"Ich kann ja Deutsch!": Studien zum "fortgeschrittenen" Zweitspracherwerb von Kindern ausländischer Arbeiter [Reprint 2010 ed.] 9783111634265, 9783484302099

Die Buchreihe Linguistische Arbeiten hat mit über 500 Bänden zur linguistischen Theoriebildung der letzten Jahrzehnte in

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German Pages 240 [248] Year 1988

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Table of contents :
VORWORT
TECHNISCHE VORBEMERKUNGEN
Einleitung: Der "fortgeschrittene" Zweitspracherwerb
Interlanguage-Systeme. Erwerbssynchrone bzw. -diachrone Analysen von Lernersprachen
Thema-Rhema-Organisation im fortgeschrittenen Zweitspracherwerb
Zur Organisation temporaler Abfolgen im Zweitspracherwerb. Eine longitudinale Fallstudie
Diskurspragmatische und grammatische Eigenschaften von Interimsprachen
Der Gebrauch des präpositionalen Attributs im Erst- und Zweitspracherwerb
Begründungen in Erzählungen. Beobachtungen über den Zusammenhang zweier Sprechhandlungstypen in der Kind-Erwachsenen-Interaktion
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"Ich kann ja Deutsch!": Studien zum "fortgeschrittenen" Zweitspracherwerb von Kindern ausländischer Arbeiter [Reprint 2010 ed.]
 9783111634265, 9783484302099

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Linguistische Arbeiten

209

Herausgegeben von Hans Altmann, Herbert E. Brekle, Hans Jürgen Heringer, Christian Rohrer, Heinz Vater und Otmar Werner

»Ich kann ja Deutsch!« Studien zum fortgeschrittenem Zweitspracherwerb von Kindern ausländischer Arbeiter Herausgegeben von Gerd Antos

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1988

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek „Ich kann ja Deutsch" : Studien zum „fortgeschrittenen" Zweitspracherwerb von Kindern ausländ. Arbeiter / hrsg. von Gerd Antos. - Tübingen : Niemeyer, 1988. (Linguistische Arbeiten ; 209) NE: Antos, Gerd [Hrsg.]; GT ISBN 3-484-30209-7

ISSN 0344-6727

Max Niemeyer Verlag Tübingen 1988 Alle Rechte vorbehalten. Ohne Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus photomechanisch zu vervielfältigen. Printed in Germany. Satz: Lasertext, Lohrum & Kutsch, Blieskastei. Druck: Weihcrt-Druck GmbH, Darmstadt.

Inhaltsverzeichnis INHALTSVERZEICHNIS SEITE

Gerd Antos

Gerd Antos

Gerd Antos

Günter Bensing

Susanne Deglmann

Stefan Kutsch

Berthold Reuter

Josef Schu

VORWORT

l

TECHNISCHE VORBEMERKUNGEN

4

Einleitung: Der "fortgeschrittene" Zweitspracherwerb

8

Interlanguage-Systeme. Erwerbssynchrone bzw. -diachrone Analysen von Lernersprachen

27

Thema-Rhema-Organisation im fortgeschrittenen Zweitspracherwerb

81

Zur Organisation temporaler Abfolgen im Zweitspracherwerb. Eine longitudinale Fallstudie

106

Diskurspragmatische und grammatische Eigenschaften von Interimsprachen

136

Der Gebrauch des präpositionalen Attributs im Erst- und Zweitspracherwerb

186

Begründungen in Erzählungen. Beobachtungen über den Zusammenhang zweier Sprechhandlungstypen in der Kind-ErwachsenenInteraktion 217

VORWORT

Gerd Antos Wie verändert sich das Interaktionsverhalten ausländischer und vergleichbarer deutscher Schulkinder im Laufe eines gewissen Zeitraums - und zwar in Abhängigkeit vom Spracherwerb dieser Kinder? Und umgekehrt: Welchen Einfluß haben Art und Intensität bestimmter Interaktionsformen auf diesen Spracherwerb? Schließlich: Lassen sich solche Fragen angesichts der Varianz natürlicher Interaktionen überhaupt in dem Sinn beantworten, daß etwas Generalisierbares über Tempo, Verlauf und womöglich Struktur des Erwerbsprozesses ausgesagt werden kann? Mit diesen drei Schlüsselfragen könnte zusammenfassend das Erkenntnisinteresse des Saarbrücker DFG-Projekts zum "fortgeschrittenen" ungesteuerten Zweitspracherwerb von Kindern ausländischer Arbeiter umschrieben werden. Wie aus dieser Zielsetzung hervorgeht, ist das Projekt primär ein Beitrag zur linguistischen Erforschung des ("ungesteuerten") Zweitspracherwerbs. Allerdings werden Lemer nicht - wie vielfach üblich - von ihrem Erwerbsstart an untersucht. Der Untersuchungszeitraum umfaßt vielmehr den Prozeß des sog. "fortgeschrittenen" Zweitspracherwerbs. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, daß inzwischen die meisten Lerner der Zweitsprache Deutsch nicht mehr - wie zu Anfang der Einwanderungsbewegungen der 6O-er und 7 O-er Jahre - am Beginn des Erwerbs stehen. Dies gilt besonders für die Migrantenkinder der sog. "Zweiten Generation" (ca. eine von 4,5 Millionen Ausländern), die in der Bundesrepublik geboren sind bzw. hier aufwachsen und zur Schule gehen. Insofern ist es auch sozialpolitisch geboten, das Sprach- und Kommunikationsverhalten dieser im "fortgeschrittenen" Lernprozeß stehenden Migrantenkinder dezidiert linguistisch zu untersuchen und so die entsprechenden ausländerpädagogischen sowie sprachpsychologisch motivierten Arbeiten zu ergänzen. Aus den Schlüsselfragen geht ferner hervor, daß sich das Saarbrücker L2-Erwerbsprojekt von vergleichbaren anderen Projekten (etwa dem Heidelberger Projekt "Pidgindeutsch", oder dem Wuppertaler ZISA-Projekt) dadurch unterscheidet, daß als Sprachlemer Kinder (im Alter zwischen 9/1O - 12/13 Jahren) untersucht werden. Und zwar 1O türkische, 1O italienische - und zum Vergleich 1O deutsche Kinder; je zur Hälfte Mädchen und Jungen pro Ethnie. Dabei sollten die ausländischen Kinder mindestens 3-4 Jahre in Deutschland sein bzw. spätestens mit dem Schuleintritt Deutsch lernen (vgl. unten den Probandenüberblick). Dieser Vergleich ist nicht nur aus vordergründigen methodischen Gründen sinnvoll: Unter soziolinguistischer Perspektive ist nämlich zu berücksichtigen, daß sowohl deutsche wie ausländische Kinder dieses Alters Schulkinder sind, also in sozialen Kontakt kommen und damit in partiell gleichen sozialen Randbedingungen aufwachsen. Psycholinguistisch interessant ist ferner die Frage, inwiefern der Erstspracherwerbsprozeß der deutschen und der Zweit-

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

spracherwerbsprozeß der ausländischen Kinder unter dem Aspekt der gemeinsamen altersspezifischen Sprachentwicklung konvergieren oder differieren (wobei allerdings der Einfluß der Schule systematisch unberücksichtigt bleiben mußte). Ein weiteres Charakteristikum des Saarbrücker Projekts: Der fortgeschrittene Spracherwerb der Kinder ist zwei Jahre lang (bei einigen Probanden auch länger) longitudinal dokumentiert worden. Dies auf der Grundlage "natürlicher Interaktionen" sowohl zwischen "Proband" und Betreuer als auch zwischen Kindern untereinander. Daraus ergibt sich eines der zentralen methodischen Probleme des Projektes: Wie kann man auf der Grundlage heterogener Interaktions-Daten zu verallgemeinerbaren Aussagen über einen Teil des (fortgeschrittenen) Erwerbsprozesses kommen? Oder anders akzentuiert: Wenn Bedingungen, Inhalte und Formen von Interaktionen aufgrund deren Natürlichkeit nicht standardisierbar sein können, wie läßt sich dennoch aus der allmählichen Veränderung des Interaktionsverhaltens der Kinder auf einen Erwerbsprozeß schließen? Zum vorliegenden Buch: In dem einführenden Beitrag von G.ANTOS geht es um die Begründung einer Forschung, die den fortgeschrittenen Zweitspracherwerb in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Damit verbunden ist eine umfangreiche Legitimierung des methodischen Ansatzes des Saarbrücker Projekts. L2-Projekte bieten anders als wissenschaftliche " / 3 1mungen die Chance, verschiedene Untersuchungen am gleichen Datenmaterial durchzuführen. Damit können Erwerbsprozesses nicht nur punktuell anhand einiger weniger Kriterien, sondern gleichsam clusterweise betrachtet werden. Eine solche Analyse von lemersprachlichen Gesamtsystemen ist Thema des darauf folgenden Beitrags über "Interlanguage- Systeme" . Darin wird im Zusammenhang mit der Erstellung von sog. "Probandenprofilen" ein Design erläutert, das aufzeigt, wie trotz nicht-standardisierter Interaktionsdaten durch ein über Gruppen-Ratings gesteuertes Verfahren gegenseitiger Kontrolle von Einzelergebnissen Erwerbsprofile entstehen. Zugleich liefern diese Profile (vier ausländische Probanden und zwei deutsche) Einblick in die erwerbssynchrone sowie - diachrone Systematik von Lemersprachen. G. SENSING behandelt die Thema-Rhema-Organisation im fortgeschrittenen Zweitspracherwerb . Theoretischer Hintergrund ist dabei das funktionalgrammatische Modell von GIVON, anhand dessen der entsprechende Syntaktifizierungsprozeß des Probanden Hasans im Übergang von elementaren zu fortgeschrittenen Erwerbsphasen nachgezeichnet wird. S.DEGLMANN kann bei ihrer Analyse der Organisation temporaler Abfolgen zwei wichtige Entwicklungen nachweisen: 1. Zu Beginn des Untersuchungszeitraums führt die Probandin Aynur die Temporalisation" der Interaktionsbeiträge kooperativ durch, und zwar zusammen mit "Gerüstvorgaben" des Betreuers. Später erwirbt sie eine von der Hilfe des Betreuers unabhängige

Vorwort

3

Temporalisatkmsfahigkeit. Dies zeigt sich insbesonders in den alleinverantworteten monologischen Passagen (z.B. Witze, Märchen-Nacherzählungen etc). 2. Das Temporalisationsniveau solcher "monologischer" Texte wird zeitverzögert zu dem "dialogischer" Passagen erworben. In dem Beitrag von s. KUTSCH "Diskurspragmatische und grammatische Eigenschaften von Interimsprachen" wird gezeigt, wie formbezogene Syntaxanalysen mit diskurspragmatischen Funktionsanalysen verbunden werden können, um Syntaktifizierungsprozesse der Lemer beschreibbar zu machen. Theoretischer Hintergrund ist eine kritische Auseinandersetzung mit dem funktionalgrammatischen Modell von GIVON. Erwerbsprogressionen lassen sich danach so darstellen, daß diskurspragmatische ({Compensations-) Strategien und damit interimsprachliche Formen mit fortschreitendem Spracherwerb durch zielsprachliche Syntaktifizierungskonventionen bzw. durch andere Strategien ersetzt werden. Das Präpositionale Attribut ist Gegenstand der Untersuchung von B. REUTER. Deutliche Fehler- bzw. Frequenzunterschiede zwischen Ll- und L2-Sprechem zeigen, daß das Präpositionale Attribut zu den Schibboleths des Deutschen gehören. Gründe dafür liegen u.a. in der stilistischen Markiertheit bestimmter Konstruktionen mit Präpositionalen Attributen. Da semantisch-syntaktische Fehler hier besonders deutlich hervortreten, vermeiden auch fortgeschrittene L2-Lemer weithin das Präpositionale Attribut. Wie erlernen Kinder, was begründungsbedürftig ist und entsprechend, welche Argumente als begründungsfähig akzeptiert werden? Anhand von "Begründungen in Erzählungen" kann J.SCHU zeigen, daß Zurückweisungen von Erwartungsmanifestationen durch den Zuhörer Begründungen seitens des Erzählers initiieren, die ihrerseits akzeptiert oder zurückgewiesen werden können. Ohne die DFG und den Leiter des Saarbrücker Projekts, Herrn Prof.R.Rath, wäre das Buch nicht entstanden. Ihnen gilt mein Dank ebenso wie Herrn Prof. HJ.Heringer und Herrn Prof. O.Werner, die das Buch in die Reihe der "Linguistischen Arbeiten" aufgenommen haben. Die Universität des Saarlandes hat freundlicherweise einen Druckkostenzuschuß gewährt. Eine ganz besondere Verpflichtung habe ich aber gegenüber den untersuchten Kindern. Ihnen und ihren Eltern gilt mein besonderer Dank. Saarbrücken, im Frühling 1988

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!'

TECHNISCHE VORBEMERKUNGEN

1. Daten zu den Probanden Um in den Beiträgen Wiederholungen zu bestimmten Daten der Probanden (Herkunft, Alter, Erwerbsalter) in Grenzen halten zu können, werden die wichtigsten Daten hier zusammengefaßt:

Lebensalter t-3

tl

Erwerbsjahr

t4

t-3

tl

t4

TÜRKEN:

Aynur Hasan Talat

weibl. männl. männl.

8.

10. 8. 11.

12. 10. 13.

3/4.

Maria weibl. Domenico männl. Roberto männl.

8.

10. 10. 11.

12. 12. 13.

1/2.

S. 7. 2/3. 4/5. 6. 8.

ITALIENER:

DEUTSCHE

Christine Thorsten

weibl. männl.

9/10. 12. 8/9. 11.

3. 3. unklar

S. S.

Register

5

2. REGISTER:

Um Vergleiche zwischen den verschiedenen Analysen Über die Probanden vornehmen zu können, werden die entsprechenden Stellen in der Art eines Registers zusammengefaßt (Zahlen = Seitennummern). (Aynur = A; Hasan = H; Talat = T; Maria = M; Domenico = D; Roberto = R; Christine = C; Thorsten = Th.) Interlanguage A:

Thema-Rhema Temporalität

48^SOT 55-57*.

106-132

64-67 (Profil) H:

132,133*

4S-47*,55-S7 *,

58-64 (Profil)

Diskurs

139-144,155161,170-175, 175* 179* 144-150,177*

Präp. Attr.

Erzählen

189-194 199-2O31

90-102 151-155,182

T:

178* M:

S1-S2*.55-S7*. 71-74 (Profil)

D:

50-51* ,55-57* 67-71 (Profil)

227-231 233-235

132,133*

189-194 199-2O31

161,167-170

R:

180* C:

53-55 '",55-57* 74-75 (Profil)

Th:

52-53 ",55-57* 74-78 (ProfÜ)

161-167,175 181* 132,133*

221-227 189-194 1 199-2O7 231-233

LEGENDE:

"kleine Zahlen * helle Zahlen große Zahlen 1 kleine Zahlen

Erwerb der Begründungsfähigkeit Zusammenfassende Vergleiche Hauptteile Profilanalysen, Belegstellen im Anhang "Präp. Attribut)

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!" 3. TRANSKRIPTION

Die hier vorgestellten Untersuchungen beruhen größtenteils auf einem inzwischen zugänglichen Datenmaterial (RATH/iMMESBERGER/scHU (Hg.). 1987: "Kindersprache. Texte italienischer und türkischer Kinder zum ungesteuerten Zweitspracherweib mit Vergleichstexten deutscher Kinder". Tübingen, Niemeyer). In Verbindung mit den dazu erhältlichen Kassetten-Kopien der Originalaufnahmen ist damit die Möglichkeit gegeben, die vorliegenden Ergebnisse zu überprüfen und durch eigene zu ergänzen. Das Datenmaterial des Saarbrücker Projekts ist auf Tonbandkassetten gespeichert und auszugsweise verschriftet. Nicht veröffentlichte Daten werden wie folgt zitiert: Nummer der Bandkassette, eventuell: Seite des Bandes, Zeilenblöcke der Transkription, Beispiel: Band 15, Seite l, Zeilenblock ool-o26 Abgekürzt: Bd.15, S.l, ZB ool-o26 oder: Bd.lS, ZB ool-o26 Ansonsten wird aus dem Textband "Kindersprache" wie folgt zitiert: Textband "Kindersprache", S. 81, ZB 106-111 TRANSKRIPTIONSVORSCHRIFT: (vgl. Textband "Kindersprache", S.7f) Der Text ist klein geschrieben; lediglich die Personennamen aus dem sozialen Umfeld des Probanden werden groß geschrieben. Ansonsten gilt die übliche Orthographie. Dialektale Ausdrücke werden in orthographisch angenäherter Form notiert. Jeder Textzeile ist in der Regel eine Kommentarzeile zugeordnet. Sie erscheint, wenn die Textzeile nicht kommentiert ist, als Leerzeile (Gelegentlich erfordert ein längerer Kommentar mehr als eine Zeile.). Diese Zeilenblöcke jeweils aus Textzeile und Kommentarzeile bestehend - werden fortlaufend numeriert. Jede neue Aufnahme und jeder neue Ausschnitt innerhalb einer Aufnahme (siehe oben) beginnen mit der Zeile 001. Die Kommentarzeile ist durch Kursivdruck von der Textzeile abgehoben. Sie dient ebenso wie der obengenannte Vorspann dazu, den Text so zu erläutern, daß der interaktioneile Prozeß zumindest in Umrissen aus der Verschriftung rekonstruiert werden kann. Es werden folgende Zeichen und Abkürzungen verwendet: In der Textzeile: "+" = kurze Pause (ca. l Sek.) "++" = mittlere Pause (ca.2 Sek.) "+++" = längere Pause (mit Sekundenangabe in der Kommentarzeile) "xxx" = lexikalisch nicht belegbare Artikulation (z.B. unverständliches Sprechen, aber auch: Lachen, mit Spezifizierung in der Kommentarzeile); steht ferner für aus DatenschutzgrUnden getilgte Namen und Adressen

Trans krlptlons Vorschriften

":"

7

= gedehnte Aussprache in der vorhergehenden Silbe. Bei längerer Dehnung werden mehrere Doppelpunkte gesetzt "?" = Fragen und Fragehandlungen T = Aufforderungen und Ausrufe In der Kommentarzeile werden verschiedenartige Erläuterungen gegeben: "Übersetzungen*' dialektaler Ausdrücke und Wörter. Angaben zum expressiven Gehalt einer Äußerung (z.B. "erstaunt"). Kommentierung zur Verständnissicherung; dabei werden folgende Abkürzungen verwendet: best. = bestätigend vero. = verneinend unverst. = unverständlich üben. = überlegt selbstb. = selbstbestätigend Bei der erstmaligen Verwendung in einem Text oder einem Textausschnitt stehen die nichtabgekürzten Formen. Die Kommentarzeile enthält weiterhin Erläuterungen zur Situation (z.B. "verläßt den Wagen"). Schließlich werden Redeabbrüche durch "A" gekennzeichnet. Simultanes Sprechen wird zeilenübergreifend durch eckige Klammern angezeigt.

EINLEITUNG: DER "FORTGESCHRITTENE" ZWEITSPRACHERWERB Gerd Antos 1. "ICH KANN JA DEUTSCH!" ???

"Ich kann ja Deutsch!" Mit diesen Worten weist das zehnjährige Türkenmädchen Aynur das Ansinnen zurück, im sog. "Förderuntenicht" - wie die anderen Ausländerkinder auch - Deutsch zu lernen. Denn: "Förderuntenicht ist doch Nachsitzen!" Und: "Förderunterricht" heißt im Schuljargon zutreffend und abwertend zugleich "Ausländerklasse". Also gleich eine doppelte Zumutung für ein Kind, das nicht ganz zu Unrecht annehmen darf, sich in Deutsch erfolgreich verständigen zu können. Wie aus dem Tonband bzw. aus dem entsprechenden Transkript hervorgeht, wollen allerdings weder die türkische Studentin noch der deutsche Betreuer Aynurs sehr selbstbewußt vorgetragene Ansicht ihre Deutschkenntnisse betreffend ganz ernst nehmen. Offenbar irritiert sie der "naseweise" Anspruch des Mädchens. Diese fast beiläufige Episode bietet sich als guter Einstieg in den "fortgeschrittenen" Zweitspracherwerbs (ZSE) an. Einfach deshalb, weil das "Ich kann ja Deutsch!" gleich drei nützliche Provokationen für eine Erforschung des fortgeschrittenen ZSE beinhaltet: Der zunächst auffälligste Unterschied zum "frühen" ZSE: Ausländische Migrantenkinder, die wie das Türkenmädchen Aynur schon seit früher Kindheit in der Bundesrepublik leben oder hier geboren wurden, sprechen - oft sogar "akzentfrei" - Deutsch (wenn man, wie bei deutschen Kindern auch, die Beherrschung des Ortsdialekts mit der "Beherrschung des Deutschen" gleichsetzt). Wer sich aber mit dem ZSE beschäftigt - und das ist in der Regel der "frühe" ZSE - wird zunächst einmal den mühsam Deutschlernenden, den "radebrechenden" Sprecher vor Augen haben. Wie bestimmend dieser Eindruck ist, zeigt sich erst, wenn man mit fortgeschrittenen Lemem konfrontiert ist. Sehr schnell stellen sich dann nämlich grundsätzliche Fragen nach dem Sinn einer solchen zsE-Forschung: Findet bei zielsprachlich angenäherten Lernern überhaupt noch ein Spracherwerb statt? Sind die zu untersuchenden Sprecher "eigentlich" noch Lerner? Wie sinnvoll ist daher die Erforschung des ZSE bei Kindern, die - zumindest beim oberflächlichen Hinhören - oft kaum mehr von deutschen Kindern zu unterscheiden sind? Solche das Selbstverständnis und womöglich die Legitimation einer "praxisnahen" zsE-Forschung berührenden Fragen, belegen eine einseitige Forschungsperspektive: hi der "frühen" ZSE muß die Fremdheit von der Zielsprache und damit auch die relative Eigenständigkeit der (elementaren) Lernervarietät betont werden. Bei der Erforschung von zielsprachlich angenäherten Varietäten des fortgeschrittenen Erwerbs scheint aber eine Perspektive wichtig, die die Nähe, nicht die Fremdheit der Lemervarietät zur Zielsprache betont. Natürlich

Einleitung

9

ist dies "nur" eine Perspektivenverlagerung, doch beugt sie vielleicht einer nicht ganz vermeidbaren "deformation professionelle" vor, die ihre "Objekte" vorwiegend als "radebrechenden Lerner" und nicht als "Beherrscher" einer Zweitsprache sieht. Eine zweite Provokation: Vielleicht mit Ausnahme der nicht kleinen Gruppe von sprachlich "fossilierten" Sprechern wird in der zsE-Forschung unterstellt, daß die "Forschungsobjekte'' "Sprachlemer" sind. Das mag objektiv richtig sein. Daß jedoch eine solche Feststellung nicht unproblematisch ist, zeigt ein Blick auf die muttersprachlichen "Sprachlemer": Auch hier beendet erst das hohe Alter oder der Tod das Sprachlernen. Trotzdem werden wir Deutschen - wie Aynur - kaum zögern und freiweg bekennen, daß man doch Deutsch könne. Damit stellt sich aber die Frage: Wie lange und wie "intensiv" verstehen sich zweitsprachige Sprecher noch als Lemer? Im gleichen Sinn wie muttersprachliche Sprecher, die sich in der Regel ja nicht mehr als Lemer verstehen, obwohl sie es faktisch doch sind? Oder anders? Und welche Konsequenzen hat dies möglicherweise für das Tempo und den Endzustand des Spracherwerbs? Schließlich: Könnten nicht auch Fossilierungen von Sprechern damit zusammenhängen, daß sie sich - durchaus kontrafaktisch - nicht mehr als Lemer, sondern als leidlich "erfolgreiche" Sprachbenutzer verstehen? Schließlich noch eine dritte mögliche Provokation, die Aynurs: "Ich kann ja Deutsch!" impliziert. Ganz selbstverständlich reklamiert sie für sich das, was man die "Sprachbeurteilungskompetenz" eines native speakers nennen könnte. Die Reaktion der beiden Betreuer ist aufschlußreich: Durch ihre eher implizit-ironische Kommentierung der Äußerung reproduzieren sie das offenkundig selbstverständliche "Sprachbeurteilungs- Monopol" von Deutschen gegenüber deutschsprechenden Ausländern. Selbst die türkische Betreuerin, die allerdings eine "nativenahe" Sprecherin des Deutschen ist, macht durch ihre Reaktion deutlich, daß Aynurs Anspruch nicht ganz ernst zu nehmen ist. Ohne diese eher nebensächlich wirkende Episode übertreiben zu wollen: Wer würde einem deutschen Schulkind gegenüber sich unterstehen - und sei es nur im Spaß - die Beherrschung "seiner Sprache" (seines Idiolekts) in Zweifel zu ziehen? Läßt man einmal die in der Schule geforderten sprachlichen Fähigkeiten beiseite, so wird man wohl zunächst einmal jedem native speaker a priori, dJi. ohne Tests etc., eine gleichsam "grund(ge)sätzliche" sprachliche Selbstbeurteilungskompetenz zubilligen. Gegenüber in Deutschland aufgewachsenen oder gar geborenen Ausländern aber scheint es diesbezüglich Vorurteile zu geben, die womöglich gar nichts mit den faktischen Deutschkenntnissen zu tun haben. Denn ganz gleich wie "gut" auch immer "native-nahe" Ausländer Deutsch sprechen: Würde nicht das Zugeständnis einer den Deutschen gleichgestellten sprachlichen Selbstbeurteilungskompetenz ein tiefsitzendes, die eigene Identität berührendes Monopol verletzen? Gerade je mehr einheimische Ausländer tendenziell ihre Deutschkenntnisse verbessern, um so wichtiger wird für Deutsche offenbar eine von den faktischen Fähigkeiten unabhängige Grenzziehung bei der Beurteilung sprachlicher Fähigkeiten. Begünstigt wird dieses Sprachbeurteilungsmonopol durch die alltagsweltliche

10

G. Autos, "Ich kann Ja Deutsch!"

Offenheit bzw. wissenschaftliche Unklarheit in Bezug auf das, was "eine Sprache sprechen können" genau meint. DJh.: Es gibt kein klares Kriterium für das Deutsch-Sprechen-Können: Ist es die akzentfreie Aussprache beispielsweise der Standardsprache? Dann würden die meisten dialektal gefärbten Sprecher per definitionem kein Deutsch sprechen. Oder soll die sichere Beherrschung der Flexionen, der differenzierte Gebrauch der Lexik oder eine nicht-restringierte Syntaxbeherrschung Maßstab sein?

Offenbar läßt sich eine Fülle von - zumeist nicht sehr klaren - dafür aber dialektal, soziolektal oder medial variierenden Kriterien finden. Es scheint, als ob gerade diese Kriterienvielfalt das genannte Sprachbeurteilungs- Monopol von Deutschen gegenüber einheimischen "Ausländern" unangreifbar macht: Denn so ist es möglich, im Bedarfsfall immer neue Grenzen gegenüber deutschsprechenden Ausländern zu ziehen. Dabei sind diese Urteile - zumindest im Alltag - primär keine sprachlichen, sondern soziale (d.h. ingroup/ outgroup definierende) Urteile. Etwa nach dem (Stammtisch-) Motto: "Wer richtiges Deutsch spricht, bestimmen wir!" Es ist also nicht ganz unnütz, wenn man sich mit den drei genannten provokanten Implikationen des "Ich kann ja Deutsch!" als Erforscher des fortgeschrittenen ZSE auseinandersetzt. Damit werden einige Selbstverständlichkeiten in Frage gestellt und der Blick für unvoreingenommene Fragen geschärft: Wie ausgeprägt sind die Deutschkenntnisse wirklich? An welchen Kriterien läßt sich dies messen? Inwieweit konvergieren die Deutschkenntnisse der einheimischen Ausländerkinder mit denen vergleichbarer deutscher Kinder? Oder anders herum akzentuiert: Inwiefern überlagert sich der gleichermaßen deutsche wie ausländische Kinder betreffende entwicklungsbedingte Spracherwerb mit spezifischen Prozessen des ZSE und inwieweit werden diese Prozesse durch den schulischen Sprachunterricht beeinflußt? Diese Fragen müssen unter dem grundsätzlichen Vorbehalt einer "bleibenden Fremdheit des Fremdsprachensprechers" (EHLICH 1986) gestellt werden. Denn inwieweit das jeweilige Mischungsverhältnis von Beherrschung und Fremdheit der Zweitsprache bei fortgeschrittenen Lernem gediehen ist, ist selbst Gegenstand dieser Forschung. 2. DER FORTGESCHRITTENE ZWE1TSPRACHERWERB: PRO UND CONTRA 2.L DIE GEGENARGUMENTE: "DER ZWEITE SCHRITT VOR DEM ERSTEN?"

Die bisherigen Forschungen zum ungesteuerten ZSE konzentrieren sich auf den Beginn des Erwerbsprozesses. Im Zentrum des Interesses stehen daher auch "elementare Lemervarietäten". Diese Beschränkung der zsE-Forschung auf die Erforschung des "frühen" Erwerbs hat seine guten Gründe: Die ZSEForschung ist (etwa im Vergleich zur L·!- Erwerbsforschung) eine noch sehr junge Disziplin. Und von einer um Etablierung bemühten Disziplin ist die Erarbeitung ihrer methodischen und theoretischen Grundlagen und damit

Einleitung

11_

Konzentration auf Überschaubares und schrittweises Vorgehen zu verlangen. Dies erfordert - nicht zuletzt ebenfalls in Hinblick auf das Vorbild der Li-Erwerbsforschung - geradezu zwingend, beim Erwerbsstart und nicht willkürlich "mittendrin" mit der Erforschung des ZSE zu beginnen. Angesichts dieser Ausgangslage erscheint ein Plädoyer für eine systematische Erforschung des fortgeschrittenen ZSE als verfrüht, im Hinblick auf die methodischen und forschungspraktischen Gründe, die jedenfalls im gegenwärtigen Zeitpunkt für eine Konzentration auf die Erforschung des "frühen" ZSE sprechen, setzt man sich zwangsläufig dem Verdacht aus, den zweiten vor dem ersten Schritt tun zu wollen. Um die Stichhaltigkeit dieses Verdachts zu überprüfen, sollen im Folgenden die •wichtigsten Argumente, die für den status quo und damit für eine Priorität der Erforschung des "frühen" ZSE sprechen, zusammengefaßt werden: 2.2. ZUR FORSCHUNGSPRIORITÄT DES "FRÜHEN" ZWErTSPRACHERWERBS 2.2.1. DAS VORBILD: DIE Ll-ERWERBSFORSCHUNG

Wissenschaftliche Disziplinen "fallen nicht vom Himmel", sondern entwickeln sich als Disziplinen wesentlich dadurch, daß sie Alternativen zu bestehenden Ansätzen aufzeigen oder sich an verwandte Disziplinen in methodischer (sowie institutioneller) Hinsicht anlehnen. Entsprechendes zeigt sich in der zSE-Forschung: Sie wurde fast zwei Jahrzehnte lang als Alternative zur Sprachlehrforschung interpretiert (FELIX 1982), und hat aus dieser Abgrenzung wesentlich ihr Selbstverständnis als eine eigenständige Disziplin bezogen. Zugleich hat sie sich bis heute eng an der Li-Erwerbsforschung orientiert: Mit ihr teilt die ZSE-Forschung zentrale methodische Grundsätze, definiert sich vielfach anhand gleicher theoretischer Rahmenbedingungen (z.B. am Nativismus CHOMSKYscher Prägung) und überträgt Hypothesen aus der Li- Erwerbsforschung auf das Material des ZSE. Wie weit diese disziplinäre Parallelisierung gegangen ist, zeigt die zeitweilig heftig diskutierte LI = L2-Hypothese (dazu FELIX 1982:78ff, BAUSCH/KASPER 1979). Selbstverständliche Voraussetzung für die Erforschung des Li-Erwerbs bis heute ist, daß Analysen den Erwerb eines sprachlichen Phänomens von Beginn an nachzeichnen. Mehr noch: da die überwiegende Anzahl von Sprachphänomenen in den ersten Jahren des Erwerbs auftreten, sind - nach bald 8O Jahren Spracherwerbsforschung - Arbeiten zum "späten" Li-Erwerb, also zum "Spracherwerb von 6 bis 16" (ÄUGST 1978), immer noch unterrepräsentiert. Angesichts dieser kaum geänderten Verteilung von Forschungsprioritäten im Erstspracherwerb scheint eine davon abweichende Prioritätensetzung bei der ZSE-Forschung kaum realistisch zu sein - jedenfalls dann nicht, solange sie sich nicht vom Paradigma der Li-Erwerbsforschung befreit.

12

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

2.2.2. METHODISCHE KONTROLLEERBARKE1T DES LERNPROZESSES

Seit sich etwa gegen Ende der 6O-er Jahre die Erforschung des "ungesteuerten" oder "natürlichen" Zweitspracherwerb von der bis dahin auf diesem Gebiet dominierenden Sprachlehrforschung in Gegenstand, Zielsetzung und Methodik emanzipiert hat, steht die Analyse des Sprachlernprozesses und damit die sprachliche Entwicklung des Lemers im Blickpunkt der Forschung - und nicht wie in der Sprachlehrforschung der damaligen Zeit die Analysen von Bedingungen, Methoden und Resultate des Lernerfolgs . Aus Gründen der methodischen Kontrollierbarkeit muß aber die Analyse des Sprachlemprozesses sowohl bezüglich der Daten als auch bezüglich der sie erklärenden Hypothesen folgende Bedingungen erfüllen: - Der Erwerbsprozeß muß von Anfang an nachzuzeichnen sein! Einmal, weil es sich nicht um eine "Resultats- ", sondern um eine Prozeßanalyse handelt; zum anderen aber, weil nur der Erwerbsstart den einzig verläßlichen Fixpunkt für die zum Teil divergenten Erwerbsverläufe darstellt. D.h.: Trotz unterschiedlicher individueller, sozialer, motivationeller Einflußgrößen auf den Erwerb einschließlich der u.a. daraus resultierenden Varianten Lemverläufe (CLAHSEN/MEISEL/PIENEMANN 1983) haben zumindest alle Lernprozesse eines gemeinsam: den Erwerbsstart als ihren gemeinsamen Ausgangspunkt. Es versteht sich daher von selbst, daß dieses Element methodischer Kontrollierbarkeit nicht ohne Not aufgegeben werden darf. - Ein weiterer Vorteil dieser Kontrollierbarkeit ist die Übersichtlichkeit hinsichtlich der zu untersuchenden Phänomene am Erwerbsbeginn. Da Lemer für den Forscher mit relativ Überschaubaren sprachlichen Formen und Strukturen beginnen, kann man sich diese "Gegenstandsökonomie" als Teil der Beschreibungsökonomie methodisch und praktisch zunutze machen. (Daher die anfängliche Vorliebe für die Untersuchung von Negation oder Interrogation, vgl. FELDC 1982). - Ein dritter Aspekt der Kontrollierbarkeit betrifft die Vergleichbarkeit von Erwerbsergebnissen. Diese ist erforderlich, um hinter den unterschiedlichen Erwerbsprozessen (z.B. zwischen Lemern mit je unterschiedlichen Ausgangs- bzw. Zielsprachen) gemeinsame Erwerbsprinzipien (relativ zu den durchlaufenen "Erwerbsstadien") entdecken zu können. Fixpunkt dieses Vergleichs ist allemal das je erste (nicht unbedingt zielsprachlich korrekte) Auftreten einer sprachlichen Form/Struktur. 2.2.3. DAS EXPLANATIVE ARGUMENT

Daß der ZSE wie der Spracherwerb überhaupt ein höchst verwickelter Prozeß ist, braucht nicht eigens betont zu werden. Daher ist es eine sinnvolle Strategie, gleichsam nach einem "roten Faden" im "Knäuel" der Erwerbsverläufe zu suchen. Dieser "rote Faden" scheint für viele Spracherwerbsforscher in der Annahme von sog. "Entwicklungssequenzen" zu liegen. Grob vereinfacht besagt diese Annahme, daß der Erwerb sowohl der zielsprachlich- abwei-

Einleitung

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chenden als auch der zielsprachlich-korrekten Sprachstrukturen trotz individueller und sozial-situativer Varianzen im Kern invariant, d.h. geordnet und systematisch verläuft. Die Annahme von (womöglich universalen) Entwicklungssequenzen, die als eine Folge von nicht-willkürlichen und obendrein angeblich diskreten Erwerbsstadien aufgefaßt werden, impliziert natürlich einen prognostischen und damit explanativen Anspruch (Exemplarisch dazu: FELDC (1982) und CLAHSEN/MEISEL/PIENEMANN 1982: 32ff). Dies versetzt nun die "frühe" zsE-Forschung in die Lage, t dort ein Erklärungsangebot vorweisen zu können, wo andere allenfalls mit (singulären) Beobachtungen aufwarten und 2. via Hypothesenüberprüfung und -bestätigung in Aussicht zu stellen, daß ein schneller (Teil-) Erfolg im Bereich der "frühen" zsE-Forschung nahegerückt sei. Zusammengefaßt könnte man also sagen: Sollte sich die Entwicklungssequenz-Hypothese (in der heute diskutierten Form) bestätigen, so wäre der Weg für eine daran anschließende Erforschung des fortgeschrittenen ZSE klar vorgezeichnet. Man könnte sich damit Um- und Irrwege ersparen und unter forschungsökonomischen Aspekten die Arbeit auf ein erfolgversprechendes explanatives Konzept konzentrieren. Denn ein explanativer Weg ist tendenziell immer schneller und damit effektiver als ein explorativer Aktionismus. Anstatt also systematisch die Ergebnisse der "frühen" zsEforschung zu konsolidieren, wäre die Analyse der späteren Erwerbsphasen zum jetzigen Zeitpunkt ein methodisch nicht ausgewiesener Versuch, die Forschung an der falschen Stelle zu beschleunigen. Also doch der zweite Schritt vor dem ersten? 2.3. DER FORTGESCHRITTENE ZWE1TSPRACHERWERB: PRO-ARGUMENTE 2.3.1. ABGRENZUNG

Der Begriff "fortgeschrittener Zweitspracherwerb" wurde bisher pauschal zur Bezeichnung der mittleren bis späten Erwerbsphasen verwendet. Zusätzlich wurde dieser Begriff von den "elementaren Lernervarietäten" abgegrenzt. Als präziseres Abgrenzungskriterium scheint eine Feststellung aus dem Syntaxerwerb geeignet zu sein. So heißt es in einem Forschungsbericht des Heidelberger Projekts: "In den ersten zwei bis drei Jahren lernen alle Informanten bezüglich ihrer Syntax. Nach dieser Aufbauphase stabilisiert sich die Syntax auf einer charakteristischen Marke, deren Höhe von anderen Sozialfaktoren wie "Kontakt", "Einreisealter" etc. abhängt. Sprecher mit günstigen Leinbedingungen erreichen in diesem Zeitraum ein höheres Lemniveau (...) als Sprecher mit lernungünstigen Bedingungen (...). Hat sich das Syntaxniveau einmal stabilisiert, tritt eine Dynamisierung vermutlich erst dann wieder ein, wenn sich andere soziale Faktoren verändem"(HPD 1976:325 O. In einer Auseinandersetzung mit dem Heidelberger Projekt unterstützen CLAHSEN/MEISEL/PIENEMANN (1983:47) ebenfalls den zitierten Einschnitt im Syntaxerwerb: "Es ist nun aber unumstritten (...), daß der Erwerb der Syntax

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sich im wesentlichen in den beiden ersten Jahren abspielt; wir vermuten sogar, daß die ersten 18 Monate in der Regel ausschlaggebend sind." Bei dieser Feststellung ist zu beachten, daß die Abgrenzung strenggenommen nicht am Erwerbszeitraum festgemacht werden kann, sondern sich nach sprach- bzw. erwerbsstrukturellen Gesichtspunkten richten muß. Gleichwohl darf cum grano salis angenommen werden, daß Zweitsprachlemer durchschnittlich zwei Jahre für den Erwerb einer elementaren Syntax benötigen. Eine anders geartete Sichtweise führt bei EHLICH (1986) zu einer durchaus ähnlichen Unterteilung. Er unterscheidet verschiedene "Stufen in der Beherrschung einer fremden Sprache": "nonverbale Kommunikation", "Rudimentärstufe" (gekennzeichnet u.a. durch "häufig vorkommende, meist formelhafte Versatzstücke"(1986:46)), "Elementarstufe", "Differentialstufen", "entwickelte Fremdsprachenstufe", "'near-native'-Stufe" und "Bilingualstufe". Der "fortgeschrittene ZSE" begänne mit den "Differentialstufen", die EHLICH zusammenfassend so charakterisiert: "Anders als beim Erstspracherwerb, der (...) relativ integral verläuft, d.h. die phonologischen, morphologischen, syntaktischen, semantischen, idiomatischen und pragmatischen Strukturen, bezogen auf charakteristische Handlungszusammenhänge, in einer kommunikativ und lernbezogen günstigen Weise zugänglich macht, ergeben sich für die verschiedenen Dimensionen der Sprache innerhalb der Differentialstufen beim Erwerb der fremden Sprache Ungleichläufe und entsprechende Ausfälle einerseits bei gleichzeitigen guten Fortschritten andererseits."(EHiiCH 1986:46). Auch unter dem von EHLICH diskutierten Aspekt der unterschiedlichen, aber "bleibenden Fremdheit des Fremdsprachensprechers" scheint eine Dichotomisierung der ZSE-Forschung motivierbar zu sein. Allerdings: eine Begründung für die Erforschung des fortgeschrittenen ZSE, nach der sich dann auch der Präzisionsgrad einer möglichen Operationalisierung der Dichotomic richten würde, steht trotz der bisherigen Abgrenzungsversuche noch aus. Ist aber eine Begründung für die Erforschung des fortgeschrittenen ZSE angesichts der bewußt ausführlich diskutierten starken Contra-Argumente überhaupt möglich? 2.3.2. ZWEITSPRACHERWERBSFORSCHUNG UND DIE "ZWEITE GENERATION"

Bevor auf die Contra-Argumente eingegangen wird, möchte ich das wichtigste Pro-Argument nennen: Eine Erforschung des fortgeschrittenen L2-Erwerbs ist notwendig, weil die meisten Migranten, insbesondere die sog. "Zweite Generation" (SCHRADER/NIKLES/GRIESE 1979), sich im fortgeschrittenen ZSE befinden! Millionen von Migranten sind - nicht nur in der Bundesrepublik - jedenfalls schon länger als zwei oder drei Jahre in der neuen Gesellschaft und Kultur "eingepaßt". Die von den "Gastländern" gedachte befristete Arbeitsmigration ist in vielen westlichen Industriestaaten zu einer faktischen Einwanderung geworden: "Viele Arbeiter werden ohne Zwang unser Land nicht verlassen, weil sie befürchten müssen, auf lange Zeit und vielleicht für immer keine Chance mehr zu erhalten, bei uns arbeiten zu können. Sie holen deshalb - soweit möglich - ihre Familien und Kinder in die

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Bundesrepublik nach. Immer mehr Kinder von Ausländern - nachgeholt oder hier geboren - wachsen in der Bundesrepublik auf, gehen hier zur Schule und verbringen die entscheideden Jahre der Erziehung und Ausbildung in unserer Gesellschaft. Es formiert sich eine "Zweite Generation" ausländischer Arbeiter" (SCHRADER/NTKLES/GRIESE 1979:9). Dieser Hinweis, der nur stellvertretend für die sozialpolitische Situation der Einwanderer stehen soll, scheint für die linguistische L2-Erwerbsforschung nicht übeiflüssig zu sein: Denn anders als etwa in der Ausländerpädagogik, insbesondere in der Pädagogik für Ausländerkinder (RÖHR-SENDLMEEER 1985), wird in der linguistischen zsE-Forschung die "Zweite Generation" (die hier wiederum exemplarisch für fortgeschrittene L2- Sprecher steht) so gut wie gar nicht berücksichtigt. (Ausnahme sind beispielsweise die Arbeiten von STÖLTING (198O) und PFAFF/PORTZ(1979). Daß dies weitgehend mit den schon genannten forschungsimmanenten Gründen zusammenhängt, liegt nahe. Damit scheint sich aber ein Konflikt zwischen wissenschafts-extemen, in unserem Fall: sozialpolitisch motivierten Forderungen und wissenschaftsintemen Erfordernissen abzuzeichnen. Konkret: Dürfen Postulate der Grundlagenforschung, nämlich explanative Ansätze für den überschaubaren Bereich der "frühen" ZSE-Forschung zu entwickeln, durch den Hinweis auf die sprachliche Situation der Mehrheit von Arbeitsmigranten relativiert oder gar zurückgenommen werden? Mit dieser Frage wird ein altes Problem und ein ideologischer Popanz zugleich berührt: die sog. "Wertfreiheit der Wissenschaft", die heute unter dem Schlagwort der "Finalisierung der Wissenschaften"( vgl. HUBIG/RAHDEN 1978) leidenschaftlich und politisch nicht unbelastet diskutiert wird. Ich glaube, daß der in der Finalismus-Debatte ausgetragene Streit über die gesellschaftliche Funktion von Wissenschaft die hier skizzierte Problematik zwar tangiert, sie aber im Kern gar nicht trifft und zwar aus folgenden Gründen: - Die Notwendigkeit einer sprachwissenschaftlichen Erforschung der "Zweiten Generation" restringiert und relativiert nicht die frühe ZSE-Forschung, sondern motiviert sie vielmehr: "Der enge Zusammenhang zwischen politisch- ökonomischen und sozialpsychologischen Faktoren einerseits und den Möglichkeiten des Zweitspracherwerbs andererseits ist im Fall der Arbeitsmigration augenfällig. Daher ist die Frage nach dem Interesse und dem Nutzen sprachwissenschaftlicher Beschäftigung mit diesem Thema nur innerhalb eines solchen Rahmens zu beantworten. Dies bedeutet (...), daß die Beschreibung und die Erklärung des Sprachverhaltens ausländischer Arbeiter und die Sprachentwicklung bei diesen Lernern in Verbindung mit den genannten Faktoren betrachtet werden müssen" (CLAHSEN/MEISEIV 1983:2). Dieser Zusammenhang läßt sich in zwei Richtungen hin präzisieren: 1. Disziplinäre Entwicklung: Die Entstehung, Entwicklung und (forschungs-

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mäßige) Förderung der ungesteuerten zsE-Forschung als einer eigenständigen Disziplin ist eine Konsequenz der millionenfachen Arbeitsmigration in westliche Industriestaaten. Wer daher die Argumentation für eine Erforschung des fortgeschrittenen ZSE als wissenschafts-extemer Angriff auf eine "reine" Grundlagenforschung interpretiert, übersieht, daß eben diese (durchaus notwendige) Grundlagenforschung durch die genannten politökonomischen Verhältnisse initiiert und gefördert wurde. 2. Exlanativer Zusammenhang: Eine strikte Trennung zwischen linguistischen und außerlinguistischen Faktoren scheint auch unter methodisch-explanativer Perspektive zweifelhaft. So stellen CLAHSEN/MEiSEiypiENEMANN (1983:5) nachdrücklich fest: "Die entscheidende Rolle sozialpsychologischer Faktoren beim Spracherwerb wird in seltener Einmütigkeit von nahezu allen Studien zum natürlichen L2-Erwerb betont, unabhängig davon, ob es sich um Arbeiten zur Arbeitsmigration in Europa, Nordamerika und Australien im letzten Jahrzehnt handelt". Wenn aber (zumindest) Tempo sowie Richtung des Erwerbsverlaufs von externen Faktoren abhängen, kann die soziale und psychische Situation der fortgeschrittenen Lerner nicht unberücksichtigt gelassen werden. Und dies beginnt natürlich damit, daß der fortgeschrittene Erwerbsstand der Mehrheit der Lerner auch als Ausgangspunkt für weitere Forschungen akzeptiert wird. 2.3.3. ERST- UND ZWEITSPRACHERWERB: EIN NEUER "KONTRASTIVER" ANSATZ

Vor knapp einem Jahrzehnt hat ÄUGST auf das mangelnde Interesse von Linguisten an der Erforschung des fortgeschrittenen (Erst-) Spracherwerbs hingewiesen: "Einige Forscher (...) erklär(t)en den Spracherwerb kurzerhand mit 4-5 Jahren (weitgehend) für abgeschlossen. Dies hat zu einer merkwürdigen Zweiteilung in der Geschichte der Forschung geführt: Während Psychologen und Linguisten vorwiegend die Zeit von O-6 Jahren, hier mit einem deutlichen Übergewicht der Jahre O-3, erforsch(t)en, wende(te)n sich die Didaktiker der Zeit von 6-16 zu, aber auch hier einem deutlichen Übergewicht für die Jahre 6- 1O"(ÄUGST 1978:8). Dieser Hinweis ließe sich heute auf die ZSE-Forschung übertragen und zugleich als Beleg dafür benutzen, wie stark die Orientierung an der Li- Erwerbsforschung tatsächlich ist. Natürlich gibt es für diese "merkwürdige Zweiteilung" der Forschung handfeste Gründe: "Sicherlich ist der Spracherwerb ab 6 Jahren nicht mehr so spektakulär, die Fortschritte nicht mehr so greifbar, Syntax und Morphologie, Phonetik und Phonologic sind in ihren Grundstrukturen erworben, teilweise, was vor allem die Lautbildung betrifft, weitgehend abgeschlossen. Aber die Entwicklung semantischer, lexikalischer, textueller (pragmatischer) Strukturen beginnt erst eigentlich in diesem Alter, die Ausbildung uneigentlicher Sprechakte (impliziter Sprechakte, Ironie usw.) sowie argumentativer Formen erfolgt sogar erst später. Ist die Sprache beim Vorschulkind noch sehr stark situativ bestimmt, so löst sie sich erst in der Schulzeit davon ab, am deutlichsten zu greifen im Erwerb der Schriftsprache" (ÄUGST 1978:8 f). Ein Großteil dieser Argumente ließe sich ohne Schwierigkeiten auch auf die Forschungslage des ZSE über-

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tragen. Wenn man berücksichtigt, daß trotz der Wichtigkeit des von ÄUGST umschriebenen Forschungsdesiderat sich nichts Wesentliches an den Forschungsverhältnissen geändert hat - vielleicht mit Ausnahme der Erforschungen zur Ontogenese der schrift- sprachlichen Fähigkeiten bei Schülern und Studenten (AUGST/FAIGEL 1986) - wird man im Hinblick auf Chancen und Grenzen des fortgeschrittenen ZSE zweierlei in Rechnung stellen müssen: 1. Wenn die Analyse des ZSE die Li- Erwerbsforschung kopieren sollte, dann allerdings wird der fortgeschrittene ZSE noch geraume Zeit Domäne der Ausländerpädagogik bleiben. 2. Sollte sich dennoch eine fortgeschrittenen zsE-Forschung in der Linguistik etablieren, dann wohl nur gemeinsam mit der Erforschung des fortgeschrittenen Ll-Erwerbs. Methodisch würde diese "Tandem"-Forschung auf eine kontrastive Erwerbsprozeßanalyse zwischen Ll und L2 hinauslaufen. Dazu einige Implikationen und Vorteile: - Es liegt aus den schon diskutierten Gründen nahe, den fortgeschrittenen ZSE der Migrantenkinder zu untersuchen. Methodisch betrachtet ist die Koppelung von ZSE-Forschung und Kindersprachenforschung nicht unproblematisch, da sich hier in unkontrollierter Weise sprachliche und kognitive Entwicklungen überlagern. Aus diesem Grund leuchtet ein, wenn viele der bisherigen Untersuchungen (z.B. das Heidelberger und das ZISA und das ESF-Projekt vgl. PERDUE (1982)) sich ausschließlich mit erwachsenen L2Lemem beschäftigten. Andererseits ist der fortgeschrittene Li-Erwerb zwangsläufig ein Spracherwerb von (Schul- ) Kindern. Damit eröffnet sich aber für den fortgeschrittenen ZSE von Kindern die methodisch vorteilhafte Chance einer kontrastiven Erwerbsanalyse. Konkret: Wenn man sozial vergleichbare deutsche und ausländische Schulkinder bezüglich ihres Spracherwerbs miteinander vergleicht, lassen sich die kognitiv-entwicklungsmäßigen Faktoren sozusagen "herauskürzen". (Dies allerdings nur unter der Annahme, daß die ausländischen Kinder ihre Muttersprache in einem für ihre kognitive Entwicklung ausreichendem Maße beherrschen (REHBEIN 1986)). "Übrig bleiben" sprachliche Erwerbsprozesse von vergleichbaren Schulkindern, die im Hinblick auf sprachliche Konvergenz bzw. Divergenz miteinander verglichen werden können. - Ein solcher Vergleich liegt auch - jedenfalls für Schulkinder zwischen 6 und 1O Jahren - sehr nahe, weil diese Kinder gemeinsam die gleiche Schule besuchen. D.h.: Sowohl deutsche wie auch ausländische Kinder werden zusätzlich zu ihrem "natürlichen" Erst- bzw. Zweitspracherwerb mit einem "gesteuerten" Spracherwerb, d.h. mit dem "Einsatz formaler Lehrverfahren" (FELIX 1982:118) konfrontiert. Für einen Großteil der (sozial miteinander vergleichbaren) Schülern, und zwar deutschen wie ausländischen, heißt das: Sie müssen ergänzend zu ihrem Ortsdialekt Standarddeutsch, vor allem dessen schriftsprachliche Ausprägung, erlernen. Gerade bei sozial benachteiligten deutschen Kindern bzw. bei ausgprägten Dialektsprechem wäre auf dem Hintergrund der propagierten Tandem"-Forschung aufschlußreich, inwieweit solche Kinder in der Schule mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, die denen ihrer auslän-

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dischen Mitschüler ähnlich oder gar strukturell gleich sind.Daraus resultieren zwei Konsequenzen: - Der schulische beeinflußte bis vermittelte Erstsprachenverb bei den genannten deutschen Kindern würde nicht unter dem - vor allem in der Didaktik interessierenden - Aspekt des Lernerfolgs untersucht, sondern dem L1-/L2Paradigma entsprechend unter dem Aspekt der Analyse von Lernprozessen (FELIX 1982). - Umgekehrt stellt sich für den Deutschspracherwerb ausländischer Schüler die Frage, inwieweit die soziolinguistische Sprachbarrieren-Diskussion vergangener Tage nicht für die Beschreibung und Erklärung der schulischen Situation herangezogen werden müßte. Dies 'würde dem Prozeß der "Unterschichtung" (SCHRADER/NIKLES/GRIESE 1979:22ff) unserer Gesellschaft durch Einwanderer Rechnung tragen. Faßt man diese Argumente als Antwort auf das Contra-Argument in 2.2.1. zusammen, so läßt sich folgendes festhalten: Wenn eine Forschungspraxis beim ZSE nur im Zusammenhang mit der Ll-Erwerbsforschung möglich sein sollte, dann müßten die Realisierungschancen einer fortgeschrittenen ZSEForschung in dem Maße steigen, in dem sie zugleich den entsprechenden Li-Erwerb mit berücksichtigt (KUTSCH 1987). Über forschungsstrategische Gründe hinaus wäre eine solche Kooperation auch aus methodischen Gründen erforderlich, um beim ZSE von (ausländischen) Schulkindern die kognitiventwicklungspsychologischen Faktoren isolieren zu können.Damit träte als dritter Aspekt die soziolinguistische Dimension des schulisch gesteuerten Spracherwerbs in den Vordergrund: Bei der Unterstellung einer gemeinsamen kognitiven Entwicklung von deutschen und ausländischen Schulkindern wäre zu prüfen, inwieweit vergleichbare schulisch induzierte Sprachbarrieren auftreten (Probleme beim Schriftspracherwerb, Orthographie usw.). In sozialpolitischer Hinsicht würden damit die Schulprobleme der "Zweiten Generation" nicht als "Ausländerproblem" ausgegrenzt und stigmatisiert, sondern als ein Ethnien übergreifendes Problem sozialer Benachteiligung behandelt. 2.3.4. ZUR KRITIK DER ZIELSPRACHLICHEN HOMOGENITÄTSANNAHME

Daß der Vorschlag einer stärker soziolinguistisch ausgerichteten zsE-Forschung nicht "offene Türen einrennt", zeigt die Verwendung des Begriffs "Zielsprache": So als hätte es die soziolinguistische Kritik LABOVS an der CHOMSKYschen Homogenitätsannahme nicht gegeben, wird in Arbeiten zum ZSE in bemerkenswert unreflektierter Weise von "der Zielsprache" gesprochen. Obwohl aus der Forschungstradition erklärlich (methodische Anlehnung an eine Syntax-orientierte Li-Forschung im Gefolge der CHOMSKYschen Nativismus-Hypothese), ist es doch erstaunlich, daß der ungesteuerte ("natürliche") ZSE einerseits als ein "Spracherwerb auf der Straße" versinnbildlicht wird, andererseits aber keine Konsequenz aus der Tatsache gezogen wird, daß die dort zu hörende Sprache nicht so ohne weiteres mit der StandardVarietät gleichgesetzt werden kann.

