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German Pages [429] Year 1996
Cornelia Wegeler
- „... wir sagen ab der internationalen Gelehrtenrepublik*
Cornelia Wegeler
»... wir sagen ab der internationalen Gelehrtenrepublik*
Altertumswissenschaft und Nationalsozialismus
Das Göttinger Institut für Altertumskunde 1921-1962
Q BÖHLAU VERLAG WIEN - KÖLN - WEIMAR
Gedruckt mit Unterstützung durch den Fonds zur Förderung der wissenschafllichen Forschung
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Wegeler, Cornelia: » .. Wir sagen ab der internationalen Gelehrtenrepublik": Altertumswissenschaft und Nationalsozialismus ; das Góttinger Institut für Altertumskunde 1921-1962 / Cornelia Wegeler. Wien ; Kóln ; Weimar : Bóhlau, 1996 ISBN 5-205-05212-9
Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder áhnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten.
© 1996 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG., Wien - Köln - Weimar Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und sáurefreiem Papier. Satz: Zehetner Ges. m. b. H., A-2105 Oberrohrbach Druck: Berger, A-3580 Horn
Kurt Rudolf Fischer, dem Lehrer und Freund gewidmet
INHALT A 1) 2, 21) 1 BEER Abkürzungsverzeichnis .....................eeeeeeee eee
11 17
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT ................. esee ene
19
1.1 Philologie als „Nachahmung der Alten“ ...................... 1.1.1 „Die parisischen Zustände sind noch keine paradiesischen* . 1.1.2 Humboldts Gelehrtenrepublik .................eeseeeesse 1.1.5
22 25
..........
25
1.2 Philologie als historische Wissenschaft ....................... 1.2.1 August ΒΟΘΟΚΗ.......Ὁ.νννν εν νεν νειν κεν ν enn 1.2.2 Der Philologenstreit .............ssleeeeeeeeee enn 1.2.3 Τοχικηπκ......ννὐννννννννν νιν ννννννν εν εν nee 1.2.4 Historische Archive statt ΚΙ β81Κ.........νν νον εν γεν νκνννν
28 28 30 51 32
1.3 Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff ........................ 1.3.1 Angriff auf Nietzsche ............ lees eese 1.5.2 Wilamowitz’ Methode und Themen ......................
55 34 56
1.5.5
Das Gymnasium bildet eine bürgerliche Elite aus
20
Glückliche Jahre mit Friedrich Leo in Góttingen
...........
40
............
44
1.4 Philologie und Nationalismus ...................... eere 1.4.1 Wilamowitz und der Erste Weltkrieg ..................... 1.4.2 Werner Jaeger und der „Dritte Humanismus* ..............
48 48 55
1.5.4 Wilamowitz als wissenschafllicher Organisator
GRÜNDUNG UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE UND DIE AKADEMISCHE SPHÄRE 1919-1955.......0{ννννννννννννννννννν ere
61
im Jahr 1921
61
2.1 ........«{νν νιν νιν νννν εν κεν n
2.2 Politische Strömungen, Parteienlandschaft und die akademische Sphäre zu Beginn der Weimarer Republik in Göttingen
........
64
2.3 Hugo Willrich, Achim Gercke und das „Archiv für berufsstündische Rassenstatistik^
................... eee
72
INHALT
2.4 Die 1950/55 am Göttinger Institut für Altertumskunde lehrenden Wissenschaftler
..........--.22c2osuseeeseeneeeesnereereen
.................luslesleesus.
84
2.4.1
Max Pohlenz (1872-1962)
2.4.2
Ulrich Kahrstedt (1888-1962)
2.4.2.1
Biographie und wissenschaftliche Laufbahn
............
89
2.4.2.2 2.4.5 2.4.4 2.4.5
Kahrstedt als Politiker und Journalist .................. Hermann Frünkel (1888-1977) .................sslussus. Eduard Fraenkel (1888-1970) .......Ὁνν νιν νιν εν νννννν Kurt Latte (1891-1964) ..............ulllllllsseeees.
91 98 106 112
...............LLllllsuus.
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
84 89
115
Die „Machtergreifung“ als Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“: Kontinuitäten, Brüche, Fragmentierung ......0Ὁὐν νιν νιν κεν νιν νν εν eh 115 5.1.4 Kontinuitáten in der akademischen Sphäre ............. 117 3.1.2 Brüche -Rechtsbrüche ......................eeeeess. 123 3.1.2.1 Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (BBG).............seeeeeeeeeseeee ee Rhen 125 5.1.5 Fragmentierung .............seeeseeeeee ne 127 3.1.3.1 Eine versáumte Gelegenheit .....................ssu. 129 5.1.5.2 Ergriffene Gelegenheiten: ..........:22--22ceeeseenene 150 1. Die ,42er-Erklürung* und eine Weigerung ........... 150 2. Kahrstedts „Apologia for Hitlerism“ ................. 154 5. Max Pohlenz’ Ratschläge zur Schaffung einer „wirklichen Volkseinheit^
....................eses.
3.2 Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern an den deutschen Universitäten .................. 3.2.1 Semesterbeginn und Fragebogenaktion im Frühjahr 1955 in Göttingen ........leseeeeeeeeeee hh 5.9.2
5.2.5 5.2.5.1 5.2.5.2 3.24 3.2.4.1 3.2.4.2 5.2.4.5 5.2.4.4
157
141 141
Ulrich Kahrstedt verabschiedet die ,internationale Gelehrten-
republik* und wird von Karl Brandi und Percy Ernst Schramm zum Duell gefordert (1954) ... 2... 2.2: νειν νιν νννννκνενον 147 Entlassungen am Göttinger Institut für Altertumskunde (1955) ...........eeeeeeeeeeeeee ehh 162 Hermann Fránkel geht ins Exil ....................... 162 Kurt Latte bleibt in Deutschland ...................... 172 Das Schicksal der verfolgten Altertumswissenschaftler an den anderen deutschen Universitäten ............... 181 Zur Literatur ......0202eeeerereeenaer onen ernennen 181 Maßnahmen ..................eeeeeeee eene 187 Die Reaktion der verfolgten Altertumswissenschaftler und ihrer Kollegen ..............eeeseeeeeeeeeeeee ne 188 Emigration, Aufnahmeländer, Rückkehr ................ 206
Inhalt
9
3.3 Der nationalsozialistische Abbau des Instituts für Altertumskunde 1955-1940 ........222ceeeseeneneennen une 3.3.1 5.5.1.1
220
Neuberufungen ............... sees Ulrich Knoche kommt als Nachfolger von Hermann Frünkel
224
(1955-1959) .............eseeeeeeeeeee n nn 3.3.1.2 Der Lehrstuhl für Latinistik (Latte) bleibt bis 1940 vakant .
225 226
3.3.1.3 3.3.1.4
Max Pohlenz erhält 1957 ein kurzfristiges Lehrverbot .... Karl Deichgräber wird 1938 Nachfolger von Pohlenz .....
229 234
3.3.2
Habilitationen .......0ὐὐν νειν ννν εν κεν ν nne
235
3.3.2.1 3.3.2.2
Werner Kappler .................sseeseeeee eee Gerda Krüger ......................eeeeseeeeeeeeen.
256 257
5.5.2.5 Otfried Becker ......Ὁνννν νον νιν νιν κν κεν γννν κε νεννον 5.5.2.4 Heinrich Ὠόγτίθ..... 0. 0νὐνν νειν ν εν νιν κεν εν nnn
240 242
3.4 Hans Drexlers nationalsozialistische Universitätskarriere: Wissenschaft als Vorwand für Machtpolitik ..................
244
3.4.1 3.42 3.4.3 3.4.4
Biographie und wissenschaftliche Laufbahn ............ „Dignitas“: Drexlers Rektoratsrede von 1945 ............ Hochschulpolitik ...........2cceessesesseeenernennen Der 20. Juli 1944 und seine Folgen an der Universität Góttingen. ........{νὐν νον εν εν κεν εν κε κνννν
244 249 251
3.3 Studienbedingungen bis Kriegsende und danach .............
254
3.6 Entnazifizierung und Rehabilitierung: ein Ausblick ...........
259
255
3.6.1 3.6.2 5.0.5 5.6.4
Hans Drexler wird nicht „wiederverwendet“ ............ Kurt Latte und Konrat Ziegler: ungleiche Rehabilitierung . Hermann Fränkel wird nicht zurückgeholt .............. Karl Deichgrüber: Amtsenthebung auf Zeit .............
261 263 267 270
3.6.5
Ulrich Kahrstedt und Max Pohlenz lehren weiter
271
Anmerkungen
........
zu Kapitel 1-5 ..............Luluullllessesseeseess
277
10
INHALT
Anhänge Anhang 1:
Schaubild der Lehrstuhlbesetzungen 1734-1984 am Institut für Klassische Philologie der Georg-August-Universität Götἢ rennen rer onen 332
Anhang 2:
Die Institutsordnung des „Philologischen Seminars“ vom 11. März 1882 ..............ueeeeeeeeeee eene 338
Anhang 3:
Liste der Dissertationen im Fach Klassische Philologie an der Georg-August-Universität Göttingen 1914-1946 ......... 342
Anhang 4:
Aufruf der Berliner Universität vom 19. Juli 1916.........
Anhang 5:
Brief von A. Einstein an U. v. Wilamowitz-Moellendorff (1920) ER 548
Anhang 6:
Ulrich Kahrstedt: Irredenta. Vorschläge zu politischen Aktionen der Deutschnationalen Volkspartei (1919) .......... 549
Anhang 7:
Ulrich Kahrstedts Rechtfertigung der nationalsozialistischen Entlassungspolitik in der Londoner „Morning Post“ (1955) ee 554
Anhang 8:
Ulrich Kahrstedts Festrede zur Reichsgründungsfeier der Göttinger Universität am 18. Januar 1954 .............. 557
Anhang 9:
Die Darstellung von Kurt von Fritz über seine Entlassung und Emigration in den Jahren 1955-1956 .............LLLL. 369
Anhang 10:
Liste der durch nationalsozialistische Maßnahmen entlassenen Wissenschaftler in den
346
Fächern: Klassische Philologie,
Alte Geschichte, Antike Rechtsgeschichte und Archäologie mit besonderer Berücksichtigung der Vertreibung der Wilamowitz-Schule .............eeeeeeeeeeeeeee nen 373 Anhang 11: „Liste der an den Deutschen Universitäten tätigen klassischen Philologen“ (1956) .......:2ccecscereseseneanen 395 Quellen- und Literaturverzeichnis Quellenverzeichnis der Abbildungen
........Ὁὐν νον νον εν ιν εν εν νννενενον ..............
celles
398 420
Vorwort Als ich 1982
begann,
über die Geschichte
der Klassischen
Philologie im
Nationaisozialismus zu recherchieren, geschah dies im Rahmen eines inter-
disziplinär zusammengesetzten Forschungsprojektes, das die Geschichte der Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus rekonstruierte. Es stellte sich bald heraus, daß unsere Idee, für jedes Fach als Beschreibungseinheit die Geschichte des jeweiligen Instituts zugrundezulegen, der fruchtbarste und
tragfühigste Ansatz war. Dieser
Ansatz
hat den
Vorteil, am
Beispiel eines
Instituts die sonst oft
disparat bleibenden Perspektiven - wie etwa die Laufbahn, das Werk und der Einfluß einzelner Wissenschaftler - mit den institutionellen Vorgängen - wie
etwa Berufungspolitik, Ausstattung des Instituts, Forschungsschwerpunkte zu verknüpfen und schließlich über die Lehre auch die Studienbedingungen und die Lage der Studenten einzubeziehen. Die diachrone Betrachtung kann Schul- und Traditionsbildungen
sowie besondere Vorlieben, aber auch Ab-
brüche und Einbrüche sichtbar machen. Die Form und Gestalt wissenschaftlicher Kooperation und die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses gehören ebenfalls zum Untersuchungsgegenstand.
Dabei gewinnt die Rolle
und Bedeutung einzelner Wissenschafller innerhalb des Fachs Konturen. Die Größe und der Einfluß eines Instituts bzw. eines Fachs innerhalb der
Universität und über diese hinaus gibt auch über seine Bedeutung für die jeweilige Gesellschaft und deren bevorzugte kulturelle Orientierungen Auf-
schluß. Ebenso fördert die Betrachtung des Zusammenspiels von Institutsmitgliedern mit der Fakultät und dem
deutsame Aspekte tung entgehen gesellschaftlichen Einschätzung der
Wissenschaftsministerium
politisch be-
zutage, die einer rein werkimmanent bleibenden Betrachmüssen. Die Einbeziehung des institutionellen und Rahmens ermöglicht erst eine einigermaßen zutreffende Wirkung und des Einflusses einzelner Wissenschaftler.
Diese über die reine Fachgeschichte hinausgehende Form von Wissenschaftsgeschichte verbindet theorieinterne Entwicklungen mit externen, gesellschaftlichen Faktoren und begibt sich damit in das Feld von Politik und
Zeitgeschichte. Wie sehr diese Bereiche ineinanderspielten, stelite sich allerdings erst im Verlauf der Untersuchung heraus. Um die durch den Nationalsozialismus bewirkten Veründerungen aufzeigen zu kónnen, war der Stand des Faches und des Instituts vor 1955
darzustellen. Es zeigte sich, daB das Góttinger Institut für Altertumskunde reprüsentativ war für die von U. v. Wilamowitz-Moellendorff und Theodor Mommsen inaugurierte Altertumswissenschaft und deren interdisziplinür
vorgehenden historistischen Grofbetrieb. Mein Interesse galt anfangs in erster Linie den nach 1955 erfolgten Einschnitten, Brüchen und Veränderungen am Institut: den Entlassungen, der nationalsozialistischen Berufungspolitik, der Änderung der Fachinhalte in Forschung und Lehre, den Studienbedingungen, den Folgen des Kriegs für das Institut und den Bedingungen des
12
VORWORT
Übergangs in die Nachkriegszeit, insbesondere im Hinblick auf die Entnazifizierung. Hauptquelle war das Göttinger Universitätsarchiv, das für die Zeit des Nationalsozialismus von den Projektmitarbeitern zum ersten Mal systematisch ausgewertet wurde. Gespräche mit Zeitzeugen ergänzten und korrigierten unser aus den Akten gewonnenes Bild, ebenso wie die zeit- und fachhistorische Primär- und Sekundárliteratur. Schon die ersten Ergebnisse waren so umfangreich, daß Professor Kurt Rudolf Fischer (Universität Wien) sie 1985 als Dissertation annahm. 1987 erschien eine Kurzfassung in dem von Heinrich Becker, Hans-Joachim Dahms
und mir herausgegebenen Band „Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus. Das verdrüngte Kapitel ihrer 250jährigen Geschichte“. Dieser Band, der 1996 in zweiter erweiterter und korrigierter Auflage erscheinen wird, enthält die Ergebnisse des Forschungsprojektes, auf die ich mich, soweit sie für mein Thema wichtig sind, beziehen konnte. Als dann im Frühjahr 1988
der vom
Bóhlau-Verlag
gestellte
Antrag
auf Fórderung
der Druckkosten
meiner Dissertation vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissen-
schaftlichen Forschung (FWF)
genehmigt wurde, war neue Literatur zum
Thema erschienen, hatte ich bereits Kritik und Anregungen sowie Hinweise
auf von mir bisher nicht eingesehene Quellen erhaiten. Zudem hatten sich durch die kontinuierliche und weiter ausgreifende Beschäftigung mit der Wissenschaftsgeschichte und dem Nationalsozialismus meine Interessen ver-
tieft und verschoben. Dies führte auch zur Entdeckung bisher übersehener Aspekte in mir bereits bekannten Quellen und schließlich dazu, daß ich statt einer
Korrektur
des
alten
Textes
eine
völlig
neue
Textfassung
schrieb.
Während der Neufassung des Textes wurden bisher gesperrte Nachlässe geöffnet und damit zugänglich. Sogar eine Reise an das ehemalige Staats-Archiv der DDR in Potsdam konnte ich nach der Grenzóffnung zur DDR verwirklichen. Dort konnte ich u. a. ein Dokument einsehen, auf das mich einer der Gutachter für den Wissenschaftsfonds freundlicherweise hingewiesen hatte,
allerdings ohne die Quelle anzugeben und mit dem ausdrücklichen Hinweis, ich móge davon keinen Gebrauch machen. Diese Bitte erschien mir angesichts der weit zurückliegenden Entstehungszeit des Dokuments und seiner Bedeutung schwer einzuhalten. So begab ich mich auf die Suche nach dem Original der 1919 von dem Althistoriker und Mitbegründer der DNVP, Ulrich
Kahrstedt, verfaßten Vorschläge für politische Aktionen der DNVP. Es fand sich im Nachlaß des DNVP-Vorsitzenden
Graf Kuno von Westarp, auf den mich
dankenswerterweise Klaus Sommer aufmerksam machte. Durch Vermittlung von Herrn Professor Wiesehófer gelangte ich an Unterlagen über Kahrstedts Münsteraner Habilitierung sowie über seine dortige Freistellung von den Lehrverpflichtungen aus dem Archiv der Universität Münster. Im Bundesarchiv Koblenz fand ich u. a. im NachlaB des Herausgebers der ,Eisernen Blätter“ den Briefwechsel mit Kahrstedt, der seine Mitarbeit an dem Periodi-
kum näher beleuchtet. Aus Cambridge erhielt ich eine Abschrift von Kahrstedts Artikel für die Londoner „Morning Post“. So war es möglich, Kahrstedts
Vorwort
13
politische Aktivitäten, die ich in der Dissertation erwähne, nun genauer zu beschreiben und vor allem mit Texten, die er selbst verfaßt hatte, zu belegen. Sein politisches Engagement begann mit der Gründung der DNVP, hielt kontinuierlich über all die Jahre der Weimarer Republik an und erreichte 1933-1954 seinen Höhepunkt: 1933 verteidigte er öffentlich die nationalsozialistische Entlassungspolitik. Im Januar 1954 erteilte er schließlich vor der versammelten Universität der nach dem Ersten Weltkrieg mühsam
wiederhergestellten
Zusammenarbeit
der internationalen
Gelehrtenrepu-
blik eine Absage. Sie gab diesem Buch den Titel. In derselben Rede sagte er sich auch von dem mittlerweile schwer lädierten Selbstverständnis der
Universität als Ort der Freiheit und Gleichheit von Forschern und Studierenden sowie von der Autonomie der Wissenschaft los, zugunsten einer Instru-
mentalisierung von Forschung und Staat.
Lehre für den nationalsozialistischen
So wird verständlich, daß in der vorliegenden Untersuchung ein Schwerpunkt auf der Zeit vor dem Nationalsozialismus liegt, unter Berücksichtigung von zwei Ebenen: Wissenschaftsintern wird die Entwicklung der Wilamowitztradition rekonstruiert und zugleich die bildungspolitisch höchst einflußreiche Position der klassischen Studien im 19. Jahrhundert mitsamt ihren Folgen beleuchtet. Erst auf diesem, im ersten Kapitel entfalteten Hintergrund läßt sich nachvollziehen, wie schmal der Pfad leiser, abwägender wissenschaftli-
cher Tätigkeit war und wie leicht er schon mit Beginn des Ersten Weltkriegs zugunsten nationalistischer Größenideen verlassen wurde. Das zweite Kapitel ist der Zeit der Weimarer Republik gewidmet: Die Gründungsgeschichte des Göttinger Instituts für Altertumskunde wird in die Darstellung der akademischen Sphäre in Göttingen eingebettet, die in einem erstaunlich hohen Maß von politischen Auseinandersetzungen gekennzeich-
net war, an denen sich die Mehrheit der Göttinger Professoren beteiligte. Ein eigener Abschnitt ist dem „Archiv für berufsständische Rassenstatistik“ gewidmet. Seit 1924 stellte Achim Gercke, ein junger nationalsozialistischer Chemiestudent und Sohn des Klassischen Philologen Alfred Gercke, unter dem Schutz des Althistorikers Hugo Willrich eine Kartei zusammen, die die Namen all jener deutschen Juden, die bis dahin ein Abitur bzw. einen Universitätsabschluß gemacht hatten, mitsamt ihren Angehörigen, biographischen Daten sowie der Wohnadresse erfaßte. Der Umfang der Kartei, und vor allem die Tatsache, daß sie im April 1955 vom Innenministerium mitsamt ihrem Besitzer übernommen und dort tatsächlich als Basis für die Entlassungen nach dem BBG vom 7. April 1933 benutzt wurde und zugleich als eine Art Modell für das später eingerichtete Reichssippenamt diente, konnte anhand von Archivunterlagen aus Potsdam belegt werden. Auch die wissenschaftsbiographische Vorstellung der Institutsmitglieder, die kurz vor 1955 und danach am Institut lehrten, enthält im Bereich der Berufungspolitik politische und zeitgeschichtliche Aspekte, wie etwa die Berufung Kahrstedts zeigt. Hier sei die eindeutig
antisemitisch motivierte Behinderung von Hermann Fränkels Laufbahn genannt, die zwar nicht untypisch ist, aber selten so wie in diesem Fall akten-
14
VORWORT
kundig geworden ist. Mit der Vielfalt von Verhaltensweisen und wissenschaftlichen Biographien wird zugleich die konkrete Differenz zwischen einer konservativen Einstellung und praktisch die Weimarer Republik zerstörenden Aktivitäten deutlich. Wilamowitz etwa hat die Weimarer Republik abgelehnt und zugleich verachtet. Er starb 1931, so daß wir nicht wissen, wie er auf die Machtergreifung reagiert hätte. Angesichts der vielen von ihm geförderten und hoch geschätzten jüdischen klassischen Philologen erscheint es mir jedoch schwer vorstellbar, daß er die nationalsozialistische Entlassungspolitik gebilligt oder gar öffentlich verteidigt hätte. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten betrachte ich unter dem Aspekt des Übergangs zu totalitären Verhältnissen, bei dem die Rolle einer gesellschaftlich so einflußreichen Gruppe wie die der Professoren und Wissenschaftler näher zu untersuchen ist. Gerade in der Übergangsphase, in der vieles noch offen und beeinflußbar war, verstrichen Gelegenheiten ungenutzt und wurden aktiv Initiativen zur Festigung des Regimes ergriffen. Die Göttinger Verhältnisse eignen sich m. E. hierfür als Fallstudie besonders gut, weil
die weithin berühmte Universität einiges zu verlieren hatte und auch verlor und weil die Mitglieder der Universität und des Instituts sehr verschieden und variantenreich reagierten mit dem letztlich allerdings eintönigen Ergebnis: kein Protest, keine Solidarisierung, keine durchgehend passive Anpassung, sondern vielfältige Formen der Unterstützung des Regimes. Das individiuell verschiedene Verhalten der Protagonisten zu studieren ist für die Zeit des Nationalsozialismus schon deshalb angezeigt, weil dieser entgegen nachträglicher apologetischer Verkleinerungversuche erst mit Hilfe von Beiträgen vieler Einzelner in allen Institutionen - unter denen die akademische Sphäre eine Vorreiterrolle übernahm - seine Macht entfalten und die furchtbaren Taten ausführen konnte. Als ein Beispiel sei die von Kurt von Fritz berichtete Geschichte über den Dekan der Münchener philosophischen Fakultät genannt. Im Winter 1935 verbot jener Dekan dem damals eben von seinem Rostocker Lehrstuhl entlassenen jungen Professor den Zutritt zur Münchener Staatsbibliothek. Er sei dort gesehen worden, wie er mit einem älteren
Kollegen, dem von seinem Leipziger Lehrstuhl für mittellateinische Philologie und Geschichte des Mittelalters entlassenen Siegmund Hellmann, in eine französische Zeitung geschaut und gelacht habe. Die beiden Gelehrten begegneten einander bald darauf wieder: im Frühjahr 1956 in Oxford. Der nach München zurückgekehrte Hellmann wurde später nach Auschwitz verschleppt und ermordet. Schon 1935 konnte ein Wissenschaftler einem anderen das Lachen mit einem Dritten, einem jüdischen Wissenschaftler, verbie-
ten. So sind die an den einzelnen Universitüten sehr unterschiedlichen Verhältnisse auch auf die Auslegung und persönliche Ausgestaltung einer gesichtslosen Ideologie durch sich selbst ermächtigende Personen zurückzuführen. Gerade dies erfordert das Studium der órtlichen Gegebenheiten und zugleich den vergleichenden Blick. Eine áhnliche Untersuchung gibt es bisher nur über das Hamburger Institut für Klassische Philologie. Sie ermóglichte mir immerhin, einige Góttinger Besonderheiten herauszuarbeiten. Andere
Vorwort
15
Detailstudien und damit auch vergleichende Untersuchungen stehen noch aus. Das Herzstück des Buches ist die Rekonstruktion der Entlassung, Beraubung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern: Die detailliert dargestellten Göttinger Verhältnisse ergänzt ein Überblick, der den gesamten Bereich der Altertumswissenschaften an fast allen deutschsprachigen Universitäten einbezieht. Die Folgen nationalsozialistischer Maßnahmen, auch für den
Nachwuchs
und
die
im
Land
verbliebenen
Wissenschaftler,
werden
geschildert. Deren veränderte Arbeitsbedingungen wie auch die Reaktion der im Amt verbleibenden Kollegen werden dabei berücksichtigt. Das Schicksal der Emigranten, ihr Einfluß auf die Kultur und Wissenschaft der Aufnahme-
länder sowie die Frage nach ihrer Rückkehr und deren Behinderung schlieBen diesen Teil ab, der die Perspektive der Verfolgten, soweit es mir möglich war, präsent macht. Er modifiziert entscheidend den folgenden Teil über das Institut für Altertumskunde unter nationalsozialistischen Verhältnissen, weil
nur in der Konfrontation der Sicht und der Geschichte der fortan Herrschenden mit der Geschichte der Ausgeschlossenen das Geschehene ermessen und all das, was zerstört wurde bzw. verloren ging, gezeigt werden kann. Versuche des nationalsozialistischen Umbaus bzw. Abbaus des Instituts werden an Berufungsgeschichten und vor allem am Beispiel der Nachwuchsrekrutierung deutlich sichtbar. Auch in diesem Feld lassen sich Variationen nationalsozialistischer Aktivitäten bzw. von Enthaltungen konturieren. Als Kontrapunkt zu Kahrstedts Rede von 1934 wird Hans Drexlers Rektoratsrede von 1943 behandelt, die er fast zehn Jahre später hielt. Die Studienbedingungen bis zum Kriegsende und danach sowie ein Ausblick auf die Entnazifizierung,
ihre baldige Aufhebung und auf die in die Länge gezogene Wiedergutmachung beschließen das Buch.
Nun bleibt mir nur noch, meinen Dank auszusprechen und die Hoffnung, daß die vorliegende Untersuchung weitere anregt. Für die kritische Durchsicht der ersten Fassung und viele neue Informationen danke ich Herrn Professor Hans Gártner (Regensburg). Professor William M. Calders Interesse und Anerkennung hat mich zum Neuschreiben und zur Auseinandersetzung mit seinen Texten motiviert.
Ohne den Beitrag der Zeitzeugen würe manches für mich unverstündlich geblieben. Professor Albrecht Dihle (Heidelberg) entwarf mir ein lebendiges Bild von den Studienbedingungen in den letzten Kriegsjahren und der ersten Nachkriegszeit. Professor Alfred HeuD war einer der wenigen Góttinger Professoren, der vorbehaltlos das Thema der Untersuchung mit Hinweisen auf Quellen, die ich ohne ihn erst viel später gefunden hätte, unterstützte. Frau Leni Ziegler gewührte mir, die Personalakte ihres Mannes einzusehen. Sie und Herr Gerhart F. Ziegler gaben mir freigiebig Dokumente und geduldig prüzise Auskunft. Auch all den anderen Zeitzeugen sei für briefliche und mündliche Auskunft gedankt. Namentlich werden sie in dem Buch an der jeweils einschlügigen Stelle genannt. All den Mitarbeitern an den Archiven und Bibliotheken, mit denen ich im
16
VORWORT
Lauf der Jahre zu tun hatte, danke ich für ihre Hilfe bei der Suche nach den
Quellen. Namentlich sei Frau Anneliese Bruns am Göttinger Universitäts-Archiv hervorgehoben,
die lange Jahre das Archiv allein betreuen mußte und
äußerst umsichtig die Wünsche der vielen Besucher in den kurzen Öffnungszeiten zufriedenstellte.
Der österreichische Forschungsfonds förderte den Druck der neuen Textfassung. Frau Dr. Eva Reinhold-Weisz vom Böhlau-Verlag bewies Langmut und Geduld bis zur endgültigen Fertigstellung des Manuskripts. Frau Ulrike Dietmayer vom Böhlau-Verlag ist die umsichtige Betreuung des Drucks zu verdanken. F. W. Bernstein (Berlin) hat mir großzügig die wunderbaren Porträt-Zeichnungen, die er nach Fotos der Gelehrten zeichnete, geschenkt. Für die vielen Gespräche und Diskussionen, in deren Verlauf sich meine Gedanken ordneten und klärten, möchte ich besonders Thomas Schardt danken, der mit seiner Neugier auf den Text und dem lebhaften Interesse auf
anregende Weise den Schreibprozeß begleitete. Frankfurt am Main, den 3. November 1995
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
auDerordentlicher Bundesarchiv Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1955 Bundesgesetzblatt Corpus Medicorum Graecorum Codex (Handschrift) Archäologisches Institut des Deutschen Reiches in Athen und in Rom (nach 1945: Deutsches Archäologisches Institut) Deutsches Beamtengesetz Deutsche Demokratische Partei Deutsche Forschungsgemeinschaft Deutschnationale Volkspartei Privatdozent (habilitiert) Durchführungsverordnung Deutsche Volkspartei Deutsch-Vólkischer Schutz- und Trutz-Bund Fakultät Fußnote Geheime Staatspolizei Göttingsche Gelehrte Anzeigen Göttingen Göttinger Nachrichten, Amtsblatt der NSDAP und der Stadt und des Landkreises, 1955 ff. Göttinger Tageblatt Göttinger Zeitung habilitiert Institut für Zeitgeschichte, München Internationaler Sozialistischer Kampfbund Kuratorium (Staatliche Verwaltungsstelle der Universität) Kommunistische Partei Deutschlands Konzentrationslager mathematisch-naturwissenschaftliche Minister, Ministerium
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Phil., phil.
Philosophische, philosophische
NF NSDAP NSDDB NSDStB NSLB NStUBGö
Göttingen
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
Preußisches Ministerium (Minister) für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Preußisches und Reichserziehungsministerium (Minister bis 1. 5. 1954) Rektor Reichsbürgergesetz vom 15. 9. 1955 Paulys Realencyclopädie der Classischen Altertumswissenschaft. Hg.
REM(in.) RGBI. RM RMI RuPrEM(in.)
SA SD SPD SS StA Marburg
v. G. Wissowa,
W.
Kroll,
K.
Mittelhaus,
K.
Ziegler
et al.
(1894-1980) Reichsministerium (Minister) für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung (seit März 1958) Reichsgesetzblatt Reichsmark Reichsministerium des Innern Reichs- und Preußisches Ministerium (Minister) für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (1935-1938) Sturmabteilung Sicherheitsdienst der SS Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutzstaffel Hessisches Staatsarchiv Marburg Studentenbund siehe weiter oben, siehe weiter unten
Universitätsarchiv Göttingen Universitätsarchiv Münster Universität, University Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Verein Deutscher Studenten Verordnung Wehramt
“Classical scholarship has never been a ‘neutral’ subject: it has involved questions of values about art, ethics, politics and religion . . ." A. Momigliano (1974)
1. ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT Mit Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff (1848-1951), der nicht nur 14 Jahre lang in Góttingen lehrte und forschte, sondern auch nach seinem Weggang an die Berliner Universitüt durch seine Schüler und die Gründung eines Instituts für Altertumskunde im Jahre 1921 in Göttingen präsent blieb, erreichte die Entwicklung der klassischen Philologie ihren Hóhepunkt. Nicht zuletzt unter seinem Einfluß wandelte sich die Philologie von einer Hilfswissenschaft der Theologie und Jurisprudenz, von praktischer Unterrichtung in Rhetorik und Poesie zu einer modernen Altertumswissenschaft mit Methodenkanon und einem als historisch definierten Gegenstand. Wilamowitz’ Forschungsprogramm, aber auch die Kritik und Gegenentwürfe seiner Schüler beherrschten die Fachdiskussion in den zwanziger Jahren. Trotz aller historisierenden Verwissenschaftlichung behielt die Klassische Philologie jedoch den Anspruch bei, einen Gegenstandsbereich zu erforschen, der ihr als Gipfel europäischer Kulturentwicklung galt. Diese Vorstellung verlieh der Arbeit des Philologen einen besonderen Wert, der sich in der Gesellschaft des
wilhelminischen Kaiserreiches gegen Ende des Jahrhunderts trotz der Modernisierung und Industrialisierung in einem anachronistisch anmutenden hohen Sozialprestige niederschlug. Aus den von ihnen erforschten und konservierten Werten leiteten nicht wenige Fachvertreter die Kompetenz ab, in die Politik einzugreifen. Von der Humboldtschen Universitätsreform bis zum „Dritten Humanismus“ eines Werner Jaeger läßt sich zeigen, wie Themen der griechischen und römischen Kunst, Ethik, Politik und Religion etwa für ein
Bildungsprogramm, für den Nationalismus, für rassisch begründete Führungsansprüche etc. benützt und eingesetzt werden konnten. Die keineswegs wertneutralen Gegenstände der Philologie selbst erleichterten die Instrumentalisierung der Antike, aber auch der großartige Forschungserfolg der deutschen Altertumsforscher kam ihr entgegen. Dieser schien eine ausgezeichnete Nähe und einen besonderen Zugang zu „den Alten“ zu bestätigen.
20
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN
PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
1.1 Philologie als „Nachahmung der Alten“ „Der einzige Weg für uns groß, ja wenn es möglich ist, unsterblich zu werden, ist die Nachahmung der Alten.“! Mit „Alten“ meinte Johann Joachim Winckel-
mann (1717-1768) die griechischen Künstler, Dichter und Philosophen der klassischen Epoche zwischen Homer und Aristoteles. 1764 erschien seine „Geschichte
der Kunst des Altertums* in Dresden
und löste eine Welle der
Beschäftigung mit griechischer Kunst und Literatur aus, die in ihrer Intensität und Wirkung mit der Zeit der Humanisten verglichen werden kann.? Seine Kunstgeschichte ist die erste, die die antiken Kunstwerke in Rom, Florenz und
Neapel beschrieb und aus eigener Anschauung in einen größeren ästhetischen Zusammenhang stellte. Er lenkte die Aufmerksamkeit auf die „edle Einfalt und stille Größe“ der Kunst. Goethe, Lessing, Schiller und Herder setzten sich mit seinem Werk auseinander. Der von Winckelmann ausgelöste „Neohellenismus“ formte nicht nur die „deutsche Klassik“, er gab auch der Philologie als Universitätsfach neuen Auftrieb: „Dass das griechisch-römische Alterthum zu einem akademischen
Fach wurde, das an allen deutschen Hochschulen seine Stelle fand, war nur ein begleitendes Moment der hellenistischen Bewegung, die der Frühlings-
und Blüthezeit der deutschen Literatur ihren eignen Character gab. In Lessings und Herders Zeit stand, durch Winckelmanns Erscheinen, die bildende Kunst der Griechen im Vordergrunde, erst durch Goethe, Schiller und Humboldt trat die Poesie voran. Indem Heyne Generation um Generation zur
Beschäftigung und Genuss aufdem Gebiete der griechischen Kunst, in stetem Zusammenhange mit der griechischen Welt und ihrem Leben, anregte, stand er als Führer und Arbeiter recht im Centrum der zukunftreichsten Entwicklung.*5 So beschreibt Friedrich Leo den Beginn der Verwissenschaftlichung der Philologie in seinem Beitrag zur 150-Jahres-Feier der Góttinger Gesellschaft der Wissenschaften. Christian Gottlob Heyne (1722-1812), von dem hier die Rede ist, steht am Beginn einer neuen Ära in der Philologie: Seine Frage nach dem Ursprung der Mythen, der Religion und der Literatur, die sie bezeugen, erlaubt, die Dichtung nicht nur unter ästhetischen Gesichtspunkten zu lesen, sondern
auch als Ausdruck und Zeugnis historischer Ereignisse, Entwicklungen und Personen. Er lehrte von 1765 bis 1815 am Góttinger Philologischen Seminar, das erste an einer deutschen Universität, das diese Form der Lehre institutionalisiert hatte. Heyne setzte sich kritisch mit Winckelmanns Kunstgeschichte auseinander. Er bescháftigte sich gerade in diesen Jahren mit der griechischen Mythologie. Als erster forderte er ein historisches Verstándnis der Mythen: Ihre Entstehungsbedingungen sollten erforscht und die Überlieferungsgeschichte
der Mythen beachtet werden. Vor allem sollte man nicht die philosophischen und theologischen Anschauungen der eigenen Zeit auf die Erklürung der Mythen übertragen. So erst sei es móglich, sie entgegen der rationalistischen
Philologie als „Nachahmung der Alten“
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Auffassung nicht als willkürlich erfundene Lügengeschichten, sondern als Ausdruck einer vergangenen Kultur anzusehen.* Man müsse die Mythen so verstehen und untersuchen, wie die Forschungsreisenden das Leben und die Sitten der „wilden Völker“ untersuchen. Deshalb müsse man sich, soweit es möglich sei, in die mythischen Zeiten hineinversetzen. Für die Beurteilung der Kunstdenkmáler stellte er die analoge Forderung
auf: Auch diese kónnten erst gedeutet und beurteilt werden, wenn die historischen Untersuchungen ihrer Entstehungszeit, ihres Zweckes etc. angestellt worden seien. Heyne hielt zu diesem Zweck die ersten archäologischen Vorlesungen. Heyne war davon überzeugt, daß „das Studium der antiken Litteratur zur Kenntnis von Geschichte und Leben der alten Vólker und damit zum besseren Verständnis der Menschheit und der eignen Zeiten führt, dass die antike Poesie mit der bildenden Kunst zusammen den Geschmack am Schónen und Wahren bildet und so der Erziehung zur hóheren
Sittlichkeit dient“. Literatur als Zeugnis einer historischen Epoche zu lesen und zu verstehen war neu. Auch die Auffassung, daß historisches Wissen die
eigene
Gegenwart
verbessern
kann. Wie sehr die antike
Poesie den
Ge-
schmack bildete, beweist die aneignende Nachahmung seiner Zeitgenossen
von Lessing bis Goethe. Der Wissenschaftler Heyne reformierte nicht nur die „Königliche
Societät der Wissenschaften"
an der Universität Göttingen, er
redigierte auch die Göttingschen Gelehrten Anzeigen und regte damit den wissenschaftichen Austausch an. Um bei ihm zu studieren, kamen Alexander und Wilhelm von Humboldt, die beiden Schlegel, F. A. Wolf, Jacobs, Zoega
und Heeren.® Heyne machte Alexander v. Humboldt mit seinem Schwiegersohn Georg Forster bekannt, der James Cook als naturwissenschaftlicher Zeichner auf der zweiten Weltumsegelung begleitet hatte. Mit Forster zusammen wurde
A. v. Humboldt auf der Rückreise von London nach Göttingen im Juli 1790 Zeuge der Französischen Revolution. Sein älterer Bruder, Wilhelm, war schon
ein Jahr zuvor, kurz nach dem Sturm auf die Bastille, mit seinem Hauslehrer Johann Heinrich Campe in Paris gewesen.’ Die beiden Brüder, die Staatsbe-
amte werden sollten, deshalb zum Studium an die seinerzeit berühmteste Universität - Göttingen - geschickt worden waren, wurden
Kammerherren
des preußischen Königs und Wissenschaftler. Ihre wissenschaftliche Neugier und ihr Interesse wurden nicht zuletzt von Heyne und den Göttinger Kollegen
von Michaelis bis Blumenbach und Lichtenberg wenn nicht geweckt, so doch nachhaltig gefördert und bestimmt. Die beiden Zeugen und Freunde der Französischen Revolution sollten in Deutschland die wissenschaftliche einleiten: Wilhelm als Mitbegründer der Berliner Universität, die er nach dem Göttinger Vorbild zu gestalten suchte, und Alexander als Beförderer der Naturforschung in Deutschland.
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ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
1.1.1
„Die parisischen Zustände sind noch keine paradiesischen“*
Die Französische Revolution machte den größten Eindruck aufdie „deutschen Gelehrten, die Schriftsteller, die gebildeten Frauen, die einsichtigen Pastoren, die aufgeschlossenen Beamten, die idealistischen Schulmänner, ja auch
die liberalen Söhne und Töchter des Adels“ in den vielen deutschen Fürstentümern,
in Preußen
und
in Österreich.
So sehr die Nachrichten
aus Paris
die Gemüter bewegten, war man sich doch einig, daß eine Revolution für die französischen Nachbarn das geeignete Instrument sei, sich zu befreien und als Nation zu konstituieren, nicht aber für Deutschland. Der Parti-
kularismus der ca. 500 Fürstentümer mit eigener Rechtsprechung, unterschiedlichen Zollbestimmungen etc. war leichter durch die Freimaurerlogen, die über 400 Lesegesellschaften, den Austausch in Literatur, Kunst und Wissenschaft zu überwinden als durch eine soziale und politische Revolution.
In einigen absolutistischen Kleinstaaten und Fürstentümern waren der Adel, die Kónige und Fürsten der Aufklárung und allmühlichen Reformen geneigter. Auch die Gebildeten und Aufklärer setzten auf Reformen und langsam greifende Korrekturen des Absolutismus. Eine Gesellschaft ohne Monarch erschien ihnen nicht wünschbar - er galt ihnen als Garant gegen das Chaos der Revolution.? Rechtsgleichheit und soziale Mobilität schien durch Bildung und Erziehung leichter erreichbar. ,. . eine günzliche Veränderung des bisherigen Erziehungswesens ist es, was ich als das einzige Mittel, die deutsche Nation im Dasein zu erhalten, in Vorschlag bringe*!0, sagte Johann Gottlob Fichte in seinen „Reden an die deutsche Nation“ angesichts
des Napoleon unterlegenen Preußen. Eine wesentliche Voraussetzung für die Bildungsreform wurde zuerst in Preußen mit dem Allgemeinen Landrecht von 1794 geschaffen: Es war weit davon
entfernt, die ständische
Gesellschaft aufzuheben,
aber es brachte
systematische Festlegung der Pflichten und Vorrechte der Beamten
die
in der
preußischen Bürokratie und legte fest, daß Schulen und Universitäten staat-
liche Einrichtungen seien, die nur mit Genehmigung des Staates eröffnet werden dürften.!! Die napoleonische Besetzung Berlins und Preußens tat das übrige, um Nationalgefühle jenseits der Standesinteressen zu wecken und die preußische Reformperiode einzuleiten. Die Universität Halle, an der bisher preußische Staatsdiener ausgebildet worden waren, war im Zuge der Kriege gegen Napoleon vorübergehend geschlossen worden. Die Berliner Akademie der Wissenschaften war schon seit den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts in einem Verfallszustand, so daß langgehegte
Reformwünsche
in den Plan
mündeten, eine Universität in Berlin zu gründen.!? Nun ergab sich für W. v.
*
W.v.Humboldts Urteil über die Franzósische Revolution 1789 im Hause G. Forsters, zitiert nach
Harpprecht (1989) S. 97.
Philologie als „Nachahmung der Alten*
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Humboldt und die preußischen Reformpolitiker die Möglichkeit, ihre Vorstellungen zu verwirklichen, die Ideen der Französischen Revolution auf ihr Bildungskonzept zu übertragen und damit den „paradiesischen Zuständen“ näher zu kommen.
1.1.2 Humboldts Gelehrtenrepublik Im Februar 1809 an die neugeschaffene Sektion des preußischen Innenministeriums „Kultus und öffentlicher Unterricht“ als Leiter berufen, legte Hum-
boldt im Mai 1809 seinen Gründungsplan vor und erhielt im August von Friedrich Wilhelm III. die Genehmigung, im Berliner Palais des Prinzen
Heinrich die Universität einzurichten. Seine Denkschrift „Über die innere und äussere Organisation der höheren wissenschaftlichen Anstalten in Berlin*!5 verdient eine eingehendere Betrachtung, weil sie nicht nur den Aufstieg der Wissenschaften im Deutschland des 19. Jahrhunderts einleitete, sondern auch schon Elemente der von F. K. Ringer beschriebenen Mandarinmentalität enthält.!+ Wissenschaflliche Anstalten seien nicht bloß Ausbildungsstätten für Staatsbeamte, wie es etwa die dafür bekannte
Universität Halle gewesen
ist. Sie
sollen vielmehr den Übergang vom Schulunterricht zu selbständiger Forschung leisten. Ihre Bestimmung sei die reine wissenschaftliche Tätigkeit, die Bildung - geistige und sittliche - ergebe sich als Nebenprodukt von selbst. Da die Schule es nur mit der Vermittlung eines gesicherten und schon erreichten Kenntnisstandes
zu tun habe, die Universität aber dazu
bestimmt
sei, daß
Wissen erst gesucht werde, sei das Verhältnis von Lehrer und Schüler ein anderes: Beide seien als Forschende vor der Wissenschaft gleichberechtigt. Denn die Lehre sei ein Teil der Forschung. Damit Forschung möglich sei, müsse sie von „niederer und materieller Wirklichkeit“ rein bleiben, aber auch
von staatlichen Zwecksetzungen frei sein. In „Einsamkeit und Freiheit“ soll sie Muße haben, um ihren Regeln folgen zu können, losgelöst von pragmatischen Überlegungen ihrer Anwendbarkeit. Dem Staat obliege daher die Aufgabe, die wissenschaftlichen Anstalten von materiellen Sorgen freizuhalten und sie von der Schule deutlich abzugrenzen. Eine weitere Aufgabe des Staates sei es, die Institution vor Erstarrung zu bewahren. Lebendig und vielfältig könne sie nur durch die vielfältigen Felder der Bearbeitung und die voneinander sehr unterschiedlichen Forscherpersönlichkeiten sein. Diese werden zusammenarbeiten, schon weil die Wissen-
schaft es erfordere. Da nun aber Institutionen dazu neigen, das Neue zu verhindern, sind sie erst etabliert, müssen sie ein Korrektiv haben: Dem Staat sei das Recht vorbehalten, bei Berufungen das letzte Wort zu sprechen. Ein Korrektiv ganz anderer Art könne die Akademie der Wissenschaften sein. Die Schulen wiederum sollen vom Staat dazu bestimmt werden, ihre Schüler für das selbständige und asketische Forscherleben vorzubereiten. Der „intellec-
tuelle Nationalcharacter der Deutschen“ erleichtere diese Aufgabe. Philoso-
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ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
phie und
Kunst
hielt Humboldt
für besonders
geeignet zu zeigen, wie die
Wissenschaft um ihrer selbst gesucht werden kann. Freiheit der Wissenschaft von staatlicher Zensur und Zwecksetzung, Gleich-
heit der Wissenschaftler und ihrer Gebiete - weder die Herkunft der Forscher noch die traditionelle Hierarchie der Fächer mit der Theologie an der Spitze soll Ungleichheit schaffen - und die Brüderlichkeit zwischen Lehrer und Schüler als Forschende ergeben das Bild einer französisch beeindruckten Gelehrtenrepublik.15 Der neue dynamische Begriff von Wissenschaft als „etwas noch nicht ganz Gefundenes und nie ganz Aufzufindendes“!®, das Konzept der Zweckfreiheit, die eine wissenschaflliche Distanz und Haltung ermöglichen soll, und die Sorge Humboldts um die Erhaltung der Lebendigkeit der Universitäten sind die elementaren Voraussetzungen für den im Laufe des 19. Jahrhunderts tatsächlich stattfindenden notorischen Erfolg der wissenschaftichen Forschung in Deutschland. Schon 1854 widmete die Pariser ,Revue des Deux Mondes“ eine ihrer ersten Artikelserien den deutschen Universitäten: Sie werden als „republique des lettres* bezeichnet. Die Freiheit der Wissenschaft von
Bevormundung
und
Zensur
werden
ebenso
hervorgehoben
wie
das
Arbeitsethos der Studenten und Wissenschaftler. In diesem Fall ist die gelobte Universität die Göttinger, die dem Berliner Modell Pate stand.!?
1737 offiziell eröffnet, wurde sie von den Landesständen und der Landesregierungskasse des Kurfürsten von Hannover und englischen Königs Georg Il. finanziert. Die theologische Fakultät hatte kein Zensurrecht mehr und war den anderen Fakultäten gleichgestellt. Von Anfang an hatte sie neben Vorlesungen Seminare als Unterrichtsform eingeführt. Die Góttinger Akademie
der Wissenschaften
wurde
schließlich
auch
Vorbild
der Berliner,
als
Niebuhr diese reorganisierte. Er fragte um Rat bei Heyne in Góttingen an. Die Freiheit der Forschung garantierten ausdrücklich die von Georg August genehmigten Gründungsstatuten: Sofern sie nicht die guten Sitten, Religion und
Staat
verletzen,
seien
die Wissenschaftler
frei. Die
Forschung
solite
primár dem óffentlichen und privaten Leben nutzen. Auch das war ganz im Sinne der Aufklärung festgeschrieben.!8 Humboidts Konzept hingegen enthält eine ausdrückliche Trennung von Wissenschaft und Praxis: Die Wissenschaft wirke nur indirekt zum Wohle des Staates, ansonsten diene sie den hóheren Zwecken der Wahrheitssuche, die
über den Staatszwecken thronen: als der ,Gipfel[s], in dem alles, was unmittelbar für die moralische Cultur der Nation geschieht, zusammenkommt. . .*19
Philologie als „Nachahmung der Alten“
25
1.1.3 Das Gymnasium bildet eine bürgerliche Elite aus Verzeiht! ich hört Euch deklamieren;
Ihr last gewiß ein griechisch Trauerspiel? In dieser Kunst möcht ich was profitieren, Denn heutzutage wirkt das viel. Goethe, Faust, 522
Die hier angedeutete Verbindung von Moral und Wissenschaft entsteht nach Humboldts Ansicht aus der rechten Verbindung von wissenschaftlicher Forschung und subjektiver Bildung. Die Bildung sei die vorbereitende Aufgabe der Schulen, die „nur aufdie harmonische Ausbildung aller Fähigkeiten in ihren Zöglingen sinnen“ möge, „daß das Verstehen, Wissen und geistige
Schaffen nicht durch äußere Umstände, sondern durch seine innere Präcision, Harmonie und Schönheit Reiz gewinnt ... Ein so vorbereitetes Gemüth nun ergreift die Wissenschaft von selbst.“20 Die Schule, die die Entfaltung der Persönlichkeit durch Bildung erreichen sollte, war das Gymnasium: Mathematik, Kunst und der Unterricht in Latein und Griechisch boten genau die Vorbereitung für das Universitätsstudium, die Humboldt wünschte. 1812, zwei Jahre nach der offiziellen Einweihung der Berliner Universität, wurde das Abitur, der Schulabschluß eines Gymnasiums, als Universitätszugang anerkannt. Die Abiturienten mußten keine Eingangsprüfung mehr an den Universitäten ablegen. 1834 wurden letztere ganz abgeschafft und der Universitätszugang auf Abiturienten von sogenannten
„humanistischen
Gymnasien“
eingeschränkt.
Es war ab diesem Zeitpunkt
nicht mehr möglich, von einer Realschule oder Privatschule mit Hilfe der an
der Universität abgelegten Prüfungen zum Studium zugelassen zu werden. 1848 suchte man diese Einschränkung wiederaufzuheben, scheiterte aber an der Restaurationspolitik. Erst 1900 sollte auch der Abschluß der Realschulen den Weg an die Universitäten öffnen.?! Der erst seit 1834 eingeschränkte Universitätszugang wird gerne mit dem
Hinweis auf das Humboldtsche Konzept begründet, ohne daß man es bei Humboldt in dieser Ausschließlichkeit findet. Er war aber der wesentliche Grundstein für das Entstehen eines sogenannten „Bildungsbürgerstandes“ im
Deutschland des 19. Jahrhunderts. Die einseitige Vorbildung machte die Gruppe der Studenten intellektuell zwar homogener.?? Die klassische Bildung in den alten Sprachen aber erhielt durch ihre bevorzugte Stellung, den Universitätszugang zu ermöglichen, eine Aufwertung, die gleichzeitig den Unterricht in naturwissenschaftlichen und technischen Fáchern abwertete. Andererseits ermóglichte die Bildungsreform den sozialen Aufstieg einer kulturellen Elite, die neben dem Adel als Staatsbeamte gesellschaftliche Anerkennung fand. Sie verdankte ihren Status primär ihrer Ausbildung. Das sich neben dem kaufmünnischen Bürgertum und dem Adel etablierende Bildungsbürgertum wufite sich durch den gemeinsamen kulturellen Hinter-
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ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN
PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
grund einig. Die Bildung, die es an seine Kinder weitergab, trennte es vom nicht gebildeten Bürgertum. In einem hierarchisch organisierten Staatenge-
bilde mit geringer sozialer Mobilität konnte die gebildete Beamtenschicht einen mächtigen Status einnehmen. Als Berater und Verwalter des Königs waren sie unentbehrlich und ihm näher als andere Bürger. Auch im preußischen Heer setzte sich durch, daß nur Abiturienten Offiziere werden konnten. Die so entstandene Schicht der „Mandarine“ wurde erst durch die Demokra-
tisierung und den Aufstieg neuer sozialer Gruppierungen in ihrer Macht und ihrem Alleinvertretungsanspruch bedroht. Diesen Prozeß beschreibt ausführlich F. K. Ringer. Er setzt den Beginn des vergeblichen Abwehrkampfes der Mandarine - Professoren und höhere Beamte - 1890 an und läßt ihn erst mit dem Nationalsozialismus enden.25 Elemente der von Ringer beschriebenen Mandarinideologie
waren:
die
Auffassung
vom
Staat
als Abstraktum,
die
angemessene Erziehung des Volkes, damit in ihm die Harmonie der Teile das Wohl des Ganzen garantieren, die Praxisferne der Wissenschaften, die Annahme ihrer moralischen Intaktheit etc. Sie finden sich schon in den Schriften
der preußischen Reformer und idealistischen Philosophen der Humboldtära. Sie werden an der Wende zum 20. Jahrhundert wiederaufgenommen und gegen die Modernisierung der Gesellschaft, der Wissenschaften etc. gewandt. Um die eigene Machtstellung zu bewahren, berief man sich auf Humboldt und die Zeit des Klassizismus. Sie erscheint im Rückblick so mancher Professoren,
wie etwa Jaspers’, aber auch Werner Jaegers, „als Periode ursprünglicher Reinheit“2*. Bis zum Scheitern des Frankfurter Parlaments 1849 brachte die preußische Bildungs- und Universitätsreform allerdings - und das sei hier ausdrücklich gegen Ringer hervorgehoben - eine liberale und von den Universitäten ausgehende politische Öffentlichkeit hervor. Von Thadden zeichnet diese Entwicklung an der „Protestation“ der Göttinger Sieben nach.25 Die Studen-
ten, nun in der Bolle als gleichberechtigt am ForschungsprozeD Teilnehmende neben den Professoren, verstärkten diesen Prozeß, indem sie bis 1848 immer
wieder
das an der Universität
gelernte, nicht hierarchische
Verhalten
auf
andere Lebensbereiche anzuwenden versuchten. Die Geschichte der studentischen Korporationen hat Jarausch beschrieben.26 Der Knick und die Wende
setzte mit der Auflósung und Flucht der Nationalversammlung aus der Paulskirche ein. Die Einigung des Reiches unter Bismarck durch Kriege und von oben veränderte auch den politischen Standort der Universitäten und der
gebildeten Öffentlichkeit.27 Nach dem
Deutsch-Franzósischen
Krieg 1871 wird dann erstmalig, wie
Nietzsche beobachtete, die deutsche Kultur mit dem kriegerischen Erfolg in eins gesetzt. „Von allen schlimmen Folgen aber, die der letzte mit Frankreich geführte Krieg hinter sich dreinzieht, ist vielleicht die schlimmste ein weitverbreiteter, ja allgemeiner Irrtum: der Irrtum der óffentlichen Meinung und aller óffent-
lich Meinenden, daD auch die deutsche Kultur in jenem Kampfe gesiegt habe und deshalb jetzt mit den Krünzen geschmückt werden müsse ... Dieser
Philologie als „Nachahmung der Alten“
Wahn
27
ist höchst verderblich: ... weil er imstande ist, unseren Sieg in eine
völlige Niederlage zu verwandeln . . ., ja [in die] Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des deutschen Reiches.“28 Die von Nietzsche in den „Unzeitgemäßen Betrachtungen“ beobachtete Verwechslung von militärischem Sieg mit einem der deutschen Kultur über die französische wird sich 1914 im
„Krieg der Geister“ wiederholen und verstärken. Das Humboldtsche Modell, im Rückblick idealisiert, schien für lange Zeit das höhere Bildungswesen festzulegen. Seine gravierenden Schwächen, nämlich die Vernachlässigung der Berufsausbildung, die Verwissenschafllichung
der Allgemeinbildung und die Überschätzung der Liberalität des Staates im Umgang mit den Universitäten wurden erst nach 1945 allmählich wahrgenommen. Die hier gegebene groblinige Skizze der Wirkung und Nachwirkung der neohumanistischen Bildungsreform mit ihren öffnenden und erfolgreichen Anteilen, später dann - um die Mitte des 19. Jahrhunderts - aber mit ihrer
zunehmend sich der Modernisierung verschließenden Geschichte, soll uns dazu dienen, die zwiespältige Stellung der klassischen Philologie besser zu verstehen. Die Klassische Philologie wurde zur vornehmsten Wissenschaft und zur wichtigsten Bildungsquelle: Eine besondere Brisanz erhielt das Bildungs- und Forschungsprogramm durch die Französische Revolution. Sie zeigte den deutschen Gelehrten, Dichtern und Künstlern, daß die staatliche Ordnung nicht von Gott gegeben ist und damit im Bereich des von Menschen Verän-
derbaren liegt. Das löste in Deutschland ein großes Interesse an der Geschichte im allgemeinen und der griechischen im besonderen aus: Diese schien am geeignetsten, Vorbilder des Ringens um Emanzipation und Selbstbestimmung anzubieten. Die Institutionalisierung der Klassischen Studien als Altertumswissenschaft, die der Bildung und Entfaltung des „neuen“ Menschen dienen
sollte, an der neu gegründeten Universität Berlin und den neu gegründeten Gymnasien, war die Voraussetzung für die folgende Entwicklung der histori-
schen Disziplinen. Die idealisierende Nachahmung der antiken Literatur brachte eine eigenständige deutsche hervor und unterstützte so in einem gegen Napoleon
unterlegenen Preußen die Identifikation mit den Leistungen der deutschen „Kulturnation“ indirekt. An den Universitäten entfaltete sich die Klassische Philologie zu einer Wissenschaft: Das von Heyne geweckte Interesse an der
Geschichte Griechenlands brachte eine fruchtbare Debatte über die Methoden und den Umfang der Philologie hervor. Von dem Anspruch, daß die Gegenstände ihrer Wissenschaft sich am besten zur Bildung junger Menschen
eignen und sie auch den Politikern als Lehrmeisterin dienen könne, wollten sich die klassischen Philologen und Altertumsforscher allerdings nicht tren-
nen: „Aus dem Nutzen, welchen die Philologie für die Bildung überhaupt gewährt, folgt nun speciell ihr pädagogischer Werth in ihrer Anwendung für den Schulunterricht“, schrieb August Boeckh in $ 6 der Einleitung seiner Encyklopüdie. Nachdem er Argumente gegen den Unterricht der Philologie
28
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN
PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
an den Schulen aufzählte, stellte er schließlich fest: „Noch beruht alle Geschichte ihrer einen Hälfte nach auf dem Alterthum ... noch stehen die
poetischen
Werke
des Alterthums
höher
als alle andern
... noch
waltet
nirgends ein höherer Geist als im Alterthum ...*9 Wenn das „Alterthum“ nicht mehr die Quelle des Wissens wäre, dann erst sei es vertretbar, den
Unterricht an den Schulen einzuschränken oder ganz auszuschließen. Ähnlich dachten viele seiner Kollegen. Im
Bereich
des höheren
Schulwesens
wirkte
sich die Bevorzugung
des
humanistischen Gymnasiums gegenüber allen anderen Schularten auf sehr direktem Wege - indem es den Zugang zum Universitátsstudium einschränkte
und damit den Aufstieg breiterer Gesellschaftsgruppen verhinderte - elitebildend aus. Die freie Entfaltung der Persönlichkeit im Humboldtschen Sinn wurde
auf die Wissenschaft
und
Kunst
beschränkt,
nicht aber
sozial
und
gesellschaftlich verstanden.
1.2 Philologie als historische Wissenschaft Der letzte und bedeutendste Schüler Winckelmanns, Friedrich August Wolf (1759-1824), war mit Goethe und Wilhelm von Humboldt befreundet. Als Philologe wurde er auf den ersten Lehrstuhl für Pädagogik in Halle berufen und richtete dort ein Ausbildungsseminar für Lehrer ein: Er entwarf ein Programm der philologischen Studien, das er unter dem Begriff „Altertumswissenschaft“ zusammenfaßte. Das Studium der Altertumswissenschaft sollte die genaue Kenntnis der Antike vermitteln und damit das Ziel erreichen, als Vorbild für die Entfaltung des Menschen wirksam zu werden.
1.2.1 August Boeckh W. v. Humboldt versammelte Schüler von Wolf an der Universität Berlin.5! Der bedeutendste war wohl August Boeckh (1785-1867). Boeckh, der in Halle bei Wolf und Schleiermacher studiert hatte und in Berlin zusammen
mit Hegel,
Fichte, v. Savigny, Niebuhr, A. v. Humboldt und anderen lehrte, war philosophisch interessiert und ausgebildet. Er gab Wolfs Ansatz einer Altertumswissenschaft neue Inhalte: Er definierte den Kanon der zu erforschenden Gegenstánde und konzipierte eine Methodologie der Hermeneutik. Die Textinterpretation solite nach wissenschaftlichen Regeln vorgehen und nicht bei der bisher üblichen grammatischen Exegese stehenbleiben. Seine von der idealistischen Philosophie beeinflußte Vorlesung über dieses Programm, „Encyklopädie und Methodologie der philologischen Wissenschaften“32, wurde von vielen Studentengenerationen gehört. Das Studium der „Alten“, das bei Wolf noch das Ziel hatte, die Bildung des Menschen zu leisten, wurde bei Boeckh
zur strengen Wissenschaft, die diese Bildung schon voraussetzte.’? Seine
Philologie als historische Wissenschaft
29
Methodenlehre der Philologie sollte für jede Philologie gelten. Die Aufgabe der Philologie sei das ,Erkennen des vom menschlichen Geist Producierten, d. ἢ. Erkannten^**, Damit wurden mit einem Mal alle Textzeugen wichtig, nicht nur die der Literatur, sondern auch die Zeugnisse der Kunst und Archäologie. Ziel war die Erkenntnis des gesamten geschichtlichen Lebens einer „Nation“. Mit dieser Forderung entfernte sich die Philologie von der Rolle als Erzieherin des „neuen“ Menschen und näherte sich der historischen
Wissenschaft.55 Zu den neu entdeckten Quellen gehörten vor allem die Inschriften. Boeckh begründete das erste wissenschaftliche Großunternehmen, das viele Genera-
tionen von Wissenschaftern beschäftigen sollte: die
, Sammlung der griechi-
schen Inschriften“. Als Forschungsprojekt wurde sie von der Preußischen Akademie der Wissenschaften betrieben. Inschriften dienten ihm auch als Basis für sein Werk „Staatshaushaltung der Athener“, das er dem Historiker Bartold Georg Niebuhr widmete. Niebuhr, der an der Akademie in Berlin seit 1810 forschte, hat in seiner „Römischen Geschichte“ erstmals die Bedeutung der Wirtschafts- und Sozialordnung für das Rómische Reich entwickelt und so die Arbeit Boeckhs angeregt. Mit der mehr historischen und systematisch-me-
thodologischen Ausrichtung Boeckhs setzte auch eine gewisse Relativierung der griechischen Klassik ein. Boeckh lehnte überdies die Ansicht Wolfs ab, daß nur die Altertumswissenschaft zur Bildung des Menschen geeignet sei. Die Entdeckung neuer Quellen zur Erforschung des griechisch-rómischen Lebens erforderte neue Methoden. Die Philologen begannen auf den Spuren von Winckelmann und Goethe nach Italien und Griechenland zu reisen. Dort studierten sie die Geographie, die klimatischen Bedingungen und die erhaltenen Monumente. Sie schrieben die Inschriften, die sie fanden, ab. Sie zeichneten die Landschaften und rekonstruierten die Lage der Gebäude. Sie berechneten und vermaßen die Fundstücke und verglichen ihre Ergebnisse
mit den in der Literatur enthaltenen Hinweisen.?® Sie beschrieben anhand des gefundenen Materials die verschiedenen Stufen der Schriftentwicklung. Aus diesen neuen empirischen Vorgehensweisen entwickelten sich die Epigraphik und die Archüologie. Boeckh schrieb die ersten epigraphischen Abhandlungen, die erste Untersuchung über „Gewichte, Münzfüße und Maße des
Alterthums“ (1858), erklärte die Inschriften zum attischen Seewesen, beschäftigte sich mit griechischer Mathematik, Musik und Kosmologie und untersuchte die antike Chronologie. Der kritischen Edition des Pindartextes schickte er eine Abhandlung über die Versmaße voraus.’ Boeckh selbst bekam die Abschriften der Inschriften zugesandt von Schülern, die an die antiken Schauplätze gereist waren. Ein Schüler, Karl Otfried Müller (1797-1840), der Nachfolger Heynes in Góttingen, erlitt in Delphi beim Studium von Inschriften einen Sonnenstich, den er nicht überlebte.58 Trotz der Beschwerlichkeiten
und Gefahren sollte aber bald die Studienreise nach Italien und Griechenland zum notwendigen Handwerkszeug des Philologen gehóren. K. O. Müller sah in der Nachfolge von Heyne und im Sinne Boeckhs die Aufgabe der Philologie in der Auslegung ,jener mannigfach tónenden Spra-
30
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
che... ., die Nationen durch ihr ganzes lebendiges Dasein zur Nachweit reden ...in Gedichten und Reden, in Mythen und Kunstwerken, Sitten und Staats-
einrichtungen, dem Organismus der Sprache selbst . . .“39 Er war der Verfasser der „Prolegomena zu einer wissenschaftlichen Mythologie“ (1855), für die er bis heute anerkannt wird. Die Analyse griechischer Mythen mit Hilfe sprachlicher Daten, topographischer, religionsgeschichtlicher und archäologischer Informationen sollte die Rekonstruktion der frühgriechischen Geschichte vorantreiben. Sein Zugang zu den Texten der Literatur ist bestimmt von der Rekonstruktion
des historischen Zusammenhangs,
in dem
sie ent-
standen sind. So interessierten ihn die Aufführungsbedingungen, der politische, rechtliche und religiöse Hintergrund eines Stückes mehr als die werkimmanente, sprachlich-grammatische Kommentierung. Die sprachliche Interpretation löste er, indem er das Stück in seiner eigenen Übersetzung wiedergab:
z. B. „Aeschylos,
Eumeniden,
Griechisch
und
Deutsch“,
1833
erschienen und versehen mit einer erläuternden Abhandlung, die nach Eduard Fraenkels Meinung ein neues Zeitalter der Interpretation des Aischylos und des attischen Dramas einleitete.*
1.2.2 Der Philologenstreit Sowohl Müller als auch Boeckh fanden ihre Kritiker. Gottfried Hermann, Karl Lachmann, seit 1829 Kollege von Boeckh in Berlin, und Friedrich Ritschl - um nur die bedeutendsten Forscher zu nennen - befürchteten, daß die Beschäf-
tigung mit der Sprache, als dem Hauptzugang ,zu dem gesammten Alterthume"*! zu kurz käme. Sie warfen den Vertretern der neuen Altertumswissenschaft vor, daß sie „mit dem Vorgeben wichtigere Dinge, Sachen, zu betreiben, den Mangel des Fleißes, den sie zuförderst auf die Sprache hätten verwenden
sollen, bedecken zu können wühnen* (Hervorhebung C. W.)*#. Der Streit 1825 von Gottfried Hermann mit seiner Rezension des ersten von Boeckh herausgegebenen Heftes des „Corpus Inscriptionum Graecarum“ eröffnet ging um den Gegenstandsbereich der Philologie. Er zog sich über Jahrzehnte. Hermann war der Ansicht, beherrsche man die Sprache nur richtig, halte man
den Schlüssel zu den Sachen in der Hand. Denn „schon an sich ist die Sprache eines Volkes das, was als das lebendige Bild seines Geistes am meisten sein Wesen charakterisiert; noch wichtiger wird sie dadurch, daß durch sie erst alles übrige, was einem Volke eigen ist, begriffen und verstanden werden
kann“. Boeckh hingegen sah die Stellung der Sprache anders. Die Sprache sei ein Gegenstand der Philologie, aber nicht der einzige: ,Die Sprache gehórt selbst mit zur Sache, welche die Philologie zu betrachten hat, und muss als Sache von dem Philoiogen nachconstruirend erkannt werden, wodurch die
Grammatik in die Reihe der sachlichen Theile der Philologie tritt.^** Die Geschichte der Sprache gehöre neben der Chronologie, der Geographie, der politischen Geschichte, der Religionsgeschichte, der Kunstgeschichte und der Literaturgeschichte zu den materialen Disziplinen der Philologie.*5
Philologie als historische Wissenschaft
51
Auch Müllers Aischylos-Ausgabe entging nicht Hermanns Kritik. Boeckh und Hermann versóhnten sich schließlich und gingen auf der Philologenversammlung in Jena 1846 sogar freundschaftlich miteinander um. Aber „erst als
beide
Richtungen
sich zur Einheit verbunden
hatten
und der Aistorische
Charakter auch des Sprachstudiums dem allgemeinen Bewußtsein klar geworden war, konnte sich das Ganze auch in einem Individuum vereinigen*
(Hervorhebungen C. W.)*6. Das Individuum, auf das Friedrich Leo hier vielleicht anspielt, könnte Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff sein, der tatsüch-
lich beide Richtungen zusammenführte
und die durch Müllers frühen Tod
unterbrochene bzw. seit 1850 etwas ins Abseits geratene Richtung der histo-
risch orientierten Philologie wiederaufnahm Richtung verband.
1.2.3
und sie mit der sprachlichen
Textkritik
Die primür auf Text und Sprache gerichteten Philologen verstanden sich als Nachfolger der englischen und niederlándischen Philologie. Sie waren im engen Sinn des Wortes „Philologen“: Wie ihre Urvüter aus dem 5. Jahrhundert vor Christus - diese nannten sich allerdings „kritikoi“ oder „grammatikoi“ sahen sie ihre Aufgaben vor allem darin, in den Texten Echtes von Unechtem (späteren Zusätzen bzw. „Verbesserungen“ der Abschreiber und Überlieferer)
zu scheiden, die Eigenheiten der Sprachform des jeweiligen Dichters festzustellen und Schwierigkeiten im Textverständnis zu klären und zu diskutieren. Die Vertreter dieser Schule, etwa Immanuel Bekker (1785-1871), wie Boeckh ein Schüler Wolfs und sein Kollege in Berlin, reisten auch, aber weniger in
die südliche Landschaft als vielmehr an die Bibliotheken von Paris über Florenz bis nach Griechenland. Bekker sammelte an die 400 Handschriften und gab an die 100 Bände
griechischer, lateinischer, altfranzösischer und
byzantinischer Texte heraus. Um reisen zu können, hielt er sein Lehrprogramm in Berlin so klein als möglich. Seine bekannteste Edition ist wohl der gesamte Aristoteles-Text.*? Die Entdeckung neuer Handschriften ermöglichte neue Lesarten längst bekannter Texte. Die Lesarten warfen die Frage auf, welche Form der Text ursprünglich gehabt hatte und wie die Stufen seiner Veränderung aussehen. Um das herauszufinden, wurden neue Methoden der Textkritik und Edition entwickeit, die eine hohe Spezialisierung erfordern. Das Lesen der Handschriften (Paläographie), das Herausfinden ihrer Verwandtschaftsverhältnisse anhand von weitergegebenen Fehlern bzw. Abweichungen (Stemmatologie), die Rekonstruktion der Textüberlieferungsgeschichte, die Textverbesserung an verderbten Stellen (Konjektur), die Beschreibung des sprachlichen Stils des Autors und der grammatischen Eigenheiten, die Geschichte und Beschreibung der Textgattungen wurden systematisch weiterentwickelt und von Edition zu Edition, von Philologe zu Philologe verbessert. Die neu gewonnenen Maßstäbe philologischer Exakt-
heit ließen diese Philologen der „Erhaltung und Herstellung der Literatur-
52
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
denkmäler des klassischen Altertums“ (Hervorhebung C. W.)* den Vorrang geben vor einer Interpretation der Texte im historisch-gesellschaftlichen Kontext. Eine andere wichtige und aufblühende Richtung hatte sich auf die Geschichte der griechischen Philosophie spezialisiert. Zu Beginn des Jahrhunderts lóste Schleiermacher mit seiner Platoninterpretation eine das 19. Jahrhundert überdauernde Beschüftigung mit griechischer Philosophie aus. Die Neuausgabe philosophischer Texte bildete die Basis, auf der durch stilkritische Untersuchungen neue Einsichten (z. B. die Chronologie der platonischen Dialoge) möglich wurden. Die philologisch-textkritischen Forschungen ermöglichten ein neues inhaltliches Verständnis der griechischen Philosophie.*9
1.2.4
Historische Archive statt Klassik
In der Nachfolge von Boeckh und Hermann nahm die Altertumswissenschaft eine sich weiter spezialisierende Entwicklung. All die Namen der groDen Philologen und Historiker, die daran
beteiligt waren, zu nennen, würde
in
diesem Rahmen zu weit führen. Unter dem Juristen und Historiker Theodor Mommsen (1817-1905) - seit 1858 Professor für Alte Geschichte in Berlin - entstand dann ein wissenschaft-
licher Großbetrieb, der seiner Forderung folgte, die „Archive der Vergangenheit zu ordnen“.50 Er veranlaßte die Sammlung lateinischer Inschriften und setzte damit Boeckhs Werk an der Preußischen Akademie der Wissenschaften fort. DaD alle Quellen und Zeugnisse der Antike nun erforscht wurden, war auf den von Mommsen ausgehenden Impetus einer sich als historisch verstehenden Wissenschaft zurückzuführen, die damit dem Klassizismus den Vorrang abstritt: ,... es gilt doch vor allem die Alten herabsteigen zu machen von dem phantastischen Kothurn, auf dem sie der Masse des Publikums
erscheinen, sie in die reale Welt, wo gehaßt und geliebt, gesägt und gehämmert, phantasiert
und
geschwindelt
wird, den
Lesern
zu versetzen . . .*5!,
formulierte Mommsen sein Programm. Viele Wissenschaftler empfanden das als Zersplitterung und Niedergang gegenüber der um die Wende des 18. zum 19. Jahrhundert geltenden Einheit der alten Welt. Der von Goethescher Begeisterung getragene Hóhenflug der Altertumswissenschaft zu Anfang des 19. Jahrhunderts endete 60 Jahre später, einem Versinken gleich, im Meer des Historismus.
Die romantisch-klassizistische Ausrichtung der Philologie war beschrünkt gewesen auf die Epoche der „Klassik“, die sich durch die Reife und Blüte der antiken Errungenschaften auf vielen Gebieten vor allen anderen auszuzeich-
nen schien. Das Studium war auf ausgewühlte Autoren und Literaturgattungen eingeschrünkt gewesen. Als Auswahlkriterium hatte die Vorbildlichkeit
für die ásthetischen Werte und Normen des ausgehenden
18. Jahrhunderts
gedient. Die Philologie hatte damit einen festen, weil normierenden Platz in
der Gesellschaft gehabt. Mit dem Übergang zu einer Philologie, die sich dem
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
55
Altertum unter historisch-enzyklopüdischen Gesichtspunkten näherte, verlor die Antike allmählich ihre Einheit und damit auch ihre normierende Rolle.
Sie wurde zu einer Epoche unter anderen. Auf der Ebene der Methoden gab es nun ein Nebeneinander von vielen verschiedenen Teildisziplinen wie Grammatik, Epigraphik, Textkritik, Religionsgeschichte, Philosophiegeschichte, Rechtsgeschichte, Alte Geschichte, Archäologie u. a., denen die großen Forschungsunternehmen wie die Samm-
lung der griechischen Inschriften, neue Texteditionen, Wörterbücher, Grammatiken, die Herausgabe einer umfassenden Realenzyklopädie u. a. entsprachen. Diese Forschungsunternehmen, an denen Generationen von Gelehrten arbeiteten, lösten in ihrer Größe, der unabsehbaren Dauer und durch die von ihnen ausgehende wesentliche Erweiterung des Fachgebietes über die klassi-
sche
Epoche
hinaus, sowohl
in die hellenistische Zeit wie zurück
in die
archaische Vorzeit, bei den einzelnen Wissenschaftlern Gefühle der Resigna-
tion aus: Über der Tätigkeit des Sammelns und Entdeckens war die Verbindung und Anwendung - sozusagen der Wald - aus dem Blick geraten.52 Boeckhs Feststellung aus dem Jahr 1820 scheint 50 Jahre später wieder bzw. immer noch aktuell zu sein: „Denn
die Meisten, welche sich mit dem
Studium
des
Alterthums beschäftigen, haben kaum einen Begriff von dem innern Zusammenhange der verschiedenen Theile desselben, und von dem Wesen und Leben der dabei in Anwendung kommenden Thätigkeiten, sondern betreiben
die Philologie mit einer gewissen Gedankenlosigkeit als ein gewohntes Geschäft oder eine Liebhaberei, höchstens von einem dunklen Gefühle derinnern
Vortrefflichkeit des Gegenstandes daran festgehalten . . .*53 Genau in dieser Situation der Vielfalt und der Konkurrenz einzelner Richtungen in der Altertumswissenschaft wurde Wilamowitz wirksam.
1.5
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
,Am 22sten December
1848 bin ich, Ulrich Friedrich Wichard von Wilamo-
witz-Möllendorff geboren,
und
zwar Mittags Schlag zwölf, und das eines
Freitags, so dass ich Geister sehen kann, was mir freilich bisher noch nicht
passiert ist.^5* So begann der achtzehnjührige Wilamowitz, Goethes Anfangssatz von „Dichtung und Wahrheit“ variierend, die Skizze seiner ersten Autobiographie. Er schrieb sie am Ende der Schulzeit als Danksagung an seine Lehrer und zum Abschied von der Landesschule zur Pforte.
An dem damals berühmten bei Naumburg gelegenen Internat, das Wilamowitz ab dem 14. Lebensjahr mit Hilfe der Mutter Ulrike gegen den Willen des Vaters besuchen durfte, erhielt er, wie vor ihm schon der um drei Jahre áltere
Nietzsche, eine philologische Ausbildung, die vom Klassizismus geprügt war.55 Daß er damals eine Autobiographie verfaßte, beleuchtet nicht nur seine Vertrautheit mit der klassischen Literatur und der ihr verpflichteten deutschen Literatur. Sie zeigt uns auch, daß sich der aus einer alten preußischen
34
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
Adelsfamilie stammende Wilamowitz - nach dem Wunsch des Vaters hätte er wie sein älterer Bruder eine Militärakademie in Brandenburg besuchen sollen - mit 18 Jahren bewußt gegen eine politisch-militärische Karriere in Preußen entschieden hatte. Der Wunsch, Wissenschaftler zu werden,
bedeutete, die
Tradition und die soziale Klasse, der seine Familie angehörte, zu verlassen. „Ich will ein Jünger der Wissenschaft werden, freiwillig, scheel angesehen von Verwandten, Nahestehenden, verstossen aus den vermeintlich höheren Kreisen, in welche die Geburt mich gestellt hat. Wohl - es wird gehen, ich folge ungehemmtem Drange, verehrte Männer, die sich freundlich für mich interessieren, und wahre Freunde werden mir übervoll alles etwa verlorne ersetzen.^99 Den Verlust des väterlichen Wohlwollens und des gesellschaftlichen Prestiges sollten ihm „wahre“ Freunde im Bereich der Wissenschaften
ersetzen. Die Leichtigkeit, mit der Wilamowitz sich später in der ,Gelehrtenrepublik^ bewegte, Freunde und Schüler um sich versammelte und eine besonders intensive Form wissenschaftlicher Kooperation über die Fachgrenzen hinweg entwickelte, die Konkurrenz und neidvolle Ansprüche auf Urhe-
berschaft hintanstellte, ist auf dem Hintergrund seiner Herkunft und dem sehr früh bewußt
gefaDten
Entschluß
zu verstehen, aus den „höheren
Kreisen“
herauszutreten, in die er hineingeboren worden war. Das Studium der Klassischen Philologie, der Germanistik und Archäologie begann der í9jührige Wilamowitz 1867 in Bonn. Eine philologisch-historische Ausbildung erhielt er von Otto Jahn, auch ein ehemaliger Pforteschüler und Lehrer Theodor Mommsens. Friedrich Gottlieb Welcker las nicht mehr, Wilamowitz hörte aber so viel von ihm, daß er seine Schriften studierte. Jacob
Bernays, der Onkel von Martha Bernays, der späteren Ehefrau Freuds, prägte Wilamowitz nachhaltig, wie er in seinen Erinnerungen schreibt. Sein Verhältnis zu dem nur wenig ülteren Hermann Usener war mehr von jugendlicher Kritik gefärbt. Mit ihm studierten in Bonn Carl Robert, Georg Kaibel und Hermann Diels: Sie wurden die gesuchten „wahren“ Freunde und späteren Kollegen, mit denen er eng zusammenarbeitete.57 Nach Jahns Tod im Jahr 1869 wechselte Wilamowitz an die Universität Berlin, wo er bei Moritz Haupt die Lachmannsche
Methode
der Textkritik
lernte. Bei ihm promovierte er über die griechische Komódie. 1870 nahm er am Deutsch-Franzósischen Krieg teil.
1.3.1 Angriff auf Nietzsche Von dem Berliner Privatdozenten Rudolf Schóll ermuntert58, rezensierte der
24jührige Wilamowitz 1872 die eben erschienene ,Geburt der Tragódie aus dem Geiste der Musik“ von Friedrich Nietzsche. Die Rezension beantwortete zunüchst Richard Wagner in Form eines Briefes an Nietzsche, der in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ veröffentlicht wurde.59 Wilamowitz' Angriff auf den nur drei Jahre älteren ehemaligen Mitschüler und vielleicht auch ein wenig beneideten Professor in Basel erregte einiges Aufsehen und
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
55
machte ihn in Fachkreisen über Nacht bekannt. Die Rezension fand eine zweite Antwort in Erwin Rohdes philologischer Verteidigungsschrift von Nietzsches „Geburt der Tragödie“. Wilamowitz’ „Zukunftsphilologie!, Zweites Stück“ antwortete auf Rohdes ,Rettungsversuche". Wilamowitz, der sich zuerst in seiner Abschiedsarbeit von Schulpforte, ,[n wieweit befriedigen die
Schlüsse der erhaltenen griechischen Trauerspiele?*, dann bei der Übersetzung von Euripides’ Hippolytos und anschließend in seiner Dissertation über Aristophanes mit dem griechischen Drama beschäftigt hatte, fühlte sich zustündig, die philologische Wissenschaft gegen Nietzsches Vision von der Entstehung der griechischen Tragódie aus dem Geist der Musik zu verteidi-
gen. Nietzsches Essay®!, Richard Wagner gewidmet und von Schopenhauer beeinflußt, feiert die Kunst als höchsten Ausdruck der Mythologie und setzt ihren Verfall mit Euripides und Sokrates als dem Beginn der „Logisierung der Welt“ an. Die griechische Tragödie bis Euripides sei der Gipfel der Kunst und des Lebens, ein Kind der Verbindung von Apollon mit Dionysos, von Traum mit Rausch. Ihr Abstieg beginne mit dem ,sokratischen Euripides“. Sie verliere ihre Kraft als „metaphysisches Trostmittel", weil sie logischen Gesetzen und nicht mythologischen folge. Die Kritik an der Wissenschaft als Zerstörerin der „wahren“ dionysischen Kunst scheint mir der eigentliche Stein des Anstoßes für Wilamowitz gewesen zu sein. Wilamowitz empfahl Nietzsche, herabzusteigen vom Katheder, „auf welchem er Wissenschaft lehren soll; sammle er Tiger und Panther zu seinen Knieen, aber nicht Deutschlands philologische Jugend, die in der Askese selbstverláugnender Arbeit lernen soll, überall allein die Wahrheit zu suchen . .*#2 Nietzsche bedauerte Jahre später, daß er sein erstes Buch weder
als Dichter noch als Philologe geschrieben habe, vielmehr ein schwärmerisches Buch für ,Eingeweihte, als ‚Musik‘ für solche, die auf Musik getauft“.65 Wilamowitz, der Nietzsche Tiger und Panther schickte, wurde bei Nietzsche zum Schaf: „Als ich im Schlafe lag, da fraß ein Schaf am Epheukranze meines
Hauptes - fraß und sprach dazu: ,Zarathustra ist kein Gelehrter mehr‘.*%* Für uns sind die Folgen
dieses „Streites“ interessant, den an Nietzsches
Stelle Richard Wagner und Erwin Rohde gegen Wilamowitz ausfochten. 1. Aufschlußreich für den damals virulenten Antisemitismus, der sich mit Wissenschaftsfeindlichkeit leicht verband, wenn es um die Verteidigung „nationaler Güter deutscher Kultur“ ging, sind die Reaktionen von Nietzsche und dem Wagner-Kreis. Nietzsche nannte Wilamowitz ein „übermüthig-jüdisch
angekränkeltes Bürschchen*. Rohde und Nietzsche vermuteteten, daß Wilamowitz von anderen zu der Rezension angestiftet worden war, um Wagner zu treffen: „Da wäre ja der Scandal, in widerwärtigster Judenüppigkeit“, schrieb Rohde an Nietzsche fünf Tage nach Erscheinen von Wilamowitz’ „Zukunftsphilologie!“.& Die erste Reaktion sollte die philologische Kritik von Wilamowitz entwerten: Sie wurde ihm nicht allein zugetraut. So finden wir antisemi-
tische Töne als Abwehr
auf die Kritik der Nietzscheschen Vision von der
„Wiedergeburt des deutschen Mythus* in der „deutschen Musik“6 Wagners.
36
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN
PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
2. Man kann den Streit der beiden noch jungen Kontrahenten als Ausdruck und empfindliche Reaktion auf schon in der Luft liegende Themen verstehen. Sie vertreten Positionen, die die folgenden Jahrzehnte thematisch bestimmen sollen. Die Einheit von Kunst und Leben unter mythologisierenden und nationalistischen Vorzeichen wird gegen eine Wissenschaft ausgespielt, die von Nietzsche als kleinkrämerisch, leblos und oberflächlich, später dann als positivistisch, abstrakt, um sich selbst kreisend und zersetzend kritisiert wird.
Ringer und Fritz Stern haben die Entwicklung von Kulturpessimismus und Wissenschaftsfeindlichkeit im Zusammenspiel mit nationalistischer Ideologiebildung eingehend beschrieben.8? Für die erst 1886 erscheinende 2. Auflage änderte Nietzsche zeitgemäß den Titel in „Die Geburt der Tragödie oder Griechentum und Pessimismus“. 3. Wilamowitz’ heftige Kritik an Nietzsches intuitiver Sicht der Antike machte ihn fortan für alle Nietzscheaner unmöglich. Vom George-Kreis bis zu Thomas Mann reichte die Kritik und Ablehnung. Aber auch einige seiner Schüler? werden Jahre später sich im Sinne Nietzsches kritisch mit Wilamowitz’ Konzept von Philologie auseinandersetzen: Sie kritisierten an dem streng historisch orientierten Zugang vor allem die Vernachlássigung der ásthetischen Wirkung antiker Texte.70 4. Vermutlich bestärkte die Auseinandersetzung mit Nietzsches Bild von Euripides Wilamowitz darin, nun doch der Bernaysschen Anregung zu folgen, eine neue Sicht von Euripides zu gewinnen.?! Er habilitierte sich drei Jahre später mit einer Arbeit über Euripides: Analecta , Euripidea“.
1.3.2
Wilamowitz’
Methode und Themen
Vor der Habilitation verbrachte Wilamowitz zwei Studienjahre in Italien und Griechenland. In Rom befreundete er sich mit Theodor Mommsen und Fried-
rich Leo. Mommsen wurde zu seinem wichtigsten Lehrer, Leo, etwas jünger als Wilamowitz, zu seinem besten Freund und Kollegen. 1874 habilitierte er sich an der Universität Berlin, zwei Jahre später erhielt er seinen ersten Ruf als ordentlicher Professor an die Universität Greifswald. Sein Verhältnis zu
Mommsen
wurde in diesen Jahren enger und vertrauter. 1878 heiratete er
dessen älteste Tochter Marie.
Mommsen óffnete Wilamowitz den Blick für die Bedeutung der Geschichte: Den Gedanken, durch umfassende Kenntnis der historischen Quellen das „gesamte Leben“ der Antike zu verstehen und die klassische Literatur wirk-
lichkeitsnah interpretierend „gegenwärtig“ zu machen, übernahm er von Mommsen. Die nun folgende und über viele Jahre dauernde sehr enge wissenschaftliche Zusammenarbeit’? zwischen Mommsen und Wilamowitz stellt nicht nur ein in den Geisteswissenschaften in dieser Art bis dato unbekanntes Faktum dar, sie leitete innerhalb der Altertumswissenschaften eine
neue Epoche ein. „Es waren einmal viele fleiDige und gelehrte Männer, die saßen in einem
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
37
groBen Zimmer. An dessen einer Seite befand sich ein großes schweres Fenster, in der Mitte des Zimmers stand ein großer schwerer Tisch. Das Fenster war seit vielen Jahren niemals geöffnet worden. Auf dem Tische aufgeschichtet lagen, säuberlich voneinander abgesondert, viele Zettelhaufen; oben lag auf jedem ein sorgfältig beschriebenes Stück Papier, das anzeigte, was jeweils darunter war: Textkritik, Grammatik, Sakralaltertümer, Staatsaltertümer und sofort. Da stürmte eines Tages ein schöner junger Mensch in das Zimmer, groß und schlank, mit hellem Haar, leuchtendem Blick und eigenwilligem Mund. Ohne nach rechts und links zu sehen, rannte er auf das
Fenster zu und riß es mit einem Rucke auf. Ein starker frischer Windstoß blies in das Zimmer, und alle wohlgeordneten Zettelhaufen flogen durcheinander.
Die gelehrten Männer schrien vor Schmerz und Empörung. Dann machten sich einige mit den herumflatternden Zetteln zu schaffen, andere stürzten an das Fenster, aber so sehr sie sich abmühten, das Fenster wollte niemals wieder
recht schließen.*73 So beschrieb Eduard Fraenkel, ein Schüler von Wilamowitz, 1960 dessen Wirkung auf die klassische Philologie. Der frische Wind,
den der anfangs umstrittene und später als der „größte der deutschen Philologen seit der Generation um Jacob Grimm und Lachmann“”* titulierte Wissenschafller der Philologie um die Jahrhundertwende brachte, war seine
Leistung der Synthese. 1. Wilamowitz wandte die Ergebnisse der einzelnen Teildisziplinen der Altertumskunde in der Interpretation der griechischen Dichtung an. Er verband in seinen Textinterpretationen das Mommsensche Programm philologischer Exaktheit und historischen Wissens um die wirtschaftlichen, politischen und rechtlichen Hintergründe der antiken Gesellschaft mit der
Kunst und Literatur. Mommsens Leistung auf dem Gebiet der römischen Geschichte übertrug er auf die griechische: Was der Historiker entdeckt hatte, nutzte nun der Philologe für das Verstündnis der Dichtung, Literatur, Kunst und Sprache. So legte Wilamowitz besonderen Wert auf die Interpretation
frühgriechischer und hellenistischer Dichtung, die bis dahin vernachlüssigt worden war. 2. Mit seiner Forderung, das Altertum in der gesamten Breite seiner Kultur zu studieren, nahm er den Boeckhschen Entwurf auf einer neuen, das Fach erweiternden Stufe wieder auf. Hatte in Berlin der Philologe J. Vahlen einem jungen Wissenschaftler (R. Reitzenstein) noch verboten, in seinem Seminar ein spätlateinisches Glossar zu behandeln, so leitete Wilamowitz eine neue
Epoche der Literaturgeschichte ein. Er überschritt die bisher übliche zeitliche und inhaltliche Begrenzung des Fachs. Er machte die Literatur des Hellenismus hoffühig.75 Später setzte er sich dafür ein, daß die hellenistische Epoche
auch im Gymnasialunterricht berücksichtigt wurde.78 5. Wilamowitz definierte den Gegenstand der Philologie neu, indem er die griechische und die rómische Kultur als Einheit sah, die es galt, durch ,die
Kraft der Wissenschaft wieder lebendig zu machen"*.?? Damit erklärte er die Geschichte zum Objekt der Philologie. Das ermóglichte ihm, die Teildiszipli-
nen aus dem historischen Blickwinkel zu vereinen und sie mit dem Ziel der
38
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
Textinterpretation anzuwenden. Die neu hergestellte Einheit des Gegenstandes zog die Zusammenarbeit aller Wissenschaften, die sich mit dem griechisch-römischen Leben beschäftigten, nach sich. So wurde aus der klassi-
schen Philologie eine historische Philologie, die nunmehr als Altertumswissenschaft interdisziplinär auftrat. Wilamowitz, der keine hermeneutische Theorie und Methodenlehre aufstellte, sondern seine Auffassung der Wissenschaft an der Praxis zeigte und
legitimierte, löste durch seine eigenen wissenschaftlichen Arbeiten und die seiner Schüler den zu Beginn des 19. Jahrhunderts von F. A. Wolf und A. Boeckh aufgestellten Plan einer historisch-enzyklopädisch vorgehenden Philologie und Wissenschaft vom Altertum ein. Im Gegensatz zu A. Boeckh aber ging es Wilamowitz nicht um die reine „Erkenntnis des Erkannten“, sondern für ihn war die Antike ein Kosmos in
sich geschlossener Individualitäten. Ihrem „Fühlen, Glauben und Denken“’?8 in seiner Einzigartigkeit und Unwiederholbarkeit galt sein Interesse. Die neue Sichtweise, die das Einzelne für wichtig genug hielt, um es um seiner selbst willen
zu erforschen,
und
es nicht
nur
als Ausdruck
eines
Allgemeinen
anzusehen, ermöglichte neben neuen Entdeckungen in vielerlei Hinsicht die Überwindung der Trennung von Sicherung der Quellen und ihrer Interpretation. Er zeigte die Unhaltbarkeit des Hermannschen Ansatzes, die Antike als ein verschlüsseltes System zu verstehen, dessen implizite Regeln man herausfinden müsse, auf allen Interpretationsebenen. Der erste Schritt zum Verständnis eines antiken Textes, die sprachliche
Untersuchung, nahm bei Wilamowitz einen breiten Raum ein: Die Herstellung des originalen Wortlauts, bisher nach dem Prinzip der Analogie betrieben, modifizierte Wilamowitz wesentlich durch den Nachweis, daD gerade das
Prinzip der Anomalie oft zu stichhaltigeren Ergebnissen führte. Er rekonstruierte die Entstehung und Geschichte des jeweiligen Textes. Dadurch konnte er viele
Textstellen
retten,
die bisher
von
den
Herausgebern
als unecht
entfernt worden waren, weil sie dem unterstellten System nicht entsprochen hatten. Dann folgte die historische Interpretation des Textes, die die angedeuteten Bezüge zu Zeitgenossen etc. herausarbeitete und rekonstruierte. In diesem Teil der Interpretation berücksichtigte er alle móglichen Zeugnisse, auch die archäologischen. In einem dritten Schritt wurde versucht, den von der Tradition bestimmten Anteil eines Textes mit all seinen Zitaten und Konventionen von dem ,originalen* Anteil zu trennen, um so das Individuelle
und Eigene des Autors an der Textgestaltung herauszufinden.?? In diesen drei Schritten konnte Wilamowitz die Teilgebiete der Altertumswissenschaft und das um viele Details gewachsene historische Wissen über die Antike in der Literaturinterpretation nutzbar machen. Das ermöglichte ihm das Verstehen der Werke auf einer biographischen und psychologischen Ebene, die von üsthetischen Gesichtspunkten weitgehend absah und den Blick für den Entwicklungsprozefi der Antike freilegte, der nicht mehr als notwendig geradlinig fortschreitender gesehen wurde. So sehr Wilamowitz sich um Verlebendigung und Authentizität bemühte -
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
59
eine Vorlesung über Thukydides überging dessen sizilische Expedition, weil
Wilamowitz nach eigener Aussage ,keine eigene Kenntnis von Syrakus und seinen Umgebungen“ hatte® -, in dem Maß flossen doch in seine Werke vielfältige subjektive und ästhetische Urteile, aber auch Parallelisierungen mit der Gegenwart ein, die heutigen Lesern unhaltbar scheinen. Mit der Zeit
des Klassizismus und Goethes teilte er das Gefühl, daß die Antike nicht allzuweit von der Gegenwart entfernt angesiedelt sei. Auch ihr erzieherischer Wert auf ethischem und intellektuellem Gebiet galt ihm als unantastbar. „Fast alle großen Bücher von Wilamowitz seit seinem Kommentar zum Herakles des Euripides, der für das Verständnis der attischen Tragödie eine neue Ära begründete, der Homer, der Plato, der Pindar wirken wie eine via triumphalis der wiederkehrenden Herrschaft des Klassischen ... Zwei Seelen rangen in seiner Brust: der Historiker, der nichts anderes wissen will als was gewesen ist, und der Humanist und Philologe . . .*81
Obwohl Wilamowitz den Gegenstand der Philologie, die griechisch-römische Welt, als eine Einheit sah, beschäftigte er sich in der Hauptsache mit der Graezistik: von dem griechischen Epos über frühgriechische Poesie, griechi-
sche Tragödie, Geschichtsschreibung, hellenistische Poesie bis zur Religionsgeschichte reichte sein Arbeitsgebiet. Sein an die 70 Bände umfassendes Werk ist von der Zwiespältigkeit bzw. Ambivalenz gekennzeichnet, die Jaeger beobachtete. Erlaubte ihm der historische Zugang zu den Klassikern, den
klassizistischen Interpretationszirkel zu durchbrechen und den rein ästhetischen Zugang zu erweitern, so fand die Verlebendigung der Klassiker ihre Grenze am Horizont von Wilamowitz’ Herkunftsklasse. Seine Identifizierung mit der wilhelminisch-preußischen Gesellschaft und mit der Welt des preuBischen Landadels färbte die Interpretation von Pindar bis Platon auf sehr unhistorische Weise. Die Fremdheit der Texte wurde gerade durch unangemessene Aktualisierungen wieder verwischt. Besonders deutlich zeigt sich der subjektiv wertende Wilamowitz in der Auswahl lateinischer Autoren und
Texte. Er zog Autoren der augustäischen Zeit denen der republikanischen vor.85 Daß seine Erkenntnis dort endet, wo seine Einfühlung und Vorlieben aufhören, scheint von Wilamowitz wenig reflektiert worden zu sein. Das erklärt vielleicht die Naivität in Wilamowitz’ forscherischem Impetus, der ihn neu gefundene Quellen, Daten und Materialien und die eigene Anschauung der Orte des Geschehens so hoch bewerten ließ, als könnten diese ihm dazu verhelfen, die ganze Wirklichkeit herauszufinden, anstatt bloß eine weitere Facette bzw. persönliche Sicht. Damit geht er gewissermaßen hinter Boeckhs Auffassung philologischer Forschung zurück, der mit seiner Formel von der „Erkenntnis des Erkannten“ durchaus auch deren Grenzen als interpretative Wissenschaft, die diesen Rahmen nicht verlassen kann, im Blick behielt. Wilamowitz erliegt offenbar, beeindruckt vom Historismus, der Illusion einer konstruierten Wirklichkeit, von der er meint sagen zu können: So ist es gewesen. Auch „den Glauben an die absolute Größe Griechenlands“ und an
den privilegierten Zugang der Deutschen zum Olymp gab Wilamowitz nie auf.
40
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN
Abb. 1: Ulrich dorf (1897)
1.3.3
von
Wilamowitz-Moellen-
Abb. 2:
PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
Friedrich Leo
Glückliche Jahre mit Friedrich Leo in Göttingen
Im Herbst 1885 wurde und Proseminar für hang 2), berufen. Wie witz in seiner ersten
Wilamowitz von Greifswald an das Göttinger Klassische Philologie“, wie es damals hieß die Briefe an Mommsen belegen'5, fühlte sich Göttinger Zeit nicht sehr wohl. Ernst l.. von
dessen Nachfolger er mit 55 Jahren
geworden
war, und Hermann
„Seminar (vgl. AnWilamoLeutsch,
Sauppe
waren schon in den Siebzigern. Der Seminarbetrieb war mehr oder weniger zum Stillstand gekommen. Das im Frühjahr 1882 eingeführte Reglement?6, das auch die Abhaltung von Proseminaren vorsah, war bis zu seiner Ankunft
noch nicht realisiert worden, da Karl Dilthey zeitweise allein die Lehrverpflichtungen zu erfüllen hatte. Bald aber wurde Góttingen zu einem Zentrum,
das Philologen von anderen Universitäten, auch ausländischen, anzog. Wilamowitz fühlte sich allerdings von seinen Lehrverpflichtungen überlastet. Er hielt ein Proseminar, ein Seminar, zwei óffentliche Vorlesungen und vertrat zudem noch zeitweise das Fach Alte Geschichte in Übungen und Vorlesungen. Das hatte er schon in Greifswald praktiziert. Da Sauppe und Dilthey oft krank waren, übernahm er auch deren Lehrverpflichtungen. Erst nach sechs Góttinger Jahren ergab sich die Gelegenheit, diesen Zustand zu beenden.57
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
4
Sein Freund Friedrich Leo®, den er im Winter 1875 in Rom kennengelernt hatte, wurde aus Straßburg auf Betreiben von Mommsen und Wilamowitz nach Göttingen berufen und erhielt den Lehrstuhl für Latinistik in der Nach-
folge von Hermann Sauppe. Die Berufung zog sich allerdings etwas hin, weil Wilamowitz zuerst einige Widerstände seitens der Göttinger Kollegen überwinden mußte. „Ob wir ihn (scil. Leo) bekommen, ist aber fraglich. Hier mag ihn Dilthey nicht, weil er jüdisch aussieht, Sauppe nicht, weil er von Göttingen
als Student weggegangen
ist ...“, schrieb
Wilamowitz
im April
1889 an
Mommsen. ,. .. Über den Juden wird man hier (scil. der Min.-Beamte Friedrich Althoff) hinwegsehen, wenn die [Göttinger, C. W.| Fakultät zu diesem Vorschlag zu bringen ist... .^, antwortete Mommsen zwei Tage spüter.5?
Die Briefstellen belegen den gerade um 1890 besonders verbreiteten Antisemitismus im Deutschen Reich. Leo selbst, 1851 in Regenwalde (Hinterpommern) geboren, kommt aus einer akkulturierten® Familie: Sein Vater, ein Arzt, war schon 1845 zum protestantischen Glauben übergetreten. Leo ist also bei der Geburt getauft worden. Trotzdem wurde seine wissenschaftliche Laufbahn erschwert. Die Kollegen konnten jüdisches Aussehen als Argument gegen seine Berufung anführen. Tatsüchlich funktionierte der Antisemitismus an den Universitäten des Kaiserreichs gleichermaßen auch gegen akkulturierte jüdische Wissenschaftler sehr erfolgreich als AusschlieDungsinstru-
ment. Nach einer Statistik von 191191 gab es im Wintersemester 1889/90 an allen deutschen Universitüten im Bereich Philologie (also auch Germanistik
etc.) von insgesamt 117 ordentlichen Professoren genau einen jüdischen und fünf getaufte jüdische ordentliche Professoren. Dieselbe Statistik zeigt auch, daD im Wintersemester 1889/90 im Vergleich zum Jahr 1874/75 und zum Jahr 1909/10 die hóchste Zahl jüdischer Wissenschaftler als Ordinarien an deut-
schen Universitäten vertreten war. An der Göttinger Universität lehrten im Wintersemester
1889/90
von
insgesamt
61 ordentlichen
Professoren
zwei
jüdische und zwei getaufte. Die Zahlen belegen deutlich, daß Mommsen und Wilamowitz mit ihrer Haltung, jüdische Kollegen für Lehrstühle vorzuschlagen und deren Berufung auch durchzusetzen, große Ausnahmen waren. Aus ihrem Briefwechsel kann man weitere Belege für die Zurücksetzung von Kollegen aufgrund des Antisemitismus ersehen. Mit Leos Ankunft in Góttingen im Herst 1889 begannen für Wilamowitz die
glücklichen Góttinger Jahre. ,Wir (scil. Wilamowitz und Leo) hatten die engste Fühlung, einig über die Ziele und den Betrieb des Unterrichts, einig auch über unsere Wissenschaft standen wir doch ein jeder ganz selbstündig nebeneinander, ergánzten und fórderten uns gegenseitig, und so war für die Studenten, soweit es die Philologie anging, gesorgt. Für sie gehórten wir ganz so zusammen, wie sie uns alltäglich in der Zwischenpause im Vorgarten des
Auditorienhauses spazieren sahen und wie wir uns beide oft in ihrem philologischen
Vereine
zusammenfanden,
jedenfalls
im
selben
Sinne
an
dem
Wohle des Vereins regen Anteil nahmen.*% Friedrich Leo, dessen Bedeutung für die Latinistik und das Göttinger Institut nicht hoch genug eingeschätzt werden kann, war drei Jahre jünger
42
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
als Wilamowitz. Schon sehr früh stand sein Entschluß fest, klassischer Philo-
loge zu werden. Er begann ein Jahr später als Wilamowitz (1868) mit dem Studium an der Universität Göttingen. Im Juli 1870 verließ er die Universität und nahm als Freiwilliger am Deutsch-Franzósischen Krieg teil. Bei Bücheler und Usener setzte er sein Studium nach Kriegsende in Bonn fort. Seine Dissertation (1875) enthült die Rekonstruktion des verlorenen Anfangs einer Komödie von Aristophanes.95 Er verließ Bonn, um eine Studienreise nach Italien zu unternehmen, wo er im Winter 1873 den jungen Wilamowitz, der sich aus demselben Grund in Rom aufhielt, kennenlernte und sich mit ihm
auf das engste befreundete. Aus dieser Freundschaft entstand dann eine sein Leben lang andauernde Zusammenarbeit mit Wilamowitz und Mommsen. Aus Italien zurückgekehrt, unterrichtete er ein Jahr an einem Berliner Gymnasium.
Aufträge von Mommsen,
Handschriften
römischer Dichter für die
Monumenta Germaniae historica zu kollationieren und herauszugeben, beendeten seine Zeit als Lehrer.?* 1877 habilitierte er sich an der Bonner Universität. Seine kritische Edition der Tragödien Senecas® eröffneten in der Latinistik eine neue Epoche. Leo leistete das für die lateinische Literatur, was Wilamo-
witz für die griechische unternahm. Er interpretierte und kommentierte die Dichter im Kontext des politischen und kulturellen Lebens im damaligen Rom. Er verwendete die Erkenntnisse der Mommsenschen Geschichte Roms für das Verständnis der Dichtung. Darüber hinaus weckte er das Bewußtsein für die Spuren griechischer Vorbilder in der lateinischen Literatur. Da er die griechischen Dichter sehr gut kannte, konnte er detailliert ihre Vorbildfunktion, aber auch Veränderungen und Abweichungen in der lateinischen Literatur zeigen. Erst aufgrund dieses Wissens war die Basis geschaffen, das Verhältnis der lateinischen Literatur zur griechischen besser zu verstehen und genauer zu bestimmen, und schließlich erstmalig einen Begriff von der Eigenart der lateinischen Dichtung zu erhalten.% Seine vierzehn Jahre währende Beschäftigung mit den Komödien des Plautus, die er edierte und kommentierte’, veränderten das Verständnis der römischen Literatur. Unter
Berücksichtigung der ästhetischen, der metrischen, historischen und textgeschichtlichen Gesichtspunkte zeichnete er ein Bild von Plautus, das bis dahin
noch nicht bekannt gewesen war. Auch für die lateinischen Prosatexte, die bis dahin und vor allem auch von Mommsen für eine bloße Nachahmung der griechischen gehalten wurden, konnte Leo zeigen, daß sie die griechischen Vorbilder umgestalteten und daß dabei etwas Neues entstanden ist. Schließ-
lich schrieb er die erste - freilich nicht vollendete - römische Literaturgeschichte.98 Der Gelehrte erhielt erst vergleichsweise spät® eine ordentliche Professur: 1885 in Rostock, von wo er 1888 nach Straßburg berufen wurde, um ein Jahr
spüter nach Góttingen zu kommen, das er bis zu seinem plützlichen Tod im Januar 1914, ein halbes Jahr vor Beginn des Ersten Weltkrieges, nicht mehr verlassen wollte. Um keine kostbare Zeit zu verlieren, lehnte er den ehrenvol-
len Ruf an die Universität Berlin ab, wohin ihn Wilamowitz gerne geholt hätte.
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
45
Seine Rolle für die Geschichte der Latinistik und seine Leistungen in vielen verschiedenen Bereichen!9? der klassischen Philologie schildert eingehend und spannend einer seiner besten und nächsten Schüler, nämlich Eduard
Fraenkel, in seiner Einleitung zu der von ihm herausgegebenen Sammlung Leoscher Vortrüge und Aufsütze. Die postume Ausgabe sei hier ausdrücklich erwähnt, weil ihr Schicksal in unserem Zusammenhang aufschlußreich ist. Sie erschien erst ein halbes Jahrhundert nach Leos Tod. Das sonst übliche Verfahren, verstreute Aufsütze und Vortrüge gleich nach dem Tod des Gelehrten zu veröffentlichen, wurde zunächst durch den Beginn des Ersten Weltkrieges verhindert. Nach dem Krieg gab es bei Weidmann, dem „Haus- und
Hofverlag“ der Altertumswissenschaften in Berlin neben Teubner in Leipzig, finanzielle Hindernisse, ausgelóst durch die Weltwirtschaftskrise. Als diese endlich behoben waren und Fraenkel mit dem Weidmannschen Verlag über
die Ausgabe in Verhandlungen stand, kamen die Nationalsozialisten an die Macht: Die Edition der Schriften eines jüdischen Wissenschaftlers durch einen anderen war in Deutschland nicht mehr móglich. In der Zeit des Dritten Reichs versuchte man sogar, Leos Namen in Verges-
senheit zu bringen. Seine Schriften wurden nicht mehr neu aufgelegt, er fiel unter das allgemeine Zitatverbot jüdischer Autoren. Im Góttinger Institut für Altertumskunde mußte sein Bild entfernt werden. Ob der Anweisung, seine Bücher aus der Seminarbibliothek zu entfernen, gefolgt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Sein Herausgeber mußte Deutschland verlassen. Fraenkel
konnte erst im Laufe der fünfziger Jahre einen Verlag für die Herausgabe der verstreuten kleinen Schriften gewinnen. Es war allerdings kein deutscher, sondern
ein italienischer Verleger, der sich bereit fand, Leos Schriften in
deutscher Sprache zu veróffentlichen.10t Der Nachdruck seiner wichtigsten Werke begann in Deutschland erst Ende
der fünfziger Jahre. 1962 konnte ein „Wege der Forschung“-Band über „Römertum“, ein von weiterentwickelte,
Leo geprägter Begriff, erscheinen, der Gedanken Leos ohne jedoch ihn zu nennen.!% Der Herausgeber Hans
Oppermann hatte sich allerdings schon in der Zeit des Nationalsozialismus mit einschlügigen antisemitischen Schriften bekannt gemacht.105 So scheint es weniger verwunderlich, daß er Leo nicht erwähnt. Die Zusammenarbeit von Wilamowitz und Leo am Góttinger Institut wührte
acht Jahre. Leo, seit 1895 Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften, betreute die Vorarbeiten zum Thesaurus Linguae Latinae und leitete die Góttinger Arbeitsstelle. Wilamowitz reorganisierte die Akademie der Wissenschaften und arbeitete eng mit der naturwissenschaftlichen Abteilung der philosophischen Fakultät, namentlich mit Felix Klein, zusammen.!% 1897 allerdings konnte er den Wunsch von Althoff und Mommsen nicht länger
abiehnen und folgte einem Ruf an die Berliner Universität. Georg Kaibel, der mit Wilamowitz in Bonn zusammen
studiert hatte und Leos bester Freund
geworden war, wurde sein Nachfolger in Göttingen. DaB die wissenschaftliche Schule und Tradition nach Wilamowitz' Weggang in Góttingen nicht abbrach, ist Leos Verdienst. Nicht nur, daß er vielen Schülern die neuen Wege der
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ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN
PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
Latinistik zeigte, er setzte sich dafür ein, daß Wissenschaftler, die bei ihm und
Wilamowitz
gelernt hatten,
nach
Góttingen
berufen
wurden.
Dieser von
beiden eingeschlagene Weg wurde auch von den Nachfolgern Leos gegangen,
so daß bis 1955 — also mehr als 50 Jahre lang - ein Kontinuum!05 in Forschung und Lehre herrschte und Góttingen in der Weimarer Republik zu einem allerorten hochangesehenen Zentrum der altertumswissenschaftlichen Forschung wurde. An keiner anderen Universität (ausgenommen vielleicht Berlin) war die Wilamowitzsche Auffassung der Altertumswissenschaften über so lange Zeit durchgängig von allen Lehrenden so vielgestaltig vertreten und weitergeführt worden.
1.3.4
Wilamowitz als wissenschaftlicher Organisator
Nachdem Wilhelm I. am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles zum deutschen Kaiser proklamiert worden war, setzte im nun geeinigten deutschen Kaiserreich der großzügige Ausbau von Hochschulen und Universitäten
ein. Das kam dem in der Alten Geschichte und der klassischen Philologie seit 1890 führenden Wissenschaftlerpaar Mommsen und Wilamowitz entgegen. Ihre wissenschaftliche und hochschulpolitische Zusammenarbeit dokumentiert eingehend und spannend der fast tägliche Briefwechsel!?7, der im Jahre 1872 begann und mit Mommsens Tod im Jahr 1905 endete. Er zeigt eindringlich die Form der Zusammenarbeit, die in ihrer Intensität und gegenseitigen Ergänzung!® an die der später führenden Mathematiker und Physiker in Berlin und Göttingen (Einstein, Planck, Born, Franck, Courant u. a.) erinnert.
Aus ihm läßt sich auch die Entstehung einer der einflußreichsten wissenschaftlichen Schulen im Bereich der Altertumswissenschaften ersehen. Sie entwickelte sich aufgrund der finanziellen Ressourcen, die Mommsen organisieren konnte, und der notwendig sich ergebenden Arbeitsteilung. Die Verteilung von Aufgaben, wie z. B. der Handschriftenkollation an ausländischen Bibliotheken, der Textedition, der Inschriftensammlung und an-
deres mehr, an Kollegen sowie junge Wissenschaftler ermöglichte nicht nur eine Fächer und Länder übergreifende Zusammenarbeit, sie wirkte sich auch
auf die Ausbreitung und Weiterentwicklung der wissenschaftlichen Auffassung und Methode von Mommsen!% und Wilamowitz aus, die schließlich zu wichtigen Neuentdeckungen ihrer Schüler führte. Wilamowitz wirkte besonders durch seine Fähigkeit, das unglaublich vielfältig gewordene
Wissensgebiet,
das
er souverän
beherrschte,
bei seiner
Interpretation der griechischen Texte anzuwenden und diese vor allem im Unterricht den Hörern lebendig nahezubringen, so daß später auch viele Nichtphilologen in Berlin nachgerade zu seinen öffentlichen Vorlesungen hinpilgerten, um kein Wort zu versäumen. Die Bemerkungen, Nachrufe und Erinnerungen seiner Schüler und Hörer spiegeln alle übereinstimmend diese herausragende Fähigkeit und Anziehungskraft von Wilamowitz.110 Nicht genug damit, daß er von 1876 bis zu seinem Tode im Jahre 1931 viele
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
45
Generationen von Wissenschaftlern prägte, er unternahm es, seine Zusam-
menarbeit mit Mommsen
an der Berliner Universität zu institutionalisieren
und damit eine Reihe von Gründungen der gleichen Art auszulösen. 1897 richtete er mit seinem Studienfreund Hermann Diels zusammen das Berliner „Institut für Altertumskunde“ ein, das die Fächer Alte Geschichte und Klassi-
sche Philologie vereinigte.!!! Otto Hirschfeld, der Schüler und Nachfolger Mommsens, und Ulrich Köhler als Leiter der griechischen Abteilung vertraten
das Fach Alte Geschichte. Das Institut erhielt später eine gemeinsame Bibliothek, Arbeitsräume und einen Hörsaal, in dem eine Marmorbüste Mommsens neben der von A. Boeckh stand, so daß die wissenschaftliche Ausrichtung
schon an dem Schmuck des Hörsaals abzulesen war. Die Ordinarien (zuerst vier, nach Eduard Nordens Berufung fünf) wechselten in der Leitung des Instituts ab. Außerdem konnte Wilamowitz die Stelle eines Assistenten für das Institut aushandeln. Das Institut für Altertumskunde, „das nun [1915/16, C. W.] in prächtigen Räumen vereinigt alle Zweige unserer Wissenschaft in vorbildlicher Weise umfaßt“!12, arbeitete mit der Berliner Akademie der Wissenschaften zusammen. Daß sich Wilamowitz’ Versuch der Institutionalisierung wissenschaftlicher Zusammenarbeit durchsetzte, zeigen die 1922 erfolgte Gründung einer Kommission für griechisch-römische Altertumskunde an der Berliner Akademie der Wissenschaften!!5 und all die, nach dem Berliner Modell an anderen Universitäten gegründeten Institute für Altertumskunde (Münster, Göttingen etc.). Wilamowitz war auch Mitglied der Zentraldirektion des Deutschen
Archäologischen Instituts in Berlin. Dieses Institut hatte in Rom und Athen Zweigstellen. Das Schicksal des archäologischen Instituts lag ihm besonders am Herzen, weil er die Wichtigkeit der Einbeziehung von archäologischen
Kenntnissen in die Philologie und vice versa erkannt hatte.!!* Das Fach hatte sich aber schon so sehr spezialisiert, daß Wilamowitz’ Versuche, die Separierung zu überwinden, scheitern mußten. Im Laufe seiner 50jährigen Lehrtätigkeit zog Wilamowitz viele Schüler an: Sieben Jahre lehrte er an der Universität Greifswald (1876-1883), 14 Jahre an
der Universität Göttingen (1883-1897) und 32 Jahre an der Universität Berlin (1897-1929). “His numerous former students, including about twenty . . . who held chairs, were now scholars in their own right; unlike most ofhis colleagues he was not in the habit of referring to them as his 'Schüler' or claiming, if only by implication, credit for high-class work they had done or for suggestions of
his that had inspired their productions.”115 Es stellt sich hier die Frage, in welchem Sinn man von ,Schülern* und von einer Wilamowitzschule sprechen kann. Die für wissenschaftliche Schulen
kennzeichnenden Merkmale und Bedingungen sind in unserem Fall gegeben: 1. gibt es eine Person, die im Zentrum eines Netzes von wissenschafllichem Austausch steht, 2. gibt es einen institutionellen Rahmen und die Verfügung über Publikationsorgane und 5. lassen sich fachinhaitlich gemeinsame Per-
spektiven
auf den Gegenstandsbereich
Vorgehensweise zeigen.
und
eine spezifische methodische
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ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
Man kann von einer Wilamowitzschule sprechen, auch wenn Wilamowitz
nie von „seinen Schülern“ sprach, wie Friedrich Solmsen berichtet, der in den letzten Jahren Teilnehmer an dem Privatissimum, genannt „Graeca“, war.!16
Schon vor Wilamowitz’ Emeritierung im WS 1921/22 trafen sich junge Philologen alle 14 Tage am Samstagnachmittag für ca. zwei Stunden in Wilamowitz' Haus, um einen griechischen Text zu studieren. Wilamowitz veranstaltete die
„Graeca“ von 1919 bis Mai 1931, einige Monate vor seinem Tod am 25. September 1931. Unter den Teilnehmern waren nach Solmsens Aufzählung Günther Klaffenbach und Friedrich Spiro (Herausgeber des Pausanias), Paul Maas (19211950), Walther Kranz (1919-1928) und Luise Reinhard, Eduard Fraenkel (bis 1925) und Otto Regenbogen (bis 1925). Rudolf Pfeiffer (einige Monate im Jahr 1923), Friedrich Klingner und Franz Beckmann haben wahrscheinlich teilgenommen.
In den letzten Jahren kamen außer Solmsen Richard Harder, Wolf-
gang Schadewaldt, Harald Fuchs, Richard Walzer und Karl Deichgräber hinzu, sobald sie ihre Dissertation beendet hatten. Auch Werner Kappler und Werner Peek nahmen bis Mai 1951 teil. Die zuletzt genannten Teilnehmer der „Grae-
ca“ gehören zu der jüngsten Schülergeneration. Zu der älteren Generation!17 zählen u. a. Eduard
Schwartz,
Hans
von
Arnim, Johannes Geffcken, Ludwig Traube, Wilhelm Schulze, Paul Wendiand
und Max Pohlenz aus Wilamowitz’ Greifswalder und Göttinger Jahren. In Berlin waren es dann vor allem Felix Jacoby, Paul Maas, Paul Friedländer, Karl Reinhardt, Eduard Fraenkel und Werner Jaeger. Dazu kamen Ludolf
Malten, Giorgio Pasquali, Peter von der Mühll und Hermann Fränkel. ' Für die Generation, die nach dem Ersten Weltkrieg studierte, stellt Solmsen
fest!!8, daß sie sich mehr an Werner Jaeger, Karl Reinhardt, Eduard Fraenkel und Otto Regenbogen orientierte: Das sind vor allem Schadewaldt, Harder, Skutsch und Rohde. Otto Skutsch studierte bei Eduard Fraenkel, Georg Rohde
bei Otto Regenbogen, Wolfgang Schadewaldt und Richard Harder bei Werner Jaeger. Rudolf Pfeiffer ist sozusagen ein Enkelschüler: Er studierte bei Eduard Schwartz in München. Schließlich gab es Wissenschaftler, von denen Wilamowitz so beeindruckt war, daß er sie förderte, indem er sie für wissenschaftliche Projekte vorschlug:
So wurde z. B. Kurt Latte zum Mitherausgeber der griechischen Lexikographen. Wilamowitz hatte ihn an A. B. Drachmann (Akademie der Wissenschaften, Kopenhagen) empfohlen.!19 Die meisten seiner Schüler erhielten Lehrstühle, zum großen Teil mit Hilfe seiner Vermittlung. 120
Der institutionelle Rahmen der Wilamowitzschule entstand mit der Gründung von Instituten für Altertumskunde an einigen Universitäten, der Leitung verschiedener größerer Forschungsunternehmen und Kommissionen (etwa an der Berliner Akademie der Wissenschaften)!?!, aber auch mit der Vermitt-
lung von Wissenschaftlern für Forschungsprojekte sowie mit dem erheblichen Einfluß bei Berufungen!22: Wilamowitz wurde immer wieder um Vorschläge und Empfehlungen gebeten. Die Schule verfügte auch über Zeitschriften und Publikationsorgane, um die wissenschaftliche Diskussion zu führen: Wilamo-
Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff
47
witz selbst bzw. seine Freunde und Schüler waren Herausgeber bzw. Mitherausgeber u. a. folgender Zeitschriften: „Philologus“, „Hermes“, „Die Antike“, „Gnomon“ und der Reihe „Philologische Untersuchungen“.
So wie Wilamowitz nicht von seinen „Schülern“ sprach, so hatte er auch, wie oben schon erwähnt, kein offizielles Manifest hinterlassen, das Auskunft über die theoretische und inhaltliche Ausrichtung der Wilamowitzschule gibt. Die Neuerungen, die vor allem auf Wilamowitz, Mommsen und Leo im
Bereich der klassischen Philologie und der angrenzenden Disziplinen zurückzuführen sind und die von den meisten ihrer Schüler über wenigstens zwei Generationen weitergeführt und weiterentwickelt wurden, lassen sich so zusammenfassen: 1. Die Integration und Synthese der verschiedenen Spezialrichtungen innerhalb der Altertumsforschung holte die Philologie, die um die Mitte des Jahrhunderts sich wieder auf Textkritik und Lehre der Editionstechnik zu beschränken drohte, aus unfruchtbarer Isolation heraus. 2. Die Interdisziplinarität wurde zum Forschungsprogramm erhoben, verbunden mit einer weitgehend empirischen Vorgehensweise: Letztere bein-
haltet einerseits die Erforschung durch Reisen an die Orte des Geschehens und andererseits die fortlaufende Revision der Ergebnisse und einmal aufgestellter Regeln durch die Texte selbst und durch neue Funde. 3. Die historisch-kritisch vorgehende Interpretation leistete eine weitgehende Ablösung von der Normativität des klassischen Ideals der Griechen.
Damit ging die Entdeckung neuer Gebiete und die Erforschung bisher unbeachteter Epochen einher. Das vergleichsweise Antike erlaubte eine verstärkte Wahrnehmung
realistische Verhältnis zur des Fremdartigen und des
historisch Unvergleichbaren der griechisch-römischen Gesellschaft. 4. Ein neues Interesse für die römische Literatur weckte die Entdeckung
der eigenständigen Leistung der Römer und damit die Ablösung des Bildes von den Römern
als den bloßen Nachahmern
der Griechen auf kulturellem
Gebiet. 5. Die Wilamowitzschule brachte für eine Zeitlang auch einen neuen Wissenschaftsstil auf: Er äußerte sich in verstärkter interdisziplinärer Zusam-
menarbeit. Durch das gemeinsame Interesse am Forschungsergebnis kooperierte
man
über vorhandene
Schranken
hinweg.
Zeitweise
trat sogar die
aktuelle Verwertbarkeit des Erforschten in den Hintergrund. Die neue Wissenschaftlichkeit war ausreichende Legitimierung. Man mußte nicht unbedingt auf einen Wert der Antike für die Gegenwart verweisen, um seine
Forschung akzeptabel für sich und andere zu machen.!?5 Der neue Wissenschaftsstil manifestierte sich auch in langfristigen Projekten, die nur durch die Zusammenarbeit vieler Wissenschaftler über mehrere Generationen hin-
weg durchführbar waren.
48
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
1.4 Philologie und Nationalismus 1.4.1
Wilamowitz und der Erste Weltkrieg
Die Wirkungsgeschichte des Altertums im Deutschland des 19. Jahrhunderts ist eng mit der politischen Ausrichtung einzelner Wissenschaftler einerseits
und
der Vorbildfunktion
der Antike
andererseits
verbunden.
Seit Fichtes
„Reden an die deutsche Nation“, seit Goethe und W. v. Humboldt wirkte die
Antike bestimmend für die deutsche Kultur. Man fühlte sich als genuiner Erbe der griechischen Literatur, Ethik und Ästhetik. So war es möglich, daß der
Rückgriff auf die Griechen und Römer eine gemeinsame Identität herstellen half, auf die sich dann 1870/71 die junge deutsche Nation berufen konnte. Die
Antike erhielt eine identitätsstiftende und legitimierende Funktion. Schon der Klassizismus der franzósischen Revolutionszeit füllte die Catound Tyrannenmörder-Idole mit republikanischem und heroischem Geist.125 Gleichzeitig machte beispielsweise das Demosthenesbild in Deutschland einen von der aktuellen Politik bestimmten Wandel durch: vom Demosthenes, als letztem Vertreter des freien ,demokratischen" Griechenlands, der in
seinen Reden gegen den Makedonenkónig Philipp die drohende Gefahr „absolutistischer Herrschaft“ zu bekämpfen auffordert, über den Demosthenes,
der gegen Philipp/Napoleon um die nationale Einheit kámpft, zum Demosthenes als Erzieher seines Volkes. Je nach politischer Einstellung des Autors
wurde Demosthenes dann um die Wende zum 20. Jahrhundert als Vertreter der Idee eines liberalen Nationalstaates entweder aufgewertet oder gerade dafür kritisiert.125 Seine Reden gegen König Philipp wurden schließlich in unserem Jahrhundert zum Vorbild für Propagandareden, die zum Krieg aufrufen, benützt. Die unausgesprochen vom politischen Horizont des jeweiligen Wissenschaftlers
und
der jeweiligen
Zeit geprägte
Interpretation
antiker
Texte ist erst heute unüblich geworden. Sie hatte vor dem Nationalsozialismus schon eine lange Tradition, der auch Philologen und Historiker mit sehr hohen
wissenschaftlichen Standards sich nicht entzogen.126 Die historisch orientierte Wilamowitzschule bot genügend Ansätze gegen solche Formen der Aktualisierung, die aber aus zwei Gründen erst viel später
zum Tragen kommen sollten: Zum einen wirkte sich der Anspruch auf Vergegenwärtigung und Verlebendigung der Antike, dem Wilamowitz in seinen Werken, aber vor allem in seinen öffentlichen Vorlesungen und Reden
für ein Laienpublikum folgte, hinderlich aus.!27 Wo soll man die Grenzen für den Versuch der Vergegenwärtigung setzen? Bei aller Mühe um wissenschaftliche Genauigkeit bleibt das Feld für Parallelisierungen zumindest offen und von dem Geschmack und Temperament, aber auch von der politischen Einstellung des jeweiligen Wissenschaftlers abhängig. Zum anderen waren „die Vertreter jener in wissenschafticher Hinsicht durchaus vorwärtsweisenden
Konzeption (scil. die Wilamowitzschule) nach ihrer gesellschaftlichen Stellung und politischen Überzeugung durch und durch mit dem monarchischen System verbunden" 28,
Philologie und Nationalismus
49
So revolutionär Wilamowitz auf wissenschaftlichem Gebiet wirkte, so konservativ war er in politischen Belangen. Das teilte er mit dem Gros seiner Kollegen. Bei diesen kam dann noch der Antisemitismus hinzu. Bekannt ist,
daß seit der Reichsgründung (1871) eine sich steigernde nationalistische und antidemokratische Haltung für die deutschen Hochschulen und ihre Profes-
soren repräsentativ war.12? Hier sollen einige Beispiele genannt werden, die m. E. eindrucksvoll zeigen, daß sich diese Haltung keineswegs auf den Bereich des mehr oder weniger Privaten beschränkte.
Daß des Kaisers Geburtstag von der Universität Göttingen, die sich mehr dem mittlerweile entthronten englisch-hannoverschen Königshaus verpflichtet fühlte, nicht feierlich begangen wurde, empfand Wilamowitz als Skandal.
Er setzte sich mit anderen jüngeren Kollegen für die Einführung einer von der Universität veranstalteten öffentlichen Feier des Geburtstags ein. Bei der ersten, im Jahr 1885, hielt er auch die Festrede mit dem Titel „Basileia“1%., Später gab es zwischen ihm und Mommsen eine gewisse Entfremdung, weil
Mommsen, der die Einigung des Deutschen Reiches unter Wilhelm I. begrüßt hatte, der Politik Bismarcks zunehmend kritischer gegenüberstand. Mit dem
Beginn des Ersten Weltkrieges!*! - Mommsen war schon lange tot - änderte sich Wilamowitz’ zurückhaltendes Verhalten in politischen Belangen.
Der Beginn des Ersten Weltkriegs mit der Kriegserklärung an Rußland am 1. August 1914 war von Euphorie begleitet. „So muß denn das Schwert entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen! Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande. Um Sein oder Nichtsein unseres Reiches handelt es sich, das unsere Väter sich neu gründe-
ten. Um Sein oder Nichtsein deutscher Macht und deutschen Wesens. Wir werden uns wehren bis zum letzten Hauch von Mann und Roß, und wir werden diesen Kampf bestehen auch gegen eine Welt von Feinden. Noch nie ward Deutschland überwunden, wenn es einig war!“132 So formulierte Kaiser Wilhelm Il. die Kriegsziele am 6. August 1914. Der Enthusiasmus der ersten Augusitage bezog sich auf die scheinbar wiederhergestellte Gemeinschaft aller Deutschen: Die politischen, konfessionellen und sozialen Differenzen
und Ungleichheiten schienen mit der Mobilmachung eingeschmolzen. Die schon einmal durch Kriege geeinigte Nation konnte in diesem neuerlichen
Krieg die durch die Modernisierung und Industrialisierung aufgebrochenen Differenzen wieder zum Verschwinden bringen. Unter der von Wilamowitz formulierten Devise, „Wir sind von dem Preu-
Bentume, von dem Militarismus genauso besessen wie das ganze deutsche Volk. Unsere jüngeren Kollegen beweisen es den Feinden mit der Waffe in der Hand. Wir älteren, die wir uns dieses Mal durch unsere Söhne und Schüler vertreten lassen müssen, haben nur die Waffe des Wortes“ (Hervor-
hebung C. W.)133, stürzten sich Wissenschaftler, Schriftsteller und Journalisten in den „Krieg der Geister“, der uns heute eher gespenstisch als geistvoll anmutet. Intellektuelle aller kriegführenden Länder beteiligten sich in ihrer überwiegenden Mehrheit im Dienst der jeweiligen Nation an dem mit Papier und
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ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
Feder geführten Krieg. Die noch zarten Fäden der internationalen Gelehrtenrepublik zerrissen ebenso wie die internationale Solidarität, die die Sozialde-
mokratie auf ihre Fahnen geschrieben hatte. „Die apologetische Rechtfertigung der eigenen Kriegführung, die Versuche einer Sinngebung des Krieges verfestigten Mentalitäten, schufen Ideologien, produzierten Haltungen, die den Krieg überdauerten, die politische Kultur der Nachkriegszeit vergifteten und schließlich die Argumente für das neue Völkermorden lieferten, das im
September 1939 begann“, beurteilt Bernhard vom Brocke in seiner zusammenfassenden Studie über den „Krieg der Geister“ dessen Funktion und Folgen.!5* Die Sinngebung des Krieges auf deutscher Seite, zusammengefaßt in den sogenannten „Ideen von 1914*135, sprach der deutschen Nation eine
besondere und den anderen europäischen Staaten überlegene Sendung zu. »Die Erlebnisse des Weltkrieges haben den Zusammenbruch der Ideale der Franzósischen Revolution dargetan. Die Ideen der Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sind durch die Ideen von 1914, Pflicht, Ordnung, Gerechtigkeit, überwunden", urteilte der Historiker Georg von Below 1917, im Rückblick die
Euphorie der ersten Kriegstage beschwörend.!3% Ringer analysiert die tiefer liegenden Motive der Kriegsbegeisterung, die fast alle deutschen Gelehrten erfaßte: Durch den nationalen Zusammenschluß wurden dringend nötige Reformen für eine weitergehende Demokratisierung aufgeschoben. Sie hätten die Position der „Mandarine“ geschwücht.!57 Ihr politischer Einflußbereich würe durch neu aufsteigende Gruppen eingeschrünkt worden, was in der Weimarer Republik dann tatsáchlich der Fall war. Auslöser des „Kriegs der Geister“ war der berüchtigte Aufruf „An die Kulturwelt“, der von 93 der bekanntesten deutschen Wissenschaftler und Künstler unterschrieben wurde, unter ihnen Max Planck, Fritz Haber, Max Liebermann, Max Reinhardt und Wilamowitz. Der Aufruf reagierte auf die
Berichterstattung zu dem deutschen Überfall auf das neutrale Belgien. Er erklärte diese zur Greuelpropaganda und behauptete indirekt die völlige Unschuld Deutschlands am Krieg. Die sechs Thesen des Aufrufs beginnen jeweils mit den Worten „Es ist nicht wahr, daß.. .“. Für die dieser Einleitung
folgenden, zum größten Teil falschen und unwahren Behauptungen standen die Unterzeichner mit ihrer Ehre ein und forderten auf: „Glaubt uns! Glaubt,
daß wir diesen Kampf zu Ende kämpfen werden als ein Kulturvolk, dem das Vermächtnis eines Goethe, eines Beethoven, eines Kant ebenso heilig ist wie sein Herd und seine Scholle!*!38 Englische, französische, russische und amerikanische Gelehrte, Künstler und Journalisten antworteten auf den am 4. Ok-
tober 1914 in allen großen Tageszeitungen des Reiches veröffentlichten und in zehn Sprachen übersetzten und verschickten Aufruf. Die Verletzung der belgischen Neutralität, die grausame deutsche Kriegführung in Löwen und vor allem die von den Unterzeichnern verkündete Mission, durch das deut-
sche Kulturerbe zur Vorherrschaft in Europa berufen zu sein und sie auch erkämpfen zu wollen, erregte Mißfallen, Befremden und Enttäuschung. Die Arroganz der deutschen Wissenschaftler erzeugte breite Ablehnung und die Abwendung von dem bisherigen Bild der deutschen Gelehrtenrepublik in
Philologie und Nationalismus
51
aller Welt, besonders aber bei den Intellektuellen in Frankreich, England und den Vereinigten Staaten. Man versuchte in einer ersten Reaktion, zwischen dem preußisch-militaristischen und dem gelehrten Deutschland zu unterscheiden. Auf diese These von den „zwei Deutschland“ reagierte dann die am 16. Oktober von Wilamowitz angeregte und verfaßte „Erklärung der Hochschullehrer des Deutschen Reiches“, die von mehr als 4000 Gelehrten der 53 deutschen Hochschulen und Universitäten namentlich unterzeichnet wurde: „Wir Lehrer an Deutschlands Universitäten und Hochschulen dienen der Wissenschaft und treiben ein Werk des Friedens. Aber es erfüllt uns mit Entrüstung, daß die Feinde Deutschlands, England an der Spitze, angeblich zu unseren Gun-
sten einen Gegensatz machen wollen zwischen dem Geiste der deutschen Wissenschaft und dem, was sie den preußischen Militarismus nennen. Indem deutschen Heere ist kein anderer Geist als in dem deutschen Volke, denn
beide sind eins... . Unser Heer pflegt auch die Wissenschaft. . . Der Dienst im Heere macht unsere Jugend tüchtig .. ., auch für die Wissenschaft . . . Jetzt steht unser Heer im Kampfe für Deutschlands Freiheit und damit für alle Güter des Friedens und der Gesittung nicht nur in Deutschland. Unser Glaube
ist, daß für die ganze Kultur Europas das Heil an dem Siege hängt, den der deutsche
‚Militarismus‘ erkämpfen
wird, die Manneszucht,
die Treue, der
Opfermut des eintrüchtigen freien deutschen Volkes.“159 Wilamowitz, an der Spitze der überwültigenden Mehrheit der Hochschullehrer, verwechselte nicht Kultur mit Krieg - wie Nietzsche noch 1875 die Feier des Sieges der Kultur über Frankreich beschrieb -, sondern erklürte den Krieg zum Bestandteil der deutschen Kultur, mit Hilfe dessen die deutsche Kultur gegen die westeuropüische Moderne sich durchsetzen wollte. Der Rückgriff auf „Hellas“ blieb nicht aus: „Was ist . . . der angebliche Militarismus Deutschlands, dies unverstandene Schlagwort, mit dem unsre Feinde Stim-
mung
gegen
uns zu machen
suchen?
Das Volk in Waffen, geschult und
gerüstet zur Verteidigung des Vaterlandes und der Heimat. Das Bürgerheer. Derselbe Geist, der vor Jahrtausenden in Hellas die siegreichen Schlachten
gegen die Perser geschlagen hat. Was ein deutscher Dichter und Patriot vor hundert Jahren sagte, gilt noch heute: in Deutschlands Lager ist die Sache der Freiheit und Menschlichkeit, die Sache Europas, nicht bei den Erben Napole-
ons und der persischen Großkönige ... Vor zweieinhalb Jahrtausenden entstand in Alt-Hellas der Begriff Europa und mehr als das, die europäische Gesinnung, jener Geist der Selbständigkeit, Freiheit, Menschlichkeit, der aus
den Meisterwerken griechischer Kunst und Weisheit uns gerade in diesen Schicksalsstunden mahnend anspricht. Diese europäische Gesinnung ist von unsern Gegnern ihren Machtansprüchen zum Opfer gefallen. Das alte Europa
ist von ihnen zerschlagen . . .^ (Hervorhebung C. W.).14? Diese Beispiele mógen genügen, um die Sinngebung des Krieges und das unter Rückgriff auf den
griechischen „Geist“ überhóhte Sendungsbewußtsein des deutschen Nationalismus im Ersten Weltkrieg zu zeigen. Wilamowitz,
der wahrscheinlich
am
ersten Entwurf des Aufrufs „An die
52
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19.
JAHRHUNDERT
Kulturwelt!“ vom 4. Oktober 1914 beteiligt und Verfasser der „Erklärung der Hochschullehrer . . .*^ vom 16. Oktober war, eröffnete auch die Vortragsreihe Berliner Hochschullehrer „Deutsche Reden in schwerer Zeit“ im August 1914.1*! In dieser Reihe hielt er mehrere „Kriegsreden“, u. a. „Militarismus
und Wissenschaft“. Schon im Februar 1915 wurde er zusammen mit v. Harnack,
Dörpfeld
und
anderen
Unterzeichnern
des „Aufrufs der 95“ aus der
Pariser Akademie der Wissenschaften ausgeschlossen. 1#2 Bald spaltete sich aber die Gruppe der Gelehrten an der Frage der Kriegsziele. Im Juli 1915 setzte Wilamowitz sich auf der Seite der „Annexionisten“ in der Kriegszieldiskussion für einen „Siegfrieden“ gegen einen „Verhandlungsfrieden“ ein. Die Annexionisten traten für die Weiterführung des Krieges ein. Um vom „Feind“ nicht „in die Knie gezwungen zu werden“ und um vor „geplanter
Verstümmelung
und
Zerstückelung“
geschützt
zu sein, sollten
weite Teile Europas erobert werden, bevor man auf Verhandlungen eingehen wolle. Dokumentiert ist die Argumentation der Annexionisten u. a. in einem Aufruf „An unser Volk!“, der ein Jahr später, im Juli 1916, von Wilamowitz —
seit Oktober 1915 Rektor der Berliner Universität - sowie den Vertretern der „Ultra-Annexionisten“, u. a. Seeberg und Schäfer, unterschrieben und an alle
Universitäten des Deutschen Reiches verschickt worden war. Der Aufruf mußte dann aber aufgrund eines Protestes der Vertreter der „gemäßigten“ Hochschullehrer, die für eine rasche Beendigung des Krieges eintraten, darunter Otto Hintze, Herkner und Meinecke, im Namen von Troeltsch, Diels
und Planck zurückgezogen werden!#5 (vgl. Anhang 4). Aber Wilamowitz gab nicht auf. Er setzte sich mit seinem unbeschränkten U-Boot-Krieg gegen England ein und trat der aus Protest gegen die Friedensresolution des Reichstags vom deten „Deutschen Vaterlandspartei“ als Direktoriumsmitglied
Namen für den im August 1917 19. Juli gegrünbei.1** Das Ein-
treten Berliner Hochschullehrer und Wissenschaftler für ein „Durchhalten“
fand seine Ergänzung in der Initiative Fritz Habers, eines jüdischen patriotischen Naturwissenschaftlers, für die Aufstellung eines Pionierregimentes. In diesem Pionierregiment 56 waren seit 1915 spüter berühmt gewordene Naturwissenschaftler versammelt, die den von der Haager Konvention ausdrücklich verbotenen Giftgaskrieg probten. James Franck, Otto Hahn, Gustav Hertz,
Wilhelm Westphal und Erwin Madelung experimentierten mit dem Stoff Phosgen.1*5 Albert Einstein, den Max Planck und Walther Nernst 1914 erfolgreich nach Berlin geholt hatten, und der damals an der Akademie der Wissenschaften forschte, war wohl einer der wenigen Wissenschaftler, der sich von
Anfang an gegen den Krieg aussprach und sich der Kriegseuphorie entziehen konnte.148 Der Erste Weltkrieg endete erst mit dem Aufgeben der Generäle. Diese schoben die Niederlage auf die Soldatenrüte und die Sozialdemokratie, die auf
innere Reformen
gedrungen
hatten. Damit konnten sich die Generäle als
„unbesiegte Helden“, denen in den Rücken gefallen worden sei, in der Öffent-
lichkeit darstellen. Über eineinhalb Jahrzehnte hielten sie in eigens zu diesem Zweck herausgegebenen Zeitschriften und dem 1931 gegründeten Verein
Philologie und Nationalismus
55
„Wehrwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft“ die Kriegsstimmung für eine erhoffte Gelegenheit zur Revanche am Leben.!#’ Auch für die Gelehrten bedeutete das Kriegsende einen Absturz der imperialen Träume. Der „Krieg der Geister“ fand sein vorläufiges Ende im Ausschluß der österreichischen und deutschen Gelehrten-Korporationen aus der 1922 im Rahmen des Völker-
bundes neu gegründeten „Commission internationale de Cooperation intellectuelle“ und in einem langjährigen Boykott der deutschen Wissenschaften.
Der Ausschluß wurde erst im Jahr 1928 wiederaufgehoben.!48 Mit dem Ende des Ersten Weltkriegs, der Bekanntgabe des Thronverzichts Wilhelms Il., der Ausrufung der Republik und der Übertragung der Regie-
rungsbildung an den SPD-Vorsitzenden Friedrich Ebert im November 1918, brach für sehr viele Hochschullehrer eine Welt zusammen. Mit vielen anderen
teilte auch Wilamowitz das Gefühl des Betrogenseins: Die neue Welt, die so gar nicht den erträumten Kriegszielen entsprach, lehnte er ab. „Ich habe die
Selbstzerstórung, Selbstentmannung meines Volkes erleben müssen. In der Ochlokratie und unter den feigen oder feilen Schmeichlern, die sie in allen Ständen findet, ist für einen alten Mann, der sich seine Preußenehre von keinem Gott und keinem Menschen aus dem Herz reiBen läßt, kein Platz mehr.
Er hat nur abzusterben.^!49 Mit ,Selbstzerstórung" spielt Wilamowitz auf die Dolchstoßlegende an und
unterstellt damit, daß doch ein Sieg möglich gewesen wäre. „Selbstentmannung“ verstehe ich als Anspielung auf den verlorenen Kaiser. In seiner „Rede
zum Antritt des Rektorates der Königlichen Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin“, die Wilamowitz am 15. Oktober 1915 gehalten hatte, fragt sich Wilamowitz zum Schluß: „Was fühlt da der Preuße, wie spricht er aus, was er fühlt? Da genügt die akademische Gemessenheit nicht, zu der ich mich bisher
gezwungen habe. Das Herz ist zu voll. Der Professor genügt nicht: der Mann will sein Recht, der Preuße. Die Universität, das sind nicht bloß wir, die dazu verdammt sind hier zu sitzen, das sind auch die Glücklichen draußen, denen es vergönnt war, die Waffe für König und Vaterland zu führen, das sind auch die, welche für König und Vaterland den Tod gefunden haben. Heute ist es grade auf den Tag ein Jahr, daß mein ältester Sohn diesen schönsten Tod gestorben ist... Wohlan denn, lassen Sie uns gemeinsam unser Preußenlied singen, und sei uns das Bekenntnis zum Preußentume ein Gelöbnis, dem Kaiser und dem Reiche Treue zu halten, sei’s trüber Tag, sei’s heller Sonnenschein, im Leben und im Tode.“!50 Ein preußisches Reich ohne König bzw. Kaiser wäre demnach kastriert, ohnmächtig der Herrschaft des Póbels und den Feinden ausgeliefert. Zum verlorenen Krieg kommt der Verlust des Kaisers hinzu und der nun vergebliche Tod seines Sohnes Tycho, der ebenfalls
klassischer Philologe war und ein unvollendetes Werk zurückließ. So nimmt es nicht wunder, daß Wilamowitz nach dem Höhenflug des nationalistischen Krieges die Depression ereilte. Er meinte wirklich, diesen Absturz nicht zu
überleben: „In der verzweifelten Stimmung gleich nach dem meines Vaterlandes glaubte ich auch meinen Tod nahe . . .*!5!
Untergang
Wilamowitz erholte sich zwar von diesem Schock, aber mit der Existenz der
54
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
Weimarer Republik konnte er sich bis zu seinem Tod nicht anfreunden. Als eine besondere Schmach empfand er wie viele andere den Versailler Vertrag mit den darin festgelegten Gebietsabtretungen, den Abrüstungsauflagen und den sehr hohen Reparationsverpflichtungen gegenüber Frankreich und England. Für ihn spricht, daB er später seine Unterschrift für den „Aufruf der 95“ kritisch beurteilte.!5? Auch seine undogmatische Haltung in wissenschaftlichen Belangen entspricht gar nicht dem Bild, das Ringer von den „orthodoxen“ Gelehrten entwirft, zu denen er Wilamowitz zählt.133 Diese waren politisch und wissenschaftlich konservativ. Allerdings fand auch Wilamowitz’ undogmatische Auffassung von Wissenschaft ihre Grenze, wenn es um die Kooperation mit Sozialisten oder ihnen nahestehende Gelehrte ging. Wie weit seine Abneigung ging, illustriert ein bisher unbekannter Brief Einsteins an Wilamowitz (vgl. Anhang 5). Wilamowitz, der sonst in wissenschaftlichen Belangen keine Einschränkung durch politische Meinung, Herkunft oder Ressentiments duldete, und der sich vielfach bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges für internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit eingesetzt hatte, verweigerte seine Unterschrift für die Förderung einer Initiative, die diese Zusammenarbeit wiederherstellen sollte. Der Grund war nach Einsteins Darstellung, daß Wilamowitz nicht zusammen mit dem „unabhängigen Sozialisten“ Einstein
auf einer Liste „figurieren“ wollte.
Einstein, dessen
Brief
meine einzige Quelle für den Vorgang ist!5*, bat Wilamowitz um ein Gespräch unter vier Augen und bot ihm die Zurückziehung seiner eigenen Unterschrift an - vielleicht weil er wußte, daß Wilamowitz’ Name zugkräftiger wirken mußte als der des zwar schon berühmten, aber wegen seines Pazifismus und des Einsatzes für die Weimarer Republik umstrittenen und zudem noch jüdischen Naturwissenschafters Einstein. Auch mit einem Lieblingsschüler von Mommsen, dem liberalen Theologen Adolf von Harnack, verkehrte Wilamowitz nur mehr auf ,neutralem* Boden von Universitát und Akademie, nachdem dieser sich wührend des Krieges für
einen Verstündigungsfrieden eingesetzt hatte und nun auf seiten der Republikaner stand.!55 Diese, dem wilhelminischen Kaiserreich nachtrauernde Haltung, die die Weimarer Republik als Abstieg des Deutschen Reichs in das Chaos erlebte, war repräsentativ für die schon vor dem Krieg „orthodoxen“
Hochschullehrer, auch für viele jüdische Wissenschaftler!56, die fast alle am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatten. Der Wechsel vom Kaiserreich zur Weimarer Republik war ein Ereignis, das die Zeitgenossen zu einer Stellungnahme herausforderte. Er stellte einen so weitgehenden Einschnitt im Zusammenhang mit dem verlorenen Krieg dar, daß er sozusagen politisierend wirkte.!57 Die Politisierung nahm dramatische Formen an, weil die Haltungen der Anteilnahme für oder gegen die Weimarer Republik unvermittelbar schienen und unvereinbar gegeneinander stießen. Und gerade an den Universitäten hatte die Weimarer Republik wenig Rückhalt. Ausdrücklich sei hier festgehalten, daß diese Art der Politisierung m. E. typisch für die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war!® und sich nicht nur auf
Philologie und Nationalismus
55
den Bereich der Hochschulen beschränkte. Sie erfaßte alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens in einer Intensität und Breitenwirkung, die es bis zu diesem Zeitpunkt in Deutschland nicht gegeben hatte.
1.4.2
Werner Jaeger und der „Dritte Humanismus“ Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln; Was ihr den Geist der Zeiten heißt, Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln. Goethe, Faust, 574
Nach der Phase des Sammelns und der Ausbreitung der Kenntnisse über das griechisch-römische Altertum stellte sich für nicht wenige Wissenschaftler auf einer neuen Erkenntnisstufe die alte Frage der Nutzbarkeit des neugewonnenen exakten Wissens.159 Ein damit eng verbundenes Anliegen war die Vermittlung von Erkenntnissen der mittlerweile zur Spezialwissenschaft avancierten
Altertumsforschung
an ein breites, nicht fachwissenschaftlich
gebildetes Publikum. Wie in der Zeit des Neohellenismus (um 1800) entdeckte man von neuem die erzieherische Kraft und die unvergängliche Wirkung der Griechen; diesmal aber nicht auf künstlerischem und ästhetischem Gebiet,
sondern als Vorbild für ethisches und politisches Handeln im Alltag des 20. Jahrhunderts. Werner Jaeger!6! war der berühmteste und wissenschaftlich qualifizierteste Proponent dieser neuen Bewegung, die unter dem Titel „Dritter Humanismus“ in die Geschichte einging. Werner Jaeger (1888-1961), in demselben Jahr geboren wie Eduard Fraenkel, Hermann Fränkel und Ernst Kapp, lehrte von 1914 bis 1915 auf dem Baseler Lehrstuhl, auf den schon der junge Nietzsche berufen worden war.
Im Herbst 1921 wurde er der Nachfolger von Wilamowitz in Berlin. Als einer seiner berühmtesten Schüler war er seit 1914 darum bemüht, der Altertums-
wissenschaft ihren pädagogischen Auftrag und Einfluß zurückzugewinnen. Diesen
hatte sie seit der Schulrefom von
1900192, die dem
humanistischen
Gymnasium das naturwissenschaftlich orientierte Realgymnasium gleichberechtigt an die Seite stellte, in den Augen mancher Philologen eingebüßt. Schon in seiner Baseler Antrittsvorlesung „Das Verhältnis der Philologen
zur Historie“!% bestimmte er die Aufgabe der Philologie neu und anders als sein Lehrer Wilamowitz. Er plüdierte für die Abgrenzung der Philologie von der Historie. Die Philologie teile zwar mit der Historie die Aufgabe der historisch-genetischen Rekonstruktion der antiken Gesellschaft, aber sie habe
darüber hinaus die ideellen Werte der antiken Kultur zu veranschaulichen und zu vermitteln. „Nicht von einem fernen Einst Zeugnis abzulegen, sondern
den urbildlichen Schüpfungen des Menschengeschlechts, die die griechische Kultur zu reiner und ewiger Grundgestalt alles wahrhaft Menschlichen und
56
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
Menschheitlichen geformt hat, ihr Gegenwartsleben zu kräftigen, dazu sind
Philologen da.“16* Die mühsam durch Mommsen und Wilamowitz vom „Kothurn“ herabgeholten „Alten“ werden von Jaeger wieder in den Himmel der Ideale versetzt. „Wo sich die Seelen zweier Weltalter anziehen, da vermissen wir meistens jene chronologische Objektivität, die uns mit dem Altertum
zugleich die historische Last aller dazwischen liegenden Jahrhunderte aufbürdet.“165 Diese Last der historischen Relativierung und Entidealisierung sollen die Philologen wieder abwerfen, um „der obersten Aufgabe“ nachzukommen, „den ältesten und zugleich formsichersten Elementen der Gesamtkultur Europas, die keiner modernen nationalen Kultur tiefer als der deut-
schen mit Bewußtsein einverleibt sind: den Gütern der antiken Geisteswelt zugewandt zu bleiben“.168 Diese triumphale Aufgabe, der deutschen Nation eine säkularisierte Religion zu schaffen, mögen die Philologen auf folgende Art lösen: „Darum seien wir Interpreten: Verkünder der Sonne Homers, Deuter aeschylischen Ernstes, pindarischer Frümmigkeit, Wecker demosthenischer Glut, Mysten plotinischen Tiefsinns, Sucher artistotelischer Forschung, Anbeter platonischer Wahrheit“ (Hervorhebung C. W.).167 Bis in die zwanziger Jahre hinein widmete sich Jaeger selbst allerdings nicht den von ihm formulierten Aufgaben des Philologen als Interpreten. Nach seiner Dissertation ,Studien zur Entwicklungsgeschichte der Metaphysik des Aristoteles“ (Berlin 1912), einer historisch-genetischen Rekonstruktion der Metaphysik, und seiner Habilitation über die Anfánge des Neuplatonismus, arbeitete er fast ausschließlich als Editor des Gregor von Nyssa und des Aristoteles.168 Er nahm nicht am Ersten Weltkrieg teil und wünschte im Gegensatz zu Wilamowitz sein Ende herbei. Als Professor in Kiel war er empathischer
Augenzeuge
der „Novemberrevolution“,
die durch
den
Auf-
stand der Marine gegen die Weiterführung des Krieges ausgelöst wurde.169 Er setzte auf die Sozialdemokratie, die er als einzige Chance für ein „besseres
Deutschland“ ansah. Am 18. Dezember 1918 hielt er an der neugegründeten Volkshochschule in Kiel vor den Arbeiter- und Soldatenräten, den Dozenten-
und Studentenräten die Eröffnungsrede zum Thema „Universität im Volksganzen“.170 Mit 33 Jahren wurde er als Nachfolger von Wilamowitz nach Berlin berufen. Man
hatte ihn u. a. dem
Wunschkandidaten von Eduard Norden,
Felix Jacoby, vorgezogen. Das Preußische Ministerium für Erziehung, Wissenschaft und Volksbildung mit dem Ministerialbeamten Carl Heinrich Becker erhoffte sich von Jaeger eine Mitarbeit an der Studien- und Schulreform.!?! Nach dem Erscheinen seines berühmten Buches „Aristoteles, Grundlegung einer Geschichte seiner Entwicklung“ (Berlin 1925) widmete er sich zunehmend der Formulierung seiner Vorstellungen von einem neuen Humanismus, der die „ewigen Werte“ der griechischen Kultur pädagogisch wiederbeleben wollte. Die Verbindung von wissenschafllicher Forschung mit einer Erziehungsaufgabe leitete eine Reidealisierung „des griechischen Menschen“ ein, die der
Philologie ihre historische Distanz und wissenschaftliche Überlegtheit nahm.
Philologie und Nationalismus
57
Der von Eduard Spranger so genannte „Dritte Humanismus“ gab die wissenschaftliche Arbeit des 19. Jahrhunderts preis, wie Bruno Snell kritisch be-
ınerkte.!72 Er kann als Gegenprogramm zu Wilamowitz’ altertumswissenschaftlichem Konzept verstanden werden. Wilamowitz selbst jedenfalls verstand die Wiederbelebung der „Klassik“ nicht: „Immer lese, geht mir ein Mühlrad im Kopfe herum, aber Mehl für mich nicht. - Ich habe eine Vorstellung davon, was und klassische Musik gibt es auch. Aber sonst?*!75 ,Die
wenn ich ‚Die Antike‘ mahlt das Rad nicht, klassische Physik ist, Antike, Zeitschrift für
Kunst und Kultur des klassischen Altertums“ gründete Werner Jaeger 1925 zur Verbreitung seiner Ideen. Darin veróffentlichten vor allem seine Schüler, Freunde und Anhänger. Daß die Aufhebung der wissenschaftlichen Distanz zu einer Instrumentalisierung ,des griechischen Menschen" für eine elitüre
und nationalistische Erziehung führte, zeigt dann überdeutlich das Ergebnis der Jaegerschen Forschung zur Geschichte der Erziehung: der 1954 erschie-
nene erste Band „Paideia. Die Formung des griechischen Menschen“. Die griechische Kultur wird zur hóchststehenden erklürt und mit ihr implizit die deutsche Kultur, die aufgrund ihrer rassischen und geistigen Verwandtschaft?* allein imstande sei, das Erbe angemessen anzutreten. So steht Jaegers „Paideia“ an der Nahtstelle zwischen dem militaristischen Nationa-
lismus Wilamowitzscher Prägung und dem Nationalsozialismus. Bruno Snell hat in einer mutigen Rezension schon 1955 aufgezeigt, daß und wie Jaeger die griechische Literatur umdeutet: Die Umdeutung ermóglichte ihm, ,das Griechentum in seiner Gesamtheit und allen Einzelheiten als
Erzieher“ auftreten zu lassen.!75 Jaeger entwickelt die Geschichte der Bildung anhand der Geschichte der griechischen Literatur. Dabei interessiert ihn in der Hauptsache die Bildung und Formung des Menschen durch die einzelnen Literaturgattungen, wie Epos, Elegie, Drama, Geschichtsschreibung und philosophische Texte, im Hinblick auf Staat, Recht und Ethik. ,Der Heldengesang ist seinem Wesen nach idealbildend, auf die Schaffung heroischer Vorbilder gerichtet. Er steht an erzieherischer Bedeutung in weitem Abstande allen
anderen Arten der Poesie voran ...“ (Jaeger [1934] S. 72). Die Elegien des spartanischen Dichters Tyrtaios werden von Jaeger zu püdagogischen Gedichten, die das Ziel haben, ,ein Volk, einen ganzen Staat von Helden" zu
schaffen (S. 50). Schließlich kommt er zu der Überlegung: „Für das Griechentum und für die ganze Antike ist der Held die hóhere Form des Menschen schlechthin“ (S. 155). Snell zeigt, daß Jaeger die griechische Geistesgeschichte von einem platonisierenden Standpunkt aus interpretiert und dadurch zu Schlüssen kommt, die der vorplatonischen Dichtung fremd und unangemessen sind.176 „Über dem Menschen als Herdenwesen wie über dem Menschen
als angeblich autonomen
Ich steht der Mensch als Idee, und so haben die
Griechen als Erzieher wie auch als Dichter, Künstler und Forscher ihn stets
gesehen", schreibt Jaeger (S. 14, Hervorhebung C. W.). Für den Jaegerschen „Humanismus“
sind nicht die griechischen
Kunstwerke
nachahmenswert,
sondern politische und ethische Normen der Antike gelten ihm als Kriterium und Maßstab der modernen
Kultur. „Die größten Werke
des Griechentums
58
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
sind Monumente einer Staatsgesinnung von einzigartiger Großartigkeit, deren Ringen sich in einer lückenlosen Reihe durch alle Stufen der Entwicklung entfaltet vom Heroentum der Gedichte Homers bis zu Platons autoritärem Staat der herrschenden Wissenden . . .^ (S. 16, Hervorhebung C. W.). Jaeger ist auch von der haushohen Überlegenheit antiker politischer Kultur über diejenige seiner Zeit überzeugt. Da aber die griechische „Staatsgesinnung“, wenn es denn eine gegeben hat, nicht auf die Moderne übertragbar ist und nicht wie eine antike Statue nachgeahmt werden kann, bleibt die ethische und
politische „Norm“ leer. Damit ist sie offen für Versuche einer Selbstlegitimierung des Staates. Die Suche nach Führern und Helden wird unter Hinweis auf ein nebulós bleibendes antikes „Heldentum“ überhóht.
Die Vagheit und Mehrdeutigkeit des Erziehungsbegriffs und der „großen Gesinnung“, den der „Dritte Humanismus“ propagierte!77, kam dem Nationalsozialismus entgegen, dessen Weltanschauung ebenfalls vage war und ein Zusammentreffen sehr verschiedener und zum Teil miteinander unverträglicher Ideen darstellte: Deutsch-nationalistische und internationalistisch-faschistische Motive, traditionsorientierte und revolutionäre Elemente, mytho-
logisierende, irrationalistische und sozialdarwinistische quasi wissenschaftliche Ideen verbanden sich mit antisemitischen und rassistischen Ideologemen zu einem Amalgam, aus dem sich jeder nach Belieben bedienen
konnte.178 Auch wenn der „Dritte Humanismus“ von nationalsozialistischen Philologen und Pädagogen, wie etwa Ernst Krieck und später Hans Drexler, wegen seiner humanistischen und wissenschaftlichen Anteile kritisiert worden ist!79,
prägte er entscheidend eine gerade an den Universitäten verbreitete Einstellung mit, die der nationalsozialistischen Machtergreifung in vieler Hinsicht positive Seiten abgewinnen konnte. Werner Jaeger selbst beteiligte sich 1955 an der Neuformulierung der Richtlinien für den altsprachlichen Unterricht, die der deutsche Altphilolo-
genverband herausgab. Dem „Altsprachler“ wurde die Aufgabe des „nationalpolitischen Erziehers“ zugewiesen.199 Im gleichen Jahr veröffentlichte Jaeger in der ersten Nummer der von Ernst Krieck herausgegebenen nationalsozialistischen Zeitschrift „Volk im Werden“ einen Artikel, der die Aufgaben des „Dritten Humanismus“ im nationalsozialistischen Staat erklärt und verteidigt,
unter dem Titel „Die Erziehung des politischen Menschen und die Antike“.181 Ein Jahr später erschien der erste Band von Jaegers „Paideia“. Im Unterschied zu Martin Heidegger, der ebenfalls 1935 den Nationalsozialisten seine fach-
liche Kompetenz antrug, verließ Werner Jaeger allerdings Deutschland und emigrierte 1937 nach Amerika. Werner Jaeger, der sich selbst später nie direkt zu der Wirkung des „Dritten Humanismus“ geäußert hat, geriet wegen seiner Emigration - der nationalsozialistische Reichserziehungsminister Bernhard Rust sprach ihm beim Verlassen des Berliner Lehrstuhls offiziell seine Anerkennung und seinen Dank
aus!& - nach dem Krieg nicht in den Mittelpunkt historischer Auseinandersetzung mit der Geschichte des Fachs wührend des Nationalsozialismus, wie
Philologie und Nationalismus
59
etwa sein Kollege Heidegger. Soweit mir bekannt ist, stellt Günther Patzigs Aufsatz
„‚Furchtbare
Abstraktionen‘,
Zur
irrationalistischen
Interpretation
der griechischen Philosophie im Deutschland der zwanziger Jahre“ einen ersten Beitrag zu einer solchen Diskussion nach dem Zweiten Weltkrieg dar, der überdies von einem Philosophen kommt.185 Der „Dritte Humanismus“ und ihm verpflichtete Veröffentlichungen trafen bemerkenswerterweise schon in den dreißiger Jahren auf fundierte wissen-
schaftliche Kritik. Sie kam durchweg von Philologen, die dem Nationalsozialismus fernstanden. Neben Bruno Snell und Ernst Kapp ist vor allem der wichtige Aufsatz „Die neue Interpretationsmethode in der Klassischen Philologie“ von Kurt von Fritz zu nennen.!%
„Das deutsche Bürgertum fühlte sich nach dem 9. November nicht befreit, sondern nur vom Proletariat gefährdet.“ Arthur Rosenberg (1938) „Die Intellektuellen, die heute gegen die Demokratie
kämpfen
und
damit
den
Ast absägen,
auf dem
sie
sitzen, sie werden die Diktatur, die sie rufen, wenn sie erst unter ihr leben müssen, verfluchen, und nichts mehr ersehnen als die Rückkehr der von ihnen so verlästerten Demokratie.“ Hans Kelsen (1932)
2. GRÜNDUNG UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE UND DIE AKADEMISCHE SPHÄRE 1919-1933 Wir haben das Bild einer sich ausdifferenzierenden Wissenschaft vom Altertum gewonnen. Die Konkurrenz zu den Naturwissenschaften bewirkte einen Modernisierungsschub, der sich vor allem in der Institutionalisierung inter-
disziplinärer Zusammenarbeit und in neuen Großprojekten zeigte. Das Bestreben, einem gebildeten und an großen Vorbildern interessierten Publikum
den historischen Stoff nahezubringen, führte zu politischen Aktualisierungen der antiken Welt, die sich der Verherrlichung des Wilhelminischen Kaiserreichs dienstbar machten.! Der Erste Weltkrieg verwandelte die akademische Sphäre zu einer nationalistisch und ideologisch durchtränkten, in der die
überwiegende Mehrheit der Wissenschaftler die wissenschaftliche Haltung kritischer Distanz gegen eine vaterländische Gesinnung und ein nationalisti-
sches Überlegenheitsgefühl eintauschte. Das Göttinger Institut in der Weimarer Republik repräsentiert beide Ten-
denzen: Es entwickelte sich zum größten Institut der philosophischen Fakultät und zum allerorten hochangesehenen Zentrum altertumswissenschaftlicher Forschung. An der Berufungspolitik, an Veróffentlichungen, aber auch an den Handlungen einiger Institutsmitglieder wird die Überschneidung von politi-
scher und wissenschaftlicher Sphüre überdeutlich.
in der Zeit der Weimarer
Republik
2.1 Die Gründung eines „Instituts für Altertumskunde“ im Jahre 1921 Das „Philologische Seminar“, 1754 von Johann Matthias Gesner begründet, erhielt 1882, ein Jahr vor Wilamowitz' Berufung auf den Góttinger Lehrstuhl
62
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
für Graezistik, eine Art Studienordnung: „Reglement für das Seminar und Proseminar für klassische Philologie an der Königlichen Universität zu Göttingen“ (vgl. Anhang 2). Die Lehrenden sollten sich „kollegialisch“ die Aufgabe teilen, „strebsamen Studirenden dieses Fachs anregende Gelegenheit und
methodische Anleitung zu tieferem Studium und zu fruchtbarer selbständiger Arbeit auf dem Gebiete der klassischen Philologie unter gebührender Berücksichtigung des Bedürfnisses der höheren Lehranstalten zu geben“.?2 Nach Wilamowitz’ Weggang teilten sich nacheinander Georg Kaibel (1897-1901), Eduard Schwartz (1902-1909) und Paul Wendland (1909-1915), ein Usenerund Diels-Schüler5, mit Friedrich Leo die Lehre. Als Leo am 15. Januar 1914 unerwartet im 65. Lebensjahr starb, fand sich
mit dem Latinisten und Religionshistoriker Richard Reitzenstein ein Nachfolger, der, ähnlich wie Leo, durch die Mommsensche
Schule des Handschrif-
tenstudiums gegangen war. Auf Anregung und im Gedankenaustausch mit Mommsen entstand u. a. Reitzensteins Breslauer Habilitationsschrift von 1888 über Fragmente des griechischen Historikers Arrian. Von der alexandrinischen Literatur ausgehend, wandte er sich zunehmend der orientalischen und hellenistischen Religionsgeschichte zu.* Sein historisch-kritischer Zugang traf sich mit dem der Göttinger „Religionsgeschichtlichen Schule“, die ihren „radikal historischen Ansatz im wissenschaftlichen Umgang mit den Quellen des christlichen Glaubens" nicht zuletzt auch den Góttinger Vorlesungen von Wilamowitz verdankte.5 An die Stelle von Wendland kam dann 1916 Max Pohlenz. Ein Jahr spüter ergünzte der Latinist Günther Jachmann, ein Schüler Friedrich Leos, auf der Etatstelle eines Extraordinarius den Seminarbetrieb.9 1919 wurde Friedrich Focke, der spütere nationalsozialistische Rektor der Tübinger Universität, der erste Assistent am Institut.’ Hermann Frünkel stand
kurz vor dem erfolgreichen Abschlu seines Habilitationsverfahrens. Zu den Studenten zählten Bruno Snell® und Hans Drexler, der spätere nationalsozia-
listische Rektor der Göttinger Universität. Am 1. September 1920 starb der von Wilamowitz 1897 nach Góttingen geholte Althistoriker Georg Busolt. Hugo Willrich, Oberlehrer am Staatlichen Gymnasium (dem heutigen Max-Planck-Gymnasium) und Honorarprofessor der Universität für Alte Geschichte, vertrat den vakant gewordenen Lehrstuhl für Alte Geschichte schon im Sommersemester 1920 und im darauffolgenden Wintersemester.? Nach Busolts Tod saß er auch in der Berufungskommission für die Nachfolge Busolt. Die historisch-philologische Abteilung der Fakultüt wünschte sich einen jungen Historiker, der universell interessiert sei und das
Fach mit Breitenwirkung lebendig darstellen kónne. Nachdem Matthias Gelzer abgelehnt hatte, Wilhelm Weber bei den Verhandlungen mit den Góttinger Philologen sich so unbeliebt gemacht hatte, daD sie ihrerseits seine Berufung ablehnten, und schließlich Friedrich Hermann Münzer den Góttingern „zu nüchtern, bescheiden und zurückhaltend"!? schien, wurde der 55jührige, von
den Universitütsgeschüften beurlaubte Privatdozent und Mitbegründer der Deutschnationalen Volkspartei, Ulrich Kahrstedt im April 1921 nach Góttingen berufen. Schon bei den Verhandlungen im Berliner Kultusministerium
Die Gründung eines „Instituts für Altertumskunde" im Jahre 1921
63
unterbreitete Kahrstedt den Vorschlag, das Philologische Seminar um das Fach
Alte
Geschichte
zu
einem
„Institut
für Altertumskunde“
nach
dem
Berliner und Münsteraner Vorbild zu erweitern. Kahrstedt hatte am Berliner Institut für Altertumskunde studiert und sich in Münster habilitiert. Der Minister bat die Fakultät um ihre Stellungnahme, die positiv ausfiel. So wurde am 15. August 1921 der von Kahrstedt, Poblenz und Richard Reitzenstein gemeinsam gestellte Antrag!! genehmigt, „daß das jetzige Philologische Seminar unter Einbeziehung der alten Geschichte zu einem Institut für Alter-
tumskunde erweitert wird und daß von den planmäßig zur Verfügung stehenden Mitteln einschließlich der aufkommenden Seminarbeiträge zwei Drittel
der klassischen Philologie und ein Drittel der alten Geschichte vorbehalten bleiben ...“ Kurz darauf wurde Kahrstedt zum dritten Direktor des Instituts mit gleichen Rechten neben Max Pohlenz und Richard Reitzenstein ernannt. Im August 1921 bestand das neugegründete Institut für Altertumskunde aus drei gleichberechtigten Ordinarii, einem Extraordinarius, einem Assistenten und einem
Privatdozenten. Ein Jahr spüter wurde aus dem Extraordinariat eine ordentliche Professur, die W. A. Baehrens!? erhielt, nachdem Jachmann einem Ruf
nach Greifswald gefolgt war. Die Assistentenstelle erhielt Hermann Frünkel nach dem Weggang Fockes 1925 nach Breslau. Somit war das Institut für Altertumskunde mit vier ordentlichen Professoren und einem Assistenten das größte an der philosophischen Fakultät nach ihrer
Trennung von der Mathematisch-Naturwissenschaftichen Abteilung im Juli 192215 geworden. Erst 1962 unter Alfred Heuli!* trennte sich das Fach Alte Geschichte wieder von der Klassischen Philologie und wurde als eigene Abteilung dem Fach Geschichte zugeordnet. Die Integration des Faches Alte Geschichte im Rahmen eines Instituts für Altertumskunde brachte auch finanzielle und räumliche Vorteile: Abgesehen von der Verfügung über ein Drittel des Institutsetats standen Kahrstedt und den Studenten der Alten Geschichte sämtliche philologischen Hilfsmittel zur Verfügung, ohne eigens angeschafft werden zu müssen, wie zum Beispiel Wörterbücher und Nach-
schlagewerke. Zudem befand sich das Archáologische Institut in demselben Gebäude, nämlich Nikolausberger Weg 15. Kahrstedt realisierte mit seinern Vorschlag das Berliner Wilamowitz-Modell nun auch in Göttingen. Die Veranstaltungen kündigte er im Vorlesungsver-
zeichnis allerdings bei den Historikern an. Seine Verankerung am Institut für Altertumskunde wirkte sich bald für ihn zum Vorteil aus, als er mit seinen
Kollegen von der „Mittleren und Neueren Geschichte“ nicht nur in Konkurrenz, sondern auch in tiefgreifende und unüberbrückbare Konflikte geriet. Das
ehemalige
Philologische
Seminar
wiederum
bekam
einen
insgesamt
höheren Etat zugewiesen, der sich insofern auf die eigene Bibliothek auswirkte, als die Verfügung und Abrechnung der beiden Fächer über den Gesamtetat nicht auf zwei zu einem Drittel festgelegt war, sondern flexibel gehandhabt
werden konnte. Das wirkte sich allerdings im Laufe der Jahre nachteilig für die Alte Geschichte aus, die nur ein einziges Regal mit eigener Fachliteratur
64
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
besaß, als Alfred Heuß, Kahrstedts Nachfolger, im Jahr 1955 nach Göttingen
kam.15 So spiegelt gewissermaDen der Wechsel der Namen des Góttinger Instituts die Geschichte der Wissenschaft, allerdings zeitverschoben, wider. Von seiner
Gründung im Jahr 1758 an hiefl es „Philologisches Seminar“. Es war das erste an einer deutschen Universität, das Vorlesungen und Seminare abhielt. Sein
Name entsprach der langwührenden Beschrünkung auf Grammatik, Rhetorik und Textherstellung sowie stilistische Interpretation. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts erhielt es den Zusatz „klassisch“, der die damals immer noch herrschende Tendenz der Wissenschaft, sich auf die klassische Epoche
zu beschränken und einen Vorrang des Faches vor anderen Philologien zu beanspruchen!®, andeutet. Das von Kahrstedt gegründete „Institut für Altertumskunde“ stellt die Institutionalisierung der ohnehin schon lange an der Göttinger Universität wirkenden Wilamowitzschule dar. Die Auflösung des Instituts für Altertumskunde 1962 entspricht der wieder stattgefundenen Trennung der altertumswissenschaftlichen Zweige, die einerseits auf die sehr weit gediehene Spezialisierung der Teildisziplinen zurückzuführen ist. Diese Spezialisierung macht die Einlösung eines fachübergreifenden Anspruchs heute fast unmóglich. Andererseits kann man die Auflósung des Instituts auch als ein Ergebnis der Vertreibung der wichtigsten Vertreter der Wilamowitzschule aus Deutschland verstehen.
