"Ich fühl' mich nicht als Mörder": Die Integration von NS-Tätern in die Nachkriegsgesellschaft. Diss. 3534238028, 9783534238026

Dass viele NS-Täter nach dem Zusammenbruch des 3. Reichs beruflich wieder Fuß fassen konnten, ist einer der wunden Punkt

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German Pages 355 [357] Year 2011

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Inhalt
Einleitung
1. Thema und Fragestellung
2. Forschungskontext
3. Quellen
4. Aufbau der Arbeit
Die Täter
Rückkehr in die westdeutsche Gesellschaft nach Kriegsende
1. Transition
1.1. Verhaltensmuster der Täter bei Kriegsende
1.2. Unterstützung aus der Gesellschaft
1.3. Der Fall Werner Schö. – Untergetaucht auf einer Berghütte
1.4. Zusammenfassung
2. Integrationsphase I: Entnazifizierung
2.1. Strategien, Ansichten und Verhalten der beteiligten Akteure
2.1.1. Die Täter – Selbstdarstellungen und Selbstbilder
2.1.1.1. Angepasste Lebensläufe
2.1.1.2. Argumentationsmuster und Rechtfertigungen
2.1.2. Das soziale Umfeld – Eidesstattliche Versicherungen und ihre Verfasser
2.1.3. Die Rechtsanwälte
2.1.4. Kläger, Spruchkammern und Spruchgerichte
2.1.5. Fallbeispiele
2.1.5.1. Der Fall Fritz Zi. – „Ich habe geglaubt, habe mich geirrt und nichts Schlechtes begangen“
2.1.5.2. Der Fall August Hä. – Eine im Nürnberger Einsatzgruppenprozess abgestimmte Geschichte
2.2. Zusammenfassung
3. Integrationsphase II: Soziale Reetablierung
3.1. Die Reetablierung der Täter im Kontext der 1950er Jahre
3.2. Eintritt in die Privatwirtschaft – Neuanfang in alten Berufen
3.3. Rückkehr in den Staatsdienst
3.3.1. Das Gesetz zum Artikel 131 GG
3.3.2. Die Initiativen der Täter
3.3.3. Die Rolle ehemaliger Kameraden und der Behörden im Einstellungsprozess
3.3.4. Fallbeispiele
3.3.4.1. Der Fall Georg Heuser – Vom skrupellosen „Routinier“ des Holocaust zum Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz
3.3.4.2. Der Fall Fritz Zi. – Wiederverwendung im Geheimdienst?
3.4. Kameradenkontakte
3.5. Zusammenfassung
Strafrechtliche Verfolgung – Endpunkt der Integration?
1. Die strafrechtliche Verfolgung der Täter im Kontext der späten 1950er und der 1960er Jahre
2. Von der Vergangenheit eingeholt – Der Beginn der systematischen Ermittlungen
2.1. Erste Ermittlungen und die Reaktionen der Täter
2.2. Der Fall Werner Schö. – Flucht ins Ausland
3. Geschichtswissen, Geschichtsvorstellungen und Täterbilder der beteiligten Akteure in den Verfahren
3.1. Die Täter vor Gericht – Ansichten, Rechtfertigungen und Verhaltensweisen
3.1.1. Selbstbilder und Selbstentschuldungen
3.1.2. Die Täter und ihre Haltung zu den NS-Prozessen
3.2. Die Rechtsanwälte der Angeklagten
3.3. Die Justiz
4. Integrationsbruch? – Die Ansichten und Reaktionen aus der Gesellschaft
4.1. Arbeitgeber und Kollegen
4.2. Das private soziale Umfeld
4.3. Zusammenfassung
Schlussbetrachtung
Prosopographischer Anhang
1. Karl D.
2. Wilhelm E.
3. Theodor Gr.
4. August Hä.
5. Arthur Harder
6. Walter He.
7. Georg Heuser
8. Friedrich Me.
9. Heinrich Noa.
10. Karl Rath.
11. Rudolf Schl.
12. Werner Schmidt-Hammer
13. Gerhard S.
14. Werner Schö.
15. Heinz Ta.
16. Rudolf Th.
17. Richard W.
18. Heinrich Win.
19. Fritz Zi.
Anmerkungen
Abkürzungsverzeichnis
Quellen und Literatur
1. Quellen
1.1. Ungedruckte Quellen
1.2. Gedruckte Quellen
2. Literatur
2.1. Zeitgenössische Schriften
2.2. Sekundärliteratur
Danksagung
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"Ich fühl' mich nicht als Mörder": Die Integration von NS-Tätern in die Nachkriegsgesellschaft. Diss.
 3534238028, 9783534238026

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Christina Ullrich „Ich fühl’ mich nicht als Mörder“ Die Integration von NS-Tätern in die Nachkriegsgesellschaft

Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, Bd. 18 Herausgegeben von Klaus-Michael Mallmann

Christina Ullrich

„Ich fühl’ mich nicht als Mörder“ Die Integration von NS-Tätern in die Nachkriegsgesellschaft

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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ISBN 978-3-534-23802-6 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-70807-9 eBook (epub): 978-3-534-70808-6

Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . 1. Thema und Fragestellung 2. Forschungskontext . . . 3. Quellen . . . . . . . . . 4. Aufbau der Arbeit . . .

Inhalt

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Die Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Rückkehr in die westdeutsche Gesellschaft nach Kriegsende . . . . . . . . 1. Transition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Verhaltensmuster der Täter bei Kriegsende . . . . . . . . . . . . . 1.2. Unterstützung aus der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. Der Fall Werner Schö. – Untergetaucht auf einer Berghütte . . . . 1.4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Integrationsphase I: Entnazifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Strategien, Ansichten und Verhalten der beteiligten Akteure . . . . 2.1.1. Die Täter – Selbstdarstellungen und Selbstbilder . . . . . . . 2.1.1.1. Angepasste Lebensläufe . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1.2. Argumentationsmuster und Rechtfertigungen . . . . . 2.1.2. Das soziale Umfeld – Eidesstattliche Versicherungen und ihre Verfasser . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3. Die Rechtsanwälte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4. Kläger, Spruchkammern und Spruchgerichte . . . . . . . . . 2.1.5. Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.5.1. Der Fall Fritz Zi. – „Ich habe geglaubt, habe mich geirrt und nichts Schlechtes begangen“ . . . . . . . . 2.1.5.2. Der Fall August Hä. – Eine im Nürnberger Einsatzgruppenprozess abgestimmte Geschichte . . . 2.2. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Integrationsphase II: Soziale Reetablierung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Reetablierung der Täter im Kontext der 1950er Jahre . . . . . 3.2. Eintritt in die Privatwirtschaft – Neuanfang in alten Berufen . . . . 3.3. Rückkehr in den Staatsdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1. Das Gesetz zum Artikel 131 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2. Die Initiativen der Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3. Die Rolle ehemaliger Kameraden und der Behörden im Einstellungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4. Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4.1. Der Fall Georg Heuser – Vom skrupellosen „Routinier“ des Holocaust zum Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . 3.3.4.2. Der Fall Fritz Zi. – Wiederverwendung im Geheimdienst? 3.4. Kameradenkontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

Strafrechtliche Verfolgung – Endpunkt der Integration? . . . . . . . . . . . 1. Die strafrechtliche Verfolgung der Täter im Kontext der späten 1950er und der 1960er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Von der Vergangenheit eingeholt – Der Beginn der systematischen Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Erste Ermittlungen und die Reaktionen der Täter . . . . . . . . . . 2.2. Der Fall Werner Schö. – Flucht ins Ausland . . . . . . . . . . . . . 3. Geschichtswissen, Geschichtsvorstellungen und Täterbilder der beteiligten Akteure in den Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Die Täter vor Gericht – Ansichten, Rechtfertigungen und Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Selbstbilder und Selbstentschuldungen . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Die Täter und ihre Haltung zu den NS-Prozessen . . . . . . 3.2. Die Rechtsanwälte der Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3. Die Justiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Integrationsbruch? – Die Ansichten und Reaktionen aus der Gesellschaft 4.1. Arbeitgeber und Kollegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2. Das private soziale Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Prosopographischer Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10.

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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abkürzungsverzeichnis

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Karl D. . . . . Wilhelm E. . . Theodor Gr. . August Hä. . . Arthur Harder Walter He. . . Georg Heuser Friedrich Me. . Heinrich Noa . Karl Rath . . .

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11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

Rudolf Schl. . . . . . . . . Werner Schmidt-Hammer Gerhard S. . . . . . . . . Werner Schö. . . . . . . . Heinz Ta. . . . . . . . . . Rudolf Th. . . . . . . . . Richard W. . . . . . . . . Heinrich Win. . . . . . . . Fritz Zi. . . . . . . . . . .

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Quellen und Literatur . . . . . . 1. Quellen . . . . . . . . . . . . 1.1. Ungedruckte Quellen . . 1.2. Gedruckte Quellen . . . 2. Literatur . . . . . . . . . . . . 2.1. Zeitgenössische Schriften 2.2. Sekundärliteratur . . . .

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335 335 335 339 339 339 340

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung 1. Thema und Fragestellung „Alle sind unbestraft und abgesehen von den Geschehnissen, die Gegenstand dieses Verfahrens sind, niemals mit dem Gesetz in Konflikt gekommen. Sie haben nach dem Kriegsende ausnahmslos zu bürgerlichen Berufen zurückgefunden, einen einwandfreien Lebenswandel geführt und in achtbaren Verhältnissen gelebt.“ 1 Was der Vorsitzende des Landgerichts Koblenz zehn früheren Angehörigen des KdS/BdS Minsk bescheinigte, war nichts anderes als ihre soziale Reetablierung in der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Als Topos, der Tatsächliches beschreibt und gleichzeitig das Unvermögen ausdrückt, diese Personen als Täter zu begreifen und zu erfassen, lässt sich die zitierte Feststellung in fast allen Urteilsbegründungen von NS-Prozessen finden. Auch Rechtsanwälte und Leumünder der Angeklagten verwiesen regelmäßig darauf. Die Feststellung, dass NS-Täter der verschiedensten Kategorien ihren Weg in die Gesellschaft der 1950er Jahre gefunden haben, ist keine neue Erkenntnis. Dennoch finden die Nachkriegskarrieren von Tätern abseits der NS-Eliten nur langsam Beachtung, der Schwerpunkt liegt nach wie vor auf ihren NS-Lebensläufen. Und das, obwohl die naheliegende Frage, wie die Integration und Reetablierung der Täter möglich war, wie sie funktionierte, noch nicht beantwortet ist. Wie wurde aus Georg Heuser, dem Gestapo-Chef von Minsk, der Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz? Wie wurde der Leiter der kriminalpolizeilichen Abteilung der gleichen Minsker Dienststelle, Rudolf Schl., zum Lehrlingsausbilder bei Daimler-Benz in Stuttgart? Die Worte des Richters des Koblenzer Landgerichts waren auch an sie gerichtet gewesen. Sicher, einzelne Studien haben Nachkriegslebensläufe in den Blick 2 genommen. So hat Gerhard Paul differenziert nach den Möglichkeiten und Wegen, die sich Gestapo-Beamten je nach ihrer hierarchischen Exposition boten oder nicht mehr boten, gefragt, und sich Ulrich Herbert 3 dem lobbyistischen Wirken Werner Bests nach 1945 gewidmet. Auch über den genannten Georg Heuser gibt es einen kurzen biografischen Aufsatz, der jedoch für die Nachkriegszeit nur die Etappen der Karriere nennt. 4 Die Frage nach dem Wie wurde bislang vernachlässigt und ist daher die zentrale Frage, mit der sich die vorliegende Arbeit beschäftigt. Als Ausgangspunkt wurde ein exemplarischer biografischer Ansatz gewählt, um sich an konkreten Fällen orientieren zu können, die trotz ihrer Individualität in ihren Grundaussagen durchaus auf andere Täter übertragbar sein können.

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EINLEITUNG

Herangezogen wurden dazu 19 Biografien von Personen, die als Angehörige der zweiten und dritten Ebene von Einsatzgruppen direkt an den Massenmorden in den Ostgebieten beteiligt oder beim Sonderkommando 1005 eingesetzt gewesen waren und ab Ende der 1950er Jahre von einem bundesdeutschen Gericht deswegen verurteilt worden sind. Ziel war es, eine möglichst heterogene Gruppe zusammenzustellen, um verschiedene Varianten insbesondere der Nachkriegslebensläufe zu erfassen. Die Entscheidung, die 19 Personen aus verurteilten Tätern herauszusuchen, mag der Täterforschung insofern entgegenlaufen, als inzwischen biografische Arbeiten bewusst diese juristische Konstruktion von Täterschaft durchbrochen haben und nicht angeklagte oder verurteilte Täter einbeziehen. Aus pragmatischen Gründen entschied ich mich jedoch für den beschriebenen Weg, um das umfangreiche Quellenmaterial der Strafprozessakten zur Beantwortung meiner Fragen heranziehen zu können. Bewusst wurde darauf verzichtet, die Personen nach einem definierten Dienstrang auszusuchen, um der Tatsache zu entsprechen, dass die jeweilige Verantwortung und die Entscheidungsspielräume der Einzelnen nicht zwangsläufig mit dem Dienstgrad korrespondieren mussten. Ausführlich wird im Kapitel „Die Täter“ auf die heterogene Zusammensetzung der Tätergruppe einerseits und die dennoch bestehenden Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten ihrer Lebensläufe eingegangen. Allen gemeinsam ist, dass sie im Nationalsozialismus zu Tätern wurden, dass sie „Karrieren der Gewalt“ (Mallmann/Paul) durchliefen und dass es ihnen nach den Etappen der direkten Nachkriegszeit, eventueller Kriegsgefangenschaft bzw. Internierung und Entnazifizierung gelang, sich eine „bürgerliche“ Existenz aufzubauen, in die sie sich in den 1950er Jahren bewusst unauffällig zurückzogen oder in der sie wie Heuser wieder Karriere machten. Dieser Weg vom Kriegsende bis zu den einsetzenden Strafverfahren soll anhand der 19 Personen nachvollzogen werden. Der Blick wird dabei nicht allein auf die Täter gerichtet, sondern vielmehr erweitert und ergänzt um einen Blick auf die Gesellschaft im Allgemeinen und im konkreten individuellen Kontext. Auf diese Weise soll an den einzelnen neuralgischen Etappen der Nachkriegslebensläufe nach Mechanismen gefragt werden, die zur Integration der betreffenden Personen beitrugen oder sie gar erst ermöglichten. Das Zusammenwirken von Taktiken und Verhaltensweisen der Täter auf der einen Seite und dem Verhalten ihres sozialen Umfeldes vor dem jeweiligen politischen und gesellschaftlichen Hintergrund soll dafür in den Mittelpunkt gerückt werden. Zunächst geht es um die direkte Zeit nach Kriegsende. Eine spektakuläre Flucht ins Ausland unternahm keine der 19 Personen, allerdings versuchten einige unterzutauchen. Letzteres, zumal noch unter falschem Namen, konnte man nur, wenn es Unterstützung aus der Gesellschaft gab, wenn man sich auf Solidaritätsverhältnisse verlassen konnte. Werner Schö., um ein Beispiel zu nennen, nützte es

EINLEITUNG

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letztlich nichts, dass er sich falsche Papiere hatte beschaffen und mit Hilfe seiner Wiener Bekanntschaften zunächst auf einer Berghütte in Österreich hatte untertauchen können, wenn ihn dann ein ehemaliger Kollege der Gestapo verriet. An seinem Beispiel kann gezeigt werden, wer ihn aus welchen Motiven heraus unterstützte oder aber verriet. Gefälschte Identitäten bargen die Gefahr, erkannt zu werden; Kontakt zur Familie musste vermieden werden oder im Geheimen geschehen. Nicht jeder konnte oder wollte das durchhalten. Es muss nach dem Charakter der Unterstützung gefragt werden, die die Täter in dieser Phase erhielten. Die meisten befanden sich allerdings nicht in Freiheit, sondern in Kriegsgefangenschaft oder Internierungshaft. Es wird zu zeigen sein, dass diese auf den ersten Blick sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen tatsächlich nicht die Weichenstellungen waren, für die sie die betroffenen Personen damals halten mochten. Aus diesem Grund wird diese Phase in der Arbeit als „Transition“ und noch nicht als Integrationsphase verstanden. Ganz im Gegensatz zur Entnazifizierung, der nächsten zu betrachtenden Phase, die bereits zur Integrationsphase gezählt wird. Es wird danach zu fragen sein, welche Taktiken die Täter anwandten, wie sie ihre Lebensläufe verfälschten, was ihnen kommunizierbar, was nicht sagbar erschien und vor allem, wie sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits selbst exkulpierten. Welchen Unterschied machte es, ob jemand sein Spruchkammerverfahren in einem Internierungslager oder in Freiheit durchlief? Wer stellte wem Persilscheine aus, was sagen sie über die Aussteller und was über die Empfänger aus? Was unterschied die eidesstattlichen Erklärungen von Mitinhaftierten, respektive alten Kameraden, von denen aus dem privaten zivilen Umfeld? Die Frage nach dem Zusammenspiel dieser die Seite der Täter betreffenden Aspekte mit den Reaktionen, Argumenten und Geschichtsvorstellungen und -deutungen ihres sozialen Umfeldes, ihrer Rechtsanwälte – so sie welche hatten – und vor allem der Spruchkammern führt direkt zur nächsten Frage: Welche Geschichts- und Täterbilder herrschten vor und konnten in Anbetracht vorhandenen oder nicht vorhandenen Geschichtswissens wirksam werden, und wie gefestigt waren sie bereits? Wie kam es beispielsweise dazu, dass obwohl der Spruchkammer August Hä.s Zugehörigkeit zum Sonderkommando 4a sowie seine Tätigkeit beim BdS Athen bekannt waren und zudem Dokumente aus dem Nürnberger Einsatzgruppenprozess vorlagen, dies keine negativen Auswirkungen auf sein Verfahren hatte? Es kann nicht darum gehen, die Phase der Entnazifizierung noch einmal auf ihre Wirksamkeit hin zu analysieren. Stattdessen sollen an ausgesuchten Beispielen Wirkungsmechanismen und Wechselbeziehungen aufgezeigt werden. Der nächste nachzuvollziehende Schritt ist der berufliche Wiedereinstieg, der gleichbedeutend mit der gesellschaftlichen Reetablierung der Täter ist und nach der Entnazifizierung in der Arbeit als Integrationsphase II bezeichnet wird. Grundsätzlich ist dabei zu unterscheiden zwischen der

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EINLEITUNG

Rückkehr in den Staatsdienst und in die freie Wirtschaft. Ersteres war gesetzlich geregelt und barg vor allem die Gefahr, dass gefälschte NSLebensläufe aufgedeckt werden konnten. Wer sah darin kein Problem für sich? Wem schien die Gefahr zu groß? Was kommunizierten die, die wieder in den Dienst der Polizei oder Kripo wollten, aus ihren Lebensläufen und wie kommunizierten sie es? Auf welche Fürsprecher konnten sie zurückgreifen, und wie kamen ihnen die einstellenden Behörden entgegen oder aber auch nicht? Wie korrespondierten Selbstsichten und Selbstdarstellungen der Täter mit denen der einstellenden Behörden? Für eine Rückkehr oder einen Wiedereinstieg in die Wirtschaft war die NS-Biografie von weitaus geringerem Interesse. Erwähnung fand sie nur dort, wo explizit danach gefragt wurde und sie als Beleg für Berufspraxis dienen konnte. Geht man davon aus, dass sie wenig berufliche Erfahrung in ihren ursprünglich erlernten Berufen angesammelt hatten, bevor sie ihre NSKarriere begannen, und sie, gerechnet von 1949, in den meisten Fällen weit mehr als zehn Jahre nicht mehr in ihrem Ausbildungsberuf gearbeitet hatten, stellt sich die Frage, wie sie in der Bundesrepublik daran anknüpfen konnten – nahtlos oder mit Brüchen? Auf welche Fürsprecher griffen sie zurück? Lassen sich Kontakte zu alten Kameraden nachweisen? Unabhängig davon, welchen Weg die einzelnen Personen wählten, ob sie wie Heuser wieder zur Kriminalpolizei gingen, oder sich wie August Hä. in den väterlichen Handwerksbetrieb zurückzogen, ihre Reetablierung hing maßgeblich mit dem gesellschaftlichen und politischen Klima der 1950er Jahre, vor allem der ersten Hälfte dieses Jahrzehnts, zusammen und muss daher zwingend in diesem Kontext betrachtet werden. Dass sie als „normale“ und „anständige“ Bürger galten, hing nicht zuletzt mit der geltenden Konzeption dieser Normalität zusammen, in die sie sich problemlos einfügen konnten. Die Ruhe, in die sie abtauchen konnten, basierte auf einem Konsens im Umgang mit der jüngsten Geschichte. Trotzdem konnten sie sich nie wirklich sicher sein, dass sie ihre Vergangenheit nicht doch noch einmal einholen würde. Im Fall von Rudolf Th. wusste niemand an seinem neuen Nachkriegswohnort von seiner Vergangenheit; auch seine Frau, die er erst nach 1945 geheiratet hatte, wusste nichts darüber, noch nicht einmal, dass er bei der Gestapo gewesen war. Das Netzwerk, das Heuser zwischen ehemaligen Angehörigen des KdS/BdS Minsk nach Kriegsende geknüpft hatte, bot Sicherheit und Unterstützung, aber zum Zeitpunkt der einsetzenden systematischen Strafverfolgung von NS-Gewaltverbrechen bedeutete es auch eine neue Gefahr. Die Lebenslügen, die die Täter beim Begehen ihrer Taten zu einem Teil ihrer Biografie gemacht hatten, drohten im Gefolge des Ulmer Einsatzgruppenprozesses und der Einrichtung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg aufgedeckt zu werden. Aus diesem Grund endet die Arbeit ganz bewusst nicht an dem Punkt, an dem Verfahren gegen die Täter eröffnet wurden, sondern bezieht die Verfahren mit ein,

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um die Frage zu beantworten, ob sie Endpunkte der Integration waren. Nur hier zeigt sich, wie fest die Betroffenen integriert waren, wie das soziale Umfeld, von der Familie über Freunde, Kollegen, bis hin zu den Arbeitgebern reagierte. Werner Schmidt-Hammer war der erste der 19, der sich vor Gericht zu verantworten hatte; die folgende Lawine an Vorermittlungen erfasste dann die nächsten Täter dieser Gruppe. Nur ein einziger, Werner Schö., ergriff die Gelegenheit zur Flucht vor der bundesdeutschen Justiz, hatte er doch nach Kriegsende bereits in Österreich im Gefängnis gesessen. Alle anderen reagierten nicht, ahnend, dass es auch sie früher oder später treffen konnte, sicher, dass sie rechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden könnten. Wie Werner Schö.s Flucht, bei der er auf Unterstützung angewiesen war, wird auch das Verhalten derer, die abwarteten, was passieren würde, zu untersuchen sein. Galten die Selbstsichten und Selbstrechtfertigungen, die sie bereits nach Kriegsende geäußert hatten, immer noch? Der Blick ist wiederum auf die entlarvten Täter zu richten, auf ihre Reaktionen, Selbstrechtfertigungen, Selbstsichten und Argumentationen. Das gilt auch für ihre Rechtsanwälte, die nicht nur die Rechte der Täter, sondern in bestimmten Fällen auch deren Meinungen und Ansichten vertraten. Auf der anderen Seite müssen die Familien in den Blick genommen werden, ebenso die Reaktionen und Äußerungen ihrer Kollegen und Arbeitgeber. Schließlich muss der Fokus auf die Seite der Ermittler, Staatsanwaltschaften und Gerichte gerichtet werden. In ihren Spruchkammerverfahren hatten die Täter das Wissen über die Verbrechen auf ihrer Seite gehabt; die Gegenseite in Gestalt der öffentlichen Kläger hatte ihnen nichts Konkretes entgegenzusetzen gehabt. Leicht hatten sie ihre Lebensläufe verschleiern können. Nun aber wurden ihnen Dokumente, Beweise, Wissen um Marschrouten und Einsätze vorgehalten, und sie mussten darauf reagieren. Was vor der Spruchkammer noch allgemein als „Bandenkampf“ durchgegangen war, erschien nun in einem ganz anderen Licht. In der Analyse des Zusammenwirkens der verschiedenen Akteure zeigt sich, wo welche Denkweisen und Wertvorstellungen noch konsensfähig waren und wo nicht mehr, wo sich durch die Ende der 1950er Jahre einsetzenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse Bewertungskategorien verschoben hatten. Ein Indikator dafür ist, wie die Arbeitgeber aus dem Bereich der Wirtschaft darauf reagierten, dass einer ihrer Mitarbeiter in einem NS-Prozess angeklagt war und verurteilt wurde. Trennte man sich von dem Betreffenden oder unterstützte man ihn? Am Beispiel der Arbeitgeber Daimler-Benz und Carl Zeiss, beides bekannte Namen, kann veranschaulicht werden, wie unterschiedlich die öffentliche Meinung eingeschätzt und entsprechend gehandelt wurde. Im gleichen Zusammenhang ist danach zu fragen, was es über die Honoratioren einer Gemeinde aussagt, wenn sie sich offen für einen ehemaligen Mitbürger, der nun der Beteiligung an Massenerschießungen angeklagt war, verwandten. Veränderungs- und Lernprozesse ver-

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liefen in den unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen in unterschiedlicher Geschwindigkeit. Die großen NS-Prozesse brachten die Thematik der NSVerbrechen mit Hilfe der Medien direkt als Diskurs in die Gesellschaft und schufen Geschichtswissen. Ob sie gleichzeitig neue Geschichts- und Täterbilder schufen oder vielmehr existierende legitimierten, ist zu diskutieren. Die Aufregung, die der Ulmer Einsatzgruppenprozess oder der AuschwitzProzess hervorriefen, war aber nicht von Dauer, und es muss danach gefragt werden, ob und wie sie sich im konkreten Umgang mit den Tätern bemerkbar machte. Die Auswahl der Täterbiografien nach dem Gesichtspunkt der Vielfalt bringt es ebenso wie die unterschiedliche Quellenlage mit sich, dass einige Biografien mehr Raum einnehmen als andere, weil ihre Lebenswege sich von denen der anderen abheben bzw. weil einzelne Etappen ihrer Nachkriegsbiografien besonders gut belegt sind. Weil die Arbeit als personenbezogene Arbeit konzipiert ist, die über die bloße Nennung der Täter im Kontext der Verbrechen hinausgeht, und gesperrte Aktenbestände benutzt wurden, musste ich mich in vielen Fällen zur Anonymisierung verpflichten. Das führt zu der paradoxen Situation, dass in der Untersuchung Täter in anonymisierter Form erscheinen, die in anderen Veröffentlichungen mit ihrem vollen Namen im Zusammenhang mit ihren NS-Tätigkeiten genannt werden. Da ich eine exemplarische Betrachtung anstelle, schadet dies dem Anliegen und Ziel der Arbeit nicht; allerdings mag an manchen Stellen der Lesefluss unter den Anonymisierungen leiden, weil ich mich dazu entschieden habe, den Personen keine Schutznamen zuzuweisen, sondern sie mit Vornamen und abgekürztem Familiennamen zu nennen. Zum Schluss sei noch angemerkt, dass ein biografischer Ansatz im Bereich der Täterforschung immer eine Gratwanderung darstellt, bei der auf der einen Seite die Gefahr der Dämonisierung lauert und auf der anderen Seite die Gefahr droht, den Tätern in ihrer Selbstentschuldung zu folgen. Nicht immer lassen die Quellen den wissenschaftlich anzustrebenden differenzierten Mittelweg zu, weil sie nicht beide Seiten aufzeigen, weil schlicht Quellenmaterial fehlt oder weil die Strafprozessakten eine selektive Quelle darstellen. Die in den Quellen enthaltenen plastischen Schilderungen von Mordaktionen, Einzelschicksalen von Opfern und Fotos, die Szenen des Vernichtungskrieges, teils ganze Bildsequenzen einzelner Erschießungen, zeigen und zeitgenössische Beschriftungen auf der Rückseite tragen wie „die letzten Lebenssekunden der Juden“, sprechen eine klare, deutliche Sprache. Umso irritierender ist die Diskrepanz zwischen den Taten und dem Selbstbewusstsein, mit dem Täter ihre standesgemäße Rückkehr in die Gesellschaft der Bundesrepublik geradezu einforderten. Um beides in den Blick zu bekommen, werden im Verlauf der Arbeit immer wieder längere Originalzitate aufgegriffen, weil auch sie eine klare und deutliche Sprache sprechen.

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2. Forschungskontext Durch den biografischen Ansatz, mit dem Lebensläufe nach 1945 nachvollzogen werden, berührt die Arbeit zwangsläufig verschiedenste Themenund Forschungsbereiche, die abhängig von ihrer Relevanz für das Hauptthema unterschiedlich intensiv in der Arbeit aufgegriffen werden. Primär, und darauf soll zunächst eingegangen werden, versteht sich die Arbeit als Beitrag zur neueren Täterforschung, wie sie in den 1990er Jahren aufkam. Mit dem entscheidenden Unterschied allerdings, dass der Schwerpunkt des biografischen Ansatzes nicht auf die NS-Zeit, sondern auf die Zeit danach gelegt wird, um nicht nur festzustellen, dass es der heterogenen Masse der Täter gelang, sich in der bundesdeutschen Gesellschaft wieder einzurichten, sondern um die Frage zu stellen und zu beantworten, wie sich diese Entwicklung vollzog und welche Faktoren dies ermöglichten. Dass es so war, ist unbestritten und hatte sich vor allem in den Ende der 1950er Jahre einsetzenden NS-Prozessen gezeigt. Karin Orth stellte dies für das Führungspersonal der Konzentrationslager-SS fest: „Diejenigen Abteilungsleiter und Kommandanten, die die Phase der alliierten Militärgerichtsbarkeit überlebten bzw. diejenigen, die aus der Haft entlassen wurden, nahmen in der Bundesrepublik einen beruflichen und sozialen Status ein, der ihrer Herkunft und Bildung entsprach: 5 Sie kehrten in eine mittelständische berufliche Position zurück.“ Bernhard 6 Brunner attestierte das Gleiche den Sipo-Chefs in Frankreich und erklärte es mit einem kurzen Hinweis auf die politischen Weichenstellungen der 1950er Jahre. Ulrich Herbert sah die NS-Eliten, „Funktionseliten“, ebenfalls zurückgekehrt in die Mitte der Gesellschaft und gab einen allgemein gehaltenen Erklärungsansatz, wenn er schrieb: „Die eigene Vergangenheit abzutarnen, ja möglichst ganz vergessen zu machen, um die neue Zukunft nicht zu gefährden, wurde daher zum vordringlichen Interesse. Ein möglichst unauffälliges, angepasstes, normales Leben zu führen, auch die Kontakte zu ehemaligen Mitarbeitern (und Mitwissern) möglichst zu vermeiden und sich jeder politisch verdächtigen Äußerung zu enthalten, war die Konsequenz. […] Dieser Mechanismus führte im Ergebnis zu einer moralisch gewiss zweifelhaften, aber durchaus effektiven Einpassung von offenbar großen Teilen der NS-Eliten in den neuen deutschen Staat und seine Gesell7 schaft.“ Heydrichs Elite hatte Jens Banach im Blick, doch auch hier lag der Schwerpunkt auf der NS-Zeit. Für die Nachkriegszeit kontstatierte er in der Zusammenfassung: „Nach 1945 verschwanden diese Planer und Exekutoren des Völkermords im Dunkel der Geschichte. Mehrere Verhaltensweisen kristallisierten sich heraus: Einige begingen Selbstmord; diejenigen, die an ihrer nationalsozialistischen Gesinnung festhielten, tauchten häufig in autoritär-faschistischen Staaten Europas und Südamerikas ab; ein großer Teil der ehemaligen Sipo- und SD-Führer verschwieg oder verleugnete seine

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Vergangenheit völlig. Sie tauchten in biedere Angestellten- und Beamtenstellungen ab oder machten Karriere in der Wirtschaft. Sie integrierten sich geräuschlos in die bundesrepublikanische Gesellschaft.“ 8 Ausführlicher behandelt Martin Cüppers die Nachkriegslebensläufe und die justitielle Verfolgung von Angehörigen der Waffen-SS und geht dabei ebenfalls auf das Aussageverhalten und damit die Selbstsichten und Selbstdarstellungen der Täter ein. 9 Daneben wurde der „Rattenlinie“ genannte Fluchtweg nach Südamerika dokumentiert, u.a. von Gerald Steinacher. 10 Die Nachkriegslebenswege standen in diesen biografischen Studien zunächst jedoch am Rande, als Abschluss und Ausblick gleichermaßen, so auch in dem Täterquerschnitt von Tätern und Täterinnen der zweiten und dritten Ebene, den Gerhard Paul und Klaus-Michael Mallmann 2004 in dem Sammelband „Karrieren der Gewalt“ vorstellten und der auch die bereits erwähnte Biografie des hier behandelten Georg Heuser umfasst. 11 In ihrer auf einer heterogenen, aber wie die Herausgeber betonen, keinesfalls repräsentativen Auswahl der Täter basierenden Studie fragten sie nach den Bedingungen für die einzelnen Karrieren und fanden Verbindendes in einer Gewaltsozialisierung – je nach Jahrgang – in den Kampferfahrungen des Ersten Weltkriegs, der Zugehörigkeit zu Kameradschaftsbünden und Freikorps, der frühen NS-Sozialisation und schließlich in der Praxis der Gewalt im nationalsozialistischen Krieg. Von dieser Prämisse schlagen die Herausgeber in ihrem einleitenden Text einen theoretischen Bogen in die Nachkriegslebensläufe: „Wenn es richtig ist, dass die beschriebenen Gewaltmilieus die Wirkung situativer Sozialisationsagenturen entfalteten, wird auch verständlich, dass mit dem Zerfall und der Zerschlagung dieser Milieus die Beteiligten – gewiss mit Verzögerungen und Schwierigkeiten – wieder an ihre begonnenen bürgerlichen Karrieren anknüpfen konnten und fähig waren, sich in der Mehrzahl durchaus erfolgreich in den Alltag der bundes12 deutschen Demokratie einzufädeln.“ Ausführlicher wurde die Rückkehr 13 der Täter bei Michael Wildt behandelt, der in seiner Studie über das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes den Nachkriegskarrieren ausgewählter Personen bereits ein eigenes Kapitel „Rückkehr in die Zivilgesellschaft“ einräumte und die gesellschaftlichen Solidaritäten, die ihnen bei ihrer Wiedereingliederung halfen, herausarbeitete. Ebenfalls über die reine Nennung der Eckdaten des Nachkriegslebenslaufes hinaus gingen beispielsweise der Aufsatz von Martin Hölzl 14 , der sich mit der Lobbyarbeit Adolf von Bomhards für die Ordnungspolizei beschäftigt, und die Studie von Hartmut Berghoff und Cornelia Rauh-Kühne 15 , die sich zwar an der Person des Trossinger Unternehmers Fritz K. orientiert, letztlich aber eine Gesellschaftsstudie eines schwäbischen Mikrokosmos liefert. In diese Reihe gehören auch Ulrich Herbert 16 mit seinem Aufsatz „Deutsche Eliten nach Hitler“ und mit seiner Studie über Best, der für die Zeit nach 1945 dessen Selbstsicht und Wirken für vormalige Gestapobeamte in den Fokus rückt,

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Lutz Hachmeisters 17 Aufsatz über die Nachkriegstätigkeiten von SD-Eliten sowie Gerhard Pauls 18 differenzierte Darstellung der verschiedenen Nachkriegslebenswege von Gestapo-Bediensteten unterschiedlichen Rangs. Barbara Fait 19 hatte bereits zuvor für die Gruppe der NSDAP-Kreisleiter Oberbayerns nach Bedingungen für deren Scheitern oder Erfolg nach 1945 gefragt, hatte aber letztlich wegen mangelnder Quellen und dem zeitlichen Schwerpunkt, den sie aus diesem Grund wahrscheinlich auf die Entnazifizierung gelegt hatte, keine Aussage über den Grad der Reintegration treffen können, ganz abgesehen davon, dass sie der These Lübbes 20 folgte und davon ausging, dass erst die Studentenrevolte 1968 einen gesellschaftlichen und politischen Wandel gebracht habe. Weiter reichten auch die Studien zu personellen Kontinuitäten bei Polizei und Kriminalpolizei. Dieter Schenk 21 arbeitete den Einfluss der „Charlottenburger“ um Paul Dickopf und die Einstellungspraxis der Ehemaligen im Bundeskriminalamt heraus – ähnliche Wirkungsmechanismen hatte übrigens Michael Ruck 22 am Beispiel der südwestdeutschen Beamtenschaft dargestellt. Patrick Wagner 23 widmete sich ebenfalls den Netzwerken der ehemaligen NS-Kriminalisten, und Stefan Noethen 24 vollzog anhand zahlreicher Personalakten akribisch den Aufbau der nordrhein-westfälischen Polizei einschließlich der personellen Entwicklung unter der britischen Besatzungsmacht nach. Für die Einsatzgruppen ist Andrej Angricks Studie über die Einsatzgruppe D hervorzuheben, in deren Epilog er die Rückkehr der Täter in die Zivilgesellschaft und ihre Strafverfolgung skizzierte, den Schwerpunkt aber auf die Führer der Einheiten legte. Aus den Strafprozessakten ergab sich auch für ihn ein eindeutiges Bild: „Viele der Genannten hatten in den gut 15 bis 20 Jahren, die zwischen dem Kriegsende und dem Zeitpunkt ihrer Vernehmung lagen, in der westdeutschen Wirtschaft Karriere gemacht und mitunter sogar eine höhere Beamtenlaufbahn eingeschlagen. Ähnlich verliefen auch die Karrieren der Männer aus dem zweiten Glied. […] Die neugeschaffene Bundesrepublik bedeutete für sie vor allem Kontinuität und bis zu einem gewissen Grad Schutz vor dem, was auch heute noch von reaktionären Kreisen als 25 ‚Siegermoral‘ bezeichnet wird.“ 2009 legten Angrick und Mallmann den Sammelband „Die Gestapo nach 1945“ vor, der den Fokus auf die Nachkriegslebensläufe von GestapoBediensteten richtet und dabei die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ebenso wie die Selbstdarstellung der Täter und die Versuche, sie als Täter zu fassen, in den Blick nimmt. Den historischen Realitäten entsprechend wird die Gestapozugehörigkeit von ihrer üblichen engen Definition befreit und weiter gefasst, um der „wachsenden Durchmischung der verschiedenen ‚Waffengattungen’ des Himmlerschen Imperiums im Zweiten Weltkrieg“ 26 gerecht zu werden. Auf diese Weise werden u.a. auch Angehörige der Einsatzgruppen und Bedienstete der KdS und BdSDienststellen und damit folglich auch die Rückkehr dieser Täter in die Kripo

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erfasst. Stefan Link untersucht in diesem Kontext das Netzwerk der „Alten Charlottenburger“ im Bundeskriminalamt. 27 Der biografische Ansatz, ebenso wie die Hinwendung zu Tätern der zweiten und dritten Ebene, dem diese Arbeit folgt, stehen in der Tradition der Täterforschung. Ausführlich haben die Forschungsergebnisse und Tendenzen für diesen Teilbereich der NS-Forschung bereits Thomas Kühne 28 , Gerhard Paul 29 , dessen Verdienst es ist, vom frühen Täterdiskurs der direkten Nachkriegszeit einen Bogen in die Gegenwart geschlagen zu haben, und Klaus-Michael Mallmann gemeinsam mit Paul 30 zusammengefasst. Neben den Eliten, denen sich u.a. die bereits genannten Wildt, Herbert, aber auch der biografische Sammelband von Ronald Smelser 31 und Enrico Syring über die SS-Elite zuwandten, rückten vermehrt die Chargen darunter bis hin zu den Mannschaftsdienstgraden in das Interesse der Forschung und zwar auch in bislang vernachlässigten Formationen wie denen der Ordnungspolizei und der Wehrmacht. Der Blick richtete sich weg von der Berliner Machtzentrale hin zu den unterschiedlichsten Schauplätzen des Mordens, zu konkreten Verbrechen, Tatabläufen, zum Zusammenwirken verschiedener Einheiten und Entscheidungsträgern vor Ort und erfasste dabei die heterogene Masse der Täter. Aus den entfremdeten Tätern wurden greifbare Individuen. 32 Verhaltensweisen, Mentalitäten, ihre Sozialisierung, Radikalisierung, situative Dynamiken vor Ort und in der jeweiligen Gruppe sowie Handlungsspielräume wurden analysiert. Die Rolle von Einsatzgruppen, Ordnungspolizei und Wehrmacht im Vernichtungskrieg wurde reflektiert, indem bestimmte Verbrechen oder bestimmte Einheiten betrachtet wurden. Diese Studien dienten dieser Arbeit vor allem als Hintergrundwissen zu Verbrechen und Einheiten, die im Zusammenhang mit den 19 ausgewählten Tätern standen, weil sie nur selten die Nachkriegsbiografien einbezogen. Zu nennen wären beispielsweise die umfassende Studie Andrej Angricks zur Einsatzgruppe D, die, darauf wurde bereits verwiesen, die Nachkriegslebensläufe nicht außer Acht lässt und die Angehörigen der Einsatzgruppe D 33 auch soziologisch betrachtet; der von Peter Klein herausgegebene Sammelband über die Einsatzgruppen in der besetzten Sowjetunion 1941/42, die Beiträge zur wenig beachteten Einsatzgruppe H in der Slowakei von Tatjana Tönsmeyer 34 und Konrad Kwiet 35 , die grundlegenden Aufsätze Mallmanns 36 zum Charakteristikum der Einsatzgruppen sowie zum Unternehmen „Zeppelin“, der Beitrag von Dorothee Weitbrecht 37 über die Einsatzgruppen in Polen im Sammelband „Genesis des Genozids“ sowie der von KlausMichael Mallmann, Jochen Böhler und Jürgen Matthäus 38 herausgegebene Sammelband über die Einsatzgruppen in Polen, die Studie von Jacek Andrzej Mđynarcyk 39 über den Judenmord in Zentralpolen und die Arbeiten von Jürgen Matthäus 40 über die Judenverfolgung in Litauen und im Generalkommissariat Weißruthenien, die umfassende Studie von Christian Gerlach 41 über die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrussland,

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des Weiteren für den Bereich der Polizei Stefan Klemps 42 Arbeit über die Beteiligung der Polizei am Vernichtungskrieg, die Untersuchung des Polizeibataillons 322 von Angrick 43 und anderen, der Beitrag über die Sicherheitspolizei und die Shoah in Westgalizien von Mallmann 44 sowie für die Wehrmacht der Sammelband von Hannes Heer45 „Tote Zonen“. Die Reihe ließe sich beliebig erweitern; für die vorliegende Arbeit waren aber vor allem Untersuchungen zu den Einsatzgruppen, deren Einsätzen und Personal von Interesse. Mit der Betonung des Handlungsspielraums und der Radikalisierungsdynamiken vor Ort erschlossen sich neue Themenfelder. Den Anfang hatten Christopher Browning und Daniel Jonah Goldhagen gemacht. 46 Sie hatten sich nicht nur den Direkttätern zugewandt, sondern gleichzeitig die Frage gestellt, was die Männer zu Tätern werden ließ und waren dabei – darüber ist viel geschrieben worden – zu konträren und viel debattierten Ergebnissen gekommen. 47 Während Browning eine Diabolisierung der Bataillonsangehörigen zu vermeiden und stattdessen verschiedene Charaktere zu differenzieren versuchte und die Gewaltsozialisation und gruppenpsychologische Mechanismen der Situation, in der sie sich befanden, hervorhob, verneinte Goldhagen institutionelle und situative Motive und sah in der ideologischen Disposition eines den Deutschen eigenen eliminatorischen Antisemitismus die Antwort auf die Frage, was aus gewöhnlichen Deutschen „willing executioners“ werden ließ. Aus dem Bereich der Soziologie und der Sozialpsychologie antworteten Jan Philipp Reemtsma und Harald Welzer. Am Beispiel des Reserve-Polizeibataillons 101 machte Reemtsma deutlich, dass es darauf ankam, dass sich der Täter im Moment des Tötens seiner 48 Menschlichkeit versicherte. Philipp Zimbardo sprach in diesem Zusammenhang von „moral disengagement“, mit dem sich Menschen neue, moralische Kategorien schaffen, die ein eigentlich unmoralisches Handeln rechtfertigen sollen. 49 Ähnlich klingt, was Welzer am Beispiel von NS-Tätern (aber auch im Vergleich mit Ruanda und Ex-Jugoslawien) konstatierte. Statt zu fragen, welche Hemmnisse die Täter zu überwinden hatten, sollte vielmehr ihre moralische Selbstvergewisserung in den Vordergrund gestellt werden, um Täterhandeln zu erklären. 50 Rolf Pohl 51 hingegen wählte, durchaus zweifelhaft, Freud und Mitscherlich als theoretische Ansatzpunkte. Es galt vor allem, beim Blick auf das Individuum oder eine definierte Gruppe den nationalsozialistischen Kontext einzubeziehen, die Frage „nach dem Verhältnis von Intention, Disposition, sozialer Praxis und situativer Dynamik von Gewalt“ 52 zu stellen. Zu den Untersuchungen, die diese Aspekte ausloteten, gehören die bereits genannte Studie Wildts über das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamts, die Beiträge des von Wolf Kaiser 53 herausgegebenen Sammelbands „Täter im Vernichtungskrieg“ sowie die beiden Sammelbände „Entgrenzte Gewalt“, herausgegeben von

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Habbo Knoch 54 , und über die „weltanschauliche Erziehung“ der Täter von Jürgen Matthäus 55 , Konrad Kwiet, Jürgen Förster und Richard Breitman. Bisherige starre Tätertypisierungen mussten in der Konsequenz reflektiert werden, ließen sie sich doch mit den Forschungsergebnissen zum Beispiel zu den Einsatzgruppen nicht mehr aufrechterhalten. Zwischen den Polen Browning und Goldhagen verabschiedete man sich mit Michael Wildt von der Vorstellung eines „dominanten Tätertypus“ 56 , und Gerhard Paul 57 hielt mit Blick auf Mallmann fest, dass sich unter den unmittelbaren Tätern wie den Teilkommandoführern der Einsatzkommandos kein bestimmter generationeller oder sozialer Typus mehr identifizieren ließe. Trotzdem verzichtete auch er in seinem Beitrag nicht auf eine Kategorisierung, sondern unterschied zwischen Tätern, die nie selbst töteten, Direkttätern und Exzesstäter, was meines Erachtens wieder in die Irre führte. 2004 stellte er gemeinsam mit Mallmann hinsichtlich der Biografien des Sammelbandes „Karrieren der Gewalt“ jedoch fest, dass „sich auch hier Mischformen und das Prozesshafte als charakteristischer als die reinen Idealtypen“ 58 erwiesen, wobei sie „politische Konformisten“, „Weltanschauungstäter“, „Exzesstäter“ oder „Schreibtischtäter“ unterschieden. Habbo Knoch bemängelte, dass die unterschiedlichen Täterschaftsverhältnisse bisher nicht begrifflich präzise erfasst worden seien. 59 Der Trend geht eindeutig weg von der starren Typisierung, mit denen in der Vergangenheit Täterbilder und Schuldzuweisungen oder Exkulpationen verbunden waren, und die lange Zeit das Bild „der Täter“ in Justiz und Öffentlichkeit bestimmten. Welche Auswirkungen sie hatten, wird in dieser Arbeit thematisiert werden. Wegen dieser Vorbelastung wird es schwer werden, Typisierungen als das zu begreifen, was sie sind: Hilfskonstrukte, um verschiedene Ausprägungen von Täterschaft erfassen zu können. Weil der Schwerpunkt dieser Arbeit auf der Zeit nach 1945 liegt, berührt sie weitere Themengebiete, von denen an dieser Stelle die Entnazifizierung, die 1950er Jahre als Phase der Wiedereingliederung der Täter, die dynamischen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse im Übergang von den 1950er zu den 1960er Jahren und nicht zuletzt der Umgang mit der NSVergangenheit und die NS-Prozesse, die durchaus bei entsprechendem Fokus als Abzweig der Täterforschung verstanden werden können, erwähnt werden sollen. Nach Lutz Niethammers 60 Untersuchung der Entnazifizierungspraxis, der vergleichend angelegten Arbeit von Clemens Vollnhals 61 und der Verortung der Entnazifizierung im europäischen Kontext der politischen Säuberung nach Kriegsende, wie dies der von Klaus-Dietmar Henke62 und Hans Woller herausgegebene Band „Politische Säuberung in Europa“ vornahm, hat sich die Forschung von diesem Themenkomplex abgewandt, obwohl Mikrostudien weiterhin fehlen. Die 1950er Jahre sind zu oft als Ruhephase für die NS-Täter beschrieben worden, was sie zweifellos auch waren, aber eben nicht nur. Der Umgang

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von Politik und Gesellschaft mit den Tätern von einst ist untrennbar mit der Geschichte dieser Phase verbunden und stieß nach 1990 auf ein neues Interesse innerhalb der Forschung. Der thematische Schwerpunkt verlagerte sich dabei zunehmend von dem restaurativen Umgang der AdenauerRegierung und der Gesellschaft der jungen Bundesrepublik mit der jüngsten Vergangenheit und der Interpretation kollektiver Dispositionen hin zu tendenziellen Gegenströmungen nach 1955. 63 Axel Schildt 64 legte dazu 1999 „Studien zur westdeutschen Ideenlandschaft der 50er Jahre“ vor, um die monolithische Betrachtungsweise aufzubrechen. In das Zentrum des Interesses rückten die Brüche der Konsensgesellschaft. Neue Akzente in der Beurteilung gesellschaftlicher Wandlungsprozesse beim Übergang von den 1950er Jahren zu den 1960er Jahren aber auch in den 1960er Jahren selbst haben vor allem drei jüngere Arbeiten gesetzt. Zum einen die im Sammelband „Wandlungsprozesse in Westdeutschland“ 65 zusammengefassten Ergebnisse der Freiburger Forschergruppe um Ulrich Herbert, die nicht den die Demokratie belastenden Kontinuitäten nachspürte, sondern ausgehend von der Tatsache, dass sich die Bundesrepublik dennoch zu einer stabilen Demokratie entwickelt hat, nach gegenläufigen Tendenzen und Impulsgebern für gesellschaftliche Lernprozesse fragte. Zum anderen die Publikation „Dynamische Zeiten“ 66 , die sich auf die 1960er Jahre, vor allem auf Entwicklungsprozesse vor 1968, bezieht und die 1960er Jahre als „Scharnierjahrzehnt“ betrachtet. Eine zentrale Rolle misst auch der von Matthias Frese, Julia Paulus und Karl Teppe herausgegebene Sammelband „Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch“ 67 den 1960er Jahren zu, die als „Wendezeit der Bundesrepublik“ betrachtet werden. Ziel des Bandes ist es, die Vielfältigkeit der Umbrüche, die unterschiedlichen Geschwindigkeiten, mit denen sie sich vollzogen, das Nebeneinander von Beharren und Verändern zu erfassen. In diesen Kontext gehört die Frage nach dem gesellschaftlichen (und politischen) Umgang mit der NS-Geschichte und den, wie sie oft genannt werden, späten NS-Prozessen. Nach der zunächst vorwiegenden Betrachtung juristischer und spezifischer Problematiken 68 der NS-Prozesse und der Frage nach Erfolg und Misserfolg 69 der Prozesse geriet im Zuge der Täterforschung die Frage nach der Täterwahrnehmung in den Vordergrund. Zu den Arbeiten mit juristischem Blickwinkel zählen Bettina Nehmers 70 Analyse der juristischen Verfolgung von Einsatzgruppenverbrechen und die Dissertation von Kerstin Freudiger 71 , die anhand von 142 Urteilen, unterteilt nach Deliktskategorien Strafzumessungsbegründungen vergleichend analysierte und zu dem Schluss gelangte, dass sich Gerichte nicht nur eines breiten Interpretationsspielraums bedienten, sondern, wie sie am Beispiel des Landgerichts München I ausführte, sich juristischer Konstrukte bedienten, um Gehilfenschaft statt Täterschaft feststellen zu können. Damit hatten ihrer Ansicht nach die Gerichte und nicht der Gesetzgeber versagt. Einen

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täterzentrierten Blick auf die Verfahren hatte zuvor der Journalist Heiner Lichtenstein 72 mit seinen Prozessbeobachtungen und nach ihm Michael Okroy 73 mit seiner Analyse des Wuppertaler Bialystok-Prozesses gerichtet. Einen vergleichenden politikgeschichtlichen Ansatz verfolgte Annette Weinke 74 , die den Umgang mit der NS-Vergangenheit in beiden deutschen Staaten analysierte. Annette Weinke betrachtete jüngst die Geschichte der Zentralen Stelle Ludwigsburg und nahm dabei auch von Massenmedien kreierte Täterbilder in den Blick. 75 Ausschließlich dem staatlichen Umgang mit NS-Belastungen in der DDR widmet sich Henry Leide. 76 Die Tendenz jüngerer Beiträge geht, wie bereits angemerkt, dahin, Täterwahrnehmungen, aber auch der Bedeutung von Geschichtsbildern nachzuforschen. Zu nennen wären Marc von Miquel 77 , der, wenn auch allgemein gehalten, den prägenden Einfluss der Justiz auf die Deutung von NS-Verbrechen und den apologetischen Charakter vieler Urteile betonte, Edgar Wolfrum 78 , der die NSProzesse in den Zusammenhang sich wechselnder Geschichtsbilder vom Ende der 1950er bis Ende der 1960er Jahre einordnete sowie die Untersuchungen von Patrick Wagner 79 über die Resozialisierung der NSKriminalisten und von Bernhard Brunner 80 über die Nachkriegslebenswege deutscher Sipo-Chefs in Frankreich. Weiterhin ist der Aufsatz Konrad Kwiets 81 „Von Tätern zu Befehlsempfängern“ zu nennen, der u.a. die Verteidigungsstrategien der Angeklagten und ihre nationalsozialistisch geprägte Wortwahl näher betrachtet. Den ausführlichsten Überblick über die unterschiedlichen Täterbilder und Wahrnehmungen von Tätern in der Forschung bietet Gerhard Paul 82 in dem von ihm herausgegebenen Band „Die Täter der Shoah“. Der Trend der täterzentrierten Forschung zur Erschließung von Mechanismen im nationalsozialistischen Vernichtungskrieg, aber auch zur Wirkungsgeschichte von Täter- und Geschichtsbildern, ist zu Recht ungebrochen. 2007 ist eine Studie zu den NSDAP-Kreisleitern in Schleswig-Holstein erschienen, die sehr genau auf die Zeit der Internierungshaft, der Spruchgerichtsverfahren und die berufliche Reintegration der Gruppe eingeht. 83

3. Quellen Weil es sich um eine personenbezogene Arbeit handelt, mussten Quellen herangezogen werden, die es erlaubten, mehr als nur den reinen Nachkriegslebenslauf der Personen nachzuvollziehen. Besonders die neuralgischen Punkte, die einen weiteren Schritt in Richtung Integration und Reetablierung bedeuteten, sollten erschlossen werden. Dem chronologischen Grundaufbau der Arbeit folgend, handelte es sich dabei um die direkte Nachkriegszeit, die Entnazifizierungsverfahren, den Wiedereinstieg in ein geregeltes Berufsleben und schließlich die strafrechtliche Verfolgung. Der Anspruch war, das Zusammenspiel zwischen den Einzelnen und der Gesell-

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schaft an den jeweiligen Etappenpunkten nachzuvollziehen und die Interaktion zwischen den beteiligten Akteuren einzubeziehen. Als zentrale Quelle und Ausgangspunkt für weitere Recherchen erwiesen sich die Akten der einzelnen Strafprozesse, wobei in einem ersten Schritt das Bundesarchiv in Ludwigsburg genutzt und anschließend die gesamten Prozessakten in den jeweiligen Archiven eingesehen wurden. Dienten diese Akten in anderen Studien hauptsächlich dazu, anhand von Aussagen Verbrechensabläufe zu rekonstruieren und Dynamiken und Verhaltensweisen der Angehörigen einer Einheit zu analysieren (u.a. Browning, Goldhagen), wurde für diese Arbeit die gesamte Bandbreite des vorhandenen Schriftguts genutzt. Dazu gehörten die Aussagen von Zeugen (in den meisten Fällen nicht Opfer, sondern ebenfalls Kommandoangehörige) und den ausgesuchten Personen, die Anklageschriften und Urteile, die überlieferte Korrespondenz zwischen den Tätern, ihren Rechtsanwälten, den Staatsanwaltschaften, ihren Arbeitgebern und ihrem privaten Umfeld sowie der Schriftverkehr zwischen Rechtsanwälten, Gerichten und Staatsanwaltschaften mit den dazugehörigen Leumundszeugnissen und Gnadengesuchen. Als wertvoll erwiesen sich die Vermerke und Kommentare von Vernehmungsbeamten, Staatsanwälten und Untersuchungsrichtern, die über besondere Vorkommnisse, Verhaltensweisen, Schwierigkeiten bei den Ermittlungen oder persönliche Einschätzungen der Untersuchungshäftlinge Aufschluss geben. 84 So ließen sich beispielsweise im Fall Friedrich Me. die erschlichenen Besuche seiner Kollegen und Absprachen, aber auch die Unregelmäßigkeiten im Vorfeld der Verhaftung Heusers nachvollziehen. Dass Heuser kurz nach seiner Verhaftung anonym einen Blumenstrauß mit besten Grüßen von seinen Kollegen erhielt, war für andere Untersuchungen bislang uninteressant, für diese hier dafür umso interessanter. Die Gnadengesuche aus dem sozialen Umfeld zeigten nicht nur, wer sich für die Täter einsetzte, sondern auch, mit welchen Argumenten, genauer, welche Geschichts- und Täterbilder daraus hervorgingen; das Gleiche gilt für die wegen beleidigenden Inhalts abgefangene Korrespondenz. Der Kontext, in dem diese strafrechtlichen Akten entstanden sind, muss selbstverständlich mitgedacht werden; das gilt besonders für die Vernehmungsprotokolle. Während einige der hier besprochenen Täter den Beamten den genauen Wortlaut diktierten, finden sich in anderen Protokollen typische Formulierungen wie „Auf Nachfrage erkläre ich“, die der Vernommene nicht gesagt hat, sondern Formulierungen des Protokollierenden sind. Die Aussagen entstanden in einer besonderen Situation, in der sich die Zeugen und Angeklagten nicht selbst und meist auch nicht gegenseitig belasten wollten, in der sie sich rechtfertigten, Erinnerungslücken vortäuschten und Sachverhalte zu ihren Gunsten darstellen wollten. Wenn es darum geht, genaue Abläufe zu rekonstruieren, ist das tatsächlich ein Dilemma, das allerdings wieder durch die besondere Situation relativiert werden kann. Denn im Gegensatz zu ihren Ausführungen

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während ihrer Entnazifizierung hakten die Vernehmungsbeamten nach, hielten ihnen Gegenbeweise vor und hielten ihre Einschätzung über den Wert der Aussagen in Vermerken fest. Hinzu kommt, dass für diese Untersuchung von Interesse war, wie sich die Personen rechtfertigten, welches Selbstbild und welche Selbstrechtfertigungen sie kommunizierten, wie sie ihre Rolle im Nationalsozialismus verstanden wissen wollten, welches Bild von Nationalsozialismus hinter ihren Ausführungen und Einlassungen stand. Bemerkungen in Nebensätzen, ihre Wortwahl sowie ausführliche Verteidigungsschriften wie sie Werner Schö. und Gerhard S. anfertigten, verrieten mehr über sie und ihre Einstellungen, als ihnen vielleicht bewusst war. Ähnliches lässt sich für die Rechtsanwälte und die Korrespondenzen aus dem privaten und beruflichen Umfeld sagen, die mehr waren als nur zielgerichtete Eingaben. Sie transportierten Wertvorstellungen und Einstellungen. Die Unterlagen gaben außerdem Hinweise auf den Verbleib weiterer Quellen, indem Spruchkammern genannt wurden, vor denen sich bestimmte Personen verantwortet hatten, oder im Fall Werner Schö. das Aktenzeichen seines vorausgegangenen Wiener Strafprozesses, so dass sich mit Hilfe der Akten in Wien seine Flucht nach Kriegsende nachvollziehen ließ. Regelmäßig tauchten auch die Arbeitgeber auf, was den Ansatzpunkt für weitere Recherchen lieferte. Kommen wir zunächst zu den Spruchkammer- bzw. Entnazifizierungsakten. Sowohl für diese Akten als auch um die Strafprozessakten einsehen zu können, mussten die Todesdaten der Täter nachgewiesen werden, was sich als langwierige Aufgabe erweisen konnte, wenn die Täter nach ihrer Haft umgezogen waren. Nur kurz erwähnt werden soll, dass bei einigen Meldeämtern oder Standesämtern zunächst ein berechtigtes Interesse meinerseits nicht anerkannt und mir die Auskunft verweigert wurde; in einem Fall hatte die Familie eines Täters eine Auskunftssperre verhängt, und erst nach mehrmaligem Intervenieren war es überhaupt möglich, die Sterbedaten zu erhalten. Die recherchierten Spruchkammer- und Entnazifizierungsunterlagen wurden als Indikator dafür herangezogen, was den Tätern sagbar schien, was sie zu vertuschen und zu verschweigen versuchten und wie ihre Selbstexkulpation aussah. Weil den Tätern von den Anklägern und den Kammern meist nichts Konkretes entgegengehalten werden konnte, bot sich den Tätern die Möglichkeit zu manipulieren und zu täuschen. Die Fragebögen, handschriftlichen Lebensläufe, der Schriftverkehr mit der Spruchkammer, die Schreiben der Rechtsanwälte, die eidesstattlichen Erklärungen, die Beschuldigung und die Verhandlungsprotokolle zeugen davon, was möglich war, welche Topoi den verschiedenen Akteuren, die hier aufeinander trafen, gemeinsam waren. Die Prozessunterlagen gaben auch Auskunft über die Arbeitgeber der Täter. Den kargen Lebensläufen und den Ausführungen der Rechtsanwälte und Gerichte war eindeutig zu entnehmen, dass alle Täter in der Bundes-

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republik vor ihrer Verhaftung eine „bürgerliche Existenz“ geführt hatten, doch wie es genau dazu gekommen war, welche Mechanismen und Faktoren ihnen das ermöglicht hatten, das stand bislang nirgends. Personalunterlagen, so das Ziel, sollten hinzugezogen werden, um den Bewerbungsprozess zu analysieren und mehr über die Reaktionen der Arbeitgeber nach der Verhaftung der Betroffenen zu erfahren. Erwartungsgemäß schwierig und aufwendig gestaltete sich die Recherche: Kleine oder mittelständische Betriebe, bei denen die betreffenden Personen Anfang der 1950er Jahre gearbeitet hatten, gab es nicht mehr oder waren von anderen Firmen aufgekauft und übernommen worden. Die Rechtsnachfolger hatten die „alten“ Unterlagen irgendwann vernichtet oder gar nicht übernommen. Zum Teil wurden meine Anfragen erst gar nicht beantwortet oder stießen wegen des Arbeitsthemas – so darf vermutet werden – auf prinzipielle Ablehnung. Im Fall Harder, der bei Krupp in Frankfurt am Main gearbeitet hatte, konnte immerhin beim Firmenarchiv angefragt werden. In den Fällen Heinz Ta. und Werner Schö. stieß ich auf engagiertes Interesse der Nachfolgefirmen, deren Vertreter mir mit persönlichen Recherchen behilflich waren. Überliefert sind die Personalakten von Rudolf Schl. und Richard W., die ich ohne Probleme bei der Firma Daimler-Chrysler einsehen durfte und die sich als sehr wertvoll erwiesen, auch wenn in der Personalakte Rudolf Schl.s im Gegensatz zu der Richard W.s kein interner Schriftverkehr enthalten war. Bei der Firma Zeiss, für die Schmidt-Hammer vor und nach dem Krieg gearbeitet hatte und die sich sehr für ihn eingesetzt hatte, erhielt ich nur schriftliche, partielle Auskünfte über den Inhalt der Personalakte. Dafür enthielt die Strafprozessakte alle relevanten Informationen zur Frage, wie sich der Arbeitgeber nach der Verhaftung Schmidt-Hammers verhalten hatte. Was staatliche Dienststellen angeht, traf ich in zwei Fällen auf Verweigerungshaltung: Beim Polizeipräsidium Gelsenkirchen reagierte man weder auf meine schriftlichen noch auf meine telefonischen Nachfragen nach der Personalakte von Friedrich Me. Weil Gelsenkirchen aber sein letzter Dienstort gewesen ist – er war nach seiner Verhaftung zunächst von Münster nach Bochum und schließlich von dort nach Gelsenkirchen versetzt worden – muss sich seine Personalakte noch dort befinden. Unbeantwortet blieb auch die Anfrage nach Gerhard S.s Personalakte beim niedersächsischen Wirtschaftsministerium. Ausgesprochen hilfsbereit hingegen war man bei der Kriminalpolizei in Düsseldorf bei der Suche nach der Personalakte von Walter He., die sich schließlich im Staatsarchiv Detmold fand. Ebenfalls ohne Probleme konnte ich die Personalakte von Wilhelm E. im Polizeipräsidium Recklinghausen einsehen. Auf meine Anfrage hin machte mir das Ministerium für Inneres und Sport Rheinland-Pfalz die Personalakte von Georg Heuser zugänglich, indem sie sie an das Landeshauptarchiv Koblenz abgab. Dort wollte man mir zunächst den Zugang nur über eine Anonymisierungsverpflichtung genehmigen. Da Heuser aber als Leiter des

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Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz eine Person des öffentlichen Lebens darstellt, durfte die Akte letztlich ohne diese Verpflichtung eingesehen werden. Über Fritz Zi. war – erwartungsgemäß – beim Bundesnachrichtendienst auch nach zweimaliger Anfrage nichts zu erfahren. Ein spezifisches Problem der Prozesse, und damit der Quellenüberlieferung, ist, dass sie sich jeweils auf einen Tatkomplex, das heißt auf eine Dienststelle, eine Einheit, einen Tatort beschränkten, so dass beispielsweise im Verfahren gegen Heuser vor dem Landgericht Koblenz seine Tätigkeit als Führer des Einsatzkommandos 14 in der Slowakei nicht aufgerollt wurde. Fragen blieben auch offen, weil es in den Prozessen nur um die strafrechtlich relevanten biografischen Aspekte ging. So war es im Verfahren gegen Heuser uninteressant, ob er tatsächlich nach seinem Einsatz in Minsk an einer Polizeischule gelehrt hat. Das gleiche galt für den Einsatz Harders bei der Umwandererzentralstelle in Lissa, für Friedrich Me.s Einsatz beim BdS in Straßburg sowie für Rudolf Schl.s Versetzung zum SD-Leitabschnitt Prag. Es war nicht Aufgabe der Studie, die NS-Lebensläufe der ausgesuchten Personen lückenlos zu rekonstruieren. Bei Fritz Zi. beispielsweise blieb vieles unklar. Sein Einsatz in Ungarn bleibt vage; nirgendwo fanden sich Hinweise auf die Zeitungen, die er dort aufgebaut haben wollte; auch seine genaue Tätigkeit bei Transocean bleibt verschwommen. Mit Blick auf diejenigen, die mit der Einsatzgruppe H in der Slowakei eingesetzt gewesen waren, und auf August Hä.s Einsatz in Griechenland wurden im Bundesarchiv die relevanten Akten des Bestandes R 70, Polizeidienststellen in der Slowakei und in Griechenland, durchgesehen. Auch die SS-Personalakten, die vereinzelt bereits in den Prozessakten als Kopien beilagen, wurden dort eingesehen. Als Nebenprodukt ergab sich auf diese Weise ein Großteil von Fritz Zi.s Vorkriegslebenslauf. Bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes wurde ebenfalls eine Recherche nach den ausgesuchten Personen gestartet, die sich auch auf die in DahlwitzHoppegarten gelagerten Dokumentenbestände der ehemaligen DDR erstreckte. Eine Onlinesuche in den freigegebenen CIA/CIC-Beständen der National Archives brachte personenbezogene Akten zu Fritz Zi., Walter He. und Heinrich Win. hervor. Sie wurden als zusätzliche Information, im Fall Fritz Zi. als alleinige Information über seine vermutlichen geheimdienstlichen Tätigkeiten nach 1945, genutzt, im Wissen um die Problematik dieser Akten. Nicht nur, dass alle Namen geschwärzt sind und so weder Adressaten, noch Dienststellen, noch personelle Zusammenhänge erkennbar, in vielen Fällen auch nicht durch den Inhalt rekonstruierbar sind. Sie sind vor allem problematisch, weil sie aus dem Zusammenhang gerissen sind und nicht bekannt ist, zu welchem Zweck die Informationen gesammelt wurden, geschweige denn, wie verlässlich sie sind. Die Arbeit stützt sich damit in der Hauptsache auf bekannte Quellenbestände. Sie nutzt aber Material daraus, das bislang nicht herangezogen wur-

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de und konzentriert sich auf Personen, die bis auf die Ausnahmen August Hä., Heuser und Werner Schö. noch nicht in der Forschung beschrieben wurden. Als neue Quelle wurden für die ausgesuchten Personen Personalakten und personenbezogene Akten aus CIA- und CIC-Beständen hinzugezogen, die Personalakte Heusers wurde erst im Zuge dieser Arbeit zugänglich gemacht, und auch die österreichischen Gerichtsakten Werner Schö.s scheinen seit langem nicht eingesehen worden zu sein.

4. Aufbau der Arbeit Die Recherche zu dieser Arbeit erfolgte personenbezogen, weshalb sich zunächst die Frage stellte, welchen Stellenwert die Biografien der 19 Personen in der Gesamtstruktur der Arbeit einnehmen und wie sie thematisch aufgebrochen werden sollten. Um den Schwerpunkt der Arbeit nicht aus den Augen zu verlieren sowie aus Gründen der Übersichtlichkeit und Lesbarkeit entschied ich mich dafür, eine Überblicksdarstellung über die Gruppe der ausgesuchten Täter an den Anfang der Arbeit zu stellen. Kurzbiografien der exemplarisch ausgesuchten Personen werden jedoch in einem prosopographischen Anhang verfügbar gemacht. Auf diese Weise soll ein grundlegender Überblick über das Personal gegeben werden, auf dem die Studie aufbaut, und gleichzeitig die Möglichkeit geschaffen werden, den biografischen Gesamtkontext der Personen jederzeit nachschlagen zu können. Die weiteren biografischen Hintergründe werden, je nach Quellenlage und Relevanz, im Kontext der thematisch strukturierten Phasen und, wo dies sinnvoll erschien, auch in eigenen Kapiteln als Fallbeispiele behandelt. Die Arbeit folgt der Chronologie der Ereignisse in zwei Großabschnitten, deren ersterer den Weg von Kriegsende bis in die bundesdeutsche Gesellschaft umfasst und der zweite die NS-Prozesse beginnend mit dem Ulmer Einsatzgruppenprozess bis zum zeitlich letzten Urteilsspruch gegen Wilhelm E. 1976. Bewusst wird auf der nächsten Ebene mit Prozessbegriffen gearbeitet und auf eine exakte zeitliche Abgrenzung verzichtet, um den Realitäten der verschiedenen Lebensläufe – letztlich einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen – gerecht zu werden. Die Übergänge von einer Etappe zur nächsten verliefen fließend und dies zu unterschiedlichen Zeiten. Während Fritz Zi. 1949 sein Spruchkammerverfahren durchlief, erhielt Schmidt-Hammer bereits wieder eine Anstellung als Augenoptiker; während Heuser 1957 kommissarisch die Geschäfte des Leiters des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz übernahm, wurde Werner Schmidt-Hammer im Zusammenhang mit der Untersuchung gegen Fischer-Schweder festgenommen. Eine zeitlich fixierte Unterteilung hätte dieses Charakteristikum nicht widerspiegeln können. Der Weg der Täter in die bundesrepublikanische Gesellschaft beginnt bei Kriegsende, das sie zu unterschiedlichen Zeiten erlebten, und wird von

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hier ab nachvollzogen. Den Anfang macht das Kapitel Transition, das die Phase der unmittelbaren Nachkriegszeit erfasst, in der die ausgesuchten Personen entweder in Gefangenschaft kamen oder interniert wurden oder aber versuchten, sich dem durch Flucht und Untertauchen zu entziehen. Darauf folgt, wie ich es genannt habe, die Integrationsphase I, die sich auf die Entnazifizierung bezieht und darauf die Integrationsphase II, die sich auf die Phase des beruflichen Wiedereinstiegs und der damit verbundenen sozialen Reetablierung konzentriert. Strukturell, aber nicht inhaltlich davon abgegrenzt, wird die Phase der einsetzenden NS-Strafprozesse vor bundesdeutschen Gerichten behandelt. Inhaltlich sind die einzelnen Phasen ähnlich strukturiert, indem immer die Täter auf der einen Seite und die relevanten handelnden Akteure aus Gesellschaft und ihren Institutionen auf der anderen Seite betrachtet und zueinander in Bezug gesetzt werden. Gesellschaftliche und politische Hintergründe und Entwicklungen werden jeweils in einem Eingangskapitel skizziert, und jede Phase schließt mit einer kurzen Zusammenfassung.

Die Täter Die Entscheidung, Einsatzgruppentäter in den Mittelpunkt einer biografischen Studie zu stellen, beruht maßgeblich auf einem vorausgegangen intensiven Quellenstudium und dem Vergleich mit anderen Tätergruppen, insbesondere dem Personal der Konzentrations- und Vernichtungslager. Auffallend war, dass im Vergleich mit dieser Tätergruppe die Verbrechen der Einsatzgruppen wesentlich später von der bundesdeutschen Justiz wahrgenommen und systematisch verfolgt wurden, und sie sich offensichtlich schwer damit tat, integrierte und etablierte Bürger als NS-Täter zu begreifen und zu verurteilen. Während der KZ-Täter untrennbar zunächst mit dem Konzentrationslager als Symbol des Terros gegen die Opposition, später mit dem Vernichtungslager als Symbol der Judenvernichtung verbunden war und assoziiert wurde, und leicht(fertig) in die Kategorien Sadist, Judenhasser oder Exzesstäter eingeordenet und somit abseits des Gros der Gesellschaft gestellt werden konnte, gelang dies mit Einsatzgruppentätern in der Regel nicht so einfach. Statistische Daten stützen diese Beobachtung 1 : Im Zeitraum von 1946 bis 1950 gab es 15 Verurteilungen wegen KZVerbrechen gegenüber zwei Verurteilungen in Einsatzgruppenprozessen. Zwischen 1951 und 1960 sind 34 Verurteilungen wegen KZ-Verbrechen und 13 wegen Einsatzgruppenverbrechen zu verzeichnen. Für den Zeitraum von 1961 bis 1965 lassen sich 62 Verurteilungen wegen KZ-Verbrechen und 54 wegen Einsatzgruppenverbrechen feststellen. Die Mehrheit aller Einsatzgruppenverfahren fand damit erst in der ersten Hälfte der 1960er Jahre statt. Insgesamt stehen im Zeitraum von 1946 bis 1965 69 Verurteilungen in Einsatzgruppenprozessen 111 Verurteilungen in KZ-Prozessen gegenüber. Nicht nur quantitativ, auch qualitativ gibt es signifikante Unterschiede zwischen Prozessen gegen Angehörige des KZ-Personals und von Einsatzgruppen, die den besonderen Umgang der Justiz mit Einsatzgruppentätern belegen 2 : KZ-Täter erhielten häufig höhere Strafen als Einsatzgruppentäter und wurden zur Hälfte als Täter und zur Hälfte als Gehilfen verurteilt, während Einsatzgruppentäter fast zu 90% als Gehilfen verurteilt wurden. Darüber hinaus blieben KZ-Täter wesentlich länger in Haft als Einsatzgruppentäter. Für beide Prozesstypen galt: Kam ein soziales bzw. schichtenspezifisches Gefälle zwischen den Juristen auf der einen und den Angeklagten auf der anderen Seite hinzu, wirkte sich das, wie Falko Kruse bereits 1978 herausfand, negativ auf das zu erwartende Urteil aus. 3

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Obwohl mit Martin Weiß 1950 von einem bundesdeutschen Gericht ein erster Einsatzgruppentäter verurteilt worden war, und das zu lebenslanger Haft, spielten die Einsatzgruppenverbrechen bis Ende der 1950er Jahre in der Öffentlichkeit keine Rolle mehr. Diese Diskrepanz zwischen den Verbrechen der Einsatzgruppen auf der einen und dem Umgang mit ihren Tätern auf der anderen Seite ließ diese Tätergruppe besonders interessant erscheinen, an ihrem Beispiel Integrationsprozesse zu untersuchen. Daneben weist ihr Personal eine große Heterogenität an Lebensläufen und Organisationszugehörigeiten auf, die es erlaubte, exemplarisch möglichst unterschiedliche Biografien – vor allem mit Blick auf die Nachkriegszeit – aufzugreifen und zu untersuchen. Bewusst wurden keine Angehörigen der sogenannten Funktionseliten ausgesucht, da hier schichtenspezifische Integrationsmechanismen vermutet wurden, sondern Angehörige einer mittleren Charge, einer 2. oder 3. Garde, deren Weisungs- und Entscheidungskompetenzen nicht zwangsläufig an Dienstgrade gekoppelt waren und die direkt an Massenverbrechen beteiligt gewesen waren. Sie wurden aus dem Personalpool aller Einsatzgruppen unter dem Aspekt der biografischen Heterogenität ausgewählt. Obwohl dahinter der nicht zu leugnende Versuch stand, exemplarische Täterbiografien heranzuziehen, stellt sich gleichwohl die Frage, inwiefern 19 Täterbiografien überhaupt exemplarisch sein können. Festzuhalten ist, dass ein biografischer Ansatz immer das Problem der Verallgemeinerbarkeit in sich trägt und das unabhängig von der Quellendichte. Dennoch können die für diese Arbeit aus vielen ähnlichen Biografien ausgesuchten Einsatzgruppentäter beispielhaft zeigen, wie die Reetablierung dieser Tätergruppe in der bundesdeutsche Gesellschaft funktionierte. Gerade weil Einsatzgruppentäter zumeist problemlos nach 1945 zurück in die Zivilgesellschaft fanden und erst spät juristisch verfolgt wurden, lassen sich an ausgesuchten Beispielen die allgemeingültigen, der Reetablierung zugrunde liegenden Mechanismen und Bedingungen herausarbeiten, die nicht nur für Einsatzgruppentäter, sondern letztlich auch für die anderen Tätergruppen galten. Auch wenn die Täter nicht unter dem Kriterium des gleichen Einsatzkommandos ausgewählt wurden, gibt es doch Querverbindungen zwischen einem Teil der Täter und zwar sowohl während der NS-Zeit als auch danach. Sie hatten entweder der gleichen Dienststelle bzw. Einheit angehört, waren sich während ihrer Ausbildung bei der Kripo bzw. Gestapo oder während ihres Studiums als Anwärter des leitenden Dienstes begegnet. Nach Kriegsende konnten sie sich zusammen in Internierungshaft befinden, bewusst wieder Kontakt miteinander aufnehmen oder ablehnen und sich bei der Reetablierung und dem Wiedereintritt in die zivile Arbeitswelt unterstützen. Schließlich konnten sie gemeinsam mit ihren ehemaligen NS-Kollegen auf der Anklagebank eines bundesdeutschen Gerichts sitzen. Alle diese Berührungspunkte lassen sich zwischen einem Teil der ausgesuchten Täter bzw.

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zwischen ihnen und anderen NS-Kameraden feststellen und werden in der Arbeit thematisiert. Eine besondere Rolle nimmt das Netzwerk zwischen Angehörigen der Dienststelle des KdS/BdS Minsk ein. In Minsk begegneten sich Angehörige zunächst verschiedener Einsatzkommandos, wobei es zum Teil zu engen Arbeits- und Freundschaftsverhältnissen kam, die auch die jeweiligen Partnerinnen einbezogen und über die NS-Zeit hinaus wirksam waren – bis hin zum Prozess gegen Georg Heuser und seine einstigen Kameraden. Dies umso mehr, als die beruflichen Wege der Angehörigen der Einsatzgruppen nicht selten wieder in die Kriminalpolizei der Bundesrepublik führten. Wenngleich die Auswahl nach dem Kriterium der Heterogenität der Lebensläufe geschah, sind, darauf wurde bereits in der Einleitung hingewiesen, Gemeinsamkeiten zwischen den 19 Tätern festzustellen. Mehrheitlich entstammten sie den Jahrgängen 1909–1913 und gehörten damit jener Generation an, der der Nationalsozialismus schnelle Aufstiegs- und Profilierungsmöglichkeiten bot. Ausnahmen sind der 1902 geborene Fritz Zi., der 1904 geborene Wilhelm E. sowie Richard W. (1906), Karl D. und SchmidtHammer (beide 1907). Die älteste der 19 Personen war bei Kriegsbeginn damit 37 Jahre alt, die jüngsten waren 26 Jahre. Die meisten von ihnen, und dazu zählten auch die älteren Jahrgänge, schlossen sich früh dem Nationalsozialismus an; lediglich einer suchte keinen Kontakt zu NSOrganisationen. Erste Berührungspunkte waren das Engagement in der örtlichen HJ, Mitgliedschaft in der NSDAP, der SA, der SS, im SD sowie im Verein Lebensborn. Der 1902 geborene Fritz Zi. engagierte sich bereits Anfang der 1920er Jahre im Grenzschutz Baltikum-Oberschlesien und schloss sich ab 1923 der nationalsozialistischen Bewegung an. Arthur Harder trat 1929 in NSDAP und SA ein; ein Jahr später wechselte er zur SS und war außerdem Mitglied in Himmlers Verein Lebensborn. August Hä. gehörte ebenfalls dem Verein Lebensborn an und war 1932 in NSDAP und SA eingetreten, 1933 gehörte er der Hitlerjugend an, trat der SS bei und schloss sich den Politischen Bereitschaften und der SS-Grenzüberwachung an. Theodor Gr. führte 1933 die SA in seinem Heimatort und baute eine örtliche HJ auf, bevor er sich 1939 zum SD nach Berlin meldete und in die SS eintrat. Die Berufsausbildung bzw. der Schulabschluss der Täter fiel mehrheitlich in den Zeitraum zwischen der zweiten Hälfte der 1920er und der ersten Hälfte der 1930er Jahre. Ausnahmen bilden die älteren Jahrgänge sowie diejenigen Angehörigen der Jahrgänge 1909–1913, die Abitur machten und ein Studium begannen. Der Großteil der hier betrachteten Täter absolvierte eine Ausbildung (u.a. zum Kaufmann, Gewerbelehrer, Automechaniker, Optiker, Journalist und Küfer); von den Jüngeren stieg nur Gerhard S. direkt in den Polizeidienst ein. Fünf hatten zunächst ein Studium begonnen (Walter He.: Jura; Friedrich Me.: Theologie; Heinrich Noa: Medizin; Heinrich Win.: Jura; Fritz Zi.: Jura und Volkswirtschaftslehre), es

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jedoch vorzeitig abgebrochen. Nur drei erlangten tatsächlich einen Universitätsabschluss: Heuser kam mit einem ersten juristischen Staatsexamen zur Kriminalpolizei, Werner Schö. hatte ein Volkswirtschaftsstudium abgeschlossen, bevor er zur Gestapo ging, und Rudolf Schl. ging als Gewerbelehrer zum SD. Ihre Biografien zeigen unterschiedliche Bildungshintergründe; sie alle verbindet aber wiederum, dass sie es bis spätestens 1939 geschafft hatten, im Dienst des NS-Staates zu stehen, genauer gesagt im Dienste von SD, Gestapo und Kriminalpolizei. Zwei Personen begannen ihren Polizeidienst noch in der Weimarer Republik: Karl D. trat 1926 in den Dienst der Schutzpolizei ein und gehörte 1936 der Politischen Polizei an, bevor er 1938 auf eigenen Wunsch hin zur Gestapo kam. Auch Wilhelm E. begann seinen Polizeidienst nach einer Ausbildung zum Mechaniker bereits 1925 bei der Anhaltinischen Schutzpolizei und gehörte 1936 der Politischen Polizei an, bevor er zur Kriminalpolizei wechselte. Über hauptamtliche Tätigkeiten für den SD gelangten Rudolf Schl. sowie Fritz Zi. zu einem Einsatzkommando. Wer in den Status eines Anwärters des leitenden Dienstes bei der Sicherheitspolizei gehoben wurde, dem bot sich die Möglichkeit eines Jurastudiums bzw., ein zuvor abgebrochenes Studium doch noch nachzuholen. Gerhard S., der sich bei der Gestapo beworben hatte und auch genommen worden war, konnte so ein juristisches Studium absolvieren, genauso wie beispielsweise Werner Schö., der bereits VWL studiert hatte, Heinrich Win., der Anfang der 1930er Jahre ein Jurastudium abgebrochen hatte und ebenso Friedrich Me., der vor seinem Einstieg bei der Kriminalpolizei ein Theologiestudium abgebrochen hatte. Der Sozialisierung in den Reihen der Polizei folgte jene in den Einsatzgruppen. Einige der ausgesuchten Täter gehörten bereits den ersten Einsatzgruppen an, die im Sudetenland oder in Polen zum Einsatz kamen. Zu ihnen gehören Arthur Harder, Heinrich Noa, Theodor Gr., Richard W. und Rudolf Th. Keine Exekutiverfahrungen vor dem Angriff auf die Sowjetunion hatten Werner Schmidt-Hammer und Fritz Zi. Während Werner Schmidt-Hammer auch sonst keine nennenswerte NS-Sozialisation vorzuweisen hatte und als Optiker 1939 zur Polizei einberufen wurde, war Fritz Zi. zuvor als „Reichsredner“ tätig gewesen und hatte als Journalist dem SD zugearbeitet. Sie verbindet, dass sie fast alle in den jeweiligen Einsatzkommandos Teilkommandos führten, Dienstabteilungen oder aber Exekutionskommandos leiteten, Georg Heuser gar die Abteilung Gestapo beim KdS/BdS Minsk. Ihre Tätigkeit bei den Einsatzkommandos (bzw. dem Sonderkommando 1005) ist jedoch nur ein Teilausschnitt ihrer NS-Lebensläufe, auch wenn sie sich primär deswegen später vor Gericht verantworten mussten. Wegen ihrer Tätigkeiten, die zeitlich vor ihren Einsätzen bei Einsatz- und Sonderkommandos lagen, haben sie nie vor Gericht gestanden und entsprechend wenig ist darüber bekannt. Was genau beispielsweise hatte Heinz Ta.

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beim Devisenfahndungsamt Feldkirch gemacht, was Harder bei der Umwandererzentralstelle in Lissa? Es war nicht Zielstellung der Arbeit, die NS-Lebensläufe zu vervollständigen, und obwohl dennoch versucht wurde, sie nach Möglichkeit zu ergänzen, bleiben Fragen offen. Das gilt nicht nur für die Zeit vor ihren Einsätzen im Osten, sondern auch für die Zeit danach. Nachdem sie aus den Einsatzgruppen abgezogen worden waren, konnten sie ihre „Erfahrungen“ an anderer Stelle wieder einsetzen: So beispielsweise August Hä. bei der Stapo-Stelle Innsbruck und wahrscheinlich dem Grenzkommissariat Bregenz, bei einer weiteren Einsatzgruppentätigkeit, beim BdS Griechenland und KdS Wien. In der Slowakei leitete Heuser das Einsatzkommando 14, Werner Schö. den Stützpunkt Sillein (Zilina) des Einsatzkommandos 13, Fritz Zi. tauchte beim z.b.V. Kommando 15 auf und Rudolf Th. und Heinz Ta. gehörten dem ebenfalls in der Slowakei operierenden z.b.V. Kommando 27 an. Ihnen oblagen Entscheidungen über Leben und Tod jener Menschen, die in der nationalsozialistischen Ideologie zu Staats- und „Volksfeinden“ geworden waren. Sie funktionierten pflichtbewusst und überzeugt innerhalb des Systems, das ihnen schnelle Aufstiegs- und seine ganz eigenen Profilierungschancen geboten hatte. Als das System aufhörte zu existieren, passten sie sich in der Mehrheit dem neuen System an, suchten dort entweder einfach nur ein Auskommen oder aber wieder berufliches Fortkommen und damit verbundene Vorteile. Ein Blick auf ihre biografischen Kontinuitäten in der bundesdeutschen Kriminalpolizei zeigt, dass ihre vorherigen Erfahrungen kein Hindernis sein mussten, um im neuen System erneut eine Karriere im Polizeidienst machen zu können. Georg Heuser brachte es sogar bis zum Leiter des Landeskriminalamtes in Rheinland-Pfalz. Die „Erfahrungen“ dieser Bewerber wurden geschätzt in einer Behörde, die massiv daran arbeitete, der Öffentlichkeit eine weiße Weste zu präsentieren und sich gleichzeitig immer noch auf Lehrmeinungen der 1920er und 1930er Jahre berief. Welchen beruflichen Weg sie in dem neuen Staat einschlugen, hing von dem Grad ihrer „formalen“ NS-Belastung, von vorhandenen Kontakten, aber auch von ihrem ganz individuellen Charakter ab. Während sich Rudolf Th. bewusst beruflich nicht exponieren wollte und sich für ein zurückgezogenes Leben in der schwäbischen Provinz als Mitarbeiter einer Obstverarbeitungsfabrik entschied, suchte Heuser mit vielen Täuschungsmanövern wieder eine Karriere bei der Kriminalpolizei. Beim Betrachten ihrer Nachkriegslebensläufe reduziert sich die Wahl, vor der sie standen, auf zwei Wege: Den Weg in die Privatwirtschaft und den Weg zurück in den Staatsdienst. Nur wenige Lebenswege dieser Personengruppe und während der anfänglichen Recherche parallel gelesenen Lebensläufe führten in eine Tätigkeit im sozialen oder kirchlichen Bereich. Meist bauten die Täter auf vor der NS-Zeit erlern-

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ten Berufen auf oder bemühten sich darum, wieder bei Polizei oder Kripo einsteigen zu können. Probleme, sich an den neuen Staat anzupassen, hatte die Mehrheit von ihnen nicht. Lediglich August Hä. verteidigte offen und unverhohlen das System und seine Kameraden und Vorgesetzten von einst. Die anderen arbeiteten aktiv an ihrer sozialen und beruflichen Etablierung und überlagerten die Vergangenheit mit sie selbst entschuldenden Lebensläufen und Deutungen. Als 1958 eine systematische Verfolgung nicht zuletzt der Einsatzgruppenverbrechen einsetzte, mussten sie sich der Vergangenheit, die sie hinter sich gelassen glaubten, wieder stellen. Sie taten es mehrheitlich, indem sie auf ihre bereits während der Spruchkammerverfahren eingeübten Selbstentschuldungen zurückgriffen. Dass auch Gesellschaft und Justiz im Umgang, besonders aber in der Deutung der NS-Verbrechen und der Verurteilung der ganz konkreten Täter aus ihrer bürgerlichen Mitte nicht selten noch in alten Denkmustern verhaftet waren, kam ihnen in dieser Situation zunächst durchaus entgegen.

