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German Pages 828 [836] Year 1991
Series Maior
LEXICOGRAPHICA Series Maior Supplementary Volumes to the International Annual for Lexicography Suppléments à la Revue Internationale de Lexicographie Supplementbände zum Internationalen Jahrbuch für Lexikographie
Edited by Sture Allén, Pierre Corbin, Reinhard R. K. Hartmann, Franz Josef Hausmann, Hans-Peder Kromann, Oskar Reichmann, Ladislav Zgusta
33
Published in cooperation with the Dictionary Society of North America (DSNA) and the European Association for Lexicography (EURALEX)
Studien zum Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm Bandi Herausgegeben von Alan Kirkness, Peter Kühn und Herbert Ernst Wiegand
Max Niemeyer Verlag Tübingen 1991
I
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Studien zum Deutschen Wörterbuch Tübingen : Niemeyer. NE: Kirkness, Alan [Hrsg.]
von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm / hrsg. von Alan Kirkness ... -
Bd. 1 (1991) (Lexicographica : Series maior ; 33) NE: Lexicographica / Series maior ISBN 3-484-30933-4 (2 Bde.)
ISSN 0175-9264
© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1991 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Druck: Weihert-Druck GmbH, Darmstadt
INHALT DES ERSTEN TEILBANDES
Alan Kirkness/Peter Kühn/Herbert Ernst Wiegand: Zur Einführung: Von der philologischen zur metalexikographischen Beschreibung und Beurteilung des Deutschen Wörterbuches
VII
Joachim Bahr: Periodik der Wörterbuchbearbeitung: Veränderungen von Wörterbuchkonzeptionen und -praxis
1
Ulrich PUschel: Zwischen Erörterung und Ergebnisdarstellung. Zu Wörterbuchstilen im Deutschen Wörterbuch
51
Peter Kühn: "... wir wollen kein Gesetzbuch machen". Die normativen Kommentare Jacob Grimms im Deutschen Wörterbuch
105
Carola L. Gottzmann: Das Alt- und Mittelhochdeutsche im Deutschen Wörterbuch. Zum Stellenwert der älteren Sprachstufen
169
Jürgen Schiewe: Fach- und Wissenschaftssprachen im Deutschen Wörterbuch
225
Henning Bergenholtz/Ole Lauridsen: Berücksichtigung und Einfluß der historischen Grammatik einschließlich der Wortbildung im Deutschen Wörterbuch
265
Oskar Reichmann: Zum Urbegriff in den Bedeutungserläuterungen Jacob Grimms (auch im Unterschied zur Bedeutungsdefinition bei Daniel Sanders)
299
ÜBERSICHT ZUM ZWEITEN TEILBAND
Werner Holly: "Wilde pflanzen ohne nährende frucht" - Die Behandlung des politisch-sozialen Wortschatzes im Deutschen Wörterbuch durch Jacob und Wilhelm Grimm
Bernd Horlitz: Deutsches Wörterbuch - Hausbuch der Nation? Probleme der Benutzung und Benutzungsmöglichkeiten.
Hermann Niebaum: Zur Rolle der Mundarten im Deutschen Wörterbuch
Werner Wolski: Partikeln im Deutschen Wörterbuch
Fritz Neubauer: Beobachtungen zu den deutschen Bedeutungsangaben zu nennlexikalischen Ausdrücken im Deutschen Wörterbuch
Ulrike Haß: Zu Bedeutung und Funktion von Beleg- und Kompetenzbeispielen im Deutschen Wörterbuch
Ladislav Zgusta: Jacob Grimm's Deutsches Wörterbuch and other historical dictionaries of the 19th century (Dvitiyaikakoèyam)
Gerhard Strauß: Die Bände I und VI der Neubearbeitung des Deutschen Wörterbuches: Unterschiede in der lexikographischen Bearbeitung
Annotierte Bibliographie zum Deutschen Wörterbuch
Sachregister
ALAN KIRKNESS, PETER KÜHN, HERBERT ERNST WIEGAND Zur Einführung: Von der philologischen zur metalexikographischen Beschreibung und Beurteilung des Deutschen Wörterbuches
1. 2. 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. 3. 4.
Das Deutsche Wörterbuch - ein problematisches Monumentalwerk der germanistischen Lexikographie Bestandsaufnahme: Bisherige Beurteilungen und Kritiken zum Deutschen Wörterbuch im Überblick Der hoffnungsvolle Beginn: Kulturpolitisches Nationalwerk - lexikographisch verfehlt? Die rund hundertjährige Wörterbucharbeit und die Beiträge, die sie begleiten Die ersehnte Vollendung: "Jahrhundertleistung der historischen Lexikographie" oder "Pyrrhussieg der Germanistik"? Die Retrospektive auf das vollendete Deutsche Wörterbuch: Dokumentarische Grundlegungen und erste metalexikographische Untersuchungen Das Deutsche Wörterbuch und seine Neubearbeitung im Lichte anderer Fragestellungen aus der neueren Wörterbuchforschung Literatur
1. Das Deutsche Wörterbuch - ein problematisches Monumentalwerk der germanistischen Lexikographie Dem
Deutschen
Wörterbuch
(DWB)
von
Jacob
Grimm
und
Wilhelm
Grimm, das Brackert (1988, 86) wohl nicht ganz unzutreffend "ein Werk von ungestaltiger Großartigkeit und großartiger
Ungestalt"
nennt, wird in der Geschichte der deutschen Sprachlexikographie eine Sonderstellung eingeräumt. Dies spiegelt sich schon in den metaphorischen
Bezeichnungen
für
das
Werk:
"Vorratshaus
der
Deutschen", "gewaltiges Warenhaus des Geistes" (Jens 1984, Titel u. 29), "Schatz- und Beinhaus unserer Sprache" (Wapnewski 1984), "Findebuch
des
deutschen
Geistes"
(Krohn
1984).
"riesige[s]
Vili
Κi rkness/Kähn/Wiegand
Wort-Massiv" (Krohn 1984, 16), "reichhaltige Schatzkammer" (Mieder 1986, 52), "chaotisch gefülltes Schatzhaus für Sprach-Flaneure und Sprach-Plünderer des Deutschen" (Drews, Süddt. Ztg. vom 6./7.10.84) und "reichhaltige Fundgrube" (vgl. Kirkness 1980, 177). Die Metaphern sagen mehr, aber auch dies: Die Größe, der Umfang, die Reichhaltigkeit fallen ins Auge. Und in der Tat: Auch heute noch - im Zeitalter einer beginnenden elektronischen Lexikographie - muß das Deutsche Wörterbuch als die umfangreichste und reichhaltigste lexikographische Dokumentation des Deutschen angesehen werden: Das DWB umfaßt 16 Bände in 32 Großoktav-Teilbänden mit insgesamt 67744 eng- und kleingedruckten Spalten; hinzu kommt ein Quellenverzeichnis mit mehr als 25000 Titeln. Weiterhin ist es das deutschsprachige Wörterbuch mit der längsten Bearbeitungszeit: im Jahre 1838 gewinnen Moriz Haupt und Karl Reimer, der Schwager Salomon Hirzeis, Jacob und Wilhelm Grimm für das Wörterbuchprojekt. Beide waren damals bereits deutlich über 50 Jahre alt, so daß man mit Pretzel (1941/1979, 296) vom "Alterswerk" der Brüder sprechen kann. Erst 1849 wurde mit der redaktionellen Ausarbeitung begonnen; die erste Lieferung A bis zu dem Goethe-Wort Allverein, bearbeitet von Jacob Grimm, erschien am 1. Mai 1852 unmittelbar vor der Leipziger Messe. Jacob Grimm war damals bereits 67 Jahre alt. 1854 wurde der erste Band, A bis zum viel belachten Wort Biermolke, mit einer ausführlichen (LXVIII Spalten umfassenden) Vorrede von Jacob Grimm veröffentlicht. Das Erscheinen des gesamten alphabetischen Teils des Wörterbuches von A bis Zypressenzweig erstreckte sich dann allerdings über mehr als 100 Jahre: ab Oktober 1960 wurde die letzte der insgesamt 380 Lieferungen (widrig - Wiking) gedruckt, worin sich auch zeigt, daß die chronologische Bearbeitung der Lieferungen und Bände nicht der alphabetischen Ordnung entsprach. Die letzte Lieferung wurde im Januar 1961 ausgeliefert; erst rund zehn Jahre später, 1971, folgte das Quellenverzeichnis als 33. Band des Gesamtwerkes. Die Begründer dieses lexikographischen Jahrhundertwerks, Jacob und Wilhelm Grimm, arbeiten von 1838 bis 1863 25 Jahre lang am DWB. Ihr erstaunlich großer Anteil umfaßt die Lemmata A bis Froteufel, d.h. 24 Lieferungen mit 5673 Spalten; die größte Zahl der Wörterbuchartikel steuerte hierzu Jacob
Vorwort
IX
Grimm bei. Seine Schaffenskraft im hohen Alter ist bewundernswert. An der Fortsetzung und Fertigstellung des DWB waren dann mehrere Generationen von Germanisten beteiligt (vgl. die Übersicht im Quellenverzeichnis 1971, 1071-1088 und das "Verzeichnis der Autoren, Bearbeiter und Leiter" in Dückert 1987, 178-180); sie wurden unterstützt und finanziert durch verschiedene staatliche und wissenschaftliche Institutionen (vgl. die chronologisch angeordneten Daten aus der äußeren Geschichte des DWB in Dückert 1987, 177 f.). 1984 erschien kurz vor der 200. Wiederkehr der Geburtstage von Jacob und Wilhelm Grimm eine vollständige Taschenbuchausgabe der Erstaufläge ("Sechzig Pfund Taschenbuch", Wapnewski 1984, 138). Diese wurde in den kulturell maßgeblichen bundesdeutschen Zeitungen überwiegend wohlwollend kommentiert. Eine Ausnahme macht Drews: "Großartig mißraten" überschrieb er seinen Feuilleton-Beitrag (Drews 1984). Die gewagte Ausgabe des Deutschen Taschenbuchverlages wurde ein verlegerischer Erfolg. Die "Frankfurter Allgemeine" vom 15.1.1985 kommentierte: "Ein Wörterbuch als Bestseller der Saison: das ist ein veritables Wunder, welches wohl auch nie völlig gelichtet werden wird." Daß die Taschenbuchausgabe auf der ersten Umschlag- und der neuen Titelseite die Autorenschaft mit "von Jacob und Wilhelm Grimm" angibt, läßt die Kenner allerdings lächeln. Seit Wilhelm Grimms Brief an Blume vom 22. Juli 1838 wissen wir: Das DWB ist ein "auf den bloß practischen Gebrauch nicht berechnetes Werk" (Gürtler 1923, 192); es ist kein Gebrauchswörterbuch für die neuhochdeutsche Sprache. Vielmehr handelt es sich um ein überwiegend philologisch orientiertes Belegwörterbuch, das in der Aufnahme des Wortschatzes und seiner lexikographischen Beschreibung vor allem sprachhistorisch ausgerichtet ist, eine "ganz geschichtliche haltung" aufweist, wie sich Wilhelm Grimm in einem Brief an Savigny vom 2. April 1839 ausdrückt (vgl. Schnack/Schoof 1953, 403). Dieser sprachhistorisch bestimmte, lexikographische Orientierungsrahmen ist kennzeichnend für das Gesamtwerk, auch wenn die Auffassung von Sprachgeschichte und Geschichtlichkeit der Sprache sich im Laufe der Bearbeitungszeit deutlich geändert hat. Insbesondere der Umfang und die Bearbeitungsdauer haben eine einheitliche lexikographische Konzeption
χ
Kirkness/Kühn/Wiegand
für das DWB sowie eine durchgehend gleichmäßige Bearbeitung verhindert. Studiert man die in der Planungsphase ab 1838 geschriebenen Briefe und sonstige Dokumente (vgl. Kirkness 1980, 53 ff.), dann ergibt sich allerdings auch, daß weder Jacob noch Wilhelm Grimm in dieser Zeit mit ausreichender Deutlichkeit dargelegt haben, wie das geplante Wörterbuch eigentlich genau beschaffen sein soll. Auch der Bruch mit manchen bewährten lexikographischen Prinzipien und Methoden der vorangegangenen Lexikographie der Aufklärung wird nicht ausreichend begründet. Zwar ist einerseits Denecke (1971, 121) durchaus zuzustimmen, wenn er urteilt: "Die Durchführung des Arbeitsplanes war schon im Beginn ein Meisterwerk in der Organisation der Wissenschaft". Was sich allerdings andererseits bereits in der Planungsphase zwischen 1838 und 1849 deutlich zeigt, ist dies: Jacob und Wilhelm Grimm haben kein Gespür für die - gerade bei lexikographischen Großprojekten - einzuhaltenden Proportionen. Sie sind ergriffen von der Idee, ein vaterländisches Werk zu schaffen, und unter der Hand wird das Wörterbuchkonzept mehrmals erweitert, und zwar vor allem hinsichtlich des aufzunehmenden Wortschatzes, so daß die Wörterbuchbasis ständig umfangreicher wird. Pfeifer (1963, 194 ff.) hat den Expansionsdrang, welcher dem Wörterbuchprojekt von Anbeginn an innewohnte, eindrucksvoll dargelegt. Aus der historischen Entfernung erkennt man deutlich, daß die Saatkörner für die problematische Gestalt des DWB in der Planungsphase seit 1838 ausgesät wurden. Für die historische Wörterbuchforschung (i.S.v. Wiegand 1989) bleibt hier die reizvolle Aufgabe, die frühe Wörterbuchgeschichte kritisch so darzustellen, daß man daraus für die Planung zukünftiger Projekte lernen kann. Weiterhin ist besonders augenfällig, daß lexikographische Differenzen und Dissenzen in Theorie und Praxis für das Deutsche Wörterbuch von Anbeginn an charakteristisch sind. So beklagt Jacob Grimm in der "Vorrede zum zweiten band" (DWB II, 1860, 1): "Mein bruder ist in einigen dingen, die ich verabredet glaubte und für die ich beim beginn unausweichlich einen ton angeben muste, wieder abgewichen" (vgl. dazu Henne 1986). Es ist klar, daß das Grimmsche Wörterbuch von Beginn an nicht auf einer geschlossenen und verbindlichen lexikographischen Konzeption beruhte, und die Brüder Grimm lexikographische Grundsatzpositionen auch nicht an-
Vorwort
XI
streben wollten oder konnten, denn "man darf auf glücklichen Takt bei der Ausarbeitung eines solchen Werks, das mehr als eine Schwierigkeit zu besiegen hat, zwar hoffen, doch ihn nicht vorauskündigen" (W. Grimm 1846/1881, 514). Zu den wissenschaftlichen, den sachlichen Dissenzen gesellen sich die menschlichen. So schreibt z.B. Arthur Hübner, nachdem er das Vorwort zum elften Band ( T-TREFTIG) mit dem lakonischen Satz begonnen hat "Die Arbeit an diesem Bande dehnt sich über 45 Jahre", auch dies: "Im Wesen eines vielköpfigen Arbeitkörpers liegt es, daß er nicht einheitlich sein kann: starke Kräfte stehen neben schwächeren, ausgelernte neben lernenden. So gab es reife Artikel neben weniger reifen, brauchbare neben mißglückten, - denn auch d i e Erfahrung ist uns nicht erspart geblieben, daß wissenschaftliche Arbeiter, die auf anderen Feldern schon ausgewiesen waren, sich in die Formen und Forderungen lexikographischer Arbeit nicht zu finden wußten."
Die vorstehenden Ausführungen dürften wenigstens andeutungsweise verdeutlicht haben, daß bei systematischen Analysen und Beurteilungen des Deutschen Wörterbuches stets die entstehungsgeschichtlich bedingten und von den Biographien der Bearbeiter und Leiter beeinflußten Veränderungen in der lexikographischen Konzeption und in der Praxis zu berücksichtigen sind. Die Herausgeber und die Autoren haben sich bemüht, daß diese Forderung ausreichend berücksichtigt wurde.
2. Bestandsaufnahme: Bisherige Beurteilungen und Kritiken zum Deutschen Wörterbuch im Überblick Pfeifer (1963, 212) stellt fest: "Die Kritik blieb sich stets gleich, von Anfang bis heute. Immer ist sie oberflächlich gewesen, von Wurm bis Boehlich".
Eine solche pauschale Bewertung halten wir für verfehlt. Akzeptabel dagegen ist, wenn Denecke (1971, 123) feststellt: "Am Ende steht das Werk vor uns mit einer so unermeßlichen Fülle von Auskünften und Anregungen, daß alle von 1852 [...] bis zur Gegenwart an ihm geübte Kritik dagegen verblaßt."
Für die Wörterbuchforschung gilt jedoch, daß man auch aus der Kritik am Grimmschen Wörterbuch für die zukünftige historische Lexikographie einiges lernen kann, und ganz sicher gilt, daß das
Kirkness/Kühn/Hí egand
XII
D W B d e n zentralen Zweck, "worthistorische[s] sein"
(DUckert
den m a n ihm heute zuweist, n ä m l i c h
Grundlagenwerk
1987b,
174)
noch
für
die
besser
deutsche
erfüllen
ein
Sprache
könnte,
zu
wenn
m a n c h e Kritikpunkte berücksichtigt w o r d e n wären.
2.1. Der hoffnungsvolle Beginn: Kulturpolitisches Nationalwerk lexikographisch v e r f e h l t ? Bereits der V e r l a g s p r o s p e k t
der W e i d m a n n ' s e h e n
Buchhandlung
vom
1. M ä r z 1852 hatte e i n breites Echo in der d e u t s c h e n Tagespresse u n d beim gebildeten hall 1.
P u b l i k u m gefunden,
in der Presse
Lieferung
von
Jahr
240
Spalten,
2.
Teilbd.)
Leipziger
(vgl.
(vgl.
hierzu
waren
die
die
am
s t i s c h als das lang
1. Mai
Kirkness Nr.
überwiegend
Zeitung
am
1852
Wider-
gedruckte
ausgeliefert
folgenden drei Lieferungen, die n o c h
erschienen
Presseartikel
starken
fand a u c h die in 10.000 E x e m p l a r e n
w u r d e , sowie die darauf gleichen
und einen
2-22
positiv;
13.5.1852
-
1980,
171
ff.).
Die
in K i r k n e s s / W i e g a n d manche
begrüßten
-
das
ersehnte "Nationalwerk".
im im
wie
z.B.
DWB
enthusia-
Es gab
jedoch
die auch
kritische Stimmen, b e s o n d e r s in d e n Berliner B l ä t t e r n u n d in der katholischen
Presse,
brandmarkten.
Neben
waren
viele
wurde
zu
von
einem
die
das
wenigen
DWB
mehr
nationalem
als
Pathos
nichtssagenden
einseitig
sachlich
getragen.
Loblied
auf
protestantisch
gehaltenen
Anzeigen,
"Manche
das
Werk
Anzeige
und
seine
V e r f a s s e r " (Kirkness 1980, 171). Die
beiden
ersten
lexikographischen
wissenschaftlichen Arbeit
Jacob
Grimms
Beurteilungen fallen
der
niederschmetternd
aus. In zwei 1852 u n a b h ä n g i g voneinander erscheinenden, l i c h e n Rezensionen
bewerten
Daniel
frühen ausführ-
Sanders u n d Christian
Fried-
r i c h Ludwig Wurm, die W i l h e l m Schoof (1938, 150) wohl zu Unrecht "Pseudogelehrte" nennt, Ausführung
als
das Grimmsche
verfehlt.
Jacob
Grimm
Unternehmen sah
durch
in A n l a g e die
und
negativen
K r i t i k e n das W ö r t e r b u c h in Gefahr. Er w i d e r s e t z t e
sich d i e s e r
Kritik, wohl nicht zuletzt
halb, weil beide R e z e n s e n t e n Konkurrenzwörterbücher Allerdings Bd.
nie
ist
mit
er
vor
sachlichen
der
Veröffentlichung
Argumenten
in
der
auch
des-
ankündigten.
der Vorrede Öffentlichkeit
zum
1.
gegen
Vorwort
XIII
seine Kritiker angetreten. Vielmehr hat er u.a. seinen Verleger, Salomon Hirzel, brieflich gebeten, er möge jemanden zur Verteidigung des Wörterbuches ermuntern: "Es wäre gut, dasz ein kundiger, bewanderter mann diesen pamphleten etwas entgegenstellte" schrieb er im August 1853 an Hirzel und stellte eine Liste von Argumenten für einen möglichen Verteidiger seiner Lexikographie zusammen (vgl. Kirkness 1980, 199). Diese Argumente sind allerdings nicht alle Uberzeugend; Jacob Grimm ist auch mit seinen Verteidigern nicht zufrieden und schreibt am 13.9.1854 an Hirzel: "ich traue, das wb ist besser als alles lob und tadel, die ihm zutheil werden" (vgl. Kirkness 1980, 206). Nicht nur auf die Kritik von Sanders und Wurm, sondern auch auf andere Kritiken an seiner lexikographischen Arbeit reagierte Jacob Grimm in seinen Briefen außerordentlich empfindlich, kaum jemals mit einem sachlichen Argument, sondern persönlich gekränkt, meistens mit Herabsetzungen, ja sogar mit Beschimpfungen der Rezensenten. Sieht man von den berühmten "spinnen im wortgarten" (vgl. Bd. 1. Vorrede, LXVIII) ab, dann antwortet Jacob Grimm erst in seiner Vorrede zum 1. Band sachlich auf einige "Angriffe" seiner Rezensenten. Denn manche Ausführungen sind als Antworten auf die Kritik zu lesen (vgl. den Abschnitt "Jacob Grimms Reaktionen auf die Kritik" in Huber 1987, 58-60). Aus der Sicht der heutigen Wörterbuchforschung ist sowohl die erste Wörterbuchkritik von Sanders (1852), die man nicht - wie Schoof (1938, 151) - als "Schmähschrift" und wie Krohn (1984, 18) als "massive Wörterbuchschelte" bezeichnen sollte, als auch die erste von Wurm (1852) in wichtigen Einzelpunkten recht gut begründet. Auch ist der Ton zwar nicht immer aber doch überwiegend sachlich, und Ironie muß in der geistigen Auseinandersetzung erlaubt sein. Sanders (1852, 5) "kritische Beleuchtung" des DWB bezieht sich auf die ersten beiden Lieferungen von Jacob Grimm (1852). Auf den ersten 43 Seiten tadelt er in seinen "allgemeinen Bemerkungen" (Sanders 1852, 43) die Rechtschreibung, die unzureichende Wortschatzaufnahme, die Behandlung der Wortbildungen und Wortzusammensetzungen, die Anordnung des Wortschatzes, die lateinischen Bedeutungsäquivalente, die Belegnachweise, die grammati-
Kirkness/Kühn/Wiegand
XIV
sehen Angaben, die Unübersichtlichkeit sowie die U n v o l l k o m m e n h e i t
der
Bedeutungsanordnungen
der Bedeutungserklärungen
selbst
und
kritisiert sodann in akribischer Kleinarbeit auf 60 Seiten Jacob Grimms
Wörterbuchartikel
Schluß,
"daß
das W e r k
von
A
bis
in seiner
anstatt.
Er
ganzen Anlage
a u c h in seiner A u s f ü h r u n g durchaus verfehlt
kommt
und
ist."
zu
dem
großentheils
(Sanders 1852,
5). 1853 setzt er seine Kritik in einem zweiten Heft fort,
1854
in seinem "Programm eines neuen W ö r t e r b u c h e s der deutschen S p r a che" . V o n seiner Grimm-Kritik "Anti-Grimm" seinem
konzipiertes
"Programm"
Probeartikel Leipzig
der
leitet er sein eigenes, bewußt als
lexikographisches
ausführlich
beigegeben erste
Band
vorgestellt
sind. (Α-K)
Bereits von
Konzept wird
1860
seinem
ab,
und
das
dem
erschien
"Wörterbuch
in
eigene
dann der
in
Deut-
schen Sprache. M i t B e l e g e n v o n Luther bis auf die Gegenwart." W ä h r e n d die W ö r t e r b u c h k r i t i k reichtum eine
im Detail
auf
fast
alle
auf zahlreiche gelliste
mit
beit nicht
(Wurm
Uber
wesentliche
Aspekte
aber
insgesamt
der
Kenntnisdoch
darstellt, dieser Art,
und
bezogene ist
Män-
Wurms
sondern
Ar-
-
wie
- "zugleich ein Beitrag zur deutschen Lexi-
1852).
Der
bayrische
Gymnasialprofessor
"Beurtheilung des d e u t s c h e n Wörterbuches"
die
eher
Wörterbuchform
des Wörterbuchgegenstandes
eine Wörterbuchkritik
der eigentlichen "Ansicht
ist,
Aspekte
nur
zwar durch ihren
beeindruckend
Verbesserungsvorschlägen
ihr Titel v e r s p r i c h t kographie"
Sanders'
Aufgabe
eines
deutschen
Wörterbuches"
stellt seine (Wurm
1852, 1) voraus, w e l c h e auch beim h e u t i g e n Stand der Wörterbuchforschung n o c h lesenswert ist. W u r m führt aus: "Zuvörderst fordern wir, wie bei jedem literarischen Erzeugnisse, so insbesondere bei einem deutschen Wörterbuche eine feste, dem Werke zu Grunde liegende Absicht in Bezug auf den ihm vor Augen stehenden Leserkreis. [...] Was die Form anlangt, so erwarten wir eine genaue, logische Anordnung des Werkes im Ganzen wie im Einzelnen. Das Wörterbuch vertritt beim Lesen wie beim Schreiben die Stelle eines allzeit bereiten Rathgebers. Darum muß es uns die Bekanntschaft mit ihm möglichst erleichtern. Die Einrichtung eines Artikels muß auf die Einrichtung aller übrigen schließen lassen und jederzeit genau diesselben Orientierungspunkte bewahren. Zusammengehörige Wortformen müssen zusammengestellt, die verschiedenen Bedeutungen der Wörter sorgfältig gesondert und durch Ziffern abgetheilt werden. Selbst die Einrichtung des Druckes, Interpunktion u.s.w. muß zur Uebersichtlichkeit beitragen. W a s den Inhalt betrifft, so suchen wir
Vorwort
XV
1) Belehrung über die grammatische Form des Wortes, das Geschlecht, die Deklination, Motion, Conjugation; 2) die Bestimmung des Begriffes, wobei die sinnliche Bedeutung der uneigentlichen voranzugehen hat; 3) die Anführung synonymer Bezeichnungen, zur Ergänzung der Begriffsbestimmung und zur Ermöglichung der Wahl des Ausdruckes; 4) die Anweisung für die syntaktische Anwendung; 5) Belegstellen, aus denen die grammatische Form, die Bedeutung des Wortes und seine grammatische Zusammenstellung deutlich erscheint; 6) bei zweifelhafter Betonung die Bezeichnung des Tones; 7) den Nachweis über die Abstammung des Wortes oder die Etymologie."
Man sieht: Wurm macht ein stark standardisiertes Wörterbuch, das für den praktischen Gebrauch und damit für die punktuelle Konsultation bei der Textrezeption und -Produktion geeignet ist, zum Maßstab seiner Beurteilung. Relativ zu den zitierten Postulaten (die wohlgemerkt zwei Jahre vor Jacob Grimms programmatischer Vorrede zum 1. Bd. erscheinen) beurteilt Wurm die ersten Lieferungen und kommt zu dem Ergebnis, "daß das deutsche Wörterbuch in k e i n e r Hinsicht den Anforderungen genüge, welche an ein für alle Stände geeignetes Sprachwerk nach Recht und Billigkeit gestellt werden, daß es für Deutschlernende, für Fremde und für Schulen, sowie für rathsuchende Geschäftsleute durchaus unpraktisch sei, daß dem zu Folge für diese große Klasse die Wörterbücher von Adelung und Campe noch immer die unumgänglichen Rathgeber verbleiben und selbst für den Gelehrten nicht entbehrlich gemacht wurden. Das große, das unzubestreitende Verdienst des deutschen Wörterbuches besteht in der Sammlung eines reichen Sprachschatzes der neuhochdeutschen Literatur bis auf Göthe."
Zum Abschluß seiner Kritik gibt Wurm (1852, 27) "gleichsam zur Probe für das bisher Gesagte" eine ausführliche Detailkritik der Lemmata A bis abbeten. Schließlich hält Wurm (1852, 34) den Brüdern vor, sie hätten, ohne Grund mit der deutschen lexikographischen Tradition gebrochen, so daß "sie uns jetzt ein Sprachwerk lieferten, welches unter den für die Gelehrten bestimmten, sonach untergeordneten Wörterbüchern von Oberlin, Wächter, Haltaus, Frisch, Kramer, Spate an Vorzügen wie an Mängeln die oberste Stelle einnimmt, und in Hinblick auf die allgemeinen Wörterbücher von Adelung und Campe eine Folie bildet, auf welcher die Vorzüge dieser Sprachwerke an Ordnung, Bestimmtheit, Klarheit, Verständlichkeit, Übersichtlichkeit, an Planmäßigkeit, Vollständigkeit und Brauchbarkeit nur um so glänzender hervortreten."
1853 setzt Wurm seine Grimm-Kritik in einer scharf formulierten Broschüre fort, nimmt jedoch 1858 im Vorwort zum ersten (und als einzigen erschienen) Band seines "Wörterbuch[es] der deutschen
XVI
Kirkness/Kiihn/Wiegand
Sprache
von
der
Kritikpunkte Es
drängt
Druckerfindung
zum
heutigen
Tage"
einige
zurück.
sich n u n
beantwortende angemessen?
bis
die
Frage
Nur
keineswegs
auf:
relativ
Sind zu
leicht
die
einer
mit
Kritiken Theorie
guten
Gründen
Sanders' der
und
zu
Wurms
Wörterbuchkritik
k a n n diese Frage fundiert beantwortet werden. Die Kritische W ö r terbuchforschung,
welche
(nach
Wiegand
1989,
262)
neben
der
W ö r t e r b u c h b e n u t z u n g s f o r s c h u n g u n d der H i s t o r i s c h e n sowie der stematischen W ö r t e r b u c h f o r s c h u n g te
der
Wörterbuchforschung
Theorie
noch
nicht
Reihe wichtiger fel
1989
(1989b)
und
muß
erarbeiten;
Bausteine die
eine
eines der vier
bildet,
dort
dazu
konnte
sie
hat
angemessene
Forschungsgebie-
bisher
eine
allerdings
zusammengetragen
verzeichnete
auch
die
solche
eine
(vgl.
Literatur).
Rezension
Sy-
ganze
z.B.
Nach
Rip-
Wiegand
Intention
der
W ö r t e r b u c h s c h r e i b e r berücksichtigen, w a s u.a. heiJBt, daß man die A u s f ü h r u n g an den m i t g e t e i l t e n oder zu e r f o r s c h e n d e n
Intentionen
m i ß t u n d damit letztere akzeptiert, oder m a n kann a u c h die lexikographischen
Intentionen
ders ist
bewußt,
sich
selbst
daß m a n
kritisieren.
die
Insbesondere
Intentionen
der Brüder
SanGrimm
z u b e r ü c k s i c h t i g e n hat, d e n n er beginnt seinen Text w i e folgt: "Ueber den Plan des Werks, die leitenden Grundsätze bei der Ausarbeitung, die befolgte Schreibung wird" - nach einer kurzen Nachricht auf dem Umschlag der ersten Lieferung - "die Vorrede des ersten Bandes Auskunft ertheilen." - Wenn wir trotzdem schon jetzt, da nur die beiden ersten Lieferungen vorliegen, an eine kritische Beleuchtung des Grimm'sehen Wörterbuchs gehen, so glauben wir nicht den Vorwurf fürchten zu müssen, dies sei ein verfrühtes, voreiliges Unternehmen. Läßt sich doch aus der Klaue der Löwe erkennen und das Grimm'sehe Wörterbuch müßte wahrlich ein planloses, ungleichmäßiges Werk sein, wenn man, auch ohne jene Vorrede abzuwarten, nicht aus den vorliegenden dreißig Bogen des Werkes selbst den Plan desselben und die bei der Ausarbeitung befolgten Grundsätze sollte erkennen können." Das Interessante
ist n u n
u.a., daß Sanders aus den längeren A r -
t i k e l n der e r s t e n 30 Bogen nicht den Schluß zieht, daß es offens i c h t l i c h nicht J a c o b G r i m m s Absicht w a r , sich ausschließlich a n den herkömmlichen ten. (vgl.
Stil, Wörterbuchartikel
Vielmehr
hat
hierzu
Wiegand
entwickelt
(vgl.
er
z.B. 1989a,
Püschel
zusammen, daß J a c o b Grimm Auge
hatte,
weniger
einen
in
neuartige 240
f.)
diesem
zu schreiben,
Textsegmente
u n d einen
Bd.).
zu h a l -
eingeführt
besonderen
Letzteres
hängt
Stil damit
vor allem e i n e n Leser seiner Texte Benutzer,
der
punktuell
im
nachschlägt.
Vorwort
XVII
Solche bis dato eher ungewöhnlichen Vorstellungen darüber, wie man ein Nachschlagewerk zu benutzen habe, konnte man allerdings aus den Texten der ersten beiden Lieferungen nicht unmittelbar entnehmen. Sowohl Sanders als auch Wurm gehen davon aus, daß Wörterbücher dazu gemacht werden, daß man in ihnen unter Suchfragen nachschlägt, um gezielt Anworten zu finden, und relativ zur Geschichte der Lexikographie bis zum DWB hatten sie ein gutes Recht dazu. Daß dennoch diejenigen Aspekte ihrer Kritiken unangemessen sind, die das Nachschlagen für praktische Zwecke voraussetzen, dürfte damit als plausibel erwiesen sein. Alle anderen Ausführungen sind dagegen meistens zutreffend. Die Geschichte hat gezeigt, daß Jacob Grimms Ansichten über den Zweck von Wörterbüchern (vgl. Vorrede XII-XIV) in entscheidenden Punkten falsch waren. Selbst die sog. Neubearbeitung seiner Texte ist so, daß hier derjenige Benutzer vorausgesetzt wird, der ein Wörterbuch usuell als Nachschlagewerk benutzt. Nur auf diesen Typ des Benutzers kann die Lexikographie als eigenständige kulturelle und wissenschaftliche Praxis gegründet werden. Sie braucht deswegen die sicher seltenen Wörterbuchleser nicht auszuschließen. Daß es diese gibt, wissen wir. Am 12. Mai 1904 schreibt Rilke: "Dann habe ich in Paris etwas begonnen, was ich gerne fortsetzen würde: das Lesen in dem großen Deutschen Wörterbuch der Gebrüder Grimm, daraus einem Schreibenden, wir mir schien, viel Einfluß und Belehrung zukommen kann. Denn eigentlich müßte man doch alles, was in die Sprache einmal eingetreten ist und da ist, kennen und zu brauchen wissen, statt mit dem Zufallsvorrat, der gering genug ist und ohne Auswahl, auskommen zu wollen" (Zit. nach Kochs 1939/40, 297).
Nach dem Erscheinen des 1. Bandes des DWB im Jahre 1854 und den Rezensionen von Sanders und Wurm veröffentlichte auch Rudolf von Raumer 1858 eine Besprechung der ersten 11 Lieferungen, die von Jacob Grimm bearbeitet worden waren - einerseits um die "hohe Bedeutung des Werkes nach Kräften ins Licht zu setzen" und andererseits dessen schwächere Seiten" nicht zu bemänteln (von Raumer 1858/1863, 333). Von Raumers fundierte und umsichtige Wörterbuchkritik orientiert sich vor allem an Jacob Grimms programmatischer Vorrede und ist sprachtheoretisch begründet: Zum einen bemängelt von Raumer, daß das Wörterbuch "nicht auf einem eindringenden und umfassenden Studium der neuhochdeutschen Lite-
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Ki rkness/Kähn/Wiegand
ratur, sondern auf den Zettelexcerpten Anderer" beruhe (von Raumer 1858/1863, 339). Dies habe dazu geführt, daß "neben einer Masse von unbedeutenden Schriften Bücher von unermesslichem Einfluss und Schriftsteller ersten Ranges unter den Quellen des Wörterbuches Ubergangen sind" (von Raumer 1858/1863, 340), was ganz besonders auf Christian Wolff zutreffe. Zugleich räumt er jedoch ein (von Raumer 1858/1863, 361): "In den Excerpten seiner Mitarbeiter lag dem Hrn. Verfasser ein Material vor, wie es in solcher Reichhaltigkeit und Massenhaftigkeit noch nie für die neuhochdeutsche Sprache zusammengebracht worden ist."
Dies ist also eine (später in vielen Varianten wiederholte) Kritik an der Zusammensetzung und historischen Repräsentativität der Wörterbuchbasis. Andererseits gebe das Grimmsche Wörterbuch "in den meisten Fällen keine ausdrückliche Auskunft, ob ein Wort oder eine Wortform noch gegenwärtig im Gebrauch ist oder nicht, sondern überlässt es dem Leser, dies aus den beigefügten Quellen zu entnehmen" (vgl. dazu später Hermann Paul); dann fährt er fort: "In vielen Fällen geht dies auch, in andern aber ist es höchst unbequem und in manchen unmöglich. Bisweilen erklärt sich Grimm ausdrücklich für die durch den neueren Gebrauch festgestellte Form. Das Alles brauchen wir hier nicht näher zu erörtern. Was aber einer genaueren Beleuchtung bedarf, ist die Theorie über die Befugnis des Grammatikers zur Abänderung längst festgestellter Hortformen, die sich an mehr als einer Stelle des Werkes geltend macht." (Raumer, 1858/1963, 350 f.).
Hier wendet sich bereits von Raumer gegen die normativen Kommentare Jacob Grimms (vgl. hierzu Kühn in diesem Bd.) und spricht sogar von der "Gewaltthätigkeit", mit welcher Jacob Grimm "in den Bestand der neuhochdeutschen Sprache eingreift" (S. 352). Diese führt er auf Grimms sprachtheoretische Grundansicht zurück. "Diese Grundansicht aber besteht in der Ueberzeugung, dass wir in der Geschichte der älteren germanischen Sprachen das Gesetz besitzen, nach welchem sich die deutsche Sprache hätte entwickeln sollen. Was diesem Gesetz entspricht, ist 'organisch1, was von ihm abweicht, 'unorganisch'. Das 'Unorganische' aber erscheint aus diesem Gesichtspunkt als fehlerhafte Abirrung vom 'organisch Richtigen', und so glaubt sich der Grammatiker befugt, wo irgend möglich, das 'Unorganische' wieder zu beseitigen und das angeblich 'organisch Richtige' an dessen Stelle zu setzen."
Vorwort
XIX
Insgesamt stellt von Raumer Jacob Grimms sprachgenealogische Auffassung in Frage und setzt ihr eine sprachhistorische entgegen: für ihn ist die "Schriftsprache, in der unsere grossen Classiker ihre Werke geschrieben haben, keineswegs ein blosses Product der Natur, deren mit Notwendigkeit wirkende Gesetze wir überall aus dem Product selbst nachweisen könnten. Viemehr haben auf die gegebene Naturgrundlage die verschiedensten geschichtlichen Vorgänge eingewirkt, und diese unberechenbaren Einwirkungen bilden einen wesentlichen Factor unsrer zu Recht bestehenden Schriftsprache." (von Raumer 1858/1863, 358).
Der ehemalige Schüler Jacob Grimms würdigt auch zahlreiche positive Aspekte der Lexikographie seines ehemaligen Lehrers (vgl. hierzu auch Kirkness 1980, 218). So stellt er beispielsweise fest: "Der neuhochdeutsche Wortschatz wird hier durch die Heisterhand Jacob Grimms mit den älteren germanischen Sprachen in etymologische Beziehung gesetzt."
Für von Raumer sind die Stärken und Schwächen der Grimmschen Lexikographie offenbar eng miteinander verzahnt. Sein Gesamturteil faßt er wir folgt zusammen (von Raumer 1858/1863, 361): "Aber trotz all dieser Mängel, die wir nicht verschwiegen haben, ist es den Hrn. Verfassern gelungen, ein Werk zu Stande zu bringen, das nach den verschiedensten Seiten hin im eminenten Sinn Epoche machend ist."
Wie immer, wenn sein Wörterbuch kritisiert wurde, so reagierte Jacob Grimm auch in diesem Falle nicht sachlich und nannte in einem Brief vom 8.3.1858 an Zarncke Raumers Rezension u.a. "leeres oder sinnloses geschwätz, wie es dem mittelschlag des publicums gefällt". Schon das Erscheinen des 1. Bandes fand in der Presse kaum noch ein Echo. Die Meinungen über das Deutsche Wörterbuch waren geteilt. Für die einen blieb es lange das bedeutende kulturpolitische Nationalwerk, für die anderen war es in vielen Aspekten lexikographisch verfehlt. Die Auseinandersetzung zwischen dem Lexikographen Jacob Grimm und seinen Kritikern wirft die auch auf dem heutigen Stand der Wörterbuchforschung noch aktuelle Frage auf, wie ein solches Werk sachgerecht zu rezipieren und zu kritisieren ist, bringt sie aber keiner Lösung näher.
XX
Kirkness/Kiìhn/Wiegand
2.2. Die rund hundertjährige Wörterbucharbeit und die Beiträge, die sie begleiten. Als der Tod am 20.9. 1863 Jacob Grimm bei der Arbeit am Artikel Frucht die Feder aus der Hand nahm, war dies die erste einschneidende Zäsur in der Bearbeitung des Wörterbuches. In diesem Abschnitt werfen wir einen kurzen Blick auf einige Beiträge, welche die Wörterbucharbeit in der Zeit von 1863 bis zur Vollendung im Jahre 1960 begleiteten. Außer den biographischen Arbeiten (z.B. Scherer 1865/1921), zu welchen man auch die recht zahlreichen BriefVeröffentlichungen (vgl. z.B. Basler 1934; Bolte 1927; Gerstner 1952; 1952/53; Gürtler/Leitzmann 1923; Ippel 1885/1886; Leitzmann 1927, 1931, 1934; Lexer 1890, 1891; Pfeiffer 1866, 1867; Sander 1891; Schnack/Schoof 1953; Steinmeyer 1885; Stengel 1886/1910; Strauch 1888 und Wendeler 1880 - alle Titel in Kirkness/Wiegand im 2. Teilbd.) rechnen kann, gibt ein großer Teil dieser Publikationen Auskunft Uber Höhen und Tiefen in der äußeren Geschichte des DWB, über den jeweiligen Stand der Wörterbucharbeit sowie über die Organisation und die Umorganisationen der Arbeitsstellen. Man vergleiche hierzu etwa folgende Arbeiten: Beckmann 1949, 1950, 1954, 1956; Diepers 1930; Herrigel 1934/35; Hofmann 1909; Hübner 1930, 1933; Kluge 1905/6; Lochner 1913; Lucae 1873; Meißner 1910; Mühlhausen 1888; Neumann 1949; Roethe 1913; Schröder 1910, 1936; Sudhof 1954; Wunderlich 1910, 1911/12, 1912/13; Wunderlich/Bahder 1907 und viele andere (alle Titel in Kirkness/ Wiegand im 2. Teilbd.). Andere (und auch ein kleiner Teil der gerade genannten) Arbeiten geben einen Einblick in die "Werkstatt des Deutschen Wörterbuches " (vgl. z.B. Erben 1953), in dem sie Probleme behandeln, die bei der lexikographischen Arbeit entstehen, und wieder andere ordnen das Deutsche Wörterbuch in die Lexikographiegeschichte ein (z.B. Hildebrand 1890, Hofmann 1909) oder geben Nachträge (z.B. Birlinger 1867, John 1911). Viele Veröffentlichungen enthalten auch Würdigungen der lexikographischen Arbeiten der beiden Brüder und Appelle zum Weitermachen. So schreibt z.B. Theodor Kochs (1939/40):
Vorwort
XXI
"Die Vollendung des Deutschen Wörterbuchs ist eine Dankespflicht der germanistischen Wissenschaft gegen die Brüder Grimm. Sie ist aber auch eine Ehrenpflicht der Nation geworden, deren Einlösung mit jedem Jahre dringlicher wird." Auch wenn es viele Wiederholungen gibt, so findet man doch fast in jeder Arbeit einige neue Fakten oder andersartige Hinsichten auf Details, allerdings (mit Ausnahme von Paul 1894; vgl. unten) kaum neuartige oder weiterreichende, auf zentrale Aspekte der historischen Lexikographie hinzielende Fragestellungen. Zu einem Teil mag das wohl daran liegen, daß viele, die in dem in diesem Abschnitt betrachteten Zeitraum (1863-1960) zum Grimmschen Wörterbuch schreiben, selber Mitarbeiter (oder Leiter) sind, nämlich: Bahr, Beckmann, Diepers, Erben, Euling, Götze, Hildebrand, HUbner, Kochs, Leopold, Lexer, Lochner, Lucae, Meißner, Neumann, Pretzel, Schröder, Schwietering und Teuchert. Ihnen ging es vor allem darum, daß das Deutsche Wörterbuch vollendet wird und daß wenigstens das Interesse an ihm in den Fachkreisen erhalten blieb, nachdem es etwa ab 1860 in der Öffentlichkeit kaum noch auf Interesse stieß. Zum anderen Teil wird man die Ursache dafür darin zu suchen haben, daß Wörterbücher selbst noch kaum als Untersuchungsgegenstand oder gar als Gegenstand der Theoriebildung galten. Die Wörterbucharbeit wird auch nach Jacob Grimms Tod von kritischen Stimmen begleitet. Die erste Biographie Jacob Grimms erscheint bereits zwei Jahre nach seinem Tod (Scherer 1865). Scherers Wörterbuchkritik, die sich in dem Kap. "Das deutsche Wörterbuch" findet, kreist um den gegen Mitte des 19. Jhs. aufkommenden Gedanken der Sprachrichtigkeit. Er bemängelt dabei auf der einen Seite die einseitige historische Ausrichtung und Benutzungsunfreundlichkeit des Wörterbuches, denn "wer Auskunft und Aufklärung sucht, Entscheidung im Zweifel über das Sprachrichtige, wo sein Sprachbewußtsein schwankt: der wird das im 'deutschen Wörterbuch1 entweder gar nicht oder nicht so leicht und bequem finden, wie er es wünschen muß" (Scherer 1865/1921, 257). Auf der anderen Seite kennzeichnet er Jacob Grimm als "Sprachmeisterer" und "Restaurator", denn Jacob Grimm wolle besonders auf orthographischem und grammatischem Gebiet - "Formen, welche seit dem Mittelalter aus unserer Sprache verschwun-
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Kirkness/Kühn/Wiegand
den s i n d , w i e d e r e i n f ü h r e n " ( S c h e r e r 1 8 6 5 / 1 9 2 1 , 257 f . ) · Damit v e r l e t z e J a c o b Grimm s e l b s t d i e G e s c h i c h t e , "indem e r i n e i n z e l nen F ä l l e n d i e l e t z t e n J a h r h u n d e r t e u n s e r e r S c h r i f t s p r a c h e und was s i e g e s c h a f f e n n e g i e r e n und g l e i c h s a m a u s s t r e i c h e n w i l l " ( S c h e r e r 1 8 6 5 / 1 9 2 1 , 2 5 7 ) . B i s zu einem g e w i s s e n Grad s c h l i e ß t S c h e r e r h i e r m i t an d i e K r i t i k a n , w e l c h e von Raumer v o r g e t r a g e n hatte. Nachdem M a t t h i a s von L e x e r n a c h a c h t j ä h r i g e r A r b e i t den Bd. NQuurren (12 L i e f . , 2386 Sp. ) a b g e s c h l o s s e n h a t t e ( z u r K r i t i k an s e i n e r D a r s t e l l u n g s w e i s e v g l . man B u r d a c h 1 8 8 2 ) , h i e l t e r am 2 . 1 . 1 8 9 0 e i n e n V o r t r a g "Zur G e s c h i c h t e d e r n e u h o c h d e u t s c h e n L e x i k o g r a p h i e " ( L e x e r 1 8 9 0 ) . Er s t e l l t f e s t , daß d a s DWB "den v o r l ä u f i g e n Abschluß b i l d e t in der Geschichte der neuhochdeutschen L e x i k o g r a p h i e " ( L e x e r 1 8 9 0 , 19 f . ) und b e t o n t d i e F u n k t i o n d e s Deutschen Wörterbuches a l s s p r a c h n a t i o n a l e s Denkmal, d a s von den B r ü d e r n Grimm g e s c h a f f e n s e i , " d e r g a n z e n N a t i o n zu d i e n e n und i h r d i e w e i t e n H a l l e n d e s r e i c h e n und m ä c h t i g e n deutschen S p r a c h s c h a t z e s zum E i n t r i t t e zu ö f f n e n " ( L e x e r 1 8 9 0 , 1 9 ) . Nachdem d i e D e u t s c h e n 1890 s e i t r u n d 38 J a h r e n w e n i g s t e n s T e i l e d e s Grimmschen W ö r t e r b u c h e s b e n u t z e n k ö n n e n , d a r f nun a u c h i n e i n e r F e s t r e d e a n g e s i c h t s e i n e r h o c h a n s e h n l i c h e n Versammlung d i e F r a g e g e s t e l l t w e r d e n , ob e s s e i n e n Zweck e r f ü l l t h a t . L e x e r ( 1 8 9 0 , 31 f . ) f ü h r t a u s : "Eine andere noch kurz zu berührende Frage i s t die, ob das deutsche Wörterbuch auch seinen Zweck e r f ü l l t und das l e i s t e t , was die Urheber gewollt haben. Diese Frage i s t t e i l s zu verneinen. Zu bejahen insofern, a l s hier zum ersten Male der Reichtum und die Macht der neuhochdeutschen Sprache in einer bisher noch nicht gekannten und nur mit vereinten Kräften erreichbare Fülle erscheint, wobei n a t ü r l i c h abzusehen i s t von einer geradezu unmöglichen Sammlung a l l e r gebrauchten und immer neu sich bildenden Zusammensetzungen; auch die im Wörterbuche geübte wissenschaftliche und geschichtliche Behandlungsweise wird t r o t z a l l e r Eigenart der Bearbeiter und t r o t z allen Anfechtungen sich siegreich behaupten. Aber die von J . Grimm gehoffte und gewünschte Wirkung, daß das deutsche Wörterbuch ein Volks- und Familienbuch werden möge, "aus dem der Vater ein paar Wörter ausheben und s i e abends mit den Knaben durchgehend zugleich ihre Sprachprobe prüfen und die eigene anfrischen s o l l " [ . . . ] , i s t nicht in Erfüllung gegangen und konnte auch nach der ganzen, die eigentliche Lehrhaftigkeit, anschließenden Anlage und selbst nach der Äußerlichkeit des Werkes (in Bezug auf die eigentümliche halbhistorische Orthographie [ . . . ] und die lateinische Terminologie) nicht in Erfüllung gehen. Wohl mag das nach der Absicht f ü r jeden Deutschen geschriebene Werk manchem bekannt sein, der sich sonst mit Wörterbüchern nicht abzugeben p f l e g t , aber in weitern und
Vorwort
XXIII
selbst gebildeten Kreisen ist es, wenn Uberhaupt, so meist doch nur dem Namen nach bekannt [...], und auch da manchmal mit der seltsamsten Vorstellung: ist doch der Vortragende selbst schon wiederholt bedauert worden, so viel Zeit und Mühe auf ein "Konversationslexikon" wenden zu müssen."
Darüber, daß das DWB - außer von wenigen Gelehrten - von den Deutschen kaum benutzt wird, ist man sich spätestens seit Lexer in der Kritik weitgehend einig. So schreibt Alfred Götze (1903, 97): "Die Eigenschaften eines Nachschlagewerkes hat das Wörterbuch durch die Ausdehnung, die ihm Hildebrand gab, verloren" und weiter (S. 98 f. ) : "Das deutsche Wörterbuch ist nicht geworden, was einst Jacob Grimm vorschwebte: ein Hausbuch, das mit Verlangen und Andacht gelesen würde [...]. Im Gegenteil, es ist ein wenig gelesenes Buch, oft selbst denen unbekannt, die darauf weiterbauen und es meistern wollen. Seine Unfertigkeit, sein Umfang, die manchmal unübersichtliche Einrichtung, der enge Druck haben ihm dies unverdiente Schicksal bereitet."
Unverdient ist das Schicksal freilich nicht. Es ist eben eine contradictio in adiecto, ein Nachschlagewerk für das Volk zu erarbeiten, in dem die "geliebten Landsleute" (vgl. Bd. 1. Vorrede, LXVIII) weder nachlesen wollen noch nachschlagen können, weil das DWB - wie Schoof (1938, 152) feststellt - den "Benutzer mit wissenschaftlicher Vorbildung voraussetzt" (vgl. auch den Beitrag von Gottzmann in diesem Bd.). Vor dem Hintergrund solcher bedeutender Fehleinschätzungen wird verständlich, warum die neuere Wörterbuchforschung auch die Benutzer- und Benutzungsforschung einbezieht (vgl. auch Horlitz im 2. Teilbd.). Diese hat inzwischen auch ihre Auswirkungen auf die historische Lexikographie des Deutschen (vgl. Reichmann 1986, bes. das Kap. "Der Kreis der Benutzer und mögliche Benutzerfragen", 23-30 und hierzu Wiegand 1990). Auch in der Göttinger Arbeitsstelle hat man sich inzwischen um die Benutzerorientierung der Neubearbeitung Gedanken gemacht und am Beispiel des Artikels 1DULT die potentiellen Benutzerfragen entwickelt (vgl. Informationsschrift 1986, 19 f. ). Die herausragende Arbeit des 19. Jhs., die sich auch kritisch mit dem Deutschen Wörterbuch befaßt, ist die "für den damaligen Stand der Lexikographie eminent richtungsweisende Abhandlung" (Schröter 1987, 119) von Hermann Paul "über die Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie mit besonderer Rücksicht auf
Kirkness/Kühn/Wiegand
XXIV
das deutsche Wörterbuch" lexikographisches
(Paul
Brevier"
1 8 9 4 ) , d i e Henne ( 1 9 8 7 ,
nennt,
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1987
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man
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"Hermann
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schrieb:
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(soweit wir
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Es
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weil
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193)
nicht
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bisher
117-120).
Paul'sehe
Wörterbuch,
welches
III).
nicht Es
ist
s e h e n ) n i e m a n d a u s dem die
Kritik
geantwortet
Paul
"möchte [ . . . ] die Aufmerksamkeit auf einige Ansprüche lenken, die unbedingt erhoben werden müssen, wenn die Wortforschung zu einer wirklichen Wissenschaft a u s g e s t a l t e t werden s o l l , während diesselben doch bisher von den Wörterbüchern noch gar nicht oder nur in ungenügender Weise bef r i e d i g t werden" (Paul 1894, 53). Da f ü r
Paul
historische
forschung sind, die
bisherige
darstellt!
ist
in
Wörterbücher dem g e g e b e n e n
Lexikographie
(vgl.
zu d i e s e r
noch
selbst Zitat
keine
ein
Teil
implizit
wirkliche
F r a g e a u c h Wiegand 1 9 8 9 ) .
der gesagt,
Wortdaß
Wissenschaft Paul
fährt
dann f o r t : "Ich gehe dabei aus von Beobachtungen, die ich an dem grossen Deutschen Wörterbuch gemacht habe. So sehr wir auch den Verfassern desselben f ü r ihre mühselige Arbeit zu Danke v e r p f l i c h t e t sind und so sehr dieses Werk die meisten sonstigen Leistungen auf lexikalischem Gebiete überr a g t , so kann uns das doch nicht abhalten, auf die Mängel hinzuweisen, die dem Werke nichtsdestoweniger anhaften, und d i e Mittel und Wege anzuzeigen, wie sich zu e i n e r noch vollkommeneren Leistung gelangen l ä s s t . " (Paul 1894, 53 f . ) .
Vorwort
XXV
Den ersten Gesichtspunkt, den Paul (1894, 54) betrachtet, ist eine " g e n ü g e n d e A u s n u t z u n g der Q u e l l e n " . Er erklärt: "Unter genügender Ausnutzung verstehe ich aber nicht eine möglichst grosse Häufung von Citaten aus möglichst vielen Schriftstellern".
Auch dies ist als Kritik am DWB zu lesen. Nachdem er skizziert hat, welche hohen Anforderungen an die Feststellung des Wortgebrauches zu stellen sind und daß dies nur durch die Zusammenarbeit vieler möglich ist, stellt er fest: "Für das Deutsche Wörterbuch haben allerdings ausser den eigentlichen Bearbeitern viele Personen Sammlungen beigesteuert, aber leider die meisten ohne eine nur annähernd genügende Vorstellung von dem, was eigentlich zu leisten ist. Es wurde zwar vieles Seltenere und vom heutigen Gebrauch Abweichende verzeichnet, aber z.B. in Bezug auf Entstehung und Verbreitung der heute üblichen Wörter und Wortbedeutungen war aus diesen Auszügen so gut wie nichts zu entnehmen." (Paul 1894, 56 f.).
Das eigene Sprachgefühl ist für Paul (1894, 61) eine Quelle, "die jeder Bearbeiter eines Wörterbuchs seiner Muttersprache zur Hand hat". Nach seiner Auffassung wurde diese Quelle bei der Bearbeitung des DWB nicht genügend berücksichtigt, so daß eine "durchgängige Bestimmung des gegenwärtigen gemeinen Sprachgebrauchs" (Paul 1894, 63) fehlt. Paul (1894, 63) stellt fest: "Der Leser erhält in vielen Fällen keine Aufklärung darüber, ob eine Gebrauchsweise eines Wortes, für die er Belege findet, noch jetzt üblich ist oder nicht. [...] Das ist entschieden zu missbilligen. Denn abgesehen davon, dass mancher gerade zu dem praktischen Zwecke nachschlägt, sich darüber zu vergewissern, so gehört doch die Gegenwart gerade so gut zur Geschichte wie jede frühere Epoche und verlangt, dass man in Bezug auf sie leiste, was man kann. Dieser Mangel hängt offenbar zusammen mit dem Mangel an Beobachtung des Sprachgefühls."
Scharfe Kritik übt Paul auch an der Angabe lat. Wortäquivalente als Bedeutungsangabe und spricht von einer "roh[en] Interpretationsmethode" (S. 64). Zu den Vorschlägen, die er hinsichtlich der Bedeutungsangaben macht, vergleiche man Henne 1987. Schließlich kommt chen, "in dem das übrig lässt". Er g a b e n der e r f ü l l t ,
Paul (1894, 77 ff.) auf ein Gebiet zu spreDeutsche Wörterbuch ganz besonders zu wünschen stellt kategorisch fest: " D i e A u f W o r t f o r s c h u n g sind n i c h t so l a n g e die B e h a n d l u n g
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Kirkness/Kiihn/Wieçfand
der e i n z e l n e n W ö r t e r t e b l e i b t " (Paul 1894, 77).
eine
i s o l i e r -
Hiermit bezeichnet Paul aus sprachwissenschaftlicher Sicht einen der schwächsten Punkte der lexikographischen Darstellung der Wortbedeutungsgeschichte im DWB. Zugleich ist hiermit aber auch eine der schwierigsten Beschreibungsprobleme überhaupt angesprochen, denn lesbare und für den nachschlagenden Benutzer dennoch brauchbare Wörterbuchartikel, welche etymologische Zusammengehörigkeit, semasiologische und onomasiologische Vernetzung sowie Wortbildungsbeziehungen bei der Darstellung des Bedeutungswandels berücksichtigen, werfen, was die Präsentation der Daten als lexikographische Texte angeht, schwierige Gestaltungsfragen auf. Sieht man von wenigen Ausnahmen ab, dann ist in dem hier betrachteten Zeitraum ein theoretisches und methodologisches Nachdenken, welches von den DWB-spezifischen Problemen abstrahiert, im Umkreis des Grimmschen Wörterbuches nicht sonderlich ausgeprägt. Allerdings ist insgesamt der lexikographische Prozeß in sich nicht ohne selbstreflexive Komponente (i.S.v. Wiegand 1989, 252 f.). Diese konkretisiert sich nicht nur in manchen der bereits zu Beginn dieses Abschnittes angeführten Arbeiten aus der Feder der DWB-Mitarbeiter, sondern auch in bisher nur teilweise veröffentlichten Briefen, Rezensionen, Vorworten zu den einzelnen Bänden und anderen Dokumenten. Diese Begleitdokumente zum Grimmschen Wörterbuch enthalten viele aufschlußreiche, mitunter recht kritische Hinweise zur eigenen Arbeit und besonders zur lexikographischen Praxis anderer DWB-Bearbeiter. Walter Jens (Jens 1984, 21) hat durchaus Recht mit seiner Feststellung: "Grimms Deutsches Wörterbuch ist wahrscheinlich das einzige Werk unserer Literatur, in dem die treffendste Kritik am Unternehmen nicht von den Rezensenten, sondern von den Mitarbeitern kam: Schlechte Quellenlage, miserable Auswertung, fehlende Einheit, Disziplinlosigkeit allerorten - man kann's nachlesen in Vorworten, Briefwechseln, öffentlichen Selbstbezichtigungen und Bankrott-Erklärungen alle paar Jahre."
Dieses Urteil trifft auf die ganze Entstehungsgeschichte des Deutschen Wörterbuches zu: Ist die Auseinandersetzung über das DWB in der ersten Bearbeitungsphase relativ gut dokumentiert und teilweise auch kommentiert (vgl. Kirkness 1980, vor allem 168208; Huber 1987, 49-60), und ist die Stellung des Grimmschen
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XXVII
Wörterbuches in der Wörterbuchlandschaft des späten 19. Jhs. bereits näher untersucht (vgl. Schröter 1985; 1987, 114-120; 1988), so bleibt doch die Aufbereitung und Auswertung vieler Dokumente zur Rezeption und Kritik des DWB der Historischen Wörterbuchforschung noch aufgegeben. Als Vorarbeit hierzu dient die Bibliographie am Schluß des zweiten Teilbandes dieser "Studien". Es ist weiterhin zu berücksichtigen, daJ3 aus der Kritik am Grimmschen Wörterbuch zahlreiche andere einsprachige Wörterbücher des Deutschen entstanden sind, wie überhaupt fast alle lexikographischen Bemühungen der damaligen Zeit in irgendeinem Aspekt auf das Deutsche Wörterbuch bezogen waren. So entstand beispielsweise Hermann Pauls einbändiges "Deutsches Wörterbuch" (1897) wie früher schon die Wörterbücher von Sanders und Wurm, nicht zuletzt aus der Kritik am DWB. In aller Regel nahmen deutsche Lexikographen des späten 19. und frühen 20. Jhs. mehr oder weniger kritisch zum Deutschen Wörterbuch Stellung bei der Begründung und Situierung ihrer eigenen Werke in einer Wörterbuchlandschaft, die eben doch, ob sie dies nun akzeptieren wollten oder nicht, von diesem Werk dominiert wurde. Mit seinem dreibändigen "Deutschen Wörterbuch" (1890-1895) wollte Moriz Heyne ganz bewußt versuchen, die Vorstellung Jacob Grimms von einem Hausbuch in der lexikographischen Praxis zu realisieren; Hans Schulz führte die grundsätzliche Fremdwortabstinenz des Deutschen Wörterbuches als einen der Hauptgründe für das erscheinen seines historisch-entwicklungsbezogenen "Deutschen Fremdwörterbuchs" (1913 ff.) an; und auch die Befürworter eines umfassenden "Thesaurus linguae germanicae" sprachen sich für die Vollendung des DWB vor der Inangriffnahme des Thesaurus aus, nicht zuletzt um eine für beide Vorhaben wohl verhängnisvolle Konkurrenz zu vermeiden (vgl. hierzu Schröter 1985; 1987, 114120; 1988). In diesen Zusammenhang gehören weiterhin Wörterbuchrezensionen in Fachzeitschriften, in denen das Grimmsche Wörterbuch implizit vorausgesetzt, meist aber explizit - ggf. als Kontrastprogramm zum jeweils rezensierten Wörterbuch - angeführt wird, z.B. Karl Weigand bereits über Wurm (Literarisches Centralblatt Nr. 20 vom 19.5.1860, Sp. 312-316) und Sanders (Literarisches Centralblatt
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Kirkness/Kühn/Wiegand
Nr. 21 vom 25.5.1861, Sp. 341-345), oder Oskar Erdmann über Heyne (Zeitschrift für deutsche Philologie 23, 1891, 362-365), Rudolf Hildebrand Uber das Lutherwörterbuch von Dietz (Zeitschrift für deutsche Philologie 3, 1891, 358-365) und Rudolf Meißner Uber Paul (Anzeiger für deutsches Altertum und Literatur 25, 1899, 255-266), oder aber die Auseinandersetzung zwischen Horiz Heyne und Albert Gombert in den 80er Jahren des 19. Jhs. Zahlreiche Berichte über den Stand der Arbeiten am DWB, darunter etliche Zeitschriftenartikel von DWB-Mitarbeitern und die Berichte auf den Versammlungen deutscher Philologen und Schulmänner, die zuerst 1867 in Halle vorgelegt wurden und die von der in Halle 1903 stattfindenden Sitzung an bis zur Vollendung des DWB ständig auf die Tagesordnung gesetzt werden sollten, sowie die Nachrufe auf verstorbene Bearbeiter des Wörterbuches in Zeitungen, Zeitschriften und in der "Allgemeinen Deutschen Biographie" bilden insgesamt eine wichtige Aussage über den Stellenwert des Grimmschen Wörterbuches in der germanistischen Fachöffentlichkeit und gehören somit zur Rezeptionsgeschichte des Wörterbuchs. Diesem fachöffentlichen Interesse zum Trotz geriet das DWB im ausgehenden 19. Jh. und erst recht mit Heynes Tod 1906, in eine schwere Krise.
2.3. Die ersehnte Vollendung: "Jahrhundertleistung der historischen Lexikographie" oder "Pyrrhussieg der Germanistik"? Während die Germanisten in mehreren Generationen am Deutschen Wörterbuch arbeiteten und um seine Vollendung rangen, war es in der Öffentlichkeit um das Nationalwerk seit dem Ende des 6. Jahrzehnts im 19. Jh. allmählich immer ruhiger geworden. Schon Jacob Grimm beklagte am 26. November 1859 in einem Brief an Franz Pfeiffer, daß das Wörterbuch "zwar noch fortgekauft, aber nicht mehr fortgelesen wird" (vgl. Schoof 1938, 153). Das Deutsche Wörterbuch rückt erst wieder durch zwei besondere Ereignisse in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und kommt durch sie auch stärker in die allgemeine wissenschaftliche Diskussion: zum einen durch die Vollendung des Gesamtwerks 1960 und zum anderen durch den 100. Todestag Jacob Grimms 1963 und die damit verbundenen Gedenkreden und -Schriften. Man vergleiche
Vorwort
XXIX
hierzu u.a.: Anders 1960, Boehlich 1961, de Boor 1963, Denecke et al. (Hrsg.) 1963, Neumann/Löther 1963, Pfeifer 1963, Schoof 1961, Ziegler 1963 u.a. (alle Titel in Kirkness/Wiegand im 2. Teilbd.). Ein auffallendes Kennzeichen für die Beschäftigung mit dem DWB in den sechziger Jahren war die politisch-ideologische Vereinnahmung der Grimm'sehen Lexikographie. Besonders bezeichnend hierfür war der Gegensatz der deutsch-deutschen Grimm-Rezeption, die Herbert Kolb (1970, 101) folgendermaßen zusammenfaßt : "Wir stehen hier vor einem erstaunlichen Phänomen unserer politischen geteilten Gegenwart: Jacob Grimm und mit ihm die Germanistik, die er begründet hat, auf der einen Seite einer Kritik unterworfen, die zu einer krisenhaften Erschütterung ihres Selbstbewußtseins bis zur Forderung einer gänzlichen Umstrukturierung, ja sogar der Selbstaufgabe geführt hat, dort werden sie in das nationale Geschichtsbild eines Staatswesens integriert, das, überwölbt von der Ideenkonstruktion des dialektischen und historischen Materialismus, sich zum Hüter, Bewahrer und Fortentwickler der besten Traditionen der deutschen Geistesgeschichte erklärt."
Für Max Pfütze (1962, 290) zeigt sich Jacob Grimms fortschrittliche Haltung darin, "daß Jacob Grimm Freiheit und Einheit des Vaterlandes sowie eine Besserung aller Verhältnisse nur noch durch eine echte, revolutionäre Umwälzung zu verwirklichen sah", für Walter Boehlich (1966, 65) ist Jacob Grimm ein konservativer Lexikograph, "halb seiner Märchenromantik, halb einem hilflosen Biedermeier" zugehörig: Schon gut 20 Jahre früher hatte Arno Schirokauer (1942) versucht, das Grimmsche Wörterbuch in ein romantisches Korsett zu zwängen. Beispielhaft für diese politischideologische Vereinnahmung des Deutschen Wörterbuches ist vor allem die Kontroverse zwischen Walter Boehlich (1961, 1966) auf der einen und Theodor Kochs und Hans Neumann auf der anderen Seite (Neumann/Kochs 1961, 1962; Kochs 1967). Boehlich brandmarkte die Vollendung des Grimmschen Wörterbuch als "Pyrrhussieg der Germanistik", da es "von der ersten bis zur letzten Lieferung national, bald schon nationalistisch sei" (Boehlich 1961, 43). Boehlich (1961, 43 f.) versuchte diese überspitzte These anhand der Quellen- und Stichwortauswahl zu belegen: Das DWB sei : "ein Wörterbuch des rechtsgerichteten Deutschland geworden, in dem alles fehlt, was links vom Zentrum stand und doch ebensoviel Anspruch
XXX
Kirkness/Kiihn/tfiegand darauf hatte, seine Sprachwelt aufgenommen zu sehen wie die Rechtsradikalen, mit deren Verzettelung man nicht zimperlich war."
Theodor Kochs und Hans Neumann (1962) zeigen in ihrer Gegenkritik, daß Boehlichs Sichtweise "von einer völlig ahistorischen und anachronistischen Betrachtungsweise ausgeht und mit zahlreichen Ungereimtheiten, karikierenden übertreibungen und sachlich falschen Angaben argumentiert." In Kirkness (1980, 3-11) ist diese Kontroverse nachgezeichnet und Boehlichs Grimm-Kritik als unhaltbar entlarvt: Einerseits sei Boehlichs Pauschalverdikt, "der Grimm sei bis 1945 ein Wörterbuch des rechtsreaktionären Deutschland gewesen" (Boehlich 1961, 51) "wegen der äußerlichen üneinheitlichkeit des Gesamtwerkes absolut unzulässig" (Kirkness 1980, 5), andererseits argumentiere Boehlich auf einer "unsoliden Materialbasis" (Kirkness 1980, 6), auf die von Jacob Grimm verfaßten Wörterbuchartikel A-F geht Boehlich kaum ein (vgl. hierzu Holly im 2. Teilbd.), so daß seine Schlüsse "tendenziös und verfänglich" seien (Kirkness 1980, 9; vgl. auch Brackert 1988). Zu den Gedenkschriften aus Anlaß des 100. Todestags Jacob Grimms 1963 gehört auch der erste Band in der von Ludwig Denecke herausgegebenen Reihe "Brüder Grimm Gedenken" (inzwischen 8 Bände 1963-1988 (1989)). Die Reihe setzt sich zum Ziel, in Einzeldarstellungen neue, konkrete Grundlagen für ein sachgerechtes Urteil über Leben und Werk der Brüder Grimm zu schaffen, denn Fehlurteile in Vergangenheit und Gegenwart beruhen meistens auf mangelnder Kenntnis der wirklichen Sachverhalte. So sind z.B. ihre Werke nur zum Teil kritisch herausgegeben; so sind die Ausgaben ihrer Briefe vielfach willkürlich redigiert und unvollständig, ganz abgesehen von den Gegenbriefen an Jacob und Wilhelm Grimm. Dem gleichen Ziel dient Ludwig Deneckes unentbehrliches Realienbuch "Jacob Grimm und sein Bruder Wilhelm" (1971). Nach Denecke (Denecke 1971, V) ist es "an der Zeit, das Bild der Brüder Grimm von einigen übermalungen zu befreien, durch die es im Laufe eines Jahrhunderts und erneut in unseren Tagen verfremdet worden ist." Auch dem DWB widmet Denecke (Denecke 1971, 119129) ein sachlich fundiertes und informierendes Kapitel mit ausführlichen bibliographischen Angaben.
Vorwort
XXXI
Um eine neue Darstellung der wirklichen historischen Sachverhalte im Zusammenhang mit dem DWB im Sinne Deneckes bemüht sich Chauncey Jeffries Mellor in seiner Dissertation "Scholarly Purpose and National Purpose in Jacob Grimm's Work on the Deutsches Wörterbuch" (Chicago 1972). Anhand einer breitangelegten Untersuchung vor allem der eher theoretischen Schriften Jacob Grimms, in erster Linie der Vorrede zum ersten Band des DWB 1854, sodann der sprachwissenschaftlichen Schriften vom Vorwort zum ersten Band der "Deutschen Grammatik" 1818 bis zur letzten Akademieabhandlung 1863, analysiert Mellor die nicht unproblematische Verflechtung von Wissenschaftlichem und Nationalem in der Lexikographie Jacob Grimms. Er konzentriert sich auf die drei Bereiche, Berücksichtigung der (nieder- und oberdeutschen) Mundarten, Fremdwortfrage und Sprachentwicklung (Geschichte der neuhochdeutschen Schriftsprache) und zieht dabei zur Illustration Belegmaterial aus den Wörterbuchartikeln heran, ohne aber diese näher zu betrachten. Seine durchaus kritische Arbeit besticht durch Materialfülle und Unvoreingenommenheit und steht in einem wohltuenden Gegensatz vor allem zu den Beiträgen Boehlichs.
2.4. Die Retrospektive auf das vollendete Deutsche Wörterbuch: Dokumentarische Grundlegungen und erste metalexikographische Untersuchungen Die ideologiepolitische Auseinandersetzung in den sechziger Jahren waren auch der Ausgangspunkt für die in Kirkness (1980) vorgelegte Dokumentation zur Geschichte des DWB in der Zeit von 1838-1863. In diesem Band wird das Quellenmaterial zusammengestellt, das bislang zum größten Teil nur verstreut und schwer zugänglich oder unveröffentlicht war. Der Band ermöglicht damit historisch abgesicherte Aussagen und sachgemäße Urteile über das Deutsche Wörterbuch. Er enthält eine umfassende Briefdokumentation zur Planung und zu den Vorarbeiten 1838-1846, zur Ausarbeitung und zum Erscheinen des ersten Bandes 1847-1854, zur lexikographischen Weiterarbeit von Jacob und Wilhelm Grimm 1855-1863 und Dokumente zur zeitgenössischen Rezeption des DWB. Als Einleitung findet man einen kritischen Überblick über die Grimm-Rezeption der sechziger Jahre auf wissenschaftsgeschichtlichem und
XXXII
Ki rkn ess/Kiihn/Wi egan d
-politischem Hintergrund über GrundzUge
sowie eine
der Grimmschen
Fach günstig aufgenommen;
kursorische
Lexikographie.
man vergleiche
Zusammenfassung
Der Band wurde
im
z.B. die Rezension von
Johannes Erben (1983). Mitte der achtziger kehr der
Jahre erscheinen anläßlich der
Geburtstage
von
200. Wieder-
Jacob und Wilhelm Grimm
(4.1.1785
24.2.1786) und der Präsentation des dtv-Nachdrucks gabe
1984
(vgl.
Jens
1984;
dazu
sowie
Scholz
die
Titel
1985; ab
Wapnewski
Nr.
232
u.
der Erstaus-
1984;
Drews
1984;
in Kirkness/Wiegand
in
diesem Bd.) wiederum eine Vielzahl von Gedenkschriften, die sich teilweise explizit mit dem DWB beschäftigen: Einerseits sich die Einzelbeiträge
entweder auf die äußere Geschichte,
sonders seine historische manistik
(Fleischer
aber auf
seine
1986;
Einordnung in die Geschichte Kirkness
innere Geschichte
die Neubearbeitung 1987,
1988;
wenig
untersuchte
1989).
1984;
Kirkness
A-F
(DUckert
Andererseits
speziellere
1985)
Fragen
1986;
werden
behandelt
oder
kert 1986a, Henne 1986a;
buchstils
1986; Arbeitsprozeß
Sprichwörter:
bislang
(Wörterbuchstil
Wörter19. Jh.: Masarik
1985;
zum
Bd.
VI
der
Jäntti
behandelte
1983;
der
des
1989a; Vergleich des DWB mit anderen Wörterbüchern des
Kühn/Püschel
mit
Vergleich
Alexandrowa 1986; Modalverben: traditionell
Aufl.