2.2 Politische Strómungen, Parteienlandschaft und die akademische Sphüre zu Beginn der Weimarer Republik in Góttingen Seit der preußischen Verwaltungsreform von 1885 ein eigener Stadtkreis, gehörte Göttingen bis 1946 zur preußischen Provinz Hannover. Die Einwohnerzahl stieg von 57.594 im Jahr 1910 kontinuierlich auf ca. 50.000 zu Beginn des Zweiten Weltkriegs an. Als mittelgroDe Stadt war Góttingen im südniedersüchsischen Raum neben dem nichtpreuDischen Kassel das wichtigste Zentrum, das wegen seiner traditionsreichen und berühmten Universität viele Studenten anzog. Die mathematischen und physikalischen Institute verschafften
der Universität bis
1955
den
Ruf, das naturwissenschaftliche
„Weltzentrum“ zu sein. Nach der weitaus größeren Universität Berlin hatte Göttingen die meisten Studenten in den naturwissenschaftlichen Fächern. Mit 5662 Studierenden im Sommersemester 1952 (gegenüber 4572 im Jahr 1919, als die vom Krieg Heimkehrenden die Universität füllten, also leicht abgesunken) lag die Universität ihrer Größe nach hinter Berlin, München, Leipzig, Bonn und Köln, aber noch vor Frankfurt, Freiburg und Marburg. Die Univer-
sität war auch der bedeutendste Wirtschaftsfaktor der Stadt. Die feinmechanische,
elektrotechnische
und
optische
Industrie,
aber
auch
die
Verlage,
Politische Strömungen, Parteienlandschaft zu Beginn der Weimarer Republik
65
Druckereien und Buchbindereien arbeiteten für die Universität. Das Gaststätten- und Dienstleistungsgewerbe versorgte die Studenten und auswärtigen Besucher. Neben der Universität stellten die Reichsbahn und die Reichspost ebenso viele Arbeitsplätze wie die Industrie zur Verfügung. So wies die
Göttinger Sozialstruktur einen überproportional hohen Anteil an Beamten und Angestellten auf, dem im Vergleich zum Reichsdurchschnitt ein außergewöhnlich niedriger Anteil von Arbeitern entsprach.!? Der überwiegende Anteil der Bevölkerung war lutherisch-protestantisch, nur 8,2% waren katholisch, und der jüdische Anteil der Bevölkerung sank von
1,8% im Jahr 1910 auf 0,9% im Jahr 1933.18 Die Synagogengemeinde der Stadt zählte im Zeitraum der Weimarer Republik nur zwei Hochschullehrer zu ihren Mitgliedern: Edmund Landau, o. Professor für Mathematik (1909-1933), und Ferdinand Frensdorff, seit 1916 emer. o. Professor für Deutsches und Öffentliches Recht. Diese Tatsache entspricht der in der Gruppe der Hochschullehrer stark ausgeprägten Akkulturation.!9 Neuere Forschungen belegen, daß sich in Göttingen die Gruppe der Hochschullehrer und der Studenten politisch stürker engagierte als jede andere
soziale Gruppe.?? Das gilt für die Zeit des Wilhelminischen Kaiserreichs über die der Weimarer Republik bis in das Dritte Reich. Auch in Góttingen ergriff 1914 die Kriegsbegeisterung vorübergehend fast alle Mitglieder der Univer-
sität. Die kritischen Stimmen
waren
in der Minderheit
und
mußten
mit
Sanktionen rechnen. Als Beispiel sei hier Leonard Nelson (1882-1927), Pri-
vatdozent für Philosophie seit 1909, genannt, der vor interessierte Mathematiker und Naturwissenschaftler schaftlich interessierte Philologen einerseits und liberale seits um sich versammelte. Die kritische Behandlung des
allem philosophisch sowie naturwissenTheologen andererdeutschen Überfalls
auf das neutrale Belgien in seinem Ethik-Seminar im Wintersemester 1914/15 trug ihm eine Beschwerde beim Dekan wegen Mißbrauchs der akademischen
Freiheit ein. Nelsons bekanntermaßen linksliberale Einstellung trug erheblich dazu bei, daß er in Göttingen trotz internationaler Anerkennung über ein
nichtbeamtetes Extraordinariat bis zu seinem frühen Tod im Jahr 1927 nie hinauskam. Einer seiner engsten Schüler und Mitarbeiter, der Wissenschaftstheoretiker Kurt Grelling, wurde einer der drei Vorstandsmitglieder der im
Dezember 1914 gegründeten Góttinger Ortsgruppe der ,Deutschen Friedensgesellschaft", deren Aktivitüten allerdings wegen der strengen Zensur bald zum Erliegen kamen. Als Nelsonianer und Pazifist sah er keine Móglichkeit,
sich an der Göttinger Universität zu habilitieren.?! Der schon 1908 in Góttingen gegründete „Akademische Freibund“, die von Nelson wiederbelebte Góttinger „Fries-Gesellschaft“ mit Grelling, Richard Courant und zeitweise Max
Born, aber auch die Göttinger „Religionsgeschichtliche Schule“ mit Rudolf Otto, Wilhelm Bousset und Ernst Troeltsch sollten der Kristallisationskern2? des Linksliberalismus und später der Sozialdemokratie an der Göttinger
Universität werden. Derin Berlin unter Mitwirkung des ehemaligen Göttinger Privatdozenten Ernst Troeltsch, mittlerweile Philosophieprofessor, im Frühjahr 1917 gegründete „Volksbund für Freiheit und Vaterland“ trat für einen
66
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
Verständigungsfrieden ein und stellte die erste Zusammenarbeit von Linksliberalen und Sozialdemokraten dar. Im März 1918 wurde die Göttinger Ortsgruppe gegründet. Die Göttinger Bevölkerung litt schon länger durch Hunger und sich rasch ausbreitende Krankheiten an Depression und Kriegsmüdigkeit. Bei der letzten „Vaterländischen Kundgebung“ der Göttinger Universität am 19. Oktober 1918 in der Aula der Universität sprachen nach dem Rektor die Dekane der Fakultäten. Besonders der klassische Philologe Richard Reitzenstein fiel durch seine mit auffallend „matter Stimme“ gehaltene Rede auf, in der er u. a. forderte: „Zum Paria der Nationen darf sich ein Volk nicht machen lassen, das
eben noch das Größte geleistet hat.“23 Aber der Ton des Vortrags widersprach dem Inhalt, seiner Forderung nach Aufrechterhaltung der Herrschaft und Größe des deutschen Reiches angesichts der Niederlage. Diese wird als Abgleiten in den Status eines Paria aufgefaßt. Die Veranstaltung hinterließ den „Beigeschmack einer Leichenfeier"?*. Angesichts der sich in den letzten Kriegswochen abzeichnenden Niederlage ergriff Ratlosigkeit und Ohnmacht auch die nationalkonservative Mehrheit der Góttinger Hochschullehrer, die
immer noch auf einen anderen Ausgang gehofft hatte. Am 50. Oktober 1918 diskutierten der Magistrat und das Bürgervorsteherkollegium immer noch ohne Ergebnis über die Reform des Wahlrechts in den stádtischen Kollegien. Schon am 8. November gründeten in Góttingen stationierte Soldaten einen Soldatenrat, der sich in den folgenden Tagen zu einem „Soldaten- und Volksrat^ mit Vertretern der Sozialdemokraten, der Gewerk-
schaften und der Studenten erweiterte. Am 10. November übernahm er nahezu kampflos die Aufsicht über die militärische und städtische Verwaltung.?5 Die bald gegründete Abteilung Unterrichtswesen des Soldaten- und Volksrates organisierte zusammen mit einigen reformfreundlichen Hochschullehrern und Studenten eine Vorlesungsreihe schon für den Monat Dezember 1918, bei der u. a. Vorträge über den Völkerbund, die russische Revolution und
die Reformbedürftigkeit des Eherechts gehalten wurden. Drei dieser Veranstaltungen fanden denkwürdigerweise im Vortragssaal des Philologischen Seminars am Nikolausberger Weg statt.26 Noch in demselben Monat gründete Leonard Nelson den ,Internationalen Jugendbund", der eine „planmäßige und intensive politische Erziehungsarbeit auf wissenschaftlicher Grundlage" zu seinem Ziel erklärte, um später eine
„Partei
der
Vernunft
unter
der
Jugend
aller Völker“
aufzubauen.?7
Wie groß der Mangel an demokratiefreundlicher Erziehung war und welche politischen Handlungen daraus entstehen konnten, zeigt die Erinnerung und Selbsteinschätzung des Zeitzeugen Georg Schnath, der am extrem rechten Ende des politischen Spektrums tätig war. Schnath, der als Göttinger Student der Geschichte und der Germanistik ausführlich über die Novemberrevolution Tagebuch führte, trat schließlich im März 1919 einem Freicorps bei, das im darauffolgenden
Mai
an der „Befreiung
Münchens“
teilnahm,
gemeint ist die Zerschlagung der Münchener Räterepublik. In den 1976 von ihm selbst veröffentlichten Tagebuchnotizen führt Schnath nachträglich seine
Politische Strömungen, Parteieniandschaft zu Beginn der Weimarer Republik
67
nationalistisch-konservative Sichtweise und seine Entscheidung, einem Frei-
corps beizutreten, auf die gymnasiale Erziehung zurück: ,.
. daß die höhere
Schule des Kaiserreichs ihren Abgängern zwar eine beachtliche Fülle von Wissen - besonders auf philologisch-historischem Gebiet - mitgab, aber so
gut wie keine politische Schulung. In ihrer Erziehung wurden traditionelle Werte der monarchischen und nationalen Gesinnungen in keiner Weise und
von keiner Seite in Frage gestellt. So kann es nicht wundernehmen, wenn ein aus dem Bürgertum hervorgegangener und einer konservativen Welt verhafteter junger
Mensch
dem
Zusammenbruch
Deutschlands,
dem
Sturz des
Kaiserreichs, dem Eintritt der Sozialdemokratie in die Regierung mit fassungsloser Bestürzung und größter innerer Verunsicherung gegenüberstand.“ Die Verunsicherung, die die Abdankung und Flucht des Kaisers und die Ausrufung der Republik am 9. November ebenso wie die zwar gewaltlose, aber sozialdemokratisch dominierte Einsetzung des Soldaten- und Volksrates
bei dem größtenteils konservativen und kaisertreuen Göttinger Bürgertum erzeugt hatte, löste sich bald in einem Vereins- und Parteigründungsfieber auf. Von Dezember 1918 bis Januar 1919 überschwemmten die zum größten Teil neugegründeten Vereine und Parteien die Stadt mit einer ununterbrochenen Folge von Veranstaltungen und politischen Kundgebungen. Die Süle konnten nicht groD genug sein, so rege war der Zuspruch der Góttinger. Auf der linken Seite des politischen Spektrums firmierten der von NelsonSchülern
gegründete
„Rat
geistiger
Arbeiter“,
der
sich
gegen
das
bisher
praktizierte Bildungsmonopol für „eine bestimmte Klasse“ wendete und u. a. die ,Wiederherstellung der Freiheit der Vernunft* forderte. Auch der ,Politi-
sche Verein freiheitlich gesinnter Akademiker^ hatte mit Dr. Walter Ackermann einen Nelson-Schüler zum Vorsitzenden.?9 Die von diesem Verein organisierte Wahlveranstaltung im Januar 1919 über ,Wege und Ziele des Sozialismus“ im Kaiser-Café mußte wegen des großen Andrangs in den
Bürgerparksaal verlegt werden. Es sprachen Richard Courant, Ordinarius für Mathematik, Mitglied der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) und
kurze
Zeit Vorsitzender
des Soldatenrates
in Ilsenburg
am
Harz,
die
Studentin Iris Runge, Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei (DDP), und der Schweizer Privatgelehrte und Nelson-Schüler Hans Mühlestein, Mit-
begründer des „Rates geistiger Arbeiter“.30 Auf der konservativen Seite des Spektrums und als Reaktion auf die Gründung des „Politischen Vereins freiheitlich gesinnter Akademiker“ wurde am 7. Dezember der „Studentische Bund zur Hebung des nationalen Gedankens“, der sogenannte „Hebebund“, gegründet. Der „Hebebund“ nahm sich vor, das Nationalgefühl zu stärken und
konnte so prominente Redner wie den Historiker Karl Brandi (DVP) und den Strafrechtler Robert von Hippel (DVP), aber auch den Germanisten Edward
Schröder (DNVP), den Anglisten Lorenz Morsbach, den Kunsthistoriker Oskar Hagen und den Kirchenhistoriker Carl Mirbt, um nur einige zu nennen, für seine Interessen gewinnen. Er hatte besonders großen Zulauf unter den Studenten.5!
68
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Mit dem durch die Revolution verwirklichten Wahlrecht für Frauen wurden die schon existierenden Frauenvereine, aber auch
Neugründungen aktiv. Auf
den einberufenen Clubversammiungen wurden die Frauen in die politischen Grundbegriffe eingeführt, und die verschiedenen Parteien stellten sich vor. In den Vorständen saßen zum Teil die Ehefrauen von Universitätsprofessoren, wie etwa Emma Titius, Henni Lehmann, Lotte Hoffmann und Lotte Lehmann.
Letztere war die Frau des Historikers Max Lehmann (DDP) und erhielt bald den Spitznamen „rote Lotte“, weil sie angeblich die Dienstboten „planmäßig
verhetzte*.53? An der Universität allerdings mußten
die Studentinnen,
die
während des Krieges das Studium aufgenommen hatten, den zurückkehrenden Studentenmassen wieder weichen. „Die Studentinnen sind bis auf einige
ganz unbekannte Gesichter gänzlich aus den Hörsälen verschwunden; vereinzelte, die sich mutig hineinwagen, riskieren ausgescharrt zu werden“, notierte Schnath am 6. Februar 1919 in sein Tagebuch, den Andrang der Studenten im Zwischensemester beschreibend.55 Wie
sah
die Parteienlandschaft
aus, die sich
in Göttingen
für die
drei
Wahlgänge in den Monaten Januar bis März zur deutschen Nationalversammlung, zur preußischen Landesversammlung und zum Bürgervorsteher-Kollegium vorbereitete?
Neben der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) bestand die aus ihr 1917 hervorgegangene Abspaltung nach links, die Unabhängige Sozialde-
mokratische Partei Deutschlands (USPD), zunächst fort. Sie ging dann (1922) mit der aus dem Spartakusbund (1916 gegründet) hervorgehenden Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) zusammen. Die Parteien des bürgerlichen Lagers konstituierten sich neu: Die „Fortschrittliche Volkspartei“ verband sich mit dem linken Flügel der „Nationalliberalen“ zum „Demokratischen Volks-
bund“. Aus ihm ging die Deutsche Demokratische Partei (DDP) hervor und rechts von ihr, aus den verbliebenen Teilen der ehemaligen „Nationallibera-
len“, die Deutsche Volkspartei (DVP). Die den rechten Rand vertretende Deutsch-Nationale Volkspartei (DNVP) entstand u. a. aus der ehemaligen konservativen und den „Siegfrieden“ verfechtenden „Vaterlandspartei“ und dem „Alldeutschen Verband“. In Verbindung mit dem Zentrum stellte sich im niedersächsischen Raum auch die „Deutsch-Hannoversche Partei“ zur Wahl. Mit der DNVP sympathisierte nach Ringer die überwiegende Mehrheit der deutschen Gelehrtenwelt.5* Die „vernunftrepublikanisch“ gesinnten Profes-
soren fanden sich durch die liberale DDP am besten vertreten. Die USPD fand an der Göttinger Universität gar keine Anhänger. Die SPD fand sich mit wenigen Ausnahmen: ebenfalls von den bürgerlichen Kreisen aus dem für sie wühlbaren Spektrum ausgeschlossen. Die zu Beginn der Weimarer Republik noch favorisierte DDP wurde mit der Zeit von der DVP und der DNVP bei
weitem überholt.56 In den ersten Jahren hatte aber bemerkenswerterweise die DDP in Göttingen den stärksten Rückhalt an der Universität. Mit ihrem Programm (republikanische Staatsform, vorsichtige Sozialisierung von Industriezweigen, die Anerkennung der Arbeiterkoalitionen und des Tarifwesens,
eine
progressive
Einkommenssteuer,
die
volle
Gleichberechtigung
der
Politische Strömungen, Parteienlandschaft zu Beginn der Weimarer Republik
Frauen,
die Trennung
von
Kirche
und
Staat im Schulwesen,
69
die Idee des
Völkerbundes) rückte sie nahe an die Sozialdemokraten heran. Für die traten öffentlich die Hochschullehrer Felix Bernstein (Mathematik) als sitzender, Paul Darmstädter (Geschichte), Arthur Titius (Theologie), Jensen (Medizin), Wolfgang Heubner (Medizin), Julius Hatschek (Jura)
DDP VorPaul und
David Hilbert (Mathematik) ein, aber auch Studentinnen, wie Iris Runge und
Paula Strelitz.37 Den Vorsitz der Göttinger DVP übernahm der Historiker Karl Brandi. Ihr verbunden waren an der Universität der damalige Rektor, der Mediziner Hans Reichenbach, sein medizinischer Kollege Friedrich Göppert, die Juristen Robert von Hippel und Paul Oertmann und der Philosoph und Psychologe Georg Elias Müller. Die DVP teilte mit der DNVP die Trauer um
das verlorene Kaiserreich und die Antipathie gegen die Sozialdemokraten, die sie bald als „Erfüllungspolitiker“ (des Versailler Vertrages) beschimpften. Sie waren davon überzeugt, daß das deutsche Militär unbesiegt zurückgekehrt sei, wären ihm nicht die „Novemberverbrecher“ in den Rücken gefallen.59 Die
von den liberalen und linken Parteien geforderte Versóhnung mit den Kriegsgegnern beantworteten sie mit nationalistischen Parolen, die zur Frontstel-
lung gegen den „Internationalismus“ führten. Auch die Trennung von Staat und Kirche wurde von kämpferischen Christen beider Parteien abgelehnt. Die daraus resultierende christlich gefürbte deutsch-nationalistische Sicht verband sich schnell mit dem Antisemitismus. Der Feind wurde im Inneren
gesucht und gefunden. Wegen ihres Programms
geriet besonders die DDP
ins Kreuzfeuer der
Anwürfe und Kritik. Sie zerreiBe die bürgerliche Einheitsfront, indem sie mit
der SPD eine unheilige Allianz eingehe. Sie entpuppe sich als „Nachläuferin des Judentums“: Die Idee des Völkerbundes sei eine jüdische Idee, weil das Judentum nicht fühig sei, deutsch zu fühlen und zu denken. Auch hinter der
Trennung von Staat und Kirche stecke das Judentum.*? In Göttingen ging die Polemik so weit, daß im „Göttinger Tageblatt“ eine Anzeige lanciert wurde mit dem Text: „Die Partei des Judentums ist die Deutsche Demokratische Partei. Jüdische Wáhler und Wühlerinnen, erfüllt am 19. Januar Eure Pflicht!*
Das Layout der Anzeige sollte den Eindruck vermitteln, sie sei von der DDP aufgegeben worden. Die DDP und der Vorstand der israelitischen Kultusge-
meinde deckten einen Tag später in einem Dementi das „plumpe Wahlmanöver von gegnerischer Seite“ auf, das mit dem Antisemitismus der Wähler rechnete und auf diese Weise die Wahl der DDP verhindern wollte.* Zur Ehre der DVP muß gesagt werden, daß sie sich zwar als Festung der Bourgeoisie gegen die Forderungen der Sozialdemokratie und der DDP verstand, sich aber
an der antisemitischen Hetze der DNVP nicht beteiligte.*! Die Angriffe, die das „Göttinger Tageblatt“ veröffentlichte und sich damit als Sprachrohr zuerst der DNVP, später dann der NSDAP zu profilieren begann, richteten sich vor allem gegen den in Czernowitz geborenen Julius Hatschek, der als „Ausländer“ und „Drückeberger“ beschimpft wurde, und andere DDP-Protagonisten. Felix Bernstein, Paul Darmstädter, aber auch Richard Courant, Kurt Grelling und Hans Mühlestein waren Ziel der Angriffe.*2
,
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Auf einer Wahlveranstaltung der DDP kam es zum Eklat: „Der stürmische und stellenweise sogar tumultuarische Verlauf der dreistündigen Verhandlungen war ein neuer trauriger Beweis . . . Was sich diese hyänenhaft tobende
und aufs Kochen erregte Menschenmasse an gegenseitigen Vorwürfen, Verdüchtigungen, Beschimpfungen und wüsten Lürmszenen leistete, ließ wiederholt daran zweifeln, daß man eine Versammlung gebildeter, ja auch vernünf-
tiger Menschen vor sich habe .. . Aber was sollte man von jungen Akademikern erwarten, wenn schon ein Mann wie Professor Willrich (als Offizier und
Lehrer einer der bestgehaDten Münner Góttingens) mit einem infamen antisemitischen Ausfall gegen die Vorsitzende, ein Fräulein Strelitz, hervortrat!4*5 Ein anderer
Augenzeuge
beschreibt Willrichs Auftritt: „In der Diskussion
meldete sich Prof. Willrich, Oberlehrer am Kónigl. Gymnasium und Honorarprofessor für Geschichte. Er führte aus: Durch Zeitungsanzeige bin ich zu einer Akademikerversammlung eingeladen worden und hatte erwartet, hier
von einem deutschen Jüngling begrüßt zu werden. Statt dessen begrüßte mich, Verbeugung zu der Studentin, eine Rose von Jericho. Der darauf entste-
hende
Tumult war unbeschreiblich
und machte
eine weitere
Diskussion
unmöglich. Teilnehmer, die in der ersten Reihe vor der Bühne saßen, darunter
der berühmte Mathematiker David Hilbert, sprangen auf und riefen immer wieder: ,Abbitten, abbitten!‘ Willrich machte beschwichtigende Gesten, blieb
aber unverständlich und trat schließlich ab.“ Zwei Tage später druckte das „Göttinger Tageblatt“ einen „Offenen Brief an Fräulein Strelitz^ ab, den Willrich verfaßt hatte, in welchem er sich für den Ausdruck zwar entschuldigte, seine Ansicht aber noch einmal, nun auch in der Tageszeitung bekräftigte und damit seine Infamie fortsetzte. ,. . . Sachlich muß ich aber auf dem
Standpunkt stehenbleiben, daß ich für die Leitung einer Akademiker-Versammlung an einer deutschen Universität eine junge Dame jüdischer Abkunft
nicht als berufen anerkennen kann.“ Dieser Auftritt Willrichs (DNVP) war kein Einzelfall. Er verfaßte einige der oben erwähnten Sottisen gegen Hatschek, Bernstein und später Darmstädter im „Göttinger Tageblatt“ und trat auch in der Folgezeit als Antisemit hervor.*55 Darauf werde ich weiter unten
eingehen. Bei den ersten drei Wahlgängen Januar bis März 1919 blieb der Stimmenanteil der DNVP weit hinter den Gewinnern der Wahl zurück: Die SPD und die DVP erreichten mit 33,2% und 22,9% die meisten Stimmen und Sitze im
Göttinger
Gemeindeparlament.
Dann
erst kam
die DDP
mit
14,7%
und
schließlich die DNVP mit 10%. Das Schlußlicht war die USPD mit 1,6%. Die Deutsch-Hannoversche Partei erreichte 17,6%.
Von dieser Wahischlappe sollte sich die DNVP aber bald erholen. Schon 1924 lóste die DNVP die DVP als die inzwischen stürkste Partei ab. Sie erzielte fast 50?6. Die SPD wiederum erreichte nie wieder das Ergebnis von 1919. Sie blieb während
der Weimarer
Republik
hinter
dem
Reichsdurchschnitt
zurück,
konnte ihren Wühlerstand zwar bei ca. 20% halten, jedoch nicht vergrößern. Auch als der Internationale Jugendbund 1925 von der SPD ausgeschlossen wurde und fortan als „Internationaler Sozialistischer Kampfbund“ (ISK) selb-
Politische Strömungen, Parteienlandschaft zu Beginn der Weimarer Republik
71
ständig auftrat, brachte dieser Ausschluß der SPD nicht mehr Stimmen ein. Das Zentrum erlangte in Göttingen nie mehr als 4% der Stimmen, weil die Katholiken in der Minderheit waren. Das Gleichgewicht zwischen DDP und DVP, den beiden liberalen Parteien, änderte sich schon 1920 zugunsten der DVP, die DDP verlor die Hälfte ihrer Wähler, und die DVP konnte neue Wähler
für sich gewinnen. Aber auch die DVP gab 1924 einen erheblichen Anteil der Stimmen ab, und zwar an die DNVP. Die DNVP, aber auch die anderen Parteien
gaben wiederum Stimmen an die NSDAP ab. So erhalten wir das Bild eines Rutsches
nach
rechts,
der
schon
1920
begann
und
von
dem
die
NSDAP
spätestens seit der Provinziallandtagswahl vom 17. November 1929 in größerem Umfang profitierte: die 9,5% (gegenüber 2,6)* Stimmenanteil bei der Reichstagswahl 1928 konnte sie nun auf 22% steigern. Schon bei der folgenden Wahl wurde sie zu der größten Partei, die in Göttingen früher als sonst im Reich mehr Stimmen als an anderen Orten erzielte: Bei der Reichstagswahl
am 14. September 1930 mit 37,8% (18,5%) war sie bereits vor der SPD mit 23,6% (24,5%) die größte Partei; bei den folgenden Wahlen übertraf die NSDAP in Göttingen alle je von anderen Parteien erreichten Stimmanteile mit
51,0% (37,3%) im Jahr 1952 und mit 51,2% (43,9%) bei den Reichstagswahlen am 5. März 1955.46 Eine Ortsgruppe*’ der NSDAP wurde bereits im Februar 1922 gegründet, als eine der drei ersten Ortsgruppen im norddeutschen Raum. Die auf die Revision des Versailler Vertrages drängende Propaganda der konservativ-nationalistischen Parteien und die propagandistische Hetze gegen die sozialdemokratischen Politiker, die, als , Erfüllungspolitiker* und „Novemberverbre-
cher“ betitelt, dem Versailler Vertrag zugestimmt hatten, fand in Göttingen viele Anhänger. Hinzu kam die pauschale Identifikation derSozialdemokraten und Kommunisten als Juden, denen dann auch die Wirtschaftskrise angelastet wurde, so daß die antisemitische Hetze der NSDAP schon früh in Göttingen
Gefolgsleute fand. Von ihrem Verbot konnte sich die NSDAP ab 1925 rasch wieder erholen. Nach dem ersten und einzigen Auftritt Hitlers im Göttinger Kaiser-Wilhelm-Park, wo er am 21. Juli 1932 vor ca. 20.000 Zuhörern eine
Rede hielt, erreichte die NSDAP bei den folgenden Reichstagswahlen die absolute Mehrheit. Dies gelang ihr im übrigen Reichsgebiet erst im März 1955.48 In Góttingen war also das Klima anfünglich erstaunlich liberal und schlug sehr bald in einen Antagonismus zwischen linken und rechten Krüften um. Eine wichtige Rolle spielte der Nelson-Bund, der als ISK bis zum frühen Tod
Nelsons im Oktober 1927 sehr aktiv u. a. mit Schulungen tütig war. Auf der anderen Seite wirkten die ungewöhnlich frühe “Gründung der NSDAP in Góttingen und ihr Rückhalt vor allem bei den Studenten, aber auch bei einigen Lehrenden der Universität radikalisierend.*? Dieser Rückhalt führte wiederum zu geheimen Aktivitüten der Góttinger NSDAP mit weitreichenden Folgen.
*
j[n( )ist der Reichsdurchschnitt angegeben.
72
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2.3 Hugo Willrich, Achim Gercke und das „Archiv für berufsständische Rassenstatistik* In ihrer Studie über die politische Entwicklung am Beispiel von zwei Universitätsstädten (Göttingen und Münster) während der Weimarer Republik stellte Barbara Marshall fest, daß die katholische, vom „Zentrum“ dominierte Uni-
versitätsstadt Münster einen moderateren Verlauf der Ereignisse aufwies als Göttingen. “The experience of military defeat and revolution produced the same response in both towns: that of intense dislike ofthe ‘new Germany’... The republic did not become more popular in later years in either town, although the reaction was more restrained in Münster than in Góttingen."50 Hugo Willrich gehórte zu dem Personenkreis, der die politische Radikalisierung in Göttingen vorantrieb. Schon am 11. Juli 1919 gründete er einen „Verband zur Befreiung vom Judenjoch*.5! Der Verband konnte die Geschäftsstelle der DNVP, in der Willrich auch tätig war, als Adresse benützen und den
technischen
Apparat
für seine
Flugschriften.
Dem
Verband
konnten
nur
»Staatsbürger arischer Rasse, die weder jüdische Vorfahren noch Ehegatten
haben“ beitreten. Das Ziel der Liga bestand in der „Aufklärung“ über die jüdische „Infiltration“ der Gesellschaft. In einer Datenkartei sollten diesbe-
zügliche Informationen gesammelt werden. Auch ein permanenter Boykott jüdischer Geschäftsleute und solcher, die der Freundschaft zu Juden „ver-
dächtig“ waren, schwebte der Liga vor. Als Begründung diente das christlich-antisemitische Arsenal der Propaganda, neu aufgeladen mit Kriegsschuldthese: Die jüdische Presse habe im Krieg den Siegeswillen deutschen Volkes untergraben, nun hätten Juden die Revolution ausgelóst
alte der des und
säßen als Kriegsgewinnler in einflußreichen Stellen etc. Mit der Gründung
des Verbandes griff Willrich einerseits auf die Tradition der lange vor dem Ersten Weltkrieg auch in Góttingen etablierten ,Antisemitischen Partei" zurück, eine Gründung des Marburger Universitätsbibliothekars Bóckel, die von einem Teil des Góttinger Mittelstandes Zuspruch erhielt und 1895 immerhin
1590 der Stimmen gewinnen konnte.5? Andererseits griff er der NSDAP konzeptuell voraus mit den Ideen eines permanenten Boykotts und der Sammlung von Daten über die Stellung von Juden in der deutschen Gesellschaft. Nicht nur politisch, auch wissenschaftlich hatte Willrich seine Ansichten
schon früh zum Ausdruck gebracht. Als Sohn eines Gutspächters in Kummerow (Pommern) 1867 geboren, besuchte Hugo Willrich spüter das Gymnasium und begann 1885 das Studium der klassischen Philologie und der Geschichte in Berlin, um es dann zwei Jahre spüter bei Wilamowitz in Góttingen fortzu-
setzen. Nach dem Staatsexamen (1890) wurde Willrich 1894 promoviert. 1896 erhielt
er als einer
der
ersten
die
Venia
legendi
nur
für das
Fach
Alte
Geschichte.55 Seine erste Veróffentlichung, aufgrund derer er habilitiert wurde, ein schmales, 1895 bei Vandenhoeck & Ruprecht in Góttingen verlegtes Bändchen, „Juden und Griechen vor der makkabäischen Erhebung“, notiert in der Einleitung: „Man darf bei der jüdischen Litteratur nie vergessen, daß
Hugo Wiltrich, Achim Gercke und das „Archiv für berufsstándische Rassenstatistik“
75
sie fast alle den Hauptzweck ihrer Schriftstellerei darin sehen, auf irgendeine
Weise Stimmung
für das Judentum
zu machen"
(S. II).5* Willrich machte
Stimmung gegen das Judentum. Nachdem er festgestellt hat, daD die jüdischen Quellen bisher fast nur von Theologen studiert und von ihnen zu hoch bewertet worden seien, will er als Historiker die Texte anhand der Aufdeckung von Widersprüchen der Lüge überführen: ,Es ist eine alte Thatsache, daD der dümmste Mensch immer bei der Wahrheit bleiben kann, wührend zu einem
erfolgreichen Lügen eine gewisse Geschicklichkeit gehórt, um nicht in Widersprüche zu geraten. Glücklicherweise hat fast keiner der jüdischen Hellenisten diese Geschicklichkeit besessen, sie verraten sich meistens sehr bald...“ Diese Zitate mögen genügen, um Willrichs tendenziösen, antisemitisch geleiteten Zugang zur Wissenschaft zu illustrieren. Eine weitere einschlägige Arbeit Willrichs erschien 1924: „Urkundenfäl-
schung in der hellenistisch-jüdischen Literatur“ (Göttingen). Ob Willrich von dem als Antisemit berüchtigten Orientalisten Paul Anton de Lagarde, der für
eine „nationale Religion“ kümpfte55, geprägt worden ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Wilamowitz war mit Lagarde befreundet und hielt 1891 die Grabrede. Der von Wilamowitz geförderte Nachfolger Lagardes, Julius Wellhausen56,
war neben dem Althistoriker Volquardsen der zweite Begutachter von Willrichs Arbeit. Trotz eines 1900 erhaltenen Privatdozentenstipendiums blieb Willrich eine weiterführende Universitätskarriere versagt. So ging er 1904 in den Schuldienst, wo er als Oberlehrer bis zu seiner Pensionierung unterrichtete. Gleichzeitig nahm er seine Venia legendi an der Universität wahr und erhielt im Jahr 1917 eine ordentliche Honorarprofessur. In dem Nachruf auf Willrich schreibt 1950 der damalige Rektor der Göttinger Universität, Wolf-
gang Trillhaas, daß Willrich zwei Rufe an österreichische Universitäten abgelehnt habe, weil seine „ausgeprägte norddeutsche Art“ sich mit der österrei-
chischen nicht vertragen habe.57 Als der Erste Weltkrieg begann, meldete sich Willrich, damals 47jährig, freiwillig zum Kriegsdienst. Als hochdekorierter Leutnant kehrte er aus dem Krieg zurück. Willrich war nicht nur Gründer des „Verbandes zur Befreiung
vom Judenjoch“, er hatte zuvor schon die Göttinger Ortsgruppe des „Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes“ (DVSTB) mitbegründet und geleitet. Aus
ihm sollten 1921 die ersten NSDAP-Ortsgruppen im norddeutschen Raum hervorgehen.58 Schon im Mai 1919 war Ludolf Haase, der spätere Leiter des NSDAP-Gaues Südhannover-Braunschweig, als Medizinstudent nach Góttingen gekommen. Er übernahm zunächst die Leitung des DVSTB, wo er bald in Kontakt mit Nationalsozialisten kam. Diese planten schon im Mai 1921, wie Haase
schreibt, die erste NSDAP-Niederlassung in Hannover. Nach deren Gründung im Juli 1921 erfolgte ein halbes Jahr spüter, im Januar/Februar 1922, die Etablierung der Göttinger Ortsgruppe. Sie zählte anfänglich 12-15 Mitglieder.
Das Verbot des DVSTB durch den Innenminister im Juli 1922 brachte der NSDAP größeren Zulauf. Durch die enge Verbindung von NSDAP und DVSTB - in letzterem waren viele Offiziere, die sich in Freicorps organisiert hatten,
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um die Republik zu bekämpfen - hatte die NSDAP auch enge Verbindungen
zu den Freicorps. Nach dem Vorbild der Freicorps stellte die NSDAP Schlägertruppen zusammen, die bei Demonstrationen und Wahlveranstaltungen stören sollten. Als im November 1922 die NSDAP verboten wurde, tarnte sie sich als „Großdeutsche Arbeiterpartei“. Als diese sich im Frühjahr 1925 ebenfalls auflösen mußte, wurden diverse Deckvereine aus der Taufe gehoben. Einer davon war der ,Schanzerbund", die Göttinger SA. Die Göttinger SA soll nach
dem Bericht Haases zur Zeit des Hitler-Putschversuchs in München (November 1925) 200 Mann stark gewesen sein. Wührend des NSDAP-Verbotes war Haase besonders aktiv. Er gründete in Góttingen nicht nur den Deckverein „Arbeiter- und Mittelstandsverein“, er reiste auch durch Niedersachsen als Redner und Werber für die Partei, und er betätigte sich als Organisator von „Saalschlachten“ gegen Veranstaltungen von Kommunisten und Sozialdemo-
kraten.5® Haase warb nicht nur Studenten, sondern auch Angestellte und Arbeiter, denen gegenüber er die Dominanz des ungeliebten akademischen Elements zu vertuschen versuchte. In Göttingen aber traten als NSDAP-Führungskräfte vor allem Akademiker auf.60 Als im Februar 1925 nach der Freilassung Hitlers die NSDAP neu gegründet wurde, übernahm sie 431 Mitglieder aus der früheren Göttinger Partei. 115
waren Frauen. Das ist mehr als ein Viertel. Das Parteibanner ist von Parteigenossinnen gestickt worden, wie Haase berichtet.9! Trotz der Verbote und der anfänglich kleinen Zahl von Parteimitgliedern hatte die NSDAP in Göttingen bei Studenten, Akademikern, Offizieren und dem Mittelstand Rückhalt gewinnen können. Hinzu kam, daß sie von Anfang an von einer der beiden Tageszeitungen am Ort, dem „Göttinger Tageblatt“, großzügig mit kostenlo-
sen Werbeanzeigen und mit freundlicher Berichterstattung unterstützt wurde. Neben
der Werbetätigkeit
für die Partei, den
Saalschlachten
und
Pro-
grammentwürfen, nahm ein weiteres Projekt Formen an, dessen Wirkungen sich schon vor 1933 zeigten, dessen volle Tragweite aber erst nach der Machtergreifung offenbar wurde. Auch hier gab ein Student den Anstoß, und wieder begegnen wir Hugo Willrich als beteiligtem Förderer.
„Im Jahr 1925 stieB . . . der 23-jährige Student Achim Gercke zu uns, der... den Plan vortrug, ein Register sämtlicher Juden in Deutschland anzulegen, um den Feind auch da zu entdecken, wo er sich gut getarnt verbarg. Ein riesenhaftes Unterfangen für einen jungen Studenten, dem es noch mehr als uns in erster Linie schon an den geeigneten Geldmitteln fehlte, und doch handelte es sich andererseits um eine Aufgabe, die nur ein noch junger, willensstarker Mensch lösen konnte ...“, notiert Ludolf Haase in seinen
Erinnerungen.& Der von Breslau 1925 nach Göttingen gekommene Achim Gercke war am 3. August 1902 in Greifswald als Sohn des aus „altem Göttinger Bürgergeschlecht“ kommenden Vaters Alfred Gercke (1860-1922) geboren worden, damals o. Professor für Klassische Philologie an der Universität Greifswald.®3 Alfred Gerckes Name ist bis heute durch die „Einleitung in die Altertumswissenschaft“ bekannt, ein Sammelwerk, das in Form einer gedrüngten Enzyklo-
Hugo Willrich, Achim Gercke und das „Archiv für berußsständische Raesenstatistik"
75
pädie in die gesamte Altertumswissenschaft einführt. Er gab es zusammen
mit seinem ehemaligen Greifswalder Kollegen Eduard Norden (1868-1941) heraus.
1906
hatte
dieser
durch
sein
Werk
„Die
antike
Kunstprosa
vom
6. Jahrhundert v. Chr. bis in die Zeit der Renaissance“ (1808, 1. Aufl.) berühmt gewordene Latinist einen Ruf nach Berlin erhalten, wo er nach Wilamowitz’
Tod als der bedeutendste der Berliner Philologen galt.9* 1910-1912 erschienen die ersten drei Bände bei Teubner. An dem sogenannten „Gercke-Norden“ arbeiteten die berühmtesten Altertumswissenschaftler der Zeit mit: Von Wilamowitz über Karl Julius Beloch, Elias Bickermann, Paul Maas bis zu Eugen Täubler u. a. m. reicht die Liste der Namen. Täublers Beitrag „Der römische Staat“ durfte 1935 allerdings nicht mehr erscheinen, weil sein Autor Jude war.
Erst 1985 erschien Tüublers Werk postum.® Der ,Gercke-Norden* war so erfolgreich, daß er mehrere Auflagen erlebte. Während des Ersten Weltkriegs ging man aus drucktechnischen Gründen dazu über, Einzelbände zu speziellen Themen erscheinen zu lassen. Nach dem Tod Gerckes 1922 führte Norden die Herausgebertätigkeit alleine fort. 1938 teilte ihm dann der Verlag Teubner mit, daß das Werk nicht mehr weitergeführt werde, weil auch Norden als
Herausgeber nicht mehr tragbar sei: Er war Jude. Damit war das Schicksal des „Gercke-Norden“ besiegelt. „Mit dem Jahr 1955 hat, nimmt man alles in allem, der ‚Gercke-Norden‘ aufgehört, sich weiterzuentwickeln und damit zu
leben: Nach dem Zweiten Weltkrieg sind nur noch einige wenige Hefte wieder gedruckt worden, von Wilamowitz, Maas und Norden . . .“, notiert Mensching in seiner Studie über das Schicksal des „Gercke-Norden“.® Mensching fragt Sich, inwieweit der Sohn von Alfred Gercke, eben jener Achim Gercke, bei diesem Ausgang der Geschichte mitgewirkt hatte, weil er den Namen seines Vaters nicht mit dem eines jüdischen Altertumswissenschaftlers zusammen
sehen wollte.67 Wir wissen es nicht. Bemerkenswert erscheint mir die bisher in der historischen Literatur unbekannte bzw. nicht wahrgenommene Herkunft Achim Gerckes aus dem bürgerlich-humanistischen Milieu eines Pro-
fessorenhaushalts. Er konnte so seinen spezifischen Zugang zu dem sozialen Wissen der akademischen Sphäre, insbesondere ihr Beziehungsnetz, aber auch zu den wissenschaftlichen Methoden und ihrer Systematik, wie wir gleich sehen werden, den Nationalsozialisten nutzbar machen. Als Achim Gercke zum Studium der Chemie, Physik und der Mathematik von Breslau in das Mekka der Naturwissenschaften, nach Góttingen kam, war sein Vater schon drei Jahre tot. Wir können aber annehmen, daß er durch alte
Verbindungen seines Vaters die Bekanntschaft mit Hugo Willrich machte. Denn beide hatten zusammen bei Wilamowitz in Góttingen studiert. Wührend Willrich seine Dissertation verfaßte, wirkte Alfred Gercke als Privatdozent am
Seminar für Klassische Philologie, bis er 1895 die kommissarische Verwaltung einer Professur in Königsberg übernahm.98 Das würde auch erklären, warum Willrich, der nun seine schon 1919 geforderte Sammlung von Daten über die Stellung der Juden im Deutschen Reich in greifbare Nühe der Realisierung
rücken sah, Achim Gercke mit allen Mitteln bei dieser Arbeit unterstützte. Es ist schwer zu glauben, daß er einem ihm völlig unbekannten Studenten der
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GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
Chemie soviel Hilfe hätte zuteil werden lassen, ja sogar seinen Namen und seine Privatadresse für das Projekt zur Verfügung gestellt hätte. Die NSDAPParteigenossen, denen Gercke seinen Plan vorstellte, reagierten zunächst skeptisch, weil sie das Vorhaben für undurchführbar hielten.6® Wie sollte es möglich sein, eine Liste der deutschen Juden aufzustellen, die die Familienangehórigen bis in die Vätergeneration erfaßt? Ein zentrales Ziel der Datensammlung war zum einen, alle diejenigen Personen herauszufinden, deren Eltern sich noch zum jüdischen Glauben bekannten und sie damit, auch wenn sie „kein Bekenntnis“ angaben oder schon bei der Geburt getauft worden waren, im NS-Sprachgebrauch als „Judenstämmlinge zu enttarnen*. Zum anderen sollte die Gruppe herausgefunden werden, die im Laufihres Lebens
zum christlichen Glauben übergetreten war. Ausgangspunkt dieser Suche war die Annahme der Nationalsozialisten, daß man die Rasse aus der Religionszu-
gehörigkeit erschließen könne. Haase legte aus diesem Grund in seinen besonders radikalen Entwürfen zur „Reinerhaltung der arischen Rasse“ das Jahr 1871 als Stichjahr für den „Ariernachweis“ fest. 1869-1871 war den Juden
in Deutschland die volle Gleichberechtigung zugesprochen worden, die allerdings erst mit der Verfassung der Weimarer Republik einigermaßen verwirklicht wurde. Haase und Parteigenossen gingen davon aus, daß die Elterngeneration sich noch zur jüdischen Religion bekannte.79 Da die Arbeit an einem solchen Archiv vor dem „Novembersystem“ geheim bleiben mußte, konnten nicht die offiziellen städtischen und kirchlichen Melde- und Taufregister benützt werden. Gercke, dessen Großonkel váterli-
cherseits, August Wilmanns (1855-1917), Generaldirektor der Preußischen Bibliotheken gewesen war, wollte deshalb sämtliche Schulprogramme der Gymnasien und sämtliche in den Doktorarbeiten enthaltenen Lebensläufe zu
diesem Zweck auswerten. Die Schulprogramme enthielten Listen der Abiturienten mit dem Berufswunsch und der Angabe über die Religionszugehörigkeit. Auch die den Dissertationen beigefügten Lebensláufe enthielten Angaben über die Religionszugehórigkeit. Beide Sorten von Unterlagen standen in
der Göttinger Universitütsbibliothek in unzähligen Bänden und ziemlich vollständig zur Verfügung. Damit wurde zwar nur die Gruppe deutscher Juden erfaßt, die wenigstens das Abitur gemacht hatte. Aber durch die Angaben über ihre Eltern kamen auch diese in die Kartei. Nun bestand das Problem, wie man mit dem dazu nötigen Zeit- und Arbeitsaufwand die Bände in der Universitätsbibliothek bearbeiten sollte, ohne aufzufallen. Ein solch riesiges
Projekt benötigte auch entsprechend finanzielle Unterstützung. Man erfand den Tarnnamen „Archiv für berufsständische Rassenstatistik“, der oberflächlich besehen in der damaligen Zeit, die sich an sozialdarwinisti-
schen Mustern folgende Rassentheorien schon gewöhnt hatte, wenig Anlaß zu Verdacht gab. Hugo Willrich sorgte dafür, daß Räume zur Verfügung standen. Aber auch für die Finanzierung und für die Möglichkeit, eine offi-
zielle Postadresse zu erhalten, an die eventuelle Antworten auf Anfragen der „Archiv“-Betreiber gerichtet werden konnten, fand er eine Lösung. Willrich gründete einen Verein „Freunde der deutschen Auskunftei“. Dieser Verein
Hugo Willrich, Achim Gercke und das „Archiv für berufsständische Rassenstatistik“
77
erhielt unter Willrichs Namen ein Postscheckkonto für Spenden und ein Postfach. Als Förderer trat u. a. der a. o. Professor für Chemie und spätere Nachfolger Fritz Habers am Berliner Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie, Gerhart Jander, auf. Der Verein sorgte mit Spenden für die Finanzierung des „Archivs“. Auch an der Bibliothek fanden sich bald freiwillige Helfer, die eifrig die vielen schweren Bände täglich herbeischleppten und Gercke schließlich freien Zugang zu den Beständen im Keller ermöglichten. Die Oberbibliothe-
kare Dr. Falckenheiner, Dr. Runge und Dr. Lecke trugen nach Haases Bericht zu dem Gelingen des Projekts bei.?! Dr. med. Johannes Lecke war erst 1922 von Berlin als Bearbeiter der medizinischen und naturwissenschaftlichen Realkataloge nach Göttingen versetzt worden. Er arbeitete, wie seine Personalakte festhält, nach seiner Pensionierung unbezahlt und freiwillig einein-
halb Jahre länger, also ungefähr bis zum Beginn des Jahres 1932. Zu diesem Zeitpunkt
war
Gercke
mit seiner
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schon
in München,
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dort die
neugegründete „NS-Auskunft“ im „Braunen Haus“ der NSDAP aufzubauen.7? Bis dahin hatte Gercke ca. 70.000 Karteikarten gesammelt.7 Neben von dem Archiv angebotenen ,deutschen Auskünften* über Personen aus der Reihe der politischen Gegner, aber auch für eine ,vólkische* Eheschließung,
sind vor allem zwei gedruckte Reihen hervorzuheben, die in den einschlägigen Kreisen zirkulierten. Es handelt sich um die Reihe ,Jüdische Richter und Staatsanwälte“ und die Reihe „Der jüdische Einfluß auf den deutschen Hohen
Schulen*. Beide Reihen machen die Ergebnisse der Arbeit Gerckes offenbar (vgl. Abb. 5). In der zweiten Reihe, die uns vor allem interessiert, erschienen von 1928 bis 1952 insgesamt wenigstens acht Hefte, die eine namentliche Liste „sämtlicher jüdischen, jüdisch-versippten und jüdisch beeinflußten Professoren“ als „Handschrift gedruckt für den Kreis der Freunde und Förderer der Deutschen Auskunftei^ enthalten.7* Das Heft 1, 1928 erschienen, war der Universität Göttingen gewidmet und nennt die Namen von Lehrenden aus
dem Wintersemester 1926/27, alphabetisch geordnet, mit Angaben über Eltern, Großeltern, Geschwister und Kinder nebst der Wohnadresse: ein Vade-
mecum für den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund (NSDStB) und für nationalsozialistische Stór- und Schlügertrupps (vgl. als Beispiel die Eintráge in Abb. 6). Dem NSDStB dienten die Hefte zudem als Propagandamaterial für die von ihnen geschürte Furcht vor der jüdischen Konkurrenz auf dem akademischen
Berufsmarkt. Die seit 1875 sprunghaft ansteigende Studentenfrequenz war die eigentliche Ursache für die Berufsenge.’® Während 0,1% sämtlicher Deutschen um 1910 an Universitäten studierten, nahmen in Preußen im Zuge
der Emanzipation 0,4% sämtlicher preußischer Juden ein Studium auf. Schon in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts führten die Burschenschaften ein Aufnahmeverbot für jüdische Studenten ein, auch wenn diese getaufl
waren. Damit war das bisher gültige Ausschlußkriterium des Religionsbekenntnisses durch ein rassistisches ersetzt worden. Der NSDStB forderte dann ab 1926 wiederholt einen Ausschluß jüdischer Studenten von den Universitäten mit Hilfe eines Numerus clausus, der die Zahl jüdischer Studenten auf den
78
GRÜNDUNG UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
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Die Bedingungen
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Gachlicteit und Gmauiglet
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Abb. 3: Werbung des Archivs für berufsständische Rassenstatistik in Form eines persönlichen Anschreibens (Vorderseite)
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Abb. 5: Die vom Archiv für berufsständische Rassenstatistik zwischen 1928 und 1952 herausgegebenen Schriftenreihen
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Universität Göttingen, Abb. 6: Die Seiten 6 (Zeichenerklärung), 8 und 9 aus: „Der jüdische Einfluß an den deutschen hohen Schulen", Heft 1: Die 1928, o. O. (enthält u. a. den Namen Hermann Fränkel)
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Hugo Wiltrich, Achim Gercke und das „Archiv für berufsständische Rassenstatistik“
81
Anteil der jüdischen Bevölkerung reduzieren sollte.79 Mit dieser Politik der Verhetzung und der Schürung von Konkurrenzfurcht erzielte der NSDStB seine hohen Wahlerfolge an den Hochschulen. Dabei war der Anteil jüdischer
Studenten an allen preußischen Universitäten von 9,61% (1886/87) schon auf 5,08% (1950) gesunken.’’ In Göttingen waren im WS 1929/50 0,8% der Studenten jüdisch.78 Der Anteil der jüdischen Bevölkerung 1925 betrug 0,9%. Die Zahl der jüdischen Studenten in Góttingen lag sogar unter dem Reichsdurchschnitt der jüdischen Bevólkerung. Aber solche Zahlen wurden nicht zur Kenntnis genommen. Der Reichsdurchschnitt von 4-5% jüdischer Studenten in den Jahren 1928-1933, aber auch Berufsfeldern wie Medizin und Jura NSDStB mit seiner Strategie erfolgreich Student, weißt nicht, ob du zu den
der Anteil von Juden in akademischen beeindruckte viel mehr, so daß der sein konnte: „Auch du, nichtjüdischer 100.000 stellungslosen Akademikern
gehören wirst... Wir nichtjüdischen Studenten wollen später unabhängig sein von der Vorherrschaft des Judentums in akademischen Berufen“, warb der NSDStB 1932.79 Man kann sich leicht vorstellen, daß die von dem Archiv in Umlauf gesetzten Zahlen, die auch „jüdisch beeinflußte“ - darunter konnte
jeder fallen, insbesondere politisch von den Nationalsozialisten angefeindete - Professoren einschlossen, aufheizend und radikalisierend wirkten. Die lange gepflegten antijüdischen Ressentiments der Studenten verbanden sich
mit der von dem Großteil ihrer Professoren seit 1919/20 geschürten Verachtung des „Systems des Parlamentarismus“ und entlud sich in den Studentenkrawallen an den Hochschulen in den Jahren 1928 bis 1932. Diese richteten sich u. a. gegen republikfreundliche Professoren wie Günther Dehn (Halle), Emil Julius Gumbel (Heidelberg), Theodor Lessing (Hannover) und Ernst Cohn (Breslau). Die Ausschreitungen des NSDStBs 1952 gegen den Juristen Ernst Cohn in Breslau fielen mit dem Erscheinen der Hefte Nr. 6 und 7 aus der Reihe „Der jüdische Einfluß an den deutschen Hohen Schulen“ über die
Universität Breslau zusammen. Die übrigen Hefte waren der Universität Berlin (2, 3, 5 und 8) und der Universität Königsberg (4) gewidmet. Wie gut bekannt die Hefte waren, zeigt, daß schon vor 1955 zwei Göttinger Hochschullehrer es für nötig hielten, sich unter Vorlage eines „Ariernachweises“ aus
dem Verzeichnis streichen zu lassen.8! Nach 1955 bestand der Haupteffekt der Gerckeschen Datensammlung in der Erleichterung der nationalsozialistischen Entlassungs- und Aussonderungspolitik. ,Keiner von uns in Góttingen und Südhannover ahnte allerdings damals, daß auf der Basis der später immer größer ausgebauten Kartei der
Arierparagraph von 1933 wirklich würde durchgeführt werden können“, notiert Haase in seinem Bericht.& Haase bezieht sich hier auf die erste Entlassungswelle von Juden im öffentlichen Dienst, die gleich nach der Machtergreifung anrollte und dann mit dem „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ (BBG) vom 7. April 1933 eine nachträgliche Legitimierung erhielt. Diese als Statistik ausgegebene Sammlung eines Amateurs, das sogenannte „Judenregister“, stellt den Anfang der Definition, d. h. der systematischen
Erfassung
deutscher
Juden
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Ihr vorgeblicher
Zweck,
82
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
Auskunft über den jüdischen Anteil in bestimmten Berufssparten zu geben, wurde nach 1953 zu einem Instrument, das die Durchführung der Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst ermöglichte und beschleunigte. In einem weiteren Schritt diente die Kartei zur Aussonderung der Juden, die ihrer Verschleppung und Ermordung vorausging. Dieser Gang der Ereignisse war nicht von Anfang an geplant gewesen, aber mit Hilfe solcher Arbeiten, wie der von Achim Gercke, war er dann leichter zu verwirklichen.8° Gercke wurde für seine in über fünf Jahren geleistete Arbeit schon vor 1933 von der NSDAP belohnt und machte nach 1933 eine steile Karriere. Die ihm 1931 übertragene „NS-Auskunft“ in München wurde nach der Machtergreifung zum „Rassen-
politischen Amt“ der NSDAP, das im übrigen auch von einem ehemaligen Göttinger Student geleitet wurde: Dr. Walter Groß, der Gründer der Göttinger Hochschulgruppe des NSDStB (1926/27). Am 13. April 1955 wurde Gercke in aller Eile zum „Sachverständigen für Rasseforschung beim Reichsminister des Inneren“ gemacht. Sein vom Innenminister Frick erteilter Auftrag war,
die Durchführung
des „Gesetzes
zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 zu ermöglichen und in Einzelfällen mit Beweisen zu unterstützen.8 Er wirkte auch an der Formulierung der ersten „Durchführungsverordnungen“ mit. Als Sachverständiger hatte er die Macht, in Fällen „zweifelhafter arischer Abstam-
mung“ das letzte Wort zu sprechen, ohne daß es eine Instanz gab, die Einspruch erheben konnte. Von solch einem Gutachten Gerckes war z. B. der 1909 geborene Althistoriker Hermann
Straßburger
betroffen, weil seine Großmutter
Alexandrine
Strasburger, geborene Wertheim, einen jüdischen Vater gehabt hatte. Mit dem Gutachten Gerckes, das Straßburger in die Kategorie „Mischling 2. Grades“ einstufte, wurde seine Habilitation verhindert und damit die Universitätslauf-
bahn blockiert. Das Gutachten führt an, daß der Vater von Strasburgers Großmutter Alexandrine 1817 als Sohn jüdischer Eltern in Warschau geboren und erst 1844 evangelisch getauft worden war. Die Mutter der Alexandrine, Johanna, geborene Flamm, wiederum sei bei ihrer Geburt in ein rómisch-katholisches Warschauer Kirchenbuch eingetragen worden, nicht aber ihre Taufe. Die Aufnahme in die Warschauer evangelisch-augsburgische Gemein-
de sei erst 20 Jahre später nachgewiesen. „Auf Grund dieser Tatsache und auf Grund der Namen der Eltern [der Alexandrine, C. W.]*, hieß es im Gutachten, „muß bis zum Beweise des Gegenteils als erwiesen angesehen werden, daß
Ihre väterliche
Großmutter
Alexandrine
... voll jüdischer
Abstammung
war.“®* Das äußerst dubiose Kriterium jüdisch klingender Namen findet sich schon 1928 in Gerckes Beschreibung seiner Vorgehensweise: „Ein Nachweis
über die Zugehörigkeit zum Judentume bei den Ehefrauen würde oft eine umfangreiche Nachforschung erfordern, so daß kleinere Anhaltspunkte und auch kennzeichnende Namen anstelle eines weiteren Beweises treten müssen“ (Hervorhebungen C. W.).85 So konnte sich Straßburger an keiner deutschen Universität habilitieren, seinem Wehrdienst 1940 stand diese Katego-
risierung allerdings nicht im Wege.59
Hugo Wilirich, Achim Gercke und das „Archiv für berufsstündische Rassenstatistik“
85
Der ,Sachverstündige für Rasseforschung", Gercke, trat 1954 mit dem Band „Die Rasse im Schrifttum“, gemeinsam mit R. Kummer verfaßt, hervor. Bis zu
seiner plötzlichen Entlassung Ende 1955 verfaßte Gercke nach eigenen Aussagen Tausende solcher Gutachten.8? Aus seiner Stelle ging dann das „Reichssippenamt“ hervor, das mit vielen Angestellten Gerckes Arbeit auch in den von Deutschland besetzten Staaten fortführte: die systematische Registrierung und Erfassung jüdischer Bürger.87^ Hugo Willrich, der in den Jahren der Weimarer Republik immer wieder im Zusammenhang mit antisemitischer und antidemokratischer Hetze hervorgetreten war, wird nach seinem Tod am 20. Juli 1950 in dem
Nachruf des
damaligen Rektors Wolfgang Trillhaas geehrt: „Der Verstorbene war von hohem Verantwortungsbewußtsein und Pflichtgefühl beseelt. Er diente der Jugend als Erzieher . .. Er nahm am politischen Leben teil und kämpfte, wo es die Sache
erforderte, mit Entschiedenheit,
aber immer
sachlich und in
vornehmer Form.“& Nach den hier ausgeführten Verhültnissen in Góttingen wundert das von Marshall herausgefundene Ergebnis über die Beteiligung Güttinger Hochschullehrer an der Politik in der Weimarer Republik nicht. Nach ihren Erhebungen steigerte sich der Anteil nachweislich politisch tätiger Professoren und Dozenten von 56% 1920 auf 42%
1927: Sie waren Mitglieder oder
Vorsitzende von Parteien, hielten óffentliche Werbereden oder engagierten sich auf andere Weise politisch, wie im Fall Willrich.89? Das deutliche Übergewicht lag bei den rechten und konservativen Parteien, gefolgt von der liberalen DDP. Die SPD hatte kaum Rückhalt an der Hochschule, und die KPD
zühlte einen einzigen Hochschullehrer als Mitglied. Die linken Hochschulangehörigen sammelten sich um den ISK. Nach Leonard Nelsons Tod war der Privatdozent für Psychologie, Heinrich Düker (1898-1980), das letzte an der Universitüt verbleibende ISK-Mitglied. Um den ISK in Góttingen und Hannoversch-Münden bildete sich der Kern eines aktiven Widerstands gegen die Nationalsozialisten. Düker war derjenige Góttinger Hochschullehrer,
der sich am konsequentesten am Widerstand beteiligte und hierbei einer der ganz wenigen deutschen Psychologen. Ihm wurde schon 1956 dafür die Venia
legendi entzogen, und er wurde zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt.90 Auf diesem Hintergrund scheint es naheliegend, dafi politische Erwügungen in der Zeit der Weimarer Republik auch bei Berufungen eine gewichtige Rolle spielten. Wie weiter unten gezeigt wird, wurde der Althistoriker Ulrich Kahrstedt aus ebendiesen Gründen anderen, wissenschaftlich zumindest gleichwertigen, aber politisch zum Teil liberaleren Kandidaten vorgezo-
gen.9t
84
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
2.4 Die 1950/55 am Göttinger Institut für Altertumskunde lehrenden Wissenschaftler Die einzelnen Wissenschaftler, die 1955 am Institut für Altertumskunde lehr-
ten, werden in der Reihenfolge ihres Auftretens am Institut vorgestellt. Diejenigen Wissenschaftler, die Göttingen schon vor 1933 verließen, die emeritiert wurden oder starben (Günther Jachmann, Friedrich Focke, Richard Reitzenstein und Wilhelm A. Baehrens), sind, mit der Ausnahme von Eduard Fraenkel, nicht aufgenommen. Ihn führe ich auf, weil sein Weggang 1931 aus
Göttingen an die Universität Freiburg im Breisgau von antisemitischer Anfeindung begleitet war. Auf die politische Einstellung bzw. Betätigung von zwei Hochschullehrern gehe ich besonders ein: Max Pohlenz und Ulrich Kahrstedt, die beide als konservativ gelten können, waren eine überaus lange Zeit, nämlich von der
Weimarer Republik über das Dritte Reich bis in die fünfziger Jahre hinein, am Institut tätig. Bei zwei anderen Mitgliedern, Hermann Fränkel und Eduard Fraenkel, wirkte sich schon vor 1955 der Antisemitismus auf ihre wissenschaftliche Laufbahn aus, so daß der eine keine Professur außerhalb Góttin-
gens erhielt und der andere Góttingen den Rücken
kehrte. Fast alle hier
vorgestellten Wissenschaftler waren Schüler von Wilamowitz.
2.4.1 Max Pohlenz (1872-1962) Max Pohlenz® wurde am 50. Juli 1872 in Hänchen (Kreis Cottbus) geboren. Sein Vater war Gutsbesitzer. Nach dem Abitur studierte Pohlenz an den Universitäten Erlangen, Berlin und Göttingen. In Göttingen legte er 1895 seine Staatsprüfung im Fach Klassische Philologie ab. Wilamowitz und Friedrich Leo waren seine Lehrer. Von Góttingen ging er wieder nach Berlin, um das
„Probejahr“ für den Unterricht an Gymnasien zu absolvieren. Dort wurde er drei Jahre spüter mit seiner Dissertation über den Stoiker Poseidonius pro-
moviert, dessen Affektenlehre er aus Galens Schrift ,De Hippocratis et Platonis placitis" rekonstruierte. Acht Jahre unterrichtete er dann an der Hohenzollern-Schule in Berlin-Schüneberg, bis sich in Göttingen durch die hohe Anzahl der Studenten ein Engpaß ergab, so daß Friedrich Leo und Eduard Schwartz nicht mehr alleine das nötige Lehrprogramm bewältigen konnten. Max Pohlenz wurde am 1. Apri! 1906 als außerordentlicher Professor an die Göttinger Universität berufen, wo er über 50 Jahre lang lehrte und forschte. „Prof. Pohlenz hat in den letzten Jahren abwechselnd mit Prof. Leo und mir
die Uebungen der Abteilung I des Philologischen Seminars geleitet. In Anerkennung seiner vorzüglichen Lehrerfolge haben wir ihm im Philol. Seminar völlig gleiche Rechte eingeräumt, und er hat auf die wissenschaftliche Erziehung der Studierenden den gleichen Einfluß ausgeübt. Das tritt auch in der Zahl der von ihm angeregten Dissertationen hervor. Nun ist es uns, nament-
Die 1950/55 am Göttinger Institut für Altertumskunde lehrenden Wissenschaftler
lich
der
Studentenschaft
85
gegen-
über peinlich, wenn der neu berufene Prof. Reitzenstein Mitdirektor des Philol. Seminars würde,
Prof. Pohlenz aber trotz langjähriger Wirksamkeit von der Leitung ausgeschlossen ser Begründung land am 6. April schen Minister Unterrichts- und legenheiten,
bliebe.“ Mit diebat Paul Wend1914 den PreuDider geistlichen, Medizinalange-
Max
Pohlenz
zum
Mitdirektor des Seminars zu ernennen, eine Auszeichnung, die der Person gelten und nicht dau-
ernd mit der Stelle verbunden sein sollte.95 Der Minister genehmigte das. Nach dem Tod von Wendland
wurde
Pohlenz
sein
Nachfolger (1916)9* und blieb auf dieser Stelle bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1957. Das eigens für Pohlenz eingerichtete Extraordinariat blieb dem Institut er-
halten. Günther Jachmann (1922-1929) wurden
(1917-1922)
Abb. 7: Max Pohlenz
und danach
Wilhelm
als „persönliche Ordinarii^ mit dem
A. Baehrens
Etat eines Extraor-
dinarius auf die dritte Professur berufen.95 Später erhielt Hermann
die Vertretung des Extraordinariats bis zu seiner Emigration
Fränkel
(1929-1955).
1955 allerdings wurde dem Institut der dritte Lehrstuhl für Philologie gestri-
chen und der Etat für andere Zwecke verwendet. Max Pohlenz war seit 1916 der vierte Nachfolger von Wilamowitz. Auch während des Ersten Weltkriegs (er war als Hilfsbrieftráger in Göttingen eingesetzt) konnte er sich ganz der Lehre und Forschung widmen. Beides tat er in ungewöhnlichem Ausmaß: Er hatte die meisten Schüler. In dem Zeitraum von 1914 bis 1945 betreute er 45 Dissertationen aus den verschiedensten Themenbereichen, mehr als alle seine Institutskollegen zusammen.96 Er kümmerte sich mit großem pädagogischen Geschick um seine Studenten. Seine Interessen und Forschungsgebiete waren breit gestreut: von der Geschichte der Philosophie über Texteditionen, Staatstheorie und Geschichte
der griechischen Polisverfassung bis zur griechischen Tragödie und Komödie. Er schrieb im Laufe seines Lebens 20 Bücher und an die 200 Aufsätze.97 Seine
Bücher über die Stoa und die attische Tragödie sind am bekanntesten. Seine Mitarbeit bei der Edition von Plutarchs „Moralia* begann, angeregt von Wilamowitz, 1908 und dauerte bis in die sechziger Jahre. Pohlenz war neben
den wechselnden
Mitherausgebern der einzige, der die sechsbändige Aus-
86
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
gabe der philosophischen Werke Plutarchs fast bis zum letzten Faszikel betreute. Sein Hauptinteresse galt der Entwicklung griechischer Kultur: „Spezialist für griechische Geistes- und Kulturgeschichte“ gab er selbst sein Fachinteresse an.® Er spezialisierte sich insbesondere auf Quellenanalyse. Durch vergleichendes Quellenstudium versuchte er z. B. die nur bruchstückhaft erhaltenen stoischen Lehren des Panaitios zu rekonstruieren. Das kulturhistorische Interesse entsprach dem von Wilamowitz eingeführten Modell, das der Genese einer wissenschaftlichen Theorie gegenüber dem inhaltlichen
Verstündnis derselben den Vorrang gab. Damit ging aber die Unterschützung der Inhalte einher. Man war von der historischen Quellenanalyse so sehr gefangen, daß man - um nur ein Beispiel zu nennen - die Bemühungen um das inhaltliche Verständnis der stoischen Logik völlig vernachlässigte bzw. verfehlte. Sie galt als purer „Formalismus“. Die Entdeckungen und Entwicklungen der Wissenschaften in hellenistischer Zeit wurden, sozusagen im
Nachhall des Klassizismus, als Niedergang im Vergleich zu Aristoteles und Platon empfunden, und damit wurde der Fortschritt, den sie enthielten, übersehen. Erst in moderner Logik ausgebildete Philologen und Philosophen
haben die Bedeutung der stoischen Logik und Sprachtheorie erkannt. Vielleicht ist diese Vernachlässigung der inhaltlichen Analyse hellenistischer Logiktexte bei Pohlenz auch auf das Desinteresse seines Lehrers Wilamowitz an Philosophie zurückzuführen. Vielleicht aber verstellte ihm noch ein anderer Aspekt das Verstündnis für die logischen und sprachtheoretischen Lehren und Leistungen der Stoiker. Zieht man Pohlenz' Aufsatz ,Stoa und Semitismus“ aus dem Jahr 1926 hinzu, fällt auf, daß er die stoischen Theorien unter dem Gesichtspunkt griechisch - ungriechisch zu ordnen und zu verstehen versuchte, wobei er mit „ungriechisch“ „semitisch“ meinte. Dieses Mo-
dell, das von einer genuinen, ursprünglich reinen griechischen Kultur und Philosophie ausging (im übrigen heutzutage lüngst widerlegt), die durch fremde Einflüsse erst in der Zeit des Hellenismus verändert wird, ließ zu, dad die stoische Logik als ,semitischer Formalismus“ auch den antijüdischen Ressentiments zum Opfer fallen konnte. Was Pohlenz als „ungriechisch“ ausgrenzte, wird an folgendem Zitat deutlich: ,Ist man erst einmal auf den
semitischen Einschlag im Stoizismus aufmerksam geworden, gewinnt noch manches andre an Bedeutung: die talmudische Kasuistik, die Freude an Definitionen, die Neigung, mit abstrakten Deduktionen die Dinge zu meistern,
die Schroffheit, mit der Zenon die Unterdrückung der Affekte verlangt und die Apathie fordert... .“® Die als „ungriechisch“ und „fremd“ diagnostizierten
Anteile der stoischen Lehren wurden entwertet, und damit blieb der Zugang zu ihnen für lange Zeit versperrt. Dieses Muster der Aufteilung in „griechisch“ - „semitisch“, mit den Attributen „talmudische Kasuistik“, Definitionen, abstrakt, deduktiv, schroff, apathisch, erinnert an die damals verbreitete antisemitische Charakterisierung von „jüdischer“ im Gegensatz zu „deutscher“ Wissenschaft. Dieser Überlegung folgend, könnte man vermuten, daß die
stoische Logik als „jüdische“ Wissenschaft dem
Vorurteil zum
Opfer fiel.
Die 1930/35 am Göttinger Institut für Altertumskunde lehrenden Wissenschaftler
87
Sagen kann man, daß Pohlenz’ Beschäftigung mit der stoischen Philosophie und Ethik die Stoa überhaupt zum Forschungsthema machte. Für das Verständnis der römischen Kultur öffnete er damit neue Wege, weil sie stark von
der stoischen Schule geprägt war. In den zwanziger Jahren gab es eine Diskussion, ob das Fach Staatsbürger-
kunde als eigenes Fach an den höheren Schulen eingeführt werden sollte. Diese
Konzeption
setzte sich nicht durch,
und
die Aufgabe
wurde
in den
Lehrplänen des Landes Preußen dem Geschichtsunterricht und dem der klassischen Sprachen zugewiesen. Pohlenz, der sich als Fachmann für griechische Staatstheorie
ausgewiesen
und eine lange Schulpraxis hinter sich
hatte!99, schien in diesem Zusammenhang besonders geeignet, einen „altphilologischen Ferienkurs“ für Lehrer an höheren Schulen zu halten, der in die
Möglichkeiten der Staatsbürgerkunde im Griechischunterricht an Gymnasien einführen sollte. Das von ihm gehaltene Kolleg wurde 1926 veröffentlicht.101 Weil es Pohlenz’ Ansichten über die Weimarer Republik zeigt und ein Beispiel dafür ist, wie der Griechischunterricht für den Transport politischer Einstellungen genützt wurde, soll im folgenden der Tenor dieser drei Vorträge wiedergegeben werden. Anhand der Interpretation von Platon-, Aristoteles-, Thukydides- und Demosthenestexten führte Pohlenz vor, wie man Schülern Begriffe der Staatsbürgerkunde („Bürger“, „Verfassung“, „Staat“ u. a.), das Verhältnis von Indi-
viduum und Staat sowie verschiedene Verfassungsformen nahebringen kann. Erblieb aber nicht bei der Erklärung von Begriffen stehen, sondern illustrierte sie, indem er laufend Parallelen zog und Vergleiche zwischen griechischer
Geschichte und deutscher Gegenwart anstelite. Dabei wird seine Stellung zur Weimarer Republik überdeutlich. Pohlenz, Mitglied der gemüBigteren DVP, vertrat das Programm der konservativen Nationalliberalen. Er neigte zu elitären und autoritür strukturierten Staatsmodellen. Das Vielparteiensystem scheint ihm chaotisch und funktionsuntüchtig, weil die Volksvertreter nicht unter dem Gesichtspunkt der für ihre politische Aufgabe notwendigen Kompetenz ausgewählt werden.1% Der erreichte Stand der Demokratisierung der Weimarer Republik stimmte nicht mit seinen Vorstellungen eines elitáren Staatswesens überein. Da unter den Nationen der ,sacro egoismo“ herrsche,
sei Pazifismus illusionür. Eine Nation kónne sich in solch dschungelartigen Verhältnissen, die traurig, aber real seien, nur durch eine „starke Regierung“
behaupten.!05 Diese „starke Regierung“, von einer kleinen Elite politisch kompetenter Menschen!9* getragen, könne nur durch außenpolitische Stärke, also durch Kriegsandrohung, Frieden und Kulturentwicklung im Innern sichern. Dies und anderes könne man aus der griechischen Geschichte lernen, speziell aus der Analyse
der Ursachen
des Niedergangs
der griechischen
Kultur und „Nation“ seit Alexander dem GroBen.105 Eine eingehendere
Interpretation der drei Vorträge
von
Pohlenz kann
zeigen, dali er, ohne es ausdrücklich zu sagen, indem er einige damals gängige
Thesen übernahm, den Faschismus italienischer Prügung!99 für den besten Ausweg aus der seiner Ansicht nach verfahrenen Situation der Weimarer
88
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
Republik hielt. Der Staat sei eine naturgewachsene Gemeinschaft, einem Individuum vergleichbar. Daher sei auf das Verhältnis der Nationen zueinander erstens die These vom unvermeidlichen Sieg des Stärkeren über den Schwächeren im Sinne eines Naturgesetzes anwendbar. Zweitens gelte die Ansicht, daß Nationen wie Individuen ein „innerstes Wesen“, eine Art Charakter, haben. Ihnen seien daher bestimmte Verfassungen angemessener als
andere, so daß eine Verfassungsänderung, die nicht dem Wesen eines Volkes entspreche, zum sicheren Scheitern verurteilt sei.107 Daraus folgt - auch wenn es Pohlenz nicht direkt ausspricht -, daß der Wechsel vom
Kaiserreich zur
Weimarer Republik nicht dem Wesen des deutschen Volks entspricht. Damit geht die These einher, daß Krieg und Diktatur, wenn sie dem Charakter eines Volkes eher entsprechen als Demokratie und Friedfertigkeit, zum unvermeid-
baren Schicksal werden. Man findet in diesem Text die spüter bevorzugten Topoi schon vorgezeich-
net: Athen und Sparta als Exponenten verschiedener Staatsideen!08, wobei dann Sparta im Dritten Reich eine besondere Benaissance als Vorbild für die Erziehung zur ,Wehrhaftigkeit" des deutschen Volks erlebte. Demosthenes wird auch hier als Kriegspropagandist und gescheiterter Retter der griechischen ,Nation* gesehen. Schließlich wird die Wesensähnlichkeit zwischen
Griechen und Deutschen festgestellt. Die von Pohlenz mitgeprügte Rolle des »Altsprachlers als nationalpolitischem Erzieher“, wie es dann in der Zeit des Dritten Reichs hieß, erhielt eine programmatische Funktion in den „Leitsät-
zen zur Neugestaltung des humanistischen Bildungsgedankens auf dem Gymnasium", die der Deutsche Altphilologenverband 1955 veróffentlichte.!99 Die „Leitsätze“ waren allerdings viel radikaler und erklärten, im Unterschied zu
Pohlenz, ganz explizit die Erziehung zur Wehrhaftigkeit und zum Führerglauben als Ziele des altsprachlichen Unterrichts. Dal dieser dazu geeignet sei, wurde mit der These von der ,rassischen Verwandtschaft“ der Deutschen mit
den Griechen und Römern besonders unterstrichen.!!? Die von Pohlenz konstatierte „Wesensähnlichkeit“ erfährt Das von Pohlenz gehaltene Kolleg Beispiel dafür, wie in der Weimarer rien, die demokratischen Verhältnisse
eine rassistische Radikalisierung. zur staatsbürgerlichen Bildung ist ein Republik Versuche seitens der Ministestützende und schützende Maßnahmen
einzuführen, unter der Hand verkehrt und zur Erreichung des Gegenteils benützt wurden. Abschließend sei darauf hingewiesen, daß Pohlenz, der die Herrschaft einer Elite herbeiwünschte, der NSDAP skeptisch gegenüberstand und später auch nie dieser Partei, die nach seiner Ansicht mit äußerst primi-
tiven Mitteln arbeitete, beigetreten ist. Die Rede Hitlers im Jahr 1932 in Göttingen hatte wohl eine abschreckende Wirkung auf ihn. Vor den Gemeindewahlen in Preußen am 12. März 1933 trat Pohlenz öffentlich für eine Listenverbindung der DNVP mit der DVP und dem „Stahlhelm“ ein, die dann als „Liste 5* unter dem Namen „Kampffront Schwarz-WeiD-Rot*, den Farben
des Wilhelminischen Kaiserreichs, kandidierte.!!! In seinen Veröffentlichungen behielt Pohlenz die Tendenz zur Aktualisierung und zur Kommentierung der Zeitereignisse auch in den folgenden Jahren bei.!12
Die 1950/55 am Göttinger Institut für Altertumskunde lehrenden Wissenschaftler
89
2.4.2 Ulrich Kahrstedt (1888-1962) 2.4.2.1 Biographie und wissenschaftliche Laufbahn Am 27. April 1888 wurde Ulrich Kahrstedt als Sohn eines Garnisonbauinspek-
tors in Neiße (Schlesien) geboren. Nach dem Abitur (1906) reiste er nach England, wo er in Edinburgh ein Jurastudium begann und vor allem Rómisches Recht hórte. Am Berliner Institut für Altertumskunde setzte er das Studium fort. Einem Semester an der Universität Straßburg und einerStudienreise nach Italien folgte die Rückkehr nach Berlin. Seine Studienfücher waren Alte Geschichte, Assyrologie, Archüologie, Klassische Philologie, Geschichte und Philosophie. Er erwarb sich auch Kenntnisse der hebráischen und der
arabischen Sprache. Als Dissertation reichte er 1910 bei Eduard Meyer!!5 eine Abhandlung
über die Politik des Demosthenes
ein, die zusammen
mit drei
Seminararbeiten aus seiner Studienzeit als Sammelschrift veröffentlicht wurde.114 Der mit der Note „Summa cum laude“ promovierte junge Wissenschaftler erhielt
bald
einen
einflußreichen
Förderer.
Otto
Seeck,
der Münsteraner
Althistoriker, war durch die Lektüre der Dissertation und eines Aufsatzes über „Frauen auf antiken Münzen“ (1910 in der Zeitschrift Klio erschienen) auf Kahrstedt aufmerksam geworden und erkundigte sich bei dessen Lehrer Eduard Meyer über ihn. Schließlich lud Seeck Kahrstedt ein, sich mit der von ihm geplanten Fortsetzung der Meltzerschen Geschichte der Karthager an der Universität Münster zu habilitieren.!!5 Um sich darauf vorzubereiten, reiste
Kahrstedt mit Hilfe eines archäologischen Reisestipendiums vor allem nach Nordafrika, um die antike Topographie Karthagos zu studieren. Er bereiste aber auch Spanien, Italien, Griechenland
chäologischen Ausgrabungen
und Kleinasien und nahm
an ar-
teil.!!6 Von seiner über ein Jahr dauernden
Reise zurückgekehrt, stellte er im September 1912 von Berlin aus brieflich bei der Münsteraner Fakultät den Antrag, im Fach Alte Geschichte habilitiert zu
werden. Er reichte außer der Druckfassung der Dissertation seine neuesten drei Aufsätze zu archäologischen, geographischen und wirtschaftsgeschichtlichen Themen ein, die zum Teil Vorarbeiten zur „Geschichte der Karthager“ darstellen.!!? Seeck, der einen jungen Althistoriker suchte, der ihn in der Lehre unterstützen sollte, war besonders von Kahrstedts Kenntnissen der
orientalischen Sprachen beeindruckt, aber auch von der Vielfältigkeit seiner Themen. Seinen selbstündigen Zugang zur Geschichte hob er lobend hervor, manche
Flüchtigkeit
und
Fehler
der in kürzester
Zeit verfaßten
Aufsätze
schienen ihm angesichts der großen Zahl von Veróffentlichungen verzeihlich. Dem
Urteil Seecks schlossen sich die Kollegen in der Mehrheit an, und so
wurde Kahrstedt innerhalb eines Monats habilitiert.118 Am 51. Oktober 1912 hielt er in Münster seine Antrittsvorlesung zu dem Thema „Gottkönigtum und
Herrscherkultus“. In Münster las er dann allerdings nur zwei Semester. Schon ein Jahr später vertrat er die Professur für Alte Geschichte an der Universität
Marburg.119
90
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER
INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
Die ursprünglich als Habilitation geplante „Geschichte der Karthager“ erschien 1913. Ein Jahr später veröffentlichte Kahrstedt eine quelienkritische Untersuchung über die Annalistik des
Livius.!20 In die Marburger
Zeit
fallen Vorarbeiten zu einem Werk
über griechisches Staatsrecht. Es sollte das Gegenstück zu Mommsens „Römisches Staatsrecht* werden und die systematische
Untersuchung
der
griechischen
Verfassungsgeschichte unter juristischem Aspekt bieten. Dieser ehrgeizige Plan wurde vom Er-
sten Weltkrieg unterbrochen. Die Vorarbeiten waren aber schon so weit gediehen, daß Kahrstedt kurz nach seiner Berufung auf den
:
Göttinger Lehrstuhl für Alte Ge-
Abb. 8: Ulrich Kahrstedt
schienen
schichte den ersten Band erschei-
nen lassen konnte.!?! Einige gróDere Artikel zur Rechtspflege ernoch, das Projekt selbst führte er aber nicht fort.!22 Neben der
griechischen
und
der
rómischen
Geschichte
spezialisierte
sich
Kahrstedt
später mehr und mehr auf die rómisch-germanische Altertumskunde und die sogenannte „Provinzialarchäologie“, eine Entwicklung, die nicht ganz unabhängig von der im Dritten Reich aufblühenden Germanenforschung zu sehen ist. Diese Beschäftigung mündete in mehrere groß angelegte Ausgrabungsunternehmen von frühgermanischen Wallanlagen und Kaiserpfalzen.!25 1948 erschien seine während der Kriegsjahre verfaßte „Geschichte des
griechisch-römischen Altertums“. Dieses Werk ist als Geschichte des gesamten Altertums konzipiert. Es ist charakteristisch für Kahrstedt und zeigt u. a. seine gegenwartsbezogenen Anschauungen. Er wendet den Begriff ,Klasse* auf die attische Demokratie an, die er als das Ergebnis eines Klassenkampfes ansieht. Sie sei die „Futterkrippe des Kleinbürgertums" (S. 51) gewesen. Diese für ihn typische Formulierung
zeigt seine Tendenz zur Aktualisierung und
seine abwertende und pessimistische Sicht der Demokratie. Bewunderung finden die militárischen Leistungen eines Themistokles, der die griechische Flotte aufbaute. Sein Hauptinteresse gilt aber den Zerfallsperioden der „Großmächte“
in hellenistischer Zeit, wie er im Vorwort schreibt. Die griechische
Geschichte der klassischen Zeit scheint ihm überbewertet. Sie sei eher als
Vorgeschichte des rómischen Imperiums zu sehen. Aber auch in der rómischen Geschichte bescháftigt ihn neben der Zeit der rómischen ,Revolution*
Die 1950/55 am Göttinger Institut für Altertumskunde lehrenden Wissenschaftler
9
vor allem die späte Kaiserzeit. In seiner Untersuchung über die Affinität deutscher Althistoriker zum Nationalsozialismus in ihren wissenschaftlichen Werken
stellt Näf fest, daß Kahrstedt im Vergleich zu seinen Kollegen eine
Sonderstellung einnimmt, weil er auf positivistischen und antiklassizistischen Anschauungen beharrt, die vor dem Ersten Weltkrieg u. a. von K. J. Beloch vertreten, aber in den dreiDiger Jahren von seinen Kollegen lüngst nicht mehr geteilt wurden.
Insofern gehe er mit einer nationalsozialistisch affinen Ge-
schichtsschreibung nicht konform.12* So verstanden auch kritische Studenten seine Vorlesungen in den Jahren des Zweiten Weltkrieges. Seine grundlegend pessimistische Sichtweise und sein besonderes
Interesse für Verfallszeiten,
die er sehr farbig und polemisch beschreibt, kamen allerdings meines Erachtens machtbesessenen und von Verachtung geprügten nationalsozialistischen
Konzepten entgegen. Kahrstedt hatte sich im Lauf der Beschüftigung mit der Geschichte der römischen Niederlassungen nördlich der Alpen auf Topographie und Siedlungsgeschichte spezialisiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte er diesbezüglichen Studien in Italien und Griechenland nachgehen. Er hatte sich auf diesem Gebiet immerhin einen solchen Namen gemacht, dafi er 1949 von der Britischen Akademie die Erlaubnis erhielt, das Archiv der britischen Royal Air
Force zu besuchen und die wührend des Krieges von Deutschland gemachten Luftaufnahmen auf Spuren alter Siedlungsreste zu untersuchen. Ulrich Kahrstedt, der Begründer des Góttinger Instituts für Altertumskunde,
lehrte von 1921 bis zu seiner Emeritierung 1952 Alte Geschichte an der Universität Göttingen. Das waren immerhin 51 Jahre, die nur durch einige Monate Wehrdienst 1941/42 und eine kurze Amtsenthebung durch die Britische Militürregierung im Jahr 1946 unterbrochen wurden. Seine Berufung als Nachfolger von Georg Busolt nach Góttingen war allerdings damals umstritten.
2.4.2.2 Kahrstedt als Politiker und Journalist
Gerade in den ersten Jahren der Weimarer Republik erhoffte man sich in liberalen und linken Kreisen durch die Neubesetzung frei werdender historischer Lehrstühle mit jüngeren liberalen Wissenschaftlern eine Unterstützung
der Republik an den Universitäten. Ein Artikel in der „Frankfurter Zeitung“ vom 7. April 1921 betonte die große Bedeutung liberaler Historiker für die politische Umorientierung und hielt die „derzeitige Lage“, daß sechs wichtige Lehrstühle Universität
für Mittlere und Neuere Geschichte, Göttingen, bald neu besetzt werden,
inklusive für „eine
einem an der entscheidende
Stunde für die Erneuerung des Geistes. Man möge achthaben, diese Stunde nicht zu verpassen".125 Eine Woche
später veröffentlichte die „Frankfurter
Zeitung“ einen anonym bleibenden Kommentar zur Göttinger Situation, der in Göttingen Wellen schlug, weil er Interna über Berufungsverfahren enthielt: „Die Stunde ist bereits verpaßt, wenigstens für Göttingen. Hier ist nicht eine
92
GRÜNDUNG
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geschichtliche Dozentur zu besetzen, sondern zwei: die Lehrstühle Busolts und Max Lehmanns. Aufden Lehrstuhl Busolts für alte Geschichte ist berufen worden ein Dr. Kahrstedt, der 1912 kurze Zeit Privatdozent in Münster war und jetzt in Steglitz wohnt. Wissenschaftlich war Herr K. bisher nicht sehr bekannt, umsomehr aber politisch. Er war nämlich in Weimar ‚wissenschaft-
licher Beirat‘ der deutschnationalen Fraktion und zeichnet seit 1920 als mitverantwortlicher Herausgeber der ‚Eisernen Blätter‘ des Herrn Traub. Er rechnet sich zu den am weitesten rechts stehenden Deutschnationalen ... Der Sprung vom Privatdozenten a. D. zum Ordinarius auf einen der bedeutendsten Lehrstühle ist zum mindesten überraschend. Ganz ähnlich liegen die Dinge bei der Berufung eines Nachfolgers für Max Lehmann. ... An zweite Stelle hat die Fakultät den Kieler Professor Meyer gesetzt, der wissenschaftlich wenig hervorgetreten, aber als stramm rechtspolitisch bekannt ist. ... Im preußischen Ministerium weiß man das alles ganz genau. Aber die Personalreferenten
haben
nicht den
Mut,
etwas
gegen
die Fakultäten
zu
unternehmen.“!26 Arnold Oskar Meyer (1877-1944), Mitglied der DNVP, stand in der Tat in der konservativ-obrigkeitsstaatlichen Tradition des Bismarck-Reiches. Sein Geschichtsbild war mit völkisch-rassistischen, alldeutsch-nationalistischen und antisemitischen Versatzstücken angereichert.!27 Er wurde zum Sommersemester 1922 als Nachfolger des liberalen Historikers Max Lehmann (18451929), Spezialist für Geschichte der deutschen Aufklürungszeit und der preuBischen Reform-Ära, auf den Lehrstuhl für „Neuere Geschichte“ berufen.128
Zwei Jahre zuvor, im April 1919, hatte die Fakultät es abgelehnt, dem Wunsch des preußischen Kultusministeriums zu entsprechen und den Lehrauftrag des
liberalen a. o. Professors für Wirtschafts- und Kolonialgeschichte, Paul Darmstüdter (1875-1954), Mitglied der DDP, Spezialist für moderne Demokratien, auf „Neuere Geschichte“ zu erweitern. Sein berühmter Kollege Karl Brandi hatte darüber hinaus, wie er an A. O. Meyer schrieb, ,eine Befórderung [Darmstädters, C. W.] zum Ordinarius“ verhindert.!?? Diese Information über die Zurücksetzung des liberalen Historikers Darmstädter, der auch als Nach-
folger Lehmanns in Frage gekommen würe, gibt dem Autor des Artikels im Fall A. O. Meyers recht. Hugo Willrich, der sich in der Berufungskommission neben Brandi besonders für Kahrstedt eingesetzt hatte!%, veröffentlichte unter dem sarkastischen Titel ,Ein demokratischer WillkommensgruD für
unsere neu berufenen Historiker“ im „Göttinger Tageblatt“ eine Replik auf den Artikel in der „Frankfurter Zeitung"!5!: Er verteidigt darin die Entscheidung der Göttinger Fakultät und behauptet, daß rein wissenschaftliche Gründe zur Berufung von Kahrstedt und Meyer geführt hätten. Gleichzeitig verdächtigt er Darmstädter, die Quelle des Artikels zu sein, und wirft ihm Verrat
von Dienstgeheimnissen vor.132 Auch im Fall Kahrstedts stimmen die im Artikel der „Frankfurter Zeitung“ gegebenen Informationen weitgehend. Zwischen 1912 und 1921 las Kahrstedt nur vier Semester, zwei in Münster und zwei in Marburg. Schon zum Wintersemester 1914/15 lieD er sich von der Universität Münster beurlauben, obwohl
Die 1959/55 am Göttinger Institut für Altertumskunde iehrenden Wissenschaftler
93
er erst im Februar 1915 zu einem Infanterieregiment eingezogen wurde.133 Von April 1916 bis November 1918 war er dann im Berliner Kriegsministerium als „Beamtenstellvertreter“ des Gardekorps tütig.!5* So erlebte er vor Ort die November-Revolution,
das
Kriegsende,
den
Rücktritt
des
Kaisers
und
die
Ausrufung der Republik. Den jungen und vielseitigen Historiker müssen der verlorene Krieg und die nachfolgende Gründung der Republik in einer Weise beeindruckt haben, daß er die Rolle des Wissenschaftlers aufgab und sich den
ohnehin durch den Krieg unterbrochenen Forschungstätigkeiten für mehrere Jahre entzog. „Kriegsende und Revolution führten Kahrstedt zunächst in die
aktive Politik aus dem
Gefühl
der Verantwortung
heraus, sich der roten
Hochflut, die alles fortzuschwemmen drohte, mit entgegenzustellen zu müssen“, notiert sein Schüler Ernst Meyer im Jahre 1962.13 Dabei nützte Kahr-
stedt die wissenschaftliche Autorität auf seine spezielle Weise. Kahrstedt kehrte nicht mehr an die Universität Münster zurück, sondern
beteiligte sich als „wissenschaftlicher Berater“ an der Gründung der DNVP (am 24. November 1918). Als Vorsitzender des Fraktionsbüros der DNVP richtete er der Partei ein Archiv und eine Bibliothek ein.130 Daß es sich nicht nur um wissenschaftliche Beratertätigkeit handelte, zeigen u. a. die Schreiben an den Dekan der philosophisch-naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster, in denen er um die Befreiung von den Lehrgeschäften bat: »... Meine Tätigkeit als wissenschaftlicher Beirat der Deutschnationalen Partei macht bis auf weiteres einen Aufenthalt außerhalb Berlins - bzw. Weimars - zur Unmöglichkeit. Bis zur Wiederkehr von Verhältnissen, wo nicht tagtäglich neue politische Fragen zu behandeln und zu beraten sind, sitze ich hier fest...“ - „... Meine Tätigkeit in der Fraktion und im Parteivorstand wird für absehbare Zeit eine Wiederaufnahme meiner Lehrtätigkeit praktisch
unmöglich machen“ (Hervorhebung C. W.).137 Der „Archivar“ der DNVP durfte, von dem Reichstagsabgeordneten und Fraktionsvorsitzenden des Ausschusses für „Auswärtige Angelegenheiten“ der DNVP, dem Pastor Gottfried Traub (1869-1956), als Journalist eingeführt,
an den Sitzungen des Ausschusses teilnehmen. Später verehrte Kahrstedt Traub als Erinnerung an die gemeinsame Arbeit seine Tagebuchaufzeichnungen über die Fraktionssitzungen.!58 Er nahm auch an den Sitzungen desjenigen Ausschusses teil, der das DNVP-Programm ausarbeitete.158a Aus dieser Zeit (Juni/Juli 1919) stammen auch Kahrstedts „Vorschläge zu politischen Aktionen der Deutschnationalen Volkspartei“, mit dem Titel „Ir-
redenta".159 Der Titel bezieht sich auf das politische Ziel, die im Westen besetzten Gebiete und die an Polen abgegebenen Territorien wiederzugewinnen:
,Das nationale
Ziel* sei der ,Ruf nach
der Befreiung der unerlósten
Brüder in allen Grenzmarken“ (S. 2, die Seitenzahlen geben die Paginierung des Originals an, das hier im Anhang 6 in Form einer Abschrift erstmalig dokumentiert ist). Kahrstedt macht in dem zwólf Seiten langen Memorandum
konkrete Vorschlüge zu einer politisch wirksamen Propaganda, die mit allen verfügbaren Mitteln der Erziehung zum ,Hass gegen die Feinde Deutschlands" dienen soll. Durch ein enges Verbindungsnetz zu den besetzten Gebie-
94
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
ten, das aufzubauen sei, soll z. B. Material über die Lebensbedingungen der „Auslandsdeutschen“ gesammelt werden, unter besonderer Berücksichti-
gung von Geschichten, die geeignet sind, „das Gefühlsleben der Massen“ (S. 5) zu bewegen. Wissenschaftliche Artikel, Broschüren, Zeitungsartikel, Aufsätze,
aber
auch
Groschenromane
und
Filme
sollen
das jämmerliche
Schicksal von Auslandsdeutschen und ihren Frauen schildern und beweinen. Dafür geeignete Themen seien etwa die „Verjagung einer ideal guten BürgerFamilie“, die „Brotlosmachung eines biederen Handwerkers oder Arbeiters“
und die „Schändung lieblicher deutscher Mädchen durch Neger und Polen“ (δ. 6). Kahrstedts Entwurf liest sich wie eine Vorwegnahme
rüdester politi-
scher Agitation und Propaganda, wie sie bald darauf von den Nationalsozialisten realisiert wurde. Ziel sei die Erweckung eines militanten Patriotismus
(5. 10/11). Er erkennt schon damals, daß der Film dafür ein zentrales Medium ist: „Man mag es bedauern, ... man mag verzweifeln, daß mit schlichter Reinlichkeit keine Geschäfte zu machen sind, aber dem ist nun einmal so: der
Schundfilm und die Schundliteratur regieren und wer an die Menschen heran will, muss seine Ansichten im Schundfilm und in der Schundliteratur nieder-
legen“ (S. 9). Den Haß mit allen Mitteln zu schüren und ihn gegen den auswärtigen Feind zu lenken, sei die große Aufgabe der Partei. Dies sei das beste Mittel, „das zerfressene Schwert des Reiches wieder zu schärfen, . . . die Spannung im Inneren ganz allmählich zu entlasten: wenn die deutsche Nation
bis zum Platzen angefüllt wird von einer hysterischen Wut gegen alles, was französisch, englisch, polnisch, tschechisch ist, findet zugleich eine wohltätige Ablenkung des Hass-Bedürfnisses von den eigenen Volksgenossen anderer Bildungsklassen und anderer Berufsstände statt“ (S. 11). Die moralisch guten und friedliebenden Aussagen hingegen gehören nach Ansicht Kahrstedts in das Parteiprogramm der DNVP und in die parlamentarischen Anfragen, nicht aber in die Politik. Er vertritt ganz offen eine doppelte Moral: In jeder Session
möge die Fraktion die Verderbtheiten der Zeiten beklagen und moralisch verurteilende Anträge gegen Schundfilme etc. stellen. Zugleich aber soll die Darstellung in den Medien mit diesen offiziell verurteilten Mitteln schamlos ausgenützt werden, weil die Psyche des großstädtischen Publikums nicht anders „aufgepeitscht“ werden könne (S. 10). Die für den fraktionsinternen Gebrauch verfaßten „Vorschläge“ Kahrstedts sind in erster Linie für seine eigenen Vorstellungen von der politischen Strategie einer deutschnationalen Politik aufschlußreich. Kahrstedt, der seit 1918 auch Mitglied des zunehmend antisemitischen „Volksbundes für das
Deutschtum im Ausland“ war!*, sah nach dem Versailler Vertrag das Hauptziel der Politik in der Wiederherstellung des großdeutschen Reiches. Er befürchtete, wenn man nicht dauernd die Öffentlichkeit an den Verlust der abgetretenen Gebiete erinnerte, daß die Menschen sich an den Status quo gewöhnten und andere Interessen in den Vordergrund rückten. Die „Vorschläge“ kursierten in der DNVP-Fraktion. Ihr Ziel, die „Wiedervereinigung“ und
der „Kampf gegen den Versailler Frieden“, traf auf Zustimmung, die von Kahrstedt vorgeschlagenen Mittel der Propaganda allerdings nur mit Ein-
Die 1950/55 am Göttinger Institut für Altertumskunde lehrenden Wissenschaftler
95
schränkungen (vgl. Anhang 6, FN.). Mit dem Wissen um Kahrstedts doppelbödige und zynische Auffassung von Politik allerdings, und das interessiert in unserem Kontext, ist seine eigene publizistische und rednerische Tätigkeit in den Jahren der Weimarer Republik und danach besser zu verstehen und einzuordnen. Denn neben seiner „wissenschaftlichen“ Beratertätigkeit für die DNVP entdeckte er auch seine journalistischen Fähigkeiten. Gottfried Traub gewann Kahrstedt als Autor für die von ihm herausgegebenen „Eisernen
Blätter“. Traub, von Beruf Pfarrer, wurde gleich, als er im Jahr 1001 nach Dortmund kam, Vorstandsmitglied des fortschrittlichen und liberalen „National-sozialen
Vereins für Deutschland“. Er wirkte in Dortmund viele Jahre als Pastor auf der Seite der Arbeiter: Wegen zu „radikal-liberaler Ansichten“ wurde er schließlich 1912 aus dem Pfarrdienst entlassen. Mit Beginn des Ersten Welt-
kriegs begann er, Flugblätter mit dem Titel „Eiserne Blätter“ herauszugeben. Sie enthielten Betrachtungen, die die Stimmung der Bevölkerung im Hinterland des Krieges heben und sie zum Durchhalten motivieren sollten. Ich nenne hier nur einige Titel: „Ihr jungen einsamen Frauen“, „Deutsche Ju-
gend“, „Vermißt“ u. a. m.1*! Traub, seit 1913 preußischer Landtagsabgeordneter der liberalen
„Fortschrittlichen
Volkspartei“, machte
ab
1917 einen
Schwenk nach rechts und versuchte, seine Wählerschaft zu der 1917 gegründeten „Vaterlandspartei“ hinüberzuziehen. Damit sorgte er für den „zweiten Skandal*.1*? 1918, als Abgeordneter der DNVP in der Nationalversammlung,
wurde er dann wieder in die Rechte des Pfarrers eingesetzt und sogar in den Vertrauensrat des Oberkirchenrats berufen: ein nicht minder skandalóses Zeichen der rechtslastigen Kirchenpolitik. Mit Traub hatten sich auch die „Eisernen Blätter“ verändert. Aus den Flugblättern war eine ,Deutschnationale Wochenschrift* geworden, die seit dem 1. Juli 1919 als offizielles DNVP-
Organ um Leser warb, und zu ihren Helfern und Beiträgern so prominente Personen wie den Althistoriker Eduard Meyer zühlte, Kahrstedts Lehrer.1*5 Traubs Dasein als Abgeordneter der DNVP im Reichstag fand mit einem
Knalleffekt sein Ende: Traub beteiligte sich führend am Kapp-Putsch. im März 1920 versuchte sein Freund Wolfgang Kapp, Gründer der „Vaterlandspartei“, die Reichsregierung mit Gewalt zu stürzen. Das sorgte für den „dritten Fall Traub*, der, wie die Zeitung „Deutschland“ in ihrer Ausgabe vom 26. Mürz 1920 berichtet, ,in der Parlamentsgeschichte ein kaum dagewesener
Fall (ist], daB das Mitglied eines Parlaments mithilft, diese Volksvertretung gegen Recht und Verfassung mit militärischer Gewalt auseinander zu sprengen".1** Traub wurde wegen Hochverrats vor Gericht gestelit und von seinen Parteigenossen aus der DNVP ausgeschlossen. Die „Eisernen Blätter“, finanziell von der DNVP gelóst, nahm er nach München mit, wo er sich fortan auch
als Herausgeber der deutschnationalen ,Münchener-Augsburger Abendzeitung“ verlegerisch betütigte.145 Der Traub-Adept Kahrstedt aber blieb auch nach seiner Berufung an die Góttinger Universitát den monarchistisch-nationalistisch und antisemitisch
gefärbten „Eisernen Blättern“ treu: Bis zu deren Verbot durch die NSDAP im
96
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÓTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
Jahr 1959 verfaßte Kahrstedt regelmäßig alle 14 Tage einen Kommentar zur
Außenpolitik, die „Politische Umschau“. Nach Kahrstedts eigener Berechnung lieferte er ca. 350 Artikel. „Die ganze Zeit meiner politischen Tätigkeit habe ich mit den Eisernen Blättern zusammengehört, mal enger, mal lockerer, es steckt manches Stück Arbeit meiner Hand drin und vor allem sind die E.(isernen) B.(lätter) nicht wegzudenken aus meiner eigenen ganzen Entwickelung (sic). Nicht nur, dass ich eine Stelle hatte, wo ich mich äussern konnte: wichtiger ist noch für mich, dass diese Verbindung mich in der stündigen
Arbeit in der Aussenpolitik festgehalten hat und wenn ich heute etwas von Politik verstehe und das riesige Geschehen
um uns herum mit Verstündnis
verfolge, danke ich dies neben meiner geschichtlichen Bildung gerade der Regelmässigkeit
meiner
Arbeit auf dem
Gebiet,
die ohne
die stets offene
Plattform der E. B. nie zustande gekommen wäre . . .^, schrieb Kahrstedt im Januar 1940, als er von dem Verbot der „Eisernen Blätter“ durch die NSDAP erfuhr, an Gottfried Traub.149
Auch die „Hamburger Nachrichten“ und die „Deutsche Tageszeitung“ in Berlin veröffentlichten in den zwanziger Jahren regelmäßig Artikel von Kahrstedt. Seine politischen Kommentare waren fallweise so radikal, daß zum
Beispiel die ,OstpreuBische Zeitung“ nach der Veröffentlichung eines Kahrstedt-Artikels 14 Tage lang nicht erscheinen durfte.!#7’ Aber auch auf andere Weise zog Kahrstedt in den publizistischen Krieg gegen die Weimarer Republik. Bis 1925 organisierte Kahrstedt einen Zeitungsdienst, der Aufsätze „konservativer Schriftsteller“ an zahlreiche Zeitungen des In- und Auslandes versandte.148 Es ist anzunehmen, daß es sich um Artikel handelte, die seiner
Denkschrift „Irredenta“
gemäß
der „Erziehung
zum
Hass“ dienten.
Kein
Wunder also, daß die Berufung des Privatdozenten a. D., der die Weimarer
Republik öffentlich bekämpfte und der mit einem Kapp-Putschisten zusammenarbeitete, auf den renommierten Göttinger Lehrstuhl andernorts einiges
Aufsehen erregte. Kahrstedt war von der Berufungskommission allerdings erst auf die zweite von ihr eingereichte Liste gesetzt worden. Die erste Liste war gescheitert, weil
der erste Kandidat Matthias Gelzer abgesagt hatte und der zweite Kandidat Wilhelm Weber sich mit den Direktoren des Philologischen Seminars nicht über die Zusammenarbeit einigen konnte.!#9 Auf der zweiten, nach Busolts
Tod von der Kommission eingereichten Liste wurde Kahrstedt zwar nur auf Platz zwei gesetzt, aber eindeutig dem erstgenannten berühmten Althistoriker
Hermann Friedrich Münzer vorgezogen: Münzer sei zu zurückhaltend, bescheiden und nüchtern, überdies habe er keine Breitenwirkung.!5® Der bis-
herige Münsteraner Privatdozent Kahrstedt hingegen sei „universell gerichtet“, habe eine „Großzügigkeit und Weite der Forschungs- und Betrachtungsart“
und
könne
vor
allem
auch
„Geschichte
schreiben“.
Zum
„lebhaften
Bedauern seiner Fachgenossen“ hätten „seine wirtschaftlichen Verhältnisse“ Kahrstedt daran gehindert, nach dem Krieg die Lehrtätigkeit wiederaufzunehmen. Die politische Tätigkeit hingegen verschweigt die Kommission.!5! Kahrstedts Vorschlag zur Gründung eines „Instituts für Altertumskunde“, den
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Abb. 9: Werbung für die „Eisenen dem Jahr 1919 (Vorderseite)
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98
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
er schon bei den Berufungsverhandlungen machte!52, mag wohl ausschlaggebend gewesen sein, daß er trotz vielleicht bestehender politischer Bedenken im Kultusministerium berufen wurde, nachdem es sich nun schon um die zweite Liste handelte und der Lehrstuhl schon über ein Jahr vakant war. In Göttingen enttäuschte Kahrstedt die in ihn gesetzten Erwartungen einer breiten Wirkung nicht. Sofort nach seiner Ankunft (1921) wurde er in den Vorstand der Göttinger DNVP gewählt.15% Alle zwei Wochen hielt er „vor Göttinger Studenten und der Bürgerschaft“ eine öffentliche Vorlesung über die „Außenpolitik der Mächte“, deren Wirkung sein Schüler Meyer so darstellt: „Sie hatten einen gewaltigen Zulauf und wirkten geradezu als Sensation, da hier ein weitblickender Historiker versuchte, das politische Geschehen dieser bewegten Nachkriegsjahre aus der Sicht des echten Historikers zu deuten... .“154 Es ist wahrscheinlich, daß Kahrstedt weniger als „echter Histori-
ker“ sprach denn als wissenschaftlich verbrämter Propagandist der DNVP. Die Vorträge waren immerhin so einseitig, daß sie zu manchen Spannungen und Zusammenstößen führten.155 Seine Vortragstätigkeit beschränkte sich indes nicht auf den Göttinger Universitätsbereich.
Von
1924
bis
1953
hielt er einmal
jährlich
vor dem
Nationalklub in Hamburg einen Vortrag über die „große Politik des Jahres“. Ähnliches trug er vor „konservativen Kreisen“ u. a. in Breslau, Göttingen, Münden, Stendal und sogar in Riga vor. In Reval, Leer, Wesermünde, Hamburg, Soltau, Marburg, Hameln, Northeim und Braunschweig hielt er populárwissenschaftliche Vorträge über Themen aus den Bereichen: Zusammenbruch des antiken Staatssystemes, das Zeitalter des antiken Sozialismus,
Kommunismus und Nationalismus.156 So konnte sich Kahrstedt sehr bald in Göttingen etablieren: In wissenschaftlicher Hinsicht hatte er sich mit einer Neugründung eingeführt und war Mitdirektor des mittlerweile größten Instituts an der philosophischen Fakultät
seit ihrer Trennung von der mathematisch-naturwissenschaftlichen Abteilung. Seine
politischen
Interessen
wurden
durch
den
Wechsel
von
Berlin
nach
Göttingen keineswegs unterbrochen, und er war bald über die Grenzen der Stadt hinaus bekannt.
2.4.3
Hermann Fränkel (1888-1977)
„Am 8. April 1977 starb in Santa Cruz (Californien) im Alter von 89 Jahren einer der feinsten und eindringendsten Interpreten griechischer Dichtung und griechischer Philosophie.“ Mit diesen Worten beginnt Kurt v. Fritz seinen Nachruf auf Hermann
Fränkel.137 Geboren
am 7. Mai 1888, im selben Jahr
wie seine ebenso berühmten Kollegen Eduard Fraenkel, Werner Jaeger, Ernst Kapp, aber auch Kahrstedt, wuchs Hermann Fränkel in einer Berliner Gelehrtenfamilie
auf.
Sein
Vater,
Max
Fränkel,
ein Archäologe
und
klassischer
Philologe, war zuletzt Bibliothekar der Königlichen Museen in Berlin. Er war an der Herausgabe
des Corpus
Inscriptionum Graecarum
beteiligt und mit
Die 1959/55 am Göttinger Institut für Altertumskunde lehrenden Wissenschaftler
99
Zilli Fränkel geb. Fiaenkel
Hermann
Fränkel
Br. phi. des.
kriegsgelrant.
Göttingen, im Auli 1915.
Berlin WM, 57. Aurfürfienfir.
23.
Rönigsberg i. Pr. Erfats-Kohadren
a Lane, οὔττηιθον.
Abb. 11: Heiratsanzeige von Lilli und Hermann Fränkel (1915)
Ulaneuregimente
8.
100
GRÜNDUNG UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
Wilamowitz befreundet. Seine Mutter Johanna war die Tochter des Orientalisten Ferdinand Benary. Von dem 1905 gestorbenen Vater „in der Liebe zum klassischen Altertum“ erzogen!58, begann Fränkel sein Studium an der Berliner Universität, wechselte von da nach Bonn und kam schließlich im Jahr 1907 an die Göttinger Universität, wo er bis zu seiner Emigration bleiben
sollte. Fränkel studierte Klassische Philologie, Archäologie, Germanistik und Sanskrit bei Wilamowitz, Leo, Pohlenz, J. Wackernagel und Hermann Olden-
berg, der in den letzten Studienjahren am stärksten auf ihn wirkte.159 Wegen eines Lungenleidens unterbrachen Kuraufenthalte in der Schweiz sein Studium, so wurde er erst im Oktober 1915 mit einer von Wilamowitz angeregten Dissertation über den heilenistischen Dichter Simias von Rhodos promoviert: einer kommentierten Edition seiner Fragmente, die bis heute die einzige Ausgabe des Dichters geblieben 81.160 1909 lernte er in den Seminaren Friedrich Leos den Studenten und späteren Freund Eduard Fraenkel kennen.
Im Juli 1915 heiratete er dessen Schwester Lilli Fraenkel.!6! Trotz seiner schwachen Konstitution hatte er sich schon im April 1915 freiwillig zum Heeresdienst gemeldet. Als Kavallerist eines Ulanenregiments nahm er am
Feldzug gegen Rußland teil. Ein vom Kaiserlichen Archäologischen Institut zu Berlin auf Vermittlung von Wilamowitz 1915 gewährtes Reisestipendium nach Griechenland nahm er erst 1922 wahr. Aus dem Krieg nach Göttingen zurückgekehrt, habilitierte er sich mit einer größeren Untersuchung über die
Gleichnisse bei Homer.182 „Es wäre mir eine große Freude, wenn Sie aus der Arbeit selbst, sie mag sonst sein wie sie wolle, die starke Wirkung Ihrer Lehre erkennen würden,
auch da wo ich Ihnen nicht glaubte folgen zu kónnen. Jedenfalls bin ich mir immer, nicht nur als ich diese Arbeit schrieb, bewußt, wieviel vom Besten das mich lüutert, bereichert und beglückt, wie viel von meinem sehr bescheidenen Wissen und meinen sehr bescheidenen Fähigkeiten, ein Geschenk Ihrer Arbeit und Ihres Unterrichts ist“, schrieb Frünkel am 18. August 1921 an Wilamowitz, dem er ein frischgedrucktes Exemplar der Habilitationsarbeit
schickte.165 Die Drucklegung war durch die Wilamowitz-Diels-Stiftung ermöglicht worden. „Schon in dieser ersten größeren Schrift zeigte sich Fränkels
Fähigkeit das eigentlich Dichterische zu erfassen, in hellem Lichte.*!6* Fränkel arbeitet den Sinn und die Funktion der Gleichnisse bei Homer heraus, die
in der Homer-Literatur bis dahin eher als dichterische Ausmalung betrachtet worden sind. Das positive Urteil Kurt von Fritz’, 1978 niedergeschrieben, weist auf die langwirkende Qualität der Habilitationsschrift von 1920 hin. Um so verwunderlicher ist es, daß Fränkel in den zwanziger Jahren von dem Gros seiner Kollegen unterschätzt bzw. nicht verstanden wurde. Jedenfalls heben vier von sieben Habilitationsgutachtern, Pohlenz, Thiersch (Ordinarius für
Archäologie), Reitzenstein und Jachmann, übereinstimmend Fränkels Eigenständigkeit gegenüber seinem Lehrer Wilamowitz hervor. Aber das Lob der Arbeit als „feinsinnig“ wurde in zwei Gutachten (von Reitzenstein und Jach-
mann) durch die Zusätze „Spitzfindigkeit“ und ,Künstelei* eher in die ab-
Die 1950/55 am Göttinger Institut für Altertumskunde lehrenden Wissenschaftler
101
schützige Richtung hin ergänzt. Bruno Snell bestätigt die eher reservierte Aufnahme von Frünkels Arbeiten in seiner Studie „Philologie von heute und morgen. Die Arbeiten Hermann Fráünkels".165 Er zeigt, daB Fränkels Werke in Deutschland erst lange nach 1945 angemessen eingeschátzt wurden, also
eher einer „Philologie von morgen“ entsprachen. In der Zeit der Weimarer Republik jedenfalls wurde Fränkel die oben genannten Attribute nicht mehr los.
Eines der Habilitationsgutachten verdient noch aus einem anderen Grund besondere Beachtung. Es ist eines der wenigen schriftlich niedergelegten Zeugnisse für die unausgesprochene, aber nichtsdestoweniger gültige Regel, daD es auch für getaufte jüdische Wissenschaftler - Fránkel war lutherisch uniiert - in der Zeit der Weimarer Republik immer noch sehr schwer war,
eine Universitätslaufbahn einzuschlagen. Der Erstgutachter Pohlenz jedenfalls fühlte sich offenbar dazu gedrängt, eine Ausnahme von dieser Regel zu
begründen, was sie noch einmal bestätigt. Er beurteilt nicht nur Frünkels Habilitationsschrift - äußerst positiv und lobend -, er fügt auch einen Exkurs
über Frünkels bisherige wissenschaftliche Leistungen an. Schließlich betont er, daß Fränkel sich freiwillig zum Heeresdienst im Ersten Weltkrieg gemeldet habe, um dann fortzufahren: „Hermann Fränkel ist - ich halte es für das beste, das offen zu besprechen - jüdischer Abkunft, aber gerade darum bemüht,
jeden Schein der Vordringlichkeit zu meiden und lieber eine etwas spróde Zurückhaltung zu üben. ... Er ist nicht nur ein geistig hochstehender, vielseitig und tief gebildeter Mann, sondern auch ein vornehmer Charakter, eine Natur, der die Wissenschaft ohne Rücksicht auf ihre áusseren Früchte gilt... .“166 Max Pohlenz, der Frünkel besonders loben will, drückt hier deutlich seine antijüdischen Ressentiments bzw. die seiner Kollegen aus. Die
Frage, warum
Pohlenz diesen Passus in das Habilitationsgutachten setzte,
bleibt offen: Wollte er Einwünden der Kollegen, die er erwartete oder vielleicht schon kannte, vorwegnehmend entkrüften, oder schrieb er gegen seine
eigenen Vorurteile an, oder war beides der Fall? Frünkels wissenschaftliche Laufbahn in der Zeit der Weimarer Republik ist, wie wir noch sehen werden,
von antisemitischen Ressentiments begleitet und behindert. Am 50. Oktober 1920, kurz nach der Geburt seines zweiten Kindes, der Tochter Edith Johanna, hielt er seine Antrittsvorlesung zu dem Thema ,Die Sage in antiker und Gegenwartsdichtung". Bis zu der Erteilung eines besoldeten Lehrauftrages für griechisch-römische Epigraphik im Wintersemester
1922/23, den das preußische Kultusministerium gewährte, weil Jachmann nach Greifswald berufen worden war, lebte Frünkel von seinen durch die Wirtschaftskrise rasch schmelzenden finanziellen Rücklagen, anstatt von den „Früchten“ seiner Arbeit. Nach dem Weggang Fockes erhielt er im November
1925 die Assistentenstelle des Instituts.197 1924 erschien seine wegweisende Abhandlung „Eine Stileigenheit der frühgriechischen Literatur“.168 Ausgehend von einer Beobachtung Aristoteles’ in der Poetik über den „reihenden Stil“, untersucht Fränkel dessen Entstehungsgeschichte und Funktion in der frühgriechischen Lyrik, aber auch seine Wandlung zu dem strukturierten Bau
102
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER
INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
einer
Argumentation
in der frü-
hen griechischen Prosa. Dieses für Fränkels Betrachtungsweise charakteristische Werk stieß bei seinem Erscheinen ebenfalls auf
wenig Anerkennung bei der älteren Generation der Philologen, weil es in seiner Subtilität nicht leicht zu lesen war. Die jüngeren, wie etwa Snell, nahmen wahr, daß
hier etwas Neues in der Philologie entstanden war. Im August 1925, fünf Jahre nach seiner Habilitation, erhielt er unter Hinweis, daß er schon aufeiner
Berufungsliste
genannt
worden
sei, eine allerdings nichtbeamtete
außerordentliche
Göttingen.
Der
Vergütung
seines
der
Abb. 12: Hermann Fränkel
Professur
ihm
Antrag
in
auf volle
Lehrauftrages,
ermöglichen
sollte,
die
zeitraubende Assistententätigkeit aufzugeben, wurde erst 1928 ge-
nehmigt. Eine Zeitlang (April 1929 bis Juli 1931) wurde er aus den Mitteln der Professur von W. A. Baehrens bezahlt, der 1929 gestorben war. Sein Lehrauftrag lautete nun auf griechisch-
römische Metrik und frühgriechische Lyrik. Die Assistentenstelle behielt er allerdings. 1950 wurde er zum Mitglied des Wissenschaftlichen Prüfungsamtes für Griechisch und Latein ernannt. Unermüdlich erfüllte Fránkel viele Jahre ein volles Lehrprogramm. Zeitweise übernahm er auch die Stilübungen in
Latein und Griechisch. Nach dem Weggang von Eduard Fraenkel im April 1951 vertrat er ein Semester lang die latinistische Professur.189? Da sich die Kommission einen ausgesprochenen wünschte,
wurde
zwar
Latinisten als Nachfolger von Eduard
erwogen,
Hermann
Fränkel
auf die
Fraenkel
Liste zu setzen,
dann aber davon abgesehen.!?? In den Jahren 1950 bis 1955 interessierten sich schließlich drei Universitäten für Hermann Fränkel. 1. Im März 1931 führte H. Fränkel Berufungsverhandlungen mit dem
preußischen Kultusministerium. Die Universität Hamburg hatte ihn für die Nachfolge Friedrich Klingners auf den zweiten Platz nach Giorgio Pasquali gesetzt. Die Berufung scheiterte dann allerdings an dem negativen Votum der Hamburger Fakultät, die meinte, es sich nicht leisten zu können, in einer Zeit der nationalsozialistischen Studentenkrawalle und der wachsenden antisemitischen Hetze noch einen Wissenschaftler jüdischer Herkunft in ihr Kollegium aufzunehmen. An Fränkels Stelle wurde dann sein Freund und Schüler Bruno Snell berufen, der sich von dieser Entscheidung beschämt fühlte.!7!
Die 1956/55 am Göttinger Institut für Altertumskunde lehrenden Wissenschaftler
103
2. Ander Universität Marburg wurde Hermann Fränkel im September 1932 auf den ersten Platz der Berufungsliste für die Nachfolge von Paul Friedländer gesetzt. Der Platonspezialist Friedländer war Schüler von Wilamowitz und seit 1920 Ordinarius für klassische Philologie an der Universität Marburg.!7? Zum Wintersemester 1952/55 hatte er einen Ruf an die Universität Halle angenommen und wünschte sich Frünkel als seinen Nachfolger in Marburg. Das führte
zu einem Eklat mit seinem Kollegen Ernst Lommatzsch: Nach Friedlünders Weggang aus Marburg focht Lommatzsch die von der Berufungskommission im September 1952 eingereichte Liste mit Hilfe von auswürtigen Gutachten an. Die Gutachten sollten belegen, daß Hermann Frünkel den ersten Platz auf
der Liste nicht verdiene. Auch daD Frünkel in Góttingen keine ordentliche Professur erhalten hatte, diente Lommatzsch als Einwand gegen Frünkel. Dieses ungewóhnliche Vorgehen von Lommatzsch, eine schon beim Kultusministerium eingereichte Liste anzufechten, führte dazu, daß der Kultusmi-
nister die gesamte Marburger philosophische Fakultät aufforderte, sich über die Berufungsliste neu zu einigen. Friedländer schickte aus Halle einen Brief, in dem er sein Votum wiederholte und eine Erklärung von Max Pohlenz beifügte.
Darin
versicherte
Pohlenz,
daß
Hermann
Fränkel
nur
aus dem
Grund nicht Eduard Fraenkels Nachfolger in Göttingen geworden sei, weil der berühmte Leo-Lehrstuhl mit einem ausgesprochenen Latinisten besetzt werden sollte. Die beiden Briefe wurden der Fakultät vor der Abstimmung bekanntgemacht. Die philologisch-historische Abteilung einigte sich schließlich (bei Stimmenthaltung der mathematisch-naturwissenschaftlichen Abteilung) auf eine Liste, in der Fränkel an erster Stelle zugleich mit einem von Lommatzsch favorisierten Philologen, Albrecht von Blumenthal, gesetzt wurde. Lommatzsch behielt es sich vor, dem Minister ein Sondervotum zu
schicken.173 Wilhelm Mommsen schildert in einem Brief an Max Pohlenz das Ergebnis dieser Fakultätssitzung vom 2. November 1952: „...ich...bedaure, daß Fränkel so stark unter unsachlicher Gegnerschaft gelitten hat. Auch der hier vorhandene Widerstand kommt, wie ich vertraulich sagen kann, fast nur
aus unsachlichen Motiven. Es istden Gegnern gelungen, mit knapper Mehrheit den Beschluß durchzusetzen, so daß die alte Liste geändert wurde, aber nicht
so, daß Fränkel völlig von der Liste verschwand. Wir haben erreicht, daß er mit einem anderen pari passu an erster Stelle steht, sodaß der Minister freie
Hand hat, ihn zunehmen“ (Hervorhebung C. W.).17* Mommsen, a. o. Professor für Neuere Geschichte an der Universität Marburg, war früher Assistent des
Göttinger Historischen Instituts gewesen, kannte also die Göttinger Verhältnisse und antwortete offenbar auf eine Anfrage von Max Pohlenz. Mit der neuen Liste erreichte auch das Sondervotum von Lommatzsch, dem sich mit der Unterzeichnung ihres Namens die Kollegen A. v. Premerstein (Alte Geschichte), K. Helm, H. Mayno (Germanistik) und E. Stengel (Mittlere und Neuere Geschichte) angeschlossen hatten, das Kultusministerium in Berlin: „Der Unterzeichnete ... sieht sich, da eine Mehrheit der Fakultät seinen Antrag auf Streichung des Herrn Fränkel von der Liste abgelehnt hat,
dazu genötigt, das hohe Ministerium zu bitten, von der Berufung des Herrn
104
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
Fränkel unter allen Umständen abzusehen. ... Sicher verdient das, was von Frünkel an wissenschaftlichen Arbeiten vorliegt, im Ganzen Lob,..... Fränkel ist ein feinsinniger, manchmal freilich zu stark aesthetisirender, [sic!] inter-
pret, seine metrischen Studien
und die Arbeit über Parmenides sind gut.
Aber...ein groDer Wurf ist ihm nicht gelungen. Es fehlt ihm an Energie der
Forschung und Problemstellung, Weite des Blickes, Beherrschung der monumentalen Überlieferung. Es haftet ihm . . . ein Mangel natürlicher Frische, ein weichlicher Aesthetizismus an. Es ist nicht zu erwarten, daD er einer weiteren
Entwicklung fähig ist“ (Hervorhebung C. W.).175 Die von Mommsen genannten ,unsachlichen Motive* treten hier versteckt, aber doch deutlich auf: Der Autor des Sondervotums muß zugestehen, daß Frünkels Arbeiten Lob verdienen, und verlegt sich auf vage Merkmale wie feinsinnig, weichlicher Aesthe-
tizismus und das Manko
natürlicher Frische und eines groDen Wurfs. Die
antisemitischen Ressentiments, die sich dahinter verstecken, sind dieselben
wie im Habilitationsgutachten von 1920. Im Unterschied zu 1920 dienen sie diesmal der Ausgrenzung und Ablehnung Frünkels. Das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung setzte sich zuerst über das Sondervotum hinweg und trat mit Hermann Fränkel in Berufungsverhandlungen. ,Die Berufung erfolgte, jedenfalls ist die Anfrage, ob er den Ruf annehmen wollte, an Frünkel gelangt. Inzwischen entwickelte
sich in Breslau der Fall Cohn (Berufung eines jüdischen Professors auf einen dortigen juristischen Lehrstuhl) zu einer groDen Aktion der NS-Studentenschaft mit Kundgebungen in den Hörsälen etc. Daraufhin hat das Preußische Kultusministerium (in der Aera Papen unter Kühler) die Berufung rückgüngig gemacht“, erinnert sich der damalige Kollege Frünkels in Göttingen, der
Latinist Kurt Latte.!79 Aber auch A. v. Blumenthal erhielt den Marburger Lehrstuhi nicht. Statt dessen vertrat der Marburger Privatdozent Georg Rohde den Lehrstuhl Friedlánders bis zu seiner Emigration im Jahr 1955.177
Ernst J. Cohn (1904-1976) war als persönlicher Ordinarius zum 1. Oktober für Zivilrecht
an die juristische
Fakultät
der Universität
Breslau
berufen
worden.!78 Der Jurist Ernst Cohn gehórte zu der kleinen Gruppe deutscher Hochschullehrer, die, bekannt für ihre betont rationale Geisteshaltung, für ihr
mutiges Eintreten auf der Seite der Weimarer Republik und für ihre kritische Haltung gegenüber der Idealisierung der Kriegshelden des Ersten Weltkriegs, zur Zielscheibe des gewaltsamen Protests nationalsozialistischer Studenten
wurde. Cohn hatte es gewagt, sich in einer äußerst vorsichtigen, juristisch begründeten Stellungnahme dafür auszusprechen, daD dem aus der Sowjet-
union
geflüchteten
Leo Trotzki vom
Deutschen
Reich
Asylrecht gewührt
werden solle, weil „ein geistiger Arbeiter“ stets „schutzbedürftig“ erscheine,
während es „an Agitatoren und Nurpolitikern“ in Deutschland keinen Mangel gäbe.!79 Cohn war also im Unterschied zu Hermann Frünkel, der nie politisch hervorgetreten war, auch aus politischen Hintergründen von dem Breslauer NSDStB verfolgt worden, wie andernorts seine Kollegen Theodor Lessing, Emil Julius Gumbel und Günther Dehn. Gumbel, seit 1950 a. o. Professor für mathematische Statistik an der Universität Heidelberg, wegen seiner Doku-
Die 1950/55 am Göttinger Institut für Altertumskunde lehrenden Wissenschaftler
105
mentation der milden und rechtslastigen Praxis der Justizbehörden in Verfahren gegen Mörder von Sozialdemokraten und Kommunisten, die gar nicht
oder nur sehr unzureichend verfolgt und verurteilt wurden!89, bekannt, war im August 1952 auf Antrag der philosophischen Fakultüt die Lehrberechtigung entzogen worden: Gumbel hatte in einer von sozialistischen Studenten organisierten Veranstaltung zum Thema „Krieg und Arbeiterschaft" angeblich behauptet, eine Kohlrübe wäre ein geeignetes Kriegerdenkmal.!8! Auch dem
Theologieprofessor Günther Dehn in Halle sollte eine kritische Äußerung über Soldaten,
die von Traub
in seinen
„Eisernen
Blättern“ veröffentlicht
wurde, im Januar 1951 zum Stolperstein werden.!8? Die Heidelberger theologische Fakultät hatte Dehn auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie berufen wollen. Aufgrund der Veróffentlichung Traubs aber setzte das Badische Ministerium für Kultus und Unterricht die Berufungsverhandlungen mit Dehn bis zur Klärung der Angelegenheit aus.!85 In den geschilderten Fällen geht es um die Verfolgung von Wissenschafllern anläßlich prononciert pazifistischer bzw. demokratiefreundlicher Äußerungen. Es ist daher zu vermuten, daß die
Berufungsverhandlungen mit Frünkel letztlich doch aufgrund des Sondervotums von Lommatzsch ausgesetzt wurden und nicht allein wegen der Breslauer Ereignisse.
3. Auch die philosophische Fakultät der Universität Rostock setzte noch im Dezember 1932 Hermann Fränkel pari passu mit Kurt von Fritz auf den ersten Platz ihrer Berufungsliste für den Lehrstuhl für Klassische Philologie, den bis
dahin Johannes Geffcken innegehabt hatte. Auch diesmal sollte eine Berufung nicht zustande kommen, und schließlich erhielt 1955 Kurt von Fritz als Nachfolger von Geffcken eine beamtete à. o. Professur an der Universität Rostock. 184
So kam es, daß Frünkel nach 13jähriger erfolgreicher Lehrtätigkeit und Forschung im Jahr 1955 immer noch Oberassistent und nichtbeamteter a. o. Professor für Graezistik am Góttinger Institut für Altertumskunde war. Wila-
mowitz fand das schon vorher skandalós und setzte sich für seinen Schüler ein, aber ohne Erfolg.!85 Sein Vorgänger auf der Assistentenstelle, Friedrich Focke, fachlich nicht mit Frünkel zu vergleichen, hingegen sollte eine steile Karriere unter den Nationalsozialisten machen und schließlich Rektor der Universität Tübingen werden. Auch sein Schüler Hans Drexler, fachlich längst nicht so qualifiziert wie der Lehrer, sollte in der Zeit des Dritten Reiches bis
zum Rektor der Göttinger Universität aufsteigen. An Frünkel läßt sich deutlich zeigen, daß der Antisemitismus schon vor 1955 dazu benutzt wurde, fachliche
und persónliche Divergenzen nicht auszutragen, sondern die betroffene Person auszuschlieDen: Frünkels Stil, mit antiken Texten umzugehen, war dem
vieler seiner Kollegen um Jahrzehnte voraus und entspricht am ehesten den heutigen Standards philologischer Interpretation, die antike Texte nicht in erster Linie unter aktualisierenden Gesichtspunkten
liest. Aber auch seine
sprachlich-stilistische Untersuchung war für den Stand der klassischen Philologie in den zwanziger Jahren eine neue Errungenschaft: Mit der 1924 erschienenen Abhandlung ,Eine Stileigenheit der frühgriechischen Literatur“ hatte Frünkel, wie Snell schreibt, der jüngeren Philologen-Generation
106
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
etwas Neues erschlossen, das ihr zunüchst fremd erschienen war, aber dann „zu seinem ursprünglichen Leben erwachte*.196 Hermann Frünkel selbst beschreibt das „Neue“ später so: „Fragen des Stils
habe ich von Anfang an in die Interpretation einbezogen, wofür die Methoden zum Teil erst entwickelt werden mußten; und zwar bei jedem Autor die für
ihn angemessenen. Früher pflegte man die Werke unter den beiden Gesichtspunkten von ‚Inhalt‘ und ‚Form‘ zu behandeln, und nahm dabei etwas schematisch an, daß dem Autor zunächst der Inhalt aufirgendeine Weise vorliege,
erst dann habe er nach der rechten sprachlichen Form gesucht. ... Eine solche Betrachtungsweise ist vielleicht für technische Werke berechtigt, ... bei eigentlich literarischen Werken schaltet der Verfasser (oder der Zeitgeist)
recht frei mit sämtlichen Elementen die in sein Werk eingehn. ... Er paßt nicht nur seine Sprache der Sache an sondern auch umgekehrt die Sache der gedanklichen und sprachlichen Gestaltung im literarischen Werk; ... Das gestaltende Prinzip der Einheit von Inhalt und Darstellung nennen wir ‚Stil‘... Und wenn früher gefragt wurde wie weit sich ‚Inhalt‘ und ‚(Sprach-) Form‘, gleichsam Fläche an Fläche gelegt, miteinander decken, so liefert nun der Stil gleichsam die dritte Dimension, in der sich der Inhalt und der
Ausdruck zur natürlichen Plastik des Werks verbinden.“187 Im Herbst 1931 begann er sein umfangreichstes Werk zu schreiben, eine Geschichte der griechischen Literatur von Homer bis Pindar. Es sollte erst 1951 von der American Philological Association in New York als Band 13 der Philological Monographs veröffentlicht werden; und zwar in deutscher Sprache, der Sprache, in der Fränkel es in Göttingen entworfen hatte, was als ein Zeichen besonderer Ehrung seiner Person und seines Werkes in Amerika zu
verstehen ist.188
2.4.4
Eduard Fraenkel (1888-1970)
Am 17. März 1888 wurde Eduard David Mortier Fraenkel in Berlin geboren.189 Sein Vater Julius besaß eine Weingroßhandlung. Ein Cousin des Vaters war der bekannte Paláograph Ludwig Traube (1861-1907). Der Bruder seiner Mutter Edith, Hugo Heimann, Mitbesitzer der Guttentagschen Verlagsbuchhandlung in Berlin, war als Sozialdemokrat Mitglied des Reichstags. Er stiftete die erste Berliner Volksbibliothek und wurde zum Ehrenbürger der Stadt
Berlin ernannt. 1955 mußte er aus Deutschland fliehen. Heimann regte Fraenkels Interesse für Jura und Rechtsgeschichte an. Seine Mutter Edith war eine sehr gebildete Frau und Sozialistin. Sie nahm ihren Sohn schon als Schüler zu den Vorlesungen von Wilamowitz mit, die er regelmüDig abends im Victorialyzeum für ein breiteres Publikum hielt, und förderte sein Interesse für die klassischen Studien.!9? Fraenkel besuchte das Askanische Gymnasium
in Berlin und erhielt dort eine intensive Ausbildung in den alten Sprachen, der antiken Geschichte, griechischen Kunst und Mythologie, weil zu der Zeit einige herausragende Wissenschaftler wie Adolf Busse, der Herausgeber
Die 1958/55 am Göttinger Institut für Altertumskunde lehrenden Wissenschaftler
107
antiker Aristoteleskommentare, aber auch Otto Gruppe, Spezialist für griechische Mythologie und Religionsgeschichte, dort unterrichteten. Mit Gruppe freundete sich Fraenkel später 8η..91 Nach dem Abitur begann Fraenkel 1906 an der Universität Berlin Jura zu studieren, weil er sich als nicht getaufter Jude19? keine Chance ausrechnen konnte, eine Universitätslaufbahn in klas-
sischer Philologie einschlagen zu kónnen!95, und Gymnasiallehrer wollte er nicht werden. Er besuchte während des Jurastudiums regelmäßig die Vorlesungen von Wilamowitz, und schließlich sollte er seine Studienpläne doch ündern. Ein Geldgeschenk seiner Tante ermóglichte ihm, den Winter 1907 in Italien zu verbringen. „Ihnen danke ich es, daß ich Italien mit freier Seele genießen darf“, schrieb
Fraenkel im Februar 1907 aus Rom an Wilamowitz.19* Fraenkel hatte sich vor der Beise bei dem von ihm und seiner Mutter verehrten Philologen beraten. Von der Reise zurückgekehrt, verwirklichte er seinen Wunsch und wechselte
trotz der anfünglichen Bedenken die Studienrichtung: Er studierte Altertumswissenschaften u. a. bei Wilamowitz,
Hermann
Diels, Eduard
Norden
und
Eduard Meyer. 1909 ging er an die Universitüt Góttingen, wo er als Schüler Friedrich Leos 1912 mit einer Dissertation über die Entwicklungsgeschichte
der römischen Komödie sein Studium abschloD.!95 Die Dissertation ist dem von ihm verehrten Lehrer Friedrich Leo gewidmet, dessen ,Kleine Schriften*
Fraenkel Jahrzehnte spüter herausgeben sollte. In Góttingen lernte er seinen spüteren
Schwager
Hermann
Frünkel,
den
Archüologen
Paul
Jacobsthal,
seinen späteren Kollegen in Oxford, aber auch Giorgio Pasquali kennen, der ihn im Winter 1925 als Gastprofessor nach Florenz einladen sollte. Der Promotion folgte ein fast einjühriger Italienaufenthalt mit Unterstützung eines in Góttingen gewührten Hermann-Sauppe-Stipendiums. AnschlieDend verbrachte er zwei Jahre unter der Anleitung von Günther Jachmann als Assistent
am
Thesaurus
Linguae
Latinae
in München,
dem
von
Leo
mitbegründeten Unternehmen zur Erstellung eine lateinischen Wórterbuchs. Aus dieser Zeit stammt u. a. der Artikel „fides“, der durch seine klare Dispo-
sition und die begrifflich wie historisch umfassende Darstellung des Materials als exemplarisch angesehen wird. Nach Berlin zurückgekehrt, habilitierte er sich 1917 am Berliner institut für Altertumswissenschaften. In den Seminaren des Sprachwissenschaftlers Wilhelm Schulze lernte er seine spätere Frau, Ruth von Velsen, kennen, die bei Wilamowitz und Schulze 1917 mit einer Untersuchung „De titulorum Arcadiae flexione et copia verborum“ promo-
viert wurde.!% Am 9. Februar 1918 heirateten sie in Berlin. Bis 1923 lehrte Fraenkel an der Universität Berlin, seit 1920 als a. o. Professor. 1922 erschien eines seiner wichtigsten Bücher, das ihn bekannt machte: „Plautinisches im
Plautus“ (= Philologische Untersuchungen, Bd. 28). In der Tradition von Leo geschrieben, modifiziert es allerdings dessen Thesen, indem Fraenkel zeigen kann, worin die von der griechischen Komödie unabhängige Originalität der
Komödien des Plautus liegt. Die in diesem Band dargelegten Forschungsthesen sind bis heute weitgehend gültig und bilden die Basis für die neuere Plautusforschung.
108
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER
INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
1923 wurde Fraenkel auf Wunsch seines Kollegen und Freundes Felix Jacoby, dem Herausgeber der griechischen Historikerfragmente, als Nachfolger von Johannes Stroux auf den Lehrstuhl für Klassische Philolo-
gie an die Universität Kiel berufen. In Kiel arbeitete Fraenkel bis zu seiner Berufung nach Göttin-
gen fünf Jahre mit Jacoby zusammen
und
auch
beschäftigte
mit
sich
u. a.
Rechtsgeschichte.
In
Göttingen stellte im Oktober 1927 der Nachfolger von Friedrich Leo, Richard Reitzenstein, den Antrag,
von seinen Ostern 1928
Lehrpflichten ab entbunden zu wer-
den.!?7 Die Göttinger Berufungskommission,
stein
der
angehörte,
auch
Reitzen-
schlug
neben
Stroux, mittlerweile Ordinarius in München, zwei Schüler von Leo vor: E. Fraenkel und G. Jach-
Abb. 15: Eduard Mortier Fraenkel
mann. Die Kommission setzte Fraenkel an die erste Stelle, weil er den beiden
anderen Kandidaten in einem Punkt überlegen sei: Er gehe in stärkerem Maße neue Wege. [m Gegensatz zu Fraenkel würde sich allerdings Stroux besser in den Göttinger Lehrbetrieb einfügen. Der preußische Kultusminister verhandelte zunächst mit Johannes Stroux, dem die Absage des Rufes nach Göttingen
schwerfiel.!98 Der als zweiter gefragte Eduard Fraenkel sagte sofort zu. Am 5. Mürz 1928 schrieb er aus Locarno an den Dekan der philosophischen Fakultät in Göttingen: „Die Annahme des ehrenvollen Rufes ist mir selbstverständlich. Der Ausbildung, die mir an der Georgia Augusta zuteil geworden ist, verdanke ich ... nicht nur die Grundlagen meiner wissenschaftlichen Existenz, sondern deren gesamte Form. Mit größtem Ernst empfinde ich die Verantwortung, vor die ich nunmehr gestellt werde: ich will mich mit allen Kräften
bemühen
der
großen
Tradition,
die
ich
fortsetzen
soll, nicht
ganz
unwürdig zu sein.*199 Zum 1. Oktober 1928 als zweiter Nachfolger von Friedrich Leo nach Góttingen berufen, wurde Eduard Fraenkel auch zum Direktor des Philologischen Seminars ernannt. Mit dem Ministerialbeamten Windelband traf Fraenkel schon
im März
1928 eine Vereinbarung,
die dem
Institut für Altertums-
kunde zugute kam:?% Die Einstellung einer bezahlten Hilfskraft (jährlich 600 RM) wurde genehmigt, eine Umdruckmaschine, ein Sonderetat zur Anschaffung ausländischer Literatur in der Höhe von 5000 RM und ein jährlicher Etat
Die 1950/55 am Göttinger Institut für ANertumskunde lehrenden Wissenschaftler
109
in der Hóhe von 500 RM zur Heranziehung ausgezeichneter Lehrkrüfte. Eduard Fraenkel war Mitbegründer des altertumswissenschaftichen Rezensionsorgans „Gnomon“ (1925) und verfaßte von Anbeginn Rezensionen ausländischer, insbesondere italienischer und englischer Literatur, wie aus sei-
nem Schriftenverzeichnis deutlich wird.?9! In diesem Kontext ist wohl auch der Antrag auf die Finanzierung ausländischer Literatur zu sehen. Sein Jahresgehalt betrug 13.600 RM zuzüglich 3000 RM Vorlesungshonorar, und für „Gutachtliche Tätigkeit im Interesse der Unterrichtsverwaltung“ wurde
ihm eine jährliche Summe von 500 RM bis zu seiner Emeritierung gewährt. Eduard Fraenkel zog im September 1928 mit seiner Frau Ruth und seinen fünf Kindern Gustav, Renate, Andreas, Barbara und dem einjährigen Ludwig nach Göttingen. Erst nach längerer Suche fand die Familie ein Haus (Dahlmannstraße 3). Anfang November berichtete Fraenkel seine ersten Göttinger Eindrücke
an den Ministerialbeamten Windelband:
,... Das Einleben hier
geht gut vonstatten; man kommt mir von allen Seiten aufdas liebenswürdigste entgegen. Die Studenten scheinen sich rasch an mich zu gewöhnen; zu den Lektürestunden, die ich zur Ergänzung meiner Hauptvorlesung halte, haben sie sich in überraschend
großer
Zahl
gemeldet.
Freilich erfüllt einen
die
jetzige starke Frequenz mit Sorge, im allgemeinen und bei den Klassischen Philologen noch besonders . . .*202 Wirklich stieg die Zahl der Studenten im Laufe von Fraenkels Lehrtätigkeit sprunghaft an: von 27 Mitgliedern des Proseminars im Sommersemester 1929 auf 44 ordentliche Proseminarmitglieder im Sommersemester 1950. Die Teilnehmer des Seminars pendelten sich
bei 12 ein, die Hospitanten für Proseminar und Seminar nicht mitgerechnet. Fraenkel hatte binnen kurzem viele Studenten - unter ihnen auch Otto Skutsch - um sich versammelt, für das Institut Gelder organisiert und sich bald den Neid von Kollegen zugezogen; vielleicht auch durch seine wenig
kompromißbereite Art.205 Er engagierte sich aber nicht nur innerhalb des Instituts für Altertumskunde. Er war neben Felix Jacoby und Otto Regenbogen Mitglied einer dreiköpfigen Kommission, die eine Reform des ,altphilogischen* Studiums für das Land Preußen ausarbeitete, und reiste deshalb des óftern zu Besprechungen ins Ministerium nach Berlin.29* Er realisierte interdisziplinäre Projekte, beschäftigte sich darüber hinaus intensiv mit der Planung der Studienreform,
der Umgestaltung von Prüfungen und beteiligte sich an der Modernisierung des Gymnasialunterrichts. Ein Schwerpunkt lag bei der Fórderung fachübergreifender Zusammenarbeit, ganz im Wilamowitzschen Sinn. Mit Wolfgang Kunkel, dem 1929 als Nachfolger von Fritz Pringsheim nach Göttingen berufenen
Ordinarius
für Rómisches
und
Bürgerliches
Recht, veranstaltete
er
Seminare für Philologen und Juristen mit 50 bis 40 Teilnehmern. Drei rechtshistorisch interessierte Juristen begannen bei Fraenkel zu studieren. Aus der
Zusammenarbeit im Unterricht sollten auch gemeinsame Veróffentlichungen hervorgehen.?05 So wie Fraenkel mit den Juristen zusammenarbeitete, über-
wand er auch die seit langer Zeit herrschende Distanz zu den Archáologen. Das Verhältnis beider Fächer zueinander war eher von Konkurrenz bestimmt,
110
GRÜNDUNG UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
seitdem Karl Dilthey von der klassischen Philologie auf den Lehrstuhl der Archäologen, als Nachfolger von Friedrich Wieseler, gewechselt war (1886). Außerdem setzte Fraenkel sich dafür ein, daB das Ministerium Gelder für die
Pflege des Mittellatein bewilligte, und arbeitete auch mit den Historikern zusammen über das Mittelalter.206 1928 erschien sein ,Iktus und Akzent im lateinischen Sprachvers“ (Berlin) über nicht lyrische Metren des lateinischen Dramas, die seiner Ansicht nach die Redeweise gebildeter Rómer spiegeln und deshalb aus anderen als rhyth-
mischen Gründen zum Auseinanderfallen von natürlichem Wortakzent und metrischer Betonung führen. Diese These erwies sich jedoch schon bald als nicht haltbar. Aufsátze zu Catull, Vergil, Horaz, Ennius und zu der klassischen
Dichtung der Rómer folgten. ,Das Reifen der horazischen Satire* widmete er Richard Reitzenstein. Aus einem an der Göttinger Universität im Sommerse-
mester 1950 gehaltenen Seminar entstand die Studie ,Der Zeushymnos im Agamemnon des Aischylos“, der Anfang von Fraenkels über 20 Jahre wührender Beschüftigung mit diesem Drama, dessen vollkommen neue Edition mit ausführlichem Kommentar 1950 in Oxford erscheinen sollte.207 Trotz all dieser Aktivitäten und Erfolge fühlte sich Fraenkel, der sich bei
seiner Ankunft auf eine lange Göttinger Zeit gefreut und eingerichtet hatte, bald nicht mehr wohl. Willilams widmet Fraenkels Göttinger Zeit in seinem Nachruf nur einen Absatz: “In 1928, however, Fraenkel could not resist a call to Göttingen. It was a sad move and it only lasted for three years. In Göttingen
the children fell ill and the death of their son Andreas was a heavy blow. The atmosphere ofa small town, the circle of university wives and the gossip were uncongenial
to Ruth.
In the university, where,
at the time, there was
no
generally accepted dominant figure like Jacoby at Kiel, there were personal quarrels and at one Faculty meeting a senior professor publicly called Fraen-
kel a 'frecher Judenjunge’. In 1951 there came an opportunity to move to Freiburg im Breisgau . . .”208 Es ist nicht bekannt, wer die Äußerung getan hat. Vielleicht war es Hugo Willrich, der sich schon früher gegenüber anderen Kollegen polemisch geüu-
Bert hat. Daß Fraenkel sich durch seine Neuerungen und seinen Unternehmungsgeist Neider und Feinde an der Fakultät geschaffen hat, ist gut möglich und unabhängig vom zunehmenden Antisemitismus zu sehen. Dieser aber
diente zu der Zeit schon als Form der Austragung von Konflikten, die eigentlich auf einer anderen
Ebene
lagen, wie die von Willilams
berichtete
Ge-
schichte zeigt. Max Born, seit 1920 o. Professor für Theoretische Physik an der Universitätin angespannten seine Familie spüren, z. B.
Göttingen, erzählt in seinen Erinnerungen von dem zunehmend politischen Klima zu Beginn der dreiDiger Jahre. Auch er und bekamen die Folgen der wachsenden antisemitischen Hetze zu durch nächtliche Anrufer, die sie aufforderten, das Land zu
verlassen etc.209 Nach einigem Zögern nahm Eduard Fraenkel schließlich den Ruf an die Universität Freiburg i. Breisgau an, obwohl der Dekan der philosophischen Fakultät, Moritz Geiger, und sein Kollege Wolfgang Kunkel sich darum be-
Die 1950/35 am Göttinger Institut für Alertumskunde lehrenden Wissenschaftler
111
mühten, Fraenkel in Göttingen zu halten. Ich glaube nicht, daß es ihm leicht fiel, Göttingen zu verlassen, wie Willilams nahelegt, immerhin vertrat er hier die Nachfolge seines verehrten und geliebten Lehrers Friedrich Leo und
konnte mit seinem Freund Hermann Fränkel zusammenarbeiten.210 „Die Philosophische Fakultät ist durch die Berufung Eduard Fraenkels nach Freiburg sehr beunruhigt ... Als Lehrer hat er die Erwartungen, die die Fakultät bei seiner Berufung in ihn gesetzt hat, nicht nur erfüllt, sondern übertroffen. Er hat in der kurzen Zeit seines Hierseins bereits einen starken Einfluß auf die Studenten gewonnen; er wirkt auf sie... ebenso sehr durch die Exaktheit seiner Methode wie durch die Weite seines Gesichtskreises, die
Lebendigkeit seines Lehrens und das persönliche Interesse, das er seinen Schülern entgegenbringt ... Es ist jedoch nicht bloß die Sorge um das Fach der Klassischen Philologie, weshalb die Fakultät nachdrücklichsten Wert
darauf legt, Eduard Fraenkel dauernd in Góttingen zu fesseln. Die Synthese der Ergebnisse der verschiedenen Fächer, wie sie bei dem jetzigen Stande der geisteswissenschaftlichen Forschung von besonderer Bedeutung ist, hat bei der Zusammenarbeit der in den letzten Jahren neu berufenen Kräfte mit den bereits vorhandenen reiche Früchte getragen. Durch sein weit ausgebreitetes Interesse und die Vielgestaltigkeit seiner Arbeit ist Ed. Fraenkel ein hervorragender Exponent einer solchen Synthese .. . Er hat dabei über die eigene
Fakultät hinaus die Grenzen der Wissenschaften überbrückt, wofür beiliegender Brief Professor Kunkels beredtes Zeugnis ablegt. ... Aus allen diesen Gründen ist es im Interesse der wissenschaftlichen Tradition wie im Sinne all der Bestrebungen, die auf eine Synthetisierung der geisteswissenschaftlichen Studien, eine Verbesserung ihrer Lehr- und Unterrichtsorganisation tendieren, von allergróBter Bedeutung, daß Ed. Fraenkel Göttingen nicht verloren
geht ....^, schrieb der damals amtierende Dekan Moritz Geiger, o. Professor für Philosophie, über Fraenkels Bedeutung für Góttingen in einer Eingabe an das Berliner Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung ?!!
Am 1. April 1951 verließ einer der bedeutendsten Latinisten des 20. Jahrhunderts Göttingen und drei Jahre später Deutschland. Im Sommersemester 1955 wurde er zwangsweise von den Lehrgeschüften beurlaubt: Weil er nicht am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte, traf auf ihn nicht die Ausnahmere-
gelung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“
zu.
Dennoch fiel es ihm schwer, Deutschland zu verlassen. Bis 1954 blieb er in Freiburg, vóllig isoliert von seinen Studenten wie von seinen Kollegen, die
den Kontakt zu ihm abbrachen, wie z. B. Wolfgang Schadewaldt. Seine Frau überredete ihn schlieBlich, die Einladung Gilbert Murrays?!? nach Oxford anzunehmen.
Dort erhielt er bald eine ordentliche
Professur, den Corpus
Christi Chair of the Latin Language and Literature, einem der renommiertesten Lehrstühle für Latein, unterrichtete von 1955 über seine Emeritierung im Jahr 1955 hinaus und prügte bis an sein Lebensende Generationen von englischen Philologen:
*Many
of the most distinguished Classical scholars
alive today acknowledge these seminars as their own first-beginnings, and in this way Fraenkel has decisively influenced the whole concept of Classical
112
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
scholarship in Britain"?!5, schrieb sein Schüler Gordon Willilams über den EinfluD der Fraenkelschen Seminare in dem Nachruf, der eine sehr lebendige
Schilderung von Fraenkels Person gibt.
2.4.5
Kurt Latte (1891-1964)
„Bei dem Mangel an tüchtigen Latinisten, der zur Zeit namentlich in Deutschland herrscht, kommen danach von vornherein nur ganz wenige Männer in Frage. ... Von reinen Latinisten ist überhaupt nur einer zu nennen: Günther Jachmann .. .^, schrieb der amtierende Dekan Moritz Geiger an das preuDische Kultusministerium
in dem
Brief, der die Berufungsvorschlüge für die
Nachfolge Eduard Fraenkels enthält.2!* Nach Jachmann werden ohne Reihung die Philologen Otto Regenbogen und Kurt Latte genannt. Die Berufungs-
kommission hob besonders das breite Forschungsgebiet Lattes hervor, der zwar kein reiner Latinist war, aber durch seine Studien und Veróffentlichungen zur antiken Rechtsgeschichte besonders als Nachfolger von E. Fraenkel
geeignet erschien. Seine Untersuchungen behandelten die Einwirkungen des religiósen Lebens der Ántike auf die Rechtsanschauungen und die Ethik, aber auch dessen historische und politische Auswirkungen, führt der Bericht der Berufungskommission aus. Latte sei einer der wenigen klassischen Philologen mit ,juristischer Begabung". Zudem sei er Herausgeber des griechischen Grammatikers Hesych und habe sich mit italischen Dialekten und Literatur
beschäftigt.215 Im März 1931 nahm der Baseler Ordinarius für Klassische Philologie, Kurt Latte, den Ruf nach Göttingen für das folgende Wintersemester an. Latte stand in der
altertumswissenschaftlichen
Tradition
der
Wilamowitzschule,
und
seine Forschungsgebiete entsprachen den bisher in Góttingen gepflegten. Seine Veróffentlichungen zur Religionsgeschichte und zur Rechtsgeschichte ebenso wie seine Editionsarbeit und die Beschäftigung mit italischen Dialekten setzten die Arbeiten von R. Reitzenstein, E. Fraenkel und W. A. Baehrens
fort. Am 9. Mürz 1891 wurde Kurt Albert Paul Latte als Sohn des Arztes Peter Latte und seiner Frau Nanny, geb. Maschke, in Kónigsberg geboren. Nach dem Tod seines Vaters, Latte war gerade neun Jahre alt, wuchs er im Haus seines Großvaters mütterlicherseits, des jüdischen Arztes Dr. Abraham Maschke,
auf. Im Unterschied zu Eduard Fraenkel war Latte evangelisch getauft worden und nahm in der Schule am Religionsunterricht teil.21$ Nach dem Abitur am Collegium Fridericianum, das schon Immanuel Kant besucht hatte, begann Latte mit dem Studium der Romanistik und der Klassischen Philologie an der
Universität Königsberg, wo u. a. Ludwig Deubner und Richard Wünsch seine Lehrer waren. Ein Jahr ging er auf Anraten des Usener-Schülers Deubner nach Bonn, wo er u. a. auch Archäologie bei Georg Loeschke, Indologie bei
Hermann Jacobi und Sprachwissenschaft bei Felix Solmsen studierte. Nach Königsberg zurückgekehrt, wo inzwischen der Althistoriker Friedrich
Die 1950/55 am Göttinger Institut für Altertumekunde lehrenden Wissenschaftler
115
Münzer lehrte, schloB er sein Studium mit der Promotion ,summa cum laude*
ab. Seine Dissertation „De saltationibus Graecorum capita quinque“, eine religionsgeschichtliche Untersuchung über die Bedeutung, die verschiedenen Formen und Funktionen der Tänze bei den Griechen, wurde von seinen Lehrern Deubner und Wünsch in der renommierten Reihe ,Religionsgeschichtliche Vorarbeiten und Versuche“ herausgegeben.?!7 Er ging für ein Semester an das Berliner Institut für Altertumskunde. Dort lernte er Wilamo-
witz persónlich kennen, der ihn aufgrund der Dissertation als Herausgeber des Hesych bei der Kopenhagener Akademie der Wissenschaften empfahl, die unter der Leitung von A. B. Drachmann
eine Ausgabe griechischer Lexiko-
graphen übernommen hatte.218 Das war für den damals 25jührigen eine hohe Ehre und Anerkennung. Das 1914 vom Kaiserlichen Archäologischen Institut erhaltene Stipendium konnte Latte erst nach dem Krieg wahrnehmen. Sein Referendariat am Kónigsberger Collegium Fridericianum unterbrach
der Erste Weltkrieg. Latte meldete sich, obwohl er als dienstuntauglich galt, freiwillig zum Militürdienst bei der ,fechtenden Truppe* und kehrte als dekorierter Offizier aus dem Krieg zurück. Er nahm an der Masurenschlacht teil, wo er sich schwere Frosterkrankungen zuzog, und wurde nach einem Lazarettaufenthalt an die Westfront versetzt.219 Bald nach Kriegsende habilitierte Latte sich an der Universität Münster mit einer Untersuchung der sakralen Rechtsformen in Griechenland: ,Heiliges Recht“, die seinem im Krieg gefallenen Jugendfreund Gustav Lejeune-Dirichlet gewidmet ist.220 Vorarbeiten dazu hatte er schon seit 1913 geleistet, als ihn
der schwedische Religionshistoriker M. P. Nilsson dazu eingeladen hatte, für ein geplantes Lexikon der griechischen und römischen Religion Artikel beizusteuern. In Münster erhielt Latte 1920 am Institut für Altertumskunde eine Assistentenstelle.221 Drei Jahre später wurde er als Nachfolger von Günther Jachmann an die Universität Greifswald berufen, wo er als o. Professor für Latinistik neben dem gleichzeitig als Nachfolger von Johannes Mewaldt berufenen Philologen Konrat Ziegler lehrte.22? 1926 folgte Latte einem Ruf an
die Universität Basel. In Basel behandelte Latte mehr als in Greifswald die Literatur, Kultur und Religion der Römer in Vorlesungen und Seminaren. Neben kritischen Textuntersuchungen (zu Horaz und Eunapios) setzte er die Vorarbeiten zum Hesych-Lexikon fort und verfaßte wichtige Beiträge zum griechischen
Recht,
zur
hellenistischen
und
zur
rómischen
Religionsge-
schichte. In dieser Zeit erhielt Latte auch den Auftrag zur Überarbeitung von Georg Wissowas ,Religion und Kultus der Rómer* (München 1901), dem Standardwerk zu diesem Thema.223 Aus der Überarbeitung wurde ein neues Buch: Lattes „Römische Religionsgeschichte“. Es konnte allerdings erst nach
1945 fertiggestellt werden ausgeführt werden.?2*
und
1960 erscheinen,
aus Gründen,
die noch
Im Herbst 1951, eineinhalb Jahre vor der Machtergreifung Hitlers, verlieD Latte die Universität Basel, um die Nachfolge von Eduard Fraenkel in Góttingen anzutreten. Er konnte damals nicht ahnen, daß er nur wenig länger
(3 Semester) als sein Vorgänger in Göttingen bleiben würde. Bei den Verhand-
114
GRÜNDUNG UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
lungen mit dem Ministerium erhielt Latte einen eigenen Etat für die Abhaltung von Seminarübungen für Studenten, die nur das Fach Latein studierten.225 Dieser Etat sollte Hermann
Fränkel, der die Übungen
hielt, zugute
kommen. Latte setzte auch die von E. Fraenkel begonnene Zusammenarbeit mit den Juristen fort. „Er entfaltete eine glänzende Lehrtätigkeit; sein Schwung riß die Studenten mit. Jedes Kolleg, unabhängig vom Manuskript in gewühltester Sprache frei vorgetragen, war voller Gelehrsamkeit und sicherer Kritik; Überlieferungsgeschichte, von der Umwelt des Autors bis zur letzten Textausgabe ausgeführt, wurde zur Geistesgeschichte. Nach wenigen Worten war Tradition
lebendige Gegenwart. ... Die Interpretation erschloß die Sache so gut wie die Form. In seiner Monographie über Sallust (1954) gab er ein Beispiel seines Verfahrens, von Ausdruck und Satzform, Erzählungsstil und Komposition her
die Persönlichkeit zu erschließen.“226 So war bis 1955 die Situation des Instituts überaus günstig: Trotz der politischen Querelen und Anfeindungen, die zu E. Fraenkels Weggang aus Göttingen beigetragen hatten, hatte es die höchste Studentenzahl seit seinem Bestehen,
und mit den Lehrenden
Kurt Latte, Hermann
Pohlenz hielt es ein hohes wissenschaftliches Niveau.
Fränkel und Max
„Es ist also nicht blinder Gehorsam. Es ist das Verständnis. Es ist nicht einmal der Befehl, sondern die Initiative,
die man studieren muß. Wer hat diese Befehle gegeben? Wer hat diese Entscheidungen getroffen? Wie viele haben solche Entscheidungen gemacht? Es waren Tausende und Abertausende von Entscheidungen und Tausende und Abertausende von Tätern.“ Raul Hüberg (1991)
5. ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS 5.1 Die „Machtergreifung“ als Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“: Kontinuitüten, Brüche, Fragmentierung Die Phase der Machtübernahme
durch die Nationalsozialisten, die mit der
Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 50. Januar 1955 einsetzte und mit der Selbstauflósung der bis dahin noch nicht verbotenen Parteien am 5. Juli 1955 abgeschlossen war!, verdient besondere Aufmerksamkeit. Die eingehendere Untersuchung dieser Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“, in der die Nationalsozialisten ihre Herrschaft etablierten und konsolidierten, gibt wichtige Aufschlüsse darüber, welche Rolle
die akademische Sphüre und die Universitüten in diesem ProzeD spielten, aber auch in welcher Form sie zur Festigung des Regimes beitrugen. Die Ansicht vieler, die Nationalsozialisten und vor allem Hitler würden sich nicht lange an der Macht halten können, stellte sich bald als ein fataler Irrtum heraus. Um so dringlicher erhebt sich die Frage, warum die durchaus auf vielen Seiten
vorhandenen Vorbehalte und Widerstände gegen die Nationalsozialisten keine Wirkung hatten. Deshalb seien hier in aller Kürze die wesentlichen Ereignisse und Faktoren der Übergangsphase bis zur Konsolidierung nationalsozialistischer Herrschaft in Erinnerung gerufen. 1. Innerhalb von fünf Monaten konnten die Nationalsozialisten die allge-
meine Verwaltung (Ministerien etc.) für sich gewinnen und die Selbstgleichschaltung von Selbstverwaltungskórperschaften (wie dem Deutschen Richterbund, der Árztekammer,
der Anwaltskammer,
von wirtschaftlichen Ver-
bünden, Innungen etc.), aber auch von so wichtigen Institutionen wie der . Universität erreichen. Mit dem Einverständnis und der aktiven Mithilfe konservativer Eliten, in einer Atmosphüre der latenten und manifesten Bedrohung durch sich steigernde Aktivitüten der SA, aber auch der SS, entwickelte
sich ein Wechselspiel von durch die nationalsozialistische Presse als „Volks-
116
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
wille“ interpretierten Terroraktionen und nachträglich von der Staatsführung getroffenen gesetzlichen Maßnahmen. Diese sanktionierten den Terror und zogen wiederum neue Aktionen nach sich. Der Selbstlauf von Terror und ihn legitimierenden Gesetzen, Maßnahmen, Verordnungen etc. sollte sich bald
einspielen und das Regime bis zu seinem Ende kennzeichnen? 2. Die inhaltlich wenig festgelegte nationalsozialistische Weltanschauung
konnte mit dem Angebot einer autoritär strukturierten ,Volksgemeinschaft* die freiwillige und vorauseilende Unterstützung in Militär, Bürokratie und Wirtschaft mobilisieren. Die vielfältig vorhandenen Bedenken und Vorbehalte gegen den Nationalsozialismus wurden dadurch überlagert und erst einmal weit hintangestellt.5 Auf dieser Basis konnte sich das Regime bald einrichten und stabilisieren: Schon am 6. Juli 1955 konnte Hitler die „nationale Revolu-
tion“ für beendet erklären und damit die individuellen Vorstöße von SA und SS vor Ort dämpfen, die wirtschaftlich und außenpolitisch zu diesem Zeitpunkt den Interessen der Nationalsozialisten schon mehr schadeten als nütz-
ten.* Eine Reihe von Einschützungen und Überzeugungen lief die Konservativen, namentlich die DNVP, schon seit 1952 in der Regierung Papen glauben,
ihre Ziele deckten sich mit denen der Nationalsozialisten: Gemeinsam war ihnen
nicht
nur
die
revanchistische
Haltung
zum
Versailler
Vertrag,
die
Feindschaft gegen die Weimarer Republik, die Hoffnung auf Rückgewinnung der abgetretenen
Gebiete, der Wunsch
nach Wiederaufrüstung, nach wirt-
schaftlicher Expansion und einer Vormachtstellung in Mitteleuropa, sondern auch der Antisemitismus und die Auffassung, daß der Beamtenkórper unmittelbarer Vollstrecker eines autoritären Willens des Staates sei und daher linke,
sozialistische und liberale Beamte nicht dulden könne.* 3. Allein in den ersten fünf Monaten des Regimes wurden über 170 gesetzliche Maßnahmen,
Richtlinien, Verordnungen, Erlasse etc. auf allen Ebenen
der Verwaltung, aber auch von privaten Institutionen eingeführt, die sich gegen jüdische Bürger richteten. Liest man die von Joseph Walk herausgegebene Zusammenstellung antijüdischer Maßnahmen,
die mit der Aufhebung
der Anordnung an die Polizei, Ostjuden, die schon lange im Deutschen Reich lebten, nicht auszuweisen, am 17. Februar 1955 beginnt’, dann bestätigt sich
die Einschützung von Hilberg, daD allein die Machtergreifung Hitlers hinreichend war, um eine Lawine von Eigeninitiativen órtlicher Bürgermeister, Schuldirektoren, Krankenkassenleiter, Stadtverwaltungen, Polizeidirektoren, SA- und SS-Leuten, die antijüdische Maßnahmen beinhalteten, auszulösen.
4. Wenn es auch vielen schon seit Beginn der dreiBiger Jahre deutlich war, daß die Nationalsozialisten an die Regierung kommen würden - hier sei nur Hannah Arendt als Beispiel genannt? -, so war es doch nicht vorhersehbar,
mit welchen Mitteln und in welch kurzer Zeit es ihnen gelingen würde, ihre politischen Gegner auszuschalten. Die Verfolgung der Gegner setzte schon im Monat darauf ein, in der Nacht des Reichstagsbrandes.? Aber auch die vielfäl-
tige Unterstützung, die es dem Regime erst ermöglichte, sich zu etablieren und zu stabilisieren, war überraschend. Auf diesem Hintergrund scheint es
Die Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“:
117
mir notwendig, die Ereignisse im Frühjahr 1955 genauer zu betrachten, weil sie einen Übergang markieren und alle Merkmale eines Übergangs haben: Chaos, Unsicherheit, Hoffnung etc.
5. Gerade in der ersten Phase nationalsozialistischer Herrschaft tritt das Ausmaß der aktiven Beteiligung und Unterstützung weiter Teile der deutschen Gesellschaft besonders deutlich hervor, aber auch der weitgehend ausbleibende Widerstand, Protest, die unterlassene óffentliche Solidarisierung mit den Verfolgten. Zunüchst móchte ich der Frage nachgehen, welche Kontinui-
täten den Übergang von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus bestimmten bzw. ihn erleichterten.
3.1.1 Kontinuitüten in der akademischen Sphäre 1. Für die Universitát als Institution ist vor allem die feindselige Einstellung gegenüber der Weimarer Republik zu nennen. So stellte etwa die Universitüt Góttingen innerhalb der gesamten Zeit der Weimarer Republik nur einmal und gezwungenermaßen, nämlich am 11. August 1929, den Redner für die Feier des 10. Jahrestages der Weimarer Verfassung, die von der Stadt veranstaltet wurde. Ansonsten weigerte sich die Universität, sowohl eine eigene Verfassungsfeier zu veranstalten als auch an den städtischen teilzunehmen.8 Die dem Kaiserreich nachtrauernde Reichsgründungsfeier hingegen wurde jährlich von der Universität feierlich begangen. Seit 1950 veranstaltete sie im November auch noch eine Langemarck-Feier, die eines im Ersten Weltkrieg
vor Langemarck gefallenen Studentenbataillons gedachte. Am 10. Jahrestag der Unterzeichnung des Versailler Vertrages nahm die Universität, trotz ministeriellen Verbots, an einer von der Studentenschaft organisierten „Kund-
gebung gegen das Versailler Friedensdiktat“ teil. Zwei Jahre später, am 28. Juni 1951, fungierte die Universität sogar offiziell als Gastgeber einer studentischen Gedenkfeier aus demselben Anlaß.? Es ließe sich noch eine Reihe
von
Beispielen
nennen,
die die nationalistische
und
revanchistisch
gefärbte Parteinahme der Universität als Institution belegen.!0 2. Daß die Gruppe der Lehrenden nicht unpolitisch war, wie nach 1945 oft
apologetisch behauptet wurde, ist am Beispiel der Reaktion Göttinger Professoren auf das Ende des Ersten Weltkriegs und die „November-Revolution“ sowie die nachfolgende Verlagerung des politischen Spektrums der Professorenschaft zur DNVP hin schon gezeigt worden. Es gab dennoch deutliche Unterschiede zwischen den Fakultüten: Die mathematisch-naturwissenschaftliche Abteilung hatte sich nicht zuletzt wegen Auseinandersetzungen über die Berufung besonders konservativer Professoren und der Ablehnung linker bzw. linksliberaler Kandidaten (z. B. Leonard Nelson) seitens der historisch-philologischen Abteilung von dieser getrennt und als eigene Fakultät etabliert. An der mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultät wiederum war die Abteilung der Landwirtschaftlichen Institute besonders konservativ.