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Eine gewisse Ausnahme bilden die beiden großen bundesdeutschen L2-Forschungsprojekte: Im Heidelberger Projekt wird realistischerweise hervorgehoben, daß man zufrieden sein könne, "wenn eine Varietät der Zielsprache erreicht wird und eventuell Andeutungen weiterer" (HPD 1976:63). Im übrigen gewährleiste die Anwendung der Varietätengrammatik zumindest eine theoretische Berücksichtigung des Problems (HPD 1976:640. Einen wichtigen Schritt weiter gehen CLAHSEN/MElSEL/PffiNEMANN mit ihrem "mehrdimensionalen Sprachenverbsmodell" (1983:38ff), in dem neben der "Entwicklungsdimension" eine zweite "lemertypische" Dimension des ZSE vorgesehen ist. Dieser Differenzierung steht allerdings gegenüber, daß nirgends problematisiert wird, welche strukturellen Unterschiede, aber auch Zusammenhänge bestimmte (gruppenspezifischen) Lemervarietäten mit unterschiedlichen Zielvarietäten haben. Ansätze zu einer empirischen Differenzierung des Zielsprachenbegriffs liegen mit GUTFLEiscH (1979) und ORLOVIC-SCHWARZWALD/SCHMIDT bereits vor. Letztere kommen bei erwachsenen Probanden zu folgendem Ergebnis: "Die These von der fehlenden variativen Kompetenz der GAD- (Gastarbeiterdeutsch, G.A.) Sprecher und der konstanten Dialektalität der Zielsprache konnte nicht bestätigt werden". Die variative Kompetenz der Ausgangssprache befähigt "die Lerner, sehr rasch auch in der Zielsprache eine passive variative Kompetenz in Hinsicht auf die areale Markiertheit von Varianten auszubildend...) Diese Ergebnisse führen zu der These, daß nicht eine bestimmte Sprechlage, sondern die Variablen des deutschen Dialekt/Standard-Kontinuums Zielsprache des GAD sind.L.) Spezifikum der Lernersprache wäre somit nicht die generell fehlende, sondern die partiell defektive variative Kompetenz" (ORLOVIC-SCHWARZAVALD/ SCHMIDT 1986: 251f). Mit diesem Ergebnis soll exemplarisch eine zentrale Aufgabe der fortgeschrittenen zsE-Forschung genannt werden: nämlich die theoretisch wie empirische Differenzierung des Zielsprachenbegriffs. Eine Konsequenz daraus wäre, daß primär das Interaktionsverhalten der Lerner untersucht werden müßte. Dies deshalb, weil für die Bestimmung des Erwerbsverlaufs entscheidend ist, in welcher Basisvarietät ein Lemer seine Zweitsprache erworben hat. Der häufig gegenüber ausländischen Schülern zu hörende Hinweis/ Vorwurf einer mangelnden Beherrschung des Deutschen ist nämlich neben seiner Pauschalität auch unter spracherwerblichen Aspekt wenig aussagekräftig, wenn nicht zuvor das Sprachverhalten (und damit die Basisvarietät) in natürlichen Interaktionen untersucht wurde (vgl. RATH/IMMESBERGER/SCHU 1987). Die Idealisierung einer Zielsprache in der frühen ZSE- Forschung ist zwar unter PraktikabUitätsgesichtspunkten zu verstehen, wird aber dem späteren Erwerbsverlauf nicht gerecht. Daher muß es ein Ziel der fortgeschrittenen ZSEForschung sein, das Verhältnis von Lemervarietät und Zielvarietäten zu bestimmen.

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2.3.S. ENTWICKLUNGSSEQUENZ, SPRACH STRUKTUR UND DIE AUSBILDUNG KOMPLEXER SPRACHLICHER FÄHIGKEITEN

Mit der Entwicklungssequenz-Hypothese wurde in 2.2.3 ein weiteres wichtiges Contra-Argument genannt. Selbst Kritiker dieser Hypothese räumen ein, "daß sich der Zweitsprachenerwerb zumindest bei einigen Strukturbereichen in teilweise geordneten Sequenzen vollzieht"(KNAPP-POTTHOFF/KNAPP 1982:95). Daher ist es aus den schon diskutierten Gründen (Forschungsökonomie und methodische Kontrollierbarkeit) wenig sinnvoll, den fortgeschrittenen ZSE von Lemem ohne den Erwerbsstart zu untersuchen. Wie will man verläßliche Aussagen über Erwerbsstadien und danach über ganze Erwerbssequenzen machen, wenn man nicht weiß, wie der frühere Spracherwerb abgelaufen ist? Zweifellos wäre es methodisch überzeugender, wenn man Lemerkarrieren durchschnittlich nicht nur 12 bis 24 Monate lang untersuchte (wie bei den meisten Longitudinaluntersuchungen, vgl. die Übersicht FELIX (1982:17f), in der allerdings die longitudinalen Erhebungszeiträume nicht explizit enthalten sind). Aber dann müßten beim longitudinal untersuchten Spracherwerb, der auch die fortgeschrittenen Phasen enthalten sollte, Erhebungszeiträume nicht unter vier bis fünf Jahren veranschlagt werden. Dies scheint unter forschungspraktischen Gesichtspunkten reichlich illusionär. Trotzdem kann mit der Entwicklungssequenz-Hypothese auch in einem separat untersuchten fortgeschrittenen ZSE gearbeitet werden: Denn manche Phänomene wie etwa der Erwerb von Partikeln (KUTSCH 1985) oder von "kausalen" Konnektoren (ANTOS 1985) lassen sich im fortgeschrittenen Erwerbsverlauf - auch unabhängig von der Kenntnis der Startphasen untersuchen. Bei angemessener Auswahl der zu untersuchenden Phänomene ist ebenfalls methodische Kontrollierbarkeit zu gewährleisten. Insofern spricht zunächst einmal nichts gegen eine Untersuchung von Entwicklungssequenzen unter den geschilderten Bedingungen. Eine solche Forschung ist sogar hinsichtlich notweniger Modifizierungen bzw. Überprüfungen der Entwicklungssequenz-Hypothese geradezu geboten und das aus mindestens drei Gründen: - Schon in vielen (Longitudinal)-Studien des frühen Erwerbs ist innerhalb von Erwerbsstadien beträchtliche (individuelle bzw. gruppenspezifische) Variation festgestellt worden (KNAPP-POTTHOFF/ KNAPP 1982:920. Das führt - insbesondere bei Konzeptionen, die Erwerbsstadien als "invariant" und "diskret" definieren (FELIX 1983:69fO- zu der Frage: "How much variation should be allowed within a given 'developmental stage'? (NICHOLAS/MEISEL 1983:64). Hinzu kommt, daß es mindestens zwei Abgrenzungskriterien für das Vorliegen eines Stadiums gibt: Soll man das Erwerbskriterium am - womöglich zufälligen - ersten Auftreten einer bestimmten Form festmachen ("emergence criterion") - oder abwarten, bis diese Form in einer bestimmten Häufigkeit (z.B. 8O% oder 9O% relativ zu "obligatorischen Kontexten") be-

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herrscht wird ("mastery criterion")? (NICHOLAS/MEISEL 1983:69f, KNAPPPOTTHOFF/ KNAPP 1982:93).

- Daß diese beiden den Erwerbs-Begriff direkt tangierenden Probleme bei der Analyse des fortgeschrittenen ZSE eher noch brisanter werden, unterstreichen KNAPP-POTTHOFF/ KNAPP: "Da sich die meisten vorliegenden Untersuchungen auf die Anfangsstadien des Spracherwerbs konzentrieren, ist z.Zt. noch weitgehend offen, ob auch für spätere, fortgeschrittene Erwerbsphasen Eigenschaften bestimmt werden können, für die es dann invariante Erwerbssequenzen gibt. Im Gegenteil gibt es Anlaß zu der Vermutung, daß sich zu dann erworbenen zweitsprachlichen Eigenschaften keine invarianten Erwerbssequenzen mehr nachweisen lassen." Sie bezweifelt in diesem Zusammenhang," ob tatsächlich alle (...) vorkommenden syntaktischen und phonologischen Eigenschaften sequenziell erworben werden" und stellt fest: "Es gibt gute Gründe für die Annahme, daß die Erwerbsreihenfolge lexikalischer und pragmatischer Eigenschaften von der jeweiligen Lernerbiographie abhängt, d.h. von den sozialen und funktionalen Varietäten, mit denen er zu verschiedenen Zeitpunkten in Kontakt kommt." Dir vorsichtig formuliertes Resümee, das wie ihre ganze Argumentation als Ermunterung für eine fortgeschrittene zsE-Forschung verstanden werden kann: "Ergibt sich aus der alleinigen Beschäftigung mit Erwerbssequenzen nicht ein möglicherweise viel zu sehr eingeengtes Bild der menschlichen Spracherwerbsrahigkeit?" (KNAPP-POTTHOFF/KNAPP 1983:95 f). Daß für eine umfassende L2-Erwerbsforschung nicht nur die strukturellen Aspekte des Erwerbs konstitutiv sind, sondern auch das "Tempo des Verlaufs" und die möglichen "Endzustände" (KLEIN 1984), wird um so unabweisbarer, je mehr und je länger Lernerkarrieren untersucht werden. - Ein drittes Pro-Argument: Entwicklungssequenzen werden für Phänomene konstruiert, deren sprachsystematischer Status bisweilen nicht geklärt ist. Darauf hat besonders KLEIN hingewiesen: "Es ist oft nicht hilfreich, auf die Entwicklung einzelner leicht betrachtbarer Strukturen - etwa die Entwicklung der Negation - einzugehen, solange man nicht geklärt hat, wie die Negation (oder was es sonst sein mag) in der Zielsprache (und auch in der Ausgangssprache) funktioniert" (KLEIN 1984:120). Hintergrund dieser Haltung ist der von KLEIN exemplarisch vorgeführte Nachweis, daß "der Erwerb des Satznegation nur ein Epiphänomen des Erwerbs des Finitums und seiner Stellungsregeln im Vergleich zu jenen des Infinitums" (1984:119) ist. KLEINS Argumentation läßt sich zum Ausgangspunkt einer weit umfassenderen Problematik machen: Wenn man sich klar macht, daß Lernersprachen anders als vielleicht im schulischen Fremdsprachenunterricht für den Einwanderer primär keine "Lernersprache" sondern Kommunikationsmittel sind (KNAPPPOTTHOFF/ KNAPP 1982:94), so stellt sich dazu entsprechend eine andere Frage, nämlich die nach dem Zusammenhang zwischen! dem sprachsystematischen Charakter von Lernersprachen und kommunikativen Bedürfnissen des Lerners: Viele sprachliche Formen und Strukturen werden offensichtlich

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nicht isoliert voneinander erworben, sondern stehen in einem sprachstrukturellen und daher womöglich auch erwerbsstrukturellen Zusammenhang (vgl. ANTOS i.d.Bd.K Hinzu kommt, daß der Erwerb komplexer Schemata wie ERZÄHLEN (K.MÜLLER 1982) oder BEGRÜNDEN (ANTOS 1985) ganz unterschiedliche sprachliche Mittel verlangen, die nicht nur mehrere Ebenen umfassen (Phonologie, Morphologie, Lexik, Syntax), sondern auch offensichtlich voneinander unabhängige sprachliche Subsysteme (zJB. Temporalität, Wortstellung). Dieser eher triviale Hinweis ist deshalb notwendig, weil in der Entwicklungssequenz-Hypothese der Aspekt der Reihenfolge zwischen verschiedenen Sequenzen m.W. nicht thematisiert wird. Gleichwohl ist anzunehmen, daß Lerner mit dem Erwerbsbeginn nicht gleichzeitig schon in alle möglichen sprachstrukturell voneinander unabhängigen Erwerbsstadien eintreten, sondern dies nacheinander tun. Ähnlich wie im Li-Erwerb werden das Passiv und bestimmte Konnektoren (SCHÖNPFLUG 1977: 114ff) - um nur zwei voneinander unabhängige sprachliche Subsysteme zu nennen - auch im ZSE später erworben. Für die Entwicklungssequenz-Hypothese ergeben sich daraus mehrere Probleme: Aufgrund welcher Kriterien läßt sich feststellen, welche sprachlichen Formen bzw. Strukturen voneinander unabhängig sind, damit zu unterschiedlichen sprachlichen Subsystemen gehören und als Kandidaten für unterschiedliche Erwerbssequenzen in Frage kommen? Daß dies ein zentrales Problem ist, geht aus einer Kritik von FELIX an den "morpheme order studies" hervor. Er bezweifelt, ob die als "grammatische Morpheme" titulierten - in der Tat recht unterschiedlichen - Phänomene "über gewisse gemeinsame Eigenschaften verfügen" und somit auch "spracherwerblich relevant" sind. "Diese Frage kann nicht a priori, sondern nur empirisch gelöst werden. So läßt sich beispielsweise ohne Schwierigkeiten eine order of acquisition für den Passivsatz, die Pluralbildung, das Phonem /i/ und die deiktischen Pronomen erstellen. Jeder wird einsehen, daß eine solche Erwerbsabfolge unsinnig ist, weil sie Bereiche einschließt, die nur wenig miteinander zu tun haben" (FELIX 1982:49). Der Hinweis auf die Empirie als Kriterium ist natürlich nicht ausreichend, um festlegen zu können, welche sprachlichen Formen und Strukturen als spracherwerblich verwandt oder voneinander unabhängig zu gelten haben. Eine weitere Frage wäre, ob nicht auch verwandte Formen durch mehr als eine Erwerbssequenz erworben werden können (etwa Temporalität im Verhältnis zu Aktiv/Passiv). Über die Kritik von KNAPP-POTTHOFF/KNAPP. NICHOLAS/ MEISEL und KLEIN hinaus zeigen diese ungeklärten Fragen, daß es wenig sinnvoll ist, eine fortgeschrittene ZSE-Forschung so lange vertagen zu wollen, bis die Entwicklungssequenz-Hypothese am frühen ZSE erhärtet ist. Denn es ist nicht auszuschließen, daß diese Hypothese gerade nur deshalb als umfassende(re) Erklärung vertretbar ist, weil bestimmte Fragen gar nicht wichtig werden, die sich jedoch im fortgeschrittenen ZSE von selbst aufdrängen. Dazu gehört beispielsweise die schon angeklungene Frage, wie der Erwerb komplexer sprachlicher Fähigkeiten (ERZÄHLEN, BERICHTEN, ARGUMENTIEREN) in Abhängigkeit von den jeweils schon erworbenen sprachlichen Mit-

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teln vom Leiner gemanagt wird. Oder bezogen auf den jeweiligen Stand der Lemeisprache: Wie "sehen" Lernersprachen aus, wenn sie nicht nur punktuell (ein Phänomen,z.B. Negation, repräsentiert eine Erwerbssequenz) beschrieben werden, sondern wenn mehrere teils voneinander abhängige, teils voneinander unabhängige Phänomene zusammen die Lernersprache zu einem Zeitpunkt repräsentieren. Oder anders gefragt: Wie sehen tatsächlich synchron beschriebene Lemersprachen, d.h. lernersprachliche Gesamtsysteme und nicht nur isolierte Elemente aus und wie verändern sich diese Elemente und damit das ganze (sich möglicherweise ausdifferenzierende) System in erwerbsdiachroner Hinsicht (vgl. ANTOS LdJBd.)? Diese Fragen stellen sich von selbst, wenn man nach komplexen sprachlichen Fähigkeiten des Lerners fragt und sie stellen sich daher besonders vordringlich im späteren Spracherwerb (wenngleich Lernersprachen auch schon früher erwerbssynchron erforschbar wären). Doch macht die Betonung des systemhaften Aspekts von Lemersprachen im Zusammenhang mit der Ausbildung komplexer Schemata und deren Versprachlichung deutlich, daß eine fortgeschrittene L2-Erwerbsforschung Fragen aufwerfen kann, die von der Diskussion um Status und Evidenz der Entwicklungssequenz-Hypothese bisher verdeckt wurden. 2.3.6. SPRACHFERTIGKEIT ALS ERWERBSINDIKATOR

Wenn ein Klavierschüler ein Stück so zum Besten gibt, daß die schwierigen Stellen langsam, die leichten aber schneller gespielt werden, dann wird man einem solchen Schüler das strikte Etudenspiel, eine "Schule der Geläufigkeit", anempfehlen. Wer in der Theorie perfekt Auto fahren kann, aber in der Praxis mit den Pedalen durcheinander kommt, dem wird man zurecht den Führerschein vorenthalten. Diese banalen Beispiele zeigen, daß im Alltagsverständnis "eine Handlung beherrschen" zweierlei umfaßt: Die Kenntnis der Handlungsstruktur und eine gewisse Fertigkeit bei dem Vollzug der Handlung. In der zsE-Forschung hat man sich durchwegs auf den Erwerb sprachlicher Formen und Strukturen konzentriert. Dies ist aus der Perspektive einer Linguistik, die traditionell "Sprache" als Struktur, nicht - wie bei den Psychologen - als Prozeß betrachtet, kaum verwunderlich. Damit mag die Tatsache zusammenhängen, daß so etwas -wie die Sprachfertigkeit bisher im ZSE kaum berücksichtigt wurde. Wie wichtig dieser Aspekt für die Beurteilung der Sprachfähigkeit ist, hat 1975 schon STÖLTING hervorgehoben: " Und offensichtlich macht die Beherrschung des Deutschcodes nicht die gesamte Sprachbeherrschung aus: wenn es um diese geht, muß neben der Beurteilung der Sprachrichtigkeit auch die Beurteilung der Sprachfertigkeit stehen. Sprachfertigkeit umfaßt u.a. den Umfang und die situativ richtige Anwendng des Wortschatzes, die Verfügbarkeit der Satztypen, die (gegenüber der jeweiligen Nationalsprache) relative Sprechgeschwindigkeit, die Häufung von Hesitationen, Wiederholungen, Selbstkorrekturen"(sTöLTiNG 1975:550. Ein wichtiger Aspekt der Sprachfertigkeit - aber nicht der alleinige - ist die Redeflüssigkeit. WIESE kommt in einer experimentellen Studie zum Vergleich

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der Redeflüssigkeit bei Erst- und Zweitsprachensprecher zu dem nicht unerwarteten Ergebnis, "daß der Grad der Sprachbeherrschung der entscheidende Faktor für die Ausprägung" der Redeflüssigkeit ist. "Bei der Formulierung einfacher Nacherzählungen gewinnen die Zweitsprachensprecher die benötigte Planungszeit, indem sie alle drei möglichen Strategien des Zeitgewinns einsetzen: Sie verwenden längere Pausen und dies mit größerer Häufigkeit und sie setzen die Artikulationsgeschwindigkeit herab. Dies gilt, obwohl sie die längere Vorbereitungszeit vermutlich zu einer etwas weitergehenden Planung nutzen als die Li- Sprecher, und obwohl ihre Texte zumindest an der Oberfläche die gleiche Länge aufweisen"(wiESE 1963:112). Daß die Verhältnisse im ungesteuerten ZSE noch etwas komplizierter sein dürften, zeigt eine Bemerkung STÖLTINGS: "Die Fälle sind ja nicht selten, daß sich ein Ausländer, vor allem ein Kind, flüssig und adäquat in nicht normgerechtem Deutsch artikuliert" (1975:56). Vorzeitige Habitualisierung oder "Automatisierung" von nicht-zielsprachlichen Formen oder Strukturen kommt ebenso vor wie eine mangelnde Habitualisierung schon erworbener Formen oder Strukturen (vgl. ANTOS i.dJBd). Beides scheinen Konsequenzen der Instabilität von Lemersprachen zu sein: Im ersten Fall erfolgt die Habitualisierung bestimmter Formen oder Strukturen relativ zum zielsprachlichen Standard zu früh, im zweiten Fall relativ zum schon erworbenen sprachlichen Wissen über die Zielvarietät zu spät (wobei input-bedingte Wiederholungen bzw. Wiederaufnahmen des vom Interaktionspartner Gesagten noch gesondert zu betrachten wären). Diese "anachronistischen" Habitualisierungsprozesse von spracherwerblichem Wissen könnten mit einem scheinbar ganz anderen Phänomen in Verbindung gebracht werden, dem sog. "backsliding": Wenn ein Lemer - oft nur für eine kurze Zeit - in das Stadium einer früheren, schon längst überwundenen Erwerbsphase zurückfallt, dann dürfte dies ebenfalls mit einer fehlenden dauerhaften Habitualisierung zusammenhängen. Probleme der Erwerbshabitualisiemng stellen sich natürlich kaum in der frühen zsE-Forschung. Auch an einem solchen Erwerbsaspekt zeigt sich daher, daß eine fortgeschrittene zsE-Forschung nicht bloß als Fortschreibung einer frühen zsE-Forschung verstanden werden kann. 3. SCHLUßBERMERKUNG

Wichtige Elemente des hier theoretisch begründeten Foischungs-Designs sind in dem Saarbriicker DFG-Projekt entwickelt und in empirischen Analysen konkretisiert worden. Erste Ergebnisse liegen mit KUTSCH/DESGRANGES (1985), RATH/IMMESBERGER/SCHU (1987) sowie mit diesem Buch vor, so daß die Realisierbarkeit und Fruchtbarkeit des Designs sich in eisten Umrissen abzuzeichnen beginnt. Dennoch: Wer die methodischen Tücken von Forschungs-Designs in Verbindung mit den Schwierigkeiten empirischer Forschung kennt, der wird nicht umhin können, dies Plädoyer trotz aller sich einstellenden Ergebnisse im wesentlichen als Foischungs-Desiderat für eine fortgeschrittene zsE-Foischung zu verstehen.

Einleitung

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INTERLANGUAGE-SYSTEME

Erwerbssynchrone bzw. -diachrone Analysen von Lernersprachen Gerd Antos 1. ZIELSETZUNG

In der Zweitspracherwerbs(zSE)-Foischung hat sich der "Interlanguage"-Ansatz \veitgehend durchgesetzt (STUTTERHEIM 1986:3). Vergröbert zusammengefaßt besagt er, daß Lemersprachen eigenständige Sprachsysteme sind, sozusagen "zwischen" der Muttersprache des Lemers und der zu erwerbenden Zweitsprache - eben "Zwischensprachen", Interlanguages (vgl. CORDER 1967, NEMSER 1974, SELJNKER 1974). Sie zeichnen sich durch besondere Eigenschaften wie kreative Formenentwicklung, Variabilität und Instabilität aus. Diese Charakterisierung wird durch die Annahme ergänzt, daß Lerneräußerungen "weder eine nur in quantitativer Hinsicht unvollständige Menge von Regeln der Zielsprache, noch strukturell unzusammenhängende, zufallige Abweichungen von ihnen sind, sondern sie sind Produkte eines systematischen, regelgeleiteten Verhaltens" (KNAPP-POTTHOFF/KNAPP 1982:51). Nimmt man beide Charakterisierungen zusammen, so besteht die Pointe (allerdings auch der kleinste gemeinsame Nenner) des "Interlanguage"-Ansatzes darin, hinter der Manifestation einer Lemersprache und deren erwerbsbedingten Veränderungen eine regelhafte Steuerung, dJi. eine Erwerbssystematik zu postulieren. Eingehend analysiert und damit exemplarisch aufgezeigt wurde die Systematik von Lemersprachen bisher weitgehend punlctuell. Gleichsam atomistisch wurden einzelne Erwerbselemente herausgegriffen, um an ihnen - häufig unter einer stillschweigenden Pars-pro-toto-Prämisse - den Systemcharakter von Lernersprachen zu demonstrieren (FELIX 1982, CLAHSEN/MEISEL/PIENEMANN 1983). Seit einigen Jahren wächst aber offenkundig das Interesse, den Erwerb verschiedener Phänomene integrativ zu beschreiben - insbesondere da, wo semantisch-pragmatische Aspekte (BURMEISTER 1983) und/oder semantische Konzepte (DITTMAR 1982, 1986, KLEIN 1984) in den Mittelpunkt der Analyse rücken. Was bisher jedoch weitgehend fehlt, sind erwerbssynchrone "Analyseschnitte", die einen zusammenhängend ausgerichteten Überblick über verschiedene Erwerbsphänomene zu einem definiertem Zeitpunkt erlauben. Nur anhand solcher synchronen Schnitte läßt sich der Erwerbsstand von Lemern nicht bloß als interpolierende "Hochrechnung" isolierter Erwerbsphänomene, sondern tatsächlich als lemersprachliches Gesamtsystem, zumindest aber als systemhaft aufeinander bezogene Synopse relevanter Erwerbsentwicklungen, zu einem definierten Zeitpunkt beschreiben. Um es in einem Bild zu verdeutlichen: Bisher dominiert die Analyse von "Einzelstimmen", wohingegen hier der Versuch gemacht werden soll, eine "Partitur" des Erwerbs (und damit mehrere, d.h. verschiedene Stimmen) zu erstellen. Dabei bildet die "synoptische Lesart der Partitur", also die erwerbssynchrone Erwerbsanalyse, die

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Voraussetzung für eine erwerbsdiachrone Analyse, mit deren Hilfe erst der Erwerbs prozeß in seiner Systematik rekonstruiert werden kann. Wenn im Folgenden von "Interlanguage"-Systemen eines Lerners gesprochen wird, so meint das die (i.S. SAUSSURES) systemhaft ausgerichtete Rekonstruktion erwerbssynchroner und darauf basierend: erwerbsdiachroner Form- und Funktionsstrukturen eines Lemers (zu den angegebenen Analyseschnitten). Der terminologische Rückgriff auf Saussure ist dabei nicht so zu verstehen, als ginge es im Folgenden nur um eine Beschreibung von sprachlichen Formen. Vielmehr soll der Formerwerb auf den Erwerb sprachlicher Handlungen (exemplarisch: Erwerb von BEGRÜNDUNGEN) bezogen werden, und zwar so, daß zu bestimmten Erwerbszeitpunkten das systematische Zusammenspiel zwischen Formen und Handlungen deutlich wird. Daraus ergibt sich, daß der Begriff "Interlanguage" von erwerbsspezifischen Sprach- auf entsprechende Kommunikationsformen hin erweitert wird. Ziel dieses Beitrags ist es, Probleme und Ergebnisse der Analyse solcher sprachlich/kommunikativen "Interlanguage- Systeme" zu diskutieren. Dabei werden sog. "Probandenprofile" als Modelle für Interlanguage-Systeme betrachtet. Dies deshalb, weil der Systemcharakter von Lemersprachen aus forschungspraktischen Gründen nicht anhand aller sprachlich-kommunikativen Erwerbsphänomene untersucht werden kann. Vielmehr muß man sich auf eine Selektion wichtiger, d.h. möglichst erwerbsindizierender Phänomene beschränken. Kriterien für eine den Erwerb charakterisierende, womöglich repräsentative Auswahl sind dabei: l mehrere Untersuchungsgegenstände und 2: Phänomene, die womöglich verschiedenen sprachlichen Wissensbereichen ("Modulen") angehören. In dem Maße, in denen Probandenprofile nach diesen Kriterien konstruiert werden, wächst ihr Anspruch, eine modellhafte Annäherung an InterlanguageSysteme zu sein. Zur Vorgehensweise: Im "L· Kapitel werden zunächst methodische Fragen im Zusammenhang mit der Konzeption von Probandenprofilen erörtert. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, wie man die Angemessenheit interaktioneller Daten mit der Generaüsierbarkeit dieser Daten für kontrollierbare Aussagen über den Erwerbsprozeß in Einklang bringen kann. Dahinter steht die Frage, wie trotz der nicht möglichen Standardisierung von natürlichen Interaktionen kontrollierbare Ergebnisse über den Erwerbsprozeß zu erzielen sind. Anhand der Konzeption von Probandenprofilen wird ein Design vorgestellt, das diese Vermittlung von Gegenstandsangemessenheit und Kontrollierbarkeit leisten soll. Im 3.Kapitel wird das Design anhand eines Teilprofils, nämlich anhand des Erwerbs von Begründungen exemplarisch verdeutlicht. Dabei wird wie im folgenden Kapitel das Sprach-und Kommunikationsverhalten von sechs Probanden anhand qualitativer wie quantitativer Analysen miteinander in Beziehung gesetzt und verglichen. Im 4.Kapitel wird schließlich die Diskussion auf vollständige Profile ausgedehnt, um sie als Modelle für Interlanguage-Systeme verwenden zu können.

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Anhand dieser Profile werden abschließend einige als typisch erachtete Eigenschaften von hiterlanguage-Systemen diskutiert und die Ergebnisse im 5.Kapitel zusammengefaßt. 2. METHODISCHE PROBLEME VON ~PROBANDENPROFILEN~ 2.1. DAS DISKURSANALYTISCHE DILEMMA

Wie verändert sich das Interaktionsverhalten ausländischer und vergleichbarer deutscher Kinder im Laufe eines gewissen Zeitraums und wie hängt dies mit dem Spracherwerb dieser Kinder im Untersuchungszeitraum zusammen? Hinter dieser Ausgangsfrage des Saarbrücker Projekts steht ein zentrales methodisches Problem: Aus Daten des Interaktionsverhaltens darf nicht ohne weiteres auf die Lernerkompetenz und schon gar nicht auf die erwerbsabhängige Veränderung dieser Kompetenz geschlossen werden. Dieses Problem ist eine verschärfte Variante des "Kompetenz-Performanz-Dilemmasr das darin besteht, daß wir als Spracherwerbsforscher "prinzipiell die sprachlichen Fähigkeiten des Kindes ermitteln wollen, dies aber nur Über sprachliches Verhalten der einen oder anderen Form tun können" (MARTENS et alii 198Scll). Beim Erwerb fremder Sprachen kommt - anders als bei native speakers - verschärfend hinzu (vgl. KOHN 1979), "daß lemersprachliches Wissen sich nicht invariant in der Produktion von Äußerungen manifestiert, sondern daß vielmehr eine Diskrepanz zwischen dem sprachlichen Wissen von Lemem und ihrem Tun, also der Produktion sprachlicher Äußerungen, besteht, die je nach den Anforderungen, die an einen Lerner gestellt werden, unterschiedlich stark ausgeprägt ist" (KNAPP-POTTHOFF/KNAPP 1982:67). Von grundsätzlicher methodischer Brisanz ist schließlich noch das, was man in Anlehnung an KUTSCH (1985c:29) das diskursanalytische Dilemma nennen könnte: Einerseits spiegeln "natürliche" Interaktionsdaten aus einer Reihe von Gründen am unmittelbarsten den jeweiligen Stand der sprachlich-kommunikativen Fähigkeiten des Lerners wider. Auf der anderen Seite führt die Nicht-Standardisierbarkeit von Interaktionssituationen zu nicht-kontrollierbaren Daten und damit zu den zentralen methodischen Problemen von Vergleichbarkeit, tiberprüfbarkeit und Generalisierung der Ergebnisse. Zunächst zur ersten Seite des Dilemmas: Im Saarbrücker Projekt gehen wir von der grundlegenden Prämisse aus, daß Art und Häufigkeit des Interaktionsverhaltens bei Zweitsprachen-Lemern bestimmend für den "Antrieb", das Tempo", den "Endzustand" und wahrscheinlich auch für die "Struktur" des Erwerbsverlaufs sind (so einige der "Grundgrößen des Spracherwerbs" (KLEIN 1984). Das verbietet nun Standardisierungen der Erhebungssituation, der Inhalte (Themen und Textsortenvorgabe), und des Erhebungsortes und erfordert im Hinblick auf die Vielzahl der Probanden mehrere Betreuer. Die Konsequenz dieses auf "Natürlichkeit" basierenden Erhebungs-Designs: Proband und Betreuer entwickeln während des (häufig auch länger als zwei Jahre dauerenden Untersuchungszeitraums) eine unverwechselbare Kommunikationsgeschichte. Daher sind die entstehenden Interaktionsdokumente im Hin-

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blick auf ihre Funktion als Daten in hohem Maße heterogen und dies gleich in doppelter Hinsicht: Zum einen scheint die Vorstellung von homogenen Interaktionsdaten ein und desselben Probanden problematisch. Zum anderen müssen natürliche Daten von verschiedenen Probanden als heterogen eingestuft werden - einfach, weil eine Unvergleichbarkeit der Interaktionssituationen, der Interaktionsgeschichte und der Themen angenommen werden muß. Die andere Seite des Dilemmas ist klar: Die methodisch gewollte Nicht-Standardisierung der Elizitierungssituation, oder positiv ausgedrückt: die Schaffung natürlicher Kommunikationssituationen mindert selbstverständlich die Kontrollierbarkeit und damit die Vergleichbarkeit der Daten. Das aber wiederum ist die Voraussetzung für generalisierbare Aussagen zum Spracherwerb. Wie läßt sich dieses "diskursanalytische Dilemma" - das nebenbei gesagt nicht nur in der zsE-Forschung virulent ist - "überlisten"? D.h.: Wie kann man unter Wahrung der oben genannten "interaktioneilen" Forschungsprämisse über diskursanalytisch orientierte Fallstudien hinaus zu generalisierbaren Aussagen über den ZSE kommen? Zunächst einmal nicht dadurch, daß wieder zu testartigen Elizitierungen Zuflucht genommen wird. Daß nämlich die Datenerhebungsmethode auf die Form der Daten Einfluß hat (BURMEISTER/UFERT 198O), kann inzwischen kaum mehr bestritten werden. "In Tests und bei Elizitierung von Äußerungen fallen die Informanten dieser Studie ( 4 Kinder/ Probanden des Kieler Projekts, G.A.) in frühere Entwicklungsstadien zurück und Interf erenz tritt stärker auf als in den nichtelizitierten Spontanäußerungen" bestätigt VOGEL (1987:%) diese Erkenntnis und ergänzt dies um den Hinweis, daß sich sogar bei erwachsenen Li-Sprechern elizitierte narrative Texte stark von natürlichen Gesprächen unterscheiden. Damit ist ein Rückzug auf eine ausschließlich quantitative, methodisch scheinbar unproblematische Forschung versperrt. Der in diesem Zusammenhang immer wieder beschworene Antagonismus zwischen qualitativer und quantitativer Forschung ist - abgesehen von einer gebotenen Klärung methodischer Prämissen - im übrigen weithin unfruchtbar, weil er nämlich zwei zusammengehörige methodische Aspekte dichotomisiert: "Die Beurteilung der Rationalität einer wissenschaftlichen Methode bezieht sich im allgemeinen auf zwei Aspekte, die in unterschiedlicher Weise favorisiert werden: Erstens konzentriert man sich auf das Verhältnis der Methode zum Gegenstandsbereich und thematisiert diese Beziehung unter der Frage nach der Adäquatheit der Grundkategorien. Zweitens fragt man nach der Situiemng einer Methode in der Scientific Community und problematisiert die Methode im Blick auf ihren Bezug zum Wissenschaftler, wobei die Kontrollierbarkeit Nachvollziehbarkeit der methodischen Schritte, Operationalisierbarkeit der Grundbegriffe sowie der technische Nutzen qua Erklärungs- und Prognoseleistung leitende Gesichtspunkte sind" (HUBIG 1985:327). Wer qualitative Methoden gegen quantitative auszuspielen versucht und umgekehrt, übersieht, daß eine Methode beide Postulate, Gegenstandsadäquat-

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heit und Kontrollierfaarkeit. umfassen muß. So wichtig der von quantitativ orientierten Methodologen favorisierte Aspekt der Kontrollierbarkeit auch ist, so hat er doch nur Sinn, wenn vorweg die Gegenstandsadäquatheit gesichert ist. Ohne auf die diesbezüglichen Diskussionen näher einzugehen1, soll im Folgenden gezeigt werden, wie im Saarbrücker Projekt versucht wird, die beiden methodischen Postulate möglichst gleichwertig zu berücksichtigen. 2.2. GEGENSTANDSKONSTITUTION 2.2.1. NATURLICHE INTERAKTION ALS MODELL

Gespräche, die "vertraut", "offen" und "freiwillig" (RATH/IMMESBERGER/ SCHU 1967:340) geführt werden, können "als grundlegend für jede Form menschlicher Gesellschaft angesehen werden" (HENNE/REHBOCK 1982:7). Dies begründet u.a. das phylogenetische und ontogenetische Primat "natürlicher Interaktionen". Insofern kommt (den Daten aus) natürlichen Interaktionen auch in der zsE-Forschung Priorität zu. Bevor die wichtigsten Gründe genannt werden, muß allerdings ein entscheidender Zusatz genannt werden: "Natürliche Interaktionen" zwischen einem In- und einem deutschsprechenden Ausländer sind - soziolinguistisch betrachtet - alles andere als "natürlich". Nicht nur, weil es - auch nicht näherungsweise - der sozialen Realität entspricht. Vielmehr kann das nicht unberücksichtigt bleiben, was EHLJCH (1986) mit Blick auf die mit der Sprache assoziierte Identitätsbildung "die bleibende Fremdheit des Fremdsprachensprechers" nennt. Um das Maß voll zu machen: "Natürliche Interaktionen" werden - selbst bei "gut" sprechenden Zweitsprachensprechem geradezu "künstlich", wenn ein deutscher Erwachsener - wie im Saarbrücker Projekt" - sich unter wissenschaftlichem Interesse systematisch mit einem ausländischen Kind beschäftigt. Die Schaffung dieser "künstlichen" natürlichen Interaktion stellt daher bestenfalls eine Art Modell mit folgenden Zielen dar: 1. Eine aus dem Verhalten von Deutschen resultierende Bestätigung oder Verstärkung der "Fremdheit" soll vermieden werden, weil solche aufgrund von Ignoranz oder Diskriminierung bedingten negativen psychosozialen Einflußfaktoren in linguistisch ausgerichteten Untersuchungen nicht systematisch berücksichtigt werden können. 2. Diese partielle Abstraktion von der sozialen Wirklichkeit der untersuchten Kinder wird durch eine Idealisierung ergänzt: Die vertrauensvolle und 1

An der gelegentlich wie ein Glaubenskrieg gefühlten Kontroverse zwischen "quantitativen" und "qualitativen" Methoden möchte ich mich aufgrund der Interdependenz (vgl. WILSON 1982) der beiden Methoden- Aspekte nicht beteiligen. Notwendig erscheinen gegenstandsadäquate Versuche (vgl. KEIM/NIKITOPOULOS/REPP 1982), je nach den Zwecken der Untersuchung beide Methoden-Aspekte zu "optimieren". Das "Profil"-Konzept ist ein solcher konkreter "gegenstandsorientierter" Versuch, die Subjektivität von Datenanalysen durch verschiedene "Kontrollfilter einzuschränken.

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ungezwungene Interaktionssituation, die eine psychisch unbelastete und damit unblockierte Elizitierung begünstigen soll, zielt auf eine weitgehend "kompetenztransparente" Sprachproduktion der "Probanden" ab, die ihrerseits die Chancen auf kompetenzindizierende Daten erhöht (vgl. RATH/ IMMESBERGER/SCHU 1987).

Die Betreuer-Kind-Interaktionen im Rahmen des Saarbriicker Projekts sind also keine - im naiven common-sense-Sinn - "natürlichen" Interaktionen, sondern Modell-Interaktionen in doppelter Hinsicht: Es wird erstens eine soziale Situation (mit gleichberechtigten Interaktionspartner) simuliert, (die erst ansatzweise soziale Wirklichkeit ist) und es wird zweitens so getan, als ob eine kommunikationsfördernde Situation Daten liefert, die die sprachlichen Fähigkeiten des Kindes weitgehend zu rekonstruieren erlaubt. Diese methodische Idealisierung zur Elizitierung von kompetenzindizierenden Daten zeigt, daß die Gewinnung von Spontandaten dezidiert "gerichtet", d.h. erfahrungs- bzw. hypothesenabhängig ist. Die Adäquatheit von Daten für einen bestimmten Forschungszweck ist also nicht naiv zu unterstellen, sondern muß methodisch reflektiert werden. 2.2.2. EXPLORATION SPRACHERWERBSSPEZIFISCHER DATEN

Die Beschränkung auf authentische Spontandaten impliziert einerseits eine "gerichtete" Forschung. Andererseits ist noch soviel Spielraum vorhanden, daß damit nicht das in der qualitativen Methodologie formulierte "Prinzip der Offenheit" tangiert wäre. Es besagt, "daß die theoretische Strukturierung des Forschungsgegenstandes zurückgestellt wird, bis sich die Strukturierung des Forschungsgegenstandes durch die Forschungssubjekte herausgebildet hat" (HOFFMANN-RIEM 1980:343). Diese 1. Regel der qualitativen Methodologie gilt bis auf weiteres für die Forschung zum fortgeschrittenen ZSE. Die 2. Regel reflektiert den Prozeß der Gegenstandskonstitution im engeren Sinn: "Der Gegenstand ist vorläufig, er ist erst nach erfolgreichem Abschluß des Findungsprozesses ganz bekannt" (KLEINING 1982:233). Erst auf der Grundlage eines breiten authentischen Datenmaterials kann gemäß der 2. Regel ein "Findungsprozeß" einsetzen, der vor allem die zu einem Erwerbszeitpunkt interessanten spracherwerbsspezifischen Daten selektiert. Dies sind einerseits alle zielsprachlich abweichenden, andererseits alle noch nicht erworbenen bzw. noch nicht habitualisierten Phänomene. Dabei ist zu berücksichtigen, daß relativ zu einer bestimmten Phase des fortgeschrittenen Spracherwerbs nicht alle kommunikativen oder sprachlichen Phänomene die Funktion von Spracherwerbs Indikatoren einnehmen können. Denn für eine fortgeschrittene zsE-Forschung sind relativ zu bestimmten Erwerbsphasen all jene Phänomene spracherwerbs unspezifisch, die der Lerner zielsprachlich korrekt erworben, genauer: habitualisiert hat. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, daß Lerner nicht geradlinig die Zielsprache ansteuern, sondern "mit Rückschritten, Abweichungen und Umwegen" den Erwerbssweg "kurvenreich" gestalten (STUTTERHEIM 1986:5). Welche Daten eines Lemers zu welchen Er-

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werbszeitpunkt also spezifisch für seinen Sprachstand bzw. für seine Progression (bzw. Fossilierung oder gar sein Erwerbsrückschritt) sind, ist häufig erst am Ende des Findungsprozesses bekannt. Schließlich die 3. Regel: Diese "Regel der maximalen Variation der Perspektiven" (KLEINING 1982:234) besagt, daß der Gegenstand, also die weitgehend unspezifischen "natürlichen Interaktionsdaten", von allen Seiten angegangen werden sollen: "Erreicht werden soll eine möglichst starke Unterschiedlichkeit der Informationen über den Gegenstand, die strukturell verschiedene Aspekte enthalten soll." Strukturell verschieden sind Betrachtungsweisen, die unterschiedliche Daten erbringen (dazu auch KUTSCH 1985c). Die im Saarbrücker Projekt gewählten Analysebereiche sollen diesem Postulat der maximalen Variation der Perspektiven im Rahmen der forschungspraktischen Möglichkeiten zumindest ansatzweise gerecht werden: Insofern wurden bei der Festlegung der sog. "Probandenprofile" solche AnalysebereicheX-kriterien gewählt, die von verschiedenen Seiten bestimmte Phänomene fokussieren: So muß im Analysebereich DISKURS bei der Analyse von ERZÄHLUNGEN (entsprechend bei BERICHTEN bzw. BESCHREIBUNGEN) LOKALITÄT und TEMPORAUTÄT untersucht werden, was mit Ergebnissen der entsprechenden Arbeitsgruppen verglichen werden kann. Oder: BEGRÜNDUNGEN (Gegenstand eines anderen Analysebereichs) werden bei bestimmten Probanden in/als ERZÄHLUNGEN realisiert.- Bestimmte sprachliche Mittel (wie das begründende JA bzw. DOCH) werden sowohl im Analysebereich BEGRÜNDUNGEN als auch im Bereich MODALPARTIKELN untersucht. Da also die Analysebereiche über gleichen Datenkorpora operieren, ist bei der Untersuchung bestimmter Phänomene zumeist mehr als ein Analysebereich beteiligt. Damit ist zumindest ansatzweise das Postulat der 3. Regel erfüllt. Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen drei Regeln für die Adäquanz der Gegenstandskonstitution? Wie schon erwähnt, ist für die Erforschung des fortgeschrittenen ZSE die Frage wichtig, welche Phänomene jeweils spracherwerbsspezifisch sind. Anders als bei den zielsprachlich abweichenden Phänomenen sieht man dies den zielsprachlich adäquaten - sozusagen auf der Ebene der Daten - nicht an. Hier benötigt man bereits zur Gegenstandskonstitution theoretisch vorgegebene Analysekriterien. Um beispielsweise feststellen zu können, ob und wie ein Lerner Aufforderungshandlungen mit welchen sprachlichen Mitteln erworben hat, muß man sich vorgängig ein theoretisch geprägtes Bild darüber machen, was unter einer ''Aufforderungshandlung" bzw. was unter "Imperativen" zu verstehen ist. Nur so ist es auch möglich festzustellen, ob und wann eine bestimmte Form bzw. Struktur schon (vollständig) erworben wurde. Dies wiederum führt zu Hypothesen darüber, welche Analysekriterien relativ zu bestimmten Erwerbsphasen spracherwerbsspezifisch relevant sind. So darf man vermuten, daß es ziemlich unergiebig ist, den fortgeschrittenen ZSE anhand der in der frühen ZSEForschung so beliebten Negation oder Interrogation darzustellen. Denn Phänomene aus diesen beiden Bereichen dürften aufgrund ihres frühen Erwerbs und ihrer damit verbundenen Habitualisierung in späteren Erwerbsphasen

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eben nicht mehr spracherwerbsspeziflsch sein, dJi. an ihnen läßt sich nicht mehr der weiterlaufende (oder fossilierende) Erwerbs prozeß darstellen. Im Sinne der 2. Regel läßt sich daher sagen: Ob in bestimmten Phasen des fortgeschrittenen Erwerbs ein Analysekriterium wie TEMPORALTTÄT noch aussagekräftig ist, kann man mit Sicherheit erst feststellen, wenn eine entsprechende Analyse bereits durchgeführt wurde. Entsprechend: Ob Tempus-Formen relativ zur Entwicklung eines bestimmten Lerners noch spracherwerbsspeziflsch sind, "ist erst nach erfolgreichem Abschluß des Findungsprozesses ganz bekannt". Wie man leicht sieht, ist die Sicherung des Gegenstandes als Teil des Theorie-vermittelten Analyseprozesses alles andere als selbstverständlich. Zwei weitere Komplikationen kommen hinzu: Aus forschungspraktischen Gründen wird eine longitudinale Studie des fortgeschrittenen ZSE nicht beim Erwerbsbeginn ansetzen können, da ansonsten 3 bis 5 Jahre allein die Datenerhebung dauern würde. Wenn man aber nach dem Erwerb einer elementaren Syntax mit der Untersuchung einsetzt, hängen aufschlußreiche Analyseergebnisse u.a. von zwei Unwägbarkeiten ab: Von Erwerbstempo und -verlauf des Lerners - und relativ dazu - von der passenden Auswahl des oder der Analysekriterien durch den Forscher. Diese Unwägbarkeiten lassen sich in dem Maße minimieren, je mehr schon über typische Erwerbsprozesse bekannt sind. Eine zweite Komplikation, die ebenfalls die Frage der Erwerbsspezifik betrifft, ergibt sich - wie im Saarbrücker Projekt - daraus, daß mehrere Probanden untersucht und verglichen werden. Bei den Ergebnissen der Profilanalyse wird sich zeigen, daß relativ zu einem Analysebereich/- kriterium sich bei dem einen Probanden im Untersuchungszeitraum etwas verändert, also mit spracherwerbsspezifischen Daten zu rechnen ist, bei dem anderen aber nicht. Trotzdem sind auch solche Ergebnisse aufschlußreich, entweder weil sie die Varianz der verschiedenen Erwerbsverläufe belegen oder weil sie die Grundlage für differenziertere Vergleichsanalysen abgeben. 2.3. KONTROLLEERBARKEIT 2.3.1. REPRÄSENTATTVITÄT UND LINGUISTISCHE KORPUSBILDUNG

Neben dem Problem der Datenadäquanz steht das Problem der Kontrollierbarkeit. Dieses spaltet sich wiederum in zwei Teilprobleme: 1. Kann die Korpusbildung mit Spontandaten überhaupt repräsentativ sein kann und 2. inwieweit sind die Analyseergebnisse intersubjektiv kontrollierbar? Die Frage nach der Repräsentativität (des Saarbrücker Korpus) soll nur summarisch in Anlehnung an KUTSCH (1987) referiert werden. KUTSCH lehnt sich bei seiner eingehenden Diskussion an RIEGER (1979) an, der den Repräsentativitätsbegriff im Hinblick auf linguistische Korpora zu explizieren versucht. Nach RTJEGER ist für das Verfahren der Korpusbildung letztlich nur ein Kriterium wichtig, "auf das im wahrscheinlichkeitstheoretischen Begründungs-

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Zusammenhang immer wieder hingewiesen wird2, nämlich das Kriterium der Zufälligkeit" (KUTSCH 1987:1140. Dieses Kriterium kann im Korpus des Saarbrücker Projekts als erfüllt angesehen werden: Der Untersuchungsgegenstand läßt sich als zufallige Stichprobe aus der Menge aller kindlichen L2- Lemervarietäten verstehen^...) Das Untersuchungsziel ist eingeschränkt durch Zufalligkeits-Eigenschaften des Korpus; (...) Die Zufalligkeits-Eigenschaften des Korpus ergeben sich direkt aus dem Performanz-orientierten Ansatz der Forschungsmethode: die Erhebungssituation ist in gewissem Sinn 'nonnal'-strukturiert (Interaktion Betreuer-Proband), aber nicht standardisiert (freie Interaktion). Das Untersuchungsziel setzt einer zufälligen Datenproduktion in den Erhebungssituationen keinerlei Grenzen. Erst das abschließend vorliegende Korpus begrenzt die Untersuchungsgegenstände auf im Korpus beobachtbare Kategorien. Somit erfüllen sowohl das Verfahren der Korpuserhebung (Probandenauswahl, soziologische Kriterien, Stichprobenziehung), als auch das Verfahren der Korpusbildung (Sprachaufnahmen, freie Interaktion, keinerlei thematische oder Handlungsbeschränkung, Spontandaten) das Kriterium der Zufälligkeit. (KUTSCH 1987:1150 2.3.2. HETEROGENITAT UND "KOMPETENZINDIZIERENDE DATEN"

Für die konkrete Rekonstruktion des Erwerbsprozesses ist die Frage nach der Repräsentativität der Daten - bei einem angemessen großen Korpus - ein eher "akademisches" Problem. Weit problematischer ist die Frage, wie homogen bzw. heterogen zufällige elizitierte Spontandaten sein können. Diese Frage stellt sich sofort, wenn man beispielsweise anhand des Vergleichs von ERZÄHLUNGEN einerseits die Erwerbsprogression eines Probanden nachzeichnen bzw. sie andererseits mit den Erwerbsprogressionen anderer Probanden vergleichen möchte. Das Problem: Selbst wenn relativ häufig viele Daten pro Proband erhoben werden - im Saarbrücker Projekt mindestens einmal monatlich wenigstens 3O Minuten - so heißt das nicht, daß diese Daten selbst bei ein und demselben Probanden ohne weiteres vergleichbar sind: Unterschiedli2

"..da aus der Sicht der Statistik ein Untersuchungsziel identisch ist mit dem

Vorhaben, intersubjektiv nachprüfbare Aussagen unter (angebbarem) Risiko eines möglichen Fehlers Über eine Grundgesamtheit zu machen, aufgrund von daraus entnommenen zufälligen Stichproben, die den empirisch zugänglichen Untersuchungsgegenstand (Korpus) bilden, kann dessen Zufälligkeit nicht nur durch das tatsächliche Verfahren seiner Erhebung im Hinblick auf ein vorgegebenes Untersuchungsziel sichergestellt, sondern auch dadurch erreicht werden, daß ein vorliegendes Korpus im Hinblick auf bestimmte, allerdings dadurch eingeschränkte Untersuchungsziele als zufällig zumindest gedeutet werden kann" RIEGER 1979:68. «a In diesem Zusammenhang mag vielleicht überraschen, daß trotz mindestens einer monatlichen Aufnahme nicht in jedem der halbjährlich zusammengefaßten "Zeitschnitte" beispielsweise eine kompetenzindizierende Erzählung oder eine Beschreibung im "Tonband-Korpus" vorhanden war.

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ehe situative Einflüsse (z.B. Gespräche bei laufenden Fernseher, im Eiskaffee, beim Spiel), Müdigkeit, Ablenkungen oder Störungen usw. beeinflussen zum Teil erheblich die "Qualität" der Sprachproduktion in thematischer, textueller und grammatischer Hinsicht. Diese - im weitesten Sinn - situativen Schwankungen der Sprachproduktion, die von möglichen erwerbsspezifischen strikt zu trennen sind, wurden im Saarbrücker Projekt durch folgende, auf Homogenität zielende Datenselektion systematisch minimiert: l Zunächst wurden pro Proband alle Aufnahmen aus sechs Monaten in einem sog. Zeitschnitt ti zusammengefaßt. 2. Danach wurden (zumeist von den Betreuern der Probanden) die prima fades "besten" Daten ausgewählt und transkribiert. Diese auf Vergleich beruhende Selektion von Daten zielt darauf ab, daß der Analyse nur kompetenzinHiytercmrfc» Daten zugrunde gelegt werden. 3. Um für alle Analysebereiche bzw. -kriterien eine ausreichende (zugleich aber auch arbeitsmäßig zu bewältigende) Basis von transkribierten Daten zu schaffen, wurde pro Zeitschnitt und Proband ein sog. "Basis-Korpus" erstellt (zwischen roo und etwa 1000 Redezeichen pro Zeitschnitt und Proband) . Es ist klar, daß diese Datenselektion eine Idealisierung darstellt. Diese Auswahl kompetenzindizierender Daten soll einmal dazu dienen, die Vergleichbarkeit der longitudinal erhobenen Daten eines Probanden zu sichern. Zum anderen soll damit auch ein Vergleich zwischen Probanden begründbar werden. Nur so kann auch die Grundlage für eine Kontrollierbarkeit der darauf aufbauenden Analyseergebnisse geschaffen werden. Methodisch wichtig ist der Hinweis, daß die Herstellung von homogenen, nämlich kompetenzindizierenden Daten nicht mehr zur Datenerhebung zu rechnen ist, sondern bereits der erste Schritt zur Datenanalyse ist. Datenhomogenität wird also hier - nicht wie bei der experimentellen Datenerhebung - durch Standardisierung der Aufnahmesituation erreicht, sondern post festum durch Auswahl, Analyse und Interpretation schon vorhandener Daten. Mit diesem Verfahren wird die Kontrollierbarkeit von der Datenerhebung auf die qua Transkription gefilterte Datenpräsentation verschoben. 2.3.3. PROBANDENPROFILE: ANALYSE- UND KONTROLLINSTRUMENT

Auf dieser Grundlage läßt sich nun eine Kontrollierbarkeit der Datenauswertung anhand des Konzepts der Probandenprofile anschließen. Kern des Konzepts ist es, daß der Erwerbsstand bzw. Erwerbsprozesse nicht (wie in einem "Ein-Mann/Frau.

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erwerbem die Tendenz zu bestehen, die genannte kommunikative Handlung vor oder unabhängig von den entsprechenden Formen zu erwerben. Je mehr unindizierte Typen A-C verwendet werden, um so interpretationsbedürftiger ist die Begründung (z.B.Hasan). Je mehr TURN-INTERNE BEGRÜNDUNGEN durch "kausale" Formen indiziert werden, um so besser sind sie als Begründungen erkennbar (Domenico, Maria, Thorsten, Christine; entsprechende Probleme bei Hasan). Gemäß dieser Präferenz werden "kausale" Konnektoren erst im Zusammenhang mit dem Gebrauch TURN-INTERNER BEGRÜNDUNGEN erworben. Dies scheint insofern erforderlich, da offensichtlich die Markierung einer Äußerung als "begründungsbedürftig" (= B) bzw. der nachfolgenden Passage als Grund (= G) und damit beide Passagen als Teile einer Begründung ohne sprachliche Formmittel ansonsten nur unvollständig gelingt. Je weniger INTERAKTIONELLE BEGRÜNDUNGEN, die als "Gerüstvorgabe" zur Einübung von strukturell komplexeren Begründungen (siehe Aynur) aufgefaßt werden können, bei einem ausländischen Proband zu finden sind, um so größer ist die Tendenz, daß TURN-INTERNE BEGRÜNDUNGEN durch eine Form, insbesondere durch einen "kausalen" Konnektor, indiziert sind, und/oder interpretationsbedürftig bleiben (vgl. Domenico und für das Gegenteil Aynur). Auf dem Hintergrund dieser Präferenzen muß man zu einer von dem quantitativen Bild partiell verschiedenen Beurteilung kommen. Wenn man BegründungsHäufigkeit nicht isoliert bewertet, sondern die Qualität des Begründngsvollzugs mit berücksichtigt, dann rangieren Thorsten und Maria nach Aynur. Davon abzuheben ist dann die "Schlußgruppe" mit Christine, Hasan und Domenico. Allerdings muß - wie oben schon erwähnt - eingeräumt werden, daß eine feinere Beurteilung sehr schwierig wird: Dies würde einmal voraussetzen, daß sich die verschiedenen Beurteilungsaspekte 1. alle quantifizieren lassen und daß sich 2. zwischen ihnen eine Rangordnung aufstellen ließe. Dies wäre aber lediglich eine verführerische Scheinobjektivität. 4. PROFILE ALS MODELLE FÜR INTERLANGUAGE-SYSTEME 4.O. VORGEHENSWEISE

Wie lassen sich lernersprachliche Gesamtsysteme in erwerbssynchroner wie -diachroner Hinsicht darstellen und welche Probleme treten dabei auf? Und inwiefern ermöglichen sie nicht nur punktuelle Vergleiche zwischen unterschiedlichen Lernem und damit verallgemeinerungsfähige Aussagen über Erwerbsprozesse? - Mit der Beantwortung dieser Fragen werden nicht nur theoretiche Aspekte des Interlanguage-Konzepts tangiert, sondern zugleich Konsequenzen aus der "praktischen" Arbeit an den Teilprofilen gezogen. Denn insbesondere die genannten Unsicherheiten bei der vergleichenden Feinanalyse der Teilprofile verlangen gleichsam eine auch andere Analysen umfassende Sicht. Wenn die These richtig ist, daß Zweitsprachlemer kommunikative und gram-

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malische Muster nicht isoliert, sondern - zumindest partiell - in systematischen Zusammenhang erwerben, so erfordert dies auf jeden Fall die Analyse von lernersprachlichen Gesamtsystemen. Dies übrigens nicht nur, um strukturelle Defizienzen von Einzelanalysen auszugleichen: Bei einem Analysekriterium wie dem des BEGRÜNDENs muß - anders als etwa bei dem der TEMPORALTTÄT - die Frage erlaubt sein, wie aufschlußreich überhaupt so etwas wie die Begründungsfähigkeit für die" Beherrschung einer Sprache" ist. Oder anders herum gesagt: Wenn man unterstellt, daß manche Leute besser erzählen als argumentieren können - oder umgekehrt -, dann wird auch beim Spracherwerb diese Frage ab einem noch unbekannten Grad der Sprachbeherrschung (?) (oder nur des Sprachgebrauchst?) ) akut. Im Folgenden sollen Gesamtprofile unter dem Aspekt betrachtet und verglichen werden, inwiefern sie Einblicke in Eigenschaften und Probleme von Interlanguage-Systemen geben. Insofern kann die folgenden Darstellung auch keine angemessene Gesamtdokumentation der "Profilarbeit" des Saarbrücker Projekts sein. Daher beschränke ich mich - schon aus Platzgründen- auf Zitate aus den "Kurzberichten" bzw. aus den "Profilen" des "DFG-Berichts"(RATH 1985). Für die Ergebnisse der DISKURSGRUPPE ("DIS") zeichnen HELGA BOSSUNG und KARIN TANTOW verantwortlich, für die Ergebnisse des Analysebereichs TEMPORALTTÄT ("TEM") SUSANNE DEGLMANN Und PAUL QUINT, für die Analyse des FORMELerwerbs ("FOR") BERTHOLD REUTER, für die Darstellung des PARTncELerwerbs ("PAR") STEFAN KUTSCH und für die Analyse des KORREKTURverhaltens ("KOR") BLKA DESGRANGES. Zitate aus anderen Arbeiten werden gesondert nachgewiesen. Um den vorliegenden Beitrag umfangsmäßig nicht zu stark zu belasten, wird der Versuch unternommen, nur solche Passagen zu zitieren, die keinen speziellen in den zitierten Arbeiten explizierten theoretischen Hintergrund verlangen. 4.1. HASAN 4.1.1. SOZIALER HINTERGRUND

"In tl ist Hasan 8 1/2 Jahre alt, er befindet sich Im 2 1/2. Erwerbsjahr. Das erste Jahr seines Deutschlandaufenthalts kann nicht als Erwerbsjahr des ZSE gezählt werden, da Hasan sich danach (unmittelbar vor Schuleintritt) ein Jahr in der Türkei aufhielt. Deshalb sind seine türkischen Sprachkenntnisse ungleich besser als die vergleichbarer türkischer Probanden. Da sein ZSE mit der Einschulung beginnt, ist seine Zielvarietät am Standard orientiert, sein Erwerb zu diesem Zeitpunkt eher gesteuert zu nennen. Er besucht die Grundschule und scheint in seiner Freizeit relativ wenig Kontakte zu Deutschen zu haben. Gegen Ende des Erhebungszeitraums besucht er zusätzlich zweimal die Woche nachmittags eine türkische Schule. Darüber hinaus war Hasan gezwungen, durch die lange Abwesenheit des Vaters innerhalb der Familie die traditionelle Rolle des Mannes zu übernehmen. Die ganztägige Berufstätigkeit der Mutter hatte zur Folge, daß Hasan tagsüber völlig auf sich alleine gestellt war und er darüber hinaus eine Reihe von Haushaltspflichten zu übernehmen hatte. Diese familiären Verhältnisse führten zu einer, auch für die Betreuer spürbaren Überlastung des Kindes einerseits, sowie andererseits zu einer nicht altersgemäßen Ernsthaftigkeit. Die Interaktionssituation zwischen Hasan und den Betreuem ist zu tl sehr formell, da er als letzter zur Gruppe gestoßen ist. Anfänglich wird er von den beiden anderen

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Kindern dominiert, da er sprachliche Probleme hat und den spielerisch-zwanglosen Verhaltensweisen der beiden anderen türkischen Jungen etwas hilflos gegenübersteht. Dies bessert sich jedoch im Verlauf des Beobachtungszeitraumes, eine große Anhänglichkeit den Betreuern gegenüber war die Folge. Die Familie lebt heute in sehr engen Wohnverhältnissen. Es stehen flir 5 Personen nur 2 Wohnräume zur Verfugung, wovon einer als KUche genutzt wird. Zum Ende des Erhebungszeitraumes war der Vater noch immer arbeitslos, daher sind die Bleibeabsichten der Familie relativ ungewiß" (RATH 1985:126). 4.1.2. PROFIL Tl

Dis "Die Strukturteile gehen über eine Minimalform nicht hinaus, die Handlungskette, Handlungsorte und Handlungsträger sind größtenteils unklar und unverständlich. Auch die narrativen Passagen haben stark beschreibenden Charakter. TEM Das System lexikalischer Zeitangaben ist rudimentär, hingegen ist das Basisregister der PNA-Konnektoren9 vorhanden. PAR Hasan besitzt ein minimales kommunikatives und semantisches Partikelregister, er verfügt von allen Probanden über die wenigsten Types; dem geringen Repertoire entspricht eine geringe Gebrauchshäufigkeit". FOR siehe Kommentar. KOR "Die morpho-syntaktischen Korrekturen überwiegen gegenüber den lexikalischen-semantischen. Explizite Korrektursignale werden nicht gebraucht, Korrekturen bzw. Korrekturversuche werden durch Aneinanderreihung von Abbruchen realisiert. Stagnationen, Abbruche, Abweichungen und das häufige Mißlingen von Selbslkorrekturen sprechen für einen niedrigen Sprachstand". Kommentar: Diese zusammenfassenden Kurzkommentare bestätigen die obige "Begründungs-Analse". Sie stimmen auch mit den differenzierteren Ergebnissen von KUTSCH (i.dJ3d.) überein. Danach ist Hasans Interlanguage-System durch folgende Gemeinsamkeiten gekennzeichnet: Sowohl im Bereich der Referenz, bei Pronomen als auch bei der Ausbildung des Tempussystems (KUTSCH i.d.Bd.) zeigt sich wie in den obigen Kurzkommentaren ein Bild, das noch stark Züge einer simplifizierenden Lernervarietät trägt. Als Kompensation fallen ebenso typische Kommunikationsstrategien auf: Die umfangreiche Verwendung von Deiktika (als Ersatz für referentielle Angaben, BOSSUNG/TANTOW 1985:53) oder der Einsatz von UND DANN-Strategien als Mittel zur temporalen Einbettung. Womöglich charakteristischer für das Lernersystem von Hasan sind aber folgende zwei in gewisser Weise "polare" Eigenschaften: L Im Analysebereich FORMELN wird in der Gesamtbewertung u.a. aufmerksam gemacht auf: Ausführlicher DEGLMANN i.d.Bd.

