dabei lsst sich nicht nur eine charakteristische Gegenberstellung mit den mechanistischen Konzepten erkennen und Cudworths fokussierend-transformierender Gebrauch des antiken Referenzmaterials weiter analysieren, sondern es wird auch die sich anschließende Interpretation der Adverbien „fatally“, magically“ und „sympathetically“ sachlich vorbereitet. Bei dieser Positions-Bestimmung setzt Cudworth erwartungsgemß sein neuplatonisches Weltbild voraus. Das hat zum einen zur Konsequenz, dass Naturdinge nicht in einem naiven Sinne einem von Gott ausgesprochenen Gesetz „gehorchen“ kçnnen, da der von Cudworth als vollstndig passiv konzipierten Materie eben aufgrund ihrer vollstndigen Passivitt jedwede Mçglichkeit genommen ist, die von Gott kommenden Gesetze von sich aus, d. h. aktiv erkennend, in regelmßige Strukturen und Ordnungsmuster umzusetzen.161 Zum anderen konzipiert Cudworth seine Vorstellung vom Wirken der plastic nature in der kritischen Auseinandersetzung mit und in der Abgrenzung

161 Siehe System I, 219: „As also, though it be true, that the works of nature are dispensed by a divine law and command, yet this is not to be understood in a vulgar sense, as if they were all effected by the mere force of a verbal law or outward command, because inanimate things are not commendable nor governable by such a law. And therefore besides the divine will and pleasure, there must needs be some other immediate agent and executioner provided, for the producing of every effect; […]“ Zu dieser naturphilosophisch-theologischen Position vgl. Steinle, in Httemann (2001), 89 – 91. Hinter Cudworths Aussage zum Verhltnis der Naturdinge gegenber dem gçttlichen Gesetz steht also mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht nur die 1650 von Boyle formulierte Kritik, sondern zumindest dem Sinn nach auch das, was Boyle in seiner Kritik an dieser „naiven“ Vorstellung 1686 formulieren sollte: „I must freely observe, that, to speak properly, a Law being but a Notional Rule of Acting according to the declard Will of a Superior, tis plain, that nothing but an Intellectual Being can be properly capable of receiving and acting by a Law. For if it does not understand, it cannot know what the Will of the Legislator is, nor can it have any Intention to accomplish it, nor can it act with regard to it; or know, when it does, in Acting, either conform to it or deviate from it. [alle Hervorh. im Original]“ (Robert Boyle, A Free Enquiry into the Vulgarly Receivd Notion of Nature, London 1686, in: The Works of Robert Boyle, ed. Hunter/Davis, London 2000, vol. 10, 457); siehe dazu Steinle, in Httemann [2001], 89 mit Anm. 46. Allerdings kommt Cudworth, wie Steinle, in Httemann (2001), 91 betont, zu einer von Boyles Konzeption hochgradig verschiedenen Auffassung, vgl. o. S. 171 – 173 mit Anm. 142, S. 171 f.

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von Descartes, den er in dieser Beziehung besonders intensiv ablehnt.162 Der Grund fr diese Ablehnung ist u. a. in dem (unterstellten) atheistischen Potential zu sehen, das sich mit Descartes mechanistischer Naturerklrung verbinden lsst: „If the world system was so contrived that once God set it in motion it could continue indefinitely without further intervention, then it was easy to imagine that God was not necessary at all.“163 Im Gegenzug dazu erklrt Cudworth das Universum als eine dynamische Hierarchie, in der Gott, wenn auch vermittelt, bestndig in der Welt anwesend ist. In dieser Hierarchie nimmt die plastic nature weiterhin die Funktion der letzten, ußersten, das gçttliche Gesetz vermittelnden energetischen Ursache ein, die im weltlichen Bereich jede Wirkung unmittelbar hervorbringt: Wherefore the divine law and command, by which the things of nature are administered, must be conceived to be the real appointment [Hervorh. L. B.] of some energetic, effectual and operative cause [Hervorh. L. B.] for the production of every effect (System I, 220).

Da diese vermittelnde Kraft oder urschlich wirkende Substanz als Ergnzung zu rein stofflich-mechanistischen Ablufen verstanden wird, ist sie folglich unkçrperlich und intelligibel.164 Sie ermçglicht in ihrem dezidiert teleologischen Wirken in absolut wesentlicher Ergnzung zum rein mechanistischen Ablauf der 162 Vgl. zu dieser Ablehnung z. B. System I, 220 und 280. Die Kritik an Descartes trifft ebenso Hobbes, der in der Radikalitt seiner Ursachenreduktion noch ber Descartes hinausgeht. 163 Henry (1986), 352. 164 Vgl. System I, 220 und 281: „The plastic nature no occult quality, but the only intelligible cause of that, which is the grandest of all phenomena, the orderly regularity and harmony of things, which the mechanic Theists, however pretending to solve all phenomena, can give no account at all of“ (System I, 281). Cudworth lehnt hier die „occult qualities“ nach ihrem scholastischen Verstndnis ab, wie die direkte Kontrastierung zwischen „occult quality“ und „the only [Hervorh. L. B.] intelligible cause“ zur Bezeichnung der plastic nature zeigt. Diese Ablehnung der scholastischen sog. „okkulten Qualitten“ schliesst allerdings keinesfalls die Annahme von Form- und Strukturkrften neuplatonischer Provenienz ein, die, zumindest fr Neuplatoniker wie Cudworth, als Explikationen und Trger von Strukturen, die sich aus dem gçttlichen Nous herleiten, vollstndig vernnftig und wissbar und lediglich nicht sinnlich wahrnehmbar sind. Fr ihn, wie fr viele zeitgençssische Naturphilosophen, lçst sich also der Nexus zwischen „insensible“ und „unintelligible“ auf, den das Adjektiv „occult“ bis dahin bezeichnete, und „occult“ behlt allein die Bedeutung „unintelligible“; vgl. Hutchison (1982), 233 – 253, bes. 233, 245 und 250. Setzt man Cudworths Vorgehen in der „digression“ in Bezug zu der Kritik, die Charleton an dem frheren Gebrauch von „okkulten Qualitten“ bei der Erklrung von Naturablufen bt, und zu seiner Forderung, nicht einfach bei der Annahme derartiger Qualitten stehen zu bleiben, sondern sie zu untersuchen und zu erklren (ebd. 245), zeigt sich, dass Cudworth mit Texten experimentiert und aus ihrem „Versuchsaufbau“ Einsicht in die Struktur vormals „okkulter“ Prinzipien zu gewinnen versucht.

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe

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Naturvorgnge die planvolle Struktur und das Funktionieren sowohl individueller organischer Ganzheiten als auch des Weltorganismus insgesamt und erhlt sie.165 Cudworth entwirft also die Vorstellung einer naturgesetzlichen, auf gçttlichen Vorgaben beruhenden166 „Verwaltung der Naturdinge“ (administration of the things of nature; System I, 220), dergemß diese „Verwaltung“ als „bertragung“ (appointment; System I, 220) an eine „kraftartige, energetische Ursache“ (energetic cause; System I, 220) dargestellt wird. Im Rahmen dieser Vorstellung erfolgt die bertragung von Strukturvorgaben zu dem Zweck der bestndigen Umsetzung dieser Vorgaben im Stofflichen mit dem Ziel, jedes in der Natur zu beobachtende Wirkungsgefge aus vorgegebenen Dispositionen heraus zu aktuieren. Diese Vorstellung illustriert Cudworth schon sehr frh in der Digression mit einem bereits erwhnten Zitat aus der ps.-aristotelischen167 Schrift De mundo,168 in dem er seine eigene Formulierung des Naturgesetzes als eines appointment in der Herrschaftsanalogie eben dieses Zitates aufgreift und im Sinn einer potentiell neuplatonischen Ausdeutung weiterfhrt: EUpeq %selmom Gm aqt¹m doje?m N´qngm aqtouqce?m ûpamta, ja· diateke?m $ bo¼koito, ja· 1vist²lemom dioije?m, pok» l÷kkom !pqep³r #m eUg t` he`. Selmºteqom d³ ja· pqepyd´stqeom tμm d¼malim aqtoO, di± toO s¼lpamtor jºslou di¶jousam [Hervorh. L. B.], Fkiºm te jime?m ja· sek¶mgm, &c. “If it were not congruous in respect of the state and majesty of Xerxes the great king of Persia, that he should condescend to do all the meanest offices himself; much less can this be thought decorous in respect of God. But it seems far more august, and becoming of the divine majesty, that a certain power and virtue, derived from him [Hervorh. L. B.], and passing through the universe [Hervorh. L. B.], should move the sun and moon, and be the

165 Siehe System I, 221. Zur plastic nature als regulativ wirkendes Moment bei der Erklrung lebendiger Organismen siehe Cheung (2008), 41 – 53. Zur Vorstellung der Welt als Organismus in der Renaissance und den spter auch fr Cudworths Konzept der plastic nature relevant werdenden Organisationsmerkmalen, die sich aus dieser Vorstellung ableiten, siehe u. a. Gloy (1996), 24 – 35, die sich ihrerseits auf Michel Foucaults Analyse des Wissenstyps der Renaissance und Frhen Neuzeit beruft. Von besonderem Interesse wird vor allem das „antithetische Prinzip von Sympathie und Antipathie“ werden, wenn es um die nhere Bestimmung der Wirkweise der plastic nature gehen wird. 166 Es ist bezeichnend fr die Lektrebewegung im System, dass Cudworth erst nach der Darstellung seines Gottes- und Prinzipienbegriffs darstellen wird, wie es vorzustellen ist, dass Gott seine noetische Struktur an die Welt vermittelt, d. h. welche Kombination von Urschlichkeitskonzepten die Interaktion zwischen intelligibler Wirkkraft und Stofflichem abschließend erklrt. 167 Zur Verfasserfrage dieser Schrift siehe u. a. jetzt Radice, in Kamesar (2009), 135, Anm. 16. 168 S. o. S. 158 f.; hier De Mundo 398b (ed. Lorimer, Paris 1933).

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immediate cause of those lower things done here upon earth [Hervorh. L. B.]” (System I, 223).169

Dieses Zitat ist in doppelter Hinsicht interessant: Zum einen ist anzunehmen, dass Cudworth hier denselben Text benutzt, der, wie Hans-Joachim Waschkies nachweist, bereits mit hoher Wahrscheinlichkeit Descartes Naturgesetzvorstellung zugrunde liegt.170 Zum anderen aber ist der Gebrauch, den Cudworth von diesem Text macht, von dem Descartes wesentlich verschieden. Denn whrend Descartes De mundo benutzt haben mag, um aus der Unwandelbarkeit Gottes die Erkennbarkeit der in die Welt eingeprgten Naturgesetze zu folgern und implizit den gesetzmßigen Weltablauf ohne weiteres Eingreifen Gottes zu sichern,171 fokussiert Cudworth den Text auf eine ganz andere Weise: Er blendet nmlich den Teil des Textes aus, der sich nach Ansicht von Hans-Joachim Waschkies primr fr eine Funktionalisierung des Gesetzesbegriffs im cartesischen Sinne eignet, und konzentriert sich im Gegenzug auf die Elemente, die eine neuplatonische Funktionalisierung in seinem Sinne erlauben.172 So 169 In Ergnzung zu der Interpretation o. S. 158 f. steht im Folgenden besonders die Herrschaftsmetaphorik und deren implizite Descartes-Kritik sowie deren Umsetzung und systematische Bedeutung im Zentrum des Interesses. 170 Siehe Waschkies (2006), 189. Zum impliziten, aber fr die Zeitgenossen sicherlich erkennbaren Bezug Cudworths auf Descartes vgl. auch die Formulierungen System I, 226, 237 und 250 (laws fatally impressed; the stamp or impress; commands and laws impressed upon it) mit der Begrifflichkeit in Descartes, AT I, 145 – 146, bersetzt und zitiert bei Waschkies, in Hartbecke/Schtte (2006), 185: „Nun gibt es kein einziges dieser Gesetze, das wir nicht verstehen kçnnten, wenn sich unser Geist anschickt, es zu erwgen, und sie alle sind unserem Geist eingeboren (mentibus nostris ingenitae), ganz so wie ein Kçnig seine Gesetze in die Herzen aller seiner Untertanen einprgen [Hervorh. L. B.] wrde, wenn er die Macht dazu htte.“ Die fr ihn entscheidenden Defizite der cartesischen Naturphilosophie erwhnt Cudworth dann ausdrcklich in System I, 275 – 276: Sie fhrt entweder in den Atheismus einer reduktionistischmechanistischen Naturerklrung wie bei dem „Extremfall“ Hobbes oder in den fr Cudworth ebenso unakzeptablen Okkasionalismus. Vgl. auch Neumann (2008), 232 – 233. Zu Descartes s. auch Osler (1985), 351 – 353. 171 Siehe Waschkies, in Hartbecke/Schtte (2006), 182 mit 188 f. und Osler (1985), 352 – 353. 172 Waschkies, in Hartbecke/Schtte (2006), 189 referiert Descartes Position in ihrer Verbindung und Abhngigkeit von De mundo folgendermaßen: „Im Unbewegten thronend bewegt Gott den ordnungsgemßen Lauf der Dinge im All durch eine Kraft wo und wie er will, ,wie sich ja auch das Gesetz einer Polis, von dem dasjenige, was die Polis betrifft, geregelt wird, um nichts weiter zu kmmern braucht [Hervorh. L. B.], wenn es in den Seelen derer, die es befolgen, unbeweglich ruht. In diesem Sinne ist uns Gott ein ausgewogenes Gesetz, das keiner Nachbesserung oder Vernderung bedarf, strker und bestndiger aber, wie ich glaube, als alles, was in [unsere] Gesetzestafeln eingemeißelt ist.“ Die Vorstellungen des unttigen Gottes und der sich selbst aus ihrem bloßen Vorhandensein realisierenden Gesetze sind es, die Cudworth entschieden ablehnt: „Forasmuch as [the mechanic Theists] must of necessity either suppose these their laws of motion to execute themselves, or else be forced perpetually to concern the Deity in

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schneidet Cudworth sein Zitat passgenau zu, indem er die Wendung aus De mundo, die unmittelbar vor der von ihm selbst auch im Original zitierten Passage steht (aqt¹m l³m 1p· t/r !myt²ty w¾qar RdqOshai) ebenso weglsst wie das unmittelbar auf den von ihm ausgewhlten Textabschnitt folgende 1m !jim¶t\ c±q Rdqul´mor […] t± jat± tμm pokite¸am. Beide Wendungen, die fr Descartes von zentraler Wichtigkeit sind, erschweren nmlich eine reibungslose Anpassung und Einfgung der De-mundo-Passage in den neuplatonischen Argumentationsgang der Ausfhrungen Cudworths, denn mit ihnen lsst sich, wie offenbar bei Descartes geschehen, viel eher die Unttigkeit bzw. Distanz Gottes gegenber der Welt und die Selbstumsetzung der Gesetze in der Materie im Rckgriff auf einen autoritativen antiken Referenztext rechtfertigen, also exakt die Positionen, die Cudworth ablehnt. Bei weitem çkonomischer ist es dagegen fr Cudworth, das Zitat genau an dem Punkt einsetzen zu lassen, an dem er es tatschlich einsetzen lsst, und es mit der aktiv lautenden Charakterisierung der Dynamis zu beenden. Zudem ergnzt Cudworth das griechische tμm d¼malim zu tμm d¼malim aqtoO, d. h. er ergnzt im Griechischen ein Personalpronomen im Genitiv Singular. Dadurch hebt er zugleich die Abhngigkeit dieser Kraft von Gott und die daraus resultierende Kontinuitt des gçttlichen Wirkens hervor. Diese Anpassung des antiken Referenztextes rckt also die Darstellung des Naturgesetzes als bestndige und zugleich vermittelte Form der Immanenz Gottes in der Welt in den Vordergrund, die Cudworth als eine Art Kraft (d¼malir, power, virtue) versteht, die von Gott abhngig ist und als vermittelnde wirkend und strukturierend das Universum durchwaltet. Diese Kraft setzt dabei, wie bereits gezeigt, die von Gott an sie bertragenen Vorgaben bestndig um. Eben diese Kraft, das dynamisch-neuplatonische quivalent zu Descartes Naturgesetz, nennt Cudworth in ihrer derart spezifizierten Funktion und Position plastic nature und identifiziert sie mit dem law of nature. 173 Cudworth bestimmt also „Naturgesetze“ in vollstndiger Kongruenz mit dem von ihm entwickelten Konzept der plastic nature, die er als rpouqc¹r d¼malir und 1m´qceia tewmij¶ qualifiziert hatte, als von Gott kontinuierlich abhngige, zwischen Gott als erster Ursache und der Welt vermittelnde, unstoffliche, intelligible Wirkkrfte.174 Diese Wirkkrfte sind ihren Wirkungen nach der Welt immanent und wirken derart ordnend und strukturierend in einer atomar gegliederten Materie. Auf diese Weise setzen sie Gottes Gesetze, deren „Tr-

the immediate motion of every atom of matter throughout the universe […] The former of which, being a thing plainly absurd and ridiculous, […]“ (System I, 224). 173 System I, 225 – 226. Vgl. auch System II, 606. 174 Wirkkrfte sind Naturgesetze und plastic nature deshalb, weil Cudworth die plastic nature, die ja mit dem Naturgesetz gleichgesetzt wird, sowohl als cause als auch als power oder force bezeichnet und damit genau den semantischen Kern der neuplatonischen d¼malir wiedergibt, wie gezeigt wurde.

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ger“ sie sind, in der Materie um und bedeuten damit zugleich die bestndige vermittelte Immanenz Gottes in der Welt.175 Wie an seinem Umgang mit dem hellenistischen Text De mundo exemplarisch gezeigt, gelangt Cudworth zu dieser Vorstellung in der kritischen Auseinandersetzung mit dem „Mechanisten“ Descartes und dessen Auffassung von einem Naturgesetz. Dabei illustriert Cudworth sein Konzept durch ein Zitat aus diesem auch fr Descartes hochrelevanten Text, mit dem er seine eigene Formulierung des Naturgesetzes als eines „appointment of some energetic, effectual and operative cause for the production of every effect“ (System I, 220) aufgreift und im Sinne seiner spteren neuplatonischen Argumentation weiterfhrt. So fllt in diesem Zitat der zentrale Begriff der d¼malir/power and virtue, die in Abhngigkeit von Gott steht (aqtoO/derived from him). Zugleich wird in diesem Text die wirkende Immanenz dieser Kraft hervorgehoben: „di± toO s¼lpamtor jºslou di¶jousam/passing through the universe“.176 Eine als Fokussierung zu typologisierende Transformation antiken Materials ist somit zusammenfassend in dieser Phase der Argumentation an dem Umgang mit De mundo in doppelter Hinsicht zu erkennen: 1) An der Auswahl dieses Textes berhaupt aufgrund der direkten Auseinandersetzung mit Descartes, der denselben Text benutzt. 2) In der Konzentration auf den Ausschnitt des Werkes, der fr Cudworths neuplatonische Funktionalisierung die grçßte Relevanz besitzt und die am besten geeignete Analogie und Begrifflichkeit aufweist.177

175 Leinkauf (1993), 109 bezeichnet die in der vorstrukturierten Materie sich ausdifferenzierenden Krfte, die auch Kircher annimmt, in diesem Zusammenhang als „Mandatstrger des gçttlichen dispositiven, regulierenden, gestaltenden Bezugnehmens auf die Welt“. 176 Zur Immanenz der plastic nature als Naturgesetz siehe auch System I, 236: „But as God is inward to every thing, so nature acts immediately upon the matter, as an inward and living soul, or law in it.“ Hier klingt eine Vorstellung an, die Cudworth bei seiner Erçrterung von Gott als Zentrum der Schçpfung aufgreifen und fundieren wird, siehe dazu unten das Kapitel „The Deity […] is […] more indivisible, and more one with itself, than any thing that is little, and more powerful than any thing that is great – Gott als Minimum und Maximum der Schçpfung“. Vgl. auch System I, 224: Gott ist – via plastic nature – die „Mitte aller Dinge“ (middle of all things), die als Alternative zu Conways Theorie der „intrinseck Presence“ (princ. 228) gelesen werden kann. 177 Einen Hinweis darauf, wie wichtig bzw. passend Cudworth gerade dieser Textausschnitt erschien, kçnnte man auch darin sehen, dass er sich in System I, 260 wieder auf ihn bezieht.

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4.3.2 Die weitere Beschreibung des Wirkens der plastic nature in der Welt Nachdem Cudworth derart die plastic nature als Naturgesetz etabliert hat, unternimmt er es im Folgenden, genauer zu beschreiben, wie sie diese Funktion ausfhrt. Er kommt dabei ca. 20 Seiten spter (System I, 249) zu folgendem, zunchst doch erstaunlichen Zwischenergebnis: „Wherefore the plastic nature […] must be concluded to act fatally, magically and sympathetically.“178 Diese Wendung bedeutet, dass Cudworth die im Zusammenhang mit dem Problembegriff „Naturgesetz“ zentrale Frage nach der Erklrung ordnungsvoller Strukturen und Regelmßigkeiten in der Welt damit beantwortet, sie als Ergebnis eines magischen und sympathetischen Wirkens nach schicksalsart zu betrachten. Das berraschende in Cudworths Ausfhrung, auf das auch Johann Lorenz Mosheim nur noch mit Unverstndnis reagiert,179 wirkt umso herausfordernder, da Cudworth diese Charakterisierung bis zum Ende der Digression beibehlt, sie sogar wiederholt verwendet.180 Zu fragen ist also an dieser Stelle, was Cudworth dazu veranlasst haben kçnnte, das Wirken seiner plastic nature auf diese Weise zu qualifizieren, und auf welche Modelle der Naturerklrung er sich hier beziehen kçnnte. Aufgrund der bisherigen Beobachtungen und der Tatsache, dass Cudworth seine plastic nature hufiger mit dem Archeus der Paracelsisten gleichsetzt,181 als „ratio mersa et confusa, reason immersed and plunged into matter, and as it were fuddled in it, and confounded with it“182 und als spermatic logos 183 bezeichnet, liegt die Annahme nahe, dass er die mit dem Wirken der plastic nature verbundenen drei Adverbien ebenfalls vor dem Hintergrund stoischer Vorstellungen versteht, wie er auch seine Vorstellung der plastic nature als kºcor178 Cudworths sprachlicher Ausdruck, besonders die durch das Homoioteleuton eindrucksvolle Reihung der Adverbien, zeigt, dass auch er den Begriff der plastic nature bzw. des law of nature primr funktional bestimmt. 179 Siehe System I, 250, Anm. 2: „But what is the true and proper force of these words? Here the excellent author gives no explanation. So that I almost incline to think that he merely indicates that nature acts in some special manner, which to distinguish it from other modes of action he calls fatal, magical and sympathetic; but the precise kind of action intended cannot be explained, nor have these words, when used concerning operations of nature, any fixed and determinate force.“ 180 System I, 221, 236, 250, 281, 282. 181 Z. B. System I, 232, 238, 260. 182 System I, 238. Hier liegt eine enge sprachliche Nhe zu den Formulierungen des Lipsius vor, der in seiner Physiologia Stoicorum von 1604 z. B. folgende Wendung gebraucht: „tamquam Natura sit Deus Mund[o] permistus [Hervorh. L. B.]“. Dazu und zur Bedeutung der stoischen Naturphilosophie in der Frhen Neuzeit siehe Boenke (2005), 309 – 312, Zitat aus Lipsius 310. 183 System I, 232 in dem bekannten Zitat aus Diogenes Laertios, das dort dem Stoiker Zenon zugeschrieben wird; auch System I, 240.

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d¼malir aus dem krypto-neuplatonischen semantischen Potential stoischer Anstze zur Welterklrung entwickelt.184 Die Gleichsetzung der plastic nature mit dem pmeOla, d. h. mit dem aktiv-gestalterischen Prinzip der stoischen Naturphilosophie, scheint diese Annahme weitergehend zu besttigen.185 Speziell das Adverb fatally, das Cudworth ebenfalls gebraucht, um das Wirken der plastic nature zu qualifizieren, kçnnte in diesem Fall eine systematische Verknpfung der Adverbien, die Cudworth benutzt, und der weiteren stoischen Begrifflichkeit mit der Naturgesetzauffassung des System leisten. Die Stoiker charakterisieren nmlich die ordnende Funktion des Schicksals als „die dynamische Natur des Fatums“, die sie als „Folge von Ursache und Wirkung mittels Nahwirkung“ verstehen, die „dadurch zum Ausdruck gebracht [wird], dass [das] Fatum als pneumaartige Kraft oder einfach Bewegung bezeichnet wird –, eine Bewegung, kontinuierlich und geordnet“.186 Die Attraktivitt dieses, Cudworth durchaus bekannten,187 stoischen Konzepts, ist offensichtlich: Die stoische Naturphilosophie, zu Cudworths Zeit ohnehin von großer Bedeutung, bot ihm sowohl im universellen Rahmen als auch auf der Ebene der Einzeldinge ein plausibles Erklrungsmodell fr die Interaktion eines teleologisch wirksamen aktiven Prinzips auf ein passives Prinzip an, ein Modell, in dem zugleich die Immanenz dieses Wirkens besonders betont wird, die auch bei Cudworth eine zentrale Rolle spielt.188 Allerdings weist die stoische Konzeption wie bereits herausgestellt wesentliche Aspekte auf, die mit Cudworths Charakterisierung der plastic nature im Speziellen und seinem neuplatonischen Weltmodell im Allgemeinen nicht zu vereinbaren sind: Der stoische Logos bzw. das gestaltende Pneuma wird von den Stoikern mit Gott gleichgesetzt und, ebenso unannehmbar fr Cud-

184 Eine derartige Implementierung stoischer Philosophie liegt nahe, wenn man sich die zum Teil erstaunliche Nhe des Poseidonischen Denkens zum Neuplatonismus Plotins vergegenwrtigt: Sie ist vor allem im Poseidonischen Kraft-Begriff und dem darauf aufbauenden Einheits- und Sympathiedenken des Poseidonios begrndet; dazu z. B. Reinhardt (1953), Sp. 655 – 657 und 820 – 821. 185 Diese Gleichsetzung in System I, 260. Cudworth scheint allerdings dem Pneuma eine doppelte Funktion zuzusprechen. Folgt man seinen Ausfhrungen in System I, 245 und 247, ist es außerdem das, was fr den Aspekt der plastic nature steht, der die Verbindung zwischen intelligibler Wirkkraft und atomar-kçrperlich strukturierter Materie herstellt, fr die vital sympathy oder fr den „Knoten“, der die Seele mit dem Kçrper verbindet. Vgl. z. B. die Wendung bei Agrippa von Nettesheim, De occulta philosophia, 154, 21 – 22: „spiritus hic fomes est ad animam corpori copulandam , […]“ Diese Vorstellungen reichen bis in die Sptantike zurck, dazu vgl. u. a. Bergemann (2006), 372 – 410. Siehe auch Leinkauf (1993), 62 – 63 und 70 f. 186 Sambursky (1965), 252. 187 Vgl. zur Vertrautheit Cudworths mit stoischen Ansichten dieser Art besonders die Darstellungen zum „Pseudo-Stoical, or Stoical atheism“ in System I, 195 – 198. 188 Siehe z. B. System I, 223, 231, 235 und 236. Vgl. auch Gysi (1962), 114.

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe

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worth, stofflich vorgestellt.189 In Kombination damit fhrt das stoische Konzept der jq÷sir di fkym zu einer vollstndig immanentistischen Welterklrung, in der sich die vergçttlichte Materie in letzter Konsequenz in sich und aus sich selbst heraus zu strukturieren vermag.190 Es ist schließlich genau diese Vorstellung, die neben Anne Conway auch der von Cudworth als hylozoistischer Atheist wiederholt implizit kritisierte Francis Glisson vertritt.191 In einer „Neuauflage des stoischen Motivs, dass das aktive und das passive Prinzip, das pneumatische und das hyletische Substrat in jedem Teil des mundus vereint sind“,192 ist Glisson (wie Anne Conway) der Ansicht, dass die Materie als „Wurzel all ihrer Verrichtungen“193 sich selbst vollendet und „verschiedene Formen als ihre [Hervorh. L. B.] Modi aus sich und in sich (e se et in se) [Hervorh. L. B.] hervorkommen lsst“.194 Hier liegt eine Vorstellung vor, der Cudworths neuplatonische Ansichten von der Strukturierung der Materie durch die plastic nature aus den bereits genannten Grnden kontrr und unvereinbar entgegenstehen. 189 Siehe Long/Sedley (2000), Frgg. 46 A-P mit Komm., 327 – 333 zur Vorstellung Gottes bzw. der Weltvernunft als einer stofflichen und Frgg. 48 A-F mit Komm., 345 – 350 zur Vorstellung der „Mischung“. Vgl. dazu die explizite Kritik und Ablehnung dieser Anstze der stoischen Naturphilosophie als Atheismus durch Cudworth in System II, 288 – 289. 190 Vgl. den spannungsreichen Monismus der Paracelsisten, dazu Pagel (1979), 61 f. Anm. 26 und Boenke (2005), 312. hnliche Positionen werden zur Zeit Cudworths auch von Francis Glisson, Margaret Cavendish und, in eingeschrnktem Maße, von Anne Conway vertreten. 191 Zur impliziten Kritik an Glisson im System siehe Hartbecke, in Leinkauf/Hartbecke (2005), 292 – 298. 192 Hartbecke, in Leinkauf/Hartbecke (2005), 296. 193 Zitat bei Hartbecke, in Leinkauf/Hartbecke (2005), 294. 194 Zitat bei Hartbecke, in Leinkauf/Hartbecke (2005), 294. Vgl. zustzlich die kurze Skizze, die Hunter/Davis (1996), 256 von der „biousia“ Glissons geben und die sie veranlasst, Glisson als „simultaneously a teologist, a materialist and a vitalist“ zu charakterisieren. Zu Glissons Konzept der „energetischen Natur“ s. Cheung (2008), 132 – 144. Konsequenterweise bestimmt Glisson daher auch das Leben als „eine der Materie [Hervorhebung K. H.] immanente vita materialis [Hervorh. L. B.]“ (Hartbecke [2006a], 36). Liegt hier außerdem mçglicherweise ein Bezug zu Giordano Bruno vor? Die Anklnge an dessen Schrift De vinculis in genere: de vinculo Cupidinis et quodammodo genere, Art. XIV sind fast wçrtlich: „Profundius vero philosophantes intelligunt, quod nos alibi declaravimus, ut materia ipsa inchoationem habeat omnium formarum in sinu suo, ita ut ex eo omnia promat et emittat non puram illam exclusionem, ita ut quasi omnia peregrina concipiat ab externo; extra quippe materiae gremium nulla forma est, sed in eo tum omnes latent, et ex eo tum omnes educuntur“ (Opera Latine conscripta, 694 [96 v]), bs. bei Samsonow (1995), 222. Diese Vorstellung lsst sich weitergehend, wie der Kommentar zu Brunos De la causa (ed. Leinkauf, Hamburg 2007), 458 f. zeigt, bis auf Albertus Magnus zurckverfolgen, dessen potentia habitualis der Materie, verstanden als „Formbestimmtheit […] secundum esse diffusum“ (458), bei Ficino in Form der inchoatio formarum wieder aufgenommen zu werden scheint.

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

Die weiterfhrende These ist nun, dass die stoisch motivierte Konzeption einer sich selbst aus sich und in sich ordnungsvoll strukturierenden Materie, die ihren zeitgençssischen Ausdruck u. a. bei Glisson und Conway findet und auf die Cudworth zumindest terminologisch Bezug zu nehmen scheint, einen weiteren Hintergrund bildet, von dem sich Cudworth in Richtung auf seine neuplatonische Metaphysik abzugrenzen versucht. Das Erklrungsmodell der stoischen Konzeption mçchte er jedoch zugleich fr die Darstellung der gesetzhaften Interaktion zwischen plastic nature und Materie beibehalten und muss es daher den Anforderungen seines Systems irgendwie an- und einpassen. Dabei macht er sich, so zumindest die weiterhin leitende Annahme, das Umformungsund Anpassungspotential zunutze, das in den beiden Begriffen magically und sympathetically liegt und das zugleich die bereits dargestellten Umdeutungsund Anpassungsmaßnahmen stoischer Philosopheme an neuplatonische in der Digression um einen wesentlichen Aspekt erweitert. In diesen Anpassungs- und Transformationsprozess eingebunden und seinen Anforderungen unterworfen ist schließlich auch die von Cudworth vorgenommene Funktionalisierung der Lehre des Empedokles. 4.3.3 Pneumatische Magie195 Die erste Phase dieser Umformung der vollstndig immanentistisch-materialistischen Vorstellung vom Wirken des Logos/Pneumas in das Konzept einer zwischen Gott und Materie vermittelnden und daher nur in ihrem Wirken immanenten intelligiblen Kraft besteht darin, dass Cudworth den stoischen Schicksalsbegriff und so zugleich den damit wesentlich verbundenen Begriff des Pneumas folgendermaßen ausdeutet:196 „Fate […] ought [..] to be looked upon […] as an energetical and effectual principle, constituted by the Deity […]“ (System I, 249).197 In Abgrenzung von der stoischen Vorstellung eines vollstndig weltimmanenten Schicksals in Form des Logos-Pneumas nimmt Cudworth mit „constituted by the Deity“ przise seine Vorstellung des „appointments“ der plastic nature auf, weist ebenso auf das Zitat aus De mundo zurck, das diese Vorstellung erlutert, und verdeutlicht auf diese Weise zweierlei:

195 Zu diesem Begriff siehe Culianu (1984/2000), 163 – 191. 196 Zum Pneuma vgl. auch System I, 260 – 261. 197 Vgl. hier die Definition die Schubert (1968), 53 von der Plotinischen Pronoia gibt: „Die Pronoia meint das Werk des Intelligiblen, der Logos dient mit dazu, dessen Wirken zu ,schildern, so auch das Hereinwirken in die sinnliche Welt. Hierbei gleicht er der platonischen Idee, mehr noch aber der aristotelischen Form (loqv¶).“ Dazu auch Leinkauf, in Adamowsky/Bçhme/Felfe (2011), 107 mit Anm. 14 und einem Hinweis auf die Bedeutung von Schicksal und Vorsehung in der stoischen Naturphilosophie.

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe

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Erstens, dass plastic nature, Pneuma und „fate“ aufgrund ihrer Funktionsgleichheit gleichzusetzen sind.198 Zweitens bedeutet diese Gleichsetzung aufgrund der mit ihr verbundenen Rckbindung an De mundo aber auch, dass die Begriffe „Schicksal“ bzw. „Pneuma“ einer mittel-neuplatonischen Semantisierung unterzogen werden, d. h. als Vermittlerinstanz zwischen Hçherem/Gçttlichem und Stofflichem und nicht lnger als rein stofflich-immanente Prinzipien gedacht werden, womit sich der Status ihrer Wirkweise entscheidend ndert. Diese Anpassung des stoischen Konzepts an die Ansprche des eigenen Systems kann mçglicherweise deshalb relativ problem- und bruchlos verlaufen, da die Adverbien „magically“ und „sympathetically“ eine Verbindung zwischen dem stoischen Begriffskomplex Pneuma-Fatum und dem des magischen Pneumas ermçglichen. Das magische Pneuma kann dann im Kontext magischer Vorstellungen mit der neuplatonisch konnotierten Liebe als ebenso vermittelnder wie strukturierender Kraft und damit mit der plastic nature, dem Naturgesetz neuplatonischer Prgung im System identifiziert werden.199 Einige Abschnitte aus dem Standardwerk zur Magie aus dem 16. Jahrhundert, De occulta philosophia von Agrippa von Nettesheim, die Cudworth vertraut gewesen sein kçnnen, da er ein Exemplar dieses Werkes besaß,200 zeigen die inhaltlichen Parameter auf, entlang derer diese erste Phase der Umformung erfolgt. In dieser Form der Magie, der pneumatischen Magie, wird das Pneuma funktional als das bestimmt, was zwischen dem Bereich des Intelligiblen und dem des Stofflichen vermittelt und einen dieser ambivalenten Position entsprechend ontologisch nicht eindeutig zu klassifizierenden Status besitzt:201 Es

198 Siehe auch System I, 250: „ […] the plastic nature may be said to be the true and proper fate of matter, or the corporeal world“; vgl. zustzlich System I, 260 – 261. 199 Zum Vorstellungskomplex der „pneumatischen Magie“ siehe u. a. Culianu (2001/1984), 163 – 191, bes. 179 – 184 und 188 – 190. Cudworths eigenes Magieverstndnis, das er u. a. in System I, 470 zum Ausdruck bringt, zeigt eine deutlich hermetisch-theurgische Prgung, wie sie ebenfalls fr die Renaissancekonzepte von Magie und fr Agrippa wesentlich ist: „And as magic is commonly conceived to be founded in a certain vital sympathy that is in [Hervorh. L. B.] the universe, so did these ancient Persian Magi and Chaldeans (as Psellus tells us) suppose sulpah/ eWmai t± %my to?r j²ty, […]“. Auch hier kommt es allerdings zu einer impliziten Umdeutung dieses berhmten Dictums. Whrend es hufig als Ausdruck der Korrespondenz zwischen Mikro- und Makrokosmos bzw. zwischen sublunaren Phnomenen und denen der Planeten- und Fixsternsphren verstanden wurde, scheint Cudworth es auf die Beziehung zwischen dem Bereich des Stofflichen insgesamt und dem des Intelligiblen anwenden zu wollen. 200 Millington (1697), 32. 201 Vgl. Rogers, in Crocker (2001), 142 – 143. Rogers sieht die Tatsache, dass der Magie im naturphilosophischen Diskurs im England des 17. Jhs. erklrendes Potential zuerkannt wurde, u. a. darin begrndet, dass Descartes harter Dualismus in unmodifizierter Form keine weite Verbreitung bzw. Durchsetzung fand.

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

changiert nmlich zwischen seelischer und kçrperlicher Beschaffenheit.202 Der Begriff der sulp²heia, der mit der pneumatischen Magie wesentlich verbunden ist, bildet eine weitere Koordinate, an der Cudworth die Umformung des stoischen Pneumas und Fatums ins Neuplatonische vornehmen kann. Unter sulp²heia wird nmlich die magiespezifische innerweltliche Ordnungsleistung des Pneumas, das als Vermittlungsinstanz zwischen gçttlich inspirierten Sternen und Materie deutlich Zge des Fatums trgt, verstanden, denn es wirkt, und das ist fr die sptere Amalgamierung dieses Konzepts mit der Position Plotins von entscheidender Bedeutung, als eine Art Anziehungskraft, die die hçchste Form einer Einheitsstruktur, nmlich die organologische, verwirklicht.203 Wenn man

202 Siehe zu diesen Punkten folgende Abschnitte aus De occulta philosophia: „Cum vero anima primum mobile sit, ut dicunt, sponte et per se mobile, corpus vero vel materia per se ad motum inefficax et ab ipsa anima longe degenerans, iccirco ferunt opus esse excellentiori medio (scilicet quod sit quasi non corpus sed quasi iam anima, sive quasi non anima et quasi iam corpus) [Hervorh. L. B.], quo videlicet anima corpori connectatur. Medium autem tale fingunt esse spiritum mundi, scilicet quem dicimus essentiam quintam [Hervorh. L. B.], quia non ex quatuor elementis, sed quoddam quintum ‹super illa aut› praeter illa subsistens; […]“ (Agrippa von Nettesheim, De occulta philosophia, 113, ed. Perrone Compagni). „[…] sicut enim animae nostrae vires per spiritum adhibentur membris, sic virtus animae mundi per quintam essentiam dilatatur per omnia [Hervorh. L. B.]. Nihil enim reperitur in toto mundo quod suae virtutis scintilla careat: […]“ (Agrippa von Nettesheim, De occulta philosophia, 113, ed. Perrone Compagni). „Ea enim est naturae colligantia et continuitas [Hervorh. L. B.], ut omnis virtus superior per singula inferiora longa et continua serie radios suos dispertiendo usque ad ultima fluat et inferiora per singula sua superiora ad suprema perveniant“ (Agrippa von Nettesheim, De occulta philosophia, 155, ed. Perrone Compagni). Gerade der Gedanke der Kontinuitt und der Verbindung zwischen Gott und Welt ist Cudworth – in der Auseinandersetzung mit Descartes und Hobbes – wie gezeigt besonders wichtig, vgl. z. B. System I, 515, s. o. S. 152 – 154, mit Anm. 76, S. 152. 203 „[…] e coelis quidem vim illam coelestem, quam quintam essentiam, sive spiritum mundi, sive mediam naturam vocant; ab intellectuali autem mundo spiritualem viventemque vigorem, omnem qualitativam virtutem transcendentem; ab archetypo denique per haec intermedia pro gradu suo originalem vim totius perfectionis. […] ex quarum serie tota magia et omnis occulta philosophia emanat. Trahitur enim quotidie aliquid naturale per artem, trahitur quotidie divinum aliquod per naturam. Quod intuentes Aegyptii naturam magam vocavere, hoc est vim ipsam magicam in attractu similium per similia et convenientium per convenientia. Attractus autem huiusmodi per rerum mutuam convenientiam ad se invicem superiorum cum inferioribus Graeci sulp²heiam vocaverunt: […] [Alle Hervorh. L. B.]“ (Agrippa von Nettesheim, De occulta philosophia, 154). Sehr deutlichen Ausdruck findet diese Vorstellung von Gottes Wirken in der Welt durch „Ziehkrfte“ auch bei Athanasius Kircher, der Gott als magnes centralis denkt, dazu Leinkauf (1993), 327 – 334, bes. 329 f., Anm. 44. Kircher kçnnte mit derartigen Anstzen auch Cudworth inspiriert haben. Zu den verschieden Formen und Intensitten von Einheit, die im organologischen Bmºlemom gipfeln, siehe Reinhardt (1953), Sp. 649 – 651, der hier die Position des Poseidonios zu diesem Problem rekonstruiert. Zur organologischen Einheit als Bedingung fr

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe

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diese semantische Verschiebung vom rein stoischen zum magischen System unter der Ausnutzung der Homonymien der Begriffe „Pneuma“ und „sulp²heia“ implizit vollzieht, wird es mçglich, das Pneuma hinsichtlich seiner Wirkweise nicht mehr lnger als rein materie-immanentes und stoffliches Strukturprinzip zu verstehen, sondern als semi-intelligible Vermittlerinstanz mit zusammenhangstiftender Wirkung (auf diesen Aspekt weist ja auch das Adverb „fatally“ hin). So ist das Konzept des Pneumas zum Bereich des Transzendenten hin geçffnet und in eine kontinuierliche Abhngigkeit zu Gott gesetzt, whrend gleichzeitig seine innerweltliche Wirksamkeit im Rahmen der magia naturalis gewahrt bleibt, die bei Cudworth besonders durch die Verwendung des Adverbs „sympathetically“ ihren Ausdruck findet.204 Cudworth leitet dann seine expliziten und zusammenfhrenden berlegungen zum magischen, und das heißt eben auch, zum naturgesetzhaften Wirken der plastic nature mit einem Zitat aus Alexander von Aphrodisias ein, das die Gleichsetzung von Schicksal und plastic nature als pneumaartige Kraft in dem bekannten Sinne konstatiert, das Wirken der plastic nature als bloßes, ohne Wissen vollzogenes Umsetzen der von Gott an die plastic nature bertragenen Gesetze in der Welt zu verstehen.205 Dieses Wirken charakterisiert er zustzlich als magisches und sympathetisches Wirken, das er mit einem Plotinzitat illustriert, in dem die „wahre Magie“, d. h. fr Cudworth: das Wirken der plastic nature als Naturgesetz, auf die Empedokleischen Wirkformen Liebe und Streit das Wirken religiçser wie magischer Praktiken bei Plotin siehe z. B. Westra, in Wagner (2002), 140 – 144. 204 Mçglicherweise bezieht sich Cudworth außerdem auf eine Vorstellung aus dem Corpus Hermeticum: „Durch das Pneuma aber wird alles im Kosmos besorgt und belebt; es ist gleichsam als Werkzeug und Hilfsmittel dem Willen des hçchsten Gottes unterworfen. Und so soll ‹dies› von uns bis hierher begriffen werden. […] Durch das Pneuma aber werden alle Einzelformen im Kosmos bewegt oder gelenkt, eine jede gemß ihrer Natur, die ihr von Gott zugeteilt worden ist. Die Materie aber (vkg oder „mundus“) nimmt alles auf, bewegt es und lsst es zahlreich werden; Lenker all dessen ist Gott; er teilt allen soviel zu, wie fr jedes der irdischen Dinge notwendig ist. Mit dem Pneuma aber erfllt Gott alles, indem er es einhaucht gemß der natrlichen Beschaffenheit eines jeden“ (CH, Der lateinische Asclepius, §16 – 17, S. 274, ed. Colpe/Holzhausen, bs. Holzhausen [1997]). Da Cudworth sich intensiv mit dem Corpus Hermeticum auseinandersetzt, kann man davon ausgehen, dass er auch diese Stelle kannte, und sie als Hintergrund sowohl fr die Auswahl der bereits besprochenen Passage aus De mundo als auch seiner Modifikation der Pneumakonzeption vermuten. 205 System I, 250. Wieder scheint Cudworth den nicht nur fr sein eigenes Naturgesetzkonzept so zentralen Begriff des appointment zu verhandeln, mit dem er sich durchaus im Rahmen des zeitgençssischen Naturgesetzverstndnisses bewegt. Aber auch jetzt gewinnt er dieser Vorstellung bzw. Analogie einen neuen Aspekt ab, der gegen Descartes gerichtet zu sein scheint. Zu diesem Aspekt des Naturgesetzverstndnisses vgl. u. a. Schnepf, in Hartbecke/Schtte (2006), 100 – 101; Schtte, in Hartbecke/Schtte (2006), 140 und Waschkies, in Hartbecke/Schtte (2006), 184 – 189.

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

(vik¸a ja· me?jor) zurckgefhrt wird. Liebe und Streit interpretiert Cudworth dann seinerseits zusammenfassend als „certain vital energy“: Now, that which acts not by any knowledge or fancy, will or appetite of its own, but only fatally according to laws and impresses made upon it, (but differently in different cases) may be said also to act magically and sympathetically. J !kghimμ lace¸a (saith the philosopher [Plotin]) B 1m t` pamt· vik¸a ja· me?jor, “The true magic is the friendship and discord that is the universe.[sic]” And again, magic is said to be founded, 1m t0 sulpahe¸ô ja· t0 t_m dum²leym t_m pokk_m poijik¸ô pqor 4m f_om sumteko¼mtym, “in the sympathy and variety of diverse powers conspiring together into one animal.” Of which passages though the principal meaning seem to be this, that the ground of magical fascinations is one vital unitive principle in the universe; yet they imply also, that there is a certain vital energy, not in the way of knowledge and fancy, will and animal appetite, but fatally sympathetical and magical (System I, 250).

Diese ineinander verschrnkten Gleichsetzungen und bergnge haben nicht nur Mosheim irritiert, der diese Passage als unverstndlich und dunkel empfindet.206 Versucht man, Licht in die Argumentation Cudworths zu bringen, ist nach dem thematischen und systematischen Fundament zu fragen, das den Zusammenhang herstellt zwischen dem unreflektierten Ausfhren bertragener Gesetze durch eine untergeordnete, unstoffliche Vermittlerinstanz, die als eine Art Anziehungskraft wirkt, einerseits und Sympathie und Magie andererseits, wobei in diesen Zusammenhang zustzlich das Plotinzitat hineinpassen sollte, das außerdem den direkten Bezug zu Empedokles herstellt, dessen transformatorische Aneigung in diesem Kontext ebenfalls erklrt werden soll. Eine systematische Verbindung zwischen vik¸a und me?jor einerseits und dem mit fatally charakterisierten Wirken des als Formkraft oder energy vorgestellten Naturgesetzes andererseits lsst sich herstellen,207 wenn man eine

206 Vgl. z. B. seine Anmerkungen zu der zitierten Passage in System I, 250, Anm. 2: „Although these matters are discussed with great erudition, yet I doubt not that they who look more deeply into the subject will feel their want of light.“ 207 Vgl. hier ergnzend die grundstzliche Beobachtung Gloys zu Sympathie und Antipathie als „eine[m] der Grundgesetze, das die organische Natur durchwaltet,“ (24) in der Renaissance: „Hinter den universellen Verhaltensweisen von Sympathie und Antipathie steht das Krftesystem. Indem die substantielle Urkraft des Ureinen, graduell abgestuft, die subordinierten Teile durchdringt und sich in diese differenziert und auseinanderlegt, lçst sie sich von sich selbst ab, und indem sie die diversen Teile an sich zurckbindet, vereint und sammelt sie die Vielheit auf die Einheit hin“ (Gloy [1996], 24 – 25). Vgl. außerdem die Charakterisierung des Gebrauchs des Begriffs „energy“ zu Beginn des 19. Jhs., die Burwick (1987), XIV bietet: „In virtually all serious uses of the metaphor, energy is taken to mean an indwelling force or principle that is responsible for an outcome, which is usually ordered and usually positive. As a principle of mind as well as of matter, energy has organic implications.“ Hier ist eine Kontinuitt zu den mit dem Begriff „energy“ bereits bei Cudworth verbundenen und formulierten Aspekten und Funktionen zumindest annehmbar. Letztlich grundgelegt hat diesen naturerklrenden

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Textstelle aus Plotins Enneade IV 4 als an dieser Stelle unexplizierte aber wesentliche systematische Hintergrundannahme heranzieht. Dabei handelt es sich um einen Textabschnitt, der bei Plotin in Enneade IV 4 direkt im Kapitel vor dem Zitat zur Magie in System I, 250 zu finden ist und auf den sich Cudworth in verkrzter Form zwei Seiten spter, in System I, 252 direkt bezieht. Außerdem muss man die Begriffe vik¸a und me?jor, besonders den der vik¸a, vor dem Hintergrund der „erotischen Magie“ verstehen, wie sie bei Ficino und auch bei Giordano Bruno verhandelt wird. In Enneade IV 4, 39, 5 – 17 und 45, 25 – 26 beschreibt Plotin in ontologischen Termini und mit der bereits aus De mundo bekannten Gesetzesanalogie, die hier allerdings wesentlich nachdrcklicher ins Kraftmetaphysische gewendet wird, wie die sulp²heia zustande kommt, die in der von Cudworth in System I, 250 zitierten Stelle zur Erklrung der wahren Magie herangezogen wird. Derart wird gerade in diesem Kapitel die fundamentale Erklrung von Magie geliefert, was wiederum nach der Vorstellung Cudworths gleichzusetzen ist mit der Erklrung des Funktionierens der plastic nature als Naturgesetz. Also eine grundlegende Explikation seines Urschlichkeitsdenkens bedeutet:208 Die Geschehnisse im All vollziehen sich also nicht gemß den ,zeugenden Formkrften [kºcoi speqlatijo¸], sondern gemß den geistigen Formen, die in sich hçhere Krfte umfassen, [als die Formen, die die Samen umfassen und] denen gemß [ebenfalls das All geformt wird;] denn den zeugenden Formkrften wohnt nichts inne von dem Geschehen, das ber diese Formkrfte selber hinausgeht [Hervorh. L. B.], noch von dem Beitrag, den die Materie der Gesamtheit beisteuert, oder der Wechselwirkung des Bewirkten aufeinander. Viel eher kçnnte man die geistige Formkraft des Alls [kºcor toO pamtºr] parallel setzen mit dem formenden Gedanken, welcher Ordnung und Gesetz eines Staates festlegt; dieser Gedanke enthlt von vornherein das Wissen davon, was die Brger tun werden und warum sie es tun werden, wobei er in Rcksicht hierauf alles verordnet und durch Gesetze all ihre Leidenschaften und all ihr Tun mit Ehrung oder chtung verknpft, so dass dann alles Geschehen im Staat wie von selbst auf Einklang hinausluft. […]; denn die Wesen werden wie an Fden durch die Zugkrfte [fjkg d¼malir] von Ort zu Ort versetzt [Hervorh. L. B.]. So wundernswert ist die ordnende Kraft des Alls (Plotin IV 4, 39, 5 – 17 und 45, 25 – 26)!

Aus diesem Text geht hervor, dass die kºcoi speqlatijo¸, die Plotin außerdem als Bewegung verursachende „ziehende Krfte“ charakterisiert, bei der Realisierung des sympathetisch-harmonischen Weltgefges kein eigenes Wissen beAnsatz wohl der Stoiker Poseidonios, wie es Karl Reinhardt in seinen Publikationen zu Poseidonios nachzuweisen unternommen hat. 208 Diese Textstelle aus Plotin ist also mitzulesen als Antwort auf die Frage „What magic is“ (System I, 282), die Cudworth nach eigener Aussage in diesem Abschnitt abhandelt. Erst jetzt, in dem von Plotin abgesteckten Rahmen, erfolgt die Bestimmung des Magiebegriffs bzw. der Bedeutung des Adverbs magically, so dass zur Interpretation und zum Verstndnis dieses Begriffs Plotin IV 4, 39 und 45 heranzuziehen sind, wenn man Mosheims Ratlosigkeit vermeiden mçchte.

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

sitzen (ihnen „wohnt nichts inne“, was ber ihr Wirken selbst hinausginge) und ausschließlich den (Gesetzes-)Vorgaben folgen, die der Welt-Logos, gleichsam die Weltseele209 (d. h. in diesem Kontext: die plastic nature of the universe), vorgibt, die ihrerseits vom Nous abhngt, dem im System Cudworths die gçttliche Vernunft entspricht.210 Genauso wirken bei Cudworth die plastic natures als ußerste Auslufer gçttlicher Ordnungsmacht ohne ein eigenes Wissen als pneumatische Krfte, d. h. mit Plotin und Agrippa, dass sie als Krfte wirken, die durch Anziehung Bewegung hervorbringen, und dass sie so die ihnen eingegebenen Strukturen einfach nur im Rahmen der vorgegebenen Dispositionen umsetzen.211 Da also vik¸a und me?jor bereits bei Plotin als „ziehende Krfte“ klassifiziert werden, wird in einem ersten Schritt einsichtig und nachvollziehbar,212 warum Cudworth sie als energy versteht. Systematisch lsst sich der Plotintext als Hintergrundannahme deshalb leicht mit Cudworths Argumentation vereinbaren, da in ihm außerdem die in der bloßen Umsetzung bergeordneter Strukturen bestehende Gesetzmßigkeit des teleologischen und aufeinander abgestimmten Wirkens der untergeordneten Formkrfte hervorgehoben und wie in De mundo mit einer Staatsanalogie veranschaulicht wird – die Gesetzmßigkeit, die Cudworth selbst mit den Begriffen appointment und fa-

209 Plotin beschreibt das Resultat des vereinigenden Wirkens der Weltseele in Enn. II 1, 4, 16 – 25 folgendermaßen: „Wer [die Weltseele] nicht fr mchtiger hlt als alle andere Bindung, sie, die von Gott ihren Ausgang hat, der gehçrt zu Menschen, die keine Ahnung haben von der Ursache, die das All zusammenhlt (aQt¸ar t/r sumewo¼sgr t± p²mta). Es wre ja unsinnig, wenn die Ursache, welche es auf noch so kurze Zeit zusammenhlt, dies nicht auch fr immer tte, als fnde dieses Zusammenhalten durch Gewalt statt und der naturgemße Zustand wre ein anderer als eben dieser, welcher im Wesen des Alls gegrndet ist und in der schçnen Ordnung seiner Teile, oder als sei ein Wesen vorhanden, welches dies Gefge mit Gewalt auflçsen und das Wesen der Seele wie aus Kçnigsmacht und Herrscheramt gleichsam vertreiben kçnnte“ (bs. HBT). 210 Zu diesem Wirken ohne ein (reflektiertes) Wissen vom eigenen Tun bei Plotin siehe auch IV 4, 13, 7 – 15. Jacob, in Gaukroger (1991), 102 – 103 weist in seiner Analyse der neuplatonischen Elemente in Cudworths „conception of Nature“ auf diese Plotinstelle hin und sieht sie, allerdings im Kontext von Cudworths Erçrterung gçttlicher providentia, ebenfalls in Zusammenhang mit Enn. IV 4, 39 und 45. Die hier vorgestellten Beobachtungen kçnnen als Ergnzungen, die das „Wie“ der Umsetzung der gçttlichen Vorsehung erlutern, zu Jacobs Ergebnissen gelesen werden. 211 Cudworth selbst bezeichnet in System I, 240 entsprechend seine plastic natures im Rahmen der Umformung des stoischen Konzepts in ein neuplatonisches als spermatic logos und zieht dazu ebenfalls Plotin heran. 212 Zugleich mag Cudworth hier vor dem Hintergrund der Vorstellung argumentieren, die dem Magneten eine zentrale Stellung in der naturphilosophischen Erklrung des Weltzusammenhanges einrumt. Zum diesbezglichen Modellcharakter des Magneten vgl. Leinkauf (1993), 327 – 334 und Rudrum (1974), 132 – 135, hier im hermetischen Kontext von Henry Vaughan und dessen Gedankenwelt.

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe

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tally beschreibt.213 Zudem wird dieser gesetzhafte Naturablauf von Plotin ontologisch derart fundiert, dass die ihn bestimmenden Naturgesetze als Manifestationen magischen Wirkens und magischer Urschlichkeit verstanden werden kçnnen. Dabei konstruiert Cudworth in System I, 250, wo er selbst aus Enneade IV 4, 40 zitiert, seinen griechischen Referenztext entprechend nach den systematischen Anforderungen der hier vorgeschlagenen Hintergrundannahmen: Da er die co¶teia als Degenerationserscheinung der wahren Magie ablehnt,214 lsst er die bei Plotin einleitend gestellte Frage „T±r d³ cogte¸ar p_r ;“ ausfallen, vertauscht die Reihenfolge der Zitate, fgt das zweite durch die Ergnzung eines 1m vor t0 sulpahe¸ô in seinen eigenen Satz ein und verbindet es gleichzeitig mit dem ersten Satzausschnitt aus Plotin, so dass der Eindruck argumentatorischer Geschlossenheit entsteht. Abgesehen von dem Hinweis auf den Hintergrundtext bei Plotin, der eine ausfhrliche metaphysische Erklrung eines „magischen“ Natur(gesetz)verstndnisses liefert, weist Cudworths konstruierende Fokussierung auf ein weiteres damit zusammenhngendes Magiekonzept hin, das fr ihn in diesem Kontext von ganz besonderer Bedeutung ist und sich zudem widerspruchslos mit der bereits erçrterten pneumatischen Magie harmonisieren lsst: das der erotischen oder sympathetischen Magie Ficinos. Die Korrespondenzen zwischen Ficinos Konzeption von Magie und Liebe, Plotins Ausfhrungen zu diesem Thema und Cudworths naturphilosophischen Anstzen in der Digression lassen es nmlich einsichtiger werden, warum Cudworth ausgerechnet eine auf Empedokles und die Magieprinzipien Liebe und Streit bezogene Plotinstelle und, implizit, die damit verbundenen vorausgehenden Ausfhrungen in IV 4, 39 in sein System bernommen hat. In Ficinos Schrift De amore wird die Liebe, aufbauend auf Platons Ausfhrungen im Symposion, sowohl als zentrales kosmogonisches Element im Sinne einer naturgesetzlich wirkenden Kraft als auch als Magier verhandelt:215 Die Liebe wird in direktem Rckbezug auf Ps. Dionysios Areopagita zunchst als „eine verbindende und einende Macht“ bezeichnet, „welche das Hçhere zur Frsorge fr das Niedere [bewegt und] das Gleichstehende zu gegenseitiger

213 Siehe auch Leinkauf, in Adamowsky/Bçhme/Felfe (2011), 107 mit Anm. 14, der mit Blick auf die Naturphilosophie der Frhen Neuzeit auf derartige Hierarchisierungen und deren stoischen Hintergrund hinweist. 214 System I, 470. 215 Zur Identifikation von Amor und Pneuma siehe Culianu (2001), 179 – 184; zu Eros als kosmogonischem Prinzip im Sinne der plastic nature im System siehe auch System I, 176 – 179 und II, 13 – 14; hier fehlt allerdings der in der Argumentation der Digression entscheidende Bezug zur Magie, der m. E. „den Umweg“ ber den Transformationsfilter Ficino nçtig macht.

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

Mitteilung [zusammenbindet].“216 Dann expliziert Ficino ihre ordnende wie verbindende Wirkung und setzt sie, dabei wçrtlich Plotin aufgreifend, in direkten Bezug zur Magie. So erhalten Magie und Liebe die erforderliche kosmogonische Dimension, die sie brauchen, um in Cudworths Argumentation in Form des Adverbs „magically“ in Verbindung mit dem Zitat aus Enneade IV 4 ihre Funktion der Charakterisierung des naturgesetzhaften Wirkens der plastic nature erfllen zu kçnnen:217 Weshalb aber wird Eros Zauberer genannt? Weil alle Macht der Zauberei auf der Liebe beruht. Die Wirkung der Magie besteht in der Anziehung, welche ein Gegenstand auf einen anderen aufgrund einer bestimmten Wesensverwandtschaft ausbt [Hervorh. L. B.]. Die Teile dieser Welt hngen, wie die Gliedmaßen eines Lebewesens, alle von einem Urheber ab und stehen durch die Gemeinschaft ihrer Natur in Zusammenhang. Wie also in uns das Gehirn, die Lunge, das Herz, die Leber und die brigen Kçrperteile voneinander etwas empfangen, sich gegenseitig fçrdern und untereinander in Mitleidenschaft stehen, so hngen die Teile dieses großen Lebewesens, d. h. alle Weltkçrper in ihrer Gesamtheit, untereinander zusammen und teilen einander ihr Wesen mit. Aus dieser allgemeinen Verwandtschaft entspringt gemeinsame Liebe, aus dieser die gegenseitige Anziehung [Hervorh. L. B.]: und dies ist die wahre Magie.218

216 Ficino, De amore, oratio tertia, c. I, 23r-24r/160 – 161/1328 – 1329: „Amorem […] insitivam quandam intelligamus commiscentemque virtutem, que superiora quidem ad inferiorum providentiam movet, equalia rursus ad socialem sui invicem communionem conciliat, […]“. 217 Mçglicherweise hat Cudworth die folgenden Passagen aus Ficino vor dem Hintergrund von Plotin, Enn. III 2, 16, 19 – 24 und IV 4, 42, 4 – 13 und 45, 23 – 33 gelesen und ausgelegt, woraus sich eine Anwendung der Magie- und Liebeskonzeption, die er bei Ficino fand, auf das Problem, komplexe Bewegungen erklren zu mssen, ableiten ließe, da Liebe als Anziehungskraft in der Kombination dieser Texte zu einer planvollen Ursache komplexer Bewegungen wird. 218 Ficino, De amore, oratio sexta, c. IX, 74v-76r/213 – 214/1346: „Sed cur magum putamus amorem? Quia tota vis magice in amore consistit. Magice opus est attractio rei unius ab alia ex quadam cognatione nature. Mundi autem huius partes ceu animalis unius membra, omnes ab uno auctore pendentes, unius nature communione invicem copulantur. Ideo sicut in nobis cerebrum, pulmones, cor, iecur et reliqua membra a se invicem trahunt aliquid seque mutuo iuvant et uno illorum aliquo patiente compatiuntur, ita ingentis huius animalis membra, id est, omnia mundi corpora connexa similiter, mutuant invicem naturas et mutuantur. Ex communi cognatione communis innascitur amor, ex amore, communis attractio. Hec autem vera magica est.“ Hier ist zugleich an eine Konzeption der Liebe als „einer ins Kreatrliche hervorgehenden, zusammenbindenden und Einheit-stiftenden ,objektiven Ttigkeit des Gçttlichen Geistes“ zu denken (Leinkauf [1989], 269), die von Cusanus folgendermaßen charakterisiert wird: „Amor autem nectit. Hinc amor, qui Deus est seu caritas, dici potest hic spiritus[,] cuius vis est diffusa per universum; ita quod nexus[,] quo partes ad unum seu totum connectuntur, sine quo perfectio nulla subsisteret, habeat Deum suum principium“ (De pace fidei X, 21 – 24; ed./bs. Gabriel/Dupr, Wien 1989/1964); siehe Leinkauf (1989), 269.

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe

197

Das kosmogonische Prinzip der Magie, die Liebe, erwchst aus der vom Schçpfer vorgezeichneten organischen Ordnung des Weltkçrpers, deren Dispositionen durch die Liebe in der Form der gegenseitigen Anziehung und Hinordnung der Teile dieser Ordnung aktuiert wird. Auf der Basis dieser Vorstellung bzw. Erklrung des Wirkens der plastic nature wird es Cudworth weitergehend mçglich, die plastic nature – seinen eigenen Vorgaben entsprechend – als Bewegungsprinzip zu begreifen, das zudem eine wesentliche Funktion erfllt, die auch im cartesischen Weltmodell von zentraler Bedeutung ist: „[…] both maintaining the same quantity of motion always in [matter/the world], and also dispensing it“ (System I, 226). Damit bleibt der oben beobachtete Descartes-Bezug weiterhin erhalten und Cudworths Anspruch, eine Alternative entwickeln zu kçnnen zu dem von ihm abgelehnten Bild, in dem die Welt als ein komplexer Mechanismus gedacht wird. Denn nach Cudworths Vorstellung ist die Welt als organologische Einheit zu denken, deren Vollzug sich als „Leben“ und einheitlich-abgestimmtes Zusammenwirken darstellt, dessen Garant und Ursache im Rahmen eines ontologischen per-se-Kontinuums Gott ist.219 Eine derartige Einschtzung der Liebe als kosmologischer Grçße leistet die Verbindung zum Konzept der pneumatischen Magie bzw. ermçglicht Cudworth die Umprgung stoischer Vorstellungen des Pneumas in neuplatonische Magiekonzeptionen mit Relevanz fr den Begriff des Naturgesetzes. Zudem stellt sie – via Funktionsanalogie: die Liebe in der Welt entspricht in ihrem Wirken dem der Liebe in Gott – eine wesentliche Verbindung zur Bedeutung Amors als innertrinitarischer Grçße her und fundiert damit zustzlich die Geschlossenheit des System und des in ihm explizierten christlich-neuplatonischen Systems. Zur Liebe als innertrinitarischer Grçße s. u. die Erçrterungen zu Cudworths Trinittstheorie. 219 An einer spteren Stelle im System (II, 178) greift Cudworth diesen fr ihn zentralen Punkt auf und hebt erneut die organische Einheit der Welt und ihren Zusammenhalt als lebendigen Vollzug mit Plotin, Enn. IV 3, 9 hervor. Besonderes Augenmerk verdient dabei Plotins bildlicher Vergleich der Welt mit einem Netz, das im Wasser treibt. Wie das Netz vom Wasser wird die Welt von der Weltseele ebenso umfasst wie vollstndig durchdrungen und getragen. Auf anschauliche Weise werden damit zwei zentrale Momente der Interaktion zwischen Gott und Welt, die in Cudworths System von wesentlicher Bedeutung sind, dem Leser nhergebracht: der des Umfassens (peqi´weim) und der des wirkenden und durchdringenden Anwesendseins (paqe?mai) der intelligiblen Wirkkraft in der Welt (vgl. im von Cudworth zitierten Text Plotins: „[…] je?tai c±q 1m t0 xuw0 !mewo¼s, aqt¹m ja· %loiqom 5stim aqt/r“, siehe Enn. IV 3, 9, 36 – 38). Zudem wird in diesem Bild Cudworths Konzeption des Raumes als primrer Entußerungsform Gottes in seiner Funktion als homogene Kraft-Sphre prfiguriert: Denn die Welt ist in diesem Gottes-Raum ebenso aufgehoben wie bei Plotin in der Weltseele (und analog das Netz im Wasser). Cudworth argumentiert damit auf unterschiedlichen, aber zusammenhngenden Ebenen immer wieder gegen den reduktionistischen, rein materialistischen und mechanistischen Atomismus. Dazu vgl. Leinkauf (1993), 40 – 41: Leinkauf hebt hier hervor, zwischen welchen Polen sich die Naturphilosophie der Frhen Neuzeit bewegt: „Die Theologie steht in gleicher Weise hinter mechanistischen, atomistischen und dynamis-

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

Gleichzeitig bietet Cudworth mit seinem Konzept eine Lçsung fr das Problem an, wie man sich die bertragung von Bewegung von einem Kçrper auf einen anderen vorstellen oder erklren kçnne – ein Problem, das, wie gezeigt, z. B. Henry More bei Descartes als ungelçst kritisiert.220 Die Bewegung prinzipiierenden Wirkungen der plastic nature auf die atomaren Materiepartikel sind nmlich wie die gegenseitigen Einwirkungen der Weltkçrper aufeinander anzusehen, die allein aus der universellen, kosmogonischen Liebe heraus als Anziehungskraft realisiert und nicht von den Kçrpern selbst hervorgebracht werden. Die gegenseitige Anziehung ist also sowohl Wirkung als auch Ausdruck oder Erscheinungsform der Liebe.221 Dies hat zur Folge, dass die innerweltlichen „Werke der Magie“ aufgrund dieser Verschrnkung von Magie, Liebe und Wirken in der Natur zugleich als „Wirkungen der Natur“222 zu betrachten sind, die verwirklicht werden von kºcoi speqlatijo¸, die Cudworth mit Plotin als tischen Grundpositionen, der Unterschied zeigt sich vor allem darin, in wie weit die spekulative und transzendente Substanz in die Natur hineingenommen oder auf welche Weise sie mit ihr vorsichtig-skeptisch nur noch lose verbunden wird [Hervorh. im Original]“. Wie z. B. Kircher whlt Cudworth den Weg, die Natur als „divina virtus“ bzw. als Fcher von virtutes zu verstehen, durch die und in denen sich Gott in der Welt manifestiert (vgl. Leinkauf [1993], 40 – 41), mit dem Ergebnis, dass fr Cudworth wie fr Kircher, der auch hier als mçglicher Referenzrahmen oder Transformationsfilter verstanden werden kann, die Welt zur „lebendige[n], aspektreiche[n] und in sich dynamisch vermittelte[n] Prozess-Einheit“ (Leinauf [1993], 85) wird. 220 Dazu s. Henry (2003), 335 – 336 und Cottingham, in Rogers/Vienne/Zarka (1997), 159 – 171. Man kçnnte fast sagen, dass Cudworth an dieser Stelle Newtons Neuerung vorwegnimmt, die Henry folgendermaßen charakterisiert: „The triumph of the mechanical philosophy was assured once it was accepted that the system of the world was invested with unexplained active principles, forces and powers which could even operate at a distance. The brilliant stroke of incorporating ,occult qualities into the mechanical philosophy has frequently been cited as further evidence of Newtons genius. For example, in a recent essay Professor Westfall has argued that Newtons concept of attracting and repulsive forces operating between distant particles was ,a major philosophic innovation which derived from ,the conviction that nature cannot be reduced to the arrangement of inert particles of matter“ (Henry [2003], 336). Dass Cudworth ebenso wie Newton in einem breiten zeitgençssischen konstellatorischen Feld argumentiert, zeigt der gesamte Aufsatz von Henry. 221 Vgl. Ficino, De amore, oratio tertia, c. III, 26v-27r/165/1330: „Somit kann man mit Recht die Liebe als das unvergngliche verknpfende Band der Welt, die unbeweglich ruhende Sttze aller ihrer Teile und die unerschtterliche Grundlage der gesamten Maschinerie bezeichnen. ([…] ut merito dici possit amor nodus perpetuus et copula mundi partiumque eius immobile substentaculum ac firmum totius machine fundamentum.)“. Die aus dem Bereich der Technik stammende Metaphorik kçnnte zustzlich zu einer Annherung der Konzeption des Eros an die des Naturgesetzes beigetragen haben. Allerdings ist dabei zu bedenken, dass der lateinische Ausdruck „machina“ bis in die Frhe Neuzeit die Bedeutung „Lebewesen“ haben konnte, also die bs. des lateinischen Textes an dieser Stelle auch anders ausfallen kçnnte, er anders zu verstehen wre. Zu dieser Bedeutung von „machina“ siehe Gloy (1996), 7. 222 Ficino, De amore, oratio sexta, c. X, 82r-82v/220 – 221/1348.

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe

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„Zugkrfte“ verstehen kann. Als derart ausgebildeter Sympathiezusammenhang manifestiert sich die Liebe Gottes in der Welt.223 Auf diese Weise laufen die mit dem law of nature identifizierte pneumatische plastic nature Cudworths, der in direktem Bezug zur ontologischen Magiebegrndung stehende kºcor speqlatijºr in Plotins Schrift IV 4 und der ebenfalls magiebegrndende Amor/Eros Ficinos sowohl in ihrer Funktion und Position als intelligible Vermittler zwischen Gçttlichem und Irdischem als auch in ihrer dynamistisch-energetischen und teleologischen Wirkform in einer organisch-animistisch verstandenen Naturganzheit als auch in der Art, wie sie als ordnende und magiekonstituierende Krfte wirken, zusammen: nmlich indem sie als Anziehungskrfte und Bewegungsursachen ein wechselseitiges Be- oder Anziehungsgefge realisieren. Vor diesem Hintergrund bedeutet dann die Aktuierung ordnungsvoller Dispositionen in der Welt zugleich die Konstituierung der Strukturen, die die Bedingung sind von Magie und naturgesetzlichem Wirken. Diese Konvergenz ist meiner Ansicht nach fr Cudworth der Anlass gewesen, die Art und Ausfhrung der Naturgesetze mit den Begriffen „magical“, „fatal“ und „sympathetical“ zu beschreiben und seine plastic nature u. a. mal als d¼malir oder kºcor, kºcor speqlatijºr bzw. „seminary reason“, mal als „energy“ oder eben auch als vik¸a und me?jor des Empedokles zu verstehen und einen Text Plotins heranzuziehen, der auf diese beiden Wirkformen in der fr Cudworths Argumentation in der Digression passenden Form hinweist. Vor diesem Hintergrund bernimmt Cudworth die Stilisierung des Empedokles zu einem uranfnglichen Vertreter der Lehre des kosmogonisch wirkenden, magiekonstituierenden Eros von Ficino zum Zweck der Herausbildung einer ebenso autorisierenden wie integrierenden Figur und bezieht sich gleich zu Beginn der Ausfhrungen zur plastic nature auf Empedokles.224

223 Vgl. Leinkauf (1989), 289 zur Magie- und Liebeskonzeptionierung bei Kircher und Ficino: „Die Natur als ,objektive Magie realisiert so den Amor, dessen Spezifikum ja die ,attractio ist […]“ Auch fr Cudworth kann an dieser Stelle gelten, was Leinkauf ber die Aneignung des Komplexes „Amor“ durch Athanasius Kircher feststellt: „Die Aneignung steht also im Horizont der Eryximachos-Rede und des kosmologisch, ,objektiven Aspekts von Amor. [..] Kircher thematisiert somit nicht mehr wesentlich den Bezug amor – pulchritudo, sondern amor – connexio rerum, […]“ (Leinkauf [1989], 290 – 291). 224 Empedokles bei Ficino z. B. in De amore, oratio tertia, c. II, 24v-25r/162 – 163/1329. Zustzlich kann Cudworth so die bereits explizierte Typisierung von Empedokles zu einer Art Scharnierfigur, die in System I, 26 – 57 erfolgt ist, aufnehmen und ergnzen.

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

4.3.4 Cudworths Empedokles: Neuplatoniker und Magier Empedokles ist also fr die Darstellung der plastic nature als Naturgesetz in der Digression von großer Bedeutung. Er dient Cudworth unter der Perspektive einer neuplatonisch fundierten philosophia perennis dazu, als ebenso prominenter wie ursprnglicher Vertreter der wahren offenbarten Lehre die Thesen zu legitimieren und zu autorisieren, die Cudworth selber im System in der Auseinandersetzung mit Descartes Naturgesetzbegriff sowie Glissons und Conways Materiekonzeption entwickelt. Diese Autorisierung gelingt jedoch nur aufgrund einer hoch selektiven und argumentationsspezifischen Konstruktion der Empedoklesfigur anhand zweier Texte neuplatonischer Provenienz und auf der Grundlage des von Plotin in Enneade IV 4, 39 beschriebenen magischneuplatonischen Weltbildes. In der nun zu betrachtenden frhen ersten Konstruktionsphase, die die Verwendung des Plotintextes an spterer Stelle wesentlich vorbereitet, gelingt es Cudworth erneut, Empedokles in Bezug zu dem Zitat aus De mundo zu setzen und ihn als Vertreter eines auf der neuplatonischen Metaphysik aufbauenden Weltbildes herauszustellen. Dazu gehçrt gleich zu Beginn, die bei Empedokles klar unterschiedenen Wirkgrçßen vik¸a und me?jor ineins zu setzen und als eine, sogar als „the [Hervorh. L. B.] !qwμ dqast¶qior, the [Hervorh. L. B.] ,active principle and immediate operator in this lower world“ zu bezeichnen, eben als plastic nature nach dem Vorbild der d¼malir aqtoO aus De mundo. Mçglicherweise nimmt Cudworth, wenn er den me?jor in der vik¸a aufgehen lsst, berlegungen Giordano Brunos auf, der in seinen magischen Werken mehrfach hervorhebt, dass der Streit eine Form der Liebe und in ihrer bindenden Kraft aufgehoben sei:225 Die mchtigste Fessel von allen ist die der Venus und ihrer Gattung gemß, die der Liebe, auf deren Gleichheit und Einheit sich die Fessel des Hasses an erster Stelle und wiederum als mchtigste bezieht. Wie wir nmlich das eine aus Gegenbergestelltem und Gegenstzlichem der Gattung gemß lieben, so hassen und verschmhen wir folglich das jeweils andere. Diese zwei Affekte und schließlich dieser eine Affekt, welcher die Liebe ist, herrscht in allem (in seiner Substanz ist der Hass eingeschlossen), herrscht ber alle und erregt sie, lenkt sie, bringt sie in Bahnen und mßigt sie. […] Die Fessel der Fesseln ist freilich die Liebe.226 225 System I, 228 – 229. Zu dieser Identifikation trgt zudem bei, dass Cudworth in diesem Zusammenhang die Annahme von zwei Wirkformen in der (Natur-)Philosophie des Empedokles als Dualismus zurckweist und Liebe und Streit – nach Vorgabe Brunos – unter Heranziehung Plotins in System I, 230 mit einem kºcor, einer 5jkalxir aus Nous und Weltseele gleichsetzt (III 2, 16, 15: „5jkalxir 1n !lvo?m, moO ja· xuw/r […]“). 226 Giordano Bruno, De vinculis in genere: de vinculo Cupidinis et quodammodo genere, Art. 16: „Vinculum omnium potissimum est Veneris et secundum genus amoris, ad cuius aequalitatem et unitatem odii vinculum primo atque potissimum refertur. Quantum quippe unum oppositorum et contrariorum secundum genus amamus, tantum alterum

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe

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In diesem Kontext kçnnte man also von einer Art systematisierender Fokussierung sprechen, die es Cudworth erlaubt, durch die „Optik“ der bereits von Bruno vollzogenen Transformation Empedokles durch die Konzentration auf die vik¸a als alleinige Wirkgrçße in seine magisch-neuplatonisch fundierte Argumentation einzubauen. Das Sympathie-stiftende innerweltliche Wirken der damit zur vik¸a konkretisierten d¼malir bzw. plastic nature beschreibt Cudworth entsprechend mit einem Zitat aus Plotin III 2, 16, 32 – 40: And as this plastic nature is a thing, which seems to be in itself most reasonable, so hath it also had the suffrage of the best philosophers in all ages. […] Moreover, before Plato, Empedocles philosophized also in the same manner, when supposing two worlds, the one archetypal, the other ectypal, he made vik¸a and me?jor, “friendship” and “discord”, to be the !qwμ dqast¶qior, the “active principle” and “immediate operator” in this lower world; he not understanding thereby, as Plutarch and some others have conceited, two substantial principles in the world, the one good, the other of evil, but only a plastic nature, as Aristotle in sundry places intimates: […] (System I, 226 – 228) Which latter is a notion that Plotinus, describing this very seminary reason or plastic nature of the world, (though taking it in something a larger sense than we do in this place) doth ingeniously pursue after this manner: )mtihe·r d³ !kk¶koir t± l´qg, ja· poi¶sar 1mde÷, pok´lou ja· l²wgr s¼stasim ja· c´mesim eQqc²sato7 ja· ovtyr 1st·m eXr p÷r, eQ lμ 4m eUg7 cemºlemom c±q 2aut` to?r l´qesi pok´liom, ort_r [sic] 4m 1sti ja· v¸kom, ¦speq #m eQ dq²lator kºcor eXr, b toO dq²lator, 5wym 1m aqt` pokk±r l²war7 t¹ l³m owm dq÷la t± lelawgl´ma oXom eQr l¸am "qlom¸am %cei s¼lvymom. ®r te l÷kkom %m tir t0 "qlom¸ô t0 1j lawol´mym eQj²seie, “The seminary reason or plastic nature of the universe, opposing the parts to one another, and making them severally indigent, produces by that means war and contention. And therefore, though it be one, yet notwithstanding it consists of different and contrary things. For there being hostility in its parts, it is nevertheless friendly and agreeable in the whole; after the same manner as in a dramatic poem, clashings and contentions are reconciled into one harmony. And therefore, the seminary and plastic nature of the world may fitly be resembled to the harmony of disagreeing things.” Which Plotinic doctrine may well pass for a commentary upon Empedocles, […] (System I, 230).227 consequenter odimus atque spernimus. Duo hi affectus, et tandem unus ille affectus, qui est amor, omnibus dominatur (in cuius substantia includitur odium), super omnes dominatur et eos erigit, dirigit, regulat et moderatur […] vinculum quippe vinculorum amor est“ (bs. Samsonow [1995], 224 – 225; Opera Latine conscripta, 696 – 697 [97 r]). Vgl. auch den Kommentar zu De la causa, ed./bs. Leinkauf (2007), 514: Auch hier werden Liebe und Hass als „Modifikationen einer basalen, allgemeinen Form von Liebe“ angesehen, auch hier kann also Hass in der Liebe aufgehoben werden. 227 Flores (2008), 142 beobachtet, dass Cudworth in seiner bersetzung die Wendung “or plastic nature” frei ergnzt, da sie im Griechischen keine Entsprechung besitzt. Ihr ist zuzustimmen, dass Cudworth damit den gesamten Passus besser in seine Argumentation einfgt und so seine eigene These eindrucksvoll sttzen kann. Zugleich ist diese Ergnzung ein Hinweis auf die Haltung projektiver Identifikation, aus der heraus Cudworth seine eigenen “Ideen […] im fremden Objekt [d. h. in diesem Fall in Plotins Wendung b kºcor aus III 2, 16, 28 – 29] wiedererkennt” (Antrag SFB 644 [2008], 39).

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

Mit diesem Text nimmt Cudworth zum einen implizit Bezug auf die Staats- und Ordnungsvorstellungen der Analogie aus De mundo und auf die mit ihr verbundene Metaphysik, die er in neuplatonischer Hinsicht expliziert.228 So untermauert er seine mçglicherweise von Bruno bernommene und mit der christlichen Vorstellung eines gtigen Gottes besser zu vereinbarende Ansicht, dass eine harmonische Ordnung gegenstzlicher Naturdinge nur als Resultat des Wirkens einer grundstzlich harmonisierenden Kraft, der vik¸a, erklrt werden kann. Zum anderen verbindet er durch beinahe wçrtliche (und auch thematische) Anklnge des Zitats aus Enneade III 2, 16 an Formulierungen Plotins in IV 4, 39 bereits jetzt die Figur des Empedokles und dessen Wirkgrçße der vik¸a mit den metaphysischen Hintergrundannahmen aus IV 4, die das ebenfalls auf Empedokles zu beziehende Plotin-Zitat in System I, 250, das bereits erçrtert wurde, fundieren und tragen.229 Auf diese Weise gelingt es Cudworth, den Eindruck zu vermitteln, als sei die vik¸a des Empedokles mit dem innerweltlich wirkenden und magiekonstituierenden sowie einen sympathetischen Zusammenhang ausbildenden kºcor aus Enneade IV 4 gleichzusetzen und somit Empedokles tatschlich ein frher Vertreter der von Cudworth favorisierten Lehre hinsichtlich der Naturgesetze als intelligibler Formkrfte. Er insinuiert somit, dass die Empedokleische vik¸a ebenso wie die d¼malir aus De mundo als dynamische Vermittlerin intelligibler Strukturen und damit als naturgesetzhafte Kraft anzusehen sei. Um genau diesen Punkt bereits an dieser frhen Stelle in seiner Argumentation zu plausibilisieren und damit seine weiteren Ausfhrungen zu fundieren, fhrt Cudworth desweiteren ein bemerkenswertes Textstck aus Simplikios an,230 in dem Empedokles als Vertreter der platonischen ZweiWelten-Lehre bezeichnet wird:231

228 Die Entsprechungen zwischen III 2, 16 und De mundo erfolgen allerdings nicht auf der Ebene der sprachlichen Anklnge, sondern auf der der Vorstellung einer bergeordneten, sich immanent geltend machenden Ordnung, die insgesamt ausgleichend und harmonisierend wirkt. 229 […] eQr l¸am "qlom¸am %cei s¼lvymom [Hervorh. L. B.] aus III 2, 16, 37 – 38 entspricht nmlich p²mtym bd` oXom aqtol²t, eQr sulvym¸am [Hervorh. L. B.] wyqo¼mtym in IV 4, 39, 16 – 17. Neben dieser deutlichen Korrespondenz lassen sich noch weitere, eher inhaltliche Bezge entdecken: )mtihe·r d³ !kk¶koir t± l´qg (III 2, 16, 32) – j#m !p 1mamt¸ym Ug (IV 4, 38, 18); ®r te l÷kkom #m tir t0 "qlom¸ô t0 1j lawol´mym eQj²seie (III 2, 16, 40) – p²mta d flyr haulastμm tμm sulvym¸am 5wei […] j#m !p 1mamt¸ym Ug (IV 4, 38, 17 – 18). Auch die Auslassung, die Cudworth in seinem Zitat von III 2, 16 vornimmt – es „fehlt“ das Textstck von oXom […] l²wg – erleichtert die innertextliche Bezugnahme auf IV 4, da auf diese Weise der Gedanke der umgreifenden Harmonisierung strker in den Vordergrund gerckt wird. 230 Simplikios, In Aristotelis quattuor libros de caelo commentaria, 294 (= CAG 7; ed. Heiberg, Berlin 1894). 231 Bereits bei Simplikios ist dabei eine interessante Transformation zu beobachten, die Cudworths Verwendung dieses Textes erst ermçglicht. Offenbar versteht Simplikios den

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe

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Which Plotinic doctrine may well pass for a commentary upon Empedocles, accordingly as Simplicius briefly represents his sense: 9lpedojk/r d¼o jºslour sum¸stgsi, t¹m l³m Bmyl´mom, ja· mogt¹m, t¹m d³ diajejqil´mom ja· aQshgt¹m ja· 1m to¼t\ jºsl\ tμm 6mysim bqø ja· di²jqisim, “Empedocles makes two worlds, the one united and intelligible, the other divided and sensible; and in this lower sensible world, he takes notice both of unity and discord” (System I, 230 – 231).

Es ist anzunehmen, dass Cudworth von einer Parallelisierung von 6mysir und di²jqisir bei Simplikios mit vik¸a und me?jor bei Empedokles ausgeht. Nachdem er bereits die Zitate aus De mundo und aus Plotin III 2, 16 angefhrt hat, die er ihrerseits aufgrund der ebenso inhaltlichen wie sprachlichen Korrespondenzen in einem Zusammenhang mit seinen naturphilosophischen Anstzen sieht, die auf der magiebegrndenden Metaphysik aus Enneade IV 4 aufbauen, ist hier anzunehmen, dass er Simplikios so versteht und verstanden sehen mçchte, dass die irdische 6mysir als Resultat des Wirkens der vik¸a die abschließende Wirkung des kosmogonischen, vermittelnden Eros ist und damit als Abbild der noetisch-gçttlichen Einheit betrachtet werden kann. Folglich vermittelt die vik¸a zwischen dem intelligiblen Kosmos und der stofflichen Welt, in der sie Zusammenhalt und Sympathie hervorbringt und erhlt, wie Cudworth es mit dem direkt vorgeschalteten Zitat aus Enneade III 2, 16 ausgefhrt hat. Durch diese kombinierende und verschrnkte Argumentation wird der Eindruck erweckt, Empedokles sei tatschlich als Platoniker ausgewiesen, so dass Cudworth von dem Plotinzitat aus Enneade III 2, 16 behaupten kann, man kçnne es geradezu als Interpretation und Kommentar zu Empedokles verstehen. Damit ist Empedokles unter Benutzung von nur zwei Zitaten aus neuplatonischem Kontext und unter mçglicher Orientierung an einer Konzeption, die sich u. a. bei Giordano Bruno findet, zu einem neuplatonischen Philosophen und Magier geworden, wodurch das Alter der von Cudworth favorisierten neuplatonischen Naturphilosophie bis auf Empedokles zurckgefhrt und zugleich in der Transformation der Empedoklesfigur eine den eigenen Bedrfnissen entsprechende antike Philosophie bzw. Philosophiegeschichte entwickelt wird.232 Cudworth kann schließlich auf diese Empedokleskonstruktion mit dem Zustand der Welt, „wenn er von der Liebe geordnet wird“ (Fragment 357 Kirk/Raven/ Schofield), den „sich selbst gleichen“ Sphairos (Fragment 357 Kirk/Raven/Schofield) als jºslor mogtºr, d. h. als den intelligiblen Bereich des Nous, whrend er den Zustand derselben Welt, in dem Bewegung und Trennung herrschen, mit der stofflichen Welt gleichsetzt. Er versteht also die verschiedenen Phasen in der Entwicklung ein- und derselben Welt oder von Kçrpern in der Welt, nmlich unserer stofflichen Welt, als Ausdruck bzw. Darstellung zweier vollstndig verschiedener Ebenen in der platonischneuplatonischen Ontologie. 232 Vgl. Brunos Differenzierung der verschiedenen Arten von Magie in De Magia. Empedokles wre dann der vierten Art von Magie zuzuordnen, der „eigentlich natrlichen Magie“: „Die vierte [Art Magie] arbeitet mit der Antipathie und der Sympathie in der Kraft der Dinge, die durch das, was treibt, verwandelt und anzieht, wie z. B. die Kraft des Magneten und hnliches, deren Werke nicht auf die aktiven und passiven Qualitten

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

dritten Zitat zu Empedokles aus neuplatonischem Kontext zurckgreifen, wenn es an der spteren zentralen Stelle in System I, 250 nicht nur darum geht, naturgesetzhaftes Wirken als magisches Wirken einer stoisch angereicherten neuplatonischen Anziehungs- und Formkraft zu erklren, sondern wenn es ebenso darum geht, dieses Naturgesetzmodell in den traditionellen Termini eines von der vik¸a geprgten Sympathiezusammenhangs zu autorisieren und zu legitimieren. Mit der in seiner Argumentation recht frh erfolgten Kombination der Texte aus Plotin und Simplikios mit der bei Plotin explizierten und in den Magiekonzepten prominent gemachten Vorstellung der berordnung der vik¸a/ 6mysir ber den Streit (me?jor/di²jqisir), aus der die organische Einheit und Harmonie der Welt resultiert, ist nmlich das Fundament fr die gesamte folgende Argumentation gelegt. Da diese Harmonie eine „Gesamtverknpfung [Hervorh. L. B.] der gezeugten und immer wieder neu erzeugten Dinge“233 ist, korrespondiert ihr die Sympathie, von der Plotin in dem grundlegenden Text IV 4, 40, 1 – 6 spricht, der seinerseits von Cudworth in System I, 250 zitiert wird. Denn hier wie dort wirken Formkrfte durch Anziehung auf und zwischen den stofflichen Teilchen der Materie. Und es sind diese „Zugkrfte“, die die organisch vorgestellte Weltganzheit aufgrund einer durch eine bergeordnete Kraft vorgegebenen Sympathiestruktur aktualisieren,234 denn sie wirken zugleich innerweltlich und gesetzmßig, d. h. strukturrealisierend, indem sie die Atome bewegen. So kçnnen diese Formkrfte gleichzeitig das Wirken von Magie erklren. Cudworth kann daher nach einer im wesentlichen neuplatonisch geprgten Erçrterung der plastic nature im Vorausgehenden anschließend in System I, 250 bruchlos nochmals in ebenfalls neuplatonisch vermittelter Form auf Empedokles zurckgreifen. Dies hat den Zweck, die gesamte zwischen System I, 231 – 250 vollzogene Argumentation, die in eine Konzeption der plastic nature als d¼malir und habitueller 1m´qceia tewmij¶ mndete, als Explikation einer bereits vorsokratischen Lehre in der Figur des Empedokles zusammenzufassen, durch ihr vermeintlich hohes Alter positiv abzusetzen und in den drei Adverbien „magically“, „fatally“ und „sympathetically“ zu bndeln. Die drei Adverbien entwickeln vor diesem Hintergrund durchaus und entgegen der Kritik Mosheims eine „dezidiert festgelegte und bestimmte Aussagekraft“. Auch die von Mosheim in System I, 230 Anm. 7 so scharf kritisierte Verwendung der Texte von Plotin und Simplikios lsst sich unter transformationstheoretischer Perspektive in den Zusammenhang von Cudworths Argumentation sinnvoll einordnen und nachvollziehen, denn in diesen Zitaten erklrt Cudworth, wie das Wirken der plastic nature entsprechend ihrer Konzeptionierung als reduziert werden, sondern im Ganzen auf einen Geist oder auf eine Seele, die in den Dingen existiert. Diese Magie wird die eigentlich natrliche Magie genannt“ (bs. Samsonow [1995], 115). 233 Plotin, Enn. III 2, 15, 2 – 3. 234 Vgl. dazu Plotin, Enn. VI 7, 7, 8 – 16.

4.3 Die Wirkweise der plastic nature: Naturgesetze, Magie und Liebe

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d¼malir tqeptij¶ und 1m´qceia tewmij¶ auf der Ebene der Atompartikel nherhin erklrt und verstanden werden kann.235 Zusammenfassend lsst sich an Cudworths Entwicklung seines Konzepts der plastic nature und an seinem mit dieser Entwicklung verbundenen Gebrauch antiker Referenztexte aus transformationstheoretischer Perspektive Folgendes beobachten: Cudworths Gebrauch antiker Texte erfolgt im Modus der integrierenden Identifikation als einer Introjektion. Seine grundstzliche Annahme einer philosophia perennis und der damit wesentlich verknpften Aspekte der pia philosophia und einer prisca theologia sichert die Idealitt der von ihm herangezogenen antiken Autoren, die er in einem autorisierenden Gesamtzusammenhang sieht und die er folgerichtig zur Stabilisierung seiner eigenen Position funktionalisiert, z. B. durch die wiederholte Berufung auf Empedokles als einer naturphilosophischen Autoritt. Diese Introjektion konkretisiert sich weitergehend in den Modi der Adaption und Systematisierung, in deren Vollzug Cudworth die einzelnen Lehrstcke aus der Antike seinen Ansprchen folgend bearbeitet und zugleich zum Zweck der stabilisierenden Orientierung in einer von ihm aufgrund ihres Atheismus als bedrohlich empfundenen naturphilosophischen und naturwissenschaftlichen Debatte weiterentwickelt und dem Diskurs zur Verfgung stellt. Dabei werden die einzelnen Texte in einen neuplatonisch fundierten, systematisierenden Zusammenhang eingefgt. Auf diese Weise stellt Cudworth einen sowohl zeitlichen als auch thematischen Kontinuittszusammenhang her zwischen der durch ihn spezifisch perspektivierten Antike und dem eigenen, zeitgençssischen Diskursfeld. Im Rahmen dieser Anknpfungsbemhungen unterzieht er die antiken Versatzstcke folgenden, bisher festzustellenden Transformationstypen: Der Typus der Kombination ermçglicht es ihm, spezifische Semantiken zu hybridisieren und umzudeuten, wie es z. B. an seinem Umgang mit stoischen oder vorsokratischen Texten beobachtet werden konnte. Diese Kombinationen verschiedenster Textstellen und -auszge werden z. T. erst mçglich durch eine dem Argumentationsverlauf und den Argumentationszielen folgende Fokussierung und Selektion aus dem vorhandenen Textmaterial. Diese Transformationen wiederum ermçglichen es Cudworth, eine extrem große Zahl verschiedener antiker Anstze und Lehren harmonisierend in seinen eigenen Systementwurf zu implementieren und sie so in der zeitgençssischen Diskussion produktiv zu machen, z. B. indem er der von ihm als atheistisch eingeschtzten Position Glissons seine u. a. aus Empedokles, Plotin, Diogenes Laertios bzw. Zenon und 235 Vgl. dazu die Rckfhrung der Magie auf das Plotinische Sympathiekonzept, die Gurtler, in Wagner (2002), 258 f. liefert: „[Plotinus] can now rob magic of its magic by making it like any other power operative in the universe that attracts or repels, merely another illustration of Empedocles reduction of all things to the interplay of love and strife.“

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4. Die plastic nature: Immanentes Wirken der gçttlichen, transzendenten Ursache

magischen Vorstellungen herausprparierte Lehre von plastic nature und Materie entgegensetzt. Gegen die reduktionistischen Atomisten (Hobbes) entwickelt er seine plastic nature derart, dass sie – in den Grenzen seines Systemdenkens – in ihrer Abhngigkeit und Abbildlichkeit notwendig auf Gott als auf ihren Ursprung zurckverweist. Daher ist es konsequent, wenn Cudworth im Folgenden der systematischen Exposition des Gottesbegriffs breiten Raum einrumt. Eines Gottesbegriffs, der sowohl die Argumente der Atomisten und Atheisten widerlegen soll als auch den bereits skizzierten Ansprchen des eigenen Systems und denen der von Cudworth vertretenen Form des Protestantismus gengen muss. Diese Bedingungen bestimmen weiterhin Cudworths transformierenden Umgang mit der Antike.

5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott als liebendem Ursprung der Welt Der systembildende Rahmengedanke der philosophia perennis bestimmt auch Cudworths Vorgehen in Kapitel 4 seines System. Dort unternimmt er es, ausgehend von der Prmisse, die monotheistische Vorstellung eines Gottes, der sich durch Einheit, Liebe und eine neuplatonisch modifizierte Allmacht auszeichnet, fnde sich als eine Art natrlicher Idee in allen Kulturen, eben diese Gottesvorstellung in Form einer „diligent inquiry into the true and genuine sense of this Pagan polytheism“1 bei allen aus der Tradition bekannten Vertretern des antik-paganen Heidentums herauszustellen.2 Zu analysieren ist, wie Cudworth in diesem Kapitel verfahren wird, um diese Sinnebene freizulegen. Dabei ist bei der Interpretation seiner Verfahrensweisen zugleich zu beachten, was sich aus Cudworths Darstellungen an Einsichten fr die metaphysische Systematik seines System ergibt, um vor diesem Hintergrund die Wechselwirkungen und verschiedenen Konfigurationen von Neuplatonismus und Atomismus zu erçrtern. Die zu beobachtende integrierende Transformation der antiken Textzeugnisse durch Cudworth, verstanden als Einformung in den Argumentationszusammenhang, wird dabei ergnzt durch eine Transformation, die man als „bersetzungsversuch der scientia de divinis in die Sprache der Ratio“ bezeichnen kçnnte. Das Charakteristikum dieser transformierenden bertragung ist darin zu sehen, dass Zeugnisse der prisca theologia zu wissenschaftlichen Beobachtungen in Bezug gesetzt werden.3 Entsprechend entwickelt Cudworth aus den verschiedensten antiken Referenztexten in diesem Kapitel gleichsam propdeutisch die wesentlichen Aspekte seines Gottesbegriffs, der immer auch 1

2

3

System I, 320. Mçglicherweise folgt Cudworth damit dem von Herbert of Cherbury vorgeschlagenen hermeneutischen Vorgehen, Idolatrie als Verehrung der verschiedenen Manifestationsformen Gottes zu verstehen, die auf diese Weise mit dem Glauben an einen einzigen Gott vollstndig vereinbar bleibt. Zu Cherburys „Methode“ siehe Pailin, in Hedley/Hutton (2008), 98 f. Zur Thematisierung des Phnomens, dass „ein und derselbe Gott unter verschiedener Gestalt verehrt [wird]“ bei Ficino und Nikolaus von Kues siehe u. a. Leinkauf (2002), 38 – 39. Cudworth entwickelt seine Ausfhrungen wahrscheinlich vor einem spezifisch protestantischen Horizont, wie ihn z. B. Melanchthon in seiner Schrift Theologia naturalis entfaltet; zu Melanchthon s. Frank (2003), 227 – 229. Vgl. dazu ebenso Cudworths Unterscheidung zwischen einer „artificial idea of God“ und dem „true sense of the Pagan polytheism“, der „mystery“ dieses Polytheismus in System II, 144 – 145. Siehe Bleuel Puliafito, in Mulsow (2002), 241.

208 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott als Prinzipienbegriff seiner systematischen Naturphilosophie fungieren und in der Konkurrenz mit anderen zeitgençssischen ebenfalls naturphilosophisch funktionalisierten Gotteskonzeptionen bestehen kçnnen muss. Cudworth selbst nennt diese spezifische Form der Auseinandersetzung mit den antiken Referenztexten daher ausdrcklich eine „Philosophy of Religion“.4 Zu Beginn seiner umfassenden religionsphilosophischen Behandlung der antiken Religion5 nennt Cudworth das theologisch gewendete Ziel seiner Mhen: Er mçchte dem Vorwand der Atheisten begegnen, es gbe keine den Menschen gemeinsame Vorstellung (idea) von der Natur Gottes und mithin auch keinen real existierenden Gott6 bzw. keinen berzeugenden Beweis fr dessen Existenz. Daraus ergibt sich konsequent das im Rahmen der prisca theologia umzusetzende Programm: die ursprngliche, allen Menschen gemeinsame Idee Gottes aus den zur Verfgung stehenden Texten der Antike abzuleiten, wobei die Texte besondere Aufmerksamkeit bekommen, die von dieser Idee bzw. Cudworths latitudinarischem Konstrukt dieser Idee auf den ersten Blick besonders stark abzuweichen scheinen. Zugleich gilt es, diese Idee von Gott so zu strukturieren, dass Gott, als metaphysisches Prinzip, den Erfordernissen des System gengt. Das bedeutet an dieser Stelle des System zweierlei: Sowohl die Konstruktion einer mçglichst viele antike Philosophen und Dichter umfassenden Religionstradition als auch die Hinfhrung zu seinem eigenen Gottesbegriff vermittels der Explikation seiner verschiedenen Aspekte anhand der entsprechenden antiken Texte, wobei deren systematische Zusammenfhrung erst im sich anschließenden Kapitel erfolgt. Entsprechend muss sich Cudworth mit der Frage auseinandersetzen, wie sich die Vielheit der anderen antiken Gçtter zu diesem ebenfalls als Gott bezeichneten ersten einheitlichen Prinzip verhlt. Klar ist zunchst nur, dass sie ihm nicht ebenbrtig als selbstexistente Prinzipien beigeordnet sein kçnnen.7 Cudworth nimmt allerdings weiterhin an, dass hinter dem heidnischen Polytheismus eine gemeinsame (bekannte) Vorstellung stehe: die der einen gçttli4

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System I, preface to the reader XXXVII. Vgl. dazu Frank (2003), 263 – 281. Diese Stelle widerlegt klar die Einschtzung von Powicke (1926/1971), 196, dass die Cambridge Platonists kein Interesse an Religionsphilosophie gehabt htten. Vgl. auch System I, preface to the reader XLIV. Cudworth scheint sich mit einer Position auseinanderzusetzen, die er in System I, 108 anfhrt und die Mosheim in Anm. 3 zu dieser Seite auf Hobbes bezieht. Vgl. System I, 318 – 321, 359 u. ç. D. h. Cudworth versucht festzustellen, was die antiken Schriftsteller unter dem Plural des Begriffs „Gott“ wirklich verstanden, er sucht somit eine Tiefensemantik, die unter der mythologischen Oberflche den monotheistischen Sinn ausmacht. Bereits Herbert of Cherbury macht sich semantische Differenzierungen hinsichtliches des Begriffs „God“ zum Zweck integrativer Bestrebungen zunutze und legt Kriterien fest, nach denen zu beurteilen ist, ob mit „Gott“ tatschlich der EINE Gott aller Menschen gemeint ist und nicht irgendwelche untergeordneten Entitten; siehe Pailin, in Hedley/Hutton (2008), 97.

5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott 209

chen Kraft, die sich im Durchwalten der Welt lediglich verschiedenartig expliziert und manifestiert. Diese Manifestationen, allesamt abhngig von der ersten Ursache, dem einen Gott, sind dann die Gçtter, deren literarische Klassifikation nach den antiken Schemata Cudworth auf den Seiten 361 – 365 des vierten Kapitels des System ausfhrt.8 Diese literarische Ausdeutung der Semantik des Begriffs „Gçtter“, die darauf abzielt, in den Gçttern und ihren Darstellungen in literarischen Texten personifizierte Naturphnomene zu sehen,9 gengt Cudworth allerdings nicht. Vielmehr wendet er seine Deutung im Sinne integumentaler Hermeneutik10 ins Metaphysische und greift dabei eine aus der Darstellung der plastic nature bereits bekannte Begrifflichkeit auf: „[…] these were all really nothing else but so many several names and notions of that one Numen, divine force and power, which runs through the whole world, multiformly displaying itself therein“.11 Cudworth kann sich hierbei sowohl an der Auslegepraxis der Patristik als auch direkt an einer bereits vertrauten Vorstellung Plotins orientieren, mit der Plotin in Enneade VI 4, 3 das Problem der ungeteilten Anwesenheit des Seienden als Ganzem berall in der Welt metaphysisch zu lçsen versucht: Das Seiende ist anwesend ber die dum²leir d³ !p aqtoO Q´mai 1p· p²mta, die in der Form ihrer Anwesenheit mit dem ganzheitlichen Dasein des Lebens im Organismus analogisiert werden. Zugleich kann Cudworth in diesem Kontext die u. a. von Cusanus entwickelte und von Athanasius Kircher bernommene Vorstellung der varietas der Welt aufgreifen, die, verstanden als „Selbstexplikation Gottes“ immer in dessen Einheit grndet und auf sie zurckgefhrt werden kann. Und er kann diese Vorstellung poetologisch-hermeneutisch funktionalisieren.12 Cudworth versteht also auch in diesem hermeneutischen Kontext die ebenso ursprngliche wie urbildliche erste Ursache in ihrer weltdurchwaltenden Funktion und Form als „force“ und als „power“,13 d. h. in den bekannten Begriffen neuplatonischer Metaphysik, und es ist diese philosophische, metaphysische Erklrung, die den Kern ausmacht, um den herum die figmenta der 8 Hier sind von besonderem Interesse das pqosopypoie?m und das sylatopoie?shai in System I, 365. 9 Siehe System I, 364 – 366, bes.: „[…] speak of the things in [Hervorh. L. B.] nature […] those figments […] are really nothing else but the things of nature“ (365 f.). 10 Siehe dazu unten das Kapitel „Metaphysik in der Dichtung – Cudworth und die integumentale Hermeneutik […]“. 11 System I, 365. 12 Zur varietas und der unitas in pluralitate bei Cusanus und Kircher s. Leinkauf (1993), 86 – 87 und 357. Bereits bei Alberti korrespondiert die Mannigfaltigkeit der Natur der varietas als knstlerischem Wert, verbunden mit der Aufforderung an den Menschen zur Gottes- und Prinzipienerkenntnis, zur Erkenntnis Gottes als „Einheitsprinzip“, s. Gosebruch (1957), 230 – 231. 13 U. a. in System I, 364, 365, 368.

210 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott Dichter und paganen Theologen gehllt wurden14 und auf dessen wiederholte Freilegung und Besttigung es Cudworth ankommt. Wie sich dieser „Kern“ des metaphysischen Inhalts unverhllt darstellt, zeigt Cudworth an einem Zitat aus Maximus Madaurensis in System I, 455 f.: As for those other philosophers and learned men, who, in those latter times of the declining paganism, after Constantine, still stood out in opposition against Christianity; such as Jamblichus, Syrianus, Proclus, Simplicius, and many others, it is unquestionably evident concerning them all, that they clearly acknowledged one supreme Deity as the original of all things. Maximus Madaurensis,15 a confident and resolved Pagan in St. Austins time, expressed both his own and the general sense of Pagans after this manner: Equidem unum esse Deum summum, sine initio, naturae ceu patrem magnum atque magnificum, quis tam demens, tam mente captus neget esse certissimum? Hujus nos virtutes per mundanum opus diffusas [Hervorh. L. B.] multis vocabulis invocamus, quoniam nomen ejus cuncti proprium videlicet ignoramus. […] “Truly that there is one supreme God, without beginning, as the great and magnificent father of nature; who is so mad or devoid of sense as not to acknowledge it to be most certain? His virtues diffused throughout the whole world [Hervorh. L. B.] (because we know not what his proper name is) we invoke under many different names.

Der literarischen Verhllung bzw. Diversifizierung der einen Gottheit durch pqosypopoie?m und sylatopoie?shai16 in eine Vielheit von Gçttern entspricht also ausdrcklich der metaphysische Vorgang der Entfaltung der einen gçttlichen Kraft in die Vielheit verschiedener, ihr nachgeordneter Form- und Strukturkrfte, die die stoffliche Welt wirkend durchziehen und zu einer organologischen Einheit zusammenfgen.17 Wie Gott zuerst alles in sich verbirgt, um dann durch die manifeste Vielheit, aber auch nur durch sie und nicht direkt, erkennbar zu werden, so lassen die antik-paganen – und die gyptischen – Dichter und Theologen die Verstndigen doch die eine gçttliche Kraft andeu-

14 System I, 364 – 369 und bes. 576 – 578. Die literarische Methode entspricht der Notwendigkeit, Gottes wahres Wesen verhllen zu mssen, um es erkennen zu kçnnen. 15 Schon die Auswahl dieses Autoren, der in seinem Briefwechsel mit Augustinus einen Ausgleich zwischen heidnischer und christlicher Gottesvorstellung vorschlgt, ist sprechend fr Cudworths harmonisierendes und integratives Gottesbild, das er auch in der Antike sucht. 16 System I, 365. Vgl. auch heopoieh´mta in System I, 379 und 614: Der Polytheismus wird auf einen literarischen Kunstgriff reduziert und damit vom „wahren Glauben“ abgekoppelt und sekundr. 17 Dieses Verfahren entdeckt Cudworth auch bei Platon: System I, 379. Vgl. auch System II, 144 f.: Hier sieht Cudworth in diesem, den antiken Theologen zugeschriebenen Vorgehen des Verhllens bzw. Vergçttlichens einzelner, abhngiger Gottesmanifestationen die Erklrung fr das „mystery of the Pagan philosophy“.

5.1 Ein konstruierter Monotheismus

211

tungsweise hinter ihren polytheistischen figmenta/velamina erkennen oder erahnen.18 Diese grundlegende Konvergenz zwischen literarischer Ttigkeit, metaphysischem Systemdenken und gnoseologischer Bewegung des „glubigen“ Lesers/Naturbetrachters korrespondiert mit Cudworths Annahme, alle polytheistischen Beschreibungen in den erhaltenen Theogonien seien nichts anderes als Kosmogonien in dem Sinne, dass in den Theogonien das Verhltnis zwischen der gçttlichen ersten Ursache und allem von ihr Bewirkten, d. h. schließlich auch des Kosmos, beschrieben werde. Fr eine Transformationsanalyse ist in diesem Zusammenhang besonders der Begriff des peqi´weim entsprechend deshalb von Interesse,19 weil Cudworth ihn zudem funktionalisiert, um die verschiedenen antiken Theologien in den systematischen Zusammenhang eines allen gemeinsamen Gottesbildes bzw. einer allen gemeinsamen Prinzipienvorstellung zu stellen. Auf der Ebene des System als Intertext bedeutet dies, dass er peqi´weim benutzt, um eine Interferenz zueinander passender antiker Texte zu konstruieren und zu inszenieren. In einer Art „Cento-Systematik“ gelingt es Cudworth derart wiederholt, eine systematische Kontinuitt durch gezielte Wiederholungen inhaltlicher Motive und/oder terminologischer Begriffe in den Kombinationen der von ihm ausgewhlten Texte herzustellen. Auf diese Weise konstruiert er sowohl sein eigenes System als auch seine eigene Antike, die ihrerseits sein Werk und seine Position legitimiert. Der kombinatorische Bau mit den Zitaten ist damit zugleich immer der Bau des Eigenen wie des Antiken – allelopoietische Transformation.

5.1 Ein konstruierter Monotheismus: Cudworths Umgang mit antik-paganen Texten und sein systematischer Gehalt Der Darstellung von Cudworths Konstruktion des Gottesbegriffs eines von ihm unterstellten antik-paganen Monotheismus kann erneut und ergnzend zum Vorausgehenden die knappe Gottesdefinition aus System I, 316 zugrunde gelegt werden, der zufolge Cudworth den antiken Gott bestimmt hat als „a being absolutely perfect, by adding thereunto (to make it particular) ,such as infinitely 18 System I, 365. Vgl. dazu Beierwaltes (1998), 47, der die „Zusammenfhrung der platonisch-neuplatonischen Begriffsentwicklung mit der als uralte ,Offenbarungsreligion erscheinenden religiçsen berlieferung“ ebenfalls im hierarchischen Seinskontinuum des Neuplatonismus begrndet sein lsst, so dass „jede Stufe des Seins innerhalb des Ganzen [..] mit einem jeweils bestimmten, mit mythologischem Namen nennbaren Gott identisch [ist]“. 19 Zum terminologisch gebrauchten peqi´weim s. u. S. 222 mit Anm. 46.

212 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott good, wise, and powerful, necessarily existing, and not only the framer of the world, but also the cause of all things“. Sie enthlt nmlich alle wesentlichen Aspekte, die Cudworth aus den verschiedensten antiken Referenztexten gezielt auswhlt, um einen Gottesbegriff zu entwickeln, der seine eigene, sowohl trinitarische wie naturphilosophisch relevante Gottesvorstellung vorbereitet und grundlegt: „good“ und „wise“ verweisen dabei auf die Binnenstruktur des ersten Prinzips/Gottes, die Cudworth anhand des noetischen Aspekts dieses Prinzips und im Rekurs auf Begriff und Position des Eros in der (Spt-) Antike thematisiert. „Powerful“ und „cause of all things“ stehen in unmittelbarem Bezug zu der fr Cudworths Funktionalisierung Gottes in seiner Naturphilosophie zentralen Eigenschaft des ersten Prinzips, die erste, unendliche und auf alles gerichtete und alles umfassende Kraft zu sein, die d¼malir p²mtym. Mit „necessarily existing“ kommt nach Cudworths Lesart bereits in der frhesten Antike die Selbsturschlichkeit Gottes zur Sprache.20 Die Punkte einer prfigurierten Trinitt, die Charakterisierung Gottes als d¼malir p²mtym und die Eigenschaft der „Liebe“ dieses ersten Prinzips sollen im Folgenden untersucht werden unter besonderer Beachtung der Frage, wie Cudworth sie aus den (spt-)antiken Texten herausprpariert und zu welchen Transformationsaktivitten es dabei kommt.

5.1.1 Prfigurationen der Trinitt Die Bestimmung Gottes als „selbstkonstituiert“ durch eine transformierende Interpretation des Adjektivs !MNemºhgkur, die Cudworth vornimmt, und seine Charakterisierung Gottes als „mind“ (was dem griechischen moOr entspricht) stellen zwar zum einen einen nachdrcklichen Bezug zum Konzept der plastic nature und ihrem ontischen Status her, den Cudworth am Ende von Kapitel 3 des System festlegt. Mehrfach weist er dort darauf hin, dass die vernunftlose plastic nature des gçttlichen Geistes bedrfe, um teleologisch wirken zu kçn20 System I, 296. Schon die erste allgemeine Bestimmung des ersten Prinzips in diesem Zusammenhang zeigt eine neuplatonische Einfrbung: Zustzlich zum Adjektiv aqtovu´r wird nmlich seine Eigenschaft der autonomen Selbstexistenz von Cudworth als aqhupºstatom bezeichnet, also mit einem eher seltenen Adjektiv, das lediglich bei Iulian, Iamblich und Proklos, also dezidiert neuplatonischen Denkern, bezeugt ist. Vgl. LSJ 276 s. v. Proklos spricht jedoch dem Einen das Adjektiv aqhupºstator in Inst. § 40 ausdrcklich ab, da es dessen absoluter Einheit nicht gerecht wrde. Cudworth jedoch kann derartig strenge Einheitsspekulationen ignorieren, da sein erstes Prinzip als christlicher Gott ohnehin immer schon trinitarisch binnenstrukturiert ist. Mçglicherweise orientiert Cudworth sich damit an Patrizis neuplatonischer Kontextualisierung des Adjektivs aqtovu¶r in Panaugia X, 23. Patrizi zitiert hier aus Laktanz, allerdings in einem Kontext, in dem Gott als schçpferisches Licht thematisiert wird.

5.1 Ein konstruierter Monotheismus

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nen.21 Zum anderen weisen sie aber ebenso auf Cudworths neuplatonische Argumentationsmatrix und die innertrinitarische Struktur hin, die er der (spt-) antiken Gotteskonzeption zuweist. Dieses Gottesbild ist allerdings in den Punkten der Selbstdifferenzierung Gottes und seines daraus entstehenden schçpferischen Impulses zu modifizieren, um eine Art propdeutischer Funktion bernehmen zu kçnnen, die es als Vorbereitung von Cudworths eigenem Trinittsverstndnis erscheinen lassen kann. Cudworth kann zu diesem Zweck an die vor ihm erfolgten frhneuzeitlichen Harmonisierungen antiker und christlicher Bestnde,22 seine eigenen Spekulationen zum Christus-Logos und an weitere christlich-neuplatonische Logosspekulationen sowie biblische Motive anknpfen, die als eine Art Transformationshorizont eine Harmonisierung der christlichen „Triunity“ mit antikpaganen Gottes-Darstellungen erleichtern, die auf den ersten Blick entweder einen Polytheismus suggerieren oder eine (zu) deutliche Subordination mindestens zweier gçttlicher Aspekte auszudrcken scheinen. Aufgrund seiner eigenen Spekulationen, auf die hin alle antiken Texte perspektiviert werden, fallen Gottes Logos und Nous zusammen, d. h. also, dass das, was Christus im Rahmen trinitarischer Dynamik mitgeteilt wird, Christus selber als noetische Schçpfungsstruktur ist. Diese ist ihrerseits in der christlichneuplatonischen Tradition mit dem trinitarischen Gott identisch, denn diese Tradition begreift, ausgehend vom Prolog des Johannes-Evangeliums, den Prozess der Logosentstehung in einem ersten Schritt als „Selbstobjektivie21 Z. B. in System I, 249, 252, bes. 269 f., 272 – 274. Zu !MNemºhgkur s. System I, 620 f. 22 Mçglicherweise folgt Cudworth in diesem Fall Interpretations- und Exegesemustern, wie sie sich z. B. in der Panarchia Patrizis im Zuge der Erçrterung zoroastrischer Trinittsspekulationen finden, in der Patrizi den zweiten Aspekt der „zoroastrischen“ Trinitt folgendermaßen mit der christlichen Trinitt und Schçpfungslehre vereinbart (Panarchia IX, 18v): „Tertium vero Principium mentem secundam nominat. P²mta 1net´kese patμq, ja· m` paq´dyje deut´q\. Omnia perfecit pater, & menti tradidit secundae. Secundam mentem vocat, quia illa autogenethlos per se genita est prima. Haec secunda mens, terminus est paterni profundi, hoc est totius Trinitatis, Ait enim. =sti c±q p´qar patqijoO buhoO, ja· pgcμ t_m moeq_m. Est enim terminus paterni, & fons intellectualium. Et si terminus, & finis sit profundi, non tamen ex eo, exiit. L¶te pqo/khem, !kk 5leimem 1m t` patqij` buh`. Neque egressa est, sed mansit in paterno profundo. Dat vero, huic tertio principio quoque rerum, efficientiam. Et factorem vocat. Ja· b poigtμr, dr aqtouqc_m tejt´maitai t¹m jºslom fr 1j mºou 5jtyqe pq_tor. Et factor, qui a se operans fabricat mundum. Qui ex mente exiliit primus.“ Diese schçpferische Einheit wird dann explizit als trinitarische Einheit ausgewiesen (Panarchia XXII, 47v): „Quid ergo, non etiam primae? Immo maxime. Non enim ea emanatio per saltum, a patre in secundam mentem facta est. Sed a patre, transitu per primam, in secundam usque profluxus hic derivavit, usque nimirum, ad ultimum sui profundi terminum. Ita intelligendus eo carmine est Zoroaster. […] At ea, quae extra profundum creata sunt, a patre creata sunt, a filio creata sunt, a spiritu creata sunt. Ab unotrino igitur creatore & conditore [Hervorh. L. B.].“

214 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott rungsprozess“ Gottes und „Selbstkonstituierungsprozess der Trinitt“. Da weiterhin „durch das Wort alles geworden [ist], und nichts, was geworden, ohne das Wort [ward]“, weitet sich dieser wesensimmanente Differenzierungsprozess aus zur „Schçpfungstheologie“, woraus verstndlich wird, warum Christus, der Nous-Logos, gleichzeitig zum weltschçpferischen Aspekt Gottes wird: „Gott geht ber sich hinaus und schafft. Er schafft mit demselben Wort, das seine eigene Selbstbestimmung ausmachte, die Selbstbestimmung, die auch den Prozess des innertrinitarischen Lebens bestimmte.“23 Diese Vorstellungen sind außerdem in Verbindung mit der „Weisheit“ Gottes zu sehen, die in der Bibel thematisiert wird als „der Primordialgrund der Schçpfung, [der] die Funktion des schaffenden Logos [hat]“.24 Es hat den Anschein, als wrde bei Cudworth eine Kombination christlicher Gedanken sowohl das neuplatonische EnergeiaiSchema als auch die Reihenfolge der Hypostasen berlagern. Nur so ist zu erklren, warum er einerseits trotz des Gebrauchs des Begriffs „Hypostase“ (the second hypostasis)25 trotzdem keine Subordinierung anzunehmen scheint (da er bei einer derartigen Annahme eine – neuplatonisch ausgelegte – zoroastrische, eine platonische und die christliche Trinitt nicht gleichsetzen kçnnte, was er 23 Schmidt-Biggemann (1998), 205; auch die vorhergehenden Zitate in diesem Absatz stammen aus dieser Monografie. In Anm. 2, S. 206 seines Buches zitiert Schmidt-Biggemann Interpretationen von Ernst Benz zu Marius Victorinus, die ebenfalls deutlich die Identitt Gottes und seines Logos, Christus, zum Ausdruck bringen: „Der Sohn Gottes ist nicht Geschçpf, sondern ist seiner Substanz nach die Selbstverwirklichung des transzendenten, verborgenen Gottes, also selbst Gott.“ In der Konstellation der Cambridge Platonists ist es u. a. Peter Sterry (gest. 1672), der ebenfalls die Auffassung vertritt, dass Christus der Modus sei, in dem sich Gott den Geschçpfen mitteile, s. Powicke (1926/1971), 181 – 182. Auch dieser theologisch-metaphysische Komplex wird bereits von Patrizi in Panarchia IX, 19r in einer Kombination aus chaldischen und hermetischen Texten expliziert und zusammenfassend folgendermaßen eingeleitet: „Si vero mens opifex, consubstantialis est verbo: verbum autem non distat a patre, uti vidimus: nimirum, & mens opifex non distat a patre, & ei est consubstantialis. Vocat autem opificem, seu conditricem hanc mentem, quia quasi proxime mundum fabrefecit. De ea namque ait. Cum Deus ignis, & spiritus esset. 9dglio¼qcgse dioijgt±r tim±r 2pt±, 3m j¼jkoir peqi´womtar t¹m aQshgtμm jºslom. Condidit rectores quosdam septem, qui circulis continent sensibilem mundum. Non tamen sine verbo, id eam fecisse ostendit. j d³ dgliouqc¹r moOr , s»m t` kºc\, b peqi´wym to»r j¼jkour. Opifex vero mens, cum verbo, quae continet circulos. Immo & verbo assignat mundi fabricam.“ Dass Patrizi hier als Transformationsfilter ins Spiel gekommen sein kçnnte, legt folgende Bemerkung bei Cudworth nahe: „And that they were not forged by Christians, […] because so many Pagan philosophers make use of their testimonies, laying no small stress upon them; as, for example, Damascius, out of whom Patritius hath made a considerable collection of such of these oracles as are wanting in Psellus and Plethos copies.“ Eine sehr hnliche Christus-Vorstellung findet sich zudem wie gezeigt bei Anne Conway. 24 Schmidt-Biggemann (1998), 213 – 217, Zitat S. 216. 25 System I, 484.

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allerdings ausdrcklich tut). Mçglicherweise geht Cudworth in diesem Fall zustzlich von einer Art Binnendifferenzierung Gottes nach dem Vorbild sptneuplatonischer triadischer Differenzierungen nach dem oqs¸a-d¼malir-1m´qceia-Schema aus und bereitet auf diese Weise einen weiteren wesentlichen Aspekt der eigenen Trinittskonzeption vor. Beim oqs¸a-d¼malir-1m´qceiaSchema handelt es sich um ein dreigliedriges, dynamisches und kontinuierliches Ursachen- und Kausalgefge, in dem „die Kraft (d¼malir) als Mittleres zwischen der Wesenheit (oqs¸a) und der Wirkung (1m´qceia) [steht], denn sie wird einerseits aus der Wesenheit in die Welt gesetzt, bringt aber andererseits die Wirkung zeugend aus sich hervor“.26 Es wird im spteren Neuplatonismus dazu genutzt, um die Binnenstruktur einzelner Hypostasen differenzierter als bei Plotin zu erklren.27 Exemplarisch dafr, wie Cudworth diese Gottesvorstellung auf die Antike bertrgt, ist sein Vorgehen bei der Interpretation der rçmischen Gçttertrias Juppiter, Minerva und Juno:28 But here (according to the more recondite and arcane doctrine of the Pagans) these three Capitoline gods, Jupiter, Minerva, and Juno, as well as some others, may be understood to have been nothing else but several names and notions of one supreme Deity, according to its several attributes and manifestations; Jupiter signifying the divine power and sovereignty, as it were seated and enthroned in the heavens; Minerva, the divine wisdom and understanding; and Juno, the same deity, acting in these lower parts of the world.

Diese drei, eigentlich voneinander klar unterschiedenen und distinkten Gçtter bezeichnen fr Cudworth demgemß gerade keine drei voneinander verschiedenen und gleichmchtigen Gçtter, sondern drei Aspekte einer Gottheit in ihrem Verhltnis zu sich selbst und zur Welt. Zudem lassen sie sich nach dem Ousia-Dynamis-Energeia-Schema des spteren Neuplatonismus zueinander in Beziehung setzen: Jupiter entspricht der Ousia-Monade, Minerva der strukturierend wirkenden und vermittelnden Dynamis und Juno dem durch Minerva vermittelten Wirken und der vermittelten Wirkung Jupiters in der Welt.29 Cud26 Iamblich, In Alc. Frg. 4, Dillon. 27 Dazu siehe Stcker (1995), 61 und Shaw (1995), 66 sowie Bergemann (2006), 228 – 233. Siehe auch Procl., Inst. §§ 80 und 81, Dodds 76, 5 und 76, 12 – 13 und 19 – 20: „Again, every agent has an active potency (d¼malim [..] poigtij¶m) […] For if the former is separate, how can it be participated by that which contains neither it nor any emanation from it? Accordingly a potency (d¼malir) or irradiation (5kkalxir), proceeding from the participated to the participant, must link the two; thus there is one [die Dynamis], through which participation comes to be, one which is participated [die Ousia] and one which participates [die Energeia]“ (bs. nach Dodds). 28 System II, 150. 29 Zu diesem Schema und seiner Anwendung auf mythologische Darstellungsformen siehe Bergemann (2006), 228 – 243. Siehe auch die Darstellung dieser Dreiheit in System II, 151 – 152: Jupiter als „fountain of the godhead“, Minerva als „divine Logos“ und Juno als „divine spirit“, das quivalent zum Heiligen Geist.

216 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott worth sieht so, vor der Matrix der sptneuplatonischen Prinzipienspekulation, in dieser gçttlichen Dreiergruppe eine heidnische Variante der Trinitt verborgen. Die systematische Anbindung der actio ad extra Gottes wiederum an sein trinitarisches Denken hat Cudworth u. a. exemplarisch am Beispiel des Pythagoras vorbereitend herausgearbeitet und ihrer naturphilosophischen Bedeutung entsprechend ausfhrlich dargestellt. Nach der Erçrterung der Einheit des ersten Prinzips der pythagoreischen Philosophie (dazu siehe unten S. 221 – 224) wendet er sich nmlich einer Darstellung der pythagoreischen Version einer trinitarischen Gottesstruktur zu. Der neuplatonischen Systematik, die ihm diese spezielle Appropriation von Texten und damit der (vollstndig nach seinen Bedrfnissen konstruierten) pythagoreischen Lehre ermçglicht, bleibt Cudworth in aufflliger Weise auch in diesem Fall verpflichtet. Zum Zweck einer passenden Darstellung greift er auf eine Pythagorasauslegung des Kyrillos von Alexandria zurck.30 In ihr verdient der Aspekt der Weltseele besondere Aufmerksamkeit, der mit einer impliziten Descarteskritik verbunden ist (Descartes lehnt, wie u. a. in der Einleitung gezeigt, ausdrcklich eine kontinuierlich gestaltende und wirkende Immanenz Gottes in der Welt ab). Denn es ist dieser Aspekt Gottes bzw. des ersten Prinzips, der Cudworths System gegenber cartesischen und occasionalistischen Modellen klar abgrenzt und der fr Cudworths eigene Naturphilosophie wesentlich ist. Cudworth findet den Wirkaspekt, vermittels dessen bzw. als der ein neuplatonisch konzipierter Gott auf die bzw. in der Welt wirken kann, ohne seine Transzendenz zu verlieren, ausgedrckt in Kyrillos Wortwahl, besonders den beiden Begriffen x¼wysim und j¸mgsim. Von diesen beiden Wirkungen ausgehend, nimmt Cudworth nun an, dass sie den niedrigsten und einen der schçpfungsnchsten Aspekte des Wirkens Gottes bezeichnen mssten, nmlich die als seconda anima mundi zu verstehende Form der plastic nature (eternal Psyche).31 Warum Cudworth allerdings annehmen kann, dass hier problemlos zur Deutung der, von Kyrillos referierten, Lehrmeinung des Pythagors das neuplatonische Hypostasenschema Verwendung finden darf oder sogar sollte, wird meiner Ansicht nach erst einsichtig, 30 System II, 9, wo Cudworth selektiv Contra Julianum I, 42 (ed. Burgui re/ vieux, Paris 1985) in seinen Text einspielt: „Pythagoras is generally reported to have held a trinity of divine hypostases; and therefore when St. Cyril affirmeth Pythagoras to have called God x¼wysim t_m fkym j¼jkym, ja· p²mtym j¸mgsim, ,the animation of the whole heavens, and the motion of all things; adding, that God was not, as some supposed, 1jt¹r t÷r diajosl¶seyr, !kk 1m aqt` fkor 1m fk\, ,without the fabric of the world, but whole in the whole, this seems properly to be understood of that third divine hypostasis of the Pythagoric trinity, namely the eternal Psyche“; mit Anm. 2, der relativ heftigen Kritik von Mosheim an diesem Vorgehen Cudworths. Zur Schwierigkeit einer adquaten Pythagorasauslegung im Allgemeinen siehe Gemelli Marciano (2007), 379 – 385 und im Speziellen ebd. 172 – 189. 31 Vgl. oben zu System I, 228. Diese Seelenform ist ihrerseits abhngig von der Weltseele, die ein Aspekt der Trinitt ist.

5.1 Ein konstruierter Monotheismus

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wenn man die Qualifikation der wirkenden, nmlich beseelenden und bewegenden Anwesenheit Gottes in der Welt mit in Betracht zieht, deren Analoga bzw. Vorbilder z. B. bei Plotin bedenkt und dies in Beziehung setzt zur Darstellung durch Kyrillos: Pythagoras Gott ist nach Kyrillos „als ganzer im ganzen Kosmos“ anwesend (1m aqt` fkor 1m fk\). Zunchst ist grundstzlich zu bedenken, dass sich eine derartige Formulierung sehr leicht dem Verdacht des Pantheismus aussetzt, den Cudworth vermeiden muss. Schon aus diesem Grund bietet sich ein Ausweichen auf eine dynamisierte hypostatische Struktur an, die den hçchsten Aspekt Gottes von anderen, niederen Aspekten abhebt (auch wenn das wiederum aufgrund der Substanzidentitt von Gottvater und Logossohn andere systematisch-theologische Schwierigkeiten bedeutet). Die griechische Wendung Kyrillos verweist auf einen Plotintext, der eine ontologische Vorstellung liefert, die genau dieses Problem zu vermeiden und zu verstehen hilft, warum Cudworth annehmen zu kçnnen glaubt, ausgerechnet ein philosophisch-theologisches Analogon zur Weltseele bei Kyrillos thematisiert bzw. bei Pythagoras prfiguriert zu finden:32 Welches die Art der Spende des Lebens im All und in den Einzelnen ist, bedenke [jede Seele] so. […] Sie erfasse aber, [wie] die Seele von allen Seiten in den verharrenden Himmel gleichsam von außen hereinstrçmt und sich [in ihn] ergießt und von allen Seiten in ihn hineindringt und [in ihn] hineinstrahlt: wie [nmlich] die Sonnenstrahlen eine dstere Wolkenbank leuchten machen, und sie dadurch zum Erstrahlen bringen und sie auf diese Weise das Antlitz [der Wolken] goldhnlich machen, so hat auch die Seele, nachdem sie in den Kçrper des Himmels einging, zum einen Leben, zum anderen Unsterblichkeit vermittelt und ihn, der darniederlag, erweckt. […] Ihre Kraft und ihr Wesen kçnnten wohl deutlicher und einsichtiger werden, wenn jemand an dieser Stelle bedchte, wie sie mit ihren Willensregungen den Himmel umfasst und lenkt: In seiner ganzen Grçße hat sie sich ihm, so groß, wie er ist, hingegeben und jeder Zwischenbereich, sowohl großer als auch kleiner, ist beseelt worden, auch wenn die Kçrper an je verschiedenen Orten liegen, und der eine so, der andere so beschaffen ist, und die einen eine Trennung aufgrund ihrer Gegenstzlichkeit, die anderen wieder eine andere Form von Trennung voneinander aufweisen. So [wie diese Kçrper] ist die Seele aber keinesfalls beschaffen, und auch macht sie nicht mit einem ihrer Teile ein Einzelnes leben [, ein anderes Einzelnes aber nicht], als wre sie selbst an jedem einzelnen Teil ihrer selbst zerstckelt, sondern das Ganze lebt aufgrund der ganzen [Seele], 32 Plotin, Enn. V 1, 2, 27 – 40. Zu diesem Text Plotins siehe Bergemann (2006), 161 – 167. Leinkauf (1993), 56 – 66 analysiert, wie vor dem Hintergrund neuplatonischer Seelenspekulationen das Konzept der „Natur […] als spirituelles Agens, als homolog zu der Seinsform der Seele“ [Hervorh. im Original] bei Kircher als „Prinzip“ gedacht und funktionalisiert wird, „das die in der [materiellen Welt] sich vollziehenden komplexen dynamischen Prozesse und vor allem die in ihr empirisch-experimentell zu registrierenden universalen Krfte aktiv bestimmt“ und dabei zugleich dem Anspruch des tota in toto et tota in qualibet parte gengt. Damit ist ein Referenzrahmen bezeichnet, in dem sich auch Cudworth bewegt.

218 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott und sie ist als ganze berall anwesend und gleicht sich [darin] dem Vater, der sie gezeugt hat, an, dass sie Eines ist und [zugleich] berall zugegen. Und obwohl der Himmel vielgestaltig und in sich rumlich differenziert ist, ist er doch durch diese Kraft dieser Seele Eines, und ist diese Welt durch diese [Seele] Gott (bs. nach HBT).

In diesem Text wird die berall zugleich und vollstndig sich vollziehende Wirkimmanenz des Intelligiblen in der stofflichen Welt, die bei Kyrillos in der Wendung 1m aqt` fkor 1m fk\ ausgedrckt wird, eindeutig der Weltseele zugeschrieben, die allerdings selber nicht der hçchste Aspekt des Intelligiblen, sondern klar von einem hçheren Aspekt abhngig ist: „[…] t` cemm¶samti patq· bloioul´mg“.33 Auch fr das System ist also mit einer gçttlich-intelligiblen Wirkund Ideenhierarchie zu rechnen, die durch die Seele an das Stoffliche vermittelt wird, die ihrerseits im Vollzug dieser Vermittlung auf ihren Ursprung in Gott verweist.34 Aufbauend auf dieser hierarchisierenden Differenzierung lsst sich auf eine gewisse Weise die Transzendenz Gott-Vaters und eventuell sogar der gesamten Trinitt bewahren, so der Pantheismusvorwurf entkrften und zugleich die wirkende Anwesenheit eines genau und fest umrissenen intelligiblen niedrigeren Aspekts Gottes bzw. eines von Gott abhngigen und hervorgebrachten Aspekts in der Welt sicherstellen. Desweiteren ist das Konzept der Weltseele deshalb systematisch relevant, weil es an dieser Stelle des System in hohem Maße Cudworths eigener Konzeption einer plastic nature als eines von Gott abhngigen Wirk- und Immanenzaspektes in der Welt korrespondiert.35 In ihrem vereinheitlichenden Wirken entspricht diese Form der Weltseele dem Wirken der Monade bei Proklos,36 dessen Ansatz Cudworth mçglicherweise seiner Auslegung des Pythagoras zugrunde legt. Hier ist zu erkennen, wie Cudworths aktuelle Absichten seinen Umgang mit dem (spt-)antiken Referenzmaterial perspektivieren, mit dem Ziel, vermittels dieser Funktionalisierung wiederum auf die eigene Gegenwart zurckzuwirken: Aus Pythagoras wird aufgrund der „Vermittlung“ durch den Kirchenvater Ky33 Vgl. die Anm. von Tornau (2001), 348, Anm. 14 zu dieser Stelle: gemeint ist mit dem „Vater“ der Nous. 34 Siehe dazu z. B. die Ausfhrungen in Halfwassen (2004), 118 f. Zur Seele als Prinzip von Einheit siehe ebd. 110. 35 Die Entsprechungen zwischen neuplatonischer Weltseele und plastic nature sind darin begrndet, dass es sich in beiden Fllen um intelligible Krfte handelt, die auf bzw. im Stofflichen wirken, zumal Cudworth dezidiert eine plastic nature of the universe annimmt. Allerdings ist diese Art der Weltseele klar von der Weltseele zu unterscheiden, die ein Aspekt seiner eigenen Trinittskonzeption ist. 36 Zur auf den neuplatonischen Anstzen der Sptantike aufbauenden Vorstellung der Einheit in der weltlichen Vielheit bei Cusanus und Kircher siehe Leinkauf (1993), 85 – 87. In dieser Transformationslinie ist auch Cudworth zu sehen. Zur damit systematisch verknpften Auslegung des Adverbs lomadij_r in Cudworths Pythagorasauslegung siehe unten S. 236 – 239.

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rillos ein Protochrist (und Protoneuplatoniker), dessen vermeintliche Konzeption des dritten Aspekts einer ihm von Cudworth unterstellten intelligiblen Trinitt den systematischen Anforderungen der Naturphilosophie Cudworths entspricht und der so hilft, eine latitudinarische Glaubensauffassung zu legitimieren, die ihrerseits auf die aktuellen Diskussionen, in die Cudworth verwickelt ist, zurckwirkt. berspitzt formuliert wird Pythagoras damit zu einem neuplatonischen Latitudinarier, den Cudworth ins Feld fhren kann, um die atomistisch-materialistisch motivierte Absage an die causa finalis und das vermittelte Wirken Gottes in der Welt im Rahmen seiner Naturphilosophie zu entkrften, – den er also zugleich theologisch wie auch naturphilosophisch in Gebrauch nehmen kann und zwar aufgrund des besonderen Transformationspotentials des Zitats bei Kyrillos. Cudworth beschließt seine Erçrterung des pythagoreischen Monotheismus mit einem weiteren Zitat aus Kyrillos,37 in dem noch einmal alle Aspekte eines nach platonisch-neuplatonischen Kriterien konzipierten Schçpfergottes zusammengefhrt werden:38 Wherefore we shall now sum up all concerning Pythagoras in this conclusion of St. Cyrils: Ydo» dμ sav_r, 6ma te eWmai k´cei t¹m t_m fkym He¹m, ja· p²mtym !qwμm, 1qc²tgm te t_m aqtoO dum²leym, vyst/qa ja· x¼wysim, Ctoi fyopo¸gsim t_m fkym ja· j¼jkym p²mtym j¸mgsim7 paq/jtai d³ t± p²mta paq aqtoO, ja· tμm 1j toO lμ emtor eQr t¹ eWmai j¸mgsim kawºmta va¸mgtai, “Behold we see clearly, that Pythagoras 37 Kyrillos, Contra Julianum I, 42 (ed. Burgui re/ vieux, Paris 1985). 38 System II, 20 – 21. Es ist dabei von einigem transformationstheoretischen Interesse, dass Cudworths unmittelbarer Referenzbereich fr seine Darstellungen des Vorsokratikers Pythagoras Autoren wie Kyrillos oder Hierokles (mit seinem Kommentar zum carmen aureum) sind, d. h. wie so hufig dezidiert sptantike Autoren, die ihrerseits bereits ganz eigene Interpretations- und Gebrauchsleistungen hinsichtlich frherer Philosophen und ihrer Texte erbracht haben. Cudworth behandelt diese Texte jedoch so, als habe er genuin pythagoreische Quellentexte vorliegen (in der Terminologie von DK behandelt Cudworth demnach die von DK als solche bezeichneten A-Fragmente als wren sie sog. B-Fragmente). Hierin ist ein weiterer Ausdruck seiner auf eine prisca theologia hin perspektivierenden integumentalen Hermeneutik zu sehen, die auch die Prosa der philosophischen Texte als integumentum begreift, das es zu durchschauen und entrtseln gilt. Zur Verschmelzung des vorsokratischen Pythagoreismus mit dessen platonischneuplatonischen Varianten in der Frhen Neuzeit vgl. Neumann (2008), 206 – 207. Wesentlich fr das Verstndnis von Cudworths Pythagoras-Konstruktion ist Neumanns Beobachtung, dass „der Blick [..] aber offenbar nicht den Differenzen [galt], sondern den Gemeinsamkeiten, der Kohrenz der in den Quellen angetroffenen Aussagen. Eine solche Kohrenz herzustellen, die per se so nicht vorgefunden werden kann, setzt eine selektive, bestimmte Aspekte der pythagoreischen Lehren und der legendren Persçnlichkeit des Pythagoras betonende Interpretation voraus, […]“ (ebd. 206 f.). Zu Cudworth direkt, unter Bercksichtigung der Kritik Mosheims, ebd. 207 – 208. Neumann versteht Cudworths Vorgehen ebenfalls als eine Rckprojektion „eigene[r] Theoreme […] in die Antike“ und als „argumentative und strategische Vereinnahmung“ (ebd. 208).

220 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott held there was one God of the whole universe, the principle and cause of all things, the illuminator, animator, and quickener of the whole, and original of motion; from whom all things were derived, and brought out of nonentity into being.”

Gleichsam als Gegengewicht zu einer allzu starken Ausdifferenzierung der drei Hypostasen der von Cudworth mit Kyrillos unterstellten pythagorischen Trinitt, wird nun die Einheit des pythagoreischen Gottes hervorgehoben. Dadurch wird die (vermeintlich) vorsokratische Prinzipienspekulation nher an das christliche Trinittsdenken angenhert, in dem die verschiedenen Aspekte Gottes ja ebenfalls ein Gott sind. Mit x¼wysim, Ctoi fyopo¸gsim t_m fkym ja· j¼jkym p²mtym j¸mgsim greift Cudworth zu diesem Zweck exakt die Wendungen auf, mit denen er seine Ausfhrungen zur pythagoreischen Version der Trinitt beginnt (er bezieht sich auch zu Beginn auf diese Kyrillos-Stelle). Zugleich aber wird durch dieses Zitat erkenntlich, dass Beseelung und Bewegung die nach außen gerichteten, schçpferischen und gestalterischen Wirkungen des ersten Prinzips, d. h. des einen Gottes als der p²mtym !qwμm, sind, aus dem alles andere hervorgebracht wird und von dem daher alles als von seiner Ursache abhngt, whrend zugleich diese Ursache in ihrem schçpferischen Wirken im Verursachten anwesend bleibt. Derart wird, zumindest implizit, auch der Eros als „original of motion and activity“39 in diesem Zitat mitthematisiert. In einer Art ringkompositorischer Darstellung verbindet Cudworth also pythagoreische und patristische Motive zu einer einheitlichen Darstellung des einen Gottes und der Struktur seines Wirkens. Alle relevanten Aspekte eines nach grundstzlich platonisch-neuplatonischen Kriterien konzipierten Schçpfergottes werden miteinander integriert, so dass dieser „Gott“ hinsichtlich seiner Urschlichkeit in Vielem bzw. im Wesentlichen dem Einen des Neuplatonismus Cudworths entspricht: Er ist trotz seiner trinitarischen Struktur einheitlicher Ursprung alles Folgenden und zwar als Hervorbringer der ihm eigenen Wirkkrfte (1qc²tgm te t_m aqtoO dum²leym). Derart konstituiert er die Schçpfung als Krftekontinuum und kann auf diese Weise, ebenso metaphysisch wie religiçs konnotiert, als Lichtbringer, der zugleich beseelt, belebt und bewegt, bezeichnet werden, der aus dem Nichts schçpft. Deutlich lsst sich hieran die schon hufiger im System zu beobachtende Variante neuplatonischer Kraftmetaphysik in ihrem typischen Ineinander von Kraft und Licht als Matrix erkennen, die Cudworths Sicht auf Texte perspektiviert, die sich in diesem Fall auf Pythagoras beziehen. Ein derartiges Vorgehen versetzt ihn in die Lage, Pythagoras als Philosophen eines neuplatonisch strukturierten, dynamischen Monotheismus in die eigene Argumentation einzufgen.40 39 System I, 176. 40 Das griechische Zitat eignet sich allerdings nicht nur inhaltlich sehr gut dazu, Cudworths Erçrterungen zu Pythagoras auf eindrckliche Weise abzuschließen. Der Text ist zudem in hohem Maße rhetorisch durchgestaltet und erzeugt allein damit auf der Ausdrucks-

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5.1.2 Der allen gemeinsame Gott als d¼malir p²mtym Darber hinaus kann Cudworth die Figur des Pythagoras in Gebrauch nehmen, um aufzuzeigen, dass sich eine Vorstellung von der Einheit und Einzigkeit Gottes in den antik-paganen Zeugnissen nachweisen oder finden lsst, die zugleich die fr Cudworths Gottesverstndnis ebenso wesentliche schçpferische Funktion Gottes mitimpliziert. Dieser Nachweis ist im Rahmen einer frhneuzeitlichen, zugleich neuplatonischen und christlich-latitudinarischen Prinzipienspekulation fr seine Argumentation im System von zentraler Bedeutung, da diese in jedem Fall auf einen Monotheismus zulaufen muss. Cudworth erbringt diesen Nachweis, indem er in einem ersten Schritt Aristoteles bemht. An einem Textausschnitt aus der Metaphysik zeigt er nmlich auf, dass die Griechen bereits den fr den Monotheismus zentralen Gedanken gefasst hatten, dass die teleologische Einheit der Welt nur dann erklrt werden kçnne, wenn man entsprechend nur ein einziges erstes Prinzip und keine Prinzipienvielfalt annehme.41 Dieser Grundgedanke wird u. a. mit berlegungen zu Pythagoras ausgefhrt und erhrtet.42 Nach einigen einleitenden Zitaten aus den Neuplatonikern Hierokles und Iamblich, die in ihrer Begrifflichkeit bereits auf den Monotheismus hinter der pythagoreischen Mythologie verweisen, nimmt Cudworth Bezug auf die (vermeintlich) pythagoreische Lehre von Monade und Dyade und deren Verhltnis zueinander.43 Dazu knpft er zunchst an seine unmittelbar vorausgehende Einschtzung der pythagoreischen Gottesvorstellung an, der ebene beim Leser einen gewissen Evidenzdruck. Folgende Stilmittel lassen sich beobachten: Parallelismus: t_m fkym He¹m – p²mtym !qw¶m ; Chiasmus: fyopo¸gsim t_m fkym – j¼jkym p²mtym j¸mgsim ; Homoioteleuton: !qw¶m, 1qc²tgm ; t_m fkym .. j¼jkym p²mtym ; Wiederholungen: t_m fkym … p²mtym – t_m fkym .. j¼jkym … t± p²mta. So verstrkt sich der Eindruck, dass Cudworth sich an einigen Stellen des System verstrkt am psychagogischen Effekt der Predigt orientiert, zumal er in seiner bersetzung zumindest ansatzweise die stilistische Dichte des Originals nachzugestalten versucht, vgl. z. B. illuminator, animator, .. quickener. Zu Cudworths Stil siehe die Bemerkungen von Assmann, in Neugebauer-Wçlk (1999), 48. 41 Dabei kann er er auf seinen berlegungen zum Begriff der lºmysir in Platons Timaios (31b) in System I, 318 f. aufbauen. Cudworth deutet lºmysir dort im Sinne des Einsseins und Einzigseins des antiken, Platonischen Gottes. 42 Die folgenden Beobachtungen zu Cudworths Pythagoras-Konstruktion bauen ergnzend auf den Analysen Neumanns (2008), 229 – 238 auf, s. o. S. 219, Anm. 38. 43 Zur pythagoreischen Zahlenspekulation siehe Schmidt-Biggemann (1998), 337 mit Anm. 337, dort auch weitere Literatur. Unter dem Gesichtspunkt der Transformation ist interessant, dass Cudworth aus der Perspektive des Transformationsbeobachters auch auf Pythagoras Begriffe und Bedeutungsgehalte zurckbertrgt: Die von Plutarch bei der Prinzipienbeschreibung der pythagoreischen Lehre verwendeten Begriffe lom²r und !ºqistor du²r sind fr die Zeit des Pythagoras selbst nicht belegt. Die Junktur !ºqistor du²r findet sich sogar erst bei Aristoteles (Metaph. 1081a14). Vgl. Gemelli Marciano (2007), 199 – 202.