118
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Innerhalb der Gruppe der Hochschullehrer radikalisierten sich vor allem die statusbenachteiligten Privatdozenten und außerordentlichen Professoren. Ihr meist sehr geringes Einkommen, das sie von Vermögen, Nebeneinkünften etc. abhängig machte und sie deutlich vom Status der ordentlichen Professoren absetzte, machte sie in der Zeit der Weltwirtschaftskrise besonders anfäl-
lig für eine Radikalisierung. Gerade in dieser Gruppe fanden spezifisch nationalsozialistische Betätigungen Unterstützung, wie das oben beschriebene Unternehmen Achim Gerckes, das „Archiv für rassenkundliche Berufsstatistik“ mit dem Ziel, ein „Register sämtlicher Juden in Deutschland" anzule-
gen. Es wird zwar immer wieder betont, daß eine verschwindend kleine Zahl
der Lehrenden vor 1955 Nationalsozialisten waren - das trifft auch für die Universität Göttingen zu -, aber es war offensichtlich hinreichend, daß die
Mehrheit des Lehrkörpers konservativ war und kaum etwas gegen die nationalsozialistischen Studenten unternahm. Ebenso verschwindend war die Zahl an der Universität geduldeter liberaler Professoren. Auf diese Weise wurde das von den Universitäten ausgehende Widerstandspotential schon in der Zeit der Weimarer Republik wesentlich geschwächt: „Die Freiheit und Unabhängigkeit der Hochschulen diente dazu, die Republik aktiv und passiv zu be-
kämpfen. Die Republik, demokratisch gegen ihre Feinde, duldete die auf den Universitäten gegen ihre eigene Existenz getriebene Propaganda
... Als es
gegen Ende der Republik regelmäßig zu Konflikten nationalsozialistischer Studenten mit republikanischen Professoren kam, hatten diese weder in der
Universität noch in den Ministerien genügend Rückhalt ... Den anderen Professoren war dies... nur die erwünschte Gelegenheit, einen Kollegen los zu werden. Sie setzten den Nationalsozialisten keinen Widerstand entgegen.*!! So lautet das Fazit Emil Julius Gumbels, eines selbst von nationalsozialistischen Studentenboykotts betroffenen Hochschullehrers an der Universitát Heidelberg. Die vehementen Angriffe der Studentenschaft gegen den
bekanntermaßen pazifistischen und politisch verhaßten a. o. Professor für Statistik führten schlieDlich zur Entziehung der Lehrberechtigung durch das Badische Unterrichtsministerium im August 1952. Den Antrag auf Entziehung der Lehrberechtigung hatte zuvor die philosophische Fakultät gestellt, die damit der Heidelberger Studentenschaft die Durchsetzung ihrer Forderung
erst ermóglichte.!? Versuche liberaler Hochschullehrer, in den letzten Jahren der Weimarer
Republik gemeinsam gegen die Radikalisierung der Studenten vorzugehen, etwa durch Resolutionen, Maßregelungen etc., kamen zu spät. Sie scheiterten an der Mehrheit der Kollegen, die Verständnis für die „Bewegung“ der natio-
nalsozialistischen Studenten aufbrachte, wie zum Beispiel Eduard Spranger. Er verhinderte im Oktober 1952 mit seinem Votum für die Studenten eine Resolution des Hochschulverbandes gegen die Terroraktionen nationalsozialistischer Studenten, die daraufhin keine Mehrheit mehr fand.!5 Zu fragen ist:
Was fand das Einverstündnis konservativer Hochschullehrer und erzeugte schlieBlich trotz vorhandener Vorbehalte gegen sie eine ausreichende Koope-
Die Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“:
119
ration mit rechtsradikalen Studentengruppen, die in gewissem Sinn das Zusammengehen von Hindenburg mit Hitler, der Deutschnationalen mit den
Nationalsozialisten widerspiegelte? Der Freiburger Strafrechtler Erik Wolf zum Beispiel erinnerte sich in den Weihnachtsferien 1932/33, angesichts der Dauerkrise des Reichstags und der Stimmengewinne der Nationalsozialisten, eines Gesprächs mit einem nationalsozialistischen Studenten, das zwei Jahre zurücklag, und ihn nun zu
folgenden Überlegungen veranlaßte: „Sollten wir in unserer geistigen Isolation verschlossenen Intellektuellen uns getäuscht und verkannt haben, daß hier ein einfacher Mensch aus dem Volk [i. e. Hitler] sich anschickte, die
drohende Not der Arbeitslosen [. . .] vielleicht erfolgreicher zu bekämpfen, als es die zerstrittenen
Theoretiker
und
interessenbedingt
handeinden
Wirt-
schaftsbosse vermochten? Würe es ... dieser Volksbewegung, die schon beinahe die Hälfte aller Stimmbürger hinter sich hatte, möglich, den Haß der sozialen Gruppen widereinander zu überwinden und die ermüdenden oder aufreizenden Parteiprogramme, all das abgestandene und abgeschmackte
politische Unwesen durch einen kühnen Brückenschlag zu überwinden? Sollte ihr Heraufkommen ji. e. der Nationaisozialisten] ein Anzeichen des Gerichts über unseren eigennützigen Standesdünkel sein? Und ein berechtigter Vorwurf für unser unvolkstümliches Abseitsstehen in Klüngeln und Kreisen? Ich begann jetzt den ,sozialen' Gedanken dieser Leute politisch ernster
zu nehmen, . . .“14 Solche Fragen befielen den damals jungen und vorher eher zum „Zentrum“ neigenden Ordinarius für Strafrecht. Sie bewogen ihn, trotz Bedenken, im Frühjahr 1955 Mitglied des Freiburger Universitütssenats zu werden und schließlich als Dekan der juristischen Fakultät mit dem neuen
Rektor Martin Heidegger gemeinsam den nationalsozialistischen Umbau der Universität Freiburg i. B. voranzutreiben. Er trat zwar 1934, im Anschluß an Heideggers Rückzug vom Rektorat, von seinem Amt als Dekan zurück und konnte
auch weiter keine
Karriere
unter den Nationalsozialisten machen,
weil er die Todesstrafe ablehnte und ein Schüler und Freund des republikanischen ehemaligen Reichsjustizministers Gustav Radbruch war.!5 Aber angesichts des Erfolges der Nationalsozialisten, der lockenden Volksgemeinschaft etc. fiel ihm wie auch anderen der Republik müden Intellektuellen zu Hitler etwas ein, wie Hannah Arendt kritisch bemerkte. Sie sah die besondere Anfälligkeit deutscher Gebildeter und Intellektueller darin, daß sie auch Hitler und die Nationalsozialisten erklärten und verstanden, ihnen damit einen geschichtlichen Sinn gaben. Auf diese Weise trugen sie dazu bei, die radikale
Negation jeglicher Tradition durch den Nazismus vor sich und anderen zu verschleiern.!9 Den „sozialen Gedanken“ nahm
Erik Wolf viel zu spät ernst:
Die Studentenschaft hatte sich nicht zuletzt aufgrund ihrer sozialen Problerne in weiten Teilen radikalisiert. 3. Im Unterschied zum Lehrkörper der Universitäten konnten die Nationalsozialisten schon zwei Jahre vor der Machtergreifung in Göttingen wie an 27 weiteren Universitäten die absolute Mehrheit in den Studentenvertretungen erreichen und weiter ausbauen.!? Die Wahlerfolge des Nationalsozialisti-
120
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
schen Deutschen Studentenbundes (NSDStB) sind um so erstaunlicher, bedenkt man, daß nur 56,1% der Wahlberechtigten ihre Stimme für den NSDStB abgaben, nur 2,6% der Studenten Mitglied des NSDStB und über zwei Drittel
der Studenten Mitglied einer Korporation waren. Nach der Einschätzung von Konrad H. Jarausch entsprach jedoch der Prozentsatz der NSDStB-Stimmen ungefähr dem der überhaupt politisch interessierten Studenten.!3 Hinzuzurechnen ist die kleine Minderheit republikanischer Gegengruppen, in wel-
chen sich während der gesamten Dauer der Weimarer Republik kaum mehr als 5% der Studenten organisierten. Der durchschlagende Erfolg des 1926 in München gegründeten NSDStB ist zu einem Teil auf die gut organisierte Propaganda mit Wahlveranstaltungen und spektakulären Boykott-, aber auch groDangelegten Flugblattaktionen zurückzuführen. Zu einem anderen Teil erklärt sich der Erfolg des NSDStB durch seine wandlungsfähige Rekrutierungsstrategie. Nachdem man sich in den ersten Jahren auf die nicht in Korporationen organisierten ärmeren Freistudentengruppen konzentrierte, ging man ab 1928 dazu über, die Korporationen zu unterwandern und zu majorisieren. Diese Strategie drückte sich auch im Wechsel der Führung des NSDStB aus. Die sozialrevolutionären Parolen des Gründers W. Tempel wurden durch das neokonservative Programm, das der neue, sich großbürgerlich gebende NSDStB-Führer Baldur von Schirach entwarf, ersetzt und dazu benutzt, Gemeinsamkeiten mit den schlagenden Verbindungen hervorzuheben sowie deren Traditionen aufzu-
greifen und umzuformen: z. B. „bierehrliche Stichfestigkeit“ in die „politische Schlagkraft“ einer SA.!9 Die Gemeinsamkeiten zwischen den Korporationen und dem NSDStB waren so vielfältig, daß die einer politischen Parteistruktur entgegenstehende Organisationsweise der Verbindungen kaum ein Hindernis für den NSDStB darstellte. Die ausgesprochen NS-feindlichen Verbindungen der katholischen, jüdischen und demokratischen Studenten waren überdies
deutlich in der Minderheit.20 Die Mehrheit der Studenten und Verbindungen vertrat eine Gedankenwelt,
die durch Antirationalismus, Frontsoldatenmy-
thos, Volksgemeinschaftsideen, Antisemitismus und vor allem von der Opposition gegen die Weimarer Republik als Staat der „Novemberverbrecher“ und des Versailler Vertrags gekennzeichnet war. Der Wehrsport, u. a. unterstützt vom „Stahlhelm“, sorgte für eine paramilitärische Ausbildung der studenti-
schen Jugend, die den SA-Gepflogenheiten entgegenkam und viele der von der Republik enttäuschten Freicorpsmitglieder auffing. Auch der ursprünglich aus der Jugendbewegung hervorgegangene und durch die Wirtschaftskrisen 1920 und 1931 sich rasch verbreitende „freiwillige Arbeitsdienst“ von Studenten kam nationalsozialistischen Vorstellungen entgegen.?! Die Entwicklung zu einem rechtslastigen und antidemokratischen Konsens
zwischen traditionellen Studentenverbindungen und dem NSDStB, die in den letzten Jahren der Weimarer Republik zum Teil gemeinsam für die Wahlen zum „Allgemeinen StudentenausschuD^ (AStA) kandidierten, ist auf dem Hintergrund des Wandels der Studentenschaft in der Ära der Republik zu sehen. Der sozialen Óffnung der Hochschulen
nach dem
Ende
des Ersten
Die Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“:
121
Weltkriegs entsprach eine Umschichtung der Studentenschaft. Sie verdoppelte sich nicht nur im Vergleich zur Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, es fanden auch andere soziale Gruppen als bisher den Weg an die Universität: 10% bis 20% der Studenten, die ein Universitätsstudium begannen, waren Frauen. Der
Anteil der Studenten aus der Mittelschicht (Kinder von Handwerkern
und
Gewerbetreibenden, von Angestellten und mittleren Beamten, von Vätern in
freien Berufen) vergrößerte sich erheblich, ja gegen Ende der Weimarer Republik gab es sogar 3% Studenten aus Arbeiterfamilien.2? Das Anwachsen der Studentenschaft wurde als dramatisch und furchterregend erlebt. Die geordneten und elitären Verhältnisse der Kaiserzeit schienen in der „Vermas-
sung“ zu verschwinden. Man fürchtete eine Proletarisierung der Universitäten. Auch das zunehmende Studium von Frauen wurde als bedrohlich erlebt. Inflation und Wirtschaftskrise taten ein übriges, um die Lebensverhältnisse vieler Studenten aus der Mittelschicht derart zu verschlechtern, daß das monatliche Einkommen, trotz Werkstudium, Stipendien etc., unter dem Ein-
kommen eines Arbeiters lag.?3 Gleichzeitig verengte sich das Arbeitsplatzangebot für Akademiker, so daß der Zustrom von Akademikern in den letzten Jahren der Weimarer Republik zwei- bis dreimal so groß war wie der Bedarf an Neueinstellungen. Freilich lag die Akademikerarbeitslosigkeit immer noch deutlich unter der Arbeitslosenquote der Gesamtbevölkerung.** Die materielle Verelendung des größten Teils der Studenten entfremdete
sie zusätzlich von der Republik, deren Hilfe in Form von Stipendien und Freitischen zwar kam, aber bei weitem nicht ausreichte. Der durch das Ende des Kaiserreichs und die Kriegserfahrung ohnehin aufgebrochene Genera-
tionskonflikt wurde dadurch noch verstärkt und wandte sich gegen die Weimarer Republik. Begünstigt wurde diese Haltung durch den preußischen Verfassungskonflikt, der mit der Auflösung der verfaßten Studentenschaft durch den preußischen Kultusminister C. H. Becker 1927 endete und Demokratisierungsversuche
der Studentenschaft
scheitern
ließ. Der preußische
Kultusminister hatte der Preußischen Studentenschaft einen Zusammenschluß mit denjenigen Studentenverbindungen außerhalb Preußens, unter Einschluß der österreichischen, nur mit der Bedingung erlaubt, daß in einer großdeutschen verfaßten Studentenschaft der Ausschluß von Juden nicht weiter praktiziert werden dürfe. Die große Mehrheit der preußischen Studenten stimmte gegen den Verfassungsvorschlag C. H. Beckers. Mit der Auflösung der verfaßten preußischen Studentenschaft fielen auch die Vertretungskörperschaften
weg,
die sich bislang um
die sozialen Belange
der Studenten
gekümmert hatten.25 So war der Boden bereitet für die den Sozialneid und die Konkurrenzfurcht anheizende antisemitische Propaganda der Nationalsozialisten, die sich mit den ohnehin vorhandenen völkisch-nationalistisch und autoritär strukturierten Vorstellungen und Bildern vieler Studenten von der Gesellschaft mischte. Der 15. Studententag in Königsberg (1932) entmachtete sich selbst, indem er mit großer Mehrheit das „Führerprinzip“ annahm. Im folgenden Winterse-
122
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
mester 1932/33 erlitt der NSDStB an einigen Universitäten wie München, Aachen, Bonn, Braunschweig, Darmstadt, Leipzig und Jena empfindliche Rückschläge. Denn seine Unterwanderungspolitik stieß jetzt zunehmend auf den Widerstand eines Teils der Korporationen, besonders der katholischen
Studentenverbindungen. Aber der sich abzeichnende Niedergang des NSDStB wurde durch die Machtergreifung im Januar 1933 aufgehalten und abgewendet, wie Jarausch festgestellt hat. Der Konflikt mit den Korporationen allerdings schwelte weiter. Schließlich wurden sie im Wintersemester 1934/35 zur Selbstauflösung gezwungen. Erst die Gleichschaltung der Verbindungen vollendete
den
Weg
zu
einer
einheitlich
nationalsozialistisch
ausgerichteten
verfaßten Studentenschaft, die von der neu eingerichteten NSDAP-Reichsstudentenführung kontrolliert werden konnte. Dies gelang im Laufe von nahezu vier Jahren erst am 5. November 1956. Der neue Führer der nationalsozialistischen Reichsstudentenführung, der von der SS vorgeschlagene Mediziner Gustav Adolf Scheel, stellte nachträglich fest: „Es gibt keinen Raum mehr für
das unpolitische Studententum ... Es gilt nicht, Bünde und Verbände zu zerschlagen, sondern sie einzuschmelzen in den Schmelztiegel der deutschen Volksgemeinschaft“ (Hervorhebung C. W.).26 Die Vielfalt der Verbindungen und Korporationen, wissenschaftlicher, religiöser und sportlicher Vereine mit unterschiedlichen Organisationsstrukturen stand dem Kontrollanspruch der Nationalsozialisten entgegen, auch nachdem schon längst, nämlich noch im Sommersemester 1933, alle direkt politisch feindlichen linken und pazifistischen Organisationen verboten und aufgelöst, deren Mitglieder vom Studium und der Universität relegiert worden waren: In Göttingen von 3136 Studentinnen und Studenten waren es zwölf, insgesamt schätzungsweise 570, eine leicht auszumachende und vergleichsweise kleine Zahl.27
Das für die erste Phase der Machtergreifung folgenschwerste Mittel des NSDStB war der sogenannte „Spionageerlaß“.28 Er forderte die Studenten auf, diejenigen Hochschullehrer zu denunzieren, die Mitglied kommunistischer
Organisationen waren, pazifistische oder liberale Einstellungen in ihrem Unterricht und ihrer Forschung erkennen ließen und solche, die jüdisch waren. Für Göttingen und für diejenigen Hochschulen, die in den Gerckeschen Heften erfaßt waren, trug der Erlaß zwar nicht viel aus, weil die Informationen schon öffentlich vorlagen. Er stärkte die Macht des NSDStB,
der mit dieser Kontrollfunktion ausgestattet und zusammen mit den zwar wenigen, aber um so eifrigeren nationalsozialistischen Dozenten einen entscheidenden Beitrag für zumindest den ersten Schritt der geplanten Umwandlung der Universitäten leistete: die Vertreibung und Entlassung der unerwünschten Hochschullehrer und Studenten. Die politische Kontrollfunktion wurde dann bald institutionalisiert. An allen Universitäten wurde die Stelle eines NSD-Dozentenbundführers eingerichtet, der in Absprache mit dem NSDStB-Führer bei allen Neueinstellungen, von der wissenschaftlichen Hilfskraft bis zum Ordinarius, um sein Einverständnis gefragt werden mußte.
Die Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“:
125
3.1.2 Brüche -- Rechtsbrüche Die bisher genannten Faktoren innerhalb der Institution Universität, die ich unter dem Gesichtspunkt „Kontinuitäten“ zusammengefaßt habe, bereiteten den Boden, auf dem die nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933
einsetzenden Maßnahmen des Regimes ohne größeren Widerstand eine Umwälzung der Universitäten vorantreiben konnten.
Der erste Schritt des Umbaus der Universitäten bestand in der Entlassung der politisch „unzuverlässigen“ und jüdischen Hochschullehrer und Dozenten. Die Universitäten ließen diesen elementaren Eingriff, der mehr als ein Drittel ihrer Wissenschaftler vertrieb, nahezu protestlos zu. Für die Hinnahme bzw. Unterstützung der nationalsozialistischen Entlassungspolitik waren meines Erachtens mehrere Faktoren ausschlaggebend. Zum einen war es die
Schnelligkeit, mit der die Nationalsozialisten ihren wesentlichen Programmpunkt des Ausschlusses sämtlicher deutscher Juden aus der „Volksgemeinschaft“ in Angriff nahmen. Zum anderen förderte ihre Strategie der Legalisierung antijüdischer Maßnahmen deren Akzeptanz. Zum Komplex der Le-
galisierung muß man auch die große Bereitschaft deutscher Richter, Anwälte und Justizbeamter rechnen, sie zu ermöglichen. Die Legalisierung der „Säuberungs“-Maßnahmen, die gegen den Gleichheitgrundsatz der Weimarer Verfassung verstießen (Art. 109, RGBI., S. 1404, 11. 8. 1919), wurden von dem
Juristenstand nicht nur akzeptiert. Sie wurden von ihnen selbst in ihren eigenen Reihen, vorerst ohne gesetzliche Handhabe, sofort nach den Reichstagswahlen am 5. Mürz 1955 umgesetzt. Das mufite sich auch auf andere gesellschaftliche Institutionen wie die Universitüten auswirken: Der Richterund Juristenstand trug wesentlich zur Festigung des Regimes bei, gerade weil diejenigen, die das Recht zu vertreten hatten, die Unrechtsakte, Gewalttaten, die rechtswidrige Ausschaltung jüdischer Kollegen, die Beseitigung staatlicher und demokratischer Strukturen und ihre eigene Gleichschaltung so gut
wie ohne Widerstand hinnahmen bzw. selbst aktiv betrieben. Auch der Ärztestand wartete gar nicht erst auf eine gesetzliche Handhabe für antijüdische Maßnahmen in seinen eigenen Reihen. Diese beiden Gruppen übernahmen freiwillig eine Vorreiterrolle, die die Gleichschaltung des Staatsapparates mit dem gesamten Beamtentum vorbereitete und ermöglichte. Mit der vom Reichspräsidenten erlassenen ,Notverordnung zum Schutze von Volk und Staat“ (28. 2. 1955, RGBI. I, S. 85) wurde die schon in der Nacht
zuvor begonnene Verfolgungs- und Verhaftungswelle politischer Gegner der NSDAP „legalisiert“. Die Notverordnung hob durch die Weimarer Verfassung garantierte Grundrechte, wie die der freien MeinungsüuDerung, der Freiheit der Person, der Unverletzlichkeit der Wohnung u. a. m., „bis auf weiteres“ auf. Tatsächlich erwies sie sich für die Dauer des gesamten Regimes als die
Grundiage nationalsozialistischer Herrschaft. Ende Mürz befanden sich allein in Preußen 10.000 Personen ohne richterliche Anordnung und Nachprüfung noch immer in „Schutzhaft“.29 Ebenfalls am 28. Februar, am Tag nach dem Reichstagsbrand, forderte ein Beamter des PreuDischen Innenministeriums,
124
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
der spätere Staatssekretär für Gesundheitswesen Dr. med. Conti, die „Säube-
rung“ des Ärztestandes von jüdischen Ärzten. Nach den Reichstagswahlen am 5. März 1955 kam es in vielen Teilen des
Deutschen Reichs zu Übergriffen und Gewaltakten von SA- und SS-Einheiten gegen
Rechtsanwälte
und Richter jüdischer Abstammung:
Sie wurden
aus
Gerichten gezerrt, mißhandelt, in „Schutzhaft* genommen. Einige wurden in Konzentrationslager verschleppt und ermordet. Daraufhin begannen die Justizverwaltungen in Preußen und Bayern auf eigene Initiative „präventive“ Maßnahmen gegen jüdische Beamte zu ergreifen, sie zu versetzen und zu beurlauben, ohne jede rechtliche Grundlage.?! Schon am 14. März forderte der „Bund Nationalsozialistischer Deutscher Juristen“ die ,Sáuberung* aller
deutschen Gerichte von Beamten „fremder Rasse“, die Auflösung und Neuwahl
der Anwaltskammern,
um
diese
,judenfrei^
und
„marxistenfrei“
zu
machen.* Der „Deutsche Richterbund“ bekannte sich eine Woche später zum Willen der neuen Regierung. Am 23. März 1933 stimmte der Reichstag, wenn auch unter politischem Druck - die kommunistischen und einige sozialdemokratische Abgeordnete waren in „Schutzhaft“-, dem sogenannten „Ermächti-
gungsgesetz“ (RGBI. 1 [1955], S. 141: Gesetz z. Behebung der Not von Volk und Reich v. 24. 5. 1955) zu und ermöglichte damit die Ausschaltung des Parlaments als Legislative. Die Reichsregierung wurde ermächtigt, Reichsgesetze zu beschlieBen, auch solche, die von der Reichsverfassung abweichen. Damit konnten antijüdische Maßnahmen, die schon lange vor der Machtergreifung
von zum großen Teil der DNVP angehörenden Ministerialbeamten geplant waren, auch gesetzlich verankert werden: In aller Eile wurde das „Gesetz zur
Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von einer durch Hitler schon am 16. März eingesetzten Kommission, an der Beamte des Preußischen Justiz-,
Finanz- und
Innenministeriums
beteiligt waren,
entworfen.9*
Das Gesetz
sollte zum einen die schon in einigen Ländern wie Preußen, Bayern, Hessen und Baden erfolgten „Präventivmaßnahmen“ gegen Störungen der Rechtspflege seitens der SA und SS, d. h. die Beurlaubung jüdischer Richter, Staatsanwälte, Justizbeamter, das Verbot für jüdische Rechtsanwälte, die Gerichte Zu betreten, etc., nachträglich „legalisieren“. Es sollte andererseits ähnliche
Maßnahmen für die gesamte Verwaltung und das gesamte Beamtentum ermöglichen. Voraussetzung dafür war das am gleichen Tag, dem 7. April 1955, erlassene Gesetz zur Gleichschaltung der Lünder mit dem Reich. De facto war die Ausschaltung von Juden aus dem Bereich der Justiz in Preußen schon vor dem Erlaf des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ am 7. April 1955 (RGBI. I, S. 175 ff.) weitgehend realisiert worden. In der Folgezeit wurde
es auch
auf Berufsbereiche
übertragen,
die nicht
beamtenrechtlich organisiert waren und z. B. gegen jüdische Apotheker und Makler angewandt.56
Die Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“: 3.1.2.1 Das
125
Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (BBG)
BBG,
vom
„Boykott
jüdischer
Waren,
jüdischer
Ärzte
und
jüdischer
Rechtsanwälte“ am 1. April vor Ort gewissermaßen vorbereitet, war der erste Schritt zur allgemeinen Anwendung der Definition, der Beraubung und des Ausschlusses deutscher Juden aus der „Volksgemeinschaft“. Die „Volksgemeinschaft“ konstituierte sich genau durch den Ausschluß und die Aussto-
Bung derer, die sie zu „Volksfeinden“ stempelte. Zwar vorerst nur gegen Beamte gerichtet und mit Ausnahmen versehen, bot das BBG die erste legalistische Definition derjenigen Gruppe, die künftig aus dem Staatsapparat
ausgeschlossen werden sollte, als eine Gruppe „nicht arischer Abstammung“. Was mit „nicht arischer Abstammung“ ($ 5 Abs. 1) gemeint war, präzisierte die erste Durchführungsverordnung zum BBG (RGBI. I, S. 195, 1955), die vier
Tage später nachgeschoben wurde: $ 2 Abs. 1 bestimmte, daß „als nicht arisch gilt, wer von nicht arischen, insbesondere jüdischen Eltern oder Großeltern abstammt. Es genügt, wenn ein Elternteil oder Großelternteil nicht arisch ist.“ Das Kriterium für die Einstufung als „arisch“ oder „nicht arisch“ war allein
die Religionszugehórigkeit der Vorfahren. Der Begriff „Abstammung“, aber auch die nazistische Benennung der Nürnberger Gesetze als „Rassengesetze“
suggerierten, daB die Definition eine rassische sei und damit den Formulierungen des Parteiprogramms nicht zuwiderlief. Im
November
1955, nach
zweieinhalb
Jahren
Praxis des Ausschlusses,
wurde in der „Ersten Durchführungsverordnung zum Reichsbürgergesetz^ (RGBI. I, S. 1555 f., 1935), das zweite der drei „Nürnberger Gesetze“ vom 15. September 1955, eine Definition des Begriffes „Jude“ gegeben, die den des
„Nichtariers“ enger faßte als das BBG. Nun galt als Jude, wer von wenigstens drei sich zur jüdischen Religion bekannt habenden Großeltern abstammte, oder wer von zwei jüdischen Großeltern abstammte und sich selbst zur jüdischen Religion bekannte etc. Mit dieser Definition wurden Halbjuden, die Sich nicht zur jüdischen Religion bekannten, von der Verfolgung ausgenommen, die anderen aber zu Juden erklürt und der Verfolgung preisgegeben.
Im Anschluß an das „Reichsbürgergesetz“ vom
15. September 1955, das
bestimmte, Staatsangehöriger könne nur sein, wer „deutschen oder artverwandten Blutes“ sei und wer durch sein Verhalten beweise, „gewillt und geeignet“ zu sein, dem deutschen Volk und Reich zu dienen ($ 2, RGBI. I,
S. 1146, 1955) (Hervorhebungen C. W.), ordnete der Reichs-Innenminister in einem nicht veröffentlichten Erlaß vom 30. September 1955 an, daß „jüdische Beamte“ sofort zu entlassen seien.’ Damit waren die Ausnahmeregelungen des BBG aufgehoben. Das sogenannte ,Blutschutzgesetz", das dritte Nürnber-
ger Gesetz (RGBI. I, S.1146, 1955), verbot die Eheschließung und den außerehelichen Verkehr zwischen Juden und deutschen „Reichsbürgern“. Die Rassenideologie mit ihrem Vokabular des ,reinen, deutschen und artverwandten Blutes“, letztlich nur auf religiösen Unterscheidungskriterien der Eltern- und Großelterngeneration basierend, diente als Verschleierung des
eigentlichen Ziels der Nationalsozialisten: auf ihrem Weg, den ,jüdischen
126
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Einfluß“ zu bekämpfen und sich zu bereichern, so wenig Widerstand wie möglich zu begegnen. Das BBG diente der „Wiederherstellung“ eines „nationalen“ Berufsbeam-
tentums und der „Vereinfachung“ der Verwaltung ($ 1 Abs. 1). Es erlaubte der obersten Reichs- bzw. Landesbehörde, Entlassungen endgültig und unter Ausschluß des Rechtsweges zu entscheiden ($ 7 Abs. 1). Folgende Personenkreise mußten per Gesetz sofort entlassen werden: 1. Beamte, die seit der Gründung der Weimarer Republik aufgrund einer Parteizugehörigkeit eingestellt worden waren und nicht aufgrund der für die Stelle geeigneten Vorbildung ($ 2 Abs. 1), sogenannte „Parteibuchbeamte“;
2. Beamte, die „nicht arischer Abstammung“ waren ($ 5). Ausgenommen wurden sogenannte „Altbeamte“, also vor dem 1. August 1914 eingestellte Personen, sowie alle diejenigen „Nicht-Arier“, die im Ersten Weltkrieg an
der Front gekämpft hatten, oder deren Söhne oder Väter an der Front gefallen waren ($ 3 Abs. 2); 3. Alle Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür boten, jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat einzutreten ($ 4) (Hervorhebungen C. W.). Das Gesetz enthält u. a. noch zwei „Gummiparagraphen“, die nicht auf bestimmte Personenkreise beschränkt sind. Der eine ($ 5) erlaubte die Versetzung von Beamten auf andere Stellen und der andere ($ 6) die Versetzung in den Ruhestand, unabhängig von der Dienstfähigkeit, wenn es die „Vereinfa-
chung der Verwaltung“ erfordere. Diese Stellen durften nach dem Gesetz nicht wieder besetzt werden. $ 8 bestimmte, daß den nach $3 und $ 4 in den Ruhestand versetzten bzw. entlassenen Beamten ein Ruhegehalt nur dann gewührt
wird, wenn
sie eine
zehnjührige
Dienstzeit
nachweisen
kónnen.
Hervorzuheben ist, daD die Kombination der Paragraphen des BBG mit den nachfolgenden Durchführungsverordnungen jede Willkür erlaubten und kein Rechtsmittel des Einspruchs zuließen. Es war ein Gesetz, das die Rechte und
die in der Weimarer Verfassung garantierte Gleichheit der Person brach. Die in $ 7 festgelegte Geltungsdauer des Gesetzes bis zum 50. September 1955 wurde
immer wieder verlängert, und schließlich blieb das Gesetz bis zum
ErlaB des ,Deutschen Beamten-Gesetzes* vom 26. Januar 1957 in Kraft.58 Der ursprünglich weitergehende Entwurf des BBG traf auf die Kritik des Reichsprüsidenten Hindenburg. Er fand die Bestimmungen des ihm vorgelegten Gesetzes gegen „Beamte, Richter, Lehrer und Rechtsanwälte, die kriegs-
beschädigt oder Frontsoldaten oder Söhne von Kriegsgefallenen sind oder selbst Söhne
im Feld verloren haben“
zu hart. „Wenn
sie wert waren, für
Deutschland zu kämpfen und zu bluten, sollen sie für würdig angesehen werden, dem Vaterland in ihrem Beruf weiter zu dienen.“?® Seine Einwendungen wurden in Form der Ausnahmeregelung für „Altbeamte“ und Teilnehmer des Ersten Weitkrieges (S 5 Abs. 2) in den Gesetzestext aufgenommen. So verhalf Hindenburg persönlich diesem unglaublichen Gesetz zur Akzeptanz: Das Reichskabinett, in dem die deutschnationalen und die parteilosen
Die Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“:
127
Minister noch die Mehrheit bildeten, erhob keinen Widerspruch, auch nicht der Deutsche Richterbund und auch nicht die Mehrheit der nichtjüdischen
konservativen Professoren. Die Ausnahmeregelung in Verbindung mit der vorerst beschränkten Geltungsdauer des BBG entsprach ziemlich genau den antiliberalen Vorstellungen der Konservativen, die „national gesinnte“ akkulturierte deutsche Juden ausgenommen sehen wollten. Der Antisemitismus war zu einer politischen Einflußgröße geworden, mit der alle sozialen, aber auch alle Altersgruppen von den Nationalsozialisten angesprochen werden konnten. Jede Gruppe hatte ihr eigenes antisemitisches Bild, das gesamtgesellschaftlich der nationalsozialistischen Politik einen durchschlagenden politischen Machtzuwachs bescherte. Der Antisemitismus richtete sich, je nachdem von wem er kam, gegen linke Juden, reiche Juden, religiöse Juden, osteuropäische Juden, arme Juden, intellektuelle Juden etc. So konnte auf dem Hintergrund des Antisemitismus, der die
gesamte Gesellschaft im Laufe der Weimarer Republik quasi imprägniert hatte, die Aufteilung deutscher Juden in „gute“ und „schlechte“, wie sie das
BBG vornahm, weitgehend jede Art von Protest gegen das Gesetz und seine Durchführung verhindern. Es wurde, wie die Góttinger Ereignisse zeigen, von einer Reihe von Professoren sogar öffentlich begrüßt und von der Mehrheit der Professoren unterstützt.
3.1.3 Fragmentierung In Góttingen wurde die Machtergreifung von ca. 10.000 Menschen und weiten Teilen der Studentenschaft, die sich noch am Abend des 50. Januars zu einem
Fackelzug durch die Innenstadt versammelten, gefeiert. Eine kleine Gegendemonstrationsgruppe der Kommunisten wurde von SA-Leuten verprügelt. Es war ihr letzter öffentlicher Auftritt in Göttingen.* Schon bald prägten nach Augenzeugenberichten Studenten in SA-Uniformen das Stadtbild. Vorlesungen von einigen Professoren, wie dem Mathematiker Richard Courant, wur-
den von in der SA organisierten Studenten blockiert, indem sie die Eingänge versteliten und die Hórer am Besuch hinderten.*! Das Wintersemester ging aber schon bald zu Ende und der Universitätsalltag weiter. Kurt Lattes Antrag für eine Studienreise nach Griechenland in der Zeit vom 18. 4.-6. 5. 1955 wurde routinemäßig genehmigt.*? Sie wäre in das beginnende Sommersemester gefallen, wenn nicht auf Anordnung des neuen Preußischen und kommissarischen
Reichsministers
für Wissenschaft,
Erziehung
und
Volksbildung,
Bernhard Rust, der Semesterbeginn auf Anfang Mai verschoben worden würe. Das Ziel war, die Gleichschaitung der Universitüten noch vor Beginn des Sommersemesters so weit wie móglich zu realisieren und dabei eventuell auftretende „Unruhen“, i. e. Widerstand, weitgehend zu vermeiden.*5 Für die Universität Göttingen kam das Berufsbeamtengesetz vom 7. April offenbar überraschend: Genau sechs Tage zuvor war der Physiker Kurt H. Hohenemser ais letzter „nicht arischer“ Beamter vereidigt worden und trat
128
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
seine Stelle als Assistent des Instituts für Angewandte Mechanik an.* Eineinhalb
Monate
zuvor
hatten
noch
16 Göttinger
Kollegen
den
Physiker und
Nobelpreisträger James Franck, der seit 1921 zusammen mit Max Born in Göttingen forschte und lehrte, in einem Brief gebeten, in Göttingen zu bleiben und den Ruf als Nachfolger von Walther Nernst an die Universität Berlin abzulehnen.*5 Noch vor der Reichstagswahl vom 5. Mürz 1955 stellte sich ein gewichtiger Teil Góttinger Professoren hinter eine Wühlerinitiative ,Kampffront SchwarzWeiß-Rot“, einer Listenverbindung von DVP, DNVP und Stahlhelm, die auf Reichsebene nominell von v. Seldte, Hugenberg und Papen geleitet wurde.*5«
Im „Göttinger Tageblatt“ vom 8. und vom 11. März rief sie zu den preußischen Gemeinderatswahlen vom 12. März 1955 auf. „Schwarz-Weiß-Rot“ waren die
Farben des Kaiserreichs. Ihre Verwendung im Namen der Listenverbindung weist auf die mit der Machtergreifung wiedererwachten Hoffnungen der dem Kaiserreich nachtrauernden Konservativen hin. Diese plädierten ausdrücklich in ihrem
Aufruf für die Erweckung
der „Überlieferung
einer großen
Vergangenheit [Hervorhebung C. W.] mit ihrer Blüte der Wirtschaft und damit aller [Hervorhebung im Original] in ihr lebenden Bevölkerungskreise in unserer Heimatstadt zu neuem Leben“. Mit „aller Bevólkerungskreise* wird, implizit bleibend, eine von dem antisemitischen Grundtenor der Nationalsozialisten abweichende Position angedeutet. Darauf ist es wohl zurückzuführen, daß auch Professoren, die sich in der Folge für ihre jüdischen Kollegen einsetzten, wie etwa der klassische Philologe Max Pohlenz oder der Physiker Ludwig Prandtl (Mitunterzeichner des oben genannten Briefes an J. Franck),
aber auch der Archäologe Hermann Thiersch und seine jüdische Ehefrau den Wahlaufruf unterzeichneten. Aufder Liste finden sich auch die Unterschriften von Professoren, die bekanntermaßen antisemitisch waren, wie der Jurist Julius Binder, der Althistoriker Hugo Willrich oder der Orientalist Hermann Kees.# Diese Wühlerinitiative, die dazu aufrief, anstatt der NSDAP die Deutschnationalen zu wählen, konnte ein breites Spektrum konservativer
Wähler - auch der Historiker und DVP-Anhänger Karl Brandi unterzeichnete den Wahlaufruf - hinter sich bringen. Als Bremse des Aufstiegs der NSDAP gedacht, repräsentierte die Liste jedoch genau diejenige Verbindung, die der NSDAP dazu verhalf, sich so lange zu halten, bis sie die Macht ergriffen und
gesichert hatte, d. h. sie nicht mehr mit den Konservativen teilen mußte. Wie labil der Zusammenhalt innerhalb der Wählerinitiative war, sollte sich bald
nach dem Inkrafttreten des BBG zeigen: Die Gruppe fiel in öffentlich auftretende Befürworter der Entlassungspolitik der Nationalsozialisten und in mehr oder weniger stillhaltende Gegner auseinander. Fast drei Wochen
später wurde
auch
denjenigen,
die sich noch
in der
Hoffnung wiegten, die NSDAP-Erfolge für eine Loslösung von der Republik benützen zu können, deutlich vor Augen geführt, daß die Machtverhältnisse
sich umgekehrt entwickelt hatten: In Göttingen war der reichsweit von der NSDAP angeordnete „Boykott jüdischer Waren, jüdischer Ärzte und Rechtsanwälte“ auf den Abend des 28. März vorgezogen worden. SA-Männer schrit-
Die Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“:
129
ten zur Tat und hinterließen aufihrem Gewaltzug durch die Innenstadt - unter den Augen der zusehenden Polizei - Scherbenhaufen zerstörter Schaufenster
jüdischer Geschäfte. Die Geschäfte wurden verwüstet, die Besitzer angegriffen und z. T. mißhandelt. Zeugen, die fotografierten, wurden angezeigt. Der hinterlassene Schaden betrug etwa 16.000 Reichsmark. Der eigentlich für den 1. April angesetzte Boykott zog sich dann über lange Zeit hin. Käufer wurden am Betreten der Geschäfte gehindert, die Inhaber bedroht und belästigt. Einige Geschäftsinhaber zogen die Konsequenz, gaben ihr Geschäft ab und flüchteten fast mittellos aus Deutschland.*? Mit den Fensterscheiben zerbrach auch die im Wahlaufruf beschworene Teilnahme aller Bevólkerungskreise an
dem Leben der Stadt. Dem reichsweiten Boykottkomitee unter dem Vorsitz von Julius Streicher gehörten u. a. der Leiter des NS-Juristenbundes Dr. Hans
Frank, der Leiter des NS-Árztebundes Dr. Gerhard Wagner und der ehemalige „Göttinger“, seit Januar 1952 Leiter der Abteilung NS-Auskunft bei der NSDAP-Reichsleitung, Dr. Achim Gercke, an.*8
3.1.3.1 Eine versüumte Gelegenheit Am Ostersamstag, dem 15. April, konnte man den Göttinger Zeitungen entnehmen, daß aufgrund des Berufsbeamtengesetzes die ersten 16 Professoren vom Kultusminister beurlaubt worden waren: darunter die Professoren Max Horkheimer, Karl Mannheim (Frankfurt/Main), Hans Kelsen (Kóln), Ernst Cohn (Breslau) und Günther Dehn (Halle). Weitere Beurlaubungen wurden angekündigt. Außerdem werde „in der nächsten Woche den Hochschullehrern ein Fragebogen zugehen, der die notwendigen Klärungen analog den
Bestimmungen des Beamtengesetzes herbeiführen wird. Kultusminister Rust beabsichtigt, auf diesem Wege die Judenfrage .. . sofort anzupacken. Es soll sichergestellt werden, daß der größte Teil des Revirements noch vor dem 1. Mai erfolgt ist, so daß Unruhen zum Semesterbeginn vermieden werden.“*
Diese Nachricht gab dem weltberühmten Physiker James Franck den letzten Anstoß dazu, aus Protest gegen die Behandiung seiner jüdischen Kollegen bei der ihm ,vorgesetzten Behörde“ um die Entbindung von seinem Amt zu bitten. Schon seit Wochen hatte sich Franck mit dem Gedanken getragen, aus Protest
seine Professur niederzulegen. Ausschlaggebend waren die schübige Reaktion der PreuDischen Akademie der Wissenschaften in Berlin auf den Austritt Einsteins, aber auch der antijüdische Gescháftsboykott in Góttingen und schließlich das antisemitische BBG, das zwischen „guten“ und „schlechten“ Juden unterschied.‘ Zuerst beriet er mit seinen nächsten Mitarbeitern, was man unternehmen könne, aber die Idee, gemeinsam den Auszug aus der
Universität nach dem Vorbild der „Göttinger Sieben“ zu wagen, wurde nicht von diesen geteilt.5! Er sprach auch mit Kollegen aus der philosophischen Fakultät: dem Archäologen Hermann Thiersch und dem Kunsthistoriker Graf Vitzthum.32 Alle rieten ihm von einem Rücktritt ab. „Durch diese Zeilen bitte ich Sie, Herr Minister, mich von meinen Pflichten
150
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
als ordentlicher Professor an der Universität Göttingen und als Direktor des II. Physikalischen Instituts dieser Universität zu entbinden. Der Entschluß ist mir eine innere Notwendigkeit wegen
der Einstellung der Regierung dem deut-
schen Judentum gegenüber“, schrieb Franck am Ostermontag, dem 17. April 1955, an den Preußischen Kultusminister Bernhard Rust.5? In dem Anschreiben
an den Rektor erláuterte er seinen EntschluB: ,Wir Deutschen jüdischer Abstammung werden als Fremde und Feinde des Vaterlandes behandelt. Man fordert, daß unsere Kinder in dem Bewußtsein aufwachsen, sich nie als Deutsche bewähren zu dürfen .. . Wer im Kriege war, soll die Erlaubnis erhalten,
weiter dem
Staate zu dienen.
Ich lehne
es ab, von dieser Vergünstigung
Gebrauch zu machen, wenn ich auch Verständnis für den Standpunkt derer
habe, die es heute für ihre Pflicht halten, auf ihrem Posten auszuhalten.“* Franck hatte am Ersten Weltkrieg teilgenommen und sich freiwillig zu der Einheit seines Freundes und Kollegen Fritz Haber gemeldet, die mit der Entwicklung und Erprobung von Giftgas beauftragt war. Er würe deshalb unter die Ausnahmeregelung (Ὁ 5 des BBG) gefallen und vorerst verschont geblieben. Am Ostermontag gab er seinen Rücktritt auch der Presse bekannt, so daD die Rücktrittserklärung am 18. April in der „Göttinger Zeitung“ veróffentlicht wurde. Sein Protest erregte weltweit Aufsehen, und er erhielt viele Briefe des Dankes und der Bewunderung. Nur seine Góttinger Kollegen schwiegen. Sie versáumten die Gelegenheit, sich mit James Franck zu solidarisieren und verspielten damit die einzigartige Chance, eine vielleicht auch auf andere Universitüten übergreifende Protestwelle auszulósen. Es gab zwar auch an anderen Universitäten vereinzelt Gelehrte, die aus Protest ihr Amt
niederlegten, auch im Bereich der Altertumswissenschaften (s. w. u.), aber diese Protesthandlungen erfolgten ohne Abstimmung untereinander, hatten kein óffentliches Echo und verfehlten daher eine breitere Wirkung.
3.1.3.2 Ergriffene Gelegenheiten:
1. Die „42er-Erklärung“ und eine Weigerung Im Gegenteil, sechs Tage später, am 24. April 1933, veröffentlichte das ,Góttinger Tageblatt“ eine Kundgebung von 42 Göttinger „Dozenten“, die den Rücktritt Francks als „Sabotageakt“ anprangerten, weil er die „innen- und außenpolitische Arbeit unserer Regierung der nationalen Erhebung“ erheblich erschwere. In einem weitergehenden Schritt forderten sie die Regierung dazu auf, „die notwendigen Reinigungsmaßnahmen daher beschleunigt“ durchzuführen. Infolge der Semesterferien sei es nicht möglich gewesen, die Unterschriften aller Hochschullehrer zu erlangen, von denen man annehmen könne, daß sie mit der „Kundgebung“ einverstanden seien, kommentiert der
Artikel die offenbar als unvollständig eingeschätzte Zahl der Unterschriften. Die Liste der Unterzeichneten
enthält nicht nur die Namen
von Dozenten,
sondern auch einer Reihe von Ordinarien und repräsentierte alle Fakultä-
Die Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“:
131
ten.55 Nicht nur die den Naturwissenschaftlern besonders feindselig gegenüberstehenden Kollegen der Landwirtschaftlichen Institute unterschrieben die Gegenerklürung zum Protest Francks.56 Wenigstens ein Drittel der Unter-
schriften stammt von Kollegen der philosophischen Fakultät: Nach dem Krieg wurde die Initiative zu dieser „Kundgebung Göttinger Dozenten“ von Zeugen
dem Ordinarius für Ágyptologie und Vorstand der Góttinger DNVP, Hermann Kees, zugeschrieben.5? Hatten Hermann Kees, Richard Fick (Honorarprofes-
sor für Indologie und Direktor der Universitätsbibliothek) und Johannes Behm (Ordinarius für Neues Testament) am 8. Nürz in dem schon erwühnten Wahlaufruf noch dafür geworben, nicht der NSDAP die Stimme zu geben, forderten sie nun die ,beschleunigte* Entlassung ihrer Kollegen. Hatte die Sekretürin von James Franck, Grete Paquin, am Abend der Veróffentlichung
des Rücktrittsgesuchs vergeblich in seinem Büro auf Solidaritütsanrufe der Göttinger Kollegen gewartet*5 und Edith Hahn, wie sie Franck brieflich versicherte, auf eine durch Francks Schritt bewirkte Umkehr in der Professo-
renschaft gehofft$?, so war nun der Eklat und die Fragmentierung in Betroffene und ihre Gegner óffentlich und unübersehbar geworden: 42 Dozenten waren immerhin fast ein Viertel des Góttinger Lehrkórpers mit insgesamt 219 Lehrenden.
52 Mitglieder des Lehrkórpers wurden
in der Folgezeit durch
Maßnahmen der Nationalsozialisten entlassen. Immerhin gab es zumindest ein Mitglied der philosophischen Fakultät, das sogar
schriftlich
sein
Verständnis
für Francks
Rücktritt
äußerte
und
eine
Unterzeichnung der „Kundgebung“ ablehnte: das war Max Pohlenz. Aus dem jüngst geöffneten Nachlaß von Max Pohlenz, 1955 geschüftsführender Direktor des Instituts für Altertumskunde,
geweigert hatte, die ,Kundgebung
geht hervor, daB er sich
Góttinger Dozenten" zu unterzeichnen.
Das erhaltene Dokument ist der Entwurf eines Briefes an Dr. Rudolf Mentzel,
schon seit Juni 1950 Kreisleiter der NSDAP
in Góttingen. Mentzel, der in
Góttingen bei dem Nobelpreistráger Adolf Windaus in Chemie promoviert hatte, war seit 1926 Privatassistent des a. o. Professors Gerhart Jander. Jander leitete nicht nur die Abteilung Anorganische Chemie des Allgemeinen Chemischen Laboratoriums der Universität, er gehörte auch zu dem Förderkreis der „Freunde der Deutschen Auskunftei“, der dem Chemiestudenten Achim
Gercke seine Arbeiten zur Erstellung einer Namensliste deutscher Juden finanziell ermöglicht hatte. Mentzel war als Janders Privatassistent mit der Entwicklung chemischer Kampfstoffe beschäftigt. Jander und Mentzel gehórten schon seit 1925 zu den frühen NSDAP-Mitgliedern der Universität und machten bald Karriere im Dritten Reich: Jander als Nachfolger des entlasse-
nen bisherigen Leiters Fritz Haber am Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische Chemie und Elektro-Chemie in Berlin und Mentzel als Leiter der dort neu eingerichteten Abteilung für chemische
Kampfstoffe. Im Sommer
1954
wurde Mentzel von Bernhard Rust als Referent in das Wissenschaftsministerium geholt.5?* Offenbar wurde Pohlenz von Mentzel dazu aufgefordert, die „Kundgebung“ gegen James Francks Rücktritt zu unterzeichnen: „Persönlich
bin ich nach reiflicher Überlegung zu der Entscheidung gekommen, daß ich
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
132
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Max Pohlenz’ Absage, die „42er-Erklärung“ gegen James Franck zu unterzeichnen
(Entwurf des Briefes)
Die Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“:
133
die mir von Ihnen vorgelegte Erklärung nicht unterschreiben kann.“5% Pohlenz begründet seinen Entschluß damit, daß er durchaus Francks Verzicht auf seine Lehrtätigkeit verstehen könne, und auch die Tatsache, daß Franck diesen Schritt in einer öffentlichen Erklärung begründe, erscheint Pohlenz nicht verwerflich. Francks Erklärung enthalte nichts für die Regierung Verletzendes, zumal Franck darin betone, daB er seine Forschungstätigkeit in Deutschland fortsetzen möchte. Am Schluß schlägt Pohlenz vor, derartige
Fragen in der Arbeitsgemeinschaft der „auf dem Boden der nationalen Regierung stehenden Dozenten“ durchzusprechen. Pohlenz’ Briefentwurf ist auf den 23. April 1935 datiert, also auf den Vortag
des Erscheinens der „Kundgebung“ im „Göttinger Tageblatt“. Wie die Aktion der „Göttinger Dozenten“ geplant wurde, ist nicht bekannt. Pohlenz’ Schreiben läßt aber darauf schließen, daß der Göttinger Kreisleiter der NSDAP
offenbar eine Reihe von Universitätsmitgliedern persönlich angesprochen und ihnen die „Kundgebung“ zur Unterzeichnung vorgelegt hatte. Vermutlich ging auch die Idee und Initiative zu der „Kundgebung“ von dem Kreis um Jander und Mentzel aus. Als Naturwissenschaftler standen sie dem Physiker James Franck nahe. Als „alte“ Nationalsozialisten waren sie am ehesten an der baldigen Entlassung ihrer jüdischen Kollegen an den Nachbarinstituten interessiert, die durch eine Welle der Solidarisierung mit Franck erschwert worden wäre. Diese sollte die „Kundgebung“ mit der Sammlung von Unter-
schriften bei den Göttinger Kollegen verhindern. Die Initiative, die nach 1945 dem Ägyptologen Kees zugeschrieben wurde, scheint mir daher viel eher bei Mentzel und Kollegen gelegen zu haben. Dafür spricht jedenfalls der Adressat von Pohlenz’ mutigem Brief, aber auch die Tatsache, daß sich offenbar am Allgemeinen Chemischen Labor um Jander schon seit Mitte der zwanziger
Jahre Nationalsozialisten versammelten.59c Die „nationale Regierung der Erhebung“ jedenfalls reagierte prompt und über Nacht auf die Aufforderung der Göttinger Universitätslehrer. Am Tag darauf, dem 25. April 1933, erhielt der Universitätskurator vom Kultusminister die telegraphische Anweisung, die ersten sechs Göttinger Professoren von ihrer sofortigen Beurlaubung zu benachrichtigen: den Juristen Richard Honig, die Mathematiker Felix Bernstein, Richard Courant und Emmy Noether, den Physiker Max Born und den Honorarprofessor für Sozialpädagogik Kurt Bondy.60 Zur selben Zeit wurden auch an den preußischen Universitäten Kiel und Königsberg Beurlaubungen vom Kultusministerium angeordnet.
Am
26. April veröffentlichte das „Göttinger Tageblatt“ unter dem
Titel
„6 Göttinger Professoren beurlaubt. Weitere werden folgen“ die genannten Namen. Unter demselben Titel teilte das „Tageblatt“ mit, die konservative Londoner „Morning Post“ habe eine ausführliche Begründung und Verteidigung der antisemitischen Politik der Nationalsozialisten veröffentlicht, in der insbesondere auf die „kommunistische Seite der Judenfrage“ hingewiesen werde. Der Autor dieser „historischen“ Rechtfertigung der nationalsozialistischen Entlassungspolitik war kein Geringerer als der „Göttinger Geschichts-
professor" Ulrich Kahrstedt.61
154
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
2. Kahrstedts ,Apologia for Hitlerism* Tatsächlich kann man in der Londoner „Morning Post“ vom 24. April 1955,
also am Tag, an dem die „Kundgebung“ Göttinger Professoren veröffentlicht wurde, auf Seite 4 den im Anhang (vgl. Anhang 7) wiedergegebenen Artikel „Germany and the Jews. An Apologia for Hitlerism“ nachlesen. Kahrstedt, der in England studiert hatte, benützte seine Sprachkenntnisse und offenbar seine
Beziehungen zur Presse, die er durch seine publizistische Tätigkeit für die DNVP
hatte, um
die Briten über deutsche Verhältnisse „aufzuklären“:
deutsche Antisemitismus sei Deutschen entstanden. Er sei den politischen Verhältnissen land grenze geographisch an
Der
nicht aus einer Disposition zur Grausamkeit der mit der geographischen Lage Deutschlands und in der Weimarer Republik zu erklären. Deutsch„jüdische Territorien, Länder, wo Millionen von
polnischen, russischen und galizischen Juden leben“. Seit 1928 sei die „asia-
tische Einwanderung“ weil
sie unter „roten
von deutschen Regierungsstellen ermutigt worden, Einflüssen“
gestanden
hätten.
Die unter
den
Zaren
entwickelte Feindseligkeit der Einwanderer gegen jede Art von Herrschaft propagierten sie seit Beginn der Republik auch in Deutschland. Die Verleger hätten lieber deren antideutsche Propaganda gedruckt, als die Erinnerungen deutscher Soldaten zu veröffentlichen. Die Immigranten aus den Ghettos von Lemberg bis Thessaloniki hätten die physische und intellektuelle Kraft der jüngeren Generation in Deutschland mit ihren Büchern untergraben, indem sie alles Deutsche, jeden Helden der deutschen Geschichte attackierten und jeden großen Namen in den Schmutz zögen. Ganz zu schweigen sei von den pornographischen Produktionen auf den Bühnen und in den Zeitschriften. Mehrere Regierungen hätten dafür gesorgt, „jeden Platz an der Universität, am Gericht etc.“ für Juden vorzubehalten. Selbst Kahrstedts eigene Ansichten seien von jüdischen Kollegen kritisiert worden. Deshalb sei es eine notwendige Aufgabe der neuen Regierung unter Hitler, endlich auf gesetzlicher Grundlage eine Grenzlinie zu ziehen. Die Ausnahmeregelung des BBG zeige deutlich, daß das antisemitische Beamtengesetz tendenziell gegen „anti-deutsche Elemente“ gerichtet sei. Die vorläufige Linie, die zwischen „erwünsch-
ten“ und „unerwünschten Elementen“ von der Regierung gezogen werde, mag in einigen Fällen ungerecht sein. Aber einige Monate sollten genügen, um jeden deutschen Juden auf diejenige Seite zu stellen, auf die er gehöre. Auflange Sicht nütze das denjenigen deutschen Juden, die ebenso wie andere Deutsche unter jedem unpatriotischen Wort gelitten hätten. (Vgl. Anhang 7, ebd. auch die - von mir übersetzten - Zitate, C. W.)
Kahrstedts Auslegung des BBG, die er unter der Zwischenüberschrift „Drawing the Line“ gibt, entspricht genau der Auffassung des BBG als Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Juden, gegen die sich James Franck mit seinem Rücktritt verwahrte. Kahrstedt setzte auf die Nationalsozialisten, weil er sich
von ihnen eine Revision der seiner Ansicht nach verfehlten Politik der Weimarer Republik erhoffte. Unter dem weiteren Blickwinkel der Wiederherstellung der deutschen Großmacht und der Revision des Versailler Vertrages
Die Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“:
135
verteidigte er die antijüdischen Maßnahmen im Ausland mit dem Ziel, das Ansehen der Nationalsozialisten zu retten. So scheint es stimmig, wenn er aus nationalistischen Motiven das BBG auf der Ebene der „Gesinnung“ interpre-
tiert, unter Auslassung des rassistischen Gehalts. Seine Betonung der Ausnahmeregelung des BBG ($ 3) und der vorläufigen Gültigkeit zielt darauf ab, das BBG nur als eine antisozialistische bzw. antikommunistische Maßnahme darzustellen. Kahrstedt wirkte damit ganz im Sinne der Nationalsozialisten,
ihnen den Rückhalt der antirepublikanisch gesinnten konservativen Professoren sichernd. Die Nationalsozialisten selbst legten diese Auffassung des Gesetzes nahe: Die ersten Beurlaubungen bezogen sich durchweg auf jüdi-
sche Professoren, die auch politisch miDliebig waren.82 Im Gegensatz zu Kahrstedt, der hier für viele seiner nichtjüdischen Kolle-
gen deren Auffassung des BBG óffentlich aussprach, verstanden u. a. auch die konservativen und nationalistischen jüdischen Professoren, also diejenigen,
die das Gesetz vorerst ausnahm liche
Ausschließungskriterium
nationalistisch
gesinnte
und nicht betraf, sehr wohl das tatsüchdes
Frankfurter
BBG,
wie
z. B.
der
Honorarprofessor
bekanntermaßen
für ,Mittlere
und
neuere Geschichte“ Ernst Kantorowicz (1895-1963). Am 20. April 1955 suchte Kantorowicz um seine Beurlaubung an, zwei Tage nach dem Rücktritt Francks. Sein Gesuch, in dem er gegen die Behandlung der Juden protestierte, wurde allerdings nicht veröffentlicht. In dem Schreiben an den Preußischen
und kommissarischen
Reichsminister für Wissenschaft,
Kunst und Volks-
bildung betont Kantorowicz seine nationale Gesinnung, u. a. unter Hinweis auf seine freiwillige Teilnahme am Ersten Weltkrieg und an Kümpfen gegen die Rüterepubliken in Posen, Berlin und München, aber auch auf
seine Veróffentlichungen über die Geschichte
der Staufer-Kaiser. Obwohl
er ein national regiertes Reich auch nach den jüngsten Geschehnissen immer noch begrüße, sehe er sich als Jude dennoch gezwungen, seine Lehrtätigkeit ruhen zu lassen. „Denn solange jeder deutsche Jude . . . schon durch seine Herkunft fast für einen Landesverräter gelten kann; solange jeder
Jude als solcher rassemäßig für minderwertig erachtet wird; solange die Tatsache, überhaupt jüdisches Blut in den Adern zu haben, zugleich einen Gesinnungsdefekt involviert; solange jeder deutsche Jude sich einer tüglichen
Antastung seiner Ehre ausgesetzt sieht ohne Móglichkeit, persónliche oder gerichtliche Genugtuung zu erzwingen; solange ihm als Studenten das akademische Bürgerrecht versagt, der Gebrauch der deutschen Sprache nur
als ‚Fremdsprache‘ gestattet wird, wie es die auch im Universitütsgebüude selbst angeschlagenen Aufrufe der Deutschen Studentenschaft fordern dürfen; solange durch Dienstbefehl auch den Juden als Leitern der Seminare zugemutet wird, sich aktiv an judenfeindlichen Aktionen zu beteiligen . . . und
solange jeder deutsche Jude, gerade wenn er ein nationales Deutschland voli bejaht, unfehlbar in den Verdacht gerät, durch das Bekunden seiner Gesin-
nung nur aus Furcht zu handeln... solange erscheint es mir als unvereinbar mit der Würde eines Hochschullehrers, sein nur auf innerer Wahrheit begrün-
detes Amt verantwortlich zu versehen . . .^ (Hervorhebungen C. W.)63
136
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Die Verknüpfung von rassistischer mit politischer Verfolgung hat genau den von Kantorowicz beschriebenen Effekt zur Folge, daB jede Person schon allein
qua Zugehörigkeit bzw. Nähe zu einer Ethnie eines „Gesinnungsdefektes“ verdächtigt wird. Damit ist die eigentliche Falle, die „Zwickmühle“, die im
BBG durch die Móglichkeit der Anwendung entweder von rassistischen oder von politischen Verfolgungskriterien aufgebaut ist, präzise beschrieben. Auch die vom BBG vorerst nicht Betroffenen, wie integriert und nationalistisch sie auch immer gesinnt gewesen sein mögen, haben die antisemitische Basis und
Zielsetzung des Gesetzes sogleich verstanden.9* Dafür steht der eben zitierte Protest des damals 38jährigen Historikers, der Deutschland erst 1958 verlas-
sen sollte. So begann das Auseinanderfalien auch der Gruppe konservativer Professoren allerspütestens mit dem Erlaß des BBG. Diejenigen, die schwiegen oder gar wie der klassische Philologe Felix Jacoby die ,nationale Erhebung“ begrüßt haben sollen, haben bewußt und wissend gegen ihr eigenes Interesse als Juden gehandelt.® Das ein Jahr später formulierte Beurlaubungsgesuch zu Forschungszwekken von Felix Jacoby bestütigt die Unmóglichkeit des Versuchs, als konservativer patriotischer deutscher und „erwünschter“ jüdischer Professor, wie Kahrstedt verschleiernd formulierte, an der Universitüt zu lehren: ,Zu fragen habe ich allein, ob die Arbeits- und Gesinnungsgemeinschaft, die bisher
zwischen meinen Studenten und mir bestanden hat ... aufrecht erhalten werden
kann. ... es ist m. E. unausbleiblich, daB auf die Dauer zwischen
solchen persónlichen Bindungen und der Grundanschauung des neuen Geistes (scil. Antisemitismus) eine unüberwindliche Antinomie entsteht. Passiv abzuwarten, bis diese Antinomie sich geltend gemacht und zu nachweisbarer Schädigung der Ausbildung geführt hat, erscheint ... wenig zweckvoll. ... schon jetzt (werden) meine Schüler durch die Haltung und Tütigkeit der maßgebenden Studentenschaft in einen inneren Konflikt zwischen persónlicher Anhänglichkeit und grundsätzlicher Überzeugung getrieben, der einen sinnvollen d. h. erzieherisch wirksamen Unterricht unmöglich machen muß oder die einzelnen Studenten Gefahren aussetzt, denen sie ihr eigener Lehrer m. E. nicht aussetzen darf... Diese Sachlage ist logisch und eindeutig; und weil sie das ist, zwingt sie mich zu dem Schritte, den ich nach schwerstem
inneren Kampfe mit dieser Anfrage tue (scil. auf vorzeitige Emeritierung bzw. Beurlaubung zu Forschungszwecken). Mir ist der Unterricht der liebste Teil meiner akademischen Tätigkeit... .“66 So griff der mehr um den Unterrichtserfolg und die Seelenlage seiner Schüler als um seine eigene Person besorgte, berühmte Herausgeber der griechischen Historiker-Fragmente, Felix Jacoby, im Alter von 58 Jahren den erst folgenden „Nürnberger Gesetzen“ voraus, nachdem
er zwei
Semester,
ohne
Zwischenfälle
und
von
den
Studenten
er den
Inhalt der
geehrt, unterrichtet hatte. Kahrstedts
Artikel
in der „Morning
Post“ belegt, daß
„Kundgebung Göttinger Dozenten“ teilte, auch wenn er sie nicht unterzeichnet hat.67 Als die Kundgebung vielleicht auch unter Mithilfe seines Kollegen Kees organisiert wurde, war Kahrstedt nicht in Göttingen. Aus dem
Die Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“
137
in seiner Personalakte erhaltenen Briefwechsel mit dem Kultusministerium geht hervor, daß er spätestens am 18. April, als Francks Rücktritt veröffentlicht wurde, Göttingen verlassen hatte, um an einer Tagung der „Deutschen Verbände für Altertumsforschung“ in Groningen (Niederlande) vom 19.22. April teilzunehmen. Kahrstedt hatte vor Ostern durch den Kurator im Kultusministerium anfragen lassen, ob seine Teilnahme an der Tagung ratsam sei, nachdem in Leiden die nationalen deutschen Studenten beleidigt worden seien.®® Worum es sich bei den von Kahrstedt erwähnten »Leidener Vorgängen“ gehandelt hat, konnte ich nicht feststellen. Vermutlich haben Angehörige der Universität Leiden die ,12 Thesen wider den undeutschen Geist“ und das just erlassene preußische Studentenrecht öffentlich kritisiert.70 Am 19. April riet das Kultusministerium Kahrstedt telegraphisch von der Teilnahme an der Tagung ab. Erst wenige Stunden vor seinem Vortrag am 21. April erreichte ihn in Groningen die ministerielle Order. In einem ausführlichen Brief, den er nach seiner Rückkehr an das Ministerium sandte, begründete er, warum er den Vortrag trotzdem gehalten habe.7! Er bewertete seine Entscheidung, nach Groningen zu fahren und dort vorzutragen, positiv, weil die Reise ihm die Möglichkeit geboten habe, die „Stimmung“ im Ausland
gegenüber der ,neuen Regierung" auszuloten und auf sie einzuwirken. Sein Vortrag habe die kritischen Stimmen der Kollegen und Studenten gedämpft. Er habe sogar „Zeichen der Freundschaft zu Deutschland und der Distanzie-
rung von den Leidener Vorgängen“ bemerkt.7? Den Inhalt von Kahrstedts „Goodwilltour“ kann man sich mit Hilfe des Artikels in der „Morning Post“ leicht vorstellen. Kahrstedt sollte aber nicht nur im Ausland Propaganda für das ,Dritte Reich“ betreiben. Ein halbes Jahr später erhielt er zu einem hochoffiziellen Anlaß in Göttingen die Gelegenheit, seine Ansichten vor der versammelten Universität darzulegen. Er, der seit 1919 monatlich eine „Umschau über die Politik der Mächte“ verfaßte und dies bis zur Auflösung der „Eisernen Blätter“ im Jahr 1959 fortsetzen sollte, erhoffte sich, mit Hilfe der Nationalsozialisten
die Großmacht Deutschland wiederherstellen zu können. Seine radikal-nationalistischen Ansichten brachten ihm die Forderung zu einem Dueil mit der Pistole seitens eines Kollegen ein. Während sein Artikel die Fragmentierung in erwünschte und unerwünschte deutsche Juden und deren Verfolgung propagierte, spaltete seine Rede zur letzten Reichsgründungsfeier am 18. Januar 1934 auch das nationalistisch-konservative Lager seiner Kollegen aus der philosophischen Fakultät (s. w. u.).
3. Maz Pohlenz’ Ratschläge zur Schaffung einer „wirklichen Volkseinheit" Pünktlich zur pompösen Feier des Semesterbeginns mit den Attributen und Ritualen der neuen Machthaber am 3. Mai 1933 erschien im „Hannoverschen
Kurier“ ein Beitrag des Göttinger Ordinarius für klassische Philologie, Max
138
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Pohlenz: „Das Humanistische Gymnasium und das neue Reich“. Pohlenz schreibt: „Was heute den Geist des deutschen Volkes weit über die Kreise der nationalsozialistischen Partei hinaus bewegt und emporträgt, ist das Gefühl, daß dank Adolf Hitlers zäher Willenskraft etwas als Aufgabe zielbewußt in Angriff genommen wird, was bisher nur als Sehnsuchtsbild den Besten vor Augen stand: die Schaffung einer wirklichen Volkseinheit, in der jeder Einzelne vom gleichen deutschen Geiste erfüllt ist und sich aus innerstem Wollen in den Dienst seines Volkes stellt“ (Hervorhebung im Original). Der den Kreisen der nationalsozialistischen Partei fernstehende konservative Gelehrte Pohienz, der sein „Sehnsuchtsbild“ schon früher dargelegt hat’* und es nun fast erfüllt sieht, sorgte sich um die Zukunft der humanistischen Bildung an den Gymnasien. Wenn auch das „Parteiengezänk“ und die Herrschaft der seiner Ansicht nach inkompetenten Politiker aus der Weimarer Republik durch die Nationalsozialisten
beendet schien, so sei es doch un-
umgänglich, daß diese für die Ausbildung eines kompetenten „FührerNachwuchses"?5 sorgten. Das könne an den Schulen nur der Unterricht in den klassischen Sprachen und in der Alten Geschichte leisten, denn „nur die Antike hat, wenigstens zeitweilig, naturhaft verwirklicht, was in Deutschland geschaffen werden soll“ (Hervorhebung im Original).7? Wichtiger als die „reinblütige Abstammung“ sei das „rechte Staatsgefühl“, das den Deutschen bisher gefehlt habe. Wie
gut sich die Antike eigne, im „neuen
Reich“ ein
„Erziehungsfaktor“ zu werden, zeigt Pohlenz an den Spartanern, die die Erziehung der Jugend zu einem dem „Staatszweck“ dienenden Leben vorbildlich geleistet hätten; am perikleischen Athen, das militärische mit religiösen und künstlerischen Errungenschaften vereine; und schließlich an Plato, der
durch ,rücksichtslose Rassenzüchtung und zielbewußte Erziehung ... ein neues Geschlecht schaffen (will), das als Volk eine von einheitlichem Geiste durchdrungene, nur auf das Ganze gerichtete Familie darstellt*.77 Plato sei der erste, der „die Bedeutung des Führertums für ein Volk klar“ erkannt und ausgesprochen habe. Schließlich habe Plato nachgewiesen, daß eine gründliche wissenschaftliche Ausbildung die Voraussetzung für „wahres Führertum“ sei. Pohlenz beendet seinen Beitrag, indem er der Hoffnung Ausdruck gibt, daß die „Führer“ des heutigen Deutschland das humanistische
Gymnasium nicht beseitigen mógen. Pohlenz' Sorge war nur zu berechtigt, wurde doch 1938 im Zuge der nationalsozialistischen Schulreform das Fach Griechisch auf einige ausgewühlte Gymnasien beschrünkt und der Unterricht in Alter Geschichte ganz aus den Lehrplünen für Gymnasien gestrichen.78 Pohlenz setzte mit der Verteidigung des humanistischen Gymnasiums seine schon in der Weimarer Republik konzipierte Aktualisierung und Instrumentalisierung der „Antike“ für die Erziehung einer nationalistischen Jugend unter den Nationalsozialisten fort. Er befand sich damit in der prominenten Gesellschaft des jüngeren Wilamowitz-Schülers und Kollegen Werner Jaeger. Jaegers Anpreisung des „Dritten Humanismus“ als „Wiederbesinnung aufdie erzieherischen und ethischen Kräfte der Antike“ unter dem Titel „Die Erzie-
Die Phase des Übergangs von der Weimarer Republik zum „Dritten Reich“
139
hung des politischen Menschen und die Antike“ erschien 1955 in „Volk im Werden“, der Hauszeitschrift des Nationalsozialisten und neuen Rektors der
Universität Frankfurt am Main, Ernst Krieck.?? Pohlenz’ Sorge um den Fortbestand des humanistischen Gymnasiums wog schwerer als die Sorge um diejenigen Kollegen, die vorerst unter die Ausnah-
mebestimmungen des BBG fielen. Die Hoffnung der Mehrheit der Wissenschafller, sie könnten die neuen „Führer“, insbesondere den Preußischen und Reichs-Erziehungsminister Bernhard Rust, ehemaliger Gymnasiallehrer für Griechisch und Latein, beeinflussen, sollte sich bald als Illusion herausstellen.
Bis dahin hatten sie jedoch ihren Beitrag zur Festigung des Regimes längst geleistet, indem sie das Schicksal ihrer Kollegen geringer achteten als das des
Fachs. Was viele Wissenschaftler dazu bewog, die Beurlaubung ihrer Kollegen zu ignorieren, war u. a. mehr die vermeintliche Chance, als Professor politischen Einfluß zu gewinnen und weniger eigene Karriereabsichten®®, wie etwa der Freiburger Jurist Erik Wolf in seinem Rechenschaftsbericht darlegte. Nicht
nur die Volksgemeinschaft,
auch die von Heidegger in seiner Freiburger
Rektoratsrede angekündigte Umwandlung der Universitäten in eine Gemeinschaft von „Führern und Hütern des Schicksals des deutschen Volkes*8! verlockte Wolf, die Nationalsozialisten in der Übergangsphase als Dekan zu unterstützen: „Die allgemeine Stimmung war: es gelte jetzt nicht untälig zu bleiben, sondern die einmalige Stunde zu nutzen und in der kommenden Neuordnung den Standort des Geistes zu wahren, so wie es der neue Rektor (i. e. Heidegger) in seiner Antrittsrede als ‚die Selbstbehauptung der Universität‘ bezeichnet hat . . . Darin schien auch mir nach Jahren des Mißvergnügens an einem bloß technisch gespielten, wo nicht gar ideologisch-vorgespiegelten, nur noch in Festivitüten der Selbstbewunderung aktiven Scheinwesens der
Universität ein echter, Verantwortlichkeit und Einsatz heischender Sinn von Hochschule auf- und vorzuleuchten. In seinem Licht fiel mir der freilich jähe
Ab- und Umbau der korporativen Kollegien in ein geistiges Führungsgremium nicht so schwer wie manchem ülteren Kollegen. Angesichts der Begeisterung, mit der fast alle Studenten und der größte Teil jüngerer, aber auch viele ältere Wissenschaftler, führende Kópfe der Wirtschaft, die Beamten nahmslos, fast sämtliche Richter und Anwälte, aber auch viele Literaten den neuen Staat begrüDten, kam mir ein vereinzeltes von Angehórigen oder Sympathisanten derjenigen politischen sich im Frühjahr 1955 selbst sofort gleichgeschaltet hatten (wie
nahezu ausKünstler und Widerstreben Parteien, die den ,Deutsch-
nationalen‘) oder zur Selbstauflósung (wie die Sozialdemokraten) bereit waren, unglaubwürdig vor. Zwar bekümmerten mich auch, und ich mißbilligte einzelne Fülle polizeilicher Fehlgriffe und spontaner Zerstörungsaktionen“
(Hervorhebung C. W.).82 Nicht nur Erik Wolf ließ sich von Heideggers am 27. Mai 1955 gehaltenen Rede so sehr beeindrucken, daß er die ersten Monate nationalsozialistischer
Herrschaft in rosigem Licht sah. Der gelernte Strafrechtler nahm nur ,einzelne Fülle polizeilicher Fehlgriffe^ wahr, die Entlassung und Verfolgung seiner
140
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Kollegen hingegen übersah er völlig. Auch der Philologe und Werner-JaegerSchüler Richard Harder feierte Heideggers Rektoratsrede in der Zeitschrift für klassische Philologie, „Gnomon“, deren Redaktion er seit 1925 besorgte, als „eine Kampfrede, ein denkerischer Aufruf, ein entschlossenes und zwin-
gendes Sich-in-die-Zeit-Stellen ... ein wirklich politisches Manifest“.8 Im übrigen war Heidegger u. a. auf Betreiben des Freiburger klassischen Philologen Wolfgang Schadewaldt, Kollege von Eduard Fraenkel, zum Rektor vorgeschlagen worden.8* Kahrstedt und Pohlenz sind als exemplarische Vertreter der älteren Wissenschaftlergeneration anzusehen, die unterschiedliche Abstufungen politisch rechter Einstellungen reprásentierten, aber nie der NSDAP
beitraten,
und vor dem Ersten Weltkrieg ihre wissenschaftliche Ausbildung erhalten hatten. Wolf, Jaeger, Harder und Schadewaldt sind Vertreter der nüchsten Generation, die schon ein Ordinariat innehatten, politisch bis 1955 nicht
weiter hervorgetreten sind und eng mit jüdischen Kollegen zusammenarbeiteten. Erik Wolf hatte Fritz Pringsheim als Kollegen in Freiburg, der im Mai 1955 beurlaubt wurde; Jaeger arbeitete in Berlin u. à. mit Eduard Norden, Richard Walzer und Friedrich Solmsen zusammen; der Althistoriker Arthur
Rosenberg hatte eine a. o. Professur am Berliner Institut für Altertumskunde und wurde gerade beurlaubt; Harder, etwas jünger als Jaeger, war Kollege von Felix Jacoby in Kiel und Schadewaldt von Eduard Fraenkel in Freiburg.55 Mit Billigung und Hilfe der konservativen Politiker, Juristen, Árzte und Wissenschaftler hatten es die Nationalsozialisten innerhalb von etwas mehr als zwei Monaten geschafft, die antiliberalen und antisemitischen Nebenstró-
mungen
der Weimarer
Republik
zu zentralen Trennungskriterien
in der
deutschen Gesellschaft zu machen. Die Volksgemeinschaftsideologie, im BBG
umgesetzt, schloß deutsche Juden aus und raubte ihnen mit weiteren Gesetzen schrittweise auch alle staatsbürgerlichen Rechte. Sie führte zu einer Fragmentierung und Aufspaltung der Gesellschaft in von den nationalsozialistischen Maßnahmen Betroffene und Nichtbetroffene. Der Prozeß des Ausschiusses zog sich über mehrere Jahre hin, bis mit dem Deutschen Beamten-
Gesetz in seiner zweiten Neufassung vom 26. Januar 1957 (RGBI. I, S. 59) auch mit jüdischen Ehepartnern Verheiratete zu entlassen waren. Aber die Fragmentierung wirkte sich sogleich aus, auch auf die Gruppe konservativer jüdischer Professoren, entgegen der häufig in der Literatur anzutreffenden apologetischen Behauptung, daD auch jüdische Professoren das Regime begrüDt und mit ihrem Konservatismus vorbereitet hátten. Die Folgen der Fragmentierung zeigten sich in einer Derealisierung der Geschehnisse (siehe Wolf), aber auch im Abbruch und Zerschneiden bisheriger Bindungen, in der Fehleinschätzung nationalsozialistischer Politik, in der Ignoranz des Schick-
sals von Kollegen und Freunden und der unterlassenen öffentlichen Solidarisierung mit den betroffenen Kollegen und Freunden. Gefördert von einer auffälligen Neigung, bisher geschätzte und verteidigte Werte und Normen hintanzustellen, bewirkte die Fragmentierung in der akademischen Sphäre
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftiern
141
eine nachhaltige Auflösung der Gruppenkohäsion und ermöglichte dadurch eine Konsolidierung nationalsozialistischer Herrschaft.
3.2 Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern an den deutschen Universitüten
3.2.1 Semesterbeginn und Fragebogenaktion im Frühjahr 1933 in Góttingen Anläßlich seiner Rede zur Eröffnung des Sommersemesters am 3. Mai 1955 sagte der Ordinarius für Tiermedizin und scheidende Rektor Siegmund Schermer, der kurz zuvor der NSDAP beigetreten war: „Anders als sonst, mit einer
Feier, mit einer öffentlichen Kundgebung, eröffnen wir diesmal das Semester. Und wir haben Grund dazu, denn zwischen dem Ende des vorigen Semesters und dem Anfang des jetzigen liegt der 5. März, liegen Ereignisse von weltgeschichtlicher Bedeutung, von einer Tragweite, die wir Miterlebende kaum in
ihrem Umfang erfassen können. Wir sehen den Wechsel auch im äußeren Bilde
unserer
Feier:
über
uns
weht
wieder
die
alte
ruhmreiche
Flagge
Schwarz-Weiß-Rot und mit ihr das Hakenkreuzbanner der siegreichen nationalen Revolution, ohne das uns auch die alte Flagge nicht wieder beschert wäre. Wir sehen im studentischen Aufzug die Uniformen der SA und des Stahlhelms,
der Kämpfer
für den Druchbruch
des nationalen
Gedankens.
Unter das Reich von Weimar ist der Schlußstrich gezogen und neu errichtet ist das Dritte Reich in Potsdam.8 . . . Wir gedenken in dieser Stunde dankbar unseres greisen Reichsoberhauptes und unseres Führers Adolf Hitler, die den
Weg
zueinander fanden und - wie wir zuversichtlich
glücklichen
Zukunft entgegenführen
werden.
Schon
hoffen - uns einer sehen
wir die ersten
großen Erfolge: Der Parlamentarismus ist überwunden ... in diesem neuen Deutschland werden auch die Universitüten eine neue Bedeutung gewinnen.
... Nun soll die Idee der politischen Universität in bestem nationalen Sinne Wirklichkeit werden. Der Senat der Georgia-Augusta hat mich ermáchtigt, öffentlich Zeugnis abzulegen, daß die Göttinger Professoren gewillt sind, sich hinter die nationale Regierung zu stellen und am Aufbau des neuen Deutschland freudig mitzuarbeiten. In diesem Bekenntnis wissen wir uns einig mit unseren Studenten . . .“8” Anschließend ging Schermer auf das neue Studentenrecht ein, das er in der „letzten Amtshandlung“ seines ablaufenden Rektorats in Form einer Urkunde dem Führer der Studentenschaft, Wolff, übergab, der als nächster das Wort ergriff: „... . Freudig stimmt uns auch der Gedanke,
daß wir uns in unserm Bekenntnis zum Dritten Reich eins wissen mit dem Rektor und den Universitätsbehörden ... Durch das neue Studentenrecht ist
142
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
die Studentenschaft wieder in Rechte und Pflichten eingesetzt. Sie wird sich auf dem Volksbürgerprinzip und frei von dem überwundenen Parlamentarismus unter dem Führergedanken aufbauen. Bei aller Freude und bei allem Dank, der die Studentenschaft erfüllt, darf nicht vergessen werden, daß der Kampf nicht beendet ist, daß das neue Recht kein Endziel ist, sondern ein
Kampfinstrument für die Bildung der Volksgemeinschaft . . .“88 Nach Wolff sprach dann der Vorsitzende der NSD-Dozentenvereinigung, Assistent des Instituts für Pflanzenbau und Mitunterzeichner der „42-Erklä-
rung“, Konrad Meyer. Bei Fragen der Weiterbeschüftigung und politischen Beurteilung ,unerwünschter* Kollegen wurde Meyer vom Kurator konsultiert. Wahrscheinlich gehörte er auch zu denjenigen „Dozenten“, die Schermer trotz seiner Parteimitgliedschaft für zu wenig nationalsozialistisch befunden und ihn zum Rücktritt aufgefordert hatten. Statt Schermer wurde der Ordinarius für Germanistik, Friedrich Neumann, am 26. April 1955 zum Rektor
gewühlt, der dann am 1. Mai der NSDAP beitrat und das Rektorat bis 1958 ausübte.9 Neumann,
der designierte Rektor, sollte erst am
10. Mai 1055 im
gefüllten Auditorium maximum die einleitenden Worte zur Bücherverbrennung sprechen. So hatten der scheidende und der neue Rektor innerhalb einer Woche als Regimebegrüfer und „Hitler-Bekenner“ ihre öffentlichen Auftritte. Statt der von Rust befürchteten „Unruhen zu Semesterbeginn“ gab es in Göttingen einen Festgottesdienst, bei dem die Studenten und Professoren dem Universitätschor
zuhörten,
der „Nun
jauchzt dem
Herren,
alle Welt“
und
„Wach auf, wach auf, Du deutsches Land! Du hast genug geschlafen... .“ sang, zwei Lieder aus der Reformationszeit. Dem kirchlichen Akt folgte ein „Fest-
zug“ durch die Stadt vor die Aula der Universität am Wilhelmsplatz, wo dann die oben zitierten Reden gehalten wurden, deren Reihenfolge, aber auch die unverhüllt geäußerte
Drohung
des Studentenschafts-„Führers“,
die neuer-
worbene Machtposition der Studentenschaft deutlich kennzeichnen. Wührend vor allem an den Mathematischen und Physikalischen Instituten,
deren Direktoren bereits beurlaubt waren, sich schon zu Beginn des Sommersemesters 1955 alles veründerte, blieb das Institut für Altertumskunde vorerst von Entlassungen verschont. Die Veründerungen zeigten sich langsamer.?! Kurt Latte, der sich seit Mitte April auf Reisen befand und erst um den 6. Mai
nach Góttingen zurückkehrte, blieben sowohl der Semesterbeginn als auch die anderen turbulenten Ereignisse im Zusammenhang mit James Francks Rücktritt erspart. Noch von Frankfurt aus, kurz vor seiner Abreise, hatte Latte
besorgt an den Kurator geschrieben: ,Zeitungsnachrichten entnehme ich, daß in der nüchsten Woche an alle Dozenten der preussischen Hochschulen Fragebogen zu dem Beamtengesetz versandt werden sollen. Wie ich vermute, wird es sich um Terminmeldungen handeln. Um Weiterungen zu vermeiden, gestatte ich mir daran zu erinnern, daD ich durch Euer Hochwohlgeboren Schreiben vom 9. Februar 1955 zu einer Studienreise nach Griechenland vom 18. April - 6. Mai einschließlich beurlaubt bin. Die Reise jetzt noch abzubrechen, ist technisch unmöglich. Ich bitte daher ... die verspätete Ablieferung (scil. des Fragebogens) zu entschuldigen und gegebenenfalls . . . dem Minister
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
145
gegenüber ausdrücklich begründen zu wollen.“% Am 25. Mai schickte er dann dem Kurator die angeforderten Angaben zu seinem Militärdienst im Ersten Weltkrieg: Latte hatte sich im Frühjahr 1915 freiwillig zum Kriegsdienst bei der „fechtenden Truppe“ gemeldet. Er nahm an den Kämpfen im Osten, bei der Masurenschlacht, teil, wo er zum Leutnant befórdert wurde. Im Stellungs-
krieg bis 1917 zog er sich schwere Frosterkrankungen zu und wurde nach einem
Lazarettaufenthalt
an die Westfront
versetzt.
Zuvor
erhielt
er das
„Eiserne Kreuz II*.95 Als „Frontkämpfer“ fiel er unter die Ausnahmeregelung des BBG. Trotzdem erhielt er einen Monat spüter den Fragebogen des BBG
(vgl. Abbildung 15 und 16) und schickte ihn am 26. Juni 1955 mit folgendem Begleitbrief an den Kurator zurück, in dem er darauf einging, warum er die Fragen über die „Abstammung“ der Eltern und Großeltern, die aus den Angaben zur „Konfession“ ablesbar sein sollte, nicht beantwortete: „Hoch-
geehrter Herr Geheimrat, indem ich in der Anlage den Fragebogen ausgefüllt zurückreiche, erlaube ich mir zu bemerken, daß ich den Passus vor 4e ‚Falls
nein zu a bis d‘ dahin aufgefaßt habe, daß sich die Ausfüllung erübrigt, falls 4c bejaht ist. Es liegt mir fern, die Tatsache, daß ich nichtarischer Abstammung im Sinne des Gesetzes bin, verschleiern zu wollen.“% Der in Königsberg
aufgewachsene
konservative
und patriotische Gelehrte empfand
eine der
tiefsten Kränkungen, als eines Nachts Studenten in SA-Uniform in seine Wohnung einbrachen, randalierten, Sachen in den Garten warfen und ihm seinen Offiziersdegen wegnahmen, wie er nach dem Krieg einem seiner
Schüler erzáhlte.95 Auch Hermann
Fränkel, obwohl er als nichtbeamteter a. o. Professor kein
Professorengehalt bezog, sondern für die Lehrauftrüge und für seine Tätigkeit als Oberassistent des Instituts und als Mitglied des Prüfungsamtes honoriert wurde, fiel seit dem 6. Mai unter das BBG: Die (RGBI. 1, S. 245 f., 1955) weitete die Anwendung tete Hochschuldozenten, Notare, Lehrer usw. „Frontkämpfer“ auf die direkte Teilnahme am
5. Durchführungsverordnung des BBG auch auf nichtbeamaus und schrünkte den Begriff Kriegsgeschehen ein. Fränkel,
der seit Oktober 1927 die Oberassistentenstelle des Instituts hatte und Vater von drei Kindern war, beantwortete ebenfalls am 25. Mai die Anfrage nach
seinem Militärdienst: „Auf die Anfrage Nr. 2752 von gestern erwidere ich ganz ergebenst, daß ich Frontkämpfer im Sinne des genannten Gesetzes bin. Ich habe im Stellungskrieg etwa ein halbes Jahr im vordersten Graben gelegen, bin Patrouillen vor der Front gegangen,
habe Horchposten
gestanden,
Be-
schiessungen mitgemacht usw.“®% Fránkel hatte sich 1915 trotz eines Lungenleidens, das ihn gezwungen hatte, sein Studium für zweieinhalb Jahre zu unterbrechen, freiwillig zum Militürdienst bei dem Ulanenregiment in Kónigsberg gemeldet. Im Juli 1915 hatte er Lilli Fraenkel geheiratet, im Dezember 1916 wurde sein Sohn Hans Hermann geboren. Bis November 1918 war er Soldat. Es ist anzunehmen, daß auch H. Frünkel, wie sein Kollege Latte,
den Fragebogen des BBG ausfüllen mußte. Beiden brachte die Teilnahme am Ersten Weltkrieg einen kleinen Aufschub. Für die Studenten änderte sich der Studienalltag drastisch,wie vom ,Füh-
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Neicögefepblait, Jahrgang 1933, Teil T
Mai 1933 ben δ.in, 9.48 — Lag bet Βκϑρεε: Berl
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Sragebogen
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1918
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ober dhdt Barhienq ti
oder
€) fenfige ἔιρανας") beichhen!
*) Berbildung und fipusg finh fru μι begrimben.
1
Rede iss T
Abb.
15:
BBG, S. 1
Fragebogen
zur Durchführung
der Entlassungen
nach
dem
Abb. 16: Seite 2 des Fragebogens, auf die sich Kurt Latte in seinem Schreiben an den Kurator vom 26. 6. 1955 bezieht
SAWSTIVIZOSTYNOLLYN INN .LJVHOSN3SSIMSAWALWALLTV
ner
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
145
rer“ der Studentenschaft zu Semesterbeginn schon angedroht. Gleich in der ersten Veranstaltungswoche gab es zwei „Großveranstaltungen“, die einander
Konkurrenz
machten:
die Bücherverbrennung??
und der erste öffentliche
Schulungsabend des NSD-Studentenbunds, beide auf den Abend des 10. Mai
gelegt. Der erste öffentliche Schulungsabend erfreute sich so großen Zuspruchs, daß „der größte Saal Göttingens im Stadtpark“ überfüllt war. Das Thema
des Abends
bestritt ein Dr. Moser,
der „das Wort
zu bedeutenden
Ausführungen über Rassenhygiene“ ergriff: „Uns treibt aber die Liebe zum Volke, daß auf diesem Gebiete tatkräftig gehandelt wird. Jetzt muß das liberalistische Moment überwunden sein. Wenn in Deutschland bisher nur ein Lehrstuhl in München für die Rassenhygiene bestand, so muß sie jetzt für die Mediziner Examensfach werden. ... Uns muß das Wohlergehen des Volksganzen wichtiger sein als die Rettung von Einzelgliedern . . .“ So informierte das „Göttinger Tageblatt“9® seine Leser über die Aufgaben der „Rassenpflege“, die nun auch von den Kathedern der Universität propagiert werden sollte. Der neue Kultusminister hatte schon angekündigt, daß als eigene und neue Fächer an den Universitäten, soweit nicht schon geschehen, Lehraufträge für , Wehrwissenschaft", „Auslandsdeutschtum“, „Volkskunde“
und „Rassenhygiene“ eingeführt werden sollen.9? In Göttingen versah bereits seit 1930 der Generalmajor a. D. und Mitglied der 1931 in Berlin gegründeten „Wehrwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft“, die sich zur Aufgabe machte,
„die Anschauungen über den Krieg, besonders den Zukunftskrieg“ zu klären, Dr. Bernhard Schwertfeger, den Lehrauftrag „Wehrwissenschaften“ am Insti-
tut für Mittlere und Neuere kümmerten
Geschichte.!® Um
das ,Auslandsdeutschtum*
sich die Göttinger Historiker, insbesondere
Karl Brandi, schon
seit 1951 mit einschlügigen Veranstaltungen und Tagungen zum Thema „Ostmark“.101 Der Lehrstuhl für Volkskunde wurde in der Tat 1958 in Góttingen eingerichtet und mit einem nicht habilitierten nationalsozialistischen Pastor besetzt, der zugleich als „Student und Lehrer seines Fachs“ Veranstal-
tungen abhielt.!0? Im Herbst 1955 wurde demgemäß Hermann Fränkels Lehrauftrag für „Griechisch-römische Metrik und griechische Lyrik“ umgewidmet
zu einem
Lehrauftrag
für „Rassenhygiene“,
dem
„Hochschulkreis
Niedersachsen“ angeboten und sollte aus den durch Fränkels Weggang freigewordenen Geldmitteln finanziert werden.195 Dem Numerus clausus für Studenten „nichtarischer Abstammung“ folgte
der N. c. für Frauen, um die „Überfüllung und Überfremdung“ an deutschen Schulen und Hochschulen zu verhindern, wie es in dem Gesetz vom 26. April 1955 (RGBI. I, S. 225) heißt. Die NS-Studentenschaft setzte an den Instituten „Fachschaften“ ein, die auch als Überwachungsorgan dienten. Die „Fachschaft“ des Instituts für Altertumskunde veranstaltete Arbeitskreise, die die Verbindung zwischen der Antike und der Gegenwart des „Dritten Reichs“
herausstellen sollten. „Um die Lektüre der antiken Schriftsteller zu fördern, regte im WS 1932 die Direktion die Studierenden zur Bildung von privaten Lesekränzchen an, an
deren Sitzungen gelegentlich auch die Professoren teilnehmen woliten. Die
146
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Studierenden nahmen die Anregung sehr bereitwillig auf; doch ließ sich leider in der letzten Zeit die Einrichtung nicht mehr durchführen, weil sie anderweitig stark in Anspruch genommen waren ... Das früher private Lesekrünz-
chen wurde durch studentische Fachschaften ersetzt.“!% Da in diesem Jahresbericht des gescháftsführenden Institutsdirektors weder erklärt wird, was mit „anderweitig“ gemeint ist, noch der Zeitpunkt näher bestimmt wird, ab wann diese Lesekrünzchen nicht mehr stattfanden, bleiben nur Vermutungen. Mit „anderweitig“ sind hóchstwahrscheinlich der den Studenten verordnete Arbeitsdient, die ,weltanschauliche* Ausbildung und der allwóchentliche Wehrsport gemeint, die, zusammen genommen, die Studienzeit der Studenten
einschrünkten, so daB keine oder zu wenig Zeit für die Vertiefung der sprachlichen Ausbildung blieb. Was der Jahresbericht für die „Chronik der Universität Göttingen 1931-1937“ darüber hinaus nicht verzeichnet, ist der ein-
schneidende Rückgang der Anzahl der Studierenden im Sommersemester 1955: Kamen in Hermann Frünkels Proseminar über Apollonius Rhodius im Wintersemester 1952/55 noch 51 Studenten, so besuchten im Sommersemester 1955 nur noch acht das von ihm angebotene Seminar „Lucan“ für „Nurlateiner“, Studenten, die nicht Gräzistik studierten.!05 Solche Seminare
hielt Fránkel mit einer eigens dafür von Latte bei seinen Berufungsverhandlungen im Kultusministerium ausgehandelten Vergütung schon seit dem Herbst 1951.19€ Auch an dem von Max Pohlenz angebotenen Proseminar zur „Politik des Aristoteles“ nahmen nur vier Studenten teil. Ebenso konnte das
von Latte angebotene Seminar zur „Griechischen Mythologie“, ein bei Studenten beliebtes Thema, nur drei Studenten und eine Studentin als Teilnehmer verzeichnen. Im vorhergehenden Semester hatten Lattes Seminar zu den „Silvae“ des Statius immerhin noch zehn Studenten besucht.!07 Lattes vier-
stündige Vorlesung war dem Thema „Römische Elegiker^ gewidmet, während Max Pohlenz über ,Hellenistische Poesie“ las. Kahrstedts Übung zu den „Römerkriegen
in Nord-West-Deutschland“,
mit
Exkursion
und
auch
für
„Nicht-Humanisten“ angeboten, versammelte hingegen viele Studenten, wie er selbst in der Zeitschrift „Gnomon“ später berichtete.199 In der Tat ging die Zahl der im Fach „Alte Sprachen“ eingeschriebenen Studenten fast um ein Drittel, von 54 auf 22, drastisch zurück. Der Anteil der Frauen erhóhte sich
allerdings von zwei auf vier.109 Waren
die Proseminare
in den Semestern,
als Eduard
Fraenkel noch
in
Göttingen gelehrt hatte, mit weit über 40 Studenten besucht, so pendelte sich die Zahl bei ungefähr 50 nach seinem Weggang ein. Ab dem Sommersemester 1955 fiel die Zahl mit einer Ausnahme (Pohlenz’ Seminar zu Senecas „Phaedra“ im darauffolgenden Wintersemester wurde von 33 Studenten besucht) auf weniger als zehn Studenten pro Lehrveranstaltung.!19 Das Institut hatte seit 1928 einen eigenen Etat für studentische Hilfskrüfte. Ab dem Frühjahr 1955 hatte die jeweilige Hilfskraft den Ariernachweis" , zu
erbringen, und ihre Einstellung wurde außerdem von der politischen Beurteilung der Dozentenschaft der Universität abhängig gemacht, die ihrerseits wiederum ein Gutachten bei der Studentenschaft einholte. Mit jeder Einstel-
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
147
lung, auch der von wissenschaftlichen Hilfskräften, befaßte sich der Dekan
und auch der Rektor der Universität. Dies entsprach der an den Hochschulen neu eingeführten Organisationsstruktur nach dem „Führer“-Prinzip. „Herr Wüstefeld ist seit 1928 aktiv im Dienste der nationalen Bewegung tätig gewesen und tut heute in der SA als Scharführer aktiv Dienst. Unter diesen Umständen verdient die Verlängerung seiner Vertretung [Wüstefeld vertrat seinen Vorgünger als wissenschaftliche Hilfskraft, da dieser einberufen worden war, C. W.] die entschiedenste Befürwortung."!!! „Wir bitten Sie, sich mit der Persönlichkeit des Herrn Grundt einverstanden
zu erklüren, da irgendwelche politische Bedenken nicht in Frage kommen können. [Zu dieser Stelle findet sich am Rand folgende handschriftliche Notiz des damals amtierenden Dekans: ,Das ist der Dozentenschaft vorzulegen', C. W.] Herr Grundt ist seit dem 1. 12. 1951 in der Partei, seit Ostern 1952 im
NSDStB, seit 5. 5. 1955 in der SA, wo er jetzt den Rang eines Truppführers (Sturm 5/82) bekleidet. Ferner ist er Unteroffizier der Reserve und Leiter unserer Fachschaft seit dem Bestehen einer solchen.“112 Diese beiden Zitate mögen als Beispiele für die Art der Anträge des geschüftsführenden Institutsdirektors jedenfalls genügen. Diese gingen an den Dekan, der, wie schon erwühnt, die Gutachten bei den politischen Überwa-
chungsgremien (Dozentenbund und Studentenbund) einholte und dann die Antrüge mit Kommentar an den Rektor zur Entscheidung weiterreichte. Wenn es „keine Bedenken“ gab, wurde der Kandidat eingestellt. Mit steigender „Routine“ wurde nicht mehr bei jeder Verlängerung und jeder Einstellung der Rektor der Universität befragt. Das Votum des Dekans reichte aus. Das zweite Zitat scheint mir dafür zu sprechen, daß in den späteren Jahren von vornherein Kandidaten ausgesucht wurden, bei denen man sicher sein konnte, daß
sie wegen ihrer einschlägigen nationalsozialistischen Aktivitäten akzeptiert werden würden.
3.2.2
Ulrich Kahrstedt verabschiedet die ,internationale Gelehrtenrepublik* und wird von Karl Brandi und
Percy Ernst Schramm zum Duell gefordert (1934) 1921 konnte die Göttinger Studentenschaft den Rektor der Universität, Carl Mirbt (1860-1929), als Redner für die von ihnen veranstaltete ,Gedüchtnisfeier^ zum 50. Jahrestag der Reichsgründung gewinnen. Mirbt, o. Professor für Kirchengeschichte an der theologischen Fakultät, sprach zum Thema „Unser Bekenntnis zum deutschen Volkstum*. Schon im Jahr darauf wurde der Reichsgründungstag reichsweit zum offiziellen akademischen Feiertag erklärt,
zu
dem
fortan
der
Rektor
in die Aula
der Universität
einlud.
Die
Reichsgründungsfeier ersetzte den im Kaiserreich alljáhrlich gefeierten Geburtstag des Kaisers. Diente sie in den ersten Jahren der Republik der Beschwórung des untergegangenen Kaiserreichs und seiner GróDe, der Be-
148
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
kräftigung der „Dolchstoßlegende“ und der Kritik am Versailler Vertrag, so entpolitisierten sich die Reden zu diesem Anlaß allmählich und nahmen ab 1926 eher fachspezifischen Charakter an. 1929 verwahrte sich die preußische Rektorenkonferenz allerdings gegen die Abschaffung dieser Feier und ihre Ersetzung durch die Feier des 10. Jahrestages der Verfassung der Weimarer Republik. Man ging den Kompromiß ein, beide Anlässe akademisch zu feiern, wobei sich aber die Göttinger Universität der in die Sommerferien fallenden Verfassungsfeier am 11. August 1929, aber auch in den folgenden Jahren zu entziehen wufte.!15 Erst den Nationalsozialisten gelang es, die Reichsgründungsfeiern abzuschaffen. Die Tatsache, daß es sich um die letzte Feier der Reichsgründung unter den Nationalsozialisten handelte, läßt sich auf einer symbolischen
Ebene durchaus als das Ende der Zusammenarbeit von NSDAP und DNVP verstehen.
Sie war nunmehr
überflüssig geworden.
Die
NSDAP
hatte sich
mittlerweile auch an den Universitäten fest etabliert: Am 3. März 1955 hatten sich in einem Wahlaufruf 300 Hochschullehrer öffentlich für die Wahl Hitlers eingesetzt. Bis zu Beginn des Sommersemesters und besonders nach Heideg-
gers Rektoratsrede folgten weitere, die sich in die NSDAP aufnehmen ließen. Ungefähr 800 Hochschullehrer legten dann im Oktober 1933 unter der Anleitung u. a. von Martin Heidegger, dem Göttinger Theologen Emanuel Hirsch,
dem Göttinger Germanisten und Rektor Friedrich Neumann ein „Bekenntnis zu A. Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“ ab, indem sie wie zu Beginn
des Ersten Weltkrieges einen „Ruf an die Gebildeten der Welt“ unterzeichneten.114 Die erste und zugleich letzte Reichsgründungsfeier unter den Nationalsozialisten, am 18. Januar 1934, schloß mit ihrem politischen Inhalt an das
Thema der allerersten Festrede zur Reichsgründung aus dem Jahr 1921 an: Aus dem durch den verlorenen Ersten Weltkrieg beleidigten Selbstwertgefühl deutscher Universitätsmitglieder, das sich durch ein „Bekenntnis zum deutschen Volkstum“ wiederaufzurichten suchte, wird 1934 das Bekenntnis zur
„schlechthinnigen Verwirklichung der deutschen Volkseinheit“ (vgl. den Text von Kahrstedts Rede, Anhang 8, S. 364). Bei der Verwirklichung der „Volks-
einheit^ geht es diesmal nicht mehr nur um die Wiedergewinnung und Propagierung der eigenen Stärke, sondern vor allem um die Verfolgung und Ausschließung all dessen, was die „Einheits“-Vorstellung stört. In dieser Rede tritt deutlich die Verengung und Radikalisierung hervor, die der Nationalis-
mus zwischen 1921 und 1954 erfahren hat. Als Festredner hatte man Ulrich Kahrstedt gewählt, eine zur Feier und ihrer Tradition passende Entscheidung, war doch Kahrstedt bekanntermaßen Gründungsmitglied der DNVP. Damit erhielt Kahrstedt im Wintersemester 1933/34 zum zweiten Mal eine Gelegenheit, seine Ansichten, diesmal vor
versammelter Universität, darzulegen. Er hatte schon zu Beginn des Semesters die „öffentliche Vortragsreihe: Rasse, Volk und Staat“ mit seinem bereits aus der Zeit der Weimarer Republik notorischen Spezialthema „Probleme der
deutschen Außenpolitik“ eröffnet.!15 Im Gegensatz zu diesem Vortrag ist seine
149
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
Die
Georg=Nuguft=Univerfität wird ihre
Feier der Reichsgründung am
Donnerstag
den 18. Januar
vormittags 11 Uhr οὐ
burd) einen
Feftakt in der Aula
am
Wilhelmsplatzte
begehn,
bei dem der ordentliche Profeffor der Alten Gefdjichte Dr. Ulridy Kahrftedt die Rede halten wird. Die Lehrer ber Univerfität die Studenten die ffaatlidjen und die
Körperfcyaften
die Freunde laden
aller Fakultäten ftädtifcyen Behörden bes
Offentlidjen
der Univerfität
Rechts
in Stadt und
Land
wir zu diefer Feier ein.
Göttingen, im Januar 1934.
Der Rektor Friedridy Neumann.
Abb. 17: Einladung zur letzten Reichsgründungsfeier der Universität Göttingen am nuar 1954
18. Ja-
150
Festrede
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
veröffentlicht worden.!!6 Weil
Kahrstedts
Festrede
in mehrerlei
Hinsicht sehr aufschlußreich ist, habe ich sie im Anhang 8 in vollem Wortlaut wiedergegeben: Die Rede ist ein Dokument öffentlicher Selbstdarstellung der
Universität. Ihr Inhalt und auch die Reaktionen der Zuhörer auf die Rede viele Kollegen, besonders die Historiker, reagierten empórt, die anwesende Studentenschaft hingegen begeistert - geben einen Eindruck von der akade-
mischen Spháre ein Jahr nach der Machtergreifung. Darüber hinaus erhalten wir einige Informationen über Kahrstedts wissenschaftlichen und politischen Standort sowie seinen Vortragsstil. (Die folgenden Seitenangaben beziehen sich auf den Text der Rede im Anhang 8.) Zu Beginn der Rede führt sich Kahrstedt als der geeignete Fachmann ein,
mit Hilfe eines Exkurses über den Niedergang des „Hellenentums“ in den zwei Jahrhunderten nach dem Tod Alexanders des Großen (525 v. Chr.) für die Gegenwart richtungweisende Lehren zu ziehen. Obwohl das Fach Alte Geschichte so weit von der Gegenwart entfernt sei, kónne es zu deren Verstünd-
nis beitragen, weil sein Gegenstand, die griechisch-rómische Welt, der einzige ganz abgeschlossene und dokumentierte historische Prozeß sei. Kahrstedt betont, daD er nichts Neues sagen werde. Seinen Studenten, aber auch den
Fachleuten sei die folgende Betrachtung der Ursachen des Untergangs des hellenistischen „Mächtesystems“ längst bekannt (S. 357 f). Schon vor 15 Jahren, also 1919, habe er aufgrund seiner Forschungen auf diese Parallele
zur modernen Geschichte hinzuweisen begonnen (S. 364). So erfahren wir en passant, daß er ähnliches offenbar seit 1921 in Göttingen seinen Studenten
vorzutragen pflegte. Wie sein Lehrer Eduard Meyer hält Kahrstedt an der unter Althistorikern in den zwanziger Jahren längst umstrittenen!!? These fest, die Antike und die
Moderne seien zwei in sich geschlossene Kulturkreise, in denen auf gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ebene dieselben historischen Krüfte wirksam seien, so daß ihre Epochenzyklen Mittelalter, Renaissance und Neuzeit sich wiederholen und miteinander vergleichbar seien.!18 Die Errungenschaften der hellenistischen Zeit vergleicht Kahrstedt mit denen der Moderne, ja
er setzt sie gleich (S. 357 ff). So schrumpft die Moderne zu einer Wiederholung der ,Kernzeit der Antike“ zusammen: „Die weiße Menschheit stand um
200 v. Chr. dort, wo sie um 1800 n. Chr. wieder anlangte* (S. 359). Seine rhetorische
Frage, wieso
ein Umweg
von 2000 Jahren
nótig war,
beantwortet Kahrstedt mit der Erklárung des Untergangs der griechisch-rómischen Welt (S. 360—364). Dieselbe Situation, der sich abzeichnende Untergang der Moderne, diagnostiziert er für die Gegenwart (vgl. S. 357 / und S. 364), um schlieDlich den Ausweg aufzuzeigen (S. 365 ff). Diese Argumentationsfigur ermóglicht es ihm, sich aufgrund der von ihm heraufbeschworenen Untergangsvision für sehr radikale Lösungen einzusetzen. Voraussetzung ist die oben genannte Annahme zweier parallel ablaufender Epochenzyklen (vgl. S. 359). So benützt Kahrstedt in eindeutiger Weise sein Fach, die Alte Geschichte, um seine politischen Ansichten zu begründen und zu propagie-
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
151
ren. Daß es sich nicht um einen Ausrutscher angelegentlich der Festrede handelt, sondern schon seit 1919 ein Anliegen Kahrstedts ist, sagt er selbst
(S. 364). Darüber hinaus bestätigt auch sein Werk, das er erst im Laufe der folgenden Jahre verfaßte, diesen Befund der Indienstnahme wissenschaftli-
cher Forschung zur Propagierung seiner politischen Ansichten.119 So verwundert es auch nicht, wenn Kahrstedt bei der Erklárung und Beschreibung des Niedergangs des hellenistischen „Weltreichs“ politische
und soziologische Kategorien des ausgehenden 19. Jahrhunderts anwendet. Er spricht von „Proletariat“, „kleinen Angestellten“, „Reallohn“, „Kopf- und Handarbeitern“, „griechischen Bourgeois“, „Rassenstolz der Farbigen“, dem Ende des „kolonialen Zeitalters^ und dem Abstieg der Griechen von einer
„Herrenschicht“ zu einer verfolgten Minderheit in den von Alexander eroberten Gebieten Vorderasiens. Diese Kategorien bestimmen nicht nur den Vortrag, sondern auch das schon erwähnte Buch.120 Auch Kahrstedts eigenwillige Periodisierung der griechischen Geschichte
läßt politische Motive vermuten. Der antiklassizistischen Perspektive, wie sie um die Jahrhundertwende von K. 1. Beloch und R. v. Pöhlmann, zwei Althistorikern, vertreten wurde, eng verbunden, hált Kahrstedt die Periode Athens
von Solon bis Perikles (7.-5. Jh. v. Chr.) lediglich für ein von Historikern und Altertumswissenschaftlern überbewertetes Vorspiel der eigentlichen ,Kernzeit der Antike“, die seiner Ansicht nach mit den Eroberungen Alexanders des
Großen beruhe
beginnt.!2i
Die eigentliche „Größe
auf der „Überwindung
der griechischen
Zivilisation“
der Stadtrepublik durch die großen
Monar-
chien“ (S. 360). Hier wird Kahrstedts politisches Motiv für seine Periodisierung deutlich ausgesprochen. Er zog das große „griechische Reich“ der hellenistischen Periode und die makedonische Kónigsherrschaft den demo-
kratischen Verfassungen der griechischen Polis aus der klassischen Epoche eindeutig vor. Darin sah er den Hóhepunkt der Entwicklung und des Fortschritts. Die „Schattenseiten“ allerdings leiten den Untergang der hellenistischen »Zivilisation* ein: das ,verarmte Proletariat", das sich von Reformideen begeistern läßt, und „die gefährdete Lage der Landwirtschaft“, deren Produkte den ,industriellen* im Preis unterlegen seien. Die vom griechischen ,Mutterland“ ausgehenden ,republikanischen Ideen“ werden gegen Ende des 5. Jahrhunderts v. Chr. von den auf die wachsende ,wirtschaftliche Kraft^ und die
»Seegeltung^ Makedoniens neidischen Nachbarn, den Ptolemüern, ausgenützt. Sie zetteln mit Intrigen den 2. Makedonischen Krieg an (S. 359 2). Hier kippt Kahrstedts Darstellung den Vergleich, denn nun wird die Geschichte des 2. Makedonischen Kriegs (200-197 v. Chr.) zu einer Schilderung des Ersten Weltkriegs in antiker Kostümierung: Makedonien, ,der monarchistischste aller Staaten“, der „Träger der Idee der allgemeinen Wehrpflicht“, habe einen schweren Stand gehabt: ,... alles wittert bei den Makedonen Härte und
Eroberungssucht“. Makedonien beginne den Krieg gegen die von den Ptolemäern „zusammengesponnene Koalition“, der die „ganze griechische Welt unter die Waffen ruft“. Die Verbündeten „frisieren ihn sofort als Ideenkrieg“.
152
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Im dritten Kriegsjahr tritt „die Macht des Westens“, Rom, auf die Seite der
Ptolemäer, um die ,abgeküámpften Makedonier niederzuringen“ (S. 360) usw. Die Römer, als „Macht des Westens“ eingeführt, mußten die Zuhörer an den
Eintritt der Vereinigten Staaten von Amerika in den Ersten Weltkrieg im Frühjahr 1917 erinnern. Kahrstedt sagt in seinem Vortrag nicht ausdrücklich, daß es drei Makedo-
nische Kriege gab, die 168 v. Chr. damit endeten, daß Makedonien zu einer römischen Provinz wurde. Er greift explizit nur den 2. Makedonischen Krieg heraus. Er läßt ihn mit dem Frieden von Korinth enden, der in seiner Rede zu einem Frieden von Versailles wird: mit Schuldbekenntnis, Wiedergutma-
chungszahlungen und ,irrsinnig gezogenen Grenzen“, die nicht aufhörten zu bluten. Sie führten zu weiteren „römischen Interventionen‘ (i. e. dem 3. Makedonischen Krieg 171-168 v. Chr), bis alle „Mächte des Ostens zerstückelt
und verstümmelt“ gewesen seien. ,. .. den Abschluß bildet die Verschleppung aller national gesinnten Familien der Oberschicht in Makedonien ... Die griechische Welt erlebte einen Niedergang ohnegleichen, moralisch, indem ehrlose Subjekte, kriecherische Pazifisten, die eigene Tasche durch Denunzie-
rung ihrer Landsleute in Rom
füllend, regierten ... Vor allem endet das
koloniale Zeitalter... Parther, Juden, Perser, Araber bilden eigene Staaten,
reißen von Rom begünstigt das seleukidische Reich in Fetzen. Auch sonst erwacht der Rassenstolz der Farbigen, in Ägypten füllen sie Heer und Verwaltung, die Griechen klagen: wir werden beraubt, geschändet, ermordet, weil wir Griechen sind. Zugleich tragen diese Erhebungen einen stark sozialen Zug, der Grieche wird nicht nur als Weißer sondern auch als Bourgeois verfolgt. Juden und Fellachen schlachten nicht nur den Heiden sondern den Bürger und Grundbesitzer in ihm ab“ (5. 361, Hervorhebungen, C. W.). Dieses Zitat zeigt uns nicht nur die radikale Sprache Kahrstedts, die den ganzen Vortrag durchzieht und im ersten, historischen Teil nicht anders ist als im zweiten, ausdrücklich der Gegenwart gewidmeten Teil. Seine Schilderung macht deutlich, daß er die Ost-West-Perspektive und die der sozialen Schichten in einer bürgerlichen Gesellschaft auf die Antike überträgt. Er kombiniert einen rassistischen Herrschaftsanspruch der Europäer über die Welt mit Antisemitismus. Die von mir hervorgehobenen Zitatstelien zeigen deutlich Kahrstedts Anwendung der politischen Propagandasprache der DNVP nach dem Ende des Ersten Weltkriegs auf die Antike. Seinen historischen Ausflug in die Geschichte, den er noch bis zum Beginn der von ihm als „anational“ bewerteten römischen Kaiserzeit fortführt (5. 363), beendet er mit der Feststellung: die „alte Kulturwelt“, das „Hellenentum“, sei von der Revolution der „Farbigen“ und der der „Proletarier“ zerrieben worden.
Das Ende aller geistigen Kultur sei herbeigeführt worden, weil das „Griechentum“ nicht die geistige Kraft gehabt habe, sich in sich selbst zu einigen und die eigenen Schichten „zusammenzuschweißen“. Es sei untergegangen zwischen dem „westlichen Hochkapitalismus“ (Rom) und der „asiatisch-proletarischen Bewegung“ (ebd.). Hier greift Kahrstedt unverkennbar nationalsozialistische Feindbilder auf: den Rom zugeschriebenen „Hochkapitalismus“, aber auch die
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
153
von Kahrstedt im Osten angesiedelte „proletarische Bewegung“. Diese Beispiele mögen genügen, um die Art der Parallelisierung griechischer und deutscher Geschichte aus Kahrstedts Blickwinkel zu spezifizieren. Die Parallelisierung
erlaubt ihm, zwei Standpunkte zusammenzuführen. Wenn er über die griechisch-römische Geschichte spricht, nimmt er die Perspektive des weißen Europäers ein, der, sich von nichteuropäischen Kulturen bedroht fühlend, den
Machtanspruch
des Stärkeren und allein Zivilisierten geltend macht.
Die
deutsche Geschichte wiederum - auch in ihrer antiken Kostümierung - wird aus der Perspektive des deutschnationalen, der Monarchie nachtrauernden
Deutschen gesehen, der den Versailler Vertrag als Schmach empfindet, die gerächt werden soil. Kahrstedts Ansichten darüber sind uns aus dem 1919 von
ihm verfaßten Geheimpapier für das politische Programm der DNVP bekannt (vgl. „Irredenta“ in Anhang 6, und w. o.). Im folgenden Teil seiner Rede (S. 364 ff.) verbindet Kahrstedt die beiden Perspektiven zu einem nationalsozialistischen Bekenntnis. „Im modernen Europa ist das eingetreten, was dem Altertum versagt blieb, an zwei Stellen ist der Einbruch in die Zwangslüufigkeit der Zerstórung der
Kultur erfolgt durch die Überwindung des Klassenkampfes, der allein die alte Kultur dazu verdammte, zwischen Ost und West, zwischen Oben und Unten
zerrieben zu werden. Fascismus [sic!] und Nationalsozialismus sind im Altertum nicht aufgetreten“ (S. 364). Das heißt, die von Kahrstedt ausgemalte Vision
des zwangslüufigen
Untergangs
der Moderne
kann
nur durch
den
Nationalsozialismus aufgehalten werden. Der Preis ist, wie Kahrstedt richtig sieht, die Verabschiedung von allen bisher geachteten Werten der westeuropüischen Zivilisation. Kahrstedt entwertet und verkleinert sie allerdings, indem er sie als bürgerliche Werte aus der Kaiserzeit ausgibt, um sie dann leichter verabschieden zu können. Damit geht er qualitativ über die Position
der DNVP hinaus, um sich dem Nationalsozialismus zu verschreiben. „Freilich, die alte Kultur des 19. Jahrhunderts kehrt nicht wieder, ebenso wenig wie ein rechtzeitiger nationaler Wille der Griechen die Zivilisation des hohen Hellenismus zurückgezaubert hätte. Wir haben nicht die Wahl zwischen der bürgerlichen Kultur von 1914 und irgendeiner anderen, sondern die Wahl zwischen einer neuen Kultur der schlechthinnigen Verwirklichung der Volks-
einheit unter Opferung aller gewohnten Vorurteile und Sonderansichten der Klassen oder dem Ausgang aller eigenen Kultur nicht nur bei uns sondern überhaupt in der alten Welt“ (ebd.). Mit dieser letzten Steigerung spricht Kahrstedt den nationalsozialistischen Herrschaftsansprüchen nicht nur über Deutschland, sondern über die gesamte „Alte Welt“ das Wort. Hier zeigen sich deutlich sein Wunsch nach Rache für den Versailler Vertrag und seine Vorstellung von einer Herrschaftsposition Deutschlands über Europa, die mit dem verlorenen Ersten Weltkrieg begraben, aber nicht vergessen worden ist. „Die bürgerliche Kultur geht zu Ende, nicht durch Mussolini oder Hitler sondern durch Versailles, wir wählen zwischen dem rechtzeitigen Neuaufbau einer eigenen Lebensform oder dem leeren Raum, den das Versickern der
alten Gesittung hinterläßt“ (ebd., Hervorhebung C. W.). Damit sagt Kahrstedt,
154
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
daß das Ende der bürgerlichen Kultur mit dem
Versailler Vertrag, den die
deutschen Sozialdemokraten 1919 unterzeichneten, herbeigeführt worden sei und nicht durch die faschistische und nationalsozialistische Umwälzung der italienischen bzw. deutschen Gesellschaft. Die Wahl zwischen einem Raum, den Kahrstedt als leer suggeriert, und einer neuen Lebensform weist auf die Radikalität des Wechsels hin, die Kahrstedt selbst durchaus wahrnimmt und auch vertritt. „Entweder wir schaffen eine Kultur aus der Ideenwelt der
genannten neuen Kräfte oder wir sehen zu, wie unsere Gesittung den Weg der antiken geht und versinkt. Es ist zu spät zu klagen, daß irgend eine liebe Gewohnheit
zu einer wahren
Kultur unentbehrlich
sei und
daher fortge-
schleppt werden müsse“ (ebd.). Mit den neuen Kräften ist der Nationalsozialismus gemeint. Der zweite, kürzere Teil seiner Rede (5. 364-368) steht unter dem Motto „Was die deutsche Intelligenz, die deutschen Hochschulen, die deutschen Gelehrten tun sollen“, um als würdig erachtet zu werden, an der „neuen
Kultur“ der Nationalsozialisten mitzuwirken. Kahrstedt beschäftigt sich aber genau umgekehrt damit, was sie hinkünftig lieber bleibenlassen sollen, indem er die Gelegenheit der Festrede benützt, sie des Verrats an deutschen Interessen anzuklagen.
Zunächst diffamiert er diejenigen Kollegen, die Anzeichen des Unmuts und Kritik über nationalsozialistische Gewaltakte und Diskriminierungsmaßnahmen
gegen jüdische Kollegen, Studenten und Göttinger Bürger äußern. Er
brandmarkt ihr Mitgefühl und ihre Solidarisierungsversuche als unpatriotisch. „Wir sollen nicht meckern ... Meckern ist, wenn man 1923 liest, Schlageter!22 ist erschossen worden, und dann ohne Störung seines seelischen Behagens frühstückt und wenn man 1955 mit allen Zeichen psychischer
Depression einherschleicht, weil in einem jüdischen Geschäft eine Fensterscheibe eingeschlagen worden ist ... wenn man 1923 erfährt, daß Scharen [von, C. W.] deutschen Frauen in Selbstmord und Irrsinn enden, weil sie von Negern geschündet wurden und dann mit ungemindertem Behagen sein Fach betreibt, aber 1933 die Feder entmutigt sinken läßt, weil die Welt verroht sei,
indem die Tochter des Viehhündlers Levi nicht in die Studentenschaft aufgenommen worden ist* (S. 365). Dann geht Kahrstedt dazu über, seine Kollegen für die Aufrechterhaltung
wissenschaftlicher Beziehungen zu Frankreich und Großbritannien zu brüskieren (ebd.): Es mißfiel ihm, daß sie die im Jahr 1927 tagende Generalversammlung des internationalen Historiker-Komitees so gastfreundlich in Göttingen aufgenommen hatten. Schließlich diffamiert er seine nächsten Kollegen: Mit der vehementen Verurteilung der Teilnahme deutscher Historiker unter der Leitung seines Kollegen Karl Brandi (1868-1946), Ordinarius für Mittlere und Neuere Geschichte, am 7. Internationalen Historikerkongreß, der erstmals in Warschau stattfand (21.-29. August 1955), geht Kahrstedt zum
persönlichen Angriff über. Er wirft der deutschen Historikerdelegation vor, durch ihre Teilnahme die in Polen lebenden Deutschen verraten zu haben (5. 366).
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
155
Unter der Diktatur Pilsudskis hatte sich deren politisch-rechtliche Lage in der Tat verschlechtert. Die Teilnahme von deutschen Historikern wurde deshalb schon im Vorfeld des Kongresses kontrovers diskutiert: Polen galt als ein Staat, der nur aufgrund des Versailler Vertrags existierte, und die wissenschaftliche Kooperation mit Staaten, die zu den „Feinden“ im Ersten Weltkrieg gehörten, war überhaupt verpönt. Brandi, Vorsitzender des Verbandes deutscher Historiker und Vizepräsident des ,Comité International des Sciences Historiques“, verhandelte mit den polnischen Kongreß-Organisatoren und stellte im Sommer 1932 eine Reihe von Bedingungen, die auch erfüllt wur-
den.1!?5 Als Brandi kurz vor dem Kongreß trotzdem zógerte und dem Außenamt mitteilte, daß er erwüge abzusagen, erhielt er vom „Außenamt“ und dem Innenminister die Weisung, als „Vertreter des Deutschen Reichs“ nach War-
schau zu fahren und mit der gesamten Delegation an dem Kongreß teilzunehmen.124 Kahrstedt war so wütend
über seine Kollegen, daD er sich zu der kaum
verhüllten Aufforderung an die Studenten verstieg, die Professoren, die nach Warschau gefahren waren - er nannte keinen Namen, aber die Hörer wußten, wener meinte -, mit Knüppeln zu erschlagen. ,In einer gegebenen politischen Lage sind die deutsch-polnischen Beziehungen so, daß Deutsche verjagt und ermordet werden, die Mórder zu Geldstrafen bis 20 Mark verurteilt, deutsche
Lehrer eingekerkert, deutsche Schulen unterdrückt werden. Zugleich ergeht die Einladung zu einem internationalen Kongreß eines bestimmten Faches nach
Warschau.
Was
taten wir? Wir
beschlossen,
hinzugehen
‚falls nicht
Dinge eintreten, die den Besuch unmöglich machen‘. Solange die Vokabeln der deutschen Sprache einen Sinn haben, heißt das: die eben genannten Leiden deutscher Menschen erregen bei uns keinen Anstoß... Ich pflege mir bei Vorgängen der bezeichneten Art um nicht voreilig hart zu urteilen immer die Frage vorzulegen: was wäre im Ausland im gleichen Fall geschehen? Stellen wir uns diese Frage. Wenn den Franzosen ein Versailler Diktat auferlegt, Frankreich verstümmelt und ausgesogen und entwaffnet und dies mit einem Verdikt über die moralische Minderwertigkeit der Franzosen begründet wird und wenn die Universität Grenoble antwortet indem sie den Verfasser dieses Verdikts als Festredner engagiert. Was passiert dann?... Wenn von Italien weite Provinzen abgetrennt und in ihnen die italienischen Schulen verboten werden und die Professoren in Palermo beschließen, dem Unterdrückerstaat ihr Kompliment zu machen, was passiert dann? Ich glaube wir sind uns alle einig, was passiert: Die Studenten nehmen Knüppel und schlagen die Professoren tot. Weiter passiert gar nichts . . .“ (S. 366, Hervorhe-
bung, C. W.) Begünstigt von den politischen Umständen seit der Machtübernahme Hit-
lers kann Kahrstedt zum Schluß seine chauvinistische Kampfansage auf die gesamte akademische Sphäre ausdehnen. Die trotz des Ersten Weltkriegs wieder angeknüpften wissenschaftlichen Kontakte über die Grenzen Deutschlands hinaus, mühsam und langsam genug!?5, zu den Wissenschaft-
lern und Universitäten der ehemaligen Feinde waren ihm schon lange ein
156
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Dorn im Auge: die grenzübergreifende Kollegialität, die „internationale“ Wissenschaft, aber auch die „Forschung um der Forschung willen“ sollen nun, im Schatten der Nationalsozialisten, endlich abgeschafft werden. Deshalb sollen „deutsche“ Wissenschaftler hinkünftig nur für „Deutsche“ forschen:
„Der 18. Januar ist nicht der Tag, begangene Fehler aus der Welt zu schaffen, dazu gehören Jahre. Er sei aber der Tag des Gelöbnisses: wir sagen ab der internationalen Wissenschaft, wir sagen ab der internationalen Gelehrtenre-
publik, wir sagen ab der Forschung um der Forschung willen. Bei uns wird Medizin gelehrt und gelernt nicht um die Zahl der bekannten Bakterien zu vermehren, sondern um die Deutschen gesund und stark zu halten. Bei uns wird Geschichte gelehrt und gelernt nicht um zu sagen, wie es eigentlich gewesen ist, sondern um die Deutschen aus dem wie es war lernen zu lassen.
Bei uns werden Naturwissenschaften gelehrt und gelernt nicht um abstrakte Gesetze zu entdecken sondern um den Deutschen ihr Handwerkszeug im Wettbewerb der Völker zu schärfen... .So lange man bei dem Wort ‚deutscher Gelehrter‘ sich noch einen Mann vorstellen kann, der bei seiner Forschung
an die internationale Gelehrtenrepublik und nicht an das deutsche Volk, an den nächsten Kongreß und nicht an seine Studenten denkt, kann man keiner
Regierung, die allein dem deutschen Volke dienen will zumuten, daß sie sich bei uns Rat holt. Sie muß notwendig auf Leute zurückgreifen, bei deren fachlicher Eignung ihr selbst unbehaglich zumute sein mag, bei denen sie aber sicher ist, daß sie einen glühenden und einseitigen Arbeitswillen für Deutschland einsetzen . . . Legen die deutschen Universitäten jenes Gelöbnis ab, halten sie dies Gelóbnis, so haben auch sie das Recht einzustimmen in den Chor dankbarer Freude, der im Rückblick auf das im letzten Jahr Erlebte den Ideen und den Führern des neuen Reiches huldigt. Das deutsche Reich und das deutsche Volk, unser greises Staatsoberhaupt und sein Kanzler: Sieg Heil! Sieg Heil! Sieg Heil!* (S. 367 f.) Mit diesem in der Universitütsgeschichte beispiellosen Gelóbnis, der Absa-
ge an die internationale Gelehrtenrepublik, beendete Kahrstedt seine von den Studenten begeistert aufgenommene, von den Kollegen mit Empórung quittierte Rede. Unmittelbar danach eilte der anwesende, derart beleidigte und bedrohte Karl Brandi in vollem Ormat in das Büro des Rektors Friedrich Neumann. Dort
verlangte er vom
Rektor in Anwesenheit
Kahrstedts die Einsetzung eines
Ehrengerichts. Kahrstedt forderte er zum Duell mit der „Waffe in der Hand“.
24 Stunden später wiederholte Brandis Kollege Percy Ernst Schramm die Forderung „nach Genugtuung“. Kahrstedt iehnte am nächsten Tag das Duell mit dem etwas fadenscheinigen Hinweis ab, er gehöre dem Stahlhelm-Bund an. Diesem sei das Duellieren prinzipiell verboten, seitdem er sich 1953 mit der SA vereint habe. Außerdem handele es sich um eine „politische Sache“ und
nicht um eine Ehrverletzung. So verlangte Brandi auch vom Rektor öffentliche Genugtuung. Brandi erreichte nur, daß eine Gegendarstellung von ihm veröffentlicht wurde und daß Kahrstedts Verhalten dem Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung weitergegeben wurde.126
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
Abb.
18:
Karl Brandi
Abb. 19:
157
Percy Ernst Schramm
Schließlich entschuldigte sich Kahrstedt und erhielt eine offizielle Rüge von gleich
drei
Ministern:
„Der
Herr
Reichsminister
des
Innern
hat
mich
im
Einvernehmen mit dem Herrn Reichsaußenminister veranlaßt, Ihnen wegen Ihres Verhaltens anläßlich des Internationalen Historikerkongresses in Warschau seine ernste Mißbilligung auszusprechen.“!27 Das Schreiben ist von
dem
Preußischen
und kommissarischen
hard Rust, unterzeichnet. philosophische Fakultät.
Je
eine
Kopie
Kahrstedts Kritik an der Aufnahme
Reichs-Erziehungsminister, Bernging
an
den
Rektor
und
an
die
deutsch-polnischer Beziehungen
auf
wissenschafllicher Ebene war nicht nur durch die von Hitler betriebene Außenpolitik längst überholt, sie drohte gerade in Gang befindliche Verhandlungen zu stören, die am 26. Januar 1954 in den deutsch-polnischen sogenannten ,Nichtangriffspakt^ mündeten. Die „ernste Mißbilligung“, die ihm
Rust am 9. April telegraphisch via Kurator übermitteln ließ, kann auf diesem aktuellen politischen Hintergrund gesehen werden. Vermutlich kam die ministerielle Rüge aber erst durch eine persönliche Intervention Karl Brandis im Außenministerium zustande. Brandi, aber auch sein Kollege Percy Ernst Schramm (1894-1970) machten sich Sorgen über ihre zukünftige wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern auDerhaib Deutschlands. Das zeigen zwei Briefe aus dem Nachlaß Brandis. Percy Ernst Schramm, der seit 1929 „Mittlere und Neuere
158
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Geschichte“ in Göttingen lehrte, hatte vom „Istituto Italiano di Studi Germa-
nici* in Rom eine Einladung zu einem Vortrag im Frühjahr 1954 erhalten. Schramm
schrieb am 4. Februar
1954 an Brandi: „Aber wie kann ich jetzt
überhaupt noch solche und ähnliche Aufforderungen annehmen, wo nach der Rede vom 18. Januar außer der von uns selbst erzwungenen persönlichen Genugtuung gar nichts geschehen ist? Soll ich mir jetzt wieder anraten lassen, hinzugehen, damit dann nachher - ohne daß ich gedeckt werde - Gerede entsteht, man ,liefe Auslándern nach', man ,fróne internationaler Wissenschaft‘? Diesmal hatten wir noch das Glück, daß das Geraune in einer Festrede herauskam, so daD wir uns zu wehren vermochten. Aber ich kann nicht gegen
Wühlereien angehen, die jetzt durch das Ausbleiben einer amtlichen Stellungnahme geradezu ermutigt sind. Ich bin froh, daß ich die Aufforderung der Karl-Schurz-Memorial-Foundation für meine Frau und mich schon mit Hóflichkeiten in den Herbst hinausgeschoben habe, wo sich dann ein neuer Verhinderungsgrund für eine USA-Reise finden wird. Was aber kann ich bei den Italienern vorschützen? . . . Geben Sie mir also bitte Ihren Rat, wie ich aus
dieser Lage mit Anstand herauskomme."!?8 Schramm, aus einer großbürgerlichen Hamburger Familie kommend, verstand sich als liberal-konservativ. 1955 hatte er, als Gastprofessor in Princeton weilend, die Machtergreifung Hitlers begrüßt: Sie versprach die Befreiung von den „Fesseln von Versailles“. Er war bereit, den Antisemitismus als „politische Tatsache“ hinzunehmen,
damit „der jüdische Einfluß“ nicht „übermächtig“ werde. 1954 trat er einer SA-Reiterstaffel bei und 1959 der NSDAP. Als Reserveoffizier zog er 1959 in den Krieg, dessen Chronist er schließlich als Kriegstagebuchführer im Wehrmachtsführungsstab wurde.129 Brandis Antwort kennen wir nicht. Sicher ist, daß er sich mit dem Außenamt
in Verbindung setzte und mehrere Gesprüche führte, die die Góttinger Ereignisse zum Thema hatten. In einem Brief an den Gesandten Dr. Stieve im Auswärtigen Amt, Berlin, schreibt Brandi am 12. März 1934: „Nach den großen
Unannehmlichkeiten, die Herr Schramm
und ich hier in Göttingen gehabt
haben, ist es absolut notwendig, daß ich für mich und die übrigen drei für
Paris in Aussicht genommenen Herren . . . möglichst bald eine ausdrückliche schriftliche Anweisung des Auswärtigen Amtes erhalte, die uns die weitere Beteiligung an der internationalen Arbeit zur Pflicht macht und ausdrücklich den Besuch von Paris als dringend wünschenswert erklärt. Denn es ist völlig ausgeschlossen, daß wir unter den gegenwärtigen Verhältnissen unsererseits mit der Bitte um Erlaubnis zu dieser Reise an die örtlichen Parteistellen und den Rektor herantreten ..."159 Die offizielle Rüge Kahrstedts ist ca. drei Wochen nach Brandis Brief und somit erst drei Monate nach seiner Rede von Bernhard Rust ausgesprochen worden. Brandis Mißtrauen gegenüber dem Rektor und den lokalen Parteistellen findet darüber hinaus eine Bestätigung in der vom Rektor zusammengestellten Liste der für „Ausiands-Vorträge“ geeigneten Wissenschaftler, die zwar den Namen Kahrstedts, hingegen nicht diejenigen von Brandi und Schramm enthält. Daß Kahrstedts Verhalten in der Tat vom Rektor und den nationalsozialisti-
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
159
schen Behörden eher als „Ausrutscher“ bewertet und mit der offiziellen Rüge durch das Ministerium als bereinigt angesehen wurde, zeigt ein Schreiben des Rektors Friedrich Neumann
an das Ministerium im Oktober
1934, also ein
halbes Jahr später. Es handelt sich um eine Vorschlagsliste, die Namen derjenigen Universitätsdozenten enthält, die nach den damals geltenden Kriterien für Auslandsvorträge in Frage kommen könnten: nur vollbeamtete Dozenten nichtjüdischer Abstammung, die schon Auslandserfahrung hatten und als politisch verläßlich angesehen wurden. Die Liste ist nach Fakultäten geordnet. Aus der philosophischen Fakultät wurde neben den Professoren Eduard Hermann, Hermann Kees und Hans Plischke auch Ulrich Kahrstedt vorgeschlagen.!5! In demselben Monat wurde Kahrstedt auch vom Justizminister zum Mitglied des Justizprüfungsamtes beim Oberlandesgericht Celle bestellt.152 Zu Beginn des Jahres 1935 taucht Kahrstedts Name auch auf der Liste derjenigen Dozenten auf, die vom Rektor für geeignet gehalten wurden, als „Dolmetscher
und Fremdsprachler“ für militärische Zwecke eingesetzt zu werden. Diese Liste teilte der Rektor „vertraulich“ der Reichswehr-Werbestelle mit.133 Nicht nur die „örtlichen Parteistellen und der Rektor“ standen auf Kahrstedts Seite, auch ein Teil der Studenten, wie aus einer anderen brieflichen
Reaktion auf Kahrstedts Rede hervorgeht: „Jetzt ist es natürlich manchen jungen Leuten recht bequem, mit dem lästigen Wissen nicht belastet zu sein. Deshalb werfen sie sich zum Verteidiger des Charakterlichen auf. In dieser Beziehung habe ich hier und besonders auch in Göttingen reichliche Erfahrungen gesammelt. Vielleicht erlaubt es Ihnen Ihre Zeit, den Festvortrag zu lesen, den Professor Dr. Kahrstedt (Alte Geschichte) am Reichsgründungstage in Göttingen gehalten hat. Er selbst hat das Manuskript dieses Pamphletes so muß ich seine Darlegung auf Seite 2 des Abdruckes bezeichnen - an die Göttinger Presse gegeben. Ein Sturm der Entrüstung brach los, besonders von seiten der Professoren, die an der Warschauer Tagung im August v. J. teilgenommen hatten. Professor Brandi, der Doyen der Göttinger Historiker, ... mußte es nun erleben, von einem Fachkollegen seiner eigenen Universität so vor den Studenten gebrandmarkt zu werden. Es sind in dieser Angelegenheit zwei Pistolenforderungen ergangen, die Kahrstedt aber ablehnte. Schließlich fand man eine Vergleichslösung, die aber ziemlich lendenlahm ausfiel, weil
sich der radikale Teil der Studentenschaft hinter Kahrstedt zu stellen begann. Auch ich als einer der Teilnehmer des Warschauer Kongresses habe es nicht an mir fehlen lassen. ... fand ich beifolgende Zeitung vor, die mir die Göttinger Studentenschaft zugeschickt hatte. Ich bitte Sie sehr, diese Nummer einmal genauer durchzusehen ... Aus den verschiedenen Aufsätzen - charakteristischerweise ist ausgerechnet nur Professor Kahrstedt zur Mitarbeit aufgefordert gewesen spricht ein derart radikaler Geist, daß man doch einigermaßen bedenklich gestimmt wird."!** Diese Zeilen richtete der seit 1950 Lehrbeauftragte für »Wehrwissenschaften" am Göttinger Institut für Mittlere und Neuere Geschichte, Oberst a. D. Dr. Bernhard Schwertfeger, an seinen Freund Generalleutnant a. D. von Cochenhausen, Mitarbeiter des Wehrpolitischen Amts der
160
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
NSDAP und Präsident der „Deutschen Gesellschaft für Wehrpolitik und Wehrwissenschaften“ in Berlin. In seiner Antwort vom 6. März 1954 stimmte v. Cochenhausen mit Schwertfeger vollkommen überein, wenn er „in der
Angelegenheit Kahrstedt eine so schroffe Haltung“ einnehme: „Der Vortrag ist wirklich unglaublich.“135 An Schwertfegers Reaktion fällt auf, daß er vor allem den zweiten Teil des
Vortrags, also den direkt politischen, kritisiert. (Im Original ist der Vortrag auf zwei Blättern abgedruckt: die im Zitat erwähnte Seite 2 enthält den zweiten Teil, S. 364-368, des in Anhang 8 wiedergebenen Textes.) Der historische Teil
scheint weniger Anstoß zu erregen. Die Aufrechterhaltung der Fiktion einer säuberlichen Trennung von Politik und Wissenschaft hatte es Kahrstedt ermöglicht, seine politischen Ansichten auch in den althistorischen Vorlesungen an die Studenten weiterzugeben: von 1921 bis wenigstens 1945. Die Tragweite dieser Fiktion wird deutlich, wenn man sich die Aussage ehemaliger Studen-
ten vor Augen
hält, die seine Vorlesungen
als besonders
„lebendig“
und
„gegenwartsnah“ einschätzten. Seine Art der Aktualisierung des antiken Stof-
fes habe jenen erst nachvollziehbar gemacht.!3® Die Nähe zur Gegenwart stellte sich allerdings durch die Rückprojizierung von Kahrstedts Sicht der Gegenwart in die Vergangenheit her, wie uns u. a. der historische Teil der Festrede zeigt.
Kahrstedts Rede fällt nur auf den ersten Blick in zwei oder mehr Teile auseinander: der historische Ausflug in die Antike mit seiner Schlußfolgerung für die Gegenwart, die beispiellose Kritik an seinen Kollegen und schließlich
die Verabschiedung der internationalen Gelehrtenrepublik zugunsten einer „deutschen Wissenschaft“, die nur für „Deutsche“ forscht, für deutsche Gesundheit und deutsche Stärke „im Wettbewerb der Völker“ etc. Unter dem Gesichtspunkt nationalistischer Ideologiebildung gelesen, zeigen die Teile
der Rede die wesentlichen Elemente eines extremen Nationalismus. 1. Die Geschichte wird in einer solchen Weise umgeformt, daß das Ziel, die Verwirklichung der „schlechthinnigen Volkseinheit“, plausibel erscheint. 2. Die damit verbundene Homogenitätsvorstellung dient zugleich als Integrations- und
Abwehrstrategie,
die alles Fremde,
Grenzüberschreitende
als Bedrohung
alles Heterogene
und
kosmopolitisch
zu deklarieren
und
auszuschließen
erlaubt (vgl. auch Kahrstedts „Morning Post"-Artikel in Anhang 7). 5. Aufgrund des Freund-Feind-Schemas werden die eigenen destruktiven Strebungen nach außen verlagert, dem so aufgebauten Feind zugesprochen, zu dem dann der Kontakt und die Beziehung abgebrochen
werden
muß. 4. Die sich der
Homogenisierung nicht fügen, werden als Verräter gebrandmarkt. 80 ist die zur Gewalt auffordernde Invektive Kahrstedts gegen seine Kollegen, aber auch der zur Nebensächlichkeit erklärte Antisemitismus auf das engste mit den von ihm dargelegten Einheitsvorstellungen der Nation verknüpft: Sie soll keine Klassenunterschiede kennen, keine Heterogenität, keine Ambiguität,
keine
Differenzen
und
komplexen
Bedingungsgefüge.
5. Der zum
Feind
aufgebaute andere dient zugleich der Stabilisierung des inneren Zusammen-
halts. „Als kollektiv einigende Phantasie gibt die nationalistische Vorstellung
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
161
von der Nation einem gestärkten Wir-Gefühl Ausdruck und hat emotionale Qualitäten, welche die nicht-rationalen Bedürfnisse des Menschen kanalisie-
ren und befriedigen können. Sie baut diejenigen, die sich mit ihr identifizieren, narzißtisch auf.“137 Diese psychologische Erklärung der Anziehungskraft nationalistischer Ideologie scheint mir den Kern der Begeisterung zu treffen, die Kahrstedts Rede bei einem Teil der Studenten hervorrief. Vor allem die
Kombination
von
äußerst
gewaltsamer
Rhetorik
gegen
Kollegen
mit der
Phantasie von einer „deutschen Wissenschaft“, die als sinnerfüllt gegenüber
der „Forschung um der Forschung willen“ erscheint, muß auf viele Studenten anziehend gewirkt haben. Der scheinbare Bezug zur Praxis als „Dienst am
Volke“ und die den Konkurrenzdruck verschleiernde Gemeinschaftsvorstellung von den „deutschen“ Forschern versprachen Befreiung aus den hohen Anforderungen und Schwierigkeiten wissenschaftlicher Arbeit. Erstmals in ihrer Geschichte sind seit 1955 die Maßstäbe und die Werte der Institution Universität nach freiem Austausch und Selbstbestimmung der Wissenschaftler in solchem Ausmaß verletzt und durch andere Kriterien ersetzt worden. Kahrstedts Gebot, der nationalsozialistischen Option alle anderen Interessen unterzuordnen, ist ein weiterer zerstörerischer Eingriff
in das Gleichgewicht und Selbstverständnis der Institution Universität. Auf diesem Hintergrund wird die persönliche Anfeindung seines Kollegen Brandi und der anderen Teilnehmer am Historikerkongreß in Warschau zu einer, wie
Kahrstedt selbst sagte, politischen und die Institution als Ganzes betreffenden Auseinandersetzung. Was diese Rede von anderen nationalistischen - wie etwa der ersten Rede zu diesem Anlaß aus dem Jahr 1921 - unterscheidet, ist unter anderem
die
Aufforderung zur Gewalt gegen Kollegen. Sie stellt die Übernahme und die Identifizierung mit nationalsozialistischer Gewalt in der akademischen Sphäre dar. Allein dafür wäre Kahrstedt unter anderen Umständen höchstwahrscheinlich aus der Institution Universität ausgeschlossen worden. Daß dies der Institution nicht mehr gelang, zeigt, wie sehr sich die Verhältnisse an den Universitäten innerhalb eines Jahres verändert hatten.
In der Folge wurde Kahrstedt von einigen Kollegen gemieden und zog sich selbst aus dem gesellschaftlichen Teil des Universitätslebens zurück.138 Wenn er und Brandi dieselben Studenten prüfen mußten, richteten sie es so ein, daß der eine den Raum schon verlassen hatte, wenn der andere kam. Viele Jahre
später erst gab es eine distanzierte Versöhnung in der Form, daß sie einander auf gegenüberliegenden Straßenseiten begegneten und rechtzeitig von Studenten, die bei diesem Arrangement mitwirkten, aufmerksam gemacht, ein-
ander grüßten. Das soll nach 1945 stattgefunden haben.139 Die Reaktionen seiner Kollegen scheinen keinen großen Einfluß auf Kahrstedts künftigen Vortragsstil gehabt zu haben. Aus seinem in der Personalakte erhaltenen
Briefwechsel geht hervor, daß er auch in den folgenden Jahren
Anstoß erregte, ja sogar von der Göttinger SA ein Verbot erhielt, seine óffentlichen Vorträge zu politischen Themen, die er seit 1925 regelmäßig abgehalten hatte, fortzusetzen.!4 [m Herbst 1955 unternahm Kahrstedt auf Einladung
162
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
des Herder-Institutes eine Vortragsreise nach Riga und Reval. Ein Teil seiner Vorträge vor „deutschen Kreisen“ fiel aus, weil sie von den örtlichen Ministerien verboten wurden. Auch einen Zeitungsaufsatz, den Kahrstedt nach der Vortragsreise verfaßte und durch das „Auswärtige Amt“ an das Herder-Institut in Riga schicken ließ, wurde ihm mit der Bemerkung zurückgeschickt, der Rektor des Herder-Insituts habe im Einvernehmen mit dem Präsidenten der „Gesellschaft für Geschichte und Altertumskunde“ in Riga geraten - wohl wegen des nationalistisch-politischen Inhalts -, von der Veröffentlichung
abzusehen. In seinem Bericht über diese Vortragsreise an das Wissenschaftsministerium
geht Kahrstedt vor allem auf die Möglichkeiten der Unterstüt-
zung deutscher Bildungsinstitute in Estland und Lettland und auf das Schicksal von Archiven und Museen ein.1*1 Am 26. Oktober 1938 wurde Kahrstedt von Hitler das „Treuedienst-Ehren-
abzeichen“ zweiter Stufe für 25jährige treue Dienstleistung verliehen, eine Anerkennung, die zeigt, daß er trotz Nichtmitgliedschaft in der NSDAP seine
Stellung bewahren konnte.142
3.2.3 Entlassungen am Göttinger Institut für Altertumskunde (1935) Zu den hier dargestellten beiden Fällen von Entlassung durch nationalsozialistische Maßnahmen ist anzumerken, daß die betroffenen Wissenschaftler selbst über ihr Schicksal und die Folgen kaum Zeugnisse hinterlassen haben, so daß es sich um eine Rekonstruktion auf der Basis des mir zugänglichen
Materials handelt.
3.2.3.1
Hermann Fränkel geht ins Exil
Während
Ulrich
Kahrstedt der internationalen
wissenschaftlichen
Zusam-
menarbeit eine Absage erteilte und Percy Ernst Schramm darüber nachdachte, wie er ohne Gesichtsverlust seine Einladungen nach Italien und in die USA
absagen könne, waren ihre nächsten Fachkollegen Hermann Fränkel und Kurt Latte auf gute Beziehungen zu den angefeindeten und abgewerteten ausländischen Kollegen gerade angewiesen. Insbesondere Hermann Fränkels Situation war prekär, hatte er doch nun schon seit über zehn Jahren die Stelle eines Assistenten am Institut für Altertumskunde inne, eine Position, die auf Dauer nicht zu halten war. In seinen „Recollections of Scholars I have known“ wundert sich Otto Skutsch darüber, daß Fränkel „in a comparatively humble position at Göttin-
gen“ festgehalten war.1#5 Meine Auswertung von Archivunterlagen hat ergeben, daß Frünkel, der aufgrund seiner wissenschaftlichen Leistungen längst einen Ruf als ordentlicher Professor verdient hätte, diesen, trotzdem ihn seit 1927 mehrere Universitäten gewünscht und vorgeschlagen hatten, in erster
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
Linie aus antisemitischen Beweggründen
165
nicht erhalten hatte (siehe w. o.
S. 103 f£.)1^*. Otto Skutsch, der als „senior student“ von 1999 bis 1932 in Göttingen auch H. Fränkels Seminare besucht hatte, beschreibt ihn als „a very
ingenious and original man, with a very marked gift for entering into the mind of the archaic period*.1*5 Betrachtet man die universitären Karrieren seiner ungefähr gleichaltrigen Kollegen wie etwa Ulrich Kahrstedt, Eduard Fraenkel, Werner Jaeger (alle Geburtsjahrgang 1888), Günther Jachmann (1887), Rudolf Pfeiffer (1889), Otto Regenbogen und Kurt Latte (beide 1891 geboren), Friedrich Klingner (1894), Richard Harder und Bruno Snell (beide 1896 geboren), aber auch die der 1900 geborenen Wissenschaftler Wolfgang Schadewaldt und Harald Fuchs, so hatten alle schon eine oder gar mehrere Berufungen bis 1953 erhalten. Insbesondere Bruno Snell sah es als „Skandal“
an, „daß ein so hervorragender Forscher und Lehrer, wie Hermann Frünkel..., nicht berufen wurde, während jüngere und weniger Ausgewiesene, zu denen auch ich gehörte, der ich ein Schüler Frünkels war, einen Lehrstuhl
erhielten*.146 Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten schwanden Frünkels Aussichten, seine Position innerhalb Deutschlands zu verbessern, end-
gültig dahin. Im Gegenteil, als nichtbeamteter Universitütslehrer mußte er gewürtig sein, jederzeit entlassen zu werden. So schützte auch sein Kollege Max Pohlenz im Juni 1954 die Situation ein. Das zeigt Pohlenz' ablehnende Begründung, eine Eingabe bei dem Reichsminister Bernhard Rust zugunsten des in Königsberg entlassenen Paul Maas zu unterstützen: „Sie wissen, dass ich hier Latte und H. Fränkel neben mir habe, und werden verstehen, dass
das gegenüber der Studentenschaft (nicht gegenüber den klassischen Philologen) keine leichte Stellung gibt. Fränkel hat einen Vertrag als Assistent, der 1935 abläuft. Ich bin entschlossen, alles zu tun, um beim Ministerium seine
Weiterbeschäftigung durchzusetzen. Ob es gelingt, wer weiss es? Aber jedenfalls muss ich alles vermeiden, was meine Stosskraft für diese Aktion schwä-
chen könnte. Und mir kam die Befürchtung, dass eine Unterzeichnung Ihres Schreibens so wirken könnte. Ich habe daraufhin die Sache in aller Offenheit mit Latte besprochen und er bestärkte mich sofort in dieser Befürchtung. Wir meinen beide: Meine Unterschrift würde Maas keine nennenswerte Unterstützung bringen, könnte aber unter Umständen Fränkel erheblich schaden. Nur aus dieser taktischen Erwägung sehe ich von der Unterschrift ab, wünsche Ihnen aber von Herzen Erfolg.“1#7 Die Eingabe beim Kultusminister hat Paul Maas nicht geholfen. Obwohl die Mehrheit deutscher klassischer Philologen sie unterzeichnete, wurde seine Entlassung nicht rückgängig gemacht. Diese Aktion war hinsichtlich der Zahl der Unterschriften wohl die größte für einen entlassenen Kollegen im Bereich der Altertumswissenschaften. Ob die Unterzeichnung der Eingabe Pohlenz' ,Stosskraft^ im Fall von Hermann Frünkel beeinträchtigt hätte, ist nicht zu sagen. Sicher ist, daß eine ganze Reihe günstiger Umstände
und Zufälle zusammenkommen
mußten,
damit
Hermann Fränkel genug Zeit gewinnen konnte, um seinen Übergang in ein neues Leben zu ermöglichen.
164
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Angesichts von Fränkels fehlenden finanziellen Rücklagen mutet seine gelungene Emigration mit der ganzen Familie fast wie ein Wunder an. Schon 1922 war innerhalb kürzester Zeit das kleine Vermögen, das ihm das Leben als Privatdozent ermöglicht hatte, durch die Inflation aufgebraucht. Damals
hielt er sich aufgrund eines archäologischen Reisestipendiums, das er mit Ergänzungen der pergamenischen Inschriften noch als Student gewonnen hatte, für acht Monate in Griechenland auf und überlegte, falls er keine Aussichten auf eine bezahlte Universitätsstelle habe, in Griechenland zu bleiben und seine Familie mit Deutschunterricht zu erhalten.1#
Zwölf Jahre später stand Fränkel neuerlich vor dem Problem, wie er für sich und seine Familie den Unterhalt sichern könnte, diesmal allerdings unter viel eingeschränkteren und sehr kränkenden Bedingungen. Sein Schwager Eduard Fraenkel, schon seit Frühjahr 1933 in Freiburg/B. beurlaubt und völlig isoliert von Kollegen und Studenten, bereiste im Frühjahr 1954 erfolglos die skandinavischen Länder auf der Suche nach einer Stelle. Aufgrund
seines
Rufes,
einer
der besten
Latinisten
zu sein,
konnte
ihm
Gilbert Murray schlieBlich eine Einladung des Trinity-College in Cambridge verschaffen. Auf der unsicheren Basis eines mehrmonatigen „Fellowship“ entschloß sich Eduard Fraenkel schweren Herzens, Deutschland im Herbst 1934 mit seiner Familie, seiner Bibliothek und seinen Möbeln zu verlassen.
Auf Anraten und Vermittlung von Max Pohlenz emigrierte auch Otto Skutsch mit der Aussicht auf eine Assistentenstelle bei einem Kirchenhistoriker an der St. Andrews University im November 1954 nach Schottland.!*9? War es schon schwierig, eine Stelle für Eduard Fraenkel zu finden, so standen die
Möglichkeiten für Hermann Frünkel keineswegs günstig. Andererseits verschlechterten sich auf politischer und universitärer Ebene die Bedingungen in Deutschland im Sommer 1954 drastisch: Die Mordwelle im Zusammenhang des sogenannten Röhm-Putsches, mit der politische Konkurrenten ausgeschaltet wurden, verbreitete Angst und Schrecken. Hindenburgs Tod im August 1954 bedeutete den Verlust des letzten Konservativen in der politischen Führung des „Dritten Reiches“. Nun übernahm Hitler auch das Amt des Reichsprásidenten. Die nationalsozialistische Herrschaft wurde gefestigt. Ein Ende war nicht abzusehen. Ende Juli 1954, ziemlich genau einen Monat nach Pohlenz' Absage, die Petition für Paul Maas zu unterzeich-
nen, bestätigten sich die von ihm gehegten Befürchtungen durch einen neuen Erlaß, der die preußische Assistentenordnung betraf. Grundsätzlich sei nur Ariern die Stellung eines Assistenten an Universitäten in Preußen vorbehalten.150 Noch vor Beginn des Wintersemesters 1954/55, Anfang September, stellte Max Pohlenz einen Antrag auf Verlüngerung des Assistentenvertrages von Hermann Frünkel. Er sandte den Antrag direkt an den Kurator mit der Bitte um Weiterleitung an das Wissenschaftsministerium. Ungewóhnlich ist der offizielle Einsatz für einen jüdischen Kollegen zu diesem Zeitpunkt, ebenso wie die Form des Briefes und die Begründung. Deshalb sei er hier wiedergegeben:
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
165
„Die Direktion des Instituts für Altertumskunde zu Göttingen bittet, dem Oberassistenten des Instituts, Herrn Prof. Hermann Fränkel, seine Beschüfti-
gungsdauer über den 1. April 1935 hinaus zu verlängern‘. Begründung. Die wissenschaftliche Eignung Prof. Frünkels steht ausser Zweifel, und im
letzten Antrag ist über diese ausführlich berichtet worden. Hervorgehoben sei deshalb diesmal nur: Prof. Fränkel gehört zu den besten Kennern des archaischen Griechisch, die wir überhaupt in Deutschland haben, und namentlich
die Feinheit seines stilistischen Empfindens ist allgemein anerkannt. Diese kommt besonders auch seinen sprachlichen Uebungen zugute, und die stilistische Ausbildung, die unsere Studenten durch ihn geniessen, wird nur an
wenigen Universitüten Deutschlands in gleicher Weise erzielt. Eine ganz spezielle Aufgabe hat er bei uns durch die Leitung des lateinischen Seminars, das für die Ausbildung der nur Latein (ohne Griechisch) treibenden Studierenden notwendig geworden ist. Wenn die klassischen Philologen der Univer-
sität seinerzeit nach dem Ableben des Prof. Bührens das dritte Ordinariat als entbehrlich bezeichneten, konnten sie es nur deshalb tun, weil Prof. Fránkel
einen vollwertigen Ersatz bot. Prof.
Fränkel
ist Jude,
hat
sich
aber,
obwohl
er früher
lungenleidend
gewesen war, bei Beginn des Weltkrieges sofort freiwillig zum Militürdienst gemeldet und ist deshalb als Kriegsteilnehmer auch nach dem April 1954 in
seinem Amte belassen worden. Politisch ist er nie hervorgetreten. Ich selber fasse die Aufgabe der klassischen Altertumswissenschaft an den Universitüten heute dahin auf, dass sie in besonderem Masse berufen ist, im dritten Reiche an der nationalpolitischen Erziehung der Studierenden mitzuwirken (vgl. zuletzt meine Schrift „Antikes Führertum“), und bürge dafür, dass auch Herr
Frünkel als mein Assistent nicht in anderem Sinne wirken wird. Ich habe auch oft in letzter Zeit Gelegenheit genommen, mich über die Stimmung unserer Studenten zu unterrichten, und gerade auch bei solchen Schülern Frünkels, die sich sehr aktiv in nationalsozialistischem Sinne und in der SA oder SS
betütigten, gefunden, dass sie nicht nur die wissenschaftliche Förderung, die sie von ihm erfahren, dankbar anerkennen, sondern ihn auch als Menschen
sehr schützen und ein Ausscheiden aus der Lehrtätigkeit als schweren Verlust für die Universitát wie für die Studierenden bedauern würden. Ich weiD auch von spontanen Dankesüusserungen, die ihm gerade in jüngster Zeit aus studentischen Kreisen zugekommen sind.
Heil Hitler!“151 Pohlenz begründet seinen Antrag mit fachlichen und persónlichen Argumenten: Die wissenschaftliche und pádagogische Eignung Frünkels mache dessen Arbeit für das Institut unentbehrlich. Frünkel sei unpolitisch und patriotisch. Die Betonung seiner aktiven Kriegsteilnahme soll letzteres bekrüftigen. Pohlenz selbst versichert die eigene Loyalitüt zu dem Regime, indem er auf seine
166
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
neueste Veröffentlichung mit einem einschlägigen Titel verweist (darüber w. u.). Er überträgt seine Loyalität auf Frünkel, der als „sein“ Assistent nicht in anderem Sinne auf die Studenten einwirken könne. Als letztes Argument bietet Pohlenz die Akzeptanz auf, die Fränkel insbesondere von nationalso-
zialistischen Studenten erfahre. Pohlenz hoffte, das rassistische Entlassungskriterium aufzuheben, indem er mit seiner fachlichen Kompetenz und seiner nationalen Loyalität, mit dem Gewicht seiner Person für Frünkel bürgte. “He was an ardent nationalist, but not a Nazi. ... but like so many Germans of
strong national feelings he could not find it himself even mildly to criticize the Nazi system”, urteilt Otto Skutsch über seinen Lehrer Max Pohlenz.152 Meines
Erachtens drückt sich diese Haltung von Pohlenz in ihrer Widersprüchlichkeit hier deutlich aus, auch wenn dieser Brief für das Wissenschaftsministerium
entworfen, also von taktischen Überlegungen bestimmt ist. Der Kurator schickte den Brief nicht gleich, wie von Pohlenz gewünscht, an
das Wissenschaftsministerium, sondern leitete ihn zuvor an den Dekan der philosophischen Fakultät und den Rektor weiter. Damit handelte er den neuen Vorschriften gemäß, die seine Kompetenz einschränkten. Der Rektor forderte den Dekan auf, ihm über die personelle Lage am Institut für Altertumskunde zu berichten. Der Dekan setzte sich wiederum mit Pohlenz in Verbindung. So
vergingen fast drei Wochen. Am 26. September 1954 schrieb der Dekan dem Rektor Friedrich Neumann: „Nach Rücksprache mit Herrn Prof. Pohlenz muss ich bestätigen, dass Prof. Dr. Fränkel in solchem Masse in den Unterricht in
klassischer Philologie eingeschaltet ist, dass die Lücke, die durch sein Ausscheiden entstehen würde, unmöglich sogleich durch Einstellung eines jun-
gen Assistenten vollwertig ausgefüllt werden könnte. Eine weitere Mehrbelastung von Prof. Dr. Pohlenz ist umso weniger möglich, als eine solche schon
dadurch gegeben ist, dass künftig nichtarische Mitglieder in den Prüfungsausschüssen zur Mitarbeit nicht mehr heranzuziehen sind. Unter diesen Umständen liegt wohl wirklich ein dringliches Interesse des Unterrichts daran vor, dass die Beschäftigung des Assistenten
Prof. Dr. Fränkel, wenn
überhaupt möglich, vorläufig noch einmal verlängert wird.^155 Zu Beginn des Schreibens nennt der Dekan die schon erwähnte Änderung der preußischen Assistentenordnung: Auf diese bezieht sich wohl sein Zweifel, ob eine vorläufige Verlängerung überhaupt möglich sei. Am 27. September, einen Tag nach dem Bericht des Dekans an den Rektor, sandte der Kurator
Pohlenz’ Antrag an das Wissenschaftsministerium in Berlin. Er begründete die späte Vorlage des Antrages mit den neuen Bestimmungen, die zuerst eine Entscheidung von Dekan und Rektor einzuholen vorschrieben. Er bat um Antwort noch vor dem
1. Oktober 1934, falls Fränkels Vertrag „vorsorglich“
gekündigt werden solle, damit die Kündigungsfrist eingehalten werden könne.!% Die Antwort aus dem Ministerium erfolgte erst einen Monat später: „Nach $ 1a des Reichsbeamtengesetzes in der Fassung des Reichsgesetzes vom 50. Juni 1933 - RGBI. I, S. 433 - kommt die spätere Übertragung einer planmäBigen Professur an Prof. Dr. Hermann Fränkel als Nichtarier nicht in Betracht. Da weiterhin Assistentenstellen für den akademischen Nachwuchs vorbehal-
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftiern
167
ten sind, . . . ist der Weiterbeschäftigung von Herrn Prof. Fränkel als Oberassistent über den 51. 5. 1955 hinaus nicht zuzustimmen. Nur für den Fall, daD ihm
bis 50. 9. 1954 nicht vorsorglich gekündigt worden ist, genehmige ich, daß er noch bis zum 30. 9. 1955 als Oberassistent beschäftigt bleibt.*1% Der $ 1a des Gesetzes zur Änderung des Reichsbeamtengesetzes vom 30. Juni 1955 verbot die Verbeamtung von Personen nichtarischer Abstammung. Frünkel verdankte die Verlängerung seines Assistentenvertrages um ein halbes Jahr der spüten Vorlage von Pohlenz' Antrag beim Ministerium. Erst am 6. November informierte der Kurator Pohlenz und Frünkel mit dem Zusatz, eine weitere Beschüftigungsdauer über September 1955 hinaus kónne nicht erfolgen. Am 8. Januar 1955 sprach der Kurator dann die Kündigung zum 50. September 1955 ausdrücklich aus.156 Schon am 1. Oktober 1954 war Frünkel in der Tat - ebenso wie sein Kollege Kurt Latte - aus dem „Wissenschaftlichen Prüfungsamt“ ausgeschlossen worden, so daß Pohlenz zum einzigen Prüfer in Klassischer Philologie wurde. Der Ausschluß erfolgte auf der Grundlage des am 3. September 1954 vom Reichswissenschaftsminister
Rust reichsweit erlassenen Verbots für „Nichtarier“,
Prüfungen abzuhalten.!5? Dieser Erlaß gehörte zu denjenigen Maßnahmen, die sukzessive die Ausnahmeregelungen des BBG unterhóhlten, lange bevor sie aufgehoben wurden. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß das Prüfungsverbot kurz nach dem Tod Hindenburgs erfolgte, der sich für die Ausnahmeregelungen des BBG stark gemacht hatte. Als Pohlenz vom Wissenschaftlichen Prüfungsamt dazu aufgefordert wurde,
zwei Prüfungskandidaten
neben der griechischen Arbeit auch jeweils die
lateinische zu stellen, weigerte er sich, dies zu tun. Er setzte sich gegen das
Prüfungsverbot seiner Kollegen zur Wehr, indem er dem Vorsitzenden des Prüfungsamtes darlegte, welche Nachteile die Kandidaten durch das Verbot
erfahren. Er bezog sich auf die Prüfungsordnung der Universität Göttingen und forderte das Prüfungsamt dazu auf, beim Minister eine Genehmigung einzuholen, daß Kandidaten, die Latte und Frünkel schon zugewiesen worden
waren und bereits die Hausarbeit bei diesen abgeschlossen hatten, auch die folgenden Prüfungsabschnitte bei ihren Lehrern ablegen kónnen. Sie háütten ihre besondere Ausbildung bei Frünkel und Latte erhalten und daher auch einen Anspruch darauf, von ihren Lehrern geprüft zu werden. In seiner ausführlichen und ungehaltenen Antwort bestand der Vorsitzende des Prüfungsamtes auf der ausnahmslosen Einhaltung des Prüfungsverbots für Frünkel und Latte. Er lehnte die Einhaltung der Prüfungsordnung mit dem darin festgeschriebenen Anspruch der Kandidaten, von ihren Lehrern geprüft zu werden, rundweg ab. Das setze voraus, daß genügend Prüfer vorhanden seien: ,Die z. Zt. bestehenden
Schwierigkeiten würen jedenfalls nicht ent-
standen, wenn Nichtariern an deutschen Universitüten früher nicht so weitgehender Einfluss eingeräumt worden wäre, wie es tatsächlich geschehen ist.“ Nicht das Verbot für Nichtarier, wissenschaftliche Prüfungen abzuhalten, hat also den Engpaß geschaffen! So verkehrt der Vorsitzende die Verhältnisse. Dann wies er darauf hin, daß personelle Engpässe schon während des Ersten
168
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Weltkrieges und kurz danach erfolgreich und ohne Protest überbrückt worden seien. Dieser Vergleich, der überdies an den Nationalismus appelliert, evoziert eine der Kriegssituation ähnliche Ausnahmelage, die eine doppelte Anstrengung der verbliebenen Prüfer als selbstverständliche Pflicht einfordert. Er billigte Pohlenz zwar zu, sich in besonderen Ausnahmefällen über die Aufgabenstellung mit Latte und Fränkel abzustimmen, aber nur so, daß deren Anteil unsichtbar bleibt, ebenso bei der Begutachtung.!58 Ich nehme an, daß Pohlenz im Interesse der Studenten auch so vorging. Den Einbruch, den das Prüfungsverbot für die Lehrtätigkeit und die Stellung von Latte und Fränkel am Institut bedeutete, konnte Pohlenz aber nicht verhindern, nur mildern.
Die Akzeptanz und Wertschätzung, die Fränkel auch von nationalsozialistischen Studenten erfuhr - wie Pohlenz in seinem Antrag hervorhebt -, beruht
m. E. nicht nur auf Fränkels besonderer Fähigkeit, Studenten einen Zugang zu antiken Texten zu eröffnen. Er unterrichtete schon seit vielen Semestern äußerst erfolgreich die Übungen in Grammatik und Stilistik beider alten Sprachen: alternierend ein Semester lateinische Grammatik und griechische Stilistik bzw. griechische Grammatik und lateinische Stilistik. Diese Übungen mußten alle Philologiestudenten besuchen, und sie erfordern eine intensive Kommunikation zwischen Lehrer und Schüler. Es gab am Institut aber auch eine kleine Gruppe hochbegabter, nicht nationalsozialistischer Studenten, die ihr Studium vor der Machtübernahme Hitlers begonnen hatten und unter der Anleitung und Anregung von Kurt Latte und Hermann Fränkel ausgezeichnete Dissertationen schrieben: Wilhelm Luther, Heinrich Dörrie, Hildegard Kornhardt, aber auch Ludwig Deicke und Rudolf Stark.159 Die Dissertationen von Deicke (über Pausanias, einem grie-
chischen Lexikographen aus dem 2. Jh. n. Chr.), von Dörrie (über die handschriftliche Überlieferung griechischer Romanschriftsteller) - beide, wie damals gerade noch üblich, in lateinischer Sprache verfaßt - und von Hildegard Kornhardt waren durch Latte angeregt worden. Besonders Kornhardts 1934 veröffentlichte Studie zur Bedeutungsgeschichte des Begriffs „Exemplum“ erregte einiges Aufsehen in der Fachwelt und erhielt gute Rezensionen. Die damals erst 25jährige Wissenschaftlerin ging mit einem Stipendium nach München zum Thesaurus Linguae Latinae, wo sie bis zu ihrem frühen Tod im Jahre 1959 arbeitete. Eine weitergehende wissenschaftliche Karriere, insbesondere die Habilitation, blieb ihr als Frau unter den Nationalsozialisten versperrt. Im August 1945 hatte sie einen so schweren Autounfall, daß sie danach wohl nicht mehr an eine Habilitation dachte. Sie regte nach 1945 zusammen mit Latte die erste deutsche Teilsammlung von Hermann Fränkels verstreuten kleinen Schriften an, die als „Wege und Formen frühgriechischen Denkens“ 1955 erschienen.190 Wie eng die Verbindung einiger Studenten zu Latte und Frünkel in den ersten Jahren nach deren Entlassung blieb, zeigen zwei andere Beispiele.