Jacob und Wilhelm Grimms:
1986;
Wiegand
arten:
ersten
Dük-
Neubearbeitung:
oder aber
der
Mieder
auf
Schlaefer
auch
Jacob Grimms: Wiegand 1986; Wilhelm Grimm als Lexikograph: Henne
be-
der Ger-
(Bahr 1984a) mit Ausblick
der Buchstaben
Reichmann
beziehen
Püschel
1986; Partikeln:
Themen neu 1989:
Neubearbeitung,
beleuchtet
Wortbildung:
Horlitz
1988;
(Mund-
Andersson Grammatik:
Bahr 1985; Syntax:
Korhonen 1985, 1986). Auch die
Literaturwis-
senschaft hat
DWB
zunächst
das
endlich entdeckt,
und zwar
als
"Instrument der Literaturkritik" (vgl. Hess 1987). Eine
ausführliche,
lexikographisch
orientierte
Zusammenfassung
der inneren Geschichte des Deutschen Wörterbuches liegt erstmals mit dem von Joachim DUckert 1987 herausgegebenen Sammelband "Das Grimmsche Wörterbuch" vor. Der Band entstand in der Berliner Arbeitsstelle der Akademie
des
DWB
im
Zentralinsititut
der Wissenschaften
für
Sprachwissenschaft
der DDR aus Anlaß
der
zweihun-
dertsen Geburtstage der Brüder Grimm. Der Schwerpunkt dieser Ar-
Vorwort
XXXIII
beit liegt in der "Darstellung
und Kommentierung
Grundsätzen
die A r b e i t
u n d die
und
Methoden,
einerseits
Kontinuität,
gen u n d Neuansätze worthistorischen haltliche
und
(Dückert
1987,
ist n e b e n tung
vor
methodische Vorwort,
allem,
am DWB
Absichten,
geprägt
andererseits aber
auch
Fragen
6).
eine
stehen
also
im
an
diesem
Bearbeitungsphasen
von
Sammelband
beurteilen
bestehenden
und
sie
Richtlinien
an
oder
zugrundegelegt
werden,
programmatischen auch
Ausrich-
Wörterbuchartikeln
lexikographische Praxis der Brüder Grimm u n d späterer besser
in-
Vordergrund"
lexikographiehistorischen
Vielzahl
dieses
Konzeptionelle,
Verdienstvoll
Uberwiegend daß
bezeugen.
haben
Wandlun-
in der über h u n d e r t j ä h r i g e n G e s c h i c h t e
Grundlagenwerkes
dieser
verschiedenen
die
von
aus
"um
Äußerungen
an dem V e r f a h r e n
nutzer u n d anderer W ö r t e r b ü c h e r m e s s e n zu können"
die
Bearbeiter bzw.
anderer
(Dückert
Be-
1987,
Vorwort, 6). Der erste Beitrag in diesem B a n d m i t dem Titel Wilhelm G r i m m "
(7-48) stammt
"Jacob G r i m m
und
aus der Feder des H e r a u s g e b e r s
und
behandelt die lexikographische A r b e i t der beiden Brüder. zelnen
werden
dargestellt:
Stichwortbestand, Stichwortansatz
die
und
Begriff
und
lexikographische
- b e s c h r e i b u n g , die
Zweck
des
Im ein-
DWB,
sein
Darstellungsweise
Belege u n d Q u e l l e n
in sowie
die (besondere) W ö r t e r b u c h a r b e i t W i l h e l m G r i m m s . - A n n a H u b e r faßt sich im zweiten
Beitrag unter dem Titel
kurrenten, erste Mitarbeiter Deutschen W ö r t e r b u c h " Hildebrand
und
v o n Sanders der
Weigand.
und Wurm der
spielmaterial,
wo
diese lexikalischen pel
aufdrücken.-
den Titel
der
Belege und
Sie
mit
die
Fragen
und
Wurm,
der
Hildebrand
dritte
und
dem
Beitrag
von
an
DWB ihren Ulrich
Einwände Auswahl
reichem in
Bei-
bezug
der
Quellengrundlage
und
auf
eigenen
Stemträgt
v o n 1867 bis 1908" den
der
Zur B e a r b e i (91-124).
Der
Artikelstruktu-
ren u n d - i n h a l t e n , den Bedeutungserklärungen, der D a r b i e t u n g Belege,
am mit
Schröter
"Von Mörz Heyne zur D e u t s c h e n Kommission.
tung des Deutschen W ö r t e r b u c h s
Grimm
Stichwortauswahl,
Weigand
Verfasser zeigt an d e n B e a r b e i t u n g s a n t e i l e n ,
Kon-
sowie
wichtigsten
illustriert
Problembereiche
Der
und
Bedeutungsbeschreibung,
u.a.m. wie
auf
der Brüder
Sanders
behandelt
in bezug
Artikelgestaltung,
der Q u e l l e n
u n d Fortsetzer
(49-90)
"Kritiker u n d
be-
Stichwortauswahl
an
der
exempla-
risch h e r a n g e z o g e n e n W ö r t e r b u c h a r t i k e l n die u n t e r s c h i e d l i c h e
le-
XXXIV
Κirkness/Kühn/Wieffand
xikographische Arbeitsweise von Moriz Heyne und Hermann Wunderlich. Ein lexikographiegeschichtlicher Ausblick auf weitere Bearbeiter (Matthias von Lexer, Friedrich Ernst Wülcker, Karl von Bahder, Rudolf Meißner) rundet die kritische Darstellung dieser Bearbeitungsphase ab. Zum Abschluß diskutiert Schröter die Stellung des Deutschen Wörterbuches im lexikographischen Umfeld am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jhs., d.h. er vergleicht es vor allem mit den Wörterbüchern von Heyne und Paul.- Der vierte Beitrag wurde von Wilhelm Braun verfaßt und trägt den Titel "Das Deutsche Wörterbuch seit seiner Übernahme durch die Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1908 bis zu seinem Abschluß 1960" (125152). Er enthält eine Übersicht über die organisatorischen Veränderungen und lexikographischen Methoden im angegebenen Zeitraum. Braun untersucht ganz allgemein die Frage, "ob und wieweit sich Entwicklungen der neueren Wortforschung auf die lexikographische Arbeit ausgewirkt haben und ob nennenswerte Fortschritte methodischer Art und in den Arbeitsergebnissen erreicht werden konnten" (Braun 1987, 125). Im einzelnen behandelt er die lexikographischen Folgen aus der Reorganisation des DWB durch die Deutsche Kommission 1908 sowie durch die Arbeitsstelle in Berlin 1930 und zeigt die Auswirkungen auf die Artikelarbeit am Stichwortansatz, an der Stichwortauswahl, am Artikelaufbau, an der Bedeutungsermittlung und -beschreibung, an der Darstellung von Phraseologismen und der Wortbildung sowie an den semasiologischen und onomasiologischen Wortschatzstrukturen.- Ursula Fratzke prüft in ihrem ebenfalls empirisch untermauerten Beitrag "Zum Fremdwort im Deutschen Wörterbuch" (153-169) die Frage, ob und in welcher Weise sich in den verschiedenen Bearbeitungsetappen des DWB die Aufnahme und Bearbeitung der Fremdwörter verändert haben. Dabei wird auch der Frage nachgegangen, ob außersprachliche Bedingungen die Aufnahme und Beschreibung der Fremdwörter beeinflußt haben. Den Abschluß des Bandes bildet ein weiterer, stark geraffter Beitrag von Joachim Dückert: "Das Deutsche Wörterbuch und seine Neubearbeitung" (170-176) mit den Schwerpunkten: Wortschatzauswahl, Anlage der Wörterbuchartikel und Belegzitierung, Materialgrundlage, Quellenverzeichnis und Wirkung des DWB.
Vorwort
XXXV
Die Stärke des gerade vorgestellen Bandes liegt einerseits in der konsequenten Bearbeitung metalexikographischer Leitfragen durch die einzelnen Bearbeitungsphasen des DWB und andererseits in seiner materialorientierten Darstellung und Absicherung. Aus diesem Grunde sind die Ergebnisse und Beurteilungen gegenüber der bisherigen Forschung oft sowohl begründeter als auch differenzierter. Behandelt werden diejenigen Fragen und Problemfelder, die letztlich in der 24 Punkte umfassenden programmatischen Vorrede zum 1. Bd. von Jacob Grimm genannt sind, von den Kritikern aufgegriffen werden und in der bisherigen Literatur immer wieder auftauchen. Dieses Verfahren ermöglicht Aussagen über Konstanten und Veränderungen in der Bearbeitungsgeschichte (z.B. im Stichwortansatz, in der Artikelgestaltung, in der Beschreibung der Quellen und Belege usw.) sowie über das Verhältnis zwischen programmatischen Anschauungen und Absichten der einzelnen Bearbeiter und ihrer tatsächlichen Wörterbuchpraxis und dient daher der reflektierten und sachgerechten Benutzung als worthistorisches Grundlagenwerk. Die Fragestellungen bleiben aber letztlich immer die gleichen und sind gewissermaßen DWB-inhärent, da von außen keine anderen Gesichtspunkte in den Blick geraten, nach denen man das Deutsche Wörterbuch und seine Neubearbeitung so untersuchen kann, daß die Untersuchungsergebnisse sowohl einer zukünftigen historischen Lexikographie neuartige Einsichten ermöglichen als auch die Theoriebildung der Wörterbuchforschung fördern.
3. Das Deutsche Wörterbüch und seine Neubearbeitung im Lichte anderer Fragestellungen aus der neueren Wörterbuchforschung. In diesem Abschnitt möchten wir versuchen, die Beiträge der von uns herausgegebenen "Studien zum Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm" kurz zu charakterisieren; dabei werden wir einige Anschlußlinien zur neueren Wörterbuchforschung zeichnen. Die vorliegenden Studien bestehen aus zwei Teilbänden. Die Verteilung der Beiträge auf die beiden Bände sowie die Reihenfolge innerhalb der Bände folgt keinen durchgehenden inhaltlichen Gesichtspunkten. Im e r s t e n T e i l b a n d folgen auf unsere Einführung die Beiträge von Joachim Bahr, Ul-
XXXVI
Kirkaess/Kühn/Wiegand
rich Püschel, Peter Kühn, Carola L. Gottzmann, Jürgen Schiewe, Henning Bergenholtz/Ole Lauridsen und Oskar Reichmann.- Der z w e i t e T e i l b a n d enthält Beiträge folgender Autoren: Werner Holly, Bernd Horlitz, Hermann Niebaum, Werner Wolski, Fritz Neubauer, Ulrike Haß, Ladislav Zgusta und Gerhard Strauß. Seinen Abschluß bildet eine von Alan Kirkness und Herbert Ernst Wiegand erarbeitete Bibliographie sowie ein von Thorsten Roelcke und H.E. Wiegand bearbeitetes Sachregister. Wir möchten hier die Gelegenheit benutzen und den beiden Autorinnen sowie allen Autoren danken, die unserer Einladung zur Mitarbeit gefolgt sind. Neun von ihnen haben selbst lexikographische Erfahrung. Da es von einem gewissen forschungshistorischen Interesse ist, seien hier diejenigen Themen genannt, für deren Bearbeitung wir in g a n z D e u t s c h l a n d und im Ausland keine Autoren finden konnten; daß die Behandlung der folgenden vier Themen besonders arbeitsintensiv ist, ist uns klar; sie lauten: Materialbasis und Datengewinnung im Deutschen Wörterbuch Zur Rezeption des Deutschen Wörterbuches in Wissenschaft und Öffentlichkeit Die Rolle des Deutschen Wörterbuches für die historische Wortforschung des Deutschen Die lateinischen Bedeutungsangaben im Deutschen Wörterbuch In eigener Sache sei mitgeteilt: Ursprünglich hatte Peter Kühn einen Beitrag mit dem Thema "Dokumentation kontra persönliche Bekenntnisse im Deutschen Wörterbuch" übernommen und H.E. Wiegand einen Beitrag "Die normativen Kommentare Jacob Grimms im Deutschen Wörterbuch". Wir mußten jedoch während der Arbeit feststellen, daß es zu weitgehenden Überschneidungen in den Darlegungen kam. Daraufhin hat H.E. Wiegand seine Exzerpte P. Kühn zur Verfügung gestellt und dieser hat über die normativen Kommentare geschrieben.
Ausgangspunkt für die Konzeption dieses Sammelbandes waren zwei verschiedenen Überlegungen, (i) Wir waren der Auffassung, daß die Inhalte des umfangreichen Werkes im Fach eigentlich eher unbekannt sind und damit auch die Möglichkeiten seiner Nutzung für sprachwissenschaftliche Fragestellungen. Entsprechend haben wir einige Themen so ausgewählt und formuliert, daß man etwas über die materialen Inhalte und dadurch Uber die Nutzungsmöglichkei-
Vorwort
XXXVII
teil erfährt.- (ii) Seit Mitte der siebziger Jahre hat das wissenschaftliche Interesse an Wörterbüchern in zahlreichen Ländern stark zugenommen. Hiervon kann man sich durch einen Blick in die beiden neuesten einschlägigen Bibliographien, der von L. Zgusta (1988) und der von H.E. Wiegand (1988a) Uberzeugen. Die Wörterbuchforschung ist derzeit auf dem Wege, sich zu einer eigenständigen wissenschaftlichen Disziplin zu entwickeln (vgl. hierzu ausführlich Wiegand 1989). Im Zuge dieser Entwicklung sind neue Fragestellungen entstanden und neue Analysemethoden erarbeitet sowie Bewertungskriterien vorgeschlagen worden. Wir waren der Auffassung, daß es sowohl für die historische Lexikographie als auch für die Wörterbuchforschung fruchtbar sein kann, wenn einige Sichtweisen, Ergebnisse und Methoden der neueren Wörterbuchforschung bei Untersuchungen des Deutschen Wörterbuches Berücksichtigung finden und haben demgemäß einige Themen so gewählt, daß dies wenigstens teilweise notwendig wurde. Die Untersuchungen dieses Bandes sind daher überwiegend sprachwissenschaftlich und metalexikographisch orientiert. Dies führt z.T. nicht nur zu anderen Untersuchungsergebnissen, sondern auch zu anderen Beurteilungen als in der älteren deutschen Philologie üblich. So mögen - um nur ein Beispiel zu nennen - berühmt gewordenen Wörterbuchartikel, wie z.B. die zu Genie, Geist und Grund unter philologischen Aspekten als Meisterleistungen gewertet werden (und wer könnte etwas dagegen haben?), aus metalexikographischer Sicht, speziell im Lichte einer Theorie lexikographischer Texte (vgl. Wiegand 1988, 1989b u. 1990), handelt es sich allerdings eher um lexikographische Entgleisungen. Bevor wir im folgenden dazu übergehen, die fünfzehn Beiträge der beiden Teilbände kurz zu skizzieren, sei noch erwähnt, daJ3 wir zwar manchen Autoren inhaltliche Vorschläge gemacht, daß wir aber nicht auf eine terminologische Vereinheitlichung gedrungen haben, da sie in einer jungen Disziplin nicht zu vertreten ist.Der e r s t e Beitrag von Joachim Bahr trägt den Titel "Periodik der Wörterbuchbearbeitung. Veränderungen von Wörterbuchkonzeption und -praxis." Der Autor verbindet die äußere mit der inneren Wörterbuchgeschichte, bettet beide in die politische, die Kultur- und die Wissenschaftsgeschichte ein und geht
Ki rkness/Kühn/Wi egrand
XXXVIII
damit über seine früheren damit
die
(kultur-)politisch ferenzierte buches.
Beiträge zur Thematik hinaus.
wörterbuchgeschichtlichen und
sprachwissenschaftlich
Betrachtung
Bahr
setzt
Grundlagen
und
vier
Beurteilung
Er
legt
für
eine
begründbare,
des
Grimmschen
Bearbeitungsphasen
an:
in
dif-
Wörter-
der
ersten
Phase, v o n der Begründung des DWB 1838 bis zum Tode J a c o b Grimms 1863
ist
Wilhelms Urteil
Jacobs
Wörterbuchkonzeption
Sonderweg in
der
in Rechnung
deutschen
vorherrschend:
gestellt
werden,
Lexikographie
nicht
dabei
der
nach
weiter
wurde. Jacob Grimm betreibt historische W o r t f o r s c h u n g graphischer
Form;
letztere
tischen Wörterbucharbeit. die
Erklärung
des
ergibt
Seine
sich
neuhochdeutschen
sprachgeschichtlicher
erst
Darstellung
Entwicklungen
aus
muß Bahrs
verfolgt in
lexiko-
seiner
prak-
ist ü b e r w i e g e n d
Wortschatzes gerichtet.
als
Die
auf
Ergebnis
zweite
Ar-
beitsphase, v o n Jacob Grimms T o d bis zur Übernahme des DWB d u r c h die
Deutsche
schaften Weigand
Kommission
zu
Berlin,
und
Heyne
bringt eine
sprachwissenschaftlichen es
mehr
um
eine
schichte geht.
der
unter
Darstellung
bildeten letzte u n d der
Roethes
Kommission.
unterliegt
Bedeutungen
eines
Wortes von
Institutionalisierung
schluß der Erstausgabe Arbeitsrichtlinien
vom dem
Erklärung Unter
der
der
gelegt
wird.
Die
Reorganisation
(1930) u n d Göttingen
ausgearbeitet
tikel in ihrer Umsetzung
Bahr
nach
Konzeptionen anhand
eines
herausge-
vierte
durch
und
Hübner
Errichtung
von
(1947) bis zum A b -
denen
werden
unter-
erstmals
Schaffung
1960, ist durch die Einführung
von
Wortge-
wissenschaft-
die sich h i s t o r i s c h
der
in
1908-1930
der A r b e i t e n durch
lexikographischen
beitungsphasen w e r d e n licht. Es w i r d
ümorientierung
- n e b e n der
gekennzeichnet,
Bedeutungswörterbuch
Hildebrand,
die Wörterbucharbeit
wobei
- besonderen Wert auf
Bearbeitungsphase,
schiedlichen
eine
Wissen-
Wörterbuch,
In der dritten Bearbeitungsphase
A r b e i t s s t e l l e n in Berlin
kein
als
der
Bearbeitern
philologischen
o r g a n i s a t o r i s c h e n Regelungen, Wortarchivs
den
Akademie
lexikographische zum
steht das DWB der Deutschen lichen Leitung
Preußischen
ein
historisches
soll. der
konkreter
Die
einzelnen
zahlreicher
unterBear-
Wörterbuchar-
in die lexikographische Praxis verdeut-
in Bahrs Darstellung
bedeutungsgeschichtliches
risches Bedeutungswörterbuch
überdies
Wörterbuch,
ist.
klar, sondern
daß das ein
DWB
histo-
Vorwort
XXXIX
Der z w e i t e Beitrag stammt von U l r i c h Ρ ü s c h e i ; er trägt den Titel "Zwischen Erörterung und Ergebnisdarstellung. Zu Wörterbuchstilen im Deutschen Wörterbuch." Der Autor untersucht auf dem Hintergrund der in der neueren Wörterbuchforschung gewonnenen Einsicht, daß man in den meisten Wörterbüchern in erster Linie nicht Wörter sondern Texte über Wörter findet, verschiedene Wörterbuchstile im Deutschen Wörterbuch, die durch die Vielzahl der Bearbeiter und ihre unterschiedliche Einarbeitung in die praktische Wörterbucharbeit sowie durch für das DWB typischen Mangel an einheitlichen Orientierungs- und Arbeitsprinzipien verursacht sind. Grundsätzlich unterteilt Püschel den Wörterbuchstil in einen Darstellungsstil und einen Beziehungsstil. Kennzeichnend für Jacob Grimm ist ein besonderer Darstellungsstil, der dadurch geprägt ist, daß er in vielen seiner Wörterbuchartikel - verstanden als kleine Abhandlungen - mit einer weiten Palette an Ausdrucksmitteln die etymologischen Herleitungen erörternd formuliert, während er die Angaben zur Bedeutung und zum Wortgebrauch eher entfaltend darstellt; in diesem Zusammenhang gestaltet er oft artikelübergreifende Abhandlungen. Dies paßt zu der Ansicht Bahrs, das Jacob Grimm praktische historische Wortforschung im lexikographischen Gewand betreibt.- Der Stilzug ENTFALTEN ist auch bezeichnend für die lexikographische Formulierungspraxis Hildebrands und Wunderlichs. Neben dem Abhandlungsstil ist für Jacob Grimm ein persönlicher Stil kennzeichnend: seine Texte sind abwechslungsreich, ja manchmal sogar spannend und auf Selbstdarstellung und Leseransprache hin funktionalisiert. Im Gegensatz dazu überwiegt bei Wilhelm Grimm und den übrigen Bearbeitern des Wörterbuches ein nüchterner, sachlicher Beziehungsstil. Wilhelm Grimms Wörterbuchstil besteht zudem im Hinblick auf etymologische Erklärungen weniger im Erörtern als im Darlegen, weniger im Entfalten als im Auflisten von Wortbedeutungen und -gebrauch. Das Stilmuster AUFLISTEN ist zudem ebenfalls besonders typisch für den Wörterbuchstil von Matthias Lexer und Moriz Heyne, während Arthur Hübner zum Abhandlungsstil neigt. Püschel belegt seine Stilbeschreibungen an einer Fülle von Beispielen und schlägt abschließend einen aufschlußreichen Bogen von den verschiedenen Wörterbuchstilen zu den Gebrauchsmöglichkeiten des DWB als Nach-
XL
Kirkness/Kähn/ffiegand
schlagebuch und Buch zum Lesen.- Püschels Beitrag daß
gerade
trachten,
von neue
dem
Ansatz, Wörterbuchartikel
Einsichten
für
die
verdeutlicht,
als Texte
Systematische
zu be-
Wörterbuchfor-
schung und für die Lexikographie zu erwarten sind. Ein Überblick über neuere Arbeiten,
die diesem Ansatz verpflichtet
sind, fin-
det sich bei Wiegand 1990.Der
d r i t t e
Gesetzbuch
Beitrag trägt den Titel
machen".
Die
normativen
"... wir wollen kein
Kommentare
Deutschen Wörterbuch". Er wurde von Peter
Jacob
K ü h n
Grimms
im
verfaßt. Der
Autor hinterfragt für die Bearbeitung des DWB durch Jacob Grimm die
aus
metalexikographischer
Sicht
besonders
für
historisch-
orientierte Wörterbücher im allgemeinen vorausgesetzten tiven eine
und
neutralen
weithin
praxis
Jacob
gerade
Formulierungen
unerwartete
und
Grimms
Dabei
auf.
wird
lexikographiegeschichtlich
tiven
"Adelung"
legte,
- als
deskriptive
das
Artikeltexte
das
auf
des
und
spürt
normative
Kommentar-
Grimmsche
Wörterbuch
gemeinhin
erste,
Wörterbuch
zeigt jedoch an einer
der
unbekannte
deskrip-
-
nach
dem
Dokumentation
Deutschen
norma-
hin
ange-
angesehen.
Kühn
Fülle von Beispielen, daß die Wörterbuch-
lieferungen Jacob Grimms nicht nur deskriptive, sondern vielfältige
normativ-präskriptive
Züge
aufweisen.
sich in den einzelnen Wörterbuchartikeln,
Dies
manifestiert
in normativen Kommen-
taren zur Orthographie, Wortbildung und in solchen zum Sprachgebrauch verschiedener Autoren und Schriftsteller.
In diesen nor-
mativen Kommentaren beurteilt Jacob Grimm den Sprachgebrauch auf der
Folie
der
historisch-organischen
Sprachentwicklung
tomisch als richtig oder falsch. Der sprachgenealogische
dichoBezugs-
punkt in Jacob Grimms normativen Kommentaren unterscheidet Sprachkritik
allerdings
strebungen des 19. Jhs.
sowohl
von
den
seine
sprachpuristischen
Be-
als auch von den Normvorstellungen,
die
mit den sogenannten Akademiewörterbüchern verbunden waren. Carola F. des
1.
G o t t z m
Teilbandes
Mittelhochdeutsche
a n n
verfaßt.
hat den Er
trägt
den
v i e r t e n Titel:
im Deutschen Wörterbuch.
älteren Sprachstufen".
"Das
Beitrag Alt-
und
Zum Stellenwert
der
Bekanntlich hat man sich bei der Bearbei-
tung des Deutschen Wörterbuches an die ursprünglich
festgelegten
Selektionsgrenzen "von Luther bis Goethe" nicht gehalten und in
Vorwort
XL I
den einzelnen Bearbeitungsphasen in unterschiedlichem Ausmaß auch die älteren Sprachstufen des Deutschen berücksichtigt. Daher ist es von Interesse, welchen Stellenwert das Alt- und Mittelhochdeutsche im DWB haben. Die Autorin fragt daher, ob das Grimmsche Wörterbuch als alt- bzw. mittelhochdeutsches Wörterbuch benutzt werden könne, alt- bzw. mittelhochdeutsche Wörterbücher ersetze und eventuell etymologische Wörterbücher sogar überflüssig mache. Für ihre Untersuchung legt die Verfasserin eine Auswahl von 600 Wörtern zugrunde, die (1) für die einzelnen Bearbeitungsphasen charakteristisch sind, die aufgrund ihres Etymons zusammengehören, (2) im Hinblick auf sprachliche Kriterien (Lautgestalt, Schriftgestalt, Grammatik oder Semantik) von besonderem Interesse sind und die (3) im 19. und 20. Jh. noch zum aktiven Wortschatz zählen. Insgesamt gelangt Gottzmann zu dem Ergebnis, daß das Deutsche Wörterbuch nicht ohne weiteres wie synchronische Wörterbücher des Alt- und Mittelhochdeutschen benutzt werden kann, weil als Voraussetzung für seine Benutzung sprachwissenschaftliche Kenntnisse notwendig sind: Sucht ein Benutzer, der nicht Sprachhistoriker ist, beispielsweise die neuhochdeutschen Entsprechungen für althochdeutsche Formen, so benötigt er Kenntnisse über Lautentwicklungen, da im DWB vorwiegend neuhochdeutsche Formen als Lemma angesetzt sind. Obwohl im DWB eine Fülle sprachhistorischer Informationen enthalten sind, kann nach der Untersuchung von Gottzmann das Deutsche Wörterbuch die synchronischen Wörterbücher des Alt- und Mittelhochdeutschen keineswegs ersetzen, zumal häufig für das Lemmazeichen charakteristische, morphologische und syntaktische Eigenheiten nicht sichtbar werden und die semantische Vielfalt eines Wortes innerhalb einer synchronischen Stufe oft nicht erfaßt wird. Daß sowohl in der gemanistischen Fachsprachenforschung als auch in der "Grimm-Literatur" in bezug auf die Behandlung der Fachund Wissenschaftsprachen im DWB bislang einseitige und unbelegte, aber weitlich tradierte Urteile vorherrschen, wird im f ü n f t e n Beitrag von Jürgen S c h i e w e belegt, der den Titel trägt "Fach- und Wissenschaftssprachen im Deutschen Wörterbuch". Ausgehend von den konzeptionellen Äußerungen der Brüder Grimm sowie denen ihrer Nachfolger wird die tatsächliche Repräsentation von Fach- und Wissenschaftssprachen anhand des
XLII
Kirkness/Kühn/Wiegand
Quellenverzeichnisses der Artikelstruktur schenden Ergebnis, rietäten desto
sowie des aufgenommenen nachgewiesen.
Schiewe
Wortbestandes
kommt
zu dem
daJ3 man bei der Suche nach diesen
fündiger wird,
und
überra-
Sprachva-
je mehr man sich in das DWB ver-
tieft. Er widerlegt die bisherige Ansicht, daß im DWB diese beiden
Varietäten
weitgehend
Trotz der überwiegend Deutsche
geblieben
seien.
literatursprachlichen Ausrichtung auch
Wörterbuch
unberücksichtigt eine
nützliche
Quelle
ist
zum
sowohl des muttersprachlichen Fachwortschatzes
der älteren
als
des
auch
zum
wissenschaftlichen,
schaftssprachlichen Wortschatzes, indigen deutsche meiner
Bildung
Terminologie
wurde.
Die
wissenschaftssprachlichen
besonders soweit
gefaßt
Lemmazeichen
einher
- und
literarischer Art, dies
sind
den
zwar
sind
eine
allge-
fach-
sehr
des DWB geht eine
die Quellenbelege
ist nach Schiewe
in
Gegenstand zu
Zeit
naturwissen-
frühzeitig
Bedeutungsangaben
schiedlich - mit der Ausarbeitung Differenzierung
er
und zum
das
Studium
und
unter-
zunehmende vorwiegend
jedoch gerade
für die
Fachsprachenforschung von besonderem Wert. Für die Historische Wörterbuchforschung ist es von großer Bedeutung, daß die verschiedenen Beziehungen zu anderen
theoretischen
Ansätzen
lexikographischer
innerhalb
schaft und auch der Verflechtung der
der
Werke
Sprachwissen-
lexikographischen Prozesse
untereinander herausgearbeitet werden. Wie sich auch in Joachim Bahrs und Ladislav Zgustas Beiträgen zeigt, ergeben sich - nicht zuletzt
wegen
Grimmschen
seiner
Wörterbuch
langen
Bearbeitungszeit
interessante
-
gerade
Berührungspunkte.
beim
Studien,
wie die beiden letzten Beiträge des ersten Teilbandes, die sich u.a. mit Beziehungen des DWB zu sprachtheoretischen oder
zu anderen Wörterbüchern
befassen,
solche,
Konzeptionen
die
Einflüsse
aufweisen oder Vergleiche ziehen, sind immer auch als Baussteine zu der noch nicht geschriebenen Geschichte der Lexikographie des Deutschen zu sehen. Ausgangspunkt Einflusses Deutschen Ole
für
der
eine Diskussion
historischen
Wörterbuch
der Berücksichtigung
Grammatik
ist für Henning
L a u r i d s e n
,
die
und
der
und des
Wortbildung
B e r g e n h o l t z
gemeinsam
den
im und
s e c h s t e n
Beitrag "Berücksichtigung und Einfluß der historischen Grammatik
Vorwort
XLIII
einschließlich der Wortbildung im Deutschen Wörterbuch" verfaßt haben, das lexikographische Problem, ob eine Grammatik als integrativer Bestandteil des Wörterbuches zu fordern sei. In bezug auf die Behandlung grammatischer und syntaktischer Phänomene lassen sich nach Feststellung der Autoren für die meisten Bearbeitungsphasen keine durchgehenden Prinzipien nachweisen. Am Beispiel der Angaben zur Wortklassenzugehörigkeit, zur Flexion und zum Genus wird einerseits an einer Fülle von Beispielen diese Uneinheitlichkeit und Unterschiedlichkeit deutlich, andererseits zeigen sich für die einzelnen Bearbeitungsphasen einige Besonderheiten: Für Jacob Grimms Praxis ist (wie schon sein erster Biograph feststellte) nicht der damalige Sprachgebrauch sondern die Idealisierung bestimmter Sprachstufen Orientierungspunkt: historisch-grammatische Gesichtspunkte spielen bei ihm vor allem dann eine Rolle, wenn er in präskriptiven Kommentaren für die Bewahrung alter grammatischer und syntaktischer Formen plädiert (vgl. auch den Beitrag von P. Kühn). Wilhelm Grimm ist im Gegensatz zu Jacob stärker bemüht, geschichtliche Sonderverhältnisse darzustellen. Eine stringente Tendenz, historische Entwicklungen ausschließlich deskriptiv zu beschreiben, machen Bergenholtz/Lauridsen für grammatische Erscheinungen besonders in der zweiten Bearbeitungsphase vor allem bei Moriz Heyne aus. Alle Bände der nachfolgenden Bearbeitungsetappen folgen im wesentlichen der hier festgelegten Richtung. Kommentare zur Syntax spielen vor allem bei der Artikelgestaltung eine Rolle, wobei die sporadischen syntaktischen Auskünfte in den ersten beiden Bearbeitungsphasen recht dürftig ausfallen und erst bei Wunderlich im Hinblick auf Einheitlichkeit und Informativität besonders hervorzuheben sind. Für die Behandlung der Wortbildung ist ein durchgehendes Historisieren kennzeichnend, d.h. bei der lexikographischen Beschreibung stehen althochdeutsche und mittelhochdeutsche Verhältnisse im Vordergrund. Aufgrund der im DWB fehlenden Einheitlichkeit der zugegebenermaßen großen und aufschlußreichen historisch-grammatischen Informationen stellen Bergenholtz/Lauridsen abschließend Forderungen für die Berücksichtigung der historischen Grammatik in historischen Wörterbüchern auf.
XLIV
Κi rkness/Kühn/Wiegand
Der erste T e i l b a n d schließt m i t der A b h a n d l u n g "Zum ürbegriff den
Bedeutungserläuterungen
zur
Bedeutungsdefinition
R e i c h m a n n Der Autor
stellt
dar
mit
den
bei
Grimms
Daniel
im
Sanders)",
erstmals
die A u s w i r k u n g e n Jacob Grimms
der
Adelungs
Tradition
schreibungen
Daniel
Sanders.
die
von
Oskar
der A n s i c h t e n
Jacob
schlußreiche
Verquickung
von
Jacob
sion des Urbegriffs
stehenden
analytischen
zeigt
Grimms
dabei
die
Sanders
den
Beauf-
Diskus-
in der Sprachtheorie u n d im W ö r t e r b u c h illuBedeutungserläuterungen
Wörterbuchartikeln.
herauszuarbeiten,
E-
Sprachgeschichtsauf-
A u s g e h e n d v o n einer
striert R e i c h m a n n a n Beispielen den Gegensatz zwischen in
(Α-C,
Bedeutungserläuterungen
Reichmann
fassung m i t seiner Wörterbucharbeit.
u n d Logik
in
Unterschied
in den v o n ihm bearbeiteten B ä n d e n
u n d vergleicht
in
(auch
geschrieben wurde.
Grimms vom Ürbegriff Frucht)
Jacob
folgt
Aus
für
den
die
von
Jacob
Versuchen,
Ürbegriff
Grimms
den
Artikelgestaltung
Ürbegriff
ein
rungstyp, der durchweg d e n Charakter ganzheitlicher
und
Erläute-
Erörterungen
aufweist, in die der Leser mit einbezogen w i r d (vgl. d e n Beitrag v o n U. Püschel). A l s w e i t e r e Konsequenz aus Jacob G r i m m s lexikographischer
Konzeption
ergeben
sich
nach
Reichmann
Folgerungen
im H i n b l i c k auf die Vollständigkeit der Beschreibungen, N a c h z e i c h n e n der ursprünglichen, bedeutung d u r c h
die Geschichte
denn das
auf A n s c h a u u n g b e r u h e n d e n W o r t der Historiolekte,
Dialekte
oder
Fachsprachen läßt offene Stellen am Ende der
Entwicklungsstränge
nicht
in
so d e u t l i c h
terbüchern
und
als
Lücken erscheinen w i e
schafft
D i s p o s i t i o n e n zur
für
Füllung
m a n n kann aus J a c o b
den
Definitionswör-
Wörterbuchbenutzer
u n d Erweiterung dieser
kognitive
Lücken.
Grimms V o r s t e l l u n g e n v o m Ürbegriff
Reich-
auch die
normative K o m m e n t a r p r a x i s erklären
(vgl. d a z u den Beitrag von P.
Kühn):
das
Wenn
der
Lexikograph
über
Wissen
um
die
Entfaltung
des U r b e g r i f f s verfügt, k a n n er tatsächliche Entwicklungen oder
tadeln.
Abschließend
Sprachgeschichtsauffassung sieht die Sprache mehr
beurteilt als
eher
Reichmann konservativ,
loben
Jacob
Grimms
denn
dieser
als eine autonome, sich nach eigener
An-
lage entwickelnde Größe d e n n als Resultat v o n H a n d l u n g e n menschlicher G r u p p e n - ein Kritikpunkt, der auch schon bei v o n a n g e s p r o c h e n wurde.
Raumer
Vorwort
XLV
Der z w e i t e T e i l b a n d wird mit einer Studie aus der Feder von Werner H o l l y eröffnet, die den Titel trägt: "Wilde pflanzen ohne nährende frucht - Die Behandlung des politisch-sozialen Wortschatzes im Deutschen Wörterbuch durch Jacob und Wilhelm Grimm". Sie ist die erste Arbeit, in der Teile des politisch-sozialen Wortschatzes im DWB tatsächlich wissenschaftlich untersucht werden. Der Autor zeigt, daß die Erwartung, die ( kulturpolitisch engagierten Brüder Grimm würden auch besonderen Wert auf die Aufnahme und Erklärung des politisch-sozialen Wortschatzes legen, hinfällig ist. Von 98 überprüften politischen Wörtern fehlen 46 vollkommen, bei weiteren 16 fehlt die politische Bedeutung; zudem sind die übrigen Bedeutungsbeschreibungen politisch-sozialer Ausdrücke entweder nur implizit oder sehr kurz oder auf die Erschließung des Urbegriffs bezogen (vgl. dazu den Beitrag von 0. Reichmann). Ausgehend von diesem Befund diskutiert Holly drei Gründe für diese Festellung: (1) Die Haltung der Brüder Grimm zur Fremdwortfrage, zum Historismus und zum Volkstümlichen läßt den fremdwortsprachlichen politischsozialen Wortschatz des Typs Absolutismus ausgeblendet. (2) Die literarische Quellengrundlage und Grimms Kompetenzbeispiele führen zwangsläufig zur Ausblendung dieses brisanten Wortschatzbereichs. Eine Selbstzensur schließt Holly dabei als Begründung aus. Er vermutet allerdings, daß die Grimms ihr Wörterbuch, das als sprach- und kulturhistorisches Dokumentarwerk angelegt ist, nicht in einer Linie mit den weltanschaulich geprägten Konversationslexika der damaligen Zeit sehen wollten. (3) Der Bezug auf den Urbegriff schließt nach Holly letztendlich ebenfalls die Entfaltung sozialpolitisch interessanter Bedeutungsgeschichten aus. Den eigentlichen Grund für die Lemma- und Bedeutungslücken des politisch-sozialen Wortschatzes im DWB sieht Holly allerdings in der "unpolitischen" Haltung Jacob Grimms begründet. Dieser gehöre in die Reihe der deutschen Gelehrten, die kein Gespür für die Mechanismen parlamentarisch-politischer Öffentlichkeit und die Rolle der Sprache in den aufkommenden Massendemokratien entwickeln konnten. So sieht Jacob Grimm gerade im Parteienstreit "oft wilde pflanzen treiben, üppig in stengel und laub, ohne nährende frucht". Es liegt den Grimms also fern, den parteipolitisch geprägten Sprachgebrauch im Wörterbuch zu be-
XLVI
Kirkness/Kühn/Wiegand
schreiben.
Diesen
Niederungen
der
politischen
Sprache
versucht
Grimm dadurch zu entgehen, daß er sich dem großen Ziel der kulturpolitischen
Einigung
verschreibt,
zu
dessen
Verwirklichung
das Wörterbuch mit seiner Ausrichtung auf Urbegriff,
Geschichte,
Volkstümliches und Fernliegendes einen Beitrag liefern kann. Das eigentlich "Politische"
am DWB ist nach Holly somit gerade
das
"Unpolitische" der Brüder Grimm. Die
Wörterbuchbenutzungsforschung
ist
das
jüngste
Gebiet
der
Wörterbuchforschung. Auch das DWB läßt sich hinsichtlich seiner tatsächlichen Benutzung oder seiner
Benutzungsmöglichkeiten
un-
tersuchen. So kann beispielsweise gefragt werden - wie das DWB nach der postulierten Zwecksetzung seiner Bearbeiter benutzt werden sollte, - mit welchen Fragen welche Wörterbuchbenutzer
im DWB
tatsäch-
lich nachgeschlagen haben, - welche Fragen durch die Konsultation des DWB für bestimmte Benutzer beantwortet werden könnten. Hatte schon Gottzmann nach den Benutzungsmöglichkeiten so steht im Beitrag
n e u n t e n ,
"Deutsches
von Bernd
Wörterbuch
-
Hausbuch
der
der Benutzung und Benutzungsmöglichkeiten" kreis der Nutzung des materialreichsten
gefragt,
Η o r 1 i t ζ verfaßten Nation?
Probleme
der gesamte
Problem-
deutschen
Sprachwörter-
buches im Zentrum des Interesses. Horlitz diskutiert den bekannten Benutzungstopoi der Hausbuch-Ideologie, die auf eine sprachkulturelle und
sprachnationale
heraus, daß das Deutsche
Erneuerung
abzielte,
und
stellt
vor allem als Gegenstand der
Wörterbuch
Forschung und damit als Dokument der Wissenschaftsgeschichte nutzt wurde und wird.
be-
Er begründet seine Aussagen aus der Ambi-
valenz zwischen den verheißungsvollen, benutzerorientierten programmatischen Postulaten und Materialfülle
aus der
Vorrede und
Informations-
sowie der uneinheitlichen Darstellung
tatsächlichen Ausarbeitung des Wörterbuches. formuliert:
der
Konzeption,
Anlage
und
in der
Metalexikographisch
Ausführung
des
DWB
werden
nicht als potentielle Antworten des Lexikographen auf Fragetypen und bekannte und unterstellte Bedürfnisse potentieller entwickelt,
sie
sind
vielmehr
überwiegend
durch
die
Benutzer wissen-
Vorwort
XLVII
schaftstheoretischen und -geschichtlichen Ansichten und Strömungen in den jeweiligen Bearbeitungsphasen bestimmt. Aus diesem Grunde leuchtet es ein, daß das Grimmsche Wörterbuch nicht als Lese- und Vorlesebuch benutzt, sondern von Sprachwissenschaftlern, Literaturwissenschaftlern, Philologen und Historikern herangezogen wurde und wird, die vor allem an worthistorischen Fragestellungen interessiert sind. Es ist besonders auch die Uneinheitlichkeit der Ausarbeitung durch die einzelnen Bearbeitungsphasen hindurch, die auf das ganze Werk bezogene Benutzungshypothesen unmöglich macht; auch die erfolgreiche wissenschaftliche Benutzung des Wörterbuches ist nur unter Rücksicht auf die innere Geschichte des DWB möglich. Horlitz zeigt dies am Beispiel der Buchung von Ableitungen und Zusammensetzungen und an den etymologischen und wortgeschichtlichen Erklärungen anhand vieler Wörterbuchartikel; dabei stellt die als Wörterbuchartikel getarnte Wortmonographie ein eigenes Benutzungsproblem dar. Hermann Ν i e b a u m untersucht im z e h n t e n Beitrag "Zur Rolle der Mundarten im Deutschen Wörterbuch" die Vorkommensweise mundartlicher Elemente innerhalb des Werkes und zwar im Lemma-, Form- und Bedeutungsteil von nach Bearbeitungsphasen und Bearbeitern ausgewählten Wörterbuchartikeln. Zunächst arbeitet Niebaum fünf Funktionen heraus, nach denen die Aufnahme mundartlicher Belege und Angaben gemacht werden: Vervollständigung des allgemeinen Wortschatzes, Kontrastierung der Schriftsprache gegenüber den (Volks)-Mundarten, Bedeutungsillustration, räumliche Abgrenzung sprachlicher Erscheinungen und Einbeziehung der Mundartbelege in die worthistorischen Erklärungen. Anschließend zeichnet Niebaum die programmatischen Aussagen in bezug auf die Berücksichtigung der einzelnen Mundarten bei den einzelnen Bearbeitern in den jeweiligen Bearbeitungsphasen nach und fragt daraufhin, wie die einzelnen Mundartlandschaften tatsächlich im DWB berücksichtigt werden, denn in der Kritik am Grimmschen Wörterbuch ist nicht nur die Uneinheitlichkeit bei der Aufnahme, sondern auch die Unausgewogenheit bei der Berücksichtigung der deutschen Dialekte in den worthistorischen Erklärungen moniert worden. Anhand von Tabellen und Graphiken illustriert Niebaum die Berücksichtigung der Mundarträume in den einzelnen Bearbeitungsphasen und kommt zu einigen überraschenden
XLVIII
Kirkness/Kühn/Wi
Ergebnissen:
Entgegen
den
egand
Erwartungen
und
programmatischen
Äußerungen der Bearbeiter sind beispielsweise in den Lieferungen Jacob Grimms tigt als
die
niederdeutschen
bei Hildebrand,
insgesamt
eher
ja Hildebrands
im unteren
des Ostmitteldeutschen
Mundarten
Bereich.
läJ3t sich
stärker
berücksich-
Mundartwerte
Jacob
Grimms
rangieren
Favorisierung
in der Praxis ebenfalls
nicht
bestätigen. Signifikant ist dagegen für alle untersuchten Lieferungen
die
abnehmende
Berücksichtigung
des
Nordoberdeutschen.
Abschließend prüft Niebaum den Einfluß des Belegmaterials, d.h. der
Idiotika
und Mundartwörterbücher
Abhängigkeit der Belegfrequenz beiter
von
handenen auch
den
jeweils
einschlägigen
hier
der
bei
und kann
eindeutige
qua Mundart und Lieferung/ Bear-
der
Abfassung
der
Mundartwörterbüchern
Zusammenhang
eine
nicht
Lieferung
nachweisen,
abgeschlossener
vor-
so
daß
lexikogra-
phischer Prozesse deutlich wird. Werner
W o 1 s k i
hat den
e l f t e n
Beitrag verfaßt; sein
Titel lautet: "Partikeln im Deutschen Wörterbuch". Er untersucht die Spezifik
der Kommentierung
rezeptionsgeschichtlichem Wörterbüchern und
von Partikeln,
Aspekt
und
andererseits mit
Bearbeitungsphasen.
Ausgehend
partikeltypischer
einerseits
Vergleich
Blick auf von
Überlegungen zur Partikelabgrenzung Angabe
im
die
zu
unter
anderen
verschiedenen
metalexikographischen
und -beschreibung sowie
Kommmentierungsformen
geht
Wolski
der der
Frage nach, ob sich in der Artikelgestaltung von Partikeln auch eine
innere
vielen
Geschichte
Beispielen
für
des
DWB
das
aufzeigen
Deutsche
begrenzten Kommentierungsspielraum
läßt.
Er
weist
einen
Wörterbuch
an
äußerst
für Partikel nach, der - mit
Ausnahme der von Jacob Grimm bearbeiteten Partikeln - bereits in Adelungs sind
Wörterbuch
nach
Wolski
nennlexikalischer staltung tionen,
von
angelegt
ist.
festgelegt.
Die
Anders
Kommentierungs-Parameter als
Lemmazeichen besteht die
Partikeln
Kollokationen,
in
der
Angabe
in
der
Beschreibung
besondere
Artikelge-
syntaktischer
Einzelbeispielparaphrasen
sowie
Kombinabloßer
Angaben von Synonymen bzw. Heteronymen. Wieder
ein
anderer
Aspekt
der
lexikographischen
schreibung als bei Reichmann und Wolski wird im Beitrag von Fritz
N e u b a u e r
Bedeutungsbez w ö l f t e n
behandelt. Dieser untersucht
Vorwort unter dem Titel ben
zu
"Beobachtungen
nennlexikalischen
vorwiegend mit mantik sog.
zu den deutschen
Ausdrücken
den Mitteln
der
lexikographische
Lemmazeichens
XLIX
im
Bedeutungsanga-
Deutschen
strukturellen
Definitionen,
Wörterbuch"
lexikalischen
Se-
also Paraphrasen
des
(oder Bedeutungsparaphrasenangaben).
Diese Art der
Bedeutungsangaben finden sich - man vergleiche den
siebten Bei-
trag von Reichmann - in den ersten Bänden des DWB eher zufällig, denn
Jacob
Grimm
langweilig
verzichtete
definitionen"
expressis
(DWB I,
verbis
bei fach-
und
sondersprachlichen
Lesarten
semantischen fälligen
und
(3)
Feldern.
bei
Bedeutungsangaben
Lemmata,
der
Neubauer
nach und
(2)
bei
zwar
die
den
dabei
ersten
Informationskategorien
semantischen Nebenbemerkungen Bedeutungsangaben
(1)
Lemmata
die
mit
Bänden
die
nicht
im DWB
zu-
DWB
mit
des
eher
dramatisch vom
heutiger, moderner Wörterbücher
in
eher
denen heutiger Wörterbücher und zeigt an Beispielen, daß zug auf
Neu-
Bedeutungsdifferenzierung
vergleicht
in
"geschlepp
1854, LX); dennoch weist
bauer in den ersten Bänden Bedeutungsangaben mehrern
auf
in be-
zufälligen
Standard
der
abweichen.
Im
Grimmschen Wörterbuch scheint man darüber hinaus bei der Auswahl derjenigen Wörter, mehr auf
die
zum
Einfachheit,
Paraphrasieren
Lesbarkeit
zu haben, als heutige
und
Lexikographen.
herangezogen
wurden,
Verständlichkeit
geachtet
Erst
Bearbei-
in späteren
tungsphasen wird davon Abstand genommen, die sogenannten tischen Primitive" als bekannt vorauszusetzen sowie schaftliche nicht den
ins
Klassifikationen DWB
aufzunehmen.
Bedeutungsangaben
und
enzyklopädische
Dagegen
im DWB
aber
treten auch
im
alle
"seman-
naturwissenInformationen
Zusammenhang
mit
lexikographischen
Ungereimtheiten wie Zirkelerklärungen oder Vernachlässigung masiologischer
Aspekte
auf,
die
auch
heutige
ono-
Wörterbuchmacher
noch nicht ausreichend gemeistert haben. Den
d r e i z e h n t e n
Beitrag
von Beleg- und Kompetenzbeispielen Ulrike
H a 0
verfaßt.
des Belegungsprinzips
Sie
gibt.
zeigt, Für
"Zu Bedeutung
zur
Lektüre
der
daß es
Jacob
und
mehrere Wilhelm
Originalliteratur
hat
Traditionen Grimm
Sie sollen
den Ledamit
ermöglichen.
Dane-
literarische Beleg vor allem Urbild-Funktion,
indem
zum
"Sprachgeist"
führen
haben
und
eine emotionale Hinwendung ben hat der
Funktion
im Deutschen Wörterbuch"
die Belegstellen vor allem Vorbild-Funktion. ser wieder
und
L
Kirkness/Kühn/Wiegand
er den lebendigen Ursprung eines Wortes bezeugt (vgl. den Beitrag von 0. Reichmann). Beide Funktionen entsprechen damit der organischen Sprachauffassung der Brüder Grimm und unterscheiden das Wörterbuch in der Anfangsphase deutlich von der in der Aufklärungstradition stehenden Illustrations-Funktion der Belege, wie sie beispielsweise bei Daniel Sanders vorkommen. Daneben stehen die Brüder Grimm mit ihren Belegen - vor allem wohl aufgrund ihres Studiums der literarischen Quellen - in der Nachweis-Tradition. Auch diese Nachweis-Tradition wird nach Haß eher unter dem Aspekt des möglichen Leseanreizes als unter dem der wissenschaftlichen Absicherung lexikographischer Dokumentation gesehen. In der zweiten und dritten Bearbeitungsphase steht die am zeitgenössischen Wissenschaftsverständnis ausgerichtete Nachweis-Funktion der Belege im Vordergrund, verbunden mit einer auf Richtlinien abgesicherten Materialdokumentation. Erst in der letzten Bearbeitungsphase tritt die Illustrations-Funktion der Belege aufgrund des allgemein veränderten Sprach- und Bedeutungsverständnisses hervor und bindet das DWB hinsichtlich der Belegdokumentation wieder um die Mitte des 20. Jhs. in die europäische Lexikographietradition ein. Anschließend überprüft Haß durch die vier Bearbeitungsphasen hindurch die Belegbeispiele in der Praxis, besonders ob und inwiefern sich die den Belegbeispielen konzeptionell zugewiesenen Funktionen niederschlagen und inwiefern die Belegbeispiele des Grimmschen Wörterbuches für den heutigen Benutzer Aufgaben erfüllen können, die die Begründer und Bearbeiter des DWB nicht im Auge hatten. Zum Abschluß geht Haß der Frage nach, mit welchen Interessen potentielle Wörterbuchbenutzer das DWB im Hinblick auf die Belegstellen befragt haben oder haben könnten. Mit dem Beitrag von Ulrike Haß verfügt die Wörterbuchforschung über einen wichtigen Baustein zum historischen Teil einer Theorie des lexikographischen Beispiels. Aus der Feder von Ladislav Ζ g u s t a stammt der v i e r z e h n t e Beitrag mit dem Titel "Jacob Grimm's Deutsches Wörterbuch and other historical dictionaries of the 19th Century (Dvitiyaikakoáyam)". Der Autor vergleicht große historische Wörterbücher anderen Sprachen, die vor dem Deutschen Wörterbuch erschienen sind (z.B. Richardson 1836/37) und solche, die nachher erschienen sind (z.B. Littré, OED) mit dem DWB, und zwar be-
Vorwort
LI
sonders im Hinblick auf die Bedeutungsbeschreibungen und ihren Stil. Alle versuchen die Bedeutungsvielfalt der Wörter darzustellen. Im DWB ist der Stil jedoch erheblich diskursiver. Zwar hat das Grimmsche Wörterbuch dazu geführt, daß in anderen Sprachen ebenfalls historische Wörterbücher erarbeitet wurden, der Stil und die lexikographische Beschreibungsmethoden wurde jedoch insgesamt kaum nachgeahmt. Das Grimmsche Wörterbuch ist daher in vielen Hinsichten ein e i n m a l i g e s Werk, obwohl es selbstverständlich typologische Gemeinsamkeiten mit anderen großen Wörterbüchern aufweist. Einmalig sind insbesondere die Artikeltexte der Brüder Grimm. Diese "mit allen ihren individuellen und spektulativen Zügen, ihren persönlichen Bekenntnissen, Besserwissereien, unbewiesenen etymologischen Vermutungen, einseitigen Belegungen, diesen z.T. wunderschönen mit geheimnisvollen Pfaden zum Urbegriff durchzogenen, philologisch-chaotischen Kosmos aus der Feder eines Großen ganz neu - sozusagen mit den Kugelschreibern vieler Kleiner - bearbeiten zu lassen, war - so muß den Verantwortlichen bescheinigt werden - sicherlich ein arger Mißgriff." (Wiegand 1989c, XVII).
Obwohl Johannes Erben vorgeschlagen hatte, eher ein zehn- bis zwölfbändiges neues historisches Wörterbuch zu erarbeiten, wurde einer Neubearbeitung der Vorzug gegeben. Seit ca. 1950 werden daher in Zusammenarbeit zwischen der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin (A-C) und der Akademie der Wissenschaften in Göttingen (D-F) die Buchstaben A-F neu bearbeitet. Erschienen sind bisher: 1. Bd. A-Affrikata, Leipzig 1983 (10 Lieferungen von 1965-1983; 14/ S., 1600 Sp. ), 2. Bd., 1. Lief. Affront-Aktionszentrum, Leipzig 1986; 2. Lief. Aktionszentrum-Allegorisch, Leipzig 1988; 6. Bd. D-D-Zug, Leipzig 1983 (12 Lieferungen von 1970-1983; 6 S., 1834 Sp.); 7. Bd.: 1. Lief. E-Ehrbarkeit, Leipzig 1984, 2. Lief. Ehrbarkeit-Eichel, Leipzig 1985; 5. Lief. einfordern-einladend, Leipzig 1989. 1963 schreibt Werner Betz in seinem Bericht über die geplante zweite Auflage des Grimm (Betz 1963, 186): "Wörterbücher dauern immer länger. Um so nötiger ist es aber auch, einen Zeitplan zu machen und den Verzögerungsspielraum möglichst einzuschränken. Die acht Bände des neuen Grimm von A-F glauben die Bearbeiter in 15 Jahren vorlegen zu können. 8 Bände, das sind 100
LU
Ki rkness/Kühn/Wiegand Lieferungen zu je 80 Seiten (= 160 Spalten), d.h. dann also 6-7 Lieferungen, alle zwei Monate eine Lieferung"
In metalexikographischer Perpektive müssen daher die gerade genannten Daten für die Neubearbeitung dann nachdenklich stimmen, wenn man sie mit der Anzahl der Bearbeiter und der Bearbeitungszeit in Beziehung setzt. So schreibt Reichmann (1989, 521) über den in der Berliner Akademie erarbeiteten 1. Bd.: "Durchschnittlich acht Mitarbeiter erarbeiten in einer Publikationszeit von 18 Jahren (die Vorbereitungszeit und die vorhandene Infrastruktur nicht mitgerechnet) die Strecke A-Affrikata (1600 Spalten; pro Mann pro Jahr 11 Spalten = 5,5 Seiten). Setzt man für die bisher erschienene Strecke 25% des a-Umfangs an, und berechnet man diesen mit 7,5t des Gesamtalphabets, dann würde sich die Bearbeitungszeit für den Buchstaben a auf 72 Jahre, für eine (freilich nicht zur Diskussion stehende) Gesamtneubearbeitung auf 960 Jahre belaufen - ein Anflug von Ironie läßt sich kaum vermeiden: nicht einmal ein Jahrtausend, Jahrtausendwerk wäre eine adäquate Bezeichnung".
Die Schätzungen Reichmanns können als sachlich begründet und realistisch gelten. Entsprechende Berechnungen zu den Bearbeitungszeiten, die in der Arbeitsstelle Göttingen erreicht werden, fallen ähnlich aus. Wenn daher Brackert (1988, 85) feststellt: "Wenn im Laufe von 15 bzw. 20 Jahren nur zwei Bände abgeschlossen werden können, möchte dies vielleicht doch heißen, daß man für die noch ausstehenden 8 Bände weiter [recte: weitere] 60 bis 80 Jahre braucht", muß diese Schätzung als viel zu optimistisch eingestuft werden. Brackert (1988, 85) nennt seine Schätzung ein "bestürzende[s] Ergebnis". Selbst wenn man den bisher erschienen Bänden hohe lexikographische Qualität in der Ausführung zugestehen kann (vgl. hierzu Reichmann 1989), so gilt doch dies: Wegen der teilweise veralteten Konzeption, bei deren Erarbeitung nicht einmal die von Hermann Paul am 3. Februar 1884 in der Münchner Akademie der Wissenschaften vorgetragenen Kritikpunkte in ausreichendem Maße berücksichtigt wurden, insbesondere wegen des Fehlens einer effektiven Organisation und der dadurch bedingten viel zu langen Bearbeitungszeiten verliert diese Art von historischer Akademie-Lexikographie für die Entwicklung des Faches zunehmend an Bedeutung. Auch die Neubearbeitung muß daher als ein durchaus problematisches Unternehmen eingestuft werden. Auch sie ist von Dissenzen begleitet; man vergleiche hierzu die dürftige Vorbemerkung zum VI. Bd.
Vorwort
LUI
Ein größeres Interesse an der Neubearbeitung innerhalb des Faches besteht wohl kaum. Entsprechend wurden zu dieser Neubearbeitung bisher erst wenige Untersuchungen vorgelegt. Die erste, welche die beiden fertigen Bände unter bestimmten Aspekten vergleicht, ist der f ü n f z e h n t e und letzte Beitrag dieser "Studien zum Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm". Er wurde von Gerhard S t r a u ß verfaßt. Der Autor referiert zunächst die allgemeinen lexikographischen Grundlagen und Voraussetzungen der Neubearbeitung und stellt fest, daß ihr weitgehend die Konzeption der letzten Bearbeitungsphase zugrundeliegt, so daß vor allem Bedeutungsgeschichten lexikographisch dokumentiert werden. In bezug auf die lexikographische Mikro- und Makrostruktur stimmen die beiden Bände der Neubearbeitung im großen und ganzen Uberein. Es zeigt sich eine verstärkte Berücksichtigung des Fach- und Fremdwortschatzes sowie eine stärkere Strukturierung und Straffung der einzelnen Artikel. Anhand einzelner Wörterbuchartikel arbeitet Strauß aber auch Unterschiede, und zwar besonders im Bedeutungsteil der beiden Bände heraus. In einer abschließenden Wertung der Neubearbeitung kritisiert Strauß vor allem Uneinheitlichkeiten des semantischen Gliederungsprinzips in den Wörterbuchartikeln und die Nichtbeachtung konzeptioneller semantischer Tiefenstrukturen besonders im Bereich der Abstrakta. Wünschenswert wäre nach Stauß auch eine verfeinerte und erweiterte lexikographische Kommentarsprache, mit der z.B. lexikalische Monosemierungstendenzen für den Benutzer besser erkennbar würden. Als lexikographisch gelungen betrachtet Strauß das für historische Wörterbücher naheliegende Gliederungsprinzip vom entwicklungsgeschichtlich Älteren zum Neueren, wobei Wortbedeutungsgeschichten und der Bedeutungswandel meistens als eine Entwicklung von der ursprünglich sinnlich-konkreten Bedeutung zur geistig-abstrakten erklärt und kommentiert werden. Der zweite Teilband schließt mit einer ausgewählten Bibliographie zu den Lexikographen Jacob Grimm und Wilhelm Grimm, zum Deutschen Wörterbuch und seiner Neubearbeitung, die von Alan K i r k n e s s und Herbert Ernst W i e g a η d zusammengestellt und bearbeitet wurde.
LIV
Kirkness/Kühn/tíiegand
Die Druckvorlage für beide Teilbände hat Helga Runge (studentische Hilfskraft in Heidelberg) hergestellt. Die Herausgeber danken ihr hierfür sehr. Sie danken auch dem Verlag und den Reihenherausgebern für die Aufnahme in die Reihe.
Im März 1990 A.K.
P.K.
H.E.W.
4. Literatur Alexandrowa 1986 = O.V. Alexandrowa: Prinzipien der Wortschatzdarstellung im Wörterbuch der Brüder Grimm im Vergleich zu den russischen, englischen und französischen Wörterbüchern aus der Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts. In: Humboldt-Grimm-Konferenz Berlin 22.-25. Oktober 1985. Protokollband Teil II. Hrsg. von Arwed Spreu in Zusammenarbeit mit Wilhelm Bondzio. Berlin [DDR] 1986, 157-164. Andersson 1985 = Sven-Gunnar Andersson: Zur Beachtung der Nominalkomposita in Grimms Wörterbuch. In: Der Ginkgobaum. Germanistisches Jahrbuch für Nordeuropa. 4. Folge 1985, 82-85. Bahr 1984 = Joachim Bahr: Eine Jahrhundertleistung historischer Lexikographie: Das Deutsche Wörterbuch, begr. von J. und W. Grimm. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. 1. Halbbd. Berlin. New York 1984 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.1), 492-501. Bahr 1984a = Joachim Bahr: Das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Stationen seiner inneren Geschichte. In: Sprachwissenschaft 9. 1984, 387-455. Bahr 1985 = Joachim Bahr: Grammatik im Deutschen Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. In: Lexikographie und Grammatik. Akten des Essener Kolloquiums zur Grammatik im Wörterbuch (1984). Hrsg. von Henning Bergenholtz und Joachim Mugdan. Tübingen 1985 (Lexicographica. Series Maior 3), 99-117. Betz 1963 = Werner Betz: Das neue Deutsche Wörterbuch. Konferenz über die zweite Auflage des Grimm. In: Zeitschrift für deutsche Wortforschung 19. 1963, N.F. 4, 180-186. Birlinger 1867 = Anton Birlinger: Nachträge zum Deutschen Wörterbuch (V, 2/3) In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen 41. 1867, 464-473. Boehlich 1961 = Walter Boehlich: Ein Pyrrhussieg der Germanistik. Die Vollendung des "Deutschen Wörterbuchs" der Brüder Grimm. In: Der Honat 13. 1961, Heft 154, 38-53. Boehlich 1966 = Walter Boehlich: Aus dem Zeughaus der Germanistik. Die Brüder Grimm und der Nationalsozialismus. In: Der Monat 18. 1966, Heft 217, 5668.
Vorwort
LV
Brackert 1988 = Helmut Brackert: Andauernde Provokation. Zum Streit um das Grimmsche Wörterbuch. In: Die Grimms, die Germanistik und die Gegenwart. Hrsg. von Volker Mertens. Wien 1988, 65-90. Braun 1987 = Wilhelm Braun: Das Deutsche Wörterbuch seit seiner Übernahme durch die Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1908 bis zu seinem Abschluß 1960. In: Dückert 1987, 125-152. Burdach 1882 = Konrad Burdach: Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Fortgesetzt von Moriz Heyne, Rudolf Hildebrand, Karl Weigand und Matthias Lexer. In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 33. 1882, 661-684. Denecke 1971 = Ludwig Denecke: Jacob Grimm und sein Bruder Wilhelm. Stuttgart 1971 (Sammlung Metzler 100). Denecke et al. (Hrsg.) 1963 = Brüder Grimm Gedenken 1963. Gedenkschrift zur hundertsten Wiederkehr des Todestages von Jacob Grimm, gemeinsam mit Gerhard Heilfurth hrsg. von Ludwig Denecke und Ina-Maria Greverus. Marburg 1963. Drews 1984 = Jörg Drews: Großartig mißraten. Grimms Wörterbuch - ein deutsches Schicksal. In: Feuilleton-Beilage der Süddeutschen Zeitung. Nr. 296 vom 22./23.12.1984, 77. Dückert 1986 = Joachim Dückert: Das Deutsche Wörterbuch von J. und W. Grimm (DWB) und seine Neubearbeitung. Ein Arbeitsbericht, in: Zeitschrift für Germanistik 7. 1986, 77-85. Dückert 1986a = Joachim Dückert: Wilhelm Grimm als Lexikograph. In: HumboldtGrimm-Konferenz Berlin 22.-25.10.1985. Protokollband. Teil II. Hrsg. von Arwed Spreu in Zusammenarbeit mit Wilhelm Bondzio. Berlin [DDR] 1986, 137-145. Dückert 1987 = Joachim Dückert (Hrsg.): Das Grimmsche Wörterbuch. Untersuchungen zur lexikographischen Methodologie. Stuttgart 1987. Dückert 1987a = Joachim Dückert: Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. In: Dückert 1987, 7-48. Dückert 1987b = Joachim Dückert: Das Deutsche Wörterbuch und seine Neubearbeitung. In: Dückert 1987, 170-176. Erben 1953 = Johannes Erben: Ein Blick in die Werkstatt des Deutschen Wörterbuchs. In: Wissenschaftliche Annalen 2. 1953, 233-236. Erben 1983 = Johannes Erben: Rez. zu Kirkness 1980. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 105. 1983, 427-430. Fleischer 1986 = Wolfgang Fleischer: Das "Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm" in der Geschichte der Germanistik. In: Jacob und Wilhelm Grimm. Vorträge anläßlich der 200. Wiederkehr ihrer Geburtstage (4. Januar 1785/24. Februar 1786). Berlin 1986, 69-78. (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR. Gesellschaftswissenschaften Jg. 1985, Nr. 6/G). Fratzke 1987 = Ursula Fratzke: Zum Fremdwort im Deutschen Wörterbuch. In: Dückert 1987, 153-169. Götze 1903 = Alfred Götze: Das deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm. In: Wissenschaftliche Beihefte zur Zeitschrift des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins [mit einer Vorbemerkung von Paul Pietsch]. Heft 23/24. 1903, 86-99 [zuerst in anderer Form in: Allgemeine Zeitung vom 5. März 1903].
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Kirkness/Kühn/Wiegand
Grimm 1881 = Wilhelm Grimm: Bericht über das Deutsche Wörterbuch. In: Wilhelm Grimm: Kleine Schriften. Hrsg. von Gustav Hinrichs. Bd. 1. Berlin 1881, 508-520. (Verhandlungen der Germanisten zu Frankfurt am 24., 25. und 26. September 1846. Frankfurt am Main 1847, 114-124). Gürtler 1923 = Briefe der Brüder Grimm, gesammelt von Hans Gürtler, nach dessen Tode hrsg. u. erläutert von Albert Leitzmann. Jena 1923 (Jenaer Germanistische Forschungen 1). Henne 1986 = Helmut Henne: "Mein bruder ist in einigen dingen [...] abgewichen." Wilhelm Grimms Wörterbucharbeit. In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 38. 1985, 533-543. Henne 1986a = Helmut Henne: Manuskript und Druckfassung. Jacob und Wilhelm Grimm bei der Wörterbucharbeit. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 14. 1986, 277-283. Henne 1987 = Helmut Henne: Hermann Pauls Theorie und Praxis der Bedeutungserklärung. Ein Werkstattbericht. In: Theorie und Praxis des lexikographischen Prozesses bei historischen Wörterbüchern. Akten der Internationalen Fachkonferenz Heidelberg 3.6.-5.6.1986. Im Auftrag des Forschungsschwerpunktes Lexikographie an der Neuphilologischen Fakultät der Universität Heidelberg hrsg. von Herbert Ernst Wiegand. Tübingen 1987 (Lexicographica. Series Maior 23), 191-200 [Mit Diskussion 200-203]. Hess 1987 = Günther Hess: "abgewandt von den denkmälern der gegenwart". Das Deutsche Wörterbuch als Instrument der Literaturkritik. In: Die Brüder Grimm. Eine Würzburger Ringvorlesung zum Jubiläum im Rahmen des Studium generale. Frankfurt. Bern. New York 1987 (Würzburger Hochschulschriften zur neueren deutschen Literaturgeschichte 10), 107-125. Hildebrand 1890 = Rudolf Hildebrand: Zur Vorgeschichte von Grimms Wörterbuch im 17. und 18. jahrhundert, aus dem Vorwort zum fünften bande (1873). In: Rudolf Hildebrand: Gesammelte Aufsätze und Vorträge zur deutschen Philologie und zum deutschen Unterricht. Leipzig 1890, 19-29. Hofmann 1909 = Reinhold Hofmann: Zur Geschichte des deutschen Wörterbuchs. In: Preußische Jahrbücher 136. 1909. 459-491. Horlitz 1988 = Bernd Horlitz: Zur lexikographischen Darstellung der Verbalsubstantive auf -ung. In: Studien zur neuhochdeutschen Lexikographie VI, 2. Teilbd. Mit einem Namen- und Sachregister zu den Bänden I-VI sowie einer Bibliographie zur Wörterbuchforschung. Hrsg. von Herbert Ernst Wiegand. Hildesheim. Zürich. New York 1988 (Germanistische Linguistik 8790/1986), 479, 490. Huber 1987 = Anna Huber: Kritiker und Konkurrenten, erste Mitarbeiter und Fortsetzer der Brüder Grimm am Deutschen Wörterbuch. In: Dückert 1987, 49-90. Informationsschrift 1986 = Das Deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. Informationsschrift. Hrsg. von der Arbeitsstelle Göttingen des Deutschen Wörterbuches. o.O. 1986. Jäntti 1986 = Ahti Jäntti: Zur pragmatischen Komponente im Grimmschen Wörterbuch, dargestellt anhand der Wortartikel zu Modalverben. In: HumboldtGrimm-Konferenz Berlin 22.-25. Oktober 1985: Protokollband Teil III. Hrsg. von Arwed Spreu in Zusammenarbeit mit Wilhelm Bondzio. Berlin [DDR] 1986, 49-56.
Vorwort
LVII
Jene 1984 = Walter Jens: Das Vorratshaus der Deutschen. Zur Geschichte und Bedeutung des Grimmschen Wörterbuchs. Vortrag anläßlich der Präsentation des "Deutschen Wörterbuchs" durch den Deutschen Taschenbuch Verlag im Terrassensaal des Freien Deutschen Hochstifts. Frankfurt an Hain, am 4. Oktober 1984. München 1984 [Privatdruck]. John 1911 = K. John: Nachträge zum Deutschen Wörterbuch aus einem Italienischen Lexikon von 1741. In: Festschrift zur Jahrhundertfeier der Universität Breslau. Breslau 1911, 21-29. Kirkness 1980 = Alan Kirkness: Geschichte des Deutschen Wörterbuchs. 18381863. Dokumente zu den Lexikographen Grimm. Mit einem Beitrag von Ludwig Denecke. Stuttgart 1980. Kirkness 1984 = Alan Kirkness: Nachlese zur Frühgeschichte des Deutschen Wörterbuchs. Dokumente und Briefe von und an Jacob und Wilhelm Grimm aus dem Archiv des S. Hirzel Verlags. In: Brüder Grimm Gedenken 4. Hrsg. von Ludwig Denecke. Marburg 1984, 183-195. Kirkness 1985 = Alan Kirkness: Das "Deutsche Wörterbuch" von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. In: Dieter Henning und Bernhard Lauer (Hrsg.): Die Brüder Grimm. Dokumente ihres Lebens und Wirkens. Kassel 1985, 345-353. Kochs 1939/40: Theodor Kochs: Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm. In: Der Türmer. Monatsschrift für Gemüt und Geist 42. 1939/40, 291-297. Kochs 1967 = Theodor Kochs: Nationale Idee und nationalistisches Denken im Grimmschen Wörterbuch. In: Nationalismus in Germanistik und Dichtung. Dokumentation des Germanistentags in München vom 17.-22. Oktober 1966. Hrsg. v. Benno v. Wiese und Richard Henß. Berlin 1967, 273-284. Kolb 1970 = Herbert Kolb: Karl Marx und Jacob Grimm: In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 121. 1970, 96-114. Korhonen 1985 = Jarmo Korhonen: Aspekte der Verbsyntax und -Semantik im Grimmschen Wörterbuch. In: Der Gingkobaum. Germanistisches Jahrbuch für Nordeuropa. 4. Folge 1985, 86-89. Korhonen 1986 = Jarmo Korhonen: Zur Verbsyntax und -Semantik im "Deutschen Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm". In: Die Brüder Grimm. Erbe und Rezeption. Stockholmer Symposium 1984. Hrsg. von Astrid Stedje. Stockholm 1986, 97-104. Krohn 1984 = Rüdiger Krohn: Ein Findebuch des deutschen Geistes. Zur Entstehung und Geschichte des "Deutschen Wörterbuchs" der Brüder Grimm. Vortrag, gehalten am 26. November 1984 in der Literarischen Gesellschaft Karlsruhe. In: Mitteilungen der Karlsruher Literarischen Gesellschaft (Scheffelbund) 1984, 10-23. Kühn/Püschel 1983 = Peter Kühn und Ulrich Püschel: Die Rolle des mundartlichen Wortschatzes in den standardsprachlichen Wörterbüchern des 17. bis 20. Jahrhunderts. In: Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektforschung. Hrsg. von Werner Besch, Ulrich Knoop, Wolfgang Putschke, Herbert Ernst Wiegand. Bd. 2. Berlin, New York 1983 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 1.2), 1367-1398. Leitzmann (Hrsg.) 1927 = Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Karl Lachmann. Im Auftrag und mit Unterstützung der Preußischen Akademie der Wissenschaften hrsg. von Albert Leitzmann. Mit einer Einleitung von Konrad Burdach. Bd. 1 u.2. Jena 1927.
LVIII
Kirkness/Kiihn/Wiegand
Lexer 1890 = Matthias von Lexer: Zur Geschichte der neuhochdeutschen Lexikographie. Festrede zur Feier des dreihundert und achten Stiftungstages der Königl. Julius-Maximilians-Universität, gehalten am 2ten Januar 1890. Würzburg 1890. Masaiik 1986 = Zdenek Masaiik: Zu einigen Partikeln im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm. In: Humboldt-Grimm Konferenz Berlin 22.-25. Oktober 1985. Protokollband Teil III. Hrsg. von Arwed Spreu in Zusammenarbeit mit Wilhelm Bondzio. Berlin [DDR], 57-63. Mellor 1972 = Chauncey Jeffries Mellor: Scholarly Purpose and national Purpose in Jacob Grimm's Work on the 'Deutsches Wörterbuch'. Diss, [masch.] Chicago 1972. Mieder 1986 = Wolfgang Mieder: "alle redensarten und sprüchwörter sind aus den quellen zu belegen". Spichwörtliches im "Deutschen Wörterbuch" der Brüder Grimm. In: Muttersprache 96. 1986, 33-52. Neumann/Kochs 1961 = Hans Neumann und Theodor Kochs: Religion - ja, Manöver nicht. Das Deutsche Wörterbuch und seiner Kritikaster. In: Der Monat 14. 1961, Heft 158, 54-61. Neumann/Kochs 1962 = Hans Neumann und Theodor Kochs: Noch einmal "Grimm". In: Der Monat 14. 1961, Heft 161, 94-96. Paul 1880/1970 = Hermann Paul: Prinzipien der Sprachgeschichte. Studienausgabe der 8. Aufl. Tübingen 1970 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 6). Paul 1894 = Hermann Paul: Über die Aufgaben der wissenschaftlichen Lexikographie mit besonderer Rücksicht auf das deutsche Wörterbuch. In: Sitzungsberichte der philosophisch-philologischen und der historischen Klasse der königlichen bayerischen Akademie der Wissenschaften 1894. Heft 1. München 1894, 53-91. Pfeifer 1963 = Wolfgang Pfeifer: Das Deutsche Wörterbuch. In: Jacob Grimm zur 100. Wiederkehr seines Todestages. Festschrift des Instituts für deutsche Volkskunde. Hrsg. von Wilhelm Fraenger und Wolfgang Steinitz. Berlin 1963, 190-213. Pfütze 1962 = Max Pfütze: Jacob Grimm, das "Deutsche Wörterbuch" und die Nation - Bemerkungen zu einer politischen Entwicklung. In: Weimarer Beiträge 8. 1962, 264-290. Pretzel 1941/1979 = Ulrich Pretzel: Die Vollendung des Grimmschen Wörterbuchs. In: Jahrbuch der Deutschen Sprache 1941, 51-54 [auch in: ders.: Kleine Schriften. Hrsg. von Wolfgang Bachofer und Karl Stackmann. Berlin 1979, 296-299]. Püschel 1989 = Ulrich Püschel: "zu haus, unter den seinen, redet der mensch nachlässiger". Jacob Grimm und die lebendigen Mundarten. In: Dialektgeographie und Dialektologie. Günther Bellmann zum 60. Geburtstag von seinen Schülern und Feunden. Hrsg. von Wolfgang Putschke, Werner Veith, Peter Wiesinger. Marburg 1989, 353-373. von Raumer 1858/1863 = Rudolf von Raumer: Das deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm und die Entwicklung der deutschen Schriftsprache. In: Rudolf von Raumer: Gesammelte sprachwissenschaftliche Schriften. Frankfurt a.M. 1863, 331-362. [Zuerst erschienen in: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 1858, Heft 1].
Vorwort
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Reichmann 1986 = Oskar Reichmann: Lexikographische Einleitung. In: Frühneuhochdeutsches Wörterbuch. Hrsg. von Robert A. Anderson, Ulrich Goebel, Oskar Reichmann. Bd. 1. Lief. 1: Einleitung. Quellenverzeichnis. Literaturverzeichnis a-abfal bearb. von Oskar Reichmann. Berlin. New York 1986, 10-164. Reichmann 1989 = Oskar Reichmann: Zwischen Maximum und dem Machbaren. Zur Strecke a der Neubearbeitung des DWB. In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 42. 1989, 520-526. Ripfel 1989 = Martha Ripfel: Wörterbuchkritik. Eine empirische Analyse von Wörterbuchrezensionen. Tübingen 1989 (Lexicographica. Series Maior 29). Sanders 1852 = Daniel Sanders: Das deutsche Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm kritisch beleuchtet. Hamburg 1852. Scherer 1865/1921 = Wilhelm Scherer: Das deutsche Wörterbuch. In: Wilhelm Scherer: Jacob Grimm. Neudruck der zweiten Auflage mit Beigaben aus der ersten Auflage und Scherers Rede auf Grimm besorgt von Sigrid v.d. Schulenburg. In: Wilhelm Scherer: Jacob Grimm: Neudruck der zweiten Auflage mit Beigaben aus der ersten Auflage und Scherers Rede auf Grimm besorgt von Sigrid v.d. Schulenburg. Berlin 1921 [1. Auflage Berlin 1865; 2. Auflage Berlin 1885]. Schirokauer 1942 = Arno Schirokauer: Spätromantik im Grimmschen Wörtrbuch. In: The German Quarterly 15. 1942, 204-213. Schlaefer 1987 = Michael Schlaefer: Materialsammlung und Materialbereitstellung für die Neubearbeitung des Deutschen Wörterbuchs. In: Theorie und Praxis des lexikographischen Prozesses bei historischen Wörterbüchern. Akten der Internationalen Fachkonferenz Heidelberg, 3.-5.6.1986. Im Auftrag des Forschungsschwerpunktes Lexikographie an der Neuphilologischen Fakultät der Universität Heidelberg hrsg. von Herbert Ernst Wiegand. Tübingen 1987 (Lexicographica. Series Maior 23), 71-84. Schlaefer 1988 = Michael Schlaefer: Grundzüge der Artikelstruktur in der Neubearbeitung des Deutschen Wörterbuchs von Jacob und Wilhelm Grimm. In: Mittelhochdeutsches Wörterbuch in der Diskussion. Symposion zur mittelhochdeutschen Lexikographie. Hamburg, Oktober 1985. Hrsg. von Wolfgang Bachofer. Tübingen 1988 (Reihe Germanistische Linguistik 44), 212-200. Schnack/Schoof 1953 = Ingeborg Schnack und Wilhelm Schoof: Briefe der Brüder Grimm an Savigny. Aus dem Savignyschen Nachlaß. Berlin 1953 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen und Waldeck XXIII, 1). Scholz 1985 = Hans Scholz: Die Brüder Grimm und ihr "Deutsches Wörterbuch". Bermerkungen zu einer Neuausgabe. In: Moderna Sprâk 79. 1985, 303-307. Schoof 1938 = Wilhelm Schoof: Kritik um das Grimmsche Wörterbuch. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen 1974. 1938, 145-162. Schröter 1985 = Ulrich Schröter: Zur Stellung des Deutschen Wörterbuchs der Brüder Grimm im lexikographischen Umfeld am Ende des 19. Jahrhunderts. In: Jacob und Wilhelm Grimm als Sprachwissenschaftler. Geschichtlichkeit und Aktualität ihres Wirkens (Zur Dialektik der Determinanten in der Geschichte der Sprachwissenschaft, II). Berlin [DDR] 1985 (Linguistische Studien. Reihe A. Arbeitsberichte. Heft 130), 269-283. Schröter 1987 = Ulrich Schröter: Von Moriz Heyne zur Deutschen Kommission. Zur Bearbeitung des Deutschen Wörterbuchs von 1867 bis 1908. In: Dückert 1987, 91-124.