Rückkehr in die westdeutsche Gesellschaft nach Kriegsende 1. Transition „Das Unaussprechliche, das in Russland, das mit den Polen und Juden geschehen ist und geschieht, wisst ihr, wollt es aber lieber nicht wissen, aus berechtigtem Grauen vor dem ebenfalls unaussprechlichen, dem ins Riesenhaften herangewachsenen Hass, der eines Tages, wenn eure Volks- und Maschinenkraft erlahmt, über euren Köpfen zusammenschlagen muss. Ja, Grauen vor diesem Tage ist am Platz.“ 1 Mit diesen Worten hatte sich Thomas Mann 1941 an die deutschen Hörer der BBC gewandt. Spätestens als der Angriffskrieg gegen die Sowjetunion nur noch aus Rückzug bestand, wurde für jeden Einzelnen der in dieser Arbeit betrachteten Männer diese Angst vor der Rache der ehemaligen Feinde greifbar. Ausnahmslos waren sie in Einsatzgruppen direkt an der Ermordung von Juden jeden Alters und Geschlechts, von „Partisanen“, „Kriminellen“ und Kranken beteiligt gewesen. Was sich nun in ihnen regte, war wohl weniger ein erwachendes Schuldbewusstsein, als vielmehr die gefürchtete Rache der Sieger, vor allem die der Sowjetunion 2 : Auf ihrem Gebiet waren die genannten Verbrechen meist begangen worden und – ungeachtet der eigenen Taten – wurde mit ihr die Vorstellung des barbarischen „Sowjetmenschen“ assoziiert. Die Flucht traten daher alle in Richtung Westen an – in sowjetische Kriegsgefangenschaft wollte keiner von ihnen geraten. Aber auch angesichts einer Gefangennahme durch Amerikaner oder Briten war ihnen bewusst, dass sie, ihre Stellung und ihre Tätigkeiten nun mit anderen Maßstäben gemessen würden. Und ihnen war auch bewusst, dass sie als Angehörige von Gestapo, SS oder SD anders betrachtet und behandelt werden würden als Wehrmachtsangehörige. Wer in Gefangenschaft kam, sah persönlich einer ungewissen Zukunft entgegen, büßte Handlungsfreiheit ein, und die Regelung eines Nachkriegslebens war auf unbestimmte Zeit verschoben. Wer die Möglichkeit hatte, versuchte darum, sich einer Gefangennahme zu entziehen. Wie sich die ausgewählten Personen angesichts des Kriegsendes verhielten und welche Konsequenzen sich für sie daraus ergaben, das soll im Folgenden erörtert werden. Die Phase der Transition wird verstanden als der Übergang vom Krieg zum Frieden, als Phase zwischen Kriegsende und dem Beginn der Entnazifizierungsverfahren. Für die NS-Täter fanden hier erste Weichenstellungen statt, die Freiheit oder Gefangenschaft bedeuten konnten. Die Frage ist, wie sich diejenigen, die bei Kriegsende noch Handlungs-

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freiheit besaßen, diese nutzten. Bislang standen vor allem die Fluchten und Abtauch-Versuche prominenter Beispiele aus der Ebene der NS-Eliten im Mittelpunkt, wie beispielsweise die „Rattenlinie“, die nach Südamerika führte. Eng damit verbunden war die Frage nach Netzwerken innerhalb der Eliten, nach Hilfsorganisationen, die ihnen behilflich waren. So spektakulär diese Fälle ohne Zweifel sind, so stehen sie nicht alleine da. Auch in den Ebenen darunter gab es Versuche, einer Gefangennahme zu entgehen. Genau die sollen hier, soweit es die Quellenlage erlaubt, thematisiert werden – die Initiativen der Einzelnen, die Maßnahmen, die sie ergriffen, die Wege, die sie wählten, aber auch die Unterstützung, die sie dabei aus der Gesellschaft heraus erfuhren. Welche Motivation gab es für diese Unterstützung? Wie ist sie einzuordnen im Hinblick auf Einstellungen zu NS-Tätern? Wie gestaltete sich die Situation für diejenigen, die sich in Internierungshaft oder Kriegsgefangenschaft befanden? Welche Situation brachte welche Vor- und Nachteile mit sich?

1.1. Verhaltensmuster der Täter bei Kriegsende Für die Mehrheit der hier betrachteten Angehörigen von NS-Organisationen endete ihre NS-Karriere in der letzten Kriegsphase mit Kriegsgefangenschaft und anschließender amerikanischer oder britischer Internierungshaft. Wie lange diese Etappe für sie sein würde, wussten sie damals nicht. Aus heutiger Perspektive und mit Blick auf ihre Lebensläufe steht fest, dass diese Phase relativ kurz war, verglichen mit einer russischen Kriegsgefangenschaft. Auch wenn die Betroffenen das damals selbst noch nicht absehen konnten, sie war mittel- und langfristig keine Hürde, die den Weg zurück in ein ziviles Leben erschwert oder gar verhindert hätte – vorausgesetzt, sie wussten ihre Vergangenheit möglichst unverfänglich zu präsentieren. Von den 19 in dieser Arbeit betrachteten Personen wurden 11 gefangen genommen und zwar alle im Frühjahr 1945 kurz vor oder nach Kriegsende. Wer wie Fritz Zi. die Möglichkeit hatte, seine Einsätze während des Krieges zu verschleiern, der tat das. Als absehbar war, dass er in britische Gefangenschaft kommen würde, will er gemeinsam mit einem Kameraden noch Soldbücher und Wehrpässe gefälscht haben. So ging er nicht als Angehöriger des Sk 1005 und der Einsatzgruppe H, sondern als Angehöriger der SS-Führerreserve der SS-Panzerdivision Wiking – seine letzte Einheit – in Gefangenschaft. 3 Als einzige unter ihnen kamen Rudolf Th. in russische und Werner Schmidt-Hammer in jugoslawische Kriegsgefangenschaft. Alle anderen befanden sich in von Briten oder Amerikanern geführten Spezial- oder Internierungslagern in Deutschland, Italien und in Großbritannien. Die Mehrheit, nämlich sechs von ihnen, wurde in den Jahren 1947/48 wieder freigelassen. Heinrich Win. und Wilhelm E. kamen nach eigenen Angaben

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bereits 1945 wieder frei und einem, Theodor Gr., gelang in der Nacht vom 7. auf den 8. April 1947 die Flucht aus dem Internierungslager Darmstadt. Während Rudolf Th. ebenfalls 1945 aus russischer Gefangenschaft zurückgekommen sein will, endete für Schmidt-Hammer die Zeit in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft erst 1949. Das Gros befand sich also zwei bis drei Jahre in Internierungshaft. Von denen, die einer Gefangennahme hatten entgehen können, unterschied sich ihre Situation nicht nur darin, dass sie sich nicht in Freiheit befanden und damit auch nur eingeschränkt handlungsfähig waren, sondern vor allem durch die Tatsache, dass diejenigen in Internierungslagern der amerikanischen und britischen Zone keine Möglichkeit hatten, einem Spruchkammerverfahren bzw. einem Spruchgerichtsverfahren auszuweichen, wenn man einmal von einer Flucht wie der Theodor Gr.s absieht. Das galt natürlich auch für diejenigen, die wie Gerhard S., Heinz Ta. und Rath erst später in ein Internierungslager kamen. Als Gestapo-, SD- und SS-Angehörige zählten sie zur Personengruppe, die auf Grund des „automatical arrest“ in Internierungshaft zu nehmen waren, weil die Amerikaner in ihnen eine Gefahr für ihre Truppen und ihre Arbeit sahen. 4 Die Phase der Kriegsgefangenschaft und vor allem die der Internierungshaft war die einzige Zeitspanne, in der die Betroffenen, stigmatisiert durch die Bestimmungen des „automatical arrest“, faktisch vom Rest der Gesellschaft ausgegrenzt waren. Den ihnen verbliebenen Handlungsspielraum nutzten sie intensiv, um sich und ihre Vergangenheit in das ihrer Meinung nach rechte Licht zu rücken und somit die Phase der Ausgrenzung zu beenden. Kontakte sicherten ihnen eidesstattliche Erklärungen von Mitgefangenen, die allesamt selbst an ihrer eigenen Darstellung der Vergangenheit interessiert waren. Diese Haltung galt zum einen im Hinblick auf die drohenden Spruchkammerverfahren, als auch für die Verhöre und Befragungen durch Briten und Amerikaner. Harder, Fritz Zi. und Walter He. als ehemalige Angehörige des Sk 1005 und der Einsatzgruppe z.b.V. Iltis waren gemeinsam in einem britischen Speziallager in Tarent interniert. Dass sie sich nicht über ihre jüngste Vergangenheit unterhalten haben wollen, wie sie später angaben, darf durchaus bezweifelt werden. Letztlich war die Internierungshaft für die Betroffenen die einzige Phase der temporären Ausgrenzung, während der sie in Vorbereitung auf ihre Spruchkammerverfahren aktiv an der Aufhebung dieser Desintegration arbeiteten. Weil eine Gefangenschaft aber Handlungsunfreiheit, Ungewissheit, Trennung von der Familie bedeutete, ergriffen acht der 19 Personen bei Kriegsende die Möglichkeit zum Untertauchen. Sie entfernten sich von der Truppe, bei der sie zuletzt eingesetzt waren, entledigten sich ihrer Uniformen und versuchten, in Zivilkleidern einer Gefangennahme zu entgegen. Dokumente, die Auskunft über ihre Kriegstätigkeiten geben konnten, vernichteten sie und ersetzten sie durch gefälschte Papiere. Das geschah vor

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allem in den Reihen hoher Kader zum Teil sehr systematisch. 5 Wer sich noch nicht in dem von den Westalliierten eroberten Teil Deutschlands befand, versuchte, sich dorthin durchzuschlagen. Wer sich bereits dort befand, den trieb es fast automatisch in seine Heimatregion und/oder in die Nähe der Familie, was auch ein völlig fremder Ort sein konnte, wenn die Familie geflüchtet war oder der Heimatort in den sowjetisch besetzten Gebieten lag. Karl D., der von 1942 bis 1944 der Dienststelle des KdS/BdS in Minsk angehört hatte, gelang es bei Kriegsende, sich in Zivilkleidern unbehelligt von Prag in seine norddeutsche Heimat nach Bremen abzusetzen. Ob er dabei von gefälschten Papieren Gebrauch machte, ist nicht bekannt. Heinz Ta. befand sich Anfang März in einem Lazarett in Dessau, als er den Entschluss zur persönlichen Kapitulation fasste. In der Nacht des 7. März flog die britische Luftwaffe einen Angriff auf Dessau. Ihr Mann hätte die Aussichtslosigkeit der Lage erkannt, gab später seine Frau an, die bis dahin als Schreibkraft für die Gestapo in Dessau gearbeitet hatte. Gemeinsam verließen sie daraufhin die Stadt und machten sich auf den Weg nach Hersfeld in Hessen, wo seine Großeltern gelebt hatten. Am 12. Juni 1945 meldeten sie sich ordentlich an. Bis dahin hatte Heinz Ta. Gefangenschaft und Internierung umgehen können; welcher Methoden er sich dabei bediente, ist den Quellen leider nicht zu entnehmen. Doch der Erfolg war nur vorläufig. Im Dezember 1945 wurden er und seine Frau an ihrem neuen Wohnsitz von den Amerikanern verhaftet und in das Internierungslager Darmstadt gebracht: Heinz Ta., weil gegen ihn Vorwürfe wegen seiner Zeit bei der Gestapo Nauheim erhoben wurden, seine Frau wegen ihrer Beschäftigung bei der Gestapo Dessau. Während sie in das Internierungslager Ludwigsburg verlegt und im September 1946 wieder freigelassen wurde, blieb er bis September 1948 im Internierungslager Darmstadt. Weil sein Heimatort Dresden in sowjetisch besetztem Gebiet lag, war für Rudolf Schl. eine Rückkehr dorthin ausgeschlossen. Nach seinem Einsatz beim KdS in Minsk war er 1943 zunächst nach Prag und dann zu einem Kommando in Tirol versetzt worden. In Prag hatte er seine dort beschäftigte zweite Ehefrau kennengelernt. Bei Kriegsende setzte er sich in Zivilkleidern ab und gelangte unbehelligt bis in die Nähe von München, wo er sich mit seiner Ehefrau traf. In der Gemeinde Neumarkt-Sankt Veit fand er gemeinsam mit seiner Frau bis 1949 Unterkunft und Arbeit – zunächst in der Landwirtschaft, dann in einer örtlichen Ziegelei. 6 Ob er dort Verwandte oder Bekannte und damit einen konkrete Anlaufstelle hatte, ist nicht bekannt. Ein Blick auf seinen späteren Lebenslauf bestätigt, dass seine Taktik aufging. Rudolf Schl. entging tatsächlich einer Gefangennahme und damit einer sicheren Internierungshaft. Bedingung dafür war, dass es ihm später auch gelang, sich mit unwahren Angaben zu seinem Lebenslauf durch die weiten Maschen des Entnazifizierungsnetzes zu winden.

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Auch Rudolf Schl.s ehemaliger Minsker Kamerad Georg Heuser verstand es, durch geschicktes Verhalten bei Kriegsende die Weichen für das Leben danach zu stellen. Der ehemalige Gestapoleiter in Minsk flüchtete bei Kriegsende in Zivilkleidern mit Auto und Fahrer von seinem letzten Einsatzort Krems an der Donau bis nach Bayern. Erst dort wurde ihr Wagen von den Amerikanern beschlagnahmt. Heuser und sein Fahrer blieben unbehelligt, was vermuten lässt, dass beide im Besitz unverfänglicher Papiere gewesen sein müssen. Trotz seiner exponierten Stellung während des Krieges nahm Heuser keine andere Identität an. Heuser, dem es nicht an Selbstvertrauen mangelte, scheint sich in gewisser Weise sicher gefühlt zu haben. Dennoch ging er nicht zurück in seine Heimatstadt Berlin, in der seine Eltern wohnten, sondern begab sich zu seiner Schwester nach Goslar. Am 18. August 1945 meldete er dort seinen Wohnsitz an und trug als letzten Wohnort Waltershausen bei Königshofen in das Formular ein. Kurz darauf folgte ihm seine Verlobte nach Goslar, und auch sie gab an, zuletzt in Waltershausen gelebt zu haben. 7 Seine zukünftige Ehefrau hatte er in Minsk kennen gelernt, wo sie als Reichsbahnbedienstete gearbeitet hatte. 8 In Goslar waren sie beide nicht bekannt. Heusers Plan, unbehelligt ein Nachkriegsleben aufzubauen, ging ebenso auf wie der von Rudolf Schl. Während Letzterer allerdings bis 1949 möglichst unscheinbar in seinem neuen Wohnort Neumark-Sankt Veit lebte und sich zunächst mit Hilfsarbeiten ernährte, ging Heuser in der direkten Nachkriegszeit dubiosen Geschäften nach. Um Gesetze und Ehrlichkeit kümmerte er sich bei seinen Nachkriegsaktivitäten wenig, wenn es um seinen persönlichen Vorteil und um Weichenstellungen für seine Zukunft ging. Unter falschem Namen fuhr er nach Berlin und brachte von diesen Fahrten Waren mit, führte weiterhin einen falschen Doktortitel und gab sich offiziell als Rechtsanwalt aus, obwohl er sich nie als solcher betätigte. Er nahm Kontakt mit ehemaligen Angehörigen des KdS in Minsk auf – Rudolf Schl. besuchte er kurz nach Kriegsende sogar in Neumarkt-St. Veit – und führte ein Leben, das alles andere als leise und zurückgezogen war. Ganz im Gegenteil, er agierte offensiv. Zwar traf er Vorsichtsmaßnahmen, gab später auf Briefen, die er verschickte, nie seine Adresse, sondern immer nur „postlagernd Mannheim“ an. Bei seinen Fahrten nach Berlin trat er zeitweilig unter falschem Namen auf. Aber die Kontaktaufnahmen mit ehemaligen Kameraden, die Beibehaltung seines alten Namens, die ordentliche polizeiliche Anmeldung an seinem neuen Wohnort Goslar unter seinem richtigen Namen, seine undurchsichtigen Geschäfte, die die Mitbewohner in seinem Wohnhaus durchaus wahrnahmen – das alles waren Risiken. Für ihn, den ehemaligen SS-Führer, scheinen es kalkulierbare Risiken gewesen zu sein. Friedrich Me., ehemaliger Teilkommandoführer beim Sk 7a, war ebenfalls mit seinem Versuch, einer Gefangennahme zu entgehen, erfolgreich. Kurz vor Kriegsende befand er sich in Prag, wo er an der Reichsschule der

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Sipo und des SD Anwärter des leitenden Dienstes betreute. Wie Rudolf Schl. hatte auch er seine Frau in Prag kennen gelernt und 1943 geheiratet. 9 Mit einer Gruppe von Schülern setzte er sich bei Kriegsende von Prag nach Österreich ab. In Zivil gelangte Friedrich Me. in den von den Westalliierten besetzten Teil Deutschlands, ging allerdings nicht in seine Heimatstadt Dortmund, sondern begab sich zu Verwandten in Freudenberg bei Siegen, die ihn bei sich aufnahmen. In einer Siegener Fabrik fand er Arbeit als Holzschnitzer. 10 Erst Mitte 1948 zog er wieder in seine Heimatstadt Dortmund. Ob seine Frau ebenfalls mit ihm in Freudenberg lebte, ist nicht bekannt. In Dortmund erhielt Friedrich Me. ohne Probleme eine Anstellung bei der britischen Besatzungsmacht, erst als Angestellter in der Fahrbereitschaft einer britischen Einheit und anschließend beim Civil Labour Office des 10. Anti-Tank-Regiments der britischen Rheinarmee. Parallel dazu war er beim YMCA als Deutschlehrer tätig. Spätestens zu diesem Zeitpunkt fühlte auch er sich wieder sicher, und ähnlich wie Heuser kam auch ihm sein ausgeprägtes Selbstbewusstsein zugute. Bis auf Heinz Ta. war es den Genannten jeweils auf ihre eigene Weise gelungen, einer Festnahme und einer Internierungshaft zu entgehen. Ihr Erfolg hing von ihrem eigenen „Geschick“, aber auch von der Unterstützung anderer ab, sei es die der Familie, wie bei Friedrich Me. und Heuser, oder die eines desinteressierten Umfeldes wie bei Karl D. und Rudolf Schl. Sie befanden sich die nächsten Jahre in einer Art Wartestellung, sicherten sich mit Aushilfsarbeiten ihre Existenz und tricksten sich um Entnazifizierungsverfahren herum oder lavierten sich durch diese Verfahren. Sie warteten darauf, beruflich wieder ein- und aufzusteigen. Physische Freiheit und Handlungsfreiheit waren dabei ihre Vorteile gegenüber denen, die interniert waren. Das war aber auch schon der entscheidende und vielleicht auch einzige Vorteil. Denn was den Wiedereinstieg in ein geregeltes Berufsleben betraf, verfügten sie über keine wesentlich bessere Startposition als jene, die in Internierungshaft waren. Oder umgekehrt formuliert: Internierungshaft und Spruchkammerverfahren verhinderten oder erschwerten die Rückkehr in einen zivilen Beruf nicht, wie im weiteren Verlauf der Arbeit noch gezeigt wird. Noch einen Schritt weiter als Karl D., Heinz Ta., Rudolf Schl., Heuser und Friedrich Me. gingen Rath, Gerhard S. und Werner Schö. Aus Furcht vor Konsequenzen nahmen sie gleich eine falsche Identität an. 11 Rath erklärte diesen Schritt später so: „Nach dem Zusammenbruch im Jahre 1945 habe ich mir, weil ich zur Geheimen Staatspolizei gehörte, einen anderen Namen zugelegt und zwar nannte ich mich Arnold Rabe.“ 12 Das Kriegsende erlebte er in Bad Eilsen, wo er seit 1944 bei der Gestapo war, und damit in direkter Nähe zu seiner Familie in Bückeburg. In diesen zwischen Bielefeld und Hannover gelegenen Ort war er als Zehnjähriger mit seinen Eltern gezogen; hier hatte er eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann gemacht, ein

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Geschäft für NSDAP-Artikel geführt und später die Stapo-Außenstelle geleitet. Er kannte die Gegend und die Menschen, und die Menschen kannten ihn, was gleichzeitig Vorteil und Nachteil war: Vorteil, weil er beim Untertauchen auf bestehende soziale Netzwerke zurückgreifen und auf Unterstützung hoffen konnte, Nachteil, weil ihm genau das gefährlich werden konnte. Denn Rath war bekannt, und wer Rath alias Rabe hätte anzeigen wollen, hätte dies problemlos tun können. Er verließ daher Bad Eilsen und Bückeburg und tauchte in der nicht sehr weit von seinem Heimatort entfernten kleinen Ortschaft Pohle bei Langenau unter, wo er sich seinen Lebensunterhalt als Hilfsarbeiter verdiente. Dass er dort bei Verwandten oder Bekannten Zuflucht fand, ist aufgrund der Heimatnähe sehr wahrscheinlich, aber nicht belegt. Drei Jahre hielt Rath sein Leben als Untergetauchter aus, bevor er sich schließlich im August 1948 unter seinem richtigen Namen bei der britischen Besatzung in Bielefeld meldete. Ob, und wenn ja, wie oft und unter welchen Umständen er in dieser Zeit seine Familie traf, geht aus den Quellen nicht hervor. Hier zeigt sich der Unterschied zu denjenigen, denen ebenfalls die Flucht vor dem Feind in Zivilkleidern gelungen war, die aber ihre Identität beibehalten hatten. Ein Leben unter falschem Namen bedeutete ungeachtet der Normalität, um die sich die Betroffenen nach außen hin bemühten, ein Leben im Ausnahmezustand. Der Kontakt zur Familie musste, wenn nicht ganz abgebrochen, so doch verborgen stattfinden; ein neuer Aufenthaltsort und eine möglichst unauffällige Beschäftigung mussten gefunden werden, und über allem schwebte die Gefahr, entdeckt oder angezeigt zu werden. Rath setzte diesem Zustand bewusst ein Ende. Als er im August 1948 entschied, sich den britischen Behörden zu melden, lag das Kriegsende drei Jahre zurück. Der Unsicherheit über das, was kommen sollte, stand nun mit der Währungsreform vom 20. Juni 1948 eine ganz konkrete Zukunftsperspektive gegenüber. 13 Vielleicht war dies das ausschlaggebende Ereignis, um sein Leben als Arnold Rabe aufzugeben und sein altes Leben neu aufzubauen. Es ist anzunehmen, dass er nur noch mit einer geringen Strafe rechnete. Nachdem er sich unter seinem richtigen Namen gemeldet hatte, ging er zurück zu seiner Familie nach Bückeburg, wo er einen Monat darauf verhaftet und ins Internierungslager Fallingbostel gebracht wurde. Nach einem Monat Internierungshaft kam er wieder frei und überstand mit Hilfe eines erlogenen Lebenslaufes und Dank der sogenannten Weihnachtsamnestie 1949 unbeschadet sein Spruchkammerverfahren. Gerhard S., ehemaliger Teilkommandoführer des Ek 9, legte sich ebenfalls eine Zusatzversicherung in Form eines falschen Namens zu: „Da mir durch meine militärischen Aufgaben […] bekannt war, welche Behandlung ein in SS-Uniform Angetroffener bei seiner Gefangennahme durch die Russen zu erwarten hatte, und die Engländer u.a. in ihrer Presse verkündeten, dass Angehörige der SS für ihr restliches Leben auf eine einsame Insel

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verbannt werden sollten, zog ich es einem Selbsterhaltungstrieb folgend vor, in Zivil und unter einem anderen Namen vorübergehend unterzutauchen.“ 14 Wo er sich bei Kriegsende genau aufhielt, ist unklar; er will aber in Zivilkleidern nach Lübeck gekommen sein. Statt Gerhard S. nannte er sich nun Waldeck und fand südlich von Hamburg im Kreis Harburg für ein Jahr bei einem Bauern Zuflucht, der ihn bereitwillig aufgenommen und ihm Arbeit auf seinem Hof angeboten hatte. Anschließend arbeitete Gerhard S. alias Waldeck illegal in einer Gärtnerei im nahe gelegenen Gebiet Vierlande. Es gelang ihm währenddessen, Kontakt zu seiner Frau und seinen beiden Kindern aufzunehmen, die Anfang 1945 als Flüchtlinge in die zwischen Oldenburg und Bremen gelegene kleine Gemeinde Schwanenwede im Landkreis Osterholz gekommen waren. Weil ihn im Ort niemand als Ehemann von Frau S. kannte, suchte er seine Frau in Schwanenwede unter dem Vorwand auf, sie vom Tod ihres Mannes unterrichten zu wollen. 15 Sein Versteckspiel endete bereits im November 1946, als ihn die britische Militärpolizei nach einem Hinweis verhaftete. 16 Was als Befreiung gedacht war, konnte zur psychischen Belastungsprobe ausarten. Denn die, die sich selbst eine neue Identität als Allheilmittel zum unbeschadeten Überstehen der Nachkriegszeit verordnet hatten, verboten sich damit selbst, bei und mit ihren Familien zu leben. 17 Sie mussten vorsichtiger sein als jene, die auf ihrer Flucht nur Kleider und Papiere und nicht auch ihren Namen gewechselt hatten. Sie mussten sich mehr auf sich, aber auch weit mehr auf die Unterstützung und Verschwiegenheit anderer verlassen: Gerhard S. auf den Landwirt, der ihm Arbeit und Unterkunft bot, Rath als Raabe auf die Solidarität derer, die ihn in seiner Heimat als Rath kannten. Den Vorteil der Freiheit und der Handlungsmöglichkeiten teilten sie mit denen, die sich ebenfalls einer Internierung entzogen, aber ihren Namen behalten hatten – solange jedenfalls, wie sie den Preis für diese Freiheit bezahlen konnten und wollten oder bis sie einen Fehler machten oder ihr Umfeld sie verriet.

1.2. Unterstützung aus der Gesellschaft Integrationshilfen, das wird in den folgenden Kapiteln der Arbeit noch weiter zu zeigen sein, erhielten die Täter an allen Etappenpunkten ihrer Nachkriegslebensläufe. Während Solidaritätsbekundungen und Unterstützung während der Strafprozesse offensichtlich geschahen und die Unterstützer zum Teil in ihren Eingaben und Briefen sehr genau die Gründe ihres Handelns formulierten, sind die genauen Formen der Unterstützung, die den Betroffenen bei Kriegsende und in der direkten Nachkriegszeit zuteil wurden, in den wenigsten Fällen in ihren Details den Quellen zu entnehmen. Zu diesem Zeitpunkt wirkte die Unterstützung spontan, reflexartig und situationsgebunden, weniger als reflektierte und argumentativ untermauerte

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Handlung, wie dies bereits wenig später in den eidesstattlichen Erklärungen der Spruchkammerprozesse, der Entnazifizierungsverfahren und in der Phase des beruflichen Wiedereinstiegs der Fall war. In dieser Phase hatte sie einen fast selbstverständlichen Charakter: Die Familie war für Heuser und Friedrich Me. die erste Anlaufstelle. In diesem Kreis war es kein Geheimnis, dass sie auf ihre eigene Weise einer Gefangennahme entgangen waren. Solange es innerhalb dieses Personenkreises keine Risse gab, hatten die Betroffenen von dieser Seite keine Gefahr zu erwarten, im Gegenteil. Heusers damalige Verlobte war selbst in Minsk gewesen, hatte Heuser dort kennengelernt und war schon deswegen seine engste Verbündete. Die Nachbarn fragten nicht nach den neuen Mietern oder gaben sich mit den wenigen Auskünften zufrieden, die ihnen Heuser gab, auch wenn dem Vermieter Heuser suspekt blieb. Bei Gerhard S. alias Waldeck war es ein Bauer, der ihm anbot, auf seinem Hof zu wohnen und zu arbeiten. Auch in Neumarkt-Sankt Veit scheint es keine näheren Nachfragen bezüglich des Neubürgers Rudolf Schl. gegeben zu haben. Und für Hilfsarbeiten in einer Ziegelei oder in der Landwirtschaft brauchte es keinen Lebenslauf; Arbeitskraft war gefragt. Die, die mit ihrer alten oder einer neuen Identität ein ziviles Leben beginnen wollten, ohne die Station Gefangenschaft oder Internierung, wurden somit aktiv unterstützt, indem man sie bei sich aufnahm, ihnen eine Beschäftigung bot, ihnen zu falschen Papieren verhalf, aber auch passiv, indem man sich nicht näher für sie interessierte und keine weiteren Fragen stellte. Die wenigsten Unterstützer, abgesehen von Heusers Verlobter, dürften über die wirklichen Aufgaben und begangenen Verbrechen der Betroffenen bescheid gewusst haben. Insofern ging es in dieser Phase nicht darum, gezielt NS-Täter zu decken. Die Motivation gründete sich vielmehr auf ein Zusammengehörigkeitsgefühl der Kriegsverlierer als Reflex auf die Besatzer. Von „Schicksalsgemeinschaft“ 18 sprach Janka und wollte in der Nachkriegsgesellschaft Reste der „Volksgemeinschaft“, die er nicht als Utopie, sondern als Realität betrachtete, erkennen. Doch bereits in den letzten Kriegsjahren hatte der Rückzug auf sich selbst eingesetzt. 19 Die Abwehrhaltung den Siegern gegenüber, die den Betroffenen Solidarität und Unterstützung brachte, war eine Maßnahme des Selbstschutzes und zeigt, wie weit sich der große Teil der Bevölkerung mit dem Nationalsozialismus eingelassen hatte. In allen anderen Bereichen stand die Existenz, das Überleben des Einzelnen im Vordergrund; Solidarität war dabei eher hinderlich. 20 Deswegen hatte Friedrich Me. auch kein Problem damit, für die britische Besatzungsmacht zu arbeiten. Es war ein „Wir“ der besiegten und sich von der NS-Führung betrogen und verraten fühlenden Deutschen, das half, durch die Distanzierung vom Nationalsozialismus und durch die Abwertung der Alliierten ein positives Selbstbild aufrecht zu erhalten. Das abgrenzende „Wir“ hingegen, das nichts anderes als eine der Selbstbestätigung dienende Verteidigungs-

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haltung war, trat deutlich hervor, wenn das eigene Selbstverständnis angegriffen und Bewertungskategorien in Frage gestellt wurden. Weder traute man den Alliierten die „richtige“ Einschätzung des Nationalsozialismus zu, noch eine gerechte Behandlung der Gefangenen und schon gar nicht die Organisation des Wiederaufbaus. Der politische Zusammenhang zwischen Niederlage und Besatzung wurde nicht gesehen. 21 „So müssen wir uns jetzt selber fragen“, forderte Karl Jaspers daher in seiner Vorlesung „Über die geistige Situation in Deutschland“ an der Universität Heidelberg im Wintersemester 1945/46, „ob wir nicht wieder einem anderen Lärm verfallen, selbstgerecht werden, aus unserem bloßen Überleben und Gelittenhaben eine Legitimität ableiten. Seien wir uns klar: dass wir leben und überleben, verdanken wir nicht uns selbst, dass wir neue Zustände mit neuen Chancen in der furchtbaren Zerstörung haben, haben wir nicht durch eigene Kraft erreicht. Geben wir uns keine Legitimität, die uns nicht zukommt.“ 22 Es ist diese Stimmung des ungebrochenen positiven Selbstbildes, wie Jaspers sie beschreibt, die ausländische Beobachter, Rückkehrer und Überlebende zugleich verstörte. Zu ihnen zählte Primo Levi, der auf seiner Zwischenstation in München das Desinteresse an Opfern wie ihm zu spüren bekam und über die Deutschen schrieb, sie seien taub, blind und stumm gewesen, „noch immer stark, noch immer fähig zu hassen und zu verachten, noch immer Gefangene der alten Fesseln von Überheblichkeit und Schuld“23 . Oder Alfred Döblin, der über seinen Haupteindruck staunte, den Deutschland 1945 bei ihm hinterließ, „dass die Menschen hier wie Ameisen in einem zerstörten Haufen hin und her rennen, erregt und arbeitswütig zwischen den Ruinen und ihr ehrlicher Kummer ist, dass sie nicht sofort zugreifen können, mangels Material, mangels Direktiven“ 24 . In dieser aufgeregten Phase des Übergangs gewannen die Argumentationen zunehmend an Kontur, die zur Selbstentschuldung, zur Distanzierung vom NS-System, zur Selbststilisierung als Opfer – und zwar in doppelter Hinsicht als Opfer Hitlers und als Opfer der Alliierten – und zur positiven Selbstverortung in der neuen Situation beitrugen. Die Vorstellung eines NSTäters war vage und hatte hauptsächlich die NS-Führung im Visier. In dieser Situation konnten jene, die untertauchen wollten, mit Unterstützung rechnen, denn sie zählten zur Gesellschaft. Immer vorausgesetzt, sie hatten ihren Unterstützern zuvor nicht geschadet. So lieferten Geschäftsleute aus der Umgebung ranghohem SD-Personal, das sich in Flensburg neue Identitäten zulegte, Zivilkleider, und der Kommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, konnte als Franz Lang bei einem Bauern als Hilfsarbeiter unterschlüpfen, ohne dass zunächst jemand Verdacht geschöpft hätte. Ganz im Gegenteil, seine Arbeitsleistung („guter Organisator“) wurde geschätzt und sein Auftreten entsprach dem, was als „anständig“ galt, wie die Bäuerin, deren Hof er als Verwalter zugewiesen worden war, zu Protokoll gab. Nett habe er ausgesehen, die „Haare schlicht zurückgekämmt, höflich, bescheiden

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– und er war fleißig – immer hat er gearbeitet! Und er saß abends oft über Büchern.“ 25 Es gibt keinen Grund, nicht davon auszugehen, dass diese Reaktion auf die Verkörperung deutscher Sekundärtugenden nicht auch den hier betrachteten Personen wie beispielsweise Gerhard S. geholfen hat, Unterschlupf zu finden. Deutlich zeigt sich in der Aussage der Bäuerin die Bedeutung gesellschaftlich vorhandener und angewandter Täterbildern für die Beurteilung und Einschätzung von Personen, die, gerade weil sie für die NS-Täter und ihre Reetablierung so überaus wichtig war, als Problematik die gesamte Geschichte der Bundesrepublik durchziehen sollte.

1.3. Der Fall Werner Schö. – Untergetaucht auf einer Berghütte Dass sich das Verhalten Werner Schö.s bei Kriegsende und die Unterstützung, die er dabei aus seinem sozialen Umfeld erfuhr, heute vergleichsweise genau nachvollziehen lässt, ist dem Umstand zu verdanken, dass er durch den Hinweis eines ehemaligen Mitarbeiters seiner GestapoDienststelle noch im Juli 1945 verhaftet werden konnte und anschließend die Staatsanwaltschaft Wien gegen ihn ermittelte. In zwei offensichtlich schon lange nicht mehr geöffneten Aktenbündeln ist die Geschichte des SSHauptsturmführers Werner Schö. belegt, der bei Kriegsende als Prager Kaufmann Wenzel Schenk einer Gefangennahme entgehen wollte. Die Dokumente zeigen, welche Taktiken der Täter anwandte und mit welchem Selbstverständnis ihm geholfen wurde bzw. man ihn gewähren ließ. Mit Adolf B., dem ehemaligem Untergebenen Werner Schö.s, der die Ermittler auf seine Spur führte, wird die Bruchstelle in dieser Solidaritätshaltung sichtbar. Deshalb soll der Versuch Werner Schö.s, unterzutauchen, im Folgenden rekonstruiert werden. Werner Schö. war im Sommer 1942 zur Gestapo Wien gekommen, nachdem er von Juli bis September 1941 mit dem Ek 8 als Teilkommandoführer im Einsatz gewesen war. Bei der Gestapo Wien leitete er im Referat IV 3 (Abwehr) das Sachgebiet „Wirtschaftsangelegenheiten, Industriesicherung“. 26 Er stand nicht nur in Verbindung mit den Abwehrbeauftragten 27 der verschiedenen Betriebe, sondern auch mit den jeweiligen Fabrikbesitzern. Ihm gefiel es, in diesen Kreisen gesellschaftlich zu verkehren und sich zu inszenieren. 28 Zu diesem Leben gehörten in Wien wie zuvor bereits in Berlin und auch später in der Bundesrepublik wechselnde „Frauengeschichten“. Diese private Vorliebe wäre normalerweise nicht weiter interessant und erwähnenswert, wenn es nicht seine Wiener Freundin gewesen wäre, die ihm bei seinem Versteckspiel bei Kriegsende geholfen hätte. 29 Die Frau, mit der Werner Schö. in Wien ein Verhältnis hatte, war Jutta R., Ehefrau des Wurst- und Fleischfabrikanten Hans R. und Tochter des Tuchgroßhändlers G. Werner Schö. pflegte nicht nur mit beiden Familien gesellschaftlichen Umgang, er wohnte sogar als Untermieter in der Wohnung der Familie G.

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Im September 1944 wurde er von seinem Wiener Posten abgezogen und dem Einsatzkommando 13 in der Slowakei zugeteilt, wo er die Leitung des Stützpunktes Sillein (Zilina) übernahm. Seine Verbindung nach Wien und vor allem zu Jutta R. riss während dieser Zeit nicht ab. Um Weihnachten 1944 herum stattete er nicht nur seiner Gestapo-Dienststelle in Wien einen Besuch ab, sondern auch Jutta R., die sich inzwischen mit ihren beiden Kindern aus Wien in den beschaulichen Ort Weyer, 130 km südöstlich der Metropole, zurückgezogen hatte. 30 Von dem Einsatz in der Slowakei will Werner Schö. im Januar 1945 zurückgekommen sein; später leitete er nach eigenen Angaben eine Außenstelle der Gestapo in Steyr, unweit von Weyer. Dass er erst kurz nach der Eroberung Wiens durch die Rote Armee am 13. April 1945 nach Steyr gekommen sein will, ist höchst unglaubwürdig. 31 Tatsächlich muss sich Werner Schö. vor April in Steyr aufgehalten haben, denn im April tauchte er bereits in Zivilkleidung und bewaffnet in Weyer auf. 32 Persönliche Dokumente, Uniformen, Fotografien und eine Waffe hatte Werner Schö. zu diesem Zeitpunkt bereits seinem ehemaligen Untergebenen bei der Wiener Gestapo, Alfred Pf., in zwei Koffern anvertraut, die dieser bei sich in Eichgraben bei Wien versteckte. 33 Werner Schö.s Auftauchen in Weyer war ein Abtauchen vor dem Feind. In dieser Region, in deren Bergen und Wäldern es nicht an Versteckmöglichkeiten mangelte, kannte er sich aus und besaß mit Jutta R. eine wichtige persönliche Anlaufstelle. Die Beziehung zu ihr scheint ein Grund für ihn gewesen zu sein, in Österreich zu bleiben. 34 Von ihr erhielt er Kopien von Personaldokumenten ihres Ehemannes, die er alledings nie benutzte, weil er sich später selbst noch bessere Papiere beschaffte. 35 Schon bald folgten Werner Schö. und Jutta R. mit ihren beiden Kindern dem Angebot des Ehepaares B., in ihrer abseits gelegenen Jagdhütte vor den russischen Truppen Schutz zu suchen. Zwischen 15 und 20 Personen aus dem Verwandten- und Bekanntenkreis der Familien R. und B. zogen sich Ende April oder Anfang Mai auf die Jagdhütte zurück. Aus dem SSHauptsturmführer Werner Schö. war inzwischen der Prager Kaufmann Wenzel Schenk geworden. Denen, die ihn bereits vorher gekannt hatten, schärfte er ein: „Du weißt, ich heiße jetzt Schenk.“ 36 Den so angesprochenen Harry D. verwunderte dies nicht weiter: „Dass Werner Schö. einen anderen Namen führte, erschien mir durch seine Zugehörigkeit zur SS verständlich“ 37 , gab er später der Polizei zu Protokoll. Wer Werner Schö. vorher nicht gekannt hatte, dem fiel höchstens auf, dass Jutta R. ihn mit „Werner“ anredete, und dachte sich seinen Teil. So schrieb Werner Schö. später: „Wie weit das Ehepaar B. unterrichtet war, weiß ich nicht; ich glaube, sie hielten mich für einen ehemaligen Soldaten oder SS-Angehörigen, der sich verborgen hielt.“ 38 Weil er sich nicht auf die Hütte als Schutz verlassen wollte, baute sich Werner Schö. etwas abseits im Wald zusätzlich einen provisorischen Unter-

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schlupf, in dem er ab und zu übernachtete. Tagsüber, so Zeugen, sei er fast immer unterwegs gewesen. Den ganzen Mai nutzte Werner Schö. diese Gegend als Rückzugsmöglichkeit, bevor er am 10. Juni 1945 die Gesellschaft auf der Jagdhütte verließ. 39 Spätestens zu diesem Zeitpunkt stattete er sich mit Papieren auf den Namen Wenzel Schenk aus. Diese falschen persönlichen Dokumente waren mit Schreibmaschine verfasste fingierte Abschriften, deren „Richtigkeit“ durch einen Gemeindestempel von Hollenstein a.d. Ybbs, der Nachbargemeinde von Weyer, „bestätigt“ wurde. Wie genau diese Schreiben zustande kamen, d.h. wer ihn eventuell seitens der Gemeinde Hollenstein unterstützt hat, ist unklar. Möglicherweise war es ihm aber auch schon vor oder während seines Aufenthalts auf der Jagdhütte gelungen, sich die Papiere dort zu beschaffen. Sicher ist jedoch, dass er die Texte selbst formuliert hat. Die „Abschrift“ einer Geburts- und Taufbescheinigung wies ihn als Wenzel Schenk, geboren am 27.11.1911 in Prag, aus. 40 Ein „Ausweis“ vom 29.11.1944 – offensichtlich eine Rückdatierung – der „Vereinigten Holz- und Industrie AG“ mit Sitz in Turany, Slowakei, schuf die Legende, dass „Václav Šenk […] seit dem Jahre 1941 in unserem Betrieb als kaufmännischer Beamter angestellt ist“ 41 . Tatsächlich war Werner Schö. in Turany gewesen, allerdings nicht als Kaufmann, sondern als Angehöriges der Einsatzkommandos 13. Ein weiteres Stück unverfängliche Vergangenheit von Wenzel Schenk kreierte folgende, ebenfalls mit dem Stempel der Gemeinde Hollenstein versehene „Abschrift“: „Herr Wenzel Schenk, am 27.11.1911 geb., steht im Dienste der deutschen Wehrmacht. Die deutschen und slowakischen Militärbehörden werden ersucht, ihm nötigenfalls Schutz und Hilfe zu gewähren. Inhaber ist zu jeder Tages- und Nachtzeit berechtigt, sich an jedem Orte der Slowakei aufzuhalten. 178. Panz. Gren. Div. ‚Tatra’ gez. v. Ohlen, Oberst und Rgt.-Kdr. Gültig bis 31.3.45.“ Eine weitere „Bescheinigung“ dieser Einheit „bestätigte“ Wenzel Schenk, vom 9.10.1944 bis zum 23.3.1945, dem Tag der „Ausstellung“ des Dokumentes, in dieser Einheit als „Hilfskraft/Angestellter“ tätig gewesen zu sein. Aus einer Mischung von Versatzstücken seiner eigenen Vergangenheit und Lügen hatte Werner Schö. sich seine neue unverfängliche Identität als Wenzel Schenk gezimmert. Nachdem er die Jagdhütte am 10. Juni verlassen hatte, hielt er sich möglicherweise zunächst noch im Raum Hollenstein auf. Zumindest wurde später bei ihm ein Schreiben vom 18.6.1945 an den Bürgermeister von Hollenstein gefunden, in dem er als Absender „W. Schenk, bei B., wohnhaft in Hollenstein/Hinterholz“ angegeben hatte. In diesem Schreiben listete er Besitztümer im Wert von 3 000 Mark auf, die er durch Besatzungstruppen verloren habe. Es soll in diesem Zusammenhang nicht weiter interessieren, ob seine Angaben der Wahrheit entsprachen. Wichtig ist vielmehr die Frage, ob Werner Schö. die Adresse des Ehepaares B. mit oder ohne ihr Wissen angegeben hatte, ob sie ihn also noch unterstützten, als er die Jagd-

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hütte bereits verlassen hatte. Die Quellen lassen diese Frage offen. Ein weiteres Schreiben spricht für die Annahme, dass sich Werner Schö. zu dieser Zeit im Raum Hollenstein aufhielt: Am 21. Juni 1945 ließ er sich nämlich von der Gemeinde Hollenstein auf deutsch und russisch bestätigten, dass Wenzel Schenk seit 8. April dort polizeilich gemeldet sei. Statt Wenzel hatte in dem Schreiben allerdings ursprünglich Werner gestanden, was nachträglich handschriftlich verbessert worden war. Vielleicht war Werner Schö. ein Fehler unterlaufen, vielleicht aber auch dem Aussteller des Schreibens, was wiederum voraussetzt, dass diesem Werner Schö. bekannt war und er ihn somit wissentlich unterstützte. Mit dieser „Meldebescheinigung“ schloss Werner Schö. nicht nur eine zeitliche Lücke in der Biografie des Wenzel Schenk, sondern konnte damit ebenfalls sein Untertauchen verschleiern, hatte er doch nun schwarz auf weiß, dass er polizeilich gemeldet war. Mit seiner neuen Biografie im Gepäck begab er sich auf den Weg in die 20 km nördlich gelegene kleine Gemeinde Waidhofen an der Ybbs. Das Ziel scheint nicht zufällig gewählt worden zu sein, denn Werner Schö. gab auf einem späteren Anmeldeformular an, bei einem H. gewohnt zu haben. Wenn dieser Eintrag der Wahrheit entspricht, hatte Werner Schö. genau gewusst, an wen er sich wenden konnte und wer ihn unterstützen würde. Sein Aufenthalt in Waidhofen war kurz. Am 25. Juni stellte die Gemeinde Wenzel Schenk (auch hier hieß es erst Werner Schenk) eine Fahrtbescheinigung aus, in der es heißt: „Der Genannte ist auf der Durchreise von Waidhofen an der Ybbs nach Moosbierbaum über St. Pölten-Wien. Die Reise erfolgt mittels Bahn und zu Fuß. Zweck der Fahrt: Rückreise.“ Ein Blick auf die Landkarte bestätigt die Vermutung: Werner Schö. war auf dem Weg zurück nach Wien. Die Gegend um Moosbierbaum, zwischen Sankt Pölten und Wien gelegen, war wahrscheinlich nur als Zwischenstation geplant. Dort angekommen, meldete er sich am 3. Juli 1945 in der Nachbargemeinde Atzenbrugg als Besuch bei F. in der Aumühle, einem Schloss am Ortsrand, an. Als letzten Wohnsitz vor Oktober 1944 gab er wahrheitsgemäß Sillein in der Slowakei an. Um F. zu schützen, behauptete Werner Schö. später gegenüber der Polizei, F. habe nichts von seiner Anwesenheit in Atzenbrugg gewusst. 42 Doch Tatsache ist, dass F. und Werner Schö. Bekannte waren und F. ihn in Atzenbrugg unterbrachte. An dieser Stelle kommt auch B., der Besitzer der Jagdhütte in Weyer, wieder ins Spiel, der ebenfalls F. kannte und anlässlich einer Fahrt nach Wien zu der Zeit besuchte, als Werner Schö. sich bei F. aufhielt. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass auch B. von Werner Schö.s neuem Aufenthaltsort wusste. Keiner von ihnen ahnte allerdings, dass zu diesem Zeitpunkt in Wien bereits nach Werner Schö. alias Schenk gefahndet wurde. In einem Wiener Gefängnis hatte Leopold H. am 30. Juni 1945 eher beiläufig seinem Zellengenossen erzählt, dass er sich beim Heranrücken der

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Roten Armee mit seiner Familie eine Zeit lang auf die Jagdhütte eines gewissen B. bei Weyer zurückgezogen hatte. Er berichtete auch von einem Wenzel Schenk, der von Jutta R. allerdings immer mit Werner angesprochen worden sei. Der, der den Erzählungen seines Mithäftlings aufmerksam gelauscht und daraus seine eigenen Schlüsse gezogen hatte, war Adolf B., ehemaliger Untergebener Werner Schö.s bei der Gestapo Wien. Einen Tag später gab er bei einem Verhör zu Protokoll, dass sich sein ehemaliger Vorgesetzter möglicherweise auf der Jagdhütte von B. in der Nähe von Weyer verstecke. 43 Rund zwei Wochen später, am 16. Juli 1945, wurde Werner Schö. in der Aumühle in Atzenbrugg festgenommen. Den entscheidenden Hinweis hatte unfreiwillig F. geliefert. Als die Polizei B. in Wien zur Rede stellte, fand sie bei ihm nämlich einen Brief von F. an dessen in Wien lebende Stieftochter. Werner Schö. befinde sich in Atzenbrugg, war darin zu lesen. 44 Knapp vier Monate war Werner Schö. mit seiner Strategie erfolgreich gewesen. Sein alter Ego Wenzel Schenk konnte die wichtigsten Papiere vorweisen und hätte auf Nachfrage auch Details aus seiner Vergangenheit in der Slowakei berichten können. Schließlich hatte Werner Schö. seine falsche Identität nicht frei erfunden, sondern sie mit Versatzstücken der eigenen Biografie ausgestattet. Sein neuer Namen ähnelte dem alten, das Geburtsdatum blieb unverändert, in dem Ort Sillein, den er in seinen gefälschten Dokumenten benutzte, hatte er ein Teilkommando des Ek 13 geführt, und auch die Stadt Turany, ein Zentrum der Holzindustrie in der Nordslowakei, war ihm von dort bekannt. Durch seinen dortigen Einsatz wusste er auch, dass es eine Panzer-Grenadier-Kampfgruppe von Ohlen gegeben hatte, die später mit einer anderen Einheit zur Division Tatra wurde und während des slowakischen Aufstandes bis nach Zilina vorgerückt war. Wer, der ihn nicht kannte, wollte und konnte wirklich nachweisen, dass er nicht dieser Wehrmachtseinheit angehört hatte? Weitaus wichtiger als die dokumentierte falsche Identität war jedoch das Verhalten der Menschen, mit denen Werner Schö. während seines Untertauchversuchs in Berührung kam. Vom Schweigen der Mitwisser und der Unterstützung Wohlgesonnener hing der Erfolg seiner Aktion ab. Sein Bekanntenkreis reichte über die Stadt Wien hinaus. Im Mittelpunkt seiner sozialen Kontakte stand seine Geliebte Jutta R., durch die sich für ihn erst die Möglichkeit ergab, auf der Jagdhütte des Ehepaares B. Unterschlupf zu finden. Wer ihn auf der Hütte nicht kannte, gab sich mit der Erklärung, er sei ein Kaufmann aus Prag, zufrieden und fragte nicht weiter nach. Selbst wer ihn für einen untergetauchten Wehrmachts- oder SS-Angehörigen hielt, fand sein Verhalten selbstverständlich und stellte keine Gefahr für ihn dar. Man zeigte Verständnis für sein Handeln. Der identitätsstiftende Opfermythos Österreichs scheint hier noch nicht wirksam gewesen zu sein, wussten doch seine Bekannten, dass er aus Deutschland stammte. 45 Aus diesem

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Grund ist es unerheblich, dass im Fall von Werner Schö.s Untertauchen bei Kriegsende Österreicher und nicht Deutsche die Unterstützer waren. Das Wir-Gefühl gegenüber den Siegern war auch hier wirksam. In Weyer, in der Jagdhütte, in Hollenstein, in Waidhofen und in Atzenbrugg fand er bereitwillige Helfer. Über Werner Schö.s Tätigkeit in den Einsatzkommandos 8 und 13 werden seine Bekannten nichts oder nur das gewusst haben, was Werner Schö. ihnen selbst über seine Vergangenheit erzählt hatte – und das dürfte nicht der Wahrheit entsprochen haben. Gefährlich werden konnten ihm in dieser Situation in erster Linie Personen aus seiner Tätigkeit bei der Gestapo Wien: Opfer und ehemalige Kollegen. Sein Hang zur Selbstdarstellung, sein selbstgefälliges Verhalten und auch die Beziehung zur verheirateten Jutta R. hatten ihm nicht überall Freunde gemacht. Letztlich war es ein ehemaliger Gestapo-Beamter, der auf Werner Schö. nicht gut zu sprechen war und die Polizei auf die Spur seines einstigen Vorgesetzten brachte.46 Ganz persönliche Motive waren es, die die Mauer der Solidarität aufsprengten. Das Wiener Landesgericht für Strafsachen, das als Volksgericht 47 fungierte, verurteilte Werner Schö., der seine NS-Vergangenheit zu verharmlosen versuchte, falsche biografische Angaben machte und sich zum Opfer stilisierte, am 22. Dezember 1947 nach Kriegsverbrechergesetz wegen seiner Stellung bei der Gestapo in Wien und Steyr und den damit verbundenen Tätigkeiten zu zehn Jahren schwerer Kerkerhaft. 48 Ausschlaggebend für das Strafmaß war, dass Werner Schö. sich aus Angst vor einer Auslieferung an die Tschechoslowakei selbst bezichtigt hatte, zeitweise Abteilungsleiter der Gestapo gewesen zu sein. Damit war formal auch der Tatbestand der Misshandlung und Quälerei erfüllt. Einer Auslieferung an das Bezirksund Volksgericht Zilina, die von der Tschechoslowakei gefordert wurde, entging Werner Schö. allerdings nur, weil die amerikanischen Besatzungsbehörden ihre Zustimmung verweigerten. Vielmehr sollte ihm, der auf der Kriegsverbrecherliste stand, wegen der vorgeworfenen Taten in der Slowakei ebenfalls in Österreich nach Kriegsverbrechergesetz der Prozess gemacht werden. Vor dieser Entscheidung hatte Werner Schö. dem Justizminister Österreichs in einem 17 Seiten umfassenden Schreiben seine Version des slowakischen Aufstandes, die allein der Selbstrechtfertigung und der Rechtfertigung des Eingreifens deutscher Truppen diente, dargelegt. 49 Das Oberlandesgericht Wien verurteilte ihn wegen Bedrohung von Häftlingen in Zilina mit dem Tode am 8. Oktober 1951 zu neun Monaten schwerem Kerker unter Anrechnung der Untersuchungshaft und folgendem Landesverweis. Gleichzeitig hob es das Urteil von 1947 auf, nachdem Werner Schö. widerrufen hatte, Abteilungsleiter der Gestapo in Wien gewesen zu sein. 50 Im November 1951 wurde Werner Schö. nach Deutschland abgeschoben.

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1.4. Zusammenfassung Die Phase des Übergangs, die bei Kriegsende einsetzte, wurde als Ausgangspunkt für die Arbeit gewählt, weil sich hier bereits das Zusammenwirken zwischen den Tätern auf der einen und Gesellschaft auf der anderen Seite zeigt. Spezifisch an der Situation war, dass die Zukunft für viele nicht absehbar war; es war unklar, was sich wie entwickeln würde, wie die Sieger mit den Feinden, wie mit Deutschland verfahren würden. Sicher war für die Täter aber, dass sie weder mit konkreten Verbrechen, noch mit Einsatzgruppen in Verbindung gebracht werden wollten, um nicht für etwas zur Rechenschaft gezogen zu werden, für das sie sich nicht verantwortlich fühlten. Wem sich die Möglichkeit bot, der täuschte, floh und versuchte, sich dem Zugriff der Alliierten zu entziehen. Wer unbehelligt untertauchen wollte in der Nachkriegsgesellschaft, musste sich geschickt verhalten und hatte im besten Fall zuverlässige stille Helfer oder Mitwisser. Auf Netzwerke von Kameraden und Helfern griffen die hier interessierenden Personen nicht zurück. Rudolf Schl. und Heuser schufen sich durch ihr eigenes Verhalten und desinteressierte Nachbarn Handlungsfreiheit, Friedrich Me. hielt sich im Schutz der Familie verborgen. Für diese drei ging die Rechnung auf, sie blieben in Freiheit. Bei Werner Schö. erwies sich die Solidarität und Unterstützung, auf die er bei seinem Versuch, unter falschem Namen unterzutauchen, angewiesen war, an dem Punkt als brüchig, als ein ehemaliger Gestapomitarbeiter seiner Dienststelle nicht ertragen konnte, dass er im Gefängnis saß und Werner Schö. in Freiheit auf einer Berghütte. Es gab eine Solidarität der Verlierer, ein Wir-Gefühl als Abwehrhaltung, aber zuvor war sich jeder selbst der Nächste. Der situationsabhängige Charakter der Unterstützung barg Gefahren für die, die sich darauf verließen, und in dieser Hinsicht war die Handlungsfreiheit, die sie sich ursprünglich hatten erhalten wollen, wieder eingeschränkt. Das galt in vielerlei Hinsicht für diejenigen, die eine falsche Identität angenommen hatten. Zu glauben, dass mit Internierungshaft auf der einen und dem Weg in die Freiheit auf der anderen Seite bereits Weichen für die persönliche Zukunft gestellt werden könnten, erwies sich, nüchtern aus der Retrospektive betrachtet, als Trugschluss. Auch wenn die betreffenden Personen glaubten, Weichen zu stellen und es ihnen gelang, unbehelligt in die Nachkriegszeit hinüberzugleiten, so waren es letztlich die äußeren Rahmenbedingungen, die die Möglichkeiten und das mögliche Tempo der Reetablierung und Normalisierung vorgaben. Hinzu kam, dass die Entnazifizierung beide Gruppen betraf. Einziger Unterschied: In Internierungshaft war das Spruchkammerverfahren obligatorisch, außerhalb konnte versucht werden, es zu umgehen. Dass es im Hinblick auf ein Spruchkammerverfahren durchaus von Vorteil sein konnte, in einem Internierungslager zu sein, wird im Folgenden gezeigt.

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2. Integrationsphase I: Entnazifizierung Die Entnazifizierungs- und Spruchkammer-/Spruchgerichtsverfahren 51 stellten die nächste Etappe auf dem Weg der Betroffenen zurück in ein ziviles Leben dar. Für diejenigen, die sich in Internierungshaft befanden, bedeuteten sie faktisch in den überwiegenden Fällen das Ende der Haft und markierten somit auch den Übergang in die Freiheit. Sie beendeten die Phase der Internierungshaft, und damit letztlich die Phase der Ausgrenzung, und gaben den Weg zur Integration und Reetablierung offiziell frei. Eine „Rehabilitierungsmaschinerie“ 52 nennt Niethammer sie und kommt in seiner Studie zur Entnazifizierung in Bayern zu dem Fazit, dass Säuberung und Rehabilitation Hand in Hand gegangen seien. 53 In der Konsequenz konterkarierten sie das eigentliche Ziel der politischen Säuberung, nämlich die langfristige Ausschaltung und Ausgrenzung der an der NSGewaltherrschaft beteiligten Akteure. Diese Feststellung gilt auch für die hier untersuchten Betroffenen, die ihr Spruchkammer- oder Entnazifizierungsverfahren in Freiheit durchliefen. Es kann und soll in diesem Abschnitt nicht darum gehen, den vielfältigen, meist regional angelegten Darstellungen und Analysen über eine gescheiterte Entnazifizierung in den Westzonen noch eine weitere hinzuzufügen. 54 Auf einige Aspekte der Entnazifizierungs- und Spruchkammerverfahren, die für die ausgewählten NS-Täter relevant sind, sei im Folgenden dennoch kurz verwiesen. Die Spruchkammerverfahren standen am Ende der maßgeblich von der US-amerikanischen Besatzungsmacht initiierten und vorangetriebenen Entnazifizierung, die in der amerikanischen Zone mit breit angelegten Entlassungen, der Überprüfung aller Inhaber von Schlüsselpositionen anhand eines 131 Fragen umfassenden Fragebogens (dem sogenannten großen Fragebogen) und der Erfassung aller Deutschen über einen reduzierten Fragebogen begonnen hatte. Die Verantwortlichen der britischen und französischen Zone legten bekanntermaßen in Sachen Entnazifizierung wesentlich weniger Eifer an den Tag, orientierten sich dennoch anfänglich an den amerikanischen Direktiven und später an den Richtlinien des Alliierten Kontrollrats. Eine flächendeckende Registrierung der Bevölkerung gab es in ihren Zonen allerdings nicht, was diese für ehemalige Nationalsozialisten, die unentdeckt bleiben und nicht erfasst werden wollten, besonders attraktiv machte. Hinzu kam noch der Umstand, dass in beiden Zonen aus pragmatischen Gründen die Überprüfung auf den Berufsstand der Beamten und Angestellten beschränkt blieb. Vollnhals bezeichnet in seiner vergleichend angelegten Arbeit über die Entnazifizierungspraxis daher die französische Zone als ein „Eldorado für Schwerbelastete“ 55 , der die britische in nichts nachgestanden habe.

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Anhand der Fragebögen, die, basierend auf dem Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1945, jeder Deutsche über 18 Jahre auszufüllen hatte, sollten die Spruchkammern in der amerikanischen Zone die „individuelle Verantwortlichkeit“ und die „tatsächliche Gesamthaltung“ des Einzelnen beurteilen. Verbrechen waren nur insofern zu berücksichtigen, als darin eine aktive Unterstützung der NSGewaltherrschaft zu erkennen war. Die Straftaten selbst zu ahnden, Ermittlungen bezüglich individueller Verbrechen einzuleiten, lag nicht im Aufgabenbereich der Spruchkammern. Das von den Amerikanern gewählte System der Spruchkammern war daher gänzlich ungeeignet, NS-Verbrecher zu überführen. „Eine nur strafrechtliche Behandlung“, so folgert Niethammer, „hätte mehr NS-Kriminalität erfassen können“ 56 . Die NS-Täter, wie sie hier betrachtet werden, profitierten davon. Die schematischen Fragen dienten der Kategorisierung, nicht der Aufdeckung individueller Straftaten. Sie bildeten ein Raster, das NS-Verbrecher nicht unbedingt erfasste und durch das diese ihrerseits schlüpfen konnten. In den amerikanischen Internierungslagern begannen die Spruchkammerverfahren erst Anfang 1947. Diese Verfahren waren an die Lager gebunden, d.h. sie mussten dort stattfinden und waren nicht öffentlich. In der britischen Zone hingegen war die eigentliche Bestrafung der sich in Internierungshaft befindenden Mitglieder der im Nürnberger Urteil für verbrecherisch erklärten Organisationen nicht Teil des allgemeinen Entnazifizierungsverfahrens, sondern Teil der strafrechtlichen Verfolgung von NSVerbrechern. Die Spruchgerichte, die hier ebenfalls 1947 ihre Tätigkeit aufnahmen und bis Anfang 1949 wirkten, urteilten auf Basis der geltenden Rechtsordnung. 57 Von den 19 in dieser Arbeit betrachteten Personen durchliefen sieben ein Spruchkammerverfahren während ihrer Internierungshaft, sechs von ihnen in der amerikanischen Zone (August Hä., Harder, Noa, Heinz Ta., Richard W. und Heinrich Win.) und einer (Gerhard S.) in der britischen. Drei weitere befanden sich in Freiheit, als ihr Fall vor einer Spruchkammer landete, wobei ein Fall (Rudolf Th.) in den Bereich der amerikanischen Zone, die zwei weiteren (Rath und Fritz Zi.) in den der britischen fielen. Ebenfalls in Freiheit befanden sich vier Personen, die lediglich ein Entnazifizierungsverfahren durchliefen. Dies betraf Rudolf Schl. und Schmidt-Hammer in der amerikanischen und Walter He. und Friedrich Me. in der britischen Zone. Ganz einem Verfahren entziehen konnten sich fünf der hier ausgesuchten Personen: Karl D. war nach Kriegsende unbehelligt in die britische Zone gelangt, wo es keine allgemeine Registrierung der Bevölkerung im Rahmen der Entnazifizierung gab, und umging seine Entnazifizierung durch einen Trick. E. wählte ebenfalls nach seiner Entlassung aus britischer Kriegsgefangenschaft den Weg in die britische Zone; Entnazifizierungsunterlagen konnten nicht gefunden werden. 58 Theodor Gr. flüchtete aus dem Internie-

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rungslager Darmstadt in die britische Zone und entging so einem Spruchkammer- und einem Entnazifizierungsverfahren. Heuser, der unbehelligt in die britische und dann in die französische Zone gelangt war, durchlief wohl allem Anschein nach ebenfalls nie ein Entnazifizierungsverfahren, brachte sich aber in den Besitz einer Erklärung, vom Befreiungsgesetz nicht betroffen zu sein. Dies ungeachtet der Tatsache, dass ein ehemaliger Mitarbeiter beim BdS Minsk ihn bereits als Zeuge im Nürnberger Einsatzgruppenprozess schwer belastet hatte. 59 Werner Schö. schließlich befand sich zu dieser Zeit in österreichischer Haft und kam erst 1951 wieder in die Bundesrepublik. Allen genannten NS-Tätern, die ein Entnazifizierungs- oder Spruchkammerverfahren durchliefen, gelang es, relativ unbeschadet aus dem Verfahren hervorzugehen. Der Verweis auf die schon angesprochenen strukturellen Defizite und Mängel der Verfahrenspraxis allein reichen zur Erklärung dieses Phänomens nicht aus. Aus diesem Grund sollen die beteiligten Akteure und ihre Interaktionen ins Blickfeld gerückt und bei Bedarf auf die strukturellen Probleme der Verfahren verwiesen werden. Es wird nach Mechanismen zu fragen sein, die die Spruchgerichtsverfahren im Zusammenwirken der Akteure zu einem Verfahren der Selbstentschuldung werden ließen. Weil der Fokus auf Personen, den Beschuldigten, den Klägern, den Rechtsanwälten, den Zeugen und Ausstellern von „Persilscheinen“ liegt, schließt sich vor allem eine Frage an: Gab es bereits zu diesem Zeitpunkt einen übergeordneten Konsens über die Bewertung von Nationalsozialismus, Tätern und Taten, den die Akteure miteinander teilten und der zur Rehabilitierung und Integration der Betroffenen beitrug?

2.1. Strategien, Ansichten und Verhalten der beteiligten Akteure 2.1.1. Die Täter – Selbstdarstellungen und Selbstbilder 2.1.1.1. Angepasste Lebensläufe Das erste, was einem bei der Durchsicht der Spruchkammer- und Entnazifizierungsakten auffällt, ist die geradezu selbstverständlich, fast trotzig wirkende Selbstsicherheit, mit der die Täter sich als harmlos und unschuldig präsentierten, die in einem so krassen Missverhältnis zu den von ihnen begangenen Taten stand. Dass sich keiner selbst belastete, erstaunt nicht. Wohl aber die selbstgerechte Haltung, mit der sie zum Teil auftraten und ihre Entnazifizierung als Entlastete oder Mitläufer einforderten. Wer Demutshaltungen sucht, wird in diesen Unterlagen vergeblich suchen. Desillusioniert schrieb Alfred Döblin über seinen Besuch in Deutschland 1946: „Und wenn einer glaubt oder früher geglaubt hat, das Malheur im eigenen Land und der Anblick einer solchen Verwüstung würde die Menschen zum

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Denken bringen und würde politisch erzieherisch auf sie wirken, – so kann er sich davon überzeugen: er hat sich geirrt“ 60 . Deutlich geht aus den Spruchkammer- und Entnazifizierungsakten hervor, dass die Betroffenen wussten oder zu wissen glaubten, was aus ihren Biografien kommunizierbar war und was nicht. Oder anders ausgedrückt: Sie mussten überlegen und entscheiden, was konsensfähig sein konnte und was nicht. Entsprechend wurden Lebensläufe abgeändert, Einsätze und Positionen verschwiegen oder geschickt verschleiert. Dabei mussten sie darauf achten, mit ihren Angaben möglichst glaubwürdig zu bleiben. Verschwiegene Mitgliedschaften in NS-Organisationen konnten, vor allem mit Hilfe der BDC-Dokumente, eher aufgedeckt werden als falsche Angaben über Zeitspannen, Dienststellen und Einsätze. Die BDC-Unterlagen waren die Dokumente, auf die die Spruch- und Entnazifizierungskammern zuerst zurückgriffen. Dass die Fragen diese Möglichkeit zur Abänderung der Lebensläufe durchaus offen ließen, ist die eine Seite. Die andere ist, dass die Täter offensichtlich nicht damit rechneten, dass ihre Angaben Zweifel erwecken oder gar einer genauen Überprüfung unterzogen würden. Sie vertrauten auf ihr Wissen über Einheiten und Organisationsstrukturen, das sie zur Verfälschung ihrer Lebensläufe nutzten, und gleichzeitig auf das Unwissen derer, die die Fragebögen begutachteten. Das Befreiungsgesetz gab die Rahmenbedingungen vor: „Äußere Merkmale“ wie die Zugehörigkeit zur NSDAP, ihrer Gliederungen und anderen NS-Organisationen sollten nicht alleine den Grad der Verantwortlichkeit der Einzelnen bestimmen. Zu den Hauptschuldigen der Gruppe I sollten danach unter anderem leitende Mitarbeiter des RSHA, der Grenz-, Ordnungs- und Kriminalpolizei, alle Gestapo-Angehörigen und Offiziere der SS sowie alle Amtsträger der NSDAP zählen. Für die unteren Reihen der NS-Organisationen, die Mitglieder der NSDAP, die vor dem 1.Mai.1937 beigetreten waren, der Waffen-SS und der SS galt die Einstufung in die Gruppe II der Belasteten. 61 Weniger die Mitgliedschaft in der NSDAP als vielmehr ihre SS-Ränge und die Angehörigkeit zu Gestapo, Grenz-, Ordnungs- und Kriminalpolizei waren die „formalen“ Negativpunkte in den Lebensläufen der Täter. Für sie hieß dies, entweder diese „äußeren Merkmale“ durch Falschangaben zu entschärfen oder sie in der späteren Argumentation durch eine überzeugende Darstellung der eigenen „Gesamthaltung“ zu entkräften und damit eine Art Gegenbeweis zu erbringen. Ihre Angaben in den Lebensläufen und ihre späteren Einlassungen sind zudem immer auch vor dem Hintergrund des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses und der Folgeprozesse vor amerikanischen Militärgerichten zu sehen. Welche Organisationen als verbrecherisch galten, war ihnen ebenso bekannt wie die Entwicklungen und das Urteil des Einsatzgruppenprozesses. Ihnen war klar, dass die eigene Zugehörigkeit zu diesen Kommandos besser verschwiegen werden musste. Die Internierungslager boten die

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Möglichkeit, sich auszutauschen und abzusprechen, nicht selten unter alten Kameraden. Dieser Aspekt spielte eine bedeutende Rolle beim Aufbau der eigenen Argumentation, vor allem aber, wenn es darum ging, eidesstattliche Erklärungen zu erhalten. Das Resultat ihrer Überlegungen und Einschätzungen waren mal mehr, mal weniger angepasste Lebensläufe. Wobei sich diese „Modifizierungen“, wie in den folgenden Beispielen zu sehen ist, hauptsächlich auf ihre Einsätze, die Zugehörigkeit zu Einheiten und ihre Funktionen bezogen. So gab Noa 1948 zwar an, der NSDAP, der SS und der Gestapo angehört zu haben und SS-Führer gewesen zu sein, verschwieg aber seine Einsätze beim Sk 11a. 62 Auch Walter He. versteckte die nun gegen ihn verwendbaren Aspekte seines Lebenslaufs geschickt hinter verschleiernden Angaben. Er bejahte ebenfalls seine Mitgliedschaft in NSDAP und SS, verschwieg aber, der SA angehört zu haben. Anstelle seiner Tätigkeit als Teilkommandoführer beim Ek 6 von August 1942 bis Januar 1943 gab er an, von 1942 bis 1944 als Ausbilder einer fremdvölkischen Einheit beim HSSPF Kiew tätig gewesen zu sein und vermerkte pauschal, und nicht ganz unzutreffend, „Einsatz im Front- und rückwärtigen Gebiet der Heeresgruppe Süd“ 63 . Er dehnte also seine Tätigkeit als Ausbilder einheimischer „Hilfswilliger“ und den folgenden „Bandeneinsatz“ mit ihnen in den Pripjet-Sümpfen 1943 einfach aus. Der „Bandeneinsatz“ schien ihm sagbar. Die Tatsache, dass er 1944 das Enterdungskommando in Riga leitete, versteckte er hinter der Angabe, von Mai bis September 1944 zum „Stellungsbau“ in Riga gewesen zu sein. Aus der folgenden Station der EG z.b.V. ‚Iltis’ wurde in seiner Variante eine Versetzung zur Waffen-SS. 64 Auch das schien wiederum sagbar, wie weitere Beispiele bestätigen, wobei in diesem Fall die Betonung sicherlich auf der Versetzung lag. Generell aber herrschte schon hier das Verständnis der Waffen-SS als militärischer Verband. Für Heinrich Win. waren zwei jeweils falsch ausgefüllte Fragebogen die Eintrittskarten für eine Anstellung als Buchhalter beim US-Hauptquartier in München. Er hatte darin seine SS- und SD-Zugehörigkeit ebenso verschwiegen wie seinen Rang als SS-Hauptsturmführer. Sein Betrug flog allerdings 1948 auf, und er wurde interniert. 65 Friedrich Me., der nach Kriegsende bei Verwandten untergetaucht war und 1949 in Dortmund um eine Entnazifizierung bat, weil er wieder in den Polizeidienst wollte, lieferte in seinem Fragebogen lediglich die Rahmendaten und verschwieg die genaueren, weil ihn belastenden Inhalte. Er nannte seine NSDAPMitgliedschaft und gab ebenfalls an, bereits 1933 der SA beigetreten zu sein. Seine SS-Ränge erklärte er lapidar mit dem Hinweis auf Dienstgradangleichung und verschleierte so, dass er 1939 Mitglied in der SS geworden war. Für sich behielt Friedrich Me. seine wahren beruflichen Stationen und Tätigkeiten, nachdem seine Bewerbung bei der Kriminalpolizei nach Abbruch seines Theologiestudiums erfolgreich gewesen war. Dass er während

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seiner Ausbildung beim SD in Frankfurt am Main war, taucht in seinem Fragebogen nicht auf; zu belastend wäre diese Angabe gewesen. Seinen Einsatz beim Sk 7a nannte er nicht, stattdessen vermerkte er pauschal für die Zeit von 1940 bis 1942 „juristisches Studium“ 66 . Dass er 1943 als „Zugbeurteiler zur weltanschaulichen Schulung“ in der Reichsschule der Sipo und des SD in Prag gearbeitet hatte, verbarg er hinter der Bemerkung, an der Universität Prag gewesen zu sein. 67 Der Einsatzort stimmte damit. Für das Jahr 1943 nannte er lediglich seine Referendarstelle beim Regierungspräsidenten in München, und seine Position als Ausbildungsleiter beim BdS Straßburg ersetzte er durch eine frei erfundene Tätigkeit beim Polizeiinstitut Berlin. Im Ergebnis blickte der Entnazifizierungsausschuss auf den völlig unauffällig wirkenden Lebenslauf eines Kriminalkommissars mit juristischem Studium, der zudem noch ein fast abgeschlossenes Theologiestudium vorzuweisen hatte, was alles andere als gegen ihn sprach. Auch Harder hielt es für angebracht, seine Einsatzgruppentätigkeit in Polen, seine Arbeit bei der Umwandererzentralstelle in Lissa sowie seinen Posten als Adjutant Blobels beim Sk 1005 zu verschleiern. Für die Kriegszeit gab er an, lediglich Soldat gewesen zu sein: Zunächst bei der Wehrmacht im ‚Flakregiment 64´ und ab 1942 bei einem Flakregiment der Waffen-SS. 68 Entsprechend vermerkte er auf seinem Meldebogen auf die Frage nach der Haupttätigkeit „1943: Soldat, 1945: Offizier“ 69 . Dass er während seiner Ausbildung zeitweise hauptamtlich für den SD Düsseldorf tätig war, verschwieg er in seinem Lebenslauf. Seinen NSDAP-Beitritt verlegte er von 1929 auf 1931; dass er gleichzeitig auch der SA beigetreten war, gab er nicht an. Selektiv ging auch Gerhard S. mit seiner Vergangenheit um. Zwar erwähnte er seine Tätigkeit im „Unternehmen Zeppelin“ und seine Arbeit beim SS- und Polizeigericht Königsberg, verschwieg aber gekonnt seinen Einsatz beim Ek 9. Dass er Mitglied der NSDAP war, gab er zu, bei seiner SS-Zugehörigkeit versuchte er sich aber herauszuwinden, indem er seine Mitgliedschaft 1933 mit Eintritt in die Wehrmacht enden ließ, obwohl er ihr danach wieder beigetreten war. 70 Er stellte es als „Angleichungsdienstgrad“ dar, um so zu suggerieren, dass er ohne sein Zutun zur SS gekommen sei, was falsch ist. Seine Gestapozugehörigkeit nannte er zwar teilweise, schränkte sie aber gleich wieder ein, indem er sie als Ausbildungszeit und als zwangsweise Zugehörigkeit darstellte. 71 Vier immerhin nannten ihre Zugehörigkeit zu Einsatzkommandos: August Hä. führte in seinem Lebenslauf selbstbewusst an, den Einsatzkommandos 4a und 11b sowie der Dienststelle des BdS in Athen angehört und die Außenstelle in Patras geleitet zu haben. Allerdings verfälschte er die Zeitspannen der beiden ersten Einsätze. Sein Fall sticht aus der Reihe der anderen heraus, weil August Hä. noch vor seinem eigenen Spruchkammerverfahren als Zeuge für seine ehemaligen Vorgesetzten Paul Blobel,

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Walter Blume und Erwin Schulz im Nürnberger Einsatzgruppenprozess fungiert hatte. Ihm ging es nicht darum, die Einsätze zu verschweigen, sondern die Aufgaben der Einheiten und seine Rolle darin zu verharmlosen bzw. zu leugnen. Auch Rath ließ die Station Ek 9 in seinem Lebenslauf nicht aus, sicherte sich aber ab, indem er wahrheitswidrig betonte, nur wenige Tage bei dieser Einheit gewesen zu sein. Ebenso leugnete er in seinem Lebenslauf nicht, NSDAP- und SA-Mitglied gewesen zu sein. Auch seine Dienstzeit bei der Gestapo fügte er in seinen Lebenslauf ein. Aus seinem Einsatz als Führer des Restkommandos Witebsk machte er allerdings einen Einsatz bei einer Aufklärungseinheit im rückwärtigen Heeresgebiet RusslandMitte, dem er diverse Einsätze bei der Waffen-SS folgen ließ. 72 Heinz Ta. schließlich gab zwar nicht auf seinem Meldebogen, aber während des Verfahrens vor der Spruchkammer des Internierungslagers Darmstadt an, mit der Sipo in Russland gewesen zu sein. 73 Und auch Fritz Zi. erwähnte seinen Einsatz in der Slowakei. Sie alle vertrauten auf mangelndes Wissen auf Seiten der Spruchkammern, womit sie nicht Unrecht haben sollten. Von allen sah allein Schmidt-Hammer sich nicht veranlasst zu lügen, weil er für sein Entnazifizierungsverfahren beim Entnazifizierungshauptausschuss Rendsburg 1949 nur einen verkürzten Fragebogen ausfüllen musste, der neben den Personalien lediglich die Mitgliedschaft in zehn NSOrganisationen abfragte. Alle Fragen konnte er so wahrheitsgemäß mit nein beantworten. 74 Mit ihren Lebensläufen legten sie die Grundsteine für den weiteren Verlauf der Verfahren. Die Verbrechen, an denen sie beteiligt gewesen waren, blendeten sie dabei völlig aus ihren Biografien aus – eine Haltung, die in den folgenden Selbstdarstellungen während ihrer Verfahren noch viel deutlicher hervortreten sollte. Nun ging es für sie darum, ihre Angaben mit Argumentationen und Rechtfertigungen zu untermauern. 2.1.1.2. Argumentationsmuster und Rechtfertigungen Die Angaben über den eigenen NS-Lebenslauf, eingetragen in den tabellarischen Vordruck der Fragebögen, waren das Grundgerüst, auf dem die Einzelnen ihre weitere Selbstdarstellung und Verteidigung errichteten. Im nächsten Schritt ging es darum, auf die Klage der Spruchkammer zu reagieren und den Lebenslauf mit Argumenten für die Lauterkeit der eigenen Person auszukleiden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die meisten der Betroffenen eine Ausbildung bei der Kriminalpolizei oder Gestapo und zum Teil eine juristische Ausbildung besaßen. Auch wenn sie sich jetzt in der umgekehrten Position wiederfanden, so waren Befragungen doch keine unbekannte Situation für sie. Sie kannten die Spielregeln. Mit Blick auf die Veränderungen in den Lebensläufen, die, wie gezeigt, in erster Linie darauf gezielt hatten, Einsätze und Positionen zu verschleiern, brauchten sie nun

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Argumente, die die verbliebenen „formalen“ Belastungen und Aspekte ihres NS-Lebenslaufs, die sich negativ auf ihre Gesamtbewertung auswirken konnten, ausräumen sollten. Ziel war es überdies immer, Distanz zwischen sich und NS-Verbrechen zu bringen. Fester Bestandteil dieser Argumentation war, an solchen Verbrechen nicht beteiligt gewesen zu sein, von ihnen nichts gewusst zu haben oder maximal davon gehört zu haben. Selbst in den vorgestellten Beispielen, in denen die Einsatzgruppen erwähnt wurden, folgte sofort der Versuch, diese Etappe zu marginalisieren – entweder, indem sie als kurzfristige und daher zu vernachlässigende Station beschrieben oder die eigene Stellung und Aufgabe innerhalb dieser Einheiten verharmlost wurde. Die Bandbreite des Materials, mit dem die Betroffenen ihre persönlichen Lebensläufe stützten, reichte von Lügen und Verleugnung über Verharmlosung und vorgeschütztes Unwissen bis hin zur Selbststilisierung zu betrogenen Idealisten und letztlich Opfern des Systems. Jeder schätzte dabei für sich selbst ein, wo die Linie verlief zwischen den nun gültigen Bewertungskategorien und den ehemaligen; was nicht sagbar und – viel wichtiger – was mit Blick auf die Entscheidungsträger der Spruchkammern konsensfähig und somit kommunizierbar schien. Alle erwiesen sich schließlich als mehr oder weniger anpassungsfähig an die neuen Maßstäbe. Anpassungsfähiger waren jene Personen, die größere opportunistische Fähigkeiten besaßen, die klar erkannten, dass ihr NS-Leben vorbei war und sie künftig nur wieder eine Rolle spielen konnten, wenn sie sich nach außen hin davon distanzieren konnten. Sie vertrauten selbstbewusst darauf, dass ihre Fähigkeiten und ihre Persönlichkeiten auch im neuen Deutschland wieder gebraucht würden und entwickelten eine geradezu ausschweifende Entschuldungsprosa. Als weniger anpassungsfähig erwiesen sich jene, die auch nach außen hin dem NS-Gedankengut nicht abschwören konnten oder wollten, die immer noch im NS-Weltbild verhaftet waren. Mit einem gewissen Trotz standen sie zu ihrer Vergangenheit, wenn auch wie im Fall August Hä. in letzter Konsequenz nur halbherzig, denn auch sie wollten sich nicht zur Rechenschaft ziehen lassen für Verbrechen, für die sie sich nicht verantwortlich fühlten. Und so unterschieden sich die Argumente und Rechtfertigungen, mit denen sie ihre „offiziellen“ Lebensläufe ausfüllten. Jeder setzte in seiner Darstellung eigene Schwerpunkte. Friedrich Me. beispielsweise rückte geschickt sein achtmonatiges Theologiestudium in den Mittelpunkt, das für seine antinationalsozialistische Haltung, die er für sich beanspruchte, Pate stehen musste. 75 Wichtig waren auch die zur Entlastung vorgebrachten Umdeutungen und Erklärungen hinsichtlich der Mitgliedschaften. So erklärten die Betroffenen SS-Mitgliedschaft mit erzwungener Überführung in die SS und anschließender Dienstgradangleichung oder sprachen nur von einer automatisch erfolgten Dienstgradangleichung, ohne eine SS-Mitgliedschaft

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zu erwähnen. Keinesfalls wollten sie den Eindruck erwecken, ihr Dienstgrad sei Verdienst für besondere Leistungen gewesen. Wer sich darauf berief, berief sich nicht selten auch darauf, unpolitisch gewesen zu sein. Mitgliedschaften in NSDAP und anderen NS-Organisationen belasteten zwar die Lebensläufe, aber die Betroffenen versuchten sie zu rein formalen Zugehörigkeiten zu stilisieren, die aus Opportunismus, Karrieregründen oder Zwang erfolgt seien, nicht aber ihre innere Haltung widerspiegelten. Dahinter stand bereits zu diesem Zeitpunkt das Konstrukt des unpolitischen, korrekten Polizei- und Kriminalbeamten, mit dem eine fiktive Tradition „unbeirrter Rechtsstaatlichkeit und unpolitischer Professionalität“ 76 , so Patrick Wagner in seiner Studie über die Kriminalpolizei der 1950er Jahre, beschworen wurde. Die Betroffenen machten sich ganz einfach das Bild der sauberen Polizei, das die Gestapo ausschloss, zu Nutze, das nicht nur in ihren Köpfen existierte. Das Argument, rein polizeiliche oder militärische Aufgaben erledigt zu haben, zieht sich von den Spruchkammerverfahren bis zu den späteren Verfahren vor bundesdeutschen Gerichten. Für GestapoBeamte war die Argumentationsführung in dieser Hinsicht schon wesentlich schwieriger. Wie die SS war auch sie im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess als verbrecherische Organisation klassifiziert worden. Mit ihr war in der Bevölkerung eine besondere Assoziation verbunden. Die Geheime Staatspolizei wurde als gleichbedeutend empfunden mit Repressalien gegen die eigene Bevölkerung, wobei in dieser Logik Juden ausgeschlossen waren, und sie rief das Bild des brutalen, dumpfen Exzesstäters hervor. Für große Teile der Bevölkerung bedeutete die Klassifizierung von SS und Gestapo als verbrecherische Organisationen die Möglichkeit, NSVerbrechen institutionell zu verorten und sich gleichzeitig von ihnen freizusprechen. 77 Betroffene wie Gerhard S. beriefen sich meist auf eine Zwangssituation, die sie zur Gestapo gebracht habe, darauf, keine GestapoMethoden angewandt oder von ihnen gar nichts gewusst zu haben. Sie versuchten, sich von einem fiktiven Kernbereich der Gestapo, der „Ermittlungsarbeit“, abzusetzen. Osteinsätze bedurften ebenfalls einer Erklärung. Wer sie an- oder zugab, bemühte sich, den vorgeblich rein „militärischen“ Charakter des Einsatzes und eine vorgebliche Unterstellung unter die Wehrmacht zu betonen. Dahinter stand das Bemühen, nicht mit NS-Verbrechen, vor allem nicht mit Einsatzgruppenverbrechen, in Verbindung gebracht zu werden. Einsätze mit der Waffen-SS, zumal wenn man zu ihr versetzt worden sein wollte, erschienen ihnen dagegen kommunizierbar. Es war der Versuch, den Einsatz rein „militärisch“ aussehen zu lassen, was wiederum implizieren sollte, dass er nicht verbrecherisch gewesen war. Das setzte wiederum ein weiteres Konstrukt der Nachkriegszeit voraus, das von da an fester Bestandteil von Schuldabweisung werden sollte, nämlich, dass der Krieg hinsichtlich der

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Kriegsführung als normal und nicht spezifisch nationalsozialistisch betrachtet wurde. Aber auch Idealismus schien manchem ein Argument, das das Potential besaß, auf Verständnis stoßen zu können und in dem schon das nächste Argument angelegt war: nämlich verführt und betrogen worden zu sein. Die eigene Begeisterung für die nationalsozialistische Bewegung und ihre Ziele, der Beitritt zur NSDAP, zur SA oder zur SA – alles eine Folge ideologischer Irreführung. „Idealismus“ lautete der Begriff, wahlweise noch mit dem Attribut „jugendlicher“ versehen, der als Selbstentschuldung von da an herhalten musste. Gemeint war damit, ungeachtet aller philosophischer Definitionen des Begriffs, dass man etwas Ideales, etwas Vollkommenes, etwas Positives für sich oder sein Land als Wunschziel vor Augen gehabt habe, was, so der Umkehrschluss, nicht verwerflich sein könne. Verantwortlichkeit für das eigene Handeln wurde damit grundlegend negiert. Würde man diese Argumentation konsequent weiterdenken, ließe sich mit ihr auch Antisemitismus rechtfertigen. Und tatsächlich scheute beispielsweise Fritz Zi. nicht davor zurück, in seinen Selbstdarstellungen auch diesen Weg zumindest teilweise und mit Einschränkungen zu beschreiten. Harder versuchte es sogar mit der Kombination, unpolitisch und Nationalsozialist gewesen zu sein. An diese Argumentationen schloss sich die an, dass man, anstatt die NS-Gewaltherrschaft unterstützt zu haben, was es zu widerlegen galt, vielmehr selbst dem Zwang dieses Systems ausgeliefert gewesen sei. Die vermeintliche eigene Handlungsunfähigkeit ergänzte damit die negierte Verantwortlichkeit für das eigene Handeln. Wie sahen ihre Selbstdarstellungen und Argumentationen nun konkret aus? Gerhard S., der zunächst unter dem falschen Namen Waldeck bei Bauern in der Umgebung Hamburgs untergetaucht war, dann aber gefasst und ins Internierungslager Neuengamme gebracht worden war, gehört ohne Zweifel zu denen, die ohne Skrupel der Spruchkammer Lügen über ihre NSVergangenheit präsentierten und noch dazu NS-Verbrechen verharmlosten. Von ihm sind die Akten eines Spruchgerichtsverfahrens 78 vor dem Spruchgericht Bergedorf sowie die Unterlagen seines Entnazifizierungsverfahrens 79 vor dem Entnazifizierungshauptausschuss Stade (beides britische Zone) überliefert. Auf fast fünf eng beschriebenen Schreibmaschinenseiten legte er dem Spruchgericht Bergedorf detailliert und versiert seine Version seines Lebenslaufs vor. Selbstsicher und auf Details bedacht, schilderte er sich darin als unpolitischer Verwaltungsbeamter, der eine Laufbahn bei der Kriminalpolizei eingeschlagen hatte, kriegsbedingt als Anwärter des leitenden Dienstes dann im Amt I des RSHA aber „neben dem Kennenlernen der Aufgaben eines Landratsamtes und einer Regierung auch alle Zweige der Sicherheitspolizei und des SD zur Information durchlaufen“ 80 musste. Er versuchte damit bereits, seine Stellung als Anwärter des leitenden Dienstes,

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die eigentlichen Ausbildungsinhalte und Einsätze zu marginalisieren und zu entpolitisieren. Er betonte des Weiteren, 1933 lediglich SS-Bewerber gewesen zu sein, weil ihm das die Schulleitung der Franckeschen Stiftungen in Halle als Leiter eines neu aufzustellenden Schülerbataillons nahe gelegt habe. Bereits noch ihm selben Jahr habe er diese Bewerbung wieder zurückgezogen, weil er zur Reichswehr gewollt habe. Der SS sei er danach nicht wieder beigetreten; sein SS-Dienstrang sei lediglich ein Angleichungsdienstgrad gewesen – ein in die Irre führendes Argument, das nicht nur Gerhard S. gebrauchte und das sich auch in den späteren NS-Prozessen noch reger Beliebtheit erfreute, diente es doch als Argument für die unpolitische, in rechtsstaatlicher Tradition stehende Kriminalpolizei. Tatsächlich war Gerhard S. 1934 aus der SS ausgetreten, weil er zur Reichswehr ging, danach hatte er aber sofort wieder seine Aufnahme in die SS beantragt. Bei der Spruchkammer kam er damit letztlich nicht ganz durch, denn dem Kläger lagen die BDCUnterlagen und damit auch ein Heiratsgesuch Gerhard S.s vor. Darin hatte Gerhard S. 1937 oder 1938 in seinem Lebenslauf geschrieben: „Infolge meines Eintritts in die Reichswehr musste ich s.[einer] Zt. aus der SS austreten. Das Wiederaufnahmeverfahren läuft z. Zt. und da der Wiederaufnahme nichts entgegensteht, unterwerfe ich mich betr. Heiratsgenehmigung bereits jetzt den SS-Gesetzen.“ 81 Ergänzend hatte er in einem späteren Schreiben hinzugefügt, dass er am 2. Juli 1938, an dem Tag, an dem er seine Kommissarsprüfung bestand, unter seiner alten SS-Nummer wieder aufgenommen worden sei. 82 Vehement versuchte er, einen Sicherheitsabstand zwischen sich und die SS zu bringen. Dass er auch Parteimitglied gewesen war, leugnete er nicht, wies aber darauf hin, dass er erst 1941 (richtig: 1940) auf Anraten Parteianwärter geworden sei. Und ergänzend fügte er hinzu, „dass ich entsprechend meinem Alter keine andere Partei bewusst erlebt habe und von ihren programmatischen Ideen gefangen wurde, sodass ich mich innerlich als Nationalsozialist fühlte und den Eintritt in die Partei als eine unwichtige äußere Formsache ansah“83 . Diese angebliche politische Ahnungslosigkeit hinsichtlich anderer Parteien darf als Schutzbehauptung gewertet werden, schließlich war Gerhard S. 1933 bereits 20 Jahre alt. Ebenso schwer wie seine SS-Mitgliedschaft wog seine Gestapozugehörigkeit. In seinem Lebenslauf, den er in Bergedorf vorlegte, war er darauf bedacht, dieses Thema nicht explizit anzusprechen und seine Zugehörigkeit zur Staatspolizei als obligatorische Ausbildungsetappe darzustellen. Zwar erfuhr er seine Ausbildung tatsächlich bei der Stapo-Stelle Potsdam, allerdings hatte er sich auch zuvor bei der Gestapo beworben. Erst 1938 sah die Ausbildung zum Kriminalkommissar ein zweimonatiges Praktikum bei einer Stapo-Stelle und eine dreimonatige Ausbildung beim SD vor.