Dórrie unterhielt einen Briefwechsel mit Frünkel und hielt ihn nach dessen Emigration über Góttinger Ereignisse auf dem laufenden.!6! In einem Aufsatz für den 75. Jubiläumsband der Zeitschrift „Hermes“ im Jahr 1940 beschäftigte
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
169
sich Rudolf Stark mit den historischen Ursprüngen der römischen Diktatur. Er griff dabei auf Lattes Beobachtungen zur altrömischen Verfassungsgeschichte zurück und führte diese zu einem Zeitpunkt weiter, als Latte schon längst ein verfemter Autor war.162 Stark wurde nach seiner Promotion ebenfalls Mitarbeiter am Münchener Thesaurus und verzichtete darauf, sich unter nationalsozialistischen Bedingungen zu habilitieren. Jedenfalls verstehe ich seine anschließende Tätigkeit als Gymnasiallehrer in diesem Sinne. Er war dann Soldat im Krieg und danach in Kriegsgefangenschaft. 1947 nahm er einen Lehrauftrag an der Universität Köln wahr, und erst 1954 habilitierte er sich in Góttingen.165 Dórries Dissertation erforderte das Studium griechischer Handschriften. Er war wohl der letzte Góttinger Philologiestudent in der Zeit des Nationalsozialismus, der im WS 1955/54 eine Reise nach Florenz unternehmen konnte, um
an der Bibliotheca Laurentiana die Originale einzusehen. Die anderen Dissertationen bis 1945 haben keine Textedition oder dazu vorbereitende Forschungen zum Thema, sondern in der Regel begriffsgeschichtliche Studien. Dazu benótigt man weder unbedingt Handschriften noch die Kenntnis der neuesten Sekundärliteratur. Dórrie setzte allerdings seine Editionsarbeit auch nach der Promotion als Mitarbeiter des Septuaginta-Unternehmens an der Góttinger Akademie der Wissenschaften fort. Dort arbeitete er zusammen mit dem Reitzenstein-Schüler Werner Kappler an der Edition der Makkabäerbücher mit.19* Im Wintersemester 1954/55 hielt Fránkel eine Vorlesung über Pindar, Latte über die Literatur der rómischen Republik. Im Seminar für Latinisten las Fränkel Tacitus’ Annalen und im Proseminar Terenz' Adelphen. Im Sommersemester 1955 hielt Frünkel seine Vorlesung über Homer-Interpretationen. Das philologische Proseminar war Sophokies gewidmet und das Seminar für Latinisten Ovid.!95 Das Ovid-Seminar Frünkels war sein letztes in Góttingen. Dem Dichter Ovid widmete Frünkel auch sein erstes Buch in englischer Sprache. Die einleitenden Sütze zu dem Abschnitt über Ovids Verbannung aus Rom lassen den Leser an Frünkels eigene Vertreibung aus Deutschland denken: “It was in the year 8 of the Christian era that the heavy blow fell, when Ovid was exactly fifty years old. He was not sentenced by court of law, but relegated by imperial decree from which there was no appeal. Perhaps he was never given a chance to defend himself against the charges; cabinet justice was held to no legal procedure. The condemnation was for maiestas (lése majesté); that is, in theory, for having impaired the dignity of the nation."166 Als Frünkel die Mitteilung über seine Entlassung erhielt, war er fast 47 Jahre alt. Auch er hatte keine legale Móglichkeit der Verteidigung und des Einspruchs. Der Entlassungsgrund war in gewisser Weise nichts anderes als eine Majestätsbeleidigung der Herrschaft nationalsozialistischer Volkseinheit. Bevor es aber so weit war, daß Frünkel 1945 die dem Ovid-Band zugrundeliegenden Vorlesungen im Rahmen der ,Sather Classical Lectures“ an der
Universität Berkeley - Amerikas renommierteste Gastprofessur im Bereich der klassischen
Philologie
- halten konnte,
mußte
er sich auf ein Exil in
170
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Amerika einlassen. Unter deutschen Altertumswissenschaftlern war Amerika noch in den zwanziger Jahren als Land der philologischen Laien verschrieen. Waren bis zur Jahrhundertwende amerikanische Philologen zum Studium nach Deutschland gekommen, so brachen die Beziehungen mit dem Ersten Weltkrieg weitgehend ab. Versuche, deutsche Philologen nach Amerika einzuladen, scheiterten an deren Ablehnung: Wilamowitz hielt es nicht einmal
für nötig, eine Einladung an die Harvard-Universität förmlich abzusagen. Noch Eduard Fraenkel sagte aus einer ähnlich negativen Einschätzung eine Einladung zu einer Vorlesungsreihe im Winter 1954/35 ab, als sich ihm die Möglichkeit eröffnete, einen Lehrstuhl in Oxford zu erhalten.!67 Das deutsch-
amerikanische Verhältnis änderte sich erst im Laufe der dreißiger Jahre wieder durch die Aufnahme deutscher Exilanten und im Bereich der klassischen Philologie nicht zuletzt durch Werner Jaegers sehr erfolgreiche Demosthenes-Vorlesungen als Sather-Professor im Winter 1934. Jaeger war der erste deutsche Altertumswissenschaftler, der seit der Stiftung dieser jährlich wech-
seinden Gastprofessur im Jahr 1915 eingeladen worden war, die „Sather Classical Lectures“ zu halten. Hermann Fränkel war der zweite so geehrte deutsche Altertumswissenschaftler.168 Hermann Fränkel erhielt im März 1935 eine Einladung, zwei Jahre lang die Vertretung einer Professur für klassische Philologie an der Stanford University bei San Francisco in Kalifornien zu übernehmen. Wie diese Einladung zustande kam, konnte ich nicht herausfinden. Ob Harold F. Cherniss, der später berühmte Platonforscher, der im Wintersemester 1927/28 bei Fränkel und
Pohlenz in Göttingen studiert!9? und an der Nachbaruniversität Berkeley sein Philosophical Doctorate erworben hatte, Fränkel für die Vertretung in Stanford empfohlen hatte, oder ob Werner Jaeger während seines Aufenthaltes in Berkeley Fränkel nach Stanford vermittelt hatte, ist unklar. Letzteres scheint
mir wahrscheinlich, weil Jaeger Frünkels Situation bekannt war.170 Bei der Einladung nach Stanford handelte es sich nicht um ein „regular University appointment“. Deshalb beantragte Fränkel im April 1055, von seinem Lehrauftrag für zwei Jahre beurlaubt zu werden.!7! Außerdem bat er um einen Reisekostenzuschuß für die Überfahrt nach Amerika. Der Göttinger Rektor befürwortete im Verein mit dem Dekan Hans Plischke die Beurlaubung Fränkels mit dem ausdrücklichen Hinweis darauf, Fränkels Leistungen und Lehrbegabung ließen erwarten, daß er eine feste Anstellung an der University of California erhalten und daher nicht nach Göttingen zurückkehren werde. Auch die Gewährung eines Reisekostenzuschusses unterstützten beide: Frän-
kel verfüge nicht über ausreichende Privatmittel, um für sich und seine Familie die Überfahrt zu bezahlen. Die philosophische Fakultät habe aber den Wunsch, Fränkel in die Lage zu versetzen, den Unterricht an der Universität
Göttingen aufzugeben. Die Ironie der Anträge liegt zum einen in der Anerkennung von Fränkels wissenschaftlichen Qualitäten und dem gleichzeitig geäußerten Wunsch, ihn loszuwerden. Das Motiv der einmütigen Unterstützung, die Fränkels Antrag bei Dekan und Rektor fand, ist aber letztlich in
Fränkels Lehrauftrag zu sehen, den er trotz Kündigung der Assistentenstelle
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von AMertumswissenschaftlern
171
noch inne hatte: Fränkel sollte nicht mehr lehren. Aber sein Lehrauftrag sollte der Fakultät erhalten bleiben. Das wünschte die philosophische Fakultät. Am 5. Juli 1935 erhielt Fränkel durch den Kurator die Antwort des Ministerialbeamten Bacher mitgeteilt: Die Beurlaubung werde bewilligt, nicht aber der Reisekostenzuschuf.!72 Seit Jahresanfang war die Familie zweimal in Göttingen umgezogen, der Sohn hatte sein Abitur bestanden, und Fränkels in Göttingen lebende ältere Schwester war gestorben. Der Kurator bewilligte zu guter Letzt die Auszahlung von Fränkels Bezügen bis einschließlich September schon Anfang Juli und ermöglichte ihm wohl damit die Finanzierung der Reise nach Amerika. Am 8. Juli 1935 erhielt Fränkel noch den Brief des Dekans Hans Plischke, in
dem dieser die Absage des Ministeriums wiederholte und zugleich bedauerte. Mit einer kurzen Antwort, in der er sich für die vergeblichen Bemühungen des Dekans bedankte, verließ Fränkel noch am selben Tag nach fast 15jähriger Lehr- und Forschungstätigkeit in Göttingen diese Stadt. Auf dem Weg von Bremen nach Antwerpen, der ersten Station der Schiffsreise nach Amerika, verabschiedete sich Fränkel brieflich auch von Max Pohlenz: ,. . . Die letzten
Wochen waren bis zum Rande angefüllt mit Reisevorbereitungen, Umzugsangelegenheiten, Besuchen und Abschieden. So finde ich jetzt erst die Ruhe dazu, Ihrer Frau und Ihnen für Ihre warmen Worte und Wünsche von Herzen zu danken. Und nicht nur dafür: auch für das, was Sie mir seit anderthalb Jahrzehnten gewesen sind, was Sie mehr und mehr für mich wurden, und wie Sie in allen, auch den jüngsten Zeiten, zu mir gestanden haben. Es ist fast eine Sensation, wie nach den gehetzten Monaten der tatenlose Frieden einer stillen Seefahrt über uns kommt. Morgen sind wir in Antwerpen, dann kommt 17 Tage kein Hafen, bis Cristobal. Am 11. September sollen wir in S. Francisco sein.*175 Wie der später von ihm interpretierte Dichter Ovid reiste auch die Familie Fränkel mit dem Schiff ins Exil.17* Sie konnten so wenigstens die Bibliothek und ihren Hausstand mitnehmen. „Als ich 1955 mit meiner Familie auswanderte, durften wir 10 Reichsmark pro Person mit herausnehmen, sowie Móbel
und Bücher. Meine Kinder waren, als sie Deutschland verließen 18 (Sohn), 14 (Tochter) und 6 (Tochter) Jahre alt. Eine Kapitalbildung war in Kalifornien unmöglich, doch konnte ich ein altes Haus. . . durch Abzahlung erwerben.“173 1955 erschien noch der zweite Teil eines Aufsatzes über ,Griechische Bildung in altrömischen Epen“ und 1958 als letzte Veröffentlichung Fränkels in Deutschland bis 1955 eine Rezension zu einem Buch über Apollonius Rhodius, den Fränkel später herausgeben sollte.176 In Stanford wurde Fränkel nach zwei Jahren zum ordentlichen Professor für Klassische Philologie auf unbeschränkte Zeit ernannt. Dies nahm er im April 1937 zum Anlaß, Pohlenz einen kleinen Bericht über sein Leben und seine Arbeit zu schicken: ,. . . Sie können sich denken, daß ich viel an Sie und
an Góttingen zurückgedacht habe in diesen nun schon bald zwei Jahren; nicht nur gelegentlich einmal, wie bei der Arbeit an der Kroil-Rezension ... aber ich will doch endlich noch ein persönliches Wort nachfolgen lassen. Daß es
172
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Ihnen und den Ihrigen unverändert gut geht, hörten wir zu unsrer großen Freude durch Bauers und Dörrie ... Mir wäre es kaum vorstellbar, daß Sie
aus irgendwelchen Gründen nicht, wie Sie es nun schon so lange gewohnt sind, zu den gleichen Stunden den gleichen Weg zum Seminar und vom Seminar wandern sollten; ... Wir sind nun hier, nach der verwirrenden Fremdheit der ersten Zeit, schon ein wenig akklimatisiert. Das beste dazu tat, neben der Schönheit dieses reichen herrlichen Landes und der Freundlichkeit seiner Bewohner, die seit
einigen Monaten gewonnene Freundschaft mit einer deutschen Familie aus Gutsbesitzer- und Importeurkreisen. einfache Tatsache, daß eine solche
Es klingt seltsam, ist aber doch eine landsmännische Beziehung auch die
Einordnung in die amerikanischen Verhältnisse und Lebensformen leichter und müheloser macht. Von meiner Arbeit hier ließe sich viel erzählen, aber es ist schwer eine
wirkliche Vorstellung zu geben. Ich lese Griechisch und Latein, aber mehr Latein; Studenten für Griechisch in einigermaßen vorgerücktem Stadium gibt es nur wenige, aber bislang immer noch einige . . . Die Studenten haben eine fast fanatische Bereitschaft zu lernen und sich neue Dinge solide anzueignen. Natürlich fehlt ihnen meist das, was man hier background nennt; das muß ihnen die Universitüt, die ja bes. mit ihren ersten Unterrichtsjahren die Oberklassen unsrer hóheren Schule ersetzt, erst schlecht und recht zu geben versuchen.
Meine persónliche Stellung in Stanford ist nun auch fest geworden; vom 1. Sept. an bin ich als full professor für dauernd angestellt ... Die fremde Sprache zu schreiben und zu sprechen ist natürlich keine einmalige sondern eine lebenslüngliche Aufgabe. Und als zweite kommt dazu, sich in der Muttersprache nicht verwirren und beirren zu lassen;... Leider muß ich schließen; es wäre noch beliebig viel zu erzählen, aber es
würde doch immer fragmentarisch bleiben, wie die Dinge nun einmal sind .. .“177 Dieser seit Fränkels Vertreibung aus Deutschland erste, von Distanz geprägte Briefleitete einen kleinen, gelösteren Briefwechsel zwischen Pohlenz und Fränkel ein, der jedoch rasch versiegte und erst nach Kriegsende von Fränkel wiederaufgenommen wurde. Eine Rückkehr aus dem Exil blieb ihm versagt (siehe w. u.). Ovid, den Autor der Trauer- und Klagegedichte aus dem unerlösten Exil, die uns bis heute rühren, nannte Fränkel „A poet between two worlds“, eine Zuschreibung, die vielleicht mehr noch für den Interpreten
als den Dichter gilt.
3.2.3.2 Kurt Latte bleibt in Deutschland Fränkels Lehrauftrag war der philosophischen Fakultät durch seine Beurlaubung zunächst erhalten geblieben. Im Herbst 1935 sorgte der Rektor Friedrich Neumann dafür, daß der Lehrauftrag den Altertumswissenschaften entzogen
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
173
und dem „Hochschulkreis Niedersachsen“ durch Umwidmung zu einem Lehrauftrag für „Rassenhygiene“ geschenkt wurde.!78 Dekan Plischke und Rektor Neumann arbeiteten nicht nur im Falle Fränkels zusammen. Beide waren an einem raschen nationalsozialistischen Umbau der Universität interessiert und ergriffen die Initiative dazu, wo sie sich ihnen anzubieten schien.179 Schon seit März 1955 wurde ein Nachfolger für H. Fránkel gesucht. Als sich im Sommer 1955 abzeichnete, daß der bei Eduard Fraenkel und Felix Jacoby in Kiel promovierte Latinist und Kólner Privatdozent Ulrich Knoche die Assistentenstelle in Góttingen annehmen würde, ergriff der nationalsozialistische Dekan die Initiative zum nächsten Schritt, der den nationalsozialisti-
schen Umbau des Instituts vorantreiben sollte. Zwei Monate nach Fränkels Abreise aus Göttingen bestellte der a. o. Professor für Völkerkunde, Hans Plischke, Kurt Latte zu einer Besprechung „in einer Fakultätsangelegenheit“ in das Dekanat. In diesem Gespräch machte der Dekan Latte deutlich, daß er als Jude nicht mehr tragbar sei. Die philosophische Fakultät wünsche deshalb, daß Latte „freiwillig“ um Entbindung von seinen amtlichen Pflichten ansuche. Aber auch der Zeitraum bis zur Entpflichtung Lattes war dem Dekan noch zu lange. Deshalb drängte er Latte dazu, sich gleich für das Wintersemester beurlauben zu lassen und seine schon im Vorlesungsverzeichnis angekündig-
ten Lehrveranstaltungen abzusagen. Was Plischke Latte bei dieser Unterredung im einzelnen gesagt hat, wissen wir nicht. Sie muß Anfang September 1935 stattgefunden haben. Denn am Vorabend der Nürnberger Rassengesetze, dem 14. September 1935, schreibt
der Dekan
an das Reichs- und Preußische
Erziehungsministerium:
„Nach
einer Besprechung, die ich mit dem ordentlichen Professor der lateinischen
Philologie Dr. phil. Kurt Latte gehabt habe, ist Professor Latte bereit, aus dem Lehrkörper der hiesigen Universität auszuscheiden. Er bittet um Entpflichtung zum Ende des Wintersemesters 1955/36 und um Urlaub für das kommende Wintersemester. Die philosophische Fakultät unterstützt die Bitte von Professor Latte. Professor Latte ist Nichtarier. Durch das Beamtengesetz wurde er [als Frontkämpfer, C. W.] nicht betroffen . . . Er sieht ein, daß seine
Stellung als Hochschullehrer unhaltbar geworden ist.“180 Gegen eine Beurlaubung Professor Lattes schon zum Wintersemester bestünden keine Einwände, da für den ausscheidenden Professor Fränkel Dozent Dr. Ulrich Knoche von Köln nach Göttingen komme, fuhr Plischke fort. Dr. Knoche könne
im Sinne einer Übergangslösung auch die von Professor Latte angekündigten Hauptvorlesungen und Übungen übernehmen. Für den Fall, daß das Ministerium bereit sei, Professor Latte zu entpflichten, bereite die Fakultät schon
Vorschläge für eine Neubesetzung vor. Dieses Schreiben ergänzte der Rektor in einem eigenen Brief am 20. September 1935 dahingehend, daß die philosophische Fakultät befürwortend einen Antrag des ordentlichen Professors der lateinischen Philologie vorlege: » .. bittet Professor Latte, daß er am Ende des Wintersemester 1935/36, also
zum 1. 4. 1956 von den amtlichen Verpflichtungen entbunden wird. Er bittet
174
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
zugleich, daß ihm für das kommende Wintersemester ein Urlaub gewährt wird. Der Antrag Professor Lattes und der dazugehörige Bericht der philosophischen Fakultät sprechen für sich selbst. Professor Latte ist Jude. Der vorliegende Antrag geht also dahin, daß ihm ermöglicht wird, vor Beginn des Wintersemesters aus der öffentlichen Lehrtätigkeit auszuscheiden“, präzisierte Neumann.181 Latte war in dem Gespräch mit Plischke offensichtlich nichts anderes übriggeblieben, als sich der Drohung und Nötigung des Dekans zu fügen. Er weigerte sich aber offenbar, selbst einen schriftlichen Antrag auf Entpflichtung zu stellen. Jedenfalls ist keiner in den Akten auffindbar. Aus den Briefen des Dekans und des Rektors geht das überdies deutlich hervor: Plischke und Neumann beziehen sich auf Plischkes Gespräch mit Latte und machen daraus kurzerhand einen von Latte selbst gestellten Antrag bzw. eine von ihm an das Ministerium gerichtete „Bitte“. Entsprechend reagierte das Reichs- und PreuBische Erziehungsministerium in seiner Antwort vom 16. Oktober 1935 an Latte: „Mit Bezug auf den an die Philosophische Fakultät der Universität Göttingen gerichteten Antrag [Hervorhebung, C. W.] teile ich mit, daß ich bereit bin, Ihre Emeritierung zum 1. 4. 1956 bei dem Führer und Reichskanzler zu beantragen.“!& In demselben Schreiben wurde Latte die Beurlaubung zum Wintersemester „gewährt“. Auch dem Ministerium lag offenbar kein eigenhändiger Antrag Lattes vor. Bei diesem ungewöhnlichen Vorgang, der Fingierung eines von Latte gestellten Antrags, sind insbesondere
zwei Aspekte
hervorzuheben.
Plischke
ergriff die Initiative zur faktischen Aufhebung der Ausnahmeregelung des BBG, bevor die Nürnberger Rassengesetze am 15. September 1955 erlassen wurden. Die erste „Durchführungs“-Verordnung, die am 14. November des Jahres veröffentlicht wurde (RGBI. I, S. 1555 f.), hob erst die Ausnahmeregelung des BBG auf und machte einen eigenen Antrag Lattes überflüssig. Dekan und Rektor in Góttingen hatten den Unrechtsgesetzen vorausgegriffen. Dies war ihnen möglich, weil sie sicher sein konnten, daß Latte keinen Rückhalt
in der philosophischen Fakultät finden würde. Der zweite Aspekt bezieht sich auf die als ,freiwilliger^ Amtsverzicht fingierte Form der Vertreibung Lattes aus seinem Amt. Kurt Latte war der letzte jüdische Ordinarius an der philosophischen Fakultät, der noch im Amt war. Seine ebenfalls unter die Ausnahmeregelungen des BBG fallenden Kollegen Hans Hecht (1876-1946), Ordinarius für Anglistik, und Georg Misch (1878-1965), Ordinarius für Philosophie, hatten schon im Laufe des Winters 1954/1955 um ihre vorzeitige Entpflich-
tung angesucht. Hecht istim Unterschied zu Misch von Plischke dazu gedrüngt worden, indem er Proteste einiger nationalsozialistischer Anglistikstudenten als Druckmittel gegen Hecht ausnutzte. Hecht und Misch hatten die Antrüge um Entpflichtung eigenhändig gestellt. Sie sind in den Akten erhalten.185 Latte war also der letzte, der - zwar von dem Prüfungsverbot seit Oktober 1054 eingeschränkt -- noch lehrte. Nachdem es mit zum Teil erheblichen Druckmitteln gelungen war, die Kollegen Lattes zur selbstbeantragten Entpflichtung zu bewegen, schien es offenbar bei Latte weder über das Gesprüch im
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
175
Dekanat hinausgehender Druckmittel noch eines eigenen Antrages von Latte zu bedürfen, um seine Entlassung zu erreichen. Dieser Vorgang beleuchtet,
wie eingespielt die Bürokratie zweieinhalb Jahre nach der Machtübernahme schon war, so daß sie ohne weiteres mit Pseudoanträgen umging, aber auch, wie wenig Ausnahmeregelungen angesichts der rassistischen Verfolgung einer Gruppe wert sind. Lattes Seminar im Sommersemester 1935 über Theokrit wurde sein letztes am Göttinger Institut für Altertumskunde bis 1946. Die von ihm bereits im Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1955/36 angekündigten Veranstaltungen über die Geschichtsschreibung der Römer und Apuleius’ Metamorphosen durfte er nicht mehr halten.!% Nach vier Jahren Lehr- und Forschungstätigkeit in Göttingen, im Alter von 44 Jahren, traf ihn die unverzügliche Beurlaubung und das Lehrverbot. Seine Entlassung wurde im Dezember auf der Basis des Reichsbürgergesetzes schon zum 51. Dezember 1935 ausgesprochen. So war Latte nicht einmal die Beurlaubung bis zum Ende des Wintersemesters belassen worden. Nach $ 4 der ersten Durchführungsverordnung des Reichsbürgergesetzes wurde er wie alle noch im Amt befindlichen „jüdischen Beamten“ schon zum Dezember 1935 in den Ruhestand versetzt.185 Auch eine von Latte beantragte Reise an die Kopenhagener Akademie der Wissenschaften zu einer Kommissionssitzung für die Edition griechischer Lexikographen, mit der Latte nun schon seit über 20 Jahren als Herausgeber des Hesych zusammenarbeitete, wurde ihm verboten. Das Reichs- und PreuDische Erziehungsministerium verlangte von Latte statt dessen, er möge offiziell absagen und der dänischen Akademie anheimstellen, einen anderen deutschen Altertumswissenschaftler als Mitglied in die Kommission zu wählen und mit Lattes Aufgaben zu betrauen. Lattes nicht ersetzbare Arbeit am Hesych-Lexikon, sein zusammen mit A. B. Drachmann (Kopenhagen) und dem Teubner-Verlag geschlossener Editionsvertrag wurden vom Ministerium unter Hinweis darauf, daß Latte bereits beurlaubt und kurz vor seiner Entlassung stehe, ignoriert.186 Latte fuhr 1956, aber auch in den folgenden Jahren,
ohne offizielle Erlaubnis nach Kopenhagen zu den Sitzungen der Kommission. Die Akademie reagierte anders, als das Ministerium wünschte: Sie machte Latte das Angebot,
Akademie
die Stelle eines wissenschaftlichen
zu übernehmen.
Da
Latte
aber
seine
Mitarbeiters an der
Mutter
nicht alleine
in
Deutschland zurücklassen wollte, noch ihr die Emigration zumuten konnte,
lehnte er ab.187 Als Frontkämpfer erhielt Latte 100% der „ruhegehaltsfähigen Dienstbezüge“ zugesprochen: 13.600 RM betrug sein jährliches Grundgehalt, zu dem 1080 RM Wohnungsgeld und 1000 RM Unterrichtsgeld gerechnet wurden. Das ergab ein errechnetes Einkommen von 15.680 Reichsmark, das geringer war als Lattes Bezüge 1933 mit jährlich 18.980 RM. Abzüglich von Steuern und gesetzlichen Kürzungsbeträgen wurde Latte am 30. März 1936 ein Ruhegehalt von 15.312 RM jährlich zuerkannt. Seine Baseler Dienstzeit wurde dabei allerdings nicht berücksichtigt, obwohl Latte bei seiner Berufung nach Göttingen die
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
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15. Dezember
m
„u
-8). 1955 vom Kurator veranlafite Entlassungsbescheid für Kurt
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
177
Anrechnung als selbstverständlich zugesagt worden war. Ende Februar 1956 leitete der Kurator Lattes Antrag auf Anerkennung der Baseler Dienstzeit befürwortend an das RuPrEM weiter. Der lakonische Bescheid des Erziehungsministeriums stellte fest, über die Anrechnung der fünf Baseler Jahre für das Ruhegehalt sei erst im Jahr 1956 zu entscheiden, wenn Latte das 65. Lebens-
jahr erreicht habe. In diesem Bescheid wurde ihm auch angekündigt, daß ab 1. April 1956 sein Ruhegehalt 51%, also 7996,80 RM betragen werde.188 Mit der Zwangsentpflichtung war auch die Aberkennung des Titels verbunden. Dem Titel mußte, ab dem Zeitpunkt der Entlassung, zumindest ein ,a. D.* hinzugefügt werden, um kenntlich zu machen, daß den entlassenen Personen
die Ausübung ihres Berufs nicht mehr gestattet ist. Den im Ausland lebenden Wissenschaftlern sollte dies allerdings nicht mitgeteilt werden.189 Bald nach seiner Entlassung zog Latte, der alleinstehend war und keine Kinder hatte, nach Hamburg um. Warum er Hamburg wühlte und nicht Berlin, wohin die meisten der entlassenen Altertumswissenschaftler zogen!99, um
den Schrecken der jeweiligen kleinen Universitätsstädte, in denen jederjeden kannte, zu entgehen, kann nur vermutet werden. Seine Mutter lebte in Hamburg, vielleicht war das der Grund. Dort hatte er zudem das Glück, mit
dem Hamburger Seminar für klassische Philologie eine Insel sich nicht an den Nationalsozialismus anpassender Altertumswissenschaftler zu finden. In Hamburg lehrten Bruno Snell und Ernst Kapp, zwei bekanntermaDen regimekritische Gelehrte.19! Snell, der in Göttingen promoviert hatte, hielt den Kontakt zum Göttinger Institut für Altertumskunde. Zu Beginn des Jahres 1935 war Snell in Göttingen zu Besuch gewesen und wandte sich im Mai an Max Pohlenz mit der Bitte, eine Eingabe an das Wissenschaftsministerium zugunsten von Kurt v. Fritz zu unterstützen, der an der Universität Rostock entlassen
worden war.!% Es ist anzunehmen, daß Latte spätestens bei dieser Gelegenheit Bruno Snell persönlich kennengelernt hat. Über Lattes Schicksal in den Jahren nach seiner Entlassung erfahren wir einiges wenige aus seinen eigenen kursorischen Angaben in den Fragebógen, die er für das Military Government nach Kriegsende ausgefüllt hat.195 Bis sein Reisepaß für ungültig erklärt und im Oktober 1938 eingezogen wurde, konnte Latte, in Deutschland durch Kontakt- und Veróffentlichungsverbot weitgehend isoliert, seine wissenschaftlichen Beziehungen zum Aus-
land aufrechterhalten und intensivieren. Er reiste viel. Im Sommer 1956 begab er sich auf eine Forschungsreise nach Italien. Im Herbst 1956 folgte er einer Einladung, als Visiting Professor für Latein ein Jahr an der University of Chicago zu lehren, die kurz zuvor Werner Jaeger als Full Professor aufgenommen hatte.!% Auf dem 1956 stattfindenden „Meeting“ der , Ameri-
can Philological Association“ war Latte zu einem Vortrag of Roman Quaestorship“ eingeladen, der 1957 auch in den American Philological Association veröffentlicht wurde. erfolgreicher Lehr- und Forschungstütigkeit in Amerika Sommer 1957 nach Deutschland zurück. Noch im selben Freunde in Oxford. Auch zu den Kommissionssitzungen in
über „The Origin Transactions der Nach einem Jahr kehrte Latte im Jahr besuchte er Kopenhagen fuhr
178
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Latte so lange, bis ihm die Ausreise aus Deutschland mit sicherer Rückkehrmóglichkeit genommen worden war.
Nach der Entpflichtung hatte Latte keine Móglichkeit mehr, in deutschen wissenschaftlichen Zeitschriften zu veröffentlichen. Die Artikel, die in Pauly-
Wissowas
,Realencyclopüdie der classischen Altertumswissenschaft" noch
bis 1941 erschienen, waren sámtlich schon vor 1955 in der Redaktion eingegangen, u. a. über griechische und rómische Orakel, die Todesstrafe, Phyle
und Phratrie. So blieben ihm nur auslündische Periodika. Eine Reihe von Aufsützen erschien zwischen
1956 und
1942 in amerikanischen
und engli-
schen Fachzeitschriften sowie in der niederländischen Zeitschrift Mnemosyne. Der Dänischen Akademie der Wissenschaften sandte er regelmäßig Berichte über die Fortschritte seiner Arbeit am Hesych-Lexikon, zu dem Latte das Manuskript des ersten Bandes bis 1959 fertigstellen konnte.19 In dem Military-Government-Fragebogen, den Latte Anfang 1946 ausfüllte, schreibt er: "During all this time, even quotations of my works were cancelled by zealous publishers and editors of periodicals."196 Daß dies nicht durchgängig der Fall war, wurde weiter oben schon erwühnt. In dem zweiten auf deutsch
ausgefüllten Fragebogen aus dem Jahr 1947 erwähnt Latte, daß der NSD-Dozentenbund
Rezensionen von seinen Werken
bestellte, die seinen wissen-
schaftlichen Ruf in Deutschland zerstóren sollten.197 Waren schon 1956 Lattes Kollegen und wissenschaftliche Institutionen in Deutschland angewiesen worden, den Kontakt zu Latte abzubrechen - mit sehr wenigen Ausnahmen hielten sich die meisten daran -, so verschlechterte
sich Lattes Situation in der zweiten Hülfte des Jahres 1958 zusehends. Seit August sollte er den zusützlichen Vornamen Israel führen. Besonders schwer
mußte ihn aber die Verordnung vom 5. Oktober 1958 (RGBI. I, 1958, S. 1542) treffen, nach der sein ReisepaD ungültig und eingezogen wurde. Die Behörde versah die eingezogenen
Püsse mit dem
Stempel
,J*. Lattes Verbindungen
zum Ausland und seine Móglichkeit zu reisen waren damit abgeschnitten. Er háütte nur mehr ohne Rückkehrmóglichkeit ausreisen kónnen.
Von den Ausschreitungen im Zuge des Novemberpogroms war er glücklicherweise nicht direkt betroffen, wie etwa seine Kollegen Paul Maas, der in Kónigsberg am 11. November 1958 verhaftet wurde, und Felix Jacoby, dessen Wohnung in seiner Abwesenheit von fünf SA-Münnern zerstórt wurde. Latte wurde von der sich im Anschluß an das Pogrom weiterdrehenden Schraube der antijüdischen Maßnahmen getroffen, zumal er sich nicht entschließen konnte, Deutschland zu verlassen und seine Mutter allein zurückzulassen.
Vier Tage nach dem Novemberpogrom kam das Verbot, óffentliche kulturelle Einrichtungen
wie Theater, Kinos, Museen,
Konzerte, óffentliche Vortrüge
u. a. zu besuchen. Am 8. Dezember 1958 folgte dann das vom Reichserziehungsministerium erlassene Verbot, wissenschaftliche Einrichtungen zu For-
schungszwecken zu benutzen. Damit wurde den jüdischen Wissenschaftlern der Zugang zu Instituten und Bibliotheken verwehrt.198 Fortan war Latte in seiner Arbeit gänzlich auf seine eigene Bibliothek und auf die Hilfe Bruno Snells sowie einiger weniger vertrauenswürdiger Nachwuchswissenschaft-
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
ler, wie
Wolf
Hartmut
Friedrich,
am
Hamburger
Seminar
179
für klassische
Philologie angewiesen. Schließlich bestimmte die 7. Verordnung des Reichsbürgergesetzes vom 5. Dezember 1938, daß die Ruhegehälter der zwangsentpflichteten Professoren auf den Stand ihres Pensionsalters herunterzusetzen seien. Das bedeutete für Latte: Die für 1956 angekündigte Reduzierung seines Ruhegehaltes um fast 50% trat schon zum 1. Januar 1959 in Kraft.199 Der Regierungspräsident in Hildesheim schickte den Bescheid über das neue, stark verminderte Ruhege-
halt - in der Höhe von 7809,12 RM per annum - am Weihnachtstag, dem 24. Dezember 1938, an den Kurator in Göttingen ab. Der Kurator stellte daraufhin erneut einen Antrag auf Anerkennung von Lattes Baseler Dienstjahren, weil der Bescheid des RuPrEM aus dem Jahr 1936 nun aufgehoben war. Das Reichserziehungsministerium beantwortete das diesbezügliche Schreiben des Göttinger Kurators vom Januar 1959 erst einen Monat nach Kriegsbeginn, im Oktober 1939, folgendermaßen: „Wenn sich der Bericht [des Kurators, C. W.]
nicht aufeinen besonderen Antrag des Professors a. D. Dr. Latte stützt, betrachte ich die Angelegenheit als erledigt, da beabsichtigt ist, bei Juden von den
Kannbestimmungen keinen Gebrauch mehr zu machen. Sollte dem Berichtein besonderer neuer Antrag Dr. Lattes zugrundeliegen, ersuche ich um Bescheid unter Beifügung dieses Antrages. i. A. gez. Reinmöller“200 Offenbar unternahm der Kurator nach dieser fast ein Jahr ausbleibenden Antwort keinen weiteren Schritt in Lattes Angelegenheit. Jedenfalls gibt es keine diesbezügliche Eintragung mehr in Lattes Göttinger Personalakte. Der Zynismus in der Antwort des Ministerialbeamten ist nicht zu übersehen. Der pauschale Hinweis des Beamten auf zukünftige („da beabsichtigt ist“) antijüdische Maßnahmen, soll seinen eigenen Beitrag zu diesen verbergen. Denn niemand anderer als er selbst ist nicht bereit, den hinfällig gewordenen Bescheid durch einen neuen zu beantworten. Die Form und der Inhalt dieses Schreibens ist ein weiterer Beleg dafür, daß Beamte in den staatlichen Verwaltungsinstitutionen bereit waren, die antijüdischen Maßnahmen nicht
nur zu ermöglichen und durchzuführen, sondern sie nach eigenem Ermessen verschärft anzuwenden. Lange bevor die „Endlösung“ geplant und realisiert wurde, waren schon Beamte da, die dem „Kannbestimmungen“ nicht ausschöpften: Denn
Ermessen nach dem
unterliegende neuen „Deut-
schen Beamtengesetz“ in der Fassung vom 26. Januar 1957, $ 85 (RGBI. I, 1957, S. 55), konnte die óffentliche Dienstzeit in einem anderen Staat etc. für
das Ruhegehalt
berücksichtigt werden.
Lattes Ruhegehalt
wurde
in den
folgenden Jahren immer wieder gekürzt, so daß es schon 1941 die Hälfte der
Summe von 1959 ausmachte und im Herbst 1944 gänzlich ausblieb.201 Es ist anzunehmen,
daß Latte nicht nur sich, sondern auch seine kranke Mutter
davon unterhielt. Lattes einziger Weg war Arbeit, um in dieser Lage der Beraubung des Berufs, der Verfolgung, Einschránkung und Bedrohung - kurz des sozialen Todes, dem der physische Tod zu folgen drohte - zu überleben. Seine in Hamburg geknüpften Kontakte zu den Mitgliedern des Hamburger Seminars
180
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
für klassische Philologie ermöglichten ihm, unter sehr eingeschränkten Bedingungen seine Forschungsarbeiten fortzusetzen. Bruno Snell brachte ihm Bücher, schickte trotz Verbots mit seiner eigenen Adresse und Unterschrift
versehen Lattes Briefe über die Arbeit am Hesych-Lexikon nach Kopenhagen und half ihm mutig, wo er konnte. Einmal wöchentlich besuchte Latte Snell,
um mit ihm z. B. über die von Nauck gesammelten Fragmente griechischer Tragiker zu diskutieren. Snell besaß eine von Wilamowitz mit Randbemerkungen versehene Ausgabe.202 Zwischen dem 24. Juli und dem 3. August 1943 wurde halb Hamburg durch Luftangriffe zerstört. Lattes Wohnung am Uhlenhorstweg 52, aber auch die von Snell wurden getroffen. Latte verlor seine wertvolle Bibliothek, seine Manuskripte und Notizen, die Arbeit der letzten Jahre. Nur weniges und das Manuskript des ersten Bandes Hesych war rechtzeitig in Sicherheit gebracht worden. In diesem Sommer, am 29. August 1943, starb seine Mutter, die wegen
der Bombenangriffe außerhalb Hamburgs untergebracht war.205 Latte hatte keine Möglichkeit mehr, Deutschland zu verlassen und war nun völlig auf die Hilfe von mutigen Freunden und Kollegen angewiesen. Er meldete sich polizeilich in Berlin-Wilmersdorf an, versteckte sich aber seit Oktober 1943
an wechselnden Orten, immer eine Kapsel Zyankali bei sich tragend, falls die Gestapo ihn finden würde. Wahrscheinlich vermittelt durch den Assistenten des Hamburger Seminars, Wolfgang Schmid, der sich 1942 dort habilitiert hatte, wurde Latte von dessen Mutter in Düsseldorf-Eller aufgenommen und versteckt.20* Im letzten Kriegsjahr bewog sein ehemaliger Greifswalder Kollege Konrat Ziegler Latte, aus dem von Luftangriffen gefährdeten Düsseldorf zu ihm nach Osterode im Harz zu kommen. Ziegler brachte Latte in einem Ort namens Freiheit unter, wo Latte krank und völlig abgemagert zehn Jahre nach seiner Entlassung die Befreiung erlebte.205
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
18i
„Höhere Mathematik: Die neue deutsche Reichsgesetzgebung unterscheidet: Volljuden, Dreivierteljuden, Halbjuden, Vierteljuden und Achteljuden. Weiter geht die arithmetische Unterscheidung vorläufig nicht. Aber sie ist schon jetzt ungeheuer kompliziert, und insbesondere die Vermischung dieser BruchteilJuden untereinander stellt die rassische Bestimmung der Nachkommen vor äußerst schwierige Aufgaben.
Wenn zum Beispiel ein /4-Jude eine '/s-Jüdin heiratet, bekommt
das
Kind
aus
solcher
Ehe
als rassisches
Erbgut mit: 1/2 plus !/s, also 7.8 jüdisches, und !/s plus 7/s, also ?/s arisches Blut, was per saldo, netto Kassa,
einen Reinertrag von '/, arisch für das Kind ergäbe, womit es im Dritten Reich nicht viel anfangen könnte; es wäre ja wieder ein %«-Jude. Hätte der */4jüdische
Vater aber statt der !/s-Jüdin eine komplette !/2- oder ?/,-Jüdin geheiratet, so ergübe die Blutbilanz des Kindes ?/ oder !%s jüdisch und %s arisch, also einen Überschuf von */s, id est 1/2 jüdisch, und das Kind wäre ein !/?-Jude, stünde
also besser da als jenes, dessen
3/,-Vater eine !/s-Jüdin geheiratet hat. Diese Kalkulation mag ja gewiD einen Haken haben, aber bei der rassischen Arithmetik wird man so konfus, daß Irrtümer kaum zu vermeiden sind. Vielleicht würen sie das leichter, wenn die Bruchteilwirkung aufgegeben und lieber der Dezimalpunkt in die Judenausrechnung eingeführt würde." Alfred Polgar (1937)
3.2.4 Das Schicksal der verfolgten Altertumswissenschaftler an den anderen deutschen Universitüten 3.2.4.1
Zur Literatur
Hier kann nur eine zusammenfassende Darstellung der traurigen Geschichte der nationalsozialistischen Verfolgung jüdischer und politisch miDliebiger Altertumswissenschaftler gegeben werden. Die Komplexität des Themas und der Aspekte, die dabei eine Rolle spielen, erfordern eine eigene Forschungsarbeit, die bisher immer noch aussteht. Obwohl die ,Deutsche Forschungs-
gemeinschaft“ mittlerweile einen Forschungsschwerpunkt „Wissenschaftsemigration" eingerichtet hat, obwohl es inzwischen wenigstens zwei deutschsprachige Zeitschriften gibt, die allein diesem Themenbereich gewidmet sind, ist meines Wissens noch keine eingehende Untersuchung über die Vertreibung und Emigration im Bereich der Altertumswissenschaften erschienen.206 Die ersten Aufsätze zu diesem Thema verfaßten bezeichnenderweise Schüler von Emigranten in den USA und Großbritannien: Der Werner-JaegerSchüler William M. Calder III und der Eduard-Fraenkel-Schüler Hugh Lloyd-
182
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Jones waren die ersten, die sich mit den Folgen des Nationalsozialismus für
die Geschichte ihres Faches bescháftigten.297 Im Unterschied zu den klassischen Philologen wandten sich im deutschen Sprachraum die Althistoriker schon in den siebziger Jahren diesem Abschnitt ihrer Fachgeschichte zu. Neben den Forschungen Karl Christs sind vor allem die Arbeiten von Volker Losemann
zu nennen,
der in „Nationalsozialismus
und
Antike“
auch
den
ersten Überblick über die Auswirkungen der nationalsozialistischen Vertreibung und Verfolgung auf die gesamte Altertumswissenschaft gibt.208 In der Hauptsache auf Losemann und Nachrufe gestützt, behandelte dann Walther Ludwig die Amtsenthebung und Emigration klassischer Philologen in einem Aufsatz von 1984.209 Neben diesen beiden Überblicken (Losemann und Ludwig), denen noch der des Althistorikers Arnaldo Momigliano?!? hinzuzufügen ist, gibt es mittlerweile eine Reihe von Einzelstudien zu einzelnen Wissen-
schaftlern, die im Dritten Reich verfolgt wurden: Der ersten größeren Monographie, die dem Leben und Werk des Althistorikers Friedrich H. Münzer gewidmet ist?!1, folgte eine Reihe von Aufsützen zu klassischen Philologen, aus der die eindrückliche Monographie über Paul Maas von Eckart Mensching?!? besonders hervorgehoben sei. In diesen Zusammenhang gehören auch die innerhalb von einzelnen Universitütsgeschichten den jeweiligen Instituten für Altertumskunde, Altertumswissenschaft, klassische Philologie,
Alte Geschichte und Archäologie gewidmeten Abschnitte. Spezifisch mit der Geschichte eines Instituts für klassische Philologie unter dem Nationalsozialismus hat sich bisher aber nur Gerhard Lohse am Beispiel des Hamburger Instituts für klassische Philologie beschäftigt.213 Die Gründe für das offenkundige Ausbleiben einer fachinternen Auseinandersetzung mit den Auswirkungen des Nationalsozialismus sind vielschichtig. Begann die deutschsprachige Erforschung der wissenschaftlichen Emigration insgesamt vergleichsweise spät- das Augenmerk war zuerst auf die politische und die literarische Emigration gerichtet -, so stand innerhalb der Wissenschaften zuerst die Vertreibung der Naturwissenschaftler im Zentrum der Aufmerksamkeit, gefolgt von den Füchern, die schon allein von ihren Fachinhalten her die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit schwerer umgehen konnten, wie etwa die Geschichtswissenschaft oder die Germanistik.?1* In der
klassischen Philologie beschrünkten sich die Fachvertreter weitgehend auf die philologische Forschung. Die Reflexion ihres Tuns und ihrer Geschichte wurde nur entlang des Unbehagens geäußert, das sich auf die zunehmende Marginalisierung des Fachs seit der Jahrhundertwende und insbesondere nach 1945 bezog.?!5 Ansonsten begnügte man sich weitgehend mit Vorworten zu Festschriften und Nachrufen als Feld personenspezifischer Information. Auch hinterlieDen die Opfer nationalsozialistischer Verfolgung nur spürliche Zeugnisse ihres Schicksals.218 Ein anderes wesentliches Motiv scheint mir die Betonung der Kontinuität in der Fachgeschichte zu sein, die es leicht machte, den Bruch zu ignorieren.
Die Rückkehr einer kleinen Gruppe von Emigranten an deutsche Universitäten und die rasche Wiederaufnahme der Verbindungen durch emigrierte
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
183
Altertumswissenschaftler nach dem Ende des „Dritten Reichs“ verstärkten die
Wahrnehmung einer Kontinuität.217 Darauf wird weiter unten noch näher eingegangen.
Ein weiteres Motiv für das lange Ausbleiben einer fachinternen Selbstreflexion muß in dem nach Kriegsende bald sehr gefragten Rückgriff auf humanistische Werte gesehen werden, für die sich die Fachvertreter als Repräsentanten klassischer europäischer Kultur besonders zuständig fühlten. Der gesellschaftliche Bedarf nach Sinngebung in der Nachkriegszeit erleichterte klassischen Philologen den Wechsel in die neue sinnstiftende Rolle. Zudem ermöglichte der Rückgriff auf die große Ära der Altertumswissenschaft unter Theodor Mommsen und Ulrich v. Wilamowitz-Moellendorff den hiergebliebenen Wissenschaftlern die Herstellung einer fachinhaltlichen Gemeinsamkeit mit den Emigranten, die zumeist Schüler bzw. Enkelschüler der Diosku-
ren der Altertumswissenschaften waren. Diese von deutschen Altertumswissenschaftlern nach dem Zweiten Weltkrieg zum Teil wieder gepflegte Wissenschaftstradition ließ das Trennende, die nationalsozialistische Zeit, in
ihrer Sicht zu einer zu vernachlüssigenden kurzen Unterbrechung in den Beziehungen der im Land gebliebenen mit den emigrierten Altertumswissenschaftlern werden. So war es möglich, daß die Vertreibung der Mehrheit der Wilamowitzschüler aus Deutschland bis heute nicht von den Fachvertretern als solche ausgesprochen wird. Konkurrieren amerikanische Wissenschaftler, insbesondere W. M. Calder III mit britischen, wer der eigentliche Erbe der „Berlin method“ eines
Wilamowitz sei (gemeint ist der von Wilamowitz praktizierte Dreischritt bei der
Interpretation
eines
antiken
Textes,
im
Seminar
zusammen
mit den
Studenten erarbeitet, vgl. w. o., S. 38 f.), so ist andererseits in den einschlägigen Publikationen im deutschsprachigen Raum, wenn überhaupt, dann von einer Usener-Schule (Mette) bzw. eher von einer Jaeger-Schule (Mensching, Reinhardt, Hentschke/Muhlack) die Rede als von einer Wilamowitzschule.218 Wie noch gezeigt wird, verhält es sich aber so, daß der Großteil der Wilamowitzschüler im „Dritten Reich“ von den Universitäten und aus Deutschland vertrieben wurde, wührend Schüler von Jaeger in der Mehrheit hierblieben
und sich zum Teil den Nationalsozialisten andienten. Beschäftigte man sich mit der „Wilamowitzschule“,
könnte
man
diese
schmählichen
Ereignisse
nicht übergehen. Das erklürt vielleicht, warum Mette in seinem wirkungsgeschichtlichen Rückblick auf die Jahre 1856-1978 lieber Hermann Usener (1854-1905) zum Ahnherren der klassischen Philologen macht als Wilamowitz, dessen Schüler er selbst in Berlin 1926-1950 war. Die Wirkungsgeschichte von Wilamowitz, Jaeger und Snell sei einer nächsten Generation vorbehalten, schreibt Mette.219 Im Widerspruch dazu läßt er aber seine Wirkungsgeschichte erst im Jahr 1979 enden. Seiner Genealogie der Werke klassischer Philologen seit Hermann Usener fügt er Briefe zwischen Usener und Wilamowitz, Usener und Hermann
Diels etc. bei. Als Kriterium für eine Schule scheint mir der Hinweis auf thematische Zusammenhänge und Briefwechsel nicht ausreichend. Zum ei-
184
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
nen fehlt jegliche Evaluierung eines die Philologen verbindenden Forschungsprogramms, von Publikationsorganen und von Institutionalisierungen sowie
der Berufungspolitik, alles wesentliche Kriterien für die Zuschreibung einer wissenschaftlichen Schule.220 Zum anderen kann auf diese Weise gänzlich außer acht gelassen werden, daß Wilamowitz und Mommsen diejenigen Altertumswissenschaftler waren, die im Rahmen ihrer Berufungspolitik mit Hilfe fortschrittlicher preußischer Ministerialbeamter wie Friedrich Althoff (18391908) und Carl Heinrich Becker (1876-1955) jüdischen Wissenschaftlern zu Lehrstühlen an Universitüten verhalfen, als dies gar nicht bzw. wenig üblich war.??! Mettes Kriterium, die nach Usener folgenden Generationen klassischer Philologen zu dessen Schülern bzw. Enkelschülern zu erklären, beruht letztlich
nur auf einer Betonung von Verbindungen und Affinitüten ihrer Forschungsinhalte zu den Forschungsthemen Hermann Useners.?2? Fragte man aber nach der Selbstdefinition des Lehrer-Schüler-Verhältnisses, so betrachtete eine Reihe von klassischen Philologen, die Mette nennt, sich nicht als Enkel-Schüler Useners, wie etwa Eduard Fraenkel, Werner Jaeger, Kurt von Fritz und Rudolf
Pfeiffer, um nur einige herausragende Beispiele zu geben. Eduard Fraenkel gab die „Kleinen Schriften“ seines Lehrers Friedrich Leo heraus und wäre ohne den Einfluß von Wilamowitz nicht klassischer Philologe (vgl. w. o., S. 107) geworden. Werner Jaeger bezeichnete sich selbst als den jüngsten Schüler von Wilamowitz und Hermann Diels.23 1921 wurde Jaeger auf ausdrücklichen Wunsch der beiden Gelehrten als Nachfolger von Wilamowitz auf dessen Berliner Lehrstuhl berufen. Kurt von Fritz nennt ausdrücklich den Wilamowitz-Schüler
Eduard
Schwartz,
neben
Johannes
von
Kries und
Konstantin
Caratheodory, seine Lehrer.?2?* Auch Rudolf Pfeiffer, der noch an Wilamowitz’ „Graeca“ in Berlin teilnahm, ist ein Schüler von Eduard Schwartz.?25 Die Enkelschülerschaft dieser Gelehrten zu Hermann Usener kann Mette nur unter der Bedingung festschreiben, daß er Wilamowitz und Leo zu UsenerSchülern erklürt, was ebenfalls durchaus
umstritten ist und zumindest von
Wilamowitz auch selbst abgelehnt wurde, der sich zwar mit Usener nach seiner Studentenzeit ausgesóhnt hatte, sein Werk, seine Wirkung und seine Wissen-
schaftspolitik aber durchaus unabhängig von Usener betrieb.2% Diese m. E. strittige Hochschätzung von Useners Einfluß auf die ihm nachfolgenden Philologengenerationen entwertet zugleich den EinfluD von Wilamowitz. Mindestens so verkleinernd geht Mette mit den Folgen des Nationalsozialismus um, für die er nur eine Fußnote übrig hat, in der er erklärt, daß die von ihm mit Sternchen bezeichneten „Gelehrten fi. e. K. Latte, E. Fraenkel, O. Regenbogen, E. Kapp, R Pfeiffer, E. Norden, F. Jacoby, W. Jaeger und K. v. Fritz,
C. W.] ... während der Herrschaft der Nationalsozialisten ihre Lehrtätigkeit auf deutschem Boden unterbrechen“ muften.??7 Vier der neun genannten Gelehrten - rechnet man Kapp nicht hinzu, dem nach langwierigen Verhandlungen erst 1954 die Rechtsstellung eines entpflichteten ordentlichen Professors an der Universität Hamburg, die ihn 1957 entlassen hatte, zugesprochen wurde und ihm damit ermöglichte, als Emeritus einige Jahre Lehrveranstal-
tungen abzuhalten - mußten ihre Lehrtätigkeit abbrechen, ohne sie je wieder
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschafllern
185
an einer deutschen Universität aufzunehmen: Fraenkel und Jaeger kehrten nicht mehr nach Deutschland zurück, Eduard Norden starb einsam 1941 in der Schweiz, und Jacoby kehrte 1956, kurz vor seinem Tod, aus Oxford zu seinen Kindern nach Berlin zurück, ohne seit 1954 je wieder gelehrt zu haben.28 Mettes ,Nekrolog einer Epoche“, 1980 erschienen, übergeht bis auf die oben
zitierte Fußnote die Auswirkungen des Nationalsozialismus auf das Fach ebenso wie die durch die Diskussion innerhalb der Studentenbewegung in den sechziger Jahren angeregte ,Einführung in die Geschichte der Klassischen Philologie“ von Ada Hentschke und Ulrich Muhlack. Der kurze letzte Abschnitt ihres ansonsten sehr verdienstvollen und anregenden Werkes ist der „Lage der Klassischen Philologie seit Werner Jaeger“ gewidmet. Der Abschnitt gibt aber nur die Diskussion innerhalb des Faches aus den sechziger Jahren wieder, die von zwei Tendenzen gekennzeichnet sei: dem Nebenein-
ander der auf Wilamowitz zurückgeführten „positivistischen“ Richtung und der an Jaeger anschließenden „humanistisch-historischen“ Richtung. Kritiker der letzteren eigentlich klassizistischen Richtung, die vor allem von dem Jaeger-Schüler Wolfgang Schadewaldt vertreten werde, der auch nach 1945 noch die Antike als ,Grundmodell* der heutigen Welt ansah, seien Karl Reinhardt, Uvo Hólscher, Manfred Fuhrmann und Harald Patzer.229 Die Auto-
ren springen von Wilamowitz und Jaeger zur Szene der deutschen Nachkriegs-Philologie unter Auslassung des durch den Nationalsozialismus erzwungenen Exodus des größten Teils der Wilamowitzschule mit den besten Fachvertretern, die im übrigen eine ühnliche Diskussion schon Ende der zwanziger Jahre begonnen hatten. So kann u. a. auch nicht gesehen werden, womit die von Hentschke/Muhlack im Nachkriegsdeutschland beobachtete faktische Begrenzung des Gegenstandes der Klassischen Philologie auf ,Literatur“ zu erklären ist: Der Exodus namhafter Altertumswissenschaftler beschrünkte nicht zuletzt die Vielfalt der Richtungen altertumswissenschafllicher Forschungsgebiete im deutschen Sprachraum. Die Neuerungen innerhalb
des
Faches
entwickelten
sich
zunehmend
außerhalb
Deutschlands,
vorrangig in den angelsächsischen Ländern, den Aufnahmeländern der meisten Emigranten. Auch der nach dem „Dritten Reich“ erfolgte und von den Autoren monierte Rückzug?*? von einem gesellschaftlich und politisch wirksamen Bildungsanspruch seitens der Altertumswissenschafter bleibt ohne Ansehung der politisch wirksamen Rolle, die klassische Philologen im „Dritten Reich“ gespielt hatten, unverständlich. Erschwerend kommt hinzu, daß die reale Verdrängung der Altertumswissenschaftler zuerst 1955 und nach 1945 noch einmal durch schweigendes Übergehen und Vergessen den Eindruck erweckt, die Wissenschaft habe sich seit Wilamowitz’ und Jaegers Berliner Jahren nicht mehr fortbewegt. Dieser Eindruck der Erstarrung stimmt weder für die Fachentwicklung in den zwanziger Jahren noch für diejenige außerhalb Deutschlands. In diesem Sinne sollte auch Mettes Abgesang auf eine herausragende Epoche altertumswissenschaftlicher Forschung in Deutschland diese nicht 1979, sondern schon 1955 enden lassen, um den Bruch in der Geschichte der Altertumswissenschaft deutlich zu machen, der
186
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
nach 1945 zwar durch eine Reihe von Kontinuitäten und Wiederanknüpfungen überbrückt konnte.
bzw. verschleiert, nicht aber rückgängig
gemacht
werden
Die von mir angeschnittene Schulfrage - Usener, Wilamowitz oder Jaeger - ist auch insofern nicht marginal, als zum einen eine Reihe von WilamowitzSchülern, weil sie Juden waren, verfolgt wurden, zum anderen einige Jaeger-
Schüler im Nationalsozialismus Karriere machten. Auf diesem Hintergrund istes wichtig, die Schülerbeziehung Werner Jaegers zu Wilamowvitz einerseits
und seinen eigenen schulbildenden Einfluß in den zwanziger Jahren andererseits zu differenzieren. Die von Hentschke/Muhlack gegenüber Wilamowitz allein stark gemachte Jaeger-Schule scheint mir zumindest eine Frage der Perspektive und der
Vorliebe für bestimmte Perioden in Jaegers wissenschaftlicher Entwicklung zu sein. Zwar ordnen sich einzelne Philologen mehr dem einen Lehrer als dem anderen zu, was aber noch nicht heißt, daß Jaeger eine grundsätzlich andere Richtung als Wilamowitz vertrat. Jaeger ist ein Wilamowitzschüler, der eigene Wege ging und neue Themen, die Wilamowitz nicht so sehr lagen, verfolgte, wie z. B. die von Jaeger vorangetriebene Aristoteles-Forschung. Als
Wilamowitz' Nachfolger zog er insbesondere philosophisch interessierte jüngere Philologen wie etwa Friedrich Solmsen an, die aber auch bei Wilamowitz hórten, der als Emeritus regelmüDig Seminare und Vorlesungen abhielt. Andererseits unterschieden sich Jaegers Ideen zur Aktualisierung antiker Themen, die schlieBlich in der Reidealisierung und Instrumentalisierung antiker Texte für die politische Erziehung eines „neuen Menschen“, dem sogenannten „Dritten Humanismus“, mündeten, in der Tat sehr deutlich von
Wilamowitz’ Auffassung von Philologie. Sie kamen zum Teil den Wunschvorstellungen mancher mit der unüberschaubar gewordenen Entwicklung der Altertumswissenschaft unzufriedenen Philologen aus der Nach-Wilamowitz-
Generation entgegen. Soweit sich Philologen auf Jaegers klassizistisch-erzieherische Ansätze in seinen Vorträgen, Aufsätzen und dem Werk „Paideia“ beziehen, kann man von einer eigenen Richtung sprechen, die Jaeger in den
zwanziger und dreiDiger Jahren stark machte (siehe dazu w. o. 1.4.2). So erklärten nationalsozialistische Philologen wie Ernst Bickel Jaeger 1955 zu ihrem „Führer“ und Vorkämpfer gegen die ,Verjudung der Philologie*.231 Andere nationalsozialistische Philologen wie Hans Drexler dagegen kritisierten am Jaegerschen Humanismus die humanistischen und wissenschaftlichen Standards.232 Wir finden unter Jaegerschülern solche, die später Nationalsozialisten wurden und sich in führenden nationalsozialistischen Forschungseinrichtungen betütigten, wie etwa Richard Harder im SS-Ahnenerbe; aber auch andere, die, wie etwa Harald Fuchs, Kritiker des Nationalsozialis-
mus waren. Wieder andere wurden seine Kollegen bzw. Freunde im amerikanischen Exil.25 Denn spätestens 1936 vollzog auch Jaeger den offiziellen Bruch mit den Nationalsozialisten, indem er sich weigerte, sich von seiner Frau zu trennen, und einem Ruf an die University of Chicago folgend, ebenfalls
in die Emigration ging.
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
187
Als Mitbegründer und Mitherausgeber des ganz und gar Wilamowitz’ Konzeption folgenden interdisziplinären Rezensionsorgans für die gesamte Altertumswissenschaft, „Gnomon, Kritische Zeitschrift für die gesamte klassische Altertumswissenschaft", zeigt sich Jaeger als Vertreter der Wilamowitz-Rich-
tung. Zugleich gab er seine eigene Zeitschrift ,Die Antike, Zeitschrift für Kunst und Kultur des klassischen Altertums“ (Hervorhebung C. W.) heraus. Auch in ihr veróffentlichten Wilamowitz-Schüler. Der 5. Band ist Wilamowitz zum 80. Geburtstag gewidmet, trotz der in der Tat humanistisch-klassizistischen Ausrichtung. Solange Jaeger Herausgeber der „Antike“ war (bis 1956, Bd. 12 einschließlich), ist die Zeitschrift für jüdische Wissenschaftler offen.
Erst die neuen Herausgeber (Schadewaldt, Schweitzer und Stroux) ändern ab Band 15 (1957) nolens volens diese Praxis.25* So wird deutlich, daß sowohl Regimekritiker als auch Anhänger und Vertreter des Nationalsozialismus und schließlich auch die Gruppe der Verfolgten und Verjagten sich auf Werner Jaeger positiv beziehen können. Nur die Anhänger des Nationalsozialismus bzw. diejenigen, die die Folgen des Nationalsozialismus überspringen resp. verdrüngen, im Unterschied zu den anderen beiden Gruppen, kónnen eine Jaeger-Schülerschaft als ausschlieDlich und gegen Wilamowitz gerichtete verstehen. Wilamowitz starb 1952, also vor der Machtergreifung, und Werner Jaeger diente im Frühjahr 1955 die Altertumswissenschaft den neuen Machthabern an: in seinem Aufsatz ,Die Erziehung
des politischen Menschen und die Antike“ sowie in den 1955 vom Deutschen Altphilologen-Verband vorgelegten ,Leitsützen ... zur Neugestaltung des humanistischen Bildungsgedankens auf dem Gymnasium", an deren Formulierung Jaeger mitwirkte.255 Damit wird einsichtig, warum Werner Jaeger geeignet ist, sowohl die Kontinuitütsthese zu belegen, indem hiergebliebene Schüler sich nach 1945 auf ihn berufen, als auch den Bruch zu symbolisieren, insofern er selbst emigriert ist und die „Berlin method" eines Wilamowitz als wohl sein prominentester Vertreter in den USA gelehrt und weitergegeben hat. In den USA gab er seine politisch-erzieherischen Ambitionen auf, obzwar der zweite und dritte Band „Paideia“ erst dort erschienen sind.2%% Aussagen zur Schulzugehórigkeit sind also zumindest nach der Perspektive und dem Standort desjenigen, der sie äußert, zu befragen. Denn man könnte hiergebliebene Jaeger-Schüler wie etwa Wolfgang Schadewaldt, Ludwig, Malten, Peter von der Mühll genausogut auch zu Wilamowitz’ Schülern bzw. Enkelschülern erklüren.
3.2.4.2 Maßnahmen Wie weiter oben schon erwähnt und aus der Literatur geläufig, erfolgten die Entlassungen in drei Phasen 1955, 1955 und 1937/38. Betrachtet man aber die Einzelfälle, sind einige Präzisierungen angebracht: Es zeigte sich, daß die Vertreibung aus dem Amt im Hochschulbereich oft vor dem Erlaß der entsprechenden gesetzlichen Handhaben einsetzte. Das gilt nicht nur für die erste
188
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Vertreibungs- und Verfolgungswelle politisch unerwünschter Personen im März 1955, sondern für den gesamten Zeitraum bis 1957/1938 (vgl. z. B. w. o.,
S. 174.). Die Entlassungsgesetze selbst wurden zudem laufend durch neue Verordnungen und Erlasse erweitert bzw. ergänzt, die schleichende Übergünge zwischen dem BBG (1933) und dem RBG (1935) schufen, Hier sei ausdrücklich festgestellt, daß die seit 1933 sich steigernde Praxis der Verfolgung in Form immer neuer antisemitischer Gesetze und Erlasse eine Pseudolegitimation darstellte, die gleichzeitig jede Möglichkeit der Verteidigung und Gegenwehr auf dem Rechtsweg ausschloß und aberwitzige Begründungsformen annahm. Diese Art der Pseudolegitimation verdeckte die Willkür nur ansatzweise. Hinzu kam der im Zusammenspiel zwischen Studentengruppen, örtlichen Parteifunktionären, Kollegen, Dekanen, Rektoren etc. mitden jeweiligen
ministeriellen Stellen ausgeübte Druck auf die als unerwünscht geltenden einzelnen Wissenschaftler, so daß sich ein komplexes und polymorphes Bild der Verfolgung seit 1955 ergibt und das Bild der Entlassungs-„Phasen“ zu korrigieren ist: Es war vielmehr ein Kontinuum,
das sich hinsichtlich der
Härte und Tragweite der Maßnahmen steigerte und von der öffentlichen Gesetzgebung über unterschiedliche Verfahrensregelungen der einzelnen Ministerien,
lokale
Sonderregelungen
sowie
mündliche
Vollmachten
und
Direktiven einzelner Parteivertreter bis zu Eigeninitiativen der Rektoren, Dekane und Institutsmitglieder reichte.237 Im Hochschulbereich wirkten sich nach dem Erlaß des BBG und dem Numerus clausus für jüdische Studenten (April 1955) schon im folgenden Jahr die Erlasse über das Prüfungsverbot (Oktober 1954) und die neue Habilitationsordnung (Dezember 1954) aus. Mit dem Prüfungsverbot verloren die vom BBG ausgenommenen Hochschullehrer ihre Gleichberechtigung als Fakultätsmitglieder und einen zentralen Teil ihrer Aufgaben, der sie auch in der Lehre einschrünkte. Der Berliner a. o. Professor für Philosophie und Psychologie Kurt Lewin (1890-1947) sah diese Situation der Entrechtung und Beraubung schon im Mai 1955 als absehbare Folge der bis dahin erlebten antijüdischen Maßnahmen voraus und schätzte die Brüchigkeit der Ausnahmeregelung des BBG realistisch ein: „Noch vor vierzehn Tagen hat Göring erklärt, daß man es sich nicht leisten könne, auf die Kriegsteilnehmer unter den jüdischen Beamten besondere Rücksicht zu nehmen, und die gestrige Rede im Landtag hat wohl den gleichen Sinn. Aber nehmen wir einmal an, es bleibe bei der jetzigen Ausnahmestellung der Kriegsteilnehmer, so ändert das noch nicht das Wesentliche.
... Meine
Generation
ist nicht entlassen worden, weil sie eben
tatsächlich fast ausnahmslos im Felde war. Die etwas jüngeren Juden aber hat man abgelehnt und wird sie auch in Zukunft nicht annehmen. Ganz das gleiche ereignet sich an den Hochschulen. Die Habilitation eines jüdischen Privatdozenten wird ausgeschlossen sein. Aber wir Älteren werden die Ehre haben, den deutschen Nachwuchs auszubilden und auf ein möglichst hohes Niveau zu bringen. Nur unsere eigenen Kinder dürfen nicht darunter sein. Es wird keine jüdischen Lehrer an den Schulen geben. ... Ich will hier nicht
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftiern
189
vom Moralischen sprechen. Nicht von der phantastischen Undankbarkeit gegen eine Gruppe von Menschen, die nicht weniger als irgendein anderer Volksteil Leben und Arbeit eingesetzt haben. ... Aber es ist klar, daß der Jude sich aufs tiefste betrogen fühlen muß, wenn man ihm die rechtliche Gleich-
stellung, aufderen Grundlage er seine Kräfte eingesetzt hat, plötzlich entzieht. Man hätte die Juden meinetwegen als völkische Minderheit anerkennen können. Stattdessen hat man jene maßlose Verlogenheit, die hinter der formalen ‚Gerechtigkeit‘ des Numerus clausus steckt, zur Grundlage gewählt. Daß dieses statistische Ideal ‚gleichmäßiger Verteilung‘ ohne Rücksicht auf Anlage und Geschichte nur ein Deckmantel ist für eine tatsächliche Entrechtung, braucht man wohl nicht zu beweisen. ... Ich kann mir gegenwärtig nicht vorstellen, wie man als Jude ein Leben in Deutschland führen soll, das
auch nur den primitivsten Anforderungen an Wahrhaftigkeit genügt. ... Soll ich vielleicht bei meiner nächsten Auslandsreise wieder als Vertreter Deutschlands reden und wie man das als selbstverständlich von jedem Juden verlangt, den ‚Greuelnachrichten entgegentreten‘? Oder als was soll ich antreten? Vielleicht als ein Mensch, dem man zwar die Grundrechte des
Bürgers genommen hat, der aber doch gegen Gehalt die Kinder dieses Volkes mit Kenntnissen versieht und zu Stellungen vorbereitet, von denen seine eigenen Kinder ausgeschlossen sind? Vielleicht wird ein hartesSchicksal auch mir,
wie
vielen
Juden,
dieses
Los
nicht
ersparen.
...
Aber
Sie werden
hoffentlich verstehen und billigen, daß ich, obschon ich weiß, daß damit mein Leben
entzweigerissen
wird, versuchen
muß,
für mich
und meine
Kinder
einen Ort zu finden, an dem man aufrecht leben kann."256 Am 20. Mai 1955 schrieb Lewin diesen Abschiedsbrief, aus dem ich hier aus Platzgründen leider nur Auszüge zitiere, an den Direktor seines Instituts, Wolfgang Köhler (1887-1967). Lewin schickte ihn aber nie ab, da er sich und Köhler nicht in Gefahr bringen wollte. Denn Köhler hatte sich kurz zuvor öffentlich gegen die Entlassung von James Franck gewandt. Kurt Lewin verließ das Berliner Institut für Psychologie 1933, um in die USA zu gehen, wo er der Begründer der empirischen Sozialpsychologie wurde. Köhler folgte ihm 1955 aus Protest gegen die Nationalsozialisten nach.259 Die in dem Brief von Lewin erwähnte fast ausnahmslose Teilnahme seiner Generation am Ersten Weltkrieg trifft auch für die Altertumswissenschaftler zu. 1955 wurde als einziger klassischer Philologe Eduard Fraenkel nach $ 5 des BBG zwangsweise in den Ruhestand versetzt, weil er aus gesundheitlichen Gründen nicht am Weltkrieg teilgenommen hatte. Als Nichtteilnehmer am Ersten Weltkrieg erhielt Fraenkel nur 35% Ruhegehalt zuerkannt. Alle anderen jüdischen Ordinarien fielen vorerst unter die Ausnahmebestimmung des $ 5. Schon am 6. Mai 1955 aber definierten die Nationalsozialisten, die wohl
nicht mit einer so hohen jüdischen Frontkämpferzahl gerechnet Frontkümpferstatus enger, indem sie nur die direkte Teilnahme handlungen als Kriegsteilnahme akzeptierten. So mußte z. B. der ger Ordinarius Paul Maas, der als freiwilliger Krankenpfleger im lange um die Anerkennung als „Frontkämpfer“ ansuchen, wurde
hatten, den an KampfKónigsberKrieg war, dann trotz-
190
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
dem schon am 11. April 1954 nach $ 6 des BBG „zur Vereinfachung der Verwaltung“ zwangsweise in den Ruhestand versetzt.29? Wenn der eine Paragraph nicht wirkte, so konnte der $ 6 immer zur Entlassung herangezogen werden. Wie schon erwähnt, verlief die darauf von seinem Königsberger Kollegen Willy Theiler unternommene Hilfsaktion in Form einer Eingabe beim Kultusministerium, die sich für die Weiterbeschüftigung von Maas einsetzte und die von den meisten deutschen Altertumswissenschaftlern mit ihrer Unterschrift unterstützt wurde, ergebnislos. Es war, soweit bekannt, die
größte Solidaritätsaktion für einen entiassenen Kollegen im Bereich der klassischen Philologie.2*! Neben der sofortigen Entlassung „politisch unzuverlässiger“ Altertumswissenschaftler - in der klassischen Philologie war 1955 davon nur ein Ordinarius, Konrat Ziegler, betroffen - traf noch vor Beginn des Sommersemesters 1955 vor allem die jüngeren, eben habilitierten jüdischen Wissenschaftler der
Ausschluß aus den Hochschulen. Vier Privatdozenten und ein Lektor der klassischen Philologie verloren 1955 ihre Lehrerlaubnis: Ludwig Edelstein, Richard Walzer, Hans Lewy, Friedrich Solmsen (alle an der Universität Berlin)
und Ernst Grumach (Königsberg).2+2 Gymnasiallehrer wurden ebenfalls ausnahmslos 19855 entlassen. Sie seien hier
insofern
erwähnt,
als
sie in der
Emigration
Hochschullehrerstellen
erhielten bzw. schon vor 1955 durch ihre wissenschaftlichen Veröffentlichungen in der Fachwelt bekannt und geschützt waren und somit der Forschung zuzurechnen sind: Friedrich W. Lenz, Robert Philippson, Eilhard Schlesinger, Felix Martin Wassermann, Stefan Weinstock und Günther Zuntz.?*5 Für eben promovierte Altertumswissenschaftler oder solche, die sich habilitieren wollten oder gar noch studierten, war, wie Lewin beschreibt, eine
wissenschaftliche Laufbahn an deutschen Universitäten mit der Machtergreifung unmóglich geworden. Es gab zwar, wie aus anderen Fachrichtungen bekannt, fallweise Ausnahmeregelungen, die eine Promotion auf besonderen Antrag des Doktorvaters erlaubten, aber das Anrecht war dahin und eine Habilitation ausnahmslos verboten. Auch Stipendien und Forschungsstellen wurden 1955 entzogen bzw. nicht verlángert.?2** Davon waren in der klassischen Philologie die Nachwuchswissenschaftler Rudolf Blum, Martin Braun, Karl Oskar Brink, Paul Oskar Kristeller, F. W. Lenz, Otto Skutsch und Luitpolt
Wallach betroffen. 1955 wurden außerdem die jüdischen Honorarprofessoren mit sofortiger Wirkung entlassen: Isaak Heinemann in Breslau und Erik Peterson in Bonn.2#5° Warum der Rostocker Ordinarius für klassische Philologie Rudolf Helm frühzeitig emeritiert wurde, konnte ich nicht herausfinden.246 1954 ließ sich Felix Jacoby in Kiel wegen der von Lewin beschriebenen Einschrünkungen und Zumutungen (siehe auch w. o. 5.1.5.2), die auf die im Amt verbliebenen Hochschullehrer zukamen, ,freiwillig^ beurlauben. Mit Jacoby solidarisierten sich seine Studenten der klassischen Philologie, nach-
dem er vom Kieler NSD-Studentenbund öffentlich angegriffen worden war.2#7 Nach Erlaß des Reichsbürgergesetzes wurden dann 1955 die noch im Amt verbliebenen o. und a. o. Professoren zwangsweise in den Ruhestand versetzt:
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschafliern
191
die bereits 1934 beurlaubten o. Professor Felix Jacoby und a. o. Professor Otto Neugebauer,
die o. Professoren
Paul
Friedländer,
Kurt
Latte
und
Eduard
Norden. Der Vertrag des a. o. Professors Hermann Frünkel wurde nicht mehr verlängert. Kurt von Fritz, a. o. Professorin Rostock, wurde 1935 aufgrund des
BBG $ 6 entlassen, weil er den Treueeid auf Hitler zu schwören im Herbst 1934 verweigert hatte, ein im Bereich der Altertumswissenschaften einmaliger Protest. Erwin Rohde, Privatdozent in Marburg, entschloß sich frühzeitig zu emigrieren, weil er nicht vorhatte, sich von seiner jüdischen Ehefrau zu trennen. Otto Regenbogen, Ordinarius in Heidelberg, wurde bereits 1935 von seinem Amt beurlaubt, weil er die Herkunft seiner Ehefrau im Fragebogen nicht angegeben hatte.24 Auch der Druck, der durch die Ehegesetze für Beamte seit 1933 auf mit jüdischen Partnern Verheiratete ausgeübt wurde, steigerte sich: zunächst die Neufassung des Reichsbeamtengesetzes am 30. Juni 1955 (RGBI. I, S. 455); dann die immer wieder auszufüllenden Fragebogen, die nicht nur das Glaubensbekenntnis der Vorfahren, die Parteizugehörigkeiten, die Teilnahme am Ersten Weltkrieg, sondern auch das Religionsbekenntnis der Ehefrau und später der Schwiegereltern erfragten; dann das „Blutschutzgesetz“, eines der drei Nürnberger Gesetze vom 15. September 1935, das Eheschließungen und außerehelichen Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen „deutschen und artverwandten Blutes“ verbot (RGBI. I, S. 1146); schließlich der Erlaß des „Deutschen Beamtengesetzes“ am 26. Januar 1957 (RGBI. 1, S. 39 ff.), dessen
$ 59 die Entlassung ohne Ruhegehaltsanspruch all derjenigen Beamten verfügte, die mit Partnern „nicht deutschen oder artverwandten Blutes“ verhei-
ratet waren. Ebenso wie Georg Rohde zog auch Werner Jaeger daraus schon frühzeitig die Konsequenz und legte seinen Berliner Lehrstuhl 1956 nieder, um
mit seiner jüdischen
Ehefrau
Ruth
Heinitz am
24. Juni in die USA zu
emigrieren, wo ihm die University of Chicago eine o. Professur angeboten hatte.?*9 Die o. Professoren Ernst Kapp (Universität Hamburg), Rudolf Pfeiffer (Universitát München) und Otto Regenbogen (Universitüt Heidelberg) sowie der Honorarprofessor Walther Kranz (Universität Halle) wurden im Laufe des Jahres 1957 wegen ihrer Ehe mit einer Jüdin zwangsweise in den Ruhestand versetzt. Hervorzuheben ist, daß sie nicht nach $ 59 des neuen „Deutschen Beamtengesetzes“ entlassen wurden, sondern nach $ 6 des BBG, also zur
»Vereinfachung der Verwaltung". Dies geht auf einen ErlaD des Reichswissenschaftsministers zurück, der es „jüdisch-versippten deutschblütigen“ Beamten verbot, die Reichs- und Nationalflaggen in der Wohnung zu hissen. Da aber auf Dauer nicht tragbar sei, daß ein Beamter nicht flaggen dürfe, sei er aufgrund des $ 6 BBG in den Ruhestand zu versetzen.?99 Warum dieser Runderlaß, den das Ministerium am 19. April 1957 aussandte, den $ 59 DBG ersetzte, ist nicht deutlich. Eine mögliche Erklärung könnte das nach $ 6 BBG zugesprochene Ruhegehalt sein, das bei Entlassung nach dem Deutschen Beamtengesetz nicht gewährt wurde: das heißt, man wollte den Wissenschaftlern mit einer jüdischen Ehefrau wenigstens ein Ruhegehalt zubilligen. Soweit
mir
bekannt
ist, ließ nur
ein
klassischer
Philologe
sich
von
seiner
192
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
jüdischen Ehefrau scheiden: der noch im April 1933 neben Felix Jacoby u. a. von dem nationalsozialistischen Kieler Studentenbund als untragbar für den Neuaufbau der Universität im Nationalsozialismus angegriffene WernerJaeger-Schüler Richard Harder.251 Mit dem Einmarsch deutscher Truppen nach Österreich in der Nacht vom 11. aufden 12. März 1938 ließ sich Österreich an das Deutsche Reich anschlieBen. Was an deutschen Universitäten zwischen 1933 und 1958 geschah, also in einem Zeitraum von fünf Jahren, wurde an den österreichischen Universitäten, insbesondere der Universität Wien, unter tatkräftiger Mithilfe und
Unterstützung der österreichischen Wissenschaftler, Dekane und Rektoren innerhalb eines knappen Monats erreicht. An der Universität Wien wurden ca. zwei Drittel der Lehrkräfte
aus politischen
und „rassischen“
Gründen
entlassen bzw. in den Ruhestand versetzt.252 Schon am 30. März 1958 wurden sie beurlaubt, später des Amtes enthoben. Die Entfernung wurde vorerst mit der Konstruktion begründet, daß alle Hochschullehrer auf Hitler zu vereidigen seien, und wer nach den „Nürnberger Gesetzen“ Jude sei, werde nicht
zur Vereidigung zugelassen.255 Ebenso sei mit den als politisch unzuverlässig eingestuften Hochschullehrern zu verfahren. So wurden im März 1938 die klassischen Philologen o. Professor Josef Bick und o. Professor Karl Mras, die
Privatdozentin Gertrud Herzog-Hauser, der Althistoriker a. o. Professor Edmund Groag und der Gymnasiallehrer Bernhard Floch in Wien beurlaubt, dann in den zwangsweisen Ruhestand versetzt. Der Privatdozent Ludwig J. G. Bieler legte seinen Lehrauftrag aus Protest gegen den Anschluß Österreichs nieder. Die Nachwuchskräfte Anton Erich Raubitschek und Franz Stoessl verloren ihr Forschungsstipendium bzw. die Anstellung als Gymnasiallehrer. Heinrich Gomperz, o. Professor für Griechische Philosophie, war schon 1954 unter dem ósterreichischen Stündestaat zwangsweise in den Ruhestand versetzt worden.25* So wurden allein am Wiener Institut für klassische Philologie zwei Lehrstühle vakant, und zwei Privatdozenten verloren ihre Stelle. Damit liegt Wien an zweiter Stelle hinter Berlin, wo sechs klassische Philologen und
drei Althistoriker ihrer Lehrberechtigung beraubt wurden.255 Wie sah die Lage der altertumswissenschaftlichen Fächer an den anderen Universitäten im Vergleich zu Göttingen, Berlin und Wien aus? Dazu seien einige Zahlen genannt, um das ungefähre Ausmaß der Entlassungen im gesamten Hochschulbereich klarzumachen. Ungeführ, weil die Entlassungszahlen zumeist nach den bekanntgewordenen Emigrationszahlen angegeben werden,
so daß
die zwar
entlassenen,
aber
in Deutschland
verbliebenen
Wissenschaftler nicht mit einbezogen sind. 7117 Hochschullehrer?56 gab es im Wintersemester 1951/52 in Deutschland an den Universitüten und Technischen Hochschulen.257 In den Jahren 1951 bis 1958 emigrierten davon ca. 5120 Hochschulangehörige, das sind 539% des gesamten Lehrkórpers: 286 Emeriti,
648 o. Professoren,
56 o. hon.
Professoren,
108 planmäßige
Professoren, 699 appl. Professoren, 605 Privatdozenten und Dozenten,
a. o.
144
Lektoren, Beamte und Angestellte des wissenschaftlichen Dienstes, 187 Ho-
norarprofessoren und Gastdozenten, 587 Lehrbeauftragte und Lehrer aus
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftiern allen Wissenschaftsbereichen.
In den
Geisteswissenschaften
193 (ohne
Geogra-
phie und Mathematik) emigrierten 795 Hochschulangehörige, das sind 43% des Lehrkörpers. Davon kehrten nur 85 Wissenschaftler nach dem Krieg nach Deutschland zurück .258 In den
altertumswissenschaftlichen
Fächern
Klassische
Philologie,
Alte
Geschichte und Archäologie lehrten 1951 204 Wissenschaftler. Hinzu kommen insgesamt 22 Emeriti. Klassische Philologie: 138 Wissenschafller, davon elf Emeriti; Alte Geschichte: 43 Wissenschaftler, davon sieben Emeriti; Ar-
chäologie: 45 Wissenschaftler, davon vier Emeriti.259 Nach einer Liste der Mommsen-Gesellschaft?9? gab es an den 25 Universitäten des Deutschen Reiches im Wintersemester 1952/55 im Fach Klassische Philologie 101 Lehrende, darunter neun emeritierte Ordinarii. Diese Zahl schließt, im Gegensatz zu der o. gen. Zühlung v. Ferbers, die Lehrbeauftragten, Lektoren und Gastdozenten nicht ein, die v. Ferber für das Jahr 1931 mit 40 Wissenschaftlern
angibt, so daD die beiden Zühlungen ungeführ übereinstimmen. Von den in der Liste der Mommsen-Gesellschaft genannten 92 Hochschullehrern waren 50 ordentliche Professoren. Zwólf von ihnen wurden durch nationalsozialistische Maßnahmen bis 1957 ihres Amtes beraubt und ließen ebenso viele Lehrstühle vakant. Von diesen zwölf ordentlichen Professoren waren 8 direkt bzw. indirekt Wilamowitz-Schüler: Eduard Fraenkel, Paul Friedländer, Felix Jacoby, Werner Jaeger, Paul Maas, Rudolf Pfeiffer, Kurt Latte und Otto Regenbogen. Hinzu kommen drei a. o. Professoren, drei Honorarprofessoren, fünf Privatdozenten und ein Lektor, von denen wiederum Hermann Fränkel, Walther Kranz, Georg Rohde, Friedrich Solmsen und Richard Walzer als Wilamowitz-Schüler gelten kónnen. Allein in der klassi-
schen Philologie wurden somit 24 von 101 Hochschullehrern an deutschen Universitäten vertrieben. Hinzu kommen Privatgelehrte inklusive der wissenschaftlich forschenden Gymnasiallehrer, der wissenschaftliche Nachwuchs und die an anderen Orten wie Redaktionen, Verlage, Bibliotheken etc. beschäftigten Wissenschaftler des Fachs. Rechnet man die in den altertumswissenschaftlichen Nachbardisziplinen Alte Geschichte (mit 15 entlassenen Hochschullehrern von 56), Antike Rechtsgeschichte (mit neun entlassenen Hochschullehrern) und Archäologie (mit acht Entlassenen von 41 Hochschullehrern) hinzu, so ergibt sich für die Altertumswissenschaften insgesamt ein hoher Verlust, der mit weit über 50 entlassenen Lehrpersonen (davon 25 ordentliche Professoren) ungeführ ein Viertel der an deutschen Universitüten bescháftigten Altertumswissenschaftler ausmacht.261 Anhang 10 enthält eine von mir zusammengestellte Liste all der Wissenschafller, die im Bereich der Altertumswissenschaften entlassen worden sind
bzw. ihre wissenschaftliche Laufbahn in Deutschland abbrechen muften. Er ist entsprechend der seit dem 19. Jahrhundert sich ausdifferenzierenden altertumswissenschaftlichen Teilgebiete mit Rücksicht auf deren gleichzeitige enge fachliche Zusammenarbeit nach den Fächern?® Klassische Philologie, Alte Geschichte, Antike Rechtsgeschichte und Archäologie gegliedert.
194
Innerhalb
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
der Fächer habe
ich an den
Universitäten
beschäftigte Wissen-
schaftler vom wissenschaftlichen Nachwuchs unterschieden, soweit von diesem eine spätere altertumswissenschaftliche Berufswahl bekannt ist. SchlieDlich werden, davon getrennt, die Namen von nicht emigrierten Wissenschaftlern genannt, die mir im Laufe der Recherche bekannt wurden. Aus Interesse am Schicksal der Wilamowitz-Schule habe ich alle Wissenschaftler dieser Schule mit „W“ gekennzeichnet, um einen Überblick über den Transfer dieser
wissenschaftlichen Tradition in die Emigrationsländer zu geben. Ausgangsbasis waren u. a. die von Losemann genannten Namen und die Nachrufe in „Gnomon“,
sehr hilfreich die Liste von H.-P. Kröner. Zur Überprüfung und
Erweiterung dienten mir die vier Bände des „Biographischen Handbuchs der deutschsprachigen Emigration nach 1933“ sowie die „List of Displaced German Scholars“.265 Für das Fach Archäologie gab mir Herr Professor Hartmut Döhl wertvolle Hinweise. An dieser Stelle sei ausdrücklich festgehalten, daß ich den Begriff „Entlassung“ im weitesten Sinne verwende:
im Hochschulbereich
fallen darunter,
wie auch aus den von mir angeführten Einzelfällen hervorgeht, sowohl die in der Regel angewendete zwangsweise Zurruhesetzung unter Gewährung eines Ruhegehaltes in den verschiedenen Abstufungen als auch ohne Anspruch auf Ruhegehalt; der einfache Entzug der Venia legendi; die Nichtverlängerung von Verträgen als Assistent, Lektor etc.; die vorläufige Beurlaubung mit nachfolgender Zurruhesetzung, sei sie nun „freiwillig“, d. h. im Vorgriff beantragt, oder nicht; und schließlich die Niederlegung des Amtes, bevor eine
der nationalsozialistischen Maßnahmen zur Entfernung aus dem Amt führte. Letzteres war der Fall bei einer Reihe von Altertumswissenschaftlern, die ihr
Amt aus Protest niederlegten, wie etwa der Heidelberger Ordinarius für Alte Geschichte und Theodor-Mommsen-Schüler Eugen Täubler.2% In anderen Fällen kehrten sich zur Zeit der Machtergreifung im Ausland aufhaltende Wissenschaftler nicht auf ihren Lehrstuhl zurück, wie der Althistoriker Ernst Aurel Stein, oder sie entzogen sich der Verhaftung wegen ,politischer Unzu-
verlássigkeit^ durch eine möglichst schnelle Flucht in das nahe gelegene Ausland und ließen ihre Stelle zurück, wie der Althistoriker Arthur Rosenberg?95, der als Mitglied der USPD und später der KPD (bis 1927) als Abgeordneter im Reichstag sowie ehemaliger Sekretür des nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg vom Reichstag einberufenen Untersuchungsausschusses über die Ursachen des „deutschen Zusammenbruchs“ vor den Nationalsozia-
listen in die Schweiz floh, um einer Verhaftung zu entgehen und sein Leben zu retten.
Die Gewährung eines Ruhegehalts für Entlassene wurde nach BBG $ 8 von einer mindestens zehnjährigen Dienstzeit abhängig gemacht. Die Höhe des zugesprochenen Ruhegehalts hing von den Variablen Frontkärmpferstatus, politische Zuverlässigkeit und, wie im Falle Lattes schon gezeigt, von den seit 1958 eingeführten drastischen Kürzungsverordnungen ab, die sich im Laufe des Krieges steigerten. Emigrierten Wissenschaftlern wurde das Ruhegehalt,
falls es nicht gänzlich verweigert wurde, auf ein deutsches Konto überwiesen,
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
195
zu dem die Emigranten keinen Zugang erhielten, d. h. nicht darüber verfügen konnten. Ein Erlaß des REM vom 11. Mai 1938 schließlich stellte lakonisch fest, daß eine Auslandstätigkeit von in den Ruhestand versetzten Hochschul-
lehrern unerwünscht sei und daher eine Fortzahlung der Ruhegehaltsbezüge überhaupt abzulehnen sei.266 Die Entfernung aus dem Amt bedeutete im Hochschulbereich Berufsverbot. Dem akademischen Titel mußte ein „a. D.*
beigefügt werden. Damit verband sich in der Regel die Isolierung und der Kontaktabbruch seitens ehemaliger Kollegen. Hinzu kam das weite Feld der Verhinderung von wissenschafllicher Arbeit, Forschung und Veröffentlichung. Davon waren nicht nur die verjagten Hochschullehrer, sondern auch der angehende wissenschaftliche Nachwuchs und die Studenten betroffen. Sogar wissenschaftliche Hilfskräfte mußten ihre Abstammung und ihre politische Zuverlässigkeit nachweisen. Nicht allein die Vertreibung jüdischer Wissenschaftler, die Auslöschung des „jüdischen Einflusses“ war das Ziel der Nationalsozialisten. Von der Bücherverbrennung im Mai 1933 an vielen Orten, über die mehr oder weniger erfolgreichen Versuche, Bücher jüdischer Autoren aus den Bibliotheken der Institute und Univer-
sitäten zu entfernen, der Forderung nach Kennzeichnung von Zitaten und bibliographischen Angaben jüdischer Autoren mit einem „J“ bis zu dem Erlaß des RuPrEM vom 4. Juni 1936, die Namen „ausgeschiedener jüdischer Lehrkräfte“ aus den diversen Universitätsverzeichnissen zu entfernen und keine
Einladungen zu Veranstaltungen der Hochschule an diese mehr zu versenden sowie der später folgenden Aufforderung, sogar die Bilder jüdischer Gelehrter aus den Instituten zu entfernen u. a. m. reichte die Palette der Initiativen, Ideen und Maßnahmen.267 Auch auf die Herausgeber wissenschaftlicher Zeitschriften, Nachschlagewerke, Reihen etc. wurden die antijüdischen Mafinahmen angewendet. Aus-
nahmslos wurden jüdische Wissenschaftler schon bis Ende Herausgebergremien
„Hermes“
1933 aus den
ausgeschlossen.26 Das gilt für Zeitschriften wie etwa
(Ausschluß von
Eduard
Fraenkel),
,Gnomon*
(von
17, bis auf
Eduard Fraenkel allerdings nichtjüdischen Herausgebern blieben 1954 drei
übrig), „Die Antike“ (K. O. Brink mußte seine Redaktionsarbeit aufgeben), um nur einige Beispiele zu nennen. Nicht nur die Herausgebergremien wissenschaftlicher Periodika wurden in der Regel kommentarlos von jüdischen Wissenschaftlern ,gereinigt". Ganze Reihen, wie etwa die von Felix Jacoby, Paul Friedländer und G. Jachmann bei Weidmann herausgegebene Reihe "Problemata", wurden
nach
1955 eingestellt.2® Auch die ab 1922 in erster
Linie von Eduard Norden allein herausgegebene „Einleitung in die Altertumswissenschaften“ fand mit dem Jahr 1955 mehr oder weniger ihr Ende: Der von Eugen Täubler dafür verfaßte Band „Römischer Staat“ wurde vom Teubner-Verlag 1955 bis auf ganz wenige Exemplare einfach nicht ausgeliefert und die gesamte im Verlag lagernde Auflage nach kurzer Mitteilung an Táubler 1958 vernichtet.270 Jacobys „Fragmente griechischer Historiker“, seit 1921 von der Weidmannschen Verlagsbuchhandlung verlegt, fanden dort keine Fortsetzung. E. 1. Brill
196
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
in Leiden übernahm 1938 die Fortführung, nachdem der Geschäftsführer von Weidmann Jacoby trotz einer seit 1902 währenden guten Zusammenarbeit nach 1935 ohne jegliche Erklärung fallenließ. Jacobys „Fragmente“ scheinen im Verlagsprospekt von 1958 nicht mehr auf. Jacoby mußte erst selbst anfragen, um eine Erklärung zu erhalten. Der Geschäftsführer, der sich selbst verleugnete, ließ Jacoby durch seinen Vertreter nur die „Gegenfrage“ übermitteln, ob Jacoby eine „Ausnahmebewilligung der Parteiamtlichen Prüfungskommission zum Schutze des NS-Schrifttums“ zur Veröffentlichung des dritten Teiles der „Fragmente der griechischen Historiker“ beibringen könne. So endete dank- und kommentarlos eine über dreißigjährige enge Zusammenarbeit zwischen Autor und Verlag im Schweigen des Abbruchs der Beziehung.271 Wie an Jacobys Fall deutlich, wurde die Publikation von Werken jüdischer Wissenschaftler u. a. von der Goebbelsschen ,Reichsschrifttumskammer^ überwacht und weitestgehend verhindert. Ausnahmen sind auf widerstehen-
de Herausgeber und Verleger zurückzuführen. Jüdischen Verlegern wurden die Verlage weggenommen. Die jüdischen Wissenschaftler wurden nicht nur als Personen
entfernt und verfolgt, auch
ihre Werke,
ja ihr Bild solite in
Vergessenheit geraten. Dies gelang nur zum Teil, weil zum einen grundlegende altertumswissenschaftliche Werke eben weiter benutzt wurden und in der Fachdiskussion nur schwer umgangen werden konnten. Andererseits sieht man den Zeitschriften und Periodika ab 1955 durchgängig die allmählich zunehmende Verarmung schon von außen an. Sie werden bis 1944/45 nicht nur aus kriegsbedingtem Papiermangel dünner und inhaltsleerer. Die allmähliche Erschwerung, wissenschaflliche Forschungen in deutschen Publikationsorganen zu veróffentlichen, wurde von einigen Verlegern
und Herausgebern umgangen, was allerdings nur móglich war, solange keine Denunziationen erfolgten. Wilhelm Kroll, der damalige Herausgeber der Zeitschrift Glotta und von Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft, wurde denunziert, jüdische Mitarbeiter zu bescháftigen, namentlich den 1955 aus dem Schuldienst in Breslau entlassenen klassischen
Philologen Stefan Weinstock. Weinstock, ein junger Wissenschaftler, der in Breslau promoviert hatte, ging nach dieser, seiner zweiten Entlassung
1957
an die vatikanische Bibliothek in Rom, mußte allerdings 1959 auch diese Stelle verlassen
und
emigrierte
nach
England,
wo
er letztendlich
eine Stelle in
Oxford fand.?7? Wilhelm Kroll im Verein mit dem Verleger Alfred Druckenmüller konnte sich mit der „Reichsschrifttumskammer“ darauf einigen, daß
bis 1934 eingegangene Aufsätze und Artikel jüdischer Wissenschaftler in der Realencyclopädie veröffentlicht werden dürfen, wobei das Eingangsdatum für
diese Behórde schwer überprüfbar war und auf diese Weise noch in den vierziger Jahren Arbeiten von Wissenschafllern erscheinen konnten, die schon
längst in Konzentrationslager gebracht worden
waren
oder völliges
Publikationsverbot hatten, wie z. B. von Robert Philippson und Friedrich H. Münzer oder Konrat Ziegler und Kurt Latte. 275 Nach
dem
Herbst
1955
schon
konnte
nicht einmal
Eduard
Norden,
der
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
197
bekannteste und angesehenste Latinist, für seine „Altlateinischen Studien“ -
es sollte sein letztes Buch werden - in Deutschland einen Verleger finden. In der Reihe „Problemata“ durften sie nicht erscheinen, noch bei Teubner, noch
als Supplementband der Zeitschrift „Philologus“.27* Dies war wohl der letzte Anstoß für den seit zwei Jahrzehnten als Herausgeber des „Philologus“ fungierenden klassischen Philologen Albert Rehm, Ende 1957 die Herausgeberschaft niederzulegen: „Aber das Versprechen, mit meiner Mitwirkung an der
Herausgabe des Philologus ein Ende zu machen, habe ich mir selbst gegeben - ich weiß nicht, ob Sie sich an meine Äußerung in dem Sommergespräch erinnern, bei dem ich Ihnen sagte, daß ich mir über die Sache schon seit 1955
klar sei - ... Die Voraussetzungen, unter denen ich vor zwanzig Jahren die Redaktion übernommen
habe, daß für Annahme und Ablehnung von Beiträ-
gen nur die wissenschaftliche Qualität maßgebend sein soll, gelten heute nicht mehr: was ist logischer, als daB ein Mann, der heute nicht mehr zu den Jungen zühlt und sich nie etwas auf Wendigkeit zu gute getan hat, für seine Person die Konsequenzen daraus zieht.“275 Als Rehm dies an Norden schrieb,
war er selbst 66 Jahre alt. Rehm bestürkte aber den Mitherausgeber Johannes Stroux, die Herausgabe des „Philologus“ fortzusetzen und nicht ebenfalls zurückzutreten. Rehms Ausscheiden sollte so unauffällig wie möglich erscheinen, das wünschte vor allem der Verleger. Das Pogrom am 9. November 1938 schließlich wurde für eine Reihe von Altertumswissenschaftlern zum Anschlag auf Leib und Leben, Hab und Gut.
Felix Jacoby war zufällig nicht zu Hause, als SA-Männer in seine Wohnung in Finkenkrug bei Berlin einbrachen, wohin sich die Familie aus Kiel zurückge-
zogen hatte. Vor den Augen von Frau Jacoby, die zusehen mußte, zerstörten »5 Rowdies", wie Jacoby später beschrieb, alles: die Fensterscheiben, die Móbel, das Porzellan, Wertgegenstünde, die wissenschaftlichen Unterlagen, soweit sie nicht wie die Zettelküsten für die ,Fragmente griechischer Historiker“ in einem Safe verwahrt waren, sonstige Unterlagen und Papiere, die Bibliothek, das Arbeitszimmer, das Schlafzimmer. Paul Maas wurde am
11. November in Kónigsberg mitten aus einem Telefongesprüch mit Willy Theiler herausgerissen und von derSS verhaftet, die ihn mit den an seine Frau
gerichteten Worten: ,Den sehen Sie nie wieder^ in das Stadtgefüngnis verschleppten. Den Privatgelehrten Willy Morél verhafteten SA-Leute in Frankfurt und verschleppten ihn in ein Konzentrationslager. Paul Friedlünder wurde
in Berlin verhaftet
und
in das Konzentrationslager
Sachsenhausen
verschleppt. Hans. Liebeschütz, der nach seiner Entlassung in Hamburg seit 1956 an der „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“ lehrte, wurde
in Berlin sogar zweimal verhaftet und auch in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht. Luitpolt Wallach, der damals Bezirksrabbiner in Göppingen war, wurde aus seiner Wohnung nach Dachau verschleppt. Josef Bick wurde zur selben Zeit in Wien verhaftet und ebenfalls nach Dachau verschleppt. Alle hier Genannten konnten sich mit Hilfe von Freunden, Verwandten und z. T. von schon emigrierten Kollegen im letzten Moment noch retten und aus Deutschland fliehen.276
198
3.2.4.3
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Die Reaktion der verfolgten Altertumswissenschaftler und ihrer Kollegen
Bevor ich auf die verschiedenen Reaktionen der Betroffenen und ihrer Kollegen eingehe, sei eine von Otto Skutsch berichtete Geschichte vorangestellt: “I have spoken of German scholars and British scholars. To balance matters let
me mention at least one Frenchman. In 1957 I was in Paris and decided to call on Jules Marouzeau, Professor of course at the Sorbonne. ... He was not a very impressive-looking man, but he was a remarkable scholar. . ., and above
all he was a wonderful
organizer. Where
would we
be without 'L'annee
philologique’? But he put his organizing ability to even more practical use. He
was in fact the head and organizer of the French Resistance in Paris. One day a pamphlet, through an error signed M., fell into the hands of the Germans. Being
somewhat
suspect already
he was
arrested.
Fortunately
a German
officer, who was a classical scholar, succeeded in persuading the people in charge that as a classical scholar Marouzeau innocent; and so he was released.”277
was obviously harmless
and
Jules Marouzeau (1878-1964), der Begründer und Herausgeber des wichtigsten kritischen und analytischen bibliographischen Jahrbuchs für die ge-
samte Altertumswissenschaft, das seit 1929 bis heute erscheint und die internationale altertumswissenschaftliche Literatur wiedergibt, entging der Folterung bzw. Ermordung durch die GeStaPo, weil ein deutscher Kollege sich für
ihn eingesetzt hatte. Das Argument, das sogar die GeStaPo bereit war zu glauben, lautete, ein klassischer Philologe sei offensichtlich harmlos und daher unschuldig. Diese Geschichte wirft m. E. ein sehr bezeichnendes Licht auf das Prestige der klassischen Philologen in der deutschen Óffentlichkeit, aber auch auf die Einschätzung ihrer politischen Einstellungen. Altertumswissenschaftler wurden für konservativ, nationalistisch und zu weiter reichenden politischen Widerstandshandlungen nicht für fähig gehalten. Dasselbe Argument sollte später den ebenfalls im Widerstand tätigen Konrat
Ziegler vor einem Konzentrationslager bewahren. Ziegler wurde als weltfremd und außergewöhnlich hilfsbereit angesehen.?78 Dazu ist zu bemerken, daß deutsche klassische Philologen in der Tat politisch konservativ waren. Konrat Ziegler, der hóchstwahrscheinlich wegen
seines bekanntermaDen die Weimarer Republik unterstützenden óffentlichen Auftretens auch keine seinen Kollegen vergleichbare wissenschaflliche Kar-
riere machen konnte,??? ist eine der wenigen Ausnahmen: Seit 1923 Professor an der Universität Greifswald, war er in der Weimarer Republik Mitglied der DDP, trat nach dem Krieg der SPD bei, gehörte der Deutschen Friedensgesellschaft an, wirkte seit 1928 im Hauptvorstand des Vereins zur Abwehr des
Antisemitismus mit (von 1920-1933 als Mitglied) und trat 1950 aus der Pommerschen
Landeskirche
aus, weil er fand, sie unterstütze zu einseitig die
politische Rechte.299 Konrat Fürchtegott Ziegler war, soweit bekannt ist, der einzige klassische Philologe, der so offensiv für die Republik kämpfte und öffentlich gegen den erstarkenden Antisemitismus auftrat, aber auch schon
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschafllern
199
in der Weimarer Republik sich für verfolgte
delberger
Kollegen,
wie
den
Hei-
Mathematikprofessor
Julius Gumbel, eingesetzt hatte.281 Aus Greifswald, einer noto-
rischen Anfänger-Universität Wilamowitz hatte dorthin seinen
ersten Ruf erhalten - wurde Ziegler nie wegberufen. 1955 gehörte er zu den ersten entlassenen Hochschullehrern,
die
noch
vor
Beginn des Sommersemesters telegraphisch beurlaubt wurden. Seinem Einspruch gegen die Entlassung wurde nicht stattgegeben. Ein ehemaliger Kollege Zieglers in Greifswald, der Mathematiker Karl Theodor Vahlen (1869-1945), der als Gauleiter der NSDAP in Pommern und NSDAP-Abgeordneter
Abb. 1960)
21:
Konrat
Fürchtegott
Ziegler
(ca.
des
verboten
Reichstags,
wurde,
seine
1924 verloren hatte und
bevor
sie
Professur 1955 von
Rust als alter Nationalsozialist in das — Wissenschaftsministerium geholt worden war, sorgte mit z. T. falschen Angaben über Konrat Ziegler dafür, daß ihm eine ,Begnadigung" durch den Preußischen und Beichserziehungsminister Rust nicht gewáhrt wurde. Vahlen, im übrigen der Sohn des klassischen Philologen Johannes Vahlen, betonte u. a., daD Zieglers Ehefrau hichtarisch* und Ziegler Vorstandsmitglied des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus sei. Ersteres ist falsch, das zweite richtig. Die bloße Zuschrei-
bung, von einem mächtigen Nationalsozialisten ausgesprochen, reichte offen-
bar hin, um Ziegler auf Dauer aus seinem Amt auszuschließen.28 Gleichzeitig mit der Dienstentlassung im September 1933 kündigte die Universität Greifswald der siebenkópfigen Familie Ziegler den Mietvertrag für das universitátseigene Haus.285 Ein Jahr später zog die Familie nach Berlin, wo Ziegler wegen seiner Hilfe für eine befreundete jüdische Familie 1959 verhaftet wurde (siehe
dazu w. u., S. 264 f.). Konrat Ziegler gehórte zu der insgesamt kleinen Gruppe republikanisch engagierter Hochschullehrer aus allen Fachgebieten, die 1955, weil längst als solche bekannt, zu allererst von den Universitäten entfernt wurden. Da diese Gruppe klein, außerdem über die 25 deutschen Universitäten verstreut war und schon in der Zeit der Weimarer Republik von den Kollegen weitgehend isoliert bzw. mit großer Distanz behandelt wurde, hatte sie keinen Rückhalt und keine Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen. Es reichte dann im Som-
200
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
mer/Herbst 1933 hin, nichtjüdische Mitglieder dieser Gruppe als Freunde von Juden anzuprangern, um sie mit Hilfe des $ 4 des BBG zu vertreiben. Nun gab es aber auch in der insgesamt großen Gruppe konservativer Professoren, das gilt insbesondere
für die Altertumswissenschafler,
einige
wenige, die gegen die Behandlung ihrer Kollegen öffentlich protestierten. Von den nichtjüdischen Kollegen sind mir aus der klassischen Philologie nur zwei Fälle bekannt, wenn man die Weigerung des nach Basel berufenen Harald Fuchs, nach 1933 einen Lehrstuhl im Deutschen Reich anzunehmen, nicht mitrechnet: 1. Karl Reinhardt, eben von einer Reise zurückgekehrt, beschloß schon am
5. Mai 1933, seinen Lehrstuhl aufzugeben. Er protestierte damit gegen die besonders an der Universität Frankfurt hohe Entlassungsquote, gegen den nationalsozialistischen Terror und gegen die Eingriffe in die Universität. Der Wissenschaftsminister akzeptierte Reinhardts Rücktritt aber nicht. So nahm er seine Lehrtätigkeit nach einer Pause von ca. sechs Wochen wieder auf mit einer Vorlesung über den Rücktritt der „Göttinger Sieben“ im Jahr 1837, anhand Jacob Grimms
Flugschrift „Über meine Entlassung“
(Basel
1858).29* 2. Im Herbst 1954 verweigerte der an der Universität Rostock lehrende klassische Philologe Kurt von Fritz, den Eid unbedingten Gehorsams auf den „Führer“ zu leisten, wenn ihm nicht von allerhóchster Stelle schriftlich und
verbindlich zugesichert werde, daß die Eidleistung nicht seine Lehrtätigkeit beeintrüchtigen werde. Die anderen mir bekannten Rücktritte aus Protest kamen durchwegs von Wissenschaftern, die selbst von nationalsozialistischen Maßnahmen bedroht,
wenn auch vorerst vom BBG ausgenommen waren. Der Althistoriker Eugen Tüubler gab seinen Lehrstuhl zurück und legte seine Mitgliedschaft in der Heidelberger Akademie der Wissenschaften aus Protest gegen die Behandlung von Juden durch die Nationalsozialisten nieder. Er war als Frontkämpfer noch nicht vom BBG betroffen. Der Althistoriker E. A. Stein weigerte sich, wie schon erwähnt, auf seinen Berliner Lehrstuhl zurückzukehren und veróffent-
lichte ab 1955 nur mehr in franzósischer Sprache. Auch der Archüologe Karl Lehmann-Hartleben verließ seinen Lehrstuhl an der Universität Münster aus Protest und trat zugleich als Direktor des Münsteraner Archäologischen Museums zurück. Der Hamburger Privatdozent für Mittellatein, Hans Liebeschütz, sagte im Sommersemester 1955 aus Protest seine Lehrveranstaltun-
gen ab. Ein Jahr später wurde ihm die , Venia legendi" entzogen.285 Der klassische Philologe und Spezialist für Geschichte der Wissenschaften (Philosophie und Mathematik) in der Antike, Kurt von Fritz, war zur Zeit der Machtergreifung noch Assistent am Hamburger Institut für Klassische Philologie und seit dem Sommersemester 1955 a. o. Professor an der Universität Rostock.?86 Am 15. August 1900 als Sohn eines hohen Offiziers in Metz geboren, besuchte er zunüchst selbst die Schule eines Kadettencorps. Nach dem
Abitur hatte er in Freiburg/B. und in München die Fächer Klassische Philologie, Philosophie, Arabistik und Mathematik studiert.
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftiern
201
Das in Anhang 9 in vollem Wortlaut wiedergegebene, bisher unveröffentlichte Dokument über seine Entlassung im Jahr 1935 stellte v. Fritz dem Münchener Institut für Zeitgeschichte im April 1979 zur Verfügung, und zwar als Zusatz zu dem von ihm ausgefüllten Fragebogen für das „Biographische Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1955". Er wünschte ausdrücklich die Veröffentlichung seiner Schilderung der Rostocker Ereignis86.287 Den Hintergrund bildet die im Herbst 1954, nach dem Tod Hindenburgs,
erfolgte Vereidigung aller Beamten auf Hitler. Wie wir wissen, unterzog sich auch Kurt Latte dieser Vereidigung.288 Daß Kurt von Fritz den Gehorsamseid auf Hitler verweigerte, ist eine der
ganz wenigen öffentlichen Widerstandsaktionen, die es im Bereich der klassischen Philologie an den Hochschulen gab, die zudem von einem Wissenschaftler kam, der am Beginn seiner Universitätslaufbahn stand, weder jü-
disch noch bis zu diesem Zeitpunkt politisch tätig gewesen war. Aufgrund der Verweigerung des Eides wurde er schließlich im Sommer 1935 nach $ 6 des „Gesetzes
zur
Wiederherstellung
des
Berufsbeamtentums“
entlassen.
Der
ganze Vorgang zog sich also über fast ein Jahr hin. K. von Fritz’ Schilderung soll hier (Anhang 9) ungekürzt wiedergegeben werden, weil sie anhand der Rostocker
Verhältnisse
manches
im
Fluß
herrschte, wie man
war
zeigt, daB in den
und
seitens
auf unbotmäßiges
ersten
zwei
der Behörden
Jahren
des Regimes
Unsicherheit
darüber
Verhalten von Hochschullehrern
zu
reagieren habe. Diese Unsicherheit, die zu der Verzögerung seiner Entlassung über ein ganzes Jahr führte, wurde dann allerdings von Kultusminister Rust mit einem Schlag beendet: Ausdrücklich stellte das Ministerium fest, daß die Entlassung rechtmäßig sei, auch wenn das Gesetz zugegebenermaßen falsch angewendet worden sei, wie in von Fritz' Fall (vgl. Anhang 9). Das zunüchst - nach einigem Zógern - eingeleitete und dann wieder abgebrochene Disziplinarverfahren kann man als einen vergeblichen Versuch werten, Kurt von Fritz doch noch zur Räson zu bringen. Darüber hinaus belegt seine Schilderung erstens, daß der Eid auf Hitler im Hochschulbereich sowie in höheren
Militärkreisen mancherorts immerhin Diskussionen hervorrief und Überlegungen, wie man ihn leisten kónne, ohne an den Wortlaut gebunden zu sein.
Dies, obwohl man an die Unzahl neuer ministerieller Erlasse, an Umorganisation?589, neue
Eidformeln
usw. schon
seit der Einrichtung
der Weimarer
Republik gewóhnt war: Damals wurde die Universitütsverwaltung einschneidend
veründert,
die
Fakultüten
umorganisiert,
und
die
Beamten
wurden
wegen einer geringfügigen Veründerung in der Eidformel zweimal vereidigt. Ein Gelehrter, der also noch in der Wilhelminischen Ära an die Universität berufen worden war wie etwa Max Pohlenz, hatte seine Einstellungsurkunde vom Kaiser erhalten, in der Weimarer Republik zwei Beamteneide geschwo-
ren, im Dritten Reich den Eid auf Adolf Hitler geleistet und dann zu guter Letzt sich verpflichtet, der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland Treue zu bewahren. Zweitens erfahren wir aus v. Fritz’ Schilderung, daß es stellenweise an der Universität Rostock sowohl im Kreis der Hochschullehrer als auch
in der Gruppe der Studenten regimekritische Reaktionen gab. Drittens zeigt
202
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
der Bericht, daß es willkürliche Verbote, öffentliche Bibliotheken zu benutzen,
lange vor den diesbezüglichen Erlassen des Jahres 1958 gab. Schließlich werden auch die Berufs- und Geldnöte in der Emigration angedeutet. » .. die akademische Opposition von 1955 unter denen, die im Lande blieben, [endete] ohne Resonanz, ohne Zusammenschluß in einem dumpfen Umsinken und Sichverkriechen in privaten, wirkungslosen Zirkeln“?%, urteilt der Augenzeuge und Regimeopponent Karl Reinhardt, dessen Rücktrittsgesuch, das er im Mai 1955 an die „Frankfurter Zeitung“ gesandt hatte, nicht einmal dort für wert befunden wurde, veróffentlicht zu werden. Neben den
hier bereits genannten, mehr oder weniger an die Öffentlichkeit gedrungenen Protestaktionen von Altertumswissenschaftlern gab es eine Reihe von Hilfsaktionen für verfolgte Kollegen. Die von Willy Theiler und anderen initiierte Unterschriftensammlung gegen die Entlassung von Paul Maas und die von Bruno Snell organisierte Eingabe beim Kultusministerium mit dem Ziel, Kurt von Fritz der deutschen Altertumswissenschaft zu erhalten, schlugen beide fehl und wurden bereits erwähnt.291 Persónliche Briefe und nichtóffentliche Aktionen, die einen Institutskollegen im Amt halten sollten, wie die von Max Pohlenz für Hermann Fráünkel,
gab es vielleicht einige. Mir ist noch der Versuch des bereits emeritierten Münchener Ordinarius für klassische Philologie, Eduard Schwartz (18581940), bekannt, der zusammen mit Albert Rehm durch eine Eingabe beim
Reichserziehungsministerium vergeblich versuchte, Rudolf Pfeiffer im Amt zu halten. Schwartz war auch der Mentor für Kurt v. Fritz in München nach dessen Rostocker Entlassung.2% Ludwig Curtius, seit 1928 Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom, hat wohl nicht nur seiner ehemaligen Heidelberger Schülerin Hermine Speier geholfen, sich vor den Nationalsozialisten, innerhalb des Vatikans mit einer Stelle betraut, zu verbergen.?95 Schließlich sei diejenige Studentengruppe in Kiel erwähnt, die sich hinter Felix Jacoby stellte, sowie die Brüder Bernhard und Dietrich F. von Bothmer. Bernhard von Bothmer, der ältere Bruder, erhielt als Assistent an der Ägypti-
schen Abteilung der Staatlichen Museen in Berlin Promotionsverbot. Er durfte seine Dissertation nicht einreichen. Auch dem jüngeren Dietrich F. von Bothmer wurde die Studienerlaubnis entzogen, weil die Brüder im Berliner Widerstand aktiv waren, der ültere als Fluchthelfer. Sie flohen selbst 1958 aus Berlin und erreichten über Zwischenstationen die USA, wo sie nach Kriegs-
ende als Archäologen forschten und lehrten.2% Eine
besondere
Ausnahme
in der altertumswissenschaftlichen
Instituts-
landschaft scheint mir das Hamburger Institut für Klassische Philologie gewesen zu sein, wo Bruno Snell zusammen mit Ernst Kapp bis 1958 und ab da alleine ein Stück politischer Offenheit und Kritik bewahren konnte, trotz des später hinzukommenden
nationalsozialistischen
Latinisten
Ulrich Knoche,
der am Institut weitgehend isoliert blieb. Bruno Snell selbst half einer Reihe seiner Kollegen und Freunde, wie bereits erwáhnt, und zwar erfolgreich. Er
versteckte sie vor den Nationalsozialisten. Er bahnte den Weg in die Emigration, indem er engen Kontakt zu britischen Altertumswissenschafüern hielt,
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumsvissenschaftlern
203
insbesondere Gilbert Murray. Trotzdem fragte sich Snell nach 1945, ob es richtig gewesen war, auf seiner Position in Hamburg zu bleiben und damit für das Regime nach außen den Schein der Normalität aufrechterhalten zu haben, anstatt ebenfalls aus Protest das Land zu verlassen.295 Nun zurück zu den Verfolgten, deren Arbeits- und Lebensmóglichkeiten seit 1955 in Deutschland fortschreitend eingeengt wurden und die spütestens ab 1958, seit dem Novemberpogrom, in lebensgefährliche Situationen gerieten.
Welche Móglichkeiten und Optionen blieben ihnen? Die jüngeren Wissenschaftler entschlossen sich leichter und schneller zur Emigration, wie man aus den in Anhang 10 gegebenen Emigrationsdaten ersehen kann. Sie konnten Studienabschlüsse nachholen, schnell die Sprache lernen und sich rascher an die neuen Verhältnisse im Emigrationsland adaptieren. Die mittlere und ültere Generation hatte es durchweg schwerer. Sie war zum Teil auf Einladungen, Verbindungen, finanzielle Hilfe und einen garantierten Arbeitsplatz angewiesen, um das Wagnis zu unternehmen, mit der ganzen, oft zahlreichen
Familie zu emigrieren. Paul Maas zum Beispiel wäre ohne Einladung nie nach Oxford gegangen. Er wollte niemandem zur Last fallen. Andererseits mußte er sich bis Kriegsende von seiner nichtjüdischen Frau und seinen Kindern trennen, weil sein schmales Gehalt als „Adviser to the Clarendon Press“ den
Zuzug seiner Frau nicht erlaubt hätte. Sie und die beiden jüngeren Töchter verbrachten die Kriegsjahre in Dünemark und flohen 1945 von dort nach Norwegen, als sie von den Rassengesetzen auch dort bedroht waren. Die älteste Tochter, Gabriele, hingegen blieb in Berlin.296 Wieder andere wollten bzw. konnten Deutschland aus vielerlei Gründen nicht mehr verlassen. Einige wurden in Konzentrationslager verschleppt, wo sie umkamen: Stephan Brassloff, Robert Philippson, Friedrich H. Münzer, Siegmund Hellmann und Alfred Gudemann sind die mir bekannten Altertumswissenschaftler. Der Prager Ordinarius für Alte Geschichte Arthur Stein und der Rechtshistoriker Martin David überlebten Theresienstadt. Der in Kónigsberg entlassene Lektor Ernst Grumach zog nach Berlin, wo er später zur Zwangsarbeit verurteilt wurde.29? Andere zogen es vor, aus Verzweiflung sich selbst umzubringen,
bevor sie in die Hünde
der Gestapo fielen, aber auch
schon im Jahr 1955 wählten manche in vager Vorausahnung diesen Weg.298 Einige überlebten wie Kurt Latte versteckt, in ständiger Lebensgefahr und nach der Befreiung schwer davon gezeichnet. Viele derjenigen, die mit ihren engsten Familienmitgliedern bzw. allein emigrierten,
ließen Eltern, Geschwister
und Anverwandte
in Deutschland
zurück, deren Schicksal ungewiß und zugleich vorgezeichnet war. Hier sei ein Beispiel genannt, das nicht aus dem altertumswissenschaftlichen Bereich selbst kommt,
jedoch stellvertretend für die nicht mehr rekonstruierbaren,
aber wahrscheinlichen Geschichten und Schicksale von Anverwandten mancher Altertumswissenschaftler stehen mag: Die vier Schwestern Sigmund Freuds, Rosa Graf (geb. 1860), Maria Freud (geb. 1861), Adolfine Freud (geb. 1862) und Pauline Winternitz (geb. 1864) konnten wegen ihres Alters und Gesundheitszustands Wien nicht mehr verlassen. Sie zogen zusammen in eine
204
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Dem
Andenken
an
Max Alsberg, Jurist, Univ. Berlin, Selbstmord
11. IX. 1933.
Gustav Bayer, Pathologe, Univ. Innsbruck, Helga Bayer, Selbstmord 16. III. 1938.
und
Wolfgang Denk, Chirurg. Univ. Selbstmord 13. IX. 1933.
Greifwald,
Tochter angeblich
Oskar Frankel, Gynäkologe, Univ. Wien, Selbstmord, März 1938 Walter 14.
Gross, Pathologe, IX. 1933.
Univ.
Münster,
Selbstmord
Hermann Jakobsohn, Philologe, Univ. Marburg, Selbstmord
27. IV.
Wilhelm und Paul
H.
mord
1933.
Knöpfelmacher, Frau, C.
Seibstmord Krause,
8. V.
Kinderheilkunde, 23.
IV.
Univ.
Wien,
1938.
Universitätsklinik
Münster,
Selbst-
1934.
Theodor Lessing, Philosoph, techn. Hochschule in Marienbad ermordet 31. VIII. 1933.
Hannover,
Arthur W. Meyer, Arzt am Krankenhaus Westend Berlin, und Frau Charlotte Meyer, Selbstmord, 14. XI. 1933. Hans
Moral, Universitütsklinik für Rostock, Selbstmord 6. II. 1934.
G. Nobl, Dermatologe, 16. III. 1938. E.
Scheller,
13. IV.
Univ. Wien, und Frau, Selbstmord,
Bakteriologe,
1933.
Mundkrankheiten,
Univ.
Breslau,
Selbstmord
Diese Liste, sicher unvollständig, gibt nur diejenigen Namen von Professoren, die wir durch Nachfragen in Deutschland und Oesterreich kontrollieren konnten. Es ist bezeichnend für die gegenwärtigen Zustände, dass es nicht immer gelingt festzustellen, ob, wie und wann ein in der breiten Oeffentlichkeit Wirkender zu Tode gekommen ist.
Abb. 22: Eine von E. J. Gumbel 1958 im Exil veröffentliche Traueranzeige für Wissenschaftler, die in den ersten Jahren
nationalsozialistischer Herrschaft bzw. nach
Österreichs Selbstmord begingen
dem
Anschluß
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschafllern
205
Wohnung im ersten Bezirk, nachdem sie aufgrund des aufgehobenen Mieterschutzes für Juden gekündigt worden waren. Ihr vom Bruder für sie zurückgelassenes kleines Vermögen von 160.000 österreichischen Schilling kam auf ein Sperrkonto, zu dem sie keinen Zugang erhielten. Ihre Wohnung wurde allmählich
mit weiteren zwölf, aus ihren Wohnungen
vertriebenen Wiener
Juden im Zuge der Zwangsumsiedlung belegt. Schließlich wurden sie im Sommer 1942, völlig mittellos und schon länger hungernd, nach Theresienstadt verschleppt, wo Adolfine Freud im Februar 1943 starb. Die anderen drei Schwestern wurden weiterverschleppt in Vernichtungslager. Maria Freud und Pauline Winternitz kamen im September 1942 in das Vernichtungslager Maly Trostinet, das sie nicht mehr lebend verließen. Rosa Graf wurde im Oktober
1942 nach Treblinka verschleppt, wo sie Kurt Franz, stellvertretender Lagerkommandant, gleich vom Bahnsteig weg in das Gas schickte, als sie sich als Schwester Sigmund Freuds zu erkennen gab und um eine Stelle als Schreibkraft im Lager bat.299 Über das Schicksal der Familienangehórigen von Altertumswissenschaftlern wissen wir so gut wie nichts. Nur zu der Geschichte der Schwestern von Paul Maas hat E. Mensching einiges herausgefunden, was erschütternd und dem Schicksal der Freudschwestern z. T. nicht unähnlich ist. Im Gegensatz zu Frau Maas, die als Nichtjüdin in einer sogenannten ,privilegierten Mischehe* lebte, und ihren drei Tóchtern, die als halbjüdische Kinder vorerst weniger geführdet schienen, waren die beiden in Deutschland lebenden Schwestern von Paul Maas von Anfang an in Gefahr. Estella Helene Maas, ülteste Schwester von Paul, am 12. Februar 1882 in Frankfurt am Main geboren,
arbeitete in Berlin als medizinisch-technische
Assistentin an der
Universitütsklinik für Augenkrankheiten. Sie war dort 1955 entlassen worden. 1934-1937 lebte sie in England, wo sie die Möglichkeit hatte, als Lehrerin für
Deutsch und Franzósisch an einer Privatschule zu unterrichten. Nach Berlin zurückgekehrt, erhielt sie sich mit Englisch-Privatunterricht. Als sie im Dezember 1942 abgeholt und deportiert werden sollte, nahm sie sich unterwegs
das Leben. Sie hatte die Deportation schon erwartet, denn es existiert ein Brief, in dem sie zuvor ihren „Letzten Willen“ niedergelegt hatte. Pauls Schwester Johanna Zelie Maas, am 14. August 1885 in Frankfurt am
Main geboren, war Ärztin. Sie wurde vor ihrer Schwester Estella am 15. September 1942 von Frankfurt aus, wo sie seit 1940 am Jüdischen Krankenhaus gearbeitet hatte, nach Theresienstadt deportiert. Sie überlebte Theresien-
Stadt, kam im Februar 1945 in die Schweiz und emigrierte von dort 1947 in die USA. Dort war sie nach Ablegung eines medizinischen Examens wieder als Ärztin tätig. Sie starb am 26. Februar 1979 in New York.500
206
ALTERTUMS
WISSENSCHAFT
UND NATIONALSOZIALISMUS
»Deutschland aber wo liegt es? - In der Emigration.“ Eva Ehrenberg (1963)
3.2.4.4
Emigration, Aufnahmeländer, Rückkehr
In diesem Abschnitt werden einige für die altertumswissenschafüiche Emigration m. E. typische Entwicklungen skizziert. Die überwiegende Mehrheit der Altertumswissenschaftler konnte Deutschland rechtzeitig verlassen. Zurück blieben diejenigen Altertumswissenschafßler, die aufgrund ihres Alters wie Friedrich H. Münzer oder aus familiären wie Kurt Latte oder aus finanziellen Gründen sich nicht in der Lage sahen zu emigrieren.9! Die Emigration erfolgte in der Regel zwischen 1955 und 1959. Der Emigrationszeitpunkt stimmt meist nicht mit dem Entlassungszeitpunkt überein. Das gilt vor allem für die ältere Generation. Dafür ausschlaggebend war zum einen die hohe Akkulturation, die in besonderem Maße auf Altertums-
wissenschafller zutrifft. Mit der deutschen
Kultur aufs engste verbunden,
mußte es den Wissenschaftlern insbesondere dieses Fachs schwerfallen, ein Land zu verlassen, das auf ihrem Gebiet bis 1955 weltweit führend war. Einige von ihnen forschten schon in der zweiten Generation als Altertumswissen-
schaftler. Von wenigstens vier klassischen Philologen waren bereits die Väter anerkannte Philologen gewesen: Hermann Frünkels Vater Max Frünkel, Otto Skutschs Vater Franz Skutsch, Friedrich Solmsens Vater Felix Solmsen
und
Paul Friedländers Vater Ludwig Friedlünder. Zum anderen mufite gerade bei Emigranten in der Lebensmitte für die ganze Familie eine Lebensmöglichkeit im jeweiligen Aufnahmeland gefunden werden. Als Beispiel sei hier Eva Ehrenbergs Bericht über die im letzten Moment
am
10. Februar
1959 durch
die Hilfe von zum
Teil Unbekannten
gelungene Flucht des Althistorikers Victor Ehrenberg mit seiner Familie aus Prag gegeben, einen Monat vor dem Einmarsch deutscher Truppen am 15./16. März 1959 in die Tschechoslowakei: „In pausenloser Anstrengung hatten wir das Rennen gemacht; wir kamen heraus, ehe Hitler hereinkam.
Schon damals hatten uns Menschen von England aus geholfen. Sie kannten uns nicht, aber sie wußten um unser Schicksal. So kam, nach unzähligen Versuchen in allen Weltteilen, für meinen Mann das Stipendium einer wis-
senschaftlichen Gesellschaft in London und dadurch wesentlich beschleunigt die Einreisegenehmigung. Das bedeutete die Ausreise. Aber sie war auf meinen Mann und mich beschränkt und ebenso wie der Ausreisetermin kurz
befristet. Auch galt das Stipendium nur für ein Jahr, und was sollte aus unseren Söhnen werden, für die es keine Einreise gab, solange wir keine Aufnahme für sie hatten? Geschichte und Mathematik waren die Sterne, unter denen sie standen; jetzt suchten wir Stellen für sie als angehende Hausgehilfen, Köche, Hauslehrer, Landarbeiter. Der älteste war unmittelbar vor dem Abschlußexamen des Gymnasiums. ‚Sie werden ihn doch jetzt nicht herausnehmen‘,
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
207
eiferte man. ‚Der Schaden wäre sein Leben lang nicht wieder gutzumachen.* Sein Leben lang - wo sein Leben auf dem Spiel stand! . . . Aber meines Mannes Gnadenfrist lief ab, und ohne die Kinder konnte ich ihn nicht begleiten. .. Im Spätjahr 1958, als uns in Prag das Messer an der Kehle saß - die Deutsche Universität und das Deutsche Gymnasium waren schon vor Hitlers Einmarsch gleichgeschaltet, alles war für ihn vorbereitet, . . . da schrieb ich an Irene. Es
war ein langer Brief - der wie die vielen beruflichen Anfragen meines Mannes geöffnet über die Grenze gehen mußte -, in dem ich ihr aufs genaueste unsere Lage berichtete. Würde sie etwas für unsere Sóhne tun kónnen? Sie tat es sie gab meinen Brief ihrem Mann, der ging quer über die Straße in das große Internat, an dem er Seelsorger war. Der Direktor, Mr. Costain, las den Brief und erklärte sich sofort bereit, den jüngeren in seine Schule aufzunehmen.
. . . Ende Januar 1959: nur kurze Zeit noch galt meines Mannes Visum, da kam Irenes Brief, da waren wir gerettet.
... Noch eine letzte Fahrt nach Deutsch-
land. Kurzer Aufenthalt in Frankfurt. Wir versuchen, meine Schwester Elisabeth zu bestimmen, uns nachzukommen; es wäre möglich gewesen, sie als unser Dienstmädchen anzufordern; sie wollte nicht, sie konnte sich von ihrer Freundin, ihrer Heimat nicht trennen. Sie weinte: ‚Sie sollen kommen und
mich erschlagen.‘ Sie kamen, sie erschlugen sie, erschossen sie mit einem Kindertransport im Jahre 1941. Kurzer Abstecher nach Cassel, um meine Schwiegermutter noch einmal zu sehen. Sie war achtzig Jahre alt und lebte noch drei Jahre allein; ihre drei Söhne unerreichbar. ... Cassel lag abseits der Route, die durch unsere Fahrkarten vorgeschrieben war; auch mußten wir binnen 48 Stunden Deutschland wieder verlassen haben . . .4502 Leichter hatten es die Nachwuchswissenschafter, wenn sie mit Hilfe von
Stipendien und meist alleine emigrieren konnten. Anders als ihre ülteren Kollegen, die zum Teil erst im allerletzten Moment ausreisten, wie etwa Victor
Ehrenberg und Paul Maas nach England, Eduard Norden in die Schweiz, trafen sie in der Regel weit früher zumindest Vorbereitungen zur Emigration. Der Berliner Privatdozent Friedrich Solmsen z. B. reiste in kluger Voraussicht eilends schon in der Nacht des 5. März 1955 nach Amsterdam, um das Ersparte für die Emigration auf einer hollándischen Bank vor den Nationalsozialisten zu retten.505 Die Emigration erfolgte oft in Etappen durch mehrere Lünder. Gerade für die jüngeren Altertumswissenschaftler unterhalb der Dozentenebene bot sich die Móglichkeit an, zuerst nach Griechenland und Italien auszuweichen. Nicht nur, daß sie die Sprache beherrschten und sich im Land auskannten;
die Deutschen Archäologischen Institute in Rom und Athen fungierten in den ersten Jahren auch als Aufnahme- und Vermittlungsstellen für Nachwuchswissenschafller, insbesondere für Archäologen. Die Wissenschaftler waren allerdings von Fórderern vor Ort wie etwa Giovanni Gentile in Pisa, der Paul Oskar Kristeller bis 1959 unterstützte, oder Franz Cumont in Rom, der Stefan
Weinstock förderte, abhüngig.509* Nicht zuletzt dem Ruf der deutschen Altertumswissenschaften
ist es zu verdanken,
daß
Kollegen
wie
etwa
Gilbert
Murray und John Enoch Powell in Großbritannien und andere in den USA sich
208
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
für die Flüchtlinge einsetzten, ihnen Stipendien, Lehraufträge etc. verschafften.
Trotz ihres guten Rufes und ihrer hohen Qualifikation gab es viele Altertumswissenschaftier,
Jacoby,
Paul Maas,
darunter weithin
Richard
Laqueur,
bekannte
um
Ordinarien
nur einige
wie etwa
zu nennen,
Felix
die im
Emigrationsland nie eine Stelle an einer Universität erhielten. Andere, jüngere Wissenschaftler, aber auch solche, die schon habilitiert waren, hatten
bis auf ganz wenige Ausnahmen eine lange Verzögerung ihrer wissenschaftlichen Laufbahn in Kauf zu nehmen. Viele legten im Aufnahmeland noch einmal Prüfungen ab. Die meisten unterrichteten lange Jahre an kleineren Colleges bzw. als Assistenten und erreichten erst mit einer erheblichen Verzögerung, oft lange nach Ende des Zweiten Weltkrieges, eine Professur. Als Beispiel sei hier nur Rudolf Pfeiffer genannt, der, als o. Professor in München 1937 entlassen, bis 1946 als Gast von Oxforder Colleges sich zwar ganz der Edition der Kallimachosfragmente widmen konnte, aber erst 1946 einen Lehrauftrag für „Geschichte der Wissenschaften“ erhielt, 1950 die Stelle eines „Reader“, über die er bis zu seiner Rückkehr auf seinen alten Münchener Lehrstuhl 1951 nicht hinauskommen sollte.?% Ausnahmen waren Eduard Fraenkel, Hermann Frünkel und Werner Jaeger, denen jeweils gleich bzw.
sehr bald eine Professur eingerichtet wurde. Dies gilt vor allem für die Hauptaufnahmelünder USA und GroDbritannien. Ganz anders waren die Verhültnisse in der Türkei, wohin Wissenschaftler sofort als Professoren berufen wurden, um die Altertumswissenschaften an den türkischen Uni-
versitäten Istanbul und Ankara aus dem Nichts heraus erstmalig aufzubauen. Dorthin gingen zwei klassische Philologen, Walther Kranz und Georg Rohde, der Althistoriker Clemens Emin Bosch und der Freiburger Ordinarius für Rómisches Recht und Papyrologie, Andreas B. Schwarz (vgl. Anhang 10). Eine Reihe Forscher waren mit Wissenschaftlerinnen verheiratet, wie etwa
Friedrich Solmsen mit Lieselotte Salzer, Ludwig Edelstein mit Emma Levy und Eugen Täubler mit der Historikerin Selma Stern. Aber auch die Ehefrau des Spezialisten für griechische Philosophie, Julius Stenzel, die nach dessen Tod in die USA emigrieren mußte, sei an dieser Stelle genannt. Ihre Beiträge förderten in der Regel die Werke der Ehemänner. Dies ist wenigstens von Ruth von Velsen, der Ehefrau Eduard
Fraenkels, bekannt, aber auch von Emma
Edelstein und von Bertha Stenzel, geb. Mugdan (1886-1974).599 Außer der Historikerin Selma Stern-Täubler konnte die einzige schon vor der Emigration als Altertumswissenschafterin an einer Universität beschäftigte Öster-
reicherin Gertrud Herzog-Hauser (1894-1953) in der Emigration ihre Forschung fortführen. Typisch für die klassischen Philologen ist nicht nur ihr Konservatismus, sondern auch die dem Ausmaß ihrer Akkulturation an die deutsche Kultur entsprechende Tatsache, daß sie sich nicht oder nur sehr am Rande in ihren
Veróffentlichungen bis 1955 mit jüdischen Themen bescháftigt hatten. Dementsprechend wählten auch nur drei klassische Philologen Palästina als Emi-
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschafllern
209
grationsland: Isaak Heinemann, der, neben seiner Honorarprofessur am Breslauer Institut für Altertumswissenschaften, in der Hauptsache am Breslauer
Jüdisch-Theologischen Seminar Fraenkelscher Stiftung bis 1939 klassische Philologie und antike Philosophie lehrte, der Berliner Privatdozent Hans Yohanan Lewy und der Nachwuchswissenschaftler Luitpolt Wallach. Alle drei bekannten sich zum Judentum und trugen mit ihrer Forschung zur gegensei-
tigen Befruchtung judaistischer und griechisch-rómischer Studien bei.507 Anders sieht in dieser Hinsicht das Interesse der Althistoriker aus: Dort fand die jüdisch-hellenistisch-christliche Epoche der Spätantike einen breiteren Widerhall in den Forschungsthemen
der Wissenschaftler, insbesondere bei
Eugen Täubler, Elias J. Bickermann und Victor Ehrenberg. Mit der Vertreibung dieser Wissenschaftler aus Deutschland brach die Verbindung altertumswissenschaftlicher mit judaistischen Studien in Deutschland ab. In erster Linie wiederum Althistoriker befaDten sich mit der Erfahrung des Nationalsozialismus, indem sie z. T. althistorische, z. T. direkte Beiträge zur Totalitarismusdiskussion und zur Geschichte des Antisemitismus lieferten: E. A.
Stein, Victor Ehrenberg, Arthur Rosenberg, Elias J. Bickermann und Hans Liebeschütz; als einziger klassischer Philologe Kurt von Fritz und als Rechtshistoriker Fritz Pringsheim.508 An der Berliner „Hochschule
für die Wissenschaft
des Judentums“,
der
letzten möglichen universitären Ausbildungsstätte für jüdische Studenten in Deutschland
nach
1933,
wurden,
soweit
möglich,
alle
Universitätsfächer
gelehrt, und zwar bis zu ihrer Auflösung durch die Nationalsozialisten im Zuge der Deportationen im Jahr 1942. Ernst Grumach, Hans Liebeschütz und Eugen Täubler lehrten bis zu ihrer Verhaftung bzw. kurz davor als Altertumswissenschaftler an der von den Nationalsozialisten zur „Lehranstalt“ umbe-
nannten und überwachten Universität.?09 Schon
im Mai
1953 wurden
in der Schweiz, in England
und in den USA
Hilfskomitees für Wissenschafller auf der Flucht gegründet, die als Aufnahme- und Vermittlungsstellen tätig waren, soweit es ihre finanziellen Ressourcen erlaubten. Sie veröffentlichten Listen der noch nicht vermittelten Wissenschaftler, die mit kurzbiographischen Angaben versehen und unter Nennung des Spezialgebiets der Wissenschaftler an den Universitäten, Colleges und anderen Bildungseinrichtungen kursierten; das „Academic Assistance Council", später „British Society for the Protection of Science and Learning“ (SPSL) veröffentlichte
zusammen
mit der Schweizer „Notgemeinschaft
Deutscher
Wissenschaftler im Ausland" 1956 in London und in New York das ,Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars" diese Listen.5!? Der Althistoriker Victor Ehrenberg war zeitweise in London Assistent der SPSL. Beide Staaten fungierten auch als die Hauptaufnahmeländer der aus Deutschland und Österreich vertriebenen Altertumswissenschaftler. Erst an dritter Stelle sind Palästina und die Türkei und schließlich Südamerika und Skandinavien zu nennen. Frankreich, Italien und Griechenland waren nur Zwischenstationen, ebenso die Niederlande und Dänemark, mit jeweiligen Ausnahmen (vgl.
Anhang 10).
210
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Nicht zuletzt die Spitzenstellung der deutschen Altertumswissenschaften seit der Mitte des 19. und durch die „brillante Schülergeneration“ von Theodor
Mommsen und Wilamowitz?!! auch noch in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts ermöglichte den meisten Altertumswissenschaftlern die wohlwollende Aufnahme in den Emigrationslándern, wo sie im Vergleich zu Kollegen anderer Fachgebiete fast alle weiter in der Forschung oder der Lehre oder gar beidem tätig sein konnten. In Kauf nehmen mußten sie, wie schon erwühnt, allerdings langjáhrige Verzógerungen der Karriere, neuerliche Examina - das gilt insbesondere für Rechtshistoriker, aber auch für andere, wie F. Solmsen, der in Cambridge 1936 das Ph.D. erwarb, obwohl er als Privatdo-
zent 1955 nach England gekommen war - bzw. Rückstufungen in der Universitätslaufbahn. Dies ist auf dem Hintergrund der Verschlechterung internationaler wissenschaftlicher Beziehungen seit dem Ersten Weltkrieg zu Deutschiand besonders hervorzuheben. Das gilt vor allem für die USA, aber auch für England. Um so bemerkenswerter war die hilfreiche und vermitteln-
de Rolle einiger herausragender Wissenschaftler aus diesen Ländern, die sich um
solche
Gesichtspunkte
nicht kümmerten,
ja im
Gegenteil
sich
schon
länger für Zusammenarbeit und gegenseitige Hilfe einsetzten. An erster Stelle ist hier ein britischer klassischer Philologe zu nennen, der
18 Jahre jüngere Zeitgenosse von Wilamowitz, Gilbert Murray (1866-1957). Murray,
schon
mit 25 Jahren
Professor für Grüzistik in Glasgow,
war der
Nachfolger von Bywater als Regius-Professor of Greek (1908-1936) in Oxford. Ein Liebhaber des Theaters und Freund von Bernhard Shaw gab Murray die Dramen des Euripides neu heraus, übersetzte sie und revolutionierte das Studium der alten Sprachen in Oxford mit dem Ziel: “The scholar's special duty is to turn the written signs in which old poetry or philosophy is now enshrined back into living thought or feeling. He must so understand as to relive."51? Dies könnte auch Wilamowitz gesagt haben. Er erweiterte die auf das Sprachstudium zentrierte Philologie in Oxford um die Forschung über Fragen der griechischen Kultur und Religion unter Anwendung der neuesten anthropologischen Erkenntnisse, aber auch der vergleichenden Literaturwissenschaften. Mit diesen Interessen und Arbeitsgebieten wundert es nicht, daß
Murray Wilamowitz kannte, schätzte und ihm in Freundschaft verbunden war. Ganz anders als dieser aber reagierte Murray auf den Ersten Weltkrieg und den Nationalismus, den besonders deutsche Gelehrte, u. a. gerade Wilamowitz, pflegten und zum Wachsen brachten. Murray, der schon 1900 eine
vernichtende Kritik5!5 des Nationalismus veröffentlicht hatte, wurde zu einem der Architekten des Völkerbundes, dessen Vorsitz er von 1923-1938 innehatte. Das zum Völkerbund gehörige „Council for Education in World Citizenship" war im wesentlichen seine Kreation. Acht Jahre lang fungierte Murray auch als Präsident des „Komitees für wissenschaftliche Zusammenarbeit“, dem u. a. Einstein und Madame Curie angehörten. So kam es, daß Murray, der auf
die englische Altertumswissenschaft einen Wilamowitz vergleichbaren EinfluB der Erneuerung und Erweiterung ausgeübt hatte, schließlich in den dreiDiger Jahren dieses Jahrhunderts - Wilamowitz war schon tot - zum Retter
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
211
vieler Wilamowitz-Schüler wurde. Die genaueren Umstände von Murrays Hilfe sind allerdings noch nicht erforscht. Außer Murray wirkten eine Reihe anderer englischer Kollegen bei der Aufnahme und Unterbringung von Emigranten mit. Auch ihr Beitrag harrt der Erforschung. Sicher ist, daß insgesamt wenigstens zwanzig Altertumswissenschaftler in England Zuflucht fanden, davon allein neun in Oxford, so daß Oxford das Berlin ablösende Mekka der Altertumswissenschaften und das neue Zentrum der Wilamowitz-Schule wurde: Eduard Fraenkel, Paul F. Jacobsthal, Stefan Weinstock, Richard Walzer, Rudolf Pfeiffer, Felix Jacoby, Paul
Maas und die beiden Rechtshistoriker Fritz Pringsheim und Fritz Schulz forschten bzw. lehrten in den dreißiger und vierziger Jahren in Oxford. Eduard Fraenkel war der erste Emigrant, der, von Murray vermittelt und eingeladen, Zuflucht in Oxford fand und dort bald darauf den renommiertesten Lehrstuhl für Latinistik erhielt, eine besondere Ehre und zugleich Ausnahme.
All die
anderen Emigranten in Oxford, die u. a. auch durch Fraenkels Vermitttlung Aufnahme fanden, konnten diesen Status nicht erreichen. Einige wie Paul Maas, Otto Skutsch und Rudolf Pfeiffer wurden
1940 als Deutsche interniert
oder wie Wilhelm Rechnitz sogar nach Australien abgeschoben.51* Nur an der Columbia University in New York fand sich später eine ähnlich dichte Versammlung deutscher Altertumswissenschaftler, obwohl der weitaus größere
Fluchtstrom in die USA ging: An der Columbia University lehrten Kurt von Fritz, der seinen Lehrer und Freund Ernst Kapp nachholte, P. O. Kristeller, der
Althistoriker E. J. Bickermann und die Archäologen Margarete Bieber und O. 3. Brendel.515 Ebenso wie die Hilfestellungen, die daran beteiligten Personen und die Wege der Emigranten noch weitgehend unerforscht sind, sind es deren
Wirkung und Einfluß in den Aufnahmelündern. Am ehesten bekannt ist die Wirkung deutscher Wissenschaftler auf die britische Altertumswissenschaft insbesondere in Oxford. Das verdanken wir den Arbeiten Hugh Lloyd-Jones',
einem Schüler von Eduard Fraenkel. Mit der Situation in den Vereinigten Staaten hat sich schon seit langem William M. Calder beschäftigt. Ihm folgt auch der kurze Bericht von Lewis A. Coser (1984) in ,Refugee Scholars in America“. Sieht man sich aber die in Strauss/Röder (1985) gegebenen Biographien, die dort genannten Werke der Emigranten, ihre erreichten Stellungen und Ehrungen an, so wird deutlich, daß deren Einfluß von Calder ziemlich sicher unterschätzt worden ist. Das hängt u. a. damit zusammen, daß
Calder, ein Schüler von Werner Jaeger, sich im engeren Sinn für klassische Philologie interessiert, aber gerade die jüngeren Altertumswissenschafter in den USA häufig, der Gelegenheit folgend, vielfältige Verbindungen mit Nachbarfüchern und angrenzenden Gebieten eingegangen sind und diese vorangetrieben haben, also im engeren Sinn die rein philologische Beschüftigung mit dem Kanon klassischer Dichtung verlassen haben. Als herausragende Beispiele solcher Wissenschaftler, die Einfluß sowie Schüler gewonnen und
zugleich neue Forschungsgebiete kreiiert haben, seien hier nur Paul Oskar Kristeller und Ludwig Edelstein genannt.
212
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
P. O. Kristeller, von Coser (1984) in der Abteilung Historiker abgehandelt, hatte schon in Berlin, Heidelberg und Freiburg ein sehr breitgefächertes Studium der klassischen Philologie bei Werner Jaeger, der Philosophie bei Karl Jaspers und Martin Heidegger, aber auch der mittelalterlichen Geschichte, der Mathematik und Physik und der Kunst- und Musikgeschichte absolviert.5!7 Mit 24 Jahren promovierte er über die Ethik Plotins (1929) mit einer weithin anerkannten Untersuchung. Für seine in Freiburg begonnene Habilitation über den Neoplatoniker Marsilio Ficino, der in der Renaissance lebte,
studierte er in Florenz und an anderen Orten in italienischen Bibliotheken die Handschriften. Dorthin flüchtete er auch nach 1933 vor den Nationalsozialisten. Giovanni Gentile in Pisa ermöglichte das Erscheinen von Kristellers Arbeit über Ficino und half ihm 1958, nachdem er seine Stelle an der Universität Pisa wegen der antisemitischen Gesetze unter Mussolini verloren hatte, in die USA zu emigrieren. Im Herbst 1959 wurde Kristeller „adjunct faculty
member" des Philosophy-Departments der Columbia University in New York aufgrund seiner schon in Italien geknüpften wissenschaftlichen Beziehungen zu Kollegen dieser Universität. Erst nach neun Jahren in dieser eigentlich nur temporär gedachten Position wurde Kristeller 1948 als „associate professor" ein reguläres Fakultätsmitglied, nicht zuletzt aufgrund des Einsatzes Dino Bigongiaris, Leiter des Italian-Departments. In der Zeit entwickelten sich auch enge Beziehungen und die Zusammenarbeit mit den philosphischen Kollegen John H. Randall jr. und Ernest A. Moody. Mit Randall und Ernst Cassirer zusammen veröffentlichte er 1948 das am meisten benutzte Textbuch über die Philosophie der Renaissance an amerikanischen Universitüten und Colleges: „The Renaissance Philosophy of Man“. Unter seinen zahlreichen Veróffentlichungen zur Nachwirkung der Antike, zum Neoplatonismus, zu Ficino, zu Pico della Mirandola etc. gehórt auch die Edition eines systematischen Katalogs der lateinischen Übersetzungen und Kommentare aller griechischen und lateinischen Werke, die vor 600 n. Chr. verfaßt worden
sind.
Hinzu kommt eine Liste der bisher nicht katalogisierten Handschriften aus der Renaissance an italienischen Bibliotheken, „lter Italicum“ (1963-1983), ein unschätzbares Forschungsremedium. Kristeller hatte an der ColumbiaUniversität nicht nur viele Schüler, die bei ihm ihre Dissertation schrieben, er war darüber hinaus Präsident der „Renaissance Society of America“, fun-
gierte auch in anderen wissenschaftlichen Gesellschaften und begründete das „Columbia Seminary on the Renaissance“, das über dreißig Jahre lang blühte. Wie weit gespannt Kristellers Interessen waren, zeigt auch seine Mitarbeit an der postumen Herausgabe des letzten, nicht ganz fertiggesteilten Werkes von Siegfried Kracauer, den Kristeller seit seiner Studienzeit schätzte, aber erst in
New York, in der Emigration, kennenlernte.518 “Kristeller became a vital focal point of the intellectual life of Columbia, an indispensable living link between . European scholarship and the American mind.”319 Ähnliches kann man wohl auch von Ludwig Edelstein sagen, der auf dem
Gebiet der Medizingeschichte so ausbauend und erweiternd wirkte wie Kristeller auf dem Gebiet der Renaissanceforschung und der Spätantike. Auch
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
915
Edelstein, der bei Otto Regenbogen 1929 in Heidelberg über das Corpus Hippocraticum mit einer die bisherige Forschung revidierenden Arbeit promoviert hatte, kam via Italien in die USA.3% 1954-1947 lehrte er am Johns-
Hopkins-Institute of the History of Medicine in Baltimore. Ab 1948 erhielt er eine Professur für Griechische Philologie in Berkeley, Kalifornien, die er aber
schon bald verlassen mußte, weil er zu der Gruppe von Professoren gehörte, die den „Loyalitätseid“ in der McCarthy-Ära verweigerten. Er ging zurück an das Johns-Hopkins-Institute und von dort aus 1960 als Professor für Klassische Philosophie
und
Wissenschaftsgeschichte
an die Rockefeller
University
in
New York. Er trieb die Erforschung antiker medizinischer Praktiken und ihre Verbindungen zur Philosophie, Religion und Magie voran, indem er sich für die kulturellen und sozialen Voraussetzungen der praktischen Arbeit von Ärzten im 4. und 5. Jahrhundert interessierte. Edelstein beschäftigte sich u. a. auch innovativ mit Platon, Poseidonius und der Stoa. Edelstein war es, der die Frage nach der Echtheit des 7. Briefes von Platon aufwarf, die bis heute diskutiert wird. Er arbeitete mit Harold F. Cherniss, dem er seinen Nachlaß anvertraute, und mit Ernst Kantorowicz zusammen. Auch er war, wie Kristeller und eine Reihe anderer Altertumswissenschaftler, zeitweise Mitglied des
renommierten „Institute for Advanced Study“ in Princeton. Diese hier nur angedeuteten Beispiele innovativer Forschung, in der neue Fragestellungen entwickelt und neue Forschungsgebiete etabliert wurden, sind nur zwei von zahlreichen, die im Kontext der Frage nach der Wirkung
der Emigranten auf die Wissenschaften des Aufnahmelandes und darüber hinaus noch darzustellen wären. Hier müßte man auch die von Kurt v. Fritz und Ernst Kapp in gemeinsamen Seminaren an der Columbia University entwickelten Arbeiten zur antiken Sprachphilosophie, zur Geschichte der antiken Mathematik und Logik nennen, die eine neue Sicht der griechischen Philosophie einleiteten. Wie u. a. auch der Frage nachzugehen wäre, auf welchen Wegen die Emigranten der philosophischen Schule des „Wiener Kreises“
dazu
beitrugen,
daß
ihre
Erkenntnisse
- heute
als „Analytische
Philosophie“ bekannt - von Altertumswissenschaftlern auf die in den angelsächsischen Ländern vorangetriebene Erforschung der griechischen Philosophie angewendet
und um Methoden
der modernen
Logik erweitert wur-
den. Nach Calder war die klassische Philologie in den Vereinigten Staaten vor 1955 eher ein ,leisure"-Studium für Gebildete mit dem Status eines Orchideenfaches und an den Rand der universitüren Ausbildung gedrüngt. Zudem gab esan den amerikanischen Universitäten bis zu der Aufnahme von Emigranten nach 1955 praktisch einen unausgesprochenen antisemitischen Numerus
clausus, der die Berufung jüdischer Wissenschaftler als Professoren ausschioß.52! Das war wohl auch ein Motiv für die Auswanderung des amerikanischen klassischen Philologen Alfred Gudemann nach Deutschland. Die Emigranten öffneten einerseits die amerikanische Universitätslaufbahn für Juden und machten andererseits die Altertumswissenschaften gerade durch die Erweiterung des Gegenstandskanons und durch die Zusammenarbeit mit
214
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
anderen Fächern angesehener und gefragter, holten sie damit aus der Marginalität ein Stück heraus. Man kann sich leicht vorstellen, daß der Status der Altertumswissenschaften, den die Emigranten, die aus Deutschland kamen, in den USA antrafen, fremd und ungewohnt für sie gewesen sein muß, wenn
man sich vor Augen hält, welche Aufmerksamkeit und hohe Gewichtung ihr Fach auch noch während der Weimarer Republik in der deutschen Gesellschaft genoß. Um so bemerkenswerter scheint mir das hohe Ausmaß des demokratischen und politischen Engagements von Altertumswissenschaftlern im Zweiten
Weltkrieg zu sein. Einige boten ihre Mitarbeit den politischen und militärischen amerikanischen bzw. englischen Institutionen an. Vor allem dem Engagement deutscher Archäologen ist die Rettung einer Reihe von europäischen, insbesondere griechischen und italienischen Altertümern zu verdanken. Der klassische Philologe Herbert Bloch stellte für das amerikanische Kriegsministerium eine Liste antiker Monumente in Mittelitalien zusammen, die vor Bombardierung geschützt werden sollten. Die Brüder Bothmer dienten beim amerikanischen Militär. Eva Ehrenberg gab Deutschunterricht für britische Soldaten.?22 Wie sahen nun nach dem Ende des Weltkrieges und der Befreiung vom Nationalsozialismus die Rückkehrmöglichkeit und die Rehabilitierung der aus dem Land gejagten Altertumswissenschaftler aus? Wurde die Chance zur Rehabilitierung bzw. Wiedergutmachung genutzt? Dazu kann hier nur kursorisch auf die Faktoren, die einer Rückkehr entgegenkamen bzw. ihr entgegenstanden, hingewiesen werden. Präzise läßt sich diese Frage nur beantworten,
wenn man die genaueren Umstände, in denen die einzelnen Emigranten und auch die deutschen Universitäten nach Kriegsende waren, jeweils untersucht, um etwa herauszufinden, ob es Anfragen nach einer Rückkehr, Einladungen etc. gegeben hatte. Solche Informationen sind, wenn überhaupt, dann aus den
jeweiligen Fakultäts- und Personalakten der einzelnen Universitäten zu ersehen, am ehesten jedoch in privaten Briefwechseln zu finden.
Bei den folgenden Beispielen beziehe ich mich in erster Linie auf Informationen über die Universität Göttingen und die Universität Hamburg. In den von Universitätsarchiven aufbewahrten Personalakten befinden sich auch die
Wiedergutmachungsvorgänge. Deren Studium gibt einigen Aufschluß über die Haltung der einzelnen Universitäten gegenüber den nach 1955 vertriebenen Wissenschaftlern. Die Remigrationsmöglichkeiten und -bedingungen sind aber auch noch von einem ganz anderen Aspekt abhängig, der die Rekonstruktion erheblich kompliziert: die Entnazifizierung. Es scheint so, als sei die Entnazifizierung und ihre spätere schrittweise Zurücknahme bis 1951 und danach, die dem größten Teil der als Nationalsozialisten vom Military Government entlassenen Wissenschaftlern eine Rückkehr in den Lehrkörper erlaubte, gegen die Rückholung von Emigranten ausgespielt worden. In den mir bekannten Fällen war die Rückkehr eines Emigranten nur aufeinen durch die Entnazifizierung oder aus anderen Gründen frei gewordenen Lehrstuhl möglich. Schon allein damit wurden die Rückkehrmöglichkeiten sehr einge-
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
215
schränkt. Zusätzlich erschwerten die Rückkehr auch die nach 1945 als Nationalsozialisten entlassenen Wissenschaftler, die sich bald zu einem „Verband
amtsverdrüngter Hochschullehrer“ (1951 in Göttingen gegründet) zusammenschlossen. Der Verband betrieb erfolgreich eine bundesweite Lobbypolitik und erreichte die „Wiederverwendung“ seiner Mitglieder weitgehend. Daraus ergibt sich, daß die Frage nach der Rückkehrmöglichkeit von Emigranten eigentlich nicht ohne die Betrachtung der Entnazifizierung beantwortbar ist. Da auch diese für die einzelnen Universitäten noch viel zu wenig untersucht ist, kann hier nur eine Skizze gegeben werden. Die Rückkehr nach Deutschland war insgesamt gesehen weniger von der Bereitschaft der Emigranten abhängig, in das Land ihrer Verfolger zurückzu-
gehen, die zum Teil ihre Familienmitglieder ermordet hatten. Sicher spielten solche Bedenken und unüberbrückbaren Brüche eine Rolle. Sie führten z. B. dazu, daB Eduard Fraenkel zógerte, an deutschen Universitüten zu lehren und
daß er seine Bücher lieber in Rom als in Deutschland veröffentlichte. Er ging auch lieber als Gast an italienische Universitüten, empfing aber bereitwillig viele deutsche Studenten und Kollegen in der Nachkriegszeit in Oxford.525 Weitaus bestimmender war die nicht bzw. nur sehr gering vorhandene Aufnahmebereitschaft deutscher Universitüten für die Rückkehr von Emigranten in ihren Lehrkörper. Waren diese als Gäste und Besuch, der ein Semester liest, durchaus willkommen, so sollte doch der Besuchsstatus womóglich erhalten bleiben und sollten die fremdgemachten ehemaligen Kollegen wieder gehen.
Hóren wir dazu Eva Ehrenbergs Bericht über die erste Vortragsreise ihres Mannes nach Deutschland im Jahr 1952, auf der sie ihn begleitete: „Ihr wißt,
daD es mir noch vor drei Jahren unmóglich war, an eine Reise nach Deutschland zu denken. ... Als wir uns nach einer glatten Fahrt London-Harwich(nachts)-Hook früh morgens der deutschen Grenze näherten, fühlte ich, daD Viktor mich ansah: ,wie würde es gehen?' - mehr fühlte ich nicht; der Nerv
war tot. Ich hatte lange genug gewartet.
... Wir kamen in Frankfurt an. Das
erste Erlebnis, das sich überall wiederholte: man war nie getrennt gewesen, selbst von denen nicht, die man nie oder kaum vor dem gekannt hatte. Wir fuhren durch die alten Straßen, die Zerstörung wie erwartet - der Nerv war
tot. Plótzlich sahen wir etwas Wunderbares, es schien etwas nie Gesehenes: in strahlender Sonne rote Háuser gegen den Hintergrund hoher dichter Bäume: ‚Wo sind wir hier?‘ Victor sah mich an, fassungslos: ,Erkennst du es wirklich nicht? Wir sind in unserer alten Straße!‘ Damit war der wundeste,
verwundbarste Punkt überschritten. Jetzt konnte nichts mehr passieren. ... Unterwegs hatte der Taxichauffeur zu Victor gesagt: ,Es gibt ka Judde mehr in Frankfurt.‘ War das, weil er Victor als solchen erkannte und freudig begrüDte? Wahrscheinlich. Oder war es das erste Symptom dessen, was uns
auf jeder Station der Reise klar wurde: wir waren Besuch! Und Besuch aus dem
Ausland.
Daß
wir keinerlei
Absicht hatten
zu bleiben,
gab unserem
Aufenthalt das Geprüge. . . . In Freiburg Victors letzter Vortrag, eingeleitet von seinem Freunde Sch. Es war ein grausam heifler Tag, trotzdem der Hórsaal überfüllt, besonders viele Professoren. Nach dem Vortrag wurde ich zweimal
216
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
daraufhin angesprochen, wie gut Victor noch deutsch könne! Das gibt einem zu denken. Soweit war man also auch für die anderen, nicht nur in sich selbst,
losgelóst.4924 Es war Sache der Berufungskommissionen,
der Fakultäten, Dekane
und
Rektoren, die Rückberufung eines Emigranten vorzuschlagen. Durch die Entnazifizierung waren vorübergehend Lehrstühle frei geworden. Es drüngten sich allerdings im Land eine Reihe von Kandidaten bereits um diese: Nachwuchskrüfte, aus dem Osten Deutschlands vor den russischen Truppen geflüchtete Professoren, aus dem Krieg und der Gefangenschaft zurückgekehrte Stelleninhaber und last, but not least die Gruppe der von der jeweiligen Militärregierung im Zuge der Entnazifizierung vorerst Entlassenen, die auf Wiederverwendung drüngten. Es gab zwar solche Ausnahmen wie die Hamburger philosophische Fakultät, deren erster Nachkriegs-Dekan Bruno Snell war. Einstimmig beschloß sie, für den durch die Entnazifizierung frei gewordenen Lehrstuhl ,zur Wiedergutmachung des ihrem früheren Mitglied widerfahrenen Unrechts zu beantragen, daß [Ernst, C. W.] Kapp jetzt der Wiedereintritt in sein altes Lehramt und seine alten Rechte angeboten und ihm die Rückkehr nach Deutschland möglich gemacht wird“. Sie setzte Ernst Kapp unico loco auf die Berufungsliste, nachdem Kapp seinen Wunsch nach Rückkehr Snell gegenüber geäußert hatte. Daraus wurde aber nichts, weil der vorherige, unter den Nationalsozialisten als Kapps Nachfolger berufene klassische Philologe Ulrich Knoche dem „emigrierten Vorgänger“ die Stelle streitig machte, indem er die Entscheidung des Entnazifizierungsausschusses, der
Knoche zuerst vollstándiges Berufsverbot, spüter Lehrverbot nur an der Universität Hamburg erteilt hatte, erfolgreich anfocht. Knoche erhielt die Stelle und nicht Kapp. Letzterer konnte erst 1954 und nur in der Rechtsstellung eines entpflichteten o. Professors, jedoch mit der Erlaubnis zu lehren, an die
Hamburger Universität zurückkehren.325 Kapps Kollegen Rudolf Pfeiffer gelang es im Alter von 62 Jahren als einzigem emigrierten klassischen Philologen im Jahr 1951 auf seinen alten Lehrstuhl an die Universität München zurückzukehren. Dies allerdings nur aufgrund des eindringlichen Wunsches und Vorschlags einiger seiner ehemaligen Kollegen, wie Albert Rehm,
die sich schon gleich nach
1945 für seine
Rückberufung eingesetzt hatten.526 Außer Pfeiffer kehrten, aus der Emigration in der Türkei auf Lehrstühle berufen, die klassischen Philologen Georg Rohde (1949 an die Freie Universität Berlin, um diese mit aufzubauen) und Walther Kranz (1950 an die Universität Bonn) zurück.327 1954 erhielt schließlich Kurt von Fritz einen Ruf an die Freie Universität Berlin, den er annahm. Diese insgesamt fünf wieder von deutschen Universitäten aufgenornmenen Emigranten der klassischen Philologie waren bemerkenswerterweise allesamt Nichtjuden. Kein einziger emigrierter jüdischer klassischer Philologe wurde auf Dauer zurückgeholt, ähnlich wie dies Losemann für die Althistoriker feststellte.328 Ob das rassistische Ausschließungskriterium nach dem Krieg bewußt wiederholt wurde, ist schwer zu sagen.
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftlern
217
Einzig der im Land gebliebene Kurt Latte erhielt schließlich seinen alten Lehrstuhl zurück. Dies in erster Linie deshalb, weil sein Vorgänger auf Dauer aus dem Göttinger Lehrkörper ausgeschlossen blieb, aber auch weil Latte gleich nach Kriegsende, im Jahr 1945 in Göttingen anwesend war und sich bereit erklärte,
seine
alte Stelle, wenn
auch
vorerst vertretungsweise,
zu
übernehmen. Auch nachdem ihm der Lehrstuhl endgültig übertragen worden war, fühlte sich Latte in den ersten Jahren noch keineswegs in seiner Stellung gesichert. Von alten Nationalsozialisten umgeben, die ihre Lehrstühle behalten hatten oder wieder erhielten, fürchtete er Feindseligkeiten, die gerade in
den ersten Nachkriegsjahren unterschwellig vorhanden waren und zeitweise offen sichtbar wurden.529 Immerhin saß Latte anfangs zusammen mit Hans Plischke, der ihn seinerzeit zur Niederlegung seines Amtes gedrängt hatte, und mit Hermann Kees in denselben Fakultätssitzungen. Kees war, wie Latte
sehr gut wußte, einer der Mitunterzeichner der Göttinger „42er Erklärung“ gewesen, in der 1955 die sofortige Entlassung der jüdischen Kollegen gefordert worden war, um nur zwei Beispiele zu nennen.33 Der ebenfalls im Land gebliebene Kónigsberger Lektor Ernst Grumach wurde 1949 zum o. Professor an die Humboldt-Universität berufen. Dieses Ergebnis entspricht dem allgemeinen Bild, daB die Mehrheit der im Lande verbliebenen Wissenschaftler wieder an die Universitüten zurückkehren konnte, so sie die Zeit der Verfolgung überlebt hatten.55! Schwer zu beurteilen ist, wie weit hier auch Ressentiments gegen Emigranten eine Rolle spielten, die in dem Vorwurf mündeten,
das Land verlassen zu haben und den Schrecken des Krieges entgangen zu sein.532 Von der Universität Göttingen ist jedenfalls bekannt, daß sie sich erst auf ausdrückliche Aufforderung der britischen Militürregierung bereit fand, eine Liste derjenigen Emigranten aufzustellen, die für eine Rückberufung in Frage kümen.555 Die schließlich erstellte Liste enthielt nur wenige Namen der von nationalsozialistischen Maßnahmen vertriebenen Wissenschaftler. Hermann Frünkel wurde z. B. zuerst gar nicht aufgeführt bzw. mit Eduard Fraenkel verwechselt, der schon 1951 nach Freiburg/Br. aus Góttingen wegberufen worden war. Die Fakultät ging davon aus, daß E. Fraenkel, der in der Liste fülschlich als H. Fránkel und Gräzist bezeichnet wird, kein Interesse haben werde, aus Oxford von einem so renommierten Lehrstuhl nach Góttingen zurückzukehren. Als der Irrtum, der wie eine Amnesie der Ereignisse um 1955 anmutet, endlich aufgeklärt wurde, bot man Hermann Fränkel, der seinen Wunsch nach Rückkehr ausdrücklich zu verstehen gegeben hatte, eine Rück-
berufung erst gar nicht an. Dafür führte man intern als Begründung an, daß ihm, mittlerweile o. Professor in Stanford, nicht die Stelle eines Oberassisten-
ten zuzumuten sei, die er bis zu seiner Entlassung in Góttingen innegehabt hatte. Hermann Frünkel gegenüber aber wollte die Fakultät die Verantwortung auf die britische Militárregierung abschieben. Man schlug vor, an Fränkel zu schreiben, daß die Britische Militärregierung und nicht die Fakultät gegen eine Rückholung sei, weil diese an Fränkel als mittlerweile amerikanischem Staatsbürger kein Interesse habe.5* An diesem Beispiel ist der
218
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Unwille, altes Unrecht wiedergutzumachen, überdeutlich und der Ausflucht-
charakter der Ablehnungsgründe unübersehbar. In der Folge wurde Hermann Frünkel nicht einmal auf ein Gastsemester nach Göttingen gebeten. Einladungen kamen statt dessen von der Freiburger und der Kieler Universität. Auch das Wiedergutmachungsverfahren für Hermann Fränkel war von Hindernissen gekennzeichnet (vgl. dazu w. u., S. 267 ff.). Von insgesamt 52 entlassenen Göttinger Hochschullehrern kehrten nach 1945 nur drei Emigranten in den Lehrkörper der Universität zurück: der Philosoph Georg Misch, der Jurist Gerhard Leibholz und später der Mathematiker Ludwig Siegel. Von den im Land Verbliebenen wurden, wie schon erwähnt, mehr als die Hälfte wiederaufgenommen,
u. a. Kurt Latte.555 Aber
auch die Aufnahme im Lande Gebliebener gestaltete sich nicht durchweg problemlos. Konrat Ziegler, von der Universität Greifswald entlassen und nach 1945 in Göttingen lebend, kam an der Universität Göttingen über einen
Lehrauftrag lange Zeit nicht hinaus. Erst auf dringliche und mehrmalige Aufforderung des Kultusministers war die Fakultät bereit, einer Honorarprofessur für K. Ziegler zuzustimmen (vgl. dazu w. u., S. 265 f.). Auch dieses Verhalten der Universität gegenüber einem ehemaligen aktiven Gegner des Nationalsozialismus, dessen fachliche Eignung man in Zweifel zog, entspricht dem Bild, daß eher ehemalige Nationaisozialisten Wiederaufnahme
fanden,
deren fachliche Qualität nicht in Frage gestellt wurde, als jüdische oder aktiv im Widerstand tätige Wissenschaftler. Ähnlich wie Ziegler erging es dem Althistoriker und ehemaligen Göttinger Privatdozenten (1907-1909) Richard Laqueur (1881-1959) - allerdings unter genau umgekehrten politischen Vorzeichen - mit der Universität, die ihn 1956 entlassen hatte: Die Hallenser Universität, deren Lehrstuhl für Alte Geschichte im übrigen seit dem
Weggang Laqueurs nicht wiederbesetzt worden war, weigerte sich, Laqueur wieder in ihren Lehrkörper aufzunehmen. Sie warf diesem seine aktive Teilnahme am Ruhrkampf gegen die Arbeiteraufstände in den zwanziger Jahren vor. So kam es, daß Richard Laqueur - nach dem Ersten Weltkrieg Mitglied der DVP
und o. Professor an der Universität Gießen -, der in der
Emigration in den USA keine Universitätsstelle erhalten konnte, dort auf seiner Hände Arbeit angewiesen war und nur in der Freizeit, die ihm blieb, wissenschaftlich weiterarbeitete, nie wieder eine Universitätsstelle erhielt. In
der unter sowjetischer Militärverwaltung stehenden Universität Halle wurde politisch argumentiert, um einen der ehemaligen Kollegen nicht wiederaufnehmen zu müssen.556 Die Bevorzugung der nach 1945 entlassenen Wissenschaftler bei Stellenbesetzungen hüngt einerseits mit der Art zusammen, wie die Entnazifizierung durchgeführt
wurde
und
ist andererseits
darauf zurückzuführen,
daD
sie
sukzessive wieder rückgüngig gemacht wurde. Darauf wird weiter unten noch eingegangen. An dieser Stelle sei hervorgehoben, dal) die unter dem Nationalsozialismus vertriebenen Hochschullehrer, sei es aus der Emigration, sei es in Deutschland, sich, im Unterschied zu dem schnóden und abwehrenden Verhalten
Ausgrenzung, Vertreibung und Verfolgung von Altertumswissenschaftiern
219
vieler ihrer ehemaligen Kollegen, sofort nach 1945 für die fachliche Wiederanknüpfung, für internationalen Austausch und die Reintegration in die wissenschafllichen Gesellschaften der „scientificcommunity“ einsetzten. Eduard Fraenkel z. B. sorgte für die Fortführung des Thesaurus Linguae Latinae, dessen Fortbestand in Frage stand. Rudolf Pfeiffer regte wahrscheinlich die Wahl Fraenkels in die Bayerische Akademie der Wissenschaften an.55? Konrat Ziegler führte als international angesehener Herausgeber das Unternehmen
der Pauly-Wissowaschen Realencyclopädie zu einem guten Ende. Kurt Latte vertrat die deutschen
Altertumswissenschaften
auf den ersten Nachkriegs-
kongressen, war der erste deutsche Wissenschaftler, der nach 1945 zum Vizepräsidenten der „Federation Internationale des Études Classiques“ gewählt wurde und sorgte u. a. z. B. dafür, daß die deutschen Akademien der Wissenschaften schließlich in die internationale „Union des Academies“ aufgenommen wurden. Die Tendenz der Emigranten, sofort nach 1945 wieder Kontakt zu ihren
ehemaligen Kollegen aufzunehmen und sich um junge deutsche angehende klassische Philologen zu kümmern, wenn sie zu ihnen zu Besuch kamen, wurde durch Einladungen zu Gastvorträgen, zu Gastsemestern an deutschen Universitäten und durch die Wiederaufnahme in die jeweiligen Akademien der Wissenschaften sowie die Verleihung von Ehrengraden beantwortet.558 Der im Vergleich zur Rückholung einfachere, weil zeitlich begrenzte bzw. eher mittelbare Kontakt erleichterte die Verdrángung des früher angetanen Unrechts und des später Versäumten. Solche Formen von Wiederanknüpfung trugen dazu bei, tiefer liegende und weiter vorhandene Fragmentierungen und Brüche zu verdecken. Auch der Umgang mit Werken von Emigranten im Nachkriegsdeutschland, deren Rezeption sehr allmühlich einsetzte, dürfte das
Fortbestehen von Entfremdung, Abwendung und Brüchen belegen. Beispiele dafür sind schon erwähnt worden: Die von Eduard Fraenkel herausgegebenen Kleinen Schriften Leos erschienen in Rom, nicht in Deutschland. Táublers
Beitrag über den rómischen Staat wurde postum erst 1985 herausgegeben. Hans Drexlers Rektoratsrede von 1945 hingegen erlebt ununterbrochene Wiederauflagen (vgl. dazu w. u., S. 250 f.). Dem Nationalsozialisten Hans Oppermann wurde die Herausgeberschaft für den Band „Römertum“ in der renommierten Reihe ,Wege der Forschung" übertragen. So ergibt sich bezüglich der Wissenschaftsinhalte und ihrer Entwicklung in Deutschland folgendes Bild: Wührend der Nationalsozialismus einen Stillstand und Rückschritt der Wissenschaft in Deutschland erzeugte, bereicher-
ten deutsche Emigranten in den Aufnahmelündern die wissenschaftliche Diskussion, die Forschung und Lehre. Die kaum erfolgte Remigration erschwerte es im Nachkriegsdeutschland über viele Jahre hinweg, den Anschluß an die neuere wissenschaftliche Diskussion zu finden.