LX
Kirkness/Kiihn/ffiegand
Schröter 1988 = Ulrich Schröter: Das Deutsche Wörterbuch der Brüder Grimm in Beziehung zu seinem lexikographischen Umfeld im 19. Jahrhundert in Deutschland. Zum 125. Todestag Jacob Grimms. In: Beiträge zur Erforschung der deutschen Sprache 8. 1988, 69-79. Wapnewski 1984 = Peter Wapnewski: Ein Schatz- und ein Beinhaus unserer Sprache. Peter Wapnewski über die Neuausgabe des Deutschen Wörterbuchs der Brüder Grimm. In: Der Spiegel Nr. 52. 1984, 138-144. Wiegand 1986 = Herbert Ernst Wiegand: Der frühe Wörterbuchstil Jacob Grimms. In: Deutsche Sprache 14. 1986, 302-322. Wiegand 1988 = Herbert Ernst Wiegand: Wörterbuchartikel als Text. In: Das Wörterbuch. Artikel und Verweisstrukturen. Jahrbuch 1987 des Instituts für deutsche Sprache. Hrsg. von Gisela Harras. Düsseldorf 1988 (Sprache der Gegenwart 74), 30-120. Wiegand 1988a = Herbert Ernst Wiegand: Bibliographie zur Wörterbuchforschung von 1945 bis auf die Gegenwart. 2200 Titel ausgewählt aus germanistischer Perspektive. In: Studien zur neuhochdeutschen Lexikographie VI, 2. Teilbd. Mit einem Namen- und Sachregister zu den Bänden I-VI sowie einer Bibliographie zur Wörterbuchforschung. Hrsg. von Herbert Ernst Wiegand. Hildesheim. Zürich. New York 1988 (Germanistische Linguistik 87-90), 627821.
Wiegand 1989 = Herbert Ernst Wiegand: Der gegenwärtige Status der Lexikographie und ihr Verhältnis zu anderen Disziplinen. In: Wörterbücher. Dictionaries. Dictionnaires. Ein internationales Handbuch zur Lexikographie. [...] Hrsg. von Franz Josef Hausmann, Oskar Reichmann, Herbert Ernst Wiegand. Ladislav Zgusta. Berlin. New York 1989 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 5.1), 246-280. Wiegand 1989a = Herbert Ernst Wiegand: Wörterbuchstile: das Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm und seine Neubearbeitung im Vergleich. In: Wörterbücher in der Diskussion. Vorträge aus dem Heidelberger Lexikographischen Kolloquium. Hrsg. von Herbert Ernst Wiegand. Tübingen 1989 (Lexicographica Series Maior 27), 227-278. Wiegand 1989b = Herbert Ernst Wiegand: Wörterbuchforschung. Kapitel III. Studien zur Theorie der Lexikographie. Typoskript. 1. Fassung. Heidelberg 1989. Wiegand 1989c = Herbert Ernst Wiegand: Vorwort. In: Wörterbücher in der Diskussion. Vorträge aus dem Heidelberger Lexikographischen Kolloquium. Hrsg. von Herbert Ernst Wiegand. Tübingen 1989 (Lexicographica. Series Maior 27), VII-XIX. Wiegand 1990 = Herbert Ernst Wiegand: über die Strukturen der Artikeltexte im Frühneuhochdeutschen Wörterbuch. Zugleich ein Versuch zur Weiterentwicklung einer Theorie lexikographischer Texte. In: Historical Lexicography of the German Language. Vol.2. Ed. by Ulrich Goebel and Oskar Reichmann in collaboration with Peter I. Barta. Lewiston. Queenston. Lampeter 1990 (Studies in Russsian and German No.2. Studies in German Language and Literature. Vol.2) [im Druck]. Wiegand 1990a = Herbert Ernst Wiegand: Dictionary styles: A comparison between the dictionary of Jacob Grimm and Wilhelm Grimm and the revised edition. In: The Grimm Brothers and the Germanic Past. Ed. by Elmer H. Antonson with James W. Marchand and Ladislav Zgusta. Amsterdam/Philadelphia 1990 (Amsterdam Studies in the Theory and History of Linguistic Science. Series III: Studies in the History of the Language Sciences 54), 115-139 [Bibliography 141-155].
Vorwort
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Wurm 1852 = Christian Wurm: Zur Beurtheilung des deutschen Wörterbuches von Jacob und Wilhelm Grimm. Zugleich ein Beitrag zur deutschen Lexikographie. München 1852. Zgusta 1988 = Ladislav Zgusta with the assistance of Donna M.T.Cr. Farina: Lexicography Today. An annotated bibliography of the theory of lexicography. Tübingen 1988 (Lexicographica. Series Maior 18).
JOACHIM BAHR Periodik der Wörterbuchbearbeitung Veränderungen von Wörterbuchkonzeption und -praxis
0. Abstracts 1. Periodisierung der Arbeiten am DWB 2. Erste Arbeitsphase 1838-1863 2.1. Jacob Grimms Wörterbuchkonzeption 2.1.1. Ideologische Komponente 2.1.2. Sprachwissenschaftliche Komponente 2.1.2.1. Das Wortmodell 2.1.2.2. Historische Wortforschung 2.2. Jacob Grimms Wörterbuchpraxis 2.2.1. Etymologischer Teil des Wörterbuchartikels 2.2.2. Bedeutungsteil des Wörterbuchartikels 2.2.2.1. Semantische Erklärung 2.2.2.2. Genetische Erklärung 2.3. Fazit 2.4. Wilhelm Grimms Sonderweg 3. Zweite Arbeitsphase 1863-1908 3.1. Revision der Wörterbuchkonzeption 3.1.1. Umorientierung zur deutschen Philologie 3.1.2. Wortdarstellung statt Worterklärung 3.2. Wörterbuchpraxis 3.2.1. Formteil des Wörterbuchartikels 3.2.2. Bedeutungsteil des Wörterbuchartikels 3.2.2.1. Semantik 3.2.2.2. Historizität 3.3. Fazit 4. Dritte Arbeitsphase 1908-1930 4.1. Erste Reorganisation des DWB 4.2. Desorientierung der Wörterbuchpraxis 4.3. Arthur Hübners Neuorientierung der Wörterbuchpraxis 4.3.1. Instrumentalisierung der Artikelgliederung 4.3.2. Bedeutungsteil des Wörterbuchartikels 4.3.2.1. Inhaltliche Strukturierung 4.3.2.2. Geschichtliche Strukturierung 4.4. Fazit 5. Vierte Arbeitsphase 1930-1960 5.1. Zweite Reorganisation des DWB 5.1.1. Institutionalisierung der Arbeiten 5.1.2. Arbeitsrichtlinien 5.2. Wörterbuchpraxis 5.2.1. Wortbedeutungen 5.2.2. Historizität 5.3. Fazit 6. Literatur
0. Abstracts The German Dictionary (DWB) is rooted in the tradition of a German version of linguistic conceptions which were developed in the late period of the European Enlightenment. In the course of the history of the DWB between 1838 and 1960 Jacob Grimm's original conception and practice were subjected to drastic changes. There have been four distinct phases of compilation of the dictionary. 1938 - 1863 (J. Grimm): Jacob Grimm conducted practical historical research into words from a linguistic rather than a lexicographic point of view. He did not present a history of words, but rather explained the vocabulary of New High German (15th - 19 th centuries) in terms of the form, notion and usage of the words from their etymological and historical base. Wilhelm
2
Bahr
Grimm, in contrast, concentrated more on philological aspects. He did not explain the words, he presented them and their historical bases and meanings immediately. 1863 - 1908: The successors continued work on the DWB within the scope of German philological scholarship. Word explanations were substituted by presentations. Meanings, which served to interpret the presented usage of words, were of a mental, not a linguistic quality. The history of words was understood as the unfolding of basic concept in the meanings a word has, not as a process which takes place over periods of time. 1908 - 1930: The DWB was placed under the scientific direction of the Prussian Academy of Sciences at Berlin. Organisational steps were taken to overcome the difficulties which had arisen in the latter part of the foregoing phase (increasingly long presentations, slow progress made, lack of uniformity). Unreflected alterations at the lexicological base led to uncertainties in practice. Under the circumstances Arthur Hübner developed a new procedure in his contributions to the DWB. The presentations in his dictionary entries focussed on meanings. Hübner saw meanings as a function of words in their relationship to reality and thus as a linguistic rather than a mental phenomenon. The division of dictionary entries lined out the differentiation of meanings as a developement from the original meaning of the word. The history of words and semantic history were understood as processes which take place in the course of time. 1930 - 1960: The establishment of two compilation centres in Berlin (1930) and Göttingen (1947) led to an organisational concentration and consolidation of work on the dictionary. Guidelines based on the procedure practices by Hübner made it possible for compilers to archive extensive uniformity in their lexicographic practice. Hübner's procedures were further developed to treat meanings as bounded and delimitated linguistic units which correspond to sections of reality. Lexical historicity was seen in terms of developemental processes. The presentation of these in the dictionary did, however, create some difficulties.Le Dictionnaire Allemand (DWB) s'inscrit dans la tradition d'une interprétation allemande de représentations linguistiques développées dans la dernière période des Lumières européennes. L'histoire du DWB, de 1838 à 1960, montre que la conception et la pratique de Jacob Grimm se voient soumises à un certain nombre de modifications significatives. L'élaboration et la présentation du dictionnaire ont connu quatre phases distinctes. 1838 - 1863 (J. Grimm): Partant d'une approche linguistique non lexicographique, Jacob Grimm se livre, dans le cadre d'un dictionnaire, à une étude historique pratique du mot. Plutôt que de présenter un historique des mots, il explique en leur forme, concept et usage les termes du vocabulaire haut allemand moderne (15* - 19* siècles), à partir de leur étymologie et de leur histoire. Le travail de Wilhelm Grimm est par contre de nature plus philologique. Il n'explique pas les mots; il les présente directement, leur fondement historique, leurs sens. 1863 - 1908: Les successeurs continuent le DWB dans le cadre de la philologie allemande. C'est la présentation des mots qui se substitue à leur explication. Les sens interprétant l'usage des mots présentés sont de nature mentale, non linguistique. L'histoire du mot est conçue comme déploiement du concept fondamental dans ses différentes sens et non comme un processus se déroulant dans le temps. 1908 - 1930: Le DWB est placé sous la direction scientifique de l'Académie Prussienne des Sciences à Berlin. C'est alors au niveau de l'organisation qu'on essaie de faire face aux difficultés surgies à la fin de la phase précédente (présentation devenue pléthorique et hétérogène, ralentissement du travail). Certaines modifications irréfléchies apparues dans les fondements
Periodik der Bearbeitung des DWB
3
lexicologiques ayant entraîné des i n c e r t i t u d e s dans l a p r a t i q u e , Arthur Hübner, dans ses contributions au DWB, met au point un nouveau procédé. Désormais ce seront les sens qui seront au centre de la présentation d'un art i c l e du d i c t i o n n a i r e . I l s seront conçue comme fonctions du mot dans son rapport aux r é a l i t é s et donc comme grandeurs l i n g u i s t i q u e s , non plus mentales. La s t r u c t u r e d'un a r t i c l e du dictionnaire présente la d i f f é r e n c i a t i o n des sens en t a n t qu'évolution à p a r t i r d'un sens fondamental. L ' h i s t o i r e du mot et c e l l e du sens apparaissent comme processus se déroulant dans le temps. 1930 - 1960: La création d ' i n s t i t u t s de rédaction à Berlin (1930) e t Göttingen (1947) assure une concentration de l ' o r g a n i s a t i o n des tâches. S ' i n s p i r a n t du procédé de Hübner, des d i r e c t i v e s de t r a v a i l aboutissent dans une large mesure à l ' u n i f i c a t i o n de la pratique lexicographique. En adaptant e t perfectionnant ce procédé, on t r a i t e les sens des mots comme u n i t é s l i n g u i s t i q u e s délimitables correspondant à des segments de r é a l i t é . On entend l ' h i s t o r i c i t é lexicale au sens de processus historiques é v o l u t i f s . Leur présentation dans le dictionnaire se heurte t o u t e f o i s à c e r t a i n e s d i f f i c u l t é s .
1 . P e r i o d i s i e r u n g d e r A r b e i t e n am DWB E i n e P e r i o d i s i e r u n g d e r W ö r t e r b u c h b e a r b e i t u n g muß b e r ü c k s i c h t i g e n , daß d i e von J . Grimmm im e r s t e n Band d e s DWB v o r g e l e g t e W ö r t e r b u c h k o n z e p t i o n m i t b e s t i m m t i s t d u r c h d i e p o l i t i s c h e und durch d i e s p r a c h w i s s e n s c h a f t l i c h e S i t u a t i o n der J a h r z e h n t e vor und um d i e M i t t e d e s 1 9 . J a h r h u n d e r t s . D i e A m t s e n t h e b u n g d e r G ö t t i n g e r S i e b e n 1837 l ö s t u n m i t t e l b a r d a s s c h o n m i t k o n z e p t i o n e l l e n V o r s t e l l u n g e n v e r b u n d e n e Angebot R e i m e r s und H a u p t s vom 3. März 1838 an J . Grimm und W. Grimm z u r A u s a r b e i t u n g e i n e s h i s t o r i s c h e n d e u t s c h e n W ö r t e r b u c h s a u s ( K i r k n e s s 1 9 8 0 , 53 f . ) . Mit d i e s e m Angebot und m i t dem V o r v e r t r a g z w i s c h e n d e r Weidmannschen V e r l a g s b u c h h a n d l u n g und J . Grimm vom 6 . O k t o b e r 1838 ( K i r k n e s s 1 9 8 0 , 81) b e g i n n t d i e G e s c h i c h t e d e s DWB. Im g l e i c h e n J a h r l a u f e n d i e P l a n u n g e n und V o r a r b e i t e n an und m i t ihnen die E n t w i c k l u n g d e r W ö r t e r b u c h k o n z e p t i o n , m i t d e r J . Grimm d i e h i s t o r i s c h e W o r t f o r s c h u n g b e g r ü n d e t und den Rahmen d e r h i s t o r i s c h v e r g l e i c h e n d e n S p r a c h w i s s e n s c h a f t um d i e s e e r w e i t e r t . Wie h i e r an i h r e m B e g i n n i s t auch d i e w e i t e r e P e r i o d i s i e r u n g d e r W ö r t e r b u c h k o n z e p t i o n und - p r a x i s an D a t e n d e r ä u ß e r e n G e s c h i c h t e d e s DWB f e s t z u m a c h e n . Man g e w i n n t so e i n e n O r i e n t i e r u n g s r a h m e n , d e r e s e r l a u b t , a u c h den s p ä t e r im 2 0 . J a h r h u n d e r t e i n g e l e i t e t e n o r g a n i s a t o r i s c h e n Maßnahmen, d i e a u f d i e l e x i k o g r a p h i s c h e A r b e i t und i h r e l e x i k o l o g i s c h e n I m p l i k a t i o n e n d u r c h s c h l a g e n , e i n e n k o n z e p t i o n e l l e n Stellenwert zuzuweisen.
Bahr
4
A n h a n d äußerer Eckdaten schlage ich (im A n s c h l u ß an Bahr 1984 b, 390 ff.) folgende Periodisierung vor: Erste Arbeitsphase T o d J. Grimms.
1838-1863: V o n der Begründung des DWB bis zum
Beginn
der Ausarbeitung des W ö r t e r b u c h s
1849/50;
erste Lieferung 1852; e r s t e r B a n d 1854. Zweite Arbeitsphase brand und Weigand sofort
nach
dem
1863-1908: bis
Tod
Die
zu Heyne.
Heynes
ersten Fortsetzer
Die Arbeitsphase
1906
von
Hilde-
endet m i t
sich k o n k r e t i s i e r e n d e n
den
älteren
P l ä n e n zu einer organisatorischen Reform des DWB. Dritte Arbeitsphase chen
Leitung
und
1908-1930: Aufsicht
Das
DWB w i r d der
durch
die
wissenschaftli-
Deutsche
Kommission
der
P r e u ß i s c h e n Akademie der W i s s e n s c h a f t e n zu B e r l i n unterstellt. V i e r t e Arbeitsphase
1930-1960:
Institutionalisierung
ten durch Einrichtung v o n Arbeitsstellen des D W B 1930
der
Arbei-
in Berlin
u n d 1947 in Göttingen. Abschluß der Erstausgabe des DWB 1960. Innerhalb
jeder
kologische
und
die
zeitlichen
Charakteristika
Arbeitsphase
bilden
sich
bearbeitungspraktische Abgrenzungen gelten
der
im Prinzip
konzeptionelle,
Charakteristika
Arbeitsphasen für
alle
lexi-
aus,
die
bestätigen.
Die
in d e n Rahmen
1
Arbeitsphase fallenden W o r t s t r e c k e n , nicht aber, da mit
einer
breiten
Ü b e r l a p p u n g e n zu r e c h n e n ist, ungeprüft für jeden Einzelfall nes
2. Erste Arbeitsphase 2.1. Jacob Grimms Die
im Vorwort
zeption
ist
ein
1838-1863
Wörterbuchkonzeption
zum
ersten
Programm
Band des zur
neuhochdeutschen W o r t s c h a t z e s
DWB
(1854)
Registrierung
2
vorgelegte
und
Kon-
Erklärung
in seinen Einzelwörtern
ideologischen u n d einer sprachwissenschaftlichen galt u n s e r n W o r t s c h a t z
1
ei-
Wörterbuchartikels. 2
mit
des
einer
Komponente:
"es
zu heben, zu deuten u n d z u läutern [...]"
Die (nach 1863 diskontinuierlich bearbeiteten) Wortstrecken sind den einzelnen Arbeitsphasen nach den Erscheinungsjahren der betreffenden Wörterbuchlieferungen genau zuordenbar (Bahr 1984 b, 390 f.). Auf folgende Arbeiten zur äußeren und inneren Geschichte des DWB wird hier generell verwiesen, Einzelnachweise werden nur gelegentlich und in begründbaren Fällen geführt: Pfeifer 1963; Mellor 1972; Dückert 1975; Kirkness 1980; 1984; Bahr 1984 a; 1984 b; Das Grimmsche Wörterbuch 1987 (mit den Beiträgen von Braun, Dückert, Fratzke, Huber, Schröter).
5
Periodik der Bearbeitung des DWB
(DWB 1, LXVII). Die Konzeption des Wörterbuchs und dessen Ausrichtung auf historische Wortforschung haben ihren Stellenwert in dem weiten Rahmen des wissenschaftlichen Werks von J. Grimm und W. Grimm, das Sonderegger (1986, 1 f.) im Sinne einer "national gebändigten Universalität" versteht, als "die zielgerichtete Bewältigung ihres zunächst so uferlos scheinenden Stoffreichtums t . . . ] auf das Deutsche hin [ . . . ] als auf naturgegebenen Mittelpunkt ihrer eigenen Muttersprache und deren nächsten Verwandten im germanischen Sprachkreis11. Dieser Hintergrund sollte bei der im folgenden gebotenen Beschränkung auf das DWB präsent bleiben. Es sollte auch im Auge behalten werden, daß die Wörterbuchkonzeption in einer europäischen sprachphilosophischen und -wissenschaftlichen Tradition steht, die vor allem durch Herder und Adelung in einer spezifisch deutschen Richtung kanalisiert und so der sich im 19. Jahrhundert ausbildenden historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft vermittelt wurde. Solche Bindungen an die Tradition, auf die im folgenden nur gelegentlich hingewiesen werden kann, sind nicht in dem Sinne zu verstehen, daß theoretische Konzeptionen aufgenommen und in lexikographische Praxis umgesetzt würden, sondern meist mehr in dem der Teilhabe an bereichsspezifischen Ausbildungen und Veränderungen allgemeinerer Denkmuster und Leitvorstellungen. Das gilt, in jeweils zeitgemäßer Form, auch für die weitere Geschichte des DWB, das sich im Laufe von Jahrzehnten als eigene Institution einer praktischen historischen Wortforschung und Lexikographie etabliert. Vor diesem Hintergrund können für die lexikographische Praxis relevante Größen wie Wortgebrauch, Begriff, Bedeutung zwar in der Beschreibung ihrer praktischen Behandlung im Wörterbuch annäherungsweise als Elemente des jeweiligen Wortverständnisses rekonstruiert, nicht aber als Elemente eines theoretischen Systems exakt definiert werden.
2.1.1. Ideologische Komponente Zweck und Ziel des DWB sind in einem weiten Sinn ideologisch, durch eine politische und stimmt .
eine sprachpädagogische
Absicht
be-
den
6
Bahr
In politischer Hinsicht soll das DWB das Verständnis der Sprache aus ihrer Geschichte vermitteln und damit das Selbstverständnis der Deutschen als Angehörigen eines Volkes und ihr Streben nach politischer Einheit fördern: "was haben wir denn gemeinsames als unsere spräche und literatur?" (DWB 1, III). Insofern hat das Wörterbuch "sichtbaren, unmittelbaren einflusz auf gründung und belebung unsrer nationalität" (J. Grimm 1859, 553). Hinter dieser Zielsetzung steht die Vorstellung von der Sprachnation, deren Tradition ins 16. Jahrhundert zurückreicht (Reichmann 1978, 390). Unter dieser Leitvorstellung wird im 18. Jahrhundert ein umfassender Zusammenhang von Sprache, Kultur, Gesellschaft, Volk und Staat konstruiert (Reichmann 1978, 392 ff.; Schmidt 1984, 141; 1986 a, 5 ff.; Neumann 1985 a, 28 ff.; 1985 b, 63 ff.). Ein Aspekt dieses Zusammenhangs ist die Einbindung der Sprache in die Entwicklung der Gesellschaft im französischen Sensualismus und die geschichtsphilosophisch begründete Bindung der Sprache an die Geschichte und Eigenart des eigenen Volkes bei Herder. Wenn J. Grimm die Vorstellung von der Sprachnation wieder aufnimmt mit Äußerungen wie "ein volk ist der inbegriff von menschen, welche dieselbe spräche reden" (ähnlich schon Adelung 1780, 1613; 1782, 98) und "dasz nicht flüsse, nicht berge vökerscheide bilden, sondern dasz einem volk, das über berge und ströme gedrungen ist, seine eigene spräche allein die grenze setzen kann" (J. Grimm 1846, 557), bereitet er, indem er die politische Funktion der Sprache herausstellt, die Begründung für die ideologische Zielsetzung des DWB im Blick auf die Intentionen der bürgerlichen Gesellschaft um die Mitte des 19. Jahrhunderts vor (Neumann 1985 b, 140 ff.). Die politische Absicht wird von einer sprachpädagogischen, auf Sprachlenkung bedachten flankiert. Das Wörterbuch soll Einfluß auf die gegenwärtige Sprache und auf den Sprachgebrauch nehmen. Es gibt mit seiner historischen Blickrichtung Aufschluß über die organische Entwicklung der deutschen Sprache und die Regeln dieser Entwicklung, es weist auf Fehlentwicklungen und Fehlsteuerungen hin und gibt Anregungen zur Regeneration der Sprache .3 3
Vgl. schon: "Unser wb. soll gerade auf die wahrhafte reinigung der spräche wirken" ([1847] W. Grimm in: Kirkness I960, 117).
Periodik der Bearbeitung des DWB
7
Dahinter steht keine einseitige Sprachverfallsthese,* sondern eine differenziertere Beurteilung sprachlicher Entwicklungen: Die Entwicklung von frühen volksmäßig gebundenen, sinnlich-anschaulichen Vorstellungen und Formen zur Abstraktion und Vergeistigung ist mit Einschränkung und Verlust alten Wortbestandes und alter Formen verbunden. Aber dem Verlust der Bindung an die natürlichen, volksmäßigen Grundlagen der Sprache, dem Verlust an Sprachgefühl und Sprachmächtigkeit, der Sprachverarmung durch willkürliche Terminologisierung und grammatische Normierung ohne Rücksicht auf organische Entwicklungstendenzen soll das DWB entgegenwirken. Lexikographische Mittel der Sprachlenkung sind insbesondere (Überblick bei Dückert 1987, 13 ff.; Fratzke 1987, 153 ff.): Quellenauswahl, Stichwortauswahl mit Einschränkung der Aufnahme unorganischer Bildungen und nicht integrierter Fremdwörter, gescheiterter Versuch einer Orthographiereform (Kirkness 1980, 124 ff.), kritische Wertung von Wörtern, Wortbildungen und Sprachentwicklungen: "wie viel alte, einfache Wörter, die sich ungebraucht verloren und verdunkelten, hätte die geistige bildung unsrer spräche aus sich selbst greifen, entfalten und reichlich verarbeiten können, wäre sie mit besonnenheit verfahren, um sinnliche Wörter für abgezogne anwendungen auszuprägen; in den meisten fällen genügte ihr der fremden benennung träge aufnähme" (DWB 3, 404; vgl. Stackmann 1986, 24 ff . ). Mit der Einbeziehung einer Sprachlenkungsabsicht in die Konzeption des DWB zieht J. Grimm eine ideologische Konsequenz aus der Vorstellung des historisch interpretierten Sprachorganismus (Härd 1985, 89; vgl. unter 2.1.2.1. Anm. 6): Wenn die sprachliche Entwicklung durch erkennbare Regeln, durch Anomalien und durch sprachschöpferischen Einfluß bestimmt ist, dann ist aus der Einsicht in die geschichtliche Struktur der Sprache die Bewertung des gegenwärtigen Sprachsystems und, in Grenzen, eine
4
Gessinger (1985) diskutiert umsichtig J. Grimms theoretisches Bemühen um das Verhältnis von sprachgeschichtlichen Progressions- und Verfallsauffassungen, das diesen zur Revision des älteren organismiBchen Sprachbegriffs führt. Wichtig ist Gessingers Hinweis (658; 669) auf vergleichbare methodologische Entwicklungen in den Naturwissenschaften und in den Sprachwissenschaften, mit dem er die "vereinfachende Annahme eines geborgten Paradigmas" einschränkt.
8
Bahr
Einflußnahme möglich
d u r c h den V e r s u c h ,
ganischen Sprachentwicklung
2.1.2. J.
in eine
das
DWB n i c h t
Konzeption
vor,
in e i n e ein
des neuhochdeutschen
senschaftlicher
und g e s c h i c h t l i c h e r
2.1.2.1. Die
ihre
aber
Grundlage
Reihe doch
von
so,
nicht
sondern
in
in
Einzelarbeiten
daß e i n
lexiko-
Erforschung
auf
sprachwis-
Einbeziehung
deutlicher
1984,
Rekonstruktion dieser des Modells
ist
sche Version
die
des
Spätaufklärung
in
n i c h t an d e r
18.
von H e r d e r
19.
WortJ.
oder
Grimm die
Ich
der
will
nennen.
die Kern deut-
europäischen
und W o r t v e r s t ä n d n i s s s e s , der
die fest-
ausgebildete in
in
entwickelt,
Satzsyntax
das W o r t m o d e l l
Jahrhundert
Sprach-
und Adelung
des
die
zum DWB f ü h r t .
seinen Leitvorstellungen
diskutierten
Sprachwissenschaft
geschlossenen
Weg von d e r Grammatik,
Wortauffassung im s p ä t e n
Wörterbuchkonzeption
diskontinuierlich
318 f f . ) ,
(Sonderegger
der
Wortauffassung,
macht
5
sondern
keine
zur
Grundlage u n t e r
einer
einer
am W o r t ,
allem
Er l e g t
Konzept
Wortschatzes
Komponente
grammatische Beschreibung
vor
vorzunehmen.
Das W o r t m o d e l l
Sprachtheorie, einer
or-
Gesichtspunkte.
sprachwissenschaftliche
hat
einer
lexikographische,
Tradition.
sondern
und D a r s t e l l u n g philologischer
Linie
Komponente
sprachwissenschaftliche
graphische
der
liegende Korrekturen
Sprachwissenschaftliche
Grimm s t e l l t
auf
die
historisch-vergleichenden
Jahrhunderts
vermittelt
wird.®
Im Zuge von Säkularisierungs- und Verzeitlichungsprozessen (Lepenies 1976; Riedel 1977) werden in der europäischen Spätaufklärung in der Diskussion über das Verhältnis von Sprache, Denken, Wirklichkeit (Literatur s. unten zum Sensualismus), über den Ursprung der Sprache (Borst 1957-1963, bes. Bd. 3 , 1 ; 3 , 2 ; Megill 1975; Aarsleff 1982, 146 f f . ; 278 ff.)und mit der Integration der Sprache in die menschliche Entwicklungsgeschichte die Voraussetzungen für eine geschichtliche Behandlung sprachlicher Erscheinungen geschaffen (Bahner 1985 a ) . Vor allem Herder legt mit der Integration verschiedener europäischer Traditionen sensualistischer und r a t i o n a l i s t i s c h e r Herkunft den Grund zu einer spezifisch deutschen Version eines veränderten Sprach- und Wortverständnisses. Nach anfänglich stärkerer Orientierung an sensualistischen Vorstellungen (wechselseitige Entwicklung von Sprache und Denken, Sprache a l s System von Zeichen, kommunikative Funktion der Sprache und des sprachlichen Zeichens, Denken a l s zeichenabhängige Gedankenverknüpfung) bindet er (vor allem 1772), in dieser Hinsicht mehr im Einklang mit der r a t i o n a l i s t i s c h e n Tradition, die Denkfähigkeit an die menschliche
9
Periodik der Bearbeitung des DWB
J . Grimm m o d i f i z i e r t und h i s t o r i s i e r t d i e s e V e r s i o n . Er g e w i n n t e i n e n W o r t b e g r i f f , d e r d u r c h d i e i n d e r Grammatik e n t w i c k e l t e V o r s t e l l u n g e i n e s h i s t o r i s c h s t r u k t u r i e r t e n S p r a c h o r g a n i s m u s 6 und e i n V e r s t ä n d n i s von S p r a c h e a l s A u s d r u c k n a t i o n a l e r M e n t a l i t ä t m i t g e p r ä g t i s t (Neumann 1985 c ) . Das W o r t m o d e l l
ist
stimmt,
Grundlagen
deren
im w e s e n t l i c h e n
p u n k t u e l l angemerkt
in
den
durch
folgende
Arbeiten
Faktoren
J . Grimms
hier
nur
"nicht
un-
freiheit
des
werden:
( 1 ) S p r a c h e m i t den s i e r e p r ä s e n t i e r e n d e n
Wörtern i s t
mittelbar
durch die
menschen
durch g ö t t l i c h e selbst
macht,
hervorgebracht"
sondern (1851,
s c h l i c h e r Denk- und R e d e f ä h i g k e i t (2) Sprache hung
von
und W ö r t e r
Wurzeln
Entwicklung straktion
und
weiterer
Einschränkung des und
zu
be-
entwickeln einfachen
sich
in
Wörtern,
Wortarten,
der
Formenreichtums, gedanklichem
260),
ein
( 1 8 5 1 , 276 f . ;
der
drei
Stufen:
zunächst
Wortbildung, Flexion,
Reichtum
Produkt
(1851,
men-
295). Entste-
von der
Verben; Flexion;
Tendenz 282 f f . ;
z u r Ab1854,
310). ( 3 ) Das Wort w i r d a l s d e r h i s t o r i s c h e n E n t w i c k l u n g u n t e r l i e g e n d e s p r a c h l i c h e Größe b e h a n d e l t , n i c h t a l s v o r w i e g e n d kommunikat i o n s o r i e n t i e r t e s S p r a c h z e i c h e n . Es w i r d im P r i n z i p a l s W o r t k ö r -
6
Existenz und e r k l ä r t Sprache a l s ein Produkt menschlicher Denk- und Ausdrucksfähigkeit, eingebunden in Art und Geschichte des eigenen Volkes. Dementsprechend versteht er das Wort nicht a l s kommunikativ genutztes Zeichen, sondern a l s f e s t e sprachliche Größe, vernunftabhängig, ausdruckso r i e n t i e r t und motiviert. - Über s e n s u a l i s t i s c h e Sprachtheorien informieren u . a . Ricken 1979; 1981; 1983; 1984; Telegdi 1981; Aarsleff 1982; Hassler 1983; 1984; Neumann 1984. Diese Arbeiten, die E i n s e i t i g k e i t e n der herkömmlichen sprachwissenschaftlichen Historiographie k o r r i g i e r e n , überbewerten manchmal Herders Abhängigkeit vom Sensualismus. Der im 18. Jahrhundert entwickelte Organismusbegriff (Geschichtliche Grundbegriffe 1978, 519 f f . ; Schmidt 1986 a) wird am Ende des 18. Jahrhund e r t s im Jenaer Kreis der Frühromantiker auf die Sprache angewandt (Schmidt 1986 a, 61 f f . ) . J . Grimm h i s t o r i s i e r t in seiner Grammatik die Struktur des Sprachorganismus durch die Aufdeckung eigengesetzlicher Entwicklungen sprachlicher Erscheinungen (Neumann 1984, 23). In der Abwehr p u r i s t i s c h e r E i n g r i f f e in die Sprache f a ß t er (1819, XIV f . ) die Möglichkeiten organischer Veränderungen der Sprache zusammen a l s solche, die durch Regeln erklärbar sind, a l s solche, die a l s Ausnahmen im Sprachgebrauch akzeptiert werden: "Es i s t ein großes Gesetz der Natur, das auch in der Sprache Anomalien und Mängel neben den uns erkennbaren Regeln bestehen lassen w i l l " (vgl. den Ausdruck "Organismus der Anomalien" ebd. XXIV), und a l s solche, die sprachschöpferischer, "der Macht des unermüdlich schaffenden Sprachgeistes" folgender Spontaneität zuzuschreiben sind.
Bahr
10 per verstanden, ständen
dem
der Realität
eine Bezeichnungsfunktion zukommt
(hier unter
gegenüber
Gegen-
Berücksichtigung
von
(4)): "nomina, d. h. die den sachen beigelegten namen oder eigenschaften" (1851, 288). (4) Sprache ist ausdrucksorientiert, Wörter drücken Vorstellungen, Begriffe aus. Wörter sind in dem Sinne motiviert, daß zwischen einem Wort und dem von ihm ausgedrückten Begriff
anfangs
eine unmittelbare Beziehung besteht (1854, 310). (5) Die sprachliche Entwicklung vollzieht sich in einem Parallelismus von Form und Bedeutung
(1826, 76 ff.): "[...] der hohe,
kühne flug der gedanken. Nähern wir uns einmahl diesem, so wird uns auch die vorher roh erfaßte form tiefere geheimnisse verrathen. Im gründe
sind
beide eins, gestalt und
Mit hülfe der form müßen wir anfangs bis wir
dann
wieder
von
ihm
auf
sie
zu dem
bedeutung geist
[...].
aufsteigen,
zurückschließen
können"
(1826, 78). Dies ist grundlegend für die spätere Wörterbuchpraxis, die etymologische
Erörterung, Ermittlung
des
Wortbegriffs
und Erklärung der Wortbedeutungen miteinander verknüpft. (6) Grundlage der sprachlichen Entwicklung und der sich mit ihr herausbildenden Vielfältigkeit
des Wortschatzes
sind vor
allem
verbale Wurzeln, insbesondere starker Verben. Alle Verbalwurzeln enthalten
sinnliche,
anschauliche
Vorstellungen,
aus
denen
im
Zusammenhang mit der Wortbildung abstrakte und übertragene Vorstellungen hervorgehen. Dementsprechend liegen abstrakten Bedeutungen immer sinnliche zugrunde (1819, XXVII f.; 1826, 84; 1849, 263 f.; 1851, 286 ff.; DWB 1, XLV f.; 1854, 310 ff.; 1858, 352).7
2.1.2.2. Historische Wortforschung Die Konzeption entwickelt nicht eigentlich lexikographische Darstellungsformen.
Bezeichnenderweise
stellt
schon
W. Grimm
(1846 b, 514), als er auf der Frankfurter Germanistenversammlung über
die
Konzeption
stellungsform
7
zurück
des in
DWB
der
spricht,
Erwartung
die
Frage
praktischer
der
Dar-
Erfahrungen
Die Auffassung, daß abstakten Begriffen sinnliche Vorstellungen zugrunde liegen, schon bei Herder (Bahr 1984 b, 397) und 1690 bei Locke (Ricken 1984, 86 f. ).
Periodik der Bearbeitung des DWB
11
bei der Ausarbeitung des Wörterbuchs (vgl. Henne 1985, 536 f.). Die Konzeption legt vielmehr dar, wie das Vorhaben einer Erforschung des neuhochdeutschen Wortschatzes durchgeführt werden soll. Auch die Begriffsbestimmung "Wörterbuch ist die alphabetische Verzeichnung der Wörter einer spräche, sein begrif gründet wesentliche und durchdringende gegensätze zwischen alter und neuer zeit" (DWB 1, IX) und der überblick über die ältere deutsche Lexikographie und ihre Art, Wortschätze zu erfassen (DWB 1, XIX ff.), ist nicht lexikographisch, sondern an Gesichtspunkten zur Etablierung einer historischen Wortforschung und ihrer wissenschaftlichen Präsentation orientiert. Den Rahmen ihres Vorhabens steckt die Konzeption in einem Abriß der Diagliederung des Deutschen ab (DWB 1, XIV ff.): Beschränkung auf das Neuhochdeutsche, Berücksichtigung älterer Sprachstufen und anderer Sprachschichten, soweit dies zur Erklärung des schriftsprachlichen neuhochdeutschen Wortschatzes erforderlich ist. Andere Grundsätze entwickelt sie - hier nur grob angedeutet - aus der ideologischen Komponente: Quellen- und Stichwortauswahl (DWB 1, XXVI ff.; XXXII ff.), Orthographie und Druck (DWB 1, L H ff.); aus dem Wortmodell: Definitionen (DWB 1, XXXIX ff.), Worterklärung (DWB 1, XLV f.), Organismusvorstellungen z.B. im Zusammenhang mit der Terminologie (DWB 1, XXXVIII f.); aus philologischen Voraussetzungen: Belegungsprinzip (DWB 1, XXXVI ff.). Die Form, in der sich die historische Wortforschung im DWB zunächst präsentiert, ist durch den konzeptionellen Hinweis vorgegeben, daß das Wörterbuch den neuhochdeutschen Wortschatz auch "deuten" soll (vgl. unter 2.1.). Es soll ihn im Rückgriff auf ältere Sprachzustände und aus der Kenntnis seines Stellenwertes im Kreise verwandter Sprachen (DWB 1, XVIII f.; XLVII) erklären. Die Wörter des neuhochdeutschen Wortschatzes werden als das Ergebnis eines historischen Prozesses verstanden. Das Wörterbuch soll nicht den Prozeß als solchen darstellen, sondern sein Ergebnis interpretieren und erklären, wie es zustande gekommen ist.8 Von da her erklärt es sich, daß die Artikel des DWB zu8
Mit dem im 18. Jahrhundert einsetzenden Prozeß der Historisierung, als "grundsätzliche Verzeitlichung historischer Erfahrung" (Riedel 1977, 314) zu verstehen, beginnt auf verschiedenen Wissensgebieten die Ausbildung des
Bahr
12
nächst
mehr
die
einer
mit
Formen
der
Darstellungshaltung
ihnen
ein
der
Form
wissenschaftlichen
Erläuterung,
Defizit
an
Argumentation
des
Lehrenden
Sonderegger der
(1986,
Wortforschung
Grimm.
In
der
verschiedenen praktische sten
an
vorbei
ist
15 f f . )
der mit
phisch begründeten
und
daß
und
in-
die
ein.
So b e g i n n t synchron
316
zentrale
konzentriert mit
und
Belehrenden
(Wiegand 1 9 8 6 ,
Ansätze
Wortforschung
traditionellen einem
Dokumentation
sprachwissenschaftlichen
worthistorischen
historische
haben
Einheitlichkeit
betont
Wörterbuchkonzeption
Darstellungsmedium
graphie phie
9 ff.; im
und
lexikographischer
f o r m a t i v e r O r d n u n g zu a t t e s t i e r e n
und
Abhandlung
und
Werk
Stellung
der Grimm
seine
leitet
damit
eine
ihrem
historische
orientierten
sprachwissenschaftlich,
Brüder
J.
dem DWB a l s die
ff.).
nicht
er-
Lexiko-
Lexikogralexikogra-
Neueinsatz.
modernen geschichtlichen Denkens (Geschichtliche Grundbegriffe 1975, 647 f f . ; Lepenies 1976). Han darf grundsätzlich nicht erwarten, daß die g e s c h i c h t l i c h e Behandlung von Objekten immer und von Anfang an die Form der Darstellung h i s t o r i s c h e r Prozesse i n t e n d i e r t , auch wenn das geschichtl i c h e Denken die Vorstellung z e i t l i c h e r Abläufe oder Entwicklungen, etwa im Einklang mit zeitgenössischen Evolutionsvorstellungen, e i n s c h l i e ß t . J . Grimm b r i n g t sein h i s t o r i s c h e s Verfahren - Erklärung eines gegenwärtigen Zustands aus seinem Ursprung und aus seiner Geschichte - in d i e Sprachwissenschaft e i n , indem er in s e i n e r Grammatik die von F. Schlegel programmatisch entworfene sprachvergleichende Methode mit einer empirischh i s t o r i s c h e n verbindet (Sonderegger 1984, 318 f f . ; Bahner 1985, 344 f . ) . Die die Grammatik beherrschende Form des Sprachvergleichs ü b e r f ü h r t die systematische Darstellung der germanischen Sprachen in eine Erklärung des grammatischen Systems des Deutschen aus den empirisch f e s t s t e l l b a r e n Verh ä l t n i s s e n im Germanischen : " [ . . . ] d i e Führung des Beweises : daß und wie a l l e deutsche Sprachstämme i n n i g s t verwandt und die heutigen Formen unvers t ä n d l i c h seyen, wo man nicht b i s zu den vorigen, a l t e n und ä l t e s t e n hina u f s t e i g e , daß f o l g l i c h die gegenwärtige grammatische S t r u c t u r nur ges c h i c h t l i c h a u f g e s t e l l t werden dürfe [ . . . ] " ( J . Grimm 1819, XXIV). Entsprechend v e r f ä h r t J . Grimm in der Erklärung des neuhochdeutschen Wortschatzes im DWB. Ansätze zu d i e s e r erklärenden Form g e s c h i c h t l i c h e r Behandlung gegenwärtiger Zustände finden sich schon bei Herder: " [ . . . ] wie wurden wir aus einem Geschöpf Gottes, das, was wir j e t z t sind, ein Geschöpf der Menschen?" ([1768] i n : Hamann 1956, 408); mit Anlehnung an präformationstheoretische Vorstellungen des ä l t e r e n E v o l u t i o n s b e g r i f f s : "Mit dem Ursprünge e i n e r Sache entgeht uns ein Theil i h r e r Geschichte, die doch so v i e l in i h r erklären muß, und meistens der w i c h t i g s t e Theil. [ . . . ] In dem Saamenkorn l i e g t die Pflanze mit ihren Theilen; im Saamenthier das Geschöpf mit a l l e n Gliedern: und in dem Ursprung eines Phänomenon a l l e r Schatz von Erläuterung, durch welche die Erklärung desselben G e n e t i s c h wird" (Herder 1768, 62).
Periodik der Bearbeitung des DWB
13
2.2. Jacob Grimms Wörterbuchpraxis Der Wörterbuchartikel ist das Produkt einer etymologisch-genetischen und einer semantisch-genetischen Erklärung des Wortes. Dementsprechend sind ein etymologischer Teil und ein Bedeutungsteil zu unterscheiden. Beide Teile sind, da die Erklärungen vielfach aufeinander bezogen sind, oft miteinander verknüpft oder ineinandergeschachtelt (z.B BODEN DWB 2, 210; BRECHEN DWB 2, 342; 351; FASSEN DWB 3, 1340 ff.). Solche Verknüpfungen sind ein Mittel, Wortgestalt und Wortbegriff in ihrer gegenseitigen Beziehung zu erfassen.
2.2.1. Etymologischer Teil des Wörterbuchartikels Der etymologische Teil hat die Form einer wissenschaftlichen Erörterung, die das neuhochdeutsche Wort von seiner äußeren Gestalt her genetisch erklärt. Dabei geht es nicht nur um die äußere Form des Wortes, sondern "um den buchstaben und um den geist" (J. Grimm 1826, 67), das heißt um die Gestalt und um den Begriff des Wortes, zwischen denen eine ursprünglich unmittelbare Beziehung besteht (vgl. das Wortmodell (4) unter 2.1.2.1.). Die frühe Vorstellung J. Grimms, daß die Etymologie eines Wortes seine Geschichte darstellen sollte, war nach seiner Einschätzung unter den Bedingungen der frühen spekulativen Etymologie nicht zu realisieren (Ginschel 1967, 334 f.). Jetzt, nach der Festigung sprachvergleichender Verfahren, entwickelt er ein spezielles etymologisches Verfahren für die einzelsprachliche Wortforschung (J. Grimm 1849, 263 f.; 1854; DWB 1, XLVII ff.; [1862] Vorrede zu DWB 3 in: Denecke 1980, 276 f.). Theoretisch akzeptiert er das klassische Verfahren, auf der Grundlage des Sanskrit durch Sprachvergleich Regeln zu finden, die die etymologische Ableitung einzelsprachlicher Wörter aus einer indogermanischen Basis ermöglichen. Aber für die Praxis der einzelsprachlichen Wortforschung und damit für das DWB kehrt er das methodische Vorgehen um: Er geht vom neuhochdeutschen Wort aus, ermittelt auf sprachvergleichender Grundlage seine Entsprechungen und verwandten Bildungen in anderen germanischen Sprachen und versucht, für diese Bildungen eine etymologische Basis - die ge-
14
Bahr
meinsame Wurzel, ein Ausgangswort oder eine Wortverwandtschaft auf früher Sprachstufe im Germanischen und eventuell im Indogermanischen aufzudecken. Mit der lautlichen Basis des Wortes versucht er zugleich seinen sinnlich-konkreten Begriff zu ermitteln.9 Das Verfahren stützt sich auf den Vergleich der Bedeutungen, die den für die etymologische Erklärung relevanten Wortformen zugeordnet sind. Es kann im Vertrauen auf die "eigne durchsichtigkeit" der Einzelsprachen (DWB 1, XLVII) durch Rückschlüsse aus dem neuhochdeutschen Wortgebrauch gesteuert werden. Indem die etymologische Erörterung im Sprachvergleich und mithilfe von Laut- und Wortbildungsregeln den Ursprung des Wortes ermittelt, erklärt sie dieses Wort genetisch. Sie erklärt im Regreß auf den Ursprung des Wortes, wie die gegenwärtige Wortgestalt entstanden ist, und sie ermittelt den mit dem Wort verbundenen Begriff, indem sie ihn unter Berücksichtigung semantischer Relationen im etymologischen Umkreis aus der Genese des Wortes erklärt. Daj3 diese Erklärung wesentliche Aufgabe des etymologischen Teils ist, erhellt daraus, daß Informationen zur Wortgestalt, lautliche, morphologische, grammatische, auch mundartliche Angaben, nur in dem Maße in die etymologische Erörterung einbezogen oder ihr angeschlossen werden, in dem sie für diese oder eine weitere Erklärung des Wortes und seiner Funktionen benötigt werden. Eine vollständige und systematische Darstellung solcher Formalien ist - außer der Auflistung der Normalformen von Wortentsprechungen in anderen Sprachen und auf älteren Sprachstufen - nicht die Regel. Ein stark gekürztes Beispiel: AUGE, n. ahd. ougâ, mhd. ouge, goth. augô, altn. auga [...], nnl. oog. hierzu stimmt nun, auch im neutralen genus, das sl. oko [...]; litt. akis, lett. asz, altpr. ackis f. [...]; gr. δκοζ [...]. Die deutsche spräche in ihrem ougâ, auge [...], die litt, in akis [...] hegen reinen kehllaut, im lett. asz und lahzis ward er zischend [...], im skr. akSi durchgängig, man kann nicht annehmen, dasz der zisch in auge, oko, oculus geschwunden, sondern nur, dasz er in akSi zugetreten sei, wurzelhaft ist also ak, nicht akS. dieser wurzel zunächst gelegen scheint aber lat. acuo, acies, acus, vielleicht axis; acies oculi bezeichnet gerade die sehe des augs, die pupille, acus könnte spitze oder auch öhr der nadel [... ] gemeint haben [...]. nicht stammt akäi von îkâ videre, spectare, umgekehrt îkS, wie akSi, von der verlornen wurzel ak; nicht unmöglich, dasz zu diesem îkâ unser sehen, goth. saihvan gehörte
9
Ähnlich schon Adelung 1793, VI.
Periodik der Bearbeitung des DWB
15
[...]. deutlich fällt aber unserm auge zu das goth. augjan ostendere, ahd. ougan, mhd. ougen; wie îks sehen 1st augjan sehen lassen [...]. Nach diesen erörterungen wäre, in seinem urbegrif, auge das sehende, sehen lassende, zeigende, die sehe, scharf, schneidend, stechend, durchbohrend, man sagt: mit sehenden ougen. Gudr. 1510,3 [...]; nhd. wir sehen mit sehenden äugen (recht pleonastisch). 1. Mos. 26, 28 [...]; ein scharfes auge [...]; sein auge, sein blick durchbohrte den elenden. Von auge bilden wir nhd. den unorganischen gen. auges [...] statt des mhd. ougen [...]. ([1852] DWB 1, 789 f.).
Unabhängig davon, ob der Wortbegriff in der etymologischen Erörterung ermittelt wird, wird er sehr oft in einer Position hinter dem Lemma durch die Anführung meist lateinischer Ausdrücke knapp erklärt, die "gleichsam nur in den mittelpunct des worts, auf die stelle der hauptbedeutung zu leiten" haben, von der dann die Worterklärung im einzelnen ausgeht (DWB 1, XXXIX ff.). Für den Wortbegriff gilt, daß er den eigentlichen Sinn des Wortes ausmacht, daß er in jedem geschichtlichen Stadium des Wortes hinter den Bedeutungen, verdeckt oder offen, präsent ist: "Hinter allen abgezognen bedeutungen des worts liegt eine sinnliche und anschauliche auf dem grund, die bei seiner findung die erste und ursprüngliche war. es ist sein leiblicher bestandtheil, oft geistig überdeckt, erstreckt und verflüchtigt, alle worterklärung, wenn sie gedeihen soll, musz ihn ermitteln und entfalten." (DWB 1, XLV). "[...] welches verbum, also welcher sinn darf aber gesucht werden in substantiven kind oder söhn, tochter? ihre bedeutung ist allbekannt, doch nichts als eine abgezogne, den begriffen, die sie ausdrücken, beigelegte." (DWB 1, XLVI. Vgl. das Wortmodell (6) unter 2.1.2.1.).
2.2.2. Bedeutungsteil des Wörterbuchartikels Im Bedeutungsteil wird der Wortgebrauch durch Belege dokumentiert und semantisch erklärt. Die in dieser Erklärung ermittelten Bedeutungen werden genetisch erklärt.
2.2.2.1. Semantische Erklärung Es wird dargelegt, wie ein Wort im Sprachgebrauch verwendet wird. Das Verfahren setzt die Bezeichnungsfunktion des Wortes voraus. Es werden die Beziehungen des Wortes auf Gegenstände, Sachverhalte usw. der Realität festgestellt, deren Erfassung und Abgrenzung von mentalen Bestimmungen abhängig ist. Die Gliede-
16
Bahr
rung des Bedeutungsteils orientiert sich an den jeweils bezeichneten Gegenständen oder an den Formen, in denen deren Bezeichnung erfolgt. Diese sachlich oder formal differenzierten gliederungsrelevanten Beziehungen des Wortes auf reale Gegenstände nenne ich Wortverwendungen, z.B., je nach Wortart, Beziehung des Wortes auf Gegenstände, Sachverhalte usw., grammatische Funktionen, syntaktische Verbindungen, Verbindungen mit Klassen von Bezugswörtern, Phraseologismen usw. Das Wort in seiner jeweiligen Verwendung oder der eine Wortverwendung konstituierende komplexe Ausdruck werden semantisch interpretiert, sofern die Interpretation sich nicht von selbst versteht. Unter den Gliederungsformen überwiegen lineare Abfolgen bei weitem Hierarchisierungen: BEDEUTEN, significare [...]. 1) etwas bedeuten, bezeichnen, ausdrücken i n u n s r e r s p r ä c h e , von fremden oder auch dunkeln, mehrdeutigen W ö r t e r n [...]. 2) bedeuten, von s a c h e n , ohne bezug auf worte [...]. 3) was, etwas, viel, wenig, nichts bedeuten = auf sich haben [...], zu sagen haben [...]. 4) einen bedeuten, anweisen, zurechtweisen, belehren, warnen [...]. 6) einem etwas bedeuten, andeuten, anzeigen, verkünden [...]. ([1853] DWB 1, 1225 f.). BLIND, caecus [...]. 1) blind ist also vorzugsweise der mit trübem auge, der ohne Sehkraft, ohne augenlicht geborne oder dem es erloschen ist [...]. 2) die nacht heiszt die blinde [...]. 5) blind, von sachen die sich nicht öfnen [...]. 7) die blinde seite, der rücken, weil er keine äugen hat, der mensch nicht nach hinten sehen kann [...]. ([1854] DWB 2, 119 ff.).
Die semantischen Interpretationen sind nicht in dem Sinne Bedeutungsangaben, daß sie direkt auf einzelne darzustellende Bedeutungen zielten. Sie erklären vielmehr in Verbindung mit den Belegen die Wortverwendungen für den Wörterbuchbenutzer. Den in einer solchen Erklärung ermittelten Sinn des Wortes, das, was es jeweils in einer Wortverwendung meint, nennt J. Grimm "Bedeutung", auch "Sinn", "Vorstellung". Aber er nennt auch die Wortverwendungen selbst, da sich in ihnen jeweils der Sinn eines Wortes konkretisiert, "Bedeutungen". Man muß, unabhängig von der terminologischen Praxis, unterscheiden: Wortverwendungen sind sprachliche Phänomene. Sie stellen in ihrer Gesamtheit den Wortgebrauch dar und konstituieren als ein lexikographisch gegliedertes Kontinuum den Bedeutungsteil in seiner äußeren Form. Bedeutungen sind nicht sprachliche Phänomene, sie sind nicht di-
Periodik der Bearbeitung des DWB
17
rekter Gegenstand der Darstellung, und sie erscheinen nicht als ein Kontinuum, das den Bedeutungsteil konstituieren könnte. Sie sind Objekte der Worterklärung, deren Adressat der Wörterbuchbenutzer ist. An die Frage nach dem sprachtheoretischen Status dieser Bedeutungen versucht Weber (1984, 1096) eine Annäherung, wenn er auf "die vorromantische Bedeutungsauffassung [·.·]/ nach der die Bedeutungen sprachunabhängig sind", hinweist, dies im Unterschied zu W. Grimms Auffassung (s. unter 2.4. Anm. 11).
2.2.2.2. Genetische Erklärung Mit der semantischen Erklärung des neuhochdeutschen Wortgebrauchs kann, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, die genetische Erklärung der ermittelten Wortbedeutungen verbunden werden: Wie sind sie entstanden und wie haben sie sich herausgebildet? Man muß unterscheiden zwischen der Geschichte der Bedeutungen und der genetischen Erklärung der Bedeutungen aus ihrer Geschichte . Die Geschichte der Bedeutungen eines Wortes als nicht sprachlicher Phänomene wird als Prozeß verstanden. Theoretischer Hintergrund ist das im späten 18. Jahrhundert ausgebildete Geschichtsverständnis mit seinen evolutionistischen Implikationen (vgl. unter 2.1.2.2. Anm. 8). Die Bedeutungen eines Wortes entwickeln sich aus der etymologischen Basis, aus dem Wortbegriff oder einer Wurzelbedeutung (vgl. unter 2.2.1.). Diese Auffassung reflektiert der in einigen Wörterbuchartikeln zum Bedeutungteil überleitende Text vom Typ "Jetzt werden aus der wurzel ërtan parere, gignere, die bedeutungen unseres heutigen art sich leicht darlegen lassen" (DWB 1, 569), "Alle bedeutungen von bock flieszen aus diesem begrif" (DWB 2, 201; vgl. 1, LXIII). Aber die Geschichte der Bedeutungen wird dieserart als Prozeß nur vorgestellt, nicht auch als solcher dargestellt. Allenfalls kann ein Artikel mit einer resümierenden Zusammenfassung der Bedeutungsgeschichte schließen wie der von ART, das unter anderem mithilfe der Interpretamente 'manier' und 'weise' erklärt wird: "Alle manieren und weisen gehn von angeborenheit aus, können aber nachher aufs erworbne übertragen werden" (DWB 1, 573).
18
Bahr
Die Anlage des Bedeutungsteils
dagegen
zielt auf die
Erklärung
der neuhochdeutschen Bedeutungen aus ihrer Geschichte, nicht auf Darstellung dieser Geschichte deutschen Bedeutungen gen
zwischen
selbst.
Im Vergleich
der neuhoch-
eines Wortes miteinander werden
diesen
Bedeutungen
hergestellt
stellungen, unter denen Beziehungen
Beziehun-
mithilfe
zwischen den
von
Vor-
entsprechenden
realen Objekten oder Konstrukten gesehen werden können.
Die Be-
ziehungen zwischen den Bedeutungen werden unter den Leitvorstellungen
des
Wortmodells
sprachlichen ben;
(6)
Entwicklung
abstrakten
(s.
unter
von verbalen
Vorstellungen
liegen
2.1.2.1.) Wurzeln
- Ausgang
und
sinnliche
starken
der Ver-
zugrunde -
und
auch unter Vorstellungen, die im Einzelfall aus einem realen Erfahrungshorizont gewonnen werden können, im Sinne diachroner Relationen interpretiert. Solche diachron verknüpfenden fixieren die einzelnen
Bedeutungen
Kategorien
jeweils auf den Punkt
ihrer
Entstehung, der unter Umständen schon in die etymologische Erörterung
einbezogen
werden
kann
(z.B.
unter
BAUEN
1 - 3
DWB 1,
1170 f.). Von dieser Grundlage her, nach Maßgabe ihrer ursprünglichen
Abhängigkeiten
voneinander
werden die neuhochdeutschen
und
Ableitungen
auseinander,
Bedeutungen eines Wortes
genetisch,
als Ergebnis einer geschichtlichen Entwicklung erklärt. 10 sehen dient Bedeutung
die nicht
nicht
seltene vorneuhochdeutsche
der Vervollständigung
der
So ge-
Belegung einer
Bedeutungsgeschichte,
sondern der Erweiterung der geschichtlichen Basis für die Bedeutungserklärung . Ein Beispiel, in dem die genetische Erklärung den,
oft
argumentativen
lexikographischen
durch eine entsprechende Anordnung ten Wortverwendungen
vermittelt
durch verknüpfen-
Text
der semantisch
und
manchmal
interpretier-
wird. Der Bedeutungteil
des Ad-
jektivs EBEN, planus, aequus, aequalis [...]
10 Es scheint diese Fixierung der geschichtlichen Relationen auf den Zeitpunkt der Entstehung der einzelnen Bedeutungen zu sein, die Härd (1985, 90) den bedeutungsgeschichtlichen Aspekt im älteren Teil des DWB vermissen und J. Grimm eine Wortauffassung zuschreiben läßt, nach der das Wort "von vornherein alle später bezeugten Bedeutungsschattierungen enthält", eine Auffassung, die eher der Praxis der zweiten Arbeitsphase entspricht.
Periodik der Bearbeitung des DWB
19
ist durch die Leitvorstellung sinnlich - abstrakt bestimmt. Die etymologische Erörterung führt auf eine sinnliche Bedeutung der Wurzel. Der Bedeutungsteil setzt entsprechend ein: 1) die sinnliche Vorstellung eben, πείι^όζ dauert noch heute fort, das ebne land ist das flache, platte im gegensatz zum gebirge [...].
Davon abgeleitet, unter Wahrung der sinnlichen Vorstellung: 2) da der schnurebne weg ein gerader ist, hat eben auch den sinn von rectus und par, mathematisch ausgedrückt, eben ist geradlinig, directus [...]·
Dann folgt die Reihe der abstrakten Bedeutungen: 3) unter den abstracten bedeutungen will ich die von satis magnus, ziemlich grosz, ziemlich voranstellen [...]. 4) hieran reiht sich der noch häufigere sinn von aptus, conveniens, par [·..]· 5) par, aequus wird unmittelbar aequalis, ϊβοζ, schon die Gothen, während ihnen das starke ibns πεδι^όζ ausdrückte, setzten das schwache ibna für ϊοοζ, eben entspricht also der bedeutung von gleich, und was wir heute die gleiche sache, dieselbe, die nemliche nennen, hiesz ehmals auch die ebne [...].
Der Artikel schließt mit einer Bemerkung zum gegenwärtigen Wortgebrauch als dem eigentlichen Gegenstand
der
lexikographischen
Erklärung: Von allen erörterten bedeutungen dauert heute nur die erste und letzte fort, die zweite, dritte und vierte sind erloschen. ([1859] DWB 3, 6 ff.).
2.3. Fazit J. Grimm betreibt im DWB von einem sprachwissenschaftlichen Ansatz her praktische historische Wortforschung in lexikographischer Form, die sich weitgehend erst in der Praxis ausbildet. Für sein Sprachverständnis ist die Vorstellung einer geschichtlichen Entwicklung grundlegend. Aber seine praktische Wortforschung ist nicht auf den Prozeß einer sprachgeschichtlichen Entwicklung fixiert, sondern auf die Erklärung des neuhochdeutschen Wortschatzes als Ergebnis geschichtlicher Entwicklungen. Das lexikographische Verfahren ermittelt, vom neuhochdeutschen Wortschatz ausgehend, den Ursprung und die formalen und begrifflichen Grundlagen der Wörter, also ihre in der Etymologie verankerte geschichtliche Basis. Im Rückgriff auf diese Basis führt es die genetische Worterklärung, die Erklärung von Wortgestalt
Bahr
20
und
Wortgebrauch
auf
neuhochdeutscher
auf dieses Verfahren
Ebene,
vor.
Im
spreche ich vom etymologischen
Hinblick
Prinzip der
Worterklärung. Wyss der
(1979;
1986,
273 ff.)
Gegenwartssprache
und
hat
die
ihrer
gegensätzlichen
geschichtlichen
Positionen
Basis
im
Ge-
samtwerk J. Grimms herausgearbeitet. Aber mit der kritischen Bemerkung
von
der
"Destruktion
der
Vorstellungen
vom
Ge-
schichtsprozeß" (Wyss 1979, 173; ähnlich 174; 223 u.ö.) setzt er unzulässig
die
läufe als
Erwartung
einer
Beurteilungsmaßstab
tion, Gegenwartssprache schichtliche
Basis
Darstellung voraus.
geschichtlicher
Man muß
J. Grimms
Ab-
Inten-
zu erklären und zu diesem Zweck ihre ge-
als
Erklärungsgrundlage
nehmen. Das gilt auch
zu
ermitteln,
für die historische Wortforschung
Unter Aspekten der Worterklärung in der vermeintlichen
können
Darstellung
sich
ernst
im DWB.
Unzulänglichkeiten
geschichtlicher
Entwicklungen
aufheben.
2.4. Wilhelm Grimms Sonderweg Auf den Anteil W. Grimms am DWB soll nur kurz eingegangen
wer-
den. Seine Wörterbucharbeit und die Eigenständigkeit, die sie in der
Praxis
gegenüber
Henne 1985;
Dückert
dem 1987,
Verfahren
des
Bruders
gewinnt
(vgl.
37 ff.) verlangen Untersuchungen,
die
den Zusammenhang mit seinem philologischen Werk berücksichtigen. W. Grimms Beitrag zur Planung und zur Konzeption des DWB ist beträchtlich,
aber
nach
außen
hin
zurückhaltend.
Ihm
gelingen
feinsinnige Formulierungen zum konzeptionellen Wort- und Sprachverständnis, Vorstellungen
die
wie
des
Resultate
Bruders
aus
der
erscheinen
Auseinandersetzung
und
manchmal
über
hinausführen. Hier ist an die programmatische Erklärung
mit diese
zu den-
ken, daß das Wörterbuch "eine Naturgeschichte der einzelnen Wörter enthalten" wird beziehung
der
(W. Grimm
1846 b, 513), an die betonte Ein-
Organismusvorstellung
die
Rechtfertigung
mit
der
der
historischen
Absicht,
Ausrichtung
(W. Grimm
1846 a,
sprachpädagogische des
Wörterbuchs
518),
an
Intentionen zu
verbinden
(W. Grimm 1846 b, 513 ff.; [1847] in: Kirkness 1980, 117).
Periodik der Bearbeitung des DWB
21
In der späteren praktischen Wörterbucharbeit sind die Unterschiede zwischen den Brüdern gravierend. Auch W. Grimm stellt nicht Wort- oder Bedeutungsgeschichte dar, sondern neuhochdeutschen Wortschatz. Aber er nimmt J. Grimms etymologisches Prinzip der Worterklärung nicht an. Er erklärt die neuhochdeutschen Wörter nicht aus ihrer geschichtlichen Basis, sondern er stellt sie und ihre geschichtlichen Grundlagen direkt dar. Seine Artikel haben im Prinzip nicht eine erklärende, sondern eine darstellende Form. Dabei ist die Gliederung des Bedeutungsteils nicht durch den Wortgebrauch, der semantisch zu interpretieren wäre, bestimmt, sondern mehr durch Wortbedeutungen, die auf der Grundlage von Textinterpretationen ermittelt werden, während der Wortgebrauch im Rahmen der Bedeutungsdarstellung durch pragmatische Bemerkungen berücksichtigt werden kann. Die dahinter stehenden bedeutungsgeschichtlichen Vorstellungen klingen an, wenn W. Grimm (1846 b, 513) vom DWB erwartet "darzuthun, welcher Sinn in dem Wort eingeschlossen ist, wie er immer verschieden hervorbricht, anders gerichtet, anders beleuchtet, aber nie völlig erschöpft wird [...].1,11 Wenn Henne (1985, 535) hier sinnfällig "von einer Facettentheorie historischer Bedeutung" spricht, rückt er W. Grimms Vorstellungen faktisch in die Nähe solcher der zweiten Arbeitsphase (vgl. unter 3.2.2.2.), ohne daß an eine direkte Tradition zu denken wäre. Dies alles bedürfte breiterer Fundierung. Aber es zeigt sich schon, daß W. Grimm eine Wortforschung und Lexikographie praktiziert, die nicht von sprachwissenschaftlichen Voraussetzungen, sondern von textphilologischen und semasiologischen Fragestellungen ausgeht (Sonderegger 1986, 12). J. Grimm hat dies mit seiner Bemerkung zum "wesentlichen unterschied zwischen Sprachforschung und philologie" (DWB 2, V) angemerkt. Dückert (1987, 44) hat sicher recht, wenn er meint, daß W. Grimms "Darstellungsmethode [...] besser nachvollziehbar" war als die J. Grimms, daß sie "erlernbar und insofern tradierbar" war. Aber sie w i r d nicht tradiert. Die ebenfalls philologisch orientierten Fortsetzer lernen manches aus W. Grimms Artikeln, aber sie knüpfen nicht an sein philologisches Verfahren der Ermitt11 Weber (1984, 1097) denkt hier an eine von J. Grimms Vorstellungen (s. unter 2.2.2.1.) abweichende "neue romantische Bedeutungsauffassung".
Bahr
22
lung von
Bedeutungen
als
direkten Gegenständen
der
an, sondern an J. Grimms Praxis der semantischen des darzustellenden Wortgebrauchs.
Interpretation
läuft W. Grimms
le-
xikographische Arbeit bei aller lexikographiegeschichtlichen
Be-
deutung
ins
in
der
Kontinuität
Insofern
Darstellung
der
DWB-Geschichte
weitgehend
Leere.
3. Zweite Arbeitsphase
1863-1908
3.1. Revision der Wörterbuchkonzeption Mit der Fortsetzung des DWB nach dem Tod J. Grimms 1863 wird die bisherige
ideologische
und
sprachwissenschaftliche
durch einen philologischen Rahmen ersetzt. grundlegende
Änderungen
gegenüber
der
Grundlage
Es ergeben
Praxis
sich zwei
J. Grimms
in
der
ersten Arbeitsphase.
3.1.1. Umorientierung zur deutschen Philologie An die schen
Stelle und
der
ideologischen
sprachpädagogischen
Zielsetzung
Absicht
mit
tritt
ihrer
der
politi-
Einfluß
des
Ethos und des Pathos der deutschen Philologie der zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts,
schen politischen wie aus 1974):
das
und
Erklärung
gesellschaftlichen
geschichtlichen Polarisierung
einer
Voraussetzungen
von und
Spannung
aus dem Kontext
(vgl.
zeitgenössi-
ebenso
bedarf
z.B.
Germanistik
der
engagierten
zwischen
wissenschaftlichen Leistung und der oft mit einem
übersteigerten
Nationalismus verbundenen Überschätzung
des eigenen Faches,
das
sich
Wesen
und
der
und
damit
die
deutschen
Aufgabe
stellt,
Volksart'
zu
'"das
ergründen
Selbsterkenntnis zu fördern" Überbewertung
seines
die
Geschichte
die
geschichtliche
(Conradi 1967, 47), und das aus der
Gegenstandes
politische
Interpretationen
und Wirkungsmöglichkeiten ableitet. (1) Das DWB ist in einem politisch betont national eingestellten Umfeld
ein
durchaus
nationales
Werk.
Die
Ubernimmt es als nationale Aufgabe. Die sche und völkische Haltung
deutsche
von Teilen der deutschen
(Lämmert 1967) trifft das DWB nicht in seiner keit
und
in
seinem
Erscheinungsbild
Philologie
zunehmend nationalisti-
als
Philologie
Wissenschaftlich-
ganzem
(Kochs
1967;
Periodik der Bearbeitung des DWB Kirkness in
einzelnen
Wertung In
1980, und
1 ff.)·
Wohl
aber
Wörterbuchartikeln in anderweitigen
Hildebrands
findet mit
23
sie
ihren
direkter
Publikationen
kulturgeschichtlichen
und
Niederschlag
oder
impliziter
im U m k r e i s
des
-politischen
Vorstel-
lungen, d e r e n Ziele d u r c h eine Exponierung des d e u t s c h e n unterrichts soll
in der
(von See
mit ihr dem
Schulpraxis
1984,
Breitenwirkung
249 f.), w i r d der
DWB eine
SchlUsselrolle
ich
schichte,
an
möchte
einer
culturgeschichte, sich
ideologische
die
([1869]
Motivation
tschen W ö r t e r b u c h s
unterbauung
deutschen,
die
anschickt"
sagen
gewissem
königin
"Das
J. Grimms durch
die seine
seine W i r k u n g s m ö g l i c h k e i t e n
1890,
einer
wichtigen
politischen
sinne 7).
zu
Damit
zur
Ausarbeitung
eines
ideologische
Interpreta-
Substanz nicht
beeinfluJ3t,
auf
stellt liert
Sach-,
den
Blick
über
die
Sprachwissenschaft schen
der Grammatik,
der
u n d es w i r k t seinerseits
und
schließlich
Richtung
hinaus
den
auf
Sprachwissenschaften. noch
ausdrücklich
rien der
Junggrammatiker
Wenn
sich
gegen
die
wendet,
theorieferne Praxisorientiertheit Sprachwissenschaften,
so
von
Kontakt
in
EinRich-
Das
der zu
Hildebrand
ver-
DWB
ver-
allgemeinen den
histori-
([1870]
1890,
lautphysiologischen
Theo-
setzt
durch,
Ergebnisse
Philo-
Geistesgeschichte
J. G r i m m s engeren
Textphi-
zurück. A b e r die
Sprachwissenschaft.
Distanzierung
89 Anm.)
den
zeitge-
zu nutzen,
der Philologie m i t ihrer Ö f f n u n g
Kulturin
aber
u n d sein B i l d in der Ö f -
logie u n d historische S p r a c h w i s s e n s c h a f t e n tung
deu-
färbt.
den F o r t s c h r i t t e n
in den R a h m e n
die
eine
überschätzt
lologie, der Dialektologie, ordnung
werden
wird
(2) Das DWB weiß das umfassende philologische A n g e b o t es profitiert v o n
ge-
europäischen
fentlichkeit - der gegenwärtigen v i e l l e i c h t mehr als der nössischen - einseitig
und
Wörterbuch
der W i s s e n s c h a f t e n
Hildebrand
ersetzt
tion des W ö r t e r b u c h s ,
in
der
werden
Philologie
zugewiesen:
arbeitet zugleich, es mag w o l l e n oder nicht, an ergänzung,
Sprach-
verschafft
deutschen
DWB.
sich
im ü b r i g e n
eine
in der E n t w i c k l u n g e n
der
Semasiologie
und
in der
Theorien zum Bedeutungswandel nicht diskutiert w e r d e n . 1 2 Der w i s senschaftlichen Leistung des
DWB im R a h m e n der
deutschen
Philo-
logie korrespondiert unter s p r a c h w i s s e n s c h a f t l i c h e n A s p e k t e n
ein
12 Zum Verhältnis der deutschen Philologie zu den Sprachwissenschaften im 19. Jahrhundert vgl. Schmidt 1985, 161 ff.; bes. 169; 1986 a, 106 ff.
24
Bahr
Defizit
in
der
Gesichtspunkte,
Berücksichtigung das
am
Ende
semantischer
des
und
Jahrhunderts
historischer
Gegenstand
der
Kritik wird (Burdach 1882, 674 ff. mit Kritik speziell an Lexer; Paul 1895).
3.1.2. Wortdarstellung statt Worterklärung Die Fortsetzer sind bemüht,
in der Tradition J. Grimms
zu blei-
ben, wenn sie deren Rahmen auch manchmal stark strapazieren. Andererseits
bringt
konzeptionell
es
der
bedingte
einseitige
Verfahrensweisen
oder mißverstanden werden.
mit
J. Grimms
sich,
im Vorwort
daß
vereinfacht
Das betrifft insbesondere
logische Prinzip der Worterklärung brands Bemerkung
Praxisbezug
das etymo-
(s. unter 2.2.; 2.3.). Hilde-
zum fünften Band des DWB
bestätigt
den Vollzug einer entsprechenden Revision: "Am meisten aber hätt ich auf dem herzen über die liebe etymologie [...]. Ein vorurtheil z. b. ist es gleich, wenn man vielfach noch meint, dasz s i e die hauptaufgabe der Sprachforschung sei. [...] das l e b e n eines Wortes brauchen wir für die höhern zwecke, d. h. den antheil den es an dem gesamten leben äuszerlich und innerlich hat und gehabt hat, und von diesem leben ist der ursprung nur ein endchen, das uns eher fehlen kann als sein erwachsenes dasein und wirken [...]"
(DWB 5, IX).
Damit wird die Etymologie teils
(so jetzt
auf eine einzelne
Position
richtiger zu bezeichnen als mit
des
Form-
"etymologischer
Teil") neben anderen eingeschränkt, die insgesamt über Herkunft, Bildung und Formen des
Wortes
informieren.
Die
Etymologie
liert ihre zentrale Funktion für die lexikographische des Wortes. Es entfällt die den Wörterbuchartikel de Form der Erklärung
des Wortes
seiner Gestalt
bisher prägenund seinem
brauch nach von seiner in der Etymologie verankerten lichen Basis
her.
Sie
wird
durch
die
Form
ver-
Behandlung
einer
Ge-
geschicht-
direkten
und
eher beschreibenden Darstellung des Wortes ersetzt, die einzelne erklärende Passagen nicht ausschließt. Das der
bisherigen Praxis
verständnis
bleibt,
zugrunde
unreflektiert,
liegende im
lautbezogene
Prinzip
Wort-
unverändert.
Das
Wort ist Wortkörper, dem ein Begriff als mentale, nichtsprachliche Größe
zugeordnet
zeichnungsfunktion
ist und dem
gegenüber
in dieser Verbindung eine
Gegenständen der
Realität
Be-
zukommt.
25
Periodik der Bearbeitung des DWB
Aber J. Grimms Annahme einer ursprünglichen und in der Wortgeschichte fortwirkenden Motiviertheit der Beziehung von Wort und Wortbegriff (s. das Wortmodell (4) und (5) unter 2.1.2.1.) wird nicht aufrechterhalten. Sie ist für die Fortsetzer schwer verständlich und kaum in ihre darstellende Praxis umzusetzen. Die Folge ist, daß das Wort mit seinen Formen und die mit ihm verbundenen mentalen Größen, Begriff, Vorstellung, Bedeutung, mehr in einer arbiträren Beziehung gesehen und dementsprechend in der Darstellung strenger getrennt werden.