222 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott gemß die Begriffe „Gott“ oder „Zeus“ etc. benutzt wurden, um „that supreme Deity which containeth the whole [Hervorh. L. B.]“44 zu bezeichnen, nach den bisherigen Beobachtungen also den schçpferischen Aspekt des einen Gottes als erstes Prinzip des System. 45 In der weiteren Pythagorasauslegung weist Cudworth nmlich nach, dass dessen Monade mit dem durch das Verb contain (peqi´weim) indizierten neuplatonischen Prinzipienbegriff gleichgesetzt werden kann,46 wozu er Texte Plutarchs, Porphyrius und aus Diogenes Laertios miteinander kombiniert. Derart stellt er Pythagoras zunchst in den Kontext der akademischen Prinzipienspekulation.47 Dann konzentriert er sich auf den schçpferischen Aspekt der Monade, auch, um so einen mit seinem eigenen System und seiner Argumentation nicht zu vereinbarenden Prinzipiendualismus von Monade und Dyade bei Pythagoras abzuwehren.48 Whrend im ersten Plutarchtext noch von zwei Prinzipien gesprochen wird – der guten Monade, die Gott ist, steht die bçse Dyade antagonistisch gegenber 44 System II, 5. 45 Die Seiten 222 – 224 sind entnommen und berarbeitet aus Bergemann, in Neumann (2009), 96 – 99. 46 Nur das erste Prinzip kann alles andere „umfassen“, da nur von ihm alles andere verursacht und hervorgebracht wird und damit in kontinuierlicher Abhngigkeit vom ersten Prinzip steht. Siehe Nasemann (1991), 56 – 67: „Das ontologisch Hçherstehende umfasst das Niedrigere in dem Sinn, dass es das Niedrigere hervorbringt und sowohl einheit- als auch strukturverleihend auf es einwirkt.“ Cudworth wird sich im Rahmen seiner (Re-)Konstruktion des pythagoreischen wie des orphischen Monotheismus wiederholt mit diesem im Neuplatonismus terminologisch gebrauchten Begriff auseinandersetzen und dessen Bedeutungspotential durch die Kombination verschiedenster Texte explizieren und funktionalisieren. 47 Siehe dazu z. B. Ricken, in Horn/Mller/Sçder (2009), 389 f.: „Wie Platons ungeschriebene Lehre, so geht auch die Metaphysik des Xenokrates von zwei Prinzipien aus, die er ,Einheit (monas) und die ,Zweiheit (dyas) nennt. Die Monas ist das mnnliche Prinzip und der oberste Gott; er nennt sie auch ,Zeus und ungerade und Vernunft (nous) (Frg. 15 H/213 IP). Die Dyas ist das zweite, weibliche Prinzip. Nach dem Wortlaut von Frg. 15 ist sie die Weltseele, die den Bereich unterhalb des Himmels lenkt. Die Zuverlssigkeit dieses Berichts ist umstritten; nherliegend ist es, die Dyas mit dem Großen und Kleinen, dem zweiten Prinzip von Platons ungeschriebener Lehre, gleichzusetzen und in ihr das stoffliche Prinzip zu sehen. Dann ergibt sich folgender Aufbau: die Nous-Monas ist das oberste gçttliche Prinzip; zusammen mit dem stofflichen Prinzip der Dyas bringt es die Seele hervor, welche die Welt nach den in ihr enthaltenen Formen gestaltet.“ 48 Vgl. zum Folgenden Neumann (2008), 236 und Bergemann, in Neumann (2009), 94 – 102. Das schçpferisch-dynamische Moment der Monade kommt klar zum Ausdruck z. B. in Procl., Inst. §21, p. 24, 1 – 6 und 15 – 18 (ed./bs. Dodds), siehe auch unten S. 236 f. Es ist wahrscheinlich, dass Cudworth implizit mit einer derartigen Monadenvorstellung als einer Hintergrundannahme arbeitet, wenn er Pythagoras in die Kette der bedeutenden Philosophen der prisca theologia einfgt. Vor Cudworth vergleicht z. B. Robert Fludd in seiner Schrift Philosophia Catholica die Monade mit einem Prinzip, aus dem strahlenartige Wirkkrfte hervorgehen, s. Rçsche (2008), 381 mit Anm. 1577.

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–, erhlt die Dyade im zweiten Text schon Zge der Hyle, der passiven Materie, immer noch aber werden beide als !qw¶ bezeichnet, was Cudworth mit „Prinzip“ (principle) bersetzt. Diese Vorbereitungen greift Cudworth mit einem dritten Text, diesmal aus Diogenes Laertios,49 auf, in dem eine klare Hierarchisierung zwischen Monade und Dyade nach neuplatonischem Muster vorgenommen wird:50 However, if Pythagoras Dyad be to be understood of a substantial matter, it will not therefore follow, that he supposed matter to be self-existent and independent upon the Deity, since according to the best and most ancient writers, his Dyad was no primary but a secondary thing only, and derived from his Monad, the sole original of all things. Thus Diogenes La rtius tells us, that Alexander, who wrote the successions of philosophers, affirmed he had found in the Pythagoric Commentaries, !qwμm l³m t_m "p²mtym, lom²da7 1j d³ t/r lom²dor, !ºqistom du²da, ¢r #m vkgm t0 lom²di aQt¸\ emti rpost/mai, “that a Monad was the principle of all things, but that from this Monad was derived infinite duality, as matter for the Monad to work upon, as the active cause.” With which agrees Hermias, affirming this to be one of the greatest of all Pythagoric mysteries, that a Monad was the sole principle of all things.

Zunchst wertet Cudworth diesen Textauszug als Widergabe der Lehrmeinung der „best and most ancient writers“. Er belege, dass allein die Monade das erste Prinzip und die Ursache alles Weiteren, und damit eben auch der Dyade, ist: !qwμ t_m p²mtym, aus der explizit die Dyade hervorgeht: 1j d³ t/r lom²dor, !ºqistom d¼ada. Aber Cudworth kann aus diesem Referat ber Monas und Dyas bei Diogenes Laertios nicht nur das Abhngigkeitsverhltnis der Dyas von der Monas/Monade herauslesen, das er christlich zur Schçpfung der Dyas aus dem Nichts durch die Monade umzudeuten scheint.51 Darber hinaus wird die metaphysische Funktion, die die Dyas gegenber der Monas einnimmt, klar ausgesprochen: ¢r !m vkgm lom²di aQt¸\ rpost/mai. In diesem Kontext kommt dem Infinitiv rpost/mai neben dem Begriff vkgm, mit dem die Dyas zumindest der Funktion nach klar als Materie bezeichnet wird, zentrale Bedeutung zu. Als Hyle ist sie das passive, aufnehmende Prinzip. Ihr steht die aktive Monade als das Prinzip gegenber, das diese hyletische Dyas in die Existenz gebracht hat und dem sie sich zugleich zur Gestaltung unterwirft. Beide Bedeutungen sind durch die Syntax des griechischen Textes und den semantischen Gehalt des Infinitivs rpost/mai im Neuplatonismus gedeckt.52 Cudworth scheint allerdings eher die zweite Bedeutung hervorheben zu wollen, wie seine akzentuierende Ergnzung in der bersetzung (to work upon; 49 Vitae philosophorum VIII, 25 (ed. Long, Oxford 1964 [repr. 1966]). 50 System II, 7 – 8. 51 Dies legt seine Formulierung in System II, 8 nahe: „Which words also seem to imply the world to have had a novity of existence [Hervorh. L. B.] or beginning of duration.“ 52 Zu rpost/mai siehe SP s.v. rv¸stgli 1070 c1 und c2.

224 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott as the active cause) nahelegt. Auf diese Weise wird die Monade nicht nur zum ersten Prinzip einer hierarchischen Ontologie neuplatonischer Prgung, sondern auch zum am Demiurgen Platons orientierten Schçpfergott.53 Die Montage der einzelnen Texte zu Pythagoras Monaden- und Gotteslehre erfolgt also gleichsam nach Art einer Klimax, in der erst der letzte Text den wahren Sinn der pythagoreischen Lehre enthllt, der letztlich in die neuplatonische Konzeption des Monadenbegriffs mndet. Damit ist schließlich fr Cudworth der Nachweis erbracht, dass der antike eine Gott tatschlich eine vollkomene Einheit, tatschlich einer im Sinne des Monotheismus ist, denn, wie Thomas Leinkauf zeigt, „kann als Monas [Hervorh. Th. L.] [..] im frhneuzeitlichen Diskurs [..] die herausgehobene, gçttliche Einheit bezeichnet werden“.54 Dieser „Nachweis“ setzt allerdings voraus, dass man, wie Cudworth, z. B. basierend auf der unhinterfragten Annahme einer philosophia perennis eine ungebrochene semantische Kontinuitt des Monadenbegriffs annimmt, die von der Antike bis in die eigene Gegenwart reicht, dass man also die Antike zum Eigenen macht, sie fr sich transformiert. Die im Anschluss an den Nachweis der Einheit und Einzigkeit Gottes in den antik-paganen Gotteskonzepten sowohl fr die Konstruktion des universellen antik-paganen Monotheismus als auch fr die eigene latitudinarische christlichtrinitarische Gottesvorstellung ebenso zentrale Eigenschaft und Funktion der Dynamik Gottes als des ersten Prinzips der Welterklrung konzipiert Cudworth ebenfalls nach neuplatonischem Muster. Schließlich verschrnkt er beide Wesenszge miteinander, indem er sich im Zuge seiner Deutung der orphischen (und zoroastrischen) Gottesvorstellung ebenso wie bei Pythagoras auf den Begriff der Monade bezieht. Zugrunde zu legen ist zunchst Plotins Beschreibung des Einen in Enneade V 6, 4, 8 – 21 als im Sinne der platonischen Idee des Guten „produktives“ und zugleich einfaches Licht: „[…] t¹ d³ paq´wom to¼t\ t¹ v_r oqj %kko cm v_r 1stim "pkoOm paq´wom tμm d¼malim 1je¸m\ toO eWmai f 1sti.“ (Das aber, was ihm das Licht mitteilt, ist, da es nichts Anderes ist, einfaches Licht und teilt jenem [dem Nous] so die Kraft mit, zu sein, was er ist.).55 Wie die

53 Bezeichnenderweise fhrt Mosheim in System II, 9 – 11, Anm. 2 Stellen an, die die Deutung nahelegen, nicht die Dyas, sondern die Monas sei als Materie zu verstehen, weshalb er es lieber unentschieden lassen mçchte „what he [Pythagoras] meant by monad and dyad“ (System II, 11, Anm. 2). Cudworths Interpretationen lassen hingegen seine neuplatonische Perspektive auf die Antike erkennen und sein Bestreben, hier eine philosophia sacra zu eruieren, die zum einen seinen eirenisch-integrativen religiçsen Bemhungen als Latitudinarier fçrderlich ist, zum anderen aber ebenso der Widerlegung des (reduktionistisch-mechanistischen) Atomismus und damit zustzlich seinen naturphilosophischen Spekulationen dient. 54 Leinkauf, in Neumann (2009), 14. 55 Zum Einen als schçpferischem Prinzip bei Plotin siehe u. a. Beierwaltes (1985), 49 und Bergemann (2006), 70 – 75 und 124 – 132. Zum „schçpferischen Licht“ siehe u. a. Ber-

5.1 Ein konstruierter Monotheismus

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Sonne im Bereich des Sichtbaren, d. h. des Kçrperlichen durch ihr Licht wirkt, das Struktur, Lebenskraft und Existenz verleiht, so wirkt bei Platon die Idee des Guten durch Mitteilung von Sein und Wahrheit im Bereich des Intelligiblen, d. h. hinsichtlich der Erkenntnismçglichkeiten der Seele. Vermittels der Vorstellung Gottes als einer schçpferischen Lichtquelle und Lichtkraft ist es Cudworth mçglich, den Gott des persischen Religionsgrnders Zoroaster an Platons Idee des Guten und damit das Eine/Gute des Neuplatonismus anzugleichen: Mithras als „Liebe“ bekommt dabei gegenber dem Kçrperlichen und dem Intelligiblen eine Funktion zugewiesen, die der der Idee des Guten und dem von ihr ausgehenden Wirkkomplex aus Seiendem und Wahrheit ebenso analogisch entspricht wie die Wirkung der Sonne durch ihr Licht, so dass diese MithrasKonstruktion zum umfassend wirkenden ersten Prinzip wird.56 So konstruiert Cudworth gleich fr den Beginn des antik-paganen Gottesglaubens eine vor allem seinen Ansprchen gengende Gottesvorstellung. In Kombination mit Enneade V 8, 9 kann Cudworth dann diesen Gott als in sich ebenso homogenen wie binnendifferenzierten Gott und als „grenzenlose/ unendliche“57 All-Kraft (d¼malir p÷sa) verstehen. Genau diese Gotteskonzeption leitet Cudworth aus den vielen antiken Referenztexten ab, die er dahingehend auslegt, dass in ihnen Gott als fkg d¼malir beschrieben wird, was die christliche Vorstellung gçttlicher Allmacht prfigurieren soll. Cudworth erlutert diese Eigenschaften (des antiken wie des eigenen) Gottes z. B. im Rekurs auf Simplikios58 und fhrt den Aspekt der christlichen Allmacht Gottes („infinite power“) zurck auf eine neuplatonische Grçße, wobei er die Mehrdeutigkeit des Begriffs power als Macht und als Kraft ausnutzt. So wird, wie bereits im Zusammenhang mit der Erçrterung der plastic nature gezeigt, Gottes Allmacht zur fkg d¼malir transformiert, zur alles umfassenden und wirkenden Kraft, in der sich der Urgrund von allem (p²mtym aUtiom) entußert.59

56 57 58 59

gemann (2006), 133 – 137. Zur Charakterisierung von Gott (und nachgeordneten Seinsstufen) als (produktives) Licht bei Ficino siehe Scheuermann-Peilicke (2000), 109 – 168. Siehe auch die neuplatonisierende Engfhrung Cudworths von Mithras mit der Idee des Guten und ihren Wirkformen Licht und Liebe in System I, 481. System I, 473 – 476. So z. B. in System II, 47. System I, 308; das Simplikioszitat findet sich vollstndig (mit Stellenangabe durch Mosheim) in System I, 371. In System I, 415 setzt sich Cudworth entsprechend mit einem Text auseinander, in dem Gott in einem Text des Sallustios als „grçßte Kraft“ (lec¸stg d¼malir) bezeichnet wird, die nicht nur Menschen und Lebewesen, sondern auch Gçtter und Dmonen erschaffe (poie?m). In der Frhen Neuzeit findet sich die Vorstellung, dass Gott sich als Kraft hin zur Schçpfung entußert, prominent vertreten u. a. bei Athanasius Kircher, dessen Werke Cudworth offenbar gekannt hat. Zu Gott als einer Kraft, die in sich drei Kraftaspekte besitzt, die zusammen den „Außenaspekt“ Gottes begrnden siehe Leinkauf (1993),

226 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott Eine Besttigung seiner Interpretation der allgemeinen antik-paganen Gottesvorstellung hinsichtlich ihrer dynamisch-schçpferischen Ausrichtung leitet Cudworth ebenso aus seinen gestaffelten Interpretationen des griechischen Adjektivs und orphischen Gottesattributs !MNemºhgkur ab, das er hier zu einem Begriff umdeutet, der die Schçpfung aus dem Nichts bedeutet: Dabei liest Cudworth die dem griechischen !MNemºhgkur korrespondierende lateinische Junktur progenitor genetrixque offenbar als Explikation zu omnipotens (allmchtig) und beruft sich dann in System I, 621 auf Clemens von Alexandria. Clemens deutet nmlich, wie im Anschluss an ihn Cudworth selbst, die dem lateinischen progenitor genetrixque entsprechende orphische Gottesprdikation des „Mutter-Vater“ bzw. Mnnlich-Weiblich als einen Hinweis darauf, dass Gott die Welt in dem Sinne aus dem Nichts geschaffen habe, dass er dazu keiner unabhngig von ihm existierenden Materie bedurfte. Auf diese Weise kann er die orphische Junktur des „progenitor genetrixque“ als Ausdruck der „generative and creative power of the Deity“ auslegen.60 Dementsprechend versteht Cudworth das ungewçhnliche Adjektiv !MNemºhgkur (mannfraulich)61 als Bezeichnung der Fhigkeit seines bzw. des orphischen ersten Prinzips, aus sich selbst heraus, gleichsam sich selbst befruchtend, autonom alles hervorzubringen.62 Zustzlich zur schçpferischen, nach außen gerichteten Kraft Gottes impliziert dieses Adjektiv fr Cudworth gleichfalls die Vorstellung der „absolute

330 – 332, wo Leinkauf diese Dynamisierung Gottes am Beispiel des Verstndnisses Gottes als magnes centralis bei Kircher erçrtert. 60 Der unbekannte Herausgeber der Robert Fludd zugeschriebenen Schrift Philosophia Mosaica vertritt ebenfalls die Vorstellung einer schçpferischen Einheit des ersten gçttlichen Prinzips, in der mnnliche und weibliche Aspekte vereint seien: „Ita ut sit evidens, non nisi unicam unitatem aeternam esse, quae in se est mas & foemina“ (Philosophia Mosaica II, 1, 3, fol. 71v, 1638); siehe den Hinweis bei Rçsche [2008], 342, Anm. 1435. Vgl. auch System I, 491, wo Cudworth unter Deutung eines der CO darauf hinweist, dass auch die Materie nicht ungeschaffen sei, sondern aus der Gottheit abgeleitet wird. Zustzlich hat Cudworth das Adjektiv !MNemºhgkur in System I, 506 f. als Ausdruck der d¼malir p²mtym Gottes interpretiert. Dass Cudworth in seinem System die Vorstellung einer „Schçpfung aus dem Nichts“ vertritt und Gott daher die Materie hervorgebracht hat, wird z. B. auch in System III, 411 impliziert – im Unterschied zur Vorstellung, die Platon im Timaios vertritt. 61 Zur Fremdheit dieses Adjektivs in Cudworths Augen siehe System I, 506. Die Vorstellung des mnnlich-weiblichen Prinzips findet sich auch im Hermetismus, vgl. Bleuel Puliafito, in Mulsow (2002), 244. Es taucht bei Patrizi in der Panarchia IX, 18v auf, allerdings im Kontext der Darstellung der Binnendynamik der Trinitt anhand chaldischer Texte. Bei Patrizi liegt der Funktionalisierung der sptantiken Texte das gleiche hermeneutische Verfahren zugrunde wie bei Cudworth, was die kurze Auslegung des chaldischen Fragments direkt im Anschluss durch Patrizi belegt: „Hanc opificem mentem, verbo consubstantialem affirmat esse“ (ebd.). 62 System I, 506 – 508.

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[n] Selbstkonstitution Gottes“, eine zentrale Eigenschaft christlicher Trinittsspekulationen.63 Cudworth versteht also das „orphische“ Adjektiv in umfassendem Sinne als poetische Umschreibung (oder Verhllung) der metaphysischen Vorstellung Gottes als d¼malir comilºr bzw. fkg d¼malir.64 Er beruft sich fr diese Deutung auf eine Interpretation des Damaskios und ordnet den semantischen Gehalt von !MNemºhgkur schon durch diese Auswahl seines Interpreten in die neuplatonische Systematik ein.65 So ist auch der „orphische“ Gott als erster Gott einer langen, von ihm abhngigen Gçtterkette etabliert, seine hnlichkeit zu einem allgemein oder latitudinarisch-christlichen Gottesprinzip hergestellt und damit ein starkes Argument fr den Monotheismus als eigentlichem Merkmal der orphischen Theologie gefunden. Auf diesem Fundament, d. h. auf dem von ihm konstruierten neuplatonischen Monotheismus der am Beginn seiner Religionsgeschichte stehenden zoroastrischen und orphischen Theologie, entwickelt er seine Version eines einheitlichen antiken Gottesbegriffs weiter. Cudworth geht nun aus von den Begriffen der „Vollkommenheit“ und der Unendlichkeit,66 die in ihrem Zusammenhang mit Gottes Funktion als causa efficiens 67 („cause of all things“) thematisiert werden, denn in dieser Funktion steht Gott als Schçpfer zur passiven Materie in einem Bezug. Dabei zeigt sich, dass fr Cudworth die Unendlichkeit bzw. Uneingegrenztheit wesentlich fr Gottes Vollkommenheit ist, und zwar in dem Sinne, dass diese Uneingegrenztheit nach Cudworth bereits bei den Vorsokratikern, von denen er hier Melissos herausgreift, die unendliche Wirkkraft Gottes bezeichnet:68 63 Zur „Selbstkonstituion Gottes“ z. B. bei Marius Victorinus siehe Beierwaltes (1998), 33 f. 64 comilºr bzw. fkg d¼malir tauchen wie bereits erçrtert als Bezeichnungen fr Gott bzw. den schçpferischen Aspekt Gottes auf in System I, 411 und 415 und 509 f. 65 Hier ist besonders die Wendung t/r p²mtym cemmgtij/r oqs¸ar interessant, mit der Cudworth, wenn auch implizit, an das Energeiai-Schema und die Vorstellung Gottes bzw. des Einen als d¼malir p²mtym anknpfen kann. 66 System I, 307. 67 Die Begriffe von „power“ und „action“, die Cudworth im Folgenden zur Explikation der Urschlichkeit des ersten Prinzips heranzieht, bezeichnen auch zentrale Begriffe des Puritanismus, dazu Cassirer (2002/1932), 226 f. Der explizite Fokus auf diesen Aspekt kann dabei mçglicherweise als Aufnahme des in Richard Hookers Traktat The Laws of Ecclesiastical Polity formulierten „Auftrags“ angesehen werden, Gott in Abgrenzung von katholischen Schwerpunktsetzungen dezidiert als in der Welt wirkende causa efficiens zu denken. Zu Hooker und der Wirkung seines Traktats auf die Vorstellung von „scientific arguments“ im England des 17. Jhs. generell siehe Olson, in Burwick (1987), 10 – 11. 68 System II, 47. Im Zuge dieser Vorsokratikerauslegung identifiziert Cudworth die – von ihm unterstellten – Gottesvorstellungen des Xenophanes, des Parmenides und des

228 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott But Melissus, though considering the immutability of the Deity likewise, yet attending to the inexhaustible perfection of its essence, the unlimitedness and unboundedness of its power, declareth it to be infinite, as well as ingenit or unmade. […] But Melissus calling God %peiqom “infinite,” in the sense before declared, as thereby to signify his inexhaustible power and perfection, his eternity and incorruptibility, doth therein more agree with our present theology, and the now received manner of speaking [Hervorh. L. B.].

Der hier zu erkennende Modus der projektiven Identifikation gegenber den antiken Philosophien, die in den Texten der Vorsokratiker das Eigene „wiedererkennt“ und das derart erschlossene Funktionalisierungspotential der Referenztexte nutzt, um die Positionen des System zu autorisieren und zu strken, fhrt somit sowohl zur Annahme einer Kontinuitt im Gottesglauben, die fr Cudworth von Zoroaster bis zu den Neuplatonikern und in die eigene Zeit reicht, als auch zu einer vereinheitlichenden Systematisierung der verschiedenen antiken, philosophischen Schulen und Anstze unter der Perspektive der prisca theologia und der eigenen Systemansprche. Durch ein Zitat aus Platons Sophistes konkretisiert Cudworth erneut diejenige metaphysische Eigenschaft Gottes, die allein erklren soll, warum Gott in allen antiken Theologien (der zoroastrischen, der orphischen und der pythagoreischen) als alleinige, eine, unendliche und erste Ursache, als !qwμ p²mtym, fungieren kann:69 Durch diesen (impliziten) Verweis wird Gott nmlich zur schçpferischen Allkraft (d¼malir p²mtym), zur d¼malir poigtij¶, die hervorbringt, was vorher noch nicht war.70 Dass Cudworth die im Platonischen SoMelissos miteinander. Um diese Gleichsetzung zu plausibilisieren, nimmt Cudworth eine auffllige, semantische Umprgung vor. Er verschiebt die Bedeutung des PPP/ Medio-Passiv pepeqasl´mom, das er Parmenides Gotteskonzeption zuschreibt, von „begrenzt/sich begrenzt habend“ hin zur Bedeutung „ein aktives und die Schçpfung begrenzendes Prinzip sein“. Zudem ist das Motiv der Begrenzung des Seienden bei Parmenides wesentlich mit dem Zwang der Notwendigkeit verknpft, dem das Seiende unterliegt, vgl. KRS, Frg. 298 = DK 28 B 8, 26 – 31. Cudworth muss sowohl die sprachliche Schwierigkeit seiner Deutung von pepeqasl´mom als auch den Textbefund in DK 28 B 8, 26 – 31 bewusst ignorieren, um eine bereinstimmung der Parmenideischen Vorstellung mit der christlichen Vorstellung des allmchtigen Schçpfergottes aufrecht erhalten zu kçnnen. Vgl. auch System I, 308 zur „infinite power“ als alles umfassende, alles be- und durchwirkende und dabei Struktur verleihende, d. h. begrenzende Allmacht. Dieser Interpretationsansatz wird von Mosheim kritisch zurckgewiesen, der mit seiner Kritik an Simplikios implizit auch Cudworth trifft: „That the explications of finite and infinite, here quoted from Simplicius are far-fetched, and altogether improbable, will be obvious to every one“ (System II, 48, Anm. 6). 69 Mosheim verweist in System II, 69 – 70, Anm. 9 auf die entsprechende Stelle in diesem Platon-Dialog und die sich daraus ergebenden Konsequenzen fr Cudworths Gottesdarstellung in diesem Abschnitt des System. 70 Die neuplatonischen Ursprnge dieser Vorstellung werden z. B. erçrtert in Beierwaltes (1985), 49 und Bergemann (2006), Kap. II. 1. 3. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Cudworth Platons Charakterisierung der Idee des Guten aus R. 516 c:

5.1 Ein konstruierter Monotheismus

229

phistes eher allgemein gehaltene Definition einer d¼malir poigtij¶ ohne zu zçgern auf sein erstes Prinzip bertrgt – woran selbst Mosheim keinen Anstoß zu nehmen scheint –71, lsst sich ebenfalls mit seinem neuplatonischen Systemdenken begrnden, denn schon Plotin bertrgt in Enneade V 4 genau dieses im Bereich des Empirischen beobachtete Prinzip auf das Eine:72 Aber wie entsteht [der Nous verstanden als Abbild] aus [dem Einen], wenn es doch in sich verharrt? Es gibt zum einen eine Wirkkraft des Wesens, zum anderen eine, die aus dem Wesen jedes Einzelnen hervorgeht. Die Wirkkraft des Wesens nun ist als Wirkkraft jedes Einzelne selbst [d. h. sie macht jedes Einzelne in seinem Wesen aus]; die hingegen, die aus dem Wesen hervorgeht, ist die, die notwendigerweise jedem folgt [d. h. ihm nachgeordnet ist], da sie von ihm verschieden ist; so wie es auch beim Feuer einerseits diejenige Wrme gibt, welche sein Wesen ausmacht, andererseits die, die aus jenem Wesen hervorgeht und die dann entsteht, wenn das Feuer dadurch seine mit seinem Wesen ursprnglich gegebene Wirkungskraft bt, dass es als Feuer verharrt (l´meim). So ist es nun auch in der oberen Welt und dort erst recht: whrend [das Eine] in seiner eigenen Wesensart verharrt, gewinnt, erzeugt aus der in ihm liegenden Vollendung, und da die Wirkungskraft mit ihm zusammenfllt, eine zweite Wirkungskraft, die [so] erzeugt wurde, selbstndige Existenz [rpºstasim] und gelangt, da sie aus einer großen Dynamis, ja der grçßten p²mtym aUtior mit der Vorstellung der d¼malir poigtij¶ aus dem Sophistes zu koppeln scheint. Sein kreativer Umgang mit den Platonisch-neuplatonischen Philosophemen wird daran deutlich, dass er Beschreibungen des ersten Prinzips (der Idee des Guten/des Einen) mit denen des Nous (des zweiten Prinzips) und sogar des dritten Prinzips, der Weltseele, kombiniert, um sein eigenes erstes Prinzip zu beschreiben. Dabei steht seine Vorstellung von der trinitarischen Struktur dieses Prinzips/Gottes im Hintergrund. Dass Cudworth diesem Gott und damit Platons Gotteskonzeption explizit die Schçpfung aus dem Nichts zuschreibt, zeigt System II, 69 f., wo Cudworth von Gott als „cause of all things“ sagt, dass die Dinge durch ihn Existenz erlangt htten: „from an antecedent nonexistence brought forth into being“. 71 Siehe Anm. 9 in System II, 70. 72 Zur folgenden Stelle und der Bedeutung des in ihr explizierten Energeiai-Schemas (siehe folgende Anm.) fr die Plotinische Metaphysik des Einen siehe Bussanich, in Gerson (1996), 46 – 51: „Insofar as it is efficient cause the Ones operational attributes are activity and power“ (ebd. 48). Ausgehend von dieser metaphysischen Grundlage erçrtert Bussanich das „principle of undiminished giving“ (ebd. 49) und die damit zusammenhngenden Philosopheme und Metaphern. Zur damit eng verbundenen christlich-neuplatonischen Vorstellung Gottes als bonum diffusivum sui siehe z. B. Leinkauf (1992), 738 f. mit Anm. 25 auf S. 751. Dort wird Ficino, Comm. In Parm. c. 44, Op. 1164 zitiert: „[…] praesertim quia natura boni est, quasi diffundere se per omnia per processum, vicissimque per insitum singulis appetitum ad se unum omnia revocare“. Außerdem Leinkauf (2002), 55 – 56 mit Anm. 89 und 92 mit weiteren Belegstellen aus Ficinos Parmenides-Kommentar. Leinkauf geht hier auch kurz auf die „explikative Kraft der Ideen“ (ebd. 56, Anm. 89) ein; vgl. zustzlich Scheuermann-Peilicke (2000), 109 – 119 und Beierwaltes (1998), 90 f., der auf die theologische Explikation dieser Vorstellung bei Dionysios Areopagita eingeht sowie auf deren systematische Verschrnkung mit dem Philosophem der Gleichzeitigkeit von Immanenz und Transzendenz des ersten Prinzips, d. h. Gottes, und die damit zusammenhngende, auch bei Cudworth hufig zu beobachtende Quell- und Lichtmetaphorik.

230 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott von allen stammt, zum Sein [eWmai] und zum Wesen [oqs¸am]. Denn [das Eine] war jenseits des Wesens; zwar ist Jenes die auf alles gerichtete/wirkende Dynamis (d¼malir p²mtym), [der Nous] aber ist dann alles [in Dasein und Wesen].73

Die berblendung verschiedener Anstze Platons, Plotins und aus der Genesis (des Demiurgen mit denen der d¼malir poigtij¶ aus dem Sophistes und der des Einen/Guten als d¼malir p²mtym Plotins und der christlichen Darstellung der Schçpfung aus dem Nichts74) mndet also in eine integrierende Prinzipienvorstellung, die Cudworth zwar Platon zuschreibt, die aber eher den Ansprchen seines eigenen Systems gengt und sich als Konfiguration Platonischer, neuplatonischer und christlicher Elemente erweist.75 Diese dynamische Konzeption des ersten Prinzips ist fr die Funktion Gottes im System von großer Wichtigkeit, und Cudworth greift mehrfach in verschiedenen Zusammenhngen auf sie zurck.76 Man darf also annehmen, dass sie einen zentralen Bestandteil seiner Lehre und seines Weltsystems ausmacht.77

73 Plotin, Enn. V 4, 2, 26 – 39. Dem Energeiai-Schema Plotins zufolge lsst also die wesentliche 1m´qceia t/r oqs¸ar im Verharren (l´meim) eine zweite, nach außen gerichtete Energeia, die 1m´qceia 1j t/r oqs¸ar, aus sich hervorgehen. Dieses Schema gilt fr Plotins gesamtes ontologisches System und auch fr das Eine/Gute. Dass Cudworth dieses Schema gekannt hat, zeigt deutlich dessen Anwendung in System III, 396. Vor Cudworth wird es u. a. an zentraler Stelle von Ficino ebenfalls zur Explikation innertrinitarischer Prozesse genutzt; siehe dazu Scheuermann-Peilicke (2000), 69 – 99. 74 Zu Augustinus als einem Reprsentanten dieser Genesisauslegung siehe unten S. 356 f. u. 362 f. 75 Prompt kritisiert Mosheim diese harmonisierende Deutung Platons durch Cudworth scharf, siehe System II, 70, Anm. 9. Interessant ist, dass nach Mosheims Angaben diese Interpretation schon von Ficino vorgenommen wurde. Hat sich Cudworth an Ficino orientiert? So schreibt Ficino in Anlehnung an Plotins Energeiai-Schema und an Dionysios Areopagita mit Bezug auf das Sonnengleichnis in De amore, oratio secunda, 10v11r/146 f./1324: „Eodem modo primus ille actus omnium, qui deus dicitur, spetiem actumque rebus singulis producendo largitus est. […] sed divini solis perpetua et invisibilis lux una semper omnibus adstat, fovet, vivificat, excitat, complet et roborat. De quo divine Orpheus: Cuncta fovens atque ipse ferens super omnia sese. Ut est actus omnium roboratque, bonum dicitur. Ut vivificat, lenit, mulcet et excitat, pulchrum. Ut in obiectis que noscenda sunt, tres illas cognoscentis anime vires, mentem, visum, auditum allicit, pulchritudo. […] Denique ut bonum, procreat, regit et complet. Ut pulchrum, illuminat gratiamque infundit.“ Dazu Scheuermann-Peilicke (2000), 109 – 111. 76 Z. B. in System I, 411, 415, 456 und 635. Auch diese Vorstellung findet sich z. B. bei Ficino, der Gott in einem Dialog mit der Seele sagen lsst: „Coelum et terram ego impleo, et penetro, et contineo. Impleo, non impleor, quia ipsa sum plenitudo. Penetro, non penetror, quia ipsa sum penetrandi potestas. Contineo, non contineor, quia ipsa sum continendi facultas“ (Opera omnia, fol. 610; zitiert bei Cassirer [1932/2002], 219 mit Anm. 96). Ficino und andere Renaissance-Philosophen werden Cudworth fr die mit der transitiven Dynamik des ersten Prinzips verbundenen Bedeutung des im System zentralen peqi´weim-Motivs aller Wahrscheinlichkeit nach zustzlich sensibilisiert haben; siehe nchste Anm.

5.1 Ein konstruierter Monotheismus

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Mçglicherweise im Rekurs auf Enneade VI 4, 3, wo Plotin versucht, das Problem der ungeteilten Anwesenheit des Seienden als Ganzem berall in der Welt vermittels der nachgeordneten dum²leir d³ !p aqtoO Q´mai 1p· p²mta zu lçsen,78 fhrt Cudworth an etwas spterer Stelle einen Text an, der diese wirkkraftvermittelte Immanenz Gottes in der Welt nher erlutert und sie zugleich als den wahren Sinn der antik-paganen Religion auszeichnet, den „true and genuine sense of this Pagan polytheism“.79 Cudworth bezieht sich diesmal auf den Kirchenvater Eusebius von Caesarea:80 Eusebius Caesariensis likewise gives us this account of the Pagans creed, or the tenor of their theology, as it was then held forth by them: þma c±q emta he¹m, pamto¸air dum²lesi, t± p²mta pkgqoOm, ja· di± p²mtym di¶jeim, ja· to?r p÷sim 1pistate?m7 !syl²tyr d³ ja· !vam_r 1m p÷sim emta, ja· di± p²mtym di¶jomta7 ja· toOtom eQjºtyr di± t_m dedgkyl´mym s´beim v²si, “The Pagans declare themselves in this manner, that there is one God, who with his various powers filleth all things; but being incorporeally and invisibly present in all things, and pervading them, he is reasonably worshipped by or in those things that are manifest and visible.”

Auch hier wird Gottes Wirken in der Welt kraftmetaphysisch erklrt, was ebenfalls Rckschlsse auf das Wesen Gottes selbst zulsst: Der Ursprung dieser weltimmanenten gçttlichen Wirkkrfte muss ein Gott sein, der zumindest einem Aspekt seines Wesens nach eine schçpferische Allkraft ist. Cudworth lsst entsprechend auch die altgyptische Gottheit, die im Tempel von Sais verehrt wurde, in einer Inschrift selbst auftreten und sich an den Leser wenden, die er im Anschluss ebenfalls in seinem Sinne auslegen kann:81 „The whole world is nothing but myself veiled.“82 Denn in der Ausdeutung durch Philon in 77 Diese Kraft als Gott oder dieser Gott als Kraft weist ihrerseits eine ausdrcklich neuplatonische Struktur auf: Sie wird nicht nur durch ein spezifisches Ineinander von Wirken und Wahrnehmen charakterisiert (System I, 316), sondern ist auch die metaphysische Begrndung dafr, dass Gott alles in sich enthalte („virtually contains all things“, System I, 317). Vgl. dazu auch System I, 514, wo Cudworth bei der Interpretation des berhmten þm ti t± p²mta Proklos heranzieht, um zu zeigen, dass Gott alles umfasse, d. h. urschlich hervorbringe, und damit alles auch irgendwie Gott bzw. Gott hnlich sei: „T± fka peqi´wym [Hervorh. L. B.] b Fe»r ja· p²mta lomadij_r ja· moeq_r […] , Jupiter, who containeth [Hervorh. L. B.] the universe, and all things within himself, unitively and intellectually, […] Wherefore, as to the supreme Deity, these Orphic theologers made him to be all things, chiefly upon the following accounts; first, because all things coming from God, they inferred, that therefore they were all contained in him, and consequently were, in a certain sense, himself; […]“; dazu s. u. S. 235 – 238. 78 Dazu oben S. 209 und u. S. 429. 79 System I, 320. Siehe dazu oben S. 207 mit Anm. 1 und 2. 80 System I, 461 f. zu Eusebius, Praeparatio evangelica 3, 9, 22 (= Eusebius Werke, Bd. 8; ed. Mras, Berlin 1954 – 1956). 81 Etwas spter auf derselben Seite im System wird die Gçttin Isis von Cudworth auf dieselbe Weise funktionalisiert. 82 System I, 576.

232 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott der Interpretation von Cudworth ist alles, durch das die Gottheit als erste wirkende Ursache hindurchstrçmt, deren Wirkung, deren vielfltige Entfaltung, in der die Gottheit anwesend ist, nicht in einem rumlichen Sinne, sondern wie die wirkende Ursache in ihren vielen verschiedenen Wirkungen. Die Gottheit ist damit anwesend als „wisdom or mind passing and diffusing itself through all things“, wie ein von Cudworth angefhrtes Zitat von Athenagoras sagt.83 Die ganze Welt ist in diesem Weltmodell Deus explicatus,84 die Gesamtheit der radii Deitatis, der strahlenartig von ihrem Ursprung ausgehenden Formkrfte. Schon bei Plotin finden diese Vorstellungen, wiederum in Einklang mit den Darstellungen in den Enneaden V 6, V 4 und VI 4, ihre Entsprechung in der metaphysischen Erklrung der Welt als 5kkalxir, d. h. als Ausstrahlung einer Kraft- oder Logoskontinuitt, die zu verstehen ist als eine zunehmende Ausdifferenzierung lichthaft verstandener Wirkkrfte.85 Aufgenommen und weiterentwickelt wird dieses Modell der Welterklrung dann u. a. bei Ficino und Patrizi, besonders in dessen Panaugia, in derem 10. Buch Gott als Lichtquelle verhandelt wird.86 Cudworths Argumentation setzt damit eine breite Tradition fort. Insgesamt sttzen alle diese Texte die Annahme, dass Cudworth seine Welt wie die sptantiken Neuplatoniker als dynamisches Kontinuum in der Abhngigkeit von Gott als der ersten, alles hervorbringenden Wirkkraft versteht, die in einer fr ihn paradigmatischen Form von Plotin dargestellt wurde. Daher verwundert es nicht, wenn Cudworth u. a. zwei weitere entsprechende Plotinstellen heranzieht, die das Verhltnis zwischen Gott und dem Folgenden als po¸gsir in Form der 5kkalxir der bergeordneten Ursache auf das Nachfolgende, in diesem Fall die Welt, beschreiben. Cudworth veranschaulicht mittels dieser Texte das Abhngigkeitsverhltnis zwischen Verursachtem und Ursache konsequent (neu-)platonisch als das zwischen Licht und Sonne und bereitet auf diese Weise seine Lçsung des Problems der Vereinbarkeit von Allanwesenheit bzw. Immanenz und Transzendenz und Einheit 83 System I, 577, auch 578 und 587. Dass Cudworth sich derart hufig auf diese Gottesbeschreibung beruft, kann als Indiz ihrer zentralen – und transformationslenkenden – Bedeutung fr sein System gedeutet werden. 84 Zur Vorstellung der Entfaltung Gottes siehe z. B. Leinkauf (1993), 145 – 149 zu Cusanus und 309 – 314 zur Funktionalisierung dieser Vorstellung bei Athanasius Kircher. 85 Siehe z. B. Plotin, Enn. IV 3, 17, 12 – 21; dazu z. B. Leinkauf (1993), 218 f., der am Beispiel Kirchers die Kombination von Lichtmetaphysik und Sphrenmodell zur Beschreibung der Entfaltung Gottes in die Welt erçrtert und auf die relevante Bibelpassage (Jac. 3, 16) sowie die exemplarischen Autoren der Patristik hinweist. Vgl. auch Bergemann (2006), 201 – 215 zum neuplatonischen Hintergrund dieses Vorstellungskomplexes. In der Renaissance wird dieser metaphysische Topos im Rahmen kosmogonischer Spekulationen u. a. aufgenommen von Ficino, dazu z. B. Kodera, in Allen/ Rees (2002), 298 f. und die nchste Anmerkung. 86 Zu Ficinos Lichtmetaphysik, mit der dieser den schçpferischen Aspekt von Gottes Wesen beschreibt, s. Scheuermann-Peilicke (2000), 109 – 119.

5.1 Ein konstruierter Monotheismus

233

Gottes vor,87 das in diesem Fall in Form der Auslegung eines in seinen Augen zentralen Glaubenssatzes u. a. der orphischen Theologie verhandelt wird, die Cudworth nun unter diesem Gesichtspunkt in die Darstellung im System einspielt: in Form seiner Auslegung des Glaubenssatzes des „Hen kai pan“.88 Auch in diesem Fall entsteht abschließend das Bild einer ebenso dynamischen wie kontinuierlichen Ontologie, die sich in Cudworths Konstruktion sowohl bei den gyptern, den Orphikern als auch in der Bibel ausgedrckt findet. In ihr wird die transzendente Stellung Gottes gegenber der geschaffenen Welt zusammen mit seiner wirkenden Allanwesenheit in ihr deutlich durch die in den Beispielen verwendete Metaphorik auf eine Kraftmetaphysik Plotinscher Prgung zurckgefhrt:89 The second is, because the world produced by God, and really existing without him, is not therefore quite cut off from him, nor subsists alone by itself as a dead thing, but is still livingly united to him, essentially dependent on him, always supported and upheld, quickened and enlivened, acted and pervaded by him; according to that Orphic passage: 9m daqto?r aqt¹r peqim¸ssetai, “God passes through and intimately pervades all things.” Now, it is very true that some Christian theologers also have made God to be all, according to these latter senses; as when they affirm the whole world to be nothing else but Deum explicatum, “God expanded or unfolded,” and when they call the creatures, as St. Jerome and others often do, radios Deitatis, “the rays of the Deity.” Nay, the Scripture itself may seem to give some countenance also hereunto, when it tells us, that of him, and through him, and

87 System I, 411. Dasselbe Problem hatte Cudworth bei der Deutung des pythagoreischen Satzes 1m aqt` fkor 1m fk\; s. o. S. 217 f. 88 Zu diesem Konzept und seiner Bedeutung in der Geschichte des Monotheismus siehe die Untersuchungen von Jan Assmann zu diesem Motiv in Neugebauer-Wçlk (1999), 38 – 52 und Assmann (1998), 118 – 130. 89 Dazu Bergemann (2006), 69 – 86. Vgl. auch System I, 412: „So likewise Proclus concludes, that the world was !e· cicmºlemor, ja· 1kkalpºlemor !p¹ toO emtor, ,always generated or eradiated from God [Hervorh. L. B.], and therefore must needs be eternal, God being so. Wherefore these latter Platonists supposed the same thing concerning the corporeal world, and the lower mundane gods, which their master Plato did concerning his higher eternal gods; that though they had no temporary production, yet they depended no less upon one Supreme Deity, than if they had been made out of nothing by him. From whence it is manifest, that none of these philosophers apprehended any repugnancy at all betwixt these two things; existence from eternity, and being caused and produced by another.“ Genau diesen Sachverhalt findet Cudworth desweiteren in einem Auszug aus dem Corpus Hermeticum, den er in System I, 590 zitiert: „Book the eleventh: Aqtouqc¹r c±q £m !e¸ 1stim 1m t` 5qc\, aqt¹r £m, d poie?7 eQ c±q wyqishe¸g aqtoO, p²mta l³m sulpese?shai, p²mta d³ tehm¶neshai !m²cjg, „God acting immediately from himself is always in his own work, himself being that which he makes; for if that were ‹n›ever so little separated from him, all would of necessity fall to nothing and die.“

234 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott to him are all things; which in the Orphic theology is thus expressed; “God is the beginning, and middle, and end of all things;” […]90

Der Kosmos der Orphiker wird damit ebenso wie Cudworths Welt im System zu einem „Kontinuum im Vollsinn“,91 worauf er selbst vermittels der von ihm herangezogenen antiken Texte wiederholt hinweist,92 einem Kontinuum, das sich, neuplatonisch gedacht, als sich entfaltende, ausdifferenzierende Kraft realisiert. Cudworth bemht sich dementsprechend, diesen Entfaltungs- und Durchdringungsprozess, der zugleich der Modus ist, in dem sich Gott umfassend (als peqi´wym) der Welt mitteilt, prziser und unter Verwendung von im System zentralen Erklrungsmustern zu bestimmen und eine systematische Verknpfung der auf den ersten Blick disparaten Vorstellungen des peqi´weim, des Deum explicatum und der Schçpfung als radii Deitatis mit dem „orphischen“ Theologoumenon des 6m ti p²mt zu ermçglichen.93 Ganz in diesem Sinne wird dann das vermeintlich orphische Dictum aqtºr 1sti p²mta. d. h. des Gottes, der alle [Dinge] ist, vor dem Hintergrund eines der zentralen Probleme der neuplatonischen Metaphysik ausgelegt, das ebenso wesentlich fr das Funktionieren von Cudworths eigener Naturphilosophie ist:94 90 System I, 515. Mçglicherweise ist auch Ficino, De amore, oratio secunda, c. II , 10v-11r/ 146 – 147/1324 ein weiterer Text, der Cudworths Antikentransformation in diesem Fall perspektiviert. 91 Waschkies (1977), 194 gebraucht diese Wendung, um eine Kontinuums-Vorstellung des Aristoteles zu beschreiben, mit der sich Aristoteles nach Waschkies Ansicht „am Modell der biologischen Organismen“ orientiert (ebd.). 92 Z. B. System I, 515; s. auch oben S. 219 f. zu Pythagoras. Vgl. Bergemann (2006), 131 f. Besonders grundlegend drfte u. a. Plotin, Enn. V 2, 2, 24 – 29 sein, s. u. S. 238. Zu dieser Vorstellung eines von Gott ausgehenden Schçpfungskontinuums, das sich als „ein Krftesystem mit realer Emanation und Influenz“ realisiert, in der Renaissance siehe u. a. Gloy (1996), 22 – 23. Gloy verweist hier paradigmatisch auf Porta und Agrippa von Nettesheim. Grundlegend ist ihre Interpretation, dass sich in einer derartigen Darstellung das Universum zeigt als „eine Einheit [..], in der alles mit allem dank des Einflusses der substantiellen Kraft [des Ureinen] verbunden ist“. Damit ist eine wesentliche berzeugung markiert, die sich in Cudworths System manifestiert. Leinkauf (1993), 85 – 100 arbeitet u. a. an den Vorstellungen des omnia in omnibus und der panspermia das Konzept der Welt als „lebendige[r], aspektreiche[r] und in sich dynamisch vermittelte[r] Prozessganzheit“ (85) bei Kircher heraus. 93 Diese Vielfalt in der Darstellung bei gleichzeitiger bereinstimmung im Inhalt zeigt erneut, dass fr Cudworth die antiken Polytheisten lediglich in der Form der Gottesverehrung in die Irre gingen, nicht aber einen falschen Gottesbegriff oder eine falsche Vorstellung von Gott hatten. Zumindest nicht, was Cudworths eigenes Gottesbild im True Intellectual System angeht, der seinen Gott in eben dieser Form als wirkurschliches Prinzip konzipiert, um ihn auf diese Weise in der naturphilosophischen Diskussion seiner Zeit etablieren zu kçnnen. Siehe zustzlich System II, 296 f. 94 Auch daran lsst sich ablesen, dass und wie Cudworth in der transformierten Antike immer auch das Eigene sagt, bzw. seine Systematik gerade in den Transformationen der Antike zu finden ist.

5.1 Ein konstruierter Monotheismus

235

das der Erklrung der Entstehung strukturierter Vielheit, die in einer Ganzheit aufgehoben ist, ohne ihre eigene Struktur zu verlieren.95 So wird die Frage, wie das aqtºr 1sti p²mta zu verstehen ist, wenn es keinen Pantheismus bezeichnen soll, gedeutet als Frage, wie die Neuplatoniker die Aussage 6m ti t± p²mta verstanden bzw. erklrt haben und damit zu einem metaphysisch-systematischen Problem. Mit einem Zitat aus Proklos,96 der sich auf Orakel beruft, die Cudworth als orphische deklariert, entwickelt Cudworth seine Antwort auf diese Frage. Entsprechend der allgemeinen Interpretation des Verhltnisses zwischen dem ersten Gott und den folgenden, gleichsam dem Grundpfeiler der gesamten Monotheismuskonstruktion,97 stellt Cudworth den Zusammenhang zur neuplatonischen Konzeption des „Umfassens“ (hier im Griechischen im Partizip peqi´wym) her. Gott als Ursache aller Dinge bzw. der gesamten Schçpfung bringt diese hervor, hat sie also („vorher“ im Sinne von „urschlich“) in sich getragen und damit „umfasst“ und ist sie in diesem Sinne: „[…] because all things coming from God, they inferred, that therefore they were all contained in him, and consequently were, in a certain sense, himself“.98 Das erklrt das 6m ti p²mt des Verses, den auch Proklos auslegt, und widerlegt den Pantheismusvorwurf. Gott ist als Ursache, als dynamischer Urquell alle Dinge, dadurch aber ebenso von ihnen als von ihm Verursachten verschieden, wie Urbild und Abbild sich zwar hneln, dennoch aber nicht identisch sind. Zum differenzierteren Verstndnis auch der sachlichen Ebene der gesamten kombinatorischen Transformation, die Cudworth hier ausgehend vom Proklostext an den Orphikern vollzieht, ist es angebracht, zu betrachten, was zumindest nach Cudworths Ansicht damit gemeint sein kçnnte, wenn Proklos in diesem Zusammenhang davon schreibt, dass Zeus, der hçchste Gott und erstes Prinzip, „alles auf monaden- und geisthafte Art umfasse“.99 Ausgehend von der terminologischen Bedeutung von peqi´weim, der gemß dieses Wort, wie gezeigt, auch fr Cudworth eine ontologische Urschlichkeit in dem Sinne bezeichnet, dass das ontisch Hçherstehende das Niedrigere hervorbringt und ihm Einheit und Struktur verleiht, ist im Folgenden besonders das ungewçhnliche Adverb lomadij_r von Interesse, denn der schçpferische Pro95 Seinen Ausdruck erhlt dieses Problem bei Cudworth durch ein Proklos-Zitat, in dem es unter anderem heißt: „p_r d³ loi 6m ti t± pamt 5stai, ja· wyq·r 6jastom“ (System I, 514). 96 Vgl. Procl., In Ti. II, 94, 31 – 95, 11 (ed. Ernst Diehl, Leipzig 1904). Die Seiten 235 – 237 enthalten eine angepasste Version von Bergemann, in Neumann (2009), 99 – 102. 97 Siehe u. a. System I, 374; dazu s. o. S. 148 f. u. 221 f. 98 System I, 514. 99 System I, 514: „T± fka peqi´wym b Fe»r ja· p²mta lomadij_r ja· moeq_r […]“. Cudworths systematische Funktionalisierung dieser Verse ist in einem engen Zusammenhang mit seinen Interpretationen zur pythagoreischen Monade in System II, 6 – 8 zu sehen; dazu s. o. S. 222 – 224.

236 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott zess des peqi´weim wird durch das Adverb lomadij_r „nach Art einer Monade“ weitergehend qualifiziert und zwar in einem Sinne, der durchaus den Zitaten entspricht, die Cudworth aus orphischem, pythagoreischem und christlichem Textbestand zur Deutung des „grand arcanum“ der orphischen Theologie zusammenfhrt.100 Nach Proklos, Inst. § 21, 4 – 6 und 15 – 18 garantiert die Monade als schçpferisches Prinzip zum einen die Einheit dessen, was aus ihr hervorgeht, und zwar des Ganzen als auch der einzelnen Elemente dieses Ganzen untereinander als auch zum Ganzen insgesamt. Zum anderen ist dieser Schçpfungsprozess ein Abstieg in die Vielheit: eQr t¹ pk/hor rpºbasim, ein Verstrçmen und Abnehmen der schçpferischen Kraft der Monade bei gleichzeitig zunehmender Ausdifferenzierung und Zunahme der Vielheit.101 Auch wenn Cudworths bersetzung des griechischen lomadij_r durch „unitively“ auf den ersten Blick eine Konzentration auf den ersten Aspekt dieses Schçpfungsvorgangs nahezulegen scheint, zeigen doch die weiteren Texte, die er in diesen Kontext einspielt, dass es ihm durchaus auf die ontologische Verschrnkung der beiden Motive von Einheit und Ausdifferenzierung ankommt. Besonders deutlich wird dies, wenn Cudworth mit Bezug auf die christliche Vorstellung von der Welt als „Deum explicatum“ denselben anfnglich als orphisch deklarierten Sachverhalt – nmlich dass EIN Gott alles ist – erklrt, den er ebenso in den bereits in System I, 514 erçrterten Zeilen aus Proklos verhandelt.102 100 Zur Bedeutung des Begriffs „Monade“ in der sptantiken Philosophie siehe jetzt den berblick bei Leinkauf, in Neumann (2009), 1 – 8. 101 „P÷sa t²nir !p¹ lom²dor !qwol´mg pqºeisim eQr pk/hor t0 lom²di s¼stoiwom, ja· p²sgr t²neyr t¹ pk/hor eQr l¸am !m²cetai lom²da. B l³m c±q lºmar, !qw/r 5wousa kºcom, !pocemmø t¹ oQje?om 2aut0 pk/hor7 di¹ ja· l¸a t²nir, D fkg paq± t/r lom²dor 5wei tμm eQr t¹ pk/hor rpºbasim7 […] 5stim %qa lom±r l¸a pq¹ toO pk¶hour jah 2j²stgm t²nim ja· eRql¹m t¹m 6ma kºcom to?r 1m aqt0 tetacl´moir paqewol´mg pqºr te %kkgka ja· pq¹r t¹ fkom. Every order has its beginning in a monad and proceeds to a manifold co-ordinate therewith; and the manifold in any order may be carried back to a single monad. For the monad has the relative status of an originative principle (!qw/r 5wousa kºcom), and so generates the appropriate manifold. Hence a series or order is a unity, in that the entire sequence derives from the monad its declension into plurality. […] Thus in each order or causal chain there exists a single monad prior to the manifold, which determines for the members of the order their unique relation to one another and to the whole“ (Procl., Inst. §21, p. 24, 1 – 6 und 15 – 18; ed./bs. Dodds). „B c±q t/r lom²dor d¼malir jat± tμm vvesim eQr pk/hor !e· pqºeisi, t0 l³m dum²lei keipºlemom, t` d³ !qihl` pkeom²fom […] for as the power of the monad declines it proceeds ever further into plurality, making up in numbers what it loses in power“ (Procl., Inst. § 204, p. 178, 29 – 31, ed./bs. Dodds). 102 „Now, it is very true that some Christian theologers also have made God to be all, according to these latter senses; as when they affirm the whole world to be nothing else

5.1 Ein konstruierter Monotheismus

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Genau wie die Monade sich als Kraft (d¼malir) in die Vielheit entfaltet, entfaltet sich der eine Gott in seine Schçpfung und strahlt quasi als Lichtquelle verschiedene Strahlen von sich aus.103 Hinsichtlich der metaphysischen Semantik dieses Bildes von Ausstrahlung und Entfaltung ist nun relevant, dass es nicht nur Hervorbringen und die Entwicklung von strukturierter Vielheit bedeutet, sondern zugleich betont, dass die vielheitliche Schçpfung kontinuierlich von Gott abhngt, wie das Licht von der Sonne. Aufgrund dieser speziellen Abhngigkeit kann Cudworth, auch wenn Gott als eine Art Monade, aber eben eher im Sinne eines Energiezentrums, gedacht wird, die gesamte Schçpfung als ein Kontinuum im Vollsinn betrachten, das von Gottes vermitteltem Wirken (z. B. im schçpfungsrelevanten Modus des Eros bzw. der transitiven Liebe oder einer Art Weltseele) und daher nicht von ihm selbst an sich, vollstndig durchdrungen wird. Auf diese Weise gelingt es Cudworth, die bereits aus seinen berlegungen zur plastic nature bekannte organologisch-sympathetische Struktur der Welt aus den wesentlichen Eigenschaften des orphischen Gottes abzuleiten und es gelingt ihm damit zugleich, den vermeintlich orphischen Glaubenssatz des „Hen kai pan“ bzw. des „aqtºr 1sti p²mta“ zu erklren. Hinter der Kombination der Proklisch-orphischen Texte und ihrer Terminologie des Umfassens mit der christlichen Motivik der Schçpfung als Entfaltung Gottes und als „Strahlen Gottes“ ist auch in diesem Fall der Auslegung antiker Texte durch Cudworth transformationslenkendes, neuplatonisches Gedankengut zu vermuten, das von Cudworth allerdings nicht explizit gemacht wird. Zu denken ist z. B. in Ergnzung zu den bereits genannten Proklischen Texten an Plotin, Enneade IV 5, 7, 13 – 23: Es ist nun aber die Wirkungskraft, die innerhalb [der Sonne] sich befindet, sowohl gleichsam ihr Leben, nmlich umfassenderes, als auch gleichsam Urgrund und Quelle der [heraustretenden] Wirkkraft. Diese wiederum, die ber die Grenze des Kçrpers hinausgeht, ist ein Abbild [eUdykom] des Inneren; sie ist die zweite Wirkungskraft, die aber von der ersten nicht losgelçst ist. Denn jegliches Seiende hat eine Wirkungskraft, die ein Abbild [blo¸yla] von ihm ist, dergestalt, dass, wenn [das Seiende] selber da ist, auch dies Abbild da ist, und solange [das Seiende] beharrt, [das Abbild, d. h. die nach außen heraustretende Wirkkraft] sich zum entfernten hin ausdehnt, bald weiter, bald weniger weit. Diese Wirkungskrfte sind teils schwach und trbe oder bleiben ganz im Verborgenen, von anderen Seienden wieder sind sie grçßer und wirken in die Ferne; wenn eine solche in die Ferne but Deum explicatum, ,God expanded or unfolded, and when they call the creatures, as St. Jerome and others often do, radios Deitatis, ,the rays of the Deity“ (System I, 515). 103 Siehe ebenso System I, 514 f. Zur neuplatonischen „Entfaltung“ siehe u. a. Bergemann (2006), 208 mit Anm. 633. Cudworth scheint hier ganz unmittelbar neuplatonische und christliche Vorstellungen zu verschmelzen: Der von ihm direkt angefhrten christlichen Vorstellung der Welt als „Deum explicatum“ entspricht unmittelbar, wenn auch von Cudworth hier nicht expliziert, Plotins Verwendung des Verbs 1nek¸ttolai zur Beschreibung desselben ontischen Vorgangs.

238 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott wirkt, so ist von ihr anzunehmen, dass sie einerseits dort ist, wo das Wirkende und Vermçgende [an sich] sich befindet, andererseits auch dort, wohin sie dringt.

In diesem Text erçrtert Plotin das metaphysische Grundlagenschema, das das Weltbild des System fundiert und auf das Cudworth, wenn auch implizit, im Falle seiner Harmonisierung von orphischer und christlicher Theologie via Neuplatonismus (in diesem Fall explizit Proklos, implizit Plotin) rekurriert. Die fr Cudworths Exegese des antik-paganen 6m ti p²mt in seinem christlich-monotheistischen Sinne nçtige Kontinuittsvorstellung, dergemß Kontinuitt Entfaltung einer ersten Kraft impliziert, findet noch deutlicher in folgendem Text Plotins ihren Ausdruck, der seinerseits auf dem metaphysischen Fundament aus Enneade IV 5, 7, 13 – 23 aufbaut: Alle diese Stufen aber sind Jener und nicht Jener: Jener, weil sie aus ihm stammen, nicht Jener, weil Jener, indem er bei sich verharrte, sie dargab. Es ist wie ein lebendiger Lebensvollzug, der sich in die Weite erstreckt, jeder der hintereinander liegenden Abschnitte ist ein anderer, das Ganze jedoch ein in sich Zusammenhngendes, jeder Abschnitt ist zwar vom anderen verschieden, aber das Frhere geht im Spteren nicht verloren.104

In seiner Entwicklung des orphischen Gottesbildes ausgehend vom „orphischen“ Dogma des 6m ti p²mta fokussiert Cudworth folglich das metaphysische Problem der dynamischen Kontinuitt zwischen erstem Prinzip und Schçpfung. Er wendet sich dabei der Auslegung des orphischen Gottesbegriffs aus metaphysischer Perspektive derart zu, dass er in der Aneignung der entsprechenden antiken Texte den ontologischen Hintergrund der vermittelten Anwesenheit in der Welt auch und gerade seines Gottes im Ineinanderspielen des Antiken (als Prfiguration und Propdeutik) und des Eigenen entwirft.105 Die Annahme, dass Cudworth die Allmacht Gottes in eine allesumfassende Wirkkraft nach neuplatonischem Vorbild umwertet, kann zustzlich dadurch gesttzt werden, dass er dieses Prinzip sogleich mit dem ebenfalls zentralen (spt-)neuplatonischen Philosophem koppelt, dass auf Seiten des dem Einen Nachgeordneten als einziges Maß fr diese Kraft und ihr Wirken das Aufnahmevermçgen dessen diene, was das Wirken empfngt. Allerdings mndet die Verbindung von Wirkkraft und Aufnahmevermçgen in eine modifizierte Adaption und Hybridisierung des 1pitgdeiºtgr-Konzepts, das sich ursprnglich

104 Plotin, Enn. V 2, 2, 24 – 29. 105 Ebenso wird bei Cudworth aus dem „Einen Gott“ des Xenophanes in System II, 22 vermittels eines Simplikiostextes das fr die Konstruktion eines einheitlichen antikpaganen Monotheismus zentrale metaphysisch-theologische Konzept des 4m ja· p÷m herausgearbeitet: „L¸am d³ tμm !qwμm, Ctoi t¹ cm ja· p÷m, […] t¹ c±q 4m toOto ja· p÷m t¹m he¹m 5kecem b Wemov²mgr7 […]“. Zu diesem Konzept und seiner Bedeutung in der Geschichte des Monotheismus siehe Assmann, in Neugebauer-Wçlk (1999), 48.

5.1 Ein konstruierter Monotheismus

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bei Iamblich findet:106 „And then again, that this perfect power (which is also the same with infinite) is really nothing else but a power of producing and doing all whatsoever is conceivable, and which does not imply a contradiction; for conception is the only measure of power and its extent, as shall be showed more fully in due place.“107 Die unmittelbare Koppelung von Kraft und Aufnahmevermçgen ist systemimmanent begrndet, denn sie bezeichnet die entscheidende metaphysische Schnittstelle, an der eine Verbindung von neuplatonischer Geistmetaphysik, Trinittsspekulation und atomistischen Anstzen berhaupt erst mçglich wird: „Conceivable“ und „conception“ besitzen fr Cudworth in diesem Kontext nmlich offenbar eine doppelte Bedeutung. Zum einen bezeichnen diese Begriffe generell die Fhigkeit der prdisponierten Materie, das Wirken der von Gott ausgehenden intelligiblen Form- und Radialkrfte aufzunehmen (receive, d´weshai). Zum anderen bringen sie zum Ausdruck, dass dieses Wirken immer vernnftiges Wirken ist, d. h. vernnftige Muster umsetzt, da Gott, wie Cudworth mit seiner Trinittsspekulation zeigt, aufgrund seiner in sich verschrnkten Binnenstruktur immer nur den Mustern gçttlicher Vernunft folgend nach außen wirken kann. Diese Form einer sich selbst noetisch strukturierenden Kraft Gottes findet Cudworth in den antik-paganen Theologien prfiguriert in den verschiedenen Konzeptionen des Gottes Eros oder der vik¸a.

5.1.3 Eros oder die Liebe Gottes In Cudworths Konzeption der Liebe Gottes, die er ebenfalls aus der transformierenden Aneignung (spt-)antiker Texte entwickelt, bndeln sich zwei spannungsvolle Momente der trinitarischen Struktur seiner bisher entwickelten Gotteskonzeption: zum einen das Moment einer in sich gerichteten Wirkung Gottes (ad intra), zum anderen der Aspekt der Wirkung Gottes nach außen (ad extra). Fr die Hybridisierung der antiken Vorstellungen „gçttlicher Liebe“, die Cudworth vornimmt, ist es wesentlich, dass sie fr eine ausdrckliche Ablehnung calvinistischer und nominalistischer Allmachtsvorstellungen funktionali106 Vgl. dazu Gysi (1962), 117 mit Anm. 3; Bergemann (2006), 226 – 228 mit weiterer Sekundrliteratur zum Hintergrund dieses Modells bei Iamblich. Cudworth selber verschiebt die Erçrterung dieses Komplexes auf spter. Sie erfolgt – implizit – im Rahmen der Explikation des Trinittsgedankens und beinhaltet zudem die Annahme einer noetisch prdisponierten Materie nach dem Gedankenmodell der Panspermie, wie sie zuvor z. B. von Ficino gedacht wurde, dazu siehe Hirai, in Allen/Rees (2002), 264 – 268, der anhand entsprechender Zitate aus Ficinos Theologia Platonica die seminale Protostrukturierung der Materie herausarbeitet, an der sich Cudworth ebenfalls orientiert haben kçnnte. 107 System I, 308.

240 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott siert werden.108 So leiten Cudworths Ausfhrungen zur „Liebe“ (Eros) als einem innergçttlichen Wesenszug ber zu einem Aspekt Gottes, der noch ber dessen Allmacht anzusetzen ist und nach Cudworths Ansicht Gottes Wesen in der Hauptsache auszeichnet.109 Cudworth geht dabei aus von der bereits vorbereiteten Gleichsetzung Gottes mit der Idee des Guten, als p²mtym aUtior,110 die er zudem mit einer Timaios-Paraphrase sttzen kann, die Timaios Locrus zugeschrieben wurde. Fr sie findet Cudworth eine Parallele in der Kabbala und bestimmt schließlich in der Zusammenfhrung dieser Texte Gottes wichtigsten Wesenszug als Gut-Sein. Dieses Gut-Sein umfasst in sich Gte, Rationalitt im Sinne einer Art noetischer Selbstverpflichtung und Gerechtigkeit.111 Die untrennbare Verbindung dieser Eigenschaften miteinander und mit der schçpferischen Allkraft Gottes deutet Cudworth im Folgenden und seinen vorangehenden berlegungen zum Eros Hesiods entsprechend sogleich um und als Ausdruck der christlichen „love or charity“ unter Berufung auf seine hçchste Autoritt: die Bibel.112 Auf diese Weise wird den beiden spezifisch neuplatonischen Aspekten von Nous (mind)113 und Dynamis (power) die in die christliche Liebe Gottes umgedeutete, ursprnglich aus dem Timaios abgeleitete Gte oder Neidlosigkeit des ersten Prinzips als verbindendes Element und als Bedingung fr ihr gemeinsames Wirken vorangestellt, wie bereits Cudworths Fazit seiner ersten berlegungen zum antiken Gottesbegriff zeigt:114 […] But now we may enlarge and fill up that compendious idea of God premised, of a being absolutely perfect, by adding thereunto (to make it more particular) “such as infinitely good, wise, and powerful, necessarily existing, and not only the framer of the world, but also the cause of all things.” Which idea of the Deity is sufficient, in order to our present undertaking.

Die in diesem Kontext nun noch weiter abzusichernde Beziehung zwischen Liebe und Nous als ebenfalls fr den paganen Monotheismus wesentliche 108 Zu Cudworths Ablehnung der calvinistischen Gottesvorstellung siehe z. B. Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 465 und Lowrey (1884), 136 f. 109 System I, 311; vgl. auch die Anspielung auf die „dark thoughts concerning the Deity“ in System I, 315. 110 S. o. S. 145 u. 228 f. mit Anm. 70. 111 System I, 315. Wie Mosheim ebd., Anm. 10 anmerkt, bezieht sich Cudworth damit auf den Platonischen Timaios und das darin explizierte „Prinzip der Gte“; dazu siehe Lovejoy (1993/1936), 69 f. und Bergemann (2006), 126 – 129. Siehe auch Powicke (1926), 184 und 187 ff. 112 System I, 315: „But the Holy Scripture, without any metaphysical pomp and obscurity, tells us plainly, both what is that highest perfection of intellectual beings, which is jqe?ttom kºcou ja· 1pist¶lgr ,better than reason and knowledge, and which is also the source, life, and soul of all morality, namely that it is love or charity.“ 113 Cudworth setzt dabei zudem den Nous mit Wissen gleich. 114 System I, 316.

5.1 Ein konstruierter Monotheismus

241

Verbindung findet Cudworth schließlich in einem als Fragment bei Eusebius115 berlieferten orphischen Vers besttigt, in dem diese beiden Aspekte zusammen als pq_tor cem´tyq bezeichnet werden.116 Damit kann Cudworth die systematische Verbundenheit der drei wesentlichen Attribute seiner zusammenfassenden Bestimmung des Gottes-Begriffs, mit der die vorliegende Untersuchung zu Cudworths Konstruktion des antik-paganen Monotheismus im System begann,117 aus antiken Quellen ableiten und so zugleich zeigen, dass bereits in der paganen Antike das „richtige“ Gottesbild literarisch zum Ausdruck gebracht wurde und daher von einer allen Menschen gemeinsamen Gottesvorstellung ausgegangen werden darf. Dieser Gott ist aufgrund des Ineinanders seiner drei Haupteigenschaften im wesentlichen ein Gott, der sich durch Einheit auszeichnet, wie Cudworth zum Abschluss seiner Ausfhrungen ber den Gottesbegriff in System I, 318 f. betont. Diese innergçttliche Struktur, die sich aus der Verschrnkung der Aspekte „good“, „wise“ und „powerful“ ergibt, und die ihr entsprechende Funktion der „Liebe“ findet Cudworth, seiner eigenen Einschtzung zufolge, mustergltig bei Plotin zum Ausdruck gebracht: Which unusual and bold strain of theology is very much insisted upon by Plotinus, in his book, Peq· toO hek¶lator toO 2m¹r, “concerning the will of the first One, or unity;” he there writing thus of the supreme God: AUtiom 2autoO, ja· paq aqtoO, ja· di art¹m aqt¹r, “He is the cause of himself, and he is from himself, and himself is for himself.” And again: Aqtºr 1stim oxtor b poi_m 2aut¹m, ja· j¼qior 2autoO, ja· oqj ¦r tir 6teqor 1h´kgse cemºlemor, !kk ¢r h´kei aqt¹r, “This is he, who is the maker of himself, and is lord over himself (in a certain sense); for he was not made that which another willed him to be, but he is that which he willeth himself to be.” Moreover: Aqt¹r £m toOto, fpeq Ac²pgse, toOto d´ 1stim rpost¶sar art¹m, eUpeq 1m´qceia l´mousa ¦ste 1m´qcgla aqt¹r, !kk± %kkou l³m oqdem¹r, 2autoO %qa 1m´qcgla aqt¹r ja· ¢r aqt¹r 1h´kei, &c. “The supreme Deity loving himself as a pure light, is himself what he loved; thus, as it were, begetting and giving subsistence to himself, he being a standing energy. Wherefore, since God is a work or energy, and yet he is not the work or energy of another being, he must needs be (in some sense) his own work or energy; so that God is not that which he happened to be, but that which he willeth himself to be.”118

115 Eusebius, Praeparatio evangelica 3, 9, 2 (= Eusebius Werke, Bd. 8; ed. Mras, Berlin 1954 – 1956). 116 System I, 507 – 508. 117 System I, 316. S. o. S. 211 f.; vgl. auch S. 143. 118 System II, 71. Siehe auch die weiteren Zitate aus dieser Enneade Plotins im unmittelbaren Anschluss. Bemerkenswert ist schließlich Cudworths Fazit nach dieser Zitatencollage aus Plotintexten: “Neither have we set down all this, only to give an account of that one expression of Platos [Hervorh. L. B.], ,that God causeth himself and all things, but also to show how punctually precise, curious and accurate, some of these Pagans were in their speculations concerning the Deity [Hervorh. L. B.]” (System II, 73).

242 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott Es ist genau der hier verhandelte Inhalt der Verschrnkung von Autonomie bzw. Selbsturschlichkeit, Kraftgedanke und Liebe, der die wesentlichen Aspekte der Interpretationen Cudworths zum Eros als antik-paganer Form innergçttlicher Gte, die Kraft und Willen Gottes bindet, zusammenfhrt und der Cudworths eigene Konzeption einer christlichen Trinitt maßgeblich bestimmt. Die angefhrten Zitate ermçglichen es Cudworth somit, den Kraftaspekt der neuplatonischen Metaphysik und den vornehmlich christlich-theologisch konnotierten Aspekt des Willens eines personalen Gottes mit dessen Vernnftigkeit, d. h. seinem noetischen Aspekt der Selbstbestimmung, in einer Weise zusammenzufhren, die vermittels der Motive der Kraft, des Lichtes und der Liebe sowohl vorausgehende religionsphilosophische Interpretationen zur prisca theologia der Griechen (z. B. im Rahmen der Auslegung des orphischen Gottesattributs !MNemºhgkur oder der Deutung des zoroastrischen Gottes Mithras als Liebe) aufnimmt als auch seine spteren Trinittsspekulationen vorbereitet. Zugleich wird der gçttlichen Liebe/Gte in ihrer Funktion als nach außen gerichtetem Aspekt des ersten Prinzips bzw. Gottes ein ebenso transitives wie strukturierendes Moment zugeordnet.119 Er kann sich dabei auf seine in System I, 176 erfolgte Interpretation einiger Hesiodverse bei Aristoteles beziehen, in der er die Liebe Gottes als causa efficiens in genau den Begriffen beschreibt, die er auch in System I, 316 f. zur Charakterisierung des hçchsten Attributs Gottes heranzieht. Auf diese Weise gelingt es ihm, einen begrifflichen und thematischsystematischen Nexus zwischen diesen beiden Konzepten und Abschnitten herzustellen. Bereits im von Cudworth im Kontext der Hesiod-Auslegung mitzitierten griechischen Text bei Aristoteles, der seinerseits eine systematisierende innerantike Transformation darstellt, fallen die fr Cudworth zentralen Ausdrcke, die eine weiterfhrende Transformation der antiken „Liebe“ unter neuplatonischer Perspektive erlauben:120 […] ¢r d´om 1m to?r owsim rp²qweim tim± aQt¸am, Ftir jim¶sei ja· sum´nei t± pq²clata [Hervorh. L. B.]. […] ,As intimating herein, that besides matter, there ought to be another cause or principle, that should be the original of motion and activity, and also hold and conjoin all things together […] Wherefore we see no very great reason, but that in a rectified and qualified sense this may pass for true theology; that Love is the supreme Deity and original of all things; namely, if by it be meant 119 System I, 176 f. Vgl. auch die Konzeption der Liebe als einer aktiven, kosmogonischen Kraft bei Ficino, De amore, die Scheuermann-Peilicke (2000), 111 mit Verweis auf oratio secunda, c. II folgendermaßen skizziert: „Im Rckgriff auf jdisch-christliche und platonisch-hermetische berlieferung entwirft Ficino in De amore eine Kosmologie, die die Welt als einen Wirkzusammenhang von Schçpfen aus Liebe und Gestalten durch Licht begreift. Ausgangspunkt einer jeden Lichtkosmologie ist der Vergleich Gottes mit der Sonne in der zweiten Rede von De amore: ,Nec iniuria soli deum comparat Dionysius …“. 120 Vgl. dazu Scheuermann-Peilicke (2000), 92.

5.1 Ein konstruierter Monotheismus

243

eternal, self-originated, intellectual121 Love, or essential and substantial goodness, that having an infinite overflowing fulness and fecundity dispenses itself uninvidiously, according to the best wisdom, sweetly governs all, without any force or violence (all things being naturally subject to its authority, and readily obeying its words, and reconciles the whole world into harmony). For the Scripture telling us that God is love, seeming to warrant thus much to us, that love in some rightly qualified sense is God.122

Cudworth fhrt hier zum einen alle Merkmale auf, mit denen er ebenso das Wirken der plastic nature beschreibt. Dieses Vorgehen sorgt dafr, beim Lesen den Eindruck zu festigen, dass Ursache (Gott) und Verursachtes (plastic nature) wie Urbild, eben als aQt¸a, Ftir jim¶sei ja· sum´nei t± pq²clata, und Abbild miteinander korrespondieren. Zugleich wird derart die Explikation des Wirkens der plastic nature als 1m´qceia tewmij¶ und Empedokleische vik¸a, die in der Materie vorangelegte noetische Muster oder Dispositionen aktiviert, bereits in der antiken (Pr-)Figuration des vermeintlich wahren Gottesbegriffs fundiert. Zum anderen fhrt Cudworth in dieser Beschreibung mit „goodness“, „love“, „wisdom“ und „overflowing fulness and fecundity“ alle zentralen Aspekte an, die seine Trinittskonzeption ausmachen, deren systematischen Zusammenhang er erst in Kapitel 5 entwickelt, auf diese Weise jedoch vorbereitet. Systematisch ergibt sich hinsichtlich der Gotteskonzeption aus dieser Verbindung von Referenztexten erwartungsgemß ebenfalls der „Autorittsbeweis“, dass Liebe und Kraft, „love“ und „power“, wesentlich miteinander verschrnkt sind.123 Den Nachweis, dass die ,Liebe Gottes bereits im antik-paganen Theismus als schçpfungsimmanente Form der gçttlichen Wirkkraft verstanden wurde, erbringt Cudworth in diesem Fall in Form einer Kombination aus fnf Versen des orphischen Argonauten-Epos124 (dessen Datierung Cudworth mit „undoubtedly ancient“ angibt, das heute aber eher ins 2. Jahrhundert n. Chr. datiert wird) mit einer Stelle aus der Metaphysik des Aristoteles: So wird der Eros zu einer Kraft, die dem Chaos, und das heißt fr Cudworth: der Materie nach dem Vorbild des Timaios oder dem biblischen Tohuwabohu, bergeordnet ist und diese formt und strukturiert. Cudworths Umgang mit diesen beiden Texten ist stark transformierend. Seine bersetzung der fnf Verse aus den Argonautica ist eher eine in seinem Interesse funktionalisierte Paraphrase denn eine bersetzung zu nennen. Fr 121 Die Junktur “intellectual [Hervorh. L. B.] love” bringt dabei ebenso die innergçttliche Verwiesenheit von Gottes Geist/Logos und Liebe aufeinander zum Ausdruck. 122 System I, 176 und 178 f. 123 Vgl. Ficino, De amore, oratio tertia, c. 4, 27v-28r/165 – 166/1330 ber den Eros: „Quapropter nihil obstat quin amor in omnibus sit, perque omnia penetret. […] Hunc quia creator est omnium atque servator, tamquam patrem veneremur, tamquam tutorem presidiumque colamus.“ 124 System I, 401 zu Orphica, Argonautica 421 – 425 (ed. Dottin, Paris 1930).

244 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott seine Wendung „[…] how heaven, earth and seas were framed out of it“ findet sich keine exakte Entsprechung in den ersten vier Versen des Zitats. Auffllig ist, dass Cudworth alle im Aktiv vorkommenden griechischen Verben (1p²leixe […] Gkhe) ins kollektive Passiv „were framed“ bertrgt.125 Dadurch erreicht er zweierlei: Zum einen tritt, im Vergleich mit der derart hervorgehobenen passiven Materie und dem aus ihr Geformten, der aktive, strukturierende Charakter der Liebe bzw. deren aktives Wirken strker in den Vordergrund. Zum anderen findet Cudworth so fr das syntaktische Problem eine eindeutige Lçsung, ob nicht eher das Chaos das zu 1p²leixe gehçrige Subjekt sein sollte („[…] wie [das Chaos] die Naturen wechselnd aufeinander folgen ließ, […]“), wodurch allerdings dem Chaos, d. h. der Materie, eine Eigenaktivitt zuerkannt wrde, die sie in Cudworths neuplatonischem System nicht haben kann und die ihr daher in den autoritativen Texten der prisca theologia nicht zugesprochen werden darf. Seiner bersetzung zufolge bleibt damit als einziges aktives Subjekt und Prinzip der Weltgestaltung die Liebe brig.126 Ihren Prinzipienstatus soll der aus Aristoteles herangezogene Textauszug zustzlich sichern. Auch an Cudworths Umgang mit diesem Text ist zu beobachten, in welch verschiedenen Formen Cudworth antik-pagane Texte in Gebrauch nimmt, wenn man die Mçglichkeit ausschließt, dass Cudworth ein gegenber Mosheims Ausgabe verkrzter griechischer Text vorlag. Cudworth zitiert Aristoteles nmlich in einer verkrzten Version, worauf bereits Mosheim hinweist. Statt, wie es die moderne Ausgabe von Jger (die in der Textgestalt dem Text Mosheims entspricht) anbietet, 6teqoi d´ timer fhem B !qwμ t/r jim¶seyr (oXom fsoi vik¸am ja· me?jor C moOm C 5qyta poioOsim !qwμm [Hervorh. L. B.])127 zu zitieren, bietet Cudworth 6teqoi d´ timer, fhem B !qwμ t/r jim¶seyr, fsoi C MoOm C =qyta poioOsim !qwμm. Er bersetzt diesen Satzauszug mit: „Others, besides the material cause of the world, assign an efficient, or cause of motion, namely, whosoever make either Mind (and Intellect) or Love a principle.“128 Cudworth scheint also im griechischen Ausgangstext gerade die Empedokleische Variante mit Liebe und Streit als zwei Bewegungsprinzipien zu ignorieren, mçglicherweise deshalb, um das Bild der Prinzipieneinheit zu wah125 Abgesehen davon lsst er alle epischen Epitheta zu Erde, Himmel und Meer in seiner „bersetzung“ ausfallen, die damit eher traktathaften als hymnischen Charakter erhlt, also auch in stilistischer Hinsicht in seine metaphysisch orientierte Argumentation eingefgt wird. 126 Vgl. dazu als mçglichen, die Transformation lenkenden Hintergrundtext Ficino, De amore, oratio prima, c. 2, bes. 6r/140 – 141/1322, den Cudworth aber hinsichtlich der Prioritt des Eros vor dem Chaos vereindeutigt. Bereits Ficino deutet in dieser Passage die Verse aus der „orphischen“ Argonautica (vgl. 3v-4r/138 – 139/1321), die auch Cudworth zitiert. 127 Metaphysik 988a. 128 System I, 401.

5.1 Ein konstruierter Monotheismus

245

ren, denn Nous und Liebe sind fr Cudworth ja, wie gezeigt, wesentlich miteinander verschrnkt und fallen daher als schçpferische Prinzipien oder Aspekte in Gott ohnehin zusammen.129 Aristoteles aber sagt von „Liebe und Streit“ des Empedokles kurz vor der von Cudworth zitierten Stelle: „Empedokles allerdings war im Gegensatz zu seinen Vorlufern der erste, der eine Teilung [Hervorh. L. B.] dieser [Bewegungs- und Ordnungs-] Ursache einfhrte, indem er nicht nur einen Ursprung der Bewegung, sondern noch verschiedene entgegengesetze [Hervorh. L. B.] annahm.“130 Genau das aber hieße, dass es ein negatives Gegenprinzip zur Liebe Gottes, dem Eros/der Philia, geben wrde, was Cudworth in seinen Erçrterungen zu diesem Prinzip in der Auseinandersetzung mit Plutarch entschieden zurckweist.131 Anzunehmen ist daher, dass Cudworth aus dem Transformationsmodus der Systematisierung heraus mit Blick auf die aktuelle Argumentation die problematische Wendung im Aristotelestext ausgelassen hat, so dass dieser ohne inhaltliche Spannungen zur Ausdeutung der orphischen Verse ber den Eros in Cudworths Lesart passt. Im Gegenzug fgt Cudworth in seine bersetzung einige verstndnislenkende Ergnzungen ein, die ebenfalls die Anbindung des Zitats aus der Metaphysik an die orphischen Verse erleichtern. So ergnzt Cudworth in seiner bersetzung die Worte „besides the material cause of the world“ und das Adjektiv „efficient“ zu „cause“. Auf diese Weise stellt er in aristotelischem Gewand den neuplatonischen Gegensatz zwischen einer passiven Materie, in der das aktive intelligible Prinzip wirken kann, und eben diesem Prinzip selbst noch deutlicher heraus. Aufgrund der vollstndigen Passivitt der Materie, die jede eigenstndige Hervorbringung von etwas aus der Materie durch die Materie selbst unmçglich macht, werden auch Chaos und Nacht, die Cudworth als Personifikationen der Materie begreift, zu vollstndig passiven Grçßen, denen ein Hervorbringen des Eros nicht zugesprochen werden darf. Aus der Kombination von zwei Referenztexten wird so ein argumentationsspezifischer Sinn auf metaphysischer Ebene generiert: Der orphische Eros wird zu einer prominenten, schçpfungs-immanenten und strukturierenden Wirkform Gottes, deren Kompatibilitt Cudworths eigene Gotteskonzeption vorbereitet und die zudem Anstze aus der Digression concerning the plastic nature of life aufnimmt. Der orphische Eros wird damit zu einem der Modi, in denen Gott die Welt im neuplatonischen Sinn umfasst. Diese inhaltlich-semantische Transformation wiederum bedeutet auf der Ebene des Intertextes des 129 Dazu passt u. a. Cudworths unter Bezug auf Aristoteles vertretene grundstzliche Position, dass nur ein Prinzip allein teleologisch wirksam sein und die beobachtbare Ordnung der sinnlich wahrnehmbaren Welt gewhrleisten kçnne (System I, 359 f.). 130 Arist., Metaph. 985a29 – 31. Diesen Text ignoriert Cudworth ebenfalls, wenn es ihm darum zu tun ist, Empedokles zum Vorlufer seiner eigenen Lehre von der plastic nature umzuformen, und er dabei den me?jor in der vikºtgr aufgehen lsst. 131 Siehe System I, 228 f. und oben S. 200 – 202.

246 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott System, dass zunchst das Aristoteleszitat „neuplatonisiert“ wird, wodurch gleichzeitig die vorgeblich orphischen Verse ebenso neuplatonisch semantisiert und aufgeladen werden. Zugleich wird implizit ebenfalls der neuplatonischen Metaphysik die Dignitt des hohen Alters zuerkannt, was seinerseits auf Cudworths eigenes System bertragbar ist. Dieser Umgang mit antiken Referenztexten macht erneut Cudworths Grundannahme manifest, dass hinter den dichterischen Darstellungen eine bis in seine eigene Zeit gltige Wahrheit steht, die man allerdings eruieren muss, da sie sich hinter dem Schleier einer naturphilosophischen, heroischen oder historischen Ausdrucksebene verbirgt.132 Derartige Antike-Transformationen verdeutlichen in ihrer Kombination und Abfolge im Text des System, dass die „Liebe“ im darstellerischen Vollzug dieses ebenso sachlich dynamischen wie literarisch dynamisierten Konzepts Gottes eine ontologisch oszillierende und mehrdeutige Position einnimmt. Ausgehend von Empedokles hatte Cudworth sie, wie gezeigt, als in der Welt wirkende, von Gott her kommende vermittelnde Kraft verstanden und in dieser Funktion stark der plastic nature angeglichen. So wurde Empedokles vik¸a133 als plastic power gedeutet. Die Liebe wird jedoch ebenfalls als hçchster Aspekt der trinitarisch strukturierten Gottheit des von Cudworth konstruierten antik-paganen Monotheismus bestimmt. Im Zuge der Interpretationen und Begriffsexegesen dieses Abschnitts des System, die auf den Aufweis des antik-paganen Monotheismus ausgerichtet sind, erfolgt die Bestimmung, wohl aufgrund der bereits erfolgten, eher spannungsvollen und ambigen Beschreibungen und Verortungen des Eros, weniger eindeutig: Dies zeigt sich besonders bei der beobachteten Auslegung Hesiods und der „orphischen Lehre“. In ihr bestimmt Cudworth anhand der von ihm ausgewhlten Texte „Love“ in einem ontologisch unscharfen Sowohl-Als-Auch als Geist bzw. Hauch Gottes, der als Gott selbst oder ein aktives, von Gott abgeleitetes Prinzip interpretiert wird.134 Hinsichtlich dieser sowohl terminologischen wie systematischen Unschrfe ist allerdings bereits jetzt zu bedenken, dass Gottes Liebe in Cudworths eigener Trinittskonzeption doppelt konnotiert wird und auch den nach außen gerichteten Wirkaspekt der Trinitt bezeichnen kann. Dieser wiederum besitzt verschiedene 132 System I, 423 f: „Wherefore this may pass for a general observation here, that the pagan theology was all along confounded with a certain mixture of physiology and herology, or history blended together.“ 133 Zur Verwendung dieses Begriffs durch Cudworth im Zusammenhang mit seiner Darstellung der Lehre des Empedokles ist zu bemerken, dass vik¸a bei Empedokles selbst nicht belegt ist, der stattdessen den Begriff vikºtgr verwendet. Man kçnnte diese Verwendung unterschiedlicher Begriffe aus der Perspektive des Beobachters einer Transformation als Indiz dafr werten, dass die Platonisch-neuplatonische Begrifflichkeit vollstndig die des Vorsokratikers berlagert hat. 134 Letztendlich sind diese Spannungen wohl – wenn auch vermittelt – auf die verschiedenen Preisreden auf den Eros in Platons Symposion zurckzufhren.

5.2 Die Grndungsvter der prisca theologia

247

schçpfungsimmanente Entfaltungsformen oder Emanationsweisen, von denen diejenige, die der plastic nature entspricht, nach ihrem Ursprung und ihrer zusammenfgenden, Einheit und Sympathie stiftenden Wirkung fr Cudworth ebenfalls als Liebe bzw. Eros bezeichnet werden kann.

5.2 Die Grndungsvter der prisca theologia – metaphysische Theologie zu Beginn der Geschichte Diese somit zunchst zusammenfassend abgehandelten wesentlichen – zumindest nach Cudworths Ansicht wesentlichen – Aspekte des antiken Polytheismus exemplifiziert Cudworth an den aus der Tradition der catena philosophorum bekannten „Grndungsvtern“ der gçttlich inspirierten Wahrheitslehre als den Prototypen der allen Menschen gemeinsamen Theologie/Philosophie: an Zoroaster, der fr die Weisheit des Ostens steht, an Orpheus als dem bereits bekannten Reprsentanten der ursprnglichen griechischen Philosophie und Theologie und an den gyptern als den vermeintlich ltesten und berzeugtesten Polytheisten. Die systematische Bedeutung der Auslegung der „chaldischen“, d. h. zoroastrischen, Texte durch Cudworth fr die vorliegende Untersuchung ist darin zu sehen, dass sie Hinweise dafr liefert, dass Cudworths eigenes metaphysisches System mit einer sehr flexiblen, differenzierten und je nach Bedarf zu funktionalisierenden ontologischen Matrix arbeitet, die die starren Grenzen zwischen einzelnen Gottheiten aufweicht und eine dynamische Kontinuitt zwar vorhandener aber eher fließender Unterschiede erkennen lsst: Es gibt eine bergeordnete trinitarische Einheit, die drei „Hypostasen“ in sich umfasst, deren Verhltnis zueinander nach dem (spt-)neuplatonischen oqs¸a-d¼malir1m´qceia-Schema zu denken ist.135 Auf diese Weise kann Cudworth Zoroaster und seine, aus Textfragmenten der Chaldischen Orakel rekonstruierte, Lehre in die Reihe der paganen und protochristlichen Monotheisten einfgen,136 um sich im Anschluss daran – erneut – Orpheus zu widmen. Allerdings fokussiert Cudworth seine folgenden Ausfhrungen nicht auf den Aspekt des (orphischen) Eros, sondern auf eine allgemeine metaphysische Prinzipienexplikation, die die 135 Vgl. dazu System I, 486 sowie das Zitat aus Damaskios in System I, 492. Auch in System I, 510 unterscheidet Cudworth eine „first hypostasis [..] in the trinity“ von einer zweiten, differenziert Gott also in „Binnenhypostasen“, siehe unten den Abschnitt zu Cudworths Trinittsspekulationen in System II, in denen die neuplatonischen Schemata spezifisch modifiziert werden. 136 Ficino verfhrt sehr hnlich, wenn er Texte aus dem 2. oder 3. Jahrhundert nach Christus auf das 7. oder 8. Jahrhundert vor Christus bertrgt bzw. zurckprojiziert. Welche einzelnen Faktoren Ficino dabei zusammenfhrt, zeigt Allen, in Hedley/Hutton (2008), 36 – 37.

248 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott oberste Gottheit der Orphiker als ein Schçpfungsprinzip zu erweisen versucht, das den Parametern seines Systems eingepasst werden kann. Im Sinne des Transformationstypus der Montage/Assemblage setzt Cudworth in gewohnter Weise Elemente und Vorstellungen aus – zumindest fr den modernen Beobachter – unterschiedlichen Bereichen der antiken Philosophie und Theologie zueinander in Beziehung. Daraus entsteht in der Transformation in einer Art neuplatonisch fundiertem Synkretismus ein neues Sinnganzes, das (wiederum aus der Perspektive des Beobachters: zirkelhaft) Cudworths Annahme eines allen Vçlkern gemeinsamen dynamischen Monotheismus sttzt. Geht man von diesem Argumentationsziel aus, erschließt sich auch die argumentatorische Systematik der Abfolge der einzelnen Elemente dieser Montage: Ausgehend von dem zentralen Lehrstck der orphischen Theologie, dem 4m ti p²mta, fhrt sie, wie gezeigt, ber Proklos zur christlichen Bilderwelt und setzt so uralte, vorsokratische und pagane Theologie in Beziehung zum Christentum, so dass sich die (konstruierte) chronologische Abfolge der Texte in ihrer Anordnung im Text spiegelt. Dabei werden, wie die berlegungen zu mçglichen metaphysischen Hintergrundannahmen dieser Montage bei Plotin nur exemplarisch zeigen sollten, die einzelnen Referenzobjekte einer Systematisierung unterzogen, die eine neuplatonisch-christlich perspektivierende Konstruktion der Antike zur Folge hat, die auf der Basis der Annahme einer allen Texten gemeinsamen systemspezifischen Form der „Wahrheitssubsistenz“137 vollzogen wird. In Anknpfung an diese bereits vorausgehenden berlegungen zum Wesen Gottes im antik-paganen Monotheismus soll nun nurmehr auf Cudworths Aneignung bzw. systematische Adaptation der gyptischen Religion eingegangen werden, in der er die Aspekte der Transzendenz, der Immanenz, der Einheit und der Dynamik Gottes in einer monotheistischen Gotteskonzeption zusammendenkt. Dabei gelten Cudworth die gypter traditionell zunchst als die ltesten und berchtigtsten Polytheisten. Wenn ihm sogar bei ihnen der Nachweis gelingt, dass sie eigentlich Monotheisten im bewhrten Sinne waren, ist das Argument der Atheisten endgltig widerlegt, dass es keine dem Menschen gemeinsame „idea“ von Gott gebe und damit auch Gott selbst nicht existiere. Vielmehr kann Cudworth dann zeigen, dass sogar die berhmtesten heidnischen Polytheisten eine mit den Griechen gemeinsame, monotheistische Gottesvorstellung besitzen.138 Zu diesem Zweck legt Cudworth hier die These zugrunde, die gypter htten bereits an eine unstoffliche Seele geglaubt und mssten daher gleichfalls die Existenz einer unkçrperlichen Gottheit annehmen.139 137 S. o. S. 33 mit Anm. 124 zu Frank (2003), 274. 138 Vgl. Gysi (1962), 84 ff. 139 System I, 530.

5.2 Die Grndungsvter der prisca theologia

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Daraus folgert er auf eine Theologie der gypter, die, dem „gemeinen Pçbel“ entzogen, als fr ihn wahre gyptische Theologie den Rahmen abgibt, sich der echten Gottesvorstellung der gypter zu nhern.140 Folgerichtig gilt es fr Cudworth auch in diesem Fall, den literarischen Schleier (die integumenta und velamina) aus (polytheistischen) Allegorien und Symbolen, den die Priester ber den wahren Gehalt ihrer Aussagen ausbreiteten, um ihn vor Profanierung zu schtzen, beiseite zu ziehen. D. h. es muss, wie spter im Umgang mit Texten z. B. der griechischen Mythologie und bereits bei den Orphikern und Zoroaster erfolgt, im Sinne einer integumentalen Hermeneutik interpretiert werden.141 Damit ist der Weg frei zu einer neuplatonisch geprgten Darstellung dessen, was Cudworth fr die „echte“ Gotteslehre der gypter hlt, deren „arcane theology“ er nmlich zugleich als „metaphysical theology“ und „metaphysics concerning God“142 betrachtet.143 Der wahre Kern der gyptischen Religion ist also erst demjenigen zugnglich, der das richtige philosophische Instrumentarium und metaphysische Wissen besitzt, sich ihn zu erschließen. Dieses Instrumentarium und Wissen findet Cudworth vorerst hauptschlich in dem neuplatonischen Philosophen Iamblich und im mittelplatonischen sog. Corpus Hermeticum. 144 140 System I, 531. Cudworth beruft sich fr diese grundstzliche Annahme hauptschlich auf den neuplatonisch beeinflussten griechischen Kirchenvater Origenes. Vgl. System I, 130 f., wo Cudworth in einer Interpretation Varros eine hnliche Vorgehensweise der rçmischen Priester beschreibt. Bezeichnenderweise folgt Cudworth hier einer Darstellung, die Augustinus von diesem Sachverhalt gibt. 141 System I, 535 – 537. Dieses hermeneutische Vorgehen bedingt, dass Cudworth zur Entschlsselung und Aufdeckung der „echten“ Theologie der gypter Neuplatoniker wie Iamblich heranzieht. Das Konzept der integumentalen Hermeneutik wird unten im Zuge der Erçrterung von Cudworths Umgang mit einigen antiken Tragçdienversen eingehender erlutert und auf seine historischen Vorlufer im Mittelalter bezogen werden. 142 System I, 537; vgl. auch System II, 173 f. 143 Zum Wert dieser Interpretation der altgyptischen Religion durch Cudworth siehe Mulsow, in Mulsow (2002b), 308. Mosheim wertet dieses Vorgehen und seinen hermeneutischen Ertrag extrem kritisch, z. B. System I, 536, Anm. 9. Dagegen stellt Assmann (1998), 118 – 130 die Richtigkeit der berlegungen Cudworths heraus. Hervorzuheben ist allerdings, dass es in der vorliegenden Untersuchung von Cudworths Konstruktion der altgyptischen Religion, die es sich zur Aufgabe macht, Cudworths Antike-Transformationen zu analysieren, gerade nicht darum gehen kann und soll, zu beurteilen, ob Cudworths Vorgehen aus der Perspektive der heutigen gyptologie zu richtigen oder adquaten Ergebnissen fhrte! 144 Im Unterschied zu Mosheim (System I, 540, Anm. 9) ist Cudworth davon berzeugt, in Iamblichs Darstellungen der gyptischen Prinzipienlehre (in De mysteriis) genuin altgyptisches Gedankengut vorliegen zu haben (System I, 540, 551 und bes. 554 f., wo Cudworth das Urteil Iamblichs ber den Wert des Corpus Hermeticum dem Urteil Casaubons vorzieht; vgl. auch System I, 568). Gleiches gilt fr Cudworths Einschtzung des CH, obwohl ihm Casaubons Kritik an der Echtheit und dem Alter des CH bekannt

250 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott Den aus diesen Quellen- bzw. Referenztexten gewonnenen, sehr allgemeinen Glaubenssatz, die gypter htten an einen hçchsten, allgemeinen und damit umfassenden Gott geglaubt, gilt es zu explizieren und zu exegetisieren und mit dem gyptischen Polytheismus so in Einklang zu bringen, dass der Monotheismus zur Wahrheit bzw. zu der Sinnebene wird, auf die die Vielgçtterei verweist. Bereits System I, 550 legt die bekannte Argumentationsroute fest: „[…] according to the Hermaical or Trismegistic doctrine, one and the same Deity was worshipped under several names and notions, according to its several powers [Hervorh. L. B.] and virtues manifested in the world [Hervorh. L. B.], which is a thing afterwards more to be insisted on“. Ebenso wie von der in der vorausgehenden neuplatonischen Interpretation herausgeschlten orphischen gilt von dieser ebenfalls konstruierten gyptischen Gottheit, dass sie alles ist, und auch dieses „grand mystery of the Egyptian theology“145 wird auf bekannten Bahnen ausgelegt,146 denen gemß die Gottheit als erste Ursache verstanden wird, die alles umfasst, aus sich hervorbringt und, wie kurz zuvor erçrtert, auf diese Weise ein Kontinuum im Vollsinn konstituiert und erhlt. In diesem Sinne – nicht in einem identifikatorischen – ist sie, wie der orphische eine Gott, alles. Cudworth leitet diese theologische Systematisierung aus einer Kombination von Texten aus Horapollon und Iamblich ab.147 ist, vgl. System I, 542 f., 550, 553 und 560. Zur Auseinandersetzung Cudworths mit Casaubons Einsichten, in der sich „eine Verschiebung der Debatte von Datierungs- zu Authentizittsfragen“ abzeichnet, siehe Mulsow, in Mulsow (2002b), 308; Breteau, in Simonutti (2007), 354 – 358 sowie Frank (2003), 272 – 274. Es zeichnet sich bei Cudworths Deutung der gyptischen Theologie eine verschrnkte Konstruktion ab, die sich sowohl auf die Verfasser/Urheber spezifischer theologisch-philosophischer Lehren bezieht (System I, 543 – 548), die zu einem gewissen Typus des Religionsgrnders stilisiert werden, als auch, mit der Stilisierung dieser Personen zu Religionsgrndern verbunden und durch dieses Konstrukt gesttzt, auf die jeweiligen Lehren und Theorien. Erwartungsgemß schtzt Mosheim die Darstellungen Iamblichs hinsichtlich ihres erklrenden Wertes bezglich der gyptischen Religion und hinsichtlich ihrer Authentizitt sehr kritisch ein, siehe z. B. System III, 188. 145 System I, 554. 146 Dass sich orphische und gyptische Theologie in diesem Punkt derart eng berhren, ist Konsequenz der Annahme Cudworths, dass Orpheus die ewig gltige Lehre der philosophia perennis von den gyptern gelernt hat (wie auch Moses, dazu System I, 537) und wie sie zur catena philosophorum gehçrt, siehe System I, 554 in Verbindung mit 565 und 562, wo Cudworth annimmt, das orphische !MNemºhgkur sei von den gyptern bernommen worden. So wird dieses Adjektiv fr Cudworth zu einem Kriterium dafr, „traces of genuine hermetism“ im CH nachzuweisen, s. Breteau, in Simonutti (2007), 357. 147 „But we have two more remarkable passages in the forementioned Horus Apollon, concerning the Egyptian theology, which must not be pretermitted; the first this: Paq aqto?r toO pamt¹r jºslou t¹ di/jºm 1sti pmeOla, ,That according to them, there is a spirit passing through the whole world, to wit, God [Hervorh. L. B.]. And again: Doje? aqto?r d¸wa heoO lgd³m fkyr sumest÷mai, ,It seemeth to the Egyptians, that nothing at all

5.2 Die Grndungsvter der prisca theologia

251

Die Wendung toO pamt¹r jºslou t¹ di/jºm 1sti pmeOla aus Horapollon lsst sich fr Cudworth gut als Beschreibung eines von Gott mittelbar durchdrungenen Kontinuums im Vollsinn deuten, zumal Cudworth durch seine Ergnzung zu pmeOla, nmlich „to wit, God“ offensichtlich darzustellen versucht, dass dieses Pneuma nicht als das stoische zu verstehen ist, sondern als eine der Entußerungsformen Gottes, die dessen kontinuierlichen Bezug zur Welt als seiner Schçpfung umsetzt.148 Gottes Funktion als schçpferische und zugleich transzendente Ursache wird sowohl in der fast hymnischen Adjektivreihung Wyqist¹r, 1n,qgl´mor let´yqor thematisiert wie auch in dem Satzteil ja· 1m 2aut` t± fka peqi´wei, der die Charakterisierung Gottes als aUtior heºr aufnimmt und im Sinne der vorher erfolgten Deutung der orphischen Theologie przisiert.149 Das Prdikat sume¸kgve fhrt dabei ebenfalls die Qualifikation des consists without God. In the next place, Jamblichus was a person who had made it his business to inform himself thoroughly concerning the theology of the Egyptians, and who undertakes to give an account thereof, in his answer to Porphyrius epistle to Anebo, an Egyptian priest; whose testimony therefore may well seem to deserve credit. And he first gives us a summary account of their theology after this manner [Cudworth nimmt Bezug auf De Mysteriis VII 2, 251, 14 – 16 und 251, 6 – 12, die er in umgekehrter Reihenfolge miteinander kombiniert (ed. des Places, Paris 1966)]: Wyqist¹r, 1n,qgl´mor let´yqor, ja· jah 2aut¹m rpeqgpkyl´mor t_m 1m t` jºsl\ dum²le¾m te ja· stoiwe¸ym, b t/r cem´seyr ja· v¼seyr fkgr ja· t_m 1m aqto?r stoiwe¸oir dum²leym pas_m, aUtior heºr7 ûte dμ rpeq´wym to¼tou, %ukor ja· !s¾lator, ja· rpeqvuμr, !c´mmgtºr te ja· !l´qistor, fkor 1n 2autoO ja· 1m 2aut` !mavame·r, pqogce?tai p²mtym to¼tym, ja· 1m 2aut` t± fka peqi´wei, ja· diºti l³m sume¸kgve p²mta, ja· letad¸dysim, ,That God, who is the cause of generation and the whole nature, and of all the powers in the elements themselves, is separate, exempt, elevated above, and expanded over, all the powers and elements in the world. For being above the world, and transcending the same, immaterial, and incorporeal, supernatural, unmade, indivisible, manifested wholly from himself, and in himself, he ruleth over all things, and in himself containeth all things. And because he virtually comprehends all things, therefore does he impart and display the same from himself. According to which excellent description of the Deity [Hervorh. L. B.], it is plain, that the Egyptians asserting one God that comprehends all things, could not possibly suppose a multitude of self-exsitent [Hervorh. L. B.] deities“ (System I, 568). 148 Alle derartigen Betonungen der kontinuierlichen und erhaltenden Verbindung Gottes mit der Welt, die hier im zweiten Zitat aus Horapollon zum Ausdruck kommt, sind immer auch als Gegenentwrfe zu Descartes Gottes- und Weltbild zu sehen; zu Descartes diesbezglich vgl. Garber, in Cottingham (1992), 289 f. 149 Dem Charakter der von Cudworth unterstellten „wahren“ gyptischen Religion entsprechend, die den Augen der Vielen entzogen ist, erfhrt die Darstellung dieses Gottes in seiner Transzendenz zustzlich eine Wendung ins Mystische, indem Cudworth ihn mit einem Zitat aus Damaskios als sjºtor %cmystom bezeichnet. Vgl. auch System I, 601. Zum dahinterstehenden Gedanken der absoluten Einfachheit des Einen und deren systematischer Verbindung zu dessen absoluter Transzendenz und der negativen Theologie siehe z. B. Halfwassen (2004), 43 – 45 und 55 – 58. Wie die erste Gottheit der gypter ist dementsprechend „[r]eine [Hervorh. Halfwassen] Einheit jenseits allen Unterschieds und jenseits aller Vielheit [..] darum in keiner Weise thematisch wissbar, weil sie die Einheitsform des Wissens, die Einheit mit sich im Unterschied, die auch

252 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott schçpferischen Wirkens Gottes weiter und erinnert stark an das einheitstiftende Wirken der Gottes-Monade, das Cudworth mit Proklos in der Auslegung des „grand arcanum“ der Orphiker u. a. durch das Adverb lomadij_r ausgedrckt findet, also in einem Text, den Cudworth schon vor seiner Interpretation der gyptischen Theologie durch Iamblich herangezogen hat. Cudworth bewegt sich damit in einem terminologisch-systematischen Verweisungsgeflecht, in dem immer wieder auf bereits bekannte und wiederholt funktionalisierte Motive und Begriffe Bezug genommen wird. Besondere Aufmerksamkeit verdient hinsichtlich der Transzendenzbezeichnungen Gottes der Ausdruck ja· jah 2aut¹m rpeqgpkyl´mor. Das Partizip von rpeqapkºolai (hinsichtlich der Einfachheit bersteigen), ein Neologismus Iamblichs, betont in seiner Seltenheit nicht nur die Transzendenz Gottes fr sich (rpeq-), sondern qualifiziert sie durch absolute Einfachheit, eine „Eigenschaft“, die in !l´qistor, fkor 1n 2autoO ja· 1m 2aut` !mavame·r wieder aufgegriffen wird.150 Auch Cudworths dynamische Konzeption Gottes als schçpferischer Kraft findet in diesem Text mehrfache Entsprechung: b t/r cem´seyr ja· v¼seyr fkgr ja· t_m 1m aqto?r stoiwe¸oir dum²leym pas_m, aUtior heºr.151 Es wird deutlich, dass der Text Iamblichs in allen zentralen Punkten Cudworths eigener Gottesbzw. Prinzipienkonzeption zu diesem Stand der Argumentation entspricht.152 Aus dieser Funktionalitt lsst sich schließlich die geradezu berschwengliche Einschtzung dieses Referenztextes als „excellent description of the Deity“153 ableiten. Bemerkenswert ist das Fehlen eines qualifizierenden Adjektivs nach dem Artikel: Hier geht es nicht mehr nur um die gypter, hier geht es genauso um den Gott des True Intellectual System of the Universe.

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noch die NoÞsis bestimmt, prinzipiell transzendiert“ (ebd. 55). Wie Bussanich, in Gerson (1996), 38 – 42 allerdings herausstellt, kann man dennoch ber das Eine reden bzw. schreiben, u. a. in Form von „meditations on symbolic theophanies of the One“ (ebd. 41). Als Darstellungen derartiger „symbolischer Theophanien“ scheint Cudworth auch die Texte des CH zu verstehen. In System II, 394 – 395 argumentiert Cudworth eng an Plotin orientiert, dass das erste Prinzip Einheit und absolut einfach sein msse, und nennt es in diesem Zusammenhang eine Monade: „[…] whereas it seems most reasonable to make the first principle of all, not to be number or multitude, but a perfect Monad, or Unity. […] And again elsewhere: T¹ c±q toO jºslou mogtoO, oute moOr oute jºslor mogt¹r, "pko¼steqom d´7 oq c±q 1j pokkoO pok», !kk± t¹ pok» toOto 1n oq pokkoO, &c. ,The principle of every thing is more simple than the thing itself. Wherefore the sensible world was made from Intellect, or the Intelligible; and before this, must there needs be something more simple still. For many did not proceed from many; but this multiform thing Intellect proceeded from that which is not multiform, but simple, as number from unity“ (System II, 395). Siehe auch t_m 1m t` jºsl\ dum²le¾m. Diese Sachverhalte destilliert Cudworth im Anschluss aus ausgewhlten Texten des CH in der Edition von Ficino heraus, siehe System I, 589 – 590. System I, 568.

5.2 Die Grndungsvter der prisca theologia

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In seiner metaphysisch-religiçsen Funktion als erste Ursache und aktives Prinzip bringt dieser Gott auch die Materie hervor, die in ihrem Verhltnis zur Gottheit ebenfalls neuplatonisch als passives Prinzip verstanden wird, das als pamtawoO B !ºqistor v¼sir zugleich das strukturierende Wirken Gottes aufnimmt.154 Auf diese Weise ist, in neuplatonisch-„gyptischem“ Gewand, der christlichen Vorstellung einer Art creatio ex nihilo entsprochen.155 Die sich anschließende Erçrterung dieser gyptischen Lehre bietet ein weiteres Beispiel dafr, wie Cudworth bewusst auswhlend seine Zitate, in diesem Fall aus Plutarch, „zurechtschneidet“, damit sie widerspruchslos in seinen Argumentationskontext passen.156 In diesem Fall kommt es ihm einzig darauf an, mit Plutarch zu zeigen, dass die gyptischen Priester ihren ersten Gott als verborgenen Gott, als einen deus absconditus, verehrten. Den bei Plutarch mit in diesen Kontext gehçrenden Satz, auf den Mosheim in seiner Anmerkung kritisch hinweist, dass dieser Gott nmlich von den gyptern mit dem Kosmos identifiziert wurde (di¹ t¹m pq_tom he¹m t` pamt· t¹m aqt¹m mol¸fousim), ignoriert er bewusst, da diese pantheistische Vorstellung, und auch darauf weist bereits Mosheim hin, als in seinen Augen falsche Doktrin in der „wahren“ gyptischen Theologie keinen Platz finden kann bzw. darf. Die Beschreibung des gyptischen Gottes als eines „verborgenen Gottes“ wiederum ist ihrerseits eng verbunden mit der bereits erwhnten Charakterisierung des erhabenen Gottes als einer „unknown darkness“157. Diese Dunkelheit deutet Cudworth in einer eindrucksvollen Analogie, die er von der Gottheit selbst vortragen lsst,158 die sich derart direkt an die Leser wendet, um in das schon aus dem Sonnen- bzw. Hçhlengleichnis und im Anschluss daran bei Plotin und spteren Neuplatonikern sehr gelufige Bild des ersten Prinzips als blendender Helle, die jedes menschliche Erkennen absolut bersteigt und negiert.159 Er154 System I, 570. Diese Materie ist qualitativ verschieden vom intelligiblen Bereich des Gçttlichen, siehe auch System I, 577: „[…] God to be a mind, and incorporeal being secrete from matter, […]“. 155 Dies scheint Cudworths Hauptanliegen zu sein, da er diese These in System I, 569 f. mit zwei weiteren Textstellen aus Iamblich und Proklos beinahe ber Gebhr sttzt. 156 System I, 573, siehe auch Anm. 5 von Mosheim auf dieser Seite: „I am afraid, however, that in quoting this passage, our learned author has to a certain extent subserved his own cause. For he has omitted some words, which are confirmatory of the opinion rejected by him a little before, that the Egyptians held the whole nature of things to be the supreme and first God […].“ Es folgt das vervollstndigte Zitat aus Plutarch, das in seiner vollstndigen Version Cudworths transformatorischen Eingriff erkennen lsst. 157 System I, 601. 158 System I, 576. 159 Vgl. dazu Bergemann (2006), 46 f. zu Plotin, Enn. VI 7, 36, 18 – 27 und 65 – 68 zu Enn. V 5, 7, 31 – 35. Vorbereitet wird diese Ausdeutung bei Cudworth mçglicherweise durch Ficinos Anwendung lichtmetaphysischer berlegungen auf das Wesen Gottes. Wie Scheuermann-Peilicke (2000), 190 und 193 zeigt, charakterisiert Ficino Gottes Licht als

254 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott kennbar sind also nur die Brechungen dieses Lichtes in seiner Helle und damit die Explikationen Gottes, die auf ihn selber zurckverweisen.160 Ebenso wurden in der gyptischen Religion nur die vielen verschiedenen Funktionsformen des einen Gottes, die den Lichtbrechungen entsprechen, dem Volk vorgefhrt. Das wahre Wesen Gottes aber, die Helle, wurde den Menschen vorenthalten bzw. musste von ihnen erschlossen werden. Dem korrespondiert auf der Ebene der Argumentationsbewegung im System, dass Cudworth in diesem Kapitel immer wieder an verschiedenen Beispielen einzelne Aspekte seines eigenen Prinzipienbegriffs behandelt. Er liefert damit, dem Beispiel des Gewçhnungsprozesses im Aufstieg zur Prinzipienerkenntnis folgend, das Platon im Hçhlengleichnis und dessen Deutung in der Politeia vorlegt, gleichsam inhaltliche Abschattungen mit propdeutischem Charakter, die in ihrer Kombination die abschließende Erkenntnis erleichtern sollen, zugleich aber zu ihrem vollen Verstndnis eben diese Erkenntnis voraussetzen und einfordern.161 Daher kann Cudworth als Fazit die hçchste Gottheit der gypter rein philosophisch-neuplatonisch bestimmen als „one mind or wisdom, which, as it did produce all things from itself, so doth peqi´weim t¹ fkom, ,contain and comprehend162 the whole, and is itself in a manner all things“.163 Als sich in ihren

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„berintelligibel“, so dass es „berhaupt nicht erkannt“ werden kann, sondern geglaubt werden muss. Anne Conway entwickelt zur Zeit Cudworths eine sehr hnliche Gotteskonzeption in ihren princ. 151 (ed. Loptson): „Seeing God was of all the most exceeding great and infinite Light, and yet the chiefest Good: For this Reason he would make Creatures to whom he might Communicate himself: But these could in no wise bear the exceeding greatness of his Light: And hereunto belong those Scripture sayings, God dwelleth in an inapproachable Light. No Man hath seen God at any Time, &c.“ Cudworth expliziert diesen Zugang zu Gott in System I, 590 f. mit einem Kyrillos-Zitat. Dieses Vorgehen wird von Mosheim grundstzlich und ausfhrlich kritisiert. Die entsprechende Anmerkung erstreckt sich in der Ausgabe von 1845 ber mehr als 14 Seiten. Er weist dort wiederholt und eindringlich auf die neuplatonisch motivierte und perspektivierte Transformation hin, die Cudworth in diesem Fall vollzieht, z. B. System I, 610: „Let us cease, then, to attach credence in all instances to the junior Platonists, the authors of this oppinion [to suppose that the religion of Egypt, of Greece, of Syria, of Persia, and other countries, was one and the same throughout the whole of the respective nations …], and to look upon their inventions as so many oracles of Apollo. This sect corrupted and contaminated the ancient systems to an extant that is scarcely credible, and yet most men assent to what they say as though they were the only interpreters of truth.“ Beachtenswert ist der doppelte Wortsinn von „comprehend“, der besonders gut die spezifisch platonisch-neuplatonische Verschrnkung von Epistemologie und Ontologie zum Ausdruck bringt. Mçglicherweise wollte Cudworth diese systematische Bedeutung ausdrcken, indem er „contain“ und „comprehend“ miteinander kombinierte, denn normalerweise bersetzt er peqi´weim mit „contain“. System I, 586. Das vollstndige Zitat lsst deutlich Cudworths Annahme einer Kontinuitt der prisca theologia erkennen: „We have now made it manifest, that according to the ancient Egyptian theology, (from whence the Greekish and European [Hervorh. L. B.] was derived) there was one intellectual Deity, one mind or wisdom, which, as it

5.2 Die Grndungsvter der prisca theologia

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Wirkungen vielheitlich ausdifferenzierende Kraft muss diese Gottheit in ihrem Logos-Aspekt zuerst !s¾lator sein, um pokus¾lator sein zu kçnnen, denn nur in seiner Unstofflichkeit kann der Logos allem ungeteilt wirkend anwesend, d. h. in allem, sein, was auch durch die sorgfltig ausgewhlten Zitate aus dem Corpus Hermeticum auf den Seiten 590 – 591 des System deutlich erkennbar wird, die Cudworth hier zu einem Zitatcluster mit systematischer Relevanz zusammenfhrt.164 Dem Sachverhalt, dass alles in Gott, aber nicht im rumlichen Sinne in ihm sei, entspricht, dass es in Bezug auf Gott weder rumliche Ausdehnung noch die Kategorie des Ortes gebe, da Gott in dem Sinne alles sei, dass er zugleich durch alles hindurch wirke und um alles herum sei (p÷m c²q 1sti, t¹ d³ p÷m di± p²mtym ja· peq· p²mta).165 Festzuhalten bleibt damit, dass Cudworth in der Darstellung der „ltesten“ oder „frhesten“ Exponenten der prisca theologia zentrale Aspekte seines (spezifischen) christlichen Gottes expliziert, so u. a. die bereits bekannte Gleichsetzung von Gott und Liebe, die trinitarische Struktur Gottes (nach einem Muster, das sich z. B. bereits bei Patrizi findet, der so zu einem mçglichen Transformationsfilter fr Cudworth wird) und die bestndige „Verbindung“ Gottes mit der Welt, die trotzdem nicht in Gott aufgeht bzw. nicht mit ihm identifiziert wird. Diese autorisierende Explikation des Gottesbegriffs sichert zugleich seine Lehre von der plastic nature als Dienerin Gottes ab. Denn Cudworth entwirft in diesem religionsphilosophischen Panorama eine dynamische Ontologie, in die sich die plastic nature vollstndig einfgen lsst. Im Zuge der argumentativen Ausbildung dieses antik-paganen Monotheismus ruft Cudworth vermittels der verwendeten Referenztexte immer wieder die fr ihn zentralen Metaphern, Vergleiche und Begriffe auf. Cudworth webt derart eine Art begriffliches Netz, innerhalb dessen spezifische Begriffe in ihren jeweiligen Kombinationen vermittels der allgemein zugrunde liegenden naturphilosophischen und metaphysischen Systematik ber sich hinausweisen und semantische Verknpfungen initiieren kçnnen, die immer wieder Cudworths allgemeine berlegungen zu Naturphilosophie und Metaphysik, allerdings unter verschiedid produce all things from itself, so doth peqi´weim t¹ fkom, ,contain and comprehend the whole, and is itself in a manner all things.“ 164 In diesem Zusammenhang verdienen z. B. die Wendungen !qwμ d³ ja· peqiowμ ja· s¼stasir p²mtym b heºr ; aqt¹r ûpamt² 1stim7 oqj 5nyhem aqt± pqoskalb²mym, 5ny d³ 1pidido¼r ; P²mta 1st·m 1m t` he`, oqw ¢r 1m tºp\ je¸lema besondere Aufmerksamkeit, in denen alle bisherigen metaphysischen Merkmale Gottes als eines dynamischen Prinzips thematisiert werden. Die dichte Aufeinanderfolge der Zitate und Wendungen verstrkt den Eindruck systematischer Kohrenz und hat so einen didaktischen Effekt. 165 System I, 591. Auch die Anordnung der Texte, in der Cudworth die seiner Ansicht nach wahre metaphysische Religion der gypter (re-)konstruiert, erfolgt planvoll. Zuerst werden hauptschlich neuplatonische Texte interpretiert (Iamblich, Plutarch, Damaskios), dann, sozusagen als theologische Konkretion, die Beispiele aus dem Corpus Hermeticum; vgl. dazu Assmann, in Neugebauer-Wçlk (1999), 45 – 48.

256 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott denen Aspekten, in Erinnerung rufen und so den systematischen Charakter des System ausmachen. Auf diese Weise kommt den Zitaten und dem durch sie hervorgebrachten terminologischen Netz eine wesentliche Rolle zu, was die systematische Struktur des System insgesamt betrifft. Durch sie wird das System des System manifest.

5.3 Metaphysik in der Dichtung – Cudworth und die integumentale Hermeneutik als Mçglichkeit, Religionsphilosophie zu betreiben166 Das Verfahren, einen großen Teil der wichtigsten Exponenten der prisca theologia im Sinne seines Systems und im Hinblick auf den fr ihn selbst wahren Gehalt ihrer religiçsen Texte und Praktiken auf ein neuplatonisches Fundament zu stellen und damit in seinem Sinne zu systematisieren und zu vereinheitlichen, wendet Cudworth ebenso dezidiert auf die literarischen Texte der griechischen und rçmischen Antike an, um auch an ihnen diese interpretatio neoplatonica vorzunehmen. Er unternimmt es also, fr diesen kulturellen Bereich zu zeigen, dass die Texte, die ihn reprsentieren (sollen), ebenfalls, wenn auch verschleiernd und verbergend, von den „metaphysics“ Gottes knden, die es freizulegen gilt.167 In diesem Kontext lassen sich zustzlich zu den bisherigen systematischen berlegungen zu Cudworths Antiketransformationen neue Einsichten gewinnen, die diese Techniken der Texteinspielung in das System auf einer eher hermeneutischen fundamentalen Ebene und Cudworths grundstzliche Art betreffen, antike Referenztexte zu perspektivieren. Im Zuge dieser Antikeaneignungen wird auch Euripides (bzw. aus heutiger Perspektive der Dichter Kritias) zum Verknder der tiefen Wahrheit der prisca theologia, der Gott als allesumfassendes, selbstexistentes Prinzip darstellt, dessen Helle deshalb vom Dunkel abgeschattet wird, weil sie ansonsten den menschlichen Verstand blende, d. h. dass Gottes Wesen nur vermittelt in seinen 166 In der Abfolge der antiken Zeugnisse fr den Monotheismus, die er in Dichter, Philosophen und den „Volks“glauben differenziert, folgt Cudworth in seiner Untersuchung exakt einer Unterscheidung, die vor ihm bereits Gerardus Johannes Vossius in seinem Traktat De theologia gentili im Rckgriff auf Varro und Augustinus vorgenommen hatte; dazu vgl. Frank (2003), 279 f. mit Anm. 67. 167 Cudworth selbst bringt dieses methodische Verhalten klar zum Ausdruck (System I, 618 f.). Allerdings wertet er dabei das eigentlich Dichterische an diesem Schaffen, das sich der wahren „philosophic opinion amongst the Pagans“ annimmt, negativ. Damit nimmt er auf das Verfahren der allegorischen Homer- bzw. Dichterexegese Bezug. Mosheim kann einem solchen Verfahren nichts Positives abgewinnen. Vgl. z. B. System I, 620, Anm. 6; 621, Anm. 8 und 624 – 625, Anm. 6, wo Mosheim fr eine Art werkimmanenter Form der Interpretation eintritt und zugleich Proklos Deutung als Interpretationshilfe entschieden zurckweist.

5.3 Metaphysik in der Dichtung – Cudworth und die integumentale Hermeneutik

257

Wirkungen erkannt werden kçnne. Aufgrund der hohen Bedeutung der von Cudworth an diesen Versen vollzogenen hermeneutischen Methode fr sein transformatorisches Vorgehen insgesamt soll sein Umgang mit ihnen im Folgenden etwas ausfhrlicher betrachtet werden.168 Zu analysieren ist hier exemplarisch die Methode bzw. das Verfahren, das Cudworth anwendet, um aus antiken Texten mit ihrem auf den ersten Blick offenkundigen Polytheismus den seiner berzeugung nach eigentlich gemeinten monotheistischen Inhalt als Zeugnis eines allen Vçlkern gemeinsamen natrlichen Glaubens herauszulesen.169 Wobei es hier zunchst nur darum gehen kann, zu zeigen, wie es Cudworth gelingt, diesen ersten Gott als erstes Prinzip seiner Metaphysik im Rahmen der bereits erfolgten Explikationen zum antik-paganen Gottesbegriff zu deuten, und von welchen Voraussetzungen er dabei mçglicherweise ausgeht, ohne diese eigens zu thematisieren. Bei dem Text,170 der den Bezugspunkt fr Cudworths perspektivierende und transformierende Deutungen und Funktionalisierungen bildet, die Gegenstand der folgenden berlegungen sein sollen, handelt es sich um fnf Verse, die Cudworth einer Tragçdie des Euripides zuschreibt.171 Sie enthalten einen hymnisch gehaltenen Anruf an Zeus.172 Cudworth gibt diese Verse in folgender griechischer Version wieder: S³ t¹m Aqtovu/, t¹m 1m aQheq¸\ Uºlb\ p²mtym v¼sim 1lpk´namh nm p´qi l³m v_r, p´qi d aqvma¸a M¼n aQokºwqyr7 %jqitor t %stqym mwkor 1mdekew_r7 !lviwoqe¼ei

die er folgendermaßen bersetzt: Thou self-sprung being, that dost all enfold, And in thine arms heavens whirling fabric hold! Who art encircled with resplendent light, And yet liest mantled oer in shady night! 168 Die Seiten 257 – 273 enthalten eine berarbeitete Fassung des Aufsatzes „Cudworth interpretiert Euripides. Neuplatonische Metaphysik und heteronome sthetik als Faktoren einer Transformation antiker Dichtung“, erschienen in Olejniczak-Lobsien/Olk (2007), 139 – 161. 169 Siehe auch System I, 285 – 286. 170 System I, 631 – 632. 171 Dass diese Verse in der modernen Tragçdienforschung Kritias zugeschrieben werden (so schon bei Diels/Kranz zu Kritias, Fragment B 19, v. 1 – 5 (Die Fragmente der Vorsokratiker Bd. II, 318 – 319 B 19), spielt allerdings hier keine Rolle. Entscheidend ist aus transformationstheoretischer Perspektive allein, dass Cudworth sie fr Verse des Euripides hlt. 172 Die Orientierung dieser Verse an der Form des Hymnos lsst sich u. a. erkennen an den Partizipialkonstruktionen und den Relativstzen, die Funktion und Position des Gottes beschreiben.

258 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott About whom, the exultant starry fires dance nimbly round in everlasting gyres.173

In Anlehnung an die von Johann Lorenz Mosheim angefhrte lateinische bersetzung der Verse, die er von Grotius bernimmt, mçchte ich zum Vergleich folgende, von Cudworths eigener Version abweichende Variante einer bersetzung des Griechischen ins Deutsche vorschlagen: Dich [rufe ich an,] den Selbst-Entspringenden, der du in aitherischer Kreisbewegung die Natur aller Dinge drehst174, dich, den zuzeiten ringsum [helles] Tageslicht, zuzeiten aber auch dunkle Nacht sternenfunkelnd [umtanzen] und auch die unermessliche Menge der Sterne unentwegt umtanzt.

Vor dem kontrastiven Hintergrund dieser bersetzung sollen nun einzelne Aspekte der bersetzung Cudworths zusammen mit der Deutung, die er ihnen gibt, untersucht werden. Schon die Einleitung zu diesem Text enthlt die entscheidende transformatorische Weichenstellung. Denn Cudworth leitet die von ihm ausgewhlten Verse mit der Feststellung ein, sie enthielten ein klares Zeugnis „of one selfexistent Being, that comprehends and governs the whole world“175. Damit ist, wie aus den diesem Euripides-Text vorausgehenden Erçrterungen im System klar hervorgeht, der eine und hçchste Gott gemeint, der als oberstes Prinzip einer von Cudworth transformierten neuplatonischen Metaphysik aufgefasst wird.176 Nachzuzeichnen ist der Weg, auf dem Cudworth von der im Tragçdi173 System I, 632. Dass in moderneren Editionen die Lesarten des Fragments etwas anders ausfallen, ist fr die anstehende Untersuchung nicht von Interesse, die sich auf den Befund sttzt, der Cudworth vorlag und damit das spezifische Referenzobjekt seiner Interpretation ausmacht. 174 „Drehen“ bersetzt das griechische 1lpk´jy. Im Lateinischen steht an dieser Stelle „versare“. Begrndet werden kann diese bersetzung durch die hufige dichterische Praxis, statt eines einfachen Verbs ein Kompositum zu benutzen, das allerdings die Bedeutung des Simplex behlt. In diesem Fall wre also 1lpk´jy als pk´jy zu lesen und mit „versare“ bzw. „drehen“ zu bersetzen. 175 System I, 631. 176 An dieser Stelle ist nochmals zu betonen, dass Cudworth den Plotinischen Neuplatonismus auch hinsichtlich seines Prinzipienbegriffs in erheblichem Maße und nach den Ansprchen seines eigenen Systems verndert. Derart kann, wie bereits im christlichen Neuplatonismus, auch das erste Prinzip, das Eine/Gute – Gott – als All-Eines den Charakter der „entfalteten“ oder „konkreten Totalitt“ (Halfwassen [2004], 74 und 77) annehmen, da diese „Totalitt“ qua Trinitt in das erste Prinzip hineinverlagert werden kann. Allerdings spricht bereits Plotin, Enn. III 9, 4, 8 f. gegen eine Verabsolutierung des Transzendenzgedankens hinsichtlich des Einen: Auch wenn das Eine vor und ber allem ist, so ist doch zugleich sein Verhltnis zu allem Nachgeordneten „das des Ausfllens (pkgqoOm) und des Schaffens (poie?m)“. Das Eine ist ebensowenig vollstndig immanent wie absolut transzendent.

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enfragment angerufenen Gottheit Zeus zu dem einen „self-existent Being“, dem ersten Prinzip einer neuplatonischen Metaphysik, und damit von der Dichtung zur philosophischen Aussage (-form) gekommen sein kçnnte. Bereits der Verwendung des Begriffs Being kommt dabei eine nicht unerhebliche, wenn auch eher implizite, Bedeutung zu: Denn Cudworth verwendet eben gerade nicht den Begriff Gott, sondern Wesen bzw. Seiendes, und dieser Begriff hat im Gegensatz zu Gott einen eher metaphysisch-abstrakten als einen religiçsen Klang. Cudworth kçnnte also durch die reine Wortwahl die Richtung andeuten, in der seine Auslegung der Verse verlaufen wird. Erstes Prinzip ist Zeus fr Cudworth als aqtovu¶r ; d. h. Cudworth rechtfertigt die grundlegende Identifikation von Zeus mit dem ersten Prinzip durch seine Auslegung dieses Adjektivs.177 Er versteht aqtovu¶r, das er direkt mit „self-sprung“ bersetzt, nmlich, wie der einleitende Satz zu den Versen zeigt, als „self-existent“. Damit verwandelt er aqtovu¶r in einen metaphysischen bzw. ontologischen und dezidiert neuplatonischen Fachbegriff: Er versteht ihn als Synonym fr das ebenfalls eher seltene Adjektiv aqhupºstator und nimmt auf diese Weise eine semantische Verschiebung vor.178 Denn whrend aqtovu¶r im 177 Die Verwendung von aqtovu¶r in der Bedeutung „self-existent“ ist singulr und nur mit dieser Stelle belegt, vgl. LSJ 284 s. v. 1. Die Frage ist, wie Kritias/Euripides dazu kommt, Zeus mit diesem, in einem derartigen Kontext hçchst ungewçhnlichen, Adjektiv zu beschreiben. Eine mçgliche Antwort kçnnte darin zu suchen sein, dass Kritias hier auf orphische Zeus-Hymnen Bezug nimmt, die Zeus als Prinzip und Schçpfer aller Dinge preisen (vgl. Orphicorum Fragmenta, Frg. 21, 21 a und 298), er also selbst kein Prinzip vor sich haben kann und mithin selbstzeugend sein muss. Diese Vorstellung wiederum kçnnte entstanden sein unter Heranziehung der Lehren des Anaxagoras ber den nous, der – prinzipiengleich – ber alles herrscht und in dieser Funktion „allein, selbstndig, fr sich ist“ („lºmor aut¹r 1p 1ytoO 1stim“; DK I, 46 B 12). Eine genauere Entsprechung zu aqtovu¶r in einem vergleichbaren Kontext findet sich dann erst spter bei Aelius Aristides (117 n. Chr. bis nach 181), in dessen Prosa-Zeus-Hymnos der Gott folgendermaßen beschrieben wird: „Selbstvater, selbst aus sich selbst werdend [und] bedeutender, als aus anderen geworden zu sein“: „aqt¹r 1n artoO cemºlemor aqtop²tyq te ja· le¸fym C 1n %kkym cecom´mai“ (Aelius Aristidis, Quae supersunt omnia, tom. II, 340, 24 – 26; ed. Keil). In seinem Kommentar zu dieser Stelle verweist Charles A. Behr, P. Aelius Aristides. The Complete Works, vol. II u. a. auf die oben angefhrten OrphikerFragmente. Man muss also anerkennen, dass Cudworth bei der Auswahl dieses Fragments darauf geachtet hat, dass es in seinen Kontext und zu seinen Grundannahmen passt, denn die ausdrckliche Beschreibung von Zeus als „self-existent“ ist ußerst selten und setzt selbst schon – wie bei Aristides – bestimmte philosophische Vorentscheidungen (eigentlich stoisch-[mittel-] platonischer Provenienz) voraus. Cudworth selber zitiert Aristides in System II, 139 f. ußerst anerkennend. Auch hier geht es ihm darum, den antiken Monotheismus zu beweisen, in dem ein erstes Prinzip wirkend, schçpfend und gestaltend der Schçpfung gegenbersteht. 178 Vgl. System I, 296, wo Cudworth aqtovu¶r und aqhupºstator zwar in einem Atemzug nennt, allerdings beide Male aqtovu¶r mit „self-originated“, aqhupºstator hingegen mit „self-existent“ bersetzt. In System I, 632 versteht er aqtovu¶r als „self-existent“,

260 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott Zusammenhang einer derartigen Charakterisierung des hçchsten Prinzips der neuplatonischen Ontologie keine Verwendung findet bzw. nicht belegt ist, wird aqhupºstator z. B. von Proklos gebraucht, um hervorzuheben, dass das schçpferisch-produktive Eine „Ursprung seiner selbst“179 sei und als Absolutes durch sich fr sich selbst hinreicht.180 Hinter oder neben diesen Antikebezgen ist mçglicherweise Descartes Anwendung des Substanzbegriffs auf seine Gotteskonzeption zu sehen, die sich Cudworth auf eine spezifische Weise anzueignen versucht. Fr Descartes ist Gott nmlich die einzige Substanz, fr die uneingeschrnkt das Prdikat der Selbst-Existenz gilt.181 Cudworth wiese im Rahmen seiner Antikeaneignung sein erstes Prinzip also auf zwei Ebenen (einer konstellatorischen und einer sprachlichen) aus: Zum einen im Kontext der aktuellen Diskussion durch den Bezug zu Descartes, den er zugleich neuplatonisch „berbietet“. Zum anderen – orientiert an Descartes und Proklos – indem er das Adjektiv „self-existent“ in die englische Sprache einfhrt,182 um damit sein erstes Prinzip zu klassifizieren und zu positionieren. So mutiert das seit Hesiod – wenn auch mit anderer Bedeutung – in der Dichtung verwendete Adjektiv aqtovu¶r zu einem hochspeziellen philosophischen Kunstwort, zu aqhupºstator, das im System in Bezug auf das erste Prinzip von Cudworths Ontologie Verwendung findet, so dass die knstlerisch-sthetische Form des Ausdrucks in den Kritias-Versen von Cudworth auf einen rein metaphysischen Gehalt der Aussage hin gedeutet wird.

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bersetzt es jedoch mit „self-sprung“, d. h. er ist sich mçglicherweise der Poetizitt des Textes bewusst, die seine bersetzung leitet, deutet ihn aber als Beschreibung der „true and genuine idea of God in general […]: A perfect conscious being (or mind) existing of itself from eternity, and the cause of all other things“ (System I, 297, Hervorh. L. B.). Vgl. auch System I, 374 f. Aus allen Stellen geht zudem hervor, dass Cudworth die beiden Adjektive aqtovu¶r und aqhupºstator ausschließlich Gott, d. h. dem ersten Prinzip seiner Metaphysik zuschreibt. Vgl. dazu das Laktanz-Zitat, das Patrizi in Panaugia X, 23r anfhrt, um Gott als Vater des Lichtes in der Tradition der prisca theologia zu charakterisieren. Patrizi bersetzt aqtovu¶r in diesem Fall mit „per se natus“. Vgl. Proklos, Thologie platonicienne 1, 126, 43 ff. (ed. Saffrey/Westerink) und Plotin, Enn. VI 8, 20, 15 – 20; dazu Beierwaltes (1965), 350, Anm. 58. Zu beachten ist allerdings, dass Procl., Inst. §40 das absolute Eine aufgrund seiner Einheit und Einfachheit ber diese Eigenschaft erhebt. Vgl. dazu auch Blum (1980), 154, Anm. 112. Systematisch weniger streng, aber dennoch deutlich auf das erste Prinzip seiner Metaphysik bezogen, verwendet Iulian Apostata in seinem Sonnen-Hymnos das Adjektiv aqhupºstator (139 d). Hier wird es ausdrcklich mit der Vorstellung der „urschçpferischen Substanz“ (pqytouqc¹r oqs¸a ; Iulian Apostata, Kaiser Julians philosophische Werke; bs. Asmus) verknpft. Griechischer Text aus: Iulian Apostata, Œuvres completes, tome II/2 (ed. Lacombrade). Cudworth besaß eine Ausgabe der Werke Julians, s. Millington (1697), 4. Siehe Taliaferro (2005), 72 – 73. Zu „self-existent“ als von Cudworth in die englische Sprache eingefhrt s. Hall (1975), 314.

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Als erstes Prinzip im Sinne Cudworthscher Prinzipienmetaphysik umfasst Zeus alles, heißt es im einleitenden Satz: „that comprehends and governs the whole world“ (Hervorh. L. B.). Auch mit dieser Formulierung deutet Cudworth Euripides/Kritias um. Whrend er das im zweiten Vers gebrauchte Verb 1lpjk´jy (es liegt in Form eines Partizip Aorist Aktiv vor) mit „enfold“ bersetzt, legt er den Vers allerdings aus, als stnde dort das griechische quivalent fr „umfassen“ bzw. „comprehend“ oder „contain“, nmlich peqi´weim. Im Unterschied zu 1lpjk´jy ist peqi´weim, wie bereits ausgefhrt, ein im Neuplatonismus terminologisch gebrauchter Begriff, um das Verhltnis zwischen einem Prinzip und dem, was es hervorbringt, was aus ihm hervorgeht, zu beschreiben.183 Er besitzt fr Cudworth eine zentrale Bedeutung, wie sich an der hohen Zahl von griechischen Texten ablesen lsst, in denen dieser Begriff auftaucht und die von Cudworth zitiert werden. Es ist also davon auszugehen, dass zusammen mit der Umdeutung der literarischen Ausdrucksform von 1lpjk´jy auf die Semantik von peqi´weim zugleich eine bewusste Verschiebung der Bedeutung des Ausdrucks in Richtung der von Cudworth favorisierten neuplatonischen Metaphysik vorgenommen wird, die damit zum zweiten Mal gleichsam als semantische causa finalis die Perspektivierung des Referenztextes bestimmt. Denn es gibt im Neuplatonismus Cudworths nur ein einziges Prinzip, das alles umfasst („the whole world“; Hervorh. L. B.) und damit alles hervorbringt und aus sich hervorgehen lsst: das Eine-Gute. So liest Cudworth, nachdem er aqtovu¶r als aqhupºstator gedeutet hat, auch aus „p²mtym v¼sim 1lpk´namh“ („that dost all enfold / der Du […] die Natur aller Dinge drehst“) heraus, dass Euripides/ Kritias mit „Zeus“ eigentlich das neuplatonische Eine und damit zugleich das erste Prinzip der eigenen Metaphysik und Naturphilosophie meint. Derart kann er direkt an die bereits mit Proklos erfolgte Interpretation des „orphischen“ Theologoumenons þm ti t± p²mta anschließen, der zufolge diese Wendung Zeus als den Gott meint, der alles umfasst: „,T± fka peqi´wym b Fe»r ja· p²mta lomadij_r ja· moeq_r, […] Jupiter, who containeth the universe, and all things within himself, unitively and intellectually, […]“.184 Die neuplatonische Ausdeutung und damit Funktionalisierung dieses Textes im Sinne einer systematischen Implementierung geht jedoch noch weiter, und Cudworth fgt dem metaphysisch-ontologischen Aspekt einen weiteren hinzu, 183 Zur Bedeutung von peqi´weim im Neuplatonismus siehe Nasemann (1991), 58 – 67: „Das ontologisch Hçherstehende umfasst das Niedrigere in dem Sinn, dass es das Niedrigere hervorbringt und sowohl einheit- als auch strukturverleihend auf es einwirkt.“ Der Aspekt des Strukturierens spielt auch bei Cudworth eine Rolle: „[…] comprehends and governs the whole world“ (Hervorh. L. B.). Die „Herrschaft“ des ersten Prinzips manifestiert sich dann in der Schçpfung in der gestaltenden Leistung der Seelen und plastic natures. Zudem ist auf diese Weise die Vorstellung eines personalen christlichen Weltenlenkers zumindest impliziert. 184 System I, 514. Siehe oben S. 235 – 237.

262 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott der auf den ersten Blick epistemologisch-mystisch erscheinen mag, aber ebenso eine fr Cudworth zentrale ontologische Komponente besitzt, die er bereits durch die Umdeutung des 1lpk´jy in das neuplatonische peqi´weim angedeutet hat. Damit ergnzt er seine im einleitenden Satz umrissene Interpretation in einer Form, die besonders fr den christlichen Neuplatonismus charakteristisch ist, und greift zugleich eine Darstellung Gottes auf, die den Lesern des System kurz zuvor im Zuge der Auslegung der Gottesvorstellung der gypter begegnet ist:185 Zeus als erstes Prinzip ist fr Cudworth ebenso strahlendes Licht bzw. Helle: „God being in himself a most bright and dazzling light“186, das um- und verhllt wird von einer dunklen, dichten Wolke, damit es den Menschen mit seinem schwachen, unangepassten Erkenntnisvermçgen nicht blende bzw. erblinden lasse. Schon die Charakterisierung Gottes als berhelles Licht mutet in ihrem Bezug auf die Verse des Euripides/Kritias auf den ersten Blick berraschend an. Ausgangspunkt der berlegungen Cudworths, die zu dieser Auslegung fhren, sind der dritte und vierte Vers, in denen beschrieben wird, dass die Nacht Zeus umtanzt, was Cudworth als Verhllung des Zeus versteht.187 Cudworth legitimiert seine bersetzung bzw. Deutung dadurch, dass er eine Kombination aus einem orphischen Vers und einer Bibelstelle188 heranzieht. Schon dieses Verfahren ist fr sich genommen bemerkenswert, wurde von Cudworth aber zuvor schon im Zusammenhang mit seiner Darstellung der gyptischen Religion angewandt. Es veranschaulicht paradigmatisch Cudworths grundstzliche Einstellung gegenber Religion und Philosophie der Antike, auf die im Folgenden noch eingegangen werden soll. Um einen Vers einer Tragçdie eines heidnischen Dichters aus dem 5. Jahrhundert vor Christus auszulegen, kombiniert er also einen Vers aus einem ebenfalls dezidiert heidnischen religiçsen Textkorpus, dem orphischen, mit einem Bibelzitat. Ein hnliches Verfahren lsst sich neben dem Umgang mit der gyptischen Religion ebenfalls 185 Siehe oben S. 253 f. 186 System I, 632. Auch hier ist wieder an Ficino als mçgliches, vorstellungsleitendes Vorbild zu denken in Kombination mit Patrizi, Panaugia X, 22r und v: „Orpheus est attestatus, dum canit, Aqt¹m d osw bqºy, peq· c±q m´vor 1st¶qijtai. Koip¹m 1loi, st²sim d³ d´ja ptuwa· !mhq¾poisi. Oq c±q j³m t·r Udoi hm/tym leqºpym jqa¸momta ; EQ lμ loumocemμr t·r !pºMNyn v¼kou %myhem. Wakda¸ym, Udqir c±q 1gj %stqoio poqe¸gr. Ipsum non cerno, circa enim nubes firmata est. Relicta mihi. Stant vero decem involucra hominibus. Neque enim quisquam vidit mortalium, regnatorem. Nisi unigenitus quidam, ortus tribu supera. Chaldaeorum, sciens enim erat astrei itineris.“ 187 Bezeichnenderweise muss Cudworth dafr den ersten Halbvers „fm p´qi l³m v_r“ und das eigentlich die Nacht beschreibende Adverb aQokºwqyr ignorieren, die beide nur schlecht mit seiner Verhllungsthese in Einklang zu bringen sind; vgl. seine eigenen Bemerkungen zu einer weniger esoterischen Auslegung dieser Verse in System I, 632. 188 Hçchstwahrscheinlich knpft Cudworth hier an 2 Mose 20, 21 an; vgl. auch Hiob 37, 5 und 11 sowie 38, 1. Aus dem orphischen Vers ergibt sich Gottes Wesen als berhelles Licht, aus der Bibel leitet Cudworth die damit verbundene Verhllung Gottes ab.