220
3.3
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Der nationalsozialistische Abbau des Instituts
für Altertumskunde
1935-1940
Die nationalsozialistische Wissenschaftspolitik5*9 ist durch Eingriffe in die Korporation Universität gekennzeichnet, die zum einen der politischen und organisatorischen Gleichschaltung und zum anderen der ideologischen und quasimilitárischen Schulung dienten. Die Gleichschaltung wurde im wesentlichen mit den Entlassungen der vom Regime unerwünschten Wissenschaftler, der Einführung des Führerprinzips und der Einbindung der Studenten sowie der Hochschullehrer in nationalsozialistische Zwangskórperschaften erreicht.
Der ideologischen Schulung wurden vor allem die Studenten und die wissenschaftlichen Nachwuchskrüfte unterzogen. Da dies innerhalb der fachspezifischen Universitätsiehre nicht bzw. schwer oder nur bedingt möglich war, schaltete man vor und neben das Studium sowie vor die Weiterqualifizierungsstufen politische und quasimilitärische Übungen bzw. „Einsätze“ im Landdienst an der Ostgrenze und im Fabrikdienst. In den Fächern selbst versuchte man zu erreichen, die Wissenschaftsinhalte durch nationalsozialistische Studenten und Dozenten zu vermitteln, die, in Fachschaften organisiert, eine nationalsozialistische Perspektive auf die jeweilige Wissenschaft entwickeln und lehren sollten. Darüber hinaus bemühte sich die Deutsche Studentenschaft darum, die Erstsemester in Kameradschaftshäusern unter-
zubringen, um sie frühzeitig in nationalsozialistische Organisationen einzubinden. Dort wurden zwei bis drei politische Schulungsabende pro Woche angeboten, die die Studenten bis zum dritten Semester besuchen sollten.540 Da es keine einheitliche nationalsozialistische Weltanschauung®*! gab, war es den einzelnen überlassen, mit welchen Inhalten sie die Themen der Nationalsozialisten füllten und quasiwissenschaftlich begründeten: Dazu gehörten als thematische Schwerpunkte Rassenlehre, Erblehre, Volksgesundheit, Wehrhaftigkeit, Landesverteidigung, Führertum und Führerglaube, die Kommentierung nationalsozialistischer Gesetze sowie nationalsozialistische Lebensanschauungen über Volk, Staat und Reich. Für die gesamte Universität gab es fächerübergreifende öffentliche Vorlesungsreihen, an denen sich Wissenschaftler der verschiedenen Fachrichtungen beteiligten und die neuen Themen der Nationalsozialisten wissenschaftlich verbrümt darboten. Im Wintersemester 1955/54 wurde an der Universität Göttingen die erste Vortragsreihe zum Thema: „Rasse, Volk und Staat“ gehalten, innerhalb der als Altertumswissenschafller Uirich Kahrstedt auftrat.592 Schon im Herbst 1955 wurde mit dem preußischen Ministerialerlaß vom 28. Oktober 1955 das Führerprinzip an den Universitüten eingeführt: Den Hochschulen wurde das Recht entzogen, den Rektor zu wählen, und das Abstimmungsverfahren im Senat wurde beseitigt. Die Rechte des Senats fielen dem Rektor zu, der, ab dem 5. April 1955 (reichsweiter Erlaß des RuPrEM) vom
Reichserziehungsminister zum Führer der Hochschule ernannt, allein
Der nationalsozialistische Abbau des Instituts für Altertumskunde 1955-1940
221
diesem verantwortlich war. Gleichzeitig wurden die Rechte des Rektors erheblich erweitert. War er bis 1933 in hauptsächlich repräsentativer Funktion einer unter Gleichen, so konnte er nun selbst die Dekane als seine Unterführer an den Fakultäten bestimmen; zugleich waren ihm die Leiter der Dozenten-
schaft und der Studentenschaft unterstellt. Das heißt, daß die demokratischen Verfahren universitärer Selbstverwaltung abgeschafft und durch ein streng hierarchisiertes und autoritäres „Führerprinzip“ ersetzt worden war. Aufgabe des Rektors war es, die Universität zusammen mit den Dekanen und Fakultäten, deren Gremien
Vorschlagsrecht behielten, neu zu gestalten. Einzige
Einschränkung bildete die Forderung, Einvernehmen mit den örtlichen Führern der Parteigliederungen sowie dem NSD-Dozentenbunds- und dem NSDStudentenbundsführer herzustellen.5*5 Der im Sommer 1955 gegründete NSD-Dozentenbund war die dem ,Stellvertreter des Führers“ Rudolf Heß unterstellte Parteiorganisation nationalsozialistischer Professoren, die ihre Vertrauensleute an den einzelnen Fakultäten und Instituten hatten. Der NSD-Dozentenbund reklamierte für sich die
Rolle eines die universitäre Verwaltung (Fakultät - Rektor - Wissenschaftsministerium) kontroilierenden Organs. Als Parteiorganisation an den Hochschulen, dem jeweiligen Gaudozentenbundsführer unterstellt, der die órtlichen Dozentenbundsführer der jeweiligen Universität ernannte, wurde der NSDDB
zur mit der universitären Verwaltung konkurrierenden Organisation, so daß auch an den Hochschulen das für den Nationalsozialismus typische Kompetenzenwirrwarr durch alle Hierarchieebenen hindurch sich ausbreitete. Ziel des NSDDB war die Schaffung einer nationalsozialistischen Professorenschaft und Hochschule. Dies führte zu Kompetenzstreitigkeiten und Konkurrenzen zwischen den NSDDB-Vertretern und den Rektoren sowie zwischen der von Heß gegründeten Hochschulkommission und dem Ministerium. Streitpunkt
war in erster Linie die Personalpolitik, die der NSDDB mitentscheiden wollte. Dies erreichte der
NSDDB, indem er politische Gutachten über Kandidaten in
die Berufungsverfahren einbrachte. Den Fakultäten und Rektoren wurde schließlich im Gegenzug vom Reichserziehungsminister die wissenschaflliche Beurteilung der Berufungskandidaten zugesichert sowie deren hohe Gewichtung im Streitfall zwischen NSDAP-Stellen und dem Wissenschaftsministerium.*^ Auch das Wissenschaftsministerium wollte in Zusammenarbeit - jedenfalls in der Anfangszeit - mit den als „alte Nationalsozialisten“ ausgewiesenen Rektoren und Dekanen eine nationalsozialistische Wissenschaft an
den Universitäten etablieren. Da aber weder der Wissenschaftsminister noch die NSDAP genaue inhaltliche Vorstellungen von einer nationalsozialistischen Wissenschaft hatten, blieben diesbezügliche Konzepte äußerst vage. Gemeinsame Vorstellung war die „Auslöschung“ der liberalen und als „jüdisch“ etikettierten Wissenschaft. Auch das generelle Mißtrauen in die nach den Entlassungen verbliebenen Professoren, vor allem die Vertreter der älteren
Generation - ob sie nun Parteimitglieder waren oder nicht - teilte das Wissenschaftsministerium mit dem NSD-Dozentenbund. Man versprach sich von der nächsten Generation mehr. Diese sollte deshalb mit Hilfe der neuen
222
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Abb. 253: Minister B. Rust wird von Dozenten in Uniform begrüßt anläßlich der Einweihung des erweiterten Dozentenlagers Rittmarshausen bei Göttingen im Rahmen der 200-Jahr-Feier der Universität Göttingen
Abb. 24: Rektor Friedrich Neumann (links im schwarzen Anzug) hält die Einweihungsrede im erweiterten Dozentenlager Rittmarshausen am 28. 6. 1937 (rechts in Uniform B. Rust)
Der nationaisozialistische Abbau des Instituts für Altertumskunde 1955-1940
223
Reichshabilitationsordnung vom 13. Dezember 1934 unter nationalsozialisti-
schen Kriterien ausgewählt und geschult werden. Die Habilitation wurde von der Erteilung der Lehrbefugnis abgekoppelt. Diese zu erteilen beanspruchte der Wissenschaftsminister nun für sich. Darüber hinaus wurde die Habilitierung von der vorherigen Ableistung eines mehrmonatigen Dienstes in Wehrsport- oder Arbeitslagern sowie zusätzlich von der Teilnahme an einem anfangs mehrmonatigen, später mehrwöchigen Kursus in einem Dozentenlager, das der politischen Schulung und Überprüfung diente, abhängig gemacht. Damit war die Hochschuliehrerlaufbahn an völlig fach- und wissenschaftsfremde Vorleistungen gebunden. Außer der eigentlichen Habilitationsarbeit wurden die didaktischen Fähigkeiten sowie die persönlichen und charakterlichen Eigenschaften aufgrund von öffentlichen Lehrproben sowohl an der Universität als auch in den Lagern begutachtet.*55 Die Dozentenlager beinhalteten Kórperertüchtigung, quasimilitärischen Drill - man hatte eine Uniform zu tragen (vgl. Abb. 23) -, Vorträge von Nationalsozialisten zur Schulung in nationalsozialistischer Weltsicht sowie Vorträge der Teilnehmer selbst über ihr Fachgebiet unter Berücksichtigung nationalsozialistischer Aspekte. Letztere ebenso wie das gesamte Verhalten während des Lageraufenthalts waren die Grundlage für die schriftliche Beurteilung durch die Lagerleiter. Ebenso wie die Idee des Rektors als Führer hatte auch das Dozentenlager einen militärischen Anstrich: eine wissenschaftliche Elite nach dem Offiziersmuster sollte neu etabliert werden.5*9 Von den ausgewühlten zukünftigen Universitütslehrern erhofften sich die Nationalsozialisten die Verwirklichung der künftigen nationalsozialistischen Universitát.
Die Literatur’? zur nationalsozialistischen Hochschulpolitik stellt einmütig deren Scheitern aufallen Ebenen fest. Mit Kriegsbeginn wurden die Lager für Dozenten und höhere Beamte anderen Zwecken zugeführt, so daß alle nach
1959 habilitierten Nachwuchswissenschaftler zwar noch politisch beurteilt und meist ableisten rerschaft bestehen hältnisse
zum Militär eingezogen wurden, jedoch keine Dozentenlager mehr mußten. Sie wurden durch den Wehrdienst ersetzt. Worin die Fühdes Rektors und der Dekane an wissenschaftlichen Institutionen soll, deren Funktionieren gerade nicht an Befehls-Gehorsams-Vergebunden ist, wurde bis zum Ende des Dritten Reiches in viele
Richtungen kontrovers diskutiert und letztlich von den einzelnen Rektoren nach ihrem Gutdünken interpretiert. Auch die ideologische Schulung der Studenten wurde zunehmend eingeschränkt. Einerseits hatten die Klagen der Professoren Erfolg, daß der Unterricht darunter leide und das Studienziel nicht erreicht werden könne, weil die Studenten anderwärts zu sehr in
Anspruch
genommen
seien. Andererseits
wehrte
sich ein guter Teil der
Studenten selbst, indem er versuchte, so weit wie möglich die Schulungsver-
anstaltungen zu umgehen bzw. zu reduzieren. Am deutlichsten zeigte sich das Mißlingen aber am Rückgang der Studentenzahlen und an der Wahl von Studienfächern, die womöglich wenig mit Ideologie befrachtet waren, wie von technischen Fächern, Medizin u. à.
224
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Vom Scheitern nationalsozialistischer Hochschulpolitik kann man aber nur in einem sehr spezifischen Sinn sprechen: Diese Sicht setzt die Fiktion voraus,
daß es eine erfolgreiche nationalsozialistische Umformung der Universitäten hütte geben kónnen. Dazu war die Feindschaft der Nationalsozialisten gegenüber der Wissenschaft insgesamt zu groD. Zudem stellt diese Sicht den Krieg
als Ausnahmezustand dar. Er war aber von dem Regime intendiert und seine Vorbereitung ist damit ein wesentlicher Faktor nationalsozialistischer Universitätspolitik gewesen. Aus der Perspektive der Wissenschaften muß man eher
den Erfolg der nationalsozialistischen Eingriffe und Maßnahmen sehen, obzwar sie viele Bereiche der Lehre und der Korporation Universität unangetastet ließen. Waren sie doch insgesamt erfolgreich insofern, als weite Teile von Forschung und Lehre, aber auch viele Institute veródeten und erstarrten.
Zusammen mit den Entlassungen erzeugten sie ein Klima der Angst und des Mißtrauens, der politischen Anpassung, die eine freie Entwicklung von Lehre und Forschung unmöglich machte, ganz zu schweigen von der durch vielerlei
Gebote und Verbote erzeugten Abtrennung von der Wissenschaftsentwicklung außerhalb
Deutschlands.
Schon
Ende
des Jahres
1954 beschrieb
der
Göttinger Reformpädagoge Hermann Nohl, der 1957 selbst entlassen und dessen Institut aufgelöst wurde, die Atmosphäre an der Göttinger Universität so: „Die Universität ist eine Ruine, die täglich mehr zerfällt. Vor allem weil
ihre sogenannten Führer ... selbst nicht an ihre Wissenschaft glauben. So fehlt ihr die eigene
Seele
und damit jeder selbständige
Abgang so vieler gescheiter führender Menschen und.
Impuls.
Dazu
der
. . die Versetzungswol-
ke, die über jedem hängt. So entsteht eine totale Lethargie. Die neue Habilitationsordnung nimmt auch noch den letzten Rest von Initiative. Alles, was lebendig war, ist ‚verdächtig‘, es regieren äußerlich die alten deutschnationa-
len Reaktionäre von der schlimmsten Sorte.“ Im folgenden Teil werde ich exemplarisch die Auswirkungen
und Folgen
nationalsozialistischer MaBnahmen auf das Güttinger Institut für Altertumskunde insbesonders auf zwei Ebenen zeigen: die der Personalpolitik und die der Nachwuchsrekrutierung.
3.3.1
Neuberufungen
Sieht man sich die Berufungsverhandlungen anhand des im Góttinger Universitätsarchiv erhaltenen Aktenmaterials an, so zeichnet sich eine Tendenz deutlich ab, die vorausgeschickt sei: Sowohl die Institutsmitglieder wie die Berufungskommissionen der philosophischen Fakultát als auch der Dekan und der Rektor waren darum bemüht, bei der Suche nach Nachfolgern für die entlassenen Altertumswissenschaftler, den Ruf und das Renommee des Góttinger Instituts zu erhalten, indem wissenschaftlich qualifizierte Kandidaten gesucht wurden. Andererseits gab es das ausgeprägte Interesse, insbesondere des Rektors Neumann, nationalsozialistisch ausgewiesene Forscher zu berufen, die den Umbau des Instituts vorantreiben sollten. Da es keine bzw. fast
Der nationalsozialistische Abbau des Instituts für Altertumskunde 1955-1940
225
keine wissenschaftlich hochqualifizierten Wissenschaftler gab, die zugleich die politischen Kriterien erfüllten und außerdem berufbar waren, kam es zu langjährigen Lehrstuhlvakanzen. Diese wurden aber in Kauf genommen, obwohl sie entschieden zum Rückgang der Studentenzahl auf fast Null schon ein Jahr vor Kriegsbeginn beitrugen. So ist die Verödung des Instituts nicht allein auf den Krieg zurückzuführen, sondern zu einem guten Teil auf die nationalsozialistisch bestimmte Personalpolitik, aber auch auf die Schulpolitik5%, Das bis 1955 größte Institut der philosophischen Fakultät wurde einschneidend verkleinert. Daß zwölf vakante Lehrstühle der klassischen Philo-
logie an elf von insgesamt 25 deutschen Universitäten nicht leicht wiederzubesetzen waren, ist naheliegend. Andererseits boten die Vakanzen Nachwuchskräften und bisher auf a. o. Professuren ausharrenden Wissenschaftlern nun die Gelegenheit, einen Karrieresprung zu machen. Daß Anpassung allein, jedenfalls für Göttingen, nicht hinreichte, zeigt die Geschichte Ulrich Knoches.
3.3.1.1
Ulrich Knoche kommi als Nachfolger von Hermann Fränkel (1935-1939)
Ulrich Knoche (1902-1968) sei „der beste Privatdozent, den wir als Oberassistenten zur Zeit bekommen können“, schrieb Max Pohlenz im Juli 1935 an den Kurator der Universität, dem er nahelegte, Knoche deshalb besonders
freundlich zu empfangen.350 Die Einschätzung von Max Pohlenz war durchaus realistisch: Ulrich Knoche hatte bei den besten Lehrern der Altertumswissenschaften seiner Zeit in Jena, Berlin, Kiel und Göttingen studiert: die Namen reichen u. a. von U. v. Wilamowitz-Moellendorf über Eduard Norden,
Werner Jaeger bis zu Hermann
Diels und Felix Jacoby. Auf Anraten von
Eduard Fraenkel, den er in Berlin kennengelernt hatte, folgte er diesem an
die Universitüt Kiel, wo er bei Fraenkel und Jacoby 1925 mit einer Untersuchung zur Überlieferungsgeschichte des lateinischen Satirikers Juvenal promoviert wurde. Nach der Promotion studierte er die Juvenalhandschriften an
italienischen Bibliotheken mit Hilfe eines Stipendiums. 1927-1929 arbeitete er am Thesaurus Linguae Latinae in München, wo er u. a. den Artikel „gloria“ verfaDte. Seit 1920 nahm er einen Lehrauftrag an der Universitüt Kóln wahr,
wo er sich auf Vorschlag des ehemaligen „Göttingers“ Günther Jachmann mit der Probe einer kritischen Edition desselben Dichters 1932 habilitierte. Knoche war somit Dozent „alter Ordnung“, wie es nach 1955 hieß. Dies sowie die Tradition, aus der er kam, die „Wilamowitz-Jaeger-Schule“, verlangsamten
seine Karriere, jedenfalls solange Knoche in Göttingen lehrte. So einmütig und schnell Dekan und Rektor mit Knoches Anstellung auf der Oberassistentenstelle als Nachfolger von Hermann
Fränkel waren, so sehr sträubten sie
sich später gegen eine Berufung Knoches als o. Professor für Latinistik auf den seit dem Wintersemester 1935 vakanten Lehrstuhl von Kurt Latte. Aus-
schlaggebend für die schnelle Einstellung und für das Einverständnis der
226
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Dozentenschaft,
obwohl
Knoche
kaum
nationalsozialistische Vorleistungen
(seit 1954 Mitglied im NSLB) nachweisen konnte, war die Lage des Instituts zu Beginn des Wintersemesters 1935: Latte hatte schon seit einem Jahr Prüfungsverbot, Fránkel hatte Göttingen schon verlassen, und Latte war von
Dekan Plischke, nicht zuletzt aufgrund der Sicherheit, mit Knoche eine Vertretung gefunden zu haben, zum Amtsverzicht gedrängt worden. So übernahm Knoche gleich bei Amtsantritt als neuer Oberassistent des Instituts auch die Lehrverpflichtungen von Kurt Latte. Dieses, eigentlich nur auf ein Semester vorgesehene Provisorium sollte bis zu Knoches Weggang aus Göttingen im Sommersemester 1939 erhalten bleiben.55!
3.3.1.2 Der Lehrstuhl für Latinistik (Latte) bleibt bis
1940 vakant
Nachdem im WS 1955/56 wissenschaftliche und politische Gutachten über die von der Berufungskommission vorgeschlagenen Kandidaten Günther Jachmann, Bruno Snell, Otto Regenbogen und Hans Drexler für die Nachfolge von Kurt Latte auf den Lehrstuhl für Latinistik eingeholt worden waren, einigte
sich die Berufungskommission auf folgende Liste: Jachmann (ehrenhalber), Drexler und Knoche.552 Die Briefe des Dekans und des Rektors (Februar 1956), die die Vorschläge der Fakultät an das RuPrEM weiterreichten, enthielten aber nur zwei Namen: Drexler und Knoche. Dekan und Rektor hoben Drexler als den eigentlich erwünschten Kandidaten hervor, der wissenschaft-
lich und politisch hinreichend und eindeutig ausgewiesen sei. Den Góttinger Altertumswissenschaftlern war Drexler schon aus seiner Góttinger Studienzeit (1919-1925) bekannt. Ulrich Knoche hingegen wurde von beiden in dem Schreiben an das Ministerium mit dem Hinweis abgelehnt, daß er wissenschaftlich und intellektuell zwar Begabung und ein gutes Niveau zeige, seine Arbeiten aber die Richtung des sogenannten Dritten Humanismus verraten und eine klare politische Einstellung bei ihm nicht zu erkennen sei.555 Damit gab die Fakultät ohne das Wissen der Berufungskommission letztlich eine Einmannliste weiter. Da aus dem Ministerium monatelang keine Antwort kam, mahnte die Fakultüt im Mai eine Entscheidung an. Erst Ende August 1956
benachrichtigte
das
Ministerium
Drexler für Göttingen nicht in Frage Universität Breslau berufen worden Die sich hier schon abzeichnende insgesamt typisch. Die Mitglieder des Rektor und Dekan
den
Góttinger
Kurator
davon,
daD
käme, weil er erst vor einem Jahr an die sei.55* Struktur ist für den Berufungsvorgang Instituts wurden um Vorschlüge gebeten.
holten daraufhin politische, aber auch wissenschaftliche
Gutachten von auswárts ein. Die dann von der Berufungskommission erstelite Liste wurde durch den Rektor, aber auch veründert, daB dem Ministerium deutlich eigentlich erwünscht sei. Wenn dann eine wirkte diese auf die Berufungskommission
fallweise durch den Dekan soweit gemacht wurde, welcher Kandidat Absage aus dem Ministerium kam, so, als wäre die von ihr eingereichte
ursprüngliche Liste vollstándig abgelehnt worden. So wundert die Haltung der
Der nationalsozialistische Abbau des Instituts für Altertumskunde 1935-1940
227
Institutsmitglieder nicht, wenn sie später den Eindruck äußerten, gemeinsam mit dem Rektor und dem Dekan gegen das Ministerium gekämpft zu haben.
Denn die Schreiben des Rektors waren zum Teil parallel zu den offiziellen Anträgen via Institut und Kurator als persönliche Briefe an das Ministerium gerichtet und blieben den Kommissionsmitgliedern unbekannt. Neumann hatte zu dem Ministerialbeamten Eugen Mattiat, dem Referatsleiter für Geisteswissenschaften, eine persönliche Beziehung, die er für seine Pläne, wer
nach Göttingen berufen werden sollte etc., ausgiebig und weitgehend erfolgreich benutzte. Die gute Zusammenarbeit mit Mattiat erreichte ihren Höhepunkt, als diesem 1937 an der Göttinger Universität eine Professur für Volkskunde eingerichtet wurde, obwohl Mattiat, weder promovierter noch habilitierter Pastor, mit dem Antritt der Professur erst ein Semester Urlaub nehmen mußte, um sich in sein neues Arbeitsgebiet, die Volkskunde, einzuarbeiten, weil er außerstande war, die Lehrtätigkeit aufzunehmen.5% Auf der Suche nach neuen Kandidaten bat Rektor Neumann den mittlerwei-
le nach Leipzig berufenen Ordinarius für Gräzistik, Wolfgang Schadewalt, um Vorschläge über mögliche
Anwärter, insbesondere
aber um
ein Gutachten
über den Leipziger Privatdozenten Andreas Thierfelder, der sich 1954 schon nach der neuen Habilitationsordnung habilitiert hatte.556 Schadewalt stellte Thierfelder ein hervorragendes wissenschaftliches Zeugnis aus, nannte aber auch den Kieler a. o. Professor Erich Burck und Ulrich Knoche, neben Otto
Seel und anderen jüngeren Privatdozenten. Daraufhin informierte Neumann Mattiat persönlich über Schadewalts Vorschläge und bat darum, vorerst Knoche nicht als Nachfolger Lattes zu berufen.557 Zusammen mit den auch von Pohlenz eingeholten Gutachten trafen in Góttingen im Lauf des Septembers 1956 insgesamt sieben gutachterliche Äußerungen über Thierfelder ein: Schadewalts Beurteilung, die der Leipziger Dozentenschaft, der Leipziger Studentenschaft, der philosophischen Fakultät Leipzig, des Rektors der Universität Halle, wo Thierfelder ein Semester lang den Lehrstuhl für Gräzistik (Paul Friedländer) vertreten hatte, des Hallenser klassischen Philologen Walther Kranz und ein Gutachten von Hans Drexler.558
Obwohl Thierfelder als „Dozent neuer Ordnung“ alle politischen Anforderungen von November 1933 an bis März 1935 erfüllte (Eintritt in den NSLB, Teilnahme am Dozentenlehrgang [1. 8.-10. 10. 1934], Dienst bei der SA [November 1955 bis Dezember 1954] und abschließend ein Lehrgang an der Dozenten-Akademie in Kiel [17. 2.-8. 5. 1955], der der nationalsozialistischen Weiterbildung für zukünftige universitäre „Führungskräfte“ diente), fiel das Urteil der Dozentenschaft und der Studentenschaft zurückhaltend aus: Er sei schüchtern, keine Führernatur und mehr an der Wissenschaft als an der Förderung des nationalsozialistischen Gedankens interessiert. Hinzu kam ein das fachlich positive Gutachten Schadewalts einschrünkendes Urteil der Hallenser Kollegen über Thierfelders Vertretung des gräzistischen Lehrstuhls. Neumann und Dekan O. Wilde beschlossen aufgrund der, bei sieben Gutachten nicht anders
zu erwartenden,
widersprüchlichen
Informationen,
sich
selbst ein Bild von Thierfelder zu machen, indem sie ihn zu einem Gespräch
228
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
einluden. Dieses fiel wohl negativ aus. Denn danach schrieb Neumann an Mattiat, er möge Knoche doch noch nicht anderweitig einplanen, sondern ihm für das Wintersemester 1936/37 wieder die Vertretung der latinistischen Professur übertragen: „Wir wissen, daß auch Knoche nicht unsere Vorstellung
von einem politisch gerichteten lateinischen Philologen erreicht. Er ordnet sich uns noch nicht genügend in die Gesamtarbeit der Universität ein. Aber gegenüber Thierfelder hat er doch den weiteren Horizont. Er sieht viel klarer die entscheidenden Aufgaben des Unterrichts und geht an diese Aufgaben mit grösserer Lebendigkeit heran. Da er als Lehrer älter und erfahrener ist als Thierfelder, wurde es für uns aufgrund der letzten Feststellungen unmöglich, Thierfelder ihm vorzuziehen. Abschliessend bitte ich Sie, daß Sie Knoche vorerst für Göttingen zurückhalten. Wir werden versuchen, ihn in den näch-
sten 14 Tagen an uns heranzuziehen und dann sehr schnell eine endgültige Entscheidung treffen.*559 Eineinhalb Wochen
zuvor hatte Pohlenz,
der Institutsdirektor, in einem
sehr ausführlichen Schreiben dargelegt, warum das Institut unbedingt die Berufung Knoches wünsche und ihn allen anderen Kandidaten vorziehe. Pohlenz wies auf Knoches fachliche und püdagogische Fühigkeiten hin, aber auch auf seine Mitarbeit in der Fachschaft, für die Knoche die ,rómischen
Anschauungen von Volk, Staat und autoritärer Führung unter ständiger Bezugnahme auf die Gegenwart behandelte“. Diese Veranstaltung habe auch den Vertreter der Studentenschaft positiv beeindruckt. Knoches Nichtteilnahme an Übungen der SA erklärte Pohlenz mit dessen Arbeitsüberlastung als Assistent und Vertreter der latinistischen Professur. Er hob hervor, daß Knoche
„mit innerer Freudigkeit seine Ferien darangegeben [hat], um eine achtwöchige militärische Übung abzuleisten“. Schließlich wies Pohlenz auf seine eigene baldige Emeritierung und auf die Tatsache hin, daß im Sommersemester 1957 das 200jährige Jubiläum der Universität Göttingen gefeiert werde, dem ein unbesetztes Institut für Altertumskunde schlecht anstünde. Schon jetzt blieben die Studenten wegen des Provisoriums, das eine rechtzeitige Ankündigung der Veranstaltungen nicht erlaube, weg.590 Neumann war jedoch ganz anderer Ansicht: Gleichzeitig mit seinem oben zitierten persónlichen Brief an Mattiat lieB er durch den Kurator offiziell an das RuPrEM den Antrag der philosophischen Fakultüt richten, Ulrich Knoche möge den latinistischen Lehrstuhl im Wintersemester 1956/57 weiter vertreten.9$! Im Januar 1957 endlich hatte Neumann sich entschieden und bat offiziell das Ministerium darum, Knoche auf den Lehrstuhl zu berufen, damit
der Lehrstuhl für Latinistik im Jubiláumssemester besetzt sei und weil Knoche einen deutlichen Lehrerfolg habe. Aber nun wollte das Ministerium nicht. Knoche wurde am 25. Mürz 1957 weiter mit der Vertretung beauftragt, erhielt jedoch das Gehalt eines Extraordinarius 2. Stufe, 6100 RM jährlich, anstatt
seiner bisherigen Bezüge als Assistent zugesprochen.59? Am
10. Juli 1957,
kurz nach der Jubiläumsfeier, wurde Max Pohlenz emeritiert, und damit war
auch der Lehrstuhl für Gräzistik vakant, so daß es - eine Vertretung wurde nicht genehmigt - im Wintersemester 1957/58 nur einen lehrenden a. o.
Der nationalsozialistische Abbau des Instituts für Altertumskunde 1955-1940
299
Professor der klassischen Philologie neben Ulrich Kahrstedt als Althistoriker am Institut gab.
Knoches späte Anpassung an den Nationalsozialismus, 1937 trat er in die NSDAP
ein, führte schließlich 1959 zu seiner Berufung als o. Professor und
Nachfolger Ernst Kapps an die Universität Hamburg. Dort hielten die Kollegen Distanz zu ihm, weil er in Hamburg als Nationalsozialist auftrat, Kontakt zu den nationalsozialistischen Fakultütsmitgliedern suchte und schlieDlich im
NSD-Dozentenbund mitarbeitete. Seit Frühjahr 1939, dem Weggang aus Göttingen, schlug sich der Rausch nationalsozialistischen Herrschaftsgebarens auch in Knoches Schriften zum ,Rómertum" nieder und war nach Kriegsende
noch nicht ernüchtert. Der Krieg zog ihn an. Knoche sah in ihm den Vater des kulturellen Fortschritts, das Mittel der Wahl zur Durchsetzung des deutschen
Anspruchs auf Weltherrschaft. Von Mai 1941 bis Kriegsende blieb Knoche, der nun Ernst machende Spezialist für rómische Satire, als überzeugter Soldat im Krieg - eine Freistellung vom Kriegsdienst lehnte er ab. So haben wir mit Ulrich Knoche in gewissem Sinn den Gegenfall zu Thierfelder, der sich in den ersten zwei Jahren anpaßte, wohl um eine Habilitation zu erwerben, danach
aber lieber ungestört forschen wollte.595 In Góttingen wurde der latinistische Lehrstuhl weiter vertreten, 1959 durch den Latinisten Karl Büchner, eben Privatdozent geworden und Assistent am Institut für Altertumskunde der Universität Leipzig. Die im Sommer 1959 neuerlich erstelite Berufungsliste für den Lehrstuhl der Latinistik enthielt diesmal die Namen (1.) Hellfried Dahlmann, (2.) Drexler und (3.) Büchner, mit dem Zusatz, Dahlmann zu berufen, Büchner aber auf keinen Fall. Endlich kam der schon 1955/56 von Rektor Neumann favorisierte Kandidat, der als
engagierter Nationalsozialist bekannte Latinist Hans Drexler, zu Beginn des Jahres 1940 nach Göttingen, so daß der Lehrstuhl für Latinistik nach fünfjäh-
riger Vertretung nun besetzt war.99*
3.3.1.3
Maz Pohlenz erhält 1937 ein kurzfristiges Lehrverbot
Pohlenz, der schon seit 1906 ohne Unterbrechung am Góttinger Institut für Altertumskunde lehrte und forschte, war in der Zeit des Nationalsozialismus
das produktivste Mitglied des Instituts. Allein zwischen 1955 und 1945 veröffentlichte er vier Monographien, 50 Aufsátze und Artikel. Die Monographien sind dem Stoiker Panaitios, dem
Historiker Herodot, dem Arzt Hippokrates
und der stoischen Philosophie gewidmet.5695 Wie schon anhand seiner Vortráge über staatsbürgerliche Erziehung im Griechisch-Unterricht gezeigt wurde, neigte Pohlenz dazu, antike Texte unter aktuell-politischen Gesichtspunkten und Begrifflichkeiten zu interpretieren und die Geschichte als warnende bzw. beispielgebende Tradition für die Gegenwart nutzbar zu machen. Diese Haltung war auch bei anderen Alter-
tumswissenschaftlern verbreitet?6. Ihre Kontinuität über 1955 hinaus zeigt sich besonders in zwei Veröffentlichungen von Pohlenz aus dem Jahr 1954.
230
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Es handelt sich um das Buch „Antikes Führertum. Cicero de officiis und das Lebensideal des Panaitios* und den Aufsatz zu demselben Thema: „Ein
antikes Führerideal^.567 Ciceros Schrift über das pflichtgemäße Handeln („de officiis“) war seinem 20jährigen Sohn gewidmet. Das Vorbild zu dieser Schrift war die nur noch in Fragmenten überlieferte Abhandlung des Stoikers Panaitios unter dem Titel „Tlepi t6v καϑήκοντος“. Pohlenz macht sich zur Aufgabe, die Lehre des griechischen Stoikers aus Ciceros Text zu rekonstruieren. Ein zentrales Thema des Buches über das angemessene Handeln stellt die Beschreibung der Pflichten eines der Gesellschaft gegenüber verantwortlich handelnden Menschen dar, wobei politisches Handeln als die höchste Stufe pflichtgemäßen Handelns angesehen wird. Zuvor werden sittliches und nützliches Handeln gegeneinander abgewogen. Bei Pohlenz wird aus Panaitios’ Überlegungen die Beschreibung des „idealen Führers“: „Panaitios schwebt nicht ein allgemei-
nes Menschentum als Höchstes vor, sondern das Führertum des hochgesinnten Mannes, der Dienst am Volk als sittliche Pflicht übt. Aus dieser Erkenntnis ist mir ungewollt der Obertitel der Schrift erwachsen . . .“, schreibt Pohlenz
in der Einleitung seiner Monographie.598 Die von Pohlenz als „ungewollt“ charakterisierte Titelgebung beleuchtet die Leichtigkeit und Selbstverstündlichkeit, mit der die nationalsozialistische Herrschaftssprache in wissenschaftliche Texte übernommen wurde. Von ihm verwendete Begriffe wie „Siegervolk“*, „Herrschervolk“, spartanische „Revolutionäre“, der „theoretische Kommunismus“ bei Platon, die „nationale Wehrkraft“ der Römer u. a. m.
wirken nicht nur unangemessen.*9? Sie stellen eine Art Rückprojektion nationalsozialistischer und politischer Begriffe in die Vergangenheit dar. Die eben zitierten, dem Cicerotext fremden Begriffe illustrieren die Art und Richtung solcher ideologischer und gegenwartsnaher Textinterpretation, die aus dem nützlichen
Handeln
im Bereich der Politik das ,Führertum
als Dienst am
Volksganzen" machte und damit Panaitios und Cicero zu beispielgebenden Vorbildern des Nationalsozialismus. Der oben genannte Aufsatz „Ein antikes Führerideal“ erläutert den Einfluß der stoischen Ethik, vor aliem des Panaitios, auf die gebildeten Rómer in der Mitte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts. Auch hier ist von der ró-
mischen „Führerschicht“ die Rede. Zenon, der Begründer der Stoa, wird „hellenisierter Vollblutsemit“ genannt, dem ganz wenige Anhänger der stoischen Schule aus dem ,reinblütigen* Griechenland gegenüberstehen, wie z. B. der aus Rhodos kommende Panaitios. Dessen Ideal sei nicht der „blutleere homunculus
Übermensch,
der stoischen Weisen“ gewesen.
sondern der Höhenmensch,
„Ideal ist nicht der
der sich als Glied der Gemein-
schaft fühlt, die Führernatur, die unbeirrt von persönlichen oder Parteirücksichten nur ein Ziel verfolgt, das Wohl des Ganzen.“370 Panaitios habe der römischen Aristokratie in einer kritischen Zeit den „weltanschaulichen Halt“
gegeben, indem er in seiner Schrift über das angemessene Handeln den „Führerdienst“ als höchste sittliche Pflicht propagierte. Cicero habe ebendieses Bild überliefert.?”! Zum Abschluß zitiert Pohlenz den Kommentar Frie-
Der nationalsozialistische Abbau des Instituts für Altertumskunde 1955-1940
231
drich des Großen zu Ciceros Schrift „De officiis*: «C'est le meilleur ouvrage
de morale qu'on ait écrit et qu'on écrira.» Die Frage, ob man aus der Beschreibung eines sittlich guten, des sogenannten ,idealen Führers* bei Pohlenz ein von ihm an das neue Regime adressiertes Modell herauslesen kann, sei
offengelassen. Auch die Einleitung seines Vortrags ,Das Erlebnis des Krieges in der Antike*
zeigt deutlich, wie sehr die Anteilnahme an der deutschen Gegenwart für ihn untrennbar mit seiner Forschung und Arbeit verbunden war: ,Der Krieg ist heute das Erlebnis, das alle unsere Gedanken in seinen Bann zieht und sie
auch dann nicht losläßt, wenn wir uns mit ganz anderen Dingen beschäftigen. Und doch haben wir zugleich das Bedürfnis nach einer Entspannung, den Wunsch, uns einmal von dem Kreislauf des Alltüglichen zu befreien und uns in eine andere Sphäre zu erheben. Da mag es für Freunde der Antike das Gegebene sein, wenn wir uns in dieser Stunde die Frage vorlegen, was dieses Kriegserlebnis für die uns in Blut und Geist so eng verwandten Vólker des Altertums bedeutet hat, was es in ihnen für Gefühle und Gedanken auslóste.^57? Den Vortrag hielt Pohlenz 1940 in Góttingen auf Einladung des Vereins der Freunde des Humanistischen Gymnasiums. Pohlenz, der wegen einer Behinderung nicht am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte, begleitete die Soldaten wenigstens in Gedanken nicht nur mit diesem Vortrag, wie der Briefwechsel mit Schülern, die zum Krieg eingezogen waren, belegt.373 Nicht Parteimitglied, war er doch loyal zu seinem Eid auf Hitler und zu den deutschen Interessen. Gleichzeitig war Pohlenz darum bemüht, die Qualität wissenschaftlicher Arbeit und Lehre dem Institut zu erhalten. Die Unvereinbarkeit von beidem sollte Pohlenz schließlich anläßlich des 200jührigen Jubiläums der Universität Göttingen erfahren. Die philosophische Fakultät wollte zu diesem Anlaß Ehrendoktorate verleihen und fand in dem sich ehemals in Göttingen habilitiert habenden Altertumswissenschaftler Giorgio Pasquali (1885-1952) einen würdigen Kandidaten, der zudem Staatsbürger eines mit Deutschland verbündeten Landes war.57* Der Vorschlag war von Pohlenz gemacht und von der Fakultüt sowie dem Ministerium akzeptiert worden. Im allerletzten Moment wurde aber vom Reichsminister für Kirchen-
fragen, Kerrl, ein zweiter Kandidat vorgeschlagen: dessen - wie im Briefwechsel mit der Universität behauptet wird - persönlicher Freund Gino Funaioli, ebenfalls klassischer Philologe aus Italien, aber weder wissenschaftlich so ehrungswürdig wie Pasquali noch in irgendeiner Verbindung zur Universität Góttingen stehend. Pohlenz und die Fakultát lehnten daher ab, Funaioli mit
der Doktorwürde auszuzeichnen. Im allerletzten Moment mußte sie sich dennoch den Wünschen des Reichsministers Kerrl fügen, weil der ebenfalls zur Feier anreisende Wissenschaftsminister Bernhard Rust am Vorabend die Verleihung in Form eines unbedingten Befehls anordnete. Pohlenz hatte die Aufgabe, Funaioli und die italienische Delegation zu betreuen. Die Verwunderung der Delegation, warum eine leere Urkunde ausgehándigt wurde und schließlich Funaiolis Dank für Pohlenz’ vermeintliche Anregung, ihn zu
232
ALTERTUMSWISSENSCHAFT
UND NATIONALSOZIALISMUS
ehren, brachten Pohlenz dazu, zu erklären, daß Funaioli sehr spät und auf Wunsch des Reichsministers Kerrl ausgezeichnet worden sei, so daB für ihn die Urkunde nicht rechtzeitig vorbereitet werden konnte.575 Die ganze Angelegenheit hatte noch ein Nachspiel. Die philosophische Fakultät bzw. einige ihrer Mitglieder waren so verärgert über die durch den Wissenschaftsminister der Universität angeordnete und ihr von außen aufgedrängte Ehrenpromotion, daß sie überlegte, wie sie sich für die Zukunft eine derartige Einmischung verbitten könne. Jedenfalls gehen solche Überlegungen und Diskussionen der Fakultät aus einem Schreiben von Max Pohlenz an den Dekan (Wilde) kurz nach der Jubiläumsfeier hervor, in dem Pohlenz noch
einmal die Ereignisse und deren Auswirkung zusammenfaßte: Der Leiter der italienischen Delegation habe mit Erstaunen vermerkt, daß von insgesamt vier Ehrendoktoraten gleich zwei an italienische Altertumswissenschafller von sehr ungleichem Niveau verliehen worden seien. Pohlenz selbst habe, auf Funaiolis herzlichen Dank hin, diesen über die Hintergründe andeutend informieren müssen, was ihm sehr unangenehm gewesen sei. Zusätzlich zu
dem Brief hatte Pohlenz dann ein entsprechendes Protestschreiben der Fakultät an das Wissenschaftsministerium entworfen. Sein Entwurf wurde dann in der Sitzung vom 3. Juli 1957 von der Fakultät abgelehnt.578 Mit diesem Entwurf und seiner mündlichen Darstellung der Vorgänge während der Jubiläumsfeier in der Fakultätssitzung hatte sich Pohlenz offenbar für den Geschmack
des
neuen
Dekans
Walter
Hinz,
der ab dem
Wintersemester
1937/38 amtierte, zu weit vorgewagt. Jedenfalls wurde Pohlenz, der am 10. Juli 1957 zum 1. Oktober des Jahres
1957 von seinen amtlichen Verpflichtungen entbunden und nach der seit 21. Januar 1935 auf 65 Jahre herabgesetzten Altersgrenze emeritiert worden war, nicht mehr zu den Nachfolgeberatungen der Berufungskommission hinzugezogen noch gefragt, ob er bereit sei, den Lehrstuhl für Gräzistik, bis ein geeigneter Nachfolger gefunden sei, zu vertreten. Am 20. Oktober 1937 erging sogar ein ausdrückliches Verbot des Ministeriums, Pohlenz mit der Vertretung zu betrauen. Pohlenz fühlte sich dadurch brüskiert und in seiner Ehre verletzt. Auch einige seiner Kollegen, wie Ulrich Kahrstedt und der Germanist Edward Schröder, fanden das Verhalten des neuen Dekans so befremdlich, daß sie ihn in einer Unterredung um Erklärung baten, warum
Pohlenz plötzlich aus allen weiteren Fragen in Institutsangelegenheiten ausgeschlossen
sei. Es stellte sich heraus,
daß
Hinz
Pohlenz
so schnell
wie
möglich von den Fakultäts- und Lehrgeschäften fernhalten wollte, weil er ihn politisch für unzuverlässig hielt. Er warf Pohlenz Kahrstedt und Schröder gegenüber vor, sich in der Unterredung mit Funaioli der schweren Verletzung seiner Beamtenpflicht schuldig gemacht zu haben, weil er einem Ausländer ein Amtsgeheimnis
verraten habe. Durch
ein Schreiben
des Dekans
Hinz,
Orientalist und vor seiner Berufung nach Göttingen unter der Ägide von Mattiat Referent für Geisteswissenschaften im Berliner Wissenschaftsministerium, erfuhr Pohlenz von der Unterredung mit Kahrstedt und Schröder.
Hinz bemühte sich, Pohlenz gegenüber einzulenken: ,. . . trage ich im Einver-
Der nationalsozialistische Abbau des Instituts für Altertumskunde 1955-1940
955
stándnis mit Magnificenz keine Bedenken, dass Sie im Wintersemester eine
Vorlesung oder Uebung in bescheidenen Ausmassen (etwa einstündig) abhalten, um auf diese Weise dem ministeriellen Erlass bezüglich der Vertretung der Klassischen Philologie eine nach außen übertrieben in Erscheinung tretende und von der Behörde nicht beabsichtigte Härte zu nehmen.*57? Die de facto vom Dekan und Rektor selbst beförderte Härte war nach bewührtem Muster zustande gekommen: In einem persónlichen Brief an Mattiat im Wissenschaftsministerium hatte Neumann auf Vorschlag von Hinz um die Vertretung des Pohlenz-Lehrstuhls für das Wintersemester durch den nationalsozialistisch hinreichend ausgewiesenen Münchener Gräzisten und Privatdozenten Franz Dirlmeier gebeten, weil die Fakultät noch nicht in der
Lage sei, einen geeigneten Nachfolger für Pohlenz vorzuschlagen und nicht wünsche, daß Pohlenz weiter lehre. Daraufhin erhielt der Kurator als Antwort
des Ministeriums
den
ErlaD zugesandt,
daß „eine
Beauftragung
nannten [d. h. Max Pohlenz, C. W.] mit der weiteren Wahrnehmung
des Gedes von
ihm innegehabten Lehrstuhls nicht in Frage“ komme, aber auch die Entsendung eines Vertreters für das Wintersemester unmöglich sei.5/8 Auf diesen Erlaß vom 20. Oktober 1937 bezieht sich Hinz im genannten Schreiben an Pohlenz. Pohlenz verstand aber durchaus die Hintergründe richtig, indem er hinter der Ablehnung seiner Person Hinz selbst vermutete und die Ereignisse um die Verleihung des Ehrendoktorats als Motiv ausmachte. Das geht aus einem langen und erbitterten Antwortschreiben Pohlenz’ tags darauf an den Dekan
hervor, in dem Pohlenz Punkt für Punkt Hinz’ Verdächtigungen ihm gegenüber benennt und schließlich ablehnt, unter solchen Bedingungen, die er als
entwürdigend empfinden müsse, einen Antrag auf Fortsetzung seiner Lehrtätigkeit zu stellen. Pohlenz legte ein eidesstattliches Gedächtnisprotokoll seiner Unterredung mit Funaioli bei, aus dem hervorgeht, daß der Verdacht des Geheimnisverrats hinfällig sei. Gleichzeitig sandte er eine Kopie des Briefes und des Gedächtnisprotokolls mit der Bitte an den Rektor, dieser möge als Führer der Universität aufgrund von Pohlenz’ Bericht nun entscheiden, ob der schwere Vorwurf gegen Pohlenz berechtigt sei. Am 9. November 1937, zehn Tage später, antwortete Neumann,
daß sowohl er als auch der Dekan,
aufgrund dessen Aussprache mit Pohlenz, mittlerweile davon überzeugt seien, daß Pohlenz seine Beamtenpflicht nicht verletzt habe.579 Aus den Aufzeichnungen von Pohlenz' Nachfolger über die abgehaltenen Lehrveranstaltungen des Instituts geht hervor, daß Pohlenz im Wintersemester 1957/58 schließlich
eine Vorlesung über hellenistische Philosophie gehalten hat. Die Übungen übernahm der seit einem Jahr in Góttingen habilitierte Privatdozent Werner Kappler, der 1957 einen Lehrauftrag für hellenistische Philologie erhalten hatte. 550 Die Ereignisse um das Ehrendoktorat zeigen zum einen, in welcher Form
das „Führerprinzip“ den Ministerien erlaubte, in die Angelegenheiten der Universität einzugreifen und sich durchzusetzen. Zum anderen wird deutlich, daß die philosophische Fakultät sich zu einer grundsätzlichen Gegenwehr
234
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
nicht entschließen konnte. Drittens zeigt die anschließende Auseinandersetzung zwischen dem neuen Dekan und Pohlenz, daß auf inneruniversitärer Ebene Gegenwehr zum Erfolg führen konnte.
3.3.1.4 Karl Deichgräber wird 1938 Nachfolger von Pohlenz Die Suche nach Pohlenz’ Nachfolger führte wesentlich schneller zum Erfolg als jene für den latinistischen Lehrstuhl. Wie üblich wurden über eine Reihe von Kandidaten (Erwin Wolff/Frankfurt a. M., Otto Seel/Erlangen, Erich Kóstermann/Kiel, Georg Rohde/Marburg, Franz Dirlmeier/München, Richard Harder/Kiel, W. Schadewalt und K. Reinhardt/Leipzig, Albin Lesky/Innsbruck, Hans Bogner/Freiburg i. B., Bruno Snell/Hamburg und Willy Theiler/Kónigsberg) in erster Linie politische, aber auch fachliche Beurteilungen von NSDDozentenbundsführern, Kollegen und Rektoren an anderen Universitäten eingeholt.55! Neumann suchte, wie er an den klassischen Philologen und ehemaligen Assistenten des Göttinger Instituts für Altertumskunde, Friedrich Focke, mittlerweile nationalsozialistischer Rektor der Universität Tübingen schrieb, einen Kandidaten für den gräzistischen Lehrstuhl, der „auch in der hochschulpolitischen Arbeit eingesetzt werden“ wolle.58? Eindeutig abgelehnt wurden
Snell, Theiler und
Reinhardt:
Theiler, weil er, wie
ein Gutachter
schreibt, als Schweizer Staatsbürger politisch hinreichend charakterisiert sei; Reinhardts kritische Haltung zum Regime war ebenso bekannt wie die von Bruno Snell, so daß über beide jeweils nur festgehalten wird, daß sie nicht in
Frage kämen. Als Beispiel für die Vagheit der Charakterisierungen sei noch das Urteil über Lesky angeführt, von dem gesagt wird, er küme eventuell in Frage, weil er kein „Wiener Walzertyp“ sei, aber man wüßte leider zu wenig über seine politische Einstellung.585 Am 25. Dezember 1957 schon sandte der Kurator der Universität die mit Kommentaren von Rektor Neumann und Dekan Hinz versehene Berufungsliste an das Ministerium in Berlin. Sie enthielt an erster Stelle den Vorschlag, Karl Deichgrüber zu berufen. Dies sei der einhellige Wunsch der „Göttinger Stellen“, weil er ein fachlich in der Wilamowitz-Tradition stehender Gräzist sei, über den auch in ,weltanschaulicher Hinsicht nur Vorzügliches zu berich-
ten ist^. An zweiter Stelle wird Friedrich Focke (Tübingen) genannt, der politisch hinreichend durch sein Rektorat ausgewiesen sei, dem aber nicht solche fachlichen Qualitäten zugesprochen werden könnten wie Deichgrüber - so die einschränkende Ergänzung Neumanns.58* „Der Dekan hat Professor Snell-Hamburg, der vor allem von zwei Mitgliedern der Fakultät genannt wurde [i. e. Max Pohlenz und Hermann Thiersch, Archäologe, C. W.], nicht auf die Göttinger Liste gesetzt. Ich stimme dem Dekan darin nachdrücklich
zu. ... Ich bitte daher dringend darum, ihn nicht für eine Berufung zu erwägen“38, Jautet Neumanns Kommentar zu der Streichung des dritten von der Fakultät auf die Liste gesetzten Kandidaten. Diesmal erfüllte das Wissenschaftsministerium die Wünsche von Rektor und Dekan umgehend: Zum
Der nationalsozialistische Abbau des Instituts für Altertumskunde 1955-1940
235
Sommersemester 1958 wurde Karl Deichgräber als Nachfolger von Pohlenz auf den Góttinger Lehrstuhl für Grüzistik berufen. Der Dekan versprach sich von Deichgrüber, der bereits über sein medizinhistorisches Spezialistentum
weit hinausgekommen sei, eine starke Entwicklung, auch auf weitanschaulichem
Gebiet. Ein Jahr spüter, 1959, folgte Deichgrüber Hinz als Dekan der
philosophischen Fakultät nach und blieb in dieser Position bis zum Kriegsende. Auf diese Weise lóste er die von Hinz und Neumann erhoffte Mitarbeit bei der Führung der Universität ein. Karl Deichgrüber (1905-1984), derselbe Jahrgang wie A. Thierfelder, hatte
1922/25 in Góttingen Altertumskunde und Philosophie (bei Georg Misch) studiert, war dann nach Berlin gegangen, wo er die Créme der Altertumswissenschaft gehört hatte, um schließlich 1927 an der Universität Münster bei seinem Lehrer Hermann Schöne mit einer preisgekrönten Arbeit über die „Griechische Empirikerschule“ zu promovieren. Die 2. Auflage der 1950 erschienenen Dissertation ist aus dem Jahr 1965: Deichgrübers Sammlung der Fragmente empirischer Ärzte und die Darstellung ihrer Lehre wurde zu einem Standardwerk. Ebenso Deichgräbers Berliner Habilitation aus dem Jahr 1931, die in überarbeiteter Fassung 1933 erstmals erschien und 1971 die 2. Auflage erlebte: „Die Epidemien und das Corpus Hippocraticum“. Seit 1928 Assistent am Berliner Institut für Altertumskunde, gehörte Deichgräber neben Hans-Joachim Mette zu den letzten Nachwuchswissenschaftlern, die in Wilamowitz’ berühmtes Privatissimum „Graeca“ Aufnahme fanden. 1930 schlug
Werner Jaeger Deichgräber aufgrund seiner Arbeiten über die griechische Ärzteschule für die Stelle des Herausgebers des „Corpus Medicorum Graecorum“ vor, ein Unternehmen der Preußischen Akademie der Wissenschaften.
So machte Deichgräber vor 1933, von den Berliner Altertumswissenschaftlern anerkannt, wissenschaftlich Karriere, die jäh stockte. Erst 1935 erhielt er die Stelle eines Extraordinarius an der Universität Marburg. Schließlich 1937 NSDAP-Mitglied geworden, erhielt er 1958 den Ruf als fünfter Nachfolger von Wilamowitz auf den Göttinger Lehrstuhl für Gräzistik.?86 Für alle drei Nachfolger (Knoche, Drexler und Deichgräber) gilt, daß sie vor 1933 habilitiert wurden und erst nach 1933 sich zum Nationalsozialismus in verschiedener Intensität und Stärke bekannten. Alle drei traten der NSDAP bei. Knoche
und Drexler arbeiteten für den NSDDB,
Drexler auch für den
Sicherheitsdienst der SS. Knoche und Deichgräber wurden nicht zuletzt wegen ihrer wissenschaftlichen Qualitäten nach Göttingen geholt.
3.3.2
Habilitationen
Die Habilitationen sind unter zwei Gesichtspunkten aufschlußreich: Zum einen zeigen sie, unter welchen Bedingungen der wissenschaftliche Nachwuchs Zugang zur Universitätslaufbahn erhielt. Zum anderen wird an den Habilitationsverfahren
selbst deutlich, daß die Ideologisierung
des Fachs,
aber auch die Einschränkung auf bestimmte Fachgebiete durchaus stattfand
236
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
und sich als Hürde für die Nachwuchswissenschaftler auswirken konnte. Dies gilt insbesondere für Habilitationsverfahren, die vor Kriegsbeginn lagen, also zwischen 1933 und 1939.
Am Göttinger Institut für Altertumskunde gab es zwischen 1933 und 1945 insgesamt vier Habilitationsverfahren, von denen drei in die Zeit vor Kriegsbeginn fielen und eine in die Kriegszeit. Jeder der Fälle ist geeignet, eine unterschiedliche Variante zu belegen. Das sei im folgenden kurz dargestellt.
3.3.2.1
Werner Kappler
Der erste Fall ist die Habilitation des Altertumswissenschaftlers Werner Kappler (1902-1944), deren Verfahren sich in zwei Anläufen über fast drei Jahre hinzog, von Frühjahr 1956 bis Winter 1958, weil ihm die Venia legendi erst
nach einer Wiederholungsprüfung erteilt wurde. Kappler hatte ein breitgefächertes Studium der klassischen Philologie, der Theologie, Archäologie, Alten
Geschichte und semitischen Sprachwissenschaften an den drei renommierten Universitäten
Heidelberg, Berlin und Göttingen absolviert, wo er 1928 mit
einer Untersuchung über die Makkabäerbücher von Pohlenz promoviert wurde. 1950 arbeitete er an der Athanasius-Ausgabe in Berlin bei der Kirchenväter-Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften mit. August 1951 war er aufgrund seiner wissenschaftlichen Qualifizierung und Leistungen zum zweiten Leiter des Septuaginta-Unternehmens bei der Góttinger Akademie der Wissenschaften ernannt worden. 1954 übernahm er dann die Stelle des ersten Leiters. Als Habilitationsschrift reichte Kappler im Sommersemester 1956 die Edition des ersten Makkabüerbuches, das Ergebnis seiner Arbeit im Septuaginta-Unternehmen, an der philosophischen Fakultät der
Göttinger Universität ein. Im Juni 1956 unterzog er sich dem Kolloquium und besuchte anschließend bis August das obligatorische Dozentenlager und zusätzlich einen Lehrgang der Dozentenakademie des NSDDB in Tännich. Zum 15. Juli sprach das Ministerium seine Promotion zum Dr. phil. habil. aus,
aber ohne Kappler die Venia legendi zu erteilen, ein Fall, der seit dem neuen Habilitationsgesetz móglich war. Daraufhin bemühte sich Kappler darum, die Venia legendi doch noch zu erhalten. Aus seiner Personalakte geht jedenfalls hervor, daB Neumann im Verein mit dem Dekan Ende Oktober 1956 sich gegen die Erteilung der Venia für Kappler ausgesprochen hatte. Kappler habe sich nach Ansicht Neumanns für die Verleihung einer Dozentur, die einen ideellen Anspruch auf eine Professur enthalte, noch nicht hinreichend ausgewiesen. Seine Habilitation liege auf einem Gebiet, das zu eng und aus der Sicht Neumanns zu abseitig war. Die Beschäftigung mit dem Alten Testament und den Makkabäern paßte wohl nicht in das auf die klassische Epoche beschränkte nationalsozialistische Bild der klassischen Philologie. Der Dekan bestätigte Neumanns Sicht und schlug vor, für ein so spezielles Forschungsgebiet hóchstens einen Lehrauftrag zu erteilen. Das Ministerium hielt sich an die Góttinger Empfehlungen und
Der nationalsozialistische Abbau des Instituts für Altertumskunde 1955-1940
237
sprach keine Venia legendi für hellenistische Philologie aus, sondern nur einen unbezahlten Lehrauftrag. Anfang 1937 wurde ihm durch das Wissenschaftsministerium eine jährliche Vergütung von 2500 RM für den Lehrauftrag gewährt. Kappler ließ nicht locker und schrieb im August 1937, daß er die volle Dozentur für klassische Philologie zu erwerben wünsche. Sein Arbeitsgebiet sei die klassische
Philologie, insbesondere
der Hellenismus.
Seine Arbeit für das Septuaginta-Unternehmen sei nur aus der Notwendigkeit entstanden, Geld zu verdienen; d. h. Kappler versuchte, ihre Bedeutung zu verkleinern. Der Dekan, der Kapplers Schreiben an das Ministerium weiter-
reichte, riet aber bloß zur Erhöhung von Kapplers Lehrauftragsbezügen. Schließlich ergab sich für Kappler doch die Möglichkeit, in größerem Umfang zu lehren, weil ihm die Vertretung des vakanten Lehrstuhls von Max Pohlenz im Wintersemester 1937/38 übertragen wurde. Allerdings erhielt er dafür nur eine einmalige Vergütung. Im April forderte die philosophische Fakultät Kappler zu einem Ergänzungskolloquium - d. ἢ. letztlich zur Wiederholungsprüfung - für das Gebiet der klassischen Philologie auf, das Kappler nach Ansicht der Fakultät erfolgreich bestand. Dem Kolloquium folgte eine ergänzende Probevorlesung, d. h. die zweite, über „Politik und Wirtschaft im
4. Jahrhundert“. Nun beantragten Dekan (Hinz) und Rektor (Sommer) im August 1958 die Erteilung der Venia legendi für Kappler. Sie wurde diesmal mit seinem Lehrerfolg begründet. Der Rektor wies in seinem Schreiben darauf hin, daB eine Beurteilung aus dem Dozentenlager über Kappler zwar nicht aufzufinden sei, diese aber sicher positiv ausgefallen sei. Auch der Göttinger NSDDB hatte nun keine Bedenken mehr. Das Ministerium hingegen reagierte ungehalten über den Alleingang der Göttinger Fakultät und forderte eine Erklärung über die nicht eigens vom Ministerium genehmigte Abhaltung
des Ergänzungskolloquiums, um dann doch aufgrund der in Göttingen geschaffenen Tatsachen nachtrüglich das Placet mit der offiziellen Erteilung der Venia legendi an Werner Kappler am 28. November 1938 zu geben. Schon ein halbes Jahr darauf wurde Kappler zum Militár eingezogen, um in Polen einzumarschieren. Erst im Dezember 1940 wurde er als Gefreiter wieder an die Universitüt entlassen. Aber im September des Jahres 1941 wieder eingezogen, war er bis zu seinem Tod im September 1944 ,vor dem Feinde im Westen“, tatsächlich bei einem Dienstunfall, im Krieg.387
3.3.2.2 Gerda Krüger Ein in mancher Hinsicht vergleichbarer und zugleich ganz anders gelagerter Fall stellt die nächste Habilitation am Institut für Altertumskunde dar. Aufgrund der Spezialisierung der Kandidatin auf römisches Recht, Rechtsgeschichte und Kirchenrecht, aber auch und vor allem aufgrund des Geschlechts, wurden Habilitierung und Venia legendi überhaupt nicht erteilt. Es handelt sich um Dr. phil. et Dr. jur. Gerda Krüger, die zur Zeit ihres Habilitationsantrags an der Göttinger Universitätsbibliothek als Bibliotheksrätin be-
238
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
schäftigt war. Sie war auf dieser Stelle seit 1. Dezember 1955 die Nachfolgerin des vom Historischen Institut an die Bibliothek zwangsweise versetzten Honorarprofessors Alfred Hessel, der auch dort entlassen worden war.588 Als es dem Dekan Hinz „trotz längerer Aussprache“ nicht gelang, „Fräulein Gerda
Krüger zur Zurücknahme
ihrer Habilitationsmeldung zu bewegen“, wurde
ein offizieller Termin für das Habilitationskolioquium anberaumt,
bei dem
u.a. Ulrich Kahrstedt als der zuständige Fachmann und Althistoriker die Rolle übernahm, die Prüfung so zu gestalten, daß Frau Krüger keine Chance hatte, sie zu bestehen.589 Die ,wissenschaftliche Aussprache auf dem Gebiet der Alten Geschichte zur Erwerbung des Dr. phil. habil.“ fand im Dekanatszimmer im Beisein des Fakultätsausschusses und des Rektors Sommer am 25. November 1938 von 16 bis 18 Uhr statt. Nach dem Prüfungsprotokoll waren außer Rektor und Dekan die
Herren
Professoren
Deichgräber,
Kahrstedt,
Knoche,
Krause,
Mattiat,
Plischke, von Soden und Waldschmidt anwesend. Kahrstedt begann mit der ersten Prüfungsfrage über soziale Tätigkeit, Fürsorge und soziale Ideen in der Kaiserzeit, ein Thema, das Krüger in einem Aufsatz untersucht hatte.590 Dekan Hinz stellte Zwischenfragen sozialpolitischer Art. „Frl. Dr. Krüger weist die Kenntnis vieler Einzeltatsachen nach; die Weite des geschichtlichen und politischen Blickes läßt sehr zu wünschen übrig.“ Die nächsten von Kahrstedt und Dekan gestellten Themen bezogen sich auf Fragen des rómischen Bürgerrechts und der Fremden sowie auf die wirtschaftliche Lage des
Rómischen Reiches im 5. und 4. Jahrhundert. Dekan Hinz fragte nun nach „der Bedeutung derSevererzeit für die Rassenvermischung im Reich und nach den
rassischen
Verhältnissen
im
Römischen
Reich
überhaupt“.
Kahrstedt
fragte nach „dem Eindringen von Kleinasiaten, Syrern und Semiten in die römische Beamtenschaft und in den Senat. Auch hier weist Frl. Dr. Krüger viele Einzeltatsachen nach, zeigt sich aber den allgemeineren Fragen nicht überzeugend gewachsen.“ Kahrstedt stellte als weiteres Thema „unterirdische Völkerwanderungen zur Kaiserzeit, der Begriff der Juden zu verschiedenen Epochen der Kaiserzeit“, und der Rektor endlich fragte nach der „Rassenpolitik des heutigen Italien im Raume des Imperiums“. Es folgten u. a. noch Fragen zum Begriff der Rasse im Altertum (Plischke), nach dem Zusammenhang von Völkermischung und Zerfall des Römischen Reiches und nach dem Mithraskult (Kahrstedt). In der anschließenden Besprechung einigte man sich darauf, daß Krüger zwar ein ausgebreitetes Einzelwissen habe, sie aber zum
Ausweichen neige, der „Blick von der hohen Warte“ ihr nicht liege und sie nicht entschieden genug Stellung zu nehmen wisse. Ihr historischer Blick sei nicht scharf und weit genug, um sie für den Dr. phil. habil. zu qualifizieren. Das Gremium beschloß, um sicherzugehen, eine nochmalige wissenschaftliche Aussprache im Beisein von Professor Smend (Jurist) abzuhalten und setzte als Termin den 29. November 1958. In dieser Sitzung teilte der Dekan lakonisch mit, daß Frl. Dr. Krüger auf die zusätzliche wissenschaftliche Aussprache verzichtet und damit ihren Antrag zurückgezogen habe.’P1 So wurde mit Hilfe der Rassenfragen, die im Vergleich zu anderen Habili-
Der nationalsozialistische Abbau des Instituts für Altertumskunde 1955-1940
239
tationskolloquien3® hier in besonderer Breite abgefragt wurden, der Ausschluß der Wissenschafllerin erreicht. Eine Venia legendi hätte Krüger ohnedies nicht erhalten, denn
die Habilitation von
Frauen
war
generell
uner-
wünscht. Erst in der Kriegszeit, als die Teilnahme an Dozentenlagern und Dozentenakademie-Lehrgängen fallengelassen worden war, wurden an der Universität Göttigen zwei Wissenschafllerinnen, die Mathematikerin Helene Braun (1940) und die Anglistin Hertha Marquardt (1941), habilitiert.595 Es ist allerdings anzunehmen, daß sie wenigstens Mitgliedschaft beim BDM etc. nachweisen mußten, ebenso wie die weiblichen wissenschaftlichen Hilfskräf-
te am Góttinger Institut für Altertumskunde. Die letzte wissenschaftliche Hilfskraft am Góttinger Institut zum Beispiel, Gertrud Gerber, Studienassessorin, die zur Promotion vom
Schuldienst freigestellt worden war, war seit
1940 NSDAP-Mitglied, im Deutschen Frauenwerk seit 1957, im NSV und im NS-Lehrerbund.*9* Gerda Krüger, 1900 in Hannover geboren, studierte Theologie, Philosophie, Geschichte, Ágyptisch und Assyrisch (Orientalische Sprachwissenschaften) und Rechtswissenschaften. Sie gehórte damit zu der ersten Studentinnengeneration der Weimarer Republik. 1925 an der Universität Münster promoviert, absolvierte sie 1925 das juristische Staatsexamen und ging - wohl mangels Chancen, als Frau eine Universitütslaufbahn zu ergreifen - in den Bibliotheksdienst. 1927 legte sie in Berlin die Bibliothekarsfachprüfung ab und arbeitete an den Bibliotheken der Universität Münster, der Preußischen Staatsbibliothek zu Berlin, den Universitütsbibliotheken Marburg, Göttingen und Königsberg. Für ihre als Habilitationsarbeit eingereichte Untersuchung über „Die Rechtsstellung der vorkonstantinischen Kirchen“ wurde sie vom Bibliotheksdienst immerhin teilweise freigestellt und erhielt ein Stipendium der „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“, der Vorläuferorganisation der DFG. 1935 erschien die allgemein hoch anerkannte Forschungsarbeit in der Reihe „Kirchenrechtliche Abhandlungen“. Im selben Jahr erschien ein Aufsatz über die Fürsorgetätigkeit der vorkonstantinischen Kirchen in der renommierten Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte.595 Bis 1940 blieb Krüger als Bibliotheksrätin in Göttingen, wo sie 1959 zum Dr. jur. promoviert wurde. Anschließend ging sie nach München, wie Kürschners Gelehrten-Kalender von 1940/41 zu entnehmen ist. In den Habilitationsakten des Góttinger Universitütsarchivs fehlen die Beurteilungen der als Habilitation eingereichten Arbeit.
Im November 1945 stellte Krüger den Antrag auf nachtrügliche Anerkennung des Habilitationsverfahrens für das Fach Alte Geschichte. Dekan Nohl berichtete von Krügers Wunsch in einer Fakultätssitzung, bei der einige der damaligen
Prüfer
anwesend
waren:
Waldschmidt,
Deichgräber,
Plischke,
Kahrstedt und Krause. Plischke schlug vor, sich zuerst beim Direktor der Bibliothek über Krüger zu erkundigen, denn sie sei Bibliothekarin.599 Zu Beginn des Jahres 1946 wurde bei einer der nächsten Fakultätssitzungen beschlossen, daD Krüger die Gelegenheit gegeben werden móge, den Habilitationsvortrag mit Aussprache nachzuholen, weil ihre Habilitierung aus poli-
240
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
tischen Gründen verhindert worden sei, was den Herren Plischke und Kahrstedt allerdings schon im November 1945 bekannt gewesen sein mußte. Den dann am 11. März 1946 gehaltenen Vortrag über den „Griechischen Staatsbegriff“ und das Kolloquium mußte Krüger u. a. in Anwesenheit von ihren ehemaligen Prüfern Kahrstedt und Waldschmidt absolvieren. Auch diesmal beteiligte sich Kahrstedt an der Prüfung. Krügers Leistungen wurden zwar für hinreichend anerkannt, aber die Venia legendi wurde ihr wieder verweigert. Die Fakultät hatte offenbar immer noch kein Interesse daran, einer Frau die Venia legendi zu erteilen, zumal Kahrstedt merkwürdigerweise und offenbar ohne daß irgend jemand Anstoß daran nahm, auch Latte nicht, zum zweiten
Mal als Prüfer und Beurteiler fungierte. Die Qualität von Krügers Habilitationsarbeit schien auch bei der Wiederholung 1946 offenbar keine Rolle zu spielen. Denn die Beurteilung von Krügers wissenschaftlicher Qualifikation wurde allein aufgrund des Habilitationsvortrages und des anschließenden Prüfungsgesprächs vorgenommen. Auffallend ist überdies, daß dem Protokol-
lanten der Wiederholungsprüfung im Jahr 1946 der ganze Entscheidungsund Beurteilungsvorgang genau eineinhalb Zeilen wert war.597 Aus dem
Nachlaß
Kahrstedts geht hervor, daB Krüger
1949 auch an der
Universität München versuchte, die Habilitierung zu erreichen. Das niedersächsische Kultusministerium fragte aus diesem Anlaß beim Göttinger Dekan der philosophischen Fakultät an, der wiederum Kahrstedt um einen Bericht zu dem Fall bat. Damit kam Kahrstedt zum dritten Mal in die Position, die Entscheidung über Krügers wissenschaftliche Karriere wesentlich zu beein-
flussen. Hier sei ein Teil aus seinem Bericht an den Göttinger Dekan im Jahr 1949 wiedergegeben: „Sie hatte irgendwann unter Hitler eine Probevorlesung zwecks Erlangung des Dr. habil. gehalten, die nicht schlecht war. Sie stiess auf politische Opposition, parteimässig stark gebundene Mitglieder übten eine wilde und unsachliche Kritik, kamen mit Rassenfragen u. ä., die schlechterdings mit dem Thema nichts zu tun hatten, der Dekan legte ihr, ohne mich um meine Meinung zu fragen, nahe, die Bewerbung zurückzuziehen. Ich
hätte damals nichts gegen den Dr. habil. gehabt, wenn mir auch klar war, dass Fräulein Krüger ganz einseitig für Rechtsgeschichte begabt ist, alles andere ihr völlig unverständlich ist. An eine Venia legendi habe ich auch damals nicht gedacht, eben weil ich ihr unhistorisches Denken in gelegentlichen Unterhal-
tungen staunend beobachtet hatte . . .“398 Kahrstedt erwähnt mit keinem Wort seine eigene Rolle bei der Prüfung.
3.3.2.3
Otfried Becker
Auch der dritte und zugleich letzte vor Kriegsbeginn in Göttingen habilitierte Altertumswissenschaftler legte im Sommersemester 1939 eine Habilitationsschrift vor, die eng mit einem Nachbarfach verbunden war: diesmal mit der Philosophie. Otfried Beckers Habilitationsschrift „Plotin und der Begriff der geistigen Aneignung'59? wurde zwar von den beiden Erstgutachtern Deich-
Der nationalsozialistische Abbau des Instituts für Altertumskunde 1955-1940
241
gräber und Kahrstedt als zu philosophisch und zu wenig historisch bzw. philologisch beurteilt. Beide votierten aber für die Annahme der Habilitationsschrift, weil Becker sich sowohl in der Lehre als auch als Person, i. e. politisch und „charakterlich“, in Göttingen bewährt habe.*9 Becker hatte schon seit
Oktober 1957 die Assistentenstelle des Instituts für Altertumskunde inne und war damit Knoches Nachfolger, der als Extraordinarius die Latinistikprofessur vertrat. Bereits damals hatten Knoche und Pohlenz für Becker nicht nur aufgrund seiner wissenschaftlichen Qualitäten votiert, sondern besonders hervorgehoben: „Für seine menschliche und politische Persönlichkeit bürgt die Tatsache, daB Herr Becker SS-Mann ist.^401 Die Habilitationsgutachten von Kahrstedt und Deichgrüber enthalten einen ausführlichen Teil zu Beckers Person und politischer Geschichte. Wir erfahren, daß Becker vor 1955 als junger Student politisch „ganz auf der anderen Seite stand", bevor er im Oktober 1955 der Freiburger SS beitrat. Becker, am
6. Oktober 1811 in Darmstadt als Sohn eines Gymnasiallehrers geboren, wechselte offenbar vom linken Extrem ins völkisch-nationalistische Extrem der Nationalsozialisten, ein Wechsel, der gerade bei der jüngeren Generation
verbreitet war, die von der Radikalität und dem Phantasma des Neuen angezogen wurde. Kahrstedt kannte Becker aus dessen Studienzeit. Denn 1950/51 hatte Becker am Góttinger Institut für Altertumskunde studiert, bevor er nach Freiburg/B. wechselte, wo er ein Schüler von Schadewalt wurde, bei dem er
1955, dann in Leipzig, promoviert wurde. Die Habilitationsgutachter (inbes. Deichgräber, Kahrstedt und H. Kees) sind sich einig über Beckers „erfreuliche“ Persönlichkeit, seine „soldatische Haltung“ etc. und wünschen deshalb
seine Zulassung zu den „weiteren Habilitationsleistungen“, obwohl jeder der Gutachter Hinweise zur Überarbeitung gibt. Besonders eine Bemerkung von Karl Deichgräber fällt auf: „Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß
Plotin nicht reiner Grieche gewesen ist.“ Sodann richtet er die Bitte an den folgenden Gutachter, den Ägyptologen Kees, zu der Frage der Herkunft Plotins „Stellung zu nehmen*.*2 Kees geht in seinem Gutachten auf die Frage „über
Plotins Voikstumszugehörigkeit“ in folgender Weise ein: Plotin sei „unzweifelhaft kein reinblütiger Ägypter“ gewesen. Bei der Herkunft Plotins aus Lykopolis bestehe mindestens die „Gefahr“, daß er trotz seines lateinischen Namens ein „levantinisches Halbblut* sei. Aber ob das „Fliessend-lebendige“ seines Stils auf einen bestimmten rassischen Typ zu schließen erlaube, müß-
ten die Fachleute entscheiden . . .95 Becker wird insbesondere von Deichgräber empfohlen, bei der Überarbeitung der Habilitation für den Druck u. a. auf diese Frage einzugehen. In dem hier dargestellten Fall hat die Frage nach der Herkunft des Philosophen Plotin, über die sich Becker in seiner Arbeit keine Gedanken gemacht hatte, nicht wie bei Krüger eine ausschließende Funktion,
sondern dem eifrigen SS-Mann wird diese Frage als etwas, was er wohl nicht bedacht hat, vorgelegt. Der nationalsozialistische Philosoph Hans Heyse, der den philosophischen Anteil von Beckers Arbeit beurteilen sollte, schrieb erst gar kein Gutachten, begründete dies mit Zeitmangel und votierte für die Zulassung Beckers zur Habilitation.*9*
242
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Insgesamt macht das ganze Verfahren, auch das Kolloquium*®, den Eindruck, als sei Becker eher aufgrund seiner nationalsozialistischen Meriten als
aufgrund seiner philologischen Leistung habilitiert und für die Erteilung der Venia legendi empfohlen worden. Insofern stellt Beckers Habilitierung einen Gegenfall zu den beiden anderen
Habilitationen dar, in denen
die wissen-
schaftliche Leistung allein nicht hinreichte, um eine Habilitierung sofort bzw. überhaupt zu erreichen. Becker, der 1957 NSDAP-Mitglied wurde und 1939 aus der Kirche austrat,
war für den 49. Dozentenlehrgang des „Reichslagers für Beamte“ in Bad Tölz Ende November 1959 angemeldet.*'9 Diesen sollte er aber nicht mehr absolvieren, weil er in den ersten Tages des Zweiten Weltkrieges beim Einmarsch deutscher Truppen in Polen kurz vor Warschau am 16. September 1959 an einer schweren Verwundung starb. Seine Habilitationsschrift gab Karl Deichgráber, mit einem Nachwort versehen, postum 1940 heraus. Jenem ist
zu entnehmen, daf Becker schon mit der Überarbeitung begonnen und die Anregungen der Gutachter teilweise umgesetzt hatte. Die von Deichgräber zitierten nachgelassenen Notizen zu dem geplanten Vorwort zeigen deutlich, daß Beckers Auffassung von Wissenschaft sich gegen die Tradition richtete und sich ais radikalen Neuansatz ausgab, der mit ideologischen Versatzstücken des Nationalsozialismus durchsetzt war.*08
3.3.2.4 Heinrich Dórrie Nur die Habilitierung von Beckers erst 1942 eingesetztem Nachfolger auf der Assistentenstelle, Heinrich Dórrie (1911-1983), verlief ohne Einschränkung und ohne politische Auflagen. Auf einem achtwóchigen Fronturlaub absolvierte Dórrie das Habilitationskolloquium und den Probevortrag. Dozentenlehrgänge wurden nicht mehr abgehalten. Daß Dörrie seit Kriegsbeginn Soldat war, genügte für die Erteilung der Venia legendi am 2. August 1945. Diese konnte er aber erst ca. zehn Jahre spüter, als er aus russischer Gefangenschaft nach Géttingen zurückkehrte, ausüben. Bis dahin wurde seine für ihn reservierte Stelle vertreten: bis Kriegsende von wissenschaftlichen Hilfskräften, danach von habilitierten Wissenschaftlern. Dórrie hatte 1955 seine
von Latte angeregte Dissertation erfolgreich in Góttingen eingereicht und anschlieDend am Septuaginta-Unternehmen der Akademie der Wissenschaften mitgearbeitet. Daraus ging u. a. die Edition einer lateinischen Übersetzung des vierten apokryphen Makkabäerbuches hervor. Seine anschließenden Forschungen über Platon und den Platonismus, aus denen auch die Habilitationsschrift entstand, wurden durch die Einberufung zum Kriegsdienst im Oktober 1959 unterbrochen. Er entwarf die Geschichte des Platonismus z. T. „während der Mürsche und in kriegsmäßigen Quartieren“, wie er später im Vorwort zu seinen „Platonica Minora“ schrieb.*% Dórries Habili-
tation belegt, daß sich mit Kriegsbeginn die ideologischen Anforderungen lockerten: Die Teilnahme an Dozentenlagern fiel ganz weg, weil diese 1959
Der nationalsozlalistische Abbau des Instituts für Altertumskunde 1955-1940
243
aufgelöst wurden: Die Örtlichkeiten wurden für „Kriegszwecke“ verwendet, zum Teil als Konzentrations- und Kriegsgefangenenlager. Die Anwendung nationalsozialistischer Rassenideologeme in Habilitationsprüfungen, die eigentlich wissenschaftliche Theorien zur Diskussion stellen sollten, wirft die Frage auf, ob es sich dabei um eine Funktionalisierung der
Rassenideologie zur AusschlieBung unerwünschter Kandidaten handelte, ob die Prüfer selbst diese Ideologeme ernsthaft vertraten und warum sie dies taten. War doch allgemein bekannt, daß es keine wissenschaftlich haltbaren Erkenntnisse über antike „Rassengeschichte“ gab. Schon 1929 bedauerte dies Kahrstedt in seiner vernichtenden Rezension zu F. K. Günthers „Rassengeschichte des hellenischen und rómischen Volkes. Mit einem Bilderanhang: Hellenische und römische Köpfe nordischer Rasse“ (München 1929): „Wir haben in der modernen Entwicklung konfessionelle Jahrhunderte gehabt, dann nationale Jahrhunderte, heute bekommen wir Rassenjahrhunderte. Es ist also eine gesunde Erscheinung, wenn die geschichtliche Arbeit mehr Gewicht als früher auf die Rassenverhältnisse historischer Völker legt . . .*, beginnt die Rezension, die dann nach kritischer Besprechung in dem Ausruf endet: ,. . . alle die, denen die Stellung der Frage nach der Rassenzugehórigkeit der Menschen unbehaglich ist und die diesen ganzen Zweig der Forschung diskreditieren móchten, werden auf lange Zeit in Günthers Buch die Waffe in der Hand haben, um jeden solchen Versuch lücherlich zu machen.
Und das ist sehr schade.“*10 An Kahrstedts Befund hatte sich seit 1929 nichts geändert, und doch stellte er Fragen nach antiken Rassenverhältnissen in Prüfungen. Dies gilt im Bereich der Altertumswissenschaften nicht nur für Kahrstedt. Erinnern wir uns des 1955 für den Philologie-Unterricht an Gymnasien verfaßten Grundsatzprogramms des Deutschen Altphilologenverbandes. Die Berechtigung des altsprachlichen Unterrichts wurde aus der „Artverwandtschaft" der Griechen mit den Deutschen abgeleitet.*!! Die um die Jahrhundertwende behauptete geistige und kulturelle Nähe zwischen Griechen und Deutschen wird 1955 zur rassisch-biologisch fundierten Artverwandtschaft gewendet. Welchen Sinn hat dieser qualitative Sprung, aufler dem der Anpassung an die nationalsozialistische Ideologie, etwa mit dem Ziel, den altsprachlichen Unterricht an Gymnasien im bisherigen Ausmaß beizubehalten? Ob von den Proponenten der Rassenideologie in den Altertumswissenschaften intendiert oder nicht, hatte die Biologisierung des Sozialen via Rassenideologie, welche schon in der Antike eine Rolle gespielt haben soll, immerhin den folgenden Effekt: Die Altertumswissenschaftler, die sich darauf einließen,
verhalfen der nationalsozialistischen Ideologie von Volkseinheit, rassischer Überlegenheit, Kriegertum, Heldentum, kórperlicher Ertüchtigung etc. zu einer langwührenden Tradition, die bis in die Antike zurückreichen sollte. Damit trugen sie dazu bei, den Zivilisationsbruch, den die nationalsozialisti-
sche Gesellschaft darstellt, zu verschleiern, indem sie das bisher noch nie in solcher Form Dagewesene aus der Vergangenheit herauslasen. Die Anachronizität der Griechen-Germanen-Römer-Ideologie diente dazu, den radikalen
244
ALTERTUMSWISSENSCHAFT
UND NATIONALSOZIALISMUS
Wechsel der Gesellschaftsformation unter den Nationalsozialisten unsichtbar zu machen. Vielleicht war dies das eigentliche Motiv für die Akzeptanz von Rassenideologemen durch Wissenschafller. Das Phantasma der Wiederholung bzw. der Korrektur der Fehler der Alten motivierte nationalsozialistische Wissenschaftler, für Hitler aktiv zu werden. Daß diese Form der Rückprojizierung gerade bei nationalsozialistisch identifizierten Altertumswissenschaftlern nachweisbar ist, zeigt sehr gut die Antrittsrede des letzten Rektors in der Kriegszeit an der Universität Göttingen, die Rede des Latinisten Hans Drexler.
3.4 Hans Drexlers nationalsozialistische Universitätskarriere: Wissenschaft als Vorwand für Machtpolitik Hans Drexlers (1895-1984) Hochschulkarriere stagnierte bis 1933 und nahm danach einen aufsteigenden Verlauf, der mit der Übernahme des Rektorats an der Universtität Göttingen im Jahr 1943 ihren Höhepunkt erreichte. Als schon vor 1933 habilitierter Latinist gehörte Drexler nicht zu den nationalsozialistischen Nachwuchskräften. Auch war er nach eigener Aussage vor 1933 nicht nationalsozialistisch hervorgetreten.*1? Er gehört zu derjenigen Hochschullehrergruppe, die erst nach 1933 in die NSDAP eintrat. Über die weitverbreitete Anpassung an das neue Herrschaftssystem hinaus ließ sich Drexler aber schon sehr bald auf die nationalsozialistische Universitätspolitik ein. Er erreichte in der universitären Parteihierarchie die höchsten Stellen und wurde dafür mit dem Göttinger Rektorat (Oktober 1943) zu einem Zeitpunkt belohnt, als mancher nationalsozialistische Kollege sich angesichts des absehbaren Siegs der Alliierten bereits aus dieser Position zurückzog. Drexler ist unter den nationalsozialistisch engagierten Wissenschaftlern auch insofern eine Ausnahme, als er bis in seine letzten Lebensjahre die Überzeugung beibehielt, mit seinem Handeln keinem geschadet zu haben und ein „guter“
Nationalsozialist gewesen zu sein.
3.4.1 Biographie und wissenschaftliche Laufbahn 1955 war Hans Drexler, mit 58 Jahren und erst seit einem knappen Semester zum nichtbeamteten a. o. Professor am Breslauer Institut für Klassische Phi-
lologie ernannt, gemessen
an den damals
üblichen Karriereverläufen im
Rückstand. Er hatte sich schon 1925 - also acht Jahre zuvor - in Breslau mit
einer unveröffentlicht gebliebenen
Arbeit über Philo Alexandrinus habili-
tiert.*!5 Promoviert wurde er 1922 in Göttingen, wo er 1925 auch das Staatsexamen ablegte, so daB man Drexler durchaus als einen aus der Góttinger Schule kommenden Latinisten betrachten kann. Insbesondere seine von G.
Jachmann
angeregte Dissertation, Akzentstudien bei Plautus, weist ihn als
Hans Drexlers nationalsozialistische Universitätskarriere
Abb. 25:
Hans Drexler
245
solchen aus.*!* Der in Freiburg, Berlin (bei Wilamowitz, Diels und Norden) und Göttingen studiert habende Latinist war nach einem Jahr als Stipendiat am Münchener Thesaurus Linguae Latinae (1924/25) an die Schule gegangen, bevor er als Dozent die Assistentenstelle des Breslauer Instituts zu Ostern 1925 erhielt. Zwei Vertretungen - in Kiel als Vertreter von Eduard Fraenkel und Kollege von Felix Jacoby (1928/29) und in Leipzig (Sommersemester 1950) - war keine Berufung gefolgt, so daD Drexler auf die Breslauer Assistentenstelle zurückkehren mußte. Erst mit der Machtübernahme Hitlers und den daraufhin folgenden Entlassungen änderten sich die Chancen für Hans
Drexler,
erhalten,
eine
zumal
er
Professur
zu
deutlich
zu
verstehen gab, daß er gewillt war, den Nationalsozialisten zu dienen: Er wurde Mitglied der Reichsdozentenschaft und besuchte freiwillig ein Dozentenlager, das er als bereits Habilitierter nicht unbedingt hátte absolvieren müssen. Dort fiel er auf und wurde aufgrund des positiven Eindrucks, den er bei der nationalsozialistischen Lagerleitung machte, im Herbst
1955 zu einem ,Füh-
rerlehrgang der Deutschen Dozentenschaft* in Kiel eingeladen, an dem er als einziger klassischer Philologe teilnahm.*!5 Noch während dieses Lehrgangs erhielt er die Berufung zum Nachfolger von Wilhelm Kroll - der im übrigen
die Berufung Drexlers guthieß - an das Breslauer Institut für Klassische Philologie.*!$ So hatte sich sein Engagement gelohnt, und es hätte dabei bleiben kónnen. Aber den in einer streng pietistischen Familie aufgewachsenen Ordinarius, der während seiner Göttinger Studienzeit u. a. auch mit
Hermann
Fränkel*!? befreundet war, zog offenbar die nationalsozialistische
Ideologie an. Am 11. März 1895 in Niesky geboren, wuchs Drexler in Schlesien im Geist der Herrnhuter Brüdergemeinde auf. Sein Vater ging so weit, die gesamte schulische Ausbildung des Sohnes in Eigenregie zu übernehmen. Als Direktor des Paedagogiums der evangelischen Brüdergemeinde in Niesky unterrichtete er selbst seinen Sohn (von 1904-1915), so daß Hans Drexler wahrscheinlich als Student in Freiburg/Br. (Sommersemester 1913) erstmals mit einer nicht von der Brüdergemeinde geprägten Welt in Berührung kam. Von Freiburg wechselte Drexler für das Studienjahr 1913/14 an die Universität Berlin,
246
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
wo er sich im August 1914 als Kriegsfreiwilliger meldete und bis Januar 1919 am Ersten Weltkrieg teilnahm. Er wurde mit Auszeichnungen entlassen. Die Kriegserfahrung löste wohl rasch und nachhaltig die des Studiums ab. Der
Vater war ein bedeutendes Mitglied der Brüdergemeinde und selbst als Sohn eines Pietisten in Südamerika geboren worden, der dort missionierte. Ich vermute, daß dieser familiäre Hintergrund Drexlers zum einen sein philosophisches und historisches Interesse, dem er im Studium nachging, motivierte, zum anderen ihn aber auch für die pseudokollektivistische Ideologie des Nationalsozialismus aufnahmebereit machte. Auch seine in seinem Werk immer wieder auftauchende Vorliebe für Fragen der moralischen Bewertung
von insbesondere politischem Handeln können auf diesem Hintergrund gesehen werden. Er selbst gab nicht nur gesprächsweise an, daß ihm die weitverzweigte und hochspezialisierte Forschung der Altertumswissenschaften in den zwanziger Jahren als weltfremd, „blutleer“ und leidenschaftslos vorkam, da sie sich seiner Ansicht nach zu wenig um weltanschauliche und
geisteswissenschaftliche Zusammenhänge kümmerte.418 Diesem Mangel abzuhelfen trat Drexler „leidenschaftlich“ an, indem er die Gelegenheit nutzte und in Breslau kurz nach seiner Berufung eine Vortragsreihe zum Thema „Wissenschaft und Weltanschauung“ organisierte. Aus ihr ging dann eine „Arbeitsgemeinschaft“ hervor, die - von Drexler angeleitet sich damit beschäftigen sollte, nationalsozialistische Ideologie wissenschaftlich zu begründen. Als Leiter des „Amtes Wissenschaft“ in Breslau lud er Kollegen aller Fächer dazu ein, ihren Beitrag zur Einbindung ihres Faches in
nationalsozialistische Ideen zu liefern.*1? Diese enttäuschten eher seine hochfliegenden Plüne, mit der Wissenschaft den Nationalsozialisten eine Basis anzudienen, denn sie zogen sich - wie Drexler fand - auf fachspezifische Beitráge zurück, anstatt sich in die ,Weltanschauung einzuordnen* und Handlungsdirektiven anzubieten.
Wie sehr Drexler in seiner neuen Rolle als nationalsozialistischer Professor aufging, zeigen seine bald vielfältigen Tätigkeiten für die Partei: Er arbeitete nicht nur mit der Breslauer NS-Studentenschaft zusammen, er wurde bald zum Gutachter des NSD-Dozentenbundes über die politische und fachliche
Eignung von Kollegen bei Berufungen. Darüber hinaus ließ er sich vom Sicherheitsdienst der SS anwerben, über die Stimmung unter seinen Kollegen und an der Universität zu berichten. Seit 1. Oktober 1955 war er Mitglied des NS-Lehrerbunds,
und dem
NS-Dozentenbund
gehórte Drexler seit 27. April
1935 an. Am 1. Mai 1957 wurde er in die NSDAP aufgenommen.*?? Angesichts seiner vielfältigen Tätigkeiten wundert es gar nicht, daß der Göttinger Rektor ᾿ Neumann großes Interesse daran zeigte, Drexler schon 1936 als Nachfolger von Kurt Latte auf den renommierten Göttinger Lehrstuhl zu berufen. Neumann wurde damals vom Kultusministerium aber bedeutet, daß Drexler, gerade in Breslau berufen, wegen des Mangels an Latinisten nicht nach
Göttingen versetzbar sei.*21 Es sollte vier Jahre dauern, bis Drexler nach Göttingen versetzt wurde, als
man ihn dort schon nicht mehr unbedingt haben wollte. Der neue Dekan, Karl
Hans Drexlers nationalsozialistische Universitätskarriere
247
Deichgräber, favorisierte einen anderen Kollegen, den er noch aus seiner Marburger Zeitkannte: „Dahlmann-Marburg erscheint uns unter den Genann-
ten besonders geeignet für die Übernahme der hiesigen latinistischen Professur.
... An zweiter Stelle nennen wir Drexler-Breslau, . . . Bei ihm ist hervor-
zuheben, dass er in einem ehrlichen Ringen um die grundsätzlichen Fragen der deutschen Latinistik zu einer ausgesprochen nationalsozialistischen Auffassung seiner Wissenschaft durchzustossen versucht. Erkann gerade in dieser Hinsicht den Studenten ein gutes Vorbild sein. Wenn ich Drexler, der Frontkämpfer ist und über eine große Lehrerfahrung verfügt, hier erst an zweiter Stelle nenne, so deshalb, weil es ihm nicht gelingen will, bei seinem Bemühen
zu völlig klarer Auffassung der Probleme durchzustossen.“#22 Zwei Tage zuvor, am 22. Juni 1939, war vom REM ein Schreiben an den Breslauer Universitätskurator gesandt worden, in dem der Rektor dazu auf-
gefordert wird, zur Versetzung Drexlers „im Interesse der Gesundheit seiner Kinder“ an eine andere Universität Stellung zu nehmen. Er sollte an die Universitát München versetzt werden, im Tausch gegen den eben dort beru-
fenen Nationalsozialisten und SS-Ahnenerbe-Mitarbeiter Professor Till. Offenbar weigerte sich der Breslauer Rektor, oder Till selbst, diesem Tausch zuzustimmen, so daß Drexler dann zum 1. Januar 1940 auf die durch Knoches
Weggang frei gewordene latinistische Professur nach Góttingen versetzt wurde.*25 [n der Tat war zu Beginn des Jahres 1959 Drexlers ältestes Kind in Breslau gestorben, und die Familie wünschte, die Stadt zu verlassen. Der Gedanke, Till gegen Drexler zu tauschen, ist wohl von Drexler selbst auf einer Tagung der Akademien des NSD-Dozentenbundes vom 8.-10. Juni in München vorgeschlagen worden. Drexler nahm an ihr als Vertreter des Breslauer Rektors und auf Einladung der Reichsdozentenbundsführung teil.*?* Der von Deichgrüber als Dekan der philosophischen Fakultät begründete Berufungsvorschlag ist in mindestens zweierlei Hinsicht äußerst interessant und aufschlußreich: Die Reihung mit Dahlmann an erster Stelle der Berufungsliste läßt darauf schließen, daß sich die Göttinger Wünsche hinsichtlich eines nationalsozialistischen Latinisten zugunsten dessen fachlicher Qualitäten gewandelt hatten. Denn der Nachwuchswissenschaftler Hellfried Dahlmann konnte im Vergleich zu Drexler keine nationalsozialistischen Meriten aufweisen. Andererseits weist Deichgrübers Urteil über Drexler darauf hin,
daB Drexler sich nicht nur parteipolitisch betätigte, sondern auch sein Fach nationalsozialistisch aufzurüsten bemüht war. Überdies wird deutlich, daß
Deichgrüber dies z. T. kritisch beurteilte und lieber einen fachlich guten Latinisten als Kollegen haben wollte. 1959 erschien Drexlers Abhandlung über Tacitus unter dem Titel , Tacitus. Grundzüge einer politischen Pathologie“. Es ist anzunehmen, daß Deichgrüber diese Schrift und einen kurz zuvor erschienenen Aufsatz, „Die Alten Sprachen“, im Sinn hatte, als er Drexlers fachliche Qualifikation anzweifelte.*25 Der um eine „deutsche Latinistik ringende“ Drexler hatte sich 1958 für die Tacitus-Arbeit sogar von den Universitütsgeschüften in Breslau beurlauben lassen. Die Gründe gehen aus seinem Gesuch hervor: ,Zur Begründung
248
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
möchte ich darauf hinweisen, ... [daß ich, C. W.] ... vor allem durch meine Aemter in Dozentenschaft und NSD-Dozentenbund sowohl im Semester wie
in den Ferien in ausserordentlich starkem Masse in Anspruch genommen war und bin.“426 Drexler stellt in seinem Band nicht das Werk, sondern seine Sicht
von Tacitus „und seiner Welt“ dar. Drexlers Darstellung endet mit einem Exkurs über die Möglichkeit, antike Rassentheorie zu betreiben, in dem er feststellt, daß dies kein Thema in der Antike gewesen sei. Aber Drexler gibt
deutlich seine Sicht der Dinge zu verstehen, die sowohl die griechische Kultur als auch die römische zwar als „artverwandt“ einordnet, aber deren Scheitern feststellt. Schließlich gibt er den heutigen „Germanen“ zu bedenken, daß sie im Unterschied zur Antike hoffentlich fähig sein werden, das „Schwert nicht rosten“ zu lassen, um nicht „den Strohtod zu sterben“.#27 Im Gegensatz zu Drexlers früheren Arbeiten begibt er sich hier, wie auch schon in dem oben
erwähnten Aufsatz, auf eine frei spekulierende ideologische Ebene und läßt jegliche
Fachbezogenheit
weit
hinter
sich, um
seine
Weltanschauung
zu
predigen. In einer Anmerkung kündigt er schon die erst drei Jahre später veröffentlichte Kampfansage gegen Werner Jaeger an, die sogar unter den linientreuen Altertumswissenschaftlern für Aufsehen und Widerspruch sorg16.428 Bevor Drexler nach Göttingen kam, war er also schon politisch und fachlich als nationalsozialistischer Latinist tätig und bekannt, ja umstritten.
Nicht nur Deichgräber äußerte leise Kritik an ihm. Von seinen ehemaligen Lehrern Max Pohlenz und Ulrich Kahrstedt wurde Drexler eher distanziert empfangen. Drexler selbst führte dies auf sein notorisches nationalsozialistisches Engagement zurück. Auch Karl Deichgrüber, der sich einen anderen Latinisten als Kollegen gewünscht hatte, war reserviert, so daß ihre Zusammenarbeit, wenigstens anfangs, nicht besonders intensiv gewesen ist. Nicht nur die Studenten fehlten am Institut für Altertumskunde,
auch die frühere wissenschaftlich produktive Zusammenarbeit der Lehrenden war bis 1940 völlig zerstört. Auf bürokratischer und politischer Ebene allerdings sollte sich die Kooperation in dem Moment bessern, als Drexler Góttinger Dozentenbundsführer und bald darauf Rektor wurde. In beiden Eigenschaften hatte er mit dem Dekan der philosophischen Fakultät, der seit Sommersemester 1959 Deichgrüber war, zu tun. Somit war, wenn schon nicht das Institut für Altertumskunde, so doch die philosphische Fakultät und die Universität
insgesamt bis Kriegsende von zwei Altertumswissenschaftlern dominiert. Dies bedeutete, daß sich Drexler bald mehr und mehr aus der Arbeit am Institut
zurückzog. Drexlers Rückzug ging jedenfalls so weit, daß er im Wintersemester 1944/45 Hans Herter aus Bonn nach Góttingen holte, damit dieser die volle Lehrtätigkeit Drexlers übernehme, der durch ein „Übermass von Arbeiten
verwaltungstechnischer und hochschulpolitischer Art“*29 sich nicht mehr in der Lage sah, sein Fach zu lehren. Aber schon als er 1940 nach Góttingen kam, reichte es ihm nicht aus, nur
als Wissenschaftler zu kommen. Auf ausdrücklichen Wunsch wurde er als »Offizier und Professor^ nach Góttingen versetzt. Damit stand er dem Institut nur eingeschränkt zur Verfügung. Drexler, der am Ersten Weltkrieg teilge-
Hans Drexlers nationalsozialistische Universitätskarriere
249
nommen hatte, dort 1915 zum Leutnant befördert worden war und durch eine Verletzung zwei Finger der rechten Hand verloren hatte, meldete sich in Breslau schon
am
15. September
1939, trotz überschrittener Altersgrenze,
wieder freiwillig zum Militär. Er wurde dem dortigen Wehrbezirkskommando als „Hilfsoffizier“ zugeteilt. Auf seine Bitte an den Kurator der Göttinger Universität hin wurde
ihm ermöglicht, seine Lehrtätigkeit mit dem
Wehr-
dienst zu vereinbaren: Drexler wurde dem Göttinger Wehrbezirkskommando Ende April 1940 zugeteilt, und er erhielt zusätzlich zum Professorengehalt Wehrsold. Nachdem er vormittags seine Lehrverpflichtungen absolviert hatte, trat er nachmittags seinen Dienst im Wehrbezirkskommando an, wo er u. a. mit Einberufungen und Rückstellungen vom Heeresdienst beschäftigt war eine nicht undelikate Tätigkeit für ein politisch engagiertes Mitglied der Universität, das für den Sicherheitsdienst der SS weiterarbeitete und, in einer Universitätsstadt naheliegenderweise, auch mit den Einberufungen des Lehr-
kórpers, d. ἢ. seiner neuen Kollegen, zu tun hatte. Zeitweise leitete er sogar das Wehrbezirkskommando Góttingen vertretungsweise. Die in dieser Zeit geknüpften Kontakte mögen ihm später, während seines Rektorats, die von ihm beantragten Rückstellungen vom Wehrdienst für Universitätsmitglieder erleichtert haben.*50
3.4.2 „Dignitas“: Drexlers Rektoratsrede von 1943 Aus dem Bewußtsein der versammelten Machtfülle an der Universität Göttingen heraus hielt Drexler im Herbst 1943 seine Antrittsrede als Rektor vor den sicher von ihm eigens geladenen Gästen der Parteihierarchie und den Universitätsmitgliedern. Die Rede war eine besondere Gelegenheit, seine Auffassung von den Aufgaben des Wissenschaftsbetriebs unter dem Nationalsozialismus an exponierter Stelle für alle deutlich darzulegen. Drexler nutzte sie jedenfalls dazu.**! Indem
Drexler
den
Begriff ,dignitas^
zum
Thema
seiner Rede
wählte,
sprach er nicht nur über die Geschichte und den Bedeutungswandel dieses Begriffs in der lateinischen Literatur (S. 251-244). Er benutzte ihn, um seinen eigenen Rang (S. 252), sein Prestige (S. 257), seine Amtsautoritüt (S. 242) als „Führer“ der Universität zu befestigen und ihr eine historische Dimension zu
verleihen (S. 244 f.). Seine Interpretation von „dignitas“ gibt dem nationalsozialistischen Führerprinzip eine neue Bedeutungsfacette als Autorität im Sinn von moralischer Überlegenheit (8. 245). Zugleich bestimmt der Begriff „dignitas“ nach Drexler den Rang und den Wert universitürer Forschung innerhalb der nationalsozialistischen Gesellschaft (S. 247). ,Dignitas" gerät Drexler zum eigentlichen Motiv für sein Rektorat und für die Forschung. Aber sie gilt ihm auch als akzeptabler Grund, einen Krieg zu führen: Durch Krieg könne die Würde und das Prestige eines Volkes wiederhergestellt werden (S. 241). Er legte auch seine Vorstellungen von der Rolle des Rektors dar. Für sich selbst nahm er nicht nur die Würde und die Autoritüt in
250
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Anspruch. Er versuchte zu zeigen, daß sein Amt ihn dazu verpflichte, auch politisch wirksam zu sein: „Wer dignitas besitzt, hat die Pflicht, nicht nur sie zu wahren, sondern auch sie zu verteidigen und durchzusetzen. Wir tun also
recht daran, jede Minderung unserer dignitas, insbesondere durch Herabsetzung vor der Öffentlichkeit, so ernst zu nehmen, wie es den Römern selbstverständlich war. ...Die deutsche Wissenschaft hat ein hohes Maß von
dignitas, und unter ihren Schwestern nimmt die Georgia Augusta seit ihrer Gründung bis auf diesen Tag einen sehr geachteten Platz ein . . .^ (S. 246 f.) Im
folgenden
legt Drexler dar, daß
die „deutsche
Wissenschaft“
in ihrem
Wesen und ihrem Wert eine fest bestimmte Größe sei. Nur die Wissenschaftler selbst sáhen
diese leider noch
nicht so einheitlich, wie er es gerne
hätte
(S. 247). Wissenschaft sei nicht Forschung, sondern Erkenntnis, die der Erreichung eines festgelegten Ziels diene (S. 248). Das Ziel sei die Orientierung des Volkes, dessen Aufklärung, und zwar Aufklärung im militärischen Sinn.
Denn das Volk soll von der Wissenschaft für den Kampf gerüstet werden, indem die Wissenschaftler es über den Feind aufklären (ebd.). Erkennen sei die Voraussetzung für die Erschließung der Normen des Handelns (S. 252). Dieses habe zum Ziel, das eigene Prestige, die Ehre, die Macht und Herrschaft
zu befestigen und zu mehren. Von Drexler auch noch anders gesagt, „dignitas“ sei dann erreicht, wenn die Gesellschaft wie ein gesunder Organismus funktioniere (S. 249 ff.). „Gesund - krank“ bzw. „pathologisch“ sind die Kriterien Drexlers, nach denen die richtige Erkenntnis und das richtige Handeln
gewählt und beurteilt werden. Aufgabe des Wissenschaftlers sei es, die Abweichungen vom Gesunden zu studieren und als warnendes Beispiel hinzustellen (S. 255). Ex negativo sollen Normen des Handelns bestimmt werden: „Eben mit dieser Aufgabe und Arbeit sind wir zutiefst verbunden der Weltanschauung . . .* (S. 255 f.). Diese kurzen Hinweise mógen hier genügen, um die Richtung von Drexlers Antrittsrede als Rektor anzugeben: Mit der erreichten Position nicht zufrieden,
wollte Drexler für die Universität die Teilhabe an der nationalsozialistischen Herrschaft dadurch sichern, daB er ihr allein die Aufgabe der Produktion von
Weltanschauung zusprach. Damit gab er den universalistischen Standpunkt der Wissenschaft
auf, die nicht an eine
bestimmte
Gesellschaftsformation
gebunden ist*92, und machte sie als „Feindaufklärung“ zur „Deutschen Wissenschaft“ im nationalsozialistischen Sinn. „Dignitas“ für sein Amt als „Führer
der Universität“ zu beanspruchen, geht überdies mit der Forderung nach normierendem Einfluf (S. 250 f.) und dem Selbstverstündnis des Überlegenseins (S. 245) einher. So unterscheidet sich Drexlers Rede von 1943 fundamental von der Kahrstedts aus dem Jahr 1934. Kahrstedt warb noch für die neue nationalsozialistische Gesellschaft. Drexler definierte selbstherrtich den Ort der Wissenschaft in dieser. Drexlers Rektoratsrede von 1945, die ein gutes Beispiel für seine Art der Verbindung philologischer Überlegungen mit nationalsozialistischer Weltanschauung darstellt, ist bis in die siebziger Jahre von der Wissenschaftlichen
Buchgesellschaft
(Darmstadt)
nachgedruckt worden.
In einer Anmerkung
Hans Drexiers nationalsozialistische Universitätskarriere
251
zum Wiederabdruck (1975) gibt Drexler selbst an, wie man die Rede zu lesen habe*)55: Sie sei nur aus dem Zeitpunkt ihrer Abfassung zu verstehen und gegen die Ansicht von Walter GroD, Leiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP, gerichtet gewesen. Groß habe vertreten, Forschung und Parteipolitik seien miteinander unvereinbar: erste sei die Aufgabe der Universitüten und die zweite sei Aufgabe der Partei. Drexler weist noch 1975 stolz darauf hin, welches positive Echo seine Rede bei der Gauleitung 1945 gehabt habe. Kein Wort des nachtrüglichen Bedauerns seiner Einstellung und seiner Sicht der Dinge. Im Gegenteil, 50 Jahre nach der Rede hielt Drexler sie immer noch für gut und kritisch. In der Tat kritisiert er Groß’ Ansicht, indem er am Schluß der Rede für die Universitüten in Anspruch nahm, beides leisten zu wollen und
zu kónnen, also allein Anspruch auf die Erzeugung einer nationalsozialistischen Wissenschaft zu haben. Drexlers Kritik an Groß, die in der Anmerkung so wirkt, als kritisiere Drexler einen Nationalsozialisten, dient nur dazu,
seinen eigenen nationalsozialistischen Interessen mehr Gewicht zu geben und ist als ein Beispiel der typischen nationalsozialistischen Richtungs- und Machtkümpfe anzusehen. Zum Zeitpunkt der Abfassung der Rede ist zu sagen, daß die Ermordung der europäischen Juden auf dem Höhepunkt war und Drexler selbst gerade die höchstmöglichen Ämter an der Universität Göttingen sowohl in wissenschaftlicher wie in politischer Hinsicht in Personalunion innehatte. Er war zum Rektor und „Führer“ der Universität ernannt worden. Er hatte schon
seit Sommer 1941 die Stelle des Dozentenbundsführers an der Universität Göttingen inne. Er war immer noch Berichterstatter für den Sicherheitsdienst der SS. Er hatte vor kurzem noch das Göttinger Wehrmeldeamt vertretungsweise
geleitet.
Und
er war
Mitorganisator
und
Leiter
der
Fach-
lager für Altertumswissenschaften. Nicht zu Unrecht hatte Wolfgang Schadewalt ihm den Ehrgeiz zugesprochen, der Papst der Altphilologie sein zu wollen.*5*
3.4.3 Hochschulpolitik Um die Art von Drexlers hochschulpolitischer Tütigkeit zu beleuchten, seien hier drei Beispiele genannt,
die sich allerdings noch vor seinem
Rektorat
ereigneten. Schon im ersten Göttinger Jahr (November 1940) ließ sich Drexler von seiner Lehrtätigkeit beurlauben, um auf Einladung der Reichsdozenten-
bundsführung an einer zehntägigen „Schlachtfelderfahrt“ durch Belgien und Frankreich teilzunehmen.*55 Diese Tatsache beleuchtet u. a. auch, auf welche
Weise Universitütsmitglieder mit dem Kriegsgeschehen in Kontakt gebracht wurden, so sie nicht direkt daran teilnahmen. Im Januar 1941 - also kurz darauf - war Drexler wieder aus Göttingen abwesend,
weil
er das
erste
„Fachlager“
für Altertumswissenschaften
in
Würzburg im Auftrag der Reichsdozentenbundsführung leitete.*56 Diese vom NSD-Dozentenbund organisierten Fachlager waren die nationalsozialisti-
252
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
sche, deutlich männerbündisch und von militärischer Kameradschaftsideolo-
gie geprägte Variante der vorher üblichen wissenschaftlichen Kongresse. Im Unterschied zu diesen konnten an dem Fachlager nur eigens geladene Wissenschaftler teilnehmen,
von denen
angenommen
wurde,
daß sie gewisse
nationalsozialistische Auffassungen miteinander teilten. Die von Drexler nach Würzburg geladenen Gäste, darunter 16 klassische Philologen und fünf Althistoriker, waren,
bis auf einen,
beamtete
Professoren.
Sie sollten „die
neuen Aufgaben für den Bereich der griechisch-römischen Welt herausarbeiten“#7, das heißt, man beschäftigte sich ausführlich mit den Möglichkeiten und Grenzen altertumswissenschaftlicher „Rassenkunde“ u. a. m. Drexler trug auf dem „Lager“ in seinem Einleitungsreferat einen vehementen Angriff gegen die Werner-Jaeger-Schule und gegen den „Dritten Humanismus“ vor, der ein Jahr später erscheinen sollte. Als Einiadender, „Lager“-Leiter und einer der Hauptvortragenden benutzte Drexler seine Stellung innerhalb des NSD-Dozentenbunds dazu, auch Wissenschaftspolitik zu betreiben, indem er
danach
strebte, die Richtung
und
das Klima
altertumswissenschaftlicher
Forschung zu beeinflussen. Begeistert von der Kameradschaftsidee, die auf
diesen Fachlagern sich realisieren sollte, spielte er sogar mit dem Gedanken, künftig Lehrstühle intern ebendort zu verteilen, sozusagen „unter sich“ und
unter Umgehung der üblichen Konkurrenzen, des Mitspracherechts der Fakultüten etc.*558 Obzwar er auch das ein Jahr später folgende Fachlager noch leitete, gelang es ihm nicht, eine einheitliche Auffassung nationalsozialistischer Altertumswissenschaft durchzusetzen. Nicht einmal die von ihm eigens geladenen Wissenschaftler ließen sich auf seine Linie, wie etwa die Ablehnung Werner Jaegers, verpflichten. Er fand u. a. insbesondere in Wolfgang Schadewalt einen Kritiker. Als dritte Episode Drexlerscher Aktivitäten sei hier seine Unterstützung bei der Entfernung des Gaudozentenbundsführers von der Universität Göttingen angeführt. Der Góttinger Professor für Agrarpolitik, Artur Schürmann, war seit 1955 zugleich Gaudozentenbundsführer, und zwar der aktivste, müchtigste und gefürchtetste.55? Im Sommer 1941 wurde Drexler beauftragt, seinen zum Wehrdienst einberufenen Vorgünger als Dozentenbundsführer an der Universität Göttingen zu vertreten. In dieser Eigenschaft beteiligte er sich an der Entfernung Schürmanns von der Universität Göttingen. Schürmann, der, wie
Augenzeugen berichten, ein Terrorregiment führte und von seinen Kollegen wegen seiner Wutausbrüche und seiner Unberechenbarkeit, aber ebenso wegen seiner politischen Einmischung in universitäre Angelegenheiten beson-
ders gefürchtet wurde, stürzte letztendlich über den Vorwurf des Plagiats. Der damalige Rektor der Universität, Hans Plischke, unterstützt von Drexler, aber
auch von anderen Parteigenossen, die Schürmann überdrüssig geworden waren, drängten Schürmann, im Dezember 1942 ein Disziplinarverfahren gegen sich selbst einzuleiten, um den Vorwurf, eine Arbeit eines seiner Angestellten, des Belgiers Steenberghe, unter seinem Namen veröffentlicht zu haben, zu entkräften. In der Folge mußte Schürmann sowohl seine Position als Gaudozentenbundsführer als auch die Professur an der Universität Göttingen
Hans Drexlers nationalsozialistische Universitätskarriere
955
niederlegen. Der als Kolonialpolitiker mächtig gewordene Schürmann muß wohl eine Reihe von Gegnern in der Partei gehabt haben, sonst wäre sein Sturz nicht möglich gewesen. Für die Einschätzung von Drexlers Wirken an der Universität Göttingen ist bemerkenswert, daß seine Kollegen ihn nach Schürmanns „Terrorregiment“ als Erleichterung empfanden. Nicht die nationalsozialistischen Inhalte - die Drexler ebenso überzeugt wie Schürmann vertrat -, sondern eher die Einhaltung akademischer Umgangsformen war dafür ausschlaggebend. Im Vergleich zu Schürmann wirkte Drexler kooperativ, zugänglich, wissenschaftsfreundlich, berechenbar und zurückhaltend. Drexler ent-
sprach um vieles eher dem akademischen Umgangston und den Regeln. Diese Einschätzung wird durch die Nachkriegsentwicklung insofern bestätigt, als Drexler nicht wegen einer nationalsozialistischen Überzeugungen die Wiederaufnahme in den Göttinger Lehrkörper verweigert wurde - man hielt ihn für einen „guten“ Nationalsozialisten, der das „Opfer seiner Anschauun-
gen“ geworden sei**? -, sondern wegen seines Verstoßes gegen die akademische Solidarität anläßlich seines Verhaltens nach dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944. Da diese Episode bereits bekannt ist, sei sie hier nur in aller Kürze wiedergegeben.**!
3.4.4 Der 20. Juli 1944 und seine Folgen an der Universität Góttingen Vom Kreisleiter der NSDAP Göttingen kurz nach dem 20. Juli 1944 zu einer Sitzung der Kreisleitung eingeladen, wurde Drexler in seiner Eigenschaft als Dozentenbundsführer dazu aufgefordert, Mitglieder der Universität zu nennen, die verdüchtig seien, mit dem Attentat auf Hitler etwas zu tun zu haben.
Drexler lehnte dies ab. Daraufhin drohte ihm der Kreisleiter Gengler**?, den Professor für Physik, Robert W. Pohl, der ihm schon lange ein Dorn im Auge war, wegen regimekritischer Äußerungen in seinen Vorlesungen, und den Mediziner H. J. Deuticke als Verdüchtige weiterzumelden. Drexler beriet sich zuerst mit Kollegen, u. a. W. v. Engelhardt**5, wie er vorgehen sollte und entschloD sich schlieBlich, nach Rücksprache mit dem Gaudozentenbundsführer, einem Dr. Pfannmüller, dazu, ca. 15 Personen als „dem Nationalsozialismus ferne stehend“ zu melden. Diese Liste, die neben den Namen von Deuticke und Pohl auch solche Namen wie den seines
Vorgängers als Rektor, Hans Plischke, und den des damaligen Tagebuchführers beim Oberkommando der Wehrmacht, Professor Percy Ernst Schramm,
sowie deren Ehefrauen enthielt, sollte durch die Nennung einer ganzen Reihe von Personen, insbesondere solcher, die als Nationalsozialisten bekannt waren, dazu dienen, wie Drexler behauptet, Pohl und Deuticke vor ernsthaften
Folgen zu schützen. Nach Drexlers Aussage enthielt seine , Meldung" zu jeder Person ein Beurteilungsblatt, auf dem „kritische Angaben“ zur Person vermerkt waren. Der Liste vorangestellt war ein Deckblatt, das eine Präambel enthielt, derzufolge keiner der Genannten, trotz Distanz zum Nationalsozia-
254
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
lismus, „im Verdacht der Mitwisserschaft oder des Sympathisierens mit dem
20. Juli“ stehe.*^* Drexler gab diese Meldung an den Gaudozentenbundsführer Pfannmüller und an den Kreisleiter Gengler weiter. Mit Pfannmüller hatte Drexler vorher verabredet, daß dieser die Meldung nicht weiterleiten werde. Gengler aber benutzte sie wohl, um das Oberkommando der Wehrmacht
über die zweifelhafte Einstellung seines Tagebuchführers P. E. Schramm zu informieren. Percy Ernst Schramm wurde von General Jodl verhórt. Seine Ehefrau, deren Schwester Elisabeth von Thadden(-Trieglaff) war, wurde in Góttingen von der GeStaPo verhórt. Elisabeth von Thadden war ais Mitglied des ,Solfkreises^ schon 1945 wegen Widerstands gegen Hitler zum Tode verurteilt und hingerichtet worden. Sowohl Percy Ernst Schramm als auch seine Ehefrau konnten offenbar Bedenken gegen sich ausräumen.*# Jedenfalls ist außer diesen beiden Verhóren keinem der Genannten bis Kriegsende etwas geschehen. Robert W. Pohl, der in der Tat Mitwisser der Attentatspläne war, durchlebte allerdings Monate der Angst, und zu seinem Glück ahnte
Drexler nichts von seiner Mitwisserschaft.**9 Nach dem Krieg allerdings sollte die Meldung Drexlers, die insbesondere Percy Ernst Schramm, aber auch Hans Plischke als Denunziation erlebt hatten, in den Entnazifizierungsverfah-
ren eine wichtige Rolle spielen. Beide führten die Nennung ihrer Namen auf dieser Liste als Beweis ihrer kritischen Haltung dem Regime gegenüber an und konnten
sich dadurch
entlasten. Drexler wiederum,
der nun von Pohl
erfuhr, daß dieser ernstlich in Gefahr geschwebt hatte, hielt sich zugute, daß er Pohl mit dieser Form der „Meldung“ vor dem Zugriff der GeStaPo gerettet habe.**7 Da die Präambel dieser Liste nach dem Krieg nicht aufgefunden wurde, ihre Existenz aber entscheidend für die Bewertung der Meldung ist, wird der Fall nicht mehr aufgeklürt werden kónnen. Zudem hatte Drexler selbst in den letzten Kriegstagen die Akten des Dozentenbunds, die seine Tätigkeit als Göttinger Dozentenbundsführer von Juni 1941 bis April 1945 betreffen, wie er sagt auf Weisung des Gaudozentenbundsführers, zum größten Teil verbrannt. Einige Aktenstücke, die seiner Entlastung dienen sollten, hat er allerdings mitgenommen: Sie bzw. Kopien befinden sich im Privatbesitz seiner Familie und enthalten keine Unterlagen zu der Meldung Drexlers.
5.5
Studienbedingungen bis Kriegsende und danach
Anhand eines Gesprächs*#, das ich mit Herrn Professor Albrecht Dihle führte, der in den Kriegsjahren an der Universitüt Góttingen studiert hatte, seien die Studienbedingungen am Institut für Altertumskunde 1941-1945 skizziert. Im Laufe der Kriegsjahre stieg die Zahl der Studierenden paradoxerweise wieder an: War die Zahl am Institut für Altertumskunde vor Kriegsbeginn auf unter zehn und in den ersten Monaten nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen sogar auf Null gesunken, erhöhte sie sich bis Kriegsende allmählich auf
ca. 25 Studierende.*?
In den ersten
Kriegsjahren
kamen
von
der Front
Studienbedingungen bis Kriegsende und danach
255
beurlaubte Soldaten an die Universität, dann ab 1942 Kriegsverletzte (Göttingen war zur Lazarettstadt erklärt worden), und seit Aufhebung des Numerus
clausus erhielten vor allem Frauen wieder offenen Zugang zur universitären Ausbildung. Das Ausbleiben der Studenten bis Kriegsbeginn ist nicht zuletzt auf die Ideologisierung der geisteswissenschaftlichen Fächer zurückzuführen. Viele Studenten immatrikulierten sich lieber in medizinische, naturwissenschaftliche bzw. technische Fächer der Hochschulen.*9? Die ab 1942, nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion, verstärkte Mobilmachung holte auch wieder die Fronturlauber von der Universität weg, ebenso wie einen Teil der Lehrenden. So kam es zum ersten Mal in der deutschen Universitätsgeschichte zu der
Situation, daß in manchen Fächern mehr als doppelt so viele Frauen wie Männer studierten. Das gilt insbesondere für die philosophische und die mathematisch-naturwissenschaftliche
Fakultät:
„Eine
Überprüfung
der in
Göttingen studierenden Frauen, die laufend im Gange ist, hat bis jetzt ergeben, dass der weitaus grösste Teil mit Eifer, Fleiss und Pflichtbewusstsein dem
Studium nachgeht. Es steht auch eindeutig fest, dass gerade die Studentinnen meist zu viel Vorlesungen belegen, oft über 30 Wochenstunden. Dadurch kann eine Berufsausbildung, die über die reine Aufnahme von Stoff zur inneren Verarbeitung geht, nicht erreicht werden. Die Studentinnen besitzen also weitgehend die Neigung, den aus der Schule gewohnten Betrieb auf der Hochschule fortzusetzen. Massgebend für das Studium ist für den weitaus grössten Teil die Sicherstellung der Zukunft durch einen Beruf. Unverkennbar nimmt dadurch auch seit etwa zwei Semestern die Zahl derjenigen Studentinnen zu, die auf den Lehrberuf zustreben. ... In der Philosophischen Fakultät sind gegenwärtig 252 eingeschrieben, davon 187 Frauen und 65 Männer, in der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät 185 Män-
ner
und
220
Frauen,
also insgesamt
405.*%1
(H. Plischke) der Universität Göttingen am 12.
So
berichtete
der
Rektor
Juni 1945 auf Aufforderung an
den Sicherheitsdienst der SS über das Frauenstudium. Nach dem Bericht des Dekans der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät begann schon im Herbst 1942 der „Wegfall von etwa 120 Fronturlaubern, der nur zum Teil durch Zugang von Lazarettinsassen und anderen Immatrikulierten ausgeglichen“ wurde.%2 Auch bei den Juristen stieg die Zahl der weiblichen Studierenden an: Im Sommersemester 1942 gab es 55 Jura-Studentinnen und 106 Studenten, gegenüber 24 Frauen und 188 Mánnern ein Semester zuvor (WS 1941/42). Von den „Fakultätslehrern“ waren „sieben völlig abwesend“ und die fünf verbliebenen „so sehr in Anspruch genommen, dass sie nur nebenbei einen Teil ihrer Lehraufgabe erfüllen können“.%3 Die Situation an der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakul-
tät, deren Lehrstühle für Bürgerliches und Öffentliches Recht 1942 nicht besetzt waren, verschlimmerte sich so weit, daß sie im Herbst 1944 im Zuge
der „totalen“ Mobilmachung überhaupt geschlossen werden sollte. Dies konnte Drexler aber in Zusammenarbeit mit dem Dekan, Rudolf Smend, verhindern. Eines ihrer Hauptargumente war, daß die Mehrheit der Studie-
256
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
renden ohnehin nicht eingezogen werden könnte, weil sie bereits schwer kriegsverletzt sei.*5* Auch die Studentinnen entgingen der Mobilisierung der letzten Reserven nicht: Frau Dr. Jonas beispielsweise hatte 1941 Abitur gemacht, danach ein Jahr „Reichsarbeitsdienst“ u. a. in Schlesien geleistet, bevor sie im Sommersemester 1942 zum Studium der Germanistik, Geschichte und Latein zugelassen wurde. Schon Ende 1943 wurde sie wieder zum „Arbeitsdienst“ verpflichtet. Sie half beim Ausräumen der Universitätsbibliotheksbestände, die
zum Schutz vor Fliegerangriffen z. T. in ein Bergwerk nach Volpriehausen ausgelagert wurden. 1944 wurde sie schließlich kriegsdienstverpflichtet. Sie bewachte nachts die Lehrmittel, in Spiritus eingelegte Schlangen, des Physiologischen Instituts, das in Bahnhofsnähe lag und den Bombenangriffen besonders ausgesetzt war. In den letzten Kriegsmonaten wurde sie am Bahnhof Kreiensen eingesetzt, ein Bahnknotenpunkt ungeführ auf halbem Weg zwischen Göttingen und Hannover.*55 So wundert es wenig, wenn Albrecht Dihle, Student der Archäologie, klas-
sischen Philologie und Alten Geschichte, zeitweise als einziger Teilnehmer Seminare besuchte. Dihle, der schwer verletzt vom Rußlandfeldzug zurückkehrte, hatte im Wintersemester 1941/42, im Alter von 18 Jahren und nach
zwei Jahren Kriegserfahrung, das Studium an der Universität Göttingen aufgenommen.*56 1942 erhielt er als einer der wenigen männlichen Studenten die Stelle der wissenschaftlichen Hilfskraft für ein Semester. Ein Stipendium an die Universität Pavia im Jahr 1945 konnte er nicht in Anspruch nehmen,
weil Italien mittlerweile Kriegsgebiet war. Zu der Zeit hatte er ca. zehn Kolleginnen und Kollegen, darunter zwei Gaststudenten aus Luxemburg und aus Neapel. Die kleine Bibliothek des Instituts wurde zu Beginn des Jahres 1944 in das Hardenbergsche Schloß, ca. zwölf Kilometer nördlich von Góttin-
gen nach Nörten-Hardenberg ausgelagert, so daß Dihle, der an einer Staatsexamensarbeit über Vitruv schrieb, häufig in die Schloßbibliothek fuhr und dies als eine angenehme Abwechsiung erlebte. Deichgrüber hielt im Gegen-
satz zu Drexler sein volles Lehrprogramm. Die meistbesuchten Veranstaltungen waren die von Ulrich Kahrstedt. Aus Mangel an Lehrkräften wurden Stilund Sprachübungen in die Seminare integriert. Häufig unterbrach Bombenalarm die Veranstaltungen. Dann ging jeder nach Hause. So wurden Seminare von den Lehrenden zunehmend in ihrer Wohnung abgehalten. Zudem wurden in den letzten Kriegsmonaten Flüchtlinge aus den Ostgebieten in den Fluren des Instituts für Altertumskunde untergebracht, so daD es mit der Ruhe
völlig vorbei war. Die Aufführung der Matthäuspassion zu Ostern, Ende März 1945, in der wegen der Bombenangriffe abgedeckten Marienkirche, war, wie Dihle berichtet, von vielen besucht und beim Mitsingen von dem Gefühl
getragen, daß die Befreiung und das Kriegsende kurz bevorstanden. Als die von Flüchtlingen und verletzten Soldaten überfülite Stadt doch noch mit dem letzten Aufgebot des „Volkssturmes“ gegen die näher rückenden amerikanischen Truppen verteidigt werden sollte, erreichten einige Besonnene unter der Führung des Bürgermeisters A. Gnade, der in der Auseinandersetzung
Studienbedingungen bis Kriegsende und danach
257
gegen den Kreisleiter Gengler darin von Drexler unterstützt wurde, daß die Stadt sich kampflos am 8. April 1945 um 13.30 Uhr den einrückenden Amerikanern ergab.457 Dihle, dessen Vater 1955 von den Nationalsozialisten zwangspensioniert worden war, erlebte das Kriegsende als Befreiung. Drexler, der kurz nach der Einnahme der Stadt Góttingen vom Secret Service verhórt und in ein Internierungslager nach Cherbourg geschickt wurde, war überrascht, daß er als Rektor abgesetzt und amtsenthoben wurde, gleich nachdem die Universität geschlossen worden war. Seine Sicht der Ereignisse hielt er mehr als zwei Jahrzehnte später in den für die Familie aufgeschriebenen Erinnerungen fest: »Der April 1945 war der tiefste Einschnitt in meinem Leben. Er bedeutete das Ende meiner Aktivität. Der Rest war eine einzige Passivität, sowohl im Gegensatz zur Tätigkeit bis zu diesem Augenblick, als auch im Sinne des Erleidens, mit der einzigen Ausnahme meiner wissenschafllichen Arbeit, in der ich mich aufrecht erhielt. . .“#58 Drexler hatte offenbar angenommen, er werde Rektor bleiben, wie auch aus dem
Brief des Kölner Historikers Peter Rassow an den
Göttinger Historiker Siegfried A. Kaehler hervorgeht.*59 Während der Monate, als die Universität geschlossen war, der Lehrkórper
zum Teil entlassen bzw. amtsenthoben und die Wiedereröffnung in großer Eile organisiert wurde, hatte Dihle die Muße, sich zurückzuziehen
und an
seiner Dissertation zu arbeiten. Das Thema war mit Deichgrüber noch vor Kriegsende
abgesprochen:
Eine
begriffsgeschichtliche
Studie
anhand
von
Texten griechischer Autoren, die Dihle besaß, schien das angesichts der schlechten Bibliotheks- und Arbeitsverháltnisse am Institut gegebene Thema zu sein. Nach Deichgrübers Amtsenthebung im Januar 1946 übernahm der auf seinen Lehrstuhl zurückgekehrte Kurt Latte das Gutachten über Dihles Dissertation „Beiträge zur Entwicklungsgeschichte des Volksbegriffs im griechischen Denken“. Dihles Dissertation war die erste nach 1945 am Institut für Altertumskunde. Zwischen 1940 und 1945 wurden insgesamt nur vier Altertumswissenschaftler promoviert.*960
Das relativ unversehrt gebliebene Góttingen zog viele Studenten und Professoren an, insbesondere
von Universitäten aus den von der sowjetischen
Armee befreiten Teilen Deutschlands. Am 17. September 1945 nahm die Universität Göttingen als erste deutsche Universität ihren Lehrbetrieb wieder auf. Die Eróffnungsrede hielt, fast genau zehn Jahre nach seinem Entlassungsgespräch, der kommissarisch mit der Wahrnehmung seines alten Lehrstuhls beauftragte Kurt Latte: ,Es widerstrebt mir, mit einem dicebamus heri an die Arbeit des Tages zu gehen, als ob all das Schwere, das wir durchlebt haben,
gar nicht vorhanden wäre. Ich will aber nicht von den äußeren Schwierigkeiten des Lebens reden, die so entmutigend groß sind, nicht von dem Leid, das jeder von uns persönlich trägt - . . . Es ist etwas anderes, was ich Ihnen nahebringen möchte. Die meisten von Ihnen kommen aus dem Lärm und der Unrast des Krieges zu unseren stillen Hörsälen - sechs, acht Jahre liegen zwischen dem Heute und ihrer Lernzeit. ... Die Umstellung, die von Ihnen gefordert wird,
ist groD. Sie sollen sich an anspruchslose, unscheinbare, aber stetige Arbeit
258
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
gewöhnen, sollen, wie das im Wesen jeder Ausbildung liegt, Dinge sich aneignen, deren Zweck Sie zunächst nicht übersehen. Vieles, was wir fordern müssen, wird Ihnen pedantisch erscheinen, anderes unwesentlich. Die leise abwügende Sprache wissenschaftlicher Untersuchung, die Sorge um feinste Unterschiede mag Ihnen greisenhaft vorkommen, nachdem Sie so lange problemlose Einfachheit als Zuflucht empfunden haben.“#1 Um das Klima des Aufbruchs aus der intellektuellen Isolation zu charakte-
risieren, sei hier eine von Dihle erwähnte Episode geschildert. Kaum war die Universität wiedereröffnet, kam am Institut für Altertumskunde ein Päckchen aus Oxford an, das die letzte Lieferung des Liddell and Scott, das wichtigste
Griechisch-Wörterbuch, enthielt. Die ohne Aufforderung eingetroffene Sendung war seit vielen Jahren die erste Bücherlieferung aus dem Ausland und enthielt den fehlenden Teil des Wórterbuchs, das deshalb seit 1955 ungebun-
den am Institut lag. Sofort nach Kriegsende kamen die wissenschaftlichen Verbindungen wieder in Gang, und zugleich wurde die zwólf Jahre wührende Einschrünkung und Isolation an diesem Detail manifest spürbar. Dihle erhielt bald den Auftrag, die lateinischen Sprachkurse abzuhalten, die nun von bis zu 150 Hórern besucht wurden. Da es weder Papier noch Bücher gab, unterrichtete er mit Tafel und Kreide die Sprache für die an die Universität zurückgekehrten Soldaten, die wegen Kleidermangels zum Teil noch in ihren Uniformen im Hörsaal saßen. 1948 konnte Dihle dann auf Einladung eines emigrierten ehemaligen Mitschülers zum ersten Mal zu Studienzwecken verreisen. Er fuhr nach Oxford, in das Mekka der deutschen Altertumswissenschaftler. Dort lernte er die emigrierten Wilamowitzschüler persónlich kennen, eine der ersten Wie-
deranknüpfungen des Göttinger Instituts mit emigrierten Wissenschaftlern, aus der sich für Dihle lebenslange Freundschaften und Zusammenarbeit entwickelten.*9? Aufgrund dieser konnte er viele Jahre an auswärtigen Universitäten
forschen
und
lehren.
Dihles Verhalten
scheint jedoch
eher die
Ausnahme gewesen zu sein. Das Institut für Altertumskunde hatte mit der Wiedereröffnung auf einmal an die 60 Studierende und eine Reihe Lehrender: Deichgrüber, der erst 1946 amtsenthoben wurde, Kahrstedt, der 1946 nur kurze Zeit amtsenthoben war; Kurt Latte, Konrat Ziegler, W. F. Otto, Ludolf Malten und Werner Hartke, die alle nach Göttingen gekommen waren; und schließlich Max Pohlenz, der als
Emeritus immer noch Lehrveranstaltungen abhielt. Das Institutsgebäude am Nikolausberger Weg 15 war kurz nach der Schließung der Universität beschlagnahmt worden. Auf Bollerwagen zogen Studenten das Inventar und die verbliebenen Bücher in die neuen Seminarräume in der Wagnerstraße 1, wo ursprünglich das von den Nationalsozialisten geschlossene Püdagogische Seminar gewesen war, spüter die NS-Akademie der Wissenschaften und bis
April 1945 der Sicherheitsdienst der SS ihr Büro gehabt hatten.
Entnazifizierung und Rehabilitierung: ein Ausblick
250
5.6 Entnazifizierung und Rehabilitierung: ein Ausblick Nach der bedingungslosen Kapitulation des Dritten Reichs trafen die Regierungen Großbritanniens, der Sowjetunion und der Vereinigten Staaten von Amerika am 2. August 1045 in Potsdam ein Abkommen über das weitere Vorgehen. Es legte u. a. richtungweisende Grundsütze für die Entnazifizierungspolitik fest. Auf der Potsdamer Konferenz erreichten die Alliierten Einigung über die beiden Hauptziele der Entnazifizierung: Auflósung aller nationalsozialistischen Parteiorganisationen sowie der von ihr abhüngigen Institutionen und möglichst schneller Aufbau demokratisch gewählter Selbstverwaltungen auf lokaler Ebene. Um dies in Kürze zu erreichen, wollte man
auDer den Kriegsverbrechern die aktiven Nationalsozialisten und auch alle diejenigen, die den Alliierten gegenüber feindlich eingestellt waren, aus öffentlichen Ämtern und halbóffentlichen Positionen entfernen. An deren Stelle hoffte man, andere Personen zu setzen, die fähig und geeignet schienen,
bei der Entwicklung und Neustrukturierung von Verwaltung und Politik auf demokratischer Basis vor Ort mitzuwirken. In der Gewichtung der Hauptziele wichen die Militärregierungen allerdings voneinander ab. Während in der amerikanischen Zone besonderer Wert auf eine sehr gründliche und weitgehende Entnazifizierung gelegt wurde, die von Anbeginn unter deutsche Verantwortung gestellt wurde, setzten die Briten mehr auf Umerziehung, über deren Möglichkeiten sie sich schon lange vor Kriegsende in Form von Memoranden eigens dafür gegründeter Kommissionen Gedanken gemacht hatten.*% In der sowjetisch besetzten Zone wiederum wurden nur Nationalsozialisten in Führungspositionen entlassen und durch andere ersetzt. Die französischen Militärbehörden bemühten sich sehr um die Dezentralisierung von Verwaltung und Wirtschaft. Zwar übernahmen die beiden anderen westlichen Zonen das Hand in Hand mit deutschen Stellen zuerst von den amerikanischen Militärbehörden entwickelte Entnazifizierungssystem, jedoch in unterschiedlicher Handhabung und Interpretation.* Das
Ziel, den
nationalsozialistischen
rückgängig zu machen und auch für die Ausdehnung der Entnazifizierung der zu überprüfen war. Man wollte Nutznießer des Nationalsozialismus
die auf alle aus
Einfluß
auf das
öffentliche
Leben
Zukunft auszuschalten, erforderte einen sehr großen Personenkreis, aktiven Parteimitglieder und alle öffentlichen und halböffentlichen
Ämtern und Positionen entfernen. Für diesen Personenkreis mußte ein Weg
gefunden werden, aktive von nominellen Nationalsozialisten zu unterscheiden. Ein schwieriges und in vielen Fällen auch mißlingendes Unterfangen, zumal die zu überprüfenden Personen, insbesondere Aktivisten und Nutznie-
Der, sich naheliegenderweise zu schützen und ihren Anteil zu verbergen suchten. Andererseits konfligierte mit der gründlichen Suche nach Tätern der gleichzeitig vorgenommene Aufbau politischer Selbstverwaltung unter demokratischen Bedingungen^96: Die Entnazifizierungsausschüsse mußten sich auf die Auskunft der von der Überprüfung betroffenen Personen sowie auf die von diesen aufgebotenen Zeugen verlassen, solange sie nicht offiziell durch
260
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
wieder andere Zeugen widerlegt wurden. So ergab sich vielfach der Fall, daß aktive Nationalsozialisten sich mit Hilfe von Kollegen entlasten konnten, während weniger wendige nominelle Parteimitglieder aus ihren Stellen entlassen wurden.
Für deutsche Beobachter mit Insiderwissen war dies sofort
deutlich und machte in ihren Augen die ohnehin schon äußerst schwierige und delikate Aufgabe der Entnazifizierung, die zudern von deutscher Seite nicht erwünscht war, zur Zielscheibe von
Kritik, Zorn, Enttäuschung
und
Ablehnung. Diese richtete sich gegen die Politik der Alliierten, was wiederum den ganzen Prozeß noch zusätzlich erschwerte und behinderte. Hinzu kam, daß es zu wenige Nichtparteimitglieder und unbelastete Personen gab, die all die Entlassenen hátten ersetzen kónnen. Dies war einer der Gründe, warum man etwa in der franzósischen und vor allem in der britischen Zone,
wo man den vólligen Zusammenbruch der Grundversorgung der Bevólkerung mit Nahrungsmitteln etc. schließlich doch verhindern wollte, mehr Wert auf die Beeinflussung des Wiederaufbauprozesses legte.+#8 Zur Unterscheidung von nominellen und aktiven Nationalsozialisten wurde ein Kategorisierungssystem* entwickelt, das sich in erster Linie an der Hierarchie und Verästelung der nationalsozialistischen Parteiorganisationen, die die ganze Gesellschaft durchzogen und erfaßt hatten, als Urteilskriterium orientierte; ein Irrtümer leichtmachendes Kriterium, weil Gesinnung und Handlungsweise nicht allein aus der Position in der NSDAP ableitbar waren.
Die in der Parteihierarchie eingenommene Position bestimmte jedoch nur prima facie die Kategorie, der man zugeordnet wurde, nümlich bevor überhaupt die anschlieDende Verfahrensweise gewühlt und in Gang gesetzt wurde.
D. h. jede Person, die sich um ein óffentliches oder halbóffentliches Amt bewarb bzw. dieses behalten wollte, mußte einen umfangreichen Fragebogen ausfüllen. Der Fragebogen erhob u. a. alle NSDAP-Mitgliedschaften, die militärische Position, politische Betätigung. Die Auswertung des Fragebogens führte zu einer vorläufigen Einordnung des Betroffenen in eine von fünf Gruppen: 1. Hauptschuldige 2. Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer) 3. Minderbelastete 4. Mitläufer
5. Entlastete Die Kategorien 1 bis 4 waren mit unterschiedlichen Sanktionen verbunden, die zudem innerhalb der drei westlichen Zonen variierten. Gegen die Einordnungsentscheidung konnte Widerspruch eingelegt werden. Dieser wurde
dann von den Entnazifizierungsausschüssen geprüft, und je nach Sachlage evtl. neu beigebrachten Zeugenaussagen - konnte die Gruppierung geändert bzw. die Sanktionen abgemildert werden. Die Entnazifizierungsausschüsse
waren in der Regel mit Laien besetzte Spruchkammern, die beruflich von dem Bereich, über den sie urteilten, etwas verstehen sollten. Den Vorsitz führte jeweils ein ausgebildeter Jurist. Der öffentliche Ankläger brachte das Verfahren in Gang, und die Gesamtorganisation des Spruchkammerwesens etc.
Entnazifizierung und Rehabilitierung: ein Ausblick
261
oblag dem jeweiligen deutschen Entnazifizierungsminister bzw. etwa in der britischen Zone dem britischen Generalinspekteur. Da auch die Einordnung der Personen in den drei westlichen Zonen unterschiedlich streng gehandhabt wurde, mußte man zum Abschluß der Entnazifizierung und wegen der
Wahlen zum Bundestag Angleichungen vornehmen: Das aktive und passive Wahlrecht war in den Zonen ungleich genehmigt. In Niedersachsen führte dies etwa dazu, daß Belastete mit Abschluß der Entnazifizierung automatisch
um ein bis zwei Kategorien hinuntergestuft und damit entlastet wurden.*70 Das
machte
sie im
Fall von
Beamten
zu Wartestandsbeamten,
Wiederverwendung
Anrecht
erhielten. Anders
die so auf
als in der amerikanischen
Zone, wo die Entnazifizierung zur Gänze unter deutsche Verantwortung fiel und als Modell für die anderen beiden westlichen Zonen diente, behielten
sich die britischen Militärbehörden Anklageerhebung und Entscheidung für die Kategorien 1 bis 2 vor, und zwar bis zur viel später erfolgenden Übergabe der Entnazifizierung in deutsche Hände. Nur die Gruppen 3 und 4 wurden der Entscheidung deutscher Spruchkammern übergeben, allerdings mit dem Vorbehalt der Nachkontrolle.*7!
3.6.1
Hans Drexler wird nicht „wiederverwendet“
Hans Drexler gehórte zu den ca. 246.000 Nationalsozialisten, die sogleich von den vorrückenden alliierten Streitkräften als vermutliche Hauptschuldige, Aktivisten, Militaristen oder Nutznießer verhaftet und in schnell errichtete
Internierungslager verbracht wurden.*?? Dort erst untersuchte man, wessen der Verhaftete sich im einzelnen schuldig gemacht hatte. Die wenigsten wurden als Kriegsverbrecher lünger interniert, um dann vor Gericht gestellt zu werden. Ungeführ 100.000 entlieB man schon im Laufe des ersten Jahres. Auch Drexler kehrte schon im Winter 1945 aus einem Lager in Cherbourg nach Góttingen zurück. Im Lager hatte er sich mit dem dortigen Geistlichen angefreundet, der ihn Vorträge halten lie und dafür mit Lebensmitteln versorgte, so daß Drexler die Zeit überstehen konnte.?73 In Göttingen angekommen, wartete schon der Bescheid der britischen Militärregierung aufihn,
die Göttingen mittlerweile von den amerikanischen Streitkräften übernommen hatte. Als Dozentenbundsführer, Rektor und Mitarbeiter des Sicherheits-
dienstes der SS galt Drexler als aktiver Nationalsozialist und fiel damit in die Kategorie 2 (Belastete). Das bedeutete seine Entlassung aus dem Staatsdienst und Berufsverbot als Universitütslehrer unter Fortfall seiner Bezüge.*7* Der von Drexler sofort eingelegte Widerspruch führte zur Befragung des Prüfungsausschusses beim Rektorat der Universität durch den britischen Entnazifizierungs-Hauptausschuß. Der deutsche Prüfungsausschuß des Rektors sprach sich für die Gewährung einer Pension bei Berufsverbot aus.*75 Aber der britische Ausschuß lehnte dies ab, ebenso wie Drexlers Einspruch.
Ein zweites Mal legte Drexler Widerspruch ein. Das führte zur Befragung der philosophischen Fakultüt. Diese hielt in ihrem Gutachten daran fest, daD
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ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Drexler ein überzeugter Nationalsozialist (d. h. aktiver) gewesen sei, hieltihm jedoch die „Reinheit seines Willens“ und seine Bemühung zugute, schädigende Einflüsse von der Universität ferngehalten zu haben. Die Stellungnahme gipfelte darin, daB Drexler ,als ein in allen seinen Handlungen
ehrenhaft
gebliebenes Opfer seiner Anschauungen“ bezeichnet wurde, dem daher gerechterweise eine Pension zustehe.*76 Zu diesem Zeitpunkt, Ende März 1946,
war der Vorwurf der Denunziation noch nicht gegen Drexler erhoben worden. Die Militärregierung lehnte im Oktober 1946 trotz dieses Gutachtens Drexlers Einspruch zum zweiten Mal ab. Drexler erhielt Berufsverbot für den Verwaltungs- und Universitätsdienst, bei gleichzeitiger Sperrung seiner Konten. Dagegen protestierte er diesmal beim deutschen Unterausschuß der Spruchkammer, die für den Lehrkörper der Universität zuständig war, und forderte
seine Wiedereinsetzung in sein Amt als Professor.*?? Erst als die Briten nach langwierigen Verhandlungen mit den Behörden die Verordnung Nr. 110*78 am 1. Oktober 1947 erließen die Entnazifizierungsaufgaben auf die Regierungen der Länder, britische Zone fielen, übertrugen, war es Drexler möglich, seinen aufzurollen.
In diesem
Verfahren
vor dem
deutschen
Ausschuß
deutschen und damit die in die Fall erneut wurde
er
zunächst in Kategorie 3 (Minderbelastete) hinuntergestuft und in den Ruhestand versetzt, mit der Gewährung eines Unterstützungsbeitrags in Höhe von 70% des erdienten Ruhegehalts (Februar 1949). Der Berufungsausschuß stufte Drexler ein halbes Jahr später in Kategorie 4 (Mitläufer) ohne Sanktionen ein, weil ihm die vom deutschen Hauptausschuß als Denunziation angesehene Meldung nach dem Attentat auf Hitler nun als Lebensrettung von Pohl und Deuticke ausgelegt wurde.*7? Mit dem Abschluß der Entnazifizierung im Land Niedersachsen wurde er 1951 automatisch in Gruppe 5 (Entlastete) hinuntergestuft und erhielt damit den Status eines „Wartestandbeamten“. Er
hätte sich also an der Universität Göttingen oder anderswo zur „Wiederverwendung“ bewerben können. Bei der Entscheidung über Wiederverwendung hatten die Fakultäten allerdings ein Mitspracherecht und richteten für diese Fragen Prüfungskommissionen ein.+% Diese lehnte aber eine Wiederaufnahme Drexlers in die philosophische Fakultät ab, weil die Fakultät sich der Ansicht
Percy
Ernst
Schramms
anschloß,
der
sich weigerte,
mit Drexler
zusammenzuarbeiten. Wegen „unüberbrückbarer persönlicher Gegensätze“ lehnte die philosophische Fakultät auch die Erteilung eines Lehrauftrags an Drexler ab, stimmte jedoch der Gewährung einer Forschungsbeihilfe in Höhe eines Lehrauftrags zu.*8! So gehörte Drexler, obwohl er schließlich den Titel eines „Professors zur Wiederverwendung“ erreicht hatte, zu den ganz weni-
gen im Zuge der Entnazifizierung entlassenen Professoren, die nicht an die Universität zurückkehrten. Die meisten seiner Kollegen erhielten nach Abschluß der Entnazifizierung wieder einen Lehrstuhl, so daß sie in der Regel nur einige Jahre von der Universität ferngehalten worden waren. Bei Berufungen wurden sie in den fünfziger Jahren aufgrund einschlägiger gesetzlicher Bestimmungen sogar bevorzugt vor anderen Bewerbern eingestellt. Erst als Drexler 1960 das Emeritierungsalter erreichte - den Status eines entpflich-
Entnazifizierung und Rehabllitierung: ein Ausblick
265
teten Hochschullehrers hatte er am 20. Mürz 1957 erhalten -, nahm Schramm
den Vorwurf der Denunziation zurück.*8? Drexler, der all die Jahre hindurch vergeblich um seine Rehabilitation gekümpft hatte, ließ schließlich seinen Namen aus dem Vorlesungsverzeichnis streichen. Er wollte nicht als Emeritus und damit Mitglied einer Fakultät genannt werden, die ihn für einen Denunzianten hielt.*85 Sein Vorgünger als Rektor, Hans Plischke, hatte ebenso wie Schramm lüngst wieder in der Fakultät Platz genommen, nicht zuletzt aufgrund der Nennung beider Namen auf Drexlers Liste als Kritiker des Nationalsozialismus. Sogar Plischkes Vorgünger als Rektor, Friedrich Neumann, konnte sich dem Ausschluß entziehen, indem er, nach Erreichung des Status eines „Professors zur Wiederverwendung“, 1954 um seine Emeritierung ansuchte. Wieder andere, wie der Orientalist Walter Hinz, vormals maßgeblicher Organisator des
„Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland“ im Wissenschaftsministerium, dann Dekan der philosophischen Fakultät Göttingen und als solcher Widersacher von Max Pohlenz nach der 200-Jahr-Feier der Universität Göttingen, aber auch der Rechtshistoriker Wilhelm Ebel, vormals Mitarbeiter des „Ahnenerbes“ der SS und Mitglied der Waffen-SS, waren in den Göttinger
Lehrkörper zurückgekehrt.*54 Drexler, der sich als Opfer seiner Kollegen wahrnahm,
die ihn wiederum
als Opfer seiner Anschauungen ansahen, unterrichtete Latein an einem Gymnasium, gab Privatunterricht und hielt zu Hause Privatseminare für interessierte Studenten ab. Er veröffentlichte weiterhin und fand Verleger. Sein besonderes Interesse galt nun dem Christentum.
3.6.2 Kurt Latte und Konrat Ziegler: ungleiche Rehabilitierung Der Fall Drexler zeigt, daß schon besondere Umstände zusammenkommen mußten,
um
einen durch
die Entnazifizierung
entlassenen
Ordinarius
auf
Dauer von der Universität fernzuhalten. Ebenso besondere Umstände waren
nötig,
damit
ein
von
den
Nationalsozialisten
entlassener
Ordinarius
nach 1945 seinen alten Lehrstuhl wiedererhielt. Diese ergaben sich für Kurt Latte. Die schon vor Kriegsende von den Briten ausgearbeiteten „Reeducation“Maßnahmen setzten in der Hauptsache auf möglichst nichtdirigistische Unterstützung und Förderung von Aktivitäten zum Aufbau demokratischer Institutionen und Einstellungen, die am besten von den besiegten Deutschen selbst ausgehen und inhaltlich bestimmt werden soliten. Nur in zweierlei Hinsicht griff die britische Militärbehörde aktiv ein: 1. bei der Entnazifizierung des Lehrpersonals und der Lehrmittel an Schulen und Hochschulen sowie 2. bei der Rückholung emigrierter Hochschullehrer an die Universitäten. Sowohl die Entnazifizierung des Lehrpersonals als auch die Rückholung von Emigranten wäre wohl ohne Zutun und Anstoß der Alliierten in sehr viel
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ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
geringerem Ausmaß bzw. gar nicht erfolgt. Die Universität Göttingen jedenfalls legte erst nach Aufforderung durch den British Education Control Officer eine Liste von entlassenen und emigrierten Hochschullehrern vor, nach Fakultáten und Füchern geordnet, die im übrigen sehr lückenhaft und fehlerhaft war.+85 Schon auf der ersten Sitzung der philosophischen Fakultät, die als Nachfolger Deichgräbers der neue Dekan, der Anglist Herbert Schöffler, im August 1945 leitete, wurde neben „Fraenkel (Graezistik)“ (sic!) Kurt Latte genannt.*96 Da durch Drexlers Verhaftung der Lehrstuhl für Latinistik frei geworden war und Latte gleich nach der Befreiung Anspruch auf seinen alten Lehrstuhl vor Ort anmeldete, war er im Gegensatz zu Hermann Fränkel nicht zu übergehen. So kam es, daß er, vorerst kommissarisch mit der Vertretung seines Lehrstuhls
beauftragt, das erste Nachkriegssemester eróffnete. Latte wurde übrigens erst voll in die alten Rechte eingesetzt, als Drexlers Amtsenthebung durch die britische Militärregierung definitiv war.*8? Seine Situation war nicht allein deshalb unsicher. Auch die Zusammenarbeit mit den ehemaligen Kollegen in der Fakultät und mit dem erst 1946 amtsenthobenen Karl Deichgrüber am Institut für Altertumskunde sowie Drexlers andauernde Versuche, die Entlassung rückgängig zu machen, trugen dazu bei, ihm ein Gefühl von ihn umgebender Feindseligkeit zu vermitteln. So wundert es wenig, wenn
Latte, von
den letzten Jahren des Überlebens im Versteck gesundheitlich schwer gezeichnet, sich darum bemühte, Kollegen nach Góttingen zu holen, die er sich
wünschte. Diese Möglichkeit ergab sich schon bald nach Deichgrübers Amtsenthebung. Latte hatte sich dringend einen jüngeren Kollegen gewünscht. Der von ihm hochgeschätzte und ihm noch aus der Hamburger Zeit bekannte Latinist Wolf Hartmut Friedrich erhielt schließlich - auf der Berufungsliste als Zweiter plaziert - die Nachfolge Deichgrübers.*88 Latte, dem es zwar widerstrebte, mit einem ,dicebamus heri* an die Arbeit zu gehen, setzte sich unermüdlich für die Restitution der Universitát, insbe-
sondere der Qualitüt wissenschaftlicher Forschung und Lehre ein. Er knüpfte erste wissenschaftliche Beziehungen zum Ausland an.*89 [n diesem von Pflicht und Strenge gefürbten, die versáumten Jahre aufholen wollenden Impetus, der seine ganze Kraft beanspruchte, verschloD er sich seinem alten Kollegen aus Greifswalder Zeit, Konrat F. Ziegler. Ziegler hatte wáhrend all der Jahre als einer der wenigen den Kontakt zu Latte beibehalten: Einem Besuch bei Latte, kurz nach Zieglers Entlassung, im
Sommer
1955
folgte ein Briefwechsel,
der damit
sein
Ende
fand, daß
Ziegler Latte im Jahr 1944 aus dem bombardierten Düsseldorf zu sich nach Osterode im Harz einlud. Dorthin, zu zwei seiner Schwestern, übersiedelte
Ziegler, nachdem seine Berliner Wohnung ausgebombt worden war, die sich in demselben Haus befand, in dem Einstein bis zu seiner Emigration gewohnt hatte: Haberlandstraße
5, nach
1933 Nórdlinger Straße 8. Ziegler fand für
Latte, der anfangs auch bei den Schwestern Zieglers unterkam, ein Zimmer in dem nahe gelegenen Ort Freiheit. Die Unterbringung Lattes war für Ziegler mit einem Risiko verbunden, zumal er schon 1959 angezeigt worden war, weil
Entnazifizierung und Rehabilitierung: ein Ausblick
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er einem befreundeten Bankier geholfen hatte - letztendlich vergeblich -, einen Teil von dessen Besitz aus Deutschland herauszubringen. Wegen staatsfeindlicher Betätigung damals vor Gericht gestellt, hätte sich Ziegler diesmal nicht so leicht auf Naivität herausreden kónnen.*9? „Nachdem Latte im Herbst
45 wieder in seine Göttinger Professur eingesetzt worden war, sprach ich mit ihm über meinen Wunsch, zunächst eine Honorarprofessur und im Falle der
Entlassung Deichgräbers die dadurch frei werdende ordentliche Professur zu erhalten. Er versprach mir dazu aufs bereitwilligste seine Hilfe mit der einzigen Einschränkung, daß es vielleicht nicht zu erreichen sein würde, daß ich anerster Stelle auf die Liste käme, sondern etwa Reinhardt - der, so meinte
Latte, sicher nicht kommen würde, sodaß meine Berufung damit so ziemlich gesichert wäre. Diese Unterredung fand Ende 45 oder Anfang 46 zwischen uns statt . . .“, notierte Ziegler ein Jahr spüter.*?! Als 1946 Deichgräbers Lehrstuhl vakant wurde, befanden sich vier Altertumswissenschaftler in Göttingen, die Ordinarien an Universitäten der nunmehr sowjetischen Zone gewesen waren: Werner Hartke, der kommissarisch die Oberassistentenstelle vertrat, sowie Walter F. Otto von der Universität
Königsberg, Ziegler von der Universität Greifswald und Ludolf Malten von der Universität Breslau, Otto und Malten standen kurz vor der Emeritierung, Hartke nahm bald einen Ruf an die Universität Rostock an, und Ziegler, 62jährig, wollte nicht nach Greifswald zurückkehren. Auch einen später
erhaltenen Ruf an die Universität Leipzig lehnte Ziegler ab, weil er die freizügige Reiseerlaubnis für sich und seine Familie garantiert haben wollte. Er hoffte zuerst, an der Universität Göttingen wenigstens eine Honorarprofessur zu erreichen. Diese wurde auch vom Dekan Hermann Nohl mit Einverständnis der philosophischen Fakultät im April 1946 beantragt. Der Lehrbedarf war wegen der angestiegenen Studentenzahl und Deichgräbers Entlassung gegeben. Allein die erst im Juni 1946 nachgereichten Gutachten von Latte und Kahrstedt beschreiben in äußerst zurückhaltendem Tonfall unter Einfügung einer Reihe einschränkender Bemerkungen einen Teil von Zieglers Veröffentlichungen, ohne etwas direkt Positives über seine wissenschaftlichen Leistungen zu sagen. Der Oberpräsident der Provinz Hannover, Abteilung Wissenschaft, gewährte Ziegler daraufhin die Erlaubnis, bis auf Widerruf
sein Fach in Vorlesungen und Übungen an der Universität Göttingen zu vertreten. Die Erteilung einer Honorarprofessur hingegen lehnte er aufgrund der „im wesentlichen negativen“ Gutachten am 14. Juli 1946 ab.?%2 Sowohl Lattes als auch Kahrstedts Zurückhaltung in der Beurteilung Zieglers geben einige Rätsel auf. Kahrstedt teilte Ziegler mit, daß er sich bereits im Herbst 1945 für eine Honorarprofessur eingesetzt habe, sogar gegen das anfängliche Widerstreben Deichgräbers. Auch Latte hatte Ziegler anfänglich im Glauben gelassen, daß er ihn als Kollegen durchaus fördern werde. Von
Ziegler im Frühjahr 1947, zur Zeit der Berufung für die frei gewordene Stelle Deichgräbers auf seine Chance, sich zu bewerben, direkt angesprochen, gab er Ziegler deutlich zu verstehen, daß er lieber mit einem fachlich guten Nationalsozialisten zusammenarbeite als mit ihm.*95 So kam es, daß der als
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ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
„roter Ziegler“ verschrieene Wissenschaftler, mittlerweile Herausgeber von „Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft^ und SPDMitglied, erst auf ausdrückliches Drängen des niedersáchsischen Kultusministers 1950 die Honorarprofessur erhielt. Damit war aber kein Sitz und keine Stimme in der engeren Fakultät verbunden. Diese erhielt er im Frühjahr 1958, ein halbes Jahr nach Lattes Emeritierung und Weggang aus Góttingen.*9* Zieglers Geschichte zeigt, wie schwer es war, an der Göttinger Universität einen Lehrstuhl zu erhalten, insbesondere wenn man Mitglied der SPD war und keine alten Rechte geltend machen konnte. Schon vor 1955 hatte er nur sehr geringe Chancen gehabt, von Greifswald an eine andere Universitüt berufen zu werden. Nach 1945 und zwólf Jahren Amtsenthebung wiederholte Sich also in gewisser Weise die alte Zurückhaltung. Einen Ruf an die Universitát Erlangen lehnte Ziegler allerdings ab, weil in den ersten Nachkriegsjahren die rechtlichen Verhältnisse noch so ungeklärt waren, daßer keine sichere Zusage darüber erhalten konnte, ob seine in PreuDen verbrachten Dienstjahre von Bayern anerkannt würden. Seine wissenschaftliche Qualifikation steht aufer Frage, zumal diejenige von ehemaligen Nationalsozialisten und konservativen Wissenschaftlern nach 1945 nicht in gleicher Weise in Zweifel gezogen wurde. Latte fand sich offenbar eher mit Pohlenz in der Auffassung altertumswissenschaftlicher Forschung einig als mit Ziegler.*95 Für seine wissenschaftliche Tätigkeit wurde Ziegler hingegen im Ausland geehrt: 1964 verlieh ihm die Aristoteles-Universität Thessaloniki den Ehrendoktor. 1969 ernannte ihn die Londoner „Society for the Promotion of Hellenic Studies“
zum Ehrenmitglied. In denselben Jahren wurde er in Deutschland für sein politisches Engagement geehrt: 1964 verlieh ihm das Land Niedersachsen das Große Verdienstkreuz. 1969 ernannte ihn die Stadt Göttingen für seine Verdienste im Góttinger Stadtrat, dem er seit 1948 sechzehn Jahre lang als Mitglied der SPD-Fraktion angehórte, zum Ehrenbürger der Stadt, die nach 1945 u. a. bereits Max Born, James Franck, Richard Courant, Hermann Nohl
und Otto Hahn auf diese Weise geehrt hatte. Das Bundesverdienstkreuz allerdings lehnte Ziegler ab, weil vor ihm Adenauers Staatssekretär Hans Globke, der Kommentator der deutschen Rassengesetzgebung, dieses erhalten hatte.
Der am 12. Januar 1884 in Breslau als drittes von sieben Kindern eines Kaufmanns geborene Konrat Fürchtegott Ziegler hatte schon früh Verantwortung übernommen, als seine Mutter plótzlich gestorben war. Er promovierte als Schüler von Franz Skutsch in Breslau und habilitierte sich 1907 dort, nach einem Studienjahr in Berlin bei Norden, Wilamowitz und Diels.*99 1910 wurde
er zum a. o. Professor am Breslauer Institut für Altertumskunde ernannt. Den Ersten Weltkrieg verbrachte er u. a. als Dolmetscher in Bulgarien und wurde schließlich zum Presseattaché der kaiserlichen deutschen Gesandtschaft in Sofia ernannt. Diese Erfahrung weckte sein politisches Interesse. Mit Gründung der Weimarer Republik trat er der DDP bei. 1925 wurde Ziegler als Nachfolger von Johannes Mewaldt an die Universität Greifswald berufen, wo er bis 1955 forschte und lehrte. 1926/27 war er dort Dekan der philoso-
Entnazifizierung und Rebabilitierung: ein Ausblick
267
phischen Fakultät, 1928 wurde er zum Rektor der Universität gewählt. Rechtsgerichtete
Studenten
griffen
Ziegler
wiederholt
öffentlich
an.
Während
Pohlenz, Kahrstedt und andere uneingeschränkt von den zwanziger Jahren bis in die fünfziger Jahre forschen und lehren konnten, war Ziegler wegen seiner politischen und menschlichen Einstellungen und Taten darin viele Jahre seines Lebens beschränkt und mit Berufs- sowie Veröffentlichungsverbot belegt worden. Seine nach 1945 begonnene Herausgebertätigkeit für die Realenzyklopädie war so erfolgreich, daß er das im vorigen Jahrhundert begonnene Unternehmen (1884) mit mehr als 70 Bänden zu Ende führen, ja sogar mit anderen zusammen eine handliche kleine Ausgabe in fünf Bänden
erstellen
konnte:
„Der
kleine
Pauly
- Lexikon
der
Antike“
(1964-1975). Als Herausgeber und Mitautor der Realenzyklopädie hat Ziegler in den ersten Nachkriegsjahren ähnlich verbindend gewirkt wie Latte, indem er es verstand, international angesehene Altertumsforscher für die Mitarbeit zu gewinnen. Die Vielseitigkeit, Weltoffenheit und Arbeitsenergie
erhielt
er sich
bis
zu
seinem
Tod
am
8. Januar
1974,
kurz
vor
dem
90. Geburtstag.
3.6.3 Hermann Fränkel wird nicht zurückgeholt Wie schon erwähnt, wurde bereits in der ersten Nachkriegssitzung der philosophischen Fakultät eine Liste möglicher Rückberufungen auf Lehrstühle zusammengestellt, auf der man neben Latte auch Hermann Fränkel nannte,
allerdings ohne Vornamen und in der Schreibweise seines Schwagers Eduard Fraenkel, mit dem man ihn offenbar verwechselte. Denn Nohl schrieb ein Dreivierteljahr später an den Rektor, daß Professor Hermann Fränkel der
Inhaber eines Lehrstuhls für Latinistik an der Universität Oxford sei und für eine Rückberufung nicht mehr in Frage komme. Diese Verwechslung scheint mir um so verwunderlicher, als Nohl doch seit 1920 Ordinarius für Pädagogik
und Philosophie an der Universität Göttingen war, Fränkels Habilitation mitbegutachtet hatte und 1922 bis 1935 sein Kollege gewesen war. In derselben Akte findet sich zudem eine Notiz darüber, daß Hermann Fränkel in den USA lehre und es fraglich erscheine, ob er „unter gleichbleibenden Umstän-
den“ zurückkehren wolle. Mit gleichbleibenden Umständen ist wohl die Rückkehr auf seine ehemalige Assistentenstelle gemeint. Offenbar glaubte man
nicht, ihm eine Professur anbieten zu können.
Die Notiz datiert vom
19. März 1946 und Nohls Brief vom 15. Mai 1946 ist also knapp zwei Monate später geschrieben.*97 Auch Eduard Fraenkel müßte Nohl aus den Fakultätssitzungen bekannt gewesen sein. Nohls Lapsus hat wohl nicht von ungefähr die beiden Philologen zu einer Person verschmelzen lassen, und zwar in einer
Weise, die die Rückberufung überflüssig machte. Denn den renommiertesten Oxforder Lehrstuhl gegen einen in Góttingen eintauschen zu wollen, war in der Tat nicht sehr wahrscheinlich. Nohls Irrtum wurde
kurz darauf, im Juli 1946, in einer Fakultätssitzung
268
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
offenbar. Dort wurde laut Protokoll von einem Brief Fränkels berichtet, indem er schrieb, er werde eine Berufung nach Deutschland in keiner Weise ablehnen. Es handele sich um ein Mißverständnis, und er hoffe auf Nachrichten. Daraufhin einigte man sich in der Sitzung, Fränkel mitzuteilen, daß eine
Aufforderung von der Fakultät an ihn ergangen sei, die britische Militärregierung aber eine Berufung Fränkels ablehne, weil er nunmehr amerikanischer Staatsbürger sei.*99 Inwiefern diese Begründung Realitätsgehalt hat, ist aus dem von mir eingesehenen Aktenmaterial nicht zu erschließen. Es erscheint mir jedoch unwahrscheinlich, daß die britische Militärregierung, wenn die Fakultät ausdrücklich eine Rückberufung gewünscht hätte, Einwände gehabt hätte. Vier Jahre nach dieser Fakultätssitzung kehrte Fränkel zum ersten Mal nach Deutschland zurück: Die Universität Kiel hatte ihn für das Sommersemester 1950 zu einer Gastprofessur eingeladen, nicht die Universität Göttingen. Diese nahm ihn zwei Jahre später als korrespondierendes Mitglied in die Göttinger Akademie der Wissenschaften auf. Dabei sollte es bleiben. Frünkels 70. Geburtstag wurde 1958 an der Universität Freiburg i. Br. gefeiert, wo er bereits seit drei Jahren als Gastprofessor lehrte und bis 1960 dazu eingeladen wurde.499 Während seines Kieler Aufenthaltes fragte Fränkel, zu Besuch in Göttingen, bei der Universität an, wo er fast eineinhalb Jahrzehnte gelehrt hatte, ob er, wenn er sich entschließe, nach Deutschland zurückzukehren, mit einem
Unterhaltszuschuß rechnen könne, zumal er bald (1955) an der Stanford University mit einer sehr geringen Lebensrente emeritiert werde. Offenbar prüfte Frünkel, der seine Rückkehrwünsche schon im Sommer 1946 geäußert
hatte, nun vor Ort die realen Lebensmöglichkeiten in Deutschland. Die Universität Göttingen ließ auch diese Chance verstreichen, nun ohne britische Militärregierung, einen Gelehrten vom Range Fränkels zurückzuholen bzw. einzuladen, was nach seiner Pensionierung in Stanford sicherlich leicht möglich gewesen wäre. Ende 1950 erkundigte sich Fränkel von Stanford aus beim Kurator nach dem Stand der Dinge. Man vertröstete ihn. Erst im November 1951, ein Jahr später, teilt das Niedersächsische Kultusministerium dem Kurator der Universität mit, daB Fränkel nach $ 4 des Bundes-Wieder-
gutmachungsgesetzes vom Niedersachsen
11. Mai 1951
keine Ansprüche
erheben
(BGBl. I, S. 291) gegen das Land kónne, weil er seinen stándigen
Wohnsitz im Ausland habe und überdies nichtbeamteter a. o. Professor gewesen sei. Nur übergangsweise kónne er, wenn er zurückkehren würde, nach Erreichen der Altersgrenze einen Unterhaltsbeitrag in der Hóhe der Versorgungsbezüge erhalten, die einem Oberassistenten zustünden. Zuvor müsse dann allerdings die Frage der Wiederverwendung Frünkels geprüft werden, forderte das Finanzministerium und fügte einschrünkend hinzu, daß Frünkel ja schon 1954 mit ErlaD des nationalsozialistischen Kultusministeriums eine
ordentliche Professur an der Universität Göttingen verschlossen worden sei. Schon damais hätte er eine planmäßige Verwendung außerhalb des Landes Niedersachsen finden müssen und sie wohl auch erhalten. Deshalb kónne er
Entnazifixierung und Rehabilitierung: ein Ausblick
269
keinen Anspruch auf Wiedergutmachung gegen das heutige Land Niedersachsen stellen.?% Das Wörtchen „gegen“ ist bezeichnend für die Lage Fränkels gegenüber der deutschen Behörde, die sich für nicht zuständig bzw. verantwortlich hielt
und sich zudem auf eine Entscheidung des nationalsozialistischen Regimes berief. Die Folge dieses Bescheids war, daß Fränkel nun mühselig Zeugen aufbot, die dem
Niedersächsischen
Kultusministerium
nachwiesen,
daß er
spätestens nach dem 31. Januar 1955 weder an der Göttinger noch an einer anderen deutschen Universität eine Professur hätte erhalten können. Andererseits mußte er nachweisen, daß eine Reihe von Universitäten ihn als Ordinarius gewünscht hatten, er also tatsächlich von dem nationalsozialistischen Kultusministerium seiner Möglichkeiten und seines Besitzstandes beraubt worden war. Die Zeugenaussagen von Pohlenz, Latte, Snell, Rudolf
Helm und anderen belegen, daß Fränkel auf Berufungslisten an den Universitäten Marburg, Hamburg, Rostock und Gießen seit 1950 genannt und gewünscht wurde, eine Professur aber nicht erhalten konnte. Das Verfahren zog sich sieben Jahre hin, nicht ohne daß immer wieder mit Fränkel bekannte Kollegen beim Kurator nachfragten und eine Entscheidung bzw. Antwort an
Fränkel anmahnten, wie etwa der Theologe Wolfgang Trillhaas im Jahr 1954.501 Aber auch das half wenig. Ein Blick in die Wiedergutmachungsgesetzgebung macht deutlich, warum sich das Verfahren in die Länge zog.