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Den Schwerpunkt seiner schriftlichen Darstellung legte Gerhard S. auf sein juristisches Studium, wobei er, wie bereits erwähnt, die Zeit beim Ek 9 ausließ, und sich bemühte, die Zeit von 1941 bis 1945 als Ausbildungszeit erscheinen zu lassen, in der er nur passiver Beobachter und Lernender gewesen sei und in der er immer wieder versucht habe, zur Wehrmacht zu kommen. Und so verwundert es nicht, wenn er am Ende seiner Ausführungen zu dem Fazit gelangte: „Wenn ich von dem kurzen militärischen Einsatz am Ende des Krieges absehe, bin ich während meiner fast 9jährigen Tätigkeit bei der Sicherheitspolizei ständig in der Ausbildung, Schulung oder Vorbereitung gewesen – habe 5 Prüfungen durchmachen müssen, von denen die eine immer wieder die Voraussetzung für die andere war, unterlag ständiger dienstlicher Beurteilung und Beaufsichtigung und durfte im Laufe des Jahres 1945 damit rechnen, mit der Einweisung in eine Planstelle als Regierungsrat diese Zeit zu beschließen.“ 84 Das Kriegsende durchkreuzte schließlich seine Beamtenpläne, so stellte er es jedenfalls mit nicht zu überlesender Verbitterung fest: „Der Abschluss war nun nicht ‚plangemäß’, sondern führte mich als landwirtschaftlicher Arbeiter zum Bauern, wo ich mir den täglichen Lebensunterhalt verdienen musste, bis ich am 21.11.46 festgenommen und interniert wurde.“ 85 Letztlich war er also, so seine Sichtweise, ein Opfer des Systems geworden, das sich nun nach Kriegsende auch noch zu Unrecht in Internierungshaft befand. Im weiteren Verlauf ging es für ihn vor allem darum, glaubwürdig zu machen, dass er keinerlei Berührung mit NS-Verbrechen gehabt hatte. Wegen seiner Gestapozugehörigkeit musste er sich Fragen zu NS-Verfolgungsmaßnahmen und NS-Verbrechen stellen, gegenüber denen er sich unwissend und naiv gab. Vom Staatsanwalt am 8. Dezember 1947 danach gefragt, was er über die Judenverfolgung gewusst habe, antwortete er, dass ihm „selbstverständlich“ die antisemitische Einstellung der NSDAP und ihrer Gliederungen bekannt gewesen sei. 86 Von den Novemberpogromen habe er in Halle damals „gehört“. Dass Juden den Davidstern tragen mussten, habe er gewusst und auch „Einzelne mit dem Abzeichen“ gesehen; ebenso sei ihm bekannt gewesen, dass „Juden in Berlin in ihrem Wohnraum beschränkt wurden dergestalt, dass mehrere Familien in eine Wohnung zusammengelegt wurden“. Er wusste, dass ihm diese Angaben, die Allgemeingut waren, und von ihm in gleichsam belangloser und verharmlosender Weise vorgebracht wurden, letztlich nicht schaden konnten. Dann begann er aber zu leugnen und bestritt, gewusst zu haben, „dass man im 3. Reich im Osten Judenghettos neu geschaffen hatte und man diese Juden aus dem Reich zwangsweise evakuierte und später vernichtete“. Gefragt nach den Einsatzkommandos, reagierte er ähnlich. Ja, er habe gewusst, dass es sie gab, aber nur, „weil ich kurzfristig im Rahmen der Aktion Zeppelin einmal im Osten war und bei diesen Einsatzkommandos übernachtete. Von dem Zweck dieser Kommandos war ich nicht unterrichtet, wusste insbesondere

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nichts von den Maßnahmen, die jetzt gerichtsbekannt [sic] geworden sind und auf die massenweise Vernichtung von Juden und Zivilbevölkerung [sic] besetzter Gebiete hinzielten“. Auch beim Thema Konzentrationslager gab er sich unwissend und unbedarft. Zwar habe er das Konzentrationslager Oranienburg während seiner Ausbildung einmal besucht, von Verbrechen habe er aber nichts feststellen können. „Ich bestreite gewusst zu haben, dass man die Leute etwa durch Arbeit zu vernichten beabsichtigte und sie Behandlungsmethoden unterwarf, die sich nach meiner Überzeugung jetzt als Verbrechen darstellten.“ Er beschrieb Konzentrationslager als reguläre Gefängnisse: „Es mag sein, dass man bei besonders gefährlichen Leuten auf Kriegsdauer einwies, betrachte diese aber als eine reine Sicherheitsmaßnahme für besonders Gefährliche.“ Der Kläger der Spruchkammer Bergedorf, dies sei an dieser Stelle vorweggenommen, schenkte Gerhard S.s vorgeblichem Unwissen vor allem angesichts seines Rangs keinen Glauben. 87 Gerhard S. reichte ein weiteres Schreiben mit der Überschrift „Meine Verbindung mit der Geheimen Staatspolizei und dem SD und die Bemühungen, aus diesen Organisationen auszuscheiden“ 88 ein, um seine Position zu stärken und seine Gestapozugehörigkeit zu relativieren. Darin stilisierte er sich nun zum unbequemen und nicht linientreuen Gestapobeamten, der wiederholt versuchte, von der Gestapo (für die er sich ebenso wie für die Kriminalpolizei beworben hatte) wegzukommen, obwohl ihm angeblich mit Einweisung in ein Konzentrationslager gedroht worden sei. Hier widersprach er sich selbst, hatte er doch zuvor die Konzentrationslager als harmlose Einrichtungen beschrieben. Gerhard S. berief sich hinsichtlich seiner Tätigkeit bei der Gestapo auf Zwang und Notstand: „Zusammenfassend darf ich heute sagen“, endete er sein Schreiben, „dass ich […] die Erkenntnis gewann, in ein unduldsames und rücksichtloses System einer Diktatur eingespannt zu sein, und dieser Erkenntnis Rechnung tragend unter Inkaufnahme schwerster Bestrafung, Berufsverlust und Schädigung der Familie nichts unversucht ließ, mein Ausscheiden zu erzwingen. Wenn mir das trotz allem nicht immer gleich und in vollem Maße gelungen ist, so bitte ich doch zu bedenken, dass ich, dem Militärstrafgesetzbuch unterstehend, trotz klarer Kenntnis der Gefahren zwar viel gewagt und in Kauf genommen habe, letztlich aber vor meiner Familie nicht verantworten konnte, offenen [im Original unterstrichen] Ungehorsam, Befehlsverweigerung und Meuterei zu betreiben. Tod oder lange Freiheitsentziehung wäre die Folge gewesen.“ 89 Es war der Hinweis an die Spruchkammer, dass man mehr wohl nicht verlangen könne. Während seines anschließenden Entnazifizierungsverfahrens, zu dem er sich bereits wieder in Freiheit befand, legte er in seinen schriftlichen Ausführungen über seinen „politischen Lebenslauf“ vor allem Wert darauf, sich als betrogenen Idealisten zu geben. Die Argumentation lief damit auf ein Sowohl-als-auch hinaus. So schrieb er: „[Ich habe] damals die nach außen

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wirkenden Erfolge des Nationalsozialismus, wie die einheitsstaatliche Form, die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und die Beseitigung des Klassenkampfes gut geheißen. Erst viel später – ja zu verschiedenen Fragen erst nach der Kapitulation, ist mir das innere Wesen dieses Systems klar geworden, insbesondere als sich während des Krieges eine Parteidiktatur entwickelte, die mit Korruption, Byzantinismus und Gewalt eigensüchtigen Zielen nachstrebte.“ 90 Damit reihte er sich ein in die Mehrheit der deutschen Bevölkerung, die den schnellen Erfolgen des NS-Regimes zugejubelt hatte. Seine Kritik war ebenfalls mehrheitsfähig, beschränkte sie sich doch auf die als marode empfundene Seite des Systems und ließ NS-Verbrechen außen vor. Wie er seine eigene Situation empfand, brachte er bei seinem Entnazifizierungsverfahren zum Ausdruck, schließlich ging es dabei um seine berufliche Zukunft: „Mit dem äußeren Zusammenbruch Deutschlands lief mein innerer parallel. Ich sah mich verraten, betrogen und verlassen und fühle heute nur noch eine tiefe Verachtung gegenüber den Personen und dem System, das Deutschland in dieses Unglück geführt hat.“ 91 Passend zu seiner vorangegangenen Argumentation fügte er noch hinzu: „Diese Einstellung ist nicht etwa allein dadurch bedingt, dass dem System der Erfolg versagt blieb, sondern besonders durch die Kenntnis und Erkenntnis von den inneren Zusammenhängen, den begangenen Verbrechen und der geistigen Intoleranz. Diese Erkenntnisse habe ich mir aber leider erst nach der Kapitulation infolge genügender Aufklärung verschaffen können.“ 92 Er selbst sah sich nicht als Teil dieses Systems. Und exakt seiner Argumentation entsprechend stellte er sogleich klar, was er über seine Verhaftung nach Kriegsende dachte: „Zum Zwecke der kollektiven Haftung für das begangene Unrecht durch einzelne NSFormationen wurde ich am 21.11.46 vom englischen I.S. [Intelligence Service] festgenommen und ins Internierungslager Neuengamme eingeliefert.“ 93 Er machte schließlich keinen Hehl daraus, dass er die Spruchgerichtsverfahren und auch den Spruch, den er erhalten hatte, ebenfalls als zutiefst ungerecht empfand und bat am Ende darum, in die Gruppe der „Unbelasteten“ eingereiht zu werden. 94 Es war für ihn aber nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern vielmehr ging es darum, die Entnazifizierung möglichst erfolgreich hinter sich zu bringen, um seine berufliche Zukunft gesichert zu sehen. 95 Schließlich, so ließ er den Entnazifizierungsausschuss in Stade im Januar 1949 wissen, stünde er in „aussichtsreichen Verhandlungen zwecks Wiedereinstellung in die Polizei“ 96 , weshalb das Verfahren doch schnellstens abgeschlossen werden solle. Zu denen, die ohne Skrupel logen und beinahe ein Recht auf Entnazifizierung einforderten, gehörte auch Walter He. Seine NSDAP-Mitgliedschaft gab er zwar an, berief sich aber auf Opportunismus; seinen SS-Rang erklärte er mit Dienstgradangleichung und Karrieregründen. 97 Grund dafür ist ohne Zweifel, dass Walter He. die Strategie verfolgte, sich während des

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gesamten Verfahrens als unpolitischer Kriminalbeamter zu präsentieren. Zu dieser Legende gehörte, dass sein aus beruflichen Gründen erfolgter Eintritt in die NSDAP nur durch die Fürsprache des Kreisbauernführers seines Heimatortes überhaupt erst möglich gewesen sei, dass sein Einsatz in Russland rein „militärisch“ gewesen sei und der Hinweis, dass er in Breslau nur „unpolitische“ Delikte bearbeitet habe und stets ein korrekter und toleranter Vorgesetzter gewesen sei. 98 Als er damit nicht durchkam und zunächst als Unterstützer der NS-Gewaltherrschaft in die Gruppe IV eingereiht wurde, verschärfte sich sein Ton, und er wurde genauer in seiner Selbstdarstellung, in der er nun einerseits verstärkt seine Unschuld und charakterliche Anständigkeit betonte und andererseits gleichzeitig den Spieß umdrehte und den Entnazifizierungsausschuss wegen seiner vermeintlichen „konstruierten Belastung“ und Fehleinschätzung angriff. Seine Berufungsbegründung 99 ist ein schriftlicher Gegenangriff auf die Sichtweise des Entnazifizierungsausschusses. Und sie zeigt unverhüllt, wie Walter He. nicht nur sich darstellen wollte, sondern vor allem auch, wie er sich tatsächlich selbst sah. Er verwies darauf, dass er „als Ausbilder und Führer einer russischen Freiwilligen-Einheit […] nur nach den allgemein gültigen Regeln der Kriegsführung gehandelt“ und sich „keiner Verstöße gegen international anerkannte Rechtssätze schuldig gemacht“ habe. Sein Verhalten sei „stets korrekt“ gewesen, was er dadurch bewiesen sah, dass er 1947 aus britischer Gefangenschaft ohne Probleme entlassen worden war. Und er bestritt energisch die „vom Kläger vorgebrachten, nur auf Vermutungen gestützten Beschuldigungen, an Greueln und Repressalien gegenüber der Ostbevölkerung beteiligt gewesen zu sein“. Der Kammer warf er zudem „unzureichende Sachkenntnis“ vor, weil sie seine erfundene Stelle als Ordonnanzoffizier bei der Waffen-SS als wichtig beurteilte, und hielt ihr vor, dass „viele Offiziere und Unteroffiziere in gleichen und ähnlichen Stellungen verwendet worden sind, ihnen diese Betätigung aber heute auch nicht besonders zur Last gelegt wird“. Der Verweis auf die unbehelligte Wehrmacht im Gegensatz zu Einheiten der SS, der Sipo und des SD ist bedeutend, weil er auch in den späteren NS-Prozessen immer wieder auftauchte. Selbstsicher sagte Walter He. am Ende seiner Ausführungen über sich selbst: „Da keinerlei Tatsachen gegen mich sprechen, die Beweisaufnahme vielmehr ein makelloses Bild meiner Vergangenheit in Frieden und Krieg entworfen hat und mir keine politische Aktivität zur Last gelegt werden kann, ist die Einstufung als ‚Unterstützer des Nationalsozialismus’ unbegründet.“ Und wieder scheute er nicht den Vergleich und den Verweis auf die Masse, wenn er seine Vergangenheit, so wie er sie darstellte und sah, pathetisch rechtfertigte: „Ich habe als Beamter und als Soldat nur meine Pflicht als Deutscher erfüllt, ebenso gut und so schlecht wie andere Staatsbürger, die nach den zahlreichen Entscheidungen als ‚entlastet’ angesehen

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werden.“ Was Walter He. präsentierte, war keine aufgesetzte Selbstsicht; er sah und beurteilte sich und seine Vergangenheit tatsächlich so. Wie alle bislang aufgeführten Beispiele verlegte auch Harder sich auf eine Umdeutung seines Lebenslaufs, allerdings machte er keinen Hehl daraus, Nationalsozialist gewesen zu sein. Er versuchte gleichzeitig, sich als Nationalsozialisten und als unpolitisch darzustellen. Weil dem Kläger der Spruchkammer Darmstadt-Lager eine BDC-Auskunft vorlag, wurde Harder zunächst in der Verhandlung am 2. Juli 1948 mit den offensichtlichen Falschangaben in seinem Lebenslauf, nämlich dem falschen Beitrittsdatum zur NSDAP und der nicht erwähnten SD-Tätigkeit, konfrontiert. Das Sitzungsprotokoll zeigt einerseits Harders im Gegensatz zu den vorher genannten Beispielen zum Teil sehr unbeherrschte Begründungsversuche und andererseits seine Selbstpositionierung. So beteuerte er, keine falschen Angaben gemacht zu haben, sich aber vielleicht in den Daten geirrt zu haben. Hinsichtlich der SD-Tätigkeit verstrickte er sich in widersprüchliche Aussagen, gab dann aber indirekt zu, sie bewusst verschwiegen zu haben: „Die SD-Leute, die in Gefangenschaft gingen hat man in der ersten Zeit in ziemlich übler Form behandelt. Ich war mir keiner Schuld bewusst, und warum sollte ich mich da in ein übles Licht stellen?“ 100 Auf den Vorhalt, dass er laut BDC-Unterlagen 1940 zum SS-Hauptsturmführer befördert wurde, reagierte er mit vorgetäuschtem Unwissen und blieb bei seiner Falschdarstellung, zu diesem Zeitpunkt noch bei der Wehrmacht gewesen zu sein und nun zum ersten Mal von dieser Beförderung zu hören. Seinen Eintritt in die SS 1930 begründete er mit Verweis auf Kameradschafts- und Elitegedanken. 101 Am Ende ließ er die Kammer wissen, wie er sich selbst sah: „Ich war Soldat gewesen und habe eine Kompanie geführt und hatte auch keinen politischen Weitblick und musste glauben, dass wir den Krieg gewinnen würden.“ 102 Als unpolitisch, mit einer unbedeutenden Position und, so machte er noch deutlich, auch unwissend, wollte er sich verstanden wissen: „Von Grausamkeiten oder Verbrechen, die von der SS begangen worden sind, ist mir nichts bekannt und habe von solchen während des Krieges auch nichts gehört.“ 103 NS-Verbrechen zu verharmlosen und sich unwissend zu geben, darauf setzte auch Rath. Allerdings konnte und wollte er seine Einschätzung der Verbrechen nicht verbergen, so dass seine Einlassungen eine deutliche Kontinuität von NS-Ideologie, -Sprache und entsprechenden Bewertungskategorien offenbaren. In seinem Verfahren vor dem Spruchgericht Bielefeld 104 ging es zum einen um seine Dienstzeit bei der Gestapo und zum anderen um seine Tätigkeit in Russland; schließlich hatte er das Ek 9 genannt. Diesen Einsatz spielte er als unbedeutendes Zwischenspiel herunter, und mit der unwahren Behauptung, im weiteren Kriegsverlauf bei diversen Waffen-SSEinheiten gewesen zu sein, zielte auch er darauf ab, den Eindruck zu erzeu-

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gen, er sei nur an „militärischen“ Einsätzen beteiligt gewesen. Für Rath ging es darum, seinen Dienst bei der Gestapo harmlos erscheinen zu lassen und sich nicht in Zusammenhang mit NS-Verbrechen zu bringen. Er gab in seiner staatsanwaltschaftlichen Vernehmung am 8. Oktober 1948 freimütig zu, der NSDAP aus Überzeugung beigetreten zu sein und verwies auf den schon angesprochenen Idealismus. Im weiteren Verlauf der Vernehmung verlegte er sich darauf, beinahe sämtliches Wissen über Verfolgung und Verbrechen zu leugnen. So zog er sich auf die Position zurück, in Konzentrationslagern hätten sich „kriminelle Verbrecher“, „arbeitsscheue Elemente“ und Personen befunden, „die ein politisches Delikt begangen hatten“ 105 . „Keineswegs ist mir jedoch bekannt gewesen, dass in den Lagern politische Häftlinge saßen, die nur wegen ihrer antinationalsozialistischen Gesinnung und weil sie von der Gestapo als eine Gefahr für den NS-Staat angesehen wurden, dort in den Lagern inhaftiert wurden. […] Dass Geistliche in den Lagern saßen, war mir unbekannt. Ich habe nicht gehört, dass Juden in Konzentrationslagern saßen. Ich wüsste auch nicht, warum.“ Nach Arbeitserziehungslagern gefragt, gab er zu, davon gewusst zu haben, dass es solche Lager für „Arbeitsbummelanten“ gegeben habe. Dass es Zwangsarbeiter gab, bestritt er gegenüber dem Staatsanwalt, indem er den Zwang bezweifelte und hinzufügte: „Ich hörte auch, dass auch Ausländer in Arbeitserziehungslagern saßen. Ich nehme an ebenfalls wegen Arbeitsbummelei und Arbeitsvertragsbruch.“ 106 Die Tatsache, dass polnische Zwangsarbeiter ein „P“ auf ihrer Kleidung tragen mussten, ließ er den Staatsanwalt zudem wissen, habe er nicht als entwürdigende Maßnahme, sondern einfach als Kennzeichnung betrachtet, „damit jeder Deutsche gleich sehen konnte, wenn er einen Polen vor sich hatte“. Beim Thema Judenverfolgung bestritt er, jemals den Begriff Sonderbehandlung gehört zu haben. Er erklärte aber, gewusst zu haben, dass es bei der Gestapo ein Judenreferat gegeben habe, mit der Funktion, „die Juden zu überwachen“. Unrecht konnte er darin ebenso wenig erkennen wie in der Bestimmung, dass Juden den Davidstern tragen mussten: „Ich hielt diese Kennzeichnung für durchaus berechtigt, weil das Weltjudentum uns den Krieg erklärt hatte.“ Er beeilte sich aber hinzuzufügen, dass er die Dinge heute anders betrachte. Mit Blick auf seine Sprache und seine Argumentation darf dies als eine eher unglaubwürdige Bemerkung bewertet werden. Rath bestritt gegenüber dem Staatsanwalt auch, jemals etwas von Judendeportationen gehört zu haben: „Ich hörte nur davon, dass die Juden, als die Lage an den Fronten kritisch wurde, in Internierungslager gekommen sein sollen.“ In der Konsequenz leugnete Rath auch, davon gehört zu haben, dass Einsatzgruppen mit Vernichtungsbefehl im Osten eingesetzt gewesen waren. Allerdings traf er hier auf das Problem, dass der Kammer seine BDC-Unterlagen bekannt waren, in denen seine Zugehörigkeit zu seinem Einsatzkommando erwähnt wird. Und so fügte er noch schnell hinzu: „Ich

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habe auch niemals vernommen, dass dort Juden vernichtet worden sein sollen. Ich will mich berichtigen. Ich habe wohl etwas gerüchteweise gehört. Es sollen Juden erschossen worden sein, ich weiß aber nicht von wem. Bei der Einheit, bei der ich mich befand, ist niemals ein Jude erschossen worden.“ Weil er der Ansicht war, dass er seine Sichtweisen und Erklärungen in der Vernehmung nicht richtig hatte ausbreiten können, verfasste Rath gleich nach seiner Vernehmung ein Schreiben an das Spruchgericht, in dem er nochmals zu allen Punkten Stellung nahm. Er betonte, von einer Vernichtungsaufgabe der Einsatzkommandos nichts gewusst zu haben: „Ich habe nicht nur solche Befehle betreffend die Juden nicht gekannt, sondern auch während meiner ganzen Einsatzzeit in Russland niemals Weisungen erhalten, die sich besonders auf Juden bezogen hätten. Soweit ich mit Juden im Rahmen der Bandenbekämpfung in Berührung gekommen bin, sind diese nicht anders als die übrigen Bandenangehörigen behandelt worden.“ 107 Darüber hinaus blieb er dabei – von einer rassistischen Verfolgung der Juden durch die Gestapo sei ihm nichts bekannt. Er ließ sich lediglich darauf ein, gewusst zu haben, „dass im Kriege eine Reihe polizeiliche Maßnahmen gegen die Juden ergriffen wurden, da sie mehr und mehr als aktive Kriegsfeinde angesehen wurden“ 108 . Auch in Sachen Zwangsarbeiter blieb er bei seiner Verteidigungslinie. „Zwangs- bzw. Sklavenarbeiter“ habe es nicht gegeben; alles sei mit rechten Dingen abgelaufen und zur Bestätigung fügte er hinzu: „Ich weiß, dass die fremden Arbeiter sich in Deutschland frei bewegen konnten und sogar Urlaub in die Heimat bekamen und dass es umfangreiche Betreuungseinrichtungen für diese gab.“ Auch auf den Komplex Konzentrationslager kam er wieder zu sprechen und betonte noch einmal, von Misshandlungen und Grausamkeiten in Konzentrationslagern nichts gewusst zu haben, weil er, so seine Begründung, nie ein KZ besichtigt habe. Ebenso wie Gerhard S. verteidigte er den ‚Schutzhaftbefehl’ und gab sich darüber hinaus einmal mehr unwissend: „Dass die bloße religiöse, rassische oder politische Gesinnung zur Inhaftnahme genügen soll, war mir nicht bekannt.“ Und ganz im Sinne der NS-Ideologie fügte er hinzu: „Was die Arbeitserziehungslager betrifft, so ist mir bekannt, dass sie dazu dienen sollten, asoziale Elemente der Besserung zuzuführen bzw. Arbeitsscheue zur Arbeit anzuhalten.“ Seine Aussagen gingen damit weit über das hinaus, was zu seiner eigenen Verteidigung nötig gewesen wäre. Sie rechtfertigten letztlich den NS-Staat und seine Maßnahmen. Die Haupttopoi der Verteidigung und Rechtfertigung standen damit fest. Sie wurden nicht erst während der NS-Verfahren in der Bundesrepublik generiert, sondern wurden direkt in der Nachkriegszeit geschaffen, wenn sie nicht sogar bereits vorher, während der Zeit des Nationalsozialismus, zur Selbstentschuldung und Selbstvergewisserung der eigenen Anständigkeit und Menschlichkeit kreiert worden waren. Sie wurden danach lediglich weiter argumentativ ausgebaut und systematisiert, bis sie zum Verteidi-

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gungsbollwerk derer wurden, die es in den 1950er Jahren wieder in den Polizei- und Kriminaldienst geschafft hatten. In den Argumentationen angelegt war die Selbstrechtfertigung der Einzelnen, die in dieser Etappe noch nicht konkret vorgeworfenen Taten galt, sondern ihre Haltung zum Nationalsozialismus und ihr Verhalten während dieser Zeit betraf. Sie diente dazu, die Spruchkammer- oder Entnazifizierungsverfahren möglichst so zu durchlaufen, dass sich daraus keine mitteloder langfristigen finanziellen oder beruflichen Nachteile ergaben. Die im Verfahren vorgebrachten Argumente entsprangen der Situation und waren zielgerichtet. Die Selbstrechtfertigungen lassen jedoch die Interpretation zu, dass sie nicht spontan entwickelt und zur eigenen Verteidigung lediglich vorgeschoben wurden, sondern dass die Betroffenen von ihrer eigenen Unschuld und Nichtverantwortlichkeit in der Mehrheit überzeugt waren. „Ein Schuldbewusstsein haben die wenigsten: Sie haben nichts verbrochen, nichts gewusst, aus Idealismus gehandelt, sie waren Kameraden – und die andern sind auch schlecht!“ 109 , urteilte Eugen Kogon nach einer Besichtigung des Internierungslagers Darmstadt. Aus diesem selbst geschaffenen Bewusstsein resultierte das Empfinden, nun ungerecht behandelt und bewertet zu werden. Die Vermutung liegt nahe, dass der Prozess der Selbstrechtfertigung bereits früher, nämlich bereits beim Töten eingesetzt hatte. Ich folge mit dieser Ansicht Jan Philipp Reemtsma, der diese Überlegung anhand des Beispiels des von Christopher Browning analysierten Reservepolizeibataillons 101 entwickelte. 110 Ansatzpunkt dieser Vermutung ist die bereits genannte Feststellung, dass die Täter ihren Äußerungen und ihrem Auftreten zufolge für sich einen Weg gefunden zu haben schienen, der sie selbst entlastete, dabei aber nun genau wussten, was sie getan hatten und dass dies nun mit anderen Maßstäben gemessen wurde. In seiner präzise und konsequent durchdachten Studie geht Reemtsma zwar primär der Frage nach, wie die ganz gewöhnlichen Männer des PolizeiReservebataillons 101 zu Mördern werden konnten. Er liefert dabei aber auch Antworten auf die Frage nach dem Prozess der Selbstentschuldung, die für ihn die unabdingbare Voraussetzung für das weitere, widerspruchslose Morden ist. Das lässt sich ohne weiteres auch auf die hier untersuchten Personen übertragen. Damit das Selbstbild während und nach dem Töten bestehen bleiben konnte, bedurfte es nach Reemtsma 1.) eines Feindbildes, 2.) einer inneren Bereitschaft und 3.) des Gefühls, für das Verbrechen legitimiert worden zu sein. Das Außergewöhnliche, die Erschießungen, mussten zudem im Rahmen der Normalität geschehen. Entsprechend sah Richard W. kein Problem darin, Kleidung zuvor Erschossener zu erwerben. 111 Wenn das Außergewöhnliche und das Normale kollidierten, führte das zu Situationen, die die Beteiligten später in den NSProzessen noch sehr genau erinnerten: Wie sie zum Beispiel nach einer Erschießung Blutwurst als Verpflegung bekamen. 112 Die Normalität als

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Rahmenbedingung lieferte aber auch Argumente zur Selbstentschuldung, die ebenfalls in den späteren NS-Prozessen vorgebracht wurden: Dass nach einer Massenerschießung nicht gezecht worden sei und man sich „ordentlich“ verhalten habe. 113 Der moralische Sinn des eigenen Handelns, so sieht es Reemtsma, passte sich an die Verbrechen, die Situation, an und führte dazu, dass letztlich das Verbrechen in dem Moment, aber vor allem später, nicht mehr als solches erkannt wurde. Das schloss die Angst vor Vergeltung bei Kriegsende nicht aus, sondern vielmehr ein. Die Selbstentschuldung diente dazu, ein positives Selbstbild aufrecht zu erhalten, das das Empfinden ermöglichte, menschlich und Mensch geblieben zu sein, während und trotz ihrer Taten. Reemtsma beschreibt dieses Anliegen so: „Man wollte nicht barbarisch sein. Nicht, weil man den Juden gegenüber nicht barbarisch sein wollte, sondern weil man selbst kein Barbar sein wollte.“ 114 Entsprechend plädiert auch der Sozialpsychologe Harald Welzer für einen Perspektivwechsel bei der Behandlung des Zusammenhangs von Massenmord und Moral: „Nicht die Frage, wie moralische Hemmnisse überwunden werden konnten, führt zu einer Erklärung des Täterhandelns, sondern der Befund, dass die Selbstvergewisserung über ein trotz allem noch intaktes moralisches Vermögen die Taten für die Täter ermöglichte.“ 115 Dieser Befund Welzers basiert wiederum auf der, wie er es nennt, „trivialen psychologischen Erkenntnis“, dass „ Handlungen für den, der sie vollzieht, in irgendeiner Weise mit Sinn belegbar sein müssen und in irgendeiner Weise überführbar sein müssen in ein Selbstkonzept, das das Gefühl der eigenen moralischen Integrität nicht massiv infragestellt“ 116 . Wie Heer kommt auch er zu dem Schluss, dass Massenmord und Moral sich nicht ausschließen, sondern sich vielmehr wechselseitig bedingen. 117 Die Täter orientierten sich bei ihren Selbstexkulpationen an einem Täterbild, das das Nebeneinander von Täter und ganz normalem Bürger in einer Person nicht erfassen konnte; genau darauf verwies auch Raul Hilberg in seiner Studie. 118 Dieses Gegenbild speiste sich aus den Ansichten der Kriminalbiologie vom „asozialen“, notorischen Kriminellen, dem sadistischen und wenig intelligenten Exzesstäter, die sich nicht nur in den Reihen der Polizei, sondern in großen Teilen der deutschen Bevölkerung in der Nachkriegszeit manifestierten und Teil des gesellschaftlichen Klimas der 1950er Jahre wurden. Gerhard S. formulierte es gegenüber dem Entnazifizierungsausschuss so: „Wenn ich auch verstehe, dass man Schuldige an Verbrechen des Staates bestraft, weil sie sich gegen Recht und Menschenwürde vergangen haben, und wenn ich meine Internierung auch als eine kollektive Sicherungs- und Sühnemaßnahme der Besatzungsmacht in Kauf zu nehmen bereit war, so werde ich meine Zweifel an Recht und Gerechtigkeit nicht los, wenn ich wegen einer in allen Ländern geübten beruflichen Tätigkeit zum kriminellen Verbrecher gestempelt werden soll.“ 119

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Aber was war dann der Gegenentwurf dazu? In den Spruchkammerakten findet sich dazu noch keine Antwort, die sich konkret auf die Verbrechen bezieht. Hier findet sich der Gegenentwurf in Äußerungen über den eigenen „anständigen“ Charakter, das ebensolche Verhalten und die vorgebliche Nichtverstrickung in NS-Verbrechen. Erst in ihren späteren Prozessen, in denen die einzelnen Verbrechen zum ersten Mal zur Sprache kamen, zeigt sich konkret das Konstrukt des „anständigen“, ordentlichen, korrekten Mörders, was nebenbei bemerkt exakt dem Bild entspricht, das Himmler in seiner Posener Rede von und für die Einsatzgruppen entworfen hatte. Der Prozess der Selbstentschuldung war zum Zeitpunkt der Spruchkammerverfahren bereits gefestigt und diente als Basis der eigenen Verteidigung. Das erklärt auch die eingangs erwähnte Kluft zwischen den Taten und den mit Überzeugung vorgebrachten makellosen Selbstbildern. Die Vehemenz und Selbstsicherheit, mit der Betroffene wie zum Beispiel Gerhard S. während der Spruchkammer- bzw. Entnazifizierungsverfahren für sich selbst sprachen und in aggressiver Verteidigungshaltung auf das aus ihrer Sicht ihnen widerfahrende Unrecht reagierten, wirkt nicht gespielt, sondern als Ausdruck einer Überzeugung und damit als Resultat eines vorher eingesetzten Selbstentschuldungsprozesses. Gerhard S., um bei seinem Fallbeispiel zu bleiben, war sich seiner Sache sicher. Da seiner Meinung nach „eingehende Ermittlungen“ gegen ihn keinen persönlichen Vorwurf, sondern im Gegenteil „nur Gutes“ erbracht hätten, sah er sich in seinen Unschuldsversicherungen bestätigt. Sollte seiner Ansicht nicht gefolgt werden, ließ er verlauten, „dann bin ich geneigt, einen solchen Urteilsspruch niemals vor meinem Gewissen als gerecht anzuerkennen“ 120 . 2.1.2. Das soziale Umfeld – Eidesstattliche Versicherungen und ihre Verfasser Die Regelung, dass die Widerlegung der in der Klageschrift ausgesprochenen Schuldvermutung bei den Betroffenen lag, bedeutete streng genommen keine Umkehrung der Beweislast, wurde de facto aber so verstanden. Das hatte zur Folge, dass sich schon bald eine Flut eidesstattlicher Erklärungen über die Spruchkammern ergoss. Die Sichtweise der umgekehrten Beweislast degradierte die Klageschriften und die Beweise der Kläger per se zu substanzlosen Schuldvermutungen. „Der eigentliche Beweis“, stellt Niethammer fest, „wurde demnach nur geführt, um zu zeigen, wie irrelevant der Tatbestand sei“ 121 . Die eidesstattlichen Erklärungen hatten aus Sicht der Betroffenen den Zweck, die eigene Argumentation und Selbstdarstellung zu belegen und die Sicht der Spruchkammern zu widerlegen. Die Leumünder wurden gezielt ausgesucht, um den Bestätigungen möglichst viel Gewicht und Glaubwürdigkeit zu verleihen. Auch die Inhalte waren nicht willkürlich, sondern

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wurden genau von den Betroffenen vorgegeben, indem sie darum baten, dass man ihnen bestimmte Dinge bestätigen möge. Ganz deutlich wird das beispielsweise in einem Schreiben, das Fritz Zi. von seinem ehemaligen Nachbarn Dr. K. erhielt, und das mit der Formulierung begann: „Ihrem Wunsch gemäß bestätige ich Ihnen gerne,…“ 122 . Weniger auffällig, aber dennoch nicht zu übersehen, sind Ähnlichkeiten in Formulierungen in den Selbstdarstellungen der Betroffenen und den entsprechenden eidesstattlichen Erklärungen. Die Schreiben waren angefordert und den Anfragen wurde entsprochen. Für diejenigen, die sich in Freiheit befanden, war es einfacher, von Bekannten, Nachbarn oder Freunden Erklärungen einzuholen, weil es für sie die Möglichkeit der persönlichen Begegnung gab. Dass sie sich daher klar im Vorteil befunden hätten gegenüber denjenigen, die sich für ihr Verfahren in Internierungshaft vorbereiteten, wie Niethammer 123 behauptet, stimmt nicht ganz. Prinzipiell gilt, dass die Aussteller eidesstattlicher Erklärungen sich aus zwei Bereichen rekrutierten: dem der ehemaligen Kameraden und Vorgesetzten und dem des privaten Umfeldes der Betroffenen. Die persönlichen privaten Begegnungen fielen für Internierte weg, wie erwähnt, aber über Briefe oder die Ehefrau war es durchaus möglich, aus diesem Umfeld Schreiben zu erhalten. Was die Persilscheine aus dem Kreis der ehemaligen Kameraden und Vorgesetzten betrifft, befanden sich die Internierten klar im Vorteil, weil diese ganz oft Mitinternierte waren. Das brachte die Möglichkeit mit sich, nicht nur möglichst viele Bestätigungen, sondern primär möglichst viele gleich lautende Bestätigungen zu erhalten – und zwar durch gezielte Absprachen. Solche Absprachen halfen dem Einzelnen, da auf diese Weise dessen Charaktereigenschaften mit den gleichen Geschichten bestätigt werden konnten. Sie konnten aber ebenso gut zu Tatsachenverschleierungen, generellen Umdeutungen und Verharmlosung und damit zur Legendenbildung beitragen, indem sich Angehörige derselben Einheit auf gleiche Darstellungen und den Hergang einzelner Ereignisse einigten, SS-Führerränge permanent als Angleichungsdienstgrade und die SSMitgliedschaft als kollektive Zwangsmaßnahme bezeichnet wurden, und indem man immer wieder staatlichen Zwang und eigene Unfreiheit für sich reklamierte. Ein extremes Beispiel dafür sind sicherlich die umfangreichen Absprachen, die zwischen August Hä. und seinen ehemaligen Vorgesetzten und weiteren im Nürnberger Einsatzgruppenprozess angeklagten SS-Führern getroffen wurden. Sie kreierten ihre eigene Version der Ermordung der Kiewer Juden, die gleichzeitig die Angeklagten in dem Prozess und August Hä. in seinem absehbaren Spruchkammerverfahren entlasten sollte. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass dieser sich auch selbst eidesstattliche Versicherungen ausstellte. August Hä., der auch zu diesem Zeitpunkt bereitwillig und trotzig seine ehemaligen Vorgesetzten verteidigte, verfasste auch da-

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nach für vormalige Kameraden immer wieder entlastende Zeugnisse. Er selbst schrieb darüber in einem Brief an die Ehefrau eines ehemaligen Kameraden 1967, dass er „in Kameradenkreise der Sipo und der Waffen-SS jahrelang ‚Reichseidesstattlicher Erklärungsabgeber‘“ 124 gewesen sei. Gerhard S. initiierte im Internierungslager angesichts der Spruchgerichtsverfahren eine Rechtsberatung, unterstützt unter anderem von einem ehemaligen Kollegen, der Eingaben an die Lagerleitung übersetzte. Im Interesse ihrer Mitgefangenen, „uneigennützig“ und „bis tief in die Nacht hinein“ 125 , gab 1959 Gerhard S.s Unterstützer an, hätten sie Rechtsberatung geleistet. In einer späteren Vernehmung im Jahr 1960 kritisierte Gerhard S. die Arbeit der Spruchgerichte als eine dem „deutschen Rechtsdenken fremde Verfahrensweise“ 126 , die eine Beratung erforderlich gemacht hätte. Diese Beratungsstelle diente letztlich ebenfalls dem Zweck, gemeinsam und koordiniert vorzugehen, d.h., Absprachen zu treffen. Die Inhalte der eidesstattlichen Erklärungen unterschieden sich je nachdem, ob die Verfasser aus dem Kreis des privaten Umfeldes oder dem der Kameraden kamen. Erstere stellten vor allem den Charakter und die politische Einschätzung des Betroffenen in den Mittelpunkt. Es darf angenommen werden, dass kaum jemand von den Einsätzen und Taten der Betroffenen etwas wusste. Sie waren nicht bei seinen Einsätzen dabei gewesen, fragten nicht danach, und letztlich waren die Schnittstellen der Lebensläufe der Aussteller und Empfänger von eidesstattlichen Versicherungen auf einen nur geringen zeitlichen Ausschnitt begrenzt. Wenn deren Beruf überhaupt erwähnt wurde, dann blieb es vage. All das spielte aber auch keine Rolle, denn im Kern demonstrierten die Erklärungen von Freunden, Nachbarn, Lehrern und Pfarrern Verständnis für, wenn nicht gar Mitgefühl mit den Betroffenen. Sie waren eine Geste für Letztere und gegen das System der Entnazifizierung, das die Solidarität der Deutschen untereinander erst recht verstärkte. Bereits 1947 hatte der Hamburger Bürgermeister verlauten lassen, dass es höchste Zeit sei, die Vergangenheit zu vergessen und damit den viel zitierten Schlussstrich gefordert. 127 Die Säuberungspolitik der Besatzer stieß in ihrem Verlauf zunehmend auf Ablehnung, den breiten gesellschaftlichen Konsens, den sie gebraucht hätte, um erfolgreich sein zu können, gab es nicht, wie Cornelia Rauh-Kühne feststellt. 128 Die Solidarität der Verlierer siegte. „Die ‚verhassten’ Nazis hatten sich binnen weniger Monate wieder in Mitbürger verwandelt, auf die man beim Wiederaufbau nicht verzichten zu können glaubte. Der Ausgrenzungskurs schlug rasch in den Wunsch nach Integration um“ 129 , urteilen Hartmut Berghoff und Rauh-Kühne in ihrer Regionalstudie. Es waren allen voran Vertreter der katholischen als auch der evangelischen Kirche, die sich mit Beginn der Säuberungspolitik vehement dagegen aussprachen, die sich gerade auch für die im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess und in den Nachfolgeprozessen Verurteilten einsetzten und die mit apologetischen Argumentationen und Wahrnehmungen

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des Nationalsozialismus aktiv an der Selbstexkulpation der Deutschen mitwirkten. 130 Die Stimmung in der Bevölkerung richtete sich rasch gegen die politische Säuberungspolitik, in der man eine kollektive Schuldzuweisung zu erkennen glaubte. 131 Bereits die Nürnberger Nachfolgeprozesse stießen auf entschiedene Ablehnung in der deutschen Öffentlichkeit, doch trotz der NS-Verbrechen, die dabei zutage kamen und rekonstruiert wurden, galt die Solidarität und Sympathie jenen, die sie begangen hatten. Mit Blick auf die Internierten etablierte sich die Überzeugung, dass die meisten von ihnen zu Unrecht inhaftiert worden seien. Ihnen half man gerne mit eidesstattlichen Erklärungen. Die Entnazifizierung und Rechtsprechung der Alliierten über Deutsche wurde als Zumutung und Ungerechtigkeit empfunden. Henke spricht von einem „gekränkten nationalen Narzissmus“ 132 , der ab 1947 in der deutschen Bevölkerung geherrscht habe. Dazu passt die Aussage des ebenfalls im Fall Friedrich Me. Angeschuldigten Hueser. Er erklärte rückblickend zu seiner Rolle als Zeuge der Anklage im Nürnberger Einsatzgruppenprozess: „Obwohl ich den Befehl zur Vernichtung der Juden in Russland […] als Unrecht angesehen habe, habe ich mir als Deutscher gesagt, dass ich das nicht ausgerechnet den Amis auf die Nase binden wollte. Ich hatte gegenüber den Amerikanern und ihren Helfern ein nationales Schamgefühl.“ 133 In ihren Beschreibungen zeichneten die, die eidesstattliche Erklärungen ausstellten, Personen, die fragmentarisch blieben, und doch erhoben sie den Anspruch, von Einzelheiten auf Gesamtpersönlichkeiten und Verhalten schließen zu können. Heraus kam dabei der entpolitisierte Freund, Schulkamerad, Bekannte, Nachbar oder der Idealist, dem gleichzeitig ein „anständiger“ 134 Charakter bescheinigt wurde. Die Beschreibungen enthalten oft Stereotype: Der Bekannte, gegenüber dem man kritische Bemerkungen über den Nationalsozialismus machen konnte, ohne, dass er etwas gegen einen unternahm; der Idealist mit anständigem Charakter; der Hilfsbereite, der Fleißige; der tugendhafte, nicht fanatische und nicht politisch überzeugte Nazi. Sie zeigen, dass die Distanzierung vom NS-Regime als Resultat auch einen Konsens darüber mit sich gebracht hatte, wen man für verantwortlich hielt, wer als zu bestrafender Nationalsozialist zu gelten hatte. Mallmann hat auf den Einfluss hingewiesen, den die „Verteilungskämpfe um das Ausmaß der Schuld“ zwischen den Führungsspitzen des NS-Staates in Nürnberg und in den Nachfolgeprozessen auf den Umgang der Gesellschaft mit ihrer Vergangenheit hatte. 135 Auch hier griff wieder eine ganz bestimmte Vorstellung vom NS-Täter: die des unsympathischen, unberechenbaren und übereifrigen Mitglieds von Partei, von SS und Gestapo. Diesem Typus wollte man Verbrechen zutrauen, nicht aber dem einstigen Freund, Nachbarn oder Schulkameraden, den man persönlich und vor allem privat kannte.

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Das ließ die Entnazifizierung zu einer „Schule der Anpassung, in der sich das Unpolitische bewährte“ und „Feier der kontinuitätsverbürgenden Werte und Netzwerke des Unpolitischen“ 136 werden, wie Niethammer urteilte. Eine Mischung aus Gleichgültigkeit, fehlender Empathie gegenüber den Opfern – sofern sie nicht in den eigenen Reihen zu finden waren – und starker Solidarität der Verlierer untereinander mag sie dazu veranlasst haben, die von ihnen verlangten Erklärungen auszustellen. Henke sieht darin ein klares Indiz dafür, „wie weit sich die deutsche Gesellschaft mit dem Nationalsozialismus eingelassen hatte“ 137 . Ganz in diesem Sinne spricht Woller von einem „sozialen Geflecht zur Abwehr der Entnazifizierung“ 138 . Hingegen nennt Detlef Garbe das bis zum Abschluss der Verfahren geltende Beschäftigungsverbot als Ursache einer „Solidaritätsgemeinschaft zwischen den tatsächlichen Aktivisten des NS-Regimes und dem Millionenheer der ‚Minderbelasteten’ und ‚Mitläufer’ und deren Angehörigen und Freunden“ 139 – eine Erklärung, die meines Erachtens zu kurz greift. Joseph N., dessen Geschäft gegenüber der Tapetenfabrik Harders lag und der mit ihnen geschäftliche Beziehungen unterhielt, erinnerte sich in seiner eidesstattlichen Erklärung zwar daran, dass „dort täglich Zusammentreffen Gleichgesinnter [SS-Leute – Anm. der Verf.]“ stattfanden. Eigene Nachteile hätten er und seine Familie, die gegen den Nationalsozialismus eingestellt gewesen sei, aber durch Harder nicht gehabt. „Charakterlich“, urteilte er schließlich, „halte ich Arthur Harder für einen anständigen Menschen, dem ich schwerwiegende Übergriffe nicht zutraue.“ 140 Der Pfarrer, zu dessen Gemeinde Gerhard S. während seiner Kindheit gehört hatte, hob in seiner Bescheinigung für diesen besonders hervor, dass dieser „als Sohn eines sehr guten katholischen Elternhauses“ 141 aufgewachsen, Ministrant gewesen sei und in der Pfarrbücherei geholfen habe. Daraus schlussfolgerte er: „Auf Grund seines Elternhauses und seiner Erziehung kann ich es mir schlecht denken, dass Gerhard S. sich an irgend einer Handlung beteiligt hat, die verbrecherisch war.“ 142 Wissen konnte er es nicht. Ihm reichte die vermeintlich bewiesene Moralität durch Religionszugehörigkeit und elterliche Erziehung. Einstige Nachbarn aus Berlin bestätigten ihm, nie durch „politischen Fanatismus“ aufgefallen zu sein: „Kritik an der Politik und Kriegsführung hat er zu widerlegen versucht, aber nie irgendwie dienstlich zum Nachteil für irgendjemand verwertet. Fanatischer Nazi ist er unseres Erachtens nie gewesen. Sein Dienst als Beamter hat ihn vollauf beschäftigt.“ Am Ende ihres Schreibens wünschten sie ihm „baldige Freiheit“. 143 Und auch die Gemeinde, in die zunächst er und alsbald auch seine Familie nachgezogen war, meldete sich für ihn zu Wort, weil die wirtschaftliche Situation der Familie so schlecht geworden sei, „dass nur durch das schnelle Eingreifen des internierten Ehemanns weitere Schädigung vermieden werden kann“ 144 .

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Friedrich Me., der seinen Lebenslauf ganz auf seinem abgebrochenen Theologiestudium aufgebaut hatte, bekam von einem Schulkameraden bescheinigt, ein wertvoller, aufrichtiger Mensch zu sein, den „bestes Menschentum“ auszeichne, der eine demokratische Gesinnung und einen vornehmen Charakter und eine freiheitliche politische Grundhaltung besitze. Innerliche Integrität ist das Stichwort seiner Ausführungen: „Wenn er der NSDAP angehört hat, so wusste ich doch, dass er diesem System innerlich ablehnend gegenübergestanden hat.“ 145 Ein alter Freund der Familie schrieb über Walter He., dass dieser in seiner Jugend gegen die NSDAP eingestellt und sein Kirchenaustritt keinesfalls politisch motiviert gewesen sei. Walter He. sei zudem niemals „politisch hervorgetreten“ 146 . Heinz Ta. bekam von einer Bekannten aus seinem ehemaligen Wohnort Eisenach folgendes Zeugnis ausgestellt: „Er ist der Sohn achtbarer Eltern, gut erzogen, immer freundlich, höflich und hilfsbereit. […] Ich weiß, dass er bereits vor 1933 der ehemaligen SS angehört hat, ich weiß aber auch, dass er sich nichts Nachteiliges dabei hat zu Schulden kommen lassen. Zu irgendwelchen unehrenhaften Handlungen halte ich ihn nicht für fähig; er ist ein sauberer, ordentlicher Charakter.“ 147 Ähnlich klingt, was ihm sein ehemaliger Pfarrer bescheinigte: „Herr Heinz Ta. hat stets eine positive christliche und kirchliche Haltung eingenommen und hat sich immer als ein hilfsbereiter Mensch und Christ erwiesen. Eine schlechte Gesinnung oder Tat kann ihm daher nicht zugetraut werden.“ 148 Ein ehemaliger Nachbar Fritz Zi.s betonte, dass dieser sich nicht aktiv propagandistisch für den Nationalsozialismus eingesetzt und keine Vorteile durch diesen gehabt habe. Dieser Fall zeigt deutlich, wie sehr sich die privaten Einschätzungen von der Wirklichkeit unterschieden, war Fritz Zi. doch unter anderem als Parteiredner tätig gewesen. Eine besondere Rolle in der Verteidigungslinie Fritz Zi.s kommt seinen jüdischen Nachbarn zu, denen gleichsam eine Alibifunktion zuteil wurde. So bestätigten ihm zwei ehemalige Nachbarn mit jüdischen Ehepartnern, dass sie durch ihn keine Nachteile gehabt hätten und dass Fritz Zi. kein Antisemit gewesen sei. Über seine militärischen Einsätze wisse er nichts, räumte Nachbar Z. ein, aber Fritz Zi.s Kind hätte mit seinen Kindern Umgang gehabt, obwohl seine Frau Jüdin gewesen sei. 149 Seine Nachbarin R., deren Ehemann jüdischen Glaubens war, hob in ihrer eidesstattlichen Erklärung hervor, dass das Ehepaar Zi. sie trotzdem weiterhin gegrüßt habe und bat darum, seiner Berufung stattzugeben und „ihm den Weg in ein neues Leben zu eröffnen“ 150 . Beide Nachbarn wussten jeweils nichts Genaues über seine Tätigkeiten während des Nationalsozialismus. Für Fritz Zi. waren ihre Erklärungen jedoch von großer Bedeutung, da sie ihn nicht als Antisemiten bestätigten. Als Rath im Juli 1949 seine von der Spruchkammer Bielefeld beschlossene Straflagerhaft antreten sollte, setzten sich sowohl sein Arbeitgeber als auch die Kreishandwerkerschaft Schaumburg-Lippe für ihn ein, um einen

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Haftaufschub zu erwirken. 151 Sein Anwalt legte sogar noch ein Schreiben der Polizeistation seines Heimatortes Bückeburg bei, in dem es hieß: „Seit 1921 ist Rath in Bückeburg wohnhaft und mit der Tochter eines alteingesessenen Bürgers verheiratet. Seine Tätigkeit und sein Verhalten sind daher immer bekannt gewesen. Trotzdem er der Gestapo angehörte, steht er noch in einem sehr guten Ruf. Alle Personen, bei denen Auskünfte über Rath eingeholt wurden, stellten ihm das denkbar günstigste Zeugnis als Mensch aus. Seine Führung ist einwandfrei. Für seine Familie sorgt er vorbildlich.“ 152 Die Persilscheine aus diesem privaten sozialen Umfeld besitzen keinerlei Aussagekraft hinsichtlich der betroffenen Personen. Sie zeigen aber, welches Bild ihre Verfasser entweder von den Betroffenen hatten oder glaubten, zu deren Unterstützung kommunizieren zu müssen. In manchen Fällen lassen sie darauf schließen, welche Vorstellungen von NS-Tätern den Schreibern als Negativvorlage für ihre Erklärungen dienten. Und schließlich zeigen die Persilscheine, über welche sozialen Kontakte die Betroffenen verfügten, welche Kontakte sie aktivieren konnten und wer sich mit ihnen solidarisch zeigte. 153 Die Erklärungen aus dem Kreis der ehemaligen Kameraden und Kollegen unterschieden sich von denen aus dem privaten Umfeld in Inhalt und Rhetorik. Die Aussteller waren um Sachlichkeit bemüht, um glaubwürdig zu erscheinen. An erster Stelle ging es um den Dienst, den Rang, die Aufgaben und das Verhalten des Betroffenen gegenüber Kameraden, Untergebenen, aber auch Zivilisten, mit denen sie dienstlich zu tun hatten, und um ihre Dienstausübung. Auffällig häufig wurden einzelne Anekdoten oder Erlebnisse berichtet, die entweder die Glaubwürdigkeit des zuvor Berichteten oder die Glaubwürdigkeit der Aussage des Betroffenen unterstützen sollten. Damit einher ging eine charakterliche Bewertung des Betroffenen, die, wie schon in den Erklärungen aus dem privaten Umfeld, ebenfalls auf die entpolitisierte Persönlichkeit im Dienst, aber auch im Privaten hinauslief. Auch hier griffen die Verfasser auf Stereotype zurück, allen voran auf das des korrekten, „innerlich“ nicht linientreuen Kollegen, Untergebenen oder Vorgesetzten, der sich nicht vom Nationalsozialismus hatte vereinnahmen lassen, der zwar im System gefangen gewesen sei, aber Freiräume nutzte, um sich großzügig zu zeigen, und der sich vor allem niemals an Verbrechen beteiligte, der aneckte und sich immer wieder Probleme mit Vorgesetzten einhandelte. Die berufliche Beurteilung entsprach der charakterlichen und umgekehrt. Der entpolitisierte Betroffene blieb dies auch in seiner beruflichen Position. SS- oder SD-Zugehörigkeit seien deshalb nicht aus eigenem Antrieb, sondern entweder durch Zwang oder verwaltungstechnisch erfolgt. Auch die Nähe zur Kirche, zum Beispiel durch ein als religiös beschriebenes Elternhaus, gehörte wie auch in den Erklärungen aus dem privaten Umfeld, zu den immer wiederkehrenden Argumenten. 154 Letztlich reproduzierten und bestätigten sie die Topoi, die die Betroffenen

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vorgegeben hatten; man einigte sich gewissermaßen auf eine Verteidigungslinie, die nicht nur für den Einzelnen Bedeutung hatte, sondern an der sich eine ganze NS-Riege nun in Zukunft entlang hangeln konnte und sollte. Helmut Bo., einst Regierungsoberinspektor im RSHA-Amt II, urteilte daher über Heinrich Win.: „Heinrich Win. war mir sowie seinen Kameraden und Vorgesetzten als außerordentlich liberaler und politisch sehr toleranter Mensch bekannt, der aus einer sehr katholisch eingestellten Familie stammte und überdies die Tochter eines überzeugten und deshalb verfolgten Sozialdemokraten geheiratet hatte. Er wurde wiederholt von seinen höheren Vorgesetzten wegen dieser Haltung dienstlich gerügt und benachteiligt und hat sich lediglich durch seinen Fleiß und seine Kenntnisse als Verwaltungsbeamter halten können.“ Schließlich gelangte er zu dem Fazit: „Eine aktive nationalsozialistische Betätigung seitens des Heinrich Win. erscheint mir auf Grund meiner langjährigen oben angeführten Beobachtungen absolut undenkbar.“ 155 Gerhard S. brachte eidesstattliche Erklärungen von acht ehemaligen Kollegen oder Vorgesetzten in sein Spruchgerichtsverfahren ein; fünf von ihnen waren Mitinternierte. Insgesamt stellten ihm zehn Mitinternierte eidesstattliche Erklärungen aus. Ihm ging es, wie vorher schon erwähnt, darum, seine Zugehörigkeit zur Gestapo als nicht gewollt und sich selbst als unbequemen Beamten darzustellen, der alles unternommen habe, um von seinem Posten wegzukommen. Die SS-Mitgliedschaft wollte Gerhard S. zudem als nur formale verstanden wissen. Beide Aspekte bestätigten ihm seine ehemaligen Kollegen und Kameraden, die fast alle Mitinternierte waren. Drei von ihnen unterstrichen Gerhard S.s Darstellung, dass es laut eines Zitats Heydrichs keinen Ausweg aus der Gestapo gegeben habe. Zwei von ihnen wollten ein solches Zitat von Heydrich, allerdings zu unterschiedlichen Zeiten, gehört haben; der Dritte berichtete, Himmler hätte dies gesagt. In fast gleichem Wortlaut, was wiederum auf eine Vorgabe von Gerhard S. schließen lässt, erklärten der Mitinternierte Werner B. und auch Otto Bovensiepen, dass Gerhard S. während seiner Zeit bei der Gestapo Halle hauptsächlich Sabotageverdachtsfälle bearbeitet habe. Letzterer bestätigte Gerhard S. darüber hinaus, dass er ihn um eine Abordnung zur Wehrmacht gebeten habe. Mit Bovensiepen hatte Gerhard S. einen prominenten Aussteller für einen Persilschein gefunden. Bovensiepen war während S.s Dienstzeit bei der Gestapo in Halle deren Leiter gewesen. Als Chef der Stapo-Leitstelle in Berlin von 1941 bis 1943 war er für die Deportation von 35 000 Juden verantwortlich. Als BdS für Dänemark wurde er im März 1950 dort zu lebenslanger Haft verurteilt, aber bereits 1954 freigelassen.156 Ob Bovensiepen sich wirklich noch so gut an Gerhard S. erinnern konnte, wie er vorgab, ist nicht nachvollziehbar. Die Tatsache aber, dass er ihm eine Erklärung ausstellte, zeigt, dass zum einen Gerhard S. nach so langer Zeit noch

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über diesen Kontakt verfügte und ihn aktivieren konnte, obwohl Bovensiepen sich zu dieser Zeit als Gefangener in Dänemark befand, und dass dieser offensichtlich keinen Grund sah, Gerhard S. nicht die gewünschte Erklärung auszustellen. Damit führte Gerhard S. seine Selbstdarstellung, immer unbequemer Beamter gewesen zu sein und sich eigentlich immerzu nur in Ausbildung befunden zu haben und daher geradezu unbedeutend gewesen zu sein, selbst ad absurdum. Dies gilt ebenfalls für die weitere Erklärung des Mitinternierten Werner B., aus der hervorgeht, dass Gerhard S. vor allem den Einfluss der örtlichen „NS-Größen“ kritisierte, was wiederum nicht mit dessen eigener Darstellung konform ist, er habe die Gestapo als Ganzes abgelehnt. 157 Auch die Erklärung eines ehemaligen Kollegen aus Potsdam widerspricht letztlich der Darstellung von Gerhard S. Einerseits berichtete der Kollege von dessen wiederholten Versuchen, zur Kriminalpolizei versetzt zu werden, andererseits erwähnte er, dass er selbst auf eigenen Wunsch 1939 ohne Abfindung aus dem Staatsdienst ausgeschieden und danach in der Wirtschaft tätig gewesen sei. Damit hebelte er, ohne es vielleicht zu wollen, Gerhard S.s Argument, er habe zwangsweise in der Gestapo bleiben müssen, aus. 158 Auch Walter He. erhielt Unterstützung von ehemaligen Kollegen und Kameraden. Ein ehemaliger Kripo-Kollege hob hervor, dass Walter He. jüdische Mitbürger im Dienst „immer höflich und zuvorkommend“ behandelt und „den Bestrebungen der NSDAP und deren Gliederungen vollkommen ablehnend“ 159 gegenüber gestanden habe. Weitere ehemalige Kameraden wie Max H. strichen sein als positiv beschriebenes Verhalten als Vorgesetzter heraus, das sich wiederum an einem stereotypen Negativbild des linientreuen, arroganten und gefürchteten Vorgesetzten orientierte. 160 Ganz in der Argumentationslinie Walter He.s bescheinigte ihm Max H. den angeblich rein militärischen Einsatz in Russland. 161 Von politischen Aufgaben der Einheit sowie von Kollektivmaßnahmen wisse er nichts. Walter He. hätte wie jeder andere „Soldat oder Offizier der Wehrmacht“ auch seine „militärische Pflicht“ 162 erfüllt. Richard R., der ehemalige Verwalter des „Deutschen Hauses“ in Schepetowka in der Ukraine, beschrieb in seiner Erklärung Walter He. als „angenehmen Gesellschafter“, der, obwohl SSOffizier, nie überheblich gewesen sei. „Da mir Walter He. aus dieser Zeit als charakterlich einwandfreier und anständiger Mensch bekannt war, habe ich ihn als Heimatlosen nach Entlassung aus britischer Kriegsgefangenschaft im vorigen Jahr in meinem Hause aufgenommen.“ 163 2.1.3. Die Rechtsanwälte Die Unterstützung von Rechtsanwälten zogen vier der hier betrachteten Täter hinzu und zwar in verschiedenen Stadien ihrer Spruchgerichts- oder Spruchkammerverfahren. Harder und Gerhard S. vertrauten bereits zu Beginn

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ihrer Verfahren auf einen Rechtsbeistand, Rath, als er Revision gegen seinen Spruch einlegte, und Noa, als er gegen seinen Spruch in Berufung ging sowie nach Abschluss des Verfahrens 1950, um eine Aufhebung oder wenigstens eine Herabstufung des Spruchs zu erwirken. Interessant sind die in den Akten überlieferten Schreiben der Anwälte vor allem wegen der darin vorgebrachten Argumente und Rechtfertigungen, die sich auch wieder am Täterbild des nur „äußerlich“ vom Nationalsozialismus überzeugten Täters und einer Deutung des Nationalsozialismus orientieren, bei der der Zwang und die Handlungsunfreiheit des Einzelnen im Vordergrund standen. Ihre Kollegen griffen diese Argumentationen und Rechtfertigungen übrigens in den späteren NS-Prozessen fast genauso wieder auf. Auffällig sind der Mangel an Sachkenntnis, der sich in ihren Ausführungen findet, sowie die unkritische, fast wortgetreue Übernahme der Argumentationen und Schilderungen ihrer Mandanten. Sie untermauerten somit unhinterfragt deren Einlassungen, und beim Lesen setzt sich der Eindruck fest, dass sie selbst von dem, was sie schrieben, überzeugt waren. Zogen die Betroffenen einen Anwalt hinzu, war dieser es meistens auch, der ab diesem Zeitpunkt die eidesstattlichen Erklärungen als Beweise in seine Ausführungen einbaute und sie der Kammer zukommen ließ. Auf die Klageschrift, die Harder Anfang 1948 von der Spruchkammer Darmstadt-Lager erhielt, antwortete sein Anwalt mit einem siebenseitigen Schreiben. 164 Kernaussage war, dass Harder lediglich formell belastet sei und zudem nicht, wie behauptet, bewusst falsche Angaben in seinem Lebenslauf gemacht habe. Diese, so die Argumentation des Anwalts, seien vielmehr auf Erinnerungslücken zurückzuführen. Die SS-Mitgliedschaft Harders verharmloste er, indem er sie als Ausdruck eines idealistischen Nationalismus verstanden wissen wollte, und führte zum Beweis an: „Er [Harder] stammt aus einer gut deutschen Bürgerfamilie und hat entsprechend seiner Erziehung seit frühster Jugend den Anschluss an einen national eingestellten Verband gesucht.“ 165 Die „bürgerliche“ Herkunft machte ihn unverdächtig und grenzte ihn gleichzeitig sozial nach unten ab. Zusätzlich bemühte der Anwalt den Elitegedanken: „Die Bedingungen zur Aufnahme in die SS waren in dieser Zeit derart ausgewählt, dass weder für ihn noch seine Eltern Bedenken daran bestanden, diesen Schritt zu unterlassen.“ Die SS war für ihn Anfang der 1930er Jahre ein ganz und gar unpolitischer Verein. Dass Harder seine SA-Zugehörigkeit verschwiegen hatte, begründete sein Anwalt damit, dass „in jener Zeit [Harder war 1930 der SS beigetreten, Anm. d. Verf.] die Zugehörigkeit zur SS eine vorherige Zugehörigkeit zur SA voraussetze, die letztere also lediglich eine Anwartschaft für die Aufnahme in die SS bedeutete“. So gesehen hätte er seine SAMitgliedschaft nicht verschwiegen. Bei der Spruchkammer versah man diesen offensichtlichen Mangel an Sachkenntnis und Logik mit zwei Fragezeichen, die man zusätzlich noch unterstrich. Für den Anwalt stand jeden-

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falls fest: „[Es] kann daher ohne Bedenken gesagt werden, dass es sich bei dem Betroffenen um einen Menschen handelt, der in frühester Jugend als Idealist einer Sache beigetreten ist, an deren Lauterkeit und Anständigkeit er glaubte.“ 166 Wie auch schon in den Argumentationen und Selbstrechtfertigungen der Betroffenen diente auch in diesem Fall der Idealist wieder als Entschuldungsargument. Der Rechtsanwalt folgte in seinen weiteren Ausführungen exakt den falschen biografischen Angaben, die Harder zuvor gemacht hatte. So auch der, dass ihn eine Beförderung zum SS-Hauptsturmführer 1940 niemals erreicht habe, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits Soldat bei der Luftwaffe gewesen sei. Die Lügen in Harders Lebenslauf wurden, zum Teil in den gleichen Formulierungen, die dieser selbst gebraucht hatte, übernommen und als Wahrheit dargestellt. Es fällt auf, dass nicht erst in den NS-Prozessen, sondern bereits zu diesem Zeitpunkt Juden im Freundesoder Bekanntenkreis zum Beweis der persönlichen Nichtkonformität mit der NS-Ideologie auftauchen. So verwies der Anwalt zur Entlastung seines Mandanten darauf, dass dieser von 1934 bis 1938 für eine jüdische Firma als Vertreter gearbeitet und sich gegenüber seinen Arbeitgebern sowie prinzipiell politisch anders Denkenden gegenüber „loyal“ verhalten habe. Diese Denkweise blendet aus, dass der konkrete persönliche Umgang mit einem Juden, sei es nun beruflich oder privat gewesen, durchaus vereinbar war mit Antisemitismus, der die Juden im Allgemeinen betraf. Typisch war auch der Verweis auf die aktuelle, vor allem soziale Situation des Betroffenen einerseits und Sekundärtugenden, allen voran Fleiß und Arbeitswille, andererseits. Kriegsgefangenschaft und Internierung wurden als Strafe und Sühneleistung in einem betrachtet; eine weitere Sühne, die durch den Spruch drohte, wurde als zusätzliche und ungerechte Härte empfunden. Harders Rechtsanwalt hob dementsprechend hervor, dass sein Mandant sich seit dem 12. Mai 1945 ununterbrochen in Kriegsgefangenschaft bzw. Internierung befunden und sich während dieser Zeit arbeitswillig gezeigt habe. Auch Raths Anwalt bediente sich dieser Argumentation: „Der Angeklagte hat auch nach dem Zusammenbruch sich ehrlich mit seiner Familie durch die widrigsten Zeitumstände zu bringen versucht, und es ist ihm dieses gelungen.“ 167 Das Attribut „ehrlich“ stimmte nicht ganz; schließlich hatte sich Rath nach Kriegsende erst einmal einen falschen Namen zugelegt. Es war der Versuch des Anwalts, den Beschluss des Spruchgerichts Bielefeld, der sechs Monate Straflager vorgesehen hatte, nach einer erfolglosen Revision wenigstens zu mildern. Rath wollte eine Aussetzung der Strafe erwirken. In der Revisionsbegründung hatte sein Anwalt argumentiert, dass die Rath vorgeworfene „Fremdarbeiterbehandlung“ nicht unter Menschlichkeitsverbrechen falle, und einen Entscheid des 5. Spruchsenats des Obersten Spruchgerichtshof Hamm zitiert, wonach es sich bei Kennzeichnung und

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Aufenthaltsbeschränkungen „um Maßnahmen [handele], die ihre Rechtfertigung in dem Schutzbedürfnis eines im Krieg befindlichen Staates gegen Sabotage- und Spionagegefahr finden“ 168 . Diese Ansicht entsprach genau dem, was Rath gegenüber dem Spruchgericht bereits zum Ausdruck gebracht hatte. Nachdem der 1. Spruchsenat des Obersten Spruchkammergerichtshofes in Hamm die Revision verworfen hatte, ging es für Rath darum, seine Strafe nicht antreten zu müssen, weil, so die Argumentation, damit seine Arbeitsstelle als kaufmännischer Angestellter bei einer Installationsund Elektrofirma in Bückeburg auf dem Spiel stünde. Man mag dies nicht so recht glauben, denn elf Jahre später war es dieselbe Firma, die ihn immer wieder unterstützte und zwischen Phasen in der Untersuchungshaft erneut einstellte. Sein Anwalt stützte sich primär auf das Argument, dass eine „echte“ Mitgliedschaft Raths in der SS nie bestanden habe, weil er nur „listenmäßig“ 169 in die SS überführt worden sei. Insgesamt, so seine Sichtweise, handele es sich bei Rath um einen „Fall von untergeordneter Bedeutung“ 170 . Wie schon in den Einlassungen der Betroffenen selbst wird auch hier wieder auf den Zwang und eine innere, indifferente Haltung zur SS abgehoben. Ähnlich wie Harders Anwalt bemühte auch Noas Rechtsbeistand, den sich dieser 1950 nahm, das Bild des Idealisten, aber auch die von seinem Mandanten angegebene finanzielle Not, die er als Grund für seinen Studienabbruch anführte: „Der Betroffene, der schon in frühester Jugend Not kennen gelernt hatte, hat sich dem Nationalsozialismus angeschlossen, weil er der Ansicht war, dass der Nationalsozialismus eine Besserung der Verhältnisse in Deutschland herbeiführen könne.“ 171 Noa war 22 Jahre alt gewesen, als er in die SS eintrat und hatte dies keineswegs aus Not, sondern aus Überzeugung getan, wie er später angab. Die Verknüpfung zwischen finanzieller Notlage und dem Anschluss an die nationalsozialistische Bewegung suggeriert eine entschuldbare kausale Verkettung, die in diesem Fall nicht vorlag. Gleichzeitig sprach Noas Anwalt davon, dass dieser nicht mit der nationalsozialistischen Ideologie konform und kein überzeugter Anhänger gewesen sei. Bereits 1936 hatten ihm aber Kollegen und Vorgesetzte bei der Gestapo bereitwillig bestätigt, dass der „energische“ Beamte und „alte SS-Mann“ Noa rückhaltlos hinter der nationalsozialistischen Regierung stehe und seine Zuverlässigkeit als Nationalsozialist ohne jeden Zweifel sei. 172 Dass Noa aus der Kirche ausgetreten sei, sei nicht negativ zu bewerten, wie von der Spruchkammer geschehen, sondern allein als Privatsache einzuordnen. Und auch der Anwalt wollte in der SS vor 1933 nichts als eine normale Schutztruppe sehen. Der Spruchkammer warf er mit Blick auf den Spruch gegen Noa, der diesen in die Gruppe I der Hauptschuldigen eingestuft hatte, mangelnde Objektivität und „großen“ Mangel an Sachkenntnis vor. Die drei Jahre Arbeitslager, die als Sühne vorgesehen waren, wurden

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übrigens auf die Internierungszeit angerechnet, so dass Noa nach Verkündigung des Spruchs frei kam. Sein Anwalt hob darauf ab, dass sich Noa stets korrekt verhalten habe, gerade auch gegenüber den Inhaftierten des Sippenhaftlagers, das er einzurichten hatte. Zuletzt verwies auch er auf Tugenden und die soziale Lage seines Mandanten, um das angestrebte Ziel zu erreichen. Der Kammer sei bekannt, schrieb er, „dass der Betroffene durch die politischen Verhältnisse um sein gesamtes Hab und Gut gekommen ist“ 173 . Dieser Hinweis implizierte, dass dies bereits als Strafe und gleichzeitige Sühneleistung empfunden wurde. „Die Kammer muss selbst zugeben, dass er während seiner Haft durch fleißige Arbeit seinen Willen bekundet hat, am Wiederaufbau Deutschlands mitzuwirken.“ 174 Weder juristisch noch menschlich sei der Spruch gegen Noa haltbar. Sein Fazit: „Es wäre in der heutigen Zeit nicht zu verantworten, einem Menschen, der sich einwandfrei verhalten hat, der für eine mehrköpfige Familie zu sorgen hat, es unmöglich zu machen, sich eine entsprechende Existenz aufzubauen, die ihn in die Lage versetzt, am Wiederaufbau seines Vaterlandes mitzuarbeiten.“ 175 Darum ging es: um die Abwendung möglicher beruflicher Nachteile durch den Spruch. Der Anwalt von Gerhard S. folgte dessen Angaben und Einlassungen ebenfalls Punkt für Punkt, ohne den genauen Wahrheitsgehalt zu kennen. Er vertrat somit auch Gerhard S.s Lüge über dessen nicht erfolgten Wiedereintritt in die SS nach dem für den Wehrdienst erfolgten Austritt; sogar eidesstattliche Versicherungen wurden beigebracht, die das entlarvende Heiratsgesuch Gerhard S.s ad absurdum führen sollten. Gerhard S. habe sich daher „nie als SS-Mitglied gefühlt“, weshalb er auch nicht das „Potential der SS“ 176 habe stärken können. Das erwähnte Heiratsgesuch von Gerhard S. spricht allerdings eine ganz andere Sprache. Der Anwalt vertrat des Weiteren die Ansicht, dass Gerhard S. gegen seinen Willen zur Gestapo abgeordnet worden sei und dann aus Zwang dort habe bleiben müssen, weil ihm andernfalls KZ oder Berufsverlust gedroht hätten. Sachlich falsch konstruierte er eine Gleichwertigkeit zwischen Abordnung zur Gestapo und Einberufung zur Wehrmacht, wobei Nichtbefolgung die gleiche Strafe nach sich gezogen hätte – ein Konstrukt, das der Anwalt basierend auf den Angaben Gerhard S.s errichtet hatte und für das sein Mandant eidesstattliche Erklärungen beibrachte. Bei der Spruchkammer schrieb man ein „nein!“ an diesen Absatz. Daneben betonte der Anwalt zum einen das Bild einer unpolitischen Kriminalpolizei und zum anderen die vorgebliche Unwissenheit seines Mandanten bei dessen Bewerbung über den wahren Charakter der Gestapo, der sich erst nach Kriegsbeginn gezeigt hätte. Der Anwalt baute auch die Selbstentschuldung von Gerhard S. noch weiter aus, nach der dessen gesamte Dienstzeit eigentlich eine fortwährende Ausbildungszeit gewesen sei. Da Gerhard S. also nie eine „verantwortliche

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Planstelle“ besetzt habe, „die ihn erst zum aktiven Tätigwerden befähigt hätte“, schlussfolgerte der Anwalt, dass Gerhard S. damit auch keine Möglichkeit gehabt habe, „die verbrecherischen Ziele zu fördern“ 177 . Der Anwalt ging noch weiter und widersprach der Ansicht der Spruchkammer, Gerhard S. habe gerade durch seine Ausbildung und Tätigkeit bei den verschiedenen Dienststellen umfassende Kenntnis ihrer verbrecherischen Ziele und Aufgaben erhalten. „Irrelevant“ fand der Anwalt diesen Vorwurf, „weil einmal inzwischen erkannt sein dürfte, dass nur ein flüchtiger und oberflächlicher Einblick in die Tätigkeit der Stapo und des SD nicht ohne weiteres die einst geheim gehaltenen und geheim durchgeführten Verbrechen erkennen ließ und zum anderen, selbst bei angenommener Kenntnis, das objektive Tatbestandsmerkmal der tätigen Mitgliedschaft nicht gegeben ist“ 178 . Zwei Fragezeichen und Unterstreichungen zeigen, dass man bei der Spruchkammer den letzten Satzteil für eine eigene juristische Erfindung des Verfassers hielt, mit der man nicht viel anfangen konnte. Dass der Anwalt die Aufgaben und Tätigkeiten der Gestapo und des SD in das Reich des Geheimen verbannte, ist zum einen Ausdruck einer Vorstellung vom Nationalsozialismus, die die kollektive Entschuldung eines ganzen Volkes ermöglichte, die zum anderen aber auch im Gesamtzusammenhang der Argumentationsstrategie im Fall Gerhard S. betrachtet, diesen ganz logisch zum Nichteingeweihten stilisierte. Anwälte waren und sind nicht dazu verpflichtet, die Angaben ihrer Mandanten zu überprüfen; es gilt das „Wahrheitsgebot“. Bei Zweifeln oder Widersprüchen können sie aber nachfragen, um diese Widersprüche auszuräumen. Als unwahr erkannte Behauptungen ihrer Mandanten dürfen sie sich nicht zueigen machen. Bleiben Zweifel, können sie ihr Mandat niederlegen. In den oben genannten Fällen scheinen die Anwälte kein Problem mit den Darstellungen ihrer Klienten gehabt zu haben. Hinzu kommt der eklatante Mangel an Sachkenntnis. Am Ende bleibt der Eindruck, dass die Anwälte nichts von den Anwälten unterschied, die sich später in der Bundesrepublik einen Namen als Rechtsvertreter von Angeklagten in NS-Prozessen machten. Die Einlassungen ihrer Mandanten entsprachen ihren persönlichen Ansichten und Vorstellungen von NS-Tätern und Nationalsozialismus. Streng genommen zeigten auch sie damit Verständnis für die Betroffenen. 2.1.4. Kläger, Spruchkammern und Spruchgerichte Adressat der Täter, Rechtsanwälte und der eidesstattlichen Erklärungen waren die Spruchkammern und Spruchgerichte. Hier gingen die Frage- oder Meldebögen ein, wurden die Klageschriften erstellt, die Beschwerden, Richtigstellungen, eidesstattlichen Erklärungen entgegengenommen, und hier wurden die Sprüche gefällt, zurückgenommen und revidiert. Als Hürde gedacht, waren sie letztlich die institutionalisierte Drehtür, bei deren Durch-

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schreiten Absolution erteilt wurde und an deren Ausgang der Anfang stand: ein Anfang ohne nationalsozialistische Vergangenheit. Das lag nicht immer an Desinteresse oder mangelnden Nachforschungen. Ein maßgebliches Problem war, dass die Spruchkammer, der öffentliche Kläger, um genau zu sein, selbst bestimmte, wie umfangreich im Einzelfall ermittelt wurde. 179 Das persönliche Engagement des Klägers entschied darüber, ob und wie umfangreich zusätzliche Nachforschungen zu Lebensläufen angestellt wurden. Die untersuchten Fälle zeigen, dass dies durchaus geschah. Doch waren die Nachforschungen einerseits durch die gesetzlich festgelegten Kompetenzen der Institution geprägt und andererseits von dem Geschichtsbild und Geschichtswissen der Kläger. Hauptquelle für sie waren die Unterlagen des BDC, mit denen die Mitgliedschaften in NS-Organisationen überprüft werden konnten. Weil dies die einfachste Art der Überprüfung war, wurde sie auch am häufigsten angewendet. Heinrich Win. wurden seine falschen Angaben auf den Fragebögen im Nachhinein daher noch zum Verhängnis. Als 1947 seine Weihnachtsamnestie zurückgenommen wurde, weil man glaubte, er falle wegen tatsächlich höherer Einkünfte nicht darunter, brachte eine Auskunft bei der Polizei- und Militärregierung zutage, dass er sowohl der SS als auch dem SD angehört hatte. Die Folge war seine sofortige Internierung. Solche negativen Folgen aufgrund von Ermittlungsergebnissen waren aber eher selten. Sich bei politischen Parteien, ehemaligen Dienststellen, Wohnorten oder Arbeitgebern zu erkundigen, war für die Ermittler weitaus umständlicher und zeitaufwendiger. Auf diese zusätzlichen Erkundigungen griffen Kläger zurück, die misstrauisch geworden waren und eine individuelle Schuld der Betroffenen vermuteten, vor allem dann, wenn es sich bei den Betroffenen um ehemalige Gestapo-Angehörige handelte. Allerdings krankte diese Art der weiteren Ermittlung häufig daran, dass der Kläger sich entweder von einem stereotypen Bild vom Nationalsozialismus und von den NSVerbrechen leiten ließ, was ihn häufig in die falsche Richtung führte, oder er sich sehr schnell mit den Erklärungen der Betroffenen oder der angefragten Stellen und Personen zufrieden gab. In keinem dieser Fälle wurde daher eine individuelle Schuld der Betroffenen festgestellt. Der Anfangsverdacht konnte nicht konkretisiert werden, vor allem dann nicht, wenn genügend eidesstattliche Erklärungen eingereicht wurden, die selbst die übrig gebliebene formale Belastung als marginal erscheinen ließen. Der ungeklärte „Osteinsatz“, der in Walter He.s Lebenslauf auftauchte, rief beim Kläger zwar Misstrauen hervor, führte aber lediglich dazu, dass er eine mündliche Verhandlung statt einer schriftlichen beantragte. Walter He.s Angabe, dass sich hinter seinem Einsatz in Russland lediglich die Ausbildung von „Freiwilligenverbänden“ verborgen habe, wurde von der Kammer nicht hinterfragt. 180 Der Kläger, der sich mit dem Fall Rath beschäftigte, konzentrierte sich bei seinen Ermittlungen auf die Frage, was Rath von der

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Judenverfolgung an seinem Gestapo-Dienstort Bückeburg gewusst hatte. Rath hatte in einer Vernehmung nämlich behauptet, von einer rassischen Verfolgung der Juden durch die Gestapo nichts zu wissen. Der Ermittler blieb auf der Spur der Bückeburger Juden und bat die örtliche Polizei um weitere Informationen über Rath und die Judendeportation, auch wenn er wusste, dass Rath zur Zeit der Deportationen beim Ek 9 gewesen war – eine Tatsache, der er auch noch nachgehen sollte. Die Antwort der Polizei in Bückeburg war wenig ergiebig. Einer Aufzählung der Judentransporte zwischen 1941 und 1944 folgte der Kommentar: „Abtransport erfolgte auf Anordnung der Gestapo Bielefeld. Die Öffentlichkeit war daran nicht interessiert. Ebenso war die SS nicht daran beteiligt. Inwieweit Rath Kenntnis über das Schicksal der Juden hatte, konnte von hier aus nicht ermittelt werden.“ 181 Es waren nicht mehr als Vermutungen, die den Kläger aus Bückeburg erreichten. Am Ende folgte noch eine Beurteilung Raths, der während seines gesamten Spruchkammerverfahrens weiterhin nationalsozialistische Phrasen verwendet hatte: „Was die Persönlichkeit des Rath anbetrifft, wäre abschließend zu bemerken, dass es sich um einen Menschen handelt, der im allgemeinen von jedermann gut beurteilt wird. Trotz seiner Stellung bei der Gestapo war er bescheiden, zurückhaltend und maßvoll in seinen Handlungen. Im Hinblick auf diese Eigenschaften hat er sich in der Bevölkerung auch nicht verhasst gemacht.“ 182 Alle wichtigen Tugenden, die für eine positive charakterliche Beurteilung und Entlastung entscheidend waren, waren in diesem letzten Abschnitt der Mitteilung aus Bückeburg enthalten, die sich damit wie eine der vielen eidesstattlichen Erklärungen liest. Obwohl die Anfrage kein brauchbares Material geliefert hatte, stellte der Kläger in der Klageschrift fest, dass Rath nach seiner Rückkehr aus dem Osten sicherlich von Kollegen vom Abtransport der Juden erfahren habe. 183 Den Einsatz beim Ek 9 ließ der Kläger bei seinen Ermittlungen nicht unbeachtet. In der Klageschrift wies er darauf hin, dass er noch weiteres Material über die Tätigkeit des Ek 9 anfordern werde (das Urteil im Nürnberger Einsatzgruppenprozess war im April 1948 gefällt worden) und genau wissen wolle, an welchen Orten Rath gewesen sei. Ob er sich tatsächlich noch über das Ek 9 informierte, ist nicht bekannt. Rath aber reichte noch eine detaillierte Liste seiner Aufenthaltsorte ein und blieb bei seiner Darstellung, nur wenige Tage beim Ek 9 gewesen zu sein. Es gab keine weiteren Ermittlungen in diese Richtung, und der Kläger folgte Raths Aussage. Raths Angabe, im Rahmen der „Bandenbekämpfung“ tätig gewesen zu sein, begegnete er ebenfalls zunächst kritisch und setzte das Wort Bandenbekämpfung in Anführungszeichen. Gerade wegen ihrer Seltenheit ist diese Sichtweise bemerkenswert. Letztlich stellte er aber auch in diesem Punkt nur fest: „Für eine verbrecherische Tätigkeit des Angeschuldigten besteht nach den Ermittlungen an sich insoweit noch kein Anlass.“ 184 Was lediglich bedeutete, dass keine Beschuldigungen gegenüber Rath in dieser Hinsicht geäußert

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worden waren. Von den anfänglichen Verdachtsmomenten war somit nichts übrig geblieben. Was blieb, war seine Zugehörigkeit zur Gestapo, für die er zu einer Haftstrafe verurteilt wurde, die allerdings später in eine Geldstrafe umgewandelt wurde. Sein Arbeitgeber in Bückeburg hatte darauf bestanden, dass Rath für ihn momentan nicht ersetzbar sei und um Strafaufschub gebeten. 185 Ähnlich verlief es auch im Fall Harder. Der zuständige Kläger beim Spruchgericht des Internierungslagers Darmstadt ersuchte bei dessen einstigen Nachbarn, Arbeitgebern und an ehemaligen Dienstorten um weitere Auskünfte, zum Teil mit Formblättern. Sowohl der Bürgermeister aus Harders Heimatort als auch die SPD Frankfurt bezeichneten Harder als Nationalsozialisten. 186 Die ehemaligen Arbeitgeber waren allerdings kaum in der Lage, noch Angaben zu Harder zu machen. Dem einen war Harder nicht weiter aufgefallen, bei den anderen konnten sich ältere Mitarbeiter noch daran erinnern, dass er öfter in SS-Uniform erschienen war. 187 Der Kläger hatte nach dem Nationalsozialisten Harder gesucht, der als solcher während seines noch zivilen Berufs negativ aufgefallen war. Seine Einschätzung von Harders Persönlichkeit bestätigten ihm die beiden erwähnten Schreiben, in denen er als Nationalsozialist charakterisiert wurde. Verdächtig hatte sich Harder in seinen Augen vor allem auch durch seine Falschangaben im Fragebogen gemacht. In der Klageschrift wies er daher gleich zu Anfang darauf hin, dass dessen Angaben mit „größter Vorsicht“ aufzunehmen seien, „denn sie entsprechen nicht in allen Punkten der Wahrheit“ 188 . Auch hier blieben die durch berechtigte Zweifel und Misstrauen genährten Nachfragen ohne negative Folgen für den Betroffenen. Eine individuelle Schuld konnte einmal mehr nicht nachgewiesen werden. Hier zeigt sich ganz deutlich der eingeschränkte Handlungsspielraum der Spruchkammern. Ziel dieser Institution war die Kategorisierung und nicht, individuelle Verbrechen in den unterschiedlichen Einheiten zu ermitteln. Wo individuelle Schuld vermutet wurde, befand sie sich immer eingeengt in das Korsett des Täterbilds des willkürlich gegen die eigene Bevölkerung waltenden Beamten. Einsatzgruppentätigkeiten, wie sie beispielsweise bei Rath, Walter He. und auch bei Fritz Zi. bekannt wurden, hatten keine negativen Auswirkungen auf das Verfahren, wenn es den Betroffenen gelang, diese geschickt zu marginalisieren. Auch Gerhard S. hatte dies versucht, hatte aber das „Pech“, dass sein Heiratsgesuch, in dem er sich so eindeutig der SS verschrieben hatte, zum einen auf dem Schreibtisch des Klägers landete und zum anderen so gar nicht zu seiner eigenen Darstellung passen wollte. Auf dieser Quellengrundlage sah es die Kammer als erwiesen an, dass seine SS-Mitgliedschaft alles andere als zwangsweise gewesen sei. Dies war allerdings der einzige Punkt, in dem sie Gerhard S.s Angaben nicht folgte, sie sogar widerlegte. 189 Eine Ausnahme stellt zweifellos das Verfahren gegen August Hä. dar, das daher auch extra behandelt wird. Hier ließen sich Kläger und Spruchkam-

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mer letztlich nicht von den Unschuldsbeteuerungen überzeugen und stuften ihn im Berufungsverfahren sogar noch höher als zuvor ein, weil ihnen mittlerweile Unterlagen über dessen Zeugentätigkeit im Nürnberger Einsatzgruppenprozess vorlagen. Und so basierten die folgenden Klagen und Sprüche auch in den Fällen, in denen der Kläger einzelnen Fakten intensiver nachgegangen war, meist auf den ursprünglichen Lebensläufen der Betroffenen, deren nicht weiter verfolgten Einlassungen und Darstellungen, den eidesstattlichen Erklärungen und letztlich den ganz individuellen Einschätzungen von Klägern und Kammer über die formale Schuld und den Charakter des Betroffenen. In weiten Teilen ungeprüft wurden so Lebensläufe als wahr übernommen, man könnte fast sagen, mussten sie als wahr angenommen werden, und in den Spruchbegründungen fast wortgetreu wiederholt. Und nicht immer lassen der Gebrauch der indirekten Rede oder Formeln wie „wie der Betroffene unwiderlegt behauptet“ erkennen, dass es sich um Aussagen der Betroffenen und nicht um ermittelte Erkenntnisse handelt. Bei der Masse der zu bearbeitenden Fälle wäre eine genaue Überprüfung der einzelnen Stationen in den Lebensläufen zeitlich nicht möglich gewesen. Gerade deshalb beschränkten sich die Verantwortlichen auf NS-Mitgliedschaften, die ausschlaggebend für die formale Belastung waren; alle weiteren Angaben und Einlassungen flossen dann meist ungeprüft in die Spruchbegründung ein. Es erstaunt zudem, welches Gewicht Kläger und Kammern den eidesstattlichen Erklärungen beimaßen, obwohl bekannt war, wie sie zustande kamen und wie wenig verlässlich ihr Inhalt daher sein konnte. Zu diesen problematischen Einzelaspekten kam noch die individuelle Einschätzung der Kläger und Kammern hinzu. Ihre persönlichen Vorstellungen von NS-Verbrechen, NS-Tätern und Strukturen im NS-Staat waren Referenzpunkte für die abschließende Bewertung von Betroffenen. Alle diese Einzelaspekte wirkten sich schließlich auf die Sprüche aus. Weil es zudem keine Absprache zumindest der Lagerspruchkammern untereinander und keinen Informationsaustausch zwischen Kammern und Alliierten über ihre Erkenntnisse gab, blieben in dieser Phase konkrete Belastungen, die ehemalige Kommandoangehörige während ihrer Internierungshaft gegenüber den Alliierten über hier behandelte Täter machten, folgenlos. Bereits 1945 hatte beispielsweise Andreas von A., einst im Stab der Einsatzgruppe B, im Internierungslager Moosburg schriftlich festgehalten, was er über Einsatzkommandos wusste, konkret auch über die Judenerschießungen des Ek 9, über die er vermerkte: „Hier hat besonders der SSObersturmführer Kriminalkommissar Gerhard S. sich dessen gerühmt, ohne seelische Regungen diese Erschießungen durchgeführt zu haben“. 190 Fritz Zi. als Angehöriger des Sk 1005 war den Amerikanern in Dachau bereits genannt worden. 191 Adolf R., der dem Sk 1005 unter Harder angehört hatte, hatte nicht nur schon im Oktober eidestattlich gegenüber dem „Office of

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U.S. Chief of Counsel of War Crimes“ von Massenerschießungen beim KdS Minsk, speziell der Liquidierung des Ghettos in Sluzk, berichtet, sondern konkret Heuser und Harder mit der Lebendverbrennung von Menschen an der Enterdungsstelle bei Gut Trostinez belastet. 192 Im ersten Spruch, der Walter He. in die Kategorie IV der Unterstützer einreihte, hieß es noch: „Durch Zeugnisse wird dem Betroffenen bestätigt, dass er ein gerechter und anständiger Vorgesetzter und Kamerad gewesen ist, jedoch blieben so viele Belastungen, dass der Ausschuss in ihm einen Unterstützer des Nationalsozialismus sah und ihn wie umstehend beurteilen musste.“ 193 Zwei Monate später, in der Berufungsverhandlung, kam eine andere Kammer zu einem ganz anderen Schluss, nachdem Walter He. weitere eidesstattliche Erklärungen eingereicht hatte: „Auf Grund von einwandfreien Zeugnissen und der glaubhaften Angaben des Berufungsführers“, hieß es nun, „ist festzustellen, dass dieser nur dem Namen nach und ohne Einfluss Mitglied der Partei gewesen ist, und den Nationalsozialismus, abgesehen von den pflichtgemäßen Mitgliedsbeiträgen, nicht unterstützt hat“ 194 . Walter He. wurde in die Kategorie V umgestuft. Über Heinrich Win., der vom Kläger zunächst ebenfalls in die Gruppe I der Hauptschuldigen eingestuft worden war, urteilte die Kammer entsprechend der eigenen Darstellungen Heinrich Win.s und der eidesstattlichen Versicherungen. Man folgte ihm in der Einlassung, dass er „wahrscheinlich automatisch“ Mitglied von SS und SD geworden sei, und der eidesstattlichen Erklärung des ehemaligen Kollegen beim RSHA, dass er nie einer SS-Einheit angehört habe. „Aus vorliegenden eidesstattlichen Erklärungen ist weiterhin zu ersehen, dass der Betroffene in politischer Hinsicht stets ein äußerst tolerantes und anständiges Verhalten an den Tag legte.“ 195 Heinrich Win. wurde als Mitläufer eingestuft. Die deutlichen Worte, die die Vertreter der Spruchkammer des Internierungslagers Ludwigsburg gebrauchten, um Noa zu charakterisieren, zeigen, dass er dem Bild entsprach, das sich der Vorsitzende und die Beisitzer von einem Nationalsozialisten machten. Zwar konnte auch ihm keine individuelle Schuld nachgewiesen werden, und seine Zeit bei einer Einsatzgruppe blieb ebenfalls unbekannt, aber die Tatsache, dass Noa mit der Einrichtung des Sippenhaftlagers Hindenburgbaude bei Bad Reinerz für – unter anderem – die Familien Stauffenberg, Goerdeler und Kuhn und mit deren Bewachung beauftragt worden war, stimmte mit ihren Vorstellungen eines GestapoTäters überein. Hatte der Kläger noch sachlich und nüchtern Fakten vorgetragen, häuften sich in der Spruchbegründung emotional motivierte Formulierungen: „Noch im Oktober 1944“, heißt es da, „fand er sich bereit, vom Vertrauen seiner Vorgesetzten und der SS getragen – um sich ein paar gute Tage zu verschaffen – die grausige Aufgabe der Einrichtung eines Sippenhaftlagers auf der Hindenburgbaude bei Bad Reinerz als schmutziger Handlanger der verbrecherischen NS-Gewaltherrschaft zu übernehmen, die

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als Asyl für die unschuldigen Familienangehörigen von Stauffenberg, Kuhn, Goerdeler usw. diente.“ 196 Weil er überdies unabkömmlich gestellt worden war, galt er der Kammer außerdem als Nutznießer – eine Tatsache, die bei den anderen hier behandelten NS-Tätern bei ihrer Entnazifizierung keine Rolle gespielt hatte. Die Urteilsbegründung verwundert etwas, denn die der Spruchkammer bekannte SS-Personalakte Noas hätte ausgereicht, um ihn als überzeugten Nationalsozialisten zu charakterisieren. Um es klar zu sagen: Mit Noa traf die Einstufung in die Gruppe I der Hauptschuldigen keinen Falschen, allerdings blieben die Hauptverbrechen, an denen er beteiligt gewesen war, im Dunkeln und spielten während dieses Verfahrens keine Rolle. Als er durch eidesstattliche Erklärungen ehemaliger Kollegen und des Ehepaares Kuhn bezeugen konnte, dass er sich „anständig“ verhalten hatte, wurden die ergangenen Sprüche daher aufgehoben und das Verfahren gegen ihn eingestellt. 197 Obwohl das Ehepaar Kuhn streng genommen nur ausgesagt hatte, dass es während seiner Zeit in der Hindenburgbaude nicht schlecht behandelt worden sei und nicht angeben konnte, ob sie das Noa, an den es sich unter seinem Decknamen Nordmann erinnerte, oder einem anderen Verantwortlichen zu verdanken hatten, kam die Kammer zu dem Urteil, dass Noa widerlegt habe, Hauptschuldiger zu sein. Auf Grund der vorlegten Dokumente galt er nun als entlastet. Verstörend mutet die Ansicht des Spruchgerichts Hamburg-Bergedorf an, das über Gerhard S. zu urteilen hatte. In der Spruchbegründung hielt man fest, dass Gerhard S. Bescheid wusste über die „zwangsweise durchgeführte gemeinschaftliche Unterbringung [der Juden] in einzelnen Häusern oder Straßen“. Was man davon zu halten hatte, das fügte die Kammer gleich im nächsten Satz an: „In dieser Maßnahme kann aber noch nicht ohne Weiteres ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit erblickt werden. Denn wenn die Juden es auch als schmerzlich und hart empfunden haben mögen, dass sie ihre bisherigen Wohnungen verlassen mussten, so verblieben sie doch in ihrer Heimat und ihrer vertrauten Umgebung. Da während des Kriegs Umquartierungen aus kriegsbedingten Gründen in erheblichem Umfang durchgeführt wurden, so konnte zum Mindesten nicht sicher festgestellt werden, dass der Angeklagte sich des unmenschlichen Charakters dieser Maßnahme bewusst geworden ist.“ 198 Obwohl man den Angaben Gerhard S.s nicht recht glauben wollte, dass er weder etwas von der Deportation der Juden, noch ihrer Vernichtung in Konzentrationslagern und durch Einsatzgruppen gewusst habe, fand man Argumentationen dafür, warum man seine Angaben letztlich nicht widerlegen zu können glaubte. Denn, so argumentierte man, „die Maßnahmen der Judenvernichtung wurden streng geheim gehalten und sind daher nur einem kleinen Personenkreis bekannt geworden, der in diese Vorgänge eingeweiht war. Auf dem Gebiet der Judenverfolgungen hat sich sonach dem Angeklagten eine belastende Kenntnis nicht nachweisen lassen.“ 199 Die Kammer tat sich mit Gerhard S. schwer.