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bezglich der Ausdeutung des „grand arcanum of the Orphic theology“ beobachten: Dort kombiniert Cudworth in der Exegese einen Text des Proklos mit christlichen Vorstellungen, um eine seinen grundlegenden Ansichten entsprechende Auslegung herbeizufhren. Dieses Vorgehen ist daher im vorliegenden Fall nur dann sinnvoll, wenn man Cudworth die Annahme unterstellt, alle drei Textstellen besßen denselben Wahrheitsgrund und damit Aussagegehalt, denn nur dann lsst sich dieselbe Motivik der Verhllung durch eine Wolke bzw. Dunkelheit in allen drei Texten als literarischer Ausdruck des einen theologischmetaphysischen Inhalts deuten. Indem Cudworth also einen Orpheus zugeschriebenen Vers und eine Passage der Bibel miteinander kombiniert, kann er das Umtanzen der Nacht um Zeus herum in einem ersten Schritt als Verhllen des Zeus verstehen. Metaphysisch begrndet ist dieses Vorgehen Cudworths in der bereits von ihm vorgenommenen Identifikation von Zeus und erstem Prinzip, da nur dieses sich quasi metaphysisch verhllen muss, um berhaupt erkannt werden zu kçnnen.189 Diese Vorstellung ihrerseits fhrt in einem zweiten Schritt dazu, Zeus, den hçchsten Ursprung, in seiner absoluten Transzendenz und Allmacht in der von Platons Zentralgleichnissen ber Dionysios Areopagita und Ficino bis zu Patrizi und Kircher reichenden Tradition neuplatonischer Lichtmetaphysik als berhelles, blendendes Licht zu fassen.190 Der Motivkomplex von Verhllung, blendender Helle und hçchstem Ursprung liegt demnach Cudworths Ausdeutung der Tragçdienverse in System I, 631 – 632 zugrunde und wird zugleich aus ihnen herausgelesen. So bekommen diese Verse eine ausgesprochen Platonisch-neuplatonische Prgung:191 Schon im Hçhlengleichnis der Politeia Platons, das als Explikation des vorausgehenden Sonnen- und Liniengleichnisses dient, schreibt Platon in der Analogie seinem ersten Prinzip, der Idee des Guten, als zentrale Eigenschaft eine das menschliche Erkenntnisvermçgen zunchst blendende Helle zu.192 Diese grundlegende Vorstellung bernimmt, vermittelt u. a. ber Aristoteles Schrift De anima III 5,193 Plotin, der das Eine (in seiner Wirkung auf das ihm Nach-

189 D. h.: Vom ersten Prinzip ist aufgrund seiner „reinen Einheit“ (Halfwassen [2004], 55) nur eine indirekte Erkenntnis mçglich, wenn es sich um vermittelbares, thematisches Wissen handeln soll, siehe z. B. Halfwassen (2004), 55. 190 Zu den diesbezglichen Vorstellungen Kirchers s. z. B. Leinkauf (1993), 334 – 342; bes. 341 zum Nexus von Gott als „caligo inaccessa“ und „lux ineffabilis“ im Wesen Gottes. Vgl. auch Moran, in Hedley/Hutton (2008), 20. 191 Die im Folgenden angefhrten Stellen beziehen sich explizit auf die Charakterisierung des ersten Prinzips als Licht oder Lichtquelle bzw. Helle und sind als systematische Ergnzungen zu den Ausfhrungen Cudworths zu verstehen. 192 Siehe Platon, R. 515e–516c; 518a–b. 193 Aristoteles, De anima III 5, 430a10 – 19.

264 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott folgende) mehrfach als (primres) Licht oder als Glanz bzw. Helle darstellt.194 Das Motiv der Blendung durch diese Helle findet sich ebenfalls bei Plotin.195 Alle diese Sachverhalte bringt schließlich der christliche Neuplatoniker Dionysios Areopagita treffend zum Ausdruck, der mystische und ontologische Aspekte in seinen Darstellungen des Verhltnisses Gottes zur Schçpfung vereint, z. B. in der Hierarchia Coelestis: […] und schçn vervielfltigt sich das [vterliche Licht] und tritt hervor […] Es ist nmlich nicht mçglich, dass uns das gçttliche Licht anders leuchte als ringsum verhllt durch eine Vielheit heiliger Schleier. ([…] et pulchre multiplicatur [paternum lumen] et provenit […] Etenim neque possibile est aliter nobis lucere divinum lumen, nisi varietate sacrorum velaminum circumvelatum.)196

Dem ontologischen Sachverhalt, die Welt als hierarchische Abfolge von Hervorbringungen aus dem einen Gott aufzufassen, die ihrerseits als eine Art von Theophanien oder Manifestationen des ersten Prinzips, d. h. Gottes verstanden werden und sowohl Gottes Gut-Sein als auch seine vermittelte Immanenz in der Schçpfung offenbaren,197 korrespondiert Gottes dem Menschen zugewandte Gte darin, gerade und nur durch diese verhllenden Manifestationen fr den Menschen hinreichend erkennbar zu sein.198 194 Z. B. Plotin, Enn. V 5, 7 und in V 6, 4. 195 Vgl. z. B. Plotin, Enn. VI 7, 35 – 36. 196 Patrologia Latina 122, 1038 c; der Hinweis auf die lateinische Version des Textes von Pseudo-Dionysios bei Wetherbee (1972), 57. 197 Siehe Wetherbee (1972), 57. 198 Dem entspricht ebenfalls Cudworths Funktionalisierung des Phnomens des unbekannten Gottes (%cmystor heºr, System II, 192 f.), wenn er %cmystor als „knowable to us only by effects of his power, but as to his own essence, unknowable or incomprehensible“ deutet. Cudworth bezieht sich auf Act. 17, 23: „inveni et aram in qua scriptum erat ignoto deo.“ Seine Harmonisierung basiert auf einer petitio principii: Wenn Cudworth Paulus heranzieht, um mit dessen Interpretation des %cmystor heºr zu zeigen, dass dieser Gott der christliche Gott ist, dann setzt er eben darin, dass er Paulus Interpretation als wahr anerkennt, genau das voraus, was eigentlich noch zu beweisen ist. Vgl. dazu System II, 189: „There is something of God unknowable and incomprehensible by all mortals, but that of God, which is knowable, his eternal power and godhead, with the attributes belonging thereunto, is made manifest to all mankind from his works [Hervorh. L. B.].“ Diese Stelle ist, wenn man sie mit der von Cudworth vertretenen Konzeption der Monade als eines schçpferischen Prinzips zusammensieht, dazu geeignet, Dockrills Ansicht hinsichtlich der Unerkennbarkeit Gottes zu modifizieren, die dieser in Rogers/Vienne/Zarka (1997), 58 vertritt. Ein Aspekt Gottes ist absolut einfach und dem menschlichen Verstehen entzogen – nur ist dieser Aspekt, die „most simple monad“ (System II, 232) wesentlich mit anderen, dem menschlichen Verstand zugnglichen Aspekten (Nous und Weltseele/Liebe) auf eine dem Menschen nachvollziehbare Weise verbunden, wie Cudworths Konzeptionierung der Trinitt zeigt. Dockrill ist zuzustimmen, dass sich Cudworth auf diese Weise von strker puritanisch geprgten Anstzen deutlich abgrenzt, die hinsichtlich der Gottes„erkenntnis“ das Verfahren der via negativa verabsolutieren.

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In Bezug auf Cudworths Deutung des dritten und vierten Verses und der Bezeichnung des Zeus als „being in himself a most bright and dazzling light“ ist es also erst der neuplatonische Hintergrund, der als Interpretationsmatrix eine derartige Auslegung und damit eine darauf basierende Funktionalisierung dieser Verse in einem metaphysischen Rahmen ermçglicht und der zugleich das ist, was Cudworth aus diesen Texten herausliest. Diese neuplatonische Bedeutungsebene bezeichnet den Inhalt, auf den hin Cudworth seinen antiken Referenztext liest, der erst in dieser Interpretation Aufschluss ber die antike Gottesvorstellung geben soll. Damit ist die neuplatonische Semantik zugleich ausschlaggebender Bestandteil des Bildes antiker Religiositt, das Cudworth als das Eigene auf die literarischen Texte der Antike projiziert, um derart seine eigenen, aktuellen religiçsen Ansichten zu fundieren und zu strken. Die Konsequenz dieses Vorgehens ist, dass Cudworth die literarische Form des Textes dieser Bemhung um einen neuplatonischen Inhalt unterordnet und dass er diese Texte derart ihrer sthetischen Autonomie entkleidet. So wird die dichterische Ausdrucksebene in eine wesentliche Beziehung zu einem religiçsen und philosophischen Inhalt gesetzt, der fr Cudworth das Eigentliche der Verse markiert.199 Durch die von ihm vorgenommenen semantischen Verschiebungen der fr seine Zwecke zentralen Begriffe des Ausgangstextes (aqtovu¶r, 1lpk´jy, !lviwoqe¼eim), z. T. durch Kombinationen dieses Textes mit weiteren antiken Texten, ist es Cudworth gelungen, einige Tragçdienverse, die einen Anruf an Zeus enthalten, umzudeuten bzw. auszulegen zu Aussagen ber das erste Prinzip einer von ihm auf den antiken Dichter projizierten religio naturalis. Dabei macht er die dichterische Darstellung des Zeus zu einer, wenn auch verschlsselt-hintersinnigen, Darstellung des ersten Prinzips seiner Version der neuplatonischen Metaphysik. Da Cudworths Interpretation auf einen neuplatonischen Prinzipienbegriff hin erfolgt, wre eine mçgliche moderne Einschtzung seines Vorgehens, dass er in diese Verse eine Philosophie hinein- bzw. aus ihnen herausgelesen habe, die erst mehrere 100 Jahre nach ihrer Abfassung entstanden Auf diese Weise impliziert er das zentrale, mit dem Bild des hinter seinen Kraftexplikationen verschleiert und verborgen bleibenden Gottes verschrnkte Ousia-Dynamis-Energeia-Schema. Vgl. dazu Iamblich, In Alc. Frg. 4 (ed. Dillon) und Bergemann (2006), 225 – 226 und 229 – 230. Das wiederum korrespondiert mit der Deutung, die Cudworth unter Heranziehung von Damaskios, Plutarch, Philon und Iamblich auch fr die Tempelinschrift von Sais gibt: siehe u . a. System I, 576 – 578. Vgl. desweiteren diesbezglich Cudworths Ausfhrungen zu Sokrates Gottesglauben, die er aus zwei Xenophontexten ableitet in System II, 62 – 63. 199 Cudworths Vorgehen kann also als eine heteronome sthetik im Sinn von Jahraus (2004), 93 – 96 aufgefasst werden, d. h. als ein Vorgehen, die knstlerische Form des sprachlichen Ausdrucks in begriffliches Denken zu berfhren und in der philosophischen Interpretation „auf den Begriff zu bringen“ (ebd. 94).

266 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott ist. Und da dieser Prinzipienbegriff den Ansprchen seiner eigenen naturphilosophisch-metaphysischen Systematik entspricht, hat er zudem einen der bedeutendsten griechischen Tragçdiendichter (zumindest nach seiner Annahme, der zufolge Euripides diese Verse verfasst habe) zu einem Vertreter eines seinem System konformen Monotheismus gemacht, d. h. seiner These und Argumentation implementiert. Auf diese Weise dienen Cudworth auch die Euripides/ Kritias-Verse der Konstruktion einer Antike, die im wesentlichen denselben Gottesbegriff besaß, den Cudworth fr seine Zeit propagiert. Der Zeus-Anruf wird dahingehend transformiert, dass er unter vollstndiger Absehung eines mçglichen Kontextes in der Tragçdie zu der von Cudworth intendierten Integration von Naturphilosophie und Monotheismus passt, die gegen die verschiedenen Formen des Atomismus und der mit ihnen verbundenen Atheismen gerichtet ist. Nachdem Cudworth diese Exegese vorgenommen hat, beurteilt er sein Vorgehen in Abgrenzung zu einer sich eher am Wortlaut orientierenden Auslegung bzw. bersetzung der Verse folgendermaßen: For this sense of the third and fourth verses, which we think the words will bear, […] I say, this sense we choose rather to follow, as more rich and august than that other vulgar one, though grammatically and poetically good also: ,That successive day and night, together with a numberless multitude of stars, perpetually dance round about the Deity (System I, 632 f.).

Bemerkenswert erscheint an dieser Einschtzung, dass Cudworth sie nicht auf die Form des Textes selbst und seine sprachliche Gestalt wie den Stil anwendet, sondern den Sinn bewertet und ihm ein Moment des sthetischen („august“/ „erhaben“)200 zuschreibt. Damit wird der neuplatonische Gehalt der Verse zur Ursache eines positiven sthetischen Urteils hinsichtlich der Erhabenheit der bersetzung, die Cudworth favorisiert. Es liegt nahe, darin einen Reflex einer platonisch-neuplatonischen Theorie des Schçnen zu sehen, die Schçnheit bzw. Erhabenheit eines Gegenstandes oder von Literatur hauptschlich dadurch definiert, in welchem Maße Objekte und Literatur ber sich hinaus hin zur Gottheit bzw. in den Bereich des Transzendenten weisen und derart anagogisch auf das menschliche Bewusstsein bzw. die menschliche Seele zu wirken vermçgen. Im Anschluss soll nun Cudworths Verfahren der Deutung antiker Texte, das dieser sthetik korrespondiert, im vergleichenden Rckgriff auf ein historisches, mittelalterliches Vorlufermodell genauer bestimmt werden, um vor dem Hintergrund dieser transformativen Technik besser einordnen zu kçnnen, wie 200 Vgl. dazu die Belege, die sich im OED zum Adjektiv „august“ 1. finden. Von besonderem Interesse ist hier der Eintrag zu Addison, Spect. No. 414 aus dem Jahr 1712. Er legt eine sthetische Bedeutung von „august“ zumindest sehr nahe. Leider weist das OED keine Eintrge aus Poetiken des 17. Jahrhunderts nach.

5.3 Metaphysik in der Dichtung – Cudworth und die integumentale Hermeneutik

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Cudworth vorgeht. Ob er sich dabei dieses Modells oder seiner Ausprgungen in der Renaissance (deren Untersuchung hier leider unterbleiben muss) bewusst war oder nicht, ist zunchst unerheblich, da das mittelalterliche Modell lediglich auf der Beobachterebene als Verstndnishilfe und zur Einordnung von Cudworths hermeneutischem Vorgehen dienen soll. Die besondere Exegesetechnik, derer sich Cudworth bedient, um seinen speziellen, neuplatonischen Sinn aus den Versen des Euripides/Kritias zu eruieren,201 und die zugleich als hermeneutische Konkretisierung der Annahme einer prisca sapientia und prisca theologia im Umgang mit Texten der antiken Dichtung angesehen werden kann, besitzt eine Entsprechung im 12. Jahrhundert: die integumentale Hermeneutik als eine Form der „philosophical-literary analysis“202 der dichterischen Elemente der auszulegenden Texte, als eine, wie es Frank Bezner nennt, „Hermeneutik des Hintersinns“.203 Eine Betrachtung dieser Art der Hermeneutik kann auf die Frage eine Antwort geben, warum ein literarischer oder dichterischer Text berhaupt als Trger eines heteronomen Wahrheitskerns angesehen werden kann, den es aus- und umdeutend aus ihm herauszudestillieren gilt. Diese hermeneutische Einstellung oder berzeugung ermçglicht es, in der antiken Dichtung eine „semantische Dynamik“204 zwischen quasi oberflchlicher sprachlicher Verhllung (dem integumentum) und dem vermeintlich wahren, tieferen Sinn des Gemeinten des sprachlichen Ausdrucks nicht nur zugrunde zu legen, sondern auch fr sich nutzbar zu machen.205 Sie ermçglicht es Cudworth außerdem, „zu einer philosophisch-theologischen sthetik“206 zu gelangen, „bei der die konsequente Reflexion ber einen trans201 Zu diesem Vorgehen vgl. allg. Bezner (2005), 341. 202 Wetherbee (1972), 36; zum integumentum insgesamt: Wetherbee (1972), 11 – 73 und bes. die Monografie von Bezner (2005), da auch 34 Anm. 131 mit Literaturangaben zum Thema integumentum. Zur integumentalen Hermeneutik s. besonders auch den Beitrag von Walter Haug, in Lobsien/Olk (2007), 19 – 42. 203 Bezner (2005), 57 u. ç. Bezner weist unter Bezugnahme auf die Studien M.-D. Chenus ausdrcklich darauf hin, „dass der vermeintlich zu vernachlssigende Raum von Theorie und Praxis des allegorisch-symbolischen Hintersinns Teil der Wissensgeschichte des 12. Jh. ist und nicht lediglich als sthetisches Phnomen begriffen werden sollte“ (57, vgl. auch 69), und besttigt damit vom 12. Jahrhundert her die oben angestellte Vermutung ber Cudworths Einstellung der antiken Dichtung gegenber. 204 Bezner (2005), 57. 205 Vgl. Bezner (2005), 59: „Das von integumentaler Exegese ,geleistete– oder in ihr reflexiv erkannte – aliud dicit, aliud sentit ist vielmehr berwiegend Teil anderer – naturphilosophischer, methodologischer – Diskurse, die das Phnomen im Rahmen ihrer eigenen Rationalitt(en) integrieren und dabei auf eine jeweils spezifische […] Weise bestimmen: […]“ Damit kommt die integumentale Hermeneutik als eine transformative Technik in den Blick. Vgl. auch Bezner (2005), 364 ff., wo Bezner die (antike und mittelalterliche) Dichtung unter der Perspektive der integumentalen Deutung als Medium von Wissen und Wahrheit bestimmt. 206 Bezner (2005), 74.

268 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott zendenten Bereich des Seins zu einer Aufwertung der dichterischen Imagination fhrt“.207 Wobei der Fokus dieser Art des Verstehens auf eine Art des metaphysischen Wissens, wie Bezner bemerkt, gleichzeitig „eine grundstzliche Heteronomie des Literarischen [impliziert], die (s)eine Autonomie und Selbstndigkeit bereits im Ansatz aufhebt“.208 Genau das aber fhrt dazu, nicht den literarischen Text selbst, sondern seinen Sinn zu bewerten. So kann bei einer sthetischen Beurteilung eines Textes die Ausdrucksebene der Sinnebene untergeordnet werden. Mit dem Konzept der integumentalen Hermeneutik des 12. Jahrhunderts lsst sich gleichfalls Cudworths Vorgehen beschreiben, das darin besteht, antike Dichtung durch Umprgungen semantischer Repertoires fr seine systematischen Zwecke zu funktionalisieren: Bezners Charakterisierung der Technik und des Ziels dieser exegetischen Bemhungen liest sich folglich beinahe wie eine Beschreibung der transformatorischen Ttigkeit Cudworths: Bei der Exegese geht es dabei weniger darum, mythische Chiffren schlichtweg durch philosophische Begriffe zu ersetzen, sondern ein komplexes Philosophem aus der ,Handlung oder Konstellation des Mythos herauszuarbeiten. Zumeist werden dabei die zentralen Elemente einer mythischen Handlung oder ,Tatsache kurz referiert, hernach schrittweise auf eine philosophische Ebene bertragen, eine Technik summarisch-strukturbezogener Exegese, die Johannes de Garlandia zum allgemeinen Postulat erheben wird.209

Nicht nur, dass Cudworth „mythische Chiffren“ (hier 1lpk´jy und aqtovu¶r) als seiner Meinung nach entsprechende neuplatonische Fachbegriffe deutet (peqi´weim und aqhupºstator). Vielmehr gelingt ihm durch die damit verbundene Verschiebung des semantischen Gehalts die Ableitung eines neuplatonischen ersten Prinzips und seines Verhltnisses zum Hervorgebrachten aus der Zeusbeschreibung. Cudworth erreicht das, was Bezner als das Herausarbeiten eines „komplexen Philosophems“ bezeichnet. In noch hçherem Maße gilt dies dann fr Cudworths Auslegung des dritten und vierten Verses, wie sie oben versuchsweise nachvollzogen wurde, so dass man bei Cudworth ebenfalls mit einigem Recht von einer integumentalen Hermeneutik in Form einer „summarisch-strukturbezogenen Exegese“210 sprechen kann.

207 Bezner (2005), 74. Diese bei Cudworth in seiner abschließenden Bemerkung zu beobachtende „Aufwertung“ ist auch fr Bezner, der das 12. Jahrhundert betrachtet, wesentlich mit einer platonisch-neuplatonisch dynamisierten Kosmologie verknpft. Zu beachten sind allerdings Bezners Einschrnkungen 75 f. und 85. 208 Bezner (2005), 85. 209 Bezner (2005), 344; vgl. auch 354. 210 Bezner (2005), 344. Dass es hier um ein Interpretationsverfahren geht, das auf den Neuplatoniker Iamblich und dessen Skopos-Lehre zurckgeht, sei mit Bezner (344, Anm. 22) nur am Rande erwhnt.

5.3 Metaphysik in der Dichtung – Cudworth und die integumentale Hermeneutik

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Die Rekonstruktion,211 die Bezner fr das Konzept des integumentum und die integumentale Hermeneutik des 12. Jahrhunderts bietet, ermçglicht es außerdem, eine Antwort auf die Frage zu geben, inwiefern es gerade die von Cudworth favorisierte Philosophie des Neuplatonismus ist, die seinen, nun als integumental charakterisierten, ebenso hermeneutischen wie transformierenden Umgang mit der Antike wesentlich bedingt. Dazu ist es nçtig, auf die bereits angefhrte Skizze der neuplatonisch geprgten Metaphysik des System zurckzukommen und sie in Beziehung zu den philosophisch-theologischen Ansichten des mittelalterlichen Platonikers Bernardus Silvestris zu setzen. Zentral in dieser Hinsicht ist es, dass beide Denker von einem neuplatonischen Modell der vermittelt wirkenden Anwesenheit212 des Gçttlichen in der Welt ausgehen (und nur in dieser Form ist von einer Art der Immanenz zu sprechen), denn erst dieses erçffnet ihnen als metaphysisches Fundament die Mçglichkeit, zunchst die vielen verschiedenen Gçtter der antik-paganen Mythologie als verschiedene Manifestationen des einen Gottes in seiner Immanenz in der Welt zu interpretieren.213 Auch hier ist festzustellen, dass Cudworth, wie bereits erlutert, das erste Prinzip seiner Metaphysik in seiner weltdurchwaltenden Funktion als „force“ oder „power“, eben als d¼malir, versteht. Bezeichnenderweise kommt es dadurch bei Cudworth zur Annahme derselben „Konvergenz von Dichtung und Theologie“214, die Bezner bei Bernardus beobachtet.215 Wie bei Bernardus ist es fr Cudworth diese Metaphysik, dieses Weltmodell, das er heranzieht, um zu erklren, warum die antik-pagane Dichtung als verhllende Dichtung zu lesen ist,216 denn die antiken mythologischen Dichtungen bringen nach Cudworths Ansicht nichts Anderes als dieses neuplatonische Weltbild in der Gestaltung 211 Im Folgenden beziehe ich mich besonders auf Bezner (2005), 364 – 391. 212 Zu dieser Vorstellung im Neuplatonismus siehe u. a. Bergemann (2006), 159 – 167 und 347 – 356 und besonders o. S. 141 f. die Ausfhrungen zum Logos und dessen Rolle in der (spt-)antiken Naturphilosophie und Metaphysik. 213 Vgl. dazu Bezner (2005), 383 – 384. S. o. S. 209 mit System I, 364-365 und oben S. 210 f. zu System I, 455f. 214 Bezner (2005), 375. 215 Bezner (2005), 385. 216 Vgl. Bezner (2005), 383: „ […] ein vernnftiger uneigentlicher Sprachgebrauch vorliegt: etwas ,Gott zu nennen, bedeutet in der integumentalen Sinnhaftigkeit nicht, eine Identitt mit der Gottheit auszusagen, sondern die Immanenz gçttlichen Wirkens zum Ausdruck zu bringen“ mit Cudworths Aussagen in System I, 514 – 515, 364 – 365 und 365 – 366: „so that his [Origenes] meaning is, as we have declared, that those figments of the Greeks and other Barbarian Pagans, (which are the same with Balbus commentitii et ficti Dii) are really nothing else but the things of nature, figuratively and fictitiously personated, and consequently not so many distinct substantial deities, but only several notions and considerations of one God, or supreme Numen, in the world“ (Hervorh. L. B.). Dazu desweiteren Bezner (2005), 388: „Bernardus dagegen begreift die fabulose Dichtersprache als Medium einer Theologie der Immanenz“; sowie 390 und 409.

270 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott ihrer Texte zum Ausdruck, indem sie die metaphysische Struktur der Immanenz des Transzendenten in die literarische Struktur der integumentalen Verweisung bersetzen. Wie die einzelnen Aspekte der Welt als Manifestationen des Gçttlichen qua Immanenz des ersten Prinzips und aufgrund der daraus resultierenden hnlichkeit auf das erste Prinzip verweisen, und wie damit die cognitio ordinis mundi bzw. rerum naturarum durch das richtige Deuten dieser verweisenden Zeichen zur cognitio veri creatoris fhrt,217 so sind auch die mythischen Elemente, die figmenta und ficta der heidnischen Dichter als Reflexionen auf die Immanenz des Gçttlichen zu lesen. Es ist also die neuplatonische Konzeption der Immanenz, die Cudworth und vor ihm Bernardus dazu legitimiert, die Elemente und Formen dichterischer Sprache als Chiffren zu verstehen und zu deuten, die auf das eine erste Prinzip hin- und verweisen, denn erst die Immanenz begrndet die hnlichkeit und damit die Verbindung der weltlichen Manifestationen, die ihrerseits den Inhalt der mythischen Dichtung ausmachen, mit dem ersten Prinzip. Diese Verbindung des Weltlichen mit dem Transzendenten fundiert ihrerseits metaphysisch die Vernnftigkeit des uneigentlichen Sprachgebrauchs der antiken Dichter.218 Somit lsst erst die Anwendung phi217 Siehe Wetherbee (1972), 13 sowie 15 – 17. Vgl. auch Bezner (2005), 380. 218 Neben den oben angefhrten Stellen ist in diesem Zusammenhang noch Cudworths Differenzierung zwischen physiological und philosophical theology zu beachten. Nachdem er die physiological theology als eine unangemessene Deutung der antik-paganen Mythologie und Dichtung zurckgewiesen hat, da ihre Vertreter bei dem Versuch, die pagane die Mythologie zu deuten, nicht zum innersten, wahren Gehalt des antiken Polytheismus gelangt sind (System II, 255), kontrastiert er sie mit der philosophischen Theologie und bestimmt in diesem Zusammenhang den Status der in den Dichtungen vergçttlichten Naturerscheinungen und der vielen antiken Gçttergestalten (als rpouqco· dum²leir, d. h. als dienende Krfte in System II, 256) berhaupt: „Neither can there be any other sense made of these personated and deified things of nature, than this, that they were all of them really so many several names of one supreme God, or partial considerations of him, according to the several manifestations of himself in his works. Thus, according to the old Egyptian theology before declared, God is said to have both no name and every name; […]“ (System II, 259). Auch hier greift er auf die Immanenz zurck, um den Polytheismus zu erklren und in seinem Interesse zu rechtfertigen: „That is, they [the intelligent Pagans] professed to behold all things with religious eyes, and to see God in every thing, not only as pervading all things, and diffused through all things, but also being in a manner all things. Wherefore, they looked upon the whole world as a sacred thing, and as having a kind of divinity in it: it being, according to their theology, nothing but God himself visibly displayed. […] As they also commonly conceived of Zeus and Jupiter, after the same manner; that is, not abstractly only (as we now use to conceive of God) but concretely, together with all that which proceedeth and emanateth from him, that is, the whole world“ (System II, 261; Hervorh. L. B.). Schließlich bekommen seine berlegungen eine Wendung ins Hermeneutische: Um zur wahren Bedeutung der personifizierten und vergçttlichten Naturerscheinungen zu gelangen, muss die physiologische Bedeutungsebene berschritten werden hin zur philosophischen, d. h. mssen diese dichterischen Bilder gelesen werden als „partial con-

5.3 Metaphysik in der Dichtung – Cudworth und die integumentale Hermeneutik

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losophischer Texte neuplatonischen Inhalts, d. h. von Texten, die dem Diktum Ficinos gemß eine gçttlich inspirierte Wahrheit enthalten, auf die mythologischen Texte der paganen Vergangenheit deren Wahrheit erkennbar werden. Erst diese Zwischenschaltung legitimiert Cudworths Anspruch, dass seine Interpretationen bzw. Transformationen literarischer Ausdrucksformen die Wahrheit ber Gott wiedergeben:219 „Besides which, the intelligent Pagans generally acknowledged another theology, which was neither fiction nor mere opinion and law, but nature and philosophy, or absolute truth and reality [Hervorh. L. B.]; […]“220. Die Aussagen und Systematisierungen dieser von der Metaphysik ebenso fundierten wie vollstndig durchdrungenen „Theologie“ sind fr Cudworth wahre Aussagen ber die wirkliche Struktur der Welt. Das bedeutet zugleich, dass Cudworth, wie die Atomisten und experimentell vorgehenden Naturforscher seiner Zeit, ebenfalls den Anspruch erhebt, die Wirklichkeit der Welt zu erklren. Da dieser Zugriff auf die Welt allerdings ausschließlich ber Texte und deren Kombination erfolgt, braucht Cudworth fr den „Beweis“ der Richtigkeit seiner Aussagen ber das Wesen der Natur und Gottes keine Experimente, sondern ausschließlich Texte, die es allerdings wie in einem Versuchsaufbau fr ein Experiment sorgfltig zu arrangieren und in mçglichst großer Zahl anzufhren bzw. zu wiederholen gilt. Dieses Vorgehen fhrt die Leser des System zur Einsicht in die noetische Struktur gçttlichen Wirkens in der Welt. Das derart intendierte Erfassen der Realzusammenhnge der dynamischen, in sich verwobenen Ganzheit des gçttlichen Nous erçffnet dem Menschen zugleich Erkenntnis und Verstndnis fr die Kausalzusamsiderations of one supreme God, as manifesting himself in all the things of nature“ (System, II, 269). Der eine Gott, der „viele Krfte hat“ (pokud¼malom) ist eben zugleich der eine Gott, der auch viele Namen hat (poku¾mulom), aber er ist immer noch ein Gott, die eine fkg d¼malir, die eine d¼malir p²mtym, auf den/die hin die einzelnen Kraftexplikationen und die ihnen zugesprochenen Gçtternamen, Attribute und Geschichten zu verstehen sind. Besondere Aufmerksamkeit verdient das seltene Adjektiv pokud¼malom, das Cudworth verwendet und dessen Verwendung in dieser Bedeutung nur bei drei Neuplatonikern belegt ist, vgl. LSJ 1438 s. v. 1. Zur Vorstellung des neuplatonischen Einen als Dynamis, die sich in viele Dynameis entfaltet und so immanent und transzendent zugleich ist, siehe auch Plotin, Enn. VI 4, 3 und VI 9, 5; siehe auch Lewy (1978/ 1956), 334 f.; 346 mit Anm. 132 und 348 mit Anm. 136. Vgl. Bezner (2005), 383: „Wo das Gçttliche in irritierender Vielzahl auftritt und blasphemisch mit Sternen, Elementen oder natrlichen Krften gleichgesetzt erscheint, gilt es den ,eigentlichen Sinn derartiger Aussagen zu beachten.“ Allerdings ußert sich Bezner hier nicht ber Cudworths Ansichten zur antik-paganen Dichtung, sondern ber die Methode von Bernardus Silvestris, 500 Jahre vor Cudworth und 300 Jahre vor der italienischen Renaissance. 219 Die Texte, die Cudworth in System II, 301 – 304 fr seine Erklrung heranzieht, warum diese religiçse Wahrheit dem Volk nicht unverhllt, d. h. in rein philosophischer Form als Metaphysik, dargeboten wird, erinnern an seine Charakterisierung des Vorgehens der gyptischen Priester in System I, 576 f. 220 System II, 300.

272 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott menhnge in der materiellen Welt. Anders als Descartes, der zur Erklrung der weltlichen Phnomene immer auch das Experiment braucht, da sich die Strukturen der Welt aufgrund ihrer abschließenden Rckfhrung auf die voluntaristische potentia absoluta Gottes nicht vollstndig vernnftig fr den Menschen erschliessen lassen, braucht Cudworth fr sein Weltverstndnis die neuplatonische Anagoge, die ihm das Erfassen des noetischen Aspekts der Trinitt Gottes ermçglicht.221 Die auffllige Redundanz seiner Schrift ist also nicht unbedingt Ausdruck einer unreflektiert zum Ausdruck gebrachten Gelehrsamkeit, sondern vielmehr dem systematischen, an der experimentellen Methode lediglich orientierten und letztlich anagogisch motivierten Anspruch seines Systems geschuldet, bei den Lesern Evidenz und welterklrende Einsicht in hçchst mçglichem Maße zu erzielen und zwar durch ein Hinfhren zum Erfassen der urbildlichen Struktur der Welt im Nous Gottes, das sich beim Lesen und im Nachvollzug der Struktur des Intertextes des System einstellen soll.222 Die Montage antiker Texte ist damit Ausdruck des „mentalen Habitus kombinatorischen Wissens“ und wird auf diese Weise – gerade im performativ angeregten Nachvollzug durch den Leser –

221 Damit ndert sich der mçgliche Fokus wissenschaftlicher Naturbetrachtung in einer Weise, die von Hathaway, in Wagner (2002), 9 hinsichtlich der Naturphilosophie Plotins folgendermaßen charakterisiert wird: „[…] the test of the truth of physical theories would more likely be truths about forms embedded in matter yet apprehended as intelligible, not as [empirically] observable“. Cudworth whlt als Prfkriterium dementsprechend das produktive Zusammenspiel vieler verschiedener Texte ber die intelligiblen Wirkformen, die sich gegenseitig strken und ergnzen, denn nur in dieser Form ist ihrem intelligiblen und noetischen Charakter beizukommen, nur in diesem Medium werden sie fr ihn gleichsam nachvollziehbar manifest. Diesem Ansatz steht der eines gleichsam horizontal argumentierenden Hylozoisten wie Francis Glisson kontradiktorisch gegenber, der „experientia [definiert] als Einsicht in die Wahrheit einer Behauptung aufgrund des Zeugnisses der Sinne; ,experimentum bezeichnet das im Prozeß der experientia Eingesehene. Die Sinne sind demnach glaubwrdiger noch als die Autoritt der Alten (Hartbecke [2006a], 18)“. 222 Die Annahme, dass dem Menschen eine derartige Teilhabe am Wesen Gottes mçglich, sie zu realisieren sogar seine eigentliche Aufgabe und Pflicht sei, wird im Kreis der Cambridge Platonists insgesamt vertreten, u. a. dezidiert von Whichcote und John Smith, s. z. B. Schneewind (1998), 197 und 200; zu Cudworth selbst ebd. 206 – 207. Zu Descartes Ansatz, zu dem Cudworth durch seine aufwendige Antikentransformation eine – neuplatonische – Alternative entwickelt, s. Osler (1985), 356 – 359; zur Trinittskonzeption Cudworths, die diesen Anspruch des System fundiert, s. u. berspitzt ließe sich demnach konstatieren, dass Cudworth die „intellectualist leanings“ (Osler [1985], 359, Anm. 30) in Descartes Gotteskonzeption extrem hervorhebt auf Kosten der voluntaristischen Zge in dessen Gottesbild und sich diese Gewichtung zusammen mit ihren Konsequenzen fr die Erklrung der Welt und Gottes in der Struktur, Gestaltung und Anlage des Textes des System niederschlagen.

5.3 Metaphysik in der Dichtung – Cudworth und die integumentale Hermeneutik

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zur Signatur der ontologisch-theologischen Wahrheit der „philosophical theology“, zur Signatur Gottes im Text.223 Zugleich bedeutet das aber auch, dass Dichtung als uneigentliche Form, die wesentlichen Wahrheiten von Religion und Philosophie auszusprechen, auf ihre wahre Bedeutung hin erst auszulegen und die dichterische Ausdrucksform wie in Cudworths Fall in eine philosophische zu bersetzen ist. Es bedeutet, dass der Hintersinn eruiert werden muss, wenn man nicht beim trgerischen Schein stehen bleiben will. Die in der Unerkennbarkeit224 des ersten Prinzips begrndete Notwendigkeit des Verweisungscharakters der Welt, deren Status ontologisch als vielheitliche Manifestation der in vermittelter Form in der Welt wirkend anwesenden Gottheit bestimmt wird, bedingt also ebenso die von Bezner festgestellte „grundstzliche Heteronomie des Literarischen“ hin auf einen neuplatonischen Wissensgehalt, die auch bei Cudworth zu beobachten ist. Das (mittelalterliche) Konzept der integumentalen Hermeneutik stellt derart eine im Rahmen der Fragestellung nach den Konfigurationen des Neuplatonismus im System besonders interessante Form der Aneignung antiker Texte unter transformationshistorischer Perspektive dar. Zentrale Bedeutung fr die Interpretation auch des Intertextes besitzt die Verschrnkung von Metaphysik und Dichtung in der integumentalen Hermeneutik deshalb, weil gerade in ihrem Fall das jeweils eigene neuplatonische Weltbild der Immanenz des Transzendenten auf die antiken Texte insgesamt projiziert und somit als deren Weltbild unterstellt wird. Dies wird dann quasi in einem zweiten Schritt dazu genutzt, um diese Texte im eigenen Sinn und unter Berufung auf eben dieses Weltbild als verhllende Texte, die allein diesem Weltbild angemessenen sind,225 auf das verhllte Transzendente hin auszulegen, den uneigentlichen Sprachgebrauch durch den eigentlichen zu ersetzen, statt aqtovu¶r und 1lpk´jy eben, wie hier exemplarisch gezeigt, aqhupºstator und peqi´weim zu lesen. Cudworth hat damit in der Abfolge der bisherigen Kapitel seine Leser systematisch an seine eigene Gottes- und Trinittskonzeption herangefhrt: Er beginnt mit der Explikation des Begriffs von Materie, die seinem systematischen Entwurf entspricht. Daran schließt sich die Darstellung der plastic natures an, die diesen Materiebegriff notwendig ergnzen. Die plastic natures und ihre Abhngigkeit von einem bergeordneten Prinzip erhalten wiederum in der ersten Phase der Auseinandersetzung mit dem antiken Polytheismus, dem „plain and easy way“ seiner Deutung, eine erste, dem Wissensstand der Leser adquate metaphysische Einordnung. Diese konturiert Cudworth dann in seiner Unter223 Leinkauf (1993), 175; zur Kombinatorik als wissenschaftlicher Methode im Barock am Beispiel Kirchers siehe Leinkauf (1993), 174 – 190. 224 Diese Unerkennbarkeit ist zugleich die blendende und in diesem Sinne zerstçrerische Helle des ersten Prinzips, vgl. u. a. System II, 515 und 518 – 519. 225 Vgl. Wetherbee (1972), 37 – 38 und 67.

274 5. Die Metaphysik Gottes: Der allen Menschen gemeinsame Begriff von Gott scheidung zwischen „physiological“ und „philosophical theology“ weitergehend hin auf den ihr zugrunde liegenden Prinzipien- und Gottesbegriff und auf die mit diesem Prinzipienbegriff verbundene Vorstellung der Binnendifferenzierung des ersten Prinzips.226 An sie kann er nun direkt anknpfen und sie zur eigenen Gottes- und Trinittskonzeption weiterentwickeln.

226 Diese Weiterfhrung charakterisiert Cudworth in Abhebung vom vorhergehenden hermeneutischen Verfahren in System II, 239 als „high-flown“.

6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes als dynamische Wirkeinheit und Lektreerfahrung1 Cudworths Auslegungen der paganen Mythologie schlossen im Zusammenhang der nheren Bestimmung von ontologischem Status und hierarchischer Position der „gewordenen“ vielen Gçtter zunchst ab mit einer Differenzierung zwischen berweltlichen und innerweltlichen Gçttern.2 Die berweltlichen Gçtter, die Cudworth damit klar vom Bereich der Schçpfung abgehoben hat, werden dann von ihm als ebenso pythagorische wie platonisch-neuplatonische Trinitt bestimmt. Dabei erfhrt die Junktur mogto· heo¸ eine argumentationsbedingte semantische Umprgung. Waren die mogto· heo¸ zuvor als Ideen der Gestirnsgçtter und Inhalte des Nous ausgewiesen worden,3 werden sie von Cudworth nun umgedeutet zu den drei Hypostasen, die in der von Cudworth hier angefhrten Form verbindlich zuerst bei Plotin entwickelt und zum zentralen Lehrstck des neuplatonischen Systems erhoben werden.4 Der Tradition christlicher Aneignung neuplatonischer Inhalte folgend bestimmt Cudworth die Hypostasenreihe Eines/Gutes/Monade – Nous/Geist – (Welt-)Seele unmittelbar als Trinitt und bemht sich im Folgenden ausfhrlich und intensiv darum, die vorchristlichen Formen der Trinitt Gottes in seinem Sinne integrativ auszulegen.5 1

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Zur Trinittsvorstellung Cudworths vgl. grundlegend den Aufsatz von Leslie Armour, in Hutton/Hedley (2008). Besonders auf seinen berlegungen zur Position und Funktion der Liebe innerhalb der Trinitt ist aufzubauen. Von grundlegender Bedeutung ist seine Feststellung, dass „the powers of each member of the Trinity depend on the precise form of the expression [der jeweiligen Hypostase als Ausdruck des einen Prinzips, das Gott ist]“ (114). Seine Ausfhrungen werden im Folgenden jedoch unter transformationstheoretischer Perspektive um den von ihm leider nicht beachteten Aspekt der Perichorese und der philosophiegeschichtlich relevanten Quellen- und Hintergrundtexte przisiert, ergnzt und weitergefhrt, wobei Cudworths kombinierender Umgang mit und die systematische Funktionalisierung dieser Texte im Zentrum der Analyse stehen sollen. Dabei wird sich zeigen, dass Amours Annahme, dass Gott als Prinzip wesentlich („in essence“, z. B. S. 113) Liebe sei, modifiziert werden kann (und muss). System II, 311: rpeqjºslioi und 1cjºslioi heo¸. S. o. S. 148 f. Z. B. in Enneade V 1 und II 9. Zu dieser Form der Trinitt vgl. Fouke (1997), 28 mit Anm. 37. Breteau (1991), 101 vergleicht Cudworths Vorgehen im Vollzug seiner Trinittsspekulation mit einem Pendel, das zwischen dem Pol der Bibel und der Dogmatik einerseits

276 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes Auch diese Auslegungen Cudworths sollen hauptschlich unter transformationstheoretischen und zugleich systematischen Gesichtspunkten betrachtet werden:6 Lassen sich die bisher eruierte philosophische Systematik und die mit ihr verbundene hermeneutische Technik, die Cudworths Interpretation antikpaganer Religiositt fundiert und prgt, auch in diesem Fall erkennen? Welche Referenztexte werden wie ausgewertet und angeeignet? Finden sich Ergnzungen und Ausdifferenzierungen, die neue Rckschlsse auf zentrale Sulen von Cudworths eigenem System erlauben, dessen Explikation er zwar ankndigt, aber nie ausfhrt?7 Nachdem Cudworth die berkosmischen Gçtter als Ausdruck der neuplatonischen Hypostasen Eines – Geist – (Welt-)Seele interpretiert hat, geht es ihm im Folgenden darum, im Sinne der prisca-theologia-Tradition das hohe Alter und damit zugleich Autoritt und Wahrheitsanspruch dieses Vorgehens aufzuzeigen.8 Er stellt damit die Neuplatoniker gerade in diesem Punkt nachdrcklich in eine historisch umfassende „Rahmung“, wie es Mulsow nennt, der hier einen Ansatz des amerikanischen Soziologen Goffmann bernimmt.9 So wird nicht nur der Neuplatonismus „in einen grçßeren Traditions- und Legitimierungszusammenhang eingebunden“10, sondern auch die frhen Autoren wie z. B. Par-

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und der berzeugung, dass die platonisch-neuplatonische Philosophie echte Einsicht in das Wesen der Trinitt ermçgliche, andererseits hin- und herschwinge, und bezeichnet sein Vorhaben als „chemin tr s difficile“. Es geht also im Folgenden nicht darum, zu zeigen, in welchem Umfang das Trinittsdogma bereits in der Patristik in der Anwendung neuplatonischer Philosopheme entwickelt wurde und wie sich dieser Prozess bei den Kirchenvtern vollzieht. Vielmehr steht im Zentrum meiner Darstellung der Versuch, zu beschreiben, wie Cudworth vor diesem Hintergrund das spezifische Trinittskonzept des System entwickelt. Cudworth arbeitet nmlich dabei in einer ganz anderen „Rahmung“ (zum Begriff der „Rahmung“ siehe unten Anm. 9) als die Kirchenvter, er reagiert auf ganz andere Impulse in seinem wissenschaftlichen Feld als es die Kirchenvter tun mussten. Es geht, kurz gesagt, um den Gebrauch der (spt-)antiken Vorlagen in der Frhen Neuzeit, nicht um diese Vorlagen selbst in ihrem ursprnglichen, sptantiken Kontext. System I, 276 f.: „The answers to which atheistic arguments ought, according to the laws of method, to be reserved for the last part of the whole treatise, where we are positively to determine the right intellectual system of the universe; […]“. Vgl. dazu u. a. Mulsow (1998), 312 – 326. Mulsow (1998), 325 f. Siehe dazu auch Mulsow, in Mulsow/Stamm (2005), 80 – 81: „[Der ,Rahmen-Begriff Goffmans] bezeichnet soziale Darstellungsformen, mit deren Hilfe die Gesellschaftsmitglieder sich gegenseitig anzeigen, in welchen erkennbaren, weil typisierbaren Handlungszusammenhngen sie sich gemeinsam mit ihren Interaktionspartnern zu befinden glauben. Was trifft dabei auf intellektuelle Debatten zu? Welche theoretischen ,Rahmungen hatten die Debatten in Cambridge um 1660? Der Begriff des Rahmens einer Konstellation fhrt auf das grundlegende Charakteristikum von Konstellationsforschung, Problemrahmen aus der heutigen Perspektive zu rekonstruieren und nicht nur die Selbstwahrnehmung der Akteure zum Maßstab zu nehmen.“ Mulsow (1998), 325.

6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes

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menides und Pythagoras werden durch die Eingliederung in dieses auch hermeneutische Kontinuum einer wesentlichen Transformation unterzogen.11 Allerdings wird nicht nur der retroaktive Aspekt der Transformation an diesem Verfahren erkennbar. Zugleich hat dieses Vorgehen Konsequenzen fr Cudworths eigene Arbeit, die, in eben diese uralte Tradition gestellt, gerade ihre Frontstellung gegenber den Positionen Bacons, Descartes und Hobbes betont, die die Unabhngigkeit ihrer Anstze gegenber antiken und traditionellen Vorlufern hervorheben. Cudworth legitimiert damit seine Konzeption von Gott gegenber den Konkurrenten im Wettstreit um eine wahrheits- und gottesadquate Welterklrung, wobei er die gesamte Debatte unter der Perspektive der prisca theologia in die Parameter der christlich-neuplatonischen Metaphysik hineinholen muss. Konsequent geht es ihm daher zu Beginn seiner Darstellungen primr darum, sein Vorgehen erneut gleichsam hermeneutisch zu legitimieren, indem er es unternimmt, die Allgemeinheit der platonisch-neuplatonischen Trinittskonzeption aufzuzeigen, die die verschiedenen Zeitalter und Religionsgemeinschaften umfasst. Nachdem er durch Plotin zu Parmenides als einem frhen Vertreter dieser Lehre gekommen ist, gelangt er von Parmenides via Textzitaten aus Numenios und Simplikios (also dezidiert neuplatonischen Autoren) zu Pythagoras,12 der ebenfalls eine Trinitt von Gçttern angenommen haben soll, die, wie Cudworth zumindest implizit unterstellt, wohl der neuplatonischen entsprochen habe.13 Schließlich erçffnet Cudworth die komplette Reihe des bekannten „who is who“ der prisca theologia: von den Hebrern zu den gyptern und den Chaldern (Zoroaster) und von dort zu Orpheus etc.14 Bemerkenswert ist an diesem Vorgehen das hohe Maß an Autoritt, das Cudworth diesen Trinitts-, eher sollte man von Triadenspekulationen sprechen, zuerkennt. Indem er sie nmlich mit einem Zitat aus Proklos als „theology of

11 Vgl. Mulsow (1998), 326, Anm. 38 zur transformatorischen Relevanz von „Rahmungen“: „hnlich kann man in der unterschiedlichen Rahmung einer philosophischen These auch eine Vernderung nicht nur der theoretischen Situation, sondern auch der Sprachhandlung sehen. Die These dient dann auf einmal zu ganz anderen Zwecken, kann fr andere Ziele eingesetzt werden, bekommt neue Konnotationen. Das philosophische Sprachspiel ist verndert worden.“ 12 System II, 312. 13 Hierzu gibt besonders die im Simplikioszitat verwendete Terminologie Anlass, z. B.: Pq_tom 4m rp³q t¹ cm ja· p÷sam oqs¸am ; t¹ emtyr cm ja· mogtºm ; xuwij¹m let´weim toO 2m¹r. Cudworth fhrt hier – in zusammenfassender Weise – Simplikios, In Aristotelis physicorum libros commentaria I, 230 f. (= CAG IX, ed. Diels, Berlin 1882) an. 14 Zur sog. Catena theologorum bei Ficino, an dem sich Cudworth mçglicherweise orientiert hat, siehe Scheuermann-Peilicke (2000), 39 – 49. Vgl. die diesbezgliche Reihe von (Philosophen-)Theologen bei Patrizi, Panarchia IX, 19r.

278 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes divine tradition or relevation“ – heopaq²dotor heokoc¸a – einstuft15 und diese Offenbarung ohne Abstriche sogleich als die versteht, die zuerst den Juden zuteil wurde, stellt er sie auf eine Stufe mit dem christlichen Dogma der Dreifaltigkeit Gottes. Dabei wird die jdische Ablehnung der trinitarischen Struktur Gottes zugunsten eines strengen Monotheismus komplett ignoriert. Cudworth geht in seiner Konstruktion der prisca theologia in puncto Trinitt sogar noch weiter: […] and since there are in the ancient writings of the Old Testament certain significations of a plurality in the Deity, or of more than one hypostasis, we may reasonably conclude that which Proclus asserteth of this trinity, as it was contained in the Chaldaic Oracles, to be true, that it was at first heopaq²dotor heokoc¸a, “a theology of divine tradition or revelation,” or a divine cabala, viz. amongst the Hebrews first [Hervorh. L. B.], and afterwards communicated to the Egyptians and other nations.16

Die jdische Religion wird hier nicht nur einfach in den Strom der prisca theologia eingegliedert, vielmehr wird sie zur Begrnderin trinitarischer Gotteskonzepte.17 Zugleich werden durch die Kombination vermeintlich uralter Inhalte aus dem Alten Testament mit der Einschtzung Proklos prchristlichreligiçse und neuplatonische Texte eng aneinander angenhert. Diese Vorgehensweise wiederum zieht als Konsequenz nach sich, dass die metaphysischen Spekulationen des Neuplatonismus zu triadischen Seinstrukturen, die ihrerseits in verschiedenen Variationen den Kern der prisca theologia ausmachen, nicht geringer zu achten sind als die christlichen Trinittsspekulationen bzw. ebenso wie diese als Teil einer umfassenden gçttlichen Offenbarungsstrategie angesehen werden sollten, und dass die christlichen Dogmen bestenfalls deshalb etwas klarer und adquater ausfallen, weil sie am Ende eines langen Erkenntnisprozesses stehen.18 15 System II, 313. Patrizi benutzt dieses Adjektiv folgendermaßen und hebt seine auszeichnende Bedeutung hervor: „[…] & eorum Theologiam perfectissimam, ut a Diis traditam ambo cum Proclo simul celebrarunt. Heopaq²dotom, & heºdotom, a Deo tributam, & a Deo datam nominantes“. 16 System II, 313. 17 Mçglicherweise ist in dieser Annahme ein Reflex darauf zu sehen, dass im ausgehenden 15. Jahrhundert (u. a. von Giovanni Pico della Mirandola und Johannes Reuchlin) dynamische Trinittskonzeptionen in der Form (christlich) kabbalistischer Spekulationen entwickelt wurden; siehe dazu Schmidt-Biggemann (1998), 148 – 155 und 160 – 168. 18 System II, 313 – 314. Zu den wesentlichen Inhalten, in denen die theologische Spekulation der Patristik Philosopheme des Neuplatonismus adaptierte und systematisch transformierte, siehe u. a. Beierwaltes (1998), 7 – 24, bes. 13 – 14. Von zentraler Bedeutung ist, wie Beierwaltes (1998), 14 hervorhebt, die trinitarische Struktur Gottes. Vgl. dazu auch Beierwaltes (1980), 57 – 74. Mit Beierwaltes Annahme, dass „eine Reihe von Theologumena [Hervorhebung W. B.] […] allerst durch philosophische [neuplatonische] Reflexion und Theoriegestalt ,zu sich selbst gekommen sind oder zumindest an

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Damit sind, im universellen Rahmen der Fehlbarkeit und Unzulnglichkeit menschlicher Erkenntnisvermçgen insgesamt, die Texte der heidnischen Antike und besonders der Sptantike in ihrem Wahrheitsanspruch hinsichtlich dieses schwierigen theologischen Komplexes ebenso legitimiert wie die Beschftigung mit ihnen und ihre In-Gebrauch-Nahme. Der Weg fr die Explikation Cudworths eigener Ansichten durch diese Texte hindurch ist ber den konstruierenden Aufweis des hohen Alters eines Trinittsglaubens gleichsam freigemacht, denn der Unterschied zwischen heidnischem und christlichem Trinittskonzept ist unter dieser Perspektive lediglich einer der graduell fortschreitenden Klarheit, des sich stndig verbessernden Verstndnisses bei einem gleichzeitigen Bezug auf dieselbe gçttliche Offenbarungswahrheit bzw. etwas profaner: denselben semantischen Gehalt.19 Da Cudworth also klar die Mçglichkeit des Irrtums einrumt, die fr heidnische (wie auch fr frhe christliche) Autoren und Philosophen besteht, wenn sie versuchen, der offenbarten Wahrheit sprachlichen Ausdruck zu verleihen, leitet sich daraus eine weitere wesentliche Konsequenz fr sein Vorgehen beim Umgang mit den entsprechenden Texten ab. Ausgehend von seiner Position, die im Besitz der klarer formulierten Wahrheit ist, kann er – unter Absehung terminologischer Differenzen – nach Spuren dieser Wahrheit in (spt-)antiken Texten suchen und solche Inhalte als unklare und irrtmliche Formulierungen beiseite lassen, die nicht zu seinem Ansatz passen.20 Hier findet sich also eine Motivation fr die Form produktiver Ignoranz, die eine Projektion des Eigenen in das Vergangene erst ermçglicht, wobei diese Projektion ihrerseits weitere Transformationstypen nach sich ziehen und begrnden kann, vornehmlich die nach den eigenen Vorstellungen des Argumentationsverlaufs sich vollziehenden Kombinationen verschiedenster Texte zum Zweck semantischer Umdeutungen und der Implementierung verschiedener Philosopheme zu einem neuen Ganzen. Gesttzt auf eine, seinen diesbezglichen Zwecken entsprechende, Differenzierung, die Augustinus vornimmt, um den Sprachgebrauch heidnischer berzeugungskraft fr den Glauben im ganzen gewonnen haben“ ([1998], 13), ließe sich zudem eine systematische Begrndung des transformativen Vorgehens Cudworths entwickeln, die von der durch Beierwaltes vorgenommenen Analyse des „Platonismus im Christentum“ auszugehen htte. Eine derartige Begrndung zu liefern ist jedoch nicht das (primre) Ziel der vorliegenden Untersuchung, die allein auf Cudworths Ansprche fokussiert. 19 Cudworths sehr tolerante Sichtweise und sein latitudinarischer Ansatz hinsichtlich dieses beraus heiklen Theologoumenons werden besonders klar erkenntlich, wenn man Mosheims Kritik an Philon betrachtet, der von Cudworth zur Sttzung der eigenen Position herangezogen wird. Mosheim zeigt, wie dicht am Arianismus sich die gesamte mittel-neuplatonische Trinittsspekulation bewegt: System II, 320 – 333, Anm. 7, bes. 324 – 325 u. 326. Ein Problem, auf das Cudworth hier, zumindest explizit, nicht eingeht. 20 Vgl. zu diesem projizierenden Vorgehen Vasoli, in Mulsow (2002), 59.

280 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes Philosophen von dem strengeren und engeren Umgang mit Sprache in Bezug auf das Gçttliche bei den Christen abzugrenzen,21 bestimmt Cudworth entsprechend den Unterschied zwischen neuplatonischen Trinittsmodellen und christlichen Anstzen vornehmlich als einen des Sprachgebrauchs und nicht der Sache, um die es geht.22 Um diesem Anspruch gerecht zu werden und um dem Vorwurf der Idolatrie sowie des Sozinianismus zu entgehen, reduziert Cudworth das Trinittsproblem in einem ersten Schritt darauf, nur solche antiken Gçtter fr seine Spekulationen zuzulassen, die nicht in den Bereich der stofflichen Schçpfung gehçren, wobei er auf seine kurz zuvor thematisierte Differenzierung zwischen heo· cemmgto¸ und heo· !¸dioi/t¹ He?om zurckgreift.23 Ihm geht es dabei darum, eine Art metaphysische, ontologische Ordnung in die Gçttervielheit auch der neuplatonischen Philosophen zu bekommen, die er in weiteren Schritten im Rahmen seiner eigenen Trinittsspekulationen modifizieren, anpassen und funktionalisieren kann. Er fundiert seine Abgrenzung der gçttlichen Trinitt von der Schçpfung dementsprechend in einer Engfhrung des Begriffs „creature“, den er nun als „Geschçpf der stofflich-materiellen Welt“ verstanden sehen mçchte. „Geschçpfen“ in diesem engen Sinne stehen die drei Hypostasen des Neuplatonismus zunchst ganz grundlegend als intelligible Grçßen gegenber, auch wenn sie untereinander noch in einem hierarchisch strukturierten Abhngigkeitsverhltnis stehen.24 Cudworths Trinitt ist damit zumindest eine Trinitt des Intelligiblen.25 Im Anschluss daran und wahrscheinlich aus der Motivation heraus, einen mçglichst klaren und die Einheit Gottes bewahrenden Begriff der antik-paganen Trinitt aus den Quellen herausprparieren zu kçnnen,26 wendet sich Cudworth gegen einen weiteren „Irrtum“ der (spten) Neuplatoniker: Sie haben seiner Ansicht nach zu viele Differenzierungen im Bereich des Intelligiblen 21 System II, 316 – 317. Ein christlicher Theologe hat sich hinsichtlich seines Sprechens und Schreibens ber die Trinitt eigentlich allein an der Bibel zu orientieren. 22 Genau diese Annahme vertritt auch Beierwaltes (1998), 50, der vorschlgt, „das Denken des Dionysios als eine von der neuplatonischen, insbesondere der proklischen Philosophie [Hervorh. W. B.] motivierte, geleitete, in ihrem Wesen geprgte und ihre eigene Sache von eben dieser Philosophie her aufschließende Theologie [Hervorh. W. B.] zu verstehen“. 23 Vgl. System II, 318. Daher auch die ausdrckliche Klassifikation der Weltseele mit Philon als xuwμm rpeqjºsliom in System II, 320. 24 Vermutlich mçchte sich Cudworth durch diese Differenzierung dem Vorwurf des Arianismus entziehen, dem zufolge Jesus als „Geschçpf“ eingestuft wurde, vgl. DNP 12/ 1, 821 s.v. Trinitt III C. 25 Cudworth scheint sich damit gegen die Differenzierungen von Ficino und Pico della Mirandola abzusetzen, die bereits den platonischen Nous als „Geschçpf“ Gottes und von Gott wesensverschieden interpretieren. Zur Position von Pico und Ficino siehe Allen (1984), 571. 26 Vgl. System II, 339.

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vorgenommen und den Bereich der Trinitt unzulssig ausgeweitet.27 Seiner Ansicht nach verkommt in diesen Fllen, von der Bestimmung der einzelnen Ideen im Nous als selbstndige Gçtter ber die v¼sir als Abkçmmling der Weltseele bis zu den speqlatijo· kºcoi als „plastic principles“ (System II, 336), das alte jdische Geheimnis der Trinitt zur großen Kette der Wesen und wird diese zentrale theologische Wahrheit sinnverstellend im binnendifferenzierten Kontinuum neuplatonischer Ontologie vollstndig aufgehoben. Dies hat schließlich zur Konsequenz, dass die wesentliche Unterscheidung zwischen wirklicher Gottheit und cemmgto· heo¸, d. h. der gesamten nachgeordneten Schçpfung, verwischt.28 Cudworth erçrtert allerdings nicht, welche systematischen Implikationen diese weitreichende Kritik auch fr seine eigenen bisherigen naturphilosophischen Ausfhrungen und methodischen berlegungen haben msste, die ja in hohem Maße gerade hinsichtlich der fr sein System zentralen Ordnungsstruktur der plastic nature und seiner Auslegung des in seinen Augen zentralen Glaubenssatzes der antik-paganen Religionen – des Hen kai pan – mit dem neuplatonischen Kontinuittsprinzip argumentieren (mssen). Festzustellen ist, dass Cudworth in diesem Abschnitt am metaphysischen Fundament seines eigenen Systems und seiner hermeneutischen Methode rttelt, wenn er das Kontinuum aus Kraftexplikationen Gottes als eine der christlichen Lehre vçllig unangemessene Verwilderung der Trinittslehre bestimmt.29 Die Kritik, die Cudworth an dieser Stelle an der neuplatonischen Ontologie und besonders ihren Ausdifferenzierungen formuliert, zeigt ganz deutlich, welchen perspektivierenden Modi sein Antikengebrauch unterworfen ist. Whrend er im argumentatorischen Rahmen seiner Naturphilosophie ausdrcklich mit einer stark binnendifferenzierten Ontologie argumentiert, kann er als christlicher Theologe nicht alle Entwicklungen, besonders des spteren Neuplatonismus, mitmachen, da gerade hier trotz einer weiterhin triadischen Grundstruktur Cudworths eigene Version einer in seinen Augen Plotin zuzuschreibenden Lehre der drei Hypostasen30 zu stark „verfeinert“ wird, folglich 27 Cudworth sieht hier mçglicherweise insgesamt die Einheit Gottes als gefhrdet an, wenn der kºcor mogtºr, der ja – Christus gleich oder zumindest analog – die vergçttlichten Einzelideen enthlt, von ihm als „congeries [and] heap of gods“ und damit eher als vielheitliches Konglomerat denn als umfassende, zu einer Einheit integrierte und sich integrierende Ganzheit charakterisert wird (System II, 324). Hier sieht Cudworth offenbar eine Art Strukturschwche, die sich fr ihn dann auf der Ebene der v¼sir als einem Konglomerat der speqlatijo· kºcoi zu wiederholen droht, vgl. System II, 326. 28 System II, 335 – 340. 29 System II, 340. 30 Dabei kann Cudworth durchaus mit Plotin das Eine als Hypostase auffassen, siehe Enn. VI 8, 15, 28: Wie die vorausgehenden Zeilen 18 – 21 nahelegen, kann mit rpºstasir d³ pq¾tg an dieser Stelle nur das Eine gemeint sein.

282 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes wesentliche Differenzierungen verschliffen werden und der Kontinuittsgedanke mithin nach Cudworths Ansicht dazu fhrt, Schçpfer und Geschçpf bzw. Schçpfung zu dicht aneinander anzunhern.31 Trotzdem bleibt Cudworth bei seiner grundstzlichen berzeugung, dass sich im Wesentlichen platonischneuplatonische und christliche Lehre nicht unterscheiden.32 Die Anerkennung dieser fr Cudworths gesamtes Vorgehen ebenso grundstzlichen wie charakteristischen und wesentlichen bereinstimmung zwischen Platonismus und Christentum tritt gleich zu Beginn der Darstellung dessen, was Cudworth als christliches Konzept von Trinitt den gerade kritisierten antik-paganen Auswchsen entgegenstellt, klar hervor.33 Cudworth betont, dass Gte/Gutheit, Wille/Kraft oder Macht und Weisheit Gottes in ihrer semantischen Bezogenheit aufeinander nicht mit der Trinitt verwechselt werden drfen, da ansonsten die Gefahr bestnde, die Trinitt als eine rein logische und mithin unangemessene Begriffsverknpfung misszuverstehen, die jeweils unvollkommene semantische Teilaspekte Gottes zusammenfhrt und so, gleichsam aus diesen unvollkommenen Einzelteilen, erst eine komplette Gottheit entstehen lsst. Im Unterschied dazu bestimmt Cudworth die „Christian Trinity“ als „a trinity of hypostases, or substances, or persons“ und bringt damit christliche und neuplatonische berlegungen und Konzepte zusammen.34 Indem er den se-

31 System II, 339: „[…] yet they did no where clearly distinguish betwixt the Deity properly so called, and the creature, nor show how far in this scale the true Deity went, and where the creature began. But as it were melting the Deity by degrees, and bringing it down lower and lower, they made the juncture and comissure betwixt God and the creature so smooth and close, that where they indeed parted was altogether undiscernible; they rather implying them to differ only in degrees, or that they were not absolute but comparative terms, and consisted but in more and less. All which was doubtless a gross mistake of the ancient cabala of the Trinity.“ Vgl. auch System II, 363. Dem Zweck der klaren Unterscheidung zwischen Gott(-heit) und „creature“ dient schließlich die Thematisierung der ontologischen Annahme, dass alle Geschçpfe nach der Trinitt, d. h. auch die intelligiblen wie z. B. Engel und alle Formen der plastic nature, immer mit einem Kçrper verbunden sind. 32 System II, 340: „This is therefore the Platonic trinity, which we oppose to the Christian, not as if Platos own trinity, in the very essential constitution thereof [Hervorh. L. B.], were quite a different thing from the Christian.“ Es gilt also, diese wesentliche Sinnebene in den platonisch-neuplatonischen Texten freizulegen und vom Unwesentlichen zu trennen. 33 System II, 340 – 344. 34 System II, 342. Zu dieser Form, die Trinitt zu beschreiben, vgl. Leinkauf (1993), 332 f. Bemerkenswert ist Cudworths Gleichsetzung der Begriffe „Hypostase“ und „Person“. Geradezu pedantisch wirkt seine Wiederholung dieser Gleichsetzung auf S. 342, die von seinem integrativen Ansatz zeugt. Vgl. dazu auch System I, 307 – 316. Zur Funktion des Substanz-Begriffs in der Trinittsspekulation des Marius Victorinus, bei dem er, wie bei Cudworth, zur Dynamisierung der Trinitt genutzt und mit dem

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mantischen Gehalt der drei Begriffe identifiziert, erlaubt er es sich, das Verhltnis der drei gçttlichen Personen zueinander wie das Verhltnis verschiedener Hypostasen und Hypostasenaspekte zueinander zu erfassen und zu beschreiben.35 Diese quasi sich selbst verliehene hermeneutische und semantische Lizenz, mit der er sich einen argumentativen Freiraum schafft,36 nutzt Cudworth direkt aus, um das Verhltnis zwischen erster Hypostase einerseits und zweiter und dritter andererseits sowie deren ontologischen Status etwas nher zu bestimmen. Er umschreibt das Hervorgehen der zweiten aus der ersten und das der dritten aus der ersten und zweiten als berzeitliche und notwendige Emanation,37 weshalb keine der beiden niedrigeren Hypostasen als „creature“ im

Begriff der rpºstasir gekoppelt wird, siehe Beierwaltes (1998), 30 – 35; zur Bedeutung des Begriffs bei Boethius siehe Bchli/Graeser (2000), 206 f. Noch liberaler bzw. latitudinarischer als Cudworth verfhrt in diesem Fall Cudworths Zeitgenossin Anne Conway in ihrem Werk De principiis, 149 und 150. Vgl. auch die Zusammenfhrung der Konzepte von Person und Hypostase als Ausdruck relationaler Dynamik bei Athanasius Kircher (Ars magna sciendi, 306), siehe Leinkauf (1993), 325, Anm. 34: „Est enim persona nihil aliud, quam subsistens in divina natura relatio.“ 35 Mosheim hingegen grenzt beide Begriffe scharf gegeneinander ab und stuft Cudworths Harmonisierungen als der christlichen Lehre unangemessen ein, siehe System II, 373 f., Anm. 8. 36 Es steht außer Frage, dass sich Cudworth auf diese Weise Terrain „wiedererobert“, das in der Sptantike bereits erschlossen wurde. Vgl. aber die Einschrnkung, die Beierwaltes (1998), 35, Anm. 24 fr Marius Victorinus macht, wenn es um die Verwendung des Begriffs „Person“ bei der Beschreibung innertrinitarischer Prozesse geht. In Cudworths Konstellation ist diese semantische Nivellierung damit bemerkenswert, wie die oben erwhnte Kritik Mosheims erkennen lsst – das 17. Jahrhundert ist nicht mehr die Sptantike! 37 System II, 342. Dass Cudworth die zweite Hypostase przise nur aus der ersten hervorgehen lsst, die dritte aber aus der ersten und zweiten, zeigt, dass er hier im Rahmen einer neuplatonischen per-se-Kausalfolge argumentiert, einer Vorstellung, die eng mit dem Konzept der Hypostasenreihe und –hierarchie verknpft ist. Vgl auch System II, 363, wo die Vorstellung der per-se-Kausalfolge die Form der Darstellung des Verhltnisses Gottes zur Schçpfung bestimmt: „[…] and that all other things whatsoever, this Trinity of persons only excepted, are truly and properly their creatures, produced by the joint concurrence and influence of them all [Hervorh. L. B.], they being truly but one God.“ Cudworth nutzt also die Vorstellung einer in sich selbst zu einer einheitlichen Wirkung vermittelten Wirkhierarchie, um von der Einheit der Wirkung auf die trinitarische Einheit der derart zusammengeschlossenen Hypostasen zurckzuschließen. Vgl. aber z. B. Johannes Damascenus, De Fide Orthodoxa, I 8, 14, S. 41, ed. Buytaert, Louvain/Paderborn 1955: „Wir sagen jeder von den dreien hat eine vollkommene Hypostase, damit wir nicht eine aus drei unvollkommenen [Hypostasen] zusammengesetzte vollkommene Natur annehmen, sondern eine in drei vollkommenen Hypostasen bestehende einzige, einfache, bervollkommene, bervollendete Wesenheit.“ (bs. Lai, in Mhling/Wendte [2005], 48; vgl. auch ebd. 49 f. zur trinitarischen Einheit im Wirken). Zur Notwendigkeit des Hervorgangs des Nous aus dem Einen siehe Plotin, Enn. V 4, 1, 22 – 39. Hier wird die Notwendigkeit im Energeiai-Schema begrndet. Mçglicherweise

284 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes strengen Sinne gelten kçnne und daher als ewig und unvergnglich anzusehen sei, denn ihr Hervorgehen vollzieht sich ja im Ewigen und Notwendigen und das heißt in einem intelligiblen und gegenber dem Kreatrlichen transzendenten Bereich.38 Den fr eine christliche Trinitt zentralen Gedanken der Einheit, in der er die drei Hypostasen aufgehoben sieht, entwickelt Cudworth, der sich nun an den patristischen Vorleistungen wie z. B. an Marius Victorinus39, Gregor von Nazianz oder Maximus Confessor40 orientieren kann, in Form einer Explikation der mit den Vorstellungen der Emanation und der per-se-Kausalfolge wesentlich verknpften Kontinuitt des Gçttlichen in seinen drei Hypostasen, wobei Cudworth alle drei Begriffe auf eine sehr spezifische Weise modifiziert. Zum Zweck der Erklrung der Einheit der drei gçttlichen Hypostasen kombiniert Cudworth nmlich in einem ersten Schritt dogmatische Terminologie und neuplatonische Semantik und bestimmt die einheitsverursachende Struktur als „mutual peqiw¾qgsir“ und „1m¼paqnir“, als „inexistence“ und „permeation of each other“41. Dabei greift er hinsichtlich des neuplatonischen Sinnrahmens ber diese kirchlichen Autoren hinaus mçglicherweise auf zwei Modelle zurck, die schon Plotin verwendet hat, um sowohl das Verhltnis zwischen Hypostasen als auch die umfassende Einheit im Intelligiblen zu beschreiben.42 Viel wichtiger allerdings als die mçglichen Plotinreferenzen ist die Tatsache, dass sich Cudworth zumindest zu Beginn seiner Ausfhrungen zur Trinitt mit diesen beiden Begriffen einer strikt dogmatischen Terminologie bedient.43 Bei den Kirchenvtern

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amalgamiert Cudworth beide Vorstellungen in seinen berlegungen zu einer Trinittsdynamik. Vgl. z. B. Johannes Damascenus, De Fide Orthodoxa, I 8, 2, S. 30 f., ed. Buytaert, Louvain/Paderborn 1955: „Denn es gab nie eine Zeit, da der Vater war, als der Sohn nicht war, sondern mit dem Vater war zu gleicher Zeit der Sohn, der aus ihm gezeugt ist. Denn ohne Sohn kçnnte er (Gott) nicht Sohn heißen. War er einmal ohne Sohn, dann war er nicht Vater. Und hat er spter einen Sohn bekommen, so ist er spter Vater geworden, whrend er vorher nicht Vater gewesen, und er htte sich gendert, aus dem Nicht-Vatersein ist er zum Vater-Sein gekommen. Allein das wre schlimmer als jede Lsterung.“ (bs. Lai, in Mhling/Wendte [2005], 47 mit der Erluterung: „Der Vater ist nicht Vater ohne den Sohn, und daher sind Vater und Sohn genauso wie ihre Beziehung zueinander alle ewig“ [ebd., 48]). Dazu Beierwaltes (1998), 25 – 43. Siehe Antognazza, in Mulsow (2009), 61 – 62. System II, 342 – 343. Zum Verhltnis von Einheit und Vielheit im Nous bei Plotin s. u. a. Beierwaltes (1985), 52 – 64; zur Aufhebung von Vielheit in Einheit im Rahmen trinitarischer Spekulationen siehe Beierwaltes (1998), 38 zu Marius Victorinus; vgl. ergnzend Bergemann (2006), 152 – 159, bes. 153 f. und 158 – 159; außerdem zur 1m¼paqnir vgl. 103 – 122, bes. 112 – 113 und 120. Zum Gebrauch des Begriffs peqiw¾qgsir bei den griechischen Kirchenvtern und Augustinus siehe z. B. den Aufsatz von Lai, in Mhling/Wendte (2005). Vgl. Hist.Wb.Philos. 7, s. v. Perichorese, bes. 257: Der Begriff beinhaltet „ein ingressiv-dynamisches und

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wird der Begriff der peqiw¾qgsir gebraucht, um „die wechselseitige Ineinanderexistenz und Durchdringung von Vater, Sohn und Geist in einer Substanz (ousia) […] als eine dynamische Relation [zu bezeichnen]“.44 Diese theologische Ebene in ihrer Verschrnkung mit der metaphysischen fortsetzend, ergnzt Cudworth die Nennung dieser beiden zentralen Begriffe mit dem Bibelzitat, das ein resultativ-statisches Moment“, in dem vor allem stoische Vorstellungen, die an das Konzept der jq÷sir di fkym geknpft sind, zusammengefhrt werden. Zum Gebrauch dieses Begriffes bei dem deutschen Gelehrten und Theologen Bisterfeld (1605 – 1655), einem Schler Alsteds, siehe den fr das folgende ebenfalls zentralen Aufsatz von Antognazza, in Mulsow (2009), 57 – 83. Antognazza skizziert nicht nur die historische Entwicklung, die von der ersten Verwendung des Begriffs bei Anaxagoras zu dessen Gebrauch bei Alsted und Bisterfeld fhrt. Vielmehr hebt sie zwei fr Cudworth hochrelevante Punkte hervor: Zum einen die Bedeutung der Perichorese fr ein dynamisches Verstndnis von Trinitt, das gerade auch durch Bisterfeld wiederbelebt wird und das fr Cudworth aus denselben Grnden wie fr Bisterfeld zentral ist: „Why, however, did [Bisterfeld] chose precisely immeatio [Hervorh. M. R. A.] and not the Greek itself or another, more common translation? With the choice of the term immeatio [Hervorh. M. R. A.], I believe, he intended to stress the dynamic aspect of this doctrine. […] But there is yet another reason […] In choosing the term immeatio [Hervorh. M. R. A.] to express the key epistemological and ontological principle of his philosophy, Bisterfeld was pointing out the ontological link between Trinity and creation [Hervorh. L. B.]“ (Antognazza, in Mulsow [2009], 82 f.). Diese Dynamisierung der Trinitt lsst sich Beierwaltes (1998), 33 zufolge bereits bei Marius Victorinus (der auf berlegungen des Porphyrios aufbaut) beobachten, auch dort wesentlich verschrnkt mit Gottes actio ad extra: „Die immanente Bewegung der gçttlichen Substanz ist also eine wesenhaft kausale, deren innere Entfaltung die ontologische Voraussetzung fr die creative Entfaltung ,nach außen ist, in der die gçttliche Substanz sich als Ursprung aller Substanzen im Sinne eines WeltContinuums zeigt.“ Zum anderen ist die Ausweitung der Semantik des Begriffs der Perichorese durch Bisterfeld relevant, die zu einer Verwendung der Gedankenfigur „Perichorese“ in drei unterschiedlichen, aber miteinander verwobenen Bereichen fhrt: „[…] one theological, one metaphysical or ontological, and one logical or epistemological“. (78). Diese drei Bedeutungsschichten sind fr das Verstndnis der Architektur des Systems und des „Performanzerlebnisses“ (Lobsien [2003], 172 f.) bei der Lektre dieses Textes von großer Bedeutung, s. u. S. 327 – 330. Cudworth besaß zumindest ein Werk Bisterfelds, kçnnte also mit dessen Gedanken zur Perichorese vertraut gewesen sein (siehe Millington [1697], 3), zumal Bisterfeld whrend seiner akademischen Reisen auch in Oxford verweilte; auch Samuel Hartlib kçnnte Kenntnisse Bisterfeldscher Philosophie vermittelt haben (Antognazza, in Mulsow [2009], 57 und 79 – 81). Cudworth wird den Begriff der Perichorese wohl u. a. deshalb hier anfhren und an anderen Stellen aufnehmen, um dem Vorwurf des Tritheismus zu entgehen, dem sich sein Zeitgenosse Sherlock ausgesetzt sah, dazu Armour, in Hedley/Hutton (2008), 125 f. Vgl. auch den kurzen Hinweis bei Breteau (1991), 102, dass Cudworth dieses spezielle Hypostasenschema dem (latenten) Tritheismus einiger Kirchenvter nach dem Konzil von Niza vorgezogen habe. Siehe auch System I, Birch Account XVI und XVIII zu den Tritheismus-Vorwrfen gegen Cudworth. 44 Lai, in Mhling/Wendte (2005), 46.

286 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes laut Lai den „Begriff der trinitarischen Perichorese“ motiviert.45 Cudworth bedient gleichermaßen vollstndig diesen christlichen Trinittstopos. Die Bezge zum Neuplatonismus kçnnen dann die dogmatisch-orthodoxen Anstze sttzen oder in einer Art explizieren, dass diese Cudworths eigenen Ausfhrungen gegenber gleichsam integrativ geçffnet werden: Die Rotation um etwas herum, die der Begriff der Perichorese gleichfalls impliziert, bedeutet nmlich auch bei Plotin keinesfalls eine Zuschreibung einer rumlichen Position, sondern dient der Beschreibung einer dynamischen ontischen hnlichkeits- und Abhngigkeitsrelation zwischen der wesentlichen, verursachenden Kraft und der von ihr hervorgebrachten Kraftexplikation.46 Der Aspekt der Einheit hingegen scheint zustzlich und weitergehend durch die neuplatonischen Implikationen des Begriffs 1m¼paqnir hervorgehoben zu werden. Cudworth kçnnte mit ihm nicht nur auf die Terminologie der griechischen Kirchenvter Bezug nehmen, sondern zugleich den damit verbundenen Vorstellungskomplex aufgreifen, der zuerst ebenfalls bei Philon und Plotin verhandelt wird. Plotin z. B. versteht das Verhltnis von Noeta und Nous als ein wechselseitiges Durchdrungensein in Enneade V 8,47 um das Aufgehobensein der Vielheit der Noeta in der Einheit des Nous zu veranschaulichen und zu erklren. Nach dieser grundstzlichen Darstellung der Einheit Gottes, die in sich drei perichoretisch miteinander verbundene und verschrnkte Hypostasen aufweist, zugleich aber auch diese Hypostaseneinheit gegenber dem Nachfolgenden abschließt, einer Darstellung, die primr auf der terminologischen Ebene der Orthodoxie realisiert wird und die entsprechend in eine offene Kritik an neuplatonischen Trinittskonzepten mndet, wendet sich Cudworth wieder der Abgrenzung dieser trinitarischen Einheit gegen die Schçpfung zu. Ausgehend von der frhchristlichen Identifizierung von Weltseele und Heiligem Geist48 und der damit verbundenen Gefahr der allzu großen Immanenz und Verstrickung Gottes in die stoffliche Schçpfung, versucht Cudworth, die Transzendenz der gçttlichen Trinitt dadurch zu retten, dass er Position und Status deren niedrigster Hypostase, d. h. der Weltseele, so genau wie mçglich bestimmt. Diese przise Bestimmung wird deshalb nçtig, weil Cudworth in seiner Darstellung der plastic nature und im Zuge der Deutungen, wie Gottes Immanenz in der Welt dargestellt wurde und zu denken sei, die plastic nature wiederholt und noch kurz zuvor als „soul of the world“ klassifiziert hat, auf die er an dieser Stelle mit der Wendung xuwμ 1cjºslior Bezug zu nehmen scheint. 45 Lai, in Mhling/Wendte (2005), 46; es handelt sich um Joh. 10, 38; 14, 11; 17, 21: Christus, der Logos Gottes, spricht hier davon, dass Gott-Vater in ihm lebe und er in Gott-Vater. 46 Siehe z. B. Plotin, Enn. V 3, 9, 7 – 20. 47 Zur Charakterisierung dieses noetischen Verhltnisses siehe Halfwassen (2004), 74 – 77; vgl. auch Bergemann (2006), 97 – 112. 48 Siehe Mosheim, System II, 345 – 348, Anm. 1.

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Von dieser „innerkosmischen Seele“ hebt er nun die „Weltseele“ als xuwμ rpeqjºslior klar ab, die den dritten Aspekt der Trinitt bezeichnet. Dabei greift er – entgegen seiner vorausgehenden Kritik – auf mittel- und neuplatonische Texte zurck. Er funktionalisiert nmlich zu diesem Zweck Philons Differenzierung zwischen einer inner- und einer berkosmischen Weltseele, die er wiederum unter Hinzuziehung eines zusammenfassenden Zitats aus Proklos In Timaeum zugleich als dgliouqcºr identifizieren und so eindeutig dem Bereich des Intelligiblen zuordnen kann.49 Im Unterschied dazu sind es die „geschaffenen“ Seelen und kraftartigen Geistwesen, die eine „vital union“50 mit dem Stofflichen eingehen. Mit dem Begriff der „vital union“ (bzw. der hier verwendeten Partizipialkonstruktion „vitally united“) nimmt Cudworth eine Junktur auf, die das Verhltnis zwischen plastic nature und Materie charakterisiert. Schon in der digression (System I, 280 – 284) hatte Cudworth in Abschnitt 11 zusammenfassend darauf hingewiesen, dass er mit der plastic nature den stoffimmanenten Aspekt gçttlichen Wirkens thematisiere, der in „vital sympathy“ mit dem Stofflichen in Form eines Kçrpers direkt interagiere: „Nevertheless, that nature is not the divine art, pure and abstract, but concreted and embodied in matter, ratio mersa et confusa; not the divine art archetypal, but ectypal. Nature differs from the divine art, as the manuary opificer from the architect.“51 49 System II, 349. Bereits Plotin hat sehr viel Wert darauf gelegt, dass die Weltseele nicht wie z. B. die Einzelseelen in den stofflichen Bereich der Welt verstrickt ist, sondern ihr transzendent und von der Materie unbeeinflusst gegenbersteht. Zur Transzendenz der Weltseele bei Plotin siehe u. a. Leinkauf (1993), 49 mit Anm. 26 und Plot. Enn. III 5, 2, 19 – 32. Vgl. die Ausfhrungen in System II, 379 – 384, wo Cudworth ausschließlich unter Heranziehung von Texten aus Plotins Enneaden argumentiert. In System II, 379 z. B. identifiziert er Plotins Aussagen ber die Himmlische Liebe als Aussagen ber die berkosmische Weltseele, deren Transzendenz in folgenden Wendungen Plotins betont wird: le¸masam %my ; wyqistμm owsam tima rpºstasim, ja· !l´towom vkgr oqs¸am ; %lijtom owsam, jahaq±m 1v 2aut/r. Insgesamt handelt es sich bei diesem Text Plotins um eine eindrucksvolle Passage, die Elemente eines Prosa-Hymnus aufweist und von Cudworth eben aufgrund ihrer sprachlichen wie auch terminologischen Eindringlichkeit bewusst ausgewhlt worden sein kçnnte. Zudem wird in diesem Text das Verhltnis zwischen Nous und Weltseele als das zwischen wesentlicher und hervorgehender Wirkkraft beschrieben und durch das Verhltnis der Sonne zu ihrem Licht verdeutlicht, das in Cudworths Konzeption der Konkordanzbildung zwischen (neu-)platonischem und christlichem Trinittskonzept eine zentrale Rolle spielt. 50 Siehe System II, 349: „vitally united“. Leinkauf (1993), 63 weist darauf hin, dass es Ficino ist, der „am vehementesten den Modellcharakter des humanen Seele-KçrperZusammenhanges“ auch im umfassenderen naturphilosophischen Sinn funktionalisiert. An ihm kçnnte sich Cudworth orientiert haben, wenn er wiederholt zur Illustration naturphilosophischer Vorgnge auf die als „vital union“ beschriebene Verbindung zwischen Seele und Kçrper zurckgreift. 51 System I, 281.

288 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes Im Rahmen der Trinittsspekulationen des System wird so ein weiterer wesentlicher Grund neben der naturphilosophischen Argumentation fr eine teleologisch wirkende causa finalis nach neuplatonischer Struktur ersichtlich, aus dem heraus Cudworth die plastic nature in seine naturphilosophische und nun auch theologische Systematik einfhrt: Er braucht sie ebenso notwendig als Argument gegen cartesische Anstze wie zu dem Zweck, die geschlossene, transzendente Einheit der gçttlichen Trinitt als ausschließlich intelligible Grçße gegenber dem Stofflichen zu wahren. Im Neuplatonismus ist diese Form der Einheit, die die dogmatischen Begriffe der peqiw¾qgsir und der 1m¼paqnir bezeichnen und die die Gestalt einer Ganzheit hat, die in sich verschiedene Aspekte aufhebt, die ihrerseits zueinander im Verhltnis der gegenseitigen Durchdringung bei Wahrung ihrer spezifischen Differenz stehen (in diesem Fall die drei Hypostasen Vater – Sohn – Heiliger Geist), nur im Intelligiblen, d. h. im Bereich der vollstndig unstofflichen und berrumlichen Krfte, mçglich.52 Daher muss Cudworth die drei Hypostasen, die seine Trinitt ausmachen, vollstndig abheben von der Interaktion mit dem Stofflichen, die fr ihn, der darin Origenes folgt, immer eine wesentliche Verbindung mit dem KçperlichStofflichen bedeutet.53 Die Funktion der Interaktion mit dem Stofflichen wird daher vollstndig der plastic nature zugewiesen, die ihrerseits nicht mehr dem trinitarischen Gott als eine seiner inneren Hypostasen oder als Binnenaspekt zugehçrt, sondern als „Dienerin“ der trinitarischen Ganzheit von dieser quali-

52 Plotin bringt dieses Verhltnis, wie erwhnt, am Beispiel des Ineinanders von Nous und Noeta und der Noeta zueinander in seinen Gedankenexperimenten in Enneade V 8 anschaulich zum Ausdruck, vgl. Bergemann (2006), 97 – 122. Zur sachlichen Explikation dieses Textes in Form einer idealistisch geprgten Interpretation siehe Halfwassen (2004), 74 – 77. 53 System II, 349: „Where Origen affirming, that all created souls, and spirits whatsoever, have always some body or other vitally united to them; and that it is the property only of the three persons of the holy Trinity, not [Hervorh. L. B.] to be united to any body, as the soul thereof; […]“ Die Personen der Trinitt zeichnen sich also gerade durch das Fehlen einer derartigen Verbindung aus: „And that God, or the third hypostasis of the Christian Trinity, is not to be accounted, in this sense, properly the soul of the world, according to Origen himself, we may learn from these words of his: Solius Dei, id est, Patris, et filii, et Spiritus Sancti, naturae, id proprium est; ut sine materiali substantia, et absque ulla corporeae adjectionis societate, intelligatur subsistere, ,It is proper to the nature of God alone, that is of the Father, and of the Holy Ghost, to subsist without any material substance, or body vitally united to it.“ Cudworths Gebrauch des Origenes bzw. seine Auswahl des hier zitierten Textes steht also im Zeichen seiner neuplatonisch gerahmten Argumentation, die vor dem Hintergrund z. B. Plotinischer Vorstellungen von der noetischen Ganzheit-Vielheit-Einheit, die fr Cudworth m. A. n. das metaphysische Verstndnis der trinitarischen Einheit fundiert, alles irgendwie stoffliche Denken aus dem Bereich des gçttlichen Geistes verbannen muss. Vgl. dazu z. B. Enn. V 8, 9, bes. 9, 10 – 13.

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tativ zu unterscheiden ist und den niedrigsten, vollstndig nach außen gerichteten Wirkaspekt Gottes reprsentiert.54 Nachdem er so die ontologische Position der dritten Hypostase der gçttlichen Trinitt und die Art, bzw. den Modus, wie diese Hypostase mit den anderen beiden zu einer Einheit zusammengefgt wird, in einer Kombination patristischer Texte mit genuin neuplatonischen vor der impliziten Leit-Vorstellung festgelegt hat, die u. a. in Enneade V 8 expliziert wird, wendet sich Cudworth der nchst hçheren Hypostase und damit dem Problem von Vielheit und Einheit im Nous zu. Es folgt eine Explikation der neuplatonischen Hintergrundannahme, die sein gesamtes Trinittsverstndnis fundiert. Zu diesem Zweck greift Cudworth seine Differenzierung der neuplatonischen Lehrmeinungen in angemessene und unangemessene auf und entwickelt dabei das Grundmotiv seiner bisherigen Kritik weiter: Fr ihn ist die Annahme einer unvermittelten Vielheit von Ideen, die zudem noch als selbstndige Entitten vergçttlicht werden und gleichsam neben dem bzw. außerhalb des Nous (des Geistes Gottes) stehen, unannehmbar, da auf diese Weise nicht nur die Idolatrie gefçrdert, sondern auch die Einheit dieser Hypostase und damit die Einheit Gottes insgesamt gesprengt wird.55 Zum Glck haben, so Cudworth, die wenigsten Platoniker diesen Standpunkt vertreten.56 Allerdings bleibt auch in den anderen Fllen die Aufgabe bestehen (schließlich geht es um die Texte von Vor- oder Nichtchristen, 54 Die Frage, die sich hier stellt, die aber von Cudworth nicht beachtet wird, ist die, wie denn berhaupt in einem Kontinuum ein derart gravierender qualitativer ontischer „Sprung“ von der dritten Hypostase zu ihren Entfaltungen widerspruchsfrei gedacht werden kann, wenn selbst die personifizierende Erklrung eines tºkla, die Plotin heranzieht, fr die plastic nature ausgeschlossen ist. 55 Cudworth baut damit auf seinen berlegungen zur „philosophical theology“ auf. In ihnen hatte er die Gestirnsgottheiten schließlich als Noeta bis auf den Nous Gottes zurckgefhrt und in ihm aufgehoben. 56 System II, 350 – 351. Cudworth lsst hier allerdings die Mittelplatoniker außer Betracht, deren Lehrmeinung es war, dass die Ideen außerhalb des Nous seien. Gegen diese Position entwickelte Plotin dann, u. a. im Rekurs auf peripatetische Anstze in der Erkenntnistheorie, die Position, die auch von Cudworth favorisiert wird und der zufolge die Ideen im Geist seien; s. u. a. Turner, in Corrigan/Turner (2007), 58 mit Anm. 5 und Bergemann (2006), 61 – 67. Diese bewusste Ausblendung schafft ein wesentlich geschlosseneres Bild von den „richtigen“ antik-paganen Vorstellungen zur Trinitt. Deren scheinbare Homogenitt ist also Resultat der transformatorischen Leistung einer bewussten Ignoranz zum Zweck der Stabilisierung und Autorisierung der eigenen Position im Modus der projektiven Identifikation. Zur mittelplatonischen Diskussion der „Lehre von den Ideen als ,Gedanken Gottes“ siehe ebenfalls Halfwassen (2004), 64 f. Nach Halfwassen ist sie „im Mittelplatonismus weitverbreitet.“ Allerdings gibt Halfwassen ebenso zu bedenken, dass „trotz dieser geschichtlichen Vorlufer [..] Plotins Lehre von der Identitt der Ideen mit dem Geist von seinen Zeitgenossen als so ungewçhnlich empfunden [wurde], dass der gelehrte Porphyrios erst in langen und ausfhrlichen Diskussionen von ihr berzeugt werden musste, […]“ (ebd. 65). Das sptantike Millieu war also durchaus heterogener als Cudworths Transformation es suggeriert.

290 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes von denen man keine zureichende dogmatisch-orthodoxe Schrfe der Terminologie erwarten darf oder kann), durch sprachlich-thematische Unsicherheiten hindurch die „Wahrheit“ ber den Nous in einer mçglichst deutlichen Form zu eruieren bzw. die ungeschickten Formulierungen in ihrer Entstehung nachzuzeichnen, als solche kenntlich zu machen und entsprechend die „wahre“ Lehre zu explizieren. Cudworth lsst seine Explikation der wahren, mit den christlichen Vorstellungen kompatiblen platonischen Lehre von den Ideen und damit von der Struktur des Geistes Gottes mit einem Exzerpt aus Tertullian, also einer kirchenvterlichen Autoritt, beginnen: Neben der Klassifikation der Ideen als Wirkprinzipien („Ideas, that is, forms, exemplars and causes of all these natural and sensible things“; II, 350) ist fr den Verlauf seiner Argumentation relevant, dass Cudworth sie in der Auslegung der Tertullianstelle weitergehend als „noemata, or conceptions, of that one perfect intellect, which was their second hypostasis“ einstuft. Auf diese Weise wird die Platonische Ideen„lehre“ in einem ersten Schritt an neuplatonische, speziell an Vorstellungen Plotins angenhert. Vor dem Hintergrund der Spekulationen Platons ber den Status der Ideen im Sophistes scheint Cudworth dann noch einmal eine Formulierung anzubringen, die den Ideen einen allzu eigenstndigen Status zusprche.57 Diese Einlassung auf eine Formulierung, die, zumindest auf den ersten Blick, die Annahme des Polytheismus und der Idolatrie zu sttzen scheint, dient Cudworth jedoch dazu, im weiteren Verlauf seiner Ausfhrungen zum „wahren Status“ der Ideen (Neu-)Platonismus und christliche Theologie eng miteinander zu vernhen. Dieser Harmonisierung dient die Interpretation einer Passage aus dem Johannes-Evangelium, die als solche oberflchlich einen rein philologischen Charakter zu besitzen scheint, denn in ihr werden von Cudworth verschiedene Textvarianten diskutiert: And thus Amelius the philosopher plainly understood that passage of St. John the Evangelist, concerning the eternal Kºcor, he pointing the words otherwise than our copies now do, d c´comem 1m aqt` fyμm Gm, “that which was made, in him was life:” this philosopher, glossing after this manner upon it, 1m ¨2 t¹ cemºlemom f_m, ja· fyμm, ja· cm pevuj´mai, “in whom whatsoever was made, was living, and life, and true being.” 57 System II, 351: „Again, when they were by them sometimes called animals also, they intended only to signify thereby, that they were not mere dead forms, […]“ kçnnte in einem Bezug zu Sph. 248e-249a stehen: „Aber wie, beim Zeus! Sollen wir uns leichtlich berreden lassen, dass in der Tat Bewegung und Leben und Seele und Vernunft dem wahrhaft Seienden nicht eigne? Dass es weder lebe noch denke, sondern hehr und heilig, der Vernunft entbehrend, unbeweglich stehe? – Eine arge Behauptung, o Fremdling, wrden wir da einrumen!“ (bs. Schleiermacher). Zur Aneignung dieser Seinsberlegungen bei Plotin im Zuge von dessen Nousspekulationen siehe Halfwassen (2004), 68 – 74.

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Allerdings ist hinter Cudworths Entscheidung, diese Stelle aus Amelius anzufhren, eine ontologische Stellungnahme hinsichtlich der Binnenstruktur des Geistes Gottes zu vermuten, die nicht nur auf die bereits erwhnte Passage in Platons Sophistes verweist, sondern auch berlegungen Plotins impliziert,58 die ihrerseits den Gebrauch der beiden Verba 1mup²qweim und sumup²qweim fundieren, mit denen Cudworth seine Argumentation ringkompositorisch abschliesst. In Enneade VI 4, 14, 3 – 16 beschreibt Plotin das Verhltnis des Nous zu den Ideen auf eine Art, die den in der Argumentation Cudworths vorgegebenen Begriff des Lebens im Noetischen enthlt und zudem deutliche Bezge zum Verhltnis der drei gçttlichen Personen zueinander als „wechselseitige Ineinanderexistenz und Durchdringung“ erkennen lsst. Dieser Text Plotins ist daher gut geeignet, sowohl die Vorstellung unabhngiger, vergçttlichter Ideen außerhalb des Geistes zu widerlegen als auch eine systematische Verbindung zu 1mup²qweim und sumup²qweim auf dieser ontischen Ebene herzustellen: Nun, Jenes langt auch fr jedes Einzelwesen hin und hat alle Seelen und alle Geiste. Denn es ist eines, andererseits aber unendlich und alles zumal und trgt das einzelne in sich [Hervorh. L. B.] als abgetrenntes und doch wieder nicht gesondert abgetrennt. Denn in welchem Sinne sollte es wohl unendlich heißen, wenn nicht deshalb, weil es alles zumal hat, jegliches Leben und jegliche Seele und jeglichen Geist. Wobei aber das einzelne davon nicht durch Grenzen abgesondert ist (und insofern ist Es andererseits wieder eines). Es durfte ja nicht nur ein Leben haben, sondern unendliches Leben, dies musste andererseits aber eines sein; es muss eben dies eine dergestalt eines sein, dass es alle Leben zumal hat, nicht verkoppelt zu einer Einheit, sondern vom Einen her beginnend und verharrend, woher sie begannen, oder vielmehr begannen sie gar nicht, sondern Es besaß sie ewig so, denn in Jener Welt ist nichts Werdendes, also auch nichts sich Teilendes, sondern es scheint sich zu teilen fr den, der es empfngt. So ist Jenes seit alters und von Urbeginn, […] (bs. HBT).

Vor diesem Hintergrundtext mit seiner strukturellen Korrespondenz zu den Begriffen peqiw¾qgsir und 1m¼paqnir wird meiner Ansicht nach verstndlich, warum Cudworth letztlich ausgerechnet mit dem Apostaten Julian (hier bekommt sein Antikegebrauch zumindest in den Augen eines Transformationsbeobachters eine in hçchstem Maße ironische Frbung) alle diese selbstndig erscheinenden Gçtter bzw. Ideen doch wieder in der Ganzheit der sie umfassenden Hypostase aufgehoben sieht: „Wherefore, though the ideas were so many titular gods to many of the Platonic pagans, yet did Julian himself, who made the most of them, suppose them all sumup²qweim ja· 1mup²qweim, ,to coexist with God and in-exist in him, that is in the first mind, or second hypostasis 58 Die Annahme, dass bestimmte Ausfhrungen Plotins zur Binnenstruktur des Nous Cudworths Ausfhrungen implizit bestimmt haben kçnnten, liegt auf der sachlichen Ebene schon deshalb nahe, weil derartige berlegungen bei Plotin „in der Sache die Entfaltung einer zentralen Einsicht Platons [im Sophistes] sind“ (Halfwassen [2004], 69).

292 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes of their trinity.“59 Mit 1mup²qweim60 kann Cudworth nun diesen heidnischen Neuplatoniker in direkten Bezug zur christlich-orthodoxen Trinittsauffassung setzen und den Begriff der 1m¼paqnir aufnehmen, mit dem er zu Beginn seiner Ausfhrungen die christliche Trinitt im Rekurs auf orthodoxe Formulierungen charakterisiert hat. An diesem Vorgehen zeigt sich Cudworths Antiketransformation in diesem Abschnitt, die auf eine Art semantischer Homogenisierung hinstrebt und dabei zwar immer wieder nach außen eine gegenber den Neuplatonikern scheinbar kritische Einstellung formuliert, im Kern jedoch diesem Denken verpflichtet bleibt, es sogar auf eine Stufe mit den Kirchenvtern stellt. Die Vielheit der „Ideen-Gçtter“ wird derart nach dem Vorbild der trinitarischen Einheit in der lebendig-organischen Ganzheit des Nous aufgehoben. Auf diese Weise wird zugleich der wahre, metaphysische (und immer auch theologische) Sinn der „philosophical theology“ hinter der missverstndlichen oder irrtmlich-unzureichenden poetischen Ausdrucksform der (spteren) Neuplatoniker durch die beiden Begriffe 1mup²qweim und sumup²qweim hervorgehoben und der Irrtum bereinigt.61 Zustzlich bekommt der gesamte Argumentationsabschnitt einen psychagogischen Impetus: Durch die deutliche Ringkomposition erfhrt der Leser den Eindruck einer geschlossenen (Argumentations-) Ganzheit. In dieser wiederum befinden sich die einzelnen Textelemente in einem Verweisungszusammenhang, der sowohl die einzelnen Elemente trgt und bestimmt als auch seinerseits das Ganze ausmacht, whrend auch die einzelnen Textstcke zueinander in einer durchgngigen Beziehung stehen, in der sie zueinander und durcheinander transparent und verstndlich werden. Der Nachvollzug einer derartigen kombinierenden Transformation mit stark systematisierender und synthetisierender Tendenz lsst den Text selbst und seine Struktur zu einem vestigium Dei werden, an dem Leser partizipieren kçnnen: Sie kçnnen – im verstehenden Nachvollzug – in sich ein Abbild der unaussprechlichen Einheit 59 System II, 351. 60 Zu diesem Vorstellungskomplex bei Julian vgl. Bergemann (2006), 112 – 122, bes. 120. 61 Selbst wenn Cudworth immer wieder auf eine neuplatonisch geprgte Metaphysik als wahrheitsrelevanter Sinnebene hinter der Ausdrucksebene zurckgeht und aus ihr die zentralen Elemente seines eigenen Systems bernimmt und in andere (hier theologische) Systematiken bertrgt und sie dabei zugleich umformt, bleibt er, zumindest in der momentanen Argumentation, einigen Spekulationen der spteren Neuplatoniker gegenber ausgesprochen kritisch eingestellt. Ein besonderes Anliegen ist es ihm, die vielen Zwischenstufen, die z. B. Proklos in sein System einfhrt, aus den bereits genannten Grnden zu vermeiden. In diesem Zusammenhang differenziert Cudworth auch zwischen Plotin und spteren Neuplatonikern: „Moreover Plotinus, throughout all his works, discovers not the least suspicion neither of these Henades and Agathotetes, this language being scarcely to be found any where in the writings of any Platonists senior to Proclus;[…]“ (System II, 361).

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der Trinitt realisieren und so am Transzendenten in der menschenmçglichen Weise partizipieren. Es sind diese in der Montage verschiedener Texte vor einem neuplatonischen Hintergrund aufscheinenden gemeinsamen strukturellen Zge zwischen christlicher Theologie und (neu-) platonischer Metaphysik, die Cudworth als „ancient genuine Cabala“ aufwertet und die ihn trotz aller Kritik an den spteren Neuplatonikern zu dem Versuch motivieren, Platon und einige weitere Platoniker als Vertreter und Philosophen der Wahrheit gemß seiner eigenen Konzeption einer philosophical theology zu rehabilitieren.62 Mantraartig wiederholt Cudworth den seiner Ansicht nach unvernderlichen und bis in seine Zeit gltigen Kern dieser Wahrheit: Es gibt nur einen Gott, der eine Ganzheit ist, die drei Hypostasen umfasst, aus denen alles andere hervorgebracht wird, die selbst aber nichts Kreatrliches an sich hat.63 Diesen Kern versucht Cudworth in seinen eigenen Trinittsspekulationen unter verschiedenen Schwerpunktsetzungen und Perspektivierungen herauszustellen und lsst dabei die fr ihn relevanten systematischen Aspekte seiner neuplatonisch-christlichen Metaphysik erkennen. Neben der Gewordenheit und zeitlichen Verfasstheit der Welt, die damit klar von der gçttlichen Trinitt in ihrer intelligiblen und ewigen Einheit abgegrenzt ist,64 ist es fr Cudworth aufgrund seiner zentralen Bedeutung fr die gesamte Trinittsspekulation immer wieder der Status des Geistes/Nous, der ihn zu exegetischen Bemhungen herausfordert. Indem Cudworth Platon mit Porphyrius und Plotin auslegt,65 versucht er, „Entstehung“ und Status des Nous nochmals – nun auch in Frontstellung zur stofflichen Welt – zu beschreiben: In einem ersten Schritt deutet er dabei mit Plotin den Ideenkosmos Platons um zum neuplatonischen Nous, der zweiten Hypostase in Cudworths Version des auf Plotin fundierten neuplatonischen Systems.66 Im zweiten Schritt wird das Hervorgehen des Nous aus der ersten Hypostase, dem Einen/Guten, als berzeitliche Emanation beschrieben, die mittlerweile nicht im Sinne einer Schçp-

62 System II, 364. 63 Z. B. System II, 316, 342, 349, 363, 364. 64 System II, 364 – 367. Zum wiederholten Male deutet Cudworth dabei das im Timaios als demiurgisches, gestalterisches Schaffen ausgelegte Verhltnis der Ideen zur stofflichen Welt um in eine creatio ex nihilo. 65 Dazu bekannt kritisch Mosheim in System II, 371, Anm. 7. Porphyrios wird hier aus Kyrillos von Alexandria zitiert. 66 In System II, 251 spricht Cudworth explizit von der „first mind, or second hypostasis of their trinity“ und zwar hinsichtlich der „Platonic pagans“. Er kann sich dabei auf Enn. VI 8, 18 – 21 und 28 sttzen, wo Plotin das erste Eine als „erste Hypostase“ bezeichnet. Zum transformierenden Vorgehen Cudworths in diesem Kontext vgl. Mosheim in System II, 391, Anm. 7. Vgl. auch oben S. 281 mit Anm. 30.

294 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes fung verstanden werden darf.67 Interessant an dieser Umprgung Platonischer Vorstellungen in neuplatonisch-christliche sind allerdings nicht nur die semantischen Umwertungen, die Cudworth erzielt, sondern auch die ihnen zugrunde liegende und sie bedingende Abfolge der Zitate selbst. Seiner eigenen Charakterisierung des Stils der spteren Neuplatoniker entsprechend,68 lsst Cudworth bei dieser Platon-Umdeutung bzw. -Funktionalisierung auf zwei einleitende, kurze Zitate aus Plotin eine lange Passage aus Kyrillos folgen, die ein Porphyrius-Referat wiedergibt, dabei eine hohe Dichte ungewçhnlicher und daher explikationsbedrftiger Wendungen enthlt und die sowohl den Hervorgang des Nous aus dem Einen als auch sein Verhltnis zu sich selbst thematisiert.69 In ihrer Seltenheit und Extravaganz korrespondieren diese Begriffe der Einschtzung des Hervorgehensprozesses und des (Selbst-)Verhltnisses des Nous gleich zu Beginn dieses Textes, die sich beide auf eine fr den Menschen nicht einholbare Weise vollziehen: „[…] tqºpom tim± !mhq¾poir !mepimºgtom“. Die Tatsache, dass dieser Prozess menschliches Verstehen bersteigt, impliziert eigentlich seine Unsagbarkeit. Versucht man dennoch, ihn sprachlich zu erfassen, fhrt das wie in diesem Fall zu einer Hufung ebenso ungewçhnlicher wie rtselhafter Formulierungen, die, um verstanden werden zu kçnnen, fr Cudworth jedoch lediglich auf ihren eigentlichen Sinngehalt, d. h. Erluterungen in klarerer metaphysischer Terminologie, reduziert werden mssen. Zu diesem Zweck greift Cudworth zurck auf – Plotin.70 Da nach Plotin bei der Entstehung des Nous das Eine in absoluter Ruhe verharrt und es zum Hervorbringen des Nous weder einer Bewegung noch einer Willensußerung bedurfte, liegt es nahe, diesen „Prozess“ nach einem anderen Modell als dem einer aktiven demiurgischen Schçpfung zu verstehen, das Plotin im unmittelbaren Anschluss an die von Cudworth zitierten Zeilen beschreibt: Aber wie kommt es zustande und als was muss man es sich denken? Es umgibt Jenes, ist ein rings aus ihm strahlender Glanz, wobei Es aber beharrt; so wie der Glanz der Sonne, der sie gleichsam umspielt, der stndig aus ihr geboren wird, wobei sie aber beharrt. Alle seienden Dinge lassen so, solange sie Bestand haben, aus ihrem Wesen notwendig ein Existentes zur Wirklichkeit werden, welches außen 67 System II, 371. Ficino ist hingegen beim Gebrauch der Terminologie zur Beschreibung des Hervorgangs des Geistes aus dem Einen wesentlich weniger differenziert, vgl. z. B. De amore, oratio prima, c. II, 3v-4r/138 – 139/1321: „Hic [= Deus/ipsum bonum] mentem primo creat [Hervorh. L. B.] angelicam, deinde mundi huius animam, ut Plato vult, postremo mundi corpus.“ Dazu siehe Scheuermann-Peilicke (2000), 114. 68 System II, 350 – 351: Dem „poetic humour“ auf der einen entspricht der Bezug auf die richtigen Inhalte auf der anderen Seite. 69 System II, 370. Z. B.: aqtojakºm ; pqoai¾mior ; aqtoc´mgtor ; aqtop²tyq ; aqtocºmyr. Viele dieser Begriffe sind nachplatonisch. 70 Cudworth folgt hier der Einschtzung der hermeneutischen Kompetenz Plotins durch Ficino, die sich in seiner eigenen Einschtzung und Wertung Plotins widerspiegelt (System II, 361).

6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes

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um sie liegt und abhngt von der Gegenwart ihrer Kraft, als ein Abbild gleichsam der Urbilder, aus denen es hervorwuchs.71

Die Hinzuziehung dieses Hintergrundmodells ermçglicht es Cudworth, den Kyrillos-Porphyrius-Text mit seinen ungewçhnlichen Wendungen auf die Sinnebene der Emanation als der „true meaning and ground thereof“72 zu reduzieren: But the plain meaning thereof seems to be no other than this, that though this second divine hypostasis did indeed proceed from the first God, yet was it not produced thence after a creaturely, or in a creating way, by the arbitrary will and command thereof, or by a particular fiat of the supreme Deity, but by way of natural and necessary emanation.73

Diese Form des Hervorgehens ist fr Cudworth also ein Prozess, der sich vollstndig von dem der willentlichen Schçpfung unterscheidet. Daher kann der Nous auch kein „Geschçpf“ („creature“ im engen Sinn)74 sein, und „to proceed from“ im Sinne der Emanation ist keinesfalls gleichbedeutend mit „to be produced […] in a creating way“, was allein fr die weltliche Schçpfung bezeichnend ist,75 vielmehr mndet die Entstehung dieser Hypostase (rpost/mai) in 71 Plotin, Enn. V 1, 6, 27 – 35 (bs. HBT), vgl. auch V 4, 2, 20 – 40: „Was nun etwa, indem Jenes in sich beharrt, entsteht, das entsteht aus Jenem, und zwar dann, wenn Jenes am meisten das ist, was es eigentlich ist; bleibt Jenes also in seiner eigenen Wesensart, so entsteht das Werdende zwar aus ihm, jedoch indem Jenes in sich beharrt. […] Aber wie kann es aus Jenem, whrend es in sich beharrt, entstehen? Durch die Wirkungskraft; denn die Wirkungskraft jeden Dings ist teils in seinem Sein beschlossen, teils tritt sie aus seinem Sein nach außen; die in seinem Sein beschlossene ist eben seine eigene aktuale Existenz, die heraustretende muss aus jedem Ding mit Notwendigkeit folgen als eine von ihm verschiedene; […] So ist es nun auch in der oberen Welt und dort erst recht: whrend das Oberste in seiner Wesensart beharrt, gewinnt, erzeugt aus der in ihm liegenden Vollendung, der mit seinem Sein zusammenfallenden Wirkungskraft, eine zweite Wirkungskraft selbstndige Existenz, und gelangt, da sie aus einer großen Kraft, ja der grçßten von allen stammt, zum Sein, zur Seinsheit. Das Oberste nmlich war jenseits des Seins; es ist nur die Kraft (Potenz) von allem, erst das Zweite (der Geist) i s t dann alles; […] (bs. HBT). Vgl. dazu Bergemann (2006), 69 – 86, bes. 70 – 71 und oben S. 229 f. Cudworth muss jedoch, um der christlichen Dogmatik zu entsprechen, die Verschiedenheit der Hypostasen abmildern bzw. verschleiern. 72 System II, 370. 73 System II, 371. 74 Zu diesem engen Sinn siehe auch System II, 374. 75 Zum kraftmetaphysischen Gehalt der Emanationsvorstellung vgl. auch Cudworths Ausfhrungen in System II, 390 – 391, bes. z. B. die Formulierung im Zitat aus Plotin, Enn. V 1, 6: lμ d¼malim owsam tosa¼tgm %comom eWmai. Aus System III, 486 – 487 geht klar hervor, dass Cudworth durchaus zwischen Emanation und willentlicher Schçpfung zu unterscheiden weiß. Hier allerdings dehnt Cudworth den Gedanken der Emanation auf die gesamte Schçpfung aus. Mit der Verbindung von activity und essence im Wesen Gottes nimmt er dabei Bezug auf das Energeiai-Schema Plotins, der in Enneade V 4, 2, 33 – 39 die Vorstellungen von Vollkommenheit, Wesensart und nach außen gerichteter

296 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes eine Zustndlichkeit des Rings-um-ihre-Ursache-Seins, des Umgebens und des Umspielens (peq· .. em, peq¸kalxim, t¹ peq· aqt¹m kalpqºm), das stark an das Konzept der Perichorese (peqiwºqgsir) gemahnt. Nachdem er so im Vollzug einer Art reduktiver oder fokussierender Konkordanzbildung zum semantischen Kern der Darstellung vorgedrungen ist und gezeigt hat, dass der Nous trotz seiner Selbstbezglichkeit immer vom Einen/ Gott abhngig ist und in einem perichoretischen Verhltnis mit ihm steht, kann er die derart entschrfte Terminologie des Kyrillos-Textes in einem IamblichZitat aufnehmen (ohne auf die Mçglichkeit einzugehen, dass Kyrillos genau diese Wendungen aufgrund ebendieser Textpassage in Iamblichs De Mysteriis zu einem Porphyrius-Referat zusammengefgt haben kçnnte),76 jetzt allerdings, um eine Verbindung zu einer christlichen Charakterisierung des Logos aufzuzeigen. Dabei macht sich Cudworth nun gerade die in den griechischen Wendungen des Kyrillos-Porphyrius-Textes und bei Iamblich zum Ausdruck kommende Selbstbezglichkeit des Nous-Logos zunutze: aqtop²tyq, aqtºcomom, 2aut¹m 1n´kalxe korrespondieren mit dem griechischen Begriff aqtosov¸a, mit dem Cudworth die folgenden drei Athanasius-Zitate vorbereitet, die ihrerseits eine bereinstimmung zwischen (neu-)platonischer und christlicher Trinitt insinuieren sollen.77 Cudworth scheint hier die reflexive Einheit des Nous, der sich in der Wendung auf sich mit dem Einen verbindet, implizit als Ausdruck der christlichen peqiw¾qgsir zu verstehen.78 Im abschließenden Athanasius-Zitat Wirkung miteinander kombiniert, auf die sich Cudworth an dieser Stelle explizit bezieht und sie mit der Vorstellung Gottes als bonum diffusivum sui verbindet: „[…] and the activity of the Deity, or a perfect Being, is altogether as easy to it as its essence. […] That the reason why God made the world, was from his own overflowing goodness, that there might be other beings also happy besides him, and enjoy themselves.“ Zur Darstellung des Energeiai-Schemas bei Plotin, Enn. V 4, 2, 33 – 39 siehe Bergemann (2006), 73 – 76. Dass auch Henry More dieses Schema durchaus vertraut war und er es in einem hnlichen Kontext in Gebrauch nimmt, zeigen Foukes Beobachtungen (Fouke [1997], 31). Fouke geht allerdings nicht auf Plotin als mçglichen Referenztext ein. 76 De Mysteriis gilt als Widerlegung Iamblichs auf eine Art religionsphilosophischer Kritik und Fragen, die Porphyrius geußert hatte. 77 „Ja· sov¸a“ im ersten Zitat nimmt direkt den Weisheitsbezug auf. Die beiden folgenden Zitate belegen, dass Athanasius zwischen Gott-Vater und seinem Sohn-Logos unterscheidet, was durchaus den Differenzierungen entspricht, die Plotin zwischen dem Einen/Guten und dem Nous, z. B. in V 1, 6 und V 4, 2, vornimmt. 78 Beierwaltes (1985), 64 – 67 weist auf, dass dies bereits ein wesentliches Merkmal u. a. der Trinittsspekulationen Augustinus und Eriugenas ist: „In der christlichen Theologie [Hervorh. W. B.] werden zwei Aspekte der neuplatonischen All-Einheits-Lehre: das Inund zugleich ber-Sein des Einen und [Hervorh. W. B.] die Einheit der reflexiven Relationalitt – das Prinzip ,Geist – in die Einheit des Ersten zusammengedacht. […] Gott ist All-Einheit im extremen Sinne: Selbstexplikation der eigenen Flle in einer Form absoluter Selbstdurchdringung, ebensosehr aber begrndendes und rckfhrendes ,Umfassen von Allem“, was ,außer ihm ist (ambitus omnium)“ (Ebd. 65 f.). Zur Zu-

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wird die Ewigkeit zum entscheidenden Merkmal der Zugehçrigkeit zum Bereich Gottes, und auch sie ist bei Plotin mehrfach dem Nous und seinem Entstehungsprozess zugesprochen worden. Die reflexive Selbstzuwendung und „Selbstdurchdringung“79 der trinitarischen Aspekte vollzieht sich berzeitlich in der Ewigkeit, so dass es sich bei der innertrinitarischen Selbstkonstitution Gottes nicht um einen Schçpfungsprozess in engem Sinne handelt, der nmlich eine wesentliche ontische Differenz in der Binnenstruktur der Trinitt zur Folge htte.80 So geht es Cudworth darum, vermittels dieser fokussierenden Kombination einen allgemein verbindlichen Modus zu finden, Trinitt zu denken; einen Modus, der es ihm auch weiterhin erlaubt, systemkonform das Verhltnis der Trinittsaspekte zueinander von dem Verhltnis oder dem Bezug der Gottheit/ des ersten Prinzips insgesamt zur weltlichen Schçpfung abzugrenzen und dieses Verhltnis in seiner Besonderheit zu bestimmen und hervorzuheben. Es wird deutlich, dass Cudworth in diesem Zusammenhang die Struktur der Trinitt binnen-emanatorisch-dynamisch bestimmt und dass er diese Bestimmung als die Wahrheit versteht, die auch den christlichen Trinittsspekulationen und ihren sprachlichen Ausdrucksformen zugrunde liegt.81 Fr alle diese drei Hypostasen, die zusammen den einen Gott ausmachen, gilt daher, was fr Gott als erstes Prinzip insgesamt gilt: Sie alle umfassen alles (peqi´weim t¹ fkom, „contain and comprehend the whole world under them […]; which is all one as to say, that they are each of them infinite and omnipotent“)82. Im Rahmen der sptantiken und paganen neuplatonischen Hierarchie der Hy-

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sammenfhrung von „ber-Sein und Sein-Denken-Relationalitt in die Einheit des Einen Gottes“ bei Dionysios Areopagita siehe Beierwaltes (1998), 58 – 60 und (1985), 211 – 216. Es zeigt sich erneut, dass Cudworth die patristischen Denkmuster aufgreift und sie seinen eigenen Ausfhrungen unter der Vorannahme der prisca theologia/philosophia perennis zugrundeliegen. Beierwaltes (1985), 66 gebraucht diesen Begriff bei der Interpretation der Trinittspekulationen Eriugenas. Siehe dazu Beierwaltes (1980), 62 f. und 68 zu dieser Vorstellung bei Marius Victorinus in seiner Opposition gegen den Arianismus; desweiteren Beierwaltes (1985), 66 zu Eriugena: „Gott geht in einem zeitfreien Prozess in sich selbst ,creativ hervor und vollzieht sich damit selbst als sich denkende, sich aussprechende, sich selbst sehende und sich wollende Einheit.“ Beierwaltes nennt diesen Prozess dann „zeitfreie Selbstkonstitution“. Dies zeigt sich in seiner Kritik an Petavius (1583 – 1652), dem er diesbezglich mangelndes Differenzierungsvermçgen zwischen „guten“ Platonikern und denen, die eine „spurious trinity“ annehmen, vorwirft (System II, 374). Vgl. Hutton, in Szczucki (1983), 141 – 143 zu Cudworths kritischer Auseinandersetzung mit Petavius und seiner Version einer platonischen Trinitt. Die folgenden Ausfhrungen zur Trinitt im System bauen auf Huttons grundstzlichen Einsichten auf und versuchen, sie zu differenzieren und weiterzufhren. System II, 385.

298 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes postasen wre diese Aussage zumindest problematisch, da Plotin und besonders Proklos klar zwischen den Wirkbereichen, die Eines, Geist und Seele in sich oder unter sich umfassen, unterscheiden und keinesfalls allen Hypostasen denselben Wirkbereich (t¹ fkom, wohl die Welt, d. h. the whole world) zuschreiben. Cudworth hat fr diese, die ursprnglich neuplatonische Metaphysik betreffende, Transformation mçglicherweise zwei Grnde: Einmal steht er in dem Zwang, den Eindruck der Subordination der Hypostasen zu vermeiden, da diese mit dem christlichen Trinittsdogma unvereinbar ist. Dieser dogmatischtheologische Zwang ußert sich dann in der Angleichung der Wirkbereiche mit dem Ziel, ontologische Differenzen in Gott selbst zu verwischen. Zum anderen identifiziert Cudworth den Teil des intelligiblen Bereichs, der die drei Hypostasen umfasst (aus dem allerdings die verschiedenen Seelenformen der Einzelseelen und der plastic natures zumindest an diesem Punkt der Argumentation trotz ihrer wesentlichen Intelligibilitt ausgeklammert werden), mit der gçttlichen Trinitt und das Stoffliche mit der Schçpfung (im engen Sinne), so dass derart zum Zweck besserer Kontrastierung zwei quasi geschlossene Bereiche einander gegenber stehen. Wird nun die stoffliche Welt zum t¹ fkom, kann Cudworth im Rahmen seiner Konzeption durchaus von allen drei Hypostasen sagen, sie umfassten das Ganze eben im Sinne des ganzen stofflichen Kosmos (inklusive der intelligiblen Krfte, die in diesem Kosmos wirken). Unbeachtet bleibt allerdings, dass das Eine eigentlich zustzlich Nous und Weltseele und der Nous noch die Weltseele als intelligible Grçßen in sich enthlt und t¹ fkom im engen Sinne des stofflichen Kosmos nur von der Weltseele umfasst wird. Da sich allerdings das Wirken des Einen auf die Welt vermittelt durch Nous und Weltseele, und das des Nous vermittelt durch die Weltseele vollzieht, bilden alle drei Hypostasen im Sinne der per-se-Kausalfolgen einen Wirkzusammenhang und eine Wirkeinheit gegenber der Welt und kçnnen so, zumindest aus der Sicht Cudworths, als ein Schçpfer bezeichnet werden, der das Verursachte, nmlich die Welt, in sich umfasst oder enthlt.83 Dass hinter Cudworths von der neuplatonischen Metaphysik vordergrndig abweichender Formulierung eine derartige berlegung zu vermuten ist, zeigt folgende Explikation der „genuine and ancient Platonic doctrine“: Wherefore, as was before suggested, according to the genuine and ancient Platonic doctrine, all these three hypostases were joint-creators of the whole world, and of all things besides themselves, as Ficinus more than once declares the tenor thereof, Hi tres uno quodam consensu omnia producunt, “These three with one common consent produce all things;” and before him Proclus, P²mta !m¶qtgtai toO 2m¹r di± moO l³m ja· xuw/r, “All things depend upon [Hervorh. L. B.] the first One, by [Hervorh. L. B.] Mind and Soul;” and accordingly we shall conclude in the words of 83 Vgl. die Beobachtung Armours zur Trinitt Cudworths: „Cudworths God acts in and through the world using the rich possibilities of the Trinity.“; Armour, in Hedley/Hutton (2008), 119.

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Porphyrius, that the true and real Deity, according to Plato, extends to the three divine hypostases, the last whereof is Psyche or Soul. […] From all which it appears […] that the Platonic trinity was a certain middle thing also betwixt the doctrine of Sabellius and that of Arius, it being neither a trinity of words only, or logical notions, or mere modes, but a trinity of hypostases; nor yet a jumbled confusion of God and creature (things heterousious) together; neither the second nor the third of them being creatures, or made in time, but all eternal, infinite and creators.84

In diesem Abschnitt nimmt Cudworth in einer eigentmlichen Synthese verschiedener ontologischer Vorstellungen den Gedanken der selbstreferentiellen noetischen Einvielheit des Nous auf (und zwar mit „the true and real Deity, according to Plato, extends to the three divine hypostases“), weitet ihn auf die gesamte Gottheit aus und kombiniert ihn mit dem Konzept der per-se-Kausalfolge und der daraus folgenden Vorstellung von Gott als einer Wirkeinheit. Erst diese Kombination, mit der Cudworth zumindest teilweise den diesbezglichen patristischen Denkmustern folgt, lsst aus der Binnendifferenzierung des Nous eine hypostasenbergreifende Struktur werden. Sie nhert dementsprechend die neuplatonische Hypostasenreihe sehr eng an die christliche Vorstellung der peqiw¾qgsir an85 und bewahrt gleichzeitig die dynamisch-rationale Konzeption von Gott, den Cudworth als erstes Prinzip in seinem System zur Erklrung der Naturvorgnge bençtigt.86 Seine Behauptung, dass Nous, trinitarische Weltseele und die erste gçttliche Hypostase wesensgleich (bloo¼sior) seien, lsst sich daher eher aus diesem kombinierenden und hybridisierenden Transformati84 System II, 388 – 389. Siehe z. B. außerdem System II, 402: “Wherefore the world having but one creation, and being created by those three divine hypostases, it follows, that they are all three really but one Creator and one God. Thus, when, both in Plato and Plotinus, the lives and souls of all animals (as stars, demons, and men), are attributed to the third hypostasis, the first and great Psyche, as their fountain and cause after a special manner; accordingly [Hervorh. L. B.] as in our creed, the Holy Ghost is styled ,the Lord and giver of Life; this is not to be so understood, as if therefore the first and second hypostases were to be excluded from having any causality therein.” 85 Siehe System II, 420: „[…] yet notwithstanding, as philosophers, did [the Platonists] declare them to be one He?om or divinity; […] First, because they are indivisibly conjoined together, as the splendour is indivisible from the sun. And then, because they are mutually inexistent in each other, the first being in the second, and both first and second in the third. And lastly, because the entireness of the whole divinity is made up of all these three together, which have all l¸am 1m´qceiam, ,one and the same energy or ,action ad extra [Hervorh. L. B.].“ Cudworth greift damit Interpretationen zur pythagoreisch-platonischen Trinitt auf, die er bereits in System I, 316 anstellt und auf die er mit der Wendung „one He?om“ zurckverweist. Die dort eher paraphrasierend wirkende Darstellung wird im Folgenden wesentlich differenzierter ausgefhrt. Cudworth beantwortet nun nmlich die Frage, wie die voneinander verschiedenen Wesenheiten eine Gottheit, einen Gott bilden kçnnen. Siehe unten S. 307 – 312 u. 321 – 327 zur abschließenden Erçrterung dieses Themas. 86 Vgl. dazu inhaltlich die Ausfhrungen von Beierwaltes (1998), 33 – 39 zum Trinittskonzept des Marius Victorinus.

300 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes onsprozess denn aus der neuplatonischen Ontologie an sich ableiten. Denn dieser gemß ist zwar das, was aus der bergeordneten Energeia als der wesentlichen Ursache hervorgeht, ebenfalls eine Wirkkraft (1m´qceia) und mit der urschlichen, hervorbringenden Wirkkraft (der 1m´qceia t/r oqs¸ar) kontinuierlich verbunden, ist aber doch von der sie hervorbringenden Energeia unterschieden wie das Abbild von seinem Urbild und damit nicht mit ihr wesensgleich.87 Aufgrund seiner synthetisierenden Interpretation neuplatonischer Texte scheint Cudworth allerdings davon auszugehen, beide Konzepte miteinander vereinbaren zu kçnnen, obwohl er an anderer Stelle deutlich erkennt und ausspricht, dass Emanation immer auch Subordination und Differenz bedeutet.88 Die genaue Form dieser relationalen Dynamik, d. h. eines verbindlichen Modus, Trinitt zu denken und zu bestimmen, versucht Cudworth im Folgenden sich im Sinne seines Systems zu erarbeiten.89 Dabei orientiert er sich trotz der gerade festgestellten Schwierigkeiten eng am Energeiai-Schema Plotins, das fr ihn der Maßstab wird, an dem auch die christliche Spekulation beurteilt wird. Er versucht also, einen Weg zu finden, das mit dem Energeiai-Schema wesentlich verbundene Problem der Subordination der Binnenhypostasen Gottes untereinander in der Dynamik der Einheit Gottes aufzuheben. Im Zuge dieser Argumentation berfhrt Cudworth das orphische Theologoumenon des 4m ja· p÷m bzw. des 4m p²mta und seine weiteren antik-paganen Ausprgungen, die er im religionsphilosophischen Kapitel 4 des System behandelt hat,90 in den Horizont seiner Trinittsspekulation. Ganz allgemein beschreibt Cudworth das Verhltnis zwischen den gçttlichen Hypostasen zunchst lichtmetaphorisch als das zwischen Lichtquelle und dem von ihr ausgestrahlten Licht,91 womit er auf die Leitmetapher zurckgreift, die schon Plotin dazu dient, dem Prozess des Hervorgehens der Hypostasen auseinander sprachlichen Ausdruck zu verleihen bzw. ihn per analogiam zu veranschaulichen und greifbar zu machen.92 Dabei fundiert Cudworth diese metaphorische Ebene als Darstellung der „gradual 87 Vgl. Bergemann (2006), 76 – 79. Es ist also der Ursache zwar hnlich, nicht aber gleich. Angemessener wre also der Gebrauch des Adjektives bloio¼sior, nicht aber der von bloo¼sior. 88 Siehe z. B. System II, 391: „[…] so each following hypostasis doth essentially depend upon the former or first, and hath a subordination to it.“ 89 Im Zuge dieser Explikation operationalisiert Cudworth die patristischen Denkmuster mit der ihnen eigenen Integration von neuplatonischer Metaphysik und christlicher Theologie (s. o. S. 278 f., Anm. 18) im Sinne seines Systems. 90 Z. B. oben S. 233 – 238. 91 U. a. in System II, 420. 92 Zur Lichtmetapher im Neuplatonismus siehe Bergemann (2006) mit weiterer Literatur. Siehe auch System II, 392, 394, 398, 399. Zur Lichtmetaphysik Ficinos in diesem Zusammenhang siehe Scheuermann-Peilicke (2000), 69 – 91. Vgl. auch als eventuellen Transformationsfilter Patrizi, Panaugia X, 22r-23v.

6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes

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subordination of hypostases in the Platonic trinity“93 nach dem EnergeiaiSchema: Das Eine als 4m pq¹ p²mtym wird, vorausgehende Ausfhrungen aufnehmend,94 weiterfhrend und seinem eigenen Gottes- und Weltbild entsprechend als „Love of redundancy or overflowing fulness and fecundity“ qualifiziert,95 ganz im Sinne von Plotin, Enneade V 4, 2, 33 – 39 in Kombination mit V 2, 1, die auf diese Weise in die biblische Vorstellung von Gott als Liebe amalgamiert werden kçnnen.96 Zustzlich betont Cudworth im argumentatorischen Fahrwasser seiner unmittelbar zuvor erfolgten Ausfhrungen die Transzendenz dieser schçpferisch-dynamischen Liebe, die Gott ist, mit dem griechischen Adjektiv !mem´qcetor, das er mit „above all manner of action“ bersetzt. Hervorgehoben wird damit die Vorstellung Gottes als einer d¼malir p²mtym, die rein durch das Verharren in sich selbst nach außen wirkt.97 Von der „Love of redundancy“, die zunchst den hçchsten Aspekt dieser System-spezifischen platonisch-neuplatonischen Trinitt (bzw. zugleich die gesamte trinitarische Einheit als solche) markiert, hebt Cudworth den GeistLogos, das 4m p²mta, als „architect, or artificer, in whom the archetypal world is contained, and the first paradigm, or pattern of the whole universe“ ab und weist ihm damit eine eindeutig strukturierende Funktion zu, die die Rationalitt von Gottes Wirken in der und auf die Welt garantiert. Bei aller auf die Schçpfung ausgerichteten inneren Struktur und Dynamik zeichnet sich jedoch auch diese Hypostase des 4m p²mta, die dem Logos bzw. Christus korrespondiert,98 ebenso durch ihre Unbeweglichkeit, d. h. ihr Verharren in Stille und 93 System II, 393. 94 Cudworth verwendet hier fast wçrtlich eine Formulierung aus System II, 12 und kann, was die folgenden Differenzierungen angeht, auf seinen Xenophanes- und Parmenidesinterpretationen aufbauen. Siehe auch o. S. 227 f. mit Anm. 68 u. S. 238. 95 System II, 394. 96 Zur „Liebe“ Gottes als einer „ekstatischen“ Wirkung Gottes bei Dionysios Areopagita siehe Beierwaltes (1998), 73 f.: „Gçttliche Liebe […] meint primr die sich selbst entfaltende, aus sich selbst herausgehende und auf das Sein konstituierend zugehende Aktivitt Gottes: diese seine Liebe ist wesentlich ,ekstatisch [Hervorh. W. B.].“ 97 Die entsprechende Stelle bei Plotin (V 6, 6, 1 – 10) betont den Charakter des Einen als reiner 1m´qceia. Zur Fortfhrung dieses Gedankens im Rahmen der Prinzipienspekulation bei Porphyrios, die fr die christliche Trinittsspekulation relevant werden sollte, siehe Beierwaltes (1985), 198. 98 Vgl. die zuvor im System erfolgten Thematisierungen von Christus-Logos und Nous im Zuge der Erçrterungen der Positionen Julians (System I, 454 f.), zur „Persian trinity“ (System I, 482 – 484) und zur „Trinitt“ der Orphiker (System I, 509 – 510). Alle diese Erçrterungen kçnnen als Vorbereitungen wie als Besttigung der nun erfolgenden eigenen Trinittskonzeptionierung Cudworths gelesen werden. Die Gleichsetzung von Christus und Logos findet sich ebenso bei Henry More, siehe Fouke (1997), 28 f., der auch den philosophiehistorischen Kontext derartiger Identifikationen und deren Problematik umreißt: „More followed a well-established tradition of Christianized Neoplatonism which placed the first two emanations from the Plotinian One within deity as

302 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes damit ihre Transzendenz aus, die verstanden wird als vollstndiges Verharren im Intelligiblen. Dem steht die Weltseele (der der Heilige Geist korrespondiert), die dritte Hypostase und das 4m ja· p²mta, beinahe gegenber, denn sie wird nun – etwas berraschend – von Cudworth als die Hypostase bezeichnet, die wesentlich „bewegt“ ist und als „love of infinite activity“99 unmittelbar mit dem Stofflichen und der Schçpfung interagiert.100 Sie bildet den aktiven Abschluss der dynamischen per-se-Kausalkette oder Ursachenreihe, die Cudworth in diesem Abschnitt als seine Version der Trinitt prsentiert hat: „This [die dritte trinitarische Hypostase] is that, which reduces both the fecundity of the first simple Good, and also the immoveable wisdom and architectonic contrivance of the second into act or energy. This is the immediate, and, as it were, manuary Opificer of the whole world, and t¹ BcelomoOm toO pamtºr, that which actually governs, rules, and presideth over all.“101 the persons of the trinity. The divine nature was understood as essentially dynamic – eternally engaged in a process of self-manifestation followed by self-contemplation. […] The simple and absolute unity of Ahad [the Father] eternally generates Aeon, or 4m p²mta – the Son, who is ,the very intellectual world, ,the very Essence or Idea of all things, at once, not successively or in part, and who is ,united ever with the father that brought him forth.“ In Anm. 37 ebd. beruft sich Fouke auf Patrides, der darauf hinweist, dass diese Konzeption von Trinitt keinesfalls ohne Kritik blieb, d. h. dogmatisch nicht unproblematisch ist: „Patrides points out that the equation of the Christian and Platonic Trinities has frequently led to heresy, because of its tendency to subordinate the Son and the Holy Spirit to the Father, and points to Origen as a case in point. He also records that Cudworth was vehemently attacked for his own account of the Trinity, especially by John Turner in A Discourse concerning the Messias (1685)“ (Patrides [1980], 33, n. 1). Diesem Hinweis bin ich in meiner Argumentation grundstzlich verpflichtet. Im Rahmen einer Interpretation von Cudworths System ist jedoch weiterfhrend zu untersuchen, welche systematischen Grnde Cudworth zu diesem Vorgehen bewogen haben kçnnten und wie sie sich auf seinen Umgang mit den antiken Referenzen ausgewirkt haben kçnnten. Vgl. Cudworths Ausfhrungen in System II, 395 – 397, bes. 397: „And indeed, we should not have so much insisted upon this, had it not been by reason of a devout veneration that we have for all the scripture-mysteries; which scripture seem to give no small countenance to this doctrine, when it makes in like manner an eternal Word and Wisdom to be the second hypostasis of the divine Triad, and the first-begotten Son, or Offspring of God the Father.“ 99 System II, 394. 100 Sie ist „the immediate [Hervorh. L. B.], and, as it were, manuary opificer of the whole world“ (System II, 394). Diese Charakterisierung steht allerdings, wie im Folgenden detaillierter zu zeigen sein wird, in einer gewissen Spannung zu Cudworths Ausfhrungen in System II, 349 f. Fast scheint es, als hebe Cudworth jetzt die in II, 394 f. angestellte Differenzierung zwischen der zur Trinitt gehçrigen Weltseele, die in ihrer Transzendenz verharrt, und den Einzelseelen und plastic natures wieder auf. 101 Vgl. auch System II, 399: „As in like manner, the third hypostasis is not essentially wisdom itself, standing or quiescent, and without motion or action; but wisdom as in motion, or wisdom moving and acting.“

6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes

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Neben Cudworths Orientierung am Energeiai-Schema und dessen Erweiterung zum Ousia-Dynamis-Energeia-Schema (in dem die Seele die Position der Energeia einnimmt, d. h. fr das Wirkende und die nach außen gerichtete, die ekstatisch-transitive Wirkung steht) fllt an seiner Auswahl der Zitate und ihrer argumentatorischen Ausrichtung gerade aufgrund dieser Erweiterung besonders die thematische Hinordnung seiner Gottesbeschreibung auf das Verhltnis der gçttlichen Trinitt zur Schçpfung auf.102 Sie fgt sich in den systematischen Gesamtrahmen des System ein, in dem sich Cudworth zum einen mit einem Atheismus auseinandersetzt, der als Folge einer dezidiert materialistischen Position, nmlich des reduktiven Atomismus, anzusehen ist. Zum anderen bemht sich Cudworth um die Widerlegung deistischer Positionen. Die Status- und Positionsbestimmung der Weltseele an exakt dieser Stelle im System als „immediate, and, as it were, manuary Opificer of the whole world“ entspricht dabei keinesfalls der transzendenten Stellung, die Plotin (und auch Cudworth selbst an vorausgehender Stelle) der Weltseele gegenber der Welt zugesteht.103 Vielmehr gengt sie den argumentatorischen Ansprchen seines Systems an dieser – und nur an dieser – Stelle. Gerade die Abgrenzung der Weltseele als „manuary Opificer“ im Kontrast zum Geist-Logos als dem „architect“ macht diesen transformatorischen Eingriff manifest,104 denn sie çffnet auch terminologisch den systematischen Horizont, in dem Cudworth sein eigenes Konzept 102 Eine derartige Ausrichtung ist bereits an der Abgrenzung der Trinitt als dezidiert intelligibler Grçße gegenber der Schçpfung als dem Bereich des Stofflichen und der engen Lesart des t¹ fkom als Bezeichnung fr die stoffliche Schçpfung vorbereitet und – zumindest im Rahmen der neuplatonischen Metaphysik Cudworths – grundgelegt. Zum argumentatorisch-systematischen Zweck einer derartigen Perspektivierung des Gottesbegriffs bei Athanasius Kircher vgl. Leinkauf (1993), 309 f.: „Das die Realitt durchdringende und durchformende Wirken Gottes in der Welt, gleichsam sein ,Außenaspekt, interessiert hier im Grunde allein. An der Simplizitt des Gçttlichen also nicht die unbegreifliche, ber-rationale Einheit des dreifaltigen Wesens in sich selbst, sondern die ebenso unbegreifliche Entfaltung des Einen zu einer Vielheit, die im Grunde nichts an sich, sondern nur vielheitliches Subsistieren des Einen selbst, ohne Kontamination mit dem Vielheitlichen des Vielen ist.“ Eine sehr hnliche Intention darf man sicherlich auch dem Gebrauch der Texte und der gesamten Trinittsdiskussion Cudworths zugrunde legen. 103 Siehe u. a. Plotin, Enn. IV 3, 6, 20 – 25 und besonders die Darstellung der himmlischen Aphrodite als hçchster Seele in Enn. III 5, 2, 19 – 3, 34, von der Plotin allerdings ihrerseits die Weltseele klar unterscheidet, die auf die und in der Welt wirkt. Problematisch bleibt, dass die „Gesamtseele“ (B l³m fkg xuw¶), die eigentlich dem Seelenaspekt der Trinitt korrespondiert, von Plotin deutlich von der „Weltseele“ (B toO p²mtor [xuw¶]) unterschieden wird, die Cudworth allerdings im Moment beschreibt. Zur engen Verbindung der Weltseele mit dem Nous bei Plotin siehe z. B. Bergemann (2006), 159. 104 Zur noetischen Struktur Gottes, deren Vorgaben die trinitarische Weltseele im Vollzug der innergçttlichen per-se-Kausalfolge gleichsam bernimmt und befolgt, s. o. S. 141 f. mit Anm. 23 und S. 170 f.

304 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes der plastic nature entfaltet hat: In seinen Ausfhrungen zu dieser weltimmanenten Formkraft in System I, 238 – 239 vergleicht er die plastic nature mit dem einfachen Handwerker (weiqot´wmgr), der gleichsam die Anweisungen des ihm bergeordneten Architekten unreflektiert befolgt. Diese Art der terminologischen Engfhrung von Weltseele und plastic nature lsst die Weltseele zu dem Aspekt der Trinitt werden, aus dem sich die Formkrfte – mçglicherweise vermittelt durch die Physis – entfalten, die dann in der Welt deren teleologische Struktur aktuieren und gewhrleisten.105 Folgender Text Plotins kçnnte diese in eine gewisse Ambivalenz mndende Engfhrung als Hintergrundannahme sttzen oder motiviert haben, da in ihm die beiden Aspekte der Transzendenz und des schçpferischen Wirkens mit Hinblick auf die besondere Position der Weltseele zusammengefhrt werden: Doch es ist besser zu sagen, dass die Weltseele [geschaffen hat], weil sie enger verknpft ist mit dem Oberen [d. h. dem Geist]. Denn bei denen, die sich [nach Oben] wenden, ist die Kraft grçßer, denn sie bewahren sich ihren sicheren Ort und kçnnen so mit leichter Hand schaffen; denn es gehçrt in den Bereich der grçßeren Kraft, nicht affiziert zu werden in allem dem, an dem sie schafft [Hervorh. L. B.]. Die Kraft aber stammt aus dem Verharren im Oben. So bleibt also die Weltseele bei sich selber und die Dinge, die sie schafft, kommen [an sie heran].106

Im System allerdings scheint an dieser Stelle der Argumentation aufgrund von Cudworths Streben, seine Trinittskonzeption mit seinem ebenfalls zentralen Konzept der plastic nature zu verbinden, die Immanenz (des Wirkens) gegenber der Transzendenz (des Wesens) der Weltseele zu berwiegen. Daher wird der dritte Aspekt der Trinitt in hçherem Grade und intensiver in die stoffliche Welt eingebunden als es mit seiner bisherigen, die Transzendenz betonenden Bestimmung vereinbar ist. Die sich abzeichnende argumentatorische und systematische Spannung ist also Konsequenz der neuplatonischen Ontologie und der Position der Weltseele in ihr, die Cudworth in seine Trinitt zu integrieren versucht. Sie ergibt sich aus der Vermittlerfunktion der Weltseele als Schnittstelle zwischen gçttlicher Wirkeinheit einerseits und stofflicher Schçpfung andererseits, einer Schnittstelle, die die schçpferische Kraft gemß der an sie weitergegebenen noetischen „Filter“struktur im Stofflichen umsetzt, denn sonst bliebe das Wirken Gottes in der Welt unerklrlich, das sich in deren teleologischer Struktur ußert und durch das die als causa finalis fungierende plastic 105 Zur Physis vgl. System I, 235 – 237. Wie der Weltseele in System II, 394 Eigenschaften und Funktionen der plastic nature zugeschrieben werden, so in System I, 237 der Physis solche der Weltseele. Derartige Unschrfen bzw. ontologische Verschleifungen kçnnen als sprachlich-systematischer Ausdruck des mittleren und vermittelnden Charakters der (Welt-)Seele angesehen werden, die in ihrer ursprnglichen (und traditionellen) Funktion zwischen dem Bereich des Intelligiblen und dem des Stofflichen vermittelt; vgl. dazu Leinkauf (1993), 43 f. und Bergemann (2006), 142 – 147, bes. Anm. 405 und 406. 106 Plotin, Enn. IV 3, 6, 20 – 25, bs. HBT, leicht gendert.