Am 18. März 1952 (BGBl. I, S. 157, 8 6) wurde zwar die Wiedergutmachung auf im Ausland lebende „Geschädigte“ ausgedehnt. Aber in Fränkels Fall beschränkten sich die Behörden auf die Rechtslage, die, wie sich zeigt, lückenhaft war und auf ihn keine Anwendung fand, weil Fränkel zum Zeit-
punkt der Nichtverlängerung seines Assistentenvertrages kein Beamter war. Somit trafen die großzügigeren Wiedergutmachungsregelungen für Beamte auf ihn nicht zu. Zwar gibt es im Bundes-Wiedergutmachungsgesetz
einen
Paragraphen ($ 21, BGBl. I, 1951, S. 294), der besagt, Angestellte seien unter bestimmten Umstünden wie Beamte zu behandeln. Diesen wandte man offenbar nicht an, weil man sich in Frünkels Fall darauf zurückziehen konnte,
daß ihm 1954 lediglich eine Verlängerung seiner Oberassistentenstelle verwehrt worden sei. Das setzt freilich den einigermaßen absurden Gedanken voraus, daß seine Entlassung, am 29. Oktober 1934 ausgesprochen und mit dem
ausdrücklichen
Hinweis
versehen,
als
Nichtarier
küme
er für
eine
ordentliche Professur nicht in Frage, keine Zurücksetzung in seiner Laufbahn bedeutet habe. Es gab eine Reihe ühnlicher Fülle, die von der Wiedergutmachung ausgeschlossen wurden. Ende des Jahres 1955 wurde das Gesetz abgeändert. So wurde Fränkel schließlich im Jahr 1956 zugebilligt, daß ihm Wiedergutmachung als Ordinarius doch zustehe, und zwar durch die Gleichstellung der von den Nationalsozialisten vertriebenen Privatdozenten und nichtbeamteten a. o. Professoren mit den „geschädigten“ Beamten. Die Wiedergutmachung wurde ihm am 28. Juni 1956 zugesagt und schließlich im Februar 1957 erteilt. Rückwirkend ab dem 1. April 1950 sollte Fránkel Versor-
270
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
gungsbezüge eines Emeritus mit dem zugrunde gelegten Besoldungsdienstalter eines ordentlichen Professors ab dem 1. Oktober 1933 erhalten.3%2 Als Fränkel diesen Bescheid erhielt, war er 69 Jahre alt, seit vier Jahren von Stanford mit einer kleinen Pension emeritiert und lehrte als Gast an jener Universität, die 1955 seinen Schwager Eduard Fraenkel entlassen hatte, wie
schon erwähnt in Freiburg i. Br. Die Geschichte Fränkels zeigt, wie langsam die Wiedergutmachungsregelungen vom Bundestag ergänzt wurden. Erste diesbezügliche Gesetze wurden bemerkenswerterweise gleichzeitig mit dem Gesetz über den Abschluß der Entnazifizierung in Angriff genommen.5® Das hatte zur Folge, daß die Konkurrenz von entnazifizierten Hochschullehrern, die wieder an die Universitäten zurückkehren
wollten,
mit solchen,
die von
den
Nationalsozialisten
vertrieben worden waren, in der Regel für erstere entschieden wurde. Denn diese setzten vor Ort, überdies von einer Interessenlobby gestützt?0*, ihre Ansprüche durch, wie noch am Beispiel Deichgrübers gezeigt werden wird. Die Wiedergutmachung selbst erfolgte nicht in Form einer Rückholung an die Universität, sondern beinhaltete in der Regel das Ruhegehalt eines ordentlichen Professors bzw. die Nachzahlung der durch die Vertreibung entgangenen Bezüge. Kurt Latte beantragte Wiedergutmachung Ende 1954.5% Konrat Ziegler, dem eine ordentliche Professur an der Universität Göttingen verschlossen blieb, kämpfte auf dem Wege der Wiedergutmachung viele Jahre um die volle Höhe der Bezüge eines Emeritus. Er stellte den ersten Antrag 1951 und erhielt die volle Rechtsstellung eines Emeritus erst im Jahr 1966, drei Jahre vor seinem 85. Geburtstag.5% War es schon schwierig für diejenigen Hochschullehrer, die wie Latte vor Ort ihre Ansprüche auf Wiedereinsetzung
in ihre Rechte
anmeldeten,
so kann
man
sich leicht vorstellen, daß
jemand wie Hermann Fränkel von Stanford aus so gut wie keine Chance einer Rückkehr auf Dauer hatte. In seinem Fall kommt erschwerend hinzu, daß sich
unter seinen ehemaligen Kollegen, offenbar nicht einmal die selbst von der Vertreibung durch die Nationalsozialisten betroffenen, wie etwa Hermann Nohl, der zwei Jahre nach Fränkel seine Stelle verlor, für ihn einsetzten. Die
von den Nationalsozialisten erreichte Fragmentierung wurde nach 1945 wenn überhaupt nur mühsam und langsam rückgüngig gemacht. Den alten Verlet-
zungen der Emigranten wurden neue hinzugefügt, etwa indem Frünkel sich gezwungen sah, seine offensichtliche Vertreibung durch die Nationalsozialisten als solche beweisen zu müssen.
3.6.4 Karl Deichgräber: Amtsenthebung auf Zeit Ganz anders als Frünkel konnte Deichgrüber sich beim Kultusministerium durchsetzen. Am 25. Januar 1946 wurde der ehemalige Dekan der philosophischen Fakultät, Karl Deichgräber, von der britischen Militärregierung zusammen mit 127 anderen Hochschullehrer amtsenthoben.9? Offenbar war er mit seinem Einspruch nicht erfolgreich, denn er blieb amtsenthoben
Entnazifizierung und Rehabilitierung: ein Ausblick
271
bis zum Abschluß der Entnazifizierung. seiner
Kollegen
den
Status
eines
1952 erreichte er wie die meisten
„Beamten
zur Wiederverwendung“
und
erhielt einen Lehrauftrag für „Geschichte der antiken Wissenschaften“.5% Als Wartestandsbeamter hatte er bei Berufungen, falls er sich bewarb, Vorrang
vor anderen Kandidaten. Er hatte aber auch die Móglichkeit, sich unabhüngig vorn Alter emeritieren zu lassen, allerdings mit einem geringeren Ruhegehalt. Der Senat der Universität beantragte - auf Vorschlag des Kultusministeriums - seine Emeritierung im Jahr 1956. Damit würe Deichgrüber ,wiederverwen-
det“ worden, allerdings als Emeritus und mit niedrigeren Bezügen. Dagegen legte er Einspruch ein. Nach dem Wintersemester 1956/57 wurde Lattes Lehrstuhl durch dessen freiwillige Emeritierung frei. Daraufhin beantragte Deichgrüber unter Androhung, den Klageweg zu beschreiten, seine Wiederverwendung auf dem durch Lattes Weggang frei gewordenen Lehrstuhl. Das Niedersüchsische Kultusministerium ging nun den Weg des geringsten Widerstands und gab Deichgräbers Begehren nach.50® So kam es, daß Deichgräber 1957 Lattes Nachfolger wurde und wieder einen Lehrstuhl für Grüzistik erhielt. Als Latinisten berief man 1958 dann Will Richter (1909-1984).510 Nun hatte das Institut zwei Gräzisten und einen Latinisten sowie mehrere Assistenten.
3.6.5
Ulrich Kahrstedt und Maz Pohlenz lehren weiter
Zugleich mit Deichgrüber erhielt auch Ulrich Kahrstedt am 25. Januar 1946 seinen Entlassungsbescheid, weil er politisch unerwünscht sei: ,Es wird Sie interessieren und vielleicht überraschen, dass ich auf Anordnung der Militürregierung des Amtes fristlos und ohne Pension entsetzt worden bin. Im Ganzen sind es hier 127, Professoren, Dozenten, Assistenten und Beamte der
Universitát an einem Tage. Ich reiche natürlich Einspruch ein, ohne mir allzu viel zu versprechen, wenn ich auch mit vielen englischen Zeugen anders dastehen
mag
ais die meisten“,
schrieb
Kahrstedt am
29. Januar
1946 an
Konrat Ziegler. In diesem Brief bittet er Ziegler, sich für ihn einzusetzen, und fragt, ob Ziegler eine Stelle für ihn wisse.5!! Kahrstedt schrieb nicht nur an Ziegler, sondern an mehrere ihm bekannte Personen, von denen er Hilfe erhoffen konnte. Aus einem Brief an den
ehemaligen Englisch-Lektor der Universität Göttingen, Pallister Barkas, geht hervor,
daß
zu
den
127
Entlassenen
auch
Neumann,
Plischke
und
Kees
gehórten.512 Diese konnten sich wie Kahrstedt durch Einspruch einer Entlassung entziehen. In demselben Schreiben wird deutlich, daD Kahrstedt bei der britischen Militärregierung als eifriger Nationalsozialist angezeigt worden war. Dazu vermerkt Kahrstedt in einem Brief an einen anderen Freund: ,Vom Rektor bis zu meinem Bäcker und Tabakhändler fasst sich alles an den Kopf, dass ausgerechnet ich ein Nazi sein soll. Viele Fälle sind rätselhaft, noch kurioser
die Verschonten.
In unserer
Fakultät
ist der Leiter des SS-„For-
schungs“-Instituts Ahnenerbe, das die Rasseforschung machte, also Himmlers
272
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Vertrauensmann, ungeschoren, ebenso unser Anglist, der vor den Parteibon-
zen die Festreden gehalten hat, der vom Dienst in der Hülfspolizei befreit war, weil er nachweislich das halbe Jahr auf Vortragsreisen vor Truppe und Wehrmacht, im Lande und in den besetzten Gebieten, tätig war. Aber er geht
bei den Engländern ein und aus, macht die Fakultätspolitik allein und gilt als ein Opfer des Nazismus.“513 Der deutsche Entnazifizierungs-Unterausschuß für den Lehrkörper der Universität Göttingen unter der Leitung des neu nach Göttingen berufenen Juristen Ludwig Raiser hatte Kahrstedt in Gruppe 2 eingeordnet, so daß er in diesem Fall zu seinem Vorteil - direkt mit der britischen Militärregierung verhandeln mußte. Da Kahrstedt nie Parteimitglied geworden ist, hatte er es leicht, dies nachzuweisen. Schwieriger war es schon, seine Rede zur Reichs-
gründungsfeier von 1954 zu erklären. Auf diese geht Kahrstedt in dem Schreiben, das er seinem Einspruch anfügte, ein: ,Ich leugne nicht, dass ich einige Jahre lang den Glauben an Hitlers Absichten geteilt habe, eine Ansicht, die Neville Chamberlain prücise formuliert hat, der nach dem Treffen von Godesberg von ihm im Parlament sagte: Ich glaube, er meint was er sagt. Ich üusserte diese Ansicht in anderer Form als er, da ich ein Privatmann und kein Premierminister bin. Andererseits brauchte ich vier Jahre weniger, um umzulernen. Mein letztes Bekenntnis eines Glaubens an Hitler datiert von 1954,
die zitierte Rede Mr. Chamberlains von 1958.
... Ich wandelte meine Sym-
pathien zu einem steigenden Widerwillen, lehnte den Eintritt in die Partei ab
und besuchte niemals eine politische Versammlung der Partei. Ein Mitglied der SA wurde ich durch die Uebernahme des, der British Legion entsprechenden, Stahlhelms in die SA, fand aber schon 1956 einen Vorwand zum Austritt.
Solch eine Bekehrung ist in revolutionüren Zeiten einfach normal. Nicht die schlechtesten Engländer glaubten an Cromwell und die Puritaner, um nach
einigen Jahren puritanischer Herrschaft die Rückkehr der Stuarts zu begrüssen. Nicht die schlechtesten Franzosen begrüssten die Schlagworte von 1789, um, von dem Terror abgestossen, sich erst Napoleon und dann den Bourbonen zuzuwenden. Deutschland geht jetzt durch die Entwicklungsstufen wie England im 17. und Frankreich im 18. Jahrhundert. Auch ein Historiker ist nicht verpflichtet, 1955 zu wissen, wie der Nationalsozialismus 1958 aussehen wird. Ich
hóre,
dass
eine
Rede,
die ich im
Januar
1954
hielt, meine
Entlassung
rechtfertigen soll. Ich kritisierte in ihr Schritte der Verbrüderung gegenüber bestimmten Auslündern in einer Zeit nationalen Unglücks und der Verfolgung deutscher Minderheiten. Die Rede galt damals aber durchaus nicht als recht-
gláubiger Nationalsozialismus. . . . Aber im Senat unserer Universität traf ich auf scharfe Kritik wegen dieses ‚Angriffs auf die nat.-soz. Regierung‘ .. .“ Kahrstedt erwähnt sodann den Verweis des ,Unterrichtsministers*, der ihm im Namen der Minister des Inneren und Äusseren, d. h. im Namen von Frick und v. Neurath, erteilt wurde. Schließlich weist Kahrstedt darauf hin, daß er
zweimal von der GeStaPo verhórt worden sei: einmal, weil ein Brief von ihm an einen englischen Freund abgefangen wurde; das andere Mal, weil er einem befreundeten Kollegen, dem Anglisten Hans Hecht, kurz vor Kriegsbeginn
Entnazifizierung und Rehabilitierung: ein Ausblick
275
dazu geraten hatte auszuwandern. Als Beweis seiner regimekritischen Haltung führt er an, daß er seit 1955 Tagebücher verfaßt habe, die eif Bünde umfassen und die er wegen ihres Inhaltes außer Haus brachte, um nicht einer
weiteren Denunziation zum Opfer zu fallen. Als Zeugen führt er neben dem aus Góttingen nach England geflohenen Philosophen Georg Misch und dem bis Kriegsbeginn in Góttingen lehrenden Englisch-Lektor Pallister Barkas eine Reihe englischer Kollegen an. Mit diesen habe er über Politik gesprochen, und sie könnten deshalb auch bestätigen, daß er kein Nationalsozialist gewesen sei. Zum Abschluß erwähnt Kahrstedt, daß er von seinen Kollegen nicht nur gemieden, sondern ab 1940 auch bewußt von Institutsinterna und dem
gesellschaftlichen Leben der Universität ferngehalten worden sei.51* Max Pohlenz bezeugte in einem eigenen Brief Kahrstedts Aussagen, insbesondere den Wandel seiner Sicht des nationalsozialistischen Regimes: Auch wenn er 1933 für die „Morning Post“ einen Artikel geschrieben habe, in dem er das „Anwachsen des Antisemitismus in Deutschland völlig sachlich mit der
Überflutung durch die östliche Zuwanderung erklärte. Die späteren Massnahmen des Dritten Reiches gegen die Juden, namentlich die Einäscherung der Synagogen und die Plünderung im November 1938, hat er auf das schärfste verurteilt.*515 Kahrstedt benötigte Pohlenz’ Brief offenbar gar nicht, denn „unser neuer University Control Officer, Birg (sic!), Ihr früherer Hülfslektor in Göttingen, hatte sich nach 5 Minuten Gespräch mit mir und nach dem Lesen meines appeals richtig orientiert und mich schon wieder eingesetzt“, verständigte Kahrstedt in einem Dankbrief Pallister Barkas, dessen briefliche Zeugenaus-
sage damit ebenfalls überflüssig geworden war.516 Auch der Brief, den Barkas geschrieben hatte, bestätigte Kahrstedts Einstellungswandel: “Professor Doktor Ulrich Kahrstedt, of Göttingen University, was well known to me, as a colleague in the philosophical faculty, from
1924 to 1959,
when I acted as English Lektor. During the first and longer part of this time, I met him constantly at the house of the late Professor Hecht, director of the
English Seminar, until the Latter, on account of his Jewish origin, was obliged to leave Göttingen. When I first knew him, my impression is that his political views were those of any other nationalistically-inclined German scholar ... In 1955-4 he accepted the Nazi revolution and hoped for some good from it. But later he became increasingly and bitterly opposed to the Hitler regime. By 1958, from being those of friendly colleagues, our relations became very intimate, . .. Professor Kahrstedt and Frau Kahrstedt were now utterly disillusioned, and he frequently expressed his fears both for Germany and for Christian civilisation as a whole and saw no hope for either except in the destruction of the Hitler system. He was nervous of the possibility of a Gestapo raid on his house, and for this reason kept some of his MSS in my desk. When I last visited him,
he
knew
that war was
likely and
showed
nothing
but
abhorrence for the policy that was leading to it, and for such internal manifeStations, the anti-jewish legislation and the pogrom and the oppression of the churches, as derived form the same spirit. ... What verbal or other conces-
274
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Der Kurator
der Universitat
Teb,Hx,
An
Göttin,en,
den 25. Januar
Berm
Professor
Dr.
Kahratedt, .
Gegen lmpfansanohein |
daß
Aktenzeichen
unerwünscht
ist angeordnet,
Göttingen
nicht
beschäftigt
Ihre Entlassung fall
daß
aus
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- — kimashssiben-i.
....
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Sie
52 9
ὁ
-
19. Jamar 1946
..o03299-
Sie politisch
Wirkung
hier, 9.»
Die Militär-Regierung hat cr uhter
1946,
24
mitgeteilt,
sofortiger Mit
an der Universität
werden
dürfen.
dem Dienst
erfolgt
unter
Fort-
der Bezüge. Gegen
Frist
von
diesen
10 Tagen
Der Einspruch
zu richten an Göttingen sität
Bescheid
können
Einspruch
innerhalb
einer
sinlegen.
darf. num schriftlich erfolgen,
126/1oo2 Det.
und bei
Sie
--mi» - dem
er ist
der Wilitär-Regierung Herrn
Rektor
der Univer-
- einzureichen.
Abb. 26: Entlassung Ulrich Kahrstedts durch die britische Militärregierung am 25. 1. 1946
Erben (ns I] T) —
Per Kurator der Universität
Schr, 124
Göttingen,
den 21.
nn
Februar
ZA
1946,
Pie Hilitär-Begierung hat nit Sehreiben vom 14. Pebruar 1946 - Akteaseiohen Bän 3 - Ihre Viedereinsetsung in Ihr früheren Ant genehmigt. Ich habe die Universitätekanse angewiesen, (io Zahlung der Denüge an Sie nit deu 16. Peruar 4d.Js, wieder Sufsunebnen,
PW
s
An Herrm
Professor Dr. Ulrich
kh.
Kahrstedt
32.
ζ Abb. 27: Wiedereinsetzung Ulrich Kahrstedts einen Monat später durch die Britische Militärregierung (21. 2. 1946)
Entnazifizierung und Rehabilitierung: ein Ausblick
275
sions he may have found it necessary to make to the regime during the war, if any, of course I cannot say; but from the intimate knowledge of the years 1958 and 1959, I find it difficult to believe that he had any sympathy with it, or any hope of a final German victory, or any expectation of desirable results from that, if it were achieved."517 Kahrstedts Amtsenthebung und sehr schnelle Wiedereinsetzung zeigt die Grenzen der Entnazifizierung. Das grobe Kriterium der Parteimitgliedschaft war in keiner Weise geeignet, den Beitrag óffentlich nationalistisch agierender Hochschullehrer zur Akzeptanz des Nationalsozialismus gerade in den ersten Jahren nach der Machtübernahme und lange Jahre zuvor zu erfassen. Dies war auch nicht ihr Zweck. So ist mit dem Nachweis von Kahrstedts Einstellungswandel seit 1958/59 seine Wiedereinsetzung nur folgerichtig. Die Wiedereinsetzung ünderte allerdings wenig an Kahrstedts Isolierung. Die Rede von 1954 hatte ihn so nachhaltig bei seinen Kollegen unmóglich gemacht, daß sie Einladungen Kahrstedts zu politischen Vorträgen auch in den folgenden Jahren erfolgreich verhinderten, indem sie die Einladenden über Kahrstedt informierten.5!8 Auch im Falle Kahrstedts erweist sich also, daß der eigentliche Grund der Kritik und Ablehnung nicht seine politische Einstellung, sondern sein Verhalten gegenüber Kollegen war. Die óffentliche Beleidigung und Brüskierung Brandis' 1954 war das Motiv der Ablehnung, so wie bei Drexler der Vorwurf der Denunziation von Kollegen. Das Faktum der Isolierung Kahrstedts innerhalb der Fakultát ab 1955 trug wohl nicht wenig zu seinem
politischen Rückzug
bei und half ihm auch nach
1945, sich zu
entlasten. Als Zeitzeuge wurde Kahrstedt in den Nachkriegsjahren allerdings von seinen Kollegen für vertrauenswürdig gehalten. Aus seinem Nachlaß geht hervor, daß er in zahlreichen Fällen um schriftliche Äußerungen über Kollegen gebeten wurde, denen er die Notizen seiner Tagebücher zugrunde legte. Ein Beispiel wurde weiter oben - im Fall Gerda Krügers - schon gegeben, das Kahrstedts Idiosynkrasie deutlich zeigt. Auch
Max
Pohlenz,
der als längst emeritierter Hochschullehrer
und als
Nichtmitglied der Partei nur den Fragebogen des Military Government ausfüllen mußte, wurde zu einem wichtigen Zeitzeugen, der für Kollegen Gutachten schrieb, wie etwa die bereits erwühnten für Hans Drexler und Kahr-
stedt. Pohlenz nahm an Fakultätssitzungen teil und lehrte bis in die fünfziger Jahre. 1952, zu seinem 80. Geburtstag, wurde ihm eine Festschrift überreicht,
zu der Kahrstedt, Latte und Ziegler zusammen mit Hans Drexler ehemalige Schüler von Pohlenz um Beiträge gebeten hatten. 1955 wurde ihm das Große Verdienstkreuz des Landes Niedersachsen überreicht.519 — Es scheint so, als ob gerade die Fehlentscheidungen der britischen Militürregierung, wie die Betrauung des von Kahrstedt in seinem Brief erwühnten Anglisten Herbert Schóffler mit dem Amt des Dekans der philosophischen Fakultät etc., den Zusammenhalt der von der Entnazifizierung Betroffenen stärkte und die Derealisierung und Bagatellisierung der Vergangenheit erleichterte, wie
Verteidigung
sie uns ansatzweise
des „Morning
in Kahrstedts
Post"-Artikels
Einspruch
Kahrstedts
und
Pohlenz’
entgegenkommt.
Es
276
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
bleibt zu vermuten, daß diese Gruppensolidarität, die über weiter vorhandene interne Zwistigkeiten durchaus hinwegtäuschen mag, ein übriges hinzufügte, um die unter den Nationalsozialisten entlassenen Kollegen leichter vergessen bzw. sie weiter aus dem Kollegium fernhalten zu können. Am Göttinger Institut für Altertumskunde lehrten Kurt Latte, Ulrich Kahrstedt bis zu seiner
von ihm gewünschten vorzeitigen Emeritierung im Jahr 1952, Max Pohlenz, ab 1957 Karl Deichgrüber neben W. H. Friedrich, Will Richter und Konrat Ziegler. Latte verließ Göttingen 1957. Hans Drexler und Hermann Fränkel blieben ausgeschlossen. 1954, nach zweijähriger Vakanz, kam der von Latte favorisierte Alfred Heuß als Kahrstedts Nachfolger auf den Lehrstuhl für Alte Geschichte.
Kein Emigrant wurde
berufen, so daß auch diese Gelegenheit
versäumt wurde. Heuß schließlich erreichte die budgetüre und verwaltungstechnische Trennung der Alten Geschichte und damit die Auflósung des Instituts für Altertumskunde im Jahr 1962.520 So war der vielbeschworene „Neubeginn“ nach 1945 ein sehr eingeschrünkter und halbherziger, der sich eher durch Stillhalten und politische Abstinenz als durch Einsicht und Wandel auszeichnete. Letzteres von der Entnazifizierung zu erwarten würe eine Überforderung dieser. Einsicht und Wandel erfordern viel Zeit. Die Entnazifizierung selbst konnte kein Heilmittel für die Untaten des nationalsozialistischen Regimes sein, an denen fast alle, sei es als
Täter oder als Opfer oder als Zuschauer, teilhatten bzw. betroffen waren.9?t Sie konnte hóchstens einen Spielraum für Neues schaffen, indem sie immerhin einige Professoren wenigstens auf Zeit aus ihrem Amt entfernte und einige wenige zwischen 1955 und 1945 Entlassene, die in der Regel vor Ort ihre Ansprüche geltend machten, auf ihre alten bzw. auf neue Lehrstühle zurückkehren lief. Die Neubesetzung frei gewordener Stellen brach die personelle Kontinuität wenigstens zum Teil auf, auch wenn nach einigen Jahren die Mehrzahl der nach 1945 Entlassenen wieder an die Hochschulen zurückkehrte.
Anmerkungen zu Kapitel 1 Winckelmann (1847) S. 6, $ 6, zitiert nach Pfeiffer (1976) S. 169; zu Winckelmanns Ästhetik und seiner Wirkung vgl. die Analyse von Szondi (1974) bes. S. 15-64. Zur Geschichte der Klassischen Philologie vgl. Pfeiffer (1976). Pfeiffers Geschichte endet allerdings 1850. Für die Geschichte des Faches nach 1850 gibt es noch keine Fortsetzung von Pfeiffers Werk, die ähnlich überna-
οο-
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OQ
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τ
tional und zusammenfassend ist. Außer den im Text zitierten Werken zur Geschichte des Fachs vgl. auch Lioyd-Jones (1982a) und Lloyd-Jones (1982b), Calder III (1966) und H. J. Mette (1980); zum Fach Alte Geschichte vgl. Christ (1982). Pfeiffer (1976) S. 1690 £f.; Pfeiffer verwendet den Begriff „Neohellenismus“ synonym mit ,Neohumanismus“.
Leo (1901) S. 230. A. ἃ. O. S. 215 ff. À. a. O. S. 251. A. a. O. S. 226. Zu Alexander v. Humboldts Göttinger Studienzeit vgl. Botting (1974) S. 14 fT., Hein (1985) S. 20 f. und Scurla (1984) S. 45 ff. Harpprecht (1989) S. 85 ff. Siehe dazu Harpprecht (1989) S. 90 ff. und S. 96 f. (Zitat).
Siehe dazu F. v. Hardenberg, Glaube und Liebe, 1798, und J. Gürres, Europa und die Revolution, 1821; beide Texte in: Eberle/Stammen (1989) S. 287 ff. und S. 591 ff. Johann G. Fichte, Reden an die deutsche Nation (1807-1808), zitiert nach v. Bruch (1985) S. 55.
Siehe dazu Ringer (1987) S. 50 f. Siehe dazu v. Bruch (1985) S. 52 f. und zum Verfall der Berliner Akademie Scurla (1984) S. 16 ff. Veröffentlicht in: v. Harnack (1900) S. 361-367; vgl. dazu auch Wegeler (1995a) insbes. S. 01-64. Ringer (1987) bes. S. 96-107. W. v. Humboldt, Denkschrift . . ., in: v. Harnack (1900) S. 562.
Siehe dazu Jarausch (1984) S. 18 ff. Siehe dazu v. Thadden (1088) S. 46 ff. Siehe dazu Vierhaus (1988) S. 20 ff. mit der folgenden Einschrünkung: Gerade die praktischen Intentionen der Göttinger Universitätsgründer weisen die Universität als ein Kind der Aufklärung aus und unterscheiden sie von dem neohumanistischen Modell der Folgegründungen.
Vgl. dazu auch Hammerstein (1988) S. 29 f., S. 54 ff; zu Heyne und Niebuhr siehe Leo (1901) S. 205. W. v. Humboldt, Denkschrift . . ., in: v. Harnack (1900) S. 561 und S. 565 f.
A. a. O. S. 564. Siehe Ringer (1987) S. 52-40; Zur Geschichte der Schulen im 19. Jh. vgl. O'Boyle (1968) S. 597 f.
und S. 605 ff. Jarausch (1984) S. 21 f.; zu Bildungsbürger als „Stand“ siehe O'Boyle (1968) bes. S. 587, S. 591 fT.;
Gall (1987) S. 611 ff. und S. 619 ff. und Jarausch (1982) S. 81 ff. Ringer (1987) Kapitel 5, 6 und 7. Siehe auch die Rezensionen von Habermas (1971) und v. Brocke
(1985c). Ringer (1987) S. 78 ff., bes. S. 90 ff.
v. Thadden (1988) bes. S. 49 ff., S. 52 ff., S. 62 ff., bes. S. 65. Jarausch (1984) und Jarausch (1982).
Siehe dazu Ringer (1987) S. 117 ff. und Jarausch (1982) S. 599 ff., bes. S. 404 f. Nietzsche (1981) S. 9. Das ,Erste Stück", aus dem ich zitiere, ist 1875 erschienen, also zwei Jahre nach dem Deutsch-Franzósischen Krieg und der Gründung des Deutschen Kaiserreichs. Siehe dazu v. Brocke (1985a).
Boeckh (1877) S. 50 f. Krüger (1960) S. 21 ff. Boeckh (1877). Die Vorlesung wurde zehn Jahre nach seinem Tod von einem Schüler herausgegeben. Boeckh hatte sie ca. 26mal gehalten. Zu Boeckhs Leben und Wirken siehe Schneider
(1985) bes. S. 58 f. und S. 47 f. Hentschke/Muhlack (1972) S. 88-06. Boeckh (1877) S. 10. Hentschke/Muhlack (1972) S. 91 fT.
278
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
36 Vgl. dazu die Skizzen des eigens zu diesem Zweck von C. O. Müller auf seine Reise mitgenommenen Zeichners Georg Friedrich Neise, aber auch die von Müller selbst angefertigten Zeichnungen. In: Dóhl (1989) S. 68-77; S. 56-66 kommentieren die Zeichnungen. 37 Siehe dazu Schneider (1985) S. 57 tf. 58 Vgl. Dóhl (1989) S. 52 f. und zu C. O. Müller siehe Nickau (1989). 39 Eduard Müller, Hg. (1847) Bd. 1, S. 21, zitiert nach Nickau (1989) S. 55. 40 Siehe dazu Nickau (1989) S. 42 f. 41 Siehe dazu Schneider (1985) S. 49. 42 Hermann (1829) S. 5, zitiert nach Schneider (1985) S. 49, vgl. auch S. 52 f. 45 Hermann (1826) S. 4; zu dem Streit zwischen Hermann und Boeckh siehe Vogt (1979) bes.
S. 115 ff. Boeckh (1877) S. 54. Vgl. Vogt (1979) S. 117. Leo (1901) S. 255. Siehe dazu Pfeiffer (1976) S. 178 ff. und Leo (1901) S. 252 f. Friedrich Ritschl zitiert nach Landfester (1979) S. 158: F. Ritschl, Über die neueste Entwicklung der Philologie. In: Ders., Opuscula Philologica, Bd. 5, Leipzig 1879, S. 5 ff. Siehe dazu Werner Jaeger, Die Entwicklung des Studiums der griechischen Philosophie seit
dem Erwachen des historischen Bewußtseins. In: Jaeger (1960) S. 595—419. Siehe dazu Landfester (1979) S. 158 f. Zu Mommsen vgl. Hartmann (1908), Heuß (1956), Wickert (1959-1980) und Christ (1982). Zitiert nach Christ (1982) S. 58; Original in: Wickert (1959-1980) Bd. 5, 1969, S. 629. Vgl. dazu Reinhardt (1960) S. 554—560: ,Die Klassische Philologie und das Klassische", bes. S. 337 ff. und S. 542 f.; vgl. auch Landfester (1979) S. 162.
Boeckh (1872) Bd. 5, S. 248, zitiert nach Vogt (1979) S. 120 f. Die von Wilamowitz am 9. 9. 1867 verfaßte Autobiographie „Mein Leben“ hat William M. Calder IIl herausgegeben: Wilamowitz (1974) S. 1-27, Zitat: S. 1; Wilamowitz selbst veröffentlichte 1928 seine „Erinnerungen 1848-1914“: Wilamowitz (1928). Zu weiteren autobiographischen
Zeugnissen siehe Calder III (1984) S. 147-154; dieser Band enthält auch die „Chronik der Familie des Freiherrn von Wilamowitz-Moellendorff“ (1726-1941) S. 240-265; zu Wilamowitz' Werkverzeichnis vgl. die Bibliographie, Gaertringen/Klaffenbach (Hg.) (1929).
Vgl. dazu Wilamowitz (1928) S. 60-83; Jaeger (1952) S. 211 und Calder III (1980) S. 220. Wilamowitz (1974) S. 24 und Calder III (1984) S. 154. Zur Bonner Studienzeit vgl. Wilamowitz (1928) S. 84-96, bes. S. 87 f.
Calder III (1984) S. 189 und Wilamowitz (1928) S. 128 f. Richard Wagner an Friedrich Nietzsche, 25. Juni 1872 in: Gründer (1969) S. 57-64. Darin sind auch die Rezension von Wilamowitz (= Zukunftsphilologie! Eine Erwiderung auf Friedrich Nietzsches „Geburt der Tragödie“, S. 27-55), Rohdes Antwort (= Afterphilologie, S. 65-111) und Wilamowitz' Erwiderung (- Zukunftsphilologie! Zweites Stück, S. 112-155) auf Rohde enthalten.
Vgl. dazu Górgemanns (1985) S. 152 fT., bes. S. 155 und S. 156 mit Anm. 54: Im Sommer 1868 übersetzte Wilamowitz das Drama, um es seiner Tante, Emma von Schwanenfeld, vorzulesen. Die Abschiedsarbeit von Schulpforte in: Wilamowitz (1974).
61
Nietzsche (1987). Wilamowitz, Zukunftsphilologie! in: Gründer (1969) S. 55, spielt auf Nietzsche (1987) S. 155 an: „Die Zeit des sokratischen Menschen ist vorüber: kränzt euch mit Efeu, nehmt den Thyrsusstab zur Hand und wundert euch nicht, wenn Tiger und Panther sich schmeicheind zu euren Knien niederlegen. Jetzt wagt es nur, tragische Menschen zu sein: denn ihr sollt erlöst
werden.“ Nietzsche, Versuch einer Selbstkritik (= Vorwort der 2. Aufl. der Geburt der Tragödie von 1886) in: Nietzsche (1987) S. 12 f.
388
Nietzsche, Also sprach Zarathustra (1885) II, 580, zitiert nach Calder III (1984): „The Wilamo-
witz—Nietzsche Struggle. New Documents and a Repraisal*. S. 185-295, Zitat: S. 290. A. ἃ. O. S. 209. Nietzsche (1987) S. 166 ff. S. und 175 f.; Zitat: S. 175. Vgl. dazu Ringer (1987) S. 229 IT., bes. S. 252 ff. und S. 500 ff; Stern (1986) analysiert speziell die Positionen von Paul de Lagarde, Julius Langbehn und Moeller van den Bruck; vgl. S. 6 ff.
Anmerkungen
279
Vgl. dazu Gigante (1985) S. 445 ff. Vgl. dazu Vogt (1985) S. 619 f. Vogt nennt Paul Friedländer, Karl Reinhardt, Werner Jaeger und Wolfgang Schadewaldt.
Vgl. dazu auch P. L. Schmidt (1985) S. 585 f. und S. 592. Vgl. dazu Górgemanns (1985) S. 155 und S. 158. Siehe dazu Malitz (1985) S. 52, S. 55; Wilamowitz hatte schon in der Schulzeit Mommsens „Römische Geschichte“ gelesen. Seine Habilitation ist Mommsen gewidmet. Leo (1960): Einleitung von Eduard Fraenkel, S. XVIII. Reinhardt (1960): Nachruf auf U. v. Wilamowitz-Moellendorf, S. 561. Vgl. dazu Schwinge (1985) S. 152 f. Sein für den Schulunterricht zusammengestelites „Griechisches Lesebuch“ (Berlin 1902) enthält u. a. sowohl frühgriechische als auch hellenistische Texte.
Wilamowitz (1921) S. 1. Wilamowitz (1928) S. 104 und Landfester (1979) S. 175. Diese Form der Interpretation eines antiken Textes führte Wilamowitz zum ersten Mal in seiner Edition des Herakles von Euripides vor (1889). Es gilt als das „Magnum Opus“ von Wilamowitz. Vgl. dazu Calder III (1985a) S. 94 ff. und Górgemanns (1985) S. 159 ff. Vgl. auch den Aufsatz von Landfester (1979), der ausführlich auf Wilamowitz' Methode und hermeneutische Konzeption eingeht und dem ich weitgehend folge, bes. S. 175 ff.
Landfester (1979) S. 175, Anm. 76, und Wilamowitz (1928) S. 166 f. Jaeger (1952) S. 215 f. Zu Wilamowitz Werk vgl. den umfassenden Band ,Wilamowitz nach 50 Jahren", hg. v. Calder IIV/Flashar/Lindken( 1985): Er repräsentiert die jüngste kritische Auseinandersetzung mit Wilamowitz und seinem Werk und enthält weiterführende Literaturhinweise. Siehe auch die Rezension des Bandes: v. Brocke (1988). Vgl. dazu P. L. Schmidt (1985) bes. S. 582 ff.; Schmidt gibt eine aufschluDreiche Analyse von Wilamowitz' Verhältnis zur Latinistik.
Siehe dazu Bollack (1981) S. 26; Stellen, die die Nähe von Preußen zum „Attischen Reich“ für Wilamowitz belegen, finden sich u. a. in seinen Reden und Vortrügen: vgl. Wilamowitz (1915)
z. B. S. 55 Γ᾿, S. 69 ff., S. 79 f., S. 84. Vgl. dazu F. u. D. Hiller v. Gaertringen (1955) z. B. S. 161, S. 165, S. 168; zu der Berufung von Wilamowitz nach Góttingen vgl. Calder III (1985b).
Anhang 2 gibt das Reglement im Wortlaut wieder; zu E. L. v. Leutsch, H. Sauppe und K. Dilthey siehe Anhang 1 und 2 mit FuBnote 2; Classen (1989c) S. 256 f.; zu Dilthey vgl. Fittschen (1989)
S. 87 f. Vgl. zu Wilamowitz' Göttinger Zeit Wilamowitz (1928) S. 197-245. Zu Leo vgl. E. Fraenkel (1914), Pohlenz (1914); die eingehende und schöne Würdigung von Eduard Fraenkel in: Leo (1960) S. XIII-XLIII und neuerdings diejenige von Ax (1989).
F. u. D. Hiller v. Gaertringen (1955): Wilamowitz an Mommsen, Göttingen, den 26. 4. 1889, S. 570, und Mommsen an Wilamowitz, Berlin, den 28. 4. 1889, S. 572; zum Antisemitismus vgl. auch S. 277. Ich verwende hier und im folgenden Text den Begriff „Akkulturation“ anstatt „Assimilation“ im
Sinn von Herbert A. Strauss: Strauss/Hoffmann (1985) S. 9-27, bes. S. 9 f. Der Begriff „Akkulturation“ hat den Vorteil, nicht wertend zu sein und die biologische Analogie zu vermeiden, die der Begriff „Assimilation* enthält. In der Tat wurde die Akkulturation der Juden von den Christen als Assimilation angesehen, weil sie die eigene Kultur als höherstehend bewerteten. Auch die Gleichstellung jüdischer Bürger wurde im Sinne der Angleichung verstanden, die die jüdische Kultur zum Verschwinden bringen soll. Insofern trifft historisch der Begriff „Assimi-
lation“ die Verhältnisse aus der Perspektive der Christen. Selbst das Ergebnis der Akkulturation wurde, wie wir am Beispiel Friedrich Leos, aber auch an der Redeweise von „getauften Juden“ sehen, nicht akzeptiert. Zu Leos Vater vgl. Ax (1989) S. 152.
9
Breslauer (1911): zu den angegebenen Zahlen siehe Tabelle 5c (Philos. Fakultät), Tabellen 1b, 2 und 5a. Breslauer belegt mit der Studie die gezielte Zurücksetzung von Juden an den deutschen Universitäten in der Kaiserzeit. In bestimmten Fächern, wie etwa Geschichte und Nationalökonomie, und an bestimmten Universitäten, wie etwa Münster, Würzburg, Tübingen,
Rostock, wurden für den untersuchten Zeitraum 1874-1910 nie jüdische Professoren berufen. Vgl. S. 6 und 5.9.
280
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
Wilamowitz (1998) S. 222 f. Über die unterschiedliche Arbeitsweise von Wilamowitz und Leo vgl. Ax (1989) S. 156, S. 172-176. Friedrich Leo, Quaestiones Aristophaneae, Diss. Bonn 1875. Venanti Fortunati opera, editio princeps. Ed. F. Leo, Monumenta Germaniae hist. Auctores antiquissimi, Bd. IV, 1, 1881. F. Leo, De Senecae tragoediis observationes critícae, 1878; der Textband erschien 1879. Leo arbeitete an der Edition der Satiren von Persius und Juvenal mit, die Otto Jahn leitete. F. Leo, Gesamtausgabe d. Plautinischen Komödien, 1895-1896, 1958 repr. und die dazugehörigen Arbeiten: Ders., Plautinische Cantica, 1897, und vor allem Ders., Plautinische Forschungen zur Kritik und Geschichte der Komódie, 1895, 1919? (erw. Aufl.) und 1966 repr. F. Leo, Geschichte der rómischen Literatur, Bd. 1, Berlin 1915, repr. WBG Darmstadt, 1967. Ders., Die römische Poesie in der Sullanischen Zeit, in: Hertnes 49, 1914, S.161-195; vgl. auch
ebd. den Nachruf auf Leo, der von 1901-1914 zusammen mit Carl Robert die von Theodor Mommsen gegründete Zeitschrift Hermes herausgab.
In Kiel war Leo 1881 zum a. o. Professor ernannt worden. Vgl. 2. B. F. Leo, Die griechisch-rómische Biographie nach ihrer litterarischen Form, 1901, repr. Hildesheim 1965. F. Leo, Ausgewählte kleine Schriften. 2 Bde. Hg. u. eingeleitet von Eduard Fraenkel, Roma
1960. Der 1. Band „Zur römischen Literatur des Zeitalters der Republik“ enthält die ausführliche Würdigung Leos und seiner wissenschaftlichen Leistungen sowie ein Verzeichnis seiner Schriften. Zur Geschichte der „Ausgew. kl. Schrf.“ vgl. a. a. O. das Vorwort, S. VII.
102 105
Oppermann (Hg.), 1962, S. 1 ff. Vgl. dazu Ax (1989) S. 168 und FN 99. Oppermann veröffentlichte 1945 in der „Schriftenreihe zur weltanschaulichen Schulungsarbeit der NSDAP“ als „parteiamtliches Lehrmittel“ eine 16seitige üble Abhandlung „Der Jude im griechisch-römischen Altertum“, die von Antisemitismen strotzt. Besonders schwerwie-
gend ist ihr Ziel: Zur Zeit der bereits angelaufenen „Endlösung“, der fabrikmäßigen und systematischen Ermordung von Juden, erklärt Oppermann, daß die Juden schon im „Altertum“ verfolgenswert und vernichtenswert gewesen seien.
104 105
Vgl. dazu Wilamowitz (1928) S. 208, S. 226 f. Zu Leo vgl. Ax (1069) S. 169 f. VgL das in Anhang 1 gegebene Schaubild: Es zeigt die Aufeinanderfolge der Wissenschaftler
106
am Göttinger Institut für Altertumskunde: Schüler von Wilamowitz sind Eduard Schwartz, Paul Wendland, Max Pohlenz, Hermann Fränkel und Eduard Fraenkel. Die Studentenzahl an der Universität Berlin wuchs von 5000 (1871) auf 9000 (1810/11), der
107 108
Lehrkörper von 180 (1871) auf 508 (1910), unterstützt von 246 Assistenten. Vgl. Boehm (1985) S. 56. F. u. D. Hiller v. Gaertringen (1955). P. L. Schmidt (1985) S. 565 f., spricht von einer ,concordia discors" zwischen Wilamowitz und Mommsen: politisch war Wilamowitz konservativ, Mommsen liberal. Auch in ihrer Haltung zum Judentum unterschieden sie sich: Wilamowitz akzeptierte und schätzte nur akkulturierte Juden und war selbst nicht ohne antisemitische Ressentiments, vgl. Wilamowitz (1928) S. 58 ff.
Mommsen vertrat die Latinistik, Wilamowitz die Graezistik. Inhaltliche Hinweise und Hilfen kamen weitaus häufiger von Wilamowitz an Mommsen als umgekehrt. Auch persönlich distanziert sich Wilamowitz in Berlin zunehmend von Mommsen, ohne es offen zu zeigen.
109 110 111 112 113 114
Vgl dazu Malitz (1985) S. 51-55. Zu Mommsen und seiner Wirkung vgl. Christ (1982) S. 49-84. Zu Mommsen und Wilamowitz vgl. Malitz (1985). Vgl. dazu Harder (1951) S. 558, Jaeger (1952) S. 215, Reinhardt (1960) S. 561 ff., Schwartz (1958) S. 572, Solmsen (1979) S. 92 ff., S. 104 ff. VgL Lenz (1910) 5. Bd., S. 216 f. Wilamowitz (1919) 1. Bd., S. HI. Grau/Schlicker/Zeil (1979) S. 514, Wilarnowitz (1928) S. 298 ff. und Unte (1985). Zu seinem Engagement für die Archäologie vgl. Wilamowitz (1928) S. 276 ff. und Schindler
(1985) S. 255-201. 115 116 117
Solmsen (1979) S. 111. A. 2.0. S. 80 fT.; die Namen der „Graeca“-Teilnehmer gebe ich nach Solmsen (1979) S. 91 ff. wieder. Vgl. dazu auch Mensching (1991) S. 12 ff. Vgl. dazu Vogt (1985) S. 614 f. Zu Wendland vgl. Pohlenz (1916).
Anmerkungen 118 119 120
281
Soimsen (1979) S. 94; zu Harald Fuchs vgl. auch Mensching (1987b) S. 42. Vgl. auch Classen (1989b) S. 204 f. Vgl. zu den Lehrstühlen: Anhang 10 und 11, die Aufzählungen bei v. Brocke (1986) S. 124,
Ludwig (1984) S. 162 und S. 174 f. und Vogt (1985) S. 614 f. 121
„Thesaurus
Linguae
Latinae"
in München
(siehe
auch
oben
S. 59)
u. a. m., vgl. auch
Band
Calder IIL/Koáenina
Grau/Schlicker/Zeil (1979) S. 514, S. 525 f. 122
Zu Wilamowitz’
Berufungspolitik vgl. den jüngst erschienenen
(1989), der den Briefwechsel zwischen dem Ministerialbeamten Friedrich Althoff in Berlin und Wilamowitz enthält.
123
Wilamowitz führt sehr schön seine Methode der historischen Interpretation, zu der sich alle Spezialdisziplinen zusammenfinden, an einem Beispiel vor, nämlich der Schlacht von Marathon. In: Wilamowitz (1928) S. 100 ff.
124 125
126 127 128 129 150 151 132 155
Hölscher (1965) S. 54 f. Prof. Hermann Wankel (Universität Berlin) stellte diesen Wandel des Demosthenesbildes dar in einem Vortrag: „Das Demosthenesbild im 19. und 20. Jahrhundert", gehalten am 29. 11. 1982 auf Einladung des Seminars für Klassische Philologie der Universität Göttingen. Vgl. dazu die vielfachen Hinweise von Christ (1982). Vgl. dazu v. Brocke (1985a) S. 715 mit Anm. 110 und 111. Irmscher (1969) S. 18. Vgl. v. Krockow (1981) S. 37-59 und Ringer (1987).
Vgl. Wilamowitz (1928) S. 197 f. Mit dem Jahr 1914 enden bezeichnenderweise die „Erinnerungen“ von Wilamowitz, die er 1928 niederschrieb. Zitiert nach Johann (1977) S. 128.
Zitiert nach v. Brocke (1985a) S. 695. Die Rede unter dem Titel ,Militarismus und Wissenschaft“ hielt Wilamowitz am 20. November 1914 im Festsaal des Zoologischen Gartens in Berlin, ca. einen Monat nachdem sein ültester Sohn Tycho (am 15. Oktober 1914) gefallen war.
154
v. Brocke (19852), Zitat: S. 650. Zu den Folgen des „Kriegs der Geister“ vgl. auch v. Brocke
135
(1985b). Die ,Ideen von 1914", ein von dem Nationalókonomen Johann Plenge geprügtes Schlagwort, steht für die „Geburt“ eines „neuen deutschen Staates“ und eines „neuen deutschen Geistes".
Der Krieg fasse alle staatlichen und wirtschaftlichen Krüfte zu einem neuen Ganzen zusammen und ermógliche so die Durchsetzung der deutschen Kultur gegenüber der von ihr verachteten ,materialistischen^ der westeuropüischen Staaten Frankreich und England. Rudolf Kjellen und Werner Sombart übernahmen es, die ,weltgeschichtliche Perspektive“ der
deutschen Mission zu formulieren. Vgl. Ringer (1987) S. 169 ff. und Sombart (1915). 156 157 138
Zitiert nach v. Brocke (1985a) S. 706.
Ringer (1987) S. 120-168, S. 120 fT., S. 129 f., S. 158 f., S. 142 f., bes. S. 148 f., S. 165 ff. Der volle Wortlaut des „Aufrufs an die Kulturwelt!^ in v. Brocke (1985a) S. 718. Über das Zustandekommen der 95 Unterschriften, die zum Teil per Telefon eingeholt wurden, vgl.
ἃ. ἃ. Ὁ. S. 662 ff. Zu der Reaktion auf den „Aufruf“ und die „Erklärung“ in Europa und in den USA vgl. a. a. O. S. 664-682. 159 140
141
Der volle Wortlaut in v. Brocke (1985a) S. 717. Zitiert aus einem offenen, gedruckten Brief „An die Mitglieder und Freunde der deutsch-griechischen Gesellschaft in Hellas* vom Dezember 1914. Er ist unterzeichnet vom geschüftsführenden Ausschuß der Gesellschaft, dem Wilamowitz angehörte, und der „Deutsch-nordischen Richard-Wagner-Gesellschaft für germanische Kunst und Kultur e.V. zu Berlin“. Das Dokument befindet sich im Wilamowitz-Nachlaß der NSIUBGÖ. Cod. MS Wilamowitz Nr. 978. Deutsche Reden in schwerer Zeit, gehalten von den Professoren an der Universität Berlin. Hg.
v. d. Zentralstelle f. Volkswohlfahrt ... Berlin 1914. 142 145 144 145 146
Vgl. v. Brocke (1985a) S. 674. A. a. O. S. 711 und Ringer (1987) S. 177 ff. und S. 181. Wie Anm. 142. Vgl. dazu Rosenow (1987) S. 578 mit Anm. 36, 57, 58. Außer Einstein verweigerten die Unterschrift unter die „Erklärung... ." Max und Alfred Weber
(Heidelberg), Georg Friedrich Knapp (Straßburg), Lujo Brentano (München), Leopold von
282
ZUR GESCHICHTE DER KLASSISCHEN PHILOLOGIE IM 19. JAHRHUNDERT
Wiese (Düsseldorf), der Historiker Ludwig Quidde (München), der Pädagoge F. W. Foerster (München) und der Völkerrechtler Walter Schücking (Marburg), vgl. dazu v. Brocke (1985) S. 652. Den „Aufruf der 93“ mißbilligten nach v. Brocke a. a. O. S. 682 der Berliner Historiker Hans Delbrück, der Góttinger Mathematiker David Hilbert, Einstein und Georg-Friedrich
Nicolai. Zur Einladung Einsteins nach Berlin vgl. Hoffmann/Dukas (1978) S. 120 f. und S. 125. 147
Vgl. dazu den sehr aufschluBreichen Nachlaf des Generaimajors und Historikers Bernhard Schwertfeger (25. 9. 1868-15. 1. 1955) im Bundesarchiv Koblenz (NL 15): Seit 1924 wurde in Berlin von militárischen Kreisen zur Erziehung der Jugend die Zeitung ,Kriegskunst in Wort und Bild“ herausgegeben. Vgl. dazu BA Koblenz, NL 15/Nr. 452,7, Brief des Generalleutnants a. D. v. Cochenhausen an Bernhard Schwertfeger, Berlin, d. 2. 5. 1952. Am 1. 1. 1951 wurde die „Wehrwissenschaflliche Arbeitsgemeinschaft" in Berlin gegründet, die es sich zur Hauptaufgabe machte, die ,Anschauungen über den Krieg, besonders den
148 149
Vgl. v. Brocke (1985a) S. 681 f. und S. 716; Schróder Gudehaus (1966). Wilamowitz (1919) Bd. II, unpaginiertes Vorwort unter dem Titel „Vorwort als Nachwort“ enthält die zitierten Zeilen und ist mit dem Datum 22. Dezember 1918 versehen. Mit Ochlokratie meint Wilamowitz die „Herrschaft des Pöbels“, die demokratische Verfassung, die den Sozialdemokraten politische Rechte einräumte.
Zukunftskrieg, zu klären“. (Vgl. dazu die Satzung der „Wewia“ in BA Koblenz NL 15/Nr. 452,1.)
150
Wilamowitz (1915) S. 22 f.
151
Ders. (1928) S. 177 f. Nach Wilamowitz' Ansicht würe eine konstitutionelle Monarchie die
152
bessere Alternative zur Republik gewesen. Vgl. dazu Töpner (1970) S. 70. Vgl Wilamowitz (1928) S. 515 f. Er sah ein, daß die Behauptungen des „Aufrufs“ über das friedliche Verhalten der deutschen Truppen in Belgien nicht der Wahrheit entsprachen.
155
Ringer (1987) S. 179 und S. 181 ff., v. Brocke (1985a) S. 710 f.
154
Derin Anhang 5 im vollem Wortlaut wiedergegebene und erstmals vollständig veröffentlichte
Brief befindet sich im Wilamowitz-Nachlaß der NStUBGö. Für die Erlaubnis der Wiedergabe danke ich Herrn Dr. Haenel. v. Brocke (1985a) S. 685 bezieht sich auf diesen Brief, aber in einer verkürzten Fassung: er hat mit der „Quäkerspeisung“ nichts zu tun.
155 156 157
Vgl. Calder III (1980) S. 225, v. Brocke (1985a) S. 689 und Ringer (1987) S. 194 f., S. 178, S. 188. Vgl. 2. B. Kneppe/Wiesehófer (1985) bes. die Abschnitte, die Münzers politischer Einstellung gewidmet sind, S. 56 ff. und S. 75 ff. Siehe auch die Beispiele weiter unten, S. 155 f. Vgl. Tópner (1970) S. 241 ff.: enthält eine Liste der Hochschullehrer, die Mitglied des Reichstags waren.
158
Man lief den Wechsel nicht passiv über sich ergehen wie beispielsweise nach dem Ende des
159
Zweiten Weltkrieges. Exakt im Sinne der Forderung von Wilamowitz, jede Interpretationsaussage durch Quellen
160
Vgl. dazu Hentschke/Muhlack (1972) S. 129 ff.; Fuhrmann (1969) S. 25 ff.; Reinhardt (1960)
belegen zu kónnen. S. 554—560: „Die Klassische Philologie und das Klassische“, bes. S. 556, S. 541 ff.
161
162
Vgl. Calder III (1984) S. 55-57: „Werner W. Jaeger“; den Nachruf von Langerbeck (1962) S. 101-105; Mensching (1988) S. 60-92: „Über Werner Jaeger und seinen Weg nach Berlin“; Röder/Strauss (1985) Bd. II, 1, S. 561; Schadewaldt (1970), Bd. II, S. 707-722: „Gedenkrede auf Werner Jaeger 50. Juli 1888 - 19. Oktober 1961“. Der Begriff „Dritter Humanismus“ stammt von Eduard Spranger, vgl. Calder III (1985) S. 108. Vgl dazu Canfora (1985) S. 652—648.
165
Die am 18. 12. 1914 gehaltene Antrittsvorlesung ist unter dem Titel „Philologie und Historie“
164 165 166 167 188 169 170 171
in Jaeger (1957) S. 1-18 veröffentlicht; vgl. auch Mensching (1989) S. 65. Jaeger (1957) S. 16. Ebd. Α, ἃ. Ο. S. 15. A.a.0.S. 17. Vgl dazu Mensching (1989) S. 68. Vgl dazu a. a. O. S. 68 ff. A. ἃ. 0.5. 70. Vgl dazu a. a. O. S. 70 ff., bes. S. 75; Mensching entnimmt diese Informationen aus dem Briefwechsel von Jaeger mit seinem Baseler Kollegen Johannes Stroux.
Anmerkungen
283
Vgl. Snell (1966a) S. 54. Zitat nach Calder III (1975) S. 455: Wilamowitz an W. Schadewaldt. Vgl. dazu Jaeger (1954) S. 1-17, bes. S. 4 und die Sammlung seiner Vortrüge: Jaeger (1957).
Snell (19668) S. 52-54, Zitat: S. 46; die Besprechung von Jaegers „Paideia“ erschien ursprüng176
lich im Jahr 1955 in: Góttingsche Gelehrte Anzeigen, Bd. 197, S. 529- 555. Die in () gegebenen Seitenangaben beziehen sich auf Jaeger (1954). Snell (1966a) S. 55.
».. . für jeden, der zu lesen verstand, [hat Bruno Snell] das Vademecum beigebracht, das die schiefen Bilder, die Vagheit der Begriffe, den rhetorischen Schwulst als Ausdruck unscharfen
177 178 179 180 181 182 185 184
Denkens beim Namen nannte“, schreibt Günther Patzig über Snells Rezension der „Paideia“. Vgl. Patzig (1978) S. 205. Zum „Dritten Humanismus“ vgl. auch Rüdiger (1970).
Vg. dazu die Überlegungen von Sluga (1995) S. 11 ff. Vgl. Drexler (1942).
Vgl. Leitsátze (1955). Jaeger (1955) S. 45-49. Vgl. Calder ΠῚ (1985) S. 105; zu Jaegers Emigration siehe auch weiter unten S. 191.
Patzig (1978) S. 195-210. Vgl. Snell (19662) und Snell (1978) „Klassische Philologie im Deutschland der zwanziger
Jahre“ S. 105—121; zu Ernst Kapp vgl. Snells Bemerkung in: Snell (1966a) S. 56, Anm. 5; zu Kurt von Fritz vgl. v. Fritz (1952) S. 559-554, bes. S. 539-549, S. 547, S. 350 f., S. 555
Anmerkungen zu Kapitel 2 Vgl. u. a. Wilamowitz' Kaisergeburtstagsrede „Von des attischen Reiches Herrlichkeit“, die er 1877 in Greifswald hielt, in: Wilamowitz (1915). Zu der Modernisierung des klassischen Kulturideals, aber auch zu GroDprojekten, die sich zum Schmuck und der Apotheose des Kaiserreichs eigneten: Wenk (1985) bes. S. 41-56 und Wenk (1986). Zum Nationalismus vgl. auch v. Thadden (19782).
Das „Reglement“ befindet sich in UAG,K,XVI,IV,C.c.2. Anhang 2 gibt den Text wieder: Zitat aus $ 1. Zu Wendland (17. 8. 1864-10. 9. 1915) vgl. den Nachruf von Pohlenz (1918); zur Abfolge der Lehrstuhlinhaber vgl. auch Anhang 1. Richard Reitzenstein (1861-1951) lehrte von 1914 bis 1928 am Göttinger Institut für Altertumskunde. Zu seiner Biographie vgl. den Nachruf von Pohlenz (1951) und zu seinem Werk die
aufschlußreiche Studie von Fauth (1989) bes. S. 180 ff. und S. 185 f.; auf S. 180 wird irrtümlich
Φῷ
Οἱ
Walther Kranz als Góttinger Kollege von Reitzenstein genannt.
Zur Göttinger „Religionsgeschichtlichen Schule“ vgl. Lädemann/Schröder (1987), Zitat: S. 7. Zu Günther Jachmann (20. 5. 1887-17. 9. 1979) vgl. Schmid (1980) bes. S. 201 und UAG,K,4,V,c.291a: Personalakte Prof. Dr. Jachmann. Am 7. 5. 1917 erhielt Jachmann das Extraordinariat, das durch Pohlenz' Ernennung zum Nachfolger Wendlands frei geworden war. Da Jachmann zum Militürdienst eingezogen worden war, konnte er erst 1919 seine Stelle antreten. Am 16. Juli 1920 wurde er zum o. Professor ernannt, blieb aber mit dem Etat eines Extraordinarius bis zu seiner Berufung an die Universität Greifswald im April 1922 ausgestattet. Zur Übertragung der Assistentenstelle vgl. UAG,K,XVLIV,C.c.5, Bd. I: Pohlenz an den Kurator der Universität Göttingen, den 6. 5. 1919 und Kurator an Friedrich Focke, den 8. 5. 1919. Zu Fockes Tübinger Tätigkeit vgl. Adam (1977) S. 51 f., S. 58 f., S. 64 ff., S. 74. Seit 25. 1. 1955 o. Professor, trat er am 1.5. 1955 der NSDAP bei. Unter seinem Rektorat wurden die Senatssitzungen abgeschafft und der Lehrbetrieb militarisiert. Zu Snell (18. 6. 1896-31. 10. 1986) vgl. den Nachruf von Erbse (1987) bes. S. 770. Er studierte in Leiden, Berlin, München und Göttingen von 1918-1929. Georg Misch regte seine Dissertation
über ,Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen Philosophie" an, und Wilamowitz beförderte die Dissertation zum Druck (= Philol. Unters. Bd. 29, Berlin 1924). Vgl. auch Anhang 3. Zu Hugo Willrich (20. 8. 1867-20. 6. 1950) vgl. UAG,K,XVI,IV,a.c.50: Phil. Fak. Hon. Professoren,
Dr. Willrich und Hoffmann (1988) S. 191-196, S. 225. UAG,K,XVI,IV,B.7: Ersatzvorschläge für Professoren, Bd. II, 1920 ff., Bl. 7, und Protokollbuch der Phil. Fak., S. 15 ff. UAG,K,XVI,IV,C.c.8: Ausbau des Philologischen Seminars. Der Min. an den Kurator vom 15. 4. 1921; Pohlenz, Reitzenstein, Kahrstedt an den Min. vom 8. 5. 1921; der Min. an den Kurator vom 15. 8. 1921: Zitat.
Zu W. A. Baehrens (3. 5. 1885-20. 1. 1929) vgl. Chronik (1951) S. 57 und Anm. 95. Zur Spaltung der philosophischen Fakultät, aus der die mathematisch-naturwissenschaftliche Abteilung als eigene Fakultät hervorging, vgl. UAG,K,XVLIV,B.7: Ersatzvorschläge für Professoren, Phil. Fak., Bd. I (1904-1920); UAG,Phil. Fak.,II,Ph. Nr. i-c: Decanatsberichte 1904-1922;
UAG,Phil Fak.,H,Ph. Str. 1k: „Spaltung der Fakultät“ und Dahms (1987) S. 170 ff. Dokumentierte Gesprüche mit Professor Alfred HeuD vom 17. 9. 1982 und 10. 11. 1982. Alfred HeuD nahm diesen Sachverhalt zum Anlaß, einen eigenen Bibliotheksetat zu beantragen und schließlich nach einigen Jahren die endgültige Trennung durchzusetzen. Vgl. auch die Etatakten des Instituts: UAG,K,XVLIV,C.c.1 und UAG,K,XVI,IV,C.c.8: Ausbau des Philologischen Seminars zu einem Institut für Altertumskunde. 16 Vgl. auch Wilamowitz (1921) S. 1. 17 Vgl. zu diesen Angaben die Einleitung von H.-J. Dahms in: Becker/Dahms/Wegeler (1987) bes. S. 16, S. 18 f. und Hasselhorn (1985) S. 15 ff. Der Anteil der Angestellten und Beamten lag 1925 mit 28% in Göttingen um rund 10% höher als der Reichsdurchschnitt von 17,4%. Der Anteil der Selbständigen mit 19% lag deutlich unter dem Reichsdurchschnitt von 27,9%. Das entspricht dem geringen Anteil von Baugewerbe und Handel in Góttingen. Der Anteil der Arbeiter
lag mit 32% um rund 11% niedriger als der Reichsdurchschnitt von 43,2%. Die Bedeutung der
Anmerkungen
285
Universität, der Reichsbahn und -post und der öffentlichen Verwaltung für die Stadt wirkt sich hier aus. Der größere Anteil von Hausangestellten (4% gegenüber 2,4% im Reich) weist aufdas Göttinger Bürgertum hin.
18 Hasselhorn (1985) S. 15 und Wilhelm (1978) S. 9 f. und S. 101 f. Nach Wilhelm lebten in Göttingen 1910 661 jüdische Bürger. Obwohl die Anzahl der Einwohner anstieg, sank die der Göttinger Juden kontinuierlich: von 1925 mit 535 18 Vgl. Wilhelm (1978) S. 99: Nach dem Bericht des Göttinger Rabbiners die jüdischen Hochschullehrer nahezu keinen Kontakt zur jüdischen schichtspezifisch unterschiedliche Verhältnis deutscher Juden zum
bis 1955 kontinuierlich auf 411 im Jahr 1955. Meir Rosenberg hatten Kultusgemeinde. Das religiösen Leben be-
schreibt Scholem (1978) S. 257 ff., S. 260, S. 265 und bes. S. 272. Becker/Dahms/Wegeler (1987), Dahms/Halfmann (1988), Marshall (1972 und 1977), Popplow
(1976), v. Saldern (1971) und Schnath (1976). Zu Nelson und Grelling vgl. Dahms/Halfmann (1988) S. 60 f.; Dahms (1988) S. 156 f. zu Grelling und Chronik (1951) S. 47 zu Nelson.
Vgl. dazu Dahms/Halfmann (1988) S. 60 ff. Göttinger Tageblatt vom 22. 10. 1918, S. 5.
Schnath (1976) S. 179 f. Popplow (1976) S. 210, S. 215-219.
Dahms/Halfmann (1988) S. 65. Ebd. und v. Saldern (1971) S. 172 ff.
Schnath (1976) S. 171 und S. 172. Dahms/Halfmann (1988) S. 85 ff. A. ἃ. O. S. 67, Schnath (1976) S. 188 f. und Popplow (1976) S. 250 f.
Schnath (1976) S. 185 und Dahms/Halfmann (1988) S. 68 f. Vgl. dazu A. a. O. S. 71 und Schnath (1976) S. 192 f.; zu Max Lehmann vgl. Grebing (1987) S. 204 ff., S. 215, S. 229. Henni Lehmann war die Witwe des 1918 verstorbenen Rechtswissenschaftlers Karl Lehmann.
Schnath (1976) Zitat: S. 197 und S. 188. Ringer (1987) S. 186 ff. Die Ausnahmen sind Richard Courant, Henni Lehmann, Kurt Grelling und Hans Mühlestein. Alle vier waren nach der Wahl am 2. März zum Gemeinde-Parlament Mitglieder der SPD-Fraktion im Bürgervorsteherkollegium. Zu den Wahlergebnissen der drei Wahlgänge Anfang 1919 siehe Dahms/Halfmann (1988) S. 77, für die Jahre 1924-1935 vgl. Hasselhorn (1085). Vgl. Hasselhorn (1985) S. 44 ff. Vgl. dazu Dahms/Halfmann (1988) S. 70 ff. Auch Karl Brandi verbreitete bei der letzten Wahlveranstaltung der DVP vor der Wahl am 18. 1. 1919 in der „Krone“ diese Sicht des Kriegsendes, vgl. dazu den Bericht von Schnath (1976)
S. 199. Vgl. dazu
Göttinger
Zeitung
vom
1. 1. 1919, S. 2, und
vom
11. 1. 1919, S. 2, zitiert nach
Dahms/Halfmann (1988) S. 74 ff. Göttinger Tageblatt vom 17. 1. 1919 und 18. 1. 1919. Vgl. Marshall (1972) S. 47 und S. 52. Zu Courant vgl. Schappacher (1987) S. 549 ff.; zu Darmstüdter vgl. Ericksen (1987) S. 225 ff. und
Grebing (1887) S. 205 f., S. 215, S. 229; zu Hatschek vgl. Dahms/Halfmann (1988) S. 74 ff. Schnath (1976) Tagebucheintragung vom Dienstag, 7. Januar 1919, S. 187. Göttinger Tageblatt vom 9. 1. 1919; die Schilderung des Augenzeugen in: Popplow (1976) S. 251,
FN 202. Vgl. Anm. 42 und UAG,Phil. Fak.,Il,Ph. Nr. 48, betr. Angelegenheit Willrich - Darmstädter. Zu diesen Angaben vgl. Hasselhorn (1985) und v. Saldern (1971) S. 171 ff. Zur Geschichte dieser Ortsgruppe vgl. den sehr aufschlußreichen Bericht des Mitbegründers
Ludolf Haase (1942) und Noakes (1971) S. 25 f. Popplow (1977) S. 165 ff. und ders. (1979) S. 189 f. Haase widmet dem Nelsonbund als Gegner einen lángeren Abschnitt, in: Haase (1942) S. 595 ff.
Marshall (1972) S. 1I. Siehe dazu den Bericht der Góttinger Zeitung vom
(1988) S. 78. v. Saldern (1971) S. 179 f. und Marshall (1972) S. 12.
15. 7. 1918, S. 2, und Dahms/Halfmann
286
GRÜNDUNG
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
53 Vgl. dazu Bleicken (1989) S. 117, Anm. 45; UAG,K,XVLIV,a.c.50: Phil. Fak. Hon. Professoren Dr. Willrich. Für die Promotion gibt Willrich in seinem Lebenslauf entgegen Bleickens Angabe das Jahr 1894 an. Die Arbeit ist der Personalakte im UAG beigelegt, vgl. Anm. 55. Zu Lagarde vgl. Stern (1986) S. 25-125, bes. S. 60 ff. Siehe auch Lüdemann/Schröder (1987)
S. 25-29 und Calder III (1985b) S. 156 ff. Zu Wellhausen vgl. Wilamowitz (1928) S. 186-189 und Lüdemann/Schróder (1987) S. 51-55. Der Nachrufist der Personalakte beigelegt, vgl. Anm. 55; zu seinen späteren Veröffentlichungen vgl. Näf (1986) S. 164-168. Noakes (1971) S. 10 f., S. 14 f.; v. Saldern (1971) S. 175 ff. Vgl. zu diesen Angaben ebd.; Noakes (1971) S. 25 ff. und den Bericht Ludolf Haases, in dem er seine Aufbauarbeit feiert: Haase (1942), ein Exemplar liegt in der NStUBGó: siehe bes. S. 5 ff.,
S. 11, S. 16 ff., S. 18, S. 56 ff., S. 52 ff. Siehe dazu Haase (1942) S. 626-645 und H.-J. Dahms, Einleitung in: Becker/Dahms/Wegeler (1887) S. 17. 61 Vgl. dazu Haase (1942) S. 25, S. 816, und v. Saldern (1971) S. 176. Haase (1942) S. 685. 65 Daß Achim Gercke der Sohn des klassischen Philologen Alfred Gercke ist, belegt die „Vita“ in Achim Gerckes Dissertation „Das A 9, 10-Oktalin", Diss. Freiburg/Br. 1950, wo er schreibt: „am 5. August 1902 als Sohn des 1922 verstorbenen Universitätsprofessors Dr. Alfred Gercke und seiner Ehefrau Anna geb. Albrecht zu Greifswald geboren" [zitiert nach Mensching (1987b) S. 68]. Vgl. auch die Eintragung über Achim Gercke in: Das Deutsche Führerlexikon (1955) S. 144; Strasburger (1982) Bd. I, S. XXVII in der Einleitung von W. Schmitthenner; H.-J. Dahms, Die Professionalisierung der nationalsozialistischen Rassenstatistik 1925-1955: Vorbereitung
38
g3882
des Holocoust? (= Maschinenschriftliches Vortragsmanuskript) S. 5 f. Zu Alfred Gercke vgl. Baader (1964) S. 258 und die ausführlichere Biographie von Prehn (1995). Zu Eduard Norden vgl. Mensching (1987b) und Lenz (1958). Täubler (1985) mit einer Einleitung von Jürgen v. Ungern-Sternberg, vgl. S. IX f.
Mensching (1987b) S. 65-70, Zitat: S. 69. A. &. O. S. 68. Zu Alfred Gerckes Göttinger Zeit vgl. Prehn (1925) S. 175 ff., Baader (1964) S. 258; Ebel (1962) nennt unter „Privatdozenten“ Alfred Gercke von 1890-1895 als Göttinger Privatdozent. Gercke, eigentlich Schüler von Usener und Diels, habilitierte sich 1890 bei Wilamowitz und Leo in Göttingen. Vgl. Haase (1942) S. 685.
Vgl. Haase (1942) S. 657-645 ff. und S. 685 ff.; Dahms (wie Anm. 65) S. 9 f. Nach Adam (1972) S. 20 ff. griff Haase wohl die schon vor dem Ersten Weltkrieg verbreiteten Ideen des „Alldeutschen
Verbandes“
18. 1. 1871
7ι
auf, insbesondere
die
Forderungen
von
Heinrich
Claß,
der u. a. den
als Stichtag für die Deflnition, wer Jude sei, anführt. Im Kaiserreich konnte ein nicht
getaufter jüdischer Bürger weder Beamter noch Offizier, geschweige denn Universitätsprofessor werden. Die wenigen Ausnahmen sind an einer Hand abzuzählen und bestätigen die Regel. Zu Willrichs Aktivitäten und den „Helfern“ vgl. Haase (1942) S. 690 ff. und Dahms' Einleitung
in: Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 17 f. Zu Oberbibliotheksrat Dr. med. Johannes Lecke vgl. seine Personalakte im UAG. Aus der Personalakte des 1891 aus Marburg nach Góttingen gekommenen Bibliothekars Falckenheiner geht allerdings hervor, daD er schon am 1. 4. 1924 in den Ruhestand versetzt worden ist. Seine Mitarbeit (It. Haase) ist daher zweifelhaft.
Vgl. dazu: Das Deutsche Führerlexikon (1955) S. 144. Haase (1042) S. 709 spricht von 400.000 Karteikarten, aber das kann angesichts der 1925 nur knapp über 500.000 tm Deutschen Reich lebenden Juden nicht sein. Dann hátten fast alle Abitur gemacht. Ein Gutachten über den finanziellen Wert der von Gercke erarbeiteten Kartei spricht von mehreren Karteien mit insgesamt ca. 70.000 Karten, auf denen meist mehrere Personen verzeichnet waren: ca. 50.000 davon notierten jüdische Deutsche, 20.000 hatten andere Inhalte. Vgl. dazu BA, Abt. Potsdam, Reichsmin. f. Inneres, PA, Nr. 6570, Bd. I, Bl. 88. Das Innenministerium wollte Gercke abfinden, um die Kartei nach dessen Entlassung behalten zu kónnen.
Vgl. „Der jüdische Einfluß auf den Deutschen Hohen Schulen“ (1928) Deckblatt. 74 75 Vgl. dazu Kater (1975) S. 145. 76 À. a. O. S. 145 ff. Da sind auch die genannten Zahlen zu finden.
Anmerkungen 77 78
287
À, 8. O. S. 148 f. A. a. OÖ. Anmerkung 56 auf S. 289.
Nach Kater (1975) S. 148 zitiertes Flugblatt des NSDStB: „Der Fall Cohn". Zu den Ausschreitungen der Studenten zwischen 1928 und 1955 vgl. Kater (1975) S. 156 fT., aber auch S. 154 f. Vgl. „Der jüdische Einfluß ...* (1998) S. 15, S. 17 und Heft 8 (Universität Berlin) S. 124 die Berichtigung. Haase (1942) S. 686. Zu dem BBG vgl. weiter unten Kapitel 5.
Vgl. dazu die von Hilberg (1982) dargestellte Struktur des Vernichtungsprozesses der Juden, der mit der Definition der Juden begann, S. 41 ff.; zu Gerckes Aktivitäten nach 1955 siehe den Vortrag von H.-J. Dahms (wie Anm. 65) Teil 5.
85a Vgl. dazu BA, Abt. Potsdam, Reichsmin. f. Inneres, PA, Nr. 6570, Bd. 1, Bi. 8, 14, 15, 18. 84 Zitat des Gutachtens aus der Einleitung W. Schmitthenners, in: Strasburger (1982) Bd. I, S. XXVIII, vgl. auch S. XXVII.
85 86 87 87a
Strasburger (1982) Bd. ], S. XXXIII. Vgl. dazu H.-J. Dahms (wie Anm. 65) S. 22 f., der von Achim Gercke brieflich diese Information
über die Anzahl der Gutachten erhalten hat. Vgl. dazu die im BA, Abt. Potsdam, vorhandenen Materialien aus dem „Reichssippenamt“, 15.09, Findkartei, und Lótzke (Hg.) (1957) S. 65 f. Vgl. den der Personalakte Willrich im UAG beigelegten Nachruf von Wolfgang Trillhaas. Marshall (1972) S. 47 ff, S. 117: Marshal) nennt 15 Hochschullehrer als Mitglied der DNVP, 9 als Mitglied der DVP, 11 als Mitglied der DDP und einen als Mitglied der KPD. Die NSDAP ist nicht berücksichtigt, das würde die Zahlen erhóhen.
Zu Düker vgl. Paul (1987) S. 550-554; zum Widerstand an der Göttinger Universität vgl. Dahms (1985) S. 65-71, bes. S. 88 ff. Marshall (1972) S. 118. Vgl. auch den Nachruf von Heinrich Dórrie (1962).
UAG,K,XVL/IV,C.c.2, Wendland an Min., 6. 4. 1914.
38
UAG,K,XVL IV, A.a.1 , Der Kultusmin. an den „Königlichen ordentlichen Professor Max Pohlenz, Herzberger Chaussee", Berlin, 18. 4. 1916.
Vgl. Anhang 1. Zu G. Jachmann vgl. Anm. 6 und zu W. A. Baehrens vgl. UAG,K,4,V,b.295. Für
8
8382
8
88 89
Vorwort Gerckes zu „Der jüdische Einfluß . . .“ (1998) S. 4.
Vgl. Anhang 5: Liste der Dissertationen im Fach Klassische Philologie an der Georg-August-
Baehrens wurde schlieBlich der Etat eines Ordinarius genehmigt, 1955 aber wieder gestrichen. Universität Göttingen 1914-1946. Person (1963) S. 64-82 enthält die Bibliographie der Schriften von Max Pohlenz. Vgl. UAG,K,XVLIV,A.a.11: Formular zur Dienstlaufbahn. Pohlenz (1926b) S. 268. 1925 war sein Buch „Staatsgedanke und Staatslehre der Griechen“ erschienen. Pohlenz (19268), gehalten vom 1.-4. Juli 1925.
A. ἃ. Ὁ. S. 6, S. 21. A. 8. O. S. 17, S. 18, S. 19. A.a. O. S. 50 et passim.
A. ἃ. O. S. 20, S. 49 ff. A. 8. O. S. 46. A. a. 0. S. 9, S. 10, S. 19 f., S. 24 et passim. Pohlenz, der die Eignung griechischer Texte, in
moderne Staatsbürgerkunde einzuführen, zeigen will, tut das nicht nur durch Bezugnahme auf den Ersten Weltkrieg und die Weimarer Republik. Er beruft sich zudem auf Autoren, die über Staatstheorie geschrieben haben: J. G. Fichte, H. v. Treitschke, O. Spann und O. Spengler.
Gleichzeitig kritisiert er die vom Althistoriker V. Ehrenberg vertretene Ansicht, daß deutsche
108 109 110 111
und griechische Geschichte zu verschieden seien, um erkenntnisfórdernde Parallelen ziehen zu kónnen. Vgl. zu der Ehrenberg-Pohlenz-Kontroverse auch Nüf (1986) S. 84 ff. Pohlenz (1926a) S. 27.
In: Neue Jahrbücher f. Wissenschaft und Jugendbildung, 9. Jg., 1055, S. 570-572. Vgl. zu dem ganzen Komplex auch den programmatischen Aufsatz von Bervé (1954), Antike und nationalsozialistischer Staat, bes. S. 265 ff. Vgl. Göttinger Tageblatt vom 8. 5. 1955, S. 11.
288 112 115
GRÜNDUNG UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE Siehe dazu weiter unten Kap. 3. Zu Eduard Meyer vgl. Christ (1982) S. 95-102 und Losemann (1977) S. 28. Meyer galt als einer
der führenden nationalistischen Gelehrten in Berlin. 114 115
Ulrich Kahrstedt, Forschungen zur Geschichte des ausgehenden fünften und des vierten Jahrhunderts. Berlin 1910. Vgl. dazu UAM, Philosoph. Fakultät, B I Nr. 7b, Habilitationsgutachten von Otto Seeck,
116
17. Oktober 1912, Bl. 114 f. Ebd.
117
118 119 120
121
122 125 194
Vgl. dazu ebd.; Kahrstedts Antrag vom 28. 9. 1912, a. a. O. Bl. 108 f.; Kahrstedts Lebenslauf vom 26. 9. 1912, a. a. O. Bl. 111 f. Es handelt sich um die Aufsätze: „Zum Ausbruch des 5. rómisch-makedonischen Krieges" (Klio 1911), „Zwei spanische Topographien" (Archäologischer Anzeiger 1912) und „Phönikischer Handel an der italienischen Westküste“ (Klio 1912).
Vgl. dazu auch den Bericht des Dekans an das preuß. Kultusministerium vom 8. 11. 1912, in: UAM, K, Pers. Nr. 217. Vgl. Bericht des Dekans vom 8. 11. 1912, a. a. O. und Seecks Gutachten, wie Anm. 115. UAM, K, Pers. Nr. 217, Minister der geistlichen und Unterrichts-Angelegenheiten an Kahrstedt, Berlin, 22. 10. 1915. U. Kahrstedt, Geschichte der Karthager 218-146, Bd. III, Berlin 1915 (I. und II. Bd. v. Otto Meltzer, 1879 und 1896 erschienen) Ders., Die Annalistik des Livius, Buch 51-45, Berlin 1015. Ders., Griechisches Staatsrecht. Bd. 1: Sparta und seine Symmachie. Góttingen 1922.
Vgl. dazu Näf (1986) S. 244 f. und S. 511. Vgl. die bibliographischen Hinweise im Nachruf auf Kahrstedt von Ernst Meyer (1962) S. 498—451; Christ (1982) S. 150 ff. Vgl. Kahrstedt (1948) und Näf (1986) S. 245 ff., S. 249 f. und S. 256. In Gesprächen, die ich mit Studenten aus den letzten Kriegsjahren und der Nachkriegszeit führte, wurde übereinstimmend festgestellt, daB Kahrstedt in seinen Vorlesungen anschaulich und aktualisierend über die Alte Geschichte vortrug. Manche verstanden seine Hinweise regimekritisch. Andere kolportierten, daB er Wendungen wie ,Der rote Póbei raste durch Rom" vortrug (dokumen-
tierte Gespräche mit Professor Dr. A. Dihle, Herrn H. Dreitzel, Professor Dr. H. Gärtner, Frau Dr. Jonas, Professor Dr. J. Mau und Dr. H. Roemer). Vgl. dazu auch w. u. Abschnitt 5.2.2 und 195 126
dort die Anm. 158. Frankfurter Zeitung, 65. Jg., 1921, Nr. 254 vom 7. 4. 1921, Frankfurt/Main, S. 1. Frankfurter Zeitung, 65. Jg., 1921, Nr. 276 vom 15. 4. 1921, Frankfurt/Main, S. 1.
197 128
Vgl.dazu Grebing (1987) S. 215, S. 218 ff. Α. ἃ. Ο. S. 204 f., S. 214 f. und UAG,Phil. Fak.,II,Ph. Nr. i-c: Decanatsberichte 1804-1922.
129
NL A. o. Meyer Cod. MS 55, Nr. 4: Brief Karl Brandi an A. O. Meyer vom
150
(Handschriften-Abteilung der NStUBGO); Zu Darmstädter vgl. Grebing (1987) S. 205 f.; Erick sen (1987) S. 225 und UAG, Phil. Fak., a. o. Prof. Dr. Paul Darmstädter, 1907. Vgl. UAG, Protokollbuch d. Phil. Fak. für die Jahre 1990 ff.
22. 10. 1921, Göttingen
151
Göttinger Tageblatt vom 20. 4. 1921, S. 5.
152
Willrich nennt zwar Darmstädters Namen nicht, aber die von ihm eingeführten Details waren
von allen Eingeweihten als auf Darmstädter gemünzt zu verstehen. Darmstädter selbst fand die Hinweise so klar, daß er von Wilirich verlangte, seine Attacke öffentlich zurückzunehmen und sich bei ihm zu entschuldigen. Der Dekan erreichte schließlich einen Kompromiß zwischen den beiden Kontrahenten. Vgl. dazu UAG,Il,Ph. Nr. 49, Streitigkeiten, betr. Angele- genheit Willrich - Darmstädter. 133 Vgl. dazu UAM, Philosoph. Fak. B V Nr. 5a, Brief Kahrstedis an den Dekan vom 12. 9. 1914 aus Neisse. In dem Brief begründet Kahrstedt sein Verbleiben in Neisse damit, daß er sich bei dem dortigen Wehrbezirkskommando gemeldet habe und er annehme, bei der reduzierten Studentenzahl sei eine befriedigende Tätigkeit als Privatdozent nicht zu erwarten. 134 UAG,K,XVI,IV‚A.a.26: Heerfragebogen vom 23. 4. 1925. 155 Erst Meyer (1962) S. 429. 156 Vgl. Chronik (1921/25) S. 26 und BA, Abt. Potsdam, Nachlaß K. v. Westarp, 90 We 4, Nr. 41, Bl. 80 und Findbucheintragung zu Nr. 41. 157 Brief vom 28. 11. 1918; Zitate aus den Briefen vom 6. 5. 1819 und vom 27. 6. 1919; in: UAM,
Philosoph. Fak. B I Nr. 4. Vgl. auch Kneppe/Wiesehöfer (1985) S. 57.
Anmerkungen
289
138
Vgl. dazu den Nachlaß Traub in BA Koblenz NL 59/8: „Aus dem Tagebuch von Professor Dr. Ulrich Kahrstedt über seine Beobachtungen in Weimar 1919“ (3. 2. 1919-15. 8. 1919). Am 4. 2. 1919 erhielt Kahrstedt durch Vermittlung von Traub die Erlaubnis, an den Sitzungen des Fraktionsausschusses der DNVP teilzunehmen. 158a Vgl. dazu BA, Abt. Potsdam, Nachlaß K. v. Westarp, Nr. 6114, Bl. 45. 139 „Irredenta“ nannte sich 1877 die italienische Unabhängigkeitsbewegung, die von Österreich annektierte („unerlöste“) Gebiete mit vorwiegend italienischer Bevölkerung befreien wollte. Eine Abschrift des Dokuments befindet sich in Privatbesitz und wurde mir vom Österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung dankenswerterweise, aber nur zur Einsicht, zugänglich gemacht. Die im folgenden Text in ( ) angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Paginierung des Originals, die in Anhang 6 verzeichnet ist. In der Zwischenzeit konnte ich das Original dank eines Literaturhinweises von Herrn Klaus Sommer (Góttingen), dem ich dafür danke, finden: BA, Abt. Potsdam, NachlaD K. v. Westarp, Nr. 41, Bl. 81r.-82r. Vgl. dazu Anhang 6, der den Text und weitere Angaben enthält. 140 UAG,K,XVLIV,A.a.20: Fragebogen des Military Government of Germany, am 22. Juli 1947 von Kahrstedt ausgefüllt, gibt unter ,Parteimitgliedschaften" diese Information. 141 Zu Traub vgl. den Nachlaß Traub im BA Koblenz: NL 59. NL 59/7 enthält einige Ausgaben der Flugblätter. NL 59/14 u. 15 enthalten weitere Informationen zu den „Eisernen Blättern“, u. a.
auch das Programm der Zeitschrift ab Juli 1919 (NL 59/14, Bl. 169 f.). 142
143 144 145 146 147 148 149
150 151 152 155 154 155 156
157 158 159 160
Vgl. dazu die Vita Traub in NL 59 (BA Koblenz) und NL 59/50, Bl. 74, Bericht der Zeitung
»Deutschland* vom 28. 5. 1920. Vgl. NL 59/14, Bl. 169 f. (BA Koblenz). Vgl. NL 59/50, Bl. 74, zum Kapp-Putsch und Traubs Rolle vgl. NL 59/51, 52, 55, 54 (BA Koblenz). Vgl. dazu auch NL 59/11 enthált Tagebuchnotizen Traubs. Vgl dazu die Angaben Kahrstedts im „Military Government of Germany“-Fragebogen (wie Anm. 140); Zitat aus: BA Koblenz, NL 59/69: Brief Kahrstedts an Traub, Göttingen, 7. 1. 1940.
Marshall (1972) S. 119. Vgl. dazu Kahrstedis eigene Angaben im Fragebogen des „Military Government of Germany“ (wie Anm. 140). Die erste Liste wurde am 22. Juli 1920 eingereicht: 1. Matthias Gelzer 2. Wilhelm Weber 3. Walter Kolbe; die zweite Liste datiert vom 7. Januar 1921 und nennt nur Münzer und Kahrstedt. Vgl. dazu UAG,K,XVI,IV,B.7: Ersatzvorschläge für Professoren, Bd. Il (1920), darin auch der Bericht der Phil. Fak. über das Scheitern der Verhandlungen mit Weber (vom 28. 2. 1921). A. a. O. Zu Friedrich Münzer vgl. Kneppe/Wiesehöfer (1985).
UAG,K,XVI,IV,B.7, Bd. II: Phil. Fak. an Min., v. 7. 1. 1921. Vgl. UAG,K,XVLIV,C.c.6: Ausbau des Philologischen Seminars zu einem Institut für Altertumskunde, Min. an Kurator, Berlin, 15. 4. 1921. Marshall (1972) S. 119 und Göttinger Tageblatt vom 4. 5. 1921. Meyer (1962) S. 429. Vgl. dazu z. B. weiter unten Kahrstedts Rede zur Reichsgründungsfeier am 18. 1. 1954. Kahrstedts eigene Angaben im Fragebogen des „Military Government of Germany“ (wie Anm. 140). Es istanzunehmen, daß Kahrstedt bei der Nennung der Themenbereiche im Fragebogen angesichts des sich abzeichnenden „Kalten Krieges“ 1947 besonders seine Vorträge zum „antiken Kommunismus“ etc. hervorhob.
v. Fritz (1978) S. 618. UAG,K,XVLIV,A.d.141: Lebenslauf Hermann Frünkels vom 28. 7. 1920; in der Hauptakte, Bl. 5. Ebd. Hermann Fränkel, De Simia Rhodio. Göttingen 1915. Daß der Anstoß zum Thema von Wilamowitz ausging, erwühnt Pohlenz in seinem Gutachten zu Frünkels Habilitationsarbeit, UAG,K,XVLIV,A.d.141: inliegend Habilitationsakte: Acta Phil. Fak. Privatdozent Dr. Hermann Frünkel; ebenda finden sich auch die Voten der Gutachter: Pohlenz, Reitzenstein, Jachmann, Hermann, Thiersch, Misch und Edward Schróder. Eine Bibliographie der Werke von H. Frün-
kel findet man in: Fränkel (1968) S. XVIII-XX.
290 161 162 165
GRÜNDUNG UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE Vgl. Abb. 11 aus: Nachlaß Wilamowitz, Nr. 585, Brief Nr. 2, Hermann Fränkel an Wilamowitz vom 29. 8. 1915 (Handschriftenabteilung der NStUBGÖ). Hermann Fränkel, Die homerischen Gleichnisse. Göttingen 1921. Nachlaß Wilamowitz, Nr. 385, Brief Nr. 4, Hermann Fränkel an Wilamowitz vom 18. 8. 1921, wie Anm. 181.
164 165
v. Fritz (1978) S. 618. d Snell (1966b) S. 211 f. Bruno Snell, dessen frühe Begegnung mit Fränkel während seiner
186
Göttinger Studienzeit ihm den Eindruck vermittelte, es lohne sich auch nach Wilamowitz noch, Philologie zu studieren, merkt an: „Seine Habilitationsschrift . . . galt als ‚feinsinnig‘, was aber mehr abschätzig als lobend gemeint war“ (S. 211). UAG, Phil. Fak., Habilitationsakte H. Fränkel, 1920, Gutachten von Max Pohlenz, Bl. 2, vom
5. 8. 1920, wie Anm. 160. 167
Vgl. dazu die in UAG,K,XVLIV,A.d.141 beigelegte Assistenten-Akte. Fränkel behielt die Assistentenstelle vom 1. 11. 1925 bis zu seiner Emigration im Juli 1935. Am 5. 10. 1928 wurde sie zu einer Oberassistentenstelle angehoben.
168
In: ἢ. Frünkel (1968) S. 40-96, vgl. dazu auch Snell (1966b) S. 211 f. und v. Fritz (1978) S. 618 f.
169
Zu diesen Angaben vgl. UAG,K,XVLIV,A.d.141: Hauptakte und Chronik der Universität Göttingen 1951-1957, MS, Göttingen 1957, Bl. 92 (im UAG).
170
Vgl. Protokollbuch der Phil. Fak. 1930-1949, S. 15 (im UAG).
171
Gespräch mit Herrn Professor Walther Ludwig, Hamburg, der mir diese Erklärung, die ihm Bruno Snell gab, weitererzáhlte, vgl. dazu Ludwig (1984) S. 169 und Lohse (1991) S. 795. Vgl. aber auch Snells Brief an den Kurator der Universität Göttingen zu dem Fall vom 15. 6. 1954,
172 173
174 175
in: UAG,K,XVLIV,A.d.141, Bl. 129. Zu Friedlünder (1882-1968) vgl. Bühler (1969). Zu dem ganzen Vorgang vgl. StA Marburg, 507d, acc. 1966/10, No. 11: Friedlánder an den Dekan der Phil. Fak. Marburg, Halle, 25. 10. 1952; Brief Pohlenz vom 26. 10. 1952; Kurator der Univ. Marburg an den preuD. Kultusminister in Berlin, vom 10. 11. 1952: enthält auch den Bericht des Dekans „über den Abstimmungsverlauf am 2. November 1932“. UAG,XVLIV,A.d.141: Prof. Dr. Wilhelm Mommsen an Pohlenz, Marburg, 5. 11. 1952, Bl. 71. StA Marburg, 507d, acc. 1966/10, No. 11: Kurator der Univ. Marburg an den preuß. Kultusminister in Berlin, vom 10. 11. 1952: enthült auch das Sondervotum vom 5. 11. 1952; Ernst Lommatzsch bezieht sich darin auf Hermann Fränkels ,Parmenidesstudien", in: Göttingsche Gelehrte Nachrichten, 1950, S. 155-192, zuerst erschienen; dann in: Frünkel (1968) S. 157-197, und auf Frünkels metrische Studie zu Homer: ,Der kallimachísche und homerísche Hexameter^, in: Göttingsche Gelehrte Nachrichten, 1926, S. 197-227, zuerst erschienen, dann in:
Frünkel (1968) S. 100-158. 176 177 178 179
UAG,K,XVI,IV,A.d.141, Bl. 95: Brief Kurt Lattes an den Kurator der Universität, Göttingen, 26. 6. 1950; vgl. auch Latte an Kurator, 26. 6. 1954, Bl. 154. Zu Georg Rohde vgl. Moraux (1961) und Ernst Fraenkel (1961) bes. S. 4 f. Zu Ernst Cohn vgl. Volbehr/Weyl (1956) S. 54 und Góppinger (1990) S. 191, S. 207, S. 275. Kater (1975) S. 157 und S. 159 und Arthur Rosenbergs Artikel in „Die Weltbühne“, 29. Jg., Charlottenburg 1955, S. 13-15: „Trotzki, Cohn und Breslau“.
180 181
Gumbel (1924). Vezina (1982) S. 19, Anm. 5.
182
„Eiserne Blätter“, Nr. 2, Januar 1931: „Die Gedenktafeln mit ihren Namen [der Soldaten, C. W.] gehörten nicht in die Kirche, weil sie mit der Absicht zu töten in den Krieg gezogen seien.“ So lautet die Wiedergabe eines der inkriminierten Sätze, die Dehn anläßlich einer Versammlung der Magdeburger Ulrichskirche im Jahr 1929 geäußert haben soll. Zu dem gesamten Vorgang vgl. NL 59, Traub, Nr. 40: bes. Bl. 287 ff. und Bl. 294 (Zitat) zum „Fall Dehn“ im BA Koblenz.
185
A. a. O. Bl 287.
184
UAG,K,XVI,IV,A.d.141: Brief H. Fránkels an Kurator der Univ. Göttingen, 51. 5. 1950, Bl. 90 und Bl. 160: Brief der Archivkomm. d. Univ. Rostock, vom 25. 4. 1956; zu Kurt v. Fritz vgl.
Röder/Strauss (1985) Bd. II, 1, S. 544. 185
Calder Ill (1977) S. 291 f. gibt einen Brief von Wilamowitz an Eduard Fraenkel wieder vom 10. 1. 1951, Charlottenburg, in dem Wilamowitz berichtet, er habe Hermann Fränkel für die Nachfolge von Geffcken an der Universität Halle vorgeschlagen. Das ist der Lehrstuhl, den Paul Friedlánder dann erhielt.
Anmerkungen 186
187 188 189
291
Snell (1966b) S. 212; vgl auch v. Fritz (1952) über den Stand der Forschung in den 20er Jahren und über die Bedeutung einer am Werk orientierten stilistischen Untersuchung für die philologische Interpretation. Die Untersuchung Frünkels in leicht veránderter Fassung findet
sich in: Frünkel (1968) S. 40-96. H. Frünkel (1968) S. XIV f. H. Frünkel (1951), vgl. S. VII ff. Der Abschnitt über E. Fraenkel ist in erster Linie seiner Góttinger Zeit gewidmet, die bisher
nicht dokumentiert ist. Zu den biographischen Daten, aber auch zum wissenschaftlichen Werk Fraenkeis vgl. die Nachrufe von C. Becker (1970), Llyod-Jones (1971) und Williams (1972). Lloyd-Jones (1971) S. 654, Anm. 1, gibt eine Liste der Nachrufe und Würdigungen auf
Eduard Fraenkel. 190
Vgl. dazu Wilamowitz-Nachlaß an der NStUBGO, Cod. MS Nr. 383, Brief Nr. 10: Ed. Fraenkel an Wilamowitz, Berlin, 50. 6. 1919. Fraenkel antwortet auf das Kondolenzschreiben von
Wilamowitz zum Tode von Edith Fraenkel. Er schildert seine Mutter als „pazifistisch“ und „international gesinnt“. Er erwähnt die gemeinsamen Besuche der Vorträge von Wilamowitz
und erzählt schließlich, daß Edith noch in ihren letzten Lebensmonaten Platons Staat gelesen 191
habe. ». .. plurimum me debere fateor Ottoni Gruppe. Qui vir summe venerandus animum meum ad Graecorum amorem primus inflammavit, verum etiam fidelis amicus mihi et fuit et nunc
est“ (Ed. Fraenkel (1912) S. 111]. 192 195
»Fidem profiteor mosaicam“, schreibt Fraenkel in seiner lateinischen „Vita“, ebd. An dieser Stelle sei eine Erinnerung von Norbert Elias eingefügt, der in Breslau das Gymnasium besuchte und über einen antisemitischen Vorfall aus dem Jahr 1912/13 berichtet: „Wir sprachen in der Klasse über Berufsplüne. Ich sagte, ich wollte Professor werden, an der Universität, und ein Klassenkamerad warf ein: ‚Die Laufbahn ist dir bei der Geburt abgeschnit-
ten worden.‘ Großes Gelächter, beim Lehrer und natürlich in der ganzen Klasse . . . Sie [die Bemerkung, C. W.] hatte mich darum so sehr verletzt, weil ich mir wahrscheinlich nie klar gemacht hatte, daB unter dem Kaiser eine solche Laufbahn für Juden praktisch verschlossen war." Elias (1990) S. 19 (,Biographisches Interview mit Norbert Elias" von A. J. Heerma van Voss und À. van Stolk). Nachlaß Wilamowitz, Cod. MS Nr. 585, Brief Nr. 1: Ed. Fraenkel an Wilamowitz, Rom,
20. 2. 1907. Eduard Fraenkel, De Media et Nova Comoedia Quaestiones Selectae, phil. Diss. Góttingen 1812. Eine Bibliographie von Fraenkels Schriften hat Horsfall (1978) zusammengestellt.
Vgl. dazu Calder III (1977) S. 278 und S. 295 ff.; Williams (1972) S. 419 f. Zu Reitzenstein vgl. Pohlenz (1951) und Fauth (1989); UAG, Acta d. phil. Fak., betr. Nachfolge Richard Reitzenstein. UAG, Acta d. phil. Fak. (wie Anm. 197): Brief Stroux an Reitzenstein vom 12. 2. 1928, über Stroux' Berufungsverhandlungen mit dem Ministerium.
UAG, Acta d. phil. Fak. betr. ὅ.ο. Prof. Dr. Ed. Fraenkel, 1928. UAG,K,XVI,IV,A.a.155: Der Preuß. Minister an Eduard Fraenkel, Berlin, 12. 4. 1928: „Vereinbarung“ vom 27. 5. 1928.
Vgl. Williams (1972) S. 426 f. und Horsfall (1976) S. 200 ff. A. a. O., Eduard Fraenkel an Min.-Rat Windelband, Göttingen, 5. 11. 1928, handgeschriebener Brief. Vgl. Lioyd-Jones’ Schilderung von Fraenkels Anfangsschwierigkeiten in Oxford: Lloyd-Jones
(1971) S. 658 ff.
207
Vgl UAG,K,XVLIV,A.a.155: Brief des Ministerialbeamten Richter an Fraenkel, Berlin, 29. 11. 1929, mit handschriftlicher Notiz von Fraenkel; auch die Briefe des Min. vom 7.3. 1929, 19. 7. 1929 und die Reisekostenaufstellung von Fraenkel vom 15. 5. 1929. W. Kunkel an Dekan Moritz Geiger, Góttingen, vom 8. 12. 1950, in: UAG,K,XVLIV,A.a.155. Zu Kunkel vgl. auch Halfmann (1987) S. 89, S. 98 f., bes. S. 101. A. a. O., Dekan Moritz Geiger an Min., Göttingen, 15. 12. 1950. Zu den Aufsätzen vgl. die Bibliographie von Horsfall (1976) S. 201 f.; E. Fraenkel, Das Reifen der horazischen Satire, in: Festschrift R. Reitzenstein, Leipzig 1951, S. 119-156; E. Fraenkel, Der Zeushymnos im Agamemnon des Aischylos, in: Philologus 86, S. 1-17 (= E. Fraenkel (1964]
Bd. 1, S. 555-5609).
292
208
GRÜNDUNG
Williams
(1972)
UND AUFSTIEG DES GÖTTINGER INSTITUTS FÜR ALTERTUMSKUNDE
S. 420.
Eigentlich
war
Fraenkel
nur
zweieinhalb
Jahre
in
Göttingen:
1. 10. 1928-1. 4. 1951. 209 210 211 212
Born (1975) S. 559; zu Born vgl. auch Rosenow (1987) S. 575 f., S. 580 ff. Hermann Fränkel hat offenbar auch an den mit Kunkel veranstalteten Seminaren teilgenommen, vgl. dazu H. Fränkel (1968) S. XIV. UAG,K,XVLIV,A.a.155: Phil. Fak. an Kultusmin. Berlin, Göttingen, 13. 12. 1950; der beigelegte Brief Kunkels ist vom 8. 12. 1950; zu Moritz Geiger vgl. Dahms (1987) S. 172-178. Zu Murray, der gewissermaßen der „englische Wilamowitz" war, aber viel liberaler als jener, vgl. Dodds (1957) und weiter unten S. 210 f.
215
Williams (1972) S. 458 f. und Ludwig (1984) S. 165 f.
214
UAG, Acta d. phil. Fak. betr. Nachfolge Reitzenstein, F: Dekan M. Geiger an Min., Góttingen,
215
14. 2. 1951. Ebd.
216 917
Vgl. UAG,K,XVLIV,A.a.145: Lattes Reifezeugnis, Hauptakte; Classen (1989b), Dórrie (1982) und Kurt Latte, De saltationibus Graecorum capita Bd. 13, 3), Gießen 1915. Eine Bibliographie
in: Beiheft zur Akte; Lattes Personalbogen, in: Stark (1965). quinque (- Religionsgesch. Vers. u. Vorarb., seiner Schriften findet sich in: Latte (1968)
S. 911—918. 218 219
Vgl. dazu Classen (1989b) S. 205; Solmsen (1979) S. 104. Vgl. UAG,K,XVLIV,A.a.145: Fragebogen zur Militärdienstzeit vom
16. 5. 1925; und Latte an
Kurator, Góttingen, 25. 5. 1955.
220 221 222
Kurt Latte, Heiliges Recht. Untersuchungen zur Geschichte der sakralen Rechtsformen in Griechenland. Tübingen 1920, repr. Aalen 1964. Vgl UAG,K,XVLIV,A.a.145: inliegend die Personalakte aus Greifswald, Assistentenvertrag zwischen Latte und Hermann Schöne vom 22. 5. 1920. A. a. O., Min. an Latte, Berlin, 2. 5. 1925; zu Konrat Ziegler siehe weiter unten S. 198 f. und
S. 267 ff. 223 224 295
226
Die meisten Arbeiten aus der Zeit sind in Latte (1968) nachgedruckt worden. Der Auftrag, den „Wissowa“ neu zu bearbeiten, wird im Berufungsvorschlag erwähnt, vgl. Anm. 214. Latte (1960), vgl. das Vorwort S. VII und weiter unten S. 172 ff. UAG,K,XVLIV,A.a.145: „Vereinbarung“ zwischen Latte und Min.-Rat Windelband vom 5. 6. 1951, Punkt 6, und Latte an Kurator, Góttingen, 15. 10. 1951.
Stark (1965) S. 216
Anmerkungen zu Kapitel 5: 1 Vgl. Anm. 4. Am 14. 7. 1955, 9 Tage nach der Auflósung der Zentrumspartei, wurde die NSDAP zur einzigen politischen Partei, und zwar mit dem „Gesetz gegen die Neubildung von Parteien“
(RGBI. I, S. 479, 14. 7. 1955), vgl. dazu auch Broszat (1969) S. 126. 2 Vgl. dazu die detaillierte Studie von Adam (1972) bes. S. 46 ff. 3 Vgl. dazu Hilberg (1982) S. 28 f.; Hans Mommsen (1987) S. 76 ff., bes. S. 79; Góppinger (1990) S. 5 ff. und S. 18 f. am Beispiel des Juristenstandes. 4 Vgl. dazu Adam (1972) S. 87. 4a Vgl. dazu Hans Mommsen (1966) S. 25-50.
5 Walk (1981) S. 5-58 und Hüberg (1982) S. 28. „Ich habe keiner Partei angehört, ich hatte auch gar kein Bedürfnis danach. Ich war seit 1951 fest davon überzeugt, daß die Nazis ans Ruder kommen würden“, sagte Hannah Arendt in einem Interview, das Günter Gaus mit ihr führte. In: Reif (1976) S. 12. Góppinger (1990) S. 45 und S. 46 mit FuDnote 5. Becker/Dahms/Wegeler (1987): Einleitung, S. 19 f.
Α. ἃ. O. Anm. 24; Marshall (1972) S. 287; vgl. auch Jarausch (1984) S. 149 und S. 159. Wie z. B. die Verleihung des Ehrendoktorats von der Universität Göttingen an Hans Grimm im
Jahr 1927 für seinen Roman „Volk ohne Raum“. Vgl. auch Ericksen (1987) S. 227 f. Gumbel (1938) S. 10 f. Zu Gumbel vgl. Vezina (1982) S. 19 f.
Vgl. Vezina (1982) S. 21 ff.; Góppinger (1990) S. 191 f.; Stuchlik (1984) S. 81 f. Hollerbach (1989) S. 124 ff., Zitat: S. 125 f. A. 8. O. S. 128 ff., S. 152 f.; zu G. Radbruch vgl. auch Kuhn (1977) S. 62.
Reif (1976) S. 20 f.; vgl. auch Arendt (1986) S. 26 f. Jarausch (1984) S. 159. À. ἃ. O. S. 160 f.: Zahlenangaben; vgl. auch zum folgenden Text a. a. O. S. 129-162.
A. a. O. S. 155. Vgl. zu den Góttinger Verhültnissen Becker/Dahms/Wegeler(1987) Einleitung: S. 22-24. Ebd. und Jarausch (1984) S. 157 f. Zur Geschichte und Praxis des „freiwilligen Arbeitsdienstes“ vgl. auch Kracauer (1990) S. 107-117: „Über Arbeitslager“ (1952).
Jarausch (1984) S. 155 ff. Vgl. dazu Stuchlik (1984) S. 48-57 und das S. 51 gegebene Beispiel der Einkommenslage von Studenten an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt/Main.
Jarausch (1984) S. 156 ff. Vgl. a. a. O. S. 145 ff., Becker/Dahms/Wegeler (1987): Einleitung, S. 22 f., und Stuchlik (1984) S. 26, zum preußischen Verfassungskonflikt: Die Studenten stimmten gegen eine demokratische Verfassung und wollte einen großdeutschen Zusammenschluß erreichen, unter Einbeziehung der ósterreichischen und sudetendeutschen Studenten, bei gleichzeitiger AusschlieDung jüdischer,
26
sozialistischer und
liberaler Studenten.
Die Auseinandersetzung
über die Art des
Zusammenschlusses der Deutschen Studentenschaft begann schon auf dem zweiten Göttinger Studententag von 1920 und führte Ende 1927 zum Entzug der staatlichen Anerkennung und Finanzierung durch das Preußische Kultusministerium. Jarausch (1984) S. 161 f. und S. 170 ff., bes. S. 172; Zitat nach Jarausch, S. 174 aus G. A. Scheel, Tradition und Zukunft des deutschen Studententums, München 1957, S. 12 ff.
Α. 8. O. S. 176 f. Zum „Spionageerlaß“ des Vorstandes der Deutschen Studentenschaft, der am
19. 4. 1955 per
Rundschreiben an alle Hochschulen verschickt wurde, vgl. Stuchlik (1984) S. 94; vgl. auch Vezina (1982) S. 20 f. und Schöne (1985) S. 15 und S. 54, Anm. 16. Vgl. Góppinger (1990) S. 45 ff.
Vgl. Adam (1972) S. 49. Α. a. O. S. 50 f.; Göppinger (1990) S. 49-62 dokumentiert im Detail die Ereignisse, auf die ich in diesem Rahmen nicht näher eingehen kann. Adam (1972) S. 47 f. und Göppinger (1990) S. 42 f. Góppinger (1990) S. 114 f. Adam (1972) S. 55 ff.; Hans Mommsen (1966) S. 59—46.
294
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
35 Zu den Aktionen gegen
Richter und Rechtsanwälte, aber auch zu den Versetzungs- und
Beurlaubungsmaßnahmen vgl. die detaillierte Schilderung von Göppinger (1990) S. 49-64, bes. S. 56 f.; Adam (1972) S. 51; Walk (1981) S. 7. Zu der Übertragung des BBG auf Arbeiter und
Angestellte im öffentlichen Dienst und auf andere Institutionen vgl. die in Walk (1981) wiedergegebenen Maßnahmen Nr. 60, 68, 67, 71, 72, 75, 76, 79, 80, 85, 86, 87, 80, 91, 92, 94, 08, 89 etc.; und Anm. 56 w. u. Die Anwendung des BBG im Bereich der freien Wirtschaft, wie z. B. die Vergabe öffentlicher Aufträge nur an „arische“ Firmen (vgl. z.B. den Erlaf der Stadtverwaltung Köln vom 27. 5. 1955,
Walk [1981] Nr. 18, der die Vergabe von Aufträgen an Firmen mit jüdischen Inhabern verbot; oder die „Richtlinie“ des „Kampfbundes für den gewerblichen Mittelstand", Frankfurt vom 24. 4. 1955, Walk [1981] Nr. 76. Sie verlangte die „Ausschaltung der Juden aus leitenden Positionen in Wirtschafts- und Berufsverbänden“ etc.), führte im Laufe eines Jahres zu wirtschaftlichen Engpässen und später zu dem Boykott deutscher Firmen durch ausländische Firmen (vgl. die Beispiele in Hilberg [1982] S. 55). So äußerte der Reichs-Innenminister Frick im Januar/Februar 1954 Bedenken gegen die Anwendung des „Arierparagraphen“ ($ 3 des
BBG) auf Gebiete, Adam (1972) S. 87 Göppinger (1990) Góppinger (1990)
für den er nicht bestimmt sei: insbesondere auf die freie Wirtschaft. Vgl. dazu f. S. 77; vgl. dazu auch Hilberg (1982) S. 54-63, bes. S. 55. S. 70.
Wortlaut des Briefes von Hindenburg an Hitler vom 4. 4. 1955, zitiert nach Vezina (1982) S. 51,
Fußnote 57. Vgl. dazu auch Adam (1972) S. 65: Vezina gibt den 2. 4. als Datum des HindenburgBriefes an.
Popplow (1977) S. 164; Becker/Dahms/Wegeler (1987) Einleitung: S. 25. Popplow (1977) S. 172. UAG,K,XVLIV,A.a.145: Latte an Kurator, Frankfurt, den 17. 4. 1955 und siehe w. u. 3.2.1.
Vgl. dazu auch die Notiz im Göttinger Tageblatt vom 15./16. April, Osterausgabe, unter dem Titel „16
Hochschullehrer
beurlaubt“:
„Es
soll
sichergestellt
werden,
daB
der
größte
Teil
des
δὰ
Revirements noch vor dem 1. Mai erfolgt ist, so daß Unruhen zum Semesterbeginn vermieden werden.“ Zu Hohenemser vgl. Tollmien (1887) S. 472 und Becker (1987b) S. 495.
Vgl. Lemmerich (1982) S. 89: der Brief ist von A. Kühn, D. Hilbert, A. Windaus, E. Landau, A. Klötz, M. Reich, O. Neugebauer, V. M. Goldschmidt, R. Courant, L. Prandtl, S. Schermer, A. Eucken, R. Pohl, H. Kienle, G. H. Angenheister und M. Born, durchweg Ordinarien der mathem.-nat. Fakultät, unterzeichnet.
45a Vgl. dazu Broszat (1969) S. 95 f. 46 Göttinger Tageblatt, 8. 3. 1933, S. 11: Es unterzeichneten 20 Göttinger Hochschullehrer und neben Geschäftsleuten, Rechtsanwälten und Vertretern des Militärs auch der Verlagsleiter Karl Ruprecht des Göttinger Verlags Vandenhoeck und Ruprecht. Zu Ludwig Prandtl vgl. Tollmien (1987) 5. 472 und Schappacher (1987) 5. 351; zu Julius Binder vgl. Halfmann (1987) 5. 90 und 92; zu Hugo Willrich vgl. weiter oben S. 72 f.; zu Hermann Kees, Ägyptologe, vgl. Ebel (1062). Vgl. dazu Wilhelm (1978) S. 40-47; Popplow (1977) S. 177 f.
Vgl. Walk (1981) Nr. 19; Hilberg (1982) S. 74. Göttinger Tageblatt vom 15./16. 4. 1955 unter dem Titel „16 Hochschullehrer beurlaubt“. Vgl. auch Góttinger Zeitung vom 15. 4. 1955, S. 1.
Rosenow (1987) S. 577 f. und Lemmerich (1982) S. 115 ff. Am 18. November 1837 protestierten, zusammen mit Jacob Grimm, sieben Göttinger Professoren (von insgesamt 52) gegen die eigenmüchtige Aufhebung des 1855 zwischen den Stánden
und Kónig Wilhelm IV. ausgehandelten und vergleichsweise demokratischen Grundgesetzes durch seinen Nachfolger Kónig Ernst August. Vgl. dazu Jacob Grimm über seine Entlassung (1985) S. 14 fI., S. 44 ff.
STAR
Rosenow (1987) S. 579 und Anm. 45 w. o.
Zitat nach Rosenow (1987) S. 578. Göttinger Zeitung vom 18. 4. 1955. Zitate aus Góttinger Tageblatt vom 24. 4. 1955 unter dem Titel ,Der Rücktritt Professor Francks“, Faksimile in Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 29 ff. Ebd. auch Faksimile der Rück-
trittserklárung von James Franck: „Freiwilliger Amtsverzicht Prof. James Franck“, in: Göttinger Zeitung vom 18. 4. 1955 (wie Anm. 54).
Anmerkungen
295
56 Zu der schon länger schwelenden Konfliktlage zwischen den Landwirtschaftlichen Instituten und den Kollegen der Mathemat. und Physikal. Institute vgl. Becker (1987a) S. 412 ff.
57 Vgl. UAG, Protokollbuch der Phil. Fak., Bd. Il, 1950-1949, Bl. 566; Marshall (1972) S. 49 zu Kees als Vorstand der DNVP.
58 Vgl. dazu Grete Paquins Darstellung in Popplow (1977) S. 175 f; und Rosenow (1987) S. 578. 59 Edith Hahn, die Frau von Otto Hahn, an J. Franck, 22. 4. 1955, USA, teilweise veröffentlicht in: 59a
Lemmerich (1982) S. 115. Vgl. dazu Majer [1992] Abschnitt 2.
59b Nachlaß Pohlenz, Cod. MS Nr. 105, im Besitz der NStUBGó. 59c
Auch der Chemiker und a. o. Prof. Peter Adolf Thiessen ist zu der Gruppe nationalsozialisti-
scher Aktivisten um Jander zu zählen: vg. dazu Majer [1092] Abschnitt 2. 80 Faksimile des Entlassungstelegramms in Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 28 ff.; zu Honig vgl. Halfmann (1987) S. 93 ff.; zu Courant, Bernstein und Noether vgl. Schappacher (1987); zu Bondy vgl. Göppinger (1990) S. 99, S.108, bes. S. 529, Halfmann (1987) S. 124, Anm. 57 und Ratzke
(1987) S. 208. 62 65
Göttinger Tageblatt, Mittwoch, den 26. 4. 1955, S. 5. Vgl. die Einleitung von H.-J. Dahms in: Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 28 ff. und S. 51. Vgl. dazu Stuchlik (1984) S. 96 f., S. 97 gibt das Rücktrittsgesuch von Kantorowicz in vollem Wortlaut wieder. Dies muß leider ausdrücklich betont und hervorgehoben werden, weil immer wieder apologetisch behauptet wird, man könne doch nicht erwarten, daß konservative Professoren gegen nationalsozialistische Maßnahmen protestieren, wenn sie doch ebenso konservative jüdische Kollegen gehabt hätten, die geschwiegen oder gar das Regime begrüßt hätten oder es zumindest mit ihrer politischen Einstellung ebenso wie die nichtjüdischen Hochschullehrer mit vorbereitet hätten. Vgl. dazu z. B. Classen (1989d) S. 74: ,Durchgehend scheint Dahms allzu rasch geneigt, in den konservativen Krüften die Wegbereiter des N.S.-Regimes zu sehen und u. a. zu vergessen, daß gerade auch viele jüdische Intellektuelle sehr konservativ und sehr nationalistisch waren.“ Classen argumentiert hier implizit genau umgekehrt: Weil auch jüdische Professoren konservativ waren - was im übrigen im Bereich der Altertumswissenschaften eher der Fall war als in anderen Wissenschaften -, kann die gesamte Gruppe der konservativen Gelehrten von der Wegbereitung des Nationalsozialismus entlastet werden. Vgl. auch v. Brocke
(1986) S. 154 f. Jacoby sagte sogar ausdrücklich, daß er gegen sein eigenes Interesse handelt, wenn er die
„nationale Erhebung“ begrüßt: „Als Jude befinde ich mich in einer schwierigen Lage. Aber als Historiker habe ich gelernt, geschichtliche Ereignisse nicht unter privater Perspektive zu betrachten.“ So leitete er seine Akklamation Hitlers ein, wenn die Erinnerung Georg Pichts, der das kolportierte, nicht überhaupt falsch ist, vgl. dazu v. Brocke (1986) S. 154 mit Anm. 75; Zitat
ebd.; zu Felix Jacoby vgl. Mensching (1989) S. 17-59; bes. S. 22 ff. und Anm. 27 zu seiner deutsch-nationalistischen Einstellung.
Zitat nach Mensching (1989) S. 25 f.: Brief Felix Jacobys an den Pr. u. REM, Kiel, den 19. März 1954, an seinem 58. Geburtstag.
67 Vgl. dazu C. J. Classens Bemerkung, es habe übrigens kein Altertumswissenschaftller die „Kundgebung“ unterzeichnet (Classen (1989d) S. 74): Sie ist mit dem einschrünkenden Zusatz
richtig, daß der Althistoriker U. Kahrstedt keine Gelegenheit hatte, seine Unterschrift bzw. seine Zustimmung zu geben, weil er nicht in Göttingen war, als die „Kundgebung“ organisiert wurde. Zur Verdeutlichung der Dichte der Ereignisse sei eine Zeittafel von den zwei Osterwochen des Jahres 1955 gegeben:
12. 4. 1955, Mittwoch - Erlaf eines neuen Studentenrechts für Studentenschaften in Preußen: Einführung des Führerprinzips, Abschaffung der AStA-Wahlen, Vereinigung mit den österreichischen Studenten nach dem Prinzip des Volksbürgers, unter Ausschluß linker und jüdischer Studenten (vgl. Göttinger Zeitung (GZ] vom 12. 4. 1955 unter dem Titel „Gleichschaltung der Universitäten“;
Walk [1981] Nr. 55). 15. 4. 1955, Donnerstag - Beginn des auf vier Wochen geplanten „Aufklärungsfeldzugs wider den undeutschen Geist“,
organisiert von der „Deutschen Studentenschaft“ mit den an fast allen Universitäten ange-
296
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS schlagenen „12 Thesen wider den undeutschen Geist“ (vgl. Webler [1983] S. 7; Sauder [1985] S. 95 f. und Anm. 70 w. u.).
- Veröffentlichung des Briefes von Albert Einstein an die Preußische Akademie der Wissenschaften, in dem er sich gegen die ihm von der Akademie unterstellte „Greuelhetze“ verwahrt und noch einmal erklärt, warum er seine Stellung an der Akademie und sein „preußisches Bürgerrecht“ niederlegte: ,. . . ich begründete dies damit, daß ich nicht in einem Staat leben
wolle, in dem Individuen nicht gleiches Recht vor dem Gesetze sowie Freiheit des Wortes und der Lehre zugestanden wird.“ (Vgl. GZ vom 13.4. 1933 unter dem Titel „Einstein schreibt
an die Akademie“.) 14. 4. 1955, Karfreitag - Veróffentlichung und Kommentar der wichtigsten Paragraphen des neuen Studentenrechts im Góttinger Tageblatt (GT), Osterausgabe, 15./14. 4. 1955. 15. 4. 1955, Ostersamstag
- Kahrstedts Anfrage via Kurator an das Pr. u. REM in Berlin, ob er an dem Kongreß der deutschen Verbände für Altertumsforschung in Groningen teilnehmen solle (vgl. UAG,K,XVI,IV,A.a.20: Kurator an Pr. u. REM, 15. 4. 1955). - Die ersten 16 Professoren an preußischen Hochschulen vom Kultusminister beurlaubt (vgl. GT und GZ vom 15. 4. 1933). - Ankündigung der ersten Fragebogen-Aktion für Hochschullehrer zur Durchführung des BBG (vgl. GT vom 15. 4. 1955). 17. 4. 1955, Ostermontag
- James Franck schreibt sein Rücktrittsgesuch und gibt es auch an die Presse weiter (vgl. Rosenow [1987] S. 578). - KurtLatte schreibt aus Frankfurt am Main an den Kurator, weil er wegen der in den Zeitungen angekündigten Fragebogen-Aktion zum BBG besorgt ist. Er erinnert daran, daß er bis 6. 5.
1955
einschließlich
für
eine
Studienreise
in
Griechenland
beurlaubt
ist
(vgl.
UAG,K,XVI,IV,A.a.145: Latte an Kurator, Frankfurt, 17. 4. 1955). 18. 4. 1955, Dienstag - „Freiwilliger Amtsverzicht Prof. James Francks“, berichtet die GZ am 18. 4. 1055 (Faksimile
in Becker/Dahms/Wegeler [1987] S. 28 f.). 19. 4. 1955, Mittwoch - Telegramm des Pr. u. REM an Kahrstedt trifft in Góttingen ein, Kahrstedt ist aber schon lángst
in Groningen, wo die Tagung begonnen hat (vgl. UAG,K,XVLIV,A.a.260: Kahrstedt an Pr. u. REM, Göttingen, den 29. 4. 1955). - „Spionageerlaß“ des Vorstands der „Deutschen Studentenschaften" an alle Studentenschaften aller Hochschulen (vgl. Schóne [1985] S. 15 und Anm. 28 w. o.).
21. 4. 1055, Freitag - Kahrstedt erhält in Groningen telegraphisch die abratende Stellungnahme des Kultusministers einige Stunden vor seinem Vortrag und hält ihn trotzdem. 22. 4. 1955, Samstag - Zwangsmitgliedschaft aller Studenten „deutscher Abstammung“ in der „Deutschen Studen-
tenschaft* (vgl. Schóne [1985] S. 9; Walk [1981] Nr. 65; RGBI. I, S. 215, 1955). 25. 4. 1955, Sonntag - Max
Pohlenz
lehnt die Unterzeichnung
der „Kundgebung“
Göttinger Dozenten
ab (vgl.
NachlaD Pohlenz, Cod. MS Nr. 105). 24. 4. 1955, Montag - „Kundgebung“ 42 Göttinger Dozenten im GT vom 24. 4. 1955, wiedergegeben als Faksimile in: Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 28 ff. - Kahrstedts Artikel ,Germany and the Jews. An Apologia for Hitlerism" erscheint in der Londoner „Morning Post“ (vgl. Anhang 7). - 1. Ausführungsvorschrift zum BBG, die die Angestellten und Arbeiter im Staatsdienst den Beamten gleichstellt, d. h. das BBG auch auf sie anwendbar macht (vgl. Walk (1981] Nr. 74).
25. 4. 1955, Dienstag - Die ersten sechs Góttinger Hochschullehrer telegraphisch vom Pr. u. REM
beurlaubt (vgl.
UAG,K,IX,85: „Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums") und Abbildung in Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 28 ff.
- Erlaß des „Gesetzes gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen“:
Die
Anmerkungen
297
Neuaufnahme von Studenten jüdischer Herkunft wird auf 1,5% bei einem Höchstbestand von 5% pro Fakultät bzw. Universität beschränkt. Daraus folgte eine Aufnahmesperre für das Medizin- und das Jurastudium (7,6% und 7,5% jüdische Studenten studierten Medizin und
Jura an den größeren Universitäten). Der Anteil von Frauen unter den Studierenden wurde auf 10% herabgesetzt (vgl. Jarausch [1984] S. 177; Walk [1081] Nr. 77 und Nr. 78; RGBI. 1, S. 225 f., 1955). " 26. 4. 1955, Mittwoch - „6 Göttinger Professoren beurlaubt. Weitere werden folgen“, steht im GT zu lesen. - Sitzung der philosophischen Fakultät: Der neue Dekan wird „auf Zuruf gewählt“. R. Hartmann, Ordinarius für Semitistik und Islamistik, Mitunterzeichner der „Kundgebung“, wird Dekan der Phil. Fak., Prodekan bleibt sein Fachkollege Kees. Kahrstedt, der zusammen mit Kees in den Senat gewählt wird, ist nicht auf der Anwesenheitsliste eingetragen (vgl. UAG, Protokollbuch der Phil. Fak., 1950-1949, Bl. 87, Protokoll der Sitzung vom
20. 4. 1955). 29. 4. 1955, Samstag - Kahrstedt ist sicher wiederin Göttingen anwesend, denn er rechtfertigt sich brieflich vor dem Pr. u. REM für seine Reise nach Groningen (vgl. UAG,K,XVLIV‚A.a.26: Kahrstedt an Kultusminister, Göttingen, 29. 4. 1933).
3.5. 1933, Mittwoch - „Feierlicher Semesterbeginn, Bekenntnis der Georgia Augusta zu Adolf Hitler“ (vgl. GT vom
4. 5. 1955). - Im ,Hannoverschen Kurier“ erscheint rechtzeitig zu Semesterbeginn unter dem Titel „Das humanistische Gymnasium und das neue Reich“ ein Artikel von Max Pohlenz (vgi. Hannoverscher Kurier vom 5. 5. 1955, Beilage). 4. 5. 1955, Donnerstag - 2. VO zur Durchführung des Gesetzes 2. Wiederherstellung des Berufsbeamtentums: Privatrechtliche Vertrüge mit nichtarischen Angestellten und Arbeitern des Reichs, der Lünder, der Gemeinden usw. sind mit Monatsfrist zu kündigen. Ausgenommen sind davon die sogenannten privilegierten Nichtarier gemäß $ 5 (2) des Gesetzes (vgl. Walk (1981] Nr. 86; RGBI. I,
S. 255 ff., 1955). 10. 5. 1955 - Reichsweite
Bücherverbrennung.
Aktion
der
Studentenschaft
,Wider
den
undeutschen
Geist“, die vom neuen Rektor der Universität, dem Germanisten Friedrich Neumann, und dem Privatdozenten gleichen Fachs, Gerhard Fricke, mit Reden im vollbesetzten Auditorium maximum eingeleitet wurde. In einem Fackelzug zogen die Studenten und Korporationen, begleitet von der SS-Musikkapelle, dann zum Platz vor der Albani-Schule. Dort war schon der Haufen der von Studenten eingesammelten Bücher zur „Bücherverbrennung“ aufgetürmt (vgl. Schöne [1985] S. 5 f.; „Göttinger Hochschulzeitung", Nr. 2, 18/19. Mai 1955, enhält die Brandrede Frickes im vollen Wortlaut: S. 2 f.; über den Ablauf: S. 6; vgl. auch Berichte im
GT und in der GZ vom 11. 5. 1955; Becker/Dahms/Wegeler [1987] S. 280 ff.: Abbildung der Göttinger Bücherverbrennung). Vgl. UAG,K,XVI,IV,A.a.26: Kahrstedt an Kultusminister, Göttingen, den 29. 4. 1955. 69 Α. ἃ. O.: Kurator an Pr. u. REM, Göttingen, den 15. 4. 1955. 70 Am 15. 4. 1955 begann das ,Hauptamt für Presse und Propaganda* der ,Deutschen Studentenschaft“ in fast allen Hochschulstädten mit einem vierwöchigen antisemitischen „Aufklärungsfeldzug wider den undeutschen Geist“. Die Aktion schloß auch die Sammlung ,zersetzenden
Schrifttums* ein und fand ihren Hóhepunkt in den reichsweiten Bücherverbrennungen am 10. Mai 1955. Die PreuDische Studentenrechtsverordnung vom 12. 4. legte fest, daD nur Mitglie-
der „deutscher Abstammung“ bei den Studentenschaften zugelassen sind ($ 1). Vgl. Anm. 67 w. 0., Zeittafel: 12. 4., 15. 4. und 14. 4. 1955. Zur Bücherverbrennung vgl. Sauder (1985) und
Anm. 67 w. o., Zeittafel: 10. Mai 1955. Wie Anm.
68 w. o. und Telegramm
des Pr. u. REM
an den Kurator, Berlin, 19. 4. 1955 in:
UAG,K,XV1,IV,A.a.26. A. a. O.: Kahrstedt an Pr. u. REM, Göttingen, 29. 4. 1955. 75 Pohlenz, Das humanistische Gymnasium und das neue Reich. In: Hannoverscher Kurier vom 5. Mai 1955. 74 Vgl. Pohlenz (1925), bes. (19268) und weiter oben S. 87 f.
298
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS wie Anm. 75.
Ebd. Ebd. Zur Aktualisierung von Perikles als „Führer“-Gestalt vgl. Näf (1986) bes. S. 160-170. Losemann (1977) S. 69 ff., Irmscher (1966) S. 264 f.
Jaeger (1955) S. 44, vgl. auch zu Jaeger und Krieck: Irmscher (1969) S. 21 f.; zu Ernst Krieck vgl. auch Stuchlik (1984) S. 86-90.
Die aus Karrieregründen zum Nationalsozialismus umschwenkenden Wissenschaftler fallen zahlenmäßig 1952/55 kaum ins Gewicht! Vgl. dazu Faust (1880) S. 41 fT. Heidegger (1985) S. 9 f., Zitat: S. 10. Zitat nach Hollerbach (1989) S. 198. Zitat nach Farias (1989) S. 165 (= Gnomon, Bd. 9, 1955, S. 440 f.). Die Rede Heideggers zum Antritt des Rektorats kann man nachlesen in: Heidegger (1985) S. 9-19; vgl. zu der Rektoratsrede und ihrer Wirkung auch Farias (1987) S. 151-168.
Zu W. Schadewaldts Roile vgl. Ott (1988) S. 140 f. Zu Fritz Pringsheim vgl. Góppinger (1990) S. 208, S. 556; zu Eduard Norden vgl. Mensching (1987b) S. 44-106 und ders. (1989) S. 5-16; zu Friedrich Solmsen und Richard Walzer vgl. ders. (1990) S. 64-114, bes. S. 68IT. und S. 87 ff.; zu Arthur Rosenberg vgl. Röder/Strauss (1980) Bd. I, S. 612; Losemann (1977) S. 51 f.; Rosenberg (1961) S. 2129. Zu den Lebensdaten etc. der hier Genannten vgl. auch Anhang 10; zu Richard Harder vgl. Calder Ill (1985) und Losemann (1977) S. 140-175 und S. 65; zu Woifgang Schadewaldt vgl. Ott (1988) S. 140 f., S. 507; Martin (1989) S. 22 ff. mit Anm. 40, S. 27; zu Harders und Schadewaldts Berliner Jahren vgl. auch Mensching
(1990) S. 64-114. In der Potsdamer Garnisonkirche fand am 21. 5. 1955 die erste Sitzung des neuen Reichstags statt, bei der Hitler von Hindenburg vereidigt wurde: ,der Tag von Potsdam". Zitat aus der im Göttinger Tageblatt vom 4. Mai 1955 unter dem Titel „Bekenntnis der Georgia
Augusta zu Adolf Hitler“ abgedruckten Rede. Ebd. auch Bericht ,Feierlicher Semesterbeginn“. Zu Siegmund Schermer vgl. Becker (19872) S. 412, S. 414 IT. Göttinger Tageblatt vom 4. 5. 1955, wie Anm. 87. Vgl. dazu Becker (19878) S. 415 f. und Paul (1987) S. 559.
Ebd.; Friedrich Neumann erhielt bei der Wahl 89 von insgesamt 97 Stimmen: vgl. dazu Kamp (1988) S. 105 und FN 49 und 51 sowie S. 107; zur Rücktrittsforderung an Schermer vgl. Gross
(1987) S. 147. Vgl. Rosenow (1987) zu den Physikalischen Instituten und Schappacher (1887) zu den Mathematischen Instituten. UAG,K,XVI,IV,A.a.145: Latte an den kommissar. Kurator in Göttingen, Frankfur/M., den 17. 4. 1955. Der ehemalige Göttinger Kurator, Geheimrat Justus Theodor Valentiner (1869— 1952), war im Herbst 1952 in das Preußische Kultusministerium zum Leiter der Hochschulabteilung berufen worden. Er wurde aber bald nach der Machtergreifung von der neuen Ministe-
riumsleitung wieder nach Göttingen zurückversetzt, so daß er spätestens im Mai 1955 wieder dort amtierte; vgl. dazu Einleitung in: Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 25 und Gross (1987)
883
&$?35
S. 147 und Göttinger Tageblatt vom 15./14. 4. 1955. Vgl. dazu UAG,K,XVI,IV,A.a.145: Latte an Kurator, Göttingen, den 25. 5. 1955. Α. 8. Ο.: Latte an Kurator, Göttingen, den 26. 6. 1955. Dokumentiertes Gesprüch mit Herrn H. Dreitzel und Herrn Dr. H. Roemer am 20. 2. 1985, wobei Herr Dr. Roemer die Geschichte berichtete. Er erzählte sie so, als sei es in der Hamburger Wohnung von Latte passiert. Da er SA-Uniformen erwähnt, Latte erst 1956 nach Hamburg zog und nicht zu erwarten ist, daB Hamburger Studenten seine Wohnung kannten, vermute ich, daß der Vorfall sich noch in Göttingen abspielte. UAG,K,XVI,IV,A.d.141, Bl. 74: Fránkel an Kurator, Göttingen, den 25. 5. 1955. Zu Fränkels Gehalt ist ergänzend zu bemerken: Von April 1929 bis Juni 1951 erhielt Fränkel die 8fache Vergütung eines vollen Lehrauftrags aus der durch den Tod des Kollegen Professor Baehrens frei gewordenen Stelle, vgl. a. a. O., Bl. 58. Mit dem Wegfall dieser Vergütung war Fränkel finanziell wieder schlechter gestelit. Zur Göttinger Bücherverbrennung vgl. Schöne (1985) bes. S. 5 ff., S. 18 fT., S. 26 ff. Zitate aus dem Góttinger Tageblatt vorn 11. 5. 1955, S. 8. Vgl. dazu das im Göttinger Tageblatt vom 18. 4. 1955, S. 5 wiedergegebene Interview mit
Bernhard Rust.
Anmerkungen 100
101 102 105
299
Vgl. dazu NachlaB: B. Schwertfeger (1868-1955) NL 15, Nr. 452 im BA Koblenz: Satzungen der
„Wehrwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft"; Briefwechsel Schwertfeger von Cochenhausen, ebd.; Lebenslauf. VgL dazu Ericksen (1987) S. 227 ff. Vgl. dazu Brednich (1987) S. 514 f. Im September 1955 stellte der ,Hochschulkreis Niedersachsen" beim RuPrEM den Antrag, einen Lehrauftrag für „Rassenkunde“ zur Unterstützung seiner studentischen Schulungsarbeitin der Abteilung „Erbgut und Rasse“ zu erhalten. Der Rektor bot den durch die Entlassung Hermann Frünkels frei gewordenen Lehrauftrag des „Instituts für Altertumskunde“ an. Vgl.
dazu UAG,R,5401b: „Hochschulkreis Niedersachsen“ an RuPrEM, via Rektor, Göttingen, den 104 105
106
21. 9. 1955, und Rektor an RuPrEM, Göttingen, den 4. 10. 1055. Chronik der Universität Göttingen, maschinenschriftl. Exemplar des UAG, 1951-1957, Göttingen 1957, S. 92 und 04.
Die hier genannten Zahlen teilte mir Professor Dr. C. J. Classen in Form eines Diktates aus der handschriftlich geführten „Chronik“ des Instituts mit, die er nicht aus der Hand geben wollte. Vgl. dazu UAG,K,XVLIV‚A.a.143, Personalakte Prof. Latte: Latte an Kurator, Göttingen, den 15. 10. 1931; und Anm. 96 w. o.
107
Auch diese Zahlen sind mündlich übermittelt von Professor Dr. C. J. Classen (wie Anm. 105), nur die Zahlenangabe zu Lattes Mythologie-Seminar entnahm ich seiner Rezension: Classen (19894) S. 74.
108
Vgl. Kahrstedt (1955) S. 220-222, bes. S. 222: „Römisch-Germanisches im Hochschulunterricht*. Vgl. auch Vorlesungsverzeichnis für das SS 1955, UAG.
109 110
Vgl. dazu die Zehn-Jahres-Statistik des Hochschulbesuchs: Lorenz (1945) Bd. I, S. 230. Nach den mündlich übermittelten Angaben aus der handschriftlich geführten „Institutschronik", wie Anm. 105.
111
Vgl. UAG,K,XVLIV,C.c.5, 11. 11. 1955.
112 115
A. a. O.: Pohlenz an Dekan, 19. 2. 1957. Vgl. dazu Becker/Dahms/Wegeler (1987) die Einleitung von H.-J. Dahms, S. 19 f. und UAG,S,I B.5.c. 65d-g; zu Carl Mirbt vgl. die Kurzbiographie in: Chronik (1951) S. 20 f. Vgl. die viersprachige Ausgabe des „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“ (1955) S. 5, von der ein Exemplar in der UB-Bielefeld existiert. Für den Hinweis danke ich Klaus Sommer. Das „Bekenntnis“ kam auf einer an der Universität Leipzig im Oktober 1955 organisierten Wahlveranstaltung zustande: Neben der Rede des sächsischen ,Gauobmanns* Arthur Gópfert sind u. a. auch die von Martin Heidegger und Emanuel Hirsch in dem „Bekenntnis“ enthalten (vgl. Bekenntnis [1955] S. 15-17). 51 Göttinger Hochschullehrer unterzeichneten das „Bekenntnis", das den Austritt des Deutschen Reichs aus dem Vólkerbund am 19. Oktober gutheißt, vgl. Bekenntnis (1955) S. 129; vgl. auch Bleuel (1968) S. 221 f. Vgl. dazu das Voriesungsverzeichnis der Universität Göttingen für das WS 1955/54 (UAG). Vgl die Abbildung der Einladung, aus: Mitteilungen, Universitütsbund Göttingen, Jg. 16, H. 1, Góttingen, den 15. Mai 1954. Die Rede im vollen Wortlaut findet sich in: ,Góttinger Nachrichten“, Amtsblatt der NSDAP und des Stadt- u. des Landkreises Göttingen vom 19. Januar 1954, Nr. 16, Jg. 2 (Paginierung fehlt), unter dem Titel ,Reichsgründungsfeier der Góttinger Universität“ und ist in Anhang 8 in vollem Wortlaut dokumentiert. Vgl. dazu Nàfs hervorragende Untersuchung des Bildes von der attischen Demokratie, das die Althistoriker zwischen 1800-1945 entwarfen: Näf (1986) S. 59 ff., S. 55-68 und bes. S. 99-107.
114
115 116
117
Assistenten,
Bd.
I: Pohlenz
an den
Dekan,
25.
10.
1955
und
Näf nennt u. a. den Althistoriker Johannes Hasebroek (1893-1957) als den bekanntesten und wirkungsvollsten
Vertreter der „Antimodernisten“,
die eine andere
Position vertraten als
Eduard Meyer, K. J. Beloch und R. v. Pöhlmann. Hasebroek sah keine Verbindung zwischen der antiken und der modernen Demokratie. Damit bestritt er die Parallelitätsthese, die von Kahrstedt vertreten wird.
118 119
Vgl. dazu Nüf (1986) S. 60 ff., bes. S. 87 ff., S. 72 f. und S. 79 ff. In seiner wührend des Krieges geschriebenen, aber erst 1948 erschienenen ,Geschichte des
griechisch-römischen Altertums“ nennt Kahrstedt die ersten beiden Kapitel „Der Herbst des griechischen Mütelalters“ und „Die Entdeckung der Welt und des Menschen, der bürgerliche
300
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Staat und die religióse Reformation" (Hervorhebungen, C. W.). Kahrstedt (1948) Inhaltsver-
120
121
zeichnis; vgl. dazu auch Näf (1986) S. 244-250; Näfs Einschätzung von Kahrstedts Sonderstellung gegenüber dem Nationalsozialismus im Vergleich zu anderen Althistorikern - insbesondere daß Kahrstedt zum Nationalsozialismus eine kritische Distanz gehalten habe - muß anhand des hier neu vorgelegten Materials jedenfalls für die Jahre bis 1958/59 revidiert werden. Vgl. Kahrstedt (1948): Zwei andere Kapitel heißen „Erhebung der Farbigen und des Proletariats“ und „Der Sieg des Westens und des Bürgertums“. In diesen legt Kahrstedt ausführlich dar, was der Vortrag nur sehr knapp beschreibt. Das geht aus dem Vorwort seiner „Geschichte des griechisch-römischen Altertums“ hervor:
Kahrstedt (1948) Vorwort; unpaginiert. Im 3. Jh. v. Chr. hatte die griechische Sprache und
122
125 124
125 126
127
Kultur tatsächlich die größte Ausbreitung im Vorderen Orient, bis an die Grenzen Indiens. Durch das ein Jahrhundert lang herrschende „Gleichgewicht des Mächtesystems“ der beteiligten Staaten sei der „gewaltige Aufstieg“ auf „geistigem und materiellem Gebiet“, der Moderne vergleichbar, erst möglich gewesen (Anhang 8, S. 357). Albert Leo Schlageter, ein ehemaliges Freicorpsmitglied, wurde 1925 von der französischen Besatzungsmacht wegen eines Anschlags auf eine Eisenbahnlinie zum Tod verurteilt und hingerichtet. Besonders die NSDAP baute ihn später als „Märtyrer“ auf. Auch der zweite Fall bezieht sich wohl auf die Besetzung des Ruhrgebiets durch belgische und französische Truppen 1923. Vgl. dazu Ericksen (1987) S. 229 f.; zu Karl Brandi vgl. Petke (1987); zum Verlauf des Kongresses ausführlich und äußerst aufschlußreich: Erdmann (1987) S. 190-220, S. 449.
Vgl. dazu Brandis „Gegendarstellung“ in: UAG, Acta Phil. Fak. III A, 510 (15): btr. Rede des Professors der alten Geschichte U. Kahrstedt am 18. Januar 1954; und Brief Brandis an O. H. May, Bibliotheksdirektor in Hannover, Góttingen, den 25. 1. 1954, in: Nachlaf Brandi, Cod. MS Brandi 54a, NStUBGó; und Petke (1987) S. 505 ff. Vgl. dazu die Untersuchung von Schröder-Gudehaus (1966) und Petke (1987) S. 300 ff. Vgl. Brandis „Gegendarstellung“, wie Anm. 124 und Brandis Schilderung der Ereignisse nach Kahrstedts Rede in dem Brief vom 27. 1. 1954 an O. H. May, wie Anm. 124. Für den Hinweis auf die Briefe Brandis an May danke ich Herrn Professor Dr. Wolfgang Petke (Góttingen), der als erster den ,NachlaD Brandi" einsehen durfte und mich darin unterstützte, die Erlaubnis zur Einsicht zu erhalten. Vgl. auch Petkes Darstellung (1987) S. 305-307.
UAG,K,XVLIV,A.a.26: Pr. u. REMin. Bernhard Rust, via Kurator an Kahrstedt, Berlin, den 9. 4. 1854, und das Schreiben des Innenministers Frick an Brandi vom 12. 3. 1954; zitiert in:
Petke (1987) S. 507. 128
129 150 151 152 153 154
NL Brandi, NStUBGö, Cod. MS 47, Nr. 157: P. E. Schramm an Brandi, Göttingen, 4. 2. 1954. Das erste Haibjahr 1955 war Schramm Gastprofessor in Princeton gewesen, vgl. Grolle (1989)
S. 50. Zu Schramm vgl. Ericksen (1987) S. 220, S. 226 ff. und Grolle (1989). NL Brandi, NStUBGó, Cod. MS 47, Nr. 195: Brandi an Herrn Gesandten Dr. Stieve, Góttingen, den 12. Mürz 1954. UAG,R,5201b: Professoren aller Fakultäten, Bd. I, 1955, Rektor via Kurator an PruREM, Göttingen, den 24. 10. 1954.
UAG,K,XVLIV,A.a.26: Kahrstedt an PruREM, 16. 10. 1934. UAG,R,5201b, Bd. I: Rektor an die Reichswehr-Werbestelle, Göttingen, den 50. 1. 1955. Nachlaß Bernhard Schwertfeger (1868-1955), BA Koblenz: NL 15/Nr. 452, Schwertfeger an v.
Cochenhausen, Hannover, den 2. 5. 1954. 155 156
v. Cochenhausen an B. Schwertfeger, Berlin, den 6. 3. 1954, in: BA Koblenz, NL 15/Nr. 452. Dokumentierte Gesprüche mit Herrn Professor Dr. Hans Gürtner, Frau Dr. Jonas, Herrn Professor J. Mau u. a., die von Wendungen in Kahrstedts Vorlesungen auch nach 1945 berichteten, wie etwa: „Der rote Pöbel raste durch Rom“. Wie auch in dem Vortrag (Anhang B, S. 364 f.) lieD Kahrstedt nach Berichten ehemaliger Studenten auch in Vorlesungen kritische Bemerkungen über die NSDAP fallen. Seine grundlegende Sichtweise und die damit verbundene Akzeptanz der Nationalsozialisten aber blieb unberührt von seiner Kritik im Detail. Vgl. auch den Nachruf seines Schülers Ernst Meyer (1962), der noch 1962 von Kahrstedts Kampf gegen „die rote Hochflut" berichtet. Aber auch Näf tut sich noch 1986 schwer, eine Verbindung zwischen Kahrstedts antidemokratischen Urteilen, seiner Bevorzugung eines mächtigen,
Anmerkungen
301
über die „Farbigen“ herrschenden nationalistischen Staates ohne Klassengegensätze nationalsozialistischer Ideologiebildung zu sehen, vgl. Näf (1986) S. 249 f. 137 138
und
Vgl. dazu Bohleber (1992) S. 694 ff., S. 702-707, Zitat: S. 695. Diese Information verdanke ich Professor Alfred HeuD (Göttingen), der mir auch die Duell-
geschichte erzählte und meine Nachforschungen lebhaft unterstützte. Nach seinem Rückzug von den Kollegen begann Kahrstedt ein Tagebuch zu schreiben, in dem die Göttinger Verhältnisse festgehalten sein sollen, wie Professor HeuB mir mitteilte. Die handschriftlichen Tagebücher existieren tatsächlich und befinden sich im Nachlaß Kahrstedt, NStUBGó. Sie waren bis 1992 nicht einsehbar. Soweit ich sehen konnte, hat Kahrstedt selbst Teile maschi-
159 140 141 142 143 14
nenschriftlich übertragen, um sie als eine Art Zeitzeugendokumente in Entnaziflzierungsverfahren, die gegen Kollegen liefen, vorzulegen. Die von Kahrstedt erstellten , Auszüge" aus seinen Tagebüchern wurden von den ersten Nachkriegs-Dekanen in der Tat angefordert und benutzt. Eine Beurteilung der Aussagekrüftigkeit und Stichhaltigkeit von Kahrstedts Tagebuchauszügen, ihre Verwendung bei der Entnazifizierung zur Ent- bzw. Belastung von Kollegen etc. erfordert eine eigene Forschungsarbeit, zumal allein die Tagebücher weit über 1000 Seiten Text, zudem in schwer leserlicher Form enthalten. Diese Begebenheit erzählte mir Professor Hans Gärtner (Regensburg) als eine der mündlich überlieferten Góttinger Nachkriegsgeschichten. UAG,K,XVI,IV,A.a.26: Im Fragebogen des Military Government vom 22. Juli 1947 führt Kahrstedt ein Redeverbot seitens der Góttinger SA an, das er am 25. 11. 1955 erhalten hatte.
UAG,K,XVLIV,A.a.26: Rektor an RuPrEM, Göttingen, den 29. 6. 1955 und den 18. 10. 1955; RuPrEM an Rektor, Berlin, den 21. 2. 19058. Im Entnazifierungsverfahren sollte ihm später die Nichtmitgliedschaft zugute kommen.
Skutsch (1992) S. 599. Der Antrag, H. Fränkel zum a. o. Professor zu ernennen, wird schon 1925 mit seiner Nennung
auf Berufungslisten begründet (vgl. UAG,K,XVI,TV,A.d.141: Dekan an Pr. Kultusmin., den 16. 6. 1925). 1927 wird er in Hamburg zum ersten Mal als Nachfolger von R. Pfeiffer auf die Berufungsliste gesetzt (vgl. Lohse [1091] S. 779), 1830 ein zweites Mal als Nachfolger von F. Klingner, 1932 in Marburg und in Rostock (vgl. dazu w. o. S. 105 fT.).
145 146
Skutsch (1992) S. 598. 8) Zuden Karrieren von Pfeiffer, Klingner, Regenbogen, Harder, Schadewaldt und Fuchs vgl. Mensching (1991) S. 64 ff. u. bes. S. 94; zu Snell vgl. Lohse (1991) S. 795 ff; zu Jaeger vgl. Mensching (1989) S. 60-02; zu Kahrstedt, Ed. Fraenkel und Latte vgl. w. o.; zu Jachmann vgl.
W. Schmid (1980) S. 201-203. b) Das
Zitat
stammt
aus
einem
Brief von
Bruno
Snell
an
den
Kurator
der Universität
Göttingen, 15. 6. 1954, in: UAG,K,XVI,IV,A.d.141, Personalakte H. Frünkel, Bl. 129. 147
148
149
Pohlenz an Willy Theiler, Góttingen, den 25. Juni
1954, in: NL Pohlenz, Cod. MS Nr. 107, im
Besitz der NStUBGö. Zu Paul Maas (Königsberg), seiner Entlassung und dem Zustandekommen der Eingabe beim Kultusminister vgl. Mensching (19872), bes. S. 50 ff.; S. 55 f. gibt den Wortlaut der Eingabe wieder. Sie ist von Willy Theiler (Kónigsberg), Alfred Kórte (Leipzig) und Eduard Schwartz (München) initiiert worden. Die Namen der Mitunterzeichner fehlen bei Mensching und sind scheinbar nicht überliefert. Der Brief von Max Pohlenz enthält keine namentliche Anrede, sondern beginnt mit „Lieber Herr Kollege“. Ich vermute, daß er an Theiler in Kónigsberg gerichtet ist, weil Pohlenz den Adressaten darum bittet, falls er Maas die Namen der Unterzeichner nenne, ihm diesen Brief zur Kenntnis zu geben. Dem Brief liegt auch der Text der Eingabe bei. Vgl. dazu Frünkels Brief v. 5. 7. 1922 aus Athen an Max Pohlenz, in: NL M. Pohlenz, Cod. MS Nr. 14, Bl. 1, im Besitz der NStUBGÖ. Nr. 14 enthält sieben Briefe Hermann Frünkels an Max Pohlenz aus den Jahren 1922, 1955, 1957 und 1949. Zu Ed. Fraenkel vgl. Williams (1972) S. 421; zu Otto Skutschs Emigration vgl. Skutsch (1992)
S. 401: Pohlenz empfahl Skutsch, der als Stipendiat beim Thesaurus Linguae Latinae in München arbeitete und 1955 sein Stipendium verlor, zu emigrieren. Er riet ihm, sich mit Hilfe des Direktors vom Thesaurus mit James Houston Baxter (1894-1975), Professor für Kirchengeschichte an der St. Andrews University in Schottland, in Verbindung zu setzen. Baxter bot Skutsch aufgrund dieser Vermittlung eine Stelle als sein Assistent bei dem ,Late Latin Dictionary“ an. Skutsch nahm diese nicht ganz in sein Interesse fallende Stelle an und emigrierte am 14. 11. 1954 von München nach England. Skutsch gibt in den „Recollections“
302
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
(Skutsch [1992]) keine Daten an. Diese kann man allerdings bei Röder/Strauss (1985) Bd. II, 2, S. 1090 nachlesen. Der Artikel gibt allerdings fülschlich 1950-1952 für die Góttinger Studienzeit an. Skutsch kam schon 1929 nach Góttingen, wie er selbst in dem Fragebogen, der dem Artikel zugrunde liegt, angibt: vgl. dazu Münchner Institut für Zeitgeschichte, Microfilm
MA 1500/55/B: Biographische Dokumentation zur deutschen Emigration 1933-1845, „Otto Skutsch“, Personal Data and Family Background, von Skutsch am 2. Juni 1975 ausgefüllter Fragebogen.
150 151
Min. Erlaß v. 26. 7. 1954 zur Änderung der Preußischen Assistentenordnung, vgl. Walk (1981) Nr. 422. a) Brief Pohlenz an Kurator, Göttingen, den 8. 9. 1954, in: UAG,XVLIV,A.d.141: in der beilie-
genden Assistentenakte. Für die Genehmigung, den Brief von Pohlenz zu veröffentlichen, danke ich Herrn Professor Dr. Norbert Kamp. b) Die „Schrift“, auf die Pohlenz sich bezieht, lautet mit vollem Titel „Antikes Führertum. Cicero de officiis und das Lebensideal des Panaitios". Sie erschien 1954 bei Teubner.
152 155
Vgl. Skutsch über Pohlenz in: Skutsch (1992) S. 599 ff.; Zitat: S. 400. UAG,XVLIVA.d.141: Assistentenakte, Dekan an Rektor, 28. 9. 1954.
154 155
A. A. 1. A. 6.
156
157
a. O., Kurator an Wissenschafts-Ministerium in Berlin, den 27. September 1934. a. O., Wissenschafts-Ministerium an Kurator, Berlin, den 29. 10. 1934, in Göttingen am 11. 1954 eingegangen. a. O., Kurator an Rektor und Pohlenz, den 6. 11. 1954; Kurator an Hermann Frünkel, den 11. 1954, und Kurator an Hermann Frünkel, den 8. 1. 1955.
Zum Prüfungsverbot für Latte und Frünkel vgl. a) UAG,K, Phil. Fak., XVI,IV, B.7, Bd. III, 1. 10. 1955-51. 12. 1941: Einrichtung neuer Professuren und Ersatzvorschläge für Professoren, Pohlenz an RuPrEM, Góttingen, den 18. Oktober 1956, Bl. 121; b) Der Vorsitzende des Wissenschaftlichen Prüfungsamtes an Pohlenz,
Hannover,
den
B. 12. 1954. Dieser vier Seiten lange Brief befindet sich in NL Pohlenz der NStUBGó, Cod. MS Nr. 102, Bl. 4-7. In diesem Brief wird auch der ErlaB des Reichsministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 3. 9. 1954 genannt. 158 159
160
Wie Anm. 157, b), Zitat auf Bl. 2 des Briefes. Vgl. Anhang 5, 1954, 1955, 1956: dort auch die Titel der Dissertationen. Zu Dörrie: vgl. Blume (1984); zu Kornhardt: Skutsch (1959) und zu Stark: Steinmetz (1967). Die Dissertation von Luther, 1954 veröffentlicht, ist bis heute eine gute Quelle. Zu Kornhardts Autounfall vgl. ihre Briefe vom 12. 11. 1945, 25. 7. 1947 und 20. 11. 1947 an
Pohlenz in: NL Pohlenz, Cod. MS Nr. 57 (NStUBGO). Zu ihrer Mitarbeit an Fränkel (1955) vgl. ebd. S. XVII und in der 2. Auflage (1960) S. IX, Frünkels ergänztes Vorwort, das zu einem
161
kleinen Nachruf auf Kornhardt geworden ist, die am 1. Mai 1959 im Alter von nur 50 Jahren starb. Vgl Fränkels Erwähnung der Briefe von Dörrie in Brief: Fränkel an Pohlenz, Stanford, den
17. 4. 1957, Bl. 1, in: NL Pohlenz, Cod. MS Nr. 14 (NStUBGö). 162
Vgl. dazu Stark (1940): Stark bezieht sich durchgehend positiv auf Latte (S. 206 ff.) und geht kritisch auf Thesen von Arthur Rosenberg und Eugen Täubler ein. Er hält sich in keiner Weise an ein Zitatverbot bzw. die Kennzeichnung jüdischer Autoren. Er verfaßte 1965, ein Jahr vor seinem eigenen frühen Tod, den Nachruf auf Latte, aus dem hervorgeht, daß er bis in Lattes letzte Lebenswochen mit ihm in Verbindung stand; vgl. Stark (1965) bes. S. 219.
165
Vgl Steinmetz (1967) S. 102. Im Jahr 1949 baute Stark das Institut für Klassische Philologie
164
Vgl. Blume (1984) S. 185 f. Zu Werner Kappler (28. 2. 1902-24. 9. 1944) vgl. w. u. 3.3.2.1 und
an der neugegründeten Universität Saarbrücken auf. Er starb erst 54jährig am 22. Juli 1966. seine Personalakte UAG,K,Phil. Fak.,XVI,IV,A.d.62: Brief Kappler an Mattiat im RuPrEM, Góttingen, den 10. 5. 1957, dort nennt Kappler Richard Reitzenstein, Max Pohlenz und U. v.
Wilamowitz-Moellendorff seine Lehrer. Zu den Themen der Dissertationen vgl. Anhang 5. 165
Vgl die Vorlesungsverzeichnisse der Universität Göttingen 1954-1935, im UAG.
166
Frünkel (1945) S. 111.
167
Zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen im Bereich der Altertumswissenschaften vgl. Calder Il] (1984): Die Geschichte der Klassischen Philologie in den Vereinigten Staaten, S. 15-42; zuerst in: Jahrbuch für Amerikastudien 11 (1966) S. 215-240. Zu Wilamowitz' Absage vgl. Wilamowitz (1928) S. 290; zu Ed. Fraenkeis Absage vgl. Williams (1972) S. 421.
168
Zu den ,Sather Classical Lectures" vgl. Calder III (1984) S. 26 und S. 54 und Ludwig (1984)
Anmerkungen
505
S. 188, S. 172 f. Auf S. 170 gibt Ludwig irrtümlicherweise 1942 für Fränkels Sather Lectures an: 1949 wurden sie von Harold F. Cherniss über ,Aristotle's Criticism of Plato and the Academy“ gehalten, vgl. Taràn (1988) S. 666 und v. Fritz (1978) S. 619. 168 170
Vgl. dazu Taràn (1988) S. 665. Auch Eduard Norden in Berlin setzte sich für die Vermittlung H. Fránkels nach Istanbul ein:
vgl. Mensching (1989) S. 15, Anm. 5. 171
172
Frünkel an Dekan, Göttingen, den 18. 4. 1955, in: UAG,K,XVLIV,A.d.141.
A. a. O.: Bl. 80 f., Dekan an RuPrEM, 24. 4. 1955, und Rektor an RuPrEM, 26. 4. 1955; Bl. 89: RuPrEM an Kurator, Berlin, den 25. 6. 1955 (gezeichnet Bachér) und Kurator an H. Fránkel, den 5. 7. 1955; zu der Auszahlung der Gehälter Juli-September vgl. Bl. 85.
175
174
Dekan an Fränkel und Fränkel an Dekan, 8. Juli 1955, in: a. a. O.; H. Fránkel an Max Pohlenz zwischen Bremen und Antwerpen, 7. 8. 1955, in: NL Max Pohlenz, Cod. MS Nr. 14, 2. Brief, im Besitz der NStUBGO. Vgl. dazu Frünkel (1945) S. 114-121, die Schilderung von Ovids Reaktion auf die Nachricht von der Verbannung, seine Reisevorbereitung und Reise mit dem Schiff von Italien über Korinth bis Samothrake und von dort nach Tomis am Schwarzen Meer. Frünkel widmete das Buch seiner Frau Lilly. Der Plan zu einem Buch über Ovid entstand schon in Göttingen: In einer Aufzählung seiner zukünftigen Projekte nennt Fränkel im Juni 1935 neben der Edition
des Apollonius Rhodius, einem Buch über griechische Hexameter und Trimeter, auch ein 175
Buch über Ovid! Vgl. Mensching (1989) S. 15, Anm. 5. Frünkel an Kurator der Univ. Góttingen, den 51. 5. 1950, UAG,K,XVLIV,A.d. 141: Bl. 92, und zu den Devisengesetzen vgl. Walk (1981).
176
Fränkel (1955) = Teil II zu Frünkel (1932); Fränkel (1956); vgl. auch das Verzeichnis der Schriften H. Frünkels, in Fränkel (1955 fT.) S. XX-XXII.
177
Fränkel an Pohlenz, Stanford University, den 17. April 1957, In: NL Max Pohlenz, Cod. MS Nr. 14, 5. Brief, Bl. 1-2, wie Anm. 148. Vgl. w. o. S. 145 und Anm. 105. Die Antwort des RuPrEM ist nicht erhalten. Vgl. dazu Becker/Dahms/Wegeler (1987): z. B. F. Neumann, FriedrichNeumanns Aktivitäten, Indoktrinationslager für Studenten und angehende Dozenten zu organisieren (S. 56 f.), seine Zusammenarbeit mit den Dekanen auch der anderen Fakultäten bei der frühzeitigen Vertreibung der vom BBG ausgenommenen Ordinarien (vgl. insbes. die Beiträge von Rosenow, Haifmann und Gross) und Plischkes Rolle bei der Vertreibung des Anglisten Hans Hecht (vgl. Scholl [1990], S. 25 ff.); zu F. Neumann, der von 1955-1958 amtierte und sich als politischer Rektor verstand vgl. auch Kamp (1888) S. 104 ff. Zu Neumann als Germanist vgl. Hunger
178 179
(1987) S. 275, S. 287 f. 180 181 182 185
UAG,K,XVLIV,A.2.145: Personalakte Professor Latte (Bl. 45 f.): Dekan via Rektor an RuPrEM, Göttingen, den 14. 9. 1955. Zu Knoche vgl. w. u. 5.5.1.2. A. 8. O. (Bl. 44), Rektor an RuPrEM, Göttingen, den 20. 9. 1955. A. ἃ. O, RuPrEM, Berlin, den 16. 10. 1955.
Vgl. dazu Dahms (1987) S. 176 f. und Scholl (1990] S. 15-27, bes. S. 22 ff.: Hecht wurde von seinem Assistenten und den Studenten so bedrüngt, daß er schon im Dezember 1954 unter „Nachhilfe“ von Rektor und Dekan um seine Beurlaubung ersuchte. Zu den Entlassungszeitpunkten an der Universität Göttingen insgesamt vgl. die nach Fakultäten geordnete, von
Heinrich Becker zusammengestellte Liste: Becker (1987b), bes. S. 492 f.: Philosophische Fakultät. 184 185
Vgl. Vorlesungsverzeichnis 1935/1936 im UAG. UAG,K,XVLIV,A.a.145: (Bl. 48) Kurator an Latte, Göttingen, den 15. 12. 1955 (vgl. auch Abb. 20 auf S. 176): Latte wurde nach $ 4 der 1. Durchführungsverordnung des Reichsbürgergesetzes v. 14. 11. 1955 zwangsweise zum 51. 12. 1955 in den Ruhestand versetzt; vgl. auch
RGBI. 1 (1955) S. 1555 f., Walk (1981) S. 159, Nr. 46 und S. 144, Nr. 68 und Göppinger (1990) S. 76 f. 186
UAG,K,XVLIV,A.2.145: Rektor an RuPrEM, Göttingen, den 20. 9. 1955, ist das zweite Schreiben
des Rektors am selben Tag in der Causa Latte und enthält die Anfrage auf Genehmigung der wissenschaftlichen Auslandsreise Lattes nach Kopenhagen, unter Hinweis darauf, daß Latte das einzige deutsche Mitglied der Kommission sei. Zu Lattes Hesych-Forschung: wie Anm. 195 w. u. Das RuPrEM antwortete ablehnend erst am 16. 12. 1955, a. a. O. 187
Ich danke Herrn Professor Albrecht Dihle für diese Mitteilung.
304
188
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Vgl dazu den Briefwechsel zwischen Latte und Kurator in UAG,K,XV],IV,A.a.145: Bl. 55, Kurator an Latte, 16. 12. 1955; Bl. 66 f: RuPrEM an Kurator, 5. 2. 1956, und Kurator an RuPrEM, 24. 2. 1956, über die Baseler Dienstjahre (1. 4. 1926-30. 9. 1951, 5 Jahre und 185 Tage) mit der Bitte um deren Anerkennung als ruhegehaltsfühige Dienstzeit; Bl. 72: Latte an Kurator, 9. 2. 1956: Antrag auf Anerkennung mit Begründung, daß ihm dies bei seiner Berufung zugesagt wurde. Bl. 75 f.: RuPrEM an Kurator, 50. 5. 1956: Bescheid über Festsetzung des Ruhegehalts mit dem Hinweis, die Entscheidung über die Anrechnung der Baseler Dienstzeit sei bis zum Jahr 1956 aufgeschoben. Zu Lattes Einkommen 1933 vgl. seinen in englischer Sprache ausgefüllten Fragebogen vom 18. 1. 1946, Bl. 97. Die Zahlung eines Ruhegehalts an jüdische Beamte war an diverse Bedingungen geknüpft, wie mindestens 10jährige Dienstzeit etc. Nicht-Frontkümpfer erhielten beispielsweise nur 5596 der ruhegehaltsfähigen Bezüge. Das war bei Lattes Kollege Georg Misch der Fall; vgl. Dahms (1987) S. 177; vgl. auch Walk
(1981) S. 144, Nr. 67, S. 147, Nr. 85 und S. 151, Nr. 102. 189
ErlaB des RuPrEM v. 14. 2. 1956, betrifft Titelánderung, in: UAG,IX,85: „Durchführung des
190
Vgl. dazu Mensching (1990) S. 5 ff. Nach Mensching zogen fünf entlassene Altertumswissenschaftler nach Berlin: Felir Jacoby zog Ende September 1955 nach Finkenkrug bei Spandau. Paul Friedländer kam im Oktober 1956 aus Halle nach Berlin-Charlottenburg. Konrat Ziegler war von Greifswald schon im Herbst 1954 nach Berlin-Schóneberg umgezogen. Ernst Grumach kam 1957 von Königsberg nach Berlin. Der Privatgelehrte Alfred Gudemann vertauschte 1955, aus Italien zurückkehrend, München mit Berlin. Wilhelm Kroll verließ zwei Jahre nach seiner Emeritierung Breslau, um bis zu seinem Tod 19598 in Berlin-Grunewald zu leben. Zwei Ausnahmen: Kurt v. Fritz verlieB Rostock nach seiner Entlassung, um nach München zu gehen, wo sein Lehrer Eduard Schwartz lebte, und er mit seiner Frau bei deren Verwandten wohnen konnte. Paul Maas blieb bis zu seiner Emigration 1959 in Königsberg. Zudem Hamburger Seminar für Klassische Philologie vgl. Lohse (1991); dort auch über Ernst Kapp S. 779-784, zu seiner regimekritischen Einstellung: S. 781 f.; zu Bruno Snell (1896-1980), der gern Karlkaturist geworden wäre, vgl. S. 795-797 und S. 805. In Lohses Arbeit finden sich zahlreiche Beispiele für Snells aktive Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus, vgl. auch w. u. Anm. 202. Zu Snell vgl. auch Erbse (1987). Snell erwühnt seinen Besuch in Góttingen in dem Brief an Max Pohlenz über die Entlassung K. v. Fritz’, Hamburg, den 11. 5. 1935, in: NL Max Pohlenz, Cod. MS Nr. 104, im Besitz der NStUBGó. Zu der Entlassung von K. v. Fritz vgl. w. u. S. 200 ff. und v. Fritz’ eigener Bericht, im vollen Wortlaut erstmals veröffentlicht in Anhang 9. Die Eingabe an den RuPrE-Minister ist von Kapp und Snell gemeinsam entworfen worden und unterzeichnet. Sie datiert vom 29. 4. 1955, in: NL Max Pohlenz, Cod. MS Nr. 104, Beilage. Pohlenz' Antwort ist nicht erhalten. Vgl. dazu UAG,K,XVI,IV,A.a.145: Bl. 96 ff. enthält den ersten (1) von Latte in englischer Sprache am 18. Januar 1946 ausgefüllten Fragebogen des „Military Government of Germany“. Diesem Fragebogen ist eine maschinenschriftliche Ergänzung Lattes beigefügt. Als Zeugen für die Richtigkeit von Lattes Angaben nannte er Konrat Ziegler und Bruno Snell. Bl. 125-128 enthalten den zweiten (2) in deutscher Sprache beantworteten Fragebogen vom 27. Juli 1947. Als Zeugen nennt Latte diesmal wieder Bruno Snell und statt Konrat Ziegler den Privatdozenten Wolfgang Schmid, dessen Mutter Latte zeitweise versteckte. Zu Wolfgang Schmid (19151980) vgl. den Nachruf von Schetter (1981) und Lohse (1991) S. 797 mit Anm. 107, S. 825.
BBG“, Bl. 40; auch Walk (1981) S. 95, Nr. 458: ErlaB des RMI v. 2. 10. 1954.
191
192
1905
Soweit im folgenden Text nicht anders ausgewiesen, beziehe ich mich auf die von Latte in 194
den Fragebögen (1) und (2) gemachten Angaben. Zu Werner Jaegers Emigration vgl. Ludwig (1984) S. 167 ff. und Mensching
(1989) S. 10:
Eduard Nordens Bericht an Georg Rohde über die Wirkung von Jaegers Emigration in Berlin; 195
dort auch die Erwähnung Nordens, Latte habe einen Ruf nach Chicago erhalten. Zu Lattes Editorentätigkeit des Hesych vgl. die Darstellung von Classen (1989b) S. 205 f., S. 218 f., S. 228 f.; zu Lattes Veröffentlichungen vgl. das Schriftenverzeichnis in: Latte (1968)
S. 915. 196
Vgl. Anm. 195: Zitat aus (1).
197
Vgl. Anm. 193: (2), Bl. 127.
198
Zu den antijüdischen Verordnungen und Maßnahmen im Jahr 1958 vgl. Walk (1981) und Göppinger (1990) S. 97 f.; RGBI. I, S. 1044, zu der Verordnung v. 17. 8. 1958, den zusätzlichen
Vornamen Sarah bzw. Israel tragen zu müssen; RGBI. 1, S. 1542, über die Einziehung aller
Anmerkungen
205
Reisepässe von deutschen Juden, Verordnung ν. 5. 10. 1958 und die nicht veröffentliche VO des RMI über die Ausstellung von Pässen an Juden in Deutschland vom 16. 11. 1937, die vorsah, nur zur Auswanderung und unter sehr eingeschränkten Bedingungen Reisepässe auszustellen (vgl. Walk [1981] Nr. 577, S. 206). Am 14. 11. 1958 verfügte der Reichsminister und „Präsident der Reichskulturkammer“ Goebbels das Verbot für Juden, Theater, Kinos, Konzerte und öffentliche Vorträge zu besuchen. Am 8. 12. 1958 erließ das REM ein Verbot, wissenschaftliche Bibliotheken und Institute zu Forschungszwecken zu benutzen (vgl. Walk 199
201
(1981) Nr. 56, S. 264). Vgl. Walk (1981) S. 265, Nr. 50; RGBL (1958) I, S. 1751. UAG,K,XVLIV,A.a.145: Bl. 82, Kurator an Regierungspräsident Hildesheim, Göttingen, 20. 12. 1958 über die 7. Verordnung des RBG (RGBI. I, 1958, S. 1751), nach der Lattes Gehalt zu kürzen sei. BL 85, Regierungsprüsident an Kurator in Góttingen, Hildesheim, den 24. 12. 1958: Lattes Gehalt sei auf °'/100 zu kürzen, wobei als Ausgangsbetrag 15.519 RM angesetzt werde, d. h. der bereits gekürzte Ruhegehaltsbetrag. In dem Schreiben weist der Regierungspräsident darauf hin, daß nun auch über die Anrechnung der Baseler Dienstzeit entschieden werden solle. Bl. 84, Kurator an REM, das seit dem Anschluß Österreichs „preußisch“ wegließ, Göttingen, den 3. 1. 1959: Antrag auf Anrechnung von Lattes Baseler Dienstjahren. Bl. 86, REM an Kurator, Berlin, den 16. 10. 1959: Zitat. Vgl. dazu Lattes Angaben in (1) Anm. 195, Bl. 98; und Bl. 215: Abschrift des Briefes von Latte an den Niedersächsischen Kultusminister, Göttingen, 17. 11. 1954, in dem Latte um „Entschädigung" ansucht. Dort nennt er eine monatliche Summe von netto 516,45 RM, die bis August 1944 auf sein Konto überwiesen wurde.