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Einerseits erkannte man, dass Gerhard S. nicht der unschuldige Verführte war, zu dem er sich gerne stilisieren wollte, zum anderen bereitete es Probleme, seine Einlassungen zu widerlegen. Man erkannte, dass Gerhard S. und seine Arbeit von seinen damaligen Vorgesetzten geschätzt worden waren. Gleichzeitig folgte man der Argumentation, „dass seine Zugehörigkeit zur SS eine Folge seiner beruflichen polizeilichen Tätigkeit war“, was man zu seinen Gunsten verrechnete. 200 Man schloss sich der verdrehenden Argumentation der „Dienstgradangleichung“ an, die mit einem erzwungenen Eintritt in die SS verbunden gewesen sei. Was seine Gestapo-Zugehörigkeit betraf, folgte man schließlich ebenfalls seiner Argumentation. Obwohl der öffentliche Kläger Gerhard S. wegen SS-Zugehörigkeit und Gestapo-Zugehörigkeit bestraft wissen wollte, entschied die Kammer, dass Letztere zunächst Teil der Ausbildung gewesen und somit zu vernachlässigen sei und im Folgenden dann als Notstand bewertet werden müsse. In diese Notstandssituation, begründete die Kammer, „war er ohne sein Verschulden geraten, denn als er sich um die Einstellung bei der Gestapo bewarb und auch noch zur Zeit seines Einsatzes bei der Gestapo in Halle nach bestandener Kriminalkommissarsprüfung war er sich über den verbrecherischen Charakter der Gestapopraktiken noch nicht klar“ 201 . Auch der Entnazifizierungshauptausschuss in Stade folgte dieser Argumentation und zugleich auch der irrigen Argumentation, nach der sein SS-Rang als „Angleichungsdienstgrad“ zu bewerten sei und damit keine „echte“ SS-Mitgliedschaft vorliege. 202 2.1.5. Fallbeispiele 2.1.5.1. Der Fall Fritz Zi. – „Ich habe geglaubt, habe mich geirrt und nichts Schlechtes begangen“ Die Phase der Entnazifizierung glich auch für Fritz Zi. eher einer Drehtür als einer großen Hürde, wenngleich die Drehtür etwas klemmte. Denn gleich zwei öffentliche Kläger hatten sich seines Falles angenommen, und einer von ihnen arbeitete hartnäckig daran, den Ungereimtheiten seines Lebenslaufs auf den Grund zu gehen. Über weite Strecken parallel liefen ein Verfahren beim Spruchgericht Recklinghausen (das im weiteren Verlauf an das Spruchgericht Hamburg-Bergedorf abgegeben wurde) und ein Verfahren beim Entnazifizierungshauptausschuss Kiel. Beim Spruchgericht Recklinghausen bzw. dann Hamburg-Bergedorf ermittelte man gegen Fritz Zi. wegen Zugehörigkeit zu einer für verbrecherisch erklärten Organisation. Im Verfahren beim Entnazifizierungshauptausschuss Kiel ging es einerseits um die Einstufung Fritz Zi.s; zum anderen kam dort zwischenzeitlich das Ansinnen auf, die Unterlagen an die Staatsanwaltschaft abzugeben, um ein Verfahren wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit einzuleiten. Es war der öffentliche Kläger in Kiel, der aufgrund von Fritz Zi.s Fragebogen

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und Erkenntnissen, die ihn aus Recklinghausen bzw. Hamburg-Bergedorf erreichten, umfangreiche Nachforschungen anstellte. Dennoch hatten beide Verfahren letztlich keine negativen Auswirkungen auf Fritz Zi.s weiteren Integrationsweg: Das Spruchgericht Hamburg-Bergedorf verurteilte ihn am 2. April 1949 wegen Mitgliedschaft in SD und SS zu einer Geldstrafe von 1 000 DM, die wegen seiner Internierungshaft als verbüßt galt. In Hamburg war übrigens bekannt gewesen, dass er der EG H angehört hatte. In Kiel reihte man Fritz Zi. als aktiven Nazi am 13. September 1949 in die Kategorie III ein, aus der er 1951 in die Gruppe V der Entlasteten umgestuft wurde. Was den Fall Fritz Zi. interessant macht, ist zum einen die Hartnäckigkeit des öffentlichen Klägers in Kiel, die Tatsache, dass Fritz Zi.s Schwägerin ihn schwer belastete, dass er selbst erwähnte, bei der EG H gewesen zu sein, und die Verschleierungstaktik und Selbstdarstellung eines Mannes, der es trotz seiner ehemaligen Positionen im Nationalsozialismus geschickt verstand, sich neu zu positionieren. Die beiden Verfahren werden im Folgenden nicht getrennt voneinander, sondern im Zusammenhang behandelt. Dass Fritz Zi. von dem Zeugen Adametz bereits im Oktober 1945 als Angehöriger des Sk 1005 beschrieben worden war, spielte hier keine Rolle. 203 Fritz Zi.s Lebenslauf eignete sich mehr als der aller anderen hier betrachteten Personen dazu, seine Verstrickung in den Nationalsozialismus zu vertuschen, weil er ihm immer den Freiraum gab, mit dem Beruf des Journalisten zu argumentieren. Und genau das tat Fritz Zi. Seine frühe Parteizugehörigkeit, seine Begeisterung und seinen Einsatz für die Bewegung als Parteiredner leugnete er nicht. 204 Er bettete sie in die Argumentation ein, er sei ganz einfach betrogen worden, habe dann keinen Ausweg mehr aus dem System gefunden und sich generell zum unbequemen Untergebenen entwickelt. Seinen Lebenslauf auf dem Fragebogen, den er am 28. Juni 1947 für den Entnazifizierungsausschuss Kiel ausfüllte, „begradigte“ er entsprechend. In seiner detaillierten Auflistung sämtlicher durchlaufener journalistischer Stationen bemerkte er etwa, dass er seine Tätigkeit beim „Angriff“ auf „beiderseitigen Wunsch“ beendet habe. Tatsächlich war er, wie in seiner Kurzbiografie im prosopographischen Anhang erwähnt, von Goebbels entlassen worden, nachdem er Geld aus der Portokasse gestohlen hatte. Ebenso unwahr ist die Angabe, von September 1937 bis Januar 1938 an der Reichspresseschule gelehrt zu haben; unbelegt waren auch die Angaben, 1942/43 als Kriegsberichterstatter zunächst bei einem LandesschützenErsatzbataillon und dann bei der SS-Standarte Kurt Eggers eingesetzt gewesen zu sein. Tatsächlich war er 1943 zunächst mit ungeklärten Aufgaben bei der EG C in Kiew gewesen; ab Sommer 1943 hatte er ein Teilkommando des Sk 1005b geführt, und 1944 war er zum Kommando z.b.V. 15 in die Slowakei kommandiert worden. Seine Parteimitgliedschaft stellte er in einer umständlichen Argumentation mit dem Hinweis in Frage, dass er kein Parteibuch bekommen habe. Den Schwerpunkt seines Lebenslaufs hatte er

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somit auf seine journalistische Tätigkeit gelegt und andere Einsätze geschickt verschleiert, wie auch zuvor bereits in seinem ähnlich lautenden Lebenslauf, den er für das Spruchgericht Recklinghausen verfasst hatte. 205 In der mündlichen Verhandlung vor dem Spruchgericht HamburgBergedorf wurde er auf Vorhalt der Kopien des vom BDC zugesandten SSBogens etwas genauer und gab an, dass er beim Ek z.b.V. gewesen sei und auch „gelegentlich“ während des Krieges dem SD Bericht erstattet habe. 206 Einen Monat, nachdem er den Lebenslauf für seine Entnazifizierung in Kiel ausgefüllt hatte, schrieb seine Schwägerin (die Schwester seiner durch Selbstmord bei Kriegsende umgekommenen Frau) einen Brief an den Entnazifizierungsausschuss Kiel, in dem sie ihn aufgebracht als linientreuen und nutznießenden Nationalsozialisten beschrieb. Sie erwähnte ebenfalls den zwischen ihm und seiner Frau abgesprochenen Selbstmord im Falle einer Kriegsniederlage, den letztlich nur seine Frau und seine Tochter vollzogen hatten, und beschuldigte ihn zudem, eine Bibliothek gestohlener Bücher aus jüdischen Haushalten zu besitzen. 207 Kurz darauf gab sie bei der Polizei in Berlin einen SD-Ausweis Fritz Zi.s und Fotografien 208 ab, die in der Wohnung seiner Mutter gefunden worden waren. Ihre Aussagen waren auch dem Spruchgericht Hamburg-Bergedorf bekannt. Beide Kammern, vor allem aber der Kläger in Kiel, stellten daraufhin weitere Ermittlungen im Fall Fritz Zi. an, Letzterer vor allem zu dessen Mitgliedschaften in NSDAP, SS und SD. Auf ein Ermittlungsgesuch bei der Kriminalpolizei München erfuhr der Ankläger beim Spruchgericht Bergedorf, dass Fritz Zi.s ehemalige Vermieterin diesen als „übereifrigen Anhänger des Naziregimes“ betrachtete und dass er während seiner Zeit in München mit einer Tänzerin zusammen gelebt hatte. Nach Aussage der Vermieterin habe diese ihr noch 1944 erzählt, dass Fritz Zi. sich zurzeit in Russland bei der „Partisanenbekämpfung“ befinde und ihr öfter Pakete mit Schnaps zukommen lasse. 209 Eine Bekannte, auf die seine Schwägerin aufmerksam gemacht hatte, gab bei ihrer Befragung an, Fritz Zi. sei ein „fanatischer Nationalsozialist“ gewesen, der ihr unter anderem erzählt habe, dass er Goebbels bereits vor der Machtübernahme gekannt habe. 210 Für den öffentlichen Kläger in Kiel stand nach seinen Ermittlungen fest, dass Fritz Zi. eindeutig Fragebogenfälschung begangen hatte. Die gefälschten Stationen im Lebenslauf wurden allerdings nicht aufgedeckt, sondern man folgte ihnen in der Klageschrift. Darin wird festgehalten, dass Fritz Zi. den Nationalsozialismus wesentlich gefördert und gestützt habe. Mit Bezug auf die Erkenntnisse des inzwischen abgeschlossenen Verfahrens in Hamburg-Bergedorf (dies hatte man in Kiel zunächst abgewartet) stellte der Kläger außerdem fest, dass Fritz Zi. zweifelsfrei als ehrenamtlicher Informant für den SD tätig gewesen war. Im Fazit heißt es: „So ist durch das Ermittlungsergebnis einwandfrei erwiesen, dass es sich bei dem Betroffenen um einen äußerst aktiven Nationalsozialisten handelte, der an exponierter

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Stelle die nationalsozialistische Gewaltherrschaft wesentlich gefördert und gestützt hat. Bemerkenswert ist hierbei, dass diese Aktivität des Betroffenen bis zum Zusammenbruch fortgedauert hat, obwohl der Betroffene insbesondere durch seine journalistische Tätigkeit im besonderen Maße Kenntnis hatte von den verbrecherischen Methoden des Naziregimes.“ 211 Fritz Zi. sah sich in beiden Verfahren Zweifeln bzw. Beweisen gegenüber, die gegen seinen Charakter und gegen seine Angaben sprachen. Selbstbewusst und ohne erkennbare Skrupel erwiderte er in beiden Fällen die Anklage und argumentierte in der eingangs bereits erwähnten Weise. Gegenüber dem Spruchgericht Bergedorf blieb er dabei, dass er „formell“ niemals der NSDAP angehört habe, obwohl, wie er in einer Vernehmung angab, er und seine Frau, die der Partei 1931 beigetreten war, die Ziele der Partei begrüßt hätten. 212 Unverkennbares Ziel seiner Argumentation war, sich als betrogenen Idealisten darzustellen, der die damaligen politischen Ansichten und Ziele mit einem Großteil der Deutschen geteilt habe. „Wenn zu dieser Zeit auch eine Judenfeindlichkeit zum Parteiprogramm gehörte, so sind diese Ziele von uns ganz anders verstanden worden, als sie später in der Praxis umgesetzt wurden“ 213 , erklärte er gegenüber dem Spruchgericht. „Gerade in Berlin hatte ich Gelegenheit, ein erhebliches Übergewicht des Judentums in Kunst, Literatur, Justiz und Presse zu beobachten. Diesen Einfluss auf ein der Beteiligung des Judentums an der Gesamtbevölkerung entsprechendes Maß zurückzuführen, erschien ein durchaus zu billigendes Ziel. Unter diesem Gesichtswinkel habe ich zunächst die Beamtenentlassungen, das Schriftleitergesetz und die übrigen Einschränkungen verstanden.“ Offenbar war sich Fritz Zi. seiner Sache so sicher, dass er nicht vor dieser Aussage zurückschreckte. Erst zum Kriegsbeginn sei ihm dann bewusst geworden, von der Führung getäuscht zu werden. „Programm und Durchführung desselben stand in einem erheblichen Gegensatz, in der ablehnenden Einstellung zum Judentum kam mehr und mehr der Vernichtungsgedanke zum Vorschein, der aber, wie nun in der Hitlerrede vom 30. Januar 1939 herausgestellt, von mir nicht ernst genommen wurde.“ Dann vollzog er die argumentative Wende zum unbequemen Menschen, dessen angeblich negative Einstellung zur NS-Politik allen bekannt gewesen sei, weshalb er 1942 auch zur Wehrmacht abgestellt worden sei, was nicht der Wahrheit entsprach. Befragt zu seinem Wissen über die Judenvernichtung gab er sich unwissend: „Während meiner Tätigkeit in den östlichen Gebieten habe ich mit eigenen Augen weder Judenverfolgung, noch Verbrechen gegenüber der Zivilbevölkerung gesehen. Das Gebiet, in dem ich eingesetzt war, stand bereits seit etwa 2 Jahren unter deutscher Verwaltung. Es war an sich von Juden wenig besiedelt. Als ich meinen Dienst antrat, waren überhaupt keine Juden mehr vorhanden. Einzelheiten über ihren Verbleib sind mir nicht bekannt. Die Vernichtung von Juden im Osten habe ich auch anderweitig nicht erfahren.“ 214 Die gleiche Verteidigungslinie verfolgte

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Fritz Zi. auch, als die Sprache auf Konzentrationslager kam. Zwar habe er von ihnen gewusst, aber über Einweisung und Behandlungsmethoden habe er nichts erfahren. „Dass die Einweisung in KZ-Läger [sic] rein willkürlich geschehen konnte, war mir nicht bekannt. Ich sah in den Konzentrationslägern Einrichtungen der inneren Verwaltung bzw. der Polizei. […] Dass die SS gegenüber den Insassen der Konzentrationsläger irgendwelche Unmenschlichkeiten begangen hätte, habe ich bis zum Zusammenbruch nicht gewusst.“ 215 Auf die Klageschrift des Entnazifizierungshauptausschusses Kiel antwortete er über ein Jahr nach diesen Aussagen mit einem zehnseitigen Verteidigungsschreiben, das seiner Grundargumentation aus dem Spruchgerichtsverfahren in Bergedorf folgt. Zusätzlich bemühte er sich nun gewandt, die Angaben in seinem Lebenslauf zum Heiratsgesuch zu entkräften, sein Engagement für die NSDAP herunterzuspielen und seine Mitgliedschaft weiterhin anzuzweifeln. Was seine Mitgliedschaft in der SS betraf, betrachtete er sich als „ehrenamtlichen“ SS-Angehörigen. Zum Beweis, dass er ein unbequemer Untergebener gewesen sei, malte er seine erfundene Geschichte über eine Lehrtätigkeit an der Reichspresseschule dahingehend aus, dass er dort fristlos entlassen worden sei, „weil meine arbeits- und lehrmäßige Linie den damals maßgeblichen Herren nicht passte“ 216 . Einen Großteil seiner Ausführungen nahmen die Beschuldigungen gegenüber seiner Schwägerin ein, die er als hasserfüllte und daher unglaubwürdige Denunziantin beschrieb. Darüber hinaus zielte er darauf ab, sich selbst als jemanden darzustellen, der in den Augen seiner Vorgesetzten verdächtig und ideologisch nicht zuverlässig gewesen sei. 217 Fritz Zi. formulierte seine Darstellung auf die Klageschrift bestimmt, selbstbewusst und selbstgefällig. Am Ende seiner Ausführungen äußerte er ganz klar, dass er die Nachkriegszeit mit seiner Internierungshaft, wie so viele andere auch, als ausreichende Strafe und Sühneleistung in einem betrachtete. 218 In der folgenden mündlichen Verhandlung erklärte er: „Ich habe geglaubt, habe mich geirrt und nichts Schlechtes begangen. Ich glaube, durch die vergangenen Jahre in hinreichendem Maß bestraft worden zu sein.“ 219 In beiden Verfahren legte er eidesstattliche Versicherungen von ehemaligen Nachbarn und Kollegen vor, die seine Darstellung unterstützen sollten. Typisch für die Erklärungen aus dem privaten Umfeld ist, dass ihre Aussteller nichts über die Tätigkeiten des Betroffenen wussten und schreiben konnten. Einzelne positive Handlungen, die sie erinnerten, wurden so zu generellen Charaktereigenschaften umgedeutet, die zur Einschätzung führten, dass man dem Betroffenen keine schlechten Taten zutraute. Joachim Haupt, der eigentliche Initiator der Nationalpolitischen Erziehungsanstalten, der später wegen des Vorwurfs der Homosexualität verhaftet und aus der NSDAP ausgeschlossen worden war, gehörte zu jenen, die Fritz Zi. eine Erklärung ausstellten. 220 Weitere Erklärungen besorgte er sich von seinen

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ehemaligen Transocean-Kollegen Hans Henrich, der später für die Frankfurter Rundschau schrieb, und Werner von Lojewski. 221 Sie stellten heraus, dass er seine Stellung nicht missbraucht habe und man mit ihm offen habe reden können. Die Argumentation richtete sich gegen den Vorwurf, Fritz Zi. sei ein fanatischer Nazi gewesen. Mehr allerdings konnten auch sie nicht aussagen. Besonders wichtig für seine Verteidigung waren die Erklärungen seiner ehemaligen Berliner Nachbarn mit jüdischen Ehepartnern, die beweisen sollten, dass er kein Antisemit gewesen sei. 222 Der Kläger beim Spruchgericht Recklinghausen bzw. dann HamburgBergedorf hatte vergleichsweise umfangreich ermittelt und auch an Fritz Zi.s früherem Wohn- und Arbeitsort München Erkundigungen eingeholt. Ebenfalls wie Rath wurde auch er umfangreich dazu befragt, was er von nationalsozialistischen Verbrechen gewusst habe. Doch weder seine Stellung als Parteiredner, die Anschuldigungen seiner Schwägerin, der aufgefundene SD-Ausweis noch seine zugegebene Zugehörigkeit zur Einsatzgruppe H konnten ihm letztlich schaden. Seine Verteidigungstaktik ging trotz der Ermittlungen auf. Das Spruchgericht Hamburg-Bergedorf folgte in seiner Spruchbegründung den Angaben Fritz Zi.s. Sein umfangreicher Lebenslauf wurde mit allen falschen Angaben übernommen und somit zur Grundlage seiner Beurteilung. Man stellte fest, „dass die Schuld des Angeklagten nicht die Verhängung einer Freiheitsstrafe rechtfertigt. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit lag auf seinem Beruf als Journalist und Schriftleiter.“ 223 Die Offenherzigkeit, mit der er von seiner positiven Einstellung gegenüber dem Nationalsozialismus berichtet hatte, wurde ihm dabei nicht negativ ausgelegt. Ganz im Gegenteil kam man zu dem Schluss: „Die überreichten und verlesenen Leumundszeugnisse beweisen, dass der Angeklagte aus Idealismus der NSDAP beigetreten ist und die Entwicklung zur Diktatur mit Sorge verfolgte und innerlich abgelehnt hat.“ 224 Der Kläger des Entnazifizierungs-Hauptausschusses Kiel hingegen folgte seinem Kollegen in Recklinghausen nicht, sondern kam aufgrund seiner Ermittlungsergebnisse und denen aus Recklinghausen zu dem gegensätzlichen Schluss: „Wenn auch eine Anzahl von Leumundszeugnissen und eidesstattlichen Erklärungen […] ihm ein günstiges Zeugnis ausstellen und wenn weiterhin dem Betroffenen trotz eingehender Ermittlungen keine Handlungen nachgewiesen worden sind, die den Vorwurf von Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder sonstigen verbrecherischen Handlungen rechtfertigen könnten, so ist durch das Ermittlungsergebnis einwandfrei erwiesen, dass es sich bei dem Betroffenen um einen äußerst aktiven Nationalsozialisten handelte, der an exponierter Stelle die nationalsozialistische Gewaltherrschaft wesentlich gefördert und gestützt hat.“ 225 Auch seine angegebenen Tätigkeiten beurteilte man hier anders: „Die Verantwortlichkeit des Betroffenen […] ergibt sich aus seiner oben erwähnten Haltung, aus seiner führenden Stellung im nationalsozialistischen Staat, ferner aus

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der frühen Mitgliedschaft in der Partei und SS, aus der Übernahme hoher Ämter in diesen Organisationen, in ganz besonderem aus seiner propagandistischen Tätigkeit als Redner und Journalist, die er im Interesse der nationalsozialistischen Zielsetzung ausgeübt hat.“ 226 Im Gegensatz zum Spruchgericht Bielefeld bezog der Kläger nun die Beschuldigungen der Schwägerin Fritz Zi.s in dessen charakterliche Beurteilung mit ein, ebenso die falschen Angaben auf dem Fragebogen. 227 Auch wenn der Entnazifizierungsausschuss die „offene“ Haltung Fritz Zi.s während der Verhandlung anerkannte und davon sprach, dass Fritz Zi. einen guten Eindruck als Mensch hinterlassen habe, folgte er doch dem Kläger und reihte Fritz Zi. in die Gruppe III der Belasteten ein, aus der nach Inkrafttreten eine Umstufung in Gruppe IV erfolgen sollte. 228 2.1.5.2. Der Fall August Hä. – Eine im Nürnberger Einsatzgruppenprozess abgestimmte Geschichte Der Fall August Hä. eignet sich aus mehreren Gründen als Einzelbeispiel in diesem Kapitel. Ein Grund ist, dass die von ihm begangenen und unterstützten Verbrechen und seine Selbstrechtfertigung und Selbstdarstellung während seines Spruchkammerverfahrens einen Kontrast bilden, der kaum stärker sein könnte. Die weiteren Gründe sind zwei Besonderheiten dieses Falles: Der Spruchkammer war bekannt, dass August Hä. dem Sk 4a, dem Sk 11b und der Dienststelle des BdS Athen angehört hatte, und August Hä. war vor seinem Spruchkammerverfahren Zeuge von Blobel, dem Chef des Sk 4a, und Blume, dem ehemaligen BdS Griechenland, im Einsatzgruppenprozess vor einem US-Militärgericht in Nürnberg gewesen. 229 Die Stationen seines NS-Lebenslaufs gab August Hä. selbst an. Am 1. März 1947 füllte er im Interniertenlager Kornwestheim einen Meldebogen aus. Wahrheitsgemäß beantwortete er die Fragen nach Mitgliedschaft oder Zugehörigkeit in NSDAP, Allgemeiner SS, Waffen-SS, Gestapo und SA mit „ja“ und erwähnte sein goldenes Ehrenzeichen der HJ. Hinter SD jedoch vermerkte er „Kollektivzugehörigkeit“ und „Dienstrangangleichung – SS-Obersturmführer“. 230 Zwei Wochen nach dem Meldebogen lag der große Fragebogen vor August Hä. Detailliert listete er wahrheitsgemäß alle durchlaufenen Dienststellen auf und nannte auch seine Einsatzgruppeneinsätze: „41: Sipo Russland – 4a“ und „43: Sipo Russland – 11b“. Er gab nicht nur die Zugehörigkeit zu den beiden Einsatzkommandos zu, sondern nannte in erstaunlicher Offenheit auch noch die Einheiten und deren Kommandoführer Blobel und Schulz. Wusste er zu diesem Zeitpunkt vielleicht schon, dass er als Zeuge der Verteidigung im Fall 9 vor einem US-Militärgericht in Nürnberg dienen sollte, so dass es ihm erfolglos erschien, die beiden Einsätze bei Einsatzgruppen zu verleugnen? Oder nannte er bewusst aus einem Gemisch aus

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Stolz, Trotz und Loyalität heraus die Etappen seines NS-Lebenslaufs? Auf die erste Frage findet sich in den Quellen keine Antwort. Für die zweite Vermutung hingegen liefern die Quellen Belege. Das Gesamtbild der Persönlichkeit August Hä.s, das sich aus ihnen ergibt, zeigt einen Mann, der aktiver Nationalsozialist gewesen war und der sich auch nach der Kapitulation aus Überzeugung und Kameradschaft zur Solidarität mit seinen ehemaligen Vorgesetzten Blobel, Schulz und Blume verpflichtet fühlte. Zu seinem NS-Lebenslauf stand er jedoch nur eingeschränkt, denn auch ihm war bewusst, dass die Aufgaben und Taten des Sk 4a und des Sk 11b nun nicht mehr mit NS-Maßstäben gemessen würden. Er entschärfte daher seine Angabe auf dem großen Fragebogen und verschleierte seine wahre Rolle innerhalb des Sk 4a, indem er seinen Einsatz von sechs auf dreieinhalb Monate verringerte und angab, lediglich Verbindungsoffizier gewesen zu sein. Das war die Grundlage seiner weiteren Verteidigung. Während der Spruchkammer nun seine biografischen Angaben vorlagen, konnte er seine Verteidigung und Selbstdarstellung inhaltlich konkretisieren und autorisieren lassen. Gelegenheit dazu bot sich ihm während der fünf Monate vom Herbst 1947 bis Frühjahr 1948, die er in Nürnberg als Zeuge für Blobel und Blume verbrachte. Er füllte seine biografischen Angaben mit unverfänglichen Inhalten, die er sich von seinen ehemaligen Vorgesetzten bestätigen ließ. Dass er sich überhaupt als Zeuge zur Verfügung stellte und bereit war, in erster Linie für Blobel 231 und Blume 232 , faktisch aber auch für die ebenfalls angeklagten von Radetzky 233 , Rühl 234 und Schulz 235 – die sich alle frei von Schuld wähnten – auszusagen und deren Verteidigungsstrategien zu unterstützen, dass er sich nicht von ihnen distanzierte, zeigt, dass er sich ihnen immer noch kameradschaftlich verbunden und als ehemalige Vorgesetzte verpflichtet fühlte und bereit war, nicht nur für sich, sondern auch für sie zu lügen. Die inhaltliche Vorgehensweise sprachen die Beteiligten untereinander ab, wie August Hä. in einer Vernehmung in der Bundesrepublik später zugab: „Ich [wurde] wiederholt von Blobel zu Besprechungen angefordert. Ich traf aber auch mit anderen Leuten wie Ohlendorf, Schulz, Fendler, Rühl, Braune und Radetzky zusammen.“ 236 Das Ergebnis waren aufeinander abgestimmte eidesstattliche Erklärungen. 237 Dabei stellte August Hä. neben zwei eidesstattlichen Erklärungen für Blobel 238 noch jeweils eine für Schulz 239 , Rühl 240 und von Radetzky 241 sowie drei für Blume 242 aus. Die Spruchkammer erhielt allerdings erst Mitte Mai 1948 Abschriften dieser Dokumente. Seinem ehemaligen Vorgesetzten Blume bescheinigte August Hä., dass dessen Dienststelle keine Erschießungen vorgenommen habe und stellte seine Sichtweise der Aufgaben der Dienststelle des BdS in Athen dar, wobei er immer wieder auf nicht nachweisbare Einzelbeispiele verwies, die seine Ausführungen bestätigen sollten. Und bestätigen wollte er seinem ehemaligen Vorgesetzten, dass ihre Aufgabe einzig die Bekämpfung des

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Kommunismus in Griechenland gewesen sei, der Deutschen und nationalen Griechen „in brutalster Form“ 243 gegenübergetreten sei, und nicht die Bekämpfung des griechischen Volkes. Der Verweis auf Greueltaten besaß Methode, erlaubte sie ihm doch unter anderem, die vom BdO und von Blume organisierten Großrazzien in Athen und die brutale Behandlung der Gefangenen im KZ Chaidari bei Athen zu rechtfertigen. Die bei den Razzien erfolgten Erschießungen verschwieg er jedoch, erwähnte aber, dass die Festgenommenen in das KZ Chaidari 244 gebracht worden seien. Dieses Lager hatte dem BdS unterstanden, was August Hä. auch angab, aber gleich wieder einschränkte, indem er betonte, dass seine Dienststelle nur für fünf bis zehn Prozent der Häftlinge zuständig gewesen sei. Die Einschränkung erfolgte nicht ohne Hintergedanken, denn auch ihm war bekannt, dass dieses Lager für die unmenschliche Behandlung der Gefangenen berüchtigt gewesen war. Mit seiner schriftlichen Erklärung deckte er Blume als BdS, aber auch die gesamte Dienststelle und letztlich sich selbst. Er deckte einen Vorgesetzten, der vor dem deutschen Abzug im August 1944 vergeblich hatte durchsetzen wollen, dass alle Personen (auch aus dem KZ Chaidari) erschossen werden, die zukünftig eine führende Rolle in der Politik Griechenlands hätten übernehmen können, um auf diese Weise Griechenland ins Chaos zu stürzen. 245 Die weiteren eidesstattlichen Erklärungen August Hä.s beziehen sich alle auf den Einsatz des Sk 4a. Seine Erklärungen für Blobel waren erfundene Geschichten, die auf zwei Konstrukten aufbauten, von denen er für sich und für seinen einstigen Vorgesetzten Entlastung erhoffte 246 : Erstens nahm er sich selbst aus der Exekutive heraus, indem er betonte, lediglich Verbindungsoffizier zum AOK 6 und damit nur stundenweise beim Sk 4a gewesen zu sein – diesen Posten hatte in Wahrheit allerdings SS-Hauptsturmführer Kuno Callsen besetzt. Und zweitens rechtfertigte er alle erfolgten Erschießungen als Bestrafungsaktionen an Juden für von ihnen verübte Sabotageakte und Greueltaten an deutschen Soldaten oder nichtjüdischer Bevölkerung. Auf dieser Basis erfand er Ereignisse, von denen er annahm, glaubhaft machen zu können, dass er weder bei einer Exekution in Sokol noch bei der Erschießung von 2 000 Juden in Sluzk dabei gewesen sein könne. Einen Großteil seiner Ausführungen widmete er der Absicht, seine Abwesenheit bei der Ermordung der Kiewer Juden in der Schlucht von Babij Jar glaubhaft zu machen. Ausgeschmückt mit zahlreichen Details, die seine Darstellung von den Explosionen und Bränden in den Tagen nach der Eroberung Kiews am 19. September 1941 durch Einheiten der 6. Armee unterstreichen sollte, lieferte August Hä. eine die Tatsachen verschleiernde Version der Ereignisse. Danach hatte ihm Blobel am 24. September 1941, also vier Tage vor der Exekution, mitgeteilt, dass alle Anwärter des leitenden Dienstes zur Fortsetzung des Studiums zurück nach Berlin müssten. Am 27. September will er dann Kiew verlassen haben und am 1. Oktober in

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Berlin angekommen sein. 247 Den offensichtlichen Grund für diese Darstellung nannte August Hä. später ganz offen: „Ich wollte mich und die anderen Führer vom leitenden Dienst aus dem Vorgang Kiew heraushalten.“ 248 Parallel zielte er mit seiner Erzählung der Ereignisse in Kiew darauf, Juden für die Brände in der Stadt verantwortlich zu machen und somit die Erschießung der in Kiew verbliebenen Juden, die er allerdings nicht erwähnte, als Bestrafungsmaßnahme zu rechtfertigen. 249 Für die Ereignisse in Kiew stellte August Hä. noch einem weiteren in Nürnberg angeklagten SS-Führer eine entlastende eidesstattliche Erklärung aus. Waldemar von Radetzky, der von Mai 1941 bis Herbst 1943 Vertreter Blobels beim Sk 4a gewesen und ebenfalls an der Erschießung der Kiewer Juden beteiligt gewesen war, bescheinigte er wahrheitswidrig, „ganz kurze Zeit nach der Ankunft des Sk 4a in Kiew“ 250 als Verbindungsführer zur 6. Armee befohlen worden zu sein. Außerdem versicherte er, dieser sei nicht Stellvertreter Blobels gewesen, sondern hätte dem Sonderkommando lediglich als Dolmetscher angehört. Ebenso bereitwillig bestätigte er während seiner Zeugenhaft Felix Rühl, der dem Sk 10b angehört hatte, an Eides statt, dass er während seiner Zeit beim Sk 4a nichts davon mitbekommen hätte, dass das Kommando die „zusätzliche“ Aufgabe gehabt hätte, Juden oder Zigeuner zu töten. 251 „Ich habe auch während meines Einsatzes im Ostgebiet und später offiziell und gerüchteweise nur von solchen Massenerschießungen Kenntnis bekommen, die auf Befehl von Wehrmachtsbefehlshabern und Kommandeuren oder Höheren SS- und Polizeiführern durchgeführt wurden. In diesem Zusammenhang wurden gelegentlich auch Einsatzgruppenchefs genannt, wobei mir die Rolle, die diese dabei spielten, unklar blieb.“ 252 Felix Rühl sei wie er und alle anderen Anwärter des leitenden Dienstes Ende September 1941 wieder nach Berlin zurückbefohlen worden. In seiner eidesstattlichen Versicherung für Erwin Schulz, den Chef des Ek 5, verbürgte er sich ausdrücklich für dessen anständigen Charakter, hätte dieser doch die Judenerschießungen eigentlich nicht richtig gefunden. Als Beleg führte er eine frei erfundene Rede an, die Schulz vor ihm und anderen Lehrgangsteilnehmern in Berlin im Oktober 1941 gehalten hätte und unterstrich auf dieses Weise ein weiteres Mal, dass zu diesem Zeitpunkt die Anwärter des leitenden Dienstes nicht mehr im Osteinsatz gewesen seien. In seiner Rede hätte Schulz darauf hingewiesen, „dass in Russland befehlsgemäß Judenerschießungen stattgefunden hätten. Auch wenn die Gegenseite durch ihre Handlungen diese Maßnahmen herausgefordert und dadurch ihre Rechtmäßigkeit begründet habe, so sei es doch nach seiner Ansicht eine scheußliche Angelegenheit gewesen.“ 253 August Hä. brachte damit eine Argumentation vor, die fester Bestandteil der Verteidigung in den späteren NS-Prozessen war: Der Verweis auf die eigene, innere Distanz zu NSVerbrechen. Im juristischen Konstrukt der „subjektiven Tätertheorie“ fand sie

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ihren Resonanzboden und trug maßgeblich dazu bei, aus Tätern Gehilfen zu machen. August Hä. musste mit einem Spruchkammerverfahren rechnen, nachdem er den großen Fragebogen ausgefüllt hatte und nachdem er dem Wunsch Blobels, ihm als Zeuge bereitzustehen, gefolgt war und nachdem er auch noch während seiner Zeugenhaft von einem Mitarbeiter der deutschen Überleitungsabteilung der Special Projects Division vernommen worden war. 254 Während der fünf Monate in Nürnberg hatte er für sein eigenes Spruchkammerverfahren vorgearbeitet, aber er dürfte auch schon weiter gedacht haben, denn während des erwähnten Verhörs war ihm gesagt worden, dass die Möglichkeit bestünde, dass er vor ein deutsches Gericht gestellt werde. 255 Mit seinen ehemaligen Vorgesetzten hatte er Geschichten abgestimmt, die nicht nur sie, sondern vor allem auch ihn entlasten sollten. Sie finden sich in den eidesstattlichen Erklärungen, die er ihnen freiwillig und überzeugt ausstellte, und sie finden sich in den eidesstattlichen Erklärungen, die ihm Blobel, Schulz, Blume und zusätzlich noch Martin Sandberger 256 , Führer des Sk 1a, im Gegenzug ausstellten. Mit ihnen im Gepäck kam er im Frühjahr 1948 wieder in das Internierungslager Kornwestheim zurück. Die Klageschrift der Spruchkammer wurde ihm am 1. April 1948 zugestellt. Seine eidesstattlichen Aussagen und das Vernehmungsprotokoll lagen der Spruchkammer zu diesem Zeitpunkt noch nicht vor. Der Kläger beantragte, August Hä. in die Gruppe der Hauptschuldigen einzureihen, weil er keinen ausreichenden Gegenbeweis erbracht habe. 257 Für den Kläger stand danach fest: „Durch seine Betätigung in der SS und in der Gestapo hat er den NS außerordentlich unterstützt und gefördert und zur Erhaltung der Gewaltherrschaft beigetragen.“ 258 Bemerkenswert ist, dass seine Einsatzgruppentätigkeiten nicht erwähnt wurden, obwohl er sie angegeben hatte. Hier zeigen sich ganz deutlich der eingeschränkte Blickwinkel der Spruchkammern, ihrer Aufgabe und der korrespondierenden Arbeitsweisen. Ziel dieser Institution war die Kategorisierung und nicht, individuelle Verbrechen in den unterschiedlichen Einheiten zu ermitteln. Der Kläger lag mit seiner Einschätzung dennoch nicht falsch; allerdings veranschaulicht die zitierte Begründung deutlich, welche Vorstellungen von Tätern und Organisationen ihr zugrunde lagen. Der Begriff Gestapo scheint nicht nur in diesem Beispiel alle Vorstellungen vom Nationalsozialismus zu bündeln und eine Projektionsfläche für diese zu bieten. Und es fällt auf, dass fast ausschließlich der Terror nach innen damit verbunden wurde. Die Recherchen, die die Spruchkammer basierend auf biografischen Angaben August Hä.s seit April/Mai 1947 unternommen hatte, geben einen weiteren Einblick in die Tätervorstellungen der Beteiligten. Dem Bürgermeister von Pretzsch, August Hä.s zeitweiligem Wohnsitz, der dortigen KPD, der SPD, der CDU und der Polizei sowie der Gemeinde Kiefersfelden

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und dem Bezirksbürgermeister Berlin-Charlottenburg schickte die Spruchkammer standardisierte Anfragen zu August Hä., die aus neun Fragen bestanden. Neben der allgemeinen Frage nach August Hä.s Verhalten in der Bevölkerung wurden konkrete Eckpunkte eines Täterbildes abgeklopft. 259 Exzesstäter, Antisemiten, Profiteure des Systems und solche, die offen im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie gegen die deutsche Bevölkerung agiert hatten, konnten in diesem Netz hängen bleiben, denn für sie war es geknüpft worden. Der Rest fiel durch – so auch in diesem Fall. Und so verwundern die negativen Antworten nicht, die die Spruchkammer erhielt. Zudem: Wie wahrscheinlich war es, dass sich die angeschriebenen Gemeinden und Parteien genau an diese eine Person erinnerten? Der CDU Pretzsch war nichts über August Hä. bekannt; man bemerkte aber zur Frage nach dessen Einstellung gegenüber Juden, Ausländern und Kriegsgefangenen, dass August Hä. mit diesen in Pretzsch nicht zusammengekommen sei: „Juden gibt es in Pretzsch nicht und Ausländer gab es nur in den Betrieben und dort waren diese unter sich. Kriegsgefangene lebten hier alle geruhsam. Denen hat hier niemand was getan.“ 260 Der Kläger der Spruchkammer gab sich an diesem Punkt nicht zufrieden, sondern blieb hartnäckig und forschte weiter nach. Er ließ die Polizei die Wohnung der Ehefrau und der Eltern in Schwäbisch Hall durchsuchen und die Ehefrau, seine Mutter und seine Schwester vernehmen. Man erhoffte sich von diesem Einsatz Erkenntnisse über August Hä.s Osteinsatz, vor allem über seinen Aufenthaltsort am 29. und 30. September 1941, den Tagen, an denen die Massenerschießung in Babij Jar stattgefunden hatte. Die Ausbeute der Durchsuchung beschränkte sich auf ein Notizblatt, auf dem Namen ungarischer Juden notiert waren. 261 August Hä. hatte sie seiner Frau während seiner Gefangenschaft im Lager Augsburg-Göggingen als Entlastungszeugen für seine Tätigkeit als Kommandoführer beim Bau des sogenannten Südostwalles diktiert. Die Aussagen der Familienmitglieder waren für die Ermittler ebenfalls wenig ergiebig. Seine Ehefrau wusste zwar, dass ihr Mann in Russland gewesen war, aber nicht, was er dort gemacht habe. Auf Nachfrage erwiderte sie: „Mein Mann hat mir nie gesagt, dass er an irgendwelchen Aktionen gegen Juden teilgenommen hat. Ich halte es deshalb nicht für möglich, dass sich mein Mann in dieser Hinsicht etwas hat zuschulden kommen lassen.“ 262 Dieser Logik schlossen sich auch die Mutter und die Schwester an. 263 Der Ausschuss der politischen Parteien Schwäbisch Hall teilte dem Ermittler der Spruchkammer allerdings auf Nachfrage mit, dass August Hä. überzeugter Nationalsozialist gewesen sei. 264 Eine Einschätzung, die der Kläger der Spruchkammer teilte, wie August Hä. der Klageschrift entnehmen konnte. August Hä. legte gegen die Klage Beschwerde ein und forderte seine Einstufung in die Gruppe der „Minderbelasteten“. Auf elf Schreibmaschinenseiten plädierte er in eigener Sache für eine Herabstufung. 265 Als Be-

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weise für seine Behauptungen verwies er jeweils auf einzelne eidesstattliche Erklärungen, darunter auch die, die er in Nürnberg erhalten hatte. Insgesamt legte August Hä. der Spruchkammer 45 eidesstattliche Erklärungen vor, die seine Nichtbeteiligung an Erschießungen und seine insgesamt „anständige Haltung“ beweisen sollten. Fast die Hälfte davon, nämlich 21, hatte er sich selbst geschrieben. Die restlichen 24 eidesstattlichen Erklärungen hatten ihm ehemalige Kameraden und Mitinternierte (13), die in Nürnberg angeklagten Blobel, Schulz, Blume und Sandberger, der Bürgermeister seiner Heimatstadt Schwäbisch Hall (2) und vier weitere Bekannte, darunter der Rechtsanwalt von Blobel, Dr. Willi Heim, ausgestellt. August Hä. argumentierte in seiner Erwiderung auf die Klageschrift zunächst, dass sein SS-Dienstgrad nur ein Angleichungsdienstgrad gewesen sei und versuchte, die Sicherheitspolizei als unpolitische und unideologische Einrichtung darzustellen. 266 Der Verweis auf die Dienstgradangleichung zieht sich als exkulpatorischer Topos der Beschuldigten und Angeklagten aus den Reihen der Polizei wie ein roter Faden durch die Spruchkammerverfahren und reicht bis zu den NS-Prozessen der Bundesrepublik. Dass August Hä., der ja schon vor seiner Zugehörigkeit zur Sipo der SS angehörte, darauf verweist, ist verwirrend. Denn eine zwangsweise Eingliederung als Angehöriger der Sipo in die SS konnte er somit für sich nicht entschuldigend anführen, hatte er sich doch bereits 1933 für die SS entschieden. Er selbst unterschied nun in seiner Ausführung zwischen seiner SS-Zeit, bevor er der Sipo angehörte, und der Zeit, in der er als Angehöriger der Sipo Mitglied in der SS und als solcher dem SD zugeteilt war. Und mit dem Verweis auf die formale Unterstellung unter den SD versuchte er, seinen Angleichungsdienstgrad zu banalisieren. Als Beweis zog er die eidesstattliche Versicherung des Mitinternierten Georg Schraepel, ehemaliger Regierungsdirektor im RSHA, heran. 267 Wie schon 1946 vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg versuchte Schraepel nun im Auftrag August Hä.s quasi als Experte darzulegen, dass Angehörige der Kriminalpolizei letztlich nur „formal“ dem SD bzw. der SS, „ohne jeden politischen Inhalt“ angehört hätten. Folglich, so sein falsches Fazit, seien Polizisten mit „Dienstgradangleichung“ keine regulären Mitglieder von SS oder SD gewesen; er verschleierte so, dass August Hä. bereits zuvor SS-Mitglied gewesen war. Damit vermischte er wie so viele Andere, die den Begriff Dienstgradangleichung zur Entschuldigung benutzten, den Eintritt von Angehörigen der Sipo in die SS, deren Zuteilung zum SD und der unter bestimmten Voraussetzungen erfolgten Angleichung der polizeilichen Dienstgrade in einen entsprechenden SS-Rang. Es waren Leute wie Schraepel, die das Bild von einer „sauberen“, einer ideologisch in ihrer Arbeit unbeeinflussten Kriminalpolizei mitkreieren halfen, das noch lange in der Bundesrepublik nachwirken sollte und das auch bei Spruchkammern auf Gehör stieß. Wieviele Kläger an Spruchkammern besaßen die Kenntnisse und den Willen, die

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meist detailreichen und immer wieder von Betroffenen vorgebrachten Argumentationen auszuhebeln? Zumal auch Schraepel nicht versäumte, auf eine Ausweglosigkeit der Polizisten im Fall einer Verweigerung hinzuweisen und damit die Vorstellung von einem „totalitären“ Staat bediente. 268 Mit dem generellen Verleugnen einer Entscheidungsmöglichkeit der Betroffenen wurden Täter zu Opfern stilisiert. August Hä. bestritt in seiner Antwort auf die Klage des Weiteren, jemals eine Führungsposition bekleidet zu haben und verwies im Falle des Außenpostens Patras, den er ja geleitet hatte, auf die eidesstattliche Erklärung Blumes, der die Bedeutung dieser Außenstelle marginalisierte. Vehement widersprach er zudem der Auffassung, er hätte den Nationalsozialismus unterstützt und gefördert. Vielmehr, so seine Argumentation, sei er in allen NS-Organisationen nur „nominelles“ Mitglied gewesen und verwies auf zwei Schreiben des Bürgermeisters seiner Heimatstadt Schwäbisch Hall, der ihm bestätigte, dass er sich dort „in keiner Weise […] aktiv bei Streitigkeiten während der Kampfzeit eingesetzt hat. Er ist in seinen jungen Jahren, in der Meinung, es recht zu machen, zur SS gegangen. Als Mitglied der Allgemeinen SS ist er nicht über den üblichen Rahmen hervorgetreten.“ 269 In einem weiteren Schreiben bezeichnete er ihn als „jungen Idealisten“270 . Die SS-Mitgliedschaft – in den Augen des Bürgermeisters und nicht nur in seinen, eine im Nachhinein zu belächelnde und nicht weiter wichtige Etappe im Leben eines verführten jungen Mannes. Der Bürgermeister meinte, was er schrieb, und gab am Ende seiner Erklärung deutlich zu verstehen, was er von dem Spruchkammerverfahren gegen August Hä. im Speziellen und im Allgemeinen von dieser Art des Umgangs mit der NSVergangenheit hielt: „Aus den angeführten Gründen halte ich es als Landtagsabgeordneter der SPD für notwendig, solchen anständigen Menschen wieder in’s Leben zurück zu verhelfen, damit das Wort Demokratie wieder zu Ehren kommt.“ 271 Es war ein Statement gegen die Entnazifizierungspraxis und eines ohne jegliche Vorbehalte für den Mitbürger August Hä., ohne, dass der Bürgermeister etwas über August Hä.s Einsätze während des Zweiten Weltkriegs wusste. August Hä. selbst stellte seinen Eintritt in die SS ähnlich dar: „Aus dem Übertritt zur allgemeinen SS kann kein Indiz einer besonders aktivistischen oder überzeugten politischen Haltung gefolgert werden. In meinem jugendlichen Streben nach geistiger und beruflicher Fortbildung und Aufwärtsentwicklung glaubte ich damals vielmehr in der SS ein höheres geistiges Niveau zu spüren.“ 272 August Hä. behauptete dem Kläger gegenüber, bewiesen zu haben, dass er den ihm befohlenden Dienst „absolut korrekt und menschlich“ ausgeübt und sich „immer konsequent gegen alle politischen Gewaltmethoden“ eingesetzt hätte. 273 Er sah es ebenfalls als bewiesen an, dass er während seines Einsatzes beim Sk 4a keinerlei Exekutivaufgaben gehabt, niemals an Erschießungen teilgenommen habe und nur stundenweise beim Sk 4a gewesen

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sei und verwies auf eine eidesstattliche Versicherung Blobels, in der dieser ihm bestätigte, niemals an Exekutionen teilgenommen zu haben. 274 Bei der Spruchkammer schrieb man später zwei große Fragezeichen an diesen Absatz. August Hä.s Ausführungen endeten in einer Selbstdarstellung, an die er selbst glaubte und von der er glaubte, dass sie bei der Spruchkammer überzeugen würde: „Da ich meinen Kriegseinsatz im Osten nicht umgehen konnte, habe ich mich wenigstens persönlich strikt und jederzeit von allen Gewaltmethoden und Inkorrektheiten ferngehalten und mich nach Kräften bemüht, durch eigenes Vorbild für eine saubere und menschliche Dienstausübung einzutreten.“ Er bemühte ein weiteres Mal das Bild des ideologisch unbelasteten Kriminalbeamten, wonach er seinem „Grundsatz loyaler, menschlicher und korrekter Pflichterfüllung als Polizeibeamter auch in den turbulenten Zeiten des beginnenden Zusammenbruchs absolut treu geblieben“ sei. Mit einzelnen Beispielen versuchte er, diese Position zu belegen. Seine Selbstdarstellung und die mitgelieferten eidesstattlichen Erklärungen waren als Gegenentwurf zum vermeintlichen Prototypus des NS-Täters angelegt: Dort der überzeugte Nationalsozialist, der den NS-Organisationen bewusst und aus Überzeugung beitrat, der sich Vorteile zu verschaffen wusste, der seine Macht ausnutzte, der Dienst nach NS-Vorschrift tat und vor keiner Ungerechtigkeit und Grausamkeit zurückschreckte und hier der junge Idealist, der Verführte, der in Handlungen und Ereignisse verwickelt wurde, der im Kriegsverlauf zum NS-Gegner wurde, der seinen Einsätzen nicht entrinnen konnte und egal in welcher Position versuchte, „anständig“ zu handeln. Die Spruchkammer wählte einen Mittelweg zwischen den Beschuldigungen des Klägers und den Selbstdarstellungen des Betroffenen: Am 11. Mai 1948 stufte sie August Hä. in die Gruppe III der Belasteten ein und legte als Sühnemaßnahme zwei Jahre Arbeitslager unter Anrechnung der Internierung seit 22. Juni 1946, Geldstrafen und fünf Jahre Berufseinschränkung fest. 275 Der Kläger legte daraufhin Berufung ein, „da der gefällte Spruch der tatsächlichen Belastung des Betroffenen nicht entspricht“ 276 . Seine ursprüngliche Forderung sah er nun durch Dokumente aus dem Nürnberger Einsatzgruppenprozess unterstützt, die die Spruchkammer zwei Wochen nach dem Spruch erhalten hatte. Die Verbrechen des Sk 4a und die Tatsache, dass August Hä. diesem Kommando als Obersturmführer angehört hatte, betrachtete der Kläger als schwerwiegendes Belastungskriterium. 277 Auch August Hä. legte gegen den Spruch Berufung ein. Er sah sich ungerecht behandelt und betonte, seine Unschuld mit seiner Klageerwiderung nachgewiesen zu haben. 278 Beide Eingaben landeten auf dem Tisch des öffentlichen Klägers bei der zuständigen Berufungskammer, der dem Kläger darin zustimmte, dass August Hä. „die Ideologie des NS voll und ganz angenommen hatte und davon überzeugt war“ und ebenfalls bemerkte, dass

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viele der von August Hä. vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen von „mitbeteiligten SD-Angehörigen“ 279 stammten. Der Einschätzung des Klägers hinsichtlich der Zeit August Hä.s beim Sk 4a wollte er allerdings nicht folgen und zwar, „da demselben [August Hä.] in diesem Zusammenhang nichts nachgewiesen werden konnte und er wahrscheinlich in Nürnberg festgehalten worden wäre, wenn eine Belastung gegen ihn sich ergeben hätte […]“ 280 . Mit dem Verweis auf die vermeintliche Absolution August Hä.s durch das US-Militärgericht in Nürnberg, auf das er sich verließ, war die Frage nach August Hä.s Beteiligung an Verbrechen des Kommandos mit einem Handstreich vom Tisch. Tatsächlich waren zu diesem Zeitpunkt allein die alliierten Militärgerichte für NS-Gewalttaten gegen Angehörige alliierter Nationen zuständig. Erst als am 1. Januar 1950 das Kontrollratsgesetz Nr. 13 in Kraft trat, konnten diese Strafkomplexe auch vor deutschen Gerichten verhandelt werden. Der Kläger der Berufungskammer übersah aber, dass Männer wie August Hä. nie im Fokus der Nürnberger Nachfolgeprozesse gestanden hatten, so dass seine Einschätzung hinsichtlich dieser Prozesse und der Rolle August Hä.s darin zu einem krassen Fehlurteil über dessen Vergangenheit im Sk 4a führte. Der Kläger der Berufungskammer kam schließlich zu der Einschätzung, dass der Spruch gegen August Hä. gerechtfertigt sei, in einer weiteren Verhandlung aber eine Verschärfung der Sühnemaßnahmen in Betracht gezogen werden müsse. Die erneute Verhandlung am 14. Juli 1948 nahm allerdings einen völlig anderen Verlauf. Denn aufgrund der vorliegenden Dokumente aus dem Nürnberger Einsatzgruppenprozess und dem bekannten Urteil musste August Hä. sich vor allem Fragen zu seiner Tätigkeit beim Sk 4a stellen. Seine Darstellung folgte den bekannten Mustern. Er blieb dabei, nur Verbindungsoffizier gewesen zu sein und – das war neu – als solcher nur Post gefahren und nie eine Führungsposition bekleidet zu haben. Auf Vorhalt erklärte er: „Die Kommandos hatten weniger mit Exekutionen und sonstigen Maßnahmen zu tun, das war Sache derjenigen Kräfte, die von den Wehrmachtsstellen beauftragt wurden […]. Bei den Erschießungen der Juden am 29. und 30.9. war ich nicht dabei. Ich habe wohl von Erschießungen schon vorher gehört, dies auch verurteilt, doch konnte ich nicht dagegen einschreiten, denn die Exekutierung kam von höherer Stelle.“ 281 August Hä. hielt seine Selbstdarstellung auch in dieser Verhandlung konsequent durch, auch wenn er seine Variante nun dahingehend anpassen musste, von Judenerschießungen gewusst zu haben. Der Rechtsanwalt Willi Heim, Verteidiger Blobels in Nürnberg, bekräftigte seine Position in einer eidesstattlichen Erklärung, die er ihm noch kurz vor der Verhandlung ausgestellt hatte. Ausdrücklich verwandte er sich darin für August Hä.s Unschuld: „Im Verlaufe des Prozesses [Nürnberger Einsatzgruppenprozess] hat sich einwandfrei ergeben, dass Herr August Hä. bei den in Kiew stattgefundenen Exekutionen in keiner Weise beteiligt war, da er sich zu dieser Zeit auf dem Weg

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von Kiew nach Berlin befand bzw. in Berlin schon eingetroffen war.“ 282 Und er bestätigte August Hä., „dass während des ganzen Prozesses auch nicht der geringste Beweis dafür auftrat, dass Herr August Hä. irgendwie an Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesen ist“. Er dürfte gewusst haben, dass niemand nach solchen Beweisen gesucht hatte. Bei der Spruchkammer vermochte August Hä. jedoch trotz allem nicht zu überzeugen. Die Zweifel und das Misstrauen, das seine Darstellung hinterließen, schlugen sich in dem neuen Spruch nieder: Hauptschuldiger, beschloss die Spruchkammer nach der Verhandlung und erhöhte die Sühnemaßnahme auf drei Jahre Arbeitslager, diesmal allerdings unter Anrechnung der Haft seit 8. Mai 1945.283 Fünf Tage später wurde August Hä. entlassen. Mit dem Fall, der damit zu den Akten gelegt wurde, verschwanden auch die Fragebögen, auf denen August Hä. sowohl seine Zugehörigkeit zum Sk 4a als auch zum Sk 11b akkurat vermerkt hatte, in seiner Spruchkammerakte. Und auch das Protokoll der Vernehmung August Hä.s durch einen deutschen Mitarbeiter der Special Projects Division der amerikanischen Kriegsverbrecher-Anklagebehörde während seiner Zeit als Zeuge in Nürnberg zog keine weiteren Ermittlungen seitens der Besatzungsbehörden nach sich. Als eines von vielen Dokumenten schlummerte es in den Akten des Falles 9. Erst im Sommer 1960 stießen die Ermittler der Zentralen Stelle in Ludwigsburg im Zusammenhang mit dem Sk 4a wieder auf den Namen August Hä.

2.2. Zusammenfassung Analysiert man die Spruchkammerakten der hier exemplarisch betrachteten NS-Täter, stellt man fest, dass es ein Zusammenspiel zwischen eigener Taktik, den Mängeln des Spruchkammersystems und Bewertungskategorien der beteiligten Akteure war, das die Verfahren zu einem Dreh- und Angelpunkt zwischen Ausgrenzung und der Möglichkeit zur Integration werden ließen. Dessen ungeachtet bleibt die Phase der Entnazifizierung in biografischen Studien über NS-Täter weitgehend unbeachtet – zu Unrecht, wie betont werden muss. Denn die Durchsicht ihrer Spruchkammerakten zeigt, dass Selbstsicht, Selbstdarstellung und Selbstbeurteilung auf Seiten der Täter und die Sichtweise und Bewertung von Nationalsozialismus und NSVerbrechen, vor allem aber Täterbilder – sowohl auf Seiten des Spruchkammerpersonals als auch auf der Seite des sozialen Umfeldes der Betroffenen – sich in dieser Phase bereits manifest zeigen. Hier werden die Sichtweisen und Argumentationen aus den späteren NS-Prozessen in ihren Grundzügen bereits vorweggenommen. In der Konstellation zwischen Tätern, Ausstellern eidesstattlicher Erklärungen und Rechtsanwälten auf der einen und den Spruchkammern auf der anderen Seite gab es, das zeigen die vorangegangenen Kapitel, eine

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Schnittmenge von Argumenten und Betrachtungsweisen, über die Konsens herrschte. Dieses Zusammenwirken half den Betroffenen wesentlich dabei, zu einem positiven Ergebnis zu gelangen. Die Schnittmenge umfasste Täterbilder, die beeinflusst waren von kriminalbiologischen Täterkategorien und die gesellschaftlichen Vorstellungen über Kriminelle geprägt hatten. In diese zumeist pathologischen Konzepte ließen sich die hier betrachteten Personen nicht einordnen. Dieser Aspekt sollte vor allem in den folgenden Phasen an Bedeutung gewinnen. Im Fall der nationalsozialistischen Verbrechen kam in dieser Phase jedoch noch ein weitaus wichtigerer und wirkungsvollerer Aspekt hinzu. Die Verstrickung weiter Teile der Bevölkerung mit dem Nationalsozialismus war so umfangreich und vielfältig gewesen, dass sich daran auch immer gleich die eigene erkennen ließ. Solidarische und entlastende Erklärungen, die für andere ausgestellt wurden, trugen somit gleichzeitig zur Selbstentlastung bei. Je mehr die Beteiligung der Masse und ihr Beitrag und ihre Teilhabe am Nationalsozialismus marginalisiert wurde, desto kleiner und exklusiver wurde der Kreis derjenigen, die als „Nazis“ gelten konnten. Auch wenn keine der Parteien ein Täterbild explizit definierte, so wird doch deutlich, dass sie ähnliche Vorstellungen davon hatten, worin sich eine aktive Unterstützung des Nationalsozialismus zeigte. Es gab in der deutschen Bevölkerung der Nachkriegsjahre – und darauf weist auch Ulrich Herbert hin – offensichtlich einen Konsens darüber, wer als „Nazi“ galt und wer nicht, was als spezifisch nationalsozialistisch empfunden wurde und was nicht: „Als bedeutsam erwies sich dabei, dass der Begriff von dem, was als spezifisch nationalsozialistisch angesehen wurde, bereits in der frühen Nachkriegszeit, vermutlich aber auch schon während der Kriegsjahre, so eng gefasst wurde, dass die Distanzierung davon selbst jenen nicht mehr schwer fiel, die das Regime auch in leitender Position bis zuletzt gestützt hatten.“ 284 Einher ging die Distanzierung mit der Abwälzung der Verantwortung für die „Katastrophe“ auf Hitler und den engen Kreis von Männern um ihn herum, die in späteren Gerichtsverfahren durchweg als die „Hauptschuldigen“ genannt werden sollten und auf die in Nürnberg als verbrecherisch erklärten Organisationen SS und Gestapo, die gleichsam zu einer gesichtslosen, anonymen Masse verschwommen. Als Nationalsozialist galt der Parteifunktionär, der sich bereichert und Vorteile aus seinem Amt gezogen hatte. Nationalsozialist war zudem, wer sich in irgendeiner Weise illoyal gegenüber Familie, Freunden, Bekannten oder Kollegen verhalten und ihnen im schlimmsten Falle geschadet hatte. Vor diesem Hintergrund sind die Beispiele Noa und Rath zu betrachten. Beide waren sie bei der Gestapo gewesen, doch während Noa mit seiner Beteiligung an der Einrichtung des Sippenhaftlagers der Spruchkammer über die „formelle“ Belastung der Zugehörigkeit zur Gestapo hinaus durch diese Aufgabe als Prototyp des Gestapobeamten erschien, blieb Rath von einem solchen Urteil verschont,

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weil ihm der Kläger kein individuelles Vergehen nachweisen zu können glaubte. Daran knüpft direkt das Konstrukt der unpolitischen Kriminalpolizei als rechtsstaatlicher Fremdkörper im NS-System an, das bei den Spruchkammern ebenso wie zwangsweise Übernahme in die SS und Dienstgradangleichung auf Akzeptanz stieß und somit ein weiteres konsensfähiges Argument darstellte. Diese Sichtweisen entfalteten eine Wechselwirkung mit bestimmten, bei den unterschiedlichen Akteuren vorherrschenden Geschichtsbildern. Während sie sich auf Seiten der Kläger eher aus fehlendem Geschichtswissen ableiteten, waren sie auf Seiten der Täter Teil ihrer auf Exkulpation angelegten Strategie, die sich das Unwissen auf Seiten der Spruchkammern zunutze machten. Weil sie ihn als nicht spezifisch nationalsozialistisch empfanden, hielten die Täter den als rein militärisch definierten Partisanenoder Bandenkampf in den Ostgebieten für sagbar, und bis auf eine Ausnahme in den hier vorgestellten Fällen riefen sie damit keine Skepsis hervor. Gedeutet und verstanden als militärisch notwendig, entlastete diese Sichtweise, die der Definition der sowjetischen Juden als Partisanen folgte, nicht nur die Täter, sondern rechtfertigte gleichzeitig auch Repressalien. 285 Die später „gängige Entschuldungsformel“ 286 , dass die Partisanen den Deutschen einen grausamen Krieg aufgezwungen hätten, lässt sich hier bereits deutlich in ihren Ansätzen erkennen. Der noch nicht lange zurückliegende Krieg wurde trotz der in den Nürnberger Prozessen bekannt gewordenen Verbrechen als „normaler“ Krieg betrachtet, auch zumeist auf Seiten der Kammern. Ebenfalls auf einen Mangel an Sachkenntnis war es zurückzuführen, dass die Täter Einsätze mit der Waffen-SS, ob sie nun erfunden waren oder nicht, als harmlose Etappen ihrer NS-Lebensläufe präsentierten und dies auch so akzeptiert wurde. Ein Grundkonsens bestand zudem über das jeden Lebensbereich durchdringende NS-System, das Konformität vor allem durch Zwang erreichte, dem sich keiner hätte entziehen können. Auf dieser Betrachtungsweise bauten das Argument des Zwangscharakters der Tätigkeit, Organisationszugehörigkeit sowie des Dienstgrades auf. Wie die Beispiele gezeigt haben, hatten auch die Spruchkammern sehr oft diesen Einlassungen nichts entgegenzusetzen. Vor allem dann nicht, wenn der, über den es zu entscheiden galt, ihnen charakterlich „anständig“ erschien. Alle Beteiligten verließen sich auf die Wirkung von vorgebrachten Tugenden wie Fleiß, Höflichkeit und der viel zitierten Anständigkeit. Ein geordnetes Elternhaus, gerne religiös und national, in dem gesellschaftlich anerkannte Werte vermittelt worden waren, war Garant für den positiven Charakter der Betroffenen. Direkt daran schloss sich das Konstrukt des verführten Idealisten an, das ebenfalls in der Vorstellung aller beteiligten Akteure existierte und akzeptiert wurde. Betroffene wie Fritz Zi., August Hä. und Harder bedienten sich dieser Entschuldigung, die ebenfalls in eidesstattlichen Erklärungen immer wieder

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bemüht und auch von Rechtsanwälten aufgegriffen wurde. Dem Konstrukt immanent war, dass die idealistischen Werte positiv besetzt waren, weil sie sich auf vermeintlich vor-nationalsozialistische Werte beriefen und somit einen Gegensatz zum NS-System implizierten. Der verführte und betrogene Idealist, der Opfer einer Ideologie geworden war, besaß ein unübersehbares Konsenspotential, weil er für viele stehen und vielen zur Entschuldigung dienen konnte. Obwohl es Aufgabe der Spruchkammern war, Sühneauflagen zu verhängen, scheint es, als ob auch in dieser Institution eine vorangegangene Kriegsgefangenschaft, vor allem aber eine Internierungshaft bereits als Strafe und Sühne verstanden wurde. In diesem Punkt trafen sie sich mit allen anderen Beteiligten, die auf genau diese Weise argumentierten, und stimmten ebenso mit der allgemeinen Stimmung in der Bevölkerung gegenüber der Entnazifizierung überein. Karl Jaspers diagnostizierte den Deutschen 1946 ganz in diesem Sinne eine „Stimmung, als ob man nach so furchtbarem Leid gleichsam belohnt, jedenfalls getröstet werden müsste, aber nicht noch mit Schuld beladen werden dürfte“ 287 . Fast immer wurden Sühnestrafen in Form von Haftstrafen auf die vorausgegangene Internierungshaft angerechnet, was dazu führte, dass ein rechtskräftiger Spruch die Freiheit bedeutete.

3. Integrationsphase II: Soziale Reetablierung Der Entlassung aus Kriegsgefangenschaft und Internierungshaft folgte bis zum Abschluss der Entnazifizierung zunächst eine Phase des Übergangs, die bis in die erste Hälfte der 1950er Jahre hineinreichte. Gemeint ist die Zeitspanne, bis die Betroffenen wieder Arbeit gefunden hatten, die ihrer beruflichen Ausbildung oder ihrem Werdegang entsprach und die sie selbst als adäquat empfanden. Bis dahin verdienten sie ihr Geld mit den Arbeiten, die sich ihnen boten. In diese Zeit fallen aber auch Revisionen von Spruchkammerverfahren und entsprechend den Möglichkeiten, die beispielsweise das zweite Änderungsgesetz zum Befreiungsgesetz in der amerikanischen Zone geschaffen hatte, Umstufungen der Betroffenen in günstigere Kategorien. Karl D. arbeitete bis 1954 in Neumarkt-Sankt Veit als Ziegelei- und Bauarbeiter, Wilhelm E. bis 1955 im Bergbau und in der Landwirtschaft. Harder verdiente sein Geld bis 1952 als Maurer. Walter He. fand nach seiner Entlassung aus Internierungshaft 1947 erst Arbeit in einem Lager für Torfmoor in Hannover; es folgten Anstellungen bei einer Versicherung, einer Reklamefirma, der Posten des Geschäftsführers des Einzelhandelsverbandes in Burgdorf und seinen eigenen Angaben zufolge von 1951 bis 1954 eine Anstellung bei der Hamburger Niederlassung einer Münchner Firma für „Industrievertretungen“. In genau diesem Zeitraum war er aber auch für

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die Organisation Gehlen im Raum Hamburg tätig. Der bei Verwandten in Freudenberg untergetauchte Friedrich Me. arbeitete zunächst als Holzschnitzer und ab 1949 vorübergehend für die Fahrbereitschaft einer britischen Dienststelle sowie als Deutschlehrer des YMCA. Rudolf Schl. verdingte sich in der Landwirtschaft, als Ziegeleiarbeiter und Vertreter für Süßwarenhersteller, Richard W. war bis 1951 als Hilfsarbeiter, unter anderem in einem Betonwerk, in Sulzbach-Rosenberg tätig, und Heinrich Win. arbeitete bis zu seiner Internierung 1948 als Buchhalter in der Verwaltung des US-Hauptquartiers in München und fungierte anschließend als Geschäftsführer des Garngroßhändlerverbandes. Noa fand nach seiner Entlassung aus jugoslawischer Kriegsgefangenschaft 1948 erst als Hilfsarbeiter in der Landwirtschaft Arbeit; dann arbeitete er für einen Bekannten als Maler und Dekorateur. 288 Andere hatten hingegen gleich den Weg in die Selbständigkeit gewählt oder ohne Umwege eine feste Stelle in der Privatwirtschaft gefunden, auf der sie ihre Zukunft aufbauen wollten, vor allem dann, wenn sie zudem noch ihrem erlernten Metier entsprach. Es war eine Phase des sich Orientierens, in der sie auf Gelegenheiten warteten oder sie sich selbst schufen, in der sie beobachteten, wie sich die Dinge für sie entwickeln würden. Auch wenn sie in der Nachkriegszeit und während ihrer Internierungshaft und den folgenden Entnazifizierungsverfahren gesellschaftliche Unterstützung erfahren hatten, so konnten doch gerade die, die wieder zurück in den Staatsdienst wollten, nicht sicher sein, welche Richtlinien die Politik ihnen vorgeben würde. Die Zeichen, die die neue Bundesregierung setzte, waren dann aber eindeutig. Bis Mitte der 1950er Jahre hatten alle der hier betrachteten Personen, die wieder in den Staatsdienst – konkret hieß dies in fast allen Fällen Polizei oder Kriminalpolizei – wollten, ihre Wiedereinstellung geschafft, und auch jene, die es in die Privatwirtschaft zog, befanden sich wieder in Berufen und Positionen, die ihren vorherigen sozialen Positionen entsprachen. Im Folgenden soll explizit diese Phase der Integration in die bundesrepublikanische Gesellschaftsordnung und der sozialen Reetablierung anhand der exemplarischen Biografien betrachtet werden. Zeitlich lässt sich diese Phase verorten zwischen dem Abschluss der einzelnen Entnazifizierungsverfahren und dem Beginn der einzelnen Ermittlungen, die mit Ende der 1950er Jahre einsetzten. In diesem Zeitraum fanden sie wieder Arbeit, ob im privatwirtschaftlichen Sektor oder im öffentlichen Dienst, sie machten Karriere, schufen sich und ihren Familien eine Existenz, übernahmen Funktionen in ihrem sozialen Umfeld, schlicht – sie führten ein ganz normales Leben. Wie diese Integration und Reetablierung funktionieren konnte, das soll in den folgenden Kapiteln untersucht werden. Zuerst sind die allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse dieses Jahrzehnts in den Blick zu nehmen, um die Bedingungen und den Hintergrund zu entwerfen

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und zu skizzieren, vor dem sich die soziale Reetablierung überhaupt erst vollziehen konnte. Dies ist nicht möglich, ohne das Eintauchen der Täter in die Lebenswelt der 1950er Jahre im mentalitätsgeschichtlichen Kontext zu diskutieren, besonders im Hinblick auf Geschichtsbilder und damit zusammenhängende Täter- und Selbstbilder. Konkret wird anschließend, wo es die Quellenlage zulässt, nach den genauen Umständen der jeweiligen Bewerbungs- und Einstellungsprozesse zu fragen sein. Wie präsentierten die Täter ihre Lebensläufe, wer unterstützte sie, wie reagierten beispielsweise die Behörden, bei denen sie sich bewarben? Verhielten sich diejenigen, die zurück in den Staatsdienst wollten, aufgrund der Regelungen des Gesetzes zu Artikel 131 GG eher defensiv oder doch offensiv? Wie gestaltete sich der Berufseinstieg derjenigen, die sich für die Privatwirtschaft entschieden? Lässt sich ein Zusammenspiel der Akteure beim Bewerbungs- und Einstellungsprozess feststellen? Welche Karrieren konnten die Betroffenen machen?

3.1. Die Reetablierung der Täter im Kontext der 1950er Jahre Die Rückkehr der NS-Täter in die Mitte der bundesdeutschen Gesellschaft geschah nicht einfach so; sie war weder Unfall noch Zufall. Sie war bedingt durch ein politisches Klima und gesellschaftliche Empfindlichkeiten, die es den Tätern ermöglichten, wieder in die zivile Gesellschaft einzutauchen und sich zu integrieren. Nicht zu vergessen sind die handelnden Akteure auf der Seite der politischen Öffentlichkeit, der Seite der Arbeitgeber, der Interessenvertreter – hier vor allem der Beamtenschaft – und schließlich die Täter selbst, die aktiv auf ihre Reetablierung hinarbeiteten. Politische, gesellschaftliche und ganz individuelle Interessen erwiesen sich bis in die zweite Hälfte der 1950er Jahre weitgehend als deckungsgleich. Der grundlegende politische und gesellschaftliche Wandel, der mit einer zeitweiligen Ausschaltung der belasteten (Funktions-)eliten einhergehen sollte, war zur Enttäuschung vor allem jener Intellektueller wie Eugen Kogon, die selbst unter dem Nationalsozialismus verfolgt worden waren, ausgeblieben. Was sie stattdessen erlebten, bewerteten und kritisierten sie, grundlegend vor allem Walter Dirks, als Restauration. 289 Statt grundsätzlicher und gründlicher Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen und Bedingungen der nationalsozialistischen Herrschaft, mit ihren Folgen und moralischen Belastungen herrschte unter den politisch Verantwortlichen eine hektische und selbstbewusste Betriebsamkeit, die auf Herstellung von „Normalität“ zielte. Sicherheit und Integration waren die dominierenden, zukunftsleitenden und vor allem Realitäten schaffenden Eckpunkte der Politik Adenauers. Beides galt nach innen wie nach außen: Sicherheit als außenpolitisches Ziel durch die Integration in den Westen und ein demonstratives Selbstbekenntnis zu Antitotalitarismus und Antikommunismus und Sicherheit nach innen als Wiederherstellung „normaler“ Lebensverhältnis-

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se, als Schaffung und Wahrung von Stabilität. Eckart Conze sieht die Geschichte der Bundesrepublik von der „Suche nach Sicherheit“ 290 bestimmt. Auch der genante Faktor Stabilität ist als mentaler Leitfaden in seiner Bedeutung gerade für die 1950er Jahre nicht zu unterschätzen. Nicht von ungefähr bezeichnete Rüdiger Altmann das Konzept der Stabilität als „Konstruktionsidee der Bundesrepublik“ 291 . Hier fügt sich nahtlos die nach innen gerichtete Integrationspolitik Adenauers an, deren Signale nicht deutlicher hätten sein können und die schließlich auch hochgradig belastetes Personal wieder in den Staatsdienst eingliederte. Die Abgrenzung gegenüber dem Nationalsozialismus war zwar fester Teil des Selbstverständnisses der Bundesrepublik, aber sie war zunächst einmal normativer Natur. Beeinflusst von einem Täterbild, das sich auf einen Kreis von exponierten NS-Größen und Exzesstätern beschränkte, konnte das Gros vor allem der mittleren Führungsebenen zügig wieder seinen Platz im neuen Staat finden. Aber auch die „Funktionseliten“ wie Juristen und Ärzte konnten zumeist unbehelligt eine Nachkriegskarriere aufbauen. Wolfrum bezeichnete es als das „Kunststück“ der deutschen Vergangenheitspolitik, „die gesellschaftliche und politische Verfassung der Bundesrepublik als Negation des Nationalsozialismus zu etablieren und gleichzeitig die ehemaligen NS-Täter, Belastete und Mitläufer zu integrieren“ 292 . Aktiv arbeitete die Bundesregierung unter Adenauer mit Gesetzesvorgaben an der Integration von NS-Belasteten und einer Abwicklung der NSVergangenheit, was Frei treffend mit dem Begriff der „Vergangenheitspolitik“ 293 beschrieb. Es ist daher kein Zufall, dass eines der ersten Gesetze, das der Bundestag im Dezember 1949 verabschiedete und – nach Zustimmung durch die Alliierte Hohe Kommission – verkündete, ein Amnestiegesetz war. Obwohl es sich auf den ersten Blick um Amnestiegewährungen von Delikten aus der Schwarzmarktzeit zu handeln schien, waren davon auch Personen betroffen, die von Spruchgerichten in der britischen Zone wegen „Organisationsverbrechen“, das heißt der Zugehörigkeit zu einer der in Nürnberg für verbrecherisch erklärten Organisationen, verurteilt worden waren. Alle Verfahren, bei denen keine höhere Strafe als sechs Monate Gefängnis zu erwarten waren, waren danach einzustellen. Zudem sah das Gesetz eine „Illegalen-Amnestie“ vor, von der Personen profitieren sollten, die aus politischen Gründen einen falschen Namen angenommen hatten. Sie konnten sich bis zum 31. März 1950 bei der Polizei melden und ihren Personenstand straffrei richtigstellen. 294 Wie im Fall Heuser noch zu zeigen sein wird, verhinderte genau dieses Gesetz, dass die Behörden bereits Anfang der 1950er Jahre auf Heuser aufmerksam wurden. Bedenklich an dieser gesetzlich geschaffenen Möglichkeit war, dass Personen, die sich eine falsche Identität beschafft hatten, dies mit Blick auf ihre NS-Vergangenheit getan hatten und dies nun ohne Angabe von Gründen wieder rückgängig machen konnten. 295 Die weiteren Amnestien und Verjährungen, die folgten,

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sind hinreichend bekannt und beschrieben worden und seien daher nur kurz erwähnt: Am 8. Mai 1950 verjährten als Vergehen kategorisierte Straftaten wie beispielsweise Körperverletzung, 1951 wurde das Gesetz zum Artikel 131 GG – dem hier ein eigenes Kapitel gewidmet wird – verabschiedet, und das am 17. Juli 1954 verabschiedete „Gesetz über den Erlass von Strafen und Geldbußen und die Niederschlagung von Strafverfahren und Bußgeldverfahren“ amnestierte Haftstrafen von bis zu drei Jahren und beinhaltete erneut eine „Illegalen-Amnestie“. Die Zeichen standen, besonders mit Blick auf den sich verschärfenden Ost-West-Konflikt und die geostrategische Bedeutung Westdeutschlands, auf Integration: Auf der politischen Weltbühne, in der nationalen Politik und erst recht innerhalb der deutschen Bevölkerung. Die von den Amerikanern so angestrengt verfolgte Säuberungspolitik wurde daher mehr abgewickelt als erfolgreich beendet. Im Januar 1951 wandelte der amerikanische Hochkommissar McCloy, der für die in Nürnberg verurteilten Kriegsverbrecher zuständig war, von 15 in den Nachfolgeprozessen gefällten Todesurteilen zehn in Haftstrafen um. Hinzu kam die Umwandlung von lebenslangen Haftstrafen in Zeitstrafen und die Reduzierung von Zeitstrafen, zum Teil auf die bis dahin verbüßte Haftzeit, was die sofortige Freilassung von 32 Inhaftierten zur Folge hatte. General Thomas Handy, der über die in Dachau Verurteilten zu entscheiden hatte, wandelte 11 von 13 Todesurteilen in lebenslange Haftstrafen um. Dem Gnadenakt waren massive Proteste und Fürsprachen aus allen politischen Lagern, den beiden christlichen Kirchen sowie von Seiten der Bevölkerung zugunsten der Verurteilten vorausgegangen. McCloy war mit Eingaben geradezu überschüttet worden. Noch am 7. Januar 1951 hatten rund 3 000 Menschen in Landsberg am Lech für die Begnadigung der zum Tode Verurteilten demonstriert. Die meisten der in den Nürnberger Prozessen verurteilten Kriegsverbrecher wurden 1951 in Freiheit entlassen; übrig blieben sieben Gefangene aus dem Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess; die letzte Hinrichtung fand am 7. Juni 1951 statt. 296 Besonders umstritten und immer wieder in der Forschung diskutiert ist die Wiedereingliederung zum Teil hochgradig belasteter Beamter in den Staatsdienst, die durch das 131er Gesetz ermöglicht wurde. Funktional betrachtet, so die vorherrschende Meinung, sei dieses Vorgehen „sehr effektiv“ 297 gewesen und habe maßgeblich die Bundesrepublik stabilisiert und gefestigt 298 , es war aber, und auch darauf wird hingewiesen, mit nicht zu unterschätzenden moralischen Belastungen verbunden: „Der Wiederaufbau eines leistungsfähigen Verwaltungsapparates,“ so die Folgerung Dominik Gepperts, „wurde dadurch erleichtert, die Stabilität des neuen Staatswesens vergrößert und letztlich eine loyale, dem demokratischen Rechtsstaat – und häufig auch der CDU – verpflichtete Beamtenschaft geschaffen. Das

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war eine beachtliche Leistung – eine Leistung freilich, für die ein hoher Preis bezahlt wurde.“ 299 Der funktionale Bewertungsansatz aus der Retrospektive auf die „geglückte“ Demokratie impliziert aber immer auch schon die später einsetzenden und gesellschaftspolitisch wirksam werdenden Umbrüche, die im letzten Drittel der 1950er Jahre begannen. In dieser Logik wurde die Bundesrepublik zu dem, was sie ist, wegen der „gelungenen“ Integrationspolitik, mit den moralischen Kosten als unangenehmes, aber notwendiges Übel. Einen erfrischend anderen Betrachtungswinkel wählt Ulrich Herbert. In seiner Freiburger Studie zum Liberalisierungsprozess fragt er vielmehr danach, wieso sich trotz dieser nicht zu leugnenden personellen und mentalen Kontinuitäten aus der NS-Zeit eine stabile Demokratie und eine sich liberalisierende Gesellschaft entwickeln konnte. 300 Bis dieser Wandlungsprozess, der auch nicht einfach nur wurde, sondern ebenfalls seine Akteure hatte, Ende der 1950er Jahre einsetzte und sukzessive Wirkung zeigte, überwogen die moralischen Kosten, wenn Politik und weite Teile der Gesellschaft kollektiv den Schlussstrich lebten. Die Vergangenheitspolitik befriedigte ebenso wie das politische Streben nach Stabilität und „Normalität“ ein zentrales Bedürfnis der Bevölkerung. So war die Lebenswelt, in der sich die umfassende Reetablierung von NS-Tätern vollziehen konnte, geprägt von einem Rückbezug auf die Friedenszeit des NSStaates sowie einen „nachgerade emblematischen“ 301 Bezug auf die späten Jahre des Kaiserreichs, deren Wertmaßstäbe und Verhaltensnormen als Orientierungspunkte dienten, besonders, da sie einher gingen mit einer seit dem Kriegsende zu beobachtenden gesamtgesellschaftlichen Entpolitisierung und einem Rückzug ins Private. 302 Dieser Rückbezug zeigte sich beispielsweise in der Zuweisung von Geschlechterrollen, der Kindererziehung, dem Arbeitsethos, der Betonung von Fleiß und Anständigkeit, in von hierarchischem Denken beeinflussten Umgangsformen und nicht zuletzt im Verständnis des Verhältnisses zwischen Staat und Bürger. Von einer Suche nach dem „Rückweg zu vormodernen Strukturen“ 303 sprach Dahrendorf. Bekanntes sollte Halt geben und Normalität schaffen. Es war die Normalisierung des Alltags, die soziale Etablierung, das private kleine Glück, wie Herbert es nennt, das angestrebt wurde. 304 Politik und der rasche wirtschaftliche Aufschwung – dessen materielle Auswirkungen allerdings erst Ende der 1950er Jahre greifbar wurden – ermöglichten eine Gesellschaftsordnung, in der materieller Wiederaufbau bzw. Wohlstand und soziale Sicherheit eine zentrale Bedeutung erlangten. Es ist diese Art von „Bürgerlichkeit“, verstanden als habituelles Konzept, der sich, so fasst es Eckart Conze zusammen, „in den 50er Jahren immer mehr ausweitenden gesellschaftlichen Mitte, die sich mit den Adjektiven ‚kleinbürgerlich’ oder ‚gutbürgerlich’ näher bezeichnen lässt“ 305 .