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- vereinzelt auftretende, bezeichnenderweise aber korrekte Äußerungen im Dialekt (ansonsten schulbedingt Standard- angenähert); - auf vorfabrizierte und damit wahrscheinlich noch unanalysierte Formeln, die inadäquat aufgefüllt, kombiniert oder eingebettet werden; - auf backsliding-Phänomene und - auf Beispiele mit einer Oszillation zwischen Formelgebrauch und kreativen Äußerungen mit hohem monitoring-bedingten Korrekturen. (Als Beispiel dafür aus ein und demselben Band (t 4): (Bd. 377, ZB 113) hab Ich nix keine nit deutsch gewußt im Vergleich zu: (Bd. 377, ZB 119) ich konnte nit deutsch (vgl. REUTER 1985:22). 2. Auffällig ist femer die mangelnde Ausdifferenzierung sowohl von Diskursformen als auch von Begründungssformen: Die bei Hasan zu beobachtende Kreation von PERIPHRASTISCHEN. EXEMPLARISCHEN und/oder SZENISCHEN BEGRÜNDUNGEN ist ja kein Beweis einer Formenvielfalt, sondern müder Versuch, seine unkonventionell realisierten Muster zu systematisieren. Die mangelnde Ausdifferenzierung wird auch von der DlSKURSgruppe hervorgehoben: "Bei einer Gesamtbeurteilung der Erzählschemata zeigt sich die starke Tendenz zur Mischform durch den schildernden und auch beschreibenden Charakter" (BOSSUNG/TANTOW 1985:53). Überspitzt ausgedrückt: Hasan begründet erzählend/umschreibend und erzählt beschreibend/schildernd. Dies mag für Diskurse nicht weiter erstaunen, wohl aber für (einfache, unindizierte) Begründungen, die ja anders als beispielsweise bei Erzählungen keinen gesonderten sprachlichen Mittelaufwand zu erfordern scheinen. Fazit: Sowohl bei Mikroformen (Formeln, Partikeln) als auch bei einfachen Versionen "komplexer Handlungsmuster" (ERZÄHLEN, BEGRÜNDEN usw.) hat Hasan im Zusammenhang mit einer zielsprachlich "unkonventionellen'' Realisierung zentraler Konzepte (TEMPORAUTÄT, REFERENZ, KOHÄRENZ (BENSING i.d.Bd )) kaum eine Chance, sich ohne umfängliche Interpretationshilfe bzw. Verständnissicherungsprozeduren der Betreuer zu verständigen. Trotz dieser Defizite ist auf lernerspezifische Leistungen zu verweisen: Teilweise schon vorhandenes morphologisches Tempussystem, Partizipien(ID meist vollständig (KUTSCH i.d.Bd.), überraschender Präteritumgebrauch (DEGLMANN/ QUINT 1985) und standardsprachlich angenäherte Varietät. 4.1.3. PROFIL T4

DIS "Eine Entwicklung der narrativen Kompetenz zeigt sich in einer stärkeren Ausprägung der Strukturteile. Die eigeninitiierte konversationelle Erzählung erfüllt den Ungewöhnlichkeitsaspekt, wird jedoch weiterhin durch die mangelhafte Handlungsverkettung und Sprachfertigkeit beeinträchtigt. TEM Der Ausbau der lexikalischen Zeitangaben wird nur bei einfachen Zeitadverbien zum Ausdruck des Zeitpunktes fortgeführt. Ein weiterer (zweiter) Konnektor kommt hinzu. PAR Formen und Funktionen im semantischen und kommunikativen Register nehmen leicht zu. Insgesamt steigt die Gebrauchshäufigkeit der Partikeln.

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FOR Der Ich-Ausdruck10 weist nun Züge von Idiomatizität auf. Perspektivenübemahme wird durch phraseologisch feste und piagmatich gut eingebettete Formeln ausgedruckt. KOR Trotz einiger gelungener Selbstkorrekturen hat Hasan immer noch große Unsicherheiten im Hinblick auf Wortwahl, Syntax und Morphologie. Zum eisten Mal taucht ein explizites Korrektursignal (nä) auf". Gesamtbewertung (Auszug): "Eine kontinuierliche Entwicklung findet sich beim Erwerb von Formen und Funktionen der Partikeln; die zu Beginn schwer verständlichen Begründungen entwickeln sich in Richtung Konventionalität, das Repertoire der Formeltypen wird ausgebaut, was zu einer Erhöhung der Sprachflüssigkeit führt. Eine vergleichsweise geringe Entwicklung ist im Untersuchungsgebiet TEMPORAIJTÄT zu konstatieren. Gleiches gilt für den DISKURS, auch zu t4 geht die Ausgestaltung der Schemata über eine Minirnalform nicht hinaus; die Beschreibungen bleiben aufgrund der großen Mängel der Sequenzstrukturen und des spezifischen Vokabulars unverständlich. Als Indikator für sein niedriges Sprachniveau erweist sich der KORREKTURbereich, da alle Selbstkorrekturen mißlingen"(RATH 1965:131). Kommentar: Die Kurzkommentare sind durchwegs erwerbsdiachron formuliert, was methodisch insofern nicht ungefährlich ist, als dadurch der synchrone Systemcharakter und damit das "Eigengewicht" des Zeitschnitts t4 unterrepräsentiert sein könnte. Gleichwohl wird hier wie bei der "Gesamtbewertung" nicht das triviale Bild einer in allen Gebieten sichtbaren "Verbesserung" evoziert. Ganz im Gegenteil: Es ergeben sich zwei systematisch unterschiedliche Entwicklungen und zwischen FOR und KOR ein möglicher Analysewiderspruch. Zunächst zu den beiden Entwicklungsniveaus: Es mag überraschen, daß ausgerechnet die Temporalitäts- Entwicklung - trotz des anfänglichen "Vorsprungs" - relativ stagniert. Femer ist auffällig, daß das ERZlAHUEN sich offensichtlich Generell ist festzustellen, daß Hasans Ich-Darstellung eindeutig von Tl zu T4 zunimmt. Mit einer gewissen Verzögerung setzt auch die PerspektivUbemahme ein. hi tl finden sich Ich-Formeln, die die allgemeine Unsicherheit belegen: Bd. 139. ZB 23 do weiß Ich nicht ganz genau ob Ich darf (...) In t4 dagegen zeigen sich Formeln positiver Selbsteinschätzung: Bd. 377. ZB 19l da war ich gut (im Autoscooter-Fähren) Vor allem Bd. 393 zeigt einen ziemlich selbstbewußten Hasan, der dies auch durch entsprechende Formeln zum Ausdruck bringen kann: Bd. 393. ZB S3 für das hab Ich noch gute noten

ZB 159 ZB 168

Ich bin besser als du ich mach dich fertig

(REUTER 198S:31f)

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nicht im gleichen Maße entwickelt wie das abstraktere und damit als schwerer eingeschätzte Konzept/Handlungsmuster des BEGRliNDENs. Eine Erklärung für diese Erweibssystematik könnte davon ausgehen, daß auf der Grundlage des Interlanguage-Systems in tl sich relativ größere Fortschritte bei Kontext-armen (Kontext-ungebundeneren) Formen (wie Partikeln und Formeln bzw. dem BEGRÜNDEN gegenüber ERZÄHLEN) ergeben. Hasans Lemerstrategie von tl zu t4 könnte man dann mit folgendem relativ naheliegenden kognitiven Prinzip erklären: "Kontext-arme Formen/Strukturen vor Kontext-reichen, 'komplexeren'"!11 Dieser Erklärungsversuch muß aber ergänzt werden: Hasan hat offenbar Schwierigkeiten, auf manche schon verwendete sprachliche Formen oder Strukturen "bei Bedarf gezielt zurückzugreifen. So stehen häufig zielsprachlich korrekte, neben lernersprachlichen Formen - ohne daß eine Regelmäßigkeit dieser Variation erkennbar wäre. Dieses Lernverhalten haben ANTOS/BENSING (1985) als "Trial-and-ErTor"-Strategie bestimmt und es etwa dem geordneten Mustererwerb bei Aynur gegenübergestellt. So "probiert" Hasan schon in tl ein weil und in t3 ein darum (mit Abbruch) aus, das in t4 nochmals durch ein weil ergänzt wird, obwohl er erst ab t3 das Handlungsmuster BEGRÜNDEN (in der D- und -Struktur) zu beherrschen lernt. Der Charakter des "Zufälligen und Willkürlichen" ist damit noch nicht hinreichend erklärt. Zieht man den obigen Kurzkommentar zu KOR hinzu, so liegt die Konsequenz nahe, daß das "ausprobierende Erwerben" bei "positiven Versuchen" nicht immer erkannt und (daher?) mit großer Verzögerung oder (noch) gar nicht habitualisiert wird. Beides: die Trial-andError"-Struktur und die verzögerte Habitualisierung erklären das Phänomen häufiger, aber erfolgloser Selbstkorrekturen. Offenbar fehlt trotz oder gerade wegen des häufigen Monitoring das erforderliche Regelwissen im Interlanguage-System von Hasan. Daß im übrigen bei unterstellter "Trial-und-Error"Strategie am ehesten Habitualisierungsprozesse bei "überschaubareren" Formen/Strukturen zu erwarten sind, liegt nahe. 4.1.4. KONSEQUENZEN

Was folgt aus dieser Analyse für das Konzept von Interlanguage-Systemen? Zunächst einmal, daß Lernersprachen sich in diachroner Hinsicht nicht in jedem Fall "gleich schnell" entwickeln müssen. Femer, daß für ein phänomenenspezifisch unterschiedliches Erwerbstempo - zumindest "streckenweise" bestimmte Gründe (hier: kontext-ungebundenere vor "komplexeren" For11

Inwieweit dies ein "universelles" Erwerbsprinzip ist (kritisch dazu: BAHNS/BURMEISTER 1987) und wenn ja, inwieweit dieses Prinzip mit dem WODEs "free forms are acquired before bound forms" (WODE 1979:222) zusammenhängen könnte, muß hier offen bleiben. Immerhin ist auffällig, daß kontext-ungebundenere Formen eher erworben werden, als solche, die mit einer größeren Menge an Kontext-Constraints verbunden sind.

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men/Strukturen) maßgeblich sein können. Wenn dem so ist, muß sich das darin zeigen, daß - womöglich spiachsystem-unabhängige - Phänomenenoder Konzeptkomplexe (hier: ERZÄHLEN und TEMPORALTTÄT gegenüber BEGRÜNDEN und Partikel sowie Formeln) diese Erwerbssystematik zeigen. Dabei ist klar, daß eine solche Systematik überhaupt erst dann als phänomenenübergreifendes Prinzip behauptet \verden kann, wenn eben mehrere Erwerbsphänomene gemeinsam und aufeinander bezogen untersucht werden. Es gibt aber noch einen zweiten wichtigen Aspekt: Bei dem Konzept von Interlanguage-Systemen wird per definitionem das Regelhafte des sprachlichen Lemersystems betont, obwohl die beispielsweise von ADJEMIAN (1976) betonte Permeabilität genau dies - wenn auch nur partiell - in Frage stellt. Wie man bei Hasan sieht, ist diese •Willkürlichkeit" in mehrfacher Hinsicht zur Charakterisierung von hiterlanguage-Systemen interessant: t Daß von Phänomenen der Sprachproduktion nicht ohne weiteres auf eine dahinter stehende Kompetenz geschlossen werden darf, ist schon unterstrichen worden. Die Befunde von Hasan legen die Vermutung nahe, daß der Grad der Diskrepanz aber lemerspeziflsch sein kann. 2. Welcher begriffliche Status muß dem Trial-and- Error'-Erwerb von Hasan zugeschrieben werden? Ist dies eine "Kommunikationsstrategie" (zur usuellen Lösung einer Kommunikationsaufgabe), oder eine "Lemstrategie", die "auf langfristige Ziele gerichtet/...) die Vervollständigung sowie die Erhöhung der Sicherheit und Auffindbarkeit lernersprachlicher Wissensbestände" betrifft (KNAPP-POTTHOFF/KNAPP 1982:134)? Oder ist es gar ein automatisch ablaufender, vom Lerner nicht beeinflußbarer "Lernprozeß"? Trotz der Klärungsbedürftigkeit der genannten Begriffe (KNAPP-POTTHOFF/KNAPP 1982: 13Off) scheint ein Sowohl-als-Auch naheliegend: Zielsprachliche korrekte "Zufallstreffer" werden offensichtlich vom Lerner angestrebt und dienen der ad-hocLösung von Kommunikationsproblemen (also "Kommunikationsstrategie"); langfristig betrachtet führt dies zu einer Erweiterung der lernersprachlichen Wissensbestände ("Lemstrategie") und sicherlich ist das zumindest teilweise auch ein automatisch ablaufender, vom Lerner im Detail unbeeinflußbarer Prozeß ("Lernprozeß"). 3. Dieses Sowohl-als-Auch könnte aber den Blick auf eine bisher kaum thematisierte Eigenschaft von Interlanguage-Systemen lenken: Es ist der schon mehrfach angesprochene Aspekt der Habitualisierung12. Dabei sind im Hinblick auf Hasan zwei Dinge zu unterscheiden: Das eigentliche Trial-and-Error"- Verfahren und die Tatsache, daß offensichtlich erfolgreiche Versuche beim Lemer nicht als solche registriert werden (können), was zu weiteren, mehr oder weniger stochastischen Versuchen führt. Dabei ist Unter Habitualisierung verstehe ich jene Phase des Spracherwerbs, in der eine vorn Lerner produzierte sprachliche Form/Struktur noch nicht vollständig "automatisiert" i.S. A.A. LEONTEV (1975:26Off) ist, vom Lerner also nicht unmittelbar "bei Bedarf" bzw. zielsprachlich korrekt gebraucht werden kann.

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ein Grund für die mangelnde Habitualisierung natürlich in der unzureichenden Rückkoppelung der erfolgreichen Versuche zu sehen. Eine weiterer Grund liegt nahe: Da Hasan - vom Femsehen und vielleicht von Schulstunden abgesehen - nur mit dialektsprechenden Spielgefährten konfrontiert ist, hat er es mit zwei Sorten von input-Daten (BAHNS 1987) zu tun, die er möglicherweise nicht so zu differenzieren versteht , daß er die standardsprachliche Varietät zur Förderung seiner Habitualisierung heranziehen kann. Allerdings ist aufgrund der weitgehenden Unkenntnis von Habitualisierungsprozessen Zurückhaltung bei der Angabe von Gründen geboten. 4. Immerhin scheint es sinnvoll zu sein, die Systematik von Lemersprachen nicht nur in Langue-angenäherten Regeln zu sehen, sondern auch jene Regularitäten mit einzubeziehen, die input- bzw. output-Prozesse bzw. Strategien betreffen. 4.2. AYNUR 4.2.0. VORBEMERKUNG

Anhand der Profile von Aynur sollen im Folgenden Interlanguage-Ausschnitte gleichsam im Vergrößerungsglas studiert werden. Anders als etwa bei Hasan werden also keine vollständigen und d.h. relativ undifferenzierten Profile betrachtet. Dies bietet sich aus mehreren Gründen an: Aus Konformitätsgründen liegen "offizielle" Profile im Saarbrücker Projekt zu Aynur nur zwischen tl und 14 vor. Interessant ist aber insbesondere die Entwicklung zwischen t-3 bis tt Zum anderen gibt KUTSCH in diesem Band anhand von drei Analysen einen informativen Einblick in den Syntaxerwerb von Aynur (zwei Transkripte zu t-3 werden mit einem Transkript zu t3 verglichen). Entscheidend ist aber, daß mit KUTSCH (198Sb), ANTOS (198Sb) und DEGLMANN (i.d.Bd.) SpezialUntersuchungen zu Aynurs ZSE vorliegen, die die Möglichkeit bieten, Interlanguage-Systeme exemplarisch en detail zu studieren. Konkret geht es darum, den Erwerb von Begründungen, Partikeln und der Temporalität erwerbssynchron und diachron zu vergleichen. Dies verspricht insofern einen Einblick in die Systematik von Lernersprachen, als die drei Untersuchungsgegenstände als voneinander unabhängig aufgefaßt werden können. Oder um eine schon mehrfach angeklungene Problematik zuzuspitzen: Inwiefern besteht ein systematischer Zusammenhang zwischen von einander unabhängigen Erwerbsphänomenen? 4.2.1. SOZIALER HINTERGRUND

Vergleiche dazu KUTSCH (i.d.Bd.). 4.2.2. PROBLEMHINTERGRUND

Wie aus dem Teilprofil BEGRÜNDEN hervorgeht, weist Aynur nicht nur die höchste Begründungs-Frequenz aller Probanden auf; sie verwendet auch in Types wie in Tokens die meisten (zielsprachlichen) "kausalen" Konnektoren. Ferner zeigt sich bei ihr in qualitativer Hinsicht ein geordneter Erwerb in

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mehrfacher Hinsicht: Von vorwiegend unmarkierten, zu indizierten und schließlich zu Begründungen mit "kausalen" Konnektoren; von INTERAKTIONELLEN zu TURN-INTERNEN BEGRÜNDUNGEN und überlagernd dazu: von fremdinitiierten zu vorwiegend eigeninitiierten Begründungen. Auf diesem Hintergrund stellen sich zwei das Interlanguage-Systern betreffende Fragen: Ist Aynur auch hinsichtlich der anderen Analysebereich als "so gut" zu beurteilen? Und: Geht auch dort der Erwerb "so geordnet" vor wie bei den Begründungen? 4.2.3. ZUM BEISPIEL: DER PARTIKEL-ERWERB

KUTSCH (198Sb) hat in einer eingehenden Studie den Partikel-Erwerb von Aynur zwischen ihrem achten und elften Lebenjahr untersucht und ihn (KUTSCH 198Sa) mit dem anderer Probanden verglichen. Ein erstes uns interessierendes Ergebnis: Partikeln sind spracherwerbsJndiyJerend und daher ein sprachdiagnostisches Instrument. Neben dem (lange unterschätzten) Stellenwert dieser Phänomene als sprachlich wie kommunikativ differenzierte Ausdrucksmittel des Deutschen (man denke etwa an Denunziationsbezeichnungen wie "Füllsel", "Flickwörter" usw.), spielen Partikeln im ZSE in zweifacher Weise eine erwerbsindizierende Rolle: Mit Blick auf die einschlägige Literatur verweist KUTSCH (198Sb:247) darauf, daß Partikeln im Deutschen sowohl die Abtönung, Modifizierung, Graduierung und illokutive Charakterisierung von Aussagen erlauben als auch (damit zusammenhängend) wichtige Mittel interaktioneller Image- und Partnerarbeit sind. "Partikelmangel in Äußerungen zeigt Auswirkungen auf den Beziehungsaspekt von Kommunikation" (KUTSCH 198Sb :247). Es gibt aber noch einen zweiten, sozusagen "erwerbsinhärenten" Grund für die erwerbsindizierende Rolle von Partikeln: Die Funktionsvielfalt ein und derselben Partikel (z.B."also" als Korrektursignal, Mittel der Redeeröffnung, Präzisierung, Gliederung oder als Mittel der Aufmerksamkeitssteuerung) scheint ein sensibles Erwerbsproblem für Lerner darzustellen. Daher werden PartikelFormen anfanglich vorwiegend monofunktional erworben und erst allmählich kommen weitere Funktionen hinzu. Die Struktur dieses Erwerbsprozesses bringt KUTSCH (198Sb) in Verbindung mit FLAVELLS (1972) Schema für Entwicklungssequenzen: ADDITION von Types in bezug auf lexikalischen Erwerb, MODIFIKATION der kommunikativen und semantischen Funktionen, z.B. Differenzierung oder Stabilisierung; INKLUSION erworbener Partikeln in Partikelkombinationen, die schwer zu bilden sind und daher Indikatorfunktion für eine hohe Kompetenz des ZSE-Lerners darstellen. Das Ergebnis für Aynur im Vergleich zu Thorsten: Deutliche Defizite im Partikelregister Aynurs. "Im Bereich des Lexikons wurden von Aynur selbst nach sechs Jahren Zweitspracherwerb nur die Hälfte der kommunikativen Types und ihrer Funktionen erworben. Dagegen wurden bei den semantischen Partikeln die wichtigsten Types mit ihren grundlegenden Funktionen gelernt, jedoch fehlen andereseits hier Funktionen, die bei Thorsten zum selbstverständlichen Repertoire gehören" (KUTSCH 1985b:249). Und: In der Tokenhäufigkeit liegt Aynur um nahezu 5O% niedriger als Thorsten, übrigens auch gegenüber Christine.

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Diese zurückhaltende Beurteilung der Partikel-Kompetenz von Aynur zeigt sich auch in den Profilen. So findet sich beispielsweise in t3, wo Aynur eine führende Begründungs- Kompetenz bescheinigt wird, folgender Eintrag unter PAR: "Das kommunikative und semantische Register ist stabil, das kommunikative Lexikon entspricht annähernd dem von Christine, das semantische Lexikon ist immer noch nicht adäquat." Im Hinblick auf unsere Exploration von Interlanguage-Systemen läßt sich daher festhalten: Aus einer hohen Erwerbskompetenz in einem Phänomenenbereich darf nicht auf die Kompetenz in einem anderen Phänomenenbereich geschlossen werden! Ein solches empirisch nachweisbares Ergebnis - so naheliegend es scheinen mag - ist überhaupt nur auf der Grundlage einer Untersuchung von lernersprachlichen Gesamtsystemen möglich. 4.2.4. WEITERE VERGLEICHE

Die zwischen den lernersprachlichen Fähigkeitsbereichen aufgezeigte Diskrepanz ließe sich natürlich "spiegerverkehrt" interpretieren: Nicht Aynurs PartikelKompetenz ist gegenüber ihrer Begründungs-Fähigkeit "geringer", sondern umgekehrt: ihre Partikel-Kompetenz ist charakteristisch für den Erwerbsstand. Dieser Einwand läßt sich mit Hinweis auf Aynurs diskursve Fähigkeiten aber klar zurückweisen: Im Hinblick auf einen diesbezüglichen Vergleich zwischen Maria, Aynur und Christine wird die führende Erwerbsprogression von Aynur hervorgehoben. Zwar beherrschen alle drei Probandinnen zu tl "wesentliche Strukturelemente der nanativen Syntax", aber: "Lediglich Aynur scheint (...) zu diesem Zeitpunkt bereits die Fähigkeit zur Detaillierung zu besitzen und über verschiedene Erzählstrategien zu verfügen. Während Maria und Christine in diesem frühen Stadium der Datenerhebung noch nicht in der Lage zu sein scheinen, bei deskriptiven Schemata oder bei Nacherzählungen dem Zuhörer ein Gesamtbild des Beschreibungsobjektes zu vermitteln, verfügt Aynur diesbezüglich schon über eine angemessene kommunikative Kompetenz..." (BOSSUNG/TANTOW 1985:69). Diese und weitere Befunde sprechen dafür, daß Aynur nicht nur bei Begründungen einen "Spitzenplatz" einnimmt. Daher kann es bei dem bisherigen Urteil bleiben: Es ist ihre Partikel-Kompetenz, die relativ zum Erwerbsstand "nachhinkt". Wie steht es nun aber mit der Hypothese, daß Aynurs Erwerbsprogression mit ihrem "geordneten Mustererwerb" zusammenhängt? Läßt sich diese Hypothese auch an anderen Analysebereichen bestätigen? Im Bereich TEMPORALTTÄT wird ganz im Sinne der Hypothese unterstrichen, "daß neue Funktionen zunächst immer durch Strategien realisiert werden, die auf alten Formen basieren" (DEGLMANN i.dJBd.). Doch inwieweit dies eine allgemeine oder eine nur für Aynur erwerbsspezifische Strategie ist, bleibt offen. Die Frage nach dem Zusammenhang zwischen "geordnetem Erwerb" und Er-

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weibspiOgresskm muß auch aus anderen Gründen offen bleiben: Denn in manchen Analysebereichen (zJB. PARTIKELN, FORMELN) ist unklar, was "geordnet" heißen könnte. Fazit: Da es zumindest sinnvoll zu sein scheint, diese Hypothese weiter zu verfolgen, müßte zunächst eine weitere Präzisierung und Explizierung von "Geordnetheit" versucht werden. 4.3. DOMENICO 4.3.1. SOZIALER HINTERGRUND

"Der Proband, geb. 1971, ist 1979 mit seiner Familie, die aus der Gegend von Palenno stammt, in das Saarland eingereist. Er hat zwei ältere und zwei jüngere Brüder und zwei jüngere Schwestern. Der Vater ist Hüttenarbeiter, die Mutter hat eine Putzstelle in einer Schule. Beide sprechen kein Deutsch und beherrschen es auch nicht passiv. Die Wohnsituation ist einigermaßen zufriedenstellend (Sozialwohnung). Zur Freizeitgestaltung der Familie gehört vor allem der Aufenthalt in dem sehr großen gepachteten Garten. Die Sprache von Domenico war zu Beginn der Erhebungsphase von einem leichten Stottern gekennzeichnet, welches sich in der Folge bis auf kleine Reste verloren hat. In allen T-Schnitten machte der Proband den Eindruck einer selbständigen, unabhängigen Persönlichkeit. Er zeigte sich zwar immer kooperativ und konziliant, behielt aber durchgängig eine gewisse Distanz bei. Gegenüber seiner Schwester und Mitprobandin Silvia nahm diese Distanz gelegentlich ironische Züge an, da Domenico ihren Wortreichtum nicht sonderlich schätzte... Domenico spricht mit seinen Geschwistern, ausgenommen der älteste Bruder, ausschließlich Deutsch" (Ortsdialekt) (Auszug aus dem Sozialdatenbogen, RATH 1985:132). 4.3.2. WEITERE ASPEKTE DIACHRONER INTERLANGUAGE-SYSTEME

Anhand ausgewählter Analysebereich von Profilen lassen sich einige weitere Eigenschaften und Probleme von Interlanguage-Systemen, diesmal unter diachroner Perspektive thematisieren. Zunächst werden auszugsweise Profile von tl bis t4 kommentarlos nebeneinander gestellt: 4.3.2.1. PROFIL Tl (AUSZUG)

DIS "Bei Deskriptionen gelingt es dem Probanden nicht, dem Zuhörer eine angemessene Vorstellung des beschriebenen Objektes zu vermitteln. Er besitzt keine Möglichkeit der Perspektivenübernahme: er erkennt noch nicht einmal das Nichtverstehen des Betreuers. BEG Es kommen kaum Begründungen vor (3); sie werden jeweils ohne Konnektoren realisiert. PAR Wie Aynur verfügt Domenico über ein kommunikatives und semantisches Basisregister.L.) Der Formengebrauch ist stabil und die Funktionen sind adäquat eingesetzt. Im Vergleich zur türkischen Probandin Aynur ist Domenicos Register doppelt so groß. (Dies läßt sich möglicherweise mit Einflüssen der Erstsprachen erklären: das Italienische besitzt ein ähnliches Partikelsystem wie das Deutsche (aber mit syntaktischen Unterschieden), im Türkischen jedoch werden Partikelfunktionen vor allem Intonatorisch, d.h. nicht lexikalisch ausgedrückt).

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TEM Im Bereich lexikalischer Zeitangaben ist ein erweitertes Basisregister (allerdings nur einfacher Types) vorhanden; im Bereich der Konnektoren wird das PNA-Basisregister jedoch in allen t-Schnitten nicht erweitert" 4.3.2.2. PROFIL T2 (AUSZUG)

Dis "Die wesentlichen Strukturteile der narrativen Syntax sind in knapper Form vorhanden. Die Handlungsverkettung ist ungenügend strukturiert, aber rekonstruierbar. Die Handlungsträger bleiben vage. Trotz hohem emotionalen Engagement (Evaluation) fehlen explizite effektive Bewertungen ganz. BEG In diesem Zeitraum findet ein qualitativer und quantitativer Sprung statt (12 BG, davon 4 mit WEIL). Die Begründungen mit WEIL gelingen, die ohne Konnektoren sind oft nicht nachzuvollziehen. PAR Beide Register sind so groß wie zu tl . Jedoch ist die Anzahl der Tokens gefallen. TEM Erweiterung der lexikalischen Zeitangaben, vor allem bei den Präpositionalausdrücken" 4.3.2.3. PROFIL T3 (AUSZUG)

Dis "Die Geschichten erfahren eine auffallend starke Binnengliederung, dennoch bleibt die Handlungskette vage. Für eine gesteigerte diskursive Kompetenz spricht die Tatsache, daß der Proband einen Kondensierungszwang einlöst und explizit durch eine Reduktionsformel ankündigt ("un so weiter"). Die szenische Wiedergabe wird zu diesem Zeitpunkt beherrscht. BEG Keine gravierenden Änderungen. PAR Im kommunikativen Register ist ein Zuwachs festzustellen, die Zahl der Token steigt an und kovariiert mit der erhöhten Gesprächsbereitschaft des Probanden. TEM Nur geringe Erweiterung des Registers lexikalischer Zeitangaben" 4.3.2.4. PROFIL T4 (AUSZUG)

Dis "Domenico kann den Handlungsverlauf der Beschreibung korrekt vermitteln. Die Sequenzstruktur korrespondiert mit der Handlungsstruktur. Durch Detaillierung und vermehrte Nennung von Handlungsverben erfahrt die Beschreibung eine plastische Ausgestaltung. Bei dem narrativen Schema erfährt die Komplikation keine sprachliche Ausarbeitung. BEG Textsortenbedingt keine Begründungen. PAR Gestellte Anforderungen ("Instruktion") führen zu höheren kommunikativen Leistungen, die nicht ausschließlich aus veränderter Interaktionslage und Kontext abgeleitet werden können.

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TEM "Auch hier werden die lexikalischen Zeitangaben nur minimal erweitert" (RATH 1985:133-136). 4.3.3. DISKUSSION

Betrachtet man die Profil-Auszüge diachronisch, so stellt man nacheinander pro Analysebereich einen "Erwerbssprung" fest: Basis ist das Profil in tl. Relativ dazu gibt es in t2 in zwei Analysebereiche je einen "Sprung", nämlich bei den BEGRÜNDUNGEN und in der TEMPORALTTÄT. In t3 und t4 ergeben sich relativ zum je neuen Niveau keine entscheidende Veränderungen mehr. In t3 wird dann bei den PARTIKELN eine deutliche Veränderung festgestellt (beim "kommunikativen Register" und bei der Anzahl der Token). Ebenfalls in t3, vor allem aber dann in t4, wird von einer gesteigerten diskursiven Kompetenz berichtet. Nun liegt es nahe, diese "Sprünge" als Entwicklungsstadien bzw. - Sequenzen zu interpretieren, womöglich als "nicht- kontinuierlicher", "diskreter", also "plötzlicher Entwicklungsschritt" im Sinne FELIX (1982:71). Ohne diese Interpretation ganz ausschließen zu wollen, muß aber betont werden, daß es sich bei diesen "Sprüngen" 1. um sehr unterschiedliche sprachliche und kommunikative Phänomene handelt (also nicht nur syntaktische Strukturen betrifft), und daß 2. nicht nur (lexikalische) Formen bzw. Strukturen, sondern auch die entsprechenden Gebrauchsfrequenzen (Token) sprunghaft steigen. So naheliegend dies einerseits scheint, so problematisch ist dies m.E. für eine Auffassung von "Erwerbsstadien", die neben der zeitlichen Dimension entscheidend durch das "sprachstrukturelle" Kriterium definiert sind (FELIX 1982:7O). Im Falle der Begründungen mag man in diesem Zusammenhang darauf verweisen, daß der Erwerb/Gebrauch von WEIL ab t2 die "sprachstrukturelle" Grundlage für eine "Verbesserung" des Begründungsvollzugs darstellt. Sehr viel schwieriger läßt sich aber diese Argumentation beim Diskurs-Erwerb durchhalten, da hier der "Erwerbssprung" durch viele "sprachstrukturelle" Erwerbszuwächse in einer kumulativen13 Weise erzeugt wird. Interessant sind aber noch eine Reihe von anderen Punkten: - Wie bei Hasan gibt es auch bei Domenico eine Erwerbsrichtung von überschaubaren, (und kognitiv einfacheren?) Einheiten zu komplexeren (TEMPORALTTÄT: "lexikalische Zeitangaben"; WEIL- Gebrauch bei Begründungen; Zuwachs an Partikeln auf relativ hohem Erwerbsniveau und erst danach "gesteigerte diskursive Kompetenz"). 13

In seiner semantisch-pragmatischen Analyse von Repräsentativa hat BURMEISTER (1983) für den frühen L2-Erweib kumulative Entwicklungssequenzen angenommen. Daß legt zumindest die Vermutung nahe, daß sprachlich-kommunikative Handlungmuster anders (eben "kumulativ") als sprachliche Formen/ Strukturen erworben werden. Deren Erwerb ist u.a durch Dekomposition (WODE) sowie durch Hypothesenbildung mit möglicher Revision (FELIX 1982:78ff), also als "nicht-kontinuierlich" zu charakterisieren.

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- Ist diese kognitiv ausgerichtete Interpretation der Erwerbssprünge richtig, so stellt sich natürlich die Frage, wie dies bei anderen Probanden aussieht. Bei Aynur ließe sich dieses kognitive Erklärungsprinzip ebenfalls anwenden, wenngleich dort die "Sprünge" kleiner, dafür aber kontinuierlich-häufiger ausfallen. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß das Prinzip "Kontext-ungebundenere/ einfachere Einheiten vor komplexeren" für sich genommen, nicht sehr viel über die Spezifik von Erwerbsverläufen aussagt: Denn bei Aynur ist die Frage entscheidend, wie die verschiedenen Erwerbssprünge systematisch zusammenhängen (etwa Zusammenhang von Begründungs- Strukturen mit dem Formerwerb von nicht-kausalen und kausalen Konnektoren bzw. Indikatoren, vgl. 3.512.). Bei Domenico dagegen ist eher interessant, warum die erwähnten Sprünge so offenkundig auffällig ausfallen. Oder anders herum gefragt: Warum "passiert" in einem Analysebereich über viele Monate hinweg nichts? Oder skeptischer gefragt: Verändert sich in einem Interlanguage-System wie dem von Domenico tatsächlich nichts Wesentliches über einen vergleichsweise langen Zeitraum? Und wenn ja, warum dann offenkundig nur in je einem Phänomenenbereich? - Diese Fragen führen wieder auf diskutierte methodische Probleme zurück: Sie betreffen die (heuristische) Vorgabe von Zeitschnitten, die Wahl von Analysebereichen in Abhängigkeit der jeweiligen Erwerbsentwicklung und mit beiden Punkten zusammenhängend die Frage, wie erwerbsspezifisch die untersuchten Daten relativ zu den Untersuchungsrastern sind. Im Hinblick auf Domenico läßt sich zunächst einmal festhalten, daß die willkürlich vorgegebenen halbjährlichen Zeitschnitte angemessen sind. Denn zeitlich kürzere würden bei (isoliert) arbeitenden Analysebereichen den Verdacht auslösen müssen, daß aufgrund erwerblicher Konstanz die auszuwertenden Daten Spracherwerbs unspezifisch seien. Selbst bei dem halbjährlichen Schnitt liegt ein solcher Verdacht nahe, sofern nur die einzelnen Analysebereiche isoliert betrachtet werden. Erst eine Betrachtung des gesamten InterlanguageSystems eröffnet hier eine übergreifende Systemanalyse der Lemersprachenveränderungen. Und wie eingangs schon betont: Erst nach der Analyse läßt sich abschätzen, ob und für welche Analysebereiche bestimmte Daten spracherwerbsspezifisch sind. - Abschließend lassen sich die Interlanguage-Systeme von Domenico in diachroner Hinsicht als "Partitur" so zusammenfassen: t l Dis PAR BEG

TEM

t 2

t 3

t 4

'

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Diese "Partiturschreibweise" zeigt recht anschaulich, warum erst nach der Rekonstruktion des Erwerbsprozesses eine diachrone Systematik auf der Grundlage synchroner Interlanguage-Systeme erkennbar wird. DJi. synchrone Interlanguage-Systeme, die sich isoliert betrachtet möglicherweise ganz unzusammenhängend und unsystematisch ausnehmen, können gleichwohl in diachroner Hinsicht eine Systematik des Erwerbs prozesses eröffnen. Im Hinblick auf Charakteristika von Interlanguage-Systemen bleibt also festzuhalten, daß mit diachronen Interlanguage- Systemen zweiter Stufe erst die Voraussetzung für eine Entdeckung einer möglichen Erwerbssystematik geschaffen wird. Ein zweites wichtiges Ergebnis: Daten, die relativ zu einem bestimmten Analysebereich als erwerbsunspezifisch erscheinen, sind unter der Perspektive möglicher Interlanguage-Systemen zweiter Stufe nochmals, d.h. im Hinblick auf Erwerbsprozeß- Eigenschaften neu zu bewerten.

4.4. MARIA 4.4.1. SOZIALER HINTERGRUND

"Die Probandin ist im Januar 1979 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Sie war zu diesem Zeitpunkt 5 Jahre alt, in t -3 ist sie 7 Jahre alt. - Maria wohnt bei ihren Großeltern in deren eigenem Haus in Dudweiler. Der Großvater ist Rentner, die Großmutter arbeitet ganztags und flihrt den Haushalt. Außer den Großeltem wohnen noch zwei erwachsene Söhne von diesen, eine ältere Schwester und bis Ende 1982 der Bruder Marias in dem Haus. Mit der älteren Schwester teilt sie ein Zimmer. Maria hat insgesamt vier Geschwister, drei davon leben in Italien. Sie steht an dritter Position in der Geschwisterreihe. Die meisten Freunde der Probandin sind deutsche Kinder. Die Familie pflegt vor allem Kontakt innerhalb der Verwandtschaft und in geringem Umfang zu deutschen Nachbarn. In der Familie wird die deutsche Sprache höher bewertet als die Italienische. Die Probandin spricht die Dudweiler Variante des Rheinfränkischen. Die schulischen Leistungen Marias sind mäßig bis zufriedenstellend. Die Probandin wollte auf das Gymnasium wechseln, bekam aber keine Empfehlung von ihrer Lehrerin.(...) Auffällig ist, daß Maria stets versucht, die anderen Kinder zu dominieren (auch ihren Bruder, der ebenfalls Proband ist)" (RATH 1985:114).

4.4.2. PROFIL-INTERPRETATION

Anhand von Marias Profilen soll - wiederum exemplarisch - das Verhältnis von Spracherwerb und Sprachgebrauch thematisiert und Konsequenzen für das Konzept von Interlanguage-Systemen erörtert werden. Hintergrund dieser Fokussierung ist der schon in der "Einleitung" erwähnte Punkt, daß "Probanden" unter der doppelten Perspektive als "hiteraktionspartner" und als "Lemer" betrachtet werden. Daß dies nicht problemlos ist, läßt sich an Marias Erwerbsprozeß zeigen.

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Beginnen möchte ich mit der "Gesamtbewertung" von Marias Erwerb: "Im Bereich DISKURS ist zwischen t-3 und tl keine gravierende Veränderung feststellbar. Wesentliche Entwicklungen zeichnen sich zwischen tl und t4- in der qualitativen Ausarbeitung der Strukturteile ab. Im Zusammenhang mit der Entwicklung im diskursiven Bereich steht die partnerbezogene Ausgestaltung. Dieses Ergebnis deckt sich mit dem Befund der Partikelanalyse. Zunächst wird im Zeitraum t-3 bis t2 das kommunikative Register ausgebaut, danach erst das semantische. Ein ähnliches Bild liefert die Analyse der Formeln: Über den gesamten Erhebungszeitraum wird das Repertoire kontinuierlich ausgebaut und flüssiger eingesetzt. Lediglich die Fähigkeit des BEGRtlNDENs wird zwischen t-3 und tl vollständig erworben, der folgende Zeitraum kann als Habitualisierung betrachtet werden" (RATH 1985:119). Eine ganz "normale" Interlanguage-Entwicklung also? Betrachtet man jedoch die Profile im Hinblick auf mögliche Diskrepanzen, so ergibt sich ein weit differenzierteres Bild: Zunächst ist festzuhalten, daß bei den Partikeln, der Temporalität und den Formehi von Zeitschnitt zu Zeitschnitt erkennbare Entwicklungen zu verzeichnen sind, und dies teilweise auf einem schon "hohem" Erwerbsniveau. So heißt es beispielsweise unter TEM in tl: "hn Vergleich zu t-3 besitzt Maria jetzt ein beeindruckendes Register lexikalischer Zeitangaben". Gestützt wird dieser Befund auch durch die Begründungs-Analyse, in der auf den hohen Konnektorengebrauch in tl aufmerksam gemacht wird. Diese scheinbar ideale Lernerentwicklung setzt sich bei den Begründungen aber nicht fort, da Maria - sieht man von dem nicht zu unterschätzenden Habitualisierungsprozeß einmal ab - keine weitere Fortschritte macht. Isoliert betrachtet, ist das aber noch nichts Besonderes. Erst wenn man die Ergebnisse der DiSKURS-Gruppe berücksichtigt, ergibt sich für Maria ein besonderes Erwerbs-"Kolorit": Dis zu tl "Bis auf die Komplikation werden die wesentlichen Elemente der narrativen Syntax geleistet; durch die fehlende Komplikation wirken die Schilderungen weitschweifig und unpointiert. Es offenbart sich eine starke Diskrepanz zwischen Erzähltrieb und Erzählkompetenz. Affektive Bewertungen und Emotionen fehlen ganz". Dis zu t3 "Sie ist in der Lage, Erzählungen argumentativ in Form von Belegtexten einzusetzen. Die implizite Evaluation und Funktion dieser Erzählung wird vor allem durch die starke emotionale Engagiertheit der Probandin zum Ausdruck gebracht. - Zu diesem Zeitpunkt verfügt die Probandin über die Fähigkeit der szenischen Repräsentation, emotionale und effektive Bewertungen finden expliziten Ausdruck im Text".

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DIS zu t4 "Auffallend erscheint zu diesem Zeitpunkt ein erhöhtes interaktionelles Interesse der Probandin sowie ihre Fähigkeit 'aufmerksamkeitszentrierend' zu erzählen". (Auszug) "Weitschweifig und unpointiert" zu reden, "emotionale Engagiertheit" sowie die Fähigkeit zur sprachlichen Inszenierung wollen nicht so recht in das Bild eines "klassischen" Lerners passen. Trotzdem legen übereinstimmend die Analysen nahe: Maria will nicht im Sinn elizitierender Wissenschaftler "kommunizieren", sondern "sich sprachlich inszenieren". So wird schon in tl vermerkt: "Maria scheint in diesem Stadium vor allem daran interessiert, ihren älteren, aber sprachlich wie auch kommunikativ weniger gewandten Bruder zu übertrumpfen und dadurch selbst im Ansehen der Betreuer zu steigen. Die Funktion der Schilderungen besteht ausschließlich in der Selbstdarstellung" (BOSSUNG/TANTOW 1985:19).

Auch im Hinblick auf die für Maria charakteristischen "Begründungs-Erzählungen" ("klaumätzje", vgl. 3.3.) wird hervorgehoben, daß sie "in erster Linie die Funktion der positiven Selbstdarstellung - allerdings in verschleierter Form - haben: Von der 'Negativfolie' der schlechten Eigenschaften der Freundin Alexandra hofft sich Maria offenbar selbst positiv abzuheben" (BOSSUNG/TANTOW 1985:15).

Daß auch diese Inszenierungs-Formen sich in sprachlicher wie rhetorischer Hinsicht entwickeln, zeigt schließlich eine Beurteilung in t4 : "Maria ist mehr als bislang darum bemüht, daß ihre Erzählung bei den Zuhörern ankommt; (...). Die Funktion der Erzählung ist nicht mehr nur sprecherorientiert, auch wenn sich Maria durch besonders anschauliches Erzählen in positiver Weise selbstdarstellen kann. Gleichzeitig gelingt es ihr aber auch, die Zuhörer zu belustigen bzw. zu unterhalten" teossuNG/TANTOW 198&17). Strategien der "Imagearbeit" (HOULY 1979), der Selbstdarstellung oder rhetorische Strategien - um nur einige "perlokutive" Strategien zu nennen - kommen sehr wohl auch schon bei Zweitspracherwerbem vor (ANTOS 1985a). Für die (Re)konstruktion von Interlanguage-Systemen bieten sie in doppelter Hinsicht Schwierigkeiten: Sind die sprachlich-kommunikativen Mittel noch nicht im ausreichenden Maß vorhanden - wie im Fall von Maria zu tl - so liegt eine Unterschätzung des tatsächlichen Erwerbs stand nahe und/oder man muß zu nicht sehr präzisen Beschreibungen wie beispielsweise "starke Diskrepanz zwischen Erzähltrieb und Erzählkompetenz" greifen. Beherrscht der Lemer aber jene Mittel, so droht die Gefahr einer Überschätzung des Erwerbsstands. Beides resultiert gleichermaßen daraus, daß es schwer fällt, die "Probanden" nicht nur als "Lemer", sondern - völlig unabhängig davon - als "Kommunikatoren" zu sehen. Welche Konsequenzen hat dies für das Konzept von Interlanguage-Systemen? Zunächst einmal müßte entschieden werden, ob und inwieweit die angedeuteten "perlokutiven Strategien" und deren Entwicklung im Erwerbsprozeß in Interlanguage-Systemen zu berücksichtigen sind. Im Fall von Maria "mußten" sie

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bei der Analyse von Diskursen insofern berücksichtigt werden, klare Entwicklung zu sehen ist. Konkret: Weder in sprachlichzählstruktureller Hinsicht sind die Beiträge von Maria zu t4 "besser" als zu tl , aber sie sind nun wirkungsvoller gestaltet. sich folgende Dreiteilung der Interlanguage-Entwicklung:

als hier eine noch in erentscheidend Damit ergibt

1. Partikeln, Formeln und Temporalität entwickeln sich kontinuierlich fortschreitend (wie gehabt). 2. Auffällige Entwicklung im Bereich "perlokutiver Strategien" (Selbstdarstellung, Rhetorik, usw.) 3. Geringe Progression bei Begründungen und Diskursen (was deren Makrostruktur betrifft).

Diese Differenzierung der anfänglichen "Gesamtbewertung" hat für das hiterlanguage-Konzept nicht unerhebliche Auswirkungen: Denn bei eingeschränkten Mitteln gleichwohl wirkungsvoll, dJi. ziel- bzw. partnerorientiert reden zu können, ist sicherlich ein entscheidender Faktor bei der Lösung von Kommunikationsproblemen. Andererseits ist diese Fähigkeit nicht ohne weiteres auch als Zweitsprachlemfahigkeit zu werten und damit Gegenstand von Interlanguage-Systemen. (Schließlich ist nicht auszuschließen, daß der erfolgreiche Gebrauch von "perlokutiven" Strategien zu einem Fossilierungsfaktor werden kann). Es scheint daher sinnvoll, solche Strategien nur dann in InterlanguageSystemen (ausnahmsweise) zu berücksichtigen, wenn, wie im Fall von Maria, eine Entwicklung im Zusammenhang mit einem Phänomenenbereich zu konstatieren ist. 4.S. THORSTEN UND CHRISTINE

Für die beiden zum Vergleich herangezogenen deutschen Probanden wurden ebenfalls Gesamtprofile erstellt, die einige interessante Aufschlüsse im Hinblick auf den Deutschspracherwerb der ausländischen Kinder liefern. Unter der in dieser Arbeit verfolgten Zielsetzung, Systematiken von Lernersprachen darzustellen und zu problematisieren, können sie aber nicht als Interlanguage- Systeme im strengen Sinne ausgewertet werden. Dies würde womöglich gravierende, aber noch nicht bekannte Unterschiede zwischen Ll und L2 von vornherein verwischen. Daher soll ohne theoretische Grundsatzdiskussion nur die zentrale Frage angeschnitten werden: Worin unterscheidet sich der Spracherwerbs- bzw. der Sprachentwicklungsstand der deutschen14 von den ausländischen Kindern? Obwohl Christine und Thorsten in ihrem sprachlichen Verhalten deutliche 14

Die Frage nach dem gemeinsamen

(Eist-und Zweltspracherwerb

umfassenden)

Entwicklungsprozeß kann hier nur gestellt, aber aufgrund der schmalen empirischen Basis (2 deutsche Probanden) nicht beantwortet werden.

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Unterschiede aufweisen15 , ergibt sich gegenüber den ausländischen Probanden ein einheitliches Bild: Beim Erwerb der Partikeln, der Formeln sowie der Temporalität liegen sie beide klar vor den anderen Probanden. Im Analysebereich BEGRÜNDUNGEN und DISKURSEN, also bei der Analyse kommunikativer Handlungsmuster, ist das Bild differenzierter: Wie erinnerlich ist die Begründungsfrenquenz bei Thorsten durchschnittlich, bei Christine von allen am geringsten, obwohl die grammatischen Mittel (etwa Konnektoren) vorhanden sind. Bei Erzählungen dürfte Thorsten knapp, bei Beschreibungen/Berichten deutlich vor den ausländischen Kindern liegen, 'wohingegen Christine - zumindest am Anfang des Untersuchungszeitraums - sich kaum von Aynur oder Maria unterscheidet. Vorsprünge zeigen sich hingegen bei Beschreibungen. Ganz grob läßt sich also festhalten: Im syntaktischen und lexikalischen Bereich haben die deutschen Kinder einen "Vorsprung", bei kommunikativen Handlungsmustem spielt dies allerdings kaum eine Rolle. Hier haben fortgeschrittene L2-Lemer gegenüber Li-Lemem durchaus vergleichbare kommunikative Erfolgschancen.

S ZUSAMMENFASSUNG

Als Ergebnis dieser explorativen Studie lassen sich folgende Eigenschaften von "Interlanguage"- Systemen festhalten: L Einzelphänomene können nicht oder nur mit großen Einschränkungen als Indikatoren für die Beurteilung des Erwerbsstands bzw. des Erwerbsprozesses herangezogen werden. Es hat sich nämlich gezeigt, daß verschiedene Erwerbsphänomene nicht immer das gleiche Erwerbsniveau repräsentieren (vgl. Hasan, Aynur, Domenico). Nur die übergreifende Analyse des lernersprachlichen Gesamtsystems kann Aufschluß darüber geben, welche Phänomene den tatsächlichen Erwerbsstand bzw. Erwerbsverlauf wiedergeben und welche "nachhinken" bzw. "vorauseilen". 2. Damit zusammenhängend: Das Erwerbstempo der analysierten Phänomene ist nicht immer kontinuierlich. Im Extrem wechseln sich Erwerbssprünge mit Phasen erwerblicher Konstanz ab. Interpretiert man diesen Wechsel als diskrete, diskontinuierliche Erwerbsphasen, so ist einschränkend darauf zu verweisen, daß dieser "Stop- and-Go"-Erwerb nicht bei allen Probanden vorkommt, sondern lernerspezifisch zu sein scheint. 3. Das unterschiedliche Tempo von verschiedenen Erwerbsphänomenen kann in einem systematischen Zusammenhang stehen. Wie bei Hasan und dann ausführlicher bei Domenico ersichtlich ("Interlanguage-System 2. Stufe"), scheint es diachrone Erwerbssystematiken zwischen ganz unterschiedlichen nicht unproblematischer, aber illustrierender Indikator ist, daß Christines Schulleistungen zu wtinschen Übrig lassen, "im Fach Deutsch werden die Leistungen als 'schlecht* bezeichnet" (RATH 1985:120). Demgegenüber hat Thorsten die zweite und dritte Grundschulklasse mit gutem Erfolg besucht.

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Phänomenen zu geben. Eine davon ist als das kognitive Erwerbsprinzip "Kontext-arme Einheiten vor Kontext-reichen" postuliert und näher dargestellt worden. Sollte sich diese Hypothese von diachronen InterlanguageSystemen bestätigen und verallgemeinern lassen, so müßten synchrone Erwerbsanalysen diachron reinterpretiert werden. Denn was in synchronen "Momentaufnahmen des Erwerbsprozesses" womöglich unzusammenhängend erscheint, eröffnet erst in einer diachronen "Partitur" seinen erwerbssystematischen Zusammenhang. 4. Eine bislang völlig unterschätze Rolle scheint die Habitualisierung von erworbenen Phänomenen zu spielen. Die Ergebnisse legen den Schluß nahe, daß der Erwerb eines Phänomens als "Auftreten plus Habitualisierung" zu beschreiben ist. Der zentrale Einfluß der Habitualisierung auf das lemersprachliche Gesamtsystem ist allerdings - wie bei Hasan - bislang nur ex negative nachzuweisen, nämlich wenn sie offenkundig gestört ist. Die diagnostizierte (tendenziell stochastische) "Trial- and-Error"-Strategie scheint eine unmittelbare Konsequenz einer unzureichenden Habitualisierung zu sein. Aber auch der "geordnete Erwerb" bei Aynur läßt sich als systematisches Phänomen nur dann erklären, wenn man die schnelle Habitualisierung eines vorher isolierten und analysierten Phänomens unterstellt. 5. Wenn man Habitualisierungsphasen nicht nur (wie bisher) als erwerbsbegleitende, sondern als erwerbsindizierende Phänomene betrachtet, dann verändert sich auch die Einschätzung dessen, was als "spracherwerbsspezifische" Daten zu definieren ist . Dies gilt auch für die unter 3. beschriebene diachrone Erwerbssystematik. Die Konsequenz daraus: Um entscheiden zu können, ob ein Phänomen "erworben" wurde, reicht nicht nur das niederfrequente Auftreten, sondern eine gewisse (schwer definierbare) Gebrauchshäufigkeit (vgl. "emergence" vs. "mastery criterion" NICHOLAS/MEISEL 1983:690. Interpretiert man die Habitualisierung aufgrund der vorliegenden Analysen als Erwerbsindiz, dann resultiert daraus die Annahme eines "mastery criterions" - und zwar zwingend. Damit kommt aber der Quantität der zu untersuchenden Daten ein neues Gewicht zu: Wenn der sicherlich schwierige Nachweis der Habitualisierung eines Erwerbsphänomens geführt werden soll, so bedarf es einer großen Menge an Daten, die den möglichen Gebrauch/Nicht-Gebrauch eines schon manifestierten Phänomens zu überprüfen erlauben. (Daher auch das Insistieren auf zugängliche große Datenkorpora im Sinne von RATH/IMMESBERGER/SCHU (1987)). 6. Bei Maria wurde auf ein Definitionsproblem für Interlanguage-Systeme aufmerksam gemacht: Inwiefern sollen "perlokutive Strategien" wie Selbstdarstellung, Rhetorik, usw. zur Beurteilung des Erwerbsstandes herangezogen werden - insbesondere dann, wenn diese Strategien mit einem wenig progressiven Erwerb einhergehen? Über die hier vorgeschlagene Lösung des Problems (Berücksichtigung dieser Strategien nur bei Erwerbsprogression) hinaus, macht die Diskussion deutlich, daß bei der (Re)Konstruktion des Interlanguage-Systems zu berücksichtigen ist, daß der Proband seine Kompetenz zur erfolgreichen Bewältigung von Kommunikationsproblemen ein-

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setzt, nicht um "Lernfortschritte" zu dokumentieren. 7. Es hat sich als sinnvoll erwiesen, nicht nur "grammatische" Phänomene, sondern auch kommunikative Handlungsmuster als Analysekriterien und damit als Bestandteile des Interlanguage-Systems aufzunehmen. Dies resultiert aus der Einsicht, daß Erfolg beim kommunikativen Handeln nur partiell von der "linguistischen Kompetenz", in Sonderheit von den syntaktischen Fähigkeiten, abhängt. Es zeigt sich, daß ausländische Kinder ab einem bestimmten Erwerbsniveau - trotz (noch) restringierter sprachlicher Mittel - durchaus Chancen haben, erfolgversprechend zu erzählen oder zu begründen. Dies ist sicherlich ein nicht erwartbares erstes Ergebnis, das noch um ein zweites ergänzt werden kann: Zumindest unsere ausländischen Probanden zeigen eine größere Erzähl- und Begründungshäufigkeit als die beiden von uns untersuchten deutschen Kinder.