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nature erklrt wird.107 Dabei betont Cudworth je nach argumentatorischem Zusammenhang und Notwendigkeit mal den Aspekt der Transzendenz, mal den der Immanenz. Indem Cudworth schließlich, wie noch zu zeigen ist, das Wirken des dritten Aspekts der Trinitt als ein Wirken bestimmt, das gleichzeitig in die Trinitt hinein und aus ihr heraus gerichtet ist, und er darber hinaus das Wirken Gottes nach außen in seiner ersten Phase als Kraft-Raum charakterisiert, versucht er eine Milderung dieser metaphysischen Spannung zu erreichen. Zu diesem Zweck muss er nachdrcklicher als bisher die Einheit dieser drei Aspekte als eine Gottheit unter Heranziehung antiker Referenztexte herausarbeiten und als allen Menschen gemeinsames Gedankengut erweisen. Nur auf diese Weise lsst sich das Problem der Subordination zumindest systematisch etwas abmildern, das, besonders nach derartigen Ausfhrungen, die Einheit Gottes umso mehr in Frage zu stellen droht. Der stofflichen Gottheit „Welt“ steht ganz allgemein die intelligible Gottheit gegenber, die durch Eines/Gutes, Geist und Weltseele konstituiert wird.108 Deren Einheit als Wirkzusammenhang sieht Cudworth nun weiterfhrend dadurch gewhrleistet, dass sich, gemß einem Porphyrius-Referat bei Kyrillos,109 das Wesen bzw. vielmehr die dynamische Substanz der Gottheit (B he¸ou oqs¸a) ber alle drei Hypostasen zusammen erstreckt, die derart zu einem einzigen, wenn auch in sich strukturierten Gott zusammengeschlossen werden, ganz dem Dogma von Niza entsprechend, das die Trinitt Gottes als Einheit einer Substanz (l¸a oqs¸a) aus drei gçttlichen Hypostasen (tqe?r rpost²seir) bestimmt.110 In diesem Kontext ist die Differenzierung, die Cudworth zwischen oqs¸a und rpºstasir vornimmt,111 unbedingt mitzuverstehen: 107 Zur „Filter“struktur siehe oben das Zitat aus System II, 394 und zustzlich 400 – 401, wo Cudworth ausfhrt, die neuplatonische Trinitt beantworte gerade aufgrund ihrer subordinierenden Binnendifferenzierung, die allerdings nicht die substantielle Einheit Gottes gefhrde, die Frage „how it [the Deity] should contain the distinct ideas of all things within itself, and that multiform platform and paradigm of the created universe, commonly called the archetypal world“, und biete ebenfalls eine Lçsung fr das Problem, „how the Deity should have any commerce or intercourse with the lower world.“ 108 System II, 401 – 403. 109 Die Wahl Kyrillos als (spt-)antike Referenz an dieser Stelle ist sicherlich kein Zufall, wenn man bedenkt, dass Kyrillos fr Cudworth zugleich als Gegner der Arianer und als Vertreter einer eher dynamischen Trinittskonzeption gelten konnte. Das wiederum ist auf die trinittsrelevanten Prinzipienspekulationen des Porphyrios selbst zurckzufhren, dazu (im Rekurs auf Pierre Hadot) Beierwaltes (1985), 198 – 201. Porphyrios „Denkstruktur [..] kommt der christlichen Theologie entgegen“, denn diese „[musste Gott] als denkende trinitarische Relation entfalten“ (ebd. 198), eben um seinem Bezug zur Schçpfung gerecht werden zu kçnnen. 110 System II, 403. Zur Trinittsversion von Niza vgl. Leinkauf (1993), 105 und Kany (2007), 198 – 210. 111 Zu dieser wesentlichen Differenzierung und ihrer systematischen Bedeutung bei Marius Victorinus, der seinerseits die Spekulationen des Porphyrius fortsetzt, siehe Beierwaltes

306 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes Wherefore, this essence of the Godhead, that belongeth to all three hypostases, being, as all other essences, perfectly indivisible, it might be well affirmed, according to Platonic grounds, that all the three divine hypostases (though having some subordination in them) yet in this sense are co-equal, they being all truly and alike God or uncreated. And the Platonists thus distinguishing betwixt oqs¸a and rpºstasir, the essence of the Godhead, and the distinct hypostases or personalities thereof, and making the first of them to be common, general and universal, are not without the consent and approbation of the orthodox fathers herein; […]112

Die oqs¸a wird so zu einer Art dynamischer, plastischer und verbindender Matrix, aus der sich die drei entsprechenden Hypostasen herausbilden, durch die sie aber immer miteinander als ein Gott verbunden bleiben. Die Hypostasen werden dementsprechend zu spezifischen Ausformungen der einen Ousia-Matrix, befinden sich also alle drei auf derselben ontischen Ebene. So kann Cudworth schließlich in System II, 423 behaupten: „ […] the true [!] meaning of that creed to be this, tha[t] no person in the Trinity is greater or less than other, in respect of the essence [Hervorh. L. B.] of the Godhead common to them all“.113 Da diese Stelle in Form der berlegung eines „Platonic Christian“114 das Argumentationsziel markiert, auf das Cudworth mit dem aus Kyrillos gewonnenen Porphyrius-Zitat hinsteuert, sei dieser Abschnitt, den es im Folgenden auszulegen gilt, zum besseren Verstndnis der gesamten Argumentation Cudworths hier vorwegnehmend herangezogen und interpretiert: Wherefore according to this distinction, betwixt the essence or substance of the Godhead, and the particular hypostases (approved by the orthodox fathers), neither Plato, nor any intelligent Platonist, would scruple to subscribe that form of the Nicene council, that the Son or Word is bloo¼sior, “co-essential,” or “consubstantial,” and “co-equal” with the Father, merely because he was God, and not a creature. Besides which, the genuine Platonists would doubtless acknowledge also all the three hypostases of their trinity to be homoousian, co-essential or consubstantial, yet in a farther sense than this; namely, as being all of them one He?om, or “Divinity.” For thus, besides that passage of Porphyrius before cited, may these words of St. Cyril be understood concerning them: L´wqi tqi_m rpost²seym tμm oqs¸am toO HeoO pqos¶jeim Qswuq¸fomtai, “That according to them, the essence of God extendeth to three hypostases, or comprehendeth three hypostases in it [Hervorh. L. B.]:” that is, not only so as that each of these three is God; but also that they are not so many separate and divided Gods, but all of them together one God or divinity. For though the Platonists, as Pagans, being not so scrupulous in their language as we Christians are, do often call them three Gods, and a first, a second, and third God; yet notwithstanding, as philosophers, did they declare them (1998), 25 – 35. Den Ausfhrungen Beierwaltes zur Ousia bei Victorinus sind die folgenden berlegungen zum Ousia-Begriff Cudworths sachlich verpflichtet. 112 System II, 419. 113 Vgl. auch die Ausfhrungen in System II, 432 f. 114 System II, 421.

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to be one He?om or divinity; and that, as it seems, upon these several accounts as following. First, because they are indivisibly conjoined together, as the splendour is indivisible from the sun. And then, because they are mutually inexistent in each other, the first being in the second, and both first and second in the third. And lastly, because the entireness of the whole divinity is made up of all these three together, which have all l¸am 1m´qceiam, “one and the same energy” or “action” ad extra [Hervorh. L. B.].115

Cudworth nimmt hier den Gedanken des „one He?om“, der im Zuge seiner religionsphilosophischen Interpretationen zum antik-paganen Gottesbegriff eine zentrale Rolle spielte, wieder auf und erweitert seinen semantischen Gehalt hinsichtlich der trinitarischen Binnenstruktur des einen Gottes und hinsichtlich der Erklrung derselben. Cudworth scheint dabei in seiner sprachlichen Engfhrung zwischen nizischem Trinittskonzept und neuplatonischer Ontologie den Eindruck erwecken zu wollen, als ob auch die Neuplatoniker ihre drei intelligiblen Hypostasen als „co-essential“ nach dem Modell der peqiw¾qgsir dchten.116 Neben einer terminologischen Angleichung (Cudworth verwendet in Bezug auf die Neuplatoniker exakt dieselben Begriffe wie in seinem Referat ber das Konzil von Niza) sind allerdings auch die Transformationen, die Cudworth in seinen Ausfhrungen zur neuplatonischen Trinitt gegenber der christlichen Variante vornimmt, zu beachten, die das Spezifische seiner eigenen „Variante“ konturierter hervortreten lassen und das bisher Gesagte weiter sttzen und przisieren kçnnen. Betont wird zunchst, in einer dezidiert neuplatonischen Exegese des Infinitivs pqos¶jeim, die emanative, sich auf sich selbst erstreckende Dynamik der neuplatonischen Trinitt:117 Gottes Wesenheit erstreckt sich ber alle drei Hypostasen. Cudworth nimmt diese Vorstellung in seinem ersten Punkt zur Begrndung der trinitarischen Einheit des (neu-)platonischen Gottes direkt auf, indem er das Verhltnis der Hypostasen zueinander mit dem der Sonne zu dem von ihr ausgestrahlten Glanz oder Licht vergleicht, womit er, wie bereits erwhnt, auf eine der Zentralmetaphern neuplatonischer Metaphysik zurck115 System II, 420. 116 Zur (neu-)nizischen Trinittskonzeption bei Augustinus, die fr Cudworths Ausfhrungen eine mindestens hermeneutische Relevanz besitzt, s. Kany (2007), 198 – 210. Anders als Cudworth in seinem dezidiert neuplatonisch-dynamischen Denken setzt Augustinus die Begriffe oqs¸a und rpºstasir gleich, whrend Cudworth rpºstasir und persona synonym gebraucht, wohl beeinflusst durch die neuplatonisch-hermetische Vorstellung der Ousia-Monade. 117 Armour bestimmt die Wesenheit Gottes ebenfalls dynamisch, geht aber nicht auf die Bedeutung des pqos¶jeim in diesem Kontext ein. Damit allerdings ist ihm, meiner Ansicht nach, das Verstndnis der Liebe in Gott als reflexives Moment nicht mehr mçglich. Er sieht die drei Hypostasen Gottes hingegen als „expressions“ und belegt sie damit mit einem Ausdruck, der immer noch zu statisch oder einseitig ist bzw. modifiziert werden sollte (siehe z. B. Armour, in Hedley/Hutton [2008], 121).

308 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes greift, mit der das Energeiai-Schema verdeutlicht wird. Wie allerdings kommt er dazu, diese Form des Verhltnisses zwischen Ursache und Verursachtem mit der deutlich davon verschiedenen peqiw¾qgsir gleichzusetzen? Bzw., wie verbindet er das Energeiai-Schema mit der Perichoresis-Vorstellung? In seiner bersetzung des Kyrillos-Zitats erweitert Cudworth den semantischen Horizont des Wortes pqos¶jeim zu diesem Zweck auf eine signifikante Weise: Zustzlich zu „extendeth […]“ bekommt das Verb dieselbe Bedeutung wie das bereits mehrfach angesprochene und fr die Beschreibung von Abhngigkeitsverhltnissen in der neuplatonischen Ontologie Cudworths zentrale peqi´weim („or comprehendeth three hypostases in [Hervorh. L. B.] it“). So fhrt Cudworth seine berlegungen zum hçchsten Aspekt Gottes, dem 4m pq¹ p²mtym, weiter, dessen Bestimmung als „Love of redundancy and overflowing fullness and fecundity“ nun in neuplatonischer metaphysischer Terminologie innertrinitarisch ausgedeutet wird, denn die „Liebe“ wird jetzt zur „oqs¸a“, die alle gçttlichen Hypostasen in sich umgreift und miteinander verbindet. Allerdings scheint Cudworth dabei den Begriff des peqi´weim nach zwei Seiten hin zu verstehen und nutzt eine Art unscharfen Gebrauchs der Prposition „in“ fr sich aus.118 Zum einen soll mit diesem Begriff offenbar die wechselseitige Ineinanderexistenz und Durchdringung von Vater, Sohn und Geist in einer Substanz und durch eine Substanz (ousia) als eine dynamische Relation, eben die peqiw¾qgsir, betont werden: „[…] they are […] all of them together [Hervorh. L. B.] one God“ und (der erste Teil des Satzes) „[…] they are mutually [Hervorh. L. B.] inexistent in each other“. Hier kçnnte man Plotin, Enneade V 8, 9, 6 – 9 und 10 – 18 als Hintergrundvorstellung vermuten,119 eine Stelle, in der allerdings nicht das Verhltnis unterschiedlicher Hypostasen zueinander, sondern viel118 Als ein Transformationsfilter fr die Vorstellung der doppelten Liebe Gottes kçnnte Bonaventura gelten, der diesbezglich nach Beierwaltes (1998), 92 f. bereits eine diffusio ad intra und eine ad extra unterscheidet. Besonders interessant sind Beierwaltes Ausfhrungen zur „inneren Selbst-Entfaltung“ (ebd. 92) Gottes bei Bonaventura. Denn bereits Bonaventura verschrnkt offenbar im Begriff der „circumincessio“, der dem griechischen peqiw¾qgsir entspricht (siehe dazu Antognazza, in Mulsow [2009], 61 f.), Gottes „Liebe“ und das „Sich-selbst-Denken“ Gottes zu einer einheitskonstituierenden Potenz und geht damit, so Beierwaltes, deutlich ber Proklos Prinzipien- und Dionysios Trinittsspekulationen hinaus (Beierwaltes [1998], 94 – 96). 119 Enn. V 8, 9, 6 – 9: „So, wie bei einer durchsichtigen Kugel es in Wirklichkeit wohl mçglich ist, dass alles in [Hervorh. L. B.] ihr gesehen werde. Es sei also in der Seele eine Vorstellung einer lichten Kugel und enthalte alles in [Hervorh. L. B.] sich selbst“. Zusammen mit V 8, 9, 14 – 18 und 24 – 27: „Er aber mçge kommen und seine eigene Welt mitbringen, zusammen mit allen den Gçttern in ihr, whrend er, als einer, sie alle ist und jeder einzelne alle ist, die wiederum zu einem zusammensind, und sie einerseits nach ihren Krften unterschiedlich sind, andererseits sind sie aber durch eben jene eine Kraft, die vielheitlich ist, alle einer: vielmehr ist der Eine alle. […] Tatschlich ist er All-Kraft, die ins Grenzenlose fortschreitet, aber auch ins Grenzenlose krftig ist; und so groß ist jener, dass auch seine Teile grenzenlos sind“ (bs. HBT).

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mehr das des Nous zu sich selber und zu den Ideen, die er selber ist und die mit ihm identisch sind, thematisiert wird, – also eine bereits bekannte Vorstellung, die Cudworth auf das Verhltnis verschiedener gçttlicher Personen/Hypostasen zueinander bertrgt.120 Dabei scheint sich fr ihn das gçttliche Wesen (ousia) in seinem innertrinitarischen Akt der Emanation im pqos¶jeim und im peqi´weim gleichsam perichoretisch zu realisieren. Die semantische Transformation, die Cudworth an dieser Stelle vornimmt, um in einer Kombination verschiedener ontologischer Vorstellungen zentrale Zge der christlichen Trinitt und der von ihm konstruierten neuplatonischen Trinitt bzw. Metaphysik zusammenzufhren, zeigt sich abschließend an seinem Gebrauch der Konzepte bzw. Begriffe „mutually“ und „l¸am 1m´qceiam“. Wie erwhnt, scheint Cudworths Formulierung „they are mutually inexistent in each other“ das christliche Konzept der peqiw¾qgsir zu implizieren. Cudworth allerdings schrnkt dieses Konzept in aufflliger Weise ein: „the first being in the second, and both first and second in the third“. Wre an dieser Stelle von einem „echten“, perichoretischen, wechselseitigen Ineinander die Rede, msste auch das Zweite im Ersten und entsprechend auch das Dritte im Zweiten und Ersten sein. Cudworths Formulierung kann eigentlich nur Eines insinuieren: dass er auch dieses Ineinander als neuplatonische per-se-Kausalfolge versteht, die eine Wirkeinheit bildet.121 Diese Annahme lsst sich durch eine Analyse seines Gebrauchs der Wendung „l¸am 1m´qceiam“ weiter sttzen. Zunchst lsst sie in diesem argumentatorischen Zusammenhang an Plotin, Enneade V 3, 5, 41 – 43 denken,122 wobei Cudworth weiterhin Aussagen, die sich bei Plotin nur auf den Nous beziehen, auf die gesamte Trinitt, von der der Nous ja lediglich ein Teil ist, anwenden wrde:123 „Ist [der Nous] also Energeia und sein Wesen seine Energeia, dann wird er wohl Eines sein und dasselbe aufgrund der Energeia. Eines ist auch aufgrund der 120 In diesem Zusammenhang wurde bereits Cudworths Gebrauch der griechischen Termini 1mup²qweim und sumup²qweim interpretiert. 121 Auch mit System III, 99 – 100 lsst sich diese Vorstellung sttzen: „But that the genuine Platonists did universally suppose that one substance might be caused by another, and derive its whole being from it, is undeniably evident from hence, because their second divine hypostasis or substance, (though eternal) was according to them derived from or begotten by their first, and their third hypostasis or substance produced both from the first and the second; and other inferior orbs of being, as the particular souls of demons and men, from that whole trinity of divine hypostases jointly concurring.“ 122 Kany (2007), 514 – 515 geht bei seiner Analyse des Einheitskonzepts, das Augustinus in De Trinitate entwickelt und das, wie noch zu zeigen ist, in wesentlichen Zgen dem Cudworths korrespondiert, davon aus, dass (bereits) Augustinus diesen Text Plotins in Gebrauch nimmt. 123 Leinkauf (1992), 741 f. erlutert diese Ausdehnung oder Projektion noetischer Strukturen auf Gott insgesamt in Bezug auf Ficino. Cudworth kann also auch diesbezglich bestehende Transformationsprozesse und deren Ergebnisse bernehmen und in seinem Sinne funktionalisieren.

310 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes Energeia das Seiende und das Denkobjekt. Eines werden wohl alle zugleich sein, Geist, Denken, das Denkobjekt.“ (bs. nach Beierwaltes).124 Die Cudworth-spezifische systematische Fokussierung und Transformation erfhrt dieses Philosophem durch den relevanten Zusatz: „[…] the entireness of the whole divinity is made up of all these three together, which have all l¸am 1m´qceiam, „one and the same energy“ or „action“ ad extra [Hervorh. L. B.]“.125 Auf diese Weise wird aus einem bei Plotin im wesentlichen in epistemologischen Kontexten vorgebrachten Argument126 in seiner Ausweitung und spezifischen Umprgung ein Konzept fr die trinitarische Einheit Gottes hinsichtlich ihrer Schçpfungsdynamik, ihrem transitiv nach außen gerichteten Wirken auf die Welt hin und in sie hinein. Im Verbund mit den bisher angestellten Analysen zu Cudworths eigenen Trinittsspekulationen, denen gemß sich die gçttlich-intelligible Dreiheit als eine in sich dreifach differenzierte Wirkeinheit darstellt, als der eine theistische Gott, ist zu vermuten, dass Cudworth zudem das Energeiai-Schema zum OusiaDynamis-Energeia-Schema des spteren Neuplatonismus erweitert und es so seinen eigenen Anforderungen entsprechend umformt.127 So ist der Sinn dieser Aufnahme der frheren Trinittsbeschreibung u. a. auch darin zu sehen, die bereits etablierte metaphysische Terminologie vom dynamischen Verhltnis zwischen oqs¸a und den verschiedenen Hypostasen als Hintergrund der entsprechenden und bekannten Metaphern erkennbar werden zu lassen, um so weitergehend die eigene Konzeption von Trinitt zu plausibilisieren. Der „infinite goodness“ als dem hçchsten Aspekt kçnnte diesem Interpretationsvorschlag zufolge die Position der Ousia-Monade zugewiesen werden, die sich ebenso wie bei den Neuplatonikern auch bei Cudworth durch ihr produktives Verharren (l´meim) in der Transzendenz auszeichnet. Damit korrespondiert sie dem Aspekt des !l´hejtom, des Unteilgehabten, in der (spt-)neuplatonischen Ontologie.128 Der Nous, die zweite gçttliche Person/Hypostase, wird allein aufgrund der berbordenden Gte des Ersten aus diesem hervorgebracht, wie es z. B. von Plotin in Enneade V 4, 2 beschrieben wird.129 Als Weisheit ist er das, 124 Siehe Bergemann (2006), 110 – 111. 125 Hier greift Cudworth mit „l¸a […] one and the same [Hervorh. L. B.] […]“ dezidiert die u. a. von Ambrosius und Augustinus in der Debatte mit der „Ostkirche“ bernommene Vorstellung auf, „Gottes opera ad extra [Hervorh. L. B.] seien unteilbar“ (Kany [2007], 225), funktionalisiert und perspektiviert sie aber entsprechend seiner immer auch naturphilosophischen Argumentation. 126 Siehe Bergemann (2006), 61 – 68 und 106 – 114. 127 Zur Ausgestaltung dieses Schemas als Binnenstruktur einer Hypostase siehe Bergemann (2006), 225 – 233; siehe auch oben S. 45 f. und S. 215 f. zu Zeus-Minerva-Juno. 128 Vgl. Cudworths Ausfhrungen zur ersten Hypostase in System II, 393, besonders die Wendung in dem dort angefhrten Zitat aus Enneade V 1, 6: „[…] 1n aqtoO d³ l´momtor“ ber das Eine, das den Nous hervorbringt. 129 Dazu s. o. S. 294 – 296.

6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes

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an dem die Weltseele partizipiert.130 Damit kommt ihm im Rahmen der Binnendifferenzierung die Position der Dynamis oder des unmittelbar Teilgehabten (letewºlemom) zu. Die Weltseele, die dritte Hypostase, wird auch von Cudworth, wie gerade gezeigt, eindeutig als diejenige bezeichnet, die am Nous partizipiert. Zugleich nennt er sie „effectiveness“131 in dem Sinne, dass sie das durch den Nous vermittelte berborden des ersten Aspekts in eine konkrete Wirkung verwandelt: „This [the Soul of the world] is that which reduces both the fecundity of the first simple Good, and also the immoveable wisdom and architectonic contrivance of the second into act or energy.“132 Diese Kombination, einen Aspekt als partizipierenden (let´wom) und als das, was als Wirkung teilhat am bergeordneten, einzustufen, ist typisch fr den dritten und abschließenden Aspekt des neuplatonischen Triadenschemas: die 1m´qceia. Als „effectiveness“ ist die Weltseele die „Wirkung“ der dynamischen Binnentriade Gottes und derart dessen „action ad extra“,133 nmlich Wirken und Wirkung auf die Welt hin und in ihr.134 Diese Orientierung Cudworths am Ousia-Dynamis-EnergeiaSchema zeigt zunchst, wie sehr Cudworths Trinittsspekulationen an seine naturphilosophischen Prmissen, die eine wirkende Immanenz Gottes in der Natur verlangen und voraussetzen, rckgebunden bleiben. Als Binnenaspekte in diesem Sinne kçnnen „goodness“, „wisdom“ und „active love or power“ eine ontologische Einheit bilden, so dass die Konzepte von Einheit, Trinitt und Theismus miteinander vereinbart sind. Derart ist zwar das Konzept der peqiw¾qgsir ber die Funktionsausweitung der Ousia zur dynamischen, zusammenfgenden und verbindenden Matrix in Cudworths eigene Argumentation eingeflossen, aber die Begriffe, die christliche und neuplatonische Vorstellungen miteinander vernhen sollen, erfahren bei Cudworth systematische Umprgungen, die einerseits den Bedeutungshorizont beider terminologischen Felder ausweiten bzw. verndern, gleichzeitig aber auch den semantischen Schwerpunkt auf das verlagern, worum es Cudworth immer wieder geht und in der Auseinandersetzung mit Zeitgenossen wie Descartes, Hobbes und Glisson gehen muss: auf eine Theorie, die Gottes Immanenz in der Welt in dessen trinitarischer Struktur begrnden kann und damit die innerweltlichen Prozesse transparent und erklrbar macht hin auf die transzendenten Strukturen der all-schçpferischen Ursache Gott – so wird aus der selbstreflexiven, auf sich und in sich gewendeten Energeia des Plotinischen 130 Cudworth betont diese Teilhabe ausdrcklich in System II, 393 – 394: „The third, Xuw¶, ,Self-moveable Soul; Goodness and Wisdom by participation [Hervorh. L. B.], […]“. 131 System II, 394. 132 System II, 394. 133 System II, 420. 134 Auch wenn Cudworth diese Identifikation im publizierten Teil seines System nicht vornimmt, liegt die Vermutung nahe, diese Weltseele als schçpfungsausgerichteten Modus Gottes mit dem „Raum“ (space) zu identifizieren.

312 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes Nous die eine Energeia, die sich nach außen richtet und trotzdem zugleich fr eine nach hnlichem Muster gedachte innere Einheit Gottes stehen soll. Zu diesem Zweck amalgamiert Cudworth die verschiedenen ontologischen Anstze der peqiw¾qgsir, der Emanation, des Energeiai- und des Ousia-Dynamis-Energeia-Schemas, des Konzepts der ersten Ursache als d¼malir p²mtym und der komplexen Darstellung der Binnendifferenzierung und selbstreflexiven Einheit des Nous bei Plotin zu einer neuen Konfiguration der Trinitt, die sowohl dogmatischen als auch den Ansprchen seines eigenen Systems gengen soll.135 Von diesem Argumentationsziel her, das zugleich als Weiterfhrung der religionsphilosophischen Interpretationen aus Kapitel 4 des System zu verstehen ist, sind nun, gleichsam aus der Rckschau, ebenso Cudworths Ausfhrungen zur Trinitt in System II, 402 f. zu verstehen, die Cudworths spezifische Transformation des neuplatonisch-paganen und des christlichen Trinittskonzepts vorbereiten und unterfttern.136 Nachzuzeichnen ist nun genauer, wie Cudworth vorgeht, um diese komplexe Konfiguration aus dem (spt-)antiken Material abzuleiten. Ausgehend von der aus Kyrillos abgeleiteten Vorstellung, einer das ganze gçttliche Prinzip dynamisch durchziehenden und dabei zu einer Einheit verbindenden Ousia (Wesen- oder Seinsheit) Gottes, hebt Cudworth den Kontinuittsaspekt des Plotinischen Energeiai-Schemas hervor, das seinen Erçrterungen wie gezeigt zugrundezulegen ist. An dieser Stelle jedoch wird dieser Aspekt von ihm in einem christlichen Sinne umfunktionalisiert, da aus der durch dieses Schema verbrgten hnlichkeit der Hypostasen deren Gleichheit wird.137

135 Cudworth benennt diesen argumentatorischen Zweck klar in System II, 421 und weist ebenfalls darauf hin, dass auch die christliche Perichoresis keine absolute Identitt bedeuten kann – auch hier kann nur Gott-Vater das absolut erste, alles hervorbringende Prinzip sein. Bezeichnenderweise und kraftmetaphysisch beraus relevant wird dann in 422 der „omnipotentissimus Deus“ zustzlich durch ein Plotin-Zitat ebenso als d¼malir B pq¾tg und als p²mtym t_m emtym dumat¾tatom charakterisiert. Mçglicherweise ist Cudworth zu diesem synthetisierenden Vorgehen durch Ficino motiviert worden, der in seiner lateinischen Konzeption des Ousia-Dynamis-Energeia-Schemas (essentia-virtusoperatio) der operatio die metaphysische Doppelheit von operatio ad extra und (!) operatio ad intra zuerkennt, siehe Leinkauf (1992), 740. Zuvor unterscheidet bereits Bonaventura im Zuge der Explikation der Gte/Gutheit Gottes eine diffusio ad intra von einer der Schçpfung zugewandten diffusio ad extra, siehe Beierwaltes (1998), 62 f. 136 Cudworth nimmt dasselbe Kyrilloszitat wie in System II, 403 in II, 420 wieder auf. 137 Dass sich Cudworth des metaphysischen Sachverhalts der „hnlichkeit“ zwischen Ursache und Verursachtem, die allein durch das Energeiai-Schema gesichert ist, bewusst ist, zeigt z. B. System II, 398 – 399, bes. 399: „The chief ground of this Platonick doctrine of an essential dependence, and therefore gradual subordination, in their trinity of hypostases, is from that fundamental principle of their theology, that there is but one Original of all things, and l¸a pgcμ t/r heºtgtor.“ Cudworth nimmt diese berlegung in System II, 406 fast wçrtlich auf. Die Ausfhrungen zum Gebrauch der Plotinischen

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Diese Form der binnendifferenzierten Wesens-Einheit bersteigt dabei fr Cudworth jede Form irdischer Einheit und lsst sich letztendlich nur unter der Verwendung der traditionellen, absoluten Metapher des Verhltnisses zwischen Sonne und Licht analogisch und approximativ veranschaulichen:138 Cudworth identifiziert in diesem Fall die im Energeiai-Schema begrndete Kontinuitt zwischen der hervorgehenden Energeia (1m´qceia 1j t/r oqs¸ar) und der sie hervorbringenden wesentlichen Energeia (1m´qceia t/r oqs¸ar) mit dem SichErstrecken der Ousia (pqos¶jeim) innerhalb der gçttlichen Triade,139 sodass die drei Hypostasen Eines-Geist-Weltseele aufgrund des solchermaßen etablierten kontinuierlichen Zusammenangs eine einzige Gottheit, ein einziges Wesen bilden. Diese Fortschreibung und Weiterfhrung neuplatonischer Terminologie soll dann durch eine Passage aus Plotins Enneade V 1 gesttzt werden,140 um klarzustellen, dass diese drei Hypostasen nicht in dem Maße subordiniert sind, dass es dem christlichen Dogma widersprche.141 Seine berlegungen fhrt Cudworth schließlich dahingehend zusammen, dass er den theologisch aufgeladenen Begriff der Perichorese mit 1lpeqiw¾qgsir zur Bezeichnung des Verhltnisses zwischen den Hypostasen aufgreift und damit deren Verhltnis zueinander von einer emanatorisch- wirkeinheitlichen Kontinuitt zu einem „mutual inbeing“142 erweitert. Cudworths Ausdeutung dieses Begriffs im Anschluss an seine bisherigen Ausfhrungen zeigt wie in einem Brennglas seine Bemhungen um einen Ausgleich zwischen neuplatonischen Positionen und christlich-orthodoxem Trinittsdogma, d. h. zwischen dem Energeiai-Schema einerseits und der (Em-) Perichoresis andererseits. Whrend der Begriff der 1lpeqiw¾qgsir selbst offenbar einem christlichen Kontext entstammt, erfolgt seine Auslegung mit den Mitteln der neuplatonischen Metaphysik, die schließlich in die bereits erçrterte Interpretation der Trinitt in System II, 420 mnden wird: Zweite und dritte Hypostase sind in dem Sinn im Einen, dass sie von ihm als ihrer Ursache umfasst werden. Die erste Hypostase hingegen ist als erste in den beiden nachfolgenden zumindest in analoger (und noch zu modifizierender) Weise wie die Ursache im Verursachten, wobei Cudworth dieses In-Sein nach dem mittlerweile bekannten Denkmuster als Ent-

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Nous-Spekulationen in diesem Kontext zeigen, auf welchem Weg Cudworth zu dieser Gleichsetzung gekommen sein kçnnte. System II, 406 – 407. Hier kann Cudworth auf seine Auslegungen zum Hen-kai-pan-Motiv der antik-paganen Religion zurckgreifen, das er ja ebenfalls unter Bezug auf die kontinuierlich bestehende Verbindung zwischen Gott und Schçpfung erklrt. System II, 406. Vgl. die Wendungen oq wyqishe·r ; letan» oqd´m in diesem Text. Allein die Formulierung ¢r t0 2teqºtgti lºmom jewyq¸shai passt nicht ganz in das Bild der strengen Wesensgleichheit und muss von Cudworth daher bewusst ignoriert werden. Da Cudworth in diesem Fall tief in die Transformations„trickkiste“ greift, stçßt sein Vorgehen bei Mosheim auf Kritik, siehe System II, 406, Anm. 1. System II, 407.

314 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes faltung bzw. Sich-Erstrecken der ersten Hypostase in die anderen beiden hinein und zusammenfassend durch sie hindurch versteht: Nous und Weltseele sind das Eine/Gute „itself gradually displayed and expanded“143. „Expanded“ lsst dabei an den Terminus pqos¶jeim denken. Schon hier liegen zwei vçllig unterschiedliche Formen des „In-Being“ vor, deren Differenz Cudworth durch die Homonymie und das vorweggeschickte, aber im Gebrauch ebenfalls durchaus ambivalente „mutual“ zu verschleiern versucht, das eine Statusgleichheit der Hypostasen insinuiert, auch wenn sich die Hypostasen in ihren Funktionen unterscheiden. Diese argumentatorische Taktik setzt Cudworth abschließend in einer Abfolge und Kombination von Platon- und Plotin-Zitaten um, die zeigen sollen, dass das Erste in wesentlicher Verbindung mit dem Geist und beide in Verbindung mit der Seele verstanden werden mssen, wobei das abschließende Plotin-Zitat144 darber hinaus die Einheit aller drei Hypostasen am beraus bekannten Bild von Zentrum, Radius und Peripherie, die zusammen einen Kreis ausmachen, illustriert.145 Da Plotin in diesem Bild die sphrische Bewegung der Seele in ihrem Streben nach dem Einen begrndet und man dieses Streben, wie z. B. Ficino in De amore darlegt,146 als Liebe verstehen und bezeichnen kann, lsst Cudworth, da er diese Seele als Trinittsaspekt betrachtet, seine Textkombination in eine Gottescharakteristik mnden, die schon seine Ausfhrungen zur Funktion Gottes in seinem Verhltnis zur plastic nature ebenso theologisch wie metaphysisch bestimmt und fundiert hat: These three Platonic hypostases therefore, seem to be really nothing else but infinite Goodness, infinite Wisdom, and infinite active Love and Power, not as mere qualities or accidents, but as substantial things, that have some kind of subordination one to another; all concurring together to make up one He?om, or “Divinity,” just as the centre, immoveable distance, and moveable circumference, concurrently make up one sphere. […] a trinity of hypostases, or subsistences, or persons […]147 143 System II, 407. 144 System II, 409 mit Plotin, Enn. IV 4, 16, 20 – 31. 145 Cudworth trifft dabei folgende Zuordnung: Gott-Vater = Zentrum, Logos/Sapientia/ Sohn = Radius (the immoveable circle or distance), (Welt-)Seele = „whole moveable circumference“ (System II, 408). Vergleicht man diese Zuschreibung z. B. mit der, die Athanasius Kircher vornimmt, msste die (Welt-)Seele dem Heiligen Geist entsprechen, der bei Kircher der „circumferentia“ zugeschrieben wird, siehe Leinkauf (1993), 231, Anm. 243. 146 De amore, oratio prima, cap. II und oratio secunda, cap. I. 147 System II, 408 – 409. Die Einschtzung der Differenzierung der Einheit Gottes in “Goodness” (Bonitas), “Power” (Potentia) und “Wisdom” (Sapientia) als “Platonic” lsst sich bereits bei Ficino nachweisen, der in seiner Paulus-Interpretation auf Platons Zweiten Brief verweist, siehe Allen (1984), 577 f. Allerdings nimmt Cudworth gegenber Ficino einige wesentliche semantische Verschiebungen vor. So werden “Goodness” und “Power” wesentlich strker in ihrer Bedeutung fr Gottes Wirken ad extra akzentuiert. Zudem geht Cudworth in seiner Einschtzung der bereinstimmung zwi-

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So kann Cudworth letztendlich, indem er die Trinitt als intelligible Wirkeinheit begreift, seinem bisherigen Ansatz entsprechend alle drei Hypostasen als „all eternal, necessarily existent and universal, infinite, omnipotent, and creators of the whole world“ bezeichnen, von denen er sagt: „which is all one, in the sense of the ancients, as if they should have affirmed them to be Homoousian [Hervorh. L. B.].“148 Da sie zusammen ein- und dieselbe Wirkung erzielen und diese miteinander vereint und verbunden hervorbringen, kann Cudworth diese drei Binnenaspekte nach dem Energeiai- und dem Ousia-Dynamis-Energeia-Schema auch als ein- und dieselbe Substanz, als ein- und dieselbe wesentliche Energeia ansehen. Das bedeutet zugleich, dass sie ein- und dasselbe Wesen besitzen und damit wesensgleich sind. Trotz der als „gradual subordination“ charakterisierten Binnendifferenzierung bleibt diese Triade somit eine Einheit, der ein Vorwurf der Hresie des Arianismus laut Cudworth nicht gerecht wrde. Zwar gibt er zu, dass die drei Hypostasen nicht im Verhltnis einer absoluten und vollstndigen Gleichheit bzw. Identitt zueinander stehen und eben aufgrund der dem Neuplatonismus wesentlichen hierarchischen Struktur – eigentlich – dem kirchlichen Dogma nicht gerecht werden (kçnnen).149 Da zudem schen platonischer und christlicher Trinittskonzeption wesentlich weiter als Ficino (und auch Pico, Plethon oder Bessarion, die alle der platonischen Trinitt die Wesensidentitt klar absprechen, dazu Allen [1984], 555 – 559 und 570 f.). Cudworth mindert seine Behauptung lediglich durch das “as if”, geht also davon aus, dass Platoniker und Christen trotz der Unterschiede im Ausdruck dasselbe meinen. 148 System II, 409. Gezeigt werden soll, wie Cudworth dazu gekommen sein kçnnte, in System II, 420 f. alle diese berlegungen explizit zusammenzufhren und dabei das Energeiai-Schema Plotins und das Ousia-Dynamis-Energeia-Schema des spteren Neuplatonismus mit der Vorstellung der trinitarischen (1l-)peqiw¾qgsir und der perse-Kausalfolge zur gçttlichen Wirkeinheit zu verschmelzen. Diese aus dem gemeinsamen transitiven Wirken begrndete Einheit dient Cudworth dazu, die Gesamteinheit Gottes einer mçglichen Binnensubordination berzuordnen. Dieser Abschnitt markiert gleichsam den Zielpunkt einer primr platonisch-neuplatonisch geprgten Trinittsspekulation, es sind die berlegungen des „Platonic Christian“ (System II, 421), die Cudworth noch weiter modifizieren wird. 149 Siehe System II, 410: „ […] because the Platonists dreamed of no such thing at all as one and the same numerical essence, or substance, of the three divine hypostases […] though they acknowledged none of those hypostases to be creatures, but all God, yet did they assert an essential dependence of the second and third upon the first, together with a certain gradual subordination; and therefore no absolute co-equality. […] that the most refined Platonism differed from the now received doctrine of the Christian church, in respect of its gradual subordination, is a thing so unquestionable evident, as that it can by no means be dissembled, palliated, or excused.“ Liest man diese Passage, stellt sich unwillkrlich die Frage, ob Cudworth damit nicht alles, was er selbst bisher zur neuplatonischen Trinitt und ihrer Charakterisierung als „homoousian“ (nur eine Seite vorher, lediglich abgemildert duch den Konjunktiv „as if they should have“) vorgebracht hat, abschmettert und widerlegt. Hieran zeigt sich deutlich die Spannung, in der sich Cudworth als Theologe und als systematischer Naturphilosoph neuplatonischer Prgung wiederfindet. In System II, 420, mit deren Interpretation ich die Interpretation

316 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes „Emanation“ fr Cudworth keine Zeugung aus dem Nichts bedeutet, wird auch nicht eine der zentralen Hresien des Arianismus begangen, der zufolge Christus aus dem Nichts gleichsam als vernderlich in der Zeit gezeugt wurde.150 An diesem Punkt wird erneut ersichtlich, welche zentrale Bedeutung die strenge Distinktion zwischen Ungeschaffenem/Intelligiblem und Geschaffenem/ Weltlich-Stofflichem fr Cudworths Trinittsbegriff neben dem neuplatonischen Argumentationszug besitzt. Keine der gçttlichen und zugleich intelligiblen Hypostasen darf als im christlichen Sinne geschaffene (als „creature“ oder „created“) gelten,151 da sich Cudworths Trinittsbegriff sonst sowohl den Vordieser Seiten begonnen habe, startet Cudworth dann allerdings einen abschließenden Versuch, diese Unterschiede zu verschleiern (palliate). Etwas zu kategorisch fllt Armours Einschtzung der Position Cudworths in diesem Kontext aus: „[…] Cudworth had no intention whatsoever of becoming a subordinationist“ (in: Hedley/Hutton [2008], 121), denn er bercksichtigt nicht die immer wieder auftauchenden positiven Bewertungen der neuplatonischen Trinitt durch Cudworth und die Verwebung dieser Konzeption mit der christlich-orthodoxen, die man auch dahingehend verstehen kann, eine subordinatorische Tendenz auch im Christlichen aufzuweisen. Zur in sich ambivalenten Einschtzung der Unvereinbarkeit christlicher und platonischer Konzepte bereits bei Ficino siehe Allen (1984), 563 f. Vgl. auch Hutton, in Szczucki (1983), 140 – 141. Cudworth versucht, ein Problem, das ihm bei Ficino durchaus schon in genau dem Kontext begegnet sein kçnnte, der sich ihm jetzt selber stellt, durch Harmonisierung zu lçsen, das derart nicht gelçst werden kann. Der Position Ficinos kçnnte Cudworth durch seine kombinierende In-Gebrauch-Nahme antiker und patristischer Referenztexte ausweichen, die die Spannung – zumindest oberflchlich – mildert. 150 Emanation bedeutet zwar ein Hervorgehen, aber eines, das sich berzeitlich und notwendig vollzieht (siehe dazu z. B. Beierwaltes [1985], 66). Zudem geht die hervorgebrachte Hypostase zwar als zweite Energeia aus der wesentlichen Energeia hervor, wird aber keinesfalls aus dem Nichts geschaffen. In Widerspruch zu Cudworths Verstndnis von Emanation an dieser Stelle scheint seine Auffassung in System III, 75 zu stehen: „For an imperfect substance, which once was not, to be brought into being by God, this is not impossible, in any of the forementioned senses; he having not only infinitely greater perfection, but also sufficient productive or emanative [Hervorh. L. B.] power.“ Der Widerspruch lsst sich beseitigen, wenn man, wie Cudworth es tut, als „Schçpfung aus dem Nichts“ hier eine Art intelligibel verursachter und gelenkter Emergenz des Hçheren, das vorher (noch) nicht war, aus dem ontologisch Niedrigeren versteht. Allerdings immer unter der Voraussetzung, dass dieses Hçhere im Sinne der Panspermie bereits protostrukturiert im Niedrigeren angelegt ist. 151 Vgl. in diesem Zusammenhang Cudworths Unterscheidung zwischen „religious worship“ und „creature worship“ in System II, 480 – 486, in der er seine Differenzierung zwischen „physiological“ und „philosophical theology“ hinsichtlich ihrer metaphysischtheologischen Reichweite ausfhrt. Die wahren Platoniker verehren die Hypostasen und damit die trinitarischen Aspekte der einen, intelligiblen und ungeschaffenen Gottheit, nicht aber irrtmlich vergçtterte irdische Phnomene: „It now appears from what we have declared, that as to the ancient and genuine Platonists and Pythagoreans, none of their trinity of gods, or divine hypostases, were independent, so neither were they cemgto· heo¸, „creature gods,“ but uncreated; they being all of them not only eternal

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wurf des Arianismus zuzçge als auch die entsprechende Hypostase vollstndig aus dem Einheitsgefge der Trinitt fiele. Diese Strategie schließt somit ebenfalls die bereits thematisierte und problematische, allzu intensive Annherung der Hypostase Weltseele an den Bereich des Stofflichen aus, eine Tendenz, die Cudworth an diesem Punkt seiner Argumentation selbst bei Plotin als „monstrous degradation“ scharf kritisiert.152 Es ist nach Cudworths mittlerweile hinreichend bekannter Ansicht die Verschleifung und Missachtung dieser zentralen Distinktion zwischen Kreatrlichem und Gçttlich-Intelligiblem, die dem antiken Polytheismus zugrunde liegt, der im Kern als, so Cudworth im Gefolge patristischer berlegungen, falsch verstandene Vergçttlichung des Irdischen anzusehen ist. Allerdings lsst sich die konsequente Distinktion und Abgrenzung des Intelligiblen vom Stofflichen im naturphilosophischen Rahmen des System, wie bereits erçrtert, nur schwer rechtfertigen und durchhalten. So sehr Cudworth sie bençtigt, um zumindest die Wesenseinheit seiner drei Hypostasen, d. h. Gottes, zu sichern, so sehr braucht er im Gegenzug die ontologische Vorstellung des Kontinuums, um die fr sein teleologisches Naturbild notwendige Immanenz des Gçttlichen im Materiellen erklren zu kçnnen. Seine Harmonisierungsbemhungen, einen theistischen Gottesbegriff in Verbindung mit einer teleologischen Naturphilosophie auf dem Fundament einer ebenfalls konstruierten neuplatonischen Metaphysik mit dem christlichen Trinittsdogma zu vereinbaand necessarily existent, and immutable, but also universal, that is infinite and omnipotent: causes, principles, and creators of the whole world. From whence it follows, that these Platonists could not justly be taxed for idolatry, in giving religious worship to each hypostasis of this their trinity. And we have the rather insisted so long upon this Platonic trinity, because we shall make use of this doctrine afterwards, in our defence of Christianity, where we are to show, that one great design of Christianity being to abolish the pagan idolatry, or creature worship, itself cannot justly be charged with the same from that religious worship given to our Saviour Christ, and the Trinity (the Son and Holy Ghost), they being none of them, according to the true and orthodox Christianity, creatures; however the Arian hypothesis made them such“ (System II, 480). Zum Begriff „Arianismus“ und seiner Verwendung in der Renaissance und der Frhen Neuzeit siehe z. B. Hutton, in Szczucki (1983), 140 – 141. 152 System II, 411. Cudworths Kritik scheint hier zudem theologisch-soteriologisch motiviert zu sein. Plotin geht es an der besagten Stelle in Enneade V 1, 2 um die Selbsterkenntnis der menschlichen Einzelseele, die ihren Wert und ihre Unabhngigkeit von allem Irdischen erfahren soll. Diese Erfahrung wird gleichsam ihre Erlçsung sein, der Beginn ihres Aufstiegs zum Einen. Cudworth kann als Christ – eigentlich – diese Form der Selbsterlçsung nicht tolerieren. Allerdings bedeutet sie weniger eine Abwertung der Weltseele, wie Cudworth, eingebunden in seine Trinittsspekulationen, behauptet, als eine Aufwertung der Einzelseele und eine Betonung ihres ebenfalls intelligiblen, nicht gefallenen Charakters. Vgl. Cudworths Bewertung derartiger Annherungen zwischen Welt- und Einzelseele in System II, 412 – auch hier sorgt sich Cudworth hauptschlich darum, dass dadurch die Weltseele allzu sehr dem Kreatrlichen angenhert werde. Die mçgliche Intention des Textes Plotins wird damit invertiert.

318 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes ren, fhren strukturbedingt zu systematischen Spannungen. Cudworth kann diese Spannungen nicht auflçsen, er kann lediglich einzelne Aspekte seines eigenen spannungsvollen Harmonisierungsgefges in bestimmten Argumentationszusammenhngen zulasten anderer (in diesem Fall den Aspekt der Intelligibilitt und Transzendenz zulasten des Aspektes der Kontinuitt und Immanenz) hervorheben und verabsolutieren. Dieses Vorgehen hat zwei Konsequenzen fr den weiteren Argumentationsverlauf: Zum einen ist Cudworth gençtigt, Plotin (als Begrnder des Neuplatonismus) neben den erwhnten Irrtmern auch eine mit der christlichen Ansicht bereinstimmende Lehre bezglich der Weltseele zuzuschreiben,153 um so die unabdingbare hermeneutische Basis der integrativen Methode seines Systems, die Annahme der prisca theologia und der pia philosophia, nicht zu gefhrden, die ja eine allen gemeinsame ursprngliche Wahrheit bei Heiden und Christen zugrunde legt. An dieser Stelle seiner Argumentation muss entsprechend die Transzendenz der Weltseele Plotins gegenber der Welt hervorgehoben werden.154 Zum anderen zieht dieses Vorgehen die Konsequenz nach sich, dass Cudworth mit seinen eigenen Darstellungen in Widerspruch gert. Ist ihm momentan die Weltseele, d. h. die dritte innergçttliche Hypostase, „not [Hervorh. L. B.] […] the immediate informing soul of the corporeal world, but a higher separate soul, or superior Venus“155, so war sie noch in System II, 394, wie gezeigt, als „the immediate, and as it were, manuary opificer of the whole world“ bezeichnet worden. Cudworth allerdings expliziert die Spannung, in der die Weltseele steht, zwar nach ihren beiden Polen, problematisiert sie selbst jedoch nicht. Vielmehr greift er nun seine Bestimmung Gottes als „infinite Goodness, infinite Wisdom, and infinite active Love and Power […] all concurring together to make up one He?om, or ,Divinity“ auf, die er bereits in System II, 408 – 409 entwickelt hat, und konzentriert sich im Folgenden darauf, die Funktion der Liebe in dieser ontologisch-theologischen Spannung entsprechend in zwei Richtungen zu entwickeln. Nachdem er also zuvor u. a. aufgrund der einen einheitlichen Wirkung Gottes nach außen fr dessen Einheit nach innen argumentiert hat, versucht er nun, vermittels seiner Explikation der doppelten Funktion der Liebe die transzendente Einheit Gottes und seine transitive, schçpfungszugewandte Wirkung miteinander zu vereinbaren. Dabei muss Cudworth den Ansatz, demzufolge die Ousia-Monade Gottes als Liebe die 153 Dies hat zur Folge, dass Plotin gleichsam zum Prototypen des „Christian Platonist, or Platonic Christian“ (System II, 415) avanciert. 154 System II, 414. 155 System II, 414. Diese Position schreibt er der Weltseele auch in System II, 349 zu, wo die Weltseele wie hier klar von den „particular created [Hervorh. L. B.] souls“ unterschieden werden soll.

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verschiedenen trinitarischen Aspekte in sich umfasst und miteinander wechselseitig verbindet, mit der Funktionalisierung der Weltseele als Energeia, die zugleich die diffusio ad intra und die diffusio Gottes ad extra bezeichnet, zusammendenken sowie mit dem perichoretischen Strukturmoment der gçttlichen Wirkeinheit vereinbaren. Aus diesem Grund besitzt die nun folgende Charakteristik der Gotteskonzeption, die der „Platonic Christian“ entwirft,156 zunchst starke Affinitten zu den Erçrterungen in System II, 393 – 394.157 Besonders die Beschreibung der in Status, Position und Funktion problematisierten und problematischen dritten Hypostase ist eng an den Formulierungen von System II, 394 orientiert. Dort bezeichnet Cudworth sie als „infinite, active, perceptive and animadversive power“ sowie als „a love of infinite activity“, hier als „infinite active love and power“.158 In beiden Fllen hebt er den dynamischen, schçpferischen Aspekt der Weltseele als abschließenden Aspekt der trinitarischen Wirkeinheit hervor, dem die semantische Ausrichtung der in den zitierten Texten gebrauchten Metaphern von Lichtausstrahlung und Ausstrçmen aus einer Quelle durchaus entspricht.159 Zugleich bereitet der Gebrauch der ebenso in eine christlich-theologische Semantik zu wendenden Begriffe „goodness“, „wisdom“ und „active love or power“ eine wesentliche Konfiguration ontologischer und theologischer Zge im dritten Aspekt der Trinitt vor, die nun die innere Struktur der Trinitt betreffen. Besondere Aufmerksamkeit verdient mithin auch an dieser Stelle die Wiederaufnahme der Charakterisierung der (Welt-)seele als „active love or power“, mit der zunchst die dritte Hypostase als „effectiveness“ ad extra ausgezeichnet worden ist. Wie kommt es zu dieser systematischen und bisher fr Cudworths Ontologie und Argumentation so wesentlichen Junktur von Weltseele – Liebe – Kraft als einer Hypostase Gottes? Zur Beantwortung dieser Frage sind metaphysische Hintergrundannahmen vorauszusetzen, die sich in Ergnzung zu den grundlegenden Denkmustern patristischer (und mittelalterlicher) Trinittsspekulation aus den Inhalten dreier Referenztexte ableiten lassen, die in ihrer Kombination und wechselseitigen Konfiguration das semantische Netz ergeben, das die Verbindung von Weltseele, Liebe und Wirkkraft als nach außen gerichtetem Aspekt der Trinitt 156 System II, 428. 157 Vgl. auch System II, 279. Zudem bindet Cudworth seine Erçrterungen damit eng an den Gottesbegriff zurck, den er seinen Ausfhrungen zur plastic nature zugrundelegt, siehe System I, 316 – 317, s. o. Kap. 4.1 „Cudworths Gott als sich entußernde Kraft“. 158 Eine entsprechende Vorstellung findet sich z. B. auch bei John Smith, der den Schçpfungsakt und Gottes Wirken in der Welt als Emanation der Liebe Gottes charakterisiert: „[…] all Divine productions or operations that terminate in something without Him, are nothing else but the free Effluxes of his own Omnipotent Love and Goodneß (Select Discourses [Cambridge, 1673], 140); siehe Schneewind (1998), 201, Anm. 8. 159 In System II, 294 nennt er sie daher auch „effectiveness“.

320 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes trgt: Zunchst ließe sich aus Plotin, Enneade III 5, 2, 19 – 32 ber die Gestalt der Liebesgçttin Aphrodite eine Verknpfung von Liebe und Weltseele zwar als drittem, aber auch als wesentlich transzendentem Aspekt der Trinitt ableiten. Plotin unternimmt in dieser Passage eine ontologische Ausdeutung der bereits in Platons Symposion 180d erwhnten „himmlischen Aphrodite“ als Hypostase „Seele“ und betont dabei deren Zugehçrigkeit und enge Verbindung mit dem Geist, aus dem sie zwar hervorgegangen ist, an dem sie aber eng orientiert bleibt.160 Durch einen Text dieser Art (und die in ihm verwendete Transzendenzterminologie)161 kçnnte Cudworth sich zustzlich motiviert sehen, eine spezifische, als Liebe konzipierte Form der Seele als Aspekt der Trinitt einzustufen. Die Identitt zwischen dieser metaphysisch aufgeladenen Aphrodite und ihrem „Sohn“ Eros, der Liebe, wird von Plotin dann in III 5, 2, 37 – 40 postuliert: Zusammen sind sie „gleichsam der Mittler […] zwischen dem Sehnenden und dem Ersehnten“, also „Liebe“.162 Dieser Eros ist nun bei Plotin dezidiert nicht auf die Schçpfung gerichtet (III 5, 3). Allerdings lsst sich diese Vorstellung leicht durch einen Text aus Ficinos De amore schçpfungstheologisch zur nach außen gerichteten Liebe Gottes erweitern: 160 „Die Himmlische [Aphrodite] muss nun, wenn es heißt, sie stamme von Kronos, und Kronos der Geist ist, notwendig die allergçttlichste Seele sein, die unmittelbar aus ihm kommt, ungetrbt aus dem Ungetrbten, und dort oben verharrt; sie will gar nicht in die hiesige Welt hinab, noch kann sie es, denn ihre Anlage verbietet ihr, im Niederen zu wandeln, da sie abgetrennte Substanz ist und der Materie unteilhafte Wesenheit (mutterlos hat man sie daher sein lassen und wollte damit dunkel auf ihr Wesen deuten), sie, die man wohl Gçttin mit Fug nennen mag und nicht Dmon, da sie unvermischt ist und rein bei sich selber verharrt. (Denn was unmittelbar aus dem Geiste erwuchs, ist auch seinerseits ein Reines, da es durch die Nhe zum Geist in sich selber stark wird; wie denn die eigene Begierde ebenso wie ihr Sitz (nahe dem Geist) die Seele auf den Erzeuger verweist, welcher stark genug ist, sie droben festzuhalten, von wo sie nicht herabstrzen wird, die mit dem Geist verknpfte Seele, weit eher noch als die Sonne festzuhalten vermag, was an Licht sie umstrahlt, aus ihr kommend und mit ihr verbunden“ (bs. HBT). Der Text enthlt nicht nur alle zentralen Charakteristika, in denen Cudworth die transzendente Position seiner bzw. der platonischen dritten Hypostase erfasst, sondern zustzlich die fr die Veranschaulichung des Verhltnisses zwischen Geist und Seele ebenfalls wesentliche Analogie zwischen Sonne und ihrem Licht bzw. ihren Lichtstrahlen. Dass Cudworth tatschlich diesen Text gekannt und mit ihm argumentiert haben kçnnte, zeigt seine Charakterisierung der dritten Hypostase in System II, 414 als „higher separate soul, or superior Venus [Hervorh. L. B.]“. Zur „himmlischen Venus“ bei Ficino siehe Scheuermann-Peilicke (2000), 159. 161 So heißt es beispielsweise von dieser Seele: 1n aqtoO !j¶qatom !jgq²tou le¸masam %my […] wyqistμm owsam tima rpºstasim ja· !l´towom vkgr oqs¸am […] %lijtom owsam ja· jahaq±m 1v 2aut/r l´mousam. 162 Zu dieser Funktion der „verbindenden Ttigkeit“ der Liebe vgl. Leinkauf (1989), 267. Leinkauf weist ebenfalls darauf hin, dass auch Athanasius Kircher in seinen synthetisierenden Ausfhrungen zur Liebe und zum Magneten „die Unterscheidung VenusAmor […] unter den Tisch fallen [lsst]“ (Leinkauf [1989], 281).

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Das Verlangen, die eigene Vollkommenheit auszubreiten, ist eine Art Liebe. Die absolute Vollkommenheit besteht in der hçchsten Macht Gottes. Diese wird von der gçttlichen Intelligenz angeschaut, und hieraus entspringt der gçttliche Willensentschluss, zum Hervorbringen aus sich heraus zu treten [Hervorh. L. B.]. Durch diesen Liebesdrang zur Vervielfltigung sind alle Dinge von ihm geschaffen worden. Darum sagt Dionysios: ,Die gçttliche Liebe ließ nicht zu, dass der Herrscher des Alls ohne zu zeugen in sich selbst abgeschlossen blieb. (bs. Hasse)163

Dieser Text oder die in ihm ausgedrckte Vorstellung steht also mçglicherweise hinter Cudworths Funktionalisierung der dritten Hypostase als zugleich „active love [Hervorh. L. B.] and power“ und „effectiveness“ ad extra. Da bei Plotin und bei Ficino die Liebe aus demselben Impuls, nmlich dem Blicken auf die eigene Ursache,164 entsteht, kann Cudworth power und love ineinander fließen lassen. Das wiederum setzt ihn in die Lage, mit der Himmlischen Aphrodite, die ja seiner dritten gçttlichen Hypostase korrespondiert, das Konzept des auf die Welt gerichteten Eros zu verschmelzen, der eigentlich bei Plotin aus der Irdischen Aphrodite hervorgeht.165 Zugleich kann er Plotins Aussage, dass der Eros der Himmlischen Aphrodite „ausschließlich dort oben weil[t], wo die ungetrbte Seele weilt“, in einem Sinne deuten, der es ihm erlaubt, die dritte Hypostase als Liebe zustzlich innertrinitarisch wirksam werden zu lassen. Damit ermçglicht erst dieser Zwischenschritt eine zentrale systematische Ausweitung des Liebesaspekts der Trinitt. Cudworth nimmt zwar bereits bekannte Einschtzungen der Liebe als erstem Aspekt der antik-paganen Gotteskonzeptionen auf, berfhrt sie aber jetzt in seine Trinittsvorstellung. Die theologisch-metaphysische Voraussetzung fr die bernahme der ursprnglich Hesiodeisch-orphischen Vorstellung, die er im Rahmen seiner eigenen Trinittsspekulationen mit der Konzeption der Ousia-Monade als „Love of redundancy“166 gleichsam auf den Begriff bringt, in seine christliche Gottesvorstellung ist nmlich seine auf dem Begriff des 163 Ficino, De amore, oratio tertia, c. 2, 23v-24v/161/1329. Vgl. auch die Ausfhrungen Ficinos in De amore, oratio secunda, c. 7. Zur „Liebe“ als nach außen gerichtetem Schçpfungsimpuls Gottes bei Dionysios Areopagita siehe Beierwaltes (1998), 72 – 74: „Die Einheit von Gutheit und Schçnheit im sich verstrçmenden gçttlichen ,Anfang wird von Dionysios – durch den christlichen Grundgedanken motiviert – selbst als Liebe [Hervorh. W. B.]: […] [als] intensivere zielgerichtete Bewegung [gedacht].“ (ebd. 72 f.). Sie ist „primr die sich selbst entfaltende, aus sich selbst herausgehende und auf das Sein konstituierend zugehende Aktivitt Gottes“ (ebd. 74). 164 Siehe bei Plotin, Enn. III 5, 2, 32 – 36. Allerdings blickt bei Plotin die Seele auf den Geist, whrend bei Ficino der Geist auf das Eine/Gute bzw. „die hçchste Macht Gottes“ blickt. 165 Plotin, Enn. III 5, 3, 25 ff. Cudworth denkt beide „Aphroditen“ wie gezeigt zusammen bzw. muss es tun, um sowohl den Ansprchen seiner eigenen Naturphilosophie als auch denen der Theologie gerecht zu werden. 166 System II, 394.

322 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes pqos¶jeim erst kurz zuvor entwickelte Trinittslehre, in die nun ein erweitertes Konzept von „Liebe“ eingebunden werden kann. So werden schließlich die Spannungen, die sich bei Cudworths Explikationen des antik-paganen Gottesbegriffs diesbezglich beobachten lassen, erst jetzt im christlichen Gottes- und Trinittsverstndnis erklrt und aufgehoben und die Synthese zuvor disparat erscheinender Aspekte unternommen.167 Die Funktion der dritten Hypostase wird nmlich in System II, 430 – 431 in wesentlicher Ergnzung zum rein ontologischen, schçpfungstheologisch funktionalisierten Ousia-Dynamis-Energeia-Schema ganz wesentlich trinittstheologisch und in einem genuin christlichen Sinn erweitert und mit Momenten des Heiligen Geistes verknpft.168 Ausgehend von einer unscharfen Porphyrius-Interpretation bei Augustinus, schreibt Cudworth hier der dritten Hypostase zustzlich die Funktion der vermittelnden Dynamis zu (l´sgm d¼malim). Von zentraler Bedeutung ist fr diese argumentatorische Wendung die Ausnutzung einer Homonymie, und zwar der des Begriffs „Liebe“. Dem bisherigen Schema zufolge wurde die dritte Hypostase in ihrer Funktion als Wirken ad extra als „active love or power“ bestimmt. Die Ineinssetzung von Weltseele und Liebe nimmt Cudworth nun auf und verbindet sie mit der innertrinitarischen Funktion des spiritus, wie sie z. B. von Athanasius Kircher expliziert wird (und bei Ficino zuvor paradigmatisch entwickelt wurde).169 Kircher begreift den Heiligen Geist (per analogiam und mçglicherweise im Rckgriff auf Nikolaus Cusanus, De visione Dei, Kap. 16 – 18) als Liebe: „spiritus enim amor est, uniens & connec-

167 Es zeigt sich somit die zentrale Stellung der „Liebe“ im Neuplatonismus des System insgesamt: Sie findet sich auf allen Ebenen als christlicher Ausdruck der Kraftmetaphysik und wesentliches signum der Vernnftigkeit Gottes. So realisiert sie auf den verschiedensten Ebenen von der Binnenstruktur Gottes bis hinab zur atomaren Struktur der geschaffenen Welt die dieses Weltmodell tragende Kontinuitt in den sie strukturierenden Verknpfungen. 168 Zur gleichsam bipolaren dynamischen Eingebundenheit und Funktion des Geistes in der Trinitt als „dynamische[m] Prozess, durch welchen der Vater in seinem Wort zu sich selbst und zur Schçpfung [Hervorh. L. B.] komme: ,Gott in Bewegung […]“, die so schon aus Augustinus hergeleitet werden kann, s. Kany (2007), 220 (dort auch das Zitat). Bereits Gysi (1962), 105 – 110 differenziert in ihrer Beschreibung der Trinittskonzeption des System die beiden Perspektivierungen dieses Problems ad extra und ad intra und weist auf die innertrinitarische Dynamik und die Formen ihrer Kontinuitt hin. Ihre weitgehend zutreffenden und grundstzlichen Beobachtungen zu Cudworth liegen den hier angestellten berlegungen zugrunde. Auch sie geht jedoch nicht darauf ein, wie diese Vorstellung von Cudworth im Text des System im Spiel mit den antiken Referenzen entwickelt und performativ inszeniert wird. Problematisch scheinen mir ihre Interpretationen der neuplatonischen Ontologie insgesamt (ebd. 107) und der Binnenstruktur des Nous (ebd. 108) zu sein. 169 Dazu und zum unmittelbar Folgenden siehe Leinkauf (1993), 330 – 333 mit Anm. 51.

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tens in nobis“.170 Der Heilige Geist als Liebe im reflexiven Vollzug der Trinitt ist fr Kircher vis connectiva und steht fr die „trinitarische, in sich zurckkehrende Selbstvermittlung“171, und er geht, wie die Weltseele, als dritter Aspekt aus Gott-Vater und dem Sohn, d. h. dem Logos oder Nous bzw. der Sapientia, hervor: „[…] ita & [procedit] Spiritus Sanctus a Patre & Filio“.172 Darauf aufbauend ist es genau diese ver- und damit rckbindende Funktion, auf die es Cudworth in diesem Moment ankommt: But besides this, there is another Platonic hypothesis (which St. Austin hinteth from Porphyrius, though he professeth he did not well understand it) where the third hypostasis is made to be a certain middle betwixt the first and second. And this does Proclus also sometimes follow, calling the third [Hervorh. L. B.] in like manner, l´sgm d¼malim, “a middle power,” and sw´sim !lvo?m, “the relation of both the first and second to one another.” Which agreeth exactly with that apprehension of some Christians, that the third hypostasis is as it were the nexus betwixt the first and the second, and that love [Hervorh. L. B.] whereby the Father and Son love each other. Now, according to this latter Platonic hypothesis, there would seem to be not so much a gradation or descent, as a kind of circulation in the Trinity [Hervorh. L. B.].173 170 Athanasius Kircher, Magnes Sive De Arte Magnetica Opus Tripartitum (Rom 1654), III, 10, S. 614; siehe Leinkauf (1993), 333. 171 Leinkauf (1993), 331. 172 Athanasius Kircher, Magnes Sive De Arte Magnetica Opus Tripartitum (Rom 1654), III, 10, S. 614; siehe Leinkauf (1993), 333, Anm. 51. 173 System II, 430 – 431. Als Hintergrundtexte kommen in diesem Fall in Betracht Ficino, De amore, oratio prima, c. II, 4r-5v/139 – 140/1321 – 1322 (ed. Blum, Hamburg 2004) und Nikolaus Cusanus, De visione Dei, Kap. 17. Beide Texte sind als relevant anzusehen, da bei Ficino der innertrinitarische Liebeskreis stark neuplatonisch dargestellt wird, whrend er bei Cusanus eine eher trinittstheologisch-hymnische Sprachgestaltung erfhrt. Beide Momente sind fr Cudworth von wesentlicher Relevanz. Zum vinculum amoris und nexus amoris in der Trinittskonzeption des Augustinus und der Kirchenvter s. Kany (2007), 219. Lobsien (2003), 190 – 191 liefert eine ußerst treffende Darstellung dieser Trinittskonzeption und ihrer spezifischen Eigenheit: der zirkulren, in sich verschrnkten Aspekt-Dynamik. Diese Zirkularitt in der Trinitt denkt zuvor bereits Bonaventura als “Liebe”: “Die im Bewegungskreis trinitarisch sich ereignende und deshalb in [Hervorh. W. B.] der Einheit je unterschiedene Mitteilung des Selbst an den gleicherweise mitteilenden, gleichen Anderen wird von Bonaventura als Liebe [Hervorh. W. B.] gedacht: ,Caritas ist nicht ,amor privativus, sie ,braucht den Anderen zur Selbstmitteilung”, siehe Beierwaltes (1998), 95 f.; Beierwaltes spricht in diesem Zusammenhang auch von einem “intelligiblen, reflexiven Kreis”, der “sich mit sich selbst vermittelt und eint […] [Hervorh. W. B.]”, ebd. 98. Dabei entwirft Bonaventura gegenber dem neuplatonischen und sogar gegenber dem Dionysischen Gottesdenken den fr Cudworths System entscheidenden Aspekt dieser Trinittsspekulation: die Verschrnkung von “Sich-selbst-Denken” und “liebender Selbst-Entfaltung der Trinitt” (ebd. 96). Aus diesem Grund ist in Bonaventura ein wichtiger Transformationsfilter fr Cudworths Antiketransformation im Zuge der Entwicklung der Trinittskonzeption im System zu sehen.

324 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes Auf diese Weise gelingt Cudworth unter Ausnutzung der Homonymie „Liebe“ eine semantische Hybridisierung zweier Konzepte, die eine intensivere Verschleifung subordinatorischer Tendenzen seiner Trinittskonzeption zur Folge hat. Whrend die Position der dritten Hypostase als hervorgegangen aus der ersten und zweiten dieselbe bleibt, bekommt sie nun aufgrund ihrer Bestimmung als Liebe im innertrinitarischen Gefge die Funktion der vermittelnden, als „Band“174 fungierenden Dynamis zugeschrieben, die die Einheit der Trinitt garantiert und mit der Cudworth zugleich den Begriff der peqiw¾qgsir wieder aufnehmen kann („circulation in the Trinity“). Derart wird die dritte Hypostase „Liebe“ zum innertrinitarischen Realisierungsmodus des pqos¶jeim : In dieser Form schließen sich alle drei Trinittsaspekte zum einen Gott zusammen, erstreckt sich das Wesen Gottes auf alle drei gçttlichen Personen. Dabei ist allerdings eine Hintergrundannahme vorauszusetzen, wie sie z. B. bei Cusanus in Kapitel 17 seiner Schrift De visione Dei expliziert wird:175 Von dem (auf ein Unendliches bezogenen) Unendlich-lieben-kçnnen und ebensolchem Geliebt-werden-kçnnen geht das unendliche Liebesband (amoris nexus) zwischen dem unendlich Liebenden und dem unendlich Liebenswerten aus [auch dieser amoris nexus ist also eine Art dritter Hypostase]. Das Unendliche ist aber nicht vielfltig. Du, mein Gott, die Liebe, bist sowohl die liebende Liebe wie die liebenswerte Liebe wie auch die Liebesverknpfung zwischen Liebendem und Liebenswertem. […] Je einfacher aber die Liebe, desto vollkommener ist sie. Du, mein Gott, bist die vollkommenste und einfachste Liebe; […] Daher ist in dir als der Liebe nicht anderes der Liebende, anderes der Liebenswerte, anderes beider Verknpfung; sondern sie sind das Gleiche, sind du selbst, mein Gott. […] Was mir als dreierlei entgegentritt, als Liebender, Liebenswerter und Verknpfung, ist die einfachste, frei in sich beruhende Wesenheit selbst; es sind nicht drei, sondern eines.176

174 Der Begriff „Band“ ist hier in dem Sinn zu verstehen, den Kany (2007), 522 – 523 im Rckgriff auf Platons Ti. 31c (in Ciceros bersetzung) fr Augustinus entwickelt: „Band“ meint hier ein dynamisches Mittleres und Vermittelndes, „das nicht zwei von ihm getrennte Grçßen miteinander verbindet, sondern sich selbst mit ihnen zur Einheit vereint“ (ebd. 523). 175 Cudworth selbst besaß eine Edition der opera omnia des Cusanus, s. Millington (1697), 1. Verfolgt man die Spur der Vorstellung der Liebe als „Mittleres“ ber Cusanus hinaus zurck, gelangt man u. a. zu Augustinus, den Cudworth ja auch in System II, 429 f. erwhnt hat. Die innertrinitarische Funktion der Liebe bei Augustinus charakterisiert Kany (2007), 513 folgendermaßen: „Mit dem Konzept des Mittleren [der Liebe als Mittleres/medius] zwischen zwei Grçßen schließt sich eine trinitarische Struktur zusammen, die nicht mehr um weitere Glieder erweiterbar ist, […]“; vgl. ebd. 522. 176 Mçglicherweise ist hier an Plotin, Enn. VI 8, 15, 1 – 10 als an einen weiteren antiken Referenztext zu denken, der sowohl Cusanus als auch Cudworth in seinen berlegungen motiviert haben kçnnte: „Ferner ist er selbst das Liebeerweckende und das Liebesverlangen, er ist Liebe zu sich selbst. […]“; vgl. Leinkauf (1989), 268, Anm. 13.

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Diese spezifische Konfiguration aus antiken Elementen und Texten aus der Renaissance (Ficino und Cusanus) ermçglicht es Cudworth, unter Ausnutzung der verschiedenen semantischen Aspekte des zu einem Konzept erweiterten Begriffs „Liebe“ zwei ursprnglich voneinander unterschiedene Wirkweisen in der dritten Hypostase zusammenzufhren: Dem zuerst mit der (neu-)platonischen Weltseele zusammengedachten Wirken ad extra tritt nun gleichberechtigt das Wirken ad intra an die Seite. Derart verschmilzt Cudworth – mçglicherweise auf der Basis der Exegese der aus Platons Symposion bekannten Differenzierung zwischen Himmlischer und Irdischer Aphrodite und der ihnen zugehçrigen Arten der (metaphysischen) Liebe – ein wesentlich (neu-)platonisches Konzept, nmlich das Ousia-Dynamis-Energeia-Schema, mit einem trinittstheologischen Erklrungsmodell, der Perichoresis. Er modifiziert und konkretisiert so abschließend das Energeiai-Schema Plotins, das er zum Ousia-Dynamis-EnergeiaSchema erweitert hat, durch die Einspeisung der innertrinitarischen Semantik des Begriffs „Liebe“ nach Art der Darstellung der Liebe in Cusanus Schrift De visione Dei in dieses Konglomerat, indem er die Energeia des spt-neuplatonischen Schemas gleichsam zur l´sgm d¼malim mit perichoretischem Effekt umbiegt. In Form dieser Konfiguration vermag er dann, die behauptete exakte bereinstimmung platonischer und christlicher Anstze zu belegen. An diese zugleich inhaltliche wie systematische Wendung in seiner Argumentation knpft Cudworth im Folgenden177 an. So geht es ihm hauptschlich darum, den einheitsstiftenden Zusammenhang der drei binnentrinitarischen Aspekte immer wieder durch verschiedene Zitate, besonders aus Athanasius, zu analysieren und als neuplatonisch zu erweisen in dem Sinne, dass das christliche Dogma der Wesensgleichheit (bloo¼sior) mit der subordinierenden Metaphysik des Neuplatonismus in Form des Ousia-Dynamis-Energeia-Schemas vereinbar ist. Zunchst greift Cudworth zu diesem Zweck die bereits thematisierte Differenzierung zwischen oqs¸a und rpºstasir auf,178 mit der er seine berlegungen zur innertrinitarischen Liebe unmittelbar weiterschreiben kann: Hatte Cudworth zuvor von der Ousia der „Godhead“ gesagt, sie erstrecke sich (pqos¶jeim) ber alle drei Hypostasen oder Personen der Trinitt, ist mittlerweile der Modus dieses „Sich-Erstreckens“ nher bestimmt – es vollzieht sich in der selbstreferentiellen Liebe Gottes, in der Lieben, Objekt der Liebe und Liebendes sich in einer Einheit aufheben nach dem Vorbild der Einheit von Denken, Denkobjekt und Denkendem im Nous Plotins, von der bereits gezeigt wurde, dass Cudworth sie zur Erklrung des gesamttrinitarischen Verhltnisses heranzieht. Die Trinitt als Glaubensinhalt in ihrer Uneinholbarkeit durch menschliches Denken anzuerkennen, scheint Cudworth nicht in Betracht zu ziehen. 177 System II, 436 – 457. 178 S. o. S. 305 f.

326 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes Im Gegenteil versucht Cudworth in der Auseinandersetzung mit Texten des patristischen Autors Athanasius nachzuweisen, dass die einfache Annahme einer Homoousiotes nicht ausreicht, um der erforderlichen Komplexitt der gçttlichen Trinitt und den vielfltigen Ansprchen an sie gerecht zu werden. Es bedarf also der Ergnzung, Modifizierung oder weitergehenden Ausdifferenzierung dieses Dogmas. Diese kann, wie die vorausliegenden berlegungen zur bertragung innernoetischer Verhltnisse auf die gesamte Trinitt und besonders zur dritten Hypostase in ihrer Spannung zwischen innertrinitarischem Wirken und Wirken ad extra gezeigt haben, fr Cudworth lediglich auf der Basis einer im wesentlichen neuplatonisch zu denkenden Verschrnkung von Ontologie, Epistemologie und Liebesmetaphysik vollzogen werden. Nur deren terminologische und systematische Mittel erlauben es, die Idee Gottes schließlich als „most simple idea of an absolutely perfect being, […], there being nothing included therein but what is demonstrable [Hervorh. L. B.] of a perfect Being, and therefore nothing at all arbitrarious“179 in ihrer Einholbarkeit durch den menschlichen Verstand auch und gerade im Sinne einer prisca theologia zu sichern. Dem Zweck dieses Abschnitts entsprechend schließt Cudworth seine Athanasiusanalyse mit einem Text ab,180 in dem die systematisch relevanten Aspekte der Einheit, der Binnendifferenzierung, der Dynamik und der gçttlichen Trinitt als Wirkeinheit, die auf die Schçpfung ausgerichtet ist, zusammengefhrt werden und aus dem Cudworth die System-spezifische Vereinbarkeit von (neu-) platonischen und christlichen Vorstellungen ableitet: Accordingly whereunto, Athanasius further concludes, that these three divine hypostases have not a consent of will only, but essentially one and the selfsame will, and that they do also jointly produce ad extra, l¸am 1m´qceiam, “one and the selfsame energy, operation, or action;” nothing being peculiar to the Son as such, but only the economy of the incarnation: jlo¸a 2aut0 ja· !dia¸qgtºr 1sti t0 v¼sei B Tqi²r7 ja· l¸a ta¼tgr B 1m´qceia7 b c±q Patμq di± toO Kºcou, 1m t` Pme¼lati t` "c¸\ t± p²mta poie?7 ja· ovtyr B 2mºtgr t/r "c¸ar Tqi²dor s¾fetai7 ja· ovtyr eXr He¹r 1m t0 1jjkgs¸ô jgq¼ttetai, b 1p· p²mtym, ja· di± p²mtym, ja· 1m p÷sim7 1p· p²mtym l³m ¢r Patμq, ¢r !qwμ ja· pgc¶7 di± p²mtym d³ di± toO KºcoO7 1m p÷si d³ 1m t` Pme¼lati t` "c¸\, “The Trinity is like itself, and by nature indivisible, and there is one energy or action of it; for the Father by the Word, in the Holy Ghost, doth all things. And thus is the unity of the whole Trinity conserved, and one God preached in the church: namely, such is above all, and by or through all, and in all. Above all, as the Father, the principle, and fountain; through all, by the Word; and in all, by the Holy Spirit.” And elsewhere he writeth often to the same purpose. Thus have we given a full and true account, how, according to Athanasius, the three divine hypostases, though not “mono-ousios,” but “homo-ousios” only [Hervorh. L. B.], 179 System II, 631. 180 Es handelt sich um eine recht freie Wiedergabe von Athanasius, Epistulae quattuor ad Serapionem, PG 26, 596.

6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes

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are really but one God or divinity. In all which doctrine of his there is nothing but what a true and genuine Platonist would readily subscribe to.181

Nach diesem Zitat kommen Cudworths Ausfhrungen zur Trinitt zu einem (ersten) Abschluss.182 Die durchaus erkennbare rhetorische Durchstilisierung dieses Abschnittes, mit dem Cudworth seine Trinittsspekulationen (vorerst) abschließt, lsst die Frage entstehen, ob Cudworth in der sprachlichen Darstellung mehr erreichen wollte, als eine reine Vermittlung systematischer Sachverhalte und ob diesem Textabschnitt nicht ganz wesentlich auch eine performative Komponente zukommen soll. Diese Frage ist ihrerseits mit der Annahme verbunden, dass durch Transformationen erzielte Innovationen, hier ein systemspezifisches Trinittsmodell, Evidenz gewinnen mssen.183 Gerade in Bezug auf Cudworth besitzt diese Annahme einige Relevanz, da er seinen Trinittsbegriff als „beweisbar“ ansieht und fr seine Ausfhrungen immer wieder den Anspruch der Evidenz geltend macht.184 Es ist festzustellen, dass Cudworth in seiner argumentatorischen Explikation der Trinitt alle drei gçttlichen Hypostasen in der ihnen zukommenden Reihenfolge abhandelt. Er beginnt mit der ersten Substanz Gottes, der „Godhead“, die ihre wesentliche Bestimmung dadurch erfhrt, dass sie sich als Substanz ber alle Hypostasen „erstreckt“ (pqos¶jeim) und so die Einheit der Trinitt insgesamt garantiert (goodness)185. Im Anschluss daran wird der Geist/ Logos in seiner intrinsischen Einheit behandelt. Allerdings ist hier zu beobachten, dass auch diese Hypostase in ihrer Bedeutung auf die Gesamtheit der 181 System II, 456 – 457. Folgende systematisch relevanten Punkte werden in diesem Text direkt in der bekannten Metaphorik verhandelt: 1) der Aspekt der perichoretischen und ebenso kontinuierlichen Einheit: jlo¸a 2aut0 ja· !dia¸qgtºr 1sti t0 v¼sei B Tqi²r7; 2) der Aspekt der Wirkeinheit: ja· l¸a ta¼tgr B 1m´qceia ; 3) der Aspekt der per-se-Kausalfolge und des Ousia-Dynamis-Energeia-Schemas: b c±q Patμq di± toO Kºcou, 1m t` Pme¼lati t` "c¸\ t± p²mta poie?; 4) der Aspekt der dynamischen Einheit: ja· ovtyr [nmlich durch das durch den Logos vermittelte Wirken-in] B 2mºtgr t/r "c¸ar Tqi²dor s¾fetai und 5) der Aspekt der Ausrichtung als eine Wirkeinheit auf die Schçpfung: ja· ovtyr eXr He¹r 1m t0 1jjkgs¸ô jgq¼ttetai, b 1p· p²mtym, ja· di± p²mtym, ja· 1m p÷sim. Vgl. auch das Zitat aus Eusebius in System II, 460 – 461. 182 „[…] and by means of [Athanasius] especially, the doctrine of the Trinity […] came to be more punctually stated and settled [Hervorh. L. B.]“. 183 Antrag SFB 644 (2008), 77. 184 Z. B. System II, 632 und III, 400. 185 Als weiterer Transformationsfilter auf dem Weg neuplatonisch geprgter Trinittsspekulation ist Bonaventura auch hinsichtlich der Eigenschaft der „Gutheit“ Gottes von großem Interesse, dessen berlegungen auf denen des Dionysios Areopagita aufbauen; siehe Beierwaltes (1998), 86 – 99: „[…] bonum oder bonitas, die Gutheit [Hervorh. W. B.], als hçchstes und erstes ,nomen divinum ist in seiner spezifisch dionysischen Fassung nicht nur zur Anzeige der creativen Entfaltung Gottes ,nach außen […] geworden, sondern, diesem Akt zuvor, zum Wesenszug der inneren trinitarischen SelbstEntfaltung Gottes“ (ebd. 88 f.).

328 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes Trinitt bezogen wird: Cudworth dehnt nmlich die Vorstellungen Plotins, die dieser auf die innernoetische Einheit von Nous, Noeton und Noein eingrenzt, aus auf das den Nous/Logos umfassende und bergreifende ganzheitliche Verhltnis der drei gçttlichen Hypostasen insgesamt. So erhlt auch der Nous/ Logos eine wesentliche Verbindung zur Einheit der Trinitt und kann als Modus des pqos¶jeim der gçttlichen Ousia verstanden werden (wisdom), die, ebenso wenig wie er selbst ohne sie, auf diese Weise auch nicht ohne Nous/Logos im System von Cudworth gedacht werden kann.186 Dem entsprechend wird schließlich auch die Weltseele konzipiert. Ich habe nachzuweisen versucht, dass und wie in wesentlicher Ergnzung zum Aspekt des Wirkens ad extra die Funktion der dritten Hypostase zur innertrinitarischen Liebe erweitert wird, die gleichfalls ein zentrales und entscheidendes Moment der wechselseitigen Verschrnkung der drei Hypostasen Gottes ausmacht und derart ebenfalls als Modus des pqos¶jeim der Ousia Gottes aufgefasst werden kçnnte, als ein Modus, der zwar ohne die anderen beiden nicht gedacht werden kann (da er aus ihnen ontologisch abgeleitet wird), ohne den jedoch auch die anderen beiden in ihrer reflexiven Verschrnkung ebenfalls nicht gedacht werden kçnnen, da Liebe die zentrale Kraft dafr ist, in der Rckwendung auf den Ursprung eine als Sphre vorzustellende Einheit herzustellen und zu garantieren (love).187 Die Erçrterungen aller drei Hypostasen verweisen also immer aufeinander und mssen beim Lesen und verstehenden Nachvollzug der Argumentation stndig in diesem Bezug zueinander gesehen werden. Auf diese Weise gelingt es Cudworth, in der Form seiner Darstellung einzulçsen, was er in System II, 632 von der Idee Gottes behauptet: dass sie in ihren wesentlichen Inhalten explikabel und darstellbar bzw. vermittelbar sei.188 Zugleich wird der Leser im kombinie186 Allen (1984), 662 f. charakterisiert das Vorgehen der christlichen Neuplatoniker hinsichtlich der Integration des neuplatonischen Nous in die Trinitt folgendermaßen: „In brief, the Christian Neoplatonists and Ficino in particular effectively disintegrated the original Plotinian concept of Mind and in doing so transformed the entire metaphysical system that was dependent on it. That is, they assaulted the subordinationist model that Plotinus had devised by destroying its keystone, Mind.“ Cudworth kann den neuplatonischen Nous „retten“, indem er ihn in seiner ganz spezifischen Eigentmlichkeit und noetisch-dynamischen Einheit als Modus des innertrinitarischen pqos¶jeim in Gott integriert und ihn zu einer gleichgeschalteten Phase der Vollzugsform des pqos¶jeim werden lsst. 187 Zu dieser wesentlichen Verknpfung von „goodness“ und Rckwendung, die die Liebe in ihrem rckbindenden Wirken zum notwendigen Explikationsmodus des Einen bzw. der Substanz werden lsst, vgl. z. B. Ficino, Comm. In Parm. c. 44, Op. 1164: „[…] praesertim quia natura boni est, quasi diffundere se per omnia per processum, vicissimque per insitum singulis appetitum ad se unum omnia revocare [Hervorh. L. B.]“. 188 Siehe auch Cudworths Anspruch in System III, 400, dass der Nachweis von Gottes Existenz mit der Evidenz mathematischer (!) Beweise gefhrt werden kann und von ihm selbst gefhrt wurde.

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renden und vergegenwrtigenden Nachvollzug dieser Darstellung der Erfahrung des intellektuellen Erfassens eines derartigen Verweisungsgefges (der peqiw¾qgsir) nahegebracht. Diesem Zweck dient meiner Ansicht nach die gesamtkompositorische Gestaltung dieses Abschnittes. Er beginnt mit der Erwhnung der von Cudworth u. a. als „circulation“ bezeichneten Perichorese und er schließt mit diesem Begriff ab.189 Diese Ringkomposition kann helfen, den gewnschten performativen Effekt der Argumentation zu intensivieren, denn sie spiegelt auf ihrer Ebene und in der Form der Einheit von Textgestalt und metaphysischer Aussage bzw. metaphysischem Inhalt den perichoretischen Zug der Trinitt wider.190 Vielleicht geht es Cudworth in diesem Abschnitt also auch darum, das Wesen des trinitarischen Gottes als idea in ihrer Einholbarkeit durch den menschlichen Intellekt in der Lektre und im Nachvollzug der Argumentation und ihres kombinatorischen Geflechts aus Zitaten nicht nur denkbar, sondern auch erfahrbar werden zu lassen. Damit leitet der Text seine Leser dazu an, zu realisieren, was im Rahmen barocker Universalwissenschaft insgesamt als Telos der menschlichen Erkenntnisbewegung beschrieben wird: sich in der Erkenntnisbewegung an Gott anzunhern und ihm hnlich zu werden.191 Nicht zuletzt diesem Ziel dienen dann Auswahl, Kombination und Anordnung der antiken 189 Auch diese Vorstellung Gottes als eines kreisfçrmig in sich rckgewendeten Reflexionsprozesses hat bereits Ficino im Rekurs auf die Neuplatoniker und die patristische Theologie entwickelt, siehe Leinkauf (1992), 742 mit Anm. 46. 190 Zustzlich gesttzt wird dieses performative Element durch das letzte Zitat aus Athanasius, das alle wesentlichen Momente ebenfalls nochmals aufgreift und damit die Geschlossenheit der Argumentation und den Rckverweis auf ihren Beginn gewhrleistet. 191 Vgl. dazu Leinkauf (1993), 377 – 397, bes. 381, 383, 385 f. P. Hadot (2002/1981), 44 – 45 weist darauf hin, dass es bereits Augustinus in De Trinitate darum gegangen sein kçnnte, „der Seele durch eine Rckkehr zu sich selbst die Erfahrung [zu] vermitteln, dass sie das Abbild der Dreifaltigkeit ist: ,Diese Dreieinigkeiten, bemerkt er [Augustinus] selbst, ,entstehen in uns und sind in uns, wenn wir uns an solche erinnern, wenn wir sie betrachten und wollen.“ Mçglicherweise hat sich Cudworth an diesem Vorgehen, Texte ber die Trinitt gleichsam performatorisch aufzuladen, orientiert. Daher ist Hadot nicht zuzustimmen, wenn er die Philosophie der Neuzeit als rein theoretisch charakterisiert und ihr damit jeden psychagogischen Anspruch abzusprechen scheint, ebd. 45 und 171. Gegen Hadots Charakterisierung der Philosophie der Frhen Neuzeit spricht z. B. auch das Phnomen der sog. „seraphicks“, einer (neu-)platonischen Form der Brieffreundschaft, die sich im England dieser Zeit im Umfeld der Cambridge Platonists ausprgt und die als eine Kombination aus christlichen und (spt-)antiken Momenten der spirituellen bung und der Glaubens- und Weisheitsexerzitien zu verstehen ist, siehe Wilde (Univ. Diss. Berlin 2009). Auch Flores (2008), 131 sieht ein wesentliches Ziel der Cambridge Platonists darin „to prove that there is experience [Hervorh. L. B.] not only of the sensible and the corporeal, but also of the intellectual“. Die vorangehende Interpretation kçnnte damit als Beispiel dafr dienen, wie sich dieses Ziel durch bewusste Anlage einer Textstruktur realisieren ließe.

330 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes und sptantiken Referenztexte. Begrndet bleibt dieser Gebrauch weiterhin in der im Voraus angenommenen bereinstimmung zwischen antik-paganen und christlich-orthodoxen Trinittsvorstellungen.192 Im Unterschied zur Einbindung der verschiedensten antik-paganen Texte in seine Argumentation im vorherigen Kapitel zum antik-paganen Monotheismus muss Cudworth in diesem Fall einen systematischen und terminologischen Drahtseilakt absolvieren, dessen Schwierigkeit bereits bei Ficino klar vorgezeichnet ist (und der von Ficino fr inakzeptabel gehalten wird): die Integration der, mit der Perichoresis-Vorstellung verschrnkten, Wesensgleichheit der drei gçttlichen Hypostasen einerseits mit der subordinierenden Vorstellung der Emanation aus dem Einen in Form des zum Ousia-Dynamis-Energeia-Schema erweiterten Energeiai-Schemas andererseits. Zugleich jedoch behlt Cudworth seine naturphilosophische Funktionalisierung des Gottesbegriffs im Auge, die letztlich der Widerlegung der verschiedenen Atomismusvarianten dienen soll. Darber hinaus erreicht Cudworth mit der perichoretischen Integration des Nous als Vollzugsmodus des pqos¶jeim in seine dynamisch binnenstrukturierte Trinitt eine naturphilosophisch relevante Widerlegung der Gottesvorstellung Descartes. Bei der Bestimmung des Verhltnisses Gottes zur Welt im Moment der Schçpfung nimmt nmlich Descartes eine dezidiert voluntaristische Position ein und betont Gottes potentia absoluta bei der Etablierung der gesetzhaften Ordnung der Natur.193 Eine derartige, von dem vernnftigen, noetischen Aspekt der Trinitt entkoppelte Willkr Gottes, eine derartig konzeptionierte Allmacht Gottes kann es fr Cudworth aufgrund des wesentlich mit allen anderen Trinittsaspekten aktiv und durchziehend verschrnkten Nous nicht geben. Sein Gott ist immer und wesentlich im Vollzug seiner inneren Struktur ein vernnftiger und d. h. den Regeln und Gesetzen der Vernunft (reason) folgender Gott, dessen Wirken in der Schçpfung intelligibel ist.194 Diesem Bndel von Zwecken und Intentionen dient schließlich der Aufweis einer den Heiden und Christen gemeinsamen Gottesvorstellung, deren Idee und innere Struktur sich, wie Cudworth zu zeigen versucht hat, einem Denken er-

192 Siehe Cudworths diesbezgliches „Fazit“, das er aus der Analyse des Athanasius-Textes ableitet, also eines Textes, der seiner Ansicht bzw. Darstellung nach das orthodoxchristliche Trinittskonzept ausdrckt: „In all which doctrine of his [Athanasius] there is nothing but what a true and genuine Platonist would readily subscribe to.“ Sein direkt im Anschluss daran nachgeliefertes Bekenntnis zur Autoritt der Konzilsbeschlsse und dem Text bzw. Wortlaut der Bibel wirkt daher nach allen vorausgegangenen Harmonisierungsbemhungen etwas aufgesetzt. 193 Dazu Osler (1985), 351 – 353. 194 Genau in diesem Punkt setzt sich Cudworth auch in EIM 536 f. von Descartes ab. Vgl. desweiteren Hutton, in Crocker (2001), 64 – 71.

6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes

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schließt, das sich in den Begriffen einer modifizierten neuplatonischen Metaphysik vollzieht.195 Cudworth hlt an diesem Punkt inne. Man kçnnte sagen, dass er nun sowohl auf den Stand bzw. das Niveau seiner Argumentation und die Position und Fhigkeiten seiner Leser nach der Explikation des Prinzipienbegriffs reflektiert: Erst fr den Leser, der diese Explikationen mitvollzogen hat, werden die Engelserscheinungen und Wunder, um die es in den sich im System anschließenden Erçrterungen geht, zu Beweisen, die Wissen bedeuten, da sie erst vor dem Hintergrund des Gottesbegriffs und seiner trinitarischen Struktur vollstndig begrndet und erklrt werden kçnnen. Jetzt ist keine petitio principii mehr nçtig wie in den Abschnitten des System vor dem Trinittskapitel. Erst jetzt werden die Phnomene in der Welt vollstndig transparent hin auf Gott. Das aber heißt fr die Lektre, ab jetzt Cudworths Gottesbegriff immer mitzudenken und den Text auf die Trinitt hin zu verstehen. Dabei ist aufgrund der Kontinuitt des Weltsystems davon auszugehen, dass der Rckschluss vom Verursachten, also von den verschiedenen Wirkungen Gottes in der Welt, wie z. B. Wundern oder Prophezeiungen (aber auch von untergeordneten Formkrften wie z. B. den plastic natures), auf die Ursache, Gott als erstem Prinzip, Wissen von Gott liefern kann. Zu diesem Zweck gesteht Cudworth den antiken Theisten zu, dass es, aus ontologischer Notwendigkeit 195 Cudworth spricht in diesem Zusammenhang erneut von der „connate idea and prolepsis of God in the minds of men“ (System II, 485) und nimmt damit stoische Terminologie und ein stoisches Argument auf. Zum stoischen Ursprung des Begriffs der Prolepsis bei Cudworth vgl. den Hinweis bei Hutton, in Dematteis/Fosl (2002), 149. Zur ursprnglichen stoischen Position siehe z. B. Long/Sedley (1987/2000), 286: „Als Stoff der Vernunft selbst haben Vorbegriffe eine grundlegende Rolle als Kriterien der Wahrheit“, sie sind gerade nicht „kulturell bestimmt oder vorstzlich erworben“. Cudworth konnte die Bedeutung dieses Begriffs aus der Auseinandersetzung mit den Skeptikern und seiner Lektre des Diogenes Laertios bekannt gewesen sein (vgl. z. B. Long/Sedley [1987/ 2000], 287, Frg. 40 A). Indem er diesen epistemologisch aufgeladenen Begriff benutzt, untermauert Cudworth nochmals den mit seiner Argumentation verbundenen Anspruch auf Wahrheitsgehalt und auf Korrespondenz mit der Wirklichkeit (Gottes). Zudem wird dieser Begriff von John Smith in seinem A Discourse concerning the true Way or Method of attaining to Divine Knowledge von 1660 als Ausgangspunkt fr seine Erçrterung genommen, siehe dazu Albee (1924), 257 f. zu Smith und Cudworth; desweiteren Cassirer (2002/1932), 244 f. mit Anm. 7. Zum Begriff der prolepsis ebd. 268 f. John Smith war zusammen mit Cudworth am Emmanuel College in Cambridge, siehe Hutton, in Dematteis/Fosl (2002), 145, auch hier kann also von einem konstellatorisch fundierten Begriffsgebrauch ausgegangen werden. Cudworth steht darber hinaus auf dem Boden historisch und religionsphilosophisch orientierter Positionen, wie sie z. B. von Melanchthon und Grotius formuliert wurden, die beide „der Seele des Menschen eingestiftete Prinzipien der Gotteserkenntnis“ annehmen und diese u. a. „als 5mmoiai und als pqºkgxir bezeichnen“; Frank (2003), 230 – 232 (Zitat 230) weist im Rekurs auf Untersuchungen Roberts nach, dass gerade die Positionen Grotius in England umfassenden Einfluss hatten.

332 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes heraus, kein Wissen a priori vom ersten Prinzip geben kçnne, wobei a priori hier zu verstehen ist als „phrase used to characterize reasoning or arguing from causes to effects […]“196. Da Gott das erste Prinzip von allem ist, kann es in Cudworths System kein Wissen von Gott geben, das sich aus einem Gott bergeordneten Prinzip deduzieren ließe. Diese Position expliziert Cudworth mit einem Zitat aus Alexander von Aphrodisias,197 in dem erçrtert wird, dass von dem ersten Prinzip lediglich eine de?nir jat± !m²kocom, jedoch keine !pºdeinir mçglich ist. Alexander beschreibt dabei das Verfahren der de?nir, das Aufschluss ber die erste Ursache (pq¾tg !qw¶) geben soll, folgendermaßen (im von Cudworth selbst zitierten griechischen Text): Ausgehend von den sichtbaren Dingen, die dem ersten Prinzip nachgeordnet sind, wird hinsichtlich ihrer Gemeinsamkeit, die man durch das zergliedernde Verfahren der Analyse gewinnt, das Wesen jenes ersten Ursprungs kombinierend erschlossen.198 Entscheidend m. A. n. fr Cudworths Transformation dieses peripatetischen Textes in einen Platonisch-neuplatonisch getçnten Nachweis der Stichhaltigkeit der eigenen Argumentation gegen die Atheisten ist in seiner bersetzung der Begriff „ascend“, der im Griechischen keine Entsprechung besitzt. Dieser Begriff verweist auf den Platonischen Kontext, vor dem Cudworth Alexander zu verstehen scheint. Es ist nmlich die Ausdeutung des Hçhlengleichnisses, in der Platon im Rekurs auf die Erkenntnisbewegung des Dialektikers im Liniengleichnis (Pl., R. 511 b-c) das Ende der Aufstiegsbewegung hin zur Sonne hinsichtlich der abschließenden Erkenntnis und ihres Objekts folgendermaßen schildert: Dieses ganze Bild nun, […] musst du mit dem frher Gesagten verbinden, die durch das Gesicht uns erscheinende Region der Wohnung im Gefngnisse gleichsetzen und den Schein von dem Feuer darin der Kraft der Sonne; und wenn du nun das Hinaufsteigen und die Beschauung der oberen Dinge setzt als den Aufschwung der Seele in die Gegend der Erkenntnis, so wird dir nicht entgehen, was mein Glaube ist, […] dass zuletzt unter allem Erkennbaren und nur mit Mhe die Idee des Guten erblickt wird, wenn man sie aber erblickt hat, sie auch gleich 196 OED s. v. a priori 1. 197 Es handelt sich um In Aristotelis metaphysica commentaria, 686 – 687, ed. Hayduck, Berlin 1891 (=CAG 1). 198 System III, 29: „J de?nir jat± !m²kusim, oq c±q oXºmte t/r pq¾tgr !qw/r !pºdeinim eWmai, !kk± de? !p¹ t_m rst´qym te ja· vameq_m !qnal´mour, jat± tμm pq¹r taOta sulvym¸am !mak¼sei wqyl´mour sust/sai tμm 1je¸mou v¼sim, ,That this argument or proof of his was in way of analysis only; it being not possible that there should be a demonstration of the first principle of all. Wherefore (saith he) we must here fetch our beginning from things, that are after it, and manifest; and thence, by way of analysis, ascend [Hervorh. L. B.] to the proof of that first nature, which was before them.“ Diesen Weg verfolgt der Leser vom Beginn des System bis zur Trinittsspekulation, in der die Aspekte zusammengefhrt werden, die durch eine fokussierende (und in diesem Sinne zergliedernde) Transformation der antiken Referenztexte gewonnenen worden sind und die wesentlich fr Cudworths Gottesbegriff sind.

6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes

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dafr anerkannt wird, dass sie fr alle die Ursache alles Richtigen und Schçnen ist, […] [alle Hervorh. L. B.] (Pl., R. 517 a-c; bs. Schleiermacher).199

Aus dem Platonisch-neuplatonischen Argumentationshorizont ergibt sich in der Kombination mit der dadurch ins Anagogische gewendeten Erkenntnisform der de?nir jat± !m²kocom eine zweistufige Erkenntnisbewegung, die im Text des System nachgebildet wird: zu Beginn ohne explizites Prinzipienwissen gleichsam in einem ersten Aufstieg unter Anleitung bis zur Trinittsspekulation, da es zwar kein Wissen im Sinne der auf eine Ursache Gottes abzielenden Apodeixis, kein, wie Cudworth es auch nennt, diºti-Wissen von Gott geben kann, denn „vor“ oder „ber“ ihm kann es kein anderes Prinzip geben.200 Aber dass es Gott gibt (fti), ist unabweisbar bewiesen durch den Platonisch konnotierten und durch die Ontologie des (Neu-)Platonismus abgesicherten Rckschluss vom Verursachten auf die Ursache, von der Wirkung auf das Prinzip alles Bewirkten (und aller Wirkungen).201 Im Zuge dieser ersten Bewegung werden die Materie, die plastic nature und die antik-paganen Gottesvorstellungen als propdeutische signa im Text verwendet, die in ihren Gemeinsamkeiten auf Gottes Wesen hinweisen. Diesen Wirkungen, zu denen auch die Seele und das Bewusstsein des Menschen von sich selbst gehçren, wendet sich Cudworth im Folgenden erneut 199 Zu beachten ist in diesem Text in seiner mçglichen Bedeutung fr Cudworth die zweifache Verwendung von %my !m²basim und t/r xuw/r %modom. 200 Dieser Grundsatz der neuplatonischen Metaphysik wird z. B. in Anschluss an Plotin systematisch verbindlich formuliert bei Procl., Inst. §§ 11 und 12 und ist bereits in Platons „1p´jeima-Formulierung“ angelegt. Vielleicht nimmt Cudworth zustzlich methodologische berlegungen Zabarellas auf, der die Mçglichkeit einer Erkenntnis a priori des ersten Prinzips bestreitet, da dieses aus keiner hçheren, vorgeordneten Ursache hergeleitet und erklrt werden kçnne; dazu Rçsche (2008), 91 – 92 mit Anm. 415. 201 System III, 30: „In like manner, though the existence of a God or perfect Being cannot be demonstrated, yet may we notwithstanding, from our very selves (whose existence we cannot doubt of), and from what is contained in our own minds, or otherwise consequent from him, by undeniable principles of reason, necessarily infer his existence. And whensoever any thing is thus necessarily inferred from what is undeniable and indubitable, this is a demonstration, though not of the diºti, yet of the fti of it; that the thing is, though not why it is. And many of the geometrical demonstrations are no other.“ Hier scheint sich Cudworth zudem, zumindest implizit, neben Descartes auch mit Ansichten der Quker auseinanderzusetzen. Dass wir uns in der Erfahrung unserer selbst und unseres Bewusstseins(-inhaltes) der Existenz Gottes bewusst werden, scheint auf den ersten Blick an die Quker zu erinnern. Indem aber Cudworth diese Erkenntnis dahingehend qualifiziert, dass er sowohl die Inhalte des menschlichen Geistes als auch alles andere als Gott nachgeordnet beschreibt und konsequent die Erkenntnis Gottes als „infer his existence“ klassifiziert und mit „geometrical demonstrations“ vergleicht, macht er deutlich, dass sich hier eine ganz andere Art der Gotteserkenntnis vollzieht als die Erfahrung des „inner light“, die die Quker fr sich beanspruchen. Dazu Fouke (1997), 134 – 140 und auch Mosheim in System III, 31, Anm. 3. Siehe auch Leinkauf (2005a), 148, Anm. 35 zu diesen Gedanken bei John Smith und Descartes.

334 6. Cudworths neuplatonische Trinitt oder die Binnendifferenzierung Gottes zu, um sie nochmals als Spuren Gottes zu interpretieren, deren Gemeinsamkeiten es zu synthetisieren gilt, jetzt allerdings mit dem Ziel der Explikation, Absicherung und Anwendung der mittlerweile vorliegenden, eigenen Trinittskonzeption. Expliziert wird diese Gedankenbewegung, die Cudworth von nun an im System vollziehen wird, darber hinaus z. B. von John Smith am Beispiel der menschlichen Selbstreflexion in den Selected Discourses von 1660:202 Both which we may best learn from a Reflexion of upon our own Souls, as Plotinus hath well taught us, eQr 2aut¹m 1pistq´vym, eQr !qwμm 1pistq´vei, He which reflects upon himself, reflects upon his own Originall, and finds the clearest Impression of some Eternall Nature and Perfect Being stampd upon his own soul […] And if we would know what the Impresse of Souls is, it is nothing but God himself, who could not write his own name so as that might be read but onely in Rationall Natures [alle Hervorh. im Original].

Derart lsst sich, in Ergnzung zu seinen umfassenden Deutungen der antikpaganen Religion, fr Cudworth im Rahmen der neuplatonischen Noologie und Ontologie die atheistische Argumentation widerlegen, es gebe keine allgemeine Idee von Gott. Diese Widerlegung erfolgt nun durch den Rckschluss von der Seele des Menschen und ihrer mens und von anderen Kraftexplikationen Gottes sowie von deren Struktur auf den Geist Gottes als deren Ursache. Zugleich kann Cudworth so einen weiteren Beweis fr die Existenz Gottes fhren.203

202 John Smith, A Discourse Concerning The Existence And Nature Of God, (1660) Chap. 1, 123. Siehe Leinkauf (2005a), 148, Anm. 35. Zu der von Smith geforderten Erkenntnisbewegung als „Hinabsteigen in die gereinigte Seele“, ihrer Struktur, ihren Vorbildern bei Plotin (z. B. Enn. I 6, 9) und Smiths Religionsphilosophie insgesamt siehe Frank (2003), 247 – 253. Aufbauend auf den Beobachtungen Franks ist zu erkennen, wie nahe sich Cudworth und Smith diesbezglich stehen. Wie bei Smith ist fr Cudworth die berzeugung zentral, dass die Selbstreflexion zur Erkenntnis der „Wesensprdikate“ Gottes fhre. 203 Bereits Benjamin Whichcote betrachtet den rckschließenden Beweis von Gottes Wirkungen auf dessen Existenz und Wesen als beste und berzeugendste Art des Gottesbeweises, s. Frank (2003), 239 mit Anm. 61.

7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs in Bezug auf Gottes Verhltnis zur Natur – Cudworths Trinitt im Diskurs der Umstnde Damit ist der Scheitelpunkt des Gesamtargumentationsverlaufs des System erreicht. Die bisherigen Ausfhrungen Cudworths dienten zunchst dazu, einen Materiebegriff zu etablieren, aus dem sich die Notwendigkeit einer intelligiblen Formkraft, die in der Materie wirkt, ableiten ließ. Diese Formkraft wurde dann von Cudworth so konzipiert, dass sie zugleich die weiterfhrende Notwendigkeit eines bergeordneten, vernnftigen Gottes voraussetzte. Im Anschluss daran entwickelt Cudworth in seiner religionsphilosophischen, den Grundstzen einer spezifisch modifizierten integumentalen Hermeneutik verpflichteten Explikation des Monotheismus der paganen Antike den entsprechenden Gottesbegriff. Aus den antiken Referenztexten gewann er zum einen grundstzliche Wesenszge dieses Gottes als trinitarischer Gottheit, wobei der naturphilosophisch wichtigste von ihnen der der fkg d¼malir bzw. d¼malir p²mtym ist. Zum anderen konnte Cudworth einzelne Aspekte zur Darstellung bringen, die zwar immer dem einen Gott zugeschrieben oder gar als ausschließliche Gottesbezeichnungen angefhrt, aber nie systematisch miteinander verknpft wurden. Allerdings wurde damit das sowohl sprachliche als auch metaphorische Fundament gelegt, auf dem Cudworth in der fokussierten Auseinandersetzung mit Plotinisch-neuplatonischen Philosophemen sein eigenes Konzept der Trinitt entwickeln konnte. In ihm fhrt Cudworth viele bisher getrennt voneinander behandelte Aspekte Gottes systematisch zusammen. Diese Syntheseleistung bedeutet damit zwar die Aufnahme bekannter Muster, Motive und Begriffe, zugleich aber eine wesentliche Erweiterung und Differenzierung des Prinzipienbegriffs als Ergebnis der zu beobachtenden Selbstanreicherungsdynamik des Textes (z. B. hinsichtlich des Konzepts der „Liebe“ und des Energeiai-Schemas). Ausgehend von diesem Prinzipien- und Gottesbegriff wendet sich Cudworth nun gleichsam wieder um und dem Verhltnis Gottes zur Schçpfung zu, das auf dieser Grundlage und von diesem Punkt der Argumentation an ebenfalls differenzierter und gehaltvoller beschrieben sowie gewusst werden kann. So vollzieht der Text des System auf inhaltlicher Ebene die Erkenntnisbewegung nach, die Platon im Linien- und im Hçhlengleichnis der Politeia den PhilosophenDialektiker zurcklegen lsst: vom untersten Ende des ontologisch-epistemologischen Kontinuums zum ersten Prinzip zusammen mit der entsprechenden Erkenntnis von dessen Struktur und Funktion und von dort zurck, nun aller-

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

dings mit ausreichendem Wissen vom ersten Prinzip, dessen Struktur von jetzt an alle Formen der Darstellung gçttlicher Immanenz in der Welt und des Wissens darum bestimmt.1 In einem ersten Schritt geht es Cudworth im Zusammenhang einer z. T. epistemologisch gewendeten Explikation der wesentlichen Eigenschaften dieses (seines?) Gottes auch um den Beweis der Existenz Gottes, von dem die Menschen zu allen Zeiten einen „Vorbegriff“ besaßen.2 Im Zusammenhang mit diesem Gottesbeweis thematisiert Cudworth ebenso die damit verbundene teleologische Struktur der Welt, die geisthaften Krfte, die sie gewhrleisten, und deren Verhltnis zu Gott bzw. dem noetischen Aspekt der gçttlichen Trinitt, den Cudworth gemß seinem nun zugrundezulegenden Trinittsbegriff nach neuplatonischem Muster konzipiert.3 Dieser noetische Aspekt stellt sich dar als Ursache der teleologischen Struktur der Welt in Gott.4 Die Annahme einer intelligiblen, noetisch strukturierten Ursachendimension zur Erklrung der ordnungsvollen Bewegung in der Welt fhrt Cudworth zum Modell der Integration mechanistisch-reduktionistischer mit intelligibel-alchemistischen Anstzen zur Naturerklrung5 und zu einer platonisch-idealistischen Theorie der Erkenntnis, die gegen den reinen Empirismus gerichtet ist. 1

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Man kann das nun im System Folgende demgemß als Aussagen ber Gott klassifizieren, dass es dem von Alsted, dessen Gedanken in der ersten Hlfte des 17. Jahrhunderts in England durchaus bekannt gewesen sind (siehe Antognazza, in Mulsow [2009], 79 – 81), beschriebenen Argumentationsmodus des sigillum Universitatis et Encyclopaediae entspricht: „Sigillum universitatis est modus, quo omnia de omnibus dicuntur. e. g. dicturus de Deo, considerabit coelum, Angelum, hominem: […] Sigillum encyclopaediae est modus, quo unum subjectum deducitur per varias disciplinas.“ (Alsted, Trigae Canonicae pp. 104 – 105; zitiert nach Antognazza, in Mulsow [2009], 72, Anm. 62). An dieser Stelle bei Alstedt wird, ebenso wie spter durch Bisterfeld, der Modus neuplatonischen Schreibens, den Cudworth im System pflegt, klar benannt. Cudworth greift mit der „Prolepsis“ in System II, 487 den Begriff auf, den er am Ende von Kapitel IV verwendet. Allerdings wird er in Kapitel V mit den epistemologischen Fragen Erçrterungen verknpfen, die Gottes Verhltnis zur Natur und deren daraus resultierende Struktur betreffen. Zudem wird der Begriff „Prolepsis“ nicht lnger ausschließlich stoisch, sondern auch neuplatonisch konnotiert werden, siehe System II, 507 – 508. Vgl. z. B. die Formulierungen in System II, 488 und 517. Vgl. System II, 498, wo Cudworth „intention“ und „mind“ als Synonyme behandelt: „No more can the things of nature be rightly understood, or the causes of them fully assigned, merely from matter and motion, without intention or mind.“ System II, 496: „Nevertheless, we acknowledge, that God and nature do all things in the most frugal and compendious way; and that the mechanic powers are taken in, so far as they will serviceably comply with the intellectual platform. But nature not mechanical and fortuitous only, but also vital and artifical; the Archeus of the whole world.“ Zum Archeus als dem intelligiblen, unsichtbaren Prinzip im Stofflichen s. o. im Kapitel 4.2.1 „Die plastic nature als Ergebnis einer kombinierenden Transformation stoischer Vorstellungen“.

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Seine integrative Naturphilosophie dient weiterhin ausdrcklich dem Zweck, eine Alternative zu den Ansichten der „atomic Atheists“, einem umfassenden Okkasionalismus und Descartes Position des Okkasionalismus zu bieten, die entweder alle Naturerscheinungen oder die Interaktionen zwischen Seele und Kçrper durch das unmittelbare Eingreifen Gottes erklren wollen.6 Den „mechanic theists“, die nach seiner Ansicht bereits durch die komplexe Struktur der natrlichen Phnomene widerlegt werden, stellt Cudworth erneut zustzlich die „Hylozoists“ an die Seite. Auch deren Naturerklrungen durch eine Art wahrnehmender, monadenhnlicher Atome7 hlt Cudworth fr ungeeignet, zumal hier offensichtlich viel zu wenig Raum fr das vermittelte Wirken Gottes in der Welt bleibt und zudem der Materie bzw. ihren Bestandteilen Eigenschaften zugeschrieben werden, die sie im Rahmen eines neuplatonischen Weltbildes per definitionem nicht besitzen drfen. Dagegen steht Cudworths eigenes System, in dem die noetischen Inhalte und Strukturen der gçttlichen Vernunft durch die Weltseele vermittelt und durch die verschiedenen Arten der plastic nature im Stofflichen verwirklicht werden. Innerhalb dieses Rahmens gelten Cudworth – wie Henry More –8 Phnomene, die man heute vielleicht als paranormal oder parapsychologisch bezeichnen wrde, wie z. B. Epiphanien des Gçttlichen, Wunder und prophetische Fhigkeiten, als Manifestationsformen und Anzeichen oder signa dieser ber- und vorgeordneten geistig-gçttlichen Struktur. Sie verweisen also aufgrund ihrer Abhngigkeit von einer intelligiblen Ursache letztlich auf Gott und kçnnen damit ebenfalls als Beweise fr die Existenz Gottes und seines Wirkens dienen.9 6

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System II, 498. Zumindest Descartes wird wiederholt genannt. Zur Funktion der „concepts of active principles“ zur Abwehr okkasionalistischer Naturerklrungen in der Frhen Neuzeit in England s. Henry (1986), 354 – 355. System II, 499. Cudworth nimmt hier ebenfalls mit einiger Wahrscheinlichkeit auf die bereits bekannten Vertreterinnen und Vertreter des Hylozoismus Bezug, die bereits oben in Kap. 3 „Der Weg zur plastic nature“ angefhrt wurden, wie z. B. auf Anne Conway, Margaret Cavendish oder Francis Glisson und dessen Konzept von der irritablen und perzipierenden Faser als „kleinste[r] Funktionseinheit“ und „universelles Modul alles Lebendigen“, dazu siehe Cheung (2006), 104 – 110. Mçglich wre auch ein Bezug auf Brunos Atom- und Kçrperkonzeption, dazu z. B. Blumenberg (1996), 686 f. zur „energetischen Autarkie der Immanenz“ in Brunos Naturerklrungen. Zu Mores Einschtzung und Funktionalisierung von paranormalen Phnomenen und Berichten ber sie („Geistergeschichten“) als Beweisen fr metaphysische Annahmen siehe Hall (1990), 136 – 145. In diesem Zusammenhang ist Halls Bemerkung zu relativieren, dass Cudworth derartigen Phnomenen keine Beachtung schenke und sie systematisch nicht nutzbar mache (Hall [1990], 143). Siehe z. B. System II, 504: „All miracles evince spirits; […] divination or prophecy [..] also evinces spirits […] if divination, then gods.“ Und man kçnnte nun nach allen bisherigen berlegungen zum ontischen Status dieser „Gçtter“ ergnzen: if gods, then one God. Siehe System II, 504: „These five extraordinary phenomena all of them evince

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Die Analyse der Ausfhrungen Cudworths wird sich im Folgenden auf den metaphysisch-naturphilosophischen Gehalt der Darstellungen konzentrieren und die epistemologischen berlegungen zum Existenzbeweis Gottes nur dann bercksichtigen, wenn sie sich mit dieser Fragestellung wesentlich berschneiden bzw. zur weiteren Erhellung oder Ergnzung der bisherigen Ergebnisse zu Cudworths metaphysischen und naturphilosophischen Vorstellungen beitragen. Cudworths Auseinandersetzung mit den Argumenten der verschiedenen Atheisten gegen die Annahme der Existenz Gottes berhrt mehrere zentrale Punkte seiner vorwiegend philosophisch, d. h. platonisch-neuplatonisch strukturierten Gotteskonzeption, wie sie im vorigen Abschnitt herausgearbeitet wurde: die Intelligibilitt und Transzendenz Gottes, die ihm zukommende Unendlichkeit und die Vereinbarkeit der ihm wesentlichen Attribute.10 So verstrkt sich der Eindruck, dass Cudworth sich nun, nachdem er seinen Trinittsbegriff in der Auseinandersetzung mit den patristischen Referenztexten entwickelt und mit der zuvor explizierten (antiken) Gottesvorstellung (Gott als goodness, wisdom und love/active power) ber das Konzept der unterschiedlichen Modi des pqos¶jeim verbunden hat, dem Diskurs mit den von ihm als Atheisten klassifizierten zeitgençssischen Naturphilosophen (bzw. deren antiken Platzhaltern) aussetzt, wobei ihm eine stilisierte Konstruktion der Positionen Hobbes als Ausgangspunkt dient.11 In diesem ersten Schritt seiner Argumentation fhrt Cudworth in Form einer Widerlegung der sensualistischen Erkenntnistheorie der Atomisten und (des konstruierten) Hobbes seine Position zur Transzendenz Gottes aus. Gegen die von ihm selbst aus hellenistischen und zeitgençssischen Momenten amalgamierte Ansicht der Atomisten, dass Begriffe, denen keine sinnliche Anschauung entspricht, leere Begriffe seien, argumentiert Cudworth im Rahmen seiner neuplatonischen Ontologie.12 Dem atheistischen bzw. in den Atheismus fhrenden Argument, Gott existiere nicht, da er fr den Menschen weder wiss- noch erfassbar sei, hlt er seine Position entgegen,13 die sich auf Platons berlegungen zum Status der Idee des Guten sttzt, die sich im Sonnen- und Hçhlengleichnis der Politeia finden. Zunchst

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spirits to be no fancies, but substantial inhabitants of the world; from whence a God may be inferred. Some of them immediately prove a Deity.“ Zentral fr diese Schlussfolgerungen ist die, hinsichtlich der Naturerklrung im System grundstzliche, neuplatonische Prmisse zur Beschreibung bzw. Erklrung urschlicher Zusammenhnge: „Things did not ascend, but descend.“ (System II, 507), so dass man von den niedrigeren Wirkungen auf die hçheren, intelligiblen Ursachen zurckschließen darf, gerade wenn man sich das Wirken von oben nach unten als kontinuierliches und rational-notwendiges vorstellt, wie es in Cudworths neuplatonischem Kontinuum der Fall ist, vgl. Bergemann (2006), 205 – 216. Zum hnlichen Vorgehen Robert Boyles siehe Hunter (1990), 395 f. System II, 509 f. Vgl. dazu die Anm. 1 und 2 von Mosheim in System II, 510. Das stellt bereits Mosheim fest, siehe System II, 516, Anm. 8. System II, 518 f.

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werden nun also die oben S. 332 f. ausgefhrten berlegungen zur de?nir jat± !m²kocom fortgesetzt und erweitert. Grundstzlich geht Cudworth dabei von der platonischen Prmisse aus, dass das menschliche Erkenntnisvermçgen als unvollkommenes Abbild auf ein vollkommenes Urbild, in diesem Fall den gçttlichen Nous/Logos verweist. Die ihm eigene Unvollkommenheit bedeutet fr das menschliche Erkennen, dass es der Transzendenz, Totalitt und umfassenden Absolutheit Gottes nicht entsprechen kann: Whatsoever is in its own nature absolutely inconceivable, is nothing; but not whatsoever is not fully comprehensible by our imperfect understandings.14 It is true indeed, that the Deity is more incomprehensible to us than any thing else whatsoever, which proceeds from the fulness of its being and perfection, and from the transcendency of its brightness; but, for the same reason may it be said also, in some sense, that it is more knowable and conceivable than any thing. As the sun, though, by reason of its excessive splendour, it dazzle our weak sight, yet it is notwithstanding far more visible also, than any of the nebulosae stellae, “the small misty stars.” Where there is more of light there is more of visibility; so where there is more of entity, reality, and perfection, there is more of conceptibility and cognoscibility; such an object filling up the mind more, and acting more strongly upon it. Nevertheless, because our weak and imperfect minds are lost in the vast immensity and redundancy of the Deity, and overcome with its transcendent light and dazzling brightness, therefore hath it to us an appearance of darkness and incomprehensibility; […] The incomprehensibility of the Deity is so far from being an argument against the reality of its existence, […]15

Cudworth nimmt hier ein bereits bekanntes Motiv auf,16 kann es nun aber vor dem Hintergrund der eigenen Trinittsspekulation sachlich angemessen differenzieren: Im Hçhlengleichnis berstrahlt die Idee des Guten (im Gleichnis selbst per analogiam dargestellt durch die Sonne) alles andere an Helle und wird damit erst zuletzt und nach anfnglichen Schwierigkeiten erkannt bzw. erfasst.17 Der Grund dafr ist in ihrem Status als oberstes seins- und erkenntnis- sowie

14 In diesem Abschnitt nimmt Cudworth eine ebenfalls neuplatonisch fundierte berlegung aus System II, 517 auf, die mit der Motivik aus Plotin, Enn. V 8, 4 und 9 arbeitet: die des Nous als leuchtender, durchsichtiger Sphre, in der alles zudem sich selbst durchsichtig ist und doch in seiner Einzelheit gewahrt bleibt. Diese Vorstellung greift Cudworth auf und kombiniert sie mit Anstzen aus Sonnen- und Hçhlengleichnis zu einem Platonisch-neuplatonisch-christlichen Hybrid; vgl. die Charakterisierung, die Gysi (1962), 45 von Cudworths Wahrheitsbegriff gibt. 15 System II, 518 f. Cudworth thematisiert hier demnach zugleich das ontologischepistemologische Fundament seiner Interpretation der gyptischen Religion, die, wie gezeigt, auf der Anwendung der integumentalen Hermeneutik und auf der Annahme der damit verbundenen Vorannahmen basiert. 16 S. o. S. 253 f. u. 262. 17 Platon, R. VII, 515e-516c.

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wahrheitsbegrndendes Prinzip zu sehen.18 Cudworth verschrft allerdings Platons Thesen.19 Aus einer schwierigen Erkenntnis oder Erfassung des obersten Prinzips, die erst nach jahrelanger Gewçhnung und im Zuge der dialektischen Vollendung mçglich wird, entwickelt er in christlicher Umwendung bzw. berbietung, mit der er mçglicherweise dem unvollkommenen Vermçgen des gefallenen Menschen Rechnung trgt, die Unmçglichkeit, dieses Prinzip vollstndig zu erfassen. Auch wenn also Cudworths Ausfhrungen zunchst an Platons Sonnengleichnis denken lassen und es auch implizieren, lassen sie zugleich eine spezifisch christliche Umdeutung erkennen, die die Helle des ersten Prinzips zur berlichthaften Dunkelheit berhçht, wie sie Dionysios Areopagita Gott zuschreibt.20 Allerdings ist klar zwischen diesem rein menschlichen epistemologischen Unvermçgen und der realen Existenz Gottes und deren Denkbarkeit an sich zu differenzieren: Denn auch wenn Gott fr den Menschen incomprehensible ist, also aufgrund seiner noch nher zu bestimmenden Unbegrenztheit oder Unermeßlichkeit verstandes- oder vernunftmßig nicht oder nicht vollstndig erfasst werden kann,21 bleibt er fr Cudworth dennoch conceivable, d. h. seine Existenz (und damit sein Wesen oder seine Struktur) bleibt zumindest im Kontext neuplatonischer Ontologie grundstzlich widerspruchsfrei22 denkbar, wie Cudworth zuvor exemplarisch mit seinen berlegungen zur Trinitt auf die ihm spezifische Weise durch- und vorgefhrt hat. Das Wesen Gottes bestimmt Cudworth dementsprechend und an den derzeitigen Argumentationsschwerpunkt angepasst als „fullness“, „perfection“, „transcendency“, „vast immensity“ und „redundancy“ ganz im Sinne des neuplatonischen Einen als eines Schçpfungsprinzips, wie er es u. a. in seinen vorangehenden Trinittsspekulationen getan hat,23 die damit eine epistemologische Wendung erfahren. Von zentraler Bedeutung fr die Widerlegung der wesentlich auf einem Argument von Hobbes basierenden atheistischen Argumente ist dabei der Begriff der „infinity“24 und dessen Denkbarkeit sowie die damit 18 Diese Funktion expliziert Platon im Sonnen- und Liniengleichnis. 19 Siehe dazu seine Ausfhrungen zu Xenophon in System II, 62 f. 20 Cudworth verkehrt an dieser Stelle die Deutungsrichtung der absoluten Transzendenz von der Helle ins Dunkle gegenber seiner Auslegung in System I, 576 – 577, wo er den %cmystom sjºtor umdeutet zur blendenden Helle, da diese Vorstellung besser zum Kontext der emanativen Kraft Gottes passt. Daran lsst sich ablesen, wie argumentationsabhngig Cudworth mit den neuplatonischen Versatzstcken spielt, die ihm in den jeweiligen Zusammenhngen zur Verfgung stehen. 21 Zum Zusammenhang von infinite und incomprehensible bei Hobbes, gegen den Cudworth hier implizit argumentiert, siehe Mosheim in System II, 521, Anm. 3. 22 Siehe OED s.v. inconceivable 2a. Siehe die Distinktion zwischen not inconceivable und incomprehensible in System II, 519. 23 Vgl. z. B. System II, 385 und 393. 24 Zur Semantik dieses Begriffs vgl. die Anmerkungen von Mosheim in System II, 521 – 526, Anm. 3, 4, 5 und 7. Zu Gott als „infinitum“ bei Marsilio Ficino siehe Leinkauf, in

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verbundene Semantik dieses Begriffs, denn fr Hobbes ist bereits das Gottesattribut „infinite“ ausreichend, um den gesamten Gottesbegriff und jede Vorstellung von Gott, die, wie diejenige Cudworths, dieses Attribut enthlt, fr „inconceivable“ zu erklren.25 Im Unterschied zu Hobbes entwickelt Cudworth aus dem Wesenszug der „infinite power“ Gottes unter In-Gebrauch-Nahme der neuplatonischen Metaphysik eine theistische und naturphilosophisch ebenso nutzbringende wie differenzierte Prinzipienspekulation und Gotteserkenntnis, whrend Hobbes es den Menschen abspricht, eine derartige weitergehende Gotteserkenntnis mit Wahrheits- oder Adquatheitsanspruch entwickeln zu kçnnen.26 Seine diesbezglichen Ausfhrungen erlauben aufgrund der Konvergenz von Epistemologie und Ontologie im Begriff der Unbegrenztheit bzw. Unendlichkeit zugleich Rckschlsse auf die metaphysische Struktur Gottes und seine Funktion in der Argumentation des System. Mosheim merkt ganz grundstzlich zu diesem Problemkomplex an, dass Cudworth mit einem „positiven“ Begriff von „unbegrenzt/unendlich“ argumentiert.27 Diese Semantik von „infinite“ kann nur Gott als absolut vollkommenem Wesen in seiner trinitarischen Struktur zugesprochen werden, wie Cudworth aufgrund eines Vergleichs oder einer Gegenberstellung des „Theisten“ Melissus mit dem „Atheisten“ Anaximander verdeutlicht.28 Im Folgenden wird es Cudworth darum gehen, die Bedeutung dieses „positiven“, d. h. eben nicht rein negativ in Bezug auf das

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Hfner/Vçlkel (2006), 105. Mçglicherweise bernimmt Cudworth fr seine weiteren Ausfhrungen und die Auseinandersetzung mit radikal-calvinistischen Thesen die bei Ficino explizit mit der Unendlichkeit Gottes zusammengedachte Vorstellung der Selbstreflexion Gottes, die wiederum bei Cudworth die Einschrnkung der gçttlichen Allmacht Gottes durch dessen noetischen Zug wesentlich impliziert; s. u. zur Rckfhrung dieser Charakteristik bis auf Plotin. Hobbes Argument (Leviathan, part. 1, cap. 3, p. 11 [London 1651]) lautet: „Whatsoever we imagine is Finite. There is therefore no Idea, or conception of anything we call infinite. No man can have in his mind an Image of infinite magnitude, nor conceive infinite swiftness, infinite time, or infinite force, or infinite power.“ Siehe dazu Mosheim in System II, 521, Anm. 3. Cudworth wendet und verschrft dieses Argument folgendermaßen: „That because infinity (which according to theology is included in the idea of God, and pervadeth all his attributes) is utterly inconceivable, the Deity itself is therefore an impossibility, and nonentity. […] that there is nothing of philosophic truth and reality in the idea and attributes of God; […]“ (System II, 521 f.). Eine knappe Darstellung von Hobbes Auffassung von der Unerfassbarkeit Gottes und ihren Konsequenzen fr die Bereiche der Naturerkenntnis und der politischen Philosophie gibt Taliaferro (2005), 115 – 116. System II, 523, Anm. 5. Damit unterscheidet sich Cudworth ganz wesentlich von dem Gebrauch, den z. B. Cusanus von diesem Begriff in der Tradition der negativen Theologie macht, siehe dazu z. B. Moran, in Hedley/Hutton (2008), 18 f. Allerdings weist auch die Verwendung des Begriffs „unendlich“ bei Cusanus positive Aspekte auf, an die Cudworth zumindest anknpfen kann, dazu Moran, in Hedley/Hutton (2008), 21. System II, 525.

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menschliche Erkenntnisvermçgen zu bestimmenden Begriffs von „infinite“ zu explizieren und in Beziehung zu setzen zu seinen vorausgehenden berlegungen zum (trinitarischen) Wesen Gottes. Es gilt also, diesen problematischen Begriff mit Inhalt zu fllen. Dabei fllt Cudworths wiederholte Engfhrung der zeitlichen „Unbegrenztheit“ mit einer auf die Kraft bezogenen „Unbegrenztheit“ auf.29 Sie lsst sich mçglicherweise mit einem – impliziten – Rekurs auf eine Verbindung von unendlicher Zeit und unendlicher Kraft erklren, die u. a. in der Institutio Theologica des Proklos erçrtert wird und die Cudworth in theologisch gewendeter Form auf seine eigene Erçrterung bertragen haben kçnnte: § 84: All that perpetually is is infinite in [its dynamis]. For if its subsistence is unfailing, then the [dynamis], in virtue of which it is what it is and is able to exist, is likewise infinite: since this [dynamis] of being [B jat± t¹ eWmai d¼malir] if it were finite, would one day fail; which failing, the existence of its possessor would also fail and that possessor would no longer be perpetual. Accordingly that [dynamis] in perpetual Being which maintains it in existence [d¼malim tμm sum´wousam aqt¹ jat± tμm oqs¸am]30 must be infinite (Procl., Inst. Theol. § 84; bs. Dodds).

Hinsichtlich der christlichen Gottesvorstellung msste Cudworth diesen Abschnitt jedoch etwas anpassen. So wrde aus dem „Immersein“ die Ewigkeit Gottes, denn nur diese Form der berzeitlichkeit ist Gottes absoluter Vollkommenheit und der mit ihr verbundenen Transzendenz angemessen.31 Allein aufgrund seiner vollkommenen Selbstexistenz transzendiert Gott jedes zeitliche Maß, so dass in ihm und fr ihn Vollkommenheit, Verharren in sich und Ewigkeit zusammenfallen. Hier scheint Cudworth einen Abschnitt aus Enneade III 7 Plotins aufzugreifen, in dem genau diese Zge zusammengefhrt und notwendig mit dem Nous, d. h. fr Cudworth mit dem Logos Gottes und auf diese Weise mit seinen vorausgehenden Trinittsspekulationen, verbunden werden.32 Vor diesem Hintergrund lsst sich die Ewigkeit Gottes dann als 29 Vorgegeben von Hobbes, der seine Kritik am Unendlichkeitsbegriff mit einer Diskussion der „infinite time“ und der „infinite power“ beschließt, was Cudworth in System II, 521 f. aufgreift, wobei er in seinem selektiven Zitat aus Hobbes bezeichnenderweise „magnitude“, „swiftness“ und „force“ auslsst. Cudworth greift diese Junktur dann auf in System II, 526, 527 und 531. 30 Cudworth kçnnte diese d¼malim tμm sum´wousam aqt¹ jat± tμm oqs¸am mit der wesentlichen Energeia Plotins identifiziert haben (der 1m´qceia t/r oqs¸ar), die ihrerseits aufgrund ihres hervorbringenden Wesens leicht mit dem die Trinitt fundierenden Wesen Gottes gleichgesetzt werden kann, das sich ber die gesamte Trinitt erstreckt. 31 System II, 529: Gott ist „without time, before time; he being above that successive flux, […]“; vgl. auch 531, wo Cudworth von der „infinite eternity“ Gottes spricht. 32 Plot., Enn. III 7, 3, 11 – 23 und 4, 1 – 3: „Fasst er dann alles umgekehrt wieder zur Einheit zusammen, so dass sie nur Leben ist: er zieht in diesen die Andersheit zusammen und die Unermdlichkeit der Bettigung und das Selbige, das niemals anders ist und nicht

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notwendiges Attribut der Trinitt behaupten, dessen Notwendigkeit sich daraus ableitet, dass der Trinitt wesenseigen aufgrund der selbstbezglichen Zuwendung, der Aufhebung aller ihrer Aspekte in „konkreter Totalitt“33 und besonders ihrer Sein und Wesen verleihenden Ousia das Merkmal der berzeitlichen Selbstexistenz zukommt. Da nun gemß der Vorgaben durch Proklos in der Institutio Theologica § 84 die berzeitlichkeit der Selbstexistenz Gottes ebenso notwendig eine entsprechende unendliche Dynamis impliziert, ist in einem ersten Argument auch deren Unendlichkeit abgeleitet und auf diese Weise nachvollziehbar „bewiesen“. Entsprechend der Vorgaben durch die Kritik Hobbes und eventuell durch Proklos Verknpfung der Begriffe „unendlich“ und „Dynamis“ in der Institutio motiviert, hauptschlich wohl aber, weil er selbst „power“ als wesentlichen Aspekt Gottes wiederholt anfhrt, behandelt Cudworth die „infinite power“ Gottes in der Auseinandersetzung mit dem Vorwurf, diese Begriffe seien in sich widersprchlich und besßen daher keinen Wirklichkeitsanspruch, weiter: In seiner unbegrenzten Kraft/Macht (power) unterscheidet sich Gott als Schçpfer von der Schçpfung, denn in seiner Kraft und durch sie ist er erst Schçpfer, wie die Ausfhrungen zur dritten Hypostase als Wirken der Trinitt ad extra gezeigt haben. Hinsichtlich des Verhltnisses Gottes gegenber seiner Schçpfung kann Cudworth folglich diese „infinite power“ auch als Allmacht bestimmen.34 Damit bekommt diese Junktur einen ersten Sinn, denn sie bezeichnet nun die schçpaus einem Anderen zu einem Anderen wird, sondern das immer Gleichmßige und immer Unausgedehnte – indem er all das ansieht, erblickt er die Ewigkeit [aQ_ma], ein Denken oder ein Leben, welches immer im Selbigen bleibt und immer das Gesamt gegenwrtig hat, nicht etwa jetzt dies und jetzt jenes, sondern alles zumal, nicht jetzt dies und jetzt jenes ist, sondern teillose Vollendung ist, wobei so wie in einem Punkte alles versammelt ist und niemals erfließend hervorgeht, sondern sie beharrt in sich im Selbigen und wandelt sich niemals, ist immer in der Gegenwrtigkeit, denn nichts an ihr ist vergangen oder erst zuknftig, sondern das, was der Inhalt ihres Seins ist, ist es: […] Man darf nun aber nicht meinen, dass die Ewigkeit dem oberen Wesen ußerlich zukomme, sondern sie ist in ihm, sie kommt aus ihm und ist mit ihm.“ Dass Cudworth sich eventuell, wenn auch implizit, auf diese Passage bezogen haben kçnnte, legen seine Formulierungen in System II, 537 nahe. Gerade der letzte Abschnitt dieser Passage aus Plotin kçnnte dann Cudworth dazu angeregt haben, seine Aussagen ber die Unendlichkeit und Ewigkeit Gottes mit dem bekannten Wahrheitsanspruch zu versehen: „To sum up, we say, that infinite and eternal are […] attributes belonging to the Deity, and to that alone, of the most philosophic truth and reality.“ (System II, 531); vgl. auch II, 560: die wesentlichen Attribute Gottes „declare the real nature of the thing itself“. Die zeitgençssische Philosophin Anne Conway vertritt eine sehr hnliche Aufassung, vgl. Conway, principles, Chap. II, 5. 33 Siehe Halfwassen (2004), 74 – 77. 34 System II, 532 – 533. Auch diese Gleichsetzung ist keineswegs neu, siehe z. B. System I, 308 – 310 und 372; s. o. S. 144 f. u. 225. Jetzt aber lsst sie sich in der trinitarischen Struktur Gottes fundieren und aus dieser Struktur heraus gegen Hobbes epistemologisch funktionalisieren.

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ferische Kraft Gottes, deren Wirken nicht nur phnomenal, sondern auch im ersten Buch Genesis, dem verschriftlichten Wort Gottes, bezeugt ist. Die „infinite power“ ist demnach die auf die gesamte Schçpfung gerichtete urschliche Kraft Gottes, die d¼malir p²mtym. Im Anschluss an seine Trinittsspekulation hat Cudworth nun jedoch zustzlich die Aufgabe, die christliche Allmachtsvorstellung metaphysisch und systemspezifisch zu konkretisieren und als in sich vernnftig und denkbar zu erweisen. Das wiederum hat zur Konsequenz, dass sich im Folgenden der Argumentationsschwerpunkt verschiebt und er es im wesentlichen unternimmt, die Vereinbarkeit von Allmacht und Weisheit (und damit auch von Allmacht und Gte/Liebe) Gottes nachzuweisen. Das seinerseits soll zeigen, dass Gott in seinen verschiedenen, den Trinittshypostasen zugehçrigen Aspekten oder Attributen widerspruchsfrei denkbar ist (er ist eben gerade nicht „inconceivable“, wie Hobbes unterstellt), weshalb diesem Gottesbegriff Wahrheit zukommt, d. h. er etwas Wirkliches und real Existierendes bezeichnet: Gott. Zu diesem Zweck expliziert Cudworth die Allmacht/d¼malir p²mtym Gottes, seinen berlegungen zur Binnenstruktur Gottes folgend, als eine hervorgehende Schçpfungskraft, die ihr Wirken eingebunden in eine noetisch gefilterte per-se-Kausalfolge entfaltet.35 In seiner grundstzlichen Gestalt kommt der Gedanke der abzumildernden Kraft Gottes ebenfalls bei Anne Conway zum Ausdruck, aus deren Principles zur Verdeutlichung ihrer Position ein kurzer Abschnitt zitiert werden soll, der sich thematisch und motivisch eng mit Cudworths Art der Darstellung berhrt. Er zeigt, wie sehr diese Vorstellung in der Konstellation der Cambridger Platoniker verwurzelt ist, mit deren Ansichten Conway ber ihren engen Freund Henry More vertraut war:36 Annotations on this first Chapter 1. Seeing God was of all the most exceeding great and infinite Light, and yet the chiefest Good: For this Reason he would make Creatures to whom he might communicate himself: But these could in no wise bear the exceeding greatness of his Light […]

35 Siehe Gysi (1962), 111 – 113. Diese Modifikation impliziert zugleich eine Kritik an radikaleren protestantischen Positionen, die Gottes Allmacht und seinen Willen den anderen Aspekten vollstndig berordnen, siehe System II, 532 f. Dabei entgeht auch Descartes nicht Cudworths Vorwurf, die gçttliche Allmacht, seine „infinite power“, zur irrationalen Willkr zu deformieren. Vgl. dazu Cudworths Ausfhrungen zur Gottesfigur der Atheisten in System II, 578 und zu Gott als !qwgc´tgr. Zum von Cudworth abgelehnten und in seiner Trinittskonzeption widerlegten Voluntarismus im 17. Jh. siehe Brown, in Crocker (2001), 1 – 4. Zu den voluntaristischen Anstzen Descartes s. ebd. 4. 36 Zur Position Conways in der Konstellation der Cambridge Platonists siehe Hutton, in Mulsow/Stamm (2005), 341 – 342 und 352 – 358.

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2. He diminished therefore (for the sake of the creatures) the highest Degree of his most intense Light, that there might be room for his Creatures, from whence Place immediately arose, as it were a certain Circular Vacuity or Space of Worlds. 3. This Vacuum was […] but a certain real Position of Light, diminutively, which was the Soul of the Messias, called by the Hebrews, Adam Kadmon, which filled all that whole Space. 4. This Soul of the Messias was united with that whole Light of the Divinity, which remained within that Vacuum in a more mild degree, that could be borne, and with it made up one Subject. 5. This Messias (called kºcor, or Word, or First Begotten Son of God,) having made a new Diminution of his Light, for the benefit of his Creatures, framed or made within himself the whole Series or Orders of all Creatures (Conway, princ., Annotations zu Chap. I. p. 151 [ed. Loptson]). Zunchst legt auch Conway ihrem Gottesbegriff die Vorstellung zugrunde, Gott als erstes Prinzip sei eine unendliche Schçpferkraft, ein unendliches Licht. Die Identifikation dieser Kraft mit dem neuplatonischen Einen-Guten fundiert diese Annahme zustzlich. Aus dieser Kraft geht der als Logos und damit als noetische Struktur zu verstehende Christus hervor, der wie bei Cudworth ebenfalls eine weltschçpferische Funktion erhlt. Dieser Christus-Aspekt Gottes bildet zum einen mit dem Guten eine Wesenseinheit („one Subject“). Zum anderen aber vermittelt sich in ihm und durch ihn das „unendliche Licht“ Gottes in abgeschwchter und gleichsam gefilterter Weise. Damit nimmt Conway ein wesentliches Moment der innertrinitarischen per-se-Kausalfolge auf. Diese Filterung bzw. noetische Strukturierung der ursprnglichen Licht-Kraft ist zugleich Ausdruck der Gte und Liebe Gottes, denn sie vollzieht sich zum Wohl der nachfolgenden Geschçpfe, die alle im Gott-Logos geschaffen werden. Hier klingt zustzlich der Gedanke an, dass Gott als erstes Prinzip alles in sich umfasse. Conway kleidet ihre berlegungen und neuplatonischen Grundannahmen jedoch – anders als Cudworth – in eine dezidiert kabbalistisch angereicherte Terminologie. Es ist zu erkennen, dass Cudworth und Conway grundstzlich sehr hnliche Vorstellungen vertreten. Allerdings lsst sich Cudworths Position nach seinen vorausgehenden Spekulationen zur Trinitt und besonders zur generellen bereinstimmung zwischen (neu-)platonischer und christlich-orthodoxer Trinitt bezglich der noetischen Struktur des Logos als zweiter Hypostase nun przisieren.37 Vor dem Hintergrund seiner Binnenstruktur kann sich Gottes Allmacht nur vermittelt durch den kosmos noetos entfalten, wie Cudworth

37 Zur noetischen „Filterung“ im Wirken Gottes siehe auch System III, 34 f.

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bereits mehrfach hervorgehoben hat und auch nun wieder ausdrcklich betont.38 Das, was Conway als „Diminution of his Light“ bezeichnet, wird bei Cudworth bei wesentlicher bereinstimmung der Grundannahme zur rationalen Strukturierung der gçttlichen Schçpferkraft vor und in ihrem Hervorgehen durch den Nous/Logos. Bereits in System I, 316 hatte Cudworth die zentralen Eigenschaften Gottes in der Struktur der per-se-Kausalreihe miteinander vereinbart und Gottes Kraft und Macht als dritte Hypostase eindeutig in die Abhngigkeit von den Vorgaben der unbegrenzten Weisheit und Vernunft Gottes gestellt, wie der einfache ausfhrende Handwerker von den Vorgaben des planvollen Architekten beim Bau eines Tempels abhngig ist.39 Diese metaphysische Grundannahme ist nun mit Blick auf Cudworths unmittelbar vorausgehende Spekulationen zur Struktur der Trinitt zu erklren: Die Trinitt realisiert sich eben nur im Durchgang durch und im Vollzug noetischer Selbstkonstitution,40 die nach Cudworth – ebenso wie die Weltseele als Liebe – als notwendiger Modus des pqos¶jeim der gçttlichen Substanz anzusehen ist.41 Diese Substanz muss sich notwendig in der nach innen gerichteten Emanation in den Modi des Noetisch-Rationalen als auch der Liebe entfalten. Die „infinite power“ kann es im Kontext derartiger Trinittsspekulationen also immer nur im noetisch-rationalen und liebenden Vollzug geben. Dies wiederum garantiert aufgrund der 38 System II, 533 – 537, siehe auch 393 – 394 und 138 zur Gçttin Minerva. Vgl. Leinkauf (1993), 336 zu den „zwei fundamentale[n] ad extra-Aspekten Gottes“ in Kirchers Gottesbegriff: der „neidlose[n] Ausstrahlung als diffusivum sui und seine[r] konstruierend-architektonische[n], definierende[n] Intelligenz“. 39 Dieses Bild wird in System II, 394 aufgegriffen und im Sinne Conways metaphysisch funktionalisiert: Denn auch hier ist die Rede von einer Reduktion und Anpassung der Schçpferkraft Gottes an den Schçpfungsprozess und die Schçpfung bzw. Geschçpfe selbst. 40 Zu einer analogen Vorstellung bei Marius Victorinus siehe Beierwaltes (1998), 33 – 35, 39. Immer wieder wird somit deutlich, wie intensiv Cudworth grundstzlich Vorstellungen anwendet und zugrunde legt, die der in der Sptantike entworfenen Einheit von christlicher Theologie und neuplatonischer Philosophie entstammen, in der, wie Beierwaltes (1998), 20 feststellt, „die christliche Intention zu einer ihr gemßen Reflexionsform mit zentralen Gedankenelementen der neuplatonischen Philosophie […] findet“; vgl. auch ebd. 43. Interessant wre es, wiederum Beierwaltes Interpretation der „neuplatonischen Theorie-Elemente“ (ebd. 43), die er seiner Darstellung christlicher Trinittsspekulationen zugrundelegt, nach ihrer Semantik als idealistische Transformationen des Neuplatonismus zu untersuchen. So kçnnte die zirkulre Struktur aufgedeckt werden, die ihrerseits der Semantik der von ihm behaupteten „metaphysischen Grundfigur“ (ebd. 43) und dem angenommenen rein „sachlichen Bezug“ (ebd. 52) zugrunde liegt, und dieser ebenfalls als historische Konstruktionen ausgewiesen werden. 41 Leslie Armours Analyse der trinitarischen Auswirkung auf die Schçpfung ist daher zu modifizieren, denn Amour nimmt an, dass es die Liebe sei, die die Welt intelligibel und verstehbar macht (Armour, in Hedley/Hutton [2008], 114), diese Funktion wird allerdings von Cudworth klar dem Nous/Logos zugeschrieben, der der Liebe gleichsam zugeschaltet oder eingewoben ist.