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Dieses Konzept sah sich ab der zweiten Hälfte der 1950er Jahre einem sich verstärkt herauskristallisierenden gegenläufigen Selbstverständnis eines Staatsbürgertums gegenüber, das im nachfolgenden Jahrzehnt der 1960er Jahre zur Entfaltung kommen und zur Liberalisierung der Gesellschaft beitragen sollte. Unangefochten waren die tradierten und gepflegten Ordnungen, auf die sich die Mehrheit der Gesellschaft zurückgezogen hatte, bereits in den frühen 1950er Jahren nicht, wie unter anderem Herbert betont. 306 Zunächst war es aber das kleinbürgerliche Konzept einer Gesellschaftsordnung, in dem auch NS-Täter neue Existenzen aufbauen konnten, weil es entpolitisiert war, weil es nicht an soziale Herkunft gebunden war, somit keinen exklusiven Charakter besaß, und weil es in seinem nach vorne in Richtung Normalität gerichteten Drang sich dem Blick zurück auf deutsche Verbrechen und Verbrecher verweigerte und das Kapitel der Schuld gerne als abgeschlossen betrachtete. Dieses Konzept von Bürgerlichkeit als Gesellschaftsordnung entsprach den Bedürfnissen der Täter, weil es sie in ihrem Streben nach Normalität nicht störte, weil es keine Fragen stellte und weil es auf dem selbstexkulpatorischen Geschichtsbild aufbaute, das seit Kriegsende aktiv gepflegt wurde. Mit dem Abschluss der Entnazifizierung hatte, wie Axel Schildt festhält, eine „Abschwächung und Akzentveränderung in der in der Besatzungszeit noch intensiv geführten Debatte um Schuld und Verantwortung“ 307 stattgefunden, die nun, da die Säuberungsanstrengungen vor allem der amerikanischen Besatzungsmacht weggefallen waren, auch politisch den Weg frei machte für eine forcierte Normalisierung. Ralf Giordano nannte es „den großen Frieden“, den die Gesellschaft der Bundesrepublik in dieser Phase mit den Tätern, denen sie die Reetablierung ermöglichte, schloss. 308 Aber war es wirklich ein bewusster Frieden, den man mit „den“ konkreten Tätern geschlossen hatte? Weder der Holocaust und seine Opfer, noch die an ihm beteiligten Täter waren zu diesem Zeitpunkt ein Thema des öffentlichen Diskurses oder der Geschichtsforschung. Das in Politik und Gesellschaft vorherrschende Geschichtsbild hatte sich im Verlauf der letzten Kriegsjahre, der anschließenden Nachkriegsjahre und der Entnazifizierung geschärft und gefestigt. Es war geformt worden durch den Drang zur Selbstexkulpation auf der einen und Geschichtsunwissen auf der anderen Seite. 309 Ihm entsprach ein ausschließendes, nur einen kleinen, nicht gesellschaftskonformen Personenkreis umfassendes Täterbild, wie die Spruchkammerverfahren deutlich gezeigt haben. Dieses Täterbild, das den engen Kreis um Hitler, daneben aber auch Exzesstäter und offensichtliche Nutznießer mit einbezog, im Gegenzug aber den Großteil der Deutschen ausschloss, war zu Beginn der 1950er Jahre manifestiert. In der öffentlichen Debatte bezeichnete man schon bald die wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit von den Alliierten Verurteilten als „Kriegsverurteilte“ und unterschied ganz offen zwischen „politischen“ und „wirklichen“

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Kriegsverbrechern, „verurteilten Soldaten“ und „echten Kriminellen“, ohne dies jeweils zu definieren. 310 Die Thematik der Täter wurde abstrakt, nicht konkret und schon gar nicht individualisiert behandelt, das gleiche gilt auch für den Holocaust. 311 So konnte Konrad Adenauer am 5. April 1951 im Bundestag behaupten, dass von den noch inhaftierten Kriegsverbrechern lediglich ein verschwindend geringer Prozentsatz „wirklich schuldig“ 312 sei. Er erwähnte das, „damit der Ehre der früheren deutschen Wehrmacht kein Abbruch geschieht“ 313 . Diese Haltung entspricht der Aussage Pauls, „es wäre unvorstellbar gewesen, an der Wohlanständigkeit deutscher Offiziere und Polizeibeamter zu zweifeln, geschweige denn Nachbarn und Kollegen der Teilnahme an einem Verbrechen zu verdächtigen oder gar zu bezichtigen“ 314 . In diesem Klima des angestrengten Vergessens und „lauten Umdeutens“ 315 war für echte Empathie mit den Opfern des Nationalsozialismus jenseits der offiziellen Bezeugungen kein Platz, zumal mit der äußerlichen Abkehr vom Nationalsozialismus nicht automatisch auch die Erkenntnis dessen verbrecherischen Charakters und der eigenen Rolle bzw. der der deutschen Bevölkerung einhergegangen war. 316 Trotz aller angestrengter Distanzgewinnung, die sich im Angesicht der Niederlage und danach innerhalb der Gesellschaft und auf politischer Ebene vollzog, gab es ausgeprägte Bindungen an das Regime und an dessen Ideologie, die nicht so schnell aufgelöst werden konnten und im erwähnten Rückbezug auf die Friedensjahre des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik noch virulent blieben. 317 Distanzieren konnte man sich nur von dem, was als spezifisch nationalsozialistisch empfunden wurde. In dem, was nicht als solches empfunden und erkannt wurde, zeigte sich die Kontinuität von Mentalitäten, ein Konsens von Sichtweisen, der in die Gesellschaft der Bundesrepublik hinüberreichte und dort wirksam blieb: Den Krieg und die Art, wie er geführt worden war, den Antikommunismus, die Verfolgung von Zigeunern, Homosexuellen und als asozial betrachteten Menschen sowie die Tatsache, dass Ausländer zur Zwangsarbeit herangezogen worden waren – all das betrachtete man als nicht spezifisch nationalsozialistisch. Diese „Hypotheken von Einstellungen und Mentalitäten“ 318 zeigen sich beispielsweise deutlich in der Tatsache, dass Sinti und Roma, Homosexuelle und „Asoziale“ nicht entschädigt werden sollten, sie zeigen sich in der Kriminalistik 319 , wo das Bild des Kriminellen, zunächst noch dem aus der NS-Zeit entsprach, in der Diskussion über eine Wiedereinführung einer vorbeugenden Schutzhaft, in der Behandlung von Homosexuellen und auch im Bereich der Psychiatrie. 320 Der Nationalsozialismus wurde aus den öffentlichen Debatten nicht ausgeklammert, er wurde thematisiert, schon allein, weil er in der Bundesrepublik als negativer Bezugspunkt diente. Die Frage ist allerdings, wie über was gesprochen wurde. Der Nationalsozialismus und NS-Verbrechen waren präsent im Protest gegen die Entnazifizierung, gegen die Nürnberger Nach-

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folgeprozesse und für die von den Alliierten Verurteilten. Sie waren präsent in der bundesdeutschen Gesetzgebung, in dem ersten Prozess in der Bundesrepublik, der wegen Einsatzgruppenverbrechen 1950 in Würzburg geführt wurde und – einmalig – mit einer lebenslangen Haftstrafe endete, in dem Bemühen um deutsche Kriegsgefangene sowie in der Frage der „Wiedergutmachung“. „Das Wissen um die Vergangenheit“, so sieht es Andreas Wöll, „entlädt sich sehr wohl: kontrafaktisch in der Renaissance des Heimatfilms; verdreht in der Rechristianisierungs-Ideologie der Kirchen; affirmativ in den Titelgeschichten oder Fortsetzungsreportagen der großen Illustrierten.“ 321 Kommunikation als Balsam für die Nationalseele – das aber war nur möglich, indem man den Gegenstand der Kommunikation einer radikalen Umdeutung unterzog. Die Kommunikation war geprägt von einseitiger Selbstbetrachtung und von Ausklammerungen, wobei das, was verschwiegen wurde, dennoch „mental wirksam“ 322 sein konnte, eben, weil es bewusst nicht direkt ausgesprochen wurde. Mit der Realisierung der Niederlage und den Schuldzuweisungen durch die Alliierten war eine Neuverortung jedes Einzelnen, aber auch der gesamten Bevölkerung nötig geworden. So, wie sich die Täter von einst eine Parallelbiografie oder Deckungsgeschichte, wie Schwelling 323 es nennt, zulegten, um ihre Identität wahren zu können, musste auch die kollektive Erinnerung der Deutschen dazu dienen, den Deutschen ihre eigene positive Identität zu versichern, wie Heer pointiert mit Verweis auf Halbwachs konstatiert. 324 Es war ein lautes Schweigen. Taten und Täter kamen in der öffentlichen Diskussion nicht vor und wenn, dann nur in verschleiernden, die Wahrheit verdeckenden Begriffen und Wendungen, die abstrahierten, entpersonalisierten, umdeuteten, verdrehten und das Geschehen entrückten.325 Auf diese Weise konnten die NS-Massenverbrechen in der frühen Bundesrepublik „allenfalls als nebulöse, dem eigenen Horizont ferne Realität“ 326 erscheinen. Während mit der Wiedereinführung des Volkstrauertages 1951 eine Möglichkeit geschaffen wurde, die eigenen Kriegstoten zu betrauern und die beiden Weltkriege in eine Reihe zu setzen, verfielen gleichzeitig die Tatorte nationalsozialistischer Verbrechen. 327 Eine „große Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus“ 328 , wie Kühne die Positionen zu diesem Thema von Hans-Peter Schwarz, Heinrich Lübbe und Manfred Kittel zusammenfasst, ist zu dieser Zeit keinesfalls zu erkennen. In dieser Reihe ist auch Hans Buchheim zu nennen. Die Ansicht, in den 1950er Jahren hätten die Deutschen die nationalsozialistische Vergangenheit verdrängt und die Auseinandersetzung mit ihr verweigert, empfand er „je nach Stimmung entweder als eine Realitätsverfehlung, die einem an die raue Wirklichkeit politischer Prozesse recht hochnäsig gestellten moralisch-ästhetischen Perfektionsanspruch zu danken ist, oder einfach als komisches und mit nachsichtiger Gelassenheit aufzunehmendes Missverständnis zwischen den Generationen, in jedem Fall aber

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als falsch“ 329 . Die Generalschelte eines moralischen Urteils aus der Retrospektive verkennt die Realität. Sie blendet aus, dass der selektive Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit aktiv betrieben wurde von Politikern, Kirchenvertretern, Interessensvertretern aus den Reihen der Polizei, Kripo und der ehemaligen Wehrmacht und schließlich von den Tätern selbst, wenn sie skrupellos ihre Wiedereinstellung als Beamte forderten. Wenn Hermann Lübbe in diesem Zusammenhang von einer „Zurückhaltung in der öffentlichen Thematisierung individueller oder auch institutioneller Nazi-Vergangenheiten“ 330 als funktionales Mittel der Politik, die eine Integration der NS-Belasteten gewährleisten sollte, und zugleich von einer sozialpsychologisch und politisch notwendigen Stille sprach, setzte er zum einen fälschlicherweise voraus, dass individuelle oder institutionelle NS-Vergangenheiten überhaupt ein ernsthaft diskutiertes Thema hätten sein können, dass sie als problematisch empfunden wurden und zum anderen schrieb er der Politik eine Rolle zu, die im Hinblick auf die Komplexität der Wechselbeziehungen zwischen Politik und Gesellschaft als unrealistisch bezeichnet werden darf. Es waren zum Großteil die Täter und NS-Belasteten gewesen, die massiv und selbstbewusst mit Hilfe ihrer Selbstentschuldungen und Selbstbilder ihre Integration und Reetablierung vorantrieben. 331 Der politische und gesellschaftliche Hintergrund, der vorangehend skizziert wurde, gab den Rahmen vor, in dessen Grenzen der Nationalsozialismus thematisiert wurde. Der Rahmen war eng und wurde nur von einzelnen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und auf vereinzelten intellektuellen Inseln gesprengt. 332 Zwischen politischen Entscheidungsträgern und weiten Teilen der westdeutschen Gesellschaft bestand Konsens im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangeneheit. Dieser Konsens sollte erst im letzten Drittel des Jahrzehnts aufgebrochen werden. Auch wenn eine selbstkritische Sichtweise Mitte der 1950er Jahre noch nicht mehrheitstauglich war, zeigt sich doch ganz deutlich das herrschende Spannungsverhältnis zwischen Rekonstruktion und Kontinuitäten auf der einen und dem Ausbau demokratischer politisch-konstitutioneller Strukturen auf der anderen Seite, die ihrerseits den Einfluss und das Ausmaß der Rückbezüge, vor allem auf die NS-Zeit, begrenzten und somit modernisierend wirkten. Zudem bewirkte der für den Einzelnen spürbar werdende ökonomische Aufschwung eine Neubewertung der Demokratie und damit auch des Nationalsozialismus. „Allmählich hat vor allem der Erfolg auf wirtschaftlichem Gebiet die Westdeutschen mit der Demokratie versöhnt, die offensichtlich doch in der Lage war, Ruhe, Sicherheit und ein gewisses Maß an Wohlstand zu erzeugen“ 333 , so Eckart Conze. Mit den gegen Ende der 1950er Jahre einsetzenden Umbruchsprozessen in der bundesdeutschen Gesellschaft veränderten sich dann auch die Bedingungen für die NS-Täter in ihrer Mitte.

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3.2. Eintritt in die Privatwirtschaft – Neuanfang in alten Berufen Die meisten der hier betrachteten Personen gingen in die Privatwirtschaft, wo sie sicher sein konnten, dass keine formalen Hürden im Hinblick auf ihre Vergangenheit ihren Einstieg gefährden konnten. Bei Bewerbungen und im weiteren Einstellungsprozess spielte ihre NS-Vergangenheit normalerweise keine Rolle; höchstens bei Großunternehmen mag im Personalbogen nach der Tätigkeit in dieser Zeit gefragt worden sein. Es blieb aber eine Marginalie; im Vordergrund stand die Qualifikation und Erfahrung des Bewerbers. Angesichts dieser pragmatischen Haltung seitens der Arbeitgeber, war es für die Betroffenen erheblich einfacher, in diesem Bereich eine Arbeitsstelle zu finden. Dennoch mussten auch sie Angaben zu ihren Lebensläufen machen, und auch sie gaben Referenzen an, die in ihren Fällen nicht darauf zielten, ihre politische Vergangenheit im richtigen Licht erscheinen zu lassen, sondern ihre fachlichen und charakterlichen Qualitäten hervorzuheben. Anhand der Fälle, in denen Personalunterlagen eingesehen werden konnten, soll in diesem Kapitel nach Wechselbeziehungen der beteiligten Akteure während des Bewerbungs- und Einstellungsprozesses gefragt werden. Theodor Gr. und August Hä. wählten den Weg in die Selbständigkeit, der ganz ohne Bewerbungsprozess auskam. Beide kehrten sie in ihre Heimatorte zurück, dorthin also, wo sie aufgewachsen waren und ein enges soziales Netz vorfinden konnten. Während die Verantwortlichen des Internierungslagers Darmstadt Theodor Gr. nach dessen Flucht in Erfurt vermuteten, hatte der sich direkt auf den Weg in seine norddeutsche Heimat gemacht, wo er einen mobilen Textilverkauf aufzog. Aus der Internierungshaft entlassen, zog es August Hä. 1948 zurück nach Schwäbisch Hall, in die Küferei seines Vaters, wo er bereits nach seiner Ausbildung zum Küfer von 1932 bis 1934 gearbeitet hatte. Er stieg wieder in dessen Handwerksbetrieb ein, den er 1954 übernahm und um ein Wein- und Spirituosengeschäft erweiterte. Ebenfalls an ihre Berufsausbildung vor ihrer NS-Karriere knüpften Karl D., Harder, Rath, Rudolf Schl., Schmidt-Hammer, Heinz Ta., Rudolf Th. und im weitesten Sinne auch Heinrich Win. an. Nachdem Karl D. sich bewusst gegen eine Rückkehr in den Staatsdienst entschieden hatte, um seine Vergangenheit im Dunkeln belassen zu können, dauerte es bis 1955, bis er, der Anfang der 1920er Jahre eine kaufmännische Lehre abgeschlossen hatte, als Bilanzbuchhalter beim Landesverband der Heimkehrer in Bremen eine feste Anstellung fand. Auch Harder griff auf seine kaufmännische Ausbildung zurück und fand 1952 als kaufmännischer Angestellter bei der Firma Krupp Fahrzeugbau in Frankfurt am Main Arbeit. Nachdem er sich

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1948 unter seinem richtigen Namen bei den Briten in Bielefeld gemeldet hatte, zog es Rath zurück in seinen Heimatort Bückeburg, wo er als gelernter Einzelhandelskaufmann sogleich als Hilfsarbeiter bei einem Installationsbetrieb anfangen konnte. Bei ihm überschnitten sich Entnazifizierungsverfahren und bereits angetretenes Arbeitsverhältnis. Sein Arbeitgeber blieb ihm auch über die Zeit seiner Internierung und seines Spruchgerichtsprozesses treu, so dass Rath nach seiner Entlassung direkt wieder seine Arbeit als kaufmännischer Angestellter im Betrieb aufnehmen konnte. Schmidt-Hammer konnte sogar auf seinen früheren Arbeitgeber zurückgreifen. Bereits von 1930 bis 1936 hatte er als Optikermeister für die Firma Zeiss in Jena gearbeitet und sich offensichtlich gute Referenzen erworben. Denn bereits sieben Monate nach seiner Entlassung aus jugoslawischer Kriegsgefangenschaft, in denen er zunächst als Aushilfe als Augenoptiker in Wedel gearbeitet hatte, konnte er im September 1949 wieder als Augenoptiker bei Zeiss, nun in Oberkochen, anfangen. 334 Für Rudolf Schl., der 1940 im Rang eines SS-Obersturmführers an der Polizeischule Pretzsch Geschichte unterrichtet hatte, dauerte es etwas länger, bis er eine Anstellung in seinem ursprünglich erlernten Beruf, dem des Gewerbelehrers, gefunden hatte. Seine Tätigkeit als Vertreter für verschiedene Süßwarenhersteller in Württemberg hatte ein Ende, als er auf seine Bewerbung hin 1955 von der Daimler-Benz AG in Stuttgart-Untertürkheim als kaufmännischer Ausbilder für die Lehrlinge eingestellt wurde. Heinz Ta. fand aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung als Dreher und Schweißer einen Arbeitsplatz bei der Firma Maschinenbau-Kupfermühle in Bad Hersfeld, zunächst als Dreher, dann als technischer Angestellter. Der gelernte Kaufmann Rudolf Th. erhielt nach drei Jahren diverser Gelegenheitsarbeiten an seinem neuen Wohnort Kupferzell (Kreis Öhringen) 1949 bei der Obst- und Gemüseverwertung Hohenlohe-Franken in Öhringen als kaufmännischer Angestellter einen festen Arbeitsplatz. Als gelernter Autoschlosser, der zudem sechs Semester Maschinenbau studiert hatte, gelang es Richard W. 1951 bei der Firma Gutbrod Motorenbau in Calw eine Stelle als Automonteur zu bekommen, 1954 wechselte er zu einer kleinen Firma in Gärtringen, wo er als Zeichnungskontrolleur arbeitete. Von dort aus bewarb er sich erfolgreich bei der Daimler-Benz AG, wo man ihn 1957 im Werk Sindelfingen als technischen Angestellten einstellte. Mit Richard W. und Rudolf Schl. waren damit zwei ehemalige Angehörige der Dienststelle des KdS/BdS in Minsk, die sogar gemeinsam an Judenaktionen teilgenommen hatten, bei Daimler-Benz untergekommen. Heinrich Win., der zum einen während des Nationalsozialismus ein Jurastudium absolviert sowie davor eine – vermutlich kaufmännische – Lehre in einem Chemiewerk abgeschlossen hatte, knüpfte an diese Verbindung an. Nach seiner Internierung und der Entlassung als Buchhalter in der Verwaltung des US-Hauptquartiers in München wirkte er von 1948 bis 1952 als

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Geschäftsführer des Garngroßhändlerverbandes, bevor er juristischer Mitarbeiter bei einem Wirtschaftsprüfer und anschließend bei einem Unternehmer wurde. Aus der Reihe fällt einzig und allein Werner Schö. heraus, der nach seiner Abschiebung aus Österreich 1951, ohne eine entsprechende Ausbildung vorweisen zu können, zunächst bis 1953 als Betriebsleiter in einem Motorenwerk im Westerwald und danach bis Mai 1959 bei der Firma Harzheim Getränkehandel in Köln im kaufmännischen Bereich Arbeit fand. Der Entschluss, nicht mehr zurück in den Staatsdienst zu gehen, beruhte bei den einen auf taktischen Überlegungen, war also eine Vorsichtsmaßnahme, bei anderen wie Schmidt-Hammer, der zur Polizei eingezogen worden war, mag es fast als konsequente Entscheidung erscheinen, zum ursprünglichen Beruf und Arbeitgeber zurückzukehren. Für August Hä. bot die Rückkehr in den väterlichen Betrieb Zukunftsaussichten. Sie alle knüpften mit zwei Ausnahmen an ihre Ausbildung vor ihren NS-Karrieren an und machten da weiter, wo sie vor rund 15 Jahren aufgehört hatten. Sie erwiesen sich damit ebenfalls als anpassungsfähig. Auch, wenn es beispielsweise Karl D. schwer fiel zu akzeptieren, dass seine Vergangenheit ihm zum Verhängnis werden könnte, sollte er sich um eine Wiedereinstellung in den Staatsdienst bemühen. Für den Weg, den sie gewählt hatten, spielte ihre NS-Vergangenheit kaum eine Rolle; von Interesse war die Darstellung ihres fachlichen Könnens und ihrer Erfahrung. Niemand hatte ein Interesse daran, ihre Vergangenheit zu überprüfen, schon gar nicht nach Abschluss der Entnazifizierung. Davor hatte Schmidt-Hammer, der bereits im September 1949 wieder eingestellt wurde, pro forma nachzuweisen, dass er entnazifiziert worden war. 335 Die pragmatische Haltung der Arbeitgeber ermöglichte es ihnen, ihre NS-Vergangenheit aus ihren Biografien auszuklammern oder, wenn doch nach der Tätigkeit in dieser Zeit gefragt wurde, vage und allgemein zu bleiben. Wie sie jeweils ihre neuen Arbeitsstellen erhalten haben, welche Angaben sie machten und welche Referenzen sie vorweisen konnten, lässt sich aufgrund der Quellenlage gesichert nur bei Schmidt-Hammer, Rudolf Schl., Richard W. und Werner Schö. nachvollziehen. Schmidt-Hammer muss sich auf sein früheres Arbeitsverhältnis und frühere Kontakte bezogen haben, denn seine Personalakte enthält nach Auskunft der Firma Zeiss weder eine Bewerbung, noch einen Lebenslauf. Der persönliche Kontakt zu seinem ehemaligen langjährigen Abteilungsleiter in Jena, dessen positive Beurteilung und lange Bindung an die Firma Zeiss – Schmidt-Hammer hatte von 1928 bis 1930 an der von der Firma unterhaltenen Fachoptikerschule gelernt und anschließend bis 1936 für Zeiss gearbeitet – sowie die offensichtlich gute Erfahrung, die man bei Zeiss mit ihm gemacht hatte, waren ausschlaggebend für seine Wiedereinstellung. 336 Dies bestätigt eine Zwischenbewertung durch seinen Vorgesetzten aus dem Jahr 1953, in der es heißt: „Durch seine frühere Tätigkeit im Jenaer Werk, durch die Erfahrungen im

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eigenen augenoptischen Fachgeschäft, bringt SH für die Bearbeitung der augenoptischen Aufgaben in Opto wie kein zweiter alle Voraussetzungen mit.“ 337 Da man Schmidt-Hammer von früher kannte, darauf auch seine charakterliche Einschätzung aufbaute, gab es keine Zweifel daran, den richtigen Mann einzustellen. An dieser solidarischen Haltung sollte Zeiss auch noch festhalten, als Schmidt-Hammers NS-Vergangenheit vor Gericht aufgedeckt wurde. Noch genauer lassen sich die Bewerbungen von Rudolf Schl. und Richard W. nachvollziehen, deren Personalakten bei der Firma DaimlerChrysler in Stuttgart noch vorhanden sind und eingesehen werden konnten. An ihnen lässt sich zeigen, wie sie vorgingen, wer sie mit welchen Referenzen unterstützte und welche Maßstäbe der zukünftige Arbeitgeber anlegte. Im Gegensatz zu Schmidt-Hammer konnte Rudolf Schl. keine langjährige Arbeitserfahrung in seinem erlernten Beruf als Gewerbelehrer vorweisen. Seine berufliche Laufbahn war aufs engste mit dem Nationalsozialismus verknüpft gewesen, zu dem er schon während seiner Studentenzeit Kontakt gesucht und schließlich seinen beruflichen Einstieg als hauptamtlicher Referent im Stab des SD-Oberabschnitts Elbe gefunden hatte. Auch seine zeitweilige Tätigkeit als Geschichtslehrer an der Polizeischule in Pretzsch, die seiner ursprünglichen Ausbildung wohl am nächsten kam, war zweifellos nicht unideologisch. Dies blieb aber ein Zwischenspiel, denn die nächsten zwei Jahre besetzte er beim KdS in Minsk die Stelle des Leiters der Abteilung III (SD) und war direkt an NS-Verbrechen beteiligt. Der Lebenslauf, mit dem er sich 1955 bei Daimler-Benz bewarb, war davon völlig bereinigt. Hatte er während des Nationalsozialismus noch darauf hingewiesen, gottgläubig zu sein, erwähnte er nun, von 1924 bis 1928 Mitglied einer christlichen Pfadfinderschaft gewesen zu sein. Seine Studienzeit verlängerte er um ein Jahr von 1938 bis 1939 und führte aus, Pädagogik und Volkswirtschaft studiert und den Abschluss als Gewerbelehrer für die Fachrichtung grafische und schmückende Berufe gemacht zu haben. Die anschließende Zeit von 1939 bis 1945 beschrieb er mit „Kriegsdienst“, suggerierte also, dass er zwangsweise seinen erlernten Beruf nicht habe ausüben können und verschleierte gleichzeitig sein Engagement für den Nationalsozialismus und seine SD-Karriere. Die weiteren Angaben zur seiner Tätigkeit nach Kriegsende stimmen dann wieder. Bei nüchterner Betrachtung seines Lebenslaufs konnte Rudolf Schl. als nicht gerade prädestiniert für eine Stelle in der Lehrlingsausbildung gelten. Sein Vorteil war, dass er zum einen positive Zeugnisse seiner vorherigen Arbeitgeber vorlegen konnte und zum anderen auf Kontaktpersonen zurückgreifen konnte, die ihm auf Nachfrage von Daimler-Benz ganz in seinem Sinne und wahrscheinlich auch zuvor abgestimmte, äußerst positive Referenzen ausstellten. Dabei griff Rudolf Schl. auf einen alten und engen Kameradenkontakt zurück, der in Minsk entstanden war und auch nach Kriegsende von beiden Seiten gepflegt wurde.

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Als eine Auskunftsperson nannte er keinen Geringeren als Georg Heuser, der inzwischen auf dem besten Weg war, bei der Kriminalpolizei in Rheinland-Pfalz wieder Karriere zu machen. Der Kontakt zwischen dem einstigen Leiter der Abteilung III (SD) und dem Leiter der Abteilung IV (Gestapo) der Dienststelle des KdS/BdS in Minsk war nie abgerissen, und Heuser leistete gerne Kameradenhilfe. Es dürfte einigen Eindruck gemacht haben, dass er sein Referenzschreiben mit dem Briefkopf der Polizeidirektion Kaiserslautern versah. Sein Schreiben begann er mit der Lüge, dass er Rudolf Schl. 1933 bei einem Sportfest kennen gelernt, bis zum Kriegsbeginn engen Kontakt gehabt und dann erst wieder 1947 getroffen habe, womit er den Eindruck einer langjährigen, rein privaten Beziehung erweckte. Ob sie sich tatsächlich bei einem Sportfest zum ersten Mal begegnet sind, ist nicht nachvollziehbar; allerdings gab Rudolf Schl. an, Mitglied des Polizei-Sportvereins Chemnitz gewesen zu sein. Über Rudolf Schl.s Fähigkeiten schrieb Heuser: „Auf Grund seiner sportlichen und beruflichen Ausbildung ist er durchaus in der Lage, in einer Ausbildungsabteilung für kaufmännische und technische Lehrlinge in einem Werk wie dem Ihren zu Ihrer vollen Zufriedenheit zu arbeiten. Der Jugend galt immer schon sein Interesse. Ausführungen seinerseits in organisatorischer Hinsicht haben auch mir viele Anregungen geben können. Im Übrigen kann ich Ihnen sagen, dass Herr Rudolf Schl. sich einer einmal gestellten Aufgabe 100%-ig widmet.“ 338 Bedenkt man, dass Heuser in Minsk den Massenmord organisierte und welchen Aufgaben Rudolf Schl. in Minsk nachging, so erhalten die letzten beiden Sätze eine ganz eigene Bedeutung. Heuser bestätigte Rudolf Schl. überdies noch, charakterlich einwandfrei und vorbildlich zu sein und fügte hinzu, dass er sich nicht zu schade gewesen sei, nach Kriegsende als „einfacher Ziegelarbeiter zu schaffen und trotzdem daneben wissenschaftlich zu arbeiten, um den Anschluss an seine frühere Berufsausbildung nicht zu verlieren“ 339 . Damit hatte er einerseits die Lücke in Rudolf Schl.s Berufserfahrung zu schließen versucht und andererseits dessen Engagement und Interesse bekräftigt. Sekundärtugenden bemühte auch ein Redakteur aus Düsseldorf, der Rudolf Schl. nach eigenen Angaben 1945 kennen gelernt haben will. Ob dies den Tatsachen entspricht und woher sie sich kannten, konnte leider nicht geklärt werden. Rudolf Schl. war für ihn „einer der Menschen, die in den turbulenten Zeiten nach dem Zusammenbruch trotz aller materieller Schwierigkeiten eine saubere Haltung bewahrten. Er zog es vor, den damals mühsameren Weg anständiger Arbeit zu gehen, um durch Zähigkeit und Fleiß eine neue Existenzgrundlage für sich und seine Familie zu schaffen.“ 340 Von gründlicher Menschenkenntnis, fachlichem Können, Liebe zu seiner Aufgabe, praktischer Lebenserfahrung, Arbeitseifer und Bescheidenheit ist die Rede. Sein dritter Referenzschreiber, ein Ingenieur aus Wiesbaden, sparte ebenfalls nicht mit Lob. Charakterlich, so gab er an,

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stünde Rudolf Schl. seines Erachtens „weit über dem heutigen Durchschnitt, und ich kann mir sehr wohl vorstellen, dass er von seiner gesunden Lebensauffassung ausgehend für die Jugendarbeit bestens geeignet ist“ 341 . Wie die eidesstattlichen Erklärungen zur Entnazifizierung und die Referenzen für diejenigen, die wieder in den Staatsdienst wollten, waren auch diese Empfehlungsschreiben geprägt von einer ziel- und zweckgerichteten Rhetorik. Sie waren Freundschaftsdienste, Ausdruck von Solidarität und ihre Inhalte dienten dazu, einen bestimmten Eindruck des Betreffenden zu erwecken. Da die Angaben kaum überprüfbar waren, konnte mit ihnen kreativ verfahren werden, so dass am Ende der Rudolf Schl., den Heuser in seinem Schreiben darstellte, mit dem Rudolf Schl. der Realität nichts mehr gemein hatte als den Namen. Die einstigen Arbeitgeber, für die er als Vertreter gearbeitet hatte, bescheinigten ihm in ihren Zeugnissen eine zufriedenstellende und einwandfreie Zusammenarbeit. Rudolf Schl. war die Anpassung problemlos gelungen; am 1. Juni 1955 erhielt er die ausgeschriebene Stelle in der Ausbildungsabteilung für kaufmännische und technische Lehrlinge bei Daimler-Benz in Stuttgart. Richard W. bewarb sich ebenfalls bei Daimler-Benz. Im Gegensatz zu Rudolf Schl. hatte er aber bereits wieder in seinem erlernten Beruf als Automechaniker gearbeitet. Er konnte sich ganz allein auf seinen geschönten Lebenslauf verlassen, um seine fachlichen Fähigkeiten und Erfahrungen darzulegen. Weil er mit einer betriebsbedingten Kündigung rechnete, schrieb er direkt an den Direktor des Sindelfinger Daimler-Benz-Werks „in der Hoffnung, dass mir durch Ihre eventuelle Fürsprache die Möglichkeit gegeben wird, bei Ihrer Firma unterzukommen“. Einen kurzen Abriss seines Lebenslaufs lieferte er vorab gleich mit. Darin blieb er nahe an der Wahrheit, machte allerdings aus seinem abgebrochenen Maschinenbaustudium ein abgeschlossenes und beschränkte sich des Weiteren darauf, während des Krieges als „technischer Sachbearbeiter und Kraftfahrsachverständiger“ bei der Polizei eine technische Abteilung geführt zu haben. 342 Dabei beließ er es aber nicht. In seinem Lebenslauf in der darauf folgenden Bewerbung führte er diesen Einsatz noch weiter aus und schrieb: „Ab September 1939 war ich im Kriegseinsatz und wurde im Russlandfeldzug als Führer eines Reparatur- und Werkstättenzuges eingesetzt.“ 343 Er war offensichtlich der Überzeugung, dass er damit eine unverfängliche und ihm nützliche Angabe gemacht hatte, von der er nicht annahm, dass sie gegen ihn sprechen könnte. Als Arbeitgeber nannte er die „staatliche Polizei“ Tilsit in seinem Personalbogen und umschrieb damit die Geheime Staatspolizeistelle in Tilsit. Auch hier gab er an, Maschinenbauingenieur zu sein. Abgesehen von seinem Lehrzeugnis konnte er keine weiteren Unterlagen vorlegen, so dass seine Angaben unbewiesen blieben. Wie Rudolf Schl. gab er einen ehemaligen Kameraden, nun Polizeikommissar in Krefeld, als eine von drei Kontaktpersonen an, die über ihn Auskunft erteilen könnten. In der Personalab-

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teilung entschied man sich allerdings für eine Auskunft eines Vorgesetzten oder Mitarbeiters seiner vorhergehenden Arbeitsstelle, der sich positiv über Richard W.s Arbeitsleistungen äußerte, aber nicht vergaß, auf einen negativen Charakterzug hinzuweisen: Zwar sei Richard W. höflich, korrekt und fühle sich bei seiner Arbeit wohl, aber nur, „sofern seine Leistung Anerkennung findet und seine Vorgesetzten ihn als Mensch behandeln“ 344 . Richard W. blieb der Erfolg nicht versagt; im Juli 1957 wurde er als technischer Angestellter in der Abteilung Stücklistenbüro eingestellt. 345 Es wäre interessant gewesen, die Bewerbungsunterlagen von Werner Schö. einsehen zu können, mit denen er sich 1953 bei einer Biergroßhandlung in Köln bewarb. Bei der Nachfolgefirma war man jedoch leider nicht bereit, Einsicht in die Personalakten zu gewähren. Aus Gerichtsakten, genauer gesagt, der Zeugenaussage seines Arbeitgebers, geht jedoch hervor, dass Werner Schö. sich bereits 1953 nicht wirklich sicher fühlte und es vorzog, seinen Arbeitsplatz zu wechseln. 346 Nach seiner Ausweisung aus Österreich hatte er nach eigenen Angaben zunächst in der Kölner Zweigstelle der Bürener Firma Sobizack gearbeitet und zwar als selbständiger Geschäftsleiter. Das gab er zumindest an, als er sich Ende 1953 bei der Biergroßhandlung Harzheim in Köln als Diplom-Volkswirt bewarb. Als Motivation für seine Bewerbung nannte er eine geplante Verlegung der Kölner Niederlassung nach Büren. Der Grund war vorgeschoben; tatsächlich stand bei seinem Arbeitgeber eine Steuerprüfung an, und Werner Schö. fürchtete, wieder verhaftet zu werden. 347 Es ist zudem fragwürdig, ob er wirklich als Geschäftsleiter in der Kölner Niederlassung der Firma Sobizack gearbeitet hat. In der Nachfolgefirma Sobizack in Büren ist Werner Schö. nicht als Geschäftsleiter bekannt, und ehemalige Beschäftigte erinnern sich nur an einen Werner Schö., der im Büro der Autoreparaturwerkstatt in Büren gearbeitet hatte. 348 Seiner Bewerbung hatte Werner Schö. offenbar zahlreiche Referenzen beigelegt, die ihre Wirkung auf den zukünftigen Arbeitgeber nicht verfehlten. Nach einem persönlichen Gespräch wurde er am 1. April 1954 als Abteilungsleiter der Buchhaltung eingestellt. Es wäre interessant gewesen zu erfahren, wer Werner Schö. Referenzschreiben ausgestellt hatte, verfügte er, der weiterhin revisionistischem Gedankengut anhing, doch über weitreichende Kontakte zu alten Kameraden. Trotz der fehlenden Unterlagen macht sein Beispiel klar, dass auch die, die in die Privatwirtschaft gingen, sich trotz des zunächst gegenteiligen Klimas in Gesellschaft und Politik nie wirklich sicher sein bzw. sicher fühlen konnten. Ob Werner Schö. wirklich gefährdet gewesen wäre, ist zu bezweifeln, doch er selbst, der bereits in Österreich in Haft gewesen war, fühlte sich subjektiv bedroht und registrierte auch in der Folgezeit genau, ob ihm seine Vergangenheit gefährlich werden konnte oder nicht, um entsprechend reagieren zu können. Dass Werner Schö. bei der SS gewesen

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war, erfuhr sein Arbeitgeber später durch einen anderen Mitarbeiter, interessierte sich aber nicht weiter dafür. Er tat es vielmehr als üble Nachrede ab, weil sich Werner Schö. seiner Darstellung nach in der Buchhaltung bei einigen Kollegen unbeliebt gemacht hatte. Vielleicht spielte aber auch die Tatsache mit hinein, dass sich zwischen Werner Schö. und seinem Arbeitgeber ein enges Vertrauensverhältnis entwickelt hatte. Die berufliche Integration gelang den Tätern zeitlich betrachtet bis um die Mitte der 1950er Jahre herum. Ihre Vergangenheit verschwiegen sie, verwerteten lediglich selektive Tätigkeiten und Erfahrungen, die ihre fachlichen Kompetenzen unterstreichen sollten. Wo dies wie im Fall Rudolf Schl. ganz offensichtlich nicht ausreichte, mussten die Referenzen umso gewichtiger und ausführlicher ausfallen. Wie schon bei den Polizisten und Kriminalbeamten zur Wiederverwendung waren auch hier wieder einmal alte Kameraden behilflich. War bei Ersteren die unpolitische Dienstausführung während des Nationalsozialismus eine entscheidende Charakterisierung, erwiesen sich bei denen, die eine Tätigkeit in ihrem ursprünglich erlernten Beruf jenseits des öffentlichen Dienstes suchten, als typisch deutsch geltende Tugenden besonders wertvoll. Fleiß, Zuverlässigkeit und eine gute Arbeitsmoral standen gleichberechtigt neben der fachlichen Kompetenz. Ihre Vergangenheit erwähnten sie, wenn sie damit einschlägige Berufserfahrung nachweisen wollten; sonst blieb sie ausgeklammert oder wurde mit dem lapidaren Verweis auf Kriegsdienst abgehakt. Auf Arbeitgeberseite gab es kein Interesse, mehr darüber zu erfahren, so dass es für die Bewerber leicht war, ihre Vergangenheit kreativ umzuschreiben. Sie trafen auf einen für sie vorteilhaften Pragmatismus, in dem sich wiederum Solidarität ausdrückte, die mit dem Vergangenen abgeschlossen hatte, Schuld und Verantwortung von sich wies und den Blick bewusst nach vorne richtete. Niemand hatte von Richard W. verlangt, seinen Arbeitgeber während des Kriegs anzugeben. Er nannte die Gestapo, wenn auch in verfremdeter Bezeichnung, in der richtigen Überzeugung, dass seine Angabe, nur mit fahrzeugtechnischen Aufgaben betraut gewesen zu sein, eventuell aufkommende Zweifel sofort ausräumen würde. Man darf fragen, ob es diese Zweifel überhaupt gegeben hat. Die Frage nach ihrer NS-Vergangenheit stellte sich erst gar nicht für die Arbeitgeber. Im Gegensatz zum Staatsdienst, bei dem der Wille artikuliert worden war, eine Renazifizierung verhindern zu wollen, spielte dieser Gedanke in der Privatwirtschaft keine Rolle. Die Bewerber entsprachen nicht den Vorstellungen eines Verbrechers; sie konnten sich einordnen und anpassen und brachten im besten Fall gerne gesehene Führungsqualitäten mit, die sie während des Nationalsozialismus erworben hatten. Wie die Beispiele gezeigt haben, konnten nicht wenige von ihnen in den 1950er Jahren ebenso wie ihre Kollegen im Staatsdienst wieder an ihre alten Lebenswege anknüpfen. 349

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3.3. Rückkehr in den Staatsdienst 3.3.1. Das Gesetz zum Artikel 131 GG 1951 klärte der Gesetzgeber die Situation für Beamte, die aus politischen Gründen aus dem Staatsdienst entlassen worden waren. Für diese Klientel war es seit der Gründung der Bundesrepublik und der Verabschiedung des Grundgesetzes eine Zeit des Beobachtens und Wartens, bis sie ihre Chancen für eine Rückkehr einschätzen und entsprechend handeln konnte. Im Artikel 131 des Grundgesetzes verankert war eine Bestimmung zur Rückkehr „verdrängter“ 350 Beamter, deren genaue Umsetzung allerdings noch per Bundesgesetz zu regeln war. Bis dahin hatten solche Personen in den Polizeidienst zurückkehren können, die unter anderem höchstens in die Kategorien IV oder V eingestuft worden waren und für die eine Planstelle vorhanden war. Noethen hat in seiner Studie über die Polizei in Nordrhein-Westfalen gezeigt, dass bereits in dieser Phase hoch belastetes Personal wieder eingestellt wurde. 351 Von der in der Verfassung angekündigten Regelung der Rückkehr in den Staatsdienst waren nun jene betroffen, die noch nicht wieder in den öffentlichen Dienst zurückgekehrt waren, das heißt, die entweder in ihren Entnazifizierungsverfahren höher als in die Kategorien IV und V eingestuft worden waren, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen waren und die durch Internierungshaft oder Kriegsgefangenschaft erst jetzt wieder zur Verfügung standen. 352 Wer wieder in den Staatsdienst zurück wollte, für den galt das Gesetz zu Artikel 131 GG. Einstimmig verabschiedet am 10. April 1951 und rückwirkend zum 1. April 1951 in Kraft getreten, richtete sich das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen“ an „verdrängte Beamte“. Darunter fielen zum einen Angehörige von Dienststellen des Reiches und des Landes Preußen, die nach Kriegsende aufgelöst worden waren, was geflüchtete Beamte aus den Ostgebieten und der sowjetisch besetzten Zone umfasste, und zum anderen betraf das Gesetz Beamte, die im Zuge der Entnazifizierung ihre Stelle verloren hatten. Bis 1965 wurde das Gesetz insgesamt viermal ergänzt, jeweils zugunsten der Beamten. Das Bundesgesetz definierte die Rechtsansprüche des genannten Personenkreises und bestimmte, wer Anspruch auf Rückkehr in den Staatsdienst oder auf Erhalt von Versorgungs- und Hinterbliebenenbezügen hatte. Wer als vom Gesetz zum Artikel 131 GG Betroffener anerkannt worden war – die Erfassung der Bewerber hatte bereits vor Verabschiedung des Gesetzes begonnen –, hatte Anspruch auf Rückkehr in den öffentlichen Dienst und durfte bis zur Wiedereinstellung seine alte Amtsbezeichnung mit dem Zusatz z. Wv. (zur Wiederverwendung) führen und Übergangsgeld erhalten, vorausgesetzt, er konnte zehn Dienstjahre vorweisen. Zudem war festgesetzt, dass die staatlichen

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Arbeitgeber mindestens 20 Prozent der Planstellen für Beamte zur Wiederverwendung vorzusehen hatten. Das Gesetz, hinter dem als treibende Kraft Interessenverbände der Beamten gestanden hatten, sollte den Rechtsanspruch auf Rückkehr in den Staatsdienst regeln und dabei gleichzeitig in seiner Außenwirkung bezeugen, dass man einer Renazifizierung mit juristischen Hürden vorbeugen wollte. Paragraph 3 sollte genau diese Hürde für politisch Belastete sein, schloss er doch bestimmte Personengruppen von der Regelung aus: 1.) Personen, die inzwischen von einem neuen Dienstherrn übernommen worden waren, 2.) Personen, die nach Kriegsende unter Verlust des Versorgungsanspruches entlassen worden waren (das betraf auch die, die im Entnazifizierungsverfahren in die Gruppen I und II eingestuft worden waren und damit weder einen Rechtsanspruch auf Wiedereinstellung noch auf ein Übergangsgeld besaßen) und schließlich 3.) alle Angehörigen der Gestapo und der Waffen-SS, unabhängig davon, ob sie in ihrem Entnazifizierungsverfahren nicht in die Gruppe I oder II eingestuft worden waren. Mit dieser Ausnahmeregelung bezüglich des vom Gesetz betroffenen Personenkreises hätte Paragraph 3 eine Hürde darstellen können. Dass er es letztlich nicht war, lag daran, dass der Gesetzgeber gleichzeitig eine Ausnahmeregelung für Gestapo-Beamte schuf, die § 3 konterkarierte. Von den zuvor von Rechtsansprüchen nach Art. 131 GG zunächst ausgeschlossenen GestapoBeamten wurden nun in § 67 diejenigen wieder ausgenommen, die „von Amts wegen“ zur Gestapo versetzt worden und die Mitarbeiter der 1936 mit der Gestapo zur Sicherheitspolizei vereinten Kriminalpolizei gewesen waren. Wer also vor der Errichtung der Gestapo 1933 bei einer anderen Dienststelle beschäftigt gewesen und erst dann zur Gestapo gekommen war, der konnte für sich im Prinzip beanspruchen, „von Amts wegen“ versetzt worden zu sein, was die übliche Art der Versetzung gewesen war. 353 Vom nicht zu übersehenden Interpretationsspielraum, den diese Formulierung eröffnete, machten die Betroffenen intensiven Gebrauch. Eine Folge war, dass die Formulierung „von Amts wegen“ schon bald gleichbedeutend gebraucht und verstanden wurde mit einer gegen den eigenen Willen erfolgten Versetzung, was definitiv falsch war. Diese Ansicht aber vertraten nicht nur die Antragsteller, sie setzte sich auch alsbald bei den einstellenden Behörden durch. De facto waren mit dieser im Gesetz festgelegten Ausnahme nur noch solche Beamte ausgeschlossen, die ihren Dienst direkt bei der Gestapo begonnen hatten. Gestapo-Dienstzeiten waren somit zur spitzfindigen Interpretation freigegeben, die durchweg in den Dienst der Selbstrechtfertigung gestellt wurde. Wie sicher sich so mancher ehemalige Gestapo-Beamte fühlte, mag das Beispiel von Gerhard S. veranschaulichen, der sich vehement für seine Wiedereinstellung trotz bei der Gestapo begonnener Dienstzeit einsetzte sowie die Tatsache, dass sich, wie Herbert betont, nicht weni-

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ge von ihnen ihre Wiedereinstellung auf dem gerichtlichen Weg einklagten. 354 Zudem darf nicht vergessen werden, dass für alle, die eine Rückkehr über das Gesetz 131 nicht schafften, weiterhin die Möglichkeit bestand, sich auf normalem Wege wieder um eine Einstellung zu bewerben und so neu eingestellt zu werden. 3.3.2. Die Initiativen der Täter Wer sich wieder um eine Stelle bei Polizei oder Kriminalpolizei bewarb, musste zunächst einmal das nötige Selbstbewusstsein dazu haben. Man könnte auch sagen, er musste bis zu einem gewissen Maß ein skrupelloses und angstfreies Verhältnis zu seiner eigenen Vergangenheit entwickelt haben. Die Antragsteller nach dem Gesetz zum Artikel 131 GG hatten einen Melde- und Personalbogen auszufüllen, auf dem sie Angaben zur Person, Ausbildung, Tätigkeit und zur Einstufung im Entnazifizierungsverfahren machen mussten. Fragen, die sich auf ihre politische Vergangenheit bezogen, gab es allerdings nicht. Die Entnazifizierungsverfahren hatten sie zwar problemlos durchlaufen, dennoch konnte sich keiner sicher sein, ob während des Bewerbungsprozesses – und sei es nur durch Zufall – vielleicht nicht doch etwas Belastendes ans Tageslicht kommen würde. Immerhin bestand die Möglichkeit, dass die einstellende Behörde bei Zweifeln bei der Berliner Dokumentenzentrale Material anforderte. Aus genau diesem Grund verzichteten Karl D. und Rudolf Th. darauf, sich um eine Wiedereinstellung bei der Polizei zu bemühen. Beide waren sie aus freien Stücken zur Gestapo gegangen, und beide waren sie, wie die übrigen Betroffenen hier, an NSVerbrechen beteiligt gewesen. Vor allem Ersteres hätte ihnen bei dem Versuch, Ansprüche nach Art. 131 GG geltend zu machen, zweifellos Probleme bereitet, waren sie doch nicht „von Amts wegen“ zur Gestapo versetzt worden. Zu groß war bei Rudolf Th. die Furcht, direkt verhaftet zu werden, wie er später angab: „Ich habe mich auch nach Beendigung des Krieges mit Rücksicht auf diese Vorgänge und meine Zugehörigkeit zur geheimen Staatspolizei nicht mehr um eine Wiedereinstellung bei der Kriminalpolizei bemüht, weil ich damit rechnete, dass man mich sofort verhaften würde.“355 Durch sein Entnazifizierungsverfahren hatte er sich durchgewunden, bis es schließlich aufgrund der Weihnachtsamnestie eingestellt wurde. Nun wollte er kein Risiko mehr eingehen. Er entschied sich dafür, in eine unauffällige „kleinbürgerliche“ Welt in einem kleinen schwäbischen Ort abzutauchen und suchte bewusst keinen Kontakt zu ehemaligen Kameraden. 356 Dass sein Name in der Nachkriegszeit auf einer Kriegsverbrecherliste stand, war ihm nicht bekannt. 357 Karl D. war die Entscheidung, keinen Anspruch auf Wiedereinstellung geltend zu machen, offensichtlich schwerer gefallen. Zwei formale Hürden standen ihm im Weg: Zum einen hatte er eine Entnazifizierung umgangen,

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und zum anderen gehörte er zu der Personengruppe, die ihren Dienst direkt bei der Gestapo begonnen hatte, noch dazu auf eigenen Wunsch hin. Die Furcht, seine Vergangenheit könnte aufgedeckt werden, wog letztlich schwerer als der große Wunsch, wieder in seinen alten Beruf zurückzukehren. Zurück blieb Verbitterung darüber, dass ihm dieser Weg verbaut schien, allerdings nicht durch die eigene Vergangenheit, sondern durch die formalen Regelungen, wie sie das Gesetz zum Artikel 131 GG geschaffen hatte. Beide zögerten sie, sich dem Verfahren der Rückkehr in den Staatsdienst zu stellen und entschieden sich schließlich dagegen. Inwieweit bei dieser Entscheidung Schuldgefühle mitspielten, oder ob es allein die Gesetzesvorgabe war, die sie zurückhielt, kann nicht gesagt werden. Karl D. jedenfalls war später der einzige der hier behandelten NS-Täter, der sich seiner Taten vor Gericht schämte und somit ganz offensichtlich kein skrupelloses Verhältnis zu seiner eigenen Vergangenheit entwickelt hatte. Ein selbstsicheres Auftreten, das keine Zweifel aufkommen ließ, war fraglos von Vorteil, wenn nicht sogar unabdingbar. Es ist dennoch verstörend, mit welcher zum Teil aggressiven Rhetorik diejenigen, die unter allen Umständen wieder in ihren alten Beruf zurück wollten, eine Wiedereinstellung als ihr gutes Recht betrachteten und einforderten. Sieben der hier untersuchten 19 Personen bewarben sich um eine Wiedereinstellung in den Staatsdienst. Zwei von ihnen, Noa und Richard W., verfolgten diesen Weg jedoch nicht weiter. Noa gab zwar 1952 seine Meldeunterlagen zum Art. 131 GG beim Regierungspräsidium in Darmstadt ab, wurde dann aber freier Mitarbeiter beim Gießener Anzeiger. Wahrscheinlich fürchtete er Nachforschungen; schließlich war er auf seine eigene Bewerbung hin zur Gestapo gekommen. Richard W., der 1950 oder 1951 ebenfalls Ansprüche auf Wiedereinstellung im bayerischen Sulzbach-Rosenberg angemeldet hatte, stieß auf das Problem, dass keine Planstelle zu besetzen war. Er blieb daraufhin in der Privatwirtschaft und zog seinen Antrag zurück. Die anderen, Wilhelm E., Walter He., Heuser, Friedrich Me. und Gerhard S., erreichten hingegen ihr Ziel, das sie hartnäckig und selbstbewusst verfolgten. Sie alle machten Ansprüche nach dem „131er Gesetz“ geltend und betrieben aktiv ihre Wiedereinstellung. Während Wilhelm E., Walter He., Heuser und Friedrich Me. wieder zurück in den Polizei- oder Kripodienst wollten, kam für Gerhard S. auch eine Stelle in der staatlichen inneren Verwaltung in Frage. Sie alle entwickelten starke Eigeninitiative, um ihr Vorhaben voranzubringen und ihr Ziel zu erreichen. Die richtigen Kontakte erwiesen sich dabei als entscheidender Vorteil. Ihre Lebensläufe, mit denen sie sich bewarben, zeichneten sich einmal mehr durch Auslassungen, Lügen und vage Angaben sowie durch ähnliche Strategien hinsichtlich Argumentation und Selbstexkulpation aus, wie sie bereits in den Entnazifizierungsverfahren aufgetaucht waren. Im Folgenden soll zunächst der Blick auf die Initiativen

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und Selbstdarstellung der Täter gerichtet werden, bevor die Verhaltensweisen ehemaliger Kollegen und der einstellenden Behörden betrachtet werden. Im Gegensatz zu Walter He., Heuser, Friedrich Me. und Gerhard S. repräsentierte Wilhelm E., der bereits 1925 zur Polizei gekommen war, den Typus des pflichtbewussten Beamten vornationalsozialistischer Prägung. Doch hatte auch er während des Nationalsozialismus keine Probleme mit seinen Dienstherren, die in ihm einen pflichtbewussten und brauchbaren Vollzugsbeamten sahen. 358 Er verfügte zwar über Kontakte zu alten Gestapo-Kollegen, die ihm Referenzen ausstellen konnten, aber seine Kontakte reichten nicht in die Behördenetagen, die über eine Wiedereinstellung entschieden. So war Eigeninitiative gefragt, als seine Anerkennung als vom Gesetz zum Art. 131 GG Betroffener wegen seiner Gestapo-Zugehörigkeit auf sich warten ließ. Als anerkannter Flüchtling war Wilhelm E. nach seiner Entlassung aus amerikanischer und britischer Kriegsgefangenschaft nach Nordrhein-Westfalen gezogen und hatte im Bergbau und in der Landwirtschaft gearbeitet, bevor er nach eigenen Angaben im Oktober 1950 Anspruch auf Wiedereinstellung geltend machte. Zwei Jahre später bewarb er sich beim Bundeskriminalamt in Hamburg, war damit jedoch erfolglos, weil er zum einen keinen „Unterbringungsschein“, die Anerkennung als „131er“, vorlegen konnte und zum anderen keine Planstelle frei war. Tatsächlich gab es Probleme mit seiner Anerkennung als vom Gesetz Betroffener. Als er 1954 noch immer keinen positiven Bescheid vom Regierungspräsidium in Münster erhalten hatte, griff er zur Schreibmaschine und wandte sich in einem fünfseitigen Brief direkt an den Innenminister von NordrheinWestfalen, um seinen Unmut über die als ungerecht empfundene Behandlung sowie seine eigene Sichtweise über seine Dienstzeit bei der Gestapo darzulegen. Die Argumentation entsprach exakt jener, von der die anderen Betroffenen bereits in ihren Entnazifizierungsverfahren Gebrauch gemacht hatten. Seine Zugehörigkeit zur Gestapo verteidigte er mit einer gegen seinen Willen erfolgten Versetzung von der Kriminalpolizei zur Staatspolizeistelle Dessau und mit der bekannten Argumentation, auch dort ausschließlich polizeilich und damit rechtsstaatlich gearbeitet und gehandelt zu haben. Wie so viele andere auch setzte er die Versetzung „von Amts wegen“ mit staatlichem Zwang und somit einer Notlage gleich. „Eine energische Weigerung“, rechtfertigte er sich, „hätte mich als unzuverlässigen Beamten gekennzeichnet und damit meine Entlassung aus dem Polizeidienst, wenn nicht sogar noch schwerwiegendere Maßnahmen zur Folge gehabt. Um den mir liebgewordenen Polizeidienst nicht aufgeben zu müssen und mit Rücksicht auf meine Familie fügte ich mich der Zwangslage.“ 359 Im Nachhinein bezeichnete er das nun als Fehler, den einzigen Fehler seiner Laufbahn, wie er betonte. Sein Bedauern galt allein den negativen Folgen, die diese nicht gefällte Entscheidung nun für ihn hatte, nicht seinen Taten. Er betonte,

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ausschließlich im Bereich der Spionage- und Sabotageabwehr gearbeitet zu haben, zum Schutz von Rüstungsbetrieben, und immer sei es sein Bestreben gewesen, „stets nur Diener des Staates und damit Diener des Volkes zu sein“ 360 . Er konstruierte das Bild eines unpolitischen Beamten unter dem Dach der Gestapo. „Ich hatte insbesondere während dieser Zeit weder die Absicht noch das Gefühl“, schrieb er, „ausführendes Organ einer Partei zu sein, die sich auch den Staatspolizeibeamten gegenüber oft recht anmaßend benahm.“ 361 Wilhelm E. war sich keiner Schuld und keines Unrechts bewusst, stattdessen durchziehen Opfermentalität und Selbstmitleid das gesamte Schreiben. Er bemühte seine Situation nach 1945, den Polizisten mit Leib und Seele und eine lange Liste seiner fachlichen Qualifikationen, um den Adressaten für sich einzunehmen. 362 Er wollte mit seinem Brief erreichen, dass ihm endlich, wie er es formulierte, Gerechtigkeit widerfahre, wobei Gerechtigkeit wie so oft, wenn von Beteiligten an NS-Verbrechen in diesem Zusammenhang gebraucht, in erster Linie Selbstgerechtigkeit bedeutete. Er ließ den Innenminister wissen, dass er es als Unrecht empfinde, „dass man an behördlicher Stelle für meine damalige Lage scheinbar kaum Verständnis aufbringen kann oder will und ebenso wenig geneigt scheint, meiner Wiedereinstellung auch nur versuchsweise näherzutreten. Ich kann diesen Zustand auf die Dauer nicht ungesprochen hinnehmen, ohne den Glauben an die Gerechtigkeit ganz zu verlieren.“ Dass ihm seine Gestapo-Zugehörigkeit Probleme bei der Wiedereinstellung bereitete, konnte und wollte er nicht nachvollziehen, sondern forderte Vergessen und einen Neuanfang. Rhetorisch fragte er den Innenminister: „Soll denn ein einmal begangener Fehler kein Vergessen, eine einmal begangene politische Fehlentscheidung keine Vergebung finden können? Soll ich durch den dauernden Verlust meines Berufes für immer diffamiert bleiben? Soll ich für alle Zeiten das Gefühl nicht loswerden dürfen, ein deklassierter Deutscher, ein Außenseiter der menschlichen Gesellschaft zu sein? Warum will man mir nicht glauben und wieder Vertrauen schenken? Warum gibt man mir behördlicherseits nicht die Chance, mich zu bewähren?“ Er scheute sich nicht davor, den Innenminister, der dafür allerdings gar nicht zuständig war, direkt zu bitten, sich für seine Wiedereinstellung in den Polizeidienst einzusetzen. „Machen Sie bitte“, forderte er, „mich und meine Familie wieder zu frohen Menschen, zu glücklichen Deutschen unter Deutschen.“ 363 Die Wiedereinstellung im ehemaligen Beruf, die Wiedererlangung des Beamtenstatus stellte für Wilhelm E. demnach die letzte Absolution, den letzten noch fehlenden Schritt zur Reintegration in die bundesdeutsche Gesellschaft dar. Und er erhielt die gewünschte Fürsprache. Sein Schreiben wurde weitergeleitet an den Regierungspräsidenten in Münster, der wiederum dem Polizeipräsidenten in Recklinghausen (Wilhelm E.s Wohnort) schriftlich wissen ließ, dass Wilhelm E. zwar noch nicht im Besitz eines „Unterbringungs-

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scheins“ sei, seine Einstellung aber nach dessen Vorlage vorzubereiten und er für eine Stelle als Kriminalsekretär vorzumerken sei. 364 Wilhelm E.s Initiative hatte den gewünschten Erfolg; er erhielt den „Unterbringungsschein“. Seiner Bewerbung und Wiedereinstellung stand nun nichts mehr im Weg. In seiner folgenden Bewerbung bei der Polizei in Recklinghausen verschwieg er seine Zeit beim Sk 4b. 365 Er gab an, vom Februar bis Mai 1945 Zugführer bei einem Pionier-Versuchs-Lehrbataillon gewesen zu sein. Die Angaben zum Polizeidienst erfolgten auf dem Personalbogen unter einem gesonderten Punkt, abgegrenzt von denen zum Kriegseinsatz. Über seine Zeit bei der Staatspolizeistelle Dessau (1937- 1945) gab er wie zuvor lediglich an, als Sachbearbeiter in der Abteilung III, Spionage und Sabotageabwehr, gearbeitet zu haben. Genauere Angaben wurden nicht verlangt. Urkunden und Bescheinigungen gab er als verloren an; seinen Kriegsgefangenen-Entlassungsschein wollte er ebenfalls verloren haben. 366 Im Gegensatz zu Wilhelm E. repräsentierten Walter He., Heuser, Friedrich Me. und Gerhard S. den Typus des selbstbewussten, angepassten und karriereorientierten SS-Akademikers. Sie zweifelten nicht daran, dass ihre Fähigkeiten auch im neuen Deutschland wieder gebraucht würden, gerade wegen der besonderen Kenntnisse, die bei der Kriminalpolizei im Vergleich zur Polizei gefordert waren. Sie wucherten mit ihren kriminalistischen Fähigkeiten, mit ihrem Fachwissen, ihren theoretischen und praktischen Erfahrungen, wobei sie mit letzteren natürlich sehr selektiv umgingen. Sie waren einst für den leitenden Dienst ausgesucht und entsprechend geschult worden, hatten sich in ihren Positionen „bewährt“, was auch die Sicht ihrer damaligen Dienstherren war, und nun forderten sie ebenfalls wieder ihnen adäquate Positionen. Gerade sie betrieben aktiv ihre Wiedereinstellung, und im Gegensatz zu Wilhelm E. verfügten sie über vorteilhafte Kontakte zu Entscheidungsträgern bei den einstellenden Behörden. Während des Nationalsozialismus hatten sie Anpassungsfähigkeit bis hin zur Linientreue gezeigt und sich sehr weit von dem Berufsethos entfernt, auf das sie sich nun wieder und wieder beriefen. Zu ihrer Vergangenheit hatten sie ein skrupelloses Verhältnis entwickelt und verstanden es, sich selbstbewusst als Fachkräfte zu verkaufen. Nicht zuletzt kam ihnen ihre Anpassungsfähigkeit und -bereitschaft nun wieder zugute. Obwohl Heuser in Minsk Leiter der Gestapo gewesen war, konnte er durch geschicktes Verschleiern und Taktieren den Fokus allein auf seine Kriminalkommissarslaufbahn lenken. Sein Fall wird wegen seiner Außerordentlichkeit und seiner Komplexität in einem eigenen Kapitel ausführlich behandelt werden. Walter He. und Friedrich Me. waren von der einzigen Hürde im Art. 131, der Gestapo-Zugehörigkeit, auch nicht betroffen. Einzig Gerhard S., der sich bei der Gestapo beworben hatte, sah sich mit dem § 3 Art. 4 des Gesetzes 131 konfrontiert. Da nützte es ihm auch nichts, dass er

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im Entnazifizierungsverfahren letztlich entlastet und seine Gestapo-Angehörigkeit als zwangsweise ausgelegt wurde. Auch Walter He. scheute sich nicht davor, seinem Wunsch nach Wiedereinstellung persönlich Nachdruck zu verleihen. Im Gegensatz zu Wilhelm E. verfügte er über hilfreiche Kontakte, von denen noch zu sprechen sein wird. Bereits im April 1950 bewarb Walter He. sich wieder beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen. Alle Angaben seines Lebenslaufs blieben unbestätigt, weil er angab, andere Personalunterlagen nicht mehr zu besitzen. Sowohl sein Bewerbungsanschreiben als auch sein handschriftlicher Lebenslauf sind durch Weglassungen, Umdeutungen und Lügen komplett entpolitisiert, gereinigt von allem, was ihn auch nur im Entferntesten in Verbindung mit NS-Verbrechen hätte bringen können – bestätigt letztlich durch den beigefügten Entnazifizierungsbescheid, der ihn in die Kategorie V der Entlasteten einstufte. Seine Ausbildung, sein Fachwissen, die besuchten Lehrgänge, Spezialwissen – das waren die Schwerpunkte seiner Bewerbung. 367 Er nannte den Besuch des Lehrgangs an der Führerschule der Sicherheitspolizei für Kriminalkommissar-Anwärter und gab wahrheitswidrig an, von 1940 bis zum Kriegsende bei der Kriminalpolizei in Breslau gewesen sein. 368 Er hob eine Spezialausbildung für „Brand- und Explosionskatastrophen“ und Schulungskurse für „Fahndungsleiter“ am Reichskriminalpolizeiamt (RKPA) hervor. In Breslau, schrieb er, sei er sowohl Leiter der Fahndung, des Abtreibungsdezernats 369 und der Sittenpolizei als auch Ausbildungsleiter für Brandermittlungslehrgänge in Schlesien sowie Referent für Jugendschutz gewesen. Außerdem habe er neun Monate lang eine Kriminalinspektion, deren Aufgabenbereich er allerdings nicht näher nannte, geführt. Dass er beim Ek 6 Erschießungen geleitet und später Führer des Sk 1005b gewesen war, verschwand im Schatten dieser Darstellung. In seinem handschriftlichem Lebenslauf vermerkte er lediglich ganz allgemein: „Von August 42 bis zur Kapitulation nahm ich am Krieg teil.“ 370 Seine Bewerbung stieß auf Wohlwollen, zumal Walter He., davon wird noch die Rede sein, dem Leiter des LKA bekannt war. 1952 lagen dem Chef der Polizei in Düsseldorf alle benötigten Bewerbungsunterlagen einschließlich des sogenannten Unterbringungsscheins vor, und man bat Walter He. zur polizeiärztlichen Untersuchung. 371 Als er Anfang 1954 noch keine feste Zusage erhalten hatte, wandte er sich ungehalten an den nordrhein-westfälischen Innenminister, um das Verfahren zu beschleunigen. Seine Motivation, wieder in den Staatsdienst einzutreten, lieferte er dabei gleich mit: „Ich habe mich und meine Familie bisher aus privatwirtschaftlicher Tätigkeit ernährt, sehe mich dabei allerdings außerstande, eine Altersversorgung aufzubauen […]. Die bis 1945 erdienstete Pension nach dem Gesetz auf Grund Art. 131 GG würde kaum den dringendsten Lebensbedarf decken. Ich bin deshalb, und weil ich mit Leib und Seele Kriminalbeamter war, stets daran interessiert, sobald wie möglich wieder in den Staatsdienst

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zu kommen.“ 372 Noch war aber keine Planstelle frei; erst am 1. Dezember 1954 begann er als Kriminalkommissar in Düsseldorf wieder seinen Dienst. Mit Friedrich Me. versuchte sich jemand wieder in eine von ihm als angemessen betrachtete Position zu bringen, der nicht nur extrem von sich selbst und seinen Fähigkeiten überzeugt war, sondern sich auch hinsichtlich seiner NS-Vergangenheit für nahezu unantastbar hielt, weil er schlicht glaubte, cleverer zu sein als alle anderen, was sich besonders in seinem späteren NS-Prozess zeigen sollte. Mehrmalige Anfragen bei seiner letzten Dienststelle, der Polizei in Gelsenkirchen, nach seiner Personalakte blieben leider unbeantwortet, so dass sein Wiedereinstieg nur anhand der Unterlagen des späteren NS-Prozesses rekonstruiert werden konnte. Danach lief auch seine Rückkehr in den Staatsdienst hauptsächlich über Kontakte. Bereits 1949 hatte er sich wieder bei der Polizei in Arnsberg beworben und wurde noch im gleichen Jahr im dortigen Regierungsbezirk auf Probe eingestellt. Seine Zeit beim Sk 7a hatte er, man möchte schon fast sagen selbstverständlich, verschwiegen. Auch im Fall von Gerhard S. war keine Personalakte zu erhalten. Nach seinen Ausflügen in die Kommunalpolitik gelang es ihm nur aufgrund von Verbindungen, 1956 als Regierungsrat zur Wiederverwendung beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft und Verkehr in Hannover eingestellt zu werden. Sein Weg dorthin war weitaus schwieriger als in den anderen vorgestellten Fällen. Bereits im September 1950 hatte er sich gemeldet, um einen „Unterbringungsschein“ zu erhalten. Auch wenn er energisch seine ausführlichen Argumentationen aus seinem Spruchgerichtsverfahren wiederholte, die beweisen sollten, dass seine Gestapo-Zugehörigkeit sich auf Zwang gründete, stieß er mit seiner Darstellung auf großes Misstrauen. Dass er letztlich vom Entnazifizierungshauptausschuss Stade entlastet worden war und sowohl diese Institution als auch das Spruchgericht HamburgBergedorf seine Gestapo-Zugehörigkeit fälschlicherweise als „Notstand“ bewertet hatten, spielte dabei keine Rolle. Als ihm seine zunächst gewährte Überbrückungshilfe 1951 wieder gestrichen wurde, wandte sich Gerhard S. in mehreren Schreiben an den niedersächsischen Innenminister, um sein Anliegen voranzutreiben. Obwohl seine Vergangenheit offen auf Bedenken stieß, oder anders gesagt, seine Darstellung seiner NS-Vergangenheit angezweifelt wurde und er deshalb Nachforschungen fürchten musste, verfolgte er dennoch weiterhin vehement sein Anliegen. Gerhard S. blieb bei seiner bereits während des Spruchgerichtsverfahrens eingeschlagenen Verteidigungsstrategie, mit Hilfe falscher Angaben seine Dienstzeit bei der Gestapo hinsichtlich Dauer und Inhalt zu bagatellisieren. Er fühlte sich ganz offensichtlich im Recht und dank eines einflussreichen Fürsprechers bekam er es auch – wenn er auch nicht, wie von ihm gewünscht, in die innere Verwaltung oder in den Polizeidienst, sondern als Angestellter zum Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft und Verkehr kam. 373

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3.3.3. Die Rolle ehemaliger Kameraden und der Behörden im Einstellungsprozess Ihre Initiativen und gefälschten Lebensläufe allein sicherten den Bewerbern noch nicht ihre Wiedereinstellung. Hilfreiche Kontakte erleichterten die Rückkehr in die Kriminalpolizei – Kontakte zu ehemaligen Kameraden aus NS-Zeiten, die mit Referenzen ihre Bewerbungen und damit auch ihre Darstellungen unterstützten, und vor allem zu Kameraden, die bereits wieder in der Kriminalpolizei tätig waren und so innerhalb der Polizei als Fürsprecher agierten und in verschwörerischer Solidarität die wenigen niedrigen Hürden zu überwinden halfen. Heuser beispielsweise pflegte nach 1945 systematisch Kontakte zu seinen Minsker Kameraden und hielt so ganz bewusst ein Netzwerk aufrecht. Walter He. gab auf seinem Melde- und Personalbogen zum Gesetz zum Art. 131 GG zwei ehemalige Kollegen seiner Breslauer Dienststelle als Zeugen für die Richtigkeit seiner Angaben an. Beide waren bereits wieder im Polizeidienst: Willi B. beim LKA in Niedersachsen und Gerhard W. bei der Kriminalpolizei in Hildesheim, was ihren eidesstattlichen Erklärungen – in einer Art grotesker Logik – zusätzliche Glaubwürdigkeit und Autorität verlieh. Willi B. hatte Walter He. bereits für dessen Spruchkammerverfahren eine eidesstattliche Erklärung geschrieben. Nun bestätigte er Walter He. entsprechend dessen Angaben, dass er 1937 bis 1945 „ununterbrochen der Kriminalpolizeileitstelle Breslau“374 angehört habe. Von Gerhard W. bekam Walter He. bestätigt, dass er „stets als Leiter von Kommissariaten“ 375 eingesetzt worden sei. Daraufhin erhielt Walter He. seinen „Unterbringungsschein“. Dass es von seiner Bewerbung im Jahr 1950 an bis Dezember 1954 dauerte, bis er wieder eingestellt wurde, lag vor allem daran, dass eine Planstelle fehlte. An Wohlwollen auf Seiten der einstellenden Behörde mangelte es nämlich nicht. Kein geringerer als der Leiter des LKA Nordrhein-Westfalen, Kriminalrat Friedrich D’heil, zählte zu den Bekannten Walter He.s. Ihre Wege hatten sich bei der Kriminalpolizei Breslau gekreuzt. D’heil hatte im Nationalsozialismus Karriere gemacht: Im Oktober 1939 war er als stellvertretender Leiter der deutschen Kripo in Litzmannstadt (Đódľ) eingesetzt worden, kam dann zur Kriminaltechnischen Untersuchungsanstalt bei der Kripo-Leitstelle Hamburg und 1943 zur Kriminaltechnischen Versuchsanstalt Kopenhagen. Ursprüngliche Bedenken, die vor allem wegen seiner Tätigkeit in Litzmannstadt gegen eine Wiedereinstellung von D’heil bestanden hatten, waren vom nordrhein-westfälischen Innenminister Menzel und wohlwollenden Erklärungen von Kameraden der Dienststelle in Đódľ zerstreut worden, so dass D’heil 1948 zunächst auf Probe als Leiter des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen und zwei Jahre später zum Kriminalpolizeirat und Beamten auf Lebenszeit ernannt worden war. 376

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Er war es, der Josef Mü., einen Breslauer Kollegen Walter He.s, der bereits wieder bei der Kripo Nordrhein-Westfalen arbeitete, anwies, eine mündliche Erklärung zugunsten Walter He.s abzugeben. Josef Mü. bestätigte daraufhin, dass Walter He. permanent der Kriminalpolizei in Breslau angehört habe, hob die von Walter He. genannten Spezialgebiete seiner Arbeit hervor und widmete sich ausführlich einer Charakterbeschreibung Walter He.s, die diesen nicht nur dienstlich, sondern auch in seinem persönlichen Verhalten als nicht konform mit nationalsozialistischen Maßnahmen beschrieb: "He. hat sich in den ganzen Jahren, in denen er mein Vorgesetzter war, sowohl als Vorgesetzter, als auch dem Publikum gegenüber in jeder Weise korrekt verhalten." 377 Ergänzend fügte Josef Mü. hinzu: „Insbesondere war von ihm entgegen anders lautenden Anweisungen angeordnet worden, dass keinerlei unrechtmäßige Mittel bei der kriminalpolizeilichen Tätigkeit angewandt werden dürften.“ 378 Er bezweifelte, dass Walter He. der NSDAP angehört habe, weil er ihn, so seine Erklärung, niemals in Parteiuniform gesehen hätte. Für ihn stand fest: „Nach meinem Dafürhalten dürfte Walter He. auf Grund seiner früher bereits bekundeten Gesinnung auch für den heutigen demokratischen Staat als Beamter und befähigter Mitarbeiter durchaus tragbar sein.“ Damit hatte er einen Idealtypus des Kriminalisten beschrieben, der dem eigens geschaffenen Mythos und den formellen Einstellungskriterien entsprach. Drei Monate später hieß es in einem ersten Vermerk beim LKA Nordrhein-Westfalen zu Walter He.s Bewerbung: „Walter He. ist dem Leiter des Landeskriminalpolizeiamtes als intelligenter und tüchtiger Beamter bekannt. Als Spezialbeamter für die kriminalpolizeiliche Fahndung bringt er gute Voraussetzungen für die Arbeit beim Landeskriminalpolizeiamt mit“. 379 Walter He.s Strategie, der angepasste Lebenslauf, die Hervorhebung kriminalpolizeilicher Aufgaben und kriminalistischen Spezialwissens, waren aufgegangen. Das Arbeitszeugnis, das Walter He. über seine Tätigkeiten nach 1945 ebenfalls mit seiner Bewerbung einreichte, lieferte Signalwörter, die für ihn sprechen mussten: Von Fleiß, gewandtem Auftreten, Sachkunde und einwandfreier Führung war da die Rede. 380 Seine geheimdienstliche Tätigkeit kam nicht zur Sprache. Nun wurde die Polizeidienststelle in Walter He.s Wohnort Burgdorf damit beauftragt, weitere, obligatorische Erkundigungen über ihn im Ort einzuholen. Fälschlicherweise berichtete man von dort, dass Walter He. von 1942 an der Wehrmacht angehört habe. Zum Punkt politische Vergangenheit hieß es, dass man darüber keine Informationen habe, allerdings hätte er keinen „extremen Parteien“ angehört. Nach allem, was man über ihn im Ort gehört hatte, kam man bei der Polizei Burgdorf zu dem Urteil: „Soweit hier in Erfahrung gebracht werden konnte, ist [der] Bewerber charakterlich einwandfrei. Durch seine Gewissenhaftigkeit, seinen Fleiß und durch sein Können genießt er in seiner

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Stellung volles Vertrauen. Bedenken gegen eine Einstellung bestehen nicht.“ 381 Ob Walter He.s Vergangenheit noch weiter überprüft wurde, geht aus der Personalakte nicht hervor. Als eine Planstelle in Aussicht stand, schloss sich im Oktober 1954 auch der Innenminister von Nordrhein-Westfalen der positiven Beurteilung des Bewerbers an. Ohne weitere Überprüfung übernahm er in einem Vermerk die Angaben, die Walter He. zu seinem Lebenslauf gemacht hatte und folgerte daraus, dass sich dieser in den genannten Dienststellungen immer gut bewährt habe. Im abschließenden Urteil des Innenministers zeigt sich, welches Gewicht den Erklärungen der ehemaligen Kollegen beigemessen wurde: „Er [Walter He.] wird als charaktervoller, geistig aufgeschlossener und fähiger Kriminalist beurteilt, der für eine Wiederverwendung als Kriminalobermeister uneingeschränkt geeignet erscheint.“ 382 Nachdem der Bewerber noch eidesstattlich versichert hatte, nie bei der Gestapo gewesen zu sein, wurde er am 1. Dezember 1954 wieder als Kriminalkommissar in Düsseldorf eingestellt – als „hochqualifizierter Beamter“, „der auf dem Gebiet der Kriminaltechnik und des kriminalpolizeilichen Erkennungsdienstes Spezialkenntnisse aufzuweisen hat“ 383 . Seine NS-Laufbahn, seine Positionen und Funktionen hatten ihm letztlich bei seiner Wiedereinstellung genutzt. Die von ihm und seinen einstigen Kollegen präsentierten Fähigkeiten beschrieben offensichtlich einen Typus, den man auch in der Bundesrepublik zu brauchen glaubte. Dafür beschränkte man den Blick auf fachliche Kompetenzen und Erfahrungen, losgelöst vom Kontext des Nationalsozialismus. Verglichen mit Walter He. gelang Friedrich Me. wesentlich schneller die Rückkehr in den Polizeidienst. Auch er hatte gewichtige Fürsprecher, wie aus den späteren Prozessakten hervorgeht. Sowohl Heinrich Eweler, zu diesem Zeitpunkt noch Leiter der Kriminalpolizei in der RegierungsbezirksPolizei (RB) Arnsberg, später dann Leiter der Kripo Essen, als auch der Chef der RB-Polizei Arnsberg, Ferdinand Hahnzog, betrieben seine Wiedereinstellung. Eweler hatte im nationalsozialistischen Deutschland Karriere gemacht: Bereits zum 1. Mai 1933 war er der NSDAP beigetreten; 1936 wurde er Fachlehrer für Kriminologie und Kriminalistik an der Führerschule der Sicherheitspolizei in Berlin-Charlottenburg, später leitete er sogar den gesamten Lehrbetrieb. Ende 1941 übernahm er im Rang eines SSSturmbannführers die Leitung der Kripo-Leitstelle Recklinghausen und wurde zwei Jahre später zum Regierungs- und Kriminalrat ernannt. Aufgrund der Fürsprache Hahnzogs – und falscher Angaben in seinem Lebenslauf – gelang ihm 1948 die Wiedereinstellung, zunächst als KriminalpolizeiOberinspektor, bei der RB-Polizei Arnsberg. 384 Ferdinand Hahnzog selbst hatte es 1942 zum Oberstleutnant der Gendarmerie gebracht, die er von 1940 bis 1942 im Distrikt Lublin kommandiert hatte.