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LITERATUR

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THEMA-RHEMA-ORGANISATION IM FORTGESCHRITTENEN ZWEITSPRACHERWERB Günther Bensing 1. PROBLEMSTELLUNG

Aus der exemplarischen Untersuchung eines Korpus von Äußerungen eines Saarbrücker Projektprobanden sollen (Teil-)Antworten auf folgende Fragen gewonnen werden: - Wie sind thematische und Thematische Bestandteile in Zweitsprachlemeräußerungen syntaktisch realisiert? - Wie sind thematische und rhematische Elemente in den Äußerungen von Zweitsprachlemem verteilt? - Lassen sich Veränderungen beobachten, denen diese Thema-RhemaVerteilung oder aber ihre sprachliche (syntaktische) Oberflächenforrn1 im Verlauf des Zweitspracherwerbs unterliegt? Die "Informationsverteilung nach Thema und Rhema" ist von DITTMAR (1982:21) als "ein besonders markantes Organisationsprinzip der Lerneräußerungen mit geringem Niveau" bezeichnet worden. Diese Feststellung DITTMARS bezieht sich auf ein Korpus von im Rahmen des Heidelberger Projekts "Pidgindeutsch" dokumentierten Zweitsprachlemeräußerungen. DITTMARS explorative Analyse der semantischen Eigenschaften dieser Äußerungen ist im wesentlichen von zwei Grundannahmen bestimmt: 1) Die Äußerungen werden als strukturell vereinfachte Varianten zielsprachlicher Äußerungen betrachtet und zwar in dem Sinne, daß sie als das Ergebnis "optimaler lemersprachlicher Kodierung natürlich-sprachlicher Eigenschaften" (DITTMAR 1982:11) gelten. Entsprechend werden die Lernervarietäten insgesamt jeweils als eigenständige, gegenüber zielsprachlichen Varietäten vereinfachte Systeme angesehen (DITTMAR 1982 :llf.). 2) Die Lemeräußerungen werden einem 'pragmatischen Kommunikationsmodus' ("pragmatic mode" nach GIVON 1979 a,b) zugeordnet, d.h. einer Ausdrucksweise, "die in besonderem Maße vom Kontext abhängig ist und als 'extremer' Pol eines Stilkontinuums einer 'syntaktischen Ausdrucksweise' gegenübersteht..." (DITTMAR 1982:18). Diese pragmatische Orientierung ist DITTMAR zufolge - zur Bewältigung der unumgänglichen Kommunikationsaufgaben "bei minimalem Repertoire an Ausdrucksmitteln" (DITTMAR 1982:18) unerläßlich. Grob gesprochen, ist es für die Lerner wichtig, daß das Gesagte 'irgendwie ankommt' (vgl. KLEIN 1984:28f.); syntaktische Strukturierung oder Morphologie sind demgegenüber nachrangig (vgl. DITTMAR 1982:17f.). Anders als bei DITTMAR können aufgrund des Saarbrücker Korpus auch longitudinale Analysen vorgenommen werden. Es bietet sich über die Beschreibung von Zweitsprachlemervarietäten nach den GrvoNschen Kriterien hinaus für eine weitergehende Anwendung dieses Modells an. Die Gegenüberstellung von pragmatischem und syntaktischem Modus kann für das anfangs umrissene Vorhaben, eventuelle longitudinal feststellbare Veränderungen der syn-

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G. Autos, "Ich kann ja Deutsch!"

taktischen Thema-Rhema-Realisierung bei Zweitsprachlemem, als theoretische Basis benutzt werden. In DITTMARS Analyse werden einige von CIVON für den pragmatischen Modus angegebenen Kriterien zur Charakterisierung von Varietäten herangezogen, die den Endpunkt eines - an zielsprachlichen Normen gemessenen - unvollständigen Erwerbs darstellen. Das 'Raster* "pragmatisch-syntaktisch1' hat jedoch bei GIVON (1979 a,b) u.a. den theoretischen Status einer Art Matrix zur Beschreibung diachronischer Sprachentwicklungen und Erwerbsprozessen.

Neben einigen Intonations- und Satzakzentunterschieden1 schlägt GIVON folgende syntaktisch-grammatische Unterscheidungsmerkmale für die beiden Kommunikationsmodi vor: - für den pragmatischen Modus (pragmatic mode); Thema-Rhema-Anordnung, lockere Verknüpfungen, 'pragmatische' Satzgliedstellung (d.h. alte vor neuer Information), Verb-Substantiv-Verhältnis von 1:12 mit semantisch einfachen Verben, keine (oder wenig) grammatische Morphologie; - für den syntaktischen Modus (syntactic mode); Subjekt-Prädikat-Aufbau, dichte Subordination, semantischen Kasusfunktionen folgende Satzgliedstellung, Übergewicht der Substantive im Verb-Substantiv-Verhältnis mit semantisch komplexen Verben, ausgeprägte grammatische Morphologie. (GIVON 1979a:98 u.vgl. 1979b) Eine zentrale These GIVONS ist es nun, daß eine Reihe von Spracherwerbsund Sprachentwicklungsverläufen als "Prozeß der Syntaktifizierung" (GIVON 1979a:97), d.h. als graduelles Anwachsen syntaktischer Kompetenz ausgehend von einer hauptsächlich pragmatisch orientierten Ausdrucksweise (mit gleichsam geringer 'struktureller Organisationsdichte' oder - genereller - als allmähliche Herausbildung (oder Aneignung) syntaktischer Strukturmittel interpretiert werden kann (vgl. als Beispiele hierzu die Interpretation der diachronischen Entwicklung von Pidgin- zu Kreolsprachen (GIVON 1979a:98ff.) und der Entwicklung von Kinder- zu Erwachsenensprache (p. lOlff.)). Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll zu überprüfen, ob über längere Untersuchungszeiträume hinweg in Zweitsprachlemervarietäten systematische Veränderungen im Bereich der von den Lernern verwendeten syntaktischen Strukturen auftreten, die darauf schließen lassen, daß der ungesteuerte Zweitspracherwerb, insofern er sich auf syntaktisch-strukturelle Kompetenz erstreckt, ebenfalls als Syntaktifizierungsprozeß gedeutet werden kann (dazu DiTTMAR 1982:18f, ähnlich auch PERDUE 1984). Was nun die Analyse in bezug auf die Organisation thematischer und rhematischer Elemente in Zweitsprachlemeräußerungen angeht, sollen die von GIVON vorgeschlagenen Kriterien selbst - namentlich das erste Kriterienpaar ("Thema-Rhema"- vs. "Subjekt-Prädikat-Stmktur") - in der Untersuchung (jedenIWie in DITTMARS Untersuchung können Satzakzente und Intonation mangels geeigneter Dokumentation im Korpus hier nicht einbezogen werden. O Es wird nicht deutlich, was genau GIVON damit meint; möglicherweise ist an einfache Subjekt-Verb-Abfolgen (jeweils genau ein Subjekt plus ein zugehöriges Prädikatverb) gedacht.

G. Benslng, Thema-Rhema

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falls zunächst) keine Verwendung finden, da ihre empirische Adäquatheit für das hier zugrundegelegte Korpusmaterial nicht feststeht. Stattdessen soll in folgenden zwei Schritten verfahren werden: 1) Zunächst soll geklärt werden, welche syntaktischen Oberflächenrealisierungen von Thema-Rhema in dem der Untersuchung zugrundeliegenden Korpus von Zweitsprachlemeräußerungen vorkommen. Hierzu muß zumindest ein heuristisches Modell bzw. ein (vorläufiger) Katalog semantischpragmatischer Charakteristika thematischer und rhematischer Äußerungsbestandteile entwickelt werden. (Dies soll in Abschnitt 2.1 versucht werden.) Mit Hilfe solcher Charakteristika erst können die jeweiligen Themata und Rhemata bzw. thematisch und rhematisch kodierende syntaktische Strukturelemente (etwa Satzglieder, Teilsätze o.a.) identifiziert werden. 2) Darauf gegründet soll, durch Vergleich der 'Kodierungsarten' bzw. syntaktischen Thema-Rhema-Realisierungen zu verschiedenen Zeitpunkten innerhalb des durch das Korpus dokumentierten Beobachtungszeitraums, untersucht werden, ob eine Thema-Rhema-relevante Erwerbsentwicklung im Bereich des syntaktischen Strukturinventars (etwa Satzgliedstellung, Herausstellungen o.a.) oder im Bereich syntaktischer Strukturmittel (wie etwa Konjunktionen) vorliegt. (Zur Diskussion der zugrundezulegenden Parameter vgl. Abschnitt 2.2) Zwei weitere, mit der beabsichtigten Adaption des GivoNschen Ansatzes zusammenhängende grundsätzliche Probleme bleiben bis zum Abschluß der empirischen Probe offen: 1) Die Matrix "pragmatic modeVsyntactic mode" wird von GIVON nicht nur als gerichtete Sprachentwicklungs- oder Erwerbsskala verstanden, die Anfangs- und Endpunkte eines Syntaktifizierungsprozesses darstellt, sondern ebenso als Charakterisierungsmöglichkeit der Extrempunkte des Kontinuums informelle/ formelle Sprache begriffen (vgl. GIVON 1979a:103ff.). Im ersten Fall steht die Entfaltung syntaktischer Strukturkompetenz bzw. die Herausbildung syntaktischer Strukturmittel generell im Vordergrund, im zweiten Fall liegt der Schwerpunkt darauf, wie weit ein gegebener Spielraum zwischen 'pragmatischen* und 'syntaktischen' Variantenoptionen unter bestimmten gegebenen Kommunikationsbedingungen von Sprechern ausgeschöpft wird. Bezogen auf den Zweitspracherwerb ist dies insofern bedeutsam, als es nicht plausibel wäre, anzunehmen, daß Zweitsprachenlerner einen 'linearen' Syntaktifizierungsprozeß durchlaufen, an dessen Ende sie sich nur noch einer ausgeprägt 'syntaktischen' Ausdrucksweise bedienen. Vielmehr gebrauchen Zweitsprachlemer - wie 'native speakers' auch - je nach Situation eher 'pragmatische' oder eher 'syntaktische' Register (GIVON 1979a:107). Abzuwarten bleibt, ob diese Vermutung sich an empirischen Daten belegen läßt bzw. ob sich präzise angeben läßt, wie groß (oder klein) der Spiebaum von 'pragmatischen' zu 'syntaktischen' Varianten ist, bzw. ob er überhaupt Varianten umfaßt, die einem syntaktischen Modus zuzurechnen sind.

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G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

2) Eng mit diesem ersten empirischen Problem verknüpft ist eine (nicht nur terminologische) Schwierigkeit, die sich aus der Verwendung der Bezeichnung "pragmatic mode" ergibt. Wenn die Skala "pragmatic modeVsyntactic mode" zur Analyse von Zweitspracherwerbsverläufen herangezogen wird, kann es notwendig werden, zielsprachliche pragmatische Varietäten von leinersprachlichen pragmatischen Varietäten abzugrenzen. Die von DITTMAR (1982) untersuchten Probanden bedienen sich nicht zielsprachlicher (d.h. nicht zielsprachlich syntaktisch strukturierter) Varianten, die nach den Kriterien für "pragmatic mode" als pragmatisch organisiert eingestuft werden können (für eine ausführliche Darstellung anhand von Beispielen vgl. Abschnitt 2.2). Wenn nun anhand der gleichen Kriterien auch zielsprachliche Äußerungen/Varianten als pragmatisch charakterisiert werden können (und dies schlägt GIVON (1979a:103f.) für informelle Äußerungstypen vor), dann erscheint es geboten, im Fall nicht-zielsprachlicher pragmatischer Varietäten nicht von einem "pragmatischen Modus" zu sprechen, sondern - einer späteren Darstellung GIVONS (GIVON 1984) folgend den Ausdruck "präsyntaktischer (pre-syntactic) Modus" zu verwenden. Gegebenenfalls müßten bei der empirischen Untersuchung, die hier beabsichtigt ist, präsyntaktische Thema- Rhema-Realisierungen, d.h. solche Realisierungen, die keine zielsprachliche syntaktische Struktur aufweisen, von solchen Thema-Rhema-Realisierungen unterschieden werden, die einem pragmatischen Modus angehören, aber bereits zielsprachliche syntaktische Kodierungen darstellen. Diese wiederum wären etwaigen syntaktisch zielsprachlichen Realisierungen (oder Realisierungstypen) gegenüberzustellen, die sich etwa durch einen höheren Grad struktureller Komplexität oder durch gewisse noch zu bestimmende syntaktische Strukturmittel als Teil eines syntaktischen Modus im Sinne GiVONs ausweisen. 2. VORBEMERKUNGEN ZUR METHODIK 2.1. THEMA-RHEMA: VERSUCH EINER TERMINOLOGISCHEN UND CHEN EINGRENZUNG

SACHLI-

Die Diskussion um eine gültige Definition von "Thema" und "Rhema" wird etwa seit den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts geführt (für einen historischen Überblick vgl. DANES 1970a, 1984, BENES 1973), ohne daß bisher eine allgemein akzeptierte eindeutige Begriffsbestimmung geglückt wäre. Grundsätzlich zielt das 'Konzept Thema-Rhema' auf die Organisation und Hierarchie der semantischen Einheiten (in Sätzen oder Äußerungen) entsprechend ihrem Mitteilungswert (v. HANDBUCH...:155). Gängig sind zwei (oft getrennt oder einzeln, oft aber auch gekoppelt für Analysen genutzte) Hauptlesarten für "Thema-Rhema": 1) Thema ist das Alte (Bekannte, im Prätext Vorerwähnte), Rhema das Neue (Unbekannte, zuvor nicht Erwähnte) in einem Satz oder in einer Äußerung.

G. Sensing, Thema-Rhema

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2) Thema ist das, wovon gesprochen wird, Rhema das, was darüber gesagt wird ("Satzgegenstand" vs. "Satzaussage", BENES 1973:42). (vgl. Überblicksdaistellungen z.B. JONES 1977:S2ff.; BATES/MCWHINNEY 1982:197ff. u. repräsentativ für die Behandlung in sprachwissenschaftlichen Handbüchern: BUSSMANN 1983.-54L) Für 1) wird auch zuweilen "ableitbar" vs. "nicht ableitbar" (KLEINE ENZYKLOPÄDIE:213) zur Charakterisierung von Thema und Rhema gegenübergestellt. Eine bekannte alternative Terminologie - "given"-"new" stammt von HALLIDAY (insbes. 1%7); sie bezieht sich bei ihm jedoch ausdrücklich nur auf die erste Lesart, während HALUDAY, wenn er auf die zweite Interpretation abzielt, "theme" und "rheme" verwendet (vgl. DAVIDSE 1985). Diese zweite Interpretation wird von WEIGAND (1979:177f.) als "aussagentheoretische" Deutung zusammengefaßt. Diese doppelte Bestimmung von "Thema/Rhema" als "alt/neu" einerseits und "Satzgegenstand/Satzaussage" andererseits geht im Kern auf MATHESIUS zurück (vgl. z.B. MATHESIUS 1929/1975, BENES 1973). Sie ermöglicht eine Analyse von Sätzen/Äußerungen unter zwei Aspekten; entweder kann deren "Einbettung in den (sprachlichen oder außersprachlichen) Kontext" oder aber "die thematische Reihenfolge und Anordnung" auf Äußerungs- oder Satzebene (BENES 1967:24) Gegenstand der Untersuchung sein. Für die Charakterisierung syntaktischer Elemente in Zweitsprachlemeräußerungen als jeweils thematisch oder rhematisch soll dies folgendermaßen nutzbar gemacht werden: 1) Auf der Ebene für sich, unabhängig vom Kontext betrachteter Äußerungen (oder Äußerungsteile), soll zunächst die "Satzgegenstand-Satzaussage"biterpretation eine Art 'Suchanweisung' bilden. Um der Forderung nach einer präzisen semantischen Erklärung einer solchen Thema-Rhema-Interpretation (vgl. WEIGAND 1979:179) gerecht zu werden, soll dies mit CHAFE (1976:50) dahingehend spezifiziert werden, daß das Thema "einen zeitlichen oder individuellen Rahmen (vorgibt), innerhalb dessen die Hauptprädikation gilt." Thema ist demnach insofern 'dasjenige, worüber gesprochen wird', als es den Geltungs- oder Gültigkeitsbereich für die 'eigentliche' Aussage absteckt. Das Rhema ist entsprechend der Teil einer Äußerung, der erst innerhalb dieses Rahmens oder in bezug auf den Rahmen verständlich wird. 2) Die Analyse lernersprachlicher Äußerungen unter dem Aspekt ihrer Verkettung untereinander oder ihrer Verankerung im Diskurs bzw. im außersprachlichen Kontext soll auf der Grundlage der "alt/neu" Interpretation durchgeführt werden. Unter der Bezeichnung "Contextual Soundness" haben SGALL/HAJICOVA/BENESOVA eine Umschreibung dieses Thema-

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G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

Rhema-Aspekts vorgelegt, die hier zugrundegelegt werden soll. Sie umfaßt drei allgemeine Kennzeichnungen für thematische Äußerungsteile ("Thematische" Elemente, d.h. nicht kontextuell gebundene Elemente sind jeweils auf die entgegengesetzte Weise bestimmt): - die Bekanntheit aus dem Sprechkontext, - die Bekanntheit aus dem situativen Kontext, - die Bekanntheit "aus den allgemeinen Bedingungen der gegebenen Äußerung". Für den Zweck der Analyse wird 'Bekanntheit aus dem sprachlichen Kontext (oder Prätext)' im engeren Sinn so aufgefaßt, daß solche Elemente thematischen Charakter haben, die durch identische oder pronominale Wiederholung oder als in Form eines verwandten semantischen Konzepts (etwa Synonyme, Hyperonyme, Hyponyme) zu einem bestimmten Zeitpunkt in einem gegebenen Diskurs vorerwähnte Konstituenten wiederaufgreifen. Thematisch im Sinne von "situativ bekannt" sollen solche Elemente/Konstituenten sein, die sich auf Gegenstände beziehen, die ausschließlich im nicht-sprachlichen Diskurs- (/Handlungs-)Kontext eingeführt sind. Schwieriger festzulegen ist das, was unter "allgemeine Bedingungen einer Äußerung" gefaßt werden soll. Es erscheint jedoch naheliegend, dies so aufzufassen, daß über Vorerwähntheit und situative Gegebenheit hinaus unter dem Aspekt der Äußerungsverkettung im Diskurs auch solche Elemente als thematisch ("alt") gelten sollen, die allgemeinen semantisch oder situativ kontextstiftenden Rahmenbezugssystemen, dJi. 'Frames' zugeordnet werden können (MÜLLER 1984; zur Gegenstandsbestimmung von "Frame" Kap. 3.1 u. 3.2). Solche 'Frames' aktivieren eine den Diskursteilnehmern gemeinsame Wissensbasis. Im Ablauf eines Diskurses kann auf mehrere 'Frames' zugegriffen werden (MÜLLER 1984; Kap. 4), wobei nicht alle 'aufgerufenen' 'Frames' zum Zeitpunkt des Zugriffs aktualisiert sein müssen. Für die Zuordnung von Äußerungsbestandteilen zur Gruppe thematischer und Thematischer Elemente gemäß 1) braucht, da sie nur auf dem "aussagentheoretischen" (WEIGAND 1979) Thema-Rhema-Aspekt beruht, nicht berücksichtigt zu werden, ob es Konstituenten gibt, die nach 1) rhematisch sind, nach 2) aber zugleich als thematisch zu kennzeichnen wären. Angestrebt wird eine 'restlose' Zuordnung. Aufgrund der für diesen Analyseteil gewählten Charakterisierung von Thema und Rhema erscheint eine graduelle Abstufung, d.h. eine Einstufung aller Konstituenten als jeweils nach bestimmten zusätzlichen Kriterien 'mehr* oder 'weniger' thematisch bzw. rhematisch, als nicht erforderlich. (Eine entsprechende Konzeption stellt etwa die Bewertung von Äusserungs- oder Satzteilen anhand des Kriteriums des "communicative dynamism" nach FERBAS (zusammenfassend 1975) dar, derzufolge der unter kommunikativen Gesichtspunkten am wenigsten dynamische Satz/Äußerungsteil als (Kem-)Thema (theme proper), der dynamischste als (Kern-)Rhema (rheme 3

"Contextual Soundness" wind von SGALL/HAJICOVAXBENESOVA nicht als erschöpfendes Thema-Rhema—Kriterium eingeführt, sondern als Ergänzungskriterium im Rahmen einer funktionalen generativen Grammatik, für die im wesentlichen eine Satzgegenstand-Satzaussage-Interpretation von Thema und Rhema die Basis bildet.

G. Sensing, Thema-Rhema

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proper) gilt. Zwischen 'Kern-Thema' und 'Kern-Rhema' wird eine Übergangsphase angenommen, die gleichsam von 'noch- thematischen' Abschnitten über ein neutrales Übergangselement zu 'schon-rhematischen' Abschnitten reicht. Das CD-Konzept ist jedoch so konstruiert, daß es beide eingangs des Abschnitts vorgestellten Thema-Rhema-Aspekte, dJi. auch den Kontextaspekt, über das Kriterium des "communicative dynamism" zusammenfuhrt (FERBAS 1964), und ist deswegen für den hier geplanten Analyseschritt nicht anwendbar.) Der zweite Analyseschritt soll Hinweise darauf liefern, wie Zweitsprachlemer Diskurse zusammenhängend gestalten können, bzw. inwieweit sie überhaupt dazu in der Lage sind. Es wird Aufschluß darüber erwartet, wie Zweitsprachlemer (im Sinne von 2)) Kohärenz stiften können - sei es im Hinblick auf dialogisch verteilte eigene oder fremde Diskursbeiträge, oder aber im Hinblick auf eigene "monologisch" längere Diskursbeiträge. Inwieweit dies mit dem im ersten Thema/Rhema-Analyseschritt in Zusammenhang steht, muß die Analyse selbst zeigen. 2.2. ZUM PROBLEM DER ANALYSEKRITERIEN

Maßgebliches Kriterium der beabsichtigten Erwerbsanalyse zur Thema-Rhema-Kodierung soll die syntaktische Struktur der Lemeräußerungen sein: Für mehrere Zeitpunkte im gesamten Untersuchungzeitraum ist zunächst zu zeigen, welche Strukturbestandteile (oder Konstituenten) in welchen Strukturen als thematisch bzw. rhematisch charakterisierbar sind und zugleich, welche Rolle diesen Bestandteilen (oder Konstituenten) auf der Ebene grammatischer Relationen zufällt (ob also beispielsweise als thematisch charakterisierte Elemente meist Subjekte oder etwas anderes sind). Eine besondere Schwierigkeit dieses Ansatzes könnte darin bestehen, daß eine präzise Syntaxbeschreibung der Lerneräußerungen aufgrund des - intuitiv gesprochen - elementaren Erwerbsstandes nur sehr schwer möglich ist. So etwa für die folgenden nach DITTMAR (1982) (und BECKER/KLEIN 1979) für das gesamte Heidelberger Tidgjnkorpus' typischen Äußerungen4: - "ich kinder - vielleicht hundert kinder alle tag" - "ich vier jähre - papa tot" - "ich nicht komme deutschland - Spanien immer als bauer arbeite"

(DITTMAR 1982:22 u. BECKER/KLEIN 1979:170. Die Beispiele sind dort nicht aussprachegetreu wiedergegeben.) BECKER/KLEIN (1979:169f.) führen diese Art Äußerungen auf ein "elementares Strukturprinzip "Thema-Pause-Rhema" zurück (Der Gedankenstrich in den Beispielen signalisiert jeweils die 'Schnittstelle' zwischen Thema und Rhema.). Ein Ausbau dieser Elementarstruktur - durch "Reihenbildung der Grundstruk4

Die Beispiele entstammen dem in DITTMAR (1982) benutzten HPD-Korpusausschnitt.

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G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

tur, Reihenbildung beim Thema und Modalisierung" (BECKER/KLEIN 1979:170) - ist möglich, etwa: - "dieses jähr winter gut, nicht kalt, nicht schnee, verstehst du - immer fort, zement fort; vielleicht schnee, vielleicht kalt, zement nicht fort - keine arbeit" - "ich mein vater kaputt, vier jähre - (zu) meine oma komme; meine mutter wieder kommt heiraten - ich zurück mama" - "sechsundzwanzig - kind komme; sechsundreißig - zehn jähre" (BECKER/KLEBST 1979:170, vgl. auch DITTMAR 1982:23; für das dritte Beispiel gibt DITTMAR dort den Interpretationshinweis, daß der Proband erklären wolle, er sei 1926 geboren und 1936 zehn Jahre alt gewesen.) Die Äußerungen werden von DITTMAR dahingehend interpretiert, daß zwei "Grundmuster ... kontrastiert (werden), wobei die Konstituente durch Negation, Zeitdifferenz, Unterschied in der Größe oder Quantität (u.a.) ausgedrückt werden." (DITTMAR 1982:23, BECKER/KLEIN (1979:170) haben hierfür den Ausdruck "disjunktive Verknüpfung" eingeführt. So liegt im ersten Beispiel ein Negationskontrast, im dritten Beispiel eine Gegenüberstellung anhand einer Zeitdifferenz vor. Über diese 'Kontrastverknüpfungen' hinaus ist aber auch in diesem Fall, jeweils innerhalb der thematischen Abschnitte, in einigen Äußerungen eine "koordinative Verknüpfung", nämlich "eine Reihung von 'Unterthemen' zu einem 'Gesamtthema' (vgl. erstes Beispiel) feststellbar (DITTMAR 1982:23). Auch eine Modalitätskontrastierung (wie im ersten Beispiel mit Hilfe von "vielleicht") ist möglich. Grundsätzlich gibt es - bei Unterschieden in der Bestimmung von Thema/ Rhema-Charakteristika - eine Parallele zu dem hier vertretenen Ansatz: Zunächst wird ein vorherrschendes Strukturprinzip ermittelt, dann untersucht, welche Variationen dieses Grundmusters den Probanden zur Verfügung stehen. Es wird sich zeigen, daß bei Probanden im fortgeschrittenen Zweitspracherwerb sowohl Grundstruktur(en) als auch Variationen sich deutlich von den von DITTMAR (und BECKER/KLEIN) beschriebenen fossilierten oder "pidginisierten" Äußerungstypen unterscheiden. Ein Großteil der Äußerungen der Probanden konnte auf der Basis zielsprachlicher syntaktischer Kategorien beschrieben werden. Je nach Beschaffenheit der Äußerungen muß entweder ein - einfaches - Beschreibungsmodell eigens für die vorgefundenen Strukturtypen entwickelt werden oder es kann auf vorhandene Syntaxbeschreibungen zurückgegriffen werden. Für die im Anschluß an diese Bestandsaufnahme durchgeführte Untersuchung auf Veränderungen im Bereich der syntaktischen Thema-Rhema-Realisierungen sollen folgende Parameter herangezogen werden, die im einzelnen in bezug auf ihre Thema-Rhema-Relevanz bewertet werden müssen: - Satzgliedstellung: Dies steht in Übereinstimmung mit dem von PERDUE (1984:107 u. ff.) vorgeschlagenen Vorgehen zur Ermittlung der thematischen Struktur von Lemeräußerungen. Leitfragen bezüglich eventueller Veränderungen sind: Werden über den Beobachtungszeitraum Stellungsvarianten

G. Sensing, Thema-Rhema

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zusätzlich erworben, wenn ja, welche? Werden Strukturerweiterungen von zu Beginn des Beobachtungszeitraums nicht aufgetretenen Satzgliedern erworben, wenn ja, welche? Falls eine Beschreibung anhand üblicher Satzgliedkategorien nicht möglich ist, muß eine syntaktische und eine seman tische Charakterisierung der vorgefundenen 'elementaren' Strukturtypen (DITTMAR 1982; allgemein: PERDUE 1984:111) die Basis einer Analyse des Variantenerwerbs oder von Erweiterungen bilden. - Strukturdurchbrechungen: Gedacht ist vor allem an Herausstellungstrukturen. Gegebenenfalls können - etwa anhand der von ALTMANN (1981) entwickelten Typologie - koreferentielle oder nicht koreferentielle Konstituentenversetzungen nach links oder rechts identifiziert und bezüglich ihrer Bedeutung für die Thema-Rhema-Verkettung von Äußerungen bewertet werden. Leitfragen sind: Gibt es ab irgendeinem Zeitpunkt systematisch erworbene Herausstellungsstrukturen? Findet eine Erweiterung des Repertoires an solchen Strukturen statt? - Explizite Strukturverknüpfungen: 'Begleitend' zur Untersuchung des 'Strukturinventars' soll festgestellt werden, ob und wie Konjunktionen oder als Konjunktionen fungierende Konstituenten über Thema-Rhema-Verkettungen (Progressionen) hinaus oder an ihrer Stelle zur Äußerungsverkettung oder zur Verknüpfung von Strukturteilen verwendet werden und ob in diesem Bereich eine Erwerbsentwicklung beobachtet werden kann. Dieser Absicht liegt die Vermutung zugrunde, daß explizite Verknüpfer ein wichtiges Mittel zur 'Überbrückung' geringer "thematischer Kontinuität" ("topic continuity", GIVON 1983) sind, etwa bei 'thematischen Sprüngen' oder generell im Fall nicht vorerwähnter, aber dennoch thematischer Elemente als Alternative zur Thema-Rhema-Verkettung (oder auch als 'Kompensation'). Wie die einzelnen Befunde in bezug auf Thema-Rhema und die sprachlichen Fähigkeiten von Zweitsprachlemem bewertet werden sollen, kann im Fall der Passiv-Konstruktionen im Deutschen (ungeachtet dessen, daß das Passiv in Zweitsprachlemervarietäten eine Strukturklasse von untergeordneter Bedeutung sein dürfte) sinnfällig gemacht werden. Die textuelle bzw. kohärenzstiftende Funktion des Passivs (EROMS 1974, zusammenfassend 1986: Kap. S) zeigt sich insbesondere daran, daß mit riilfe der Passivierung anstelle des Agens eine (z.B. aufgrund von Vorerwähnung) thematische Konstituente an die Subjektstelle in Erstposition gerückt werden kann. Auf diese Weise können thematische Brüche vermieden werden: - "Eine Delegation des amerikanischen Kongresses ist in der Hauptstadt Simbabwes eingetroffen. Clement J. Zablocki, der Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses des Repräsentantenhauses, leitet sie ..." (EROMS 1986:73 nach "Süddeutsche Zeitung", 14.1.1982, S.10) Diese Formulierung würde nach EROMS dem Leser eine nicht beabsichtigte kontrastive Interpretation ("... Zablocki und nicht ..."; EROMS 1986:73) nahelegen. Durch eine - in der Tat in dem Original der *sz' gewählte Passivkonstruktion, wird die Fehlinterpretation von Anfang an ausgeschlossen: Der

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G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

zweite Satz beginnt in Wirklichkeit mit dem anaphorischen Pronomen: "Sie wird vom Vorsitzenden ... geleitet," Ein anderes Beispiel demonstriert eine mögliche nicht-schriftsprachliche Passiwerwendung: - A: Dann haben wir doch gar nichts mehr zu tun. B: Für Arbeit ist auch dann noch gesorgt, keine Sorge! (Angelehnt an ein Beispiel in EROMS 1974:165) Das von B verwendete Zustandspassiv (EROMS 1986:75: "sein-Passiv") mit erspartem Agens ermöglicht eine direkte, 'umweglose' Bezugnahme auf den semantischen Gehalt von A's Äußerung. Eine Aktivformulierung ohne Agensnennung (etwa "Es ist Arbeit genug da.") läßt die thematische Verbindung von A's und B's Äußerung bereits weniger direkt, weniger dicht erscheinen; sie ist mit "für Arbeit" in Erstposition nicht konstruierbar. (Allerdings wäre dies sehr wohl unter Nennung eines Agens möglich: "Für Arbeit hat der Chef gesorgt," Die Objektfrontierung kann also, wenn das Agens bekannt ist oder genannt bleiben soll, eine Alternative zum Passiv sein.) Das Passiv ist ein Beispiel dafür, wie mit Hilfe einer strukturellen Umstellung kommunikativ adäquate Thema-Rhema-Organisation zu bewerkstelligen ist. Übertragen auf den Fall von Zweitsprachlemem muß die Frage lauten, ob sie eine Erwerbsentwicklung der Art durchlaufen, daß sie - zumindest im Bereich der angeführten syntaktischen Strukturkriterien - syntaktische ThemaRhema-Organisationsmittel erwerben. Femer, ob und wie Lerner über den Beobachtungszeitraum hinweg zu einer - insgesamt betrachtet - kommunikativ adäquaten Thema-Rhema-Organisation im Diskurs gelangen, als sie am Beginn des Beobachtungszeitraums gegeben war. Die Ausgangshypothese lautet: Wenn bestimmte, die syntaktische Struktur betreffende Fähigkeiten bestimmte, auf die Thema/Rhema-Struktur zielende sprachliche 'Verhaltensweisen' erleichtem, oder überhaupt erst ermöglichen, muß ein wesentliches Moment des Zweitspracherwerbs im Erwerb dieser 'Strukturfähigkeiten' bestehen, und der Erwerb dieser 'Strukturfahigkeiten' kann als Zuwachs an syntaktischen Optionen' der Thema-Rhema-Realisierung interpretiert werden. 3. EMPIRISCHE PROBE 3.1. MATERIALGRUNDLAGE - UNTERSUCHUNGSVERFAHREN

Grundlage der exemplarischen Studie sind in Transkripten dokumentierte Tonbandaufzeichnungen der Äußerungen des Projektprobanden Hasan. Die Aufnahmen fallen in die Zeit von Juni 1982 bis Mai 1984; sie sind vier Halbjanreszeiträumen tl - t4 zugeordnet (tl: Mai - Oktober 1982, t2: November 1982 - April 1983, t3: Mai - Oktober 1983, t4: November 1983 - Mai 1984). Das hier verwendete Korpus umfaßt etwa 3SOO Wörter/Redezeichen. Für die Analyse wird folgende heuristische Differenzierung der Redebeiträge des Probanden vorgenommen: D Redebeiträge, die entweder genau eine Thema-Rhema-Struktur umfassen oder nur aus einem thematischen bzw. nur aus einem rhematischen Element bestehen. Beispielsweise einzelne Nominal- , Verbal- und Präpositionalphrasen,

G. Benslng, Thema-Rhema

91

einzelne Schlüsselwörter oder Hauptsätze ohne Nebensatz, Nebensätze ohne Hauptsatz, satzwertige Einwortäußerungen (= REDEBEITRÄGE TYP l) 2) Aus mehreren Beiträgen von Typ D zusammengesetzte Redebeiträge. Dies reicht von Satz-/Phrasengefiigen bis zu 'Großformen' wie konversationeile Erzählungen, Nacherzählungen, Beschreibungen, erfaßt aber auch Beiträge, die keinem bekannten 'Makrostrukturtyp' zuzuordnen waren. (= REDEBEITRÄGE TYP 2) Für beide Typen von Redebeiträgen wird getrennt eine Bestandsaufnahme der vorkommenden Strukturen, dJi. der syntaktischen Kodierungsformen für Thema und Rhema durchgeführt. Im Anschluß daran werden die dem Probanden zur Verfügung stehenden Mittel zur Verkettung von Äußerungsteilen bzw. Struktureinheiten innerhalb der unter 2) gefaßten Redebeiträge dargestellt: Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach dem Wechselverhältnis von Thema-Rhema-Struktur und syntaktischen Verknüpfungsarten. 3.2. BESTANDSAUFNAHME 3.2.L STRUKTURINVENTAR: REDEBEITRÄGE TYP l

Das bestimmende Prinzip der syntaktischen Thema-Rhema-Kodierung wird in den folgenden Beispielen deutlich: D Textband "Kindersprache" s.84 ZB OO4: 2) Band 393 ZB O42:

ich weiß schon

(t3)

unser lehrer Js sehr: streng

(t4)

Derartige Subjekt-Prädikat (Verb)-Strukturen (hier mit prädikatsnominaler Ergänzung) beherrscht der Proband vom Anfang des Beobachtungszeitraums an. Im Sinne der in 2.1 vorgeschlagenen Thema-Rhema-Charakterisierung für kontextunabhängig betrachtete Äußerungen können die Subjekte ("ich'', "unser lehief) als rahmensetzende Elemente, die den Geltungsbereich für die jeweils folgenden Äußerungsteile markieren, interpretiert werden. Darüber hinaus ist eine den unmittelbaren Diskurskontext einbeziehende Betrachtung unter dem zweiten Thema-Rhema-Aspekt - alt-neu in der in 2.1 gefaßten Weise - möglich: Zu Beispiel D: Textband "Kindersprache" s. 84 ZB 001-004 h = Hasan, l = Helga (Betreuerin), u = Murat (Freund von h) u: soll ich sagen wieviel kilo ich bin ? h: e ein 1: wieviel kilo du wiegst ? h: ich weiß schon Das rahmensetzend-thematische Subjekt "ich" ist zugleich durch ein Diskurs' frame' allgemeinster Art als gleichsam 'sich selbst einführendes' Element im 5

Zur Quellenangabe s. TECHNISCHE VORBEMERKUNGEN S. 8. Die Belege sind durchlaufend numeriert. Für jeden Beleg 1st zusätzlich der Zeltschnitt angegeben, dem er zugeordnet ist.

92

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

Diskurskontext verankert und insofern thematisch im Sinne von 'alt*. Zu Beispiel 2): Bd. 393 ZB 037-042 e = Stefan (Betreuer), h = Hasan e: du muscht dich woanders hinsetzen h: ach soo e: das kannste ruhig machen + da sagste zu deinem lehrer + der stört mich immer + unn dann + da is das gar kein problem h: unser lehrer is sehr: streng Auch hier hat das Subjekt doppelte thematische Funktion (rahmensetzendthematisch und 'alt'-thematisch, nämlich vorerwähnt). Die Äußerung "unser lehrer is sehr: streng" fungiert insgesamt als Einwand gegen die Behauptung des Betreuers, daß es keine Schwierigkeit für den Probanden sei, in der Schule einen anderen Platz im Klassenraum zu bekommen. Das Haupthindernis für einen Platzwechsel scheint nach Meinung des Probanden in der Person des Lehrers zu bestehen, zumindest wenn der Proband den von e gemachten 'Verfahrensvorschlag' in die Tat umsetzen sollte. Die Anknüpfung des Einwandes erfolgt über das sich direkt aus dem Beitrag des Gesprächspartners ergebende "lehre!/", das zugleich den Rahmen für die Information bildet, die den Einwand erst als solchen erkennbar macht. (Das, was 'über' den Lehrer 'ausgesagt' wird, weckt Zweifel an e's Behauptung, "da is das gar kein problem".) Die thematische 'Doppelfunktion' des Subjekts ist charakteristisch für alle Subjekt-Verb-Strukturen, und dies bedeutet wiederum: für die meisten überhaupt syntaktisch 'durch'strukturierten Thema-Rhema-Realisierungen. Diese machen insgesamt ein Drittel aller Redebeiträge vom Typ l des Probanden aus; vier Fünftel von ihnen (80 von 101) sind (z.T. variierte, vgl. Beleg 6) ff.) Subjekt-Verb- Strukturen. Für die übrigen zwei Drittel der Beiträge des Typs l sind folgende Beispiele repräsentativ: 3) Textband "Kindersprache" k = Klaus (Betreuer), h = Hasan. k: welches tier hat dir denn am besten gefallen h: hm + was nit überlegt weiß nicht 4) Band i/i k = Klaus (Betreuer), h = Hasan. k: sechzehn? h: nä ZEHN 5) Textband "Kindersprache" k = Klaus (Betreuer), h = Hasan k: wo hast denn die uhr her? ...

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Derartige syntaktisch nicht ausgeführte Antworten Fragen sind im gesprochenen Deutsch üblich (vgl. WEISS 1975: Kap. 2.4), dJi. zielsprachlich, ebenso wie Einwort- Antworten auf Entscheidungsfragen ("ja", "nein", "doch"), be-

G. Benslng, Thema-Rhema

93

stätigende und fragende Wiederholungen von Äußerungsteilen, Einwürfe mit ein bis zwei Konstituenten oder Interjektionen. Solche unmittelbar interaktionsgebundenen Redebeiträge lehnen sich gleichsam an vorhergehende Äußerungen an - teilweise (wie 5)) unter Übernahme bereits etablierter Konstruktionen (vgl. "Konstruktionsübernahme" RATH 1979). Eine eindeutige Charakterisierung nach Thema-Rhema-Gesichtspunkten erscheint kaum möglich, da einerseits weder nach dem Rahmen-(Haupt-)Aussage- noch nach dem 'altneu'-Kriterium (gemäß 2.1) thematische Elemente isoliert werden können, noch andererseits eine generelle Bewertung von Äußerungen dieser Art als isolierte Rhemata plausibel wäre. Unbeschadet der Tatsache, daß der Proband damit über zielsprachliche Möglichkeiten der Teilnahme an Diskursen verfügt, die er auch häufig nutzt, müssen daher diejenigen von dem Probanden eingesetzten syntaktischen Strukturen im Mittelpunkt der Analyse stehen, in denen thematische und rhematische Konstituenten/Strukturteile identifiziert werden können. Im Falle des untersuchten Probanden handelt es sich dabei um zielsprachliche (oder annähernd zielsprachliche) Satzstrukturen, in der Regel mit der Satzgliedfolge Subjekt-Verb (+ Ergänzung). Vom Anfang des Beobachtungszeitraums an verfügt der Proband über folgende Stellungsabwandlungen und Ergänzungsvarianten der Subjekt- Verb-Struktur:6 - Verb-Subjekt-Inversionen (nach Konjunktionen und Adverbialen) 6) Textband "Kindersprache" eh + + dann jst er weg:gegang +

s.67 ZB osi (tl)

7) ibid. hm * da kommt der

s.78 ZB 037 (t2)

8) ibid. bei uns gibts hase

s. 89 ZB 135 (t3)

SV * Akkusativobjekte 9) Band 171 ja + un der + der hat viel geld + 10) Textband "Kindersprache" ich weiß das noch 11) ibid. ich hab noch was ...

ZB iai (t2) s.97 ZB 1S6 (t3) s.iio ZB 006,007 (t4)

- Subiekt-Verb-Objekt-Strukturen in Verbindung mit analytischen Verbformen 12) Textband "Kindersprache" ja der hat mich reingelegt ...

s.87 ZB ooo (t3)

Um die Verteilung der jeweiligen Strukturvarianten über den Beobachtungszeitraum hinweg exemplarisch zu belegen, werden jeweils drei Belege zu unterschiedlichen Zeitschnitten angeführt.

94

13) ibid. ... ich hab gestern ein äffe gesehn

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

S. 110 ZB OO7

(t4)

- SV + Adverbiale Ergänzungen 14) Band 171 der wohnt dort hinne

ZB O86

15) Band 322 hab ich letscht joa gemacht letztes jähr

ZB O68

(t2)

(t3)

- SV i Präpositionalaus drücke 16) Textband "Kindersprache" o: mache nix der kann auf die autobahn 17) ibid. xxx der wollt mit mir tauschen

S.85 ZB 036/037

S.95 ZB.1O9

...": 47) Textband "Kindersprache" k: Klaus (Betreuer), h: Hasan

s. 69 ZB 010-014

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G. Benslng, Thema-Rhema

99

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(tl)

Vgl. auch Beleg 29): 29) Textband "Kindersprache" s. 1O9 ZB O93.O94· die die wollten mich fangen da haben die gemach hab ich angefangen zu lachen xxx bin ich cfo/unter gang + do bin ich... (t4) Die Themafolge in Beleg 47) - einem Ausschnitt aus einer Filmnacherzählung ist "manner" (TD - "def ( 2 = Hauptperson des Films) - "lucky luke" (TZ, Präzisierung nach Nachfrage) - "jede mann" (TD - "die mä" (= "die männef) (TD. Tl ist semantisch als thematisch gesichert; "die männef bezieht sich auf Personen im nacherzählten Film (hier das für den Diskurs rahmensetzende Bezugssystem). Entsprechendes gilt für T2. Beide thematischen Subjekte bilden die Basis für kurze Progressionen mit durchlaufendem thematischem Subjekt. Ähnlich in 29): "die" (Tl) - "die" (TD - "ich" (T2) - "ich" (TZ).

Wie in den Belegen 28), 29) sowie 45) - 47) sind diese Progressionen fast stets von der in 3.2.2. beschriebenen "da/und da..."-Verknüpfung begleitet. Die Analyse eines längeren Redebeitrags des Probanden - einer konversationeilen Erzählung aud dem Zeitraum t4 - zeigt exemplarisch, wie die Verkettungstechniken eingesetzt werden. (Zur besseren Orientierung werden die Sätze einzeln mit Belegnummem versehen): Band 377,

ZB 112-127

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G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!'

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G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

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9 10 11 13 23 28 29 31 35 37 38 39 17 24

6

oo

9 7 5 8 6

12 18 25 27 19 26 20 21

|

(A) > V = Imp.

Abbruchmechanismus im Umfeld eines temporalen Nebensatzes (Kontaminationsform)

Zeitform, Kernverb: VD = Perf. > (A) > "bevor" + "noch nicht"* (V = P e r f . ) > VD = Perf.

Abkürzungen: Imp. = Imperfekt Pqp = Plusquamperfekt

S. Deglmann, Temporalltät

129

3. ZUSAMMENFASSUNG DER GESAMTERGEBNISSE (T-3 - T 4) 3.1. DER ZUSAMMENHANG VON DIALOG UND MONOLOG

Nach der detaillierten (hier zwar nur exemplarisch vorgeführten) Analyse dialogischer und - im Vergleich dazu - der monologischen Texte lassen sich folgende Aussagen über den Erwerb der Funktionen und vor allern der Entwicklung der Strategien und Formen zur Verwirklichung von Temporalisation und ihre Verteilung auf Dialog und Monolog bei der Probandin Avnur treffen: Das Lernen von Temporalisation findet bei Aynur innerhalb von "Komplementärtexten" statt. Hier sind beide Interaktionspartner für die Temporalisation verantwortlich bzw. der Betreuer kann streckenweise die Hauptverantwortung übernehmen. Eine Art "Urform" von Abfolge stellt das Nacheinander von Rede und Gegenrede dar. Zur Verbalisierung zeitlicher Abfolgen kann dieser Mechanismus in frühen Zeitschnitten gezielt von Probandin und Betreuer in Form des ''Leitersprossenprinzips der Einklammerung" eingesetzt werden. Die ideale Realisierung konstituiert sich wie folgt: Der Betreuer katalysiert die Abfolge Vorgabe der "PNA- Elemente", die Probandin übernimmt den "Rahmen", der Betreuer gibt ihr durch Wiederholung eine Absicherung und katalysiert eventuell das nächste Ereignis. Abfolge von (e)

*—

P B P B

Dieser Mechanismus erweckt bei der alleinigen Konzentration auf Probandenäußerungen den Eindruck einer bereits zu frühen Schnitten vorhandenen Sprachfertigkeit, bei der es sich lediglich um eine "Scheinkompetenz" handelt. Zu diesem frühen Stadium werden die beiden monologischen Texte, die "Fritzchen Witze", auf der Nachahmung des Prinzips der natürlichen Abfolge von Rede und Gegenrede aufgebaut. Ab t 3 gelangen dann Strategien bzw. Formen zur Flexibilisierung der Abfolgenkonstitution, die über die durch PNA-Bausteine konstruierten Strategien (wie z.B. das Inzidenzschema) hinausreichen, wieder zuerst in "Komplementärtexten" zum Einsatz. Die Probandin wählt die Textart Dialog, von der sie weiß, daß ihre Äußerungen durch den Einklammerungsmechanismus aufgefangen werden; d.h., sie zeichnet für die Temporalisation nicht allein verantwortlich. Zu t 3 entsteht auch der erste vollständig eigeninitierte (Wahl der Textart und der Textsorte) Monolog: eine konversationelle Erzählung mit den entsprechenden Konsequenzen bezüglich der Temporalisation. Die neue Qualität der Temporalisation macht sich dann vor allem in den Monologen zu t 4 bemerkbar.

130

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

So entspricht, ganz allgemein gesprochen, das Temporalisationsniveau monologischer Texte immer zeitverzögert dem Temporalisationsniveau dialogischer Texte. Eventuell handelt es sich aber um eine Frage der Lernereinstellung, ob zu Verwirklichung der Textart Monolog eine Textsorte gewählt wird, die mit den zur Verfügung stehenden Mitteln realisiert werden kann oder ob der Lerner sich auch mal selbst überfordert. Dies steht zudem noch in engem Zusammenhang mit dem Grad des Vertrauens, das ein Proband in betreuerseitige "Erleichterungsstrategien", die den jeweils kritischen Strukturen angepaßt sind, haben kann. Im Dialog liegt es demnach beim muttersprachlichen Interaktionspartner der Lernenden, den Erwerb und Ausbau sprachlicher Mittel zur Temporalisation durch gezielte, d.h. an kritische Strukturen angepaßte, Überforderung (MÜLLER 1983a :122) des Lerners bei der Konfrontation mit sprachlicher Komplexierung von zeitlichen Verhältnissen zu initiieren, auszubauen und vor allem abzusichern. 3.2. DDE TEMPORALISATION DER MONOLOGISCHEN TEXTE

Textsorten Beim ersten eigeninitiierten Monolog, zu t -3 , handelt es sich um einen Witz, einen in sich abgeschlossenen Text ohne Ebenenwechsel und eventueller "Anschlußkommunikation". Durch szenische Darstellung folgt Aynur der "Urform" des PNA. Der zweite, auch als Textart eigeninitiierte, Monolog zu t 3 ist eine konversationeile Erzählung mit integrierten Ebenenwechseln. Bei den fremdinitiierten Texten ist eine zunehmende Flexibilität bei der Abfolgekonstitution festzustellen. Betreuereinfluß Bei den ersten monologischen Texten hält sich der Betreuer mit textinternen Interventionen zurück. Lediglich im "Vorfeld" leistet er "temporale Einbettungshilfe" als Reaktion auf Blockaden, die in frühen Schnitten immer dann entstehen, wenn von der Probandin eine "alleinverantwortete" Temporalisation erwartet wird. Später entspricht Aynur eher diesen Erwartungen, initiiert dann auch selbst die Textart Monolog. Nun reagiert der Betreuer auch textintern, indem er bei entstehenden Problemen eingreift oder auch nach Detaillierungen fragt und dabei den linearen, vorwärts gerichteten Zeitstrom verläßt. Das (E):(e)-Verhältnis Anfangs - also zu t -3 - entspricht die Reihenfolge der Erwähnung der natürlichen Abfolge: es wird weder "vorgegriffen" noch "nachgetragen". Später - ab t l - werden frühere Ereignisse nachgetragen, wird Gleichzeitiges dargestellt und auf Späteres verwiesen. Die Erwerbsreihenfolge sieht im Bereich der monologischen Texte bei der Probandin Aynur also folgendermaßen aus: 1. Nachzeitigkeit

2. Gleichzeitigkeit

3. Vorzeitigkeit,

S. Deglmann, Temporalltät

131

wobei sich wiederum jeweils "Unterfunktionen" bzw. Funktionsvermischungen entwickeln.

Funktionen und Strategien Das Nacheinandemennen von Ereignissen erfolgt zunächst nahezu zeitdekkend: ein Dialog wird szenisch wiedergegeben. Variation in den Ereignisabständen wird zu t l durch systematischen Einsatz der "PNA- Konnektoren" erreicht. Ab t 3 kommt es zum Ausdruck von Vorgriffen und exakten Ereignis- bzw. Ereigniszwischenraumbestimmungen bei der "Vorwärtsbewegung auf der Zeitachse". Ab t l - hier exemplifiziert anhand des Zeitschnitts t 3 - wird Gleichzeitigkeit von Ereignissen verbalisiert. Zwei Arten von Gleichzeitigkeit tauchen auf: Gleichzeitigkeit von zwei parallelen Ereignissen durch "Parallelisierung" , Gleichzeitigkeit von einem Punkt eines durativen Ereignisses und einem punktuellen Ereignis: das "Inzidenzschema".

Ab t 2 bemüht Aynur sich um eine dritte Variation: Gleichzeitigkeit vom Ende eines Ereignisses E n und und dem Anfang eines Ereignisses E n+1 bzw. der Abgeschlossenheit von E n vor E n+1 durch Ubergeneralisierung des Inzidenzmechanismus. zu t 3 gelingt ihr dies durch Syntaktifizierung mittels "wie", was zugleich textverweisende Qualität aufweist. Das Nachtragen von Ereignissen, die vorher einfach ausgelassen wurden (vgl t -3), beginnt ab t l durch den sog. "Abbruchmechanismus". Zunächst werden früher oder gleichzeitig existente Handlungsträger nachgetragen. Dann kommt es zum Nachtrag von unmittelbar vorhergehenden Einzelereignissen .

Ab t 3 wird die primäre Abfolge auch ohne Abbruch verlassen. Abbruchmechanismus und eine Kontarninationsform aus syntaktifizierter Gleichzeitigkeit ("als-Konstruktion") und Vorzeitigkeit ("bevor-Konstruktion") vermischen sich. Im späten t 4 werden ganze Episoden nachgetragen. Ab t 3 - und verstärkt in t 4 - kommt es zu Funktionskumulationen , d.h. innerhalb eines Episodennachtrags gelingt beispielsweise die Darstellung von Gleichzeitigkeit. Das (e):(TS)-Verhältnis Im Rahmen der Komplexierung verändert sich das (e):(TS)-Verhältnis. Immer mehr Teilsätze formen ein Textereignis, die das Ereignis auch in seinen "temporalen Eigenschaften" klassifizieren. Strategien und Formen Stehen zu Beginn die "PNA-Bausteine" ("dann" & Perfekt) im Vordergrund, so sind es später grammatikalisierte Konstruktionen - im Sinne von Subordinationen. Man kann sagen, daß neue Funktionen zunächst immer durch Strate-

132

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

gien realisiert werden, die auf alten Formen basieren. So besteht z.B. das Inzidenzschema aus PNA- Bausteinen. Der Abbruchrnechanismus angewandt auf einen "PNA-Teilsatz" dient später u.a. dem Einfügen eines Ereigniszwischenraums. Das punktuelle "da" kennzeichnet bei der Realisierung des PNA kurze Ereignisabstände, ist dann aber auch sowohl Teil des Inzidenzschemas als später auch der Ereigiiiszwischemaumbestimmungen. Der Abbruch der primären Kette erfolgt auch vor der "bevor- Konstruktion" in t 3 bzw. t 4 ; und das bei der "bevor- Konstruktion" verwendete Muster überlappt sich mit der zu diesem Zeitschnitt ebenfalls problematisierten "als"- bzw. "wie-Konstruktion". 4. EXKURS: VERGLEICHSPROBANDEN

Allgemein gültige Aussagen über den Erwerb der Temporalisation kann man erst auf der Grundlage des Vergleichs der Ergebnisse möglichst vieler, umfangreicher longitudinaler Fallstudien mit vergleichbaren Untersuchungsmethoden treffen. Zudem gehört zur Absicherung der Ergebnisse eine Vergleichsanalyse anhand eines Korpus mit den Sprachdaten gleichaltriger "native speaker", um eine Isolierung altersbedingter Phänomene zu erreichen und außerdem einen Vergleichsparameter in bezug auf "Gesprochene-Sprache-Spezifika" zu erhalten. Um die Ergebnisse der "Fallstudie Aynur" abzusichern, wurden in DEGLMANN (1987) bei gleichbleibendem Analyseraster ein weiterer türkischer Proband, eine italienische Probandin und ein gleichaltriger deutscher Proband in ihrer Textproduktion exemplarisch - d.h. bei Beschränkung auf einen frühen monologischen Text pro Proband - untersucht. Mit diesen Momentaufnahmen sollten folgende Fragen beantwortet werden: Gibt es im Rahmen des Saarbrücker Korpus ausländische Probanden mit geringerem oder höherem Temporalisationsniveau als das von Aynur? Auf welchem Temporalisationsniveau befindet sich der deutsche Vergleichsproband zu Beginn der Aufnahmen? Welche Strategien werden von anderen ausländischen Probanden bei der Temporalisation angewendet? Existieren Ähnlichkeiten? Anhand dieser exemplarischen Analysen zu den Vergleichsprobanden Hassan, Maria und Thorsten konnte die erwerbskriteriale Rolle der innerhalb der Fallstudie herausgearbeiteten Strategien (DR-DR- bzw. VD-DR-Mechanismus, Parallelisierung, Inzidenzschema, Abbruch-Nachtrage-Mechanismus etc.) bei der Erlernung der Organisation temporaler Abfolgen bestätigt werden. Worin sich die Probanden unterscheiden sind :

die Quantität der zur Verfügung stehenden Strategien (und somit auch die der zum Einsatz gelangenden "temporalen" Funktionen),

S. Deglmann, Temporalität

133

die Qualität der Strategien (d.h. das vorhandene Formeninventar), die Einsatzdichte. Beim deutschen Probanden ist schon von Anfang an eine große Variationsbreite innerhalb der Ausdrucksmöglichkeiten im Bereich der Temporalisation bei hoher Einsatzdichte vorhanden. Seiner Möglichkeit zu stilistischer Variation bzw. präziser Temporalisation steht das Angewiesensein auf wenige Strukturen der ausländischen Probanden gegenüber. Dennoch lassen ähnliche Probleme im Rahmen von "bevor- Konstruktionen" (genauer: die Syntaktifizierung von E 2 vor E l ) bei Aynur und Thorsten vermuten, daß die Temporalisation für den deutschen Muttersprachler noch nicht problemlos ist. Die Rolle der interindividuellen Variationen beim Erwerbsprozeß konnte anhand der Ausschnittsanalysen zumindest problematisiert werden: So gelang der Nachweis "metasprachlicher Hinweise auf Auslassungen" z.B. nur für Maria. 5. SCHLUSSBEMERKUNG

Im Rahmen der Fallstudie Aynur konnte gezeigt werden, wie sich die Organisation temporaler Abfolgen in monologischen Texten über dreieinhalb Jahre verändert. Zudem gelang der Nachweis der Vorreiterfunktion des Dialogs beim Einsatz neuer Strategien. Im Falle Aynur korrelieren weiterhin Textartenwahl und Temporalisationsniveau. Anhand der hier kurz zusammengefaßten exemplarischen Analysen zu Vergleichsprobanden gelang eine Absicherung der Analysekriterien der Fallstudie im Bereich monologischer Texte. Zugleich wurde damit aber auch eine Perspektive zur Weiterarbeit eröffnet: Weitere longitudinale Fallstudien sind notwendig, um die Rolle der interindividuellen Variation differenziert beurteilen zu können und um den Mechanismus der interaktioneilen Strategien als "Temporalisationskatalysatoren" zu verifizieren.