3.2. Wörterbuchpraxis Die konzeptionellen Verschiebungen haben zur Folge, daß Formteil und Bedeutungsteil in ihrer Eigenständigkeit zunehmend konsolidiert und tendenziell strenger voneinander getrennt werden. Damit
wird
die
Entwicklung
differenzierterer
lexikographischer
Formen überhaupt eröffnet.
3.2.1. Formteil des Wörterbuchartikels Im Formteil wird eine beschreibende Darstellung der Etymologie und der Formgeschichte des Wortes angestrebt, je nach Einzelfall erweitert um Informationen zu regionalen, zeitlichen, schichtenspezifischen und anderen Einschränkungen und Besonderheiten. Die auf seinen formalen Bereich konzentrierte Behandlung des Wortes macht dessen Verständnis als eines ausdrucksseitig beschreibbaren Wortkörpers deutlich.
3.2.2. Bedeutungsteil des Wörterbuchartikels 3.2.2.1. Semantik Der Bedeutungsteil wird wie in der ersten Arbeitsphase durch ein Kontinuum von Wortverwendungen
konstituiert,
die in
ihrer Ge-
samtheit den Wortgebrauch darstellen. Die Wortverwendungen können wie bisher semantisch interpretiert werden. Aber die semantischen Interpretationen haben nicht mehr die Funktion, im lexikographischen
Kontext
den
Wortgebrauch
für
den
Wörterbuchbe-
nutzer zu erklären, sondern sie geben direkt Bedeutungen wieder,
26
Bahr
die dem Wort in jeweils einzelnen oder mehreren seiner Verwendungen zugeordnet sind. Diese Bedeutungen sind mentale Größen, Vorstellungen, die ihrerseits das Wort in seinen verschiedenen Verwendungen interpretieren und vorstellbar machen. Damit werden Bedeutungen lexikographisch darstellbar, als Größen, denen neben der sprachlichen Realität der Wortverwendungen eine eigene, eben mentale Realität zukommt, aber doch so, daß die sprachlichen Ausdrücke die Bezugsgrößen für die sie interpretierenden Bedeutungen sind. Häufiger wird jetzt mehreren Wortverwendungen eine zusammenfassende semantische Interpretation zugeordnet. Damit nehmen Hierarchisierungen in der Gliederung zu. Sie machen die Unterscheidung von WortVerwendungen und - in der Gliederung übergeordneten - Bedeutungen deutlicher als lineare Anordnungen. Das folgende, eine einfache Form der Hierarchisierung demonstrierende Beispiel zeigt auch, daß die mehrfache Wiederholung der Bezugsgröße {liebe), ähnlich wie schon in der ersten Arbeitsphase, die interpretierende Funktion der zugeordneten Bedeutung betont: LIEBE, f. amor [...]. 1) liebe, die innige Zuneigung eines wesens zu einem andern [...]. a) mit dem gegensatze hasz [...]; im gegensatze zu zorn [...]. b) mit verwandten begriffen [...]. c) liebe mit dem genitiv des subjects [...]. 2) liebe, insbesondere die innige neigung zu einer person des andern geschlechts [...]. a) entgegengesetzt ist kälte, abneigung, hasz [...]. b) verbunden sind zumal häufig liebe und treue [...]; liebe und stätigkeit [...]. c) mit dem genitiv des subjects [...]. 3) liebe, mit betonung der geschlechtlichen lust [...]. 4) liebe, neigung zu eigenschaften, gütern, besitz, beruf [...]. a) mit dem genitiv der geliebten sache [...]. b) mit präpositionen [...]. ([1880] DWB 6, 917 ff.).
Das
hier
praktizierte
Sprachverständnis
findet
eine
gewisse
theoretische Bestätigung, wenn Paul (1886, 66) in seiner Unterscheidung von usueller und okkasioneller Bedeutung unter Bedeutung den Vorstellungsinhalt
versteht, der sich mit einem Wort
verbindet bzw. der in der Kommunikation mit dem Wort verbunden wird,13 und wenn er (1895, 82) den Realitätscharakter der so verstandenen Bedeutung dadurch bestätigt, daß er neben der lautbezogenen Darstellung des Wortschatzes eine eigene Darstellung der 13 Zum Bedeutungsbegriff Pauls vgl. Henne 1987.
Periodik der Bearbeitung des DWB
27
Vorstellungsinhalte für wünschenswert, nur in der Lösung aus ihren sprachlichen Bindungen für nicht durchführbar hält.
3.2.2.2. Historizität So wie die semantische Erklärung des Wortgebrauchs im Sinne J. Grimms wird auch die genetische Erklärung der neuhochdeutschen Wortbedeutungen auf die Darstellungsebene transponiert. Der Wechsel zum beschreibend-darstellenden Wörterbuchstil ermöglicht ansatzweise die Darstellung einer Bedeutungsentwicklung, statt des erklärenden Rückgriffs auf die geschichtliche Basis also eine Darstellung der Bedeutungen in der Richtung ihrer geschichtlichen Entwicklung. Aber diese Entwicklung wird auch jetzt nicht als in der Zeit ablaufender Prozeß erfaßt. Der geschichtlichen Darstellung liegt vielmehr die Auffassung zugrunde, daß der Grundbegriff - so jetzt häufiger statt "Wortbegriff" - in den Bedeutungen wirksam ist: "LIEBE, f. [...]. die allgemeine bedeutung des wortes als des zustandes oder der handlung des lieb habens prägt sich in verschiedener weise aus" (DWB 6, 917). Der Grundbegriff wird stärker in den Bedeutungsteil eingebunden und häufiger durch Rückschluß aus den neuhochdeutschen Bedeutungen ermittelt. Seine Umschreibung oder Definition kann eine den Bedeutungsteil einleitende Position besetzen, sie kann auch mit einer Ausgangsbedeutung identifiziert werden und dann die Reihe der Bedeutungen eröffnen. Soweit der Grundbegriff im Zusammenhang mit der Etymologie oder im Anschluß an diese ermittelt wird, kann dies in der Form einer Vorgeschichte der deutschen Bedeutungsgeschichte des Wortes geschehen (z.B. GENIESΖEN 1 DWB 4,1,2, 3454 f.). In der Darstellung im Bedeutungsteil wird die Wirksamkeit des Grundbegriffs in der Richtung seiner Ausprägung und Veränderung in einzelnen Bedeutungen verfolgt, oft in der Weise, daß die Formierung differenzierter Bedeutungen als Ergebnis eines geschichtlichen Ablaufs begrifflicher Veränderungen erscheint. Es gibt viele Darstellungsvarianten. Z.B. kann der geschichtliche Ablauf begrifflicher Veränderungen stärker mit Erläuterungen zu den Bedeutungen verbunden, die Wirksamkeit des Grundbegriffs in diesen dadurch betont werden:
28
Bahr GENIESZEN, fruí, uti, vesci [...]. 2) der begriff von genieszen ist ursprünglich, viel weiter als heute, eine nutznieszung aller art [...]. 3) die anwendung auf andere Verhältnisse, um allerlei nutzen, gewinn, vortheil zu bezeichnen, war unbegrenzt, schon mhd., und reicht in nachklängen bis in die gegenwart [...]. 4) auch in anderen fällen stehen sich der heutige und der alte gebrauch noch nahe genug oder fallen zusammen, wesentlich in dem alten begriff der nutznieszung, obwol jetzt leichter mit überschlagen in den engeren begriff des genusses, als damals [...]. 5) genieszen von speise und trank, der begriff, der uns jetzt als eigentlichster im Vordergründe steht [...]. 6) in dem heutigen genieszen herrscht der begriff der lust vor, wie in dem älteren der des nutzens [...]; wir fühlen es nun als eine anwendung des vorigen gebrauches, in dem doch auch der alte begriff einer berechtigten nutznieszung eigentlich der kern ist [...]. ([1886] DWB 4,1,2, 3454 ff.).
Die Entwicklung des Grundbegriffs kann in der Großgliederung des Artikels,
die
Verwendungen
Ausprägung auf
seiner
untergeordneter
Varianten
in
Bedeutungen
Gliederungsebene
und
vorgeführt
werden : ORT, m. und n. [...]. aus der grundbedeutung 'schneide, spitze' haben sich die übrigen bedeutungen [...] entwickelt. I. die schneide, spitze, ecke. 1 ) von der schärfe und spitze der Waffen oder Werkzeuge [...]. 2) scharfe, spitze waffe, spitzes Werkzeug [...]. 3) ecke, Winkel, worin ebenfalls noch die Vorstellung des scharfen und schneidenden liegt [...]. II. der begriff spitze, ecke geht über in jenen des örtlichen oder zeitlichen anfangs- oder endpunktes [...]. III. der begriff von end- oder anfangspunkt [... ] dehnt sich schon in mhd. zeit aus zum begriffe eines festen punktes oder theiles im räume [...], wobei allerdings noch manchmal der ursprüngliche sinn von spitze, ecke und ende hindurchschimmert [...]. 1) punkt, stelle an einer fläche, an einem körper [...]. 2) raumtheil eines hauses, gemach [...]. ([1886] DWB 7, 1350 ff.).
So
wird
für
den
gesamten
Bedeutungsbereich
eines
Wortes
die
ständige Präsenz des Grundbegriffs mitgedacht. Er ist Basis und begriffliches Konzentrat einer Gesamtbedeutung, in deren Rahmen sich Einzelbedeutungen ausbilden. Die Geschichtlichkeit deutungen - als den Wortgebrauch
der Be-
interpretierende Größen menta-
ler Realität - wird durch die begriffliche Spezifizierung ihrer Ansätze und die Verfolgung die Darstellung einbezogen.
ihrer begrifflichen Veränderungen in
Periodik der Bearbeitung des DWB
29
3.3. Fazit Mit dem Wechsel vom sprachwissenschaftlich zum philologisch orientierten Wörterbuch praktiziert das DWB in der zweiten Arbeitsphase historische Lexikographie als Wortgeschichts d a r S t e l l u n g statt -erklärung. Im Vordergrund stehen neben einer oft sehr breiten Behandlung von Etymologie und Formgeschichte die Darstellung des Wortgebrauchs und seine Interpretation mit dem Ziel, im Rahmen einer dem Grundbegriff korrespondierenden Gesamtbedeutung Einzelbedeutungen zu ermitteln, die als mentale, nicht sprachliche Phänomene verstanden werden. Historizität wird nicht im Sinne eines Prozesses, sondern in dem einer Entfaltung und Veränderung des Grundbegriffs in den Bedeutungen in die Darstellung eingebracht. Der Anteil dieser Arbeitsphase am DWB, etwa die Hälfte des ganzen Werkes, stellt sich, zumindest in seiner Wirkung nach außen, trotz mancher Unterschiede im einzelnen doch in einer gewissen Einheitlichkeit dar, die ihre Grundlage vor allem in dem gemeinsamen, in der Tradition J. Grimms gewahrten Sprachverständnis und in der durchweg am Wortgebrauch orientierten Darstellungsweise haben dürfte. Aber um die Jahrhundertwende und in einer neuen Generation von Bearbeitern verliert das lautbezogene Wortverständnis an Wirksamkeit, die Handhabung der herkömmlichen lexikographischen Formen gerät außer Kontrolle, der mit der Erweiterung des Umfeldes der Wortforschung eintretende Wissenszuwachs kann nicht angemessen bewältigt werden. Hinzu kommen die Schwierigkeiten einer zeitraubenden Materialbeschaffung. Die Folgen sind zunehmende Uneinheitlichkeiten, Breite der Darstellung, Verlangsamung des Arbeitstempos, auch sachliche Unzulänglichkeiten. Der Mangel an Reflexion theoretischer Implikationen der eigenen Praxis verhindert eine Anpassung an die veränderten Verhältnisse .
4. Dritte Arbeitsphase 1908-1930 4.1. Erste Reorganisation des DWB Die dritte und vierte Arbeitsphase sind dadurch charakterisiert, daß man die am Ende der zweiten Arbeitsphase offenbar gewordenen
30
Bahr
Schwierigkeiten mithilfe organisatorischer Maßnahmen zu beheben versucht, die sowohl die institutionelle und arbeitstechnische Organisation betreffen als auch die lexikographische Praxis.Damit tritt eine organisatorische Konzeption, schrittweise entwickelt, an die Stelle der sprachwissenschaftlichen, später philologisch modifizierten Konzeption J. Grimms. Am Anfang steht die Übernahme der Leitung des DWB durch die Deutsche Kommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin unter dem Vorsitz Gustav Roethes 1908.14 Wichtigste organisatorische Folgemaßnahmen sind (überblick bei Braun 1987, 126 ff.): Verbesserte finanzielle Ausstattung, Erhöhung der Mitarbeiterzahl, Einrichtung einer Zentralsammelstelle in Göttingen, begrenzte Redaktionsbefugnis der akademischen Leitung, Maßnahmen zur Reduzierung des Artikelumfangs. Diese ersten organisatorischen Maßnahmen können den Trend zur Umfangserweiterung und zur Verlangsamung der Arbeiten nicht verhindern, sie mildern nur seine Beschleunigung. Aber diese Reform ist der erste Schritt zu der mit weiteren Maßnahmen effektiver fortgesetzten Entwicklung einer wissenschaftsorganisatorischen Konzeption, die die Arbeiten am DWB schließlich unter Kontrolle bringt und den Abschluß der Erstausgabe in geordneter Form ermöglicht.
4.2. Desorientierung der Wörterbuchpraxis In dieser dritten Arbeitsphase kelstrukturen sehr heterogen:
sind Arbeitsverfahren und ArtiZunehmende Unsicherheiten
unreflektierten Fortsetzung traditioneller Verfahren 1984 b,
423 ff.),
schaftliche
mehr
Orientierung
struktureller Änderungen
oder
weniger
einiger
deutliche
Mitarbeiter
in der Darstellung
in der
(vgl. Bahr
sprachwissen-
mit
der
Folge
(zu Wunderlich und
von Bahder vgl. Schröter 1987, 104 ff.; 113). In diesen Heterogenitäten zeichnet traditionellen
sich bei einer zunehmenden Distanz von dem
lautbezogenen
Wortverständnis
eine
Verschiebung
der lexikographischen Blickrichtung ab: Man versucht, die Anwen-
14 Dazu und zur Vorgeschichte vgl. Roethe 1913, 60 ff.; Schröter 1987, 120 f. Ein Exemplar des 1907 entworfenen Organisationsplans, der der Reorganisation von 1908 zugrunde liegt, auch in der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen: Cod. Ms. E. Schröder 1222.
Periodik der Bearbeitung des DWB
düngen des Wortes auf Gegenstände der Realität Funktionen zu verfolgen: "im besonderen weisz manches vom winde oder den winden zu erzählen; an ihm mehrere arten [...]" ( 1 WIHD II A 1 b 236).
31
als ihm eignende die spräche noch sie unterscheidet [1916] DWB 14,2,
4.3. Arthur Hübners Neuorientierung der Wörterbuchpraxis In dieser Situation vollzieht Hübner, als Schüler Roethes seit 1910 Mitarbeiter am DWB, den nächsten Schritt in der Entwicklung der organisatorischen Konzeption. Er akzeptiert die sich anbahnende Praxis, den Blick auf die Funktionen des Wortes zu richten. Aber er wendet darüber hinaus in der von ihm bearbeiteten Wortstrecke GREANDER - GRUND ([1914-1931] DWB 4,1,6, 1-751)1» organisatorische Gesichtspunkte auf den Aufbau des Wörterbuchartikels an und leitet damit eine Reform der Wörterbuchpraxis ein. Im Vordergrund steht die Behandlung des Bedeutungsteils, dem gegenüber der oft breit angelegte Formteil mehr die Funktion eines Einleitungsteils gewinnt. Es handelt sich zunächst nur um ein von der sonstigen Praxis in dieser Arbeitsphase verschiedenes spezielles Verfahren Hübners, das erst in der vierten Arbeitsphase institutionell wirksam wird.
4.3.1. Instrumentalisierung der Artikelgliederung Hübner bricht mit der Praxis, im Bedeutungsteil des Wörterbuchartikels Wortverwendungen darzustellen und ihnen semantische Interpretationen als Bedeutungen hinzuzufügen. Er nutzt statt dessen die Artikelgliederung als Instrument, die Funktionen des Wortes in seinem Gebrauch von den lexikographischen Formen her zu erfassen. Die Gliederung gibt den Interpretationen des Wortgebrauchs eine lexikographische Form, sie wird zu einem Instrument, Bedeutungen zu konstituieren und zu differenzieren und ihren geschichtlichen Zusammenhang zu konstruieren. Die Artikelgliederung ist ihm also nicht eine Form der reproduzierenden 15 Der Artikel GRUNDtiberschreitetmit dem Erscheinungsjahr 1931 zwar die Grenze dieser Arbeitsphase, da er aber zusammen mit den vorausliegenden das Forum für Hübners Reformansatz in der dritten Arbeitsphase darstellt, ziehe ich ihn hierher.
32 oder
Bahr erklärenden
Darstellung,
er, gestützt auf haltliche
und
die Interpretation
geschichtliche
dies eine intendierte ren
Äußerungen
sondern
wie
ein
Instrument,
des Belegmaterials,
Struktur
des
Wortes
lexikographische H a n d l u n g
"die
bedeutungsgeschichte
mit
dem
die
in-
aufbaut.
ist, des
Daß
signalisie-
Wortes
läszt
sich schwer aufbauen, weil [...]" (GRUND DWB 4,1,6, 669). Hübner
setzt
nicht
ein reflektiertes Wortverständnis
siologische Theorien zunächst nur, rung
durch
Bedeutungen
in
und
stand der Darstellung
der
zum
Er
Anlage
der
diesem
Wege
versucht
Artikelgliede-
direkten
Wörterbuchartikel die
zu
Effektivität
er leitet
die Bezeichnungsfunktion der
erreichen
und
damit unwillkürlich
die
tes
selbst
Größen,
sind:
nicht
sondern
Wörter
haben
stimmten B e d e u t u n g e n verwendet,
mehr m i t
Bedeutungen,
sie
Wortverständnis
S p r a c h z e i c h e n mit
einer
kommt
Ausdrucks-
die eine frühe Formulierung m a l s 1916
publizierter
der
Vorstellung und einer
in de Saussures
Zeichentheorie
vom
ver-
des W o r -
werden
bezeichnen in
das
verbin-
einem W o r t k ö r p e r
w e i l i g e n B e d e u t u n g e n Gegenstände der außersprachlichen Dieses
ein,
sprachliche Qualitäten u n d sie
zu-
Arbeit
Entwicklung
des Wortes mit einer A u f f a s s u n g
Bedeutungen
bundene mentale
Gegen-
der p r a k t i s c h e n
eines v e r ä n d e r t e n w i s s e n s c h a f t l i c h e n W o r t v e r s t ä n d n i s s e s det, n a c h
sema-
zu machen, eine konzentriertere u n d durch-
sichtigere
zu steigern. Aber
Praxis um.
Instrumentalisierung
Bedeutungsgeschichte
gleich
auf
lexikographische
die
oder
in
be-
ihren
je-
Realität.
zweiseitigen
Inhaltsseite
nahe,
(1984, 97 ff.) erst-
findet, die
keinen d i r e k t e n Einfluß auf die Wörterbuchpraxis
selbst
jedoch
gewinnt.
4.3.2. Bedeutungsteil des Wörterbuchartikels In Ü b e r e i n s t i m m u n g tionen u n d in
mit
der
Intention,
seinem geschichtlichen
struiert die A r t i k e l g l i e d e r u n g che
Struktur
des W o r t e s
die
das Wort Verlauf
inhaltliche
gewissermaßen
von
sierung der Gliederung ist die dem adäquate
in
seinen
Funk-
zu verfolgen, und
oben.
kon-
geschichtli-
Die
Hierarchi-
Darstellungsform.
Periodik der Bearbeitung des DWB
33
4.3.2.1. Inhaltliche Strukturierung Die inhaltliche Strukturierung beginnt
auf den
oberen
Gliede-
rungsebenen mit sehr allgemein gehaltenen Bedeutungsangaben, die Abgrenzungen vornehmen und oft kategorialer Art sind: GRIFF, m. [...]. II A. die thätigkeit des greifens [...]. B. die art und weise, wie man greift [...]. C. das, woran man etwas ergreift, die handhabe, der handgriff [...]. D. das, was man greift, als ungefähres masz [...]. ([1919] DWB 4,1,6, 288 ff.)
Die Bedeutungsangaben enthalten Gesichtspunkte für den Gebrauch des Wortes in jeweils einer oder mehreren seiner Verwendungsweisen16, also Gesichtspunkte, unter denen es reale Gegenstände oder Sachverhalte bezeichnet. Diese Bedeutungsangaben können über mehrere Gliederungsebenen auf niedere Stufen hinuntergeführt werden, sie leisten dann auf jeder Gliederungsebene die Abgrenzung gegen andere Bedeutungen des Wortes:17 GRUMD, m. [...]. I. grund bezeichnet die feste untere begrenzung eines dinges. A. grund von gewässern [...]. 1) am häufigsten vom meer [...]. dann von gewässern jeder art t.·.]· 2) seit alters kann grund auch den dem boden nächsten theil des gewässers bezeichnen, also 'tiefe'[...]. B. grund der hölle [...]. C. grund von hohlräumen. 1) [...] anwendung auf klüfte, felskessel u. dgl. [...]. 2) [...] anwendung auf theile des menschlichen oder thierischen körpers [...]. II. 'erdboden' [...], vielleicht zu verstehen als das unterste, die feste grundlage von allem, was sich dem auge darbietet. A. 'erdboden' im eigentlichen, materiellen sinn [...]. 1) ganz allgemein [...]. 2) [...] seiner qualität nach näher bestimmt [...]. a) nach seiner geologischen oder physikalischen beschaffenheit [...]. b) [...] unter dem gesichtspunkt der festigkeit [...]. c) als Stoffbezeichnung für 'erde' [...]. B. präpositionale Wendungen [...]. III. grund kann jeden theil der erdoberfläche bezeichnen, der tiefer liegt als seine umgebung [...]. A. in der bedeutung 'thai, Senkung' [...]. 16 Ich benutze hier diesen unverbindlicheren Ausdruck, um einem funktionellen Unterschied zu den gliederungsbestimmenden Wortverwendungen in der älteren Praxis Rechnung zu tragen. 17 Ich Ubergehe technische Regelungen, wenn z.B. grammatische oder formal bestimmte Verwendungsweisen auf der gleichen Gliederungsebene neben solchen durch semantische Angaben bestimmten angeordnet werden, etwa weil eine Zuoder Unterordnung nicht möglich erscheint (z.B. GRUND II B).
34
Bahr Β. g'rund 'abgrund' [...]. ([1931] DWB 4,1,6, 667 ff.).
Die Form der Artikelgliederung hierarchisiert also die insgesamt eine Bedeutungsangabe ausmachenden semantischen Gesichtspunkte, nicht etwa mehrere Bedeutungen untereinander. So gilt für GRUND I A, wenn man die Angaben beider Gliederungsebenen zusammenfaßt, die Bedeutungsangabe 'feste untere Begrenzung von Gewässern1, in Abgrenzung etwa von I C 'feste untere Begrenzung von Hohlräumen'. Man kann bei diesem Verfahren nicht immer angeben und es wäre falsch zu fragen, auf welcher Gliederungsebene im Einzelfall eine Bedeutung in Abgrenzung gegen eine andere einsetzt oder auf welcher Gliederungsebene Verwendungsweisen, die Anwendung des Wortes auf reale Gegenstände, angesetzt werden: etwa unter GRUND II A oder II A 1 - 3 oder II A 2 a - c? Man kann also nicht fragen, welche hierarchisch geordneten Gesichtspunkte bedeutungskonstitutiv sind. Diese Bedeutungen sind nicht quantitativ umrissene semantische Einheiten, sondern durch Gesichtspunkte für seinen Gebrauch bestimmte semantische Funktionen des Wortes, die sich in beschreibbaren Anwendungsbereichen des Wortes konkretisieren, z.B. GRUND I A 1 "am häufigsten vom meer [...]. dann von gewässern jeder art [...]." Sie werden im lexikographischen Prozeß im Wege ihrer Differenzierung konstituiert, die hierarchische Form der Gliederung ist das organisatorische Mittel dieser Prozedur.
4.3.2.2. Geschichtliche Strukturierung Bei der geschichtlichen Strukturierung geht Hübner nicht von einem mentalen Grund b e g r i f f aus, der sich nach dem Verständnis der zweiten Arbeitsphase in mental verstandenen Bedeutungen entfaltet, sondern von einer Grund b e d e u t u n g , 18 aus der sich die Einzelbedeutungen entwickeln. Der nicht nur terminologische Wechsel vom Grundbegriff zu einer Grundbedeutung markiert den Schritt vom mentalen zum sprachlichen Bedeutungsverständnis und den Beginn einer entwicklungsgeschichtlichen Behandlung der Wortbedeutungen. Damit verbindet sich die Annahme 18 Die nur oberflächliche Ähnlichkeit mit manchen Formulierungen in früheren Artikeln (vgl.ORT unter 3.2.2.2.) darf nicht über den grundsätzlichen Unterschied zu dem älteren begrifflich begründeten Wort- und Bedeutungsverständnis hinwegtäuschen.
Periodik der Bearbeitung des DWB einer grundsätzlich
möglichen
heit
historisch,
im
Prinzip
geechichtlich, kommt
den
begründet
zu, die
gebrauch die
eine
bedeutung
Darstellung
rung des W o r t e s Artikelgliederung
Polysemiebegriff
verhältnismäßig einschließt,
verschiedenen
H ü b n e r die
seiner
große daß
die
als Entwicklung
w i r d wie
jede
interpretativ
rierung einer
bestimmten
Erwägungen
Sprach"grund
richtungen
aus seiner
andere
Bedeutung die
an die
der hin
Strukturie-
inhaltliche.
Differenzierung
der
Die
Bedeutun-
Grundbedeutung.
Bedeutung
ermittelt.
und
Eigen-
im
geht:
geschichtliche
Bedeutungen
Substanz nach mologische
diesem
bedeutungs-
713).
konstruiert
gen eines W o r t e s Grundbedeutung
bindet
und
und
Ein-
sich unter v ö l l i g e m v e r b l a s s e n
nach
[...]" (GRUND IV Β DWB 4,1,6, In der
dessen
zur G r u n d b e d e u t u n g v e r l o r e n
'fundament, basis' entwickelt ursprünglichen
Unter
die Möglichkeit
Beziehung
des W o r t e s ,
etymologisch
ist.
Einzelbedeutungen
ständigkeit
Polysemie
35
des W o r t e s
M a ß g e b e n d für
die
als G r u n d b e d e u t u n g
Beurteilung
der
Die
ihrer Dekla-
sind
ety-
Bedeutungsge-
schichte des deutschen Wortes: GROSZ, adj. [...]. das adj. ist rein westgerm. [...]. die vorform. germ. *grauta- ist mit hoher Wahrscheinlichkeit etymologisch zu germ, greuta-, ahd. grioz zu stellen [...]; grundbedeutung also 'grobkörnig' [...]; auf sie führt auch die entwicklungsgeschichte des deutschen adj. [...]. I Α. Vorstufen der hauptbedeutung. 1) das genetisch älteste steckt in der bedeutung 'grobkörnig' [...]. ([1922] DWB 4,1,6, 457). Die Darstellung
im Bedeutungsteil
tungsentwicklungen Entwicklungen schichte aus
der
des
werden
Wortes
gelegentlich
rekonstruiert,
eine
etymologischen
J. Grimms, w i r d nicht Die
hierarchische
in
darstellbaren
schen Funktionen
im
beschränkt sich auf die BedeuDeutschen, im
Formteil
Ableitung
Basis
des
voralthochdeutsche
der
knapp
als
Wortes,
etwa
im
Gliederung
bringt
Anwendungsbereichen
die
Bedeutungen
- also
konkretisierten die
der
Dichte
einer
in eine
Einzelbedeutun-
lung. Kriterien für die geschichtliche S t r u k t u r i e r u n g und
die
semanti-
(s. unter 4.3.2.1.) - nach M ö g l i c h k e i t
gen in sich unter G e s i c h t s p u n k t e n ihrer g e s c h i c h t l i c h e n Chronologie
Sinne
angestrebt.
geschichtliche Ordnung, u n d sie strukturiert
der
Vorge-
Bedeutungsgeschichte
Belegung
Entwick-
sind
neben
herkömmliche
36
Bahr
Axiome
wie
die
der
und Übertragung kultur-,
Entwicklung
und
aus
der
sprachgeschichtlicher
de z e i t l i c h e
vom
Sinnlichen
Beurteilung oder
von
zur
Abstraktion
Daten
dialektaler
z.B.
Art
sach-,
resultieren-
Relationen:
GROB, adj. [ . . . ] . A. grundbedeutung: uneben, rauh [ . . . ] . 1) zunächst ganz sinnlich [ . . . ] ; der abstractere gebrauch im sinne 'rauh, wild' dagegen wesentlich im älteren nhd. [ . . . ] ; ganz vom sinnlichen ausgangspunkt gelöst [ . . . ] . B. nicht minder alt [ · · · ] i s t grob als quantitätsbegriff 'dick, stark, umfangreich, grosz' [ . . . ] . 1) im eigentlichen dinglichen gebrauch [ . . . ] . 2) seit alters auch, auf unsinnliches bezogen, als inconcretes masz. a) 'grosz' schlechthin [ . . . ] . b) daneben frühzeitig als intensitätsbegriff [ . . . ] , offenbar unter einflusz der grundbedeutung A [ . . . ] . C. andere gebrauchsweisen haben das gemein, dasz bei ihnen der maszbegriff mehr oder weniger umgewandelt i s t in einen wertbegriff. 1) aus 'dick, stark' wird ' f e s t , gut' [ . . . ] . D. in andern fällen wird grob vom quantitätsbegriff 'dick' zum consistenzbegriff ' d i c h t ' ; [ . . . ] nur in einigen gebrauchsweisen, die eine herleitung aus der bedeutung ' d i c k t h e i l i g ' (Β 1 a) nahelegen [ . . . ] . F. [ . . . ] anwendung auf die äuszere gebarung [ . . . ] des menschen [ . . . ] . 5) [ . . . ] erst seit dem nhd., für die roheit in bezug auf anstand und s i t t e ; [ . . . ] mit einem starken positiven gehalt, der sich nur unmittelbar aus der bedeutung 'rauh' herleiten kann [ . . . ] . 6) endlich die anwendung auf die sinnesart, die die grundbedeutung A am reinsten zeigt [ . . . ] . ([1922] DWB 4,1,6, 387 f f . ) . Die
Einzelbedeutungen
werden
Grundbedeutung
hergeleitet
abgeleitet
C 1;
terne
(C;
Entwicklung
struiert
primär
Bedeutungen. der
Zeit,
durch d i e
D),
Deren
als
Prozeß,
erkennbar
kelgliedergung dernden
Text
gemacht, kann
Darstellung
äquat d a r s t e l l e n
wird
und
die
F 6)
oder
Die
Struktur
des
Struktur der
gleichzeitig
als
22
wird als
von
der
f.).
seiner in
Anordnung herstellen-
eingebracht,
dargestellt.
mit
und
inkon-
Entwicklung
Beziehungen
Bedeutungsgeschichte
(Schmidt 1986 b ,
der
auseinander
Wortes
Kombination
direkt
aus
Artikelgliederung
in d i e s e K o n s t r u k t i o n aber
direkt
Geschichtlichkeit
geschichtliche
nicht
nicht
in
weniger
F 5;
(Al).
geschichtliche
dem l e x i k o g r a p h i s c h e m ihr
oder i h r e
inhaltliche
Gliederung
oder
(B 2 b;
vorgeführt
die
mehr
in
Die
Arti-
inhaltlich
glie-
eines
Wortes
ad-
Periodik der Bearbeitung des DWB
37
4.4. Fazit Mit der dritten Arbeitsphase beginnt die Einleitung organisatorischer Regelungen, die die sich nicht mehr selbst tragende Wörterbucharbeit unter Kontrolle bringen. Hübner begründet mit seinem Anteil an den Artikeln dieser Arbeitsphase die Entwicklung einer praktischen Konzeption derart, daß er die Artikelgliederung zu einem Instrument der Konstituierung und der inhaltlichen und geschichtlichen Strukturierung von Bedeutungen macht. Bedeutungen sind nicht mehr mentale Größen, sondern sprachliche Qualitäten des Wortes. Sie werden noch nicht als quantitativ abgrenzbare Einheiten, sondern als sich in beschreibbaren Anwendungsbereichen des Wortes konkretisierende semantische Funktionen behandelt. Unter der Praktizierung lexikographischer Formen wird die Entwicklung eines Wortverständnisses eingeleitet, das die Bezeichnungsfunktion des Wortes mit einer Auffassung verbindet, die der Vorstellung vom zweiseitigen Sprachzeichen mit einer Ausdrucks- und einer Inhaltsseite nahekommt, und das Wörter und ihre Bedeutungen als Subjekte einer in der Zeit verlaufenden geschichtlichen Entwicklung sieht. Dabei tritt die Berücksichtigung von Aspekten einer Begrifflichkeit, wie sie in Semantiktheorien mit dem Wort verbunden wird, zurück.
5. Vierte Arbeitsphase 1930-1960 5.1. Zweite Reorganisation des DWB Zwei weitere organisatorische Maßnahmen leiten die letzte Arbeitsphase ein (Diepers 1930; Hübner 1940, 37 ff.). Sie bestimmen Arbeitsorganisation, -planung und -verfahren bis zum Abschluß des DWB (Überblick bei Braun 1987, 132 ff.).
5.1.1. Institutionalisierung der Arbeiten 1930 wird an der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin eine zunächst unter der akademischen Leitung Arthur Hübners stehende Arbeitsstelle
mit hauptberuflich
tätigen Mitarbeitern
eingerichtet, neben der zunächst noch mehrere freie Mitarbeiter tätig sind,
1947
eine
zweite Arbeitsstelle
1950 unter der akademischen
in
Göttingen, die
Leitung Hans Neumanns der wissen-
Bahr
38
schaftlichen Aufsicht der Akademie der Wissenschaften in Göttingen unterstellt und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wird.
5.1.2. Arbeitsrichtlinien Hübners in der dritten Arbeitsphase praktiziertes Verfahren (s. 4.3.) und andere Erfahrungen aus dem DWB werden 1930/1932 in die schriftliche
Form
(Richtlinien 1932).
von 19
Anleitungen
für
die
Praxis
umgesetzt
Die Richtlinien sind ein Steuerungsinstru-
ment für die praktischen Arbeiten. Sie regeln, teils durch Anweisungen, teils durch Empfehlungen, Anlage und Aufbau der Wörterbuchartikel nach Form, Inhalt und Technik. Nach dem Vorgang Hübners sind
Bedeutungen der
zentrale Gegenstand
des Artikels.
Im Bedeutungsteil "wird die Darlegung versuchen, von der ältesten bezeugten oder erschlieszbaren Bedeutung auszugehen und ihre Entwicklung und Verzweigung durch die Jahrhunderte zu verfolgen, doch so, dasz der Schwerpunkt innerhalb der neuhochdeutschen Periode liegt. Das geschichtliche Wachsen (und Vergehen) von Bedeutung und Gebrauch eines Wortes, womöglich mit seinen Gründen deutlich zu machen, ist das ideale Ziel" (Richtlinien 1932, 15).
Bedeutungen sind ein Produkt des lexikographischen Prozesses: "Für die H a u p t t e i l u n g ist grundsätzlich der Inhalt, d. h. die Bedeutung des Wortes maszgebend. Bei ihrer Feststellung soll man sich bemühen, die Hauptgruppen der Bedeutung möglichst scharf umrissen festzulegen und voneinander abzuheben. Man vermeide es, allzuviel Einzelbedeutungen als nebeneinander bestehend anzusetzen" (Richtlinien 1932, 16).
In einem Punkt leiten die Richtlinien eine Weiterentwicklung der Intentionen Hübners ein. Hübner hatte versucht, des Wortes
in seinem
Gebrauch mit
die Funktionen
dem Instrument
der Artikel-
gliederung von den lexikographischen Formen her zu erfassen, auf diesem Wege Bedeutungen zu konstituieren und die interne Struktur des Wortes und seiner Bedeutungen durch die Hierarchisierung semantischer Gesichtspunkte für die Anwendung des Wortes zu konstruieren. Die Formulierungen der Richtlinien lassen die Inter19 Die Richtlinien wurden von Peter Diepers, dem Leiter der Arbeiten in der Berliner Arbeitsstelle 1930 bis 1945, verfaßt. Mir ist unbekannt, wieweit Hübner Einfluß auf die Abfassung genommen hat, aber an seinem Einverständnis ist nicht zu zweifeln.
Periodik der Bearbeitung des DWB
39
pretation zu, daß die hierarchische Form der Artikelgliederung nicht Bedeutungen strukturierende Gesichtspunkte hierarchisiert, sondern daß sie Bedeutungen selbst ordnet, je nach Einzelfall mehr unter semantischen, systematischen oder historischen Gesichtspunkten. Vom Ansatz Hübners her gesehen entsprechen diese Bedeutungen in etwa den Anwendungsbereichen des Wortes, in denen sich seine semantischen Funktionen konkretisieren (s. unter 4.3.2.1.), nicht aber mehr diesen Funktionen selbst. Diese Bedeutungen sind flächenhaft vorstellbar, sie werden als umgrenzbare semantische Einheiten behandelt, die sich mit abgrenzbaren realen Gegenständen, Sachverhalten usw. decken. Die Richtlinien wirken sich in der Praxis dahingehend aus, daß die Artikelgliederung jetzt weniger als ein Instrument zur Konstituierung und Strukturierung von Bedeutungen gehandhabt wird, als als eine Form der reproduzierenden Darstellung des in Bedeutungen gegliederten Wortinhalts, wobei der Akzent teils mehr auf der Zergliederung einer Gesamtbedeutung, teils mehr auf der Ermittlung von Einzelbedeutungen liegen kann. Die Bestimmung und Abgrenzung der Bedeutungen und damit ihre Konstitution im lexikographischen Prozeß erfolgt, oft in Verbindung mit Sacherklärungen im weitesten Sinne, auf dem Wege über die Textinterpretation. Hier wirkt sich der Einfluß der Hermeneutik aus. Das könnte erklären, daß die Textinterpretation perfekter beherrscht wird als die interpretierende Isolierung eines Wortes in seinem Text. Jedenfalls vertraut der Lexikograph auf die Fähigkeit, die Bedeutungen, die ein Wort in seinen methodisch sicherer zu interpretierenden Texten - auch in historischen Texten - hat, unmittelbar zu verstehen (Bahr 1984 a, 500; 1984 b, 435 ff.). Hier erreicht die organisatorische Konzeption der dritten und vierten Arbeitsphase die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit. Die Richtlinien regeln die lexikographische Darstellungsweise. Sie können von diesem organisatorischen Ansatz aus keine Anleitung dafür geben, wie die ausdrücklich zum Gegenstand der Darstellung erklärten Bedeutungen, so wie sie jetzt vorgestellt werden, als solche zu erkennen oder interpretativ zu ermitteln sind. Sie können über die Flächenvorstellung hinaus keine lexikalische Größe "Wortbedeutung" bereitstellen, an der sich die Darstellung
Bahr
40 in der Vielzahl
ihrer Einzelfälle
einseitig die Darstellungsweise Praxis provozieren lung
eines
auf
die
Richtlinien
individuell
das
Praxis
die
berücksichtigenden
Sprachkompetenz
gestützten, auf
Darstellungstypen
orientieren könnte. die
und und
ihrer
Steuerung
unterschwellige
der
Entwick-
lexikographische
variierenden
zurückwirkt
Mit
Erfahrung
Bedeutungsverständnisses,
zur Ausbildung
variierender
beiträgt.
5.2. Wörterbuchpraxis 5.2.1.
Wortbedeutungen
Allenthalben zu
ist
in den
großflächiger
die
über
mehrere
standen w e r d e n
Artikeln
Darstellung
der
Gliederungsebenen
und
denen
Schlußphase
semantischer
in der
hinweg
das
Einheiten als
Bestreben erkennbar,
Bedeutungen
"Unterteilung"
ver-
semantische
Va-
rianten und grammatisch bestimmte, oft semantisch relevante wendungsweisen
ein- oder
untergeordnet
werden,
wobei
heiten des Gebrauchs nach wie vor auch auf hoher ne
nebengeordnet
schiedenheit
werden
der
reflektierter)
Einstellung
Sprache u n d Realität zeichnenden diesem
können.
Demgegenüber
Darstellungstypen und
auf
Ich
bringe
den
Gliederungsebe-
beruht
die
unterschiedlicher
des Lexikographen
unterschiedlichen
Verhältnis.
auf
lexikogaphischen Beispiele
Ver(kaum
zum Verhältnis
in A r t i k e l s t r u k t u r e n
drei
Ver-
Besonder-
von
sich
ab-
Zugangsweisen variierender
zu
Dar-
stellungstypen . Im
ersten
Fall
gibt
die
Darstellung
gleich mit dem Realitätsausschnitt nen
Bezeichnungsfunktionen
abdeckt.
den
Wortinhalt
deckungs-
wieder, den das Wort Sie
beschreibt
den
in seiWortin-
halt wie eine Sache, wie einen komplexen Gegenstand in einer vom Allgemeinen zum Besonderen untergliedernden
Systematik:
TRITT, m. [...]. I. 'das treten, die tretbewegung des fuszes' [...]. Ä. tritt als 'das treten' [...]. 1) das treten von oben nach unten, das aufsetzen des fuszes auf den boden [...]. 2) bewegung des fuszes nach der seite [...]. B. tritt als bewegung der füsze beim gehen, 'der schritt, das schreiten, das gehen' [...]. 1) tritt als einzelne bewegung nach vorwärts, 'der schritt' [...]. a) zunächst der schritt beim gehen [...]. b) tritt als der schritt beim tanz [...].
Periodik der Bearbeitung des DWB
41
2) tritt als f o r t d a u e r n d e bewegung 'das gehen, das schreiten' [...]. II. verdinglicht bedeutet tritt [...] das worauf man tritt, womit man tritt, was als folge des trittes zurückbleibt [...]. ([1936] DWB 11,1,2, 660 ff.).
Charakteristischer für die großen Artikel der Schlußphase ist die Art, wie das Interpretationsprinzip genutzt wird. Die Bedeutungen können vorrangig durch zergliedernde Interpretation des Wortgebrauchs gewonnen werden: WORT, n. [...]. I. [...] als zusammenfassender begriff für eine mündliche (oder schriftliche [...]) äuszerung, die aus einer gruppe von einzelwörtern (s. II) besteht und einen geistigen sinnzusammenhang darstellt [...]. A. s i n g u l a r i s c h [...] im hinblick auf eine bestimmte kurze [...] aussage [...]. 1) für eine wörtliche aussage, insbesondere eine geprägte äuszerung. a) allgemein [...]. b) ein bedeutsamer ausspruch [...]. 2) von der Vorstellung des wörtlich geprägten aus nimmt wort [...] in speziellen [...] anwendungen eine bestimmte begriffliche, inhaltliche färbung an. a) 'Sprichwort' [...]. b) [...] 'sinnspruch, leitspruch, devise' [...]. Β. p l u r a l i s c h e s (die) ιtorte wie singularisches wort unter A auf eine bestimmte aussage bezogen [...]. bei aller nähe der berührung führt diese anwendung dem gebrauch A gegenüber durchaus ein sprachliches eigenleben [...]. D. in der loslösung von einer bestimmten, begrenzten einzelaussage gewinnt wort einen deutlich verbalen gehalt und bezeichnet das reden, das sprechen als akt oder Vorgang [...]. F. [...] eine prägnante anwendung von wort, die sich [...] zu der speziellen bedeutung 'versprechen, zusicherung, Versicherung' verselbständigt, sie umgreift dabei sowohl im sinne von A ein im einzelnen fall gegebenes bestimmtes wort des Versprechens wie das grundsätzlich verläszliche oder glaubwürdige sprechen eines menschen in jedem fall, entsprechend D [...]. II. wort als einzelnes, selbständiges, isolierbares lautgebilde betimmter bedeutung [...]. ([1951] DWB 14,2, 1467 ff.).
Hier werden die Beziehungen des Wortes auf die von ihm bezeichneten Objekte als Bedeutungen ausführlich erklärt (I; I F ) , die Vorstellungen, unter denen das Wort auf Objekte bezogen wird, können in die Bedeutungserklärung einbezogen werden (I A 2; ID). So werden über die Interpretation des Belegmaterials hinaus Bedeutungen selbst im Hinblick auf die Gesichtspunkte interpretiert, unter denen das Wort gebraucht werden kann.20 Dazu
20 Im Unterschied zu Hübners Praxis (s. unter 4.3.2.1.) sind diese Gesichtspunkte für den Wortgebrauch nicht konstitutive Elemente der durch die Ar-
42
Bahr
gehört, daß die grammatischen Klassifizierungen unter I A und Β ihren Stellenwert in den beiden Gliederungsabschnitten nur durch ihre in der Untergliederung fortgeführte Interpretation gewinnen. Artikel dieses Typs einer "verstehenden" Interpretation vermitteln in besonderem Maße den Eindruck einer objektiven Wiedergabe sprachlicher Realitäten. In anderen Fällen reproduziert die Artikelgliederung durch Interpretation gewonnene Bedeutungen, die ihrerseits Realitäten produzieren. Der durch die Bezeichnungsfunktion eines Wortes abgedeckte Realitätsbereich wird durch die Differenzierung der Bedeutungen gegliedert. Es ist vielleicht kein Zufall, daß bei dieser Darstellungsweise Bedeutungserklärungen in sich und in ihrer abgrenzenden Absicht häufiger als sonst erst durch Belegbeispiele verständlich werden: GLAUBEN, vb. [...]. I. als religiöser begriff [...]. II. im bereich des profanen lebens, auf ein ausdrücklich genanntes persönliches oder sachliches Objekt bezogen, dessen besondere eigenschaften im glaubenden ein gefiihl des Vertrauens hervorrufen [...]. A. in der zufrühest [...] bezeugten profanen bedeutung richtet sich das vertrauen auf die Wahrhaftigkeit, aufrichtigkeit einer person und zugleich auf die Wahrheit, glaubwürdigkeit ihrer aussage, lehre u. dgl. 1) [. .. ] wer einmal lügt, dem glaubt man nicht [...]. B. einer person oder sache 'vertrauen', auch 'etwas anvertrauen' [·.·]. III.
das glauben entspringt dem subjektiven urteil [...]. A. eine sache mit dem gefühl der inneren gewiszheit 'für wahr halten', aber aus subjektiven gründen, ohne die zum wissen nötige erkenntnis- und erfahrungsmöglichkeit [...]. 3) [...] man sol nicht an die träume glauben [...]. D. für ein auch subjektiv nicht sicheres, mehr oder weniger mit dem bewusztsein der irrtumsmöglichkeit behaftetes meinen [...]. ([1939] DWB 4,1,4, 7819 ff.).
Im Unterschied zum zweiten Typ werden hier nicht die Bedeutungen weiter interpretiert und erklärt, sondern die durch die Gliederung nach Bedeutungen gewonnenen realen Objekte werden durch die Form der Bedeutungserklärung analysiert und interpretiert (II A; III; III A).21 Es liegt nahe, hier an eine sprachliche Gliederung und Deutung von Wirklichkeit
zu denken und eine Parallele zur
tikelgliederung strukturierten semantischen Funktionen, sondern Elemente der Bedeutungserklärung. 21 Für den lexikographischen Zugriff auf dieserart produzierte reale Objekte ist es unerheblich, daß oder ob diese Objekte unter erkenntnistheoretischem Aspekt einer mentalen, begrifflichen Repräsentation bedürfen.
Periodik der Bearbeitung des DWB
43
zeitgenössischen Sprachinhaltsforschung zu ziehen, die Sprache als geistige Gestaltung von Welt versteht. Aber auch hier ist nicht mit einem direkten Einfluß zu rechnen.
5.2.2. Historizität Die Behandlung geschichtlicher Zusammenhänge und Entwicklungen entspricht im großen und ganzen Hübners Verfahren (s. unter 4.3.2.2.). Der Grundbedeutung wird vor allem anfangs verstärkt Beachtung geschenkt. Ihre Beziehung zu einer Wurzelbedeutung kann ebenso angesprochen werden wie ihr Stellenwert in einer rekonstruierten Geschichte voralthochdeutscher Wortbedeutungen. Die lexikalische Größe "Wort" gewinnt so eine über eine Einzelsprache, hier das Deutsche, hinausgehende historische Dimension. Die tatsächliche lexikographische Darstellung aber bleibt auf den deutschen Zeitraum beschränkt, sie erfährt nur, betonter als bei Hübner, eine Ergänzung nach rückwärts, die die Geschichte des Wortes im Deutschen verständlich machen, nicht aber als ihre Ableitungsbasis in die Darstellung einbezogen werden soll.22 In der zweiten Hälfte dieser Arbeitsphase wird in der Rekonstruktion vorliterarischer Zusammenhänge größere Zurückhaltung geübt. In der Darstellung der Bedeutungen wird die Bedeutungsentwicklung durch Anordnung in der Gliederung oder durch lexikographischen Text nach Möglichkeit erkennbar gemacht. Eine adäquate Wiedergabe der Bedeutungsgeschichte durch die Artikelgliederung kann von diesem Ansatz aus nicht erreicht werden. Im letzten Bearbeitungsjahrzehnt gibt es vereinzelte Versuche einer Annäherung an dieses Problem, indem die hierarchische Artikelgliederung als Form direkter Darstellung historischer Strukturen gehandhabt wird, z.B. STRENG ([1957] DWB 10,3, 1403 ff.; vgl. Bahr 1984 b, 449 ff.), GRADSAM ([1958] DWB 4,1,5, 2187 ff.; vgl. Schmidt 1986 b, 16 ff.). Häufiger begegnet man dem Manko, Bedeutungsgeschichte nicht unmittelbar darstellen zu können, dadurch, daß man in einer Einleitung des Bedeutungsteils die Wortge-
22 Im Blick auf Pauls Deutsches Wörterbuch betont Objartel (1987, 93; 109 Anm. 13) mit Recht den Unterschied zwischen einer etymologisch erschlossenen Grundbedeutung und ihrem Status als Ausgangsbedeutung für die Bedeutungen in den literarischen Stadien einer Wortgeschichte.
44
Bahr
schichte in einem knappen Abriß vorführt, z.B. GUT 4,1,6, 1227 f.), TREU
([1934] DWB
([1934] DWB 11,1,2, 247 f.), WELT ([1954]
DWB 14,1,1, 1459).
5.3. Fazit In der vierten Arbeitsphase wird die organisatorische Konzeption mit der Institutionalisierung der Arbeiten und der Steuerung der Praxis durch Arbeitsrichtlinien
fortgeführt.
Hübners Verfahren,
das Wort in seiner Funktionalität zu erfassen, wird in die Praktizierung einer Darstellungsweise überführt, die den
in inter-
pretativ ermittelte Bedeutungen gegliederten Wortinhalt reproduzierend wiedergibt. Bedeutungen werden als umgrenzbare sprachliche Einheiten spondieren,
behandelt, die
wobei
einzelne
Ausschnitten
der
Darstellungstypen
Realität
korre-
unterschiedliche
Auffassungen des Verhältnisses von Sprache, Wort, Bedeutung zur Realität reflektieren. Die geschichtliche Struktur eines Wortes und seiner Bedeutungen wird in der Darstellung nach Möglichkeit erkennbar gemacht, rekt
die
aber der Wörterbuchartikel
Bedeutungsgeschichte
des
Wortes
stellt
dar.
Was
nicht diObjartel
(1987, 93) für Pauls Deutsches Wörterbuch feststellt, gilt auch für das DWB: Es ist trotz konzeptioneller Änderungen und strikterer Historisierung auch in seiner Schlußphase kein bedeutungsgeschichtliches Wörterbuch, sondern ein historisches Bedeutungswörterbuch .
Periodik der Bearbeitung des DffB
45
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46
Bahr
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In: Wilhelm
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Periodik der Bearbeitung des Df/B
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48
Bahr
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50
Bahr
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ULRICH PÜSCHEL Zwischen Erörterung und Ergebnisdarstellung Zu Wörterbuchstilen im Deutschen Wörterbuch
0. Abstracts 1. Zur Fragestellung 2. Stilistik und Lexikographie 2.1. Wörterbuchtexte - Wörterbuchsorten 2.2. Wörterbuchstile 2.3. Textanalyse und Stilanalyse 3. Textsortenstile im DWB 3.1. Das DWB: Nachschlagewerk - Lesebuch 3.2. Stile im DWB - Uneinheitlichkeit als Voraussetzung 3.2.1 Das DWB als Werk vieler 3.2.2. Die Bearbeiter: Von Anfängern zu Meistern 3.2.3. "Natürlicher Tact" statt Systematik 4. Jacob Grimms Abhandlungsstil und persönlicher Stil 4.1. Abhandeln 4.1.1. Abhandeln durch Erörtern 4.1.2. Abhandeln durch Entfalten 4.1.3. Artikelübergreifendes Abhandeln 4.2. Persönlicher Stil: Selbstdarstellung und Leseransprache 5. Stilistisches bei anderen Bearbeitern des DWB 5.1. Abhandeln 5.1.1. Weniger Erörtern, mehr Darlegen 5.1.2. Entfalten und Auflisten 5.2. Sachlicher Stil: Nüchterne Neutralität statt Persönlichem 6. Nachschlagen und Lesen im DWB 7. Literatur
0. Abstracts In general, dictionaries have a uniform style. But the "Deutsches Wörterbuch" (DWB) by Jacob Grimm and Wilhelm Grimm is an exception to this rule. The present article first offers reasons for this lack of uniformity and its stylistic consequences. A number of different dictionary styles are then identified within the DWB. The focus of interest is Jacob Grimm's own style, which is characterized by discursiveness and a very personalized approach. Jacob Grimm conducts a scholarly discourse, such as we are familiar with from academic correspondence or university seminars. The other contributors to the DWB retain a more normal dictionary style, restricting themselves to presenting the results of lexicographical research in an objective and impersonal manner.Le style d'un dictionnaire est généralement uniforme. Ce n'est pas le cas dans le "Deutsches Wörterbuch" (DWB) de Jacob Grimm et Wilhelm Grimm. Cette contribution expose tout d'abord quelques unes des raisons de ce manque d'unité et ses consequences sur le style du dictionnaire. On distingue en-
52
Püschel
suite plusieurs styles lexicographiques au sein du DWB. L'intérêt se concentre sur le style de Jacob Grimm, caractérisé par un traitement discursive des entrée et une prise de position personnelle. Jacob Grimm tient un discours scientifique qui rappelle le ton des correspondances entre érudits ou des séminaires académiques. Les autres auteurs du DWB sont plus conformes à la tradition lexicographique; ils se contentent de présenter les résultats de la recherche et ce de façon neutre et impersonnelle.
1. Zur Fragestellung Die Literatur helm Grimm
zum D e u t s c h e n W ö r t e r b u c h v o n J a c o b Grimm
(DWB)
ist außerordentlich u m f a n g r e i c h u n d vielfältig.
Doch
überraschenderweise
sich
detaillierter
d. h. mit der
mit
finden dem
Untersuchungen, im
DWB
so
lassen
in d e n w e i t e r e n
sich Hinweise
Darlegungen Arbeiten:
gestaltet
sind u n d
auf
Sieht m a n jedoch
Stilistisches
das DWB entdecken; v i e l e s
m a t i s c h mit Wörterbuchstil jüngere
die
beschäftigen,
für die Verfasser, für d e n ausgebrei-
die Benutzer bedeutet.
den ersten Ä u ß e r u n g e n über
einige
kaum
Frage, w i e die Wörterbuchtexte
teten Stoff u n d für hin,
sich
Wörterbuchstil
w a s die Art der Gestaltung nauer
und Wil-
aufgenommen werden.
Joachim
Bahr
mit
schon
in
davon wird
Wirklich
im DWB beschäftigen sich
ge-
syste-
jedoch
erst
Studie
"Das
Stationen
sei-
seiner
Deutsche W ö r t e r b u c h v o n
Jacob u n d Wilhelm Grimm.
ner inneren Geschichte"
(Bahr 1984); die m e i s t e n Beiträge in dem
von
Joachim
Wörterbuch. (Dückert
Dückert
herausgegebenen
Untersuchungen
1987),
die
DWB widmen; Herbert J a c o b Grimms"
sich
den
Das
1986);
"Das
lexikographischen einzelnen dazu
Wörterbuch
kommt
von
Grimmsche
Methodologie"
Bearbeitungsphasen
Ernst W i e g a n d mit "Der
(Wiegand
"Wörterbuchstile:
zur
Sammelband
frühe
noch Wiegand
Jacob
des
Wörterbuchstil
Grimm
und
1989
mit
Wilhelm
G r i m m u n d seine Neubearbeitung im Vergleich". Nur W i e g a n d s Titel;
Beiträge
tragen
dennoch b e s c h ä f t i g e n
b e i t e n mit Stil(en) graphischer leitende
Stichwort
'Wörterbuchstil 1
sich a u c h die a n d e r e n
genannten
im DWB - gleichgültig ob dabei v o n
Methodologie"
des Wörterbuchs"
das
(Dückert
(Bahr 1984)
1987)
oder
die Rede ist. D e n n
Interesse richtet sich
von das
im Ar-
"lexiko-
"Einrichtung erkenntnis-
in diesen B e i t r ä g e n auf
die G e -
staltungsmuster, n a c h d e n e n das DWB gemacht ist. A l l e r d i n g s schöpfen
diese
Studien
das Thema
'Wörterbuchstile
DWB' nicht a n n ä h e r n d aus, wie auch die hier v o r g e l e g t e
im
Untersu-
Wörterbuchstile im DUB
53
chung dies nicht leisten kann. Denn der Sprachstil ist eine hoch komplexe, wenn nicht chaotische Angelegenheit (Sandig 1986; Püschel 1988). Dementsprechend ist ein Wörterbuchstil keineswegs umfassend beschrieben, wenn einige charakteristische Züge dargelegt werden. Umgekehrt stellt sich jedoch die Frage, ob es nützlich und interessant sein kann, das "Chamäleon Stil" (Sandig 1986, 3, 325) exhaustiv erfassen zu wollen. Abgesehen von Aufwand und Schwierigkeiten einer exhaustiven Analyse, erscheint es grundsätzlich sinnvoll und legitim, in der Stilanalyse bei solchen Aspekten und Facetten anzusetzen, die unsere besondere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Für einen Benutzer des DWB können das beispielsweise die unübersehbaren Unterschiede zwischen den Wörterbuchtexten der verschiedenen Bearbeiter sein; außerdem die Erfahrung, daß die Texte in vieler Hinsicht nicht den Erwartungen entsprechen, die wir heute gewöhnlich an Wörterbuchtexte haben. Genau diese Erfahrung läßt sich mit der plakativen Formel umreißen: Der Wörterbuchstil des DWB bewegt sich zwischen Erörterung und Ergebnisdarstellung. "Knapp und sicher" nennt Wolfgang Pfeifer Jacob Grimms Wörterbuchstil, und von den Ausführungen zur Etymologie sagt er: Da wird der Ton gelegentlich verbindlich, manchmal gar erzählend, direkt an den Leser gerichtet, mit dem er ja rechnet. (Pfeifer 1963, 20)
Das ist für uns, die wir Wörterbücher in der Regel als staubtrockene Angelegenheit kennen, in der Tat überraschend: Jacob Grimm ist nicht nur ein Lexikograph, der uns etwas über die Wörter sagt, sondern er spricht uns auch als Benutzer des Wörterbuchs an; wir als Benutzer finden uns im Text wieder. Diesem "persönlichen Stil" entspricht auch, daß sich der Lexikograph Jacob Grimm ebenfalls nicht in die Anonymität hinter den Text zurückzieht, sondern sich als Autor und Person zeigt. Das geht zum Teil so weit, daß das Wörterbuch - obwohl ein Medium der Einwegkommunikation - dialogische Züge bekommt.1 Dazu kommt noch die besondere Art, wie Jacob Grimm über die Wörter redet, d. h. die lexikographischen Informationen präsentiert. Er schreibt nämlich häufig kleine, in sich geschlossene Abhandlungen und
1
Zu dialogischen Merkmalen in der Einwegkommunikation am betexten vgl. Cherubim 1984.
Beispiel von Wer-
54
Püschel
neigt
außerdem
hinaus
dazu,
seinen
Zusammenhang
auch
den
Gegenstand
zu bringen.
rungen einzutreten. schungsprozesses
einzelnen
in
Darüber
einen
Wörterbuchartikel abhandlungsartigen
hinaus liebt er es,
in Erörte-
Auf diese Weise führt er ein Stück des
vor.
(und hier zeigt sche Moment),
über
Er
geht
aber
sich besonders
noch
das schon
einen
Schritt
angesprochene
For-
weiter
dialogi-
indem er durch die Ansprache des Lesers diesen ge-
radezu in den Gang der A u s e i n a n d e r s e t z u n g u n d Reflexion mit einbezieht. Solche
Züge
-
in Verbindung
mit w e i t e r e n
- haben
Her-
bert Ernst W i e g a n d wohl dazu veranlaßt, J a c o b Grimms W ö r t e r b u c h anteil
als
belehrend
eine Einschätzung,
zu
charakterisieren
(Wiegand
1986,
320),
die in direktem Einklang m i t Grimms national-
pädagogischem Programm steht (vgl. dazu K i r k n e s s 1980, 39 f.). M e h r "Wörterbuchnormalität"
finden wir
Bearbeitern
Eigenheiten
des
DWB,
deren
d a g e g e n bei Pfeifer
den
weiteren
zusammenfassend
so kennzeichnet: Auf vielen Strecken wird die Diktion, der Stil der Verfasser strenger als es früher üblich war. Man weiß inzwischen, daß das Wörterbuch keine 'Leser' hat, und gibt daher die Forschungsresultate in der nüchternen, informierenden Sprache der Wissenschaft. (Pfeifer 1963, 207) Die
Verbindlichkeit
Strenge; aus
dem
die
im
Personen
Text,
es
Ton des
weicht
also
Bearbeiters
w i r d nicht
mehr
der
und
Nüchternheit
Lesers
verschwinden
personenzugewandt
("persönli-
cher Stil"), sondern personenabgewandt u n d Stoffzugewandt liert
("sachlicher
abgelöst, Jacob
statt
Grimms
setzung,
es
Stil").
Das
ERÖRTERUNGEN
ERZÄHLEN w i r d
finden
nationalpädagogisches ist
im
Prinzip
sich
durch
formu-
INFORMIEREN
ERGEBNISDARSTELLUNGEN.
Programm
gescheitert:
und
findet
"Die
keine
Fort-
ideologischen
tentionen J. Grimms überdauern die erste A r b e i t s p h a s e nicht
In..."
(Bahr 1984, 393). U n d dieses Scheitern manifestiert sich im W a n del zu einem W ö r t e r b u c h s t i l , der eher der trockenen Präsentation v o n Fakten
für
legt nun nahe, stils
um
gelehrte daß
eine
Zwecke entspricht.
es sich bei
Pfeifers
Beobachtung
der V e r ä n d e r u n g des
Wörterbuch-
kontinuierliche
Entwicklung
handelt;
ob
dem
tatsächlich so ist, kann erst die genauere A n a l y s e erweisen. Die These,
daß
das
erörternde
Ergebnissen A u s d r u c k gang vom
Erörtern
Abhandeln
im Wörterbuchstil
zum
Informieren
u n d das Darstellen
finden u n d daß
Stilveränderungen
der
von
Über-
impliziert,
Wörterbuchstile im DWB
55
bildet den Rahmen für meine weitere Untersuchung. Es wird darum gehen, die bisher nur grob umrissenen Züge der einzelnen Darstellungsstile genauer auszuführen, d. h. in der lexikographischen Praxis aufzusuchen. Schon jetzt ist darauf hinzuweisen, daß Jacob Grimm dabei im Mittelpunkt stehen wird. Sein Wörterbuchstil zieht die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich, da er so auffallend und in besonderer Weise originell ist. Bevor im vierten Kapitel die stilistische Detailanalyse aufgenommen wird, soll im zweiten Kapitel mit Anmerkungen zum Problemkreis 'Lexikographie und Stilistik1 eine Annäherung an das Thema versucht werden; im dritten Kapitel wird dann nach der Wörterbuchsorte des DWB gefragt und besonders auf dessen Uneinheitlichkeit eingegangen, die als entscheidende Voraussetzung für die Existenz verschiedener Stile im DWB gesehen werden muß.
2. Stilistik und Lexikographie 2.1. Wörterbuchtexte - Wörterbuchsorten Manche sagen, in Wörterbüchern finde man Wörter; doch in Wörterbüchern finden wir - wie in anderen Büchern auch - zuerst einmal Texte: Texte über Wörter.2 Allerdings lesen wir Wörterbuchtexte nicht wie Romane oder Liebesbriefe. Als ihre Benutzer (nicht Leser) schlagen wir in Wörterbüchern nach, weil wir bestimmte Informationen suchen, und wir finden diese Informationen, sofern wir im richtigen Wörterbuch nachschlagen und dieses gut gearbeitet ist (vgl. Wiegand 1987, 215-217). Wörterbücher sind also Hilfsmittel, und für die Benutzer dieser Hilfsmittel läßt sich als Gebrauchsanweisung formulieren: Wenn du eine Information der Art χ suchst, dann schlage in einem Wörterbuch der Art y nach. Das Wörterbuch als Nachschlagewerk - das ist eine, wenn nicht sogar d i e Auffassung vom Zweck der Wörterbücher (vgl. Wiegand 1987, 202). Für Nachschlagewerke jeder Art ist es von größter Wichtigkeit, daß der Nachschlagende schnellen und sicheren Zugriff auf die gesuchten Informationen hat. Von gleicher Wichtigkeit ist aber auch, daß Nachschlagewerke auf spezifische Benutzungssituationen und Benutzerbedürfnisse abgestimmt sind. 2
Vgl. den Titel von Wiegand 1988: "Wörterbuchartikel als Text".
56
Püschel
U n d das hat Folgen für die Art, w i e ihr "Stoff" organisiert Da es
ganz
unterschiedliche
Benutzungssituationen
bedürfnisse gibt findet sich eine Vielfalt v o n die
sich
der
Kommunikationsart
Wörterbuchsorten
als
'Wörterbuch
Textsorten
sind
1
also
und
ist.
Benutzer-
Wörterbuchsorten, lassen. 3
zuordnen
konventionelle
kom-
p l e x e Handlungmuster. Bestimmt w e r d e n Textsorten durch die w e s e n t l i c h e n oder textsortenkonstitutiven M u s t e r Holly/Kühn/Püschel
1986, Kap.
muster,
wir
wir
von
einen
trachten.
denen
Text Fi.r
als
zu
(v.Polenz 1985, 198, 333
6), d.
erwarten, einer
daß
h. d u r c h
ganz
solche
;ie realisiert
bestimmten
Nachschlagewerke
Texthandlungen
allgemein
Handlungssind,
Textsorte
gehörig
gilt,
daß
Verfasse]· den Nachschlagenden AUSKUNFT GEBEN, indem sie TIONEN
für
potentielle
BEREITSTELLEN; ser
4
für Wörterbücher
INFORMATIONEN
SCHREIBEN, Während
Benutzer
wie
Ausdrücke
GEBEN
für
indem
sie
Nachschlagewerke
beihre
Frageinteressen
REGELN
kann
wenn
INFORMA-
gilt, daß ihre
gebrauchen
sentliche oder konstitutive M u s t e r BEN v o n R E G E L N für
bestimmten
speziell
BEREITSTELLEN,
man
AUSKUNFT
mit
f.;
Verfas-
dafür
(Püschel insgesamt
BE-
1984). 5 das
we-
ist, ist das Muster BESCHREI-
den Gebrauch v o n A u s d r ü c k e n typisch für Wör-
terbücher. Allerdings hat man damit noch k e i n Kriterium
für die
U n t e r s c h e i d u n g v o n Wörterbuchsorten an der Hand. Das ergibt sich erst, w e n n m a n fragt, wie die Wörterbücher ORGANISIERT Zwei
Faktoren
bestimmen
Wörterbüchern:
Zum einen
in
der Hauptsache
Ausdrücken
gegeben
brauchsregeln
expliziert
wird
organisiert
die ORGANISATION
die Frage, welche
kodifizierten
werden,
und
sind; zum andern die
wie
sind.
Informationen
was die
also
von
von
zu den den
Ge-
Regelbeschreibungen
Frage, w e l c h e W ö r t e r
überhaupt
kodifiziert werden. A n t w o r t e n auf die erste Frage führen zum semasiologischen,
zum onomasiologischen bzw. synonymischen
buch, zum W ö r t e r b u c h w e r d e n wie
ζ.
B.
auch, in dem nur
zur Aussprache,
Teilinformationen
Rechtschreibung,
usw. A n t w o r t e n auf die zweite Frage führen zum 3 4 5
Wörtergegeben
Reimfähigkeit
gegenwartsbezoge-
Zur Unterscheidung von Kommunikationsart und Textsorte vgl. Gülich/Raible 1975, 155. Wiegand 1977, 70 spricht in diesem Zusammenhang von Wörterbüchern als "kontrakonfliktären Texten". Der zweite Typ von REGELBESCHREIBUNGEN in Wörterbüchern betrifft das ÄUSSERN von Ausdrücken.
Wörterbuchstile im DWB
57
nen, historischen, standardsprachlichen, fachsprachlichen usw. Wörterbuch. So können Wörterbücher - in der Redeweise von Helmut Henne - "durch eine Kombination sprachzeichentheoretischer und sprachsoziologischer Merkmale näher charakterisiert werden" (Henne 1980, 780). Die beiden Arten von Merkmalen zusammengenommen bestimmen also die Wörterbuchsorte.
2.2. Wörterbuchstile Wörterbuchsorten beruhen also auf der typischen Auswahl der Informationen zu den Gebrauchsregeln und der Auswahl des kodifizierten Wortschatzes. Darüberhinaus besitzen Wörterbuchsorten aber auch noch typische stilistische Eigenschaften; Wörterbuchsorten als konventionelle komplexe Handlungsmuster zeichnen sich durch konventionelle Stile aus. Stil beruht auf Mustern des GESTALTENs, was zur Prämisse hat, daß eine Sprachhandlung auf die eine oder andere Weise REALISIERT werden kann - im Prinzip zumindest (Sandig 1986, 23; Püschel 1985, 10-12; Püschel 1986). Wenn ein Lexikograph beispielsweise ein semasiologisches Wörterbuch schreibt, dann muß er zu den Lemmazeichen Bedeutungserklärungen machen. Er hat keine andere Wahl, denn tut er es nicht, so erfüllt er nicht die Anforderungen an die Sorte 'Semasiologisches Wörterbuch1. Entweder er schreibt dann eine andere Sorte von Wörterbuch, oder aber sein semasiologisches Wörterbuch ist verunglückt. Anders sieht es dagegen bei der Frage aus, wie der Lexikograph die Bedeutungserklärungen FORMULIERT: Er kann Paraphrasen machen, vielleicht der strengen Art mit genus proximum und differentia specifica, oder er kann Synonymenerklärungen geben oder auch beides. Das ist eine Angelegenheit seines Wörterbuchstils, denn hier hat er bei der REALISIERUNG Spielräume. Es kommt noch ein weiterer wesentlicher Aspekt von Stil hinzu: Der Lexikograph ist zwar frei beim GESTALTEN, aber wie er gestaltet, ist nicht bedeutungslos. Er macht nicht nur einfach Ein- und Dasselbe auf verschiedene Weise, sondern er verändert durch die Art der REALISIERUNG die Qualität der Handlung, in diesem Fall der Bedeutungserklärungen. Anders gesagt: Das Stilistische, das auf Mustern des GESTALTENs beruht, ist nicht etwas Additives, das zu einer Sprachhandlung noch hinzukommt, sondern
Piischel
58
es ist mit der Handlung unauflöslich verwoben und bestimmt so ihre Qualität. Insofern ist 'Stil' eine zentrale Kategorie einer handlungs- und
textbezogenen Sprachwissenschaft
(Püschel
1988,
67). Wie jede Handlung sind auch stilistische Handlungen nach Mustern des GESTALTENs zielgerichtet. Die Sprecherschreiber wollen etwas mit ihnen erreichen, und zwar wollen sie Verschiedenes zugleich erreichen. Da ist zuerst zu nennen, daß sie etwas im Hinblick auf den T e x t bewirken wollen, dann aber auch im Hinblick auf die eigene P e r s o n und im Hinblick auf den behandelten G e g e n s t a n d - das alles natürlich, um beim H ö r e r 1 e s e r etwas zu bewirken. So formulieren Lexikographen beispielsweise ihre Wörterbuchtexte elliptisch und komprimiert (vgl. von Polenz 1985, 24 f.). Als damit verbundene Bewirkungsversuche könnte man nennen: Der Text soll ökonomisch gemacht werden, d. h. auf dem zur Verfügung stehenden Raum sollen so viele Informationen wie möglich untergebracht werden; die eigene Person bzw. das Verlagsunternehmen soll als kompetent und zuverlässig dargestellt werden; die Wörter sollen als erschöpfend behandelt erscheinen; beim Benutzer soll schließlich bewirkt werden, daß er beim Nachschlagen möglichst oft zufriedengestellt ist, daß er zu seinem Wörterbuch Vertrauen f aßt, daß er zum Autor bzw. Verlagsunternehmen eine positive Einstellung bekommt. Natürlich ist der elliptische und komprimierte Ausdruck nur ein Mittel unter vielen, um diese und andere Ziele zu erreichen. Eine wichtige Eigenschaft konventioneller Wörterbuchstile muß noch besonders hervorgehoben werden, auch wenn sie für die Lexikographen und die Benutzer zu den Selbstverständlichkeiten gehört. Wörterbuchstile zeichnen sich in der Regel durch große Einheitlichkeit aus.6 Stilistische Einheitlichkeit wird dadurch hergestellt, daß die einmal gewählten stilistischen Muster des GESTALTENS immer wieder verwendet, also WIEDERHOLT werden, und zwar auf systematische Weise (Sandig 1978, 88; Püschel 1985, 16). Das führt zu einem höchst gleichförmigen Text, der - wenn man ihn z. B. wie ein Sachbuch lesen wollte - nur Langeweile erzeugen würde. Für das Wörterbuch als Nachschlagewerk hat diese 6
Vgl. dazu Wiegand 1988, 35 ff. zur Standardisierung von Wörterbüchern.
Wörterbuchstile im DWB
59
stilistische Einheitlichkeit, ja Einförmigkeit erhebliche Vorteile. Denn ein Problem besteht für den Lexikographen bekanntlich in der Aufgabe, enorme Mengen an Sprachdaten zu bewältigen. Da diese Daten immer wieder der gleichen Art sind - schließlich geht es um die Beschreibung von Gebrauchsregeln -, bietet es sich an, sie auf immer gleiche Weise zu präsentieren. Ein Wörterbuchartikel wird dann wie der andere GESTALTET, was für den Lexikographen wie den Benutzer höchst zweckmäßig ist. Der eine verfügt über ein Verfahren für die rationelle Materialbewältigung; der andere kann sich bei seiner Suche nach Auskünften darauf verlassen, daß Informationen des gleichen Typs in den Wörterbuchartikeln an der gleichen Stelle und in der gleichen Weise dargeboten werden.
2.3. Textanalyse und Stilanalyse Sprachstil und seine Funktionen sind eine außerordentlich vielfältige Angelegenheit. Das beruht darauf, daß das Stilmuster GESTALTEN für alle Aspekte - die mikro- wie makrostrukturellen des Sprachhandelns relevant ist. Sucht man nun nach einem Leitfaden für die Stilanalyse, mit dessen Hilfe sich eine gewisse Ordnung in das stilistische Vielerlei bringen läßt, so bieten sich zur Orientierung die Aufgabenfeider des Sprachhandelns an. Das sprachliche Handeln ist selbst eine komplexe Angelegenheit, da wir beim Kommunizieren nicht einfach Informationen austauschen, sondern eine Reihe von kommunikativen Aufgaben nach spezifischen Mustern zu bewältigen haben; diese Muster sind: (a) Textsortenkonstitutive Muster, die für einen Text wesentlich sind. Indem wir sie befolgen, sichern wir, daß unser Text als Exemplar einer bestimmten Sorte gilt (zu den für Wörterbücher konstitutiven Mustern vgl. oben Kap. 2.1.). (b) Organisationsmuster, mit deren Hilfe wir eine Fülle organisatorischer Aufgaben bewältigen wie beispielsweise Sprecherwechselorganisation im Gespräch, Themenbehandlung, Gliederung, vorausgreifende Strukturierung, Verständnissicherung, Aufmerksamkeitslenkung .
60
Piischel
(c) Beziehungsmuster, mit deren Hilfe wir Kontakt herstellen und die Beziehung aufrecht erhalten und ausgestalten (Imagearbeit; vgl. Holly 1979). Die mit den drei Typen von Mustern umrissenen Aufgaben durchziehen einen ganzen Text, auch wenn sie nicht gleichmäßig nebeneinander herlaufen. Für die Stilanalyse können wir nun fragen, wie der Text GESTALTET ist, d. h. wie die jeweiligen Aufgaben durchgeführt sind. Diese Art von Stilanalyse ist also zugleich ein Beitrag zur Textanalyse. Das Ergebnis sind dann spezifische Stile oder genauer: spezifische Stilzüge, die zusammen den Stil eines Textes ausmachen. Ausgehend von der Dreiteilung der Aufgaben werde ich im weiteren textsortenkonstitutive Muster und Beziehungsmuster im DWB genauer untersuchen. Anlaß dazu gibt die schon oben (Kap. 1.) angeführte Beobachtung, daß das DWB unseren landläufigen Erwartungen an ein Wörterbuch nicht entspricht. Speziell was Jacob Grimms Anteil am DWB betrifft, ist dies in doppelter Hinsicht der Fall: Zum einen begegnen wir einem spezifischen Darstellungsstil (Stichwort "erörterndes Abhandeln"), der das für Wörterbücher konstitutive Muster BESCHREIBEN von GEBRAUCHSREGELN betrifft; zum andern begegnen wir einem spezifischen Beziehungsstil (Stichwort "persönlicher Stil"). Die Spezifika dieser Stilzüge werden für Jacob Grimm ausführlicher dargestellt (Kap. 4.1. und 4.2.), für die anderen Bearbeiter mehr in Form von Einzelbeobachtungen (Kap. 5.1. und 5.2.). Nicht explizit wird der Organisationsstil behandelt, auch wenn in Einzelfällen Organisatorisches angesprochen wird. Der Stilanalyse geht noch voraus die allgemeinere Frage nach der Textsorte des DWB und nach den Ursachen für die stilistisch relevante Uneinheitlichkeit des DWB (Kap. 3.1. und 3.2.).