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Hahnzog zufolge war es Eweler, der sich für Friedrich Me. einsetzte, mit der Begründung des Personalmangels. Als Hahnzog 1962 während des Prozesses gegen Friedrich Me. dem Regierungspräsidenten des Bezirks Arnsberg berichten sollte, ob dessen Einsatz beim Sk 7a vor seiner Einstellung bekannt gewesen sei, antwortete dieser zunächst: „Es dürfte absolut ausgeschlossen sein, dass die Einstellung bei Kenntnis der nunmehr mitgeteilten Tätigkeit des Betreffenden bei einem Ost-Sonderkommando erfolgt wäre, von der ich durch das Bezugsschreiben zum ersten Male höre.“ 385 Friedrich Me., so schlussfolgerte er, habe seine Stelle damit durch eine Täuschung erhalten. Vermutlich, weil ihm bewusst wurde, dass er Friedrich Me. mit dieser Aussage schadete, revidierte er sie später. In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu wissen, dass Friedrich Me. während des Verfahrens gegen ihn über ein gut funktionierendes Netzwerk aus ihn unterstützenden Kollegen und alten Kameraden verfügte. Denn nun gab Hahnzog an, dass Eweler ihn darüber informiert hätte, dass Friedrich Me. diesem erzählt habe, „im Osten im Sondereinsatz“ gewesen zu sein. Daraufhin hätte er beschlossen, dieses Wissen nicht in Friedrich Me.s Personalakten zu vermerken, dies also vor dem Polizeiausschuss, der über dessen Einstellung zu beraten hatte, geheim zu halten, und ihn dann als Kriminalobermeister und nicht als Kriminalkommissar einzustellen. „Das dienstliche Interesse an der Kriminalpolizei“, erklärte Hahnzog, „war somit das treibende Moment, Herrn Friedrich Me. trotz seiner Enthüllung einzustellen.“ 386 Nach dieser Version hätte dieser also keinen Einstellungsbetrug begangen. 387 Diese Variante erscheint allerdings sehr unglaubwürdig; es ist eher davon auszugehen, dass Friedrich Me. seinen Einsatz verschwieg und seine Wiedereinstellung vor allem von Eweler, aber auch von Hahnzog gefördert wurde. Denn Friedrich Me. hatte scheinbar kriminalistische Fähigkeiten zu bieten, auf die man nicht verzichten wollte. Sicher ist es nicht, aber es ist durchaus möglich, dass sich überdies die Wege von Eweler und Friedrich Me. bereits während des Nationalsozialismus gekreuzt hatten. Zur Vollständigkeit soll noch erwähnt werden, dass Hahnzog, gegen den später in der Bundesrepublik wegen Nationalsozialistischer Gewaltverbrechen ermittelt wurde, noch weiteren NS-Verbrechensbeteiligten die Tür zum Dienst bei der RB-Polizei Arnsberg öffnete. Stefan Noethen nennt in seiner Studie den für seine Exzesstaten berüchtigten Gendarmeriebeamten Walter Paulikat sowie Gerhard Carsten, Angehöriger der Staatspolizeistelle Tilsit, der aus dieser Zeit auch Richard W., dessen Biografie ebenfalls für die vorliegende Arbeit herangezogen wurde, kannte. 388 Dass er Friedrich Me. eingestellt hatte, bereute Hahnzog auch im Nachhinein nicht: „Die Folgezeit hat bewiesen, dass Herr Friedrich Me. der richtige Mann auf seinem Posten war, denn auch Herr Dr. Eweler hob wiederholt hervor, dass mit Herrn Friedrich

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Me. die Kriminalpolizei nun den richtigen Organisator endlich bekommen habe.“ 389 Der Weg zurück zur Polizei blieb Gerhard S. versperrt. Auch wenn er energisch seine ausführlichen Argumentationen aus seinem Spruchgerichtsverfahren wiederholte, gelang es ihm nicht, das Misstrauen, das ihm entgegenschlug, auszuräumen. Hätte Gerhard S. nicht einen einflussreichen Fürsprecher gehabt, er wäre wahrscheinlich nicht mehr in den Staatsdienst zurückgekehrt. Wie auch der Regierungspräsident in Stade hatte der niedersächsische Innenminister, an den Gerhard S. sich schließlich persönlich wandte, erhebliche Bedenken gegenüber einer Wiedereinstellung von Gerhard S. und holte daher eine Auskunft bei der Dokumentenzentrale in Berlin über ihn ein. Dass man beim Innenministerium schließlich Gerhard S.s Einlassungen zu seiner Gestapo-Zugehörigkeit folgte, ist auf eine Unterredung zwischen dem Sachbearbeiter im Ministerium mit dem einstigen SSIdeologen Werner Best zurückzuführen. Wer dieser Sachbearbeiter war und von wem die Initiative für dieses Gespräch ausging, welche Beziehung zwischen ihm und Best bestand, ob gar Gerhard S. den Kontakt zu Best gesucht hatte – all das geht aus den Quellen nicht hervor. Best, der ehemalige SS-Brigadeführer und Chef des Amtes I des RSHA, hatte sich nach seiner Rückkehr aus Dänemark im Jahr 1951 der Aufgabe verschrieben, sich selbst und damit seinen Ansichten wieder eine Position zu verschaffen. Dazu gehörte die Kampagne für eine Generalamnestie von NS-Tätern ebenso wie sein energischer Einsatz für ehemalige GestapoBeamte, denen zunächst der Weg zurück in den Staatsdienst über das Gesetz zu Art. 131 GG verwehrt blieb. Bereits im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess hatte er als „Vertreter der Gestapo“ ausgesagt. Seine apologetische und die Tatsachen verdrehenden Sichtweise der Gestapo hielt er in einem Manuskript fest, das er mit Blick auf die Rückkehr von Beamten in den Staatsdienst verfasst hatte. „Von allen Texten, die Best nach dem Krieg verfasste“, urteilt Ulrich Herbert in seiner biografischen Studie über ihn, „war dieses Manuskript über die Gestapo der aggressivste und am wenigsten von philosophischer Schminke verdeckte.“ 390 Bests Kernargument war, dass die Gestapo sich nicht von politischen Polizeien anderer Länder unterschieden habe und sie somit keine verbrecherische Organisation gewesen sei. Wie Herbert betont, ließ Best seinen Text nicht nur Parlamentariern, Ministerialbeamten und Interessenverbänden zukommen, er beriet zudem allen voran den „Bund Deutscher Polizeibeamter“, der sich zum Teil wortgetreu an Bests Argumentation hielt. 391 Als ihm selbst alle Wege zurück in den Staatsdienst auf höchster Ebene aufgrund seiner Vergangenheit versperrt blieben, wurde er nach und nach zum Berater für ehemalige NSBeamte, die vor allem wegen ihrer Gestapo-Zugehörigkeit Probleme hatten, als „131er“ anerkannt und wiedereingestellt zu werden. Er schrieb eidesstattliche Erklärungen und mag sich wohl auch direkt an die einstellenden

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Behörden gewandt haben, denn seine persönlichen Kontakte reichten auch weiterhin in die Ministerien hinein. 392 „Wie eine Spinne im Netz“ habe Best agiert und bis zu seinem Tod 1989 „als Pate eines Weißwäschersyndikats mit nicht unbeträchtlicher wissenschaftlicher Ausstrahlung“ 393 fungiert, folgerten Klaus-Michael Mallmann und Andrej Angrick. So könnte es auch im Fall Gerhard S. gewesen sein. Best war es, der einen Richtungswechsel im Umgang mit dem Antrag von Gerhard S. bewirkte. Der niedersächsische Minister des Innern entschied nach besagter Unterredung am 23. Februar 1954, dass Gerhard S. nicht vom § 3 Artikel 4 des Ausführungsgesetzes zum Art. 131 GG betroffen sei, der Personen, die am 8. Mai 1945 bei einer Dienststelle der Geheimem Staatspolizei beschäftigt gewesen waren, von einem Rechtsanspruch auf Wiedereinstellung ausschloss. Außerdem verfügte er, dass die Zeit von Gerhard S.s GestapoZugehörigkeit auf dessen Übergangsgeld anzurechnen sei. Eine solche Anrechnung war laut § 68 durch Entscheidung der obersten Dienstbehörde möglich, wenn sie „nach dem beruflichen Werdegang, der Tätigkeit und der persönlichen Haltung des Beamten gerechtfertigt erscheint“ 394 . In allen anderen Fällen galt, dass die Dienstzeit bei Gestapo und Waffen-SS nicht anzurechnen war. Auch als der Regierungspräsident des Bezirks Stade dem Innenminister weiteres, Gerhard S. belastendes Material vorlegte, blieb dieser bei seiner Entscheidung. Der Regierungspräsident hielt allerdings ebenfalls an seiner Auffassung fest und verweigerte zunächst die Auszahlung des von Gerhard S. beantragten Übergangsgehaltes, was diesen zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde veranlasste. Inzwischen war Gerhard S. im April 1954 als Unterbringungsberechtiger anerkannt worden. Auf seine Beschwerde hin erließ der Innenminister einen Bescheid, der die Zahlungen regelte. Die eingestellte Auszahlung des Übergangsgehaltes wurde aufgehoben und Gerhard S. mit Wirkung vom 2. Mai 1956 als Regierungsrat zur Wiederverwendung beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft und Verkehr eingestellt. 395 Der damals amtierende Minister, Hermann Ahrens, stellte den Sachverhalt in einem später für Gerhard S. ausgestellten Leumundsbrief jedoch so dar, dass ihm Gerhard S. während seiner Dienstreisen mit seinem Engagement positiv aufgefallen sei und allein dessen „erfolgreiches Wirken im Rahmen der Wirtschaftsförderung und der Industrieansiedlung“ 396 ihn dazu veranlasst hätten, diesen einzustellen. Auf Kontakte in den Reihen von Entscheidungsträgern konnte Wilhelm E. nicht zurückgreifen, aber auch er verzichtete nicht darauf, seine Bewerbung mit eidesstattlichen Aussagen ehemaliger Kameraden zu untermauern. Heinrich H., Heinz B. und Kurt F. waren allesamt Angehörige der Staatspolizeistelle Dessau gewesen; die beiden Erstgenannten befanden sich 1954 bereits wieder im Polizeidienst: Heinrich H. arbeitete als Kriminalobersekretär beim LKA Wiesbaden, Heinz B. in gleicher Funktion bei der Krimi-

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nalpolizei in Düsseldorf. Sie bestätigten seine Versetzung von Amts wegen sowie seine ausschließliche Arbeit in der Abteilung Abwehr. 397 Heinz B. war es überdies wichtig, darauf hinzuweisen, dass Wilhelm E. sich „durch seine Hände Fleiß – er war von 1945 bis heute Bergarbeiter – wieder eine gesunde Existenz“ 398 geschaffen habe. Weil man in Wilhelm E.s Bewerbung nichts Auffälliges entdeckte, ihn und auch seine Familienangehörigen für „charakterlich einwandfrei“ 399 hielt und auch eigene Erkundigungen an Wilhelm E.s Wohnort ergaben, dass Wilhelm E. keine Verbindungen zu links- oder rechtsradikalen Kreise habe und „der heutigen Staatsform bejahend gegenübersteht“ 400 , bestanden bei der Polizei Recklinghausen keine Bedenken gegen eine Einstellung. Auch wenn offiziell keine Renazifizierung der Polizei und Kriminalpolizei gewollt war, so ist gerade als Folge des Gesetzes zum Artikel 131 GG faktisch ein hohes Maß an Kontinuität zu verzeichnen, gerade in den Reihen der Kripo. Das lag zum einen an den bereits erwähnten geforderten Fachkenntnissen, die dazu führten, dass Kriminalpolizeistellen schwerer zu besetzen waren als Polizeistellen, was Tatsache und Ausrede zugleich war. 401 Zum anderen wirkte sich hier ebenso wie bereits in den Entnazifizierungsverfahren ein eklatanter Mangel an Geschichtswissen aus. Viel brisanter und gewichtiger ist allerdings die Tatsache, dass es ehemalige NSFührungskräfte waren, die über Wiedereinstellungen entschieden. Die Beispiele Walter He. und Friedrich Me. sind nur zwei von vielen. Aber sie können eine Vorstellung davon vermitteln, welche Rolle diese Kontinuitäten in der Führungsetage bei Wiedereinstellungen spielten und wie groß die Solidarität untereinander war. Dabei brauchten die Beteiligten nicht unbedingt Mitwisser im konkreten Fall gewesen zu sein. Das Wissen über den Charakter der Polizeiarbeit im Allgemeinen und der Auslandseinsätze im Speziellen reichte bereits aus, zum verschwiegenen und wohlmeinenden Mitwisser zu werden. Nur zu gerne bestätigte man sich daher gegenseitig eine unpolitische Tätigkeit während des Nationalsozialismus. Es war Sache des Bewerbers, dafür zu sorgen, dass es keinen Grund gab, ihn nicht wieder einzustellen. Am Beispiel des Bundeskriminalamtes, wo ein Kreis ehemaliger NS-Kriminalisten über Einstellungen entschied, konnte Patrick Wagner eine solche Praxis detailliert nachweisen. 402 Wer der Partei zu nahe gestanden oder einen zu belastenden Dienstgrad gehabt hatte, wurde zunächst von den Verantwortlichen zurückgestellt, während andere Personen eingestellt wurden, „bevor die zunächst zurückgestellten Ehemaligen dann ohne großes Aufsehen in die eigenen Reihen aufgenommen werden konnten“ 403 . Täuschungen und Fälschungen, das zeigen auch die bei Noethen beschriebenen Beispiele, waren an der Tagesordnung – und sie lohnten sich. 404 Oftmals fehlten Personalakten, mit denen Angaben hätten überprüft werden können und selbst wenn sie noch vorhanden waren, waren Osteinsätze und

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die damit verbundenen genauen Tätigkeiten anhand dieser Dokumente kaum nachzuvollziehen. 405 Dennoch wäre es verfehlt, von einer planmäßigen Renazifizierung zu sprechen. Es gab formale Hürden. Im Fall Gerhard S. verhinderten die bestehenden Hürden trotz gewichtiger Fürsprecher seine Rückkehr in den Polizeidienst, und sie schreckten Karl D. und Rudolf Th. von einer Bewerbung ab. Die Tatsache, dass diese Hürden aber generell zu niedrig waren und nicht zuletzt, dass es Führungspersonal aus dem ehemaligen System war, das nun wieder darüber entschied, wer eingestellt wurde und wer nicht, dass es seitens der Bewerber massenhaft bewusste Täuschungsmanöver gab und dass die gemeinsamen Erfahrungen während der NS-Zeit Bindungsund Deckungskräfte hervorbrachten, führte dazu, dass belastete Personen wieder zu Polizei und Kriminalpolizei zurückkehren konnten. 406 Wer sich in der Vergangenheit der Gruppe gegenüber loyal verhalten hatte und nicht inakzeptabel „formell“ belastet war, hatte sehr gute Chancen, von Entscheidungsträgern innerhalb des Systems bei der Bewerbung unterstützt zu werden. Gerade für die Polizei und Kripo gilt, was Wagner für sämtliche Berufsgruppen konstatiert: Dass sich die „Selbstreinigung“ nach 1945 auf jene beschränkte, „die während des Nationalsozialismus gegen die internen Verhaltensnormen dieser Sozialformationen grob und zum Nachteil ihrer Angehörigen verstoßen hatten“ 407 . Bernhard Brunner nennt ein weiteres Kriterium, das den Ausschluss aus der Gruppe der Ehemaligen nach Kriegsende bedeuten konnte: den Habitus, den sie bei ihrem verbrecherischen Handeln an den Tag gelegt hatten. 408 Schwere Verbrechen, wie von den Einsatzgruppen begangen, waren kein Ausschlusskriterium. Zugunsten der Bewerber wirkten sich überdies Unwissen über organisatorische Strukturen und Aufgaben aus, die wiederum der Verbreitung und Akzeptanz des Mythos der Dienstgradangleichung und der Versetzung „von Amts wegen“ ermöglichten. Die Gefahr wurde gesehen. In den Frankfurter Heften etwa fragten Böttcher und Schäfer: „Wer in ganz Westdeutschland weiß etwas wirklich Zutreffendes, wirklich Sicheres über die absolute oder nicht absolute demokratische Zuverlässigkeit unserer Polizei in allen ihren mannigfachen Einheiten, von oben bis unten, von unten bis oben, ja über ihre Gesinnung im einzelnen überhaupt?“ 409 Bereits 1945 hatte der ehemalige Kriminalbeamte Lehnert, der 1933 Deutschland verlassen hatte, in einem Manuskript für einen (dann nie gehaltenen) Vortrag festgestellt, dass es kaum unbelastete Kripobeamte gebe, „weil die Mehrzahl der Kriminalbeamten aktive Anhänger des Nazismus waren, zum großen Teil durch kriminelle Verbrechen belastet sind oder sich in kriegsbesetzten Gebieten betätigt haben“ 410 . Das Konstrukt der sauberen und unpolitischen Polizei und Kripo, dessen sich Bewerber, ihre Fürsprecher sowie diejenigen bedienten, die sich bereits wieder dort befanden, konnte seine Wirkungskraft nur entfalten, weil sich

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nicht nur Einzelne darauf beriefen, sondern weil es auf breiter Basis gebraucht und offensiv verbreitet wurde – von denen, die wieder ins System hinein wollten und von denen, die diesen Schritt bereits vollzogen hatten. Die Vergangenheit verband sie, und in stiller Übereinkunft wurde die Legende der im NS-Staat weiterhin rechtsstaatlichen Traditionen verpflichteten Polizei, deren Wurzeln in die direkte Nachkriegszeit zurückreichen, in den 1950er Jahren innerhalb der bundesdeutschen Polizei systematisch aufgebaut, gepflegt und nach außen kommuniziert. Den Anfang hatte Adolf von Bomhard, ehemals Chef des Kommando-Amtes im Hauptamt Ordnungspolizei, mit einer eidesstattlichen Erklärung im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess gemacht. 411 Als sachverständiger Zeuge vor Gericht und mit vielfältigen Gutachten betrieb er danach eine zielgerichtete Legendenbildung und bewusste Geschichtsfälschung rund um die Ordnungspolizei, um deren Ansehen, vor allem aber deren ehemalige Angehörige vor strafrechtlicher Verfolgung zu schützen. 412 Der Generalmajor a. D. agierte nach 1945 als Chef-Apologet der Ordnungspolizei und schuf 1949 mit einer „Fachvertretung der 131er Polizeiberufsbeamten“ eine einflussreiche Interessensvertretung. 413 Die von ihm suggerierte Abgrenzung der Ordnungspolizei zur SS und zu NS-Verbrechen, respektive der Ermordung der Juden in den besetzten Ostgebieten, war, wie gezeigt, auch die gängige Argumentationsstrategie auf der Seite der Kriminalpolizei. Wie auch die Ordnungspolizei konnte sie auf dem Vorteil aufbauen, dass die Nürnberger Richter sie nicht in die Gruppe der verbrecherischen Organisationen eingereiht hatten und das, obwohl die Briten sehr genau um die Beteiligung der Polizei am Holocaust in den Ostgebieten wussten. Im Magazin Der Spiegel veröffentlichte der ehemalige NS-Kriminalist Bernd Wehner 414 1949 bis 1950 die Serie „Arthur Nebe. Glanz und Elend der deutschen Kriminalpolizei“ 415 , in der er den Konformismus des einstigen Leiters des Reichskriminalpolizeiamtes und Kommandeurs der Einsatzgruppe B, Nebe 416 , betonte, um gleichzeitig die Kripo in ihrer Gesamtheit von SS-Verbrechen distanzieren und freisprechen zu können. In diesem Klima konnten die Rückkehrer in die Reihen der Polizei und Kriminalpolizei in den 1950er Jahren nicht nur wieder an ihre alte Karriere anknüpfen, sondern sie fortsetzen – vorausgesetzt, sie bewegten sich dabei innerhalb der in der neuen Demokratie geltenden Grenzen. 417 3.3.4. Fallbeispiele 3.3.4.1. Der Fall Georg Heuser – Vom skrupellosen „Routinier“ des Holocaust zum Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz Auch für Heuser gab es vor seiner Rückkehr zur Kriminalpolizei eine Übergangsphase. Für ihn, der sich mit Täuschungsmanövern einer Gefangennahme und den Quellen nach zu urteilen auch der Entnazifizierung hatte

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entziehen können und der sich seiner Gefährdung aufgrund seiner Vergangenheit bewusst war, war es besonders wichtig, zunächst einmal die Lage für eine Wiedereinstellung zu sondieren und mögliche Folgen abzuschätzen. Weil er keinerlei Schuldgefühle und Skrupel wegen seiner Taten empfand, ebenso wenig vor Betrug und Täuschungsmanövern zurückschreckte, wenn sie seinen persönlichen Vorteilen dienten, und darüber hinaus von sich und seinen Fähigkeiten überzeugt war und gewandt auftreten konnte, war für ihn eine Rückkehr in die Kriminalpolizei nur eine Frage der Zeit. Das Gesetz zum Artikel 131 GG war auch für ihn das Eintrittstor auf dem Weg zurück in den Staatsdienst. Den Grundstein legte er mit seinen falschen Angaben im Melde- und Personalbogen zum Gesetz nach Artikel 131 GG. Wie bei seinen späteren Bewerbungen auch, „belegte“ er mit fingierten Dokumentenabschriften seinen falschen Doktortitel und seine Einstufung in die Gruppe V durch den Untersuchungsausschuss Ludwigshafen und benannte als Zeugen für seine „kriminalpolizeiliche Laufbahn“ seinen ehemaligen Vorgesetzten bei der Kriminalpolizei Berlin und späteren Untergebenen beim Ek 14, Johannes Hoßbach. 418 Nach dessen Aussage hatte er ebenfalls 1945 in Goslar gelebt und Heuser dort wieder getroffen. Heuser vermerkte auf dem Formular, dass er sich eine Wiederverwendung bei der Kriminalpolizei, der allgemeinen Polizeiverwaltung oder beim Amt für Verfassungsschutz vorstellen könne. Kurz darauf schickte er Bewerbungen an das Ordnungsamt Mannheim sowie an den Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz. 419 In beiden Anschreiben gab er an, von 1938 bis 1945 bei der „staatlichen Kriminalpolizei“ und zuletzt Kriminalrat gewesen zu sein, wobei er Letzteres durch keine Akten belegen konnte. Wahrheitswidrig schrieb er dem LKALeiter, am 8. Mai 1945 Kriminalrat bei der Kripo-Leitstelle Berlin, seiner Ausbildungsdienststelle, gewesen zu sein und verschleierte so seine wahre Tätigkeit. Als Referenzen nannte er wieder einmal Johannes Hoßbach und zusätzlich den Leiter der Landeskriminalabteilung Ludwigshafen, Paul Frühbis, der ihm aus Gefälligkeit die Richtigkeit sämtlicher „Abschriften“ von Dokumenten, die Heuser seinen Bewerbungen beifügte, mit seiner Unterschrift bestätigt hatte. Zu diesen Dokumenten gehörte unter anderem eine Abschrift des Arbeitszeugnisses der Firma Internationale Transporte Palatia, in der Heuser abweichend des im Original vermerkten Beginns des Arbeitsverhältnisses am 1. Oktober 1947 (de facto war er sogar erst im Juli 1948 zu dieser Firma gekommen) auf den 1. Oktober 1945 vordatiert hatte, um seine zwielichtigen Geschäfte in diesem Zeitraum zu verschleiern. 420 Die Lebensläufe, die er beiden Schreiben beifügte, sind in den Akten nicht überliefert; es ist jedoch anzunehmen, dass sie sich nicht von dem Lebenslauf unterschieden, den er kurz darauf an das Polizeipräsidium Berlin schickte, nachdem die Antworten auf seine ersten beiden Bewerbungen mangels freier Planstellen negativ ausgefallen waren. 421 Auch in dieser

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Bewerbung nannte er Johannes Hoßbach als Referenz und auch hier verwies er darauf, dass seine letzte Dienststelle Berlin gewesen sei. 422 Seinen Lebenslauf hatte er bis zur Unkenntlichkeit verschleiert. Er verschwieg zwar nicht, in Russland gewesen zu sein, wohl aber seine Funktionen und Tätigkeiten. So schrieb er, ab Oktober 1941 als „Ordonanzoffizier beim Ic der in Russland-Mitte eingesetzten Bandenkampfverbände des Heeres, der Waffen-SS und der Polizei“ 423 und von November 1943 an beim „Chef Bandenkampfverbände“ gewesen zu sein. Im Juni 1944 sei er dann aus Russland zurückgekommen und nach seiner Ernennung zum Kriminalrat „als Ic zum deutschen Befehlshaber in die Slowakei abgestellt“ worden, wo ihm die „Nachrichtenarbeit zur Bekämpfung des Aufstandes der slowakischen Wehrmacht“ unterstanden habe. Bandenkampf und die Zugehörigkeit zu einem Einsatzkommando in der Slowakei, das er in der Realität geleitet hatte, schienen ihm problemlos sagbar zu sein. Er dichtete sich zudem eine Gefangenschaft an, aus der er noch 1945 entlassen worden sei. Die Antwort des Polizeipräsidenten in Berlin fiel für Heuser nicht wie erwartet aus, denn beim Polizeipräsidium in Berlin verlangte man weitere Unterlagen, vor allem einen „lückenlosen“ handgeschriebenen Lebenslauf und eine ebensolche Aufstellung seiner Beschäftigungszeiten, Zeugnisse und Unterlagen über sein früheres Beamtenverhältnis sowie Nachweise über seine Zugehörigkeit zur Wehrmacht, Reichsarbeitsdienst, Kriegsgefangenschaft oder Internierung. 424 Entweder erhielt Heuser dieses Schreiben nicht, oder aber, und das ist wahrscheinlicher, wollte er nicht darauf reagieren, weil er seine Falschaussagen nicht mit Unterlagen hätte belegen können. Erst Monate später, im November 1953 wandte er sich wieder nach Berlin: „Da ich bis heute nichts gehört habe, nehme ich an, dass keinerlei Aussichten bestehen. Ich wäre Ihnen daher dankbar, wenn Sie mir die damals beigefügten Unterlagen zurücksenden würden.“ 425 Das Schreiben hatte er mit einer betont unleserlich gehaltenen Unterschrift versehen. Sein Ziel dürfte es gewesen sein, seine Unterlagen zurückzubekommen, um bei der Berliner Behörde kein Material zurückzulassen, das ihm in irgendeiner Weise gefährlich werden könnte. In Berlin reagierte man aber nicht im Sinne Heusers, sondern machte ihn auf das vorangegangene Schreiben und seine noch ausstehenden Unterlagen aufmerksam, ohne die seine Bewerbung nicht bearbeitet würde. 426 Daraufhin verfolgte Heuser seine Bewerbung in Berlin nicht weiter und versuchte es stattdessen wieder in Rheinland-Pfalz, wo er zudem Kontakte besaß. In der Zwischenzeit war es ihm im Oktober 1953 gelungen, eine befristete Anstellung beim Versorgungsamt der Stadt Ludwigsburg zu bekommen. 427 Auf den Rat desjenigen Beamten hin, der ihm zuvor bereits die fingierten Abschriften beglaubigt hatte, wandte er sich an Kriminaldirektor Dingermann beim Landeskriminalamt und betonte besonders seine kriminalistischen Qualifikationen: „Ich war früher nicht bloß Kommissariatsleiter,

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sondern hatte in Berlin lange Zeit eine Mordkommission. Fachartikel von mir sind in den Nummern der alten ‚Kriminalistik‘ zu finden. Außerdem war ich Lehrer an einer Polizeischule für Strafrecht und Kriminalistik.“ 428 Dingermann zog nun Johannes Hoßbach hinzu, mit dem er nicht nur dienstlich, sondern auch privat verkehrte, und sprach mit ihm über Heuser. 429 Von Hoßbach soll er von Heusers Zeit in Berlin und von dessen Tätigkeit als Leiter des Ek 14 in der Slowakei erfahren haben. Kurze Zeit darauf wurde Hoßbach offiziell von der Landesregierung Rheinland-Pfalz um eine Stellungnahme zu Heuser gebeten. 430 Darin berichtete er von Heusers kriminalistischen Fähigkeiten, die er als Dienststellenleiter in Berlin habe beobachten können; anschließend „wurde Dr. Heuser zum Osteinsatz kommandiert, wo er mehrere Tapferkeitsauszeichnungen erhielt“. Auch den gemeinsamen Einsatz beim Ek 14 erwähnte er und kam zu dem Fazit: „Ich halte Dr. Heuser als Jurist und Kriminalist für eine der wenigen Persönlichkeiten, die in Theorie und Praxis gleichermaßen begabt sind.“ 431 Am 1. Mai 1954 war Heuser als Kriminaloberkommissar in der Abteilung Landeskriminalpolizei Ludwigshafen wieder im Dienst. Ein Jahr darauf wäre ein früherer Kontakt zu einer ehemaligen Mitarbeiterin seiner Dienststelle in Minsk für ihn fast gefährlich geworden. Bei einer polizeilichen Vernehmung im August 1955 gab sie an, dass sie in den letzten Jahren Kontakt zu zwei Personen gehabt habe, die sich falscher Namen bedienten. Einer davon sei Heuser gewesen, der ihr angegeben habe, unter dem Namen „Dr. Her“ zu leben. 432 In Berlin sah man die Querverbindung zu Heusers Bewerbung; aufgrund des Straffreiheitsgesetzes von 1954, das auch die Annahme falscher Identitäten umfasste, konnte man Heuser wegen falscher Namensführung jedoch nicht mehr strafrechtlich verfolgen. Der Sachverhalt wurde dennoch mit der Bitte um Überprüfung an den Leiter der Kriminalpolizei Mannheim übermittelt. 433 Doch auch von dort erreichten Heuser keine Nachfragen. Somit verhinderte die Amnestie, dass Heusers Lebenslauf bereits zu diesem Zeitpunkt näher betrachtet worden wäre. Es gab aber auch darüber hinaus in keiner der informierten Behörden einen Versuch, der Frage nachzugehen, warum Heuser es vorgezogen hatte, einen falschen Namen anzugeben. Heusers Vorgesetzte waren derweil von dessen Qualitäten überzeugt. War er, der in Minsk den Judenmord organisiert hatte, in den Augen seiner ehemaligen Kameraden „ein ausgesprochener Routinier“ 434 , „das As der Dienststelle“ 435 und „im allgemeinen rücksichtslos“ 436 gewesen, galt er nun als „befähigter Kriminalist, der ruhig, sachlich, gründlich und umsichtig“ arbeitete. Seine Wiedereinstellung hielt man daher für das Land RheinlandPfalz für einen „besonders wertvollen Gewinn“ 437 . Der Leiter des Lehrgangs für zukünftige Kriminalräte am Polizeiinstitut Hiltrup, an dem Heuser im Dezember 1955 teilnahm, hob auf Nachfrage von Heusers Vorgesetzten dessen „ausgezeichnete polizeitaktische Begabung“ hervor. Zwar

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sei Heuser „nicht gerade ein konzilianter Mann“, habe aber einen guten Blick „für die praktischen Notwendigkeiten“. 438 Auf die Station Ludwigshafen folgte die Polizeidirektion Kaiserslautern, wo er, inzwischen Kriminalhauptkommissar, die Leitung der Kriminalpolizei übernahm. Im Wintersemester 1955/56 hielt er auf Anfrage der Universität Würzburg dort Gastvorlesungen über Gerichtsmedizin. „Mit dieser Berufung“, schrieb die Zeitung Rheinpfalz, „wurde Dr. Heuser eine seltene wissenschaftliche Anerkennung zuteil.“ 439 Mit der Ernennung zum Kriminalrat 1956, übertrug man ihm gleichzeitig kommissarisch die Geschäfte des Leiters der Polizeidirektion Kaiserslautern. 440 Bereits einen Monat später erhielt er seine Abordnung zum Landeskriminalamt in Koblenz, wo er ständiger Stellvertreter des LKA-Leiters wurde. 441 Wie aus den Quellen hervorgeht, forcierte Heuser seinen beruflichen Aufstieg, indem er gezielt im Innenministerium die Information lancierte, er habe von einem anderen Lehrgangsteilnehmer in Hiltrup ein Arbeitsangebot für Nordrhein-Westfalen bekommen. 442 In einem Gespräch mit dem Leiter der Polizeiabteilung beim Ministerium des Innern von Rheinland-Pfalz, Schneeberger, das dieser auf Anordnung des Innenministers daraufhin mit Heuser führte, wiegelte dieser ab und betonte, dass nicht er die Initiative ergriffen hätte, sondern man von Nordrhein-Westfalen an ihn herangetreten sei. Schließlich habe er es nicht vergessen, dass man ihn bei seiner Wiedereinstellung in Rheinland-Pfalz „sehr anständig“ behandelt habe. 443 Nach seinem Wechsel nach Koblenz folgte auch schon bald der nächste große Karriereschritt, der 1957 im Innenministerium von Rheinland-Pfalz vorbereitet wurde. Dort dürfte bereits zu diesem Zeitpunkt angedacht gewesen sein, Heuser zum Leiter des Landeskriminalamtes zu machen. Weil es um die Besetzung eines Postens mit hoher Öffentlichkeitswirkung ging, wollte man sich absichern und forderte diesen auf, Angaben über seinen Wehrdienst und seinen Kriegseinsatz zu machen. Hätte man dies im Ministerium nicht als formalen Akt betrieben, sondern sich wirklich für Heusers Vergangenheit interessiert, hätte es für Heuser 1957 bereits gefährlich werden können. So aber konnte er wie schon in seinen Bewerbungen vage bleiben, ohne Nachfragen zu provozieren. In seiner Antwort schrieb er: „Mit Beginn des Krieges nicht eingezogen, da als Angehöriger der Kriminalpolizei uk. gestellt. Uk-Stellung am 1. September 1941 aufgehoben und zur Truppe nach Russland. Am 15. Juli 1944 wieder uk. gestellt für die Kriminalpolizei Berlin bis 23. August 1944. Am 24. August 1944 UkStellung wieder aufgehoben und wiederum eingezogen bis zum Tage der Kapitulation am 8. Mai 1945. Kriegsgefangenschaft keine.“ 444 Seiner Wortwahl ist zu entnehmen, dass er einen Einsatz bei der Wehrmacht suggerierte. Im Dezember 1957 wurde er mit Wirkung vom 1. Januar 1958 zum Kriminaloberrat ernannt und zum Leiter des Landeskriminalamtes

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Rheinland-Pfalz berufen. Damit hatte Heuser den Höhepunkt seiner Nachkriegskarriere erreicht. Den Weg dahin hatte er sich selbst mit skrupellosen Lügen, Täuschungen und gefälschten und falschen Dokumenten bereitet. Unterstützt wurde er dabei von wohlwollenden ehemaligen Kameraden und Beamten und Behörden, die eher weniger als mehr über seine Vergangenheit wissen wollten. Von allen in dieser Arbeit betrachteten Personen brachte Heuser die größte Energie nicht nur bezüglich seiner Wiedereinstellung, sondern auch im Hinblick auf seine Karriere auf, obwohl er sich mit seinem beruflichen Aufstieg zunehmend exponierte und damit Gefahr lief, dass ehemalige Kameraden, die ihm nicht wohl gesonnen waren, oder sogar Opfer auf ihn aufmerksam wurden. Es muss aufgrund fehlender Beweise Spekulation bleiben, ob Heuser nicht Protektion von höherer Stelle auf alliierter Seite erfuhr. Seine verschwundenen SS-Unterlagen und die verschwundene in Nürnberg angelegte Akte über ihn, die hohe Position, die er erreichen konnte – all das ruft Skepsis hervor. Doch ungeachtet dessen bleibt festzustellen, dass die einstellende Behörde in seinem Fall grundsätzlich und auf ganzer Linie versagt hat. Sich allein auf den Betrug von seiner Seite zu berufen, wie dies später geschah, wird der Realität nicht gerecht. 445 3.3.4.2. Der Fall Fritz Zi. – Wiederverwendung im Geheimdienst? Nicht nur bei der Kriminalpolizei setzte man auf „erfahrene“ Fachkräfte. Mit Manifestierung des Ost-West-Konflikts wurden besonders ehemalige Führungskräfte aus SD und Wehrmacht, möglichst mit Ost- und nachrichtendienstlicher Erfahrung für westliche Militärs und Geheimdienste wertvolle Mitarbeiter. Fritz Zi. brachte nicht nur diese Erfahrung, sondern auch die nötige Persönlichkeit für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit mit. Als Nationalsozialist der ersten Stunde hatte er sich zunächst an einem Juraund VWL-Studium versucht, dieses aber bereits Mitte der 1920er Jahre zugunsten des Journalismus – genauer: des Parteijournalismus – aufgegeben. Denn es waren hauptsächlich parteiamtliche Blätter, darunter auch der Angriff, für die er in verantwortlichen Positionen arbeitete. Nebenbei stieg er zum Redner der NSDAP auf. Ab 1937 arbeitete er hauptamtlich für den SD und lieferte diesem Informationen, die er als Mitarbeiter der Nachrichtenagentur Transocean erhielt. Im Telefonbuchverzeichnis des RSHA von 1944 findet sich der Name Fritz Zi. unter dem Amt VI und damit unter dem SD-Auslandsgeheimdienst verzeichnet. 446 Fritz Zi., Träger des Goldenen Parteiabzeichens und des Silbernen Gau-Ehrenzeichens Berlin, muss als besonders zuverlässig gegolten haben, sonst wäre er 1943 nicht von SSSturmbannführer Hans Friedrich Sohns als Führer eines Teilkommandos des Sk 1005b vorgeschlagen worden. Seine positive Einstellung zum Nationalsozialismus legte er auch nach dem verlorenen Krieg nicht ab; von der

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Kriegsnotwendigkeit wie von der drohenden Gefahr des Kommunismus und der Sowjetunion war er weiterhin überzeugt. Sich selbst betrachtete er mehr als Opfer denn als Täter. Fritz Zi. war extrem selbstbewusst, konnte Lebenslügen problemlos konstruieren und durchhalten, wie er während seines Spruchkammer- und Entnazifizierungsverfahrens gezeigt hatte, und er gefiel sich in der Rolle, einen Sonderstatus zu haben – auch das zeigt sein NS-Lebenslauf. Zusammen ergeben die NS-Vergangenheit Fritz Zi.s, seine politische Einstellung und sein Charakter das Profil eines Mannes, der für westliche Geheimdienste interessant erscheinen konnte und der es sicherlich auch verstand, sich interessant zu machen. Tatsächlich war Fritz Zi. spätestens um das Jahr 1948 von einem westlichen Geheimdienst angeworben worden; er selbst gab das 1968 vor dem Stuttgarter Landgericht gezwungenermaßen zu. 447 Allerdings ist kein konkreter Beweis zugänglich, der eindeutig belegt, für welchen Dienst er tätig war. Indizien legen jedoch die Vermutung nahe, dass Fritz Zi. von seiner Anwerbung um das Jahr 1948 und im Verlauf der 1950er Jahre für den britischen Auslandsgeheimdienst arbeitete. Der Spiegel kam 1968 zu einem anderen Urteil: In einem Artikel über den Prozess gegen Fritz Zi. und Andere vor dem Stuttgarter Landgericht wurde behauptet, er habe bislang für einen bundesdeutschen Nachrichtendienst gearbeitet. Quellen oder Informanten nennt der Verfasser des Artikels nicht. 448 Fritz Zi. selbst sah sich daraufhin gezwungen, seinen bis dahin präsentierten Lebenslauf als Journalist den neuen, öffentlich gewordenen Informationen vor Gericht anzupassen: Er blieb bei seiner bislang vertretenen Darstellung, 1947 in Kiel, wo er nach Entlassung aus der Internierungshaft bei seiner Tante gelebt hatte, und auch nach seinem Umzug nach Hamburg 1948 wieder als Journalist gearbeitet zu haben. Nach und nach hätten sich dann aber Journalismus und eine auslandsnachrichtendienstliche Tätigkeit vermischt, bis er schließlich 1961 fest bei einem Nachrichtendienst „angestellt“ worden wäre. 449 Was der über den Spiegel-Artikel maßlos empörte Fritz Zi. dem Gericht präsentierte, war allerdings einmal mehr nur die halbe Wahrheit. Dass er 1947 in Kiel für das Norddeutsche Echo, die Parteizeitung der KPD, gearbeitet, später jahrelang die norddeutsche Redaktion des Rheinischen Merkur geleitet und daneben bis in die 1960er Jahre Teile des Auslandsteils in den Oberösterreichischen Nachrichten in Linz geschrieben haben will, stimmt so nicht. 450 Richtig war, dass er bis zu seiner Gerichtsverhandlung die Berufsbezeichnung Journalist gebrauchte. Im Journalistenhandbuch von 1955 und von 1960 ist er als Korrespondent eingetragen, 1966 als Korrespondent für ausländische Zeitungen. 451 Falsch ist jedoch, dass er für das Norddeutsche Echo und als Leiter einer norddeutschen Redaktion des Rheinischen Merkur arbeitete. 452 Weder taucht er in Autoren- und Mitarbeiterverzeichnissen auf, noch können sich ehemalige Mitarbeiter aus dieser Zeit an einen Fritz Zi.

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erinnern. 453 Noch schwerer ins Gewicht fällt, dass es nie eine norddeutsche Redaktion des Rheinischen Merkur gegeben hat. Die angebliche Tätigkeit für die Oberösterreichischen Nachrichten ließ sich aufgrund fehlenden Archivmaterials bei dieser Zeitung leider nicht überprüfen. Mitglied des Hamburger Journalistenverbandes scheint er ebenfalls entgegen seiner Darstellung nicht gewesen zu sein, und seine Einzahlungen bei der PresseVersorgungsstelle enden im Juli 1945. 454 Fritz Zi. gab sich demnach als Journalist aus und lieferte unter dieser Tarnung zumindest in den 1950er Jahren allem Anschein nach Informationen an den britischen Auslandsgeheimdienst. Die zeitliche Einschränkung gilt deshalb, weil nur aus diesem Zeitraum CIA-Dokumente über beobachtete Tätigkeiten Fritz Zi.s vorliegen. Zwar gibt es noch CIA-Dokumente aus dem Jahr 1966, sie beziehen sich aber inhaltlich auf die 1950er Jahre. Die These, dass Fritz Zi. für den britischen und nicht für einen anderen westlichen Geheimdienst tätig war, wird allein durch Indizien gestützt. Die zugrunde liegenden Quellen sind vor allem eine CIA-Akte Fritz Zi.s, eine Anfrage des BND bei der Zentralen Stelle in Ludwigsburg sowie die konkrete Aussage eines Zeitgenossen über die Agententätigkeit Fritz Zi.s. Beim BND selbst waren keine Informationen über Fritz Zi. zu bekommen. 455 Gegenüber den Amerikanern hatte ein ehemaliger Untergebener Fritz Zi.s bereits im Oktober 1945 in Dachau Angaben über dessen Tätigkeit beim Sk 1005b gemacht und seinen einstigen Vorgesetzten sehr genau beschrieben. 456 Für Fritz Zi. hatte dies allerdings keine weiteren Folgen. Spätestens Anfang der 1950er Jahre wurde man jedoch bei der CIA auf ihn aufmerksam. Informanten, darunter auch der US-Militärgeheimdienst 457 , lieferten Nachrichten über Fritz Zi. und sein auffälliges Verhalten – höchst unwahrscheinlich also, dass er für den amerikanischen Geheimdienst arbeitete. Eine eigene Akte wurde angelegt und darin festgehalten, was man über sein Leben zu wissen glaubte und was Misstrauen erweckte. 458 Zunächst fiel 1951 auf, dass Fritz Zi. versuchte, Kontakt zu diversen rechten Gruppierungen zu bekommen. Im Falle der sogenannten „Bruderschaft deutscher Offiziere und Soldaten“ gelang ihm das über den Major a.D. Helmut Beck-Broichsitter, zu dem er zu dieser Zeit einen engen Kontakt pflegte. Beck-Broichsitter, ehemaliger Ia des einstigen Generalleutnants der Divison „Großdeutschland“, Hasso von Manteuffel, hatte 1945 in britischer Kriegsgefangenschaft eine „Bruderschaft“ gegründet, deren ideologisches Konzept ein großdeutsches Reich vorsah, das Europa und Russland umfassen sollte. 459 Fritz Zi. selbst, so die Schlussfolgerung der Quelle, sei kein Mitglied der „Bruderschaft“, stünde aber über genannten Beck-Broichsitter in Kontakt mit ihr – was nichts anderes heißt, als dass er über die „Bruderschaft“ informiert war. Diese Verbindung Fritz Zi.s zur „Bruderschaft“ findet sich auch in den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit der ehemaligen DDR wieder: Der 1951 vom Militärtribunal unter anderem

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wegen Spionage für den britischen und den amerikanischen Geheimdienst zum Tode verurteilte DDR-Bürger Helmut S. soll demnach versucht haben, über Fritz Zi., den Ehemann seiner Cousine, Kontakte zur „Bruderschaft“ herzustellen. 460 Die nächsten CIA-Informationen und Schlussfolgerungen über seine Aktivitäten lesen sich folgendermaßen: Neben seiner Verbindung zur „Bruderschaft“ unterhielt Fritz Zi. Beziehungen zu den Anhängern des sich zu dieser Zeit noch im kanadischen Exil befindenden Otto Strasser. Zudem war er ein enger Freund des Vorsitzenden des „Bund für Freiheit“ in Bonn. Gemeint ist damit wahrscheinlich der antikommunistisch ausgerichtete „Bund für Freiheit und Recht“, wie sich ab ca. 1951 der „Bund der Verfolgten des Naziregimes“ (BVN) nannte. Der BVN war eine Gegenorganisation der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) und hatte sich als solcher unter der Initiative von Peter Lütsches, bis dahin Redakteur der VVN-Nachrichten, 1950 in Bonn von diesem abgespalten. 461 Am 17. und 18. März 1951 nahm Fritz Zi. an der Gründungsversammlung des „Deutschen Kongresses für aktive Neutralität“ in Frankfurt am Main teil. Initiiert und geleitet wurde diese Veranstaltung vom Hamburger Publizisten und Redakteur Wolf Schenke. Er hatte im November 1950 in Hamburg die „Dritte Front“ gegründet, eine Organisation, mit der er seinen Vorstellungen einer Neutralitätspolitik für Deutschland Gehör verschaffen wollte. Der „Deutsche Kongress für aktive Neutralität“ sollte nach seinen Vorstellungen alle Neutralitätsbefürworter unter einem Dach vereinen. Nach Angabe des Initiators Schenke waren zwei Teilnehmer britische Agenten: der Kongressteilnehmer Fritz Zi. sei einer der beiden gewesen. 462 Diese Aussage gegenüber dem Autor Rainer Dohse ist die einzige konkrete Nennung des britischen Geheimdienstes als Auftraggeber Fritz Zi.s. Auch im Umfeld der 1950 von Günther Schenke gegründeten antidemokratischen Deutschen Sozialen Partei (DSP) – Unabhängiger Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten – tauchte Fritz Zi. laut CIA-Dokumenten 1951 auf. Und zwar als potentieller Mitherausgeber eines geplanten Informationsblattes, wahrscheinlich an der Seite von Bruno Fricke, der die Abteilung Organisation im Generalsekretariat der Partei leitete. 463 Fricke war als neuer Stellvertreter Otto Strassers im November 1950 aus Paraguay über die Schweiz illegal in die Bundesrepublik gelangt. 464 Anfang 1953 erreichte die CIA die Nachricht, dass Fritz Zi. zeitweise als Korrespondent der in Spanien ansässigen Nachrichtenagentur „Agarthis“, die als Sprachrohr der neofaschistischen Organisation „Oficina Europa de Documentacio“ (OFEDP) betrachtet wurde, gearbeitet hat. Der US-Militärgeheimdienst meldete im Herbst des gleichen Jahres, Fritz Zi. habe eine Person 465 in London in einem Brief nach Reinhard Gehlen und dessen NSVergangenheit gefragt. Gleichzeitig stünde er in schriftlichem Kontakt mit dem Direktor des „United States Commitee Against Militarism“. 1955 hatte

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Fritz Zi. dreimal Kontakt zur Organisation Gehlen, wobei er Informationen erhielt, die er an eine Person 466 weiterleitete, die angeblich ein Buch über die Organisation schrieb. Fritz Zi. hatte demnach von Anfang bis Mitte der 1950er Jahre Kontakte zu Parteien und Organisationen, die – an ihrer Bedeutung gemessen – Randerscheinungen darstellten und nicht dem politischen Zeitgeist folgten. Sie waren in der Mehrheit Sammelbecken für revisionistische, antidemokratische und antikommunistische Kräfte. Dies erklärt, weshalb diese Gruppierungen von der CIA beobachtet wurden und Fritz Zi., der sich selbst aus erster Hand Informationen über diese Gruppierungen beschaffte, ebenfalls in deren Visier geriet. Gerade diese Tatsache macht es höchst unwahrscheinlich, dass Fritz Zi. für die CIA arbeitete. Dass er bei der Organisation Gehlen Informationen abgriff und angeblich einem Buchautor weiterleitete und zudem in London der Vergangenheit Gehlens nachforschte, lässt ebenfalls daran zweifeln, dass er in den Diensten der Organisation Gehlen gestanden hat. Obwohl kein eindeutiger schriftlicher Beweis vorliegt, so ist es doch am wahrscheinlichsten, dass sein Auftraggeber der britische Geheimdienst war. Nach den letzten Dokumenten von 1955 gibt es eine große zeitliche Lücke in der CIA-Akte. Die nächsten Dokumente tragen die Jahreszahl 1966 – zu dieser Zeit ermittelte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft bereits gegen Fritz Zi. wegen seiner Vergangenheit beim Sk 1005b. Die Dokumente aus dieser Zeit belegen ein gemeinsames Interesse von BND und CIA an Fritz Zi. Frühere Erkenntnisse über ihn wurden von der CIA an den BND weitergeleitet, weil man annahm, dass diese Informationen von Sicherheitsinteresse für den bundesdeutschen Nachrichtendienst sein könnten. Vor allem auf die Kontakte Fritz Zi.s mit der Organisation Gehlen 1955 wurde hingewiesen. Der US-Militärgeheimdienst, von der CIA nach allen Erkenntnissen über Fritz Zi. befragt, riet zudem, auch bei den Briten noch einmal nachzuhaken. Ob dies geschah und mit welchem Ergebnis, ist leider nicht bekannt. Beim BND selbst schien man Fritz Zi. ebenfalls als Sicherheitsrisiko zu betrachten und fragte bei der Zentralen Stelle in Ludwigsburg nach, was über Fritz Zi.s Tätigkeiten 1944 im Amt VI A 7 (SD-Ausland, Abteilung des Beauftragten V für SD-(Leit)Abschnitte Mitte) im RSHA bekannt sei. Begründung: Fritz Zi. sei „hier bei einer Sicherheitsüberprüfung in Erscheinung getreten“. 467 Das plötzliche Interesse an der Person Fritz Zi. lag wahrscheinlich in seiner bekannt gewordenen NS-Vergangenheit begründet. Die wahren Hintergründe bleiben allerdings wegen fehlender Quellen Spekulation. Und es ist nicht auszuschließen, dass Fritz Zi. 1961 noch einmal die Seiten gewechselt und eine Anstellung bei einem bundesdeutschen Nachrichtendienst – BND, MAD oder Verfassungsschutz – gefunden hatte. Für die 1950er Jahre sprechen die vorhandenen Quellen aber wie gesagt dafür, dass er für den britischen Auslandsgeheimdienst arbeitete. Als Fritz Zi. in der Hauptverhandlung vor dem Stuttgarter Landgericht 1968 über seine Berufstätigkeit nach

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Kriegsende selbstbewusst versicherte „ich bin absolut in meinem Milieu und Gewerbe geblieben“ 468 , hatte er somit unbeabsichtigt die Wahrheit gesagt, auch wenn er selbst eigentlich einen Beruf als Journalist gemeint hatte.

3.4. Kameradenkontakte Dass die hier besprochenen Täter sich so ohne weiteres an die neuen Gegebenheiten anpassen konnten und sich nicht in einschlägigen rechten Organisationen und Parteien exponierten, heißt nicht, dass es nicht doch noch Verbindungen zu ihrer Vergangenheit gegeben hätte. Während Rudolf Th. beispielsweise ganz bewusst nach 1945 alle Brücken zu seiner Vergangenheit abbrach und keine Kontakte mit ehemaligen Kameraden wollte, unterhielten andere zum Teil systematisch solche Verbindungen, die die Form von Netzwerken annehmen konnten. Solche Verbindungen dienten nicht nur der gemeinsamen Erinnerung vergangener Zeiten; in diesem Netz von Tätern und Mitwissern fanden die Einzelnen auch gegenseitige Absicherung, Unterstützung und Hilfe. Hier konnten politische Ansichten gepflegt werden, die im Auf- und Ausbau demokratischer Institutionen und Strukturen öffentlich ausgesprochen nicht mehr gesellschaftsfähig waren, und hier konnten exkulpatorische Selbstbilder Bestätigung finden. Das, was sie in ihrem Alltag der 1950er Jahre ausblendeten und verschwiegen, das band sie in diesem Kreis zusammen. Und genau deswegen konnten Kameradenkontakte und Netzwerke – darauf wird noch einzugehen sein – auch gefährlich werden. 469 So stand Harder in regem Schriftverkehr mit Personen, mit denen er in Dachau inhaftiert gewesen war. Bereits 1950 erhielt er an seinem neuen und alten Wohnort Frankfurt am Main Besuch von Walter He., seinem alten Kameraden beim Sk 1005, mit dem er auf Gut Trostinez bei Minsk „zusammengearbeitet“ hatte. 470 August Hä., der während des Einsatzgruppenprozesses keinen Hehl aus seinen politischen Ansichten gemacht hatte, stand nach eigenen Angaben bis 1953 in Briefkontakt mit Adolf Jan., ebenfalls Teilkommandoführer beim Sk 4a und an der Ermordung der Kiewer Juden beteiligt. 471 Vielfach stellte er eidesstattliche Erklärungen aus, die ehemaligen Kameraden beim Wiedereinstieg ins Berufsleben helfen sollten. Nicht umsonst erklärte er sich selbst stolz zum „reichseidesstattlichen Erklärungsabgeber“ 472 . Gerhard S. will „zufällig“ seinen ehemaligen Vorgesetzten, Dr. Alfred Filbert, den Führer des Ek 9, in Hannover getroffen und ihn bei dieser Gelegenheit um Hilfe bei der Wohnungssuche gebeten haben. 473 Werner Schö. gebrauchte alte Kontakte vor allem aus seiner Zeit in Österreich erst später, als er vor einer Strafverfolgung flüchtete. Es ist aber anzunehmen, dass er zuvor schon den Kontakt zu seinem einstigen SSKameraden Julius St. in Wien pflegte. Friedrich Me.s Bekanntschaften

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setzten sich aus dem Kreis neuer Kollegen zusammen, die allerdings ebenfalls eine belastende NS-Biografie vorzuweisen hatten und somit als Mitwisser bezeichnet werden können. Eng befreundet war die Familie Friedrich Me. mit Karl-Heinz J., Kriminalkommissar in Düsseldorf und ehemaliger Angehöriger des Ek 5. Auch Gustav M., ebenfalls ehemaliger Angehöriger eines Einsatzkommandos und beschäftigt bei der Kriminalpolizei Dortmund, war ein Freund Friedrich Me.s. 474 Es ist nicht auszuschließen, dass Friedrich Me. beide bereits während der NS-Zeit bei der Kriminalpolizei Dortmund kennen gelernt hatte. Heinrich Win. wurde von einem ehemaligen Kameraden des Sk 11b zu einem ihrer regelmäßigen Treffen nach Frankfurt am Main eingeladen, lehnte jedoch ab. 475 Fritz Zi. muss zumindest zeitweise mit Walter He. in Kontakt gestanden haben, weil er wusste, dass dieser nach 1945 zunächst in Niedersachsen gelebt hatte; auch die Wohnsitze bis 1950 von Hans Sohns, ebenfalls beim Sk 1005 und später mit ihm vor dem Landgericht Stuttgart angeklagt, waren ihm bekannt. 476 Neben diesen vereinzelten Kontakten existierten komplexe Netzwerke. Eines von ihnen ist der weit verzweigte Zusammenhalt, den ehemalige Angehörige des KdS/BdS in Minsk unterhielten und der im Folgenden näher betrachtet werden soll. An ihm lässt sich exemplarisch nachvollziehen, wie Verbindungen nach 1945 hergestellt, gepflegt und vorteilhaft genutzt werden konnten und wie sie ein Teil der Lebenswelt der Täter in der Bundesrepublik wurden. Die zentrale Rolle in diesem Kontaktnetz spielte von Anfang an Georg Heuser. Er knüpfte die bei Kriegsende zum Teil abgerissenen Fäden wieder zusammen und bewegte sie. Gezielt suchte er nach Kriegsende ehemalige Dienststellenangehörige auf, mit denen er bereits in Minsk engeren Kontakt gehabt hatte und die wie er besonders in die Verbrechen involviert gewesen waren. Er musste sich sicher sein, dass keiner der einstigen Kameraden, zu denen er Kontakt aufnahm, ihm gefährlich werden konnte. So fanden sich beispielsweise keinerlei Nachkriegskontakte zwischen Heuser und Richard W., obwohl Richard W. ebenfalls in Minsk und dort mit Rudolf Schl. und Heuser an gemeinsamen Einsätzen beteiligt gewesen war und nach eigenem Bekunden ein gutes Verhältnis zu Heuser gehabt hatte. 477 Keiner der Aufgesuchten oder Angeschriebenen konnte sich erklären, woher Heuser von ihrem Aufenthaltsort wusste und wie er sie gefunden hatte. Auch in den Quellen findet sich keine Erklärung dafür, wie Heuser die betreffenden Personen aufspürte. Darauf bedacht, die Kontrolle über seine Kontakte zu behalten, ließ er sich seinerseits nicht in die Karten schauen und verschwieg meistens seine eigene Adresse. Die Kontakte, die im Folgenden skizziert werden, sind nur diejenigen, die sich aus Vernehmungsprotokollen aus dem Verfahren gegen Heuser, in dem unter anderem auch Karl D., Rudolf Schl. und Arthur Harder angeklagt waren, rekonstruieren ließen und allem Anschein nach zu seinen engeren und zum Teil langjährigen Kontakten gehörten. Es ist wahrscheinlich, dass

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Heuser darüber hinaus punktuell weitere Verbindungen zu anderen ehemaligen Kameraden hatte. Einer der ersten, mit dem er Kontakt aufnahm, war Rudolf Schl., mit dem er eine intensive Freundschaft pflegte, die an Minsker Zeiten anknüpfte. Dort hatte Heuser bereits im Heiratsgesuch von Rudolf Schl. für dessen zukünftige Ehefrau, die er dann doch nicht heiratete, gebürgt. 478 Schon kurz nach Kriegsende suchte Heuser Rudolf Schl. in Neumarkt-Sankt Veit auf und sorgte dafür, dass die Verbindung danach nicht mehr abriss. Zu seinen ersten Nachkriegskontakten gehörte auch Friedrich Merbach, der mit Heuser mit dem Sk 1b von Tosno nach Minsk gekommen war und dort dann dem KdS angehört hatte. Merbachs Ehefrau war bei Kriegsende bei Heusers Eltern in Berlin untergekommen, die ihr dessen Adresse in Goslar gaben. Als sie mit ihrem Mann in Lübeck wieder zusammentraf, konnte dieser wiederum Kontakt zu Heuser aufnehmen. 479 Heuser schlug Merbach daraufhin vor, gemeinsam in Goslar ein Transportunternehmen aufzubauen, was sich dann allerdings als nicht realisierbar entpuppte. Daraufhin bot er Merbach an, ihm eine Stelle in Goslar zu besorgen und verwies auf angeblich ausgezeichnete Kontakte zu britischen Stellen. Aber auch in diesem Fall hatte Heuser wohl mehr versprochen, als er halten konnte, und die erhoffte Stelle blieb für Merbach, der inzwischen nach Goslar gezogen war, aus. 480 Es scheint, als habe Heuser den örtlich engen Kontakt mit Merbach gesucht, weil er einen Mithelfer für seine dubiosen Geschäfte suchte. Allerdings wusste auch Merbach nicht mehr über Heusers Aktivitäten, als dass er öfter abwesend war und sich als Rechtsanwalt ausgab. Ihm war bewusst, dass Heuser auch andere Kameraden aufgespürt hatte, erhielt aber von ihm bis auf die Adresse von Rudolf Schl. keine Anschriften. Beide besuchten sie jedoch gemeinsam in den ersten Nachkriegsjahren zwei weitere Minsker Dienststellenangehörige, Paul Rumschewitz (Angehöriger der Abteilung IV) und Heinrich Eiche (Verwalter des Gutes Trostinetz), die in einem Gartenhäuschen in Neuaubing untergekommen waren. 481 Ihnen erzählte Heuser, er arbeite bei einer englischen Dienststelle, wo er Einsicht in Fahndungsakten hätte und daher wüsste, dass Rumschewitsch und Eiche nicht darauf verzeichnet wären. Heuser aber knüpfte weiter an alten Verbindungen: Noch 1945 hatte er auf dem Weg nach Berlin Artur Wilke, ebenfalls vom KdS/BdS Minsk, der zur Tarnung den Namen seines verstorbenen Bruders angenommen hatte, auf dem Schwarzmarkt in Braunschweig getroffen. Ihm teilte er mit, dass er als Rechtsanwalt in Goslar lebe und – entgegen besseren Wissens –, dass Rudolf Schl. in Prag gefallen sei. Freimütig habe er ihm außerdem erzählt, dass er bei Kriegsende mehrere Monate von einem aus Wien stammenden jüdischen Geschwisterpaar, das in Minsk unter anderem für Heuser gearbeitet hatte, in Wien versteckt worden sei. 482

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1946/47 stattete er in München dem einstigen Dienststellenangehörigen Ulrich Fr. einen Besuch ab, der wiederum Kontakt zum gemeinsamen Kameraden Friedrich Kuhn-Weiß hatte. 483 Kuhn-Weiß war, bevor er zur Abteilung III beim KdS Minsk kam, Büroleiter beim „Zentralverband der Industrie in Böhmen und Mähren“ und in dieser Funktion Vorgänger und Kollege von Hanns Martin Schleyer gewesen. 484 Auch Kuhn-Weiß suchte Heuser Anfang der 1950er Jahre in München auf. 485 Dem einstigen Arbeitskollegen seiner Ehefrau bei der Reichsverkehrsdirektion Minsk, Julius G., schickte Heuser eine Postkarte aus dem Harz. Ernst Mu., der sowohl in Minsk gewesen als auch beim Sk 14 Heusers Fahrer gewesen und mit Heuser bei Kriegsende gemeinsam geflüchtet war, schrieb er 1947 aus Goslar. Josef F. von der Poststelle in Minsk traf er „zufällig“ in Frankfurt am Main, wo er um 1950 auch Heinz Sch., in Minsk Untergebener von Rudolf Schl., in den 1950er Jahren Bezirksdirektor einer dortigen Versicherung, besuchte. 486 1950 traf er in Berlin mit Ilse B., die für die Gestapo in Minsk gearbeitet hatte, zusammen, der er erzählte, unter dem Namen „Dr. Her“ zu leben. Drei Jahre lang standen sie in Briefkontakt, wobei Ilse B. immer nur postlagernd nach Mannheim schrieb. 487 Gezielt hatte Heuser alte Kollegen aufgesucht, sich selbst aber bedeckt gehalten. Daneben gab es aber auch Querverbindungen der ehemaligen Kameraden untereinander. Rudolf Schl. beispielsweise verfügte über einen engen Kontakt zu seinem ehemaligen Untergebenen Theodor Ondrej, der auch nach 1945 weiterhin seiner nationalsozialistischen Überzeugung anhing und 1955 Otto Skorzeny in Spanien besucht haben will. Er gab an, 1954 ein Jahr lang bei Rudolf Schl. gewohnt zu haben. 488 Von Ondrej führten wiederum Verbindungen zu Heuser, den er 1954 in Ludwigshafen besuchte, sowie zu Friedrich Kuhn-Weiß, Ulrich Fr. und Eberhard Strohm, ebenfalls ein Kamerad aus Minsk, der mittlerweile wieder als Anwalt arbeitete und dessen Dienste Ondrej seit 1954 nach eigenen Angaben in Anspruch nahm. Während des Prozesses gegen Heuser und weitere Dienststellenangehörige des KdS/BdS in Minsk war Strohm Heusers Rechtsanwalt, bevor seine Vergangenheit bekannt und er selbst zum Beschuldigten wurde. Zentrale Funktion des Netzwerkes war die gegenseitige Absicherung und Unterstützung. Vor der 1958 einsetzenden Prozesswelle bezog sich dies vor allem auf die Arbeitssuche. So ging Merbach trotz der fundamental veränderten Situation nach Kriegsende davon aus, dass Heuser immer noch bzw. bereits schon wieder über eine Position verfügte, die es ihm ermöglichte, ihm eine Arbeit zu verschaffen. Womit er letztlich nicht falsch lag, denn 1954 konnte ihm Heuser tatsächlich eine Stelle in einer Ludwigshafener Isoliermittelfabrik vermitteln. 489 Auch Rudolf Schl., mit dem ihn eine besonders enge Freundschaft verband, die auch die beiden Ehefrauen einschloss, profitierte von der Verbindung zu Heuser und dessen Rückkehr zur Kriminalpolizei, war es doch Heuser, der ihm eine Referenz für seine Be-

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werbung bei Daimler-Benz ausstellte. Ondrej wiederum nutzte bei der Suche nach Arbeit seinen Kontakt zu Kuhn-Weiß, der ihn als Vertreter bei seiner Münchner Firma für Industrieschmierstoffe einstellte. 490 Gerade weil die Kontakte auf der gemeinsamen Vergangenheit und damit auf gemeinsam begangenen Verbrechen aufbauten, weil sie Täter und Mitwisser umfassten, gingen die Beteiligten selektiv vor. Ihre Verbindungen untereinander waren Teil des biografischen Abschnitts, der ihre neuen Existenzen in der Bundesrepublik zerstören konnte und fanden aus diesem Grund parallel zu ihrem neuen Leben mit neuen Positionen statt. Kontakte konnten gefährlich werden und wurden deshalb mit Vorsicht gehandhabt. Als sich Heuser in der Funktion als Leiter der Kriminalpolizei Kaiserslautern und der Kaiserslauterner Staatsanwalt Willi Foge, der 1942/43 beim Gericht in Minsk tätig gewesen war, Mitte der 1950er Jahre im Dienst begegneten, da – schenkt man der Aussage des Staatsanwaltes Glauben – ließ sich keiner der beiden anmerken, dass sie sich mindestens dem Namen nach aus Minsk bekannt waren. 491 Besonders brisant wurde die Situation, als 1958 mit dem Ulmer Einsatzgruppenprozess die Bedrohung durch weitere Ermittlungen realistisch wurde. Die Kontakte wurden daraufhin nicht nur konspirativer, sondern auch gefährlicher. Vergeblich versuchte Rumschewitz 1958, Heuser zunächst in Goslar, dann in Ludwigshafen und schließlich in Koblenz ausfindig zu machen. Seiner schriftlichen Bitte, ihm wegen Rentenansprüchen seine Verwundung zu bezeugen und ihm bei der Suche nach einer neuen Arbeitsstelle zu helfen, kam Heuser nicht nach, weshalb Rumschewitz persönlich beim Landeskriminalamt Koblenz erschien und Heuser zu sprechen verlangte, ihn aber nicht antraf. Er hätte sich keinen ungünstigeren Zeitpunkt für seine Kontaktaufnahme suchen können. Heuser war durch den Prozess in Ulm und drohende folgende Ermittlungen alarmiert und ließ Vorsicht walten. Im Frühjahr 1959 verabredete er während einer Dienstreise mit Kollegen ein heimliches Treffen mit Rumschewitz in Salzdethfurt. Vor einem Jahr, sagte ihm Heuser, hätte er ihm vielleicht noch helfen können, da hätte es noch besser ausgesehen, aber „jetzt ginge alles schief“ 492 und entschuldigte sich, dass er ihm nicht helfen könne. Die politische und gesellschaftliche Situation wandelte sich. Doch wandelte sich auch die Situation für die Täter? Und wie reagierten sie darauf?

3.5. Zusammenfassung Es war die soziale Unauffälligkeit der Täter, ihre Angepasstheit sowie das politische und gesellschaftliche Klima der 1950er Jahre, die ihnen ihre berufliche und soziale Reetablierung ermöglichten. Ihre Lebenswelten glichen denen vieler anderer Deutscher. Sie waren angekommen in der Bundesrepublik, angekommen in der Mitte der Gesellschaft. Die Berufe, in

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denen sich die hier betrachteten NS-Täter etablierten, waren nicht nur Tätigkeiten, die dem Gelderwerb dienten; sie entsprachen mehrheitlich ihren Wünschen nach beruflicher Selbstverwirklichung. Während die einen ein überschaubares, zurückgezogenes und unauffälliges Leben wählten, suchten andere bewusst den beruflichen Aufstieg, der Heuser als Leiter des LKA Rheinland-Pfalz zum Beispiel wieder in eine öffentliche und exponierte Position brachte. Rudolf Th., August Hä., Heinz Ta. oder Theodor Gr. tauchten hingegen geradezu ab in kleinstädtische Normalität: August Hä. in seinem bald schon eigenen Handwerksbetrieb und Weinladen, Theodor Gr. handelte in Norddeutschland mit Textilien, Heinz Ta. arbeitete bei ein und derselben osthessischen Firma beständig als Dreher, und Rudolf Th. stieg bei der Obst- und Gemüseverwertung Hohenlohe-Franken vom Kaufmann bis zum Versandleiter und Leiter der Produktionsüberwachung auf. Während er seiner Frau, die er erst nach 1945 geheiratet hatte, nichts aus seiner NS-Vergangenheit erzählte, darf man Heusers Frau als informiert betrachten; schließlich hatte sie selbst in Minsk gearbeitet. Schaut man sich weitere Beispiele an, zeigt sich, dass sie sich ihrem persönlichen Ehrgeiz und ihrer Ausbildung entsprechend beruflich etablierten und von ihren Arbeitgebern geschätzt wurden. Wilhelm E. versah unauffällig seinen Dienst bei der Polizei, „pflichtbewusst“, „gewissenhaft“, „bescheiden“, und in der Funktion als Waffen- und Gerätewart „pedantisch genau“. 493 Er sei, urteilten seine Vorgesetzten, „noch ein Beamter alter Schule, der dienstliche Dinge immer in den Vordergrund stellt“ 494 . Damit war er der pflichtbewusste und „brauchbare Vollzugsbeamte“ geblieben, den bereits seine Vorgesetzten 1939 in ihm gesehen hatten. 495 Eingestellt 1955 als Polizeihauptwachtmeister, wurde er ein Jahr darauf Polizeimeister und 1961 Polizeiobermeister. Noa, zunächst freier Redakteur beim Gießener Anzeiger, bekam 1959 eine Stelle als Redakteur angeboten. Bei der Firma Carl Zeiss schätzte man Schmidt-Hammer und setzte ihn ab 1953 zusätzlich wegen seines „selten ausgeglichenen Wesens“ und „einer charaktervollen Haltung in allen Fragen der Lebensauffassung“ 496 als Vertreter ein. Mit dem Ausbilder der kaufmännischen Lehrlinge, Rudolf Schl., war man ebenfalls zufrieden. 497 Heinrich Win. arbeitete wieder als Jurist bei einem Wirtschaftsprüfer, dann für ein Unternehmen, bevor er sich 1963 als Wirtschaftsjurist selbständig machte und schließlich 1967 seine eigene Kanzlei eröffnete. Karrieren wurden bei der Kriminalpolizei gemacht und zwar von denen, die sich auch vorher bereits ehrgeizig gezeigt hatten und Führungserfahrung aus dem Nationalsozialismus mitbrachten. Zu ihnen zählten vor allem Heuser und Friedrich Me.; aber auch Walter He., der 1954 als Kriminalkommissar eingestellt worden war, wurde rund zwei Jahre später zum Kriminaloberkommissar befördert. In einer ersten Beurteilung betonte man sein „umfassendes Fachwissen“ 498 , seine Entschlussfreudigkeit und hielt ihn insgesamt

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für einen „überdurchschnittlichen Kriminaloberbeamten“ 499 . Man könnte es als Zynismus der Geschichte betrachten, dass seine Vorgesetzten zwei Jahre später vermerkten, dass er ein guter Pistolenschütze sei. 500 Friedrich Me. war bereits 1950 wieder Beamter auf Lebenszeit geworden, 1956 erhielt er die Beförderung zum Kriminalhauptkommissar. Im selben Jahr ging er als Lehrer an das Polizeiinstitut Hiltrup, wo er nicht nur Polizisten aus dem gesamten Bundesgebiet, sondern auch Sicherheitskräfte aus Afghanistan, Iran und China ausbildete. Seine eigene Aussage, in diesem Zusammenhang auch mit dem BND und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) in Kontakt gestanden zu haben, konnte nicht verifiziert werden. 501 Sicher ist jedoch, dass die afghanischen Teilnehmer auch vom BND in München ausgebildet wurden und auch in diesem Fall Münster als Verbindungsstelle diente. 502 Den Höhepunkt seiner Karriere erreichte Friedrich Me. 1960 mit der Ernennung zum Kriminalrat. In ihr privates Umfeld waren sie ebenfalls eingebettet, auch wenn das nur selten konkret aus den Quellen hervorgeht. Richard W. beispielsweise war in seiner Freizeit Jäger und trainierte die Handball- und Fußballsparte des Sportvereins Calw und des VfL Stammheim. Nichts weist darauf hin, dass sie sich parteipolitisch und schon gar nicht in rechten Parteien betätigten, was kontraproduktiv gewesen wäre. Einzig von Gerhard S. ist bekannt, dass er sich in der Kommunalpolitik seines neuen Wohnortes engagierte. Selbst aus Magdeburg stammend, stellte er sich an die Spitze der in Schwanenwede lebenden Flüchtlinge und Vertriebenen und organisierte eine Initiative zum Selbstwohnungsbau, aufgrund der er 1950 in den Bauausschuss des Landkreises berufen wurde. 1952 trat er dem BHE bei, wurde in den Gemeinderat gewählt, gehörte gleichzeitig als Abgeordneter des BHE dem Kreistag an und bekleidete das Amt des zweiten stellvertretenden Landrats. 503 Gerhard S. strebte offensichtlich nach Positionen, in denen er Einfluss nehmen konnte, während er parallel dazu versuchte, wieder in den Staatsdienst zurückzukehren. Seine Vergangenheit schien er dabei nicht zu fürchten, sonst hätte er sich nicht auf diese Weise exponiert. 1954 bewarb er sich, wenn auch erfolglos, gleich auf zwei vakant gewordene Stellen, auf die des Stadtdirektors in Osterholz-Scharmbeck und die des Oberkreisdirektors. Überdies hatte er das Amt des Elternratsvorsitzenden der örtlichen Schule übernommen. 504 Von einem Rückzug kann man im Fall Gerhard S. daher nicht sprechen. Wenn die meisten Quellen auch wenig über konkrete Einbindungen der Betroffenen in das örtliche soziale Leben enthalten, so kann doch vor allem mit Blick auf die späteren Solidaritätsbekundungen für die Betroffenen aus ihrem Umfeld heraus ohne Zweifel geschlossen werden, dass sie sich sowohl in ihrem beruflichen als auch in ihrem privaten Umfeld erfolgreich integriert und etabliert hatten, die einen wie Heuser in exponierten Positionen, die anderen ganz zurückgezogen in unauffälliger Normalität. Doch

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wirklich sicher fühlen konnte sich keiner von ihnen, auch Heuser nicht, der nicht umsonst sein Netzwerk alter Kameraden pflegte. Mit Abschluss der Entnazifizierung hatte die Bundesrepublik ihren Frieden nicht nur mit den Mitläufern, sondern auch mit den NS-Tätern und Kriegsverbrechern gemacht. Politisches und gesellschaftliches Klima gingen konform und kamen den Tätern in ihrem Bestreben, in dieser Gesellschaft aufzugehen, entgegen – sehr weit entgegen, blickt man auf die Gesetzgebung zum Artikel 131 GG. Durch Internierung und Spruchkammerverfahren, das zeigte sich in dieser Phase deutlich, waren ihnen keine Nachteile entstanden. Formelhaft, das haben die Beispiele gezeigt, war die Überprüfung bei der Bewerbung für den Wiedereintritt in den öffentlichen Dienst, und dort, wo sie wie im Fall Gerhard S. griff, fand sich durch Protektion schließlich doch noch ein Weg hinein in den Staatsdienst. Es gab kaum einen Wiedereinstieg, der nicht auf einer Täuschung beruhte, und auf der Gegenseite ließ man sich „täuschen“, nicht, weil man etwa nichts von den Einsätzen und Aufgaben der Polizei und Kripo gewusst hatte, sondern gerade weil dieses Wissen vorhanden war, es miteinander verband. Problematisch konnte es nur werden, wenn die Belastung des Bewerbers zu offensichtlich war oder er sich während des Nationalsozialismus nicht solidarisch innerhalb der eigenen Gruppe verhalten hatte. Als Indiz, wie weitgehend eine Selbstentschuldung bereits gewirkt hatte, können die Schreiben gelten, mit denen eine Rückkehr in den Kriminaldienst geradezu eingefordert wurde. Das Beispiel Heusers, das durch zweierlei Karrieren, eine in der Diktatur, eine in der Demokratie auf erschreckende Weise hervorsticht, ist die Antwort auf die von Wildt in den Fokus gerückte Frage nach dem „Typus des SD-Akademikers, dessen Kompetenzen für die Durchsetzung des NSRegimes ebenso von Vorteil waren wie für den Aufbau der Bundesrepublik“ 505 . Ob sie tatsächlich von Vorteil war, mag dahingestellt sein; gewichtiger dürfte wiegen, dass zumindest kein Nachteil erwartet wurde. Nicht alle griffen zu diesem Mittel. Wie unter anderem das Beispiel Rudolf Th. gezeigt hat, gab es durchaus Fälle, in denen die Furcht vor Aufdeckung der persönlichen NS-Vergangenheit so groß war, dass bewusst auf eine Wiederbewerbung für den Staatsdienst verzichtet wurde. Wer diesen Schritt nicht wagte, der fand sein Auskommen in der Selbständigkeit oder in der Privatwirtschaft. Hier brauchten die Täter keinen zu täuschen, mehr noch, sie konnten sich auf früher erlernte Berufe, im Fall von SchmidtHammer sogar auf einen ehemaligen Arbeitgeber, stützen. Wer in seine Heimatgemeinde zurückkehren konnte, wurde vielleicht nach vielem, aber auf keinem Fall nach seiner individuellen Vergangenheit gefragt. Für die Integration und Reetablierung der Täter war zum einen die eingangs erwähnte übereinstimmende Haltung innerhalb der Bevölkerung, aber auch der Politik gegenüber der nationalsozialistischen Vergangenheit verantwortlich, explizit der Geschichts- und Täterbilder, die es verhinderten,

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„Täterspuren“ 506 in ihrem Umfeld zu realisieren. Andererseits gewährleisteten die auf spätes Kaiserreich und die Friedensjahre des Nationalsozialismus rekurrierenden Werte- und Ordnungsvorstellungen einer sich in die Privatheit der Familie zurückziehenden Gesellschaft die Rückkehr der Täter in ihre Mitte. Sie trafen sich in dem Wunsch und dem Streben nach „Normalität“, nach Sicherheit und mit deren zunehmender Realisierung ebenso in bürgerlichen Wertvorstellungen, die Arbeit, Fleiß, Ordnung, Disziplin und Wertschätzung der Familie betonten und die es den Tätern so einfach machte, „anständig“ zu erscheinen. 507 Solange das entpolitisierte Konzept von Bürgerlichkeit mehrheitsfähig und unangetastet blieb und von der Politik gestützt wurde, solange konnte eine Schlussstrichmentalität gelebt werden. Als sich das gesellschaftliche und politische Klima aber zu verändern begann, als aus dem Konsens Konflikte wurden, geriet die kleinbürgerliche Welt der Täter in Bewegung.

Strafrechtliche Verfolgung – Endpunkt der Integration? 1. Die strafrechtliche Verfolgung der Täter im Kontext der späten 1950er und der 1960er Jahre Nie hatten sich die Täter völlig sicher sein können, auch nicht in der Phase ihrer sozialen Reetablierung, die, betrachtet man die alten und neuen Staatsbediensteten, auf verständnisvollem Schweigen und Täuschungsmanövern beruhte. Solange sie sich auf die vorherrschende gesellschaftliche Entpolitisierung, eine Schlussstrichmentalität im Umgang mit der jüngsten Vergangenheit und des Stillstands in Sachen NS-Strafverfolgung zwischen 1951 und 1959 verlassen konnten, mussten sie nur den Zufall fürchten. Im letzten Drittel der 1950er Jahre kam nicht nur in die juristische Strafverfolgung von NS-Gewaltverbrechen Bewegung, auch die politischen und gesellschaftlichen Dispositionen, die zur Reetablierung der NS-Täter beigetragen hatten, begannen sich zu ändern. Diese Wandlungs- oder Lernprozesse, die in den späten 1950er Jahren einzusetzen begannen, vollzogen sich sukzessiv in den verschiedenen Gesellschaftsbereichen. Ihr herausragendes Charakteristikum ist ein Nebeneinander von Ungleichzeitigkeiten, von Beharren und Veränderung. Auch wenn sich Umbrüche in Mentalitäten nur schwer fassen lassen und selten allein auf singuläre Ereignisse zurückzuführen sind, so wirkten doch einzelne Ereignisse durchaus als Impulsgeber. 1 Als symbolisches Zäsurjahr gilt Gallus, aber auch Metzler, das Jahr 1957: Adenauer habe sich mit dem Wahlsieg von 1957 auf dem Zenit seiner Macht befunden, die Westbindung der Bundesrepublik sei institutionell, aber auch „sicherheitspolitisch-militärisch“2 gefestigt gewesen, und schließlich sei mit der Einführung der dynamisierten Rente ein optimistisches, zukunftorientiertes Signal gesetzt worden. 3 Sicherheit und Stabilität, die bis dahin grundlegenden Ziele der Regierungsverantwortlichen, waren in den Bereichen Innen-, Außen- und Sozialpolitik gegen Ende des Jahrzehnts erreicht. Mit zunehmendem Wohlstand und dem Gefühl privater Sicherheit verloren die einst Halt und Orientierung gebenden Rückbezüge auf die wilhelminische Zeit ihre Funktion und wirkten, wie Wolfrum bemerkt, zunehmend kontraproduktiv. 4 Die westdeutsche Gesellschaft bedurfte, so das Fazit Herberts, nicht mehr der Stützung durch das „Korsett der Orientierung an den Leitbildern der Jahrhundertwende“ 5 , vor allem, weil letztere unaufhaltsam von den tatsächlichen Lebensweisen überholt wurden. 6 In der sich herausbildenden Konsum- und Freizeitgesellschaft betrachteten 1959 in einer Umfrage 42% der befragten Deutschen ihre aktuelle Lebenssituati-

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on als beste im Vergleich zum Kaiserreich (bis 1914) und den „Friedensjahren“ des Nationalsozialismus; 1963 bewerteten zwei Drittel der Befragten bereits die Gegenwart als beste Zeit. 1951 war die Antwort noch anders ausgefallen: Nur 2% hatten sich für die Gegenwart ausgesprochen, jeweils fast die Hälfte der Befragten hatte geantwortet, dass es ihnen in der Kaiserzeit vor dem Ersten Weltkrieg bzw. während des Nationalsozialismus bis 1939 am besten gegangen sei. 7 Lebensstile begannen sich, nicht zuletzt auch durch den Einfluss der Medien, zu ändern. Dahrendorf konstatierte 1966: „Disziplin, Ordnungsliebe, Unterwürfigkeit, Sauberkeit, Fleiß, Genauigkeit und all die anderen Tugenden, die sich viele Deutsche in einem Nachhall der Erinnerung an vergangenen Glanz noch zuschreiben, haben schon einem sehr viel ungebundeneren Satz von Werterhaltungen Raum gegeben, unter denen wirtschaftlicher Erfolg, ein hohes Einkommen, die Ferienreise und das neue Auto eine sehr viel größere Rolle spielen als vergangene Tugenden. […] Es ist eine sehr stark individualisierende Wertewelt entstanden.“ 8 Was er beschrieb, war die Kluft oder der Konflikt zwischen den Werte- und Ordnungsvorstellungen, die kennzeichnend für das habituelle Konzept von Bürgerlichkeit, so, wie es Conze versteht, in den 1950er Jahren gewesen war, und denen, die sich durch westliche Einflüsse ergaben. 9 Mit der Entspannung in Sicherheitsfragen wurde der in den 1950er Jahren vorherrschende Hang zum Konsens gegen Ende des Jahrzehnts abgelöst vom Konflikt und zwar im Bereich des Politischen wie im Bereich gesellschaftlich-sozialer Konventionen. 10 Christina von Hodenberg hat am Beispiel der Medien nachgewiesen, dass sich Ende der 1950er Jahre eine Wende vom Kompromiss zur Kritik, zur kritischen Öffentlichkeit vollzog. 11 Im Journalismus hielt mit einer neuen Generation an Journalisten die kritische Berichterstattung über politische Entscheidungen und ihre Verantwortlichen Einzug. Aktiv brach sie einen bis dahin bestehenden Stillhaltekonsens auf. Sie sensibilisierte die Öffentlichkeit für politische Themen und Kontroversen. Sie schuf und bediente auf der Seite der Bürger ein entstehendes politisches Interesse und trug maßgeblich dazu bei, dass sich eine kritische Öffentlichkeit sowie ein neues staatsbürgerliches Verständnis entwickeln konnte. Dass sich unter diesen Vorzeichen auch die Handlungsmöglichkeiten für die Politik veränderten, bekam Adenauer 1960 zu spüren, als er mit seinem Vorstoß, ein regierungstreues „Deutschlandfernsehen“ einzurichten, vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte. Stattdessen startete das Magazin „Panorama“ mit seiner scharfzüngigen Kritik. Und auch Franz Josef Strauß musste 1962 erfahren, dass sich sein Zugriff auf die Berichterstattung des Spiegel in der „Spiegel-Affäre“, der Gallus eine Symbolwirkung attestiert 12 , letztlich gegen ihn wendete. Wolfrum spricht treffend von einer Zeit, „in der sich gleitende Übergänge und Gärungen abwechselten und in der sich Veränderungsimpulse wechselseitig verstärkten“ 13 .

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Die Heterogenisierung der bundesdeutschen Gesellschaft, die nach und nach in unterschiedlichsten Gesellschaftsbereichen einsetzenden und wirksam werdenden Liberalisierungsprozesse 14 , die wiederum einen Mangel an Liberalität anklagten, kollidierten mit der politischen und sozialen Verfasstheit der Bundesrepublik der 1950er Jahre. „Die Ideen einer homogenen Einheit“, konstatiert van Laak im Hinblick auf diese Entwicklung in den 1960er Jahren, „waren gegenüber den Formen des Politischen, die den Pluralismus des Politischen nicht mehr bestritten, endgültig unrealistisch geworden.“ 15 Für Eckart Conze sind diese wachsenden Spannungen in der westdeutschen Gesellschaft ein „Indikator für jene Fundamentalliberalisierung, die institutionell schon 1949 angelegt war, die aber erst auf der Basis materiellen Wohlstands und politischer Stabilität mit dem beginnenden Wechsel der Generationen und im wachsenden Abstand zum Nationalsozialismus an Dynamik gewann“ 16 . Dass sich die Möglichkeiten dessen, was sagbar und durchsetzbar war, verändert hatten, wurde beispielsweise auch den Kreisen im Bundeskriminalamt bewusst, die Anfang der 1960er Jahre einsehen mussten, dass ihr Wunsch nach Einführung einer vorbeugenden Schutzhaft nicht mehr durchzusetzen war. 17 Tradierte Sicht- und Arbeitsweisen wurden in Frage gestellt, so zum Beispiel im Jugendstrafrecht, in der Psychiatrie und im Bildungswesen und schufen mittelfristig einen Reformdruck. 18 Auch in den Umgang mit dem Nationalsozialismus kam zu dieser Zeit Bewegung: Die Furcht der integrierten NS-Täter vor dem Zufall wurde 1958 abgelöst von der Furcht vor systematischen Ermittlungen in Sachen NS-Gewaltverbrechen. Von der Politik waren bis dahin ganz andere Signale ausgesandt worden, hatte sich doch der Bundestag geweigert, den einschränkenden Artikel der „Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten“, die am 15. Mai 1953 für die Bundesrepublik in Kraft trat, zu ratifizieren, der ein Verbot rückwirkenden Strafens einschränkte, wenn es sich um rückwirkendes Strafen eines Unrechtsregimes handelte. 19 Die im Verlauf der Untersuchung im Ulmer Einsatzgruppenprozess, vor dem sich bereits Schmidt-Hammer zu verantworten hatte, zusammengetragenen Dokumente machten nicht nur deutlich, dass große Verbrechenskomplexe bislang ungeahndet waren, sie lieferten auch weitere Namen von Dienststellen, Einheiten und den ihr angehörenden Personen. Als Resultat dieser Erkenntnis und auf Initiative des badenwürttembergischen Generalstaatsanwalts Erich Nellmann und des Staatsanwalts Erwin Schüle, wurde auf der Justizministerkonferenz im Oktober 1958 die Einrichtung einer „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Gewaltverbrechen“ beschlossen. 20 Dabei dürfte die Legitimitätskrise, in der sich die nicht entnazifizierte bundesdeutsche Justiz Ende der 1950er Jahre befand, keine geringe Rolle gespielt haben. 21 Systematisch sollten nun NS-Verbrechen aufgeklärt und

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die Täter von den zuständigen Staatsanwaltschaften strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Als problematisch erwies sich im Vorfeld, die zu ermittelnden Tatkomplexe zu definieren; zu allgemein und verschleiernd war bislang immer von „Kriegsverbrechen“ gesprochen worden, und in der Diskussion dieses Punktes wirbelten auf der Justizministerkonferenz die Begriffe Kriegsverbrechen, KZ-Verbrechen, Judenerschießungen durcheinander bei der Suche nach einer gemeinsamen Verständigung auf die Sachverhalte, denen sich die Vorermittlungsbehörde annehmen sollte. 22 Im Gründungsstatut wurde der Ermittlungsauftrag der Zentralen Stelle Ludwigsburg schließlich auf nationalsozialistische Gewalttaten, die außerhalb des Bundesgebietes verübt worden waren, eingeschränkt und Kriegsverbrechen, d.h. Wehrmachtsverbrechen, und Vergehen der NS-Justiz ausgeklammert. Die Arbeit der Vorermittler in Ludwigsburg und der Staatsanwälte, an die die Komplexe verwiesen wurden, stieß auf wenig Sympathie, dafür auf umso mehr Kritik und auch Ermittlungssabotage. Was die zu bearbeitenden Tatkomplexe betraf, beschritten die Strafverfolger Neuland; die zeitgeschichtliche Forschung folgte ihr und nicht umgekehrt. Politisch betrachtet, war an die Einrichtung der Zentralen Stelle zunächst die Hoffnung einer schnellen Abwicklung des Themas geknüpft. Dass die folgenden NS-Prozesse nicht nur Resultat, sondern vielmehr Impulsgeber eines gesellschaftlichen Wandlungsprozesses werden sollten, war weder beabsichtigt gewesen, noch vorausgesehen worden. Gleichzeitig leitete die Gründung der Zentralen Stelle einen rechtspolitischen Paradigmenwandel im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit in der Bundesrepublik ein, der immer wieder neu durchgesetzt und bestätigt werden musste, wie ein kurzer Blick auf den Umgang mit anstehenden Strafverjährungen zeigt. Im Mai 1960 verjährten Totschlagsdelikte aus der NS-Zeit; ein Gesetzentwurf der SPD, wonach der Beginn der Verjährungsfrist auf den 16. September 1949 verschoben werden sollte, wurde vom Rechtsausschuss abgelehnt. 23 Auf diesen Termin hatte ursprünglich Werner Schö. während seiner Flucht vor der bundesdeutschen Justiz spekuliert, weil er irrtümlich davon ausgegangen war, dass man ihm maximal Totschlag vorwerfen könnte. 24 1965 drohten Morddelikte aus der NS-Zeit zu verjähren; gleichzeitig stand für die Mitarbeiter der Zentralen Stelle nach einem Besuch im polnischen Justizministerium und im Jüdischen Historischen Institut Warschau fest, dass das vorhandene Material bis dahin nicht aufgearbeitet werden konnte, um in allen Fällen eine Unterbrechung der Verjährungsfrist bis Mai 1965 zu erreichen. Nicht unterschätzt werden sollte in diesem Zusammenhang die internationale Aufmerksamkeit, die die Strafverfolgung von NS-Gewaltverbrechen auf sich gezogen hatte. Statt einer grundsätzlichen Entscheidung wählte man im Bundestag eine, die das Problem zeitlich verlagerte, indem der Beginn der Verjährungsfrist auf 1949 heraufgesetzt und somit das Verjährungsproblem bis 1969 verschoben wurde. Aber auch 1969

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war kein Ende der Ermittlungen in Sicht, und entgegen der Forderung der Bundesregierung nach einer Aufhebung der Verjährung von Mord und Völkermord beschloss der Bundestag am 26. Juni 1969, dass Mord nach 30 Jahren verjähren sollte. Erst zehn Jahre später wurde die Verjährung von Mord prinzipiell aufgehoben. Gezielt unauffällig versteckt im Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeiten-Gesetz beschloss der Bundestag 1968 eine folgenschwere Gesetzesänderung, nach der zukünftig Totschlag und Beihilfe zum Mord nach 15 und nicht mehr nach 20 Jahren wie bisher verjährten, sofern nicht Beihilfe zum Mord aus niederen Beweggründen nachgewiesen werden konnte. De facto waren damit alle Beihilfetaten verjährt, bei denen die Verjährung nicht vor 1965 unterbrochen und keine niederen Beweggründe nachgewiesen werden konnten. Das eingeleitete Verfahren gegen die Entscheidungsträger im RSHA scheiterte genau daran, weitere Verfahren gegen NS-Größen, aber auch gegen „kleine“ Täter wurden dadurch verhindert. 25 Die Art und Weise, wie diese Gesetzesänderung zustande kam, dass interessierte Kreise, wie mit Ulrich Herbert 26 vermutet werden darf, das Gesetz strategisch aus dem Kontext der NS-Thematik herausgenommen und unverdächtig platziert hatten, zeigt, dass sich das gesellschaftliche Klima seit Ende der 1950er Jahre erheblich geändert hatte. Eine Sensibilisierung gegenüber dem Thema Nationalsozialismus hatte es bereits Ende der 1950er Jahre gegeben, allerdings war sie formelhaft und bewusst unkonkret geblieben. Die NS-Prozesse trugen nun konkrete Verbrechen durch die ausführliche Berichterstattung in den Medien direkt als Diskurs in die Gesellschaft hinein. Die Taten der Angehörigen der Schutzpolizei Memel schreckten die Öffentlichkeit auf, der Jerusalemer Prozess gegen Eichmann wurde ausführlich behandelt, auch der Frankfurter Auschwitz-Prozess, bei dem die große Tagespresse über alle 183 Verhandlungstage berichtete, schockierte – und das hauptsächlich, weil es in den Prozessen nicht nur um die Verurteilung der Angeklagten ging, sondern weil konkrete Verbrechen und Abläufe rekonstruiert, weil historische Sachverhalte präsentiert und durch historische Gutachten legitimiert wurden. 27 Abseits dieser großen Prozesse setzte relativ schnell wieder Desinteresse an der strafrechtlichen Verfolgung und den behandelten Tatkomplexen ein. Während der Auschwitz-Prozess mit der parallel dazu in der Paulskirche gezeigten Ausstellung „Auschwitz – Bilder und Dokumentation“ auf großes öffentliches Interesse stieß, war es beim Wuppertaler Prozess gegen Walter He. umso geringer; die Zuschauerzahl stieg allerdings signifikant an dem Verhandlungstag, an dem Hans Globke als Zeuge gehört wurde. 28 Es waren vor allem der Eichmann-Prozess in Jerusalem und der Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main, die eine Medialisierung des Nationalsozialismus bewirkten. In dieser Hinsicht wirkten die Prozesse zweifellos dynamisierend. Sie warfen Fragen auf nach dem „Verbleib der zahlreichen anderen, für die Entrechtung, Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden verant-

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wortlichen Täter und Mittäter und deren Helfershelfer in den Amtsstuben der Ministerien und Behörden“ 29 . Dennoch darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Berichterstattung noch immer alte Sichtweisen, Entschuldigungsstereotype und Täterbilder vorherrschten. So galt einem Autor der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Eichmann als Teil einer „SS-Verschwörung“ und wurden vor allem Täterinnen, zumeist KZ-Aufseherinnen, als dämonische Einzelpersonen dargestellt, pathologisiert und sexualisiert, um auf diese Weise eine Distanz zu ihnen zu erleichtern. 30 Gerade im Zusammenhang mit dem AuschwitzProzess setzte sich eine Lesart durch, die die Industralisierung des Massenmordens betonte, den Blick auf ein System richtete und die Täter zu Rädchen in der Maschine degradierte. Eine „breite gesellschaftliche Beschäftigung mit der Zeit des Nationalsozialismus“, wie Harald Biermann sie für den Beginn der 1960er Jahre feststellt, resultierte daraus jedoch nicht. Eine solche Einschätzung hieße, die zweifellos vorhandenen medialen Aktivitäten auf die Gesellschaft zu übertragen. Richtig ist, dass das Thema NSVergangenheit sich an der Wende der 1950er zu den 1960er Jahren parallel zur Strafverfolgung auch auf anderen Gebieten in die Gegenwart drängte, zumeist als Skandal: Personelle Kontinuitäten an Universitäten wurden von Studenten angeklagt, die DDR verwies in ihren Braunbüchern ebenfalls auf NS-Personal in verantwortlichen Positionen in der Bundesrepublik, die Höß-Erinnerungen wurden veröffentlich, Böll und Grass verarbeiteten gesellschaftskritisch das Thema Nationalsozialismus in den Werken „Billard um halb zehn“ und „Die Blechtrommel“, die Kölner Synagogenschmierereien lösten im In- und Ausland Empörung aus. 31 Diese punktuellen Ereignisse stießen auf unterschiedliches Interesse bei der breiten Gesellschaft und wurden unterschiedlich bewertet; Interesse, Informationsbedürfnis, Abscheu und Abwehr existierten nebeneinander. Eine Gesellschaft thematisierte sich plötzlich selbst. Die zunehmende Verdichtung der Präsenz der NS-Thematik in der Öffentlichkeit allein bewirkte noch keine radikale Veränderung der gesellschaftlichen Mentalität hinsichtlich der Denkmuster, mit denen Verbrechen und Tätern begegnet wurde. Vor allem deshalb nicht, weil sie im Zusammenhang mit den NS-Verfahren die Sicherheit, Lebenslügen und bürgerliche Existenz derjenigen gefährdeten, die ihren Beitrag zum NS-Staat und den NS-Verbrechen geleistet hatten. Die tradierten Normen und Verhaltenskodices, die ihnen die Orientierung und Sicherheit bei ihrer Reetablierung gegeben hatten, die Entpolitisierung, die ihr Schutz gewesen war, weichten auf, wurden durch einsetzende Liberalisierungsprozesse und eine sich herausbildende politische Öffentlichkeit in Frage gestellt. Die Selbstentschuldigungsrhetorik einer ganzen Generation stand zur Disposition, was auf den wichtigen generationellen Aspekt der Wandlungsprozesse verweist. Dass die Berichterstattung über die genannten großen Prozesse auf Interesse

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stieß, bedeutete nicht, dass sie gesellschaftlich akzeptiert und positiv betrachtet wurden. In allen der für diese Arbeit eingesehenen Prozessunterlagen finden sich Schmäh- und Drohbriefe, die meisten in den Akten des Ulmer Einsatzgruppenprozesses. Wichtig ist festzuhalten, dass der angesprochene Prozess der Liberalisierung als gesamtgesellschaftlicher Denkprozess auf der großen gesellschaftlichen Ebene zu sehen ist, der auf eine mediale Öffentlichkeit wirkte, aber eben noch nicht in den kleinen privaten Zusammenhängen. Was in der Öffentlichkeit bereits nicht mehr sagbar war, konnte dies im kleineren sozialen Kontext durchaus noch sein. Die Ermittlungen und Verfahren gegen die hier betrachteten Personen vollzogen sich von den Anfängen dieser Entwicklung Ende der 1950er Jahre bis hin in die Mitte der 1970er Jahre. Die Frage wird sein, wie und ob sich diese gesamtgesellschaftlichen Wandlungsprozesse konkret auf die Reetablierung der NS-Täter auswirkten und ob sie sich auch in ihrem sozialen Umfeld bemerkbar machten. Sowohl Strafverfolgung als auch der sich langsam vollziehende gesellschaftliche Wandel bedrohten aus ihrer Sicht die Lebenswelt, in der sie es sich eingerichtet hatten. Ob diese Bedrohung real war, ob die Betroffenen wirklich eine Desintegration, eine Ächtung durch die Gesellschaft fürchten mussten, was auf die Phase der Reetablierung folgte, das wird in den nächsten Kapiteln zu fragen sein. Exemplarisch werden die Angeklagten selbst, ihre Rechtsanwälte, die Seite der Justiz, ihre Arbeitgeber, Kollegen und das private soziale Umfeld hinsichtlich ihrer Vorstellungen und Ansichten über den Nationalsozialismus, Deutungs- und Rechtfertigungsmuster untersucht. Griffen die exkulpatorischen Argumentationen der Täter noch so, wie es während der Spruchkammerverfahren der Fall gewesen war? Ergänzten oder widersprachen sich die Geschichts- und Täterbilder der Beteiligten? Wie reagierten die getäuschten Arbeitgeber, wie gestaltete sich die berufliche Situation der betroffenen Personen? Erfuhren sie ähnliche Unterstützung durch ihr soziales Umfeld wie während ihrer Spruchkammerverfahren? Begann mit der Phase der systematischen strafrechtlichen Verfolgung die Rücknahme ihrer sozialen Etablierung, oder waren die Bindungskräfte, die ihnen Anfang der 1950er Jahre geholfen hatten, immer noch wirksam, ungeachtet der größeren gesellschaftlichen Entwicklungen?