134

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

LITERATUR:

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S. Deglmann, Temporalltät

135

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136

DISKURSPRAGMATISCHE INTERIMSPRACHEN

UND

GRAMMATISCHE

EIGENSCHAFTEN

VON

Stefan Kutsch1 1. VON DER FORM ZUR FUNKTION UND VON DER FUNKTION ZUR FORM

Ziel dieser Arbeit ist die Verbindung der Strukturanalyse sprachlicher Oberflächenformen mit der pragmatischen Analyse der Funktionen dieser Formen, wobei der Schwerpunkt dieses "übergreifenden" Ansatzes im grammatischen Bereich liegen soll. Wie wir heute wissen, führt die bloße Analyse sprachlicher Strukturen (Formen), wie sie etwa von Kontrastiv-, Performanz- und Fehleranalyse durchgeführt wurde, zu wenig erhellenden Einsichten über die Struktur von Lernersprachen oder die Struktur von Erwerbsprozessen in einer zweiten Sprache (vgl. BAUSCH/KASPER 1979; KLEIN 1984). Die in Anbetracht dieser Ergebnislage vollzogene Kehrtwendung in der Forschung, oft mit "pragmatischer Wende" bezeichnet, bewirkte m. E. aber eine einseitige Perspektivenverengung bei Spracherwerbsuntersuchungen auf die kommunikativen Leistungen (Funktionen von Formen) des (Zweit-)Sprachlemers. Und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die Erstsprachforschung bereits zu einer gleichwertigen Betrachtung von Formen und Funktionen durchgerungen hatte. Der Begriff der Kommunikationsstrategien steht im Zusammenhang des funktionsbetonten Ansatzes der L2- Erwerbsforschung für die Fähigkeiten des Lemers, sprachliche Probleme mithilfe strategischen Sprachgebrauchs - im Sinne von Form A steht für die Funktion B einer Form B - zu lösen. Diese, von Hörerleistungen abhängige Form der Zweitsprachenbewältigung führt, bei ausschließlich funktionaler Erwerbsanalyse, zu einer Bestandsaufnahme von Ersatzstrategien, die ein Lemer sich aneignet, wenn er in Relation zu Hörertoleranzen eine zweite Sprache erwirbt. Als Resultat erhält man so keinesfalls Beiträge zur Klärung des Erwerbsprozesses einer Zweitsprache, sondern lediglich eine Beschreibung von oder Hinweise auf instrumentelle Mittel bzw. Fähigkeiten, die L2-Lemer kommunikationspragmatisch zur Verfügung haben, um ihre Spracherwerbsdefizite zu umgehen und auszugleichen. Das Ziel einer Erwerbsanalyse kann aber nicht heißen, den kommunikativen Erfolg eines L2-Lemers anhand seiner Ersatzstrategien in ihrer Anwendung in einem toleranten Kommunikationsumfeld zu messen. Vielmehr muß die "Realität des fremdsprachlichen Handelns" (EHLICH 1986:44) derart berücksichtigt werden, daß die kommunikativen Auswirkungen zweitsprachlicher Defizienzen in der Gesprächssituation L2-Lemer - native-speaker, die z.B. EHLICH "Xenismen" nennt, entsprechend gewichtet werden. Denn diese Xenismen sind in alltäglichen Kommunikationssituationen ein bleibendes Zeichen der "Fremdheit" des Zweitsprachenlemers, welches ihn als Nicht-Mitglied der Kommunikationsgemeinschaft der native-speaker ausweist. Vom Standpunkt der Analyse des Erwerbsprozesses sind diese Fremdheitszeichen Produkte des kreativen Sprachlemens und Bestandteil der Lemerperformanz: Sie beinhalFUr Anregungen und Kritik danke ich Gerd Antos und Rainer Rath.

S. Kutsch,

Diskurs und Grammatik

137

ten Informationen über den Erwerbsverlauf, die funktional-pragmatischer Natur sind. Auf der anderen Seite sind sie jedoch auch lernersprachliche Eigenschaften, die im Hinblick auf zielsprachenadäquates Sprechen Kommunikationsbarrieren darstellen und daher fremdsprachendidaktisch kompensiert 'werden müssen. Ziel einer Erwerbsanalyse muß also sein, den Weg des Sprachlernprozesses aufzuzeichnen, die Rolle der Kommunikationsstrategien im Lernprozeß zu bestimmen, die Erwerbsverläufe von der Form zur Funktion bzw. von der Funktion zur Form nachzuvollziehen, um vom Gesamtbild des Prozesses auf die erwerbsspezifische Funktion einzelner Strategien sowie der Art und Weise des Sprachgebrauchs schließen zu können. Die Untersuchungsperspektive kann also zunächst nicht dahingehend verengt werden, daß die Fähigkeiten des Lerners, bestimmte zielsprachliche Erwerbsanforderungen zu vermeiden oder durch Simplifizierung zu umgehen, gar als lemersprachliche Kompetenz beurteilt werden. Denn gerade diese Strategien weisen den Zweitsprachenlerner bleibend als Nicht-Zielsprachensprecher aus und stehen für nicht adäquaten Erwerb der zweiten Sprache. Als Produkte des Erwerbsprozesses selbst sind sie für eine Analyse nur insoweit interessant, als daß sie temporäre kreative Konstruktionen sein können, die später durch zielsprachliche Form-Funktions-Relationen abgelöst werden, oder aber sich zum bleibenden Bestandteil einer individuellen Lernersprache verfestigen. Und genau an diesem Punkt hat eine Erwerbsprozeßanalyse anzusetzen, indem sie zwischen solchen Entwicklungen unterscheidet, die ab einem bestimmten Beherrschungsniveau der Zweitsprache zwar als an einem Endpunkt angelangt, aber dennoch als nicht zielsprachlich bezeichnet werden können (Fossilierungen), und diese von jenen Entwicklungen trennt, die lediglich eine Übergangskompetenz von einer entfernteren zielsprachlichen zu einer näheren zielsprachlichen Varietät abbilden (z.B. Übergeneralisierungen). Der gewählte Ansatz stützt sich bei der Analyse ausschließlich auf das durch die Lerner vorgegebene Datenmaterial (vgl. KUTSCH/DESGRANGES 1984 und RATH/IMMESBERGER/SCHU 1987). Berücksichtigt werden, bezogen auf die Strukturanalyse, gleichberechtigt grammatische Form-Funktions-Relationen, neben der pragmatischen Analyse funktionaler Strategien, wobei vor allem Ersetzungsstrategien, Übergeneralisierungen und Verlagerungen genuin sprecherproduktiver Aufgaben in den Bereich der Hörerleistung gemeint sind. Der Ansatz ist also in einem gewissen Sinn funktional, was den pragmatischen und semantischen Sprachbereich betrifft; er ist grammatisch, insofern die zielsprachenadäquate Form-Funktions-Realisation durch den Lemer beurteilt wird; er ist aber auch konzeptorientiert, da er konzeptuelle Kategorien, wie Temporalität oder lokale Referenz beachtet, wenn sich diese Kategorien innerhalb der zu analysierenden Daten nachweisen lassen (vgl. STUTTERHEIM 1986:21). Der Ansatz ist diskursanalytisch, insoweit er kontextuelle und diskursive Einflußfaktoren beachtet und sprachliche Ausdrucksformen in ihren Verwendungsweisen in der aktuellen Gesprächssituation untersucht werden. Der Ansatz ist mehrdimensional, d.h. kein Teilbereich ist dominant oder anderen untergeordnet, der Analyseverlauf folgt der vorgegebenen Daten-

138

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

Struktur, ist also primär weder konzeptorientiert, noch grammatisch oder etwa einseitig funktional. Wie bereits erwähnt, erwies sich der alleinige Zugang zu Funktionen über die Form als nicht geeignet, um Charakteristika von Interlanguages umfassend zu beschreiben. So hat BICKERTON (1981) darauf hingewiesen, daß der Erwerb einer LZ-Eigenschaft qua Eigenschaft, beispielsweise eine gegebene morphologische Gestalt, und der Erwerb einer präzisen Kette von LZ-Funktionen unter Umständen völlig verschiedene Ebenen betreffen, oder gar nichts miteinander zu tun haben. D.h. Formen werden aus der Zielsprache in die Interlanguage übernommen, ohne daß der Lerner ein umfassendes Konzept von den Funktionen dieser Formen haben kann. Er setzt die entlehnten Formen in seiner Interlanguage funktional subjektiv passend ein, um entsprechende Aufgaben sprachlich bewältigen zu können, für die er bisher keine zielsprachlichen Formen zu Verfügung hat. Die Verwendung dieser Inter-Formen wird in der Forschung als Indiz für Lernvorgänge innerhalb des jeweiligen sprachlichen Konzepts angesehen, in diesen Fällen wird auf strukturelle Gegebenheiten von Lernersprachen und auf Entwicklungsprozesse geschlossen. Konsequenterweise erfordert das Wissen um diese Lemerstrategien eine Umorientierung der Analyseperspektive, außer der Form muß auch noch die Funktion differenziert betrachtet werden, und zwar nicht wie bisher, von der Form zur Funktion, sondern künftig auch von der Funktion korrespondierend zur sprachlichen Form. Wenn dies bei der Untersuchung beachtet wird, kann eine umfassende Betrachtung der Entwicklung im Zweitspracherwerb eingeleitet werden, wodurch dann auch Sprachfunktionen zugänglich werden, die der Lerner bis dahin noch nicht explizit in einzelnen Oberflächenformen realisiert hat. Dazu ein Beispiel aus dem Datenmaterial der Probandin Aynur (Türkin, 8 Jahre alt, 5 Jahre in Deutschland). 2. CHARAKTERISTIKA VON INTERLANGUAGES

Entsprechend des mehrdirektionalen Ansatzes wird folgende Methode entwickelt: Ausgangspunkt ist ein ausgewählter lemersprachlicher Text, der den jeweiligen Stand eines Interlanguage-Erwerbs repräsentieren soll. Er wird auf konzeptuelle, grammatische und pragmatisch interessante Aspekte hin abgeklopft. Im Gegensatz zu früheren Untersuchungen beinhaltet diese diskursanalytische Methode eine relativ lückenlose grammatische Analyse (vgl. hierzu auch HATCH 1984), deren synchrone konzeptuelle Orientierung im folgenden Beispiel die temporale Organisation einer Erzählung in den Mittelpunkt rückt. Der folgende Beispieltext l repräsentiert die frühe Lernervarietät Aynurs (l Datenerhebung), die mit ihrer späteren Lemervarietät (Beispiel 4) verglichen werden soll. Festgelegt wurde der Erwerbsbeginn mit dem Tag der ersten Einschulung, Beispiel l steht für das zweite, Beispiel vier für das fünfte Erwerbsjahr der Zweitsprache.

139

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

2.1. BEISPIEL l

Band 15, Seite l, Zeilenblock 001 - 026: Situationsbeschreibung: Die Aufnahme wurde im Wohnraum der türkischen Familie angefertigt. Alle Personen sitzen um den Couchtisch herum auf dem Sofa, in Sesseln oder Stühlen. Anwesend sind die Mutter von Aynur, der Bruder Hussein, die deutsche Freundin Eveline, die Studentinnen Elisabeth und Gabriele, die Türkin Ekbal, der Student Stefan. Während des Gesprächs kommen Beyzade und Talat, die älteren Brüder von Aynur hinzu. Es wird Tee getrunken und Gebäck gegessen, die Situation ist familiär vertraut. Die Deutschen haben die türkische Familie schon oft besucht, daher hat dieser Besuch alltäglichen Charakter. Sprechersiglen: a = Aynur, 8 Jahre alt; b = Elisabeth, Betreuerin; c = Mutter von Aynur Kommentar zur Gesprächssituation und zur vorherigen Interaktion: Nachdem Elisabeth und die anderen Studentinnen eine gewisse Zeit mit der Mutter von Aynur gesprochen haben, wird Aynur direkt angesprochen:

b 002 a OO3 b OO4 a 001

aynur was hasch du heut in der schul gemacht? + geles gelesen + unn was habter gelesen? mh + + + was mit dem mädchen xx xx die straße gang ist xx xx 6 Sek. Pause

unverständlich

Türenschlagen

oos b mhm + was hatten das gemach? das mädchen? OO6 türkisch, im Hintergrund Geräusche eintretender Geschwister

OO9

s einfach auf die straße gegang + und nicht rechts und links geguckt b und dann? xx xx dann passiert?

010

a

OO7 OO8

a

j

i_ - unverständlich

dann hat +

, .

...

__

xx der mann xx hingeschick xx es so: d geduck

011

daß zu xx + s + xx zurückgedrück wenns nich gemacht hätte war

O12

e + totgefahr

013

b

mhm + n was hann er doraus gelernt?

+ oder was hat herr bäum Lehrer

O14 O1S 016 O17 018

dann gesagt? + wie ihr das gelesen habt? a dann hat se gesagt wenn se + wenne + der mann ihn nich so rum + gefaßt + hieher + gern + hätt + gemach dann war + e + war er tot b mhm + ja unn + unn hat ers + hat der mann dann nommo was

140

019

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

gesart + oder war dann die geschieht aus?

020

a demerädchen hat gesag + ech hab gedenk ich durfte auf die

021

straße + unn dann hat der mann gesach + äh + dei autofahrer

022

weiß jo nich ob du so dumm bisch

023

XXXX

alle lachen Kommentar: (Das Gespräch wird fortgesetzt.) . GRAMMATISCHE ANALYSE: TEMPUS, MODUS. MORPHOLOGIE, NOMEN, PRÄPOSITIONEN, ELLIPSEN, TILGUNGEN

PRO-

Dieser Teil der Analyse betrachtet den grammatischen Bereich des Konzepts Temporalität. Der darauf folgende diskurspragmatische Analyseteil rückt die Kompensation fehlender grammatischer Mittel durch funktionale Strategien in den Brennpunkt. In beiden Fällen wird induktiv vorgegangen, d.h vom sprachlichen Ausdruck zur konzeptuellen Kategorie. Der Weg führt also von der sprachlichen Analyseebene, nämlich den vorhandenen Daten, zum Teilbereich der Untersuchung grammatischer Formen. Diese werden in Relation gesehen zu ihrer diskursiven Realisation, wobei kontextabhängig die besonderen Hörerleistungen des native- speakers in die Analyse einbezogen werden. Diese Vorgehensweise hat im Prinzip einen doppelt-funktionalen Aspekt, indem sie grammatische Oberflächenformen auf ihre teilweise nicht-zielsprachlichen Funktionen hin untersucht, und indem die pragmatische Kompensation nicht realisierter bzw. noch nicht realisierbarer Formen speziell durch die Berücksichtigung von Hörerleistungen und -hilfestellungen gleichwertig in die Analyse eingeht: Im Beispiel l eröffnet Sprecherin b einen neuen Diskurs, bisher war die Mutter die Gesprächspartnerin, jetzt erfolgt ein organisierter Sprecherwechsel zu Aynur. Die einleitende Frage Aynur was hasch du heut in der Schul gemacht? öffnet einen "narrativen" Diskursmodus. Dieser erfordert bestimmte Kodierungsformen der Tempusorganisation , etwa Wechsel von Präsens zu Präteritum bzw. Perfekt. Aynur antwortet geles - der Form nach ein Partizip II die dialektale Variante von gelesen . In der elliptischen Äußerung, sind Subjekt und finites Verb getilgt: ich habe. Auch die nächste Äußerung von Aynur (ZB 004) ist elliptisch, beide Ellipsen knüpfen im Hinblick auf die getilgten Elemente an die vorausgegangenen Fragen an, sind also angemessen formuliert. Die Specherin folgt dem Prinzip der Konstruktionsübernahme: "Die Ellipse »paßt« syntaktisch in die vorhergehende Konstruktion, sie läßt sich als Teil dieser Konstruktion auffassen. (..).. Einer solchen Ellip-

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

141

senbildung liegt die Konvention zugrunde, daß Konstruktionen solange in Geltung stehen, bis erkennbar eine neue beginnt. Der Sprecher kann sich entweder auf eigene oder fremde (nach einem Sprecherwechsel) vorangehende Konstruktionen implizit so beziehen, daß er eine neue Äußerungseinheit bildet, indem er auf diese die vorangehende Konstruktion überträgt.·· (RATH 1979:143) Interlanguage-Formen sind die Präposition mit (ZB 004) und das rudimentäre Partizip gang (ZB 004). Gefordert ist die Präposition von und gegangen . Für den hier nicht entscheidbaren Fall, daß es sich um eine elliptische Äußerung handelt, in der etwa passiert Jst getilgt wurde, ist die Präposition mit regelhaft gebraucht. In der dialektalen Variante ist gang möglich, allerdings hat Aynur in ihrer Äußerung 004 überwiegend die Standardvariante gewählt, folglich müßte sie auch das angemessene Partizip wählen. Geht man hingegen von einer Mischvarietät aus, ist gang ebenso akzeptabel wie geJes . Von Problemen im morphologischen Bereich der Bildung von Partizipien zeugen insgesamt jedoch die Phänomene ZB 007 gegang statt gegangen, hingeschick statt hingeschickt, geduck statt geduckt, zuriickgedriick statt zurückgedrückt und totgefahr statt totgefahren (ZB 010-012). Die oben fehlenden Flexionssuffixe unterliegen in der Umgangssprache einem gewissen Lautverlust, z.B. ist der Laut /t/ als Auslaut im Dialekt phonetisch - wenn nicht vollständig getilgt - oft nur noch als /d/ vorhanden. Somit bestimmen hier Inputbedingungen die Regelbildung in der LernerInterJanguage, denn Aynur hat ihre Regel offensichtlich aus dem Gehörten abgeleitet. Hier ergeben sich - in aller Vorsicht formuliert, denn es wird ja auch /-en/ getilgt - gewisse Parallelen zu den LABOVschen Variablenregeln zur Präteritumflexion (LABOV 1973:138), wobei das hier vorgelegte Datenmaterial allerdings Probleme bringt, wenn etwa ein Bezug von der Tilgung des /d/ oder /t/ zur folgenden Wortgrenze hergestellt "werden soll. Hingegen ist eindeutig, daß nach Konsonanten getilgt wurde. Wichtig erscheint mir LABOVs Hinweis, daß eine Reihe kreolischer Sprachen diese Tendenz zur phonologischen und grammatischen Vereinfachung von Konsonantengruppen auf weisen (a.a.O.S. 16$), womit möglicherweise ein Indiz für die Nähe von Interlanguages zu den Kreolsprachen vorliegt. Charakteristisch für die Interimsprache ist auch die Übergeneralisierung des Auxiliars sein bei der Perfektbildung von gucken (ZB OO8/OO9): Die Elision /s/ am Anfang von ZB oor enthält ist , im Gegensatz dazu erfordert das Partizip geguckt das Auxiliar hat . Das Vorgangspassiv bei zurückgedrück verlangt das Auxiliar wurde (Präteritum), das Vorgangspassiv bei totgefahr verlangt worden (Plusquamperfekt, Konjunktiv). Die Partizipien sind unter dem Aspekt der Tempusorganisation unmarkiert gebraucht, drücken also übergeneralisiert verschiedene Tempusformen aus. Für Entwicklungen im Tempussystem der Lemersprache sprechen jedoch die gelegentlich auftretenden adäquaten Hilfsverbformen hat, ist und hätte, sowie das angemessene Auftreten rudimentärer aktivischer und passivischer

142

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

Konjunktivformen im richtigen Tempuszusammenhang (ZB O15/O16). Im Bereich der Pronomina finden sich nicht adäquate Tilgungen des Pronomens es in ZB oil daß zu xx + s + zunickgedrück und in ZB oil /O12 war e + totgefahr, die möglicherweise ihre Begründung finden im Problembereich grammatisches Geschlecht: das Mädchen, Pronomen es . Generell für Schwierigkeiten im Pronominalbereich stehen die Äußerungen: wenns nicht gemacht hätte = wenn er es nicht gemacht hätte s einfach auf die Straße gegang = es ist einfach auf die straße gegangen dann hat se (der Lehrer) gesagt = dann hat er gesagt wenn se + wenne + der mann - wenn er ihn nicht so rum + gefaßt * = es (= Mädchen) nicht so rum gefaßt dann war + e + war er tot = dann war es tot (gewesen). 2.1.2. SYNTAKTISCHE ANALYSE: SATZTYPEN, KONJUNKTIONEN

In der Äußerung ZB 021/022 dei autofahrer weiß jo nich ob du so dumm bisch •wird die Konjunktion ob anstelle der Konjunktion daß verwendet. Aynur will mit dieser Konstruktion mitteilen, daß der betreffende Fahrer nicht einkalkulieren konnte, daß dieses Mädchen ohne zu schauen über die Straße laufen wollte. Charakteristisch für beide Satztypen (ob-Satz bzw. daß-Satz) ist, daß sie ein Subjekt oder - wie hier - ein Objekt im Hauptsatz ersetzen können. Funktional fast identisch können sie dennoch nicht beliebig vertauscht werden, denn ob steht nach Ausdrücken der Frage, der Unsicherheit oder des Zweifels in der indirekten Entscheidungsfrage (vgl. HELBIG/BUSCHA "1984:463). Die Pointe liegt darin, daß der ob-Satz das Einkalkulieren des Fehlverhaltens durch den Fahrer beinhaltet, wohingegen hier jedoch verdeutlicht werden soll, daß er dies gerade nicht tut bzw. daß Kinder lernen sollen, daß sie sich darauf im Straßenverkehr nicht verlassen dürfen. Im eigentlichen Sinn soll vermittelt werden, daß beim Fahrer eben keine Unsicherheit vorliegt, deswegen fährt er weiter: er weiß ja nicht, daß du so dumm bist und einfach über die Straße läufst. Der Geltungsbereich dieser Regeln zu ob- und daß-Sätzen wurde demnach von der Lernerin noch nicht eingegrenzt. Weitere syntaktische Analysen erfolgen unter diskurspragmatischer Analyse, tabellarisch zusammengefaßt werden syntaktische Fertigkeiten in Kapitel 6. 2.1.3. DISKURSPRAGMATISCHE ANALYSE: DISKURSMODUS, STRUKTUR UND GRAMMATISCH-SYNTAKTISCHE FUNKTIONEN

Der gewählte narrative Diskuismodus zeigt charakteristische Merkmale einer komplementären Kommunikationssituation (Lernerin - Muttersprachlerin) mit Sprachnormaspekten: - Die temporale Struktur wird von der Sprecherin b (native speaker) als Grobmuster vorgegeben : ZB oos was hatten das gemach? das mädchen? ZB OO9 und dann xx xx dann passiert?

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

143

- Narrative Strukturmerkmale werden von b erfragt (LABOV/WALETZKY 1973): ZB oos Orientierung ZB 012 Evaluation/Koda ZB oo9 Handlungskomplikation ZB 019 'Schluß' der Geschichte - Die Lernerin a wählt zunächst elliptische Satztypen in Anknüpfung an die gestellten Fragen, nach dem generellen Muster der Konstruktionsübernahme in gesprochener Sprache: ZB 002 geles und ZB OO4 was mit dem mädchen xx xx die Straße gang ist . - Die Handlungskomplikation wird syntaktisch kodiert als Aktionskontinuum, gekennzeichnet durch Verbalgruppen , die aus Reihungen von Partizipien bestehen. Die Nominalglieder sind minimal gekennzeichnet ( mann, es , wenns), funktional gesehen für den Hörer verständlich, formal gesehen aber nicht zielsprachlich kodiert, z.B. die Tilgung des Personalpronomens bei war e + totgefahr. Durch die Reihung der Partizipien wird der Geschehensablauf als unverzüglich aufeinanderfolgende Tätigkeiten bzw. Ereignisse recht gut charakterisiert. - Narrative Strukturmerkmale werden anhand des vorgegebenen Fragemusters von der Lernerin aufgefüllt. - Das vorgegebene temporale Gerüst wird dabei genutzt, allerdings beherrscht die Lernerin partiell die Tempusmorphologie: ZB 010 Perfekt: hat ... hingeschick

ZB on Konditionalgefüge: gemacht hätte ZB 011 Konditionalgefüge: wäre totgefahr. Hier treten Probleme im Bereich Passivbildung auf, z.B. das Fehlen des geforderten Auxiliars: zurückgedrück und totgefahr. Auch kann als zentrales Interlanguagemerkmal festgehalten werden, daß Tempusformen einfach markiert (Partizipien), oder zweifach markiert (Auxiliar + Partizip) aber dennoch unvollständig (Aktiv/Passiv-Kennzeichnung), übergeneralisiert - aber in additiv-folgerichtiger Reihung - eine temporale Struktur aufbauen. Die Sprecherin beherrscht also bereits morphologische Kodierungsmittel (Partizip) zur Herstellung von Temporalität im Diskurs, die zwar unvollständig sind, aber auf einer höheren Entwicklungsstufe stehen, als der Gebrauch unmarkierter Stammformen des Verbs zum Ausdruck verschiedener Tempusformen (vgl. KUMPF 1983, FLASHNER 1983 und LYNCH 1983, zit. nach LONG/SATO 1984). Von einer Lernersprache im Anfangsstadium kann also nicht mehr gesprofy

2

EHLICH (1986:46f) unterscheidet in Abgrenzung von CLAHSEN, MEISEL, PIENEMANN (1983) die (a) nonverbale Kommunikationsstufe, (b) Rudimentärstufe, innerhalb derer formelhafte Versatzstücke und phatische Kommunikationselemente Verwendung finden, (c) Elementarstufe, in der der Lerner sich auf die fremde Sprache einläßt. Individuell ergeben sich in dieser Stufe differentiale Erwerbsverläufe (Differentialstufen), (d) entwickelte Fremdsprachenstufe, in der sich der Lerner angemessen verständigen kann, (e) "near-native"-Stufe, die Fremdsprache wird nahezu adäquat gesprochen, (f) Bilingualstufe, die Endstufe des Erwerbsprozesses. In Anwendung dieser Einteilung befindet sich Aynur in der Elementarstufe.

144

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

chen werden, obgleich sich auch hier sprachliche und diskurspragmatische Mittel feststellen lassen, die der Markierung von Nachzeitigkeit in AnfangsInterlanguages dienen (vgl. DITTMAR I98i): - Satzfolge (pNA-Struktur), - implizite Referenz im narrativen Kontext auf eigene vorhergehende Äußerungen ohne Tempusmarkierung und auf die Äußerungen des Gesprächspartners, die markiert waren, - Gerüstvorgabe durch den Gesprächspartner. Die Sprache selbst erscheint keinesfalls fossiliert, sondern ist ein Abbild der Entwicklung, die sich aktuell im Tempus- Modus-Genera-Bereich abspielt. - Weitere Satztypen außer den elliptischen Äußerungen sind ein Finalsatz: ZB Oll daß zu xx + s + xx + zurückgedrück und ein Konditionalsatz: ZB 012 wenns nich gemacht hätte war e ·*· totgefahr. Zunächst eine Verstehende' Paraphrase der ganzen Äußerungskette ZB oiO: " Dann hat der Mann sich zu dem Mädchen 'hingeschickt' (= hinbewegt?), hat es so geduckt, daß es zurückgedrückt wurde (= weg von der Fahrbahn?), wenn er das nicht gemacht hätte, wäre es totgefahren worden. " Offensichtlich interferieren in diesen Äußerungen sowohl funktionale als auch formale Markierungen von Tempus, Modus und Aktiv/Passiv, d.h. die morphologische Elaboration dieser Bereiche geht einher mit einer Entwicklung der Koordination/Subordination, die sich als Straffung der Syntax auswirkt, und einer starken hianspruchnahme kompensierend-pragmatischer Leistungen der Zuhörer. Andere Satztypen sind einfache Matrixsätze mit eingebetteten Zitaten. 2.2. BEISPIEL 2

Textband "Kindersprache" S. 68-70, ZB OO1-O41. Situationsbeschreibung: Die studentischen Betreuer sind mit dem Probanden allein in der Wohnung von Helga. Sie fordern Hasan auf, einen Film nachzuerzählen, den er vor zehn Tagen während einer Kinderbelustigung gesehen hat (vgl. Beispiel 3). Sprechersiglen: h = Hasan, 9 Jahre k = Klaus, dt. Betreuer l = Helga, hier ohne Sprecherbeiträge Kommentar: Der narrative Diskursmodus ist geprägt durch 'Elizitierverhalten' des Betreuers. 001 k Hasan jetzt erzähl du mir mal was du von dem film lucky hike 002 noch in erinnerung hast! "was issn da passiert? ist denn

003 h OO4·

hm — kann man das letzte sagen?

unbestimmt .

145

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

oos k ja was du was dir einfallt

OO6 h hm die haben gute nacht gesagt und der pferd hat xxx Uberlegt

oor

ge-

wiehert

macht ist vorher alles passiert?

OO8 k ja und was

010

und und dann L_ A hat uffgestehn nd da waren manner und da haben was gesagt +

Oll

+ und der hat ja gesagt der

OO9

h

aufgestanden

hm

we + häißt en der mann?

A;

Uberl.i

wie

heißt denn

012

k

lucky hike

013

h

lucky hike hat ja gesagt und dann jede mann geschrei ja: +

014

und da haben + waren die mä härm se wieder zurückgegangen ++ A

A; haben sie

ois

k

wer waren denn die ändern?

016

h

hm + die manner das die heu +++

017

k

was waren das für manner? +++ warn das gute manner oder böse

über/.

A; 3"

4"

018

manner?

019

h

böse

020

k

böse manner

021

h

was weißt de denn noch von dem film? hm best.

022

k

023

h

eh hast de noch irgendwas sonst

von dem"

A und

_ da waren fraue

und da haben getanzt in pferd + und warn + deletzt häuser kaputt

O24

zuletzt

025

k

hm +++ best.; 1

026

h

027

k lucky hike

028 h

wenn de lu lutschi lucky lucky luke ist er gekomme e er seh und dann harn ha warn warn A

029

A

die harn verlei kämpf gemacht da ha hat de lucky luft die un vielleicht

030

haben

A

Luke

die geschlagen und dann wollte de lucky luft schlage mit ge-

146

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

031

wehr und der hat dem lu lucky luft lucky luke mit seim gewehr

032

+ die andre mann eh sein gewehr kaputt geschießt hm

033

wollte ein mann dem lucky luke schlagen dann hat so rumgemach

O34-

hat den so geschießt hm

035

hand weh getan

A

dann

über/.

un da war sein hand +++ war seine

über/.

A; 4"

+

036

k

hm

037

h

und dann + und dann ist der + lucky lift heimgegangen

O3B

k

was is der gegangen?

039

h

heim

best.

040 k heim? 041 h nä zu schla schlafen gegangen 042

k

nein ja

A

2.2.1. ANALYSE GRAMMATISCHER UND DISKURSPRAGMATISCHER MITTEL

Hasan wählt zwei Tempusformen, um Vorzeitigkeit (Perfekt dysfunktional), Nachzeitigkeit (Präteritum - Perfekt) und Gleichzeitigkeit (Perfekt - Perfekt, PNA) auszudrücken, gleichzeitig bedient er sich des durch den Sprecher k vorgegebenen temporalen Gerüsts: Orientierungsphase (diskursstrukturell gesehen handelt es sich hierbei um den Schluß der Nacherzählung): die haben gute nacht gesagt und der pferd hat xx gemacht: Zeitform Perfekt. Der Hörer verlangt im Anschluß daran von Hasan eine Retrospektive: ja und was ist vorher alles passiert? : Zeitform Perfekt + Adverb, Funktion: Frage nach vorzeitigen Ereignissen, aber auch Einforderung notwendiger Erzählbestandteile (Situierung). Hasan antwortet: und dann hat uffgestehn: Zeitform Perfekt + Nachzeitigkeitsmarkierung 'und dann', mit der grammatischen Funktion der Kennzeichnung nachzeitiger Ereignisse, aber mit folgender diskurspragmatischen Funktion: Die Markierung 'und dann' wird zur temporalen Einbettung vorzeitiger Ereignisse überstrapaziert, weil sonst keine sprachliche Form in Hasans Interlanguage zu Verfügung steht, mit der er an den Beginn der Geschichte anknüpfen könnte (z.B. 'früher', 'zuvor', 'anfangs', 'am Tag zuvor', 'zu Beginn der Geschichte' etc..), bzw. weil Hasan eben nur durch einfaches Einhalten der Erzählreihenfolge in der Lage ist zu erzählen. Die im Diskursverlauf im Anschluß erzählte Handlung

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

147

liegt zeitlich gesehen nicht nach dem morgendlichen Aufstehen des Helden, sondern einen Tag früher. Hasan versucht hier, eine Lösung für das selbstgeschaffene 'Zeitparadoxon' (Erzählung des Endes einer Geschichte vor allen anderen Strukturmerkmalen) zu finden, die gleichzeitig dem Zuhörer einen sinnvollen Orientierungsrahmen liefert. Er bemüht sich also um eine Ordnung der narrativen Diskursstruktur mithilfe temporaler Kodierungsmittel, die aus grammatischer und sprachlogischer Perspektive zwar nicht regelgemäß gebraucht, aber kreativ-interaktionell funktional eingesetzt sind. Diese Argumentation wird insofern gestützt, als daß Hasan sich genau so gut auf die vorgegebene temporale Struktur in der Frage von Sprecher k hätte beziehen bzw. verlassen können, ja und was ist vorher alles passiert? und ohne Einbettung fortgefahren wäre. Die folgenden Ereignisse werden im Perfekt erzählt, dabei werden Handlungs- und Geschehensabläufe temporal als gleichzeitig: und da waren manner und da haben was gesagt nachzeitig (PNA):

und der hat ja gesagt und dann jede mann geschrei und warn deletzt häuser kaputt und vorzeitig: und dann hat uffgestehn kiert.

(siehe oben) mit Perfektformen mar-

Der Wechsel von Präteritum zu Perfekt kennzeichnet verbundene, vorzeitig nachzeitig ablaufende Handlungsstränge: und dann wollte de lucky luft schlage mit gewehr und der hat ... kaputt geschießt und dann wollte ein mann dem lucky luke schlagen dann hat so rumgemach hat den so geschie . Die Verbmorphologie ist vergleichbar lückenhaft zu der Aynurs. Hierfür stehen die Formen (fehlende Elemente in eckigen, adäquate Formen in runden Klammern): und dann hat (istitert äuffgestehn und da haben [die männerJ was gesagt und dann [hat] jede mann geschrei (geschrieen) und d haben + waren die mä + harn (sind) se wieder zurückgegangen und da haben [sie] getanzt und da war sein hand + + * da war (hat) seine hand wehgetan . Die Subjekte sind oft getilgt, die Partizipien sind meist vollständig, fehlerhaft sind die finiten Verbformen. Wie bei Aynur ist jedoch bereits ein morphologisches Tempussystem vorhanden bzw. befindet sich im Aufbau. Die sprachlichen Kodierungsmittel tragen bereits umfassend zur Markierung von Temporalität bei, obgleich sich der Lerner bei dysfunktionalem Einsatz von

148

G. Antos, "Ich

kann ja Deutsch!"

Formen immer noch sehr stark auf Zuhörerleistungen verläßt. Im Pronominalbereich (und Aitikelwörter) sind typische Eigenheiten der Interimsprache feststellbar: die haben gute nacht gesagt und der pferd hat xx gemacht. Die Pro-Form steht stellvertretend für den Handlungsträger der Erzählung, Lucky Luke, und für den Sprecher aus dem Off3, die im Film selbst einen abschließenden 'Kurzdialog' führten. Beide sind nicht explizit eingeführt oder vorerwähnt, sondern nur denen bekannt, die den Film gesehen haben. Zu diesen gehört Sprecher k. Der Grund für die Verwendung der Pro-Form wird in ZB Oil we hä£t en der mann und 012 lucky luke klar: Hasan hatte den Namen vergessen. In der zusammenhängenden Passage ZB 028-035 werden Hasans Probleme im Bereich Referenz besonders deutlich: Hasan: lucky luke ist er gekomme e er seh und dann harn da warn warn di harn verlei kämpf gemacht

'Intentionszuschreibung': als dann lucky luke kam haben sie vielleicht gekämpft

da ha hat de lucky luft die und die geschlagen

da hat lucky luke alle geschlagen

und dann -wollte de lucky luft schlage mit gewehr

schließlich wollte einer lucky luke mit dem gewehr schlagen

und der hat dem lu lucky luft lucky luke mit seim gewehr die andre mann eh sein gewehr kaputt geschießt Unverbundene parataktische Reihung Paraphrasierungen: die und die kämpf gemacht und dann wollte de Tilgungen: Zusatz: die andre mann

jedoch hat dem dann lucky luke das gewehr kaputt geschossen

Äußerungsanzahl: 7 Wörter: 58

Verbundene hypotaktische Kette für: alle für:

gekämpft

fehlt: einer für: Pro-Form dem bzw. doch dessen Gewehr hat dann Lucky L. Äußerungsanzahl: 5 Wörter: 34

Diese Gegenüberstellung ist natürlich sehr von Interpretation geprägt und von daher angreifbar. Die Intentionszuschreibung rekonstruiert die von überdehnten Tilgungen und überdehnten Paraphrasen geprägten lernersprachlichen Äußerungen unter sprachökonomischen Aspekten. Der Lerner steht im Spannungsfeld der GRlCEschen Konversationsmaximen (l%8:45ff.) zwischen den Bereichen 'quantity: give the right amount of information. 1. Make your Filmtechnisch gesehen ist ein Off-Sprecher eine im Film selbst nicht auftretende Figur, die eine Art 'Erzählmonolog' spricht.

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

149

contribution as informative as is required. 2. Do not make contribution more infomative as is required' und 'manner: be perspicious. 1. Avoid obscurity of expression.', also im Grunde zwischen den Zwängen zur informativen, aber vor allem auch ökonomischen und klaren Darstellungsweise. Die fehlenden sprachlichen Mittel, der Mangel im Bereich Referenz, führen zu ambigen Paraphrasen, die die zu übermittelnde Information sprachökonomisch nicht adäquat transportieren, bzw. zu tnfoimationstilgungen, die den Zuhörer zu intensiven kognitiven Ergänzungsleistungen veranlassen. Die vorgenommene syntaktische Straffung in der 'Intentionszuschreibung' - mit Konjunktionen, Pro-Formen und Partizipien - führt zu einer Redereduktion ohne Informationsverlust (Ersparnis ca. 40%). Eine Untersuchung der bloßen grammatischen Formen hätte hier nur fehlerhaften Gebrauch konstatieren können. Dieser Lemer befindet sich ebenfalls in der Elementarstufe, m.E. steht er geradezu beispielhaft für den, der es wagt, "die fremde Sprache ein Stück weit auch als sein eigenes Handlungsmittel einzusetzen" (Ehlich a.a.O. S. 46). 2.3. BEWERTUNG DER ANALYSEMODI

Die Funktions-Form-Analyse ist also sehr produktiv, wenn diskurspragmatische Eigenschaften von Lemersprachen untersucht werden, aber dennoch begrenzt, wenn sie ohne komplementäre Form-Funktions-Analysen durchgeführt wird (vgl. LONG/SATO 1984). Bei der Untersuchung der Ontogenese von Begründungshandlungen (ANTOS 1985) wurde deutlich, daß der Entstehungsbereich dieser Handlungen in Distanz zur syntaktisch-grammatischen Perspektive Form - z.B. Konnektoren - beurteilt werden muß, Begründungen sind funktional zu untersuchen. So gibt es im Vergleich zur Temporalität auch hier ein Satzfolgeprinzip oder ein Prinzip der kausalen Abfolge, wenn ein Satz l unverbunden zu Satz 2 den Grund für Satz 2 angibt. Schließlich erfolgt auch hier oft eine Gerüstvorgabe durch den Gesprächspartner, etwa eine Warum-Frage, und man kann ebenfalls von impliziter kausaler Referenz sprechen, wenn sich ein Sprecher auf vorhergehende Äußerungen bezieht. Eine funktionale Perspektive erlaubt aber dann auch eine detaillierte Betrachtung von Modalpartikeln ( doch, ja und abei) und ihrer Vorreiterrolle bei der Entstehung von markierten Begründungen. Am Ende der Interlanguage-Entwicklung steht der Gebrauch und die adäquate Verwendung von Konjunktionen, feststellbar wird im Zweitspracherwerb eine fortlaufende Veränderung von Koordination/Subordination, welche die bereits erwähnte syntaktische Straffung durch sprachliche Kodierungsmittel bewirkt. Die Funktions-Form-Analyse hat also den Vorteil, daß sprachliche Vorformen mit ihren kommunikativen Bedeutungen beschreibbar werden. Komplementiert wird dieses Instrument durch die Form-Funktions-Analyse, die die Entwicklung einzelner Formen in Bezug zu ihren Funktionen berücksichtigt (vgl. zu Modalpartikeln KUTSCH 1985). Nach GIVON (1979) steht hierbei die Frage im Mittelpunkt, wann bestimmte Funktionen, die bis zu einem gewissen

150

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

Zeitpunkt in der Interlanguage durch diskurspragmatische Strategien ausgedrückt wurden, lexikalisiert oder grammatikalisiert werden. D.h. wann lassen sich sprachliche Oberflächenformen auffinden, die diese Funktionen erfüllen, bzw. welche Funktionen erfüllen auftretende Formen primär, welche kommen später hinzu und wodurch geschieht eine solche Funktionsauffaltung. Dieser Problemkreis führt zu der Frage, auf welchen sprachlichen Ebenen die Interlanguage-Entwicklung angemessen beschrieben werden kann. Hierzu hat GIVON (1979) einige Hinweise gegeben. 3. SPRACHLICHE EBENEN DER BESCHREIBUNG VON INTERIMSPRACHEN

Sprachliche Kodierungsmöglichkeiten, wie Wortstellung, Intonation und Morphologie tragen unterschiedlich viel zur Markierung funktionaler Bereiche bei. Diese funktionalen Bereiche sind z.B. Temporalität oder die Kontinuität thematischer Passagen in Gesprächen. Die Kodierungsmöglichkeiten selbst unterliegen dabei einer Arbeitsteilung, die abhängig ist vom Entwicklungsstadium, welches eine Interlanguage gerade erreicht hat. Deshalb müssen Sprachmittel auf mehr als einer sprachlichen Ebene gleichzeitig auf ihre Funktionen hin untersucht werden. GIVON (1979) schlägt zwei Modi vor, die sich nicht ohne weiteres der FormFunktions-Dichotomie zuordnen lassen: (1)

Prä-syntaktischer Modus4 a. Parataktische Konstruktion diachronisch früher b. die frühe Kindersprache c. Pidginsprachen d. informelles Register

Syntaktischer Modus Syntaktische (hypotaktische) Konstruktionen diachronisch später die spätere Erwachsenensprache Creolesprachen formales (Schriftsprach-) Register

Der Prä-syntaktische Erwerbsmodus wäre demnach jener, indem sich die kompensierenden Zuhörerleistungen am stärksten auswirken, im syntaktischen Modus träten sie dann immer mehr in den Hintergrund. Die dargestellten Beziehungen (a,b,c) sind ontogenetische Relationen, (d) bezeichnet GIVON (1984:110) als eine synchronische Varietät innerhalb der kommunikativen Kompetenz von Erwachsenen, von der er annimmt, daß sie aus Überbleibseln von Kommunikationsmodi der frühen Kindheit hervorgeht. Schließlich bietet er ein differenziertes Modell einer Funktions-Form-Dichotomie, welches den Hörer allerdings nicht in den pragmatischen Aspekt miteinbezieht: (2)

Prä-syntaktischer Modus a. Thema-Rhema-Struktur b. unverbundene Koordination c. langsame Äußerungsweise d. Pragmatik dominiert Wortstellung

Syntaktischer Modus Subjekt-Prädikat-Struktur verbundene Subordination schnelle Äußerungsweise Semantik dominiert Wortstellung

Zuvor benannte GIVON (1979) diesen Modus als pragmatischen Modus, änderte dies jedoch in GIVON 1984:110.

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

e. niedrige Nomen/Verb-Ratio in Sätzen £ eingeschränkt Verfügung über grammatische Morphologie

151

hohe Nömen/Verb-Ratio in Sätzen ausgedehnt Verfügung über die grammatische Morphologie

GIVON hat diese Kodierungsmittel für Zweitspracherwerbsuntersuchungen selbst benutzt (GIVON 1984), ich will jedoch ihren Bezug zu pragmatischen Analysen noch verdeutlichen. Thema-Rhema-Strukturen betreffen vor allem den Bereich referentieller Kodierung, wobei etwa durch Linksverschiebung (-herausstellung) Pro-Formen bzw. Subjekte herausgestellt werden, auf die in Folgeäußerungen mehrfach referiert wird (z.B. Aynur in 3.2.2 der junge ). Dabei soll festgestellt werden, daß diese pragmatische Funktion des Referierens auch noch bei fortgeschrittenen Lernern Verwendung findet und von daher nicht eindeutig einem präsyntaktischen Modus zugeordnet werden kann. Anders sind die Bereiche Koordination, Nomen/Verb-Ratio, Wortstellung und grammatische Morphologie zu beurteilen, die nicht nur grammatischen, sondern auch lexikalischen Gesetzmäßigkeiten zu folgen haben. Hier ist interessant, wie der Lerner im Bereich der - auch noch nicht realisierten - Formen grammatische Regeln funktional umgeht oder durch Ersatzstrategien verwirklicht. Der Unterpunkt 'langsame Äußerungsweise' erscheint mir für Untersuchungen zwar plausibel, andererseits so vage formuliert auch in Bezug auf den Geltungs- und Anwendungsbereich, daß ich ihn nur marginal beachten kann. An Beispielen aus dem Datenmaterial will ich die Modi charakterisieren. 3.1. PRÄ-SYNTAKTISCHER MODUS 3.1.1. BEISPIEL 3

Band 8O, Seite l, Zeilenblock O8O-1O8

Situationsbeschreibung: Die Aufnahme entstand während einer Kinderbelustigung, dort wurde den Kindern ein Teil eines Zeichentrickfilms (Lucky Luke) vorgeführt (vgl. Beispiel 2 von Hasan). Sprechersiglen: t = Talat, türkischer Junge, 11 Jahre alt s = Stefan, dt. Betreuer Kommentar: Talat erzählt nach Aufforderung. Der Inhalt des Films ist in etwa (vgl. MÜLLER 1985): Ein Wagentreck zieht durch den "Wilden Westen". Der Führer des Trecks findet in der Prärie eine einzelne schöne Blume. Dies ist das Zeichen zum Bau einer Stadt, die in Windeseile errichtet wird (Fertigbauweise). Nachdem sich das Leben "normalisiert" hat, wird auch ein Salon errichtet, der natürlich auch "Gesindel" anzieht. Bald wird die Stadt durch dieses Gesindel terrorisiert. Wer wird die Stadt säubern und für Recht und Ordnung sorgen? Lucky Luke! Die Wiedergabe der Sprachaufnahme erfolgt aus Gründen der Platzerspamis zweispaltig, diese sind entsprechend der Nummerierung von oben nach unten zu lesen.

152

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

080 t

mh + da war so ein treck + die wollten eine Stadt baun +

Friseur

bestätigend

O9S

S

kam sie imdwohin wo eine blume war +

O96 t

mhm bestätigend escherkonze ?? mhm + weiter + und dann? mh * dann war die Stadt

mhm

082

t

084 t

bestätigen d t

s

S

ja

094

081

083

O93 s

j:ja bestätigend

O97

S

do wollten sie eine stadt baun

O98

t

099

S

085 s mhm bestätigend

086

t

im wilden westen

087

s ahm

bestätigend

100

t

n da harn sie es gebaut + von 101 teil eh von teile von häusem + emh 102

s

erstaunt:

088 t

mhm

best.

t

und die kamen do hin un + härm + + mh + +

S

mh?

Im Film wird die Stadt mit Fertigteilen gebaut 1O3

089

s ja + teile von häusem

090

t

091

s mhm

092

t

un es locktä + viele Verbrecher gang un so sä + mhm

auffordernd 1O4.

t

105

S

der hann die: manner dort verprügelt un erschoß mhm

106

t

han unruh gestiftet..

sä + lo:n + deutsche Aussprache bestätigend

best.

moment noch + hotel

3.1.2. THEMA-RHEMA, REFERENTIELLE DISTANZ UND POTENTIELLE MEHRDEUTIGKEIT

Zunächst knüpft Talat an einen Wissensrahmen an, der beim Hörer tatsächlich nicht vorhanden ist, denn dieser hat den Zeichentrickfilm nicht mitverfolgt und kennt ihn nicht. Es wäre zunächst notwendig, daß Talat erklärt, worum es sich handelt und wo sich das Ganze abspielt. Dies erfolgt erst wesentlich später in ZB O86 im wilden westen. Die Thema-Rhema-Struktur kann charakterisiert werden: Thematisch:

Rhematisch: (D da war so ein treck (2) die wollten eine Stadt baun

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

Thematisch:

153

Rhematisch: (3) kam sie imdwohin wo eine blume war (4) da wollten sie eine Stadt baun (5) im wilden westen

Unter dem Aspekt der Neuheit (HEBDOLPH u.a. 1981) ist (D auch rhematisch, (4) ist sowohl thematisch in Relation zu (2), aber auch rhematisch zu (3), da hier eine neue "lokale" Information eingeführt wird. (St müßte aufgrund seiner thematischen und rhematischen Struktur vor (1) stehen. GIVON (1984:111) mißt nun thematische Kontinuität u.a. anhand folgendem Distanzmaß: Referentielle Distanz zur linken Nominalphrase: Die Entfernung von der ersten Erwähnung einer thematischen NP und dem letzten Satz, wo derselbe Referent ein semantischer Gegenstand innerhalb des Satzes war, in Form der Anzahl von Sätzen. Dieses Maß erscheint mir nicht zuletzt aufgrund des zweifelhaften quantitativen Vergleichswerts Satz - unbrauchbar, mindestens die Satzlänge sollte mitbeachtet werden. Es bleibt daher folgenlos für weitere Analysen. Potentielle Mehrdeutigkeit: Die Anzahl anderer Referenten innerhalb der unmittelbaren Umgebung, die durch die Form ihrer semantisch/syntaktischen Restriktionen in Konkurrenz treten könnten, im Hinblick auf referentielle Identifikation mit dem in Frage kommenden Thema. GIVON weist darauf hin, daß der Hörer um so größere Schwierigkeiten bei der Identifikation hat, je weiter die Lücke zwischen erstmaligem und nächstmaligem Erscheinen des thematischen Referendums im Diskursverlauf ist. Gleichzeitig -wird die Identifikation um so eher erschwert, je mehr konkurrierende thematische Referenten innerhalb der unmittelbaren diskursiven Umgebung auftreten. Im Beispiel oben treten keine konkurrierenden Formen auf, trotzdem tauchen Referenzprobleme auf, die sich auf die thematische Kontinuität auswirken: die wollten eine Stadt baun und kam sie imdwohin wo eine blume war. Als vorerwähnt kann treck gelten, auf dieses Nomen kann jedoch nicht ohne weiteres mit die referiert werden. Talat organisiert die Referenz hier mit diskurspragmatischen Mitteln, indem er unterstellt, daß der Hörer seinem Wissensrahmen die nötigen Informationen entnimmt: gemeint sind die Teilnehmer des Trecks, Frauen, Männer, Kinder, Tiere usw. (vgl. hierzu die Verwendung der Pro-Form die durch Hasan im Beispiel 2). Syntaktisch nicht erforderlich, dennoch informativer wäre hier eine Apposition oder eine Nominalphrase mit der entsprechenden Information. In der nächsten Äußerung wird die anaphorische Pro-Form die, die eigentlich gar keine Antezendenz-Konstituente zumindest nicht syntaktisch - hat, zu der Referenzidentität herstellbar wäre, nicht weiter benutzt, sondern durch sie ersetzt: kam sie imdwohin wo eine blume war.

154

G. An tos, "Ich kann ja Deutsch!"

Durch nicht ausreichende morphologische Kennzeichnung des Verbs kam (statt kamen) ensteht hier potentielle Mehrdeutigkeit im Sinne GIVONS: Wenn die Pro-Form die in der vorhergehenden Äußerung durch den Hörer "aufgefüllt" werden mußte, so gilt dies in gleichem Maße für die Pro-Form sie, wobei aber die Verbmorphologie ein Indiz dafür sein müßte, das der Referent nicht mehr identisch ist. Der Hörer kann also annehmen, daß mit sie jetzt die 3. Person Singular gemeint ist, also eine weibliche Person. Die folgende Äußerung kann aber als Korrektur betrachtet werden: do wollten sie eine Stadt bann. Die syntaktische Analyse deckt hier Lücken hinsichtlich eindeutiger Pronominalisierungen auf, die im diskurspragmatischen Sinn in der abgebildeten Gesprächssituation zu keinerlei Verständigungsproblemen führen, denn die Sprecher beziehen gemeinsames Wissen und geteiltes Wissen (HABERLAND 1985:93) in die Rezeption ein.CTVON(1984) vernachlässigt m.E. völlig die Bedeutung sowohl gemeinsam geteilten kulturellen Wissens, als auch in der Kommunikationssituation gemeinsam aufgebauten Wissens. Im Hinblick auf Bekanntheit oder Vorerwähntheit sind diese Wissensbereiche in die Analyse einzubeziehen. Aus der gemeinsamen Interaktionsgeschichte (vgl. Situationsbeschreibung) ergibt sich die Möglichkeit, daß Talat davon ausgeht, die Ausgangssituation des Films sei dem Zuhörer bekannt, es läge also gewissennassen eine außersprachliche Referenzidentität vor. Tatsächlich ist dem Hörer die Ausgangssituation jedoch nicht bekannt. Talat schließt seine Äußerungskette mit einer rechtsherausgestellten Präpositionalgruppe, die diskursstrukturell und syntaktisch gesehen an den Anfang der Äußerung gehört (Orientierung): im 'wilden westen. Daß die beschriebenen Probleme im Diskursbeispiel nicht thematisiert werden, ist die Folge hoher Hörertoleranz. Der Hörer orientiert sich innerhalb seines eigenen Wissensrahmens und füllt informatorische Lücken nachträglich auf und verfolgt eine gewisse Abwartestrategie. Der Sprecher hingegen hat seinerseits ein Wissen um syntaktische Regeln, hier anaphorische Pro-Formen, übersieht jedoch den Geltungsbereich von Antezendenzen und beherrscht die Verbmorphologie nicht in allen Fällen. Deutlich wird jedoch auch an diesem Beispiel, daß fehlerhafte Formen, syntaktisch übergeneralisiert gebraucht, in einem diskurspragmatischen Sinn zu erfolgreicher Kommunikation führen. Talats Interlanguage weist folgende Charakteristika auf: Prä-syntaktischer Modus a. Thema-Rhema-Struktur b. häufig unverbundene, parataktische Satztypen, keine Subordination, aufzählende Reihung nominaler Glieder (salon, hotel, friseur... ),

Syntaktischer Modus

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

Prä-syntaktischer Modus

155

Syntaktischer Modus

c. langsame Äußerungsweise d. Wortstellung gleichermaßen dominiert von Pragmatik und Semantik e. niedrige Nomen/Verb-Ratio in Sätzen f. Schwächen im Bereich Morphologie Nach diesem Schema befände sich der Lerner in einer Übergangsphase vom prä-syntaktischen zum syntaktischen Modus. Zum Zeitpunkt der Aufnahme ist er seit sieben Jahren in Deutschland. Seine Schwester Aynur ist, obgleich ebenso lange hier, viel weiter fortgeschritten. 3.2. SYNTAKTISCHER MODUS 3.2.1. BEISPIEL 4

Textband "Kindersprache" S. 37-38, ZB 020 - O47 (Unterschiede in der Zeilenblocknummerierung ergeben sich aus geringerer Zeilenbreite hier im Vergleich zum Textband) Situationsbeschreibung: Die Aufnahme entstand in Abwesenheit der Eltern in der Wohnung, der Vater arbeitet und die Mutter ist zum Einholen. Die Betreuer und die Kinder sitzen im Wohnraum, Aynur vertieft sich in ein Buch, welches ihr Bruder in der Schulbücherei ausgeliehen hat. Als ältestes anwesendes Kind trägt sie die Verantwortung für ihre Geschwister Fatma und Hussein und für die Bewirtung der Gäste. Da sie dieses Buch zu lesen beginnt, verstößt sie gegen ihre 'gesellschaftlichen Pflichten*. Sprechersiglen: a = Aynur, 11 Jahre; i = Ikbal, türkische Studentin; s = Stefan, dt. Betreuer; Kommentar: Nach einer längeren Pause (5 Sekunden) fragt Ikbal: 020

i

he: + liest man bücher wenn man besuch hat? zu Aynur

021 a e e verneint

022

s

was lieschten für märchen? zu Aynur: was liest du denn für ein

023

a

eh

024

S

zögernd, überlegt hm? fragend auffordernd

025 a xxx

eh + die künstliche orgel ich bin jetzt seite acht + + +

leise

026 027

s die künstliche orgel? a heino im sumpf + +

3"

156

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!'