3. Textsortenstile im DWB 3.1. Das DWB: Nachschlagewerk - Lesebuch Die bisher skizzierten Punkte zum Wörterbuchstil lassen sich nicht einfach auf das DWB anwenden. Das gilt zuerst einmal für die Bestimmung des Wörterbuchs als Nachschlagewerk. Auch wenn gerade die Frage nach dem Zweck des Wörterbuchs in der Grimm-Literatur schon reichlich Aufmerksamkeit gefunden hat, muß sie
Wörterbuchstile im DWB
61
hier zumindest kurz wiederaufgenommen werden. Denn Wörterbuchsorte und der Wörterbuchstil stehen in einem engen Zusammenhang. Ausgangspunkt soll die Frage sein, für wen und für welchen Zweck das Wörterbuch gemacht ist. Unter den zeitgenössischen Kritikern des DWB macht speziell Christian Friedrich Ludwig Wurm die Frage nach dem Benutzer und damit auch implizit nach den Benutzungszwecken zum Maßstab seiner Beurteilung: Zuvörderst fordern wir ... eine feste, dem Werke zu Grunde liegende Absicht in Bezug auf den ihm vor Augen stehenden Leserkreis. (Wurm 1852,
1) Wurm hat sich von den Brüdern Grimm gewiß nicht zu Unrecht ein Nachschlagewerk
erwartet,
das
einem
breiten
Benutzerkreis
Dienste tun würde, und er sieht sich nun in dieser Erwartung getäuscht. Sein Fazit lautet, daß das deutsche Wörterbuch in k e i n e r Hinsicht den Anforderungen genüge, welche an ein für alle Stände geeignetes Sprachwerk nach Recht und Billigkeit gestellt werden, daß es für Deutschlernende, für Fremde und für Schulen, sowie für rathsuchende Geschäftsleute durchaus unpractisch sei ... (Wurm 1852, 33)
Seinem Urteil nach ist das DWB ein Werk allein für die Gelehrten (Wurm 1852, 34).7 Eine solche Beurteilung kontert Jacob Grimm mit dem Postulat, einem Wörterbuch könne "nur ein grosses, weites ziel gesteckt sein" (Vorrede Bd. 1, Sp. XII). Zuerst einmal soll es ein nationales Unternehmen sein, da sich die Einheit der Deutschen, denen die politische Einheit abgehe, in der Sprache manifestiert. Damit macht Jacob Grimm nachdrücklich deutlich, daß Wörterbücher keineswegs nur nach der Zweckmäßigkeit für den Gebrauch beurteilt werden dürfen, sondern daß mit ihnen auch weitergehende, "höhere" Ziele verfolgt werden können (Kirkness 1980, 39 f.). Was nun die praktische Seite angeht, verfolgt Jacob Grimm gewissermaßen eine Doppelstrategie. Damit ist zum einen die immer wieder hervorgehobene Funktion des DWB als Lesebuch, aber auch als Lehrbuch angesprochen, das sich an Sprachforscher, Dichter und alle Deutschsprechenden wendet (Kirkness 1980, 39) - die nationalpädagogische Funktion also; zum andern aber auch
7
Das abnehmende Interesse am DWB sowohl beim allgemeinen wie beim gelehrten Publikum scheint dieses Urteil zu bestätigen; vgl. Kirkness 1980, 37.
62
Piischel
seine Funktion als Nachschlagewerk. Hier bietet Jacob Grimm geradezu Ansätze für die Benutzungsforschung, wenn er Benutzungsanlässe formuliert:8 'wie heiszt doch das wort, dessen ich mich nicht mehr recht erinnern kann?' 'der mann führt ein seltsames wort im munde, was mag es eigentlich sagen wollen?' 'zu dem ausdruck musz noch es bessere beispiele geben, lasz uns nachschlagen.' (Vorrede Bd. 1, Sp. XII)
"lasz uns nachschlagen" wird hier gefordert, und damit ist das Stichwort gefallen. Das DWB soll nicht nur der Sprache "ganzen schätz bewahren" (Vorrede Bd. 1, Sp. XII), und es soll nicht nur "mit verlangen, oft mit andacht gelesen werden" (Vorrede Bd. 1, Sp. XIII), sondern es dient auch ganz klar Nachschlagezwecken. Doch vielleicht hat Jacob Grimm ein zu weit gehendes Zugeständnis gemacht, denn schnell schlägt er einen Haken. Sein oft zitiertes Gedankenspiel vom Wörter aushebenden Vater und der gern lauschenden Mutter schließt er mit einer Warnung: man darf nur nicht die fesselnde gewalt eines nachhaltigen füllhorns, wie man das Wörterbuch zu nennen pflegt, und den dienst, den es tut vergleichen mit dem ärmlichen eines dürren handlexicons, das ein paarmal im jähr aus dem staub unter der bank hervorgelangt wird, um den streit zu schlichten, welche von zwei schlechten Schreibungen den Vorzug verdiene oder die steife Verdeutschung eines geläufigen fremden ausdrucke aufzutreiben. (Vorrede Bd. 1, Sp. XIII)
Sprachlich außerordentlich suggestiv wird das Füllhorn gegen das Handlexikon ausgespielt und somit letztlich die Nachschlagefunktion von Wörterbüchern diskreditiert. Gewiß, die scharfe Wendung gegen dürre Handlexika gehört zur Verteidigung gegen die Sanders und Wurms, die gerade den Nachschlagegesichtspunkt in das Zentrum ihrer Angriffe gestellt haben - ein "dürres handlexicon" haben sie aber nicht gefordert! Es bleibt aber, daß Jacob Grimm zum Zweck eines Wörterbuchs zumindest eine zwiespältige Haltung eingenommen hat, die das DWB zum Exemplar einer Hischsorte macht, was seinen Niederschlag im Wörterbuchstil findet. Das gilt speziell für den von Jacob Grimm bearbeiteten Teil, aber auch für das DWB insgesamt. Natürlich ist das DWB ein Nachschlagewerk, es ist aber auch - wenn schon kein Lesebuch - so doch
8
Zitate aus dem DWB werden mit der Bandzahl und Spalte gekennzeichnet; bei Zitaten aus den Vorreden findet sich noch der Zusatz Vorrede.
Wörterbuchstile im DWB
63
ein Buch mit Lesetexten, in dem herumgestöbert werden kann9 und in dem in einem großen Ausmaß gelesen werden muß, wie die weiteren Untersuchungen erweisen sollen.
3.2. Stile im DWB - Uneinheitlichkeit als Voraussetzung Daß nicht alle Wörterbücher, auch nicht alle der gleichen Sorte, den gleichen Stil haben, überrascht nicht weiter. Daß aber das DWB durch verschiedenartige Stile geprägt ist, stellt zwar für den Kenner keine Neuigkeit dar, ist aber für Wörterbücher untypisch. Während den Wörterbuchtext EINHEITLICH MACHEN unbestreitbar ein Gestaltungsprinzip der Lexikographen ist, wird man schwerlich behaupten können, daß den Text UNEINHEITLICH MACHEN zu den Prinzipien der Lexikographen gehört. Obwohl Uneinheitlichkeit für andere Textsorten durchaus ein Stilprinzip sein kann - realisiert beispielsweise durch Variation, Abweichung oder Klitterung (vgl. Püschel 1985, 16) -, läßt sich im Hinblick auf das DWB kaum davon sprechen, daß hier nach dem Gestaltungsmuster UNEINHEITLICH MACHEN verfahren worden sei. Die Uneinheitlichkeit des DWB und die daraus resultierende Existenz verschiedener Wörterbuchstile ist die gewiß nicht beabsichtigte Folge einer Reihe von Umständen, die seine Entstehung begleiteten. Drei wichtige, ihrer Natur nach jedoch ganz unterschiedliche Faktoren sollen hier angesprochen werden.
3.2.1. Das DWB als Werk vieler Viele Köche verderben bekanntlich den Brei - auf das DWB gewendet muß diese Volksweisheit dahingehend modifiziert werden, daß die große Zahl von Bearbeitern des DWB und die sich über ein Jahrhundert hinziehende Bearbeitung ihre Spuren hinterlassen haben. Wenn im Jahr 1935 Hermann Herrigel die lange Bearbeitungszeit für die Uneinheitlichkeit des DWB verantwortlich macht, dann gilt das auch für die Phase bis zur endgültigen Fertigstellung: 9
"leser jedes standes und alters sollen auf den unabsehbaren strecken der spräche nach bienenweise nur in die kräuter und blumen sich niederlassen, zu denen ihr hang sie führt und die ihnen behagen." (Vorrede Bd. I, Sp. XII).
64
Piischel
Es ist unvermeidlich, daß ein Werk, das sich über ein Jahrhundert hinzieht, verschiedene Schichten aufweist und nicht von Anfang bis Ende e i n h e i t l i c h durchgeführt worden ist. (Herrigel 1934/5, 906; Sperrung U. P.) Immerhin w u r d e bis zum Schluß beispielsweise keine für die Bearbeiter verbindliche A r t i k e l s t r u k t u r
festgelegt, die eine
gleich-
förmige Bearbeitung hätte garantieren k ö n n e n . 1 0 Es kommt n o c h ein w e i t e r e r Gesichtspunkt hinzu: die Organisation des DWB als Privatunternehmen, v o n nur
sich
selbst
verantwortlichen
wird.
Es
fehlt v o n
Anfang
tur,
zu
der
Redaktion
eine
hätte. Stattdessen Vorstellungen ständlich
dem
und
das von einem Verlag getragen u n d
an eine die
Fähigkeiten
-
Grimmschen
Erbe
w u r d e n sie - so Herrigel
ausgearbeitet
lexikographische
mit
arbeiteten
Mitarbeitern
Infrastruk-
Richtlinienkompetenz Fortsetzer n a c h
auch
wenn
sie
verpflichtet
- n a c h dem
ihren
(Herrigel
1934/5,
905).
sich
selbstverAusgewählt
"aristokratischen
Das
eigenen
fühlten.
Prinzip",
d. h. m a n bemühte sich um die besten Kräfte, reife u n d Gelehrte
gehört
bedeutet
bewährte
natürlich
auch,
daß sich die Fortsetzer nicht in die Pflicht v o r g e g e b e n e r Richtlinien nehmen ließen, selbst sation des DWB d u r c h ter Einfluß
auf
die
dann nicht, als n a c h
der
Reorgani-
die Deutsche Kommission 1908
ein
verstärk-
Bearbeitung
Schröders u n d Gustav Roethes
möglich wurde.
Die
Nöte
Edward
ζ. B. mit H e r m a n n W u n d e r l i c h ,
d e n in ihren B r i e f e n beredten Ausdruck
(vgl. Pretzel
fin-
1981; Braun
1987, 127). Bei dieser Konzeption war die Uneinheitlichkeit v o r programmiert. einigen
Dingen
Schon
Jacob
abgewichen
Grimm sei
konstatiert,
u n d dadurch
daß
der
"geschah
Bruder
der
in
gleich-
förmigkeit abbruch" (Vorrede Bd. 2, Sp. II).
3.2.2. Die Bearbeiter: V o n A n f ä n g e r n zu M e i s t e r n D o c h nicht prägt, sich
nur
sondern
gut
das
DWB
auch
beobachten,
insgesamt
die wie
Anteile
ist v o n Uneinheitlichkeit einzelner
sich Jacob Grimms
Bearbeiter. Stil
in
den
So
geläßt
ersten
10 Vgl. Bahr 1984, 426-452, der zeigt, daß die um 1932 geschaffenen Richtlinien keineswegs zu einer rigorosen Standardisierung führten.
Wörterbuchstile im DWB
65
Lieferungen verändert,11 indem er ζ. B. im weiteren Fortgang der Arbeit verstärkt von Gliederungsmitteln Gebrauch macht: es ist daher in dieser hinsieht mehr gleichförmigkeit eingetreten, die man nur in den ersten lieferungen zuweilen vermissen wird. (Vorrede Bd.
1, Sp. XLVI) Das Ziel ist klar: Die einzelnen Artikel sollen übersichtlicher und einheitlicher und damit benutzerfreundlicher werden. Was für den Anfang und den ersten Bearbeiter des DWB gilt, wird auch für die Fortsetzer gelten. Wer etwa die von Hildebrand bearbeiteten Teile betrachtet, wird schnell feststellen, daß die als vorbildlich gerühmten Artikel sich im Buchstaben G und nicht zu Beginn des Buchstaben Κ finden. Und Wunderlich als Fortsetzer Hildebrands im Buchstaben G weist darauf hin, daß sich an der Nahtstelle einige Artikel finden, die nicht mehr rein in der Tradition Hildebrands stehen, aber auch noch nicht voll seinen Vorstellungen entsprechen (Vorrede Bd. 4,1,2, Sp. III). Und an anderer Stelle spricht er davon, daß er bei der Artikelgestaltung einen allmählichen Lernprozeß durchlaufen habe (Wunderlich/v. Bahder 1907, 81). Ein weiteres indirektes Zeugnis für solche AnlaufSchwierigkeiten bietet Konrad Burdach in einer Besprechung neuer Lieferungen: Es bleibt mir noch übrig, mit wenigen Worten die Arbeit des neu eingetretenen Fortsetzers des Wörterbuchs, L e x e r s , zu charakterisieren. Bei Wörterbüchern der deutschen Sprache ist es eine alte Erfahrung, dass die ersten Hefte an Sicherheit und Tiefe der Arbeit weit zurückstehen hinter späteren. (Burdach 1882, 674)
Auch diese Art der Uneinheitlichkeit im Stil e i n z e l n e r Bearbeiter ist nicht Ausfluß eines Gestaltungsprinzips, sondern der Unerfahrenheit, also ein Problem der Einarbeitung. Schon am 2. 4. 1839 schrieb Wilhelm Grimm ahnungsvoll an Friedrich Carl von Savigny: "... und hoffentlich werden die letzten Bände schon besser ausfallen als der erste." (nach Kirkness 1980, 94)
11 Das impliziert Wiegand 1986, wenn er seinen Beitrag mit "Der Wörterbuchstil Jacob Grimms" überschreibt.
frühe
66
Püschel
3.2.3. "Natürlicher Tact" statt Systematik Die Frage nach der Einheitlichkeit der Gestaltung begleitet das DWB vom Erscheinen der ersten Lieferung an. So sieht Wurm diese Forderung nicht eingelöst: Was die Form anbelangt, so erwarten wir eine genaue, logische Anordnung des Werkes im Ganzen wie im Einzelnen. Das Wörterbuch vertritt beim Lesen wie beim Schreiben die Stelle eines allzeit bereiten Rathgebers. Darum muß es uns die Bekanntschaft mit ihm möglichst erleichtern. Die Einrichtung e i n e s Artikels muß auf die Einrichtung a l l e r ü b r i g e n schließen lassen und jederzeit genau dieselben Orientierungspunkte bewahren. (Wurm 1852, 1; Sperrung U. P.)
Wurm hat recht und trifft dennoch nicht den Nagel auf den Kopf. Zwar gibt uns Jacob Grimm selbst Aufschluß über seine Arbeitsweise, und was er da in einem Brief an Friedrich Zarncke zu sagen hat, klingt nicht gerade nach lexikographischer Akribie: Alle meine bûcher sind ohne concept niedergeschrieben; von dieser vielleicht Übeln, mir zur andern natur gewordnen gewohnheit brauchte ich beim Wörterbuch am wenigsten zu lassen, weil die alphabetische Ordnung alles einzelne sicher anzulegen gestattet, so geräth das werk besser in flusz, der ihm mehr zu statten kommt, als ein vorher gemachter entwurf ... (nach Kirkness 1980, 194)
Dieses Zitat ist aber mehr als ein Bekenntnis zur persönlichen Arbeitsweise, läßt es sich doch in Verbindung setzen zu einer grundsätzlichen Auffassung: Offenbar wollten die Brüder Grimm eine Forderung nach genauer, konsequenter Anordnung des Werks gar nicht einlösen. Wilhelm Grimm äußert sich auch darüber in seinem Brief an Savigny: Was die eigentliche Ausarbeitung betrifft, ... so ist absichtlich noch kein Plan festgesetzt; die Gesetze sollen sich in der Arbeit selbst finden, und wir wollen uns im voraus nicht die Hände binden. Der natürliche Tact muß hier das beste tun ... (nach Kirkness 1980, 94)
Und ähnlich äußert er sich nochmal vor der Versammlung der Germanisten 1846 (Grimm 1881, 514). Wie Helmut Henne darlegt, liefert erst die praktische Erfahrung während der Ausarbeitung die Regeln, nach denen vorzugehen ist; man findet sie, indem man "natürlichen Tact" walten läßt, d. h. indem man "den Wörtern und ihrem Wandel in den Belegen folgt und insofern deren Geschichte schreibt" (Henne 1985, 536). Den Brüdern Grimm geht es also nicht um ein Schema, in das sich der Stoff pressen ließe. Genau umgekehrt sind es die Eigenschaften des Stoffs, die die Maßstäbe
fförterbuchstile im DWB
67
für seine Behandlung liefern (vgl. Dückert 1987a, 31). Der Zeitgenosse Wurm hat diese Vorgehensweise nicht erkannt; ihm erscheint die "Ab- und Eintheilungsmethode der einzelnen Artikel" dem Spiel des Zufalls überlassen (Wurm 1852, 3), und er vermißt jede "logische" Einteilung (ebd.), wie sie für ihn Adelung oder Campe bieten. Gerade die Berufung auf Adelung und Campe, aber auch auf Eberhard zeigt, wie Wurm ganz in der rationalistischen Wörterbuchtradition steht, in der es um das Zergliedern der Wortbedeutungen und ihre systematische Darstellung geht. Bedeutungserklärungen zu geben, heißt dabei erst einmal saubere begriffliche Scheidungen vornehmen: "die verschiedenen Bedeutungen der Wörter [müssen] sorgfältig gesondert [werden]." (Wurm 1852, 1) Schlaglichtartig beleuchtet diese Position die Detailkritik zu ABRICHTEN, zu dem ler,
kind
es heißt:
gilt
lieber
"den
lehrling,
unterrichten;
diener doch
abrichten,
richten diebe
vom
Schü-
ihre
kin-
der von früh an auf das stehlen ab" (Bd. 1, Sp. 90). Wurm knüpft
daran die Frage "Gilt lieber? doch?", und er fährt fort: "Eberhard und Adelung: Abrichten geht auf die Fertigkeit, Unterrichten auf die Erkenntniß." (Wurm 1852, 6) Begriffliche Scheidung ist hier gefragt, der sich die Wortbedeutungen zu fügen haben; nicht die Kodifizierung von schwankendem Gebrauch. Wenn schon die Sprache selber keine Ordnung hält, dann hat der Lexikograph die Pflicht, Ordnung herzustellen. Und genau das findet Wurm im DWB nicht: Da wo keine scharfen Grenzen sind, wollen die Brüder Grimm auch keine ziehen und schon gar nicht mittels eines vorgegebenen Schemas : Definitionen können nicht erschöpfen was das lebendige Wort in sich faßt, aus den reichlichen und mit Sinn ausgewählten Beispielen muß der wahre Begriff hervorgehen und wird sich in den feineren Schattierungen oft nur empfinden lassen." (Wilhelm Grimm an Savigny nach Kirkness 1980, 94; vgl. auch Pfeifer 1963, 203)
4. Jacob Grimms Abhandlungsstil und persönlicher Stil Die Analyse von Jacob Grimms Wörterbuchstil wird nicht annähernd erschöpfend ausfallen; sie muß sich darauf konzentrieren, einige Hauptzüge nachzuzeichnen. Es geht dabei um seinen Darstellungsstil und um seinen Beziehungsstil. Aber auch diese Stilzüge kön-
68
Päschel
nen nicht bis in alle Verästelungen verfolgt werden - Sprachstil ist eben zu komplex. Nur am Rande behandelt wird die Makrostruktur der Wörterbuchartikel (vgl. dazu Dückert 1987a, 28 und passim), ausgeklammert bleiben außerdem die zahlreichen mikrostrukturellen Details (vgl. z. B. Wiegand 1986, 312 ff.). Ebenso fehlen Ausführungen zu den Arten von Bedeutungserklärungen, die Jacob Grimm gibt (vgl. Dückert 1987a, 29-32, 33, 34; Weber 1984; Bahr 1984, 396 ff.), und zu der Rolle, die die Belege für die Erklärung von Bedeutung und Gebrauch spielen. Völlig außer acht gelassen werden schließlich die Wörterbuchartikel, die sich den thematisierten Stiltendenzen nicht fügen wie z. B. die lemmatisierten Wortbildungen. Damit wird aber auch nicht auf die prinzipielle Uneinheitlichkeit in Jacob Grimms Wörterbuchanteil eingegangen. Diese wird bewirkt durch das Neben- und Miteinander der hier genauer zu untersuchenden Stilzüge, weiterhin durch eine Fülle von Varianten in der Mikro- und Makrostruktur, durch Abweichungen und Idiosynkrasien.
4.1. Abhandeln 4.1.1. Abhandeln durch Erörtern Da wir es gewohnt sind, Informationen in Wörterbüchern als gesichert zu betrachten, wirkt es außerordentlich überraschend, bei Jacob Grimm ständig auf Bemerkungen wie die folgenden zu stoßen: (1)
(2) (3)
(4)
man kann nicht annehmen, dasz ..., sondern nur, dasz ... dieser Wurzel zunächst gelegen scheint aber lat. acuo ... acus könnte spitze aber auch Öhr der nadel ... gemeint haben, nicht unmöglich, dasz ... vielleicht gieng dem goth. áu ... voraus, nach diesen erörterungen wäre auge das sehende ... (Bd. 1, Sp. 789) diesen Vermutungen wird noch manches zur Sicherheit abgehen. (Bd. 4,1,1, Sp. 160) es hält schwer einem uralten wort, wie fraisan zu sein scheint, sein recht angedeihen zu lassen ... sollte es nach allem diesen zu kühn sein, hinter fraisan ein älteres faraisan, farasan zu ahnen ...? (Bd. 4,1,1, Sp. 120-121) dieser noch unsichere deutungsversuch durfte gewagt werden ... (Bd. 4, 1,1, Sp. 102)
In diesen Beispielen, die beliebig vermehrt werden können, findet sich eine ganze Palette von Ausdrucksmitteln, mit denen Jacob Grimm Aussagen ABSCHWÄCHT, PROBLEMATISIERT, IN FRAGE STELLT. Solche "Weichmacher" sind Modalverben (kann, durfte, sollte), auch im Konjunktiv (könnte), der Konjunktiv allgemein (wäre) und
Wörterbuchstile im DWB Futur I
(wird abgehen).
69
Hinzu kommen Modalwörter (vielleicht).
Außerdem begegnen wir der suggestiven rhetorischen Frage im Beispiel (3), der rhetorischen Figur der Litotes (nicht unmöglich), vager Referenz Vagheit ahnen,
(scheint,
es
hält
Deutungsversuche
unsichere,
Häufung (2):
(manches) und weiteren lexikalischen Mitteln der
zur
(4):
mit
Sicherheit
dieser
+
noch
der
Vermutungen,
zusätzlichen
abgehen).
Mittel,
Vermutungen
spiel
schwer,
ihr
Futur
I +
unsichere
+
zur
auffällig
Einsatz
Sicherheit
wie
im
abgehen;
deutungsversuch
werden,
Abschwächung
Besonders
geballter
gewagt
+
noch
ist
die
Beispiel oder
durfte
+
Bei-
gewagt.
All das ist Ausdruck der Tatsache, daß sich Jacob Grimm in seinen Wortartikeln
-
speziell
Teilen - nicht darauf
in den
der
Etymologie
gewidmeten
beschränkt, Fakten und Resultate
graphischer Forschung auszubreiten, sondern
lexiko-
einen wissenschaft-
lichen Diskurs führt. Wir begegnen hier der Etymologie
in pro-
gress. Jacob
am
Grimm
schungsprozeß
läßt
teilhaben,
Spekulationen vorlegt. daß er
sie nicht
den nachschlagenden indem
er
ihm
Keine Vermutung
seine ist
Benutzer
Überlegungen,
ihm
zu gewagt,
aussprechen würde. Allerdings, wie
der "Weichmacher" belegt, versäumt
Forja als
die Fülle
er es keineswegs, das Unsi-
chere, seine Vorschläge und Vermutungen, deutlich zu kennzeichnen.
Das
haben
schon
zeitgenössische
Kritiker
wie
Alexander
Flegler gesehen, der feststellt, dass er die blosse Vermuthung und die sichere Thatsache streng auseinanderhält, so dass es uns am Ende freigegeben ist, ihm bis zu jener zu folgen, oder uns behaglicher an die letztere anzulehnen. (Flegler 1853, 301)
Die Verwendung abschwächender Ausdrucksmittel ist nur ein - wenn auch besonders
auffälliger
-
Zug, der
sich mit
anderen
verbindet, so daß öfters geradezu kleine, in sich Abhandlungen
entstehen.
Solche
etymologischen
Zügen
geschlossene
Minimonographien
sollte man aber eher in der Deutschen Grammatik oder in der Geschichte der deutschen Sprache erwarten als im DWB. Sie sind es, die Pfeifer
dazu
geführt
haben, von Jacob
Grimms
"erzählendem
Ton" zu sprechen. Doch läßt sich jetzt präzisierend Jacob Grimm weniger etymologische
sagen, daß
Geschichten ERZÄHLT, als die
Herkunft und Entwicklung von Wörtern ERÖRTERT. So entstehen im wahrsten
Sinn
des
Worts
ABHANDLUNGEN,
in
denen
etymologische
Piischel
70 Fragen sorgfältig
und gelehrt behandelt werden
(vgl.
ABHANDLUNG;
Bd. 1, Sp. 54). Dies soll am Beispiel von BUHLE exemplarisch zeigt
werden,
indem
die
Handlungstruktur
Teils grob herausgearbeitet (5)
des
ge-
etymologischen
wird.
[1] Wie nun ist buole, bole, buhle zu deuten? [2] sich gleich ins ir. balach a fellow, a lad, a boy, oder gar ins skr. bâla, bâlaka puer, parvulus zu versteigen, scheint gefährlich. [3] unmittelbar näher liegt uns das eigne bube, buobe und der gedanke, dasz aus buobele, ahd. puopilo, mit ausgestosznem Β buole geworden sein könne, wie es ja auch im bua, bue der alpenbewohner (sp. 466) schwand. [4] entspringen doch hân, hât, gît aus haben, habet, gibet, und wer nach andern beispielen sucht, könnte den namen Uhland, mhd. Uolant (Neidhart 8, 7) zurückführen auf Uobelant, colonus, das umgekehrte lantuobo (Graff 1, 74), obschon er auch entsprungen sein dürfte aus Uodillant (Meichelb. 981), vie Roland aus Hruodlant. [5] die Vorstellungen bub, knabe und buhle berühren einander zusehends, hatte doch Göthe erst gedichtet: es war ein buhle frech genung, war erst aus Frankreich kommen. 10, 249, dann: es war ein knabe frech genung. 1, 181; [6] der buhle, wie ihn alle stellen unter 1 nehmen, die ein rein sittliches Verhältnis schildern, ist geradezu nichts als der unschuldige bue des alpenmädchens, und umgedreht, [7] ganz wie bube ausartet in den sinn von nequam, schlägt auch buhle um in den von moechus und adulter, die geliebte wird zu einer bübin und buhlerin. [8] nicht anders gewinnt das verbum buhlen den Übeln sinn von buben. [9] überrascht es nicht, dasz buobe und buole, zwei vorher ungebrauchte Wörter auf einmal zusammen im laufe des 13. jh. auftauchen? [10] Einwenden liesze sich, dasz die oberdeutschen hirten ihr bua, büa, bue, pui (pl. buabm, puibm) nur in büabl, büebl, bueberl, piabadl (Firmenich 2, 254) verkleinern, nicht, meines Wissens, in büal, piain; dann, dasz bue, bua nicht auf mädchen übertragen wird, wie doch buole (unter 2), [11] man erwäge aber bôbila (sp. 461). [12] die jedenfalls alte anwendung des ausdrucks auf die fälle unter 3 erklärt sich aus der Vorstellung des geliebten wie des knaben, setzt aber ein althergebrachtes, unanrüchiges wort voraus. [13] dieser versuch buhle aus bube zu deuten läszt zugleich die annahme höherer Verwandtschaft beider mit bâla, bâlaka, balach, puer, puella unangefochten. (Bd. 2, Sp. 500-501; Numerierung in eckigen Klammern U. P.)
Zunächst ([1]). zeigt zu
Da er
LEITET die mit
Bedeutung
TIERT er
den
wartet; und
Jacob
Etymologie [1] als und
Leser
In
am
Ende
Abschnitt des
ihn
mit
einer
Frage
Wörterbuchartikels
abgeschlossen
darüber, was
er WECKT
[2] wird
den
Gliederungssignal
Gebrauch
genden Bemerkungen. RISCHES.
Grimm
an,
daß
sind;
die
steht,
Erklärungen
zugleich
ORIEN-
im weiteren THEMATISCH
die AUFMERKSAMKEIT
des Lesers
EIN
für die
erfol-
In [1] geht es also vor allem um ORGANISATOdann eine erste THESE AUFGESTELLT, wie
man
Wörterbuchstile im DWB
71
sich an die Deutung von buhle annähern kann, allerdings nur um sie mit einer recht vagen BEGRÜNDUNG ("scheint gefährlich") ANZUZWEIFELN. Stattdessen wird in [3] eine zweite THESE AUFGESTELLT. Den Kern der zweiten THESE bildet die BEHAUPTUNG, daß bube und buhle miteinander zusammenhängen. BEGRÜNDET wird dieser Zusammenhang mit dem Argument, daß sich buole aus buobele entwickelt habe ("mit ausgestosznem B").12 Diese Annahme wird GESTÜTZT mit der Analogie von bua aus buobe. Weitere STÜTZEN finden sich in [4], wo zusätzliche Beispiele als BELEGE angeführt werden, aber auch vor Fallen GEWARNT wird ( . . . könnte . . . zurückführen auf ..., obschon ...). In [5] FÜHRT Jacob Grimm dann ein zweites Argument AN mit der BEHAUPTUNG, daß bub, knabe und buhle bedeutungsverwandt seien, was er mit zwei Goethe-Zitaten STÜTZT. Ein drittes Argument findet sich in [6] mit der BEHAUPTUNG, daß buhle ursprünglich wie das alpenländische bue ein rein sittliches Verhältnis bezeichnete, sodann aber eine parallele Bedeutungsentwicklung von bub und buhle zum Schlechteren hin stattfand ([7]). Das letztere wird wiederum GESTÜTZT mit einer BEHAUPTUNG über die Verben buhlen und buoben ([8]). Noch eine viertes Argument ist die BEHAUPTUNG in [9], daß buobe und buole zur gleichen Zeit in Gebrauch kamen. Der Text ist also ausgesprochen argumentativ angelegt. Von [1] und [2] abgesehen, STELLT Jacob Grimm eine THESE AUF und BEGRÜNDET dann diese THESE mit vier Argumenten. Dabei ist bemerkenswert, wie er mögliche Fallen in seinen Überlegungen mitbedenkt so z. B. wenn er in [4] vor einer wohl fehlerhaften Ableitung von Uhland WARNT. Bemerkenswert ist außerdem, daß er an seine Argumentation in [10] und [11] Hinweise auf grundsätzliche Schwierigkeiten anschließt. Jacob Grimm ARGUMENTIERT also nicht nur pro, sondern auch contra, wobei er allerdings das contra-Argument nicht für durchschlagend hält ("man erwäge aber bôbila" ). So wird aus einem ARGUMENTATIVEN Text eine ERÖRTERUNG.13 Doch damit ist die Abhandlung noch nicht beendet, denn in [12] erklärt er noch einen speziellen Fall ("die fälle unter 3"). Und in [13]
12 Der Verweis auf "sp. 466" ist falsch, es mu(B 3p. 458 heißen. 13 Auch Reichmann (in diesem Band) stößt auf das Muster ERÖRTERN. Allerdings erörtert Jacob Grimm nicht nur, wenn er den "Urbegriff" herausarbeitet, sondern beispielsweise auch morphologische und orthographische Probleme.
Püschel
72
schlägt er
den
Bogen wieder
zurück zum
Anfang,
indem
er BE-
HAUPTET, daß sein Deutungsversuch nicht im Widerspruch zu der in [2] nicht weiter verfolgten THESE stehe. Auf diese Weise wird die Abhandlung ABGESCHLOSSEN und ABGERUNDET. Die Fülle der verwendeten "Weichmacher" wurde als ein erster Indikator für den argumentativen Stil bei Jacob Grimm gewertet. Dieser quantitative Befund ist interessant, interessanter ist jedoch, wie er diese Ausdrucksmittel zusammen mit anderen einsetzt, um seine Argumentation DURCHZUFÜHREN. Auch das soll am Beispiel BUHLE im Überblick gezeigt werden: -
-
In [1] wird - wie schon gesagt - ORGANISATORISCHES bewältigt. Unter anderem LENKT Jacob Grimm die AUFMERKSAMKEIT der Leser, indem er SPANNUNG ERZEUGT, indem er eine gewisse UNSICHERHEIT ERKENNEN LÄSST (Fragesatz; "ist zu deuten" 'kann gedeutet werden als').14 Diese Unsicherheit kann die Überzeugungskraft der zu gebenden Antwort VERSTÄRKEN (vgl. Lausberg 1973, 383 zur dubitatio). Die ZURÜCKWEISUNG der ersten THESE ([2]) wird nicht inhaltlich, sondern "verfahrenstechnisch" BEGRÜNDET, indem davor GEWARNT wird, nicht voreilig zu sein {"gleich") und seine Fähigkeiten nicht überzustrapazieren ("sich versteigen"). Beides wird damit BEGRÜNDET, daß dies gefährlich sein kann, aber nicht muß (ABSCHWÄCHUNG durch "scheint"). Durch die Spitzenstellung der adverbialen Bestimmung in [3] ("unmittelbar näher") und die VERSTÄRKUNG des näher durch unmittelbar wird HERVORGEHOBEN, daß die zweite THESE im Gegensatz zur ersten näherliegender, angemessener und erfolgversprechender ist. Suggestive Kraft erhält diese THESE durch den APPELL an ein Zusammengehörigkeitsgefühl {"näher", "uns", "eigne"). Allerdings wird dann im Attributsatz durch das Modalverb im Konjunktiv Präsens ("könne") ein Teil der THESE ABGESCHWÄCHT (ein Gedanke bedeutet noch keine Gewißheit), was dann aber durch die als UNSTRITTIG DARGESTELLTE Analogie ("ja auch"·, Verb im Indikativ) ausgeglichen wird. Eine mögliche Schwachstelle der THESE wird also EINGERAHMT durch die HERVORHEBUNG und die DARSTELLUNG von UNSTRITTIGEM. Es fällt auf, daß der Zusammenhang von bube und buhle noch nicht EXPLIZIT FORMULIERT wird; er macht immerhin den Kern der THESE aus. Mit der Spitzenstellung des Verbs und der Partikel "doch" BEWERTET Jacob Grimm in [4] die angeführten Beispiele als UNSTRITTIG; er TRIFFT also eine FESTSTELLUNG. Damit VERSTÄRKT er aber auch das Gewicht seiner STÜTZEN. Im weiteren LEGT er NAHE, daß sich noch zusätzliche Beispiele finden ließen. Dies tut er, indem er BEHAUPTET, daß jemand "Uhland" aus "Uobelant" ableiten könnte ("... könnte ... zurückführen auf ...") - jedoch nicht ohne diese STÜTZE ABZUSCHWÄCHEN, indem er auch eine andere Ableitung als sehr gut möglich BEHAUPTET ("obschon", "dürfte") und diese mit einem analogen Beispiel STÜTZT.15
14 Der modale Infinitiv ist allerdings nur ein schwaches Indiz, da er auch mit 'darf', 'muß' oder 'soll' aufgelöst werden kann. 15 Da Jacob Grimm hier "auch" eingefügt hat, bleibt in der Schwebe, ob er zwei Ableitungsmöglichkeiten zugleich annimmt oder ob er die zuerst angeführte Möglichkeit verwirft.
73
Wörterbuchstile im DWB -
-
-
Die BEHAUPTUNG in [5] wird mit großer Sicherheit vorgetragen, VERSTÄRKT noch durch "zusehends". Die STÜTZE wird durch den Namen Goethes AUFGEWERTET, dessen Autorität mit "doch" HERVORGEHOBEN wird. In [6] und [7] werden FESTSTELLUNGEN gemacht, teilweise mit VERSTÄRKUNG ("geradezu nichts als"; "ganz wie ... auch"), d. h. Jacob Grimm stellt die BEHAUPTUNGEN als Tatsachen hin, da er keinerlei ABSCHWÄCHENDE Mittel verwendet. Seine Durchschlagskraft erhält dieses dritte Argument durch die bloße AUFZÄHLUNG und den NACHTRAG in [8] {"nicht anders ..."). Die Reihe der Argumente wird abgeschlossen mit einer rhetorischen Frage([9]), bei der offenbleiben muß, ob mit ihr die Schwäche dieses Arguments VERSCHLEIERT werden soll, wobei auf die Suggestivkraft der rhetorischen Frage vertraut wird (vgl. Lausberg 1973, 379f. zur interrogatio), oder ob auf diese Weise das Argument als Höhepunkt und krönender Abschluß der Argumentreihe präsentiert wird.
4.1.2. Abhandeln durch Entfalten Die Ausführungen zur Etymologie bilden also häufig kleine, in sich geschlossene erörternde Abhandlungen. So besitzen sie zwar ein gewisses Maß an Eigenständigkeit, aber sie stehen in den Wörterbuchartikeln keineswegs isoliert. Wenn Jacob Grimm bei der Etymologie von BUHLE auch contra-Argumente anführt und besondere Fälle behandelt ([10] und [12]), bezieht er sich ausdrücklich zurück auf die vorausgegangenen Erklärungen zu Bedeutung und Gebrauch. Wer also seine Ausführungen bis ins Detail nachvollziehen will, der muß auf jeden Fall auch in die anderen Artikelteile schauen. Noch zwingender zeigt sich der Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilen, wenn die etymologischen Ausführungen den Erklärungen zu Bedeutung und Gebrauch vorausgehen. Denn in vielen Fällen bauen diese auf der vorangestellten Etymologie auf, wie sich an ARBEIT sehen läßt (vgl. Dückert 1987a, 27): (6)
1) ursprünglich, wie wir sahen [im etymologischen Teil] ... 2) allmählich heiszt alles arbeit ... 3) [Beispiele für Bezeichnungen von nichtkörperlicher Tätigkeit als Arbeit] 4) noch allgemeiner übertragen wir ... 5) die Vorstellung der arbeit wird an einzelne zustände geknüpft, die anhaltende anstrengung oder naturthätigkeit zu erkennen geben. ... 6) hieran grenzt nun unmittelbar die von schwerer knechtsarbeit zuerst abgeleitete abstraction ... (Bd. 1, Sp. 538-541)
Insgesamt haben wir es auch hier mit einer kleinen Abhandlung zu tun, die allerdings nicht
erörternd
angelegt
ist.
Stattdessen
werden Bedeutung und Gebrauch von arbeit in sechs Abschnitten
Püschel
74
ENTFALTET. Mit Entfalten, das Jacob Grimm selber verwendet,16 ist dabei folgendes gemeint: Jacob Grimm unterscheidet sich in seiner Darstellungsweise von der Praxis vieler Lexikographen (so auch von den Vorgängern Adelung und Campe) dadurch, daß er nicht einfach Teilbedeutungen auflistet. Seine Darlegungen gewinnen in einer Reihe von Fällen ihren Abhandlungscharakter daraus, daß die angeführten Bedeutungen explizit aufeinander bezogen werden, indem sie in eine historische Abfolge gebracht werden und indem diese Abfolge erläutert wird. Jacob Grimm beschreibt die Bedeutungsgeschichten von Wörtern, oder er entwirft "Entwicklungsbäume" von Bedeutungen (Schmidt 1986, 23). Damit wird aber auch ein Prinzip klar, auf dem ABHANDELN durch ENTFALTEN beruht:17 Es ist die zeitliche Abfolge in der Bedeutungsentwicklung eines Worts, an der sich die Darstellung orientiert - das historische Prinzip findet deutlichen Ausdruck. Zugleich illustriert dieses Beispiel Jacob Grimms Bemerkung, "das lateinische wort soll den begrif der
weder
von
nachfolgenden
grund
aus
erörterung
festigen und
noch den
erschöpfen,
belegsteilen
das
bleibt
überlassen"
(Vorrede Bd. 2, Sp. II; vgl. auch Dückert 1987a, 32) VORBEREITET wird die Bedeutungsgeschichte von arbeit durch die Überlegungen zur Etymologie, auf die mit "wie wir sahen" explizit BEZUGGENOMMEN wird. Auf diese Weise werden der etymologische Teil und die Erklärungen zu Bedeutung und Gebrauch IN ZUSAMMENHANG GEBRACHT, und der etymologische Teil erhält im Rückblick seinen spezifischen Stellenwert: Anknüpfungspunkt für die Geschichte der Bedeutung. Daß es sich bei den Darlegungen zu Bedeutung und Gebrauch um die Entfaltung der Bedeutungsentwicklung von arbeit handelt, wird zum Teil AUSDRÜCKLICH GESAGT: " ursprünglich", "allmählich"; zum Teil aber auch nur ANGEDEUTET: "noch
allgemeiner
einzelne
zustände
übertragen geknüpft
wir", ...".
"die Ein
Vorstellung Benutzer,
der
... im
wird
an
Artikel
ARBEIT an beliebiger Stelle in die Erklärungen zu Bedeutung und Gebrauch einsteigt, wird durch solche Bemerkungen automatisch von seiner Einstiegsstelle zumindest bis auf den direkt voraus-
16 "... alle Worterklärung, wenn sie gedeihen soll, musz ihn ermitteln und entfalten." (Vorrede Bd.l, Sp. XLV; vgl. Wiegand 1989, 253). 17 Weitere Prinzipien der Bedeutungsgliederung beschreibt Dückert 1987a, 2932.
Wörterbuchstile im DWB
75
gehenden Abschnitt zurückverwiesen. Da die Teilerklärungen aufeinander aufbauen, ergibt sich die Notwendigkeit zumindest einen Teil des Artikels durchzulesen; der nachschlagende Benutzer wird zwangsläufig zum Leser. Eine Abweichung von dem skizzierten Verfahren findet sich im Artikel ARBEIT unter 3). Hier wird nicht eine Entwicklungstufe in der Bedeutung markiert, sondern es werden nur BEISPIELE für den Gebrauch AUFGEFÜHRT. Was diese Beispiele eint, muß der Leser selbst herausfinden; und daß auch dieser Abschnitt einen bestimmten Platz in der Bedeutungsgeschichte einnimmt, darf der Leser aus dem Gesamtaufbau des Artikels ableiten. Auch daß die in den drei ersten Abschnitten aufgeführten Bedeutungen und ihre Entwicklung in einem sehr engen Verhältnis zueinanderstehen, wird für den Leser nicht in jedem Abschnitt angemerkt. Das erfährt er erst, wenn er die auf den dritten Abschnitt folgende zusammenfassende Darstellung über den Gebrauch zur Kenntnis nimmt ("Von allen diesen bedeutungen unter 1. 2. 3. heiszt es nun:"). Aus dem Rahmen fallen auch die Ausführungen unter 6). Hier wird offensichtlich die bedeutungsgeschichtliche Abfolge ignoriert, denn es wird aufgrund der engen Bedeutungsbeziehung an den fünften Abschnitt ANGEKNÜPFT ("hieran grenzt nun unmittelbar"). Bedeutungsgeschichtlich dagegen gehört der sechste Abschnitt eher zu den drei ersten Abschnitten, ("die von schwerer knechtsarbeit zuerst abgeleitete abstraction"). Jacob Grimm durchbricht an dieser Stelle das bedeutungsgeschichtliche Prinzip zugunsten der Berücksichtigung der engen Bedeutungsnachbarschaft.18 Wie man sieht, wird auch diese Abhandlung abgeschlossen, indem von der letzten Teilbedeutung ein Bogen zum Anfang zurückgeschlagen wird. Außerdem gelingt es Jacob Grimm auf diese Weise, einem anderen Prinzip Rechnung zu tragen, daß nämlich am Ursprung die konkretere Bedeutung steht, auf die dann erst die abstraktere folgt.
18 Dückert 1987a, 29 nennt arbeit als Beispiel dafür, daß der Verlauf der historischen Entwicklung nicht nachgezeichnet werde. Tatsächlich wird das Prinzip nicht strikt durchgehalten, außerdem mangelt es - wohl notwendigerweise - an historischer Konkretheit, wie sie beispielsweise bei FRAUENZIMMER zu finden ist.
76
Päschel
Anders als bei den etymologischen Artikelteilen wird bei den Erklärungen
von
Bedeutung
und
Gebrauch
der
Abhandlungscharakter
für den Benutzer nicht so deutlich. Das liegt zum einen daran, daß die Erklärungen sehr knapp gehalten sind, oft nur elliptisch formuliert
sind,
manchmal
auch
völlig
fehlen.
So
bleibt
der
TextZusammenhang verdeckt. Zum andern liegt es aber auch daran, daß zwischen die Erklärungen eine mehr oder weniger große Zahl von Belegen eingeschoben
ist, was den Textzusammenhang zerreißt
und die Tatsache verdeckt, daß hier die Geschichte von Wortbedeutungen entfaltet wird. Die Probe aufs Exempel läßt sich aber an so manchem Artikel machen, indem man die Belege einfach ausläßt und die Erklärungen zusammenschreibt. Es ergeben sich vielfach kleine, wenn
auch
sehr einfache
Texte mit
deutlichem Ab-
handlungscharakter .
4.1.3. Artikelübergreifendes Abhandeln In den bisher
angeführten
Beispielen
für Jacob Grimms
Abhand-
lungsstil wurde der Abhandlungscharakter einzelner Artikelteile, aber auch ganzer Wörterbuchartikel angesprochen. Darüber hinaus stellt Jacob Grimm auch artikelübergreifende die ebenfalls
zum
abhandlungsartigen
buchanteils beitragen
Zusammenhänge her,
Charakter
(vgl. auch Dückert
seines
1987a, 28).
WörterEin
Bei-
spiel dafür ist FRO, das als Lemmazeichen aufgenommen wird, obwohl es als Eigenname
nicht ins DWB gehört. Zu FRO gibt Jacob
Grimm dann lediglich die Etymologie, und das ist auch der Grund dafür, dieses
Lemmazeichen
überhaupt
zu
berücksichtigen.
Denn
auf diese Weise hat er an einer Stelle die etymologischen Hinweise untergebracht, die er für eine Reihe weiterer Lemmazeichen braucht : (7)
ins nhd. Wörterbuch gehört fro wegen des folgenden adj. [FRO, FROH], wegen fron und wegen frau. (Bd. 4,1,1, Sp. 221)
Entsprechend
dem
alphabetischen
Prinzip
muß
Jacob
Grimm
eine
Reihe von Wörtern getrennt voneinander behandeln, die aufgrund der gemeinsamen Offensichtlich
Etymologie in einem engen würde
er
diese
Wörter
am
Zusammenhang liebsten
vereint behandeln. Da ihm dies aber verwehrt wenigstens die Artikel
stehen.
miteinander
ist, gruppiert er
FRAU, FRO/FROH und FRON um
den Artikel
Wörterbuchstile im DWB
77
FRO 'dominus' und stellt die Zusammenhänge durch ausdrückliche Verweise sicher (mit dreimaligem begründendem wegen). Was Jacob Grimm ebenso gut oder gar besser in einem geschlossenen Text hätte abhandeln können, versucht er - der alphabetischen Not gehorchend - durch die zentrale Behandlung der Etymologie und dann durch Hin- und Herverweise für den Benutzer als zusammenhängend zu verdeutlichen. Dem Benutzer wird zwar kein kohärenter Text mehr vorgelegt, er kann sich aber aus den verschiedenen, über mehrere Artikel verteilten Teilausführungen ein Bild zusammenzusetzen. Mit Blick auf das DWB bemerkt Wilhelm Scherer, daß das Wörterbuch "streng genommen keine wissenschaftliche Form" sei, denn: "Wissenschaft ist nothwendig System, nach gedankenmäßiger Ordnung gegliedertes Ganzes." (Scherer 1885, 308). Dem widerspreche aber die alphabetische Anordnung. Auf Jacob Grimm gewendet fährt Scherer fort, daß das Alphabet dem Lexikographen Grimm Arbeitsprinzipien abverlange, die ihm in seinen bisherigen Arbeiten fremd gewesen seien: Die Persönlichkeit des Autors, sich hindurcharbeitend durch die Sachen, Licht schaffend mit Axthieben rechts und links durch den Wald, war das belebende Element, das alle bisherigen Bücher Jacob Grimms durchdrang. (Scherer 1885, 30)
Was Jacob Grimms eigentliche Stärke ausmacht, gereicht ihm nach Ansicht Scherers im DWB zum Nachteil, da er das "belebende Element" nicht in sich unterdrücken könne. Während Scherer betont, daß das DWB Jacob Grimm zu einer Arbeitsweise zwinge, die sich fundamental von der an der Deutschen Grammatik unterscheide, geht Alfred Götze in eine andere Richtung und kehrt den Spieß kurzerhand um: Es [das DWB] ist zunächst nicht als Nachschlagewerk gemeint, sondern es ist ein grammatisches Werk, das aus äußern Gründen und weil keine sachliche Erwägung dagegen spricht, seinen Stoff in alphabetischer Folge, nicht sachlich gegliedert, vorträgt. (Götze 1903, 90)
Zwar räumt Götze ein, daß das DWB auch ein Nachschlagewerk sei, aber das ist für ihn nur ein sekundärer Aspekt - eine Auffassung, die er inhaltlich begründet: Lautgeschichtliche, etymologische, syntaktische Sprachforschung und geschichtliche Gramma-
Piìschel
78 tik
werden
stellt
er
geboten.
Und
erneut
auf
die
Textsorte
eingehend
fest:
Daß es die Ergebnisse dieser Forschung in alphabetischer Folge mitt e i l t , ist eine Äußerlichkeit, die nirgends schadet, wenn durch ausgiebige Verweisungen sachlich Zusammengehöriges verbunden wird, und die ermöglicht, daß das Wörterbuch nebenher seinen zweiten, praktischen Zweck e r f ü l l t . (Götze 1903, 91) Tatsächlich
finden
sich
neben
Fällen,
in
denen mehrere
Artikel
i n h a l t l i c h geradezu a u f e i n a n d e r abgestimmt
s i n d , b e i Jacob Grimm
ein
von
außerordentlich
feingesponnenes
Netz
Verweisen.
Dabei
geht es zum e i n e n um eher f o r m a l e V e r w e i s e w i e (8) (9) (10)
EWIGER . . . s. verewigen. (Bd. 3, Sp. 1204) EWIGVIEH wie ewigkuh. (Bd. 3, Sp. 1207) EWIGKOH f . eiserne kuh, s. ewig 3. (Bd. 3, Sp. 1206)
(11)
ETTERGESTE, f.
virga sepis,
ward eben angeführt.
[ d . h. im vorangehen-
den Artikel] (Bd. 3, Sp. 1181)
und zum anderen um mehr i n h a l t l i c h e V e r w e i s e w i e ETWAH, dieselbe partikel, deren abstumpfung wir vorhin unter etwa erörterten, . . . (Bd. 3, Sp. 1182) FLAU, infirmus, debilis, eigentlich aber dilutus und von f l e w e n , f l a u e n (sp. 1735) herzuleiten, . . . (Bd. 3, Sp. 1734) EMSIG, . . . , den stamm fanden wir oben sp. 419 in emesz jugum . . . (Bd.
(12) (13) (14)
3, Sp. 443)
(16) (17) (18)
FEIX, . . . schon oben sp. 1225 unter fachs aufgeführt, fordert hier noch genaueren nachweis ... (Bd. 3, Sp. 1473) ABKNAPSEN, frequentativ des vorigen, . . . ( B d . 1, Sp. 61) ABKNIPSEN, fortbildung des vorigen, . . . ( B d . 1, Sp. 62) ABSCHLXGLICH, gleichviel mit dem vorigen. ... (Bd. 1, Sp. 103)
(19)
ABSCHHIPPELR, . . . ,
(15)
Gerade d i e
letzten
vorausverweist, siert, (20)
frequentativ
Beispiele
wobei
es
des folgenden.
zeigen
gut,
ihm im E i f e r
wie
des
daß e r A r t i k e l g r e n z e n s y n t a k t i s c h
Jacob
Gefechtes
zurück-
und
sogar
pas-
überspringt:
FACHSEN, FECHSEN, FEXEN, messem facere ... fächsen wäre dann grasen, heuen, abgrasen, ernten, wobei die Verwandtschaft zwischen haru Unum und hâr crinis in betracht käme, auch scheint dafür zu sprechen das folgende
F&CHSER, FECHSER, m. viviradix, ... Scherer
wie
Götze
haben
erkannt,
(Bd. 4,1,1, Sp. 1225) daß
der
Grimms ( a b e r auch d e r anderen B e a r b e i t e r ) g e n ö s s i s c h e n Erwartungen dies
(Bd. 1, Sp. 107)
tadelnd vermerkt,
Grimmschen
Zielsetzung
nicht
deutet -
ein
entspricht.
Wörterbuchstil
Jacob
schon bestimmten
zeit-
Doch während
es Götze p o s i t i v Werk
Scherer
um, womit e r
belehrenden
Charakters
der zu
s c h a f f e n - wohl eher g e r e c h t w i r d . B e i d e r
U r t e i l e stehen aber im
Einklang
Grimms,
seine
mit
Bücher
einem ohne
Selbstzeugnis Konzept
Jacob
niedergeschrieben
habe
demzufolge (das
ist
er der
Wörterbuchstile im DWB
79
Scherersche "Axthieb"), was dem DWB aber am wenigsten nachteilig gewesen sei, da das Alphabet einen festen Leitfaden abgebe (dem entspricht Götzes Auffassung vom Alphabet als einem äußerlichen Prinzip). Für Jacob Grimm
bietet
diese Äußerlichkeit
den
Vor-
teil, daß die alphabetische Ordnung alles einzelne anzulegen sicher gestattet, so geräth das werk besser in flusz, ... aber des flusses wärme dauert auch länger als niederschreiben und druck, eine zeitlang hinterher fallen mir noch gute dinge ein ... (Brief an Zarncke vom 30. 4. 1853; nach Kirkness 1980, 194) Diese Selbstbeschreibung enthält in gewisser Weise nur die halbe Wahrheit; denn Jacob Grimm fallen nicht nur hinterher gute Dinge ein, sondern auch während der Arbeit. Doch das führt weniger zum artikelübergreifenden
Abhandeln,
sondern
zu
einem
spezifischen
Exkursstil. So nimmt er beispielsweise das Lemmazeichen
EUROPA
auf, stellt einige Belege dazu, um dann zu erklären: (21)
Weder
Zwar sind, nach dem plan des Wörterbuchs, eigennamen der leute und örter davon ausgeschlossen, ausgenommen wo sie appellativisch werden oder andere hierher gehörige beziige bieten, z. b. Deutschland, 2, 1052. Engelland 3, 474, 481. Böheim 2, 222. (Bd. 3, Sp. 1197) werden
appellativische
Gebräuche
von
Europa
behandelt,
noch werden die Bezüge zwischen den angeführten Ländernamen und dem Lemmazeichen verdeutlicht. Stattdessen fährt er fort: (22)
an gegenwärtiger stelle mag die behandlung, meistens mishandlung aller ländernamen in unserer spräche einmal kurz erwogen werden. (Bd. 3, Sp. 1197)
Wer - wenn
er überhaupt
eine Abhandlung
über
die
Bildung
der
Ländernamen im DWB sucht - wird ausgerechnet unter EUROPA nachschlagen?
Beispiele
dafür,
daß
sich
Jacob
Grimm
durch
seine
vielfältigen Interessen, aber auch Hobbys zu Abschweifungen hinreißen läßt, finden sich zahlreich. Zu "(3) fall, casus" im Artikel FALL gibt er eine bewertende Übersicht über die konkurrierenden Termini, um dann mit der Feststellung zu schließen: (23)
man hat sich endlich überzeugt, dasz auch für sprachvergleichende forschung nothwendig ist, die lateinische (aus der griechischen stammende) terminologie zu behalten. (Bd. 3, Sp. 1276)
Die Bemerkungen etwa zu AMTMANN, AMTMKNNIN oder ANRICHTE sind zu bekannt, um sie noch zitieren zu müssen. Schon Wurm kanzelt solche Fälle als eine "Art Schriftstellerlaune" ab (Wurm 1852, 8), und auch Gervinus äußert sich kritisch:
80
Piischel
Die Naivetäten sind einigemale köstlich, stehen aber in einem Wörterbuche freilich seltsam an, wie ζ. B. sub voce A m t m ä n n i n . (Brief vom 10. 12. 1852 an Dahlmann; nach Kirkness 1980, 213)
Bei mancher dieser Abschweifungen handelt es sich gewiß um Grimmsche Idiosynkrasien; andere sind jedoch Ausdruck des Bemühens, möglichst viel an Zusammenhängen darzustellen, auch wenn die Einzelstellen für sich genommen eher merkwürdig und verwirrend wirken. Die Liste seiner Wörterbuch-Prinzipien eröffnet Jacob Grimm mit dem bekannten Diktum: Wörterbuch ist die alphabetische Verzeichnung der Wörter einer spräche. (Vorrede Bd. 1, Sp. IX)
Hier verteidigt er sich vor allem gegen Daniel Sanders, der gegen das unorganische, den Zusammenhang zerreißende Alphabet wettert und für das Stammwort-Prinzip plädiert (Sanders 1852, 13; vgl. auch Holly 1986). Dieses garantiert für Sanders "ein Ganzes, das dem Benutzer nicht bloß Nachschlage- sondern Lesebuch wäre" (ebd.). Im Rückblick hebt Helmut Henne hervor, daß die Selbstverständlichkeit, mit der im 19. Jh. die alphabetische Anordnung hingenommen werde, erstaunlich sei, daß aber auch immer wieder gegen diese "alphabetische Trägheit" angekämpft worden sei (Henne 1977, 21). Ein genauer Blick in den von Jacob Grimm bearbeiteten Teil des DWB zeigt nun ein gemischtes Bild: Zwar ist das Alphabet striktes Anordnungsprinzip, es wird aber auch vielfach dem Auseinanderreißen des Zusammengehörigen gegenzusteuern gesucht. Zwei Gründe lassen sich dafür anführen: Zum einen will Jacob Grimm Uber das Nachschlagebuch hinaus ein Buch mit lesbaren Texten vorlegen, und zum andern beugt sich seine nichtlexikographische Arbeitsweise nur schwer den lexikographischen Anforderungen. Was Jacob Grimm versucht hat, ist so etwas wie die Quadratur des Zirkels.
4.2. Persönlicher Stil: Selbstdarstellung und Leseransprache Neben dem Abhandlungsstil findet sich noch ein weiterer auffälliger Stilzug in Jacob Grimms Wörterbuchartikeln. Er schreibt nämlich keine trockenen, ganz die Sache in den Vordergrund rückende Abhandlungen, sondern er tut sehr viel dafür, seine
Wörterbuchstile im DWB
81
Texte ABWECHSLUNGSREICH, ja manchmal SPANNEND zu MACHEN und nach Möglichkeit die AUFMERKSAMKEIT und das INTERESSE des Lesers zu LENKEN. Aus der großen Zahl von Mitteln, die für diesen Zweck verwendet werden, können nur einige vorgestellt werden. Besonders auffällig ist die ANSPRACHE und EINBEZIEHUNG des Lesers, womit eine ausgeprägte IMAGEARBEIT des Autors einhergeht. Nicht ein abstrakter, unsichtbarer Lexikograph hat die Wortartikel geschrieben, sondern die Person Jacob Grimm (die auch häufig mit ich auf sich bezugnimmt), und diese Person wendet sich direkt an zwar unbekannte, aber doch konkrete Benutzer. Dies zeigt sich vor allem in den etymologischen Artikelteilen, in denen ein differenziertes Bild von dem gegeben wird, was gesichert, was fraglich und was bloß vermutet ist. Damit verbunden ist eine spezielle Selbstdarstellung Jacob Grimms, der sich auf diese Weise zuerst einmal absichert. Dann STELLT er sich aber auch als Wissenschaftler DAR, der ein ausgeprägtes Problembewußtsein besitzt und der mit den Problemen ringt. Das muß einfach beim Leser VERTRAUEN ERWECKEN: Wer so entwaffnend seine Stärken und Schwächen offenlegt, dem kann man trauen. Außerdem zeigt ein starkes Selbstbewußtsein, wer sich nicht zu bekennen scheut, was er weiß und was nicht. Der Selbstdarstellung durch erörterndes Abhandeln korrespondiert (wie schon gesagt) die LESERANSPRACHE. Daß noch "vieles verdeckt liege", daß es sich oft um "Vermutungen", "unsichere deutungsversuche" handele, daß vieles nur Möglichkeit und Wagnis sei, impliziert eine AUFFORDERUNG an den interessierten und befähigten Leser, den aufgeworfenen Problemen nachzugehen. Dieser Appell zeigt sich besonders deutlich, wenn Jacob Grimm fragt "sollte es nach allem diesen zu kühn sein ...?" - eine Frage, die natürlich bloß rhetorisch gemeint sein kann, die der Leser aber auch als ENTSCHEIDUNGSFRAGE verstehen kann und als AUFFORDERUNG, sich auf die Suche nach einer Antwort zu machen. Zumindest e i n Benutzer des DWB - W. L. solche Appelle reagiert und ist auf das schaftlichen Diskurs eingegangen. In seinen zum Grimm'sehen Wörterbuch" nimmt er Jacob
van Helten - hat auf Angebot zum wissen"Fünfzig Bemerkungen Grimms Bemerkung zur
82
Piischel
Etymologie von arg auf
(die sich im Artikel ASCHE findet) und
äußert sich folgendermaßen dazu: Wenn die sp. 579 vorgetragene etymologie des adject, arg vom grossen Verfasser des Deutschen Wörterbuches selber eine kühne genannt wird, giebt es wohl niemand, der die Wahrheit dieser aussage in abrede stellen will; in der that ist sie aus der luft gegriffen und entbehrt selbst des geringsten grundes so sehr, dass eine weitere besprechung derselben als ganz und gar überflüssig betrachtet werden kann, (van Helten 1874, 1)
Implizite AUFFORDERUNGEN an den Leser finden sich auch in anderer Form, so wenn es beispielsweise heißt: (24)
FOT, m. in folgenden stellen hochdeutscher gedichte verstehe ich nicht: ... (Bd. 4,1,1, Sp. 42)
Offenbar verfügt Jacob Grimm Uber Belege, auf deren Abdruck er aus welchen Gründen auch immer nicht verzichten möchte. Mit dem EINGESTÄNDNIS, daß er die Belege nicht versteht, gibt er aber doch eine BEGRÜNDUNG für deren Aufnahme, die sich folgendermaßen lesen läßt: Wer mehr über die Bedeutung von fot weiß oder einen Deutungsvorschlag machen kann, der möge es mir oder der wissenschaftlichen Welt mitteilen. Etwas anders sieht es dagegen bei FRANSTRECK aus: (25)
das seltene wort wird sich bei Frank wol noch mehr finden. (Bd. 4,1,1, Sp. 59)
Mit einer solchen Bemerkung läßt sich KOMPETENZ und UBERBLICK DEMONSTRIEREN, für den interessierten Benutzer ist es die AUFFORDERUNG, genauer nachzusuchen. Bei franstreck hat Jacob Grimm nicht das Bedürfnis, weitere Belegstellen anzuführen. Bei anderer Gelegenheit sind ihm die Belege so wichtig, daß er deren Anhäufung gegenüber dem Leser BEGRÜNDET, z. B. bei FIESZ: (26)
ich muste alle stellen, so vieler ich habhaft werden konnte, versammeln, um ein heut längst erloschenes, merkwürdiges wort aufzuklären. (Bd. 3, Sp. 1628)
Auch mit dieser RECHTFERTIGUNG wendet sich Jacob Grimm an den Leser, und er BEZIEHT ihn MIT EIN, indem er ihn einen Blick in die Werkstatt des Lexikographen und Etymologen werfen läßt. Dem Leser wird gezeigt, daß es schwierige Fälle gibt, und er erfährt, wie der Lexikograph an solche schwierigen Fälle herangeht . In diesem Beispiel vermittelt Jacob Grimm nur einen kurzen
Wörterbuchstile im DWB
83
und recht nüchternen Einblick; ganz anders sieht es bei BASTART aus : (27)
Um den ursprung und sinn dieses worts su ermitteln, musz vor allem geforscht werden, wo es zuerst erscheint, man findet es nun weder ahd., noch ags., weder in den gesetzen und capitularien, noch bei den lateinschreibenden Chronisten Frankreichs oder Deutschlands vor der zweiten hälfte des eilften jh. (Bd. 1, Sp. 1150)
Hier wird ebenfalls Einblick in die Werkstatt gewährt, auch wenn der Leser zuerst einmal eine Banalität erfährt. Gerechtfertigt ist dieser Hinweis dann aber durch die AUFZÄHLUNG all der Stellen, an denen man die gewünschte Information eben nicht findet. Der Lexikograph führt dem Leser einmal exemplarisch vor, wie er arbeitet, welchen Aufwand er treiben muß und welche Umwege er zu machen hat, bevor er erfolgreich ist. Zugleich WECKT er beim Leser durch die Aufzählung der Mißerfolge eine gewisse SPANNUNG: Wo erscheint denn nun das Wort zuerst? Wenn die Katze endlich aus dem Sack gelassen wird, dann wiederum nicht durch sachliches Anführen des Belegs, sondern begleitet von einem Fanfarenstoß: (28)
der berühmte normannische Wilhelm, der natürliche söhn herzog Roberts und eroberer Englands im j. 1066, ist der erste unter diesem namen vorkommende. (Bd. 3, Sp. 1150)
So vorbereitet, kann sich der Leser nun in das Studium der Belege und Erläuterungen vertiefen. Aufmerksamkeit lenkende und Interesse weckende Mittel verwendet Jacob Grimm auch reichlich, wenn er BESONDERHEITEN an einem Wort HERAUSSTELLEN möchte.
So nennt er das oben zitierte
fiesz ein
"merkwürdiges wort", und zu EGERT, EGERDE und EH bemerkt er: (29) (30)
ein wol uraltes wort von klarer bedeutung, aber schwer zu erratender gestalt. (Bd. 3, Sp. 34) eine noch in kein Wörterbuch gelassene, auffordern oder leichtes stau-
nen ausdrückende interjection. (Bd. 3, Sp. 35)
Diese Art von Hinweisen, die dem Wort Aufmerksamkeit und Interesse des Lesers sichern sollen, berühren sich mit solchen, die oft sehr persönlich gefärbte Urteile Jacob Grimms enthalten. Schon Wurm hat daran Anstoß genommen, daß es bei ANHEIMELN heißt "eine
liebliche
Wortbildung"
(Bd.
1, Sp.
372), und
er
vermerkt
dazu: Statt dieses Empfindungsausbruches sage uns das Wörterbuch, daß dieses schweizerische Wort das innige Heimathsgefühl dieses Völkchens ausdrücke und mit dem Dativ oder Accusativ sich konstruire. (Wurm 1852, 8)
84
Piischel
Wurm
fordert
delt
aber
sachliche
auch
Informationen
indirekt,
daß
der
statt
Bewertungen;
Autor
aus
dem
er ta-
Wörterbuch
spricht, indem er gegen die Gefühlsausbrüche, die ja an Personen gebunden sind, das Wörterbuch als abstrakte und Instanz setzt ("sage uns das
überindividuelle
Wörterbuch").
Aus der Fülle positiver wie negativer Kommentare, die die verschiedenartigsten
Aspekte
beziehen,
sich
auf
seien nur vier ange-
führt . (31)
(32) (33) (34)
EBICH ... schade, dasζ ein so schöner, nöthiger ausdruck nur aus einzelnen spuren zu erkennen ist und in der spräche seine macht verloren hat. (Bd. 3, Sp. 18) FÄCHELN ... unsern dichtem muste das einfache wort willkommen sein, zeigt sich aber erst im 17. jh., häufiger aber in des 18. zweiter half te. (Bd. 3, Sp. 1222) FBEISAH ... die nhd. Schreibung, gewissenlos wie sie ist, ich stelle das ss her. (Bd. 4,1,1, Sp. 121) ECHT ... die nhd. Schreibung ächt ist verwerflich. (Bd. 3, Sp. 20)
Mit solchen Urteilen EXPONIERT SICH Jacob Grimm, solche lobenden wie tadelnden Kommentare LENKEN aber auch die AUFMERKSAMKEIT des Lesers auf das betroffene Wort und seine Eigenschaften; halten
zudem
eine
implizite
AUFFORDERUNG,
dem
sie ent-
Urteil
Jacob
Grimms zu folgen und ein Wort zu gebrauchen oder zu meiden oder sich einer Schreibung anzuschließen oder sie zu verwerfen. 19 Neben solchen die Aufmerksamkeit
lenkenden Kommentaren verwendet
Jacob Grimm einer Reihe verschiedenartiger Mittel, um seine Wörterbuchtexte
zu
GLIEDERN
und
den
Leser
zu
ORIENTIEREN:
ζ.
B.
verschiedene Schriftarten, Zahlen, aber auch explizite Formulierungen : (35) (36) (37) (38) (39) (40) (41)
hier sind belege für unser feim: (Bd. 3, Sp. 1451) Wie hat man nun dieses echt zu fassen? (Bd. 3, Sp. 20) nach diesem versuch einer geschichte und etymologie des Wortes forst bleibt wenig über seinen heutigen gebrauch zu bemerken. (Bd. 4,1,1, Sp. 4) alle diese ableitungen bleiben noch höchst zweifelhaft, halten wir uns an die bedeutungen. (Bd. 3, Sp. 1475) Dies alles erörtert folgen nun die einzelnen fälle unseres nhd. finden. (Bd. 3, Sp. 1643) so die form, schwieriger die bedeutung. (Bd. 3, Sp. 491) Nhd. ist firne noch beschränkter ... und alt dient für beide bedeutungen, es ist 1) gegensatz des jungen ... 2) gegensatz des neuen ... (Bd. 3, Sp. 263-264)
19 Zu normativen Kommentaren Jacob Grimms vgl. Peter Kühn in diesem Band.
Wörterbuchstile im DVB
85
Mit Formulierungen wie (35) oder (36), die über das weitere Vorgehen ORIENTIEREN, wird zugleich implizit der vorausgehende Textteil ABGESCHLOSSEN. In den Beispielen (37) bis (40) werden die vorangegangenen Ausführungen sogar explizit ABGESCHLOSSEN. Es fällt auf, daß bei der Darstellung von Bedeutung und Gebrauch eher Kombinationen von Absatzbildung und Zahlen verwendet werden wie im Beispiel (41) (dazu kommen gegebenenfalls noch Buchstaben), während explizite Formulierungen zur Trennung von Artikelteilen dienen, also ζ. B. zwischen der Aufzählung von Wortformen und dem etymologischen Versuch wie in Beispiel (40), vor allem aber zwischen dem etymologischen Teil und der Erklärung von Bedeutung und Gebrauch wie in den Beispielen (35) bis (39). Allerdings geht Jacob Grimm dabei nicht konsequent vor, sondern beschränkt sich in vielen Fällen darauf, solche Einschnitte lediglich durch Absätze zu markieren. Neben den skizzierten Formen der Leseransprache und Selbstdarstellung finden sich auch noch andere Töne, vor allem wenn es um erotica et rustica geht. Jacob Grimms Plädoyer für die "anstöszigen Wörter" in der Vorrede ist bekannt: "Das Wörterbuch ist kein sittenbuch," resümiert er, und wer Anstoß nehme, "gehe auch in diesem sal den misfälligen Wörtern vorüber und betrachte die weit überwiegende mehrzahl der andern." (Vorrede Bd. 1, Sp. XXXIV). Trotz dieser generellen Darlegung seiner Position20 scheint Jacob Grimm im konkreten Einzelfall einem besonderen Legitimationsdruck ausgesetzt zu sein - sei es, daß er nicht unbedingt damit rechnet, daß die Benutzer die Vorrede gründlich genug studieren, sei es, daß er nach dem Prinzip handelt, daß man bestimmte Dinge nicht oft genug wiederholen kann. Jedenfalls begründet er bei einschlägigen Lemmazeichen deren Aufnahme und Behandlung: (42)
FOTZE, f. cunnus, vulva, ein unhübsches, gemiedenes wort, bei dem die Sprachforschung doch manches zu erwägen hat. (Bd. 4,1,1, Sp. 42)
Nach der lateinischen Erklärung gibt Jacob Grimm zuerst einmal einen normativen Kommentar, indem er fotze als unhübsch bewer20 Zu dieser steht sein Argument für die Verwendung fremdsprachiger Erklärungen in einem gewissen Widerspruch: "Nicht zu verachten ist auch, dasz durch den gebrauch der fremden spräche die erklärung der unzüchtigen Wörter löblich verdeckt und dem allgemeinen Verständnis gewissermaszen entzogen wird." (Vorrede Bd. 1, Sp. XIL)
86
Püschel
tet. Es fällt auf, daß er nicht "anstöszig", "misfällig" oder "unzüchtig" sagt, fast als ob er - nach dessen Auffassung "an sich ... alle Wörter rein und unschuldig [sind]" (Vorrede Bd. 1, Sp. XXXIV) - sich scheue, einen Bewertungsausdruck zu verwenden, der der Einstellung der Sprecher zu fotze viel eher entspräche als das stark abmildernde unhübsch. Mit dem zusätzlichen Hinweis gemieden wird die Häufigkeit des Gebrauchs näher bestimmt, wobei sich Jacob Grimm jedoch nicht mit einer reinen Freguenzangabe begnügt, da mit gemieden auch gesagt wird, daß das Wort absichtlich nicht gebraucht wird. Auf die Bewertung und die eine Bewertung implizierende Frequenzangabe folgt nun die Begründung, warum fotze im DWB dennoch zu behandeln ist: Es ist für die Sprachwissenschaft ein wichtiges und bemerkenswertes Wort. Von besonderem Interesse an dieser Begründung ist die Art und Weise, wie sie formuliert ist. Sie klingt nämlich außerordentlich distanziert und abgewogen. Jacob Grimm, der problemlos mit ich auf sich bezugnimmt und keine Scheu hat, klar und deutlich seine persönliche Meinung ins Spiel zu bringen, zieht sich hier hinter eine abstrakte Größe zurück. Nicht der eine oder andere Sprachforscher habe manches zu erwägen, sondern eben die "Sprachforschung' . Die Beschäftigung mit solchen Wörtern dient offenbar höheren Zielen, sie entspringt zudem einer gewissen Notwendigkeit, die sie der Willkür einzelner entzieht; ein Eindruck, der durch "hat" gestützt wird. Das "doch" verstärkt das Gewicht der Aussage und mahnt den Benutzer, der schon die Stirn in Falten legen will, sich nicht vorschnell zu entrüsten. Mit dem vagen "manches" und dem gehobenen "erwägen" wird das Gewicht dessen, was über das Wort zu sagen ist, angedeutet, was natürlich das Argument stärkt. Und mit "erwägen" wird noch unterstrichen, daß da mit dem fraglichen Wort wohlbedacht und wohlbegründet umgegegangen wird. Jacob Grimm versucht also mögliche Angriffe zu immunisieren, indem er sich als Person aus dem Text zurückzieht ; stattdessen trifft der Leser auf eine "höhere Instanz", die als abstrakte Wissenschaft über dem individuellen Lexikographen steht, die zudem ihre eigenen, von den Meinungen einzelner unabhängigen Gesetze hat. Nicht die persönliche Meinung, die Sache soll wirken. Und zugleich wandelt sich unter der Hand eine Begründung zur Belehrung des Lesers, und zwar mit erhobenem Zeige-
87
Wörterbuchstile im DWB
finger. So vorbereitet kann sich dann der Leser einer weitausholenden Abhandlung über "die Vorstellungen des zeugens und entleerens" widmen. Dieses Muster findet sich mit Variationen auch bei anderen "anstöszigen Wörtern" wie z. B. BADER 'voluptas, libido 1
("unsere deutsche
...";
Bd.
Pflicht
1,
Sp.
1175)
philologie oder
der Sprachforschung
kann
BRUNZEN
nicht ("als
umhin wenn
zu
es
erkunden
nicht
die
wäre ..."; Bd. 2, Sp. 442).
5. Stilistisches bei anderen Bearbeitern des DWB Entsprechend der These, daj3 im Vergleich mit Jacob Grimm die anderen Bearbeiter des DWB mehr zu Ergebnisdarstellung - zu Sachlichkeit und Nüchternheit also - als zur erörternden Abhandlung sowie zur unaufälligen Beziehungsgestaltung tendieren, sollen abschließend einige Beispiele vorgeführt werden, die diese Tendenz belegen können. Damit soll keineswegs behauptet werden, bei den anderen Bearbeitern gebe es in keinem Fall Züge, die den bei Jacob Grimm beobachteten vergleichbar wären. Das Gegenteil ist der Fall, wie vor allem das Muster ENTFALTEN zeigt - auch wenn in diesem Ausblick nur noch Einzelbeobachtungen vorgelegt werden und keine ausführlicheren Analysen typischer Stilzüge bei einzelnen Bearbeitern.