2. Von der Vergangenheit eingeholt – Der Beginn der systematischen Ermittlungen 2.1. Erste Ermittlungen und die Reaktionen der Täter Schmidt-Hammer war einer der ersten gewesen, dem es nach seiner späten Entlassung aus Kriegsgefangenschaft gelungen war, in seinem erlernten

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Beruf des Augenoptikers und zudem noch bei seinem alten Arbeitgeber wieder Fuß zu fassen. Er war aber auch der erste der 19 Täter, der ins Visier der Ermittler geriet. Die 1954 eher durch Zufall angestoßenen Ermittlungen gegen den ehemaligen Polizeidirektor von Memel, SS-Oberführer Bernhard Fischer-Schweder, hatten systematisch immer weitere Kreise gezogen und schließlich auch Schmidt-Hammer als Angehörigen der Schutzpolizei Memel erreicht. Bereits im November 1955 wurde er zum ersten Mal als Zeuge in der Untersuchung gegen Fischer-Schweder befragt, im Mai 1956 dann ein zweites Mal. 32 Die Fragen drehten sich dabei schon nicht mehr alleine um seinen damaligen Eindruck von Fischer-Schweder und darum, welche Personen in Litauen von seinem Kommando erschossen worden waren, sondern sie zielten inzwischen auch auf seine Rolle als Leiter von Erschießungskommandos. 33 Nun wurde die Bedrohung für Schmidt-Hammer konkret, als ihm im Juli 1956 mitgeteilt wurde, dass auch gegen ihn die Voruntersuchung eröffnet sei und er im Anschluss richterlich vernommen wurde. 34 Eine etwaige Haft, ließ er daraufhin seine Frau im Vertrauen wissen, könnte er nicht ertragen; lieber werde er sich das Leben nehmen. 35 Als aber ein Jahr lang, in dem er den Ermittlern überdies eine schriftliche Ausführung über seinen Lebenslauf und seine politische Vergangenheit überreichte, nichts weiter geschah, mag er sich vielleicht in Sicherheit gewähnt haben. Beamte des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg sahen sich daher einem fassungslosen, „überraschten“ und von Selbstmordabsichten sprechenden Schmidt-Hammer gegenüber, als sie ihn am 5. Juli 1957 an seinem Arbeitsplatz festnahmen. 36 Der 1958 folgende Prozess vor dem Ulmer Landgericht gegen zehn Angeklagte schlug hohe Wellen in der bundesdeutschen Presse und ließ vermutlich auch die anderen Täter nicht unberührt. Bereits während der Ulmer Untersuchungen waren weitere Namen aufgetaucht wie der des Erich Ehrlinger, unter anderem Führer des Sk 1b und BdS Russland-Mitte und Weißruthenien und damit ehemaliger Vorgesetzter von Heuser, Rudolf Schl. und Karl D. Diese weiteren Ermittlungen waren vom Hauptverfahren in Ulm abgetrennt und an andere Staatsanwaltschaften übergehen worden. Die „systematischen“ Ermittlungen hatten in der Praxis doch mehr Ähnlichkeit mit einem Schneeballsystem, das immer neue Tatkomplexe, Einheiten und anhand von Vernehmungen immer mehr Namen zutage brachte. Die Reaktionen darauf fielen unterschiedlich aus, und soweit sie sich in den Quellen niedergeschlagen haben, waren sie eher passiv als aktiv. Als einziger ergriff Werner Schö. die Flucht; alle anderen führten nach außen hin ihr Leben so weiter wie bisher – in der Hoffnung, dass sie nicht betroffen sein würden und im festen Glauben, dass sie unschuldig seien und strafrechtlich nicht belangt werden könnten. Die Selbstentschuldung, die schon früh geholfen hatte, sich der eigenen Menschlichkeit zu versichern, hatte nichts an ihrer Wirkungskraft verloren, sondern scheint fester Teil der überlagernden Bio-

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grafie geworden zu sein. Dennoch schreckten sie bekannt gewordene Verhaftungen, zunächst die der Vorgesetzten, auf, konnten sie sich doch nun sicher sein, dass auch ihre Namen bald bekannt würden. Ehrlingers Festnahme im Dezember 1958 betraf unter anderem die einstigen Angehörigen des Sk 1b, des KdS/BdS Minsk, diejenigen, die in Minsk für das Sk 1005 tätig gewesen waren und die, die Ehrlinger in dessen Funktion als KdS in Kiew unterstellt gewesen waren – somit neben Heuser, Karl D. und Rudolf Schl. auch Walter He., Harder und Theodor Gr. Zu Recht hatte Ehrlingers Verhaftung nicht nur Heuser, sondern auch Paul G. alarmiert, der ebenfalls der Minsker Dienststelle angehört hatte. Er suchte Heuser an dessen Arbeitsplatz auf, um mit ihm über die Ermittlungen in Sachen Minsk zu sprechen. Falls er jemals nach Erschießungen gefragt werde, riet ihm Heuser, dann solle er sagen, die Letten hätten geschossen.37 Als Werner Schö., der Teilkommandoführer beim Ek 8 gewesen war, von der am 21. April 1958 erfolgten Verhaftung Otto Bradfischs, Führer des Ek 8 und KdS in Litzmanstadt (Đódľ), erfahren musste, reagierte er entsetzt und verärgert darüber, dass „dieses Rindvieh“ sich jetzt noch habe erwischen lassen – wohl wissend, dass er damit auch früher oder später Teil der Ermittlungen werden würde. Er zog seine Konsequenzen daraus und tauchte ein Jahr später im Ausland unter. Alle anderen blieben und warteten ab, was passieren würde. Ein sicheres Indiz dafür, dass sie entweder in Vernehmungen erwähnt oder ihre Namen anhand von Dokumenten ermittelt worden waren, war wie im Fall Werner Schmidt-Hammer die Ladung als Zeuge in einer anderen Untersuchung. Ehrlinger hatte im Mai 1959 Heuser schwer belastet, indem er angab, Heuser als seinen Stellvertreter beim Sk 1b eingesetzt zu haben, dem damit auch Exekutivaufgaben wie Erschießungen zugefallen seien: „Wenn ich gefragt werde, wie sich Dr. Heuser zu dem Problem der Erschießungen verhielt, so kann ich von ihm nicht behaupten, dass er besonders zurückhaltend war. Er ließ in dieser Hinsicht keine besonderen Hemmungen erkennen.“ 38 Und weiter: „Nach meinem Empfinden war Dr. Heuser sehr hart veranlagt und nicht so schnell zu erschüttern. Er kam von der Staatspolizei und war ein ausgeprochener Routinier.“ 39 Noch nicht einmal zwei Monate später erstattete die Zentrale Stelle Strafanzeige gegen Heuser, zwei Wochen später wurde er festgenommen. 40 Richard W. war direkt im Zusammenhang mit dem Ulmer Verfahren ins Fadenkreuz der Justiz geraten. Werner Schö. wurde, wie er befürchtete, tatsächlich in den Untersuchungen gegen Otto Bradfisch 1959 ermittelt; außerdem ermittelte die Zentralstelle Dortmund gegen ihn wegen der Erschießung eines Mannes in der Slowakei (Ek 14). 41 Theodor Gr. wurde 1959, 1960 und 1961 im Zusammenhang mit der Untersuchung gegen Ehrlinger als Zeuge befragt, und Karl D. wurde direkt nach der Verhaftung Heusers 1959 zweimal als Zeuge vernommen. Nicht lange darauf folgte die

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eigene Verhaftung. Zwischen 1957 und 1960 wurden neun der hier betrachteten 19 Personen in Untersuchungshaft genommen, acht weitere zwischen 1961 und 1965. Heinrich Win., der bereits 1963 in den Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft zum Komplex der Einsatzgruppe D als Zeuge vernommen worden war, kam erst 1971 in Untersuchungshaft. Nur Fritz Zi. blieb während seines Verfahrens in Freiheit. In den Zeugenbefragungen ging es zum Erstaunen der Befragten bereits um konkrete Taten und Tatbeteiligungen. Die erste Reaktion der Täter war in fast allen Fällen das Ableugnen. Alle versuchten sie, eigene Tatbeteiligungen in ihrer ersten Vernehmung als Zeugen und zum Teil sogar das Wissen über Verbrechen abzustreiten. Noch wussten sie nicht, welche Zeugenaussagen und Beweise der Staatsanwaltschaft vorlagen, und sie rechneten offensichtlich nicht damit, dass die gegen sie ermittelnden Behörden über konkretes Belastungsmaterial und erst recht nicht über das nötige Wissen verfügten. Noch in seiner ersten Vernehmung als Zeuge im Verfahren gegen den Führer des Ek 9, Dr. Alfred Filbert, hatte Friedrich Me. 1961 die Frage, ob er dem Sk 7a angehört habe, strikt verneint. 42 Er sollte wie auch Heuser, Gerhard S. und Werner Schö. nicht zu denen gehören, die angesichts der zahlreichen verhandelten Verbrechen zusammenbrachen und eine Beteiligung zugaben. Bis auf Rudolf Th. versuchten es zunächst alle mit Leugnen und unwahren Aussagen. Selbstbewusst war Karl D. in seine erste Vernehmung als Zeuge in den Ermittlungen gegen Heuser gegangen und machte den Vernehmungsbeamten von Anfang an klar, dass er sich nicht schuldig fühle und nun froh sei, zu diesen Angelegenheiten gehört zu werden. Da glaubte er noch, dass sich die Beamten primär für Heuser interessierten und erboste sich darüber, dass er für die wahren Verbrecher habe büßen müssen, indem er als Beamter auf eine Wiedereinstellung verzichtet habe. 43 Zu den Erschießungen in Minsk befragt, bestritt er, selbst jemals daran teilgenommen zu haben. Nur bei einer Ghettoräumung in Minsk sei er dabei gewesen; Erschießungen und Gewalttätigkeiten wollte er dabei jedoch nicht beobachtet haben. 44 Karl D., da waren sich die Vernehmungsbeamten sicher, hatte sich für die Vernehmung eine Strategie zurechtgelegt. Als er aber von den Beamten damit konfrontiert wurde, an einem bestimmten Tag die „Ghettoaktion“ geleitet zu haben, begann er zu zittern und seine Fassade brach zusammen. 45 Er gestand die Teilnahme an einer Exekution unter der Leitung Heusers mit dem Hinweis: „Ich bin mir im Zusammenhang mit meiner Tätigkeit bei den Dienststellen in Minsk keiner Schuld bewusst.“ 46 . Auch Theodor Gr. stritt bei seinen Vernehmungen als Zeuge sämtliche Vorwürfe ab. Allerdings versuchte er nicht wie andere, die Erschießungen als rechtmäßige Erschießungen von „Partisanen“ auszugeben. Die Juden, das gab er klar an, seien allein aus rassischen Gründen erschossen worden. 47 Ausführlich berichtete er bereits als Zeuge den Ermittlern auch unge-

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fragt über den Hergang verschiedener Erschießungsaktionen, wobei er versuchte, sich selbst nicht zu belasten. 48 August Hä. nahm seine Befragung als Zeuge in den Ermittlungen gegen Bruno Müller, Leiter des Sk 11b, zum Anlass, seine bereits im Nürnberger Einsatzgruppenverfahren erprobte Verteidigungsstrategie weiter zu verfolgen, die darin bestand, die Hauptverantwortung für die Erschießungen Wehrmacht und Ordnungspolizei zuzuweisen und sich selbst als Heroen zu präsentieren. Noa, in seiner Vernehmung als Zeuge nach seiner eigenen Beteiligung an Judenexekutionen befragt, bestritt dies ebenfalls selbstbewusst und verwies darauf, ausschließlich auf „Agententätigkeiten“ spezialisiert gewesen zu sein; „mit dem Judenproblem hatte ich nichts zu tun“. 49 Obwohl sie teilweise bereits als Zeugen vernommen worden waren und obwohl sie mit einer Verhaftung rechneten, kam die Festnahme, die zumeist am Arbeitsplatz erfolgte, für die meisten dennoch überraschend. Gerade weil sie von den Ermittlungen gegen ihre Einheiten wussten – Friedrich Me. rühmte sich gar, durch Kontakte bereits lange von den gegen ihn laufenden Ermittlungen gewusst zu haben 50 –, erschien ihnen der den Haftbefehlen zugrunde liegende Verdacht der Verdunkelungs- und Fluchtgefahr unzutreffend. Walter He. erklärte in diesem Zusammenhang bei seiner Verhaftung, dass er bereits mehrmals vernommen worden sei; „dennoch bin ich niemals geflüchtet“ 51 . Spätestens mit der Verhaftung hatte ihre Vergangenheit sie endgültig wieder eingeholt. Sie bedrohte nicht nur die aufgebaute Existenz, sie bedrohte auch die Selbstexkulpation und, so fürchteten die Betroffenen, ihr gesellschaftliches Ansehen. Das, was sie bis auf wenige Fälle vor ihren Ehefrauen, Familien, Freunden, Bekannten und Arbeitgebern geheimgehalten hatten, sollte nun ans Tageslicht kommen. Die Haftbefehle zeigten ihnen, wie konkret die Vorwürfe bereits waren. Die Reaktionen darauf fielen unterschiedlich aus. Walter He. bat darum, seinen Namen nicht in der Presse zu nennen, weil er noch Verwandte in der DDR habe. 52 Wilhelm E. unternahm in der ersten Nacht in Untersuchungshaft einen Selbstmordversuch in seiner Zelle, den er aber, wie er danach immer wieder betonte, nicht als Schuldeingeständnis, sondern als Affekthandlung verstanden wissen wollte. 53 Die ganze Nacht habe er nach eigener Aussage über die Vorwürfe, selbst Erschießungen geleitet zu haben, nachgedacht. 54 Als Rudolf Th. am 2. November 1960 mitgeteilt wurde, dass gegen ihn eine Voruntersuchung eröffnet worden sei, war er sicher, dass er nun verhaftet werde, weil er zuvor detaillierte Angaben zu Erschießungsaktionen beim Sk 1005 gemacht und seine eigene Beteiligung zugegeben hatte. Den vernehmenden Beamten sagte er: „Ich rechne damit, dass ich heute verhaftet werde, und ich nehme auch an, dass man mich sicherlich verurteilen wird. Jedoch bitte ich darum, vorher noch einmal mit meiner Frau sprechen zu können, da diese noch nicht einmal weiß, dass ich überhaupt der Geheimen Staatspolizei angehört habe. Ich habe dies bis jetzt

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noch niemals angegeben. Ich war ganz überrascht, als ich heute Morgen von Polizeibeamten von meiner Arbeitsstelle abgeholt wurde.“ 55 Fast erleichternd fand er die Tatsache, dass er nun nichts mehr verheimlichen müsse. Bis dahin habe er seine Erlebnisse als Last mit sich herumgetragen. „Niemandem durfte ich davon etwas sagen, weil ich befürchten musste, sofort zur Rechenschaft gezogen zu werden. Ich war froh, im November 1960 alles sagen zu können und damit loszuwerden.“56 Karl D. hatte bereits während seiner Vernehmung als Zeuge im Ermittlungsverfahren gegen Heuser angegeben, erleichtert zu sein, darüber gehört zu werden. 57 Dass sie von Erleichterung sprachen, unterschied sie von den anderen Angeklagten; dass sie damit aber nicht ihre eigene Verteidigungs- und Entlastungsstrategie aufgaben, vereinte sie wieder mit ihnen.

2.2. Der Fall Werner Schö. – Flucht ins Ausland Als Werner Schö.s Arbeitgeber im Frühjahr 1959 einen nicht adressierten Brief aus Wien erhielt, in dem dessen Ehefrau erklärte, ihr Mann sei während ihres Urlaubs in Österreich erkrankt, und weiteren Urlaub erbat, maß er dieser Begebenheit nach eigenen Aussagen keine weitere Bedeutung zu. Bereits 1957 hatte Werner Schö. angefangen, öfter krank zu sein, weshalb ihn diese Mitteilung nicht überraschte. 58 Werner Schö. aber war alarmiert, denn während seines Urlaubs hatte die Polizei versucht, ihn telefonisch zu erreichen. 59 Nach dem verlängerten Aufenthalt kehrte er zunächst zurück, doch als im Mai 1959 sein Freund Karl R., der ebenfalls dem Ek 8 angehört hatte, verhaftet wurde, beschloss er, sich einem eventuellen Strafverfahren durch Flucht zu entziehen. 60 Seinen Arbeitgeber bat er um ein Jahr Urlaub, um sich auskurieren zu können. In die folgende Flucht waren von Anfang an seine Familie, seine Geliebte, aber auch ehemalige Kameraden und Bekannte besonders aus seiner Zeit in Österreich mit einbezogen. Nicht von ungefähr hatte er nach seinem verlängerten Urlaub seinem Arbeitgeber ein Attest eines Arztes aus Weyer, dem Ort, an dem er sich bei Kriegsende versteckt hatte, vorgelegt. 61 Seine Frau und seine Geliebte, Ingeborg L., wurden in der nächsten Zeit zu seinen Kontaktpersonen in Deutschland, die ihn auch mit Geld versorgten. Um seinen Aufenthaltsort jeweils geheim halten zu können, hatte Werner Schö. mit seiner Ehefrau ihr Vorgehen besprochen: wie sie miteinander Kontakt halten würden und wie sie ihm Geld zukommen lassen sollte. 62 Dann verabschiedete er sich mit den Worten, er werde zu „Dr. Eisele“ vereisen. 63 Gemeint war der KZ-Arzt Hans Eisele, der 1958 nach Ägypten geflüchtet war, nachdem im Prozess gegen Martin Sommer, einen Angehörigen der SS-Wachmannschaft im KZ Buchenwald, schwere Anschuldigungen gegen ihn erhoben worden waren. Mit seiner Bemerkung dürfte Werner Schö. weniger Eisele persönlich als vielmehr sein Ziel Ägypten gemeint

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haben, wo unter anderem auch Hans Becher von der Gestapo Wien als Polizeiausbilder lebte. 64 Wen Werner Schö. dort traf, ist unbekannt; sicher ist jedoch, dass seine erste Fluchtstation für kurze Zeit Ägypten war, von wo er seiner Frau und seinem Arbeitgeber Ansichtskarten schickte. 65 Ab Juli oder August 1959 hielt er sich zunächst in Österreich auf. In Wien nutzte er unter anderem den Kontakt zu seinem alten SS-Kameraden Julius S., bei dem er sich zeitweise aufhielt und der als Mittelsmann zwischen ihm, seiner Geliebten und seiner Ehefrau fungierte. 66 Vermutlich im August trafen sich beide in Österreich, wo sie Urlaub machte und ihm bei dieser Gelegenheit nicht nur Geld, sondern auch ihr Auto überließ. Im September kehrte er kurz nach Köln zurück und teilte seiner Geliebten mit, dass er davon ausgehe, dass die Taten, die man ihm vorwerfen könnte, am 8. Mai 1960 verjährten und er dann wieder zurückkehren würde. Da im Mai 1960 Totschlagsdelikte verjährten, war Werner Schö. offensichtlich davon ausgegangen, dass die Anklage gegen ihn auf Totschlag lautete; tatsächlich lautete sie aber auf Mord. Kurz darauf trafen sich beide wieder in Salzburg und fuhren gemeinsam nach Köln, wo sich Werner Schö. angeblich mit alten Kameraden besprechen wollte und anschließend wieder nach Österreich reiste. Im November 1959 änderte sich die Situation für Werner Schö. Zunächst ging beim Bundeskriminalamt in Wiesbaden ein anonymes Schreiben aus Wien ein, das Angaben zu dem „von Ihnen gesuchten SS-Verbrecher“ Werner Schö. enthielt und in dem sowohl die Autos, die er benutzte, als auch die Verbindung zu Julius S. genannt wurden. 67 Am 20. November erließ das Amtsgericht München schließlich Haftbefehl gegen Werner Schö., und die Polizei in Köln begann, nach ihm zu suchen. Die Überwachung des Briefverkehrs in seinem Familien- und Freundeskreis bestätigte die Spur nach Wien, weshalb im April 1960 Interpol Wien eingeschaltet wurde. 68 Währenddessen verbrachte Werner Schö. die Weihnachtstage mit seiner Geliebten in Salzburg und hielt sich Anfang 1960 zunächst bei einem ihm bekannten Arzt in Hausleiten bei Stockerau auf. Von dort aus, dies ermittelte die Polizei in Wien, rief er seinen Freund Julius S. in Wien an und teilte ihm mit, dass er nach Arosa in der Schweiz fahren werde. 69 Dort hatte er sich für Ende Februar, Anfang März mit seinem Arbeitgeber Hans Harzheim während dessen Skiurlaub verabredet. Die Fahndung nach Werner Schö. wurde erst einen Monat später auf die Schweiz ausgeweitet. 70 Er teilte Harzheim mit, dass es ihm gesundheitlich wieder besser gehe und beabsichtige, pünktlich zum 23. Mai 1960 seine Arbeit wieder aufzunehmen. 71 Inwieweit sein Arbeitgeber tatsächlich nicht gewusst haben will, dass sich Werner Schö. vor der deutschen Justiz versteckte, lässt sich anhand der Quellen nicht nachvollziehen. Dagegen spricht, dass zwischen beiden ein offensichtliches Vertrauensverhältnis bestand, er ihm einen so langen Ur-

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laub gewährte und ihm auch später, während und nach dem Prozess die Treue hielt. Im Mai tauchte Werner Schö. zunächst in München, dann in Köln auf. 72 An seinen Wohnort war er zurückgekehrt, um noch einmal mit seinem Arbeitgeber wegen einer Verlängerung des Urlaubs zu sprechen, weil ihm inzwischen klar geworden war, dass eine Verjährung auch unterbrochen werden konnte. 73 Widerstrebend gewährte der ihm weitere drei Monate Aufschub. Die Schlinge der Ermittler zog sich nun langsam, aber sicher immer enger um Werner Schö., vor allem als im Juni Ingeborg L. als direkte Kontaktperson zum ersten Mal vernommen wurde. Sie stritt dabei ab, mit ihm noch in Kontakt zu stehen oder ihn gar zu treffen, erzählte jedoch bereitwillig die Geschichte der Flucht. Die Beamten scheinen ihr geglaubt zu haben; zumindest konnten die beiden im Juni/Juli 1960 unbehelligt gemeinsam mit einem befreundeten Paar aus Deutschland einen Urlaub in Bodenmais verbringen, wo sie sich als Ehepaar Ingeborg und Werner Baumann ausgaben. 74 Mittlerweile war er bundesweit zur Fahndung ausgeschrieben. 75 Am 4. August 1960 vernahm die Polizei ein zweites Mal Ingeborg L. und auch ihre Pensionswirtin in Bodenmais, nachdem sie von dem gemeinsamen Urlaub erfahren hatte. 76 Dabei kam heraus, dass Werner Schö. Kontakt mit dem einschlägig bekannten Rechtsanwalt Rudolf Aschenauer aufgenommen hatte und Ingeborg L. über Aschenauer mit Werner Schö. in Verbindung stand. Es sollte noch bis März 1961 dauern, bis Aschenauer der Staatsanwaltschaft Köln bekannt gab, dass er Werner Schö. als Anwalt vertrete und Werner Schö. sich Anfang April 1961 stellen wolle. 77 Am 12. April setzte Werner Schö. seiner nunmehr fast zwei Jahre dauernden Flucht selbst ein Ende und stellte sich wie angekündigt der Polizei in Köln 78 – überzeugt davon, dass er unschuldig sei und er keine Haftstrafe zu erwarten habe.

3. Geschichtswissen, Geschichtsvorstellungen und Täterbilder der beteiligten Akteure in den Verfahren 3.1. Die Täter vor Gericht – Ansichten, Rechtfertigungen und Verhaltensweisen 3.1.1. Selbstbilder und Selbstentschuldungen Selbstrechtfertigungen, das wurde bereits gezeigt, dienten dazu, ein positives Selbstbild zu erhalten und nach außen zu kommunizieren; das betraf die Masse ebenso wie den Einzelnen. Untrennbar damit verbunden war ein Geschichts- und Täterbild, das eine solche Argumentation unterstützen half. Mit einbezogen werden muss außerdem die spezifische Situation, in der die

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Täter sich zu ihrer Vergangenheit äußerten. Ähnlich wie während der Spruchkammerverfahren ging es angesichts der juristischen Verfolgung ihrer Straftaten darum, so wenig Angriffspunkte wie möglich zu bieten, um eine milde Strafe zu erwirken. Die eingangs beschriebene Selbstrechtfertigung wurde so um die Komponente der zielgerichteten Verteidigung vor Gericht erweitert. Schutzbehauptungen mischten sich mit der Überzeugung der eigenen Unschuld und nicht immer lassen sich in ihren Argumentationen die über lange Zeit gewachsene und verinnerlichte Selbstrechtfertigung mit neuen Verteidigungsargumenten, die auf die spezifische Situation des Strafprozesses zugeschnitten waren, klar voneinander trennen. Auch für diese Phase gilt, dass diejenigen, die für sich selbst eine skrupellose Beziehung zu ihrer eigenen Vergangenheit entwickelt hatten, die geringsten Problem damit hatten, mit dieser Vergangenheit konfrontiert zu werden und ihre Argumentationslinie um so vehementer verfolgten. Bereits Konrad Kwiet hat ganz allgemein festgestellt, dass mit größerem zeitlichen Abstand zur Tat bei den Tätern die Bereitschaft zum Tatbekenntnis rapide abnahm. 79 Im Gegensatz zu ihren Spruchkammerverfahren oder auch den Lügen und Verschleierungen in ihren Bewerbungen hielten ihnen Staatsanwaltschaften und Ermittlungsrichter Geschichtswissen entgegen, mit dessen Hilfe falsche Angaben entlarvt werden konnten. Auf diese neue Konstellation, auf die die Täter reagieren mussten, wird in einem eigenen Kapitel näher eingegangen werden. An dieser Stelle soll es darum gehen, wie sich die Täter im Verlauf von der ersten Vernehmung als Zeuge bis hin zu ihren Gnadengesuchen nach der Verurteilung rechtfertigten, welches Selbstbild sie zu kommunizieren versuchten, wie sie sich und die ihnen vorgeworfenen Taten im Gesamtkontext verorteten. Dass sie die ihnen vorgeworfenen Taten zum Teil (und nicht immer dauerhaft) leugneten, war zum Großteil Verteidigungstaktik. Wegen Taten, die ihnen niemand konkret beweisen konnte, konnten sie nicht verurteilt werden. Während Friedrich Me. beispielsweise bei seinen einmal gemachten Einlassungen blieb, passten andere ihre Aussagen den ihnen vorgehaltenen Erkenntnissen der Ermittler an. Die Taktik des Leugnens zeigt aber auch, mit welchen Verbrechen sie persönlich nicht in Verbindung gebracht werden wollten oder wie es Karl D. nach seiner ersten Vernehmung als Angeklagter, in der er den Ablauf einer Massenerschießung geschildert hatte, ausdrückte: man müsse sich schämen, so etwas getan zu haben. 80 So explizit drückte das sonst keiner aus. Teilweise gab es Übereinstimmung in den von ihnen vorgebrachten Rechtfertigungen und Selbstsichten; zum Teil unterschieden sie sich wesentlich hinsichtlich der Argumentationsstrategie und der Intensität, mit der sie vertreten wurde. Befehlsnotstand geltend zu machen, verkam zum leeren Schlagwort und hatte mit dem ursprünglichen Gesetzesinhalt nichts mehr zu tun. Landläufiger Glaube war, wer im Nationalsozialismus einen Befehl hatte befolgen müssen, habe sich im Befehlsnotstand befunden. 81 Von allen

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legten Gerhard S. und Werner Schö. die meiste Energie auf ihre Verteidigung; bei Werner Schö. endete es in weltfremder Verbitterung. Gemeinsam war ihnen, dass sich keiner im Sinne der Anklage schuldig fühlte. Ließ sich die eigene Beteiligung an Verbrechen nicht mehr abstreiten, setzte die Selbstrechtfertigung ein. Es wurde versucht, die eigene Beteiligung entweder zu verharmlosen, zu rechtfertigen oder die Verantwortung auf höhere Ränge zu verlagern. Letzteres lief auf das Argument hinaus, nur auf Befehl gehandelt zu haben und – unter Missachtung der tatsächlich innegehabten Funktion – lediglich Befehlsempfänger gewesen zu sein, um auf Befehlsnotstand plädieren zu können – ein Argument, das sich wie ein roter Faden durch die Verteidigung der 19 Täter zieht, das aber bei den wenigsten der Realität entsprach, dafür aber der Vorstellung des missbrauchten Beamten. 82 Dass es einen eigenen Täterwillen, eine persönliche Übereinstimmung mit den selbst vollzogenen Taten gegeben habe, lehnten die Betroffenen rigoros ab und zielten damit auf das juristische Konstrukt des inneren Täterwillens, von dem sie sich selbst frei sprachen. Manch einer wie Gerhard S. wählte sogar den Weg, sich zum aktiven Gegner zu stilisieren. Es waren nicht nur die Justiz und Familien, die zum Teil offensichtliche Probleme damit hatten, diese Täter in bekannte Täterkategorien einzuordnen, ja, sie überhaupt als verantwortliche Täter zu begreifen, dies galt auch für die Täter selbst. Sie sahen sich nicht nur deshalb deplaziert vor Gericht, weil sie sich unschuldig fühlten; sie empfanden sich nicht als gewöhnliche Kriminelle. Sie selbst konnten sich in ihrem herkömmlichen Schema des Verbrechers nicht wieder finden. Walter He., das wird im weiteren Verlauf noch gezeigt werden, wirkte fast hilflos, als er unwissentlich genau diese Problematik vorbrachte. Heinz Ta. und Friedrich Me. sahen sich ebenfalls nicht als Kriminelle. 83 Karl D. argumentierte, er sei keiner jener „Rabauken“ gewesen, denen die Aktionen gefallen hätten. 84 Werner Schö. brachte diese Haltung auf den Punkt, als er gegenüber anderen Inhaftierten äußerte: „Ich bin politisch hier, ihr wegen krimineller Delikte.“ 85 Die Wurzeln dieser Überzeugung liegen in der moralischen Rechtfertigung des eigenen Tatbeitrags und rekurrieren auf den Anständigkeits-Mythos der SS. Nicht alle entwickelten in ihrem Verfahren eine aggressive Selbstrechtfertigung wie die bereits genannten Gerhard S. und Werner Schö. Sie verzichteten auf eine solche Selbstdarstellung und durchliefen das Verfahren eher defensiv. Der Jurist Heinrich Win. beispielsweise leugnete rigoros jegliche Beteiligung an Erschießungen und bestritt alle von Zeugen gegen ihn erhobenen schweren Vorwürfe, die eine ganz andere Sprache sprachen. 86 Seine Selbstdarstellung beschränkte sich im übrigen darauf, sich als nicht judenfeindlich zu präsentieren. Rudolf Th., der erleichtert gewesen war, als er seine Taten nicht mehr verschweigen musste, gab sogar an, dass er alles zugeben und dafür geradestehen wolle. Er wunderte sich eher über die anderen Tatbeteiligten, die weiterhin leugneten. 87 Schmidt-Hammer

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machte in allen ihm vorgeworfenen Fällen Befehlsnotstand geltend und argumentierte, dass es sich nicht um Judenerschießungen, sondern um rechtmäßige Erschießungen von „Partisanen“ gehandelt habe. 88 Karl D. zog sich darauf zurück, ein unpolitischer Verwaltungsbeamter gewesen zu sein, ein „kleiner Mann“, der strebsam seinen beruflichen Aufstieg verfolgt habe und der schließlich missbraucht worden sei. 89 Es gab aber auch die, und sie waren in der Mehrheit, die sich energisch darum bemühten, ihr positives Selbstbild nicht nur zu verteidigen, sondern eine positive Betrachtung ihrer Person einforderten. Nicht selten rechtfertigten sie – nicht nur aus taktischen Gründen – die NS-Verbrechen, die ihnen vorgeworfen wurden. Ihre Beispiele werden im Folgenden vorgestellt werden. August Hä., der durchaus als Überzeugungstäter bezeichnet werden kann, setzte vor allem auf Unwissen seitens der Staatsanwaltschaft und des Gerichts. Dass er zur Aufklärung des Komplexes Sk 4a nicht beitragen wollte, hatte er den Beamten direkt mitgeteilt. Er werde, so sagte er ihnen, auch in diesem Verfahren ein „Mauseloch“ finden. 90 Im Wesentlichen blieb er bei den Aussagen, die er bereits in Nürnberg und vor der Spruchkammer gemacht hatte. Dass ihn Zeugen als brutalen Teilkommandoführer beschrieben, der die Tötungsaktionen gebilligt habe, ihn in einem Atemzug mit Blobel nannten und ihn aufs Schwerste belasteten, brachte ihn nicht von seiner Haltung ab. 91 Für ihn war das Sk 4a kein eigenständig operierendes Mordkommando, sondern eher ein Instrument der Wehrmacht und der Einsatzgruppenführung gewesen. Richtig daran war, dass das AOK 6 unter Generalfeldmarschall von Reichenau früh mit dem Sk 4a zusammengearbeitet und sich an der Organisation von Massentötungen beteiligt hatte. Für die einzelnen Kommandos des Sk 4a gilt aber, dass sie über eine große Handlungsfreiheit verfügt hatten. Pohl hat nachgewiesen, dass das Sk 4a das zentrale Mordkommando der Einsatzgruppe gewesen war, was unter anderem vor allem an der Radikalität Blobels und der Teilkommandoführer, zu denen August Hä. gehörte, lag. 92 August Hä. tat nichts anderes, als das Sk 4a im Nachhinein zu rechtfertigen und zu schützen und war damit nicht alleine. Ein ehemaliger Angehöriger des Sk 4a, inzwischen bei der Kriminalpolizei, äußerte sich als Zeuge zu den Aktionen des Kommandos folgendermaßen: „Ich sehe heute ein, dass jene Maßnahmen ganz falsch waren. Man hätte andere Möglichkeiten zur Vernichtung des Judentums, wenn es soweit war, finden müssen.“ 93 Weil er das Sk 4a in erster Linie als Instrument und nicht als selbst handelnde Einheit begriff, scheute August Hä. nicht davor zurück, detailliert spezifische Erinnerungen an Tötungsaktionen zu erzählen. Wenn er dabei besondere Grausamkeiten erwähnte, dann nicht, um Mitleid mit den Opfern auszudrücken, sondern um zu beschreiben, welchen Situationen das Kommando ausgesetzt gewesen war. 94 Er konnte darüber auch berichten, weil er

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sich selbst bereits aus der Verantwortung herausgenommen und zudem die Beteiligung an den meisten Tötungsaktionen geleugnet hatte. So bestritt August Hä., von der Erschießung von einer Gruppe jüdischer Kinder in Belaja Zerkow gewusst zu haben. Dieser Vorgang ist in mehrerlei Hinsicht bedeutsam: Zum einen, weil hier Ende August definitiv der Umschwung von einzelnen Mordaktionen zur planmäßigen Vernichtung einschließlich Frauen und Kinder einsetzte. Zum anderen, weil sich an diesem Fall nicht nur die enge Verzahnung in der Zusammenarbeit zwischen der 6. Armee und dem Sk 4a, sondern auch deren Tathoheit zeigte. Die rund 90 Kinder, Säuglinge und Kinder bis zu 7 Jahren, waren bei einer Erschießungsaktion jüdischer Männer und Frauen, die zwischen dem Feldkommandanten und dem Sk 4a abgesprochen worden war, ‚übriggeblieben’ und sollten ebenfalls erschossen werden. 95 Bis dahin waren sie in ein Haus gesperrt worden. August Hä. zog sich auf den Standpunkt zurück, dass er von der Erschießung nichts gewusst habe; mit der Kindererschießung wollte er nichts zu tun haben. Dass dem Gericht aussagekräftige Dokumente vorlagen, die das Gegenteil bewiesen, dürfte ihm dabei anfangs nicht bewusst gewesen sein. 96 Aus diesen ging hervor, dass Oberstleutnant Helmuth Großcurth von zwei Wehrmachtspfarrern auf den erbärmlichen Zustand der Kinder und auf die Unruhe, die sich unter Wehrmachtsangehörigen daraufhin verbreitet hatte, aufmerksam gemacht worden war. Während er, in dieser Angelegenheit von der Heeresgruppe Süd direkt an das AOK 6 verwiesen, dort versuchte, eine endgültige Entscheidung hinsichtlich der Erschießungen zu erwirken, hatte er bereits dem Feldkommandanten angeordnet, dem Führer des Sonderkommandos mitzuteilen, dass der Abtransport der Kinder zunächst zu unterbrechen sei. Daraufhin, so berichtete Großcurth, sei August Hä. bei ihm erschienen und habe ihm erklärt, dass er darüber Bericht erstatten müsse und er überdies den klaren Befehl für diese Aktion habe. Von Reichenau kam dann die Anweisung, dass die Aktion zu Ende zu bringen und dazu eine Besprechung abzuhalten sei, an der Blobel, August Hä., Großcurth, der Feldkommandant und der Abwehroffizier des AOK 6 teilnahmen. Man verständigte sich allseits darauf, dass die Unterbrechung ärgerlich gewesen sei, gab aber zu, dass es bei der Ausführung „technische Mängel“ gegeben hätte und nun die Aktion so schnell wie möglich zu Ende gebracht werden sollte. Dass August Hä. nichts von dieser Erschießung gewusst haben wollte, war ganz offensichtlich eine reine Schutzbehauptung. Dabei blieb er auch, als ihm das Schreiben Großcurths vorgelegt wurde: „Ich war im innersten Herzen Offizier gewesen und zwar Offizier, der die Ideale der alten Preußischen Tradition hatte. Für mich brach eine Welt zusammen, als mir nach Luzk klar gemacht wurde, dass wir ein hundsgemeines Erschießungskommando waren. Ich bedaure nur, dass Großcurth nicht mehr lebt. Er könnte die Angelegenheit richtig stellen.“ 97

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Seine Denkweise offenbarte August Hä., als er zum Versuch Gerhart Pannings (Leiter des Gerichtsmedizinischen Instituts der Militärärztlichen Akademie Berlin) mit Sprengmunition an lebenden sowjetischen Kriegsgefangenen befragt wurde, den er gemeinsam mit anderen SS-Führern beaufsichtigt hatte. Den grausamen Versuch, bei dem mit Sprengmunition auf verschiedene Körperteile der Opfer geschossen worden war, bevor sie mit dem zweiten oder dritten Schuss durch Kopfschuss getötet wurden, bezeichnete August Hä. durchaus als schrecklich, insgesamt jedoch als weniger grausam als eine Erschießung von 402 Juden in Shitomir, weil dort „absolut unschuldige Menschen erschossen worden sind“ 98 . Was nichts anderes bedeutete, als dass Kriegsgefangene seiner Ansicht nach Schuldige waren, die zu quälen und töten gerechtfertigt war. Mit Leugnen hatte es anfangs auch Noa versucht, bevor er offen über Massenerschießungen beim Sk 11a sprach. Sachlich schilderte er den Hergang der Erschießungen von Männern, Frauen und Kindern, die er geleitet hatte. Zwischenfälle habe es dabei nicht gegeben; „wir alle haben uns gewundert, wie ruhig die Leute und wie ergeben sie an den Grubenrand gegangen sind“ 99 . Ungefragt sprach er am Tag nach dieser Vernehmung noch eine weitere Erschießung von 70 Personen in der Nähe von Nikolajew an, die er tags zuvor vergessen hatte und schilderte wieder detailliert und abgeklärt die Vorbereitung der Aktion: „Die Aufstellung der zu Erschießenden erfolgte wie üblich am Grubenrand mit dem Gesicht zur Grube. Das Exekutionskommando stand etwa 5 Meter dahinter. Auf mein Kommando wurde dann mit Karabinern auf die Opfer geschossen. Es wurden Genickschüsse verabreicht.“ 100 Er gab an, dass er sich über die Judenpolitik keine weiteren Gedanken gemacht hätte, grundsätzlich aber sei er dafür gewesen, den „jüdischen Einfluss in Deutschland zu mindern, nicht zu stark werden zu lassen“. „Wenn ich überhaupt eine bestimmte Vorstellung hatte, dann die, dass der Anteil etwa der jüdischen Intelligenz in den entsprechenden Berufen auch anteilmäßig der Bevölkerungsrelation entsprechen sollte.“ 101 Antisemitismus wäre als niederer Beweggrund ausgelegt worden, deshalb bemühte er sich um eine harmlos und sachlich erscheinende Meinungsäußerung, die eindeutig in der Tradition nationalsozialistischer verschleiernder Sprachregelungen stand. Bei den ersten Erschießungen sei er von Einzelaktionen ausgegangen und bediente sich dann eines Argumentes, dessen sich auch einige der anderen Täter bedienen sollten: der Umdeutung der planmäßigen Vernichtungspolitik zur militärischen Notwendigkeit: „Ich habe damals auch nicht an eine Vernichtung der Juden aus rein rassischen Gesichtspunkten geglaubt. Durch die laufende Propaganda musste ich vielmehr zu der Überzeugung kommen, dass die Juden als die hauptsächlichen Träger des Kommunismus im besetzten Gebiet eine militärische Gefahr darstellten.“ 102 Seine eigene Rolle versuchte er auf die eines Befehlsempfängers zu reduzieren, der keine

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Möglichkeit gehabt hätte, sich dem Befehl zu entziehen. Einen Befehlsnotstand deutete er jedoch lediglich als theoretisches Konstrukt an. Wie alle anderen Täter auch, die sich dieser Verteidigungsstrategie bedienten, gab er an, dass im Falle einer Weigerung sein Leben bedroht gewesen wäre.103 Als Beleg erzählte er den Vernehmungsbeamten von dem Todesurteil eines SSund Polizeigerichts gegen einen SS-Angehörigen, der ein Verhältnis mit einer Polin gehabt habe. Der Hinweis auf die SS- und Polizeigerichte taucht oft auf im Zusammenhang mit dem behaupteten Befehlsnotstand, jedoch häufig mit Fallbeispielen, die gänzlich anders gelagert waren. 104 Der Gedanke, sich den Erschießungen zu entziehen, war ihm aber gar nicht ernsthaft gekommen, auch an eine Versetzung habe er nicht gedacht. Sich krank zu melden, sei für ihn auch keine Lösung gewesen: „Meinen Kameraden gegenüber wäre mir das nicht schön erschienen, wenn ich mich auf diese Weise gedrückt hätte.“ 105 Noa erweiterte die übliche Verteidigung mit dem Hinweis auf Befehlsnotstand und Zwangslage, indem er sich die Fähigkeit absprach, als „kleiner Mann“ die Motive und Tragweite der Befehle hätte erkennen zu können: „Ich habe mir innerlich gesagt, dass das schon notwendig sein wird, was man hier angeordnet hat.“ 106 Gleichzeitig hätte er den Befehl für die Erschießungen auch von Frauen und Kindern als rechtmäßig empfunden, auch wenn er persönlich dies als „unmoralisch“ betrachtet habe. Auf diese Weise schufen er und auch die meisten anderen Täter Distanz zu den Verbrechen, indem sie einen inneren Täterwillen verneinten und angaben, moralisch und „innerlich“ mit den Ermordungen nicht einverstanden gewesen zu sein. Im weiteren Verlauf der Ermittlungen äußerte sich Noa noch dezidierter zu der von ihm als militärisch bezeichneten Ermordung der Juden und schlug einen argumentativen Bogen zur Bombardierung deutscher Städte, die auch andere Täter anbrachten. Noa rechtfertigte nicht nur sich selbst, er rechtfertigte gleichzeitig die NS-Verbrechen. Den Vernehmungsbeamten gegenüber erklärte er: „Nachdem ich bei den Exekutionen, deren Art und Weise ich selbst erlebt hatte, erfasste mich zwar ein Grausen. Ich hielt jedoch die Erschießungen für gerechtfertigt zur Sicherung der militärischen Maßnahmen anlässlich des Russlandfeldzuges. Wenn mir vorgehalten wird, dass die Erschießungen auch Frauen und Kinder betrafen, die keinerlei Anstalten für eine Partisanentätigkeit gemacht haben, erkläre ich hierzu, das meine Bedenken insoweit durch die alliierte Luftkriegsführung gedämpft wurden, die sich ja auch gegen wehrlose Zivilbevölkerung richtete.“ 107 Rache diente als Motiv. Während des gesamten Verfahrens gegen ihn begab sich Friedrich Me. nie aus der Rolle des Kriminalkommissars. In seinen Vernehmungen versuchte er durch Gegenfragen, Informationen über den Stand der Ermittlungen zu bekommen 108 und hielt den Beamten Vorträge über Zeugenaussagen 109 . Er korrigierte die Beamten, beschuldigte sie, ihn belastende Aussa-

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gen in Zeugen „hineingefragt“ zu haben 110 und hielt ihnen ausführliche Vorträge über die Psychologie des Verdrängens, weil er für sich in Anspruch nahm, nicht mehr unterscheiden zu können zwischen dem, was er selbst erlebt und dem, was er später gehört hatte. 111 Als eine von ihm gemachte Schutzbehauptung als solche erkannt und behandelt wurde, warf Friedrich Me. dem Untersuchungsrichter indirekt Unfähigkeit vor. 112 Friedrich Me. hatte ganz offensichtlich ein Problem, seine Rolle als Untersuchungshäftling zu realisieren und zu akzeptieren. Von Anfang an leugnete er die Beteiligung an Erschießungen und weigerte sich, Namen zu nennen – mit dem Hinweis an den zuständigen Landgerichtsrat, er würde im Laufe der Ermittlungen schon darauf stoßen. 113 Von Judenerschießungen oder einem Befehl zur Tötung von Juden wollte er nichts mitbekommen haben und ergänzte, dass ihm „von einer solchen Tendenz erst nach dem Kriege über Kollegen etwas bekannt geworden ist.“ 114 Er verbiss sich in Definitionsfragen und behauptete, dass er niemals Teilkommandoführer des Sk 7a gewesen sein könne, weil es den Begriff „Teilkommando“ damals gar nicht gegeben habe. 115 Dass er selbst genau diesen Begriff in einem zeitgenössischen Lebenslauf gebraucht hatte, hatte er dabei nicht bedacht. 116 Obwohl er die konkreten Taten bestritt, wollte er den Vernehmungsbeamten gegenüber den Komplex des Befehlsnotstandes akademisch erläutern, worauf diese wegen der offensichtlichen Unlogik verzichteten. Friedrich Me. gab sich selbstsicher und ungebrochen; sein Selbstbild schärfte er am Negativ des „Kriminellen“, so wie er es in seinem Dienst definiert hatte. Für ihn war es daher nur konsequent, dass ihm im Vergleich zu anderen Untersuchungshäftlingen Sonderrechte zustanden. Deswegen wies er den Untersuchungsrichter darauf hin, dass er im Vergleich zu anderen Untersuchungshäftlingen kein Krimineller 117 , weder „asozial“ noch „arbeitsscheu“ sei. Er glaubte vielmehr, „zu keiner Zeit gemeinschaftswidrig aus gemeinschaftswidriger Gesinnung gehandelt zu haben. Ich hoffe auch, dass die Ermittlungen ausweisen, dass ich sozial geordnet gelebt habe.“ 118 Zudem seien die „kriminologischen Voraussetzungen“ bei ihm anders als beim „Durchschnitt“ der Untersuchungsgefangenen. 119 Sollte heißen, eine Rückfallgefahr sei ausgeschlossen. Auch wenn der Anlass für sein Schreiben nur die Ablehnung einer Schreibmaschine für ihn gewesen war, so offenbart sich in wenigen radikalen Sätzen Friedrich Me.s Selbstsicht. Er hatte sich vollständig und überzeugt eingelassen auf eine Strategie des Verleugnens, im Vertrauen, dass ihm für eine Verurteilung eine konkrete Tatbeteiligung erst einmal nachgewiesen werden musste. Rath leugnete konsequent die Beteiligung an den ihm vorgeworfenen Massenerschießungen beim Ek 9 und vertraute darauf, dass den Ermittlern keine gegenteiligen Beweise oder Informationen vorlagen. 120 In diesem Sinne wollte er den Vernehmungsbeamten erklären, dass eine vorgeworfene Erschießung zum genannten Datum gar nicht habe stattfinden können, weil

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man wegen des gefrorenen Bodens keine Grube hätte ausheben können.121 Dass den Ermittlern bekannt war, dass Gruben auch gesprengt werden konnten, damit hatte er nicht gerechnet. Er ließ sich lediglich darauf ein, von Erschießungen auf verschiedenen Wegen gehört zu haben. Sich selbst gestand er erst später während seiner Haft prinzipiell nur eine Teilschuld zu und verwies auf Befehle, denen er sich nicht hätte entziehen können. 122 Seine einzige Schuld, wie er es in einem Schreiben an das Landgericht Berlin 1966 formulierte, sah er darin, dem NS-Regime „zwangsläufig“ gedient zu haben. 123 Den Sühnegedanken einer Haftstrafe für Verbrechen, wie sie ihm vorgeworfen wurden, lehnte er als unrealistisch ab, weil in diesem Fall „wirkliche Sühne […] sowieso außerhalb menschlichen Vermögens liegt“ 124 . Harder versuchte sich hingegen als Techniker des Sk 1005 zu verkaufen. Er bestritt, gewusst zu haben, was mit den Häftlingen geschehen sollte, widersprach sich aber gleichzeitig, als er berichtete, dass er die Idee gehabt hatte, die Häftlinge des Arbeitskommandos in Erdbunkern unterzubringen, so wie er es bereits in Lemberg (Lwów) gesehen hatte. 125 Seine Strategie war von vorneherein klar; er zog sich auf den Standpunkt zurück, nur technische Unterstützung geleistet zu haben, bediente also das Argument der Arbeitsteilung, und wollte darüber hinaus keine Funktionen gehabt haben. 126 Er bestritt, das Kommando zeitweise auch geleitet zu haben, so wie es verschiedene Zeugen angegeben hatten, und über das Schicksal der Häftlinge etwas gewusst zu haben. 127 Von einem Tötungsbefehl, der für die Arbeitskommandos galt, gab er an, nichts zu wissen. Er nahm aber an, dass es einen solchen gegeben habe. 128 Konsequent und hartnäckig wies er alle Vorwürfe von Zeugen zurück, darunter den, dass er Häftlinge mit einem Stock geschlagen und bei der Lebendverbrennung von zwei Männern und einer Frau auf Gut Trostinez eine führende Rolle gespielt habe. 129 Die drei Personen – die Anzahl variiert bis zu acht Personen – waren beschuldigt worden, einen Sprengstoffanschlag auf ein Dienstgebäude verübt zu haben, bei dem es Tote gegeben hatte. Für sie war deshalb eine „besondere“ Todesart vorgesehen worden.130 Harder war von mehreren Zeugen als derjenige beschrieben worden, der den bestehenden Scheiterhaufen, auf dem die exhumierten Leichen verbrannt, aber auch Häftlinge erschossen und anschließend ebenfalls verbrannt wurden, mit Zweigen abgedeckt, einen Pfahl aufgestellt und zumindest die Frau angebunden hatte. 131 Wenn manche Zeugen auch mit konkreten Aussagen geizten, der brutale Akt der Verbrennung, die Schreie der Frau waren ihnen im Gedächtnis geblieben. 132 Harder erklärte trotz aller belastender Aussagen gegen ihn gleich am ersten Verhandlungstag vor dem Landgericht Koblenz: „Ich fühle mich nicht schuldig.“ 133 Das Bild, das er von sich selbst hatte, stand in einem unüberbrückbaren Kontrast zu den Verbrechen, deren er beschuldigt wurde, und er scheint es über Jahre verin-

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nerlicht zu haben. Dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten schrieb er in einem Brief: „Ich war in meinem ganzen Leben ein rühriger und anständiger Mensch.“ 134 Ganz ähnlich wie der eingangs beschriebene Noa äußerten sich Gerhard S., Werner Schö., Fritz Zi. und teilweise auch Walter He., Heuser und Richard W. Bei Gerhard S. und Werner Schö. waren eine ausgeprägte Überzeugung der eigenen Unschuld mit entsprechender Selbstdarstellung, die Rechtfertigung von Taten und die Aufrechnung von Schuld zentrale Bestandteile ihrer Verteidigungsstrategie und Selbstverortung, die sie in zahlreichen Schriften, die sie während ihrer Untersuchungshaft verfassten, zum Ausdruck brachten. Ungeachtet ihrer prominenten Anwälte – Werner Schö. wurde bis zu seiner Verurteilung von Aschenauer vertreten, mit dem er sich dann überwarf – nahmen sie von Anfang an ihre eigene Verteidigung und Selbstdarstellung energisch selbst in die Hand. Beide waren überzeugt von ihrer Unschuld und beide waren geübt darin, sich selbstbewusst von jeglicher Schuld freizusprechen: Werner Schö. hatte sich bereits während seines Verfahrens und der nachfolgenden Haft in Österreich zum Opfer stilisiert, Gerhard S. hatte während seines Entnazifizierungs- und Spruchkammerverfahrens, aber auch bei dem Streit um seine Wiedereinstellung im Rahmen des Gesetzes zum Artikel 131 GG keine Skrupel gezeigt. Konsequent bauten sie beide auf ihre einstigen Argumentationen auf und erweiterten sie, wo es ihnen sinnvoll erschien. Gerhard S. war in den Ermittlungen gegen Filbert aufgespürt worden, nachdem Zeugen ihn übereinstimmend mit Judenerschießungen in Verbindung gebracht hatten. So hatte der Zeuge Richard N., der dem Polizeibataillon 9 angehört hatte, ausgesagt, dass Gerhard S. bei Judenerschießungen kein Erbarmen gezeigt und die Aktionen rigoros durchgeführt habe. 135 Nachdem dieser am 21. Mai 1959 verhaftet und, weil die Ermittlungen beim Landgericht Berlin lagen, zur Untersuchungshaft nach Berlin gebracht worden war, begann er sofort damit, seine eigene Verteidigung in Angriff zu nehmen. 136 Er bediente sich dabei vor allem einer juristischen Argumentation und Ausdrucksweise, der deutlich anzumerken ist, dass er, der als Anwärter des leitenden Dienstes auch Jura studiert hatte, den Anklägern auf gleichem Niveau begegnen wollte. 137 Dass er bei seiner Entnazifizierung in die Gruppe V eingestuft worden war, wegen seiner Zugehörigkeit zur Gestapo „wegen erwiesenen Notstandes“ 138 freigesprochen und später als Beamter zur Wiedereinstellung anerkannt worden war, präsentierte er bei seiner Verhaftung als Beweis seiner Unschuld und wich bei einer späteren Befragung von den Angaben, die er bei seiner Bewerbung gemacht hatte, auch auf Nachfrage nicht ab. 139 Im Zentrum seiner Argumentation stand durchgängig seine Selbststilisierung zum unbequemen Beamten; schließlich wollte er sogar seine Kameraden zum Ungehorsam gegenüber dem Erschießungsbefehl aufgewiegelt

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haben. In epischer Breite und mit Hang zur Dramatik breitete er seine Selbstsicht aus, mit der er seine tatsächliche Rolle marginalisierte und sich selbst exkulpierte. Schon nach seiner Verhaftung stellte er klar, dass er nur kurze Zeit beim Ek 9 gewesen sei und sich auch nur an eine Erschießung in Wilna erinnern könne, die eine Repressalie gewesen sei; er nannte es standrechtliche Erschießung. Er betonte dies und schilderte einen unglaubwürdigen Ablauf, bei dem den Opfern die Augen verbunden und vor der Erschießung ihre Personalien aufgenommen worden seien, um darzustellen, dass er an einer vermeintlich rechtmäßigen Erschießung beteiligt gewesen sei.140 Er erklärte dazu: „So schwer für mich, wie wohl auch für alle anderen Betroffenen, der Befehl war, auf Menschen zu schießen, so habe ich doch diese Exekution, die auf Grund eines Standgerichtsurteils zur Ausführung kam, als eine, wenn auch harte, aber durch die Kriegsgesetze bedingte und legale Maßnahme angesehen.“ 141 Befehlsverweigerung, das erklärte er bei dieser Gelegenheit, hätte die Todesstrafe nach sich gezogen. Er bediente sich damit einer unter Angeklagten in NS-Prozessen populären Legende, für die weder die vor Gericht stehenden Täter noch die Lobbyisten wie Best im Hintergrund einen einzigen Beweis vorlegen konnten. 142 Dass die Erschießungen auf Frauen und Kinder ausgeweitet worden seien, so seine Darstellung, sei darauf zurückzuführen, dass Filbert wegen zu niedriger Erschießungszahlen beim Ek 9 von Heydrich kritisiert worden sei. 143 Tatsächlich hatte das Ek 9 eine der höchsten Mordraten. In der „Ereignismeldung“ vom 13. Juli 1941 hieß es zu Wilna, dass sich die Tätigkeit aller Kommandos „zufrieden stellend“ entwickle, „vor allem haben sich die Liquidierungen eingespielt, die jetzt täglich in größerem Maße erfolgen. Die Durchführung der notwendigen Liquidierungen wird jedenfalls unter allen Umständen gewährleistet.“ 144 Bereits am 20. August 1941 meldete das Ek 9 8 096 Getötete. 145 Wie er auf die Mitteilung Filberts, dass ab sofort auch Frauen und Kinder zu erschießen seien, reagiert haben will, schilderte er folgendermaßen: Er sei vorgetreten und hätte erklärt, dass er das seinen Männern nicht zumuten könne, die daraufhin ebenfalls in die Kritik eingestimmt hätten. Daraufhin habe Filbert ihnen vorgehalten, dass dies Befehlsverweigerung sei, Gerhard S. benutzte den Begriff „Meuterei“, und hätte allen Führern des Kommandos für den nächsten Tag, an dem die Erschießungen stattfinden sollen, Hausarrest erteilt. Gerhard S. stellte dies so dar, als sei er Anführer einer Rebellion im Kommando gewesen. Anschließend hätte er dem Führer der Ordnungspolizei zugeraunt, dass die Schützen umfallen sollten, was allerdings nicht passiert sei. 146 „Der Versuch“, so diktierte er den Vernehmungsbeamten, „mich selbst und das ganze Einsatzkommando vor der Ausführung des Erschießungsbefehls von jüdischen Männern und Frauen zu bewahren, war gescheitert. Trotzdem bin ich Dr. Filbert noch heute dafür dankbar, dass er von dem soeben geschilderten Ereignis, aus dem klar meine Empörung über das Zugemutete und der Ent-

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schluss, sich nicht mit diesem Judenvernichtungsbefehl zu identifizieren, hervorging, keine Meldung gemacht hat.“ 147 Weder Filbert, noch irgendein anderer Kommandoangehöriger konnte sich jedoch an einen solchen Vorfall erinnern. 148 Um seine Verteidigung komplett zu machen, wies er darauf hin, dass er heimlich den Adjutanten von Nebe, Karl Schulz, angesprochen und um Versetzung gebeten habe, mit der Begründung, dass er nichts mit den Exekutionen zu tun haben wolle. 149 Kurz darauf sei er tatsächlich zum Gruppenstab gekommen, wo er nicht mehr damit befasst gewesen sei, sondern nur noch an angeblichen Partisaneneinsätzen teilgenommen habe. 150 Gerhard S. stellte diesbezüglich auch den Beweisantrag, Schulz, inzwischen Leiter der Kriminalpolizei Bremen, in dieser Angelegenheit zu vernehmen. 151 Schulz jedoch bestritt, dass Gerhard S. mit einem solchen Anliegen an ihn herangetreten sei: „Während der ganzen Zeit meines Russlandeinsatzes ist mir kein einziger Fall bekannt, in dem sich jemand dagegen aufgelehnt hat, ein Erschießungskommando zu führen.“ 152 Gerhard S. sah es aufgrund seiner Einlassungen als erwiesen an, dass er sich in einer Zwangslage befunden hatte, die sein Leben und seine Freiheit bedroht und gegen die er sich trotzdem aufgelehnt habe. 153 Zusätzlich betonte er, dass es bei den befohlenen Erschießungen diszipliniert zugegangen sei und es keine Übergriffe auf die Opfer gegeben habe. 154 Im Zusammenhang legte er seine Einlassungen und Sichtweisen der Staatsanwaltschaft zusätzlich in einem elfseitigen Schreiben dar, dem er den Titel „Persönliche Bemerkungen zu zwei wichtigen Fragen meines Strafverfahrens“ 155 gab. Alle Punkte, die er bereits in seinen Vernehmungen angesprochen und zu kommunizieren versucht hatte, finden sich darin noch einmal detailliert niedergeschrieben; außerdem enthält es Abhandlungen über die Frage des Befehlsnotstandes. Sein Schreiben ist aufgebaut und gedacht als Verteidigungsschrift, in der er zudem, wie seine Formulierungen erkennen lassen, mögliche konträre Überlegungen oder Sichtweisen, die die Staatsanwaltschaft vertreten könnte, zu entkräften versuchte. Sein Schreiben ist durchzogen von Geschichtsverfälschungen, die er aber als bewiesene Tatsachen in seiner Argumentation benutzt, und verdrehten Argumentationen, in denen undifferenziert Judenerschießungen, Partisanentätigkeiten, Kriegsverbrechen und NS-Verbrechen miteinander vermischt und wahllos zueinander in Beziehung gesetzt werden, um im Anschluss falsche, aber ihm dienliche Schlüsse ziehen zu können. Er begann mit der Problematik, eine fast 19 Jahre zurückliegende Tat „richtig“ beurteilen zu können, um sich dann seiner eigenen Entschuldung zu widmen, indem er sich als unwissend und von der nationalsozialistischen Propaganda beeinflusst beschrieb. Wie auch während seines Entnazifizierungsverfahrens behauptete er, nur zufällig zur Gestapo gekommen zu sein – in Wahrheit hatte er sich dafür beworben. Die Fehler und Verbrechen des

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damaligen Systems habe er als 27jähriger, dem „die Kenntnisse und die Reife des vollerwachsenen Menschen“ gefehlt hätten, nicht erkennen können. Erst nach 1945 habe er überblicken können, „dass das nationalsozialistische System Blut und Tränen über das deutsche Volk und andere Völker gebracht hat.“ 156 Schuld und Verantwortung schrieb er allein der NSFührung zu, sich selbst betrachtete er als verführtes Opfer. Er gab an, zu keinem Zeitpunkt weder den verbrecherischen Charakter, noch den antisemitischen Hintergrund der Befehle gesehen zu haben. „Ich sah den Befehl vielmehr im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Krieg gegen den Bolschewismus“ 157 , schrieb er und zählte im Anschluss im Stil nationalsozialistischer Propaganda auf, wer seiner Meinung nach in der russischen Führung jüdisch gewesen sei. „Mir schien es daher nicht völlig abwegig zu sein, dass alle Juden in den inzwischen besetzten russischen Gebieten als potentielle Gefahr im Rücken der Front angesehen wurden und der Befehl erwarteter Sabotage und Partisanengefahr und auch den brutalen Kampfmethoden der Gegenseite, von denen ich bereits in den ersten Tagen des Feldzuges erfuhr, entgegenwirken sollte. […] Ich bitte mir zu glauben, dass ich den Erschießungsbefehl an das Ek tatsächlich als eine militärisch notwendige Maßnahme in diesem Weltanschauungskrieg angesehen habe und auch nicht anders ansehen konnte.“ 158 In einer späteren Vernehmung bediente er sich des Arguments, dass die Erschießung von Frauen kein Beweis für den Unrechtscharakter des Befehls sei, indem er auf Frauen unter den Partisanen verwies. 159 Die Kriegsführung des Feindes – er bezog sich in diesem Zusammenhang wie auch Noa auf die Tötung deutscher Zivilisten durch Alliierte – und die militärische Notwendigkeit bedingt durch die Identität von Juden und Bolschewismus, wofür er die Morde in Katyn 160 als Beleg anführte, seien die für ihn ersichtlichen Motive für die Erschießungen gewesen. Was er wiedergab, war nationalsozialistische Propaganda. Ob er selbst daran geglaubt hatte, beziehungsweise immer noch davon überzeugt war, lässt sich nicht sagen. Sicher ist, dass er auf diese Weise versuchte, sich von einer Identifikation oder dem Wissen über die wahren Gründe zu distanzieren. Er ging aber noch einen Schritt weiter und versuchte zu beweisen, dass zu der Zeit, als er dem Ek 9 angehört hatte, noch keine „Endlösung“ beschlossen und befohlen worden sei und somit die Erschießungen gar nicht als Teil der Judenvernichtung betrachtet werden könnten. Damit bediente er sich der von Ohlendorf vorgebrachten Legende, der Judenmord habe auf einem konkreten Befehl Hitlers beruht, sowie der Vorstellung, es habe einen Plan für die Endlösung gegeben. 161 Er sah dies in seiner eigenen Logik auch dadurch bewiesen, dass die Zahlen der Ermordeten an das Referat IV A 1 gemeldet worden seien – tatsächlich wurden sie dort lediglich zusammengefasst – und nicht an das Referat IV B 4, so dass „selbst das RSHA

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die Judenerschießungen als Teil der militärisch notwendigen Maßnahmen ansah“ 162 . Zusätzlich verwies er in Verkennung der Tatsachen, wie andere Täter und deren Rechtsanwälte auch, auf § 139 des Reichsstrafgesetzbuches, der zur Anzeige von bekannt gewordenen Verbrechen verpflichtete: „Ich habe nun weder 1941 gehört, dass irgend einer der hohen und höchsten Offiziere an der Front oder Generäle und Politiker aus der Umgebung Hitlers in Kenntnis des Judenerschießungsbefehls und seiner Durchführung Anzeige erstattet hätten, weil sie die Verbrechensnatur desselben erkannt hatten […].“ 163 Obwohl er angegeben hatte, den Befehl nicht als verbrecherisch erkannt zu haben, machte er schließlich Befehlsnotstand geltend, weil er ihn „innerlich“ abgelehnt habe, und verwies in diesem Zusammenhang allgemein auf „eine Reihe mir namentlich nicht mehr bekannter Angehöriger der Sipo und des SD“ 164 , die in Konzentrationslagern verschwunden seien. Seine Ausführungen enthielten alle Punkte seiner Verteidigung und Selbstdarstellung, deren er sich im Folgenden als Basis aller weiteren Vernehmungen bediente, ungeachtet gegenteiliger Aussagen und Tatsachen. 165 Er fügte ihnen noch die Freundschaft zu einem jüdischen Mitschüler hinzu, um pars pro toto zu zeigen, dass er kein Antisemit gewesen sei. 166 Seinen angeblichen Aufruhr im Kommando wollte er später als Aufruhr nicht nur gegen die Erschießungen von Frauen und Kindern – die er an anderer Stelle rechtfertigte – verstanden wissen, sondern vielmehr als vorgeschobenen Grund, um „eventuell alle Erschießungen zu verhindern“ 167 . Über sich selbst sagte er, dass er letztlich nur ein „kleiner SS-Führer“ 168 gewesen sei: „Ich habe mich stets nur als Beamter gefühlt, der auf dem Platz, auf den man ihn gestellt hatte, seine Pflicht sauber, korrekt und durchaus menschlich erfüllen wollte. […] Abgesehen von den sechs Wochen beim Ek 9 brauche ich mich daher keiner Minute meiner beruflichen Tätigkeit und meines Lebens zu schämen.“ 169 Nicht ohne Stolz verwies er zur Bestätigung seines Charakters auf seine soziale Etablierung in der Gemeinde Schwanenwede, die ihm zahlreiche Ehrenämter eingebracht hatte. 170 Betrachtet man seine Selbstsicht und Selbstrechtfertigungen, bleibt der Schluss, dass Gerhard S. gezielt versucht hat, sich als Musterangeklagter zu geben, indem er Punkt für Punkt die Aspekte, die ihm juristisch gefährlich werden konnten, abarbeitete und auf seine Weise zu entkräften versuchte. Von ehrlicher Reue oder Schuldgefühlen gegenüber den Opfern findet sich in seinen Ausführungen nichts. Vielmehr sah er sich als Opfer – als Opfer der nationalsozialistischen Führung und, davon wird an anderer Stelle die Rede sein – als Opfer der deutschen Justiz. Er war überzeugt davon, dass ihn keine Strafe erwarte. Einem Freund schrieb er: „Und dennoch trage ich in mir das unerschütterliche Bewusstsein, dass man mich nicht verurteilen kann, wenn man nur bereit ist, mich anzuhören und meine Beweise in Betracht zu ziehen.“ 171

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Auch Fritz Zi. war sich bezüglich seiner Zeit als Leiter des Sk 1005b bei Nikolajew keiner Schuld bewusst. Bereits während seines Entnazifizierungsverfahrens hatte er gezeigt, dass er bei seiner Selbstdarstellung und der Deutung seiner Rolle im Nationalsozialismus selbstbewusst, vor allem aber taktisch vorging und sich seinem Gegenüber intellektuell überlegen glaubte. Bereits 1961 war er als Zeuge von der Hamburger Staatsanwaltschaft zum Komplex Sk 1005 befragt worden; im Juli 1965 wurde vom Landgericht Stuttgart die Voruntersuchung gegen ihn eröffnet. In seinem Prozess präsentierte er sich nicht weniger selbstbewusst, beantwortete Fragen nicht, eröffnete Nebenschauplätze, wich vom Thema ab und das zum Teil so anmaßend, dass dem Vorsitzenden des Gerichts mehrmals der sprichwörtliche Geduldsfaden riss. Der Prozess war für Fritz Zi. umso ärgerlicher, weil vor Gericht seine nachrichtendienstliche Tätigkeit zur Sprache kam und vom Magazin Der Spiegel aufgegriffen wurde. 172 Seine Absicht war, seine Aufgaben und Verantwortlichkeiten beim Sk 1005b herunterzuspielen und vor allem nicht mit der Ermordung der Arbeitskommandos in Verbindung gebracht zu werden, weshalb sich seine Aussagen dazu zwischen Leugnen und Zynismus bewegten. Fest einkalkuliert hatte er in seine Aussagen Geschichtsunwissen seitens der Staatsanwaltschaft. Seine beruflichen Wurzeln in der NS-Propaganda konnte er ebensowenig verhehlen, wie seine damalige Übereinstimmung mit der nationalsozialistischen Ideologie, zu der er bereits während seines Spruchkammerverfahrens gestanden hatte. Aus seinen Äußerungen spricht, dass er diese Überzeugung auch danach nicht wirklich abgelegt hatte, und im Prozess versuchte er sie nun als Entschuldigung zu nutzen. Sich selbst stilisierte er bei der Darstellung seines Lebenslaufs zum unbequemen Mitarbeiter, ebenso, wie er es bereits vor der Spruchkammer getan hatte. Folgt man der Darstellung seiner Aufgabe und Rolle als Teilkommandoführer des Sk 1005b, hatte er keinerlei Befehlsgewalt, wusste nicht, wer die Erschießung der Arbeitskommandos befahl, wusste nicht, wer wem auf welche Weise Erfolgszahlen meldete und hatte Mühe, überhaupt Massengräber zu finden. 173 Fritz Zi. gab sich unwissend, in der Hoffnung auf fehlende Belastungszeugen und Gegenbeweise. Er bestand darauf, dass die Arbeitskommandos, die Gräber auszuheben und die Leichen zu verbrennen hatten, sich nicht aus Juden, sondern aus „Todeskandidaten, wie überführte Partisanen, Saboteure, Angehörige der früheren Vernichtungsbataillone“ 174 zusammengesetzt hätten. Er ergänzte damit seine Einlassung, mit der Erschießung der Kommandos nichts zu tun gehabt zu haben. Betrachtet man seine weiteren Aussagen dazu, gewinnt man den Eindruck, dass er dies zwar durchaus aus taktischen Gründen erwähnte, es ihm tatsächlich aber völlig gleichgültig war, wer damals erschossen worden war und er von der Rechtmäßigkeit der Erschießungen überzeugt war. Wie andere auch gebrauchte er den Begriff „Partisan“ be-

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wusst undifferenziert, als Signalwort, das Assoziationsketten hervorrufen und gleichzeitig anzeigen sollte, dass alle Taten und Aktionen, die irgendwie mit „Partisanen“ zu tun gehabt hatten, per se gerechtfertigt waren. Tatsächlich war der Begriff „Partisanen“ im Zweiten Weltkrieg selten im strengen Sinne der Haager Landkriegsverordnung gebraucht worden, sondern hatte immer Juden, Soldaten in Zivil, Zivilpersonen, die der Unterstützung von Partisanen verdächtigt wurden, und Personen, die sich „herumtrieben“, umfasst und hatte gerade in dieser Vorabdeutung Rechtfertigungspotential besessen. 175 In seiner ersten verantwortlichen Vernehmung als Beschuldigter ergänzte er: „Ich bin nie auf den Gedanken gekommen, dass es sich bei diesen Arbeitern um Juden handelte, die nur deswegen zu diesen Arbeiten gepresst worden wären. Die Ukraine war damals praktisch judenfrei 176 […]. Es waren verurteilte Saboteure usw.“ 177 Noch deutlicher wurde er in seiner Ansprache vor Gericht, in der er außerdem noch sein Unverständnis ausdrückte, dass er wegen der Erschießung eines Arbeitskommandos vor Gericht stand, und eine klare Stellungnahme zur Tötung von „Partisanen“ abgab: „Zur Last gelegt werden mir die 34 Häftlinge von Nikolajew. Ich darf auch an dieser Stelle eine ganz persönliche Bemerkung einfügen. Diese Häftlinge sind nach meiner felsenfesten Überzeugung, die bis heute nicht erschüttert worden ist, zu Recht gestorben. Das geltende Militärstrafrecht verbot nicht nur nicht die Erschießung von Partisanen, sondern sie gebot sie und erzwang sie durch das Militärstrafrecht. Und ich glaube, wir müssen uns hier doch von gewissen heute gefühlsmäßig geformten Vorstellungen freimachen. […] Nein, der Partisan, der sich gegen die Wehrmacht und ihre Einrichtungen stellte, hatte sein Leben verwirkt. Ich schätze seine Motive, wenn er es freiwillig tat, ich respektiere ihn, wenn er es auf Druck seiner Partei oder seiner Untergrundorganisation hin tat, aber wenn er, den der Krieg verschont hatte, noch einmal würfeln wollte und verlor, dann verlor er seinen Kopf zu Recht.“ 178 Weil er nicht damit rechnete, widerlegt zu werden, sprach er der Staatsanwaltschaft gegenüber davon, nur ein Massengrab in Nikolajew ausgehoben zu haben, das zudem zu einem Kriegsgefangenenlager gehört habe und nicht ein von Einsatzgruppen angelegtes Massengrab gewesen sei. Seine Angaben untermauerte er mit dem Hinweis auf den Lagerkommandanten, dessen Namen er mit „Herzog“ angab [in Wirklichkeit hieß er Herold], der ihn auf dieses Grab aufmerksam gemacht hätte. 179 Fritz Zi. verheimlichte seine positive Einstellung und seine Aktivitäten für den Nationalsozialismus nicht, sondern versuchte, sie in seiner Gesamtverteidigung zu nutzen, indem er sich als frühen Nationalsozialisten beschrieb, der dann aber von der NS-Führung und ihrer Politik enttäuscht worden sei und als unbequemer Mitarbeiter oft Probleme bekommen habe. Dass er dessen ungeachtet Karriere gemacht und als vertrauenswürdig genug betrachtet wurde, zum Sk 1005b hinzugezogen zu werden, hoffte er auf

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diese Weise umdeuten zu können. Geprägt worden sei er durch seine Herkunft aus Schneidemühl bei Posen, so dass ihm „die Probleme der Nationalitäten, Polen, Juden [sic!] und dergleichen“ 180 seit seiner Kindheit bekannt gewesen seien. Der NSDAP beizutreten sei für ihn als „gläubigen Nationalsozialisten“ 181 daher selbstverständlich gewesen: „Ich habe das Recht des Staates, eine Klärung über das Verhältnis zwischen deutschem und jüdischem Volkstum, ich möchte in diesem Zusammenhang das Wort Rasse vermeiden, dieses Recht habe ich bejaht, durchaus anerkannt.“ 182 In diesem Sinne hielt er auch Ghettos für vertretbar. Die Judenvernichtung, von der er erst 1943 durch die Einsatzgruppe C in Kiew erfahren haben wollte, habe er als nicht rechtmäßig empfunden. 183 Mitangeklagt im gleichen Verfahren war Walter He., für den dies bereits das zweite Verfahren war. Im Juni 1960 war er zum ersten Mal von der Sonderkommission des Hessischen Landeskriminalamtes als Zeuge vernommen worden; weitere Vernehmungen folgten im November und Dezember 1961 durch die Staatsanwaltschaft Hamburg. Seine bekannt gewordene Tätigkeit als Teilkommandoführer beim Ek 6 in Schachty bestätigte er in seiner ersten Befragung, konstruierte jedoch die Geschichte, dass es seine einzige Aufgabe gewesen sei, Freiwillige zu werben und militärisch auszubilden und er im übrigen nur „sicherheitspolizeiliche Arbeit“ geleistet habe. 184 Auch sonst versuchte er, sich bedeckt zu halten und möglichst zu leugnen. Obwohl beim Kommando Gaswagen eingesetzt worden waren, bestritt er, jemals einen solchen Wagen gesehen zu haben und hielt auch nicht seine Meinung über die Berichterstattung nach dem Krieg zurück: „Ich habe wohl in späterer Zeit gehört, dass bei Einsatzkommandos solche Wagen geführt wurden. Ich weiß aber nicht mehr, ob die Informationen aus Gesprächen stammen, oder aus der Presse, die ja nach dem Krieg in aller Breite über derartige Dinge geschrieben hat.“ 185 Auf die gleiche Verteidigungslinie zog er sich in Sachen Erschießungen zurück, auch davon habe er nur flüchtig gehört und gelesen. Walter He. musste zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen sein, dass kein beweiskräftiges Material über die Einheit oder ihn vorlag. In den nächsten Zeugenvernehmungen wurde seine Tätigkeit beim Ek 6 nur kurz gestreift; der Fokus lag auf dem Sk 1005, wobei Walter He. abzustreiten versuchte, damit etwas zu tun gehabt zu haben, bis er schließlich zugab, das Teilkommando, das Fritz Zi. in der Ukraine geführt hatte, in Riga übernommen zu haben. 186 Im Gegensatz zu Fritz Zi. gab er recht genau Auskunft über die Tätigkeit des Kommandos, die er mit ihren „widerlichen, unmittelbaren Eindrücken“ als „persönliche Erniedrigung“ 187 schilderte. Für ihn gab es auch keine Zweifel daran, dass die Arbeitskommandos aus Juden bestanden, die anschließend als Geheimnisträger getötet wurden. 188 „Bei den gesamten Arbeitsbedingungen und den Sicherungsmaß-

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nahmen war denen vollkommen klar, was sie erwartete; da sie Juden waren, waren sie über ihr Schicksal nie im Zweifel zu dieser Zeit.“ 189 Am 9. Januar 1962 wurde Walter He. auf Erlass der Staatsanwaltschaft Wuppertal in Untersuchungshaft genommen. 190 Die Beschuldigungen bezogen sich auf seine Tätigkeit als Teilkommandoführer beim Ek 6; die Ermittlungen wegen seiner Tätigkeit beim Sk 1005 gingen parallel dazu weiter. Als ihm der Staatsanwalt mitteilte, dass es ausschließlich um die Judenerschießungen ginge, verunsicherte ihn das nicht etwa, sondern ermutigte ihn in der Annahme, dass er unschuldig sei: „Wie sich aus meiner Vernehmung ergibt“, entgegnete er daraufhin, „waren diese unter meinem Kommando zahlenmäßig äußerst gering, wenn man an die Massenexekutionen denkt, die schon ein Jahr vorauf begonnen hatten. Hieran gemessen dürfte meine Schuld gering sein, sofern mich überhaupt eine solche trifft.“ 191 Prinzipiell gab er in der anschließenden Vernehmung zu, als Teilkommandoführer 1942 in Schachty Exekutionen geleitet zu haben: „Es ist jedoch keinesfalls so, dass damals nur Juden als potentielle Gegner erschossen worden sind. Es gab damals in Schachty auch Partisanen, Saboteure und Kommissare. Ich muss jedoch zugeben, dass bei den Exekutionen auch Juden als potentielle Gegner unter meiner Leitung erschossen worden sind.“ 192 Daran, ob er selbst auch geschossen hatte, wollte er sich nicht mehr erinnern können. Umso konkreter war dafür seine Erinnerung an die Erschießung einer Mutter mit ihrem Kleinkind, die er während der Vernehmung ungefragt schilderte. Für die Erschießung von Kindern lieferte Walter He. später während der Gerichtsverhandlung seine eigene Rechtfertigung. Bei einer Erschießung, erklärte er, habe er die Frauen aufgefordert, sich von ihren Kindern zu trennen. Als diese sich geweigert hätten, habe er die Kinder dann aus „humanitären Gründen“ ebenfalls erschießen lassen 193 : „Die Kinder wurden erschossen, weil sie ja ohne Vater und Mutter nicht existieren konnten.“194 In der Vernehmung nach der Verhaftung hatte er ebenfalls eine Selbstentschuldung zu bieten; er berief sich darauf, dass die Erschießung von Juden Befehl gewesen sei und er sich deshalb in einem Befehlsnotstand befunden hätte. Durch die Erschießung jüdischer Männer, Frauen und Kinder habe er sich daher nicht strafbar gemacht, gab er zu Protokoll.195 Walter He. war überzeugt davon, dass er in einem Strafverfahren keine Nachteile zu erwarten hätte. Als er sich Ende 1962 schriftlich an das Landgericht Wuppertal wandte, um die Aufhebung des bestehenden Haftbefehls gegen ihn zu beantragen, bemerkte er explizit, dass er sich von der Voruntersuchung eine Wende verspreche, somit überzeugt von seiner Unschuld war, und ergänzte: „Selbst für den Fall einer Verurteilung, die nach dem Entlastungsbeweis keine hohe Strafe erwarten ließe, erhoffe ich die Anrechnung meiner bereits knapp 1-jähr.[igen] Untersuchungshaft und der 2-jährigen Kriegsverbrechergefangenschaft von 1945–1947, die mit sehr harten gesundheitlichen Strapazen verbunden war.“ 196 Er bestritt, als Leiter des Teilkommandos in

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Schachty Befehlsgewalt besessen zu haben und nahm, wie schon während seines Entnazifizierungsverfahrens, für sich in Anspruch, sich niemals aktiv für den Nationalsozialismus eingesetzt zu haben und allen NSOrganisationen nur „formell“ angehört zu haben. 197 Er nahm sich aus der direkten Verantwortung für die Taten heraus, verwies sie hierarchisch nach oben weiter und bestritt gleichzeitig seine Zustimmung zur NS-Politik. Dass Walter He. den Täterbegriff so eng fasste, wie es während der Entnazifizierung die Regel gewesen war, lag nicht nur daran, dass er selbst davon überzeugt war, nicht für die Verbrechen, die er begangen hatte, verantwortlich zu sein. Die Betonung seiner angeblichen Haltung zum Nationalsozialismus zielte vor allem auf das juristische Konstrukt des subjektiven Tatbestands. Als Kriminalkommissar und aufmerksamer Beobachter anderer NS-Prozesse war Walter He. nicht entgangen, dass dieser Aspekt sich zu seinen Gunsten auswirken konnte. Weniger bewusst gewesen sein dürfte ihm, dass er damit ein zentrales Problem der Prozesse, wie auch an den weiteren Beispielen der anderen Beteiligten wie Gerichten, Rechtsanwälten und Familien noch zu sehen sein wird, berührte: das Problem, zwischen „echten Kriminellen“ und den Angeklagten in NS-Prozessen unterscheiden zu wollen, die Beruf und Familie hatten und als „anständig“ galten - das Problem, diese Männer als Täter und nicht als Opfer zu betrachten; als Menschen, die durchaus einverstanden gewesen sein konnten mit dem, was sie taten, oder dem indifferent gegenüberstanden und die zum Teil Entscheidungsgewalt über Leben und Tod hatten. Auf genau diesen Aspekt hob Walter He. in seinem nächsten Schreiben an das Landgericht Wuppertal ab, in dem er wieder die Aufhebung der Untersuchungshaft forderte. Unter Punkt IV seines Schreibens ging er auf den „subjektiven Tatbestand“ in seinem Fall ein, auf den es, wie er hinwies, „entscheidend ankommen“ dürfte, und beschrieb anschließend auf drei Seiten, weshalb sein Charakter gegen die Annahme spräche, er hätte Täterwillen besessen. Was folgte, waren die Argumente, die bereits während seines Spruchkammerverfahrens, aber auch in Leumundschreiben für seine Wiedereinstellung in den Polizeidienst aufgetaucht waren: „In meinem privaten wie dem dienstlichen Vorleben habe ich immer Toleranz in jeder Beziehung geübt, war frei von Rassenhass und habe niemals an politischen Maßnahmen oder gar Ausschreitungen teilgenommen. Als Kriminalist handelte ich nach Recht und Gesetz, ich hatte deshalb auch nach dem Kriege niemanden zu fürchten.“ 198 Geleitet von einem engen, von der Kriminalistik geprägten pathologischen Täterbegriff, konnte und wollte er sich selbst und seine Taten nicht darin verorten. Ohne die tiefere Bedeutung und die Tragweite seiner eigenen Worte zu erkennen, schrieb er über sich: „Die Kriminologie kennt keinen Fall, in dem, quasi über Nacht, aus dem gradlinigen und charakterlich einwandfreien (das ist mir bis heute bescheinigt worden!) Beamten, ohne politische Ambitionen, ohne jegliche Neigung oder einen Hang zu Strafta-

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ten überhaupt, plötzlich ein Schwerverbrecher, ein ‚Mordgehilfe aus niederen Beweggründen‘ entsteht.“ 199 Ohne es zu beabsichtigen, hatte Walter He. damit den Kern des Problems der gängigen Täterkategorisierung und des eigenen Täterbildes getroffen. Von daher war es nur konsequent, dass er davon ausging, nicht verurteilt zu werden. 200 Dennoch machte er in der Gerichtsverhandlung noch einen Rückzieher und gab an, dass die ersten Erschießungen beim Ek 6 „Rechtsbrecher“ und nicht Juden getroffen hätten. Seine gegenteiligen Aussagen in den ersten Vernehmungen zog er nun zurück. Das Gleiche tat er in dem zweiten Verfahren, in dem er sich 1968 für seine Tätigkeiten beim Sk 1005 verantworten musste, zu einem Zeitpunkt, als er sich aufgrund der Verurteilung in Wuppertal in Strafhaft befand. 201 In der Vernehmung vor Gericht folgte er entgegen seiner ursprünglichen Angaben nun der Einlassung Fritz Zi.s, dass den Arbeitskommandos ausschließlich „Partisanen“ angehört hätten, „eben Leute, die ihr Leben verwirkt hatten“ 202 , wie er dem Richter erklärte. Seine eigene Rolle versuchte er zu marginalisieren; so gab er an, es seien „ja nur zwei oder dreimal“ Häftlinge exekutiert worden, wobei er keine Anordnungen erteilt haben wollte, sondern lediglich für die Absicherung des Exekutionsplatzes verantwortlich gewesen wäre; „möglicherweise“ sei er am Erschießungsplatz vorbeigekommen und habe zugeschaut. 203 Unberührt gelassen hatte ihn die Aufgabe des Kommandos nicht, das Klirren der Fußketten der Häftlinge, berichtete er dem Vorsitzenden des Gerichts, habe er lange Zeit nicht aus dem Kopf bekommen. Im nächsten Moment argumentierte er aber mit der Aufrechnung von Gewalt: „Ich habe diese Bilder [des Sk 1005, Anm. d. Verf.] eigentlich erst etwas verdrängen können nach dem Kriege, als ich dann von den Greueltaten der Sowjets in meiner Heimat erfuhr, wo in meinem kleinen Heimatort auch eine ganze Familie von Verwandten ausgerottet worden war.“ 204 Damit war er, so glaubte er, entschuldigt. Mit dem Verweis auf den Feind rechtfertigte er auch die Tätigkeit des Sk 1005: „Mir war klar, wenn solche Massengräber denen [den Russen, Anm. d. Verf.] in die Hände fielen, dann würde man niemals sagen, ‚das sind die Taten von Hitler’, sondern ‚das sind die Taten des deutschen Volkes’. Und der Ruf und die Ehre des deutschen Volkes, der Nation, die standen für mich auf dem Spiel damals. […] Wir haben es ja nach dem Kriege erlebt, dass es ja doch dem deutschen Volk als Kollektivschuld angekreidet wurde, die ganzen Verbrechen, die in seinem Namen begangen worden sind.“ 205 Dass dies kein Argument war, das beim Landgericht Stuttgart wirkungslos verhallte, sollte sich später noch zeigen. Mit Rachegefühlen und der Aufrechnung von Grausamkeiten und Schuld reagierte auch Richard W., der sich wegen Massenerschießungen des Einsatzkommandos Tilsit im litauischen Grenzgebiet verantworten musste. Richard W. war im Zusammenhang mit dem Ulmer Einsatzgruppenverfahren ermittelt und am 2. Dezember 1959 auf Antrag der Staatsanwaltschaft

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Ulm verhaftet worden; die Ermittlungen wurden im weiteren Verlauf an das Landgericht Tübingen abgegeben. 206 Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelte gleichzeitig wegen Erschießungen in Minsk beim dortigen BdS gegen ihn, stellte das später eingeleitete Verfahren gegen Richard W. aber wegen dessen Verurteilung durch das Schwurgericht Tübingen ein. 207 Richard W.s Haltung stand von Anfang an fest: Niemals werde er sich als Verbrecher fühlen, teilte er einem Familienmitglied in einem Brief aus der Untersuchungshaft mit. 208 Richard W. gab in seinen Vernehmungen zunächst nicht mehr preis als unbedingt nötig, bestritt die Teilnahme an Exekutionen in Minsk und war ganz offensichtlich nicht gewillt, zur Aufklärung der Sachverhalte beizutragen, wie der entnervte Vernehmungsbeamte vermerkte. 209 Erst auf energischen Vorhalt der Vernehmungsbeamten gab er seine Beteiligung an Judenerschießungen und Ghettoräumungen in Minsk und Sluzk zu. 210 Gefragt, warum er sich an Aktionen gegen Juden beteiligt habe, erwiderte er: „Ich habe auf dem Standpunkt gestanden, dass ich getreu meinem Eid jeden Befehl auszuführen habe, auch wenn er mir noch so schwer und noch so schrecklich war.“ 211 Auch er verwies auf einen Befehlsnotstand. Für die Beteiligung an der Verfolgung von Juden in Litauen hatte er eine andere Erklärung und Rechtfertigung, in der er nicht einen Vernichtungsbefehl, sondern die erst später einsetzende Partisanentätigkeit als Grund für das Verhalten auf deutscher Seite angab. Ungeachtet der historischen Wirklichkeit beim Einsatzkommando Tilsit setzte auch er auf die Wirkung des Begriffs „Partisanenkrieg“ und vermischte dann den ersten Einsatz mit späteren Einsätzen und verwies darauf, dass sie „mit Rachegefühlen erfüllt waren“ 212 . Bezüglich seines Einsatzes in Litauen gab er die Beteiligung an sechs Exekutionen zu, betonte aber, immer nur auf Anweisung gehandelt zu haben, um eine eigene Verantwortung von sich zu weisen. Bei diesen Exekutionen gab er zu, immer die Leitung gehabt zu haben. 213 Vehement bestritt er die Vorwürfe anderer Kommandoangehöriger gegen ihn, Juden geschlagen und mit Spaten aufeinander gehetzt sowie zwei Juden durch ein Wasserloch getrieben zu haben, wobei sie ertrunken seien – als Exzesstäter wollte er nicht erscheinen. 214 Von sich wies er auch die Vermutung des Mitangeklagten Alfred Krumbach, dass er wahrscheinlich aus seinem Einsatz in Polen entsprechende Erfahrungen mitgebracht habe. 215 Dennoch fand Richard W. nichts dabei, dass Juden auf dem Weg zu ihrer Erschießung geschlagen worden waren: „Sicher war das der Fall, dass sie mitunter auch geschlagen wurden, wenn sie sich widersetzten. Dann wurden sie eben auf diese Weise wieder zur Raison gebracht. […] Ich glaube, dass die Dienststellenangehörigen, welche die Häftlinge heranführten, auch nicht gerne geschlagen haben. Sie hatten aber meiner Ansicht nach keine andere Möglichkeit, wenn sie ihren Auftrag erfüllen wollten.“ 216 Dann

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musste er doch einlenken, um die Aussagen ehemaliger Kameraden zu entkräften, wie er glaubte. 217 Er gab zu, ein kleines Stöckchen, einen abgebrochenen Zweig in der Hand gehalten zu haben, als die Opfer in Georgenburg die Grube aushuben. Weil sie zu langsam arbeiteten und er selbst zur Eile getrieben wurde, habe er „einigen arbeitenden Häftlingen mit dem Stöckchen auf den Rücken geschlagen und diesen gleichzeitig zugerufen: ‚Los, schaffen, schaffen’. Da das Stöckchen dünn war und ich auch nicht stark geschlagen habe, haben die Häftlinge durch meine Schläge bestimmt keine Schmerzen verspürt. Von einer Misshandlung der Häftlinge durch meine Schläge konnte nicht die Rede sein.“ 218 Judenhass wies er entschieden von sich und berichtete von einem jüdischen Freund, den er in Tilsit nach dessen Festnahme in der Pogromnacht entlassen habe, ohne zu merken, dass er sich damit zumindest für seine Zeit in Tilsit Handlungsfreiheit zusprach. 219 Auch er betonte, dass er, wenn er die Leitung von Exekutionen hatte, den Opfern immer die Formel „Sie werden wegen Vergehen gegen die Wehrmacht auf Befehl des Führers erschossen“ vorgelesen habe, und dass die Opfer immer als Heckenschützen und Partisanen bezeichnet wurden. Der Mitangeklagte Wilhelm Gerke kommentierte diese Aussage mit der Bemerkung „Unsinn“ 220 . Bei den ersten Erschießungen war dies tatsächlich so, bei den nachfolgenden verzichtete man auf solche Formalitäten. Erst bei weiteren Erschießungen habe er Zweifel an dieser Erklärung bekommen, zumal für ihn die Juden deutlich erkennbar waren. 221 Dennoch war Richard W. sich keiner Schuld bewusst: „Soviel kann ich aber mit ruhigem Gewissen sagen, dass ich und dass auch meine Kameraden nur auf Befehl gehandelt haben und dass wir die Erschießungsbefehle nicht gerne ausgeführt haben. […] Der Gedanke, einen Befehl nicht auszuführen oder irgendwie zu umgehen, war damals für mich und wahrscheinlich für alle meine Kameraden völlig undiskutabel. An derartiges dachte man einfach nicht. Ich kann auch heute noch nicht begreifen, dass ich durch das bloße Ausführen eines Befehles Unrecht getan bzw. ein Verbrechen begangen haben soll und deswegen heute mit einer gerichtlichen Bestrafung zu rechnen habe.“ 222 Die starke Betonung des Führerbefehls, die auch bei Gerhard S. zu beobachten ist, leugnet gerade für den Fall des Einsatzkommandos Tilsit die situativen Dynamiken, die sich vor Ort entwickeln konnten und generell die Eigenständigkeit, die einzelne Kommandos besaßen und nutzten; das Sk 4a wäre hierfür ein ausgezeichnetes Beispiel. 223 Von Anfang an hatten in Litauen Misshandlungen und Ausschreitungen im Vorfeld der Exekutionen stattgefunden. 224 Richard W. vertrat gar die Meinung, dass es im Internierungslager Moosburg grausamer zugegangen sei als beim Einsatzkommando. 225 Vor Gericht entschuldigte er sich dafür, dass er das „Pech“ hatte, einem solchen Kommando angehört zu haben. „Ich fühle mich nicht als Mörder, sondern bin innerlich sauber, da ich nur Befehle befolgte.“ 226