028

i

heino im sumpf + + kennst du das? + +

029

a eh da ist ein mädchen und ein junge der junge

leise

3"

worum gehtsen da?

schaut s an

zu a

der ist ein

030 031

prinz der geht jeden tag in den wald sein vater denkt er geht jagen und eh er bringt nie was Zuhause ein wild nach hause

032

nämlich der vater denkt

033

ein sehr guter mensch +

034 i

hm

eh

er verschenkt die wieder er war

bestätigend

035

a aber er geht in den wald do ist ein mädchen es heißt blauäug-

036

lein + ehm geht immer zu diesem sein haus +

037

i

ach so + und dann?

038

a und dann hat es sein vater erfahren war sehr böse auf ihn

039

hat äh zwei jägerknechte geschickt daß sie + den mä das mäd-

040

chen töten dann sind sie dort angekommen hat der eh prinz

041

an sein vater ein dings geschrieben ein brief

042

i

mhm

043

a hat es mit dem boten geschickt da hat dringestanden eh wenn

bestätigend

044

sie irgendeiner das mädchen zuleide tut dann + ziehen sie

045

ihm das haupt herunter

046

s

uhu: + gruselich

047

i

jo:

gruselig

048 a

auch wenn es sein eigner vater war hat er gesagt

Kommentar: Bis zu dieser Stelle im Märchen ist Aynur beim Lesen vorgedrungen, im weiteren Transkripttext wird über das Buch selbst gesprochen. 3.2.2. REFERENTIELLE DISTANZ UND THEMA-RHEMA-STRUKTUR

Der narrative Diskursmodus wird durch eine Frage eröffnet, die Abstrakt und Orientierung thematisiert, ZB 028 worum gehtsen da? Aynur geht auf Modus und Frage direkt ein und strukturiert zunächst nach Thema-Rhema: thematisch: rhematisch: (D eh da ist ein mädchen und ein junge (2) der junge

157

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

(3) (der)5 ist ein prinz

(4) (sein) vater denkt (5)

(er) geht jagen

(6)

(er) bringt nie was zuhause eh wild nach hause

und äh

nämlich (7) der vater denkt (8)

(er) veischenkt (die) wieder (9) (er) war ein sehr guter mensch Die referentielle Distanz des Personalpronomens er zwischen der thematischen Äußerung (2) der junge und (6) er bringt nie was zuhause eh wild nach hause ist - nach GIVONS Modell - bereits überdehnt, zwischen (2) und (9) ist der Abstand noch größer. Durch das Auftreten eines konkurrierenden Referenten, vater in (4) und (7), in unmittelbar folgender Diskursumgebung entsteht potentielle Mehrdeutigkeit der rhematischen Sätze (GIVON 1984). Das Personalpronomen er kann sowohl den jungen Prinzen als auch den Vater meinen. Die Zuhörer problematisieren diese Mehrdeutigkeit nicht, dJh. sie ist nicht so stark, wie beispielsweise GIVON annimmt. Gerade die topikalisierte, thematische Herausstellung (2) der junge hat die Funktion eines übergeordneten Bezugspunktes für die nachfolgenden Äußerungen, die sich alle in Relation zum kommunikativen Topic befinden. Hinzu kommt, daß mit er nie auf den Vater referiert wird, sondern dieser wird stets direkt benannt (4 und 7). Die Sprecherin löst also das Problem der eindeutigen Referenz mit folgenden diskurspragmatischen Strategien: (D Thema-Rhema-Struktur. (2) Topikalisierung eines übergeordneten Bezugspunktes, hier des Subjekts mehrerer Thematischer Äußerungen. (3) Eindeutige Referenz des Personalpronomens auf das thematische Subjekt. (4) Vermeidung potentieller Mehrdeutigkeit durch Vermeidung weiterer ProFormen. Alle Argumente sprechen dagegen, den Sprachmodus dieser Probandin als prä-syntaktisch zu bezeichnen, so auch die folgenden Beispiele:

nämlich der vater denkt eh er veischenkt die wieder er war ein sehr guter mensch ·*· ... aber er geht in den wald do ist ein mädchen ... und dann hat es sein vater erfahren war sehr böse auf ihn hat eh zwei jägerknechte geschickt daß sie den mä * das mädchen töten + die zeigen, daß Aynur bereits in der Lage ist, verbundene Subordinationen Elemente in runden Klammem haben auch thematischen Charakter.

158

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

(nämlich anstatt weil, daß) und verbundene Koordinationen (aber, und) zwischen Äußerungen zu erstellen. Die Wortstellung folgt längst nicht mehr pragmatischen Grundsätzen, die grammatische Morphologie kann als beherrscht gelten. Trotzdem weist die Lernersprache noch kleinere funktionale Eigenheiten auf, die EHUCCH (1986:49) als die bereits erwähnten Xenismen6 beschrieb: ZB O32 er verschenkt die wieder - gemeint ist das erjagte Wild, ZB O36 geht immer zu diesem seinhaus - geht immer zu dessen Haus, ZB O43 hat es mit dem boten geschickt - einen Brief, Bote ist nicht vorerwähnt, ZB O46 wenn sie irgendeiner das mädchen zuleide tut dann + - jdm. etwas zuleide tun, hier die Dekomposition einer idiomatischen Wendung. Im Vergleich zu den Sprachdaten von 1980 (Beispiel D wird der von EHLJCH (a.a.O. S.47) beschriebene Abbau der Fremdheitsmerkmale in Aynurs Zweitsprache besonders deutlich. Die Sprecherin kann - unter Bezug auf das obige Beispiel - auf der "near-native"-Stufe eingeordnet werden. Die noch auftretenden Xenismen haben offenbar genau den interaktiven Status, wie ihn EHLJCH beschreibt. Die anfanglichen Schwierigkeiten der Lernerin Aynur im Pronominalbereich sind nicht mehr so groß. Hatte sie in Beispiel l (vor drei Jahren) noch Schwierigkeiten mit dem Genus von Mädchen und dem passenden Personalpronomen, so können diese in Beispiel 3 als überwunden gelten. Als Beweis ZB O35/O36 do ist ein mädchen es heißt blauäuglein, und die deutliche Selbstkorrektur: ZB 039 den mä ABBRUCH das mädchen. Nur hat sich jetzt die gleiche Problemstellung auf das adjektivische Possessivpronomen dessen und auf Artikelwörter verlagert. Unter diskurspragmatischen Gesichtspunkten ist aber klar, daß die Lernerin genau weiß, wann und wo ein Artikelwort oder ein Pronomen stehen muß. Sie setzt eine fehlerhafte Form an die funktional regelgerechte Position und vertraut auf die entsprechende 'interne' Korrekturleistung der Zuhörer. Im Zeitraum des 1. Beispiels befand sich die Probandin eindeutig im präsyntaktischen Erwerbsmodus, ihre Äußerungsweise damals war geprägt von vorsichtiger, langsamer Formulierung, unverbundener parataktischer Reihung, "Xenismen sind solche sprachlichen Produktionen, die sich außerhalb des sprachlichen Systems bewegen, aber in sprachliche Realisierungen eben dieses Systems eingebettet sind. Sie können alle Teildisziplinen des Systems, die phonologische, morphologische, lexikalische, idiomatische, syntaktische, pragmatische, betreffen. Xenismen sind in extremem Maß auffallig, sie sind salient, springen ins Auge bzw. ins Ohr. Sie steilen die Gemeinsamkeit der Kommunikation in Frage, weisen den Sprecher als Nicht-Mitglied aus und können zu einer kommunikativen Verunsicherung fuhren." (EHLICH 1986:50)

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

159

häufigen Problemen mit Pronomen und Verbmorphologie. Von Entwicklungen im Bereich Tempus-Modus- Aktiv/Passiv sprachen die zum Teil adäquaten zum Teil fehlerhaften Partizipbildungen bzw. Auxiliartilgungen. In Beispiel 4 sind alle Tempora regelgemäß, ebenso die Modi, interessanterweise beginnt Aynur eine Erzählung im historischen Präsens (ZB 027-034). Die Analyse von Syntax, Wortstellung, Morphologie und Satzverknüpfung spricht für eine Einordnung der Lernersprache in den Bereich des syntaktischen Modus. Auffällig ist, daß sich ihre Varietät aussprachebezogen immer mehr der Standardsprache nähert, wohingegen früher eine Dialekt-Standard-Mischform feststellbar war. Wenn hier soziolinguistische Erwerbskriterien angelegt werden, eröffnen sich zwei Problemkreise: (D Die Zielvarietät, bzw. der die Lemerin umgebende Input ist nicht die deutsche Standardsprache, sondern eine lokale Variante des saarländischen Dialekts. Allgemein sprachlich beurteilt, ist der Erwerb der Standardvarietät zwar erwünscht und darüberhinaus von großem Vorteil für den späteren Bildungsweg, auf der anderen Seite muß die Lemerin jedoch grundsätzlich befähigt sein, die Varietät ihrer lokalen Umgebung zu wählen und angemessen zu sprechen. Die Fähigkeit zu dieser Art von Kodewechsel ist Bestandteil der zu erwerbenden Sprachfertigkeit (vgl. ORLOVIC-SCHWARZWALD/SCMIDT 1986). (2) Im Vergleich zu ihrem Bruder Talat ist Aynur die fortgeschrittenere Lemerin, obwohl kulturelle Bedingungen ihre soziologische Erwerbssituation viel stärker einschränken: Als türkisches Mädchen hat sie innerhalb des Haushalts einen sehr großen Aufgabenbereich, sie hilft der Mutter und darf als pubertierendes Mädchen die Wohnung nur selten verlassen, wohingegen der Bruder sehr viel Freizeit hat und diese außerhalb des Hauses verbringen kann. Aynurs Sprachkontakte sind also auf die deutsche und die türkische Schule beschränkt. 4. EXKURS: SOZIOLOGISCHE ZWEITSPRACHERWERBS

UND

PSYCHOLOGISCHE

FAKTOREN DES

Die oben beschriebenen Problemkreise können in Zusammenhang mit den Faktoren gesehen werden, die KLEIN (1984:44) mit Veranlassung, die Sprache zu lernen, bezeichnet: den sogenannten Antriebsfaktoren. "Unter Antrieb verstehen wir die Gesamtheit aller Faktoren, die den Lerner dazu führen, seine Sprachlemfähigkeit auf eine bestimmte Sprache anzuwenden." (KLEIN, a.a.O.45f.) Er ordnet die einzelnen Faktoren zu vier Gruppen: (D Soziale Integration (3) Einstellungen (2) Kommunikative Bedürfnisse (4) Erziehung Der Faktor soziale Integration spielt für die deutschlemenden Geschwister vermutlich genau die Rolle, wie sie KLEIN grob umreißt: Im Erstspracherwerb folgt ein Kind der Maxime: "Erwirb eine soziale Identität und innerhalb dieser eine individuelle Identität!".

160

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

Da der Zweitspracherwerb von Aynur und Talat im 'Sozialisationsalter' begonnen hat, wirkt sich diese Maxime auch stark auf den L2-Erwerb aus, wenn auch nicht mit gleicher Intensität bei den Geschwistern. Das Mädchen Aynur strebt - ablesbar an ihren Berufswünschen (vgl. die Transkriptionen von Band 310: Ärztin, Dolmetscherin, Sekretärin, in RATH, IMMESBERGER, SCHU (Hg.) 1987:43f) - eine Frauenrolle an, die sie interkulturell gesehen sehr viel eher verwirklichen kann, wenn die Familie in Deutschland bleibt. Sollte die Familie in die ländliche Gegend zurückkehren, aus der sie stammt, dann wird es Aynur schwer haben, ihre Vorstellungen umzusetzen. Von daher gesehen ist es für sie wünschenswert, eine soziale Identität mit der zweiten Sprache zu erwerben. Inwieweit hier von bewußtem Verhalten der Lemerin gesprochen werden kann, ist nicht feststellbar. In diesem Zusammenhang wäre dann auch der Faktor (2), kommunikative Bedürfnisse, zu gewichten, die dann bei Aynur im Rahmen ihres Bildungs- und Berufsweges hochgradig instrumenteilen Charakter aufweisen. Ist dies ein Grund für die große Nähe ihrer Lemersprache zur Standardvarietät? Auch ihre Einstellung (Faktor 3) zur deutschen Sprache ist positiv, es sei denn, die Antwort, die sie zu diesem Komplex in einer Art narrativem Interview im Jahr 19797 gegeben hat, war eine sozial erwünschte Antwort. Aber der Zustand ihrer Sprachfertigkeit im Jahr 1983 (Band 310) steht dem eigentlich entgegen. Erziehung als Faktor (4) spielt insofern eine Rolle, als daß die Eltern von Aynur großen Wert darauf legen, daß die Kinder die deutsche Sprache gut lernen, womit auch dem Sozialerfolg eine gewisse Bedeutung zukommt. Der Junge Talat hingegen steht nicht unter den gleichen Rollenzwängen, als männliches Familienmitglied unterscheiden sich die rollenspezifischen Bedingungen seiner persönlichen und beruflichen Sozialisation in Deutschland kaum von denen in der Türkei: nahezu alle Wege sollten ihm offenstehen. Talat reagiert sensibel auf die soziologische Kontaktsituation, in der er als türkischer Junge in Deutschland steht: Er berichtet von Auseinandersetzungen mit Deutschen auf dem Spielplatz und in der Schule, in Gesprächen zieht er immer wieder Parallelen zu seiner türkischen Heimat, erzählt von dem Haus, das die Familie in Istanbul gebaut hat, von seinen Großeltern oder vergleicht die Nordsee, wo er zur Kur war, mit dem Mittelmeer. Ganz offensichtlich sieht er sich mehr als Türke denn als Deutscher, er hat also, was den Zweitspracherwerb angeht, nicht die gleichen Bedürfnisse, wie sie Aynur verfolgt. Die Antriebsfaktoren sind wohl nicht identisch. S. INTERIMSPRACHEN IM VERGLEICH

Die bisher diskutierten Beispiele zur Charakterisierung von Interimsprachen beschreiben den Zweitspracherwerb als eine Folge von Zwischenstadien, die als Lernervarietäten bezeichnet werden. Dies gilt jedoch nicht nur für den L2- Erwerb, sondern grundsätzlich für jeden Erwerb von Sprache, also auch für den Erstspracherwerb. KLEIN (1984:40) präzisiert: Diese Daten sind schützenswert, werden daher hier nicht preisgegeben.

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

161

"(a) Jede Lemervarietät, so elementar sie sein mag, besitzt neben vielen instabilen Komponenten eine innere Systematik. Die Funktion eines Wortes oder eine Konstruktion in der Lemervarietät läßt sich deshalb nicht allein daraus ableiten, welche Funktion ein entsprechendes Wort oder eine entsprechende Konstruktion in der Zielsprache hat. (b) Der gesamte Spracherwerb läßt sich als eine Reihe von Übergängen von einer Lemervarietät zur nächsten auffassen, und diese Übergänge zeigen eine gewisse Systematik." Damit wird keineswegs behauptet, daß Erstspracherwerb und Zweitspracherwerb identisch oder "in wesentlichen Zügen" identisch sind.8 In unserem Fall wollen wir jedoch Gemeinsamkeiten und Verschiedenheiten der Erwerbstypen feststellen und Ursachen ermitteln. Dabei ergeben sich Parallelen und Differenzen bei den Faktoren, die den Spracherwerb bestimmen. Für die deutschen Kinder gilt, daß sie ihre Muttersprache in der natürlichen Erwerbssituation lernen, d.h. sowohl zuhause als auch in ihrem gesellschaftlichen Umfeld. Die Entwicklung der Sprache geht einher mit der kognitiven und sozialen Entwicklung der Individuen, dabei werden in unterschiedlichen Domänen jeweils verschiedene Kodes derselben Sprache gesprochen und gelernt. Die ausländischen Kinder lernen ihre Muttersprache vorwiegend zuhause, im gesellschaftlichen Umfeld sprechen sie mit Deutschen Deutsch, mit Türken Türkisch, in einigen Fällen mit türkischen Kindern aber auch Deutsch. D.h. in unterschiedlichen Domänen werden sowohl verschiedene Kodes derselben Sprache (Dialekte) als auch unterschiedliche Sprachen gesprochen, wobei auch dann wiederum verschiedene Kodes gewählt werden müssen. Die kognitive und soziale Entwicklung geht einher mit der Sprachentwicklung zweier Sprachen, der Erst- und der Zweitsprache. hi den folgenden Beispielen sollen drei Lemer miteinander verglichen werden, die je einem bestimmten Erwerbstyp entsprechen: - monolingualer Erwerbstyp: Erstspracherwerb Deutsch von Christine; (Bsp.S, 1O Jahre alt) - bilingualer Erwerbstyp: Italienisch/Deutsch von Roberto; (Bsp.6, 12 Jahre alt) - Zweitspracherwerbstyp: Deutsch von Aynur9 (Bsp.7, 8 Jahre alt). Die Unterschiede der Lemervarietäten sollen dabei hervorgehoben werden, und zwar unter Bezug auf solche Faktoren, die sich charakteristisch auf den Erwerb auswirken. 8

KLEIN (1984:36f.) ist der Ansicht, daß kognitive Entwicklung und Sprachentwicklung interferieren, wodurch Erwachsene die zweite Sprache anders erwerben als Kinder. Ebenso verweist er auf unterschiedlich krasse Lemresultate und auf Variationen in Entwicklungs folgen bei Fragesatzbildung und Negation. Schließlich betont er die Rolle unterschiedlicher Erwerbssituationen, in denen je verschiedene Sprachen gelernt werden.

162

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!'

5.1. BEISPIEL S

Textband "Kindersprache" s. 2si-2sz. ZB 001-022. Situationsbeschreibung: Zur Kamevalszeit hat sich die Betreuerin mit Christine über einen Umzug unterhalten. Im Anschluß fragt sie nach dem Weg zum Umzugsort. Sprechersiglen: c = Christine, 10 Jahre alt, b = Christa, Betreuerin 001

b paß emol uff! wenn ich jetzt wollt emol no dudweiler fahre mal

002

auf

nach

ne? wo der umzug so is wie müßt ich dann do fahre von dingdenn da

003 004

c

Orts-

bert aus?

oder wie fahre ihr dann immer?

name (dial.)

Großmutter von c wohnt In DudvreJler

mir? + wir

oos

b hm bestätigend

OO6 c

mir fahre eh also mühlwald rTmmer l gradaus un dann bieje ma biegen wir

OO7

_hm

b

J

best.

OO8 c

rechts ab I + "Ifahre ma hoch am waldfrieädhof l +

I die eh +

OO9 b _ja _ -ja — c also hinner der einbahnstroß do is noch e !stroß l + ] fahr Straße

hinter

on 012

b _hm_ c ma links rum 1 + ~~jun do fahre ma immer gradaus I +

O13

b

014

c

die kreuzung I

ois oi6

b c

1 hm _ komme ma ans freibad

017

b

dudweiler?

O18

C

JO

O19

b

1 üw^ver übej-

LjaJ

Lhm_

un ~~] c lann gradaus 1 +

"~ un danne ++ e em do dann

_hm.

dudweiler ans freibad _ hm

[do biejet ma immer rechts

+ hm

best.

best

020 c

eh links ab I

021 b 022 c

_hm J bieje ma nommo links ab

+ + ~~]un fahre immer + e gradaus nommo un do nochmal

un

dann bieje ma nommo rechts ab

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

163

S.1.1. ABWEICHUNGEN

Christine spricht eine stark dialektal geprägte, lokale Variante der saarländischen Mundart. Die Wahl dieses Kodes hängt von mehreren Faktoren ab: (D Die Betreuerin spricht selbst im Dialekt, hat also die Sprachform gewählt, die in vertrauten, familiären Situationen gesprochen wird. (2) Christine ist ein Nachbarskind der Betreuerin, zu dem bereits vor der Erhebung von Sprachdaten Kontakte bestanden. Dialekt ist in diesem Fall die tatsächliche Umgangssprache. (3) In den wenigen Fällen, in denen eine andere Betreuerin die Standardsprache wählte, antwortete Christine im Dialekt, d.h. sie beherrscht die Standardsprache nicht in ausreichendem Maß. Unter grammatisch-syntaktischem Gesichtspunkt sind folgende Äußerungen besonders wichtig (die Richtigkeit der Wegbeschreibung wird nicht an Reaktionen der Zuhörerin überprüft, sondern anhand eines Fahrversuchs, den ich selbst durchführte): (D

mir fahre eh also mühlvrald immer giadaus d.h. (a) wir fahren vom Mühlwald (b) wir fahren am Mühlwald (c) wir fahren am Mühlwald vorbei (d) wir fahren Richtung Mühlwald (e) wir fahren Richtung Mühlwald, dann (f) vomMühlwald fahren -wir (g) am Mühlwald fahren wir (h) am Mühlwald vorbei fahren wir (i) wir fahren im Mühlwald (j) wir fahren durch den Mühlwald (k) wir fahren vom Ausgangspunkt Mühlwald (1) wir fahren

immer geradeaus, immer geradeaus, immer geradeaus, immer geradeaus, immer geradeaus, immer geradeaus, immer geradeaus, immer geradeaus, immer geradeaus, immer geradeaus, immer geradeaus,

Abbruch Korrektursignal: also Topifc Mühlwald Funktion: Rückversicherung mit der Bedeutung: "also ich beschreibe den Weg vom Ausgangspunkt Mühlwald", Wiederaufnahme: immer geradeaus.

Nach Besichtigung der Lokalität (vgl. Grafik) sind nur (a), (f) und (i) bis (1) möglich. Grammatisch gesehen handelt es sich bei dieser Äußerung (D um eine unbestimmte (crvoN: DMDEF-NP, vo-ordered, locative, 1984:116) lokative Nominalphrase (Präpositionalphrase ohne Präposition), mit topikmarkierender Funktion. MUhlwald stellt unter den gegebenen Bedingungen das Bekannte dar, die Ausgangsposition der Wegbeschreibung, also den thematischen Teil der Äußerung, Frage: Wie fahren wir vom Mühlwald aus? (thematisch), Antwort: Immer geradeaus, (rhematisch)

164

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!'

Diese Lokative betrachtet GIVON als referentiell eindeutig, wenn sie sich auf Verwandschaftsbezeichnungen oder Ortsnamen beziehen. Die Präpositionalphrase ist unbestimmt, weil die sprachlichen Mittel fehlen, die eine eindeutige lokale Einordnung kodieren, im Sinne von (b) bis (1). Der Ortsunkundige fährt nach dieser Beschreibung in die Irre. Die Adressatin der Wegbeschreibung ist jedoch ortskundig und kann ihren kognitiven Stadtplan zu Rate ziehen. Interaktionell gesehen ist die Beschreibung von Christine also eindeutig, dJi. funktional, grammatisch beurteilt, ist sie dysfunktional. (2)

fahre zna hoch am waldfriedhof die eh also hinner der einbahnstroß do is noch e stroß

(3)

fahr ma links mm un do fahre ma immer gradaus üwwer die kreuzung un dann gradaus D.h.

(a) fahren wir (b) am waldfriedhof (c) dann fahren wir (d) dann fahren wir

am waldfriedhof fahren wir am waldfriedhof am waldfriedhof

hoch, hoch, hoch, vorbei,

(gl) dann fahren wir bis zum waldfriedhof, und (g2) dort (am waldfriedhof) biegen wir links ab. Die folgende Grafik zeigt, daß (gl) mit (g2) im Gegensatz zu (2) den Sachverhalt angemessen paraphrasieren. Das Adverb hoch referiert auf die kleine Steigung in der linken Seitenstraße, ist an der Stelle aber mehrdeutig, da mit hoch ebensogut die Bedeutung am Waldfriedhof entlang verbunden werden kann. Die folgende Korrektur also hinner de einbahnstroß is noch e stroß und fahr ma linksrum ist nur für Ortskundige verständlich. Grafik Wegbeschreibung (Christine)

Die nächsten Äußerungen un do fahre ma immer gradaus und üwwer die kreuzung un dann gradaus beschreiben den Weg ungenau, denn wie die Grafik zeigt, wird die Strecke dreimal gekreuzt. Und um nach Dudweiler zu ge-

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

165

langen, muß die "imaginäre Fahrerin" von der Hauptstraße nach rechts abbiegen. Daher werden an diesem Punkt der Beschreibung Interventionen der Zuhörerin erforderlich, die tatsächlich aber erst in der Übernächsten Äußerung folgen, und dort auch nur ganz global: Christine: un danne e em do komme ma ans Freibad Christa: dudweiler? Christa hat mit ihrer elliptischen Frage die lokale Referenz geklärt, ohne den Fehler in der Wegbeschreibung explizit zu machen. An diesem Punkt zeigt die Beschreibung einen weiteren Mangel, der mit Christas Frage ebenfalls behoben wird: Außer der lokalen Ordnungsebene existiert bei längeren Wegbeschreibungen, wie sie für Autofahrer öfter nötig sind, auch noch eine temporale Ordnungsebene, die gemeinhin die gefahrenen oder zu fahrenden Kilometer betrifft. Diese temporale Ordnungsebene organisiert den zeitlichen Abstand bestimmter Fixpunkte, auf die sich die Beschreibende bezieht, interferiert also mit der lokalen Ebene. Christines Fixpunkte sind [13 der Stadtteil Mühlwald bzw. die Straße, [23 der Waldfriedhof, [3] die Einbahnstraße, 14] deren Parallelstraße, iSl die Kreuzung und C6] das Freibad Dudweiler. Während [13 bis [53 unmittelbar aufeinander folgen - reine Fahrzeit von [13 bis [53 etwa 2 Minuten, liegt der Fixpunkt [6] in viel größerem zeitlichen Abstand zu [53, ca. 7 km, reine Fahrzeit etwa 10 Minuten. Da dies nicht gekennzeichnet wird, muß beim Zuhörer der Eindruck entstehen, daß alle Fixpunkte in ungefähr gleicher zeitlicher Distanz aufeinanderfolgen. Christine ist mit der gestellten Aufgabe um einiges überfordert, als Kind ist sie sicher noch nicht in der Lage, die Perspektive der erwachsenen Autofahrerin einzunehmen. 5.1.2. PROBLEME DER BESTIMMUNG VON THEMA-RHEMA-STRUKTUREN

Äußerung (1) ist nach GIVON eine unbestimmte Nominalphrase in Verb-Objekt Wortstellung in lokativer Funktion. Sie markiert das Topic. In Äußerung (2) folgt eine rechtsherausgestellte Präpositkmalphrase, die ebenfalls topikmarkierende Funktion hat, als Ergänzung der Verbal phrase. Sie markiert das Thema der folgenden Äußerungen: am waldfriedhof die eh also hinner der einbahnstroß do is noch e stroß fahr ma links rum In diesem Zusammenhang wird die Schwierigkeit der eindeutigen Bestimmung von thematischen bzw. rhematischen Äußerungsteilen besonders deutlich, zumal dann, wenn nicht eindeutig festgelegt werden kann, zu welcher Äußerungskette Topic bzw. Comment nun eigentlich gehören. wir fahren hoch am waldfriedhof Frage: Wo fahren wir hoch? (= Skopus) Am Waldfriedhof = Rhema. (Thema)

166

G. Antos, "Ich kann ja Deutschi"

Frage: Wie fahren wir am Waldfriedhof? (Thema) Aber: am waldfriedhof .... Frage: Wie fahren wir am Waldfriedhof? (Thema)

Hoch = Rhema. fahr ma linksrum Linksrum = Rhema.

Für diesen Fall kann also nicht festgestellt werden, welche Struktur von Christine bevorzugt eingesetzt wird, Thema- Rhema- oder Comment-topicWortstellung. In GIVONS Rangskala der thematischen Kontinuität (1984:112) sind diese Formen im mittleren bis oberen Bereich eingeordnet: "most continuous/predictable Zero anaphora Clitic/unstressed/agreement pronouns Independent/stressed pronouns R-dislocated DEF-NP'S or comment-topic word-order Simple DEF-NP'S in the neutral/fixed word-order (if any) L-dislocated DEF-NP'S or topic-comment word-order least continuous/predictable" Christines Sprache zeigt also auch Eigenschaften, wie sie ganz charakteristisch von GIVON (1984) für Lernersprachen festgestellt wurden, wobei er sich jedoch auf den Zweitspracherwerb bezogen hat (Ausgangssprachen: Koreanisch, Philippinisch (Tagalog), Spanisch; Zielsprache: Englisch; erwachsene Lemer). Es ist sehr schwierig, zwischen Aynurs Lernersprache (L2) und Christines Lernersprache (Ll) eine Grenze zu ziehen, denn auch bei Christine ist der Spracherwerb in einigen Teilbereichen noch nicht abgeschlossen. Differenziert betrachtet werden muß hier das Alter der beiden Lemerinnen und davon abhängig die Sprachentwicklung, die RAMGE (1973) begrifflich vom Spracherwerb trennt. Mit Sprachentwicklung bezeichnet er den komplexen Gesamtvorgang des Hineinwachsens in eine Sprache, wobei kognitive und motivationale Aspekte berücksichtigt werden müssen (vgl. auch SCHÖNPFLUG 1977:17). Berücksichtigt man bei den motivationalen Aspekten die soziologischen und psychologischen Erwerbsfaktoren (vgl. Kap. 4), die bei Aynur zum Tragen kommen, so wird erklärbar, warum diese 'Interlanguage' in Einzelbereichen qualitativ besser erscheint als die Leinersprache von Christine, die nicht einem vergleichbaren 'sozialen Druck' ausgesetzt ist. Das Beispiel Aynurs (4) zeigt jedoch auch, daß die LZ-Lemerin, wenn sie nach dem GIvoNschen Modell beurteilt wird, unter dem Gesichtspunkt der sprachlichen Organisation thematischer Kontinuität als weiter fortgeschritten im Vergleich zur Muttersprachlerin Christine bezeichnet werden muß. Ist dies gar eine Folge thematisch-rhematisch-strukturierter früher Lernervarietäten, die später syntaktifiziert werden, im Gegensatz zu von Anfang an syntaktifizierter Erstsprache bei Christine? Diese sehr spekulative Hypothese bedarf ergänzender Analysen und soll deshalb hier nicht weiter verfolgt werden.

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

167

Schließlich ist es nicht so, daß den Produktionsauffälligkeiten bei Christine die gleiche interaktive Funktion zugeordnet -werden kann, wie beim Fremdsprachensprecher.9 Die Interaktionssituationen Deutsche - dt. Kind und Deutsche - ausl. Kind sind nur im Idealfall identisch, und zwar genau dann wenn die monitorierende Tätigkeit - EHLICH nennt sie Mitkonstruktion eines muttersprachlichen Hörers einem ausländischen Kind gegenüber bezüglich der Fehlertoleranz ebenso groß ist, wie gegenüber einem deutschen. In Alltagssituationen ist demnach davon auszugehen, daß solche Phänomene bei L2-Lemem als auffällig beurteilt werden, bei Muttersprachlern hingegen •werden sie akzeptiert oder 'überhört'. Für die Sprachdaten des Saarbrücker Projekts muß gesagt werden, daß die Hörer-Fehlertoleranz in beiden Fällen sehr hoch ist. Dies resultiert aus dem Untersuchungsansatz, der gerade diese Xenismen zum Gegenstand der Analyse macht und ihre Produktion unterstützt (dJi. nicht diskriminiert durch mögliche Fremdkorrekturen), aber auch aus interaktioneilen Strategien, die sich im Umgang mit Ausländern natürlich ergeben: dem "prozeduralen Überhören"10, womit dauernde Fremdkorrekturen vermieden werden. Erfahrungen in ersten Piloterhebungen (vgl. RATH (Hrsg.) 1983:25) haben gezeigt, daß in Situationen mit hohem Anteil an Fremdkorrekturen durch deutsche Sprecher der sprachliche output des non-native-speaker stark zurückgeht, bzw. unter Umständen ganz versiegt. Dies scheint ein Indiz dafür zu sein, daß der Fremdsprachensprecher auf der unteren Stufe der Sprachbeherrschung tatsächlich vom Hörer die Bereitschaft verlangt, einen hohen Anteil der Monitor-Tätigkeit zu übernehmen, die eigentlich Aufgabe des Sprechers wäre, ohne den Sprecher durch Korrekturen kommunikativ zu verunsichern (vgl. EHLICH a.a.O. S.52). S.2. BEISPIEL 6

Band 387, Seite l, ZB 001-039 Situationsbeschreibung: Roberto erzählt vom Zelten. Sprechersiglen: r = Roberto, 12 Jahre alt; c = Karin, dt. Betreuerin; d = Lutz, dt. Betreuer. Die Lerneräußerungen (zweispaltige Transkription) sind hier kuisiv hervorgehoben: 001

r

wenns mo bißje kälter is + danne steht ma moiens viel früher auf

020 r 021

bei dem schlofe aber mein bmder hat ne überredet +

c warum darfsche das denn

OO2 c das glaub ich net

net? wer sagt das von

wem aus darfsche net? + OO3 r

mir wäre mo äh s wäre jo paar da: do ge-

022 r

mein vadder

Q

10

Es handelt sich ja nicht um Xenismen, die zur Diskriminierung führen können. Ein Begriff von EHLICH (a.a.O. S.53).

168

G. Antos, "Ich kann Ja Deutschi"

wehn wo s ganz wann war 004 d mhm

023 c

der will das net +

024 r

der ment nur uns würd was zugeschehn ä+ am anfang ahm beim ääh xx wo sie do geparkt han ne?

oos c letztes jähr? 006 d m m verneint

007

r

025

c mhm

026

r

nä dies joar

008 d dies jähr schon an ostem

do is do so nahe dran soe wies +

009 r

010

han ich mit mean freund im 027 c ja zeit geschlo:F + un do un do is kühles wind dri durch O28 links + also wo ma die komm + un do ware a 6zß/e trepp runner geht + un kalt gewehn + dort hat der sein zeit gehst im garte c und da? bisch de aufgestan029 c mhm + kann doch nichts den? passieren

011 r

012 013

014

un moiens bin ich war ich 030 um fünf uhr wach da han die + da hat die glock also die 031 glock von der kirche geläutet + 032 c un die vögel? wahrscheinlich auch? 033 r jo do war + do war so e vochel der hat der + der singt gla:b nur moiens + 034

c

un + un un em maria sein bruder wollt a: drin schlofe rosario?

oss

r

jo

036

c

der is ja nun wirklich noch n bißchen klein ne?

037

r

C

XX XX

r C

nein + mein vater denkt so + XX XX

lacht leise

d hat er angst gehat en bißchen um dich r

lacht leise

ois

r

ich han a.· zugehört manche vögel

016

c hm + s is aber doch schön eigentlich oder?

017 018 019

r äaber ich darft jo net c was darfsche net? r normal darft ich jo net bei

038

es kann jo nix geschehn + wie mir han mo drin gespielt mittags + un do war die dier zu also de reißverschluß zu c xx die tür lacht

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

169

5.2.1. ABWEICHUNGEN

Robertos Zweitsprache zeigt nur geringfügige grammatische Abweichungen, er beherrscht beispielsweise die Tempusmorphologie der Verben bis auf das Präteritum von dürfen: aber ich darft jo net normal daift ich jo net bei Dies ist eine Fossilierung eines bestimmten Verbs, dJi. diese morphologische Abweichung ist sonst nicht beobachtbar, Im Gegensatz etwa zu Aynuis elementarer Lemervarietät (Beispiel D und Hasans Varietät (Beispiel 2) finden sich flektierte Verbformen, Auxiliar und richtig gebildete Partizipien. Aber auch bei Roberto finden wir Rechtsherausstellungen bei Nominalphrasen bzw. Rhema-Thema- Strukturen in den Äußerungen, wobei einschränkend angemerkt werden muß, daß diese Herausstellung ein Kennzeichen des saarländischen Dialekts ist, durch deren Gebrauch Roberto sich als 'kompetenten' Dialektsprecher ausweist: ich han a: zugehört manche vögel do war jo noch kä: ne äh kenner gewehn zäun Das Beispiel do is kühles wind dri durchkomm betrifft den Bereich der grammatischen Kongruenz, das Genus wurde hier nicht richtig gekennzeichnet. Um eine Kontamination auf lexikalischer Ebene handelt es sich bei zugeschehn in der ment nur uns würd was zugeschehn, wobei das Präfix zu von zustoßen mit dem Verb geschehen kontaminiert wird.11 Soweit der Datenausschnitt (Beispiel 6) eine generelle Beurteilung erlaubt, kann Roberto als der am weitesten fortgeschrittene Lerner bezeichnet werden. Zwei Faktoren müssen jedoch gesondert gesehen werden, die sich steuernd auswirken. Roberto gilt als Bilingualer, nach der gewählten Terminologie hat er zwei Erstsprachen erworben, und zwar Italienisch und Deutsch. In seinem 12 Lebensjahr befindet er sich im 10. Erwerbsjahr, was die deutsche Sprache angeht. Aynur in den Beispielen l und 7 im zweiten, in Beispiel 4 im fünften, und Talat in Beispiel 3 im fünften Erwerbsjahr; Hasan hingegen ist in Beispiel 2 im dritten Erwerbsjahr, wodurch direkte Vergleiche nur sehr schwer durchführbar sind. Die deutsche Probandin Christine ist in Beispiel 5 10 Jahre alt. Der zweite Faktor ist Robertos Nationalität, die möglicherweise mit dem Antrieb, die deutsche Sprache zu lernen, korreliert. Als Italiener kann Roberto im saarländischen Raum sehr viel eher als sozial integriert gelten, als beispielsweise ein Türke. Die italienischen Gastarbeiter sind schon Jahrzehnte im Land und von daher stärker akzeptiert als die kulturell und visuell "exotischeren" Türken, die erst einige Jahre in Deutschland arbeiten. Die soziale Distanz aufgrund von Xenophobie ist bei Italienern möglicherweise geringer Zur Rolle von Kontaminationen im Bereich gesprochener Sprache und grammatischer Norm vgl. RATH (1985:157).

170

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

als bei Türken. Da hierzu jedoch keine gesicherten Umfrageergebnisse im Saarland vorliegen, verbleibt diese Aussage im spekulativen Bereich. S.3. BEISPIEL 7

Band 40, Seite l, ZB 2O3-271 Situationsbeschreibung: Stefan hat Aynur aufgefordert, ihm den Schulweg zu beschreiben. Sie beginnt mit da muß ich ein bißchen gehen und dann is so polizist der haltet die autos an und ist mit wenigen Äußerungen bereits an der Schule. Dies ist dem Betreuer zu ungenau, er bittet sie, vom Ausgangspunkt an zu beschreiben. Der Transkriptionsausschnitt beginnt mit dem 'Betreten1 der Straße. Sprechersiglen: a = Aynur, 8 Jahre; s = Stefan. Kommentar: Die Sprachdaten weisen darauf hin, daß Aynur möglicherweise zum ersten Mal im Leben aufgefordert wurde, einen längeren Weg zu beschreiben. Sie entwirft im Prinzip keine Wegbeschreibung, die sich an einen Auskunftsinteressierten richtet, sondern schildert ihren morgendlichen Tagesablauf und 'erzählt' ihren Schulweg. In eckigen Klammern stehen Fixpunkte, die auf der folgenden Grafik abgelesen werden können. 203 a und dann und dann dann + dann geh eh + geh ich weiter geh ich geh ich dann is dort ding + Straße und dann geh ich geh ich wennsch + wennsch geld dabei härm geh ich dort [3] was kaufen 204 s die straße + wo wo der + der Unfall war wo wir unsere autos bezieht sich auf gemeinsames Wissen

stehen hatten? + nein ? 205 a nein + da is so klein verkauf [3] 206 s ah so n + so n kiosk + kiosk + heißt das 207 a nä + das heißt nicht kiosk 208 s nä? + wo istn das? 209

a xx xx

210

s

gesch gehsche aus em haus [Ü un dann gehsche üwem parkplatz ne?

211

a

ich geh net immer kaufe + dann geh ich weiter + kucke no rechts + und links + da kommt kein auto geh ich durch und dann + es so ein polizist [2] ha + hat so dingsda haltet er da kommt e auto und haltet se an da muß er sein paß zeige

212

s

ah ja der muß sein paß zeige

213

a

und dann kuck ich wieder rech und links + dann geh ich durch

214

s

ah dann gehsche durch + is das schon gleich an der schule? C9]

2is

a



im verständlich

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

171

216

S



217

a

218

S

219

a

220 222

a a

223

s

dasse zäun + da muß ma die treppe hoch [4] die treppe runter [S] + treppe runter [6] ·*· treppen hoch [7] und treppen runter [8] + und was ist + und dann + was is dann is das ne brücke? und dann geh ich ist zwei brücken und dann is noch e klenne treppe C6l gehsch du an ner Fabrik vorbei?

224 225

a ja s und was ist das für ne Fabrik? da stehn immer große autos + he?

226

a nä + lastwagen

227

s nä? lastwagen stehn da

228

a und so eise

229

s eisen + mhrn

230

a und holz

231

s und holz

232

a die arbeiten

233

s

234

a he?

235

s

236

a

237

s

238

a

239

s

24O

a

241

s

242

a

243

s

244

a

und eh + wenn du dann über die treppe da gehschd was ist dann unter der treppe? untendrunter? eh + da is auch ein zäun da sind äpfle + birne + und so [8] ja da sind bäume stechbirne + oder was das is mhrn +· un äh + gehs du da auch über die eisenbahn? da is keine eisenbahn eisenbahnbrücke + oder so? ich bin ja auf der brücke gewesen ah das ses + unter der brücke is die eisenbahn und dann geh ich immer geh ich geh ich + da is die lampe C9l und dann kuck ich bis es grün ist und dann recht und links gehe rüber + und danne is + bin ich in der schule ...

Kommentar: Aynur spricht weiter über Schule und Lehrer.

172

G. Antos, "Ich kann ja Deutschi"

Zunächst eine Grafik zur Verdeutlichung der Beschreibung:

5.3.1. INTERAKTIONSABHÄNGIGE DATEN UND SPRACHDATEN

Das Interesse des Zuhörers an der Wegbeschreibung ist abhängig von seinem Kenntnisstand (siehe Transkription) zu beurteilen. Der Hörer besitzt Vorwissen über die Bereiche l bis 3, 8 und 10 (siehe Grafik). Das Schema WEGBESCHREIBUNG erfordert vom Sprecher die Erfüllung folgender Aufgaben: (D Bestimmung des Ausgangspunkts, in diesem Fall die 'Ich- Hier-Jetzt-Origo', in anderen Fällen ein zu wählender, gemeinsam bekannter Ausgangspunkt. (2) Richtungsangaben lokaler Natur: geradeaus, nach rechts, nach links, hoch, runter, daran vorbei, immer der Straße nach etc.. (3) Festlegung von Fixpunkten auf einer kognitiven Landkarte, die (a) nur dem Beschreibenden bekannt sind: da steht eine dicke Eiche, (b) dem Beschreibenden und dem Hörer bekannt sind: am Deutschen Museum biege links ab, (4) Orientierungsdaten temporaler Natur: nach ca. S Minuten Fahrzeit, nachdem du 5 Minuten geradeausgegangen bist, siehst du zur Rechten... die auch lokalen Charakter haben können: nach S Kilometern.. , (5) Einhaltung des Abfolgeprinzips, z.B. müssen Fixpunkte in der Reihenfolge ihres 'natürlichen' Auftretens genannt werden: A vor B, B vor C usw., wobei jedoch Retrospektiven möglich sind, wenn sie besonders eingebettet und gekennzeichnet werden: z.B. ich vergaß zu erwähnen, daß du am Deutschen Museum nach links abbiegen mußt, (6) Kennzeichnung des Endpunktes: ..geradeaus und dann stehst du vor dem gesuchten Gebäude, (7) Übernahme der Perspektive des Zuhörers, d.h. auch die Berücksichtigung von Hörersignalen, die Verstehen bzw. Desorientierung signalisieren oder unter Umständen ausbleiben, und damit einhergehend (8) Ausführlichkeit trotz gebotener Knappheit, d.h. eine so knapp wie mögliche und so präzise wie nötige Gesamtinformation.

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

173

In Aynurs Wegbeschreibung sind folgende Voraussetzungen erfüllt: Zu (1)

Die Gesamtinformation wird von Stefan personenabhängig erfragt. Ersichtlich wird dies aus einem vorherigen Transkriptauszug. 159

s

und wie kommst du in die schule? + wie gehschu da hin?

160

a ach so + da muß ich ein bißchen gehen un dann is so polizist der haltet die autos an + nä des so + so ding da geh hat +

161 162

s a

ha das glaub ich net also erseht bischdu mal im hochhaus ne? hija zustimmend

Expliziter hätte er fragen müssen: Wie komme ich von hier in die Schule? Durch seine Äußerungen führt er die Sprecherin zum Ausgangspunkt, klagt also den Beginn der Wegbeschreibung ein. Situationsabhängig besteht hierfür jedoch keine Notwendigkeit, da Aynurs Schulweg - wie jeder aus seinem Alltagswissen erschließen kann - immer zuhause beginnt. Andererseits zwingt er Aynur nicht zu einer Perspektivenübernahme, sondern ermöglicht eine 'narrative Beschreibung' des täglichen Schulwegs. Zu (2)

Lokale Richtungsangaben fehlen völlig, der Hörer versucht immer wieder, auf diesen Mangel anzuspielen: Erfragt werden die Angaben:

Es fehlen die Angaben:

die Straße + wowo der * der unfall war?

geradaus über den Parkplatz eil

wo istn das?

über die Straßenach rechts

unn dann gehsche üwem parkplatz ne?

nach links die Straße entlang

is das schon gleich an der schule?

über die Straße nach rechts

is das ne brücke?

in den Fußgängerweg nach links

und was ist unter den brücken?

die Treppe runter nach rechts [6]

gehschdu da an ner Fabrik vorbei?

über die Fußgängerbrücke [7-8]

wenn du dann über die treppe da gehschd dann nach links dem Weg nach was ist dann unter der treppe? untendrunter?

durch die Sackgasse Richtung Hauptstraße

gehsdu da auch auch über die eisenbahn? entlang der Hauptstraße nach links [93. Zu (3) Als Fixpunkte werden gegeben: Ding, kleiner Verkauf, C3] so ein Polizist (= Schülerlotse) [2],

174

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

Zaun [4-53, Treppen [4-8], Brücken lS-6 und 7-8], durch den Hörer erfragt, Fabrik iSi, durch den Hörer erfragt, Zusatzinformationen: Lastwagen, Holz, Eisen, durch den Hörer erfragt, Obstbäume [8], durch den Hörer erfragt, Eisenbahnbrücke [7-8], vom Hörer eingebracht, Lampe t9l, Transfer aus dem Türkischen, gemeint ist Ampel, Schule. Zu (4) Einen groben temporalen Orientierungsrahmen liefern Aynurs Äußerungen:

geh ich weiter geh ich geh ich dann is dort ding, [1-3] und dann geh ich immer geh ich geh ich + da is die Jampe [8-9l. Es handelt sich hier nicht um Abbruche oder um einfache Wiederholungen zur Erhaltung der Sprecherrolle. Mit den Reihungen der Kurzsätze signalisiert Aynur die Länge des zu gehenden Weges (vgl. Grafik und Fixpunkte), es sind jeweils die längsten Strecken, die so gekennzeichnet werden. Mit diesen Strategien kennzeichnet sie also temporale Informationen. Zu (S) Der Hörer verlangt mehrfach Präzisierungen der Lokalität, so auch in gehsche aus em hau un dann gehsche üwern parkplatz ne?, einer vergewissernden Retrospektive. An diese knüpft Aynur ohne Kennzeichnung an: ich geh net immer kaufe * dann geh ich weiter + kucke no rechts ... Ebenso in und dann geh ich immer geh ich geh ich + da is die Jampe + . Nach solchen Retrospektiven knüpft Aynur jeweils immer implizit an den Punkt an, an dem sie vom Zuhörer gerade unterbrochen wurde, ohne sich zu vergewissem, ob der Zuhörer dies nachvollzieht. Die Gesamtinformation folgt dem Prinzip der Abfolge der Fixpunkte.

Zu (6) Der Endpunkt wird genannt: und danne is + bin ich in der schule. Zu (7) Eine Perspektivenübernahme findet nicht statt, Aynur beschreibt aus egozentrischer Perspektive und geht widerwillig auf Rückfragen ein: nein + da is so klein verkauf, nä * last wagen, he?, da is keine eisenbahn, ich bin ja auf der brücke gewesen = Verweigerung einer Retrospektive. Zu (8) Die Gesamtinformation ist als Wegbeschreibung wertlos, der beschriebene Weg konnte im 'Selbstversuch' nicht gefunden werden.

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik 5.3.2. VERGLEICH

175

CHRISTINES WEGBESCHREIBUNG

Unter interaktioneilen Gesichtspunkten (Gesprächsmodalität und Kausalbedingung der Textsorte: "Beschreibe mir einen Weg zu einem Ziel, das ich erreichen möchte!" sind realiter nicht erfüllt bzw. jeweils anderer Natur) sind die Wegbeschreibungen unvergleichbar, denn die Hörerin Christa hat sich von Christine (10) einen Weg beschreiben lassen, den sie bereits kennt12, wohingegen Aynur (8) zwar einen unbekannten Weg beschrieb, andererseits doch eher eine narrative Modalität wählen konnte. Christine zeichnet sich jedoch und dies kann durchaus unabhängig vom Zweck der Beschreibungen beurteilt werden - durch die Wahl der adäquaten sprachlichen Mittel im Bereich lokaler Richtungsangaben aus und bestimmt selbständig Ausgangspunkt und Endpunkt ihrer Beschreibung. Im Gegensatz zu Aynur übernimmt sie die Perspektive der Zuhörerin und versucht, den Bedürfnissen einer Autofahrerin gerecht zu werden. Sie vergewissert sich regelmäßig bezüglich des Bekanntheitsgrades der von ihr gewählten Fixpunkte, vernachlässigt jedoch andererseits die temporale Ordnungsebene. Der Aspekt Ausführlichkeit bei gebotener Knappheit kommt bei beiden Beschreibungen nicht zum Tragen. Unter entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten ist Aynurs Fassung als stärker egozentriert zu bezeichnen. Sie ist die jüngere Sprecherin. Christine ist Aynur in bezug auf die kognitive Entwicklung um zwei Jahre voraus, sie befindet sich in einer Phase, in der sich die Fähigkeit zur Perspektivenübernahme viel stärker entwickelt, als dies bei Aynur der Fall ist (vgl. FLAVEUL 1979 und KUTSCH 1985). 6. ZUSAMMENFASSUNG

In diesem Abschnitt will ich die einzelnen Lernervarietäten im Hinblick auf ihre grammatischen Eigenschaften einander gegenüberstellen. Diese Eigenschaften werden in Relation zu den diskurspragmatischen Ergebnissen beurteilt. Dabei wird vor allem deutlich, daß eine ganze Reihe von grammatischen Entwicklungen sich auf diskurspragmatischer Ebene auswirken, bzw. daß grammatische Mängel diskurspragmatisch ausgeglichen werden können. Die aufgelisteten sogenannten 'Fehler' (Übergeneralisierungen etc.) sind eine Komponente der pragmatischen Strategien, sie sind in diesem Sinne funktional. Ich betrachte sie jedoch nicht als funktional äquivalent zu den regelhaften grammatischen Formen und Funktionen, denn dies hieße ja, daß der Gebrauch pragmatischer Strategien als gleichwertig zu beurteilen wäre mit der adäquaten Verwendung zielsprachlicher Formen. Diskurspragmatische Strategien sind lediglich Überbrückungsstrategien, mit denen kommunikative Ziele unter Ermangelung der richtigen Kodierungsmit12

M.E. ist es in Kind-Erwachsener-Interaktion durchaus üblich, daß ein Kind einen

Weg beschreibt, den der Zuhörer bzw. in diesem Fall die Zuhörerin bereits kennt. Diese Art Wegbeschreibung hat dann eine Kontrollfunktion, indem der Erwachsene Überprüft, ob ein Kind unter gewissen Bedingungen in der Lage ist, selbständig an ein Ziel zu gelangen, z.B. zum ersten Mal ohne Begleitung in die Schule oder zum Schwimmbad etc.

176

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

tel verfolgt werden können. Auf jeden Fall ist davon auszugehen, daß diese Ziele mit den adäquaten Mitteln eher erreicht werden, denn sie weisen den L2-Lemer nicht direkt als 'Fremden' aus. Ein longitudinaler Vergleich der Lemervarietäten zeigt schließlich auch, daß die diskurspragmatischen Strategien mit fortgeschrittenem Erwerb in den Hintergrund treten (vgl. Aynur 8 und 11 Jahre). ZWEITSPRACHERWERB

AYNUR 8 Jahre, weiblich Lemervarietät l (1980: Dauer des L2-Erwerbs ca. 3-4 Jahre) Narrativer Modus statt Instruktion GRAMMATIK:

Ll TÜRKISCH

PRAGMATIK:

Übergeneralisierungen; Präpositionen, Auxiliar, Konjunktionen, Pronomen, Partizipien ( ),

übergeneralisierte Formen stehen als Ersatz für noch nicht erworbene, grammatisch dysfunktionaler, pragmatisch jedoch funktionaler Gebrauch,

Tempusmorphologie: partiell beherrscht, Partizip ( )-Bruchstücke, fehlende Flexionssuffixe, unmarkierte PartizipiendD, falsches Auxiliar, unmarkierte Aktiv/PassivKonstruktionen, partielle Konjunktive,

vom Interaktant vorgegebene temporale Strukturen werden übernommen, i.e. implizite temporale Referenz, Verbalgruppen kodieren ein Aktionskontinuurn in der Handlungskomplikation einer Erzählung, die Reihung von Partizipien charakterisiert einen 'schnellen Ereignisablauf,

- Pronominaltilgungen: gramm. Geschlecht, Pro-Form "sie" für alle Pronomen, - Syntax: häufig unverbundene parataktische Reihungen, l Finalsatz, l Konditionalsatz, elliptische Antworten auf Fragen (adäquat).

mithilfe der rudimentären Tempuskodiedierungen werden temporale Strukturen aufgebaut, Kurzsatzreihungen identischen Inhalts kennzeichnen die Dauer einer Handlung (Wegbeschreibung Band 40),

keine Kenntnis vom Handlungsschema: Wegbeschreibung,

egozentrische Beschreibungsperspektive, altersspezifisch, VAREETÄT/EN:

Dialekt/Standard-Mischform HÖRERLEISTUNG:

hoher Anteil der Interaktanten an der Diskursorganisation.

177

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

ZWEITSPRACHERWEHB

HASAN

9 Jahre, männlich

Ll TÜRKISCH

Lernervarietät l (1982: Dauer des L2-Erwerbs ca. 3-4 Jahre) Narrativer Modus GRAMMATIK:

Übergeneralisierungen; Tempusformen: Perf., Prät., Auxiliar,

PRAGMATIK:

- übergeneralisierte Formen stehen als Ersatz für noch nicht erworbene, grammatisch dysfunktJonaler, pragmatisch jedoch funktionaler Gebrauch,

Pronomen, Tempusmorphologie: partiell beherrscht, Partizipien ( ) vollständig, aber falsches Auxiliar, Auxiliartilgung,

vom Interaktanten vorgegebene temporale Strukturen werden nicht übernommen, funktionale Retrospektive trotz nicht regelhafter grammatisch-syntaktischer Kodierung, mithilfe der vorhandenen Mittel - Tempussystem im Aufbau - werden temporale Strukturen erstellt,

- Pronominaltilgungen: Pronomen für nicht eingeführte Handlungsträger, Subjekttilgungen, Referenz oft uneindeutig,

- Syntax; häufig unverbundene parataktische Reihungen, keine Konjunktionen (außer 'und') elliptische Antworten auf Fragen (adäquat). VARIETÄT/EN: - Dialekt/Standard-Mischform HÖRERLEISTUNG:

- hoher Anteil der Interaktanten an der Diskursorganisation. Die Erzählstruktur wird im Frage- Antwort-Schema hergestellt. KOMMENTAR: Verglichen mit Aynur (s.o.) weist Hasans Interlanguage im Bereich der Grammatik nahezu identische Charakteristika auf. Ebenso organisieren beide Lerner temporale Bezüge vorwiegend mit diskurspragmatischen Mitteln.

178

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

ZWEITSPRACHERWERB

TALAT 11 Jahre, männlich Lernervarietät l (1982: Dauer des L2-Erwerbs ca. 3-4 Jahre) Narrativer Modus GRAMMATIK:

- Übergeneralisierungen:

Ll TÜRKISCH

PRAGMATIK:

- übergeneralisierte Formen stehen als Ersatz für noch nicht erworbene, grammatisch dysfunktionaler, pragmatisch jetisch jedoch funktionaler Gebrauch,

Pronomen, Tempusmorphologie: partiell beherrscht, Partizipien ( ) vollständig Verbmorphologie unvollständig,

- Interaktant gibt keine Tempusstruktur vor, eigenständiger Aufbau einer Tempusstruktur,

- Pronominaltilgungen: Pro-Formen für nicht eingeführte Handlungsträger, auch Wechsel der Pro-Form ohne Kennzeichnung, referentiell oft uneindeutig, - Syntax: häufig unverbundene parataktische Reihungen, rechtsverschachtelte Präpositionalgruppen, Thema-Rhema-Struktur, keine Subordinationen.

die Organisation referentieller Bezüge wird dem Interaktanten überlassen (Wissensrahmen),

VAREETÄT/EN

- Dialekt/Standard-Mischform HÖRERLEISTUNG:

- geringer Anteil der Interaktanten an der Diskursorganisation. KOMMENTAR: Talats Interlanguage erscheint im Bereich der Temporalisation differenzierter entwickelt als bei Aynur (Schwester von T.) und Hasan, obgleich er sich lediglich im Lebensalter, nicht jedoch im Erwerbsalter von ihnen unterscheidet. Syntax- und Referenzprobleme stehen auch hier im Mittelpunkt.

179

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

ZWEITSPRACHERWERB

AYNUR 11 Jahre, weiblich Lemervarietät l + (1983: Dauer des L2-Erwerbs ca. 6 Jahre) Narrativer Modus GRAMMATIK:

- Übergeneralisierungen: keine - Tempusmorphologie: beherrscht, Partizipien vollständig, markierte Partizipien, richtiges Auxiliar, markierte Aktiv/PassivKonstruktionen, partielle Konjunktive, - Pronominaltilgungen: keine, eindeutige Referenz, - Syntax: häufig verbundene parataktische Reihungen, aber auch verbundene Subordination, Topikalisierungen, Thema-Rhema-Strukturen.