5.1. Abhandeln 5.1.1. Weniger Erörtern, mehr Darlegen Von Jacob Grimms Wörterbuchstil unterscheiden sich nicht nur die Stile der nachfolgenden Bearbeiter, sondern auch der Stil des Bruders Wilhelm. Dies zeigt sich besonders deutlich in der Behandlung der Etymologie, was nicht weiter verwunderlich ist, da sich Wilhelm Grimm im Grunde nicht als Etymologe gefühlt habe (Dückert 1987a, 38, 39). Ausgesprochen unauffällig wirken seine etymologischen Bemerkungen: keine Spekulationen, keine mit Verve vorgetragenen Meinungen, keine Erörterungen und weitausgreifenden Überlegungen, sondern auf Fakten beschränkte Darlegungen, in die allenfalls einmal eine zaghafte Mutmaßung einfließt; im Prinzip gibt Wilhelm Grimm eine Etymologie nur bei gesicherter Lage (Dückert 1987a, 38). Die Unauffälligkeit resultiert auch
Päschel
88
daraus, daß seine etymologischen Hinweise in der Regel vom Umfang her sehr knapp gehalten sind, so daß sie leicht überlesen werden können : (43)
(44)
DEUTSCH ... da es von diet, goth. t>iuda, ahd. diot, diota abstammt, wie Gramm. 1, 14 gezeigt ist, so bedeutet es ursprünglich gentilis, popularis, vulgaris; im gothischem heißt |>iudiskô heidnisch, έ5νιχώς. (Bd. 2, Sp. 1043) DICHT ... es gehört zu dîhan gedeihen, heranwachsen, procedere, pollere, bezeichnet das fest zusammenhängende, zusammengedrängte, und geht in den begriff von fest, hart, gediegen über. (Bd 2, Sp. 1055)
In beiden Beispielen geht der Erklärung der Herkunft ein knapper Überblick über die Formen voraus, bei DEUTSCH folgt noch eine Erläuterung zur Schreibung nach. Trotz dieser Beschränkungen sind die den Erklärungen zu Bedeutung und Gebrauch vorausgehenden Artikelteile von kaum geringeren Umfang als die Jacob Grimms, da Wilhelm den eingesparten Platz dazu nutzt, um Belege aus früheren deutschen Wörterbüchern anzuführen - also Resultate lexikographischer Bemühungen darzustellen. Nur selten wird Wilhelm Grimm ausführlicher wie bei DIELE: (45)
DIELE ... [1] Adelung und Diez Roman. Wörterbuch 734 bringen das franz. tillac, span, tilla, portug. tilha mit diele in Verbindung: es heiszt das verdeck eines schiffes, also bedeckung mit bohlen. [2] aber wir müssen wol, um zu der eigentlichen bedeutung zu gelangen, ein verlorenes starkes verbum dille, dal, dullen (vergi. Gramm. 2, 57) annehmen, wodurch sich der Wechsel des vocals erklärt. [3] ein altes, mythologisches wort dillestein bezeichnet die grundfeste, auf welcher die erde ruht, und die bei dem ende der weit zerbricht; vergi. Konrad v. Würzb. Gold, schmiede 33. Deutsche mythologie 766. [4] dies fährt darauf jenem verbum die bedeutung von befestigen, durch grundlage sichern beizulegen. [5] dazu stimmen die unter 7. 8. und 9. entwickelten begriffe. [6] auch ist noch anzuführen thil ima pars navis Graff 5, 133, der kiel, schiffsboden, auf dem das ganze ruht. (Bd. 2, Sp. 1102; Numerierung in eckigen Klammern U. P.)
Hier werden
zwar die
Vorschläge von Adelung und
Diez zitiert
([1]), aber auch als nicht ausreichend bewertet ("aber wir müssen wol" in [2]). In zwei Schritten STELLT Wilhelm Grimm eine eigene THESE AUF: Gestützt auf die Deutsche Grammatik nimmt er in [2] ein verlorengegangenes "die
bedeutung
von
befestigen,
schreibt. BEGRÜNDET wird dies indem
er
in
[3]
starkes Verb an, dem er in [4]
eine
durch
grundlage
Zuschreibung nur
Verbindung
zwischen
sichern" sehr
zu-
implizit,
"dillestein"
und
"diele" herstellt. Diese kaum als Argument erkennbare Verbindung wird noch auf doppelte Weise GESTÜTZT ([5], [6]).
Wörterbuchstile im DWB Bei seinen
etymologischen
des öfteren
auf Jacob,
Hinweisen
89
beruft
sich
indem er auf dessen
Wilhelm
Grimm
Deutsche Grammatik
verweist. Er gibt dem Benutzer also gerne weitere Hilfestellung für den Fall, daß dieser etymologische Interessen verfolgt, aber er geht nicht
so weit, diesen
Interessen
schon
im
Wörterbuch
Rechnung zu tragen. Zur Beschränkung auf Gesichertes gehört in gewisser Weise auch, wenn
Wilhlem
Grimm
konstatiert,
daß
etwas
problematisch
ist;
darauf beschränkt er sich dann aber auch: (46)
(47) (48)
DAUM ... die wurzel des worts ist dunkel, das griech. ίέρμα haut wird durch das gesetz der lautverschiebung zurückgewiesen: Wackernagel fragt im glossar zum Lesebuch ob es zu derren gehöre und das wiederholt Benecke. (Bd. 2, Sp. 780) DORM ... unermittelt ist seine abstammung:rasAdelung und Graff darüber vorbringen hat keinen grund. (Bd. 2, Sp. 1287) DRECK ... das wort ist dunkler abkunft ... (Bd. 2, Sp. 1352)
Selbst in Fällen, in denen er den Vorschlägen anderer
kritisch
gegenübersteht, begnügt er sich damit, diese zurückzuweisen. Er stellt also nur fest, gibt keine Begründung und macht keine Gegenvorschläge. Begibt sich Wilhelm Grimm einmal wirklich auf das Feld der Spekulation, dann beläßt er es meist dabei, den vermuteten Zusammenhang zu nennen; Begründungen und Stützen führt er nicht weiter an: (49) BALKEN ... ursprünglich scheint dalken so viel als schwerflüssig sein wie eine zähe materie, bildlich heiszt es daher mühsam oder schwerfällig reden, sich ungeschickt benehmen, dann ausführlich und umständlich erklären. (Bd. 2, Sp. 699) (50) DXFFELN ... Maaler 397 hat täfferen vertäffern für mit brettern verdielen, assare täfeln, womit es zusammenhängen wird. (Bd. 2, Sp. 673) In manchen Fällen spekuliert er aber doch vorsichtig über etymologische oder
Zusammenhänge
mit
abschwächendem
in Frageform. Allerdings
richten
sich
"scheint solche
also
doch"
Vermutungen
nicht auf Zusammenhänge in vorhistorischer Zeit, sondern sie beziehen sich auf vermutete
Bennungsmotive, die noch aus eigener
Anschauung gewonnen werden können. (51) (52) (53)
DACHTEL ... dachtel scheint also zu dach gehören, das gesicht wird von der schlagenden hand bedeckt ... (Bd. 2, Sp. 669) DACHTEL, DECHTEL, knöchlein womit die kinder spielen, heiszt es so, weil man bei dem spiel ihm einen schneller gibt? (Bd. 2, Sp. 669) DECHTELN ... so viel als dachteIn, weil die wäsche beim einweichen und waschen geschlagen wird? (Bd. 2, Sp. 881)
Piischel
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Aus der Planungsphase des DWB finden sich Äußerungen beider Grimms zu der Frage, wie die Etymologie im Wörterbuch zu behandeln sei. So schreibt Jacob Grimm 1838 an Karl Lachmann: Dunkle herleitungen kann ich geradezu bei seite lassen, ausgemachte beibringen ... (nach Kirkness 1980, 72)
Und im gleichen Jahr schreibt er an Moritz Haupt: Die etymologie wo sie sich sicher ermitteln läßt nirgends weg zu lassen ist gewiß nothwendig; (nach Kirkness 1980, 98)
Mit gleichem Tenor äußert Friedrich Carl von Savigny:
sich
1839 Wilhelm
Grimm
gegenüber
Etymologische Erläuterungen sollen gegeben werden wenn sie etwas sicheres gewähren, sonst nicht, (nach Kirkness 1980, 94)
Die gemeinsam formulierte Linie ist klar; doch Jacob Grimm war nicht der Lexikograph, der sich an eine solche Vorgabe halten konnte oder wollte - auch das eine Illustration seiner Bemerkung, der Bruder sei in einigen Dingen abgewichen. Gemessen an Jacob Grimm verfolgt auch Rudolf Hildebrand in etymologischen Fragen eine ausgesprochen gemäßigte Linie; er räumt der Etymologie einen angemessenen, aber nicht übertriebenen Platz ein (Huber 1987, 70). Die Tendenz, möglichst Fakten zu vermitteln, zeigt sich bei ihm gerade in solchen Fällen, in denen keine gesicherte Etymologie gegeben werden kann wie bei GADEM, GADEN 'conclave1: (54)
[1] Ursprung und Verwandtschaft sind noch dunkel, [2] Wackernagel stellte dazu gr. xt7w kleid, s.b. Haupt 6, 297, vgl. Germ. 4, 169. [3] haus und gewand haben öfter einen namen oder éinen wortstamm, [4] weil beide auf der ersten stufe der kunst durch flechten hergestellt wurden (s. kötze II, 3, krippe I, 3, c); [5] so stimmt hier zu gadem nahe ein altn. wort, das auf flechten weist: gaddan n. netz Biörn 1, 264, Fritzner 186 (hier als kopfkleid, von rosshaaren). [6] auch gr. χι των galt zugleich von fischnetzen, Spinngewebe. [7] zu erwähnen bleibt übrigens ein altgerm. (und auswärtiges) wort, das schon Frisch dazu stellte: kote hutte, [8] bei dem ohnehin das gesetz der lautverschiebung durch die thatsachen manigfach gekreuzt wird (s. 5, 1882. 1884); [9] auch hütte mit derselben erscheinung scheint ihm verwandt, [10] und vielleicht ist es auch gadem. [11] es wäre nicht der einzige fall, dasz in uralten Stämmen im anlaute alle drei lautstufen auftreten, s. z. b. 5, 870. (Bd. 4,1,1, Sp. 1131; Numerierung in eckigen Klammern U. P.)
Mit der BEHAUPTUNG in [1], daß die Etymologie von
gadem unge-
klärt sei, LEITET Rudolf Hildebrand den Abschnitt EIN. Der Leser wird darüber ORIENTIERT, daß er die weiteren Ausführungen
als
Wörterbuchstile im DWB
91
Erklärungs v e r s u c h zu verstehen hat. Die THESE in [2] {"stellte dazu") Ubernimmt Hildebrand aus der Literatur ("Wackernagel" ergänzt um "Haupt" und die Zeitschrift Germania). Die THESE wird dann in [3] mit einer Beobachtung, nicht mit einer Spekulation BEGRÜNDET ("haben öfter éinen namen", Indikativ, Fehlen von "Weichmachern"). GESTÜTZT wird das Argument in [4] mit einer Sacherklärung und einem Querverweis. Weitere STÜTZEN gibt Hildebrand in [5] ("so"), in [6] ("auch") und in [7] ("übrigens"). In [7] beruft er sich außerdem wieder auf die Literatur ("Frisch") und VERSTÄRKT die Stütze in [8] mit einem Hinweis auf Unregelmäßigkeiten in der Lautverschiebung, verbunden mit einem weiteren Querverweis. Da Hildebrand schon einleitend seine Ausführungen pauschal als Versuch qualifiziert hat, braucht er im weiteren nicht jedesmal den vorläufigen und problematischen Status der Erklärungen hervorzuheben. Außerdem referiert er die Forschungsresultate anderer, was Jacob Grimm in dieser Form gewiß noch nicht möglich war. Dabei liegt die Vermutung nahe, daß Hildebrand nur solche Resultate verwertet, denen er eine gewisse Plausibilität zuerkennt. Auch das enthebt ihn der Notwendigkeit für jedes Argument und für jede Stütze anzugeben, welcher Grad an Wahrscheinlichkeit ihnen zukommt. Erst wenn Hildebrand die Überlegungen anderer vorgestellt hat, kommt er zu seinen eigenen. Schon in [7] deutet sich das an ("zu erwähnen bleibt übrigens"). In [9], [10] und [11] begibt er sich dann auf das Feld der Vermutungen ("scheint", "vielleicht", "es wäre nicht der einzige fall"). Wie das Beispiel zeigt, schreibt auch Hildebrand etymologische Abhandlungen, in denen er argumentiert. Anders als Jacob Grimm verzichtet er aber auf die erörternde Auseinandersetzung und legt den Akzent auf eher Gesichertes. Eigene spekulative Überlegungen treten zurück hinter das Darlegen von Ergebnissen, was natürlich nicht ausschließt, daß Hildebrand nicht auch eigene Deutungen wagt und alternative Lösungen gegeneinander abwägt. Dann verwendet auch er "Weichmacher" wie "doch wol nichts als", "musz", "vielleicht", "liegt ... nahe", den Konjunktiv in "fände" und "müszte", "scheint": (55)
KNAPP ... b) knapp meint urspr. doch wol nichts als 'kneipend' und musz eine Bildung von hohem alter sein, ausgegangen von einer schwesterform
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Piischel
(56)
von kneipen mit anderm ablaut (i a u ) , wie vielleicht glatt zu gleiten gehört, dem sinne nach das gleichbed. klemm, klamm zu klemmen, klimmen kneipen. (Bd. 5, Sp. 1341) KOHLE ... c) für den ursprung liegt der gedanke an kalt, kühl nahe, bei deren stamme kol äuszerlich gute unterkunft fände (s. sp. 512 mitte), die kohle miiszte als erkalteter oder erkaltender brand aufgefaszt sein, aber sie scheint ursprünglich vielmehr als das verbrannte, angebrannte oder glimmende, glühende gemeint ... d) näher liegt deshalb ein nord, wort, auf das schon Adelung verwies ... (Bd. 5, Sp. 1582)
5.1.2. Entfalten und Auflisten Für Wilhelm Grimms Erklärungen von Bedeutung und Gebrauch konstatiert Dückert, daß das "für ein historisches Wörterbuch charakteristische Gliederungsprinzip vom (entwicklungsgeschichtlich) Älteren zum Neueren ... angestrebt" werde (Dückert 1987a, 41). Und schon Pfeifer stellte fest: Im Artikel aber faltet er [Wilhelm Grimm] die Bedeutungen feiner auseinander ... Er bemüht sich seine Abschnitte inhaltlich zu verknüpfen, schließt an mit "sodann", "daher" an Vorhergebrachtes, weist auf Bedeutungsansätze und Übergänge mit Formulierungen wie "nahe liegt ...", "es geht über zu ...". Hier liegen die Xnfange zu einer Darstellung der Bedeutungsentwicklung; das ist der Versuch, an Hand der Belege vorzuführen und zu zeigen, wie sich der sprachliche Inhalt eines Hortes allmählich wandelt, wie sich neuer Gebrauch in Vorhergehendem anbahnt, eigene Wege geht und sich zu neuer Verwendungsweise verselbständigt. (Pfeifer 1963, 203)
Tatsächlich finden sich bei Wilhelm Grimm Beispiele, in denen er die Bedeutungsgeschichte von Wörtern beschreibt, also wie schon Jacob ENTFALTET, z. B. DOCTOR DOCKTER: (57)
1. im allgemeinen ein lehrer der mündlich lehren erteilt ... 2. in frühster zeit hiesz bei dem clerus doctor, der das amt und die Verpflichtung hatte, lehrer des volks zu sein; ... 3. in dem 15ten und 16ten jahrh. stand der doctor der theologie in höherem ansehen, welches Verhältnis noch heute fortdauert. ... 4. jetzt wird ohne nähere bestimmung der doctor medicinae verstanden, der arzt, welcher gebrauch auch schon im 16ten jahrhundert aufkam. ... (Bd. 2, Sp. 1215-1216)
Wie man sieht, ergibt sich ein kleiner fortlaufender Text, wenn die Belege fortgelassen werden. Doch diese explizite Entfaltung der Teilbdeutungen findet sich nur in Einzelfällen (so beispielsweise bei DACHS Bd. 2, Sp. 569). Denn ungeachtet der Beobachtung von Pfeifer und Dückert, daß Wilhelm Grimm eine entwicklungsgeschichtliche Anordnung der Erklärungen zu Bedeutung und Gebrauch anstrebe, finden sich in den Artikeln sehr oft AUFLI-
Wörterbuchstile im DVB
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STUNGEN der Teilbedeutungen, d. h. anders als bei ENTFALTEN werden die geschichtlichen Beziehungen zwischen den Einzelabschnitten der Bedeutungserklärungen nicht deutlich gemacht. Dies gilt letztlich auch für die vielen Artikel, in denen Wilhelm Grimm die zeitliche Abfolge einzelner Bedeutungen durch die Kennzeichnungen "eigentlich", "uneigentlich" oder "bildlich" andeutet; so ζ. B. in DUNKEL (Bd. 2, Sp. 1533), DÜNN (Bd. 2, Sp. 1552) oder DUNST (Bd. 2, Sp. 1559).21 Gemäß der These, daß der eigentliche dem uneigentlichen oder bildlichen Gebrauch vorausgeht, gibt Wilhelm Grimm mit den genannten Kennzeichnungen zwar auf höchst ökonomische Weise an, welche Bedeutungen zuerst da waren und welche sich aus diesen entwickelt haben. Aber im Vergleich zu der Darstellung bei DOCTOR DOCKTER ist dieses Verfahren sehr abstrakt und ungenau; denn häufig ist nicht zu erkennen, aus welcher der voranstehenden Teilbedeutung sich die uneigentliche oder bildliche Bedeutung entwickelt hat; außerdem fehlen Zeitangaben. So wird ζ. B. bei DUFT (Bd. 2, Sp, 1500) die erste Bedeutung mit "ursprünglich" und die vierte Bedeutung mit "uneigentlich" gekennzeichnet, für die zweite und dritte Bedeutung fehlt dagegen jede Kennzeichnung, so daß offenbleibt, in welcher Beziehung sie zur ersten Bedeutung stehen. Außerdem bleibt unklar, auf welche der drei vorausgegangenen Teilbedeutungen sich das "uneigentlich" der vierten Bedeutung bezieht. Der Befund lautet also: Bedeutungsgeschichtliche Hinweise ja - ENTFALTUNG der Bedeutungsgeschichte nein. Im Prinzip LISTET er die Bedeutungen einfach AUF (vgl. dagegen Henne 1985, 541, der die Akzente anders setzt). Dies läßt sich besonders gut am Beispiel DOLE zeigen, da er hier den auf gelisteten Bedeutungen noch eine bedeutungsgeschichtliche Erklärung nachschiebt: (58)
1. kleine Vertiefung in einer mauer, wand, einem kessel, in dem erdboden, wie dälle (oben 699), auch an einem körper, besonders wenn sie durch Verwundung entstanden ist. ... 2. loch, hole in bergen oder felsen ... 3. verdeckter abzugsgraben, wasser oder unreinigkeiten abzuführen, rinne, canal cloaca; dann eine röhre zu gleichem gebrauch. ... 4. dolen gewölb testudo ... 5. die buschige krone eines baums. ... 6. bl umenbiischel ... 7. guaste ...
21 Dückert 1987a, 41 hat schon darauf hingewiesen, daß die Kennzeichnung "eigentlich" fehlen kann.
Piischel
94
8. ast eines baums, ramus. ... 9. dolie scalmus, lignum teres, cui struppi alligantur remi ... dolien dullen pi. pflöcke, zwischen welchen die ruder gehen ... (Bd. 2, Sp. 1226-1227)
Die
bedeutungsgeschichtliche
Erklärung
lautet
dann
folgender-
maßen : (59)
Wie verschieden, sogar entgegengesetzt die bedeutungen von dole und dolde sind, so lassen sie sich dennoch aus einander entwickeln, ob Vertiefung, grübe oder Wölbung und spitze die ursprüngliche sei, mag dahin gestellt bleiben, aber die umgekehrte grübe bildet eine Wölbung, die umgekehrte spitze eine Vertiefung, jene kann leicht die bedeutung von baumwipfel, quaste annehmen, eine rundung, wie in der Schweiz doli m. die schiesznusz bei einem knabenspiele. (Bd. 2, Sp. 1227)
Da Wilhelm Grimm offenbar begründen möchte, warum er die so disparat erscheinenden Teilbedeutungen unter DOLE stellt, gibt er zugleich ein indirektes Zeugnis dafür, daß er sich bei deren Zusammenstellung und Anordnung an der Bedeutungsgeschichte orientiert, auch wenn das bei den Erklärungen zu Bedeutung und Gebrauch nicht zum Ausdruck kommt. Schmidt (1986, 23) hat darauf hingewiesen, wie schwierig die Darstellung von Bedeutungen in Form von "Entwicklungsbäumen" sei - Wilhelm Grimm hat sich auf einen solchen Versuch oft gar nicht eingelassen, sondern sich auf das AUFLISTEN beschränkt. Das schließt jedoch nicht aus, daß die Auflistung der Bedeutungen nach historischen Kriterien erfolgt. ENTFALTEN und AUFLISTEN sind zwei Gestaltungsmuster, zwischen denen sich die Erklärungen zu Bedeutung und Gebrauch bewegen. Ein Extrem sind die Artikel Matthias Lexers, der sich weithin auf das Auflisten beschränkt, was aus seiner unhistorischen, eher synchron orientierten Bedeutungsdarstellung resultiert. Schröter (1987, 112) attestiert ihm wenig geschichtliches Denken, und schon Burdach vermerkt eine "fabrikmäßige Herstellungsweise" der Bedeutungserklärungen, die der alten "Schablone der früheren logischen Lexikographie" verpflichtet sei und nicht der Natur und Entwicklung der Wörter nachgehe (Burdach 1882, 675). Wenn Lexer bedeutungsgeschichtliche Zusammenhänge thematisiert, dann bedient er sich gern des schon bei Wilhelm Grimm im Beispiel (59) beobachteten Verfahrens einer nachträglichen Erklärung : (60)
ROTH, BOT ... Aus der grundbedeutung des wurzelverbs 'treibend oder stoszend drängen und beengen' (sp. 659) hat sich für das davon abgelei-
Wörterbuchstile im DWB
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tete und vielgebrauchte noth eine grosze fülle von bedeutungen entwickelt, die oft in einander übergreifen ... (Bd. 7, Sp. 905) Wo
aber
historisches,
entwicklungsgeschichtliches
Denken
herrscht - und das ist bei den meisten Bearbeitern des DWB der Fall -, findet sich auch das Bemühen, die Geschichte der Bedeutungen nachzuzeichnen - sei es durch die Reihenfolge in der Auflistung, die die Bedeutungszusammenhänge derspiegelt, sei es durch sammenhänge,
d.
h.
implizit
wi-
eine explizitere Darstellung der
Zu-
ENTFALTEN.
zumindest
Selbstverständlich
finden
sich
vielfältige Mischungen, die im einzelnen zu beschreiben eine eigene Untersuchung erfordern würde; es können deshalb nur einige wenige Hinweise gegeben werden. So beobachtet
Braun beispielsweise
bei Arthur Hübner eine Nei-
gung "zu ausführlichen genauen Beschreibungen, die nicht selten zum Abhandlungsstil
tendieren"
(Braun
1987,
141),
ein
Urteil,
das vor allem am Lemmazeichen GRÜN (Bd. 4,1,6, Sp. 640 ff.) entwickelt
wird.
Für
die
Artikel
Hermann
Wunderlichs
konstatiert
Schröter, daß sein Stil "eher der einer Monographie" sei und daß er an Hildebrand
anknüpfe
(Schröter 1987, 107), der - wie
das
Beispiel GAFFEN (Bd. 4,1,1, Sp. 1137) zeigt - die Erklärungen zu Bedeutung und Gebrauch
fallweise mit "Geschichte
überschreibt. Moriz Heyne dagegen
der
bedeutung"
neigt nach Schröter mehr
zum
Auflisten, obwohl auch er dem historischen Prinzip folge (Schröter 1987, 95 ff.). Artikel wie HAUPT (Bd. 4,2, Sp. 597 ff.) oder HADT (Bd. 4,2, Sp. 701 ff.) bieten jedoch genügend Anlaß, Schröters These genauer zu prüfen.
5.2. Sachlicher Stil: Nüchterne Neutralität statt Persönlichem So wie Wilhelm Grimm Grimm
nicht
im
und die anderen
erörternden
Abhandeln
Bearbeiter des
DWB Jacob
gefolgt
haben
sind,
sie
auch bei der Beziehungsgestaltung andere Wege eingeschlagen. Jacob Grimm der
bleibt die
Selbstdarstellung
originelle, aber wörterbuchuntypische und
Leseransprache
vorbehalten,
Art
während
sich bei den übrigen Bearbeitern nüchterne Wörterbuchneutralität findet. Allerdings steht Rudolf Hildebrand noch etwas näher bei Jacob Grimm, da er immer wieder die AUFMERKSAMKEIT des Benutzers auf einzelne Wörter oder Aspekte von Wörtern LENKT. Im Gegensatz
Püschel
96
zu den vielfältigen Mitteln, die Jacob Grimm einsetzt, bedient sich Hildebrand eines eher begrenzten Inventars. Am häufigsten gebraucht er "bemerkenswert", seltener "merkwürdig"; vereinzelt treten auch Wendungen auf wie "ein vieldeutiges und schwieriges wort" (KNEBEL Bd. 5, Sp. 1374), "ein seltenes, aber merkwürdiges wort" (KACHEN Bd. 5, Sp. 13) oder "ein selten verzeichnetes, gewiss altes wort" (KÄFTER Bd. 5, Sp. 33). Ähnlich wie Jacob Grimm gibt er vereinzelt auch normative Kommentare (vgl. Hübner 1987, 76). Verschiedentlich spricht er den Benutzer auch mehr oder weniger deutlich an, indem er ihn zur Mitarbeit wie im Beispiel (61), zumindest aber zum überlegen oder Nachforschen auffordert wie in den Beispielen (62) bis (65): (61)
(62) (63) (64) (65)
KAHM ... Bemerkenswert ist doch auch, dasz es die gleichen laute hat mit nachen ... im begriff sind beide ohne unterschied, nur zeigt sich eine landschaftliche vertheilung unter ihnen ... genauere angaben sind wünschenswert ...(Bd. 5, 33) GACHEN, laut lachen? (Bd. 4,1,1, Sp. 1127) KACKEHBRÖ, f. ? ... wol heringslake, brühe? (Bd. 5, 15) KMATHMANN ? (Bd. 5, Sp. 1359) KRIPS ... und was dieser krips eigentlich ist, weisz ich nicht anzugeben, weder der kragen noch der hals heiszt jemals krips ... (Bd. 5, Sp. 2328)
Wie die Beispiele zeigen, scheut sich Hildebrand ebenso wenig wie Jacob Grimm, die eigene Person ins Spiel zu bringen ("ich") und Wissenslücken einzugestehen ("?"). Er stellt sich den Benutzern als Person mit Schwächen und Stärken dar, vermeidet aber anders als Jacob Grimm - das Schwanken zwischen Nähe und großer Distanz zum Benutzer. Wenn Huber urteilt: Der Charakter von Hildebrands Abhandlungsstil ist nicht gelehrt, terminologiebeladen, sondern in einem ungezwungenen, ja familiären Ton gehalten. (Huber 1987, 76)
dann tragen dazu Formulierungen bei wie "Bemerkenswert ist doch auch" in (61) oder "was dieser krips eigentlich ist" in (65) oder "wichtiges bietet wieder einmal das schwedische" in KNATTERN (Bd. 5, Sp. 1361). doch auch, eigentlich, wieder einmal machen den Text normalsprachlich, fast umgangssprachlich. Es hat den Anschein, als ob der Lexikograph Hildebrand seinen Gegenständen staunend, überrascht und auch voller Befriedigung gegenübertritt und die Benutzer an seinen Gefühlsregungen teilhaben lassen möchte.
Wörterbuchstile in DWB
97
Was die übrigen Bearbeiter des DWB angeht, so stehen diese näher bei Wilhelm Grimm. Sie LEGEN die Ergebnisse lexikographischer Forschung DAR, ohne sich als forschende und für Benutzer schreibende Personen darzustellen; außerdem wahren sie kühle Distanz gegenüber den Benutzern. Die Sache - die lexikographische Information - steht ganz im Vordergrund. Mehr Wörterbuchnormalität bedeutet allerdings nicht, daß die Bearbeiter den Benutzer aus den Augen verloren hätten; seine Einbeziehung erfolgt vielmehr unauffälliger, wie sich am Beispiel Wunderlichs zeigen läßt. So sind dessen Erklärungen zu Bedeutung und Gebrauch aus lexikographischer Sicht höchst unökonomisch, da er in ganzen Sätzen formuliert (vgl. Schröter 1987, 107). Den Benutzer enthebt er damit der Mühe, elliptisch und komprimiert formulierte Erklärungen ergänzen und auflösen zu müssen, was das Lesen erleichtert. Es kommt noch hinzu, daß Wunderlich nicht einfach dem formalen Prinzip 'vollständiger Satz' folgt, sondern daß er mit expliziten Formulierungen die einzelnen Abschnitte seiner Artikel und die Abschnitte in einzelnen Artikelteilen miteinander verknüpft. Zwar spricht er damit nicht den Leser an, aber er schreibt sehr leserorientiert und -freundlich. Denn so führt er den Benutzer sorgsam durch die ausufernden Artikel mit ihren enormen Belegsammlungen und Detailbeobachtungen. Ausgerechnet der geschmähte Wunderlich (vgl. Pretzel 1981) schreibt lesbare Texte, indem er zwar nicht erörternd abhandelt, aber die Stoffmassen bedächtig, wenn auch umständlich vor dem Benutzer AUSBREITET.
6. Nachschlagen und Lesen im DWB Im Kapitel 3.1. wurde schon einmal gefragt, welcher Textsorte, ja welcher Kommunikationsart das DWB zuzuordnen sei, ob es Nachschlagewerk oder Lesebuch ist. Die Antwort muß nun lauten, daß das DWB ein Unikum darstellt, das nicht der einen oder anderen Textsorte zugerechnet werden kann. Es repräsentiert eine eigene Mischsorte, in die verschiedenartige Stilzüge - teilweise auch einander widerstreitende - eingegangen sind. Ganz gewiß hat das DWB zuerst einmal Charakter und Funktion eines Nachschlagewerks ; dafür sorgt schon das alphabetische Prinzip. Aber es ist - wie
Päschel
98
schon in
3.1. angedeutet
- auch ein Buch mit Lesetexten,
und
zwar in einem viel stärkeren Maße als der oberflächliche Blick erkennen kann. 22 Dies zeigt sich schon an der monographieartigen Behandlung
der
auftretenden
lemmatisierten
(hier
nicht
Buchstaben
weiter
und an
untersuchten)
den
verstreut
Textstücken,
in
denen die Bearbeiter mehr oder weniger systematisch Sachkundliches, Volkskundliches oder sonst für wissenswert Gehaltenes darlegen.23 Wenn ein Benutzer wirklich im DWB stöbern will, kann er an solchen Stellen lesend verweilen; denn solche unterhaltsamen und
spannenden
Textteile
Interesse fesseln merkt, kann
es
können
(vgl. Wiegand
dem
seine Aufmerksamkeit
und
sein
1989, 259). Wie Wunderlich be-
Wörterbuchbenutzer
wie
Saul
ergehen,
"der
auszieht, eine Eselin zu suchen, und der ein Königreich findet." (Wunderlich/v. Bahder 1907, 80) Wie oben (Kap. 2.1.) ausgeführt, ist für Wörterbücher konstitutiv, daß in ihnen AUSKUNFT GEGEBEN wird, indem INFORMATIONEN BEREITGESTELLT BRAUCH von
werden, und AUSDRÜCKEN
zwar
dadurch
BESCHRIEBEN
daß REGELN
werden.
Aus
für
dem
den GE-
DWB
lassen
sich die bereitgestellten Informationen nun sehr oft nicht durch punktuelles Nachschlagen entnehmen. Stattdessen muß ein Benutzer in vielen Fällen damit
beginnen, zum Auffinden der gewünschten
Information den Artikel durchzulesen; hat er die gesuchte Stelle aber auf Anhieb getroffen, so muß er oft um diese Stelle drumherumlesen, da sich nur so die Information voll erschließt. Der Nachschlagende wird gezwungenermaßen zum Leser. Die Möglichkeit, aber auch der Zwang zum Nachlesen ergibt sich vor allem daraus, daß das BESCHREIBEN von GEBRAUCHSREGELN zu einem beträchtlichen Teil durch das Muster ABHANDELN realisiert ist mit Untermustern wie ERÖRTERN und ENTFALTEN; hinzu kommt noch das Muster AUSBREITEN und seltener ARTIKELÜBERGREIFENDES ABHANDELN. Mehr den Nachschlagecharakter stützt mit
dem
Muster
das Muster AUFLISTEN, häufig
ÖKONOMISCH
FORMULIEREN
durch
verbunden
ELLIPTISCHES
und
KOMPRIMIERTES FORMULIEREN. Schon AUFLISTEN selbst entspricht der
22 Insofern sagt Götze mit einem gewissen Recht, daß das Alphabet ein äußerliches Prinzip sei (vgl. oben Kap. 4.1.3.). 23 Vgl z. B. von Jacob Grimm FECHTER Bd. 3, Sp. 1390 f.; von Wilhelm Grimm
DDIK Bd. 2, Sp. 1532 f.; von Hildebrand KAFFEE Bd. 5, Sp. 21; von Heyne HIMMEL Bd. 4,2, Sp. 1333; von Wunderlich GEVEHR Bd. 4,1,3, Sp. 5401; von v. Bahder WECHSLER Bd. 13, Sp. 2781.
Wörterbuchstile im DWB
99
Tendenz zu ökonomischer Darstellung, die für Wilhelm Grimm wohl das Motiv für die Verwendung dieses Musters bei den Erklärungen zu Bedeutung und Gebrauch ist. Die Verwendung von AUFLISTEN kann aber auch Ausdruck der Vernachlässigung des historischen Prinzips sein wie bei Lexer. In Verbindung mit diesem Muster wäre auch die Verarbeitung der Belege noch genauer zu untersuchen ob sie nämlich eher als Beweis oder Illustration einer Bedeutungserklärung dienen oder ob sie in die Bedeutungserklärungen stärker integriert werden und eine eigenständigere Rolle spielen . Insgesamt läßt sich sagen, daJ3 ABHANDELN für das ganze DWB relevant ist. Allerdings verschieben sich die Akzente bei den Untermustern: Für Jacob Grimm ist ERÖRTERN kennzeichnend; daneben findet sich zumindest im Ansatz ENTFALTEN und ARTIKELÜBERGREIFENDES ABHANDELN. Während ihm bei ERÖRTERN nur noch Hildebrand bis zu einem gewissen Grad folgt, tritt im weiteren Verlauf der Ausarbeitung verstärkt ENTFALTEN in den Vordergrund (natürlich mit den genannten Einschränkungen). Darin zeigt sich auch, daß sich der Akzent von den etymologischen Bemühungen verlagert auf bedeutungsgeschichtliche Erklärungen gemäß dem historischen Prinzip. An die Stelle von ERÖRTERN tritt das DARSTELLEN von ERGEBNISSEN in Form knapper DARLEGUNG oder weitschweifiger AUSBREITUNG; das Gegenstück dazu ist das bloße AUFLISTEN. Aus den für Jacob Grimm skizzierten Stilzügen spricht der Vollblutwissenschaftler, für den das Wörterbuch Ort der Sprachforschung ist. Nicht die Anforderungen eines Wörterbuchs bestimmen seine lexikographische Tätigkeit, sondern seine Forscherinteressen. So kommt es auch zu dem Spannungsverhältnis zwischen dem die Zusammenhänge zerreißenden Alphabet und dem Streben nach zusammenhängendem Abhandeln. Uberlagert wird diese Tendenz durch den "persönlichen Stil". Der "persönliche Stil" in Verbindung mit dem Muster ERÖRTERN zeigt Jacob Grimm als einen Lexikographen, der seinen Stoff argumentativ und dozierend vor dem Benutzer ausbreitet und der darüberhinaus mit dem Benutzer in einen gelehrten Diskurs eintritt. Der Gedanke an den Gelehrten, der in der Korrespondenz mit Kollegen Fachprobleme diskutiert, liegt nahe oder aber auch an den akademischen Lehrer, der mit seinen
Püschel
100
Schülern im Zwiegespräch strittige Fragen abklärt.24 Das Bild des Studenten
Jacob
Grimm,
der
zu
Füßen
seines
Lehrers
Savigny
sitzt, drängt sich auf. Schon Wilhelm Grimm und mit ihm die meisten anderen Bearbeiter gehen andere Wege.
Für
sie
steht nicht
das
forschende
Suchen
nach Ergebnissen, sondern die Darstellung der Ergebnisse selbst im Vordergrund.
Zwar wird vielfach auch bei ihnen
aber bezeichnenderweise
abgehandelt,
in den Artikelteilen, die der Erklärung
von Bedeutung und Gebrauch
dienen. Das Herstellen darüber hin-
ausgehender Zusammmenhänge, gar noch über Artikelgrenzen hinaus - wie
es
Jacob
Grimm mit
dem
ARTIKELÜBERGREIFENDEN
ABHANDELN
versuchte -, spielt keine tragende Rolle mehr. Es reduziert sich auf
das
Mittel
des
Querverweises.
Der
"sachliche
Stil"
zeigt
diese Bearbeiter als Sachwalter der Fakten. Daß sie den gelehrten Diskurs Jacob Grimms nicht
fortführen, darf
nicht
verwun-
dern, denn dieser entspricht nun einmal nicht den gängigen Erwartungen
an ein Wörterbuch.
Allerdings verstehen
auch
andere
Bearbeiter das DWB als Ort der Forschung, so ganz explizit Wunderlich. Doch anders als Jacob Grimm will er nicht mit dem Benutzer in einen Diskurs eintreten, sondern ihm das Material umfassend präsentieren, damit er selbsttätig prüfen und entscheiden kann (Wunderlich/v. Bahder 1907, 83-85). Wunderlich betrachtet also den Benutzer gewissermaßen als Mit- und Fortarbeiter am DWB. Ob die Hinwendung zu den Fakten, den positiven Dingen also, und deren ausufernde Präsentation - vor allem durch Wunderlich Ausdruck positivistischen Denkens ist, sei dahingestellt.
24 Auf diese Parallele hat mich Peter von Polenz hingewiesen.
Wörterbuchstile im DWB
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PETER KÜHN "... wir wollen kein Gesetzbuch machen". Die normativen Kommentare Jacob Grimms im Deutschen Wörterbuch
0. Abstracts 1. Ausgangspunkt: Das Vor-Urteil gegenüber dem DWB 2. Die Deskriptivität normativer Wörterbücher und die Normativität deskriptiver Wörterbücher 3. Die normativen Kommentare Jacob Grimms im DWB 3.1. Von "falscher" und "richtiger Schreibweise": Kommentierungen zur Orthographie 3.2. Von "schlechten" und "richtigen formen": Kommentierungen zur Grammatik 3.3. Von "ungeschickter mehrung" und "kraftvollen ausdrücken": Kommentierungen zur Wortbildung 3.4. "Opitz sündigte wider die spräche": Kommentierungen zum Sprachgebrauch von Autoren und Schriftstellern 4. Ein paradoxes Ergebnis: Die normendurchsetzte Deskriptivität des DWB in der Bearbeitung durch Jacob Grimm 5. Literatur 6. Anhänge I - IV
0. Abstracts The 'Deutsches Wörterbuch1 by Jacob Grimm and Wilhelm Grimm is usually considered - in comparision with Adelung's normative dictionary - to be the first fully documented, descriptive dictionary of German. In this article, however, numerous examples are given to show that the 'Deutsches Wörterbuch', as edited by Jacob Grimm, has many normative and prescriptive features which go beyond more description. This is apparent from the individual dictionary entries in the normative comments which Grimm makes on matters of orthography, grammar and derivation, and on the linguistic usage of various authors. In these normative comments Jacob Grimm judges specific linguistique usages as "correct" or "incorrect" on the basis of the organic development of the language as he understood it. The use of criteria from linguisticgenealogy differentiates Jacob Grimm's normative comments both from nineteenth century puristic movements and from notions of linguistic norms associated with so-called 'Academy'-dictionaries.Le 'Deutsches Wörterbuch* (DWB) de Jacob Grimm et Wilhelm Grimm est généralement consideré - selon le dictionnaire normatif d'Adelung - comme le premier dictionnaire descriptif de l'Allemand, basé sur une documentation. Dans cet article plusieurs exemples font voire que le DWB, mis à l'étude par Jacob Grimm, n'a pas seulement de traits descriptifs, mais de multiples traits
106
Kühn
normatifs-prèscriptifs. Cela se manifeste dans les commentaires normatifs concernant l'orthographie, la grammaire et la formation verbale des différents articles du dictionnaire et dans ceux relatifs à l'usage de langage de divers auteurs et écrivains. Dans ces commentaires normatifs Jacob Grimm juge l'usage de langage d'une façon dichotomique "correct" ou "incorrect" à partir d'un développement historique- organique. La critque de langage dans les commentaires de Jacob Grimm se distinque en matière de la génealogie linguistique non seulement des efforts puristes du 19e siècle, mais aussi des idées de normes liées aux dictionnaires académiques.
1. Ausgangspunkt: Das Vor-Urteil gegenüber dem DWB Das Deutsche Wörterbuch (DWB) von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm wird gemeinhin angesehen als "historisch-philologisches Monumentalwerk, in dem das gesamte lexikalische Inventar der neuhochdeutschen Schrift- und Literatursprache unter Berücksichtigung der regionalen Differenzierungen auf der Basis der literarischen Quellen seit dem 15. Jahrhundert gesammelt ist" (Henne 1977, 20). Dabei wird besonders herausgestellt, daß mit dem Grimmschen Wörterbuch "die normative Attitude des vor-schreibenden ('autoritativen') Wörterbuchs des 17. und 18. Jahrhunderts" endet und ersetzt wird "durch die des be-schreibenden Wörterbuchs" (Henne 1977, 20). In der Geschichte der Wörterbuchschreibung wird das Erscheinen des DWB als Zäsur interpretiert: Jacob und Wilhelm Grimm schaffen "unter Verzicht auf die normativ-präskriptive Zielsetzung einen neuen Wb.typus, das philologisch-historische" Wörterbuch (de Smet 1984, 944). Das DWB will also 'nur' "historisch beschreiben" (Bahr 1984, 494), "deskriptiv darstellen" (de Smet 1984, 944). Dies führt zu der Ansicht, daß sich das DWB "nicht zum Ziel setzte, den Benutzer Uber das Sprachrichtige, Zulässige bzw. Unzulässige zu belehren" (Dückert 1974, 70). Das Grimmsche Wörterbuch wird also lexikographie-historisch gerne als der Beginn einer deskriptiven Wörterbuchschreibung angesehen, vor allem im Kontrast zum "Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart" von Johann Christoph Adelung (1774-1786). Ich möchte dagegen im folgenden dreierlei zeigen: (1) Die Dichotomie
"präskriptiv"
versus
"deskriptiv"
engt den
Vergleich der Wörterbücher zu sehr ein, besonders die vergleichende Bewertung des Adelungschen
Wörterbuches mit
dem Grimm-
Normative Kommentare im DWB
107
sehen Wörterbuch. Es gibt allerdings auch Anzeichen, die das Adelungsche Wörterbuch eher als normativ und das Grimmsche eher als deskriptiv erscheinen lassen. (2) Die Klassifizierung als "präskriptiv" bzw. "deskriptiv" ist trotzdem problematisch, denn auch das Grimmsche Wörterbuch trägt gerade in den von Jacob Grimm ausgearbeiteten Teilen deutlich normativ-präskriptive Züge. Dies soll an möglichst vielen Beispielen1 belegt werden, und die Belege werden zugleich zeigen, auf welche Bereiche sich die normativen Kommentare Jacob Grimms beziehen. (3) Abschließend will ich versuchen, Begründungen für die normativ-präskriptiven Kommentare Jacob Grimms anzuführen und diese normativen Wertungen im Kontext von Sprachnormung, Sprachlenkung und Sprachkritik zu beurteilen.
2. Die Deskriptivität normativer Wörterbücher und die Normativität deskriptiver Wörterbücher Ausgangspunkt meiner Behauptung von der Deskriptivität normativer Wörterbücher und der Normativität deskriptiver Wörterbücher ist die Frage, welche Gründe eigentlich dazu geführt haben, daß Adelungs "Hochdeutsches Wörterbuch" als normativ und Grimms DWB als deskriptiv zu gelten habe. Eine erste Problematik bei den sich gegenseitig ausschließenden Etiketten "präskriptiv" und "deskriptiv" liegt m.E. darin, daß sie Wörterbüchern zuerkannt werden, die in sich einfach zu uneinheitlich sind: sei es aufgrund der langen Bearbeitungsdauer oder verschiedener Bearbeiter oder aber aufgrund abweichender lexikographischer Konzeptionen und Ausarbeitungen. So gehört es gerade bei der Beurteilung des gesamten DWB - von der Veröffentlichung der ersten Lieferung 1852 bis zur Fertigstellung des letzten Bandes 1960 - zum wissenschaftlichen Allgemeingut, daß
1
Die für meine Argumentation herangezogenen Beispiele aus dem DWB stammen teils aus eigenen Sammlungen, teils aus einer exhaustiv angelegten Dokumentation von Prof. Dr. H. E. Wiegand, in der die Lieferungen 1-4 (A-ausschreien) systematisch nach normativen Kommentaren ausgewertet sind. Für die Bereitstellung dieser Materialien möchte ich an dieser Stelle Herrn Wiegand herzlich danken.
Kühn
108 das DWB in K o n z e p t i o n terbuchunterfangen verschiedene wicklungen
u n d Ausführung e i n recht
war,
bei
dem
einzelne
Sprachauffassungen u n d
in
Ausarbeitung
unterschiedlichster
des
Wörterbuches
wissenschaftlichen
Literatur
heterogenes
Bearbeiter
Wör-
und/oder
sprachwissenschaftliche Weise
bestimmt unter
dem
den
Werdegang
haben.
Dies
Aspekt
der
Ent-
und
die
in
der
ist
"Periodisie-
rung" u n d dem der "Arbeitsphasen" ausführlich dargestellt
worden
(vgl. auch d e n Beitrag v o n J. Bahr in diesem Band). Ja, von J a cob u n d W i l h e l m chungen,
Grimm
selbst w u r d e n
Unterschiedlichkeiten
schon
ziemlich
u n d Gegensätze
zeption u n d - a u s f ü h r u n g benannt.
Berühmt
in
früh
Abwei-
Wörterbuchkon-
geworden ist
in diesem
Zusammenhang der Tadel Jacob Grimms an seinem Bruder W i l h e l m der "vorrede ist
zum
in e i n i g e n
ich beim
dingen,
beginn
abgewichen"
zweiten
band"
die
(DWB
II,
1860,
ich verabredet
unausweichlich
einen
ton
I): "Mein
glaubte
und
in
bruder für
angeben m u s t e ,
die
wieder
(vgl. Henne 1985, Dückert 1987, 37-44). W e g e n dieser
g r u n d s ä t z l i c h e n Heterogenität oder Inhomogenität des DWB
scheint
mir daher
Wörter-
buches
bei
als
einer
generellen Charakterisierung
"deskriptiv",
belehrend"
Vorsicht
"darstellend",
geboten,
obwohl
dieses
"beschreibend",
sich
diese
"nicht
Beurteilung
des
DWB als generalisierende Etikettierung festgesetzt hat. Weiterhin
befördern
präskriptiv"
bzw.
und
zementieren
"deskriptiv"
wegen
charakters e i n undifferenziertes zeichnung v o n Wörterbüchern. nung w i r d phie-
besonders
und/oder
schreiber seine
und
Urteile
leitet.
So
Diese
(b)
praktischen wenn
man
U.
Püschel
nachgewiesen,
Mundart"
am
Auffassungen
daß
der der
der
Adelungs als
im
Wörterbuch Beurteiler selbst
der
"Wörterbuch
normatives
Zuord-
Wörterbuch-
wissenschaftlicher Beispiel
Kenn-
lexikogra-
den Wörterbuchtexten heiklen
keineswegs
bei
(a) w e n n m a n die Ausarbeitungen
als
aus
"normativ-
Ausschließlichkeits-
Oberflächlichkeit
deutlich,
und Analysen
hat
überzeugend deutschen
ihren
Etiketten
Schubladendenken
sprachtheoretischen
mit
vergleicht
dann
die ihres
ab-
Mundarten der
Hoch-
Wörterbuch
ange-
sehen w e r d e n darf, "da Adelung eine prinzipiell deskriptive H a l tung einnimmt"
(Püschel
k e l n zeigt Püschel, wortschatzmäßig tung
des
1982,
48). A n konkreten
daß Adelung
festschreiben
Wörterbuches
selbst
zwar die
wollte, jedoch
er
Wörterbucharti-
"Hochdeutsche sich
in
"hinreißen"
der ließ
Mundart" Ausarbei"von
dem
Normative Kommentare im DWB
109
Reichtum des mundartlichen Wortschatzes und der Schönheit der Idiotismen", deren Kodifikation seinem Wörterbuch, "weit Uber die Standardsprache hinaus, thesaurushafte Züge" verleihen (Püschel 1982, 49; vgl. auch Kühn/Püschel 1983). Püschel gelangt zu der Ansicht, daß Adelungs Wörterbuch "einen Kosmos der verschiedenartigsten, mitunter auch gegenläufigen Informationsaspekte und Tendenzen bildet" (Püschel 1982, 48). Adelungs Wörterbuch stellt daher - trotz weit verbreiteter gegenteiliger Annahme - eine Mischung aus deskriptiven und normativen Anteilen dar, eine eindeutige Kennzeichnung seines Wörterbuches als normativ läßt sich nach genauer Analyse der Wörterbuchartikel nicht halten. Die Etiketten "normativ-präskriptiv" und "deskriptiv" scheinen mir weiterhin insofern zu ungenau, als bei ihnen die Angabe der Bezugsobjekte fehlt: Man müßte präziser formulieren: In bezug worauf ist ein bestimmtes Wörterbuch normativ oder deskriptiv? So sind die normativen Wörterbuchanteile von Adelungs "Hochdeutschem Wörterbuch" bezogen auf die Festschreibung eines vorbildlichen Hochdeutschs. Diese Festschreibung schließt bei Adelung verschiedene Gesichtspunkte ein: Unter arealem Aspekt verzeichnet das "Hochdeutsche Wörterbuch" den "Sprachgebrauch der südlichen Chursächsischen Lande", unter geschichtlichem den Zeitraum zwischen 1740 und 1760 (die sogenannte Gellert-Zeit), unter sozialem Aspekt die Sprache der "oberen Classen" und unter funktionalen Gesichtspunkten die vorwiegend gesprochene Sprache "des gesellschaftlichen Umgangs" (Adelung 1782, II, LVII-LX). Dabei scheint mir die Adelung zugewiesene Wortschatznormierung immer wieder relativierungsbedürftig: K. Eibl (1985, 118) hat herausgearbeitet, daß es in der Mitte des 18. Jahrhunderts schon eine "vielgelesene, überregionale poetische Nationalliteratur" gab, die "bereits einer weitgehend einheitlichen Sprachnorm" folgte. Adelung ist somit nicht der präskriptive Lexikograph, der um die Mitte des 18. Jahrhunderts die deutsche Standardsprache nach den angeführten Gesichtspunkten im Wörterbuch normiert. Er ist vielmehr derjenige, der die durch das Bürgertum favorisierte und etablierte Literatursprache der Jahrhundertmitte im Wörterbuch festhält. Als Lexikograph kann sich Adelung schon auf klassisch gewordene Literaten berufen, die wie Geliert
110
Kühn
u.a.
bereits
Uberregionale
Anerkennung
genossen.
Adelung
also vornehmlich eine sprachliche Norm lexikographisch Die Kennzeichnung
Adelungs
hält
fest.
als normativen Lexikographen,
der in
seinem Wörterbuch das vorbildliche Hochdeutsch fixiert, hat
aber
Tradition. Als einer der ersten ist wohl gerade auch Jacob Grimm dafür mitverantwortlich, heute
in
der
daß
sich
dieses
sprachwissenschaftlichen
einseitige
Literatur
Urteil
hält.
1854
schien erst eine genauere Konzeption des DWB als Vorwort
bis er-
zum ge-
samten ersten Band des DWB durch Jacob Grimm. Vorausgegangen waren die Lieferungen seinem Vorwort büchern
des
setzt
DWB
Hauptkritikpunkt der einseitigen
1:
1852,
sich Jacob
kritisch an
2:
1852,
Grimm mit
auseinander
Adelungs
3:
1852 den
(DWB I,
Wörterbuch
ist
bis
8:
1854.
In
Vorgänger-Wörter1854, dabei
XIX-XXVI). der
Vorwurf
Wortschatzkodifikation:
"doch das erste gebot eines Wörterbuchs, die unparteiische Zulassung und pflege aller ausdrücke muste einer falschen ansieht weichen, die ADELUNG von der natur unserer Schriftsprache gefaszt hatte, nur ein in Obersachsen verfeinertes hochdeutsch, gleichsam die hofspräche der gelehrsamkeit, meinte er, dürfe den ton anstimmen, und wenn es auch keinen einzigen classischen schriftsteiler dafür gebe." (DWB I, 1854, XXIII) Dagegen setzt Jacob Grimm das DWB programmatisch ab: - Das DWB soll Neuhochdeutschen
ein umfassendes und vollständiges
Wörterbuch
des
sein:
"Das Wörterbuch soll die deutsche Sprache umfassen, wie sie sich in drei Jahrhunderten ausgebildet hat: es beginnt mit Luther und schliesst mit Goethe" (W. Grimm 1881, 508). "Die hauptsache aber ist, den umfang des nhd. ganzen Zeitraums so viel als möglich zu erschöpfen" (DWB I, 1854, XVIII). - Im DWB soll keine Mundart besonders bevorzugt werden: "Fürs deutsche Wörterbuch behauptet die kenntnis aller hochdeutschen volksmundarten hohen werth" (DWB I, 1854, XVII). - Im DWB soll die Sprache der ältesten Stände ohne jede Diskriminierung registriert werden: "Ich bin eifrig allen Wörtern der ältesten stände des volks nach gegangen, in der sicher begründeten meinung, dasz sie für geschichte der spräche und sitte die ergibigste ausbeute gewähren" (DWB I, 1854, XXX).
Normative Kommentare im DWB
111
"Die spräche überhaupt in eine erhabene, edle, t r a u l i c h e , niedrige und pöbelhafte zu unterscheiden taugt n i c h t , und ADELUNG hat damit vielen Wörtern falsche gewichte angehängt" (DWB I , 1854, XXXII). - Das DWB i s t b r e i t a n g e l e g t und s o l l r e p r ä s e n t a t i v
sein:
"Es kam darauf an, in jedem jahrhundert die mächtigsten und gewaltigsten zeugen der spräche zu erfassen und wenigstens ihre gröszten werke in das Wörterbuch einzutragen" (DWB I , 1854, XXXV). - Das DWB s o l l d o k u m e n t i e r e n d
sein:
"Alle belege aber, wie es beinahe unnöthig zu sagen i s t , drücken durch ihren inhalt l e d i g l i c h die ansieht des S c h r i f t s t e l l e r s aus, von dem s i e stammen" (DWB I , 1854, XXXVIII). "denn die belegstellen sollen nicht a l l e i n an und f ü r sich s e l b s t durch die anziehungskraft i h r e s i n h a l t s g e f a l l e n , sondern indem s i e a l l e f a l ten der bedeutung eines Wortes blicken und überschauen lassen, seine ganze geschichte vortragen" (DWB I , 1854, XXXVIIf.) -
Das
DWB s o l l
ein
Identifikationssymbol
nationales
Werk,
jedes Deutschen
ein
nationalsprachliches
sein:
"Es s o l l ein heiligthum der spräche gründen, ihren ganzen schätz bewahren, a l l e n zu ihm den eingang offen halten, das niedergelegte gut wächst wie die wabe und wird ein hehres denkmal des volks, dessen Vergangenheit und gegenwart in ihm sich verknüpfen" (DWB I , 1854, XII). Der Vorwurf J a c o b Grimms gegen d i e n o r m a t i v e G r u n d l a g e von Adel u n g s " W ö r t e r b u c h d e r H o c h d e u t s c h e n M u n d a r t " und d i e p r o g r a m m a t i s c h e H e r a u s s t e l l u n g s e i n e s W ö r t e r b u c h e s v e r l e i h t dem DWB g e r a d e z u den Nimbus e i n e s d e s k r i p t i v e n D o k u m e n t a r w ö r t e r b u c h e s . Es s c h e i n t mir d a h e r n i c h t v e r w u n d e r l i c h , daß s i c h d i e s e B e u r t e i lung b i s heute in der Geschichtsschreibung der Sprachwissens c h a f t und d e r L e x i k o g r a p h i e f e s t g e s e t z t h a t . Es g i b t s c h l i e ß l i c h n o c h e i n e n w e i t e r e n G r u n d , d e r d a s Grimmsche Wörterbuch gerade n i c h t a l s normativ sondern d e s k r i p t i v ers c h e i n e n l ä ß t . J a c o b und Wilhelm Grimm k ö n n e n a l s s c h a r f e und l e i d e n s c h a f t l i c h e K r i t i k e r d e r S p r a c h r e i n i g u n g s b e w e g u n g im 1 9 . J a h r h u n d e r t a n g e s e h e n w e r d e n . J a c o b Grimm w a n d t e s i c h i n s e i n e r Akademie-Rede "Uber d a s p e d a n t i s c h e i n d e r d e u t s c h e n s p r ä c h e " 1847 ( J . Grimm 1 8 6 4 / 1 9 6 5 ) g e g e n d i e s p r a c h p u r i s t i s c h e n A n s i c h t e n s e i n e r Z e i t , Wilhelm Grimm ( 1 8 8 1 , 514) k ä m p f t e 1846 i n s e i n e r F r a n k f u r t e r Rede " B e r i c h t ü b e r d a s D e u t s c h e W ö r t e r b u c h " g e g e n d i e "Anmassung, m i t w e l c h e r e i n z e l n e s i c h b e r e c h t i g t glauben, d i e S p r a c h e zu b e s s e r n und n a c h i h r e m V e r s t a n d e i n z u r i c h t e n . "
112
Kühn
Gemeint waren besonders J.A. Zeune (Blindenlehrer und Germanist) Th. Heinsius (Lexikograph), K.C. Krause (Philosoph), J.G. Radlof (Philologe) und C.H. Wolke (Pädagoge), die von den Grimms als "sprachpedanten", "puristen", "Besserer" und "Reiniger" (J. Grimm 1848/1884; J. Grimm 1813) oder als "kleine Geister" mit "beispiellosem Unverstand, die [die] natürliche Gestalt der Sprache zerstören wollten", bezeichnet wurden (W. Grimm 1881, 514). Die Brüder Grimm lehnen also mit aller Konsequenz und Härte puristische Eingriffe in die Sprache ab. Sie bewerten die Bemühungen der Sprachreiniger als pedantisch-reglementierend, z. B. im Bereich der Wortbildung, "durch gezerrte Vervielfachung gewisser bildungsmittel wohllaut und wortreichthum zu vermehren" (J. Grimm 1819/1890/1966, 35) oder im Bereich der Fremdwörter einzugreifen "wie maulwürfe, die dem landmanne zu ärger auf feld und wiese ihre hügel aufwerfen und blind in der Oberfläche der spräche herum reuten und wühlen" (J. Grimm 1848/1884, 215; zur Fremdwortproblematik vgl. bes. Diewerge 1935; Kirkness 1975, 282-296; Kirkness 1980, 26-31; Fratzke 1987). Inhaltlich wenden sie sich besonders gegen die verstärkten Analogiebildungen bei Zusammensetzungen und Ableitungen ["Vernunftsprache" Radlofs] (z.B. gegen mehrteilige Bildungen wie Backsteinförmigkeit) und gegen die Reinigung des Deutschen von Fremdwörtern durch rigorose Eindeutschungen (wie z.B. Gemeinwagen für Omnibus). Auf dem Gebiet der Wörterbuchschreibung galt gerade Campe als typischer Vertreter dieser Sprachauffassung. Jacob und Wilhelm Grimm vertraten dagegen in der Wortbildungs- und Fremdwortfrage eine gemäßigte Haltung und setzten den "pedantischen" Sprachreinigungsbemühungen ihre "organische" Sprachauffassung entgegen. Wilhelm Grimm (1881, 511f.): "Unsere Schriftsprache kennt keine Gesetzgebung, keine richterliche Entscheidung über das, was zulässig und was auszustossen ist, sie reinigt sich selbst, erfrischt sich und zieht Nahrung aus dem Boden, in dem sie wurzelt." Als Verfechter der organischen Sprachauffassung und vehemente Kritiker pedantisch-normativer Sprachreinigungsbestrebungen scheinen die Brüder Grimm und ihr DWB gegen jeglichen Vorwurf der Normativität erhaben. Gegen diese postulierte Deskriptivität des Grimmschen Wörterbuches sprechen aber mehrere Beobachtungen:
Normative Kommentare im DWB
113
(a) Vergleicht man die programmatischen Aussagen Jacob Grimms mit der praktischen Umsetzung im Wörterbuch, so zeigen sich ganz erhebliche Diskrepanzen. Ein Beispiel: Jacob Grimm grenzt schon im Vorwort bei der Aufnahme der Mundarten niederdeutsche Wörter aus, sieht sich jedoch in der praktischen Ausarbeitung des Wörterbuches trotzdem gezwungen, niederdeutsche Wörter wegen ihrer iiberlandschaftlichen Verbreitung aufzunehmen (z.B. BAKEBORD) (vgl. auch den Beitrag von H. Niebaum im zweiten Teilband). Seine Bewunderung für das erste wissenschaftliche Dialektwörterbuch des Deutschen von Andreas Schmeller verleitet Jacob Grimm obendrein dazu, viele, rein oberdeutsche Idiotismen zu lemmatisieren (z.B. BESTÄTER: Schweiz. 'Spediteur', BANZ: schwäb. 'Weinmost·; BAUSTERLI, BANZEN usw. (vgl. Mellor 1972; Kühn/ Püschel 1983, 1382-1387; vgl. schon Sanders 1852, 9-10). Ähnliche Widersprüche zwischen theoretischen Aussagen und praktischer Ausführung weist Kirkness (1975, 282—296) für den Bereich der Fremdwortfrage nach. Grimms konzeptionelle Aussagen, die auf eine prinzipielle Deskriptivität des DWB hinweisen, müssen also im Wörterbuch selbst, in den einzelnen Artikeln überprüft werden, wenn man zu einem abgesicherten Urteil gelangen will. (b) Selbst wenn man zunächst einmal Jacob Grimms Grundsatz: "streben nach umfassender samlung und behandlung ist also für ein Wörterbuch das erste erfordernis" (DWB I, 1854, XI) akzeptiert, darf man noch nicht vereinfachend schlußfolgern, das DWB sei durchgängig deskriptiv, denn eine normative Haltung kann sich noch auf andere Aspekte als die Auswahl und Dokumentation des Wortschatzes beziehen: beispielsweise auf Normierungen des Wortgebrauchs hinsichtlich Orthographie, Grammatik, Wortbildung usw. Da nun dem normativ-präskriptiven Wörterbuch der Makel des Negativen anhaftet, paßt es für die Geschichte der Sprachgermanistik so schön in die Entwicklungsgeschichte der deutschen Wörterbücher, daß auf den normativen "Adelung" das deskriptive DWB folgt, begründet von den Brüdern Grimm, die unbestritten und verdientermaßen als Väter und Symbolfiguren einer neuen Phase der sprachwissenschaftlichen Germanistik gelten, als führende
114
Kühn
und anerkannte Gelehrte
die
sprachwissenschaftliche,
literatur-
wissenschaftliche und textphilologische Forschung geprägt haben, deren literarische Schriften äußerst populär und weit verbreitet waren und Gesinnung
die als als
Leitfiguren
Vorbild galten.
demokratischer
wie
Ein normativer
Lexikograph
patriotischer
Grimm paßt eigentlich nicht in das bisherige
Grimm-Bild.
essant
ersten
ist nun aber,
daß
sich schon
in den
Jacob Inter-
Lieferungen
des DWB von Jacob Grimm sehr viele und verschiedenartige persönliche
Wertungen,
die der
Stellungnahmen
Charakterisierung
schreibenden,
des
darstellenden
widersprechen.
Trotzdem
und
DWB
Kommentare
als
oder
einem
nicht
scheinen
diese
finden
lassen,
deskriptiven,
be-
belehrenden
Wörterbuch
normativen
Kommentare
Jacob Grimms zu den verdrängten Themen der Lexikographie
zu ge-
hören, denen bislang in der Forschung keine genaue und intensive Beachtung geschenkt wurde.
3. Die normativen Kommentare Jacob Grimms im DWB Jacob Grimm hat in seiner Bearbeitung des DWB eine Vielzahl
von
Wörterbuchartikeln mit persönlichen Kommentaren versehen, die zu unterschiedlichen Typen zusammengefaßt werden können: (1)
Persönliche
weise die
oft
Bekenntnisse: zitierte
Berühmt
geworden
Bemerkung Jacob
ist
beispiels-
Grimms unter
dem
Lemma
AMTMÄNNIN (DWB I, 1854, 282), in der er seiner Mutter im DWB ein Denkmal setzte: scher beim
amtmann
"unsere
sei.
zu Steinau
volk nur die
mutter
an der
(der
sei.
strasze,
framtmännin d.i.
fer oder
Zeitalter einer auf Wissenschaftlichkeit, tralität
ausgerichteten
auch
der
in
Darstellung, um
Wörterbuchschreibung
vater
+ 10 jan.
war
hessi-
1796)
hiesz
frau amtmännin".
Nüchternheit die man
bemüht,
sich
erscheinen
und
Im
Neu-
besonders uns
heute
solche persönlichen Bekenntnisse zwar deplaziert, auf jeden Fall aber
menschlich.
sich
an
einem
Für
solchen
die
zeitgenössische
persönlichen
Kritik
Bekenntnis
am
DWB
allerdings
zeigt "ein
höchst hors de propos angebrachter Zug kindlicher Pietät, um die Mutter durch 1862, 8).
die unbedeutende
Standesnotiz
zu verewigen"
(Wurm
Normative
Das
Grimmsche
nisse,
die
Wörterbuch
einerseits
(z.B. ABLASΖ) und haltung
Jacob
in
/Conanentare
enthält
denen
persönliche
heftiger
andererseits
zum
115
weitere
Gegenstand
Grimms
im DWB
Ausdruck
Kritik
eine
kommt
Bekennt-
geworden
normative
(z.B.
sind
Sprach-
ABLAUT):
Von
Freund und Feind heftig kritisiert wurden Jacob Grimms persönliche
Bekenntnisse
1854,
67 )
findet
kirchlichen welchen
zum
religiösen
man:
erlasz
"Hauptsächlich
der
sünde
die reformation
ums
siegreich
zeigen solche persönlichen
Zu
aber
geld
steht
(die
eiferte."
ABLASΖ
entfremdete."
es
für
Nach Wurm
Kritik
am
"das
auf
den
katholische
1980, 179-185) war of-
"ablaszkram"
wie solchen zu religiösen Problemen enthält zu
festgestellten
heit
dem lat.
und erst
mit galt,
alter,
nachdem
muste
und er lobt dagegen haben
Schweden
Jacob
Grimm
sönlichen
und Dänen
tadelt
sprachgeist
die Entwicklung
ALDERMANN
eingeführt, Stellungnahmen
tung zu den
sich
Sprachveränderungen: Alle die
sich
"wider
den
verbreitet
und
durchgesetzt
203) als
sein" besser
gewahrt." "wider
den
In
diesen
per-
deutlich
Grimms
Hal-
diejenigen Formen
sprachgeist"
haben,
bedacht
Sprachen:
fordert."
schon
zwei-
und für alius
ausdrücke
(DWB , 1854,
zeigt
deutungen,
verlor
be-
ander,
der
andre und anden
der altermann
So
"Unser
Ordinalzahl
in anderen
ihr ordinales
so-
das DWB auch persön-
es diese bestimmtheit auf neue
(vgl.
Bekenntnissen
Sprachveränderungen:
war die organische
der sprachgeist
in seinem
einzugehen
dauert Jacob Grimm unter ANDER (DWB I, 1854, 307): gleich
und
"Ablasz-Bekenntnis"
DWB I, 1854, XXXVIII). Neben rein persönlichen
liche Kommentare
wider
(1852, 15)
fensichtlich so stark, daß sich Grimm bemtiJBigt fühlte, Vorwort
den
indulgenz),
daß sich vom DWB
Die
(vgl. dazu die Dokumentation bei Kirkness
programmatischen
(DWB I,
Bekenntnisse Jacob Grimms "Untakt
Ungeschick", die dazu führen, Deutschland
Wortschatz.
bewertet
bzw.
und
Be-
"unorganisch"
er negativ
und
all
das, was sich "organisch", d.h. nach einer sprachlichen Naturgesetzlichkeit
entwickelt
hat, wird
schreibt Grimm den ABLAUT auch als "ein spräche." len,
edles
(DWB I,
positiv
beurteilt.
1954, 69) denn
und ihr wesentliches
vermögen
Daher
be-
beispielsweise der
deutschen
Auch in manchen, von Jacob Grimm stammenden Belegstel-
dringt
gelegentlich
durch: In bezug "die deutsche
auf
die
persönliche
orthographische
rechtschreibung
wird
Fragen
so lange
Meinung heißt
Jacob
Grimms
es unter
im argen
liegen,
ARG: als
116
Kühn
unser volk seiner politischen einheit entbehrt" (DWB I, 1854, 547) und unter ABERKENNEN: "alle consonantenverdoppelungen sind der ältesten spräche abzuerkennen" (DWB I, 1854, 33). (2) Persönliche Ansichten: Neben persönlichen Bekenntnissen in Kommentaren und Belegstellen findet man in den Bedeutungserklärungen manchmal kurios anmutende persönliche Ansichten Jacob Grimms wieder: Die AMEISE (DWB I, 1854, 277) ist "ein behendes schöngelenkes thier", die "angebrennte speise schmeckt gut, ist aber ungesund" (DWB I, 1854, 300), die Erklärung zu ANDER (DWB I, 1854, 309f. ), "Das Ufer des Flusses, wo wir stehn, heiszt uns das rechte, das gegenüberliegende das andere oder linke", kommentiert Sanders (1852, 87) belustigend: "Wo mag der Geograph zu finden sein, der diese Erklärung gutheißt?" Die ANRICHTE (DWB I, 1854, 426) ist nach Jacob Grimm ein "Platz in der Küche, wo man leicht zu eszwaaren kommen und davon naschen kann." Wurm (1852, 8) sieht in solchen Erklärungen eine "Art Schriftstellerlaune", um "statt zu erklären mit seinem Leser ergötzlich oder gemüthlich zu werden." Wiegand (1986, 319; vgl. auch Wiegand 1989, 256ff.) interpretiert diese Erklärungen weitergehend als besonderen, eigenwilligen wie unterhaltsamen lexikographischen Textsortenstil Jacob Grimms (vgl. auch den Beitrag von ü. PUschel in diesem Band). (3) Normative Kommentare: Im folgenden geht es nicht um diese persönlichen Bekenntnisse und Ansichten im Grimmschen Wörterbuch sondern um lexikographische Kommentare, in denen Jacob Grimm eine bestimmte Sprachentwicklung und damit auch den Sprachgebrauch als "richtig" oder "falsch", "ungeschickt" oder "kraftvoll", "tadelhaft" oder "schön" bewertet. Maßstab für diese dichotomischen Urteile ist dabei die von Jacob Grimm postulierte naturgeschichtliche, organische Sprachauffassung (vgl. den Beitrag von 0. Reichmann in diesem Band). Die bewertenden Kommentare können zudem deshalb als normativ-präskriptiv angesehen werden, weil von der postulierten, positiv bewerteten organischen Sprachentwicklung auftretende Abweichungen, Varianten oder Sonderformen immer als "falsch", "unrichtig", "ungenau", "tadelhaft", "fehlerhaft", "unstatthaft", "verwerflich", "verderbt" usw. gekennzeichnet werden. Jacob Grimm stellt also nicht
117
Normative Kommentare im DWB
bloß fest, was war und wie etwas geworden ist, sondern er bewertet mit "richtig" und "falsch", wie sich die Sprache hätte entwickeln sollen/müssen oder auch tatsächlich entwickelt hat. Daß diese normativen Kommentare im Wörterbuch durchaus präskriptiv verstanden werden müssen, kommt in vielen Formulierungen explizit zum Ausdruck: "man 1854, 557),
"der
sich jedenfalls" brauchen
Schreibungen (DWB I, 1854,
ist Sünde
gewöhnlicher
schreibt
gegen
und besser
auch heute besser anfuhrt 335),
die spräche"
ermel" (DWB I,
und anfurth "das
wort
enthalte
männlich
(DWB I, 1854, 400),
allesamt, allesammt gesagt
wird"
zu
man ge-
"wofür (DWB I,
1854, 231) oder in Goethes Beleg zu ABDRUCKEN "hohl geschnittne steine in feinem thon abzudrucken [ . . . ] stände besser abzudrücken" (DWB I, 1854, 21). Jacob Grimm ist in solchen Kommentaren präskriptiv, da er angibt, wie der aktuelle Sprachgebrauch sein soll(te). Es mag sein, daß Jacob Grimm keine historische Norm restituieren wollte, indem er die "alte" gegen die "neue" Sprache ausspielen wollte (vgl. PUschel 1989, 363-366), seine lexikographischen Kommentare müssen aber - etwa im Vergleich zur Grammatik - gerade im Medium "Wörterbuch", dessen "ziel und bestimmung [. . . ] notwendig im edelsten sinne practisch" sind (DWB I, 1854, VII), zumindest aus der Benutzerperspektive normativ verstanden werden. Dies belegen auch die ersten Reaktionen auf Jacob Grimms Artikel von Sanders (1852), Wurm (1852), von Raumer (1858/1863) oder Scherer (1865/1921). Im allgemeinen gilt ein normativer Anspruch oft selbst für diejenigen Wörterbücher, in denen solche normativen lexikographischen Kommentare fehlen. In den von Jacob Grimm bearbeiteten Wörterbuchartikeln findet sich eine Vielzahl normativer Kommentare zu verschiedenen sprachlichen Bereichen: Lexikographische Kommentare zu Fremdwörtern und zu den "anstöszigen Wörtern" (DWB I, 1854, XXXII-XXXIV) sind schon wiederholt Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen (vgl. u.a. Kirkness 1975, 282-296; Kirkness 1980, 20-22; 26-28; 151-153; Dückert 1987, 16f,; 18-21; Fratzke 1987, 157f. ) ; aus diesem Grunde werden im folgenden Jacob Grimms Kommentare zur Orthographie (3.1.), Grammatik (3.2.), Wortbildung (3.3.) sowie diejenigen zu den xro DWB dncfefühiten Autoren und Schriftstellern (3.4.) behandelt.
118
Kühn
3.1. Von "falscher" und "richtiger Schreibweise": Kommentierungen zur Orthographie Da jedes allgemeinsprachliche Wörterbuch im Prinzip immer auch ein Rechtschreibwörterbuch ist, bot sich Jacob Grimm mit dem DWB eine gute Gelegenheit, seine orthographischen Grundsätze, die er schon 1822 in der Grammatik aufgestellt hatte, in der Praxis zu verwirklichen und durchzusetzen. Grimms Konzept einer einheitlichen Orthographie des Deutschen basiert auf dem etymologischhistorischen Prinzip. Allgemein gilt die ältere, besonders die mittelhochdeutsche Sprache, als Norm seiner Orthographiereform. Da gerade die Rechtschreibung ein "Steckenpferd" Jacob Grimms war (vgl. Denecke 1971, 103f.; Kirkness 1980, 124ff.) verwundert es nicht, wenn Jacob Grimm 1849 in einem Brief an die Weidmannsche Buchhandlung die damalige Schreibung als "unrichtig, barbarisch und schimpflich" bewertete und sich dagegen sträubte, diese im DWB, "in einer das ganze der spräche umfassenden arbeit dennoch beizubehalten und fortzupflanzen" (zit. nach Kirkness 1980, 124). Grimm behauptete später sogar, daß die Möglichkeit einer Verwirklichung seiner Rechtschreibauffassungen eine wesentliche Triebfeder für die Übernahme des DWB (I, 1854, VIII) gewesen sei: "Ich wollte auch den wust und unflat unsrer schimpflichen die gliedmaszen der spräche ungefiig verhüllenden und entstellenden Schreibweise ausfegen, ja dasz ich dafür den rechten augenblick gekommen wähnte, war einer der hauptgründe mich zur Übernahme des Wörterbuchs zu bestimmen, dessen ganze Ordnung fast an jeder stelle durch das beibehalten der unter uns hergebrachten orthographie sichtbar gestört und betrübt werden muste."
Jacob Grimm konnte allerdings seine beabsichtigte Reform im Wörterbuch selbst nur zu einem geringen Teil verwirklichen, zu massiv waren offensichtlich die Einwände von Verlegerseite, das DWB könne durch eine einseitige und durchgreifende orthographische Änderung in Absatzschwierigkeiten geraten. Jacob Grimm räumt im Vorwort zum DWB (I, 1854, LXII) denn auch ein: "Billig zu achten war vorerst auch auf die nicht grundlose besorgnis der Verlagshandlung, dasz das publicum, für einzelne besserungen der orthographie zwar empfänglich, durch heftige erschütterung des hergebrachten und festhaftenden brauchs abgeschreckt werden möge, so freie hand uns hier gelassen war, erkannten wir gern die ratsamkeit kluger beschränkungen an, fast jederzeit haben mäszige und allmälich vorgebrachte reformen eingang, überspannte abwehr gefunden, ob immer das
119
Normative Kommentare im DWB rechte masz getroffen und eingehalten wurde, musz der erfolg entscheiden."
Von Jacob Grimme beabsichtigtem orthographischen 'Reinemachen' sind im DWB vor allem drei Punkte Ubriggeblieben und durchgeführt worden: - Antiquaschrift - durchgehende Kleinschreibung - sz statt Ligatur β Insgesamt hat sich Jacob Grimm also den pragmatischen Bedingungen der Verlegerseite beugen müssen, trotzdem scheint mir die Behauptung von A. Kirkness (1980, 126) nicht ganz zutreffend, daß sich Jacob damit abfand, "seine Vorschläge zur Verbesserung der Rechtschreibung [...] in der Vorrede zum ersten Band (Sp. LIV-LXII) ausführlich darzulegen", denn Grimm versuchte immer wieder, seine etymologisch-historisch ausgerichteten Orthographievorstellungen im DWB unterzubringen. (1) Der direkteste, aber gleichzeitig unmerklichste Weg, über ein Wörterbuch orthographische Reformen einzuleiten, geht sicherlich Uber die Lemmatisierungsformen. In den ersten Lieferungen des DWB findet man daher a) viele mittelhochdeutsche Lemmata (ABERZIEL, ÄBICH, ABQUIRRIG, AFFOLTER, ÄFLIG, BUFE usw.) und b) viele Lemmata in mittelhochdeutscher Schreibweise BAPST, BABST (für Papst), BOCHEN (für prangen),
(für pochen), FIENGEN (für fingen), BRANGEN
BRACHT (für Pracht),
BUTZEN (für putzen)
usw.