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rationalen Struktur des Nous/Logos als wesentlichem und bestimmendem Moment der „infinite power“ in ihrem Vollzug deren widerspruchsfreie Denkbarkeit. So kçnnen, zumindest im Argumentationshorizont Cudworths, durch die innerhalb der Trinitt wesentliche Verknpfung von power und Nous/Logos die Atheisten widerlegt werden, die von der Widersprchlichkeit und Unverstndlichkeit der Junktur „infinite power“ darauf schließen, dass es sich um ein Begriffspaar handelt, dem in der Wirklichkeit nichts korrelieren kann: „Now infinite power being nothing else but a power of doing whatsoever is conceivable, it is plainly absurd to say, that a power of doing nothing but what is conceivable is inconceivable.“42 Durch die Bindung des Adjektivs „infinite“ an die noetische Hypostase der Trinitt entschrft Cudworth also mit einem weiteren, zweiten Argument die Behauptung von Hobbes, wobei er zugleich auf seiner Differenzierung zwischen „incomprehensible“ und „inconceivable“ aufbaut und, anders als Hobbes, „inconceivable“ im Sinne von „nicht widerspruchsfrei/in sich widersprchlich“ interpretiert. Die gesamte Argumentation zeigt die Spezifika von Cudworths transformatorischem Umgang mit neuplatonischen Denkmustern und Vorgaben, denn auch in diesem Fall lassen sich zunchst die zentralen Vorstellungen bis auf Plotin zurckverfolgen und sind als Hintergrundannahmen, deren Wahrheitsgehalt niemals thematisiert oder ernsthaft bezweifelt wird und die nicht immer expliziert werden mssen, der Argumentation zugrunde zu legen. So bestimmt Plotin in Enneade V 5, 10 – 11 das Eine/Gute in seiner Unbegrenztheit43 als Kraft: Denn er ist selber der erste. Er ist auch nicht begrenzt. Denn von wem sollte er es sein? Aber auch wieder nicht unbegrenzt (%peiqor) im Sinne der Grçße; denn wohin hat er nçtig, sich auszudehnen, und was sollte er damit erlangen wollen, da er keines Dinges bedarf ? Vielmehr hat er das Unbegrenzte im Sinne der Kraft (t¹ d %peiqom G2 d¼malir 5wei); denn er ndert sich nicht und wird nie versagen, da ja das nie Versagende erst durch ihn ist. Es beruht dies Unbegrenzte darauf, dass er nicht mehr als Eines ist und dass es nichts gibt, an dem etwas von seinem Inhalt seine Grenze fnde.44 (bs. HBT)45

Aufgrund einer derartigen Vorstellung kann Cudworth also seine bisherige dynamische Gotteskonzeption in einem ersten Schritt an den Diskurs um die „Unendlichkeit“ Gottes und dessen Allmacht anknpfen und dabei zugleich seinen dezidiert neuplatonischen Ansatz beibehalten, der jetzt allerdings in der 42 System II, 534. 43 Der Melissus-Anaximander-Vergleich in System II, 525 zeigt in seiner Begrifflichkeit, dass Cudworth das griechische Adjektiv %peiqom als „infinite“ versteht und bersetzt. 44 Plotin, Enn. V 5, 10, 18 – 11, 2. 45 Siehe Beierwaltes (1998), 199 – 200 zu Plotin und 199 zur Aneignung dieser Vorstellung bei Ficino. Cudworth arbeitet mit diesen Vorstellungen, weshalb die Interpretation zu Cudworths Unendlichkeisspekulation auf den Untersuchungen Beierwaltes aufbaut.

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Abwehr einer Kritik an spezifischen Gottesprdikaten funktionalisiert und modifiziert werden muss. Diese Funktionalisierung, die nun seiner klar konturierten Trinittskonzeption folgen kann, bezieht einen Text Plotins ein, den Cudworth dahingehend verstanden haben kçnnte, dass Plotin in ihm den Prozess, in dem der Nous aus dem Einen hervorgeht und sich zugleich als kosmos noetos realisiert, als einen Prozess beschreibt, in dem das Eine als unbegrenzte Dynamis seine rationale Strukturierung erhlt und erhalten muss, da dieser Nous auch bei Plotin notwendig aus dem Einen hervorgeht oder hervorgebracht wird.46 Dieser Text liefert Cudworth folglich mçglicherweise eine Explikation des Vollzugs, der zur noetischen Binnenstruktur Gottes fhrt. Die Untersuchung, aus welchen Grnden dieser Text in das System an dieser Stelle eingespielt wurde, dient damit zum einen der formalen Transformationsanalyse, thematisiert jedoch zum anderen einen Ansatz Plotins, der verstehen hilft, wie Cudworth zu seiner Trinittskonzeption und seiner Bestimmung gelangt sein kçnnte, in welchem Modus Trinitt zu denken bzw. denkmçglich sei: Bestimmt doch auch der Geist durch sich das Sein fr sich vermittels der Kraft, die vom Einen ausgeht (t0 paq 1je¸mou dum²lei), und weil das Sein sozusagen ein Teil der Dinge ist, die Jenem gehçren und aus Jenem stammen, erhlt es von Jenem seine Kraft und wird zum Sein vollendet von Jenem und aus Jenem [heraus]. [Der Geist] aber sieht daher fr sich selbst und durch sich selbst als einem, der gleichsam strukturiert (leqist`) ist aus dem Unbegrenzten (!leq¸stou) heraus, das Leben, das Denken und alle Dinge, weil Jener [das Eine/Gute] nichts von allen Dingen ist; denn deshalb kçnnen ja alle Dinge von Jenem stammen, weil Jener durch keinerlei Form eingenommen ist. Denn Jenes ist nur Eines; wre es alles, so gehçrte es zu den seienden Dingen [den Ideen]; deshalb ist es nichts von den Dingen, die im Geist sind, sondern diese gehen vielmehr aus [dem Einen] hervor [als der d¼malir p²mtym, als die das Eine in V 1, 7, 9 – 10 bezeichnet wird]. Deshalb auch [werden] diese Dinge Wesenheiten [Ideen], denn jetzt [Edg] werden/sind sie bestimmte, und ein jedes hat sozusagen seine Form. Denn dem Seienden kommt es nicht zu, im Unbegrenzten gleichsam hin- und herzuschweben, sondern durch Bestimmung und Begrenzung befestigt zu sein, durch Stndigkeit; Stndigkeit aber ist fr die geistigen Dinge Begrenzung und Form, und durch sie kommen sie berhaupt zur Existenz (Plotin, Enn. V 1, 7, 14 – 26, bs. nach HBT, gendert).47

Der griechische Text Plotins allein fr sich genommen ist allerdings an den entscheidenden Stellen, die belegen kçnnten, dass sich die Kraft des Einen im Vollzug der per-se-Kausalfolge erst in der und mit der Hypostase des Nous rational-noetisch strukturiert, nicht eindeutig. Das an der entscheidenden Stelle stehende Adverb Edg lsst fr sich genommen keine eindeutige Bestimmung der Ursachenabfolge im Strukturierungsprozess zu (und soll dies vielleicht auch gar 46 Zu dieser metaphysischen Notwendigkeit siehe z. B. Plotin, Enn. V 4, 1, 24 – 39, bes. 34 – 39. 47 Siehe fr das Folgende Halfwassen (2004), 91 – 93 als Grundlage fr die Auslegung dieser Passage.

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nicht). Allerdings lsst die Einleitung Ficinos zu diesem Abschnitt zusammen mit seiner lateinischen bersetzung eine Vereindeutigung des Verstndnisses des Griechischen erkennen, die Cudworth bernommen haben, die sein gesamtes Verstndnis dieses Prozesses beeinflusst haben kçnnte und die, wie in der Rckschau erkennbar wird, auch seine Differenzierung der innertrinitarischen Aspekte in das 4m pq¹ p²mtym, das 4m p²mta und das 4m ja· p²mta fundiert bzw. motiviert haben kçnnte.48 In seiner kurzen Einleitung zu Kapitel 7 der Enneade V 1 skizziert Ficino den fraglichen metaphysischen Ablauf folgendermaßen: „[Intellectus] aspiciendo enim sive naturaliter asciscendo corroboratur a patre. Confirmatus viventen essentiam suam iam comprehendit, in qua fecunda viget virtus essentiarum omnium genetrix. Sic igitur in se ipso in formas omnium se derivat, dum suam hanc intelligendo in se explicat potestatem“ [Hervorh. L. B.].49 Beachtenswert sind in diesem Fall die Zeitverhltnisse, die Ficino durch die Verwendung eines die Vorzeitigkeit bezeichnenden Partizips Perfekt Passiv („confirmatus“) und des Adverbs „iam“ przisiert. Erst nachdem der Geist vom Vater, d. h. dem Einen, die Schçpferkraft erhalten hat, prgt er in sich sein Wesen und damit den strukturierten Ideenkosmos aus. Jetzt erst („iam“) erfasst er sich in seiner ausdifferenzierten noetischen Struktur und entfaltet damit auch erst jetzt den initialen Impuls des Vaters, der zu Beginn vçllig unbestimmt ist („fomento patris: qui, cum nulla rerum forma definiatur […]“). Genau diese prozessuale Verknpfung kommt auch in Ficinos unmittelbarer bersetzung des fraglichen Passus zum Ausdruck: „Determinata enim iam sunt, et unumquodque habet iam velut formam: […]“50. Nach der vorausgeschickten Zusammenfassung ist dieses „iam“ im Sinne des deutschen „jetzt“ oder „nunmehr“ (entsprechend dem englischen „from now on“) zu verstehen. Seine Bedeutung wird durch die emphatische Wiederholung im zweiten Satzteil zustzlich hervorgehoben, denn das zweite „iam“ wird von Ficino in seiner bersetzung hinzugefgt. Ficinos bersetzung legt es also fr einen Leser der Enneade V 1 nahe, die Entfaltung der zunchst und urschlich unbegrenzten und unstrukturierten Kraft des Einen als Entstehung und Selbstkonstitution des Nous/Logos und zugleich als Emanation („[…] sed ex ipso cuncta in ordine rerum manant […]“) und damit als notwendigen Vorgang zu verstehen. Damit ist der Nous notwendig mit der Entfaltungsbewegung der Trinitt und der Vorstellung der „infiniteness“ Gottes verwoben: eine Verbindung, die somit ihrerseits die fr Cudworth spezifische Rationalitt der Unbegrenztheit 48 Zu Ficino siehe Beierwaltes (1998), 195 – 199. 49 Zitat aus Plotini Enneades cum Marsilii Ficini Interpretatione Castigata (edd. Creuzer/ Moser), Paris 1896, 303. 50 Zitat aus Plotini Enneades cum Marsilii Ficini Interpretatione Castigata (edd. Creuzer/ Moser), Paris 1896, 304.

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Gottes gegen die Einwnde von Hobbes sichert. Denn diese „infiniteness“ ist aufgrund ihrer notwendigen – sogar perichoretischen – Verwebung mit dem Noetischen immer auch schon die gleichsam „begrenzte“ und rational strukturierte Unbegrenztheit des Nous, von der bei Plotin z. B. in Enneade III 8, 8, 40 – 48 die Rede ist. Stimmen diese Annahmen, lsst sich – wenn auch lediglich auf der Ebene der hypothetisch rekonstruierten und von Cudworth lediglich implizierten Hintergrundannahmen – das Wirken einer mçglichen Transformationskette erkennen. Erst die vereindeutigende bersetzung durch Ficino htte es Cudworth in diesem Fall erleichtert, in einem ersten Schritt die neuplatonischen und die christlichen Vorstellungen des Nous und des Logos miteinander zu verbinden (Gottes unbegrenzte, wesentliche Kraft begrenzt sich notwendig im innertrinitarischen Hervorgehensprozess durch den und im Nous-Logos). In einem zweiten Schritt kçnnte dann Gottes Allmacht als notwendig noetisch strukturiert gedacht werden. Als Konsequenz wrde der Begriff der „infiniteness“ noetisch konturiert und damit rational erfassbar und fr den Menschen zumindest widerspruchsfrei denkbar, womit Cudworth Hobbes widerlegt zu haben glaubt. Denn jetzt werden Unbegrenztheit und noetische Begrenzung, d. h. Struktur, als perichoretisch miteinander verschrnkte Phasen und Trinittsaspekte in ihrem Bezug aufeinander vorgestellt und zugleich als Liebe Gottes gegenber seiner Schçpfung deklariert. Auf dieser Vorstellung kann Cudworth seine eigene Argumentation aufbauen, in deren Verlauf er die neuplatonischen Anstze entscheidend ergnzen und modifizieren wird. Cudworths Darstellung der perichoretischen Verschrnkung beinhaltet nmlich eine rckwrtsgewandte Wirkung der niedrigeren Hypostasen auf die ihnen vorausliegenden oder, Plotinisch gesprochen, der 1m´qceiai 1j t/r oqs¸ar auf die alles hervorbringende und durchziehende 1m´qceia t/r oqs¸ar, das Wesen Gottes bzw. die „Godhead“ – eine Vorstellung, die fr Plotin aufgrund der absoluten Einheit und Transzendenz des Einen undenkbar wre. Die kombinierende Zusammenfhrung der verschiedenen Einheits-, Trinitts- und Unendlichkeitskonzeptionen fhrt damit zu einer entscheidenden Umdeutung des Plotinischen Schemas, von dem Cudworth nur nutzt, was fr seine argumentatorischen Zwecke sinnvoll verwendet werden kann, whrend andere Aussagen ausgeblendet bleiben. Cudworths Definition der „infinite power“ Gottes als „power of doing whatsoever is conceivable“ zur Widerlegung der atheistischen Position fhrt damit seine neuplatonisch fundierten und christlich modifiziertenTrinittsspekulationen weiter: Nur im Kontext des dynamischen Ursachengefges nmlich, in dem Cudworth Energeiai-Schema, Ousia-Dynamis-Energeia-Schema und Perichoresis ber den Begriff des pqos¶jeim miteinander amalgamiert, besteht fr ihn die Mçglichkeit, den Aspekt der Allmacht mit denen von Liebe/Gte und Weisheit/rationaler Struktur und Begrenzung widerspruchsfrei zu harmo-

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nisieren,51 ohne einen dieser Begriffe zulasten der anderen zu verabsolutieren.52 Da Cudworth die noetisch modifizierte Allmacht Gottes zugleich als Ausdruck von dessen Liebe deutet,53 die sich in der Hypostase der Weltseele manifestiert, kann er seinen Gottesbegriff in einem weiteren Punkt gegen Hobbes (und radikal-protestantische Strçmungen) positionieren: Cudworths Gott dient nicht dazu, die Menschen in Furcht und Schrecken zu versetzen (und so deren Fgsamkeit gegenber der Staatsgewalt bzw. dem Souvern zu erhalten), sondern dieser Gott vermittelt, wie bei Anne Conway, das Bild eines gtigen und liebenden Gottes, der seine Macht und Kraft zum Wohl der Schçpfung und damit des Menschen kanalisiert und strukturiert.54 Cudworth kann daher fr seinen Gottesbegriff behaupten, dass er sich nicht aus irgendwelchen Funktionalisierungsvorhaben und Erfindungen menschlicher Machthaber herleitet, sondern Ausdruck der uranfnglichen Offenbarungswahrheit ist und in der ehrwrdigen Tradition der prisca theologia steht, die nun zudem um die wesentlichen Einsichten christlicher Theologie ergnzt ist. So verschmilzt Cudworth in diesem Zusammenhang die berhmte Passage aus Platons Timaios, in der von Gottes Gte/Gutheit in einem ontologischen Sinn die Rede ist und die die kosmogonisch wie kosmologisch relevanten Kategorien der Gte und Flle enthlt,55 mit dem christlichen Glaubenssatz: „Gott ist Liebe“.56 Diese Gottesstruktur, in der Gottes Allmacht, die zugleich seine allumfassende Schçpferkraft bedeutet, noetisch vermittelt und durch den Aspekt der Weltseele zur Wirkung gebracht wird, stellt ihrerseits die systematische Vor51 Siehe System II, 537: „Infinite power [Konzept aus Plotin, Enn. V 5, 10 – 11] can do whatsoever infinite understanding [Konzept aus Plotin, Enn. III 8, 8] can conceive, and nothing else; conception of power being the measure of power [Konzept u. a. aus V 1, 7], and its extent, and whatsoever is in itself inconceivable being therefore impossible. […] There is nothing truly infinite […] but only one absolutely perfect Being, or the holy Trinity [Konzept der Perichorese].“ Cudworth hebt in System II, 559 erneut die Einheit dieser drei Attribute hervor, die der Einheit der Trinitt korrespondiert. Das neuplatonische Fundament dieser Darstellung wird an der Lichtmetaphorik erkennbar, mit deren Hilfe er die wechselseitige Verbundenheit der Attribute illustriert. 52 Mosheim widmet sich in System II, 541 – 554 ausfhrlich der problematischen Semantik des Begriffs „infinite“ und dessen verschiedenen Bedeutungen, die er sorgfltig differenziert. Seine Analysen tragen meiner Ansicht nach jedoch deshalb wenig zu einem besseren Verstndnis der Argumentation Cudworths bei, da Mosheim die neuplatonische Metaphysik als das (z. T. implizite) Fundament der Verwendung dieses Begriffs im System kaum beachtet und ihm damit ein wesentlicher semantischer Horizont verstellt bleibt. 53 Vgl. dazu auch System I, 308 – 315. 54 Siehe System II, 568 – 571. Vgl. das falsche Bild des furchteinflçßenden Gottes, das Cudworth quasi als Negativfolie in System II, 578 kennzeichnet und als „mormo or bugbear“ in seinem Wahrheitsanspruch disqualifiziert. 55 Vgl. Platon, Ti. 29e-30a. 56 System II, 570 – 571.

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aussetzung fr das Konzept der plastic nature und damit fr die spezifische Interaktionsform zwischen Gçttlich-Intelligiblem mit dem Stofflichen, d. h. dem Bereich der Schçpfung, dar.

7.1 „God is always understood a creator […] out of nothing“57 – Die Trinitt als schçpferische Kraft Im Anschluss fhrt Cudworth seine Auseinandersetzung mit einem zentralen atheistischen Argument fort, das er bereits sehr frh funktionalisiert hat, um aus den metaphysischen Defiziten und Widersprchen eines reduktionistischen Atomismus die Notwendigkeit der plastic nature abzuleiten. Er gibt diesem Argument nun folgende Form, in der er weitergehend auf Gottes Funktion als unendliche Schçpferkraft fokussiert: „[…] by God is always understood a Creator of some real entity or other out of nothing; but it is an undoubted principle of reason and philosophy, an undeniable common notion, that ,Nothing can be made out of nothing, and therefore there can be no such creative power as this“.58 Im Vollzug seiner erneuten Beschftigung, Deutung und Widerlegung der Atheisten unter dieser Perspektive thematisiert er den energetischen Charakter der als Wirkeinheit konzipierten Trinitt als einer „sufficient active or productive power“59. Damit schließt er erkennbar an seine unmittelbar vorausgehenden berlegungen zum gçttlichen Nous als oqs¸a 1m´qceia an.60 Diese werden nun in einer Art Explikation der vorausgehenden Darstellung des ersten Prinzips fortgesetzt und bekommen einen strker metaphysischen und naturphilosophischen Charakter, deren neuplatonische Interpretamente deutlich hervortreten, aber zugleich schçpfungstheologisch konturiert werden. Zugleich wendet Cudworth die Kritik an der schçpferischen Macht Gottes um und gegen die Atomisten selbst. Zum Zweck dieser verschrnkten Argumentation wendet sich Cudworth in der zusammenfassenden Einleitung dem Kçrperbegriff selbst zu, den er in bekannter Manier neuplatonisch verwendet: Fr ihn sind – im Gegensatz zu den Atomisten – Kçrper an sich zunchst unbewegt, so dass die Phnomene gerade erkennbar ordnungsvoll und strukturiert ablau57 58 59 60

System III, 79. System III, 79. System III, 73. System III, 71: „[…] but oqs¸a 1m´qceia, such a mind as is essentially act and energy, and hath no defect in it. And this, […], can be no other than the mind of an omnipotent and infinitely perfect Being, comprehending itself, and the extent of its own power, or how far itself is communicable, that is, all the possibilities of things that may be made by it, and the respective truths; mind and knowledge, in the very nature of it, supposing the actual existence of an omnipotent or infinitely powerful Being, as its Mogtºm, or „Intelligible […]“. S. o. S. 49.

7.1 „God is always understood a creator […] out of nothing“

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fender Prozesse der weltlichen Vielheit und der Vernderung eine von den Kçrpern zu unterscheidende, bergeordnete causa efficiens voraussetzen und zu ihrer Erklrung notwendig erfordern. Dabei setzt Cudworth offenbar „unbewegt“ mit „nicht-selbst-bewegt“ gleich und schließt zugleich die ewige, nicht weiter zu erklrende Bewegung der Atome aus,61 um die Notwendigkeit seiner Forderung aufrecht erhalten zu kçnnen. Daraus wiederum erwchst fr Cudworth die Defizienz frhneuzeitlicher materialistisch-reduktionistischer und daher ebenso atheistischer Naturerklrungen, die mit Cudworths System konkurrieren, denn gerade die Bercksichtigung einer derartigen causa efficiens fehlt ihnen.62 Aus diesen, von Cudworth mehrfach thematisierten Grundannahmen folgt sein Beharren auf der wesentlichen Verschiedenheit von Stoff bzw. Materie einerseits und Leben und Bewegung andererseits, die sich einem gnzlich anderen Prinzip verdanken.63 Die grundstzliche Ablehnung smtlicher emergentistischer Theorien zur Erklrung von Bewegung und Leben (auch hier ist u. a. an den antiken Dichter Lukrez und an Digby als Vertreter derartiger

61 Siehe dazu Cudworths Einstufung der atomistischen Bewegungslehre in System III, 75: „As they, who affirm all substance to be body, and no body to be able to move itself, though supposing motion to have been from eternity; yet make this motion to come from nothing, or be caused by nothing.“ Cudworths Argument findet sich in hnlicher Form u. a. bei Nehemia Grew, s. Garrett (2003), 70 f.: „Body is not self-existent; because it is not Self-movement: For Motion is not of the Essence of Body; because we may have a definitive Conception of Body, abstracted from that of Motion. Wherefore Motion is something else besides Body; and something, without which, a Body may be conceivd to Exist. If then Body could move it self, it would have the Power of Making Something out of Nothing. And one single Atom, by multiplying its own Motion Infinitely, would have been able in time to make all the Motion in the World“ (Zitat bei Garret [2003], 70 f.). Als ein Vertreter eines Atomismus, der zwar den Atomen die Selbst-, nicht aber eine durch andere (bereits) bewegte Kçrper hervorgebrachte Bewegung abspricht und auf diesem Fundament eine grundstzlich mechanistische Erklrung organischer Prozesse versucht, kann Cudworths Zeitgenosse Kenelm Digby gelten, siehe Cheung (2008), 17 – 32. 62 Bei Cudworth bernimmt diese Funktion, wie bereits ausgefhrt, die plastic nature, die ihrerseits aufgrund ihrer Struktur auf Gott als ihre erste Ursache und ihr Prinzip zurckverweist. 63 So werden z. B. Kçrper (d. h. Leiber) hinsichtlich ihrer stofflichen Beschaffenheit von Plotin in I 8, 4, 3 als des Lebens an sich beraubt eingestuft. Leben kann sich also nicht aus rein stofflichen Komplexionen heraus durch die bloße Interaktion von Materieteilchen und -komplexen unter- und miteinander entwickeln; siehe auch Enn. IV 7, 2, 18 – 25, wo die fr Cudworth diesbezglich zentrale Ansicht formuliert wird, dass es „eine Unmçglichkeit [wre], dass die Kçrper durch beliebige Mischung zu belebten Wesen werden“ oder dass das „Ungeistige Geist erzeugt“.

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Lehren zu denken)64 mndet damit konsequentermaßen in die Platonisch-neuplatonische Lehre, derzufolge Bewegung und Leben von intelligiblen Grçßen und Wirkfaktoren abhngen. Plotin z. B. formuliert dies folgendermaßen:65 Hat aber keines der Elemente Leben, so wre die Erzeugung von Leben durch ihre bloße Vereinigung ein Unding, oder vielmehr wre es eine Unmçglichkeit, dass das Zusammentreffen von Kçrpern Leben bewirkt, und damit das Ungeistige Geist erzeugt. Sie werden ja selbst nicht behaupten, dass die Kçrper durch beliebige Mischung zu belebten Wesen werden; es muss also ein ordnendes Prinzip vorhanden sein, eine Ursache der Mischung; dann hat eben dies Prinzip den Rang der Seele. Denn nicht nur kein zusammengesetzter, nein auch kein einfacher Kçrper kann in der Welt sein, ohne dass die Seele im All ist, wenn anders rationale Form [-kraft; kºcor], an den Stoff herantretend, den Jçrper hervorbringt; Form[-kraft; kºcor] kann aber von nirgend herantreten als von der Seele.66

Dieses sehr allgemeine Gerst einer Gegenberstellung von Kçrpern und intelligiblen Bewegungs- und Wirkursachen, die sich nicht aus den Kçrpern ableiten lassen, differenziert Cudworth im Folgenden und baut es im Sinne einer spezifisch neuplatonischen Kausalhierarchie aus, die den antiken Atomisten vçllig fremd ist. In den frheren Argumentationsphasen des System dienten Cudworth derartige berlegungen dazu, Materiebegriff und das vermittelte teleologische Wirken Gottes im Stoff zu harmonisieren. Jetzt geht es ihm darum, das Verhltnis zwischen den intelligiblen Wirkformen und Gott gegenber der Materie allgemein als Abhngigkeitsverhltnis zwischen Ursache und Wirkung und besonders die ontische Reichweite der Ursachen gegenber ihren Wirkungen bzw. der Materie nher zu bestimmen. Damit wird, nach der Bestimmung der metaphysischen „Defizite“ des materialistisch-reduktionistischen Atom- bzw. Kçrperbegriffs, der Status der Trinitt als erster schçpferischer Ursache differenzierter erfasst und von den auf sie folgenden Wirkgrçßen abgehoben. Zunchst konstatiert Cudworth, dass nichts, das nicht existiert, aus sich selbst heraus Existenz erlangen kann, sondern es zu seiner Schçpfung eines selbstexistenten Prinzips bedarf. Damit ist bereits ein neuplatonischer Prinzipienbegriff etabliert, der auf Cudworths Interpretationen zum antiken Monotheismus aufbauen kann.67 Im Anschluss daran verschiebt Cudworth die Ausfhrung dieser gleichsam radikalen und christlichen Umdeutung des u. a. atomistisch-epikureischen Diktums, in deren Hintergrund schlussendlich die Lehre der creatio ex nihilo steht (und gemeint ist mit diesem Nichts das nihil absolu64 Zu Digbys Theorie der Erklrung von Leben und organischen Strukturen/Prozessen s. Cheung (2008), 17 – 40. 65 Vieles von dem nun Folgenden hat Cudworth bereits in System II, 580 – 621 ausgefhrt. 66 Plotin, Enn. IV 7, 2, 18 – 25. 67 Zu dem Adjektiv „self-existent“, das Cudworth in strengem Sinn nur Gott zuspricht, s. o. Kapitel 5.1.2, S. 258– 260 und 5.3 zum Begriff aqhupºstator.

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tum, das t¹ lgdal_r em, Pl., Sph. 237b) – zunchst im Sinne der oben zitierten Plotin-Stelle – hin zu einer Ablehnung einer emergentistischen Vorstellung: Aus Niedrigerem kann bisher noch nicht Existentes ohne Annahme einer hçheren Ursache nicht hervorgebracht werden. Dabei ist diese Ablehnung ihrerseits mit einer wesentlich fundamentaleren Form von Urschlichkeit verbunden: As nothing which was not could ever of itself come into being, or be made without any efficient cause; so is it certain likewise, that nothing can be efficiently caused or produced by that which hath not in it at least equal (if not greater) perfection, as also sufficient power to produce the same.68

Cudworth differenziert in diesem Abschnitt zwei Formen intelligibler Wirksamkeit, die sich nach Wirkung und ontischer Reichweite unterscheiden, wie die Paragraphen 7 und 12 der Institutio theologica des Proklos zeigen. Aus ihnen lsst sich eine Differenzierung der „Weite“ und Bedeutung schçpferisch-urschlicher Kraft ableiten: Whrend in § 7 die grundstzliche Ursachen-Hierarchie der neuplatonischen Ontologie formuliert wird,69 und das, was dem Verursachten von der Ursache mitgeteilt wird, die oqs¸a des jeweils Verursachten ist, also sein Wesen als das, was es als Spezielles auszeichnet, zeichnet sich die erste Ursache in § 12 darber hinaus dadurch aus, dass sie es ist, durch die alles Nachfolgende erst existiert (im Griechischen ausgedrckt durch die betonte Form von „sein“: ja· di Dm 5stim 6jasta t_m emtym, Inst. 14, 9 – 10 [ed. Dodds]). Das Verleihen oder Verursachen von Existenz berhaupt ist also allein der 68 System III, 80. Fr diese Formulierung ist mçglicherweise ein Bezug auf Descartes anzunehmen, der die Annahme der Existenz Gottes mit einem in der dritten Meditation angefhrten Argument zu sttzen versucht, das auf eine sehr hnliche Weise das Verhltnis zwischen Wirkursache und Verursachten formuliert: “Aber es ist durch das Natrliche Licht offenkundig, dass in einer bewirkenden und hinreichenden Ursache zumindest ebensoviel enthalten sein muss wie in der Wirkung ebenderselben Ursache. Denn von woher kçnnte bitte die Wirkung ihre Realitt erlangen, wenn nicht von der Ursache? Und wie kçnnte die Ursache sie ihr geben, wenn sie sie nicht ebenso htte? Daraus aber folgt, dass weder aus dem Nichts irgendetwas entstehen kann, noch dass das, was vollkommener ist, das heißt: was mehr Realitt in sich enthlt, durch etwas entstehen kann, das weniger Realitt in sich enthlt. Dies ist nun nicht nur transparent wahr in bezug auf diejenigen Wirkungen, deren Realitt aktuell, bzw. formal ist, sondern auch in bezug auf die Ideen, in denen lediglich eine objektive Realitt betrachtet wird” (Descartes, Meditationes de prima philosophia, Dritte Meditation, S. 81; ed. Wohlers; = AT VII, 40 – 41). Der gemeinsame Hintergrund dieser Ursachenklassifikation ist sowohl fr Cudworth wie auch fr Descartes in der Systematisierung der Proklischen Metaphysik zu sehen, die Descartes mçglicherweise vermittelt ber die Scholastik bernimmt; zu Descartes s. Taliaferro (2005), 75 f. und 79. 69 Siehe Procl., Inst. 8, 17 – 22. Zum metaphysischen Grundsatz, der diese gesamte Argumentation fundiert, siehe Dodds (1933/1963), 193 zu § 7 der Inst.: „This is the principle on which the whole structure of Neoplatonism is really founded. If it is accepted, any emergence of the higher from the lower must be attributed to the causative operation of a higher which already exists 1meqce¸ô.“

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ersten und hçchsten Ursache, dem Einen-Guten bzw. Gott vorbehalten und unter diesem Aspekt durchaus von der schçpferisch-gestalterischen Wirkung nachfolgender Formkrfte zu unterscheiden. Diese Differenzierung scheint Cudworth aufzugreifen. Dabei zeigen seine Formulierungen z. B. in System III, 80 und 8170 den Umriss einer christlich-neuplatonischen Genesis-Auslegung als lenkendem Transformationsrahmen,71 der Cudworth die Mçglichkeit bietet, in den neuplatonischen Prozess des Hervorgehens aus der ersten Ursache die wesentlichen Annahmen einer christlichen Schçpfungsgeschichte zu implementieren, und zwar besonders den Glauben an eine creatio ex nihilo. So fhrt Cudworth zum Zweck der besseren Harmonisierung von Atomismus und Neuplatonismus im Rahmen eines christlichen Weltbildes weitergehend folgende Differenzierung ein:72 In einem bestimmten Sinne haben die Physiologen, die rein auf die Ablufe in der (stofflichen) Natur blicken, recht, wenn sie sagen, „that no real entity could be made or generated out of nothing“.73 Dabei blicken sie nmlich, so sieht es zumindest Cudworth, nur auf die atomaren Vernderungsprozesse einer Materie, in der es nichts anderes gibt als „magnitude of parts, figure, site, and motion, or rest“74, also die Merkmale, die Atome untereinander differenzieren und sie in die Lage versetzen, in der Bewegung „neue“ Kombinationen hervorzubringen. Entscheidend ist nun, dass Cudworth diese neuen Atomgebilde und –strukturen nicht als „new substance“ oder „real entity“ versteht,75 sondern nur als Modifikationen einer auf atomarer Ebene differenziert geglie70 Siehe System III, 80: „Wherefore, if there were once no motion at all in the whole world, nor no life, or self-active power in any thing, but all were dead; then it is certain that there could never possibly arise any motion or mutation in it to all eternity.“ und System III, 81: „It follows undeniably, that in all natural generations and productions out of preexistent matter (without a divine creation) there can never be any new substance or real entity brought out of non-existence into being.“ Vgl. Augustinus, Confessiones XII, 1 (1)-13 (16), 165 – 170 (ed. O Donnel, Oxford 1992). 71 Zur transformierenden Funktion des Genesiskommentars in der Frhen Neuzeit siehe Leinkauf (1993), 349 – 353. Zugleich ist dieser Bezug als impliziter Ausdruck von Cudworths berzeugung anzusehen, dass die Bibel geoffenbarte Wahrheit Gottes ist und daher notwendigerweise mit seinen eigenen Erklrungen kompatibel sein muss, die ja ebenfalls den Anspruch erheben, wahr zu sein. 72 System III, 84; wieder aufgenommen in System III, 93. 73 System III, 84. 74 System III, 84. 75 Auch hier kann sich Cudworth auf antike Kritik am Atomismus berufen: „[…] [Auslassung bei KRS] und wenn [die Atome] sich bewegen, wrden sie aufeinanderstoßen und sich miteinander in der Weise verwickeln, dass er sie zusammenhaften und in engem Kontakt miteinander sein lsst, aus ihnen in Wahrheit in keiner Weise irgendeine einheitliche Substanz hervorgehen lsst; […; Hervorh. L. B.]“ (KRS, Frg. 583). Cudworth kann diese Kritik aufnehmen und vor dem christlichen Kontext mit der bereits von Plotin in Enn. IV 7, 2, 18 – 25 geußerten Kritik verbinden.

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derten Materie.76 Allerdings ist der Bereich, der mit diesem Erklrungsansatz abzudecken ist, fr Cudworth ußerst begrenzt, auch wenn er durchaus seine Berechtigung besitzt.77 Die Physiologen begehen jedoch den Fehler, ihren Standpunkt absolut zu setzen: „they unwarily extending this beyond the bounds of physics into metaphysics, and unduly measuring or limiting infinite power accordingly“,78 und auf den Bereich metaphysischer und theologischer Prinzipien auszudehnen. Dies hat zur Folge, dass sie auch die Seele in ihrer Funktion als Form- und Lebensprinzip ebenso wie das Leben selbst als reine Modifikation von Stoff bzw. als eine besondere Zustndlichkeit oder Befindlichkeit von Stoff deuten.79 Ansonsten msste etwas, das zuvor nicht existierte (die Seele und das Leben als etwas von den Atomen Verschiedenes), angenommen werden, dessen Entstehen und Existenz sich damit auch nicht aus den Atomen selbst ableiten ließe, also aus dem Nichts entstanden wre – was fr epikureische Atomisten ja grundstzlich nicht mçglich ist. Diese Weigerung, die Begrenztheit einer rein physiologischen Argumentationsweise in derartigen und hnlichen Fllen anzuerkennen, und die – in Cudworths Augen – Anmaßung, die Ursachenreihe aufgrund dieser – in Cudworths System unzulssigen – Erweiterung der urschlichen Vermçgen der Kçrper quasi metaphysisch-theologisch zu begrenzen (also intelligible Ursachen auszuschließen), sind, in Cudworths Argumentation, der zentrale metaphysische Fehler des reduktionistisch-materialistischen Atomismus und zugleich die Ursache fr seinen Atheismus. Die Differenzierung zwischen „physiologers“ und „theologers or metaphysicians“80 dient hierbei dem Zweck, dem Atomismus einerseits die Berechtigung einer eingeschrnkten Naturerklrung zuzuerken76 Der Atomismus Demokrits und Epikurs gehçrt nach Cudworth zur „anomoeomery“ oder „dissimilar atomology“, da sich dessen Atome nach Grçße, Lage und Gestalt unterscheiden lassen. Vgl. dazu z. B. KRS, Frgg. 555 und 556. Vgl zu dieser Annahme und Festlegung auch System III, 91. 77 „And this dissimilar atomology of the ancient Italics, so far as to these material forms and qualities, seems to be undoubtedly the only true physiology [Hervorh. L. B.]; it being built upon this sure principle of reason, that because nothing can give what it hath not, therefore no new substance or real entity can be materially produced in the generations and alterations of nature as such, but only modifications. As when an architect builds a house, or a weaver makes a piece of cloth, there is only a different modification of the pre-existent matter“ (System III, 86; derselbe Vergleich schon in System III, 82). 78 System III, 93. 79 Siehe z. B. KRS, Frg. 585 in Anm. 26, S. 465 und L/S, Abschnitt 14, Frgg. C und D, S. 78 f. 80 Eine diesbezgliche Unterscheidung zwischen Naturphilosophen und Metaphysikern findet sich u. a. schon bei Buridan, der die beiden Gruppen hinsichtlich der ontologischen Reichweite ihres Untersuchungsfeldes im Bereich der Psychologie voneinander abhebt, s. Zupko, in Brown (1998), 129 – 131. Von der Skepsis hinsichtlich der Reichweite und Sicherheit menschlicher Erkenntnis, die sich bei Buridan in dieser Differenzierung ausdrckt, ist jedoch bei Cudworth nicht mehr viel zu bemerken.

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nen, ihn aber andererseits gegenber der Einfhrung intelligibler Wirkformen als legitimen Erklrungsanstzen zu çffnen. Diese ffnung gegenber intelligibler Urschlichkeit lsst sich am Beispiel des Umgangs mit dem Problem der Seele explizieren, das Cudworth heranzieht, um die metaphysische Defizienz eines reduktionistischen Atomismus aufzuzeigen und zugleich die absolute, d. h. unendliche, schçpferische Potenz des trinitarischen Gottes zu konturieren. Zu diesem Zweck kombiniert Cudworth in einem ersten Schritt einen Vers aus Lukrez DRN 81 („Nata sit, an contra nascentibus insinuetur.“) mit einem Adverb aus der peripatetischen Noologie (h¼qahem)82, das sofort neuplatonisch umgeprgt wird. Gebraucht wird dieses Adverb z. B. von Alexander von Aphrodisias in seiner De anima libri mantissa,83 um das Verhltnis des aktivierenden und ebenso intelligiblen wie unsterblichen Geistes gegenber dem passiven Aspekt des menschlichen Geistes zu schildern.84 Bereits die Verwendung dieses Adverbs impliziert also vor dem Hintergrund einer lichtmetaphorischen Vorstellung, wie sie z. B. bei Alexander expliziert wird, eine neuplatonische Charakterisierung der von außen in den Kçrper hineinwirkenden Seele. Deren Intelligibilitt bedeutet jedoch nicht zugleich, wie man mit Blick auf die antike Referenz, die durch h¼qahem evoziert wird, glauben kçnnte, Ewigkeit und absolute Ungeschaffenheit, vielmehr ist fr Cudworth die Seele von Gott als hçchster Ursache abhngig.85 Dieses Ursachenverhltnis kann aufgrund der bereits bei Aristoteles und Alexander auf den 81 DRN I, 113, zitiert in System III, 87. 82 H¼qahem nimmt anschaulich das „insinuetur“ aus dem zweiten Teil der Doppelfrage bei Lukrez auf und verdeutlicht auf diese Weise, dass mit der Seele eine qualitativ andere Substanz „ins Spiel kommt“, eine Substanz, die eben aus dem Bereich des Intelligiblen an den Stoff herantritt und in ihm wirkt. 83 Alexander kommentiert hier Arist., DA 430a10 – 19. 84 De anima libri mantissa 111, 27 – 36: „Der wesentlich seiende und von außen hinzutretende (h¼qahem) Nous ist wohl einer, der mit dem Geist in uns bei dessen Ttigkeit zusammenwirkt, weil es die anderen, der Fhigkeit nach seienden Noeta nicht gbe, wenn es nicht ein Noeton gbe, das aufgrund seines eigenen Wesens intelligibel ist. Dieses Noeton also, das durch sein eigenes Wesen intelligibel ist, ist, da es im Denkenden durch das Gedacht-Werden ist, der im Denkenden seiende Geist und wird sowohl als von außen hereinkommender (h¼qahem) als auch als unsterblicher gedacht und gibt dem stofflichen [Geist] die Krafteinwirkung [Hexis] ein, so dass er die der Fhigkeit nach seienden Noeta denkt. Denn wie das Licht, das die dem Vollzug nach seiende Sehkraft bewirkt, sowohl selbst gesehen wird als auch die [anderen] mit ihm zusammen [gesehen werden], und durch es auch die Farbe [gesehen wird], so wird auch der von außen hereintretende Geist fr uns Grund des Denkens, wobei er auch selbst gedacht wird und nicht ihn zum Geist macht, sondern den [bereits] vorhandenen Geist durch sein eigenes Wesen vollendet und zu dem, was [dem menschlichen Geist] eigentmlich ist, fhrt.“ bs. aus Bergemann (2006), 34. 85 System III, 88 f.

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hçheren Geist angewendeten Lichtterminologie quasi bruchlos von Cudworth in der Begrifflichkeit neuplatonischer Emanationsmetaphysik beschrieben werden: „[…] since even those philosophic Theists […] assert [the human minds and souls] essential dependence upon the Deity, like that of the lights upon the sun; as if they were a kind of eternal effulgency, emanation, or eradiation from an eternal sun“.86 In einem zweiten Schritt zeigen Cudworths weitere Ausfhrungen allerdings, dass er in diesem Fall und entgegen seinem blichen Wortgebrauch die Emanation tatschlich als Schçpfung aus dem Nichts versteht, in der vorher Nicht-Existentem Existenz verliehen wird, dass die Bedeutung des neuplatonischen Schemas also entscheidend christlich umgeprgt wird.87 D. h. sogar die Existenz einer Substanz wie z. B. der Seele wird in dieser Form der Emanation ausdrcklich neu generiert. Mit dieser Ergnzung hebt Cudworth neben dem christlichen Glaubenssatz einen besonderen Aspekt des Prinzipiendynamismus der Platonisch-neuplatonischen oqs¸a-1m´qceia seines trinitarischen Gottes hervor, der nun diesbezglich klar konturiert wird. Darin ist ein weiteres neues Moment der Argumentationsbewegung im System nach der Explikation des Gottesbegriffs zu sehen, der zwar vorausgesetzt, jetzt aber in seiner Wirkung ad extra spezifisch ergnzt wird: Bereits im Sonnengleichnis teilt die Idee des Guten dem Denkbaren „Sein und Wesen (t¹ eWmai te ja· tμm oqs¸am)“88 mit. Diese Vorstellung wird von Plotin bernommen und bei Proklos systematisiert, bei dem die d¼malir toO poie?m der ersten Ursache u. a. die „Gabe“ der Existenz mitimpliziert.89 Diese Form von Urschlichkeit ist jedoch nur Gott, dem vollkommenen ersten Prinzip, zuzuschreiben.90 Jetzt sind die beiden, fr den ontologischen Zusammenhang im System notwendigen, Arten intelligibler Ursachen und Urschlichkeit gleichzeitig klar voneinander abgehoben und aufeinander bezogen: zum einen diejenigen, die ausschließlich reine Modifikationen einer atomar strukturierten und im Sinne der Panspermie vordisponierten Materie91, also rein welt- und materieimmanente Prozesse, be-

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System III, 87. Siehe System III, 93 und 97. Pl., R. 509b. Zum Existenzbegriff bei Plotin siehe u. a. Corrigan, in Gerson (1996), 118 f. Siehe Procl., Inst. § 7, S. 8, 8 und 17 – 19 zur d¼malir toO poie?m der wirkenden Ursachen und § 12, S. 14, 7 – 10 zur Mitteilung von Existenz durch die erste Ursache. 90 Siehe System III, 80 mit 93: „Now, no imperfect Being whatsoever hath a sufficient emanative power to create [was der d¼malir toO poie?m bei Proklos entspricht] any other substance, or produce it out of nothing; the utmost that can be done by imperfect beings, is only to produce new accidents and modifications; […] No imperfect being is substantially emanative, or can produce another substance out of non-existence“ (System III, 80 – 81). 91 Zur Annahme einer noetisch prdisponierten Materie nach dem Gedankenmodell der Panspermie, die zuvor z. B. von Ficino gedacht wurde, siehe Hirai, in Allen/Rees (2002), 264 – 268, der anhand entsprechender Zitate aus Ficinos Theologia Platonica die semi-

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treffen und die zugleich als intelligible Ursachen in ihrem Wesen und ihrer Existenz (als eigenstndige Substanzen) von Gott als erstem Prinzip mit emanativer Schçpfungskraft abhngig sind, und zum anderen Gott selbst, der als einziges Prinzip auch ber diese, ihm nachgeordneten, intelligiblen Grçßen existenzverleihende Schçpfungskraft verfgt. Auf diese Weise gelingt es Cudworth, das christliche Konzept der Schçpfung aus dem Nichts mit einer modifizierten Vorstellung der neuplatonischen Emanation im Rahmen seines System zur Theorie einer sich entfaltenden Schçpferkraft zu integrieren.92 Dass hier tatschlich eine derartige, kraftmetaphysische Deutung gçttlicher Schçpfungsmacht im Hintergrund der Argumentation Cudworths wirksam ist, legen seine Ausfhrungen in System III, 98 nahe, in denen er die d¼malir poigtij¶ aus Platons Dialog Sophistes 93 als gçttliche Kraft deutet, die eine creatio ex nihilo bewirken kann:94 […] Plato, in his Sophist, having defined the efficient or effective power in general after this manner: Poigtijμm p÷sam 5valem eWmai d¼malim, Ftir #m aQt¸a c¸cmgtai to?r lμ pqºteqom owsim vsteqom c¸cmeshai, “to be a power or causality, whereby that which was not before was afterwards made to be;” and then dividing this efficiency [Hervorh. L. B.] into divine and human, he immediately subjoins concerning the former: F_a dμ p²mta, &c. l_m %kkou tim¹r C heoO dgliouqcoOmtor v¶solem vsteqom c¸cmeshai pqºteqom oqj emta, “Shall we not then say, that all animals, and other things, were by the divine efficiency alone, after they had not been made to be?” Where thus much at least is certain, that Plato did not at all question the possibility of a things being made out of nothing in this sense; that is, brought into being, after it had not been, by a divine power.95

Cudworths Kombination der beiden Platontexte legt eine Identifikation von d¼malir poigtij¶ und he¹r dgliouqc_m nahe: Gott als Schçpfer ist als d¼malir poigtij¶ zu verstehen. In dieser Form kann er im direkt zuvor explizierten Sinne, nmlich im Sinne einer absoluten, theologisch-metaphysischen Schçp-

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nale Protostrukturierung der Materie herausarbeitet, an der sich Cudworth ebenfalls orientiert haben kçnnte. Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Le Clercs Einschtzung von Cudworths Vorgehen: „But no absurdity of this kind can be charged upon theologians [Hervorh. L. B.], who, when they affirm that from nothing, 1j t_m lμ emtym, something can be made, only mean, as Cudworth has well shown, that the Divine power could make a thing, which did previously not exist, begin to have a being and existence. […] Cudworth also correctly and excellently remarks that the being, whose property it is to make another being commence its existence, must not only be possessed of all the perfections which the being produced by it is supposed to enjoy; but must also have a power of action [Hervorh. L. B.] by which it can be the cause of something“ (System III, 133 f.). Siehe Pl., Sph. 265b und c. Cudworth versteht hier Platons Formulierungen offenbar im Sinne einer absoluten Schçpfung aus dem Nichts im Sinne des omnino nihil, von der im Genesiskommentar in den Confessiones des Augstinus die Rede ist (Conf. XII, 1 (1), 165 [ed. O Donnel, Oxford 1992]). System III, 98.

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fung, neue Substanzen aus dem Nichts hervorbringen. Dieser Akt ist qualitativ Mehr und Anderes als die Initiierung und der Vollzug von Vernderungs- und Bewegungsprozessen, die als bloße Modifikationen der Materie rein innerweltliche Prozesse der Genese betreffen, und er gilt besonders hinsichtlich der Seele als Schçpfung Gottes.96 Die sich in der Argumentation anschließenden und diesen Prozess veranschaulichenden Analogien lassen erkennen, dass Cudworth das Wirken dieser gçttlichen d¼malir poigtij¶ weiterhin nach dem Modell der neuplatonischen Emanation versteht,97 die sich als per-se-Kausalfolge vollendet,98 wie sie in seinen Ausfhrungen zur Trinitt als l¸a 1m´qceia ad extra grundgelegt worden ist, der nun die Macht der Schçpfung aus dem Nichts explizit zugesprochen werden kann. Cudworths Aneignung Platons ist damit als weitere Bemhung einzustufen, eine tragfhige Basis fr seine Hybridisierung neuplatonischer und christlicher Schçpfungsmodelle aus dem antiken Referenzmaterial zu gewinnen, um so das eigene Modell zu autorisieren und zu legitimieren. Im Gegenzug wird besonders die Platonisch-neuplatonische Philosophie in vçlliger bereinstimmung mit der fr ihn verpflichtenden oder leitenden hermeneutischen Rahmenvorstellung der prisca theologia christianisiert, und der Begriff des „Nicht-Seienden“ erfhrt eine Radikalisierung, dergemß er auf die im Sophistes eigentlich zurckgewiesene Bedeutung des t¹ lgdal_r em (Sph. 237b) festgelegt wird, das am ehesten dem omnino nihil entspricht. Erst diese semantische Umprgung erlaubt es Cudworth, diese Texte in seine Hybridisierungsversuche zu integrieren. Diesem Bemhen um die Integration der verschiedenen Anstze folgt gleichfalls sein Versuch, das Hervorgehen der Materie aus der d¼malir poigtij¶ Gottes abzuleiten und zu erklren, ohne dabei das christliche Dogma der Schçpfung aus dem Nichts aus den Augen zu verlieren, das im Neuplatonismus in diesem Fall keine Rolle spielt.99 In einer Zusammenstellung von Texten aus Proklos,100 einem Vers der Chaldaeischen Orakel, den Cudworth ebenfalls Proklos entnimmt,101 und Iamblichs Schrift De mysteriis,102 denen noch Platon und Orpheus103 zur Seite gestellt werden, zeigt Cudworth folglich auf, dass alle 96 Damit wird Platon erneut als Vertreter einer prisca theologia stilisiert, in dem das „simple light of nature“ leuchtet und protochristliche Einsichten hervorbringt (System III, 98). 97 Cudworth fhrt damit den Gedanken fort, der in seiner Formulierung von einer „emanative [Hervorh. L. B.] power to create“ (System III, 80) angelegt ist. 98 System III, 99 – 100. 99 Zur Hervorbringung der Materie bei Plotin siehe u. a. OBrien, in Gerson (1996), 181 – 183; Halfwassen (2004), 126 – 128 und Bergemann (2006), 179 – 183. 100 In Platonis Timaeum commentaria I, 385 (ed. Diehl, Leipzig 1903). 101 In Platonis Timaeum commentaria I, 388 (ed. Diehl, Leipzig 1903). 102 Vgl. De mysteriis III 19, 146, 14 – 17 (ed. des Places, Paris 1966). 103 Bezglich Platon und Orpheus kçnnte sich Cudworth an Proklos, In Platonis Timaeum commentaria II, 2 – 5 (ed. Diehl, Leipzig 1904) orientiert haben.

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diese reprsentativen Vertreter der prisci theologi darin bereinstimmen, dass die Materie von Gott aus dem Nichts geschaffen wurde.104 Cudworths Formulierungen in System III, 80 – 81105 legen diesbezglich den Genesiskommentar als transformationsaktive Rahmung nahe, die Cudworths Umprgungen bestimmt haben kçnnte und dem Leser als Orientierung und Verstndnishilfe dienen kann. So lassen sich z. B. an Augustinus, Conf. XII zahlreiche Zge ablesen, die bei Cudworth zusammenlaufen. Zunchst sagt Augustinus deutlich, dass Gott alles in gestufter Schçpfung aus dem Nichts erschaffen hat:106 „et ideo de nihilo fecisti ,caelum et terram […] Tu ,eras et aliud nihil, unde fecisti ,caelum et terram, duo quaedam, unum prope te, alterum prope nihil, unum, quo superior tu esses, alterum, quo inferius nihil esset.“107 Dass Gott damit auch das christliche quivalent zur neuplatonischen Materie, die terra, aus dem Nichts geschaffen hat,108 machen Augustinus Ausfhrungen in den Confessiones 109 deutlich, in denen er diese „Erde“ als informitas, mutabilitas und paene nihil bezeichnet, womit er eine Differenzierung Plotins aus Enneade I 8, 3, 6 – 8 und seine eigene Bestimmung der mutabilitas aufgreift,110 in der er diese als „nihil aliquid“ und „est non est“ und so in hnlich paradoxalen Wendungen wie Plotin ausweist. Mçglicherweise orientiert Cudworth sich bei der entsprechenden Funktionalisierung dieses Rahmens zustzlich an berlegungen und Formulierungen, wie sie z. B. von Patrizi in der Panarchia XIII, 28v ber die vergnglichen Dinge angestellt werden: „Namque dum existunt, et hyparxin habent, enti sunt similes: Postquam vero corruptionem subierunt, vel in nihilum abierunt penitus [Hervorh. L. B.], vel in se se intra sinum eius abdiderunt, ut credantur in nihilum esse redactae.“ Besonders Patrizis Wendung „in nihilum abierunt penitus [Hervorh. 104 System III, 100. 105 Bes. System III, 81: „It follows undeniably, that in all natural generations and productions out of pre-existent matter (without a divine creation) there can never be any new substance or real entity brought out of non-existence into being [Hervorh. L. B].“ 106 Das Nichts, von dem hier die Rede ist, ist das omnino nihil, von dem in Conf. XII, 1 (1), 165 (ed. O Donnel, Oxford 1992) die Rede ist, das, was Plotin in Enn. I 8, 3, 6 – 7 als das „schlechthin nicht Existierende“ das t¹ pamtek_r lμ em von der Materie als eWdºr ti toO lμ emtor bzw. eQj_m toO emtor (3, 8) abhebt. 107 Augustinus, Conf. XII, 7 (7), 166 f. (ed. O Donnel, Oxford 1992). 108 Die Vorstellung, dass Gott noch vor der eigentlichen, in der Genesis geschilderten Schçpfung die Materie/Erde aus dem absoluten Nichts geschaffen habe, vertritt wie gezeigt Cudworth selbst, vgl. z. B. auch System III, 621. Auf diese Weise vermeidet er die von Mosheim in System III, 143 heftig kritisierte „Irrlehre“ des Origenes von der Ewigkeit der Materie, die einen unzulssigen Prinzipiendualismus impliziert. Zur „Schçpfung aus dem Nichts“ bei Augustinus (und Irenus) in diesem Sinne siehe die Darstellungen bei Bauke-Ruegg (1998), 391 – 398. 109 Conf. XII, 8 (8), 167 (ed. O Donnel, Oxford 1992). 110 Conf. XII, 6 (6), 166 (ed. O Donnel, Oxford 1992).

7.1 „God is always understood a creator […] out of nothing“

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L. B.]“ kçnnte Cudworth dazu veranlasst haben, im Rckschluss vom vollstndigen Vergehen ins Nichts (das so weder bei Epikur noch den vorsokratischen Atomisten zu finden ist)111 auch eine Schçpfung aus dem absoluten Nichts im Horizont seiner neuplatonischen Metaphysik anzunehmen.112 Dabei mutiert in einem ersten Schritt die unendliche Menge der Atome zu einer bestenfalls atomar strukturierten Materie, deren labiles (Proto-)Sein (das „est non est“) in einem zweiten Schritt unter den Hnden Cudworths noch aus dem absoluten Nichts, dem omnino nihil vor jeder „weiteren“ Schçpfung durch Gott hervorgebracht werden muss.113 Auf diese Weise hat sich in der Argumentation fr den von der Prinzipienexplikation herkommenden Leser ein zustzlicher zentraler Aspekt Gottes erschlossen: In seiner Kritik am Atomismus kann Cudworth nachweisen, dass Gottes nach außen gerichtete Schçpfungskraft auch dem fundamentalen Anspruch der creatio ex nihilo gengt, durch die sich Gottes primre Schçpfungskraft in Umfang und Reichweite von allen anderen Gott nachgeordneten intelligiblen Wirkursachen und Formkrften unterscheidet. Nur ihr kommt es zu, eigenstndigen Entitten (z. B. Seelen) und sogar der Materie die je spezifische Form von Existenz zu verleihen.

111 Vgl. z. B. Lukrez, DRN I, 262 – 266: „haud igitur penitus pereunt [Hervorh. L. B.] quaecumque videntur, // quando alit ex alio reficit natura nec ullam // rem gigni patitur nisi morte adiuta aliena. // Nunc age, res quoniam docui non posse creari // de nihilo neque item genitas ad nil revocari, // […]“. 112 System III, 104 und 107. Eine derartige Funktionalisierung Patrizis kçnnte Cudworth tatschlich dadurch erleichtert worden sein, dass sich Patrizis „vel in nihilum abierunt penitus“ geradezu als Gegendarstellung zu Lukrez „haud igitur penitus pereunt quaecumque videntur“ lesen und verstehen lsst – bei einem Philosophen, der ebenfalls atomistische Philosopheme in sein grundstzlich neuplatonisches System der Nova De Universis Philosophia zu bernehmen versucht. 113 Mosheim kommt in seiner umfassenden „Dissertation on creation out of nothing“, in der er nach antiken und sptantiken Entsprechungen zur christlichen Lehre der Schçpfung aus dem Nichts sucht, wie sie z. B. in Augustinus, Conf. XII vorgetragen wird, zu einem Ergebnis, das den transformationsbedingten Resultaten Cudworths an dieser Stelle entgegen steht: „But in all those which I have quoted, or others that I have read, there is none accordant with Christian sentiments, or consistent with the doctrine we profess to believe respecting the origin of nature. […] I know not how it has happened that even learned men, when they read that any of the ancients taught that God was the maker of the universe, at once conclude that they held the whole circle of Christian truth in reference to the origin of nature; as if the admission that the universe was made were identical with saying that matter was made also.“

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

7.2 „The Deity […] is […] more indivisible, and more one with itself, than any thing that is little, and more powerful than any thing that is great“ – Gott als Minimum und Maximum der Schçpfung Um nher zu erklren, wie Gottes der Schçpfung zugewandtes Wirken zu erklren ist, setzt sich Cudworth mit einem weiteren Argument der Atheisten gegen die von ihm favorisierte theistische Gotteskonzeption auseinander, derzufolge Gott als ordnende Kraft in ihrem Vollzug der Welt anwesend ist, d. h. als (sich weiter ausdifferenzierende) noetisch vor- und binnenstrukturierte „energy“ oder „action ad extra“ nach neuplatonischem Vorbild,114 die als „disposition“115 und damit als „action of setting in order“ wirkt.116 Diese spezifische Art der Anwesenheit Gottes in der Welt ist jedoch nur schwer zu denken oder vorzustellen, wie die paradoxalen und kontrastiven Formulierungen eines von Cudworth in diesem Kontext zitierten Porphyriostextes veranschaulichen:117 „ja· !diast²tyr t¹ d³ %leqer 1m diastat` fkom c¸mgtai jat± p÷m l´qor […] aqt¹ !leq_r p²qesti […] t` leqist`“. Da diese Anwesendheitsform Gottes „in“ der Welt von den Atomisten zurckgewiesen wird, nimmt Cudworth die aufflligen Formulierungen bei Porphyrius zum Anlass, seine Position zu diesem wichtigen Problem weiter zu erklren, verstndlich zu machen und letztendlich im Rckgriff auf die Antike gegen die von den Atheisten vorgebrachten Vorwrfe der Unverstndlichkeit zu legitimieren.118 Dieses metaphysische Problem kulminiert in der Spannung, wie Gott als Einheit auf unausgedehnte Weise der Welt anwesend sein kann, die im Unterschied zu Gott aufgrund der atomaren Struktur ihrer Materie ebenso teilhaft und segmentiert wie ausgedehnt ist. Cudworth setzt sich also mit dem Problem auseinander, das er bereits im Porphyriostext mit dessen paradoxaler Formu114 Siehe diesbezglich Beierwaltes (1998), 92 f. zu einer entsprechenden Vorstellung bei Bonaventura, dergemß die diffusio sui ipsius „eine von einem Zentrum oder von einem Punkt ausgehende [diffusio ist], die zugleich auf sich selbst zugeht oder in sich selbst zurckgeht (diffusio centralis vel punctualis, ebd.)“. Das Zitat in der Kapitelberschrift stammt aus System III, 250. 115 System III, 247: Gott ist der Schçpfung nicht „locally present to this or that body, but by disposition and energy“. 116 Siehe OED s. v. disposition 1a. 117 System III, 246 f. Cudworth fhrt Porphyrios Sententiae ad intelligibilia ducentes, Sententia 33 (ed. Lamberz, Leipzig 1975) an, aus der er zwei Passagen zusammenfhrt. 118 System III, 248: „By this time we have made it unquestionably evident, that this opinion of incorporeal substance being unextended, indistant, and devoid of magnitude, is no novel or recent thing, nor first started in the scholastic age; but that it was the general persuasion of the most ancient and learned assertors of incorporeal substance, especially that the Deity was not part of it here, and part of it there, […] but that the whole undivided Deity was at once in every part of the world, and consequently nowhere locally after the manner of bodies.“

7.2 „The Deity […] is […] more indivisible, and more one with itself“

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lierung aufgreift, dass Gott berall und nirgends in der Welt sei.119 Systematisch leistet er somit eine metaphysische Explikation des fr seine integrativen Auslegungen antiker Texte so zentralen 4m ja· p²mta/p÷m-Motivs und versucht zu erlutern, wie die Vorstellung der noetischen „Totalitt“120, die Gottes Binnenstruktur auszeichnet, auf dessen innerweltliches Wirken bertragen werden kann. Da Gott immer als ganzer (wenn auch vermittelt) der Welt anwesend ist, muss er unteilbar sein. In einem ersten Schritt lehnt Cudworth mit Plotin zwei fr ihn unannehmbare Erklrungen der Unteilbarkeit ab. Abzulehnen ist sowohl eine Unteilbarkeit Gottes, die in Analogie zum sog. „Kleinsten im Atom“ konstruiert wrde (Gott ist als „physical minimum“121 unteilbar)122 als auch die bertragung der Unteilbarkeitsvorstellung bezglich des mathematischen Punktes nach der Definition, die Mosheim in System III, 249, Anm. 5 zur Klrung dieser Position aus Augustinus nachliefert. In beiden Fllen ist eine adquate Erklrung der wirkenden Anwesenheit Gottes in der Schçpfung unmçglich,123 denn beide implizieren eine fr Cudworths theistische Sicht unannehmbare Bedeutungslosigkeit Gottes, die in scharfem Kontrast steht zur unmittelbar zuvor explizierten Form des Verhltnisses Gottes zur Welt. In direkter Kontrastierung zu Versuchen, Gottes Unteilbarkeit im Zuge (s-)einer Minimierung auf das kleinste physikalische oder mathematisch-geometrische Element zu begrnden, die mit der Haltung der physiologer (d. h. mit Anstzen wie denen Descartes oder Charletons) gleichzusetzen sind, ist ein Plotinzitat zu sehen,124 das Cudworth in diesem Kontext heranzieht. Mit ihm rekurriert er auf seine Perspektivierung der Trinitt als transitive Schçpfungskraft und bringt so den Standpunkt der „theologers or metaphysicians“ ins Spiel:125 Again, he writeth particularly concerning the Deity thus: Oute ovtyr !leq³r, ¢r t¹ slijq¾tatom, l´cistom c±q "p²mtym, oq lec´hei, !kk± dum²lei [Hervorh. L. B.] – kgpt´om d³ ja· %peiqom aqt¹m, oq t` !dienit¶t\, C toO lec´hour, C toO !qihloO, !kk± t` !peqik¶pt\ t/r dum²leyr, “God is not so indivisible as if he were the 119 120 121 122

System III, 246. Siehe Halfwassen (2004), 74 – 77. Vgl. System III, 249. Zur Lehre vom „Kleinsten im Atom“ siehe z. B. L/S, Abschnitt 9, Frg. A, S. 46 und den Kommentar von L/S dazu S. 47 – 51 sowie Pyle (1995), 30 – 40. 123 Dass Cudworth ebenso wenig wie Plotin von diesen Erklrungsversuchen hlt, zeigt seine Einleitung zu Plotins Text: „so that […] thousands of these incorporeal substances, or spirits, might dance together at once upon a needles point“. Cudworth greift hier eine Parodie Rabelais auf (siehe Keck [1998], 74), mit der Rabelais die Wortspiele der Scholastik ad absurdum fhrt. Durch diese Einleitung soll die Unangemessenheit der abzulehnenden Positionen zustzlich hervorgehoben werden; vgl. auch System III, 251, wo Cudworth allerdings seine eigene These gegen den Spott Rabelais in Schutz nimmt. 124 Das Zitat stammt aus Enneade VI 9, 6. 125 System III, 249.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

smallest or largest of things, for he is the greatest of all, not in respect of magnitude, but of power [Hervorh. L. B.]. Moreover, as he is indivisible, so he is also to be acknowledged infinite; not as if he were a magnitude, or a number, which could never be past through, but because his power is incomprehensible [Hervorh. L. B.].”

Der erste Teil dieses Zitats nimmt fast wçrtlich den Wortlaut des vorausgehenden Plotintextes auf und suggeriert so deren unmittelbaren thematischen Zusammenhang, den Cudworth selbst zwischen beiden Texten gesehen haben mag.126 Whrend der erste Text jedoch seinen Fokus auf die Verbindung von Unteilbarkeit und Minimum-Sein gerichtet hlt, wird nun im zweiten Text thematisiert, in welcher Bedeutung der Begriff „Grçße“ auf Gott angewendet werden kann. Dabei kommt Gott im Unterschied zum vorausgehenden Text und in paradoxaler Wendung als Maximum in den Blick. Gott ist Plotin gemß der Grçßte nicht im rumlich-kçrperlichen Sinne, sondern indem er Kraft ist,127 und zwar die Kraft, die, wie Plotin selbst kurz vor dem von Cudworth zitierten Auschnitt in Enneade VI 9, 5, 36 – 37 ausfhrt, alles Seiende hervorbringt, wobei sie in sich verharrt und auch beim Hervorbringen keine Verminderung erfhrt.128 Der weitere Textverlauf bei Plotin bestimmt dieses erste Prinzip dann als unendlich aufgrund der Unumfassbarkeit seiner Kraft. Zwar wird damit an das Unendlichkeitsmotiv der vorhergehenden Argumentationslinie angeschlossen, es scheint allerdings der auf den ersten Blick so berzeugend hergestellte Bezug zum ersten Plotintext verloren zu gehen. Wenn auch das Eine/ Gott aufgrund seiner Schçpferkraft das allesumfassende Maximum sein kann und damit die Vorstellung von einem Gott abgewendet ist, der aufgrund seiner Unteilbarkeit Gefahr luft, als etwas (physikalisch oder mathematisch) Kleinstes gedacht zu werden, so ist der metaphysische Zusammenhang zwischen Dynamis, Maximum, Unteilbarkeit und Minimum nicht so ohne weiteres ersichtlich, obwohl die Kombination der beiden Plotintexte ihn impliziert. Er lsst sich jedoch rekonstruieren: Zunchst werden in Enneade VI 9, 6, 9 – 10, also in Zeilen, die Cudworth aus seinem Zitat auslsst und auch in seiner bersetzung 126 Der Textabschnitt „oqt³ […] slijq¾tatom“ korrespondiert mit „oqw […] lijqºm“ des vorausgehenden Textes. 127 Meine Interpretation des Verstndnisses der Plotinstelle durch Cudworth richtet sich nach dessen eigener bersetzung von dum²lei mit „in respect of power“. Normalerweise wre eine bersetzung von dum²lei, d. h. dem Dativ Singular ohne Artikel mit „potentially“ oder hnlichem zu erwarten gewesen. Da Plotin selbst aber im unmittelbar Folgenden den Artikel bei t/r dum²leyr gebraucht und die Teillosigkeit der Noeta mit ta?r dum²lesim erklrt, lsst sich diese bersetzung sogar aus Plotin selbst ableiten und nicht allein aus Cudworths Bestreben, den Text bestmçglich in sein System einzufgen. Zur semantischen Relevanz des Artikelgebrauchs bei Plotin im Zusammenhang mit dem Begriff d¼malir siehe Buchner (1970), 18. 128 Plotin, Enn. VI 9, 5, 36 – 37: „ja· d¼malim cemm_sam t± emta l´mousam 1m 2aut0 ja· oqj 1kattoul´mgm.“

7.2 „The Deity […] is […] more indivisible, and more one with itself“

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nicht bercksichtigt,129 Teillosigkeit und Unteilbarkeit direkt auf den Kraftcharakter Gottes zurckgefhrt (zumindest kçnnte Cudworth diesen Passus so verstanden haben, siehe die entsprechende Anm. auf dieser Seite): ¦ste ja· t¹ !leq³r [Ficino hat hier !l´ceher] dum²lei („daher/so dass es auch das Unteilbare ist, indem es Kraft ist/durch Kraft“).130 Diese Zeilen sind ihrerseits zusammenzusehen mit einem weiteren Text aus Plotins Enneade VI 4, aus der Cudworth ja bereits unmittelbar zuvor zitiert hat, dessen Kontext ihm (und seinen Lesern) also durchaus vor Augen gestanden haben kçnnte. Dort heißt es in VI 4, 9, 24 – 25; 29 – 34 und 42 – 45 von der Kraft und von den Krften: […] die Kraft ist dort oben Existenz und Substanz oder etwas Hçheres als Substanz. […] so ist erstens auch bei den Krften dieser Art, die unbedingt einander gleichartig sind, zuzugeben entweder, dass ein und dieselbe berall ist; oder doch, wenn nicht berall, so doch allemal ein und dieselbe zusamt als Ganze, nicht geteilte, z. B. wenn sie in einem und demselben Kçrper ist. Und wenn dies, warum dann nicht ebenso im ganzen All? […] Und wenn das, so muss dort, wo diese Krfte sind, zugleich auch jenes sein, von dem sie gekommen sind; und somit ergbe sich wiederum, dass ein und dasselbe berall zugleich und ungeteilt als Ganzes ist.131

So ergibt sich aus dem schçpfungsrelevanten Charakter Gottes als d¼malir p²mtym bzw. l¸a 1m´qceia ad extra und in bereinstimmung mit allen bisherigen Texten zu diesem Problem Folgendes:

129 Es ist nicht ganz einsichtig, warum er das tut. 130 Die hier vorgeschlagene und von HBT abweichende bersetzung (HBT bersetzen dum²lei „klassisch“ mit „dem Vermçgen nach“), die Cudworths mçgliches Verstndnis der Stelle wiedergeben soll, rechtfertigt sich aus den oben angestellten berlegungen zu Cudworths eigener bersetzung und dem Text bei Plotin selbst. Zu beachten ist weiterhin, wie Ficino den fraglichen Passus bertrgt: „Est enim omnium maximum, non magnitudine quidem, sed potentia. Quapropter quando dicitur individuum, indivisibilem dicimus potestate: quandoquidem et, quae sunt post ipsum, non secundum moles, sed secundum vires individua iudicantur [Hervorh. L. B.].“ Die Verwendung von potentia, potestas und vis in diesem Zusammenhang und in dieser Kombination lsst darauf schließen, dass Ficino alle drei Begriffe hier als Synonyme versteht. Das wiederum vereindeutigt deren Semantik: Nach Schtz (1983/1895) 618 s. v. potestas b), 610 s. v. potentia b) und 865 s. v. vis a) ist damit mit allen drei Begriffen die „Kraft zu einer Thtigkeit“ gemeint, die leicht als Wirkkraft neuplatonischer Prgung aufgefasst werden kann, als d¼malir oder 1m´qceia ad extra. Dass Cudworth die Plotinbersetzung Ficinos besaß, geht aus Millington (1697), 11 hervor. Er kçnnte sich also in seinem Verstndnis von dum²lei an Ficinos Auslegung von d¼malir als vis orientiert haben. 131 B c±q d¼malir 1je? rpºstasir ja· oqs¸a C le?fom oqs¸ar. […] pq_tom l³m ja· 1p· t_m toio¼tym dum²leym !macja?om bloeid_m p²mtyr pq¹r !kk¶kar cimol´mym C tμm aqtμm pamatwoO sucwyqe?m eWmai, C ja·, eQ lμ pamatwoO, !kk owm pamatw0 ûla tμm aqtμm fkgm, oq leleqisl´mgm, […] eQ d³ toOto, ox eQsim axtai, j !je?mo !v ox 1c´momto 1je? ûla 5stai, ¦ste pamtawoO ûla p²kim ‹t¹› aqt¹ oq leleqisl´mom fkom 5stai.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

In Wahrheit ergibt die Untersuchung, dass es notwendig, da ihm kein Ort zuteil geworden ist, dem, dem es beiwohnt, als Ganzes beiwohnt, und dass es einem Ganzen wie auch einem Einzelding beiwohnend als Ganzes beiwohnt. Sonst wrde ein Stck von ihm hier sein, ein anderes anderswo, es wrde folglich geteilt sein und Kçrper sein. Wie soll man es denn berhaupt teilen? Will man das Leben abteilen? Aber wenn das Ganze Leben war, kann der Teil nicht mehr Leben sein.132

Damit sind Bedeutung und Grçße Gottes sowie seine Unteilbarkeit und Einheit vor dem Hintergrund der berlegungen Plotins zum dynamischen Charakter intelligiblen Seins bzw. intelligibler Wesenheiten in ihrer Beziehung zueinander erklrt, denn die Eigenschaften, die Gottes Wesen in seinem Wirken ausmachen, ergeben sich aus den Attributen, die bereits bei Plotin den intelligiblen Wirkkrften und -formen zugeschrieben werden und in den Enneaden wie in Cudworths System die spezifischen Eigentmlichkeiten der Urschlichkeit des Intelligiblen im Stofflichen erklren. So ist zugleich eine metaphysische Darstellung gefunden, die die paradoxalen Wendungen verstndlich macht, mit denen Cudworth via Porphyrius in System III, 246 f. Gottes Anwesenheit (in) der Welt beschrieben hat. Cudworth nimmt also in dieser Trinittsexplikation, die den zuvor nicht thematisierten Kategorien des „Grçßten“ und „Kleinsten“ folgt, seine Ausfhrungen zu einer speziellen Form der antiken Gotteskonzeption auf, derzufolge Gott als schçpferische Monade zu verstehen ist, und denkt sie weiter. Gemß seinen Interpretationen in System II, 394 f. ist Gott bzw. das erste Prinzip Eines und absolute Einheit, weil es sich in sich in einer absoluten Form verdichtet (Cudworth zitiert hier aus Enneade V 3, 16, und die Wendung der „Verdichtung“ findet sich bei Plotin direkt nach den von Cudworth zitierten Zeilen). Wie sich diese Verdichtung vollzieht, lsst sich mittlerweile systemspezifisch als sich zusammenbindende und vollstndig auf sich bezogene und in sich verschrnkte Trinittsdynamik denken. Diese ontologische Verdichtung resultiert in der Vorstellung von Gott als einer absoluten Einheit, die gleichzeitig ein quasi hochkonzentriertes Energiezentrum von absoluter Dichte ist. Dies ist das gçttliche Minimum. Dessen Verhltnis zur Welt hat Cudworth weiterhin in seiner Explikation des Hen-kai-pan-Motivs als eine Art homogenen und alles umfassenden (peqi´weim) Kraft-Raum bestimmt, in dem die Welt ist und der als primrer Ausdruck und Entfaltung der absoluten Kraft des gçttlichen Zentrums – und weil ihn nichts anderes mehr im metaphysischen Sinn umfasst – unendlich ist. In diesem Sinne ist Gott „the greatest of all“, eine Art Kraftfeld oder -sphre, die in ihrer Eigenschaft als reine Kraft alles in ihr Umfasste als Ganze zugleich vollstndig durchdringen kann. Cudworth unter132 Plotin, Enn. VI 4, 3, 27 – 33. Insgesamt ist Kapitel 3 von VI 4 offenbar eine zentrale Hintergrundfolie fr Cudworths Argumentation, die sich bereits in der Verwendung eines Philontextes in System III, 241 manifestiert und seinen Erklrungen des Hen-kaiPan-Motivs zugrunde liegt.

7.2 „The Deity […] is […] more indivisible, and more one with itself“

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nimmt es also, in der begrifflichen und zunchst paradoxen Spannung, der zufolge Gott zugleich Minimum und Maximum und berall und nirgends der Schçpfung anwesend ist, das komplexe Verhltnis zwischen trinitarischer Ursache und der ihr zukommenden Form von Weltanwesenheit kraftmetaphysisch so zu denken, dass sich die Widersprche und Paradoxa im Wesen Gottes aufheben lassen und so die atomistisch orientierten Kritiker derartiger Formulierungen widerlegt sind. Hierin ist die seinem System spezifische Explikation des Grundgedankens zu sehen, Gott als bonum diffusivum sui und hen kai pan zu verstehen. Cudworth entwickelt diese Auslegung zum einen in der Auseinandersetzung mit atomistischen Positionen (die Leere/der Raum ist unendlich) und atomistischer Kritik am theistisch-neuplatonischen Gottesbegriff und Gottesattributen und zum anderen in der systemkonformen kombinierenden Aneignung der entsprechenden Texte neuplatonischer Metaphysik. Zugleich bereitet er damit die Grundlage, auf der seine Ausfhrungen zum Wesen der Seele und anderer intelligibler Wirkkrfte in ihrem Verhltnis zur stofflichen Welt differenziert entwickelt werden kçnnen, da diese in Analogie zum Verhltnis Gottes zur Welt zu denken sind. In den folgenden zwei Zitaten thematisiert Cudworth folglich diesen ebenso zentralen wie spannungsvollen Inhalt weitergehend,133 indem er die Bedeutung der Begriffe „greatness“ und „littleness“ ausfhrt und im Sinn der neuplatonischen Metaphysik ausdeutet. Diese Explikation, die seine Vorstellung Gottes als eines in absolutem Maße verdichteten bzw. konzentrierten Energiezentrums weiter konturiert, ist zustzlich vor dem Hintergrund einer zeitgençssischen Diskussion zu sehen, die eine weitere Matrix abgibt, vor der Cudworth schließlich unter Verwendung neuplatonischer Texte eine neue Variante der Widerlegung der atomistischen Position entwickelt,134 der gemß nur das seiend sei, was Grçße und Ausdehnung (und Widerstndigkeit) besitzt. Mit einem Text von Plotin weckt Cudworth das entsprechend perspektivierte Problembewusstsein, denn Plotin invertiert in diesem Text die Bedeutungen von „groß“ und „klein“: Fr die Neuplatoniker ist das, was den Materialisten als „klein“ oder sogar als nicht vorhanden erscheint, „groß“ und umgekehrt. Aus dem sich anschließenden Porphyriuszitat lsst sich folgern, dass Gott zugleich als Grçßtes und Kleinstes, als Minimum und Maximum gedacht werden muss – ein Paradoxon, das nur unter Annahme der berrumlichkeit Gottes zu lçsen ist,135 die sich, wie bereits gezeigt, in dessen Wesenheit als Kraft begrndet und gleichzeitig in seinem Wirken in der Welt manifestiert. Wie bzw. aus welchem Grund Gott als Maximum zu denken ist, hat Cudworth zuvor mit 133 System III, 249 f. 134 In System III, 251. 135 Die damit verbundenen Probleme, sich Gott vorstellen und denken zu kçnnen, thematisiert Cudworth in einer Textkombination in System III, 252 – 253.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

einem Plotintext begrndet: Er ist es als alles umfassende d¼malir p²mtym, die sich, wie noch zu zeigen ist, als homogener Kraft-Raum zur Schçpfung verhlt. Wie aber ist zu verstehen, dass Gott nicht nur trinittsbezogen, d. h. an sich, sondern ebenso in Bezug auf die geschaffene Welt auch Minimum ist? Cudworths Umgang mit diesem Problem bleibt damit weiterhin wesentlich mit der Frage verschrnkt, wie Gottes Anwesenheit in der Schçpfung gedacht und vorgestellt werden kann,136 und ist im Zusammenhang mit den zeitgençssischen berlegungen zum Problem der eigentlich unbegreiflichen Prsenz Gottes in der Welt zu betrachten. Die platonisierenden Lçsungsversuche vollziehen sich – u. a. – in Auseinandersetzung mit dem berhmten Bild aus dem Liber XXIV philosophorum, in dem Gott als Sphre bezeichnet wird, deren Zentrum berall, deren Peripherie/Umfang nirgends sei: „Deus est sphaera infinita, cuius centrum est ubique, circumferentia nusquam (108, ed. Cl. Baeumker).137 Es ist u. a. Athanasius Kircher, der sich in seiner Centrosophia intensiv mit dem Begriff des „Zentrums“ und seinen metaphysischen und theologischen Implikationen auseinandersetzt.138 Nach Kircher weist die geschaffene, kçrperliche Welt einen Mittelpunkt, ein Zentrum, auf, in dessen Beschaffenheit in hervorragender Weise die bewundernswerte und unerschçpfliche Weisheit Gottes aufscheint und in dem, als „Sitz von Gottes Macht“139, Maximum und Minimum zusammenfallen. In diesem Zentrum denkt Kircher die Immanenz Gottes in der Welt und bestimmt es als Punkt und „ausgezeichneten Ort der innerweltlichen Kraftentfaltung transzendenter Prinzipien“140. Das Zentrum als Punkt erweist sich aufgrund dessen ambivalenter Substanz zwischen rumlich und nicht- oder berrumlich „als Einschluss des Intelligiblen, Prinzipiierenden im Horizont kçrperlicher Dimensionalitt“141 und damit als „Wirkzentrum“142. 136 Im Plotinzitat in System III, 249 f. findet sich dieses Problem ausgedrckt in der Wendung „this whole universe, in every one of its parts, findeth that whole and entire, and therefore greater than itself“; im System III, 250 zitierten Porphyriustext in folgender Formulierung: „it being found in all one and the same by every greatest and every smallest thing participating thereof“. 137 Zu dieser Vorstellung und ihrer Rolle in der theologisch-naturphilosophischen Diskussion in der Frhen Neuzeit besonders bei Kircher siehe Leinkauf (1993), 214 – 220. Eventuell hatte Cudworth diese allgemeine Vorstellung einer homogenen, lichterfllten Kugel vor Augen, als er den Gott des Xenophanes als unkçrperlich, in sich homogen (pamtawºhem floior) und kugelartig beschrieb. Im Xenophaneischen unkçrperlichen Kugelgott kçnnte Cudworth die Prfiguration sowohl seiner Vorstellung von Gott als Zentrum und des homogenen Kraft-Raumes als der ersten Explikation dieses Zentrums gesehen haben. 138 Siehe Leinkauf (1993), 221 – 231; die folgenden Ausfhrungen basieren auf den Ergebnissen der Untersuchungen Leinkaufs zur Bedeutung des Zentrumsbegriffs und operationalisieren sie fr die Interpretation des System. 139 Leinkauf (1993), 223. 140 Leinkauf (1993), 224 f. 141 Leinkauf (1993), 225.

7.2 „The Deity […] is […] more indivisible, and more one with itself“

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Die Annahme, dass Cudworth vor diesem Hintergrund argumentiert haben kçnnte, lsst sich durch eine Formulierung bei Kircher plausibilisieren, die an Plotins kraftmetaphysische berlegungen zur Unteilbarkeit des ersten Prinzips gemahnt und in der das Zentrum, das als Punkt eigentlich ein Minimum ist, aufgrund seiner Kraft als groß bezeichnet wird: „virtute sua magnum est (s. c. minimum/centrum), ut omnia fulciat, omnia conservet, omnia animet, corroberet omnia“.143 In der Diskussion um Gottes Grçße taucht bei Cudworth genau diese Begrndung von Grçße durch Kraft auf in dem Zitat aus Plotin, Enn. VI 9, 9 in System III, 249. Diese Konzeption von Gott als Mitte und Zentrum der Welt, die in den Unterkapiteln zur Seele weiter expliziert werden soll, gilt ebenso fr jedes Geschçpf und auch fr den Menschen: „Gott ist in allem der innerste, jedem Einzelnen unzugngliche Grund von dessen singulrem Sein […] denn indem er so [als berall zugleich anwesendes Kraftzentrum] in ihnen ist, sind sie in ihrem Grund ihr eigenstes aktives, absolutes sich Erfassen, es gibt eine ,Prsenz Gottes im Kern jedes Seienden (t/r fkgr oqs¸ar j´mtqom, Procl., De philos. Chald., 4, 29)“.144 Diese Vorstellung kçnnte Cudworth dann mit Beschreibungen Plotins vom Zentrum der Seele zusammengesehen haben:

142 Leinkauf (1993), 226. Der Prinzipiencharakter des Zentrums wird bereits bei Procl., In Primum Euclidis Elementorum Librum Commentarii (ed. Friedlein [1873/1967]), def. 1, 88, 2 – 5 hervorgehoben, siehe Leinkauf (1993), 225 f., Anm. 232. Interessant ist an Proklos Definition, dass er dem sgle?om (dazu vgl. System III, 249, Anm. 5) eine d¼malir %peiqor zuweist, die alle (Zwischen-)Rume hervorbringt. In diesem Punkt konvergieren Cudworths Gottesvorstellung und Punkt- Zentrumskonzeption des spten Neuplatonikers. Siehe auch Leinkauf (1993), 227, Anm. 234 zur Konzeption des dynamischen Zentrums bei Proklos und Bruno. 143 Kircher, Mundus Subterraneus (Amsterdam 1665), tom. I, 1, praef.; siehe Leinkauf (1993), 226. 144 Leinkauf (1993), 317 f. Vgl. auch Fouke (1997), 70 f. zu einer sehr hnlichen Vorstellung bei den Alchemisten, hier Paracelsus und Vaughn. Zur entsprechenden Vorstellung bei Robert Fludd s. Rçsche (2008), 205 mit Anm. 875 und 246 sowie Anm. 1030 auf S. 247. Anne Conway, die zwar Gott ebenfalls mit einem Zentrum vergleicht (princ. 161, ed. Loptson), entwickelt eine Zentrumsvorstellung, die zwar hinsichtlich der Funktion des Zentrums sehr der neuplatonischen hnelt, jedoch die Beschaffenheit und den Status dieses Zentrums vçllig anders bestimmt. Ihr Zentrum ist „[…] Spirit […] a central Nature, having a Faculty to send forth a Sphere full of Light and to inlarge and contract the same, which properly seems to be Aristotles 1mtek´weia, […]“ (princ. 205, ed. Loptson). So wird ihr „Centre“ eindeutig als „Spirit“ und damit als wesentliche Eigenschaft der Materie ausgewiesen (princ. 224 – 225, ed. Loptson) und nicht, wie bei den Neuplatonikern der Frhen Neuzeit, als intelligible immaterielle Wirkkraft. Allerdings ergnzt sie, wie gezeigt, diese Vorstellung mit der der „intrinseck presence“. Cudworth kçnnte diese Impulse aufgenommen oder aber Conway auf Cudworths Anstze reagiert haben.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

Ist nun dieser ,Mittelpunkt der Seele etwa das Gesuchte? Oder ist nicht vielmehr anzunehmen, dass es noch etwas anderes sei und zwar etwas, worin alle ,Mittelpunkte zusammenfallen und das dem Mittelpunkt eines irdischen Kreises nur analogisch entspricht? […] Jetzt aber, wo ein Teil von uns vom Leib berdeckt ist, so als wenn man die Beine im Wasser hat und nur mit dem brigen Kçrper daraus hervorragt, so erheben wir uns mit dem Teil der Seele, der nicht vom Kçrper berschwemmt ist und damit berhren wir uns an der Stelle unseres eigenen Mittelpunktes mit dem ,Mittelpunkt aller Dinge, so wie die Mittelpunkte der grçßten Kreise mit dem der einschließenden Kugel, und ruhen dann aus.145

In einem weiteren Text Plotins wird das Verschmelzen der „Zentren“ schließlich kraftmetaphysisch begrndet und derart auf eine schçpfungsbezogene Weise erklrt, wie alles Eins und damit Eines alles und so als Punkt-Zentrum zugleich Minimum hçchster Kraftkonzentration und umfassendes Maximum sein kann: Dort aber, wo auch auf der einen Flche kein Abstand mehr ist, sondern nur abstandslose Krfte und Wesenheiten ( !di²statoi dum²leir ja· oqs¸ai) [Hervorh. L. B.], da kann man fglich sagen, dass alle Dinge mit ihren Mittelpunkten in einem einzigen Mittelpunkt zumal geeint sind, da gleichsam die Punkte, die im Mittelpunkt gelegen sind, ihre Linien einbßen, und dann sind sie eben alle Eines.146

Entscheidend ist fr die Argumentation im System, dass „Minimum“ im Hinblick auf Gott (und die Seelen) immer als „Zentrum“ gedacht wird, d. h. dass der Begriff des „Minimums“ ber die verbindende Vorstellung der Unteilbarkeit und Einfachheit zum Energie- oder Kraftzentrum hçchstmçglicher Intensitt wird. So kann im System Gott in seinem Verhltnis zur Welt kraftmetaphysisch als 4m ja· p²mta gedacht werden. Cudworth greift diese Form der Er145 Dieser Text stammt aus der von Cudworth in diesem Kontext wiederholt zitierten Enneade VI 9, 8, 10 – 22, die vielleicht auch Vorstellungen von John Smith beeinflusst hat (Select Discourses [Discourse 1: Of the true Way or Method of attaining to Divine Knowledge], [London 1660], 20: „[…] The true Metaphysical and Contemplative man […] who running and shooting up above his own Logical or Self-rational life, pierceth into the Highest life. Such a one, who by Universal Love and Holy affection abstracting himself from himself, endeavours the nearest Union with the Divine Essence that may be, j´mtqom j´mtq\ sum²xar, as Plotinus speaks, knitting his owne centre, if he have any, unto the centre of Divine Being [alle Hervorh. im Original]“; Hinweis auf die Stelle bei Dockrill, in Rogers/Vienne/Zarka (1997), 63 f. Vgl. auch Leinkauf, in Horn/Mller/ Sçder (2009), 456 zu dieser Vorstellung bei Ficino. 146 Plotin, Enn. VI 5, 5, 6 – 10. Besonders dieser Text kçnnte fr die Anordnung der von Cudworth zitierten Texte vor dem Hintergrund der exemplarisch an Kircher ausgefhrten zeitgençssischen Diskussion um die „punktuelle“ Anwesenheit Gottes in der Welt systematische Relevanz besessen haben, da er mit !di²statoi dum²leir eine metaphysische Lçsung fr das Problem anbietet, wie Gottes „indistant nature“ (System III, 253) in ihrer Verbindung mit der all-umfassenden Anwesenheit zu erklren ist, auf die Cudworth wiederholt und nachdrcklich, z. B. im Plotinzitat in System III, 246 f., eingegangen ist und die die Grundlage dafr bildet, Gott als einheitlichen, teillosen Zentrums- und Mittelpunkt zu denken bzw. zu imaginieren.

7.2 „The Deity […] is […] more indivisible, and more one with itself“

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klrung und Beschreibung der Anwesenheit Gottes „im“ Geschçpf mçglicherweise in einem in Klammern stehenden Zusatz auf, mit dem er ein Porphyriuszitat eng an die vorangehenden Texte Plotins anbindet: „it being […] more one with itself, than any thing that is little, and more powerful than any thing that is great“, oder, wie Leinkauf es formuliert: In und durch diese zentrale Anwesenheit Gottes in der Seele als Lebens-, Bewegungs- und Wahrnehmungsprinzip wird deren „eigenstes aktives, absolutes sich Erfassen“147 ermçglicht. Mit Plotins metaphysischen Erklrungen der Anwesenheit des Einen und des intelligiblen Seienden im Stofflichen aus Enneade VI 9, 8 und VI 5, 5 im Hintergrund wird Cudworth eine kraftmetaphysische Erklrung der paradoxalen Anwesenheit Gottes in der Welt und seines ebenso schwierig zu erfassenden Verhltnisses zu seiner Schçpfung mçglich, die vollstndig mit seinem eigenen dynamischen Gottes- und Weltmodell harmoniert. Auf diese Weise lassen sich Auswahl und Anordnung der (spt-)antiken Referenztexte zu Grçße und Kleinheit, Unteilbarkeit und Distanzlosigkeit sowie Unendlichkeit Gottes, die primr zur Widerlegung atheistisch-atomistischer Attacken gegen den (neuplatonisch geprgten) Theismus funktionalisiert werden, verstehen als Reflexion auf den systematisch relevanten Begriff des Zentrums in der zeitgençssischen naturphilosophisch-theologischen Debatte um Imaginationsformen des Verhltnisses Gottes zur Welt. Die (spt-)antiken Referenztexte dienen Cudworth in seinem Versuch, diese Debatte, die sich in den von ihm ausgewhlten Texten (und den mit ihnen verknpften Hintergrundvorstellungen) spiegelt, im Rahmen der prisca theologia aufzugreifen und das Problem der Denkbarkeit Gottes als Koinzidenz von Maximum und Minimum in der Welt einer Lçsung zuzufhren. Diese Lçsung wiederum fhrt die Leser des System vollstndig weg von den rumlich-kçrperlichen Vorstellungen von Grçße und Kleinheit, mit denen die Atomisten gegen die theistische Gotteskonzeption argumentieren (und die Rabelais verspottet), und hin zu einer metaphysisch-theologischen Betrachtungsweise der Welt, die darauf hinausluft, die Welt unter ihrer abbildhaften materiellen Oberflche als organische Ganz- und Einheit eines Gewebes intelligibler Krfte zu sehen, die alle in Gott zentriert und damit zugleich auf147 Leinkauf (1993), 317 f. Das bedeutet zugleich, dass sich die Seele dieser Eigenschaft Gottes, wie gleich zu zeigen ist, in der Selbstzuwendung, in der Wendung in ihr eigenes Inneres, bewusst wird, wie es u. a. auch Robert Fludd nachdrcklich formuliert, dazu Rçsche (2008), 205 mit Anm. 875: „Sed mundu[s] est exterior, Deus vero est interior, imo vero nihil Deo est interius, cum sit rerum quasi centrum. Unde necesse est, ut nos, ab hoc mundo revertentes, & quasi ab imo sursum ascendentes, attollamur. Ascendere autem ad Deum est intrare in seipsum, & non solum se ingredi, sed ineffabili quodam modo ad intima sui penetrare. Qui enim interiora transiens, & intrinsecus penetrans, seipsum transcendit, ille vero ad Deum ascendit“ (Zitat ebd. Anm. 875). Das Zitat aus Cudworth: System III, 250.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

gehoben sind. Wie ein derartiges Weltbild imaginiert werden kann, das dieser Perspektive auf die Welt Rechnung trgt, zeigt anschaulich Plotin in einem Meditationsbild, das er in Enneade V 8, 9, 1 – 27 entwickelt.148 Cudworth schlgt allerdings einen anderen Weg ein als Plotin. Er zitiert drei Texte (Plotin und zweimal Porphyrius),149 um den Lesern seines System die Notwendigkeit einer epistemologischen Epistrophe¯ im neuplatonischen Sinne nahezubringen, fr die Plotin ein praktisches Beispiel bietet. Denn auch wenn Cudworth in der Verschrnkung von zeitgençssischen Konzeptionen der Immanenz Gottes als Punkt-Zentrum der Welt und alles Geschçpflichen mit sptantiken neuplatonischen Texten zu Grçße, Kleinheit und Kraftcharakter des ersten Prinzips eine Lçsung bzw. eine Erklrung dieser paradoxalen Form, Gottes Anwesenheit in der Welt zu denken, gefunden hat, bleibt diese schwer vorstellbar – mehr noch, sie ist eigentlich „!v²mtastom, ,a thing altogether unimaginable“150, denn „,active force and power, as such [do not] depend upon bulk and extension […] and are themselves unbulky, and devoid of quantity and dimensions“.151 Sie, und d. h. mit ihnen Gott als Energeia und das tragende 148 Plotin, Enn. V 8, 9, 1 – 27: „Fassen wir also diese Welt hier – jeder einzelne Teil bleibt, was er ist und wird nicht vermengt – in Gedanken zu einem All-Einen zusammen, soweit das mçglich ist. […] So, wie bei einer durchsichtigen Kugel es in Wirklichkeit wohl mçglich ist, dass alles in ihr gesehen werde. Es sei also in der Seele die Vorstellung einer lichten Kugel und enthalte alles in sich selbst. […] Whrend du diese [Vorstellung] bewahrst, bilde dir eine andere, indem du die Masse fortnimmst. Nimm aber auch die Orte fort und das Abbild der Materie in dir und versuche nicht, dir eine andere, die an Masse [lediglich] kleiner ist [als die erste Vorstellung] vorzustellen. Dann rufe den Gott an, der die [Sphre] geschaffen hat, deren Abbild du hast, und bete zu ihm, dass er komme. Er aber mçge kommen und seine eigene Welt mitbringen, zusammen mit allen Gçttern in ihr, whrend er, als einer, sie alle ist und jeder einzelne alle ist, die wiederum zu einem zusammensind, und sie einerseits nach ihren Krften unterschiedlich sind, andererseits sind sie durch eben jene eine Kraft, die vielheitlich ist, alle einer: vielmehr ist der Eine alle. […] Tatschlich ist er All-Kraft, die ins Grenzenlose fortschreitet, aber auch ins Grenzenlose krftig ist; und so groß ist jener, dass auch seine Teile grenzenlos sind.“ Siehe dazu Bergemann (2006), 98 – 101. Zur Bedeutung von Enneade V 8, 9 im Rahmen innertrinitarischer Einheitsspekulation siehe oben S. 288 und S. 308 – 310. 149 System III, 252 f. Cudworth fhrt Plotin, Enneade VI 4, 13 an und zwei Abschnitte aus Porphyrios, Sententiae ad intelligibilia ducentes, Sententia 33 (ed. Lamberz, Leipzig 1975). 150 System III, 253. Vgl. die kritische Einschtzung Kirchers, das Innere der Dinge erfassen zu kçnnen, auf die Leinkauf (1993), 298 f. hinweist. 151 System III, 253. Aus diesem Grund gilt erst recht fr Gott, dass seine Existenz von derartigen Kategorien unabhngig ist: „There need to be no fear at all, lest a Being infinitely wise and powerful, which acts upon the whole world, and all the parts thereof, in framing and governing the same, should prove a nonentity, merely for want of bulk and extension. […] Nor does active force and power, as such, depend upon bulk and extension; […] There are therefore two kinds of substances in the universe; the first corporeal, which are nothing but ecjoi, ,bulks, or ,tumours, devoid of all self-active

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Gerst der Welt, sind also berrumlich und unstofflich und entziehen sich somit einer der zentralen Formen der inneren Anschauung nach Kant: dem Raum – so sind sie „unimaginable“. Der Mensch kann sich jedoch neben den „techniques of transcendental meditation“152, wie sie z. B. in Enneade V 8, 9 vorliegen und von Cudworth offenbar angemahnt werden,153 dieses Phnomen der Anwesenheit Gottes in der Selbstreflexion erschließen. Er/sie erfhrt dann das, was Cudworth mit dem Begriff b²hor zu fassen und mit einem Simplikiostext theoretisch nher zu bestimmen versucht: [These %ocjoi dum²leir], though they act upon bulk and extension, yet are themselves unbulky, and devoid of quantity and dimensions; however, they have a certain b²hor in them in another sense, an “essential profundity,” according to this of Simplicius: Leqistμ l³m "pk_r B sylatijμ oqs¸a p÷sa, %kkym !kkawoO t_m loq¸ym jeil´mym7 !l´qistor d³ eQkijqim_r B moeq±, pok» d³ b²hor 5wousa, “All corporeal substance is simple divisible, some parts of it being here and some there; but intellectual substance is indivisible, and without dimensions, though it hath much of depth and profundity in it in another sense.”154

Leider lsst Cudworth an dieser Stelle offen, wie „in another sense“ zu verstehen sein kçnnte und welchen Bezug es zur produktiven Anwesenheit des Intelligiblen und Gottes im Geschçpflichen hat oder haben kçnnte.155 Er scheint hier seine Reflexionen zur Natur der menschlichen Seele vorauszusetzen, in denen er den Begriff b²hor nher bestimmt (s. u. S. 407 – 409 zu System III, 396). Cudworth konstruiert dort den Seelen-„kern“ als Kraftzentrum und damit in

152 153

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power; the second incorporeal, which are %ocjoi dum²leir, ,substantial powers, vigours, and activities;“ (ebd.). Dillon, in Erler/Kobusch (2002), 290 – 291. Cudworth selber entwickelt im Rckgriff auf bekannte Modelle in EIM 540 eine „mystical or enigmatical representation“ mit dem Ziel, Gottes Struktur besser und verstndlicher auszudrcken und darzustellen: „[Gods] nature is better expressed by some in this mystical or enigmatical representation of an infinite circle, whose inmost centre is simple goodness, the radii, ,rays and expanded area, ,plat thereof, all comprehending and immutable wisdom, the exterior periphery or interminate circumference, omnipotent will or activity, by which everything without God is brought forth into existence. Wherefore the will and power of God have no imperium ad intra ,command inwardly either upon the wisdom and knowledge of God, or upon the ethical and moral disposition of his nature, which is his essential goodness; but the sphere of its activity is extra Deum, ,without God […]“. System III, 253 – 254. Siehe oben S. 364 f. Wie es bereits Mosheim in System III, 253 f., Anm. 10 bemerkt, um nach einem Hinweis auf Rçm. XI, 33 kritisch auf die Inhaltslosigkeit neuplatonischer Terminologie hinzuweisen. Ich mçchte dagegen im Folgenden versuchen, diesen Begriff in einen mçglichen Kontext zu stellen und aus diesem heraus seine Semantik zu rekonstruieren, um so zu zeigen, dass das System an dieser Stelle keine Brche aufweist. Dieser Gebrauch des b²hor-Begriffs ist dabei streng von dem zu unterscheiden, bei dem die rumliche Tiefe eines Kçrpers bezeichnet wird, wie z. B. in System III, 234.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

analoger Weise zu Gottes Sein in der Welt als Weltzentrum, das aufgrund seiner ontologischen Wesens- und Wirkungsbestimmung als Kraft berall zugleich und als Ganzes anwesend ist. Dieser Entwurf ist daher vor dem Imaginationshorizont zu verstehen, in dem Gott als „Mittelpunkt aller Dinge“156 vorgestellt wird: In seiner Schrift VI 5 expliziert Plotin nmlich diesen Sachverhalt und verbindet ihn zudem mit dem bekannten Energeiai-Schema und dem Begriff der „Tiefe“. Daher kann der entsprechende Textauszug aus Enneade VI 5 hier herangezogen werden, um die Bedeutung von „Tiefe“ hinsichtlich der Denk- und Vorstellbarkeit Gottes im Rahmen der diesbezglichen systematischen Ausfhrungen Cudworths und ihrer Hintergrundtexte zu erçrtern:157 Indessen, wie kann das Ausdehnungslose denn sich erstrecken am Weltleibe, der doch so eine gewaltige Grçße hat, und warum wird es dabei nicht zerrissen, sondern bleibt eines und dasselbe? [… Jene Wesenheit] ist die erste Wesenheit und nicht abgemessen noch begrenzt, wie groß sie sein darf (an ihr wird ja umgekehrt die andere Wesenheit gemessen), und ist ganz und gar Kraft (d¼malir), die nirgends auf ein bestimmtes Quantum festgelegt ist. […] so muss man auch zu dieser Unendlichkeit der Kraft eine gleichlaufende Wesenheit ansetzen, die ihr gegenber schwebt und an sie geknpft ist; whrend diese, ganz parallel wie dort die Zeit, zu der verharrenden Kraft (l´mousam d¼malim) hinluft, welche umfassender ist als sie, ist jene dem Scheine nach so groß, wie sie sich erstreckte, was immer die ist, die an dieser Natur Anteil hat, soweit ihr das mçglich ist, wobei jene ganz gegenwrtig ist, nicht aber ganz an jedem sichtbar wird wegen der Kraftlosigkeit der Unterlage. […] Auf welche Weise wohnt sie denn nun bei? Als ein einheitliches Leben; denn das Leben reicht in einem Lebewesen nicht etwa nur bis zu einer gewissen Grenze und kann dann nicht ber das ganze Wesen vordringen, sondern es ist berall in ihm. Und fragt einer immer noch, auf welche Weise, so erinnere er sich daran, dass die Kraft nicht quantitativ bestimmt ist, sondern, wenn er sie in Gedanken ins Unendliche teilt, so erhlt er immer dieselbe Kraft, sie ist aus der Tiefe her unendlich; […]158

Die „Tiefe“, so kann man aus diesem Text Plotins schließen, steht demnach fr die wesentliche Energeia und deren hçchste Verdichtung, die im Kern aller Dinge in sich verharrt (sie ist die l´mousam d¼malim) und die doch in ihrem Wirken nach außen allem anwesend ist in einer Form, die Plotin hier als Leben bestimmt und die analogisiert werden kann mit der „sphere of action“ der einzelnen Seele auf den Kçrper hin, die diesen vollstndig durchzieht. Veran156 S. o. S. 371 – 373. 157 Zugleich kann der Text Plotins als weitere Hintergrundannahme dafr herangezogen werden, warum „unendlich“ als sinnvolles Gottesattribut gebraucht werden darf, wenn man es mit dem Kraftcharakter verbindet; zur Unendlichkeit Gottes und der diesbezglichen atomistischen Begriffskritik s. o. S. 341 f. 158 Plotin, Enn. VI 5, 11, 1 – 3, 11 – 14, 24 – 31 und 12, 1 – 5. Auffllig ist, dass Plotin auch in dieser Schrift seine ontologischen Lehren in ein Gedankenexperiment mnden lsst, in dem sich die Hauptpunkte der Argumentation Cudworths zu diesem Thema finden, siehe VI 5, 12, 7 – 36, und das im Kern beinhaltet, dass das Eine/Gott immer zugegen ist.

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schaulicht wird dieser Sachverhalt klassisch in der neuplatonischen Lichtmetaphysik,159 wie z. B. in Enneade VI 4, 7, 44 – 47160 : „Wenn nun die Sonne reine Kraft wre, die vom Kçrper getrennt wre und so das Licht dargbe, so nhme es nicht von da seinen Anfang, man kçnnte nicht sagen woher, sondern das Licht wre berall das Einunddasselbe, ohne einen Anfang und auch ohne einen bestimmten Ausgangspunkt zu haben.“ Hinsichtlich des Nexus zwischen Licht, Produktivitt/Wirksamkeit und Tiefe wiederum kçnnte sich Cudworth an Ausfhrungen orientiert haben, wie sie sich z. B. bei Patrizi in der Pancosmia finden, und die zugleich eine Rckwendung des Menschen in sein Wesentliches (seine „Tiefe“) zum Zweck des Erfassens des Wirkens Gottes in der Welt legitimieren: „Lux enim illa, paterni profundi, in quo, et in qua, entia omnia summo sunt gradu, sterilis esse non potuit. Ideoque lumen hoc e se produxit, quod profundi esset imago.“161 Im Zusammenhang mit den vorausgehenden Texten, in denen Cudworth seine Leser zur Abkehr von der berbewertung oder gar Absolutsetzung einer auf das Empirisch-Materielle fixierten Erkenntnis anhlt, wird der Begriff des b²hor vor diesem Vorstellungshorizont zum Appell, die klassische Wendung nach innen, zum eigenen Wesenszentrum zu vollziehen. Hier erfhrt der Mensch die eigene „Tiefe“ als imago Dei, eine Tiefe, in der, wie bei Kircher im Zentrum der Welt, Gottes Prsenz ist. Und er erfhrt auf diese Weise, wie sich diese Prsenz Gottes in ihrer zunchst widerspruchsvollen Struktur zugleich als Zentrum, Punkt/Minimum und alles umfassendes, alles wirkend durchdringendes Maximum manifestiert. Statt sich mit Mikroskopen oder Teleskopen den Phnomenen der Welt und ihrer Erklrung zu nhern, scheint Cudworth in dieser Frage den Weg der meditativen Gedankenbung zu implizieren, wenn es 159 Zur Verwendung der Lichtmetaphysik in diesem Kontext in der Frhen Neuzeit siehe u. a. Leinkauf (1993), 334 – 342. Cudworth selber verleiht dieser Vorstellung u. a. dadurch Ausdruck, dass er die Gott nachgeordneten Krfte als radii Deitatis bezeichnet, deren Beschaffenheit und Status mit der Bestimmung Gottes als Wirkzentrum und Kraft ebenfalls prziser bezeichnet und qualifiziert werden. Zumal erst jetzt, quasi nebenbei, verstndlich wird, wie Gott trotz seiner Vermittlung durch diese Krfte ebenfalls einheitlich und ungeteilt „in“ der Welt ist, worin ein zustzlicher systematischer Mehrwert dieser ganzen Ausfhrungen zu sehen ist, selbst wenn er von Cudworth nicht explizit thematisiert wird. Zur analogen Vorstellung bei Robert Fludd s. Rçsche (2008), 216 mit Anm. 918 u. 919. Rçsche diskutiert Fludds Anwendung dieser Vorstellung auf das Verhltnis Gottes zur Seele des Menschen, das hnlichen Anforderungen gengen muss wie das Gottes zur Welt bei Cudworth. Mit Rçsche (2008), 220 gilt fr Cudworth wie fr Fludd, dass die Anwesenheit Gottes in der Schçpfung als Licht, d. h. als Strahl, lumen oder (Radial-)Kraft zu denken ist. Gott selber steht so zugleich gleichsam auch „außerhalb“ der Schçpfung. Vgl. Rçsche (2008), 230: Rçsche zeigt, dass Fludd (wie nach ihm Cudworth) diese metaphysische Differenzierung nutzt, um sich gegen den Vorwurf der Idolatrie abzusichern. 160 Siehe Bergemann (2006), 82. 161 Patrizi, Pancosmia IV, 75r.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

darum geht, Aufschluss darber zu erlangen, was die Wirklichkeit der Welt wie bestimmt, und wenn es das Ziel ist, sich der Prsenz Gottes im Geschaffenen zu vergewissern.162

7.3 „God himself is called place“163 – die Notwendigkeit eines trinitarischen Gottes und wie seine Anwesenheit in der Welt zu denken ist Die besondere Problematik, die sich Cudworth nun zustzlich stellt, ist die, dass Gott dezidiert und in klarer Unterscheidung von allen kreatrlichen intelligiblen Wirkformen als einziges Prinzip tatschlich ohne irgendeine Form semistofflicher Vermittlung in der Welt anwesend sein soll, trotzdem aber nicht pantheistisch mit ihr verbunden sein darf.164 In diesem Sinn ist Gottes Verhltnis zur Welt das Urbild der auf ihn folgenden Wirkformen, die in einer zwar hnlichen, aber auch von Gottes Prsenz verschiedenen Art und Weise in der Welt wirken. Um diese absolut eigentmliche Form, bzw. den hochspezifischen Modus, zu kennzeichnen, in dem Gott selbst im Unterschied zu allen ihm 162 Vgl. Leinkauf (1993), 300. Man kçnnte fast sagen, dass es Cudworth um die Erfahrung eines intuitus absolutus nach Plotinschem Vorbild geht. Das Ziel, der Prsenz Gottes gewahr zu werden und sich ihrer zu vergewissern, verfolgen nicht nur Cambridge Platonists wie John Smith und Cudworth, sondern z. B. auch christliche Gruppen im Umfeld der Konstellation der Cambridge Platonists wie die Quker. Diese whlen allerdings den Weg ber eine Bewusstmachung der eigenen Sndhaftigkeit und Zerknirschung. Zum „inner light“, dessen sprachlich-theoretischem Ausdruck bei den Qukern und der Darstellung der Erfahrung dieses Lichtes, das Christus ist, siehe Fouke (1997), 133 – 135 und 136 – 140. Die Quker allerdings behaupteten von sich, eine andere und hçhere Form von Evidenz und Gewissheit hinsichtlich der Prsenz Gottes zu erreichen als der Naturphilosoph, der sie abschließend immer noch als „altogether unimaginable“ (System III, 253) klassifiziert. Ihnen geht es um Soteriologie, whrend es Cudworth um Theologie und Naturphilosophie zu tun ist, wenn er der vis insita rerum, d. h. der Form gçttlicher Prsenz in der Welt des stofflich Geschaffenen durch Versenkung in die „Tiefe“ der Seele auf die Spur zu kommen versucht (dazu vgl. Leinkauf [1993], 305). Mçglicherweise ist Cudworths metaphysisch-naturphilosophisch fundierte Einlassung auf die spirituelle Praxis der „Wendung“ nach innen auch als Gegenentwurf gegen die Praktiken und Ansichten dieser in Cudworths Augen radikalen Gruppierung zu lesen. Cudworth versuchte dann, einen gemeinsamen Topos (das „inner light“) gegen die Vereinnahmung durch die Quker zu sichern. 163 System III, 242, Anm. 8 von Mosheim. 164 Zu Gottes vçllig unkçrperlicher Verbindung mit der Welt siehe System III, 318: „Now, it seemeth to be a priviledge or prerogative proper to the Deity only, to live and act alone, without vital union or conjunction with any body.“ Siehe auch Mosheim in System III, 319, Anm. 5 zu Origenes und weiteren patristischen Quellen zu dieser Ansicht. Zu Cudworths Zeit wurde sie explizit vertreten z. B. von Anne Conway.

7.3 „God himself is called place“

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nachgeordneten intelligiblen Wirkkrften in einem Verhltnis zur Welt steht, das sich durch bestndige Zuwendung und Prsenz auszeichnet, setzt sich Cudworth mit dem welterklrenden Prinzip des (leeren) Raums der Atomisten auseinander, das er aufnimmt und vollstndig neuplatonisch berformt. So verdeutlicht er zugleich auf eine weitere Weise, wieso Gott das Grçßte gegenber der Schçpfung sei, nicht nur deren energetisches Zentrum (und Minimum). Dabei kann er sich einen der zentralen Begriffe seines Systems – umfassen, contain, peqi´weim – zunutze machen. Nachzuzeichnen ist, wie Cudworth aus dem „Raum“ der Atomisten den „Raum“ neuplatonisch geprgter Theologen macht, die unter „Raum“ die unendliche Krafthomogenitt der actio ad extra Gottes verstehen. Zu Beginn seiner Ausfhrungen zur Unkçrperlichkeit und dem Wirken Gottes und der Seele, die Gott in ihrem Wirken in der Welt abbildet, (re-) konstruiert Cudworth, aufbauend auf seiner Identifikation von reduktionistischmaterialistischen Atomisten und Atheisten, die atheistisch-materialistische Position:165 „[…] that there is no other substance besides body“. Ihrer Widerlegung dienen die folgenden Ausfhrungen zum Verhltnis Gottes zur Schçpfung. Um dem grundstzlichen Charakter seiner Erçrterungen an dieser Stelle Ausdruck zu verleihen, legt Cudworth diesen als „first and grand arcanum“166 exponierten Grundsatz aller Atheisten mit der Textstelle aus, mit der Platon in seinem Dialog Sophistes seine Erçrterungen ber den „wahren Riesenkrieg […] ber das Sein“ erçffnet und mit der dort die Position der „Erdgeborenen“, d. h. der Materialisten, charakterisiert wird.167 Entscheidend fr die Eingliederung dieses Zitats in den Argumentationsgang ist, dass Cudworth die Identifizierung von Kçrper und Substanz, die Platon den „Erdgeborenen“ zuschreibt: „taqt¹m s_la ja· oqs¸am – concluding body and substance to be one and the self-same thing“168 in bekannter Manier im Sinne eines universalen Substanzmonismus interpretiert, der außer den Kçrpern keine weiteren Substanzen mehr zulsst.169 Cudworth expliziert die Fragwrdigkeit dieser Position dann durch ein zweites Zitat aus dem Sophistes 170 im Sinne der zentralen naturphilosophischen und theologischen Thesen des System:

165 System III, 228 – 231, Zitat 228. Der weiterfhrende Ertrag der sich anschließenden Erçrterungen fr die Geschlossenheit der Welterklrung durch das System liegt darin, dass Cudworth mit Gott, Engeln, Dmonen und Seelen die Prinzipien der Weltgestaltung ins Auge fasst, die ber den plastic natures stehen, deren Wirken er bereits umfnglich erçrtert hat. 166 System III, 228. 167 Pl., Sph. 246 a-b. 168 System III, 228. 169 Vgl. dazu Mosheims Kritik an Cudworths Auslegung in System III, 228, Anm. 1. 170 Es handelt sich um Soph. 265c.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

For there can be no doubt, but that the persons here intended by Plato were those very Atheists, which himself spake of afterward, in the same dialogue: L_m [Hervorh. L. B.] t` t_m pokk_m dºclati ja· N¶lati wq¾lemoi v¶solem, tμm v¼sim aqt± p²mta cemmøm, !pº timor aQt¸ar aqtol²tgr, ja· %meu diamo¸ar vuo¼sgr ; C let± kºcou ja· 1pist¶lgr he¸ar, !p¹ heoO cicmol´mgr, “Whether shall we assent to that opinion now-a-days entertained by so many, That nature generateth all things from a certain furtuitous cause, without the direction of any Mind or Understanding? Or rather, that it produceth them, according to reason and knowledge, proceeding from God?”171

Das Zitat erfllt in der vorliegenden, angepassten Form zwei Funktionen: Zum einen besitzt es eine leserlenkende Funktion. Wie der Dialogteilnehmer Theaitetos im Sophistes sollen die Leser des System die erste der referierten Positionen ablehnen und die zweite befrworten. Zu diesem Zweck hat Cudworth den griechischen Text verndert, um auf diese Weise die Argumentation und die in ihr implizierte Wertung klarer hervortreten zu lassen. Zunchst beschneidet Cudworth das Referenzargument und lsst dessen gesamten ersten Teil weg (Sph. 265c1 – 5). Zudem lsst er seinen griechischen Text mit der Fragepartikel „l_m“ beginnen, die im Allgemeinen Fragen einleitet, auf die eine negative Antwort erwartet wird.172 Bemerkenswert ist, dass der ursprngliche griechische Text an dieser Stelle kein l_m bietet, sondern die neutrale Partikel „E“. Auch der zum Vergleich herangezogene Text, den Ficino zusammen mit seiner bersetzung drucken ließ, hat an dieser Stelle „E“, das Ficino ebenso neutral mit „an“ bersetzt.173 Es ist also davon auszugehen, dass Cudworth die Textbasis seines Referenztextes aus dem Sophistes verndert und das allgemeine, eher neutrale „E“ zum Zweck der Leserlenkung durch das vereindeutigende „l_m“ ersetzt hat, das auf die erste, abzulehnende Position der Atheisten zu beziehen ist.174 An dieser „Bearbeitung“ des Referenztextes selbst lsst sich exemplarisch erkennen, bis in welche kleinteiligen Strukturen Cudworth die von ihm ausgewhlten Zitate an seine Ansprche bzw. die Ansprche seines Systems und der jeweiligen Argumentation anpasst. Derartig zurechtgemachte „Zitate“ sind 171 System III, 228 – 229. 172 Vgl. LSJ 1158 s. v. l_m. Im Deutschen wiederzugeben mit „Etwa?“, im Lateinischen mit „num“ oder „numquid“. Cudworth nimmt diese Lenkung in seinem „or rather“ auf, mit dem er die Alternative zur atheistischen Position einleitet. 173 Ficino, Divini Platonis Opera Omnia Quae Exstant Marsilio Ficino Interprete (Lyon, 1590), 168C-D. 174 Cudworth konnte zu diesem Zweck das „l_m“, das in 265c3 von Platon benutzt wird, gleichsam aufgreifen (diese Partikel wird von Ficino entsprechend mit „numquid“ bersetzt). Damit ist Cudworths ganzes Zitat zudem im Kontext des gesamten Argumentes, das in c1 beginnt, zu sehen, ohne die leicht verwirrende Doppelfrage aus c3 – 4 direkt zitieren zu mssen, die sich zwar auch theistisch funktionalisieren ließe, aber das Problem durch das zu allgemeine %kkou tim¹r nicht hinreichend in Cudworths Sinne zu fokussieren scheint.

7.3 „God himself is called place“

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dann aber auch keine „einfachen“ Zitate mehr, die lediglich eine Art unproduktiver Gelehrsamkeit wiederspiegeln und den Gang der Argumentation und den systematischen Gehalt des System eher verschleiern als klar erkennen lassen. Im Gegenteil – sie zeigen sich in ihrer Kombination immer wieder als anverwandelte, passgenaue Argumentations- und Systembausteine. Zum anderen wird der Argumentationshorizont des Sophistes, auf dessen engere Bedeutung Mosheim in System III, 228 – 229, Anm. 2 hinweist, mit dem des System verschmolzen, so dass Cudworth die Ideen, um deren Existenz und Charakteristika es Platon geht, wie selbstverstndlich mit den Ideen als den Noeta des gçttlichen Geistes identifizieren kann, die, wie die Untersuchungen zur Trinitt gezeigt haben, wesentlich zur Strukturierung der Welt beitragen und wesentlicher Aspekt Gottes sind. Wer also ihr Wirken in der Welt leugnet, wie es die reduktionistischen Materialisten tun, die außer dem Kçrper keine anderen Substanzen anerkennen, leugnet zugleich die Existenz eines unkçrperlichen Gottes und wird damit in Cudworths Augen unweigerlich zum Atheisten.175 Um deren Standpunkt noch intensiver negativ zu konturieren und um die deimo»r %mdqar176 der ontologischen Gigantomachie177 mit zeitgençssischen Vertretern eines reduktionistischen Atomismus,178 wie ihn Hobbes nach Cudworths Auffassung vertritt, zu identifizieren,179 verdeutlicht Cudworth zustzlich 175 Mosheims in System III, 228 – 229, Anm. 2 geußerte Kritik wird der bisher beobachteten, Platon transformierenden und implementierenden Aneigung der Zitatkombination nicht unbedingt gerecht. Unbeachtet bleibt bei seiner Kritik, dass Cudworth mit dem zweiten Zitat aus dem Sophistes (System III, 228 – 229) einen Textausschnitt in seine Ausfhrungen einfgt, der nicht im Kontext von Sph. 246a-247c zu finden ist, sondern erst an wesentlich spterer Stelle in diesem Dialog. Cudworth hat ihn also mit einiger Wahrscheinlichkeit genau aus dem Grund verwendet, um das erste Zitat argumentations- und systemspezifisch zu fokussieren, um auf diese Weise eine Diskussion, die um den Status und die Zustndlichkeit der Platonischen Ideen kreist, auf Gott und sein Wirken in der Natur hin zu çffnen bzw. beide Punkte miteinander zu verbinden. 176 Soph. 246b. 177 Soph. 246a. 178 Im selben Kontext nimmt Cudworth auf die Gigantomachie bereits in System I, 35 mit einem Zitat Bezug, s. Osborne (2007), 14. Aufbauend auf Osbornes Deutung, dass Cudworth mit diesem Zitat eine Kontroverse schildere, die „into the mists of time“ zurckgehe, ist anzunehmen, dass Cudworth sich mit diesen wiederholten Anspielungen als Vertreter und Teilnehmer auf der „richtigen“ Seite in diesem Streit stilisieren mçchte, einem Streit, der zumindest in seiner Dauer der der prisca theologia korrespondiert. D. h. Cudworth setzt sich und sieht sich in der Nachfolge von Parmenides und besonders der Schwellengestalt Empedokles, s. o. zu Empedokles als „religious atomist“. 179 Diesem Zweck dienen auch die Texte des Aristoteles in System III, 230, die dieses Zitatcluster abschließen; vgl. dazu Mosheim in System III, 230, Anm. 3: „Our worthy author, I am afraid, here suffered himself to be carried a little farther than he ought by his otherwise proper dislike of Hobbes and his philosophy. […] To show the pernicious tendency and gross impiety of this opinion, Dr. Cudworth endeavours to prove from

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

die atheistische Position zur Seele an einem dritten Zitat aus dem Sohistes. 180 Dessen bersetzung durch Cudworth verdient an einer Stelle besondere Aufmerksamkeit: Indeed the philosopher there tells us, that some of these atheistic persons began then to be somewhat ashamed of making prudence, and justice, and other moral virtues, corporeal things, or bodies: )pojq¸momtai tμm l³m xuwμm aqtμm doje?m sv¸si s_l² ti jejt/shai [Hervorh. L. B.], vqºmgsim d³ ja· t_m %kkym 6jastom, ¨m Aq¾tgjar, aQsw¼momtai t¹ tokløm, C lgd³m t_m emtym aqt± blokoce?m, C p²mt eWmai s¾lata diiswuq¸feshai, “Though they affirm concerning the soul itself, that this seems to them to be corporeal [Hervorh. L. B.]; yet, concerning prudence, and those other virtues mentioned, some have now scarcely the confidence to maintain these to be either bodies or nothing.”181

Whrend im griechischen Text (tμm l³m xuwμm aqtμm doje?m sv¸si s_l² ti jejt/shai [Hervorh. L. B.]) lediglich davon die Rede ist, dass nach Ansicht der „argen Leute“ die Seele selbst einen Kçrper habe, bersetzt Cudworth, als stnde dort, dass sie Kçrper sei, wie es offenbar zumindest die Position der Epikureer war.182 So kann Cudworth aus dem Transformationsmodus einer antagonistischen projektiven Identifikation heraus die „argen Leute“ der Gigantomachie des Sophistes mit seinen zeitgençssischen Gegnern verschmelzen: „And now we see plainly, that the ancient Atheists were of the very same mind with these in our days, that body, or that which is tangible and divisible, is the only substantial thing; […]“183 Derart wird zum einen die antike Diskussion aktualisiert und der Text Platons in die eigene, aktuelle naturphilosophischtheologische Debatte eingespeist. Zum anderen werden ber diese Identifizierung und vermittels der Autoritt Platons und des Pathos, das die zitierten Passagen bereits im griechischen Text aufweisen, die zeitgençssischen Gegner als deimo»r %mdqar eindringlich diskreditiert. Die allelopoietische Wirksamkeit

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Plato and Aristotle, that the ancient Atheists held the same. This certainly was well calculated to exite odium against Hobbes and his friend, and to deter men from adopting his wild and foolish theories. […] But the passages of Plato and Aristotle, he relies upon, are manifestly foreign to his purpose, and ought not to be understood of Atheists.“ Soph. 247b-c. System III, 229. Die folgenden Bemerkungen zu Cudworths bersetzungspraxis sind, wie so hufig, Mosheims Beobachtungen verpflichtet (System III, 229, Anm. 2). Gerade der Unterschied zwischen “einen Kçrper haben” und “kçrperlich sein”, auf den Mosheim hinweist, wird von Cudworth in der bersetzung nivelliert. Zur Lehrmeinung der Epikureer siehe L/S, Abschnitt 14, Frgg. A (S. 76) und F (S. 80). Ein weiterer Grund fr Cudworths bersetzung kçnnte darin gesehen werden, dass er selber im Kontext der Thematisierung des Seelengefhrts und des Erlçsungsleibes die These vertritt, dass die Seele immer schon mit einem Kçrper verbunden sei, und er diese Lehre von den hier verfemten Atheisten fernhalten mçchte bzw. selbst nicht mit ihnen in Verbindung gebracht werden mçchte. System III, 230.

7.3 „God himself is called place“

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von Transformationsprozessen kann also erneut an dieser Hybridisierung aus Antike und aktuellem Diskussionsstand abgelesen werden. Gerade die naturphilosophische Fokussierung der Auseinandersetzung mit dem materialistischen Prinzipienmonismus der antik-zeitgençssischen Atheisten, die Cudworth durch die Implementierung des zweiten Zitats aus dem Sophistes in seinen Text erreicht, legt den Grundstein fr die unmittelbar folgende Diskussion des Raumbegriffs. Sie fokussiert nmlich die Auseinandersetzung mit dem materialistisch-atomistischen Substanzmonismus auf die Frage, wie und in welchen Kategorien das Verhltnis des ersten Prinzips zu seiner stofflichen Schçpfung gedacht werden kann. Wie also ist die erste Stufe der Schçpfung „according to reason and knowledge, proceeding from God“ zu verstehen? Welche Form nimmt auf dieser Stufe die actio ad extra Gottes an? In der nun folgenden Thematisierung des Raumbegriffs prgt Cudworth seinen brigen Bestimmungen gçttlicher Eigenschaften entsprechend die atomistische Konzeption des „Leeren“ um zu einer neuplatonisch fundierten Darstellung, wie „Raum“ als wesentliche Eigenschaft Gottes Ausdruck des Verhltnisses zwischen Schçpfung und Schçpfer ist und daher zugleich als Beweis fr die Existenz eines intelligiblen, unstofflichen ersten Prinzips angesehen werden kann. Cudworth geht dabei von der grundstzlichen Unterscheidung der Atomisten zwischen Atomen, dem Seienden und Vollen, einerseits und andererseits dem Leeren, in dem sich die Atome bewegen, aus.184 In der folgenden Argumentation konzentriert Cudworth seine interpretierenden Umdeutungen darauf, dass dieses „Leere“ von den Atomisten, zumindest nach dem Referat des Aristoteles,185 als unendlich, als %peiqom aufgefasst wurde. Da nun das Leere als Raum verschieden von den Kçrpern ist, eine positiv verstandene Unendlichkeit aber auf eine Substanz zurckgefhrt werden muss, der sie als wesentliches Attribut inhriert, kann diese Unendlichkeit nur die unendliche „Ausdehnung“ (oder Allanwesenheit) eines zugleich unkçrperlichen Gottes sein: „space is […] the infinite extension of an incorporeal Deity; just as some learned Theists and Incorporealists have asserted“.186 Verknpft mit dieser Feststellung Cudworths, die im Anschluss expliziert wird, ist die Frage nach dem ontologischen Status Gottes als „Prinzip“ von Raum bzw. danach, welche Semantik dem Begriff der Unendlichkeit in diesem Zusammenhang und auf dem Fundament von Cudworths Trinittsspekulationen unterzulegen ist. Dort hatte Cudworth das mit Gott gleichzusetzende Eine als Kraft und, damit verschrnkt, als unendlich bestimmt, um der christlichen Vorstellung von der Allmacht Gottes einen seinem System konformen neuplatonischen Ausdruck verleihen zu kçnnen. Nach 184 Dazu KRS, Frgg. 555 und 556. 185 KRS, Frg. 556: „Demokrit […] verwendet fr den Ort die Bezeichnung ,Leeres, ,Nichts und ,Unbegrenztes (t` !pe¸q\), […]“. 186 System III, 232.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

der wiederholt vorgetragenen atomistischen Position ist dagegen nur das wirklich, was als ausgedehnter, massiver Kçrper im Raum ist. Gott aber sei weder in diesem Sinne ausgedehnt noch im Raum, also sei er nicht. Im Gegenzug zu diesem Argument wird Cudworth das bekannte peqi´weim-Argument vorbringen und es erneut mit dem Unendlichkeitsbegriff verknpfen.187 Diesem Konzept zufolge ist alles in Gott, der als Prinzip auch des Raumes den Status hçchster Wirklichkeit innehat und gerade darin seine Unendlichkeit manifestiert, dass er einen dynamischen Raum als erste Wirkform seiner selbst hervorbringt. Zum Zweck dieser Verknpfung wird zunchst durch ein Zitat aus Platons Timaios 188 der erste Teil der Prmisse der Atomisten als „dreaming imagination“ (ameiqopokoOlem) diskreditiert.189 Es ist eben ein Fehler der reduktionistischen Atomisten, der, so Cudworth, ihrer beschrnkten Erkenntniskraft zuzuschreiben ist, die Wirklichkeit berrumlicher Prinzipien nicht (an-)erkennen zu kçnnen. Dass es sie gibt und diese berrumlichkeit gerade auch das erste Prinzip auszeichnet (und sie das erste Prinzip nicht zum Nichts, zum atomistischen lμ em abwertet), „beweist“ Cudworth einleitend mit einem Text aus Platons Symposion, der betont, dass die Idee des Schçnen/Guten ber allen weltlichen Rumen zu suchen ist. Dadurch wird zugleich impliziert, dass sie (und ihr christliches quivalent Gott) auch den Raum bedingt. Damit ist das ontologische Fundament gelegt, um das atomistische, als %peiqom beschriebene „Leere“, den Raum, in dem sich die Atome bewegen, zu einer neuplatonisch verstandenen Wirkform Gottes umzudeuten, wobei sich Cudworth besonders die verschiedenen Bedeutungen des griechischen Adjektivs %peiqom zunutze machen wird. Cudworths Ausfhrungen sind vor dem Hintergrund der zeitgençssischen Debatte ber den Status des Raums zu sehen.190 In der Auseinandersetzung mit Boyle bestimmt Henry More den Raum im Enchiridion Metaphysicum folgendermaßen: I on the contrary when I have so manifestly proved that the internal space or place [Spatium sive Locum] is really distinct from matter, I conclude that it is for that reason a certain incorporeal substance or spirit, just as the Pythagoreans formerly thought. And so through that same gate through which the Cartesian Philosophy 187 S. o. S. 376 f. zu Enn. VI 5, 11 und 12. 188 Pl., Ti. 52a-b. 189 Die unmittelbare Fortsetzung des von Cudworth zitierten Textes bei Platon selbst impliziert bereits Cudworths weiteres Vorgehen: „[…] wenn wir aufgewacht sind, das Wahre zu sagen: Dass es einem Abbild – da nicht einmal eben das, wozu es entstanden ist, ihm selbst gehçrt, sondern es stndig als eine Erscheinungsform irgendeines anderen in Bewegung ist – zwar deshalb zukommt, in [Hervorh. L. B.] irgendeinem anderen zu entstehen, indem es sich irgendwie ans Sein klammert, oder berhaupt nicht zu sein“ (Ti. 52c). Cudworth wird nmlich abschließend Gott als das (seins-)konstituierende und -erhaltende Prinzip etablieren, in dem alles ist. 190 Vgl. zunchst Mosheim in System III, 232, Anm. 7 und Hall (1996), 188 – 189 und 206 – 223 sowie Mulsow, in Mulsow (2002c), 265 – 273.

7.3 „God himself is called place“

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seemed to intend to exclude God from the world, I on the contrary (and I am confident that success will be vouchsafed me) strive to reintroduce Him. And this infinite and immobile extension appears not only real but divine (zitiert nach Hall (1996), 188 – 189; alle Hervorhebungen bei Hall).191

Derartige Vorstellungen vom Raum etablieren diesen gleichsam als metaphysisches „Interface“192 fr das Wirken Gottes in der Welt. Diesen fr Cudworth zentralen Zusammenhang von Raumbegriff und wirkender Anwesenheit Gottes in der Welt diskutiert auch Athanasius Kircher: Deus igitur, cum sit actu infinitus [Hervorh. L. B.], necessario quoque is omne spacium vacuum & inane (quod immensum & infinitum tu extra mundum concipis [Hervorh. L. B.]) sua substantia & praesentia implet, ab eodem omne exterminans nihil, imo omne vacuum, inane, & non ens. … unde sequitur, mundum non in nihilo, sed in Deo receptum subsistere193 (IE 437, Zitat bei Leinkauf [1993], 234 – 235).

Gott wird, in der Form seiner Entußerung als actus infinitus,194 zum umfassenden (und damit) begrenzenden Prinzip, dem receptaculum der Welt, das zugleich in seiner erhaltenden Funktion den Raum (spacium) mit seiner dynamischen Anwesenheit erfllt. Damit greift Kircher seinerseits Ausfhrungen auf,195 die z. B. bei Patrizi in den Bchern I und IV der Pancosmia expliziert werden, in einer Form, die fr Cudworths Vor- und Darstellungen lenkend gewesen sein kçnnte.196 In Buch I De spacio physico bestimmt Patrizi den

191 Vgl. auch Hall (1996), 207 – 209 zu Mores Auseinandersetzungen mit Descartes Raumund Materiebegriff; siehe außerdem Cassirer (2002), 336 – 339 zu Henry Mores Raumbegriff und Hutton, in Simonutti (2007), 288 – 293, die nachweist, dass More seinen unendlichen Raum als Allanwesenheit des spiritus im Rckgriff auf Platonischneuplatonische “Raum”vorstellungen konzipiert und “Raum” als “interface between God and world” (ebd. 291) funktionalisiert; siehe auch Fouke (1997), 204 – 205. Die Ergebnisse dieser Autoren sind grundlegend fr die folgenden Untersuchungen zu Cudworths Raumkonzeption, auf die sie angewendet und bertragen werden. 192 So Hutton, in Simonutti (2007), 291. 193 Die Begrifflichkeit bei Kircher legt es nahe, dass Gott als Raum tatschlich Existenzstiftend wirkt. 194 Diese Form der Entußerung wird z. B. von Patrizi auch als lumen beschrieben, das aus dem unendlichen, primren Licht Gottes (infinita Dei [..] lux; Pancosmia IV, 74r) als actus hervorgeht (ebd. 74v). In Eigenschaft und Position also korrespondieren dieses Licht und der Raum, wie er z. B. bei Kircher und More vorgestellt wird. Siehe auch Leinkauf (1993), 315 – 318 und 334 – 342 zu diesen Vorstellungen und ihren sowohl zeitgençssischen als auch philosophiehistorisch relevanten Referenzen bei Athanasius Kircher. Leinkaufs Ergebnisse dienen gleichfalls als systematische Grundlage fr die zu Cudworth anzustellenden Beobachtungen. 195 Vgl. Leinkauf (1993), 234 mit Anm. 253. 196 Hier kann es selbstverstndlich nicht darum gehen, eine direkte Abhngigkeit Cudworths von Kircher oder Patrizi nachzuweisen, vielmehr nur darum, wie es Leinkauf (2005a), 141 formuliert, „[den] Blick […] fr gemeinsame Grundperspektiven [zu

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

„Raum“ (spacium) als erste, wirkmchtige Entußerungsform Gottes.197 Dieser „Raum“ ist in seiner Funktion allerdings nicht nur der „leere Raum“ bzw. das Leere der Atomisten, das nur die Bewegung der Atome ermçglichen soll. Vielmehr wird er, entsprechend der Bestimmung Gottes als „infinitipotens“ (als !peiqod¼malir ; siehe Patrizi, Pancosmia IV, 74r),198 dynamisch-schçpferisch verstanden. Zu diesem Zweck denkt Patrizi ihn erfllt vom infinitum lumen Gottes,199 das, wie der Raum, als primre Entußerungsform Gottes anzusehen ist.200 Dabei fallen Raum (spacium) und Licht (lumen) sowohl aufgrund ihrer Eigenschaften wie auch ihrer Funktion (fast) zusammen: Bonitas enim conditoris, sterilis esse, neque potuit, neque voluit. Spacium igitur, rebus omnibus fuit replendum. At qua nam prima re, a se aliena? Ea proculdubio, quam ante alias omnes spacium in se potuit recipere. Et quae ante alias omnes, spacio se se potuit indere. Maxime autem omnium, spacio indi potuit, quae maxime

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schrfen], die von verschiedenen Autoren geteilt, dann aber in Variationen umgesetzt werden“. Diese „Grundperspektiven“ wiederum bilden eine Art Rahmung fr das Sprachspiel, in dessen Vollzug Cudworth sich die antiken Texte aneignet und nach dessen Regeln er sie kombiniert und im kombinativen Bezug aufeinander transformiert. Pancosmia I, 61r: „Quid autem illud fuit, quod summus opifex primum omnium extra se produxit? Quid aut debuit, aut expediit prius produci, quam id[,] quo omnia alia, ut essent[,] eguerunt, & sine quo esse non poterunt, ipsum autem sine aliis esse poterat, & aliorum nullo eguit[,] ut esset. […] Nam sine quo aliorum nihil est, & id sine aliis possit esse, necessario primum est, inquit Aristoteles quoque; Id autem ipsum spacium est.“ und 61v: „Itaque spacium, a primo uno, ante alia entia omnia est profusum, & veluti spiritu oris eius efflatum atque diflatum in finitum, atque infinitum. Non ergo amplius quarendum[,] an spacium in rerum sit universitate.“ Cudworth selber benutzt dieses Adjektiv in der griechischen Form in System III, 483, um Gottes Vollkommenheit zu bezeichnen. Es taucht in der (Spt-)Antike ausschließlich in neuplatonischen Kontexten auf und ist relativ selten, vgl. LSJ 184 s. v. Mçglicherweise liegt hier ein Indiz fr eine tatschliche Patrizireferenz bei Cudworth vor. Vgl. hier auch die Feststellung Kirchers in IE, dass der gesamte leere Raum von Gottes Prsenz und Substanz erfllt sei, s. o. S. 385. Zum Status dieses lumen als Explikationsform Gottes siehe Pancosmia IV, 74r-74v: „Ab infinta ergo luce, ac summe perfecta, finita tantum lumen, non fuit expectandum. Sed utrumque & infinitum, & finitum. Hoc enim illius est pars. Infinita ergo Dei lux, infinitipotens, tota sese effudit in actum, atque infinitum produxit lumen. In quo lumine inaccessibili habitaret ipsa in se ipsa, & reliqua habitarent entia omnia, potius quam vel in tenebris, vel in umbra. […] Deus igitur, revera est lux, sed non nostro, non creaturarum modo, sed suo, sed ineffabili Deitatis suae, atque nobis incogitabili. […] Talem autem rem, in tota universitate, nullam omnino aliam, praeter unam, caeteris vetustissimam existere putamus. […] Rerum omnium efficacissimam, […] Lumen scilicet ipsum primigenium. Quod ubicumque inter corpora sit, primae, ac summae bonitatis, summa ac prima est imago. Summae ac primae pulchritudinis, summa est imago. […] Lumen enim […] est actus a luce quidem fonte suo prodiens, non tamen ab eo discedens. Continue inde manans, sed per se, & in se existens. Non enim prima lux, primi luminis productrix lumine, producto, lumen desiit producere.“ Diese Lichtspekulation kann bis auf Plotin zurckverfolgt werden; vgl. Bergemann (2006), 76 – 88 und Plotin, Enn. IV 5, 7, 13 – 23 zusammen mit V 3, 12, 39 – 47.

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omnium ei cognata esset. […] Per universum ergo spacium eam necesse fuit effundi illudque replere universum. […] Nimirum, quod & ipsa, sicuti spacium, esse simplicissima. Quod uti spacium in immensum extendi posset. Quod uti spacium, posset per universa fundi. Quod uti spacium per universa penetrare posset. Eaque universa, uti spacium implere. Nulli rei, sicuti spacium, posset resistere.201

Schließlich verschmelzen dieses Licht, das erste Abbild der schçpferischen Tiefe Gottes, und der Raum nach Funktion und Position fr Patrizi: „Ideoque lumen hoc e se produxit[,] quod profundi esset imago. […] non ne merito in Panaugia, lumen a nobis, uti maximumque Dei Opt. Max. instrumentum [Hervorh. L. B.] fuit celebratum? Ut quod iucundissimam entibus omnibus praestaret habitationem [Hervorh. L. B.], entibus omnibus esset gravidum, luces omnes corporeas e se pareret.“202 Mit „entibus omnibus praestaret habitationem“ nimmt Patrizi Bezug auf Platon, Ti. 52b: 6dqam paq´wom fsa 5wei c´mesim p÷sim. D. h. er schreibt der ersten Lichtexplikation Gottes exakt die Funktion zu, die im Timaios der u. a. als w¾qa (Raum/aufnehmender Ort) umschriebenen sog. „dritten Art“ zukommt. So verschmelzen bei Patrizi neuplatonische Lichtmetaphysik und das Platonische Konzept des tq¸tom c´mor zu einem dynamischen Schçpfungsprinzip, wobei allerdings gegenber Platon (und auch Ficino)203 die ontologische Reichweite dieses Prinzips erheblich ausgedehnt und dem Status Gottes angepasst wird: Statt alle Dinge, die zum Bereich des Werdens gehçren, nimmt dieser Lichtraum alle Seienden (entibus omnibus) auf. Dieser Raumdiskurs, der „Raum“ als eine dynamische Wirkform Gottes versteht, weist entsprechende Grundannahmen auf, die sich ebenso bei Cudworth finden lassen und dessen Auswahl und Anordnung antiker Referenztexte in erheblichem Maße steuern: die Kopplung von Unendlichkeit Gottes und Raumkonzept, Gottes hçchste Einfachheit, die ber Grçße (l´cehor) und Konstitution aus Teilen erhaben ist und die sich im Raum und dessen Einfachheit manifestiert, und schließlich die Konzeption, Gottes Anwesenheit in der Welt ber die kombinierte Vorstellung eines dynamischen Licht-Raumes mit dessen allumfassender Urschlichkeit nach dem peqi´weim-Schema zusammenzudenken.204 201 202 203 204

Patrizi, Pancosmia IV, 74v. Patrizi, Pancosmia IV, 75r. Zu dessen bersetzung und Konzept s. Hutton, in Simonutti (2007), 289. Mçglicherweise sind alle diese Konzepte ihrerseits als Bemhungen zu sehen, zu verstehen, in welchem Sinn das Eine bei Plotin alles in sich trgt und Umfassung und Maß aller auf es folgenden Dinge ist: „So suche denn auch du bei deiner Suche nichts außerhalb von Jenem, sondern drinnen in ihm alle die ihm untergeordneten Dinge; Ihn selbst aber laß auf sich beruhen; denn er selbst ist das Draußen, aller Dinge Umfassung (peq¸kgxir) und Maß“(Enn. VI 8, 18, 1 – 5). Vgl. auch Mosheim in System III, 242, Anm. 8, der die entsprechenden Texte aus Simplikios anfhrt. Mosheims Ratlosigkeit hinsichtlich der genauen Bedeutung des von Simplikios Gesagten zeigt, dass hier tatschlich ein metaphysisches Problem vorlag, das durch die Konkurrenzsituation umso

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

In einem ersten Schritt belegt Cudworth mit drei Texten aus Aristoteles,205 dass Gott206 als erstes Prinzip sowohl einfach als auch rumlich unbegrenzt sei, also keine begrenzte Grçße sei bzw. besitze.207 Cudworth begrndet dies mit Gottes %peiqor d¼malir (infinite power), die in zwei dieser Zitate thematisiert wird, also mit einem Gottesattribut, das fr seine gesamte Argumentation von zentraler Bedeutung ist, fr die Verschrnkung von Raum- und Lichtspekulation bereits bei Patrizi eine wichtige Rolle fr die Begrndung der Ineinssetzung dieser Konzepte spielt und Cudworths Auswahl der folgenden Zitate vorbereitet.208 Hier zeigt sich, dass Cudworths Trinittskonzeption in ihren wesentlichen Zgen immer wieder aufgenommen, im Sinne seiner neuplatonischen Naturphilosophie produktiv gemacht und so erweitert und konkretisiert wird. Dabei hat besonders das dritte Aristoteleszitat209, das Cudworth anfhrt, berleitende Funktion – wenn man es mit einem Text Plotins, den Cudworth nicht eigens expliziert, zusammensieht. In diesem Text wird das Thema des Nous mit dem der Kraft, der Einheit und der Unendlichkeit zusammengedacht und die Noemata werden in einem Sinn dynamisiert, den Cudworth auf seine Trinittsspekulation hin verstanden haben kçnnte:210

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drngender wurde, in der sich die Raumkonzeptionen von Descartes, den Atomisten und den neuplatonischen Naturphilosophen und Theologen befanden. Es handelt sich um Physica, 266a; 276b (ed. Ross, Oxford 1950) und Metaphysica 1073a (ed. Ross, Oxford 1970 [repr. der Ausgabe 1953]). Die Auseinandersetzung mit der %peiqor d¼malir erfolgt in Physica 276b und Metaphysica 1073a. Cudworth identifiziert hier den „unbewegten Beweger“, Gott und erstes Prinzip. System III, 236 – 239. Die folgenden Zitate in System III, 239 – 241 explizieren den Gedanken der unrumlich zu denkenden Einfachheit Gottes am Beispiel der Seele und ihrer „Unbeweglichkeit“ im rumlichen Sinne, die sich in ihrer Intelligibilitt begrndet. System III, 239 f.: „And the like doth he assert, at once, both concerning the mundane and the human soul, that they are no magnitudes, though ridiculously (after his manner) imputing the contrary opinion to Plato: Oq jak_r t¹ k´ceim tμm xuwμm l´cehor eWmai. j d³ moOr eXr ja· sumewμr, ¦speq ja· B mºgsir7 B d³ mºgsir t± mo¶lata7 taOta d³ t` 1ven/r 4m, ¢r b %qihlor [sic], !kk oqw ¢r t¹ l´cehor7 diºpeq oqd³ moOr ovty sumewμr, !kk Etoi !leqμr C oqw ¢r t¹ l´cehºr ti sumew¶r7 p_r c±q d³ ja· mo¶sei l´cehor ¤m, bt\ owm t_m loq¸ym t_m aqtoO; loq¸ym d³ Etoi jat± l´cehor, C jat± sticlμm7 eQ l³m owm jat± sticlμm, awtai d %peiqoi, d/kom ¢r oqd´pote di´neisim7 eQ d³ jat± l´cehor, pokk²jir C !peiq²jir mo¶sei t¹ aqt¹7 =ti d³ p_r mo¶sei t¹ !leq³r leqist`; ,It is not rightly affirmed either of the mundane or rational soul, that they are magnitudes. For the Intellect is one and continuous, as Intellection is, which is the same with the Intelligibles. But these are one, not as magnitudes, but as numbers. Wherefore the Intellect is not so continuous, but either devoid of parts, or not continuous as magnitude. For how, being magnitude, could it understand with any of its parts, wether conceived as points, or as lesser magnitudes; since either way there would be an innumerable company of intellections? Moreover, how can it conceive any thing that is indivisible, by what is divisible?“ Man kçnnte diesen Abschnitt aus Plotin fast als Replik auf die von Aristoteles aufgeworfenen Probleme ansehen, die sich um die Frage gruppieren, wie sich die Einheit der noetischen Vielheit denken lsst. Als noetische Dynameis bilden die Ideen eine orga-

7.3 „God himself is called place“

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So sieh denn, wie in diesem großen, unermeßlichen Geist, dem Geist, der nicht Flle der Rede hat, aber Flle des Geistes, dem Geist, der alles ist und Ganzheit und nicht ein Teil oder ein bestimmter Geist, wie alle Dinge aus ihm kommen. Die Zahl besitzt er ja durchaus in den Dingen, die du siehst; auch ist er ja Eines und Vieles, und dies viele sind Krfte (dum²leir), und zwar wundernswerte Krfte, sie sind nicht schwchlich, sondern da sie rein sind, sind sie gewaltig, sie strotzen gleichsam und sind Krfte im wahren Sinn, sie kennen keine Grenze; so sind sie denn unendlich (%peiqoi), sind Unendlichkeit und Großheit (ja· !peiq¸a ja· t¹ l´ca).211

Im anschließenden Philontext,212 den Cudworth zitiert, werden nun die verschiedenen Zge der neuplatonischen Raumdiskussion, wie sie an More, Kircher und besonders an Patrizi exemplifiziert wurden, mit der Vorstellung der bei Plotin in VI 2, 21 dargestellten unendlichen Einheit von noetischen Krften zusammengefhrt und naturphilosophisch fokussiert. Darber hinaus zeigt der Text, wie Cudworth auch nach der Festschreibung seiner Trinittsvorstellung darum bemht bleibt, die in ihr aufgehobenen antik-paganen Gottesvorstellungen, die zur christlichen Trinitt hinfhrten – hier die Vorstellung der virtutes per opus mundanum diffusas –, aufzugreifen und argumentatorisch zu funktionalisieren: Philo doth not only assert in general a double essence or substance, !di²statom, and diastglatijμm, “a distant and indistant one;” but somewhere writeth thus concerning the Deity: zp¹ toO heoO pepk¶qytai t± p²mta, peqi´womtor, oq peqiewol´mou, è pamtawoO te ja· oqdaloO sulb´bgjem eWmai lºm\7 oqdaloO l³m, fti ja· w¾qam ja· tºpom aqt¹r to?r s¾lasi succec´mmgje7 t¹ d³ pepoigj¹r 1m oqdem· t_m cecomºtym h´lir eQpe?m peqi´weshai7 pamatwoO d³, fti t±r dum²leir artoO di± c/r ja· vdator !´qor te ja· oqqamoO te¸mar, &c. “All things are filled with God, as containing them, but not as being contained by them, or in them; to whom alone it belongeth to be both every where and nowhere. Nowhere, because himself created space and place, together with bodies, and it is not lawful to include the Creator within any of his creatures. And every where, because he extendeth his virtues and powers throughout earth and water, air and heaven, and leaveth no part of the world destitute thereof; but, collecting all things together under himself, hath bound them fast with invisible bonds.”213

Gleich in der ersten Zeile des Textes ist ein Bezug zur zeitgençssischen Raumdebatte zu erkennen: Mit zp¹ toO heoO pepk¶qytai t± p²mta lsst Cudworth Vorstellungen Kirchers und Patrizis anklingen, wie sie z. B. in den Formulierungen ber Gottes primum lumen und dessen bis an die Grenze der nische Einheit/Ganzheit, die nicht mit der Vielheit partikulrer Dinge im Raum, die Grçße (und Masse) besitzen, zu verwechseln ist. Ihren Zusammenhang (vgl. sumew¶r bei Aristoteles) sichert ihnen bei Plotin ihr Status als Kraft, vgl. Bergemann (2006), 97 – 106. Siehe dazu auch Halfwassen (2004), 64 – 66 und 74 – 77 zum Nous als „Totalitt“. 211 Plot., Enn. VI 2, 21, 3 – 11. 212 Philon, De confusione linguarum, 136 (= Philonis Alexandrini opera quae supersunt II, ed. Wendland, Berlin 1962). 213 System III, 241.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

Identifikation mit dem spacium reichende Affinitt mit dem „Raum“ zu lesen sind: „Quod uti spacium, posset per universa fundi […] implere.“214 Hier greift Cudworth im Philonzitat – sicherlich auch im Rckbezug auf das orphische „grand arcanum“ des 4m ja· p²mta –215 die ebenfalls von Kircher und Patrizi und wohl gegen die Atomisten vertretene These auf, dass „Raum“ immer von gçttlicher Wirkkraft erfllter „Raum“ ist, eine These, die zudem gegen Ende des Zitats weitergehend begrndet wird. Die sich an den Gedanken, dass Gott alles mit seinen Krften (Dynameis) erflle, anschließende und ebenso auf Gott bezogene Wendung Philons „peqi´womtor, oq peqiewol´mou“ bringt diese Raumkonzeption sprachlich nachdrcklich zum Ausdruck. Sie enthlt nmlich den in diesem Kontext fr Cudworth zentralen, immer wieder aufgenommenen terminologisch gebrauchten Begriff peqi´weim (contain, comprehend). Damit erlaubt sie Cudworth eine Hybridisierung seiner eigenen, frhneuzeitlichen Raum-(und Gottes-)vorstellung mit der Philons. Es ist an dieser Stelle des System, an der es dezidiert um den Raum als Wirkform Gottes geht, zu beobachten, dass Cudworth die verschiedenen Verbalformen von peqi´weim konsequent mit „contain“ bersetzt. Vielleicht ist dieser Wortgebrauch von „contain“ statt des sonst hufig verwendeten „comprehend“ vor dem Hintergrund der aristotelischen Raumvorstellung zu sehen, der gemß der Raum als Ort wie ein Gefß ein Ding „enthlt“ und das „pq_tom peqi´wom“ (Phys. 210b34) ist. „Contain“ ist vor diesem Hintergrund eindeutiger als „comprehend“ und der gesamten Argumentation an dieser Stelle, in der es um Raumkonzeptionen geht, daher angemessener. Impliziert wird mit diesem Begriff aber auch hier die Vorstellung der Ursache, die das Verursachte hervorbringt und gleichzeitig umfasst. Genau dieses Verhltnis wird in den folgenden Zeilen von Philon expliziert: fti […] peqi´weshai. In diesem Punkt lsst sich Cudworths Verwendung des Philonzitats gleichfalls als Anknpfungspunkt an zeitgençssische, neuplatonisch gefrbte Raumspekulationen lesen, denn sowohl bei Kircher wie zuvor bei Patrizi wird der Raum (w¾qa, tºpor, spacium) als erste Entußerungsform Gottes angesehen, der damit zur Ursache von Raum und Zeit wird. So ist, im Rahmen derartiger Raumspekulationen, zugleich die atomistische Widerlegung der Existenz Gottes entkrftet, der zufolge Gott nicht existiert, weil er nicht im Raum ist. Vielmehr wird sie geradezu in ihr Gegenteil verkehrt: Gott ist nicht im Raum, weil er dessen Ursache ist (und damit, wie Patrizi in der Pancosmia zeigt, auch Ursache alles anderen). Als Ursache des Raumes und aller im Raum existierenden Dinge besitzt er ein hçheres Sein und hçhere Wirklichkeit als

214 Vgl. zur Vorstellung des „(Er-)fllens“ auch Leinkauf (1993), 234 f. zu Kirchers Darstellungen im IE. 215 Siehe dazu ebenso das Philonzitat bei Mosheim in System III, 241 f., Anm. 8.