LI TÜRKISCH

PRAGMATIK:

vom Interaktanten werden keine temporalen Strukturen vorgegeben,

eindeutige Referenz durch wahlweise Einsetzung von Handlungsträger bzw. einer Pro-Form, Gebrauch der Thema-Rhema-Abfolge in ordnender Funktion: übergeordnete Sachverhalte und Personen werden topikalisiert, HÖRERLEISTUNG:

selbständige Narration mit geringen Anteilen der Interaktanten, VARDETÄT/EN

Standardform. KOMMENTAR: Diese fortgeschrittene Lernervarietät zeigt eine deutliche Entwicklung grammatischer Fähigkeiten (im Vergleich zu 198O). Aynur kann vom Niveau ihrer Fähigkeiten her durchaus mit dem bilingualen Roberto oder mit Christine verglichen werden. Auffällig ist lediglich die durchgängige Wahl der Standardvarietät. In Relation zu Talat ist sie zwar hier im gleichen Lebensalter, im Erwerbsalter unterscheidet sie sich jedoch um nahezu drei Jahre. Die Unterschiede zwischen den Interimsprachen beider Geschwister können durch mehrere Variablen hervorgerufen worden sein: a) EntwicWungspsychologische Gründe, z.B. könnte das Konzept Temporalität* intervenieren mit kognitiver Reifung, d.h. mit der Altersstufe. Dafür spricht die vollständige Ausbildung bei beiden im Alter von elf Jahren, dagegen sprechen die Fähigkeiten von Ll-Sprechem, z.B. Christine, b) Erwerbsalter, z.B. gelingt Aynur Referenzherstellung im Alter von elf Jahren, wohingegen Talat nach drei Jahren L2-Erwerb mit elf noch Probleme hat.

180

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

BHJNGUALJSMUS

ROBERTO 12 Jahre, männlich bilingual: IHNISCH/DEOTSCH Lemervarietät l + (1983; Dauer des L2-Erweibs: zweisprachig aufgewachsen) Narrativer Modus GRAMMATIK:

PRAGMATIK:

- Ubergeneralisierungen: keine, - Tempusmorphologie: - vom Interaktanten werden keine temb e h e r r s c h t i p o r a l e n Strukturen vorgegeben, Partizipien ( ) vollständig, markierte Partizipien (ID, richtiges Auxiliar, markierte Aktiv/PassivKonstruktionen, Kontaminationen, Fossilierung: "darft"

- Pronominaltilgungen: keine, eindeutige Referenz, - Syntax:

HÖRERLEISTUNG: - keine diskurspragmatischen Besonderheiten

verbundene parataktische Reihungen, Subordinationen, rechtsverschachtelte Nominalphrasen, Thema-Rhema-Strukturen, Probleme bei grammatischer Kongruenz.

VARIETÄT/EN - Dialektsprecher.

KOMMENTAR: Der bilinguale Roberto kann kaum als L2-Sprecher identifiziert werden. Die zweimal aufgetretene, möglicherweise "fossile" Form darft ist zwar ein 'Xenismus1, fällt aber im sprachlichen Gesamtbild kaum auf und dürfte mit Sicherheit von Muttersprachlern überhört werden. Lediglich Robertos Schwierigkeiten im Bereich grammatischer Kongruenz deuten darauf hin, daß hier noch Erwerbsvorgänge stattfinden, die aber bald abgeschlossen sein dürften.

181

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

ERST SPRACHERWERB

CHRISTINE 10 Jahre, weiblich Lernervarietät L l (1982) Instruktiver Modus GRAMMATIK:

Ll DEUTSCH

PRAGMATIK:

- Übergeneralisiemngen: keine, - Tempusmorphologie: beherrscht, - Pronominaltilgungen: keine, HÖRERLEISTUNG:

- Syntax: verbundene parataktische Reihungen, verbundene Subordination, Tilgung von Präpositionen, Thema-Rhema- bzw. Rhema-Thema-Strukturen, referentielle Uneindeutigkeit.

der Wissensrahmen der Interaktantin wird bei der Wegbeschreibung stark beansprucht (vgl. Tilgung von Präpositionen),

Kenntnis vom Handlungsschema: Wegbeschreibung, fähig zur Übernahme der Perspektive der Zuhörerin, VARBETÄT/EN

Dialektsprecherin. KOMMENTAR: Diese Charakteristik zeigt im Vergleich zu den L2-Lemem auf den ersten Blick keine Besonderheiten. Es können auch keine Belege dafür gefunden werden, daß sich Christine etwa im negativen Sinn von den anderen Lernern unterscheidet (im Gegensatz zu den Ausführungen von ANTOS, "Interlanguage-Systeme", i.dJSd., zum Erwerb von Begründungen). Dennoch zeigen einige Belege sprachliche Eigentümlichkeiten (Tilgung von Präpositionen), die auch bei L2-Lemem auffindbar sind. Dies könnte ein Indiz dafür sein, daß diese Erstsprache nicht als 'prototypisch' für ein deutsches Kind gleichen Alters angesehen werden kann, da hier offensichtlich 'Differenzen' etwa im Sinne LABOVS vorliegen. Andererseits könnte dieses Phänomen aber auch lediglich ein Indiz für sprachliche Überforderung des Kindes in bezug auf die gestellten Aufgabe 'Wegbeschreibung' sein, wodurch dann wiederum die Einflußgröße 'kognitive Entwicklung' ins Spiel käme.

182

G. Antos, "Ich kann ja Deutschi"

Die Beispiele aus den Daten repräsentieren nur einen Ausschnitt aus dem jeweiligen Gesamtkorpus der Kinder (vgl. RATH, IMMESBERGER, SCHU (Hg.) 1987), stehen jedoch prototypisch für die Sprachfertigkeiten zum entsprechenden Zeitpunkt. Speziell bei Aynur wird deutlich, daß mit zunehmendem Syntaktifizierungsgrad der Lemervarietät eine Entlastung der pragmatischen Kommunikationsebene eintritt. Die Lösung kommunikativer Aufgaben (Wegbeschreibung) ist anfangs geprägt von komplexen, funktionalen, und individuellen Strategien zur Herstellung von Temporalität oder Referenz, die ihren Ursprung im kreativen Erwerbsprozeß haben. Diese Strategien sind angenähert zielsprachlich, entsprechen aber keinesfalls regelhaftem zielsprachlichen Gebrauch. Der Anteil des Interaktanten zur Auffüllung von Lücken (Lokalität) und zur Ergänzung fehlender Informationen aus eigenen Wissensbeständen ist recht hoch in dieser Phase. Der verbale Aufwand der Lerner (vgl. auch Hasan und Talat), die sich in einem vergleichbaren Interlanguage-Stadium befinden, ist sehr viel größer, da Defizite im syntaktisch-funktionalen Bereich meist durch komplexe Paraphrasen ausgeglichen werden (vgl. Hasans Nacherzählung). Diese komplexen Paraphrasen erfordern einen höheren sprachlichen Planungsaufwand als etwa eine einfache pronominale Referenz oder eine subordinierende Konjunktion. Es ist vorstellbar, daß der Erwerb syntaktischer Mittel die Lemer von diesem zusätzlichen sprachlichen Planungsaufwand befreit, womit Kapazitäten für den Erwerb übergeordneter Schemata (komplexe Handlungsmuster) freiwerden. In diesem Zusammenhang kann unter Umständen auch angeführt werden, daß sich Aynurs Lemervarietät l + am Zielsprachenstandard orientiert, wohingegen die Lemervarietät l eine Dialekt- Standard-Mischform war. Es bedarf weiterer Untersuchungen zur Klärung der sich jetzt stellenden Frage, auf welchen Sprachebenen die freiwerdenden pragmatischen Kapazitäten bei der weiteren Zweitsprachentwicklung eine Rolle spielen.

S. Kutsch, Diskurs und Grammatik

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186

DAS PRÄPOSmONALE ATTRIBUT IM ERST- UND ZWELTSPRACHERWERB

Berthold Reuter l EINLEITUNG1

Seit einigen Jahren hat sich auf dem Feld der Zweitspiacherwerbsforschung ein Wandel von einem primär syntaktischen Paradigma zu einem dialog-analytischen, auch "kommunikativ" oder "interaktiv" genannten vollzogen. Diese Änderung kann - für den europäischen und speziell für den deutschsprachigen Bereich - festgemacht werden an dem syntaktisch ausgerichteten "Heidelberger Projekt "Pidgüi-Deutsch" " (HPD), dessen erste Veröffentlichungen in das Jahr 1975 zurückgehen, und an den "kommunikativen" Projekten "Gastarbeiterkommunikation" (Saarbrücken, Beginn 1982, s. RATH 1983, KUTSCH/DESGRANGES 198S:lff.) und "Second Language Acquisition by Adult Immigrants" (Straßburg, erste Berichte 1982, s. PERDUE 1982).2 Im Verlaufe dieser Änderung der Forschungsrichtung sind nicht wenige syntaktische Fragestellungen unbehandelt geblieben. So ist die Topikalisierung, die in HPD (1975:86), als Vorhaben erwähnt wird, nicht Gegenstand einer systematischen Behandlung geworden.3 Desweiteren fehlt es an Darstellungen und Analysen des Erwerbs von Nominalgruppen und speziell des Präpositionalen Attributes (PA), von vereinzelten Hinweisen abgesehen (so in MEYERINGWERSEN et al., 1977 I:182ff.). Gerade das PA hat in der jüngsten Entwicklung des Deutschen zum Nominalstil an Gewicht gewonnen wie die Arbeiten von EGGERS (1957) und DROOP (1977) zeigen. Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, Informationen zur Auftretenshäufigkeit des PAS in Erst- und Zweitsprache (LI bzw. L2) mitzuteilen. Außerdem werden verschiedene Erklärungsmöglichkeiten für die zwischen Ll- und L2- Daten und zwischen den LZ-Daten selbst bestehenden Differenzen diskutiert. Es zeigt sich, daß der Bezug auf syntaktische Parameter nicht genügt, um die Defizite der L2-Sprecher einordnen zu können. Dies ergibt sich einerseits aus den Statistiken zu den von LI- bzw. L2-Sprechem realisierten PA-Strukturen, die nur schwache Differenzen aufweisen, und andererseits aus der Notwendigkeit, im Falle der Fehler- und Positionsanalyse Kriterien der Stilistik einzubeziehen. Unter "Kriterien der Stilistik" verstehe ich hier u.a. Formen und Funktionen von Extraposition (Topikalisierung und Nachstellung), die Verwendung von Idiomen, der Gebrauch der Figuren der Gradierung und des Chiasmus. Die Leitgedanken und wesentlichen Daten dieses Aufsatzes sind auf der Fachtagung "Syntax-Erwerb", Universität Dortmund 26.6.87, vorgetragen worden. 2 In der Erstspracherwerbsforschung wurden schon wesentlich frliher nicht-syntaktische Kategorien eingeführt; stellvertretend sei auf PIAGET (1968) und AUWÄRTER/KIRSCH (1978) hingewiesen. 3 S. aber KLEIN/DITTMAR (1979:150): hier werden Wortstellungsfragen des Verbs vorgestellt; auf Positionsanalysen, die an anderen Satzkonstituenten durchgerührt wurden, wird nur verwiesen. Ob von diesen Untersuchungen auch die Topikalisierung eingeschlossen ist, bleibt offen.

B. Reuter, PrSposltlonales Attribut

187

2. FOHSCHUNGSLAGE

Im folgenden werden zunächst das PA berührende Ergebnisse einiger Projekte zum (Zweit)-Spracherwerb vorgestellt. Im Vorgriff auf die Einzeldarstellung muß betont werden, daß die referierten Arbeiten aus zwei völlig unterschiedlichen Gründen hinsichtlich des PAS wenig ergiebig sind: Zum einen werden beobachtete PAS nur in summarischen Bemerkungen aufgegriffen, also nicht quantifiziert und nicht je Beleg diskutiert. Zum anderen fehlt in einigen Statistiken zur Verwendung von Nominalphrasen eine Detaillierung nach der Art dieser syntaktischen Einheiten, z.B. ob auch Attribute berücksichtigt wurden, bleibt offen. 2.1 PROJEKTE ZUM SPRACHERWERB

Das PA wird - wie schon angemerkt - in den Erwerbsuntersuchungen nicht zum Gegenstand der Analyse gemacht. Ein Bezug auf diese Projekte ist dennoch sinnvoll, da der interne Aufbau des PA kontrastiert werden kann mit den Strukturentwicklungen, die im Freien Angaben (KEIM 1984) festgestellt werden. Diese Projekte weisen in den Hauptbefunden enge Parallelen untereinander auf, obwohl ihre Daten an Probanden sehr differenter Li erhoben wurden (it. und span. Pb. bzw. tk. Pb.). Im HPD wurden folgende Beobachtungen zur Entwicklung der Nominalphrase (ohne Spezifizierung der Satzgliedfunktionen) gemacht: "Offensichtlich werden in einem wenig entwickelten Stadium der Zweitsprachenkenntnisse (Gruppe I) Nominalkomplexe in erheblich geringerem Maße und weniger differenziert erweitert als in einem relativ fortgeschrittenenen Stadium der Deutschkenntnisse (Gruppe BD. So erscheinen zunächst einfache Nominalphrasen, die wiederum meistens als einfache Nomen realisiert werden, bevor attributive Erweiterungen gebildet werden können." (HPD 1975:97f..). Diese Feststellungen können durch das Saarbrücker Material bestätigt werden: man vergleiche z.B. die PA-Bezugsgruppen zu den Belegen von DOMENICO (340/197) und AYNUR (311/131). Es gilt insbesondere auch für unser Material die Beobachtung : "Um komplexere Attribute erweiterte Nominalphrasen ( = die Verkettung von Adjektiven mit Adjektiven oder Numeralen, B.R.) können erst in einer fortgeschrittenen Lernphase gebildet werden." (HPD 1975:101) Komplexere Attribute i.S. des HPD treten in den Saarbrücker Daten weder bei den LI- noch bei den L2-Sprechem auf; möglicherweise - berücksichtigt man das Alter der Probanden - aus kognitiven Gründen. Die Beobachtung des HPD kann dennoch in einen Zusammenhang mit den eigenen Daten zum PA gestellt werden: Die Auftretenshäufigkeit des PA ist bei den L2-Lemem in Relation zu den Li-Lemem drastisch reduziert. Nur für eine sehr spät anzusetzende Erwerbsphase kann mit einer real erreichten Kompetenz der PA-Produktion gerechnet werden.

188

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

In seiner Untersuchung türkischer Probanden gelangt KEIM 2x1 ähnlichen Ergebnissen wie das HPD (1975:213). Zur Struktur der Präpositionalphrasen stellt KEIM fest: (Sprachlich entwickelte Probanden) "- verwenden Präpositionalphrasen, die aus Präposition und Pronomen bestehen - Präpositionalphrasen, die aus Präposition, Determinativum und Nomen bestehen. (Sprachlich weniger entwickelte Probanden) "- bilden Präpositionalphrasen sehr häufig durch ein Nomen - realisieren nur wenige Präpositionentypes." (KEIM 1984:218) Für Häufigkeit und Funktionen der Präpositionalphrasen lassen sich in dem Material von KEIM keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden L2-Sprechergruppen feststellen; weder für die Funktion der Ergänzung noch für die der Angabe (1984:213). In Übereinstimmung hiermit sprechen auch die Analysen an unserem Material nicht für nennenswerte Entwicklungen auf der Ebene der Syntax innerhalb des Beobachtungszeitraumes. Zu der Funktion von Präpositonalphrasen als Satzglied zweiter Ordnung, d.h. zu dem PA hält KEIM lediglich fest, daß es nur "vereinzelt" auftrete ( s. 213; s. a. MEYER-INGWERSEN et al. 1977:182f f.). Auch hierin, so muß der knappen Darstellung entnommen werden, unterscheiden sich "einfache" und fortgeschrittene Sprecher nicht. Aus der kontrastiven Analyse geht hervor, daß die o.g. Vereinzelung ein Charakteristikum der L2 ist. Die für L2-Sprecher sowohl im HPD als auch im -Projekt zu konstatierende Restringiertheit im Gebrauch des PA kann nicht durch den Faktor der Komplexität der internen Struktur erklärt werden. Dies belegen die Präpositionalphrasen mit nicht-attributiver Funktion·. Formal bieten die Regeln ihres Aufbaus die Möglichkeit zur Bildung zahlreicher und komplexer PAS. (1981) untersucht italienische Kinder im Alter unserer Probanden (8J. - lo J.). Seine syntaktischen Ergebnisse kongruieren grosso modo mit jenen von KLEIN und KEIM. Bemerkenswert innerhalb seiner Analysen sind die Überlegungen zu den Stellungsmöglichkeiten des Deutschen, so zur Voranstellung des Adverbs. Der Aspekt der Voranstellung ist für die Argumentation zum PA von Interesse, da die generelle Möglichkeit der Topikaliserung die Li- Sprecher von den L2-Sprechem unterscheidet. RICKHEIT (1975) thematisiert die Extrapositionen, mithin Voran- und Nachstellungen in einem eigenen Abschnitt seiner Untersuchung der Sprachentwicklung im Grundschulalter. Obwohl an deutschen Probanden zwischen 6J. und 10 J. erhoben, finden sich darunter keine PAS in Extraposition. Die beiden PAS VON IHM Und VOM KASPER in: MEHR KANN ICH NICHT VON IHM ERZÄHLEN und WEITER WEISS ICH NICHTS VOM KASPER (S. lio) besitzen zusätzlich zu ihrer Seltenheit nur eine begrenzte Aussagekraft, da sie aufgrund der Erhebungsweise als typische Erzählvermeidungsformeln einzuordnen sind.4 Zur Bestimmung von Formeln s. REUTER (l985:169ff.)

B. Reuter, Präpositionales Attribut

189

Die Arbeiten des HPD, von KEIM und PEENEMANN machen inter- und intraindividuelle Lemerdifferenzen an Strukturmonienten der Nonünalphrase im allgemeinen fest. Im folgenden wird gezeigt, daß das Bild der Unterschiede zwischen einzelnen Lemeistufen durch die Analyse der PA-Realisationen vervollständigt werden kann. 3. VERGLEICHENDE FAT .T.STUDIE 3.1. PROBANDEN UND MATERIAL

In der vorliegenden Untersuchung werden je ein deutscher, ein italienischer Proband und eine türkische Probandin unter dem Aspekt der PA-Kompetenz miteinander verglichen. Die Datenmengen des LI- Sprechers liegen eindeutig über denen der übrigen Probanden. Da die Anzahl der Aufnahmen aber nur unwesentlich voneinander abweicht, könnte dieser Sachverhalt von allgemeinen Ll/L2-Unterschieden herrühren, wenn auch die Faktoren der Situation und der individuellen Verbalisierungsweise mitbedacht werden müssen. Tab l· Datenumfang THORSTEN rd. 7900 Wörter

10 Bandaufnahmen

DOMENICO AYNUR

11 11

rd. 32OO rd. 5700

" "

Das Material setzt sich naturgemäß aus zahlreichen einzelnen Texten (Erzählungen, Dialoge (Beschreibungen, Erklärungen)) mit starker Themenvariation zusammen. 3.2. METHODIK

Die in der empirschen Behandlung der PA-Daten unseres Materials angewendete Methodik verbindet grammatische und stilistische Analyse. Im Sinne eines traditionellen Ansatzes werden die PAS nach grammatischstrukturellen Kriterien analysiert. Es zeigt sich allerdings, daß die Faktoren der Syntax in dem Beoachtungszeitraum den Erwerb weniger stark als erwartet determinieren. Negative Resultate erbringen auch die Aufstellungen der vollständigen (also nicht nur die PAS betreffenden) Präpositionslexika der Probanden und der zum PA als konkurrierendes Mittel einzuschätzenden Relativ-Sätze: Beide Kriterien trennen nicht Li- von L2-Probanden. Die mit dem PA verwandten Relativ-Sätze weisen im übrigen auch keine Entwicklungssequenz auf (vgl. 3.3.3.). Anstelle der klassischen syntaktischen Analyse sind die Kriterien der Gebrauchshäufigkeit, der Normabweichung und der stilistischen Einbettung "positive" Kriterien, d.h. sie sind zur Differenzierung von Li- und L2-Sprechem geeignet. 'Positive' Kriterien und Methoden sind: Quantitative Angaben: Lexika der PA-intemen Präpositionen Relative PA-Häufigkeiten

190

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

Häufigkeiten phraseologischer PAS Fehlerfrequenzen Qualitative Analysen: phraseologische Faktoren der Fehlerproduktion: Vor allem unter den Aspekten der Präpositionswahl und der Kontexteinbettung eines PAS Stilistische Bewertung des PA-Gebrauches: Analyse von Topikalisierung und anderen rhetorischen Mustern 3.3. GRAMMATISCHE ANALYSEN 3.3.1. DIE PRÄPOSrnONSLEXIKA

Bevor auf das PA direkt eingegangen werden soll, seien orientierende Daten zur Präpositionslexik gegeben: Tab

2 : Vollständige Präpositionslexika der Probanden THORSTEN. AYNUR, DOMENICO

Präp5 DM

zu MIT AUF VON AN FÜR AUS NACH BEI ÜBER VOR UM

Probanden TH

AY

DOM

X X

X X

X X

X

X

X

X X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X

X X

X

X

-

X X

X X

X

X X

X X

X X

X

Präp BIS GEGEN UNTER OHNE HINTER DURCH NEBEN WEGEN VON-BIS BIS- AN BIS- ZU AUSSER BIS-UM

Probanden TH AY DOM X

-

X X

X

X X

X X X

X

X

X

-

X X

X

-

X

X

_

X

-

X

-

-

X

Types: Thorsten 22; Aynur 21; Domenico 12; Diese Präpositionen-Type-Liste spricht für ein ungefähr gleiches Sprachniveau von THORSTEN und AYNUR. Die türkische Probandin erreicht fast die gleiche Type-Zahl wie der deutsche Proband, obwohl dieser beinahe die doppelte Wortgesamtzahl aufweist. Die Textmengen für DOMENICO und AYNUR sind von unterschiedlicher Größenordnung (3200 bzw. sroo Wörter). Der wesentliche geringere Umfang des Präpositionslexikons des it. Pb. kann daher durch den Faktor 'Datenbasis' Die Uste der Präpositionen ist nach den Häufigkeiten in der Gesprochenen Umgangssprache, wie sie von WÄNGLER (1963) angegeben weiden, geordnet. Grund für diese Anordnung ist, daß sie die 'Input-Wahrscheinlichkeit' für den Lerner wiedergibt. Die Grundform steht auch für kontrahierte Formen, z.B. IN für IM.

B. Reuter, Präpositionales Attribut

191

begründet sein. Diese quantitative Differenz tangiert offenbar nicht die spezielle Statistik zum Lexikon derjenigen Präpositionen, die in den PAS enthalten sind. Denn in der Analyse des Lexikons der der -intemen Präpositionen nähert sich das Verhältnis zwischen den L2-Lemem einer l:l-Relatfon an. Die Unterschiede der beiden Präpositionslexika können partiell dadurch erklärt werden, daß in das allgemeine Lexikon (Tab. 2) für AYNUR die relativ seltenen Präpositionen NACH, NEBEN und UNTER durch die besondere Thematik der Wegbeschreibung eingehen. Diese Textsorte ist bei DOMENICO kaum vertreten. Da nun diese Präpositionen für die spezielle Verwendung zur lokalen Angabe ausschließlich in Freien Angaben realisiert werden, beeinflussen sie die Statistik zum PA-Präpositionslexikon nicht. Tab

3: Lexikon der PA-internen Präpositionen Präp. IN ZU

Probanden TH

AY

DOM

X

X

X

-

Fv.(Falschverwendung) P

X

-

X

X

X

X

-

-

X

X

X

X

X

-

-

Fv. S S

X

AUF VON AN FÜR AUS BEI ÜBER UM OHNE

X X X

Types

10

X

-

Als Aussage der Tab. 3 kann festgehalten werden: Die Type-Zahl der Präpositionen bezüglich des PAS differenziert klar die L2-Lemer von dem Li-Lerner. Als gewichtige Ursache hierfür sind vor allem die geringe semantische Motiviertheit und die relativ geringe Vorkommenshäufigkeit derjenigen Präpositionen, die nicht gekonnt werden, zu vermuten. Beide Faktoren interagieren derart, daß die häufigsten Präpositionen bei allen Probanden - fast unabhängig von der Motiviertheit - auftreten: Man beachte besonders die Gruppe der ersten 8 Präpositionen. Die seltenen Präpositionen dagegen zB. OHNE finden sich trotz relativ guter Motivierung nur im Material des LI-Sprechers. 3.2.2. DDE RELATIVE HÄUFIGKEIT DES PAs

Die relative Häufigkeit des PAS wird bestimmt nach dem Quotienten "Häufigkeit von -Tokens : Gesamtmenge der Wörter (= Text)". Dieser Quotient ist zu vergleichen mit dem Quotienten "Anzahl der -Types : Text".

192

G. Antos. "Ich kann Ja Deutsch!'

Tab

4: Relative PA-Häufigkeit:

Prob

Tokens

-Tokens Wo (Tausender)

THORSTEN AYNUR DOMENICO

30 13 9

Quotient 6.7 2.3 2.8

7.5 5,7 3,2

Aus dem Quotienten geht hervor, daß er zwischen dem Li-Lemer und den L2-Lernem sehr gut trennt. Zieht man das PA-Präpositionslexikon in Betracht , welches geringere Type-Zahlen für die L2-Lemer angibt (s. Tab. 3), so stellt sich heraus, daß die L2-Lerner keine kompensatorisch erhöhte Zahl von PAS realisieren, die mit diesen Präpositionen gebildet würden (i. S. einer iibergeneralisierung). Auch der Quotient " Li-Lemer: Tab

-Types : Wörter" differenziert die L2-Lerner von dem

5: Relative PA-Häufigkeit:

Prob. THORSTEN AYNUR DOMENICO

PA-Types

35 11 7

Types

Wörter ün Tsd.) 7,5 5.7 3,2

Quot. 4,7 1.9 2,2

Als erstes Ergebnis zahlenmäßiger Natur ist daher festzuhalten: Sowohl die Lexik der PA-Präpositionen als auch die Realisationshäufigkeit der PAS macht große Unterschiede zwischen dem Li- Sprecher und den L2-Sprechern evident. Durch den äußeren Faktor "Materialumfang" bedingt ist auf die negative Implikation dieses an sich positiven eindeutigen Ergebnisses im Falle der PA-Häufigkeit hinzuweisen: Die Differenz Li - L2 bedeutet, daß für die L2-Sprecher - statistisch betrachtet - nur auf wenige Belege für das PA zurückgegriffen werden kann. (Ein Stichprobenumfang von 10 Elementen wird zwar auch von der analytischen Statistik akzeptiert (s. CLAUSS/EBNER. 1975:175); das Problem verschärft sich jedoch, wenn Unterklassen zu bilden sind. In diesem Fall muß - wie es auch weiter unten geschieht - die Argumentation auf einer qualitativen Analyse aufgebaut werden. 3.3.3. SYNTAKTISCHE STRUKTUREN DES PAS

Eine allgemeine Statistik der Satzstrukturen mit Präpositionalphrasen der hier untersuchten Probanden zeigt eine bemerkenswerte Vielfalt und differenziert kaum zwischen den L2- und Li-Probanden. So verfügt etwa DOMENICO über den Satzplan SUBJ. + PRÄD. + DAT.-OBJ. + PRÄP.-OBJ., die türkische Proban-

B. Reuter, Präpositionales Attribut

193

din über SUBJ. + PRÄD. + ART.-ERG. * PRÄP.-OBJ. Es handelt sich hierbei um die Gruppe der seltenen Pläne, die auch vom Li-Sprecher kaum eingesetzt werden. Analog zu dieser allgemeinen Tatsache ist auch der Typenreichtum der PAStrukturen aller Probanden recht groß. Die Differenz L1-/L2- Lerner ist nicht an einer niedrigeren Type-Token-Ratio der PAS bezüglich der L2-Lemer abzulesen, sondern nur an der verringerten Zahl von PA-Realisierungen überhaupt (s.o.). Auch hinsichtlich des Umfanges der PA-Strukturen können THORSTEN, AYN1IR und DOMENICO nicht differenziert werden. Es scheidet ebenfalls die Differenzierbarkeit nach dem Verhältnis von Relativsatzhäufigkeiten zu PAHäufigkeiten aus. Ein solcher Vergleich wird nahegelegt durch die Transformierbarkeit von PAS in Relativsätze (s. LEHMUS 1983:92f.). Sie könnte eine Kompensation einer fehlenden PA-Beherrschung durch äquivalente Relativsätze erwarten lassen. Die in dem Material gegebenen Relativsätze sind jedoch nicht umgekehrt in PAS umwandelbar, so daß die Verhältniszahlen nichts aussagen würden. Es ergeben sich daher als manifeste Differenzen zwischen THORSTEN einerseits und AYNUR und DOMENICO andererseits die erwähnte größere Anzahl von PA-Realisierungen Überhaupt und die darüber vermittelte Zahl von Strukturen. Außerdem findet sich als spezielles Strukturmerkmal bei dem deutschen Probanden die Topikalisierung des präpositionalen Teils der PAGruppe. Beide Phänomene , sowohl der quantitative Unterschied als auch die Besonderheit der Position der PAS bei THORSTEN sind zu erklären. Die Topikalisierung wird als Stilaspekt im Abschnitt 3.4. behandelt werden. Die geringere Anzahl von Realisationen soll a) auf der Basis der Beobachtungen zu den PA-Fehlern und b) ebenfalls unter dem Aspekt der Überlegungen zur Stilistik und Phraseologie / Idiomatik behandelt werden. Die PA-Strukturen werden nach drei Komplexitäts-Niveaus6 unterschieden: Schema der PA-Strukturen Struktur i: PRÄP + (NOM oder PRON) : PRÄP + DET + (NOM oder PRON) m-. PRÄP - (ADj oder POSS und/oder NUM) * (NOM oder PRON) Beispiele : Struktur I

so kanon aus holz

Bd. 21S/O32

Struktur

de caiptn von de marsmensche

Bd. 278/O99

Struktur m

do in burbach gebts kaffeestückcher mark

für drei (s. 331/O3S)

Der Begriff der Komplexität ist in der Linguistik immer wieder ohne zufriedenstellende Klärung diskutiert worden und kann daher auch hier streng genommen nur einen heuristischen Wert besitzen. Die Beispiele sind dem Material des dt. Pb. entnommen

194

G. Antos, "Ich kann Ja Deutschi"

Diese Strukturen8 verwendet THORSTEN am häufigsten. Sie können daher als Maßstab zur Bewertung der PA-Kompetenz der L2-Lemer dienen. Bezeichnend für die L2-Lemer ist, daß von ihnen nur diese Strukturen realisiert werden. Der dt. Pb. setzt außerdem im Nominalteil der Präpositionalphrase auch Pronomina ein, so etwa in DE CAIPTN VON DENNE. Die Strukturen verteilen sich, bezogen auf die Basis der Gesamtzahl der PABelege (s. Tab. 5) wie folgt: Tab 6: Verteilung der PA-Strukturen Proband THORSTEN AYNUR DOMENICO

PA-Strukturen I

II

m

0.3 0,3 0,3

O,3 0.7 O,3

0,1

0,1

Zur Interpretation der Zahlenwerte ist zu berücksichtigen, daß - wie Tab. 4 zeigt - die Beleghäufigkeit für AYNUR und DOMENICO recht gering ist. Die Möglichkeit zu fundierten Schlüssen zu gelangen, ist daher eingeschränkt. Als sichere Aussagen können aber gelten: Die L2-Lemer vermeiden eine Pronominalisierung innerhalb eines PAS. Die Analyse der Bezugsgruppe zeigt dagegen, daß die Pronominalisierung generell jedoch beherrscht wird: für AYNUR und DOMENICO liegen jeweils drei Beispiele vor. Die Pronominalisierung wird auch speziell in Präpositionalphrasen des nicht-attributiven Typs, wenn auch in geringerem Umfang beherrscht. Die Vermeidung gilt für alle Struktur-Niveaus und spricht ebenso wie die Restringiertheit des PA-Präpositionslexikons (s. Tab.3) für die erhebliche Unsicherheit der nichtdeutschen Probanden gegenüber dieser syntaktischen Einheit. Außer denjenigen PAS, welche den oben beschriebenen Strukturen zuzuordnen sind, werden von dem deutschen Probanden weitere "komplexere" realisiert. Unter "komplexer" wird hier die Erweiterung des PAS um Adjektiv, Numerale, Adverb usw. verstanden.9 3.3.4. NORMABWEICHUNGEN IN DER PA-REALISATION

Die Präpositionen gehören zu den besonderen Klippen des L2- aber auch des Li-Erwerbs (VAN DAM, 1972:65; GRIMM, 1975:97). Die nachstehende Tabelle zu den Abweichungen im Präpositionsgebrauch der Probanden entspricht dieser allgemeinen Feststellung. Für den dt. Pb. ist erkennbar, daß er den Präpositionserwerb zu Beginn des Untersuchungszeitraumes abgeschlossen haben dürfte.

p

Die Belege im Einzelnen, s. Anhang Belege s. Anhang

B. Reuter, Präpositionales Attribut

Tab.7 : TH

195

Allgemeine Präpositionsfehlerstatistik 0,9 x (Freie Angabe, lok. Erg.)

AY

23.O

(Freie Ang., lok. u. temp. Erg., Präp. Obj., PA)

DOM

2S.O

(Freie Ang., lok. Erg., Präp. Obj., PA)

Die Analyse der Fehler im PA-Gebrauch bestätigt die Stabilität der Kompetenzdifferenzen zwischen Li- und L2-Lemem: die L2-Probanden realisieren nicht nur weniger PAS und weniger PA-Präpositionen, sie weisen umgekehrt auch als einzige Nonnabweichungen im PA-Gebrauch auf. Denn trotz der wesentlich höheren absoluten und relativen Menge an PAS zeigen die Daten von THORSTEN nur einen einzigen Fehler, der im übrigen auf einer bemerkenswert hohen idiomatischen Ebene angesiedelt ist (EIN NACHTEIL VON .... vgl. S. 201 i. d. Band). Nachfolgend wird zuerst die türkische Probandin (Sprechersigle im Textband: 'a') besprochen. Die Belege: Textband S. 17 ooif. das is ein ein geschenk für weih am Weihnachten für meine mutter Textband S. 30 O71

doch beim garten bei uns (= von uns!)

Bd. 312 O94

ich hab überhaupt net angst gehabt aber nur von den spritzen

Textband S. S9 O45 vielleicht hat se angst gehabt von den menschen Im ersten Beispiel korrigiert die Probandin die zunächst korrekt gewählte Präposition FÜR zur nur noch bedingt richtigen Präposition an . Ein Grund für die Normverletzung mag eine allgemeinere Unsicherheit betreffs der adäquaten Präposition sein. Außerdem kann die Rektion als Fehlerursache für die Verwendung von am statt an vermutet werden. In dem zweiten Beispiel ist BEI irrtümlich gewählt, da die Probandin mit Sicherheit VON mit possessiver Bedeutung intendiert, da sie auf den Garten ihrer Familie referiert. Im dritten und vierten Beispiel liegt möglicherweise eine Abweichung durch Hypergeneralisierung eines semantischen Merkmals vor: die Probandin mag die Präposition VON mit dem Marker 'negativ' versehen haben, induziert von Kontexten wie: VON ETWAS WEGGEHEN = VERLASSEN

und auch möglicherweise durch phraseologisch- redensartliche Formulierungen wie: DAS KOMMT VON DEINEM (einzusetzen: eine Verfehlensweise)

196

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

Eine unvollständige akustische Diskrimination scheidet als Ursache für diesen abweichenden Gebrauch aus, da die Probandin in anderen Kontexten die Präposition VOR (korrekt) einsetzt. Die Nonnabweichungen in den PA-Realisationen DOMENicos sind mehreren Klassen zuzuordnen. Auf die hierfür zu veranschlagenden Ursachen sei in einem die Fehleranalyse abschließenden Vergleich eingegangen. Die Belege : Textband S. 175 O33 do war ebbes zum gefreß etwas

Textband S. 177 O76 awwer der kleiner von die alle zwei Textband S. 232 OO3/OOS vor zweihunnertmilliarde jähre lebte noch so mensche von tieren mensche die wäre auf aus äff

Bd. 340 197 sie weeß was das fier karte is10 far

Bezüglich des Belegs DO WAR EBBES ZUM GEFRESS ist zur Qualifizierung des Fehlertyps der weitere Kontext zu berücksichtigen. Die Aufnahme wurde während eines Zoobesuchs vor dem Elefantengehege gemacht. Die interessierende Äußerungskette lautet: ( d = Proband; b = Betreuer ) 033 d wenn die tiere do drin war do unne ware do war ebbes zum gefreß unten

etwas

034 b

was gefressen?

035 d

do unne die tiere erseht gesiehn harm wenn die do drin wäre .zuerst gesehen hatten

036 b

ja ja

037 d

so wie do jetzt aussieht do war ebbes zum gefreß ++

038 b

nä das hab ich jetzt nit verstanden was de meinst welche tiere

039

da unten du meinst der löwe?

040 d 041

ja

+ oder

oder der der jaguar?

jo der

IO

HELBIGXBUSCHA (1984:254) klassifizieren WAS FÜR EIN als Interrogativpronomen. Nach diesem Verständnis bildet WAS FÜR EIN eine idiomatisch feste Einheit. M.E. spricht für den Attribut-Charakter von FÜR (EIN) X dessen Elidierbarkeit: SIE WEIB,

WAS DAS FtlR (EINE)

KARTE IST VS. SIE WEIB,

WAS DAS

IST.

B. Reuter, Präpositionales Attribut

042 b

also du meinst wenn

hie die A wenn die da drin waren

043 d O4-4 b

197

ah so jo weil

die A

O45 d

da war

die war schon gefressen

Mit "TIERE" sind wahrscheinlich Löwen gemeint, an deren Käfig Proband und Betreuer unmittelbar zuvor vorbeigingen. Auf eine detaillierte Analyse der verschiedenen Mängel des Referenzsystems und der Syntax dieser Stelle muß verzichtet werden. Die Rekonstruktion der Proposition von DO WAR EBBES ZUM GEFRESS ist unsicher. DOMENICO will wahrscheinlich sagen: « WENN DIE LÖWEN DA (= IN DIESEM ELEFANTENGEHEGE) DRIN WÄREN, DANN HÄTTEN SIE AN DEN ELEFANTEN ETWAS ZU FRESSEN GEHABT

Diese Interpretation kann durch die Eigenart der Ausdrucksweise des Probanden gestützt werden, die in der für sein Alter relativ häufigen Verwendung der Redefigur der Litotes besteht. Dieses Beispiel ist einer der eisten Bandaufnahmen des Probanden entnommen. Es zeigt eine zwar völlig mißlungene Konstruktion, aber auch möglicherweise den Versuch eines Transfers einer PA-Konstruktion, die das Kind mit Sicherheit in seiner Li schon beherrscht. Ebenfalls zu den frühen Belegen gehört (gleiche Aufnahme) die Vergleichskonstruktion DER KLEINER VON DIE ALLE ZWEI. Der Kontext der Äußerung ist der eben geschilderte Besuch im Zoo. Die relevante Gesamtäußerung ist folgende:

DER is VIEL DICKER ALS DIE ZWEI (Referenz sind die 3 Elefanten des Geheges) ... DER KLEINER VON DIE ALLE ZWEI Die Äußerungsintention kann so rekonstruiert werden: » DIESER IST DER KLEINSTE ELEFANT VERGLICHEN MIT DEN BEIDEN ANDEREN ELEFANTEN

Die Inakzeptabilität der Phrase kann als Resultat einer Kontamination der Konstruktionen der Komparation * DER IST KLEINER ALS ... und präpositionaler Attribution « DER IST DER KLEINERE VON ... aufgefaßt werden. Sie basiert wahrscheinlich auf einem durch die Möglichkeiten der it. Präposition Di bedingten Transferfehler. Im Italienischen kann DI sowohl zur Bildung des Komparativs eingesetzt werden als auch zur dem Deutschen analogen Bildung eines Attributes. Es kommt als verstärkender Faktor für einen Transfer die prinzipielle Verwandtschaft beider Konstruktionsweisen als nominale Ausdrücke hinzu. Für eine feinere Analyse der Abweichung in dieser Präpositionalphrase muß doppelsträngig verfahren werden, indem man die Möglichkeiten einer Intention eines Komparativs oder aber eines PAS getrennt weiter verfolgt.

198

G. Antos. "Ich kann Ja Deutschi"

An dieser Stelle sei angenommen, der Proband habe ein PA realiseren wollen. In diesem Fall ist zunächst ein Rektionsfehler, nämlich Nominativ- (oder aber Akkusativ-) Form statt Dativ des Artikels zu konstatieren. Ebenso bedeutsam, wenn nicht noch wichtiger ist aber der diese Norrnabweichung begleitende phraseologische Fehler der Wahl von ALLE. Versucht man nämlich eine Korrektur der Äußerung post festum, so häufen sich die tangierten Alternativen vor allem auf der Ebene der Phraseologie, weniger auf der Ebene der Syntax. Probehalber seien die möglichen korrekten, vom Probanden anvisierten Äußerungsvarianten dargestellt: » DER IST DER KLEINERE VON ALL DEN DREIEN

Gemäß dieser hypothetischen Formulierung verletzt der Proband die Kongruenz ALLE/Gesamtzahl der Tiere. Durch den Komparativ ist diese Abweichung jedoch gewissermaßen zwangsläufig. Im übrigen ist morphologisch festzuhalten, daß der Proband nicht den erwartbaren Superlativ setzt. Die Einführung von ALL kann aber resultieren aus der phraseologischen Ausdrucksweise ATT DIE ANDEREN, die aber in der Regel sich auf größere Quantitäten bezieht: « DER IST DER KLEINERE IM VERGLEICH ZU ALL DEN ANDEREN

Evident, daß also zur 'Rettung* des Quantors ALL, eine umfangreiche Änderung der Ursprungssäußerung notwendig wäre. Man kann nun aber auch von der Äußerungsabsicht in komparativer Weise ausgehen: « DER IST KLEINER ALS DIE BEIDEN ANDEREN

Abweichend - und bedingt durch die Funktionsvielfalt des it. DI - sind hier die Wahl der Präposition VON und wie in den vorangegangen Erörterungen der Einsatz des Quantors ALL. Dieser Ansatz ist etwas wahrscheinlicher, da hiermit die Notwendigkeit entfiele, einen Rektionsfehler anzusetzen und zu erklären. Man muß dabei aber berücksichtigen, daß der Proband im gleichen Zusammenhang seine Beherrschung der Morphologie des Komparativs mit ALS unter Beweis stellt (s.o.). Die Analyse der Probeparaphrasen und des weiteren Kontextes führen somit zu folgendem Ergebnis: Der Proband transferiert auf der syntaktischen Ebene eine im italienischen plurifunktionale Konstruktion ins Deutsche. Außerdem werden in seiner Äußerung phraseologische Bedingungen wirksam, die wegen ihrer Komplexität zu Regelverstößen führen. Sie können als zentraler Faktor für die Fehlergenese betrachtet werden, da der Pb. a) in einer Vorgängeräusserung die Beherrschung des Komparativ-ALS beweist und b) eine einfache syntaktisch-morpologische Korrektur die fragliche Stelle nicht in eine akzeptable verändert. Ebenfalls unter phraseologischem Aspekt von der Zielsprache abweichend, obwohl formal und semantisch korrekt, ist die PA-Phrase: so mensche von tieren mensche die wäre auf aus äff

B. Reuter, Präpositionales Attribut

199

Der Kontext lautet: s. 232/OO3.OO5 vor zweihunnertmiWarde jähre lebte noch so mensche von tieren mensche die wäre auf aus äff Zur Rekonstruktion des Gemeinten kann auf mindestens zwei Paraphrasen rekuniert werden: A) « EINE ART VON MENSCHEN, DIE DIREKT VON TIERÄHNLICHEN MENSCHEN ABSTAMMTEN B) « EINE ART VON MENSCHEN, DIE ZU DEN TIERMENSCHEN ZU ZÄHLEN SIND

Der Proband versucht mittels der präpositional-attributiven Konstruktion einen gewissen Grad an Ökonomie des Ausdrucks zu erreichen. Dazu ist er auch durch die Redesituation genötigt: Sein Sprecherbeitrag erfolgt nach einer sehr langen Einlassung seiner rededominanten Schwester SILVIA, die ihn auch in der Folge mehrfach unterbricht. Die Kürze des Ausdrucks ist jedoch inakzeptabel, obwohl streng parallel zu anderen qualifizierenden PAS gebildet, etwa: ( DIE ) JUNGEN VON KATZEN, DIE NACHFAHREN VON ( DEN ) RITTERN usw. Zwar ist die Explikation erschwert durch das gewissermaßen rekursive Element MENSCH in TTERENMENSCH. Das eigentliche Problem ist jedoch darin zu sehen, daß für den kompetenten Li-Sprecher viele referentielle Strukturen, die mit PAS zu assoziieren sind, normadäquat beherrscht werden. Solche Restriktionen sind aber ebenso Erwerbsgegenstand wie etwa ein Lexikon oder syntaktische Paradigmen. Die Nichtberücksichtigung derartiger Selektionsbeschränkungen durch den Probanden kann als eine Strategie der libergeneralisierung aufgefaßt werden. Auch das zuletzt behandelte Beispiel dokumentiert also das Gewicht der "prinzipiellen Nicht-Regelmäßigkeit in natürlichen Sprachen" (IMMLER, 1974:167). hi dem Beispiel SIE WEEB WAS DAS FIER KARTE (- Spielkarte) zs elidiert der Proband das obligate Indefinit-Pronomen EINE. Der Fehler könnte durch Transfer bedingt sein, da im Italienischen der Indefinitartikel - und auch die Präposition - nicht gesetzt werden: LEI SA CHE CAJRTA E. Zielsprachliche Ursache könnte die Pluralvariante sein, die ja lautet: - SIE WEISS WAS DAS FÜR KARTEN SIND. Die Fehlerneigung ist auch dadurch erhöht, daß das Pronomen hier eine redundante Information liefern würde, deren Reduktion für Lemersprachen als Sonderform der Simplifizierung typisch sind. Die Sachlage wird kompliziert durch Mengenbegriffe, welche ein Indefinit-Pron. erfordern können aber nicht müssen: WAS FÜR (EIN) GEMÜSE IST DIES ? und solche Fälle, die es ausschließen WAS FÜR GELD KANN MAN AUF DIESER BANK EINTAUSCHEN, und solche, in denen es obligat ist: WAS FÜR EINE WÄHRUNG GILT IN DIESEM LAND ? Es wurde gesagt, daß sich die beiden L2-Lemer AYNUR und DOMENico in der Art, nicht in der Zahl der Fehler unterscheiden. Hiermit ist der wesentliche Unterschied zwischen den beiden LZ-Sprechern gegeben, denn quantitativ betrachtet haben sie ja den gleichen "Abstand" zu dem Li-Probanden THORSTEN.

200

G. Antos, "Ich kann Ja Deutschi"

AYNUR und DOMENICO gehören zwei unterschiedlichen Lernertypen an. Die türkische Probandin kann als 'Planerin' in Analogie zu den Kategorien DECHERTS klassifiziert werden (DECHERT 1984:175). Dieses Erwerbsverhalten kann speziell aus der Art der Fehler abgelesen werden: die Fehler der PAS "bleiben" reine Wahlfehler. Das soll bedeuten, diese Normverletzungen treten isoliert in der betroffenen PA-Konstruktion auf und können als punktuelles Versagen der Planung aufgefaßt werden. Die Beobachtungen lassen sich mit •weiteren zur Sprache der Probandin vereinbaren: Obwohl sie in einer ausschließlich dialektsprechenden Umgebung aufwächst, spricht sie ein stark angenähertes Standarddeutsch - ganz im Gegensatz zu dem italienischen Probanden, für den ein eher ganzheitlicher Erwerbsprozeß charakteristisch ist (s. DECHERT ebda.). Zur weiteren Verdeutlichung dieser konträren Erwerbsmuster ist auf die Bildung des Komparativs hinzuweisen: Während DOMENICO sehr bald nach Beginn seines L2-Erwerbs das Morphem ALS ersetzt durch das im Dialekt und sogar in standardangenäherter Umgangssprache übliche WIE, verwendet AYNUR durchgängig die "korrekte", normentsprechende Form ALS. Für diese Einschätzung des Lernverhaltens der türkischen Probandin spricht auch ihre geringere Vielfalt an syntaktischen Strukturen des PAS (s. Tab. 6). Während DOMENICO eine zu THORSTEN parallele Verteilung der syntaktischen Strukturen l - m aufweist, dominiert bei AYNUR die Struktur Nr. : PRÄP + DET + . Die Struktur Nr. m tritt in ihrem Material nicht auf. Die wichtigsten Beobachtungen der Fehleranalyse seien zusammengefaßt: Auf der quantitativen Ebene sticht hervor, daß der deutsche Proband trotz des Vielfachen an PA-Realisationen verglichen mit den L2-Probanden nur einen einzigen Fehler produziert. Dagegen ist fast die Hälfte der PA-Belege der L2-Lerner normabweichend. Unter qualitativem Aspekt scheint es plausibel, den Faktor der Implikationen eines PAS für den Kontext der Realisation als eine der primären Ursachen für die Kompetenzdefizite anzusetzen. Dabei sind im einzelnen vor allem die komplizierten phraseologischen Besonderheiten der Zielsprache determinierend. Die syntaktische Anaylse zeigte, daß die formal-strukturelle Komponente nur eine begrenzte Rolle im fortgeschrittenen Zweitsprachenerwerb spielt. Parallel zu den phraseologischen Problemen gehört die semantische Unterbestimmtheit der Präposition im PA zu den klassischen Erwerbshindemissen. Dies gilt besonders für die türkische Probandin, da das Türkische als Ausgangssprache kaum einen Anhaltspunkt für den Aufbau des semantischen " Systems" der deutschen Präpositionen liefert.11 Die Rektion als "formales" Charakteristikuni des PAS beeinflußt den Erwerbsprozeß abhängig vom Lernertyp. Eine auf sprachliche Korrektheit bedachte Lemerin wie AYNUR meistert offenbar schon früh das Problem der Rektion, wohingegen der "kommunikativ" interessierte Lemer DOMENICO in diesem Punkt eine höhere Fehlertoleranz aufweist. Zur Frage der Übersetzung deutscher Präpositionen ins Türkische, s. TEKINAY 1984.

B. Reuter, Präpositionales Attribut

201

3.4. STTT TSmSCHE ANALYSE

In diesem Abschnitt sollen zentral die stilistischen Weite der Stellungsbesonderheiten der PAS, die hauptsächlich in den Daten THORSTENS zu beobachten sind, erörtert werden. Es seien zuvor jedoch einige Feststellungen zu Phraseologismen getroffen, welche ein PA enthalten. In REUTER (1986:lS9f. 1987:175) wurde vermutet, daß Phraseologismen im Rahmen des L2-Erwerbs Teil des Erwerbs einer stilistischen Kompetenz sind. Diese Annahme wird auch durch die folgenden Beispiele unterstützt. Phraseologismen mit PAS finden sich bei THORSTEN und AYNUR. Allerdings findet sich nur ein Beispiel bei der tk. Probandin. Beispiele: THORSTEN

Bd. 2O1/O16 äner von den annere zwei /O28f.

un do hat er zuviel arbeit gehst nut denne Bd. 21S/049F.

do is der grosse bäum hm gena äh de gleiche von der gleich sort wie mir han Bd. 278/008F. (S.S)

hascht das a gesiehn von denne äh maismensche S. 316/036.O38

un die hat vierzig mark koscht ne? un die do die is um die hälft billicher + S. 328/1O6.1O8

das is jetzt e nodeil vom em eh ans ohne rücktritt

ne?

AYNUR S. SD/O39

so die hälfte von dem wa was sie gewinnen kriegen sie auch

*3

hi diesen Beispielen erfüllen die Phraseologismen die Funktion der Akzentuierung. Sie sind Element eines Zusammenspiels mehrerer Mittel, die Text12

Die Identifikation von Phraseologismen ist teilweise gut operationalisiert (BURGER 1973:3ff.). Gleichwohl ist der Übergang zu den kreativen Bildungen fließend. Zur Operationalisierung von Phraseologismen gehören u.a. Selektionsbeschränkungen. So ist z.B. im ersten Beispiel von Thorsten nicht jedes Numerale möglich (von sehr speziellen Kontexten abgesehen): * EINER VON DEN ANDEREN DREIUNDZWANZIG. Bezeichnend für die L2-Lemerin: PA-interne Pronomina l ixten mg nur innerhalb eines phraseologischen also relativ festen PAS.

202

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

passagen als Gesamtes einen bestimmten stilistischen Charakter geben. Dies sei für das Beispiel s. 316/O36.O38 demonstriert: Thema der Passage ist der Kauf eines Spielzeugs, der dem Pb. 't* untersagt ist. 014 t

im prirnos odder wie

der

heischt ne? do harm ich so

Kaufhaus 015 j

016 t

XXX unverständlich

e raumschiff gesiehn ne?

das wollt ich ma ka:fe darf ich

gesehen 017 j

018 t

mir kaufen hm best.

ma nit

ka:fe

mir nicht kaufen

O19-O29: ( Klärung der Frage, um welches Kaufhaus es sich handelt.) 030 j

es is ach bestimmt ganz schön deuer he?

031 t

e e +e e

auch

teuer

von krieg

der sterne hann ich e kapsei die hat

verneint

032 j

Thors A

033 t

vierzig mark koscht

ne?

gekostet

034 j

wie?

was? en was? eine

035 t

eine kapsei ne?

036 j

e kapsei ach so

037 t

un die hat vierzig mark koscht ne? un die do die is um die

038

hälft billicher + un ich hann jo iwwer vierzig mark ne? darf

039

ich ma nit ka:fe

Scienceflctlonfahrzeug

billiger

über

Als Mittel der Steigerung sei hier z JB. hingewiesen auf - die Unterstreichung des 'apodiktischen' Urteils darf ich ma nit kaafe , durch die Verwendung einer Ellipse, - die Antithese: das wollt ich ma ka:fe - darf ich ma nit ka.-fe - die doppelte Antithese AJB, B:A* in: O37 A un die hat vierzig mark koscht ne? O37f. B un die do die is um die hälft billicher O38f. A' + un ich hann jo iwwer vierzig mark ne? und schließlich auf die durch die Partikel jo gegebene Ausrufeintention der Evaluation jo iwwer in 038f. ( HELBIG/BUSCHA 1984:487). Als erste stilistische Feststellung kann daher gesagt werden: Phraseologismen

B. Reuter, PrSposltloiutles Attribut

203

gehören zu den genuinen Mitteln, durch die eine Stilebene - hier die der umgangssprachlichen Emphase - markiert werden kann. Da dies nicht nur die Erweiterung oder Beherrschung eines entsprechenden Lexikons bedeutet, sondern den Erwerb von textumfassenden Strukturen, werden sie vom L2Lemer erst in einer sehr späten Phase adäquat eingesetzt. Von daher sind auch nur wenige Phraseologismen und dementsprechend fast keine PA- Phraseologismen bei den L2-Lemern zu finden. Die Ebene des Textes (genauer der größeren Redeeinheit) und des Stils ist auch berührt von PAS in Sonderstellung. Zur textlichen Funktion des PA sei zunächst bemerkt: Das PA wird gewöhnlich mit der Intention der Präzisierung einer Information geäußert ( ERBEN, 1972:282). Diese textkonstitutive Aufgabe eines PAS kann seine Grundfunktion genannt werden. Die Grundfunktion ist vor allem bei der Normalstellung NP - PA als die einzige vom Sprecher realisierte Funktion anzusetzen. Eine abweichende Position impliziert dagegen die zusätzliche Realisierung von stilistischen Werten. Die PAS der L2-Lemer des Saarbriicker Projekts werden ohne Ausnahme in der unauffälligen Normalstellung und daher ohne Valeurs realisiert. Der deutsche Proband realisiert statt dessen PAS sowohl in der Normalstellung als auch insbesonderen stilistischen Mustern mit den Effekten der Steigerung, Kontrastverstärkung u.a.m. . Die Qualifizierung unter dem Aspekt Stil gehört damit zu den genuinen Mitteln, durch welche L2- von Li-Probanden unterschieden werden können. In den nachfolgenden Analysen werden folgende Stil-Formen und -Funktionen betrachtet: Formen:

Extraposition Nachstellung) Chiasmus

Funktionen:

Emphase Gradation Klimax14 Kontrastierung

(Topikalisierung und

Betreffs der Topikalisierung ist eine nähere Bestimmung auf dem Hintergrund der Verwendung dieses Terminus in der Erwerbsforschung vorzunehmen. Empirische Befunde zur Topikalisierung, deren Bedeutung KLEIN (1984:133f.) für den Spracherwerb unterstreicht, stellt u.a. TUMAT (1986:38) aus der Perspektive des Zweitspracherwerbs türkischer Kinder (Schulanfänger) vor. Er behandelt dort die - wie ich sie nennen möchte - Basisfigur der Topikalisierung, dJi. die Voranstellung des nominalen Satzgliedes eines einfachen Aussagesatzes mit nachfolgender Wiederaufnahme durch ein Pronomen: MEIN SCHWESTER SEE MACHT DAS HAUS SAUBER. Diese Muster der Topikalisierung finden sich auch mehrfach im Saarbriicker Material und zwar bei allen Probanden. 14

Abweichend von BRAAK (1972:42) verstehe ich unter "Klimax" nur den Höhepunkt selbst.

204

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

TH Bd.