(2) Durchgängig ist auch - wohl als "Majuskelproblem" - in der Lemmatisierung der Ersatz der Ligatur β durch sz, so wie Jacob Grimm dies im Vorwort angekündigt und beschrieben hatte: ABMÜSZIGEN, ABRISZ, ABSCHLÜSZ, ANLASΖ, ANSTÖSZER, Antlasz, AUSSCHEISZEN usw. (3) Neben direkten historischen Lemmaformen tritt eine "gebesserte Schreibung" auch als Klammerzusatz auf (vgl. DWB I, 1854, LVIII ) : [al] zu AAL, [ale] zu AHLE, [amen] zu AHMEN, [ar] zu AAR, [as] zu AAS, [denen] zu DEHNEN, [änlich] zu ÄHNLICH usw.. (4) Es bereitet Jacob zudem auch keinerlei Skrupel, die angeführten Quellenbelege, also Zitate, in die von ihm favorisierte
Kühn
120 Schreibweise umzuformen 1987, 56). Auch hier anzutreffen,
der
(vgl. dazu auch
Dückert
1987,
12; Huber
ist z.B. der Ersatz der Ligatur J3 durch sz
Fortfall
nach der Doppelkonsonanz
eines
verdoppelten
noch ein Konsonant
Konsonanten,
folgt
wenn
(DWB I, 1854,
äfchen für äffchen; DWB I, 1854, 183: Logau: geäft für geäfft;), der Wegfall des h in th (DWB I, 1854, 27: Göthe: aben teuer für abentheuer) Logau:
oder
Widerhall
Auslassung statt
des
Dehnungs-e
Wiederhall).
(DWB I,
Schon Wurm
diese "unerklärliche Merkwürdigkeit" kritisiert, ren, alte liebten
und
neue,
sich der von
Unrechtschreibung
gerweise verbessert
und
Gnade
80:
16) hatte
"daß alle Auto-
deutschen Wörterbuche fügen
müssen."
be-
Eigenarti-
Jacob Grimm dabei nicht durchgängig und ein-
heitlich, sondern ohne mit pfif
ohne
dem
1854,
(1852,
ein erkennbares
Fleming mit
angepfifener
Prinzip: Hans
Sachs wird
wiedergegeben,
Soltau da-
gegen mit pfiff (vgl. DWB I, 1854, 419). (5) Neben auch,
diesen
seine
einzelnen
Mitteln
versucht
Orthographienormen
Stichwörtern
Jacob
durch
durchzusetzen.
Grimm
nun
persönliche Zur
schließlich
Kommentare
Kurzillustration
zu
zwei
Beispiele (vgl. weiter Anhang I, S. 151 - 152) ABENTEUER, n. früher f., aus dem romanischen adventura, aventura, aventure, woher es schon die mhd. dichter entlehnten und häufig in verschiednen bedeutungen verwandten, die BENECKE 1, 67-72 vorträgt; nicht zu schreiben abentheuer, noch weniger abendtheuer, obgleich manche dabei an abend und theuer (tiure), andere gar an äffe und eben (affenteuer, e b e n t e u e r o h n e dafür einen grund zu wissen, gedacht haben werden; einige bezogen ebenteuer, ebentheuer vielleicht auf eventus. (DWB I, 1854, 27) ABLESCHEN, exstinguere, alte, richtige Schreibung für ablöschen: wiltu deine sünde abieschen. LUTHER 1,84·. (DWB I, 1854, 73) Die Liste der
kommentierenden Ausdrücke
ist recht
eindeutig und
erlaubt lediglich eine Bewertung nach "richtig" oder "falsch": "richtig"
"falsch"
- richtig geschrieben X
- nicht zu schreiben 7
- alte, richtige Schreibung X
- die falsche Schreibung 7
- bei A noch richtig
- schlechte
geschrieben
- statt des heutigen 7
Schreibung
- besser zu schreiben X
Normative
- statt des üblichen Y daraus entstellt Y
Kommentare
im DWB
- man schreibt auch heute besser X der Schreibungen enthalte
- A schreibt richtig X
121
man sich
Y und Ζ jedenfalls
nicht Y
Han wird den Absichten Jacob Grimms allerdings nicht gerecht, wenn man diese dichotomischen Prädikatsausdrücke isoliert betrachtet, denn Jacob Grimm gehört gerade nicht zu den unnachgiebigen Sprachkrittlern, die eine bestimmte orthographische Form als gut oder schlecht, richtig oder falsch brandmarken. Jacob Grimm gibt vielmehr Belege und Begründungen, weshalb eine bestimmte Schreibweise eine positive oder negative Bewertung erhält: allein durch die Plazierung der orthographischen Kommentare vor (vgl. z.B. ABRIESEN, ABRÖHREN, AUSSÄTZIG) oder unmittelbar nach den historisch-etymologischen Herleitungen (vgl. z.B. ÄRMEL, ANFURT, ANHAUSZEN) der angesetzten Lemmata wird deutlich, worauf sich das "richtig" oder "falsch" gründet. Die Sprache - und natürlich auch die Orthographie - "darf nichts unreines, was ihrem natürlichen ströme widerstrebt an sich leiden" (DWB I, 1854, LXI). Jacob ist also überzeugt, daß wir in der Geschichte der älteren germanischen Sprachen das Gesetz besitzen, nach dem sich die deutsche Sprache entwickelt hat oder hätte entwickeln sollen. Was dieser Naturgesetzmäßigkeit entspricht, ist nach Grimm "organisch", was von ihr abweicht, "unorganisch". Das "Unorganische" erscheint dabei als "fehlerhaft", "falsch" oder "schlecht" und Grimm sieht sich im DWB befugt, wo immer es möglich ist, das "Unorganische" durch das organisch Richtige zu ersetzen. An dieser naturgeschichtlichen, organischen Entwicklung, dem "Sprachgeist", ist nach Grimms Auffassung jegliche Sprachveränderung zu messen und zu bewerten. Nach Jacob Grimm gibt es also eine "falsche Schreibung", die man daran erkennt, daß sie der naturgeschichtlichen Sprachentwicklung widerspricht. Im DWB benennt und bewertet Jacob Grimm orthographische Verstöße gegen diese natürliche Sprachentwicklung und hebt damit unter mehreren möglichen eine Schreibweise heraus und stellt sie als vorbildlich hin. Die Vorbildlichkeit in der Orthographie schreibt er
122
Kühn
dabei durch eine entsprechende Lemmatisierung und durch Kommentare in den Wörterbuchartikeln selbst fest. Selbst dort, wo die Formulierung der Kommentare mehr Feststellung als evaluative Festschreibung anzeigen könnte, scheint in vielen Fällen Vorsicht geboten. So suggeriert z.B. der orthographische Kommentar zu ANSPRITZEN "man schreibt auch ansprützen" (DWB I, 1854, 471) eine alternative Schreibweise bzw. eine gleichberechtigte Schreibung ansprützen. Belege aus den Wörterbüchern von Adelung (I, 1793, 375) und Sanders (2.2, 1876, 1155) zeigen jedoch, daß (an)sprützen die mittelhochdeutsche Schreibweise ist, die vor allem im 18. Jahrhundert vorherrschte und daß sich (an)spritzen im 19. Jahrhundert bereits durchgesetzt hatte. Das gleiche gilt für abmauszen (DWB I, 1854, 77), das Adelung (1, 1775, 265) bereits als abmausen lemmatisiert, während Jacob Grimm diese Schreibweise ablehnt. Die Gültigkeit solch scheinbar neutralter )er Kommentare wie "man schreibt auch", "hat sich neben X nicht tilgen lassen" oder "den formen Y und Y kann ihr recht verbleiben" müssen daher im Einzelfall immer wieder nachgeprüft und u.U. oft eher als Versuche verstanden werden, einer bestimmten historischen Schreibweise weiterhin oder erneut Geltungsdauer zu verschaffen. Daß die von Jacob Grimm angeführten normativen Kommentare zur Orthographie nur im Zusammenhang seiner etymologisch-historischen Sprachauffassung zu verstehen sind, kommt an vielen Stellen sogar explizit zum Ausdruck, wie im Beispiel ABENTEUER, wo die "richtigen" und "falschen" Schreibungen von Jacob Grimm aus der richtigen bzw. falschen Etymologie des Wortes abgeleitet werden. Gerade die Rechtschreibung wird in der Literatur immer wieder als Testfall für die Frage nach dem normativen Anspruch des DWB angeführt (vgl. z.B. Dückert 1987, 12f. oder Kirkness 1980, 35). Die angeführten Beispiele verdeutlichen, daß Jacob Grimms Kommentare zur Orthographie wohl weniger als "kritische Bemerkungen" und "empfehlende Hinweise" (Dückert 1987, 13), sondern eher als "bewußte Sprachlenkung" (Kirkness 1980, 35) aufgefaßt werden müssen. Nach dem heutigen Stand der Orthographie erscheinen uns Jacob Grimms orthographische Grundsätze und Bemühungen allerdings nur noch als eine Strömung in der Auseinandersetzung um eine einheitliche Orthographie des Deutschen. Da Grimms
Normative Orthographie tung
den
aufgrund
ihrer
kommunikativen
123
Kommentare im DWB etymologisch-historischen
Gegebenheiten,
Ausrich-
Anforderungen
und
w i c k l u n g e n einer lebendigen Sprache nicht gerecht w e r d e n mußte
sie
scheitern
schichtliche derts 34).
in So
heute
betrachtet.
Grimms
Bestrebungen
bestehende
Durchsetzung
des
In
von
eher
als
der M i t t e
allerdings
Schreibnormen
konstatierte
Sprache
wird
Episode
wurden
griff
und
Raumer
gelangen
würde,
"die
sich
als
von
19.
Jahrhun-
massiver
(vgl.
224),
etymologisch-historischen
konnte,
orthographiegedes
angesehen
(1863,
Ent-
daß
Wurm man
Prinzips
unserer
Ein1852,
mit zu
bisher
der
einer
gültigen
Schriftsprache w e s e n t l i c h unterscheidet." Grimm gibt - gerade bezug
auf
die
Orthographie -
Frage "Welche Form ist zu
Recht
1863,
bestehenden
349),
sondern
festgestellter
Stelle
des
seine
Werkes viel
Schriftsprache sich
Antworten
macht"
erscheinen
direkter,
der
angemessene?"
im
Wortformen,
geltend
Zeitgenossen
suche also
keine
die richtige, das heißt:
sieht
längst
demnach
DWB
befugt
die
sich
(von
Grimms
autoritärer
(von
"zur
als
1863,
orthographische
Raumer
Abänderung einer
351).
Für
Reformver-
u n d radikaler,
aber
auch
aufgesetzter u n d akademischer, w e i l sie eingespielten R e g e l n Erfordernissen Scherer gehen
des
(1921,
im D W B
setzlichkeit
Sprachgebrauchs
257f.)
sogar der
sieht
in
Jacob
einen W i d e r s p r u c h
historischen
zuwiderliefen. Grimms
zur p o s t u l i e r t e n und
und
Wilhelm
normierendem
Sprachentwicklung
in die
gegenwärtig
an mehr
Raumer
auf
Vor-
Naturgezu
Grimms
Sprachpurismuskritik: "Jacob Grimm, der nicht die Wahl des Sprechenden oder Schreibenden leiten will, wo der Sprachgebrauch nicht hinlänglich festgestellt oder mundartlich gefärbt ist, - Jacob Grimm, der Radlof und andere Sprachmeisterer einst, mit Recht des Terrorismus beschuldigte, - Jacob Grimm, der überall historisch verfahren und die Unverletzlichkeit der Geschichte anerkennen wollte: Jacob Grimm wird selbst zum Sprachmeisterer und verletzt selbst die Geschichte, indem er in einzelnen Fällen die letzten Jahrhunderte unserer Schriftsprache und was sie geschaffen negieren und gleichsam ausstreichen will. Jacob Grimm, der sich in politischer Beziehung allen Restaurationsgelüsten ferngehalten hatte, wird selbst ein Restaurator und will Formen, welche seit dem Mittelalter aus unserer Sprache verschwunden sind, wieder einführen." Zudem v e r t r e t e n sowohl v o n Raumer als a u c h Scherer in der O r t h o graphiereform (Scherer
1921,
den
Standpunkt
258),
einer
'behutsamen'
'leisen',
"unmerklichen" und
kenn-
zeichnen d e n rigorosen Ersatz aller "unorganischen F o r m e n "
Sprachentwicklung
durch
124
Kühn
"die organischen, die sich aus den Gesetzen der allgemeinen germanischen Lautentwicklung
für das Neuhochdeutsche ergeben", als
"Spracheinrenkung" und "Gewalttätigkeit" sowie als
"radikale Veränderung"
tionäre Vorschläge"
(von Raumer 1963, 221)
und "reaktionäre
(Scherer 1921, 258; vgl.
oder revolu-
Schirokauer
1942,
209: "reaktionärer Charakter seiner Schriftauffassung"), die dem damaligen
Sprachstandard
vollkommen
entgegenstanden.
Wilhelm
Scherer (1921, 258): "Wir besaßen, als Jacob Grimm auftrat, eine nicht untadelige, eine auch nicht starr festgestellte und überall unbedingt anerkannte, aber doch eine im ganzen und großen einheitliche O r t h o g r a p h i e . Es war möglich, sie leise zu verbessern und so verständig und vorsichtig zu läutern, daß durch die bloße Kraft der einleuchtenden Wahrheit oder Zweckmäßigkeit ein immer vollkommeneres und immer sicherer geltendes System zustande kam. Auch haben sich gewisse Veränderungen so unmerklich vollzogen, daß wahrscheinlich kein Mensch zu sagen weiß, wer sie vorschlug und wie sie sich verbreiteten."
Im
Gegensatz
zu
Zweckmäßigkeit"
dieser
an
der
orientierten
"einleuchtenden
orthographischen
Wahrheit
oder
Sprachentwicklung
findet man in den Kommentaren Jacob Grimms eher eine elitär akademische
Haltung,
wenn
er
die
organische
Gesetzmäßigkeit
als
MaJBstab einer neuen alten Norm erhebt. Jacob Grimm normiert im DWB beispielsweise "altwybisch" gegenüber "altweibisch" als "ediere" Schreibweise
(DWB I,
1854,
275), dagegen
mutet
uns die
oben angeführte Erklärung Scherers (1921, 258) auf der Grundlage der heute in der Theorie des Sprachwandels diskutierten sible-hand-Erklärung" radezu modern an 353f.). Scherer
(Keller
1982)
historischer
"invi-
Prozesse
ge-
(vgl. im gleichen Sinne auch von Raumer 1863, (1921, 258) beschreibt beispielsweise
den Weg-
fall des y in der Orthographie des Deutschen dann auch konsequent : "Noch in den vierziger Jahren lehrt man in den Schulen, daß der Infinitiv 'seyn' von dem Possessivpronomen 'sein' unterschieden werden müsse, und die anwendung des y war überhaupt ein bedeutender Punkt in der Rechtschreibungslehre: dieses y ist aus deutschen Wörtern spurlos verschwunden, und kein Mensch hat es je vermißt."
Jacob Grimm hat im DWB über entsprechende Kommentare versucht, orthographische
Formen
auf
der
Basis
des
etymologisch-histo-
rischen Prinzips festzuschreiben - und zwar gegen die damals geläufigen und sich herausbildenden Schreibkonventionen. So ehrenwert
Grimms
(sprach)kulurpolitische
Zielsetzungen
auch
waren,
Normative
die Umsetzung mativen Grimm
tionäre
des
dem Gebiet
Sprachzustand als stellen,
125
im DVB
seiner o r t h o g r a p h i s c h e n R e f o r m v e r s u c h e in d e n n o r -
Kommentaren
auf
Kommentare
ohne
DWB
restaurative
der O r t h o g r a p h i e
richtig,
auf
tragen besser,
versuchte,
der
einen
Bedingungen
Sprachentwicklung
zu
achten.
werden
genealogischen Kritik
an
terbuch Grimms
müssen,
liegt
Sprachauffassung
den normierenden
beziehen
sich
auf
Sprachauffassung,
der Diachronie
im
Grundsatz
begründet.
Festschreibungen die
Einseitigkeit
alles
zu beurteilen,
im
nach nach
der
hinzuevolu-
Daß
als
daher
Schon
Jacob
älteren
oder
Grimms lexikographische Kommentare zur O r t h o g r a p h i e verstanden
da
edler u n d v o r b i l d l i c h
gesellschaftliche
Wandlungen
Züge,
Jacob
normativ in
von
seiner Raumers
Grimmschen
Wör-
und Rigorosität
in
Naturgesetzlichkeit
in
"organischen"
Entwicklungen.
V o n Raumer (1863, 358) hält dagegen: "So ist diese Schriftsprache, in der unsere großen Classiker ihre Werke geschrieben haben, keineswegs ein bloßes Product der Natur, deren mit Nothwenigkeit wirkende Gesetze wir überall aus dem Product selbst nachweisen können. Vielmehr haben auf die gegebene Naturgrundlage die verschiedensten geschichtlichen Vorgänge eingewirkt, und diese unberechenbaren Einwirkungen bilden einen wesentlichen Factor unsrer zu Recht bestehenden Schriftsprache." Der Hauptkritikpunkt
an den n o r m a t i v e n K o m m e n t a r e n
liegt folglich darin, daß seine B e w e r t u n g e n der
Achse
der
Systemhaftigkeit
in
der
Jacob
Grimms
"in e r s t e r Linie auf
Diachronie"
(Fleischer
1986, 76) u n d nicht auf der d e s Sprachgebrauchs l i e g e n sowie auf der
Rigorosität,
ganische" aussetzung die
nun
mit
der
Schreibweisen ausgeht, zum
g l e i c h
Jacob
ausschalten
"dass
erstenmal
Grimm
die in
alternative
will,
Formen
der
Schrift
weil
bzw.
er v o n
der
gesprochenen
gefasst
"unor-
wird,
Vor-
Sprache, durchweg
sein müssten" (Von R a u m e r 1863, 355; vgl. auch W u r m
1852, 34).
3.2. V o n "schlechten"
u n d "richtigen
Kommentierungen
formen":
zur Grammatik Daß
Jacob
Grimms
Normierungsversuche
Grundlage als durchgehendes w e r d e n müssen,
wird
auf
sprachgenealogischer
lexikographisches
deutlich,
wenn
man
seine
Prinzip
verstanden
Kommentare
zur Grammatik betrachtet (vgl. A n h a n g II, S. 153 - 155).
im
DWB
126
Kühn
Auch hier gilt als Bewertungsmaßstab für den grammatisch richtigen Sprachgebrauch die lautgesetzliche Entwicklung aus den älteren Sprachstufen. In diesen Kommentaren zur Grammatik stehen den "frühen, richtigen" Formen (vgl. ANLANDEN) die "heutigen schlechten" (vgl. ABSCHEREN) gegenüber. Da ist eine bestimmte grammatische Form "richtiger" (vgl. ANBEGEHREN), "unorganisch" (vgl. ABWEISEN), "noch sprachwidriger" (vgl. BOGE) oder die "angemessenste" (vgl. ANGEL). Da ist die Rede von "unlebendiger da tivconstruction" (vgl. ANKOMMEN) bzw. "falschem dativ" (vgl. ANLEHREN) oder "eingerissenem nominativ" (vgl. BOGE), von einer "siinde gegen die spräche" (vgl. ANLEITE). Diese Kommentare sind im DWB auf verschiedene grammatische Erscheinungen bezogen: Flexion (vgl. ABBEUGEN), Genus (vgl. ANGEL, ÄHER, ANLEITE), Numerus (vgl. BOGE), Transitivität bzw. Intransitivität (vgl. ABTRÄUFELN, ANHANGEN), starke und schwache Deklination (vgl. ALTVORDEREN dazu Sanders 1854, 73f., BOGE), Konjugation (vgl. ABWEISEN, ANBELLEN) oder Kasusrektionen (vgl. ANLEHREN, ANBEGEHREN, ANKOMMEN), Jacob Grimms Kommentare haben dabei drei Stoßrichtungen : (1) Er versucht, untergegangene "organische" Formen wieder bewußt zu machen: So favorisiert Grimm zu ABSCHEREN das aus dem Mittelhochdeutschen abgeleitete Präteritum schar gegenüber dem im 19. Jahrhundert üblichen, aber seiner Ansicht nach "schlechten" schor (vgl. Sandres/Wülfing 1912, 588; Paul/ Schirmer II, 1956, 503f. ). Schon 1863 bemängelte von Raumer (1853, 351) "organische" Lemmatisierungsformen wie BOGE (DWB II, 1860, 309) oder BRATE (DWB II, 1860, 218) statt Bogen bzw. Braten. Grimm bezeichnet die Nominativform Bogen als "eingerissenen Nominativ" und als "sprachwidrig". Diese eingerissene und sprachwidrige Form kommt (nach von Raumer 1863, 351) aber schon bei Luther vor und hat "seit mehr als hundert Jahren die Form Boge dermaßen verdrängt, dass schon Frisch in seinem Wörterbuch (Berlin 1741) gar keine andere mehr aufführt. Unsere Dichter haben sie längst durch den Reim gesichert. 'Es stehet ein Regenbogen Wohl über jenem Haus! Sie aber ist weggezogen. Und weit in das Land hinaus.1 Goethe 1, 69 (1840)."
127
Normative Kommentare im DWB
(2) Bei möglichen Alternativformen gibt Jacob Grimm der älteren, "organischen" den Vorzug: Zu (AB)WÄGEN erscheint Grimm die aus dem Mittelhochdeutschen (wägen) abgeleiteten Präsensformen wiegst, wiegt "richtiger" als die neuhochdeutschen wägst, wägt, ebenso das dem mittelhochdeutschen Präteritum wac angeglichene wog gegenüber wägte, obwohl sich z.B. nach dem "Deutschen Wörterbuch" von Weigand/Hirt (II, 1910, 1198) schon 1691 bei Stieler die schwache Flexion findet und beide Präteritumformen, wog und wägte (vgl. Sanders/Wülfing 1912, 802), im 19. Jahrhundert gleichberechtigt nebeneinander gebraucht wurden (vgl. auch AUSERKIESEN, BESCHEIDEN und dazu Adelung I, 1793, 895); unter ANBELLEN plädiert er für die starke Konjugation und bedauert, daß die "schwache form einreiszt" (DWB I, 1854, 293; vgl. dagegen schon Adelung I, 1793, 844). (3) Jacob Grimm scheint sich gegen aktuelle Sprachentwicklungen stemmen zu wollen, die allerdings nicht mehr aufzuhalten waren und sich längst durchgesetzt hatten: So beklagt er unter dem Lemma ANKOMMEN, daß einige Autoren "den richtigen acc. meistens mit dem dat. der person vertauschen", obwohl sich dieser Dativ schon bei Luther findet (vgl. Weigand/Hirt I, 1909, 64) und sich am Ende des 19. Jahrhunderts vollends durchgesetzt hatte (vgl. Weigand/Hirt I, 1909, 64; Sanders/Wülfing 1912, 28; vgl. auch ANGEWÖHNEN und dazu Sanders 1852, 38). Unter ANLEHREN moniert er den "falschen dativ", da ursprünglich lehren mit dem Akkusativ der Person oder Sache verknüpft war, "doch taucht schon asächs. (Heliand 2170), sowie mhd. im 14. Jh. (Altd. Blätter 1, 94, 151) vereinzelt für den Akk. der Person der Dativ auf und im 18. Jh. setzen unsre besten Schriftsteller sowohl den Akk. (Schiller 11, 166, Goethe 50, 7, Lessing 3, 88, Goethe 6, 102) als den Dativ der Person (Lessing 3, 88, Goethe 6, 102)" (Weigand/Hirt II, 1910, 42). Gerade
die
Sprachstufen
Reaktivierung
grammatischer
erschien
zeitgenössischen
der
Formen
aus
Kritik
älteren
"blos
den
Sprachantiquaren zu Gefallen" und die von Jacob Grimm bevorzugten "richtigen"
Formen wurden
in die "Sprachrumpelkammer" ver-
bannt (Wurm 1852,5). Grimms Kommentare schichtlich
konsequent
entstandenen
zu den nicht
Formen
wirken
sprachge-
deshalb
so
128
Kühn
normativ, weil sie nicht am festgestellten Sprachgebrauch, sondern an einer als vorbildlich gesetzten "organischen" Sprachentwicklung orientiert sind. Gerade diese Ausrichtung konnte das DWB nicht zu einem praktischen Nachschlagewerk werden lassen, da die kommentierenden Ausdrücke wie "richtig" oder "schlecht" nicht an den Schwierigkeiten und Problemen des damaligen Sprachgebrauchs, sondern an den Sprachformen vergangener Sprachstadien ausgerichtet waren.
3.3. Von "ungeschickter mehrung" und "kraftvollen ausdrücken" : Kommentierungen zur Wortbildung Die Positionen zur Wortbildung hat Jacob Grimm im Vorwort zum DWB (I, 1854, XLI-XLIII) unter der Rubrik "Bildungstriebe" dargelegt. Grundsätzlich möchte Grimm - im erklärten Gegensatz zum Wörterbuch von Campe - nicht jede Ableitung oder Zusammensetzung, die sich durch Analogie bilden läßt, in sein Wörterbuch aufnehmen, wobei es "vielmehr den ableitungen als den Zusammensetzungen, vielmehr den einfachen Wörtern als den abgeleiteten nachzustreben" hat (DWB, I, 1854, XLIII). Grimm nennt für die Auswahl von Ableitungen und Zusammensetzungen eigentlich zwei Kriterien: (1) Im DWB sollen nur alle "gangbaren und geläufigen" Bildungen verzeichnet werden: "wofür sich noch kein bedürfnis im Sprachgebrauch erhob, alles das darf von ihm unberücksichtigt bleiben" (DWB, I, 1854, XLIII). (2) Aufgenommen werden sollen auch alle "günstigen und treffenden" Bildungen (DWB I, 1854, XLIII), wenn sie "frisch und glücklich geschöpft" oder "selten und bedeutsam" sind (J. Grimm nach Kirkness 1980, 85 u. 88). So verwirft Jacob Grimm "uneigentliche compositionen" wie Adlersauge oder Adlersfeder (vgl. DWB I, 1854, XLIIf.), in denen die Wörter "bloß etwas enger" beieinanderstehen und die Zusammensetzung dadurch "nur steifer und unbeholfener machen". Jacob Grimm (1864/1965, 345): "Schlechte, ungebärdige Zusammensetzungen leimen ist keine Kunst, in tüchtigen müssen die einzelnen Wörter besser gelötet und aneinandergeschweiJBt sein". Für die Beispiele Adlersauge und
129
Normative Kommentare im DWB
Adlersfeder sollte nach Grimm (DWB I, 1854, XLIII) die deutsche Sprache "gleich der lateinischen und griechischen dieser art von Zusammensetzungen ganz entraten und adlers auge, adlers feder schreiben, wie auch früher geschah." Gerade in der Frage nach richtigen und falschen Zusammensetzungen beginnt Jacob Grimm schon 1819 (J. Grimm 1864/1965, 403-410) eine längere Auseinandersetzung Uber das Fugen-s mit dem Schriftsteller Jean Paul (vgl. dazu Faust 1983, Fleischer 1986a, 15f.), die sich sogar im Grimmschen Wörterbuch niederschlägt: So z.B. in dem Kommentar zu BERÜHRMEINNICHT (DWB I, 1854, 1537): "falsch gebildet nach Vergiszmeinnicht, da berühren keinen gen. neben sich hat wie vergessen.", und unter ANSTANDSBRIEF verwirft Jacob Grimm Jean Pauls Schreibung "anstandbrief" als "wie immer zu übersehen" (DWB I, 1854, 475). Die angeführten Beispiele widersprechen eigentlich Dückerts (1987, 14) Feststellung, daß Grimms Vorstellung zur Wortbildung "in der Wörterbuchpraxis keinen nennenswerten Niederschlag gefunden" hat. Fleischer (1986, 75) aber betont dagegen, daß Jacob Grimm gerade hinsichtlich der Wortbildungskonstruktionen "besonders wertungsfreudig" ist (vgl. Anhang III, S. 156 - 160). Im einzelnen lassen sich Grimms Kommentare zur folgendermaßen zusammenfassen und charakterisieren:
Wortbildung
(1) Bevorzugung von (veralteten) Simplizia gegenüber deutschen) Komposita.
(neuhoch-
ANHEISCHIGMACHUNG gilt als "schleppender" Ausdruck, "wie viel schöner war das ahd. mhd. antheiz" (DWB I, 1854, 374), ANSIEDEL· ist
ein
462),
"schönes
"unsere
einfache
wort, spräche
brame
[...]
brombeerstrauch, 293).
FLEHE,
lassen
und
das
sollte statt
gute
"ausgestorben"
sich
der
dafür
wort den
(DWB III, 1862, 1749), das ist
fahren
brombeerstaude
"dies setzt
wir
und
lassen" wieder
auszer
unbequemeren
"musz
(DWB II, gebrauch
inf.
1860, geraten
substantivisch"
und bezeichnende durch
das
Zusammensetzung
verwenden
man
1854,
angewöhnen,
schleppenden
zu
hat
"alte
(DWB I,
Zahnfleisch
wort"
BILERN
umschrieben
werden" (DWB II, 1860, 24f.), BALDIG ist "eine erst im 18 jh. aufgekommene adjektivbildung, steif wie sonstig, einstig, dortig und ähnliche,
das
verlorne
einfache
bald übel
ersetzend"
DWB I,
Kühn
130 1854,
1084).
schwindet
Unter
das
EIDAM
gute,
sammensetzungen
alte
den
Wort,
Ehemann
"das
alte,
leitung"
wort,
der
holfener,
schon
als
setzung 1854,
vor
den
tochtermann
"Heute
der
zu
die
1862,
"ein Ober-
veralten
werden,
Zu-
(DWB III,
Schwiegersohn
aufgenommen
ver-
schleppenden
11
zu
EINFALT sollte "gegen
"wieder
anfängt,
bezeichnen";
schleppende
zumal
das
ab-
analoge
(DWB III, 18, 172), ERLAUB ist "ein (DWB III, 185, 890), AUTOR
Zusammensetzung
(DWB I,
ausdrückt,
und
einen
1854,
"überflüssiges
346).
beinahe
Grimm:
Hochdeutschen
als erlaubnis"
Schriftsteller" Grimm
wort"
fortdauert"
besser
im
Tochter,
edle
Jacob
(I, 1793, 1666) nur konstatiert:
welches
einfaltig
mannigfalt
wort
schwiegersohn
83), während Adelung deutsches
bedauert
was
wort, schon
Gegenüber
wegen,
1044), das
in
solchen
als
ANGELHAKEN nochmals
angel
ist
"be-
Verfasser gilt
oder
für
durch
selbst
normativen
gutes
Jacob
Zusammen-
liegt"
(DWB I,
Kommentaren
Adelungs (I, 1793, 303) Interpretament beispielhaft
wirkt
deskriptiv:
"Der Angelhaken, des - s, plur. ut nom. sing, ein mit einer Angel versehener Haken, besonders zum Behufe des Fischfangens, welcher auch nur schlechthin eine Angel genannt wird." Einfache Blumenbezeichnungen wie Rose Zusammensetzungen "viele, blume,
schon
alte
fallblume
kräuternamen. fremde
einfachen
käfer,
[...]
"zeugen
die meisten wie
(fleur
Wörter
und Lilie
herausgestellt
Zusammensetzungen,
benennungen
lilienblume
158),
positiv
de
Iis)
schöner
AUSWURFSDUNGKÄFER mistkäfer,
als
sind
rose,
wie
von
zu
BLUME:
bienenblume,
butter-
spräche
man
durch
einige
diese
sagend,
sind
die
(DWB II, 1860,
schwerfällig
nicht
an
rosenblume
jedesmal
als die Zusammensetzung"
wenn
armut
und fast nichts
suchte
verdeutlichen,
"setzen
gegenüber
unter
unsrer
allgemein lilie
werden
wie
für
hinreichten"
dung(DWB I,
1854, 1021), sogar das fremdsprachliche Simplex ALLEE - "an sich nichts
als
gang
aussagend"
sammensetzungen
baumgang,
- übertrifft
die
schattengang
an
durch
sich
"guten
seine
Zu-
kürze"
(DWB I, 1854, 216). (2) Ablehnung und gesetzliche eigentlichen
Einwände gegen
Konstruktionen;
nicht
Bevorzugung
Wortbildungskonstruktionen.
lautvon
bzw. wortbildungsSyntagmen
vor
un-
131
Normative Kommentare im DWB
Die Bildung und Schreibweise
adelig gegenüber ADELICH
"ist so
falsch wie billig für billich, denn das adj. ist nicht
von adel
durch
und
ig
abgeleitet,
sondern
(gleich),
also
adellich, mit
allmählig
und
allmälig
mählich
abgeleitet
ist
gebildet
Schreibung
anstandbrief"
immer,
übersehen"
dert
der
wollaut
SCHEITERN
eines
"ganz
(DWB I,
1854,
da
237),
ALLMÄHLICH
AMTSMÄSZIG
(DWB I, 1854,
des
1854,
475),
einen
s"
von
müßte
284),
"die
"hier,
wie
in ARBEITSSTAUB
(DWB I, 1854,
"unentsprechende
lieh
1 (DWB I, 1854, 177),
ist gegenüber ANSTANDSBRIEF
(DWB I,
als
von adel
falsch",
amtmäszig" heißen
tilgung
wird
auswurf
sind
"richtiger zu
Zusammensetzung
"for-
545),
Wortbildung"
AN-
abgelehnt
(DWB I, 1854, 437), für die neuhochdeutsche Sprache wäre statt ANSEHNLICH auch
"ansehentlich
statthaft",
hantlih und sehanlih" gleichberechtigt formen
abtrennig
und abtrinnig kann
sie können hergeleitet werden [...],
"aus
welchem
145), ALLERWÄRTS
auch
verbleiben",
dem verlornen [...]
ist eine "falsche
galten
flieszt"
bildung,
stamm
solcher
gen.
enthalten
pl.
ist, sondern
(DWB I,
gesellen
kann",
gegriffen
und
macht
heute
ALSBALDIG
ist
"eine
schlechte
trotzdem
keinen
"hat
anstosz"
nicht, schöpf-
zu dem sich
kein
es
sich
aber
(DWB I,
adjectivbildung
che, wie baldig, sofortig, heutig u.s.w."
1854,
da in wärts
ein adj.,
denn
trinnan
wie in orts und seits, woraus man allerorts, allerseits te, ein subst.
se-
(DWB I, 1854, 458), "den
ihr recht
"von
trennan
denn "ahd.
der
um
1854,
228),
canzleispra-
(DWB I, 1854,
260),
ANHEISCHIG ist "verderbt
aus antheiszig" (DWB I, 1854, 373), für
ALTHIEBIG
"besser
wäre
althäuig
gebildet"
(DWB I,
1854,
272),
ALLENFALLSIG wird angesehen als "ein von allenfalls schlecht gebildetes
adj.,
das
den
canzleien
hätte
sollen
gelassen
werden"
(DWB I, 1854, 219) und ANGLEICH wird lemmatisiert, obwohl es nach Jacob Grimm nicht existiert, denn "dafür sagen wir ähnlich", es "würde
galih
aber
dem ahd. anagalih,
und anaepangalih
(Graff
2,
114)
das sich
noch
verstärkt,
in epan-
entsprechen"
(DWB I, 1854, 354). Gegenüber ALLESAM findet Jacob Grimm "allesamt" bzw. "allesammt" "gewöhnlicher "ahd.
al samant
verkürzt
und besser",
und entstellt"
sei
da es aus dem
(DWB I, 1854,
Adelung (I, 1793, 215) kommentiert das gleiche allesammt
Wort, "welches im Hochdeutschen
231),
als ein
zu veralten anfängt" und führt
die gängigeren Synonyme sämmtlich und insgesammt an.
Kühn
132 (3) Absage
an
eine
unkontrollierte,
mechanisch-analoge
neuer Komposita und Ableitungen ("ungeschickte Jacob Grimm gibt
Bildung
mehrung").
in seinen Kommentaren zur Wortbildung gelegent-
lich auch die im Vorwort angesprochene ablehnende Haltung gegenüber
der unbegrenzten
Aufnahme
man unter dem Lemma BERG mentar: "eine
Menge
den natürlichen wohnenden
des bergbaus beobachtung noch
auch
von
oder
aus.
Zusammensetzungen zur ebene,
wachsenden
einzelne
oder
Komposita wieder.
mit
findet
berg drücken
als auch
kräuter
derselben
die auf
und
beruhen
häufung
und
sie
namhaft
zu machen".
alle
sowol
dem
die
gebirg
Verhältnisse
aber
ungefüger
nöthig
So
(DWB I, 1854, 1506) den normativen Kom-
gegensatz
thiere
von
auf
es scheint
ungenauer
weder
möglich
Die Mehrzahl
der
Kommentare zur Bildung und Berechtigung von Ableitungen oder Zusammensetzungen
haben
eine
normative
Stoßrichtung:
So
lehnt
rigoros alle Zusammensetzungen mit dem Basislexem ALTAR ab: diesem
fremden
erschöpfte spräche
menge zu
414),
ALLEMAL
stand
durch
aus
ist
alles
"dies
entspränge;
allzutheuer dichter
schreibt
ausgaben
"da
272).
Eine
STÜTZPUNCT stände" liche grifs"
noth
wird
des
"ungeschickte
(DWB I, Steigerung
des
(DWB I, 1854, 899).
entsprang
(DWB I,
dasz
allzu wer
wollte
drängt,
sucht
nachgeben?"
fehlt" sich
so wird
das
vor
zugrosz,
werden? composita
bezeich-
(DWB I,
1854,
natürlich
be-
ANSTÜTZPUNCT
bzw.
einfache
AUSKUNFTSMITTEL im einfachen
ge-
(DWB I, 1854,
neugothischen findet
zu,
vorgezogen der
vgl.
allzugrosz,
Wortbildung"
wo
218
nicht
betontes
theuer
ent-
Zusammensetzung
theuer,
silbe
1854,
Vorsicht
dem einfachen
ohne
von
sondern
ebenfalls
zu
ANNEBEN,
mehrung
(DWB I, 1854,
mehrung"
494), schon
265).
"überflüssige
angewendet,
1854,
die
casus"
längeren Komposita:
"häufig
für
scheint
grosz,
dazu
als
gegensatz
sonders unter den
eben
treten,
grosz,
welchen
1854,
nun, gleich
schwanken,
wo keine
der
zu
un-
"ungeschickte
ein auf erster
allzu
243), ALTGOTHISCH net,
gerückte
oder adv.
eine
Zusammensetzung",
bei ALLZU
sollte
dem
und
zu bilden,
adj.
in
"Mit
gebrauch
aus
(DWB I, als
wahre
allzu könnte
man
zutheuer, warum
an
eben,
"keine
"aneinander
und jedes
ist" er
en
auch ALLGEMEINGÜLTIG), boten, denn
der kirchliche
Zusammensetzungen,
sieht
schon
nun
lernen
ANNEBST
das
bildet
von
nichts
ANNEBENS, neben,
wort
er
ist
auskunft
stütze eine
besser
"entbehr-
liegenden
Jacob Grimm findet es auch
be-
"seltsam.
Normative Kommentare im DVB
133
wie [das] compositum erdreich in der spräche um sich greifen und schleppend den einfachen ausdruck erde oft verdrängen konnte" und
bewertet
'Boden'
dieses
als
¡Compositum
"unpassend"
(DWB III,
(I, 1793, 1882) konstatiert: schon
im
15ten
der
Bedeutung
1856,
777 ),
'Erdboden',
während
Adelung
"In diesem verstände kommt Erdreich
Jahrhundert
ARBEITSKÖRBCHEN
in
vor";
unter
ARBEITSKÄSTCHEN
bzw.
(DWB I, 1854, 544) normiert Jacob Grimm:
"...lauter ungeschickte, schwerfällige Zusammensetzungen, statt deren die einfachen Wörter beutel, kästchen, körbchen besser gebraucht werden; es ist unnöthig an dem einzelnen geräth immer auch den zweck auszudrücken, für den es dient, und den der Zusammenhang bestimmt." (d) Trotz der
überwiegenden Kritik
setzungen finden
sich
an manchen
Kommentare zu bestimmten AUGENBLICK (DWB I,
gilt
1854,
als
Stellen
treffende
des
"rohe,
ARMSCHMALZ
armmuskels"
aber
kraftvolle
als
stärkung
des
"wollautend" vgl.
auch
wo" wird
"die
misbrauch spräche
steif
"sparsam
mit
des
verfällt fremd
auf
bleiben"
tung
entfaltet"
nicht
unedel"
sind (DWB I,
gelobt
Zusammensetzung" SCHIESZEN, Augen
1854,
(DWB I,
(DWB I,
ANFUNKELN).
verzehren,
aber trotzdem
"schön"
angst"
günstige
"in
ALLDA
ist
(DWB I,
1854,
215;
Bildungen
die
1854,
372),
388
AUFBLICKEN
sich
gilt
dem
"festere pflegen"
der zwar
der
leben
der
wie
ABHABEN,
partitive
wird
als
auch
bedeu-
und
auch
"liebliche als
"schöne
ABPRANGEN,
Bedeutung als
und
und
natürlich
ANLÄCHELN
vgl. in
als
beholfen"
461), Wörter
[...]
wie
INBETRACHT-
überschritten
denen
Ver-
242),
und selten
häufungen, 1854,
(DWB I,
verbinden
53). ANHEIMELN
verschlingen'
als
sind
zu
verwandt
1854,
ANGSTLÄUSE
sie sich
leicht
maszlose
"mäßig
da
steif
wird
(DWB I,
be-
INSTANDSETZUNG,
verbum
ABGEBEN, ABBEKOMMEN, ABKRIEGEN,
Wortbildung"
angewandt"
ausdruck"
deutschere
dichter
1865,
gemieden"
der rede
statthaften
559),
dem
"zulässig", "dem
sind sie "in
grenze
und
(DWB I,
"als
ZIEHUNG, AUSΖERACHTLASSUNG
- trotzdem
positive
Zusammensetzung"
heimlicher
ANSLICHTTRETUNG,
substantivgestalt"
auch
ältere,
1854,
als "alte
ALLERMEIST),
ANSHERZLEGUNG,
(DWB I,
betrachtet aber
Zusammen-
"kraftvoller
"die
bezeichnung
1854, 362), ALLWO wird
DWB
lebendige
(DWB I, 1854, 560), ARMMÄUSLEIN als nennung
des
und
Wortbildungskonstruktionen:
"eine
802),
an Ableitungen
'mit
ABden
" eigenthümlich"
(DWB I, 1854, 626), ABHANDLUNG wird
in der
134
Kühn
Bedeutung 'schriftliche Untersuchung' als "vorzüglich" angesehen (DWB I, 1854, 54). In seinen theoretischen Schriften wertet Jacob Grimm (1847/1864/1965, 346f.) eine "composition" dann als "schön und vortheilhaft, wenn zwei verschiedne begriffe kühn, gleichsam in ein bild gebracht werden, nicht aber, wenn ein völlig gangbarer einfacher begrif in zwei Wörter verschleppt wird." ABBILD scheint Grimm daher "frischer und lebendiger als das blosze bild" (DWB I, 1854, 13), ABENDLICHT ist eine "vorzügliche" Bezeichnung für die "abends aufgehende Venus" (DWB I, 1854, 24). Grimms Kommentare zur Wortbildung sind ebenfalls nicht am Sprachgebrauch der damaligen Zeit orientiert: Er plädiert für "alte", ungebräuchlich gewordene, längst untergegangene Bildungen wie BILERN oder BRAME, verwirft neuere, übliche und eingeschliffene Konstruktionen als "fehlerhaft", wenn sie nicht gewissermaßen organisch von älteren Sprachstufen abgeleitet werden oder wenn sie analogisch "falsch" gebildet sind wie z.B. ANSTANDBRIEF, ADELICH, ALLERWÄRTS - selbst dort, wo sich vieles einer allgemeinen Regel entzieht (vgl. z.B. zu ANHALTEPUNCT Sanders 1852, 51f.). Dagegen bewertet er recht subjektiv Ableitungen oder Zusammensetzungen als "zulässig", "schön" oder "lieblich", ohne daß diese Wertungen operationalisierbar wären (vgl. ANLÄCHELN, ANHEIMELN, ANSHERZLEGUNG). Auch in den Fällen, in denen er sich gegen den Kanzleistil wendet (vgl. ALLENFALLSIG, ALSBALDIG), kritisiert Jacob Grimm weniger den durch die Wortbildung hervorgerufenen Sprachstil: Ihm geht es eigentlich auch dort um die sprachgenealogisch-richtige Art der Bildung selbst, wenn er z.B. ALSBALDIG beanstandet als "schlechte adjectivbildung" : die "alte spräche hätte nur baltlich und verstärkt albaltîch gestattet" (DWB I, 1854, 260).
3.4. "OPITZ sündigte wider die spräche": Kommentierungen zum Sprachgebrauch von Autoren und Schriftstellern Die Auswahl und Bearbeitung der literarischen Quellen, die dem DWB zugrunde liegen, sind wiederholt Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen gewesen (Mellor 1972, Kirkness 1980, llff.; Dückert 1987, 34ff.; vgl. auch den Beitrag von U. Haß im
Normative Kommentare im DWB zweiten
Teilband).
Als
Belegwörterbuch
rische Textausschnitte
mit
Quellen-
135
enthält
das
DWB
litera-
und Stellenangaben,
von
der
Mitte des 15. Jahrhunderts bis zu Goethe. In diesem Zusammenhang kam
es den
Brüdern
mächtigsten und die und wenigstens
Grimm
darauf
gewaltigsten
an,
"in
zeugen
jedem
jahrhundert
der spräche
zu
ihre gröszten werke in das Wörterbuch
die
erfassen
einzutragen
(DWB I, 1854, XXXV). Wilhelm Grimm (1881, 517) möchte,
"dass das
Wörterbuch den Sinn für Reinheit der Sprache wieder erwecke, der in unserer
Zeit
völlig
abgestorben
(DWB I, 1854, XVIII) soll ständnis der einzelnen Wörterbuch zwischen unserer
dann
gegenwart
gipfel
ausdrücke
durchblickende
Grimm
"das Ver-
zu ergründen". Dabei
beträchtliche
licht
aus
der
der
alten IV).
spräche
Vergangenheit
Unter
eben
"alter
1854,
XVIII)
das
Sprachperioden
müssen
sorgsam
zeigt
das
gemeinschaft
Alt-
mit
der
Sprache" und
vom
als
die
der
fällt"
und
umge-
im dunkel liegende flecken neuen
zu
versteht
erhellen"
Jacob
Grimm
Mittelhochdeutsche. Neuhochdeutschen
werden, "weil die formen der althochdeutschen edler
Jacob
das Wörterbuch dazu dienen,
es auch "hin und wieder
(DWB I, 1854, (DWB I,
nach
alter und neuer spräche", so daß "auf zahllose stellen
kehrt gelingt und
"eine
scheint",
mittelhochdeutschen
Beide
geschieden
spräche voller und
sind,
diese
aber
an
reinheit die unsrigen weit übertreffen". Das
DWB
will
aufschreiben
also (W.
eine
Grimm
"Naturgeschichte 1881,
513),
um
der
einzelnen
einerseits
für
Wörter" die
neu-
hochdeutsche Sprache "das Verständnis der einzelnen ausdrücke ergründen" und die
liebe
in bezug
zu den
auf die alte Sprache
vergesznen
Schriftstellern
andererseits dieser
zeit
zu
"auch wieder
anzufachen" (DWB I, 1854, XVIII). Das DWB soll dabei vor allem die "edle Schriftsprache" und diese "lernen wir
nur aus den edlen
enthalten
Schriftstellern
kennen"
(W. Grimm zitiert nach Kirkness 1980, 119). Wilhelm Grimm
(1881,
508) nennt
Luther
dabei
Luther
und
Goethe
als
Eckpfeiler:
Mit
"gewann die deutsche Sprache, nachdem sie von der früheren, kaum wieder
erreichbaren
ihrer angeborenen
Höhe
Kraft"
herabgestiegen und
nach
war, wieder
den Autoren
des
das
18.
Gefühl
Jahrhun-
derts, die eine Regelung und Grammatikalisierung der Sprache anstrebten
(besonders
Gottsched;
vgl.
dazu Mellor
1972,
317ff.),
136
Kühn
war es Goethe, der Bedeutendes "für die erhebung und läuterung der spräche gethan hat, nicht mühsam suchend, sondern dem unmittelbaren dränge folgend" (DWB I, 1854, 510). Im Vergleich mit Goethe beurteilt Wilhelm Grimm (1881, 510) den Beitrag der einzelnen Schriftsteller sehr unterschiedlich: "Was sonst hervorragende Männer, wie Wieland, Herder, Schiller in dieser Beziehung gewirkt haben, erscheint ihm gegenüber von geringem Belang. Lessing stand, was die Behandlung der Sprache betrifft, ihm am nächsten, aber niemand hat ihn bis jetzt erreicht, geschweige übertroffen." Jacob Grimm ist in der Bewertung der neueren Schriftsteller sogar noch strenger und gibt Begründungen für negative Beurteilungen: "Viele neuere schriftsteiler z.B. Schiller (nicht Göthe, auch Lessing nicht) erscheinen mir in gewissem betracht, und abgesehn von ihren neuen erfindungen, wortarm und unsrer spräche nicht recht mächtig; das gilt auch von einem gedankenreichen autor wie Jean Paul, der sich so ziemlich mit den gewöhnlichen Wörtern behilft. Neubackene ausdrücke, wie bei Schiller, Voß, Klopstock in mengen, sind weit mehr Zusammensetzungen und ableitungen als seltne Simplicia oder seltne bedeutungen. So wird sich auch bei den Schlegels oder Tiek kaum viel darbieten, was nicht schon die conversation hätte. Ist einmal der übrige wortstof beisammen, so könnte man sogar noch Uhland, Rückert, Platen durchlaufen und würde aus ihnen wenig zuzusetzen haben. Aber das 17 und 16 jahrhundert liefern ungeheuer viel, sogar ungenießbare autoren, die nie wieder gelesen werden, wie Lohenstein können sehr gute Wörter haben, und brauchbare redensarten, worauf hauptsächlich zu achten ist." (Grimm 1927, Bd. 2, 688f. ) In der Beurteilung einzelner Schriftsteller ist Jacob Grimm also wenig zimperlich. Seine Urteile wirken bisweilen äusserst anmaßend: Herder habe "weniger den deutschen wortvorrath in seiner gewalt, als die gäbe, sich mit wohlgefälligen oder ihm neu gelungenen Zusammensetzungen zu behelfen", er ist "fürs Wörterbuch, wie manche andere seiner zeit unergiebiger, läßt sich also auch schneller ausziehen" (J. Grimm zitiert nach Kirkness 1980, 85). In der bisherigen Forschung ist herausgearbeitet worden, wie sich die unterschiedliche Wertschätzung der verschiedenen Schriftsteller in den angeführten Belegstellen niedergeschlagen
Normative Kommentare im DWB
137
hat (vgl. Mellor 1972, Dückert 1987, 34-37) und welche verdienstvollen älteren (z.B. Dürer, Kepler, J. Arnd, A.H. Francke, Zinzendorf, Chr. Wolff) und jüngere Autoren (z.B. Hegel, Görres, F.L. Jahn, Kinkel, Börne, Herwegh) unberücksichtigt blieben. Auffallend ist nun, daß sich in der Bearbeitung des DWB durch Jacob Grimm Kommentare finden, in denen der Wortgebrauch von Autoren (z.B. Philosophen oder Wörterbuchschreibern: beispielsweise Kant, Adelung, Stalder) und Schriftstellern positiv oder negativ bewertet wird (vgl. Anhang IV, S. 161 - 167). Die erste Vermutung, daJ3 sich die negativen Kommentare auf die von Jacob Grimm weniger geschätzten Schriftsteller beziehen könnten, während mehr geschätzte Schriftsteller besonders positiv herausgestellt werden, wird dabei zunächst bestätigt: So wird unter ABGRUND die Bedeutung "tiefe Augen" als "schön" hervorgehoben und allein durch das Goethe-Zitat belegt: "aus ihren abgründen schien ein licht hervor zu blicken" (DWB I, 1854, 52), "FISCHART kann für den ersten hervorragenden schriftsteller gelten, bei dem nach comp, [arativ] dan und als zusammen angewandt sind, schon mit vorgewicht des als" (DWB I, 1854, 250), eine besondere Bedeutung von ANMASZUNG, die Fischart gebraucht, wird ebenfalls hervorgehoben: "FISCHART nennt die Kinder gegenüber dem Vater schön: Spiegel seiner vergangenen jugend, anmasung (d.i.anmaszung) seiner geberden" (DWB I, 1854, 407), wobei die von Jacob Grimm sonst gegeißelte "falsche Schreibung" explizit nicht sanktioniert wird. Fischart gehört nach Jacob Grimm (zitiert nach Kirkness 1980, 91) zu den Autoren, die "an spräche sehr gewaltig" sind. Diese positiven Kommentare entsprechen ganz den Prinzipien, die Jacob und Wilhelm Grimm als richtigen Maßstab für die Exzerption der Autoren ausgegeben hatten: So schrieb Wilhelm Grimm (zitiert nach Kirkness 1980, 92) an Schulze: "Es kommt darauf an, daß alle u n g e w ö h n l i c h e n oder in e i g e n e r b e d e u t u n g geb r a u c h t e n g e w ö h n l i c h e n Wörter ausgezogen werden". Jean Paul dagegen gehört zu denjenigen Schriftstellern, die Jacob Grimm "wortarm und unserer spräche nicht recht mächtig" erscheinen (zitiert nach Kirkness 1980, 71) und dem er daher in
138
Kühn
seinen Kommentaren nur schlechte Noten erteilt: So z.B. zu ABBILDEN: "ein von JEAN PAUL [...] verwandtes abbildern behrlich,
da abbilden
SCHIENEN "wird
dasselbe
aussagt"
von J. PAUL allzuoft
(DWB I, 1854, 13), AN-
figürlich
angewandt"
1854, 438), mit ABSCHATTEN geht er "verschwenderisch" 1854,
95)
unter
die
ANSCHAUEN
und von
eine J.
"haben
erschwert."
besondere
PAUL die
Bedeutung
gemisbrauchten"
philosophen
(DWB I, 1854, 435).
Die
von
Sprachgebrauch
(DWB I,
um (DWB I,
ANLAUFEN
(DWB I, 1854,
den
ist ent-
"gehört
395), ohne
in den Kommentaren
für noth
vorge-
brachten Beanstandungen zu Jean Pauls Sprachgebrauch lassen sich ebenfalls auf Grimms lexikographische Position beziehen: So entspricht der Vorwurf, daß Jean Paul ANSCHIENEN lich"
angewandt
habe,
Grimms
"neuem
"allzuoft
Prinzip"
figür-
(Kirkness
1980,
31), die Form- und Bedeutungsgeschichte der verzeichneten Wörter vom Sinnlich-Bildhaften nen
zum Abstrakt-Begrifflichen
nachzuzeich-
(vgl. die Beispiele ABTRAGEN, ANSCHLAG, BIENE usw.), wobei
nur die "gesunde spräche" bildlich ist, denn "auch der zarteste Gedanke verlangt einen sichtbaren Leib. In der letzten Bildungsstufe
hat
drücken
sich
eine
gezeigt:
überwiegende
nicht
zum
Neigung
zu
Vortheil, denn
das
abstracten
Aus-
abstracto
Wort
schliesst sich nicht fest an den Gedanken: es lässt eine Leere dazwischen und läuft Gefahr, inhaltslos zu werden. Man nimmt den Mund voll und
sagt wenig, manchmal
gar nichts"
(Wilhelm Grimm
1881, 516; vgl. auch Jacob Grimm im Vorwort DWB I, 1854, III). Stilistische Markierungen wie "figürlich" sind daher von Fall zu Fall
ebenfalls
als
normative
Kommentare
zu
interpretieren,
obwohl sie für sich betrachtet eher neutral wirken; erst durch den sprachgenealogischen Bezug wird eine stilistische Kennzeichnung wie "figürlich"
zur normativen Markierung. Der Vorwurf im
Kommentar zu ABSCHATTEN, Jean Paul gehe damit
"verschwenderisch"
um, entspricht Jacob Grimms Vorstellung, nicht all das ins DWB aufzunehmen, kommt: "wer
was
irgendwann
lauter
einmal
unveraltete
vorgekommen
und heute
ist
oder
vor-
gültige Wörter
geben
wollte, würde sich ein zu enges ziel stecken und fast nach einem lexicon der mode oder des feinen tons streben" (J. Grimm zitiert nach
Kirkness
seinem
1980,
Standpunkt
brauch von
aus
abschatten
70).
Jacob
Grimm
konsequent durch
Jean
den Paul,
kritisiert
daher
- von
verschwenderischen der,
trotz
des
Ge-
zuge-
Normative Kommentare im DWB
139
standenen Gedankenreichtums, "sich so ziemlich mit den gewöhnlichen Wörtern behilft" (J. Grimm zitiert nach Kirkness 1980, 71). Im DWB sollen aber gerade die ungewöhnlichen Wörter und Bedeutungen festgeschrieben werden, nicht die geläufigen und oft verwendeten wie abschatten. Der gehäufte, gewöhnliche und eingeschliffene Gebrauch eines Wortes ist für das DWB weniger wichtig und interessant, nur die "edle Schriftsprache" soll aufgenommen werden. Das DWB darf nicht alles zulassen, "was irgendwo einmal vorgekommen ist: was soll dieser wust?" (W. Grimm zitiert nach Kirkness 1980, 117). Überraschenderweise finden sich unter den Kommentaren zu den im DWB angeführten Autoren und Schriftstellern eine Vielzahl, in denen Jacob Grimm auch den Sprachgebrauch der "edlen", "sprachgewaltigen" Schriftsteller scharf kritisiert: In Goethes Beleg zu ABDRUCKEN "hohl geschnittne steine in feinem thon abzudrucken [...] stände besser abzudrücken" (DWB I, 1854, 21), im Beispiel unter ABLIEGEN "Eduard drang auf einem bewachsenen pfade weiter vor, wol wissend, dasz die mühle nicht weit abliegen konnte" beanstandet Jacob Grimm, daß "das weit entbehrlich ist" (DWB I, 1854, 74; vgl. dagegen Sanders 1852, 56), das Beispiel unter dem Lemma ACHT, "man kann sich nicht genug in acht nehmen, aus versuchen nicht zu geschwind zu folgern", kritisiert er ebenfalls als
teilweise
nicht
des
155).
Wo
redundant:
abhängigen
Goethe
"Kantaner" bilden
"das
satzes
"die
in
der
darf
stelle
unterbleiben"
Kantischen"
sollen"
letzten
schreibt,
(DWB I, 1854,
gesetzte
(DWB I,
da
1854,
hätte
319), "wenn
der
er
schäfer
bei Goethe sagt: [ . . . ] an meinem stabe gebogen [ ...] könnte es auch heiszen angelehnt an meinen stab" (DWB I, 1854, 399). Unter ANMUT
findet
männliche
man:
form
"merkwürdig
für die heutige
aber
haftet
bedeutung"
noch
bei
gerade
glücklich
gewählte
die
(DWB I, 1854, 409) und
unter ANSTATT zensiert Jacob Grimm Goethes Beispiel "nicht
GÖTHE
phrase"
(DWB I,
sogar als
1854,
476).
Trotz des sächlichen Genus von ABLASZ läßt sich Luther "einigemal
vom hochdeutschen
m.[askulinum]
beschleichen"
(DWB I,
1854,
57), Luthers Briefe bieten "abtgot" als "entstellte nebenform" zu
ABGOTT
Luther mit
"das
eifern
(DWB I,
1854,
aus
einer
zelare
zu
50),
älteren mengen,
"in
späteren
Verdeutschung die
an
sich
ausgaben" vorliegende
nichts
gemein
scheint efern haben"
Kühn
140
(DWB I, 1854, 182) und schließlich schreibt Luther "Adeler gewöhnlich
für adler, des
sinnes
der letzten
silbe
unkund"
(DWB I,
1854, 177). Schlechte Noten gibt es auch teilweise für Lessing, der für "anprallen" oft "anprellen" einsetzt, "das doch richtiger haft
transitiv den
ist"
(DWB I, 1854,
acc.[usativ]
aberglaube
421), Lessing f.[ür]
"setzt
fehler-
aberglauben"
(DWB I,
1854, 32) auch in anderen Beispielen verwendet er "tadelhaft den acc." wo nach Jacob Grimm eigentlich ein Dativ stehen müßte. Lessing benutzt die "falsche Wortbildung' ANDERERWEITS (DWB I, 1854, obwohl
314)
und
"heute
"selbst
LESSING
allgemeine
regel
gestattet
sich
älter
ist zu sagen weiszer
wie
du",
als schnee"
(DWB I, 1854, 251) . Kritisch normierende Kommentare finden sich aber auch zu anderen Schriftstellern und Autoren und beziehen sich auf verschiedene Aspekte des Sprachgebrauchs: - Orthographie/Interpunktion: Brockes schreibt "tadelhaft" "allgemählig" statt "allgemählich" (DWB I; 1854, 234), bei Gotter steht "unrichtig abentheuerinn" (DWB I; 1854, 29), ALLERDINGS "getrennt zu schreiben aller dings, wie bei AYRER [...] steht, scheint
nun
unstatthaft"
(DWB I,
1854,
222)
und
interpunction und auslegung" einer Nibelungenstelle werflich"
"LACHMANNS
"ist ver-
(DWB I, 1854, 427).
- Wortbildung: bei Goethe (ANER), Lessing (ANDERWEITS) findet man eine "falsche Wortbildung". Da es Jacob Grimm aber auch besonders darauf ankam, daß von den Exzerptoren auch alle "ungewöhnlichen Wörter" ausgezogen werden sollten, finden sich in den von Jacob Grimm bearbeiteten Teilen des DWB unter den vielen Hapaxlegomena auch besondere Wortbildungen mit positiven Kommentaren: ÄNGSTESPRUNG ist eine "ungewöhnliche von GÖTHE gewagte Wortbildung" (DWB I, 1854, 361). Logau bildet in ALLENGEFALLENHEIT eine "kühne Zusammensetzung" (DWB I, 1854, 219) und ABBANGEN
ist
"ein
kühn
von
LESSING
[...]
gewagtes
wort"
(DWB I,
1854, 11). - Grammatik: Luther (ABLASΖ) oder Stalder setzen falsche Genus, bei Wieland (DWB I, 1854, 250), Lessing (DWB I, 1854, 251) oder Müller (DWB I, 1854 254) ist der Gebrauch von wie und als "fehlerhaft"
bzw.
"tadelhaft",
dagegen
reicht
es
"zum
tröste.
Normative Kommentare im DWB
141
dasz das alte gute denn wenigstens noch im höheren, feierlichen stil fort besteht, oder wenn die nähe eines anderen als und alles übelstand droht, z.B. als knabe war er schöner denn als jüngling" wie bei Voss (DWB I, 1854, 251). Schiller vergißt bei ANSPIELEN die Präposition auf: "gewöhnlich aber wird die praep. auf gesetzt" (DWB I, 1854, 465), "wahrscheinlich gehören GOTTSCHED und GELLERT zu den ersten, die den falschen nom.[inativ] albern in der spräche durchführten (DWB I, 1854, 202), bei Frei steht ebenfalls der "falsche nom. abglauben" (DWB I, 1854, 50) und für ALTVORDEREN setzt Platen "fehlerhaft die starke form" (DWB I, 1854, 275). Adelung dagegen wird gelobt, wenn er bei ANHELFEN in der Bedeutung 'anbringen', 'unterbringen' den Akkusativ statt des Dativs vorschlägt, "was sich ganz gut hören läszt" (DWB I, 1854, 374). "OPITZ sündigte wider die spräche, wenn er dem reim zu liebe setzte: Homerus der hat recht, der vater unsrer allen, er läszt den klaren wein ihm treflich wol gefallen. wo doch nahe lag den vater ist uns allen." (DWB I, 1854, 206). - "Naturgeschichte" der Wörter: Luther "mengt" "efern" und "eifern" (DWB I, 1854, 182), Stalder "verfällt in den irrthum, die erste silbe von ammahl aus amme mutter zu deuten (DWB I, 1854, 405), Schiller gebraucht ANSEHN, wo er "den bloszen anblick meint" (DWB I, 1854, 458) und er setzt "so acht ich wol, gott würd euch nicht verlassen [...,] doch setzt die heutige spräche für solches achte lieber erachte" (DWB I, 1854, 167f.). Goethe verwechselt "adrucken" und "abdrücken" (DWB I, 1854, 21), Kant verwischt die Unterscheidung von "ahnden" und "ahnen", obwohl sie "jetzt fast durchgedrungen ist" und "beibehaltung verdient" (DWB I, 1854, 193) und Luther ist der historischen Bedeutung der letzten Silbe von "Adeler" "unkund" (DWB I, 1854, 177). Während es früher organisch hieß "das ander buch samuel, das ander buch der Könige, [...] gestatten sich BINDSEIL und NIEMEYER tadelhaft das zweite Buch" (DWB I, 1854, 307). Die Unkenntnis naturgesetzlicher Entwicklungen von Formen und Bedeutungen führt bei einigen Autoren zu "entbehrlichen" Häufungen und Redundanzen: In Opitz Beispiel: "das best aus zweien ist gar nie geboren werden, nie, oder aber doch bald scheiden von der erden" ist das
142
Kühn
"aber"
"entbehrlich",
denn
platz,
wo
von
recht
eine
reihe
entgegnung
"die
Verstärkung
disjunctionen
eintreten
soll"
scheint
beginnt,
(DWB I,
1854,
dann
endlich 31;
am die
vgl.
für
Goethe ANLIEGEN (DWB I, 1854, 74) und ACHT (DWB I, 1854, 166)). Bettine und Müller gebrauchen nach Jacob Grimm zwar lobenswerterweise "als" in der Bedeutung 'zuweilen', während Goethe, dem diese Verwendung
"doch
sehr
heimisch
sein
muste",
sich
davor
"hütet" (DWB I, 1854, 247). In den von Bettine und Müller angeführten Beispielen finden sich allerdings Redundanzen: "da zeigte er mir auf dem schnee die spuren der fischottern und da war ich als manchmal recht vergnügt"; in diesem Beispiel soll das "manchmal" zwar "dem schon
dunklen
sinn der Partikel
[als] nach-
helfen" , könnte nach Jacob Grimm allerdings "wegfallen" (DWB I, 1854, 247). Lob und Tadel in bezug auf die verschiedenen Autoren, deren Werke im DWB als Belegstellen ausgewertet wurden, ergeben sich natürlich auch indirekt, wenn z.B. ANSCHÜNDEN als "ein gutes, altes, aber nun erloschenes wort" beurteilt und dazu nur der Beleg von B. Waldis angeführt wird (DWB I, 1854, 450), ANDERWEITIG gilt nach Jacob Grimm (DWB I, 1854, 314) als aus anderweit "steif gebildetes adj.[ektivj." Dieser Tadel trifft natürlich auch Platen, aus dessen Schriften der Beleg für das steif gebildete Adjektiv stammt und aus dessen Werken man nach Aussage Grimms (zitiert nach Kirkness 1980, 71) für das DWB "wenig zuzusetzen" habe. Wenn ANKLANG gepriesen wird als "ein schönes wort, desgleichen Engländer und Romanen nichts haben" (DWB I, 1854, 381), dann fällt vom Glänze dieses Wortes auch indirektes Lob für die zitierten Klopstock und Goethe ab. Die auf die verschiedenen Autoren und Schriftsteller bezogenen Kommentare basieren ebenfalls auf Jacob Grimms sprachgenealogischer Position und erfolgen ohne Ansehen der Person. Jacob Grimm macht selbst bei dem "sprachgewaltigen" Luther, Lessing oder Goethe keine Ausnahme. Dabei wirken die in den Kommentaren gebrauchten wertenden Negativ-Ausdrücke wie Rügen oder Maßregelungen: Autor X "vermengt" A mit B, läßt sich von C "beschleichen",
"hätte
zweifelhaft",
bilden "so
sollen",
folgen
ihm
"sündigt nicht
wider bloß
die spräche",
nachlässige
"läßt
schrift-
143
Normative Kommentare im DWB steller", ist
"selbst
X
gestattet
"verschwenderisch",
figürlich "falsch", rissen",
der Gebrauch
"entbehrlich",
angewandt",
"ungenau",
zweideutig"
des Wortes
"unstatthaft",
"tadelhaft",
"verwerflich", "erscheint
sich";
"fehlerhaft", "unrichtig",
oder
"ist
sünde
D
"allzuoft "gehäuft", "ist gegen
eingedie
spräche". Jacob Grimm zwängt dabei alle Autoren in bezug auf Orthographie, Grammatik, Wortbildung und Sprachgebrauch in das sprachgenealogische Korsett, ohne auf besondere Intentionen oder Zwänge zu achten, die die Autoren geleitet haben könnten. So spielen Gesichtspunkte des Reims ebensowenig eine Rolle (vgl. ALL, Opitz, DWB I, 1854, 206) wie schwankender (vgl. ALS, W. Müller, DWB I, 1854, 254) oder gar eingeschliffener Sprachgebrauch (vgl. ABSCHATTEN, J. PAUL, DWB I, 1854, 95). Die Kritik an den Autoren und Schriftstellern steht dabei unter dem zusätzlichen Gesichtspunkt der Sprachlenkung, denn "das soll als erfolg und Wirkung des Wörterbuchs bedacht werden, daß die schriftsteiler daraus den reichthum der vollkommen anwendbaren spräche ersehen und lernen" (J. Grimm zitiert nach Kirkness 1980, 70).
4. Ein paradoxes Ergebnis: Die normendurchsetzte Deskriptivität des DWB in der Bearbeitung durch Jacob Grimm Die zahlreichen und unterschiedlichen Kommentare des DWB in der Bearbeitung durch Jacob Grimm verdeutlichen, daß die Ausarbeitung des Grimmschen Wörterbuches in der Anfangsphase deutlich wertende, belehrende, normative, präskriptive, ja teilweise autoritäre Züge trägt. Trotzdem hat sich der Mythos der Deskriptivität der Grimmschen Lexikographie bis heute gehalten. Dabei ist die lexikographische Darstellung der organischen Sprachentwicklung an sich noch keine Garantie für Deskriptivität, besonders dann nicht, wenn ältere Sprachformen als positiv gewertet werden, wie dies in den theoretischen Äußerungen der Brüder Grimm und in den Wörterbuchkommentaren Jacob Grimms zum Ausdruck kommt. Es besteht zumindest ein Widerspruch zwischen den auf Deskriptivität ausgerichteten theoretischen Äußerungen und den normativ wirkenden lexikographischen Kommentaren.
144
Kühn
Eine kursorische Durchsicht der von Wilhelm Grimm bearbeiteten Artikel im Buchstaben D zeigt, daß Wilhelm den aktuellen Sprachgebrauch nur vereinzelt normativ kommentiert wie z.B. bei grammatischen Entwicklungen (vgl. DÄUCHTEN, DWB II, 1860, 835) oder DAUME, DWB II, 1860, 845). Im allgemeinen ist Wilhelm Grimm aber bemüht, "alle geschichtlichen Sonderverhältnisse einzufangen" (vgl. den Beitrag von H. Bergenholtz/O. Lauridsen, in diesem Band, S. 279). In der Nachfolge Jacob und Wilhelm Grimms ist es Rudolf Hildebrand, der die normative Kommentarpraxis Jacob Grimms weiterführt und die behandelten Stichwörter positv (GENAU: "lehrreiches wort") oder negativ (KATZE: "eins der merkwürdigsten
und
fragenreichsten
Wörter")
kennzeichnet,
wobei
A.
Huber (1987, 76) feststellt, das solche Bewertungen "keineswegs nur vereinzelte Sonderfälle" sind. Die übrigen Bearbeiter des DWB legen dagegen wohl mehr Wert auf eine nüchterne, neutrale Darstellung in der Beschreibung der einzelnen Stichwörter. Es sind also vor allem Jacob Grimm und Rudolf Hildebrand, die die deskriptive Linie verlassen und normativ-präskriptive Kommentare anbringen, so daß die pauschale Charakterisierung des DWB als deskriptiv fragwürdig erscheint. Von wissenschaftlicher Seite ist den normativ-präskriptiven Kommentaren Jacob Grimms bislang wenig Interesse entgegengebracht worden. Zudem tut man sich schwer in der Kennzeichnung von Grimms Kommentierungspraxis: Fleischer (1985, 496) schreibt von "Urteilen" oder "Wertungen" und "Wertungstendenzen" (Fleischer 1986, 75ff. ), Bahr (1984, 500) von "interpretierender Darstellungshaltung11, Dückert (1987, 13) von "kritischen Bemerkungen" und "empfehlenden Hinweisen", an anderer Stelle von "Tendenzen der Sprachlenkung" (Dückert 1987, 22). Für Kirkness (1980, 35) zeigt sich, "wie in der Lexikographie Jacob Grimms Sprachkritik zuweilen in bewußte Sprachlenkung mündete." Einige von Jacob Grimms Zeitgenossen waren im Urteil direkter: Wurm (1852, 12) spricht von Jacob Grimms "schaffnerischen Gelehrtheit", Sanders (1852, 28) von "Gelehrsamkeit" und Scherer (1921, 257) bezeichnet Jacob Grimm als "Sprachmeisterer" und "Restaurator". Schirokauer (1942; 1957) versucht nachzuweisen, daß Jacob Grimm in der Planungsphase zum DWB eindeutig normative Zielsetzungen vor Augen hatte und bezeichnet die Brüder Grimm ebenfalls
Normative Kommentare im DWB
145
als "Sprachmeister", da sie zunächst den "Vocabulario degli Academici della Crusca (1612), "ein Schulmeisterideal von Wörterbuch", zum Muster nahmen (Schirokauer 1942, 208). Diesem "Sprachmeister"-Vorwurf steht die Negativ-Behauptung gegenüber, daß zwar "dem DWB die Absicht zugrunde lag, den geltenden Sprachgebrauch zu beeinflussen", daß es jedoch "von Anfang an" nie darum ging, "die Sprache zu schulmeistern" (Dückert 1987, 12). In der Tat gibt es - besonders von Wilhelm Grimm Äußerungen über die Konzeption des DWB, die den "Sprachmeister"Vorwurf als fragwürdig erscheinen lassen: Danach soll das DWB "die Sprache so darlegen, [...] wie sie sich in den letzten drei Jahrhunderten von Luther bis Göthe selbst darstellt. Man soll daraus ersehen wie man in diesem Zeitraum gesprochen hat, allerdings auch wie man gegenwärtig spricht, aber es wird nicht entschieden, wie man sprechen soll. Durch diese ganz geschichtliche Haltung wird es sich von der einengenden, gesetzgeberischen Weise der meisten Wörterbücher entfernen, welche eine Autorität bilden und das allein gültige aufstellen wollen" (zitiert nach Dückert 1987, 13). In seiner Frankfurter Rede von 1846 stellt Wilhelm Grimm (1881, 513) das von ihm gesteckte Ziel rhetorisch nochmals deutlich heraus: "Sollen wir eingreifen in den Sprachschatz, den die Schriften dreier Jahrhunderte bewahren? entscheiden, was beizubehalten, was zu verwerfen ist? sollen wir, was die Mundarten zugetragen haben, wieder hinausweisen? den Stamm von den Wurzeln ablösen? Nein wir wollen der Sprache nicht die Quelle verschütten, aus der sie sich immer wieder erquickt, wir wollen kein Gesetzbuch machen, das eine starre Abgrenzung der form und des Begriffs liefert und die nie rastende Beweglichkeit der Sprache zu zerstören sucht." Diese Äußerungen beweisen nach Dückert (1987, 13) "die nicht gesetzgeberische, sondern ganz und gar geschichtliche Haltung des Wörterbuchs." Dabei muß besonders darauf hingewiesen werden, daß nach Wilhelm Grimm (1881, 514) dieser historische Standpunkt notwendigerweise einen Tadel am Sprachgebrauch mit einschließt: "Aber glauben Sie nicht, das Wörterbuch werde, weil es sich der geschichtlichen Umwandlung der Sprache unterwirft, deshalb auch lässig oder nachsichtig sich erweisen. Es wird tadeln, was sich unberechtigt eingedrängt hat, selbst wenn es muss geduldet werden". Diese un-
Kühn
146 nachsichtigen und eifrigen taren
des
DWB.
Auf
meister"-Vorwuf
diesem
Dückert
1987,
manifest
Hintergrund
differenziert
Seite einige briefliche (vgl.
Tadel werden
muß
werden.
Es
Äußerungen von
12;
Kirkness
1942), die dafür sprechen,
in den Kommen-
m.E.
gibt
der
auf
Lachmann und
1980,
56,
daß im Vorstadium
der
einen
Jacob Grimm
69;
die
"Sprach-
Schirokauer
Konzeption
des
DWB in einigen Punkten an dem "Vocabulario degli Academici della Crusca" orientiert setzungen
des
gleichgesetzt
DWB
sicht" fungiert.
kennt das,
ein
der
denen
Wilhelm
Grimm
"Gesetzbuch",
Das DWB
im
keine
Gesetzgebung,
keine
selbst, erfrischt wurzelt."
lüsten
nicht
der
(1881, das
Gegenteil:
"Unsere
richterliche ist,
sich
und
zieht Nahrung
aus
Scherer so
theoretischen
(1921,
Ziel-
261) "von
sieht
"polizeiliche
auszustossen
dieser
die
510f.)
als
was
frei,
dürfen
Akademiewörterbücher
und
Trotz
Jacob Grimm nach
Seite
braucht nach Wilhelm Grimm
Ausrichtung,
zulässig
anderen
mit
diese
was
sie
Auf
nicht
werden.