Zu Snells Verbindung mit und Einsatz für Latte vgl. Classen (1989b) S. 218 f., Lohse (1991) S. 810, Anm. 47, S. 816 f., Anm. 91 und Ludwig (1984) S. 175, Anm. 4. Snell half auch seinem Hamburger bes. S. 794 f. Schutz, vgl. Entlassung überzeugte
Kollegen Hans Liebeschütz (1893-1978), vgl. Lohse (1991) S. 780 f., S. 784 und mit Anm. 90. Dem befreundeten Maler Kurt Lówengard bot Snell in seinem Haus Lohse (1991) S. 816, Anm. 91. Er setzte sich für Kurt v. Fritz ein, um dessen rückgüngig zu machen, allerdings vergeblich (vgl. dazu w. o. Anm. 192). Er Paul Maas davon, als dieser Hamburg kurz vor Kriegsbeginn nicht mehr wie
vorgesehen mit dem Schiff verlassen konnte, via Holland nach England zu emigrieren. Vgl. dazu auch Mensching (19872) S. 70 ff.
205
Briefliche Mitteilung Lattes an Snell über den Tod seiner Mutter. Diese Information verdanke ich Herrn Professor Hans Gürtner (Regensburg). Auch für diese Information danke ich Herrn Professor Gürtner (Regensburg). Er vermutet
verwandtschaftliche Beziehungen zu der Familie Schmid. Es könnte aber auch sein, daß Latte Wolfgang Schmid erst in Hamburg kennenlernte, wo Schmid sich 1942 habilitiert hatte. Vgl. zu W. Schmid (1915-1980) Lohse (1991) S. 792 und S. 825 und Schetter (1981). Zu Lattes
Jahren 1935-1945 vgl. auch Classens Darstellung in Classen (1989b) S. 215-220, der andere Akzente setzt, wie z. B. daß Lattes Patriotismus das Hauptmotiv gewesen sei, Deutschland nicht zu verlassen.
Vgl. dazu Gärtner (1980) S. VII und briefliche Mitteilung Professor Gürtners an mich, Regensburg, den 16. 9. 1987. Vgl. DFG, Schwerpunkt , Wissenschaftsemigration", der mangels Anträgen nach fünfjähriger
Förderungszeit mittlerweile wieder aufgelöst worden ist. Die Zeitschriften sind: „Exilforschung. Ein internationales Jahrbuch“, Bd. 1, ff. München 1985, fT. und „Exil. Forschungen, Erkenntnisse, Ergebnisse". Gegr. v. J. H. Koch, hg. v. E. Koch, 1. Jahrgang, ff. Frankfurt am
Main 1980. Hugh Lloyd-Jones war wohl der erste, der sich in seiner Antrittsvorlesung ,Greek Studies in
Modern Oxford", 1961 erschienen und in Lioyd-Jones (1982a) wiederabgedruckt, mit den Auswirkungen der nationalsozialistischen Verfolgung deutscher Altertumswissenschaftler befaßte. Vgl. auch seine anderen in (1982a) enthaltenen Aufsätze sowie Lloyd-Jones (1982b) und seine Einleitung zu der englischen Ausgabe von Wilamowitz’ Geschichte der Philologie, in Lloyd-Jones (1982c). Vgl. auch Dodds (1968). W. M. Calder Ill skizzierte zuallererst in seiner 1966 auf deutsch erschienenen „Geschichte der klassischen Philologie in den Vereinigten
Staaten", Calder III (1966), S. 252 ff., die Wirkung der Emigranten auf die Altertumswissenschaften in den USA. Seine jüngste Arbeit zu diesem Thema ist Calder Ill (1992a). Er regte auch die neuerliche Beschäftigung mit Wilamowitz in Deutschland an, als Mitorganisator der
506
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Tagung „Wilamowitz nach 50 Jahren“, deren Ergebnisse in Calder II/Flashar/Lindken (1985) veröffentlicht sind; vgl. dazu auch die Rezension v. Brockes (1986). In Italien hatte der nach England emigrierte Althistoriker Arnaldo Momigliano schon seit den frühen 70er Jahren in seinen berühmt gewordenen Seminaren an der Scuola Normale Superiore di Pisa zur „History of Historiography“ die wissenschaftliche Leistung und Methodenprobleme bei Wilamowitz, H. Usener, K. O. Müller, J. J. Bachofen, Karl Reinhardt, Eduard
Meyer, Eduard Schwartz u. a.
einer kritischen Revision unterzogen. Vgl. dazu die veróffentlichten Ergebnisse der Seminare in den Annali della Scuola Normale Superiore di Pisa, Classe di lettere e filosofia, Ser. 5, Bd.
5 (1975), S. 103-167, und Momigliano (1972) über Wilamowitz; Bd. 5 (1975), S. 1397-1441 über Karl Reinhardt; Bd. 9 (1979), S. 999-1088 über Eduard
Schwartz. Über Eduard Meyer vgl.
Momigliano (1981) und über H. Usener vgl. Momigliano (1982); vgl. auch Momigliano (1991) insbes.: „Neue Wege der Altertumsforschung im 19. Jahrhundert“, S. 108-177. Christ (1982); Losemann (1977) und ders. (1980); vgl. auch Hoffmann (1988) und Nàf (1986) zu Antisemitismus und Nationalismus im Werk deutscher Althistoriker bis 1945. Ludwig (1984). Momigliano (1974).
Kneppe/Wiesehöfer (1985) und dies. (1985a). Mensching (1987a); vgl. auch die Aufsätze Menschings zu Eduard Norden, Walther Kranz, Felix Jacoby, Werner Jaeger, Willy Morel, Rudolf Pfeiffer, Georg Rohde, Friedrich Solmsen, Konrat Ziegler u. a. in Mensching (1987b), in ders. (1989), ders. (1990) und in ders. (1991). Weitere bibliographische Angaben finden sich bei Mensching. Hier seien noch einige wichtige Arbeiten genannt: Bertini-Malgarini (1989) zur Emigration deutscher Altertumswissenschaftler in die USA; Calder III (1992b) zu W. Jaeger; Classen (1989b) zu K. Latte; Coser (1984) S. 271-278 zu W. Jaeger; Gürtner (1980) zu K. Ziegler; Ludwig (1986b) zu K. v. Fritz; Wegeler
215 214
(1987) zu Ed. Fraenkel, H. Fránkel und K. Latte; Williams (1970) zu Ed. Fraenkel. Lohse (1991). Vgl. dazu bes. Hans/Röder (1975) S. 580 ff.; Kröner (1985) bes. S. 5 ff. und Kröner (1988); sowie Róder/Strauss (1985) Bd. Il, 1 „Introduction“ von H. A. Strauss: insbes. den Abschnitt „The Migration of the Academic Intellectuals“, S. LXVII ff. Zur Emigration der Naturwissenschaftler vgl. Beyerchen (1977), Lemmerich (1982) und Dahms (1986) S. 160 f. und S. 180 f. Der erste Band des Biographischen Handbuchs der zentraleuropäischen Emigration, 1980 erschienen
(= Róder/Strauss [1980-1985] Bd. I), ist den prominenten Emigranten aus Politik und Literatur gewidmet.
215 216
Vgl. dazu Hölscher (1965), Fuhrmann (1969), Fuhrmann/Tränkle (1971), Kannicht (1974). Z. B.: Skutsch (1992) und Solmsen (1978), beide beschreiben ihre Erinnerung an deutsche
217 218
Altertumswissenschaftler bis 1955 und erwähnen ihr eigenes Schicksal nur am Rande, wie Skutsch, oder gar nicht, wie Solmsen. Mehr Materiali müßte sich in Briefen und Nachlässen finden. Aber auch da sind die Selbstaussagen sehr zurückhaltend und kursorisch, wie etwa Mensching immer wieder feststellen muß, z. B. bei Paul Maas (vgl. Mensching [1987a]), aber auch sonst. Dieses Faktum hängt sicher auch damit zusammen, daß die betreffenden Wissenschaftier nicht nach ihrer Geschichte gefragt und um deren Veröffentlichung gebeten wurden. Solmsens Veröffentlichung seiner Erinnerung an die Berliner Studienzeit ist seiner Verehrung für Wilamowitz zu verdanken, und Skutschs Erinnerung hat ihm W. M. Calder ΠῚ abgeluchst, mitsamt der Erlaubnis, seinen Vortrag postum veröffentlichen zu dürfen (vgl. Skutsch [1992] S. 588, FN 1). Solmsen z. B. hat Eckart Mensching bereitwillig für dessen Studie noch Auskünfte gegeben, vgl. Mensching (1990) S. 64, Fußnote. Vgl. z. B.: Mette (1980); Hentschke/Muhlack (1972). Zu Calders Behauptung, amerikanische Philologen seien die eigentlichen Erben der ,Berlin
Method“, in den USA vor allem von Werner Jaeger repräsentiert, vgl. Calder Ill (19922) „The Revival of the German Tradition in American Classical Studies", S. 162 ff. In Oxford führte Eduard Fraenkel die „Berlin Method“ und die Form des an deutschen Universitäten praktizierten Seminars ein: vgl. dazu Williams (1970) S. 457 ff., insbes. S. 459 und Lloyd-Jones (1971) S. 657. Zu der Schulfrage: vgl. Mette (1980); Mensching (1990) S. 64 f. nennt klassische Philologen, die er mehr Jaeger als Wilamowitz zuordnet. Reinhardt (1960): ,Die Klassische Philologie und das Klassische", S. 554—560, gibt eine konzise Zusammenfassung des Wandels, den der Begriff des „Klassischen“ seit Beginn des 18. Jh. gernacht hat von dem ästhetischen
Vorbild zum pädagogischen Leitbegriff innerhalb einer humanistisch orientierten Jugendbil-
Anmerkungen
507
dung in der Zeit der Weimarer Republik. Reinhardts Ausgangspunkt bildet die von Werner Jaeger zu Pfingsten 1950 veranstaltete altertumswissenschaftliche Fachtagung „Das Problem des Klassischen und die Antike“ (1955 in Leipzig/Berlin publiziert, hrsg. von Werner Jaeger), an der Reinhardt als Gast teilgenommen hatte. Hentschke/Muhlack (1972) S. 128-138 zeigen die Unterschiede und Divergenzen zwischen Wilamowitz und Jaeger bezüglich ihrer Auffassung von den Zielen altertumswissenschaftlicher Forschung auf. Sie ordnen entsprechend der jeweiligen Vorlieben (mehr „positivistische Ausrichtung“ bzw. ,humanistische") in den Werken der klassischen Philologen diese entweder Wilamowitz oder Jaeger zu. Sie betonen, daß der Unterschied zwischen beiden allerdings nicht allzu groß sei (bes. S. 150 f. und S. 154 f), weil Jaegers Bildungsbegriff leer bleibe und er über die Bewahrung sogenannter Bildungswerte nicht hinauskomme (S. 155), Jaeger dadurch weniger Humanist sei als vielmehr Historiker des Humanismus bleibe. Hentschke/Muhlack betrachten im oben genannten Abschnitt in der Hauptsache Jaegers Werk, nicht seine Wirkung auf die altertumswissenschaftliche Diskussion der 20er und 30er Jahre.
Mette (1980) S. 6; ebd. auch die Erwühnung seiner Schülerbeziehung zu Wilamowitz. Vgl. dazu etwa v. Bruch (1986) insbes. S. 568 f.
Zu C. H. Becker vgl. die bei Calder Ill (1992b) S. 1, FN 1, angegebene Literatur. Vgl. Mette (1980): Stellenweise erscheint Mettes Darstellung nicht nur einseitig, sondern auch verschleiernd, so als müßte in seiner Geschichte wissenschaftlicher Texte seit H. Usener Wilamowitz' Einfluß getilgt werden. Nicht nur, daß Mette die Kriterien seiner Auswahl nicht offenlegt, auch die Anzahl der Schüler ist so groß, daß Spezifika verlorengehen. Besonders ürgerlich erscheint mir z. B. Mettes Behauptung, Karl Reinhardt jun. sei Diels-Schüler gewesen und über diese Verbindung Usener-Enkelschüler, Reinhardt habe dies aber in seiner autobiographischen Skizze verschwiegen, vgl. dazu Mette (1980) S. 55. Sicher war Reinhardt auch Diels-Schüler, ebenso wie Werner Jaeger auch, aber nicht nur „Diels-Schüler“ war, vgl. ebd. S. 54 f. Man könnte die Belege der Einseitigkeit fortführen, etwa damit, daß Mette nur Diels im Zusammenhang mit dem Thesaurus nennt, nicht aber Wilamowitz und Leo, die diesem Vorhaben zur Realisierung verhalfen, ebd., u. a. m. Zu Useners Wirkung auf Wilamo-
witz vgl. Wilamowitz' eigene Sicht, die er in seinen Erinnerungen festhält, Wilamowitz (1928) S. 92 ff. und Landfester (1979) S. 160-165, 169; vgl. auch NL Wilamowitz, Cod. MS Nr. 976,
Brief Wilamowitz' an seine Mutter, 16. 8. 1877: „Freilich kommt von Bonn Professor Usener mit zwei Schülern hin [nach Rom, C. W.], und meine Ansichten gehen ziemlich weit von jenem ab. Ich habe in Bonn studiert, ohne Usener eigentlich zu kennen ... Allein wir stehen äusserlich recht gut.“ (im Besitz der NStUBGO). Programmatisch ist H. Useners Vortrag von 1882, „Philologie und Geschichtswissenschaft", in: Schmid (Hg.) (1969) S. 15-56; insbes. S. 50 f.: Useners Bestimmung der Aufgabe der Philologie deckt sich mit der von Wilamowitz. Dies allein begründet aber noch kein Lehrer-Schüler-Verhältnis. Vgl. dazu Jaegers eigene Aussage in: ders. (1960a) S. 479.
Vgl. dazu Archiv des Münchener Instituts für Zeitgeschichte, Microfilm MA 1500/18: v. Fritz’ Angaben im Fragebogen zum Biographischen Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bl. 5, am 24. 4. 1979 ausgefüllt.
Bühler (1980) S. 404. Wie Anm. 222. Mette (1980) S. 5: Hervorhebung irn Zitat ist von mir.
Zu Ernst Kapp vgl. Lohse (1991) S. 801 f.; zu Jacoby vgl. Mensching (1989) S. 17, 51 f. und zu Norden vgl. Mensching (1987b) S. 74-92. Bei Werner Jaeger wüDte man gerne, ob er nach
1845 eine Einladung von der Berliner Universität erhalten hatte zurückzukehren. Eduard Fraenkel erhielt mit Sicherheit keine Einladung zur Rückkehr von der Universität Göttingen, vgl. dazu w. u. S. 217.
Vgl dazu Hentschke/Muhlack
(1972): „Die Lage der Klassischen Philologie seit Werner
Jaeger“, S. 135-142.
250 251
Α. 8. O. S. 141 f. In einem Brief an Werner Jaeger nennt Ernst Bickel (1876-1961) Jaeger im Juli 1955 ,unser Führer“ und dankt ihm dafür, daß er die „Berliner Philologie vor der Verjudung . . . gerettet“
habe, indem Jaeger statt Felix Jacoby 1921 nach Berlin als Nachfolger von Wilamowitz gegangen sei. Diese Informationen entnehme ich Calder III (1992b) S. 16, insbes. FN 33. Zu Bickel vgl. Herter (1961).
508
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
232
Vgl. dazu w. u. S. 252.
255
ZuR Harder vgl. Losemann (1977) S. 159-175 und Calder ITI (1985); zu Harald Fuchs vgl. Delz (1988) bes. S. 80 und Mensching (1990) S. 65 ff., S. 70, S. 74, S. 78 f., S. 86 ff., S. 95 f. Zu den
254
Kollegen und Freunden im Exil gehórte z. B. Friedrich Solmsen, der sich 1929 in Berlin habilitierte, vgl. dazu Mensching (1990) S. 64—114, insbes. S. 98 f. Zu „Gnomon“ vgl. Vorrede der Herausgeber in Bd. I, 1925, S. 1 f. Verantwortlicher Redakteur war der Jaeger-Schüler Richard Harder. Er blieb in dieser Position bis 1944, Bd. 20, Heft 1-4. Dann wurde das Erscheinen der Zeitschrift durch die Kriegsereignisse unmöglich. 1949 erschien erst der Band 21, nach einer fast 5jährigen Unterbrechung. Harder war von der Redaktion freiwillig zurückgetreten, wie die neuen Herausgeber erklüren, vgl. Bd. 21, 1949, S. 1. Band 10, 1954, erschien mit einem von 17 auf drei Altertumswissenschaftler reduzierten Herausgebergremium. Wie die Entscheidungen und AusschlieBungen 1955 vor sich gingen, ist mir nicht bekannt. Die Unterlagen der Gnomon-Redaktion seien fast alle im Krieg verschwunden, wurde mir auf eine diesbezügliche Anfrage von der Redaktion mitgeteilt. Auf jeden Fall fehlen 1954, Bd. 10 neben W. Jaeger, L. Deubner, L. Curtius, W. Kranz, Peter von der Mühll, Karl Reinhardt, Eduard Schwartz u. a. auch Eduard Fraenkel im neuen Herausgebergremium. Von letzterem ist mit Sicherheit anzunehmen, daß er von dieser Tätigkeit nicht freiwillig zurückgetreten ist! Zu „Die Antike“ vgl. die von W. Jaeger herausgegebenen Bünde 1 (1925) bis 12 (1956) und die von W. Schadewaldt, B. Schweitzer und J. Stroux herausgegebenen Bünde 15 (1957) bis 20 (1944). Mit Band 20 wird das Erscheinen der Zeitschrift eingestellt und nach dem Krieg nicht wiederaufgenommen. In gewisser Weise kónnte die von
Bruno Snell seit 1945 herausgegebene Zeitschrift „Antike und Abendland. Beiträge zum Verständnis der Griechen und Römer und ihres Nachlebens“ als eine Art Fortsetzung der Jaegerschen „Antike“ angesehen werden.
255
Vgl. dazu Irmscher (1969) insbes. S. 18 f.; „Leitsätze .. .* (1955) S. 570-572, insbes. Punkt 6-8; Jaeger (1933).
256
Vgl. dazu Coser (1984) S. 271-277. S. 274 f. gibt Coser fälschlich 1954 als Emigrationsjahr Jaegers an. 1954 hielt Jaeger zwar als Gast die ,Sather Classical Lectures“ in Berkeley, kehrte aber wieder zurück auf seinen Lehrstuh! in Berlin, den er erst 1956 aufgab, um zu emigrieren, vgl. dazu Mensching (1989) S. 10. Zum Kontinuum der Verfolgungsmaßnahmen auf den verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen (Ministerialbürokratie, private und óffentliche Institutionen, Initiativen von Gruppen und einzelnen vor Ort) sowie deren allmählicher Steigerung vgl. Hilberg (1982) S. 41-72. Zu der polymorphen Struktur der Verfolgung und deren Phasen vgl. auch in der Einleitung von H. A.
257
Strauss den Abschnitt „Jews in German History: Persecution, Emigration, Acculturation“ in:
258
Strauss/Róder (1985) Bd. II, 1, insbes. S. XV ff. und S. XXII, wo Strauss allein sechs ineinander übergehende Phasen der Verfolgung zwischen 1955 und 1. Oktober 1941, dem Zeitpunkt des Verbots der Emigration, unterscheidet. Strauss/Buddensieg/Düwell (1987) haben diesen im Nachlaß Lewins gefundenen Brief zum ersten Mal veröffentlicht; Zitate: S. XIV, S. XV, S. XVII. Der an entlegener Stelle veröffentlichte Brief (a. a. O. S. XI-XVII) enthält eine sehr eingehende und lesenswerte Beschreibung der Lebenssituation eines deutschen jüdischen Wissenschafters, der noch im Kaiserreich geboren wurde, am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatte und trotz all der antísemitischen
Erfahrungen von Kindheit an, mit der deutschen Kultur und Wissenschaft identifiziert, in Deutschland geblieben ist, obwohl seine Karriere schon in der Weimarer Republik behindert
wurde. Erst im Sommer 1955 entschloß sich Kurt Lewin schweren Herzens, seine Heimat zu verlassen.
259
Zu Lewins und Köhlers schulbildender Wirkung in den Vereinigten Staaten vgl. Coser (1984) S. 22-56; die Solidaritätserklärung von W. Köhler mit James Franck in der „Deutschen Allgemeinen Zeitung* vom 28. April 1955 entnehme ich Strauss/Buddensieg/Düwell (1987)
240
241 242
S. XI. Zur Festlegung des Frontkámpfer-Begriffs vgl. die 5. Verordnung zur Durchführung des BBG vom 6. 5. 1955 (RGBi. 1, S. 245) und Góppinger (1990) S. 75 f. Zu Paul Maas vgl. Mensching (1987a) S. 29 ff. Mensching (19872) S. 52 ff. und w. o: S. 165. Vgl.zuden genannten Personen die in Anhang 10 angegebenen Daten und bibliographischen Angaben.
Anmerkungen 245
509
Zur Entlassung der Gymnasiallehrer vgl. Walk (1981) Nr. 51, S. 9; Nr. 70, S. 16; Nr. 75, S. 17; Nr. 90, S. 20: mit der 5. Verordnung
Lehrer
244
angewendet;
Nr.
zur Durchführung
106, S. 25; Nr.
des BBG
195, S. 41: Runderlaß
wird das BBG
des PrEM
zum
auch auf
BBG
v.
22. 7. 1955: Anwendung des BBG auf Studienreferendare, einstweilig angestellte Lehrer und Schulamtsbewerber etc. Zu den genannten Personen vgl. die in Anhang 10 angegebenen Daten. Zum Entzug von Stipendien vgl. Walk (1981) Nr. 68, S. 16: Runderlaß des PrEM v. 22. 4. 1955; vgl. auch den autobiographischen Bericht von Otto Skutsch (1992) S. 401, dem seine durch ein Stipendium gesicherte Stelle beim Thesaurus Linguae Latinae in München 1955 entzogen wurde. Zu der Möglichkeit für jüdische Studenten, nach 1955 zu promovieren, gibt es Berichte zum Beispiel von dem Jurastudenten David Daube an der Universität Göttingen, dessen Dissertation zwar 1952 noch mit „ausgezeichnet“ begutachtet wurde, dem aber die Veröffentlichung der Dissertation ebenso wie die Ablieferung der Pflichtexemplare verboten und die Aushändigung der Promotionsurkunde verweigert wurde: vgl. dazu Halfmann (1987) S. 96 f. Andererseits gab es Doktoranden, denen aufgrund eines Gesuchs des Doktorvaters beim Pr.u.REM die Promotion auch nach dem April 1955 noch genehmigt wurde. Am 20. 10. 1955 wurde den nichtarischen Studenten der Medizin und der Zahnmedizin in Preußen die Approbation verweigert und das Doktordiplom nur unter der Bedingung ausgehündigt, daB diese auf ihre Zugehörigkeit zum Deutschen Reich verzichten, vgl. Walk (1981) Nr. 272, S. 57. Die Habilitation wurde in Preußen durch Runderlaß des PrEM Personen nichtarischer Abstammung bzw. mit solchen Verheirateten schon am 18. Oktober 1955 versagt, vgl. dazu Walk
(1981) Nr. 267, S. 56. Vgl. zu den Genannten Anhang 10. Vgl Anhang 10 und Ludwig (1084) S. 162 mit Anm. 6. Vgl. dazu Mensching (1989) S. 20-27; S. 22 enthält einen Auszug aus der allerdings nicht
veröffentlichten „Erklärung der Mitglieder des Philologischen Seminars der Universität Kiel". Zu den in diesem Abschnitt genannten Personen vgl. ebenfalls Anhang 10. Zu Kurt von Fritz auch w. u. S. 200 ff. und Anhang 9. Zu den Ehegesetzen und den Definitionen von „Nichtarier“ bzw. „Mischlingen“ 1. Grades, 2. Grades etc. vgl. Hilberg (1982) S. 57-85, insbes. S. 65 und S. 116-125; Góppinger (1990) S. 76-81 und Walk (1981) Nr. 158, S. 54: Änderung des deutschen Beamtengesetzes v. 50. 6. 1955: Personen nichtarischer Abstammung dürfen nicht Beamte werden ebenso mit nichtarischen Personen Verheiratete. Zu W. Jaegers Emigration vgl. die in Mensching (1989) S. 10 wiedergegebene Passage aus einem Brief Eduard Nordens vom 15. Juni 1956 an Georg Rohde in Ankara: „... Das centrale Gesprüchsthema, das seine Kreise über unsere Spezialwissenschaft weit hinaus zieht, ist der Fortgang Jaegers nach Chicago. Obwohl ich seit Februar, als die Verhandlungen begannen, als einziger (außer seiner Frau) eingeweiht war, kann ich das vollzogene Factum (er reist am 24. Juni ab) doch kaum fassen.“ Diesem Brief können wir Jaegers Abreisedatum entnehmen. Der 1962 in „Gnomon“ erschienene Nachruf auf Jaeger enthält auch nicht den geringsten Hinweis auf die Gründe und den Zeitpunkt von Jaegers Emigration, ja nicht einmal die Tatsache der Emigration wird erwähnt. Wir erfahren nur, daß Jaeger an amerikanischen Universitäten gerne gelehrt habe, vgl. Langerbeck (1962) bes. S. 101; Coser (1984) S. 274 läßt das Jahr 1954, in dem Jaeger tatsächlich in Berkeley war, als das Emigrationsjahr erscheinen (vgl. auch w. o. Anm. 236); ebenso W. M. Calder Ill (1984) S. 56 in seinem Artikel über Werner Jaeger für das 1981 erschienene „Dictionary of American Biography". Coser stützt sich auf Calder III. Vgl. UAG,K,IX,85, ,Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“: Runderlaß des RuPrEM vom 19. 4. 1957; vgl. auch Becker/Dahms/Wegeler (1987) Einleitung von H.-J. Dahms, S. 50. Der Runderlaß folgt dem Deutschen Beamtengesetz vom
26. 1. 1957 zeitlich nach und modifiziert dieses für den Wissenschaftsbereich, indem über
251
252
Bezugnahme auf das Reichsflaggengesetz, das erste der Nürnberger Gesetze, das BBG zur Entlassung herangezogen wird und nicht das DBG. Zur Scheidung R. Harders vgl. Calder III (1984) S. 59; zur Nennung Harders neben Jacoby als „untragbar“ für die Universität unter dem Nationalsozialismus und als zur Liste derjenigen Professoren gehórig, die 1955 in ,keiner Weise das Vertrauen" der NS-Studentenschaft besitzen, vgl. Mensching (1989) S. 22. Vgl. dazu Wegeler (1995) S. 186-191 mit der dort angegebenen Literatur und RGBI. I (1958),
310
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS S. 607 ff.: Verordnung z. Neuordnung d. österreichischen Berufsbeamtentums, erlassen am
31. Mai 1938. 255 254 255
258 257
Vgl. dazu auch Göppinger (1990) 5. 205 ff. Zu den hier genannten Personen vgl. die Angaben in Anhang 10. Von der Universität Berlin wurden die Professoren Eduard Norden und Werner Jaeger, die Privatdozenten Ludwig Edelstein, Hans Lewy, Friedrich Solmsen und Richard Walzer als klassische Philologen und die Althistoriker Arthur Rosenberg, Ernst Edward Aurel Stein und der Privatdozent Elias J. Bickermann vertrieben; vgl. auch Anhang 10. Ordentliche, außerordentliche und Honorarprofessoren, Privatdozenten und Dozenten. Statistisches Jahrbuch (1932) S. 428 ff.
258
Vgl. v. Ferber (1956) S. 145-146: dort finden sich die hier gegebenen Emigrationszahlen.
259 260 261
Nach v. Ferber (1956) S. 206-208. Mommsen-Gesellschaft (1982) S. 6 ff. bzw. Ludwig (1984) S. 174 f. gibt diese Liste wieder. Diese Zahlen ergeben sich aus v. Ferbers Angaben für die einzelnen Fachgebiete im Jahr 1931 abzüglich der von ihm gezählten Emeriti und der von mir in Anhang 10 zusammengestellten Namensliste entlassener Hochschullehrer ab 1955. Sie sind wie alle hier genannten Zahlen ungefähr. Die Fachzuschreibung darf nicht streng genommen werden. Z. B. werden Spezialisten für Papyrologie und Epigraphik unter Klassische Philologie, aber auch unter Alte Geschichte in den Quellen genannt. Losemann (1977) S. 27-46; Kröner (1985); Róder/Strauss (1980-1985) Bde. I, il 1 u. 2, III. Die „List of Displaced German Scholars* von 1958, die , Supplementary List... .“ von 1957 und ein „Report“ von 1941 des „Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars" sind alle wiederabgedruckt in Strauss/Buddensieg/Düwell (1987). Andere wichtige Quellen waren: Góppinger u. a. (1965) und Góppinger (1990); Kaznelson (Hrsg.) (1962): darin besonders die
262
265
Beiträge von L. Goldschmidt und C. Misch; Momigliano (1974) S. 225-225; Calder III (1966)
264
S. 215-240; Hans/Röder (1975); Pross (1955). Schließlich dienten mir die einschlägigen Gelehrtenlexika (Kürschner; Who is Who usw.) sowie Nachrufe und Festschriften als Grundlage für die in Anhang 10 zusammengestellte Liste entlassener Altertumswissenschaftler. Zu Eugen Täubler vgl. Losemann (1977) S. 55 ff. und Täubler (1985): Vorwort von J. v. Ungern-Sternberg, S. VI-XX; bes. S. IX f.; auch Strauss/Róder (1985) Bd. II, 2, S. 1151, und
Ginsberg/Halkin (1955). 265
Zu E. A. Stein und
A. Rosenberg
vgl. Losemann
(1977)
S. 31-34
und
die in Anhang
10
gegebenen Daten sowie Rosenberg (1961) S. 212. 260
Zudem RunderlaB v. 11. 5. 1958 vgl. UAG,R,IX,85, „Durchführung des BBG*, Bl. 125; in dieser Akte auch die anderen antijüdischen Runderlasse der RuPrEM. Zu der Höhe des Ruhegehaltes
und der Dauer der Auszahlung ist zu bemerken, daB sie in den Einzelfällen unterschiedlich 267
gehandhabt wurden, vgl. auch w. o. 5.2.5.9. Vgl. dazu UAG,K,IX,85, a. a. O., Bl. 40: RunderiaD des RuPrEM v. 14. 2. 1956 betr. Titelánderung; Bl. 48: Runderlaß des RuPrEM v. 4. 6. 1956 über die Streichung der Namen ausgeschiedener jüdischer Lehrkrüfte aus den Universitütsverzeichnissen und über das Verbot, diese zu Sitzungen der Fakultät, aber auch zu anderen Veranstaltungen der Universität einzuladen, etc. Zu den diversen Nachweisen bzw. Überprüfungen der Abstammung, der politischen Aktivitäten usw., die die als wissenschaftliche Hilfskräfte unter Vertrag genommenen Studenten und Studentinnen 1933-1945 beibringen mußten vgl. die Assistentenakte des Göttinger Instituts für Altertumskunde: UAG,K,XVI,IV,C.c.5, Assistent, Bd. I und II; vgl. ebd. 2. B. die Einstellung des ,Hilfsassistenten* Franz Grundt zu Beginn des Jahres 1957, der den Ariernachweis, seine politische Laufbahn, den Eid auf Hitler, Bescheinigungen der SA und der NSDAP und der Dozentenschaft vorlegte. All dies entspricht dem Ziel nationalsozialistischer
Politik bis 1959/40, die deutschen und ósterreichischen Juden machtlos zu machen durch
268
Erniedrigung und Entfernung aus anerkannten Positionen, aber auch durch den Entzug ihrer ökonomischen Basis; vgl. dazu auch H. A. Strauss in: Strauss/Röder (1985) Bd. II, 1, S. XVIII (wie Anm. 257). Der Ausschluß jüdischer Wissenschaftler aus den Herausgebergremien wissenschaftlicher Zeitschriften geschah auf der Grundlage des Reichskulturkammer- und des Schriftleitergesetzes: Das Reichskulturkammergesetz, am 22. 9. 1955 (RGBI. I, S. 661) erlassen, begründete
die Goebbels
als „Reichsminister für Volksaufklärung
und
Propaganda“
unterstehende
Anmerkungen
311
„Reichskulturkarmmer“ mit sieben Einzelkammern, die zusammen als oberste Zensur- und Überwachungsstelle fungierten. Alle „Kulturschaffenden“ mußten Mitglied der Reichskulturkammer sein und unterlagen somit sowohl der Zensur und Überwachung als auch den rassistischen Aufnahmekriterien. Nur „deutschblütige“ Autoren, Herausgeber, Künstler etc. wurden aufgenommen. Das am 4. 10. 1955 erlassene ,Schriftlleitergesetz^ (RGBI. I, S. 715), das zum 1. 1. 1954 in Kraft trat, diente der genauen Festlegung, wer im Dritten Reich veröffentlichen, herausgeben und verlegen durfte; auch dieses enthält mit $ 5 einen „Arierparagraphen“, vgl. dazu Göppinger (1990) S. 159 ff. Mit der Reichskulturkammer konkurrierten, wie auch aus anderen Bereichen als typisch für das nationalsozialistische Kompetenzenwirrwarr bekannt, diverse ministerielle und parteiamtliche Stellen, angefangen vom „Mini-
sterium des Inneren“ über Himmlers GeStaPo bis zu Alfred Rosenbergs ,Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums“ mit einem Lektorenstab von 1400 Zensoren (im Jahr 1940), die alle ein Zensur- und Verfolgungsrecht für sich in Anspruch nahmen bzw. durchzusetzen versuchten, vgl. dazu auch Schöne (1985) S. 7 £.; vgl. auch Dahm (1979).
269 270
271 272 273 274
275 276
277 278
Vgl. dazu Mensching (1989) S. 52 ff. Vgl. dazu Mensching (1987b) S. 85-69 und Täubler (1985), die Einleitung von Jürgen von Ungern-Sternberg, bes. S. IX f., wo Täubler in seinem Brief vom Dezember 1955 an den Teubner-Verlag u. a. erklärte, daß „Der römische Staat“ seine letzte in Deutschland und in deutscher Sprache geplante Veröffentlichung sei, und zwar aus Protest. S. XIV wird erwähnt, daß Täubler 1929 den Auftrag von Norden erhalten hatte, für die „Einleitung in die Altertumswissenschaft“ über den „Römischen Staat" zu schreiben. Zu Täubler vgl. auch Baer (1955/54), Hoffmann (1988) S. 200 ff. und Heuß (1989). Der „Römische Staat“ erschien erst im Jahr 1985! Vgl. dazu auch die Rezension von Bleicken (1995). Vgl. dazu Mensching (1989) S. 52-57. Vgl. Parsons (1974) S. 218; damit übereinstimmend ist die Geschichte, die mir Herr Professor Dihle über den Fall erzählte. Vgl. auch Mensching (1990) S. 58, Anm. 14. Vgl. dazu Zieglers Nachruf auf den Verleger der RE, Alfred Druckenmüller (1882-1967): Ziegler (1968) bes. S. 5 und 5. Vgl. dazu Mensching (1987b) S. 59 f. A. ἃ. O. S. 60; vgl. auch Haffter (1955) S. 517. Zu Jacoby vgl. Mensching (1989) S. 45, ebd. auch die Beschreibung Jacobys und die einer Augenzeugin; zu Maas vgl. Mensching (1987a) S. 65 ff., dort auch der Brief eines mit Maas zusammen inhaftierten Leidensgenossen, dem Kaufmann Arthur Propp, der berichtet, daß Maas vorhatte, sich lieber selbst zu tóten als sich den Nationalsozialisten auszuliefern; zu Morél vgl. Mensching (1990) S. 49, ebd. auch über die Biographie und das Werk von Morel (S. 48-63); zu Friedländer vgl. die Angaben in Anhang 10; zu Liebeschütz vgl. Lohse (1991) S. 704 f. mit Anm. 90; zu L. Wallach vgl. Anhang 10; zu J. Bick vgl. ebenfalls Anhang 10.
Skutsch (1992) S. 406 f. Zu Zieglers Begnadigung in der Form, daß das Strafverfahren zur Aberkennung
seines
Ruhegehalts nach zwölfmonatiger Inhaftierung mit der Begründung eingestellt wurde, daß „eine starke Dosis Weltfremdheit, gepaart mit außergewöhnlicher Hilfsbereitschaft" zu seiner
279
Tat geführt habe, vgl. das Gerichtsurteil im Wortlaut bei Mensching (1990) S. 25-28, insbes. S. 27 f. Vgl. dazu die ähnliche Einschätzung von Zieglers Universitätskarriere bei Gärtner (1980) und Mensching (1990) S. 14-19. Auch die Reaktion des „Hermes“-Herausgebers Wolfgang Schadewaldt scheint mir in diese Richtung zu weisen. Nach der brieflichen Information von Herm Professor Hans Gärtner (Brief v. 27. 9. 1982) an mich, lehnte die Zeitschrift „Hermes“ schon ab 1953 die Veröffentlichung von Zieglers Beiträgen ab. Das scheint mir auf seine fachweit
offenbar bekannte republikanische, d. h. die Weimarer Republik verteidigende politische Haltung zurückzuführen zu sein. Wieder ein Beispiel für die Eigeninitiative von Herausgebern, denn Ziegler erhielt erst im Jahr 1941/1942 ein offizielles, absolutes Veröffentlichungsverbot. Vgl. dazu Gärtner (1980).
Zu Ziegler vgl. Gärtner (1980); Mensching (1990) S. 5-47; den ersten Nachruf seines Schülers Lothar Wickert (1974); Zieglers Werkverzeichnis: Gärtner/Gross (1964) und Gärtner (1974); zu Zieglers Kirchenaustritt im Jahr 1930 vgl. seine Begründung desselben in der Personalakte: UAG,K, Prof. em. o. Dr. Konrat Ziegler, Phil. Fak.; inliegend , Wiedergutmachungsakte":
Fragebogen des Military Government, am 9. 5. 1946 von Ziegler ausgefüllt. Dort auch die
312
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
Angabe, daß er 1944 wieder in die Kirche eintrat. Bei der Volkszählung von 1939 gab er unter Religionsbekenntnis „Gottgläubig“ an. 1923 trat Ziegler auch aus dem „Volksbund für das Deutschtum im Ausland“ (VDA) aus, mit derselben Begründung wie beim Kirchenaustritt.
281
Der VDA war ihm zu nationalistisch geworden. Ziegler hatte diesem seit 1908 angehórt und war 1921 sogar Vorsitzender des VDA für Breslau und Schlesien gewesen. Vgl dazu Zieglers Unterschrift zusammen mit A. Einstein, C. Grünberg (Leiter des Frankfurter Instituts für Sozialforschung), M. Horkheimer, Th. Lessing, der Göttinger Mathematikerin Emmy Noether, Gustav Radbruch, dem Berliner Althistoriker Arthur Rosenberg, Ferdinand Tönnies, Theodor Wiesengrund (Adorno) und einer Reihe anderer Wissenschaftler unter eine Protestnote an den Vorstand des Verbandes der Deutschen Hochschulen im Jahr 1951. In
dieser Erklürung protestierten die Unterzeichner gegen die ermutigende Haltung des Vorstandes gegenüber den Übergriffen und Methoden der Heidelberger Studenten, die mit Hilfe
der Heidelberger Professoren die Entlassung von Emil Gumbel erreichten. Vgl. dazu Mitteilungen des Verbandes der Deutschen Hochschulen, XI. Jg., März 1951, H. 5/4, S. 46 f. Für den Hinweis darauf danke ich Herrn Dr. B. v. Brocke.
Zu der Geschichte Ziegler-Vahlen vgl. den Aufsatz von Siegmund Schultze (1984) S. 25 ff. Auch 285
diesen Hinweis verdanke ich Herrn Dr. B. v. Brocke. Diese information verdanke ich Herrn Gerhart F. Ziegler (briefliche Mitteilung vom 1.9. 1990), dem zweitältesten Sohn Zieglers, der die Entlassung seines Vaters als junger Mann miterlebt hatte, ohne Abitur von der Schule abging und eine Banklehre aufnahm, weil er unter
diesen Umstánden keine Móglichkeit sah, einen Studienplatz zu erhalten. Zu Ziegler vgl. auch w. u. 5.6.2.
Zu Harald Fuchs (1900-1985) vgl. Delz (1988); Fuchs, ein Jaeger-Schüler, 1920 nach Kónigsberg berufen, trat 1952 die Nachfolge Lattes in Basel an, wo er bis zu seiner Emeritierung blieb. Rufe in den 30er Jahren nach Königsberg, Kiel und Göttingen lehnte er ab, weil er unter den Nationalsozialisten nicht lehren noch leben wollte. Zu Karl Reinhardts Rücktritt aus Protest vgl. seine Erinnerungen, die er unter dem Titel „Akademisches aus zwei Epochen“ in Reinhardt (1966) veröffentlichte, eines der wenigen Selbstzeugnisse über diese Zeit von
einem hiergebliebenen klassischen Philologen, insbes. S. 588 ff.; dort auch der Brief mit der Rücktrittserklárung an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 5. Mai 1955. Zu Täublers Protest vgl. Täubler (1985) S. IX f.; zu K. Lehmann-Hartleben vgl. Röder/Strauss (1985) Bd. Il, 2, S. 705; zu E. A. Stein vgl. Losemann (1977) S. 52 ff. und Róder/Strauss (1985) Bd. II,2, S. 1110; zu H. Liebeschütz vgl. Lohse (1991) S. 780 f. und Róder/Strauss (1983) Bd. Il, 2, S. 728. Zu K. v. Fritz vgl. Ludwig (19868) und Ludwig (1986b): enthält ein von Gerhard Jäger zusammengestelltes Schriftenverzeichnis, S. 20 ff; zu seiner Hamburger Assistentenstelle vgl. auch Lohse (1991) S. 780 und S. 825.
Vgl. Anhang 9 und die dort angegebene Quelle. VgL Personalakte Latte, UAG,K,XVI,IV,A.a.145,
Bl. 42, Vereidigungsnachweis
Lattes
v.
25. 10. 1954 mit folgender Eidesformel: „Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.“ Vgl. dazu v. Ferber (1956) S. 49.
291
Reinhardt (1966) S. 592. Vgl. dazu w. o. 5.2.5, S. 165 und S. 177 mit Anm. 192. Vgl. dazu Menschings Rekonstruktionsversuch in Mensching (1989) S. 95-08. Bezeichnenderweise veröffentlichte Gnomon 1940/41 keinen Nachruf für den 1940 verstorbenen Wilamowitz-Schüler Eduard Schwartz, der sich seit 1955 als standhafter, zwar konservativer und nationalistischer, aber kritischer Zeitgenosse erwiesen hatte. Zu Schwartz' Eintreten für Kurt v. Fritz vgl. Anhang 9; zu Schwartz' Werk vgl. auch Momigliano (1991) S. 170—178 und Rehm
285
(1942). Zu Hermine Speier vgl. v. Steuben (1990) bes. S. 579 f. Zu den Kieler Studenten und Felix Jacoby vgl. Mensching (1989) S. 22; zu den Brüdern von Bothmer vgl. Strauss/Róder (1985) Bd. Il, 1, S. 158: Bernhard von Bothmer, 1912 geboren, seit
1952 an der ägyptischen Abteilung der Staatlichen Museen in Berlin Assistent, schmuggelte verbotene Bücher und war Fluchthelfer für jüdische und nichtjüdische Opfer der Verfolgung.
Anmerkungen
313
Er selbst floh vor der GeStaPo mit einem illegalen Paß im November 1958 nach Frankreich. 1959 mußte er von dort in die Schweiz fliehen, um nicht als deutscher Staatsbürger interniert zu werden. Er setzte seine Widerstandsaktivitäten fort, indem er für eine internationale „Agency“ arbeitete, die sich um verlassene Kinder kümmerte. Da er aber auch in der Schweiz keine Aufenthaltserlaubnis erhielt, mußte er 1941 in die USA emigrieren. Dort meldete er sich zum Dienst beim „Office of War Information". Erst 1946 wieder arbeitete er als Archäologe in der ügyptischen Abteilung des Bostoner Museums of Fine Arts. Der jüngere, 1918 geborene Bruder Dietrich Felix von Bothmer emigrierte schon im Oktober 1958 mit einem Stipendium nach Oxford, weil er wegen seiner antinationalsozialistischen Haltung Probleme in Berlin bekam. Den Studienabschluß, von dem Berliner Institut für Archäologie verweigert, absolvierte er innerhalb eines Jahres bei Sir John Beaziey und Sir Maurice Bowra (Oxford). Wegen des Kriegsbeginns kehrte er 19359 nicht von einer USA-Reise zurück. Auch er diente 1945-1945 bei der US-Army. 1944 erhielt er den Ph.D. der University of California, Berkeley, in Archäologie. 1946 wurde er Mitglied der Abteilung Greek and Roman Art des New Yorker Metropo-
litan Museum of Art. Zu Bruno Snell vgl. Erbse (1987), Lohse (1991) und w. o. 5.2.5.2, Anm. 202; zu Snells später geäußerten Selbstzweifeln vgl. Lohse (1991) S. 805 mit Anm. 126.
Vgl. Mensching (1987a) S. 81; zu Maas’ eingeschränkten Lebensverhältnissen in Oxford -
297
298
seine Beraterstellung für Oxford University Press war nicht einmal offiziell - vgl. den bei Mensching abgedruckten Brief an Willy Theiler v. 15. Mai 1945, a. a. O., S. 85. Vgl zu den Genannten die in Anhang 10 gegebenen Daten und Quellenangaben. Zu Alfred Gudemann (1862-1942), den ich als um die Jahrhundertwende aus den USA nach Deutschland ausgewanderten Altertumswissenschaftler nicht in meine Liste aufgenommen habe, vgl. Mensching (1990) S. 6-11. Er kam zusammen mit seiner Frau in Theresienstadt 1942 ums Leben.
Vgl. w. u. Abb. 22 die Kopie aus: Gumbel (1958) S. 7. Aus den Friedhofsakten des jüdischen Friedhofs Weißensee in Berlin geht hervor, daß seit 1940 die Zahl der Beerdigungen sprunghaft anstieg und bis 1942 um die 5000 lag, mit der sich häufenden Todesursache „Selbsttötung“. 1941 begannen die Deportationen aus Berlin. Vgl. dazu den Artikel von P. J. Winters (1992) in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Durch Selbsttótung der Deportation zu entgehen war für eine Reihe insbes. akkuiturierter und mit Deutschland identifizierter Gelehrter, die deutlich sahen, was auf sie zukam und keine andere Móglichkeit, sich zu retten,
der letzte Ausweg: Paul Maas hätte sich so entschieden und Kurt Latte trug für den Fall seiner Verhaftung eine Kapsel Zyankali bei sich, um zwei Beispiele zu nennen. Zu der Geschichte der Schwestern Freuds vgl. die Rekonstruktion von Leupold-Lówenthal (1988) S. 6-8. 301
Vgl zum Schicksal der Schwestern Maas: Mensching (1987a) S. 81 f., S. 150, S. 158-140. Die in Anhang 10 von mir genannten Wissenschaftler, die Deutschland nicht verließen bzw.
nicht mehr verlassen konnten, sind nur aus den Bereichen klassische Philologie und Alte
$58
Geschichte. Die der anderen Fücher konnte ich nicht eruieren. Die Geschichte des Althistorikers F. H. Münzer ist genau dokumentiert und kann als exemplarisch angesehen werden für in Deutschland zurückgebliebene Wissenschaftler, vgl. Kneppe/Wiesehöfer (1985) bes.
S. 111-149. Eva Ehrenberg (1965) S. 55 ff. Vgl. North (1989) S. 757. Zu P. O. Kristeller vgl. Coser (1984) S. 201-294; zu Weinstock vgl. Parsons (1974) S. 218 und mündliche Auskunft Professor Albrecht Dihle.
Vgl. Ludwig (1984) S. 166. Zu Lieselotte (1966) S. 450; Stern-Täubler Stern-Täubler
Salzer-Solmsen vgl. North (1989) S. 757; zu Emma Levy-Edelstein vgl. Diller zu Bertha Mugdan-Stenzel vgl. Mensching (1990) S. 25, S. 40, Anm. 70; zu Selma vgl. Täubler (1985) S. VI, Anm. 3; Strauss/Röder (1985) Bd. II, 2, S. 1198; Selma (1958) und dies. (1962-1975) und dies. (1977); zu Ruth von Velsen-Fraenkel vgl.
Williams (1972) S. 419 f., S. 458 und 442. 307
Zul. Heinemann vgl. Hoffmann (1988) S. 219-252; Momigliano (1974) S. 225 und Heinemanns Werk, in dem u. a. auch Kommentare zur aktuellen Lage der Juden in Deutschland enthalten sind: Heinemann (1919), ders. (1924); zu Wallach und Lewy vgl. die in Anhang 10 gegebenen Daten und Quellen; zu Lewy siehe ebenfalls Momigliano (1974) S. 224; alle drei fehlen sowohl
514
508
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
bei Ludwig (1984) als auch bei Losemann (1977). Nicht einmal Mensching (1990) nennt Lewy. Ich denke, das ist nicht nur Zufall: Sowohl die Interessen der Genannten als auch ihr offenes Bekenntnis zum Judentum mag das Versehen bzw. Vergessen gefördert haben. Vgl. dazu Losemann (1977) S. 50-46 mit den in den Anmerkungen gegebenen bibliographischen Hinweisen; Momigliano (1974) S. 224. E. A. Stein veröffentlichte aus Protest nichts
mehr
in deutscher
Sprache,
sondern
nur
mehr
in Franzósisch.
Tüubler
hatte
dies
ebenfalls vor, vgl. Täubler (1985) S. X. Arthur Rosenberg begann im Schweizer Exil sein Buch über die Weimarer Republik, Rosenberg (1961). Zu Pringsheim vgl. auch seine Nachkriegsvorlesungen vor Freiburger Studenten, Pringsheim (1961). Hans Liebeschütz forschte nicht nur über spätantike und mittelalterliche Geschichte: 1967 erschien seine Untersuchung zum
Judentum im deutschen Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts, Liebeschütz (1987). Zu Täubler 509
510 511 519 515 514 515
516 517
und Bickermann vgl. auch Hoffmann (1988) S. 201-219 und S. 252-245. Täubler hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg an der Berliner Hochschule jüdische Geschichte gelehrt. Zur Geschichte der Hochschule vgl. Fuchs (1967) und Weltsch (1972).
Vgl. dazu Strauss/Buddensieg/Düwell (1987) S. VIII ff. und die dort veröffentlichten Listen; vgl. auch Góppinger (1090) S. 214 ff. Lloyd-Jones (1982c) S. XIII. Vgl. dazu Dodds (1957) S. 476-479; Zitat nach Dodds, a. a. O. S. 477. Murray (1900/1921). Zu Skutsch vgl. Strauss/Róder (1985) II, 2, S. 1090; zu W. Rechnitz dies. (1985) Il, 2, S. 945. Vgl dazu Ludwig (1986b) S. 9 f.; dort auch über die Zusammenarbeit Kapps und v. Fritz', die gemeinsame Seminare abhielten und Aristoteles’ Schrift über den Staat der Athener gemein-
sam ins Englische übersetzten und kommentierten, vgl. v. Fritz/Kapp (1950). Coser (1984) S. 271-277, bes. S. 540. Vgl dazu Coser (1984), S. 291-294, S. 541 f.; Strauss/Röder (1985) II, 1, S. 666.
518
Vgl. dazu Kristellers Vorwort zu Kracauer (1971) S. 7 und Belke/Renz (1989) S. 125.
519
Coser (1984) S. 295.
590
Vgl. dazu Strauss/Röder (1985) Bd. II, 1, S. 255 f., und Diller (1966) S. 429-452.
591
Vgl. dazu Calder III (1992a) S. 166 ff.
522
Zu H. Bloch vgl. die Angaben in Strauss/Róder (1985) Bd. Il, 1, S. 119; zu den Brüdem v. Bothmer vgl. Anm. 294 w. o.; zu Eva Ehrenberg vgl. Strauss/Róder (1985) Bd. II, 1, S. 258;
zu der Mitarbeit von britischen Altertumswissenschaftlern in militärischen Institutionen vgl. auch Skutsch (1992) S. 407 und Phillips (1981) S. 172 fT. 525
Zu E. Fraenkel vgl. Williams (1972) S. 425 über dessen regelmäßige Lehr- und Forschungs-
reisen an italienische Universitäten nach seiner Emeritierung 1955 in Oxford. In Italien lebte er auf, lehrte mit großer Begeisterung und veröffentlichte einige Werke in deutscher Sprache: Fraenkel (1964) Bd. I und II, u. a., vgl. dazu das von Horsfall zusammengestellte Schriftenverzeichnis, Horsfall (1976); zu dem Kontakt mit ehemaligen Kollegen, den Fraenkel zwar ausgewählt, aber vielfältig sofort nach Kriegsende wiederaufnahm vgl. Lloyd-Jones (1971) S. 657 f. Dort wird auch erwähnt, daß Fraenkel das Berliner Seminar für Klassische Philologie gerne besuchte (er erhielt die Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin). S. 640 wird
die Aufnahme Fraenkels in die Göttinger Akademie der Wissenschaften erwähnt. 524
E.Ehrenberg (1965) S. 58 f., S. 64.
525
VgL dazu Lohse (1991) S. 800 IT., Zitat: S. 801 f.
528
Zu R Pfeiffers Rückkehr vgl. Bühler (1980), insbes. S. 406 und Mensching (1989) S. 96 f. und Anm. 11. Wie eng Pfeiffer England und Oxford verbunden blieb, zeigt allein die Tatsache, daB
er nach seiner Emeritierung die „History of Classical Scholarship" in englischer Sprache 527
598 329
verfaßte, Pfeiffer (1976). Georg Rohde machte sich besonders um den Aufbau der Freien Universität Berlin verdient, wo er bald nach seiner Berufung zum Rektor gewählt wurde, vgl. dazu, aber auch zu dessen Exilzeit, Ernst Fraenkel (1961). Zu den Rückkehrern vgl. auch die Liste in Anhang 10, auf der, soweit mir bekannt, eine Rückkehr vermerkt ist. Zu den Althistorikern vgl. Losemann (1977) S. 48. Zu Latte vgl. auch w. u. S. 265 f. u. S. 270; Daß Latte sich in den ersten Nachkriegsjahren von Feinden, ehemaligen Nationalsozialisten, umgeben fühlte, teilte mir dankenswerterweise
Herr Professor Hans Gürtner (Regensburg) mit: Brief vom 10. 9. 1987. Dieses Gefühl von Latte wundert nicht, hält man sich vor Augen, daß er nun in den Fakultätssitzungen mit denselben
Anmerkungen
330 551 532
315
Kollegen zusammensaf, die ihn seinerzeit entlassen hatten, wie etwa Hans Plischke und H. Kees, vgl. dazu UAG, Protokollbuch der Phil. Fak., 1950-1949: die 2. T. handschriftlichen Protokolle beginnen mit der Anwesenheitsliste. Zu Kees und der 42er-Erklärung vgl. w. o. S. 151 ff. Vgl. dazu Dahms (1986) S. 175-181 über die Rückkehr an die Universität Göttingen insgesamt; insbes. S. 178 f. mit Beispielen zu dem abweisenden Umgang mit Emigranten. Thomas Mann gegenüber ist die Haltung jedenfalls bekannt. Vgl. auch diesbezügliche Gedanken im Briefwechsel zwischen Hermann Broch und V. v. Zühlsdorff: Broch (1986) insbes.
S. 11 ff., S. 25 £., S. 51 ff., insbes. S. 80 f. 555 5354
Wie Anm. 551 und vgl. w. u. S. 265 ff.
Vgl. dazu UAG, Protokollbuch der Phil. Fak., 1950-1949: Bl. 220, Bl. 284 und UAG,K,IX,85, Bl. 250: Dekan H. Nohl an Rektor, 15. 5. 1946, über Hermann Frünkel als Inhaber eines Lehrstuhls in Oxford und daß er daher für eine Rückberufung nicht in Frage käme. Vgl. dagegen S. 252 in derselben Akte, wo in einem Schreiben vom 19. 5. 1946, also zwei Monate vorher, richtig
gesagt wird, daß H. Fränkel in den USA sei, aber es fraglich erscheine, ob er bereit sei, unter den gleichen Bedingungen, d. h. mit dem Angebot der Stelle eines Oberassistenten, zurückzukehren.
335
336 337
Vgl. dazu Dahms, wie Anm. 551, und Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 49 ff. und dle einzelnen Beitrüge, in denen jeweils fachgebunden die Entnazifizierung und Remigration behandelt werden. Zu Laqueur vgl. Losemann (1977) S. 57 f. mit dazugehürigen Anmerkungen und zu dem althistorischen Lehrstuhl der Universität Halle, Losemann (1977) S. 61-74. Zu E. Fraenkels Einsatz für den Thesaurus in München vgl. C. Becker (1970) S. 211, ebd. auch seine im Jahr 1952 erfolgte Aufnahme in die Bayerische Akademie der Wissenschaften. Ich vermute, daß dies auf Anregung von dem ein Jahr zuvor nach München zurückberufenen
R. Pfeiffer geschah, der damit einen Kollegen und Freund, mit dem er in Oxford eng zusam338
mengearbeitet hatte, ehrte. Persönliche Mitteilung Albrecht Dihles, der bis heute regelmäßig nach England reist. Auch Mensching (19878), S. 82-106, zeichnet detailliert die Kontakte des Gelehrten Paul Maas zu ehemaligen Kollegen, seine Besuche und Ehrungen nach 1945 auf. Die Ehrungen und die wichtigsten Einladungen zu Gastsemestern an deutsche Universitäten nach dem Krieg kann man den meisten Nachrufen entnehmen. Daß diese Art von Wiederanknüpfung der verbreitetste war, ist aus den Nachrufen zu schlieDen. Vgl. dazu vor allem Adam (1977); M. Heinemann (1980) T. 2: insbes. die Aufsätze von Kleinberger (1980), Giles (1980), Kelly (1980) und Losemann (1980); Seier (1964); Bekker/Dahms/Wegeler (1987) S. 32-42.
Vgl. bes. Kleinberger (1980) S. 18-25; Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 35-35. Vgl. dazu bes. Sluga (1995) S. 11-15 und S. 51 ff. Vgl. Vorlesungsverzeichnis der Georg-August-Universität Göttingen für das WS 1955/54. Vgl. dazu Seier (1964) insbes. S. 105—107, S. 108, S. 119 ff.
Vgl. dazu insbes. Kelly (1980) S. 65 ff.; Seier (1964) S. 151 ff. Vgl. dazu insbes. Losemann (1980) S. 88 ff.
Vgl. dazu auch Seiler (1964) S. 115. Vgl. dazu vor allem die in Anm. 559 genannten Aufsätze aus Heinemann (1980), aber auch Seier (1964). Brief H. Nohl an L. Pallat, Göttingen, den 24. 12. 1054, zitiert nach Ratzke (1987) S. 207.
Bis zur Schulreform von 1958, die Griechisch als Gymnasiatfach bis auf wenige Ausnahmeschulen abschaffte und Latein obligatorisch machte, gab es Überlegungen, die Institute für Klassische Philologie bzw. Altertumskunde zu verkleinern; man wollte nicht mehr alle drei Lehrstühle (Latinistik, Gräzistik, Alte Geschichte) an jeder Universität besetzen. Vgl. dazu Losemann (1977) insbes. S. 61-86; aber auch Irmscher (1966) S. 252 ff. Am Góttinger Institut wurde neben der langjährigen Vakanz des latinistischen Lehrstuhls nach Kriegsbeginn auch
auf die Wiederbesetzung der Assistentenstelle verzichtet. Diese wurde bis 1945 durch eine wissenschaftliche Hilfskraft ersetzt. UAG,K,XVLIV,C.c.5: Assistent, Bd. I, Brief Pohlenz an den Kurator, Bad Wiessee; am 12. Juli
1955 im Kuratorium eingegangen. Zu Knoche vgl. Mette (1969) und Lohse (1991) S. 784 ff. Knoches Schriftenverzeichnis in Knoche (1986) S. XI-XVI und die Unterlagen in der Assisten-
516
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
tenakte des Instituts für Altertumskunde, Bd. I: Brief Pohlenz an den Kurator, Góttingen, den 12. 6. 1955, mit 7 Anlagen: Zeugnisse des Thesaurus Linguae Latinae vom 6. 6. 1955 über Knoches dortige Tätigkeit; Formular über Ariernachweis und politische Betätigung; Bestätigung des Kurators der Universität Köln über die Dauer und das Ausmaß sowie die Honorierung von Knoches Kölner Lehrtätigkeit; die Habilitationsurkunde der Phil. Fak., Univ. Köln, vom 26. 2. 1952; maschinenschriftlicher Lebenslauf Knoches vom 1. 6. 1955; Schriftenverzeichnis; Promotionsurkunde.
551
Vgl dazu Pohlenz' Schilderung der Lage des Instituts für Altertumskunde seit dem Herbst 1954 in: UAG,K,Phil. Fak.,XVLIV,B.7, Einrichtung neuer Professuren und Ersatzvorschläge für Professoren, Bd. III (1933-1841), Brief Max Pohlenz an den Wissenschaftsminister, Göttingen,
den 18. 10. 1956 (Bl. 121-124). Vgl. auch UAG,R,5205b. Professoren der Phil Fak., Bd. II, 1956 ff., Brief Dekan Plischke via Rektor Neumann an den RuPrEMinister, Góttingen, den 14. September 1955.
352
Vgl die in Anm. 551 genannten Akten: dort enthaltene Gutachten und Briefwechsel sowie das Protokollbuch der Phil. Fak., Sitzung vom 6. 1. 1956 (Bl. 128) im UAG.
355
UAG,R,5205b. Bd. II (Nachfolge Latte): Brief Dekan Wilde und Rektor Neumann an das RuPrEM, 27. und 28. Februar 1956; zu Drexler vgl. seine Personalakte im UAG, die ich mit Erlaubnis von Professor Drexler einsehen konnte: UAG,K,XVLIV A.a.52, Bd. I, Bl. 151: Brief Pohlenz an den Dekan der Phil. Fak. vom 8. 5. 1950 über die Motive, Drexler nach Góttingen zu berufen: Pohlenz nennt die Bekanntheit Drexiers am Institut für Altertumskunde aus der Góttinger Studienzeit als ein Motiv der Berufungskommission, Drexler auf die Liste gesetzt zu haben. Zur Bestätigung führt er die Empfehlungen der Kollegen Harald Fuchs und Willy Theiler an, die Drexler damals als fachlich qualifizierten Latinisten empfohlen hátten. Dieses Schreiben von Pohlenz, im Jahr 1950 verfaßt, sollte allerdings der Entlastung von Drexler dienen und dem Beleg, daß Drexler seinen Lehrstuhl bzw. die Berufung nach Göttingen nicht allein der Mitgliedschaft in der NSDAP zu verdanken gehabt habe.
554
UAG,R,5205b. Bd. II, Brief Dekan an RuPrEM,
13. Mai 1956: Bitte, Drexler zum nächsten
Semester nach Góttingen zu berufen; Rektor an RuPrEM, 15. 5. 1956 wiederholt die Bitte des
Dekans. RuPrEM (Vahlen) an den Kurator der Univ. Góttingen, Berlin, 22. 8. 1956: Drexler kann nicht nach Góttingen berufen werden, daher soll die Phil. Fak. eine neue Vorschlagsliste einreichen.
555 556
Zu Mattiat vgl. Brednich (1987) S. 514 ff. Neumann an Schadewaldt, Göttingen, den 15. 8. 1956, in: UAG,R,5205b. Bd. Il; Neumanns Schreiben an Schadewaldt liegt gut eine Woche vor dem Erlaß des Ministeriums. Das kann nur heißen, Neumann war schon darüber informiert, daß Drexlers Berufung abgelehnt wird und eine neue Berufungsliste erstellt werden soll.
357
Schadewaldt an Neumann, 29. 8. 1956: in: a. a. O.; Neumann an Mattiat im RuPrEM persön-
358 359
lich, Göttingen, den 5. 9. 1956, a. a. O. Alle Gutachten a. a. O.; zu Andreas Thierfeider (1905-1986) vgl. auch Blänsdorf (1987). Neumann an Mattiat im RuPrEM persönlich, Göttingen, den 51. 10. 1956, a. a. O.
560
Pohlenz an RuPrEM, Göttingen, den 18. 10. 1956, in: UAG, K,Phil. Fak.,XVI,IV,B.7, Bd. III, Bl. 125-124 (Zitate).
561
Kurator an das RuPrEM, Göttingen, den 51. 10. 1956, in: a. a. O., Bl. 125.
562
Neumann an RuPrEM via Kurator, 18. 1. 1957, a. a. O., Bl. 151; Dekan Wilde an RuPrEM, 15. 1. 1957, a. a. O., Bl. 152; Mattiat an den Kurator der Universität, Berlin, den 17. 5. 1957, ἃ. a. O., Bl. 154. Zu Knoches Mitgliedschaft in der NSDAP vgl. Lohse (1991) S. 787.
565
Zu Knoches politischem Wendeverhalten vgl. Lohse (1991) S. 787-795 mit Beispielen aus seinen Werken und Briefen; dort auch über Knoches gleichbleibende Sichtweise des Dritten Reiches nach 1945.
564 565 366
Vgl dazu UAG,K,Phil. Fak.,XVLIV,B.7, Bd. III: Bl. 197, 199, Bl. 207-211. Zu Drexlers Berufung vgl. Drexlers Personalakte (wie Anm. 555) und w. u. 5.4.1. Vgl. dazu das Schriftenverzeichnis von Max Pohlenz: Person (1965) insbes. S. 69-71. Zu Pohlenz vgl. auch Friedrich (1965). Vgl. dazu z. B. Werke von F. H. Münzer, Althistoriker an der Universität Münster, der eine ähnliche politische Einstellung wie Pohlenz zur Zeit der Weimarer Republik hatte: Kneppe/Wiesehöfer (1985) S. 75 ff., S. 57 f. Zu spezifisch nationalsozialistisch argumentierenden Altertumswissenschaftlern vgl. die von Irmscher (1966) in Fülle gegebenen Beispiele.
Anmerkungen 367
Pohlenz (1954a) und ders. (1954b).
588
Pohlenz (1954a) S. I.
317
369
A.8.0. 5.1, S. 114, S. 116, S. 118, S. 120 und andere Stellen mehr.
370 571
Pohlenz (1954b) S. 202. Ebd.
572 575
Pohlenz (1941) S. 40. Vgl. dazu die im Nachlaß Pohlenz (Handschriftenabteilung der NStUBGO) erhaltenen Briefwechsel mit ehemaligen Studenten, wissenschaftlichen Hilfskrüften und Kollegen, die zum Krieg eingezogen waren, z. B. NL Pohlenz, Cod. MS Nr. 10: Briefe an Ludwig Deicke; Nr. 11:
574
Zu G. Pasquali vgl. Classen (1986), insbes. S. 21 f. zur Verleihung der Ehrendoktorwürde an Pasquali und die Ereignisse während der 200jührigen Jubiläumsfeier der Universität Góttingen im Jahr 1957. Vgl. zu den Vorgängen um die Verleihung der Ehrendoktorwürde an Pasquali und Funaioli 1. die Briefe zwischen Pohlenz und dem Rektor Neumann sowie dem Dekan Hinz in: UAG,R,5205b. Prof. d. Phil. Fak., Bd. Il: Dekan Hinz an Pohlenz, 28. 10. 1957; Pohlenz an Dekan Hinz, 29. 10. 1957, mit Anlage: Gedächtnisprotokoll über das Gespräch zwischen Pohlenz und Funaioli; Pohlenz an Rektor Neumann, 29. 10. 1957; Rektor Neumann an Pohlenz, den 9. November 1957. Vgl. auch 2. die im Nachlaß Pohlenz erhaltenen Dokumente: NL Pohlenz, Cod. MS Nr. 105: Pohlenz' Antrag, Giorgio Pasquali zu ehren mit ausführlicher Begründung, 94. 5. 1957; Brief Reichsminister Kerrl durch Adjutantur an Rektor Neumann, 10. Juni 1957; Auswärtiges Amt an Kultusminister, 11. Juni 1957; Pohlenz an den Rektor Neumann, 20. Juni 1957: Begründung, warum die Verleihung eines Ehrendoktorats an Funaioli durch die Universitát Góttingen nicht in Frage kommt; Pohlenz an Dekan Wilde, 2. Juli 1957: Material zur Auswirkung der Ehrenpromotion von Funaioli; der Phil. Fak. am 5. Juli vorgelegter Entwurf eines Briefes an den RuPrEMinister, in dem sich die Fakultät grundsätzlich gegen derartige Eingriffe seitens des Ministers verwahrt. Der Entwurf, von Pohlenz verfaßt, wurde von der Fakultät abgelehnt. Vgl. 5. Nachlaß U. Kahrstedt, Cod. MS Nr. 41: Kahrstedt an Dekan,
Briefe an H. Dórrie und W. Kappler; Nr. 47: Briefe an W. Nauhardt.
575
15. 9. 1945, Bericht über den Fall „Funaioli“ anhand seines Tagebuchs, Auszüge v. 25. 6., 28. 6.
und 3. 7. 1957 (im Besitz der NStUBGö). Zu Gino Funaioli (1878-1958) vgl. Büchner (1959);
376
377
zur Jübiliáumsfeier vgl. Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 15 f., S. 56, S. 41, 5. 424 und S. 451 f. und Abb. S. 520 ff. sowie Kamp (1988). Vgl. dazu NL Pohlenz, Cod. MS Nr. 105, Bl. 7/1: Handschriftliche Notiz von M. Pohlenz' Hand, vor den maschinenschriftlichen Text gesetzt, „Entwurf einer Antwort der Fakultät an den Minister, abgelehnt in der Sitzung vom 5. Juli 57*. Vgl. dazu die in Anm. 575 angegebenen Briefe aus der Akte UAG,R,5205b. Prof. d. Phil. Fak., Bd. II: insbes. den Brief Pohlenz an Rektor Neumann, 29. 10. 1957; Zitat aus dem Brief Hinz an Pohlenz, 28. 10. 1957. Zu der Herabsetzung des Emeritusalters von 70 auf 65 Jahre vgl. RGBI. (1955), I, S. 25, „Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern“. Mit diesem Erlaß sollten Stellen für nationalsozialistische Nachwuchskräfte freigemacht werden. Am 12. 1. 1955 folgte per Erlaß v. RuPrEM ein Zusatz als Ausnahmeregelung, der bestimmte, daB der Entpflichtungszeitpunkt auch aufgeschoben werden kann, falls überwiegende Hochschulinteressen die weitere Ausübung des Lehramtes durch einen bestimmten Hochschullehrer erfordern. Das erlaubte beliebige Entscheidungen. Im Fall von Pohlenz fragte der Kurator vorsorglich schon im April 1957 beim Rektor an, ob Pohlenz über die herabgesetzte Altersgrenze hinaus beschäftigt werden solle, weil wohl kaurn Aussicht bestehe, einen geeigneten Nachfolger für Pohlenz zu finden. Der Rektor lehnte dies rundweg ab mit dem Hinweis, daß erst im Neuberufungsverfahren feststellbar sei, obes keinen passenden Nachfolger gäbe. Vgl. dazu Personalakte M. Pohlenz, UAG,K,XVI,IV,A.a.11: Anfrage d. Kurators
v. 6. 4. 1957; Rektor an Kurator, 12. 4. 1957 (Bl. 99); Bl. 100 und 105: Entbindung von den amtlichen Verpflichtungen durch das RuPrEM zum 1. 10. 1957. Zu den Emeritierungsregelungen vgl. auch Kneppe/Wiesehófer (1985) S. 107 f.
378
Vgl. dazu UAG,K,Phil. Fak.,XVLIV,B.7, Bd. III, Bl. 147 ff. und Bl. 151: Brief Dekan an RuPrEM,
579 380
Brief Rektor an RuPrEM, beide vom 7. 10. 1957; und Erlaß des Ministerialbeamten Mattiat an den Kurator der Universitát, Berlin, den 20. 10. 1957. UAG,R,5205b. Bd. II: Brief Rektor an Pohlenz, den 9. November 1957. Vgl. UAG, E,XVLIV,C.c.5, Assistent Bd. II: Antrag des Instituts für Altertumskunde an das REM,
518
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS die Assistentenstelle des Instituts neu zu besetzen, 9. 1. 1959; Bl. 2 des Antrags enthält eine Aufstellung der arn Institut abgehaltenen Lehrveranstaltungen im WS 1957/58 und im SS 1958.
TEE
581
Zuden Gutachten bzw. Beurteilungen über die genannten Wissenschaftler vgl. UAG,R,5205b. Bd. II: Brief Professor Burck an Neumann, Kiel, den 28. 8. 1957, über Reinhardt, Harder, Snell und Theiler; Gutachten der Dozentenschaft Erlangen über Otto Seel vom 27. 9. 1957; NSDDB München an Rektor, 7. 10. 1957: Gutachten über F. Dirlmeier; Brief Rektor an NSDDB-Führer Blume, Göttingen, 26. 8. 1957, mit der Bitte um Gutachten über E. Wolff, O. Seel, E. Kóstermann, G. Rohde, F. Dirlmeier. Focke an Neumann, Tübingen, den 17. 10. 1957, Gutachten über Harder, Schadewaldt, Bogner, J. Egermann und A. Lesky. A. a. O., Rektor Neumann an Focke, Göttingen, den 18. 8. 1957.
Brief Focke an Neumann vom 17. 10. 1957, wie Anm. 581. UAG,K,Phil. Fak.,XVI,IV,B.7, Bd. III: Bl. 152 ff.: Brief Neumann und Brief Hinz an RuPrEM, 23.
δὰ
und 22. Dezember 1957; Zitat aus Hinz-Brief.
Ebd. Zitat aus Neumann-Brief. Zu H. J. Mette vgl. Seidensticker (1987) und Ehlers/Ludwig (1986); zu Deichgrüber vgl. Gürtner (1986) und Nickau (1984); zur Geschichte und der Arbeit am Corpus Medicorum Graecorum vgl. Deichgrüber (1957); vgl. auch die Festschrift zu Deichgrübers 65. Geburtstag:
Natalicum (1968). Am 2. 2. 1950 schloß Deichgräber mit der Preußischen Akademie der Wissenschaften, vertreten durch Ludwig Deubner ais Vorsitzendem der Kommission für das CMG, einen Vertrag ab, der den gesamten Apparat des CMG nach Göttingen auslieh, so daß Deichgrüber auch in Góttingen seine Tütigkeit für das CMG fortsetzen konnte. Vgl. dazu:
UAG,K,XVI1,IV,B40: CMG. Zu Deichgrübers Mitgliedschaft in der NSDAP vgl. UAG,K, Amtsenthobene Hochschullehrer ..., 1X,101.a., Bl. 19. Ein Gespräch mit Herrn Deichgräber kam wegen seiner schweren Erkrankung nicht mehr zustande. Auch konnte ich nicht die Erlaubnis
erhalten, seine Personalakte einzusehen. 587
ZuKappler vgl. seine Personalakte UAG,K,Phil. Fak., XVI,IV,A.d.62., Dr. Kappler. Darin insbes.
den von ihm ausgefüllten Bogen ,Dienstlaufbahn"; Fragebogen zum ,Heeresdienst" (Bl. 45); inliegende Mappen „Habilitation“ und „Versorgungsbezüge“ der Witwe. Vgl. insbes. die folgenden Schreiben: RuPrEM an Kurator, 15. Juli 1956: Ernennung Kapplers zum Dr. phil. habil.; Dekan an Min., 50. 10. 1956, und Rektor an Min., 2. 11. 1956: Antrag auf Erteilung eines Lehrauftrags für Vahlen) vom 7. Dozentur wegen jährlich 2400 RM
Kappler, nicht aber der Venia legendi; 12. 1956: unbezahiter Lehrauftrag f. „Enge des Lehrgebiets“. Am 19. 2. für den Lehrauftrag zugesprochen.
Antwort des Ministeriums (gezeichnet: Hellenistische Philologie, aber keine 1957 wird ihm „Unterrichtsgeld“ von Brief Kappler an RuPrEM, 14. 8. 1957:
Antrag auf Erteilung der Dozentur für Klassische Philologie; Brief Neumann
(Rektor) an
RuPrEM, 26. 8. 1957: Nur Erhöhung der Lehrauftragsvergütung soll gewährt werden. Dekan an RuPrEM, 50. 10. 1957: Kappler vertritt Pohlenz im WS 1957/58 und dadurch werde der Lehrbetrieb gerettet. RuPrEM (Mattiat) an Kurator, 1. 12. 1957: keine Lehrauftragsvergütung aus frei gewordener Professur Pohlenz. Nach weiteren Eingaben des Kurators im Verein mit Dekan und Rektor: RuPrEM genehmigt eine einmalige Vergütung von 500 RM für Lehrstuhlvertretung, 21. 1. 1958; Dekan Hinz an REM, 6. 7. 1958: Bericht über Erg&nzungskolloquium und Probevortrag des Dr. phil. habil. Werner Kappler im Frühjahr 1958 mit Antrag, Kappler nun die Venia legendi für Klassische Philologie zu erteilen. Rektor (Sommer) an REM, 5. 8. 1958: unterstützt den Antrag des Dekans. NSDDB an Rektor, 11.8. 1958; REM an Kurator, 27. 10. 1958: Aufforderung an Phil. Fak., die Zulassung Kapplers zum Kolloquium ohne Genehmigung des Min. zu erklären. Dekan Hinz an REM, 9. 11. 1958; REM an Kurator,
98. 11. 1958: Verleihung der Dozentur an Kappler. Vgl. außerdem das Protokollbuch der Phil. Fak., 1950-1949 (im UAG), insbes. Bl. 152 und BL 157 f.: Aus dem Prüfungsprotokoll des Ergünzungskolloquiums vom 21. 4. 1958 geht u. a. hervor, daß Max Pohienz an der Fakultätssitzung teilnahm und sich auch als Prüfer betätigte, er als Fakultätsmitglied also voll rehabilitiert worden war.
588
Zu Gerda Krüger vgl. die nur sehr kursorischen biographischen Angaben in: Jahrbuch der Deutschen Bibliotheken, Jg. 51, 1940, S. 161 und Jg. 26/27, 1956, S. 219; Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender, 1940/41, Berlin 1941, Sp. 1009; daB sie 1955 die Aufgaben des jüdischen Historikers Alfred Hessel wahrnahm, der am Göttinger Institut für Mittlere und Neuere Geschichte Honorarprofessor, zugleich an der Universitätsbibliothek Bibliotheksrat war und im Herbst 1955 auf Betreiben der Phil. Fak. entlassen wurde, geht aus einem Brief an G. Krüger
Anmerkungen
319
hervor, über den mich freundlicherweise Frau Dr. Christiane Kind (NStUBGö) informierte; Archiv
der
NStUBGö,
Aktenzeichen
12
(Kataloge),
Brief Kurt
Ohly
an
G.
Krüger
vom
20. 12. 1955. Zu A. Hessel vgl. Ericksen (1087), S. 226, S. 229, S. 251, S. 257 und H. Becker (1987b) S. 492.
591
Vgl. dazu UAG,R,5507a. Habilitationen A-K, Habilitationsakte Dr. G. Krüger: Hinz an Rektor, 14. 7. 1958, und Rektor (Sommer) an Dekan, 8. 11. 1958, und Einladung des Dekans zur wissenschaftlichen Aussprache, 14. 11. 1958; die Akte enthält nicht - wie sonst üblich - die Begutachtung der als Habilitation eingereichten Arbeit. Zum Verlauf der wissenschaftlichen Aussprache vgl. UAG, Protokollbuch der Phil. Fak., 1950-1949, Bl. 165 f. Krüger (1955b). Zitate aus dem Protokollbuch (wie Anm. 589), Bl. 165 f. Zu dem Verzicht auf die Zusatzprüfung
vgl. Protokoll der Fakultätssitzung vom 29. 11. 1958, a. a. O., Bl. 167. Vgl. die Prüfungsprotokolle der Habilitationskolloquien im Protokollbuch der Phil. Fak. zwischen 1955 und 1945, insbes. die von W. Kappler, O. Becker und H. Dörrie, denen von z. T. 595
denselben Prüfern keine derartigen Fragen gestellt wurden. Vgl. dazu Schappacher (1987) S. 559.
Vgl. dazu die Assistentenakte des Instituts für Altertumskunde: UAG,K,XVLIV,C.c.5, Bd. il: insbes. den Personalfragebogen, am 6. 6. 1944 von Gertrud Gerber ausgefüllt, die seit dem 1. 5. 1944 die wissenschaftliche Hilfskraft-Stelle hatte und auf dieser den zum Krieg eingezogenen Assistenten des Instituts, Heinrich Dörrie, vertrat. Vgl. dazu Krüger (1955a) S. V f. und dazu die in der Revue d'Histoire Écclesiastique, XXXIII, Louvain 1957, S. 520 unter Nr. 9572 angegebenen Rezensionen und Besprechungen von Krügers Werk: immerhin zehn, die allein 1956/57 erschienen sind. Vgl. auch Krüger (1955b). Siehe UAG, Protokolibuch der Phil. Fak., Bl. 251: Sitzung v. 7. 11. 1045.
A. a. O., Bl. 245, Sitzung v. 11. 5. 1946. Nachlaß
U. Kahrstedt, Cod. MS Nr. 53: Kahrstedt an Dekan
der Phil. Fak. (Kellermann),
25. 9. 1948 (im Besitz der NStUBGO). Zu O. Becker vgl. auch den Nachruf von Schadewaldt (1940); seine Habilitation gab Karl Deichgräber postum heraus: O. Becker (1940).
Vgl. dazu die Habilitationsakte, UAG, Phil. Fak., Dr. phil. Otfried Becker. VgL dazu UAG,K,XVL,IV,C.c.5, Assistent, Bd. Il: Knoche an Kurator der Universität Göttingen, 5. 10. 1957. UAG, Phil. Fak., Habilitationsakte Dr. phil. Otfried Becker: Gutachten von Professor Deichgrüber, den 2. Mai 1959. A. a. O.: Gutachten Professor Kees v. 16. 6. 1959. A. a. O.: Gutachten Professor Heyse v. 20. 6. 1959.
Vgl. dazu UAG, Phil. Fak., Protokollbuch, Bl. 181, Fakultätsaitzung v. 20. 6. 1959. Vgl. dazu UAG, Phil. Fak., Habilitationsakte, Dr. phil. Otfried Becker: Rektor an REM, 26. 7. 1959 (Anmeldung zum Lehrgang); zur NSDAP-Mitgliedschaft vgl. UAG,K,XVLIV, C.c.5, Ass., Bd. Il: Becker an Kurator, Göttingen, den 14. 2. 1959; zum Kirchenaustritt vgl. das Nachwort des Herausgebers K. Deichgrüber, in: Becker (1940) S. 111. Vgl. den maschinenschriftlichen Nachruf des Dekans der Phil. Fak., Karl Deichgräber, auf
411 419
Otfried Becker vom 20. 11. 1959 in: UAG, Phil. Fak., Habilitationsakte Dr. phil. Otfried Becker. Vgl. Becker (1940) S. 107 ff. Zu Dörrie vgl. Blume (1984), Zitat: S. 186; vgl. auch die Assistentenakte: UAG,K,XVI,IV,C.c.5, Bd. II und die Habilitationsakte Dr. phil. Heinrich Dörrie im UAG, Phil. Fak. Kahrstedt (1929) S. 291 und 296. »Leitsütze . . .^ (1955) insbes. S. 570. Ich führte mit Herrn Professor Drexler insgesamt drei dokumentierte Gespräche (5. 11., 6. 11. und 16. 11. 1982) und ein Nachgesprüch im Frühjahr 1985. Er gab mir dankenswerterweise die Erlaubnis, seine Personalakten im Universitäts-Kuratorium einzusehen. Er stellte mir Unterlagen zu den Entnazifizierungsverfahren zur Verfügung. Darüber hinaus erhielt ich Einblick in einen Teil seiner Korrespondenz aus der Rektoratszeit. SchlieBlich gewührte mir Professor Drexler Einblick in seine für die Familie aufgezeichneten ,Erinnerungen". Diese entstanden Ende der 60er Jahre, also lange nach den Ereignissen. Vermittelt durch ihn, führte ich ein Gespräch mit einer seiner Studentinnen aus den 40er Jahren. Das Gespräch mit seiner Studentin (SS 1042 bis WS 1944/45), Frau Dr. Jonas, sollte mir einen Eindruck von ihrem
520
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS Lehrer vermitteln und diente zugleich dazu, mich kennenzulernen. Erst nach meinem Gespräch mit Frau Dr. Jonas war Herr Professor Drexler bereit, mich zu empfangen. Seine Bereitschaft zu Gesprächen resultierte in erster Linie aus dem Interesse, durch meine Forschungen endlich vom Vorwurf der Denunziation befreit zu werden. Diesen Wunsch konnte ich ihm nicht erfüllen, da meines Erachtens die Angelegenheit unentscheidbar ist, weil genau die Unterlagen fehlen, die Drexlers Version der Angelegenheit belegen könnten. Für die Angaben zu seiner Laufbahn etc. sind die Personalakten der Universitát Breslau und der Universität Göttingen die Hauptquellen. Darüber hinaus erhielt ich vom Berlin Document Center am 18. 5. 1989 Auskunft über seine Mitgliedschaften und Funktionen innerhalb der verschiedenen NSDAP-Gliederungen. Zu seinem Werk und seiner Vita vgl. auch Berner
(1988). 415
414
Hans Drexler, Kommentar zu Philo Alexandrinus Legum Allegoriae I: Das allegorische Verfahren. Habil.-Schrift Breslau 1925, ungedr. Berner (1988), S. 189 und Anm. 2, gibt irrtümlich Göttingen als Habilitationsort an. Breslau als Habilitationsort lt. nündlicher Auskunft von Herrn Professor Drexler am 5. 11. 1982. Vgl. auch die Personalakte: UAG,K,Phil. Fak., XVLIV,A.a.52: beigelegte Personalakte der Universitát Breslau. Hans Drexler, Observationes Plautinae quae maxime ad accentum linguae Latinae spectant, phil. Diss. Göttingen 1922. Berichterstatter war Richard Reitzenstein, vgl. die von mir erstellte Liste der Dissertationen am Göttinger Institut für Altertumskunde in Anhang 5; eine überarbeitete Teilfassung wurde veröffentlicht als Drexler (1924). Sein Interesse an lateinischer Metrik wurde zu einem von Drexlers Spezialgebieten, zu dem er bis in die späten 60er Jahre
veröffentlichte. Vgl. insbes. Drexler (19805) und die in der Bibliographie genannten Schriften: Drexler (1882) S. 421-458. 415
416 417
Mitteilung des Kurators der Universität Breslau vom 14. 9. 1955: Führer-Lehrgang der Dozentenakademie in Kiel v. 22. 9.-12. 10. 1955 in der Personalakte Professor Drexler: UAG,K,XVI,IV.A.a.52: inliegende Personalakte der Universität Breslau, Bl. 22. A. a. O., Bl. 25: RuPrEM an Drexler, 28. 9. 1955; Bl. 25 enthält das positive Votum von Professor Kroll zu Drexler als seinem Nachfolger. Drexler erwähnte im Gespräch, daß er als Göttinger Student an einem ,Philologenkrünzchen* teilnahm, das gemeinsam mit Hermann Frünkel Ausflüge in die Göttinger Umgebung unternahm. In seiner Göttinger Studentenzeit reiste er auch mit einer Studentengruppe unter der Leitung des Pädagogen Hermann Nohl nach Wien, um dort die sozialistische Schulreform kennenzulernen. Anláflich dieser Reise lernte er in Wien auch Otto Neurath kennen, Mitbegründer der Münchener Räterepublik und Mitglied des „Wiener Kreises“. Während Drexlers Jahr (Ostern 1925 bis Ostern 1924) in München nahm ihn ein Freund zu einer Veranstaltung im Münchener Hofbrüukeller mit, auf der Hitler sprach.
418
Vgl. dazu Drexler (1959) S. 5 ff. und ders. (1942) insbes. S. 14-20.
419
Mündliche Auskunft Drexler; UAG,R,5205b. Professoren der Phil. Fak., Bd. Il, Nachfolge Prof. Latte: Gutachten des Breslauer Dozentenschaftsleiters über H. Drexler, Breslau, 7. 1. 1956; Brief Professor Wolf von Engelhardt an die Verfasserin, 21. Juni 1984, u. a. zur Einrichtung der „Arbeitsgemeinschaft“ in Göttingen. Professor Wolf von Engelhardt war in den 40er Jahren Mitglied der math.-nat. Fakultät an der Universität Göttingen. Ein Beispiel für Drexiers Gutachtertütigkeit bietet seine Beurteilung über A. Thierfelder, Drexler an Pohlenz, 20. 9. 1956, in: UAG,R,5205b. Professoren der Phil. Fak., Bd. II, Nachfolge Prof. Latte. Lt. mündlicher Auskunft Professor Drexlers warb ihn der Breslauer NSDStB-Führer an, für den Sicherheitsdienst der SS Berichte zur Stimmung an der Universität abzugeben. Vgl. dazu auch UAG,K,XVLIV,A.a.52: Bl. 80-115 zu Drexlers Entlassung durch die britische Militärregierung; seinen Einspruch; die Begründungen des Entnazifizierungsausschusses und des Berufungsausschusses für die Entnazifizierung v. 5. 7. 1949; zu den verschiedenen Aufnahmeund Eintrittsdaten: Auskunft des Berlin Document Center an die Verfasserin am 16. 5. 1989.
420
491
Vgl dazu UAG,K, Phil. Fak., XVLIV,B.7, Bd. Il, Bl. 89: Neumann an RuPrEM, 28. 2. 1956, und
422
A. ἃ. O., Bl. 209 f.: Dekan (Deichgräber) an REM, 24. 6. 1959.
425 424
REM an Kurator/Breslau, 22. 6. 1939, in: Personalakte Drexler, UAG,K,XVI,IV,A.a.52: inliegend Pers.-Akte der Univ. Breslau. Zu R. Till vgl. Losemann (1977) S. 120 ff. A.a. O., Drexler an Kurator/Breslau, 5. 6. 1959.
425
Drexler (1959) und Drexler (1959a).
Bl. 115: RuPrEM
an Kurator, 22. 8. 1958.
Anmerkungen
426 427 428
321
Drexler an Kurator/Bresiau, 21. 5. 1058, in: wie Anm. 425.
Drexler (1959) S. 194 ff. Zitat: S. 200. Mit Drexlers früheren Arbeiten meine ich die Mehrzahl seiner Veröffentlichungen bis 1955; vgl. dazu die Bibliographie in Drexler (1982). Die Kampfansage an Jaeger wird in Drexler
(1959) S. 198, Anm. 5 angekündigt; sie ist als Drexler (1942) erschienen. Kritik erhielt er auf dem ersten Altertumswissenschaftlichen Fachlager in Würzburg im Januar 1941 vor allem
von dem Jaeger-Schüler W. Schadewaldt, vgl. dazu Losemann (1977) S. 94-108, insbes. S. 97 und S. 105 f. 428
450
451
Deichgräber, Dekan der Phil. Fak. an den Kurator, Göttingen, den 9. 12. 1944 (Zitat), und REM an Hans Herter (Bonn), 5. 11. 1944, in: UAG, Habilitationsakten 1944/45, Hans Herter, H. Das REM beauftragte Herter, seine Lehrtätigkeit im WS 1944/45 nach Göttingen zu verlegen, unter Beibehaltung der Dienstbezüge von der Universität Bonn. Zu dieser Zeit wurde die Universität Bonn geschlossen, so daß die Versetzung Herters möglich war. 1946, als die Universität Bonn wiedereröffnet wurde, kehrte Herter auf seinen Lehrstuhl zurück. Vgl. dazu Vogt (1988) S. 475. Zu der Berufung Drexlers und seiner Versetzung als „Professor und Offizier“ nach Göttingen, vgl. UAG,K,XVI,IV,A.a.59: REM an Drexler, 20. 11. 1959; Drexler an Kurator/Góttingen, 26. 11. 1959 (Zitat); Notiz des Kurators, 12. 12. 1959; Wehrbezirkskommando Göttingen an Universitütskasse, 25. 4. 1940; Drexler an Kurator, 24. 4. 1040: Mitteilung über seine Einberufung zum Göttinger Wehrmeldeamt. Drexler wurde am 22. 2. 1945 aus dem Wehrdienst entlassen, vgl. dazu Bl. 75: Mitteilung Drexler an Kurator, 16. 2. 1945. Im Frühjahr 1942 vertrat Drexler den erkrankten Wehrmeldeamtsleiter des Göttinger Wehrbezirkskommandos, It. Auskunft des Berlin Document Center an Verfasserin am 18. 5. 1089. Ende September 1945 wurde Drexler zum Rektor der Universität Göttingen ernannt. Vgl. die
Gratulation des Kurators v. 29. 9. 1945, in: UAG,K,XVLIV,A.a.52, Bl. 70. Seine Antrittsrede als
452
Rektor erschien 1944 als „Göttinger Universitätsreden“, Nr. 15, Göttingen, und wurde wiederaufgelegt: Drexler (1975). Die im folgenden Text in Klammern angegebenen Seitenzahlen sind aus der Rede in der Ausgabe von 1975. Vgl. auch seine Polemik gegen W. Jaeger, den er des ,Internationalismus, Kosmopolitismus
und des Individualismus* in der Wissenschaft anklagt, siehe dazu Drexler (1942) S. 59 ff. 455 434
Drexler (1975) S. 251, FN zur Neuauflage.
Zu seiner Funktion als Dozentenbundsführer vgl. u. a. Auskunft des Berlin Document Center v. 16. 5. 1989 und UAG,K,XVLIV,A.a.52, Bl. 106: Entnazifizierungsbescheid der britischen Militárregierung vom 21. 10. 1946, in dem seine Entlassung mit dieser Funktion begründet wird. Zu seiner Funktion als Berichterstatter des Sicherheitsdienstes der SS, vgl. Bl. 108 ff.; zu den Fachlagern für Altertumswissenschaften vgl. Losemann (1977) S. 94-115; Schadewaldts Äußerung über Drexler berichtet der Kölner Historiker Peter Rassow in einem Brief an den Göttinger Historiker Siegfried A. Kaehler: „Ich erinnere mich, wie Schadewaldt mir einmal sagte: ‚der arme D(rexler), warum muß er nur den Ehrgeiz haben, der Papst der Altphilologie zu sein!‘ Es ist wie im Märchen: nun sitzt er im Pißpott.“ Mit „Pißpott“ ist wohl Drexlers Amtsenthebung, Verhaftung und Internierung durch die amerikanische Militärregierung kurz nach der Befreiung Góttingens durch amerikanische Truppen am 8. April 1945 gemeint. Der Brief Rassows datiert vom 51. Mai 1945 und ist ein aufschlußreiches Dokument über die ersten Eindrücke unmittelbar nach Kriegsende; in: Schulze (1989) S. 66-74, Zitat: S. 74. Für den Hinweis danke ich Klaus Sommer (Góttingen).
UAG,K,XVLIV,A.a.52: Bl. 52, Drexler an Kurator, 25. 11. 1940. Vgl. dazu Zitat nach Vgl. dazu Vgl. dazu
und zu dem folgenden Losemann (1977) S. 94-115. Losemann (1977) S. 97. Losemann (1977) S. 109. H. Becker (1987a) S. 425—428 und Kelly (1980) S. 71, Anm. 7; dort auch über die
Organisationsstruktur und Aufgaben des NSD-Dozentenbunda: S. 89 ff.; zu Schürmann vgl. auch Popplow (1977), S. 176 f.; vgl. auch Drexlers eigene Darstellung der Entfernung Schürmanns, in: UAG,K,XVLIV,A.a.52: Einspruch Drexlers gegen die Dienstentlassung durch die britische Militärregierung, 16. 1. 1946 (Bl. 84). Vgl. dazu das Votum der philosophischen Fakultät zum Einspruch Drexlers an den Oberpräsidenten der Provinz Hannover vom 29. März 1946, in: UAG,K,XVLIV,A.a.52, Bl. 90: ,. . . er wird
als ein in allen seinen Handlungen
ehrenhaft gebliebenes Opfer seiner Anschauungen
angesehen“. Zu dem Ausschluß aus der Göttinger Fakultät und den Gründen, vgl. a. a. O. den
322
441 442 443
444
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS Aktenvermerk des Kurators vorn 11. 10. 1848 (Bl. 108) und die sich daraus ergebende Auseinandersetzung zwischen Drexler und der philosophischen Fakultät um die Zurücknahme des Vorwurfs der Denunziation, die sich bis weit in die 50er Jahre hineinzieht und den folgenden Teil der Personalakte ausfüllt. Vgl. dazu die Darstellungen in Politikon (1985) Nr. 9, S. 25; Wegeler (1987) S. 265 und Becker/Dahms/Wegeler (1987) Einleitung, S. 44 ff. Zu Dr. Thomas Gengler, Astronom, vgl. Popplow (1977) S. 180-184. Li. brieflicher Auskunft Wolf v. Engelhardts v. 21. Juni 1984 an die Verfasserin hat Drexler „nach der ersten Aufforderung des Kreisleiters sich zunächst mit einer Gruppe von Kollegen (Professoren) beraten. Man kam zum Schluß, daß kein Name genannt werden solle. Dementsprechend hat sich Drexler dem Kreisleiter gegenüber geweigert, Namen zu nennen, woraufhin dieser ankündigte, er würde dann von sich aus einige wenige Namen nennen (vor allem wohl die Professoren Pohl und Deuticke).“ An den Göttinger Rektor H. Heimpel hatte W. v. Engelhardt 1954 geschrieben: ,. . . Mit Sicherheit kann ich nur zweierlei bezeugen. Es wurde erstens nur darüber beraten, wie man ohne Schaden für die möglicherweise Betroffenen vorgehen könne; es waren zweitens alle Anwesenden darüber einig, daß die Nennung von Namen dieser oder einer anderen Liste in der vom Kreisleiter gewünschten Form, d. h. als vermutliche Anhänger der Verschwörer vom 20. Juli auf keinen Fall erfolgen dürfe.“ Kopie des Briefes in meinem Besitz, siehe dazu Anm. 444. Li. brieflicher Auskunft W. v. Engelhardts (wie Anm. 445), die auch eine Darstellung der Ereignisse enthält, die v. Engelhardt auf Bitte des Rektors der Universität Göttingen, Hermann Heimpel, am 24. Februar 1954 abgegeben hat und mir in Photokopie zur Verfügung stellte, hatte die der Liste vorausgeschickte Präambel ungefähr folgenden Inhalt: „daß erstens die genannten Personen dem Nationalsozialismus kritisch oder ablehnend gegenüberständen, und daß zweitens keiner der Genannten mit den Ereignissen oder Personen des 20. Juli etwas zu tun hätte“. Heimpel hatte v. Engelhardt um die Darstellung der Ereignisse aus seiner Erinnerung gebeten, nachdem er sich vergeblich bemüht hatte, „durch die betreffenden
britischen Dienststellen die Präambel seiner [Drexlers, C. W.| Meldung zu finden, welche nach Herrn Drexlers Meinung geeignet ist, seine Meldung als eine Ablenkungs- oder Entlastungskampagne zu bezeichnen. Die Prüambel ist nicht aufgefunden worden." (Zitat aus dem Schreiben Heimpels an v. Engelhardt, 16. 2. 1954, das mir dankenswerterweise Professor v. Engelhardt in Kopie ebenfalls übersandte.) In der Tat hängt die Bewertung von Drexlers Meldung (als Denunziation oder nicht) davon ab, ob es diese Präambel gegeben hat. Ihre Existenz wird von Drexler und seinem damaligen Kollegen und Mitstreiter W. v. Engelhardt
445
446
behauptet. Es ist also eine Frage, wem man Glauben schenkt, solange sie nicht aufgefunden wird. P.E. Schramm und H. Plischke, Ethnologe, 1941-1945 Rektor der Universität Göttingen, haben beide nach 1945 in den gegen sie eingeleiteten Entnazifizierungsverfahren sich mit dem Hinweis, auf dieser Liste als Kritiker des Nationalsozialismus genannt worden zu sein, erfolgreich entlasten können. Insbesondere P. E. Schramm hat dann später die ganze Angelegenheit auch der philosophischen Fakultät vorgetragen und sich geweigert, hinkünftig mit Drexler, den er als Denunzianten hinstellte, in demselben Lehrkörper zusammenzuarbeiten. Vgl. dazu UAG,K,XV1,IV,A.a.59: Aktennotiz d. Kurators v. 11. 10. 1948; Brief P. E. Schramm an Kultusmin. v. 16. 7. 1957, in Teil II der Personalakte Drexler, Bl. 55 ff.; aber auch eine Stellungnahme des Rechtsanwalts von Drexler, in Personalakte Teil I, Bl. 187, Hannover, 9. 10. 1952. Warum Drexler ausgerechnet den Tagebuchschreiber des OKW auf die Liste gesetzt hat, darüber kann man nur Vermutungen anstellen. In den Gesprächen, die ich mit ihm führte, gewann ich den Eindruck, daß Drexler mit Schramm konkurrierte und ihn nicht mochte, den Hamburger Großbürgersohn, der in Göttingen 1954-1957 gerne in der Uniform der Reiter-SA auftrat und dem Drexler einmal im Offiziersklub begegnete, wo Schramm ihn wohl herablassend behandelt hatte. Zu P. E. Schramm vgl. Ericksen (1987) S. 220, 226 ff., Kamp (1987) und insbes. Grolle (1989). Pohlwareinige Zeit vor dem Attentat von seinem Freund undStudienkollegen, einem Mitglied des Widerstandskreises, dem Studienrat Hermann Kaiser, besucht und gefragt worden, ob er nach dem Sturz Hitlers eine Stelle in der Unterrichtsverwaltung übernehmen werde. Pohl hat gefürchtet, daß seine Verbindung zu Kaiser, der bald nach dem 20. Juli 1944 hingerichtet wurde, bekannt werden kónnte. Vgl. dazu Rosenow (1987) S. 594 f. und zu Pohls Stellung am
Anmerkungen
323
Göttinger Institut für Physik sowie zu seinen regimekritischen Bemerkungen in den Vorlesungen S. 584 f. Zu Hermann Kaiser vgl. van Roon (1970). Brief Pohls an Drexler vom 18. 5. 1955, in den Privatakten Drexlers enthalten, die ich einsehen durfte. Der Brief ist in Rosenow (1987) S. 594 teilweise wiedergegeben.
Dokumentiertes Gesprüch mit Professor Albrecht Dihie (Heidelberg) vom 24. 10. 1985; A. Dihle promovierte 1946 und habilitierte sich 1950 am Göttinger Institut für Altertumskunde. Zahlen nach Lorenz (1945) S. 250 und interview Prof. Dihle (wie Anm. 448). Vgl. dazu auch Brief Kahrstedt an Gottfried Traub, v. 7. 1. 1940, in Nachlaß 59, G. Traub, Nr.
69 (im BA Koblenz): ,. . . Unser erstes Kriegstrimester ist nun zu Ende gegangen und morgen fängt das neue an. In Geisteswissenschaften werden, nun alle Universitäten aufmachen, kaum noch Leute da sein. Für die überfüllten Mediziner und Naturwissenschaftler ist die Entlastung sicher willkommen. Wir haben letztes Trimester mehr als doppelt so viele Mediziner gehabt als im Frieden. Zu zwei Dritteln erste Semester, die gar kein Hehl daraus machen, dass sie nur Medizin studierten, um nicht eingezogen zu werden.* Mit Kriegsbeginn kam also, die
Tendenz zum naturwissenschaftlichen Studium verstärkend, der hier von Kahrstedt berichtete Grund dazu. UAG,R,2516, Schriftwechsel mit dem Sicherheitsdienst der SS und mit der GeStaPo: Rektor Plischke an den Sicherheitsdienst des Reichsführers-SS, SD-Abschnitt, Braunschweig, LeitauBenstelle Göttingen, Wagnerstr. 1, Göttingen, den 12. Juni 1945. A. ἃ. O., Bericht des Dekans der rechts- u. staatswiss. Fak., Rudolf Smend, an den Rektor der
Universität, 14. 9. 1942. Ebd. Vgl. dazu UAG,K,XVI,IV,A.a.52: Drexler an britische Militürregierung, 16. 1. 1946: die Begründung von Drexlers Einspruch gegen seine Entlassung aus dem Staatsdienst. Darin führt er seine Rolle bei der Verhinderung der Schließung der rechts- u. staatswiss. Fak. als entlastendes Faktum an (Bd. I, Bl. 84 ff.). Dokumentiertes Gespräch mit Frau Dr. Jonas, Ende September 1982. Dokumentiertes Gespräch mit Herrn Professor Albrecht Dihie am 24. 10. 1985. Dihle hatte
schon mit 16 Jahren sein Abitur gemacht, weil er ein Schuljahr übersprungen hatte und durch die Schulreform von 1957 zu den Abiturienten zählte, die ein Jahr früher Abitur machten, so daß 1959 zwei Abiturientenjahrgänge zum Militär eingezogen werden konnten. Er ist am 28. 5. 1925 geboren. Vgl. dazu Drexlers Begründung des Einspruchs gegen seine Entlassung durch die britische Militürregierung, wie Anm. 454.
Bl. 1 der „Erinnerungen“ Professor Drexlers, im Besitz der Familie Drexler. Schulze (1989) S. 74. Vgl. dazu auch Anhang 5.
Latte (1968) S. XV; zur Wiedereröffnung der Universität vgl. auch: „Der Neubeginn“ (1986), insbes. S. 16 ff. Briefliche Kontakte gab es wohl schon vorher, insbesondere von Max Pohlenz und Hermann
$
Fränkel, u. a. m. Vgl. dazu den mittlerweile zugänglichen Nachlaß Pohlenz in der NStUBGö. Die Entnazifizierung, die eine hochkomplexe Angelegenheit war und eine eigene Forschungsarbeit erfordert, zumal in letzter Zeit neues Aktenmaterial zugünglich geworden ist, wird hier nur soweit beschrieben, wie es zum Verstündnis unbedingt nótig ist; vgl. Fürstenau (1969), Heinemann (1981), Phillips (1985) und Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 46-51; zur Potsdamer Konferenz vgl. Fürstenau (1969) S. 45-50 und S. 255-255: Hauptdaten der Entnazifizierungsgesetzgebung. Die Entnazifizierung an den Universitäten zu untersuchen, würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Mittlerweile sind die einschlägigen Archive und Akten zur Entnazifizierung, zumindest für Niedersachsen, geóffnet worden. Insofern kann in diesem Abschnitt nur ein Ausblick anhand des von mir bereits eingesehenen Materials gegeben werden. Vgl. Fürstenau (1969) S. 20-52, S. 55 ff. und S. 105 ff.; zu den britischen Nachkriegsplanungen
&
Vgl. dazu Fürstenau (1969) S. 57 ff., S. 148 ff.; zur Entnazifizierung in der französischen Zone vgl. S. 154 ff. und in der sowjetischen Zone S. 20 ff.
$
vgl. insbes. Pakschies (1981), Jürgensen (1981) und Phillips (1981) insbes. S. 172 ff.
Fürstenau (1969) S. 49 ff. Allein in den drei Westzonen wurden insgesamt 5.660.648 Fülle im Rahmen der Entnazifizierung bearbeitet, vgl. a. a. O. S. 72, Anm. 45 und S. 227; vgl. auch den Briefwechsel zwischen George Bell und Gerhard Leibholz, der einen guten Eindruck von der
324
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS
467 468 469
Stimmung und der Reaktion auf die Politik der Alliierten in den ersten Nachkriegsjahren gibt: Bethge/Jasper (1974) insbes. S. 267 ff., S.275 ff., 5. 288 f. et passim. Vgl. dazu insbes. Fürstenau (1969) S. 70-102, S. 107. Fürstenau (1969) S. 45 f. und Bethge/Jasper (1974) S. 272 ff. Vgl. dazu und zu dem folgenden Fürstenau (1969) S. 57 ff., 47 ff., 58-68, S. 104 ff. und Anm. 108; Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 46 f. und den Kommentar zum Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus v. 5. 5. 1946: Priese-Pokorny (1946).
470 471
Fürstenau (1969) S. 149-159. A.a.O.S. 105.
472 475
Vgl. dazu Fürstenau (1969) S. 44 f. und dokumentierte Gespräche mit Herrn Prof. Drexler. Vgl dazu Drexler (1970), enthält zwei der im Lager gehaltenen Vorträge zum Thema Christentum.
474
UAG,K,XVIIV,A.a.52, Bd. I: Kurator an Drexler, 11. Juli 1945 und 19. Juli 1945 (Bl. 80 f.).
475 476
A. a. O.: Drexler an die britische Militärregierung, 16. 1. 1946; Handschriftliche Notiz des Kurators v. 12. 2. 1946, Bl. 90 verso; A. a. O.: Ablehnung des Einspruchs Drexlers am 25. 2. 1946 auf Anordnung der brit. Militärregierung, mitgeteilt durch den Kurator am 6. 5. 1946; Drexler an Oberprüsidenten der Provinz Hannover, Góttingen, 21. 5. 1946: zweiter Einspruch; Stellungnahme der philosophi-
477
A. a. O.: Headquarter of the Military Government, University/Education Branch an Rektor der
schen Fak. v. 29. März 1946, Bl. 99. Univ. Göttingen, 21.Oktober 1946 (Bl. 106); Drexler protestiert beim Unterausschuß für die 478 479
Entnazifizierung: Drexler an Professor Raiser, 20. 11. 1946 (BL 107). Vgl dazu Fürstenau (1969) S. 127 ff. Vgl. dazu Entscheidung des Berufungsausschusses für die Entnazifizierung im Regierungs-
Bezirk Hildesheim vom 5. Juli 1949, in: UAG,K,XVLIV,A.a.52, Bd. I: Bl. 115 f. 480 481
Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 47 f. UAG,K,XVL,IV,A.a.52, Bd. I: Philosophische Fakultät an Niedersächsisches Kultusministerium,
Göttingen, den 22. 1. 1955, Bl. 157; in diesem Schreiben bezieht sich die Fakultät nicht ausdrücklich auf die Aussage P. E. Schramms. Daf diese aber der eigentliche Grund für die ablehnende Haltung der Fakultät war, geht aus den Aktenvermerken des Kurators einerseits und aus
einer, ein Jahr später von Schramm
selbst verfaßten
Stellungnahme
andererseits
hervor: vgl. dazu a. a. O., Bl. 108, Bl. 158 ff. sowie Briefwechsel zwischen der Phil. Fak. und dem Kultusministerium um die Jahreswende 1955/1956 und Bd. II der Personalakte, Bl. 55 ff.: P. E. Schramm an Niedersächsisches Kultusministerium, 16. 7. 1957; vgl. auch UAG,K, Amtsenthobene Hochschullehrer (Art. 151 GG) IX, 101a: Phil. Fak. an Niedersüchs. Kultusmin., 8. Januar 1955: „Die Philosophische Fakultät der Universität Göttingen beschließt, Herrn Professor Drexler keinen Lehrauftrag zu erteilen und seine Wiederverwendung an der Universität Göttingen späterhin nicht wieder zu diskutieren . . .* 482
Als Drexier den Status eines Emeritus erreicht hatte (vgl. dazu seine Personalakte, Bd. I, Bl.
161), kündigte er privatissime et gratis Lehrveranstaltungen an, die am Institut ausgehängt wurden, zu denen aber die Studenten zu Drexler ins Haus kommen mußten, weil er das Institut nicht betreten wollte. Vgl. dazu und zu der Versöhnung mit Schramm einige Jahre später den Brief seiner ehemaligen Kollegen Deuticke, Pohl, Smend u. a. an Drexler, Göttingen, den 1. April 1961. Eine Photokopie des Briefes stellte mir Herr Professor Drexler dankenswerterweise zur Verfügung.
485
Die Personalakte UAG,K,XVI,1V,A.a.52 dokumentiert in drei Bänden auf weit über zweihun-
484
dert Seiten diesen Kampf Drexlers. Bd. II, Bl. 4 enthält die Mitteilung des Rektors an das Kultusministerium, 51. 5. 1959, über Drexlers Antrag auf Streichung seines Namens aus dem Vorlesungsverzeichnis. Zu Plischke, Schramm, Neumann, Hinz und Ebel vgl. Becker/Dahms/Wegeler (1987) S. 48,
S. 258, S. 288, 5. 254 f., S. 111 f., S. 121. 485
Vgl.dazu a. a. O. S. 46, S. 49 f. und UAG,K,IX,85: Durchführung des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums. Zu den britischen Reeducation-Piänen bis 1945 vgl. Pakschies (1981) S. 106 fT.; zu den realisierten Methoden und Ansätzen der Reeducation vgl. Jürgensen (1981) S. 124 ff. und schlieDlich zu der Gründung einer britisch-deutschen Kommission, die eine Hochschulreform in Gang setzen sollte und an der u. a. C. F. v. Weizsäcker teilnahm, vgl. Phillips (1981) S. 179; vgl. auch S. 175 den Eindruck der britischen Delegation
Anmerkungen
5295
unter der Leitung des Oxforder Grüzisten Professor E. R. Dodds, den sie 1947 anläßlich eines Besuchs der deutschen Universitäten in der britischen Zone von diesen gewann: ,... daB keine durchgreifende und dauerhafte Reform der Universitäten, die wir besuchten, allein auf Grund der Initiative der Universitäten selber wahrscheinlich ist."
Vgl. UAG, Protokollbuch der philosophischen Fakultät, 1950-1949: Sitzung am Mittwoch, den
487
15. August 1945, Bl. 220; Bl. 219: Verabschiedung Deichgrübers als Dekan durch seinen Nachfolger, den Anglisten Herbert Schóffler; Wiedereinsetzung des Pádagogen Hermann Nohl in sein früheres Amt. UAG,K,XVI,IV,A.a.145: Dekan an Kurator, 16. 8. 1945, Bl. 87; Kurator an Latte, 21. 8. 1945, Bl. 88; Min. f. Volksbild. Kunst u. Wiss., Hannover an Latte, 4. 12. 1946: Berufung z. o. Hochschulprofessor, Bl. 109. Diese Informationen erhielt ich dankenswerterweise von Herrn Professor Hans Gürtner (Regensburg): Briefe v. 27. 9. 1982 und vom 18. 9. 1987; zu W. H. Friedrich vgl. Lohse (1991) S. 825: 1906 geboren, habilitierte er sich 1958 an der Universität Hamburg, wurde 1941 a. o. Professor in Rostock und 1948 o. Professor an der Universität Göttingen. Nach Kapps Entlassung in Hamburg vertrat er ihn so lange, bis Ulrich Knoche von Góttingen zum Nachfolger Kapps nach Hamburg berufen wurde. Zu der Berufungsliste „Nachfolge Deichgräber“ vgl. UAK,K,Phil. Fak., Ersatzvorschläge f. Professoren, XVI,IV,B.7, Bd. IV (1941-1952): Dekan an
Niedersáchs. Kultusmin., Góttingen, den 5. April 1947: Die Liste lautet 1. Bruno Snell, 2. Wolf
489
Hartmut Friedrich und 5. Werner Hartke. Friedrich wird als der eigentlich gewünschte Kandidat hervorgehoben. Lattes Einfluß ist u. a., wie schon erwähnt, die Aufnahme der deutschen Akademien der Wissenschaften in die „Union des Académíies Internationales“ schon im Jahr 1951 zu verdanken, deren Vorstandsmitglied er war. Latte war u. a. korrespondierendes Mitglied der Britischen, der Königlich-Dänischen, der Holländischen und der Flämischen Akademie der Wissenschaften sowie des Institut de France. Er vertrat die deutsche Altertumswissenschaft nach dem Krieg auf zahlreichen internationalen wissenschafllichen Tagungen und in Gremien. Allein im Jahr 1949 erhielt er zwei Rufe, die er ablehnte: nach Heidel-
berg und an die Humboldt-Universität Berlin. Vgl. dazu Lattes Personalakte im UAG, wie Anm. 487. 490
Zu Ziegler vgl. Zieglers Personalakte im UAG, die ich mit Erlaubnis von Frau Leni Ziegler einsehen durfte; Wickert (1974), Gärtner (1980) S. V-XIX, insbes. S. VII ff., und Mensching (1990) S. 14—47, insbes. S. 24 ff.: dort auch Urteil der Berliner Dienststrafkammer vom 14. November 1941 in vollem Wortlaut. Mensching (1991) S. 6, FN 5, schreibt mir indirekt falsche Angaben über Zieglers Zeit nach 1945 zu, die in meiner Dissertation (Wegeler [(1985]) gar nicht enthalten sind; auch gibt Mensching irrtümlich an, Latte sei ‚Halbjude‘ gewesen. Dann wäre er nicht vom ΒΟ betroffen gewesen. Vgl. dazu auch w. o. Abschnitt 5.1.2.1. Daß Ziegler
ursprünglich eine freundschaftliche Beziehung zu Latte hatte, teilte mir sein Sohn Gerhart F. Ziegler mit, der nach der Entlassung seines Vaters mit diesem im Sommer 1955 eine Reise auf dem Motorrad nach Göttingen unternahm, um Latte zu besuchen, mit dem sein Vater damals freundschaftlich verkehrte. An dieser Stelle móchte ich Frau Leni Ziegler und Herrn Gerhart F. Ziegler für die Gespräche, Unterlagen und Informationen danken, die sie mir freigiebig, reichhaltig und gastfreundlich gaben: Dokumentierte Gespräche vom 1., 24. und 25. 11. 1882 und Brief G. F. Zieglers vom 1. 9. 1990 an Verf. Zu dem Briefwechsel Latte Ziegler zwischen 1955 und 1944 vgl. Zieglers eigene Angaben in: NL Kahrstedt, Cod. MS Nr. 88 (NS(UBGO): Brief K. Zieglers an Kahrstedt, Osterode, den 26. Februar 1947, enthält eine Darstellung Zieglers über seine Beziehung zu Latte. NL Kahrstedt, Cod. MS Nr. 68: Ziegler an Kahrstedt, Osterode, den 26. 2. 1947. Vgl. dazu Personalakte Ziegler: UAG,K, Prof. em. o. Dr. Konrat Ziegler, Phil. Fak.: Der Oberpräsident der Provinz Hannover, Abteilung Wiss., Kunst u. Volksbildung an den Rektor der Univ. Góttingen, 14. Juli 1946 (Bl. 20); dort auch die beiden Gutachten von Kahrstedt und
Latte, wobei Lattes Gutachten vom Dekan (Nohl), ohne Lattes Namen zu nennen, wiederge-
495
geben wird als ein Gutachten der Fakultät den Antrag des Dekans vom 25. April 1946 Vgl. dazu Zieglers Aufzeichnung über das mit ihm führte, in: NL Kahrstedt, Cod. MS
(Bl. 18 f), vgl. dazu auch Anm. 495 w. u.; vgl. auch an den Oberprüsidenten der Provinz Hannover. dritte Gespräch mit Latte, das er am 2. März 1947 Nr. 68: Brief Ziegler an Kahrstedt, den 26. 2. 1947.
Aus dem Brief geht auch hervor, daß Lattes Stimme die entscheidende war in der Angelegen-
526
494
495
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS heit Ziegler. So spricht einiges dafür, daD das erste der beiden am 8. 6. 1946 vom Dekan weitergeleiteten Gutachten über Zieglers wissenschaftliche Qualiflkation (wie Anm. 402) von Latte stammt. Bestätigt wird dies schließlich durch die eigene Aussage Lattes auf der Fakultätssitzung vom 16. 6. 1948, zu der im Protokoll verzeichnet wird: ,. . . Herr Latte sieht, ohne inhaltlich erneut zu der Frage Stellung nehmen zu wollen, jedenfalls keinerlei Móglichkeit zur Änderung seines früheren Gutachtens.“ Auf dieser Sitzung ging es erneut um den Antrag einer Honorarprofessur für K. Ziegler durch die philosophische Fakultät, UAG, Protokolibuch der Phil. Fak., Sitzung vom 16. 8. 1948, Bl. 525. Zu Kahrstedts Äußerungen gegenüber Ziegler vgl. NL Kahrstedt, Cod. MS Nr. 68: Kahrstedt an Ziegler, Göttingen, den 14. 10. 1945. Vgl. dazu die Personalakte Zieglers im UAG (wie Anm. 402): Niedersächs. Kuitusmin. an Ziegler, 27. 5. 1958: die Rechte eines entpflichteten Hochschullehrers sowie Sitz und Stimme in der engeren Fakultiit werden Ziegler zugesprochen. Vgl dazu Lattes Beileidsschreiben vom 8. 1. 1962 an Frau Elisabeth Pohlenz nach dem Tod von Max Pohlenz, in NL Pohlenz, Cod. MS Nr. 511/24: ,. . . bei allem Unterschied der Naturen verband uns eine gemeinsame Auffassung von dem Wesen philologischer Arbeit und von den Forderungen, die wir demgemäss an uns selbst und an andere stellen müssen. Der uns
gemeinsame
preussische Pflichtbegriff war ein weiteres Band und so gestaltete sich die
Zusammenarbeit reibungslos . . .“ (im Besitz der NStUBGÓ). Zu Zieglers wissenschaftlichem Werk vgl. auch Mensching (1990) S. 14-19, S. 21 f., S. 50-56; Seel (1956). DaD Ziegler nicht der
einzige war, dessen wissenschaftliche Qualifikation nach 1945 - ganz im Gegensatz zu der
498
von nationalsozialistischen Lehrenden - in Frage gestellt wurde, belegt auch Dahms (18886) für die Universität Göttingen in den Fällen von Paul Hertz und Spiro Kyropoulos, S. 178 ff. Firmicus Maternus: De errore profanarum religionum. Ed. Konrat Ziegler, Leipzig 1907 (Teubner-Verl.), war seine Breslauer Habilitationsschrift. Zu den zwischen 1905 und 1975 erschienenen Publikationen Zieglers, weit über 700 Titel, vgl. das Schriftenverzeichnis von
Gürtner/Gross (1964) und Gürtner (1974). 1955 übersetzte Ziegler, um nur ein Beispiel seiner
497
Übersetzungen hier zu nennen, die von ihm 1907 edierte Schrift Firmicus’ „Über den Irrtum der heidnischen Religionen" (Das Wort der Antike, IIT), ein Unterfangen, das manche seiner Kollegen scheel ansahen, die es für überflüssig hielten, Übersetzungen ins Deutsche anzufertigen. Die Tätigkeiten als Editor und Übersetzer galten noch bis weit in die Nachkriegszeit als mindere philologische Arbeiten. Vgl dazu UAG,K,IX,85, Durchführung des BBG: Bl. 252, Aktennotiz vom 18. 5. 1046 über H. Frünkels Aufenthalt in den USA und Bl. 250, Nohl an Rektor, Göttingen, den 15. 5. 1946:
Hermann Frünkel sei Inhaber eines Lehrstuhls für Latinistik in Oxford und daher komme eine Rückberufung nicht in Frage. Die erste Liste zur Rückberufung in Frage kommender Emigranten wurde am 15. August 1945 erstellt, vgl. Protokollbuch der Phil. Fak. im UAG, Bl.
408 499
220. Vgl. dazu das Protokollbuch der Phil. Fak. im UAG: Sitzung vom 9. Juli 1946, Bl. 284. Vgl. dazu v. Fritz (1978) S. 620; NL Pohlenz, Cod. MS Nr. 57: Brief H. Kornhardt an Pohlenz, Freiburg, den 9. Mai 1958; darin berichtet Kornhardt Pohlenz, daß in Freiburg gerade Fränkels 70. Geburtstag gefeiert wurde. Zu Fränkels Gastsemester in Kiel vgl. seine Personalakte,
UAG,K,XVI,IV,A.d.141: Notiz über die Gastprofessur in Kiel, SS 1950 (Bl. 212); Frünkel wird als Korrespondierendes Mitglied der Göttinger Akademie der Wissenschaften seit 1952 erwähnt (Bi. 202). 500
Vgl. dazu Fränkels Personalakte a. a. O., den Briefwechsel 1950-1957 zwischen Fränkel, dem Kurator der Universität Göttingen und dem Niedersächsischen Kultusministerium sowie die
dort enthaltenen Aussagen von Zeitzeugen (Bl. 90 f.-200 ff.): 51. 5. 1950, Fränkel an Kurator: Antrag auf eine Pension bzw. Wiedergutmachung; 9. 6. 1950, Kurator an Nieders. Kultusmin.: Anfrage, ob Frünkel Wiedergutmachung ,zugebilligt werden kann*; Latte an Kurator, 28. 6. 1950: über Fränkels Berufung an die Universität Marburg und deren Scheitern wegen antisemitischer Krawalle in Breslau schon im Sommer 1952 (vgl. dazu w. o. 2.4.5); Fränkel an Kurator, Stanford, 11. 12. 1950: Anfrage, wie seine Sache steht, ob eine Pension in Deutschland möglich sei; Niedersächs. Kultusmin. an Kurator, Göttingen, 15. November 1951: Frünkel kann keinen Anspruch gegen das Land Niedersachsen erheben; Unterhaltszahlung über-
gangsweise in der Hóhe von Versorgungsbezügen eines Oberassistenten móglich; Niedersächs. Finanzmin. an Kurator (an den Brief des Kultusmin. angeschlossen): Frage der Wiederverwendung Fränkels sei zu prüfen; Ansprüche gegen das Land Niedersachsen kann
Anmerkungen
327
Fränkel nicht erheben, weil ihm schon 1954 die Übertragung einer planmäßigen Professur
durch das Pr.u.REM untersagt worden ist, er also schon 1054 außerhalb Niedersachsens hätte eine Professur finden müssen. An diesen Bescheid, der sich im zweiten Teil auf das seinerzeitige Berufsverbot für Nichtarier durch die Nationalsozialisten beruft, schließen sich Briefe von Zeitzeugen
501
wie Latte und Snell, aber auch anderen an, die nachträglich
bewiesen, daß
Frünkel allein wegen des Antsemitismus keine Professur erhalten hatte, trotz seiner Nennung auf zahlreichen Berufungslisten an verschiedenen Universitäten, also ein Anrecht auf Wiedergutmachung als o. Professor hat. Immer wieder kommt die Angelegenheit ins Stocken, so daD Freunde von Frünkel sich beim Kurator nach dem Stand der Dinge erkundigen. A. a. O.: Im Mai 1954 endlich erklärte das Kultusmin. dem Kurator (Brief v. 29. 5. 1954), daB Fränkel doch Anspruch auf Wiedergutmachung habe, allerdings nur wegen seiner Entlassung als Oberassistent (Bl. 128). Daraufhin hebt der Briefwechsel von neuem an, der zum Ziel hat, Zu beweisen, daß Fränkel allein aus antisemitischen Gründen keinen der zahlreichen Rufe, die er unter anderen Umständen erhalten hätte, wahrnehmen konnte und daher als Ordinarius zu entschüdigen sei. Der Brief von Trillhaas datiert vom 22. 6. 1954, Bl. 151.
A. a. O., Bl. 152 [T.: Erst mit dem 5. Änderungsgesetz zur Regelung der Wiedergutmachung vom 23. 12. 1955 (RGBI. 1, S. 820-854) wurden nichtbeamtete a. o. Professoren, etc., denen die Venia legendi entzogen worden war, den ordentlichen Professoren gleichgestellt. So beantragte der Kurator für Fránkel am 8. März 1956 die Rechtsstellung eines emeritierten o. Professors bei der Phil. Fak. der Universität Göttingen zum Oktober 1956 mit Höchstgehalt. Im Juni 1956 gab dann das Kultusministerium als Antwort auf diesen Antrag endlich zu, daß kein Zweifel über Fränkels Anrecht auf Wiedergutmachung bestehe, aber die Höhe sei noch fraglich, und wegen der vorauszusehenden langen Dauer bis zu einer endgültigen Entscheidung sei die Universität nun ermächtigt, „Professor Dr. Fränkel“ rückwirkend vom 1. 1. 1954 an Abschläge auf die zu erwartenden Wiedergutmachungsleistungen zu gewähren. Von diesen monatlichen Abschlagszahlungen wurden Lohnsteuer u. a. m. einbehalten. Erst am 23. Februar 1957 kam nach sieben Jahren endlich der Wiedergutmachungsbescheid, in dem
Fränkel Emeritibezüge gewährt wurden (Bl. 200 ff.). Den Antrag auf Wiedergutmachung hatte 505
Frünkel am 31. 5. 1950 gestellt. Der Art. 131 des Grundgesetzes bot die Basis dafür, den Abschluß der Entnazifizierung mit dem „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des GG fallenden Personen“ vom 11. 5. 1951 (BGBi. I, S. 307 ff.) bundesweit zu regeln. Dieses Gesetz enthält w a. Richtlinien und Vorschriften zur Regelung der Unterbringungspflicht für Beamte zur
Wiederverwendung. Ein bundesweit einheitlicher Abschluß der Entnazifizierung kam allerdings wegen der unterschiedlichen Verfahren und Einstufungen in den Ländern der drei Westzonen nicht zustande, so daß diese ihre eigenen Abschlußgesetze schufen, vgl. dazu Fürstenau (1969) S. 150-159, S. 215 ff. In Niedersachsen regelte das „Gesetz zum Abschluß der Entnazifizierung* vom 18. 12. 1951 den Abschluß der Verfahren, die Herabstufung, die Aktenaufbewahrung etc. Eine am 24. 12. 1955 erlassene Novelle zum Bundesgesetz nach Art. 151 GG, das sogenannte „Weihnachtsgesetz“, ermöglichte nach 1945 amtsenthobene Professoren durch Emeritierung wieder voll in den Lehrkórper der Universität einzugliedern, und zwar unabhängig von ihrem Alter. Demgegenüber steht das „Bundes-Wiedergutmachungsgesetz“ vom 11. 5. 1951 (RGBI. I, S. 291 ff.) - an demselben Tag erlassen wie die 151er Gesetzgebung -, dessen einzelne Durchführungsverordnungen und Ánderungen im Laufe von Jahren nach und nach erlassen wurden, das Land Niedersachsen also sich auf die etwaige Ungeregeltheit von Spezialfälien berufen und so auf die bundesweiten Änderungen warten konnte. Bald nach 1945 wurde in Göttingen ein „Verband nichtamtierender Hochschullehrer“ gegrün-
det, der die Interessen der im Zuge der Entnazifizierung „amtsverdrängten“ Hochschullehrer nicht nur im niedersächsischen Landtag erfolgreich vertrat.
UAG,K,XVL,IV,A.a.145: Latte an den Niedersächsischen Kultusminister, den 17. 11. 1954; es geht in Lattes Fall um die Nachzahlung der ihm entgangenen
Bezüge zwischen
1955 und
1945. Ziegler erhielt zwar eine Pension, aber nicht in der ihm erst im Juni 1966 gewührt Bescheid des 15. 6. 1966, in der Personalakte Zieglers, wie Anm. die Tatsache kompliziert, daß er die Rufe, die er
vollen Hóhe eines Emeritus. Diese wurde Niedersüchsischen Kultusministers vom 492. Zieglers Fall wurde zum einen durch nach dem Krieg an andere Universitäten
528
ALTERTUMSWISSENSCHAFT UND NATIONALSOZIALISMUS erhielt, ablehnte und in Göttingen erst sehr viel später lediglich den Status eines entpflichteten Hochschullehrers erreichte und damit lange Zeit schlechter gestellt war als Professoren zur Wiederverwendung. Bei Ziegler wurde zum anderen die Wiedergutmachung gegen die 151er Gesetzgebung zu seinen Ungunsten ausgespielt; vgl. dazu UAG,K, Amtsenthobene Hochschul-
507
508
509
lehrer (Art. 131 GG) IX,101a. Vgl. dazu NL Kahrstedt, Cod. MS Nr. 40/17 (im Besitz NStUBGO9): Brief Kahrstedt an Konrat Ziegler, Göttingen, den 29. 1. 1946; zum Datum der Amtsenthebung Deichgräbers (am selben Tag wie Kahrstedt) vgl. UAG,K, Amtsenthobene Hochschullehrer (Art. 131 GG) IX,101a. Vgl. a. a. O. Liste der Lehrbeauftragten Professoren zur Wiederverwendung. Dort steht als Fachgebiet des Lehrauftrags allerdings „Geschichte der Dtsch. Wissenschaften", sicher ein Lapsus. A. a. O. Niedersüchs. Kultusmin. an Rektor der Univ., 14. 2. 1954: Bitte um Prüfung, ob amtsenthobene Professoren durch Emeritierung „wiederverwendet“ werden können (Deichgräber, Hinz, Jungmichel und Schriel); Rektor und Dekan an Kultusmin., 14.2. 1956: Beschluß der Phil. Fak., für Deichgräber den Antrag auf Emeritierung zu stellen; Deichgräber an Kultusmin., 14. 12. 1956: Einspruch gegen die Emeritierung nach dem ,Weihnachtsgesetz* (vgl Anm. 505), weil ihm dann nur 20 Dienstjahre angerechnet würden. Er wünschte eine Anrechnung der Dienstjahre von 1951 bis 1956 einschließlich. Rektor an Kultusmin., 22. Juli 1957: Da soviel Zeit vergangen und nichts entschieden worden sei, Vorschlag, daß Deichgrä-
bers ,Wunsche nach Wiederverwendung in der vakant gewordenen Professur (ehemals Latte) entsprochen wird. Würde Professor Deichgräber sein Wiederverwendungsbegehren im Klagewege verfolgen, so würde er zweifellos obsiegen . . .*
510 511 519 515
514 515
Vgl den Nachruf auf Richter von Ulrich Schindel im Göttinger Tageblatt vom 9. 1. 1985. NL Kahrstedt, Cod. MS Nr. 40/17: Kahrstedt an Ziegler, 29. 1. 1946 und Nr. 40/14: Kurator an Kahrstedt, 25. 1. 1946: Entlassungsbescheid (Abb. 26). NL Kahrstedt, Cod. MS Nr. 40/58: Kahrstedt an Pallister Barkas, Göttingen, den 5. 4. 1946. NL Kahrstedt, Cod. MS Nr. 40/42: Kahrstedt an Ernst G. Kellner, 5. 2. 1946; wahrscheinlich meint Kahrstedt den indogermanisten Wolfgang Krause, der seit 1957/58 Direktor des Sprachwissenschaftlichen Instituts am Seminar für Deutsche Philologie war. Er gründete in Góttingen ein Institut für Runenforschung. Diese lehrte er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 1965 tn Göttingen ohne Unterbrechung. Seit 1940 arbeitete er mit der Forschungsstelle der SS „Das Ahnenerbe" zusammen. 1945 mündete die Zusammenarbeit in der Gründung einer Abteilung des ,Ahnenerbes" in Göttingen und zwar für ,Runen- und Sinnbildkunde“ unter der Leitung von Krause. Vgl. dazu Hunger (1987) S. 275 und S. 289 sowie Hunger (1984). Der von Kahrstedt erwähnte Anglist ist Herbert Schöffler, der erste Nachkriegs-Dekan der philosophischen Fakultät. Zu diesem vgl. auch Heimpel (1987). Zwei Wochen nach dieser Erwähnung Kahrstedts brachte Schöffler sich um, vermutlich weil er sich mit dem „Zusammenbruch“ des Dritten Reiches nicht abfinden konnte.
NL Kahrstedt, Cod. MS Nr. 40/25-27: Kahrstedt an das Det. 126/1009 der Militärregierung, Góttingen, den 50. Januar 1946; Zitat Bl. 25. A. a. O. Nr. 40/28: Das Schreiben ist nicht von Pohlenz unterzeichnet, aber sowohl aus dem Inhalt als auch aus der getippten Unterschriftsformel ,ord. emer. Professor der klassischen Philologie an der Universität Göttingen“ kann man schließen, daß nur Pohlenz dieses Schrei-
ben, das vielleicht Kahrstedt selbst entworfen hat, unterzeichnen sollte bzw. dann auch 516
unterzeichnet hat. A. a. O. Nr. 40/58: Kahrstedt an Pallister Barkas, Göttingen, den 5. 4. 1946, Bi. 58. Im Schreiben
sollte es richtig heißen: University Control Officer Bird. Geoffrey Bird war in der Tat 1950 als
517 518
Austauschstudent und Englischlektor in Göttingen, vgl. dazu Bird (1981) S. 167; vgl. auch &. a. O. Nr. 40/45: Kurator an Kahrstedt, 21. 2. 1946: Wiedereinsetzung in sein früheres Amt am 14. 2. 1946 durch die brit. Militärregierung genehmigt (Abb. 27). A. a. O. Nr. 40/78: Schreiben des M.A., Ph.D., Senior English Master Pallister Barkas an der Henry Smith School in Hartlepool/Durham, August 2nd 1947. Vgl. dazu BA Koblenz, NL 59, Gottfried Traub, Nr. 64: Briefe Kahrstedt an G. Traub 1954-1952,
Bl. 57: Brief Kahrstedt an Gottfried Traub, Göttingen, den 9. 8. 1948: „Nur öffentliche Vorträge halte ich nicht mehr, weil, sobald mich irgendein Vortragsverein engagiert, Kollegen an den betr. roten Kulturreferenten der Stadt Abschriften oder Phototypien alter Reden und Artikel schicken. Das tut aber nicht weh, mir liegt nichts an solchen Vorträgen.“
Anmerkungen 519
329
Zu der unveröffentlicht gebliebenen Festschrift und den Beiträgen vgl. NL Pohlenz, Cod. MS. Nr. 215, dort auch die Liste der 79 Beiträger, die von W. Aly über F. Focke, H. Fränkel,
G. Funaioli, G. Jachmann, H. Kornhardt, W. Kranz, F. W. Lenz, G. Misch, B. Snell bis zu K. Ziegler reicht, um nur einige wenige zu nennen. Die Einladung wurde am 20. 11. 1951 von Kahrstedt ausgesandt und ist von Drexler, Kurt Hubert, Latte, Ziegler und Kahrstedt maschinenschriftlich unterzeichnet (Kopie in meinem Besitz). Vgl. auch die in der Personalakte Pohlenz, UAG,XVLIV,A.a.11, gesammelten Presseberichte zu seinem 80. Geburtstag am 50. Juli 1952: u. a. GT v. 50. 7. 1952 unter dem Titel: Lehrer der Welt, Max Pohlenz begeht den 80. Geburtstag. A. a. O. auch die Notiz über die Verleihung des Großen Verdienstkreuzes am
30. Juli 1955. 520
521
Dokumentierte Gespräche mit Herrn Professor Dr. Alfred erhalten, favorisierte Heuß die Einrichtung eines Instituts organisatorische Trennung von der klassischen Philologie. Alte Geschichte gerade ein Regal veralteter Fachliteratur, Vgl. dazu Hilberg (1992) und auch Wegeler (1994).
Heuß: Um einen eigenen Etat zu für Alte Geschichte und damit die Nach seiner Erinnerung hatte die als er 1954 nach Göttingen kam.
ANHANG
Anhang 1: Schaubild der Lehrstuhlbesetzungen 1734-1984 am Institut für Klassische Philologie der Georg-August-Universität in Góttingen* Jahr 1754
Ordinariat A 1.Μ. Gesner! 1734-1761 (+ Arch.)
Ordinariat B Ch. A. Heumann 1754-1758
1765
C. G. Heyne?
C. A. Klotz
1765-1815 (+ Arch. u. Alte Gesch.)
1763-1765
Ordinariat C
1787
Extraordinariat
(Ober)assistent
Alte Geschichte
A. H. Heeren? 1787-1799
(Alte Geschichte) 1794
C. W. Mitscherlich 1794-1854
1808 1818
A.H. Heeren o. Prof. f. Geschichte 1799-1842 E. F. K. Wunderlich 1808-1816
ΚΕ G. Welcker 1816-1819
Ludolph Dissen 1816-1857
(* Arch.) 1825
K.O. Müller* (seit 1819
a. 0. Prof.) 1823-1840
(* Arch. u. Alte Gesch.) 1851
K. F. C. Hoeck5 1851-1877
1841
1849
C. F. Ranke 1841-1842
(1845-1877 auch Dir. d. Bibl.)
K. F. Hermann?
F. W. Schneidewin
1842-1855 (+ Arch.
1842-1856
— E. v. Leutsch 1842-1887
u. Alte Gesch.) * Das Institut hieß 1754-1921: „Philologisches Seminar“,
1921-1962: „Institut für Altertumskunde" und seit 1962 „Institut für Klassische Philologie".
1869
_ Ordinariat A Ernst Curtius? 1856-1868 C. Wachsmuth® 1869-1877 (* Alte Gesch.)
Ordinariat B H. Sauppe 1856-1893
1875 1877
Ordinariat C
Extraordinariat
Heinrich Nissen'!! 1. o. Prof. f. Alte Geschichte 1877-1878
(Archáologie)
1879 1885
Alte Geschichte Otto Hirschfeld? 1. Venia f. Aite Geschichte 1869-1875
A. Wilmanns 1875-1886 (Dir. d. Bibl.)
KarlDilthey!? 1877-1889 (Klass. Philol.) 1889-1907
(Ober)assistent
C. A. Volquardsen!? 1879-1897
U. v. Wilamowitz-M. 1885-1897 (* Alte Gesch.)
1884
1886
Otto Gübert!* ἃ. o. Prof. f. Alte Geschichte 1884-1886
Wilhelm Meyer!* 1886-1917
*861-*51] uoSunzjaeoqiqnisiqo'] 100 priqueuos :1 uequy
Jahr 1856
(Mittellatein)
1889
F. Leo!6 1889-1914
1895
1906
G. Kaibel 1897-1901 E.Schwartz 1902-1909
G. Busolt 1897-1920 M. Pohlenz!® 1906-1916
ςςς
1897 1902
Wilhelm Schulze!? 1895-1902 o. Prof. f. Sprachwissensch.
Ordinariat A P. Wendland 1909-1915
1914 1918
Ordinariat B
Ordinariat C
Extraordinariat
(Ober)assistent
Alte Geschichte
vtt
Jahr 1908
Richard Reitzensteiní? 1914-1928 M. Pohlenz 1916-1957
1917
G. Jachmann 1917-1920
1919
H. Willrich?? o. Hon.-Prof. f. Alte Geschichte 1917-1956 F. Focke 1919-1925
1920
G. Jachmann 1920-1922
1921
U. Kahrstedt?! 1921-1952
1922
W. A. Baehrens 1922-1929
1923
H. Fränkel 1923-1925
1925
H. Fränkel 1925-1935
1928
E. Fraenkel 1928-1931 K. Latte2? 1931-1935
1951 1955 1957 K. Deichgrüber 1938-1946
1959 1940 1944
W. Büchner 1939 (in Vertretung) H. Drexler 1940-1945 G. Gerber (i. V. Dörrie)
1944-1945
DNVHNY
1958
U. Knoche 1957-1959
U. Knoche 1955-1957 O. Becker 1957-1959
_Ordinariat A
1946
W.F. Otto 1946-1947 W.H. Friedrich 1948-1972
1948
Ordinariat B K. Latte 1945-1957
Ordinariat C L. Malten 1945-1958 K. Ziegler (Hon.Prof.) 1946-1965
Extraordinariat
__(Ober)assistent W. Hartke 19451948 (i. V. Dörrie)
Alte Geschichte
A. Dihle (i. V. Dórrie) 1948-1954 H. Dörrie 1954-1957
1954 1955
A. Heuß?? 1955-1977
1957
K. Deichgräber
1957-1968 1958 1959
M. Fuhrmann 1958 H. Römer 1959 E. Heitsch
W. Richter 1959-1975
(Oberass. 1961)
1959-1963 1962
H. Gärtner
19614521 usSunzieeoqnnisrqo] 32p ppqneqos :; Suequy
Jahr 1945
(Oberass. 1964)2* 1962-1969 E. Mensching (Oberass. 1969)
1970 1975 1976 1977
1962-1970 W. Ax 1970-1984
K. Nickau 1970C. J. Classen 1975U. Schindel 1976-
J. Bleicken 1977Ordinariat D + F
1981
Fidel Rádle 1981-
1984
W. Ax (Ordin.) 1984-
Akad. Räte/ Lehrauftr.
οςς
(Ordin. Mittellatein)
H. Heine, J. Mau A. Sideras, W. Fauth (1976 Prof.)
336
ANHANG
Erläuterungen zu Anhang 1: 1. Die Archäologie hatte sich ebenso aus der klassischen Philologie entwickelt wie die „Alte Geschichte“. Seit 1844 kündigte Friedrich Wieseler regelmäßig archäologische Seminare an. Er sollte auch 1854 die erste o. Professur in Göttingen für „Klassische Archäologie“ erhalten. Nach dessen Tod übernahm der ursprünglich als klassischer Philologe berufene Karl Dilthey 1889 seinen Lehrstuhl. Nach Diltheys Tod erhielt Gustav Körte den Lehrstuhl für Archäologie (1907-1917). Ihm folgte Hermann Thiersch (1918-1939) und nach
dem
Zweiten
Weltkrieg
Rudolf Horn,
der zwar
schon
1941
nach
Göttingen als a. o. Professor berufen, aber während der ganzen Kriegszeit zum Militärdienst eingezogen worden war (mündl. Mitteilung Professor Horn an die Verfasserin). Von 1959 bis 1945 leitete der Assistent a. o. Professor Kurt Müller als einziger Wissenschaftler das Archäologische Institut. Das Institut für Archáologie wurde in der Zeit des Nationalsozialismus zugunsten des Ausbaus der Ur- und Frühgeschichte an anderen Universitäten eingeschränkt. Das Fach Archäologie ist aufgenommen, soweit die Lehrstuhlinhaber auch klassische Philologen waren oder mit dem Fach eng zusammenarbeiteten. 2. Für die Zeit des 19. Jahrhunderts sind für die Wissenschaftler nur die Jahre als o. Professor angegeben, auch wenn sie schon vor ihrer Berufung an der Universität Göttingen gelehrt und geforscht haben. Das gilt für die Wissenschaftler C. A. Klotz (1762-1763, a. o. P.), C. W. Mitscherlich (1785-1794, a. o. P), L. Dissen (1813-1816, a. o. P.), K. O. Müller (1819-1823, a. o. P.), K. F. C. Hoeck (1825-1851, a. o. P.), F. W. Schneidewin und E. v. Leutsch
(1857-1842, a. o. P.). 5. Quellen zu dem Schaubild:
Bleicken (1989); Ebel (1962): seine Angaben sind z. T. unvollständig bzw. fehlerhaft (zu Ebel vgl. Halfmann [1987] S. 111, 112, 119, 121); Fittschen (1989);
Kürschners
Gelehrtenkalender;
Thiersch
(1926);
Wilamowitz
(1928); Akten des UAG. Für mündliche Auskünfte und Hinweise danke ich besonders Herrn Professor Albrecht Dihle (Köln), Herrn Professor Hartmut Döhl (Göttingen), Herrn Professor Hans Gärtner (Regensburg), Herrn Professor Alfred Heuß (1) und Herrn Professor Ulrich Schindel (Góttingen). 4. Anmerkungen: 1 Schindel (1989). 2 Leo (1901); Kamp (1980). 5 Vgl. bes. Bleicken (1988) S. 102 ff.
4 Nickau (1989); Dóhl (1989). 5 Bleicken (1989) S. 110 u. S. 117. 6 Fittschen (1989) S. 85 f.; Bleicken (1989) S. 111 ff. 7 Bleicken (1989) S. 112 fT.; Curtius lehrte auch Alte Geschichte.
8 9 10 11 12 15
Ders. (1989) S. 115 f. Ders. (1989) S. 117. Ders. (1989) S. 117; Fittschen (1989) S. 87 ff. Bleicken (1989) S. 117 f. Ebd.S. 118 ff. Ebd. S. 120 f.
Anhang 1: Schaubild der Lehrstuhlbesetzungen 1754-1984 14 15 16 17 18
19 20 21 22 23 24
337
Ebd. S. 117. Rädle (1989). Ax (1989). Classen (1889a) S. 257. Nach UAG, XVI, IV, A.a.11 erhielt Pohlenz als Nachfolger von Wendland am 1. 4. 1916 das etatmäßige Ordinariat vom Min. d. geistlichen und Unterr.-Angelegenheiten verliehen. Am 24. 8. 1909 wurde er, weil er einen Ruf nach Basel abgelehnt hatte, zum „persönlichen Ordinarius* ernannt, aber mit dem Diensteinkommen eines Extraordinarius. Fauth (1989).
Bleicken (1989) S. 117 f. Das „Institut für Altertumskunde* wird 1921 von Kahrstedt gegründet. Classen (1989b). Das „Institut für Klassische Philologie“ wird unter Alfred Heuß 1962 von dem „Institut für Alte Geschichte“ getrennt. Ab hier sind nicht mehr alle Assistenten des Instituts genannt.
Anhang 2: Die Institutsordnung des „Philologischen Seminars“! vom 11. März 1882.
Reglement für das Seminar und Proseminar für klassische Philologie an der Königlichen
Universität zu Göttingen.?
$1. Das Seminar und das mit ihm verbundene Proseminar für klassische Philologie haben den Zweck, strebsamen Studirenden dieses Fachs anregende Gelegenheit und methodische Anleitung zu tieferem Studium und zu fruchtbarer selbstündiger Arbeit auf dem Gebiete der klassischen Philologie unter gebührender Berücksichtigung der hóheren Lehranstalten zu geben.
$2. Das Seminar nebst dem Proseminar steht unter der gemeinsamen Direktion dreier? von dem Minister der Unterrichts-Angelegenheiten beauftragten Lehrer der Universität. Von den drei Direktoren leiten in regelmässigem jáhrlichem Wechsel jedesmal zwei die Uebungen des Seminars, einer die des Proseminars, und zwar unabhün-
gig von einander nach den Vorschriften dieses Reglements.
1
Das war der ursprüngliche Name des Instituts für Klassische Philologie seit seiner Gründung im Jahr 1754 durch Johann Matthias Gesner (Meinhardt (1977] S. 21). Unter diesem Titel
QUI
wurden auch alle Akten des Instituts geführt bis zum Jahr 1921, dem Gründungsjahr des »Instituts für Altertumskunde" (siehe: Akten der Instituts im UAG, und vgl. oben Abschn. 2.1). In: UAG, K, XVI, IV, C.c.2. Reglements.
Die drei Direktoren, die dieses Reglement festlegten, waren: E. L. von Leutsch (18. 8. 180826. 7. 1887), Ordinarius für Gräzistik an der Universität Göttingen von 1842-1887; Hermann Sauppe (9. 12. 1809-15. 9. 1895), Ordinarius für Grüzistik an der Universitát Góttingen von 1856-1895; Karl Dilthey (8. 5. 1839-5. 3. 1907), Ordinarius für Latinistik an der Universität Góttingen von 1877-1889 (s. Ebel [1960]). Im Jahr 1889 übernahm Karl Dilthey die Nachfolge Friedrich Wieselers auf dem Göttinger Lehrstuhl für Archäologie, auf dem er bis zu seinem Tod
im Jahr 1907 lehrte (s. Wilamowitz [1928] S. 206 und Fittschen [1989] S. 87 ff.). Der Wechsel Diltheys vom Ordinarius für Latinistik zum Direktor des Archäologischen Instituts ist ein gutes Beispiel für die Offenheit der Fachgrenzen im Bereich der Altertumswissenschaften im vorigen Jahrhundert. Da es damals noch keine Emeritierungsregeln für ordentliche Professoren gab, hatten diese die Móglichkeit, bis an ihr Lebensende zu unterrichten. E. L. von Leutsch war Mitherausgeber und schließlich alleiniger Herausgeber der Zeitschrift „Philologus“ (bis Wilamowitz sie übernahm) und des „Corpus Paroemiographorum“. Von Hermann Sauppe stammt u. a. die einzige Scholienausgabe der „Oratores attici“. Vgl. auch Classen (1989c) S. 236 f. Am 18. Mai 1884 genehmigte das Ministerium d. geistl., Unterrichts- und Medicinal-Angelegenheiten Wilamowitz’ Änderungsvorschlag des Reglements in „zweier... . Lehrer“: das waren er und Friedrich Leo.Vgl. w. o. S. 40.
Anhang 2: Die Institutsordnung des „Philologischen Seminars"
339
Im Uebrigen werden die Angelegenheiten des Seminars und des Proseminars von den drei Direktoren kollegialisch erledigt. Vorsitz und allgemeine Geschäftsführung wechseln unter ihnen jührlich nach der Reihenfolge des Dienstalters als Mitglied der Direktion.
$5. Für das Proseminar ist die Zahl der Mitglieder unbeschrünkt. Für das Seminar dagegen beträgt sie regelmässig zwölf, darf jedoch ausnahmsweise auf sechszehn erhóht werden. Studirende, welche nicht Mitglieder des Seminars sind, dürfen den Uebungen als Zuhörer nach Massgabe der für öffentliche Vorlesungen bestehenden Vorschriften beiwohnen.
$ 4. Die Mitglieder sind zu regelmüssigem Besuch der Uebungsstunden, zu reger Theilnahme an den Uebungen und zu fleissiger und gründlicher eigener Arbeit verpflichtet. Unfähige, unfleissige oder unwürdige Mitglieder können durch Beschluss der Direktion ausgeschlossen werden.
$5. Studirende, welche in das Proseminar als Mitglieder aufgenommen wünschen, haben
zu werden
sich bei dem jeweiligen Direktor des Proseminars zu melden,
welcher unter Berücksichtigung der nachzuweisenden Vorbildung über die Aufnahme entscheidet.
$ 6. Die Uebungen
des Proseminars finden in wóchentlich zwei Stunden statt und
bestehen zunächst in der Interpretation eines klassischen Schriftstellers, welche
thunlichst zur Uebung der Mitglieder im Lateinsprechen zu benutzen ist. In der Regel ist dabei semesterweise zwischen griechischen und lateinischen Schriftstellern zu wechseln. Es steht im Ermessen des Direktors, auch schriftliche Arbeiten
zu fordern und, wenn er dies thut, zur Besprechung derselben eine dritte Uebungsstunde anzusetzen.
$7. Die Aufnahme von Studirenden als Mitglieder des Seminars erfolgt nach Massgabe
der freigewordenen Stelien und innerhalb der in $ 5 bestimmten Grenzen durch Beschluss der drei Direktoren. Die Aufnahme wird in der Regel nur Studirenden gewührt, welche entweder bereits mindestens ein Semester dem Proseminar mit gutem Erfolge als Mitglieder angehört haben oder sich über den für die Anforderungen des Seminars genügen-
340
ANHANG
den Erfolg ihrer bisherigen philologischen Studien an einer anderen Universität ausweisen.
Der Meldung ist eine eigene lateinische Arbeit des Bewerbers beizulegen; es kann dafür eine im Proseminar gelieferte und von dessen Direktor günstig beurtheilte Arbeit ($ 6) benutzt werden. Die Aufnahme erfolgt auf die Dauer des weiteren Studiums an der Universität zu Göttingen, längstens jedoch der Regel nach auf vier Semester. Eine Verlängerung über vier Semester hinaus kann nur durch besondern Beschluss der Direk-
tion erfolgen. Studirende, welche in das pädagogische Seminar eintreten, scheiden aus dem philologischen Seminar aus.
ς 8. Zu Prämien für Mitglieder des Seminars, deren Leistungen gewesen sind, ist ein Theil des Seminarfonds bestimmt.
zufriedenstellend
Die Anweisung der Prämien erfolgt am Schluss jedes Semesters auf Antrag der Direktion durch den Universitätskurator.
49. Zu den Uebungen des Seminars sind wöchentlich vier Stunden bestimmt. In je zwei Stunden wird unter der Leitung des einen Direktors ein lateinischer, unter der des andern ein griechischer Schriftsteller interpretirt, in der Regel in lateinischer Sprache. Die Mitglieder des Proseminars dürfen den Uebungen als Zuhörer beiwoh-
nen.
$ 10. Jedes Mitglied des Seminars ist verpflichtet, in jedem Semester mindestens eine wissenschaftliche Arbeit einem der Direktoren einzureichen, mit welchem er sich
vorher über die Wahl des Themas zu besprechen hat. Der Direktor übergiebt die eingelieferte Arbeit einem andern Mitgliede zur Beurtheilung und veranlasst demnächst eine Disputation darüber oder bespricht selbst die Arbeit in einer der von ihm geleiteten Uebungsstunden oder in einer besonders angesetzten Stunde.
$ 11. Mit dem
Seminar
und
dem
Proseminar ist eine Handbibliothek
verbunden,
für
deren Vermehrung ein Theil des Seminarfonds bestimmt ist. Die Anschaffung von Büchern erfolgt nach gemeinsamer Beschlussfassung der Direktoren. Die Ausführung der Beschlüsse, die Eintragung der erworbenen Bücher in den Katalog und die Ueberwachung des Ausleihegeschäfts liegt dem vorsitzenden Direktor ob, welcher sich dabei der Hülfe eines Seminarmitglieds bedienen darf.
Anhang 2: Die Institutsordnung des „Philologischen Seminars“
341
Am Schluss jedes Semesters hat er die Ordnung und Vollständigkeit der Bibliothek zu prüfen.
ς 12. Am Schluss des Wintersemesters hat die Direktion durch Vermittlung des Universitätskuratos dem Minister der Unterrichtsangelegenheiten über die Thätigkeit des Seminars und Proseminars während des abgelaufenen Studienjahrs unter Beilegung einiger Seminararbeiten Bericht zu erstatten.
Der Minister der geistlichen, Unterrichts- und
Medizinal-Angelegenheiten. Gossler.
Berlin, den 11. März 1882
Anhang 5: Liste der Dissertationen im Fach Klassische Philologie an der Georg-August-Universitüt Góttingen 1914—1946! 1914: Ax, Wilhelm: De hiatu, qui in fragmentis priscae poesis Romanae invenitur. (Ref. Wendland) Budde, Kurt: Quaestiones Laértianae. (Ref. Pohlenz) zum Felde, Johannes: De Aeschyli Prometheo quaestiones. (Ref. Leo)
Frünkel, Hermann: De Simia Rhodio. (Ref. Pohlenz) Kramer, Hans: Quid valeat ὁμόνοια in litteris Graecis. (Ref. Wendland) Schróder, Otto: De laudibus Athenarum a poetis tragicis et ab oratoribus epidicticis ex cultis. (Ref. Wendland) Schulte, Fritz: De Maximi Tyrii codicibus. (Ref. Pohlenz) Willerding, Ferdinand: Studia Hippocratica. (Ref. Pohlenz) 1915: von Borries, Bodo: De idololatria. (Ref. Pohlenz) Meyer, Wilhelm: Laudes Inopiae. (Ref. Pohlenz) 1916: Niedermeyer, Hans: Über antike Protokoll-Literatur. (Ref. Reitzenstein) Robbert, Luise: De Tacito Lucani imitatore. (Ref. Reitzenstein) Wichers, Friedrich: Quaestiones Ovidianae. (Ref. Pohlenz) 1919: Neumann, Rudolf: Qua ratione Ovidius in amoribus scribendis Properti elegiis usus sit. (Ref. Pohlenz)
Sieveking, Wilhelm: De Aelii Aristidis oratione εἰς Ῥώμην (Ref. Pohlenz) Trupp, Paul: Plato quae disserat de inspiratione divina. (Ref. Pohlenz) 1920: Baumert, Paul: De -M finali ante vocalem posito in clausulis Suetonianis et Apuleianis. (Ref. Reitzenstein) Helling, Friedrich: Quaestiones Livianae. (Ref. Reitzenstein) Weitlich, Ernst: Die Bedeutungsentwicklung des Wortes σωφροσύνη bei den ältesten griechischen Schriftstellern bis auf Plato. (Ref. Pohlenz)
1
Aus: UAG, Promotionskartei der philosophischen Fakultät. Diese ist nicht nach Fachgebieten genordnet bzw. ausgewiesen, so daß die hier gegebene Liste möglicherweise unvollständig ist. Die Anordnung ist chronologisch nach Jahren und innerhalb der Jahre alphabetisch. Dem Namen des Autors folgt der Titel der Dissertation. In Klammern wird der offizielle Betreuer der
Arbeit genannt: Ref. = Referent. Ich habe die Zeit des Ersten Weltkriegs in diese Liste einbezogen, um einen Vergleich der Produktivität, aber auch der Themenauswahl während der Kriegsjahre des Ersten mit denen des Zweiten Weltkriegs zu ermöglichen.
Anhang 3: Liste der Dissertationen im Fach Klassische Philologie
343
1921: Goldschmidt, Günther: Heliodori carmina quattuor ad fidem codicis Casselani. (Ref. Reitzenstein) Grashoff, Johannes Heinrich: Beobachtungen zur Stiltechnik der Dichter Cicero,
Catull und Tibull. (Ref. Reitzenstein) Laue, Heinrich: De Democriti fragmenti ethicis. (Ref. Pohlenz) Rohm, Georg: De comoediarum Aristophanearum compositione. (Ref. Pohlenz) Schaeffer, Wilhelm: Argumenta consolatoria, quae apud veteres Graecorum scriptores inveniuntur. (Ref. Pohlenz) Schmidt, Kurt: De Celsi libro qui inscribitur Ἀληϑὴς λόγος (Ref. Pohlenz) 1922: Brass, Hans Josef: Quaestiones Statianae metricae. (Ref. Jachmann) Deneke, Ewald: De Platonis dialogorum libri Vindobonensis F memoria. (Ref. Pohlenz) Drexler, Hans: Observationes Plautinae. (Ref. Reitzenstein) Hofmann, Erich: Qua ratione ἔπυς, μῦϑος, αἶνος, λόγος et vocabula ab eisdem stirpibus derivata in antiquo Graecorum sermone (usque ad annum fere 400) adhibita sint. (Ref. Pohlenz) Lindemann, Albert: Über die Schlachten bei den Thermopylen und Artemision. (Ref. Kahrstedt) Snell, Bruno: Die Ausdrücke für den Begriff des Wissens in der vorplatonischen
Philosophie. (Ref. Misch2/Pohlenz) Tager, Hermann: De Aristoxeni libris Pythagoricis. (Ref. Pohlenz)
1925: Dieckhoff, Max: Quaestiones Thucydideae. (Ref. Pohlenz) Keune, Hans: De L. Annaei Senecae arte tragica quaestiones selectae. (Ref. Pohlenz) Knoke, Rudolf: De hymnis tragicorum Graecorum. (Ref. Pohlenz) Meyer, Ernst: Die Grenzen der hellenistischen Staaten in Kleinasien. (Ref. Kahrstedt) Person, Kurt: Quid mors gloriosa in tragoedia Graeca valeat. (Ref. Pohlenz) Richter, Friedrich: De Mario Victorino, Ciceronis rhetoricorum librorum, qui vocantur de inventione, interprete. (Ref. Reitzenstein) Tiedt, Hans: Die Anabasis des Xenophon und die griechische Periegese. (Ref. Pohlenz) 1924: Zeichner, Friedrich: De deo ex machina Euripidei. (Ref. Pohlenz)
1926: Neitzke, Ernst: De Velio Longo grammatico. (Ref. Baehrens)
2
Zu Georg Misch (1879-1965), o. Prof. für Philosophie seit 1919 an der Universität Góttingen,
vgl. Dahms (1987) S. 169—199, bes. S. 172 ff.
344
ANHANG
1928: Böhme, Joachim: Bezeichnungen seelischen Lebens im frühgriechischen Epos. (Ref. Pohlenz) Kappler, Werner: De memoria alterius libri Maccabaeorum. (Ref. Pohlenz)
1929: Frerichs, Johannes: Plutarchi libelli duo politici. (Ref. Pohlenz) Leitzke, Eckhard: Moipa und Gottheit im alten griechischen Epos. Sprachliche Untersuchungen. (Ref. Pohlenz) 1950: Kleingünther, Adolf: Πρῶτος εὑρετής. Untersuchungen zur Geschichte einer Fragestellung. (Ref. Pohlenz) Móller, Clemens: Vom Chorlied bei Euripides. (Ref. Pohlenz) 1951: Hagenow, Gerd: Untersuchungen zu Artemidors Geographie des Westens. (Ref. Pohlenz) Skutsch, Otto: Beobachtungen zur Jambenkürzung bei Plautus. (Ref. E. Fraenkel) 1952: Beissner, Friedrich: Hólderlins Übersetzungen Fraenkel)
aus dem
Griechischen.
(Ref. E.
1955: Mohle, August: Theodoret von Kyros. Kommentar zu Jesaia. (Ref. Pohlenz) 1954: Luther, Wilhelm: „Wahrheit“ und „Lüge“ im ältesten Griechentum. (Ref. Pohlenz) Thimme, Otto: Semasiologische Untersuchung über die Auffassung des mensch-
lichen Wesens (Charakters) in der älteren griechischen Literatur. (Ref. Pohlenz) 1955: Deicke, Ludwig: Quaestiones Pausanianae. (Ref. Latte) Dörrie, Heinrich: De Longi Achillis Tatii Heliodori memoria. (Ref. Pohlenz) Kormhardt, Hildegard’: Exemplum. Eine bedeutungsgeschichtliche Studie. (Ref. Pohlenz) Lammermann,
Karl: Von der attischen Urbanität und ihren Auswirkungen in der
Sprache. (Ref. Pohlenz) 1956: Scharf, Joachim: Untersuchungen zur Bevölkerungsgeschichte der Rheinlande in der Kaiserzeit aufgrund der inschriftlichen Personennamen. (Ref. KahrstedvSchróder) Stark, Rudolf: Res publica. (Ref. Pohlenz/Knoche) 5
Zu Frau Kornhardt (1910-1959) vgl. den Nachruf von Otto Skutsch (1959) S. 655-656.
Anhang 5: Liste der Dissertationen im Fach Klassische Philologie
345
1957: Meyer, Ernst: Erkennen und Wollen bei Thukydides. Untersuchungen über den Sprachgebrauch. (Ref. Pohlenz) Wagner, Walter: Die Dislokation der rómischen Auxiliarformationen in den Provinzen Noricum,
Pannonien,
Mósien
und Dakien von Augustus
bis Gallienus.
I. Die Kohorten. (Ref. Kahrsted/Pohlenz) 1958: Grundt,
Franz:
Politik und
Gesinnung.
Ein Versuch
zum
Bilde
der Politik des
Demosthenes im Anschluß an die 13. Rede. (Ref. Pohlenz) Jóhrens, Otto: Die Fragmente des Anaxagoras. (Ref. Pohlenz/Knoche) Nauhardt, Werner: Das Bild des Herrschers in der griechischen Dichtung. (Ref. Pohlenz/Knoche)
1959: Berger, Georg: Herders Auffassung der Lyrik. (Ref. Deichgrüber) Krumme, Ludwig: Die Kritik der stoischen Theologie in Ciceros Schrift De natura deorum. (Ref. Pohlenz/Knoche) Lueder, Annemarie: Die philosophische Persónlichkeit des Antiochos von Askalon. (Ref. Knoche/Deichgrüber) 1940: Kuhn,
Hans:
Das
Bild des
Odysseus
in der frühgriechischen
Dichtung.
(Ref.
Kahrstedt) Stegen, Kurt: Die Becherkulturen stedt)
Nordwestdeutschlands.
(Ref. Plischke/Kahr-
1945: Broicher, Heribert: Homerische Telosvorstellung. Eine Interpretation der Patroklie der Ilias. (Ref. Deichgrüber/Drexler) Hiltbrunner, Otto: Wiederholungs- und Motivtechnik bei Aischylos. (Ref. Deichgrüber)
1946: Dihle, Albrecht: Beitrüge zur Entwicklungsgeschichte des Volksbegriffs im griechischen Denken. (Ref. Latte)
Anhang 4: Aufruf der Berliner Universität vom 19. Juli 19161
Berlin, den 19. Juli 1916. Die unterzeichneten Professoren der Universität Berlin bitten alle Kollegen an deutschen Hochschulen, die anliegende Postkarte tunlichst umgehend mit ihrer Zustimmungserklärung in deutlicher Namensunterschrift an die Universität Berlin zu senden. An unser Volk! Ein zweites Kriegsjahr nähert sich seinem Ende. Es hat unseren Waffen noch reichere Erfolge gebracht als das erste. Unsere Tapferen bieten ihre Brust den Gegnern tief in Feindesland; im Vereine mit den Bundesgenossen haben sie den Weg nach Konstantinopel frei gemacht, den Balkan für die Mittelmächte gewonnen. Unsere junge Flotte hat sich in offenem Kampfe den gefürchteten Herren der Meere nicht nur gewachsen, sondern überlegen gezeigt. Und doch sind hoffnungsfreudiger Stolz, wie er uns lange erfüllte, und die Erkenntnis der Notwendigkeit weiteren Ausharrens und Kämpfens nicht mehr herrschende Stimmung des Tages. Die Erwartung eines nahen Friedens bewegt weite Kreise. Wir waren von jeher, seit Jahrhunderten, ein Friedensvolk. Wenn
unser Reich nicht zustande kommen konnte ohne vorbereitende Kriege, so lag das im Gang der Geschichte, wie das Geschick sie uns auferlegte. Nachdem das Deutsche Reich geworden war, hat es nichts gewollt als den Frieden, Raum für ehrliche Arbeit, die allein im Frieden gedeihen kann. Es hat nicht haben sollen,
was es suchte. Rachsucht, Ländergier, Erwerbsneid der Nachbarn haben ihm die Waffen in die Hand gezwungen, sich selbst und das verbündete Nachbarreich zu retten vor der geplanten Verstümmelung und Zerstückelung. Auch
seitdem wir kämpfen, haben wir keinen anderen Gedanken
gehabt, als
daß wir ringen um einen ehrlichen Frieden. Wir haben das Schwert nicht in die Hand genommen, um zu erobern; nun wir es aber haben ziehen müssen, wollen, können
und
dürfen
wir es nicht
in die
Scheide
stecken,
ohne
einen
Frieden
gesichert zu haben, den auch die Feinde zu halten gezwungen sind. Der aber ist nicht zu erlangen
ohne
Mehrung
unserer Macht, Ausdehnung
des Bereichs, in
dem unser Wille über Krieg und Frieden entscheidet. Dazu bedarf es sicherer Bürgschaften, „realer Garantien“. Darüber ist bei allen Deutschen nung. Unsere Gegner sind noch nicht bereit, uns solche Bürgschaften Sie geben ihren Absichten nicht mehr so schroffen Ausdruck wie haben sie aber nicht aufgegeben. Sie wollen nach wie vor, daß werden, und rechtfertigen das fortgesetzt mit der niederträchtigen
1
Der Aufruf befindet sich in meinem Besitz, C. W.
nur eine Meizuzugestehen. zu Anfang; sie wir machtlos Verleumdung,
Anhang 4: Aufruf der Berliner Universität vom 19. Juli 1916'
347
daß wir nach der Unterdrückung aller Völker, nach Weltherrschaft streben. Sie sind nicht friedensbereit; so können auch wir nicht von Frieden reden. Der Krieg fordert ungeheuere Opfer, fordert sie fortgesetzt. Es gibt kaum noch
eine Familie, in die Schmerz, Trauer und Sorge nicht ihren Einzug hielten. Sollte all das umsonst dargebracht, ertragen, gelitten sein? Sollten wir wünschen können, all dem ein Ende zu machen mit der gewissen Aussicht, in wenigen Jahren abermals und dann in schwierigerer Lage als jetzt um unser Dasein kämpfen zu müssen? Unsere Feinde rechnen mit der Not, in die sie uns durch Absperrung versetzen. Sollten wir der kleinen Entbehrungen wegen, die uns der Tag auferlegt, unsere Zukunft in Frage stellen können, sollten [wir, C. W.] das tun, obgleich wir Sieger sind? Wir verdienten nicht, ein Volk zu heißen und ein Reich zu haben, wenn es so wäre. So wollen wir denn „durchhalten“, unverzagt und unerschüttert, durchhalten
und siegen, weil - wollen wir uns nicht selber aufgeben - wir gar nicht anders können. Mit dem Willen zum Siege sind wir in den Krieg gezogen; ihm verdankt unser Volk seine Erfolge. Sollte trotz ihrer dieser Wille ins Wanken geraten? Der Krieg hat bewiesen, daß wir ein einiges Volk sind. Daß es daheim und draußen vielfach bezweifelt wurde, erinnert jeder. So sollen auch die Zweifel an der Notwendigkeit weiteren Kämpfens und Siegens, die unser Volk beschleichen und seine Seele schwach zu machen, die Gegner aber zu stärken drohen, wie störende Nebel dahinschwinden vor dem Sonnenglanze unseres Willens zum entscheidenden Siege und des Glaubens an ihn. Sei stark, deutsches Volk, und Gott wird mit Dir sein! Otto v. Gierke. Dietrich Schäfer.
Wilhelm Kahl. Reinhold Seeberg.
Eduard Meyer. Adolf Wagner.
Ulrich v. Wilamowitz-Möllendorff,? Rektor der Universität.
2
Vgl. Ringer (1987) S. 99, S. 177 ff., S. 200, S. 204, S. 258 f. zu den Unterzeichnern des Aufrufs, und siehe oben S. 52.
Anhang 5: Brief von A. Einstein an U. v. WilamowitzMoellendorff!
Prof. Dr. A. Einstein
W. 30, den 19. IV. 20. Haberlandstr. 5.
Herrn
Geh.-Rat Prof. Dr. v. Wilamowitz-Möllendorf Charl. 9, Eichenallee 12. Sehr geehrter Herr Kollege! Durch Koliegen Haber? erfahre ich, dass Sie Bedenken tragen, Ihre Unterschrift für die Fórderung der anglo-amerikanischen litterarischen Hilfsaktion für Zentral-Europa herzugeben, weil Sie es ablehnen mit mir zusammen, den Sie als unabhängigen Sozialisten bezeichnet haben, auf einer Liste zu figurieren. Ich bin jederzeit gerne bereit, mich von dieser Angelegenheit zurückzuziehen, wenn ich ihr dadurch einen Dienst erweisen könnte, zumal es fraglich erscheinen kann, ob
ich als Schweizer? mich mit Recht an dieser Angelegenheit beteilige. Wenn ich mich dennoch nicht sogleich zurückgezogen habe, so zógerte ich einzig in der Erwügung, dass ich durch meine guten Beziehungen in dem ehemals Deutschland feindlichen und neutralen Auslande dieser im Interesse der Wiederherstellung der internationalen wissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft hoch erfreulichen und wichtigen Aktion dienen zu können glaube. Unter diesen Umständen wäre es wohl das Beste, wenn wir in den nächsten Tagen die Angelegenheit in aller Ruhe zusammen besprüchen, am liebsten Donnerstag in der Akademie; ich bin aber auch zu einer Zusammenkunft an einem andern Orte gern bereit.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
1
In: Wilamowitz-Nachlaß der Niedersächs. Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, Cod. MS Nr. 319. Eine unvollständige und z. T. fehlerhafte Veröffentlichung des Briefes in: Nathan/Norden (1975) S. 58: Adressat, Anfang und Ende des Briefes fehlen. Für den Hinweis danke ich Dr. B. v. Brocke. Vgl. oben S. 55 f.
aD
gez. A. Einstein.