278/199F.

das raumschiff ne das war jo noch Uwerm meer AY Bd. 113/OSO.OS3

mei mutter die lasst misch nicht DOM S. 216/112,114

e freund von meine onkel die hat ach e baby kntt gekriegt

Im Gegensatz zu diesen elementaren Topikalisierungen sollen im folgenden solche analysiert werden, die nicht eine Nominalphrase erster Ordnung sondern das PA betreffen. Elaborierte Wortstellungen dieses Typs sind, wie gesagt, nur in dem Material des deutschen Probanden zu beobachten. Die PA-Umstellungen haben, so vorweg, ebenso die Funktion der Hervorhebung wie die oben genannte Basisfigur der Topikalisierung. Da aber die PAS grob formuliert nicht auf der Haupt-Informationsebene liegen wie die Kembestandteile eines Satzes und da sie auch an zahlreicheren syntaktischen Örtern angesiedelt werden können als diese, sind auch ihre Realisierungsbedingungen komplizierter, gleichzeitig aber mit größeren stilistischen Möglichkeiten versehen. Im wesentlichen sind es Steigerung und Emphase, welche den deutschen Probanden zur Topikalisierung veranlaßt. Darüberhinaus aber sind es auch die Werte der Symmetrie und des Kontrastes (im Chiasmus), die die Grundfunktion der PA-Verwendung überlagern können. Außer diesen mit traditioneller Terminologie zu fassenden stilistischen Funktionen ist auch ein Beispiel für eine auffallend extensive Nutzung der Funktion der Ökonomie des PAS vorzustellen. Die Interpretationen behandeln die Beispiele nicht in der chronologischen Reihenfolge, sondern beginnen mit relativ einfachen, um zu den komplexeren voranzuschreiten. Da schon zu einem frühen Zeitpunkt stilistisch aufwendige PA-Realisierungen vorliegen, muß angenommen werden, daß THORSTEN schon zu Beginn des Erhebungszeitraumes über die hier zur Sprache kommenden Stilmöglichkeiten verfügt. Diese Tatsache erhöht die Kompetenzdifferenz zwischen dem deutschen Probanden und den L2-Lernern. Im ersten, also relativ einfachen Beispiel 4O2/O48 ist die Topikalisierung - betrachtet man den engsten Kontext - Resultat einer einfachen Inversion: PA vor Nominalphrase. s. 332/O48ff. ( t: Pb.; j: Betreuer) 048 t

ich hamma

dort immer so für eh äni mark was ka:f

habe mir

049

gekauft

xxx

was?

u/1 verst.

oso j

war das bei kurz

im laden?

Bäckerei

ne? +

B. Reuter, Präposltlonales Attribut

205

osi

war das bei kurz im laden?

052 t 053 j

ja hm

OS* t

so \vä:sche? + so eh für siebzig penning so e amerikaner

oss

odder so wä:sche?

+++

verstehend;

3"

weißt du

Pfennig

+

hann ich ma immer karf

In dem Text liegen zwei PAS vor: so für eh an] mark und so eh für siebzig penning vor. Das letztere PA kann als präzisierender Nachtrag zu der drei Turns früher geäußerten Preisangabe für eh äni mark - selbst topikalisiert aufgefaßt werden. Aufgrund des textlichen Abstandes und der Tatsache, daß eine Preisangabe schon zuvor topikalisiert wurde, ist die These, es handele sich um eine echte Voranstellung, plausibler. Die stilistische Funktion ist hier eine einfache Hervorhebung.15 Am Rande ist zu vermerken, daß nur der deutsche Proband Partikeln - hier also die Vagheitspartikel so - PA-intem einsetzt. Die den Partikeln inhärenten Möglichkeiten eines stilistischen Modulierens einer Aussage liegen auf der Hand. Die Topikalisierung wird in dem zweiten Beispiel in der besonderen Form der Redefigur des Chiasmus eingesetzt: 39S/OS9F. S.

326/OSTff.

osr t

ohne recktritt die sinn viel besser wie die mit recktritt

OSB j

ja un warum?

059 t

also es gibt viele möglichkeiten ne? erschtens + es gibt ich

060

sä jetzt nur drei ne? awwer es gibt noch viel mehr

Isoliert genommen ist dieser Chiasmus in osr : ohne recktritt die sinn viel besser wie die mit recktritt recht einfach aufgebaut und hat auch keine auffällige Erstreckung über besonders viele Wörter; seine Struktur kann wiedergegeben werden mit: PA - NPpron - PRÄD - NPpron -PA

Die Realisierung dieser Redefigur ist dennoch bemerkenswert, weil aus der Analyse des weiteren Kontextes hervorgeht, daß in dieser Textstelle der Proband nicht nur ein einzelnes Stilmittel einsetzt, sondern eine bestimmte Stilebene wählt. Die anderen stilistischen Indikatoren für eine besondere AussageEbene sind zum einen der Topos einer quasi epistemischen Behandlung der 1

Im Beispiel 4O2/i99f. liegt ein Beleg für eine Nachstellung des PAS vor. Dieses Beispiel weist ebenfalls die Funktion der einfachen Hervorhebung auf: 4O2X199F. T AI DO HAT SE KAfFEESTtlCKCHA.

: NLUt NOCH DREI DEVON

.

NE VON DEN-

206

G. Antos, "Ich

kann ja Deutsch!"

"Möglichkeiten" von Fahrrädern ohne Rücktritt im Vergleich zu solchen mit Rücktritt, und zum anderen die deklamatorische Ankündigung einer Vielzahl von solchen Möglichkeiten, von welchen aber nur drei genannt würden; effektiv nennt dann der Proband - bei einer weitgefaßten Interpretation - zwei Möglichkeiten. Auch dies unterstreicht den 'rhetorischen' Charakter der zitierten Passage. Wie der Dialog über Fahrräder als Ganzes, der hier nicht wiedergegeben werden kann zeigt, bedeutet für THORSTEN das Erzählen seiner Fahrraderfahrungen ein intensives Nacherleben. Aus dieser Motivation heraus setzt er u.a. die angeführten stilistischen Mittel der Affirmation und Emphase ein. Der Chiasmus ist also kein Einzelfall innerhalb der Erzählmittel des Probanden, sondern ist einzuordnen in eine ganze Palette von Möglichkeiten, die, wie ich als Hypothese ansetzen möchte, durch die Wahl einer Stilebene aktiviert werden. Die beiden nachfolgenden Beispiele zeigen die PA-Topikalisierung als Mittel, das eine Klimax der Darstellung vorzubereiten hilft. In 266/oszf. wird die Preisangabe bezüglich eines Geländefahrrades vorangestellt, ein einfacher Vorgang der Topikalisierung. s. aioff. 047 t äi für sechzig mark is billig e cross nä für siebzig e 048

crossrad mit polschter + äi das würd ich immer im kinnerhort ruft

049

dem

Polster wegfahrenden

Kinderhort; nach

lasse +++ würd ich immer im kinnerhort lasse 3~; an j gerichtet

Das stilistische Potential des PAS zeigt sich in der direkt anschließenden korrigierenden und ebenfalls topikalisierten Preisangabe, die um die Klimax in Form eines PAS erweitert ist: mit Polschter. Für sich genommen ist diese letztgenannte Qualifizierung eine Realisierung der Grundfunktion des PAS, Zusatzinformationen bzw. Präzisierungen auszudrücken. In dem betrachteten Kontext aber steht das PA als ein Element des Übergangs von einem sachbezogenen Texttyp, nämlich Reflexionen über Preise, zu einer Textart, die der Fiktion nahe steht. Denn mit das würd ich immer im kinnerhort lasse formuliert der Pb. eine Konsequenz, die sich für ihn zunächst konkret nicht ergibt. Sie beschäftigt ihn dennoch, wie ihre Wiederholung deutlich macht. hi 21S/2O9F. führt eine zweifache PA-Topikalisierung von dem äne mann und vom Häuptling zu der zentralen Person tochter : 21S/209F.

un von dem äne mann da i vom häuptling dem sei tochter ne A A

hat de weiße büffei umgerast und die war dann dod + Diese Nennung des Bezugsnomens der beiden vorangestellten PAS kann als erste kleine Klimax bezeichnet werden. Das Nomen tochter selbst ist wieder-

B. Reuter, Präpositionales Attribut

207

um das topikalisierte Objekt des Satzes, der mit der zweiten Klimax die war dann dod endet. Die Schlußfeststellung ihres Todes ergibt sich im übrigen •wieder als Steigerung von umgerast. Derartige Beispiele für Sprachfertigkeit, genauer für den Einsatz mehrerer stilistischer Mittel auf knappstem Raum finden sich nicht bei den L2-Probanden. Abschließend eine Beleg für den geschickten Gebrauch der dem PA eigenen Ökonomie. Die besondere Kompetenz, mit welcher der Proband von dieser Eigenschaft des PAS, im nachfolgenden Beispiel das qualifizierende aus holz , Gebrauch macht, erlaubt es, von einem stilistischen Einsatz des PAs zu reden: Die Textstelle handelt von den Waffen, mit denen der Proband und sein Freund spielen: Bd. 215/OlSf.

j

was für waffen han

da dann do drin ?

t

ei mei freund hat e ratta bum bum bum bum bum xxx

habt Ihr Pb. schießt mit imaginärer Kanone

ich han e: ++ wo isn der ich han e: + fäserkanon äi awwer Pb. sucht

einen

Holzstab

die is nur so gross + un dann hamma unser lichtsäbel + aus haben wir

auch

holz die halle was aus halten

Der Pb berichtet in den folgenden drei Turns knapp von Kämpfen. Bei einem solchen Abenteuer wurde auch eine Kanone gefunden: t

do hamma so kanon gefunn äi ne kän echti awer so kanon aus haben w/r

aber

holz ne und dann mei freund j

son baumstumpf sowat ?

t

jo

Der Proband geht in seiner weiteren Kampfesschilderung nicht expliziter auf diese Frage ein. Die Angabe aus holz erscheint im Rahmen der Erzählung von THORSTEN motivierbar durch die Eingangsfrage des Betreuers nach den Waffen. Möglicherweise erfüllt der Proband von ihm empfundene, vom Hörer allerdings nicht erhobene Genauigkeitsforderungen, wenn er knapp hinzusetzt aus holz . Die Tatsache, daß Stileigenschaften der Sprache zu den gewichtigeren Erwerbsproblemen gehören, wurde auf dem Feld der Fehlerlinguistik von RAABE (1980:69) festgestellt. In Übereinstimmung damit kann gesagt werden, daß Syntax, und zwar auch 'komplexe' Syntax zu den vergleichsweise einfachen Lernobjekten zu zählen ist. Für die bisher gewonnenen Erkenntnisse am Material des Projektes kann die Ebene des Stils geradezu als "Schallmauer" für den Erwerbsprozeß bezeichnet werden.

208

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

Für den L2-Erwerb seien folgende Vermutungen formuliert: A Die Komplexität und die strenge Regelgeleitetheit der stilistischen Äußerungen stellen ein Erwerbshindernis eister Ordnung dar. B Die Ebene Stil "duldet" keine Inakzaptabilitäten in der Verwendung der sie realisierenden Mittel; (dagegen duldet die Ebene der primären, nur auf Informationsaustausch ausgerichteten Kommunikation durchaus grammatische Abweichungen) Wichtigste Folge der Verletzung der Normgerechtheit auf Stilebene ist ein Prestige-Verlust des Sprechers: Die Intention stilistischer Ausdrucksweise gibt den semantischen und grammatischen Fehlern ein besonderes Profil. C Für den Erwerb besonders einer L2 ergibt sich aus A und B, daß die Ebene Stil auch im fortgeschrittenen Spracherwerb vermieden wird. Zu Punkt A: Die relativ feste "Grammatik" des Stils erweist sich immer wieder beim Versuch der Paraphrase einer stilbestimmten Äußerung. Wie bei der Übersetzung in eine Fremdsprache ist eine einfache Ersetzung durch Synonyma im Sinne einer wortwörtlichen Überführung der Ursprungsäußerung in die Paraphrase nicht möglich. Andererseits kann eine zu freie Umschreibung zu einer Änderung des Sinns führen. Zu Punkt B: Die in dieser Hypothese enthaltene Beobachtung verhält sich spiegelbildlich zu den Feststellungen von RATH (1989 über Selbst-Korrekturen (von Li-Sprechem), die einfache syntaktische und kommunikativ unerhebliche Abweichungen betreffen. RATH führt aus: "Da es sich eben um elementare syntaktische Regeln handelt, die der Muttersprachler beherrscht und deren Verletzung leicht erkennbar ist, ist eine Korrektur notwendig, um sich als kompetenter Sprecher darzustellen. ... Wird eine Abweichung dieser Art nicht korrigiert, muß der Sprecher damit rechnen, als sprachlich inkompetent angesehen zu werden, was prinzipiell zu einem Prestigeverlust führt." (RATH 1985:153f.) "Spiegelbildlich" bedeutet hier: den L2-Sprecher verursachen elementare Syntax-Fehler meist keinen Prestigeverlust. Sein Problem ist eher, Mittel einzusetzen, die nicht ein zu hohes Kompetenzniveau signalisieren, solange er davon ausgehen muß, eindeutig von einem zielsprachlichen Hörer als L2Sprecher eingeordnet zu werden. Erzeugt er eine solche Erwartungshaltung, "werden seine Normverletzungen auf syntaktischem Ebene als entlarvend für eine generell nicht vorhandene Kompetenz aufgefaßt werden. Der Übergang von der Ebene der einfachen Information zur Stilebene, so kann als Regel formuliert werden, setzt eine angemessene Kompetenz auf anderen Niveaus voraus.16 Im frühen SE wird ein Wechsel zur stilistisch-markierten Ausdrucks weise negativ als "Altgescheitheit" indiziert.

B. Reuter, Präpositionales Attribut

209

4. ZUSAMMENFASSUNG

Die Untersuchung der PA-Verwendung durch Li- und L2-Sprecher läßt klare quantitative Differenzen unter den Kriterien der relativen Häufigkeit, der Fehlerzahl und des Umfangs des Lexikons der PA-internen Präpositionen erkennen. Die relative Einfachheit der syntaktischen Struktur eines PAS, die außerdem recht entwickelte allgemeine Syntax auch der L2-Lemer einerseits und die qualitative Fehleranalyse andererseits begründen die Vermutung, daß weniger syntaktische Faktoren für die Kompetenzbeschränkung der L2-Probanden in Betracht zu ziehen sind als der Komplex der textkonstitutiven Implikationen einer Einbettung einer PA in einen Satz. In traditioneller Formulierung ist hier von der Relevanz der Stileigenschaften der PAs zu sprechen. Im übrigen ist auch bei den beiden L2-Probanden zu unterscheiden zwischen dem Lemertyp des starken Verwenders des Monitors zur Eigenkontrolle und demjenigen, welcher die formale Korrektheit dem kommunikativen Erfolg unterordnet. Die Besonderheiten der PA-Positionen, die in dem Material des deutschen Probanden zu beobachten sind, gehen konform mit der im Rahmen der Fehleranalyse entwickelten Hypothese, daß die stilistischen Möglichkeiten des PA-Einsatzes die L2-Lemer von Li-Lemem trennen. Aus diesen einzelnen Feststellungen heraus wird die These entwickelt, daß es nicht allein die allgemeineren syntaktisch- semantischen Bedingungen eines PAS sind, die den Erwerb negativ beeinflussen, sondern auch seine Möglichkeit, eine StilEbene zu markieren. Da aber die Wahl einer Stilebene, so wird weiter angenommen, mit einem Prestige verbunden ist, welches eine volle Kompetenz auf den 'niedrigeren' Ebenen des Lexikons und der Syntax voraussetzt, vermeiden L2-Lemer den PA-Gebrauch. ANHANG Belege:

- PA-Stiukturen

- phraseologisch-idiomatische PAs I.

PA-Struktur: Präp + (NOM v PRON v NUM)

THORSTEN

Bd. 215 013f.

(j t

020 032 073

was für waffen ?) aus holz ne

un dann hamma unser lichtsäbel * a aus holz haben wir auch kän echti awer so kanon aus holz keine echte aber vil weida im wald viel weiter

210

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

Textband S. 300 013

t

014

der klass also owe driwwer + iwwer uns + ne? so ++ aus der oben drüber über krach iwwer eh s schräch xxx

Textband S. 310 032

A

047

nä fUr siebzig mit polschter + e crossrad is doch billig nein Polster nä fiir siebzig e crossrad

048

e crossrad mit polschter

Bd. 278 098

han se de dings de caiptn von denne: +++ also de caiptn von de marsmensche

Textband S. 316 029

von krieg der sterne +

031

von krieg

der steine hann ich e kapsei

Textband S. 326 053 057

ich krinn ans ohne recktritt kriege eins Rücktritt ohne recktritt die sinn viel besser wie die mit recktritt

Textband S. 327 079 081

un de Guido der hat ans ohne recktritt gehat ne?

Textband S. 328 103

wollt ich ämo das mit rücktritt

Textband S. 328

106 108

das is jetzt e nodeil vom em eh ans ohne rücktritt Nachteil Textband S. 328f. 113 115

un bei em ärmere rad ohne rücktritt

DOMENICO

Textband S. 175 019

tarzan von der elefante in afrika

Textband S. 232 005 005

noch so mensche von tieren mensche die wäre auf aus äff

ne?

B. Reuter, Präpositionales Attribut AYKUR

Textband S. 17 001 002

+ das is ein ein geschenk für weih am Weihnachten für meine mutter

Textband S. 18 026

und da habn wir eine maske gemacht für kameval

Textband S. 30 071

doch beim garten bei uns

Textband S. 35 187

un die ein andre treppe aus eisen

Struktur:

PRAP + DET + (NOM V PRON)

THORSTEN

Bd. 215 073f. is zwar weit für dich 210

vom Häuptling demm sei tochter A Textband S. 298 018

so hoch hi de tannebäm

Bd. 278 oo8f. hascht das a gesiehn von denne äh marsmensche ? 010

mit denne: ameise ein Science-Fiction-Film mit Ameisen OlOf. mit denne reiseameise 012

mit denne riese

098

A de dings äh de caiptn von denne

099

de caiptn von de marsmensche

124/126

die frau

is als erschtes wach ginn von de äh + von de geworden

mensche 186

(dann wäre se widder ufm) anflug uf die erd auf Textband S. 338 190 191

äi do hat se a: nur drei noch devon gehat ne? von denne auch davon kaffeestückcher

211

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!1'

212 DOMENICO

Textband S. 177 076

der kleiner von die alle zwei

Bd. 340 197

sie weiß was das fier karte is weiß für Bd. 357 153

Silvie samo was das fler e witz is sag mal für

AYNUR Textband S. 17 001 002

das is ein ein geschenk (für weih) am Weihnachten (für meine mutter)

Textband S. 29f.

057 058 059

nur die arbeiter + im lastkraft kraftwagen nur und paar andre vom z zoll vom zoll

Bd. 311 129 131 150

niemand im hochhaus kann sie leiden niemand vom hochhaus kann sie leiden ein finger in die länge

Bd. 312 094

ich hab überhaupt net angst gehabt aber nur von den spritzen

Textband S. 58 022

heino im sumpf das war auch schön + Erzählung

Textband S. 59 045 Struktur

vielleicht hat se angst gehabt von den menschen PRÄP + (ADJ v+ NUM) + (NOM v PROM)

THORSTEN

Bd. 201

029f. mir han nur platz für drei pferde haben Textband S. 310 047

Mi für sechzig mark is billig e cross A

B. Reuter, Präpositionales Attribut

Textband S. 327 081

das von seim freund ne? seinem Textband S. 331 035 041

kaffeestUckcher flir drei mark t

nä die dinger für drei mark

Textband S. 332 054

so eh für siebzig penning so e amerikaner Pfennig Süßigkeit

DOMENICO

Textband S. 182 202

d

wo die mit zwei beine sinn un die springe

AYNUR

Keine Belege !

Komplexe Strukturen nur THORSTEN Bd. 215

050 069 071 102

de gleiche von der gleich sort wie mir han A wir haben das is äh die streck do hoch für do hoch für bei uns in de gate Bezug= die Strecke Garten dann kommts gespann do für in de mund so

209f. un von: dem: äne mann Bezug = Tochter Textband S. 300 013

t

der klass also owe driwwer + iwwer uns + ne? so ++ krach =in der oben drüber Über 014 iwwer eh s schräch xxx A schräg Textband S. 305 003

t

zwei buwe ne? im Guido seiner schul Buben = von Guidos Schule Textband S. 316 037 038

un die do die is um die hälft bilücher +

Textband S. 323 207

un do is noch e rutschbahn genau ins wasser rinn

213

214

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

Textband S. 328

106 108

das is jetzt e nodeil vom em eh ans ohne rücktritt Nachteil einem eins

ne?

Textband S. 329 122 123

äi so e groß wund äi mit so großen abstände

Phraseologisch/idiomatische PAs THORSTEN

Bd. 201 016

äner von den annere zwei

028f. un do hat er zuviel arbeit gehat mit denne Bd. 215

050

de gleiche von der gleich sort wie mir han A wir haben Bd. 278 oo8f. hascht das a gesiehn von denne äh marsmensche ? Textband S. 316 037 038

un die do die is um die hälft billicher +

Textband S. 328

106 108

das is jetzt e nodeil vom em eh ans ohne rücktritt Nachteil einem eins

ne?

AYNUR

Bd. 312 250

SO DIE HÄLFTE VON DEM + WA WAS SIE GEWINNEN

DOMENICO

Keine Belege.

B. Reuter, Präpositionales Attribut

215

LITERATUR

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216

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

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217

BEGRÜNDUNGEN IN ERZÄHLUNGEN

Beobachtungen über den Zusammenhang zweier Sprechhandlungstypen in der Kind-Erwachsenen-Interaktion

Josef Schu 1. VORBEMERKUNG

Jiingere Arbeiten zum mündlichen Erzählen in Alltagsgesprächen haben den dialogischen Charakter dieser (Makro)Sprechhandlung hervorgehoben. Mit einem Terminus wie "Geflecht-Erzählung" (WAGNER 1986:145) wurde verwiesen auf die Möglichkeit einer variablen Verteilung von Erzähler- und Zuhörerrollen. Die Interaktionspartner verfügen über ein gleiches Erlebniswissen und erzählen sich gegenseitig. Als Indikatoren dieses gemeinsamen Wissens fungieren Appelle an die Erinnerung des Partners wie "Weißt du noch, damals...". Aber auch in Interaktionssituationen, in denen aufgrund der Wissensverteilung ein Erzählmonopol mit "prinzipiell" expansivem Rederecht besteht, nimmt der Zuhörer entscheidenden Einfluß auf die Ausgestaltung der Erzählung (QUASTHOFF 1981, RATH 1981, SCHU 198Sb, RATH 1987). Mit monologisch konzipierten, aber dialogisch geprägten Erzählungen befaßt sich der vorliegende Aufsatz. Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen zwei Beobachtungen: Eine bestimmte Art der Zuhörerintervention, nämlich Erwartungsmanifestationen, fungiert als Auslöser für Begründungen in Erzählungen. Erklärbare und insofern systematisch auftretende Zuhörerreaktionen schaffen im gemeinsam hergestellten Erzählverlauf Begründungspositionen, die der Erzähler auszufüllen hat. Begründungen in Erzählungen werden aber nicht nur vom Zuhörer initiiert, sie •werden auch interaktionell abgewickelt, indem der Zuhörer mit Zustimmung oder Kritik reagiert. Das Initiieren und das Aushandeln von Begründungen bedeuten eine Konfrontation des kindlichen Interaktionspartners mit den Normen der Erwachsenensprache. Diese Konfrontation wird als interaktkmelles Lernen interpretiert. 2. DATEN Der angedeutete Zusammenhang zweier Sprechhandlungstypen wird illustriert an den Erzählungen aus den Daten eines deutschen Jungen und eines italienischen Mädchens. Thorstens Erzählungen entstammen dem unveröffentlichten Korpus zu meiner Magisterarbeit (SCHU 1985a), Marias Erzählungen entstammen dem in RATH/IMMESBERGER/SCHU 1987 veröffentlichten Korpus. In diesem Textband finden sich detaillierte Angaben zur Korpusentstehung und Korpuserstellung sowie biographische Bemerkungen zu den Probanden.

Für den vorliegenden Zusammenhang ist der Hinweis wichtig, daß die Daten nicht in Labor- oder Testsituationen erhoben worden sind. Es wurde keine Geschichte vorgespielt, die die Kinder als Erzählung zu reproduzieren hatten; vielmehr handelt jede Erzählung von einer anderen Geschichte. Der Zuhörer kennt die erzählten Ereignisse nicht - weder aus eigenem Erleben bzw.

218

G. Autos, "Ich kann ja Deutsch!"

Kenntnis des Tests noch aus den Erzählungen anderer Kinder, die er zum Zweck der Dokumentation bereits befragt hat. Daß die Erzählungen aus natürlichen Alltagsinteraktionen (mit unterschiedlicher Wissensverteilung) stammen, ist für das Verständnis des Zuhörerverhaltens von Bedeutung. Seine informationserheischenden Interventionen beruhen nicht auf einem an die jeweilige Interaktion gebundenen Wissen, sondern auf einer allgemeinen, alltäglichen Erfahrung. Da die Daten des Saarbrücker Korpus in unterschiedlicher Weise zugänglich sind, ergeben sich unterschiedliche Zitierweisen für die Belegstellen: Die Fundstelle für Passagen, die lediglich auf Tonband dokumentiert sind, wird angegeben mit (Bandnummer, Bandseite /Zählwerknummem des Kassettenrekorders) - z.B. (353,1/ZWNR 368-388). Die Zählwerknummem beziehen sich auf den Kassettenrekorder UHER CR 210 stereo. Die Fundstelle für transkribierte, unveröffentlichte Passagen wird angegeben mit (Bandnummer, Bandseite/Transkriptionsseite(n)/ Transkriptionszeilenblöcke) - zJB. (243,l/6f./ O77-O9O). Die Zeilenzählung dieser Textausschnitte beginnt jeweils mit der Zahl 001. Die Fundstelle für veröffentlichte Passagen (RATH/IMMESBERGER/SCHU 1987) wird angegeben mit (Buchseite(n)/Transkriptionszeilenblökke) - z.B. (158f./009-036). Die Untersuchung verfährt exemplarisch und wertet nicht das Gesamtkorpus des italienischen Mädchens und des deutschen Jungen aus. Sie stellt nicht ab auf Unterschiede zwischen Li- und L2-Sprechern, sondern auf Gemeinsamkeiten. Begründungen in Erzählungen werden als Interaktionsproblem behandelt, das sich Angehörigen beider Ethnien in vergleichbarer Weise stellt. 3. DAS BESCHREIBUNGSMODELL: LABOWWALETZKY (1973) UND LABOV (1978)

Entsprechend der Konzeption des Saarbrücker Forschungsprojekts werden Erzählungen identifiziert, und beschrieben an Hand des von LABOV/ WALETZICY (1973) und von LABOV (1978) entwickelten Modells. Eine Erzählung als Rekapitulation vergangener Erfahrung ist formal und inhaltlich bestimmt. Das formale Kriterium bezieht sich auf die Anzahl und die Abfolge der Teilsätze. Die Einheit Teilsatz" deckt sich mit der grammatischen Einheit "Satz". Eine Erzählung besteht aus wenigstens zwei Teilsätzen. Ihre Abfolge entspricht der Abfolge der erzählten Ereignisse. Das heißt, wenigstens zwei Teilsätze sind durch eine temporale Grenze getrennt; sie "ist der Temporalkonjunktion 'then' semantisch äquivalent" (LABOV/WALETZKY 1973:109). Die Parallelität von Teilsatzkette und Ereigniskette wird als "temporale Folge" (ebd. 95) bezeichnet. Soweit Erzählungen mehr als zwei Teilsätze umfassen, können sie Vorgriffe, Rückblenden und Verbalisierungen simultan abgelaufener Ereignisse enthalten. Das inhaltliche Kriterium bezieht sich auf die Art und die Verteilung der Information auf sechs, in ihrer Abfolge geordnete Strukturelemente:

J. Schu, Begründungen In Erzählungen

219

(D Der Abstrakt faßt die Geschichte zusammen. (2) Die Orientierung baut die Situation der Geschichte auf. Angaben über Ort und Zeit werden gemacht. Die Handlungsbeteiligten werden häufig als Träger sozialer Rollen eingeführt. Vorgänge und Tätigkeiten werden beschrieben, die die 'eigentlichen' Ereignisse der Geschichte, repräsentiert in Handlungskomplikation und Resultat, übergreifend begleiten. (3) Die Handlungskomplikation beinhaltet die "narrative Situation" (LABOV 1978:94), in der "die betreffenden Ereignisse tatsächlich gefährlich und ungewöhnlich waren" (ebd. 74). Im Mittelpunkt der Erzählung steht also ein für die Handlungsbeteiligten konfliktreiches Ereignis. Es fällt aus dem Bereich der routiniert eingespielten Lebenspraxis heraus und übersteigt den alltäglichen Erfahrungshorizont der Betroffenen. Die inhaltliche Anforderung an die Handlungskomplikation entspricht einer der inhaltlichen Bestimmungen, die QUASTHOFF für Erzählungen aufgestellt hat. QUASTHOFF (1981:289) expliziert "Ungewöhnlichkeit" als Abweichung von Ereignissen "relativ zu den Erwartungen des in der Geschichte Beteiligten und/oder den an allgemeinen Normen orientierten Erwartungen". (4) In der Evaluation wird die Geschichte bewertet. Der Erzähler artikuliert seine eigenen Einstellungen und Gefühlsregungen sowie die Einstellungen und Gefühlsregungen anderer Handlungsbeteiligter gegenüber Personen, Handlungen oder Ereignissen. Die strukturelle Position der Evaluation ergibt sich aus ihrer Funktion: Die Ungewöhnlichkeit des Ereignisses soll herausgestellt werden. Allerdings "bildet (die Bewertung der Erzählung) eine sekundäre Struktur, die sich (zwar) in dem Evaluationsteil konzentriert, aber in verschiedenen Formen überall vorgefunden werden kann" (LABOV 1978:73). (S) Resultat oder Auflösung beschreiben die Konsequenzen für bzw. die Reaktionen der Betroffenen. Einerseits können konfliktreiche Ereignisse Folgen nach sich ziehen, die passiv erduldet werden müssen. Andererseits können sie Handlungsspielräume lassen und aktive Handlungen abverlangen. Das Resultat zeigt, wie die Handlungsbeteiligten mit der ungewohnten Situation fertig geworden sind. (6) Die Koda markiert das Ende der Erzählung. Als Abschlußsignale fungieren Formeln wie "Das waiV, "Und dann war Schluß1. Denselben Zweck erfüllen temporal markierte, zeitliche Sprünge, mit denen die in der Orientierung aufgebaute Situation verlassen wird. Das vorgestellte Modell einer "fully-formed narration" (LABOV 1978:67) bildet einen Idealfall ab. Die empirisch vorfindbaren, komplexen Sprechhandlungen liefern lediglich Annäherungen: "Die Gesamtstruktur der von uns analysierten Erzählungen ist nicht uni-

220

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

form, es bestehen wesentliche Unterschiede im Grad der Komplexität, in der Zahl der gegebenen strukturellen Elemente und in der Art der Erfüllung verschiedener Funktionen." (LABOV/ WALETZKY 1973:124) Sowohl quantitative als auch qualitative Reduktionen sind zulässig, ohne daß der Charakter der Handlung als "Erzählen" verloren geht. Die quantitative Reduktion bezieht sich auf das Verhältnis der Anzahl der Strukturelemente zur Anzahl der Teilsätze. Während in Erzählungen von Sprechern, "die weit und breit für ihre sprachliche Gewandtheit im Vernacular bekannt sind" (LABOV 1978:39) jedem Strukturelement wenigstens ein Teilsatz entspricht, finden sich in den Alltagserzählungen des Saarbrücker Korpus Teilsätze, die mehrere Strukturelemente integrieren. Als gängige Kombinationen treten auf Orientierung und Abstrakt: w/e ich achtzehn monat war äi do hau ich a was angestellt (215,l/13/170f.) Orientierung und Handlungskomplikation: (glühwein) han ich a: schon mo getrunk (vgl. Bsp. 4). In dem zweiten Erzählanfang wird die Orientierung durch die kombinierten Temporaladverbien schon (schon einmal) geleistet. Sie gehören in die von GÜLICH so genannte Klasse der "Episodenmerkmale, (die) die zeitliche Einmaligkeit bezeichnen" (1976:243). Sie tauchen typischerweise am Beginn des Handlungsschemas auf: "Schon die Anfänge von Erzähltexten sind sehr häufig durch Episodenmerkmale markiert. Entweder wird der Zeitpunkt der Geschichte zu dem des Erzählens in Beziehung gesetzt, oder er wird unabhängig von ihm angegeben. (...) Episodenmerkmale enthalten meist nur eine sehr vage Zeitangabe; genaue Angaben wie z.B. ein Datum bilden sowohl in alltagssprachlichen wie auch in literarischen Erzähltexten die Ausnahme; sie sind allenfalls für bestimmte erzählende Textsorten charakteristisch. Im allgemeinen kann die primäre Funktion von Episodenmerkmalen nicht darin gesehen werden, die dargestellten Sachverhalte zeitlich genau zu lokalisieren, sondern vielmehr darin, sie in irgendeiner Zeit ('es war einmal') zu lokalisieren, die nicht identisch ist mit der der aktuellen Kommunikationssituation. Die wichtigste Funktion einleitender Episodenmerkmale besteht also darin, eine Distanzierung zur aktuellen (...) Kommunikationssituation zu bewirken (...)" (GÜLICH 1976:246 und 247). Die qualitative Reduktion bezieht sich auf die Anzahl der Strukturelemente. LABOV beschränkt sich auf ein Kriterium, um die Handlung "Erzählen" zu identifizieren: "Lediglich (...) die Handlungskomplikation ist wesentlich, um eine Erzählung zu erkennen" (LABOV 1978:74). Sprechakttheoretisch ausgedrückt genügt demnach die Verbalisierung eines konfliktreichen Ereignisses als "Indikator der illokutionären Rolle" der Erzähläußerung (vgl. AUSTIN 1979:93ff., SEARLE 1979:50). Derart indizierte, satzwer-

J. Schu, Begründungen In Erzählungen

221

tige "Minimalerzählungen" anzunehmen, widerspricht nicht dem formalen Kriterium der Texthaftigkeit von Erzählungen im Sinne satzübergreifender Einheiten. Denn mit der Ausführung der Handlungskomplikation gilt die Erzählung nicht als abgeschlossen; vielmehr ist sie konventionell, d.h. qua überindividuellem Informationsbedürfnis des Zuhörers, durch weitere Strukturteile zu vervollständigen. Die Auswahl des Konzepts von LABOV und WALETZKY (auch für die Analyse kindlicher Erzählungen) stützt sich auf zwei seiner Eigenschaften: (D Mit den Positionen von Abstrakt und Koda sieht das Modell Positionen für die gesprächsorganisierenden Aktivitäten "Einleiten" und "Abschließen" vor. Demnach ist es mit solchen Ansätzen kombinierbar, die auf die gesprächsorganisierenden Aufgaben und Leistungen des Erzählers abstellen: "Jede Erzählung in Alltagsdialogen muß (wegen ihres 'Einschnittcharakters1 auf den verschiedensten Ebenen {...)) angekündigt werden." (RATH 1981:273) (2) LABOVS Definition von "Erzählung" ist einfach in dem Sinn, daß das Erfülltsein eines Kriteriums, nämlich das Vorliegen einer Handlungskomplikation, genügt, damit vom Vorliegen einer Minimalerzählung gesprochen werden kann. Der Handlungskomplikation auf der Ebene des komplexen Sprechakts entspricht das konfliktreiche Ereignis auf der Ebene der Referenz. Gerade im Hinblick auf die Untersuchung kindlicher Erzählungen ist es wichtig, auch jene Exemplare zu erfassen, deren Ausdehnung einen Teilsatz (syntaktisch) bzw. eine Äußerung (kommunikativ) nicht übersteigt, d.h. über ein Kriterium zu verfügen, das die Anforderungen an den Erzähler nicht zu hoch stellt und das eine Beschreibung der Erzählfähigkeit von ihrem Beginn an ermöglicht. 4. BEISPIELANALYSEN

Beispiel l Der folgende Dialogausschnitt wird im fahrenden Wagen aufgezeichnet unterwegs durch die Stadt, in die Thorsten (t) vor wenigen Tagen umgezogen ist. Thorsten zeigt dem Betreuer Josef (j), wie gut er sich bereits auskennt, indem er markante Punkte lokalisiert und beschreibt. Er erwähnt auch ein Kaufhaus, das in einem Betongebäude untergebracht ist. (353,1/ZWNR 368-388)

001 t

...un dann is de prisunic neme

weit

nicht mehr

002 j

soll ma ins prisunic gehen? w/r

003 t

eijo

004 j

gut ++

222

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

oos t

is das en klotz wo das drin wohnt äi ein

006 j

hebe ++ lacht

007 t

gell?

008 j

ja 1s ganz aus beton ne

009 t

hm

O1O

geflo: a

++ is net gut ich bin mo geje

bestätigend

gegen eine

awwer richtig geflo: ne

unbestimmt 011

j

betonmauer

aber

m bestätigend

012

t

013 j 014 t

wirklich ja was is da passiert? + xxx wä:s a: nerne genau bläst

015

j

+++

weiß auch nicht mehr genau

S'

ja hasch da net weh gedon gehat odder

was

?



:+

hast du dir nicht weh getan gehabt 016

t

017 j

also wenn de richtig gejen die betonmauer geflo: bischt du

da wersche da ach

O18

wohl weh gedon han +

dann wirst du dir auch O19

t

hat nur e bißche geblut + meh net

+ awwer weh gedon

mehr nicht 02O

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J. Schu, Begründungen In Erzählungen

223

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Die Erzählung als Rekapitulation eines konfliktreichen Ereignisses beginnt mit dem Teilsatz ich bin mo geje betonmauer geflo: . Er enthält zum einen orientierende Elemente: Explizit und vage wird die zeitliche Dimension fixiert. Das Temporaladverb 7720 fungiert als Episodenmerkmal. Es charakterisiert das Ereignis als singular und in Verbindung mit dem Tempuswechsel (vom Präsens zum Perfekt) als zeitlich zurückliegend und abgeschlossen. Implizit und vage wird die räumliche Dimension fixiert. Unterstellt, daß in der dialektalen Ausprägung der Präposition geje ein Artikel realisiert ist, kann es sich nur um den unbestimmten Artikel eine und nicht um den bestimmten Artikel die handeln. Demnach ist der Raum, in dem das Ereignis stattgefunden hat, nicht mit dem Raum identisch, Über den vorher gesprochen wurde, nämlich das Kaufhaus. Der erste Teilsatz enthält zum anderen das Kemereignis der Erzählung, die Handlungskomplikation. Der Ich-Erzähler als Ereignisträger ist gegen eine Betonmauer gefallen, gestürzt, geschlagen. Das dialektale geflo: läßt mehrere, eng verwandte Lesarten für eine standardsprachliche Übertragung zu, im gegebenen Kontext allerdings nicht die wörtliche Entsprechung geflogen . Die nachgeschobene Ellipse awwer richtig geflo: ne nimmt die Handlungskomplikation wieder auf. Das in referentieller Hinsicht retardierende Element fungiert als Evaluation der Erzählung. Dem Zuhörer wird signalisiert, daß das wichtigste Ereignis der Geschichte erzählt ist. Auf die Initiierung der komplexen Handlung "Erzählen", identifizierbar an der

224

G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

Ausführung der Handlungskomplikation, reagiert der Zuhörer mit einem bestätigenden Höreisignal: m . Es bekundet sein Verständnis und seine Bereitschaft, den Vollzug des Schemas mitzutragen. Die Folgeäußerung des Erzählers wirklich liefert keine neuen Informationen zum Geschehen, sie betont lediglich die Faktizität des Ereignisses. Die Faktizität, d.h. die Situierung in der Wirklichkeit, wird aber weder durch das Ereignis selbst in Frage gestellt noch durch das Verhalten des Zuhörers in Zweifel gezogen. Deshalb kann davon ausgegangen werden, daß der Nachtrag keine Informationen erbringt, die dem Zuhörer nicht schon als bekannt unterstellt werden können. Die Erzähleräußerung operiert auf gesprächsorganisierender Ebene. Dem Zuhörer wird die Sprecherrolle zugeschoben, um ihn zu einer eingehenderen Würdigung zu veranlassen als sie mit dem kurzen Hörersignal geleistet worden ist. Im erreichten Stadium des Handlungsvollzugs, vor der Realisierung des Resultats, ist der Zuhörer jedoch nicht bereit, eine ausführliche Bewertung zu formulieren, wie sie vorn Erzähler gefordert wird. Vielmehr macht der Zuhörer dem Erzähler klar, daß er einen Folgezug erwartet, der die Erzählung um ihr Resultat komplettiert. Seine Disposition bringt der Zuhörer in einer erwartungsindizierenden Frage zum Ausdruck: ja was is da passiert? . Die Antwort des Erzählers was a: neme genau belegt, daß er keine Fortsetzung über die Evaluation (referentiell über die Handlungskomplikation} hinaus geplant hat. Für ihn ist die Erzählung mit der Produktion des elliptischen, zweiten Teilsatzes zu Ende. Der Verweis auf Unsicherheiten des Wissens thematisiert die Schwierigkeit, die Handlung fortzusetzen. Insofern könnte die Erzählung in beiderseitigem Einverständnis abgebrochen werden. Dementsprechend läßt sich die folgende, fünf Sekunden lange Pause als Grenzmarkierung verstehen. Die Interaktionspartner zeigen einander, daß sie das Vorangegangene für beendet halten, und sie räumen sich gegenseitig die Möglichkeit ein, einen neuen Aktivitätskomplex zu initiieren. Allerdings läßt sich die Pause nicht mit Sicherheit als Grenzmarkierung analysieren. Denn in der Antwort auf die erwartungsindizierende Frage äußert der Erzähler lediglich die Unsicherheit, nicht aber die gänzliche Unverfügbarkeit seines Wissens über den Fortgang der Geschichte. Das Schweigen des Zuhörers kann ein Abwarten sein. Er räumt dem Erzähler Bedenkzeit ein, um seine Erinnerung zu rekonstruieren. Eine dritte Möglichkeit ist zu berücksichtigen. Der Zuhörer agiert gleichzeitig auf zwei, seine Aufmerksamkeit beanspruchenden Ebenen. Er unterhält sich mit dem Erzähler, und er hat seinen Wagen sicher durch den Stadtverkehr zu steuern. Daß sich seine Aufmerksamkeit von Zeit zu Zeit kurzfristig verschiebt, um das Verkehrsgeschehen zu kontrollieren, liegt nahe. Dieser hiterpretationsmöglichkeit verleihen zwei Beobachtungen Plausiblität: Zum einen finden sich verstreut in der Erzählung auffallend lange Pausen (von drei und vier Sekunden Dauer) und zwar an übergangsrelevanten Stellen, an denen der Erzähler dem Zuhörer quasi "ausdrücklich" das Rederecht anbietet. Der Zuhörer übernimmt das Wort nur zögernd oder gar

J. Schu, Begründungen in Erzählungen

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nicht. Zum anderen thematisiert Josef in einer späteren Äußerung die Teilung seiner Aufmerksamkeit auf die Interaktion und auf das Verkehrsgeschehen als Kommunikationshindernis. Der Zuhörer hält die komplexe Handlung in Geltung. Er manifestiert noch einmal seine Erwartung im Hinblick auf die Vervollständigung der Erzählung: ja hasch da net wen gedon gehat odder was? . In seinem zweiten Anlauf formuliert Josef anstelle der unspezifischen offenen Frage ja was Js da passiert? eine spezifische Entscheidungsfrage. Er kommt dem Erzähler entgegen, indem er seine Erwartung konkretisiert und eine wahrscheinliche Fortsetzung der Geschichte anbietet. Der Zuhörerhypothese liegt die Alltagserfahrung zugrunde "Wenn jemand gegen eine Betonmauer stürzt, tut er sich weh". Das Angebot "wird vom Erzähler kurzerhand abgelehnt nä . Die Information, daß erwartbare Folgen eines konfliktreichen Ereignisses nicht eingetreten sind, läßt sich als eine Art Platzhalter-Resultat verstehen. Insofern sind die durch das Schema geforderten Strukturvorgaben ausfüllt. Dennoch hat die Erzählung keinen Abschluß erreicht im Sinne einer für den Zuhörer akzeptablen Information. Die Fragwürdigkeit des Resultats (aus seiner Sicht) veranlaßt den Zuhörer zu einem dritten Anlauf: Er stellt seine Erwartungsmanifestation nicht als Frage zur Diskussion, sondern als Behauptung auf. Er formuliert nicht nur das Resultat, sondern den gesamten Erfahrungszusammenhang, der sein Verständnis und sein Interaktionsverhalten steuert. Die Allgemeingültigkeit der Verbindung zwischen dem konfliktreichen Ereignis und den Folgen bringt die "wenn-dann"-Konstruktk>n zum Ausdruck: also wenn de richtig gejen die betonmauer geflo: bischt da wersche da ach wohl weh gedon hau . Die Partikel wohl indiziert den notwendigerweise hypothetischen Charakter des Resultats. Sie kennzeichnet die Hypothese aber auch als verankert in der intersubjektiv verbindlichen Alltagserfahrung. Da der Zuhörer auf seiner konkurrierenden Variante insistiert, bietet der Erzähler einen Kompromiß an. Er kommt den Erwartungen seines Interaktionspartners zwar entgegen hat nur e bißche geblut , ohne jedoch seine ursprüngliche Version zurückzunehmen meh net + awwer wen gedon hat s net . (Die Kompromißformulierung disambiguiert das doppeldeutige Verb "weh tun". Von den beiden Lesarten "verletzen" und "schmerzen" wird letztere ausgeschlossen.) Das Strittige im Blickfeld greift der Zuhörer lediglich den Aspekt des Fehlens einer erwartbaren Konsequenz heraus. Seine Zweifel an Thorstens Ereignisdarstellung bekundet er implizit durch das abwägende Hörersignal mh und explizit durch die hörerseitige Evaluation das awwer komisch . Die Äußerung bewertet die Ablehnung des hypothetisch angebotenen Resultats als ungewöhnlich. Der Zuhörer stellt noch einmal ab auf die Diskrepanz zwischen seiner Alltagserfahrung und dem Ereignisverlauf der Erzählung. Nachdem Thorsten über einen Kompromiß keinen Konsens hinsichtlich der

226

G. Antos. "Ich kann Ja Deutsch!"

Rekonstruktion des Ereignisverlaufs erreicht hat, versucht er, den Zuhörer von der Richtigkeit seiner Erzählvariante zu überzeugen, indem er eine Begründung liefert: mir dut nix weh - und deshalb kann auch der Sturz nicht weh getan haben. Josef weist die Begründung nachdrücklich zurück, wie aus seiner betonenden Sprechweise hervorgeht: o: das musch du grad s&n dir dut nix weh . Kritisiert wird nicht die Behauptung als Begründung (ihr Verhältnis zur Vorgängeräußerung des Erzählers), sondern als zutreffende Aussage eines Sachverhalts (ihr Verhältnis zur Wirklichkeit). Der Dissens setzt sich fort. Das laut und gedehnt gesprochene nö:: des Erzählers kann nicht als Bekräftigung der Begründung verstanden werden. Aufgrund der parasprachlichen Momente und in Verbindung mit dem teilweise simultanen, gedehnten, stilisierten Lachen läßt sich der Zug nur als Rücknahme der Begründung verstehen. Trotzdem bleibt Thorsten bei seiner Version: awwer es hat wirklich net weh gedon . In einem zweiten Versuch, einen Konsens zu erreichen, 'wählt Thorsten einen elliptischen Vergleich: wenn de Guido haut tut s vil -weher . Paraphrasierbar ist die Äußerung etwa mit "Verglichen mit Guidos Schlägen hat der Sturz nicht weh getan" oder "Verglichen mit den Folgen von Guidos Schlägen kann man die Folgen des Sturzes nicht mit 'weh tun* bezeichnen". Aber gerade der Vergleich räumt ein, daß im Zusammenhang mit dem Sturz schon von "weh tun" gesprochen werden kann. In einer Art Präzisierung nähert der Erzähler seine Variante der Zuhörervariante noch einen weiteren Schritt an. Aber noch bevor Josef Stellung nehmen kann, unternimmt Thorsten einen weiteren Versuch, seine Variante gegen die konkurrierende Variante durchzubringen: un das komischste is ich bin jo so geflo: ne mem kopp un mem aim bin ich offkomm . Weil der visuelle Kanal offensichtlich eine bedeutende Rolle für die Übermittlung der Information spielt (das deiktische so deutet auf eine Nachstellung der Szene hin), kann der Gehalt der Äußerung nicht mehr vollständig rekonstruiert werden. Dennoch läßt sich ihr Handlungscharakter als Begründung bestimmen. Einen Indikator liefert die Partikel jo , die die Information formal (wenn auch nicht unbedingt eindeutig) charakterisiert. Wesentlicher für die Bestimmung als Begründung ist die Teiläußerung un ich bin mem arm offkomm . Unabhängig von nonverbalen Informationen ist sie zu verstehen als "Ich habe mich mit dem Arm geschützt" oder "Ich habe mit dem Arm den Sturz abgefangen" - und deshalb hat der Sturz nicht weh getan. Nachdem Josef sein Nichtverstehen bekundet mem kopp geflo: un mem aim offkomm das versteh ich net , reformuliert Thorsten seine Begründung nicht als sachliche Korrektur, sondern als Präzisierung also gummo ich bin so geflo: das do war mei kopp ne un da han un da han ich mich irgendwie gediäht un ich bin mem aim offkomm . Dem vorangestellten Appell gummo , den visuellen Kanal als Informationsquelle einzubeziehen, kann der Zuhörer nicht folgen, wie seine simultane Äußerung zeigt Thorsten ich kann net guk-

J. Schu, Begründungen In Erzählungen

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ken wenn ich fahren wä:sche. Aufgrund der Kommunikationssituation gehen die szenisch mitrepäsentierten Details der Begründung verloren, wenngleich ihr Handlungscharakter durch die wiederaufgenommene Teiläußerung im bin mem arm offkomm eindeutig ist. Nach einer drei Sekunden langen Pause, die dem Zuhörer Gelegenheit bietet, das Wort zu ergreifen, bereitet Thorsten den Ausstieg aus der Erzählung vor, indem er noch einmal auf die Unverfügbarkeit bzw. Unsicherheit seines Wissens hinweist: wars a: net -wie (das gewesen ist) . Auch in der nächsten, zwei Sekunden langen Pause bleiben Impulse des Zuhörers zur Fortführung des Handlungsschemas aus. Thorsten initiiert einen neuen thematischen Komplex. Mit der Äußerung die poli benennt er ein Element aus dem unmittelbaren Wahmehmungsraum. Die Initiative wird von Josef durch respondierende Züge mitgetragen. In Richtung auf die konventionell akzeptierte Vollform wird die Erzählung durch die Beiträge des Zuhörers ausgebaut. Erst aufgrund seiner Interventionen liefert Thorsten das Resultat nach - in den beiden Varianten als PlatzhalterResultat ( nä ) und als Kompromißformulierung ( hat nur e bißche geblut + meh net + awwer weh gedon hat s net ). Die Zuhöreraktivitäten offenbaren den Dissens zwischen der erinnerten Rekonstruktion des Erzählers und der spekulativen, allerdings an der Alltagserfahrung orientierten Rekonstruktion des Zuhörers. Beim Versuch, den Dissens beizulegen, verfolgt Thorsten eine zweifache Strategie: Einerseits macht er dem Zuhörer schrittweise sachliche Zugeständnisse ( hat nur e bißche geblut, wenn de guido haut tut s vil weher ). Andererseits stützt er seine Variante durch Begründungen ( mir dut nix weh, im ich bin mem arm offkomm ). An Thorstens Verhalten wird das Wissen um interaktive Strategien der Konfliktbewältigung sichtbar. Deren Verfolgung bereitet ihm allerdings Schwierigkeiten im Begründungsbereich. Ihm gelingt es nicht, die kritische Stelle (die Auseinandersetzung um das Resultat) durch eine überzeugende Begründung kurzfristig zu überbrücken. Aus der Strittigkeit der ersten Begründung und der entsprechenden Zuhörerreaktion resultiert eine Begründungsverkettung. Das Handlungsschema "Erzählen" wird von der Begründungsverkettung überlagert. Der durch die Geschichte abgesteckte Referenzbereich wird verlassen, der Erzähler verliert das expansive Rederecht. Die Vermittlung möglicher Erzählerintentionen tritt zurück hinter die Auseinandersetzung um die richtige Lesart. Insofern illustriert das Beispiel den interaktiven Stellenwert von Begründungen bei der Abwicklung von Erzählungen. Beispiel 2 Die Aufnahme entsteht in der Wohnung der Studentin Heidi (h). Weiterhin sind anwesend die Studentin Bettina (b), die Probandin Maria (m), ihre gleichaltrige Freundin Graziella (z) und ihre zweijährige Cousine Sarah. Der zitierte Gesprächsausschnitt ist in einen umfassenderen thematischen Rahmen eingebettet: die Aktivitäten der Kinder im Turnverein.

228

G. Antos, "Ich kann ja Deutsch!"

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J. Schu, Begründungen In Erzählungen

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229

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wo gehtens

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In der gegebenen Interaktionssituation ist das zu erzählende Erlebniswissen auf die Partner ungleich verteilt. Demnach handelt es sich nicht um eine GeflechtErzählung, wenngleich beide Mädchen, Maria und Graziella, die Geschichte kennen. Beide kommen als Erzählerinnen in Frage, und beide übernehmen die Erzählerrolle. Allerdings entsteht keine Erzählkonkurrenz, bei der um das expansive Rederecht gekämpft wird, sondern eine Erzählkooperation, bei der verschiedene Teilhandlungen des komplexen Sprechakts arbeitsteilig ausgeführt werden. Derartige narrative Gemeinschaftswerke finden sich mehrfach im Saarbrücker Korpus, wie einige Beispiele in RATH (1987) belegen. Graziella kündigt die Erzählung an mit einer vorgeschalteten Handlungskomplikation das war bauchplatscher . Das Mädchen formuliert die Handlungskomplikation, ohne orientierende Elemente zu nennen. Anschließend ist die Erzählung vollständig, d.h. einschließlich einer schemaintemen Handlungskomplikation, auszuführen (vgl. SCHU 198Sb: 252). Mit der Rückfrage der Zuhörerin Heidi was bauchplatscher? ist die Erzählung als gemeinsamer Interaktionsgegenstand etabliert. Maria, die Ereignisträgerin der Geschichte, führt die Erzählhandlung aus. In der Orientierung am monda: hamma müsse rolle vorwärts in der luft mache fixiert sie zunächst und explizit die Zeit (am Montag); erschließbar sind auf der Grundlage des vorangegangenen Gesprächskontexts die Personen (wir), nämlich die Teilnehmer an der Turnstunde, und als Ort eine Turnhalle. Uninterpretierbar ist die Äußerung ich tschuip xxx so . Möglicherweise begleitet sie nonverbal vermittelte Informationen, die in der Transkription allerdings nicht notiert sind. In drei Teilsätzen wird die Handlungskomplikation mit dem Kernereignis, der 'Bauchlandung' nach dem Sprung, ausgebaut: wie ich 'wollt mache hann ich mich nit getraut ne? bin ich gesprung un do bin ich uffm bauch ankomm xxx . Durch das abschließende Lachen bewertet die Erzählerin das Ereignis implizit als 'lustig*. Ebenfalls implizit erfolgt die Bewertung der Zuhörerin Bettina, allerdings beinhaltet die Zuhörerevalutation eine gegenläufige Tendenz: Das "nachempfindend" kommentierte, gedehnt gesprochene ou: charakterisiert den Sturz als 'schmerzhaft' oder 'schlimm', wie es in einer späteren Äußerung heißt.

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G. Antos, "Ich kann Ja Deutsch!"

In der Tendenz von Bettinas Evaluation liegt Heidis Erwartungsmanifestation. Mit einer Entscheidungsfrage gibt sie ein Resultat vor: hat bestimmt gutt gedon he? . Der indirekte Sprechakt beinhaltet als gemeinte Propositon: "hat bestimmt weh getan". Maria übernimmt das Resultat auf der indirekten Redeebene durch die Intensivierung sehr gut . - Der Appell gell Giaziella? weist die Angesprochene nicht nur als Zeugin des Geschehens aus, sondern auch als potentielle Miterzählerin, mit der Maria das expansive Rederecht zu teilen bereit ist. - Das nachgetragene Detail zur Handlungskomplikation hat sich sehen angehert stellt ab auf die Wucht des Aufpralls und stützt insofern inhaltlich die Zuhöreraktivitäten. Das zum Teil simultane Zuhörerlachen hat evaluativen Charakter. Wird es so verstanden, daß es das erzählte Ereignis als 'lustig' markiert, dann widerspricht es der Tendenz der Zuhörerevaluationen im Vorgänger- und im Nachfolgekontext. Demgegenüber ist es plausibel, das Lachen als Evaluation der idiomatischen, altklug klingenden Wendung 'etwas hört sich schön an1 zu verstehen. Die implizite Zuhörerevaluation, Bettinas gedehnt gesprochenes ou: , wird von Heidi expliziert durch den Vergleich is jo im wasser schon schlimm genuch awwer uff der matt, den die Erzählerin Maria syntaktisch vervollständigt noch schlimmer - ein Indikator für die Übernahme der Zuhörerevaluationen durch die Erzählerin. Mit der Entscheidungsfrage un danach wars dir schlecht? bietet Bettina ein zweites Resultat an, das mit dem ersten nicht konkurriert, sondern sachlich vereinbar ist. Genauer gesagt, die Zuhörerin reformuliert das erste Resultat in einer extremeren Variante. Die Erwartungsmanifestation wird von der Erzählerin zurückgewiesen nä zur Überraschung der Zuhörerin: Das rückfragende nä? fordert eine Reaktion und signalisiert die Diskrepanz zwischen der auf die Alltagserfahrung gestützten Annahme über den Ereignisverlauf einerseits und der Darstellung des Ereignisverlaufs durch die Erzählerin andererseits. Die aus der Perspektive der Zuhörerin Bettina merkwürdige und unbefriedigende Erzählvariante wird von der Miterzähleiin Graziella legitimiert: Die durch jo markierte Kontextellipse es war jo so e dicki (matte) liefert einen Grund, warum das angebotene Resultat zurückgewiesen wird, d.h. warum eine erwartbare Folge eines konfliktreichen Ereignisses nicht eingetreten ist: Eine dicke Matte hat den Sturz abgefedert. Die Begründung korrigiert inhaltlich jene Informationen, die die extremere Variante des Resultats nahelegen nämlich das nachgetragene Detail zur Handlungskomplikation hat sich sehen angehert und die Übernahme der Zuhörerevaluation noch schlimmer . Erwartungsmanifestationen begründend zurückzuweisen bedeutet, ihre Berechtigung anzuerkennen, und wirkt insofern konsensstiftend.

J. Schu, Begründungen in Erzählungen

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Bettinas verständnissichernde Rückfrage so e dicke matte? bleibt ohne verbale Bestätigung. Da keine weiteren Zuhörerinterventionen erfolgen, scheint die Begründung, (d.h. auch die Erzählvariante mit der Zurückweisung des extremeren Resultats) akzeptiert zu werden. Beispiel 3 Die Aufnahme wird im Wagen gemacht auf dem Parkplatz vor dem Kinderhort, den der Proband besucht. Beteiligt sind Thorsten (t) und Josef (j), der studentische Betreuer.