Akademiewörterbuch
nicht
war.
im Auf-
(1881,
511)
Schriftsprache
Entscheidung
über
sie
sich
reinigt
dem
Boden,
in
Bekenntnisse
dem
blieb
gesetzgeberischen
daß die Heiligkeit
und
Ge-
Unverletzlichkeit
der Sprache, von der er so schön zu reden wußte, sich gegen selbst bewähren mußte." gibt
aber
trotzdem
Jacob Grimm will kein
selbst
DWB tadeln, kritisieren brauch aber auf bücher.
Das
Jacob
und mißbilligen
einer anderen
Grundlage
gewissermaßen
muß
als
die ein
logischer Basis. Beide Wörterbücher
im
Sprachge-
Akademiewörter-
das
auf
auf
Grimmsche
sprachgenea-
im strengen
Sinne nor-
mativ: Das Akademiewörterbuch, weil es eine bestimmte
Sprachnorm
ex cathedra auf
der
setzt, das
Folie
der
DWB, weil Jacob Grimm
historisch-organischen
richtig oder falsch beurteilt. mit Wiegand im DWB müssen
als die
(1986,
sind
den
Gesetzbuch
werden,
Naturgesetzbuch
sein,
Kommentare
also auch
verstanden
als
Gesetzgeber
Grimms
Grundlage als
Akademiewörterbuch
sprachautoritärer Wörterbuch
Gesetze.
ihn
den
Sprachentwicklung
Aus diesem Grunde scheint
318) gerechtfertigt, Jacob
normativ-präskriptiv Formulierungen
in
Sprachgebrauch
es mir
Grimms Kommentare
zu kennzeichnen.
diesen
als
Kommentaren
Im
Einzelfall
zudem
als
Maß-
regelungen, Zurechtweisungen und Tadel mit bisweilen
autoritärem
Charakter
Grimms
daher
verstanden
normativ,
werden.
allerdings
Die darf
Sprachkritik sie
weder
Jacob
mit
der
ist
normativen
Normative Kommentare im DWB
147
Sprachkritik der Akademiewörterbücher noch mit der des zeitgenössischen Sprachpurismus gleichgesetzt werden. Da Jacob Grimms Kommentare auf eine sprachgenealogische Normierung des Sprachgebrauchs ausgerichtet scheinen und dabei ein bestimmtes Sprachstadium als vorbildlich herausgestellt wird, ist seine normative Sprachkritik im DWB gleichzeitig eine akademische Sprachkulturkritik .
5. Literatur Adelung 1774-1786 = Johann Christoph Adelung: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuches Der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der oberdeutschen. Theil I-V. Leipzig 1774-1786. Adelung 1782 = Johann Christoph Adelung: Umständliches Lehrgebäude der Deutschen Sprache zur Erläuterung der Deutschen Sprachlehre für Schulen. 2 Bde. Leipzig 1782. (Heudruck Hildesheim/New York 1971). Adelung 1793-1801 = Johann Christoph Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart, mit beständiger Vergleichung der übrigen Mundarten, besonders aber der Oberdeutschen. Theil I-IV. Leipzig 17931801. (Neudruck mit einer Einführung und Bibliographie von Helmut Henne. Hildesheim, New York 1970). Bahr 1984 = Joachim Bahr: Eine Jahrhundertleistung historischer Lexikographie: Das Deutsche Wörterbuch, begr. von J. und W. Grimm. In: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Hrsg. von Werner Besch, Oskar Reichmann, Stefan Sonderegger. Erster Halbband. Berlin, New York 1984, 492-501. (Handbücher zur Sprachund Kommunikationswissenschaft 2.1). Denecke 1971 - Ludwig Denecke: Jacob Grimm und sein Bruder Wilhelm. Stuttgart 1971. (Sammlung Metzler 100) Diewerge 1935 = Heinz Diewerge: Jacob Grimm und das Fremdwort. Leipzig 1935. (Form und Geist 34). Dückert 1974 = Joachim Dückert: Zur Neubearbeitung des Grimmschen Wörterbuchs. In: Sprachpflege 23. 1974, 70-75. Dückert 1987 = Joachim Dückert: Jacob und Wilhelm Grimm. In: Joachim Dückert (Hrsg.) 1987, 7-48. Dückert (Hrsg.) 1987 = Das Grimmsche Wörterbuch. Untersuchungen zur lexikographischen Methodologie. Hrsg. von Joachim Dückert. Stuttgart 1987. DWB 1854 - 1960 = Deutsches Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm. 32 Bde. Leipzig 1854 - 1960. Eibl 1985 = Karl Eibl: Sprachkultur im 18. Jahrhundert. Über die Erzeugung von Gesellschaft durch Literatur. In: Sprachkultur. Jahrbuch 1984 des Instituts für deutsche Sprache. Hrsg. v. Rainer Wimmer. Düsseldorf 1985, 108-124. (Sprache der Gegenwart 63).
148
Kühn
Faust 1983 = Manfred Faust: Jean Paul's Essay on Word Formation. In: Allgemeine Sprachwissenschaft, Sprachtypologie und Textlinguistik. Festschrift für Peter Hartmann. Hrsg. von Manfred Faust. Tübingen 1983, 237-248. (Tübinger Beiträge zur Linguistik 215). Fleischer 1985 = Wolfgang Fleischer: Zur Geschichte der Grimm-Rezeption aus linguistischer Sicht. In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 38. 1985, 489-499. Fleischer 1986 = Wolfgang Fleischer: Das "Deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm" in der Geschichte der Germanistik. In: Jacob und Wilhelm Grimm. Vorträge anläßlich der 200. Wiederkehr ihrer Geburtstage (4. Januar 1785/ 24. Februar 1786). Hrsg. im Auftrage des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der DDR von Heinz Stiller. Berlin 1986, 69-78. (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR 6 G). Fleischer 1986a = Wolfgang Fleischer: Grimm-Rezeption in der literarischen Öffentlichkeit. In: Jacob und Wilhelm Grimm. Vorträge anläßlich der 200. Wiederkehr ihrer Geburtstage (4. Januar 1785/ 24. Februar 1786). Hrsg. im Auftrage des Präsidenten der Akademie der Wissenschaften der DDR von Heinz Stiller. Berlin 1986, 14-25. (Sitzungsberichte der Akademie der Wissenschaften der DDR 6 G). Fratzke 1987 = Ursula Fratzke: Zum Fremdwort im Deutschen Wörterbuch. In: Dückert (Hrsg.) 1987, 153-169. J. Grimm 1813/1966 = Jacob Grimm: Grammatische Ansichten. In: Altdeutsche Wälder. Hrsg. durch die Brüder Grimm. Bd. 1. Cassel 1813, 179-187. (Reprografischer Nachdruck. Mit einer Einführung zum Neudruck von Wilhelm Schoof. Darmstadt 1966). J. Grimm 1819/1864/1965 = Jacob Grimm: Jean Pauls neuliche Vorschläge, die Zusammensetzung der deutschen substantive betreffend. In: Jacob Grimm: Kleinere Schriften. Bd. I. Reden und Abhandlungen. Berlin 1864, 403-410. (Reprografischer Nachdruck Hildesheim 1965). J. Grimm 1819/1890/1966 = Jacob Grimm: Deutsche Grammatik. Vorrede. In: Kleinere Schriften. Bd. VIII. Vorreden. Zeitgeschichtliches und persönliches. Gütersloh 1890, 25-96. (Reprografischer Nachdruck Hildesheim 1966). J. Grimm 1847/1864/1965 = Jacob Grimm: Über das pedantische in der deutschen spräche. Vorgelesen in der öffentlichen Sitzung der Akademie der Wissenschaften am 21. October 1847. In: Jacob Grimm: Kleinere Schriften. Bd. I. Reden und Abhandlungen. Berlin 1864, 327-373. (Reprografischer Nachdruck Hildesheim 1965). J. Grimm 1848/1884/1966 = Jacob Grimm: Die sprachpedanten. In: Jacob Grimm: Kleinere Schriften. Bd. VII. Recensionen und vermischte Aufsätze. Berlin 1884, 215-218. (Reprografischer Nachdruck Hildesheim 1966). [Zeitschrift für deutsches Alterthum 6. 1848, 545-547]. W. Grimm 1881 = Wilhelm Grimm: Bericht über das Deutsche Wörterbuch. In: Wilhelm Grimm: Kleine Schriften. Hrsg. v. Gustav Hinrichs. Bd. 1. Berlin 1881, 508-520. (Verhandlungen der Germanisten zu Frankfurt aun 24., 25. und 26. September 1846. Frankfurt am Main 1847, 114-124). J. und W. Grimm 1927 = Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Karl Lachmann. Hrsg. von Albert Leitzmann mit einer Einleitung von Konrad Burdach. 2 Bde. Jena 1927.
Normative
Kommentare im DWB
149
Henne 1977 = Helmut Henne: Nachdenken über Wörterbücher: Historische Erfahrungen. In: Helmut Henne, Günther Drosdowski, Herbert Ernst Wiegand: Nachdenken über Wörterbücher. Mannheim, Wien, Zürich 1977, 7-49. Henne 1985 = Helmut Henne: "Mein bruder ist in einigen dingen [...] abgewichen". Wilhelm Grimms Wörterbucharbeit. In: Zeitschrift für Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung 38. 1985, 533-543. Huber 1987 = Anna Huber: Kritiker und Konkurrenten, erste Mitarbeiter und Fortsetzer der Brüder Grimm am Deutschen Wörterbuch. In: Dückert (Hrsg.) 1987, 49-90. Keller 1982 = Rudi Keller: Zur Theorie sprachlichen Wandels. In: Zeitschrift für germanistische Linguistik 10. 1982. 1-27. Kirkness 1975 = Alan Kirkness: Zur Sprachreinigung im Deutschen 1789-1891. Eine historische Dokumentation. 2 Teile. Tübingen 1975. (Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache 26.1 und 26.2) Kirkness 1980 = Alan Kirkness: Geschichte des Deutschen Wörterbuchs. 18381863. Dokumente zu den Lexikographen Grimm. Mit einem Beitrag von Ludwig Denecke. Stuttgart 1980. Kühn/Püschel 1983 = Peter Kühn und Ulrich Püschel: Die Rolle des mundartlichen Wortschatzes in den standardsprachlichen Wörterbüchern des 17. bis 20. Jahrhunderts. In: Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektforschung. Hrsg. v. Werner Besch, Ulrich Knoop, Wolfgang Putschke, Herbert Ernst Wiegand. Zweiter Halbband. Berlin, New York 1983, 1367-1398. (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 1.2). Mellor 1972 = Chauncy Jeffries Mellor: Scholarly Purpose and National Purpose in Jacob Grimm's Work on the Deutsches Wörterbuch. Chicago 1972. (Phil. Diss.). Paul/Schirmer 1956 = Hermann Paul: Deutsches Wörterbuch. 5. Auflage bearbeitet von Alfred Schirmer. 2 Bde. Halle (Saale) 1956. Püschel 1982 = Ulrich Püschel: Die Berücksichtigung mundartlicher Lexik in Johann Christoph Adelungs "Wörterbuch der hochdeutschen Mundart". In: Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 40. 1982, 28-51. Püschel 1989 = Ulrich Püschel: "zu haus, unter den seinen, redet der mensch nachlässiger". Jacob Grimm und die lebendigen Mundarten. In: Dialektgeographie und Dialektologie. Günter Bellmann zum 60. Geburtstag von seinen Schülern und Freunden. Hrsg. von Wolfgang Putschke, Werner Veith, Peter Wiesinge". Marburg 1989, 353-373. von Raumer 1858/1863 = Rudolf von Raumer: Gesammelte sprachwissenschaftliche Schriften. Frankfurt/M. Erlangen 1863. [Erstveröffentlichung: Das deutsche Wörterbuch der Gebrüder Grimm und die Entwicklung der deutschen Schriftsprache. In: Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien 1858. Heft 1, 331-362] Sanders 1852 = Daniel Sanders: Das deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm kritisch beleuchtet. Heft 1: Hamburg 1852; Heft 2: Hamburg 1853. Sanders 1860-1865/1876 = Daniel Sanders: Wörterbuch der Deutschen Sprache. Mit Belegen von Luther bis auf die Gegenwart. 3 Bde. Leipzig 1860-1865. 2. Abdruck Leipzig 1876. (Neudruck mit einer Einführung und Bibliographie von Werner Betz. Hildesheim 1969). Sanders/Wülfing 1912 = Daniel Sanders: Handwörterbuch der deutschen Sprache. 8., neubearbeitete und vermehrte Auflage von Ernst Wülfing. Leipzig, Wien 1912.
150
Kühn
Scherer 1865/1921 = Wilhelm Scherer: Jacob Grimm. Neudruck der zweiten Auflage mit Beigaben aus der ersten Auflage und Scherers Rede auf Grimm besorgt von Sigrid von der Schulenburg. Berlin 1921. [1. Auflage 1865; 2., verbesserte Auflage 1883] Schirokauer 1942 = Arno Schirokauer: Spätromantik im Grimmschen Wörterbuch. In: The German Quarterly 15. 1942, 204-213. Schirokauer 1957 = Arno Schirokauer: Das Grimmsche Wörterbuch als Dokument der Romantik. In: Philobiblion 1. 1957, 309-323 de Smet 1984 = Gilbert de Smet: Wöterbücher. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 4. Hrsg. von Klaus Konzog und Achim Masser. Berlin, New York 1984, 930-946. Weigand/Hirt 1909/1910 = Friedrich Ludwig Karl Weigand: Deutsches Wörterbuch. 5. Auflage. Nach des Verfassers Tode vollständig neu bearbeitet von Karl von Bahder, Herman Hirt, Karl Kant. Hrsg. von Herman Hirt. 2 Bde. Gießen 1909-1910. Wiegand 1986 = Herbert Ernst Wiegand: Der frühe Wörterbuchstil Jacob Grimms. In: Deutsche Sprache 14. 1986, 302-322. Wiegand 1989 = Herbert Ernst Wiegand: Wörterbuchstile: Das Wörterbuch von Jacob Grimm und Wilhelm Grimm und seine Neubearbeitung im Vergleich. In: Wörterbücher in der Diskussion. Vorträge aus dem Heidelberger Lexikographischen Kolloquium. Hrsg. von Herbert Ernst Wiegand. Tübingen 1989, 227278. (Lexicographica. Series Maior 27). Wurm 1852 = Christian Friedrich Ludwig Wurm: Zur Beurtheilung des deutschen Wörterbuches von Jakob und Wilhelm Grimm, zugleich ein Beitrag zur deutschen Lexikographie. München 1852.
Normative
151
Kommentare im DWB
Anhang I: Normativ-präskriptive Kommentare Jacob Grimms zur Orthographie ABENTEUEH, » . früher f . , s u t dem romanischen adventnra, aTcntura, a v e n t u r e , woher et idion die mhd. dichter entlehnten u n d h&uflg in verschicdnen bedeutungen verwandten, die B E XECSE 1, CT—"5 vorträgt; nielli su sehreiben a h e n t b e u e r , tjDcA reuiger a b e n d t h e u e r , obgleich m a n e f t e dabei an a b e n d u n d t h e u e r (tiure), andere gar an a Be v a i l e b e n (alTentencr, e b e n tener), ohne dafür e i n e n grvnd zu Vitien, gedacht haben werden ; einige bezogen e b e n t e n c r , e h e n t h c u e r vielleicht auf e r e o l u t . das
A L T W E I B I S C H , was a l t v e l l e l i s c h , doch edler: altwrbisch u n d n e r r i s c h g p l e r r . Z m x c u »on dem louf. Zürich 1 4 2 ¿ L S " ; • h e r d a s c h m l h s i i l t w e l b i s c b . T o n ( , »32.
DWB I, 1854, 275
DWB I, 1854, 27 A B E l l A C I l T , f . proscriptio superior, also für o b c r a c h t , f i b e r a e b t , «III Sip. 3, 34 richtig o v e r a c h l e , nicht wleJerhellt acht ( t u n a b e r wieder); die falsche Schreibung wurde im tc. jh. eingeführt, belegt hat HALT.US unter dem wort, der geschichlschreibcr HAIIX 5 , 1 « seist abcraclitscrkläruii|i. gewöhnlich werden a e b t u n d o b e r a c h t verbunden, so bei Ι . υ τ ι ι ε κ 1, 559", im relchsabschiei ton 1507 § . M u n d i n der kammergerichtsordnuno von 1523. VI. §. 2 .
DWB I, 1854, 32 A B L E S C H E N , exslingucre, alle, riehlige Schreibung für l ö s c h e n : wiltu d e i n e 5finde a b t e s c h e a . LtrruEa ) , 84".
ab-
w o , wie, w a n n e u e r schif den sichren tnTurt
flndl.
LOCAD 5 , 1 , 3 7 .
DWB I, 1854, 73 ABLIEGEN, diffileri,
A N F U I Ï T , o u litlus, locus appellendi, portas: Sebulon wird a m a n f u r t d e s m e e r s w o n e n u n d a m a s f u i t d e r i c h i l f e . 1 Mos. 4 9 , 1 3 ; z i e h e t h i n gegen d e n a n f u r t d e · m e e n , i ¡los. 1, 7 ; a n a l l e n a n f u r t e n d e s groszen m e e n . ¡os. a, 1 ; e i n e s a s f u r t s a b e r w u r d e n l i e g e w i h r , d e r b a t t e e i n « f e r . oposL g es ch. 2 7 , 39 ^ d e n n d a i s t d e r a n f u r t a n d a s j a d i s c h e l a n d . LÜTBE« 3 , SO«' ; a m u f e r d e s i v r r b e n i s c h e n m e c r e i ist e i n g e l e g e n e r a n f u r t , w e l c h e n m a n n e n n e t p o r t u m H e r c u l i s . MEUSCHTS. 1, 6 5 3 ; « o v e r s i e b t » d e r kflnig a n den a n f u r t e n s o Ociszig, d a s z g a r w e n i g e a u s d e m l a n d entfliehen rotigen. 3, 7 7 5 ; a u s T j T o u n d S i d o n , d i e a m a n f u r t d e s m i t t e l m e e r t s a s z e n . MATOESICS 1 3 " ; d e n n d a J o s a p h a t schif b a w e n liesz u n d r ü s t e t sich a m a n f u r t b e i E s c o n g a b e r , d a s a m b a f e n d e s a r a b i s c h e n m e e r t ligt. 22 ; ein p o r t u n d a n f u r t der zulendenden p i l g n m von E u r o p a . F u n veliti. 1(4*;
LCTHE« selbst scheint das wort aber auch weiblich chen : A s s e r s a s z a n d e r a n f u r t d e s i n e e r s . ridiL
π
bei LUTHES och richtig geschrieben siali des heutigen a b l f l g e n , Mengue*: du wirst mir auch nicht abliegen das b u c h , lieber l ù c n c r . l , 3 M \ mhd. a b e l i e g e n , ilas d u m i r m e i n k i n d b a u a h c e h i g c n . fasln, si·. 4 3 , 3 .
DWB I, 1854, 74 ABMAUSZEN, mutare, abwtchseln, vertauschen : d a i z s o u o l b a u - a l s b r e o n h c l : n i c h t h i n u n d w i e d e r , s o n d e r n ein t b c i l nach dein andern abgegeben u n d a b g e m a u s z e t werde, so t a n d a s j u n g e h u l z d e s t o h e s s e r w a c h s e n . lioiinEtic 1,13%'. gilt zumal vom wechseln unit i n a u s z e n (nicht m a u s e n ) der federn : w e i l s o n s t die Zugvögel m i t a b g e m a u s z t e n u n d a b g r n U t i l e n f e d e r n z u r ü c k k ä m e n . J . PACL paling. 2, 5T.
DWB I, 1854, 77
su gebrau5,17 ; u n d
d a die a n f u r t u n g e l e g e n w a r z u w i n t e r n ( c u m a p ! u s p o r t u s n o n e s s e t a d h i e i n a n d u m ) . apost. gesch. 2 7 , 1 2 , und das fiterwiegt allmilich : i h r e anTurt in E g y p t e n . OMTZ Arg. 2 , 1 5 2 ; die a n f u r t ist t u still, a u e b s e l b « die f u r c h t d e r s e e , d e s c a l l e s u n g e b e u r starrt hart in s e i n e r Itoli. GRTMIICS 2 , 2 4 ; (der see) Udcl zur anTurt a n d e n b e i d e n e n d e n n u r ein. STOLSEKC 3 , 2 S 3 ; ( m a n ) f u h r der a n f c r t xu, m a n w a r f die a n k e r . H ü t e » 147'; u n d s c h o b e n d i s schif mit r u d e r n zur a n t a n . Voss II. 1, 434. Od. 1 5 , 4 9 6 ; s e b ö n g e b o r d e t e schiffe, n a c h d e m sie gelangt zu d e r a n f u n . Od. 13, 101. kein ahi. a n a f u r t , mhd. a n e v u r t , wol aber das bessere a bd. u r f a r , mhd. I M I U u n i i u r v a r litlus. mit f ü r t vadum scheint a n f u r t freilich nicht zusammengesetzt und einige neuere nehmen es sogar für a n f a r t (da k o m m e n d e r a n f u r t h o h e b o t e n . HEIDE» 3 , 1 1 2 ; d i e a n f u r t d e s e b r e n t a g e s . J . PACL flegelj. 2 , 411 ; d e r Schreibungen a n f u h r t u n d a n f u r t h enthalte m a n sich jedenfalls.
DWB I, 1854, 335/ 336 A B I t l E S E N , decidere, abfallen: die n a d e l n der lanne sen a b . l'orowtTSCU. rlchligrr ist die Schreibung a b r e i s e n , a b e risen, das richtige starke parL a'.igerisen sieht noch TncKNEis;»: «ciche blcllein, so die abgerisen, bSllclein lassen. influent. wirkung der erdgewüchse. Verl. 1576. p.
riemhd. bei verSC.
DWB I, 1854, 91
A N G E W Ö H N E N , assuefarne, ahi. a n a g i w e n n i n · » g i w e n i a n , « Ώ STIELES 2494 schreibt richtig g e w e n e n , s n g e w e n e n , OMTZ ugewebnen : sonst List du s. 3 9 4 .
TOOLE« 3 0 5 ' .
2, 276, der dot wort männlich, doch abries neutral t f l . BixitTscnu lurch, rechtsg. 2, 101. 102.
STALO.
ansetzt,
DWB I, 1854, 429 Voss ALS [...] Zum tröste gcreieht, dusζ dus alle gute denn vnnyilciit noch im hilteren, feierlichen stil fort betleltt, oder vean die nähe eines andern als und alles übelstand droht, i . b. als knahe war er schöner denn als jfingling; ihn mag ich eher als feind, denn als fmind ; lieber mòg ich das volk eirellet cchaun denn verderbend. Voss II. 1,117 ; höher denn alles volk «n hlupt und mächtigen schultern. 3, 22?; ioni! «1er onci hier: früher erkennen als du. 1 , 3 4 " ;
DWB I, 1854, 251 Wieland ABSCHATTEN, adumbrare, durch hiazugethanen schalten genauer abbilden,· als es im umriss geschehn kann, bei den mchlern, die gestalt, die landschall abschatten, in licht und schatten setzen, dann überhaupt abbilden, eutrerfen, bilden: das menschenpaar, welches golt abschattete. HIPFEL lebensl. e, ι » ; die schone menscbheli, m welcher, wie d i s neklarriuschrhen «ehwioilet, die gonio unvermerkt lieh abgeschaltet lindel. WISLA» 3,1S4; leiden schallet niemals so schert ab als Ihun. 1. PAUL aesth. 2, SO; blickte er ihr bethrüntes angesidit an und s c h ä n d e CS ab in seiner Oden seele. Ilesp. 4, SS ; wo ich eben sitze u n d den heutigen Sonntag abschatte, jubelsen. I i i ; spitzhulien geschickt abschatten, bolssehn. 10, 92. Dos wort wurde viel häufiger in der spräche seit erfindung der Schattenrisse durch den Franzosen Silhouette (um 1*00): ich nabm oft im sommer meine schreiblafel heraus uod wollte ihn an dieses «ilboucttenbrct anpressen und dann abschatten. Http. 3, 203 ; dürfte man einen freund abschatten in rissen und Schattenrissen. flegelj. 4, 90, und J. PAUL geht damit verschwenderisch um. sich abschalten bedeutet sich durch Schaltenwurf darstellen:
DWB I, 1854, 95
Normative Kommentare im DWB
ALS [ . . . ] kalt iurdfi*!¡¡: pía wie fra«, bim wie der himmel, gesund wi« derfischim svur: in «te wurde »uhrndif, ιηί a lt hitler dem comparait denn verdrängte, ¡eítuflei sit wie auch lier fehlerhaft: weiu nnd roih alt wie ein wächsern bild. Wieuüd 10,IS«; schon alt wie gegossen. DWB I, 1854, 250 ANI'IULLEN1,,n«Miï trt, alliiere, Mi/ocm; der stein prallt in JÜ! Γ"" · ierl,3Cfl an iie f«»«tr; der Uli «rallie •ο,~ίι·, S1".an: M '« etwas in deinen begriffen, das alle IM&hcie wider die meinen anprallt. Wuuu» 8,12s : die mf'0 «mmen alle angeprallt an die maoer. «»im, wit " m * Lusise teilen dafür anprellen, iat doch rích'nantir ist. DWB I, 1854, 421 Wolf ALSDANN, ALSDENN, [...]
ade. Ime, tum Jemum. man tOnnle
gescbiclite ihre wisscnsdiahUche (estait empfangen. Wolfs mut. d. chetili, icist. 1,SS. ladelhafl lieht et /Tir da, als: ich kann nicht zugeben, dasx Aledramus Ononis schwiegersohn gewesen, alfdenn jeh vielmehr weist, dass er die Gerbirgam jnr gcmalilin gehabt. lUns 1,'i. heule Hingt uns dal Hot:e dann frfirr, und alsdann altrdterisch. DWB I, 1854, 260
167
CAROLA L. G O T T Z M A N N Das A l t - und M i t t e l h o c h d e u t s c h e im Deutschen W ö r t e r b u c h Zum Stellenwert der älteren S p r a c h s t u f e n
0. Abstracts 1. Prämissen 1.1. Intention des DWB 1.2. Ziel der Untersuchung 1.3. Grundlagen der Analyse 2. Das Belegmaterial der älteren Sprachstufen und Sprachen 3. Der Wortbestand 3.1. Zur Lemmatisierung 3.2. Die Alte Wortschicht im DWB 3.2.1. Heimische Wörter 3.2.2. Fremd- und Lehnwörter 3.2.3. Dialektale Wörter 3.3. Nicht verzeichnete Wörter im DWB 3.3.1. Althochdeutsche Wörter und Wortbildungsmittel 3.3.2. Mittelhochdeutsche Wörter und Wortbildungsmittel 3.3.2.1. Heimische Wörter 3.3.2.2. Fremd- und Lehnwörter 4. Grammatische Angaben 4.1. Abbreviaturteil 4.1.1. Wortarten 4.1.2. Genera 4.1.3. Flexionsklassen 4.2. Kommentarteil 4.2.1. Phonologie, Morphologie und Ethymologie 4.2.2. Wortbildung und Syntax 5. Die Bedeutungen 5.1. Art der Bedeutungsangaben 5.2. Umfang der Bedeutungsangaben 5.3. Exkurs: Terminologie der historischen Lexikologie 6. Ausblick 7. Literatur
0. Abstract The intention of this analysis is to determine whether the Deutsche Wörterbuch [DWB] can be used as an adequate substitute for dictionaries of Old and Middle High German. The central concern of this study, then, is the relevance of the DWB to the user's needs in this respect. Obviously, it has been impossible to take account of the entire lexicon listed in the DWB, and it has thus been necessary to be strictly selective. An exposition of the principles of selection is therefore given (chapter 1). To start with it is necessary to lay out the source material for the lexicon of the older periods of the German and Germanic languages which provides the basis for the lexicographical conception (2). This is followed by a survey of the lexical material (3) with respect to the purely Germanic items as well as loan and dialect words. There can be no doubt that the user concerned with older stages of the language will have difficulty with the phonological and graphemic forms of DWB headwords since they differ from those of the equivalent Old and Middle High German words. Many characteristic features of the OHG and MHG lexicon are neglected as a result of the DWB's decision to register only words in use since 1500.
170
Gottzmann
The grammatical data given in the DWB reflect a further problem posed by this dictionary. The articles it contains were written at different periods and by authors with varying interests, factors which have to be taken into consideration in any analysis of the lexical material. The section dealing with the phonological, morphological and etymological history of the lexical entries (4) concerns itself not only with the documentation of the earliest occurrences of a word but also with the reliability of the information given in the DWB on the procress of historical change that the word has undergone. An investigation of the word meanings combined with an analysis of the range and dependability of the citations concludes the study (5).Le but de la présente étude est d'établir la valeur lexicographique du Deutsche Wörterbuch [DWB] en tant que dictionnaire historique de la langue allemande. L'intérêt principal de cette analyse se rapporte essentiellement aux besoins de l'utilisateur. De là, la question, le DWB peut-il être utilisé comme substitut des dictionnaires de l'ancien et du moyen allemand? Une étude dont l'objectif est l'examen de la totalité du vocabulaire du DWB doit nécessairement procéder d'une manière sélective et cette procédure a besoin de justifications (1.). L'analyse doit tout d'abord s'assurer de la base des références relativés aux périodes les plus anciennes du vocabulaire allemand et de celui des langues germaniques (2.). Suit une évaluation du contenu lexical (3.) par rapport aux mots hérités et aux mots d'emprunt ainsi qu'en fonction des mots de dialecte. Auparavant aura été abordé la problématique de la forme graphique des mots repères. Enfin, il est montré dans quelle mesure le DWB néglige les caractéristiques relatives à l'ancien et au moyen allemand (3.3.). Les données grammaticales reflètent un autre problème du DWB. En effet, les divers articles du dictionnaire sont en général marqués d'une hétérogénéité dûe et aux différentes epoques de leur rédaction et aux divergences des opinions de leur auteur (4.). Il est donc indispensable que l'analyse rende compte de ces facteurs. La partie commentaire jette aussi la lumière sur les aspects positifs et négatifs du dictionnaire; elle traite de la phonologie, de la morphologie, y compris de la formation des mots, de la syntaxe et de l'etymologie des mots repères. C'est dans cette partie justement que la composante historique prend toute sa valeur. Le dernier chapitre est consacré à l'étude des données sémantiques (5) avec leurs références en fonction de leur intégralité du point de vue de celui qui consulte les textes de l'ancien et du moyen allemand.
1. Prämissen 1.1. Intention des DWB Bereits 1838 erklärte Jacob Grimm, daß das Deutsche Wörterbuch (DWB) ein Wörterbuch der neuhochdeutschen Schriftsprache von Luther bis Goethe sein soll. Jacob und Wilhelm Grimm haben es als historisches Wörterbuch konzipiert, und zwar so, daß es nicht den gesamten Sprachschatz vom Althochdeutschen über das Mittelhochdeutsche bis zur Gegenwart enthalten sollte, sondern nur den Wortbestand von ca. 1500 bis zur Neuzeit. Auch die späteren leitenden Bearbeiter des DWB, Rudolf Hildebrand, Gustav Roethe, Edward Schröder und Arthur Hübner, hielten sich fest an die Ziel-
Alt- und Mittelhochdeutsch im DWB
171
vorgäbe der Brüder Grimm. Ihre Aussagen stehen jedoch in krassem Gegensatz zu dem Befund im DWB. Nicht nur das Alt- und Mittelhochdeutsche wurde, wenn auch unterschiedlich extensiv in das DWB aufgenommen, sondern darüberhinaus wurden die Entsprechungen in anderen germanischen (Gotisch, Altisländisch, Altenglisch, Altsächsisch, Mittelniederländisch, Mittelniederdeutsch) und indogermanischen Sprachen (zum Teil bis zur idg. Wurzel) verzeichnet. Selbst als Roethe und dann Hübner für eine Straffung der Artikel eintraten, gingen diese Disziplinierungsmaßnahmen oft nicht zu Lasten des alt- und mittelhochdeutschen lexikographischen Anteils.
1.2. Ziel der Untersuchung Es soll den Fragen nachgegangen werden, ob sich das DWB als altund mittelhochdeutsches Wörterbuch benutzen läßt (Gebrauchsweise und Grenzen), ob es vielleicht sogar die einschlägigen Wörterbücher dieser beiden Sprachstufen ersetzt, und ob es darüberhinaus die gängigen etymologischen Wörterbücher überflüssig macht, da auf die Entsprechungen in den übrigen germanischen Sprachen verwiesen wird. Da, soweit sich die Forschungsliteratur überblicken läßt, bisher der sprachhistorische Aspekt des DWB relativ wenig Beachtung gefunden hat, kann diese Untersuchung nur als erste grobflächige Bestandsaufnahme gewertet werden.
1.3. Grundlagen der Analyse Nach der Sichtung von 2000 Wörtern wurden 600 Wörter eingehender untersucht. Folgende Kriterien waren für die Auswahl ausschlaggebend: a) Die äußeren lexikographischen Bedingungen des DWB. Der Heterogenität der Artikel durch die verschiedenen Verfasser und den großen Zeitraum der Entstehung wurde dadurch Rechnung getragen, daß bei der Selektion der Wörter die einzelnen Phasen der Genese des DWB berücksichtigt wurden, nämlich: 1. 1852-1863 (Brüder Grimm), 2. 1864-1908 (Weigand, Hildebrand, Lexer, Heyne, Wunderlich), 3. 1908-1930 (Wunderlich, Heyne, Meißner, Hübner, Meyer, Crome u.a.), 4. 1930-1960 (Arbeitsstellen in Berlin u.
Gottzmann
172
Göttingen). Bei Verfassern wie Jacob und Wilhelm Grimm, R. Hildebrand,
H.
Wunderlich,
M.
Lexer,
H.
Heyne,
R.
Meißner,
B.
Crome, Κ. Euling, E. Wtilcker, Κ. von Bahder, Α. Götze u.a., die z.T.
ganze
alphabetische
Folgen
geschrieben
haben,
wurden
mehrere Wörter ausgewählt, um durch den Vergleich Aufschluß über die Gewichtung
und Konsistenz
Sprachstufen zu erlangen. gewählt,
die
aufgrund
der Berücksichtigung
Gemüt
- Mut,
sind
etc.),
Etymons
(z.B.
zusammengehören,
des DWB,
denken
Wörter
besonders vielschichtig die grammatische
Form
die
- Gedanke;
im Alt-
in Hinsicht
Berg
-
Gebirge;
und
durch das
Kriterium im
19.
Mittelhochdeutschen
auf die
(mehr als ein Genus, bestimmt,
und
inwieweit
ein
20. Jahrhundert
Bear-
Bevorzugt
lautliche
Gestalt,
starke und
schwache
Flexion u.a.m.) und die Semantik sind. Die Auswahl wurde Wortbildung
be-
zu unterschiedlichen
da auf diese Weise die differierende
ausgewählt,
aus-
aber,
beitungsweise sichtbar wird, b) Sprachliche Kriterien. wurden
älteren
Ferner wurden auch solche Wörter
ihres
dingt durch die Entstehungsphasen Zeiten entstanden
der
Simplex
noch zum
ferner
oder
aktiven
eine Wort-
schatz zählt. Die Leistungsfähigkeit des DWB in Hinsicht auf den alten Sprachschatz wurde durch den ständigen Vergleich mit den einschlägigen Wörterbüchern
der
älteren
Sprachstufen
jedoch die unterschiedliche sichtigt werden.
Das DWB
Wörterbuch,
das
das
geprüft.
Konzeption der Wörterbücher der
semasiologischen
Angaben
der
semantischen
Beziehungen
mußte berück-
ist - wie oben bereits erwähnt
Gesamt
deutschen Wortschatzes anhand von Belegen, und
Hierbei
- kein
Felder
Bedeutungsparaphrasen (ζ.
B.
Heteronymie,
partielle Synonymie,
Hypero- und Hyponymie sowie Antonymie)
Althochdeutschen bis
zum Neuhochdeutschen
chronisch
zu erfassen
sucht.
Ausschnitt an Wörtern, der stellt wird. tische
Schreibung,
tische Angaben.
Außerdem
sprechungen auf
andere
die zu einem Wort
nur einen
orthographische,
Flexion),
wird
in einem
germanische und
dialektale Artikel
und
durch
indogermanische
gehörende germanische Wortfamilie
vom dia-
historischen
im Hinblick auf die Bedeutung
Hinzu kommen phonetische,
(Lautung,
synchronisch und
Es enthält
des
dargegrammasyntak-
die
Ent-
Sprachen
aufgezeigt,
die in vielen Fällen auch zur Erschließung der Etymologie dient. Teilweise
finden
sich
sogar
Ansätze,
das
onomasiologische
Feld
Alt- und Mittelhochdeutsch im DWB
173
eines Wortes zu bestimmen. Gegenüber diesem umfassenden lexikographischen Befund des DWB ist die Zielrichtung der Wörterbücher der älteren Sprachstufen eine völlig andere. Sie sind fast alle primär synchronisch ausgerichtet und verfolgen das Ziel, entweder Bedeutungsäquivalenzen zwischen einer älteren Sprache und der Gegenwartssprache anzugeben ζ. B. alt- und neuhochdeutsch bzw. mittel- und neuhochdeutsch (ahd.: Karg-Gasterstätt/ Frings/ Steinmeyer, Schützeichel; mhd.: Lexer; an.: Cleasby/Vigfusson, Baetke; got.: Streitberg; ae.: Bosworth/Toller; afries.: Holthausen; as.: Sehrt, Holthausen) oder von der morphologischen Basis eines Wortes aus den zu ihr gehörenden Wortbestand sichtbar zu machen (ahd.: Graff - Wurzel als Gliederungsprinzip -; mhd.: Benecke/Müller/Zarncke - Stammwort als Gliederungskriterium -). Die etymologischen Wörterbücher von Kluge (nhd.), Feist (got.), Skeat, Holthausen (ae.) und Johannesson, de Vries (an.) sowie von Walde/Prokorny (idg.) zeigen die Wortfamilie in allen ihren einzelsprachlichen Verästelungen von der Form wie auch von ihrer Bedeutung her auf. Das mittelhochdeutsche Wörterbuch von M. Lexer stellt eine Mischform dar, weil es sporadisch auf die ältere Sprachstufe des Althochdeutschen zurückgeht und gelegentlich sowohl Entsprechungen in anderen germanischen Sprachen enthält als auch Hinweise auf das Etymon gibt. Ein Vergleich zwischen diesen verschiedenartigen Wörterbüchern und dem DWB ist dann gerechtfertigt, wenn nicht die unterschiedlichen Konzeptionen gegeneinander ausgespielt werden, sondern nur die Informationsqualität und -quantität lexikographischer Angaben zugrundegelegt werden. Schließlich muß noch darauf hingewiesen werden, daß die Neubearbeitung des 1. und 6. Bandes des DWB in diese Untersuchung nicht einbezogen wurde.
2. Das Belegmaterial der älteren Sprachstufen und Sprachen Die Heterogenität des DWB in bezug auf die älteren Sprachstufen zeigt sich besonders im Belegmaterial, das vor allem zur Erläuterung der Bedeutungen herangezogen wird. In den Belegen spiegeln sich erstens der editorische Stand der Texte wider, zweitens die Entwicklung der Lexikographie, drittens der Mangel an
174
Gottzmann
ausreichendem Textmaterial
vor Roethe und der zentralen
stelle in Göttingen unter
Leitung von Edward Schröder
Sammel-
und vier-
tens die ökonomischen Zwänge der einzelnen Phasen der Entstehung des DWB. Nach Ausweis der Quellenverzeichnisse, die Entstehung des einen oder dem
Quellenregister
jeweils zur
Zeit der
anderen Bandes beigegeben und dann in
(Bd.33)
zusammengefaßt
wurden,
sowie
auf-
grund der einzelnen Artikel läßt sich insgesamt feststellen, daß bei den älteren
Sprachstufen des Deutschen fast alle
Berücksichtigung fanden. Angefangen von Glossen und versionen,
über Chroniken,
Rechtstexte,
Textsorten
Interlinear-
Lehrdichtungen,
weltli-
che und religiöse Texte wurden alle Gattungen und Phasen des älteren deutschen tention
des
Schrifttums
DWB
natürlich
einbezogen,
wobei aufgrund
spätmittelalterliche
der
Texte
In-
stärkere
Beachtung fanden. Gravierende
Unterschiede
in den
hier
fraglichen
Angaben
lassen
sich im DWB deutlich erkennen. Jacob Grimm beruft sich mit Vorliebe nicht
auf
den aktiven Wortschatz
Primärtexte belegbar ist,
sondern versucht,
Etymologie, aus der vermeintlichen ren. Es hingegen
dieses
Textzeugnisse, Da gerade
anfangen,
die
oft
semasiologische
Jahrhunderts die Mehrzahl
aus seiner zu erkläBe-
Wilhelm Grimm meidet
Vorgehen
in der zweiten Hälfte des
durch
daß ahd. und/oder mhd.
anschlag).
lexikographische
das Wort
der
Urbedeutung heraus
ist daher keine Seltenheit,
lege fehlen (z.B. s.v.
einer Epoche,
und
stützt
sich
Erläuterungen
auf
ersetzen.
19. und im Anfang
des
20.
der Texte ediert bzw. neu herausgege-
ben wurde, weil ältere Ausgaben unzulänglich waren, entstand naturgemäß
ein
Hildebrands
Defizit
nicht von dem der Glossare
und
Quellen
zu
in der
Flut
an
verläßlichen
Belegmaterial
Brüder Grimm,
Wörterbücher
zitieren. der
(z.B.
sich
in
statt
baden einige H.
Wunderlich,
Denn
vielen
so daß er vielfach
zurückgreift,
Umgekehrt
Belege
Textzeugnissen.
unterscheidet
auf
primär
Verfasser M. Heyne,
noch
Fällen ältere
aus
den
geradezu in der
Endzeit H. Meyer, B. Crome, Κ. v. Bahder u.a.) und schwellen dadurch die Artikel auf, ohne jedoch ein Mehr an solchen
Informa-
tionen zu bieten, die etwas Spezielles zur semantischen Erläuterung des Lemmas beitragen.
Gerade nach 1908 wurde
das
Belegma-
Alt- und Mittelhochdeutsch
terial erheblich erweitert, im DWB niederschlägt.
so daß
175
im DWB
sich dieser Umstand deutlich
Durch den Vergleich
der
Publikationsdaten
der Editionen mit den zitierten Belegstellen läßt sich genau ablesen, wie rasch oder wie zögerlich das ahd. und mhd. Belegmaterial erweitert wurde. Die verstärkte schaft
seit
Beschäftigung
dem
letzten
außerordentlich
mit der
Drittel
förderlich
auf
germanischen
des
die
19.
Sprachwissen-
Jahrhundert
Qualität
des
hat
sich
partiell
dia-
chronischen Ansatzes im DWB ausgewirkt, und zwar sowohl
in Hin-
sicht auf den semantischen Teil als auch in bezug auf den nannten Kopf teil
(= Kommentarteil
zu Form und Herkunft
soge-
der Lem-
mata nach dem Abbreviaturteil, in dem das Lemma, evtl. die Wortart und eine lateinische und/oder deutsche globale gabe
gemacht
werden).
Denn
die
spekulativen
Grimms, teilweise auch noch Hildebrands,
Bedeutungsan-
Etymologien
Jacob
basieren auf dem unzu-
länglichen Erkenntnisstand der damaligen historischen
Sprachwis-
senschaft, der sich erst mit der Publikation der noch heute maßgeblichen
Wörterbücher
Müller/Zarncke noch
erschien
teilweise
Verweise
änderte.
von
zeigen.
zwischen
den
Die
Das
Brüdern
Wörterbuch
1854-1866, Grimm
Gleichzeitigkeit
konnte
genutzt der
von
Benecke/daher
werden,
Tätigkeit
also
wie
Lexers
die am
DWB und an dem eigenen Wörterbuch führte im Hinblick auf das DWB zu einer
ökonomischen
Darstellungsweise
und zu
reichen Belegmaterial
der mittelhochdeutschen
aber
machte
im Kommentarteil
sich der
einem
kenntnis-
Wörter.
Besonders
Fortschritt
der
schen Sprachwissenschaft bemerkbar: Friedrich Kluges sches Wörterbuch
der deutschen Sprache" erschien
"Etymologi-
1883.
1879 und 1889 wurde Walter W. Skeats "An Etymological of
the
English
Northcote Andere
Language"
Tollers
"An
Wörterbücher
"Middelnederlandsch
Anglo-saxon
und
Vigfussons
linguae
gamie
Svenbjörn
septentrionales"
etwa
sprog"
"An
Icelandic
(1860,
-
"Lexicon Neuauf1.
Dictionary
veröffentlicht. de
Johan
(1867),
Zwischen
Bosworths/T.
Mattias
(1864-1865),
norske
Egilssons
Josua
Dictionary"
so
woordenboek"
det
Gubrand
1882-1898
folgten,
"Ordbog over (1869-1874),
und
germani-
Fritzners
Richard
English
Cleasbys
Dictionary"
poeticum von
Vries 1
Finnur
antiquae Jonsson
1913-1906), Hjalmar Falks/Alf Torps "Etymologisk ordbog over det norske og det danske sprog"
(1893-1906), Sigmund Feists
"Grund-
176
Gottzmann
riß der gotischen Etymologie" buch der gotischen Sprache gotischen" Für
die
(1888) und "Etymologisches
mit Einschlug
des sogenannten
Krim-
(1909).
Aufzeichnung
der
übrigen
germanischen
sehr unterschiedliche Quellen herangezogen. gerade
Wörter-
für
das
Altenglische
Beowulf
wurden
Interessant ist, daß
Primärquellen
(z.B. Caedmon, fflfric, Cynewulf,
Sprachen
exzerpiert
wurden
(bes. mit der
Ausgabe
von Heyne 1863 beginnend). Dem Altnordischen liegen die Eddatexte zugrunde, die
Sagaliteratur
nordischen
Verweise
Wörterbuchmaterial Sagatexte selbst Sprache
des
wurde
primär
basieren
auf
mit
dem
einbezogen,
sekundär
so
daß
vermittelten
(die Brüder Grimm jedoch haben noch
eingesehen).
Germanischen,
nicht
Für das Gotische,
wie
Jacob
Grimm
der
einmal
klassischen formulierte,
lagen den Brüdern Grimm bereits Wörterbücher und Texte vor (z.B. die Edition von Castiglione J.Loebe Wie
1843 und Stamm
sehr
Jacob
1819-1839, von H.C.
1858, neu hrsg.
Grimm
das
Gotische
von M.
zum
de
Gabelentz/-
Heyne
Richtmaß
8.Aufl.).
zahlreicher
Sprachbetrachtungen erklärte, beweist die Tatsache, daß er Belegen aus
der
Luther-Bibel
in Klammern
die
entsprechenden
goti-
schen Textstellen gegenüberstellte, als wären sie ein Ersatz für das Hebräische,
Griechische
oder Lateinische. Wichtig
ist auch,
daß niederländische Wortvergleiche fast nie bei ihm fehlen. Eine
große
Zäsur,
die
älteren
Sprachstufen
betreffend,
bildet
das Jahr 1908, das Datum der Übernahme des DWB durch G. Roethe. Nicht nur
stehen
ab
jetzt
mehr
Quellen
zu
Gebote,
sondern
es
wird zunehmend versucht, sprachgenetische Aussagen durch Hinweise
auf
die
einschlägige
Forschung
abzusichern.
Eine
Zusammen-
stellung dieses sekundären Quellenmaterials würde eine komplette Bibliographie der sprachhistorischen Forschung ergeben. Der eingehenden Konsultierung verdanken die
Artikel
der der
wissenschaftlichen späteren Phasen
Sekundärliteratur
des DWB
tnisreichtum und ihre sprachhistorische Aussagekraft.
ihren
Kenn-
Alt-
und Mittelhochdeutsch
177
im DWB
3. Der Wortbestand 3.1. Zur Lemmatisierung Vorwiegend sind die Wörter - gemäß der Intention des DWB - nach der neuhochdeutschen Gestalt der sprachlichen Ausdrücke siert. Der Benutzer,
lemmati-
der vom Alt- oder Mittelhochdeutschen
geht, muß also jede ältere Form in die neuhochdeutsche nieren,
so
daß
mindestens
die
Kenntnis
der
transpo-
Lautentwicklungen
eine Voraussetzung
für den Gebrauch des DWB ist. Anders
det:
des
ein
Anfänger
Alt-
oder
aus-
Mittelhochdeutschen
gewen-
kann
von
diesen Sprachstufen aus das DWB nicht benutzen, da von ihm die nhd. Ausdrucksgestalt nhd.
köcher·,
gekannt werden - nhd.
firriwizzi
- nhd. drücken;
ken/drucchen - nhd. amt; schen
ahd.
die
mhd. soum
muß
mhd. guot
- nhd. saum).
Lautentwicklungen
vom
(z.B.: ahd.
chohher ahd.
fürwitzigkeit; - nhd. gut·,
mhd.
Mittel-
zum
telhochdeutschen Form in die neuhochdeutsche (z.B. mhd.
Neuhochdeutschen
mhd.
t > teilweise d;
Anfangsstellung des Graphen
mhd.
u
>
mhd. ou > au/o;
mhd. auslautendes
ν > f/v
der mit-
in der Regel keine
i > ei/ai/ie; mhd. ae > ä/e;
mhd. uo > u; mhd. ile > ü; mhd. iu > eu/äu; öu > eu/äu;
ambahte
Da im Unterschied zum Engli-
nicht sehr umfangreich sind, bietet die Transponierung Probleme
thru-
; Schwund der
au; mhd.
c > g;
mhd.
Mittelsilben
vom mhd. > nhd. , um nur einige der wichtigsten Veränderungen zu nennen). In einigen Fällen ist jedoch die Transponierung neuhochdeutsche
Ausdrucksgestalt
spiele: mhd.st.sb.f.
vuoge,
md.
nicht vûge,
problemlos.
gibt - dagegen ahd. sb.
"enge Verbindung, Fügung" -, findet sich im DWB sowohl un-
ter fuge
als auch unter füge;
ter dauhen im Nhd.
und deuhen
mhd. tiuhen/diuhen
wird im DWB un-
aufgeführt, wobei das /au/
und das /h/
zu erwartenden Formen nicht entsprechen.
Im DWB
durchaus noch ältere Lautstände verzeichnet, wobei sogar
Bei-
zu dem es nicht das umge-
lautete sb., sondern nur das adj. viiege fuogi
ganz
in die
mit
der
Lemmatisierung
mitteldeutschen Wortes
regional
zu rechnen
bedingter
hat. Dies
der
werden
der Benutzer Formen
ist besonders
eines dann
der Fall, wenn Wörter der älteren Sprachstufen nur noch im dialektalen Bereich erhalten sind und daher mit
dialektcharakteri-
stischen Merkmalen (z.B. bair., alemannisch) lemmatisiert wurden (s. 3.2.3.) Darüber hinaus finden sich im DWB auch kontaminierte Formen, d.h. Vermischungen von älterem und neuerem
Sprachstand,
178
Gottzmann
so daß es für den Benutzer durchaus keine Gewähr gibt, daß die Anwendung der Regeln der Lautentwicklungen auch das gewünschte Lemma auffindbar machen (z.B. gehr, gehren, ger "Speer"). Zu den gerade erläuterten Schwierigkeiten kommen noch graphematische hinzu, die der Benutzer zu bedenken hat. Wenn er glaubt, er finde das mhd.sw.vb. anden in der nhd. Graphie mit dem Dehnungs-Λ lemmatisiert, dann irrt er, da Jacob Grimm die alte Form aufgenommen hat. Andererseits richtet sich die Graphie nach dem älteren Gebrauch, die sich teilweise eben nicht mit den historisch-phonologischen Bedingungen deckt. Das Adjektiv teuer ist nach der früheren Schreibgewohnheit unter theuer verzeichnet. Bereitet die Transponierung mittelhochdeutscher Wörter in das phonologische und graphematische System des DWB teilweise schon erhebliche Schwierigkeiten, so vermag nur der sprachwissenschaftlich Gebildete, der vom Althochdeutschen ausgeht, das Wörterbuch zu benutzen. Denn nicht nur die enorme Vielfalt der phonologischen Gestalt eines Wortes, die auf die sehr unterschiedlichen regionalen lautlichen Verhältnisse zurückzuführen ist (z.B. ahd. geban, gheban, gevan, gebin, keban, gepan, kepan; die verschiedenen Anlaute wie thionön, deonoon, tinön; queman, qhueman, coman, chomin, cumen), sondern auch der Stand der Lautentwicklung im Althochdeutschen generell, schafft eine doppelte Hürde für die Transponierung ins Neuhochdeutsche (z.B. die Abschwächung der volltonigen Vor- und Endsilben, das Schwinden der schwachtonigen Mittelsilben, ganz zu schweigen vom allgemeinen Vokal- und Konsonantenstand - ga-/gi- > ge·, scribäri > sehrÎbsre/schrîber; wuntorön > wuntar > wunder, etc.). Diese Schwierigkeiten der Benutzung des DWB schließen von vornherein aus, daß es wie die synchronischen Wörterbücher des Altund Mittelhochdeutschen mit punktuellen Sachfragen in übersetzungs- oder Rezeptionssituationen erfolgreich und in möglichst kurzer Benutzungsdauer gebraucht werden kann. Das DWB vermag daher für die älteren Sprachstufen allein der vertiefenden sprachwissenschaftlichen Kenntnis der Wörter und ihrer Geschichte zu dienen.
Alt-
und Mittelhochdeutsch
179
im DWB
3.2. Die alte Wortschicht im DWB Im DWB sind eine Fülle von Wörtern lemmatisiert, die schon nicht mehr zu Zeiten der Brüder Grimm, erst recht nicht in der vierten Phase der Entstehung des DWB gebräuchlich waren. Da es kein Wörterbuch ca.
der
1500
Gegenwartssprache
lexikographisch
ist,
bearbeitet
vielmehr wurde,
der
Wortschatz
ist es sicher
zu hochgegriffen, wenn dieser Wortbestand etwa 65% des mittelhochdeutschen beträgt.
Wörterbuch
Umgekehrt
formuliert:
verzeichneten
die
Mehrzahl
in einem
Wortschatzes
der Wörter,
die
mittelhochdeutscher Zeit zum aktiven Wortschatz gehörten, sich also
auch
Überlappung
im
des
DWB.
Diese
Lemmaansatzes
Tatsache
ist
auf
zurückzuführen,
eine
da
im
diese
Überlappung
phischen Schnitt
um 1450
nicht,
hätte
Lexer
Lexer
den
und die Brüder Grimm
in
findet
zeitliche
der Wortschatz des ausgehenden Mittelalters verzeichnet stünde
ab
nicht
auch
ist.
Be-
lexikogra-
ihn erst
im
17.
Jahrhundert gesetzt, dann wäre der Prozentsatz der älteren Wortschicht im DWB auch erheblich geringer. Die Aufnahme des Wortbestandes
seit
Formen,
die
der
Lutherzeit
gerade
die
erklärt
Brüder
auch
Grimm
die
als
vielen
älteren
Hauptlemmata
zeichnen. So nennt Jacob Grimm zuerst die Form betriegen, in mittelhochdeutscher setzt erst an die
Zeit bis zu Luther gebräuchlich
zweite Stelle das Lemma betrügen,
Ausweis der Belege betrügen derts
die
brate
(sb.
sehr früh
geläufigere
Form
m. ) statt
braten
die
bereits seit Mitte des ist.
ausschließliche
Ebenso
wird
aufgenommen, Form
ist.
die
obwohl
Unter
verwie es
ist, und
obwohl
nach
18. Jahrhunältere braten
braten
Form schon
(sb. m. )
wird hingegen das wenig geläufige Wort mit der Bedeutung "Dampf, Dunst"
(mhd.
sb.st.m.
bridem,
bradem) verzeichnet.
Die
Vermei-
dung der Homonymie kann nicht der Grund für die unterschiedliche Bearbeitungsweise gewesen sein, weil sich diese Tendenz
nirgends
bei den Artikeln der Brüder Grimm feststellen läßt. Es wäre ein Irrtum zu glauben, daß nur die Brüder Grimm den älteren
Wortbestand
übergebührlich
verzeichnet
hätten.
Es
läßt
sich zwar feststellen, daß sie eher die ältere Form eines Wortes verzeichnen, aber in allen Phasen der Entstehung des DWB ist das germanische Wortgut der mittelhochdeutschen
Zeit, sofern es noch
zur Lutherzeit nachweisbar ist, aufgenommen worden. Die
späteren
180
Gottzmann
Bearbeiter sind also nicht von der ursprünglichen Intention abgewichen, den Wortschatz seit etwa 1500 zu registrieren.
3.2.1. Heimische Wörter Bei der Zusammenstellung einiger Beispiele waren vier Kriterien maßgebend, a] Im Alt- und Mittelhochdeutschen gibt es Simplizia statt der nhd. Prä- und Suffigierungen, b] Eine Reihe von präfigierten Wörtern des alten Wortschatzes kann im Nhd. mit diesem Wortbildungselement nicht mehr gebildet werden, c] Das Gleiche gilt für Suffigierungen. Die Auswahl erfolgte aufgrund von rein formalen Kriterien, wobei der Aspekt der Bedeutung bewußt ausgeklammert wurde. Ein Wort nämlich wie mhd. sb.st.f. sage "das Sprechen" lebt im Nhd. in der Bedeutung "die Sage, Erzählung aus vergangenen Zeiten" fort, so daß ein solches Lexem nicht in die Beispielsammlung aufgenommen wurde. Das gilt z.B. auch für mhd.sb.st.m. dranc "Gedränge, Bedrängnis", da nhd. drang in der Bedeutung "der Drang nach etwas, etc." fortlebt. Ähnliches gilt etwa für das Verb mhd.red. durchvallen "zerfallen, zerreißen", das in anderer Bedeutung, z.B. "durchfallen bei der Prüfung" im Nhd. weiterlebt, d] Schließlich wurden noch Wörter ausgewählt, bei denen für eine Systematisierung des noch im DWB verzeichneten Wortschatzes Wortbildungskriterien keine Rolle spielen. In den Beispielen wurde die mhd. und ahd. Form mitangegeben, um Unterschiede in der Phonologie und Graphie (siehe 3.1.) deutlich zu machen. Das Zeichen #, soll anzeigen, daß das Wort nicht im Ahd. belegt ist. BEISPIELE: a] Simplizia: 1) Verben: beiten (mhd.sw. bei ten, st. bîten, ahd.sw. beiten, st. bltan/pitan/bïdan) "warten, bleiben, zögern, streben"; dauen/däuen (mhd.sw. döuwen/douwen/dougen, ahd.sw. dauian, dauujan "verdauen"; glästen (mhd.sw. glesten, ahd. #) "glänzen, hervorbringen"; leichen (mhd.sw./st. lìchen, ahd. präfigiert) "gleich machen"; quicken (mhd.sw. quicken, ahd.sw. chicchen) "lebendig, frisch machen", die kausative Bedeutung wird durch das Präfix er- ersetzt; reinen (mhd. sw. reinen, ahd. sw. (h)rein(n)an) "reinigen"; sehren (mhd.sw. sêren, ahd. sw.
Alt- und Hittelhochdeutsch im DWB
181
sêrên) "versehren"; senften (mhd.sw. senften, ahd.#), "besänftigen", ein Wort, das im Nhd. präfigiert und suffigiert Uberleben kann. Es ist bemerkenswert, daß im DWB bei der Aufführung der präfigierten Formen kein Hinweis auf die Simplizia erfolgt. Bei dem Verb erquicken wird zwar auf das Ahd. arquicchen sowie irchuichan/ erchicchen, das Mhd. erquicken und das Ags. acucian hingewiesen, nicht aber auf das Simplex. Auch unter dem Lemma besänftigen fehlt der Hinweis auf das im DWB verzeichnete Simplex senften. Ein klassisches Beispiel für die Vorliebe des Mhd., z.T. auch des Ahd, für Simplizia ist das Verb lassen (mhd.red. lâzen/lân, ahd. läz(z)an), das in der mittelalterlichen Bedeutungsfülle unter dem Simplex im DWB (Moriz Heyne, 1878, Sp. 213-240 = 27 Sp. ) aufgenommen wurde, obwohl die Bedeutungen im Neuhochdeutschen durch Präfigierungen, Objekte oder Infinitive differenziert werden (z.B. ab-, ent-, er-, fort-, hinter-, los-, nach-, über-, unter-, zu-, zurück-lassen), wie das im DWB aufgeführt wird. 2) Substantiva: blöde (mhd.st.f. biade, ahd. blôdî) "Gebrechlichkeit, Schwäche"; dürft (mhd.st.f. dürft, ahd. thurft) "Bedürfnis, Not"; eigen (mhd.st.n. eigen, ahd. eigan) "Eigentum"; harre (mhd. st.f. harre, ahd. #) "das Harren, Verharren, Ausdauer"; heitere/heitre (mhd.st.f. heitere/heiter, ahd. heiteri) "Helligkeit, Klarheit"; keusche (mhd.st.f. kiusche, ahd. chiusci) "Reinheit, Keuschheit"; kleine (mhd.st.f. kleine, ahd. kleini/chleini) "Kleinheit"; krank (mhd.st.m. krank, ahd. krank) "Schwäche, Mangel, Unvollkommenheit"; lach (mhd.st.m. lach, ahd.#) "Gelächter"; lichte (mhd.st.f. liehte, ahd.#) "Helligkeit"; neue (mhd.st.f. niuwe/niwe, ahd. niuwi) "Neuheit, Erneuerung"; niesz (mhd.st.m. niez, ahd. #) "Genießen, Genuß, Nutzen"; schmähe (mhd. st. f .smsehe, ahd. smähi nicht im DWB verzeichnet -) "Schmähung"; senfte (mhd.st.f. senfte, ahd. semiti/ samfti) "Ruhe, Sanftheit". Das DWB hat also einen großen Teil der alten femininen Abstrakta auf ahd. -i (< Verben und Adjektiven) noch aufgenommen, die heute untergegangen sind, wenngleich Reste der Verbalabstrakta natürlich noch im Nhd. erhalten sind.
182
Gottzmann
b] Präfigierungen: "beschicken,
1) Verben: besenden
aufbieten";
"bellen, brüllen";
erblenden
"blenden, verblenden"; langen,
erbellen
bekriegen,
umbe-
Dagegen
von Verben
halten.
2)
erbärmde
"Erbarmen,
(mhd.sw.st.
Präfixe
mhd.
Substantiva)
behaft
irblenden) ahd.#) "ergebûwen,
(mhd.sw. gebezzern,
viele
bei
bis
(mhd.st.m.
ahd.#)
über-,
ins
Qf-
Nhd.
behaft,
erbermede/erbermde,
Barmherzigkeit",
biederb
ahd.
ahd.#)
ge-
ahd.#,
findet sich nicht im DWB) "Verbleiben, Verhar-
ahd.
(mhd.
brav";
gebau
ahd.
(mhd.st.n.m.
irbarmida)
gebQ,
ahd.
"Bestellung des Feldes, Bau, Gebäude";
(mhd.st.n. gebiuwe, "tüchtig,
sich
auch
(mhd.st.f.
Simplex st.m. bü) tiva:
gebessern
Substantiva:
mhd.st.f. behefte ren" ;
haben
gehauen
ahd.#)
erbellen,
(mhd.sw. erkriegen,
erstreiten";
(aber
(mhd.sw.
(mhd.sw. erblenden,
erkriegen
ahd.#) "bewohnen, bebauen"; "bessern".
(mhd.sw. besenden,
gabiuwe)
biderb,
inhitzig
"Bauwerk, Gebäude". ahd.
(mhd.
nur gebäu
3) Adjek-
bitherbi/biderbi/bidarbi)
inhitzec,
ahd.#)
"sehr
heiß,
(mhd.st.f.
bmse-
entflammt". c]
Suffigierungen:
runge,
ahd.#)
ahd.
#)
nur
-ida
1)
"Verschlechterung";
"Dorfbewohner"; Bildung)
gastunge,
ahd.#)
"Druck,
ten"; rechtung verkoufunge, ahd.#, nur lung
ahd.#)
mit
(mhd.st.f.
Bedrückung"; Zurüstung
rechtunge,
Prä-
und
"Verkauf";
ohne Präfix
sehunga
verwillunge,
2) Adjektiva: blindlich
(mhd.st.m.
(mhd.st.f.
ahd.#, nur -nissi
(mhd.st.f.
Substantiva
böserung dörfer
drückung
"Bewirtung,
(mhd. st.f. habunge, richt".
Substantiva:
druckunge, gastung
für
dorfxre,
ein
ahd.#,
(mhd.st.f.
Fest";
habung
Bildung) "das Haben, Halahd. rehtunga)
Suffix:
versehung
(mhd.st.f.
(mhd.st.f.
"Absicht")
versehunge,
"Vorsehung";
ahd.#) "Bewilligung,
(mhd. blintlich,
"Recht, Ge-
verkaufung
verwil-
Einwilligung".
ahd.#, mhd. adv.
blint-
lîche "unvorsichtig") zur Blindheit gehörig"; einlich
(mhd.
ein-
lîch,
(mhd.
müe-
ahd.
einlich)
"einheitlich,
allein";
mühlich
lîch, ahd.#) "mühsam, lästig, beschwerlich"; sittig ahd.
sitig)
spaltec, ahd.
ahd.
tiurllh)
"gewohnt spaltig)
sein,
gesittet";
"spaltbar";
"herrlich,
theuerlich
(mhd.
sitec, (mhd.
tiurlîch,
vornehm". Es fällt auf, daß besonders
mhd. Neubildungen auf -ung/-unge wie auf -mre,
(mhd.
spaltich/spaltig
(sb.) und -ec, -lîch
(adj.) so-
die z.T. im Frühneuhochdeutsehen noch lebendig wa-
Alt- und Mittelhochdeutsch im DWB ren, aufgenommen wurden, obwohl
183
sie in der Folgezeit
nicht
mehr
zum aktiven Wortschatz zu rechnen sind. d] Sonstige alten,
Wörter
dagegen
des
ist
alten
elten
Sprachschatzes:
(mhd.sw.vb.
del a gen)
überantworten";
ahd.#)) bleide
"darreichen";
st.sb.f.
(mhd.adj. ahd.#)
bete,
blut,
diet
dinsen
(mhd.adj. ständig, bobene,
emez,
obana)
"Wurfspieß,
schlecht"; ca)
dinsen,
oder
lanke
michel,
ahd.
lasz ahd.
mihil)
minna/minnia)
"Liebe";
fang,
Spitze";
Ende,
"leicht,
Zusammensetzungen schämede
ort
wie
schamede)";
war/guar/euer) ·, "wohin";
gère,
war
wat
"Ei-
ahd.st.sb.m. ahd.
hefti) Schüs-
ahd.
laz)
"Ge-
lancha/lan-
"träge"; michel
(mhd.st.f.
wan/wann
gähi)
kunni/chunne)
ahd.
"Sitz,
gähi)
"Geschirr,
ort)
ringet ring, sedei,
Sessel"; (mhd.
ahd. "Anahd.
ahd.
in
schamede/-
konjunktion.u.-
(mhd.pron.
(mhd. st. sb. f.
mase
(mhd.-
minne,
ort, ahd.n.
(mhd.st.sb.m.η.
außer";
ahd.
u. wât,
adv. ahd.
war, wät
"Kleidung, Gewand".
Teil
dieser
- vom
Wörter war wahrscheinlich lich. Nicht
gêr,
(mhd.adj.
sedei
ahd.
größte
u.
"be-
enbobene/enboben/gâch,
gâhe/geehe, ahd.
(mhd.st.sb.n.m.
wan,
Der
emesz
minne
hohsidil(o))
"nur,
degen
"Wundmal, Narbe";
ring/ringe
adv.
u. n. giwäti)
wan)
"reißen"; Krieger";
lanke/lanche,
"viel";
bequem";
(mhd.sb.f. ahd.
mäsa)
diot/deot)
Knabe,
kiinne, ahd.
(mhd.adj.
bracke,
dinsan)
ahd. kar/char)
(mhd.st.sw.sb.f.
Hüfte";
ahd.
(mhd.st.sb.n. hefte,
(mhd.st.sb.n.
(mhd.sw.sb.f. mäse,
ring(i))
heft
bete blutt
in Suffigierungen)
(mhd.st.sw.sb.m.
Speer";
(mhd.sb.m.
(mhd.adj.
(mhd.sb.f.
"Kind";
"Bitte";
(mhd.adv./präp. gach
barn)
bet)
diet,
ahd.
als Verb
an-
andeln,
"Steinschleuder";
bracke
"Mann,
gach
ahd.
ahd.sb.n.
degan)
(mhd.st.sb.n. kar,
"Lende,
adj.
nur
ger
kiinne/kunne
#)
ahd.
(mhd.sw.vb.
u.
st.sb.f.m.n.
"oberhalb;
gehren,
"Griff"; kar
ahd.
beta,
immerwährend" ; boben ahd.
gehr,
sel";
ahd.
ahd.
"schnell, ungestüm";
gêr)
(mhd.sb.n.
(mhd.
degen,
andeln
"bloß,nackt";
(mhd.st.vb.
(mhd.st.sb.m.
andelangen/andelagen,
blîde,
ahd.
ahd.#)
"Hund";
"Volk";
le";
barn
(mhd.st.sw.sb.f.
(mhd.
(mhd.sw.vb.
nicht im DWB aufgenommen) "alt werden";
andelagen/andelangen Ubergeben,
alten
Nhd.
nur bis
aus
gesehen
zum 16.
selten wird daher - wie bei
-
antiquierten
Jahrhundert
wan/wann
gebräuch-
"außer" - ange-
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Gottzmann
merkt, daß diese Bedeutung nicht über die Mitte des 16. Jahrhunderts erhalten ist. Es gibt altertümliche Wörter im DWB, die noch durch Belege des 19. Jahrhunderts gestützt werden. Doch läßt sich in sehr vielen Fällen aus diesen Quellen nicht schlußfolgern, daß diese Wörter noch im 19. Jahrhundert wirklich geläufig waren. Im DWB findet sich unter drat/drate (mhd.adj. drsete, adv. drâte, ahd.adj. thräti, adv. t(h)räto "schnell, eilig" ein Beleg von Ludwig Uhland, der die mhd. Ligatur, d.h. dreete, verwendet. Im Zuge der Wiederentdeckung des Mittelalters durch die Romantiker und die intensive Mittelalterrezeption wurden bestimmte, ehemals untergegangene Wörter erneut in den Wortschatz aufgenommen, so daß sie auf diesem Wege Eingang in das DWB fanden, z.B. halsberge (mhd.st.sb.m. halsberc, st.f. halsberge, ahd. halspirc/halsperga "Rüstung, die Hals und Oberkörper bedeckt"); wal (mhd. st.sb.n.m.f. wal/wale "Schlachtfeld"), das den Hinweis enthält: "veraltetes wort, das aber in der neueren dichterischen spräche wieder zum Vorschein kommt" (Bd.27, Sp. 1063); wag (mhd.st.sb.m. wâc "Woge"), dem sogar im DWB sieben Spalten gewidmet sind, die den Nachweis enthalten, daß Richard Wagner das Wort wieder eingeführt habe; zu diesen Wörtern, die aus archaischen Gründen aufgenommen wurden, gehören auch degen, minne, gêr, recke, etc. Im DWB wird teilweise eine merkwürdige Differenzierung zwischen den Wörtern gemacht, die aus Gründen der sogenannten literarischen Wiederbelebung berücksichtigt, und denen, die wegen einer "lexikographischen Tradition" (z.B. Bd.18, Sp. 2563) aufgenommen wurden. Zu dem zuletzt genannten Grund, ausgestorbene Wörter aufzunehmen, gehören z.B. stete (mhd.st.sb.f. stste) und said, Nebenform sälde (mhd. st. sb. f . saelde). Hinter dieser Terminologie scheint sich die Vorstellung zu verbergen, daß das Etymon im Nhd. fortlebt, so daß auf diese Wörter nicht verzichtet werden kann. Als Belege des aktiven Wortschatzes können sie keinesfalls gelten, lediglich als fachterminologische Wörter der Literatur (vgl. die Übersetzungen von Simrock und Genzmer). Neuzeitliche Belege zu einigen archaischen Wörtern lassen sich auch auf andere Ursachen zurückführen, womit sie ebenfalls nicht
Alt- und Mittelhochdeutsch im DWB
185
als Zeugnisse des aktiven Wortschatzes gewertet werden können. Unter dem Lemma ran ft (mhd.st.m. ranft, ramft, ahd. ramft, rampht) "Einfassung, Rand" wird Schiller zitiert, der wohl auf das alte Wort aus Gründen des Reimes zurückgriff, da er einen Reim zu sanft brauchte. Eine Reihe von weiteren Beispielen ließe sich anführen, um nachzuweisen, daß viele ältere Wörter nur für die Lutherzeit noch Gültigkeit besitzen. Sie haben die Endphase ihrer Wortgeschichte erreicht, die durch die Aufnahme im DWB als Anfang gewertet und durch Belege antiquierender Sprechweise im 19. Jahrhundert zu stützen gesucht wird. Ein kleiner Teil der älteren Wörter ist zwar nicht direkt angestetzt, wird aber im Zusammenhang mit Wörtern desselben Stammes verzeichnet. Das mhd. Verb diezen "rauschen" ist im DWB nicht aufgenommen worden. Unter dem Lemma dieszbach hingegen wird das mhd. Verb erwähnt und sogar noch auf das an. piòta "tönen, brausen, tosen" verwiesen. Auf diese Weise erhöht sich der Anteil des alten Wortbestandes im DWB, so daß nur noch ein kleiner Prozentsatz an Wörtern übrig bleibt, die ausschließlich in einem mittel- bzw. althochdeutschen Wörterbuch zu finden sind.
3.2.2. Fremd- und Lehnwörter Es ist bekannt, daß das DWB sehr zurückhaltend Fremdwörter aufgenommen hat, und daß erst in der dritten und vierten Arbeitsphase eine gewisse Liberalisierung eingetreten ist. Von dieser Restriktion ist nicht der Lehnwortschatz berührt, der phonologisch, morphologisch sowie semantisch voll in das deutsche Sprachsystem integriert ist. Lehnwörter, die schon vor der althochdeutschen Zeit in die deutsche Sprache eingedrungen sind, infolgedessen auch die hochdeutsche Lautverschiebung mitgemacht haben, sowie eingedeutschte Lehnwörter, für die es kein anderes deutsches Synonym gibt, sind zum größten Teil in das DWB aufgenommen worden. Das gilt besonders für den alten religiösen Wortschatz zur Zeit der Christianisierung, z.B. kirche (mhd.sw.f. kirche, ahd. chirihha, chircha) ; diakon (mhd.st.sb.m. diaken, got. diakaunus, < lat. diaconus) ; diadem (mhd.m. diadem < gr. ί ι ά&ημα, ursprünglich Krone der Heiligen und Geistlichen); kanzel (mhd.st.sb.f. kanzel < lat. cancelli "Gitter, Schranke");
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Gottzmann
kapitel (je nach Betonung mhd.st.sb.n. kapitel "Säulenkopf" < lat. capitellum, mhd.st.sb.n kapitel "Konvent" < lat. capitulum) ; chor (mhd. st.sb.m. kör, ahd. chör < lat. chorus); ketzer (mhd. ketzer < mlat. catarus), marter (< lat. martyrium, gr. μαρτνρ ι oir ), u.a.m. Diese alte Wortschicht ist grundsätzlich im DWB verzeichnet, ebenso wie die Lehnwörter, die germanische Wörter aus bestimmten Verwendungsbereichen (ursprünglich oft religiös motiviert) verdrängt haben, z.B. kappe (mhd. sw.st.sb.f. kappe < mlat. capai cappa "mantelartiges Kleid mit Kapuze"); preis (mhd.st .sb.m. prîs < frz. prix, lat. pretium, im Spätmittelalter wieder Einschränkung auf den religiösen Bereich "Lobpreis, Herrlichkeit Gottes"); lanze (mhd.sw.sb.f. lanze < frz. lance, it. lancia, lat./kelt. lacea), an die Stelle von mhd. sper, spiez getreten). Auch Wörter aus anderen Bereichen sind zum festen Bestandteil der deutschen Sprache geworden, z.B.: mord (mhd. st. sb.m. η. mort, ahd. mord < lat. mors mortuus, gr. βροτόζ, μροτός das neben das alte Wort totschlag trat und so zu einer differenzierten Benennung der Tötungsart beitrug); mume (mhd. sw.sb.f. muome "Schwester der Mutter < lat. mamma < βάμμα); münze (mhd.st.sb.f. münze < lat. moneta); mücke (mhd.sw.sb.f. mücke/mucke/mügge, ahd. mucca/mugga < lat. musca, gr. μνϊα ) . Diese Wörter, ebenso wie fiasche, franse, sind schon teilweise in frühester Zeit zum festen Bestandteil des deutschen Wortschatzes geworden, so daß der größte Teil durch heimisches Wortgut nicht ersetzt werden kann, weshalb das DWB auch nicht auf eine Aufnahme verzichten konnte. Für die Leistungsfähigkeit des DWB in Hinsicht auf die älteren Sprachstufen ist vielmehr die Frage relevant, inwieweit der riesige Fremdwortschatz des Hochmittelalters (vgl. 3.3.2.1.) aufgenommen wurde, da der Benutzer mittelhochdeutscher Texte zu deren Verständnis in starkem Maße auf diesen Fremdwortschatz, den der Lexer verzeichnet, angewiesen ist. Bezeichnend ist, daß das DWB grundsätzlich nur die Wörter verzeichnet, die erstens noch im 16. Jahrhundert einigermaßen geläufig waren und zweitens durch die Mittelalterrezeption des 18. und 19. Jahrhunderts als termini technici wiederbelebt wurden. Der ältere aktive Wortschatz ist also nicht durchgehend berücksichtigt worden, sondern von den Kriterien abhängig, die sich das DWB von Anfang an gesetzt
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Alt- und Mittelhochdeutsch im DWB hat, so daß nur ein zuverlässig wissen
Sprachwissenschaftler
erahnen,
kann, welche Wörter dieser
nicht
Kategorie
einmal Eingang
gefunden haben. BEISPIELE: Der Hauptteil der Wörter wurde dem romanischen Bereich entlehnt: conterfei lat.
contrafacturus);
schöpf" lat.
(mhd.st.sb.η.