7.3 „God himself is called place“

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diese.216 Zugleich ist dieser Raum, verstanden als Raum-Licht und Emanation des Dei lux infinitipotens selber unendlich.217 Als Alternative zum atomistischen unendlichen j´mom ist es jetzt die unendliche Krafthomogenitt der primren Emanation Gottes, die die klassisch-aristotelische Funktion des Raumes bernimmt, fr alles Geschaffene als receptaculum zu dienen.218 Verbunden mit Gottes Urschlichkeit ist seine in rumlichen Begriffen paradoxal beschriebene Anwesenheit gegenber bzw. in der Schçpfung: è […] lºm\. Als einziger ist Gott berall und nirgends in der Schçpfung. Als Ursache steht Gott ber der Schçpfung, er ist ihr gegenber transzendent. OqdaloO dient so der Betonung der Transzendenz Gottes und verhindert den Vorwurf, eine derartige Raumkonzeption nhere Gott und Welt zu sehr an und fhre in den Pantheismus. Philons Deutung des PamtawoO der Anwesenheit Gottes in der Welt wiederum kann von Cudworth ganz im Sinne seiner eigenen naturphilosophischen Neuplatonismusadaption instrumentalisiert werden, die Gottes Wirken in der Welt als indirekte Urschlichkeit versteht, die sich durch von Gott abhngige, rational vorstrukturierte Wirkkrfte realisiert. Mit t±r dum²leir artoO wird somit abschließend der Kontext der Nousspekulation des von mir ebenfalls im Hintergrund dieses Argumentationsabschnitts vermuteten Plotintextes VI 2, 21, 3 – 15 evoziert und auf das Wirken Gottes in der Welt angewendet: Dem Text Philons zufolge werden dann nmlich die Noemata Plotins, die bereits Plotin als gçttliche dum²leir bestimmt und mit der Vorstellung intelligibler Unendlichkeit verbindet, zu den relevanten Wirkaspekten der auf die Welt gerichteten l¸a 1m´qceia Gottes. Auch im Modus der, durch seine Wirkformen und -krfte vermittelten, lckenlosen Anwesenheit im Schçpfungsraum spiegelt sich also Gottes Unendlichkeit.219 Allerdings hat nun die ursprnglich atomistische Aussage, dass „space is […] positively infinite“220 eine vollstndige Umprgung in die Semantik des christlichen Neuplatonismus erfahren. Auf diese Weise wird schließlich die atomistische Annahme eines unendlichen Raumes zu einem umfassenden Gottesbeweis transformiert, der nicht nur den Nachweis der blo216 Einer derartigen Schlussfolgerung liegt wiederum Procl., Inst. § 7 zugrunde, das eherne Gesetz der neuplatonischen Ontologie, das Cudworth sich zuvor in der Argumentation gegen das atomistische Dogma „Nichts aus Nichts“ zunutze gemacht hat. 217 Siehe Patrizi, Pancosmia IV, 74r und I, 61v. Nicht viel spter findet sich die Vorstellung von Gott als „lux […] infinita“ und schçpferischer Quelle bei Athanasius Kircher, s. Rçsche (2008), 544 mit Anm. 2237. 218 Vgl. Pancosmia IV, 75r. Siehe auch Kircher, IE 437 bei Leinkauf (1993), 235: „[…] unde sequitur, mundum non in nihilo, sed in Deo receptum [Hervorh. L. B.] subsistur“. 219 Fast scheint es, als wrde Cudworth hiermit eine Replik auf die Kritik Fludds an den von Rçsche (2008), 331 f. mit Anm. 1379 referierten Vermittlungsversuchen sog. „christlicher Aristoteliker“ geben, die in der Frage gipfelt: „quomodo Deus dici possit impler[e] omnia & operari omnia in omnibus; […]“. 220 System III, 232.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

ßen Existenz Gottes mit sich bringt, sondern zugleich dessen schçpfungsbergende Prsenz erfasst. Diese wiederum fundiert zum einen die nachgeordneten Strukturierungsprozesse, die z. B. von den plastic natures vollzogen werden. Der Raum wird damit zum homogenen, schçpfungsumgebenden Kraftreservoir fr die nachgeordneten intelligiblen Wirkformen und -krfte, in dem die Ideen als nach außen gerichteten Dynameis Gottes aufgehoben sind. Zum anderen gengt dieser Mitteilungsmodus Gottes den Ansprchen der Trinitt, denn er ist unendlich und homogen und (mit Plotin) einer.221 Damit ist die Gigantomachie gegen die Atomisten und deren „first and grand postulatum, that there is no other substance besides body“ auf einem der Hauptkampfpltze, der Frage nach der Natur von „Raum“ auf ganzer Linie und noch dazu im Ausgang von der atomistischen These, dass das j´mom, der „leere Raum“ unendlich sei und die Atome umfasse, im Sinne der Lehre des System fr die neuplatonischen Theisten und gegen die atomistischen und cartesischen Atheisten entschieden.222 Außerdem ist mit dem Philontext und seiner spezifischen Kontextualisierung als eines Textes, der, so zumindest die hier vorgeschlagene Interpretation,223 im Bezug auf die zeitgençssischen Raumdebatten deren zentrale und fr Cudworths System wichtige Zge bndelt und als Ausdruck der prisca theologia legitimiert, der Boden fr einen weiteren wichtigen Punkt seiner Argumentation bereitet. 221 Eine sehr hnliche Raumkonzeption vertritt Anne Conway in principles 151: „[God] diminished therefore (for the sake of his Creatures) the highest Degree of his most intense Light, that there might be room for his Creatures, from whence Place immediately arose, as it were a certain Circular Vacuity or Space of Worlds. This Vacuum was not mere Privation or Non Ens, but a certain real Position of Light, diminutively, which was the Soul of the Messias, called by the Hebrews, Adam Kadmon, which filled all that whole Space. This Soul of the Messias was united with that whole Light of the Divinity, which remained within that Vacuum in a more mild degree, that could be borne, and with it made up one Subject.“ 222 Auf diese Weise expliziert Cudworth zudem eine Funktionalisierung des Raumbegriffs, auf die Leinkauf (1993), 61 f. in Zusammenhang mit Kirchers Raumspekulationen hingewiesen hat, nmlich „ber den Raumbegriff durch einen ubiquitren Kontakt [Gottes Omniprsenz] zu erklren“. Allerdings sichert Cudworth seine Position nicht durch den Verweis auf seine Zeitgenossen ab, sondern durch den legitimierenden Rckgriff auf die (spt-)antiken Autoritten. Die gesamte Argumentation und Kombination der Texte an dieser Stelle legt es nahe, den Philontext als Ausdruck der prisca sapientia zu lesen, denn mit pamatwoO […] te¸mar wird auch die Frage nach der gçttlichen Lenkung der Naturablufe beantwortet, die Cudworth mit dem zweiten Zitat aus Platons Sophistes in System III, 228 f. stellt, mit dem Zitat, das gleich zu Beginn die ganze Auseinandersetzung mit den Atomisten in einen Platonisch-neuplatonischen Kontext und Rahmen und damit in den Rahmen der prisca theologia einordnet. 223 Ich verstehe Cudworths Antikeaneignung also in diesem Fall nach dem Modus der projektiven Identifikation: Cudworth sieht seine eigenen Ansichten zum „Raum“, die sich mit denen Kirchers und Patrizis weitgehend decken, in Philons Text bezeugt und autorisiert. So wird Philon zum Resonanzboden der zeitgençssischen Debatte.

7.4 Engelhafte Wesen als virtutes Dei

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In ihr geht es Cudworth darum, ber die Explikation von Gottes Wirksamkeit in der Welt erneut die Notwendigkeit intelligibler Wirkformen und -ursachen gegen die Atomisten zu plausibilisieren und die Art dieses Wirkens in ihrer strukturellen Abhngigkeit vom gçttlichen Paradigma nher zu bestimmen und vom Wirken Gottes selbst abzugrenzen. Denn auch wenn Gott, der zugleich als hçchstkonzentriertes Kraftzentrum und dynamisch erfllter Raum in der und um die Schçpfung herum wirkt, das Urbild allen intelligiblen Wirkens in der Welt darstellt, gilt es doch, neben den hnlichkeiten die spezifischen Differenzen nachgeordneter Formen der Urschlichkeit nicht zu vernachlssigen. Dazu aber schlgt Cudworth einen Weg ein, der zunchst ber eine Unterscheidung zwischen den verschiedenen Formen dieser „abbildlichen“ Wirkformen fhrt, die auf Gott selbst folgen und von ihm abhngen.

7.4 Engelhafte Wesen als virtutes Dei – Urschlichkeitsformen Gottes in der stofflichen Welt Der Charakterisierung der Eigenschaften dieser selbstndigen Entitten und der Bedingungen, unter denen sie als intelligible Ursachen in ihrer Abhngigkeit von Gott zu verstehen sind, dem sie in gewissen Strukturen hneln, wendet sich Cudworth daher ebenfalls zu. Auch hier entwickelt er seine Darstellung der Eigenschaften des Intelligiblen in konstrastierender Abhebung von der Position der Materialisten. Die sich in der ontologischen Hierarchie anschließenden Konzeptionen Cudworths zur Ausdifferenzierung seiner Vorstellung von Gott als schçpfungsbezogener causa efficiens sind daher aufbauend auf seinen systematischen berlegungen zur Urschlichkeit Gottes und der grundstzlichen Form dessen wirkender Anwesenheit in der geschaffenen Welt zu verstehen. Er kann nun sowohl sein Konzept der plastic nature als auch eine vollstndige Bestimmung Gottes als primrer Wirkursache als Fundament seiner Argumentation voraussetzen. Dazu gehçrt weiterhin, dass sich, zumindest fr Cudworth, die Ontologie des Neuplatonismus, aufgewertet zur „philosophical theology“, wiederholt als ein System erwiesen hat, das dem Anspruch gengt, Wirklichkeit adquat wiederzugeben, das also legitimerweise den Rahmen konstituieren kann, innerhalb dessen die Kritik an den Atheisten zu formulieren ist. Vor diesem Hintergrund – und nur vor ihm – vollzieht sich die Explikation gçttlicher Wirkformen in der Welt als eine Auseinandersetzung mit dem (zeitgençssischen) Atomismus, dessen Vertretern Cudworth im Rahmen des System auch in diesem Zusammenhang auf bekannte Weise vorhalten kann, einen falschen Begriff von „Urschlichkeit“ zu vertreten: Niedrigeres und Einfacheres kçnne niemals Hçheres und Komplexeres hervorbringen, mithin kçnne die

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

Materie nicht komplexe Strukturen und Wirkungen wie die menschliche Seele und rationale Strukturen aus sich (allein) erzeugen.224 Die metaphysische Grundannahme, dass die Ursache immer das Verursachte an Vollkommenheit bertreffen msse, wird z. B. von Proklos in § 75 der Institutio formuliert und besitzt im hierarchisch geordneten Seinskontinuum des Neuplatonismus unbedingte Geltung:225 Every cause properly so called transcends its resultant […] Accordingly every cause properly so called, inasmuch as it both is more perfect than that which proceeds from it (prop. 7) and itself furnishes the limits of its production, transcends the instruments, the elements, and in general all that is described as a by-cause (bs. Dodds, S. 73 u. 75).

Cudworths Einwnde auf dieser Basis gegen atomistisch-hylozoistische Anstze zeigen, dass er die Prmissen dieser Systeme mit den eigenen Ansichten berformt und daher fr ungltig hlt. Wrde Cudworth ihnen gleichsam argumentatorischen Raum geben, kçnnte er anerkennen, dass im Rahmen dieser alternativen Modelle das, was heute vielleicht als emergentistische Erklrungen komplexer Organisationsformen bezeichnet wrde, durchaus sinnvoll und widerspruchsfrei entwickelt werden kann und der Vorwurf „to be grossly ignorant of causes“226 nicht angemessen wre. Der Kontext der Argumentation legt an dieser Stelle eine rekapitulierende kurze Explikation des Konzepts der plastic nature nahe, in der Cudworth betont, mit seiner Theorie eine Position zwischen den reinen Materialisten und den Okkasionalisten einzunehmen.227 In seiner kurzen Darstellung lsst Cudworth alle wesentlichen systematischen Punkte anklingen: Die plastic nature ist unterste Manifestation der sich in einer per-se-Kausalfolge vermittelnden Schçpferkraft Gottes,228 einer Schçpferkraft, die Cudworth durchgngig nach dem Vorbild der platonisch-neuplatonischen, in sich noetisch strukturierten d¼malir p²mtym versteht.229

224 225 226 227

System II, 586. Vgl. auch Procl., Inst. § 7 (ed./bs. Dodds, S. 8 – 9). System II, 586. System II, 606. Mosheim weist darauf hin, dass Cudworths Kritik sich hier hauptschlich gegen Francis Bacon und Thomas Hobbes richtet (System II, 606, Anm. 2 und 3); vgl. auch System II, 608, Anm. 6 zu Bacon und Hobbes. 228 Siehe dazu besonders die Formulierung, dass der Geist die Natur (die der plastic nature entspricht) „continually inspire[s]“ (System II, 607). 229 Im Kontext dieser Metaphysik stellen sich die von Mosheim in System II, 607, Anm. 5 formulierten Probleme nicht. Mosheim argumentiert allerdings auch ausgehend von der Annahme eines persçnlichen Schçpfergottes und ohne das systematische Fundament eines hierarchisch differenzierten und dynamischen Seinskontinuums zu bercksichtigen.

7.4 Engelhafte Wesen als virtutes Dei

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Zur weiteren Differenzierung seiner Ausfhrungen zur plastic nature bzw. zur weiteren Explikation der Hierarchie intelligibler Wirkformen Gottes in der Welt fhrt Cudworth Phnomene an, die wir heute als paranormal oder parapsychologisch bezeichnen wrden und von denen er annimmt, dass sie sich, ebenso wie ordnungsvolle Ablufe und organisch-komplexe Ordnungsmuster, allein durch die nachgeordneten Kraftmanifestationen Gottes in der Schçpfung erklren lassen.230 Von ganz besonderem Interesse sind fr Cudworth dabei „apparitions, miracles, and prophecies“231 (Erscheinungen, Wunder und Prophezeiungen), um an ihnen schließlich wesentliche Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten zwischen plastic natures und hçheren Einzelseelen wie z. B. denen von Engeln oder Menschen zu etablieren. Er beginnt seine Erçrterungen des Phnomens der gçttlichen Erscheinungen mit einer Diskussion der demokriteischen Theorie der sogenannten „eidola“ und zwar in der Form, die ihr Sextus Empiricus gibt.232 Entgegen der Annahmen und argumentatorischen Absichten Cudworths, der von derartigen Erscheinungen auf die Wirkungen bzw. Manifestationen Gottes und von dort auf Gottes Existenz und Wesen zurckschließen mçchte, bestimmt Sextus im Ausgang von seinem eigenen Demokrit-Referat diese eUdyka als rein stoffliche Gebilde, die keinen Rckschluss auf einen intelligiblen Gott als deren Ursache erlauben. Cudworth transformiert nun diesen Ausgangspunkt in seinem Sinne. Grundstzlich kann er sich Sextus Aussage (es handelt sich hier um den ersten Textauszug aus Sextus in System II, 642) dahingehend zunutze machen, dass Demokrit die Existenz von „Erscheinungen“ annimmt, die er, wie Cudworth es transformierend deutet, als „a kind of aerial and etherial animals [Hervorh. L. B.]“ klassifiziert haben soll, wobei besonders der Begriff „animals“ eine Art selbstndiger Existenz implizieren kçnnte. Allerdings ist weder von dieser Form der eigenstndigen Existenz noch von der aitherischen Beschaffenheit dieser Wesen bzw. Eidola bei Sextus ausdrcklich die Rede. Diese Zuschreibungen sind vielmehr als implizite Umdeutung und Ergebnis einer Kombination zweier ursprnglich verschiedener Vorstellungen anzusehen, die Cudworth vornimmt, um das Sextus-Zitat aus System II, 642 zu einem byzantinisch-christlichen Engel- und Dmonen-Begriff in Verbindung setzen und von dort zu Gott 230 System II, 640. 231 System II, 640. 232 Sextus Empiricus, Opera Graece et Latine II, 165 – 167 und 510 – 512 (ed. A. Fabricius, Leipzig 1841). Siehe System II, 642 – 643: „Now, though Democritus where much blamed for this concession of his by his fellow Atheists, as giving thereby too great an advantage to Theists; yet in his own opinion, did he sufficiently secure himself against the danger of a God from hence, by supposing all these idols of his to be corruptible, they being indeed nothing but certain finer concretions of atoms, a kind of aerial and ethereal animals, that were all body, and without any immortal soul, as he supposed men also to be: so that a God could no more proved from them, than from the existence of men.“

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

berleiten zu kçnnen. Zu diesem Zweck kann er – auch dies geschieht implizit – die atomistische Annahme bernehmen, dass die fr Gçtter gehaltenen Eidola fein- bis feinststofflich sind.233 Vom Befund der Feinststofflichkeit der Eidola ausgehend kann Cudworth dann darauf schließen, dass diese Wesen/Eidola, wenn sie denn stofflich gedacht werden, aus Luft oder besser noch aus Aither bestehen mssten, da der Aither als das feinste Element gilt, das auf der Grenze zwischen den Bereichen des Stofflichen und des Unstofflichen anzusiedeln ist und zugleich im neuplatonischen Kontext (der hier peripatetische Anstze aufnimmt) als gçttlich und unvergnglich eingestuft wird.234 Das passt zudem zur Charakterisierung der Eidola als d¼svhaqta durch Sextus im Textauszug, der in System II, 642 zitiert wird. In einem zweiten Schritt gilt es nun, nach diesen vorbereitenden berformungen des atomistisch-epikureischen Eidola-Begriffs christliche quivalente fr die zu aitherischen Wesenheiten umgedeuteten eUdyka Demokrits zu finden, die ursprnglich aller Wahrscheinlichkeit nach lediglich als dnne, filmartige Ausstrçmungen von Atomverbindungen verstanden wurden.235 Diese erste wesentliche Umdeutung wird Cudworth, wie gezeigt, durch das einleitende Zitat aus Sextus ermçglicht, das, zumindest in Cudworths Lesart, den eigenstndigen Status dieser Eidola betont und sie damit aus dem Kontext der atomistischen Wahrnehmungstheorie lçst (in Mosheims Terminologie macht Cudworth also spectra aus exuviae).

233 Dies ließe sich u. a. aus L/S, Frg. L, S. 168 ableiten, also aus den Versen 146 – 155 des fnften Buches aus Lukrez De rerum natura, das Cudworth gekannt hat; die selbstndige Existenz dieser gçttlichen Eidola wiederum kann aus Cicero, De natura deorum, I, 43 – 49 (= L/S, Frg. E, S. 164) geschlossen werden. 234 Zu diesen Eigenschaften des Aithers siehe Bergemann (2006), 374, Anm. 490 und 376, Anm. 499. 235 Vgl. dazu KRS, Frg. 590 und S. 467 – 468 sowie L/S, S.169. Siehe auch die Beobachtungen von Mosheim in System II, 643 – 648, Anm. 3: Mosheim unterscheidet klar zwischen zwei Bedeutungen des Begriffs eUdyka. Zum einen bezeichnet er laut Mosheim offenbar eigenstndige geisthafte und feinststoffliche Wesenheiten, die Mosheim selber spectra nennt (646). Zum anderen ist eUdyka ein Begriff aus der atomistischen Wahrnehmungstheorie (und nur auf ihn kann sich Sextus eigentlich bezogen haben) fr die von den Gegenstnden abstrçmenden, hauchdnnen Bilder, die die Sinne des Wahrnehmenden affizieren – Mosheim nennt diese Form der eUdyka simulacra oder exuviae (647). Cudworth allerdings konzentriert sich in seiner Auslegung des Phnomens der „apparition“ lediglich auf den ersten Aspekt des Begriffs und nimmt so eine bewusste Umdeutung des atomistischen Begriffs vor, da nur dieser Aspekt im Rahmen seiner folgenden Argumentation nutzbringend funktionalisiert werden kann. Entsprechend ist mit einiger Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass Cudworth in einem propdeutischen Sinne die beiden Sextus-Texte in System II, 642 und 643 bewusst und systematisch orientiert ausgewhlt hat, quasi um die Atomisten auf ihrem eigenen Terrain zu schlagen.

7.4 Engelhafte Wesen als virtutes Dei

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Nach diesen Vorbereitungen ist es die Autoritt Augustinus, die es Cudworth erlaubt, die aitherischen Eidola als Engel oder engelsgleiche Wesen zu bezeichnen.236 Auch wenn sein Sprachgebrauch die gravierenden Unterschiede zwischen seiner eigenen eUdyka-Interpretation und der Lehre der antiken Atomisten bertçnen soll, entfernt er sich doch weit vom Ausgangspunkt seiner Erçrterungen: Whrend nmlich die atomistische Lehre die Eidola als vollstndig stofflich bestimmt und damit auch die Engel fr vollstndig stofflich halten wrde, die ja nach Cudworths Ansicht den Eidola entsprechen, schreibt Cudworth den Kirchenvtern, von denen er sich paradigmatisch auf Augustinus beruft, eine Vorstellung zu, die beinhaltet, dass die Engel „certain subtle ethereal or aerial bodies“ besßen. 237 Das wiederum impliziert, dass die Engel als Wesenheiten fr sich von ihren Kçrpern verschieden sind.238 Der unmittelbar im Anschluss an den Verweis auf Augustinus angefhrte Text aus Psellos liefert dann entsprechend Hinweise darauf, wie und nach welchem mçglichen Vorbild – das erneut nicht eigens expliziert wird – Cudworth sich das Wesen der Engel und ihren Status in seinem eigenen System gedacht haben kçnnte.239 Grundstzlich wird man dabei davon ausgehen drfen, dass Cudworth mit der Vorstellung vertraut war, dass sich „der gestufte Abglanz der gçttlichen Herrlich236 System II, 645. Siehe aber Mosheims kritische Anmerkung in System II, 645, Anm. 4. 237 System II, 644 f.: „[…] though they agreed not so far with Democritus, as to make the angelical beings [Hervorh. L. B.: der Wortgebrauch macht deutlich, dass es Cudworth um eigenstndige Wesenheiten und nicht um abstrçmende, abhngige „Atomfilme“ geht] to be altogether corporeal, yet did they likewise [Hervorh. L. B.: Cudworth versucht hier, den gravierenden Unterschied zwischen der atomistischen Position und der der Kirchenvter zu verschleiern, wahrscheinlich, um zu zeigen, dass die Atomisten, wenn sie „Eidola“ annehmen, schließlich auch Gott voraussetzen mssen, was nur gelingen kann, wenn er ihnen seine eigene „Eidola“-Vorstellung quasi untermogeln kann] suppose them to have [Hervorh. L. B.] their certain subtle ethereal or aerial bodies.“ 238 In diesem Zusammenhang ist eine Beobachtung Allens zu Ficinos Verstndnis des „Eidolon“-Begriffs von Interesse. Nach Allen verstand Ficino Plotins Ausfhrungen in den Enneaden I 1, 12 und IV 3, 27 zum Eidolon der Seele des Herakles so, dass hier das Verhltnis von hçheren Seelen zu niedrigeren beschrieben werde, die als Abbilder oder Reflexionen der hçheren klassifiziert werden (Allen, in Hedley/Hutton [2008], 42). Cudworth kçnnte die Interpretation, die Ficino aus den Ausfhrungen Plotins abgeleitet hat, auf seine Umdeutung des atomistischen „Eidola“-Begriffs angewendet und bertragen haben, so dass aus dem Eidolon ein ontisch Niedrigeres wird, das zwar mit dem Hçheren als seiner Ursache verbunden, aber gleichzeitig von ihm verschieden ist. Damit kçnnte Ficinos Theorie den Hintergrund ausmachen, der Cudworths Anordnung und Kombination der antiken Referenztexte in diesem Abschnitt fundiert. 239 Der Psellos-Text findet sich in System II, 647 f., er beinhaltet die Kontrastierung zwischen Engeln und bçsen Dmonen hinsichtlich der Beschaffenheit ihrer Kçrper und schreibt den Engeln den aitherischen, lichtstrahlenden, den Dmonen hingegen den lufthaften, finsteren Kçrper zu. Der Text nimmt aber die wesentliche Behauptung auf, dass diese Kçrper den Engeln und Dmonen zukommen und mit ihnen „verbunden“ werden (vgl. die Formulierung sulvu³r !cc´koir s_la, System II, 648).

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

keit“240 in die Engel verstrçmt, deren Erschaffung seit dem Mittelalter mit der Lichtschçpfung durch Gott zusammengedacht wurde.241 Er kann also Engel innerhalb seines Systems leicht als eine Art der „radii Deitatis“ verstanden haben, in denen und vermittels derer sich die gçttliche Trinitt in die Schçpfung entußert.242 In diesem Zusammenhang kann die analogische Verdeutlichung der Verhltnisse in der Trinitt durch das Verhltnis von Sonne zu Glanz und Licht erleichternd einen gemeinsamen Vorstellungshorizont bilden, in dem die Engel eine weitere Form des nach außen gerichteten Lichtglanzes Gottes, also seiner intelligiblen Formkrfte und der in der Gesamt-Natur enthaltenen Einzelkrfte, ausmachen.243 Als solche gehçren sie dann zwar noch zum Intelligiblen, bedrfen aber hinsichtlich ihrer spezifischen Form der Interaktion mit der Schçpfung und mit den Menschen eines Kçrpers, der ihrer Lichtnatur entspricht. Im konsequenten Anschluss an Augustinus ordnet Cudworth ihnen daher zusammen mit Psellos den Aither bzw. einen aitherischen Kçrper zu, denn bereits in der Antike galt der Aither als gçttliche Lichtsubstanz.244 Das weitere Verhltnis des Engels zu seinem Aitherkçrper allerdings und damit sein intelligibler Status lassen sich durch eine Analyse des Prpositionengebrauchs im Text des Psellos erschließen, der, zusammen mit den sich daraus ergebenden Konsequenzen fr die Bestimmung des Wesens der Engel, Cudworth bewusst gewesen sein drfte, da er ihn als einen Einzelfall der allgemeinen ontologischen 240 Siehe Schmidt-Biggemann (1998), 443 – 445, Zitat 444. 241 Dazu siehe LMA 1907 s. v. Engel. 242 Vor dem Hintergrund von Leinkaufs Untersuchungen zur „ternarischen Explikation Gottes in die Welt“ bei Athanasius Kircher als Abfolge von lux (sol) – radius – lumen (in Leinkauf [1993], 337 – 339 und Anm. 59) kçnnen Cudworths berlegungen als klare Stellungnahme fr die Intelligibilitt dieser gçttlichen Lichtstrahlen gewertet werden, whrend Patrizi deren Status ambivalent als „unkçrperlich-kçrperlich“ bestimmt (ebd. Anm. 59). Dieser Status trifft bei Cudworth am ehesten auf den aitherischen Leib der Engel und Seelen zu, dessen Funktion bei Cudworth darin besteht, die Verbindung zwischen intelligiblen Wirkkrften wie Seelen und Engeln einerseits und grobstofflichen Kçrpern andererseits zu ermçglichen, und der damit zur nodal-ambivalenten „sphere of action“ dieser Krfte wird. Bei Patrizi entsprche er damit wohl am ehesten dem lumen, das sich im Aither als transparentem Lichtmedium realisiert, vgl. Panaugia III, 5v: „Lumen autem est lux tertia […] Circa radios namque cirumvolvitur, et inter radios semper plus distantes, omnem locum implet [Hervorh. L. B.].“ In Panaugia IV, 10r heisst es dann weiterhin vom lumen: „[…] Quod per diaphani omnes dimensiones effundatur. Totumque impleat. Totumque illuminet.“ Vgl. auch die Ausfhrungen in Panaugia IX, 21v und X, 23r. 243 Vgl. hierzu besonders die Beschreibungen der untersten Stufe der untersten Hierarchie engelshafter und dmonischer Geister bei Agrippa und Fludd; dazu Rçsche (2008), 109 – 110: Aus den von Rçsche angegebenen Zitaten lsst sich ableiten, dass diese „Engel“ oder Geister im Rekurs auf Origenes als spiritus oder virtutes klassifiziert wurden und ihr Funktionsbereich die belebten und unbelebten Naturdinge waren. 244 Vgl. Bergemann (2006), 374, Anm. 490 und 376 zu Alex. Aphr., De an. Mant. 142, 5 und 143, 36.

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peqi´weim-Vorstellung deuten konnte. Psellos behauptet nmlich mit Basileios, dass – wie auch bei den Dmonen – die Kçrper in den Engeln seien: !kk± ja· to?r !wq²mtoir !cc´kkoir 1me?mai [Hervorh. L. B.] s¾lata. Es ist zu vermuten, dass Psellos sich mit dieser Formulierung an einer Darstellung orientiert, die sich u. a. bei Plotin findet: Ausgehend von einer Feststellung bei Platon, dass die Seele nicht wie bei den Atomisten im Kçrper, sondern vielmehr der Kçrper in der Seele sei, die Seele also den Kçrper umfasst, bestimmt Plotin das Verhltnis des Kçrpers zur Seele in Analogie zu dem der Luft, die im Licht sei: Muss man denn nicht sagen, dass die Seele, wann immer sie dem Kçrper anwesend ist, ihm so anwesend ist, wie das Feuer der Luft anwesend ist? Denn auch dieses ist, wenn es anwesend ist, nicht anwesend und, auch wenn es durch [die ganze Luft hindurch] anwesend ist, mit nichts vermischt. Vielmehr steht es selbst still, whrend die Luft vorbeistrçmt. Und immer, wenn [die Luft] außerhalb des Bereichs gert, in dem das Licht ist, ist sie weg, ohne das Licht [des Feuers] zurckzubehalten, solange sie [aber] im Bereich des Lichtes [des Feuers] ist, ist sie erleuchtet, so dass man zurecht in diesem Fall sagen kann, dass die Luft im Licht ist, [eher] als dass das Licht in der Luft ist. Deshalb sagt Platon auch richtigerweise, nachdem er die Seele nicht in den Kçrper, der der des Alls ist, sondern den Kçrper in die Seele gesetzt hat, dass es einerseits einen Aspekt der Seele gebe, in dem der Kçrper sei, andererseits [aber auch einen,] in dem der Kçrper in keiner Weise sei; nmlich [in dem Aspekt der Vermçgen der Seele], deren der Kçrper nicht bedarf (IV 3, 22, 1 – 12; bs. nach HBT).245

In beiden Fllen umfasst die ontologisch hçherrangige (Wirk-)Kraft in dem bekannten metaphysischen Sinne das Niedrigere, dass sie in es hinein- und in ihm wirkt. Das Umfasste (also Luft oder Kçrper) ist als Niedrigeres und Durchwirktes im Hçherrangigen, der stoffliche Kçrper in der intelligiblen Seele. Ebenso ist der Aither im Engel, der feinststoffliche Aitherkçrper in der lichthaften Kraft Gottes, der virtus Dei, die der Engel ist. Erst diese spezifische Verbindung, in der das Wirken der intelligiblen Kraft den Aither umfasst und durchdringt, wird dem Menschen als Lichterscheinung eines Engels sichtbar. Dabei macht jedoch nicht diese Erscheinung an sich den Rckschluss auf eine bergeordnete intelligible Ursache mçglich,246 sondern erst deren neuplatonisch fundierte metaphysische Struktur, die sich in der „apparition“ sinnlich wahrnehmbar manifestiert. Die Aussage bei Psellos, dass die Kçrper der Engel in ihnen seien, erlaubt dann den Rckschluss auf den intelligiblen Charakter der Engel selbst auf der Grundlage des peqi´weim-Motivs nach den Vorgaben bei Platon und besonders bei Plotin. Aufgrund der notwendigen Abhngigkeit dieser Wirkmanifestationen von ihrer gçttlichen Ursache wiederum, die durch das neuplatonische Krfteschema garantiert ist, dient dann eine derartig er245 Vgl. dazu Bergemann (2006), 167 – 168. 246 Mosheim findet in System II, 645 – 646, Anm. 3 eine plausible, rein atomistische Erklrung fr die Existenz aitherhafter Wesen.

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klrte und klassifizierte Erscheinung sowohl zum Beweis des Vorhandenseins intelligibler Form- und Wirkkrfte im Stofflichen als auch zum Beweis der gçttlichen Ursache dieser Krfte,247 die als virtutes per opus mundanum diffusas oder radii Deitatis immer auf Gott als ihre Ursache zurckverweisen. Auch die Engel sind also fr Cudworth Dynameis Gottes im Stofflichen, die von Gott als der trinitarisch strukturierten, ursprnglichen fkg d¼malir abhngig sind,248 und deren Erscheinung mithin den Rckschluss auf Gott erlaubt. Eine hnliche Auffassung hinsichtlich des Status der Engel referiert bereits Agrippa von Nettesheim im dritten Buch seines Werkes De occulta philosophia: In inferiore autem hierarchia [angelorum] ponunt Principatus, Archangelos et Angelos, quos etiam Iamblichus numerat; hi tanquam daemones ministri ad inferiora curanda descendunt. […] tertii [id est Angeli] minora quaeque disponunt ac singuli singulis custodes adsunt: suntque ex ipsis etiam qui minutissimis herbis et lapillis et omnibus inferioribus virtutem subministrant, quibus multa cum Deo, multa cum hominibus communia suntque mediantes ministri. (De occulta philosophia 450 f.; ed. Perrone Compagni)249

Anne Conway wiederum schreibt in ihrem Werk The principles of the most ancient and modern philosophy den Engeln eine aitherische Manifestationsform und Beschaffenheit zu: „From which Aethereal Substance, as well Angels as Men, have their Original, quoad Spiritus, or, as to their Spirits; […]“250. Nimmt man nun noch hinzu, dass Augustinus in De civitate Dei 11, 9 ausdrcklich 247 U. a. zu diesem Zweck setzt sich Cudworth ja mit ihnen auseinander, siehe System II, 640. 248 Athanasius Kircher scheint eine hnliche Auffassung der Engel als Krfte in seiner stark neuplatonisch geprgten Welterklrung vertreten zu haben, vgl. Leinkauf (1993), 87 – 91. Allerdings scheint Kircher die Engel in den von Leinkauf interpretierten Stellen nicht wie Cudworth zu funktionalisieren, um den atomistischen Eidola-Begriff zu einer spezifischen Form der Manifestation einer neuplatonischen Dynamis im Irdischen umzudeuten. Dieses Vorgehen hat bei Cudworth die Konsequenz, dass die Engel sehr eng an die Welt herangerckt werden und tatschlich eher im Ausgang von einer ihrer biblischen Funktionen beschrieben und bestimmt werden als Wesen, die den Menschen erscheinen, um ihnen den Willen Gottes zu verknden. Auch Ficino setzt sich z. B. in De amore mit den Engeln auseinander, sieht sie aber wie Kircher positioniert; zu Ficinos Konzeption des Engels als intellectus agens siehe Schmidt-Biggemann (1998), 259 – 268, bes. 267 – 268. Zur Funktion der Engel als Boten Gottes und ihrer entsprechenden Erscheinung siehe DDD 49 f. s. v. Angel I, IV und 50 – 53 s. v. Angel II. Bonk, in Bonk (2003), 34 bringt einen in diesem Zusammenhang interessanten Hinweis darauf, dass in der mittelalterlichen Tradition mçglicherweise Zge der spteren Archei in den Engeln prfiguriert sein kçnnten, eine genaue Untersuchung des „Zusammenhang[s] zwischen angeli und archei“ steht allerdings noch aus, wre aber fr diese Stelle im System beraus aufschlussreich. Vgl. die Charakterisierung der Engel als moeqa· dum²leir bei Gregor von Nazianz, zitiert von Mosheim in System III, 371, Anm. 5 III. 249 hnlich scheint Agrippa auf S. 452 die hebrischen Engelsbezeichnungen und -funktionen auszulegen. 250 Conway, princ. 188 (ed. Loptson).

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darauf hinweist, dass die Engel in der Bibel unter der Bezeichnung „Licht“ auftauchen,251 vervollstndigt sich das Bild, das im Hintergrund der Ausfhrungen Cudworths stehen kçnnte: Aus Agrippa lsst sich das Verstndnis der Engel als rpouqco· dum²leir Gottes ableiten,252 die mit Augustinus nherhin als Licht oder Lichtstrahlen vorgestellt oder gar qualifiziert werden kçnnen. Diese engelshaften Lichtkrfte manifestieren sich sichtbar in ihnen eigentmlichen feinststofflichen Kçrpern, die wesentlich sind zur Interaktion zwischen Kraft und Stoff und die Cudworth nach dem Vorbild des antiken Seelengefhrts als aitherisch bestimmt haben kçnnte. Anne Conway plausibilisiert diese Annahmen als Vertreterin einer hnlichen Position im Umfeld der Cambridge Platonists. Die Elemente, aus denen sich Cudworths metaphysische Erklrung ableitet, sind also in der zeitgençssischen Diskussion durchaus bekannt, so dass sich seine gesamte Argumentation und die mit ihr vollzogene Antikentransformation an dieser Stelle nicht als Fremdkçrper ausweist. Zugleich lsst sich bereits jetzt erahnen, in welchem Sinne Engel in Cudworths System als ein Paradigma im Rahmen der Naturphilosophie dienen kçnnen: An ihnen und besonders an der Frage, ob sie einen Kçrper besitzen und wenn ja, welche Beschaffenheit er aufweisen sollte, lsst sich die fr das Funktionieren von Cudworths Systematik so wesentliche Interaktion von Intelligibel und Stofflich weitergehend differenzieren und im Vergleich mit der Wirkform der plastic nature als „Zugkraft“ wesentlich ergnzen. So kann Cudworth detaillierter als zuvor exemplifizieren, wie sich das vermittelte Wirken der Trinitt in der Welt gerade hinsichtlich der zentralen Schaltstelle der vital union denken lsst. Diesen Aspekt wird Cudworth allerdings erst spter aufgreifen und ausfhrlich verhandeln. Fr den Moment scheinen die Engel einem anderen Zweck zu dienen: Wie sich aus Agrippa ableiten lsst, dessen Position sich diesbezglich im Rekurs auf Boethius erweitern ließe,253 besteht die Funktion der Engel darin, ebenfalls die noetische Struktur Gottes, also die intelligiblen Archetypen der Schçpfung und der Geschichte des Menschen umzusetzen, die sich in der Welt als fatum realisieren. Sie sind Diener der providentia und damit manifeste Explikationen des gçttlichen Logos. Aus Demokrits eUdyka sind so 251 Siehe Keck (1998), 17 mit Anm. 7. 252 Zur dienenden und vermittelnden Position, die den Engeln bei Robert Fludd zugeschrieben wird, s. Rçsche (2008), 293 mit Anm. 1211; vgl. auch ebd. 296, Anm. 1222 und 299 mit Anm. 1236. 253 Boethius, De consolatione philosophiae IV, 6.p., 51 – 60: „Sive igitur famulantibus quibusdam providentiae divinis spiritibus fatum exercetur seu anima seu tota inserviente natura seu caelestibus siderum motibus seu angelica virtute seu daemonum varia sollertia seu aliquibus horum seu omnibus fatalis series texitur; illud certe manifestum est, immobilem simplicemque gerendarum formam rerum esse providentiam, fatum vero eorum, quae divina simplicitas gerenda disposuit, mobilem nexum atque ordinem temporalem.“

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sichtbare Manifestationen des noetischen Zugs der Trinitt geworden, in denen Cudworth Bekanntes aufnimmt, modifiziert und weiterentwickelt: Die rpouqco· dum²leir bekommen in diesem Fall ein christlich-personalisiertes Gewand und werden enger mit dem Geschick des Menschen verknpft.254 Cudworth kann auf diese Weise nochmals die Gesetzlichkeit der Welt und des Wirkens Gottes in ihr hervorheben: „However it must not be thought, that God will ever [Hervorh. L. B.] set this seal of his to a lie, or that which is plainly contrary to the light and law [Hervorh. L. B.] of nature“ (System III, 7).255 Bevor 254 In dieses metaphysisch-theologische Panorama ordnet Cudworth dann auch andere „paranormale“ Phnomene ein („effects supernatural“; System III, 1), z. B. Wunderheilung in Asklepiostempeln, denen er biblische Wunder (Moses, Christus, die Apostel) hinzufgt, die er allerdings als hçhere Wunder einstuft („of a higher nature“; System III, 1). Es ist anzunehmen, dass Cudworth hierin, hnlich wie z. B. Henry More, im Rahmen seines im System explizierten Weltmodells davon ausgeht, dass die Realitt von Wundern die Mçglichkeit der Interaktion zwischen Intelligiblem und Stofflichem voraussetzt. Wunder bieten also, wie der Status und die bereits von Cudworth erçrterte Erscheinungsform der Engel (siehe System II, 640 ff.), als irdische Manifestationen konkrete Beispiele fr das Umsetzen und die „Funktionsweise“ der vermittelten Interaktion zwischen Gott und Welt. Auf diese Weise sind sie, ber ihren systematischen und veranschaulichenden Wert im System hinaus, zugleich als eine Form indirekter Gottesbeweise anzusehen und daher fr Cudworth (wie fr More) in der Auseinandersetzung mit den Atheisten von großer Bedeutung. Vgl. System III, 7: „The conclusion is, that though all miracles promiscuously do not immediately prove the existence of a God, nor confirm a prophet, or whatsoever doctrine; yet do they all of them evince, that there is a rank of invisible understanding beings, superior to men, which the Atheists commonly deny.“ Vgl. Auch System III, 28. Damit ist – implizit – bereits die epistemologische Diskussion vorbereitet, die sich in System III, 29 – 55 an Cudworths Ausfhrungen zu den Wirkungen Gottes bei Prophezeiungen anschließt. Denn in ihr rechtfertigt Cudworth den Rckschluss von der Wirkung auf die Ursache in einem platonisch-neuplatonischen Rahmen. 255 Cudworth wendet sich damit dezidiert gegen ein zu seiner Zeit weit verbreitetes und anerkanntes Verstndnis des Wunders als Außer-Kraft-Setzen der naturgesetzlichen Ordnung der Welt durch ihren Schçpfer, das auch von Mitgliedern der Royal Society vertreten wurde; vgl. zu dieser Definition von „Wunder“ Harrison (1995), 534 – 535. Cudworth bereitet so in einem entscheidenden Punkt der Konzeption von Wundern den Weg, die von Newton und seinen Anhngern vertreten wurde, wie Harrison (1995), 545 – 553, bes. 549 zeigt. Vgl. auch Cudworths Einschtzung des Handlungsspielraumes Christus in System III, 6. Cudworth bezieht hier mçglicherweise implizit gegen radikal-nominalistische Positionen Stellung und verschrft daher die Beschrnkungen, die er Gottes Einwirken in die Naturablufe auferlegt. Zu den radikal-nominalistischen Strçmungen in der spten Scholastik vgl. z. B. Funkenstein (1986), 57 – 59 und 117 – 152 mit den Reaktionen auf diese Positionen in der Frhen Neuzeit. Die gesamte Diskussion ist also auch zu sehen im Spannungsfeld der Allmacht Gottes zwischen potentia absoluta und potentia ordinata. Vgl. Blumenberg (1996), 214 – 233: „Unter diesem Gesichtspunkt erst lsst sich der Nominalismus als das System der Systemdurchbrechungen charakterisieren, als die Verlagerung von Interesse und Akzent auf das Wunder als die paradigmatische Re-

7.5 „An energy as is within the very substance or essence of that which thinketh“

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er allerdings abschließend ausfhrt, wie die Interaktion zwischen diesen Wirkkrften und der stofflichen Welt vermittels eines Mediums erklrt werden kann, erarbeitet und expliziert Cudworth die dafr nçtigen Grundlagen am Beispiel der menschlichen Seele.

7.5 „An energy as is within the very substance or essence of that which thinketh“256 – Die Seele als gotthnliche Kraft in der Welt Da Leben, Denken, Sinneswahrnehmung, Bewusstsein, Vernunft und Verstand im System eines hierarchisch geordneten Seinskontinuums neuplatonischer Metaphysik wesenhaft nur der Seele oder hçheren Entitten im Intelligiblen zukommen,257 d. h. unkçrperlichen Substanzen, kçnnen sie nicht auf die mechanischen Ablufe und Prozesse der atomaren Partikel einer Materie reduziert werden: Diese kçnnen nmlich wie gezeigt fr Cudworth per definitionem als Verursachtes und Niedrigeres nicht das Hçhere und Verursachende bedingen. In einer Auseinandersetzung, in der, wie bei Cudworth, die Atomisten in den Kontext einer neuplatonischen Metaphysik versetzt werden, mssen diese zur Erklrung derartiger Phnomene alle Varianten des Dogmas „Nichts aus Nichts“ fr sich in Anspruch nehmen und geraten damit mit ihrem eigenen Grundsatz in Widerspruch:258 Sie kçnnen keinen richtigen „efficient cause“ fr Phnomene wie Leben oder Bewusstsein angeben, die daher quasi grundlos und in diesem Sinne aus dem Nichts entstehen.259 Die Prinzipien der atheistischen Atomisten – die Atome – sind nmlich gleichrangig; Leben etc. stellt aber per

256 257 258 259

duktion der Verbindlichkeit der Natur. Nicht die Macht, die die Welt hervorbringen konnte, sondern die Macht, die anderes als diese Welt hervorbringen kann, okkupiert das spekulative Interesse“ (Zitat ebd. 215). Sowie Osler (1985), 350 f., Schnepf, in Hartbecke/Schtte (2006), 85 – 114 und Botte, in Hartbecke/Schtte (2006), 63. Zum light of nature in seiner Stellung gegenber dem Licht Gottes siehe u. a. Patrides (1980), 8 – 16; Frank (2003), 236 f. verfolgt die Vorstellung des natrlichen Lichtes, das den menschlichen Seelen Strukturen gçttlicher Weisheit einprgt, bis zum Melanchthon-Schler Zacharias Ursinus zurck, den er zu den „Voraussetzungen“ des englischen Platonismus zhlt, s. auch ebd. 224 – 236. Zum (ebenso zeitgençssischen wie biblischen) Kontext ber die Klassifizierung von Wundern siehe die immer noch hilfreiche Anm. 1 von Mosheim in System III, 7 – 17. System III, 395. Dazu Procl., Inst. §§ 7, 15 – 17 und 20. System III, 107. Damit richtet sich Cudworth nicht nur gegen Atomisten wie Hobbes oder Charleton, er scheint ebenso Hylozoisten wie Glisson im Auge zu haben, der ausdrcklich ein der autarken, selbstsuffizienten Materie wesenhaft verbundenes, ursprngliches Leben annimmt, siehe Hartbecke (2006a), 139 f. und 145 f., das zugleich ein wahrnehmendes Vermçgen und in Form der perceptio naturalis eine fast noetische Selbstwahrnehmung impliziert, siehe Hartbecke (2006a), 204 – 209.

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definitionem in Cudworths Neuplatonismus ein hçheres, nmlich intelligibles Prinzip dar. Daher msste es fr ihn im Rahmen einer rein atomistischen Erklrung aus dem Nichts entstehen, da sein quasi spontanes Hervorgehen aus dem niederen Stoff nicht erklrt werden kann. Derartigen materialistischen und atheistischen Weltmodellen fehlt nmlich das „perfect Being which only [Hervorh. L. B.] is substantially emanative“,260 und zwar als das Prinzip, das die Entstehung intelligibler, unkçrperlicher Substanzen initiieren und erklren kann und als das es Cudworth in der Bestimmung der ontischen Reichweite der Schçpfungskraft Gottes etabliert.261 Entscheidend fr diese Kritik am Atomismus ist jetzt auf der Ebene, die Gott nachgeordnet ist, neben dem Nachweis, dass es unkçrperliche Substanzen berhaupt gibt und dass diese zugleich qualitativ von Atomen und Materie zu unterscheiden sind und unterschieden werden kçnnen bzw. mssen,262 die nhere Bestimmung der Seele als intelligible Wirkursache gerade in ihrer abbildlichen Abbhngigkeit von einem trinitarisch strukturierten ersten Prinzip.263 Cudworth kann im Zuge dieser Ausfhrungen seine bereits vorgenommenen Untersuchungen zur proleptischen Struktur der menschlichen mens in System III, 64 – 72 zugrunde legen.264 D. h. seine Ausfhrungen setzen das Wissen um seinen Gottesbegriff und dessen Struktur voraus. Die energetische Binnenstruktur und die Wirkungsweisen der Seelen entwickelt Cudworth nun auf der Basis seiner Trinittskonzeption, als deren Abbild er die Seele weiterhin etablieren muss. Zugleich aber muss er, gerade um den ontologisch hçheren, vorrangigen Status der Seele als intelligible Substanz gegenber den stofflichen Atomen zu sichern, Ausfhrungen zur Natur der Seele voraussetzen, die erst an spterer Stelle im System erfolgen,265 allerdings ebenfalls schon angeklungen sind.266 Diese erst spter erfolgenden Darstellungen sollen jedoch bereits jetzt vorgestellt werden, da Cudworth in ihnen zum Ausdruck bringt, wie die Seele die Struktur Gottes in sich abbildet. Dies wiederum macht die Grundlage aus 260 System III, 107. 261 Vgl. Cudworths Zwischenresmee in System III, 109. 262 S. dazu unten Kapitel 7.8 zu Cudworths ontologischer Klassifikation der „cogitation“ als „real quality“. 263 Cudworth versucht also mit diesem Nachweis folgende Kritik im Rahmen seines Systems zu legitimieren: „Wherefore, if matter, as such, have no animal sense and conscious understanding, essentially belonging to it (which no Atheists as yet have had the impudence to assert); then can no motion or modification of matter, no contexture of atoms, possibly beget sense and understanding, soul and mind; because this would be to bring something out of nothing, in the impossible sense [i. e. „suppose them to be made without a cause, or ,nothing to be the cause of something“; System III, 109], or to suppose something to be made by itself without a cause“ (System III, 110). 264 Siehe dazu auch oben S. 331 mit Anm. 195. 265 In System III, 253 f. und 392 – 396. 266 In den Erçrterungen zu System III, 71.

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fr Cudworths Konzeption der Interaktion zwischen der Seele und dem Stofflichen, die seine berlegungen zum Verhltnis Gottes zur Welt auf der Ebene kreatrlicher intelligibler Wirkformen fortsetzen. In dieser spteren Explikation des Wesens der Seele beschreibt Cudworth ausgehend von Plotins Feststellung „MoOr oq diast±r !v 2autoO, ,Mind is not distant from itself“ die menschliche Seele zunchst als Monade, als eine unteilbare Substanz: Thus Plotinus of mind: MoOr oq diast±r !v 2autoO, “Mind is not distant from itself:” and indeed were it so, it could not be one thing (as it is) but many; every conceivable part of distant and unextended substance being a substance by itself. And the same is to be said of the human soul, though it act upon distant parts of that body, which it is united to, that itself, notwithstanding, is not scattered out into distance, nor dispersed into multiplicity, nor infinitely divisible; because then it would not be one single substance, or monad, but a heap of substances. Soul is no more divisible than life; […] (System III, 392 – 393).267

Im Verlauf der weiteren Bestimmung der menschlichen Seele als Substanz und Monade greift Cudworth auf ein Modell zurck, das Plotin zur Beschreibung der absoluten Einheit des Einen heranzieht,268 orientiert die Seele so in Richtung ihrers Urbildes Gott und grenzt sie zugleich nachhaltig und ausdrcklich vom Kçrperlich-Materiellen ab: Lives and minds are such tight and compact things in themselves, and have such a self-unity in their nature, as that they cannot be lodged in that, which is wholly scattered out from itself into distance, and dispersed into infinite multiplicity; […] A thinker is a monad, or one single substance, and not a heap of substances; whereas no body or extended thing is one but many substances; every conceivable or smallest part thereof being a real substance by itself (System III, 395).

Cudworth beschreibt hier nmlich die Seelenmonade tatschlich als feste und in sich kompakte Einheit und Monade, die nicht geteilt werden kann und deshalb streng von der Materie als res extensa unterschieden werden muss. Was auf den ersten Blick allerdings wie eine Beschreibung eines Demokriteisch-Epikureischen Atoms aussieht, bezieht sich auf eine Art innerer, selbstbezglicher Energie oder Kraft, als die Cudworth die cogitatio bestimmt, die wiederum Vorstellungsvermçgen, Denken und Wollen umfasst und den ttigen, reflexiven Vollzug der denkerischen Vermçgen der Seele bezeichnet: But this will yet further appear, if we consider what kind of action cogitation is. […] cogitation […] is unquestionably an internal energy; that is, such an energy as is within the very substance or essence of that which thinketh, or in the inside of it. […] the other such a kind of entity as hath an eternal energy; acteth from itself, and 267 Vgl. o. S. 367 mit Plotin, Enn. VI 4, zum schçpfungsrelevanten Charakter Gottes als l¸am 1m´qceiam. Siehe dazu und zum Folgenden Bergemann, in Neumann (2009), 107 – 110. 268 Plotin, Enn. V 3, 15, 12 – 16.

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within itself, and upon itself [Hervorh. L. B.]; an inside thing, whose action is within the very essence or substance thereof; […] (System III, 395)

Hinter dieser Wesens-Bestimmung der Seele ist eine Aussage Plotins ber das Wesen des Nous zu vermuten, in der dessen Eins-Sein auf dessen Energeia und deren Eigenschaften und Vollzugsformen zurckgefhrt wird: eQ owm 1m´qceia ja· B oqs¸a aqtoO 1m´qceia, 4m ja· taqt¹m t0 1meqce¸ô #m eUg7 4m d³ t0 1meqce¸ô t¹ cm ja· t¹ mºgtom. Ist [der Nous] also Energeia und sein Wesen seine Energeia, dann wird er wohl Eines sein und Dasselbe aufgrund der Energeia. Eines ist auch aufgrund der Energeia das Seiende und das Denkobjekt. Eines werden wohl alle zugleich sein, Geist, Denken, das Denkobjekt (Plotin, Enn. V 3, 5, 41 – 43269 ; bs. nach Beierwaltes).270

Zum einen ließe sich diese Bestimmung des Nous in die Bestimmung der Trinitt als eine dynamische Wirkeinheit einfgen, wie sie Cudworth z. B. in System II, 456 f. thematisiert.271 Zum anderen, und in diesem Kontext von grçßerer Bedeutung, kann sie Cudworths Bestimmung des Denkens der Seele in System III, 395 als „an internal energy; that is, such energy as is within the very substance or essence of that which thinketh“272 legitimieren, indem sie einen Rckschluss von der Seele auf den vorgeordneten Nous273 erlaubt und zudem die Kontinuitt und Ungebrochenheit in Cudworths dynamischem System expliziert: Wie die Godhead ist auch der Nous ein dynamischer, gestaltender Aspekt des Kraftkontinuums. Und in diesem wesentlichen Punkt bildet die Seele als „energy“ den Nous als oqs¸a 1m´qceia, als „act and energy“ ab.274 bertrgt man also diese Vorstellung vom Nous auf die Seele, wird sie, wie bei Cudworth, zu einer Einheit – einer Monade –, die eine Art selbstreferentielles Energiezentrum ist, das sich durch hçchste Dichte und Intensitt auszeichnet und die dynamischen Verschrnkungen innerhalb der Trinitt auf ihrer Ebene 269 Plotin wiederum wird sich hier auf Arist., Metaph. 1071b20 – 21 und 1072b18 – 30 beziehen. 270 Dazu siehe Bergemann (2006), 111. 271 Siehe auch System II, 449: die Trinitt ist l¸a d¼malir, ja· boukμ, ja· 1m´qceia. 272 Zu diesem Text siehe auch Leinkauf (2005a), 147 – 148 mit Anm. 33. 273 Siehe System III, 72: „We conclude therefore, that from the nature of mind and knowledge it is demonstrable, that there can be but one original and self-existent Mind, or understanding Being, from which all other minds were derived“[Hervorh. L. B.]. 274 Dazu passt es, dass Cudworth auch die sich in den Tieren realisierende plastic nature als „internal energy“ bezeichnet, diese allerdings nherhin als „vital autokinesy […] without [self-consciousness]“ charakterisiert (System I, 245). So bleibt trotz der Differenzierung die ontische Kontinuitt erhalten. Dabei macht Cudworth seine Kritik an Descartes in System I, 244 recht deutlich, von dessen Dualismus und biologischem Reduktionismus er sich klar abgrenzt. Zum Descartes-Bezug in System I, 245 f. s. Sailor (1962), 136.

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abbildet. Die der Trinitt nachempfundene seelische Selbstreferentialitt wiederum ist es, die nach Procl., Inst. §§15 und 16 die Intelligibilitt der Seele ebenso anzeigt wie als ihre Bedingung voraussetzt.275 Cudworth scheint eine entsprechende Vorstellung anzunehmen und sie getreu seiner ebenfalls vertretenen Konzeption der Monade als eines dynamischen Schçpfungsprinzips weiterzufhren. Auf diese Weise wird der Status der Seele als einer wirkenden Ursache etabliert, die ber dem Kçrperlichen angesiedelt werden muss, da sie es erst hervorbringt.276 Im folgenden Text greift Cudworth zum Zweck der weiterfhrenden Explikation dieser „Positionsbestimmung“ mit der Beschreibung der Seele als b²hor auf seine Ausfhrungen in System III, 253 f. zurck, wo er im Ausgang von einer Differenzierung, die Simplikios vornimmt, „active force and power“ im Gegensatz zu den ecjoi, den „bulks or tumours“ als im Besitz einer „essential profundity“ definiert hat:277 The second, life and mind, or the self-active cogitative nature, an inside being, whose action is not local motion, but an internal energy, within the substance or essence of the thinker himself, or in the inside of him; which therefore, though unextended, yet hath a certain inward recess, B²hor, or essential profundity. And this is a thing which can act all of it entirely upon either a greater or lesser quantity of extended substance or body, and its several parts, penetrating into it, and coexisting in the same place with it. Wherefore it is not to be looked upon either as a mathematical or as a physical point, as an absolute parvitude, or the least extensum possible, it having not only such an essential inside, bathos, or profundity in it, wherein it acteth and thinketh within itself,278 but also a certain amplitude of active power ad extra, or a sphere of activity upon body (System III, 396). 275 Zugleich garantiert sie nach § 17 der Inst. den Status der Seele als Bewegungsprinzip. 276 Vgl. dazu z. B. Plotin, Enn. IV 3, 10, 20 – 21. 277 Zu System III, 253 f. s. o. S. 371 – 373. Zum hier Folgenden siehe Bergemann, in Neumann (2009), 108 f. Cudworth bestimmt damit erneut klar seine Position in der zeitgençssischen Naturerklrung auf Seiten einer platonisch-hermetischen Naturerklrung in Kontrast zu einer rationalistisch-cartesischen, siehe Hartbecke (2006a), 68 f.: „Der Naturbegriff bestimmt sich in der hermetischen Naturphilosophie nun grundstzlich anders als im Rationalismus eines Descartes; ein Gegensatz der jngst [von Thomas Leinkauf] anhand des Begriffspaars intima rerum – res extensa herausgearbeitet wurde. Wo hermetische Autoren von inneliegenden, aus sich heraus ttigen Kraftzentren als Objekten der Naturbetrachtung ausgehen, lßt Descartes nur noch ein superfizielles „Außen“ der materiellen Substanz gelten, das sich auf figura, situs, motus beluft. […] Die Kenntnis der Natur meint [in der hermetisch-platonischen Naturphilosophie]: in ihr verhlltes, geheimes Inneres eingeweiht sein.“ Zum Einfluss des frhneuzeitlichen Neustoizismus auf diese Vorstellung siehe ebd. 79 – 81. 278 Man hat fast den Eindruck, als entwickelte Cudworth an diesem Punkt ein ausdrcklich kraftmetaphysisch angelegtes Gegenmodell zu Lukrez vollstndig materialistischer “Seele der Seele” in DRN III, 242 – 245 und 273 – 275: “[…] east omnino nominis expers; // qua neque mobilius quicquam neque tenvius exstat // nec magis e parvis et levibus ex elementis; […] nam penitus prorsum latet haec natura subestque, // nec magis hac infra quicquam est in corpore nostro, // atque anima est animae proporro totius ipsa.”

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

Damit kommen der Seelenmonade nicht nur Selbstbezug und innere Wahrnehmung zu, sondern auch eine Wirksamkeit auf die mit ihr verbundene res extensa, den Kçrper. Diese Monade ist dadurch viel und wesentlich mehr als nur ein einfacher Punkt, sie ist eine „sphere of activity“, die den zugehçrigen Kçrper vollstndig durchdringt. Es ist gerade diese Befhigung, den Kçrper und seine Teile zu durchdringen, ganz und ungeteilt an jedem Punkt zugleich und zusammen mit dem jeweiligen Kçrperteil zu sein, also das „co-existing in the same place“, das die Seele weitergehend von jedem Kçrper unterscheidet und als !s¾lator oqs¸a ausweist. Mit Patrizi gilt nmlich im Rekurs auf den epikureischen Atombegriff von allen atomar strukturierten Kçrpern,279 dass sie einander gegenseitig nicht durchdringen, also auch nicht zusammen ein- und denselben Ort einnehmen kçnnen, denn sie sind, wie Cudworth es u. a. ausdrckt, „resisting“ und „antitypous“.280 Erst diese grundstzlichen berlegungen zur Natur der Seele und des menschlichen Bewusstseins, die, wie gesagt, erst an spterer Stelle im System erfolgen, erlauben es Cudworth gleichsam im Vorgriff, Leben und (selbstreflexives) Denken gerade nicht als bloße Modi stofflich-atomarer Komplexionen einzustufen, sondern sie klar und evident ohne Kçrper zu denken.281 Dass Cudworth dieses Erfassen nachdrcklich als „klar“ (clearly) und damit in deutlichem Descartes-Bezug als wahr, eindeutig und evident bezeichnet, mag sowohl auf dessen gerade explizierte systematisch-metaphyische Struktur als auch auf den gleichsam phnomenologischen Gehalt zurckzufhren sein, der besonders in System III, 396 zum Ausdruck kommt. Beides zusammengenommen scheint fr Cudworth die berzeugende Evidenz der Einsicht in die Unkçrperlichkeit und Unabhngigkeit des Lebens und Denkens und damit der Seele vom Kçrperlichen auszumachen.282 Durch ihre „amplitude of active power ad extra“283, durch die sie sich ebenfalls als imago Dei erweist,284 unterscheidet sich die Seele in einem weiteren Punkt grundstzlich von der rein passiven Materie.285 Cudworth scheint sich diesbezglich deutlich an Plotins Energeiai-Schema zu orientieren. Das innere Energiezentrum der Seele besitzt nmlich zugleich eine Ausdehnung nach außen („amplitude of active power ad extra“). Die Verbindung einer inneren Kraft oder Energie mit einer nach außen gerichteten lsst sich gut als Anwendung des Energeiai-Schemas Plotins auf das Verhltnis zwischen Seele und 279 280 281 282 283 284

Siehe Pancosmia I, 62v und 63r. Beide Adjektive z. B. in System III, 106. Siehe System III, 113. Hier spielt mçglicherweise auch Plotins Enneade IV 3 eine vorstellungsleitende Rolle. System III, 396. Zur Seele als imago Dei siehe Leinkauf (2005a), 135 mit Anm. 135. Zur Trinitt als Wirkeinheit mit einer l¸a 1m´qceia, einer „action“ ad extra s. o. zu System II, 420. 285 Vgl. z. B. System III, 120 f.

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Kçrper verstehen, fand aber zuvor schon bei der Beschreibung der Verhltnisse in der Trinitt Anwendung.286 Cudworths ausdrckliche Nennung sowohl der „essential inside“, die als b²hor nach System III, 253 ja zugleich als „substantial power [Hervorh. L. B.]“ zu verstehen ist, als auch die Erwhnung einer „active power ad extra“, die ebenfalls die Seele kennzeichnet, macht die Annahme recht plausibel, dass Cudworth zur Beschreibung der Seele in ihrem Verhltnis zum Kçrper das Energeiai-Schema Plotins bernommen hat.287 Die Kçrper selbst besitzen dagegen, und das ist mittlerweile nicht Neues mehr, keine innere Energie oder Wirkung auf anderes außer der bereits mehrfach als Heterokinesis bestimmten Ortsbewegung, die damit ebenfalls dem Kçrper widerfhrt und die er keinesfalls selbst initiiert.288 Zusammen machen sie die Materie aus, die Cudworth in diesem Zusammenhang als „dead lump“ abwertet.289 Da Phnomene wie Selbstreflexion und Leben aber nicht geleugnet werden kçnnen, bedarf es der Ursachen, die sie in Gang setzen und ordnungsvolle Ablufe garantieren: Es bedarf einer v¼sir dqast¶qior290. 286 Zum Energeiai-Schema Plotins siehe u. a. Bussanich, in Gerson (1996), 46 – 51 und Bergemann (2006), 69 – 86. In Enneade V 4, 2, 26 – 33 entwickelt Plotin zur Beantwortung der Frage, wie der Nous aus dem unverndert in sich verharrenden Einen hervorgehen kçnne, eine fr seine gesamte Metaphysik zentrale Differenzierung – eben die zwischen wesentlicher und hervorgehender Wirkkraft: „Aber wie entsteht der [Nous] aus [dem Einen], wenn es doch in sich verharrt? Es gibt zum einen eine Wirkkraft (1m´qceia) des Wesens, zum anderen eine, die aus dem Wesen jedes Einzelnen hervorgeht. Die Wirkkraft des Wesens nun ist als Wirkkraft jedes Einzelne selbst; die hingegen, die aus dem Wesen hervorgeht, ist die, die notwendigerweise jedem folgt, da sie von ihm verschieden ist; so wie es auch beim Feuer einerseits diejenige Wrme gibt, welche sein Wesen ausmacht, andererseits die, die aus jenem Wesen hervorgeht und die dann entsteht, wenn das Feuer dadurch seine mit seinem Wesen ursprnglich gegebene Wirkkraft bt, dass es als Feuer verharrt“ (Enn. V 4, 2, 26 – 33). Vgl. auch Plotin, Enn. IV 5, 7, 12 – 23. 287 Auch bei Leibniz werden spter die Monaden als Krfte ausgewiesen, siehe Bonk (2003), 9 – 41, hier 16 f. und 31 – 33. Mçglicherweise sieht Cudworth in der Anwendung des Energeiai-Schemas eine Mçglichkeit, den Cartesischen Dualismus zwischen res cogitans und res extensa zu berwinden. 288 Vgl. als mçgliches Vorbild Procl., Inst. §§ 14 und 17. Zur Passivitt der Kçrper im Neuplatonismus, die jede Form urschlicher Wirksamkeit ausschließt, siehe auch Rappe, in Wagner (2002), 76. 289 Z. B. in System III, 225. 290 System III, 225. Die drastische Charakterisierung von Kçrper und Materie dient also der bekannten Abhebung der zwei Substanzen voneinander. Sie lsst sich als implizite und vorausgesetzte Kombination zweier kurzer Passagen aus Plotin erkennen und beschreiben, in denen die leitende Grundvorstellung zur Materie zum Ausdruck kommt: In Enneade I 8, 4, 3 sagt Plotin von den Kçrpern, sie seien des Lebens beraubt. Dem korrespondiert, dass der Materie in Enneade II 4, 5, 18 – 19 Denken (moe?m) und Leben abgesprochen werden und die Materie als „geformtes Totes“ bezeichnet wird: „[…] oq lμm f_m oqd³ mooOm, !kk± mejq¹m jejoslgl´mom“.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

Diese eindeutige und klare, neuplatonisch motivierte Abhebung der intelligiblen Wirkformen von dem Bereich des Kçrperlichen rckt jedoch das Problem der Interaktion zwischen ihnen in den Vordergrund. Daher setzt sich Cudworth in diesem Abschnitt des fnften Kapitels seines System nicht nur mit der Frage auseinander, wie man die Vorstellung von der Unkçrperlichkeit Gottes als erstem Prinzip gegen deren Leugnung durch die atheistischen Atomisten in Schutz nehmen kann (was den allgemeinen Nachweis unkçrperlicher Substanzen wie der Seele einschliesst), sondern fokussiert dieses Problem auf den Fragenkomplex, wie eine wirksame Interaktion zwischen unstofflich-intelligiblen Prinzipien und dem Stofflich-Kçrperlichen zu denken ist.291

7.6 „Angelical and human souls are […] not bodies, yet they are always in bodies, or clothed with bodies“ – Die Seele, der Kçrper und die vital union: Imago der Anwesenheit Gottes in der Welt Das Problem der vermittelten Immanenz Gottes bleibt derart zwar weiter Thema, erfhrt auf diese Weise aber im Zuge der Argumentation und aufgrund der Annahme, dass sich die Seele in der ihr wesentlichen Selbstzuwendung als imago Dei begreift,292 eine spezifische Wendung und Perspektivierung. Diese kann eventuell auch als Auseinandersetzung mit Positionen verstanden werden, die z. T. bei der zum Umfeld der Cambridge Platonists gehçrenden Philosophin 291 Vgl. System III, 228. In diesem Zusammenhang wird der Komplex, der sich mit dem Problem der Kçrper von Engeln und den sog. Seelenwagen beschftigt, wiederum zur Sprache kommen, vgl. zunchst System III, 222 – 224. Hier ist von besonderem Interesse, dass Cudworth eine Position vertritt, der gemß nur Gott zugeschrieben werden kann, eine Substanz zu sein, die vçllig frei von allem Kçrperlichen ist und auf diese Weise wirken kann (System III, 224). Cudworth beruft sich dabei auf Hierokles (System III, 223). Er trifft damit eine Festlegung, die zugleich eine deutliche Entsprechung zu der Unterscheidung dreier wesentlicher Substanzen durch Anne Conway (princ. 175, 176 und bes. 204 [ed. Loptson]) aufweist. Conway lçst das Problem der Interaktion zwischen Gott und geschaffener Seele allerdings auf eine vollstndig verschiedene Weise und legitimiert ihr Vorgehen durch die Position und Funktion der Substanz Christi als Vermittler zwischen Seele und Gott, whrend die Interaktion zwischen Seele und Kçrper durch den von ihr vertretenen Substanzmonismus im Bereich alles Kreatrlichen erklrt wird, zu dem neben den Kçrpern auch die Seele gehçrt. Damit weicht sie von den dualistischen Entwrfen der Cambridge Platonists signifikant ab. Verbunden mit diesem Fragekomplex ist fr Cudworth zustzlich das Problem, wie die Verbindung von Ausdehnung und Wirkung im Fall der Seele zu denken ist (System III, 226). 292 Zur Erkenntnis dieser „Imago-Struktur“ siehe Leinkauf (2005a), 135 und 146 und Agrippa, De occulta philosophia, 509 (ed. Perrone Compagni): „Quicumque igitur seipsum cognoverit, cognoscet in seipso omnia: cognoscet in primis Deum, ad cuius imaginem factus est; […]“.

7.6 „Angelical and human souls are […] not bodies, yet they are always in bodies

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Anne Conway thematisiert werden, deren Position auf den folgenden Seiten in Ergnzung zu Cudworths Argumentation herangezogen werden soll.293 Die Erçrterung wendet sich nun nmlich dem Problem zu, wie die Interaktion zwischen Seelen und anderen intelligiblen Wirkkrften mit dem Stofflichen zu denken ist, wenn man sie, wie gezeigt, einerseits in Analogie zum gçttlichen Prinzip zu begreifen versucht, andererseits aber, da es sich um ein Abbilden des gçttlichen Paradigmas im Bereich des Geschaffenen handelt, als wesentlich von Gott verschieden konzipieren muss. Cudworth versucht daher im Folgenden, Gemeinsamkeiten zwischen Gott und nachfolgenden Wirkkrften und wesentliche diesbezgliche Unterschiede zu vereinbaren. Er wird dabei im Rckgriff auf das (religionsphilosophische) Philosophem des sog. Seelenwagens (ewgla) ein Konzept entwickeln, in dem er die Vorstellung des homogenen Kraft-Raums als des metaphysischen „Interfaces“ zwischen Gott und Schçpfung aufgreift und diese Vorstellung im Sinne der ontologischen Differenz zwischen Gott und kreatrlichen Wirkkrften auf das Problem der Interaktion dieser mit dem Stofflichen hin konfiguriert. Fast kçnnte man sagen, dass nun die abschließende metaphysische Lçsung des Problems erfolgt, wie nicht nur die hçheren Seelenformen, sondern gerade auch die plastic natures als „Zugkrfte“ auf Kçrper einwirken kçnnen und welcher ihrer Aspekte dabei der pneumatische ist. So schließt Cudworth eine weitere Lcke im ontischen Kontinuum seines Systems. Cudworth formuliert sein Thema zunchst als fingierten atomistisch-materialistischen Angriff gegen die fr das System zentrale theistische Position, dass Gott als ganzer berall im Ganzen und in jedem Teil anwesend sei, ebenso wie die Seele als ganze im ganzen Kçrper und in jedem Kçrperteil anwesend sei. Das aber sei, so der fingierte Vorwurf, fr einen ausgedehnten Kçrper ein Widerspruch und damit unmçglich – eine Position, die Cudworth mit einem Plotinzitat sttzt.294 Dieser von den Atomisten fr unmçglich erachtete Modus von Anwesenheit im Kçrperlichen ist jedoch genau der Modus, der einer Substanz zukommt, die !lec´hgr, %posor, !di²stator, !leqμr und !dia¸qgtor ist,295 also einer intelligiblen Kraft- und Wirkform Gottes (und Gottes selbst, der zugleich das Zentrum der Welt wie deren umfassender dynamischer Raum ist). Cudworth nimmt wçrtlich die Auflistung von genau den Adjektiven wieder auf, mit denen er in System III, 234 die unkçrperliche Substanz von der res extensa oder „extended substance“ abhebt. Jetzt jedoch und nach den vorangehenden Ausfhrungen zur Verbindung dieser Eigenschaften mit ihrer Substanz, der d¼malir, und deren Realisationsformen als Zentrum und Raum, dient sie ihm zur Erinnerung und als Begrndung dafr, dass Gott widerspruchsfrei als ganzer 293 Zu Anne Conway siehe Hutton (2004) und Hutton, in Mulsow/Stamm (2005), 340 – 358, bes. 352 – 358. 294 System III, 257. 295 System III, 257.

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zugleich in der Welt insgesamt und in jedem ihrer Teile (anwesend) sein kann. Nach den bisherigen Ausfhrungen steht fr Cudworth nun fest, wie diese Substanz in jedem Fall grundstzlich zu klassifizieren ist: Sie ist Kraft/d¼malir, energy, active power oder force.296 In einem weiteren Schritt konkretisiert Cudworth seinen metaphysischen Fokus und fasst, ausgehend vom Problem der Ortsbewegung der Seele, das Problem der Interaktion zwischen Intelligiblem und Stofflichem ins Auge. Cudworth fundiert seine Lçsung fr dieses Problem, indem er die Seele, orientiert an seinen Ausfhrungen zu Gott als energetischem „Minimum“, wie gezeigt, ebenfalls als Kraftzentrum definiert. Jetzt wird es darum gehen, fr die Seelenkrfte ein quivalent zum Kraft-Raum Gottes zu finden, das die gleiche Funktion wie dieser erfllt. Da Gott, von Wundern abgesehen, nie direkt und unmittelbar, sondern immer nur vermittelt in der Welt wirkt, lassen sich diese Seelenkrfte folgerichtig in „human souls“ und „other finite particular spirits“ wie „demons or angels“297 und plastic natures differenzieren. Diese przise Einschrnkung des ontologischen Bereichs, um den es im Folgenden gehen soll, bestimmt Cudworths weitere Erçrterungen zum Erlçsungsleib und Seelengefhrt (ewgla).298 Als creature im engen Sinn (s. o. S. 280 – 282) ist die Seele wesentlich von der gçttlichen Trinitt verschieden. Abgesehen davon, dass ihre Existenz nicht in dem Sinne ewig ist wie die Gottes, manifes296 Dass es Cudworth bestndig darum geht, mit dem oder durch den Begriff der unkçrperlichen Substanz die wirkende Anwesenheit des Intelligiblen im Stofflichen und d. h. Gottes in der Welt zu begreifen, zeigt seine Formulierung in System III, 258: „Whatsoever is unextended and indistant […] must of necessity be undividedly in every part of that which it acts upon [Hervorh. L. B.]“. Cudworth wiederholt diese Formulierung nochmals auf derselben Seite und hat sie zuvor in System III, 257 – 258 ebenfalls angefhrt. 297 System III, 259. Cudworth hngt die folgende Argumentation an dem eschatologischen Problem auf, wie die Seele nach dem Tod des grobstofflichen Kçrpers an einem bestimmten Ort, nmlich der Unterwelt/Hçlle sein kann. Er greift damit eine bekannte Vorstellung auf, die, im Rekurs auf antike Referenzen, z. B. bei Agrippa, De occulta philosophia, 523 f. (ed. Perrone Compagni) auftaucht. Aus der Zusammenfgung von Seele und „ethereal body“, die ihrerseits die Verbindung von sterblich-vergnglichem Kçrper und Seele berdauert (System III, 266), leitet Cudworth ab, dass der aitherische „Kçrper“ und die Seele von Anbeginn der Existenz der Seele bis in die Ewigkeit verbunden bleiben, womit dieser „Kçrper“ zugleich den Status des sog. Erlçsungsleibes bekommt. Die Annahme der Existenz eines derartigen Kçrpers und seiner Verbindung mit der Seele ber den Tod hinaus weist Cudworth in System III, 260 – 266 ber Texte von Plotin und Philoponos als alte Lehre aus – als weiteren Konvergenzpunkt von prisca theologia und Christentum. Zur Theorie des Erlçsungsleibes bei Origenes und Augustinus in ihrer Beziehung zu den frhneuzeitlichen spiritus-Konzepten s. Smith, in Gçttler/Neuber (2008), 273 – 275. 298 Die (spt-)antike Theorie des Seelengefhrts wird z. B. erçrtert bei Lewy (1978/1956), Shaw (1995), 51 – 53 und Bergemann (2006), 372 – 383.

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tiert sich dieser qualitative Unterschied darin, dass sie, als Geschçpf und im Unterschied zu Gott, immer auch einen Kçrper haben muss (was nicht heißt, dass sie selber kçrperlich-stofflich ist, wie bereits gezeigt wurde; vgl. auch System III, 325).299 Cudworth sttzt diese Behauptung zunchst auf Plotin und Porphyrius, wertet diese aber zugleich als Vertreter der „ancient Pythagoric tradition“, also der prisca theologia, und entwickelt einen Gedanken weiter, der bereits in seinen Trinittsspekulationen eine Rolle gespielt hat. Erst nach der Darlegung des Verhltnisses von Trinitt und Kraft-Raum als primrer Phase der trinitarischen actio ad extra sind allerdings die metaphysischen Parameter vorhanden, innerhalb derer diese Differenz angemessen ausgefhrt werden kann.300 Eine entsprechende metaphysische Notwendigkeit, die sich aus dem ontischen Status der Seele ableitet, wird auch von Anne Conway vertreten, die in der Eigenschaft, immer einen Kçrper bzw. einen kçrperlich-stofflichen Aspekt zu haben, ein wesentliches Merkmal alles Kreatrlichen sieht, durch das sich das Geschaffene von Gott, seinem Schçpfer, unterscheidet. Mçglicherweise geschieht dies zu dem Zweck, dem Vorwurf des Pantheismus vorzubeugen:301 “[…] and the Creature the lowest in Order; which Creature […] only differs secundum modos existendi; or according to the manners of existence; among which one is Corporiety. Hence a Body may always be more and more Spiritual, ad infinitum; because God who is the First and Supreme Spirit in Infinite, and doth not nor cannot partake of the least Corporiety; […] as God is infinitely a Spirit, having nothing of Body (princ. 192, ed. Loptson; Hervorh. im Original). […] And as it is in the case of Time, and Creatures which are in Time, so also in the case of Place, Bulk, or Quantity; for as in God there is no Time, so also in Him there is no Bulk or Corporeal Quantity; but in Creatures there is both Time and Corporeal Quantity; because otherwise they would be either God, or Nothing, which is impossible (princ. 204).

Damit erfllt das Seelengefhrt eine ganz grundstzliche ontologisch-theologische Funktion im metaphysischen Weltbau des System. Darber hinaus ist es 299 Auf diese Weise nimmt Cudworth zu einem Problem Stellung, das im Kreis der Cambridge Platonists kontrovers verhandelt wurde: Wie bzw. ob berhaupt die (neu-)platonische Vorstellung der Seele als Phase im Emanationsprozess mit der christlichen Konzeption der geschaffenen Seele zu vereinbaren sei; zu diesem Problem fr die Cambridge Platonists s. Dockrill, in Rogers/Vienne/Zarka (1997), 61 f.; vgl. auch Smith, in Gçttler/Neuber (2008), der in seinem Beitrag hervorhebt, dass die Annahme eines aitherischen Seelenkçrpers einen Ausweg aus dem Problem bedeutet, fr intelligible Kreaturen die adquate Form der „Kçrperlichkeit“ zu finden. 300 System III, 260 – 261. Cudworth selber bemerkt eine Spannung in Plotins Ansichten zu diesem Problem, ist aber der Ansicht, dass Plotins ußerungen von der Henosis einer kçrperlosen Seele nicht notwendig dessen „wahre“ Ansicht wiedergeben – diese ist eher in der bereinstimmung mit den prisci theologi zu suchen. 301 Dieselbe Begrndung fr die Annahme von aitherisch-luftartigen Engel- oder Dmonenkçrpern findet sich u. a. auch bei Robert Fludd, s. Rçsche (2008), 538.

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jedoch eng in naturphilosophische und soteriologische Zge des System eingebunden. Einen diesbezglich relevanten Ausdruck findet die Lehre des Seelengefhrts vor Cudworth bei Agrippa von Nettesheim: Talis itaque humana anima, iuxta Platonicorum sententiam, immediate procedens a Deo per media competentia corpori huic iungitur crassiori; unde primo quidem in ipso descensu coelesti a reoque involvitur corpusculo, quod aethereum animae vehiculum vocant, alii currum animae appellant. Hoc medio iussu Dei, qui mundi centrum est, in punctum cordis medium, quod est centrum corporis humani, primum infunditur et exinde per universas corporis sui partes membraque diffunditur, quando currum suum naturali iungit calori, per calorem spiritui ex corde genito; per hunc se immergit humoribus, per illos inhaeret membris atque his omnibus aeque fit proxima, licet per aliud in aliud transfundatur, quemadmodum calor ignis a ri et aquae haeret proxime licet per a rem tollatur ad aquam. Ita patet quomodo immortalis anima per immortale corpusculum, videlicet aethereum vehiculum, corpore clauditur crassiore et mortali. Quando vero per morbum malumve solvuntur vel deficiunt haec media, tunc anima ipsa per singula media sese recolligit refluitque in cor, quod primum erat animae susceptaculum; cordis vero deficiente spiritu extinctoque calore, ipsum deserit et moritur homo et evolat anima cum aethereo hoc vehiculo illamque egressam genii custodes daemonesque sequuntur et ducunt ad iudicem, ubi lata sententia bonas animas Deus tranquille perducit ad gloriam, malas violentus daemon trahit ad poenam.302

In diesem Text wird der Verbund aus Seele und Seelengefhrt in seiner Lokalisierung im Kçrper mit Gott als wirkendem Zentrum der Welt assoziiert, wodurch eine Analogisierung der Wirkweisen zwischen Gott und seiner Entußerung ber den Licht-Raum auf der einen und der Seele und ihrem Gefhrt als Wirkungsmittler auf der anderen Seite ermçglicht wird. Entsprechend unternimmt es Agrippa zu erklren, wie mittels des Ochema die Anwesenheit der Seele im Kçrper quasi physiologisch zu erfassen und zu beschreiben sei und zwar nach den Merkmalen des tota in toto et tota in qualibet parte, die ebenso bei Cudworth aufgenommenen303 und in der Argumentation gegen die Atomisten funktionalisiert werden.304 Analog zu Gott als Weltzentrum nmlich verstrçmt 302 Agrippa, De occulta philosophia, 514 – 515 (ed. Perrone Compagni). Als Vorbild fr Agrippa ist seinerseits Ficino anzusehen, der von Agrippa im ersten Teil des Zitats wçrtlich bernommen wird; zu Ficino diesbezglich s. Lotti, in Simonutti (2007), 409, dort wird auch der entsprechende Abschnitt aus der Theologia Platonica Ficinos angegeben. 303 Cudworth nimmt diese Vorstellung in der Wendung „vital union“ in System III, 261 auf, mit der er seine bersetzung des dort zitierten Porphyriustextes in seine Argumentation ein- und an sein Argumentationsziel anpasst, die gleichzeitig durch diesen Text, den Cudworth als reprsentativ fr die prisci theologi ausweist, autorisiert und legitimiert werden. Vgl. auch System III, 266, wo Cudworth die Vorstellung einer gestuften Wirkentfaltung von der Seele auf den Kçrper bernimmt, und EIM 559. 304 Besonders aufschlussreich sind die Beispiele der Anwesenheit von Wrme in Luft und Wasser. Auch dieser Text von Agrippa dient lediglich dazu, den Kontext und dessen Vorstellungsformen zu explizieren, in dem Cudworth argumentiert. Allerdings hatte

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sich der Verbund aus Seele und aitherischem Gefhrt bei Agrippa in das Herz, das Zentrum des Kçrpers, um sich von dort vermittels eben des Gefhrts, dem seelischen Analogon zum Raum Gottes, mit der Lebenswrme zu verbinden, die dem Kçrper innewohnt. ber diese Wrme wiederum verbindet sich der Verbund aus Seele und Gefhrt dann mit dem Lebensgeist/-hauch (dem spiritus ex corde genitus), einer weiteren, vermittelnden Grenzform, die das Wirken der Seele ber die Kçrpersfte an die Glieder weitergibt. Auf diese Weise ist die Seele dem Kçrper anwesend wie die Wrme der Luft und dem Wasser, d. h. eben auch als ganze im Ganzen, ohne darin aufzugehen. Zudem impliziert der zweite Teil des Textes, der gleichsam die Funktion des Ochema nach dem Tod eines Menschen beschreibt, die soteriologische Funktion des Seelenkçrpers. Bei Agrippa sind also bereits genau die beiden Bereiche miteinander verquickt, die Cudworths Argumentation an der vorliegenden Stelle im System (mit-)bestimmen. Die im System folgenden Texte zu diesem Thema orientieren sich, aufbauend auf dieser Grundlage, an einer themenspezifischen Differenzierung zwischen verschiedenen Arten oder Zustnden des Seelengefhrts/-leibes als der zentralen Vermittlergrçße zwischen Seele und Kçrper.305 Zu diesem Zweck unterscheidet Cudworth klar zwischen einem grçberen, mit den Vitalfunktionen des vegetabilen Seelenaspekts306 und den negativen Affekten und Leidenschaften verbundenen „spirituous body“ der Seele und dem feineren, aitherischen „spiritual body“.307 Daher werden die griechischen Begriffe pmeOla und Cudworth eine Ausgabe der Occulta philosophia Agrippas in seinem Besitz (s. Millington [1697], 32) und der Textauszug ließe sich ber den Satz „Ita patet quomodo immortalis anima per immortale corpusculum, videlicet aethereum vehiculum, corpore clauditur crassiore et mortali“ mit dem Ausgangsproblem im System verknpfen, wie nmlich eine unstoffliche, berrumliche Seele sich im und mit einem Kçrper bewegen kçnne, also mit dem Punkt, den Cudworth vermittels des Porphyriuszitats in System III, 261 thematisiert. Zugleich weist die mçgliche Verbindung zu Agrippa auf ein weiteres konstellatorisches Moment hin, das in diesem Fall relevant fr Cudworth gewesen sein kçnnte: den medizinischen Diskurs zu seiner Zeit, in dem ebenfalls das Problem der Interaktion zwischen Seele und Kçrper unter Beachtung der Formel tota in toto & tota in qualibet parte zu lçsen war: So fhrt Harvey z. B. als vermittelndes Medium zwischen Seele und Kçrper das Blut ein, das dafr eine „Mittlerstelle zwischen Unkçrperlichem und Kçrperlichem“ zugewiesen bekommt; siehe Hartbecke (2006a), 64 – 67, Zitat S. 65. 305 Diese Unterscheidung besitzt ebenfalls ein Pendant in der zeitgençssischen Diskussion, vgl. Fouke (1997), 70 mit Anm. 70. Whrend das Porphyrioszitat in System III, 261 in seiner Formulierung eher zwei verschiedene Zustndlichkeiten ein- und desselben Seelenleibes nahelegt, spricht Cudworth selbst in System III, 266 von „a third kind of body“, unterscheidet also offenbar zwei verschiedene Seelenleiber von einander. 306 Vgl. dazu System III, 263. 307 Siehe z. B. System III, 268. Dort bersetzt Cudworth aufgrund dieser Differenzierung in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden griechischen Texten dem jeweils von ihm angenommenen Aussagegehalt entsprechend dasselbe Adjektiv pmeulatij¹m das erste Mal mit „spirituous“, das andere Mal mit „spiritual“, sogar mit „spiritual in a higher sense“.

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pmeulatijºm in den Zitaten auf den Seiten System III, 261 – 265 von Cudworth konsequent und (verstndnis-)lenkend mit „spirituous (body)“ bersetzt. Es ist zunchst dieser Seelenkçrper bzw. dieser Aspekt oder Zustand des Seelenkçrpers, der die „vital union“ der Seele mit dem Kçrper derart garantiert, dass sie den Anforderungen des tota in toto et tota in qualibet parte gengt: „Moreover, these ancients further declared concerning this spirituous body, that it was not organized, but did the whole of it, in every part throughout, exercise all functions of sense, the soul, hearing, and seeing, and perceiving all sensibles by it every where.“308 Auf diese Weise ist die „vital union“ der Seele mit und im Kçrper in allen zentralen Punkten als unterstes Abbild des Verhltnisses Gottes zur Welt anzusehen, das Cudworth in einer an Agrippa von Nettesheim gemahnenden Vorstellung in System III, 266 physiologisch konkretisiert: And indeed thus much cannot be denied, that our soul acteth not immediately only upon bones, flesh, brains, and other such like gross parts of the body, but first, and chiefly upon the animal spirits, as the immediate instruments of sense and fancy, and that, by whose vigour and activity the other heavy and unwieldy bulk of the body is so nimbly moved.309

Zunchst basiert dieses Argument Cudworths auf folgender metaphysischer berlegung, die sich z. B. bei Ficino formuliert findet. Ficino bietet eine metaphysische Begrndung fr die Notwendigkeit einer Verbindung der Seele mit einem aitherischen primren Kçrper, die das physiologische Argument fundiert. Ficino begrndet nmlich die Unmçglichkeit einer unmittelbaren Seele-LeibInteraktion in der ontologischen Distanz zwischen diesen beiden Substanzen und leitet daraus das Vorhandensein eines Vermittler-Mediums zwischen Seele und Kçrper ab:310 Mit dieser Differenzierung unterscheidet sich Cudworth z. B. von Agrippa, der die verschiedenen Bezeichnungen synonym zu gebrauchen scheint. 308 System III, 264. 309 Wie das folgende Porphyriuszitat zeigt, sind die “animal spirits”, die zugleich an Descartes denken lassen, mit dem Ochema in seiner Beschaffenheit als “spirituous body” zu identifizieren. Hinzu tritt, zur weiteren Wirkungsvermittlung, ein wenig spezifiziertes “and that”, das die Funktion besitzt, die von der Seele als Lebens- und Bewegungsprinzip inaugurierte Bewegung auf den grobstofflichen Kçrper zu bertragen. Mçglicherweise meint Cudworth damit etwas, das ungefhr der Wirkeinheit von spiritus und humor bei Agrippa entspricht, die ebenfalls direkt auf die einzelnen Glieder und Organe des Kçrpers wirkt. 310 Marsilio Ficino, Platonic Theology, Vol. II, books V-VIII, 234 (Buch VI, Kapitel VI) und Vol. III, books IX-XI, 58 (Buch IX, Kapitel V) (bs. Hankins/ed. Allen, Cambridge 2002 und 2003). Die Stelle wird zitiert bei Leinkauf (1993), 70. Vgl. auch System III, 469, wo Cudworth zumindest implizit mit Aristoteles und Galen auf die entsprechende spiritusbzw. Pneumalehre Bezug nimmt. Zu spiritus und Pneuma und deren Vermittlerfunktion siehe z. B. Leinkauf (1993), 69 – 72 und Fouke (1997), 62 – 68 sowie Smith, in Gçttler/ Neuber (2008), z. B. 272, wo Smith als eine der wesentlichen Funktionen des spiritus in

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Anima ipsa, ut vera philosophia [sc. die platonische] docet, cum sit purissima, crasso huic terreno corpori ab ea longe distanti non aliter quam per tenuissimum quoddam lucidissimumque corpusculum copulatur, quem spiritum appellamus […] diffusum inde (sc. a corde) per universum corpus. Huic anima sibi cognatissimo facile se insinuans, […] (Theol. Plat. VII c. 6). […] Sed spiritus qui est animae currus (ebd. IX c. 5).

Nachdem so die Existenz eines aitherischen Vermittler-Mediums, das mit der Seele verbunden ist, feststeht, kçnnte eine derartige metaphysisch fundierte physiologische bertragungskette, an deren Ursprung die Seele zu sehen ist, erklren, wie intelligible Wirkkrfte im Stofflichen ihre Wirkung entfalten kçnnen, und damit als Widerlegung des in System III, 259 formulierten Einwandes der Atomisten gegen die Annahme von Existenz und Wirksamkeit intelligibler Substanzen im Stofflichen angesehen werden.311 Anders ausgedrckt:

der Philosophie der Frhen Neuzeit dessen Wirken als „ineliminable intermediary“ hervorhebt und im Folgenden expliziert, bes. 283 – 289. 311 Zur Bedeutung von Ficino und Patrizi fr Cudworth hinsichtlich dieser Vorstellung s. Lotti, in Simonutti (2007), 407 – 409 u. 415 f. Zum weiteren philosophiehistorischen Kontext der Verbindung von spiritus-Lehre und Ochema-Theorie, die auch bei Agrippa anklingt, und ihren Varianten in der Naturphilosophie der Frhen Neuzeit siehe Leinkauf (1993), 69 – 72: „Die Ambivalenz und Mehrdeutigkeit des spiritus- wie auch (damit zusammenhngend) des vis/virtus-Begriffes hat ihren Grund im Wesentlichen darin, dass die spiritus der innerweltliche ,Ort sind, an dem die partizipativ derivierende Kette rein intelligibler, sich immer strker kontrahierender Krfte auf die am strksten spiritualisierte bzw. entkçrperlichte Modalitt von Kçrperlichem trifft“ (ebd. 70). Zur medizinisch-physiologischen Funktion des spiritus von der Antike bis in die Frhe Neuzeit siehe z. B. als berlick Rçsche (2008), 49 – 51. In dieser Diskussion wird also, wie bei Cudworth, der allerdings in System III, 266 f. noch ein weiteres systematisches Argument hinzufgt, die Notwendigkeit des Seelengefhrts metaphysisch-physiologisch bestimmt, da zwischen Seele und Kçrper als zwei vçllig distinkten Substanzen ein Mittleres, ein Medium eintreten muss, das die Einwirkung der Seele auf den Kçrper erst ermçglicht. Diese Mittlerposition erklrt die eigentlich widersprchlichen Eigenschaften des aitherischen „spiritual“ Seelengefhrts, das zugleich kçrperlich und unkçrperlich sowie unvergnglich sein muss. Anne Conway konzipiert, ausgehend von einer hnlichen Problemlage eine Lçsung, die der Cudworths und Agrippas zumindest in der Konzeption einer vermittelten Wirkung der Seele auf das Kçrperliche entspricht, aber die metaphysischen Brche einer genuin neuplatonischen Theorie von Seele und Seelengefhrt vermeiden kann: „But if it be granted, that Soul is of one Nature and Substance with the Body, although it is many degrees more excellent in regard of Life and Spirituality, as also in swiftness of Motion, and Penetrability, and divers other Perfections; then all the aforesaid difficulties will vanish […] For we may easily understand how one Body [i. e. die Seele] is united with another [i. e. dem Kçrper], by that true agreement that one hath with another in its own Nature; and so the most subtile and Spiritual Body may be united with a Body that is very gross and thick, sc. by means of certain Bodies, partaking of subtility and grossness, according to divers degrees, consisting between two Extreams, and these middle Bodies are indeed the Links and Chains, by which the Soul, which is so subtile and Spiritual [!], is conjoined

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Hier liegt, sieht man Cudworths Ausfhrungen mit den Inhalten, die von Agrippa referiert werden, und dem zeitgençssischen Kontext zusammen, eine konkrete, quasi physiologische Beschreibung vor, wie im System die „sphere of activity upon body“ zu denken ist,312 die die Seele in System III, 396 aus sich heraus auf den und in den Kçrper hinein entfaltet. Dies ist der dem Kçrper unmittelbar zugewandte transitive Aspekt der metaphysischen Tiefe der Seele, mit dem sie den schçpferischen Aspekt Gottes auf ihrer ontischen Ebene abbildet und die „vital union“ zwischen sich und ihrem Kçrper realisiert. Allerdings birgt dieser Funktionsaspekt des Seelenleibes ein gravierendes Problem: Gerade die anfnglichen Texte, an denen Cudworth in System III, 261 und 262 seine Konzeption des „spirituous body“ der Seele entwickelt, um das Wirken der Seele durch ihn zu erklren, und dabei dicht dem wirkenden Anwesendsein Gottes in der Welt annhert, legen es nahe, dass dieser Seelenkçrper bermssig stofflich gedacht ist. Cudworth gert damit in die Gefahr, sich derselben Kritik auszusetzen, der auch Henry More im selben Zusammenhang ausgesetzt war.313 Mçglicherweise um sich derartiger Kritik zu entziehen, fhrt Cudworth in System III, 266 die bereits erwhnte Differenzierung des Seelenkçrpers ein, mit der er ein weiteres Argument fr die Notwendigkeit des Seelenkçrpers verbinden kann, das – und damit geht es ber seine bisherigen berlegungen hinaus – vollstndig ohne den physiologischen Hintergrund auskommt: „And since [the soul] is always moveable, and ought always to act, it must have a body eternally conjoined with it, which it may always enliven. And

with a Body so gross; which middle Spirits (if they cease, or are absent) the Union is broken or dissolved; […]“ (Conway, princ. 214, ed. Loptson). 312 Dazu passt, dass Cudworth in System III, 270 dem aitherischen Seelenleib ausdrcklich eine „force“, eine eigene Wirkmchtigkeit zuschreibt und ebenfalls als Lichtausstrahlung zu verstehen scheint, wobei diese Anstze hier offenbar mit dem zeitgençssischen Melancholiediskurs verbunden werden: „[…] that [many of the ancient assertors of the souls immortality] supposing the soul […] to have yet a third luciform, or ethereal body, conceived this in like manner to adhere to it even in this mortal life too, as its inmost clothing or tunicle; yet, so as that they acknowledged the force [Hervorh. L. B.] thereof to be very much weakened and abated, and its splendour altogether obscured by the heavy weight and gross steams or vapours of the terrestrial body.“ Vgl. hierzu auch EIM 562. 313 „Some have argued that More himself unwittingly fell into a materialistic account of soul and spirit. The basis of this claim is that the functions of the immaterial soul were duplicated by roles assigned to animal spirits. Latent materialism has also been found in that emphasis upon the necessity of a material instrument or vehicle of the soul, which led his friend Glanvill to claim that ,we cannot conceive a Soul to live or act that is insensible, and since we know not how there can be sense where there is no union with matter, we should me seems be inducd to think, that when tis disjunct from all body, tis inert and silent. For in all sensations there is corporeal motion […]“ (Fouke [1997], 228, Fouke zitiert aus Rust, Two Choice and Useful Treatises […] [London 1682], 103).

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for these causes do they [i. e. the ancient Incorporealists and best philosophers, System III, 262] affirm the soul always to have a luciform body.“314 Hinsichtlich der Analyse dieser Differenzierung ist zunchst festzuhalten, dass in Cudworths bisherigen griechischen Texten die Luft, d. h. die trbe Luft das Hauptelement der Beschaffenheit des Seelenleibes war und Cudworth dies wiederholt in seinen bersetzungen deutlich macht.315 D. h. Cudworth sieht die leicht pejorativen Adjektive „spirituous“ and „airy“ als synonyme Ausdrcke ein und derselben Zustndlichkeit des grçberen und stofflicheren Seelengefhrts an. Das ndert sich jetzt: Mit dem Adjektiv „spiritual“, dem „ethereal“ (fr das griechische aQh´qiom) korrespondiert,316 fhrt Cudworth einen weiteren Aspekt bzw. eine weitere Zustndlichkeit des Seelenleibes ein. Hinter dieser Differenzierung ist eine Unterscheidung zu vermuten, die hinsichtlich der Beschaffenheit des Ochema bereits Iamblich in der Sptantike vornimmt.317 Neben anderen Eigenschaften kommt es Iamblich auf „die an die Unstofflichkeit grenzende Feinststofflichkeit des Aithers“318 an. Die Notwendigkeit der Verbindung dieses zweiten Seelenleibes mit der Seele wird im von Cudworth zitierten Hieroklestext319 nun nicht mehr darauf zurckgefhrt, dass die Seele mit dem ihr eigentlich vollstndig fremden irdischen Kçrper interagieren muss (denn der aitherische Seelenleib bleibt auch dann noch bei ihr, wenn sie sich von ihrem irdischen Leib und außerdem noch von allen [negativen] Affektionen und 314 System III, 266 f. als Teil einer bersetzung eines Ausschnitts aus Philoponos. 315 System III, 260 und 262: „airy or spirituous body“, im Griechischen: 1j toO pkeom²fomtor toO !´qor. 316 Das Adjektiv aQh´qiom findet sich daher gleich im ersten Prokloszitat zu dieser Differenzierung in System III, 267. Der hçheren, weniger stofflichen, fast schon intelligiblen Beschaffenheit dieses Ochema entspricht dessen explizite Zuordnung zum hçchsten Seelenaspekt: „Wherefore, when the aforesaid Hierocles also calls this luciform and ethereal body, t¹ Pmeulatij¹m mwgla t/r kocij/r xuw/r, ,the spiritual vehicle of the rational soul, he takes not the word pmeulatijºm, in that sense, wherein it is used by Philoponus, and others; as if he intended to confound this ethereal body with that other spirituous or airy body, and to make but one of them, but rather he styles it spiritual, in a higher sense, (and which cometh near to that of the Scripture) as being a body more suitable and cognate with that highest and divinest part of the soul, mind, or reason, than that other terrestrial body is (wh[i]ch, upon that account is called also, by the same Hierocles, as well as it is by St. Paul, s_la xuwij¹m, ,the animal or natural body. So that this spiritual body of Hierocles is not the airy, but the ethereal body, […]“ (System III, 268 f.). 317 Bergemann (2006), 374 mit Anm. 489. 318 Bergemann (2006), 376. Vgl. Moraux (1963 = RE Bd. 24/1), 1212, 1227 und 1230; Schibli (2002), 103 mit Anm. 220. Zu diesen und weiteren Entsprechungen zwischen Aither und Seele siehe bes. Mosheim in System III, 280, Anm. 4: Aither ist nach Hierokles das %ukom ja· !¸diom s_la. Cudworth kçnnte mit dieser Wendung durchaus vertraut gewesen sein, da er das entsprechende Werk des Hierokles in seinem Besitz hatte, s. Millington (1697), 24. 319 Hierokles, In aureum carmen, 26, 22 (ed. Kçhler, Stuttgart 1974).

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damit sogar vom grçberen Aspekt des Seelenleibes befreit hat). Vielmehr wird sie damit begrndet, dass die Seele als wesentlich selbstbewegtes Bewegungsprinzip immer etwas haben muss, das sie beleben und bewegen kann, um nicht ihr Wesen zu verlieren. Fr die Auswahl des Hierokles-Textes ist als Motivation also neben der vermuteten zeitgençssischen Kritik an der Konzeption des grçberstofflichen Seelenleibs, der nun als Ganzheit der „animal spirits“ zu verstehen ist, auf systematischer Ebene Proklos, Inst. § 196 zu vermuten:320 „Every participated soul makes use of a first body which is perpetual and has a constitution without temporal origin and exempt from decay – For if every soul is perpetual in respect of its existence and if further by its very being it directly ensouls some body, it must ensoul it at all times, since the being of every soul is invariable. […]“ (bs. Dodds, 171). Nach der gesamten Anordnung und Reihenfolge der Zitate ist dieses Seelengefhrt also zugleich der Erlçsungsleib des Menschen, nachdem der grçbere Seelenkçrper auch den Strafen der Unterwelt ausgesetzt worden ist. Diese Funktionszuweisung bestimmt schließlich die Deutung und Selektion einiger Vergilverse in System III, 269. Mit ihnen ordnet Cudworth seine gesamte Zitatenkombination aus Philoponos, Hierokles und Platon, die in ihrer Reihung und den darin und damit thematisierten Problemen die zeitgençssische Debatte um das Problem der spiritus und des Seelenleibes System-spezifisch im Modus der projektiven Identifikation abbildet, ausdrcklich in den Kontext der prisca theologia ein.321 320 Die Vorstellung von diesem hçherrangigen Ochema, das aufgrund seiner semistofflichen, semi-intelligiblen Beschaffenheit – der Aither ist nach Iamblich, DM I, 17, 29, siehe Mosh. in System III, 280, Anm. 4, !l´qistom etc. – ein einheitliches ist, bestimmt Cudworths bersetzung des auf die Philoponos- und Prokloszitate unmittelbar folgenden Platonzitats, wie Mosheim in System III, 267, Anm. 10 klar erkennt. Cudworth bersetzt, um das Zitat in seine Argumentation und die sie tragende Zitatencollage einzupassen, den griechischen Begriff lo?qa auf zwei unterschiedliche Weisen, obwohl er im selben Satz verwendet und daher eine semantische Verschiebung im Text der Epinomis selbst unwahrscheinlich wird. Das erste lo?qa bertrgt Cudworth mit „fate“, das zweite mit „body“, einer Bedeutung, die nach LSJ fr lo?qa nicht belegt ist. Hier liegt eine Implementierung vor, die sicherlich durch die vorhergehenden Zitate vorbereitet ist, die die Semantik des Griechischen allerdings sehr strapaziert. An Cudworths bersetzungspraxis ist zu beobachten, wie sein Sprachspiel durch die Rahmung bestimmt wird, in der er es vollzieht und innerhalb derer die Auswahl der semantischen Varianten ihren eigentmlichen, transformationsspezifischen Sinn gewinnt. 321 Zur kritischen Bewertung des transformierenden Vorgehens Cudworths siehe Mosheim in System III, 291, Anm. 4. Allerdings beachtet Mosheim nicht den implementierenden Zusammenhang, in dem Cudworth diese Verse anfhrt, die von den letzten eineinhalb Versen her zu verstehen sind: „[…] purumque reli[n]quit // Aethereum sensum, atque aurai simplicis ignem“. Die hier relevanten Begriffe „purus“, „aethereus“ und „simplex“ fgen die Verse gut in den Kontext der Erçrterung des aitherischen Seelenleibes ein und bereiten das Thema der Reinigung des Ochemas vor. Dass Cudworth einen Vers be-

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Zugleich ist ber das Thema der „Reinigung“ dieses Seelenleibes bei Vergil, das bereits mit dem Hieroklestext in System III, 266 vorbereitet wurde, eine spezifisch neuplatonische Thematisierung der „vital union“ zwischen Seele, aitherischem Seelengefhrt und Kçrper impliziert, denn das aitherische Ochema erfhrt Einwirkungen vom grobstofflichen Kçper (dem „terrestrial body“), die es zu kompensieren gilt und deren Thematisierung zudem eine Erçrterung des Problems der Interaktion zwischen Seele, Ochema und fleischlichem Kçrper in der Einheit der „vital union“ einschließt. Auf diese Weise wird die Annahme des aitherischen Seelenleibes, die sich zunchst nur aus dem Wesen der Seele ableiten ließ, mit der vorausgehenden Argumentation verknpft, die aus der ontologischen Distanz zwischen intelligibler Seele und stofflichem Kçrper die Notwendigkeit eines Vermittlermediums erschloss und daher den Seelenleib nach dieser Vorgabe hinsichtlich seiner gleichsam physiologischen Funktion entwarf.322 Anhand zweier auf die Vergilverse folgender Textpassagen aus der Suidas zugeschriebenen Enzyklopdie und aus Hierokles vertieft Cudworth dieses Thema nun nach zwei Richtungen: Bereits in seiner Einleitung zum Suidastext beschreibt Cudworth die negativen Einwirkungen des „terrestrial body“ auf das Ochema.323 Der Hieroklestext hingegen dient eher der Explikation der Wirwusst ignoriert, der die von ihm angenommene Differenzierung zwischen den verschiedenen Formen des Ochemas aufhçbe, erstaunt nicht, s. o. im Abschnitt 1.2 „Transformationsanalyse und Intertextualitt“ in der Einleitung zum Transformationstypus der „bewussten Ignoranz“. Zudem schließen diese Verse fast unmittelbar an die Vergilverse an, die zu den „drei entscheidenden Referenzpunkte[n] fr die Diskussion des physikalischen Aspekts von spiritus in der Renaissance“ gehçren, s. Leinkauf (1993), 71 f. Cudworth evoziert mit seinem Vergilzitat also relativ deutlich die aktuelle Debatte, die er so in seine Argumentation einbezieht und zu der er selbst Stellung bezieht. 322 Zu dieser Vorstellung im medizintheoretischen Diskurs z. B. bei Fernel siehe Hirai (2005), 99 – 101. 323 System III, 270: „Thus Suidas, upon the word Aqcoeidμr tells us out of Isidore, ¢r 5wei B xuwμ Aqcoeid³r mwgla, kecºlemom !stqoeid´r te ja· !¸diom7 ja· toOto l³m t¹ Aqcoeid³r s_la t`de !poj´jkeistai 1m¸oir l³m eUsy t/r jevak/r, ,That according to some philosophers, the soul hath a certain luciform vehicle, called also star or sun-like, and eternal; which luciform body is now shut up within its terrestrial body (as a light in a dark lanthorn) it being supposed by some of them to be included within the head, &c.“ In seiner bersetzung greift Cudworth die Bedeutung „inhaftiert sein“ von !pojke¸olai (siehe LSJ s. v. !pojke¸y II 2) auf und paraphrasiert sie zustzlich dramatisierend und der Thematik angemessen: Durch seinen Zusatz „(as a light in a dark lanthorn)“ bringt Cudworth nmlich implizit Plotin ins Spiel, vgl. Enn. I 4, 8, 1 – 6. Das Bild des Lichtes bzw. der Flamme in der Laterne wird bei Plotin allerdings gebraucht, um zu veranschaulichen, dass die Seele gerade keine notwendige affektive Verbindung mit dem Kçrper eingeht. Daher wandelt Cudworth das Bild leicht ab, indem er die (Kçrper-) Laterne, in der sich das leuchtende Seelengefhrt befindet, zustzlich als „dark“ qualifiziert (womit er zugleich seine Formulierung „its splendour altogether obscured“ aus

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kungen, die von der Seele ber das aitherische Seelengefhrt an den Kçrper vermittelt werden.324 Mit dem Zitat aus Hierokles gelingt es Cudworth, die Vorstellung vom aitherischen Seelengefhrt mit einer naturphilosophisch-physiologischen Funktionalisierung des spiritus/der mens zu verbinden, wie sie z. B. bei Ficino zu finden ist. Ficino integriert dabei die Vergilverse, die Cudworths eigenem Zitat aus Buch VI der Aeneis unmittelbar vorangehen, in eine Beschreibung der leben- und bewegungstiftenden Wirkung des spiritus. 325 Dieser wird durch die Beschreibung „totus est suapte natura lucidus“ bereits von Ficino dem aitherischen Seelengefhrt zustzlich angenhert. So dient er, allerdings auf einer ontisch hçheren Ebene, die der Seele nher als dem „spirituous body“ steht, als Schnittstelle zwischen Kçrper und Seele.326 Zudem garantiert dieser spiritus bei Ficino als vinculum auch den Zusammenhalt des Kçrpers und der Kçrperteile. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass Cudworth wie Agrippa327 mit einer Wirkung der Seele auf den Kçrper rechnet, die sich ber verschiedene Stufen vermittelt: „[…] a lucid and ethereal body […] being as it were, the vinculum of union betwixt the soul and them [i. e. the soul, the aerial and the terrestrial body; Hervorh. L. B.]“.328 Exakt diese Vorstellung belegt

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der Einleitung aufnimmt), um so die negativen Effekte des Kçrpers auf das Seelengefhrt und seine Beschaffenheit vor dem Hintergrund des zeitgençssischen MelancholieDiskurses zu verdeutlichen. Damit wird das Plotinische Vorbild hinsichtlich seiner Semantik zwar invertiert, aber auf diese Weise implementierbar bernommen. Der Theologe und Biologe John Ray (1627 – 1705), der von 1649 – 1662 fellow in Cambridge war, verwendet genau diese Wendung am Ende seines physikotheologischen Werkes The Wisdom of God Manifested in the Works of Creation: In two parts[…], (London 1714), part II, 396: „[…] the Body is but the dark Lantern, the Soul or Spirit is the Candle of the Lord that burns in it“. Dies ist als Hinweis zu sehen, dass Cudworths naturphilosophisch-theologische Anstze auch im Kreis der Royal Society durchaus als Naturerklrungen verhandelt wurden. Zu Ray diesbezglich siehe Flores (2008), 225 – 226; vgl. ebd. 143. System III, 270: „With which [gemeint ist der in der vorigen Anm. zitierte Suidastext] agreeth Hierocles: 9m t` hmgt` Bl_m s¾lati, t¹ Aqcoeid³r 5cjeitai, pqospm´om t` !x¼w\ s¾lati fyμm, ja· tμm "qlom¸am aqtoO sum´wom, ,The splendid or luciform body, lieth in this mortal body of ours, continually inspiring it with life, and containing the harmony thereof.“ Dazu Leinkauf (1993), 72, Anm. 69. Whrend der „spirituous body“ gleichsam als letzte Schnittstelle zwischen Kçrper und Seele deren Affektionen empfngt, bt der „spiritual body“ allgemeine(re) Wirkungen auf den Kçrper aus, die wesentlich mit den zentralen Eigenschaften der Seele selbst korrespondieren: pqospm´om […] fyμm und tμm "qlom¸am [toO s¾lator] sum´wom. Zum spiritus als Medium zwischen Seele und Kçrper bei Ficino und der vorbildhaften Bedeutung dieser Konzeption fr Cudworth s. Lotti, in Simonutti (2007), 407 – 410. In der bereits besprochenen Stelle in De occulta philosophia, 514 (ed. Perrone Compagni). System III, 270 f. Fast ist man geneigt, Cudworths „aerial or spirituous body“ als Verschmelzung der calor naturalis und des spiritus ex corde genitus, von denen bei Agrippa in De occulta philosophia, 514 (ed. Perrone Compagni) als Mittlern die Rede ist, an-

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Cudworth schließlich mit einem Zitat (von insgesamt drei) aus Galen. Von Interesse ist hier besonders seine bersetzung folgenden griechischen Abschnitts: „[…] ewgl² te t¹ pq_tom [Hervorh. L. B.] aqt/r eWmai tout· t¹ s_la, di ox l´sou tμm pq¹r t %kka s¾lata joimym¸am kalb²mei7 […]“ mit „[…] but that this luciform ethereal body is its first [Hervorh. L. B.] vehicle, by which, as a middle, it communicates with the other bodies […] [Hervorh. L. B.]“. Am Plural im griechischen Text wie in seiner englischen bersetzung sowie an der Verwendung von pq_tom bzw. „first“ lsst sich gut erkennen, dass die Seele ihr Wirken ber verschiedene Ochemata oder Seelenkçrper bzw. Zustndlichkeiten derselben, die zudem hierarchisch geordnet sind, an den „terrestrial body“ bermittelt. Nachdem Cudworth so das aitherische Seelengefhrt als das Scharnier zwischen Kçrper und Seele nach den zwei Richtungen bestimmt hat, die fr dessen Zustndlichkeit relevant sind, nmlich hinsichtlich der Wirkungen, die es vom „irdischen“ Kçrper empfngt und hinsichtlich der Wirkungen, die es als Vermittler der Wirkungen der Seele auf den Kçrper ausbt, konkretisiert er diese spezifische doppelte Eingebundenheit am Beispiel der Funktion, die „mystische oder telestische Reinigungen“ hinsichtlich des Seelengefhrts haben.329 Deren Wirksamkeit auf das Seelengefhrt leitet Cudworth mit drei Zitaten aus Hierokles ein.330 Auch mit diesen antiken Referenztexten argumentiert er im Kontext der Konstellation der Cambridge Platonists, deren Position sich mit Fouke (1997) diesbezglich folgendermaßen skizzieren lsst: Prayer and contemplation have a spiritual meaning which is both intellectual (as they bring us into interior contact with God) and physical. For through the minds withdrawal from the baser affections of the body, the souls material vehicle is purified in such a way as to change the character of experience. This change occurs as the mind, through prayer and contemplation, is enabled to experience more immediately the sensations which arise from the ethereal matter of the luminous body or vehicle with which the mind is eternally united.331

Offen bleibt vorerst, was genau Cudworth unter diesen fr den aitherischen Seelenleib spezifischen telestischen Reinigungen versteht. Die Begriffe „diet zusehen, von denen das aethereum animae vehiculum, der currus animae, deutlich zu unterscheiden ist. 329 System III, 272: „Thus the forementioned Hierocles: 9peidμ ja· t` Aqcoeide? Bl_m s¾lati pqos´vu s_la hmgt¹m cm, jahaqeOsai de? ja· toOto, &c., „Since to our lucid and splendid body, this gross mortal body is come by way of accession, we ought to purify the former also, and free it from sympathy with the latter.“ 330 System III, 272 – 273. Cudworth fhrt drei Passagen aus In aureum carmen, 26, 8, 10 und 25 (ed. Kçhler, Stuttgart 1974) an. 331 Fouke (1997), 46. Vgl. hierzu die Darstellung, die Crocker, in Rogers/Vienne/Zarka 134 von Mores Vorstellungen zur fortschreitenden Reinigung der Seele gibt, die sich in hohem Maße mit denen Cudworths decken.

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and catharms“ liefern jedoch einige Hinweise:332 „Diet“ kçnnte bedeuten, dass fr Cudworth auch stoffliche „Manipulationen“ wie z. B. durch bestimmte Speisen oder Dfte eine Rolle spielen kçnnten.333 Die Qualifizierung dieses Seelenleibes als spiritual aber weist ebenso darauf hin, dass es sich wohl hauptschlich um Gebete und spirituelle bungen handeln kçnnte, wie es Fouke annimmt. Diese dienen dazu, die Verstrickungen des Menschen in kçrperliche Belange zu lockern. Sie sind aus diesem Grund den sog. Kathartischen Tugenden zuzuordnen, auf die Cudworth mçglicherweise mit dem ußerst seltenen Begriff „catharms“ Bezug nimmt, denn diese Tugenden dienen nach der Klassifizierung des Porphyrius dazu, von den Leidenschaften zu befreien.334 Damit erfllen sie genau den Zweck, den Cudworth mit dem Hieroklestext in System III, 272 beschreibt. Im Bild von System III, 270 wrde die Funktion dieser Tugenden darin bestehen, die verrußte Laterne blank zu putzen und dadurch das Licht im Inneren heller scheinen zu lassen. Porphyrius Einteilung, auf die sich Cudworth mçglicherweise mit „catharms“ bezieht, geht ihrerseits zurck auf Plotin, Enneade I 2, 3, 1 – 22: In welchem Sinne nun nennen wir die Tugenden Reinigungen, und wieso werden wir gerade durch Reinigungen gleich [mit Gott; vgl. I 2, 3, 5 – 6]? Nun, da die Seele bçse ist, sofern sie mit dem Leib ,verquickt ist und so den gleichen Affektionen wie er unterworfen ist und all sein Whnen mit ihm teilt, so ist sie doch wohl gut und hat Tugend, wenn sie weder sein Whnen teilt, sondern allein ihre Wirksamkeit bt – und das ist Vernunft und Einsicht –, noch sich den Affekten unterwirft – das ist Selbstbeherrschung –, noch Furcht hat, da sie im Abstand vom Leibe bleibt – und das ist Tapferkeit –, wenn vielmehr in ihr gebietet Vernunft und Geist und das andere nicht widerstrebt – und das ist Gerechtigkeit. Einen solchen Zustand nun der Seele, in welchem sie in der geschilderten Weise […] geistig ttig ist und dabei ohne Affekte ist, kann man doch treffend als Gleichwerdung mit Gott bezeichnen; denn das Gçttliche ist ebenfalls rein und seine Wirksamkeit ist von derselben Art, so dass das, was ihn nachahmt, eben dadurch Vernunft hat. 332 System III, 272. Fr die Einordnung oder -fgung der Argumentation in einen neuplatonischen Kontext ist der Begriff „catharm“ besonders auffllig, denn er ist nach dem OED nur fr Cudworth belegt. Als hçchst ungewçhnlicher Begriff verweist er nachdrcklich auf das griechische Vorbild, nach dem er aller Voraussicht nach gebildet wurde: auf die kathartischen Tugenden, die im Kontext der theurgischen Praxis eine besondere Rolle spielen. 333 Diese Vorstellung lsst sich u. a. auf Ficino zurckfhren und findet sich auch bei Henry More, s. Gçttler, in Gçttler/Neuber (2008), XXI (wobei anzumerken ist, dass Henry More kein Jesuit war, wie es irrtmlich bei Gçttler zu lesen ist. Hier liegt wohl eine Verwechslung aufgrund einer Namensgleichheit vor.). 334 Siehe Shaw (1995), 22, Anm. 1. Robert Fludd thematisiert diese Abwendung von den irdischen Belangen, die zugleich die Vorbereitung zum Empfang „erleuchtender“ „supercoelestis spiritus radii“ ist, im Zusammenhang der Erçrterung der Disposition der menschlichen mens, die fr wahre Prophetie notwendig ist. Siehe Rçsche (2008), 142 – 143 mit Anm. 623. Fludd bedient sich dabei der gleichen Metaphorik, die sich auch bei Cudworth findet.

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Diese Texte und Vorstellungen sind nun, wenn man sie als implizite Hintergrundannahmen fr Cudworths Argumentation ansehen mçchte,335 in Zusammenhang zu sehen mit Enneade III 6, 5, 13 – 15 und 25 – 29: Und was soll eine ,Reinigung der Seele bedeuten, die ja berhaupt nicht befleckt wird, und was ihre ,Abtrennung vom Leibe? […] Den affektiven Seelenteil abtrennen kçnnte auch bedeuten das Ausscheiden, wovon er sich getrennt hlt, wenn er nicht ber ein Pneuma gebietet, das infolge Gefrßigkeit und Flle unreinen Fleisches verunreinigt ist, sondern wenn das, worauf er thront, schlank [licht, Qswmºm] ist, so dass er sich in Ruhe davon tragen lassen kann.

Eine derartige Vorstellungskombination im Hintergrund kçnnte zumindest Cudworths z. T. ungewçhnlichen Wortgebrauch in diesem Abschnitt („catharm“) erklren helfen und zudem die Verwendung des zweiten Hieroklestextes in System III, 273 verstndlich machen, in dem dann quasi das implizit mitzudenkende Qswmºm Plotins hinsichtlich seiner anagogischen Relevanz expliziert wrde.336 Die anagogische Relevanz telestischer bungen bedeutet also deren unmittelbare Wirksamkeit auf das aitherische Seelengefhrt. Dadurch, dass Cudworth nun „the dying by wisdom or philosophy“337 ausdrcklich als mystisches und telestisches Einwirken auf das Ochema bestimmt, impliziert er, dass es die hçheren Seelenvermçgen sind, die via kathartischer Tugenden, also durch eine Modifikation ihrer selbst, eine unmittelbare Wirkung auf das ihnen zugeordnete Gefhrt ausben kçnnen.338 Damit wird ein zentraler systematischer Aspekt des Seelengefhrts als der Vermittlerinstanz zwischen Seele und Kçrper, Intelligiblem und Stofflichem thematisiert: die Befhigung (und Funktion) des Ochemas, Einwirkungen von der Seele aufnehmen zu kçnnen. Cudworth verleiht hier einer Vorstellung Ausdruck, die sich in systematisierter Form z. B. bei Proklos findet:339

335 Cudworth bewegt sich mit ihnen durchaus im Vorstellungsfeld der Konstellation der Cambridge Platonists, wie z. B. Savesons Charakterisierung der Ansichten John Smiths zu dem Vermçgen, mit dem die Seele des Menschen Gott empfindet, zeigen kçnnen: Um das „Gottfçrmige“ in sich freizusetzen, bedarf es auch bei Smith der Reinigung und Befreiung von Sinneseindrcken und (kçrperlichen) Affekten; s. Saveson (1960), 564. Im Unterschied zu Cudworth und in strkerer Anlehnung an die dualistischen Vorstellungen Descartes sieht Smith allerdings das Ziel derartiger bungen in der (vollstndigen) Trennung vom Kçrper (s. Saveson [1960], 565), whrend es Cudworth auf die bergreifende Wirkung von der Seele auf das Ochema ankommt. 336 Siehe bes. (in der bs.): „[…] the purification of the luciform or ethereal vehicle is also to be regarded, that this being made light, […]“ (System III, 273). Hier darf zudem der Bezug zum Platonischen Phaidros nicht bersehen werden. 337 System III, 274. 338 Dieses Ochema ist ausdrcklich das ewgla t/r kocij/r xuw/r, s. System III, 268 f. 339 Procl., Inst. § 183 (ed. Dodds; 183, 24 – 31).

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For the congenital vehicles imitate the lives of the souls which use them, and move everywhere with their movements: the intellectual activity of certain souls they reflect by circular revolutions, the declension of others by a subsidence into process, the purgation of yet others by a conversion towards the immaterial. For because in virtue of the very existence of the souls these vehicles are animated by them and are congenital to them […], they undergo all manner of changes in sympathy with the souls activities and accompany them everywhere.

So wird die im Kontext der Cambridge Platonists anerkannte anagogische Wirksamkeit von (christlichen) bungen in den kathartischen Tugenden zum naturphilosophisch relevanten Indiz fr die Existenz eines aitherischen Seelengefhrts und seiner engen Verbindung mit den hçheren, unsterblichen Seelenaspekten; und die Theorie dieser Verbindung wird zu einem metaphysischen Erklrungsversuch der Interaktion zwischen Seele und aitherischem Seelenleib, der von dem psychologischen Phnomen der Wirksamkeit von Gebet und Kontemplation auf die psychische Verfasstheit eines Glubigen/einer Glubigen seinen Ausgang nimmt. Cudworth schließt also von der Wirkung und von Aspekten, die an der Wirkung zu beobachten sind, zurck auf deren Ursache und die Beschaffenheit dieser Ursache. Von der affektberuhigenden oder gar von Affekten befreienden Wirkung spiritueller bungen wie z. B. Gebeten schließt er zurck auf einen Wirkmechanismus, der sich von einer selbstinduzierten Harmonisierung der hçheren Seelenvermçgen ber die positive Beeinflussung des aitherischen Seelenleibes bis zur Beruhigung und Befreiung von negativen Erregungen und Leidenschaften im stofflichen Kçrper erstreckt. Seine Anordnung der einzelnen (spt-)antiken Texte zum Thema „Seelengefhrt“ erfllt so mehrere Zwecke: Systematisch beinhalten sie die Darstellung, wie die Interaktion zwischen Seele und Kçrper nach dem Vorbild der Anwesenheit Gottes zur Welt hin zu begrnden und nach welchen antiken Vorbildern sie zu begreifen ist. Cudworth entwickelt diesbezglich seine Vorstellung vom Seelengefhrt in Analogie zum Licht-Kraft-Raum Gottes. Zugleich legitimiert er durch die in seinen Ausfhrungen vollzogene Rckbindung dieser Konzeption an die ltesten prisci theologi die von ihm favorisierten Positionen zu einem theologisch relevanten Thema seiner Zeit,340 nmlich zum Problem der Einschtzung und Klassifizierung von Gebeten etc. hinsichtlich ihrer Wirkungen auf die Seele. Die ausgewhlten Texte stellen in ihrer Abfolge eine Art Versuchsaufbau dar, in dem oder durch den Cudworth seine Ansichten zur „vital union“ zwischen Seele und Kçrper differenziert darzustellen und in mehreren Schritten und auf mehreren Ebenen zu beweisen versucht. Als abschließender Beweis fr 340 System III, 267 – 268; Cudworth fhrt diese Ansicht zurck auf die Chalder, motiviert durch die Textsammlung der sog. Chaldischen Orakel, die in Form der Magia Philosophica, hoc est Zoroastris oracula vorlagen, s. Millington (1697), 32.

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seine Theorie, dass die Seele ber zwei voneinander zu unterscheidende Seelenleiber bzw. zwei unterschiedliche Phasen eines Seelenleibes auf den und im Kçrper wirkt, dient ihm, wie gesagt, die telestische Wirkung philosophischer Kontemplation, die, ausgehend von der Seele, die quasi-stoffliche Beschaffenheit des aitherischen Seelengefhrts anagogisch verbessert. Diese Verbesserung ist durch die enge Verbindung des Ochemas mit dem kocistijºm der Seele zu erklren.341 Dass Cudworth diesen „Beweis“ tatschlich als Ziel seiner Argumentation angesehen hat, zeigt sein Fazit.342 Daher sind seine Erçrterungen zu den verschiedenen Arten oder Zustndlichkeiten des Seelengefhrts keinesfalls eine „digression“, wie Mosheim meint,343 sondern ein wesentlicher Bestandteil der Naturphilosophie und Metaphysik seines Systems. Vor dem Hintergrund der naturphilosophisch-systematischen Relevanz des Themas weitet Cudworth nun den Betrachtungsrahmen auf alle weiteren Formen von vermittelnden Wirkkrften aus. So gelangt er zu dem Nachweis, dass christlicher Erlçsungsleib, Ochema der prisci theologi und Engelsleib ein- und dasselbe ontische Medium sind, das einander korrespondierende Phnomene in den Bereichen der Angelologie, Naturphilosophie/Anthropologie und Soteriologie eben in deren spezifischer Entsprechung erklren kann. Zweck dieser ontologischen „Bereichsausweitung“ ist es, die eigene Ansicht davon abzusichern, wie die immaterielle Trinitt der Welt anwesend ist in der Vermittlung ihrer Krfte, die nun nach dem Beispiel der Seelen als Kraftzentren zu verstehen sind, die aus sich heraus und um sich herum vermittels ihrer „ethereal vehicles“ eine „sphere of activity“ entfalten und auf diese Weise eine wirkende Verbindung mit dem Stofflichen eingehen (kçnnen):344 But as for that pretence, that these finite spirits or substances incorporeal, being unextended, and so having in themselves no relation to any place, might therefore actuate and inform the whole corporeal world at once, and take cognizance of all 341 Vgl. auch System III, 272 – 273: „Together with the purgations of the rational soul, the purification of the luciform or ethereal vehicle is also to be regarded“ [beide Hervorh. L. B.]. 342 System III, 275 f.: „Now from what hath been declared, it appeareth already, that the most ancient assertors of the incorporeity and immortality of the human soul supposed it, notwithstanding, to be always conjoined with a body. Thus Hierocles plainly: […] Accordingly whereunto, the definition he gives of a man is this: Xuwμ kocijμ let± sulvuoOr !ham²tou s¾lator, ,A rational soul, together with a cognate immortal body.“ Siehe auch System III, 277 – 296. 343 System III, 276, Anm. 4. 344 Cudworth entwickelt seine Theorien auch jetzt sicherlich in dem Kontext, den Leinkauf (1993), 67 – 72 rekonstruiert. Vgl. auch Mosheims Zugestndnis – bei aller Kritik – an Philosophen, die sich mit diesem metaphysischen Thema beschftigen, in System III, 320, Anm. 7: „It cannot be denied that the assertors of a subtle and inseparable body of the soul have something to offer in the shape of a reply to those who ask in what manner the soul lives, subsists, feels, and is rendered susceptible of pleasure and pain.“

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things therein; their reply hereunto was, That these being essentially but parts of the universe, and therefore not comprehensive of the whole, finite or particular, and not universal beings (as the three hypostases of the Platonic trinity are), the sphere of activity [Hervorh. L. B.] could not possibly extend any further than to the quickening and enlivening [Hervorh. L. B.] of some certain parts of matter and the world, alloted to them, and thereby of becoming particular animals; it being particular to the Deity, or that incorporeal substance, which is infinite, to quicken and actuate all things.345

Damit leitet Cudworth, ganz im Sinne seiner verschrnkend-dynamisierenden Argumentationsstrategie ber die Grenzen der verschiedenen (Einzel-)Wissenschaften hinweg ber zu einer erneuten Erçrterung der aitherischen Kçrperlichkeit diesmal der „forementioned philosophic or Pythagoric caballa [..] concerning those beings superior to men.“346 Allen diesen Wesenheiten muss eine „vital union“347 mit irgendeiner Form von Stoff oder Kçrper zugesprochen werden. Auch wenn sie als „understanding beings“348 keine plastic natures sind, denen ja jedes rationale Vermçgen abgesprochen wird, sollen sie dennoch dieselbe Funktion wie die plastic natures erfllen und als „souls vitally united to some body“349 in der stofflichen Welt wirken, da sie ansonsten der gleichen Kritik zu unterwerfen wren, die Cudworth auch gegen Descartes „UhrmacherGott“ richtet.350 Im Zuge der klaren ontologischen Positionierung dieser Seelen greift Cudworth die bereits mehrfach thematisierte Unterscheidung zwischen Gott und den aus der Trinitt hervorgehenden kreatrlichen Wirkkrften auf, die jetzt alle als „souls“ bezeichnet werden.351 Cudworth macht sich hier ver345 System III, 284 – 296. Cudworths Begrndung der Differenzierung zwischen geschaffenen und partikulren Wirkformen Gottes und dem Wirken der Trinitt selbst korrespondiert eine Unterscheidung bei Anne Conway, die allein Gott/Christus eine unmittelbare Prsenz im Kreatrlichen zugesteht: princ. 203, 213 und 216 (ed. Loptson). 346 System III, 341 f. 347 System III, 343. 348 System III, 344. 349 System III, 344. 350 System III, 344: „[…] nor yet could they act upon any part of the corporeal universe. So that these immoveable beings would be like adamantine statues, and things unconnected with the rest of the world, having no commerce with any thing at all but the Deity; a kind of insignificant metaphysical gazers, or contemplators“. 351 System III, 344 f.: „Whereas the Deity, though it be not properly xuwμ 1cjºslior, a „mundane soul,“ such as, together with the corporeal world, as its body, makes up one complete and entire animal; yet because the whole world proceeded from it, and perpetually dependeth on it, therefore must it needs take cognizance of all, and act upon all in it; upon which acount it hath been styled by these Pythagoreans, xuwμ rpeqjºslior (not a mundane, but) a supra-mundane soul. Wherefore this ancient Pythagoric cabala seems to be agreeable to reason also, that God should be the only incorporeal being in this sense, such whose essence is complete, and life entire within itself, without the conjunction or appendage of any body; but that all other incorporeal substances created should be completed and made up by a vital union with matter, so that the whole of

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mutlich eine Differenzierung aus Iamblichs Schrift De Mysteriis V 2, 3 und 20 in Kombination mit einer Differenzierung aus Proklos Timaios-Kommentar zunutze, in der Proklos zwischen aR he?ai xuwa¸ und aR leqija· xuwa¸ unterscheidet.352 Aus diesen Texten lsst sich ableiten, dass der Demiurg mit seinen unstofflichen Formen/Ideen vermittelt durch eine ewige berkosmische und eine innerkosmische Seele das Weltengefge schaffe. Cudworth scheint Iamblichs xuwμ rpeqjºslior als dritten Aspekt der vollstndig transzendenten Trinitt oder als den Licht-Raum Gottes zu begreifen, die erste Phase der „energy ad extra“, die (eigentlich) keine Verbindung mit dem Kreatrlich-Stofflichen eingeht, trotzdem aber allem in ihrer Samtwahrnehmung zugewandt und in ihrer erhaltenden Wirkung all-anwesend ist.353 Diese Seele entfaltet ihre Wirkung im Stofflichen in einer, wie es Halfwassen nennt, „Simultankausalitt“354 ber „Krfte, die [von ihr] zu allen Dingen ausgehen“355, d. h. ber verschiedene Ausprgungen der xuwμ 1cjºslior. Erst diese „innerweltlichen Seelenformen“ sind als „all other incorporeal substances created“ wesentlich und immer mit einem mindestens aitherischen Kçrper verbunden und zu denken als „complication of [corporeal and incorporeal]“. An dieser Stelle (in der Ontologie und im Text) grenzt sich Cudworth sehr deutlich vom gesamten Neuplatonismus ab,356 der, zumindest nach Cudworth an dieser Stelle, den kompletten Bereich

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them is neither corporeal nor incorporeal, but a complication of both; and all the highest and divinest things in the universe next to the supreme Deity, are animals consisting of soul and body united together.“ Wie sich Cudworth Gottes spezifische Prsenz in der Welt, die ihm auch das Wissen um alles ermçglicht, denkt und vorstellt, ist mittlerweile bekannt: Gott ist das KraftZentrum der Welt, das sich dieser ber den Licht-Raum, der alles umfasst und durchdringt, als eine Art Kraftfeld mitteilt. Procl., In Ti. III, 244, 12 – 246, 10 (ed. Diehl). Proklos charakterisiert dort die „gçttlichen Seelen“ z. B. als !mejvo¸tgtoi, als die Seelen, die im Bereich des Gçttlichen verharren, auch wenn sie zu dessen transitivem Aspekt gehçren. Zur Unterscheidung von 1cjºslior und rpeqjºslior siehe auch Procl., Inst. §§ 164 und 165. Mçglicherweise verbindet Cudworth in seinen Formulierungen in System III, 344 f. verschiedene Vorstellungen Plotins zur Weltseele miteinander. Aus der bereits als Hintergrundannahme zitierten Schrift VI 4, 3 kçnnte er die Vorstellung bernommen haben, dass der dritte Aspekt der Trinitt allem anwesend sei (pamtawoO eWmai, VI 4, 3, 3), gleichzeitig aber seine Transzendenz wahrt (aqt¹ l³m RdqOshai 1m 2aut`; VI 4, 3, 4 – 5 und wyqist¹m flyr em ; VI 4, 3, 12). Diese Vorstellungen kçnnte er wiederum mit den Beschreibungen in V 1, 2, 10 – 40 zusammengedacht haben, um das Wirken dieses Trinitts- oder Entfaltungsaspekts Gottes in der Welt mit der zuvor versicherten Transzendenz grundstzlich zu vereinbaren. Halfwassen (2004), 112. Plot., Enn. VI 4, 3, 2: „dum²leir d³ ap aqtoO Q´mai 1p· p²mta, […]“. Cudworth formuliert diese spezielle Absage an die neuplatonische Metaphysik in entsprechend ausgesuchten Zitaten aus Hierokles in System III, 344: In den griechischen Texten verleihen besonders die umfassend klingenden Wendungen B kocijμ oqs¸a und b kºcor di²joslor seiner Position Gewicht. Cudworth ignoriert allerdings, dass sich

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des Intelligiblen bis zur Einzelseele vollstndig von allem Kçrperlichen freihalte und auch keine notwendige Verbindung zu einem wenn auch feinststofflichen Kçrper impliziere.357 Die Frage ist, warum Cudworth das tut. Von großer Bedeutung fr diese ontologische Differenzierung und die mit ihr einhergehende partielle Distanzierung von der neuplatonischen Metaphysik ist sicherlich Cudworths Bestreben, die metaphysische Trennlinie zwischen Gott/Trinitt und Schçpfung358 klar zu markieren und mit einem naturphilosophisch relevanten Differenzierungskriterium benennen zu kçnnen. So entgeht Cudworth nicht nur dem Vorwurf der Idolatrie und des Polytheismus, der sich ansonsten z. B. gegen seine Konzeption von der plastic nature als Weltseele richten kçnnte. Er vermeidet auch den Vorwurf des Pantheismus, denn er sichert und betont durch dieses wesentliche Unterscheidungsmerkmal erneut die Transzendenz Gottes nun jedoch nicht gegenber der Welt, sondern gegenber seinen – vermittelten – Formen der Immanenz. In diesem zentralen Punkt, der fr Cudworth eine entscheidende Anpassung bzw. Modifikation der traditionellen neuplatonischen Metaphysik hinsichtlich der christlichen Gottesvorstellung bedeutet, stimmt Cudworth, wie bereits gezeigt, mit Anne Conway berein.359 Conway trennt ebenfalls klar den Bereich des Geschçpflichen, zu dem die Engel zu zhlen sind,360 gegen das Gçttliche ab, zu dem Gott(-Vater) und Christus als „Medium“ gehçren:361

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Hierokles in diesen Texten auf den Bereich des Intelligiblen bezieht, der auf den Demiurgen folgt, der selbst bereits von Iamblich, einem Bericht des Proklos in in Ti. I, 308, 17 – 309, 6 zufolge, klar dem untersten Bereich des Intelligiblen, dem Noerischen, zuzuordnen ist. Hierokles scheint sich dabei in seinem Text auf Platon, Ti. 39d-42b zu beziehen, wo Platon beschreibt, wie der Demiurg erst die ihm untergeordneten Gçtter erschafft und sie u. a. „in die Erde, den Mond und noch andere Werkzeuge der Zeit einst“ (42d), also mit Kçrpern verbindet: Sie sind seine „Schçpfungen“ (41a) und diejenigen Wesenheiten, die unmittelbar mit dem Stofflichen interagieren (41b-d) und nur sie werden mit einem je spezifischen Gefhrt verbunden (41e). Hierokles bezieht sich also auf eine ußerst kleine, przise zu bestimmende Gruppe intelligibler Wesenheiten. Cudworth verwendet hingegen die Texte des Hierokles, um eine Aussage ber den gesamten geschaffenen intelligiblen Bereich zu treffen, die seine eigene Ansicht ber die Verbindung des Intelligiblen mit einem (semi-) stofflichen Gefhrt sttzen soll. Erleichtert wird ihm diese Aneignung allerdings durch den Umstand, dass in seiner Vorstellung Demiurg und Nous zusammenfallen kçnnen. Eine gewichtige Ausnahme ist Procl., Inst. § 209. „Schçpfung“ ist in diesem Fall alles, was auf die Trinitt folgt, d. h. fr Cudworth „the whole rational order“ (System III, 344), inklusive der „Noes“ und „any rank of Henades“, womit sich Cudworth nachdrcklich gegen Proklos Differenzierungen und Klassifizierungen wendet, siehe System III, 358. Robert Fludd vertritt gleichfalls die These, dass „Geistwesen“, zu denen die Engel zhlen, „eine gewisse Kçrperlichkeit [zukomme], da sie nicht nur aus gçttlicher Form, sondern auch aus der spiritualen Materie des empyreischen Himmels bestnden“ (Rçsche [2008], 108.). Siehe princ. 218, 223 und 231 (ed. Loptson).