Fritz Haber (1862-1954), Chemiker, war Kollege und Freund Einsteins in Berlin. Am 14. 5. 1879 in Ulm geboren, verließ Einstein als 15jähriger Deutschland und wurde später
Schweizer Staatsbürger. Zu Einsteins Schweizer Staatsbürgerschaft und ihrer Beibehaltung vgl. Hoffmann/Dukas (1978) S. 55 ff. und S. 120 f.
Anhang 6: Ulrich Kahrstedt
Irredenta! Vorschläge zu politischen Aktionen der Deutschnationalen Volkspartei. Am 22. oder 23. Juni ist die Entscheidung über die nächste Zukunft des Deutschen Reiches gefallen und die Parteien haben eine Basis, von der aus sie ihre kommende
Politik einrichten müssen. Die parlamentarischen Verhandlungen an den genannten Tagen selbst boten Gelegenheit zu tun, was die französischen Nationalisten 1871 in Bordeaux getan haben: die moralische und literarische Grundlage zu legen für die Agitation auf Jahre und Jahrzehnte hinaus, in vollkommenster Form zusammenzufassen, was uns bewegt, Ziele zu setzen und Aufgaben abzugrenzen in einer Rede, die als dauerndes
literarisches Denkmal
von Geschlecht
zu Ge-
schlecht sich forterben und Bestandteil des geistigen Eigentums der Nation werden konnte. Diese Gelegenheit ist versäumt worden und nur umso gebieterischer erhebt sich das Problem, was soll nun geschehen, welche Wege und Mittel anzuwenden ist die nächste Pflicht der Partei?
Das Substrat für alle politische Agitation, zugleich das augenfälligste Merkmal des Niederbruchs und //2 das handlichste Mittel, Ziele zu setzen, ist der Verlust weiter Territorien im Osten wie im Westen. Das nationale Ziel, das die Partei verkünden muss und bei dem sie nicht in Gefahr gerät, der Gegenagitation den Vorwurf einseitiger Parteipolitik und Interessenvertretung zu machen, ist der Ruf nach der Befreiung der unerlösten Brüder in allen Grenzmarken.
1
„Irredenta“ nannte sich zuerst 1877 die italienische Unabhängigkeitsbewegung, die österrei-
chische Gebiete mit vorwiegend italienischer Bevölkerung zurückerobern wollte, die also die „unerlösten Gebiete“ befreien wollte. Kahrstedt meint hier allerdings die im Versailler Vertrag vom 28. 6. 1919 im Zuge der Festsetzung der neuen Grenzen Deutschlands an die Nachbarländer abgetretenen Gebiete: Elsaß-Lothringen, Posen, Westpreußen, das Hultschiner Ländchen und das Memelgebiet. Am 27. 6. 1919 schickte Kahrstedt, damals Leiter des Fraktions-Büros der DNVP, seine hier in vollem Wortlaut wiedergegebenen „Vorschläge ... für die Propaganda in Bezug auf die verlorenen Gebiete... für eine. . . aufihre Wiedergewinnung abzielende Politik“ an den Vorsitzenden der DNVP (Hergt) und an Graf Kuno von Westarp, Mitglied des Parteivorstandes der DNVP. (In: BA, Abt.
Potsdam,
Nachlaß
Graf K. v. Westarp,
90We4,
Nr. 41, Bl. 80-92;
Zitat aus dem
Begleitbrief Kahrstedts: ebd. Kahrstedt an K. v. Westarp, den 27. 6. 1919, Bl. 80.) In der Antwort vom 8. 7. 1919 stimmt der Graf mit Kahrstedt darin überein, daß die , Wiedervereinigung und der Kampf gegen den Versailler Frieden die Spitze der politischen Aufgaben* der DNVP sein werden (a. a. O., Bl. 102). Er pládiert allerdings dafür, nur ,erwiesenes Material" bei der Propaganda zu verwenden. (Vgl. dazu auch Thimme [1968] S. 48 ff. und Anmerkung 32, in der sie Stellen aus der ,Irredenta" zitiert, allerdings mit kleinen Abschreibfehlern, wie ,Schutz* statt „Schmutz“.) Das Original ist mit Schreibmaschine getippt, von Kahrstedt mit eigener Hand unterzeichnet und enthält handschriftliche Korrekturen Kahrstedts, die ich übernommen habe. // 2,5,. . . gibt die Paginierung des Originals wieder. Der Hinweis auf Thimme (1969), für den ich Herrn Klaus Sommer (Göttingen) danke, ermöglichte mir die Auffindung des Originals im
BA, Abt. Potsdam. Vgl. oben S. 95 ff.
550
ANHANG
Erste Aufgabe der Partei ist die stándige und enge Fühlungnahme
mit allen
Organisationen, die die Schicksale einzelner bestimmter, in Betracht kommender
Gebiete verfolgen und bearbeiten: Ostmarkenverein, Ostschutz, der Ausschuss der Posener Flüchtlinge, die von diesen Ostmark-Organisationen eingesetzte ZentralStelle, der Ausschuss vertriebener Elsass-Lothringer, der Hilfs-Ausschuss Elsass-
Lothringen, der Saar-Gebiets-Schutz und was an derlei Organisationen besteht und sich voraussichtlich noch gründen wird. Die Fühlung mit solchen Organisationen hat sich auf folgenden Gebieten zu bewegen: Die Vereine und Ausschüsse liefern Material über vorgekommene Brutalitäten bei Ausweisungen und ähnliches. Sie bearbeiten an der Hand von zugänglichen Statistiken alle Phasen des wirtschaftlichen Niedergangs der vom //5 deutschen Wirtschaftskörper abgetrennten Gebiete. Sie verfolgen alle Literatur, die über die einschlägigen Punkte erscheint und liefern den gesamten Stoff in regelmässigen Berichten an eine Zentralstelle, die entweder vom
Parteivorstand ad hoc einge-
setzt werden oder als welche zum Beispiel die Staatspolitische Arbeitsgemeinschaft herangezogen werden kann. Daneben hat die Partei selbst durch alle ihre Organe im Lande den ständigen persónlichen Konnex mit einzelnen von dem Friedensschluss persónlich betroffenen Volksgenossen aufrecht zu erhalten. Es muss Pflicht aller Parteisekretüre werden, so viele Flüchtlinge aus den verlorenen Gebieten wie móglich zu sprechen und auszuhorchen. Kaufleute sind auf ihre wirtschaftlichen Erfahrungen, Industrielle und Landleute auf ihre Verluste an Werten zu befragen. Katholischen Mitgliedern der Partei muss es zur Pflicht gemacht werden, mit national gesinnten Geistlichen aus dem Elsass und Saar-Gebiet Fühlung zu behalten, ähnlich wie es die Franzosen 1871 mit französisch-gesinnten Geistlichen getan haben. Protestantische Geistliche haben sich mit den ausgewiesenen Deutschen aus der Ostmark,
aus Schleswig in Verbindung zu //4 halten. Überall muss die engste Beziehung bestehen zwischen dem Parteiorgan und denjenigen Beamten, Geistlichen, Leh-
rern usw., die bisher in einem der abgetretenen Gebieten angestellt und nun versetzt sind. Jede Lokalstelle der Partei muss eine vollständige Liste der aus den abgetrennten Gebieten in ihren Aktionsbereich versetzten Beamten usw. führen, die betreffenden Leute zu Vorträgen heranziehen und die Namen derer, deren persönliche Schicksale oder gesellschaftliche Stellung sie dazu geeignet erscheinen lassen, ihrem Landesverband und dem Hauptvorstand melden.
Die Verwendung des Materials wird sich am besten nach dem Beispiel richten, das die Franzosen in absolut mustergültiger Form seit 1871 in der elsass-lothringischen Frage gegeben haben. Die Literatur, die ständig darüber lebendig gehalten werden muss, wird sich nach Art und Niveau sehr verschiedenartig gestalten müssen. Unentbehrlich ist zweifellos die rein wissenschaftliche Behandlung: immer erneute Betonung des sprachlich deutschen Charakters dieses oder jenes Gebietes, die Darlegung der wirtschaftlichen Komplikationen, die sich durch die brutale Grenzführung ergeben etc. //5 Viel leichter aber noch ist die Einwirkung auf das Gefühlsleben der Massen. Die Franzosen haben auch nicht durch hohe Literatur, sondern durch wirkliche Hetzarbeit den Gedanken an Elsass-Lothringen lebendig erhalten und man darfin diesem Zusammenhange daran erinnern, welchen Agitations-Stoff die Sozialdemokratie aus Soldaten-Misshandlungen ge-
351
Anhang 6: Ulrich Kahrstedt
zogen hat. Mitleid und Empörung über erlittenes Unrecht von Einzelnen bearbeiten die Menschen viel stärker als übermittelte Kenntnisse und sachliche Aufklärung. Es haben Broschüren zu erscheinen oder Zeitungsartikel oder Aufsätze in Wochenschriften und dergleichen, die immer wieder das jämmerliche Schicksal Einzelner mit Namens-Nennung der Betroffenen und vor allem mit Namens-Nennung der feindlichen Beamten und Agenten breittreten. Ein unschätzbarer Faktor für diese Agitation ist das Eintreten der Frau in die Politik, die auf diese Weise besonders zu gewinnen ist. Jede Schamlosigkeit, jede Vergewaltigung einer Frau, jeder Fall von
Notzucht
durch
Polen
oder Franzosen
ist viel wertvoller als die
Herabminderung der Bergwerks-Erträgnisse oder der Bevölkerungszahl zum Beispiel in Elsass-Lothringen. Solche Broschüren müssen sich teilweise ganz auf Fälle beschränken, wo Frauen die Betroffenen waren und müssen sich an Frauen wenden. Eine //6 zweite Kategorie von Schriften hat Fülle aufzugreifen, wo Arbeiter durch fremdsprachliche Leute verdrängt und brotios gemacht, wo Arbeits-Organisationen durch die sozial rückständige Verwaltung der neuen Herren schickaniert werden. Eine dritte Art von Schriften hat die Zerstórung und den Verfall von Kulturwerten, Kunstwerken, Verkehrsanlagen, Bildungs-Instituten in Ausführungen wiederzugeben, die sich an das allgemein gebildete Publikum wenden. Eine vierte Art von Broschüren hat das Schicksal von erwerbslos gemachten Gewerbetreibenden,
Kaufleuten, Handwerkern,
Industriellen, Bauern deren
deutschen Berufsgenossen vor Augen zu führen.
Besonders wichtig aber sind Romane und Novellen: wir müssen eine Hochflut von 10 Pfennig Heftchen bekommen mit bunten Titel-Bildern, in denen nichts geschieht, als die Verjagung einer ideal guten Bürger-Familie, die Brotlosmachung eines biederen und treuen Handwerkers oder Arbeiters, als die Schándung lieblicher deutscher Mädchen durch Neger und Polen. Daneben müssen literarisch höher stehende Romane entstehen und das Weh der verlorenen Gebiete und des verlorenen Vaterlandes an der Hand der Schicksale von Roman-Helden und namentlich Heldinnen verdeutlichen. //T Neben dieser Literatur in deutscher Sprache hat eine grosszügige Übersetzung all dieser Schriften: der wissenschaftlichen, der rein politischen, der Romane und vor allen Dingen der Schund-Literatur stattzufinden. Es ist nun einmal Tatsache, dass Amerika massgebend in die europäischen Verhältnisse eingegriffen hat und immer wieder, wenn es in Europa drüber und drunter geht, als Schiedsherr angerufen werden wird. Die Psyche des amerikanischen Volkes mit Mitleid für Deutschland und die abgetrennten Deutschen, mit Hass gegen die Unterdrücker zu erfüllen, ist eine ganz wesentliche Aufgabe. Die amerikanische Psyche
reagiert darauf mit einer Promptheit, die jedem vertraut ist, der die quasi politische Literatur der Amerikaner halbwegs kennt. Die Agitation gegen die Sklaverei in den 50er und 60er Jahren hat mit solchen Schriften und Schriftchen über misshandelte Sklaven und entehrte Sklavinnen den ganzen Norden aufgepeitscht, die Franzosen haben durch ihr lautes Klagen über die unterdrückten Elsass-Lothringer die Amerikaner höchstwirksam bearbeitet: genau das Gleiche müssen wir jetzt tun, auch hier muss man sich in erster Linie vergegenwärtigen, dass der Einfluss
der Frau in Amerika über alle Massen gross ist. Genau wie die Feinde der Sklaverei in den Südstaaten müssen wir als Hauptorgan, //8 auf das wir wirken, die sittliche
Entrüstung und das brennende Mitleid amerikanischer Frauen ausersehen. Das
552
ANHANG
ist der Weg, um eine Mentalität zu erzeugen, die beim nächsten Eingreifen Amerikas in europüische Verhültnisse zu unseren Gunsten wirken kann. Die Partei hat rechtzeitig erkannt, dass das Lichtbild und der Film unendlich wertvolle Mittel der politischen Agitation sind. Es handelt sich aber vor alien Dingen darum, in den zu bietenden Darstellungen eine solche Auswahl zu treffen, dass das Publikum angelockt und zugleich die gewünschte Mentalität in den Zuschauern erzeugt wird. Die jetzt überall aufblühenden Gedanken, das Volk innerlich zu láutern, auf seine Seele zu wirken und es den Klauen des Schundfilms zu entziehen, sind aber das beste Mittel, einen solchen Versuch von vornherein illusorisch zu machen. Wenn man das heutige deutsche Volk einladet, dem Prostitutionsfilm den Rücken zu kehren, um stattdessen die deutschen Märchen, die
Vegetation des deutschen Waldes und die Legende von der Heiligen Elisabeth zu geniessen, wenn man ihm geographische, historische oder naturwissenschaftliche Bilder vorsetzt, ist dies weggeworfenes Geld und dem Fluch der Lächerlichkeit anheimgefallen. //9 Man mag es bedauern, dass es so ist, man mag verzweifeln, dass mit schlichter Reinlichkeit keine Geschäfte zu machen sind, aber dem ist nun einmal
so: der Schundfilm und die Schundliteratur regieren und wer an die Menschen heran will, muss seine Ansichten im Schundfilm und in der Schundliteratur niederlegen. Hier muss dasselbe geschehen, was in Frankreich seit Jahren geschehen ist. Da
konnte
dargestellt wurden, zösischen Mädchen ersleute mit Füssen vor Kriegsgerichte
man
in kein Kino gehen,
ohne
dass erschreckliche
Szenen
die 1870/1 spielten: betrunkene deutsche Offiziere, die frannachstellten und das Familienglück rührend trefflicher Bautraten: brutale Besatzungs-Truppen, die unschuldige Kindlein stellten, verstümmelten und schlachteten: eine habgierige
Soldateska, die dem weinenden
Landwirte die letzte Kuh, dem fleissigen Sparer
den letzten Groschen unter Hohnlachen wegnahm. Alles das gehört jetzt ins deutsche Kino: Die Mitteilungen der Deutschen Waffenstillstands-Kommission enthalten Berichte über ungeheuerliche Schamlosigkeiten bei der Ausweisung von Frauen aus dem Elsass. Das gehört auf den Film und je viehischer sich der franzósische Offizier benimmt, um so besser und je mehr deutsche Frauen auf der Leinwand sich vor lachenden Negern ausziehen müssen, desto //10 mehr Leute
kommen in das Kino und in umso mehr Individuen, namentlich Frauen wird ein Hass gegen das Volk erregt, dessen typische Vertreter man eben gesehen zu haben glaubt. Im Vorwürts war vor einigen Wochen ein lüngerer Bericht über Misshandlung deutscher Gefangener in Rumänien; fast jeden Tag kann man mehr oder minder ausführlich ühnliche Dinge lesen, aus Polen, aus Frankreich, aus Belgien.
Alles das gehört auf den Film. Unser grossstüdtisches Publikum ist so, dass durch Anregung widernatürlicher Empfindungen durch solche Darstellungen seine Psyche aufgepeitscht wird, was weder das deutsche Mürchen, noch der deutsche Wald kónnen. Man braucht deswegen nicht aufzuhóren über die Verderbtheiten der Zeiten zu klagen und der moralische Antrag gegen Schundfilm und Schund-Literatur muss in jeder Session von den Fraktionen aller Parlamente vorgebracht werden. Zugleich aber muss vor allen Dingen die nun einmal bestehende SchundLiteratur und die nun einmal bestehende Vorherrschaft des allergemeinsten Schmutzes in Schrift, Kino und Theater - denn was oben vom Kino gesagt ist, gilt natürlich auch vom Theater - rücksichtslos ausgenutzt werden. Wir müssen dafür
Anhang 6: Ulrich Kahrstedt
555
sorgen, dass der Schmutz solchen Charakter annimmt, dass er zugleich Hass //11 gegen bestimmte auswärtige Feinde des deutschen Volkes in sich birgt. Den Hass mit reinlichen Mitteln zu säen, ist gänzlich zwecklos, denn nach denen greift der
grósste Teil des Volkes niemals. In einer Weimarer Fraktions-Sitzung ist das Wort gefallen: Patriotismus sei eine Eigenschaft der Gebildeten und alle Versuche, ihn zu wecken, seien bei der rohen Masse aussichtslos. Das ist richtig. Die rohe Masse hat nur eine für uns brauchbare Eigenschaft, die geweckt werden kann, die Eigenschaft, durch deren Erweckung
die Sozialdemokratie die Massen gesammelt und einseitig auf ein Ziel orientiert hat: der Hass. Diesen Hass mit allen Mitteln zu schüren und ihn gegen den auswürtigen Feind zu lenken, ist die grosse Aufgabe der Partei. Dies ist das erste Mittel, das zerfressene Schwert des Reiches wieder zu schärfen, es ist zugleich das
beste Mittel, die Spannung im Inneren ganz allmählich zu entlasten: wenn die deutsche Nation bis zum Platzen angefüllt wird von einer hysterischen Wut gegen alles, was franzósisch, englisch, polnisch, tschechisch ist, findet zugleich eine wohltütige Ablenkung des Hass-Bedürfnisses von den eigenen Volksgenossen anderer Bildungsklassen und anderer Berufsstünde statt. //12 Und der Hass ist keine lichte, freundliche Eigenschaft, keine Eigenschaft heller Herzen; darum
gehören
die Massnahmen
der Läuterung, der Bekehrung
und der Reinigung des Volkes, gehört die Liebe zur Volksseele und der Wunsch, es glücklich und zufrieden zu sehen, gehört die Anwendung von Mitteln, die solche lichte Eigenschaft zu verbreiten geeignet sind, in das Partei-Programm und in die kleinen Anfragen, aber nicht in die grosse Politik.
Kahrstedt (handschriftlich unterzeichnet)
Anhang 7: Ulrich Kahrstedts Rechtfertigung der nationalsozialistischen Entlassungspolitik in der Londoner „Morning Post“!
Germany and the Jews
An Apologia for Hitlerism Evil of Post-War Immigration Banning Undesirable Elements. We have received from the distinguished scholar, Dr. Ulrich Kahrstedt, Professor
of Ancient History in the University of Göttingen, the following contribution in explanation and defence of the anti-Semitism of the Hitler policy. We publish the article in response to the plea „audi alteram partem“, and without associating ourselves with the statements and arguments expressed by Professor Kahrstedt. By Professor U. Kahrstedt: The average educated German is surprised to meet in British papers and periodicals the most severe censure of the latest political evolution in his country.
To understand what really happened we must leave out all questions of religion: membership of Jewish congregations has nothing to do with what is going on in Germany. We must further beware of all reports on murders and atrocities. I gathered information for a wide area around Güttingen, and know of about 15 broken shop-windows, and one Jewish schoolboy smacked by his comrades. Even these broken shop-windows - which mean far less damage than during an average Communist demonstration between 1918 and 1955 - have led to the dismissal of the official responsible for public order and the appointment of a new commissioner of police where they have occured.? 1
Am 24.4. 1955 veröffentlichte die Londoner „Morning Post“ den ihr von Kahrstedt zugesandten
Beitrag. Hier wird eine Abschrift des Artikels gegeben. Original in: The Morning Post, Apr. 24, London 1955, p. 4. Für die Abschrift des Artikels danke ich Frau Dr. Christine Salazar (Cam2
bridge). Siehe oben S. 154 ff. Zudem Góttinger Mürz-Pogrom vergleiche die anderslautenden Aussagen der Zeitzeugen: In Göttingen begann die SA den Boykott jüdischer Geschäfte schon am 28. März 1955, also drei Tage vor dem von der NSDAP reichsweit angeordneten Boykott am 1. April 1933. Nach den Göttinger Polizeiberichten wurden 31 jüdische Geschäfte zerstört. Nach Berichten der Göttinger Zeitungen betrug die Summe des gesamten Schadens ca. 16.000 RM. Das entsprach der gesamten Rücklagesumme des Göttinger Glasversicherungsvereins. Vgl. dazu Wilhelm (1978) S. 40-46. Die Fenster der Synagoge wurden ebenfalls zerstórt. Einige Góttinger Geschüftsinhaber wurden von SA-Männern unter Schlägen auf einen Viehwagen getrieben und wie auf einem mobilen Pranger durch die Stadt gefahren. Góttingen erlebte schon 1955 ein Vorspiel auf die Pogromnacht im November 1938. Vgl. auch die Augenzeugenberichte in Popplow (1977) S. 177 ff. Wilhelm nennt andere Ausschreitungen gegen jüdische Geschäfte schon im Januar 1952, a. a. O. S. 59 f. Von der Entlassung des damaligen Polizeidirektors Albert Gnade kann keine Rede sein. Diese Behauptung ist ebenso falsch wie die vorhergehende. Ich greife diese Behauptungen aus seinem Artikel als Beispiel heraus, um Kahrstedts polemische Verfälschungen der Tatsachen zu zeigen.
Anhang 7: Ulrich Kahrstedts Rechtfertigung
555
Most of all, we must understand the fundamental difference between the Jewish question in Central Europe and that in the British Isles. „Red“ Influences German anti-Semitism is not due to any peculiarly cruel disposition of the German people, but simply to the fact that Germany is 15 degrees of longitude further east than England. Germany is practically contiguous with Jewish territories to the east, with countries where Polish, Russian and Galician Jews live by millions. All the present difficulties could have been avoided if the German Republic, after 1918, had followed the principle adopted in practically every country in the world which has to deal with immigration, viz., to scrutinise those who wish to cross the frontier
and exclude the undesirable. For some 15 years the German Government, always more or less under „red“ influences, did everything to encourage eastern immigration. It was practically an Asiatic immigration, bringing in a class of the lowest standard of life, rapidly ruining the middle classes by a competition based on business principles which cannot be adopted by a clean and honest business man of European descent. The immigrants, who had grown up in ideas hostile to every Government owing to the life they had lived under the Tsars, continued their propaganda on German territory. The bookstalls became centres of anti-German propaganda, memoirs of German soldiers who did their duty during the war could hardly find a publisher, and books throwing dirt on everything German, every hero of German history, attacking the memory of every great name of our past flooded the market. To say nothing of the pornographical? productions on the stage and in periodicals, at every corner. M. Coty, who hates Germany as sincerely as any French nationalist ever did, wrote, I believe, in the , Figaro", that he was glad to see the outcasts of the ghettos of Salonika and Lemberg undermining the physical and intellectual strength of the younger generation in Germany. The Reaction Successive Governments did what they could to reserve every place in Universities, at the Bar, etc., to Jews; a German schoolmaster praising the greatness of Barbarossa or Frederick the Great was certain to incur the disapproval of his superiors. Two incidents from my own experience: reading a paper on Hellenistic history in a learned society I had occasion to touch on the destruction of Greek civilisation by the rebellion of the Maccabees. After the meeting a Jewish colleague rebuked me for censuring a Jewish leader of the Second Century B.C. A few years ago a Jewish professor told me that I had lost the moral claim to be a teacher of youth because I denied the fact that the German nation represents the
5 4
Vgl. dazu oben Anhang 6, S. 7 ff. der Originalpaginierung Kahrstedts Ansichten zu pornographischen Produkten und ihrer Instrumentalisierung für Propagandazwecke. In Frage kommen u. a. Eduard Fraenkel und Paul Darmstädter. Zu Darmstädter, a. o. Professor
für Wirtschafts- und Kolonialgeschichte in Göttingen 1907-1932, vgl. Ericksen (1987) S. 222226.
556
ANHANG
principle of brutality in modem history. I met with severe criticism when I silently abandoned all personal intercourse with him. We have been passing through a period of anti-Germanism in our own country: no nation under similar conditions would avoid a reaction and probably no nation but the German would be attacked by public opinion for doing so. It will be the work of legislation to place a reasonable limit on this reaction. The principle that every Jew who was employed before the war or who had done service with the Army during the war or lost a son in the war is to keep his post shows the tendency
to act against anti-German elements only.5 Drawing the Line A line, provisionally drawn between desirable and undesirable elements, may be a few inches wrong in some places; some months will be sufficient to put every German Jew on the side ofthe line to which he belongs. On the long run the main advantage of the latest events will lie with those many German Jews, who feel towards their country as the normal English Jew feels towards Great Britain. They suffered just as did German people from the persecution of every patriotic word. For many years the voices of Germany heard abroad - whether labelled German or Jewish - were the voices of anti-German people of a Bolshewik trend. What is heard today are the voices of Germans and of really German Jews. It would be a pity if educated Englishmen and English Jews should listen to those, whom they would have turned out of England if they had ever ventured to speak of England as these did of Germany, and closed their ears to those who are truly of their own
kind.
5
Kahrstedt bezieht sich hier auf die Ausnahmebestimmungen des $ 5 des BBG vom 7. April 1955, die mit dem RBG vom 15. 9. 1955 aufgehoben wurden. Vgl. auch oben S. 125 ff.
Anhang 8: Ulrich Kahrstedts Festrede zur Reichs-
gründungsfeier der Göttinger Universität am 18. 1. 1954 „Prof. Kahrstedt führte aus!: Der erste 18. Januar nach dem dreißigsten Januar, der erste Reichsgründungstag nach der nationalen Revolution, die erste vaterlándische Gedenkstunde der Georgia Augusta unter den alten Farben und unter dem neuen Emblem. Die Stunde scheint danach zu rufen, daD der Vertreter eines auch üuDerlich gegenwartsnahen Faches das Wort nimmt und die Aufgaben der Stunde zeichnet. Statt dessen steigt der Vertreter der alten Geschichte auf das Podium. - Es ist zuzugeben, daD wir heutigen Menschen von der Antike in schnelleren Schritten abgerückt sind als irgendwelche Geschlechter vor uns. Zu den drei großen Perioden der Kulturgeschichte der Menschheit, Steinzeit, Bronzezeit, Eisenzeit, ist in den letzten Jahr-
zehnten eine vierte getreten. Was wir das Zeitalter der Erfindungen nennen, von der Dampfmaschine zum Rundfunk, rückt eine neue Zeit von der Vergangenheit eben so deutlich ab, wie sich Metallzeit und Steinzeit unterscheiden. Wir stehen in unserer Lebensart der Zeit Goethes viel ferner als Goethe der Antike. Wenn der Althistoriker trotzdem am 18. Januar spricht, hat das einen besonderen Grund. Die alte Geschichte, die Geschichte der griechisch-römischen Welt, ist
der einzige ganz abgeschlossene historische Prozeß, den wir ganz übersehen. Der einzige Fall, wo wir aus primitiven Anfängen eine materiell wie geistig gleich gewaltige Kultur sich entwickeln und ihre Höhe erklimmen sehen, wo wir aber auch ihren Verfall, ihre Auflösung in wieder ganz primitive Zustände verfolgen. Der zweite Prozeß der gleichen Art ist der, einteilen, in ihm stehen wir noch darin. Daher te lernen zum Verstehen dessen, was um uns Was haben wir erlebt, was erleben wir?
den wir in Mittelalter und Neuzeit können wir aus der alten Geschichund mit uns geschieht. Wir haben alle das Gefühl einer
ungeheueren Zeitwende der Kultur. Um vom Gefühl zur präzisen Antwort vorzuschreiten: wir erleben folgendes: das Gleichgewicht der Staaten, die Grundlage der politischen Geschichte der letzten Jahrhunderte, ist zerstört, das Zeitalter des
weißen Mannes droht zu Ende zu gehen, die steigende Welle der Farbe emanzipiert die Völker, die bisher nur Objekt der Politik waren, Europa scheint seinen Platz als Mittelpunkt der Welt aufgeben zu wollen. Sich seltsam durchkreuzend sehen wir, daß die Internationalen aller Art sterben vor einem bewußten Nationa-
lismus, daß andererseits proletarische Bewegungen, mit der nationalen Idee hier sich vermählend, dort sich streitend, eine neue soziale Ordnung der Welt herauf1
Kahrstedt gab den Text der hier in vollem Wortlaut abgedruckten Rede selbst an die Presse zur Veröffentlichung weiter. Sie erschien in: „Göttinger Nachrichten, Amtsblatt der NSDAP und des Stadt- und Landkreises Góttingen", Nr. 16, Jg. 2, Freitag, den 19. 1. 1954 unter dem Titel »Reichsgründungsfeier der Göttinger Universität“. K. D. Erdmann (1987) S. 201, Fußnote 33, gibt irrtümlich das Göttinger Tageblatt als Quelle an, ebenso W. Petke (1987) S. 505, FuBnote 101. // gibt die Seitenzahl des unpaginierten Originals an. « > kennzeichnet Ergänzung bzw.
Korrektur von mir, C. W. Zur interpretation der Rede vgl. den Abschnitt 5.9.2 w. o.
558
ANHANG
führen wollen. Wir sehen zugleich den Nationalismus der Staaten durchkreuzt von etwas völlig Neuem, dem Rassegedanken. Alles Gärung und Chaos: Nation und Rasse, Klasse und Nation, Selbstgenügen des einzelnen Volkes und Schaffung von Normen für die Welt. Zugleich kommt die organische Entwicklung unseres geistigen Lebens ins Schwanken, Astrologie und Weissagung, Sektenwesen und abstruse Dogmen fassen nach den Gehirnen der weißen Menschheit. Die geistigen Werte werden schwankend wie die Valuten in der Wirtschaft. Hier und heute sich verschmelzend, dort und morgen sich befehdend wirbeln die Ideen durch die Welt,
solche, die sich ausschließen müßten, ebenso oft verbündet, solche, die sich logisch ergünzen, ebenso oft gegeneinander wie miteinander stehend. Ein Blick in die alte Geschichte, der durchaus nicht den Anspruch erhebt, den Fachleuten oder auch nur meinen Studenten Neues zu sagen, der nur als Beitrag zum Lernen aus der Geschichte gedacht ist, soll unter dem Aspekt der Gegenwart versuchen, die wirkenden
Krüfte in der Kernzeit der Antike, von Alexander
bis
Pompeius, zu betrachten. Einmal hat es im Altertum, hat es vor der Neuzeit das gegeben, was uns für die moderne Entwicklung bezeichnend scheint, ein Mächtesystem, ein von den beteiligten Staaten gepflegtes und anerkanntes Gleichgewicht der Müchte. Dies war in der griechischen Welt in dem Jahrhundert nach Alexander: ein Nebeneinander von großen, mittleren und kleinen politischen Gebilden, das makedonische, das ptolemäische und seleukidische Reich, Achaia, Aitolien, Pergamon, Bithynien und
wie sie alle heißen. Staaten, die jeder seine eigene Physiognomie trugen und zusammengehalten waren von einer ihnen gemeinsamen Zivilisation. Und genau wie in der Moderne entwickelt sich auf Grund dieses Gleichgewichts der Müchte ein gewaltiger Aufstieg gleichzeitig auf geistigem und materiellem Gebiet, eine, wir dürfen sagen, moderne Kultur. Die Welt wird groß, die griechische Kolonisation reicht bis nach Turkestan und an die Tore von Indien. Grofistádte erheben sich, die Menschenzahl wüchst in einer bis dahin unbekannten Schnelligkeit, der Rhythmus der arbeitenden Großstadt taucht in der Literatur auf, der Hochbau, die
Errungenschaften der Hygiene wie Wasserleitung und Kanalisation geben den Städten ein neues Gesicht. Die Wirtschaft tritt in die Phase des Großunternehmertums, das kgl. ptolemäische Oelmonopol, die Betriebe der Textil- und Metallfabrikation gewinnen modernen
Umfang, es bilden sich Gesellschaften, die Frau tritt
in das Berufsleben ein. Die Landwirtschaft besiegt die Wüste und ringt ihr ganze Provinzen ab, der künstliche Dünger wird entdeckt, eine wissenschaftlich betriebene Viehzucht schafft immer neue Kreuzungen von Haustieren, neue Nutzpflan-
zen wandern von Land zu Land. Gewaltig dehnt sich der Handel aus, Aegypten exportiert in Massen Korn und Textilien, Syrien Lebensmittel aller Art, Kleinasien Wein,
Wolle
und
Vieh.
Die
großen
Geschäfte
errichten
Filialen
in aller Welt,
Zweigniederlassungen alexandrinischer Firmen tauchen an allen Küsten auf. Die Schiffe wachsen
von Jahrzehnt
zu Jahrzehnt,
in der klassischen
Zeit lebte ein
Schiffstyp durch Menschenalter, jetzt ist ein um 500 gebautes Schiff um 280 völlig veraltet. Die Reisegeschwindigkeit wüchst, man braucht für die gleiche Entfernung nur noch etwa zwei Drittel der Zeit wie vor Alexander. Für die Reisenden werden Gasthófe gebaut, für die Schiffer Leuchttürme. Die Welt wird reicher, der Staat der Ptolemáer hat einen etwa 20 Mal so hohen Etat wie das athenische Reich des Perikles, die privaten Vermögen erreichen zum
Anhang 8: Ulrich Kahrstedts Festrede zur Reichsgründungsfeier ersten
Mal
Millionenziffern,
auch
sie sind überall
559 das Vielfache
der hóchsten
Zahlen der klassischen Periode. Ueberall gibt es Banken, der Bauer in Aegypten sogar bezahlt Steuern und Handwerkerrechnungen mit Banküberweisung. Die Technik schafft Hochdruckanlagen und Tunnelbauten für die Wasserleitungen, die Entwüsserung der Bergwerke wird erfunden, die pneumatische Artillerie verschiebt die Bedingungen des Fernkampfes. Die Dampfmaschine steht im Stadium des Experiments. Diesem lichten Bilde stehen zwei tiefe Schatten gegenüber. Erstens das große sozial kaum irgendwo geschützte Proletariat der Städte, an Zahl viel größer als die verhältnismäßig unerheblichen Sklavenmengen, zweitens die gefährdete Lage der Landwirtschaft im altgriechischen Gebiet, die der Konkurrenz der jungen Länder im Osten erliegt. Die landwirtschaftlichen Produkte sinken, die industriellen steigen im Preis. Die Hypotheken drücken den Bauern zu Boden, immer wieder tönt der Ruf nach Schuldenerlaß und Landaufteilung.Der Reallohn kleiner Angestellter hat sinkende Tendenz, wir sehen, daß er vielerorts das Existenzminimum
bedrohlich streift. Und auch wo er hóher ist wie in Aegypten, bleibt eine hóchst unsoziale Verteilung des Gewinns. Der Arbeiter in ägyptischen Oelfabriken erhält etwa ein Vierzigstel des Preises der fertigen Waren. - Kein Wunder, wenn grollend wirtschaftliche Reformideen sich hören lassen. Bald nach Alexander schon spricht Euhemeros von der Vergesellschaftung der Ackerflur, zwei Menschenalter später zeichnet Jambulos, ein Semit aus Syrien, den Zukunftsstaat der Heliopoliten, der
Sonnenbürger: Sozialisierung aller Produktionsmittel, Aufhebung der Familie, staatliche Kindererziehung vom ersten Tage des Lebens an, Volksküchen zur Verpflegung aller Staatsangehórigen. Ein Wechsel der Berufe tritt ein, jeder ist abwechselnd Kopf- und Handarbeiter, die Gleichheit aller Menschen erfordert die
Abschaffung der Sklaverei. Neben der materiellen Kultur steht die geistige. Könige und Städte schaffen öffentliche Bibliotheken, wir hören von zoologischen und botanischen Gärten, die
Staaten finanzieren Forschungsreisen mit politischen Nebenzwecken nach Ostafrika und Innerasien. Die Gradmessung der Erdoberfläche, die Entdeckung der Wendekreise, die Feststellung der Ortszeiten durch
lehrter folgen
sich rasch.
In der Medizin
treten
Zusammenarbeit vieler Ge-
Spezialisten
auf, wir finden
Chirurgen, Internisten, Augenärzte, daneben Zahnärzte, Tierärzte, Pharmakolo-
gen. Die Geschichtsforschung wird völlig modern, man ediert Akten, Briefwechsel, Tagebücher, man schreibt die Geschichte jeder Landschaft, jeder Periode nach den Urkunden. Man publiziert in Kultur- und Kunstgeschichte, veröffentlicht die Kunstwerke einer Stadt, eines Tempels, einer Epoche. Die Philologie schafft Echtheitskritik, Textkritik, Literatur- und Sprachgeschichte. - Und dem ganzen Zeitalter entspricht eine zunehmende Humanität des Rechts zwischen den Individuen und den Staaten, die Kriegführung wird menschlich, die Vertilgung der Nichtkombattanten, die Zerstörung von Städten, der Verkaufin die Sklaverei hören
auf. Man kann eigentlich sagen: die weiße Menschheit stand um 200 v. Chr. dort wo sie um 1800 n. Chr. wieder anlangte. Sie war in manchem weiter, so in aller Methodik der Geisteswissenschaften, in manchem weiter zurück, ich erinnere an
KompabD und Fernrohr. Warum hat die Menschheit einen Umweg von 2000 Jahren gemacht?
560
ANHANG
Der Ausgangspunkt liegt in der großen Politik, liegt in dem Zusammenbruch dessen, was allen Fortschritt begründet, des Gleichgewichts der Staaten, die durch
ihre Konkurrenz alle geistigen und materiellen Krüfte hatten lósen müssen. Liegt in dem
Versuch,
den natürlichen
Kampf der Staaten
durch
eine überstaatliche
Rechtsordnung zu ersetzen. Es ging ein Riß durch die politische Welt der Zeit. Die Größe der griechischen Zivilisation beruhte auf der Ueberwindung der Stadtrepublik durch die großen Monarchien. Am Ende des dritten Jahrhunderts, beginnt eine Renaissance der republikanischen Idee, am stürksten natürlich in den Gebie-
ten mit alter Tradition der Polis, im griechischen Mutterland. Damit ist der politische Accent dieser Ideologie vorausbestimmt. Sie kehrt ihre Spitze gegen Makedonien, den Staat, der die politische Herrschaft über das alte Mutterland nicht entbehren kann. Zugleich ist Makedonien in der Tat der monarchischste aller Staaten, hat den Schritt zu einem praktischen Kabinettsregime wie die Seleukiden
und Ptolemaier es hatten, nicht mitgemacht, es ist zugleich der Trüger der Idee der allgem. Wehrpflicht gegenüber dem Sóldnerwesen in anderen Ländern. So hat es einen schweren Stand gegenüber dem Zeitgeist, alles wittert bei den Makedonen Hürte und Eroberungssucht, man beklagt jede Landschaft als unterdrückt, die zu Makedonien gehórt. Und diese republikanische Idee in Hellas wird politisch ausgenutzt von den Ptolemäern, die die wachsende Seegeltung, die zunehmende wirtschaftliche Macht Makedoniens scheel ansehen. Von Alexandria aus spinnen sich politische Intrigen zu einem Netz gegen Makedonien. Dazu tritt eine zweite Erscheinung geopolitischer Art. Im Westen, jenseits der Grenzen der damaligen alten Welt, entsteht in Rom ein Staat vóllig neuen Typs
und einer neuen Größenklasse: es einigt Italien und seine Inseln, erringt Süd- und Ostspanien. An Quadratkilometern Kulturboden und an Menschenzahl sprengt es jeden Vergleich gegenüber den gewohnten Mächten des Ostens. Weitschauende Griechen sehen mit Sorge auf die Wolken im Westen. Im Jahre 202 beginnt der Krieg Makedoniens gegen die von dem Ptolemáer zusammengesponnene Koalition: Aegypten, Aitolien, Athen, Pergamon, Rhodos. Da die Seleukiden auf makedonische Seite treten entsteht der erste Krieg, der die ganze griechische Welt unter Waffen ruft. Die Verbündeten frisieren ihn sofort als Ideenkrieg, Befreiung der von Makedonien unterdrückten Thessaler u. a., Vertretung freiheitlichen Wesens gegenüber der Tyrannis der makedonischen Kónige, Strafe für die Hárten der makedonischen Kriegführung. Die Verbündeten haben ihre Ziele nicht erreicht aus eigener Kraft, so taten sie den Schritt, im 5. Kriegsjahr die Macht des Westens, Rom, in den Krieg zu ziehen, die dann die abgekümpften Makedonen niederrang. Rom trat in den Krieg ein mit dem Anspruch, nicht nur für politische Ziele und territoriale Gerechtigkeit zu streiten, sondern für eine neue Weltordnung, für die Beseitigung des Gleichgewichts der Mächte als Quelle ewiger Kriege, für eine überstaatliche Rechtsordnung, die den eben geführten Krieg zum letzten der Weltgeschichte machen sollte. Die Unterzeichner des Friedens von Korinth, die Makedonien entwaffneten und verstümmelten, beriefen
sich - zum ersten Mal in der Geschichte - auf die Schuld Makedoniens am Kriege, sie betonten, daß sie kraft einer höheren Sittlichkeit nicht Kontributionen sondern Wiedergutmachungen eintrieben, sie waren der Ueberzeugung, ein neues Zeitalter, das des ewigen Friedens, zu eröffnen. Sie vergaßen, daß der letzte Krieg wieder
mit gesteigerter Roheit geführt war, Stádtezerstórungen, Verkauf in die Sklaverei
Anhang 8: Ulrich Kahrstedts Festrede zur Reichsgründungsfeier
561
mit sich gebracht hatte, was seit einem Jahrhundert überwunden gewesen war. Sie vergaßen, daß die Ptolemüer, um sich ihrer Haut zu wehren, einen verhüngnisvollen Schritt getan hatten, den Farbigen die Waffen in die Hand zu geben. Es kam der ewige Unfriede. Zu spät sah man, daß man mit dem Gleichgewicht der Staaten nicht die Quelle des Zwistes sondern die Grundlage aller organischen Entwicklung zerschlagen hatte. Irrsinnig gezogene Grenzen hörten nicht auf zu bluten. Vergeblich wollte Rom, selbst am meisten enttäuscht, sich aus dem Osten zurückziehen. Italien war auf dem Wege zur Industrialisierung, die campanische
Industrie brauchte Hände. Die Streitigkeiten der östlichen Staaten, die wirtschaft lichen Interessen der Italiker, das Mißtrauen Roms gegen jede noch lebensfáhige Macht wirkten zusammen, eine rómische Intervention nach der anderen herbeizuführen, bis in immer neuen Kriegen alle Mächte des Ostens zerstückelt und verstümmelt sind. Von Fall zu Fall steigert sich die Roheit der Methode, die griechischen Menschen strömen als Sklaven nach Italien, den Abschluß bildet die Verschleppung aller national gesinnten Familien der Oberschicht in Makedonien, Achaia und sonst i. J. 167. Die griechische Welt erlebte einen Niedergang ohnegleichen, moralisch, indem ehrlose Subjekte, kriecherische Pazifisten, die eigene Tasche durch Denunzierung
ihrer Landsleute in Rom füllend, regierten. Wirtschaftlich durch die Aderlasse der rómischen Feldzüge, die zu einem Zusammenbruch fast aller Wáhrungen führen. Bis nach Baktrien hin knickt allmählich jede Währung ein, die ptolemüische Drachme sinkt auf 1/500 ihres Wertes. Die Geburtenziffer schrumpft, die Vermehrung der Bevólkerung hórt auf. Geistig folgt der gleiche Niedergang. Die Verarmung tötet die Wissenschaft, das Interesse für Forschung läßt nach, richtet sich auf Aesthetik und Mystik, die verzweifelten Menschen flüchten in die orientali-
schen Religionen, Astrologie und Zauberwesen schießen Vor allem endet das koloniale Zeitalter, die Griechen Herrenschicht zu einer verfolgten Minderheit. Parther, bilden eigene Staaten, reißen von Rom begünstigt das
empor. Asiens werden aus der Juden, Perser, Araber seleukidische Reich in
Fetzen. Auch sonst erwacht der Rassenstolz der Farbigen, in Aegypten füllen sie
Heer und Verwaltung, die Griechen klagen: wir werden beraubt, geschändet, ermordet, weil wir Griechen sind. Zugleich tragen diese Erhebungen einen stark sozialen Zug, der Grieche wird nicht nur als Weißer sondern auch als Bourgeois
verfolgt. Juden und Fellachen schlachten nicht nur den Heiden sondern den Bürger und Grundbesitzer in ihm ab. Rein sozial vollends sind die Zuckungen, die das Elend der Zeit im alten griechischen Sprachgebiet gebiert. Verarmte Bauern und städtisches Proletariat schließen sich zusammen, bald hier bald dort flackern
lokale
Unruhen
auf.
Das
verstümmelte
Makedonien
wird
bald
der ernsteste
Unruhenherd, die hungernden Proletarier, zu kurzsichtig, um über das Nächste hinwegzusehen und in Rom den Grund ihres Elends zu erkennen, massakrieren,
was noch von Bürgertum im Lande ist, der arbeitslose Póbel von Athen plündert die Ackerbürgerstadt
Oropos,
dann
wandelt
sich der achaiische
Bund
in eine
Proletarierrepublik, wo die Macht in die Hünde der Arbeiterschaft gelegt wird, das Bürgertum ausgerottet, die Sklaverei abgeschafft. In all diesen Füllen hat Rom zugeschlagen, nicht aus Handelsneid wurde Korinth zerstórt sondern als rotes Ansteckungszentrum für die versklavten oder freien Proletarier Italiens. Es handelte sich um mehr als ein spontanes Umsichschlagen Hungriger, deut-
362
ANHANG
lich treten Ideen der Staatenbildung hinzu, der klassenlose Staat des Proletariers,
und bei den Führern die Erkenntnis, daß der Kampf gegen das Kapital zugleich der Kampf gegen Rom ist. Umgekehrt fliehen die Bürger unter den Schutz römischer Waffen. Kein Wunder, daß die Zerstörung von Korinth zu spät kam, zehn Jahre darauf bricht in Sizilien die Revolution aus, nicht der Sklaven gegen die Freien, sondern der Armen gegen die Reichen, der Proletarier gegen die Bürger, wenn auch die versklavte griechische und orientalische Intelligenz die Führer stellt. Wie Jambulos fordert, wird die Sklaverei abgeschafft, der Grund und Boden
Gemeingut der Staatsangehörigen. Ein Sklavenkönig tritt an die Spitze, östliche Menschen schaffen sich einen östlichen Staat. Die Bewegung greift über auf das campanische Industriegebiet, auf Athen und Delos, bald auf Asien, wo Aristonikos, nun das Wort des Jambulos selbst aufnehmend, den Staat der Heliopoliten, der
Sonnenbürger, ausruft. Weiße und rote Heere ringen jahrelang gegeneinander, dann hat Rom hier wie in Sizilien mit Strömen von Blut die Bewegung erstickt. Aber zugleich begann in Rom die gracchische Revolution. Ihr Ziel ist bürgerlich, sie will den Mittelstand stärken und der roten Revolution durch Reformen vorbeugen. Die Gracchen sind nicht gescheitert am Widerstand der Gegner, die ihnen vorwarfen dasselbe zu tun, wie die Horden in Sizilien und Asien, sondern an dem
mangelnden Willen der Proletarier, wieder Bürger zu werden, an der Unüberbrückbarkeit der Kluft zwischen den sozialen Schichten. Nur einen Erfolg hatte sie: in blinder Wut gegen die grundbesitzende Senatsaristokratie hat sie die politische Macht dem mobilen Kapital in die Hand gespielt, das nun als Herr des Reiches alles bisher Erlebte tausendfach verschlimmerte. Es stürzt sich hemmungslos auf die Provinzen, die alten Kulturländer werden zur milchenden Kuh des Kapitals Italiens, die Kapitalisten pachten bei der rómischen Un//fühigkeit, einen Staat zu verwalten, die Steuern. Leben, Besitz und Ehre der Provinzialen sind in der Hand der Steuerpächter, Aecker und Häuser, Salinen und Bergwerke, Weiden und Werften gehen in ihre Hand über. Man füngt an, das letzte, bald die
eigenen Kinder in die Sklaverei zu verkaufen, um den Steuerpächter befriedigen zu können.
Die italische Industrie ruft weiter nach Händen,
bald wirft sich das
Kapital auf die Menschenjagd und die Griechen aller Stánde verschwinden von den Straßen in die Sklavenkerker. - Gab es eine Zuflucht? GewiD, in den Bergen von Pisidien und Isaurien bildeten sich Banden, bald Staaten der flüchtigen Verzweifelten, die vom Raub leben, als Piraten auftreten und bei der vólligen Unfähigkeit der römischen Flotte die See zu ihrer Domäne machen. Sie leben von der Plünderung derer, die noch etwas zum Rauben
besitzen, sie tragen den Kult
des Mithras, bewußt proletarisch und bewußt asiatisch zugleich. Oder die Zuflucht sind die erstarkenden Eingeborenenstaaten, sind asiatische Sultane wie Mithridates und Tigranes, es kam dahin, daß der gebildete Grieche sich nach dem morgenlándischen GroBherrn sehnte um dem rómischen Staathalter zu entrinnen. Die Verzweiflung der Entrechteten, der Aufstieg des Morgenlandes, der proletarische Haß gegen alles Bessergestelite, sie fließen zu einem riesigen Strom zusammen. Zugleich radikalisieren sich die Theorien, als 105 Sizilien zum zweiten Mal der Schauplatz eines Proletarierstaates wird, erklürt man den Boden nicht wie 50 Jahre früher zum Gemeingut aller Staatsangehörigen sondern nur der Armen, man proklamiert die Faustherrschaft der Armen, die Diktatur des Proletariats. In diese Welt stößt Mithridates vor, mächtig nicht als König von Pontus sondern als Expo-
//2
Anhang 8: Ulrich Kahrstedts Festrede zur Reichsgründungsfeier
nent des erwachten
565
Asien und der proletarischen Revolution, als Befreier der
Verzweifelten. Der Mann von der Straße und der Intellektuelle schließen sich ihm an, die Kapitalisten werden massakriert, in Athen, wo wir Einzelheiten erfahren
etabliert sich eine Regierung bestehend aus einem reichen Semiten, einem üsthetischen Verleger philosophischer Schriften, einem Piraten. Das Bürgertum endet in den Kerkern oder flüchtet nach Italien, die Piraten sind die Flotte, die Proletarier
die Armee des Asiatenkönigs. Die Uhr der europäischen Kultur stand hart vor zwölf. Da hat über alle Parteien hinweg die römische Armee die Welt gerettet. Sie war wie sie als Berufsheer bestand ein Produkt der radikalen Bewegung in Rom selbst, von Marius gedacht als Organ seiner Partei gegen die Konservativen. Jetzt hat sie sich zu einer eigenen historischen Mission erhoben. Sulla hat die steigende Welle der farbigen Völker und die Welle der proletarischen Bewegung gebrochen, er hat zugleich die Blutsauger aus dem römischen Kapital niedergeworfen. Als er allzufrüh abdankte, haben seine Schüler das Werk vollendet, die Piraten zerschmettert
und den weißen Mann wieder zum Herrn Vorderasiens gemacht, aus den erbeuteten Schätzen der besiegten orientalischen Sultane den Räubern und ihren Opfern, Verführern und Verführten eine neue bürgerliche Existenz aufbauend. Das proletarische Zeitalter ist zu Ende, wir stehen an der Schwelle der Kaiserzeit,
Bürgerkrieg und lokale Verwüstungen, letztes Aufflackern der proletarischen Klassenkampfidee wie unter Spartakus und Catilina ändern nichts mehr daran. Die neue Kultur, die der Kaiserzeit, ist da. Wie sieht sie aus? Sie ist anational,
der Gedanke von Volkstum und Rasse ist mit der Niederwerfung der orientalischen Bewegungen begraben. Und sie ist bürgerlich, sie trägt Klassencharakter, der Aufstieg des kleinen Mannes ist mit der Zerschlagung der proletarischen Revolution erstickt. Der große Bourgeois gibt ihr das Gepräge, durch Privilegien auf dem Gebiet des Strafrechtes, Prozeßrechts, des Steuerrechts, der Heeresordnung von
dem rechtlosen kleinen Untertan scharf geschieden. Wirtschaftlich setzt eine neue gewaltige Blüte ein, aber der schimmernde
Prunk des Kaiserreichs ist der Glanz
der großen Bourgeosie, der kleine Handwerker und Pächter hat keinen Anteil an ihm. Und ewig tot blieben Wissenschaft, Forschung, geistiges Leben. Sie sind im Altertum nicht wieder erwacht; Mystik, Aberglaube und Gespensterfurcht, die Wollust des Sacrificium intellectus beherrschen die Hirne gerade auch der Oberschicht. Wir blicken zurück und fragen uns: mußte das sein? Mußte der einmalige Zusammenbruch des Gleichgewichts der Mächte über die Revolution der Farbigen und der Proletarier notwendig zum Ende aller geistigen Kultur führen? Er mußte es, weil die damalige alte Kulturwelt, das Hellenentum, den Riesengewalten, die
sie zerrieben, keine neue geistige Kraft entgegenstellen konnte. Sie ging unter zwischen der asiatisch-proletarischen Bewegung und dem westlichen Hochkapitalismus. Das Griechentum kam nicht dazu, sich in sich selbst zu einigen und seine
eigenen Schichten zusammenzuschweißen. Der griechische Proletarier sah in dem asiatischen Standesgenossen seinen Bruder und in dem Bürger seines eigenen Volkstums kaum weniger als indem römischen Kapitalisten seinen Feind. Der griechische Bürger wurde ein wurzelloser Intellektueller oder er fürchtete den verarmten eigenen Volksgenossen und blickte auf Rom als seine Zuflucht. Die Asiaten waren sich ihres Volkstums und ihrer Rasse bewußt und handelten danach,
564.
ANHANG
das Griechentum blieb ihm die Antwort schuldig, die den Gang der Geschichte hätte wenden können, sich auch seinerseits auf die Einheit seines Volkstums zu besinnen. Der Riß der Klassen in der alten Kulturwelt blieb bestehen und so ging die Entwicklung weiter bis zum Aussscheiden des Volks aus dem Mitbestimmen des historischen Prozesses, zum Ende aller Voraussetzungen einer hóheren geistigen Kultur. Als ich - und gleichzeitig mit mir mancher andere Fachgenosse - vor 15 Jahren auf diese antike Parallele zur modernen Geschichte hinzuweisen begann, konnte
man nur mit einem tiefen Pessimismus schließen. Die Parallele schien allzu genau. Heute beobachten wir etwas Neues. Im modernen Europa ist das eingetreten, was dem Altertum versagt blieb, an zwei Stellen ist der Einbruch in die Zwangslüufigkeit der Zerstórung der Kultur erfolgt durch Ueberwindung des Klassenkampfes, der allein die alte Kulturweit dazu verdammte, zwischen Ost und West, zwischen Oben und Unten zerrieben zu werden. Fascismus und Nationalsozialismus sind im Altertum nicht aufgetreten. Freilich, die alte Kultur des 19. Jahrhunderts kehrt nicht wieder, ebenso wenig wie ein rechtzeitiger nationaler Wille der Griechen die Zivilisation des hohen Hellenismus ohne Abánderung zurückgezaubert hätte. Wir haben nicht die Wahl zwischen der bürgerlichen Kultur von 1914 und irgendeiner anderen, sondern die Wahl zwischen einer neuen Kultur der
schlechthinnigen Verwirklichung der Volkseinheit unter Opferung aller gewohnten Vorurteile und Sonderansichten der Klassen oder dem Ausgang aller eigenen Kultur nicht nur bei uns sondern überhaupt in der alten Welt. Entweder wir schaffen eine Kultur aus der Ideenwelt der genannten neuen Kräfte oder wir sehen Zu, wie unsere Gesittung den Weg der antiken geht und versinkt. Es ist zu spát zu klagen, daß irgend eine liebe Gewohnheit zu einer wahren Kultur unentbehrlich sei und daher fortgeschleppt werden müsse: die bürgerliche Kultur geht zu Ende, nicht durch Mussolini oder Hitler sondern durch Versailles, wir wühlen zwischen dem rechtzeitigen Neuaufbau einer eigenen Lebensform oder dem leeren Raum, den das Versickern der alten Gesittung hinterläßt. Hier könnte der Historiker schließen und sich damit begnügen, ein Exempel für das Lernen aus der Geschichte oder (sic!) «vor Sie» hingestellt zu haben. Es würde aber dem Sinn dieses Tages nicht entsprechen, wenn die ferne Vergangenheit allein reden sollte. Dem deutschen Volk zu sagen, wie es die neue Kultur aus der Ueberwindung der Klassen verwirklichen soll, ist nicht Aufgabe des Professors. Er kann
und
soll sich
aber
äußern,
was
die deutsche
Intelligenz,
die deutschen
Hochschulen, die deutschen Gelehrten tun sollen. Daß sie alle Rechte und Pflichten haben, mitzuwirken, wissen wir, die Frage ist das Wie. Wir erleben gewiD allerlei. Aber es genügt nicht, daß Herren, die vor dem 5. März jede Aeußerung nationaler Würde für einen unreifen Anachronismus erklären, jetzt unter Schwingung eines Hakenkreuzbanners versichern, sie seien schon lange vor Hitler Todfeinde des Weimarer Systems gewesen. Es genügt auch nicht, wenn in den politischen Salons wohlhabender Intellektueller die ‚causerie‘ des französischen ‚conferencier‘ durch von Hakenkreuzen triefende Themen ersetzt werden. Nationalsozialismus ist kein Brotaufstrich, den man der Mode der Saison entsprechend zum 5-Uhr-Tee reicht. Wir erfahren allerlei Ratschläge, wie wir zeitgemäß eine politische Universität aufbauen sollen. Eine Neugliederung in anders abgegrenzte Fakultäten soll der
Anhang 8: Ulrich Kahrstedts Festrede zur Reichsgründungsfeier
Weisheit letzter Schluß sein. Ich glaube
565
nicht daran, der Geist einer Kompanie
ändert sich nicht, wenn man sie in 4 statt in 3 Züge zerlegt. Es wird uns geraten, unsere alten Kolleghefte zu verbrennen und solche in einem neuen Geist anzulegen. Das wird nicht überall helfen, man kann Planetenspektra oder Türkisch für Fortgeschrittene weder national noch anational gestalten. Wir kommen der Antwort näher, wenn wir fragen: was sollen wir nicht tun? Zunächst sollen wir etwas nicht tun, wo Sie sagen werden: das ist selbstverständlich, was
soll die
Plattheit?
Wir
sollen
nicht
meckern.
Was
ist Meckern?
Die
Philosophen werden sagen: man darf um Himmels willen nicht definieren: Mekkern ist, wenn man —- Ich habe mich noch nie nach philosophischen Regeln gerichtet, wage also auch heute diese Definition. Meckern ist nicht, wenn man im Fall der SA-Mann Krause sich daneben benimmt, laut sagt, der SA-Mann Krause benimmt sich daneben. Meckern ist auch nicht, wenn man auf Grund eigener
Sachkenntnis bei einer Maßregel der Regierung sagt: ich glaube nicht, daß sie zur Erreichung des gesteckten Zieles hilft. Zu dem was ich Meckern nenne gehört neben dem, was man 1955/4 sagt auch etwas was man 1923/4 gesagt oder nicht gesagt hat. Meckern ist, wenn man 1925 liest: Schlageter ist erschossen worden, und dann ohne Stórung seines seelischen Behagens frühstückt und wenn man 1955 mit allen Zeichen psychischer Depression einherschleicht, weil in einem jüdischen Gescháft eine Fensterscheibe eingeschlagen worden ist. Meckern ist, wenn man
1925 erführt, daD ein franzósischer Ortskommandant den Verkauf von
Milch an deutsche Mütter verbietet bis jeder Hund, der einem franzósischen Offizier gehórt ein Quantum bester Milch erhalten hat, wenn man dann dem chere (sic!) v«c»onfrere einer französischen Universität in herzlicher Zuneigung seine Arbeit zuschickt, um 1955 über das Leiden Unschuldiger zu jammern, weil die Zulassung zum Staatsexamen die oder jene Härte hat. Meckern ist, wenn man 1923 erfährt daß Scharen
«von» deutschen Frauen
in Selbstmord
und Irrsinn enden,
weil sie von Negern geschündet wurden und dann mit ungemindertem Behagen sein Fach betreibt, aber 1955 die Feder entmutigt sinken läßt, weil die Welt verroht sei, indem die Tochter des Viehhündlers Levi nicht in die Studentenschaft aufgenommen worden ist. Es würe Drückebergerei, wenn wir heute die Frage vermeiden wollten, was haben die deutschen Hochschulen bis 1955 unter diesem Aspekt getan? Wir haben genug patriotische Kundgebungen mit tiefschürfenden Ausführungen und flammenden Protesten erlebt. Das sind keine Taten, die Frage ist, ob die Taten diesen Kundgebungen entsprachen. Ich halte hier keinen Vortrag über das Thema: die deutsche Würde in der Hand der deutschen Hochschulen im Zwischenreich. Das wäre erstens zu lang und zweitens kaum ein Festvortrag. Nur ein kleiner Griff in die Kartothek sei gestattet. - Der Kern des Versailler Diktats ist der Kriegsschuldparagraph. Ihn zu begründen geben sich Politiker von Format nicht her, sie halten sich dazu kleine Skribenten, die gegen Geld lügen. Einer dieser Skribenten hat die Dreistigkeit, in Deutschland umherzureisen, weil er die Deutschen natürlich für ein Volk ohne Ehre hált, dem man
alles bieten kann. Was haben wir getan? Wir
haben ihn zum Festvortrag, zur Gastvorlesung in diese Aula geladen. - Es war eine Zeit, da wurden die deutschen Familien am Rhein die Straßen entlang gepeitscht, franzósische Offiziere knallten zum SpaB die Deutschen nieder und die nur verwundeten Opfer schickte das Kriegsgericht ins Zuchthaus. Was taten wir? Wir
366
luden chung Gäste schen
ANHANG
die Gelehrten eines bestimmten Fachs zu einer internationalen Besprenach Göttingen und in die reichsten Privathäuser kamen als bevorzugteste die Franzosen. In einer gegebenen politischen Lage sind die deutsch-polniBeziehungen so, daß Deutsche verjagt und ermordet werden, die Mörder
zu Geldstrafen
bis 20 Mark
verurteilt, deutsche
Lehrer
eingekerkert,
deutsche
Schulen unterdrückt werden. Zugleich ergeht die Einladung zu einem internationalen Kongreß eines bestimmten Faches nach Warschau. Was taten wir? Wir beschlossen, hinzugehen ‚falls nicht Dinge eintreten, die den Besuch unmöglich
machen‘. Solange die Vokabeln der deutschen Sprache einen Sinn haben, heißt das: die eben genannten Leiden deutscher Menschen erregen bei uns keinen Anstoß. Freilich - wir hörten ja, daß der Besuch in Warschau gerade höchst national war, zweierlei sollte sich aus ihm ergeben. Erstens würden die deutschen
Gelehrten in Warschau die Neutralen über den deutschen Charakter der Ostmark aufklären, zweitens würden sie, einmal in Polen angelangt, überall Beziehungen zu den deutschen Gemeinden aufnehmen und kulturelle Bande mit ihnen anknüpfen. Leider sind in den Berichten die tiefschürfenden Ausführungen, die die Neutralen aufklären sollten und auch die Namen der Städte unauffindbar, in denen die deutschen Besucher nachher das kulturelle Rückgrat der deutschen Minderheit durch ihren Besuch gestärkt haben. Geschehen ist nur, daß die Deutschen an den Orten, wo die deutschen Schulen verfolgt werden, vorbeigefahren sind, ohne sie eines Blickes zu würdigen, um dem sie verfolgenden polnischen Minister die Hand zu drücken. Ich gebe diese drei Beispiele nicht, um jetzt die Kraftausdrücke nachzuholen, die im Zwischenreich besser unterblieben, sondern aus ganz bestimmten Gründen. Erstens gehört sich heute ein Wort über die Studentenschaft. Ich pflege mir bei Vorgängen der bezeichneten Art um nicht voreilig hart zu urteilen immer die Frage vorzulegen: was wäre im Ausland im gleichen Fall geschehen? Stellen wir uns diese Frage. Wenn den Franzosen ein Versailler Diktat auferlegt, Frankreich verstümmelt und ausgesogen und entwaffnet und dies mit einem Verdikt über die moralische Minderwertigkeit der Franzosen begründet wird und wenn die Universität Grenoble antwortet indem sie den Verfasser dieses Verdikts als Festredner engagiert. Was passiert dann? Wenn weite Teile Englands von fremden Truppen besetzt sind, die Männer massakriert, die Frauen geschändet, die Familien vertrieben werden und die Universität Cambridge antwortet, indem sie die Staatsangehörigen der Besatzungsmacht als besonders liebe Gäste ehrt. Was passiert dann? Wenn von Italien weite Provinzen abgetrennt und in ihnen die italienischen Schulen verboten werden und die Professoren in Palermo beschließen, dem Unterdrückerstaat ihr Kompliment zu machen, was passiert dann? Ich glaube wir sind uns alle einig, was passiert: Die Studenten nehmen Knüppel und schlagen die Professoren tot. Weiter passiert gar nichts. Wir hören heute allerhand Klagen über die anspruchsvolle Art der deutschen und akademischen Jugend, die etwa wie der Baccalaureus Goethes sich einbildet, alles Aeltere sei minderwertig und erst mit
ihr hätte die Welt begonnen. Es stimmt schon und wir fühlen recht deutlich, daß viele Studenten die Professoren, die etwa so alt wie Hitler und halb so alt wie Hindenburg sind, zwar mit Wohlwollen aber doch ais ziemlich hoffnungslos verkalkt betrachten. Gerade wenn man diesen unreifen Größenwahn beim rechten Namen nennt soli man aber heute ein Wort der Anerkennung nicht unter-
Anhang 8: Ulrich Kahrstedts Festrede zur Reichsgründungsfeier
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drücken: die Studenten haben angesichts eines internationalen Treibens an deutschen Universitäten in der Zeit tiefster Schmach eine Disziplin und damit die Hochschulen vor Erschütterungen bewahrt, wie das außerhalb Deutschlands nie möglich gewesen wäre. Der zweite Grund ist der, daß wir auch in Zukunft der Sorge nicht ledig sind wie wir nationale Ehre und Zurückhaltung wahren sollen. Sie wissen daß das dritte Reich noch lange nicht aus der Drecklinie feindlicher Hetze heraus ist und daß diese Hetze gerade bei den tief im Liberalismus verwurzelten Intellektuellen blüht. Es gehört nicht viel Prophetengabe dazu den Augenblick kommen
zu sehen, wo Politiker und Wirtschaftler die Existenz des dritten
Reiches als gegeben hinnehmen
und die Gelehrten es als Ausgeburt der Hölle
beschimpfen. Wir werden dann, sobald diese Gelehrten uns brauchen, Einladun-
gen zu Kongressen u. ä. bekommen. Wir wollen dann mehr als bisher daran denken, daß man ja nicht allen Menschen gleichmäßig die Hand zu drücken braucht und daß, wer uns 51 Wochen im Jahr besudelt und unsere Feinde poussiert, nicht verlangen kann, in der 52. Woche unser lieber Kollege zu sein. - Der dritte Grund ist der, daß die deutschen Hochschulen, sich in dem neuen Deutsch-
land einrichtend, Erfolg nur haben können, wenn sie sich ohne jede Beschönigung die Frage
beantworten:
wo
stehen
wir?
Haben
wir uns
so verhalten,
daß
wir
beanspruchen können von der ersten Stunde an das große Wort über deutsches geistiges Leben zu führen oder haben wir erst manches Geschehene gut zu machen, ehe wir verlangen, als Exponenten auch des neuen Deutschlands zu gelten? Wichtiger aber als all dies ist die Frage nach dem Grunde, aus dem solche Vorgänge wie die genannten möglich waren. Er liegt in der unausrottbaren Ueberzeugung auch geschichtlich gebildeter Menschen, daß zwar alle materiellen und geistigen Erscheinungsformen der Kultur zeitlich bedingt und zeitlich gebunden sind, daß aber davon eine Ausnahme bestehe, die internationale Wissenschaft
und die Forschung um der Forschung willen. Die Ueberzeugung, daß die Gelehrten auf einem hohen Felsen stehen, um den herum der Strom der Entwicklung braust, auf dessen unberührter Klippe sie stehen und dozieren, wie jene Erscheinung aufkommt, diese sich ausbreitet, die eine versinkt, die nächste abstirbt. An
diesem Aufleben und Absterben soll aber der Fels mit der kleinen Gruppe gut gekleideter Herren auf seiner Spitze keinen Anteil haben. Demgegenüber ist es Zeit zu dem Bekenntnis, daß dieser Fels und jene Gruppe von Herren selber nichts sind als das zeitbedingte Produkt einer bestimmter Periode des bürgerlichen Liberalismus. Diese Epoche ist vorbei, nicht durch den Faszismus zerstört und nicht durch den Nationalsozialismus sondern durch Versailles. Daß der äußere Apparat internationaler Kollegialität eine Weile weiter klappert versteht sich von selbst, aber er hat keinen Sinn mehr in der gewandelten
Welt. Wer in ihm den
Mittelpunkt seiner geistigen Haltung sieht, begeht einen Anachronismus genau so wie wenn er fingierte, im Zeitalter der cluniacensischen Bewegung oder der Reformkonzilien zu leben. Der 18. Januar ist nicht der Tag, begangene Fehler aus der Welt zu schaffen, dazu gehören Jahre. Er sei aber der Tag des Gelöbnisses: wir sagen ab der internationalen Wissenschaft, wir sagen ab der internationalen Gelehrtenrepublik, wir sagen ab der Forschung um der Forschung willen. Bei uns wird Medizin gelehrt und gelernt nicht um die Zahl der bekannten Bakterien zu vermehren,
368
ANHANG
sondern um die Deutschen gesund und stark zu halten. Bei uns wird Geschichte gelehrt und gelernt nicht um zu sagen wie es eigentlich gewesen ist, sondern um die Deutschen aus dem wie es war lernen zu lassen. Bei uns werden Naturwissenschaften gelehrt und gelernt nicht um abstrakte Gesetze zu entdecken sondern um den Deutschen ihr Handwerkszeug im Wettbewerb der Völker zu schärfen. Legen die deutschen Universitäten dies Gelöbnis ab, halten sie dieses Gelöbnis,
so erwacht ganz von selbst wieder der Anspruch, zu fordern, daß sie bei allen Fragen der Kultur und der Pflege geistiger Güter als erste gehört werden. Solange man
bei dem Wort ‚deutscher Gelehrter‘ sich noch einen Mann vorstellen kann,
der bei seiner Forschung an die internationale Gelehrtenrepublik und nicht an das deutsche Volk, an den nächsten Kongreß und nicht an seine Studenten denkt, kann man keiner Regierung, die allein dem deutschen Volke dienen will zumuten, daß sie sich bei uns Rat holt. Sie muß notwendig auf Leute zurückgreifen, bei deren fachlicher Eignung ihr selbst unbehaglich zu Mute sein mag, bei denen sie aber sicher ist, daß sie einen glühenden und einseitigen Arbeitswillen für Deutschland einsetzen. Diese unsere Forderung, in erster Reihe an der deutschen Kultur mitzubauen,
kommt
nicht aus dem Wunsch,
den Universitäten ein Monopol
zu
sichern, den Professoren eine lästige Konkurrenz vom Halse zu schaffen, sie kommt aus dem Wunsch, die Ehre des deutschen Namens zu wahren. Der deutsche Geist soll nicht durch Dilettanten und Phantasten prostituiert werden. Der deutsche Gelehrte ist berufen, ihn zu pflegen, aber nur dann, wenn er keinen Zweifel läßt, daß er nur zum deutschen Volk gehört und zu keiner internationalen
Gelehrtenrepublik. Legen die deutschen Universitäten jenes Gelöbnis ab, halten sie dies Gelöbnis, 80 haben auch sie das Recht einzustimmen in den Chor dankbarer Freude, der im
Rückblick auf das im letzten Jahr Erlebte den Ideen und den Führern des neuen Reiches huldigt. Das deutsche Reich und das deutsche Volk, unser greises Staats-
oberhaupt und sein Kanzler: Sieg Heil!
Sieg Heil!
Sieg Heil!"
Anhang 9: Die Darstellung von Kurt von Fritz über seine Entlassung und Emigration in den Jahren 1935/36:! Kurt von Fritz Professor emeritus der Universität München Die Gründe, die zu meiner Emigration i. Jahre 1936 geführt haben. Der Grund meiner Emigration war, daß ich aus meiner Stellung als planmäßiger außerordentlicher Professor an der Universität Rostock entlassen und mir im Anschluß daran jede weitere Lehrtätigkeit in Deutschland unmöglich gemacht, zuletzt sogar die Benützung der Münchner Universitätsbibliothek verboten wurde. Der Anlaß zu meiner Entlassung, aber nicht der offiziell dafür angegebene Grund, war ein Schreiben, das ich auf die Aufforderung des Kultusministeriums hin, einen Eid unbedingten Gehorsams auf den ‚Führer‘ zu leisten, an das Meck-
lenburgische Kultusministerium gerichtet habe. In diesem Schreiben erklärte ich, daß ich den geforderten Eid nur leisten könne, wenn mir von höchster Stelle schriftlich bescheinigt werde, daß aufgrund dieses Eides nicht die Forderung an mich gestellt werden könne, irgend etwas zu lehren, was meinen Überzeugungen widerspreche. Die Frage des Eides war sowohl in den Kreisen der höheren Offiziere der Rostocker Garnison wie in den Kreisen meiner Kollegen, soweit sie keine begeisterten Anhänger des Nationalsozialismus waren, erörtert worden. Die vorwiegende Meinung unter den höheren Offizieren war die, daß es ein großer Vorteil sei, daß der Eid auf den ‚Führer‘ persönlich, nicht auf den Nationalsozialismus abge-
legt werden solle. Denn, so wurde gesagt: „Wir brauchen Hitler jetzt, um aufrüsten zu können. Er ist ein solcher Narr, daß er sicher eines Tages umgebracht werden wird.“ Mir schien dies eine höchst gefährliche Kalkulation, sofern die Herren das
Umbringen nicht selbst auf sich nehmen wollten. Im übrigen war für Stimmung und Haltung der höchsten Offiziere charakteristisch, daß der Kommandeur des in
Rostock stationierten Regiments, Oberst von Tippelskirch, den bayrischen Kultusminister Schemm durch einen Gefreiten festnehmen und aus dem Saal führenließ,
als er auf Verlangen der Partei vor den Soldaten der Garnison einen Vortrag hielt und Reden führte, die Oberst von Tippelskirch mißfielen. Dieser sandte einen
1
Dieser Text
stammt
aus: Microfilm,
MA
1500/18,
Kurt von
Fritz. Archiv
des Instituts für
Zeitgeschichte, München. Tippfehler sind korrigiert worden. Kurt v. Fritz antwortete am 50. 4. 1979 u. a. mit dem hier wiedergegebenen Dokument auf die Anfrage des Münchener Instituts für Zeitgeschichte nach den Gründen etc. seiner Emigration, das er dem Fragebogen „Persönliche Daten und Familiengeschichte" als Anlage beilegte. Die Anfrage des IfZ geschah im Rahmen der Erforschung der Emigration nach 1955, und die erhobenen Daten dienten als Basis für das Handbuch der zentral-europüischen Emigration: Röder/Strauss (Hg.) (1980-1985). Kurt von Fritz wünschte ausdrücklich die Veröffentlichung des hier wiedergegebenen Dokuments, vgl. sein Anschreiben vom 50. 4. 1979 a. a. O. Zu seiner Biographie und seinem Werk vgl. Ludwig (19868) und Ludwig (1986b), darin auch ein Verzeichnis der Schriften, zusammengest. v. Gerhard Jäger. Vgl. oben S. 200 ff.
370
ANHANG
Rapport über diesen Vorgang an seine Vorgesetzten in Berlin, die seine Handlungsweise vollkommen billigten. Unter meinen Kollegen an der Rostocker Universität einigte man sich darauf, daß man den Gehorsamseid ohne Gewissensbedenken ablegen könne, da der Eid ‚bei Gott‘ geleistet werde und daher zu nichts verpflichten könne, was den Geboten
Gottes widerspreche.
Ich bestritt die Richtigkeit dieser Auslegung
nicht, war
jedoch der Meinung, daß man ihr laut und öffentlich Ausdruck geben müßte, sonst würde jeder glauben, daß der Eid von allen, die im Staat Ansehen und Einfluß haben, ohne Einschränkung geleistet worden sei, und das wiederum werde den
Nationalsozialisten einen Machtzuwachs bringen, gegen den man nicht mehr werde aufkommen können. Und doch fehlte es zunächst nicht an offener Opposition. Als Beispiel ist folgendes interessant. Der NS-Führer der Studentenschaft, namens Schinke, war als Katholik getauft und erzogen worden. Nach der Roehm-Affäre ging er zu einem katholischen Pfarrer und erklärte ihm, er sei in Gewissensnöten. In Wirklichkeit seien sehr viel mehr Menschen im Zusammenhang mit dem angeblichen Putsch getötet worden, als der ‚Führer‘ zugegeben habe. Da habe der Führer also doch gelogen. Der Pfarrer antwortete, er habe derartiges auch gehört, könne es aber nicht kontrollieren. Auf Drängen Schinkes gab er schließlich zu, daß der Führer gelogen haben könne. Darauf denunzierte ihn der Student: er habe den Führer als Lügner bezeichnet. Der Pfarrer wurde verhaftet und eingesperrt. Am folgenden Tag
forderte
mein
Freund,
Professor Julius
Ebbinghaus,
der den
Eid
auf den
Führer geleistet hatte, den Herrn Schinke im Kolleg unter frenetischem Beifall seiner Studenten auf, seine Vorlesung zu verlassen, was dieser nach einem schwachen Versuch zu protestieren, dann auch tat. Mit mir, der ich den Eid nicht geleistet habe, versuchte das Mecklenburgische Ministerium mehrere Monate lang zu verhandeln, indem man mir mündlich alle
möglichen beruhigenden Erklärungen gab. Ich bestand jedoch auf einer schriftichen verbindlichen Erklärung von oberster Autorität. Schließlich erfuhr der Reichsstatthalter von Mecklenburg, Hildebrand, von der Sache. Er war über die Tatsache, daß ein Professor mehr als vier Monate Vorlesungen gehalten hatte,
ohne den geforderten Eid geleistet zu haben, so außer sich, daß beinahe das Ministerium darüber zu Fall gekommen wäre. Er verfügte meine sofortige Suspendierung vom Amte und die Eröffnung eines Disziplinarverfahrens „mit dem Ziel der Entlassung aus dem Amte“. Zugleich erwähnte er meine Weigerung in einer Ansprache
an die Werftarbeiter
in Warnemünde,
in der er behauptete,
ich sei
daran schuld, daß die Studienräte in Mecklenburg keine Hakenkreuzfahnen aus ihren Fenstern hängen wollten. Er schloß mit den Worten: „Und die Studenten setzen sich noch für ihn ein!“
Da die Nationalsozialisten sich damals noch an das Gesetz hielten, daß Disziplinarverfahren mit dem Ziel der Entlassung aus dem Amte öffentlich abgehalten werden mußten, wurde ich zunächst einem privaten Verhör unterzogen, um herauszufinden, was ich in der öffentlichen Verhandlung sagen würde. In diesem
Verhör wurden mir allerhand Fangfragen gestellt, auf die ich meistens sehr unangenehme Antworten gab. Leider habe ich sie mit einer Ausnahme vergessen. Diese war jedoch wahrscheinlich entscheidend. Auf die Frage, ob ich denn glaube, daß der Führer Fehler begehen könne, antwortete ich: meines Wissens nehme
Anhang 9: Die Darstellung von Kurt von Fritz über seine Entlassung
571
nicht einmal der Papst Unfehlbarkeit, auDer in Fragen des Dogmas, in Anspruch, und wer glaube, darüber hinaus Unfehlbarkeit beanspruchen zu kónnen, werde gewiD die schlimmsten Fehler begehen. Auf diese Vorverhandlung hin wurde das Disziplinarverfahren gegen mich abgeblasen, offenbar weil selbst der Reichsstatthalter nicht riskieren wollte, daß solche Dinge in der Öffentlichkeit gesagt würden: ein höchst bemerkenswertes Zeichen der Unsicherheit. Etwa drei Monate später erhielt ich von dem Reichskultusminister Dr. Rust die Mitteilung, daD ich auf Grund von Paragraph sechs des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums entlassen sei. Dieser Paragraph besagte, daD ein Beamter entlassen werden kónne, wenn seine Stellung nicht mehr gebraucht werde. Gleichzeitig wurde jedoch die Rostocker philosophische Fakultät aufgefordert, einen Nachfolger für mich vorzuschlagen. Ich erlaubte mir darauf, dem
Herrn
Kultusminister mitzuteilen, es erschiene
mir unlogisch,
einen Beamten zu entlassen, weil seine Stellung nicht mehr gebraucht werde und gleichzeitig zur Nominierung eines Nachfolgers aufzufordern. Die Antwort lautete: „Wie in allen Fällen von Entlassungen aufgrund des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums kann in der Begründung über den bloßen Hinweis auf den betreffenden Paragraphen nicht hinausgegangen werden.“ Doch
erhielt ich ein ‚Übergangsgeld‘ für sechs Monate. Da ich nun offiziell unschuldig war wie ein Lamm, bewogen meine ehemaligen Lehrer Ernst Fabrizius und Dragendorf die philosophische Fakultät der Universität Freiburg, mich an erster Stelle für ein in Freiburg freigewordenes Ordinariat vorzuschlagen. Der Fakultät wurde jedoch bedeutet, ich sei ‚politisch untragbar‘. So war ich gezwungen, mich nach einem Unterschlupf im Ausland umzusehen, da ich wenig Geld erspart und über die erwähnten sechs Monate hinaus nichts zum Leben hatte. In der Zwischenzeit gab es jedoch noch einige Vorkommnisse, positive und negative, die auf die damalige Situation ein helles Licht werfen. Mein Paß war noch für zwei Jahre gültig und mir im Zusammenhang mit meinen ‚Verfehlungen‘ auch nicht abgenommen worden. Dagegen war der Paß meiner Frau gerade abgelaufen, und sie beantragte daher sofort einen neuen. Wie damals üblich, zog die Paßpolizei vor allem bei unserer Zugehfrau Erkundigungen über uns ein. Diese war mit einem der Werftarbeiter verheiratet, an die der Reichsstatthalter die erwühnte Rede gerichtet hatte, gab aber der Polizei gegenüber die enthusiastischste Auskunft über uns. Dies teilte der PaBbeamte meiner Frau mit, entschloD sich dann aber, meine Frau selbst zu fragen, ob sie ,politisch
zuverlássig' sei. Die Antwort meiner Frau war: ,Das kann ja heutzutage niemand wissen“, worauf der Beamte den neuen Paß für sie ausfertigte. Die Mitteilung meiner endgültigen Entlassung kam im Mittsommer 1955. Wir wollten, um Geld zu sparen, sofort zu den Verwandten meiner Frau nach Oberbayern ziehen. Aber der Mietvertrag für unsere Wohnung in Rostock war so, daD wir erst zum 51. Dezember kündigen konnten. Wir waren daher in großer Sorge, da die Miete für die Rostocker Wohnung nahezu zwei Drittel des mir bewilligten
Übergangsgeldes
aufgezehrt
hätte. Da
der Besitzer des Hauses
ein eifriger
SA-Mann war und von den Gründen meines Wegzugs wissen mufte, dachten wir gar nicht daran, um eine Erleichterung nachzusuchen. Aber als ich ihm ankündigte, daB wir in einer Woche ausziehen wollten, teilte er uns aus freien Stücken
372
ANHANG
mit, er wolle von uns keine Miete über den Tag unseres Auszuges hinaus: eine in den gegebenen Umständen gänzlich unerwartete und überwältigende Generosität. Ich ging dann nach Oberbayern und arbeitete täglich wissenschaftlich an der Münchner Universitätsbibliothek, bis ich gegen Ende des Jahres 1935 von dem Bibliotheksdirektor ohne Angabe eines Grundes die Mitteilung erhielt, daß mir in Zukunft das Betreten der Bibliothek verboten sei. Der Direktor weigerte sich, den
Grund seiner Maßnahme anzugeben. Aber mein verehrter Lehrer, Prof. Eduard Schwartz, erhielt auf seinen energischen Protest hin die Auskunft, ich sei denunziert worden, mit einem jüdischen Kollegen zusammen in eine französische Zeitung gesehen und dabei gelacht zu haben. Das Verbot, die Bibliothek zu betreten, war auf Veranlassung des Dekans der philosophischen Fakultät erfolgt. Glücklicherweise erhielt ich zwei Tage nach meinem Ausschluß aus der Bibliothek die Einladung, auf zwei terms an das Corpus Christ College nach Oxford zu kommen und Vorträge über die Geschichte der antiken Mathematik zu halten.
Dort traf ich auch den erwühnten jüdischen Kollegen, den Historiker Hellmann.? Leider kehrte er, obwohl er in Oxford hütte bleiben kónnen, spüter nach München
zurück und wurde nach ein paar weiteren Jahren in Auschwitz vergast. Während meines Aufenthaltes in Oxford erfuhr ich, daß der einzige Freund, den
ich in Amerika hatte und der kurz zuvor Professor an der University of California geworden war, mir das Angebot einer ‚instructorship‘ (mit dem Titel Professor) am Read College in Portland (Oregon) vermittelt hatte. Trotz des sehr geringen Gehaltes von $ 150.- monatlich, nahm ich sofort an. Es war zwar nicht leicht, mit
Frau und Kind mit diesem Gehalt auszukommen. Aber das College erwies sich in bezug auf Kollegen und Studenten als die netteste Institution, an der ich in einer Lehrtütigkeit von nahezu einem halben Jahrhundert gelehrt habe.
Die Hauptdokumente über das gegen mich eingeleitete Disziplinarverfahren und über meine Entlassung sind noch in meiner Hand.
2
Gemeint ist der Leipziger Ordinarius für mittellateinische Philologie und Geschichte des Mittelalters, Siegmund Hellmann, den v. Fritz im Anschreiben an das IfZ bereits erwähnte, MA 1500/18, Brief v. 50. 4. 1979.
Anhang 10: Liste der durch nationalsozialistische Maßnahmen entlassenen Wissenschaftler in den Fächern: Klassische Philologie, Alte Geschichte, Antike Rechtsgeschichte und Archäologie mit besonderer Berücksichtigung der Vertreibung der Wilamowitzschule! Dem Namen des Wissenschafllers folgen die Lebensdaten, die deutsche Universität, an der er zuletzt beschäftigt war, und der Titel. In manchen Fällen ist auch das
Spezialgebiet genannt. Rechts werden zuerst das Jahr der Entlassung und der Grund der Entlassung, dann das Emigrationsjahr, die Aufnahme-Universität bzw. Institute oder Länder in chronologischer Folge angegeben. In der Regel werden die erste Aufnahme-Universität, das Jahr und evtl. die Universität, an der der Wissenschaftier eine ordentliche Professur erhielt, und die Universität bzw. der
Ort genannt, wo er bzw. sie zuletzt arbeitete bzw. lebte. Im Fall einer Rückkehr nach Deutschland wurde diese eigens vermerkt. In VS sind die ausführlichen Informationen über die Laufbahn und die Migrationswege, über Ehrungen, Mitgliedschaften etc. zu finden. Die Angaben sind uneinheitlich und richten sich nach meinem Informationsstand. „Entlassen“ soll heißen, daß mir die spezielle Entlassungsform unbekannt ist. Das gilt auch in den Fällen, in denen nur „emigriert“
steht: das Emigrationsland etc. ist mir unbekannt. Bei den Nachwuchswissenschaftlern ist links der letzte Studienort bzw. das
letzte Arbeitsverhältnis angegeben. (W) bedeutet Wilamowitzschule, BBG = Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums v. 7. 4. 1933, RBG
= Reichs-
bürgergesetz v. 15. 9. 1935. Zu den Quellenangaben:
G = Gnomon, Band, Seitenzahl gibt den jeweiligen Nachruf an WS2 = Róder/Strauss (1980-1983), Band, Seitenzahl S/B/D5 = Strauss/Buddensieg/Düwell (1987), Teil I-III, Seitenzahl
1
Diese Aufstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie ist vielmehr offen für Ergänzungen und Korrekturen. Ausgewertet und kommentiert wird sie in Abschnitt 3.2.4.
2
Wenn
5
emigriert ist, dann fehlt die Person in dem Handbuch. S/BD enthält den Wiederabdruck der berühmten „List of Displaced German Scholars" (T), die Philip Schwartz im Namen der „Notgemeinschaft Deutscher Wissenschaftler im Ausland“ 1956
RS nicht als Quelle angegeben ist und es sich um einen Wissenschaftler handelt, der
in London veröffentlicht hat. Der Band enthält auch die ,Supplementary List“ von 1957 (IT) und
schließlich den Jahresbericht des „The Emergency Committee in Aid of Displaced Foreign Scholars“ (New York) aus dem Jahr 1941 (III): Er verzeichnet die Namen der Wissenschaftler, die an eine Universität in den USA vermittelt worden sind und den Namen der Aufnahme-Universität.
374
ANHANG
Klassische Philologie 1.
Ludwig J. 6. Bieler*
legte seinen Lehrauftrag aus Protest ge-
20. 10. 1906-2. 5. 1981
gen den Anschluß
Universität Wien Privatdozent
Deutsche Reich im März 1938 nieder; via Schweiz und Frankreich nach Irland, Ordinarius an der Univ. Dublin seit 1960
Österreichs an das
G: 54, 222 f. WS: II, 1, 105 2.
| Ludwig Edelstein
1933 entlassen und Entzug des Lehrauf-
25. 4. 1902-16. 8. 1965
trags; via Italien 1934 nach den USA, Pro-
Universität Berlin Privatdozent, Assistent
fessur 1947, Univ. of Washington in Seattle, 1948 Berkeley Univ., Calif., 1951 Johns Hopkins Univ., Baltimore, 1960 Rockefel-
am Institut für Geschichte der Medizin; Lehrauftrag für Geschichte der exakten Wissenschaften im Altertum
ler Univ., New York
G: 38, 429-432 WS: II, 1, 255 S/B/D: I, 85 5.
Bernhard Floch 92. 8. 1887-8. 7. 1961
Lehrer f. Latein u. Griechisch am Gymnasium, Wien Archáologische Forschungen in Wien und Rom
1958 entlassen; Emigration nach den USA, Member of Faculty der Yeshiva Univ., New York, seit 1940, 1947 Professur
WS: H, 1, 506 4.
Eduard Fraenkel (W)
1955 nach BBG, $ 5 i. d. Ruhestand ver-
17. 5. 1888-5. 2. 1970
setzt;
Universität Freiburg im Breisgau Ordinarius
1954
nach
England,
1955
Oxford,
Corpus Christi College, Professur
G: 45, 654—640 BUS: II, 1, 312; Williams (1970) S/B/D: 1,85
4
Soweit mir Wissenschaftler der Universitit Wien bekannt waren, sind sie hier mit aufgenommen.
Anhang
10:
Liste der durch NS-Mafinahmen entlassenen Wissenschaftler
Hermann Fränkel (W)
7.5. 1888-8. 4. 1977 Universität Göttingen
575
5. 7.1955 beurlaubt; 1955 Stanford Univ., Calif., 1957 Professur
a. 0. Professor
G: 50, 618-621 WS: II, 1, 520 S/B/D: I, 85; IH, 10 Paul Friedländer (W)
21.3. 1882-10. 12. 1968 Universität Halle Ordinarius
G: 41, 619-623 IVS: II, 1, 338 S/B/D: II, 10 Kurt von Fritz
25.8. 1900-16. 7. 1985 Universität Rostock a. 0. Professor G: 58, 285-286;
1955 entlassen, 1958/59 Konzentrationslager
Sachsen-
hausen;
1959 Johns Hopkins Univ., Baltimore, 1940 Univ. of Calif., Los Angeles, 1945 Professur
1955 gem.
nach Eidverweigerung entlassen BBG $ 6; 1956 England, Oxford;
1956/57 USA, Columbia Univ., New York,
1958 Professur; 1954 Rückkehr Freie Un-
iv. Berlin, 1958-1968 Univ. München (vgl. Anhang 9)
Ludwig (1986b) WS: II, 1, 544 S/B/D: I, 85 Heinrich Gomperz 18. 1. 1873-27. 12. 1949 Universität Wien Ordinarius
1954 Zwangsemeritierung Gründen;
aus
polit.
1955-1942 Gastprofessur Southern Univ. Calif., Los Angeles
Griechische Philosophie WS: II, 1, 402
S/B/D: I, 92;
Haller/Stadler (1988) S. 245 Isaak Heinemann
5. 6. 1876-29. 7. 1957 Universität Breslau Honorarprofessor für Hellenistische Philosophie
WS: II, 1, 480 S/B/D: I, 92
1955 entlassen; bis 1958 am Breslauer theologischen Seminar für das Judentum, 1959 Hebrew Univ., Jerusalem Professur
376 10.
ANHANG
Gertrud Herzog-Hauser 15. 6. 1894-9. 10. 1955 Universität Wien Privatdozentin und Direktorin des Mädchengymnasiums Rahlgasse
1958 entlassen;
1939 in die Niederlande
emigriert; spüter in die Schweiz; 1946 a. o. Professur Universität Wien
Mühlberger (1990) S. 42 Wiener Zeitung v. 10. 10. 1953, Nr. 235 11.
Felix Jacoby (W)
19. 5. 1876-10. 11. 1959 Universität Kiel
Ordinarius
1954 beurlaubt, 1955 in den Ruhestand versetzt, bis 1959 in Berlin; dann Oxford; 1956 Rückkehr nach Berlin
G: 52, 587-591; Hofmann (1969) S. 155 ff.; Mensching (1989) S. 17-59
WS: I, 1, 580 12.
Werner Jaeger (W) 50. 7. 1888-19. 10. 1961
nahm 1956 einen Ruf der Univ. of Chicago an, 1959 Harvard Univ., Mass., Professur
Universität Berlin
Ordinarius G: 54, 101-105 Mensching (1989) S. 60-91 WS: II, 1, 561 13.
Ernst Kapp
21. 1. 1888-7. 5. 1978 Universität Hamburg Ordinarius IVS II, 1, 595; Lohse (1991) S. 781 ff., S. 801 und Anm. 122 Ludwig (1984) S. 170 f. und Anm. 54 S/B/D: Il, 12; III, 10 14.
51. 10.1957 nach BBG $ 6 zwangsweise in den Ruhestand versetzt; Januar 1958 nach Oxford; September 1959 an The Tulane Univ. of Louisiana, New Orleans; 1942 visiting lecturer Columbia Univ., New York, 1948 Professur; 1954 Rückkehr Hamburg, München
Walther Kranz (W)
1957 i. d. Ruhestand versetzt;
25. 11. 1884-18. 9. 1960
1945 an die Univ. Istanbul; 1950 Rückkehr Bonn
Universität Halle
Honorarprofessor und bis 1955 Rektor in Schulpforte
Anhang 10: Liste der durch NS-Maßnahmen entlassenen Wissenschaftler
377
G: 32, 782-784; Mensching (1987b) S. 3540 IVS: Il, 1, 657 15.
Yohanan (Hans) Lewy 21.3. 1901-22. 7. 1945 Universität Berlin,
PreuDische Akademie der Wissenschaften Privatdozent
RS: II, 2, 723 S/B/D: I, 86 16.
1955 nach Habilitation keinen Lehrauftrag erhalten, lehrte am jüd. Gymnasium in Berlin und an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums; 1954 emigriert nach Palüstina, Professur Univ. Jerusalem für Hellenistische Philologie
Paul Maas? (W)
am 11.4.1954 nach BBG $6 zwangsweise
18. 11. 1880-15. 7. 1964
in den Ruhestand versetzt; im August 1959 nach Oxford, Adviser , to the Claren-
Universität Königsberg Ordinarius
don Press“
G: 37, 219-221 WS: II, 2, 759 S/B/D: I, 86 17.
Willy Morél 8. 8. 1894-9. 4. 1975 Privatgelehrter in Frankfurt am Main Herausgeber der „Fragmenta Poetarum Latinorum*
am 9. November 1958 verhaftet; emigrierte 1959 nach England, lebte seit den 40er
Jahren in London; ab 1956 auch in Deutschland publiziert; in London gestorben
Ludwig (1984) S. 162 und Anm. 14 Mensching (1990) S. 48-65
18.
Otto Neugebauer 96. 5. 1899-
1954 beurlaubt,
Universität Göttingen a. o. Professor
für Geschichte
der Mathematik am Mathematischen Institut
5
1955 entlassen; 1954 Univ. Kopenhagen, 1939 via Schottland nach den USA, Brown Univ., Providence,
Professur
Paul Maas blieb nach seiner Entlassung in Königsberg. Am 11. November 1959 wurde er verhaftet. Vom späteren britischen Gesundheitsminister John Enoch Powell, einem klassischen Philologen, wurde Maas die Einreise nach England ermóglicht. Diese Information verdanke ich Herrn Prof. Albrecht Dihle. Vgl. auch die kurze Notiz: ,Paul Maas gestorben.", in: Frankfurter Neue Presse, 20. 7. 1964, Nr. 165, S. 4, und neuerdings die eingehende Studie: Mensching (19872), bes. S. 9, S. 65-75, S. 135 f., über die genauen Umstände von Maas’ Emigration, zu der
auch Bruno Snell unterstützend und rettend den letzten Anstoß gab.
378
ANHANG
EIVS: II, 2, 855;
Schappacher (1987) S. 547 IT.
S/B/D: III, 12 19.
Eduard Norden
„von den amtlichen Pflichten entbunden“
21.9. 1868-13. 7. 1941
seit Mürz 1955, 25. 7. 1955 emeritiert, bis
Universität Berlin
1958 in Berlin; dann Zürich
Ordinarius
R/S: II, 2, 867; Mensching (1987b) S. 44-106 20.
Rudolf Pfeiffer (W)
1957 nach BBG $ 6 i. d. vorzeitigen Ruhe-
98. 9. 1889-6. 6. 1979
stand versetzt;
Universität München
Corpus Christi College;
Ordinarius
1957
nach
England
emigriert,
Oxford,
1951 Rückkehr München
G: 52, 402 - 409; Mensching (1989) S. 95 ff. ΒΟ: II, 2, 901 S/B/D: II, 12 21.
Erik Peterson
7. 6. 1890—26. 10. 1960 Universität Bonn Hon.-Professor f. Religionsgeschichte des Hellenismus
1955 Hon.-Professur aufgehoben; Oktober 1955 DAI Rom, Professur
am
Pontif. Istit. d'Archeologia christiana; 1946 Einladung zur Rückkehr nach Bonn abgelehnt
G: 33, 429-432 22.
Georg Rohde (W)
23. 12. 1899-21. 10. 1960 Universität Marburg
1954 entlassen bzw. selbst gekündigt? 1955 Univ. Ankara/Türkei, Professur; 1949 Rückkehr an die Freie Univ. Berlin
Privatdozent
G: 55, 109-111 IVS: 11, 2, 977 Ernst Fraenkel (1961) S. 1-7 Mensching (1988) S. 5-16 S/B/D: I, 86
23.
Friedrich Solmsen (W) 4. 2. 1904-30. 1. 1989 Universität Berlin Privatdozent
1955 entlassen;
1955 Cambridge Univ., England; 1957 nach den USA,
1940 Cornell Univ., Ithaca, 1947 Professur
Anhang 10: Liste der durch NS-Maßnahmen entlassenen Wissenschaftler
379
G: 61, 757-759 WS: II, 2, 1095;
Solmsen (1979), Mensching (1990) S. 64-114 S/B/D: I, 86; III, 11 24.
Richard Walzer (W)
1955 entlassen;
14. 7. 1900-16. 4. 1975
emigriert nach Italien, Rom
Universität Berlin Privatdozent
(Univ.), lec-
turer; 1958 Oxford, St. Catharine's College;
Klass. Altertumswissenschaft u.
ur)
Orientalistik
1970 in Oxford emeritiert
Honorarprofessor der Univ. Ham-
G: 48, 221 f. IV: II, 2, 1206
Mensching (1990) S. 65-68, 81, 84 f., 87 f., 95 f. S/B/D: I, 86 Nach S/B/D, I, 85 f. sind folgende klassische Philologen, die als Bibliothekare gearbeitet haben, 1933-1935 entlassen worden: Dr. Ernst Daniel Goldschmidt (geb.
1895, bis 1955 Preuß. Staatsbibl. Berlin, vgl. R/S: I, 1, 595);Dr. Günther Goldschmidt (geb. 1894, bis 1955 Univ.-Bibl. Münster, 1954: Univ.-Bibl. Bern); Dr. Ernst Honigmann (geb. 1892, bis 1955 Preuß. Staatsbibl. Berlin, seit 1954: Universität Brüssel,
vgl. WS: II, 1, 558); Dr. Anneliese Modrzé (geb. 1901, bis 1955 Preuß. Staatsbibl. Berlin; 1954 Research Assistant Oxford Univ. Libr.).
Nichtemigrierte klassische Philologen 25.
Josef Bick 1880-1952 Universität Wien
1958 verhaftet und in die Konzentrationslager Dachau, spüter Sachsenhausen verschleppt; 1958 entlassen ohne Ruhege-
Ordinarius
halt; 1945/46 wieder an der Universität Wien
Mühlberger (1990) S. 38, 55 (Abb.) 26.
Ernst Grumach 7. 11. 1902-5. 10. 1967
1933 entlassen, 1957 als klassischer Philologie nach Berlin berufen an die „Lehr-
anstalt9. Nach Auflösung der Lehranstalt pniversitit Königsberg
6
zur Zwangsarbeit verurteilt;
Die „Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums“ wurde im Laufe der 50er Jahre um die an Universitäten üblichen Fächer erweitert und damit zur letzten universitären Ausbildungsstätte in Deutschland für viele jüdische Studenten, die an den Universitäten nicht mehr zugelassen worden waren. Sie konnte sich bis 1942 halten, dann wurde sie aufgelöst. Vor 1955
hieß sie „Hochschule für die Wissenschaft des Judentums“. 1055 wurde sie umbenannt. Vgl. zur Geschichte der „Lehranstalt“ auch Fuchs (1067) S. 5-51 und Weltsch (1972) S. XI ff.
580
ANHANG
G: 40, 221-223 S/B/D: 1,86 Mensching (1989) S. 102 27.
Rudolf Helm
1872-1966
1949 Professor an der Humboldt-Universität Berlin;
in London gestorben 1955 im Alter von 61 Jahren vorzeitig in den Ruhestand versetzt
Universität Rostock
Ordinarius Ludwig (1984) 8. 162 und Anm. 6 28.
Kurt Latte (W) 9. 5. 1891-18. 6. 1964 Universität Göttingen Ordinarius G: 37, 215-219;
neuerdings auch Classen (1989b) S/B/D: Il, 12
zum 1. 10. 1955 beurlaubt, zum 51. 12. 1955 in den Ruhestand versetzt
aufgrund $ 4 der 1. Durchführungsverordnung vom 14. 11. 1955 zum RBG; 1956/57 vis. Prof. an der Univ. of Chicago; dann Hamburg, ab Juli 1945 versteckt gelebt im Rheinland und bei Osterode/Harz; seit 1. 10. 1945 Lehrstuhlvertretung und seit 1. 11. 1946 wieder Ordinarius an der Univ. Góttingen;
1957 emeritiert 29.
Karl Mras
6. 6. 1877-7. 7. 1962 Universitüt Wien Ordinarius
1958 beurlaubt, dann in den Ruhestand versetzt; blieb in Wien;
1945/46 wieder Ordinarius
G: 55, 107-110 Mühlberger (1990) S. 44 30.
Robert Philippson? 1858-1942 Studienrat in Magdeburg Hellenistische Philosophie
1955 entlassen; 1942 im oder auf dem Weg in das Konzentrationslager Theresienstadt gestorben
(Epikur und seine Schule) 31.
Otto Regenbogen (W)
am 19. 9. 1955 beurlaubt$,
14. 2. 1891-8. 11. 1966
am 94. 9. 1957 gem. BBG $ 6 in den Ruhe-
Universität Heidelberg Ordinarius 7 8
stand versetzt;
in Heidelberg geblieben
Vgl. W. Schmid (1948) S. 115-115 und ders. (1969) S. 169-172. ᾿ Gegen O. Regenbogen wurde ein Disziplinarverfahren eröffnet, weil er in dem Fragebogen angegeben hatte, daß seine Ehefrau ,arisch* sei, obwohl eine Großmutter jüdisch war. Vgl. UAG, R, 5205 b, Bd. Il, NS-Dozentenschaft d. Univ. Heidelberg an Rektor in Göttingen, Heidel-
berg, 50. 9. 1935, und Vezina (1982) S. 115.
381
Anhang 10: Liste der durch NS-Maßnahmen entiassenen Wissenschaftler
G: 59, 219-221; Vezina (1982) S. 115 f. S/B/D: I, 86 52.
Konrat Ziegler 9. 1. 1884-8. 1. 1974
am 2. 5. 1955 beurlaubt gem. $ 4 des BBG, am 28. 9. 1933 entlassen; 1934-1943 in
Universität Greifswald
Berlin
Ordinarius
rode/Harz;
G: 46, 656—640; Gärtner (1980) Mensching (1990) S. 547 S/B/D: 1, 86
Góttingen
als
Privatgelehrter,
dann
Oste-
ab 14. 7. 1946 Lehrauftrag an der Univ.
Wissenschaftlicher Nachwuchs? 55.
Herbert Bloch
1955 nach Italien emigriert, 1955 Promo-
8. 8. 1911-
tion
. . . Universität Berlin Studium
USA, Harvard Univ., Mass., 1941 Member of Faculty, 1953 Professur 'y
an
der
Univ.
Rom;
1959
nach
den
EVS: Il, 1, 119 54.
Rudolf Blum 1905-
1954 nach Italien emigriert, Universität Florenz
Universität Berlin Inst. f. Gesch. d. Medizin; Forschung S/B/D: I, 85
55.
Martin Braun!
1954
nach
England
1904-
Coll., Cambridge Univ.
emigriert,
Trinity
zuletzt Lektorat an der Universitüt Mailand Lit. u. Geschichte des Hellenis-
mus
S/B/D: 1, 85
9 Ludwig (1984) S. 162 nennt noch Martin Ostwald (vgl. R/S: I1, 2, 880, 1922 in Dortmund geboren) und Thomas G. Rosenmeyer (vgl. R/S: II, 2, 987, 1920 in Hamburg geboren), die erst im
Emigrationsiand klassische Philologen wurden. 10 Vielleicht ein Bruder von Joachim Werner Braun, vgl. R/S: II, 1, 145.
382 36.
ANHANG
1955-1957
Karl Oskar Brink 1907-
München
am
Thesaurus in München;
zuletzt Thesaurus Linguae Latinae,
Rockefeller-Stipendium
und
Mitheraus-
1958 emigriert, England
Professur
Cambridge/
geber der „Antike“ (bis 1955)
Ludwig (1984) S. 162 u. 167 S/B/D: II, 12 37.
Paul Oskar Kristeller
22.5. 1905Universität Freiburg/B. Arbeit an der Habilitation bis 1933, Stipendiat der Notgemeinschaft d. Dt. Wiss. u. Forsch.
1854 1955 1959 1956
nach Italien emigriert, Lektor Univ. Pisa; Columbia Univ., New York/USA, Professur
WS: II, 1, 666 S/B/D: II, 12 38.
Friedrich W. Lenz (W) 1896-15. 11. 1969 Universität Berlin Stipendiat der Notgem. d. Dt. Wiss. u. Forsch. zuletzt Lehrer am Gymnasium Minden
1955 entlassen; 1954 nach Italien, Florenz, emigriert; 1959 USA, Yale Univ.,
1945 Professur, 1958 Austin Univ., Texas
G: 45, 526-527 S/B/D: 1, 86; III, 10 39.
Anthony Eric Raubitschek 4. 12. 1912-
Universität Wien ab 1956 Forschungsstipendien Epigraphik
1958 nach den USA emigriert, Member of Inst. f. Advanced Study, Princeton; 1962 vis. Professor in Bonn, Heidelberg; 1963 Professur, Stanford Univ., Calif.
WS: II, 2, 943 S/B/D: HI, 6 40.
Wilhelm Rechnitz (W) 24. 10. 18991924 promoviert an der Universität Berlin; 1951-1955 Herausgeber der Bibliotheca Philologica Classica bei Teubner in Leipzig
IVS: II, 2, 945
1954 nach England emigriert, 1940 interniert und nach Australien abgeschoben,
Lecturer an diversen Colleges
383
Anhang 10: Liste der durch NS-Maßnahmen entlassenen Wissenschaftler
41.
Eilhard Schlesinger 28. 12. 1909-15. 8. 1968 1955 Univ. Gießen promoviert, Lehrer am Philippinum
Gymnasium in Marburg
Mai 1933 entlassen; 1959 nach Argentinien, Univ. Tucuman, La Plata, Buenos Aires, Professur;
1966 Rückkehr, Honorarprofessur an der Univ. Mainz, 1968 Tod durch Autounfall
G: 41, 430-432 WS: II, 2, 1054 S/B/D: 1, 86 42.
Otto Skutsch (W) 6. 12. 1906-1990 1951 an Univ. Góttingen promoviert, zuletzt Thesaurus Linguae Latinae in München Stipendiat
1955 Stip. entzogen; 1954
nach
England
emigriert,
St.
An-
drews Univ., Schottland, 1959 Univ. Manchester,
1951 Professur Univ. of London
RVS: II, 2, 1090 Skutsch (1982) S. 401 S/B/D: 1, 86 43.
Franz Stoessl
2. 5. 1910Lehrer am Gymnasium in Wien
WS: II, 2, 1152
1958 entlassen; 1959 in die Schweiz emigriert, Privatdozent Univ. Zürich,
1948 1950 sist. 1952
Tit. Professur; Univ. New Brunswick, Canada, AsProf.; Rückkehr nach Wien,
1954 a. o. Prof.,
1964 o. Professur Univ. Graz
44.
Luitpold Wallach 6. 2. 1910Universität Berlin,
Tübingen 1852 Promotion,
1937-1939 Bezirksrabbiner von Góppingen
9. November 1958 wührend der ,Reichskristallnacht“ verhaftet und nach Dachau verschleppt; 1959 gelang ihm die Emigration nach den USA, 1947 Ph. D. Cornell
Univ.,
Ithaca,
1951
Assist. Prof., 1962 Professur in Classics
WS: II, 2, 1204 45.
Felix Martin Wassermann
1897-10. 2. 1976 Gymnasium, Mannheim
G: 48, 421—425
1955 entlassen; nach den USA emigriert, 1958 Beloit College, Wisc., spüter Marquette Univ., Wisc., Professur
384 46.
ANHANG
1933 entlassen, Mitarbeit unter W. Kroll an der Redaktion von „Glotta“ und Autor
Stefan Weinstock
7. 11. 1901-5. 6. 1971
bei der RE d. Class. Altertumswiss.; von
1926 promoviert an der Universität Breslau
47.
F. Cumont 1937 an die Vatikan. Bibliothek in Rom geholt;
1950-1955 Gymnasiallehrer
1939 London, 1940 Oxford, Member, spä-
G: 46, 217-220
ter Fellow Exeter College
Günther Zuntz
1933 entlassen;
28. 1. 1902-
1935 Univ. Kopenhagen, Mitarbeit an den
Universität Marburg
Monumenta Musicae Byzantinae;
1938 nach England,
Promotion
1939 Oxford
1 926-1955 Studienrat in Marburg und Kassel
1947 Member of Faculty Univ. Manchester
WS: Il, 2, 1286;
1965 Professur
Kürschner (1985)
Alte Geschichte!! 48.
Elias J. Bickermann
1. 7. 1897-13. 8. 1981 Universität Berlin Privatdozent
G: 54, 225-294 WS: II, 1, 105 S/B/D: 1, 41 49.
Clemens Emin Bosch
6. 10. 1899-22. 7. 1955 Universität Halle Privatdozent
1953 entlassen; 1954 verläßt B. aus Protest
Berlin
und
emigriert
nach
Frankreich,
Paris: École Prat. des Hautes Étud.; 1942 USA, New School for Social Research, New York, 1952 Professur, Columbia Univ., New
York, und Fellow: Jew. Theol. Semin. of America 1935 entlassen; 1935 zuerst Ankara, dann Univ. Istanbul, Türkei,
1939 Professur
R/S: II, 1, 155 S/B/D: 1, 41 50.
Victor L. Ehrenberg 22. 11. 1891—25. 1. 1975
1939 nach England emigriert, 1946 Univ. of London
Universität Frankfurt am Main Privatdozent
Deutsche Universität Prag a. 0. Professor
G: 48, 423-426 RVS: II, 1, 258 11 Vgl.auch den Abschnitt: „Deutsche Althistoriker als Opfer politischer und rassischer Verfolgung zwischen 1955 und 1945", in: Losemann (1977) S. 50-45.
Anhang
51.
10:
Liste der durch NS-Maßnahmen
Fritz Moritz Heichelheim!? 6. 5. 1901-22. 4. 1968
Universität Gießen Privatdozent
Papyrus-Projekt Toronto - Gie-
Ben; Gastprofessuren in Marburg, Berlin,
GieDen
Richard A. Laqueur (W)
1955 nach
27. 5. 1881-25. 11. 1959
1959 USA als Privatgelehrter (fand keine Anstellung); 1952 Rückkehr nach Hamburg als Privatgelehrter, 1959 Honorarprofessur Univ. Hamburg
Hans Liebeschütz
5. 19. 1895-2. 10. 1978 Universität Hamburg Privatdozent und Lehrer an der Lichtwarkschule in Hamburg Alte u. Mittelalterl. Geschichte WS: II, 2, 728 Lohse (1991) S. 780 f., 784, 794 f. und Anm. 90 S/B/D: I, 45
54.
am 5. 5. 1955 gem. BBG $ 3 entlassen; 1955 nach England emigriert, Stipendiat Univ. Cambridge, 1942 Member of Facul-
to, 1951
Universität Halle Ordinarius IVS: II, 2, 694
55.
385
ty, Univ. Nottingham, 1948 nach Canada, Professur Univ. Toron-
G: 41, 221-224 WS: II, 1, 474 S/B/D: I, 42 52.
entlassenen Wissenschaftler
Georg Ostrogorsky
RBG
i. d. Ruhestand
versetzt;
26. 3. 1954 Entzug der Venia legendi, seit 1956 Dozent an der Lehranstalt f. d. Wiss. d. Judentums in Berlin, 1958 zweimal verhaftet, Konzentrationslager Sachsenhau-
sen; März 1959 nach England, Warburg Inst., London, und Lehrer an versch. Schulen,
1946 Member of Faculty Univ. Liverpool, 1947 Univ. of London; 1958 Hon.-Prof. emer., Univ. Hamburg, Vorlesungen an deutschen Universitüten; in England gestorben
1955 entlassen
1902Universität Breslau Privatdozent
Byzantinistik S/B/D: I, 45
55.
Hans Georg Pflaum
1955 nach Paris emigriert, z. T. Internie-
5. 6. 1902-26. 12. 1979
rung, überlebte versteckt; 1947: thése; École Pratique des Hautes Études, Epigraphik, Mitgl. British Acad., Akad. d.
Universität Berlin Studium der Alten und Jura
12
Geschichte
Wiss.
Göttingen,
etc.;
Member
Inst.
for
Adv. Study in Princeton, in Linz gestorben
Zu Heichelheim vgl. auch Wiesehófer (1985) S. 558 fT.
386
ANHANG
G: 52, 203-206; Bibliogr.: Arh. Vestnik
28, 1977, 235-244 56.
Arthur Rosenberg
19. 12. 1889-7. 2. 1945 Universität Berlin a. 0. Professor (für Alte Geschichte und Soziologie)
1955 entlassen; Flucht nach Zürich;
1954 Univ. Liverpool; 1958 Professur Brooklyn York
College,
New
WS: I, 612 S/B/D: 1, 45 57.
Franz Schehl
April 1958 beurlaubt!?; später an der Prio-
20. 1. 1898-
ry School, Portsmouth, USA; keine Rückkehr
Universität Graz a. 0. Professor
Rhode
Island,
Epigraphik und Papyrologie Losemann (1977) S. 41, 185, 202
58.
Ernst Edward Aurel Stein
19. 9. 1891-25. 2. 1945
59.
1952-1954 vis. Professor Univ. Brüssel (vom 50. 1. 1955 an Veróffentlichungen nur in franzósischer Sprache), legte seine
Universität Berlin a. o. Professor
Ämter 1955 aus Protest nieder; 1954 USA;
B/S: II, 2, 1110 S/B/D: I, 45
dann Univ. Paris; 1942 Univ. Genf
Eugen Tüubler!*
legte 1955 aus Protest seine Ámter nieder,
10. 10. 1879-13. 8. 1955
1955-1941 an der Berliner ,Lehranstalt"; dann USA, Hebrew Union College, Cincinatti, Ohio
Universität Heidelberg Ordinarius; Mitglied d. Akad. d. Wiss.
1957
Univ.
Louvain,
Belgien,
Professur;
WS: Il, 2, 1151 S/B/D: I, 44
15
Losemann schreibt zwar April 1959, es kann aber nur 1958 gemeint sein: der AnschluD Österreichs erfolgte am 12. März 1958 (S. 185 richtig: 1958, vgl. auch S. 202, Anm. 111). 14 Vgl. in Täubler (1985) die Einleitung von J. v. Ungern-Sternberg, S. VI-XIX, zu Täublers Leben und Werk.
387
Anhang 10: Liste der durch NS-Maßnahmen entlassenen Wissenschaftler
Nichtemigrierte Althistoriker 60.
Edmund Groag
im März 1958 entlassen, lebte versteckt in Wien, bis 1959 Mitarbeiter der Berliner
2. 2. 1875-19. 8. 1945
Akademie der Wissenschaften (Prosopographia Imperii Romani, Bde. 1-1IT)
Universität Wien a. 0. Professor und Oberstaatsbibliothekar
der Österreichischen Nationalbibliothek Graw/Schlicker/Zeil (1979) S. 318; Losemann (1977) S. 42, S. 203, 5. 221;
Vorlesungsverz. Univ. Wien: Personalstand 1938/1939 61.
1958 als Opfer einer Denunziation im Alter von 45 Jahren entlassen; Ende seiner wissenschaftlichen Laufbahn
Johannes Hasebroeck
14. 4. 1893-15. 2. 1957 Universität Köln Ordinarius
Losemann S. 901 f. 62.
(1977) S. 41, S. 184,
Siegmund Hellmann 1872-194.
entlassen,
wahrscheinlich
zwangsweise
in den Ruhestand versetzt, 1955 in Mün-
Universität Leipzig Ordinarius Mittellatein. Philologie und Geschichte des Mittelalters
chen (vgl. Anhang 9); 1956 Corpus Christi College, Oxford; kehrte nach München zurück, wurde nach Auschwitz verschleppt und dort ermordet
S/B/D: I, 42 Kurt von Fritz, siehe Anhang
9,
S. 372 63.
Friedrich H. Münzer
22. 4. 1868-20. 10. 1942 Universität Münster Ordinarius
emeritiert und am 31. 12. 1955 Entzug der Lehrerlaubnis nach RBG, 1958 Publikationsverbot, Juli 1942 nach Theresien-
stadt verschleppt und dort gestorben
Kneppe/Wiesehöfer (1983) und dies. (1985) Arthur Stein
1959
10. 6. 1871-15. 11. 1950
tionslager Theresienstadt
Deutsche Universität Prag Losemann
S. 205
(1977) S. 42, S. 185,
emeritiert,
5 Jahre
im
Konzentra-
388 65.
ANHANG
Hermann Strasburger 21.6. 1909Lehrbeauftragter an der Universität Freiburg i. Br.
am 28. 6. 1934 Lehrauftrag entzogen; nach Gutachten des Reichs-Sachverständigen für Rassenfragen Achim Gehrke von der akademischen Laufbahn ausgeschlossen:
Habilitationsgesuch
an
der
Schmitthenner, W.
Univ. Frankfurt a. M. 1956 zurückgewie-
Biographische Vorbemerkung. In: Strasburger (1982) S. XVII-XXXIV
sen; lebt teilweise in München; nach 1958
kaum
Publikationsmöglichkeiten
in
Deutschland; Auftrag der Oxford Univ. Press für ein Buch über Caesar; 19401945 Soldat; 1945-1945 schwer verwun-
det im Lazarett
Antike Rechtsgeschichte!5 66.
Stephan Brassloff 18. 6. 1875-1945 Universität Wien a. 0. Professor Rómisches Recht
1958 entlassen; 1959 Ruhegehalt aberkannt; 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert und dort gestorben
Góppinger (1990) S. 240 Mühlberger (1990) S. 12, 15 (Abb.) 67.
David Daube
8. 2. 1909Universität Göttingen Assistent
WS: II, 1, 204; Halfmann (1987) S. 96 f., S. 118 f. S/B/D: I, 45 68.
Martin David 1898-
Universität Leipzig Privatdozent Papyrologie WS: II, 1, 205 S/B/D: I, 45
15
1955 entlassen und nach England griert, 1956 Ph. D. Univ. Cambridge,
emi-
1951 Professur Univ. Aberdeen, Schottland, 1955 Oxford, All Souls College; 1966 Ho-
norarprofessor Univ. Konstanz; 1970 nach den USA, Berkeley, Calif. 1955 entlassen und in die Niederlande emigriert, 1955 Forscher an der Univ. Leiden, mit Familie zuerst im Konzentrationsla-
ger Westerbork interniert, später nach Theresienstadt verschleppt, nach der Befreiung
Rückkehr
an
die
Univ.
Leiden,
Professur und Direktor des Leidener Inst. f. Papyrologie
Vgl. dazu auch Góppinger (1965) und ders. (1990).
Anhang 10: Liste der durch NS-Maßnahmen entlassenen Wissenschaftler
69.
Friedrich A. Ebrard 1891-
389
1954 entlassen
Universität Hamburg a. 0. Professor Byzantin. Rechtsgeschichte, Papyrologie S/B/D: I, 45 70.
Arnold Ehrhardt
1955 entlassen;
14. 5. 1903-18. 5. 1965
1954/55
Universität Frankfurt am Main Privatdozent
Lektorat
Lausanne
Univ,
Schweiz;
1956/57 nach England emigriert, Professor für Patristik Univ. Manchester
(Schüler von Pringsheim) 71.
Ernst Levy 25. 12. 1881-14. 9. 1968 Universität Heidelberg Ordinarius
1955 entlassen; 1956 in die USA emigriert,
1957 Univ. Washington, Professor of Law History; 1952 Basel
WS: II, 2, 717 S/B/D: 1, 48 72.
Fritz Pringsheim 7. 10. 1882-24. 4. 1967 Universitüt Freiburg/B. (und gleichzeitig Góttingen) Ordinarius
1955 nach $ 5 BBG beurlaubt, dann wegen Teilnahme am 1. Weltkrieg bis 1955 im Amt belassen, 1956 Berlin; 1959 nach England, Oxford;
1951 Univ. Freiburg/B. als , visiting Professor“
G: 59, 752-755 EVS: II, 2, 929 S/B/D: I, 49 75.
Ernst Rabel
1935 entlassen; 1959 nach den USA emi-
98. 1. 1874-7. 9. 1955
griert,
Universität Berlin Ordinarius und Gründer des Kaiser-WilhelmInstituts für Ausl. und Internat. Privatrecht in Berlin
WS: II, 2, 954
Law
School
Ann
Arbor,
Michigan,
1940
Professur; Honorarprofessor in Tübingen und Freie Univ. Berlin nach dem Krieg, in Zürich gestorben
3590 74.
ANHANG
Fritz Schulz 16. 6. 1879-12. 11. 1957 Universität Berlin Ordinarius
75.
1954 beurlaubt,
1955 zwangsweise
i. d. Ruhestand
ver-
setzt; 1959 via Holland nach England, Oxford, Tutor;
1951 Honorarprofessor Univ. Bonn, in Ox-
WS: II, 2, 1054 S/B/D: I, 49
ford gestorben
Andreas B. Schwarz
1955 entlassen; 1954 Professur an der Univ. Istanbul, Türkei; später Gastprofessor Univ. Freiburg/Breisgau
17. 2. 1886-11. 9. 1955 Universität Freiburg/B. Ordinarius Róm. Recht, Papyrologie WS: II, 2, 1059 S/B/D: I, 50 76.
Hans Julius Wolff
1933 nach
27. 8. 1909-25. 8. 1985
entlassen, bis 1935 in München; 1935 Professur Univ. Panama; 1959 USA, Studium und verschiedene Stellen, 1945 Professur; 1952 Ordinarius Univ. Mainz,
Universität Berlin und Góttingen Assessor Thesaurus Linguae Latinae in München bis 1955
BBG
aus preuß.
Justizdienst
1955 Freiburg/B.
G: 59, 85-84 WS: II, 2, 1261 S/B/D: I, 50; III, 12
Archüologie!$ 77.
Margarete Bieber 51. 7. 1879-25. 2. 1978 Universität Gießen 8. 0. Professor
1. 7. 1955 entlassen;
1955/54 Hon. Research Fellow Sommerville Coll. Oxford, England; 1954 Columbia Univ., New York, Profes-
sur
G: 51, 621-624 R/S: II, 1, 104 S/B/D: I, 7; 11,5
16
Für zahlreiche Hinweise bei der Zusammenstellung Hartmut Dóhl (Góttingen).
der Liste danke
ich Herrn
Professor
501
Anhang 10: Liste der durch NS-Maßnahmen entlassenen Wissenschaftler
78.
Gerhard Bersu
1957 entlassen; nach England emigriert,
26. 9. 1889-19. 11. 1964
1947 Professur Univ. Dublin;
Universität Frankfurt am Main Direktor des Deutschen
1950 Rückkehr Univ. Frankfurt am Main
Archäologischen Instituts WS: II, 1, 98 79.
Otto J. Brendel
10. 10. 1901-8. 10. 1973 Universität Erlangen Privatdozent
80.
1955 an das Deutsche Archáologische Institut in Rom; 1956 nach England als Stipendiat des Kings College, Durham; 1958 USA, 1941 Indiana
Univ.
Bloom-
ΒΛ: II, 1, 151 S/W/D: 1, 7
ington,
Paul F. Jacobsthal (W)
1955 entlassen; nach England emigriert, 1956 Christ Church College, Oxford,
25. 2. 1880-27. 10. 1957 Universität Marburg Ordinarius
1948
Professur,
1956
Columbia
Univ., New York
Member of Faculty, in Oxford gestorben
G: 29, 637-638 WS: II, 1, 559 S/B/D: 1, 7 81.
Georg Karo 11. 1. 1872-12. 11. 1965 Universität Halle Ordinarius
1950-1956 Direktor des DAI Athen, 1956 entlassen, bis 1959 in München; dann USA, Gastprofessor an diversen Univ.;
1955 Rückkehr, Univ. Freiburg/B. als Honorarprofessor
G: 56, 657-640 WS: II, 1, 596 82.
Karl Lehmann-Hartleben (W)
1955 legte er aus Protest seine Ámter nie-
27.9. 1894-17. 12. 1960
der (Teilnehmer am Ersten Weltkrieg); nach Italien als Privatgelehrter; 1955
Universität Münster
Ordinarius und Direktor des
Archäologischen Museums
G: 55, 526-528 WS: II, 2, 702 f. S/B/D: I, 7
nach USA, Professur New York Univ., Inst.
of Fine Arts, Museum
gleichzeitig
Metropolitan
392 83.
ANHANG
Otto J. Maenchen-Helfen
26. 7. 1894—99. 1. 1969 Universität Wien Privatdozent
1955 Angebot der Univ. Berlin, die Venia legendi zu erhalten abgelehnt, wegen damit verbundener Auflage, in den NSDDozentenbund einzutreten;
1958
ES: II, 2, 76 f.
nach
USA
emigriert,
1959-1947
Member of Faculty Mills Coll. Oakland, Calif., 1942 Professur
1947 Univ. Calif., Berkeley
84.
Valentin Müller
25. 9. 1889-17. 10. 1945
1951 in die USA als a. o. Professor an das Bryn Mawr College berufen
Universität Berlin a. 0. Professor
G: 21, 182-185
Wissenschaftlicher Nachwuchs
85.
Bernhard v. Bothmer
Promotionsverbot
15. 10. 1912-
tigkeit; November 19358 nach Frankreich; 1939 Schweiz; 1941 USA, 1946 Curator
Universität Berlin
wegen
Untergrundtä-
Assistent der Ägypt.
Museum of Fine Arts, Boston, 1956 Mem-
Abt. d. Staatl. Museen 1952-1958
fessur
ber of Faculty Univ. New York, 1960 Pro-
WS: II, 1, 156 86.
Dietrich F. v. Bothmer
26. 10. 1918Universität Berlin Studium
RS: II, 1, 156
wegen regimekritischer Haltung am StudienabschluB gehindert; 1958 nach England emigriert, Oxford Diplom in Klass. Archüologie
1959;
1959
nach
den
USA,
1944 Ph. D. in Class. Arch. an der Univ. Berkeley, 1946 Metropolitan Museum, New York, 1965 Professur New York Univ.,
Inst. of Fine Arts 87.
Georg M. A. Hanfmann 20. 11. 1911Universität Berlin 1954 Promotion
1954 nach den USA emigriert, Stipendiat d. Johns Hopkins Univ., Balt., 1955 Mem-
ber of Faculty Harvard University, 1956 Professur, 1971/72: Inst. for Advanced Study, Princeton
WS: Il, 1, 457 88.
Hans Horkheimer
20. 6. 1901-24. 10. 1965 Universität Erlangen 1925 Promotion
WS: II, 1, 559
bis 1954 als Journalist tátig in Berlin; 1959 nach Peru emigriert, Professor für Archáologie an der Univ. Trujillo, 1947 im Kultusminist. Lima, 1960 Gast-Prof. Univ. Lima; 1964 Gast-Prof. Univ. Bonn
Anhang 10: Liste der durch NS-Maßnahmen entlassenen Wissenschaftler
89.
Peter Penuel Kahane 1904-12. 2. 1974 Universitát München Studium
90.
1955 an das DAI Athen; 1957 Promotion Univ. Basel; 1958 nach Palástina, Hauptkonservator des Bronfman-Museums;
1969 Gast-Prof. in Missouri; in Basel ge-
EV: il, 1, 580
storben
Henri Heinz Lehmann
1955 nach Frankreich emigriert, franzó-
14. 5. 1905-
sischer Staatsbürger, 1939-1940 Soldat in der franz. Armee;
Universität Berlin Forschungsassistent an Berliner Museen B/S: HI, 2, 702
1941 archäolog. Expedition nach Kolumbien,
1942-1945
Gründer
Friedrich Lorentz
und
Direktor
des Arch. Museums „CAUCA“ in Popayan, Kolumbien; 1945 Rückkehr
nach
Direktor d. Amerikan. l'Homme in Paris 91.
595
Frankreich,
Abt. d. Musée
1946
de
1957 entlassen
1902Universität Köln
S/B/D: H, 5
92.
Edith Porada 22.8. 1912-
Universität Wien Promotion 1935
1940 in die USA emigriert als Stipendiatin der American Philosophical Society; 1949/50 Instructor Queens College, New York; 1955 Assist. Professor;
1965 Professor Columbia Univ., New York
Archiv f. Dokumentation des österreichischen Widerstands, Nr. 6217
95.
Karl Schefold
26. 1. 1905Universität Berlin Assistent am DAI in Rom
IV'S: II, 2, 1026
1955 via DAI Athen in die Schweiz emigriert, 1956 Privatdozent, Univ. Basel, 1955 Ordinarius
394
94.
ANHANG
Wilhelm H. Schwabacher
22.7. 1897-50. 8. 1972 Universitätsbibliothek Erlangen Numismatiker
1932 Stipendiat des DAI Athen
1955 Ausgrabungen in der Türkei, 1955 von den Ausgrabungen ausgeschlossen; nach Griechenland emigriert; 1958 nach England/British
1959 Danish penhagen;
Museum;
Royal Coin Collect. in Ko-
1945
Flucht nach
Schweden,
Univ. Stockholm; 1965 Gastprofessor Univ. Princeton, in Stockholm gestorben
EVS: II, 2, 1058 S/B/D: 1,7 95.
Hermine Speier 28. 5. 1898-12. 1. 1989 Assistentin Universität Köngisberg (1926-1928) seit 1928 Deutsches Archäologisches Institut in Rom G: 62, 579-582;
1954 am Dt. Arch. Inst. in Rom entlassen;
vom Vatikan aufgenommen und mit Aufbau des Photo-Archivs beauftragt; Betreuung der vatikanischen Antikensammlung; zeitweise in Frauenklóstern versteckt; 1961 Direktorin der Antikensammlung;
Mitglied der Pontificia Accademia Romana di Archeologia und anderer wiss. Gesellschaften und Institute
Mitt. d. Dt. Archáol.
Instituts, Róm. Abt., 96, 1989, S. 1 ff. 96.
Kurt Weitzmann 7. 5. 1904Universität Berlin DAI, Wissenschaft. Mitarbeiter
WS: ll, 2, 1255
1954 entlassen; 1955 nach USA.,
1955-1972
permanent
Member d. Inst. of Advanced Study, Princeton, 1945 Member of Faculty Princeton Univ., 1950 Professur;
1962 Gastprofessor Univ. Bonn; 1975 Consult. Curator des Metropolitan Museum of Art, New York
Anhang 11: „Liste der an den Deutschen Universitäten tätigen Klassischen Philologen“!
Berlin
o. P. Ludwig Deubner o. P. Johannes Stroux
Doz. Karl Strecker o. P. Schwyzer Doz. Till (Rudolf) Bonn o. P. o. P. 0. P. Doz.
(Mittellatein) (Griechisch) (Griechisch)
Friedrich Marx Christian Jensen Ernst Bickel Erich Reitzenstein
Breslau
o. P. Hans Drexler o. P. Wilhelm Kroll 0. P. Ludolf Malten
(em. 1955) (W)
Erlangen
0. P. August Luchs
(em.)
o. P. Alfred Klotz 1
UAG,R,5205b. Professoren d. Phil. Fak., Bd. II, 1956 ff., unter „Nachfolge Pohlenz“ eingeordnet. Diese Liste, die vom Rektorat der Universität angefordert worden war, um als Grundlage für Berufungen zu dienen, ist nicht datiert. Aus den mir bekannten Emigrations- bzw. Entlassungsund Emeritierungsdaten schließe ich, daß sie nicht lange nach dem Wintersemester 1955/56 erstellt worden sein kann, aber auch nicht viel früher. Nicht später, weil Otto Regenbogen und Georg Rohde noch genannt werden: Rohde emigrierte 1955 in die Türkei (siehe Róder/Strauss [1985] Bd. 1I, 2). Regenbogen wurde in demselben Jahr zwangsweise in den Ruhestand versetzt (Gundert [1967] S. 219-221). Nicht früher, weil z. B. bei der Universität Göttingen Hermann Frünkel und Kurt Latte nicht mehr genannt werden. Kurt Latte wurde erst Ende des Jahres 1955 entlassen. W. Jaeger, der am 24. 6. 1956 emigrierte (vgl. Mensching [1989] S. 10), wird an der Universitüt Berlin nicht mehr genannt. Die Liste gibt somit einen Überblick über die Lage der klassischen Philologie nach der zweiten Entlassungswelle. Da auch Emeriti genannt werden, Honorarprofessoren aber nicht, gibt sie kein genaues Bild der berufbaren Wissenschaftler. Aber wenn man sie mit der Liste vergleicht,
die Ludwig für das WS 1952/55 erstellt hat (vgl. Ludwig (1984] S. 174 f.), kann man die fehlenden Informationen leicht ergänzen. Sie kann als Gegenstück zu Ludwigs Liste gelten für die Lage drei Jahre später. Abkürzungen:
o. P. = ordentlicher Professor bao. P. = beamteter außerordentlicher Professor nbao. P. = nichtbeamteter außerordentlicher Professor Doz. = habilitierter Dozent (em.) = emeritiert nach der Liste von Ludwig, a. a. O. (W) = Wilamowitzschüler (ἢ = wird amtsenthoben, vgl. Anhang 10 Die Abkürzungen in ( ) sind Zusätze von mir, C. W.
396
ANHANG
o. P. Otto Stählin o. P. Kurt Witte Doz. Otto Seel Frankfurt am Main
o. P. Karl Reinhardt
(W)
bao. P. Erwin Wolff nbao. P. Franz Altheim Freiburg im Breisgau
o. P. Otto Immisch o. P. Hans Oppermann Doz. Hans Bogner nbao. P. Wolfgang Aly
(em.)
Gießen
0. P. Karl Kalbfleisch o. P. Rudolf Herzog o. P. Wilhelm Süss nbao. P. Hugo Hepding nbao. P. Wilhelm Gundel Góttingen o. P. Max Pohlenz Doz. Ulrich Knoche
(W)
Greifswald 0. P. Franz Dornseiff
bao. P. Franz Egermann Halle a. d. Saale
o. P. Otto Kern
(em.)
o. P. Ernst Diehl Hamburg
o. P. Ernst Kapp
(Ὁ
ο. P. Bruno Snell Doz. Hans Diller Heidelberg 0. P. Karl Meister
o. P. Otto Regenbogen
MO)
Jena o. P. Friedrich Zucker 0. P. Karl Barwick nbao. P. Albrecht von Blumenthal Kiel
o. P. Richard Harder bao. P. Erich Burck Doz. Erich Kóstermann
(Ww)
Anhang 11: Liste der an den Deutschen Universitäten tätigen Klassischen Philologen
Köln
o. P. Günther Jachmann 0. P. Joseph Kroll Königsberg
o. P. Walter Otto o. P. Willy Theiler
(sic!)
o. P. Wolfgang Schadewaldt Doz. Andreas Thierfelder
ΞΞ
Leipzig o. P. Erich Klingner
Marburg
o. P. Ernst Lommatzsch bao. P. Karl Deichgrüber Doz. Georg Rohde
(W) ὦ
München
o. P. Eduard Schwartz 0. P. Albert Rehm o. P. Rudolf Pfeiffer nbao. P. Bertold Maurenbrecher nbao. P. Johann Rubenbauer Doz. Franz Dirlmeier
(W) (ὦ
Münster
ο. P. Ernst L. P. Sonnnenburg o. P. Hermann Schöne ο. P. Franz Beckmann
(em.) (W)
Rostock
o. P. Rudolf Helm
(vorzeitig em. 1955, vgl. Ludwig [1984] S. 162)
Doz. Friedrich Schwenn Tübingen
o. P. Wilhelm Schmid 0. P. Otto Weinreich 9. P. Friedrich Focke o. P. Hans Herter Würzburg
o. P. 0. P. 0. P. Doz.
Karl Hosius Friedrich Pfister Josef Martin Hans Pfeil
(em.)
397
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
I. Ungedruckte Quellen A. Archive* Berlin Document Center (BDC) Bundesarchiv Koblenz (BA Koblenz) Bundesarchiv, Abteilung Potsdam (BA Potsdam) Handschriften-Abteilung der Niedersächsischen Staats- und Universitäts-Bibliothek (NStUBGO) Hessisches Staats-Archiv Marburg (StA Marburg), darin Universitätsarchiv Institut für Zeitgeschichte, München
(IfZ), Microfilm-Archiv
Universitäts-Archiv Göttingen (UAG): - Akten des Instituts für Altertumskunde (Etat, Assistent, ...)
- Rektoratsakten (R) - Akten der philosophischen Fakultät (Acta Ph.; Phil. Fak.) - Kuratorialakten (K) - Personalakten (= eine Untergruppe der Kuratorialakten) Universitäts-Archiv Münster (UAM)
B. Manuskripte Bollack, Jean
[1981], Vorwärts mit welcher Wissenschaft? Wilamowitz.
zum 50. Todestag von Wilamowitz, am
Maschinenschrifll. MS. CHRONIK der Universität
Göttingen
Vortrag
15. 10. 1981 an der FU Berlin gehalten,
1931-1937.
Maschinenschriftl.
MS,
im
UAG. Dahms, Hans-Joachim [1989], Die Professionalisierung der nationalsozialistischen Rassenstatistik 1925-1955: Vorbereitung des Holocaust? (Maschinenschriftl. Vortragsmanuskript). Drexler, Hans: Erinnerungen. Aufgezeichnet für die Familie. Maschinenschrift. MS (zwischen 1965 und 1970 verfaDt), im Besitz der Familie Drexler.
Majer, Ulrich [1992], Vom Weltruhm der zwanziger Jahre zur Normalität der Nachkriegszeit: Die Geschichte der Chemie in Góttingen von 1950 bis 1950. Maschinenschriftl. MS (60 Seiten, erscheint 1996 in der 2. Auflage von Bek-
ker/Dahms/Wegeler [1987]). Scholl, Lars U. [1990], „Zum Besten der besonders in Göttingen gepflegten Anglistik“. Das Seminar für Englische Philologie. Maschinenschriftl. MS (55 Seiten, erscheint 1996 in der 2. Auflage von Becker/Dahms/Wegeler [1987]). *
Inden Anmerkungen wird jeweils das Archiv und die detaillierte Signatur bzw. der Titel, unter der die Akte zu finden ist, angegeben; dann folgen in der Regel Absender und Adressat des Aktenstückes mit Angabe des Datums und/oder die Angabe der Paginierung. Bei Nachlässen (NL) werden der NachiaDname, die Signatur und die jeweilige Nummer innerhalb des Nachlasses genannt, evtl. die Paginierung.
Gedruckte Quellen
399
Selle, Götz von: Die Georg-August-Universität zu Göttingen, 1737-1937. Maschinenschriftl. MS, Göttingen 1957, im UAG. Wankel, Hermann: Das Demosthenesbild im
19. und 20. Jahrhundert.
Vortrag,
gehalten am 29. 11. 1982 auf Einladung des Seminars für Klassische Philologie der Georg-August-Universität Göttingen (eigene Mitschrift, C. W.). Wegeler, Cornelia [1985], Die Selbstbeschränkung der Wissenschaft. Ein Beitrag zur Geschichte der Klassischen Philologie seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, untersucht am
Beispiel des Instituts für Altertumskunde
der Universität
Göttingen (1921-1962). Diss. phil. Wien, Maschinenschriftl. MS (280 Seiten).
C. Dokumentierte Gespräche* und briefliche Auskünfte Briefliche Auskunft Archivoberrätin Priv.-Doz. Dr. Inge AUERBACH (StA Marburg) vom 22. November 1983. Gespräch mit Herrn Professor Dr. Albrecht DIHLE (Köln) am 24. Oktober 1985 und Brief vom 25. 9. 1987. Gespräche mit Herrn Professor Dr. Harunuth DÖHL (Göttingen) am 1. 9. und 6. 9. 1982 u. a. m. Gesprüch mit Herrn Dr. Helmut DREITZEL (t) und mit Herrn Dr. Hellmut ROE-
MER (Góttingen) am 20. 2. 1985. Gespräche mit Herrn Professor Dr. Hans DREXLER (t) am 5. 11., 6. 11., 16. 11. 1982 und ein Nachgesprüch im Frühjahr 1983. Brief Professor Dr. Wolf von ENGELHARDT (Tübingen) vom 21. Juni 1984. Briefe Professor Dr. Hans GARTNER (Regensburg) vom 19. 9. 1982, 27. 9. 1982,
16. 9. 1987 und 25. 4. 1988; Gesprüch am 18. 2. 1988. Gespräche mit Herrn Professor Dr. Alfred HEUSS
(t) (Göttingen) am
17. 9. und
10. 11. 1982. Gespräch mit Herrn Professor Dr. HORN (ἢ) im Herbst 1982.
Gespräch mit Frau Dr. JONAS im September 1982. Briefliche Auskunft Frau Dr. Christiane KIND (an der NStUBGÓ) vom 51. Juli 1990. Gesprüch mit Herrn Professor Dr. Jürgen MAU (Góttingen) am 2. November
1982. Gespräche mit Herrn Professor Dr. Ulrich SCHINDEL (Göttingen) am 15. 6. und
9. 9. 1982. Gesprüche mit Frau Leni ZIEGLER und Herrn Gerhart F. ZIEGLER am 1., 24. und
25. 11. 1982; Brief G. F. ZIEGLER vom 1. 9. 1990.
II. Gedruckte Quellen Amtliches Namensverzeichnis der 1921/22 ff., Göttingen 1922 ff. AUFRUF
der Berliner Universität vom
Georg-August-Universität
Winterhalbjahr
19. Juli 1916: „An unser Volk!“ (im Besitz
der Verf.). *
In der Regel führte ich zwei Gespräche, zu denen ich mir Notizen während und nach dem Gespräch machte. Informationen aus den Gesprächen gebe ich hier nach bestem Wissen und, soweit möglich, anderweitiger Überprüfung wieder. Fehler gehen allerdings zu meinen Lasten. Hiermit möchte ich all jenen, die bereit waren, mir Auskunft zu geben, herzlich dafür danken.
400
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
BEKENNTNIS schulen zu Gebildeten Oktober (in
(1955) der Professoren an den deutschen Universitäten und HochAdolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat. Ein Ruf an die der Welt. Hg. v. Nationalsoz. Lehrerbund Sachsen, Dresden, im der Universitätsbibliothek Bielefeld vorhanden).
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Mai 1986, Hamburg. EISERNE BLÄTTER. Deutschnationale Wochenschrift für Politik und Kultur. Hg. v. Dechant G. Traub, 1. Juli 1919, H. 1 fT. - 31. 12. 1939 H. 44/45, 21. Jg., München
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Reichs-Gesetzblatt Jg. 1919. Reichsgesetzblatt Jg. 1955 ff.
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401
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Das
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.
Hier sind Veröffentlichungen der Altertumswissenschafller nur soweit aufgeführt, als im Text auf sie näher eingegangen wird. Erwähnte Werke bzw. Autorenbibliographien werden in den Anmerkungen zitiert. Vollständigkeit im Sinne einer Werkbibliographie ist nicht bezweckt worden.
402
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
Becker, Heinrich/Dahms, Hans-Joachim/Wegeler, Cornelia (1987), Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus. Das verdrängte Kapitel ihrer 250jährigen Geschichte. München - London - New York - Oxford - Paris (2. erw. u. korr. Auflage 1996). Becker, Otfried (1940), Plotin und das Problem der geistigen Aneignung. Hg. v. Karl Deichgräber, Berlin. Belke, Ingrid/Renz, Irina (1989), Siegfried Kracauer 1889-1966. Marbacher Magazin, Bd. 47/1988, Stuttgart. Berner, H.-U. (1988), Nachruf auf Hans Drexler. In: Gnomon, Bd. 60, 5. 188-191. Bertini-Malgarini, Alessandra (1989), I classicisti tedeschi in America fra il 1955 e il 1942: Aspetti storici
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Ders. (1980), Doceat Mortuus Vivos: In Quest of Ulrich von Wilamowitz-Moellen-
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Literatur
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(1964-1975),
Der kleine
Pauly -
Quellenverzeichnis der Abbildungen Abbildungen Nr. 2, 7, 8, 12, 13, 18, 19 und 20 (Personalakte Latte) aus dem UAG Abbildungen Nr. 1 (NL Pohlenz); Nr. 3, 4, 5, 6; 11 (NL Wilamowitz); Nr. 14
(NL Pohlenz); Nr. 26 und 27 (NL Kahrstedt) aus der NStUBGö. Abbildungen Nr. 17, 21, 25, 24, 25 in Privatbesitz.
Abbildungen Nr. 9 und 10 (NL Traub) aus dem BA Koblenz. Abbildungen Nr. 15 und 16: RGBI. I (1955). Abbildung Nr. 22 aus Gumbel (1958), S. 7. Umschlagabb.: Ausschnitt aus „One hundred Men and a Girl“, Henry Koster, USA. National Film Archive, London.
Zu den Portrützeichnungen: F. W. BERNSTEIN hat die Zeichnungen auf dem Vor- und Nachsatzpapier eigens für diesen Band nach Photographien der Gelehrten angefertigt: Es handelt sich (von links nach rechts) um Konrat F. Ziegler, Ulrich Kahrstedt, Karl Brandi, Percy E. Schramm, Max Pohlenz, Kurt Latte, Hans Drexler, Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, Werner Jäger, Eduard M. Fraenkel, Friedrich Leo, Kurt
von Fritz.
Register
Ackermann, Walter Aischylos 30 f., 110 Alexander der Große
67
Bothmer, Bernhard von 202, 214, 312, 392 Bothmer, Dietrich Felix von 202, 214, 87, 150 f.
Althoff, Friedrich 41,43, 184 Aly, Wolfgang 329 Apollonius von Rhodos 146, 171 Apuleius 175 Arendt, Hannah 116, 119, 295 Aristophanes 35, 42 Aristoteles 31, 56, 86 f., 101, 186 Arnim, Hans von
Arrian
Bacher
236
171
Baehrens, Wilhelm Adolf 63, 84 f., 102, 112, 165, 284 Barkas, Pallister 271,275 Baxter, James Houston 501
Becker, Carl Heinrich
56, 121, 184
Becker, Otfried 240 ff., 519 Beckmann, Franz 46 Behm, Johannes 131 Bekker, Immanuel 31 Beloch, Karl Julius 75, 91, 151
Below, Georg von 50 Benary, Ferdinand 99 f. Bernays, Jacob 34, 56 Bernays, Martha 54 Bernstein, Felix
69 f., 155, 295
65
Brandi, Karl 67, 69, 92, 128, 145, 147, 154 ff., 161, 275, 500 Brassloff, Stephan 203, 588 Braun, Helene 259 Braun, Martin 190, 581 Brendel, Otto J. 211, 591
Brink, Karl Oskar
46
62
Athanasius
515, 592 Bousset, Wilhelm
190, 195, 582
Brocke, Bernhard vom 50 Bücheler, Karl 42 Büchner, Karl 229 Burck, Erich 227 Busolt, Georg 62, 91 f., 96 Busse, Adolf 106
Bywater, Ingram
210
Calder, William M. III
181, 183, 211, 213,
305 Caratheodory, Konstantin Cassirer, Ernst 212
Catull
184
110
Cherniss, Harold F. 170, 215 Christ, Karl 182 Cicero 230 f. Classen, Carl-Joachim 295, 299 Cochenhausen, von 159 f. Cohn, Emst 81, 104, 129, 290
Bersu, Gerhard 591 Bick, Josef 192, 197, 511, 579
Conti, Leonardo Coser, LewisA.
Bickel, Ernst 3186, 507 Bickermann, Elias J. 75,209,211, 514,
Courant, Richard
584 Bieber, Margarete 211, 590 Bieler, Ludwig J. G. 192, 574 Bigongiari, Dino 212
Cumont, Franz Curie, Madame Curtius, Ludwig
Binder, Julius 128 Bird, Geoffrey 328 Bismarck, Otto, Fürst von 26, 49 Bloch, Herbert 214, 314, 581
Dahlmann, Hellfried 229, 247 Darmstädter, Paul 89 f., 92, 285, 288, 555 Daube, David 509, 588
Blum, Rudolf
Dehn, Günther 81, 104 f., 129, 290 Deichgräber, Karl 46, 254 f., 258 fT.,
190, 581
Blumenthal, Albrecht von 103 f. Boeckh, August 27ff., 38 f., 45, 277 Bondy, Kurt 133, 295
Born, Max
65, 110, 128, 133, 266, 292
Bosch, Clemens Emin
208, 384
124 211f. 65, 67, 69, 127, 133,
266, 285, 295
David, Martin
207 210 202
203, 588
247 f., 256 ff., 264 f., 270 f., 276, 518, 528 Deicke, Ludwig 168 Demosthenes
48, 87 ff., 170
422
REGISTER
Deubner, Ludwig 112 f. Deuticke, H. J. 253, 262 Diels, Hermann 54, 45, 52, 62, 107, 185 f., 225, 245, 266
Dihle, Albrecht 254, 256 ff. Dilthey, Karl 40f., 110, 556, 558 Dirlmeier, Franz 233 f. Dodds, Eric Robert 325 Döhl, Hartmut 194 Dörrie, Heinrich 188 f., 172, 242, 502, 319 Drachmann, Anders Bjern D. 46, 113, 175
Drexler, Hans 58, 62, 105, 186, 219, 220 f., 229, 255, 244 ff., 261 IT., 275 f., 516, 519 f. Druckenmüller, Alfred 196 Düker, Heinrich 85, 287 Ebel, Wilhelm 263 Ebert, Friedrich 53
Ebrard, Friedrich A.
389
Edelstein, Emma 208 Edelstein, Ludwig 190, 208, 211 ff., 574 Ehrenberg, Eva 206, 214 f., 514 Ehrenberg, Victor L. 206 f., 209, 287, 584
Ehrhardt, Arnold
589
Einstein, Albert
52, 54, 129, 210, 264,
296, 348 Elias, Norbert 291 Engelhardt, Wolf von Ennius 110
Eunapios Euripides
253, 522
Fränkel, Max 98, 206 Frensdorff, Ferdinand 65 Freud, Adolfine 203 ff. Freud, Maria 203 ff. Freud, Sigmund 34, 205
Frick, Wilhelm
272, 294
Fricke, Gerhard 297 Friedländer, Ludwig
206
Friedländer, Paul 486, 103 f., 191, 193, 195, 197, 206, 227, 290, 311, 575 Friedrich Wilhelm III. 25 Friedrich, Wolf Hartmut 179, 264, 276, 525 Fritz, Kurt von 59, 98, 100, 105, 177, 184, 191, 200 ff., 209, 211, 215, 216, 505, 512, 514, 369, 575 Fuchs, Harald 46, 165, 186, 200, 508, 512 Fuhrmann, Manfred
Funaioli, Gino
185
231 ff., 517, 599
Galen 84 Geffcken, Johannes
Geiger, Moritz
46, 105
110 ff., 292
Gelzer, Matthias Gengler, Thomas Gentile, Giovanni Hannover
Falckenheiner 77 Fichte, Johann Gottlob 22,28, 48 Ficino, Marsilio 212 Fick, Richard 131 Firmicus Maternus 326
Floch, Bernhard 192, 374 Focke, Friedrich 62 f., 84, 101, 105, 234, 284, 329 Forster, Georg 21f. Fraenkel, Eduard Mortier
30, 57, 45, 48,
55, 84, 08, 100, 102 f., 106 ff., 140, 146, 105 f., 170, 175, 184 f., 189, 195, 195, 201, 208 f., 211, 215, 217, 219, 225, 245, 264, 267,270, 506, 514, 355, 574 100 52, 128 ff., 157, 142, 189,
206 Frank, Hans 129 Fränkel, Hermann
195, 202, 206, 208, 217 f., 225 f., 245, 264, 267 ff., 276, 289 f., 298, 520, 526, 529, 575
62,96 253 f., 257, 322 207, 212
Georg Il., englischer König, Kurfürst von
113 35f., 39, 210
Fraenkel, Lilli Franck, James
100 ΠΥ, 111, 114, 145, 145 f., 162 ff., 191,
46, 55,62 f., 84 f., 98,
24
Gerber, Gertrud Gercke, Achim 286 Gercke, Gesner, Globke, Gnade, Goethe,
Alfred Johann Hans Albert Johann
239, 319 72, 74 ff., 81 ff., 129, 151, 74 f., 286 Matthias 266 256, 354 Wolfgang
61
20f.,25, 28 f.,
52 f., 59, 48, 50, 55 192, 575 Gomperz, Heinrich Gópfert, Arthur 299 Góppert, Friedrich 698 Graf, Rosa
203, 205
Grelling, Kurt
65, 69, 285
Grimm, Hans 293 Grimm, Jacob 37,200, 294 Groag, Edmund 192, 387
Groß, Walter 82, 251 Grumach, Ernst 190, 205, 209, 217, 379 Grundt, Franz 147,310 Gruppe, Otto 107
425
Register
Gudemann, Alfred
203, 215, 515
Gumbel, Emil Julius
Hirsch, Emanuel
81, 104 f., 118, 199,
204, 312 Günther, Hans F.
K.
245
Haase, Ludolf 75 f., 76 f., 81 Haber, Fritz 50, 52, 77, 150 f., 548 Hagen, Oskar
Hahn, Edith Hahn, Otto
Hoffmann, Lotte 68 Hohenemser, Kurt H. 127 Hölscher, Uvo 185 Homer 38, 56, 58, 100, 106, 160
67
151 52, 266
Hanfmann, Georg M. A.
Harder, Richard 298, 508 f.
Honig, Richard
392
46, 140, 165, 186, 192,
Harnack, Adolf von 52, 54 Hartke, Werner 258, 265 Hasebroek, Johannes 299, 587 Hatschek, Julius 69 f., 285 Haupt, Moritz 54
Hecht, Hans 174, 272 f., 505 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich
Helm, Rudolf
28
185 f.
159
Hermann, Gottfried 30 ff., 58 Herodot 229 Herter, Hans 248, 521 Hertz, Gustav 52 Herzog-Hauser, Gertrud 192, 208, 376 Heß, Rudolf 221 Hessel, Alfred 258, 518 Hesych 112 f., 175, 178, 180
Heubner, Wolfgang 69 Heuß, Alfred 65 f., 276 Heyne, Christian Gottlob Heyse, Hans Hilberg, Raul
Hilbert, David
Horn, Rudolf 556 Hugenberg, Alfred
128
Jachmann, Günther
20 f., 24, 27, 20
69 f. 119, 126, 164, 167,
201 Hinz, Walter 252 ff., 257 f., 263 Hippel, Robert von 67, 69 Hippokrates 229
21,28, 277
21 ff., 26ff., 48
62 f., 84 f., 100 f.,
107 f., 112 f., 165, 195, 225 f., 244, 284, 529 Jacobi, Hermann 112 Jacobsthal, Paul F. 107, 211, 591 Jacoby, Felix 46, 56, 108 ff., 136, 140, 173,
178, 184 f., 190 fT., 195 ff., 202, 208, 211, 225, 245, 311, 376 Jaeger, Werner
19,26, 30, 46, 55 ff., 98,
158, 140, 165, 170, 177, 183 ff., 191, 195, 208, 211, 212, 295, 255, 248, 252, 282, 998, 304, 506 f., 509, 521, 576 Jahn, Otto 54 Jander, Gerhart 77, 151, 155 Jarausch, Konrad H. 26, 120, 122 Jaspers, Karl 26, 212 Jensen, Paul 69
Jodl, Alfred Jonas 256 Juvenal
254
225,280
Kaehler, Siegfried A. Kahane, Peter Penuel
241 115f.
Hindenburg, Paul von
592 129
Humboldt, Wilhelm von
190, 269, 580
Hermann, Eduard
155, 295
Horaz 110,115 Horkheimer, Hans Horkheimer, Max
Humboldt, Alexander von
Heichelheim, Fritz Moritz 585 Heidegger, Martin 58 f., 119, 159 f., 148, 212, 299 Heimann, Hugo 106 Heimpel, Hermann 322 Heinemann, Isaak 190, 209, 515, 575 Heinitz, Ruth 191 Hellmann, Siegmund 203, 387 Helm, K. 103 Hentschke, Ada Herakles 279
148, 299
Hirschfeld, Otto 45 Hitler, Adolf 115, 115 f., 119, 124, 154, 158, 141, 148, 155, 155, 157 f., 162, 164, 168, 191 f., 201, 206 f., 231, 240, 244 f., 255 f., 262, 272 f.
257 393
Kahrstedt, Ulrich 62 ff., 85 £., 89 ff., 98, 155 ff., 140, 146 ff., 220, 229, 252, 958 ff., 945, 248, 250, 256, 258, 265, 267, 271 ff., 975 f., 288, 598, 549, 554, 557 Kaibel, Georg 34, 45, 62 Kant, Immanuel 112 Kantorowicz, Ernst 135 f., 213
Kapp, Ernst 55,59, 98, 177, 184, 191, 202, 211, 213, 216, 229, 504, 514, 578 Kapp, Wolfgang 95
424
REGISTER
Kappler, Werner
46, 169, 255, 236 f., 518
Karo, Georg 391 Kees, Hermann 128, 151, 133, 156, 159, 217, 241, 271 Kelsen, Hans 61, 129 Kjellen, Rudolf 281 Klaffenbach, Günther Klein, Felix 43
46
Klingner, Friedrich 48, 102, 163 Knoche, Ulrich 173, 202, 216, 225 ff., 235, 258, 241, 247, 515 Köhler, Ulrich 45 Köhler, Wolfgang 189, 308 Kornhardt, Hildegard 168, 502, 526, 529 Körte, Gustav 556 Kracauer, Siegfried
212
Kranz, Walther 46, 191, 195, 208, 216, 227, 329, 376 Krause, Wolfgang 238 f., 328 Krieck, Ernst 58, 159, 298 Kries, Johannes von 184 Kristeller, Paul Oskar 190, 207, 211 ff., 313, 382 Kroll, Wilhelm 196 Kröner, Hans-Peter
Krüger, Gerda Kummer, R.
194
237 ff., 275, 318 109 ff., 291
Lachmann, Karl 50, 54, 57 Lagarde, Paul Anton de 75, 278, 286
Landau, Edmund
85
Laqueur, Richard A.
208, 218, 515, 585
Kurt 46, 104, 112 ff., 127, 142 f., 102 f., 167 ff., 172 IT., 184, 191, f., 196, 201, 205, 208, 217 ff., 225 ff., 242, 246, 257 f., 263 ff., 269 fT., f., 292, 208, 515, 525 f., 580
Lecke, Johannes
77,286
Lehmann, Henni
68, 285
Lehmann, Henri Heinz
Lehmann, Lotte Lehmann, Max
Lewin, Kurt
188 ff., 508
Lewy, Hans Yohanan 190, 209, 313 f., 377 Liebermann, Max 50 Liebeschütz, Hans 197, 200, 209, 305, 511 f., 514, 385 Livius 90
Lioyd-Jones, Hugh
— 181,211, 505
Loeschke, Georg
112
Lohse, Gerhard 182 Lommatzsch, Ernst 103, 105 Lorentz, Friedrich 595 Losemann, Volker 182, 194, 216
Löwengard, Kurt Lucan 148 Ludwig, Walther
305 182
Luther, Wilhelm
168
Maas, Estella Helene
Maas, Maas, 193, 305
68 88, 92,285
Leo, Friedrich 20, 51, 56, 40 ff., 47, 62, 84, 100, 107 f., 111, 184, 219, 279 f., 507
254
Lessing, Theodor 81, 104 Leutsch, Ernst L. von 40, 558
205
Johanna Zelie 205 Paul 46, 75, 165 f., 178, 182, 189 f., 197, 202 f., 205, 207 f., 211, 501, f., 311, 313, 377
Madelung, Erwin 52 Maenchen-Helfen, Otto J.
392
46, 187, 258, 265
Mann, Thomas 386, 515 Mannheim, Karl 129 Marouzeau, Jules 198
Marquardt, Hertha Marshall, Barbara
239 72,85
Maschke, Abraham 112 Mattiat, Eugen 227 f., 252 f., 258, 516
Mayno, H.
105
Mensching, Eckart 75, 182 f., 205 Mentzel, Rudolf 151, 155
Mette, Hans-Joachim 518 Mewaldt, Johannes
393
200, 512, 591 Lehmann-Hartleben, Karl Leibholz, Gerhard 218 Lejeune-Dirichlet, Gustav 115 Lenz, Friedrich W. 190, 329, 582
Lesky, Albin
208, 515 389
Malten, Ludolf
85
Kunkel, Wolfgang
Latte, 146, 195 240, 275
Levy, Emma Levy, Ernst
Meyer, Arnold Oskar
183 ff., 255, 307, 115, 266
92
Meyer, Eduard 89, 92, 95, 107, 150, 288 Meyer, Ernst 95, 98
Meyer, Konrad
142
Mirandola, Pico della
Mirbt, Carl
212
67, 147, 299
Misch, Georg 174, 218, 235, 275, 520 Momigliano, Arnaldo 19, 182, 306 Mommsen, Marie 36 Mommsen, Theodor 32, 54, 56 f., 40 IT.,
47, 49, 54, 56, 62, 90, 104, 185 f., 195 f.,
210, 278, 280
425
Register
Mommsen,
Wilhelm
103
Patzig, Günther 59 Pausanias 168 Peek, Werner 48 Perikles 298 Persius 280 Peterson, Erik 190, 378 Pfannmüller, H. 255 f.
Moody, Ernest A. 212 Morél, Willy 197, 511, 577 Morsbach, Lorenz 67 Moser 145 Mras, Karl 192, 580 Muhlack, Ulrich 185 f. Mühlestein, Hans 67, 69 Mühll, Peter von der 46, 187
Müller, Carl Otfried Müller, Georg Elias
Pfeiffer, Rudolf 48, 165, 184, 191, 195, 202, 208, 211,216, 219, 514, 578 Pflaum, Hans Georg 385
29 ff., 278 89
Müller, Kurt 336 Müller, Valentin 392 Münzer, Friedrich H.
Philippson, Robert
Pindar
196, 205, 206, 289, 515, 587 Murray, Gilbert 111, 164, 205, 207, 210 f., 292 Nàf, Beat
29, 59, 106, 169
Planck, Max 62, 96, 115, 182,
91
Napoleon 22, 27, 48, 51 Neise, Georg Friedrich 278
196, 205, 380
50, 52, 62
Platon 32, 59, 58, 86 f., 158, 170, 215, 250, 242 Plautus 42, 107, 244 Plenge, Johann 281 Plischke, Hans 159, 170 f., 175 f., 217, 226, 258 ff., 252 ff., 265, 271, 505, 522 Plotin 212, 240 f. Plutarch
85 f.
Nelson, Leonard 65 ff., 71, 85, 117, 285 Nernst, Walther 52, 128 Neugebauer, Otto 191, 577 Neumann, Friedrich 142, 148, 156, 159, 166, 172 ff., 222, 224, 227 fT., 255 ff., 246, 263, 271,297 Neurath, Constantin von 272
Pohl, Robert W. 253 f., 262, 522 Pohlenz, Max 46, 62 f., 84 ff., 100 f., 105, 114, 128, 151 ff., 157 ff., 146, 165 fT, 170 ff., 177, 201, 202, 225, 227 fT., 241, 248, 258, 265, 266 f., 269, 271, 275, 275 f., 326, 528 f., 557
Niebuhr, Bartold Georg
Polgar, Alfred
24, 28 f.
Nietzsche, Friedrich 26 f., 33 fT., Nilsson, Martin Persson 115 Noether, Emmy 133, 295 Nohl, Hermann 224, 239, 285 fT., 520, 525 Norden, Eduard 45,58, 75, 107, 184 f., 191, 195 fT., 207, 225, 245, 286, 298, 578 Nyssa, Gregor von 56 Oertmann, Paul
270, 140, 266,
69
Oldenberg, Hermann
Oppermann, Hans Ostrogorsky, Georg Otto, Rudolf
51, 55
100
45, 219, 280 385
65
Otto, Walter F. 258, 265 Ovid 169, 171 f., 505 Panaitios 86,229 f. Papen, Franz von 116, 128
Paquin, Grete
151
Pasquali, Giorgio 48, 102, 107, 251, 317 Patzer, Harald 185
Póhlmann, Robert von
151
181
Porada, Edith 393 Poseidonius 84, 213 Powell, John Enoch 207, 377 Prandtl, Ludwig 128 Premerstein, A. v. 105
Pringsheim, Fritz 109, 140, 209, 211, 298, 514, 589 Propp, Arthur 511 Rabel, Ernst 389 Radbruch, Gustav 119 Raiser, Ludwig 272 Randall, John H. 212 Rassow, Peter 257, 321 Raubitschek, Anton Erich
Rechnitz, Wilhelm Regenbogen, Otto
192, 382
211, 382 46, 109, 112, 163, 184,
191, 195, 215, 226, 580 Rehm, Albert 197,202, 216 Reichenbach, Hans 69 Reinhard, Luise 46 Reinhardt, Karl
265, 306, 312
46, 185, 200, 202, 234,
426
REGISTER
Reinhardt, Max
50
Shaw, Bernhard
Reitzenstein, Richard
37, 62 f., 66, 84 f.,
100, 108, 110, 112, 169, 284 Richter, Will 271,276, 528 Ringer, Fritz K.
23,26, 56, 50, 54, 68
Ritschl, Friedrich 30 Robert, Carl 34,280 Röder, Werner Rohde, Erwin
210
Siegel, Ludwig 218 Simias von Rhodos 100 Skutsch, Franz 206, 266 Skutsch, Otto 46, 109, 162 ff., 166, 190, 198, 206, 211, 501, 506, 509, 585 Smend, Rudolf
258, 255
Snell, Bruno
211 35
57, 59, 62, 101 f., 105, 165,
177 f., 180, 185, 202 f., 216, 226, 254, 260,
284, 290, 504 f., 529
Rohde, Georg 46, 104, 191, 105, 208, 216, 254, 290, 514, 578
Soden, W. v.
Rosenberg, Arthur
Sokrates
61, 140, 194, 209, 512,
514, 586 Rosenberg, Manfred (Meier)
258
35
Solmsen, Felix
285
Runge, Iris 67,69, 77 Rust, Bernhard 58, 127, 129 ff., 159, 142, 157 f., 163, 167, 199, 201, 222, 231
Sombart, Werner 281 Sommer, Otto 257 f.
Sophokles Sallust 114 Salzer, Lieselotte 208, 313 Sauppe, Hermann 40 f., 107, 338 Schadewaldt, Wolfgang 46, 111, 140, 165,
185, 187, 227, 254, 241, 251 f., 298, 511 Scheel, Gustav Adolf 122 Schefold, Karl 595
112, 206
Solmsen, Friedrich 46, 140, 186, 190, 195, 206 ff., 210, 298, 508, 578
169
Speier, Hermine
202, 512, 394
Spiro, Friedrich
46
Spranger, Eduard
Stark, Rudolf Stein, Arthur
57, 118, 282
188 f., 502 205, 587
Stein, Ernst Edward Aurel
194, 200, 209,
312, 314, 586 Stengel,E. 10
Schehl, Franz 386 Schermer, Siegmund 141 f., 208 Schirach, Baldur von 120 Schlageter, Albert Leo 154, 300 Schleiermacher, Friedrich 28, 32 Schlesinger, Eilhard 190, 585 Schmid, Wolfgang 180, 304 f. Schnath, Georg 66, 68 Schöffler, Herbert 264, 275, 525, 598 Schöll, Rudolf 34 Schöne, Hermann 235
208, 313 Stenzel, Bertha, geb. Mugdan Stenzel, Julius 208 Stern, Fritz 36 Stern-Täubler, Selma 208, 313 Stoa 213 Stoessl, Franz 192, 383 Strasburger, Hermann 82, 388 Strauss, Herbert A. 211 Streicher, Julius 129
Schopenhauer, Arthur
35
Stroux, Johannes
Schramm,
156 ff., 162, 255 f.,
Percy Ernst
282 f., 500, 322 Schröder, Edward 67,232 Schulz, Fritz 211,590 Schulze, Wilhelm 46, 107 Schürmann, Artur 252 f., 521 Schwabacher, Wilhelm H. 594
Schwartz, Eduard
46, 62, 84, 184, 202, 512
Schwarz, Andreas B. 208, 590 Schweitzer, Bernhard 187 Schwertfeger, Bernhard 145, 159 f., 282 Seeck, Otto 89
Seel, Otto
227,254
Seldte, Franzvon Seneca 42, 146
128
Strelitz, Paula
Tacitus
69f. 108, 187, 197
169,247 f.
Tüubler, Eugen
75, 194 f., 200, 208 f.,
219, 511 f., 514, 586 Tempel, W. 120 Terentius 169 Thadden, Elisabeth von 254 Thadden, Rudolf von 26 Theiler, Willy 190, 197, 202, 254 Themistokles 90
Theokrit
175
Thierfelder, Andreas 227 ff., 255, 516 Thiersch, Hermann 100, 128 f., 254, 556 Thiessen, Peter Adolf 285 Thukydides 59,87
427
Register
Till, Rudolf
247, 320
Titius, Arthur Titius, Emma
Wellhausen, Julius 73, 286 Wendland, Paul 46, 62, 85, 284 Westarp, Kuno von 349
69 68
Westphal, Wilhelm
Traub, Gottfried 92 f., 95 f., 105, 289 Traube, Ludwig 46, 106 Trillhaas, Wolfgang 73, 85, 269 Troeltsch, Ernst 65 Tyrtaios 57 54, 42, 62, 185 f., 186,
Vahlen, Johannes
57, 199
910 f., 225, 234 f., 245, 258, 266, 278 ΠΥ, 507, 548
Wilamowitzschule 185 Wilde, O.
Wilhelm 1. Wilhelm II.
Vergil
Willrich, Hugo 128, 288
Wackernagel, Jakob
129
73
Wolf, Erik
190, 197, 208, 311, 313,
585 Walzer, Richard
46, 140, 190, 195, 211,
298, 579
131
584 34
119, 159 f.
Wolf, Friedrich August Wolff, Heinz 141 f. Wolff, Hans Julius 390
Wünsch, Richard Wüstefeld
190, 383 Wassermann, Felix Martin Weber, Wilhelm 62, 96 Weinstock, Stefan 190, 196, 207, 211, 515, Weitzmann, Kurt 594 Welcker, Friedrich Gottlieb
20, 28 f.,
Winternitz, Pauline 205 ff. Wissowa, Georg 113
116
Wallach, Luitpolt
110 ff.
62, 70, 72 ff., 85, 92, 110,
Wilmanns, August 76 Winckelmann, Johann Joachim 277
Windaus, Adolf
100
129
Wagner, Richard 54 f. Waldschmidt 258 ff.
Walk, Joseph
44,49 49, 53
Williams, Gordon
110
Volquardsen, Christian August
45 ff.,64, 112, 185,
227,232
Vahlen, Karl Theodor 199 Valentiner, Justus Theodor 298 Velsen, Ruth von 107, 208, 515 Vitruv 256 Vitzthum von Eckstädt, Georg Graf
19,
51, 55 ff., 61 f., 72 f., 75, 84 fT., 99 f., 105, 105 ff., 115, 158, 170, 180, 185 ff., 199,
Usener, Hermann 507
Wagner, Gerhard
52
Wieseler, Friedrich 110, 336 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von
Zenon
21,28 f., 31, 38
112 f.
147
230
Ziegler, Konrat Fürchtegott 113, 180, 190, 196, 198 f., 218 f., 258, 205 ff., 270 f., 275 f., 511, 525 ff., 529, 581 Zuntz, Günther 190, 584