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But if it be demanded how the Soul of Man can be united with God, though it were in a State of the highest Purity; because he [s. c. God] is a mere Spirit; but the Soul even in its greatest Purity always partakes of Corporeity? I Answer, It is done by Jesus Christ, who is the true and proper Medium between them both; for Christ and the Soul may be united without a Medium, by reason of that great Affinity and Similitude between them, which those Doctors cannot demonstrate between Spirit and Body, who say they are of a Nature so contrary one to another.362

Alle geschçpflichen „spirits“ haben immer einen kçrperlich-materiellen Anteil bzw. einen kçrperlichen Aspekt, und hierin ist, wie gezeigt, ein wesentliches Differenzierungskriterium zwischen Gott und allen „creatures“ zu sehen: „That every Creature is composed of Body and [Hervorh. L. B.] Spirit, […] Therefore as every Spirit hath need of a Body, that it [the body] may receive and reflect its [the spirits] Image, so also it requires a Body to retain the same; for every Body hath this retentive Nature […]“363. Dabei scheinen Cudworth und Conway auf den ersten Blick diesbezglich dieselbe Position zu vertreten: Wenn Conway von jedem Geschçpf sagt, dass „every Spirit hath [Hervorh. L. B.] its Body, and every Body its Spirit“364, scheint sie genau die Differenzierung zwischen Kçrper und intelligibler Wirkform und deren notwendige Verbindung aufzugreifen, die auch Cudworth so wichtig ist. Allerdings unterscheidet sich Conways Position trotz dieser hnlichen Formulierung ganz wesentlich von der Cudworths: Conway sieht nmlich „Spirit“ und „Body“ als eine Substanz an, die sich nur hinsichtlich ihrer „Dichte“, also nach ihrem „Modus“ in „Spirit“ und „Body“ und darauf begrndet in verschiedene Binnenfunktionen differenziert.365 Exakt gegen eine derartige Ansicht scheint sich Cudworth abgrenzen zu wollen, wenn er in System III, 345 dezidiert davon spricht, dass das Ganze einer „creature“ eine „complication of both [i. e. of corporeal and incorporeal; Hervorh. L. B.]“ ist.366 Wiederholt sagt er deutlich, 361 Es ist erstaunlich, wie kreatrlich Conway hier den Status Christi bestimmt, der gleichfalls einen Kçrper besitzt, im Unterschied zu Gott selbst. Allerdings ist dieser Kçrper vom Stofflich-Kreatrlichen zu unterscheiden und rein ber seine Funktion als „Medium“ bestimmt: princ. 203 (ed. Loptson). Gott und Christus unterscheiden sich dann jedoch von allem Kreatrlichen durch ihre Befhigung zu dem, was Conway „Intrensick Presence“ nennt, und was dem Anwesendsein einer intelligiblen Kraft im Stofflichen bei Cudworth am nchsten kommt, vgl. princ. 203 (ed. Loptson). 362 Conway, princ. 215 f. (ed. Loptson). Vgl. auch princ. 182, 191 f. und 224 (ed. Loptson). 363 Conway, princ. 175 und 189 (ed. Loptson). 364 Conway, princ. 190 (ed. Loptson). 365 Conway, princ. 190, 205, 217 und 221. Lobsien (1999), 308 stellt daher entsprechend fest: „Daher ist es strenggenommen nicht richtig, von der menschlichen Seele oder auch von ihrem Leib im Singular zu sprechen. Vielmehr konzipiert Conway sie als plural, in sich mannigfaltig, ,multiplex“. 366 Vgl. hierzu die Annahme Fludds, Engel bestnden aus zwei Aspekten: der „substantia aetherea subtilissima“ als dem ußeren und der „forma seu lux increata“ als dem inneren Aspekt, s. Rçsche (2008), 287 mit Anm. 1190.

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dass einen aitherischen Kçrper zu haben fr Seelen nicht bedeutet, kçrperlichstofflich zu sein. 367 Zugleich aber unterscheidet er wie Conway Gott und Schçpfung entlang der Linie der notwendigen Kçrperlichkeit, die er selbst jedoch im Rahmen eines dualistischen Denkens zu bewahren versucht. Man kann in diesen Bezgen ein vorsichtiges Indiz fr die Dynamik und den eventuellen Austausch von Ideen und Vorstellungen sehen, wie sie die Konstellation der Cambridge Platonists als wissenschaftliches Feld ausmachen. Damit wird die spezifische Konstellation zu einem transformationsrelevanten Faktor und hilft verstehen, warum Cudworth an einer entscheidenden Stelle in gravierender Form von seiner neuplatonischen Referenzmetaphysik abweicht bzw. diese durch bewusst implementierte Hierokleszitate den Anforderungen seines Systems – und der Dynamik der Konstellation – anpasst. Die Konstellation nimmt so die Funktion eines Mediums der Transformation ein, das den „Rahmen [einer] Transformation absteckt“ und „historisch im Aufnahmebreich gebunden gestaltend auf den Referenzbereich zurck[wirkt]“,368 also retroaktiv wirksam wird. In diesem Fall ist eine Schichtung von Medien festzustellen, die in ihrer Relevanz fr die zu beobachtende Transformation miteinander verschrnkt sind: Auf der Ebene des Systems nimmt Cudworth seine Modifikation neuplatonischer Metaphysik vor, um idolatrischen und pantheistischen Tendenzen des Neuplatonismus vorzubeugen. Kontur gewinnt diese Transformation in der Auseinandersetzung mit Positionen, wie sie z. B. bei Anne Conway ihren Ausdruck finden, also auf der Ebene der Konstellation, in der er sein System entwickelt. Da Cudworth der Ansicht ist, sich mit dieser Transformation gegen das Konzept des Intelligiblen in der neuplatonischen Metaphysik zu wenden, ist es verstndlich, dass er seine Position, um sie zu legitimieren und dem Augenschein zum Trotz, als „ancient Pythagoric cabbala“ bezeichnet, die mit der menschlichen Vernunft generell bereinstimme.369 Zustzlich unternimmt er es, hinsichtlich dieses Aspekts seiner Metaphysik die bereinstimmung von prisca theologia und Christentum anhand einiger Origenestexte nachzuweisen. In 367 Z. B. in System III, 325 und 348. 368 Beide Zitate aus Antrag SFB 644 (2008), 29. 369 System III, 345. Cudworth entwickelt diese Legitimation in Bezug auf Iamblich, den er als Pythagorer einstuft und von dessen Differenzierung der zwei Seelen die Erçrterung ihren Ausgang nimmt. Cudworths Einordnung seiner These von der notwendigen „complication“ alles kreatrlichen Intelligiblen mit einem Kçrper in eine derartige „ancient cabbala“ erweist sich aus heutiger Perspektive als Konstruktion, da das Adjektiv rpeqjºslior erst seit Iamblich und keinesfalls fr die frhen Pythagorer belegt ist. Cudworth versucht also, dem Legitimationsdruck, unter den ihn seine Abweichung von der neuplatonischen Metaphysik bringt, durch die Einbindung der eigenen Position in die Wahrheit der prisca theologia gerecht zu werden. Vgl. System III, 347, 361. Die auffllig hufige Berufung auf die prisca theologia in diesem Kontext kçnnte als Indiz fr die Bedeutung gesehen werden, die Cudworth seiner These zumisst.

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einem ersten Schritt zeigt Cudworth daher mit einem Zitat, dass Origenes – und mit ihm nach Cudworths Ansicht die gesamte christliche Lehre – eine Unterscheidung zwischen der gçttlichen Trinitt370 einerseits und den Geschçpfen andererseits entlang derselben ontologischen Demarkationslinie vornimmt wie Cudworth zusammen mit den prisci theologi. 371 In Abgrenzung von einem Substanzmonismus im Bereich des Geschaffenen, wie er z. B., wie gezeigt, von Anne Conway vertreten wird,372 zeigt Cudworth dann, dass die intelligiblen Wesenheiten nach Gott auch bei Origenes immer unkçrperliche Krfte, allerdings ebenso notwendig mit von ihnen ontologisch qualitativ zu unterscheidenden Kçrpern verbundene Krfte sind.373 Alle diese argumentativen Zge und Differenzierungen fhrt Cudworth abschließend in einem Text aus Hieronymus zusammen, der seiner Ansicht nach die Position des Origenes zu diesem Thema wiedergibt.374 In der Kombination dieser Zitate wird nicht nur eine einheitliche Tradition konstruiert, die bis in Cudworths eigene Zeit reicht, sondern zugleich, wie eine Anmerkung Mosheims zeigt,375 die Haltung Origenes zum Problem der Beschaffenheit der Engel vereindeutigt, die Cudworth systemkonform als „a complication of incorporeal and corporeal substance both 370 An diesem Text (zitiert in System III, 346) ist zu beobachten, wie passgenau Cudworth seine Zitate aufeinander abstimmt: Hatte er die Erçrterung der Position der prisci theologi mit einer Differenzierung beendet, in der er mit rpeqjºslior xuw¶ ebenfalls die Verbindung zu seiner Trinittskonzeption hergestellt hatte, so spinnt er diesen Faden mit Origenes weiter, so dass dem Leser der Eindruck einer ungebrochenen Tradition suggeriert wird. 371 System III, 346. Gerade die Bestimmung mit Origenes von Gott als „incorporea vita“ kçnnte dabei an dieser Stelle im System als impliziter Bezug auf eine Vorstellung gelesen werden, wie sie bei Conway, princ. 149 und 196 vertreten wird (abgesehen vom gemeinsamen biblischen Hintergrund). 372 Zu Conway diesbezglich vgl. u. a. Taliaferro (2005), 100 f. 373 System III, 347. 374 System III, 348 f.: „And thus doth he somewhere declare himself, in that book Peri Archon: Per Christum creata dixit (Paulus) omnia visibilia et invisibilia; per quod declaratur, esse etiam in creaturis quasdam invisibiles, secundum proprietatem suam, substantias; sed hae, quamvis ipsae non sunt corporeae, utuntur tamen corporibus, licet ipsae sunt corporea substantia meliores. Illa vero substantia trinitatis neque corpus, neque in corpore, esse credenda est; sed in toto incorporea, ,When Paul affirmeth all things, visible and invisible, to have been created by Christ, or the Kºcor, he intimated, that even amongst the creatures, there are some properly invisible substances. Which invisible substances created, though they be not bodies, yet do they use bodies, themselves being better than corporeal substance. But the substance of the Trinity is neither body, nor yet in a body, but altogether incorporeal. Wherefore angelical and human souls are not, as Huetius supposeth, called incorporeal by Origen, only as subtle bodies sometimes are by the more simple and unskilful, but in a strict philosophic sense; only he supposed them to differ from the Deity in this, that though they be not bodies, yet they are always in bodies, or clothed with bodies; […]“. 375 System III, 349, Anm. 4.

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together“376 bezeichnet. Diese Vereindeutigung ist ihrerseits als Konsequenz von Cudworths Bestreben zu deuten, seine eigene Ansicht in diesem wichtigen Punkt durch eine mçglichst breite Basis des metaphysisch-theologischen Konsens abzusichern.377 Damit ist ebenso der metaphysisch-systematische Impetus der sich anschließenden berlegungen zum Kçrper der Dmonen klar: Auch an diesem Beispiel versucht Cudworth nachzuweisen, dass fr alle intelligiblen Geschçpfe nach der Trinitt, deren radii oder rpouqco· dum²leir sie sind, gilt, dass sie einen Kçrper haben. Und dass dieser Kçrper die gleichen Eigenschaften besitzt und die gleichen Funktionen erfllt, wie die Ochemata der menschlichen Seele. In diesem universellen metaphysischen Rahmen lsst sich dann von der Beschaffenheit der Dmonen auf die der Engel zurckschließen. Aufgrund ihrer derart fixierten Zweckgebundenheit hat die Implementierung der verwendeten antiken Texte in das System eine semantische Vereindeutigung der in ihnen verwendeten Begrifflichkeit nach den Ansprchen des Argumentationsziels zur Folge.378 Besonders deutlich wird dies an der Semantik, die Cudworth dem Adjektiv „incorporeal“ (!s¾lator) zuweist, das er auf die Bedeutung von „intelligibel“ und damit als Bezeichnung von etwas, das vollkommen unstofflich (und berrumlich) ist, festlegt. Das Verhltnis zwischen dem intelligiblen und dem stofflichen Aspekt in der jeweiligen „complication of both“ expliziert Cudworth schließlich im Rekurs auf die in der platonischen Metaphysik fundamentale Urbild-AbbildStruktur,379 die nun umfassend funktionalisiert wird: Als signum verweist das eUdykom auf das intelligible Zentrum, dessen explikative und sichtbare Manifestation es ist. Dieses Zentrum ist seinerseits als radius Deitatis ein signum, das auf Gott und die transitiv wirksame Trinitt verweist. In seiner Gesamtheit dient dieser Verweisungszusammenhang dem Nachweis des Wirkens Gottes in der Welt: ber den trinitarischen und vçllig unstofflichen Wirkaspekt ad extra, den Licht-Raum, vermittelt sich gçttliches Wirken ber die entsprechenden radii und Ochemata. In diesem Kontext bekommt der Begriff der Transzendenz eine der Metaphysik des System angepasste eigene Bedeutung: In Bezug auf Gott 376 System III, 349. 377 Daher ist es sicherlich kein Zufall, wenn Cudworth in System III, 349 mit „a complication of incorporeal and corporeal substance both together“ eine Wendung aus III, 345 wçrtlich aufgreift und so die prisci theologi und Origenes eine identische Lehre vertreten lsst. 378 An diesem Punkt setzt immer wieder Mosheims Kritik am Vorgehen Cudworths an, siehe z. B. System III, 352 f., Anm. 9 III und bes. 371, Anm. 5 II zu den Bedeutungen von !s¾lator z. B. bei Johannes Damascenus mit der Schlussfolgerung, dass Engel eben gerade keine „complication“ aus Intelligiblem und Feinstofflichem seien, sondern vollstndig feinststofflich. 379 System III, 355.

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bedeutet er, wie der Ausweis des dritten Aspekts der Trinitt als rpeqjºslior xuw¶ in System III, 345 zeigt, nicht dessen Abwesenheit aus der Welt, sondern lediglich dessen vçllige Unkçrperlichkeit im Sinne des Fehlens jeder Notwendigkeit, zum Zweck des Wirkens in der Welt und im Stofflichen der Schçpfung eine Verbindung mit einer kçrperlich-feinststofflichen „sphere of action“ eingehen zu mssen. Der prziseren Konturierung dieser kreatrlichen „sphere of action“ dient die nun folgende, nhere Bestimmung der Beschaffenheit des Kçrpers der Engel im Unterschied zum Dmonenkçrper, den Cudworth in Abhebung vom aitherischen Kçrper der Engel als luftartig (a rial) bezeichnet.380 Der Differenzierung zwischen Engeln und Dmonen liegt somit zunchst einmal die bekannte Unterscheidung zwischen Luft und Aither zugrunde.381 Sie wird von Cudworth in der bereits erçrterten Differenzierung zwischen „spirituous“ und „spiritual/etherial“ (s. o. S. 415 f.) aufgenommen und jetzt mit einem aus Michael Psellos herangezogenen Text weitergehend expliziert: […] ja· t¹ l³m !ccekij¹m pamt²pasim 1st·m %ukom7 di¹ ja· di± p²mta 1sti steqeoO diad¼mom ja· dii¹m, ja· t/r Bkiaj/r !jt?mor cm !pah´steqom7 tμm l³m c±q di± syl²tym diavam_m QoOsam, !post´cei t± ce¾dg ja· !kalp/ ¢r ja· jk÷sim rpol´meim, ûte dμ 5mukom 5wousam7 t` d³ oqd³m 1st· pqºsamter, oXa lgdel¸am 5womti pq¹r lgd³m !mt¸hesim7 […] Again, the angelical body is so devoid of gross matter, that it can pass through any solid thing, it being indeed more impassable than the sun-beams; for though these can penetrate pellucid bodies, yet they are hindered by earthy and opaque, and refracted by them: whereas the angelical body is such, as that there is nothing so imporous or solid that can resist or exclude it. […]382

Diese Beschreibung des Engelskçrpers, die Cudworth mit Psellos gibt, erfolgt ganz im Sinn von Iamblich, De Mysteriis I, 17, 29:383 Sie ist an den Eigenschaften des Aithers als der kçrperlichen Substanz der seelischen und den Engeln zugehçrigen „sphere of action“ ausgerichtet,384 die der zentralen Eigenschaft der wirkenden Anwesenheit intelligibler Krfte im Stofflichen gengen muss: dem 380 System III, 355. 381 Cudworth kannte diese antike Unterscheidung, wie System III, 363 zeigt: Whrend A r die trbe, neblig-dunstige und sogar finstere Luft meint, steht der Aither zu Beginn fr die hohe, reine und klare Luft, die spter zum Aither als dem fnften Element der Sterne und ihrer Sphre wird. Vgl. Bergemann (2006), 375 (im Rekurs auf Kingsley und Moraux). 382 System III, 356 f. An der bersetzung fllt auf, wie argumentationsspezifisch Cudworth hier das Adjektiv %ukom bertrgt – in diesem Fall nmlich mit “devoid of gross [Hervorh. L. B.] matter”, wobei er sich auf Plotin, Enn. II 5, 3, 18 sttzen kann. 383 Siehe System III, 280, Anm. 4: „T¹ oqq²miom s_la pq¹r aqtμm tμm !s¾latom oqs¸am t_m he_m 1st· succem´statom7 li÷r l³m c±q 1je¸mgr ousgr, aqt¹ "pkoOm 1stim, !leq¸stou d³ !dia¸qetom, ja· !tq´pou ¢sa¼tyr !makko¸ytom, ,The celestial body is most closely allied to the incorporeal substance of the gods: for as that is one, so this is simple; as that is indivisible, so this is also indivisible; as that is immutable, so this is invariable.“ 384 Zur Identifizierung von Seele und Engel siehe u. a. System III, 368. Vgl. dazu Lotti, in Simonutti (2007), 390, Anm. 390.

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pamtawoO fkom bzw. als Ganze im Ganzen und als Ganze in den Teilen zu sein. Damit wird die systematische Relevanz dieser zunchst sehr spezifisch erscheinenden Erçrterung deutlich – es geht immer noch um die „vital union“ von Seele und Kçrper. Die in diesem Kontext relevante extrem enge Verbindung zwischen der (Engel-)Seele und ihrem Gefhrt thematisiert Cudworth dann anhand der Konsequenzen, die der Fall der Engel, d. h. ihre Sndhaftigkeit, auf ihr Ochema hat. Er argumentiert also ganz nach dem Muster, nach dem er schon die enge Verbindung von menschlicher Seele und ihrem aitherischen Ochema glaubte nachweisen zu kçnnen, als er gleichfalls eine, in diesem Fall allerdings positive Wirkung der durch telestische Praktiken gereinigten Seele auf die Beschaffenheit des Ochemas annahm. An dieser Wirkung versuchte er zu zeigen, dass der aitherische Seelenkçrper als Vermittler und Band zwischen intelligibler Wirkform und stofflichem Kçrper so beschaffen ist, dass er die Wirkungen der Seele aufzunehmen imstande ist, die er dann aufgrund seiner ebenfalls vorhandenen Affinitt zum Stofflichen weiter bertragen kann. Am Beispiel der gefallenen Engel veranschaulicht Cudworth nun genau diesen bermittlungsablauf und zeigt damit die Geschlossenheit und Kontinuitt bzw. Homogenitt seiner Metaphysik auf. Whrend sich allerdings zuvor die Beschaffenheit des Ochemas verbesserte, wirkt nun die Depravation der Engelseele gleichsam negativ auf das Gefhrt zurck. Cudworth scheint sich dabei nicht nur an theologischen, sondern ebenso an neuplatonischen Vorstellungen zu orientieren: Ihnen zufolge wird das ursprnglich rein aitherische Seelengefhrt beim Abstieg der Seele in die Welt zunehmend mit grçberen Einlagerungen durchsetzt, die seine Reinheit eintrben sowie seine Feinheit und die Einheitlichkeit seiner mit der Seele harmonisierenden Bewegung beeintrchtigen: Das zeigt Cudworths Wortgebrauch, wenn er davon spricht, dass der aitherische Engelsleib durch deren Sndigen „became thereupon obscured and incrassated“.385 Was mit dem Seelengefhrt der Engel geschieht, lsst sich, ausgehend von Cudworths Formulierung „incrassated“, zudem mit Anne Conway veranschaulichen, die einen weiteren Vorstellungshorizont ins Spiel bringt, der hier eine Rolle gespielt haben kçnnte: die Alchemie:386 […] so that there is a two fold grossness and hardness of Bodies, the one palpable and visible to our External Senses; the other invisible and impalpable, which nevertheless is as gross as the other, yea, often grosser and harder, which may be truly perceived by the Internal Senses, although the External Senses may be insensible thereof; for the invisible and impalpable grossness or hardness is that 385 System III, 363. Zur dahinter zu vermutenden neuplatonischen Vorstellung siehe Bergemann (2006), 363 – 372, 376 – 383, 391 f. und 394. 386 Zum Zusammenhang von Soteriologie und alchemischen Prozessen und Vorstellungen und ihrer Verbindung mit den frhneuzeitlichen spiritus-Theorien z. B. bei Conway s. Smith, in Gçttler/Neuber (2008), 275 – 277; siehe auch Fouke (1997), 50 – 95.

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which is proper to those Bodies, which are so small, that our External Senses cannot perceive them, when nevertheless they are really exceeding hard, yea, harder than any Flint or Metal, which we can handle with our Hands. And out of these hard and small Bodies, visible Waters are for the most part composed, although they appear to us very soft, fluid, and tenuous, by reason of the great Plenty of certain other subtile Bodies which continually agitate, and move the said hard Particles; so that Water seems to our gross Senses to be one thing Homogeneal, Simple, and Uniform, although it consisteth of many Heterogeneous and Dissimilar or differing Parts, more than many other Bodies; and many of these Parts are exceeding hard and stony, whence proceeds Gravel, bubbling forth, and all other little Sands and Stones, which have their Original and Birth from Waters springing from the bottom of the Earth; […] And so from what hath been said may the better be understood, how the Heart and Spirit of a Wicked Man may be said to be hard and stony; because indeed his Spirit hath in it a real hardness, such as is found in those little stony Particles of certain Waters; […]387

Die geisthaften, aitherischen Seelengefhrte der Engel lagern gleichsam als Konsequenz aus der moralischen Beschaffenheit und Verdorbenheit der (Engel-)Seele zunehmend grobstoffliche, hrtere Elemente oder Partikelchen ein bzw. die Substanz des Ochemas verhrtet und verdichtet sich selbst in einer Art Ausfllungsprozess.388 Warum aber ist dies eine Konsequenz des Falls der Seele, d. h. nach welchem Vorbild kçnnte Cudworth nherhin die Verbindung zwischen Seele und Seelengefhrt gedacht haben, die die von ihm in den entsprechenden Kontexten herangezogenen Texte zumindest implizit immer schon voraussetzen mssen (und die damit lediglich ein Hinweis auf das bloße Vorhandensein einer derartigen Verbindung sein kçnnen)?389 ber die bloße Behauptung hinaus, dass das Ochema aufgrund seiner feinststofflichen, an das Intelligible grenzenden Beschaffenheit als „Grenzform […], die ex hypothesei [Hervorh. L. B.] eine Synthesis aus Nicht-Kçrperlichem und Kçrperlichem darstellen […] soll“,390 eben eine einfachhin postulierte Verbindung mit der Seele eingehen kçnne, sind zwei Paragraphen aus der Institutio Theologica des Proklos im Hintergrund der Argumentation zu vermuten: Whrend der bereits erwhnte § 209 die Verbin387 Conway, princ. 194 – 195. 388 Zur entsprechenden Vorstellung bei Origenes vgl. Smith, in Gçttler/Neuber (2008), 274 und 276 f. 389 Zu diesem kritischen Punkt in der Argumentation Cudworths siehe Mosheim in System III, 376, Anm. 5: „Should any one attempt to elude this argument by adopting the doctrine of the Platonists, who assert that souls are clothed in certain subtle vehicles or bodies, and are enabled by the intervention of these vehicles, to act upon the solid and concrete body we are invested with, he still will not get rid of the difficulty. For we shall merely ascend a little higher and ask him, by what means a soul which is destitute of body can incite and move this vehicle as they call it.“ 390 Leinkauf (1993), 69. Zu dieser Vorstellung insgesamt bei Kircher und Ficino siehe ebd. 68 – 72.

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dung zwischen Seele und Ochema zwar aus systematischen Grnden, aber eben auch lediglich postuliert, versucht Proklos in § 98 zumindest eine differenziertere Beschreibung der Interaktionsform zwischen seelischen, intelligiblen Wirkformen und den ihnen zugehçrigen Vermittlungsmedien, einer Interaktionsform, die er in § 183 der Institutio Theologica mit der Annahme, dass die Seelenleiber „congenital“ zu bzw. mit den Seelen seien, bereits vorauszusetzen scheint: Every cause which is seperate from its effects exists at once everywhere and nowhere – For by the communication of its proper potency [t0 […] letadºsei t/r 2autoO dum²le¾r] it is everywhere: we mean by cause that which fills all things naturally capable of participating it, which is the source of all secondary existences and by the fecund outpouring of its irradiations is present to them all [ja· paq¹m p÷si ta?r t_m 1kk²lxeym com¸loir pqoºdoir]. But by its mode of being, which has no admixture of the spatial, and by its transcendent purity it is nowhere; […] but it would not be omnipresent in that sense in which causes are capable of immanence in their effects, namely by unstinted self-bestowal. In order that as cause it may be present in all that can participate it while as a separate and independent principle it is prior to all the vessels which it fills, it must be at once everywhere and nowhere. (Procl., Inst. § 98; ed./bs. Dodds)391

Selbst wenn das zentrale, letztlich wohl nicht befriedigend lçsbare Problem der Interaktion zwischen Seele und Kçrper(-lichem) auch hier nicht gelçst wird, scheint es doch mçglich, sich anhand dieses Textes vorzustellen, dass die (Engel-)Seele ber ihre t_m 1kk²lxeym cºmiloi pqºodoi (Inst. § 98; 86, 31, ed. Dodds), mit denen sie das ganze Gefhrt erfllt (ebd. 88, 8) einen Prozess in der Substanz des Seelengefhrts (der Engel) initiieren kçnnte, wie er von Conway nach dem Vorbild alchemischer Ablufe beschrieben worden ist. D. h. die Seele wre in die Lage versetzt, aus sich heraus die Verfasstheit und Befindlichkeit ihres Seelenleibes zu verndern, und zwar hinsichtlich seiner „Feinheit“, seiner „Festigkeit“ und seiner Reinheit bzw. Transparenz, wie es eben u. a. die Wirkungen bestimmter Tugenden und spiritueller bungen auf den Menschen erkennen und erfahrbar werden lassen. Die cºmiloi pqºodoi bekmen dann ebenfalls den Status einer „Grenzform“, diesmal jedoch quasi von der Seite des Intelligiblen aus gesehen. Mçglicherweise wird die fr Cudworth angenommene Vorstellung derartiger Grenzformen, deren Beschaffenheit sich als abhngig von der Zustndlichkeit dessen erweist, was durch diese Grenzformen miteinander verbunden wird, von Platon, Ti. 31c beeinflusst: „Das schçnste aller Bnder aber ist das, welches sich selbst [Hervorh. L. B.] und das Verbundene,

391 Stimmt man der Annahme zu, dass sich Cudworth an einer derartigen Vorstellung orientiert haben kçnnte, wird die Interaktionsform zwischen Seele und Seelenleib auch als abbildliche Umsetzung des Verhltnisses erkennbar, in dem Gott als Energiezentrum der Welt anwesend ist; dazu o. S. 368 f.

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soweit mçglich, zu einem macht.“ Platon allerdings sieht die Proportion (!makoc¸a) als ein solches Band an. Damit wren die Wirkungen telestischer bungen ber die Seele auf ihr Gefhrt ebenso erklrt wie die negativen Auswirkungen der Sndhaftigkeit der Engel-Seelen auf deren (ursprnglich) aitherische Seelenleiber. Und es wre ein Modell gefunden, grundstzlich die bertragung von Wirkungen, die von intelligiblen Wirkformen initiiert werden, auf das Stoffliche zu denken – ein Modell fr Cudworths auf allen Ebenen des Kreatrlichen gltigen Urschlichkeitsmodus der „vital union“ als einer „sphere of action“, in der mehrere Vermittlungsphasen miteinander verschrnkt sind: Die Seele wirkt ber die cºmiloi pqºodoi auf ihren Seelenleib, der in sich verschiedene Feinheitsstufen ausbildet und derart in spezifischer Weise die Seelenwirkungen an den grobstofflichen Kçrper weitervermittelt,392 der aber ebenso auch von dort zustndlichkeitsverndernde Einflsse erfhrt und so Kçrper und Seele zu einer – fragilen und vernderlichen – Einheit verbindet. Legt man diese Interpretation zugrunde, erzielen Cudworths Ausfhrungen aufgrund der performativen Eigenschaften des Textes des System selbst zustzlich noch einen ganz anderen, vom rein Inhaltlichen verschiedenen Effekt, nmlich den, durch den lesenden und verstehenden Nachvollzug beim Leser die Wirkung einer telestischen bung und Reinigung zu entfalten,393 um so auf einer ganz anderen als der argumentativen Ebene Evidenz zu erzeugen, durch die sich der Leser selbst unmittelbar vom Wirken der Seele im Menschen berzeugen kann. Mit Agrippa von Nettesheim lsst sich nmlich nicht nur belegen, dass mit telestischen bungen, wie es Cudworth anzunehmen scheint,394 auch philosophische berlegungen berhaupt gemeint sein kçnnten und diese dann eine reinigende Wirkung auf die Seele besitzen, sondern auch, dass gerade komplexere sprachlich artikulierte Gedankengnge eine Wirkung

392 Cudworth wrde in diesem Fall einen Wirkbereich fr die Seele proklamieren, der von Francis Glisson explizit der Materie selbst zugesprochen wird: sich einerseits zu kontrahieren und zu verdichten und sich andererseits zu entfalten, auszudehnen und zu verdnnen (siehe Hartbecke [2006a], 258 f.). Vielleicht bertrgt er die Anregungen Conways und Glissons also in Form der eingespielten antiken Texte wieder aus dem Bereich des Materiellen zurck in den fr ihn relevanten Bereich des Seelischen bzw. Intelligiblen, dem er auf diese Weise gleichsam Terrain zurckerobert, indem er „die Ineinssetzung von Natur- und Geisttheorie im Konzept einer spiritualisierten, mit Leben und Krften durchsetzten Materie“ (ebd. 259 f.) wieder aufhebt und in seinem differenzierten Ansatz von Seele, cºmiloi pqºodoi und quasi elastischem Seelenleib auseinanderdividiert. 393 Zur theurgischen Wirksamkeit von Philosophie siehe Synesios, De insomniis 6, 566 (ed. Garzya = PG 66, 1292 A-B); dazu Bergemann (2006), 396. 394 Im Bezug auf den „philosophischen Tod der Seele“.

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aufweisen, die ber die hçheren Seelenvermçgen selbst hinaus ausstrahlt. 395 Unterstellt man nun, dass Cudworth, ebenfalls im Rekurs auf eine Vorstellung, die u. a. bei Agrippa ihren Ausdruck findet,396 dementsprechend derartige philosophische Ausfhrungen im Sinne der neuplatonischen sumh¶lata verstanden hat, erklrt sich zum einen, warum er bei der Auswahl seiner Texte besonders die anagogische Funktion des aitherischen Seelengefhrts hervorhebt.397 Zum anderen aber bedeutet das neuplatonische Konzept der sumh¶lata eine Erklrung dafr, warum und wie Cudworth sich vorgestellt haben kçnnte, dass seine eigenen Texte auf die Seelen und Seelengefhrte seiner Leser telestisch-anagogisch einwirken kçnnten und damit beim Rezipieren das hervorbringen, 395 Agrippa, De occulta philosophia, 231 – 232 (ed. Perrone Compagni): „Ostenso itaque nunc in animi affectibus magnam residere virtutem, sciendum insuper est non minorem esse verbis rerumque nominibus, maximam praeterea in sermonibus et orationibus complexis: quibus potissimum a brutis differimus et rationales dicti sumus – non a ratione, quae secundum animam accipitur, quam capacem affectuum appellant, quam Galenus dicit etiam bruta animalia nobiscum habere communem, licet alia magis, alia minus. Sed rationales dicimur a ratione quae iuxta vocem in verbis et sermone intelligitur, quae vocatur ratio enunciativa, qua parte caeteris animantibus maxime antecellimus: nam kºcor Graecis et rationem et sermonem et verbum sonat. […] Sunt itaque verba aptissimum medium inter loquentem et audientem, deferentia secum non tantum conceptum, sed virtutem loquentis energia quadam transfundentia in audientes et suscipientes, tanta saepe potentia, ut non immutent solummodo audientes, sed etiam alia quaedam corpora et res inanimatas.“ Damit scheint Agrippa einen wesentlichen Gedanken zur Anagoge der Seele aufzunehmen, der vor ihm von Ficino formuliert wurde, von dem Lauster, in Allen/Rees (2002), 59 f. sagt: „For Ficino, thinking – the activity of the humnan intellect – is the path via which the soul can reach God“, und der sich bis zum Liniengleichnis und dessen Exegese im Hçhlengleichnis Platons zurckverfolgen lsst. Dabei gilt ebenso, dass dieses Denken die Seele verndert und gçttlich werden lsst (ebd. 60), denn durch das Denken und annhernde Erkennen Gottes macht sich der Geist des Menschen Gott zugnglich und verbessert seine Aufnahmefhigkeit hinsichtlich der Gte Gottes (ebd. 63); vgl. dazu ebenso Celenza, in Allen/Rees (2002), 84 – 97, bes. 94 mit Anm. 81. Alle diese berlegungen legen es sehr nahe, im Falle frhneuzeitlicher Texte nicht nur mit der reinen Vermittlung sachlicher Inhalte zu rechnen, sondern ein besonderes Augemerk auf die performativen Qualitten von Texten Ficinos, Patrizis, Kirchers, Fludds oder eben auch Cudworths zu richten, die eine gleichsam rituelle, reinigende, bessernde Lektre implizieren. 396 De occulta philosophia, 241 (ed. Perrone Compagni): „Dedit Deus homini mentem atque sermonem, quae (ut ait Mercurius Trismegistus) eiusdem virtutis, potentiae atque immortalitatis praemium censentur. Sermonem vero hominum ipse omnipotens Deus sua providentia in diversas linguas divisit, quae quidem linguae iuxta suam diversitatem etiam diversos ac proprios receperunt scripturae characteres, suo quodam certo ordine, numero et figura constantes, non fortuito, nec casu, nec fragili hominum arbitrio, sed divinitus sic dispositos atque formatos, quo cum coelestibus atque ipsis divinis corporibus virtutibusque consentiant.“ 397 So dezidiert im ersten Hieroklestext in System III, 273, der durch seine deutlichen Referenzen auf Platons Phaidros zustzliches Gewicht erhlt.

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wovon sie handeln: In der Kombination von Zitaten, die als ußerungen der prisci theologi verstanden werden, kçnnen sie in sprachlicher Form sog. sumh¶lata enthalten, deren Funktion Shaw (1995) auf der Basis von Texten Iamblichs und Proklos folgendermaßen bestimmt: „The sunthe¯mata, in whatever expression, were divinizing, and for the same reason: they bore the impress of the god and were able to awaken souls to the divinity they symbolized.“398 Sie haben eine dezidiert anagogische Funktion.399 Agrippa scheint auf genau dieser Vorstellung aufzubauen und sie mit sprachlichen, metaphysisch-theologischen Texten zu verbinden bzw. gerade solche Texte als performative sumh¶lata zu begreifen: Illa autem verba prae caeteris maioris efficaciae sunt quae res maiores (puta intellectuales, coelestes et transnaturales) cum expressius tum mysteriosius repraesentant quaeque a digniore lingua et sanctiori dignitate instituta sunt: haec enim veluti signa quaedam et repraesentationes seu sacramenta rerum coelestium et supernaturalium vim obtinent cum ex virtute rerum explicatarum, quarum vehicula sunt, tum ex vi insita illis a virtute instituentis et proferentis.400

Als signa und repraesentationes dienen derartige Texte der Anamnesis und Wiederbewusstmachung gçttlicher Wahrheiten und des Gçttlichen in der Seele selbst. Zugleich transportieren sie als vehicula auch die Kraft dessen, aus dem sie hervorgegangen sind (s. c. Gottes): „[…] vim obtinent […] proferentis“. Es ist diese „Aufladung“ mit einer letztendlich gçttlichen vis, die die von Agrippa zuvor geschilderte bergreifende Wirksamkeit sprachlicher ußerungen erklrt, die ganz besonders philosophischen Texten zukommt. Die Leser nun, die Cudworths Darstellung in ihrer Kombination gleichsam heiliger Texte (es handelt sich immerhin nach Cudworths wiederholt referierter Ansicht um solche Texte, die die Ansichten der besten und ltesten Vertreter der prisca theologia wiedergeben) nachvollziehen, nehmen also sumh¶lata, und ber dieses Trgermedium gçttliche Kraft in sich auf und setzen sich derart der verndernden, psychagogischen Wirkung dieser sprachlichen Strukturen aus, die schließlich eine umfassende Katharsis mit anagogischem Effekt herbeifhren kann – es gibt wohl kaum eine Vorstellung einer unmittelbareren Einwirkung der Antike ber die Jahrhunderte in eine sptere Zeit.401 Auf diese Weise erzielt Cudworths System dieselbe Wirkung, die Fouke „prayer and contemplation“ zuschreibt. Mçglicherweise ist es daher kein Zufall, dass Cudworth sein Werk mit einem „Amen“ beschliesst, sondern ist das abschließende „Amen“ vielmehr ein Hinweis darauf, das System (auch) als Gebet 398 399 400 401

Shaw (1995), 50. Siehe Shaw (1995), 164. De occulta philosophia, 232 (ed. Perrone Compagni). Zu diesem Katharsisbegriff, der Cudworths eigene Interpretation an dieser Stelle bersteigt, aber gut zur gesamten Schrift und ihrem Motto passt, s. Shaw (1995), 53.

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zu lesen und wirken zu lassen, das unzhlige, wohlgeordnete gçttliche sumh¶lata enthlt und neben reiner Wissensvermittlung die Seelen seiner Leser transformieren soll. So wird das System Gebet, es selbst wird zur telestischen „purification“.402

7.7 „[…] that an unextended Deity is no impossible idea […] because there is something unextended even in our very selves“403 – die Seele als Abbild gçttlicher Schçpferkraft Um den naturphilosophischen Ertrag von Cudworths Erçrterungen zum Seelenleib vollstndiger zu erfassen, sind im Folgenden seine berlegungen zum Wesen bzw. Kern der Seele hinzuzuziehen, da die Seele die erste Ursache bezeichnet, die in Form der „vital union“ ihre Wirkungen zuerst auf den Seelenleib, dann aber auch auf den grobstofflichen Kçrper entfaltet: In seinen Erçrterungen zum Status der Seele als intelligibler Wirkursache bestimmt Cudworth die Seele in Analogie zu ihrem dynamischen Ursprung in Gott als ebenso schçpferisches wie selbstreferentielles Energie- oder Kraftzentrum,404 das um sich herum eine „certain amplitude of active power ad extra, or sphere of activity upon body“405 hervorbringt. Diese „sphere of activity“ entspricht, auf der Ebene der Seele, dem Raum, der die Form ist, in der sich Gott primrurschlich seiner Schçpfung mitteilt. Zunchst geht es darum, am Beispiel der Anstze Anne Conways exemplarisch nachzuzeichnen, mit welchen Konkurrenzmodellen sich Cudworth hinsichtlich seiner Konzeption des in Analogie zum Wesen Gottes bestimmten Seelenkerns auseinandergesetzt hat und wie diese Auseinandersetzung sein Konzept von Seele, Seelenkern und „vital union“ beeinflusst haben kçnnte. Im Anschluss daran ist ausfhrlicher das Modell zu rekonstruieren, nach dem Cudworth mçglicherweise diese „sphere of activity“ und die mit ihr verbundene „vital union“ auf der Ebene der Seele nher verstanden und entwickelt haben kçnnte: nmlich, wie bereits zu erkennen ist, als ein modifiziertes Konzept der (spt-)antiken Theorie vom Seelengefhrt. Es wird also weiterhin darum gehen zu erçrtern, wie Cudworth die Seele und den Seelenleib als Wirkeinheit in Beziehung zum Kçrper konzipiert haben kçnnte und auf welche konstellatorischen Faktoren er dabei vielleicht reagiert hat. Sachlich ist mit dieser Fortfhrung der Qualifizierung der Seele und ihres Wesens im System zugleich eine ontologische Qualifizierung des Status ihrer 402 403 404 405

Vgl. System III, 272. System III, 385. S. o. Kapitel 7.5 System III, 396.

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Wirkungen wie z. B. Leben verbunden, die geeignet ist, die verschiedenen atomistischen und mechanistischen Positionen begrndet zurckzuweisen, indem Cudworth diesbezglich die Trinitt als Urbild zur Seele als ihrem Abbild in Beziehung setzt und dabei nachdrcklich die noetische Struktur der Trinitt in ihrer Schçpfungsrelevanz thematisiert. Zunchst argumentiert Cudworth bei der Beschreibung der Seele weiterhin gleichsam phnomenologisch:406 „Whereas it is plain by our internal sense, that it is one and the self-same thing in us, which perceives both the parts and the whole. […] Whereas we are intimately conscious to ourselves, that we have but only one sensation of one object at the same time.“407 Das beobachtete Phnomen der ganzheitlichen inneren Wahrnehmung erhlt sofort metaphysische Relevanz, da es von Cudworth durch eine Kombination aus Plotintexten expliziert und fundiert wird.408 Dies dient der Etablierung der mit der inneren Wahrnehmung ber die Selbstreflexion gekoppelten Phnomene von Leben, Verstehen/Vernunft, Seele und Bewusstsein/Geist (mind) als Wesenheiten und Realitten, die sich nicht auf die Kçrper, deren atomare Elemente und deren primre Eigenschaften reduzieren lassen, aber dennoch reale Existenz und Wirksamkeit besitzen.409 Cudworth begrndet diese Behauptung mit einem Plotinzitat, in dem Plotin die Ganzheitlichkeit menschlicher Wahrnehmungen auf die Fhigkeit der Seele zurckfhrt, dass sie „als Ganzes an vielen Stellen [ist] und das fr einen Kçrper unmçglich [ist] [Hervorh. L. B.], dass dasselbe als Ganzes in mehreren Dingen

406 System III, 388; vgl. auch 390 f. 407 Hall (1975), 313 weist darauf hin, dass Cudworth im englischen Sprachraum der erste ist, der die Wendung „internal sense“ verwendet. Es ist m. A. n. plausibel, in dieser Neuschçpfung eine Aneignung und auf neuplatonischem Fundament eine weiterfhrende Auseinandersetzung mit Descartes zu sehen, der in seiner zweiten Meditation das „minimum […] quod certum sit et inconcussum (Primae Meditationes 46 – 47, ed. Wohlers 2008 [= AT VII, 24])“, seinen archimedischen Punkt, dadurch findet, dass er in der Besinnung auf sich selbst und das eigene Selbst alles andere, alles ußere abzieht, also quasi eine schon mehrfach erwhnte neuplatonische Denkbewegung vollzieht (ebd. 48/49, ed. Wohlers [= AT VII, 24 – 25]). Descartes stçßt dabei auf seine mens (66/ 67, ed. Wohlers [= AT VII, 32 – 33]), genau den Seelenaspekt, dessen Struktur auch Cudworth wiederholt thematisiert. Cudworth erhebt somit denselben Anspruch auf Evidenz fr seine Ansichten, den Descartes zuvor bezglich seines „minimum certum [..] et inconcussum“ beansprucht hat. 408 System III, 386 – 388. 409 System III, 387: „[…] but life and understanding, soul and mind, are entities really distant from magnitude, figure, site, and motion of parts; they are neither mere fancies, nor syllables of things, but simple and uncompounded realities“. In der Terminologie der Atomisten ausgedrckt: Sie sind keine und kçnnen keine Sekundrqualitten sein; sie kçnnen fr Cudworth, wie gezeigt, nicht auf dem Weg der Emergenz erklrt werden.

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ist und dass der Teil dasselbe ist wie das Ganze“.410 Er charakterisiert die Instanz dieser Wahrnehmung in Analogie zu seinen Erçrterungen zur Anwesenheit Gottes in der Welt ebenfalls mit Plotin als „Zentrum“,411 d. h. als „Einschluss des Intelligiblen, Prinzipiierenden im Horizont kçrperlicher Dimensionalitt“412. Dies ist der innerste intelligible Wesenskern des Menschen, sein „I myself“413. Cudworth bestimmt diesen Kern in klarem Bewusstsein, dass hier eine hnlichkeitsrelation zu Gott als Ursprung der Seele vorliegen muss, als „an unextended and indivisible unity, wherein all lines meet and concentre, not as a mathematical point or least expensum, but as one self-active, living power, substantial or inside being, that containeth, holdeth, and connecteth all together“.414 Dieser Kraft („power“) kommt weder eine kçrperliche Ausdehnung noch eine massebedingte Grçße zu.415 Sie gengt daher der zuvor implizit mit Plotin aufgestellten Anforderung, als dieselbe als ganze in verschiedenen Teilen sein zu kçnnen, whrend jeder „Teil“ von ihr dasselbe ist wie das Ganze – als unausgedehnte, berrumliche und unteilbare Einheit kann sie keine Teile besitzen noch in irgendeiner Weise teilbar sein.416 Aufbauend auf den vorausgegangenen Ausfhrungen zum aitherischen Erlçsungskçrper der Seele und dem aitherischen Leib der Engel schreibt Cudworth diesem Kraftzentrum nun allerdings eine Art Ausdehnung in Form der „vital union“ zu:417 die „certain amplitude [Hervorh. L. B.] of active power ad extra, or a sphere of activity upon body“418. Diese Sphre der Wirkung ist, wie dargelegt, offenbar als Verschrnkung zweier metaphysischer „Grenzformen“ anzusehen: der des eigentlichen aitherischen Ochemas und der aus Proklos, Inst. § 98 (mçglicherweise) bernommenen Vorstellung der t_m 1kk²lxeym cºmiloi pqºodoi des intelligiblen Kraftzentrums, des eigentlichen radius Deitatis. Dabei korrespondiert die Beschaffenheit des Ochemas als „einfach“ und „unteilbar“ den wesentlichen Ei-

410 Plot., Enn. IV 7, 5, 37 – 39. Vgl. damit Plotins Schilderung der Wahrnehmung von Schmerz in IV 7, 7, 26 – 28: „[…] so muss man das Wahrnehmende solcher Art ansetzen, dass es berall in allen Teilen mit sich identisch ist. Das aber kommt einer anderen Wesenheit und nicht dem Leibe zu“, und sein Fazit zur Natur der Seelen ebd. 14, 7 – 9. 411 Plot., Enn. IV 7, 6, 12 – 15. 412 Leinkauf (1993), 225. 413 System III, 390; zu dieser Vorstellung bei Plotin siehe z. B. Dillon, in Gerson (1996), 326 f. 414 System III, 390. 415 System III, 391. 416 Hier wird – metaphysisch – etwas erklrt, das in modifizierter Form spter als Subjekt der transzendentalen Apperzeption bei Kant wieder auftauchen wird, als das „Ich, das alle meine Vorstellungen muss begleiten kçnnen“, die unhintergehbare transzendentale Einheit hinter allen Arten der Wahrnehmung. 417 System III, 392. 418 System III, 396.

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genschaften des energetischen Seelenzentrums und der aus diesem hervorgehenden Kraftstrahlen. Man kann nun versuchen, dieses Vorgehen, in dem Cudworth zwei antike Konzepte der Interaktion des Prinzipiierenden mit dem niedrigeren Prinzipiierten miteinander kombiniert,419 um so die Differenz zwischen dem Intelligiblen und dem Stofflichen zu berwinden (oder zumindest zu minimieren), als Auseinandersetzung mit Positionen eines Substanzmonismus im Kreatrlichen (d. h. fr Cudworth: des Hylozoismus bzw. des hylozoistischen Atheismus) zu verstehen, wie sie z. B. von Anne Conway vertreten wurden.420 Conway legt zunchst fest, dass es keinen substantiellen Unterschied zwischen Kçrper und Geist gebe: Sie unterscheiden sich, als zwei Aspekte eines kreatrlichen Wesens, wie bereits gezeigt, lediglich – nach stoischem Vorbild – hinsichtlich ihrer „Dichte“ und ihrer Funktion.421 Der „Spirit“ wird von ihr bestimmt als „central Nature, having a Faculty to send forth a Sphere full of Light and to enlarge or contract the same, which properly seems to be Aristotles 1mtek´weia, […]“.422 Dieses „Zentrum“ fungiert seinerseits als eine Art Koordinationszentrum, in dem alle anderen Spirits zusammenlaufen und zu einer Einheit verbunden werden, die unauflçslich ist, womit Conway die Unvergnglichkeit der menschlichen Seele erklrt.423 Die „Sphere of Light“ dieses Geist-Zentrums entspricht ihrer Funktion nach Cudworths „amplitude of active power ad extra, 419 Cudworth verbindet die Vorstellung des energetischen Zentrums im Fall der Seele mit der des Ochemas, das als aktives Medium wirkt, whrend er im Fall der Wirkurschlichkeit Gottes Zentrum und Raum miteinander zusammendenkt. 420 Cudworth bringt damit quasi seine Auseinandersetzungen mit dem Hylozoismus, die er schon frh begonnen hatte – s. o. Kapitel 3 „Der Weg zur plastic nature als Alternative zu Atomismus und Hylozoismus“ – zu einem systematischen Abschluss. Nachdem er gezeigt hat, dass der „richtig“ verstandene Atom- und Materiebegriff notwendig intelligible, von Gott abhngige Wirkkrfte erfordert, um die Struktur der Welt erklren zu kçnnen, kann er nun klar stellen, wie diese im Stofflichen wirken kçnnen, ohne sich der Kritik der Atomisten geschlagen geben zu mssen. 421 Conway, princ. 205 (ed. Loptson). 422 Ebd., 205. Aus princ. 225 lsst sich – mit einiger Vorsicht – schließen, dass dieses Zentrum zugleich eine Aufnahmefhigkeit („capacity“) fr Gottes Licht besitzt. 423 Conway, princ. 210: „[…] but it is called a Centre, because all the other Spirits concur to it, and Lines from all parts of the Circumference do again depart out or proceed therefrom; and indeed the unity of the Spirits that compose or make up this Centre, or governing Spirit, is more firm and tenacious, than that of all the other Spirits; which are, as it were, the Angels or Ministring Spirits of their Prince or Captain; yea, in Man this Unity is so great, that nothing can dissolve it. […] Hence it comes to pass that the Soul of every Man shall remain an entire everlasting Soul, or be of endless duration, […]“. Siehe Olejniczak Lobsien (1999), 308: „Die Einheit des Selbst, so wie sie hier vorgestellt wird, ist, […] eine relationale: Sie besteht in der Festigkeit der Beziehung aller einzelnen, belebten Partikel zueinander. Zugleich ermçglicht diese stabile interne Relationiertheit und Zentriertheit des Selbst einerseits seine Erhaltung und seinen Bestand, […]“.

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or sphere of activity upon body“, denn „Licht“ ist bei Conway grundstzlich eines der mitteilbaren Attribute Gottes,424 das sich als „mere Action or Motion [Hervorh. L. B.]“ im Kreatrlichen vermittelt. Diese reine „Action or Motion“ denkt Conway zugleich als „Virtual Extension […] which is immediately given of God […] a proper Motion of the Creature, proceeding from the innermost parts thereof; and therefore may be called Internal Motion“425. Diese „Internal Motion“ ist wohl mit der 1mtek´weia gleichzusetzen, mit der Conway die „Sphere full of Light“ gleichsetzt, die sich aus dem Geistzentrum des Kçrpers verstrçmt. Gegenber Cudworths Modell werden hier offenbar die metaphysischen Beschaffenheiten von Zentrum und Wirksphre geradezu auf den Kopf gestellt: Whrend bei Cudworth das Zentrum, nmlich die Seele als reine intelligible Wirkkraft, vçllig unstofflich ist, wird bei Conway das Zentrum zwar als Geist/ Spirit bestimmt, dieser aber ausdrcklich als Kçrper ausgewiesen. Dessen Wirksphre, eine Lichtausdehnung, klassifiziert Conway dann jedoch als „not a Body or Substance, but a mere [Hervorh. L. B.] Action or Motion“,426 die zwar unmittelbar von Gott mitgeteilt wird,427 dann aber vom Geistzentrum ausgedehnt oder kontrahiert werden kann. Bei Cudworth dagegen besitzt die „Sphere“ als aitherisches Ochema eindeutig und wesentlich einen stofflichen Aspekt bzw. ist als Verschrnkung zweier Grenzformen zu denken, die sich je eine von dem Ende des Stofflichen, die andere von dem des Intelligiblen unendlich nah aneinander annhern. Da Conway ihr Modell klar als Lçsungsvorschlag in dieselbe Debatte einbringt, an der Cudworth mit seinem Konzept der plastic nature und der notwendigen „complexion“ alles Kreatrlichen nach Gott beteiligt ist, nmlich als Antwort auf die zentrale Frage, wie komplexe Strukturen im Stofflichen, besonders lebendige Organismen,428 zu erklren sind, und sie nicht den Fehler der materialistisch-reduktionistischen Atheisten oder Cartesianer macht, Gott aus dem Schçpfungsgeschehen auszuklammern,429 424 425 426 427

Conway, princ. 196 (ed. Loptson). Conway, princ. 229 (ed. Loptson). Conway, princ. 228 (ed. Loptson). Conway, princ. 229 (ed. Loptson): „A Virtual Extension is a Motion or Action which a Creature hath, whether immediately given from God, or immediately received from its Fellow Creature. That which is immediately given of God (from whom it also hath its Being,) and which is the natural and proper effect of its Essence, is in a more proper way of speaking, a proper Motion of the Creature, proceeding from the innermost parts thereof; and therefore may be called Internal Motion, […]“. Diese Stelle legt auch nahe, dass die „Proper Motion“ mit der 1mtek´weia identifiziert werden darf. 428 Conway bezeichnet schließlich die zu ihrem Geistzentrum gehçrige Wirkungssphre explizit als 1mtek´weia und damit als das Prinzip, das Aristoteles einfhrt, um Lebewesen erklren zu kçnnen; u. a. in de Anima 412a-b, dazu z. B. Hçffe (2006/1996), 139 – 142. 429 Das Licht, das sich als „Internal Motion“/1mtek´weia via Geistzentrum im Geschçpf manifestiert, ist ja die Form, in der sich Gottes „intima praesentia“ als dessen „effectus proprius“ in der Schçpfung realisiert, siehe princ. 203 und 228 f. (ed. Loptson). Vgl. auch

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kçnnte Cudworth in einem derartigen Modell tatschlich eine starke, ernstzunehmende Konkurrenz gesehen haben, auf die einzugehen und mit der auseinanderzusetzen sich lohnt. Dass Cudworth auf Conways Konzeptionen oder hnliche Modelle eingegangen ist und sich mit ihnen auseinandergesetzt hat, lsst sich m. E. an verschiedenen Stellen in diesem Argumentationskontext ablesen, die zusammengenommen als Indizien fr eine binnenkonstellatorische und transformationsrelevante Diskussion ber das Problem der Interaktion zwischen Leib und Seele angesehen werden kçnnen: Whrend Conway von ihrem Geistzentrum sagt, dass es gerade kein „one only atom“430 sei, sondern in sich vielschichtig, hebt Cudworth in diesem Zusammenhang in einer ungewçhnlichen Wendung die Einheit und Geschlossenheit seines Seelenzentrums nochmals besonders hervor: „A thinker is a monad, or one single substance, and not a heap of substances; whereas no body or extended thing is one but many substances; every conceivable or smallest part thereof being a real substance by itself.“431 Seine Formulierung, dass es sich bei seinem Seelenzentrum nicht um einen „heap of substances“ handele, kçnnte als direkte Replik auf Conways Vorstellung einer „unity of spirits that compose or make up this Centre“ gelesen werden.432 Der das Wohlwollen, mit dem Cudworth diese Position in System III, 398 beurteilt. Neben Conway kçnnte Henry More mitgemeint sein, der Gott als ausgedehnt dachte, vgl. Hutton (2004), 42. 430 Conway, princ. 210 (ed. Loptson), auch wenn es sich schließlich durch eine „unity of Spirits“ auszeichnet, in der alle anderen „Spirits“ zusammenlaufen, ist deren Zusammenhalt hnlich stark wie der der sog. Minima im Atom. 431 System III, 395. Vgl. auch die Formulierungen in 392 f. Cudworth kann dabei auf die bereits thematisierte Semantik des Monadenbegriffs zurckgreifen. 432 Conway, princ. 210 (ed. Loptson). Cudworths Kritik an der hylozoistischen Konzeption von „Person“ in System III, 406: „If matter, as such, had life, perception, and understanding belonging to it, then of necessity must every atom, or smallest particle thereof be a distinct percipient by itself; from whence it will follow, that there could not possibly be any such men and animals as now are, compounded out of them, but every man and animal would be a heap of innumerable percipients and have innumerable perceptions and intellections; whereas it is plain, that there is but one life and understanding, one soul or mind, one perceiver or thinker in every one. And to say, that these innumerable particles of matter do all confederate together; that is, to make every man and animal to be a multitude or commonwealth of percipients, and persons, as it were, clubbing together, is a thing absurd and ridiculous, that one would wonder why the hylozoists should not rather choose to recant that their fundamental error of the life of matter, than endeavour to seek shelter and sanctuary for the same, under such a pretence […]“ liest sich in diesem Zusammenhang fast wie eine direkte Kritik an Conway, princ. 208 und 210 (ed. Loptson): „[…] yet the said Spirit is a certain composition of more, yea innumberable Spirits; as the Body is a composition of more Bodies, and hath a certain Order and Government in all its Parts, much more the Spirit which is a great Army of Spirits, wherein there are distinct Offices under one governing Spirit. And so from hence it appears that Impenetrability and Indiscerpibility, are not more Essential Attributes of

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(kritische) Bezug auf Anne Conways Position oder auf mit Conways Konzept vergleichbare Anstze wird zudem deutlich, wenn Cudworth neben den reduktionistisch-materialistischen Atomisten noch eine weitere Gruppe von Naturphilosophen und -philosophinnen anfhrt, die eine besondere, unkçrperliche Art wirkender Ausdehnung annehmen: […] they affirm, that there is another incorporeal extension, which is both penetrable, and also indiscerpible so that no one part thereof can possibly be separated from another, or the whole; and that to such an incorporeal extension as this belongeth life, cogitation, and understanding, the Deity having such an infinite extension, but all created spirits a finite and limited one, which also is in them supposed to be contractible and dilatable.433

Damit scheint sich Cudworth auf Conways Konzeption der „Virtual Extension“ (oder eine vergleichbare Theorie) zu beziehen,434 denn bei Conway finden sich alle Punkte, auf die Cudworth in der zitierten Passage Bezug nimmt.435 Am wichtigsten scheint mir dabei zu sein, dass Cudworth von dieser „extension“ explizit sagt, sie sei „incorporeal“, und damit, wie gezeigt, ziemlich genau Conways Standpunkt referiert, whrend er von seiner eigenen Konzeption schreibt, sie sei „a certain amplitude of outward extension, whereby they [i. e. life or mind as unextended insides] are determined to place [!], yet so as to be in every part thereof; which outward extension is therefore not to be accounted body, because penetrable, contractible, and dilatable, and because no one part thereof is separable from the rest, by the rushing or incursion of any incorporeal thing upon them“.436 Diese Substanz „doth not consist of parts separable from one another“437 – wohl aber durchaus, so darf man ergnzen, aus (stofflichen) Teilchen. Cudworths etwas diffuse Bestimmung seiner Wirksphre und die Begrndung, warum sie nicht eigentlich kçrperlich sei, beschreibt sehr przise das Ochema bzw. den Verbund aus Ochema und t_m 1kk²lxeym cºmiloi pqºodoi

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Body, than of Spirit; because in one sence they agree unto either, in another sence unto neither.“ System III, 398. Conway, princ. 205, 229 f. Zudem nimmt Cudworth in seinen Text das sehr seltene Adjektiv „indiscerpible“ auf, das zu seiner Zeit laut OED nur fr Henry More und Joseph Glanvill, dort allerdings im Kontext der Unsterblichkeit der Seele, belegt ist. Conways Verwendung dieses Adjektivs z. B. in princ. 211 und des dazugehçrigen Substantivs „indiscerpibility“ z. B. in princ. 202 und 210 finden im OED keine Erwhnung. Allerdings kçnnte sich Cudworth hier ebenso direkt auf seinen Kollegen Henry More beziehen. Zum Zusammenhang von „penetrability“ und „indiscerpible extension“ bei Henry More siehe Hutton (2004), 42 und 82 – 84. More definiert den „Spirit“ als „A substance penetrable and indiscerpible [Hervorh. im Original]“ (Henry More, The Immortality Of The Soul, in: A Collection Of Several Writings Of Dr. Henry More, London [1662]), 21). Hinweis bei Hutton (2004), 83. System III, 398. System III, 399.

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und damit etwas, wie bereits Mosheim feststellt, durchaus Feinststoffliches, nicht aber etwas Unstoffliches, besonders nicht nach Cudworths striktem Gebrauch von „incorporeal“, mit dem er an dieser Stelle bezeichnenderweise nur seine „created spirits“, die radii Deitatis charakterisiert, whrend er fr die „amplitude of outward extension“, wie gezeigt, eine umstndliche, wesentlich weniger eindeutige Variante whlt, die den strukturambivalenten Status dieser Wirksphre angemessen widerspiegelt. In dieser – impliziten – Auseinandersetzung fundiert und legitimiert Cudworth seine Alternative zu Conway bzw. Vorstellungen, die denen Conways hnlich sind, die hier nur eine Art paradigmatischer Stellvertreterfunktion einnimmt, in dem bekannten Energeiai-Schema Plotins, das er nun nochmals seelenspezifisch konkretisiert. Zustzlich verbindet er diese Konkretisierung mit einer Bestimmung des ontologischen Status der seelischen Wirkungen, die durch den Verbund aus Seele und Wirksphre auf oder in den Kçrper vermittelt werden. Maßgeblich ist, dass Cudworth seine Seelenvorstellung diesbezglich in strenger Analogie zur Seinsweise Gottes in der Welt entwickelt.438 Wie Gott ist auch die Seele kein mathematischer Punkt und auch kein physikalisches, punkthaftes Minimum, sondern ein gleichsam wirkaktives Zentrum. Um diese Vorstellung nher zu przisieren, wendet Cudworth sich nun allerdings der Bestimmung des Begriffs „cogitation“ zu, der die wesentliche Eigenschaft der Seele (Denken und Wahrnehmen) bezeichnet und dessen Bestimmung außerdem dazu dient, nach dem Energeiai-Schema eine weitere Abgrenzung des eigenen Seelenmodells gegenber Conways Konzeption einer stofflich-spirituellen Seelenvorstellung vorzunehmen.439 „Cogitation“ ist fr Cudworth, wie bereits erçrtert, eine Kraft/Energie (energy) und zugleich die Ttigkeit der Seele, die dem Wesen der Seele als eines selbstreferentiellen Energiezentrums und Kraftfeldes entspricht, das sich durch hçchste Einheit, Konzentration und Homogentitt auszeichnet. Damit erhlt der Begriff eine Bedeutung, die ber den

438 Vgl. dazu System III, 390 zur Seele mit III, 250 zu Gott. Es handelt sich also erkennbar um ein Analogieverhltnis, das sich in der Annahme begrndet, die Seele sei Imago Gottes, da dieser ihre Ursache ist, also um ein Analogieverhltnis, das in der Platonischen Urbild-Abbild-Metaphysik fundiert ist. 439 System III, 394 – 396. Gleichzeitig nimmt Cudworth damit den bereits in System III, 388 zu beobachtenden Bezug zu Descartes auf, der in seinen Prinzipien zur Philosophie I, 8 – 9 (ed./bs. Buchenau [1908/1965]) zwar ebenfalls „die Natur des Geistes und seine Verschiedenheit vom Kçrper“ in einer Analyse des Denkens bestimmt. Allerdings erfolgt die Feststellung der Unabhngigkeit des Geistes vom Kçrper bei Descartes in einer Analyse des Denkens bezglich der unmittelbaren Bewusstheit und damit Evidenz des Denkvollzugs selbst fr das denkende Subjekt und nicht in den metaphysischen Kategorien des Neuplatonismus, die Cudworth zur Anwendung bringt, der damit eine Alternative zu Descartes entwickelt.

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Bereich der Epistemologie (weit) hinausreicht und die im Wesentlichen metaphysisch bestimmte „essential inside/profundity“440 der Seele bezeichnet.441 An diesem Grundzug einer spezifisch konturierten „cogitation“ entwickelt Cudworth nun, ausgehend vom scholastischen Begriff der essentia, die zu verstehen ist als Wesenheit und inhrentes formendes Prinzip,442 einen weiteren „Gottesbeweis“, der jedoch die Form einer ontologischen Explikation des Status der Seelenwirkungen annimmt und unter diesem sachlichen Aspekt hier von Interesse ist.443 Cudworth deutet nmlich die scholastischen essentiae in einem ersten Schritt als „Ideen“ im Sinne Platonisch gedachter Konstituenten von Wissen.444 Diese werden dann zugleich als mo¶lata verstanden, d. h. als Inhalte des gçttlichen Nous und dessen schçpferischen Aspekts, wobei Cudworth diese Identifikation mittlerweile vor dem Hintergrund der erfolgten Trinittsdarstellung und der Etablierung des Nous als des wesentlichen Zuges trinitarischer Binnendifferenzierung ohne weitere Erklrungen vornehmen kann.445 Basierend auf der so vorgenommenen Zuschreibung, Gott sei eben auch ein „eternal unmade Mind“, das in sich ein urschlich wirksames und produktives Urbild der geschaffenen Welt enthalte und diese entsprechend erschaffe, entwickelt Cudworth eine Argumentation, in der er eine neuplatonisch fundierte Umdeutung des Begriffs „qualities“ am Beispiel von „Leben“ vor dem Hin440 System III, 396. 441 S. o. S. 375 – 378 u. 407 f. Leibniz Konzept der vis activa aus seiner Schrift Specimen Dynamicum weist zu dieser Bestimmung Cudworths gewisse Parallelen auf, wenn man, wie Neumann (2008), 251 f. diese vis als „energetische einfache Substanz“ und als „Fundament“ versteht, das „Einheit und Zusammenhalt konstituiert“ (ebd. 252). Leibniz Vorstellung, dass sich „in einem organischen Kçrper also zahllose Monaden [finden], die alle gemß ihrer Kraft ttig sind und durch eine zentrale Monade im Gleichgewicht gehalten werden“ (so Neumann [2008], 252), erinnert allerdings strker an Conway, princ. 210 (ed. Loptson). Vgl. auch Neumann (2008), 254 f., Anm. 136, jedoch bleibt hier ein mçglicher Bezug Leibniz auf Conway unerwhnt. 442 Schtz, Thomas-Lexikon 285 s. v. essentia a) mit Verweis auf forma b) und 315 s. v. forma b). 443 System III, 400 – 401. 444 Damit wird er sogar dem scholastischen Wortgebrauch gerecht: Mit „essentiae“ (im Unterschied zu „substantia“) wird das Wesen nach Platons Konzeption bezeichnet, vgl. Schtz, Thomas-Lexikon, s v. essentia a. 445 System III, 401: „But in very truth, these scholastic essences, said to be eternal, are nothing but the intelligible essences of things, or their natures as conceivable, and objects of the mind. […] So that the true meaning of these eternal essences is indeed no other than this, that knowledge is eternal; or that there is an eternal mind that comprehendeth the intelligible natures and ideas of all things, whether actually existing or possible only, their necessary relations to one another, and all the immutable verities belonging to them. […] that there is one eternal unmade Mind and perfect incorporeal Deity, a real and substantial Ghost or Spirit, which comprehending itself, and all the extent of its own power, the possibility of things, and their intelligible natures, together with an exemplar or platform of the whole world, produced the same accordingly.“

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tergrund einer ontologischen Statusbestimmung von Qualitten bei Plotin vollzieht und zugleich gçttlichen Nous und den als „cogitation“ bestimmten Kern der Seele in eine enge Beziehung setzt.446 Als „eternal unmade Mind“ ist Gott zugleich Schçpfer und Lenker der Welt. Problematisch ist, wie die Schçpfung und Strukturierung der Welt durch einen intelligiblen, unstofflichen Geist zu denken und vorzustellen sei und wie besonders Phnomene wie z. B. Leben und Verstehen, die Cudworth als „real entities“447 klassifiziert, gegen atomistische und hylozoistische Einwrfe als Wirkungen bzw. Eigenschaften intelligibler Wirkformen erklrt werden kçnnen. Als „real entities“ gehçren sie nicht zu der Art von Eigenschaften (qualities)448, die aus primren Eigenschaften der Atome abgeleitet werden kçnnen.449 Cudworth scheint seiner Argumentation eine neuplatonisch fundierte Ontologie der Eigenschaften zu Grunde zu legen,450 die „real qualities“ als „real entities“ und damit, in deutlicher Abgrenzung z. B. von Descartes, als unkçrperliche Substanzen versteht.451 Wobei Cudworth allerdings durchaus davon auszugehen scheint, eine klare und evidente Vorstellung von derartigen Substanzen herleiten zu kçnnen. Cudworths Terminologie an dieser Stelle (life and understanding being real entities [405]; life, sense, and understanding unquestionable realities [405]; life substantial [405]; all […] being derived from this eternal unmade fountain of life and understanding [405]) legt nmlich einen Abschnitt aus Plotins Enneaden als Hintergrund nahe, der Cudworths Argumentation bestimmt haben kçnnte. Denn dieser Text ermçglicht es, den Begriff der „quality“, der „real quality“ und der „real entity“ zusammenzudenken, systematisch zu verbinden und die „real quality“ zugleich ontologisch als Ausdruck der gçttlichen Schçpferkraft einzustufen. Nicht zuletzt bietet er eine Erklrung dafr, wie Gott als unkçrperlicher, intelligibler Geist in der Welt wirksam ist bzw. welche metaphysische Vorstellung herangezogen werden kann, mit der sich genauer die noetische Struktur in der Trinitt und deren Abbild in der Seele beschreiben und mit der bisher explizierten Form der Wirksamkeit der Seele im Stofflichen 446 447 448 449

System III, 402 – 409. System III, 405. System III, 402. System III, 403. Zu dem Begriff der „realen Qualitten“ in der zeitgençssischen Debatte, in der er von Descartes, Hobbes und Boyle abgelehnt wurde, siehe Pyle (1995), 506 – 528. Zur Nicht-Reduzierbarkeit von realen Qualitten siehe Pyle (1995), 506. Zur mittelalterlichen Vorstellung der Realqualitten siehe Pyle (1995), 335 ff.; zur Differenzierung zwischen primren und sekundren Sinnesqualitten siehe z. B. KRS, Frg. 549 und L/S, S. 39 ff., Frg. Bff. 450 System III, 405. 451 Zur Qualifizerung von Eigenschaften als unkçrperlich bei Plotin siehe Scott Lee, in Wagner (2002), 29 – 31. In Enneade II 4, 8 wird Eigenschaft auch als Logos ausgewiesen, siehe Preus, in Wagner (2002), 45 f.

452

7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

verbinden lsst. In Enneade II 6 fundiert Plotin den Begriff der poiºtgr, der dem englischen „quality“ entspricht, in seinem Energeiai-Schema: Vielleicht soll man alle diese [poi¶seir ; Wirksamkeiten, wie z. B. das „substantial life“], von denen es heißt, dass sie integrierende Bestandteile der Seinsheiten sind, nicht als Qualitten bezeichnen, wenn und soweit sie denn wirkende Ttigkeiten sind, die von den Begriffen und den seinsartigen Krften (t_m dum²leym t_m oqsiyd_m) ausgehen, sondern nur das, was außerhalb jeder Seinsheit ist und nicht bald als Qualitt, in anderen Fllen wieder als Nichtqualitt in Erscheinung tritt, was also nur einen berschuss, nachdem die Seinsheit schon da ist, enthlt, wie zum Beispiel Trefflichkeit und Schlechtigkeit, Hsslichkeit und Schçnheit und Gesundheit, und das so und so Gestaltetsein […] So ist also die Qualitt ein bestimmter Zustand an den Seinsheiten, die aber schon vorher Seinsheiten sind. […] Das Bleiche also an dir ist nicht als Qualitt anzusehen, sondern als eine wirkende Ttigkeit, welche aus der Kraft des Bleichens hervorgeht (1m´qceiam [..] 1j dum²leyr); so sind auch in der oberen Welt alle sogenannten Qualitten vielmehr wirkende Ttigkeiten (1meqce¸ar t¹ poi¹m kabo¼sar), das Qualitative misst ihnen erst unsere Meinung bei, weil sie dadurch, dass sie je spezifische Eigentmlichkeiten der Seinsheit sind, die Seinsheiten gleichsam differenzieren, die ja einander und sich selbst gegenber je ihre besondere Geprgtheit haben. Was macht aber dann den Unterschied der oberen Qualitten aus? Denn auch die Qualitten hier unten sollen ja wirkende Ttigkeiten (1m´qceiai) sein. […] Es ist also ohne weiteres klar, dass jene obere sogenannte Qualitt, da sie eine Eigentmlichkeit der Seinsheit (oqs¸ar) bedeutet, nicht Qualitt ist; das begriffliche Denken trennt nun diese Eigentmlichkeiten der Seinsheit ab, nicht indem es sie unverndert aus der oberen Welt abtrennt, sondern sie vielmehr ergreift und ein Neues aus ihr schafft: und damit schafft es das Qualitative, indem es gewissermaßen das sich ihm an der Oberflche Darbietende als einen Teil der Seinsheit fasst.452

Plotin legt dar, dass wesentliche Wirksamkeiten (poi¶seir), die als 1m´qceiai von Form- und Wirkkrften (!p¹ t_m kºcym ja· dum²leym) ausgehen, nicht als bloße, akzidenzielle, d. h. sekundre und kontingente Qualitten verstanden bzw. mit ihnen verwechselt werden sollten. Diese 1m´qceiai sind unschwer als 1m´qceiai 1j t/r oqs¸ar zu erkennen, die aus den Wesenskrften (den dum²leir oqsiyde?r ; II 6, 2, 22 – 23) hervorgehen453 und daher anders als die akzidenziellen Qualitten immer und unverbrchlich mit diesen hervorbringenden Wesenskrften verbunden sind: Sie sind nicht 5nyhem [t/r] oqs¸ar, sondern besitzen zusammen mit ihren wesentlichen Wirkkrften den Status einer unabhngigen Substanz, sie sind, in Cudworths Worten „real qualities“ und zugleich „real entities“, da sie nicht wie die sekundren Qualitten auf Atomeigenschaften reduzierbar sind, sondern eine autonome Existenz besitzen, die im Kraftcharakter des Wesens begrndet ist. Derartige „Wirksamkeiten“ als „einfache“ Qualitten (qualities) wie z. B. „gesund“, „von der und der Gestalt“ etc. zu 452 Plotin, Enn. II 6, 2, 20 – 3, 14. 453 Vgl. in II 6, 3, 1 – 2: 1m´qceiam 1j dum²leyr.

7.7 „[…] that an unextended Deity is no impossible idea […]

453

bezeichnen, ist fr Plotin und im Anschluss an ihn fr Cudworth ein Kategorienfehler: Das „Qualitative misst [diesen wirkenden Krften/1meqce¸ar t¹ poi¹m kabo¼sar) erst unsere Meinung bei, […]“ Exakt diesen Fehler begehen in Cudworths Augen alle Reduktionisten, die z. B. Leben nicht als „substantial life“, d. h. als Wirkform einer oqsi~dgr d¼malir begreifen, d. h. einer selbstndigen Wesenheit/Seinsheit (oqs¸a), sondern als bloße „quality“, d. h. als sekundre Eigenschaft ontologisch abqualifizieren und emergentistisch zu erklren versuchen.454 Diese Seinsheiten und ihre dynamisch-gestalterische Funktion (sie sind Seinsheiten [oqs¸ai] unter Einschluss der Wirkkrfte [let± pqosh¶jgr 1meqce¸ym]) werden von Plotin in Enneade II 6, 1, 54 – 59 explizit in den vom Einen (das Cudworth in diesem Kontext leicht als Gott verstehen kann) ausgehenden Schçpfungs- und Emanationsprozess eingebunden, der im System Cudworths die Wirklichkeit der Welt konstituiert und ist. Auf diese Weise tragen sie im Sinne der schçpferischen Entfaltung zur Vollendung des Einen/Gottes bei.455 Vor diesem Hintergrund kçnnte Cudworth die bei ihm zu beobachtende Differenzierung zwischen „qualities“, d. h. sogenannten sekundren Eigenschaften, und „real qualities“ als Wirkformen wesenhafter Krfte vorgenommen haben. „[L]ife, sense and understanding“ wrden so zu Wirkformen der unkçrperlichen Wesens- und Seinsheit Seele, die in ihrem Status als intelligible oqs¸a, d¼malir oqsi~dgr oder radius Deitatis klar in ihrer Abhngigkeit von Gott in den Weltgestaltungsprozess eingebunden ist und dort vermittels dieser ihr zukommenden Formen von Urschlichkeit die metaphysische Struktur des gçttlichen Nous umsetzt. Eine derartige Bestimmung der „real qualities“ als 1m´qceiai 1j t/r oqs¸ar der Logoi im Sinne Plotins beinhaltet nmlich deren 454 Vgl. z. B. System III, 405 zur Ablehnung emergentistischer Anstze. In System III, 408 fasst Cudworth seine eigene Ansicht nochmals zusammen und verbindet sie mit der Theorie vom aitherischen Seelengefhrt: „But neither is body the only substance, nor are life and understanding accidents resulting from any [Hervorh. L. B.] modification of dead and lifeless matter; nor is blood and brains that which understandeth in us, but an incorporeal soul and mind, vitally united to a terrestrial organized body; which will then understand with far greater advantage, when it comes to be clothed with a pure, spiritual [!], and heavenly one. But there is in the universe also a higher kind of intellectual animals, which, though consisting of soul and body likewise, yet have neither flesh, nor blood, nor brains, nor parts so organized as ours are.“ Das Bewusstsein lsst sich nach Cudworth eben nicht so ohne weiteres auf das Gehirn reduzieren, wie es in der modernen Diskussion manchmal suggeriert wird, die zwar von sich glaubt, ohne metaphysische Vorentscheidungen auszukommen, diese aber nichtsdestotrotz unthematisiert und implizit trifft. Wie Cudworth steht z. B. auch Boyle der Reduktion des Lebens auf blosse Atombewegungen und -komplexion kritisch gegenber, s. Hunter (1950), 198, Anm. 1. 455 Zur teke¸ysir in diesem Sinne siehe Enn. IV 8, 5, 2, wo Abstieg der Weltseele und Vollendung des Alls miteinander verschrnkt werden.

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abschließendes Umfasstsein vom gçttlichen Nous, in dem sie als in ihrer Ursache enthalten sind. Im Rahmen des metaphysischen Kontinuums, das Cudworth im System entwickelt und seiner Welterklrung zugrunde legt, verweist ihre Existenz also zugleich auf die Existenz dieses Geistes zurck bzw. ist als Beweis fr den „eternal unmade Mind“ Gottes anzusehen. Dessen Wirkung und Struktur vermittelt sich nmlich ber die Seelen als oqsiyde?r dum²leir und deren nach außen gerichtete Energeiai und Wirkkrfte (sie korrespondieren den Proklischen t_m 1kk²lxeym cºmiloi pqºodoi) an die Schçpfung und erklrt dort Leben und andere, nicht reduzierbare „Eigenschaften“.456 So erreicht Cudworth schließlich die auf sachlicher Ebene notwendige, differenzierte Darstellung der inneren Struktur der Seele als „energy“ und „substantial power“ und kann sie mit seiner ontologischen Kategorisierung der „active power ad extra“ der Seele verbinden. Diese Kategorisierung stellt ihrerseits seine Antwort auf die Herausforderung dar, Leben etc. nicht, wie es die Materialisten und Atomisten wollen, als sekundre Eigenschaften sich verbindender Atome einzustufen.

7.8 „So that cogitation is, in order of nature, before local motion“457 – Nous und Seele als oqsiyde?r dum²leir und ihr Platz in der Hierarchie des Seins In diesem metaphysischen Panorama, das Leben, Denken und Bewusstsein als Eigenschaften und kontinuierliche Explikationen intelligibler substantieller Wirkkrfte versteht, die von einem materiellen Substrat unabhngig sind, gleichzeitig aber von der noetischen Struktur Gottes abhngen, setzt sich Cudworth weiterhin mit aus seiner Perspektive atheistisch-reduktionistischen Positionen und deren Widerlegung auseinander. Cudworth nimmt die fr diese Auseinandersetzung notwendige Anbindung an das Vorhergehende, besonders 456 Cudworth invertiert damit quasi neuplatonisch den scholastischen Begriff der „realen Qualitten“. So umgeht er den Vorwurf, in einen scholastischen Erklrungsversuch des Phnomens „Leben“ zurckzuverfallen. Zur diesbezglichen Ablehnung der scholastischen „realen Qualitten“ in der Diskussion im England des 17. Jhs. siehe u. a. Hunter (1950), 198. Zugleich ist Cudworths Vorgehen, auf diese Weise eine differenzierte Darstellung der Wirkungsweise auch der plastic nature zu erreichen, als Versuch zu werten, der zunehmenden Kritik an diesem (vitalistischen) Konzept selbst entgegenzutreten, wie sie z. B. von Joseph Glanvill, The Vanity Of Dogmatizing: Or Confidence In Opinions (London 1661), 43 – 44 geußert wurde: „The Plastick faculty is a fine word: But what it is, how it works, and whose it is, we cannot learn; no, not by a return into the Womb; neither will the Platonick Principles unriddle the doubt: For though the Soul be supposed to be the Bodies Maker, and the builder of its own house; yet by what kind of Knowledge, Method, or Means, is as unknown: […] [alle Hervorh. im Original]“ Hinweis auf diesen Text bei Hunter (1950), 209 – 210; Zitat ebd. 210. 457 System III, 416.

7.8 „So that cogitation is, in order of nature, before local motion“

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an die von ihm als Gottesbeweis funktionalisierte Ontologie der Eigenschaften mit ihrer wesentlichen Differenzierung zwischen „qualities“ und neuplatonisch semantisierten (und damit in entscheidendem Maße transformierten) „real qualities“ bereits in System III, 411 vor. Die „real qualities“ sind dabei mit Plotin zu verstehen als Energeiai, die von den wesenhaften Krften (t_m dum²leym t_m oqsiyd_m) ausgehen:458 [..] that life and understanding are active powers [Hervorh. L. B.], and could never result from mere passive bulk; nor can any composition of senseless matter possibly beget life. Though no necessity, that there should be any eternal unmade red or green; nor that there should be eternal motion [hier ist die Bewegung der Atome durch den (leeren) Raum gemeint, die von den Atomisten als ewig angenommen und nicht begrndet wird] nor that there should be any eternal unmade matter: yet an absolute necessity of eternal unmade life and mind; because had there be once none, there could never have been any.

Die Auseinandersetzung mit den atomistischen Anstzen vollzieht sich dementsprechend auf der Grundlage der Bestimmung der Seele als oqsi~dgr d¼malir in ihrer Abhngigkeit vom noetischen Zug der Trinitt. Die vorzunehmende Engfhrung zwischen gçttlichem Nous und der Seele, die die noetische Binnenstruktur auf der Ebene des Geschaffenen abbildet und zur Wirkung bringt, erçrtert Cudworth auch jetzt in einer Fokussierung auf den Begriff der „cogitation“ und dessen prinzipientheoretische Implikationen. Bereits ein berblick ber Abschnitt IV des fnften und letzten Kapitels des System lsst erkennen, dass er wie zuvor in einem ontologischen Rahmen argumentiert, der in Proklos Institutio §§ 14 – 20 paradigmatisch abgesteckt wird.459 Diesem Rahmen entsprechend, der im Folgenden ebenfalls thematisiert werden soll, erçrtert Cudworth ausfhrlich, wie Geist und Seele als Prinzipien substantieller, nicht auf die Materie reduzierbarer Eigenschaften wie z. B. Leben verstanden werden kçn458 Dazu auch System III, 421 f. Hier erfolgt auch die explizite Anbindung an die Bestimmung der Seele als „substantial power“. 459 Die entsprechenden Kennworte, die auf Proklos als mçglichen Hintergrund verweisen, sind z. B. „heterokinesy“ und „autokinesy“ in System III, 410 (in Pampsychia II, 51r wird von Patrizi das Adjektiv 2teqoj¸mgtom in Bezug auf den Kçrper verwendet). Proklos etabliert in § 14 der Inst. zunchst die Unterscheidung zwischen 2teqoj¸mgtom, aqtoj¸mgtom und !j¸mgtom und ordnet die zugehçrigen Wesenheiten in eine ontologische Hierarchie und Abhngigkeitsverhltnisse ein. Zudem bestimmt er die Fhigkeit der reflexiven Selbstzuwendung als wesentlich der Unkçrperlichkeit zugehçrig und als Kriterium dafr, dass alles, dem diese Fhigkeit zukommt, eine vom Kçrperlichen wesentlich verschiedene Existenz besitzt. Die Seele selbst wird von Proklos in § 18 als intelligibles Prinzip des Lebens eingefhrt. Vgl. die Differenzierung von verschiedenen Arten der Bewegung in Platon, Lgg. 894b-d und die dort vorgenommene Einstufung der tμm aqtμm artμm dumal´mgm jime?m [j¸mgsim] als krftigste und wirkmchtigste (Lgg. 894d). In Lgg. 896a-b fhrt Platon die Seele als Bewegungsprinzip ein. Zur Thematisierung des Reflexionsvermçgens der Seele in der Frhen Neuzeit s. Leinkauf (2005a), 147, Anm. 33.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

nen, wobei die Seele in ihrer Beschaffenheit von den urbildlichen Strukturen des Nous abhngig und auf sie verwiesen bleibt. Im Rahmen dieser erweiterten Prinzipienspekulation gelangt Cudworth abschließend zu einer integrativen Darstellung der Binnenstruktur der Seele als des schçpfungsimmanenten, intelligiblen Wirkprinzips gçttlicher Vernunft. Um die Beschaffenheit der wesentlichen Substanz der Seele und ihre innere Struktur diesbezglich nher zu bestimmen, konkretisiert Cudworth nun seine Erçrterungen in einem ersten Schritt auf die Seele als intelligibles Bewegungsprinzip und kontrastiert diese Vorstellung mit seiner Version der mechanistisch-atomistischen Bewegungslehre. Deren Kurzcharakteristik460 steht am Beginn seiner Ausfhrungen. Cudworth allerdings funktionalisiert das derart vorgestellte Axiom der Atomisten – nihil movetur nisi a moto – nun durchaus in seinem Sinne. Seine Wortwahl impliziert, dass er die alleinige Anerkennung nur dieser Art von Bewegung fr unzureichend hlt: „restrained to the local motion of bodies only [beide Hervorh. L. B.].“ „Restrain“ im Sinne von „begrenzen“461, das durch das den Satz beschließende „only“ verstrkt wird, verdeutlicht, dass er den atomaren Bewegungsbegriff (und Prinzipiengedanken) der „local motion“ erweitern und als in sich widersprchlich ausweisen wird.462 Zunchst weitet Cudworth an dieser Stelle sein Konzept der „cogitation“ aus und versteht es als wesentlichen Aspekt Gottes, des gçttlichen Nous: So that “cogitation” is, in order of nature, before “local motion,” and “incorporeal” before “corporeal substance,” the former having a natural imperium upon the latter. And now we have not only confuted the ninth atheistic argument from motion, but also demonstrated against the Democritic Atheists from their own principle, that there is an incorporeal and cogitative substance, the first immoveable mover of the heavens and vortices; that is, an incorporeal Deity.463 460 System III, 414: „That this axiom, ,whatsoever is moved, is moved by another, and not by itself, was by Aristotle, and those other philosophers, who made so much use thereof, restrained [Hervorh. L. B.] to the local motion of bodies only; […]“. 461 Siehe OED s. v. restrain 3: to limit. 462 Diese Beschrnkung auf nur eine Art von Bewegung hlt Cudworth fr den Hauptfehler der Atomisten, der als Konsequenz nach sich zieht, die Existenz intelligibler Substanzen als Bewegungsprinzipien ausschließen zu mssen. Dies schließlich fhrt, wie hinreichend oft von Cudworth gezeigt und angeprangert, zur Leugnung eines adquaten Gottesbegriffs, siehe hier System III, 415. 463 System III, 416. Im Folgenden wird auf diese Weise das “cogito” des Descartes gleichsam metaphysiert und in einem neuplatonisierenden Rahmen zu einem Prinzipienbegriff entwickelt. Lotti, in Simonutti (2007), 415 weist kurz darauf hin, dass in diesem Fall die neuplatonische Metaphysik (er geht von einem Patrizi-Bezug aus) auf einen cartesischen Kontext angewendet wird. Ergnzend zu Lotti ist zu bemerken, dass durch die metaphorische Verbindung von kçrperlicher und unkçrperlicher Substanz in Form eines “natural imperiums [Hervorh. L. B.]” nicht nur eine Hierarchisierung der Substanzen erfolgt, die deren Urschlichkeitsverhltnis spiegelt, sondern auch die strikte Trennung Descartes zwischen res cogitans und res extensa aufgehoben und in ein

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Da Cudworth eine prinzipielle Erçrterung einer besonderen Art der Bewegung, nmlich die der seelischen „self-activity“, im Auge hat, kçnnte es ihm sinnvoll erschienen sein, mit der Beschreibung von Bewegung in derem ersten Prinzip, d. h. dem Geist Gottes, zu beginnen. Hier ist darzustellen, wie im Rahmen einer neuplatonischen Metaphysik Denken/„cogitation“ und Bewegung im Konzept eines intelligiblen Prinzips zusammengedacht werden kçnnen. Die Klassifizierung dieser Verschrnkung von Denken/„cogitation“ und Bewegungsform in der Seele lsst sich dann sinnvoll anschließen, denn die Seele ist ja mit dem gçttlichen Nous als ihrem Urbild verbunden und steht so in einem Verhltnis der hnlichkeit zu ihm. Strukturen, die sich im Nous finden, sollten sich also – wenn auch in modifizierter Form – grundstzlich ebenfalls in der Seele finden und beschreiben lassen.464 Auch in diesem Zusammenhang setzt Cudworths Text die dahinterstehende neuplatonische Metaphysik voraus, ohne sie eigens und weitergehend durch Zitate zu explizieren. Ausgehend von Cudworths Verwendung der Adverbien „first“ und „before“ in diesem Abschnitt lassen sich Rckschlsse auf Texte von Proklos und Plotin ziehen, die Cudworth eventuell zu seiner Art der Darstellung bewogen haben kçnnten.465 Aus den §§ 14 und 20 der Institutio des Proklos wird deutlich, dass die erste Position unter den Bewegungsprinzipien in der neupladynamisches Kausalverhltnis verwandelt wird. Neben Descartes (und Conway) kçnnte sich Cudworth an dieser Stelle zudem zumindest implizit mit der Annahme Francis Glissons auseinandersetzen, der mit Ausnahme der Vernunftseele alle anderen Seelenformen als materiae modos, als abgeleitete Zustndlichkeiten der Materie begreift und damit der Materie selbst kognitive und perzeptive Vermçgen zuschreibt, siehe Hartbecke (2006a), 161 und 170. 464 Vgl. Plotin, Enn. VI 6, 7, 4 – 7; siehe auch Patrizi, Pampsychia II, 52r-v. Zur analogen Vorstellung bei Francis Glisson, dergemß „die Selbstbewegung Gottes, sein seipsum intelligere [..] nicht weniger ,diffusiv als seine Essenz [ist], siehe Hartbecke (2006a), 192. 465 Vgl. auch System III, 415: „[…] the first [Hervorh. L. B.] cause of motion itself being unmoved“. Die Wiederholung von „before“ kçnnte, wie Cudworths gesamtes Argument, motiviert sein durch Pl., Lgg. 895a-b: „Angenommen, alle Dinge wrden in eins zusammenfallen und irgendwie zum Stillstand kommen, wie die meisten solcher Menschen zu behaupten sich erdreisten, welche der genannten Bewegungen msste dann darin als erste entstehen? Doch wohl diejenige, die sich selbst in Bewegung setzt. Denn durch etwas anderes kçnnen die Dinge ja niemals vorher (5lpqoshem) einen Anstoß zur Vernderung erfahren, da es ja in ihnen zuvor (5lpqoshem) keine Vernderung gab. Als Anfang also aller Bewegung und als diejenige, die als erste in den stillstehenden Dingen entsteht und in den bewegten wirkt, ist die sich selbst bewegende Bewegung, so mssen wir behaupten, die lteste und mchtigste unter allen Vernderungen; die aber, die durch etwas anderes den Anstoß erhlt und dann anderes in Bewegung setzt, ist die zweite“, in Verbindung mit 896a-b, wo die Seele als „die Bewegung, die sich selbst bewegen kann“ bestimmt und daraufhin konsequent als das „lteste von allem“ eben aufgrund ihres Status als „Anfang der Bewegung (!qwμ jim¶seyr)“ hervorgehoben wird. Als „lteste“ steht sie in der Reihe der Geschçpfe vor allem anderen Geschçpflichen. Allerdings ist ihr noch der Nous voranzustellen.

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tonischen Seinshierarchie der Nous einnimmt: „There must, then, be something unmoved which is the first mover. […] If, therefore, soul is a self-moved cause of motion, there must exist a prior cause of motion which is unmoved. Now Intelligence (moOr) is such an unmoved cause of motion, eternally active without change.“ (bs. Dodds, 16, 18 – 19 und 22, 16 – 20). Diese Texte sind von primrer Bedeutung hinsichtlich der Etablierung des gçttlichen Nous in seiner Position als erstes Bewegungsprinzip. Seine innere Struktur, die helfen kann zu verstehen, warum er als unbewegter trotzdem als Bewegungsprinzip fungiert, ist allerdings mit Plotin zu erschließen und beinhaltet eine wesentliche Modifikation der Vorstellung des Unbewegt-Seins des Geistes, letztlich nach Vorgaben aus Platons Dialog Sophistes. 466 In Enneade VI 6, 6, 31 – 36 verschrnkt Plotin auf der Ebene des Nous Denken und Bewegung miteinander, indem er sie beide als identische Form der Verwirklichung, d. h. der Energeia des Nous betrachtet: […] sondern die Bewegung an sich hat das Denken hervorgebracht, dergestalt, dass sie sich selber als Bewegung und als Denken hervorbrachte. Denn die Bewegung dort oben ist zugleich auch das Denken Jenes Wesens, Jenes ist aber auch selber Bewegung, weil es die Erste Bewegung ist (denn es gibt keine andere vor ihr) und die wesenhafte Bewegung, weil sie nicht als Accidens an einem andern ist, sondern eine Verwirklichung des Bewegten, welches aktuell seiend ist. Somit ist sie anderseits auch Wesenheit; das nachtrgliche Denken des Seienden ist von ihr verschieden.467

Die Energeia, in der Bewegung und Denken zusammenlaufen, ist zugleich das Wesen, die oqs¸a, eines aktuell Seienden, d. h. des Nous. Wesentliches Merkmal dieser Ousia wiederum ist es, wie Plotin an anderer Stelle hervorhebt, in sich selber zu sein bzw. zu be- oder verharren (l´meim).468 In einer Kombination dieser beiden Anstze zum Wesen des Intelligiblen insgesamt und zum Nous im Speziellen ließen sich Unbewegtheit und Status als Bewegungsprinzip im Rahmen der Hierarchie neuplatonischer Metaphysik und mit Fokus auf den fr Cudworth zentralen Begriff der „cogitation“ sinnvoll zusammenfhren. Im noetischen totum simul, der All-Einheit des gçttlichen Nous, kçnnen nmlich Verharren und Bewegung in der Ganzheit des noetischen Vollzugs aufgehoben werden, so dass eine Art urbildliche „unbewegte Bewegung“ noetischer Selbsterkenntnis gedacht werden kçnnte, eine Integration von l´meim und Au466 Gemeint ist Soph. 248e-249d. Dazu u. a. Halfwassen (2004), 68 – 74, der die Grundberlegung expliziert, dass „das vollkommene Sein […] aufgrund seiner Vollkommenheit in sich selbst [Hervorh. J. H.] Bewegung und Leben [..], erkennendes Denken [..] und Geist [..] enthalten [muss]; […]“ (ebd. 69). 467 !kk B aqtoj¸mgsir pepo¸gje tμm mºgsim, ¦ste aqtμ 2autμm j¸mgsim ja· mºgsim7 B c±q j¸mgsir B 1je? j !je¸mou mºgsir, ja· aqt¹ d³ j¸mgsir, fti pq¾tg7 oq c±q %kkg pq¹ aqt/r7 ja· B emtyr, fti lμ sulb´bgjem %kk\, !kk± toO jimoul´mou 1m´qceia emtor 1meqce¸ô7 ¦ste aw ja· oqs¸a7 1p¸moia d³ toO emtor 2t´qa. 468 Siehe z. B. Plotin, Enn. V 4, 2, 26 – 39; dazu Bergemann (2006), 75.

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tokinesis.469 Auch die entsprechende Charakterisierung der „cogitation“ als „self-activity“ und „active cause“470 kçnnte Cudworth aus Plotin ableiten, der nur wenig spter in Enneade VI 6, 8, 7 – 11 folgende Definition des Nous, der !kghimμ oqs¸a, gibt: Zuerst nun tue man alle Sinneswahrnehmung fort und betrachte den Geist nur mit dem Geiste, man denke daran, dass auch bei uns Leben und Geist nicht auf der Masse (oqj 1m ecj\) beruhen, sondern auf einer masselosen Kraft (1m dum²lei !ºcj\), und dass die wahrhafte Wesenheit sich alles dessen entkleidet hat und Kraft (d¼malim) ist, die auf ihrem eignen Fundamente wandelt, nicht ein kraftloses Schattending, […]

Vor diesem Hintergrund soll nun die bei Cudworth beobachtete Engfhrung von Nous und Seele in diesem Kontext beurteilt werden: Cudworth hebt bei der Auszeichnung des Nous als der ersten Bewegungsursache aller innerweltlichen Bewegung von Kçrpern im Raum in System III, 416 – zumindest implizit und durchaus rekonstruierbar – die nousspezifische Form des Denkens und dessen wesentliche Verklammerung mit Bewegung hervor, die z. B. bei Plotin formuliert wird. Zugleich setzt die Bestimmung dieses Denkens als „self-activity“ einer „self-active substance“ die Konzeptionierung des Nous als %ocjor d¼malir, „die auf ihrem eigenen Fundament wandelt“, voraus,471 die ebenfalls in Enneade VI 6 von Plotin vorgebracht wird. Da Cudworth auch im Fall seiner Seelendarstellung das Seelenzentrum als d¼malir und deren Struktur als energetische „cogitation“ auffasst und zudem bruchlos als abbildliche Struktur des urbildlichen Nous in sein System einfhren kann,472 manifestiert sich in der Seele bzw. ihrer Struktur die urbildliche Struktur des Nous und begrndet so den innerweltlichen Status der Seele als Bewegungsprinzip. Dieses bertrgt als oqsi¾dgr d¼malir in der wesentlichen Verschrnkung von Denken und selbstreflexiver Bewegung die vernnftigen Prdispositionen des gçttlichen Nous nach außen.473 469 Vgl. Beierwaltes (1998), 60. 470 System III, 415 f. 471 Diese notwendige Verbindung ist – wohl auch fr Cudworth – durch Procl., Inst. § 15 ebenso fundiert wie gefordert. 472 Aufgrund dieser berlegungen ist Taliaferros Annahme, es sei „absurd to treat a person and her or his body as seperate entities“ (Taliaferro [2005], 31), nicht ohne weiteres zuzustimmen, da sie eine im Falle Cudworths m. A. n. ontologisch unzulssige Vorstellung der Verbindung von Kçrper und Seele impliziert, die eher der Aristotelischen Konzeption der Entelechie verbunden ist als Cudworths neuplatonischen Entwrfen. 473 Die elementare Verbindung von Seele und Nous, die diese Korrespondenz begrndet, beschreibt Plotin u. a. in Enn. VI 2, 22, 28 – 33: „Und indem dann die Seele ihrerseits Wirksamkeit bt (1meqco¼sgr) als Gattung oder Art, entstehen die andern Seelen als ihre Arten. Diese nun haben eine zwiefache Wirksamkeit (aR 1m´qceiai ditta¸): die eine richtet sich nach oben, und sie ist Geist, die andere nach unten, und sie enthlt die Existenz der brigen Krfte je nach Maß ihres Abstiegs (B d³ pq¹r t¹ j²ty aR %kkai dum²leir jat± kºcom); ihr unterstes Stck befasst sich dann bereits mit der Materie und

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Aus diesem ontologischen Grund entspricht die Seele, wenn auch abbildlich und defizitr, so doch immer noch grundstzlich, in ihren zentralen Merkmalen dem Geist Gottes. Darber hinaus wird sie in ihrer Funktion als Bewegungsvermittlerin nun ber den Nous und Seele gemeinsamen Begriff der „cogitation“ viel enger und spezifischer als zuvor im System mit dem Nous als Aspekt der gçttlichen Trinitt verbunden. Dies beinhaltet die Mçglichkeit, die vernnftige Binnenstruktur der Seele und damit einhergehend die Umsetzung der gçttlichen „Vorgaben“ in der Welt fundierter zu denken, denn aufgrund der strukturellen Entsprechung eben als „cogitation“ zwischen der Bewegung der Seele als zweitem oder innerweltlichem Prinzip von Bewegung in der Schçpfung und der „Bewegung“ des Nous als erstem Prinzip ist die schçpferisch wirksame Bewegung der Seele immer schon vernnftige, noetisch (vor-)strukturierte Bewegung und Urschlichkeit, die damit in ausgezeichneter Weise der ebenso noetischen (Pr-)Disposition der Panspermie der Materie korrespondiert. Im Gegensatz zu den Atomisten besitzt Cudworth also als Neuplatoniker die Mçglichkeit, in der spezifischen Kombination der (spt-)antiken Referenztexte bzw. der in ihnen vermittelten Vorstellungen den Begriff einer selbstreferentiellen, intrinsisch-aktiven Substanz zu entwickeln. Dieser spezifischen Explikation des Nous als Bewegungsprinzip folgend, in dem sich Bewegung und Denken in Form einer urschlichen Kraft miteinander verschrnken, fokussiert Cudworth seine Argumentation gleichermaßen phnomenologisch auf die Seele.474 Um ihre „self-activity“ gleichfalls nachzuweisen und zu bestimmen, gesteht er zwar zu, dass viele Wahrnehmungen und Denk- oder Bewusstwerdungsprozesse auf dem atomistischen Reiz-Reaktionsschema beruhen,475 aber eben keinesfalls alle! Diejenigen mentalen Prozesse, die sich nicht auf dieses Schema reduzieren lassen, fasst Cudworth unter der Fhigkeit einer jeden rationalen Seele zusammen, eine „!qwμ pq²neym“, „a principle of actions“ sein zu kçnnen.476 Diese pq²neir (actions) werden dann ausdifferenziert: The rational soul is itself an active and bubbling fountain of thoughts; that perpetual and restless desire, which is as natural and essential to us as our very life, formt sie, und es hindert der untere Seelenbezirk die ganze brige Seele keineswegs daran, in der Hçhe zu weilen.“ 474 Letzter Zweck dieser naturphilosophischen Argumentation ist es auch, Unabhngigkeit und Freiheit seelischen Tuns zu begrnden und zu rechtfertigen, wie System III, 417 zeigt: „For, had we no mastery at all over our thoughts, but they were all like tennisballs, bandied, and struck upon us, as it were, by rackets from without, then could we not steadily and constantly carry on any designs and purposes of life.“ 475 System III, 417: „[…] we freely grant, that our human cogitations are indeed commonly [Hervorh. L. B.] occasioned by the incursions of sensible objects upon us“. 476 System III, 417. Auffllig bzw. wichtig fr die richtige Positionierung der Seelen in der Hierarchie des Seins, der spter von Cudworth wiederholt evozierten „scale of being“, ist die Betonung „subordinate to the Deity“ und die damit zusammenhngende Einschrnkung des Prinzipienstatus der Seelen durch „in some sense“.

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continually raising up and protruding new and new ones in us, which are as it were offered to us. Besides which, we have also a further self-recollective power, and a power of determining and fixing our mind and intention upon some certain objects, and of ranging our thoughts accordingly.477

Der ersten Bestimmung der „self-activity“ der Seele als „active bubbling fountain of thoughts“ liegt die frhneuzeitliche Einschtzung des kreativ-innovativen Potentials der Seele zugrunde, die Vorstellung der fecunditas intellectualis naturae des Menschen.478 In diesem Zug ußert sich die Eigenschaft der Seele, als Prinzip etwas aus sich selbst hervorbringen und initiieren zu kçnnen, ohne dass sie dafr der ußeren Ursachen bedrfte, wie es die atomistischmechanistische Theorie von der Seele, ihren Wahrnehmungen und internen Prozessen fordert. Mit dem bestndigen, nie zur Ruhe kommenden (Be-)Streben und Verlangen der Seele greift Cudworth einen weiteren wesentlichen Aspekt der neuplatonisch geprgten zeitgençssischen Seelenkonzeption auf,479 der zugleich weiterreichende metaphysische Implikationen besitzt, die zustzlich verstndlich machen, warum und wie Gott als erstes, ursprngliches Bewegungsprinzip fungieren kann. Die neuplatonisch geprgte frhneuzeitliche Seelenspekulation lsst nmlich dieses Streben in seinem Kern immer auf das Prinzip und den Ursprung von allem, und das bedeutet: auf Gott, ausgerichtet und wesentlich mit der Vorstellung der Seele und Gottes als Zentren verbunden sein: Diese konstitutive Gegenwart des Einen ist nun nach Ficino der Grund dafr, dass das ,ungeformte, ,unbegrenzte Hervorgehen sich immer in eine Form fassen kann und tatschlich auch fasst und – dies die These dieser Ausfhrungen – dass auch die an ihr selbst unbegrenzte Produktivitt der Seele und des Geistigen der Seele in sich eine ,Neigung (inclinatio), ein ,Streben (appetitus) oder eine ,vorbewusste Orientierung (instinctus) vorfindet, diese Produktivitt auf ihr eigenes transzendentes Prinzip hin zu fokussieren, eine Fokussierung, die man im Sinne des Ficino ganz generell als den Basisakt des Religiçsen bezeichnen kann, denn durch sie wird erreicht, dass die Seelen ,durch ihr eigenes Zentrum (…) dem Zentrum aller Dinge sich verbinden, dass sie sich ,ber sich selbst erheben.480

Der Gedanke des Zentrums wurde, wie gezeigt, bei Cudworth bereits im Zusammenhang mit dem Problem relevant, wie das (wirkende) Anwesendsein Gottes und in Analogie dazu das der Seele als nachgeordnetem intelligiblen Prinzip in der Welt gedacht und veranschaulicht werden kçnnen. Jetzt rckt die Seele durchaus den vorangehenden berlegungen Cudworths entsprechend und sie fortfhrend als Ursache des Denkens (der „cogitation“) und damit als Bewegungsursache ins Zentrum des Interesses. Cudworth kann sich auch fr diese 477 478 479 480

System III, 418. Dazu Leinkauf (2005a), 144 f. Vgl. z. B. Leinkauf (2002), 44, Anm. 44 und (2005), 145, Anm. 31. Leinkauf (2002), 44.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

Explikation eines wichtigen Aspekts seelischer Prinzipienhaftigkeit und dessen Ausrichtung auf das erste Prinzip, das nun als primre causa finalis fungiert, an Plotin orientieren: Denn das Denkende ist nicht das Erste, weder an Sein noch an Wert, sondern Zweites, ist erst entstanden, als das Gute schon da war und das Gewordene auf sich hinbewegte, so dass es in Bewegung kam und es erblickte. Das eben ist das Denken: Bewegung des Denkenden auf das Gute hin, nach dem es trachtet. Denn das Trachten hat das Denken erzeugt und zugleich mit sich selbst ins Dasein gerufen.481

Der Begriff des „Trachtens“ oder „Verlangens“ umfasst und begrndet also zustzlich den Status der Seele als Bewegungsprinzip, wenn dieses „Trachten“, wie bei Cudworth, mit der „cogitation“ als wesentlicher Eigenschaft der Seele verknpft wird. Denn in diesem Zusammenhang wird Gott/das Eine-Gute immer als allererste und unstoffliche Bewegungsursache mitgedacht, da das Eine/Gott in seiner Funktion als primre causa finalis, einem zentralen Magneten gleich, durch seine Anziehungskraft diese strebende Bewegung in den Geschçpfen induziert.482 Auf der Ebene der Gott untergeordneten Seelen und intelligiblen Wirkkrfte erfolgt das Streben zurck zur ersten Ursache nmlich durch die Selbstreflexion, die in der Erfassung des eigenen Wesens dessen Ursprung – auch und gerade – in seiner Eigenschaft als rckzuliebendes Prinzip erfasst und dann bewusst erstrebt.483 Diese Befhigung zur Reflexivitt, die, wie bereits gezeigt, ebenfalls Grundvoraussetzung fr ein intelligibles autokinetisches Bewegungsprinzip ist, erwhnt Cudworth mit seiner Wendung der „selfrecollective power“, womit er zugleich auf seine Bestimmung des Zentrums der Seele als „internal energy“ Bezug nimmt.484 Auf dieser Basis kann er dann den reduktionistischen Atomisten erneut den Vorwurf machen, sie wrden der hierarchischen Struktur der Wirklichkeit nicht 481 Plotin, Enn. V 6, 5, 5 – 10. Fr die Vorstellung des Strebens der Seele zum Einen als der causa finalis alles Nachgeordneten bei Plotin siehe Bussanich, in Gerson (1996), 52. Vgl. auch Beierwaltes (1998), 66 – 68. 482 Dieser Gedanke findet sich z. B. vor Cudworth ausgedrckt bei Ficino, De amore, oratio prima, c. II, 4r-5r/139 – 140/1321 – 1322 und oratio secunda, c. II, 10r-10v/146/1324. Leinkauf (1993), 330 – 332 stellt in Bezug auf Athanasius Kircher heraus, dass Gott Vater die vis attractiva zukommt, wobei dieser Attraktionskraft „insbesondere im Rckgriff auf Ficino“ (ebd. 332) die „Liebe“ als ontologischer Zug korrespondiert. 483 Vgl. dazu Leinkauf (2005a), 148, Anm. 35. Dort der Hinweis auf John Smith, A Discourse Concerning The Existence And Nature Of God, (1660) Chap. 1, 123: „ Both which we may best learn from a Reflexion upon our own Souls, as Plotinus hath well taught us, eQr 2aut¹m 1pistq´vym, eQr !qwμm 1pistq´vei, He which reflects upon himself, reflects upon his own Originall, and finds the clearest Impression of some Eternall Nature and Perfect Being stampd upon his own soul […] And if we would know what the Impresse of Souls is, it is nothing but God himself, who could not write his own name so as that might be read but onely in Rationall Natures [alle Hervorh. im Original].“ 484 Siehe System III, 395.

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gerecht, sondern wrden alle zur Erklrung weltlicher und seelischer Phnomene notwendigen Differenzierungen zugunsten der Annahme einer einzigen „senseless matter, diversely modified“485 einebnen.486 Da dies nicht statthaft ist, ist auch die darauf aufbauende reduktionistisch-mechanistische Epistemologie abzulehnen, die alle „cogitation“ unzulssigerweise auf „local motion and mechanism“487 herabwrdige.488 Im Unterschied zu dieser ebenso ontologischen wie anthropologischen Entwrdigung der seelischen Fhigkeiten des Menschen nach einem bloß mechanistischen Reiz-Reaktionsschema wertet Cudworth die „Innerlichkeitsthese“ zustzlich auf zu einer Art Spontaneitts- und Autonomiekonzept menschlicher Willensfreiheit.489 Zwar transformiert Cudworth seine ursprngliche Konzeption jeder vernnftigen Seele als „principle of actions“ und „something of self-activity“ in diesem Zusammenhang, greift sie aber mit denselben

485 System III, 419. Zu den metaphysischen Grundlagen, die diesen Vorwurf – auch theologisch – motivieren und die anzufhren Cudworth nicht mde wird, s. o. im Kapitel 7.4 „Engelhafte Wesen als virtutes Dei – Urschlichkeitsformen Gottes in der stofflichen Welt“ zu Procl., Inst. § 14; siehe auch Plotin, Enn. VI 2, 18, 8 – 9. Im ganzen orientiert sich Cudworth bei seiner Auseinandersetzung mit den reduktionistischen Atomisten an der in Pl., Lgg. 891c-d; 896a und 894d-e in der Annahme einer „scale of being“ fundierten Atheismuskritik. Cudworth selber zitiert die entprechenden Stelle spter in System III, 430 – 431 und 436. In 436 wird Lgg. 891c-d dem polemischen Ton der Atomisten-Widerlegung im System in der bersetzung durchaus angepasst: Aus dem eher beilufig-neutralen pgcμ tim± (eine Quelle […]) wird „the very [Hervorh. L. B.] fountain […]“, aus !mo¶tou dºngr (der „unvernnftigen Meinung“) wird „that atheistic madness“. 486 Zu dieser Einschtzung Cudworths siehe System III, 432. 487 System III, 423. 488 In System III, 428 wird den reduktionistischen Atomisten sogar die vçllige Verkehrung der Ursachenreihe vorgeworfen: Bei ihnen wird der gçttliche Nous zum „junior“, „image“ und „creature“ der stofflichen Welt und der sinnlich wahrnehmbaren Dinge, denen er doch in Wahrheit als Prinzip und „senior“ archetypisch und strukturierend ber- und vorgeordnet ist. Im Zuge dieser Atomismuskritik erfolgt zugleich eine Ablehnung nominalistischer Anstze in System III, 429, die auf Hobbes abzielt (vgl. System III, 429, Anm. 8). 489 Siehe Leinkauf (2005a). Bei Cudworth ausgedrckt in System III, 424: „And this was the ground of the Democritic fate or necessity of all human actions, maintained by them, in opposition to the t¹ 1v Bl?m, or ,liberty of will, which cannot be conceived without selfactivity and something of contingency; […]“ In diesem Zitat bedeutet „contingency“ wohl „being free from predetermining necessity“, s. OED s. v. II, 3. c. Zum 1v Bl?m und seiner Bedeutung fr Cudworths Ethik s. Hutton, in Simonutti (2007), 88 – 94. Bereits Hutton benennt klar, dass dieses ethische Konzept in der metaphysischen Seelenlehre Cudworths begrndet ist, derzufolge die Seele als selbstbewegtes und sich selbst bestimmendes Prinzip zu verstehen ist. Dabei verweist Hutton, ausgehend von der Verwendung des Adjektivs aqteno¼siom in Cudworths Treatise of Freewill, u. a. auf Plotin, Enn. VI 8 als Referenztext.

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7. Die weitere Explikation und Funktionalisierung des Gottesbegriffs

Begriffen wieder auf.490 Diese terminologische Beharrung zeigt, dass Cudworth ethisch hochrelevante Konzepte auf metaphysische zurckfhrt,491 in diesem Fall Autonomie und Willensfreiheit auf das als „internal energy“ und „selfactivity“ definierte Seelenzentrum, das deutlich nach seinem ontologischen Urbild, dem (gçttlichen) Geist, strukturiert gedacht wird.492 Dabei rckt der Nous sowohl aufgrund seiner eigenen Struktur als auch aufgrund seiner Position in der Seinshierarchie als causa finalis und als Bewegungsprinzip der Seele in den Fokus der Argumentation. Die Freiheit der Seele besteht dann in der selbstreflexiven Bestimmung hin zum Geist Gottes. Die Ableitung der Funktion der Seele, Bewegung selbstverursacht initiieren zu kçnnen, aus dieser selbstbestimmten Hinordnung zum Hçheren autonomisiert sie gleichzeitig gegenber rein materieimmanenten Bewegungsformen: Statt aus ihnen seelische Phnomene abzuleiten, wie es die Atomisten tun, ist es bei Cudworth die Seele mit ihren Wirkungen, die in ihrer Verwiesenheit auf Gott und den gçttlichen Nous je spezifische Bewegungsformen und Zustndlichkeiten hervorbringt. Fr Cudworth verkehren und beseitigen die Atomisten also die grundlegende, kontinuierliche Hierarchie allen Seins und die mit ihr verknpfte Ursachenabfolge, die im System zum Verstndnis der Welt unabdingbar ist:

490 Vgl. System III, 425 mit 416 und 417; aus der „autokinesy“ von 416 wird die „liberty of free will“. 491 Zustzlich zu Hutton auch Taliaferro (2005), 32 – 34. Taliaferro hebt diese Relevanz gerade im Kontext einer Auseinandersetzung mit der calvinistischen Prdestinationslehre nachdrcklich hervor. Zusammen mit Passmore bercksichtigt er jedoch nicht die metaphysischen Implikationen und Fundamente dieser Freiheit. 492 Vgl. Leinkauf (2005a), 151. Im Unterschied zum bei Leinkauf geschilderten Vorgang ist bei Cudworth wohl allerdings eher an das – wenn auch abbildliche – Vermçgen der Seele gedacht, sich selbst Ursache fr etwas zu sein; dazu vgl. Leinkauf (2005a), 160, Anm. 57 und Blumenberg (1996), 619 – 621 und 627 – 632. Zum Freiheitsbegriff bei Plotin siehe Leroux, in Gerson (1996), 292 – 314: „In the Plotinian conception of human freedom, therefore, what strikes us most is the strength of the metaphysical premises. […] The eminent model of human freedom is still the absolute freedom of the One. […] The greatness of Plotinuss vision is rooted in the spiritual experience of a philosopher who has always tried to fuse together the harmony of metaphysical hierarchy as expressed by necessity and the urgency of purification as the spiritual injunction to return.“ Zur Freiheit der menschlichen Seele als „truly an originating causality“ verweist Leroux auf Enn. III 1, 8, 9 – 11: „Solange die Seele nun ohne Leib ist, ist sie vçllig Herr ber sich und frei und steht außerhalb der innerweltlichen Verursachung; […]“ und III 2, 10, 18 – 19: „Nun ist aber auch der Mensch eine solche Grundursache; denn er vermag, sich aus wesenseigener Anlage auf das Edle hin zu bewegen. Und dies ist ein Urbeginn, der in seiner freien Entscheidung liegt (!qwμ avtg aqteno¼sior).“ Stellen wie diese kçnnten Cudworth zu seinen Aussagen und semantischen Ausweitungen motiviert haben. Hutton, in Simonutti (2007), 93 mit Anm. 28 und 29 verweist auf Plotin, Enn. III, 1, 9, 20 – 15 [sic] und 6, 8, 7, 25 – 30 [sic] als weitere neuplatonische Referenztexte (gemeint ist III 1, 9, 10 – 15).

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The upshot and conclusion of all is, that [according to the Atomists] there is no such scale or ladder in nature as Theists and Metaphysicians suppose, no degrees of real perfection and entity one above another, as of life and sense above inanimate matter, of reason and understanding above sense; from whence it would be inferred, that the order of things in nature was in way of descent from higher and greater perfection, downward to lesser and lower, which is indeed to introduce a God.493

493 System III, 431. Vgl. die Ausfhrungen Huttons, in Rogers/Vienne/Zarka (1997), 93 – 100 zu Cudworths Funktionalisierung von Boethius im Schnittpunkt von „scale of nature“, Epistemologie und Ontologie in System I. Die hier angestellten Beobachtungen bauen auf Hutton auf und sind als Ergnzung zu ihren Ergebnissen anzusehen.

8. Die Kontinuitt des Seins – „But however thus much is certain, that brute animals […] cannot be quite excluded“1 Nachdem Cudworth am Beispiel der menschlichen Seele (und – in geringerem Maße – am Beispiel von Engeln und Dmonen) detailliert und differenziert erçrtert hat, wie sich das Wirken der Trinitt in seinen systemspezifischen Besonderheiten auf die ihr nachgeordnete Schçpfung entfaltet und verstrçmt und dabei die Strukturen innertrinitarischer Differenzierungen abbildlich bewahrt, wendet er sich nun dem Nachweis zu, dass die Kontinuitt der so begrndeten „scale of nature“ auch fr die intelligiblen Wirkformen und die mit ihnen verbundenen Phnomene des Lebendigen gilt, die der Seele nachgeordnet sind. Das schließt eine (implizite) Auseinandersetzung mit den Positionen cartesischer Physiologie (als deren Vertreter fr Cudworth auch Atomisten wie Charleton gelten kçnnen) ein, derzufolge Tiere komplexe Mechanismen sind, die ohne jede Form seelisch-intelligibler Einwirkung und Formkraft ent- und bestehen kçnnen.2 In der „scale or ladder in nature“ des System, diesen „climbing stairs of entity and perfection“3, nimmt das Eine-Gute, die „Godhead“, die hçchste Stelle ein. Cudworth erçrtert diese Position im Ausgang von Plotins Lehre, dass das Eine als mogtºm dem Nous vorgeordnet sei, gibt dieser Lehre dabei aber einen systemspezifischen Zuschnitt.4 Er fasst nmlich die drei Hypostasen seines Neuplatonismus auch hier zur trinitarischen, in sich dynamischen und schçpferisch wirksamen Einheit der gçttlichen Trinitt nach bekanntem Muster zusammen: But as those three archical hypostases of the Platonists and Pythagoreans are all of them really but one He?om, or “divinity,” and the first of those three (superior to that which is properly called by them, Mind or intellect) is not supposed therefore to be ignorant of itself; so is the first Mind or Understanding no other, than that of a perfect Being, infinitely good, fecund, and powerful, and virtually containing all things; comprehending itself and the extent of its own goodness, fecundity, virtue, 1 2 3 4

System III, 448. Vgl. Hatfield, in Cottingham (1992), 344 – 346 und Cottingham, in Cottingham (1992), 245 – 249. System III, 432. System III, 433 – 434. Zur Vorstellung des Einen als mogtºm bei Plotin siehe z. B. Halfwassen (2004), 66 – 68 und Bussanich, in Gerson (1996), 52 – 55. Cudworth kçnnte diese Vorstellung u. a. auch durch Ficino, De amore, oratio prima, cap. II, 4r-6r/139 – 141/ 1321 – 1322 vermittelt worden sein.

8. Die Kontinuitt des Seins

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and power; that is, all possibilities of things, their relations to one another, and verities; a Mind before sense, and sensible things. An omnipotent understanding Being, which is itself its own intelligible, is the first original of all things.5

Cudworth betont jetzt mit „fecund and powerful“, „fecundity, virtue and power“ und „first original of all things“ ganz besonders die umfassende und lckenlose schçpferische Wirkung dieses dreieinheitlichen Prinzips nach außen hin auf die Schçpfung, denn in dieser Funktion ist es zugleich Garant und Prinzip der zuvor gegen die reduktionistischen Atomisten und Atheisten ins Feld gefhrten „scale of nature“6. Schließlich ist die gçttliche Trinitt das, was urschlich die Struktur vorgibt, dergemß die Seelen die Materie der Schçpfung gestalten, und demgemß sie ihren Status als das erhalten, was aus sich heraus auf die Materie wirkt und sie formt.7 Die Materie selbst ergibt sich quasi notwendig aus dem kontinuierlichen Verstrçmen des gçttlichen Prinzips: „A perfect and understanding Being is the beginning and head of the scale of entity; from whence things gradually descend downward, lower and lower, till they end in senseless matter.“8 5 6

7 8

System III, 433 f. Diese wird in den ontologischen Komparativen impliziert, mit denen den intelligiblen Wirkprinzipien ein Mehr an Wirklichkeit gegenber der Materie zugesprochen wird, z. B: „mind […] is a greater reality in nature, […] the things, which belong to souls and minds, to rational beings as such, must not have less, but more reality in them, than the things in inanimate bodies. […] it being impossible for a greater perfection to be produced from a lesser, […] from whence things gradually descend downward, lower and lower, till they end in senseless matter“ (System III, 434 – 435). Mahoney, in Simonutti (2007), 329 verweist zustzlich darauf, dass dieser Nachweis der Existenz Gottes nur funktionieren kçnne, wenn die Grade (oder Stufen) der Vervollkommnung begrenzt und endlich seien. Die Textstelle bei Cudworth legt dies allerdings nicht nahe, vielmehr impliziert System III, 433 f., wo Cudworth schreibt, dass Gott seine eigene Schçpferkraft gerade als unendliche in sich umfasse, das Gegenteil von Mahoneys Annahme. Zu dieser Textstelle s. auch Hutton, in Rogers/Vienne/Zarka (1997), 97. Vgl. System III, 434. System III, 435. Zumindest an dieser Stelle ist bei Cudworth keine Rede von einer willentlichen Schçpfung der Materie aus dem Nichts direkt durch Gott. Cudworths Formulierung, getragen vom Gedanken eines kontinuierlichen Seinshervorgangs und -abstiegs aus Gott heraus, erinnert an Plotins Darstellung der Notwendigkeit des Bçsen, d. h. der Materie, in Enn. I 8, 7, 16 – 23: „Da es nicht allein das Gute gibt [sondern auch das, was auf das Gute folgt; Zusatz von HBT], so muss es notwendig fr den Prozess des aus ihm Hervorschreitens, oder wenn man es so nennen will: des stndigen Hinabschreitens und Wegrckens ein Letztes geben; und eben dies, nach welchem schlechterdings nichts mehr entstehen kann, das ist das Bçse.“ Auffllig ist, dass Cudworth die Materie zwar als „senseless“, keinesfalls aber als bçse charakterisiert, da es ihm darauf ankommt, Gott von dem Vorwurf freizuhalten, er kçnne das primr Bçse geschaffen haben, d. h. der Plotinische Gedanke wird zumindest in diesem Aspekt an die Vorstellung des guten und liebenden personalen Gottes angepasst, die Cudworth auch sonst dezidiert vertritt.

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8. Die Kontinuitt des Seins

Die Vorstellung der hierarchisch geordneten Wirklichkeit mit ihrer quasi von oben nach unten reichenden Ursachenverkettung bleibt entsprechend fr die Auswahl und Kombination der folgenden Zitate aus Platons Leges bestimmend.9 Mit ihnen sttzt Cudworth durch die Autoritt Platons den zentralen Gedanken seines Systems, denn auf dem Spiel steht die ganze, in Gott gegrndete Wirklichkeit und deren Ursachenstruktur, d. h. das Modell, nach dem Cudworth die Zugewandtheit Gottes zur Welt und deren Ablauf erklrt, denn dieses Modell ist aufgrund der Vorstellung einer sich verstrçmenden und ausdifferenzierenden Kraft wesentlich mit dem Gedanken des Kontinuums verbunden.10 Die naturphilosophische Bedeutung dieses Argumentationsabschnitts und seines Schwerpunkts, der „scale of nature“, ist besonders daran zu erkennen, dass Cudworth die kurzen Lgg.-Zitate in System III, 437, die sich auf die Weltseele beziehen, hinsichtlich ihrer ontologischen „Reichweite“ entsprechend ausweitet: „Now it is evident, that Plato in all this understood, not only the mundane soul, or his third divine hypostasis, the original of that motion, that is in heavens and the whole corporeal universe, but also all other particular lives and souls whatsoever, or that whole rank of beings called soul [Hervorh. L. B.]; […]“11. Durch die Inklusion niedrigerer Form- und Wirkkrfte in die Aussagen Platons werden alle intelligiblen Wirkformen bis hin zur niedrigsten, der plastic nature, in ihrem Status nochmals deutlich vom Bereich des rein Stofflichen abgehoben, und der von einigen Atomisten und Theisten vertretene Gedanke, die Seele emergentistisch aus der Materie hervorgehen zu lassen, erneut mit Nachdruck zurckgewiesen.12 Die Vorstellung von der Welt und ihren Phnomenen als Resultat des Wirkens eines von Gott ausgehenden, strukturierten und sich strukturierenden, ausdifferenzierten und dynamischen Seins- und Ursachenkontinuums fundiert Cudworths weiteres Vorgehen, in dem er sich dem Problem zuwendet, dieses Kontinuum in seiner Lckenlosigkeit, Dynamik und 9 System III, 436 – 437. Die Passagen stammen aus Leges 891c, e-892a sowie 896b und c. Zum Ausdruck kommt die Leitvorstellung der „scale of nature“ bzw. ihrer Verkehrung durch die reduktionistischen Atomisten z. B. in derartigen, von Cudworth zitierten Wendungen: „pq_ta […] vsteqom ; d d³ vsteqom pqºteqom ; xuwμ t_m p²mtym pqesbut²tg ; pqot´qam […] de¼teqom […] !qwo¼sgr, !qwºlemom jat± v¼sim“. Zur „scale of nature“ bei Cudworth und der Abhngigkeit dieses Konzepts von Vorstellungen Ficinos siehe Mahoney, in Simonutti (2007), 321 – 333 und Mahoney, in Brown (1998), 254 – 265 zur „Verkehrung“ der ontologischen Ordnung durch die reduktionistischen Atomisten, bes. ebd. 257 – 259 und Cassirer (1932/2002), 328 f. 10 Zur Kontinuums-Vorstellung siehe oben S. 233 f. und 238 zu Plotin, Enn. V 2, 2, 24 – 29. 11 System III, 437. 12 System III, 437 f. Auch hier stellt sich die Frage, ob Cudworth neben den „echten“ Atomisten nicht zustzlich Vorstellungen, wie sie z. B. Anne Conway in ihren princ. ausfhrt, im Auge hat, vgl. z. B. princ. 179, 191 – 208 und 211 (ed. Loptson). Eine klare Ablehnung derartiger Anstze nach bekanntem Muster findet sich ebenso in System III, 440 f.

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seinem Wirken zu denken. Dabei werden die verschiedenen Seelenarten („that whole rank of beings called soul“) und die ihnen zugehçrigen Seelenleiber aufbauend auf Cudworths bisherigen Ausfhrungen unter dieser vernderten Perspektive gleichfalls entsprechend thematisiert. Aufmerksamkeit verdient nun besonders die Frage, ob und wenn ja, zu welchen Verschiebungen oder Ergnzungen es bei der Wiederaufnahme des Themas kommt, wie sich diese im Umgang mit den (spt-)antiken Referenzen ußern und wie sie erklrt werden kçnnen.13 Im Anschluss an sein bisheriges Vorgehen bildet eine Auseinandersetzung mit dem Begriff „Eigenschaft“ (quality) den Ausgangspunkt der Argumentation.14 Jetzt allerdings begngt sich Cudworth, begrndet in seiner zuvor entwickelten Ontologie der Eigenschaften, damit, darauf hinzuweisen, dass die meisten der sog. „real qualities“ doch nichts anderes seien als die sekundren Sinnesqualitten der Atomisten. Sie aus der Materie abzuleiten bzw. als Ergebnis der „Protean transformation of matter“15 zu verstehen, ist legitim. Leben, (Selbst-)Bewusstsein und Bewegung jedoch sind keine derartigen Phnomene. Aufgrund seiner auf Platon und Plotin fußenden Einstufung dieser Eigenschaften und der ihnen zuzuordnenden Substanzen und Substanzkrfte in das Energeiai-Schema16 kçnnen sie nicht auf die atomar gegliederte Materie zurckgefhrt werden, sondern liegen als wesentliche Eigenschaften intelligiblen Seins und damit als Entußerungsformen wesentlicher, intelligibler Energeiai untrennbar verschrnkt mit diesen vor: „But we speak here of the original life of the soul itself, that this is substantial, neither generable nor corruptible, but only creatable and annihilable by the Deity.“17 Von den intelligiblen Wirkkrften, also in der Stufung des Seins von oben nach unten, werden diese Eigenschaften dann an das Stoffliche bertragen.18 Die Lckenlosigkeit dieser bertragung,

13 Vgl. Mosheims leicht ernchterte und resignierte Einschtzung in System III, 443, Anm. 2: „But the learned Doctor seems to have forgotten that he has already commented at great length before on these vehicles or subtle bodies of soul: from which it would appear that the portions of this volume or the sections of this chapter, were written at different times, and not in uninterrupted order.“ 14 System III, 439. Siehe auch System III, 405 – 408. 15 System III, 439. 16 S. o. S. 451 f. zu Enn. II 6, 2 – 3. 17 System III, 440. 18 System III, 439 – 440. Hier kann sich Cudworth z. B. auf Platon, Phd. 106d sowie Procl., Inst. §§ 188 und 189 beziehen – allerdings ist die Annahme der Seele als Lebensprinzip als allgemeines Wissensgut dieser Zeit anzusehen. Cudworths gesamte Argumentation findet sich in ihrer immer wieder wiederholten Grundstruktur z. B. in Plotin, Enn. IV 7, 9, 1 – 13 und 23 – 10, 2: „Die andre Wesensart aber, die von sich selbst das Sein hat, sie ist all das wahrhaft Seiende, welches nicht wird noch vergeht: sonst msste alles andere vergehn und wrde nicht wieder entstehen kçnnen, wenn das dahin ist, das allem Erhaltung gewhrt, dem Andern wie insbesondere dieser unserer Welt, welche durch die

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die garantiert, dass alle Formen von Leben intelligibel induziert sind, sowie die Explikation des Wie dieser bertragung bestimmen daher von Neuem Cudworths Argumentation. Um die Frage nach dem Wie der bertragung der „Eigenschaft“ Leben von den Seelen an die Kçrper zu beantworten, greift Cudworth auf sein bereits expliziertes Konzept des Seelenkçrpers, des Ochemas, zurck: „Wherefore, it being also natural to souls, as such, to actuate, and enliven some body, or to be, as it were, clothed therewith; these, as soon as created, were immediately invested with certain thin and subtle bodies, or put into light ethereal or a rial chariots and vehicles; […]“19 Cudworth nutzt seine Ausfhrungen zum Ochema nun allerdings, um seine Argumentation strker auf die Lckenlosigkeit der „scale of being“ zu fokussieren.20 Dazu unterscheidet er die jeweiligen Ochemata, mit denen die Seelen verbunden werden, nach ihrer Dichte und Feinheit, und charakterisiert das Verhltnis der Seelen zu ihren Kçrpern in zwei Wendungen, die unterschiedliche ontologische Implikationen besitzen: „invest“ und „put into light“. Mit „invest“ erfasst Cudworth die Notwendigkeit fr jede Seele, sich als belebendes Prinzip immer mit einem Kçrper verbinden zu mssen, ihn wie ein Kleid zu tragen als das, in oder an dem sich ihre wesentliche Bestimmung verwirklichen muss, Prinzip innerweltlichen Lebens und innerweltlicher Bewegung zu sein. Zugleich aber ist dieser Kçrper das Medium ihrer Seele erhalten und zum Organismus wird. Denn die Seele ist der Urbeginn der Bewegung und verleiht erst allem Anderen Bewegung, whrend sie selbst sich aus sich selber bewegt; sie gibt dem beseelten Leib erst das Leben, welches sie selbst von sich aus hat und niemals verliert, da sies von sich selber hat. Denn nicht alles kann ein nachtrglich hinzutretendes Leben haben, sonst geht die Reihe ins Unendliche; sondern es muss eine Wesenheit geben[,] die ursprnglich lebt, welche mit Notwendigkeit unvergnglich, unsterblich sein muss, da sie fr die andern Urgrund des Lebens ist. […] Dies Seiende nun, das ursprnglich und immer ist, kann nicht ein toter Kçrper sein wie Stein oder Holz, sondern muss ein Lebendes sein; und zwar muss das Stck von ihm, das fr sich allein bleibt, reines Leben haben; das Stck, das sich mit dem Niederen mischt, hat darin allerdings eine Hemmung des hçchsten Lebens, aber sein eigenes Wesen geht ihm darum nicht verloren, es nimmt die ursprngliche Lebensform wieder auf[,] wenn es zu seinem eigenen Bereich aufsteigt. (Dass die Seele der gçttlichen Wesenheit verwandt ist, das geht auch daraus hervor, dass sie, wie man gezeigt hat, nicht Kçrper ist.)“ Wichtig ist, dass Cudworth die ontischen „Kompetenzen“ der Seele einschrnkt: Im Unterschied zur neuplatonischen/Plotinischen Position, dergemß es die Einzelseele oder ein Aspekt der Einzelseele ist, der die Materie hervorbringt, gesteht Cudworth seinen Seelen dieses Vermçgen nicht zu – im System hat ausschließlich Gott die Macht, die als eigenstndige Substanz begriffene Materie aus dem Nichts zu erschaffen (siehe z. B. System III, 440). Zur Plotinischen Position hinsichtlich der Entstehung der Materie siehe u. a. Halfwassen (2004), 126 ff., O Brien, in Gerson (1996), 181 ff. und Bergemann (2006), 161 f. 19 System III, 443. 20 Zum Streben nach Lckenlosigkeit in der „Kette der Wesen“ siehe u. a. Lovejoy (1993/ 1936), 73 – 76 und 81 – 83.

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nach außen gerichteten Wirksamkeit,21 also ihrer 1m´qceia 1j t/r oqs¸ar, und damit ist er das Medium fr die Vermittlung des Lebens, das die Seele an den grçber stofflichen Kçrper, den „terrestrial body“ des jeweiligen Tieres oder Menschen etc. aus sich weiterzugeben hat. Im Verbund mit dieser Lebensenergie bildet das „light ethereal […] chariot“ die „sphere of action“ des Seelenkerns. Die Wirkung des Seelenzentrums als wesentlicher Wirkkraft auf den Aither als bertragungsmedium kann man gerade im Rahmen der neuplatonischen Metaphysik, wie bereits am Beispiel der Engel und ihrer „Kçrper“ erlutert, als Durchlichten, als „put into light“ verstehen und veranschaulichen.22 Cudworth ruft also mit diesen beiden Wendungen seine vorangehenden Ausfhrungen und ihr neuplatonisches Fundament zu diesem Thema in Erinnerung: Erst das Ochema der Seele ermçglicht es ihr und allen weiteren seelenartigen Wirkkrften, mit den stofflichen Kçrpern der Welt zu interagieren, sie zu bewegen und zu beleben.23 Dass dies nicht nur fr die Weltseele (d. h. die Weltseele als hçchster Form der plastic natures, nicht als Trinittsaspekt)24 und die rationalen Einzelseelen zutrifft, sondern im Sinne eines ungebrochenen Kontinuums bzw. einer ununterbrochenen Ursachenkette auch fr alle anderen Wirkformen und Formkrfte, belegt Cudworth mit 2 12 Versen aus Gedicht 9 des dritten Buches aus der Consolatio des Boethius,25 in denen diese niedrigeren Wirkkrfte ausdrcklich 21 Klar bezeichnet wird diese vermittelnde Funktion des Seelenkçrpers z. B. zuvor bei Robert Fludd, s. Rçsche (2008), 115 mit Anm. 514. 22 Plotin beschreibt die Wirkung der Seelen auf das ihnen Nachgeordnete – und dazu gehçrt ja auch der jeweilige Seelenkçrper – z. B. in Enn. IV 3, 17 als ein Durchstrahlen. 23 Es ist reizvoll, bleibt aber Spekulation, an dieser Stelle eine Bezugnahme Cudworths auf Walter Warner anzunehmen: Warner hatte als „a forth thing as a cause of motion“ eine Kraft angenommen, die er als vis radiativa oder auch als „vertue radiative“ bezeichnete, die allen Kçrpern innewohne. Diesbezglich zu Warner s. Henry (1986), 340 (dort auch die zitierten Begriffe). 24 In System II, 336 bezeichnet Cudworth diese Form der plastic nature als „universal physis“, um sie von der gçttlichen Weltseele abzugrenzen. Fr diese Form der Weltseele und ihre kosmogonische Funktion liefert z. B. Agrippa ein mçgliches Vorbild: „Est itaque anima mundi vita quaedam unica omnia replens, omnia perfundens, omnia colligans et connectens, ut unam reddat totius mundi machinam sitque velut unum monochordum ex tribus generibus creaturarum, intellectuali, coelesti et corruptibili reboans, unico flatu tantummodo et unica vita“ (ed. Perrone Compagni, 387). Zur Differenzierung zwischen der gçttlichen Weltseele, die zur Trinitt gehçrt, und dieser Form der plastic nature, vgl. Lotti, in Simonutti (2007), 396. 25 Boethius, Cons. III, car. 9, 18 – 20. Vgl. die Einschtzung, die Hutton, in Rogers/Vienne/ Zarka (1997), 98 von Cudworths Umgang mit Boethius gibt: „Thus Boethius figures as the representative of hierarchical Neoplatonism, as a key Neoplatonic philosopher through whom Cudworth introduces the hierarchical ontology that links him directly with the Neoplatonic tradition of Plotinus and gives a framework for his qualified critique of contemporary philosophy.“

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mit der hçher einzustufenden plastic nature-Weltseele nach Funktion und Beschaffenheit parallelisiert werden: So that the souls, not only of men, but also of other animals, have sometimes a thicker, and sometimes a thinner indument or clothing. And thus do we understand Boethius, not only of the rational, but also of the other inferior sensitive souls, in these verses of his: ,Tu causis animasque paribus vitasque minores // Provehis, et levibus sublimes curribus aptans, // In coelum terramque seris. Where his light chariots, which all [Hervorh. L. B.] lives or souls, at their very first creation by God, are placed in, and in which being wafted, they are both together, as it were, sowed into the gross terrestrial matter, are thin, a rial, and ethereal bodies.26

Diese Seelen werden nmlich explizit aus den gleichen Grnden wie die Weltseele (die hier nicht mit der Weltseele, die zur Trinitt gehçrt, verwechselt werden darf)27 von Gott hervorgebracht (provehis)28 und mit ihren (aitherischen) Seelenwagen verbunden: um Himmel und Erde nach den vorgegebenen Strukturen des gçttlichen Nous zu formen bzw., wie es bei Boethius in Vers 17 heißt: zu verwandeln ([..] et simili convertit imagine caelum [hier von der Weltseele]). Das lateinische Partizip „aptans“ lsst sich in diesem Kontext besonders in einem modalen Nebensinn verstehen, durch den dann verstrkt auf die mediale Funktion der Ochemata hingewiesen wrde: „[…] indem Du sie, die erhabenen, hoch oben an leichte Gefhrte fgst, sst Du sie aus in Himmel und Erde“. D. h. erst die Verbindung mit ihren jeweiligen primren Kçrpern ermçglicht die Einbindung der Seelen in die Schçpfung – wie bei Boethius so bei Cudworth. Ihre spezifische argumentatorische Konturierung erhalten diese BoethiusVerse jedoch erst in der Kombination mit dem Prokloszitat,29 das Cudworth unmittelbar an ihre kurze Deutung anschließt. Mit dem Zitat kann Cudworth Boethius Wendung von den „animas […] vitasque minores“ in seinem Sinne pointieren und universalisieren: Aus dem Proklostext geht nmlich eindeutig hervor, dass jede Seele (p÷sam xuwμm, „every soul“) mit einem primren aitherischen Seelenkçrper eine Verbindung eingeht, bevor (pq¹) sie mit ihrem sterblichen Kçrper verbunden wird. Auf diese Weise kann Cudworth in seiner

26 System III, 443. 27 Hier ist der Begriff im Sinn der „plastic nature of the universe“ (System I, 271) gebraucht. 28 „Proveho“ passt im Gedicht besser in den metaphorischen Rahmen: Gott fhrt die niedrigeren Seelen in ihren Seelenwagen hervor. 29 Cudworth nimmt Bezug auf Proklos, In Platonis Timaeum commentaria III, 167 (ed. Diehl, Leipzig 1906).

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Kombination den Anwendungsbereich des Ochema-Konzepts auf den Bereich der Erklrung smtlicher Lebensphnomene ausdehnen.30 Jetzt kann versucht werden, die Frage zu beantworten, warum Cudworth das Thema des Seelenleibes erneut aufgreift und was eventuell der neue Aspekt dieser Auseinandersetzung mit den reduktionistischen Atomisten sein kçnnte. Er liegt m. A. n. eben in der Universalisierung des Ochema-Konzepts: „all lives or souls“31 besitzen ein derartiges, mit ihnen verbundenes Mittlermedium. Damit rettet Cudworth nicht zuletzt die Dignitt der Tiere und Tierseelen: Wie Engel- und Menschenseelen besitzen auch sie ein Ochema. Auf diese Weise bleibt die Art und Weise der Interaktion zwischen intelligiblen Wirkformen und grobstofflichen Kçrpern in der Hierarchie der Seelen, die bis zur plastic nature reicht, unverndert und Cudworths System lckenlos und ungebrochen.32 Die Einbindung seiner Position in die zeitgençssische Debatte erreicht Cudworth dadurch, dass er in System III, 443 explizit auch den „inferior sensitive souls [Hervorh. L. B.]“ ein entsprechendes Ochema zuerkennt. Da dies die Seelenform bzw. Form der plastic nature ist, von der man annehmen kann, dass sie Tiere belebt, bewegt und erhlt, ist hier ein kritischer Descartes-Bezug zu vermuten: Descartes selbst nmlich lehnt die Annahme derartiger Seelen („ me vgtative, ni sensitive“ [Hervorh. L. B.]) im Trait de lhomme ab,33 wenn es darum geht, physiologische Ablufe wie Ernhrung, Bewegung oder Reagieren auf Sinneseindrcke zu erklren, die ein Tier besitzt. Vielmehr lassen sie sich fr Descartes als Ablufe eines komplexen Mechanismus erklren, vergleichbar mit einem Uhrwerk oder einem komplizierten Wasserspiel. In Cudworths System werden Tiere dagegen nicht zu Automaten, und ihr Leben wird nicht mechanistisch erklrt, denn sonst wre das auch bei allen anderen hçheren Lebensformen mçglich. Vielmehr ist es wie das Leben von Menschen und Engeln auf intelligible energetische Substanzen zurckzufhren. Cudworth lehnt es mithin ab, „Leben“ als Kategorie gleichsam analytisch in weitere kleinteiligere Prozesse zu zergliedern, die sich letztendlich alle als Bewegungen von Stoffpartikeln beschreiben lassen sollen. Diese Haltung begrndet sich in der Einstufung von „Leben“ als neuplatonischer „real quality“. Cudworth richtet sich mit diesem Abschnitt seiner Argumentation also gegen Descartes, dessen Position er kritisiert und durch den Nachweis der Lckenlo30 Zudem bndeln sich im hier zitierten Text Cudworths zentrale Ansichten zu diesem Thema. 31 System III, 443. 32 Zudem ist so erklrt, wie die plastic nature als Kraft von innen heraus auf die Kçrper zu wirken vermag – also eine Auszeichnung ihres Wirkens z. B. gegenber menschlicher Technik und Kunst, die Cudworth in seiner „digression“ zwar wiederholt hervorgehoben, aber bis zu diesem Punkt niemals systematisch ausgefhrt hat. 33 Descartes, AT XI, 202; siehe Cottingham, in Cottingham (1992), 245 f.

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sigkeit seines Systems zu widerlegen versucht.34 Da Cudworth es strikt ablehnt, tierisches Leben, das fr ihn als Leben substantiell nicht vom menschlichen Leben unterschieden werden kann,35 aus der Materie allein hervorgehen zu lassen, mssen auch die „sensitive souls“ allen – mit Ausnahme der soteriologischen und selbstreflexiv-noetischen – Ansprchen gengen, die fr die hçheren Seelen gelten. Hier macht sich, wie im Fall der %kocoi da¸lomer,36 der Vollstndigkeitsanspruch des System als eines neuplatonisch fundierten Systems geltend, in dem es keine willkrlichen Brche oder Lcken geben kann. Dieser System-Anspruch bestimmt im Sinn eines transformationsaktiven Mediums den Umgang mit dem (spt-)antiken Textmaterial und fhrt dazu, dass Cudworth im Ausgang von der in Platons Dialog Leges formulierten Vorstellung einer „scale“ oder „ladder of being“ Verse aus Boethius mit einem kurzen Abschnitt aus Proklos Timaios-Kommentar kombiniert. Denn er muss die ungebrochene Kontinuitt dieser „scale“ in der Auseinandersetzung mit den Anstzen Descartes nachweisen, die diesbezglich sein ganzes System gefhrden.37 Dabei besttigt Proklos Text nicht nur Cudworths bisherige Argumentation, in der er auf die notwendige Verbindung zwischen Seele und Seelenleib hinweist, und lsst sie als universell gltiges Philosophem erscheinen, sondern Cudworth kann darber hinaus die wesentlichen Zge seiner Konzeption zusammenfhren und so seiner gesamten Darstellung einen gewissen Nachdruck verleihen – Evidenz durch Text. In diesem Sinn ist die Wiederaufnahme des Ochemathemas als wesentliche Ergnzung zu den bisherigen Erçrterungen zum selben Thema anzusehen, die sich aus dem Fokus der Argumentation auf die Wirklichkeit als „scale of being“ entwickelt. Cudworth fhrt im Folgenden entsprechend die

34 In System III, 441 wird Descartes diesbezglich heftig von Cudworth kritisiert: „Though in truth all those who deny the substantiality of sensitive souls, and will have brutes to have nothing but matter in them, ought consequently, according to reason, to do as Cartesius did, deprive them of all sense. But, on the contrary, if it be evident from the phenomena, that brutes are not mere senseless machines or automata, and only like clocks or watches, then ought not popular opinion and vulgar prejudice so far to prevail with us, as to hinder our assent to that which sound reason and philosophy clearly dictates, that therefore they must have something more than matter in them. Neither ought we, when we clearly conceive any thing to be true [kritischer Bezug auf Descartes], as this, that life and cogitation cannot rise possibly out of dead and senseless matter, to abandon it, or deny our assent hereunto, because we find it attended with some difficulty not easily extricable by us, or cannot free all the consequences thereof from some inconvenience or absurdity, such as seems [Hervorh. L. B.] to be in the permanent subsistence of brutish souls.“ 35 System III, 441. 36 Vgl. System III, 345 – 355. 37 Die ungebrochene Kontinuitt ist wesentliches Merkmal der neuplatonisch-christlichen „scale of being“, s. Mahoney, in Brown (1998), 246 und 252.

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theologische Position aus, die seine naturphilosophische Argumentation sttzen soll. Nachdem Cudworth mit einem selektiv zitierten Vers aus Vergils Georgica nochmals die lebendige Kontinuitt der Welt hervorgehoben und so seine eigene Position zustzlich gesttzt hat, wendet er sich dem Nachweis der bereinstimmung zwischen dieser nach Cudworths Auszeichnung alten pythagorischen Position, d. h. ebenso seiner eigenen Lehre, und der der Bibel zu. Dies hat offenbar den Zweck, nun zu erçrtern, was mit dem Verbund aus „sensitive souls“ und ihren primren Seelenkçrpern nach dem Tod des Lebewesens geschieht.38 Denn das ist eine der Hauptschwierigkeiten, die einer Annahme entgegenstehen, wie Cudworth sie vertritt.39 Der Nachweis dieser legitimierenden und autorisierenden bereinstimmung erfolgt als Auslegung von Rçm. VIII 19 – 23.40 In ihr konzentriert sich Cudworth auf eine Interpretation der Wendung „p÷sa jt¸sir / omnis creatura“, die seine Theorie sttzen soll.41 Fr ihn scheint diese Wendung den gesamten Bereich der belebten Natur einschließlich der Tiere zu umfassen.42 Es ist anzunehmen, dass fr Cudworth die Paulinische Formulierung p÷sa jt¸sir in offensichtlicher Weise mit p÷sam xuw¶m aus dem Prokloszitat in System III, 443 und mit den „animas vitasque minores“ bei Boethius (ebd.) korrespondiert und ihnen semantisch entspricht.43 Mosheim kritisiert diese Deutung, die Rçm. VIII 19 – 23 in Cudworths Argumentation passen lsst, scharf: Jt¸sir, if I am not wholly mistaken, according to our Pythagorean, is the entire order of inferior souls, whether they be shut up in human bodies, or concealed in those of beasts: […] Now I ask of this man, 38 System III, 446 – 449. 39 In System III, 441 geht Cudworth auf dieses Problem explizit ein und bezeichnet es als „some difficulty not easily extricable by us“. Es hatte u. a. Descartes dazu gefhrt, die Existenz von Tierseelen abzulehnen, vgl. System III, 441 und 451. 40 System III, 446 f. 41 Zum Begriff jt¸sir und seiner Bedeutung bei Cudworth vgl. System I, 482 – 484. 42 System III, 447 und 448: „But however thus much is certain, that brute animals, in this place, cannot be quite excluded; because the p÷sa jt¸sir, ,the whole creation,“ will not suffer that: and therefore a Pythagorist would conclude it a warrantable inference from this text of scripture, that the whole rank in the creation of irrational and brutish animals below men shall not be utterly annihilated in the consummation of things, or future renovation of the world, quite stript of all this furniture, men being left alone to it; but that there shall be a continuation of this species or rank of being“ (448). Cudworth kann sich dabei auf Sap. 11, 18 berufen: jt¸sasa t¹m jºslom 1n !lºqvou vkgr, um diese Bedeutung von jt¸sir zu sttzen; vgl. Leinkauf (1993), 366, Anm. 123. 43 Neben der Kritik an der Cartesischen Position zum Status der Tierseele argumentiert Cudworth mçglicherweise auch gegen (neo-)stoische Anstze, wie sie u. a. bei Eusebius referiert werden, siehe L/S, S. 380, Frg. W. Die kritische Auseinandersetzung mit Descartes in diesem Punkt erwhnt Saveson (1960), 560 f.

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I. To show that the word jt¸sir was ever used by any writer sacred or profane of the entire order of souls living on earth. Common sense would dissuade us from receiving so new and unusual a signification of this word without authority: for we might prove any thing that we liked to be true and certain, if we were at liberty to give such meanings to words as we ourselves considered them to be convenient for our own arguments and opinions [Hervorh. L. B.] […] There is no reason why the learned Doctor should adorn so insane an opinion with his ingenuity and eloquence.44

Mosheim zeigt auf, dass Cudworths Deutung der Paulinischen Begriffe, die sich aus den sachlichen Ansprchen seiner Argumentation ergibt, wenig wahrscheinlich ist, und engt deren Semantik auf ihren theologisch-soteriologischen Gehalt ein („the word jt¸sir to designate holy and regenerate men [Hervorh. L. B.]“)45. Cudworths Interpretation wird fr ihn daher zur „insane opinion“, die er sich nicht erklren kann. Aufgrund von Mosheims Kritik, die ihren Finger genau auf die „Transformationswunde“ und die mit ihr verbundene Frage nach der angemessenen Aneignung antiker Referenzen und das Problem der Kriterien zur Beurteilung dieser „Angemessenheit“ legt, lsst sich jedoch bestimmen, welchen Transformationstypen Cudworth unter welchem Transformationsmodus gefolgt ist. Da er seine eigene Position zum Seelengefhrt bzw. zu den Seelen der Tiere, die er zuvor herausgearbeitet hat, auch in Paulus Text aufgrund ebenfalls zuvor getroffener Entscheidungen zur Semantik von jt¸sir wiederfindet und sie wegen seiner anticartesischen Motivation dort auch finden will, entdeckt er sie folglich in diesem Text und sieht sich darin und dadurch „bezeugt und autorisiert“46. Cudworth eignet sich den Text also voraussichtlich schon unter dem Modus der „projektiven Identifikation“ an, der genau zu dem hermeneutischen Phnomen fhrt, das Mosheim so heftig kritisiert: zu einer Umdeutung und innovativen Hybridisierung des Paulinischen Wortlauts, der erst durch diese Transformation argumentatorisch im explizierten Sinn funktionalisiert werden kann.47 Cudworth erreicht durch diese Umprgung den „Nachweis“, dass auch die Tierseelen zusammen mit ihrem Seelengefhrt nach dem Tod des Lebewesens, das aus ihnen selbst, ihrem primren Seelenkçrper und dem grobstofflichen Kçrper besteht, weiterbestehen, ohne ununterbrochen als Lebensprinzip fungieren zu mssen.48 So wahrt Cudworth auch und gerade unter Berufung auf die Bibel die Bruchlosigkeit seiner Ontologie und entgeht gleichzeitig den Bedenken, die Descartes gegen eine unsterbliche Tierseele 44 45 46 47

System III, 449 – 450, Anm. 5 I und II. System III, 449, Anm. 5. Antrag SFB 644 (2008), 39. D. h. der Blick, den Cudworth auf den Paulustext wirft, ist keinesfalls „neutral“ oder „wissenschaftlich distanziert“, sondern im Sinne seiner Vorstellungen in hçchstem Maße perspektivierend und systematisch motiviert. 48 System III, 451.

8.1 „Nor does justice in God clash with goodness“

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geußert hatte, indem er die notwendige Verknpfung zwischen Unsterblichkeit einer Seele und Eschatologie im Falle der Tierseelen aufhebt und offenbar eine Position favorisiert, der zufolge die Tierseele als „substantial thing“49 eine gewisse Zeit inaktiv verharrt, um dann in einer Art Metempsychosis wieder in den Lauf der Schçpfung integriert zu werden.50 Leben,51 Bewusstsein und Bewegung bleiben fr Cudworth in jeder Hinsicht und auf jeder Stufe des ontischen Kontinuums Phnomene, deren Erklrung immer und ohne Ausnahme auf Gott zurckfhrt, auf den sie, als Wirkungen intelligibler Substanzen, als auf ihren Schçpfer und dessen dynamische Trinittsstruktur in verschieden intensiven Abstufungen verweisen.

8.1 „Nor does justice in God clash with goodness“52 – das Problem der Verschrnkung von gçttlicher Vorsehung und Naturphilosophie als Normativ53 Im folgenden Abschnitt V des fnften Kapitels setzt sich Cudworth mit der gçttlichen Vorsehung als einer hochproblematischen Form des Wirkens Gottes ad extra und der atomistischen Kritik daran auseinander. Diese Auseinandersetzung nimmt zugleich die Form einer spezifisch akzentuierten Darstellung von Gottes Wirken in der Welt an, die sich den Fragen stellt, wie dieses moralisch bzw. normativ zu bewerten ist und wie es hinsichtlich dieses Fragehorizonts grundstzlich „funktioniert“ oder erklrt werden kann. Cudworth beginnt seine Ausfhrungen zu diesem Thema mit einem Halbvers aus Lukrez Lehrgedicht De rerum natura II, 183, der einen zentralen Vorwurf und zugleich ein gewichtiges Argument gegen die Existenz eines Gottes nach Cudworthscher Prgung enthlt:54 Die Welt ist derart unvollkom49 System III, 451. 50 System III, 450 – 453. Cudworth bezieht in dieser Frage allerdings nicht vçllig eindeutig Stellung. Klar ist nur, dass Tierseelen, wenn und solange sie Tiere beleben und bewegen etc., mit „thin a rial vehicles“ (450 und 451) verbunden sein mssen, nicht aber, was nach dem Tod des Lebewesens als ontischem Verbund geschieht. 51 Dabei ist „Leben“ wohl auch im Sinne Ficinos zu verstehen als „inesse intus fabricatricem“, vgl. Lotti, in Simonutti (2007), 399, Anm. 42 mit dem Zitat aus Ficino. 52 System III, 459. Zu verschiedenen mittelalterlichen und frhneuzeitlichen Einschtzungen der Rolle gçttlicher Vorhersehung in Bezug auf die Entwicklung und Geschichte des Menschen siehe z. B. Funkenstein (1986), 202 – 289. 53 Zu Cudworths Vorstellung von der gçttlichen Prdestination in ihrem Bezug zu seinen Konzeptionen von Gott und plastic nature s. Hutton, in Crocker (2001), 61 – 67. Hutton geht jedoch nicht auf die Bedeutung von Cudworths Trinittsspekulation in diesem Kontext ein. Ihre – relativ skizzenartigen – Ausfhrungen sollen daher im Folgenden ergnzt werden. 54 System III, 461. Es handelt sich um das immer wieder verhandelte Theodizee-Problem.

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men und so voller Leid und Unglck, dass sie nicht das Werk eines ebenso vernnftigen wie guten und berall anwesenden Gottes sein kann. Da Cudworth genau diese Konzeption Gottes in seinem System entwickelt und zum absoluten Prinzip seiner systematischen Welterklrung gemacht hat, muss er sich mit diesem Vorwurf auseinandersetzen. Zudem kann er aufgrund seiner Gotteskonzeption nicht den Ausweg der Calvinisten und extremen Nominalisten whlen, die sich zur Widerlegung bzw. Reklamation der Unangemessenheit einer derartigen Gotteskritik auf Gottes absolute Allmacht und Willkr berufen kçnnten.55 Vielmehr nutzt Cudworth die Gelegenheit, solche Positionen heftig zu kritisieren, ja sie sogar als trostloser als die Welterklrung des Atomismus einzustufen.56 Aus dieser Situation heraus rekapituliert Cudworth im Gegenzug seine eigene Trinittsspekulation und konturiert sie argumentationsspezifisch: And therefore those ancients who affirmed that Mind was Lord over all, and the supreme King of heaven and earth, held at the same time, that Good was the sovereign monarch of the universe, Good reigning in Mind, and together with it, because Mind is that which orders all things for the sake of Good; and whatsoever doth otherwise, was, according to them, not MoOr, but -moia, not Mens, but Dementia, and consequently no God.57

Im Zuge dieser Trinittsexplikation betont Cudworth die wesentliche Verschrnkung von Gottes Macht/Kraft mit seiner noetischen Struktur, die unverbrchlich und unhintergehbar die Explikation dieser Macht und Kraft nach außen filtert und strukturiert. Diese Verschrnkung wird getragen und garantiert von Gottes Gut-Sein, seinem Status als DAS Gute.58 So manifestiert sich in dieser Verschrnkung von Schçpferkraft und Geist Gottes „God“ als „Good“, verschmelzen der christliche Gott und das neuplatonische Gute in ihrem Status als erstes, hçchstes und vernnftiges Prinzip aller Dinge, das nominalistischen Willkr- und Allmachtsfantasien keinen Raum lsst.59 Cudworth greift damit die 55 Vgl. z. B. die Charakterisierung der nominalistischen Position bei Blumenberg (1996), 180 – 181 und 189 – 203. 56 System III, 462. 57 System III, 462. 58 Diesen trinitarischen Sachverhalt bringt Cudworth auch in EIM 540 zum Ausdruck: „ [Gods] nature is better expressed by some in this mystical or enigmatical representation of an infinite circle, whose inmost centre is simple goodness, the radii, ,rays and expanded area, ,plat thereof, all comprehending and immutable wisdom, the exterior periphery or interminate circumference, omnipotent will or activity, by which everything without God is brought forth into existence. Wherefore the will and power of God have no imperium ad intra ,command inwardly either upon the wisdom and knowledge of God, or upon the ethical and moral disposition of his nature, which is his essential goodness; but the sphere of its activity is extra Deum, ,without God […]“. 59 Wie schon bei den Stoikern dient Cudworth also die Explikation und systematische Rechtfertigung von Gottes Vorsehung als Mittel, die Entsprechung zwischen intelligibler und sinnlich wahrnehmbarer Welt zu erlutern; vgl. Gurtler, in Wagner (2002), 122.

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Vorstellung des pqos¶jeim auf, mit der er die Beziehung der einzelnen Aspekte der Trinitt zueinander als einheitsbildend zu erfassen versucht, und gibt ihr einen spezifischen Fokus: Als das Gute durchzieht das primre Wesen Gottes die Trinitt und bestimmt und reflektiert sich in seiner noetischen Struktur. So disponiert sich Gott innertrinitarisch als guter und zugleich vernnftiger Gott, und so verhlt er sich nach außen zur Schçpfung. Im Zuge dieser Argumentation konzipiert Cudworth die binnentrinitarische Verschrnkung der verschiedenen Trinittszge nicht mehr rein metaphysisch, sondern innovativ darber hinaus als moralisch-vernnftige Selbstverpflichtung Gottes gegenber seiner selbst, die eine normative Orientierung ermçglicht. Diesen Gedanken veranschaulicht Cudworth unmittelbar durch einen bei Origenes referierten Vergleich Gottes mit einem !qwgc´tgr.60 Als !qwgc´tgr wird Gott als eine Art Familienoberhaupt und Schutz-Heros gegenber seiner Schçpfung ausgewiesen,61 d. h. er ist ihr eher wohlwollend zugewandt als dass er ihr als allmchtiger Potentat gegenbersteht.62 In konsequentem Bezug auf seine Trinittskonzeption lsst Cudworth, der damit das Bild Gottes als eines Herrschers durchaus in seinem Sinn anticalvinistisch weiterentwickeln kann, den in sich strukturierten Gott zum Maßstab seiner selbst werden, ohne dass er auf die Vorstellung eines irrationalen (oder berrationalen) Willkrgottes zurckgeworfen wrde. Diesen auch fr die Widerlegung der atomistischen Vorsehungs- und Gotteskritik grundlegenden Ansatz entfaltet Cudworth in einer Kombination von Origenesund Plotinzitaten63 und wendet so seine Trinittsvorstellung auf das Problem der Rechtfertigung der Schçpfung und ihrer Unvollkommenheit an.64 Bereits das zweite Origeneszitat ist dabei ebenso sprachlich wie inhaltlich eng mit dem folgenden Plotintext verbunden und liefert zudem einen wichtigen Hinweis auf die metaphysischen Implikationen dieses Textes, die ihrerseits dessen Implementierung in das System erleichtern: And again, Oqd³m lμ pq´pom 2aut` b He¹r bo¼ketai, !maiqetij¹m tucw²mom toO eWmai aqt¹m he¹m, “God willeth nothing unbecoming himself, or what is truly indecorous; forasmuch as this is inconsistent with his godship.” And to the same purpose

60 61 62

63 64

Damit ist diese Verhandlung der Manifestation gçttlicher providentia im Irdischen zugleich eine grundlegende Reflexion auf die Wirksamkeit gçttlicher Urschlichkeit in der Welt. System III, 462. Cudworth zieht hier wohl Origenes, Contra Celsum V, 14 (ed. Borret, Paris 1968) heran. Zur Bedeutung von !qwgc´tgr siehe LSJ 252 s. v. Cudworth greift damit auf einen hufiger verwendeten Vergleich zurck, vgl. z. B. System I, 233. Auch bei diesem Konzept scheint es sich, hnlich wie mit dem Konzept des „Umfassens“ (peqi´weim) und der radii Deitatis, um bergreifende, systembildende und -stabilisierende Vorstellungen zu handeln, die untereinander ein Geflecht ausbilden. Origenes, Contra Celsum V, 23 und 24 (ed. Borret, Paris 1968) und Plotin, Enn. III 2, 13. System III, 462 – 463.

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Plotinus: Poie? t¹ He?om ¢r p´vuje, p´vuje d³ jat± tμm aqtoO oqs¸am, D t¹ jak¹m 1m ta?r 1meqce¸air aqtoO ja· t¹ d¸jaiom sumejv´qei, eQ c±q lμ 1je? taOta, poO #m eUg, “The Deity acteth according to its own nature and essence; and its nature and essence displayeth goodness and justice: For if these things be not there, where should they else be found?”65

Das „pq´pom“ im Text des Origenes stellt nmlich einen Zusammenhang her zu genau den Zeilen, die den von Cudworth direkt im Anschluss zitierten Zeilen aus Plotin unmittelbar vorausgehen und die wesentlich fr die Implementierung all dieser Texte in den systematischen Zusammenhang des System sind: „Was also seine Stellung ndert und neue Gestalt annimmt, tut dies nicht von ungefhr, sondern so[,] wie es schçn ist und gçttlichen Mchten[/Krften] zu erwirken ansteht (letat¸hetai to¸mum t± letatih´lema oqj eQj0 letatih´lema oqd %kka sw¶lata kalb²momta, !kk ¢r jakºm, ja· ¢r pq´poi #m dum²lesi he¸air poie?m [alle Hervorh. L. B.]).“ „pq´pom“ bei Origenes kçnnte also in der Zitatabfolge als Verweis auf „ja· ¢r pq´poi #m dum²lesi he¸air poie?m“ bei Plotin gelesen und verstanden werden. Damit rckt ein, wenn nicht gar der naturphilosophische Kernpunkt der Metaphysik des Wirkens Gottes in den Fokus der Aufmerksamkeit: Gottes Wirken vermittelt sich durch Krfte. Dieser Prozess vollzieht sich jedoch, soviel ist nun klar, keineswegs irrational, regellos und willkrlich, sondern nach einem Maßstab (im Griechischen ausgedrckt durch „pq´pom“ und „pq´poi #m“), dessen Thematisierung die beiden vorangehenden Origeneszitate bereits etabliert haben (fast kçnnte man sagen, dass Cudworth mit den Plotintexten das semantische – und metaphysisch-theologische – Potential des Begriffs !qwgc´tgr entfaltet). Zwar bleibt Gott auch bei Plotin sich selbst Maßstab seines eigenen Wirkens und Wollens, und der bei Origenes formulierte Gedanke des lμ pq´pom 2aut`, des „nothing unbecoming himself“66 wird von Cudworth im Plotintext mit dem direkt wiederholten p´vuje, p´vuje („according to its own nature and essence“) aufgenommen. Zugleich aber wird dieser Gedanke weitergehend spezifiziert und qualifiziert: Zunchst wird das, was Gott ausmacht und ihm angemessen ist, klar als sein Wesen bestimmt (tμm toO aqtoO oqs¸am) und damit eine metaphysische Przisierung ermçglicht, die dann im folgenden Relativsatz durchgefhrt wird: „its nature and essence displayeth goodness and justice“ (D t¹ jak¹m 1m ta?r 1meqce¸air aqtoO ja· t¹ d¸jaiom sumejv´qei). An diesem Satzabschnitt ist zweierlei bemerkenswert: Zum einen kann Cudworth ihn in dem Sinne deuten und verwenden, Gottes Wirken nach außen nher und im Sinn seiner Argumentation zu bestimmen. Das Wesen Gottes, seine oqs¸a, wird nmlich in einem Relativsatz nher gefasst, der die Qualitt der energetischen Entußerungsformen dieser Ousia nach außen beschreibt: Mit „1m ta?r 1meqce¸air […] sumejv´qei“ nimmt Plotin – und mit ihm 65 System III, 463. 66 System III, 463.

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Cudworth – auf das Energeiai-Schema Bezug. Das Wesen Gottes drckt seine eigene Gte, Schçnheit und Gerechtigkeit in den nach außen gerichteten Wirkformen, seinen Energeiai, aus67: Die heia· dum²leir sind damit auch immer schçn, gut und gerecht, es gibt keine negativen Krfte, die von Gott aus auf die und in der Welt wirken. Zum anderen wird aufgrund des hnlichkeitsverhltnisses zwischen Wesen bzw. wesentlicher Kraft und hervorgehender Kraft das Wesen Gottes aus diesem Blickwinkel als urbildlich schçn, gut und gerecht bestimmt.68 Diese indirekte Aussage ber das Wesen Gottes meint Cudworth durch ein weiteres Zitat aus Plotin sttzen zu kçnnen (Enn. VI 8, 9, 13 – 15): And again, elsewhere: He¹r fpeq 1wq[/m] eWmai, oq to¸mum ovty sum´bg, !kk 5dei ovty7 t¹ d 5dei toOto, !qwμ t_m fsa 5dei, “God is essentially that, which ought to be; and therefore he did not happen to be such as he is: and this first ought to be is the principle of all things whatsoever that ought to be.”69

Bereits seine Konstitution des griechischen Textes zeigt, dass Cudworth seine eigene Ansicht einer gleichsam moralischen und normativen 70 Selbstverpflichtung Gottes auf sich selbst durch sein binnendifferenziertes Wesen auf diesen Text Plotins projiziert: Statt wie aus dem Kontext bei Plotin zu erwarten ein toOto oder 1je?mo zur relativ abstrakten Bezeichnung des ersten Prinzips am Zitatanfang zu ergnzen, lsst Cudworth den Text prononciert mit heºr beginnen.71 Auf diese Weise wird das Folgende deutlich zu einer Aussage ber den bereits bei Origenes sich auf sich selbst verpflichtenden Gott umgeprgt und ein enger Bezug zum zweiten und dritten Origenestext hergestellt.72 Diese beiden 67 Zur Bedeutung „display“ oder „ausdrcken“ von sumejv´qy siehe LSJ 1707 s. v. III. 68 Zu diesem hnlichkeitsverhltnis siehe z. B. Bergemann (2006), 76 f. zu Plotin, Enn. IV 5, 7, 13 – 23. 69 System III, 463. Zum Problem des “is” und “ought” bei Cudworth siehe Zagorin, in Kroll/Ashcraft/Zagorin (1992), 128 – 148, der darauf hinweist, dass fr Cudworth aufgrund seiner teleologischen Weltsicht Sein und Sollen zusammenfallen und dies auf Cudworths Konzeption der Struktur von Gottes Wesen zurckfhrt (ebd. 130 f.). 70 Zu dieser Bedeutung von „ought“ siehe EIM 532: das, „which ought to be done by creatures and subjects respectively“, ist exakt auch das „in which the nature of moral good or evil is commonly conceived to consist.“ 71 Auf diesen Eingriff in den griechischen Text weist bereits Mosheim in System III, 463, Anm. 4 hin. 72 Einen weiteren Bezug zum ersten Origenestext ermçglichen die Zeilen 19 – 22 aus Enn. VI 8, 9: „[…] und als das, das er selber ist, muss man ihn setzen, indem er nicht, wie es [sich] traf, in Erscheinung tritt, sondern wahrhaft als Kçnig, wahrhaft als Prinzip, und als das wahrhaftige Gute, […]“. Diese Zeilen legen zumindest eine ebenso moralische wie ontologische Bezogenheit Gottes auf sich selbst in seinem Wirken nahe. Leider zitiert Cudworth sie nicht ausdrcklich. Besonders eng wird der Bezug zwischen beiden Texten durch den Begriff basik´a bei Plotin zu !qwgc´tgr bei Origenes, mçglicherweise soll also der Origenestext diesen Kontext bei Plotin mitimplizieren.

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Texte wiederum bereiten die verstndnislenkende bersetzung und Deutung Cudworths in der Rezeption dieses Abschnitts vor und plausibilisieren sie.73 Ganz im Sinne der Intention der Argumentation und der sie konstituierenden Abfolge der Texte in der vorliegenden Kombination, das Wesen Gottes gerade auch hinsichtlich seiner Wirkung nach außen als gut und gerecht zu erweisen, bersetzt Cudworth das griechische 5wqg und die zwei letzten 5dei des Zitats mit „ought to be“.74 So wird Gott in der bersetzung Cudworths statt auf eine

73 Zur Eigenart der bersetzung von Plotin, Enn. VI 8, 9, 13 – 15 durch Cudworth, die statt des ontologischen Aspekts den moralischen besonders betont, siehe Mosheim in System III, 463, Anm. 4: „Still I consider these words not to have the meaning our author attributes to them. For this philosopher [Plotinus] does not say that the will of God is always governed by justice and goodness, or which is the same thing, that God can do nothing inconsistent with the eternal laws of holiness and justice, but undertakes to prove merely what Ficinus has expressed in the argument of the chapter: ,That that which is now the principle of all things did not happen to be such by accident, as if it could have happened that there should be another and a differently affected principle.“ Vgl. Cudworths bersetzung z. B. auch mit der HBTs von dieser Stelle: „Jenes hat seine Einzigartigkeit aus sich selber. So ist es also dies und ist nichts Anderes, sondern das, was es sein musste. Nicht also traf es sich so, sondern es musste so sein; und zwar ist dies Mssen Prinzip alles anderen Mssens“ [alle Hervorh. L. B.]. Dass Plotin tatschlich aus einem ontologischen Kontext heraus argumentiert zeigt mit einiger Deutlichkeit Enn. VI 8, 9, 23 – 30: „Wenn ,es traf sich (t¹ sum´bg) nicht einmal vom Seienden gesagt werden kann (1p· toO emtor) – denn am Seienden gilt das ,es traf sich,wenn etwas ,sich treffen soll, das Seiende selber aber traf sich nicht, das Seiende ist also nicht aus zuflligem Ereignis, es ist, wie es ist, und sein Sosein stammt nicht von einem Anderen, sondern das eben ist die Natur des Seienden, seiend zu sein –, wie kann man da von dem jenseits des Seienden Gelegenen sich dies ,es traf sich vorstellen, Ihm, welches das Seiende erzeugt hat, das Seiende, das nicht sich so traf, sondern so ist, wie seine Seinsheit ist und was der Geist ist; […]“. Dieser Kontext lsst Cudworths bersetzung in ihrer implementierenden und umprgenden Wirkung noch deutlicher hervortreten. 74 Abgesehen davon, dass Cudworth mit dieser bersetzung Plotins Text in seine Argumentation einpasst, kçnnte er sich an Ficinos bersetzung der Passage orientiert haben, die, hier weicht meine Einschtzung von der Mosheims ab, ebenfalls die Tendenz aufweist, den Abschnitt als moralische Selbstfestlegung des Einen auszulegen: „Non igitur ita contigit, sed oportuit ita. Hoc ipsum vero, quod oportuit dicitur, omnium est, quae oporteat esse, principium [alle Hervorh. L. B.] (S. 516, ed. Creuzer/Moser).“ Zur Bedeutung von „oportet“ in diesem moralischen Sinne (eines verpflichtenden Sollens im Sinne des Richtigen und Guten) siehe OLD 1254 s. v. oportet 1: „It is demanded by some principle or standard, it is proper, right, requisite, etc. (often represented by Eng. ,ought or ,should): […]“ Dass Cudworth verschiedene Ausgaben und bersetzungen griechischer Texte vergleicht, um seine eigene Argumentation auf einer ihr entsprechenden Textbasis aufzubauen, zeigt z. B. sein Vorgehen in System I, 389 f., wo er sich gegen die Textkonstitution Ficinos und fr die von Aldenus entscheidet, um seine Platon-Deutung zu sttzen. Zu Cudworths an inhaltlichen Vorstellungen orientiertem und aus diesem Grunde selektivem Vorgehen in System I, 389 f. s. Breteau, in Simonutti (2007), 359 f.

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ontische Notwendigkeit auf die moralische Verpflichtung durch sein eigenes Wesen festgelegt, das direkt zuvor (und davor in den Trinittsspekulationen) als schçn, gut und gerecht bestimmt worden war. Damit sind durch eine spezifische Prinzipienexplikation im Sinne der Trinittskonzeption zunchst die extremen nominalistischen und calvinistischen Gottesvorstellungen widerlegt. Zugleich ist das metaphysische Fundament gelegt, um auch den Ablauf der Welt als gut und gerecht gegen die Atomisten verteidigen zu kçnnen, denn die gçttlichen Wirkkrfte, die die weltlichen Phnomene hervorbringen und konstituieren, sind – als Abbilder des Wesens Gottes – ebenfalls als schçn, gut und gerecht qualifiziert.75 Diese Vorstellung fasst Cudworth folgendermaßen zusammen: Wherefore the Deity is not to be conceived as mere arbitrariness, humour, or irrational will and appetite omnipotent, (which would indeed be but omnipotent chance) but as an overflowing fountain of love and goodness [Hervorh. L. B.], justly and wisely dispensing itself, and omnipotently reaching all things [Hervorh. L. B.].76

Cudworth gelingt es mit dieser Darstellung außerdem, fr die verschiedenen, von ihm konstruierten, antik-paganen Monotheismuskonzeptionen, die das Ergebnis der Analysen waren, die den eigenen Trinittsspekulationen vorausgingen und diese vorbereiteten, ein integrierendes Fundament im eigenen Trinittsdenken zu schaffen. So lassen sich z. B. der Eros Hesiods in der Interpretation, die ihm Cudworth in System I, 178 f. gibt, und Cudworths Version der vik¸a des Empedokles hier wiedererkennen und im Rckblick als (angemessener) Ausdruck eines zwar spezifisch perspektivierten, aber im Rahmen des System eben wahren Gottesbildes anerkennen. Die Explikation dieser gçttlichen Eigenschaft(en) setzt Cudworth in der Bestimmung Gottes gegenber der Welt als l´tqom p²mtym fort.77 Wobei Cudworth mit diesen zwei Worten einen Text Plotins evoziert, in dem zahlreiche wichtige und bereits bekannte Zge seiner Prinzipienkonzeption und seiner Metaphysik zusammenlaufen und mit seinen aktuellen Ausfhrungen zum Wesen Gottes verknpft werden. Der implizierte Hintergrundtext findet sich Die so thematisierte moralische „Selbstverpflichtung“ bzw. Binnenstruktur Gottes greift Cudworth in System III, 494 auf: „In the next place, this wish of Atheists is altogether founded upon a mistaken notion of God Almighty too, […] His will is not mere will, such as hath no other reason besides itself; but it is law, equity, and chancery; it is the t¹ d´om, or ,Ought itself, […]“. Vgl. Auch EIM 532 f. 75 Eine spezifische Ausfhrung der Art, wie sich diese schçnen und guten Krfte im Irdischen realisieren, hat Cudworth zuvor mit seiner Erçrterung der „cogitation“ geliefert, s. o. Kapitel 7.8. 76 System III, 463. Mit “fountain” weist Cudworth mçglicherweise zurck auf System III, 453 und erweitert so die hier wie dort vorgenommenen Prinzipienspekulationen, bzw. expliziert das in ihnen enthaltene semantische Potential. 77 System III, 463.

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ebenfalls in der von Cudworth hier zitierten Enneade VI 8, in Kapitel 18, 1 – 5 und 7 – 32:78 So suche denn auch du bei deiner Suche nichts außerhalb von Jenem, sondern drinnen in ihm alle die Ihm untergeordneten Dinge; Ihn selbst aber lass auf sich beruhen; denn er selbst ist das Draußen, aller Dinge Umfassung und Maß. Oder aber Er ist drinnen in der Tiefe und das Andere ist außerhalb von Ihm, gleichsam rings Ihn berhrend und an Ihm hngend, alles, was Vernunft und Geist ist; […] So wie man von einem Kreis, der den Mittelpunkt berhrt[,] bereinstimmend sagen wrde, dass er seine Kraft aus dem Mittelpunkt erhlt und gleichsam mittelpunktsgemß ist, indem die Radien, die rings zu dem einen Mittelpunkt zusammenlaufen, ihre Begrenzung zum Mittelpunkt derart sein lassen, wie das ist, zu dem sie hinlaufen und aus dem sie gleichsam erwachsen sind, das aber grçßer ist, als es diesen Radien und ihren Begrenzungen gemß ist – diese sind gewiß ein Abbild des Mittelpunktes, indes nur ein trbes, nur ein Nachhall von ihm, der sie und die Radien in sich fasst, welche ihn berall enthalten; und es wird durch die Radien das Wesen des Mittelpunktes an den Tag gelegt, der sich so gleichsam entwickelt, ohne entwickelt zu sein – gleichermaßen also muss man annehmen, dass der Geist und das Seiende, entstanden aus Jenem, gleichsam aus ihm ergossen und entfaltet und abhngend, auf Grund seiner geistigen Wesensart Zeugnis ablegt fr den gleichsam im Einen befindlichen Geist, welcher nicht Geist ist, denn er ist Eines – wie bei unserem Vergleich nicht anzunehmen ist, dass der Mittelpunkt die Radien und die Peripherie ist, sondern der Vater von Peripherie und Radien, welcher Spuren von sich an den Tag legt, er hat in verharrender Kraft Radien und Peripherie, die durchaus nicht von ihm getrennt sind, aus einer Art von Kraft erzeugt; so also, da nun die geistige Kraft Jenes, das gleichsam Urbild von ihr, dem Abbild, ist, umluft, sie, die in Vielem und zu Vielem gleichsam bewegt und Geist geworden ist, whrend Jenes vor dem Geist verharrte und so aufgrund seiner Kraft den Geist erzeugte – was fr eine Zuflligkeit oder welches blinde Walten oder was

78 Mit l´tqom p²mtym greift Cudworth also mçglicherweise p²mtym ja· l´tqom aus 18, 3 auf. Wçrtlich findet sich diese Wendung auch in Enn. I 8, 2, 2 – 7: „[Das Gute] ist dasjenige, an das alles geknpft ist und wonach ,alles Seiende trachtet, da es in ihm seinen Urgrund hat und seiner bedrftig ist; selbst aber ist es unbedrftig, sich selbst genug, keines Dinges ermangelnd, Maß und Grenze aller Dinge (l´tqom p²mtym ja· p´qar), und gibt aus sich dar Geist und Substanz und Seele und Leben und Bettigung auf den Geist hin (peq· moOm 1m´qceiam).“ Hier wird kurz dargestellt, was in VI 8, 18 ausfhrlich und anschaulich verhandelt wird. Die Vorstellung vom ersten Prinzip als „Maß aller Dinge“ findet sich dann im Liber de causis und wird von dort z. B. von Albertus Magnus und Thomas von Aquin bernommen, s. Mahoney, in Brown (1998), 248 – 250. Cudworths neuplatonische Konzeption von Gott als Maß ist allerdings von der scholastischen Variante zu unterscheiden, s. Mahoney, in Brown (1998), 256, Anm. 60. Mahoney expliziert jedoch den neuplatonischen Bedeutungsgehalt des Begriffs „measure“ bei der Bezeichnung von Gott als erstem Prinzip nicht und kommt so zu der korrekturbedrftigen Einschtzung, dass „Most of these references seem to consider God as a measure of morality rather than as a measure of a hierarchy of being“ (ebd. 261).

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fr ein ,wie es sich traf sollte da einem solchen Vermçgen, welches den Geist schafft und wahrhaft schçpferisch ist, nahe kommen?79

Cudworths Wortgebrauch im besprochenen Abschnitt, seine Argumentationsfolge und sein gesamtes Gotteskonzept lassen erkennen, dass dieser Text zumindest vorstellungslenkend eine Rolle spielte: In direkter Korrespondenz zu dem der Junktur l´tqom p²mtym vorausgehenden kurzen Fazit, in dem Cudworth den Prinzipiencharakter Gottes als „overflowing fountain of love and goodness, justly and wisely dispensing itself, and omnipotently reaching all things“ beschreibt, wird im Text Plotins mit peq¸kgxir, d. h. „Umfassung“, ebenfalls auf das Eine als erstes Prinzip Bezug genommen, das alles Nachfolgende urschlich umfasst. Als erste Ursache wird das Eine dann in 18, 24 als „verharrende Kraft“ (dum²lei lemo¼s,) bestimmt, die aus sich heraus die nachfolgenden Wirkformen wie ein Zentrum die Radien des Kreises entlsst. Dieser Prozess wird als „Ergießen“ und „Entfalten“ bezeichnet (18, 20: 1jwuh³m ja· 1nekiwh´m), was Cudworth in System III, 463 mit „overflowing fountain“ und „dispensing itself“ aufgenommen haben kçnnte. Diese Wirkformen, die man jetzt passend als Radialkrfte bezeichnen kann, sind ihrerseits „Spuren“ des urschlichen „Zentrums“ (18, 23: Uwmg artoO), das ihnen gegenber als Urbild (18, 27: !qw´tupom) ausgewiesen wird. Hervorgehende Radialkrfte und verharrende Zentrumskraft sind kontinuierlich miteinander verbunden (18, 20: 1ngqtgl´mom), wobei das Zentrum seinem Wesen gemß berall in den Radien enthalten ist (18, 16: aT [cqalla·] pamtawoO 5wousim aqtº). Es ist gut zu erkennen, dass der Text Plotins das Verhltnis zwischen dem Einen (fr Cudworth: Gott) und den nachfolgenden intelligiblen Wirkformen, den 79 Ja· s» fgt_m lgd³m 5ny f¶tei aqtoO, !kk eUsy p²mta t± let aqt¹m7 aqt¹m d³ 5a. T¹ c±q 5ny aqtºr 1sti, peq¸kgxir p²mtym ja· l´tqom. C eUsy 1m b²hei, t¹ d 5ny aqtoO, oXom j¼jk\ 1vaptºlemom aqtoO ja· 1ngqtgl´mom p÷m d kºcor ja· moOr7 […] ¦speq #m owm j¼jkor, ‹dr› 1v²ptoito j´mtqou [j¼jk\], blokoco?to #m tμm d¼malim paq± toO j´mtqou 5weim ja· oXom jemtqoeid/r, Ø cqalla· 1m j¼jk\ pq¹r j´mtqom 4m sumioOsa t¹ p´qar art_m t¹ pq¹r t¹ j´mtqom poioOsi toioOtom eWmai, oXom t¹ pq¹r d Am´whgsam ja· !v ox oXom 1n´vusam, le¸fomor emtor C jat± ta¼tar t±r cqall±r ja· t± p´qata aqt_m [t± aqt_m sgle?a t_m cqall_m] – ja· 5sti l³m oXom 1je?mo, !ludq± d³ ja· Uwmg 1je¸mou toO d d¼matai aqt± ja· t±r cqall²r [dum²lemom], aT pamatwoO 5wousim aqtº7 ja· 1lva¸metai di± t_m cqall_m, oXºm 1stim 1je?mo, oXom 1nekiwh³m oqj 1nekgkicl´mom – ovty toi ja· t¹m moOm ja· t¹ cm wqμ kalb²meim, cemºlemom 1n 1je¸mou ja· oXom 1jwuh³m ja· 1nekiwh³m ja· 1ngqtgl´mom, 1j t/r artoO moeq÷r v¼seyr laqtuqe?m t¹m oXom 1m 2m· moOm oq moOm emta7 4m c²q – ¦speq oqd 1je? cqall±r oqd³ j¼jkom t¹ j´mtqom, j¼jkou d³ ja· cqall_m pat´qa, Uwmg artoO dºmta ja· dum²lei lemo¼s, cqall±r ja· j¼jkom, oq p²mtg !pgqtgl´ma artoO, N¾l, tim· cecemmgjºta7 ovty toi j !je?mo t/r moeq÷r peqiheo¼sgr dum²leyr t¹ oXom Qmd²klator aqtoO !qw´tupom, 1m [2m· moOm] pokko?r ja· eQr pokk± oXom jejimgl´mou ja· moO di± taOta cemol´mou, 1je¸mou pq¹ moO le¸mamtor ‹1j› t/r dum²leyr artoO moOm cemm¶samtor – t¸r #m sumtuw¸a C t¸ aqtºlatom C t¸ ¢r sum´bg eWmai t/r toia¼tgr dum²leyr t/r moopoioO ja· emtyr poigtij/r pkgs¸om Fjoi ;

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Radialkrften, am fr Cudworth gleichermaßen relevanten Verhltnis zwischen Zentrum und Radien (sowie Peripherie, die fr die Schçpfung selbst steht) veranschaulicht. Offenbar wird dafr das Energeiai-Schema zugrunde gelegt, das bereits bezglich des ersten Plotin-Zitats in System III, 463 die metaphysische Basis bildete. Mit der Vorstellung der Radialkrfte nach außen wird zugleich der von Cudworth direkt zitierte Gedanke Plotins thematisiert, dass das Eine „in seinen nach außen gerichteten Wirkformen/-krften zugleich mit hervortritt (1m ta?r 1meqce¸air aqtoO […] sumejv´qei ; III 2, 13, 31 – 32) und auf diese Weise alles Geschçpfliche erreicht („reaching all things; System III, 463). Dieser Gedanke wird jetzt jedoch aus der „Perspektive“ der Radialkrfte fortgefhrt: Sie bewahren und enthalten berall (pamtawoO ; VI 8, 18, 16) ihren urschlichen Mittelpunkt, der sich seinerseits – wenn auch abgeschwcht und abbildlich – in ihnen manifestiert (ja· 1lva¸metai di± t_m cqall_m ; VI 8, 18, 17). Vor diesem Hintergrund und auf diesem metaphysischen Fundament gelingt es Cudworth, sein Konzept der Gott nachgeordneten intelligiblen Wirkkrfte moralisch aufzuladen und zu erweitern, denn die mittlerweile festgestellte Selbstverpflichtung Gottes auf und durch seine noetische Struktur setzt sich gemß der Darstellungen Plotins ja auch in Gottes Radialkrften abgeschwcht und vermindert aber kontinuierlich fort. Auch diese Erweiterung des ursprnglichen Konzepts der plastic nature ist systematisch begrndet erst mçglich nach der Darlegung seines eigenen Trinittskonzepts. Damit ist auf einer allgemeinen Ebene erklrt, wie „nature and essence“ Gottes ihre Gutheit/Gte, Schçnheit und Gerechtigkeit entfalten und erkennen lassen; und es ist so außerdem eine Antwort auf die Ausgangsfrage nach der Beschaffenheit der Welt gegeben: Da man in Plotins Analogie Welt und Peripherie gleichsetzen soll, so gilt fr die Welt wie fr die Peripherie, dass sie „mittelpunktsgemß“ (jemtqoeid¶r ; 18, 10) ist, also gut, gerecht und schçn in dem Maße, wie es auf ihrer abbildlichen Ebene mçglich ist. In diesem Kontext ist der Nous, der Geist (Gottes), die erste Schçpfung und Manifestation des Einen bzw. Gottes, der „aufgrund seiner Kraft den Geist erzeugte (le¸mamtor ‹1j› t/r dum²leyr artoO moOm cemm¶samtor; 18, 29 – 30). Da Gott damit Ursache und Urbild des Geistes und seiner ebenso dynamischen wie stabilen Struktur ist, kann es in ihm (Gott) selbst wesentlich keine Zuflligkeit, Willkr oder Akzidenzielles geben (sumtuw¸a ; aqtºlatom ; ¢r sum´bg eWmai ; 18, 30 – 31). Hier ist die Verbindung zum zweiten von Cudworth zitierten Plotintext in System III, 463 ebenfalls deutlich zu erkennen, zu: „he¹r […] oq to¸mum ovty sum´b,; ,God […] therefore did not happen [Hervorh. L. B.] to be as he is.“80 Insgesamt wird der Text Plotins aus Kapitel 18 der Enneade VI 8 damit zu einem Beispiel dafr, anhand welcher (spt-)antiker Texte und Imaginations80 HBT bersetzen diese Passage folgendermaßen: „Nicht also traf es sich so, sondern es musste so sein“.

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muster man versuchen kann, die impliziten Hintergrundannahmen oder -vorstellungen zu rekonstruieren bzw. zu konturieren, von denen beeinflusst Cudworth die zentralen Aspekte seines Systems entwickelt. Sie besitzen in diesem Prozess ber sich hinaus eine transformatorische Kraft, indem sie Cudworths gesamten Umgang mit den antiken und auch zeitgençssischen Referenzen bestimmen und lenken: In diesem Fall (vielleicht) Auswahl und Anordnung der Origenes- und Plotinzitate zum Zweck der Widerlegung einer atomistischen Gotteskritik.81 Zugleich dienen die Zitate selbst der Einbung der theistischanagogischen Kompetenz der Leser: Sie sind in ihrer Kombination auch als Hinweise auf die dahinterstehenden Texte und Vorstellungen zu lesen, die das metaphysische Gerst des System offenbaren, ebenso wie die Welt auf die sie konstituierenden Wirkformen und deren Ursprung in Gott zu durchschauen ist – Text und Welt bekommen so eine Art integumentaler Transparenz, die zu erkennen Aufgabe ihrer Betrachter wird. In seiner eigenen Auslegung von l´tqom p²mtym verbindet82 Cudworth die eben explizierte Sinndimension, die die gesamte Welt gleichsam durchzieht, mit einer ausdrcklichen Darstellung davon, wie sich die Entfaltungsbewegung Gottes in der Schçpfung der Welt (und nicht nur des gçttlichen Nous) bemerkbar macht und fhrt Plotins und Origenes Anstze im Sinne von Sap. 11, 21 „omnia in mensura et numero et pondere disposuisti“ weiter.83 Das bedeutet allerdings fr Cudworth, dass er nun den Nachweis erbringen muss, dass die Welt in ihrem Aufbau und in ihrem Ablauf diesen Strukturen wenn auch nicht vollstndig, so doch zumindest erkennbar entspricht, sie also eher eine gut und sinnvoll eingerichtete denn eine grausame und sinn- oder vernunftlose Welt ist.84 Diesen Nachweis versucht Cudworth zunchst anhand 81 Eine derartige hypothetische Rekonstruktion kann auch zur Bestimmung oder Annherung an wichtige Aspekte des „argumentativen Kerns“ des Denkraumes der Cambridge Platonists beitragen; dazu Stamm, in Mulsow/Stamm (2005), 35. Es geht darum, das „Krftefeld von Konzeptionen und Begriffsformen“ nher zu bestimmen, „in welches […] ein Autor oder ein Autorenkollektiv eingebettet ist und [es geht darum, zu bestimmen/sich daran anzunhern,] unter welchen Voraussetzungen konstellatorische Prozesse ablaufen“ (ebd. 55); vgl. Mulsow, in Mulsow/Stamm (2005), 79 – 81, der darauf hinweist, dass eine derartige „Rekonstruktion des Problemrahmens“ aus heutiger Sicht erfolgt bzw. erfolgen muss, besonders wenn es darum geht, die „Mçglichkeitsdimension“ der verschiedenen Positionen im wissenschaftlichen Feld auszumachen, hier in der Frage: „[…] welche prgenden Lektren standen im Hintergrund?“ (ebd. 80). 82 System III, 463: „[…] in the most just [Hervorh. L. B.] and exact proportions […]“. 83 System III, 463. Zu dieser Vorstellung von Gottes schçpferischer Ttigkeit siehe z. B. Leinkauf (1993), 136 – 139. 84 Wie bereits festgestellt, muss sich Cudworth also aufgrund seiner anticalvinistischen, antinominalistischen Gottes- und Trinittskonzeption dem Problem der Theodizee stellen und die Welt trotz ihrer (erkennbaren) Unvollkommenheit als bestmçgliche rechtfertigen.

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zweier, nur kurz thematisierter, naturwissenschaftlicher Beispiele aus dem Bereich der Physiologie und Anatomie der Lebewesen zu fhren.85 An diesen Beispielen kann Cudworth zeigen, dass durch die Fortschritte in den „Naturwissenschaften“ immer wieder erkennbar wird, wie sehr die Welt bis in das kleinste Detail tatschlich so eingerichtet ist, wie es einer gçttlichen Ordnungsstruktur angemessen und wie es am besten ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Welt – wie es z. B. die Stoiker darstellen –86 zum Zweck des Menschen geschaffen und strukturiert wurde. Gegen diese Ansicht setzt Cudworth seine ganzheitliche Position, dass die Teile, zu denen auch der Mensch gehçrt, fr das Ganze (der Schçpfung) und diese ihrerseits fr den Schçpfer gemacht wurde.87 Zugrunde liegt dieser Ansicht die leitende Hintergrundvorstellung, die Platon in den Leges 903c-d formuliert:88 Denn jeder Arzt und jeder sachkundige Handwerker schafft zwar alles mçgliche um alles mçglichen willen; aber ein Teilchen, das aufs allgemein Beste abzielt, das schafft er um des Ganzen willen und nicht das Ganze um des Teiles willen. Doch du bist unzufrieden, weil du nicht weißt, inwiefern das, was in deinem Fall fr das Ganze das Beste ist, es auch fr dich ist kraft des gemeinsamen Werdens.

Die Welt in ihrer Ganzheit denkt sich Cudworth, wie an seinen Ausfhrungen z. B. zur plastic nature gezeigt,89 konstituiert durch ein Krftegeflecht, das von einer alles durchdringenden Sympathie getragen wird. Gottes Wirken in Form dieser Harmonisierungskraft ußert sich u. a. darin, Bçses und Elend harmonisierend in den Weltlauf zu integrieren und es zumindest so zu etwas Gutem zu machen.90 Macht sich der Mensch diese umfassende metaphysische Perspektive 85 Es geht um Blutkreislauf, Stoffwechselvorgnge und die Funktion des Blinddarms, System III, 464. 86 Zur Position der Stoiker siehe z. B. L/S, S. 391, Frg. N (= Cic., Dnd 2, 133) und S. 392, Frg. Q (= Gellius 7, 1, 1 – 13). 87 System III, 466 f. wobei Cudworth seine Ansicht partiell stoisch modifiziert. 88 Mosheim verweist in einer mit einem „*“ gekennzeichneten Anmerkung in System III, 467 auf diese Referenz. Der von Platon geußerte Gedanke wird von Plotin in Enn. III 2, 14 aufgegriffen und expliziert. 89 Diese sind zusammen mit Plot., Enn. IV 4, 39, 5 – 17 und 45, 25 – 26 zu sehen. 90 Auch hier kçnnte Cudworth direkt vor dem Hintergrund von Enn. III 2, 15 – 16 argumentieren, bes. 16, 40 – 53: „[…] daher man den Weltplan besser dem Zusammenklang aus widerstreitenden Tçnen vergleicht und fragt, warum dieser Widerstreit in den plangemßen Tonverhltnissen waltet. Wenn nun also bei den Tçnen hoch und tief ein plangerechtes Verhltnis erzeugen und sich zu einer Einheit zusammenschließen, eben zu dem Akkord, dessen plangerechte Proportionen sie darstellen, und das heißt zu einem neuen hçheren Planverhltnis, dessen geringere, teilhafte Stcke sie sind; wenn wir ferner aber auch im Weltall die Gegenstze beobachten wie weiß schwarz, warm kalt, auch geflgelt ungeflgelt, fußlos mit Fßen ausgestattet, vernunftbegabt vernunftlos, sie aber alle Teilstcke des einen Gesamtorganismus (f]ou 2m¹r toO s¼lpamtor ; III 2, 16, 47 – 48) sind, welcher als Ganzes mit sich einstimmig ist, auch wenn seine Teile vielerorten in Kampf liegen, wenn schließlich dies Ganze dem Weltplan entspricht:

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zu eigen, so wird er – zumindest nach der Ansicht Cudworths – schnell erkennen, dass Vieles von dem, was Menschen als Bçses oder Unheil einstufen und frchten, gar kein Unheil ist, zumindest dann nicht, wenn man es bei der Betrachtung auf seinen wesentlichen metaphysischen Kern reduziert.91 Diese Strategie lsst sich – in einem christlich-neuplatonischen Kontext – besonders gut auf das fr den Menschen vermeintlich grçßte bel anwenden: seinen Tod.92 Nach seinen bisherigen ausfhrlichen Erçrterungen zur Seele als Lebens- und Bewegungsprinzip und ihrer notwendigen und unauflçslichen Verbindung mit einem primren aitherischen Seelenkçrper kann Cudworth zumindest die Befrchtung einer „absolute exstinction of life“ fundiert widerlegen:93 Denn in dieser Verbindung berlebt die Seele den Tod des sekundren, grobstofflichen Kçrpers und lebt hin zu Gott: „So that it will still continue after death to live to God, whether in a body or without it.“94 Kçnnte man in dieser (exemplarischen) Widerlegung einer atheistisch motivierten Schçpfungskritik eine Begrndung dafr sehen, dass Gott ber seine nachgeordneten Wirkkrfte und deren Eigenschaften auf schçne und gute Weise in der Welt waltet, so dass sogar der Tod seinen Schrecken verliert, so muss Cudworth im Folgenden die Gerechtigkeit des Wirkens Gottes nachweisen, denn auch sie manifestiert sich ber die Radialkrfte Gottes in der Welt (vgl. o. S. 485 f. zu Enn. III 2, 13 in System III, 463: Gott entfaltet sich „justly and wisely“). Cudworth setzt sich in diesem Fall mit dem Vorwurf auseinander, die

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so ist notwendigermaßen dieser einheitliche Weltplan (t¹m 6ma toOtom kºcom ; 16, 50) einheitlich aus Gegenstzen, da erst diese Art von Gegenstzlichkeit ihm Bestand und gewissermaßen Sein bringt.“ Plotin erçrtert in III 2, 15 – 16 neben dem Schmerz auch den Tod und sowohl leibliches wie materielles persçnliches Unglck des Menschen. Aufgrund seiner dualistischen Sichtweise kann er all dies als pa¸cmia (III 2, 15, 55) abtun, die das Wesentliche im Menschen schlimmstenfalls oberflchlich tangieren. Es sind derartige Anschauungen, gegen die Anne Conway ihr philosophisches System entwickelt, ausgehend von der Erfahrung, dass sich nicht alle Schmerzen bagatellisieren lassen oder lassen sollten, siehe z. B. princ. 193 – 194 u. 213 – 214 (ed. Loptson). Zur Reduktion auf das Eigentliche, die dem vermeintlich Schrecklichen den Schrecken nehmen soll, als hellenistischer spiritueller bung, an deren Praxis sich Cudworth ebenfalls orientiert haben kçnnte, siehe Hadot (2002), 73 (hier als Praxis Marc Aurels). System III, 469. Cudworth kann mit seinen Ausfhrungen hier jedoch nicht die Atomisten/Epikureer im Auge gehabt haben, um die berlegenheit seines Systems in diesem Punkt zu demonstrieren, da gerade fr sie der Tod kein bel bedeutet, s. z. B. L/S, S. 174, Abs. 24, Frg A (= Epikur, Brief an Menoikos 124 – 127); S. 175 – 176, Abs. 24, Frg. E (= Lukrez, DRN 3, 830 – 911). Der Tod ist, gerade weil er die „komplette Auslçschung“ (L/S, S. 178) ist, kein bel, weil es in diesem (Nicht-)Zustand keine Regungen und Schmerzen mehr gibt. System III, 469 – 473. Cudworth scheint hier auf ein Bild zurckzugreifen, das ebenfalls bei Plotin auftaucht: das des Todes als Wechseln der Kleidung oder von einer zu spielenden Rolle in eine andere: Vgl. System III, 470 – 471 mit Enn. III 2, 15, 24 – 29. System III, 471.

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Annahme der Existenz einer gçttlichen Vorsehung sei mit dem weithin zu beobachtenden Phnomen nicht vereinbar, dass allen Menschen so ziemlich alles offenbar plan- und sinnlos und ohne Verbindung zu ihrem Verhalten widerfahre, in der Welt also statt einer erkennbaren Gerechtigkeit eher Sinnlosigkeit und Willkr herrschten.95 Hier ist ein Stilwechsel im System zu beobachten: Cudworth beginnt seine Widerlegung dieses Vorwurfs mit einer Abfolge von Bibelzitaten,96 die seine Leser grundstzlich dazu ermahnen, derartigen Schmhungen gegen Gott kein Gehçr zu schenken und in ihrem Vertrauen auf Gott nicht ins Wanken zu geraten. Die Darstellung, nun eher direkt psychagogisch und trçstend als systematisch, bekommt dadurch den Charakter einer Predigt,97 die eher durch die Anleitung zu spirituellen bungen und durch die Evidenz der Einsichten berzeugt, die mittels dieser bungen hervorgebracht werden, als durch ein systematisches Argument.98 Ausgehend vom menschlichen Unvermçgen, den gçttlichen (Heils- und Welt-)Plan zu erfassen, hlt Cudworth dazu an, anstelle einer vorschnellen Verurteilung des Weltlaufs sich zu einer – zumindest distanzierten, wenn schon nicht vollstndigen – Perspektivierung auf das Ganze hin zu erheben und zu disziplinieren.99 Damit evoziert er eine spirituelle bung, die Pierre Hadot den „Blick von oben“100 genannt hat und die dazu dienen soll, dem, was aus der partikulren Einzelsichtweise als vernunft- und sinnlos erscheint, durch die Perspektivierung auf seine Funktion im Ganzen zumindest Sinn unterstellen zu kçnnen. Cudworth veranschaulicht dies „Ganze“ mit einem kurzen Plotinzitat als !kgh´steqom po¸gla „a ,truer poem“.101 Er funktionalisiert diese Vorstellung jedoch anders als Plotin: Whrend Plotin die Harmonie des Ganzen der Welt aus der Vielfalt der Seelen heraus betont, nutzt Cudworth 95 System III, 473. 96 System III, 473 – 474. 97 Vgl. System III, 477, wo Cudworth seine Ausfhrungen mit einem Bild aus Plotin, Enn. III 2, 15, 43 – 54 und 17, 32 – 18, 29 illustriert. In Brief 67 an Lucilius (S. 253 – 258, ed. Apelt 2004) thematisiert Seneca das fr Cudworth ebenso relevante (von Cudworth ins Christliche gewendete) und mit der Bhnenmetapher verschrnkte stoische Lehrstck, dass sich Tugend unter Widrigkeiten zu bewhren habe und in dieser Bewhrung umso klarer hervortrete. Dazu auch Boethius, Cons. IV, 7. p. und 7. c. 98 Cudworth ergnzt damit seine gesamten Ausfhrungen im System um einen wesentlichen Aspekt: Neben den verstehenden, aktiven Nachvollzug beim Lesen, der den Lesern die metaphysisch-theologischen Grundlagen eines positiven Gottes- und Weltbildes bis in die Ebene der Bewegung der einzelnen atomaren Materiepartikel erschließt und sie derart naturphilosophisch belehrt, tritt nun die Aufforderung zum Glauben an Gottes Gte, Weisheit und Kraft. Zum erlangten Wissen von Gott und Welt kommt so die persçnliche Dimension von Glauben und Gottvertrauen hinzu. 99 System III, 475 – 477. 100 Hadot (2002/1981), 123 – 135. 101 System III, 477. Mosheim verweist in Anm. 6 auf Enn. III 2, 16. Cudworth zitiert jedoch augenscheinlich aus III 2, 17, 32: 1m d³ t` !kgtest´q\ poi¶lati.

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die Vorstellung des sich entwickelnden Dramas, um seine Leser zum contentment, zu geduldiger Ergebenheit gegenber Gott und zum Vertrauen in sein Wirken anzuleiten.102 Im Anschluss daran fhrt Cudworth, hnlich wie z. B. Boethius in Cons. IV, 7. p. und 7. C, eine Funktionalisierung des Bçsen als „Training in der Tugend und im Glauben“ an, die eben als Funktionalisierung zufllig und sinnlos erscheinendem Unglck dadurch Sinn verleiht, dass sie es als eine Art Prfung in die Harmonie des Ganzen eingliedert, ja es geradezu als etwas Gutes ausweist.103 Die folgende Explikation bzw. Einbung des „Blicks von oben“ bzw. auf das Ganze dient entsprechend allein der Festigung des Vertrauens in die Gutheit Gottes und deren Manifestation in der Welt: Only shall we here add some few considerations, not so much for the confutation of Atheists, as for the better satisfaction of such Religionists, who, too easily concluding, that all things might have been much better than they are, are thereupon apt to call in question the divine attribute of goodness in its full extent [Gott ist in dem Sinne allmchtig, dass er berall ,hinreicht, siehe System III, 463], which yet is the only foundation of our Christian faith.104

In dem derart eingeleiteten Textabschnitt des System wird der predigthafte Stil besonders deutlich, mit dem Cudworth versucht, seine Leser in eine psychische Disposition zu versetzen, die sie dazu befhigen soll, die unmittelbar zuvor explizierten metaphysischen Inhalte seines System zum guten und gerechten Wirken Gottes in der Welt ber die entsprechende spirituelle bung tatschlich handlungs- und einstellungsrelevant werden zu lassen und im Gefge und Ablauf der realen Welt zu erkennen, um so die Welt in ihrer Gottesbedingtheit als sympathie- und liebedurchdrungenen Organismus anzuerkennen. Zu diesem 102 System III, 476 – 477: „Lastly, it is in itself fit, that there should be somewhere a doubtful and cloudy state of things, for the better exercise of virtue and faith. For as there could have been no Hercules, had there not been monsters to subdue; so were there no such difficulties to encounter with, no puzzles and entanglements of things, no temptations and trials to assault us, virtue would grow languid, and that excellent grace of faith want due occasions to exercise itself upon. Here have we therefore such a state of things, and this world is, as it were, a stage erected for the more difficult part of virtue to act upon, and where we are to live by ,faith, and not by ,sight; that faith, which is ,the substance of things to be hoped for, and the evidence of things not seen; a belief [Hervorh. L. B.] in the goodness, power, and wisdom of God, when all things are dark and cloudy round about us. ,The just shall live by his faith“ (Zitat 477). Nicht umsonst wird Gott jetzt zum „God Almighty“, in dessen allumfassende Gerechtigkeit, die das Drama auf der Weltbhne wie ein roter Faden durchzieht und gestaltet, der Mensch vertrauen muss. Wie dies metaphysisch zu denken ist, hat Cudworth ja bereits unmittelbar zuvor erlutert. Zum „contentment“ als christlicher Tugend im England des 17. Jahrhunderts siehe Wilde (Univ. Diss. Berlin 2009), 193 – 197. 103 System III, 477; s. bes. Boethius, Cons. IV, 7. p. 104 System III, 477 – 478.

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Zweck whlt Cudworth mit Enneade III 2, 3 einen in hçchstem Maße anschaulichen Text aus, in dem sich die personifizierte Welt direkt an die Leser richtet und sie dazu auffordert, das Ganze in den Blick zu nehmen, um dessen sinnvolle Ordnung zu erkennen, die auf Gott und seine vernnftige, d. h. noetische Binnenstruktur zurckgeht.105 Mit einem zweiten Zitat aus Plotin veranschaulicht Cudworth diesen Sachverhalt weiter.106 Auch bei diesem Text scheinen Anschaulichkeit und damit die psychagogische Wirkung die Hauptkriterien fr seine Auswahl gewesen zu sein, da Plotin an verschiedenen Beispielen Sinn und Nutzen einer in sich harmonischen Vielfalt erlutert (im Organismus, einem Drama oder einem Gemlde), die, um die entsprechende Harmonie und Ganzheit hervorbringen zu kçnnen, auch Nachteiliges und weniger Vollkommenes enthalten msse. Nichtsdestotrotz sei der Schçpfer dieser (Kunst-)Werke nicht vorschnell zu kritisieren, sondern der Blick auf das vielheitlich-harmonische Ganze und seine differenzierte Struktur zu richten, die dann sehr wohl das Vernnftige und Sinnhafte auch des Unvollkommenen und Nachteiligen erkennen lasse. Neben dieser psychagogisch-verdeutlichenden Ebene findet sich in diesem Text jedoch zustzlich eine Art metaphysischer Unterstrçmung. Deren Analyse soll an dieser Stelle lediglich dazu dienen, das Systematische im System weiter zu explizieren bzw. mçgliche leitende und grundstzliche neuplatonische Vorstellungen und Konzepte herauszustellen, die das Gerst von System und Argumentation ausmachen. Ein derartiger ontologischer Bezug ergibt sich bereits daraus, dass Plotin in diesem Textauszug ausdrcklich das Wirken des gçttlichen kºcor in der Welt beschreibt: And again, afterwards: ®speq tewm¸tgr oq p²mta t± 1m t` f¾\ avhaklo»r poie?, ovtyr oq d b kºcor p²mta heo»r eQqc²fetai7 […] “As an artificer would not make all things in an animal to be eyes, so neither has the divine kºcor made all things gods; […]

Cudworth ergnzt hier in seiner bersetzung das griechische kºcor zum „divine [Hervorh. L. B.] kºcor“, der damit zum trinitarischen Logos wird. Mçglicherweise ist darin ein impliziter Hinweis auf einen weiteren Text Plotins zu sehen, in dem Geist und Logos in ihrem Wirken auf die Schçpfung zueinander in Beziehung gesetzt werden. 105 System III, 478 – 479. Cudworth passt dabei in seiner bersetzung den griechischen Text dem christlichen Zug seines System an. Aus t¹ cemºlemom b jºslor 1stim b s¼lpar (die gesamte Welt [..], die zur Entstehung gelangte; III 2, 3, 19) wird bei Cudworth „[…] that which God made was the whole as one thing“, womit sowohl Gottes Funktion als Schçpfer als auch als Schçpfer einer Welt in harmonischer Ganzheit hervorgehoben wird. Aus einem einfachen heºr (einem Gott, dem Demiurgen) wird bei Cudworth entsprechend „God Almighty“, der Gott, dessen schçpferischer Potenz sich diesbezglich nichts entzieht (beide Zitate aus System III, 479). 106 System III, 479. Cudworth zitiert III 2, 11, 5 – 16.

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Dieser gçttliche kºcor (die Wirkkraft oder mit HBT „rationale Form“) wird von Plotin in Enn. III 2, 2, 15 – 31 in einer Weise bestimmt, die Cudworths Argumentation, Auswahl und Kombination von Plotintexten auf den Seiten 478 – 479 fundiert haben kçnnte, denn in Enn. III 2, 2, 15 – 31 liefert Plotin die metaphysische Begrndung fr die Art von Vielheit der Welt, die in den zwei explizit im System angefhrten Texten beschrieben und gegen die atheistische Kritik gerechtfertigt wird – Plotin erçrtert also den (metaphysischen) Sachverhalt, den (an-) zu erkennen diese beiden Texte mit ihren Veranschaulichungen, Vergleichen und spirituellen bungen erleichtern sollten: So hat denn der Geist, indem er ein Stck von sich in die Materie dargab, still und ohne Erschtterung das All gewirkt. Es ist aber dies Stck rationale Form (kºcor), die aus dem Geiste floss; denn was aus dem Geist erfließt, ist rationale Form, und die erfließt immerdar, solange denn der Geist in der Wirklichkeit (1m to?r owsi) gegenwrtig ist. So aber wie in der Formkraft, die im Samenkeime ruht, zunchst alle Momente am selben Punkte beisammen liegen (1m kºc\ t` 1m sp´qlati bloO p²mtym ja· 1m t` aqt`) und keines dem andern widerstreitet oder uneins oder hinderlich ist, dann aber in der Masse (1m ecj\) die einzelnen Teile an verschiedene Stellen kommen und dann auch einander wohl hemmen und gar aufzehren – gleichermaßen ist auch aus dem einheitlichen Geist und der aus ihm kommenden Formkraft unser All entstanden und auseinandergetreten, und so sind die Dinge (in ihm) notwendigerweise nur zum Teil einander freundlich und hold, zum andern Teile aber verhaßt und feindselig, sie schdigen sich wechselseitig teils absichtlich, teils unabsichtlich, die Vernichtung der einen bewirkt die Entstehung der andern; und indem sie solches unter sich wirken und leiden, bringen sie dennoch einen einheitlichen Zusammenklang hervor, jedes einzelne tçnt freilich nach der eignen Weise, die Formkraft aber, die ber ihnen waltet, erwirkt den Zusammenklang, die einheitliche Einfgung in das Ganze.107

Als t¹ [..] !poqq´om 1j moO (III 2, 2, 17) (als noetische Formkraft, die „aus dem Geist erfließt“), lsst sich diese Vorstellung vom Logos gut mit Cudworths Ausfhrungen vom Wirken der trinitarischen Gottheit ad extra in Einklang bringen. Zugleich kann mçglicherweise auf Plotins intensiven Gebrauch von Ne?m und !poqqe?m108 Cudworths wiederholte Bezeichnung von Gott als „Quelle“ in diesem Kontext zurckgefhrt werden.109 Dieser Logos nimmt eine der trinitarischen Weltseele bei Cudworth vergleichbare Stellung und Funktion in der Welterklrung ein. Cudworth kçnnte daher in diesem Logoskonzept eine Figuration seines eigenen Konzepts des nach außen gerichteten Wirkaspekts der Trinitt gesehen und ihn in Verbindung mit dem ontischen Prozess gebracht

107 Plotin, Enn. III 2, 2, 15 – 31. 108 Siehe III 2, 2, 16 – 18: oxtor d³ [b] kºcor 1j moO Nue¸r7 t¹ c±q !poqq´om 1j moO kºcor, ja· !e· !poqqe?, […] [alle Hervorh. L. B.]. 109 Gott als „fountain of love and goodness“ in System III, 463 und als „fountain of life and understanding“ in System III, 453.

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haben, den Plotin in Enneade VI 8, 18 beschreibt,110 einem Text, der, wie gezeigt, ebenfalls als vorstellungsleitend fr Cudworth angesehen werden kann.111 Cudworth kçnnte also auch Enneade III 2, 2 als Besttigung fr seine Annahme angesehen haben, die weitere Entfaltung dieses gçttlichen Logos als eine Art Explikation niedrigerer und nachgeordneter Formkrfte aus dem ursprnglichen trinitarischen Logos zu verstehen,112 als eine emanative Ausdifferenzierung, die bis zu den plastic natures als untersten Formkrften reicht. In ihnen entfalten sich Vielheit und Produktivitt des umfassenden Logos im Stofflichen.113 Da Cudworth von dem trinitarischen Logos (in der bersetzung des Plotinzitats in System III, 479) sagt, er manifestiere seine eigene differenzierte Struktur in der Vielheit der Welt („the divine kºcor, or spermatic reason of the world, […] display[s] its own variety and fecundity) und dabei mit „display“ denselben Begriff benutzt wie in System III, 463 („[The Deitys] nature and essence displayeth goodness and justice“) werden durch diesen Rckbezug Vielheit und Produktivitt sowie Gte/Gutheit und Gerechtigkeit des ersten Prinzips miteinander zum Zweck der Atheisten-Widerlegung in dem Sinne verschrnkt, dass sich aus dieser Verschrnkung erneut Gutheit und Gerechtigkeit der vielfltigen Struktur der Welt ergeben. Der bergeordnete „divine kºcor“ ist damit nicht einfach Christus, sondern der naturphilosophisch funktionalisierte Christus als „spermatic reason of the world“, der schçpferische Aspekt Gottes im Sinne des Johannes-Prologs: 114 Zum Ausdruck kme derart in dieser Wendung die umfassende Urschlichkeit des trinitarischen Prinzips unter Betonung seines vernunft- bzw. logosstrukturierten Bezugs zur Schçpfung und damit unter Hervorhebung der Grundlage der sinnvollen providentiellen Ordnung der Vielheit in der Welt, deren The-

110 S. o. S. 483 – 486. 111 Mit VI 8, 18 verbindet III 2, 2 besonders die Metaphorik des Fließens bei der Beschreibung der Entstehung des ontischen Kontinuums nach Gott, vgl. z. B. III 2, 2, 16 – 18 mit VI 8, 18, 20 (1jwuh´m). 112 Mçglicherweise liefert Cudworth seinen Lesern mit dem von ihm in der bersetzung hinzugefgten und explizierenden „or spermatic reason of the world“ einen Hinweis auf die zur Interpretation vorgeschlagene Kette von Hintergrundtexten: Diese Ergnzung kçnnte nmlich als Hinweis auf Enn. III 2, 2, 19 gelesen werden: kºc\ t` 1m sp´qlati. 113 In System III, 484 nimmt Cudworth auf diese theologisierte per-se-Kausalfolge ausdrcklich Bezug und verbindet sie explizit mit den hier angestellten berlegungen ber die metaphysischen Bedingungen der vernnftigen und gerechten Struktur der Welt. 114 Zu dieser Bedeutung des Christus-Logos siehe z. B. Schmidt-Biggemann (1998), 205 – 208, bes. 205. Die Bestimmung dieses Logos als „spermatic reason“ kçnnte Cudworth auch aus Patrizi, Panarchia IV, 8v bekannt gewesen sein: „An verius dicetur? Principium ante omnia esse, omnia tamen ea in se habere, quia ipsum in se ipso ea produxerit, & ante eorum productionem, ipsum erat? vel verius etiam, sunt omnia in ipso, ut in semine cuncta. Et semen, illa cuncta est, & cuncta sunt illud semen […]“.

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matisierung Cudworth auf diese Weise aus Enneade III 2, 2, 15 – 31 herausgelesen haben kçnnte. Das explizite Zitat aus Enn. III 2, 11 wird aufgrund seines Inhalts und aufgrund seiner intra- und intertextuellen Bezge, die die dahinterliegende metaphysisch-theologische Ebene erst erschließen, zu einer weiteren Einbung in exakt die Geisteshaltung, die Cudworth ebenso durch praktische spirituelle bungen beim Leser zu realisieren versucht: Im Aufnehmen der Ver- und Hinweise (der signa) und der daraus resultierenden Aufdeckung des Sinngeflechts wird das metaphysische Fundament sichtbar, das, den intelligiblen Formkrften gleich, das Ganze der Argumentation trgt und gestaltet und den einzelnen Elementen ihre jeweilige Bedeutung verleiht, aus denen sich das System als sinnvolles System als aus einer auf den ersten Blick verwirrenden Vielheit zusammensetzt. Im Sinne dieser anagogischen Wirkung des Textes fokussiert Cudworth schließlich die argumentatorische Bewegung des Textes auf Gott als Prinzip und Ursache der in der Welt wirkenden und miteinander verwobenen Formkrfte.115 Als !peiqod¼malor116 steht Gottes Wahrnehmung, die sich, wie Cudworth gleich einfordert, mit dessen „sphere of activity“ deckt, unendlich weit ber dem menschlichen Vermçgen. In einem Vergleich mit der Sonne erçrtert Cudworth, wie diese „sphere of activity“ nherhin zu denken ist. Analog zur Sonne sendet auch Gott seine „rays of the Deity“ aus,117 wobei Cudworth aufbauend auf seiner Theorie der Form- und Radialkrfte unter diesem Begriff nun tatschlich alles intelligible Kreatrliche erfassen kann, das seinerseits die Zentren aller stofflichen Geschçpfe konstituiert und in diesen lckenlos berall zugleich anwesend ist. Geht man davon aus, dass Cudworth gleichfalls – auf der Grundlage von Enneade VI 8, 18, 16 – der Ansicht war, dass Gott in diesen Radialkrften in der ihnen spezifischen Form anwesend ist, so erstreckt sich sowohl sein Wissenswie auch sein Verfgungsraum in vermittelter Form auf die ganze Schçpfung. 115 System III, 483. Dies erfolgt in Form einer Auseinandersetzung mit dem Einwurf, dass kein Wesen berall wirkend anwesend sein und zugleich als „glcklich“ (happy) gedacht werden kçnne. 116 Dieses Adjektiv ist selten und taucht zum ersten Mal bei Porphyrius auf. Es wird laut LSJ nur in neuplatonischen Kontexten verwendet. In der Renaissance findet es sich u. a. bei Patrizi im Rahmen einer Prinzipien- und Gotteslehre, die exakt dem Kontext entspricht, in dem es bei Cudworth Verwendung findet, Pancosmia IV, 74r: „Ab infinita luce, lumen infinitum. Est enim Deus, uti iam ante, est nobis demonstratum apeiqodumalor [sic]. Ab infinita potentia, infinita provenit actio.“ 117 System III, 483: „Were the sun an animal, and had life co-extended with its rays and light, it would see and perceive every atom of matter that its outstretched beams reached to and touched. Now all created beings are themselves, in some sense, but the rays of the Deity, which therefore cannot but feel and sensibly [!] perceive all these its own effluxes and emanations.“ Zur ontologischen Position der radii siehe auch Patrizi, Panaugia III, 5v.

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Auf diese Weise wird alles von Gott als Ursache umfasst und zugleich erfllt.118 Die als Widerlegung eines atheistischen Einwands vorgebrachte kurze Explikation seines Gottes- und Prinzipienbegriffs bietet Cudworth damit die Gelegenheit, die zentralen Zge seiner Naturphilosophie nochmals zusammengefasst zu rekapitulieren: […] that there is no necessity God Almighty should aqtouqce?m ûpamta, “do all things himself immediately and drudgingly;” but he may have his inferior ministers and executioners under him, to discharge him of that supposed encumberment. As first of all, an artificial plastic nature, which, without knowledge and animal consciousness, disposes the matter of the universe according to the platform or idea of a perfect mind, and forms the bodies of all animals. And this was one reason why we did before insist so much upon this artifical, regular, and methodical nature, namely, that divine providence might neither be excluded from having an influence upon all things in this lower world, as resulting only from the fortuitous motions of senseless matter, unguided by any mind; nor yet the Deity be supposed to do every thing itself immediately and miraculously, without the subservient ministry of any natural causes, which would seem to us mortals, to be not only a violent, but also an operose, cumbersome, and moliminous business. […] Above all which, there are yet other knowing and understanding ministers of the Deity, as its eyes and hands, demoniac or angelic beings, appointed to preside over mankind, all mundane affairs, and the things of nature; they having their several distinct offices and provinces assigned them.119

An diesem Punkt wird erneut deutlich, dass das Konzept der „radii Deitatis“ und „rays of the Deity“ eine zentrale, systembildende Funktion besitzt und Cudworth mit ihm, wie zuvor angenommen, Engel und Dmonen in das systematische Weltmodell des System integriert.120 Diese allgemeine Einordung von Engeln und Dmonen als nachgeordneten Formkrften, die Cudworth in System III, 484 resmiert, wird von ihm dann allerdings in System III, 485 im 118 Auch hier entwickelt Patrizi in Panaugia III, 5v ein entsprechendes Bild, das gut mit Cudworths Vorstellung der „sphere of action“ korrespondiert: „Ita ut nostra sententia, Radius sit, fulgor a luce in conum promicans & quasi lux secunda, a prima in eam figuram conformata. Lumen autem est lux tertia, tum a prima, tum a secunda emanans non in rectum progrediens, neque in acutum finiens. Circa radios namque circumvolvitur, & inter radios semper plus distantes, omnem implet locum.“ Patrizis Darstellungen wiederum lassen sich mçglicherweise auf neuplatonische Lichttheorien zurckfhren, wie sie sich z. B. bei Plotin, Enn. IV 5, 7 finden; dazu vgl. Bergemann (2006), 76 – 82. Auch Plotin verbindet immer wieder Prinzipienspekulation und Lichtmetaphysik, siehe u. a. Beierwaltes (1957), Schroeder (1992) sowie Bergemann (2006). Fr die Frhe Neuzeit diesbezglich siehe z. B. Leinkauf (1993), 334 – 342, hier auch die biblischen Implikationen von Licht. 119 System III, 483 – 484. 120 Mit dieser allgemeinen ontologischen Einordnung von Engeln und Dmonen vertritt Cudworth dieselbe Position wie z. B. Agrippa in De occulta philosophia III, cap. XII, S. 435 (ed. Perrone Compagni), der seine Ansicht mit Zitaten aus Augustinus und Origenes belegt.

8.1 „Nor does justice in God clash with goodness“

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Sinne von Plotin, Enn. III 2, 13, 29 – 33 spezifiziert, d. h. im Sinne eines Textes, den Cudworth bereits in System III, 463 zitiert hat. Konkretisiert wird nun vor allem das Wesen Gottes in der Eigenschaft, in der es t¹ jak¹m 1m ta?r 1meqce¸air aqtoO ja· t¹ d¸jaiom sumejv´qei. Gottes Entfaltung zeigt sich in diesem Fall ber gute Dmonen und Schutzengel, die die Position der 1m´qceiai einnehmen, vermittels derer Gott (seine) Schçnheit und Gerechtigkeit hervortreten lsst. Ihre Funktion und Position wird u. a. bereits von Ficino in De amore, oratio sexta, cap. 3, 202 – 203 erçrtert: Die guten Dmonen, welche uns beschtzen, heißen bei Dionysios Areopagita die Engel, welche die niedere Welt regieren. Diese Bezeichnung weicht ja von der platonischen Anschauung keineswegs ab. Ebenso drfen wir nach dem Vorgange des Dionysios die Geister, welche Platon Gçtter sowohl wie Seelen der Sphren und Gestirne nennt, als Gott dienende Engel (angelos dei ministros) bezeichnen. Auch dies weicht von Platon nicht ab, der ja, wie aus dem zehnten Buch der „Gesetze“ hervorgeht, diese Art von Seelen nicht im gleichen Sinne in die Sphrenkçrper eingeschlossen sein lsst, wie die Seelen der irdischen Lebewesen in ihre Leiber. Vielmehr behauptet er, sie seien vom hçchsten Gotte mit so vorzglichem Vermçgen ausgestattet, dass sie die Anschauung Gottes genießen und zugleich mhelos dem Willen ihres Erzeugers entsprechend die Weltsphren lenken und durch diese Bewegung mit Leichtigkeit die untere Welt regieren kçnnen.

Schon Ficino begrndet seine Ausfhrungen mit einem Rckgriff auf eine Stelle aus Platons Leges. Genau diese Stelle wird ebenfalls von Cudworth zur Legitimierung seiner Ausfhrungen ber dmonische und engelhafte Schutzkrfte herangezogen. Aufgrund dieser Entsprechung ist die Annahme einer Transformationskette relativ plausibel: Die Funktionalisierung Platons im Kontext der Spekulation ber Engel und deren ontischen Status wird u. a. von Ficino eingefhrt und wohl von dort von Cudworth bernommen. Auch die Eingliederung der Engel und Dmonen in eine Welterklrung insgesamt im Rekurs auf Platon findet sich bei Ficino, der die Engel als „dei ministri“ bezeichnet.121 Diese Positions- und Funktionsbestimmung ist gut mit Cudworths Ansatz zu vereinbaren, demzufolge die Gott nachgeordneten Wirkkrfte als rpouqco· dum²leir klassifiziert werden.122 Durch die Verbindung zu dem Text Ficinos werden aus den abstrakten Krften personale Engel. Im Zuge dieser theologischen Imagination und Anverwandlung, in der metaphysische Spekulation und Anschaulichkeit der Predigt konvergieren, bekommen die eigentlich unfassbare Liebe und Gerechtig121 Auch Agrippa, De occulta philosophia, 461 f. (ed. Perrone Compagni) handelt ber gute Dmonen und Engel, konzentriert seine Ausfhrungen aber auf deren bessernde Hilfe und Einwirkung auf den einzelnen Menschen. 122 S. o. im Kapitel 4.2 „Der ontologische Status der plastic nature als ,dienende Kraft“ zu System II, 171, wo Cudworth diese „dienenden Krfte“ (inferior subservient ministers) ebenfalls im Rahmen der Vorsehung funktionalisiert und zu seiner Naturphilosophie in Beziehung setzt.

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8. Die Kontinuitt des Seins

keit Gottes ein Gesicht, durch Personalisierung wird aus dem metaphysischen Konzept eine trostreiche Vorstellung. Cudworth beendet seine an die atheistische Vorsehungs- und Gotteskritik geknpfte Gottes- und Prinzipiendarstellung, indem er erneut und nachdrcklich darauf hinweist, dass dieser Gott nach allem, was im System zum Gottesbegriff entwickelt wurde, keine personifizierte Willkr ist.123 Im Gegenteil: „Goodness and justice in God are always complicated together.“124 Wie diese „complication“ zu denken ist, hat Cudworth in seinen Trinittsspekulationen in System II entwickelt; wie sich seine Gte und Gerechtigkeit an die Welt vermitteln, hat er in diesem Abschnitt in der Auseinandersetzung mit der atheistischen Kritik an einer theistischen Vorsehungs- und Gotteskonzeption erçrtert. Hier zeigte sich, wie Cudworth eine zunchst naturphilosophisch gebrauchte, aufgrund zeitgençssischer Rahmenbedingungen modifizierte neuplatonische Metaphysik hinsichtlich der Theodizeeproblematik nutzbar zu machen versteht: durch eine argumentationsorientierte, durch die zeitgençssischen Debatten beeinflusste und konturierte Antikentransformation, die sich wie zuvor in systematisch angeordneten Zitatkombinationen ußert und sich darber hinaus in diesem Fall z. B. bei Schutzengeln und guten Dmonen zu einer spezifischen Hybridisierung von frhneuzeitlicher theologischer Imagination und neuplatonischer Metaphysik ausweitet. Es erstaunt nicht, dass Cudworth diesen Abschnitt mit einem Prosa-Hymnos zum Preis Gottes beendet.125 In ihm theologisiert Cudworth seine systematischmetaphysischen Ausfhrungen: Statt um Wissen geht es jetzt um den Glauben und das Vertrauen in einen guten Gott und in die von ihm und in ihm begrndete Weltordnung (contentment). Daraus erwchst zugleich die – christliche – Pflicht, diesem Glauben und Vertrauen gemß zu handeln: „To believe a God, and do well, are the most hopeful, cheerful, and comfortable things that can possibly be.“ Nachdem also die Struktur der Welt in ihrem normativen Anspruch erklrt und gerechtfertigt ist, hat nun auch der Mensch eine sehr spezifische Rolle und Funktion im „whole system [of the world]“ zu erfllen, denn letztlich ist auch der Mensch im Wesentlichen bestimmt als mit einem primren Kçrper verbundene Seele und damit als eine rpouqc¹r d¼malir Gottes, 123 System III, 494. 124 System III, 494. 125 System III, 494 – 495: „[…] To believe a God, is to believe the existence of all possible good and perfection in the universe; it is to believe, that things are as they should be, and that the world is so well framed and governed, as that the whole system thereof could not possibly have been better. […] and nothing can hinder or obstruct these hopes, but our own wickedness of life. To believe a God, and do well, are two the most hopeful, cheerful, and comfortable things that possibly can be […]“. Die hymnische Struktur ist z. B. am anaphorisch verwendeten „to believe a God“ zu erkennen, das den gesamten Textabschnitt strukturiert und wie ein Refrain wirkt.

8.2 „[…] there must of necessity be some natural bond or vinculum“

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eine sich im Verbund mit dem Kçrper manifestierende Wirkform Gottes, die allerdings ber einen freien Willen und die Mçglichkeit zur Selbstbestimmung verfgt.126 Seine Funktion erfllt der einzelne Mensch auch und vornehmlich als Mitglied einer politisch organisierten Gesellschaft, so dass sich Cudworth nun mit der Rechtfertigung seiner theistischen Position gegen atheistisch-atomistische Vorwrfe unter dieser Perspektive auseinandersetzt.127

8.2 „[…] there must of necessity be some natural bond or vinculum to hold them all together“128 – die Verschrnkung von gçttlich durchwobener Natur und Staat im System 129 Diese Auseinandersetzung vollzieht sich in Form einer grundstzlichen Widerlegung der hauptschlich von Hobbes vertretenen Ansichten zum Verhltnis von Religion und Staat.130 Cudworth fundiert seine Kritik an Hobbes in seinem Menschenbild.131 Im Unterschied zum Hobbesschen Menschen, der in sich außer Selbstsucht und Selbsterhaltungstrieb keine weiteren verhaltensrelevanten Strukturen vorfindet,132 weiß der theistisch auf sich reflektierende Mensch um seine similitudo Dei (auch wenn er sie verlieren kann) und sogar um deren metaphysisch-theologische Begrndung. Metaphysisch ist der Mensch bzw. seine Seele, die ja das Wesen des Menschen ausmacht, mit dem bereits zuvor zitierten Text aus Plotins Enneade III 2, 13, 29 – 33 zu bestimmen als Wirkkraft, die, durchdrungen von Gott, dessen Schçnheit, Liebe und Gerechtigkeit realisieren kann und soll. Diese Realisierung vollzieht sich, indem sich die Seele als eingebunden in den Weltorganismus, d. h. als wesentlich auf gemeinsames Wirken und Handeln hin ausgerichtet, begreift. Der Mensch besitzt also eine von Gott herkommende seelische Disposition, die weit ber atomistische Bewusstseinskonzeptionen hinausgeht. Cudworth spezifiziert diese seelische Disposition und Struktur als Gewissen:133

126 Menschen sind „imperfect free-willed beings, left to themselves“ (System III, 495). 127 System III, 495: „And now come we to the last atheistic argumentation, wherein they endeavour to recommend their doctrine to civil sovereigns, and to persuade them, that theism or religion is absolutely inconsistent with their interest; […]“. 128 System III, 509. 129 Siehe ergnzend zum Folgenden Taliaferro (2005), 34 – 35. 130 Vgl. dazu die umfassende Anmerkung von Mosheim in System III, 502 – 507, Anm. 7. 131 System III, 496 f. 132 Siehe das dstere Menschenbild, das Cudworth in System III, 496 f. zeichnet. 133 Vgl. Rogers, in Rogers/Vienne/Zarka (1997), 13, der allgemein auf die zentrale Bedeutung des individuellen Gewissens im Rahmen der gesellschaftlich-politisch orien-

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8. Die Kontinuitt des Seins

Wherefore conscience also is, in itself, not of a private and partial, but of a public and common nature; it respecting divine laws, impartial justice and equity, and the good of the whole, when clashing with our own selfish, good, and private utility. This is the only thing that can naturally consociate mankind together, lay a foundation for bodies politic, and take away that private will and judgment, according to mens appetite and utility, which is inconsistent with the same; agreeably to that of Platos : T¹ joim¹m sumde?, t¹ Udiom diaspø, That “which is of a common and public nature, unites; but that, which is of a private, segregates and dissociates.”134

Da Staatswesen als Realisierungsformen vorgegebener Strukturen anzusehen sind,135 setzt genau diese Disposition die Menschen in die Lage, einen funktionierenden Staat zu tragen und zu erhalten.136 Jedem einzelnen Menschen kommt es also zu, eine zwar partikulre, aber auf das Ganze und das Gesamt ausgerichtete Realisierung der gçttlich fundierten „natural justice“ zu sein oder zu werden. Der zweite metaphysische Horizont, in den Cudworth Einzelseelen, Staat und das Funktionieren des Staates einbettet,137 wird ausdrcklich in System III, 509 expliziert, wo Cudworth Staats- und Naturgefge in ihrer Struktur annhert und den Staat gleichsam als Sonderfall des sympathiebegrndeten Naturganzen beschreibt:138

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138

tierten berlegungen der Cambridge Platonists hinweist, die er zuvor am Beispiel Cudworths und Mores entwickelt hat. System III, 514. Hier rekurriert Cudworth auf das Platonische Partizipationskonzept, siehe System III, 514. System III, 514: „To conclude, conscience and religion oblige subjects actively to obey all the lawful commands of civil sovereigns, or legislative powers, though contrary to their own private appetite, interest, and utility; […]“ Korrespondierend ist anzumerken, dass Cudworth in seiner Predigt vor dem House of Commons in Westminster im Jahr 1647 ein Herrscher- und Herrschaftsbild entwirft, das in allen seinen wesentlichen Punkten seinem Konzept von einem gtigen und vernnftigen, sich in noetischen Strukturen mitteilenden Gott entspricht und das, wie Taliaferro (2005), 17 beobachtet, als Gegenentwurf zu Machiavellis Il Principe verstanden werden konnte und kann. Weil die Atomisten die Seele aus diesem Horizont herauslçsen und sie so ihrer intelligiblen und gotthnlichen Struktur berauben, wirft Cudworth ihnen ein „villanizing of human nature“ vor (System III, 496 und 497). Dies hat die Konsequenz, dass die Atomisten auch den Status und die Qualitt politischer Ordnungen verkennen und urschlich abwerten (System III, 497 und 504 – 507). Der Entgçttlichung der Natur korrespondiert die Abwertung des einzelnen Menschen als Brgerin oder Brger des Gemeinwesens. Es ist sicher kein Zufall, dass Cudworth die auch fr den Staat grundlegende „natural justice“ gleich zweimal als „natural bond or vinculum“ bestimmt und diese Junktur mit „a cementing and conglutinating nature in all rational beings [Hervorh. L. B.]“ sowohl expliziert als auch universalisiert. Darber hinaus wird auf diese Weise diese weltliche Form der Gerechtigkeit Gottes mit dessen Liebe gleichgesetzt, die im Naturablauf

8.2 „[…] there must of necessity be some natural bond or vinculum“

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Wherefore, since it is plain that sovereignty and bodies politic can neither be merely artificial nor yet violent things, there must of necessity be some natural bond or vinculum to hold them together, such as may both really oblige subjects to obey the lawful commands of sovereigns, and sovereigns in commanding to seek the good and welfare of their subjects; […] Which bond or vinculum can be no other than natural justice; and something of a common and public, of a cementing and conglutinating nature, in all rational beings; the original of both which is from the Deity.

Die „natural justice“ ist also die Form, in der sich das „Schicksal“, verstanden als „an energetical and effectual principle, constituted by the Deity“139, im Bereich der menschlichen Gesellschaft als Teilbereich des Naturganzen umsetzt bzw. umsetzen sollte. Whrend die atomistisch begrndeten Staatsformen – wie deren Welt als ganze – aufgrund des Mangels einer derartigen zusammenhaltenden Kraft von permanentem Zerfall bedroht sind bzw. ihm unterliegen, entwickelt Cudworth mit seiner neuplatonisch-theistischen Konzeption ein entsprechendes Gegenmodell und fhrt so seine kurz zuvor140 diesbezglich entwickelten Theorien weiter, denen zufolge sich binnenstrukturierte Einheit als umfassende Harmonie stabilisiert. Wie in seiner Naturphilosophie aktuieren die Partikularformen, die einzelnen Menschen, im Politischen eine von Gott begrndete Prdisposition (zum Guten), die in der Natur ihr Analogon in der Panspermie besitzt: „Had not God and nature made a city, were there not a natural conciliation of all rational creatures, and subjection of them to the Deity […] men could neither by art, or by political enchantment, nor yet by force, have made any firm cities and politics.“141 In seiner ordnenden Prinzipienfunktion wird Gott zwar auch von Cudworth in diesem Kontext als „supreme sovereign of the universe“ bezeichnet.142 Aber da sich die Macht Gottes diesbezglich bereits in der Trinitt vernnftig selbstbeschrnkt, ist sie in ihren Auswirkungen immer gerecht.143 In ihrer abgestuft-vermittelten Umsetzung bedeutet sie die Realisierung einer ihr darin korrespondierenden rational-noetischen Protostruktur im Staat wie in der Welt. Die Gerechtigkeit dieser Struktur, die in ihrem prozesshaften Vollzogen-Werden Gottes Vorsehung realisiert, wird garantiert und erhalten von Gottes dies alles umfassender Liebe, die sich im Weltlauf als Sympathie und als auf diese Sympathie gegrndete Harmonie des

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ebenfalls als vinculum mit Gesetzescharakter fungiert; dazu s. o. Kapitel 4.3 – 4.3.4 zur pneumatischen Magie und zur plastic nature als Naturgesetz. System I, 249. In System III, 468. System III, 511. System III, 512. System III, 512: „Gods will is ruled by his justice, and not his justice ruled by his will; and therefore God himself cannot command what is in its own nature unjust.“

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8. Die Kontinuitt des Seins

Ganzen zu seinen Teilen und der Teile untereinander abbildet.144 Gerechtigkeit, Liebe, Sympathie und Harmonie beanspruchen Geltung in der Natur wie im Staat. Und so ist es am Ende des System nicht „God Almighty“, der angerufen wird,145 sondern ein absolut vollkommenes Wesen: „an [Hervorh. L. B.] absolutely perfect Being, infinitely good, wise, and powerful“.146 Und es ist Cudworths System, das die Welt als Schçpfung dieses vernnftigen und liebenden Wesens erklrt und sie durch die Erklrung in der Gesamtheit ihrer Phnomene zu einem signum Dei werden lsst.147 Die ontologische Grundlage dieses Erkenntnisziels lsst sich bis auf den Schlussabschnitt von Platons Dialog Timaios zurckverfolgen: Denn indem diese unsere Welt sterbliche und unsterbliche Lebewesen erhielt und derart mit ihnen erfllt ward, ist sie ein sichtbares Lebewesen, das die sichtbaren Lebewesen umgibt (peqi´wom), als Abbild des nur denkbaren Lebewesens, ein wahrnehmbarer Gott, der grçßte und beste, schçnste und vollkommenste geworden – dieser unser einziger einzigartiger Himmel. (Pl., Ti. 92c)

Cudworth allerdings verschmilzt diese Anschauung der Welt mit der Metapher von der Welt als Buch, und stellt schließlich aufgrund der wesentlichen strukturellen quivalenz das eigene Buch, das System, an die Stelle der Welt mit dem Anspruch auf anagogische Erkenntnis und Einsicht in die Weisheit Gottes: But now, in the room of this artificial book in volumes, let us substitute the book of nature, [Hervorh. L. B.] the whole visible and material universe, printed all over with the passive characters and impressions of divine wisdom and goodness, but legible only to an intellectual eye; for to the sense both of man and brute, there appears nothing else in it but as in the other, so many inky scrawls, i. e. nothing but figures and colours; but the mind or intellect, which hath an inward and active participation of the same divine wisdom that made it; and being printed all over with the same archetypal seal, upon occasion of those sensible delineations represented to it, and taking notice of whatsoever is cognate to it, [Hervorh. L. B.] exerting its own inward activity from thence, will not have only a wonderful scene and large prospect of other thoughts laid open before it, and variety of knowledge, 144 Zu dem korrespondierenden Gedanken bei Kircher, dass der menschliche „Staat […] in seiner vermittelnden Substanz in expliziter Form den monarchischen und theologischen Grundzug des Seins oder des Universums selbst [reprsentiert]“, siehe Leinkauf (1993), 394 – 397. Zentral auch fr Cudworth ist die Beobachtung Leinkaufs eines „Ineinanderblenden[s] von homologen Strukturen“ (beide Zitate ebd. 395), das bei Cudworth Parametern folgt, die denen Kirchers sehr hnlich sind, vgl. dazu ebd. 394. 145 Obwohl Cudworth z. B. in System III, 484, 485 (zweimal), 494 und 511 diese Bezeichnung fr sein erstes Prinzip/Gott whlt. 146 System III, 516. 147 Zu Ficino als mçglicher Inspirationsquelle s. Breteau, in Simonuttit (2007), 365: „Ficino mostly aimed at this ,that in the divinity of the created mind, as in a mirror at the center of all things, we should first observe the works of the Creator, and then contemplate and worship the mind of the Creator.“

8.2 „[…] there must of necessity be some natural bond or vinculum“

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logical, mathematical, metaphysical, moral displayed; but also clearly read the divine wisdom and goodness, in every page of this great volume, as it were written in large and legible characters.148

Die Verschrnkung von Welt und System/Text bedeutet zugleich eine Anweisung fr die Art und Weise, wie das System zu lesen ist, die mit den bisherigen Interpretationen zu den performativen Qualitten dieses Textes149 zusammenzusehen ist: Mit „and taking notice of whatsoever [!] is cognate to it, [Hervorh. L. B.] exerting its own inward activity from thence“ fordert Cudworth jeden Leser dazu auf, seinen Text in einem ebenso kombinierenden wie supplementierenden Modus zu rezipieren und im Zusammenhang mit den impliziten aber systemkonstituierenden Hintergrundannahmen und -texten im Kontext mit den Ansprchen der konkurrierenden zeitgençssischen Naturphilosophien und Gottesbilder zu verstehen.150 Erst diese Syntheseleistung resultiert in der Wahrnehmung von Welt und Text als einer „wonderful scene“, in der Gottes Weisheit und Gte klar zu lesen sind. Flores151 deutet EIM 597 f. entsprechend als „epistemological journey toward the knowledge [Hervorh. L. B.] of God“, als eine Reise, die von der Betrachtung der Welt – und des Textes – als organischer Ganzheit ausgeht und sich zum Nous Gottes erhebt, zum Urbild dieser Welt: […] yet all the parts of the mundane system conspiring into one perfect harmony, there must of necessity be some one universal mind, the archetypal and exemplary cause thereof, containing the plot of the whole mundane music, as one entire thing made up of so many several parts within himself. […] but the man will also perceive harmony in them, and be very much delighted by it; nay, even enthusiastically transported by it. [Hervorh. L. B.]152 148 EIM 601. 149 S. o. S. 327 – 330 u. 439 – 442. 150 Er fordert damit den Leser auf, die intellektuelle Haltung zu realisieren, die Bisterfeld als immeatio mentis im Rekurs auf die Perchoresis der trinitarischen Struktur entwickelt; zur immeatio bei Alsted und seinem Schler Bisterfeld siehe Antognazza, in Mulsow (2009), 72 – 81, dort wird auch eine Verbindung dieser deutschen Philosophen und Theoretiker der Universalwissenschaft nach England herausgearbeitet. Cudworth selber besaß ein Werk von Bisterfeld. 151 Flores (2008), 168. 152 Mit Mother Maria (Lydia Gysi) erklrt Flores diese anagogische Schau als Ergebnis einer Art Verschmelzung der plastic nature mit dem intellektiven Aspekt der menschlichen Seele, die in einer Art unio mystica resultiert (Flores [2008], 168 f.). Vgl. EIM 600: „Now there is yet a pulchritude of another kind; a more interior symmetry and harmony in the relations, proportions, aptitudes and correspondencies of things to one another in the great mundane system, or vital machine of the universe, which is all musically and harmonically composed; for which cause the ancients made Pan, that is, nature play upon an harp; but sense, which only passively perceives particular outward objects, doth here, like the brute, hear nothing but mere noise and sound and clatter, but no music or harmony at all; having no active principle and anticipation within itself to

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8. Die Kontinuitt des Seins

Damit ist das System Cudworths eine anagogische Einbung in eine, wie es Gysi treffend charakterisiert, sthetische Vision153 der in sich harmonierenden Ganzheit der Welt, die derart die Einheit, Gte und Schçnheit Gottes abbildet, und es ist zugleich Lobpreis Gottes, der zeigt, dass und wie alle Wege zu Gott fhren, und der endet wie ein Gebet – mit einem affirmierenden „Amen“.

comprehend it by, and correspond or vitally sympathize with it; whereas the mind of a rational and intellectual being will be ravished and enthusiastically transported [Hervorh. L. B.] in the contemplation [Hervorh. L. B.] of it; and, of its own accord, dance to this pipe of Pan, natures intellectual music and harmony.“ Cudworth stellt diese Art seiner unio mystica durch seine Wortwahl („ravished and enthusiastically transported“) explizit als Gegenentwurf zu anderen „Erleuchtungs-“ und Inspirationsmodellen der enthusiasts dar. Wesentlich damit verknpft ist auch hier eine implizite Lese- und Verstndnisempfehlung: das intellectual system ist, wie die Natur, zu lesen und zu verstehen als eine „intellectual music and harmony“! Auch sie erschließt sich erst dem aktiven Zugriff der Lesenden. Vgl. auch Cudworths „Enthusiasmus-Diskussion“ in System I, 198 f. aus der hervorgeht, dass die wahrhaft vom „Spirit, that is of God“ Inspirierten den Nous Gottes erfassen, denn „the Spirit of God is no irrational thing, but either the very self-same thing with reason, or else […] ,the root of reason“. 153 Gysi (1962), 58, Anm. 2.

Schlussbemerkung Die Auseinandersetzung mit Cudworths Schrift „The True Intellectual System of the Universe“ unter der Perspektive der Transformationsanalyse lsst zunchst noch vieles offen. So konnten Vorlufer dieses Werkes wie Ficino, Agrippa von Nettesheim, Patrizi oder auch Gassendi in ihrer Funktion als Transformationsfilter nur problemorientiert bercksichtigt werden. Auch der Einfluss der Konstellation als des dynamischen wissenschaftlichen Feldes, in dem Cudworth seinen Text verfasst und dessen Teilnehmer als Transformationsfaktoren fr das Verstndnis des System eine wichtige Rolle spielen, konnte nicht umfassend und nur problemorientiert untersucht werden. Die Analysen derartiger Transformationsfilter und -faktoren stellen je fr sich eigenstndige Forschungsvorhaben dar, die in ihrem Umfang jeweils dem der vorliegenden Arbeit entsprechen mssten bzw. umfangreicher ausfielen. Gleichwohl çffnet der transformationsanalytische Zugang zu Cudworths Text Sichtweisen, die sich mçglicherweise in mehrfacher Hinsicht als produktiv erweisen kçnnten.1 Auf methodischer Ebene erschließt dieser Zugang die Intertextualitt des System als den wesentlichen Modus, in dem sich kombinatorisches universalwissenschaftliches Wissen und Schreiben realisiert. Beim Versuch, Texte zu interpretieren, die zur Gattung des „universalwissenschaftlichen Schrifttums“2 gehçren, sollten diese Texte auch als Intertexte in den Blick genommen werden. So weist die Analyse des System auf dieser Ebene zurck auf die Struktur der Texte Ficinos, Agrippas, Patrizis, Gassendis und auch Charletons, deren intertextuelle Eigenschaften speziell in ihrer philosophisch-systematischen Bedeutung auf diese Weise ins Zentrum philosophiehistorischer Analysen rcken kçnnen. Damit erschließt sich zugleich eine weitere mçgliche Bedeutungsebene derartiger Texte: Als Intertext besitzt das System eine performative, gleichsam anagogische Qualitt, so dass die Lektre des System in ihrem synthetisierenden, ergnzenden und kombinierenden Mitvollzug zu einer Art spiritueller bung wird, die den Leser auf die Erfahrung noetischer Einheit vorbereitet – eine Leistung, die z. B. Agrippa in De occulta philosophia explizit von seinen Lesern fordert.3 1

2 3

Das System zeigte sich damit als zentrales Element des „Brckenpfeiler[s] fr jene Brcke, die von der italienischen Renaissance zum deutschen Humanismus des 18. Jahrhunderts fhrt“, wie es Ernst Cassirer (2002/1932), 380 beschreibt. Leinkauf, in Horn/Mller/Sçder (2009), 463. Agrippa, De occulta philosophia 599 f., ed. Perrone Compagni.

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Schlussbemerkung

Darber hinaus wird dieser Anspruch von Descartes in den Meditationes ebenfalls bereits im Titel erhoben, aber auf eine ganz andere Weise als im System realisiert. Hobbes reguliert-reduzierter und am Ideal der computatio 4 orientierter Stil wiederum scheint dem des System auch in seiner Wirkung auf die Leser geradezu entgegenzustehen. Richtet man also den Blick auf die performativen Qualitten des Textes des System, lassen sich im Ausgang von Cudworths Text sowohl die Texte seiner Vorlufer als auch die seiner Zeitgenossen und Nachfolger wie z. B. Shaftesburys oder S. T. Coleridges unter dieser Perspektive systematisch in den Blick nehmen. Abgesehen von der Perspektivierung des System als performativ wirksamer Einheit verschiedenster antiker, sptantiker und patristischer Referenztexte erschließt das philosophiehistorisch operationalisierte Verfahren der Transformationsanalyse das System zustzlich auf der Ebene des Inhalts. Grundlegend ist hier die Feststellung, dass der Text als Intertext die wesentliche Ausdrucksform des metaphysisch-theologischen Inhalts als systematischer Welterklrung ist. Erst unter dieser Annahme lassen sich die inhaltlichen Innovationen nachvollziehen und verstndlich machen, die aus dem je spezifischen Zusammenspiel der einzelnen Referenztexte hervorgehen. Die systematische Einheit des Werkes in der Vielheit seiner Referenztexte wird dabei auf dieser Ebene von dem immer mitzudenkenden Prinzipien- und Gottesbegriff sowie bestimmten neuplatonischen Zentralmotiven wie z. B. der Vorstellung des „Umfassens“, der Vorstellung der radii Deitatis, d. h. der Radialkrfte Gottes, und des EnergeiaiSchemas Plotins, das zum Ousia-Dynamis-Energeia-Schema erweiterbar ist, sowie vom Konzept einer atomar strukturierten Materie garantiert. Sie bilden das inhaltliche Grundgerst, das Cudworth aus seinen Referenztexten herausliest und das er durch die verschiedensten Textkombinationen problem- und argumentationsspezifisch ausdifferenziert bzw. modelliert und anpasst. Zu beobachten ist dabei, dass Cudworth die Kraftmetaphysik des Neuplatonismus zu einem zentralen, systematischen und einheitsstiftenden Zug seiner philosophisch-theologischen Welterklrung macht. Es ist m. A. n. dieser kraftmetaphysische Ansatz, der das System mçglicherweise u. a. fr Newton oder auch fr Leibniz interessant machte bzw. verstrkt deren Aufmerksamkeit auf das Konzept der Kraft (vis, virtus, d¼malir, force, power etc.) als wirkend-gestalterischer Grçße in der Welt gelenkt und gerade unter diesem Aspekt fr interessierte Naturphilosophen den entsprechenden Stellenpool zur Verfgung gestellt haben kçnnte.5 Aus diesem Zusammenhang heraus ist Cudworths Sys4 5

Siehe Hobbes, Vom Kçrper, 6. Zur Monade als „Kraftzentrum“ bei Leibniz siehe z. B. Gloy (1996), 53 f. Hier ist mçglicherweise an Cudworths Konzeption der Seele als Kraftzentrum und oqsi¾dgr d¼malir zu denken. Zudem kçnnte man neben More (dazu siehe Cassirer [2002/1932], 335 – 338) auch Cudworths Konzeption vom Raum als homogener Kraftsphre in Ver-

Schlussbemerkung

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tem ein wichtiges Werk in der „Geschichte des ganzheitlichen Denkens“6, das eine wesentliche metaphysische Grundlage derartigen Denkens auf den verschiedenen Ebenen der Welterklrung systematisch zur Anwendung bringt und zur Erklrung weltlicher Phnomene heranzieht; ein Werk, dessen Bedeutung in diesem philosophiehistorischen Kontext jedoch bisher kaum bercksichtigt worden ist, obwohl sich derartige Vorstellungen nur kurze Zeit spter u. a. bereits bei Shaftesbury finden lassen, der die dynamische Einheit der Natur mit dem „allumfassenden Einfluss“ einer „belebende[n] und begeisternde[n] Kraft“ erklrt, die er zugleich als „innerste[n] Kern in allen Dingen“ versteht.7 Eingebunden in die im sympathetischen Zusammenhang begrndete ordnungsvolle Struktur der Welt ist schließlich der Mensch selbst, der, als Abbild Gottes, dazu aufgefordert ist, seine ttige Rolle in dieser Ordnung zu bernehmen, indem er sich ber das vinculum amoris mit seinen Mitmenschen verbunden fhlt und diese Verbundenheit aktiv lebt. Begrndet und aufgehoben sind Mensch, Tier, Natur und die ganzheitliche Welteinheit in der noetisch strukturierten (Schçpfer-) Kraft Gottes – Cudworth nennt diese Kraft auch den Eros oder die Liebe Gottes.

6 7

bindung mit der plastic nature of the universe, die u. a. als Schwerkraft wirkt, als Einfluss auf Newtons Raumlehre annehmen. Zustzlich von Interesse ist in diesem Zusammenhang, dass Cudworth den Begriff der Kraft mit dem des „law of nature“ zusammendenkt. So der Titel des Buches von Karen Gloy aus dem Jahr 1996. Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper, III. Earl of, Die Moralisten. Eine philosophische Rhapsodie, bs. Karl Wolff, Jena 1910, 115; siehe Cassirer (2002/1932), 373.

Literaturverzeichnis Abkrzungen: LSJ:

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Personenregister Aglaophemus 22 Anaxagoras 37, 104, 129, 132, 134, 158, 259, 285 Aphrodisias, Alexander von 191, 332, 358 Aristoteles 35, 37, 40, 75, 81, 87, 101, 104, 106–108, 115, 129, 131f., 134, 138, 141, 165f., 168f., 201, 221, 234, 242–245, 263, 358, 371, 381–383, 386, 388f., 416, 445f., 456 Asmuth, Christoph 15f., 19, 30 Athanasius 296f., 325–327, 329f. Augustinus, Aurelius 62, 146, 174, 210, 230, 249, 256, 279, 284, 296, 307, 309f., 322–324, 329, 356, 362f., 365, 397f., 400f., 412, 496 Bacon, Francis 105, 137f., 277, 394 Berkeley, George 10f., 101 Bisterfeld, Johann Heinrich 32, 285, 336, 503 Boethius, Anicius Manlius Severinus 283, 401, 465, 471f., 474f., 490f. Boyle, Robert 37, 52, 144, 171f., 175f., 179, 338, 384, 451, 453 Bruno, Giordano 37, 124, 168f., 187, 193, 200–203, 337, 371 Casaubon, Isaak 21, 249f. Cavendish, Margaret 89, 112, 118, 124, 126f., 129, 155, 187, 337 Charleton, Walter 3, 18, 42, 55f., 66f., 72, 79–88, 90, 96, 103, 105, 115, 134, 159, 176, 178, 180, 365, 403, 466, 505 Cherbury, Herbert von 207f. Conway, Anne 3, 18, 52, 66, 72, 88–98, 112f., 118, 124–129, 155, 163, 184, 187f., 200, 214, 254, 283, 337, 343–346, 351, 371, 378, 392, 400f., 410f., 413, 417f., 428, 430–433, 436–439, 442, 445–450, 457, 468, 489 Cusanus, Nicolaus 43, 137, 196, 207, 209, 218, 232, 323–325, 341

Damaskios 214, 227, 247, 251, 255, 265 Descartes, Ren 2–4, 18, 22, 37, 52, 54–56, 60, 66–76, 78, 80f., 85, 87f., 93, 95, 100, 102, 109, 111f., 115f., 119, 122f., 126f., 133, 136–140, 142, 147, 155, 159, 169, 171, 178, 180, 182–184, 189–191, 197f., 200, 216, 251, 260, 272, 277, 312, 330f., 333f., 337, 344, 355, 365, 385, 388, 406–408, 416, 425, 428, 443, 449, 451, 456f., 473–476, 506 Digby, Kenelm 51, 155, 353f. Diogenes Laertios 80f., 115, 160–167, 171, 185, 205, 222f., 331 Empedokles 55, 81, 99, 101, 103–109, 112–114, 117, 129, 135, 141, 159, 167, 173, 175, 177, 188, 192, 195, 199–205, 245f., 381, 483 Euripides 256–259, 261f., 266f. Eusebius von Caesarea 147, 231, 241, 327, 475 Fernel, Jean FranÅois 123, 156, 421 Ficino, Marsilio 2, 20–24, 45, 48, 58f., 61f., 88, 107, 113f., 118, 127, 130f., 135, 137, 141–143, 150f., 156f., 160, 164, 167, 171, 176, 187, 193, 195f., 198f., 207, 225, 229f., 232, 234, 239, 242–244, 247, 252f., 262f., 271, 277, 280, 287, 294, 298, 301, 310, 312, 314–316, 320f., 323, 325, 328–330, 340f., 347, 349f., 359, 367, 372, 380, 387, 397, 400, 414, 416f., 422, 424, 437, 440, 461f., 466, 468, 477, 482, 497, 502, 505 Fludd, Robert 222, 226, 371, 373, 377, 391, 398, 401, 413, 424, 430f., 440, 471 Gassendi, Pierre 18, 42, 55f., 79–81, 83f., 88, 96, 103, 105, 116, 124, 505 Glisson, Francis 3, 37, 60, 89, 92f., 112, 118, 124–126, 128, 149, 155, 163, 167,

528

Personenregister

187f., 200, 205, 272, 312, 337, 403, 439, 457 Heraklit 131f., 141 Hermes Trismegistos 22, 111, 440 Hippokrates 92, 129–133, 141, 159 Hobbes, Thomas 3f., 18, 22, 37, 52, 55f., 66f., 72–80, 85, 87, 93, 103, 105, 108f., 115f., 125, 136f., 139, 155, 159, 180, 182, 190, 206, 208, 277, 312, 338, 340–344, 347, 350f., 381f., 394, 403, 451, 463, 499, 506 Hooker, Richard 227 Iamblich 45, 59, 111, 149, 210, 212, 215, 221, 239, 249–253, 255, 265, 268, 296, 361, 400, 419f., 429f., 432, 435, 441 Kircher, Athanasius 10, 56, 113, 122, 124–126, 137, 143, 149f., 164, 174–176, 184, 190, 198f., 209, 217f., 225f., 232, 234, 263, 273, 283, 303, 314, 321, 323, 346, 370–372, 374, 377, 385f., 389–392, 398, 400, 437, 440, 462, 502 Kyrillos 48, 216–220, 254, 293–296, 305–308, 312 Leibniz, Gottfried Wilhelm 3, 61, 95, 117f., 130f., 409, 450, 506 Melissos 227f., 341, 347 Mersenne, Marin 81 Mosheim, Johann Lorenz 7, 35, 38–41, 77, 104, 107f., 114, 120, 129–132, 134, 136, 138, 140f., 172, 185, 192f., 204, 208, 216, 219, 224f., 228–230, 240, 244, 249f., 253f., 256, 258, 279, 283, 286, 293, 313, 334, 338, 340f., 351, 362f., 365, 375, 378f., 381f., 384, 387, 390, 394, 396f., 399f., 403, 419f., 427, 433f., 437, 449, 469, 475f., 481f., 488, 490, 499 Nettesheim, Agrippa von 20, 24, 31, 64, 124, 186, 189f., 194, 234, 398, 400f., 410, 412, 414–418, 422, 439–441, 471, 496f., 505

Orpheus 21f., 34f., 111, 230, 247, 250, 262f., 277, 361 Paracelsus, Philippus Theophrastus 141, 162, 167, 176, 371 Parmenides 35, 227f., 381 Patrizi, Francesco 2, 4, 20, 47, 88, 112, 118, 137, 212–214, 226, 232, 255, 260, 262f., 277f., 301, 362f., 377, 385–392, 398, 408, 417, 440, 455–457, 494–496, 505 Petty, William 105 Philon 146, 151, 157, 160, 162, 165, 231, 265, 279f., 284, 286f., 371, 389–392 Platon 3, 22, 37f., 48f., 55f., 62, 79, 81, 109f., 118, 122f., 127, 134, 139, 141, 145f., 151f., 164, 195, 201, 210, 221f., 224–226, 228–230, 233, 241, 246, 254, 263, 282, 290f., 293f., 299, 306, 314f., 320, 324f., 332f., 335, 338–340, 351, 360f., 379–382, 384, 387f., 392, 399, 420, 430, 438–440, 450, 455, 458, 468f., 474, 482, 488, 497, 500, 502 Plotin 12, 22f., 31, 45–51, 57, 62, 64, 72, 107, 110–113, 116f., 121–123, 138–142, 146, 148, 152f., 157, 159f., 162, 165–171, 176, 186, 190–205, 209, 215, 217, 224, 229–232, 234, 237f., 241, 248, 252f., 258, 260, 263f., 271f., 275, 277, 281, 283f., 286–301, 303f., 308–315, 317f., 320f., 325f., 328, 333f., 339, 341–343, 347–351, 353–356, 359, 361f., 365–369, 371–374, 376, 386–389, 391f., 397, 399, 405–409, 412f., 421, 424f., 429, 435, 443f., 449, 451–453, 455, 457–459, 462–464, 466–469, 471, 479–483, 485–490, 492–494, 496f., 499, 506 Plutarch 80f., 104, 108, 128f., 134, 147, 201, 221f., 245, 253, 255, 265 Porphyrios 22, 45, 47, 222, 251, 285, 289, 293–296, 299, 301, 305f., 322f., 364, 368, 374, 413, 424, 495 Proklos 22, 44f., 53, 59, 109–111, 117–119, 150f., 155f., 163, 167f., 173, 210, 212, 218, 231, 233, 235f., 238, 248, 252f., 256, 260f., 263,

Personenregister

277f., 287, 292, 298, 308, 323, 342f., 355, 359, 361, 371, 394, 420, 425, 429f., 437f., 441, 444, 455, 457, 472, 474 Pythagoras 22, 99, 101, 216–224, 234, 277 Simplikios 35, 40, 107, 110, 141, 144–146, 159, 202–204, 210, 225, 228, 277, 375, 387, 407 Smith, John 272, 319, 331, 334, 372, 378, 425, 462

529

Spinoza, Baruch de 93, 124, 127, 138 Sprat, Thomas 78, 143f. Stobaios 100, 103–106, 108–110, 112f. Straton 92, 128–132, 134 Victorinus, Marius 214, 227, 282–285, 297, 299, 306, 346 Zoroaster 277

22, 213, 225, 228, 247, 249,

Sachregister Abbild 31, 45, 49f., 58, 62–64, 69, 152f., 165f., 203, 206, 229, 235, 237, 243, 293, 295, 300, 329, 339, 374, 384, 387, 397, 404, 411, 416, 434, 442f., 449, 451, 483f., 502, 507 Adaption 20, 29, 57, 205, 238, 278 Agent 17 aitherisch 51, 54, 258, 395–398, 400f., 412f., 415–423, 425–429, 432, 435–437, 439f., 444, 446, 453, 472, 489 – aQh´qiom 419 – ethereal 395, 397, 400, 412, 418f., 422f., 425, 427, 470–472 – spiritual 190, 413, 415, 417, 419, 422–424, 430, 435, 453 Allelopoiese 16f., 20, 34, 211, 382 All-Kraft 44, 225, 309, 374 Allmacht 43, 47f., 57, 134, 138, 140, 145, 151, 207, 225, 228, 238, 240, 263, 330, 341, 343–345, 347, 350f., 383, 402, 478 Aneignung 15–17, 19–21, 25, 28, 36, 40f., 57, 100, 108, 137, 144, 155, 160, 177, 199, 238f., 248, 160, 177, 256, 260, 273, 275, 290, 347, 361, 369, 386, 392, 430, 443, 476 Angemessenheit 17, 29, 34, 476 !pºdeinir 332 Appropriation 27, 216 Archeus 120f., 141, 161–163, 167f., 171, 185, 336, 400 !MNemºhgkur 212f., 226f., 242, 250 !s¾lator oqs¸a 52, 102, 107, 144, 408, 435 Atheismus 2f., 5, 11, 20, 23, 28, 31, 42, 60, 63, 67, 69, 72f., 78, 82, 93, 100f., 106, 115, 120, 124f., 127, 129f., 133–136, 155–157, 178, 180, 182, 186f., 205, 266, 303, 334, 338, 340, 350, 352f., 357, 373, 379f., 382, 403f., 410, 445, 454, 456, 463, 489, 493, 496, 498f.

Atomismus 11, 18, 21–23, 55, 66, 72, 79–82, 84, 87f., 91, 98–106, 108–110, 113–117, 119, 124f., 133, 136, 178, 197, 207, 224, 266, 303, 352f., 356–358, 363, 381, 393, 404, 478 Atomisten 4, 23, 37, 42, 50, 55, 75, 84, 100f., 103–106, 109, 112f., 116f., 134, 142, 163, 178, 206, 271, 338, 352, 354, 357, 363f., 373, 379, 383f., 386, 388, 390, 392f., 396f., 399, 403, 410f., 414, 417, 443, 445, 448, 454–456, 460, 462–464, 466–469, 473, 483, 489, 500 atomistisch-reduktionistisch 31 Aufnahmebereich 15–17, 33f. Ausblendung 289 Bewegung 42, 44, 50, 52, 54f., 57, 60, 68–80, 83–87, 94–98, 102, 109, 112, 115–117, 119f., 123, 133, 142, 150, 159–161, 163, 170f., 175, 178, 186, 193f., 196, 198, 203, 220, 245, 285, 290, 294, 314, 321f., 333, 336, 353f., 356, 373, 384, 386, 416, 436, 455–460, 462, 464, 469f., 473, 477, 490, 497 – Bewegungsgesetz 42, 178 – Ortsbewegung 69, 71f., 75f., 78, 83, 118, 133, 163, 409, 412 Bçse 163, 222, 397, 424, 467, 488f., 491 causa finalis 79, 129, 137f., 219, 261, 288, 305, 462, 464 Christus-Logos 46, 57, 151, 213, 301, 494 circuitus spirituales 24 cogitation 50, 52, 119, 404f., 448–451, 454–463, 474, 483 concordia mundi 44 Corpus Hermeticum 21f., 191, 233, 249, 255 Dmon 49, 225, 320, 379, 395, 397, 399, 434f., 466, 496–498 de?nir jat± !m²kocom 332f., 339

Sachregister

d´weshai 55, 110, 239 – aufnehmen 55, 85, 108, 110f., 223, 387, 425, 495 effectiveness 47, 311, 319–321 Emanation 12, 14, 48, 50, 147, 215, 234, 247, 283f., 294f., 300, 302, 309, 312, 315f., 319, 330, 346, 349, 359–361, 391, 413, 495 Energeiai-Schema 48, 51, 57, 170, 214, 227, 229f., 283, 295f., 300f., 303, 308, 310, 312f., 315, 325, 330, 335, 350, 376, 408f., 449, 452, 469, 481, 486, 506 Engel 49, 73, 282, 379, 395, 397–402, 410, 413, 430f., 433–439, 444, 466, 471, 473, 496f. 1pitgdeiºtgr-Konzept 238 – Aufnahmevermçgen 124, 238f. Ewigkeit 80, 297, 342f., 358, 362, 412 – ewig 46, 73, 80, 111, 250, 284, 291, 293, 353, 412, 429, 455 Fate 3, 133, 186, 188–191, 401, 420, 463, 501 – Fatally 71, 175, 177–179, 182, 185f., 191f., 195, 204 Fokussierung 25–28, 104, 109, 112f., 177, 179, 182, 184, 195, 201, 205, 238, 247, 296f., 310, 332, 335, 381, 383 Ganzheit 9f., 28, 30f., 44, 53f., 62f., 128, 149, 181, 235, 271, 281, 288f., 291–293, 389, 420, 458, 488, 492, 503f. – Ganzes 9f., 56, 63, 367f., 376, 443, 488 Gedankenkonstellation 15 Geltung 29f., 40 godhead 46, 215, 264, 306, 325, 327, 350, 406, 466 Harmonie 10, 21, 54, 56, 63, 150, 174, 193, 202, 204, 490–492, 501f. Hermeneutik 21f., 24, 267 – integumentale Hermeneutik 24, 26, 28, 33, 209, 219, 249, 267–269, 273, 335, 339 heterokinesy 72, 118f., 163, 455 Hexis 142, 159–168, 170–174, 358

531

Homonymie 27, 108, 157, 168, 191, 314, 322, 324 Hybridisierung 26f., 30, 37, 112, 238f., 324, 361, 383, 390, 476, 498 Hylozoismus 18, 26, 43, 52, 72, 88f., 96–98, 111f., 114–117, 124–127, 129, 132–135, 140, 161, 163, 166, 177, 187, 337, 394, 445, 447, 451 Identifikation 17, 19, 200, 205 – introjizierende Identifikation 20, 26f., 32 – projektive Identifikation 20, 25f., 27, 30f., 32, 34, 36f., 201, 228, 289, 382, 392, 420, 476 Ignoranz 25–28, 105, 107, 117, 212, 228, 244f., 253, 262, 278f., 289, 313, 421, 429 imagines Dei 50 Implementierung 8, 16, 28, 30, 131, 154f., 159, 166, 186, 205, 261, 266, 279, 356, 381, 383, 420, 432, 434, 479f., 482 incomprehensible 86, 264, 339f., 347, 366 inconceivable 339–341, 344, 347, 351 Inklusion 25, 79 innerweltlich 50, 69, 71f., 80, 82f., 87, 95, 97, 142, 155, 164, 175, 190f., 198, 201f., 204, 275, 312, 361, 365, 370, 417, 429, 459f., 464, 470 integumenta 24, 249 – velamina 24, 211, 249 – volucra 24 Interferenz 13, 15, 17, 19, 27, 30, 40f., 63, 211 Intertext 4, 6, 8f., 13–15, 17–19, 25, 27, 30f., 39, 41, 58, 63–65, 78, 81, 88, 98, 211, 245, 272f., 495, 505f. Intertextualitt 9, 13f., 61, 421, 505 intratextuell 12 Inversion 27f., 44, 317, 369, 422, 454 Kombination 13f., 19, 30, 32, 41, 45, 51f., 61, 75, 106–109, 111, 113, 122, 132f., 159, 165, 168, 171, 196, 204f., 211, 214, 222, 225, 237, 243, 245f., 250, 254f., 262, 265, 271, 278f., 289, 297, 299, 301, 309, 314, 320, 330, 333, 360, 366f., 381, 392, 395, 397, 409,

532

Sachregister

429, 433, 441, 443, 460, 468, 472f., 479, 482, 487, 493 Konfiguration 23, 99, 207, 230, 273, 312, 319f., 325 Konstellation 15, 17f., 26, 41f., 51, 65, 88, 92, 98, 100, 116, 119, 137, 144, 198, 214, 260, 276, 283, 331, 344, 378, 415, 423, 425, 432, 442, 447, 487, 505 Kontinuum 4, 43, 45, 48, 56f., 61, 92f., 197, 232, 234, 237, 250f., 277, 281, 289, 318, 335, 338, 411, 454, 468, 471, 477, 494 Kraft 12, 16, 23, 28, 36, 43f., 46–48, 50–53, 56–58, 70–72, 78, 84, 98, 105–107, 114f., 119, 121, 125f., 131, 140, 142f., 145–147, 149, 151–153, 157, 159, 161–164, 166, 168–170, 174, 177, 180, 182–184, 186, 188f., 191, 193–195, 197, 199f., 202–204, 209f., 212, 215, 217f., 220, 224–226, 229, 231f., 234, 236–239, 242f., 246, 252, 255, 271, 282, 286, 288, 295, 298, 304f., 309, 319f., 328, 333, 336, 340, 342–352, 354f., 360, 364, 366–374, 376f., 383, 388–392, 398–403, 405, 408f., 411–413, 417, 426f., 429, 431, 433, 435, 439, 441, 444, 449f., 452f., 455, 459f., 468, 471, 473, 478, 480f., 483–488, 490, 497, 501, 506f. – dienende Krfte 53, 97, 147f., 151, 156, 162, 168, 170, 270, 401f., 434, 497f. – d¼malir p²mtym 47, 146, 212, 221, 226–228, 230, 271, 301, 312, 335, 344, 348, 367, 370, 394 – Dynamis 28, 45, 47, 51f., 57, 110, 140, 144–146, 151, 154, 156–159, 166–171, 173f., 177, 183f., 186, 193, 199–202, 204f., 215, 225, 227–230, 236f., 240, 247, 269, 271, 311f., 322, 324, 335, 342f., 347f., 359–361, 366f., 371, 376, 388, 390f., 392, 400, 406, 411f., 453, 455, 459, 506 – 1m´qceia 28, 50, 57, 166, 169–172, 175, 183, 204f., 215, 241, 243, 247, 300f., 311, 327, 359, 367, 406, 409, 458 – 1m´qceia 1j t/r oqs¸ar 72, 97, 230, 313, 471

– 1m´qceia t/r oqs¸ar 230, 300, 313, 342, 350 – energy 28, 43, 47, 49f., 57, 82, 85, 118, 120, 132, 161, 166, 169, 172, 192, 194, 199, 241, 299, 302, 307, 310f., 326f., 352, 364, 405–407, 412, 429, 449, 454, 462, 464 – cºmiloi pqºodoi 52, 438f., 444, 448, 454 – l¸a 1m´qceia 361, 367, 391, 408 – power 11, 28, 50f., 53, 57, 64, 82, 96, 107, 110–112, 114, 117, 120f., 127, 143–148, 151f., 156–158, 166f., 170, 173f., 181, 183f., 192, 198, 205, 209, 215, 225–229, 231, 236, 239f., 243, 246, 250f., 264, 269, 275, 311, 314–316, 319–321, 323, 336, 338, 341–344, 346f., 350–353, 355–357, 359–361, 366, 374f., 388f., 407–409, 412, 442, 444f., 450, 454f., 461f., 467, 478, 491, 500, 506 – Radialkraft 49, 53, 56, 239, 485f., 489, 495, 506 – Schçpferkraft 31, 43, 47, 57, 125, 149, 151, 345f., 349, 351f., 360, 366, 394, 451, 467, 478 – Schçpfungskraft 47f., 151, 344, 360, 363, 365, 404 – virtus 53, 82, 84f., 87, 96, 98, 124, 146, 150, 158, 160, 181, 183f., 190, 196, 198, 210, 250, 349, 371, 389, 398–401, 417, 426, 440f., 466f., 506 – vis 51, 105, 118, 123, 146, 160, 163, 190, 196, 323, 367, 378, 417, 441, 450, 462, 471, 506 – Wirkkraft 51, 55–57, 61, 71, 87, 97, 100f., 107, 111–113, 118, 130, 136, 140, 145f., 149, 156, 158, 161, 170, 181, 183, 186, 197, 220, 222, 227, 229, 231f., 237f., 243, 287, 300, 320, 367–369, 371, 379, 390f., 398, 400, 403, 409, 411, 417, 427f., 445f., 452–454, 462, 468f., 471, 483, 486, 489, 493, 497, 499 – Zugkraft 53f., 193, 199, 204, 401, 411 kraftmetaphysisch 43, 46, 57, 87, 95, 97f., 118, 193, 231, 295, 312, 360, 369, 371–373, 407, 506

Sachregister

533

Kraftsphre 47, 51, 57, 97, 506 Kraftzentrum 47, 50, 97, 116, 371f., 375, 393, 412, 442, 444, 506

252, 264, 275, 307, 310, 319, 322, 337, 368, 405–409, 447, 450, 506 Montage 25–27, 224, 248, 272, 293

Latitudinarier 1–3, 36, 208, 219, 221, 224, 227, 279, 283 Liebe 43f., 46, 48f., 57, 61, 91, 106f., 112–114, 119, 132, 134–136, 139f., 143f., 149, 177, 189, 191f., 195–201, 203, 207, 212, 220, 224f., 237, 239–247, 255, 264, 275, 287, 301, 307f., 314, 319–326, 328, 335, 344–346, 350f., 462, 483, 497, 499–502, 507 – vik¸a ja· me?jor 192 – Streit 106f., 112f., 191f., 195, 199f., 204f., 244f.

Naturgesetz 42, 49, 52, 54, 68–72, 164, 171f., 175–178, 181–185, 189, 191–193, 195, 197–200, 202, 501 neuplatonisch-universalwissenschaftlich 30 nominalistisch 48, 239, 402, 463, 478, 483 Nous 12, 24, 45f., 49f., 57, 64, 114, 121, 129, 138, 144, 148, 150, 152, 154, 180, 194, 200, 203, 213f., 218, 222, 224, 229f., 240, 245, 259, 264, 271f., 275, 280f., 283f., 286–301, 303, 309–314, 322f., 326, 328, 330, 339, 342, 346–350, 352, 358, 388f., 406, 409, 430, 450f., 453–460, 463f., 466, 472, 486f., 503f. – noetisch 2, 9, 11–13, 25, 30f., 44, 47f., 50, 52–54, 57f., 61–64, 67, 71, 78, 112, 120, 122, 145, 148, 152, 154, 156, 164, 170f., 181, 203, 212f., 239f., 242f., 271f., 286, 288, 291, 299, 304f., 310, 326, 328, 330, 336f., 341, 344–351, 359, 364f., 388f., 394, 401–403, 443, 451, 454f., 458, 460, 474, 478f., 486, 492f., 500f., 505, 507

Magie 139, 173–175, 177, 179, 185, 188–193, 195–201, 203–206, 501 Materialismus 2–4, 5, 11, 18, 23, 41, 44, 55, 73, 77f., 80f., 91, 101, 106, 125, 133–136, 157, 188, 197, 219, 303, 353f., 357, 379, 383, 404, 407, 411, 418, 446, 448 Materie 44, 49f., 55–57, 60, 67–71, 75, 78, 81, 84, 88f., 92–94, 96–99, 102, 107–114, 116f., 120–126, 128, 133, 140, 149–151, 154, 156, 158, 161, 163, 167, 169f., 172–176, 179, 183f., 186–188, 190f., 193, 204, 206, 223f., 226f., 239, 243–245, 253, 273, 287, 320, 333, 335, 337, 353f., 356f., 359–364, 371, 374, 394, 403–405, 408f., 430, 439, 455, 457, 459f., 467–470, 474, 493, 506 Mechanismus 2–4, 11, 18, 37, 42f., 66f., 72f., 76f., 82, 85, 95, 101f., 107, 120f., 124, 128, 133, 135f., 139, 156, 159, 169, 178–180, 182, 197, 224, 336, 353, 443, 456, 461, 463, 466, 473 Medium 51, 54, 81, 90, 95f., 98, 142, 161, 403, 414–417, 422, 427, 430–431, 440, 445, 470f. Mithras 225, 242 Molekl 83–87 Monade 47, 50, 61, 83, 91–94, 97, 99, 117, 215, 218, 221–224, 235–237,

operationes mentales 24, 61f. organisch 5, 10, 28, 44, 53, 58, 63, 76, 78, 129, 157, 163, 178, 181, 192, 197, 199, 204, 292, 353f., 373, 395, 450, 503 Organismus 9, 44, 54, 86, 139, 181, 209, 470, 491f. Ousia-Dynamis-Energeia-Schema 45, 215, 265, 303, 310–312, 315, 322, 325, 327, 330, 350, 506 – essentia-virtus-operatio 312 oqs¸a 1m´qceia 49, 352, 406 Panspermie 56, 122–124, 149f., 157, 170f., 174, 234, 239, 316, 359, 460, 501 Pantheismus 98, 165, 217, 235, 253, 378, 391, 413, 430, 432

534

Sachregister

Performanz 5, 15, 32, 58, 61–64, 272, 285, 322, 327, 329, 439–441, 503, 505f. Perichorese 32, 135, 275, 284–286, 288, 291, 296, 299, 307–309, 311–313, 315, 319, 324f., 327, 329f., 350f. – circumincessio 308 – 1lpeqiw¾qgsir 313 – 1m¼paqnir 284, 286, 288, 291f. – immeatio 32, 63, 285, 503 – inexistence 284 – permeation 284 per-se-Kausalfolge 138f., 148, 283f., 298f., 304, 309, 315, 327, 344f., 348, 361, 394, 494 Perspektivierung 3, 19, 21–23, 30, 36, 41, 64, 67, 138, 141, 155, 159, 205, 213, 218–220, 234, 248, 254, 256f., 261, 281, 293, 303, 310, 322, 365, 369, 410, 476, 483, 490, 506 philosophia perennis 21f., 33, 132, 140, 200, 205, 207, 224, 250, 297 philosophical theology 29, 34, 270, 273f., 289, 292f., 317, 393 pia philosophia 21, 101, 104, 106, 108, 113, 205, 318 plastic nature 5, 9, 37, 44, 48f., 52–56, 58, 61, 71f., 78, 87, 90, 97, 105, 109, 111, 114–116, 118–121, 123–126, 130, 132f., 135–181, 183–189, 191, 193–201, 204–206, 209, 212, 216, 218, 225, 237, 243, 245–247, 255, 261, 273, 281f., 286–289, 298, 302, 304f., 314, 319, 332, 334, 337, 352f., 379, 392–395, 401, 406, 411f., 428, 430, 446, 454, 468, 471–473, 477, 486, 488, 494, 496, 503, 507 Pneuma 177, 186, 188–191, 195, 197, 250f., 415f., 425 – spirituous 415f., 418f., 422, 435 – pmeulatij|m 416, 419 prisca theologia 3f., 21–24, 26, 28f., 32, 35f., 41, 51, 59, 78, 101, 108, 113, 130, 168, 205, 207f., 219, 222, 228, 242, 244, 254–256, 260, 267, 276-278, 297, 318, 326, 351, 361, 373, 381, 392, 412f., 420, 432, 441 Projektion 17, 19, 26f., 32, 36, 40, 103, 219, 279 Prolepsis 331, 336, 404

pqos¶jeim 135, 152, 233, 237, 251, 307–309, 313f., 322, 324f., 327f., 330, 338, 346, 350, 375, 478f. pOq tewmijºm 92, 131, 159, 165 radii Deitatis 28, 56, 232, 234, 377, 398, 400, 449, 479, 496, 506 Rahmung 159, 276f., 362, 386, 420 Raum 47, 55–57, 67f., 83, 197, 305, 311, 368–370, 375, 379, 383–393, 411–415, 426, 429, 434, 442, 445, 455, 459, 506 – receptaculum 124, 385, 391 – space 11, 82, 311, 345, 383f., 389, 391f. – spacium 385–387, 390 – spatium 384 – sphere of activity 50–52, 407f., 418, 427f., 442, 444, 446, 495 Rekombination 25 res extensa 52, 67, 75, 92, 111f., 116, 405, 407–409, 411, 456 Rckliebe 46 Samen 80, 84f., 117, 123f., 131, 150, 156, 193f., 494 scale of entity 44, 467 – Kette der Wesen 150, 281, 417, 470 – scale of being 47, 60, 62, 460, 463, 470, 474 – scale of nature 465–468 – seiq² 48f. Schçpfung aus dem Nichts 226, 229f., 253, 293, 316, 354, 356, 359–363 – omnino nihil 360–363 Seele 11, 23, 42, 44, 47, 49–54, 56–58, 71f., 78–82, 86, 88, 92–97, 112, 117–119, 121, 130f., 133, 152, 157, 161–163, 165f., 169f., 173f., 182, 184, 186, 194, 204, 217f., 222, 225, 230, 240, 248, 261, 266, 275f., 287f., 290f., 298f., 303f., 308f., 311, 314, 318–321, 329, 331, 333f., 337, 345, 354, 357–359, 361, 363, 369, 371–379, 382, 388, 392, 394f., 397–399, 403–429, 431–451, 453–464, 466–477, 484, 489f., 497–500, 503, 506

Sachregister

Seelengefhrt 51f., 161, 382, 401, 410–415, 417, 419–423, 425–427, 436–438, 440, 442, 453, 472, 476 – Erlçsungsleib 382, 412, 420, 427 – Ochema 51f., 81, 97, 170, 411f., 414–417, 419–421, 423, 425, 427, 434, 436–438, 444–446, 448, 470f., 472f. Selbstbewegung 50f., 72, 77f., 118f., 163, 457 Selektion 25, 27f., 113, 205, 420 – Selektionsprozess 26 self-activity 50f., 101, 112, 118f., 457, 459–461, 463f. Sozinianismus 280 Sphre 46, 69, 97f., 197, 232, 328, 339, 368, 370, 374, 435, 444, 497 – sphere 94, 161, 315, 371, 375f., 398, 435, 439, 445f., 471, 478, 496 substanzhafte Kraft 52 – oqsi¾dgr d¼malir 52, 97, 453, 455, 459, 506 Sympathie 9, 54, 56, 77f., 177, 179, 181, 185f., 188–193, 195, 199, 201–206, 237, 247, 287, 423, 426, 488, 491, 501f., 504, 507 System 1–25, 27–41, 43–51, 53–56, 58–67, 70–72, 76–83, 87–90, 92f., 96–130, 132–169, 171–175, 177–195, 197–204, 206–266, 268–295, 297, 299–307, 309–320, 322–348, 351–366, 368–445, 447–451, 453–457, 459–483, 485–507 Systematisierung 20, 27, 119, 205, 228, 245, 248, 250, 271, 355 Teleologie 53, 117, 121, 138f., 156, 158, 160, 169, 171f., 180, 186, 194, 199, 212, 221, 245, 288, 304f., 318, 336, 354, 481 Theismus 31, 72, 78, 136, 243, 310f., 318, 341, 364f., 369, 373, 380, 411, 487, 498f., 501 Theodizee 477, 487, 498 Transformation 15–20, 28f., 38–41, 47, 65, 80, 100, 102f., 106f., 109–111, 114, 116, 130f., 141, 150, 159, 163, 167, 173–175, 177, 184, 188, 201–203, 205, 207, 211, 221, 234f., 242, 244–246, 248f., 254, 271, 277,

535

290, 292, 298, 300, 307, 309f., 312f., 327, 332, 346, 383, 432, 469, 476 – Transformationsanalyse 10, 15, 18f., 21, 29–33, 40f., 58, 89, 211, 348, 505f. – Transformationsfaktor 18, 26, 41, 51, 65f., 160, 505 – Transformationsfilter 20, 28, 41, 100, 122, 151, 156, 195, 198, 214, 255, 301, 308, 324, 327, 505 Transformationsmodus 20f., 24, 245, 382, 476 Transformationstyp 18, 25–28, 30, 32, 41, 106, 205, 248, 279, 421, 476 Trinitt 44–50, 54, 62, 121, 135f., 138, 143f., 164, 212–214, 216, 218–220, 226, 242, 246, 258, 264, 272, 275–278, 280–289, 292f., 296–307, 309–312, 314–317, 319f., 322–330, 332, 335f., 340, 342f., 345–352, 354, 361, 365, 381, 389, 392, 398, 401f., 406–409, 412f., 427–430, 433–435, 443, 451, 455, 460, 466f., 471f., 479, 493, 501 Tritheismus 285 Typologie 16, 19 berweltlich 275, 287, 428f., 432f., 435 Umfassen 28, 47, 53, 148f., 162, 193, 197, 222, 235, 237, 261, 297f., 379, 479, 506 Unendlichkeit 43, 47, 68, 91, 96, 111, 212, 225, 227f., 291, 324, 338, 341–343, 345, 347, 352, 358, 363, 366, 368f., 373, 376, 379, 383–385, 387–389, 391f., 467, 470, 495 – infinite 11, 82, 89f., 92, 104, 110, 135, 143, 145, 149, 211, 223, 225, 228, 239, 243, 254, 297, 299, 302, 310, 314f., 317–319, 340–344, 346f., 350f., 353, 357, 366, 375, 383, 385, 388, 391, 405, 413, 428, 448, 478 – infinity 340f. Universalwissenschaftlich 6, 10, 12, 30f., 58, 112, 329, 503, 505 Urbild 45, 57, 63, 152, 165, 235, 243, 295, 300, 339, 378, 393, 405, 434, 443, 449f., 457, 464, 484–486, 503 varietas 8f., 58, 209 vital sympathy 174f., 186, 189, 287

536

Sachregister

vital union 52, 62, 97, 118f., 161, 174, 287, 378, 401, 414, 416, 418, 421, 426, 428, 436, 439, 442, 444 – vital congruity 174 Voluntarismus 48, 67, 120, 134, 151, 272, 330, 344 Vorsehung 188, 194, 477–479, 490, 497f., 501

Weisheit 4, 12, 23, 35, 43f., 91, 96, 113, 139, 143, 149, 151–153, 214, 247, 282, 311, 344, 346, 350, 370, 403, 490, 502f. Weltseele 46–48, 51, 57, 121, 136, 142, 157, 162, 170, 194, 197, 200, 216–218, 222, 229, 237, 264, 280f., 286f., 298, 300, 302–305, 311, 313f., 317–320, 323, 325, 328, 337, 346, 351, 429f., 453, 468, 471f., 493