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Georg Heuser musste sich unter anderem für Massenerschießungen von Juden aus dem Minsker Ghetto und Transporten aus Deutschland sowie für zahlreiche eigenmächtige Einzelerschießungen und die Teilnahme an einer Lebendverbrennung von mindestens drei Menschen vor dem Landgericht Koblenz verantworten. 227 Auch er war im Verfahren gegen Erich Ehrlinger ermittelt worden, der Heuser als seinen Stellvertreter beim Sk 1b bezeichnet hatte. 228 Für die ihm ebenfalls angelastete eigenmächtige Erschießung der letzten Juden seiner Dienststelle vor dem Rückzug aus Minsk wurde er nie angeklagt. 229 Ein späteres Verfahren wegen seiner Tätigkeit beim Ek 14 in der Slowakei wurde eingestellt, weil keine höhere Strafe zu erwarten sei. Am 24. Juli 1959 wurde Heuser unter – dem Versuch, muss man sagen – größter Geheimhaltung im Umfeld in Bad Orb, wo er sich gerade zur Kur befand, festgenommen. 230 Heuser hatte von allen hier beschriebenen Tätern den höchsten Posten in der Bundesrepublik erreicht; umso tiefer war sein Fall, und er versuchte zunächst zu retten, was zu retten war, versuchte Haft und gesellschaftlichen Abstieg abzuwenden. Heuser schlug daher einen Konfrontationskurs ein, von dem er nur partiell abwich, wenn ihm konkret etwas nachgewiesen wurde und es sich nicht mehr leugnen ließ. Ansonsten blieb er selbstbewusst bei seinen geschickt konstruierten Legenden, in denen sich Wahrheit und Fiktion vermischten, und brach nicht unter dem Druck der Vernehmungen zusammen. Konkret hieß das, dass er zunächst alle Vorwürfe zurückwies. Er leugnete seine Verantwortung beim Sk 1b auf dem Weg nach Minsk und im Folgenden seine Rolle beim KdS/BdS in Minsk. Weder sei es beim Sk 1b zu Erschießungen gekommen, noch sei er der Stellvertreter von Ehrlinger gewesen; von Erschießungen in Tosno, die ihm vorgeworfen wurden, wollte er nichts gewusst haben, auch wenn Ehrlinger bei seiner gegenteiligen Aussage blieb. 231 Er ging davon aus, dass man ihm glauben würde, er, der die Züge mit Juden aus Deutschland und Theresienstadt in Empfang genommen und sich mit der Reichsbahn über Fahrplanänderungen abgestimmt hatte, hätte in Minsk nur in Besprechungen mitbekommen, dass auf Befehl des Kommandeurs Erschießungen und Tötungen durch den Einsatz von Gaswagen stattgefunden haben. 232 „Ich möchte jedoch in aller Entschiedenheit betonen“, gab er in seiner ersten Vernehmung zu Protokoll, „dass ich persönlich und auch nicht dienstlich mit diesen Exekutionen jemals befasst war. Ich habe auch nicht etwa solchen Exekutionen beigewohnt.“ 233 Bei dieser Haltung blieb er im wesentlichen in den folgenden Vernehmungen. 234 Auch seine Beteiligung an einer Ghettoaktion in Sluzk leugnete er, nicht ahnend, dass der Staatsanwaltschaft Dokumente darüber vorlagen. 235 Vor allem versuchte er, sich als Leiter der kriminalpolizeilichen Abteilung und nicht der Gestapo zu präsentieren; mit der Exekutive, so seine erste Einlassung, hätte er nichts zu tun gehabt. 236 Der Versuch, sich als

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unpolitischen Kriminalbeamten zu positionieren, misslang letztlich, was unter anderem auch daran lag, dass er sich zunehmend selbst in Widersprüche verwickelte. Er war bemüht, seine wahre Position, Zuständigkeit und Verantwortung zu marginalisieren und sich stattdessen als führender Kopf für „Bandeneinsätze“ zu präsentieren, was wiederum bedeutet, dass er davon ausging, dass ihm diese Einlassung nicht negativ angelastet werden würde. Verschiedene Aktionen gab er nach und nach zu, so die eigenhändige Erschießung einer jungen Russin, einer „Kurierin“, wie er sich ausdrückte. Er gab außerdem zu, teilweise an der groß angelegten und von Himmler befohlenen Aktion „Sumpffieber“ 237 zur „Unterdrückung der Bandentätigkeit in Weißruthenien“ beteiligt gewesen zu sein, um damit zu beweisen, dass er bei einer Aktion gegen die Insassen des Minsker Ghettos nicht in Minsk war. Weil bei der Aktion „Sumpffieber“ aber u.a. 1 274 „Verdächtige“ und 8 350 Juden erschossen worden waren, zog sich Heuser auf den Standpunkt zurück, die Vorerkundung der Aktion geführt zu haben, kurz vor Beginn der Aktion jedoch wieder zurückgeholt worden zu sein. 238 Auch den Vorwurf einer jüdischen Zeugin, er habe sie bei einer Befragung mit der Peitsche auf den Rücken geschlagen, wies er strikt von sich, ebenso wie die von Zeugen geschilderte Erschießung eines katholischen Geistlichen durch ihn. 239 Seiner Verteidigungstaktik des Leugnens und Verharmlosens blieb er auch treu, als er nach seinem Einsatz in der Slowakei gefragt wurde: „Praktisch hatten wir keine Aufgaben zu erfüllen […]. Juden gab es im dortigen Bereich keine mehr.“ 240 Dass Heusers Gedächtnis selektiv sehr gut funktionierte, er sich vor allem auf Vorhalt der Namen an außerordentlich viele Dienststellenangehörige und ihre Aufgaben erinnern konnte, zeigt ein 31-seitiges Schreiben über die „Ereignisse in Minsk“, das er für die Staatsanwaltschaft verfasste. 241 Das Schreiben nutzte er, um durch vermeintlich detaillierte Schilderungen des Dienststellenaufbaus seine eigene Position zu verschleiern und seine Meinung zu einzelnen Dienststellenangehörigen, deren Zeugenaussagen er widerlegen wollte, kundzutun. Allerdings ließ er sich nun darauf ein, dass bei der Erschießung der Juden aus ankommenden Zügen immer die gesamte Dienststelle eingesetzt wurde. 242 Wirklich zur Sache äußerte sich Heuser erst in seiner verantwortlichen Vernehmung vor Gericht; hier gab er auch deutliche Einblicke in sein Selbstverständnis und die Sichtweise auf die Taten, die ihm zur Last gelegt wurden. Zwar versuchte er immer noch, sich von einzelnen Aktionen zu distanzieren; so bestritt er weiterhin, den katholischen Priester getötet zu haben, für die Ermordung der letzten Juden auf seiner Dienststelle verantwortlich zu sein und bei der Verbrennung von zwei Männern und einer Frau bei lebendigem Leib auf Gut Trostinez in irgendeiner Funktion und schon gar nicht freiwillig anwesend gewesen zu sein. 243 Dafür gab er in anderen Angelegenheiten nun Auskunft: dass er bei der ersten Erschießung eines

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Judentransportes als Schütze mitgewirkt hatte 244 ; dass er es gewesen war, der die Initiative ergriffen und zwei Judentransporte ins Ghetto eingewiesen hatte (zur späteren Exekution), nachdem diese wegen eines belegten Abstellgleises nicht wie üblich „abgewickelt“ werden konnten 245 ; dass er 1943 auf Geheiß des SSPF Weißruthenien, Kurt von Gottberg, innerhalb von zwei Tagen einen Plan für eine „Polizeiaktion“ im Ghetto von Minsk ausgearbeitet hatte: „Insgesamt sieben Sektoren, die jeweils abgeriegelt wurden. […] Ich durchkämmte den ersten Sektor […]. Dabei kam es in erheblichem Umfang zu Verhaftungen. Leute ohne Ausweise wurden überprüft, Leute mit Waffen – solche wurden in erheblichen Mengen gefunden – im Rahmen der Abteilung IV a festgenommen, kamen ins Gefängnis. Weiterer Ablauf nicht bekannt.“ 246 Heuser nannte die letzten beiden Aktionen, um seine praktische Entschlusskraft und kriminalpolizeiliche Denkweise zu belegen; er wähnte sie als positive Beispiele. Ähnlich abgeklärt klang seine Rechtfertigung für die Erschießung einer Russin, die er als Agentin bezeichnete: „Ich habe das Mädchen abgeholt. Dann wurde es gleich erschossen. Es wurde keine Vernehmung durchgeführt. […] Diese Dinge mussten damals geschehen. Terror und Gegenterror, anders wäre es damals gar nicht möglich gewesen. […] Auf der Gegenseite wurde auch nicht vernommen. […] Auch heute noch stehe ich auf dem Standpunkt, dass dies richtig war.“ 247 Er berichtete in diesem Kontext noch von einer weiteren Erschießung einer Russin, die ebenfalls der Spionage verdächtigt wurde: „Das Mädchen wurde vernommen, gab zu. Ich habe es abends selbst erschossen. […] Ihre Leiche wurde einfach liegengelassen. Sie wurde nicht bestattet; dies tat auch die andere Seite nicht.“ 248 Von allen Aussagen mag die folgende aber am besten den Typus Heuser charakterisieren, der im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik gleichermaßen Karriere machen konnte. Gefragt, wie seine Einstellung zur „Judenfrage“ gewesen sei, antwortete er vor Gericht: „Ich stand diesen Dingen praktisch kritiklos gegenüber, weder negativ noch positiv.“ 249 Das entsprach genau dem, was Karl D. über ihn ausgesagt hatte. In einer Vernehmung hatte er sich über genau die Eigenschaften gewundert, die Ehrlinger in der Bezeichnung Heusers als „Routinier“ hatte ausdrücken wollen. Es sei ihm unfassbar, hatte Karl D. den Vernehmungsbeamten erklärt, „dass Dr. Heuser zugleich die Erschießungen so vieler Menschen seelisch verarbeiten konnte und doch uns gegenüber immer ein feinfühlender Mensch blieb. Man konnte ihm nie anmerken, dass er unter diesen Dingen gelitten hatte.“ 250 Am Ende versicherte Heuser, dass er seine Schuld einsehe und bat um ein „gerechtes Urteil“. 251 Werner Schö. brachte in sein Verfahren eine ausgereifte Verteidigungsstrategie mit. Die Grundzüge dazu hatte er bereits in seiner österreichischen Haft gelegt. Seine Argumentationen sind geprägt durch seinen Hang zur Selbstdarstellung, eine durch Egozentrismus verfälschte Realitätswahrneh-

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mung und darauf basierende Geschichtsverfälschung, in der die Aufrechnung von Schuld, antikommunistische Versatzstücke und eine Opferrolle der Deutschen eine zentrale Stellung einnehmen. Man darf es bezeichnend finden, dass er sich ausgerechnet Rudolph Aschenauer als Anwalt aussuchte. Als Werner Schö. sich im April 1961 der Polizei und dem Verfahren gegen ihn stellte, rechnete er weder damit, in Untersuchungshaft genommen zu werden, noch mit einer Haftstrafe. Zu dieser Zeit ermittelte die Staatsanwaltschaft München gegen Werner Schö. wegen seiner Tätigkeiten beim Ek 8 sowie der Oberstaatsanwalt Dortmund, weil Werner Schö. als Angehöriger des Ek 13 in der Slowakei einem Kommandoangehörigen den Befehl zur Ermordung eines Mannes gegeben haben soll. 252 Letzteres wurde im Februar 1966 eingestellt, später wieder aufgenommen und 1975 erneut eingestellt. 253 Das in München anhängige Verfahren gegen Werner Schö. wurde im Juli 1961 an die Staatsanwaltschaft Köln abgegeben. Die zahlreichen Erschießungen, die ihm als Führer eines Teilkommandos des Ek 8 vorgeworfen wurden, bezogen sich auf den Marschweg von Bialystok bis Borissow. Dass er, wie Christian Gerlach vermutet, zuvor bereits wie die Männer seines Teilkommandos auch, Anfang Juli 1941 an den Erschießungen ausgesonderter Zivilgefangener in Minsk beteiligt gewesen war, war der Justiz nicht bekannt. 254 Werner Schö. hatte das Problem, dass ihn frühere Kommandoangehörige durchweg als Streber beschrieben hatten, der kompromisslos Befehle ausgeführt habe. 255 Von Anfang an leugnete er, an Erschießungen und Aktionen in Bialystok und Slonim beteiligt gewesen zu sein. 256 Bis Borissow wollte er keine spezielle Aufgabe gehabt haben: „Ich stand unter dem Eindruck, dass wir, die Einsatzkommandos gar nicht für eine spezielle Aufgabe an Ort und Stelle abkommandiert waren.“ 257 Für Borissow, wo sein Teilkommando stationiert gewesen war, und Umgebung gab er allerdings zu, „an einigen Erschießungsaktionen“ 258 teilgenommen zu haben. Warum er genau diese Erschießungen zugab und die anderen nicht, ist unklar. Aus seinen umfangreichen Einlassungen geht aber hervor, dass er für diese Aktionen über seine eigene Rechtfertigung verfügte und von seiner Unschuld so überzeugt war, dass er höchstens von einer Verurteilung wegen Totschlags ausging. 259 Er bestritt generell, gewusst zu haben, für welche Aufgaben die Einsatzkommandos vorgesehen waren: „Dass es mit zu den Aufgaben der Einsatzkommandos gehörte, durch Liquidierungen der jüdischen Bevölkerung an der Endlösung der Judenfrage mitzuwirken, habe ich erst nach dem Krieg erfahren, so unglaubhaft das klingt.“ 260 Stattdessen betonte er die Mitwirkung der Wehrmacht, die er im Vergleich zu den Einsatzkommandos in einer übergeordneten Rolle sah. Teil seiner Argumentation war, die Erschießungen in Borissow und Umgebung aus dem Kontext der Judenvernichtung herauszunehmen und sie als Vergeltungsmaßnahme für ein angeblich aufgefundenes Massengrab zu präsentieren. 261 Jüdische Männer aus

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dem Ghetto habe er aus „Trotz“ erschossen, um die Wehrmacht dazu zu bewegen, sich gegen die Judenerschießungen auszusprechen. 262 Obwohl er sich ursprünglich auf Befehlsnotstand berief, hielt er es für unverfänglich, seinen eigenen Befehlsspielraum als Teilkommandoführer in Borissow anzugeben: „Es ist klar, dass nicht jede Aktion, die ich in Borissow durchgeführt habe, vom Ek befohlen war.“ 263 Hinter seinen widersprüchlichen Argumentationen stand die Auffassung, dass die Erschießungen, auch von Frauen und Kindern, letztlich nicht von deutscher Seite initiiert, sondern vom Gegner aufgezwungen worden seien. Immer wieder spricht und schreibt er in seinen kruden Verteidigungsschriften davon, dass ein „Substanzverlust“ des deutschen Volkes hätte aufgehalten werden müssen: „Als dann der Zweite Weltkrieg in die Phase des gegenseitigen Vernichtungskriegs eintrat, empfand ich die Situation des deutschen Volkes als eine ausgesprochene Notstandssituation, in der es um Leben und Tod des Volkes ging. Unter diesem Gesichtspunkt traten die von mir in der Schule aufgenommenen Gedanken über den Substanzverlust des deutschen Volkes gegenüber einem zahlenmäßig überlegenen Gegner besonders stark hervor, als bekannt wurde, dass der Russe in einem ungeheuren Ausmaß Menschen liquidiert hatte und uns offenbar das gleiche Schicksal drohte, wenn wir seiner nicht Herr werden würden.“264 Werner Schö. spielte nicht nur mit dem Feindbild Russe und Russland, er war überzeugt davon. 265 Immer wieder führte er alliierte Luftangriffe und Übergriffe auf Volksdeutsche an, um sein eigenes Handeln zu rechtfertigen. 266 In einer 51-seitigen Rechtfertigungsschrift offenbarte er sein Geschichtsund Selbstbild. „Ich stelle fest“, heißt es darin, „dass ein brutaler Vernichtungskrieg gegen die deutsche Zivilbevölkerung begonnen hatte, bevor ich zum Einsatz im Osten gelangte.“ 267 Die befohlenen Erschießungen waren daher nicht nur rechtmäßig, argumentierte er, sondern zudem eine reine Vergeltungsmaßnahme. 268 Befehlsverweigerung hielt er für „unanständig“: „Wer sich auf Kosten seiner Kameraden drückt, ist ein Lump und ein Mörder an seinem Kameraden zugleich.“ 269 Für sich nahm er in Anspruch, die Erschießungen so menschlich wie möglich ausgeführt zu haben: „Der Begriff Grausamkeit ist gerade der, in dem wir uns vom Gegner grundlegend unterschieden. […] Jede vertretbare Härte ist sogar menschlich, wenn sie dazu geeignet ist, das Opfer abzulenken oder die qualvolle Wartezeit zu verkürzen. Und das nehme ich für mich ohne jede Einschränkung in Anspruch. […] Die in meinem Bereich angewandte Tötungsart war mit Abstand die menschlichste. […] Der Vorwurf der Grausamkeit zerfällt zu einem Nichts, wenn ich dem Gericht die Frage vorlege, wie es hätte menschlicher gemacht werden können. Auf diese Frage gibt es nämlich keine Antwort.“ 270 Mit Geschichtsklitterung und theatralischer Selbstdarstellung glaubte er seine Unschuld bewiesen zu haben und fasste daher zusammen: „Ich fühle mich frei von jedem Bewusstsein persönlicher

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Schuld. Ich rechnete mich schon damals zu den Verdammten einer Generation, die ohne eigenes Streben, trotz humanistischer Erziehung und Denkungsart, plötzlich das nie vorausgeahnte Opfer eines unausweichlichen Schicksals wurden. Härter als die Opfer sind wir betroffen; denn wir müssen unter dem seelischen Substanzverlust weiterleben.“ 271 Wie die umfangreichen Beispiele zeigen, versuchte jeder auf seine Art und Weise, sich zu rechtfertigen. Keiner empfand sich als schuldig im Sinne der Anklage. Sie selbst konnten sich nicht in ihren eigenen Täterkonzepten verorten. Die Opfer kamen, wenn überhaupt, nur als namenlose Masse vor. Es wird deutlich, dass die Angeklagten ihre Verteidigung auf der aufbauten, die sie bereits direkt nach Kriegsende gebraucht hatten. Das bedeutete, dass sie immer noch glaubten, sich auf einen Mangel an Wissen seitens der Justiz verlassen zu können. In fast allen Fällen stellte sich das aber als Irrglaube heraus. 3.1.2. Die Täter und ihre Haltung zu den NS-Prozessen Für die Haltung der Täter zu den Prozessen gegen sie gilt, dass die, die am meisten von ihrer Unschuld überzeugt waren und viel Energie zur Rechtfertigung ihrer eigenen Person, aber auch der ihnen vorgeworfenen Taten aufgebracht hatten, auch diejenigen waren, die sich nicht nur als Opfer der Justiz empfanden, sondern die dies auch nach außen kommunizierten. Oder wie es Karl Jaspers 1945 formuliert hatte: „Wer noch nicht sich selbst durchleuchtend seine Schuld begriffen hat, der wird die Neigung haben, den Ankläger anzuklagen.“ 272 Mit Blick auf ihre vorangegangen Einlassung war diese Haltung der konsequent nächste und letzte Schritt. Sie griffen zu einem Argument, dessen Adressaten in erster Linie die Familie, Freunde und Kollegen waren. Hier ließen sie ihrer Selbstsicht, vor allem aber ihrer Verbitterung, freien Lauf, und genau aus diesem Grund sind diese Schriften auch überliefert – weil sie wegen ihres Inhalts abgefangen und einbehalten wurden. Die Schreiben konnten sich aber auch direkt an die Seite der Justiz richten, wie in den Fällen Gerhard S. und Werner Schö., die ausführliche Erörterungen darüber schrieben, warum entweder ihr Prozess nicht rechtmäßig oder politisch sei. Alle, von denen Aussagen zum Thema vorliegen, betrachteten sich als Opfer einer politisch gesteuerten Justiz, die, so glaubten sie, keinesfalls für sich in Anspruch nehmen könne, im Namen des Volkes Recht zu sprechen. Sie sahen wie August Hä. Verschwörungen am Werk und wie Werner Schö. im Verhalten der Protagonisten auf Seiten der Justiz überall Anzeichen für ihre Vermutungen. Während Harder sich ohne weitere Erläuterungen als Opfer einer politischen Justiz empfand, brachten August Hä., Gerhard S. und Werner Schö. einerseits die Wehrmacht (August Hä. auch die Ordnungspolizei) ins Spiel, die ihres Erachtens nicht juristisch verfolgt würden,

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was für die Wehrmachtsangehörigen auch zutraf. Eine einseitige Kampagne gegen die SS sahen sie am Werk. Die Beteiligung der Wehrmacht am Genozid und die freie Hand, die gerade dem Sk 4a von Reichenau dabei gelassen hatte, hatte August Hä. dazu veranlasst, die Taten, die von ihm und dem Sk 4a begangen worden waren, hauptsächlich der Wehrmacht anzulasten. Sein Fokus und seine Wahrnehmung hatten sich vollständig auf diesen Aspekt eingeengt. Seine Sichtweise war es, dass Blobel während des Nürnberger Nachfolgeprozesses (Fall 9) bewusst Wehrmacht und Ordnungspolizei nicht belastet hätte, obwohl er, August Hä., genau das gewollt habe. 273 Dieser Logik entsprechend waren die Einsatzkommandos und ihre Führer zu Sündenböcken geworden. Vor diesem Hintergrund erklärt sich seine Reaktion auf die Vernehmung, in der die oben geschilderte Erschießung der Kinder in Belaja Zerkow besprochen worden war. Der Untersuchungsrichter hielt danach fest: „August Hä. war bei seiner Vernehmung am 31. Mai 1965 über die Vorgänge in Belaja Zerkow derart erregt, dass er dem Weinen nahe war. […] Er hat mehrere Zornesausbrüche gehabt, weil er den seitherigen Verfahren gegen Angehörige der Einsatzgruppe den Vorwurf machen müsse, dass in diesen Verfahren die Ermittlungen gegen Angehörige der Wehrmacht vernachlässigt worden seien. Auch die Wehrmacht habe die Judenerschießungen befohlen.“ 274 Bereits während seiner Gefangenschaft hatte August Hä. nach eigenen Angaben den Amerikanern die Beteiligung der beiden anderen Organisationen zu erklären versucht. „Ich war schon in Ebensee [Kriegsgefangenenlager, Anm. d. Verf.] nicht bereit, die ganze Schuld für das Geschehen in Russland auf die Einsatzkommandos zu beschränken.“ 275 Wegen dieser Haltung, so seine Deutung aus der Retrospektive, sei er selbst nicht in Nürnberg angeklagt worden; „dort hatte man nämlich das Bestreben, die ganze Schuld auf der SS bzw. der Sicherheitspolizei beruhen zu lassen.“ 276 Er selbst sah sich nun wieder in der ungerechten Rolle eines Opfers und musste schon deswegen die Prozesse ablehnen. Harder teilte sein Empfinden, Opfer politischer Erwägungen zu sein, direkt dem Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz mit. Er stellte es so dar, dass er allein deshalb nicht aus der Untersuchungshaft entlassen würde, weil der Staatsanwalt dagegen sei. Der Haftrichter würde ihn wohl entlassen, das war zumindest seine Interpretation, aber unter diesen Umständen seien ihm die Hände gebunden. „Es muss wohl der Wahrheit entsprechen und zutreffen“, resümierte er in seinem Brief, „was ein hoher Beamter der Koblenzer Justizbehörde gesagt hat: ‚Es getraut sich im Augenblick kein Richter, sie heraus zu lassen’.“ 277 In seiner Untersuchungshaft sah er eine „Pauschalverurteilung“ für seine SS-Zugehörigkeit. Einen ganz eigenen Zeitpunkt für seine Kritik an speziell seinem Prozess und auch ganz eigene Argumente hatte Fritz Zi. gewählt. Am ersten Prozesstag lehnte er in einem Antrag das gesamte Schwurgericht als befangen

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ab. 278 Die Tatsachen verdrehend warf er zum einen dem Gericht vor, absichtlich darauf hingearbeitet zu haben, dass er ohne Verteidiger sei (tatsächlich hatte Fritz Zi. sich geweigert, mit seinem Pflichtverteidiger zu kommunizieren) und zum anderen, dass Informationen über seine Beschäftigung bei einem Nachrichtendienst über das Gericht, wie er vermutete, an die Öffentlichkeit gelangt waren und die Geschworenen durch seine Erwähnung im Magazin Der Spiegel voreingenommen seien. Schließlich, und das war wohl sein eigentliches Anliegen, lehnte er das Gerichtsverfahren ab, weil er den Grundsatz der Gleichheit aller vor dem Gesetz verletzt sah. Während man seiner Meinung nach NS-Juristen, die Todesurteile gefällt hätten, begünstige, indem man ihnen weder Grausamkeit, noch Heimtücke, noch niedere Beweggründe unterstellte, würde man genau das bei ihm tun, obwohl auch er nur Befehle ausgeführt habe. Sein Antrag wurde abgelehnt. Basierend auf seiner Selbstrechtfertigung und Verteidigungsstrategie warf er dem Gericht in seinem Schlusswort in dem ihm eigenen überheblichen Ton Unfähigkeit vor. 279 Es hätte weder richtig ermittelt, noch hätte die Staatsanwaltschaft die richtigen Schlüsse gezogen. Er implizierte damit, Opfer einer übereifrigen Justiz zu werden. Prozess und Gericht lehnte auch Gerhard S. ab, der sich prinzipiell als Opfer einer meinungsgesteuerten Politik betrachtete. Einem Freund schrieb er: „In einer Welt, wo du aus Dummheit, Denkfaulheit oder zweckpolitischem Kalkül in einen Topf mit Verbrechern gemeinster Art geworfen wirst und du der einsamste Mensch bist, den man sich denken, kann, weil eine Minderheit, die aber das Instrumentarium ausgezeichnet beherrscht, das ‚Kreuziget ihn’ schreit, jede andere Meinung totgeknüppelt würde [im Original zum Teil unterstrichen] und bewusst den Einwand ignoriert, dass jede Schuld eine persönliche sein muss – in einer solchen Welt bist du nur noch Objekt, im Höchstfalle Erfüllungsgehilfe für einen angestrebten politischen Zweck.“ 280 Presse, Verbände und Justiz sah er an einem Strang ziehen und war sich sicher, dass die Mehrheit der Bevölkerung gegen „Prozesse wegen Kriegsverbrechen auf Befehl“ 281 sei. Nachdem die Zentrale Stelle in Ludwigsburg eingerichtet worden sei, müssten nun Schuldige gefunden werden. Gerhard S. hatte auf den Schlussstrich gehofft und war mit dem Gegenteil konfrontiert worden. 282 Immer wieder kritisierte er die „aus politischem Anlass betriebene Aufrollung von 20 Jahren zurückliegender Ereignisse“ 283 . Er misstraute dem Landgericht Berlin, die damalige Situation richtig einschätzen und beurteilen zu können und verwies auf eine völlig andere Rechtslage, die damals für ihn gegolten habe. Seine Kritik mündete nicht nur in Vorbehalten gegen die Prozesse an sich, sondern in seinem konkreten Fall auch gegen das Landgericht Berlin, dessen Zuständigkeit er in einem ausführlichen, in juristischem Stil verfassten Schreiben ablehnte, weil, so das Hauptargument, Berlin nicht zur Bundesrepublik gehören und deswegen auch das Grundgesetzt dort nicht gelten würde. 284

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Am vehementesten lehnte Werner Schö. das Verfahren gegen ihn persönlich, aber auch die Verfahren vor deutschen Gerichten wegen Kriegsverbrechen – von nationalsozialistischen Verbrechen sprach auch er wie alle anderen nicht – ab. In seinem persönlichen Fall sah er einmal eine politisch beeinflusste Staatsanwaltschaft und schließlich generell eine politische Justiz am Werk und stilisierte sich zum „deutschen Nationalopfer zur Sühne der Kollektivschuld“ 285 . Aufgrund des egozentrischen Charakters Werner Schö.s und seiner eigenen Realitätswahrnehmung vermischen sich diese in all seinen Schriften mit den eigentlichen Argumenten, die er vorbringen wollte. So glaubte er, mit Hilfe seines Bruders eine Kampagne in der Presse gegen Offiziere der Wehrmacht und die Unrechtmäßigkeit des Prozesses führen zu können, weil zunächst Offiziere der Wehrmacht auf die Anklagebank gehörten, bevor ihm der Prozess gemacht werden könne. 286 In diesem Kontext ist ein Brief zu betrachten, den er an Erich Mende, zu dieser Zeit Fraktionsvorsitzender der FDP, schicken wollte. Der Brief wurde allerdings wegen seines erpresserischen Inhalts beschlagnahmt. In ihm hatte Werner Schö. dem ehemaligen Wehrmachtsangehörigen Mende gedroht, einen in Kopie beigefügten Brief an den Bundesverteidigungsminister, in dem er die wahren Verantwortlichen für die ihm vorgeworfenen Taten in der Wehrmacht sah, abzuschicken, wenn Mende nicht den Prozess gegen ihn stoppen werde. Konkret schrieb er: „Vermutlich wird es Ihnen nach Durchsicht der Beilage und im Hinblick auf das, was in meinem Prozess zur Sprache kommen wird, nicht sehr angenehm sein, so oft mit Stolz darauf hingewiesen zu haben, Offizier der deutschen Wehrmacht gewesen zu sein. Ich bitte Sie höflichst, in unserem gemeinsamen und im deutschen Interesse darauf hinzuwirken, dass der Prozess nicht stattfindet und ich sofort enthaftet werde. […] Die Durchführung dieses Prozesses, der mir am wenigsten schadet, sondern jedoch in ungeheurem Ausmaße dem deutschen Volk und der Bundeswehr, zeugt m.E. von einer unüberbietbaren politischen Instinktlosigkeit.“ 287 Die Abschrift des geplanten Briefs an den Bundesverteidigungsminister von Hassel, die Werner Schö. dem Schreiben beigefügt hatte, war weitaus weniger brisant, als Werner Schö. das selbst sah. Er bestritt darin eine Verantwortung für die ihm vorgeworfenen Taten und bezeichnete die Wehrmacht als verantwortlich. Zum Beweis legte er ein Foto bei, das seinen Angaben zufolge eine Wehrmachtseinheit bei einer Erschießungsaktion zeigen sollte, tatsächlich aber ein Enterdungskommando zeigte. 288 Zwischenzeitlich verweigerte er in der Voruntersuchung jede weitere Aussage, weil er alle Verfahren wegen Verbrechen während der NS-Zeit für rechtswidrig hielt, solange nicht auch gegen Wehrmachtsangehörige ermittelt werde. 289 Sein Problem war, dass das Kölner Landgericht ihm nicht glauben wollte, dass bei den Aktionen seines Teilkommandos die Wehrmacht in Gestalt der 12. Kompanie des Infanterieregiments 354 beteiligt gewesen war. 290

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Seine gesamte Argumentation gegen die Prozesse fasste er in einem Konglomerat aus diversen Einzelschriften zusammen, die er im Dezember 1962 an den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen schickte, den er um Schutz vor politischem Unrecht, wie er es nannte, bat. Im Mittelpunkt seiner auf Geschichtsklitterung beruhenden Ausführung stand seine Sichtweise, dass das Verfahren gegen ihn unrechtmäßig sei, weil Verbrechen der einstigen Gegner nicht verfolgt würden. Letztlich waren die NS-Prozesse vor bundesdeutschen Gerichten für ihn nur eins: „eine instinktlose Beihilfe zur Geschichtsverfälschung“ 291 .

3.2. Die Rechtsanwälte der Angeklagten Für das Verhalten der Rechtsanwälte gilt das Gleiche, was bereits für das Verhalten und Vorgehen der Rechtsanwälte im Rahmen der Spruchkammerverfahren festgestellt werden konnte. Einige von ihnen vertraten offensichtlich nicht nur die Rechte, sondern auch die Ansichten ihrer Mandanten über den Nationalsozialismus, ihre Rolle darin und über die Prozesse, in denen sie sich zu verantworten hatten. Sie folgten ihnen in ihrem Geschichtsbild, in ihrer Weltanschauung und brachten teilweise exakt die gleichen Argumente vor, die die Angeklagten in ihren Aussagen, schriftlichen Ausführungen und privaten Briefen selbst formuliert hatten. Die Ausführungen des Rechtsanwalts von Gerhard S. unterscheiden sich inhaltlich nicht von denen seines Mandanten, und auch Friedrich Me.s Rechtsanwalt behauptete wie sein Mandant, es habe beim Sk 7a keine Teilkommandos gegeben, womit er exakt dessen Aussage wiederholte. So unterschiedlich sie die Schwerpunkte der Verteidigung wählten, zu den Topoi, die sie alle verwandten, gehörten der Befehlsnotstand, eine zunächst juristische Argumentation, aus der jedoch eine spezifische Auffassung der damaligen Verhältnisse sprach, sowie der Verweis auf die besonderen Zeitumstände, nicht vorhandenen Antisemitismus (der als niederer Beweggrund hätte ausgelegt werden können), auf die bürgerliche Lebenssituation der Angeklagten, die verschiedenen Leumundserklärungen sowie die Sekundärtugenden ihrer Mandanten wie Anständigkeit, Fleiß und Arbeitsamkeit, die ihre charakterliche Lauterkeit beweisen sollten. Die unsichtbare Grenze zwischen einer maßgeblich juristischen Argumentation und einer, in der Geschichtsbild, Weltanschauung und populistische Legenden eine Hauptrolle einnahmen, verlief fließend. Überschritten wurde sie unverkennbar von den Anwälten von Karl D., Walter He., Schmidt-Hammer, Gerhard S. und Rudolf Th., am weitesten von den Rechtsanwälten von Walter He. und Rudolf Th. Der erste Schritt in diese Richtung war der, dass sie sich die Einlassungen und Rechtfertigungen der Angeklagten zueigen machten, das heißt, deren Darstellungen als historische Wahrheit behandelten und in ihrer Verteidigung übernahmen. Die Frage, ob dies ohne oder entgegen besseren

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Wissens geschah, muss nicht in den Bereich des Spekulativen verweisen, da die restlichen Anwälte diesen Weg nicht beschritten und die historischen Sachverhalte nicht zuletzt in anderen Urteilen behandelt worden waren. Wenn sich Karl D.s Rechtsbeistand darüber wunderte, dass sein Mandant verhaftet worden war, obwohl der Krieg doch 15 Jahre zurücklag, dann zweifelte er damit die Rechtmäßigkeit der Strafverfolgung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen durch die bundesdeutsche Justiz an. Gleiches gilt für Rudolf Th.s Rechtsanwalt, der im übrigen, wie viele seiner Kollegen, nicht zwischen Kriegsverbrechen und NS-Verbrechen differenzierte. Er bezeichnete die Prozesse ganz offen als Politikum 292 , als demonstrative „Selbstreinigung“ 293 für das Ausland und als Schicksal für seinen Mandanten und forderte nicht nur dessen Begnadigung, sondern einen generellen Schlussstrich: „Heute sind über 20 Jahre verstrichen seit dem Vorkommnis und man darf dann in der Gnadeninstanz doch sagen, dass es jetzt endlich Schluss sein möge. […] Schluss […] mit diesem Wühlen in der Vergangenheit.“ 294 Die Kritik an den Prozessen, von Angeklagten, dem sozialen Umfeld, Arbeitgebern und eben auch Rechtsanwälten geäußert, meinte nichts anderes, als dass die Strafverfolgung das Problem war, nicht die begangenen Verbrechen, dass die Justiz schuldig war, nicht die, die sie anklagte. Sieht man sich die weitere Argumentation an, die solchen Äußerungen zu Grunde lag, finden sich Verharmlosung, Aufrechnung und Versatzstücke nationalsozialistischer Propaganda. Rudolf Th.s Anwalt, um bei diesem Beispiel zu bleiben, folgte der Schneise, die sein Mandant mit seiner Selbstrechtfertigung wild durch die jüngste Geschichte geschlagen hatte. In seiner Verteidigung stellte er den NS-Verbrechen die Luftangriffe der Alliierten, die Vertreibung der Sudetendeutschen und das Schicksal deutscher Kriegsgefangener gegenüber, um auf die von ihm empfundene Ungerechtigkeit solcher Prozesse, in denen sich sein Mandant zu verantworten hatte, hinzuweisen. Er skizzierte eine historische Situation, in der nach innen ein „unbarmherziges Regime“ geherrscht habe, betonte die Befehlssituation, in der die Verbrechen geschehen seien, bemühte die abstrakte Bezeichnung der Härte des Krieges und die Grausamkeit der Gegner, die „allmählich ein Gefühl für Recht und Milde im einzelnen zu ersticken drohten“ 295 . Die Verbrechen der Einsatzgruppen, denn darum ging es ja in dem Prozess, bezeichnete er als Exzesse, wodurch er sie nicht als Teil eines Vernichtungskrieges, sondern als Teil eines konventionellen Kriegs betrachtete: „Und letztlich entschied die unmenschliche und grausame Härte des Kriegs im Osten und zwar auf beiden Seiten, dass es zu solchen Exzessen kam. Solche Exzesse waren übrigens nicht bloß dem Krieg 1939–1945 vorbehalten. Sie gab es seit eh und je. Sie gibt es bis zum heutigen Tag.“296 In dieser Logik war Rudolf Th. nicht nur Opfer des Nationalsozialismus, er war ein zufälliges Opfer; schließlich, so der Anwalt, habe der Zufall entschieden, ob

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man zu einem Einsatzkommando kam oder nicht. 297 Unwissen und persönliches Geschichtsbild verschmolzen in diesem Fall, aber nicht nur dort. Der Anwalt Walter He.s folgte diesem in seiner Behauptung, die Erschießungen in Schachty seien nach Verhören und Überprüfung des Sachverhalts in Rostow angeordnet und rechtmäßig gewesen. Es habe sich „nicht um die Verfolgung und Ausmerzung von Juden gehandelt, sondern um die Erschießung von verdächtigen Spionen, Partisanen oder ähnlichen als Feinde betrachteten Personen“ 298 . Seine vorangegangene Argumentation nutzte er, um auch die nachweisliche Erschießung einer jüdischen Frau und eines Kindes zu rechtfertigen: „Es bestand für den Beschuldigten kein Anlass anzunehmen, dass diese Frau nicht zu jener Kategorie von Gefangenen gehörte, die als Verdächtige aus militärischen oder polizeilichen Gründen zu erschießen waren.“ 299 Damit leugnete er die Haupttätigkeit des Kommandos. Das Bild, das er von Walter He. zu zeichnen versuchte und das einen hilflosen, unpolitischen Menschen zeigen sollte, der Unrecht nicht habe erkennen können, passt letztlich nicht zu den Ausführungen, die Walter He. selbst machte. Von der nicht erkennbaren Rechtswidrigkeit der Erschießungen ging auch Schmidt-Hammers Rechtsanwalt aus, nach dessen Auffassung erst dieser Prozess zu dieser Erkenntnis geführt habe. Weder Schmidt-Hammer, noch die deutsche Bevölkerung, argumentierte er fälschlicherweise, hätten etwas von den Verbrechen gewusst. 300 Somit sei sein Mandant Opfer einer Täuschung geworden. Energisch beharrte er auf dessen Einlassung, die Opfer seien Partisanen oder Heckenschützen gewesen und verteidigte die Erschießung von Geiseln als rechtmäßig. 301 Tatsächlich, und das hatte das Gericht richtig festgestellt, hatten sich die Einwohner von Garsden nicht am Kampf der sowjetischen Truppen gegen die Deutschen beteiligt, was Zeugen bestätigt hatten. 302 Der Hinweis auf Heckenschützen, die deutsche Truppen überfallen hätten, wurde dem Kommando der Schutzpolizei Memel, dem Schmidt-Hammer angehörte, als Erschießungsgrund für die zusammengetriebenen Juden und Kommunisten des Ortes genannt. Ob dies geglaubt wurde, ist eine andere Sache, denn ein Polizeireservist war schon bei der Abfahrt zum Einsatzort davon überzeugt, dass es nun zu einer Judenerschießung gehe; die Geschichte von den Widerständlern stieß auf Skepsis, und die Opfer waren durch ihre Bekleidung als Juden zu erkennen. 303 Schmidt-Hammers Rechtsanwalt machte seine Einwände für alle von diesem geführten Exekutionen in Garsden, Krottingen und Polangen geltend, wobei er die in Polangen als Repressalie rechtfertigte. 304 Dass zwar in der Mehrzahl Juden, aber auch Kommissare erschossen wurden, bewies für ihn, dass dies keine ausschließliche Maßnahme zur Judenvernichtung gewesen sei. 305 Für ihn stand somit fest: „So furchtbar die damaligen Massentötung mehr oder weniger Unschuldiger durch die Schergen des Hitler-Regimes

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waren, so menschlich begreiflich ist das Verhalten gerade dieses Angeschuldigten, der diesem Regime in keiner Weise innerlich verhaftet war, dem die wahren Hintergründe der Erschießungen völlig unbekannt waren und der lediglich dem Zwange der Not folgend seine bittere Pflicht tun zu müssen glaubte.“306 Er bedauerte dem Landgericht Ulm gegenüber, dass das Straffreiheitsgesetz von 1954 nicht schon einen Schlussstrich unter diese Taten gezogen habe. Schmidt-Hammer, den er als feinfühlig verstanden wissen wollte, passte nicht in das Täterkonzept, das er mit den Einsatzgruppen verband, und urteilte daher falsch: „Der Verurteilte gehört weder nach seiner Erziehung, noch nach seiner Denkungsart zu dem Personenkreis, aus dem sich die Vernichtungseinheiten der damaligen Gewaltherrschaft zusammensetzten.“ 307 Dass Schmidt-Hammer offensichtlich dennoch funktioniert hatte und als Exekutionsleiter eingesetzt worden war, erklärte er mit dem Hinweis darauf, dass er seine „Soldatenpflicht“ erfüllt habe. Welchen Einfluss die Ausführungen der Rechtsanwälte auf die Urteilsfindungen haben konnten, was akzeptiert wurde und was nicht, hing von den Staatsanwälten und Richtern ab. Die populären Rechtfertigungen und Irrtümer, die sie vorbrachten, wurden von der Justiz und auch von der Presse nicht mehr automatisch akzeptiert. Gerade die Schriftstücke der hier beispielhaft erwähnten Rechtsanwälte waren bei der Staatsanwaltschaft mit zum Teil energischen, ihnen widersprechenden Kommentaren versehen worden.

3.3. Die Justiz Wie betrachteten nun Staatsanwaltschaften, Untersuchungsrichter und schließlich die Gerichte die Einlassungen der Angeklagten, die Eingaben der Rechtsanwälte, die Leumundszeugnisse, die Freunde und Bekannte für die Betroffenen ausgestellt hatten? Was hatten sie den Rechtfertigungen und Selbstentlastungen der Angeklagten entgegenzusetzen? Beeinflusste das Geschichtswissen, das ihnen in Dokumenten vorlag, ihren Blick auf die Täter? Die Fragen lassen erkennen, dass es im Folgenden nicht um juristische Aspekte und Problematiken der NS-Prozesse gehen soll. Zweifellos waren die Frage des Befehlsnotstandes, die von den Nürnberger Prozessen übernommene Definition der Haupttäter als Hitler, Himmler und Heydrich, Verjährungsfristen, die Strafverfolgungen bestimmter Taten bedrohten, die starke Betonung der Befehlssituation und der Einfluss der subjektiven Theorie der Tatherrschaft zentrale Themen, die die Rechtssprechung beeinflussten, und wo es kontextuell sinnvoll erscheint, wird darauf eingegangen werden. 308 Das Hauptinteresse in diesem Kapitel liegt jedoch auf der Frage, welche Täterkonzepte und Vorstellungen sich auf der Seite der Justiz erkennen lassen, welche Auswirkungen sie auf die Be- und Verurteilung der

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Angeklagten hatten, wie das vorhandene Wissen über Strukturen und Verbrechen die Be- und Verurteilung der Angeklagten beeinflusste. Im Gegensatz zu den Spruchkammerverfahren sahen sich die Angeklagten und ihre Anwälte mit Geschichtswissen und zeitgenössischen Dokumenten auf der Gegenseite konfrontiert. Anhand der „Ereignismeldungen“ waren im Zuge der Vorermittlungen Marschwege und Einsätze der Einsatzkommandos rekonstruiert worden, Aussagen ehemaliger Kommandoangehöriger halfen dabei, Namenslisten zu vervollständigen, Personen mit konkreten Verbrechen in Verbindung zu bringen und Einlassungen zu widerlegen. Sachverständige halfen dabei, die vorgebrachten Aspekte Befehlsnotstand und Angleichungsdienstgrad generell und im speziellen Fall zu klären. Die Justiz musste aber auch kämpfen, gegen Solidaritäten in Polizeikreisen und unter ehemaligen Kameraden, gegen Ablehnung und Verunglimpfung aus der Bevölkerung (das Ulmer Landgericht erreichten ganze Bündel an Schmähschriften). Sie hatte es mit gezielter Lobbyarbeit zu tun, wenn beispielsweise Adolf von Bomhard in seinen Stellungnahmen und Zeugenaussagen oder der ehemalige Generalleutnant der Ordnungspolizei Georg Schreyer in einem Brief an den Generalstaatsanwalt beim Amtsgericht Berlin Befehlsnotstand als Tatsache verstanden wissen wollten und sich Anwälte direkt auf Bomhard beriefen. 309 Sie erhielten aber zum gleichen Thema auch ausreichende Gegenaussagen. Wenn auch der Befehlsnotstand in einzelnen Fällen ausgeräumt werden konnte, der subjektive Putativnotstand, auf den sich die Angeklagten dann beriefen, konnte kaum widerlegt werden. Im Koblenzer Verfahren sahen sich die Ermittler immer wieder mit einer Mauer des Schweigens konfrontiert. Das Netzwerk um Heuser erwies sich zwar nicht an allen Stellen als undurchdringbar, aber sie mussten erkennen, dass die Minsker Dienststelle eine kameradschaftliche Verbundenheit besonderer Qualität hervorgebracht hatte. Selbst eine ehemalige Stenotypistin von dort meldete sich bei Heusers Rechtsanwalt, um zu fragen, mit welcher Aussage sie helfen könne. Heusers Sekretärin hingegen, die durch ihre Arbeit über die Tätigkeiten ihrer männlichen Kollegen genau Bescheid wusste, verweigerte die Aussage als Zeugin mit dem Hinweis, sie sei keine Denunziantin und weil sie davon ausging, dass demnächst wieder eine nationale Diktatur, wie sie es nannte, herrschen würde. 310 Die Ermittlungen, die in den einzelnen Fällen angestellt wurden, waren durchweg umfangreich und hatten mit erheblichen Behinderungen zu kämpfen, wenn wie im Fall Friedrich Me. solidarische Kollegen Absprachen zwischen den Beschuldigten ermöglichten und Akten verschwanden. Gegenwind kam in den Ermittlungen gegen Friedrich Me. auch aus den eigenen Reihen: Das Amtsgericht Münster weigerte sich beharrlich, einen Haftbefehl gegen ihn auszustellen. Die Begründungen dafür waren mehr als fragwürdig. Obwohl BDC-Unterlagen bewiesen, dass Friedrich Me. dem

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Sk 7a als Teilkommandoführer angehört und er in der Untersuchung gegen Filbert geleugnet hatte, jemals dem Sk 7a angehört zu haben, sah das Amtsgericht Münster keinen ausreichenden Tatverdacht. Die vorgelegte BDCAuskunft reiche als Beweis nicht aus; dafür würde die Kopie des Lebenslaufes, in dem Friedrich Me. seinen Einsatz erwähnt, benötigt; überdies müssten zunächst Angehörige des Sk 7a als Zeugen vernommen werden und die Identität Friedrich Me.s mit dem Teilkommandoführer Friedrich Me. bezeugen. „Darüber hinaus“, hieß es in dem abschlägigen Bescheid, „vertritt das AG Münster die Auffassung, dass keinerlei Anhaltspunkte gegeben seien, dass das unter Führung des Beschuldigten stehende Teilkommando an Tötungen irgendwelcher Art beteiligt gewesen sei.“ 311 Der zuständige Amtsgerichtsrat des Amtsgerichts Münster blieb auch bei seiner Haltung, nachdem ihm die gewünschten Dokumente mit der Erklärung, dass es höchst unwahrscheinlich sei, dass sich gerade das Sk 7a nicht an Judenermordungen beteiligt haben soll, vorgelegt worden waren. Das Verfahren wurde daraufhin an das Landgericht Münster weitergeleitet, das den Bescheid des Amtsgerichts Münster bestätigte. Gerechtfertigt wurde dies damit, dass die „Ereignismeldungen“ zwar besagten, dass das Sk 7a Massenerschießungen ausgeführt hat, es aber nicht bewiesen sei, dass auch Friedrich Me. an den Exekutionen beteiligt gewesen war: „Es mag zwar eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass auch sein Teilkommando an den Exekutionen beteiligt gewesen ist. Das braucht aber nicht notwendigerweise der Fall gewesen zu sein, da die Aufgabe der Teilkommandos nicht nur in der Beseitigung der Juden und kommunistischen Kommissare bestand, sondern auch vor allem in der Bekämpfung von Partisanen.“ 312 Wer auch immer bei der Staatsanwaltschaft Essen dies las, er konnte nicht anders, als diesen Abschnitt mit einer dicken Markierung zu kommentieren. Da eine erneute Beschwerde vom Landgericht Münster abgelehnt wurde, musste Friedrich Me. vernommen werden, ohne dass man ihn gleichzeitig hätte in Haft nehmen können. Von den entsprechenden Versuchen, einen Haftbefehl zu erwirken, war er inzwischen unterrichtet. Erst fünf Monate später erließ das Landgericht Münster Haftbefehl gegen Friedrich Me. Auch wenn im Fall Heuser im Vorfeld der Festnahme nur ein kleiner Personenkreis unter dem Siegel der Verschwiegenheit davon wusste, um eine mögliche Flucht zu verhindern, war sehr zum Ärger von Oberstaatsanwalt Schüle, Leiter der Zentralen Stelle Ludwigsburg, an irgendeiner Stelle etwas nach außen gedrungen. So kam es, dass bereits einen Tag vor der Verhaftung Heusers die deutsche Presseagentur beim Innenminister von Rheinland-Pfalz nachfragte, ob es richtig sei, dass Heuser verhaftet worden sei und parallel dazu die Ehefrau Erich Ehrlingers bei der Staatsanwaltschaft Karlsruhe mit der gleichen Frage erschien. 313

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Im Fall Heuser wurde umfangreich ermittelt, um zum Beispiel die unglaubwürdig erscheinenden Angaben zu seinem Lebenslauf zu überprüfen, nicht zuletzt, weil es bei Staatsbediensteten wie ihm immer auch um die Frage ging, ob ein Anstellungsbetrug vorlag. Seine dubiose Entnazifizierung kam dabei ebenso ans Tageslicht wie der nie erworbene Doktortitel und die manipulierten Arbeitszeugnisse, mit denen er sich beworben hatte. Schwieriger gestaltete es sich in manchen Fällen, einen berechtigten Verdacht einer Tatbeteiligung zu belegen, denn darum ging es letztlich in den Verfahren. Nicht immer lagen eindeutige Dokumente oder Zeugenaussagen vor, mit denen die Falschaussagen der Betroffenen eindeutig widerlegt werden konnten. Fritz Zi. dürfte überrascht gewesen sein, dass es der Staatsanwaltschaft Stuttgart gelungen war, tatsächlich den Kommandeur des Kriegsgefangenenlagers in Nikolajew zu finden, von dem Fritz Zi. behauptet hatte, er hätte ihm das Massengrab mit Gefangenen gezeigt, das das Sk 1005 dann ausgehoben hätte. Sein Entlastungszeuge wurde so zum Belastungszeugen. Zwar hieß der Kommandeur nicht Herzog, sondern Herold, war aber der Beschriebene, und er widersprach Fritz Zi. in allen Punkten. 314 Ein von Friedrich Me. unterzeichnetes Dokument, das im Militärarchiv Freiburg gefunden wurde, bewies den Ermittlern, dass Friedrich Me. wesentlich länger als von ihm zugegeben in Welikije-Luki gewesen war und er das dortige Teilkommando des Sk 7a geführt hatte und nicht, wie er behauptet hatte, wegen Krankheit ersetzt worden war. 315 Sein Teilkommando kam daher für Aktionen gegen Juden, die im September 1941 dort stattgefunden hatten, in Frage. Nur langsam und vereinzelt flossen Dokumente von jenseits des Eisernen Vorhangs in die Verfahren mit ein. 316 Explizit hatte das Landgericht München I im Verfahren gegen Heinrich Win. die UdSSR um Dokumente ersucht; die deutsche Botschaft weigerte sich jedoch, das Rechtshilfegesuch zu übergeben. Im Koblenzer Verfahren gegen Angehörige der Dienststelle des KdS/BdS Minsk hatte die UdSSR Dokumente überreicht. Darunter befand sich der Einsatzbefehl für die Liquidierung des Ghettos in Sluzk und die Kommandoeinteilung im Rahmen der Aktion Sumpffieber, in der ausdrücklich Heuser und Rudolf Schl. als Führer von Kampfgruppen genannt werden. Zudem traf dies auch auf Richard W. zu, der verantwortlich sein sollte „für das Kraftfahrwesen während der Vorbereitung in Minsk, während des Transportes nach Sluzk und für die Aufsicht der Transporte der Juden vom Ghetto zum Umsiedlungsgelände“. 317 Bevor der Bericht vorlag, hatte alleine Rudolf Schl. seine Beteiligung als Schütze an der Aktion zugegeben; alle anderen Angeklagten im Prozess vor dem Landgericht Koblenz hatten ihre Beteiligung bestritten. Nun konnte die Staatsanwaltschaft diese Einlassungen widerlegen. Mit Hilfe der „Ereignismeldungen“ war die Staatsanwaltschaft überdies zu der sicheren Erkenntnis gelangt, dass auch in den Fällen, in denen eine Teilnahme an Vernichtungsaktionen nicht kon-

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kret nachgewiesen werden konnte, ein erheblicher allgemeiner Verdacht bestand. 318 Sie ging richtig davon aus, dass alle Angehörigen der Dienststelle an solchen Aktionen beteiligt gewesen waren. Weitere übergebene Dokumente waren der Schriftverkehr zwischen Heuser und der Reichsbahndirektion Mitte über Judentransporte, die eindeutig Heusers Rolle und Verantwortung in Minsk belegten.319 Ein solches Dokument hätte sich sicherlich die Staatsanwaltschaft des Berliner Landgerichts gewünscht, denn die vermutete Beteiligung Raths an der Vernichtung des Ghettos in Witebsk und einer Vernichtungsaktion in Surash konnte ihm letztlich nicht nachgewiesen werden. Heinz Ta.s gesamte Verteidigungshaltung wäre zusammengebrochen, und er hätte wegen wesentlich mehr Vernichtungsaktionen verurteilt werden können, hätten zwei entscheidende Dokumente vorgelegen, die beide erst nach der Wiedervereinigung Deutschlands bekannt wurden, aber nicht mehr rechtskräftig verwertet wurden. Das eine befand sich in den Händen der Stasi, das andere im Besitz des KGB. Im ersten Dokument listete Heinz Ta. detailliert seine Einsätze als Teilkommandoführer des Ek 9 von August 1941 bis Dezember 1943 als Nachweis für ein mögliches Bandenkampfabzeichen auf, darunter „Judenaktionen“, die in der Anklage gegen ihn nicht auftauchten. 320 Das zweite Dokument war ein Schreiben des Gebietskommissars Petersen an den Generalkommissar Weißruthenien vom 1. Juli 1942, in dem er berichtete, dass Ta. mit dem Auftrag zu ihm gekommen sei, die bevorstehenden Liquidierungen der Juden im Gebiet zu besprechen. Anschließend folgt eine Auflistung der Ghettos, deren jüdische Bewohner in den folgenden Tagen getötet wurden. 321 Heinz Ta. war jedoch lediglich wegen der Beteiligung an der Ermordung der Insassen des Ghettos von Lepel angeklagt gewesen, dem Ort, an dem sein Teilkommando stationiert gewesen war. Rudolf Th. hätte ebenfalls wegen einer weiteren Aktion angeklagt werden können, wenn das entsprechende Dokument vorhanden gewesen wäre. Gemeint ist ein Bericht des Grenzpolizeikommissariats Chelmn über den Ausbruch von 300 Häftlingen des Lagers Sobibor. Von Chelmn war daraufhin ein Einsatzkommando geschickt worden, das das Lager durchkämmte und mindestens 159 Häftlinge erschoss. 322 Rudolf Th. hatte dem Kommando angehört. Im Fall des von August Hä. beaufsichtigten und von Gerhardt Panning initiierten Versuchs mit Sprengmunition an sowjetischen Kriegsgefangenen erhielt die Zentrale Stelle im Mai 1965, kurz vor der Verhaftung August Hä.s, ein Schreiben des Sohns von Helmuth James Graf Moltke, in dem dieser aus einem Brief seines Vaters von 12. September 1941 an seine Mutter zitiert. Darin schrieb Moltke seiner Frau, was ein Offizier über diesen Versuch berichtet hatte, und kommentierte: „Das ist doch ein Höhepunkt der Vertiertheit und Verkommenheit. Und man kann nichts machen. Ich hoffe aber, dass es doch möglich sein wird, eines Tages den meldenden Offizier und den Herrn Panning vor ein Gericht zu bekom-

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men.“ 323 Dieser Brief und der daraufhin gefundene Artikel von Panning flossen als Dokumente in das Verfahren gegen August Hä. ein. Auffällig sind die vielen entlarvenden und gegenteiligen Kommentare, die seitens der Justiz auf den Aussageprotokollen, Eingaben von Rechtsanwälten und Angeklagten am Rand vermerkt wurden. Die Behauptung, die Erschießung von Frauen und Kindern sei militärisch notwendig gewesen, oder, wie im Fall Schmidt-Hammer, es seien nur „Partisanen“ erschossen wurden, wurden ganz klar als Schutzbehauptungen entlarvt. 324 Das Gleiche galt für Gerhard S.s Geschichte der Rebellion innerhalb des Kommandos.325 Ganz anders die Ansicht des Landgerichts Stuttgart, das den Fall Fritz Zi. verhandelte. Auch wenn der Vorsitzende des Gerichts seine Mühe hatte mit dem Angeklagten Fritz Zi. und ihn durchschaute – den Einlassungen zur Arbeit des Sk 1005 folgte er nicht nur, das Gericht verteidigte und rechtfertigte in seinem Urteil ausdrücklich die Tätigkeit des Sk 1005. Im Gegensatz zu den vorausgegangenen Massenermordungen steckten „hinter der Erschießung der bei den Enterdungen eingesetzten Häftlinge auch Beweggründe, die menschlicher Wesensart entspringen und entfernt einfühlbar sind, nämlich das schlechte Gewissen und die Angst.“ In der Absicht, die Massengräber und Massenmorde zu verheimlichen, habe die Chance gesteckt, „dem Übermaß von Hass und Verbitterung gegen die deutsche Seite, das bei den gegnerischen Truppen angesichts solcher Zeugnisse begangener Greuel begreiflicherweise entstehen musste, entgegenzuwirken, was durchaus im Interesse der deutschen Bevölkerung lag, die Gefahr lief, für das büßen zu müssen, was eine unmenschliche Clique in ihrem Namen, aber ganz überwiegend ohne ihr Wissen verbrochen hatte.“ 326 Das Gericht verwandte dies zugunsten Fritz Zi.s. Abseits der Dokumente gab es Interpretationsspielraum, der genutzt wurde. Je stärker beispielsweise die Befehlssituation betont wurde, desto geringer wurden die persönliche Verantwortung und der persönliche Tatbeitrag der Angeklagten, so dass abseits der „Haupttäter“ nur noch Gehilfen ausgemacht wurden. Das galt für die Selbstinszenierung der Angeklagten sowie für die Beurteilung durch die Justiz. In den Einsatzgruppen-Urteilen, die zwischen 1950 und 1983 ergingen, finden sich 33 Freisprüche, 99 Verurteilungen wegen Beihilfe zum Mord und neun wegen Täterschaft. 327 Die NS-Führung als Haupttäter zu betrachten, und zwar nicht nur juristisch, sondern durchaus als Interpretation der Historie, war fester Bestandteil aller hier betrachteter Prozesse und hatte Einfluss darauf, welche Rolle den Tätern im Kontext des NS-Systems zugestanden und letztlich, wie sie be- und verurteilt wurden. Auffällig ist, dass der NS-Lebenslauf und die Hinwendung der Angeklagten zum Nationalsozialismus kaum berücksichtigt wurden. Fritz Zi., um bei diesem Beispiel zu bleiben, schrieb das Gericht zwar fehlendes Unrechtsbewusstsein zu; dass er überzeugter Nationalsozialist gewesen war, schlug bei ihm nicht auf der negativen Seite zu Buche: „Denn

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es kann angenommen werden“, heißt es im Urteil dazu, „dass sie [Fritz Zi. und der Mitangeklagte Sohns, Anm. d. Verf.] – wie damals viele Deutsche – in gutem Glauben oder wenigstens ohne Einsicht handelten, welches Verhängnis sie durch ihren aktiven Einsatz für dieses System mitverantwortlich heraufbeschworen. Die Angeklagten wurden gewollt oder ungewollt in falschen Idealen eingefangen und dann schnöde zu üblen Verbrechen missbraucht.“ 328 Sehr deutlich war hier eine Ansicht formuliert worden, die nicht nur die Angeklagten, sondern gleich große Teile der Bevölkerung entlastete. Eigener Wille und selbstbestimmtes Handeln wurden von vorneherein – und das nicht nur im Fall Fritz Zi. – negiert, Verbrechen entpersonalisiert; nichts anderes bedeutete es, wenn das Gericht von den Angeklagten als „Räder in einer riesenhaften Mordmaschinerie“ 329 sprach. Vom missbrauchten Instrument war es dann nicht weit zum Opfer: „Schuldbeladen sind sie daher heute selbst die Opfer einer von ihnen persönlich mitgeschaffenen bösen Epoche.“ 330 Dass sie überzeugte Nationalsozialisten gewesen waren, wurde auch Noa und Rudolf Th. nicht negativ angerechnet. Bei Noa sprach das Gericht von falsch verstandener Ergebenheit zum NS-Regime, deutete seine damalige Überzeugung als idealistischen Irrtum; bei Rudolf Th. erkannte das Landgericht Heilbronn strafmildernd, dass er als Sudetendeutscher natürlicherweise dem Nationalsozialismus positiv gegenüber gestanden habe. 331 Die Zustimmung zum Nationalsozialismus an sich war zunächst einmal nichts, was die Angeklagten belastete, sondern was sie bis zu einem gewissen Grad entschuldigen konnte – vorausgesetzt, sie hatten sich in den Augen des Gerichts nicht persönlich exponiert. Denn eine antisemitisch motivierte Straftat oder eine Erschießung, nach der der Alkohol in Strömen floss, sowie Exzess- und Initiativtaten schlugen weitaus negativer zu Buche. Das Negativbild war der fanatische, skrupellose Nationalsozialist, der Exzesstäter, der mehr tat, als das ihm Befohlene. In diesem Sinne glaubte das Landgericht Berlin Gerhard S.s Darstellung, dass er kein solcher Nationalsozialist gewesen sei, hielt das Landgericht Tübingen Richard W. zugute, dass er und ein weiterer Mitangeklagter „nicht aus eigener Initiative Unrecht taten und sich nach Begehung der Straftaten ordentlich verhielten“. 332 So, als gebe es eine seriöse oder „anständige“ Art des Mordens, wie sie beispielsweise Strauch 1943 auf einer Tagung in Minsk beschworen hatte, als er seinen Beitrag mit folgenden Worten schloss: „Ich kann mit Stolz sagen, dass meine Männer, so übel die Aufgaben sind, in Haltung korrekt und gerade sind und jedem offen in die Augen schauen können und zu Hause ihren Familien Vater sein können.“ 333 Das Landgericht Tübingen vollzog mit seiner Interpretation exakt die Selbstexkulpation der Täter im Moment der Tathandlung nach, die sich ihrer Integrität durch das Bewusstsein, „anständig“ dabei zu bleiben, vergewisserten. 334

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Blinden Gehorsam machte der Staatsanwalt bei Walter He. aus und sah daher zwar keinen Befehlsnotstand gegeben, aber da mit dem Verweis auf den blinden Gehorsam gleichzeitig ein persönlicher Antrieb negiert wurde, wurde dies gemeinsam mit der Begründung, dass er sich nicht durch „persönliche Grausamkeiten“ 335 hervorgetan hätte, zu seinen Gunsten berechnet. Ganz ähnlich die Begründung im Fall August Hä.: Für den Anklagepunkt der Erschießung von mindestens 200 Juden und 60 Kranken stellte das Landgericht Darmstadt zwar fest, dass August Hä. der verantwortliche Teilkommandoführer gewesen war und bezeichnete ihn als „treuen Gefolgsmann“ 336 der damaligen Machthaber; „er hat sich aber, soweit es ihm möglich war, zurückgehalten und hat nicht mehr als unbedingt befehlsgemäß Notwendiges getan.“ 337 Die Inszenierung der Angeklagten als nachgeordnete Befehlsempfänger fiel vor Gericht auf fruchtbaren Boden, was zeigt, welchen Einfluss die Nürnberger Prozesse auf die Art und Weise hatten, wie der Nationalsozialismus betrachtet wurde. 338 Wem hingegen wie Heuser die eigenständige Erschießung von Personen nachgewiesen werden konnte oder sich wie Heinrich Win. gegen den Vorwurf des Antisemitismus nicht ausreichend verteidigen konnte, bei dem erkannte man auf Eigeninitiative. Die Staatsanwaltschaft München I hielt Heinrich Win. für einen Karrieristen, Nazi und Judenhasser und sah in ihm daher einen Mittäter, keinen Gehilfen. 339 Hier zeigt sich, wie ungleich die Angeklagten behandelt wurden, denn das Urteil der Münchner Staatsanwaltschaft hätte auch auf andere hier behandelte Täter zugetroffen. Das Problem konträrer Denkweisen und Bewertungsmaßstäbe war den Vorermittlern der Zentralen Stelle bekannt und wurde von deren zweitem Leiter, Adalbert Rückerl, auf einer Arbeitstagung der mit der Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen befassten Staatsanwälte in einem eigenen Vortrag angesprochen. 340 Sein Interesse galt den Strafzumessungsbegründungen, die er, nachdem er alle der Zentralen Stelle vorliegenden Urteile durchgelesen hatte, „verwirrend“ fand. Er bemängelte an erster Stelle, dass dort Umstände, mit denen eine Beihilfe begründet und eine Täterschaft abgelehnt wurde, noch ein zweites Mal im Rahmen der Strafmilderungsgründe zugunsten der Verurteilten gewertet wurden. Seine Auflistung der gängigen Strafmilderungsgründe entspricht den hier zitierten Ausschnitten, aus denen die Betonung der Befehlssituation hervorgeht. Nicht nur die Tatsache, dass einer Nationalsozialist gewesen war, wurde mit dem Verweis auf Propaganda entschuldigt, Rückerl erwähnte auch ein Gericht, das es einem Angeklagten mit der gleichen Begründung als Milderungsgrund anrechnete, Antisemit gewesen zu sein. Sehr genau hatte Rückerl die fragund kritikwürdigen Strafzumessungsbegründungen ausgewählt und analysiert. Und er sah auch das Problem der Öffentlichkeitswirkung besonders milder Urteile, die verharmlosend wirken mussten und in der Presse zynisch kommentiert worden waren. Er plädierte dafür, nicht nur den Sühnecharak-

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ter als Strafsinn zu berücksichtigen, sondern auch den Aspekt der Generalprävention. Die Urteile, die er zitiert hatte, waren mit ihren Begründungen ebenso wie die hier zitierten Beispiele kaum dazu geeignet. Oder wie es Anette Weinke formuliert hat: „Die Nadelöhre blieben die Gerichte.“ 341 Es sind vor allem die Urteilsbegründungen oder Begründungen für Begnadigungen, die zeigen, dass seitens der Justiz ein Problem darin bestand, die Betroffenen als Täter zu fassen, denn sie waren integriert, etabliert, hatten Familie und Beruf, waren „anständig“. Sie passten nicht in das herkömmliche Konzept des Verbrechers und Kriminellen. Man maß sie zwar mit dem herkömmlichen rechtlichen Instrumentarium, wollte aber gleichzeitig Taten und Angeklagten eine Sonderstellung zuschreiben. Anders lässt es sich nicht erklären, wenn in der Mehrzahl der Fälle den Angeklagten ernsthaft zugute zu gehalten wurde, dass sie nach 1945 ein straffreies Leben geführt hatten und dass sie sozial integriert waren. 342 Zu Schmidt-Hammer hieß es im Urteil des Landgerichts Ulm: „Er hat eine lange und schwere Zeit in jugoslawischer Kriegsgefangenschaft verbracht. Seine Lebensführung weist, abgesehen von den zur Aburteilung stehenden Tathandlungen, keine für die Strafzumessung erhebliche dunkle Flecken und Schatten auf.“ 343 Deshalb gab es auch den Verweis auf die „Zeitumstände“, auf die Ausnahmebedingung und immer wieder den Vergleich mit „herkömmlichen“ Verbrechen und Tätern. 344 Fritz Zi. und seinem Mitangeklagten bescheinigte man zwar, dass die Verbrechen, an denen sie beteiligt waren, „schweres, kriminelles Unrecht“ darstellten. Beim Landgericht Stuttgart fügte man aber hinzu: „Doch ist dieses Unrecht auf einem völlig anderen Boden gewachsen als die Alltagskriminalität.“ 345 Wegen der Außerordentlichkeit des Tatkomplexes, aber auch, weil die Taten über 20 Jahre zurücklagen, die Täter fest integriert waren und keine Wiederholungsgefahr bestand, wurde die zu verhängende Strafe als symbolisch verstanden. Im Fazit hieß es: „Die aufgeführten Umstände rechtfertigen es deshalb, zwar nicht die Verbrechen, wohl aber die Verbrecher und ihren persönlichen Anteil an den Mordtaten nach so langer Zeit in einem versöhnlichen Lichte zu sehen.“ 346 Aus diesem Grund erkannte das Landgericht auf Befehlsnotstand. Von den üblichen Funktionen der Strafhaft blieb auch in allen anderen Fällen nur die der Sühne übrig. In der Urteilsbegründung gegen Gerhard S. ging der Vorsitzende auf diese Problematik ein und schilderte sie aus seiner Sicht mit den folgenden Worten: „Diejenigen, die diese Untaten vollbracht haben, das waren nun nicht etwa geistesgestörte Gewaltverbrecher, sondern […] es waren Männer aus unserem Volke, Männer, die unsere Sprache gesprochen haben und sie heute noch sprechen, die dieselben Schulen besucht haben wie wir, von denen einige sogar auf denselben Universitäten das Recht gelernt haben wie wir selbst. […] Sie lebten wieder unter uns, und wir wussten, dass sie unter uns lebten, sie waren überall zu finden, auf unseren Behörden, in unseren Ämtern und überall, und dann plötzlich nach

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vier – nach 17 Jahren oder nach 15 Jahren, da haben wir sie eingesperrt und da sitzen sie nun, und jetzt sollen wir ausmessen, was sollen sie noch sühnen.“ 347 Das Problem, die Täter als solche zu begreifen, endete nicht mit der Verurteilung. Es tauchte in den Beschlüssen über Gnadengesuche wieder auf, zu denen sich unter anderem die Gefängnisleiter äußerten. Welchen Sinn machte es, darauf hinzuweisen, dass die Betroffenen sich gut führten, oder, wie im Fall Rudolf Th., die Bemerkung, dass seine „Kriminalprognose“ absolut günstig erscheine und er sich „wohltuend von den Kriminellen jener Kategorie, die wir üblicherweise hier haben“ 348 , unterscheide? Oder wenn der Anstaltspfarrer über Wilhelm E. meinte, dass er bei Entlassung auf Bewährung den Behörden sicherlich keine Schwierigkeiten machen werde? 349 Der Vorstand der Strafanstalt Tegel thematisierte die Frage des Strafsinns, indem er bemerkte, dass die Straftat fast 27 Jahre zurückliege und Heinz Ta. weder vorher noch nachher Straftaten begangen habe, Fazit: „Er ist zweifellos nicht kriminell. Es darf angenommen werden, dass der Verurteilte strafrechtlich schuldig wurde, weil ihm unter rein politischen Gesichtspunkten ein Ausmaß an Verantwortung übertragen worden war, für das es ihm an der nötigen geistigen Befähigung gefehlt hat.“ 350 Fast identisch klang die Beurteilung Raths, der ebenfalls in Tegel inhaftiert war. 351 Interessant ist auch die Begründung der 1. Strafkammer des Landgerichts Koblenz zur bedingten Freilassung Heusers aus der Strafhaft. Den Täter Heuser, der in Minsk über Leben und Tod entschied, hatte man dort entweder nicht zur Gänze erfasst oder er war bereits schon wieder verblasst. Nur so lässt sich erklären, was im Beschluss der Strafkammer stand: „Der Verurteilte hat ein zehnjähriges Straferlebnis hinter sich. Für ihn bedeutete dieses Zeit eine andere Härte als für die meisten Kriminellen im üblichen Sinne, wenn man sein Vorleben, seinen Bildungsstand, seine Herkunft, seine stets geordneten familiären Verhältnisse und nicht zuletzt auch die Natur und den Ursprung der von ihm begangenen Gewalttaten bedenkt. Diese lassen sich nach dem gesamten Charakter- und Wesensbild, das der Verurteilte bietet, letztlich nur aus jener fanatisierten, ideologisch bestimmten Hitlerzeit und jener Kriegshysterie erklären, in der sonst ehrenwerte Männer zu Überzeugungstätern wurden, ohne das Brutale und Verbrecherische ihres Tuns in der ganzen Tragweite vor Augen zu haben.“ 352 Die Brisanz all dieser Sichtweisen blieb den Protagonisten verborgen. Die logische Konsequenz ihrer Ausführungen war die, die Simmel angesichts der Behauptungen von Wehrmachtssoldaten, sie hätten zwar dem Regime gedient, innerlich aber opponiert, formuliert hatte: „Demnach muss man nämlich gar nicht Nazi gewesen sein, um Vernichtungskrieg und Massenmord in die Tat umzusetzen.“ 353 Das ebenfalls immer wieder auftauchende Argument, dass die Angeklagten sozial bestens integriert seien und eine Haftstrafe sie – auch hinsichtlich des fortgeschrittenen Alters mancher Verurteilten – besonders schwer treffen werde, weil sie aus ihrem Arbeits-

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verhältnis gerissen würden und damit die Existenz auf dem Spiel stand, war als Annahme zunächst sicherlich berechtigt. In der Realität zeigte es sich aber, dass der Großteil der Betroffenen von Seiten der Arbeitgeber, abgesehen von denen, die im Staatsdienst waren, Unterstützung erfuhr und auch Neueinstellungen bei anderen Arbeitgebern während des laufenden Verfahrens keine Seltenheit waren.

4. Integrationsbruch? – Die Ansichten und Reaktionen aus der Gesellschaft 4.1. Arbeitgeber und Kollegen Als Walter He. am 22. Dezember 1961 seinen Dienstausweis und seine Dienstwaffe abgeben musste, war für ihn klar, dass seine berufliche Laufbahn bei der Kriminalpolizei damit vorbei war. In dieser Hinsicht sorgten die Verfahren gegen die, die im Staatsdienst standen, für einen Integrationsbruch, auf den die Dienstenthebung, ein Disziplinarverfahren, beziehungsweise für Wilhelm E. der Ruhestand, folgten und für Gerhard S., Heuser und Friedrich Me. einen Prozess wegen Einstellungsbetruges nach sich zogen. Ihre Beamtenrechte verloren sie normalerweise, sobald der Urteilsspruch rechtskräftig wurde. Im Gegensatz zu den Arbeitgebern der Privatwirtschaft waren die Arbeitgeber in diesen Fällen gezwungen, in der beschriebenen Weise zu reagieren. Daher sollen Staatsdienst und Arbeitsverhältnisse in der freien Wirtschaft in diesem Kapitel sinnvollerweise getrennt behandelt werden. Zunächst soll ein Blick auf die Situation derer geworfen werden, die im Staatsdienst tätig waren, auf die Reaktion der Arbeitgeber und die Reaktion der Kollegen. Es wird auch danach zu fragen sein, wie es für sie beruflich weiter ging, vor allem in den Fällen, in denen die Betroffenen aus Untersuchungshaft frei kamen. Im Fall Friedrich Me. stellte sich zunächst einmal heraus, dass bereits vor seiner Festnahme seine Zugehörigkeit zum Sk 7a durch den selbst geschriebenen Lebenslauf in den BDC-Dokumenten seinem Arbeitgeber bekannt geworden war. Seit wann genau dies der Fall war, ist unbekannt. Aus dem Innenministerium kam die etwas verworrene Nachricht, dass die Vergangenheit Friedrich Me.s als Teilkommandoführer des Sk 7a bislang unbekannt gewesen sei, „da man sich trotz Vorliegens eines Auszuges aus dem Document Center in Berlin über die Art und Aufgabe des Sk 7a nicht im klaren gewesen sei“ 354 . Umso klarer war es Friedrich Me.s Arbeitgeber dann, dass es mit Blick auf die Presse nötig sei, Friedrich Me. vom Polizeiinstitut Hiltrup offiziell zu versetzten, um dieses nicht mit ihm in Verbindung zu bringen. 355

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Am vehementesten wehrte sich gegen die Untersuchungen seitens seines Arbeitgebers der, der am höchsten aufgestiegen war: Heuser. Sein Arbeitgeber hatte in einer ersten Reaktion auf dessen Verhaftung gegenüber der Presse erklärt, dass Heuser seiner Ansicht nach kein SS-Mitglied gewesen sei und dass er bei seiner Einstellung den „Angleichungsdienstgrad“ nicht verschwiegen habe. 356 Bald standen den Beteuerungen Heusers, bei seiner Bewerbung nichts verheimlicht zu haben („Ich habe meine Anwesenheit in Russland nie verschwiegen“ 357 ), Fakten gegenüber, die ihn eindeutig widerlegten. Heuser konnte die Reaktionen seines Arbeitgebers nicht akzeptieren. Er bestritt, seinen Beamtenstatus erschlichen zu haben, und ging in die Offensive: „Dass ich außerdem mein Fachgebiet verstehe, haben doch die letzten fünf Jahre gezeigt. Es lässt sich nicht leugnen, dass gerade die Kriminalpolizei in Rheinland-Pfalz durch mich neue Impulse und in anderen Bundesländern mehr Ansehen erlangt hat. Es kann doch dies alles plötzlich nicht mehr zählen? […] Und daher bitte ich, dies alles nochmals zu berücksichtigen.“ 358 Was Heuser überdacht haben wollte, war die Auflösung seines Beamtenverhältnisses im September 1959. 359 In einem weiteren Brief bat er den Innenminister, eine Entscheidung über die Voruntersuchung gegen ihn wegen Täuschung bis zu einer Entscheidung des Verfahrens vor dem Landgericht Koblenz aufzuschieben: „Der Ausschluss aus dem Staatsdienst in meiner derzeitigen Lage würde für mich, ohne Übertreibung, eine Katastrophe bedeuten. Ich glaube, hier könnte einmal, nicht weniger hart, aber später, über die Begleitumstände vergangener und turbulenter Zeitabschnitte geurteilt werden. Meines Erachtens war ich doch wirklich keine Fehlinvestition für das Land.“ 360 Wie aus den Akten hervorgeht, prozessierte Heuser gegen eine vorzeitige Aufhebung des Beamtenverhältnisses. 361 Um von einem Haftbefehl gegen Walter He. absehen zu können, sicherte der Direktor des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen dem Hamburger Staatsanwalt zu, dass Walter He. sich an bestimmte Auflagen, die eine Flucht verhindern sollten, halten werde. 362 Ein Jahr später wurde er dann im Zuge der Ermittlungen der Wuppertaler Staatsanwaltschaft festgenommen. Da die Rückkehr für die Betroffenen in den Staatsdienst ausgeschlossen war, orientierten sich die, die konnten, so bald wie möglich in Richtung Privatwirtschaft, auch deshalb, weil sie während der laufenden Disziplinarverfahren nur ein gekürztes Gehalt erhielten. Außerhalb des öffentlichen Dienstes hatten sie weder Probleme, eine Arbeitsstelle zu finden, noch wurden ihnen wegen der gegen sie laufenden Verfahren Probleme bereitet. Den Arbeitgebern war ihre Situation bekannt, allein schon deshalb, weil sie jederzeit wieder in Untersuchungshaft kommen konnten bzw. eine Haftstrafe mit Abschluss der Verfahren drohte. 363 Wilhelm E. fand nach seiner vorläufigen Entlassung aus Untersuchungshaft 1964 Arbeit bei einer Firma für Erdölchemie, die ihm zudem eine Werkswohnung anbot. 364 Friedrich Me. stieg in der gleichen Branche ein;

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er arbeitete 1967 nach seiner Entlassung aus Untersuchungshaft als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Außendienst bei einer Chemiefabrik in Minden. 365 Als Walter He. nach der Aufhebung des ersten Urteils gegen ihn aus der Untersuchungshaft frei kam, fand er zunächst eine Nebentätigkeit im Büro eines Bewachungsunternehmens; anschließend arbeitete er bei einem Bekannten im Garagenvertrieb mit. Nach seiner Verurteilung im Revisionsprozess im Dezember 1965 kam er über Empfehlungen, wie er sagte, zu einem Autohandelshaus, wo er die Leitung der Rechtsabteilung übernahm. Um das Unternehmen zu schützen, verzichtete er in seiner Vernehmung vor dem Landgericht Stuttgart darauf, den Namen zu nennen, was beweist, dass er sich der möglichen negativen Außenwirkung, die seine Anstellung dort bzw. die Unterstützung, die ihm das Autohaus gewährte, hervorrufen könnte, bewusst war. Während er 1968 seine Reststrafe verbüßte, hielt ihm sein neuer Arbeitgeber seinen Arbeitsplatz frei und setzte sich auch in einem Gnadengesuch für ihn ein. 366 Ob dahinter tatsächlich nur wirtschaftliche Interessen steckten und Walter He. für das Autohaus unersetzbar war, darf bezweifelt werden. Heuser und Gerhard S. kamen nicht aus Untersuchungshaft frei. Von Gerhard S. ist bekannt, dass er während seiner Untersuchungshaft ein Arbeitsangebot einer Firma aus seinem ehemaligen Wohnort Schwanenwede erhielt. Hatten ihre Vorgesetzten im Staatsdienst Konsequenzen ziehen müssen, sah das bei den Kollegen ganz anders aus. Sie hatten zum Teil wenig Verständnis für die Ermittlungen und zeigten in den Fällen Wilhelm E., Heuser und Friedrich Me. auf unterschiedliche Weise ihre Sympathie und Unterstützung. Heuser war kaum verhaftet, da erreichte ihn ein Blumenstrauß mit der Nachricht „Unserem verehrten Chef mit allen guten Wünschen und herzlichen Grüßen aus Koblenz“367 . Um Wilhelm E.s Gesuch auf Aufhebung des Haftbefehls zu unterstützen, wollten sich 33 Kollegen seiner Recklinghausener Dienststelle für ihn zum Teil auch mit Geld- und Sachwerten verbürgen. Brisant war die Liste, weil auf ihr ein ehemaliger SS-Hauptsturmführer und ein Angehöriger des Polizeibataillons 65 auftauchten. 368 Ein kleiner Kreis von Friedrich Me.s Kollegen und Freunden bei der Kriminalpolizei griff zu ganz anderen Methoden der Unterstützung. An dem regen Informationsaustausch, den es zwischen den ehemaligen Angehörigen des Sk 7a in Untersuchungshaft gab, hatten sie ihren Anteil. Der erste in einer Reihe dubioser Vorfälle war der, dass der Bescheid des Amtsgerichts Münster gegen einen Haftbefehl aus den Akten verschwand und Friedrich Me. zugetragen wurde. 369 Während seiner Untersuchungshaft häuften sich dann unerlaubte Besuche. So verschafften sich Heinrich Eweler, Leiter der Kriminalpolizei Essen und maßgeblich an der Wiedereinstellung Friedrich Me.s beteiligt, und Herbert St., ebenfalls Kriminalbeamter, an einem Tag Zugang zu Friedrich Me. Bekannt wurde dies nur, weil innerhalb der Kriminalpolizei entsprechende Gerüchte erzählt wurden; vom Untersu-

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chungsrichter darauf angesprochen, leugneten die beiden, Friedrich Me. dort gesprochen zu haben, was ihnen der Untersuchungsrichter allerdings nicht glaubte und eine richterliche Vernehmung beantragte. 370 Auch Tol., Dozent am Polizeiinstitut Hiltrup, konnte unbeaufsichtigt mit Friedrich Me. reden, was insofern prekär war, als Tol. auch mit Kurt S.-I., ehemals Teilkommandoführer beim Ek 9 und stellvertretender Leiter der Kriminalpolizei Düsseldorf, gegen den ein Ermittlungsverfahren in Dortmund lief, eng befreundet war und mit ihm in Verbindung stand. 371 Friedrich Me.s Freund Gustav M., der ebenfalls einem Einsatzkommando angehört hatte und nun bei der Kriminalpolizei Dortmund arbeitete, erschlich sich einen ungestörten Besuch bei Friedrich Me., indem er im Gefängnis seine Dienstmarke mit der Bemerkung vorzeigte, er müsse Friedrich Me. verhören. Unbeaufsichtigt konnten sich die zwei daraufhin unterhalten.372 Gustav M. stand nicht nur auf der Seite Friedrich Me.s, er lehnte auch die NS-Prozesse als unrechtmäßig ab und erklärte in einem Brief an Friedrich Me. deutsche Gerichte nicht für zuständig. Der Brief blieb nicht ohne Konsequenzen; der Untersuchungsrichter zitierte Gustav M. zu sich, weil ihm dessen Äußerungen für einen aktiven Kriminalbeamten unvertretbar erschienen und informierte den Polizeipräsidenten in Dortmund. 373 Schließlich war da noch Karl-Heinz J., Kriminalkommissar in Düsseldorf und ehemaliger Angehöriger des Ek 5, mit dem Friedrich Me. befreundet war. Auch er wurde verdächtigt, mit Friedrich Me. in Untersuchungshaft Kontakt aufgenommen zu haben und parallel dazu mit Günter Tab., ebenfalls Kriminalbeamter und Angeklagter in einem Dortmunder Verfahren. Gegenüber Letzterem sparte er wie schon Gustav M. in seinem Brief nicht mit Kritik an den Verfahren. 374 1963 besuchte er den späteren Mitangeklagten in Friedrich Me.s Verfahren, Eberhard Sta., um ihn wahrscheinlich im Auftrag Friedrich Me.s auszuhorchen und Sta. bei dieser Gelegenheit Literatur über Einsatzgruppen und NS-Verfahren zu empfehlen. 375 Beide, sowohl Karl-Heinz J. und Gustav M. standen in Kontakt mit der Ehefrau Friedrich Me.s, zumindest so lange, bis auch gegen sie beide ermittelt wurde. Dem Landeskriminalamt blieb das rege Treiben nicht verborgen. Man stellte fest, dass der dringende Verdacht bestehe, „dass interessierte Kreise“ vor allem mit Friedrich Me. und dem genannten Tab. „unter Ausschöpfung aller Möglichkeiten und Anwendung sämtlicher Kunstgriffe“ 376 versuchten, Verbindung aufzunehmen. „Das wahrscheinlich aus dem Grunde, um über eine so geschaffene ‚Brücke‘ einen ‚Erfahrungsaustausch‘ zu ermöglichen und zu unterhalten.“ Außerdem war aufgefallen, dass sich Friedrich Me. und Tab. auf die gleiche Weise verteidigten. Die Solidarität der Kollegen mit ähnlicher Vergangenheit war groß und machte den Ermittlern während der Voruntersuchungen gerade im Hinblick auf Absprachen zu schaffen. Für die Arbeitgeber in der freien Wirtschaft gab es durchaus auch interne Vorschriften und Regeln, die eine Weiterbeschäftigung der Arbeitnehmer

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verhindern konnten. Wer zu einer Zuchthausstrafe verurteilt wurde, für den konnte dies das Aus bedeuten. Bis zum rechtskräftigen Urteil aber konnten sie ihre Mitarbeiter weiter beschäftigen oder wieder einstellen, sobald dies möglich war. Moralische Bedenken gab es in keinem Fall, das kann vorweg gesagt werden. Für große Firmen mit bekanntem Namen spielte zudem die Öffentlichkeitswirkung eine zentrale Rolle im Vorfeld einer solchen Entscheidung, auch wenn keine Vorschrift die Weiterbeschäftigung verboten hätte. Man braucht nicht zu mutmaßen, welche Motive hinter dem Verhalten derjenigen Arbeitgeber standen, die den Angeklagten oder Verurteilten ihre Arbeitsplätze erhielten – sie formulierten es in ihren Gnadengesuchen sogar selbst. Ganz wie Familie, Bekannte und Freunde standen sie den Prozessen ablehnend gegenüber. Ihr Angestellter, den sie persönlich schätzten, war für sie kein Verbrecher. Je kleiner das Unternehmen, je enger das Verhältnis zum Arbeitnehmer, je direkter die Entscheidungswege, desto eher war man bereit, den Betroffenen zu unterstützen. Schmidt-Hammer war mit der Firma Zeiss lange Jahre eng verbunden gewesen, so dass er nach seiner Entnazifizierung keine Probleme hatte, dort wieder eingestellt zu werden. Noch am gleichen Tag, als er an seinem Arbeitsplatz verhaftet wurde, bot das Unternehmen über seinen Hausjuristen für Schmidt-Hammer eine Kaution in Höhe von 20 000 DM – gerne auch eine höhere Summe – an. 377 Begründung: „Seine berufliche Tüchtigkeit und seine klare und verlässliche Haltung haben ihm das Ansehen seiner Vorgesetzten und seiner Kollegen verschafft.“ 378 Als das Landgericht Ulm Schmidt-Hammer 1958 in erster Instanz zu einer Zuchthausstrafe verurteilte, hätte er bei seiner Firma nicht weiter beschäftigt werden dürfen; die Statuten der eigenen Stiftung verboten dies im Fall einer Zuchthausstrafe.379 Während die Polizei vermutete, dass Schmidt-Hammer inoffiziell weiter von zu Hause Honorarbeiten für Zeiss erledigte, bestritt die Firma dies. Gegenüber der Polizei äußerte man sich dort dahingehend, dass man dies nur während der Untersuchungshaft getan habe und nun, nach der Verurteilung zu einer Zuchthausstrafe, das Arbeitsverhältnis aufgelöst und die Beziehung zu Schmidt-Hammer abgebrochen habe. Nur – die Arbeitspapiere hatte man noch nicht an ihn ausgehändigt, weil man auf die Revisionsverhandlung hoffte. Für die Polizisten ging aus diesem Gespräch klar hervor, dass man bei der Firma Zeiss Schmidt-Hammer eine tatsächliche Beteiligung an den vorgeworfenen Taten nicht zutraute. 380 Tatsächlich hatte die Firma wohl nie ernsthaft in Betracht gezogen, ihn zu entlassen; sie wartete vielmehr ab und versetzte ihn in das Zweigwerk Aalen. 381 Das Gnadengesuch seines Anwalts vom August 1961 unterstützte sie mit deutlichen Worten. Geschäftsleitung und Betriebsrat argumentierten nur oberflächlich mit den Leistungen Schmidt-Hammers; eigentlicher Kern ihres Schreibens war, dass sie ihn für nicht schuldig befanden: „Geschäftsleitung und Betriebsrat haben Strafprozess und Verurteilung des Herrn

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Schmidt-Hammer aufmerksam verfolgt. Sie würden nicht gezögert haben, den Verurteilten aus seinem Arbeitsverhältnisse zu entlassen, wenn er ein Verbrecher wäre. Nach der gemeinsamen Überzeugung der obersten Organe der Firma Carl Zeiss ist er das nicht. Herr Schmidt-Hammer ist in tragischer Verkettung ohne eigenes Zutun in den Befehlsmechanismus des Dritten Reiches geraten, das ihn unter Täuschung und Zwang für fluchwürdige Zwecke missbrauchte. Diesen Missbrauch bei Befehlsempfang und Befehlsausübung in vollem Umfange zu erkennen, war Herr Schmidt-Hammer nach unserer Überzeugung außerstande.“ 382 Damit hatten sie die Meinung formuliert, die in der Bevölkerung vorherrschte und mit der die Justiz zu kämpfen hatte. Beschrieben hatten sie nichts anderes als Verbrechen ohne Täter, die man zum Opfer machte, indem auf Zeitumstände, Befehlssituationen, Zwang, Schicksal verwiesen wurde. Auf das Beispiel Schmidt-Hammer verwies der Bundestagsabgeordnete und Rechtsanwalt von Richard W., Dürr, in einem Schreiben an einen Kollegen bei Daimler-Benz, um zu zeigen, dass eine namhafte Firma sich nicht gescheut habe, einen in einem NS-Verfahren Verurteilten wieder einzustellen. 383 Dürr setzte sich als Bekannter von Richard W. massiv für dessen Weiterbeschäftigung ein, nachdem am 10. Mai 1961 das Urteil gefällt und er danach auf Kaution freigelassen worden war. Rechtskräftig war das Urteil zu diesem Zeitpunkt noch nicht, weil Richard W.s Rechtsanwalt Revision beantragt hatte. Bis dahin hatte das Arbeitsverhältnis geruht. Nun wollte der Verurteilte so schnell wie möglich wieder seine Arbeit aufnehmen. Was er nicht wusste: Bei Daimler-Benz hatte man bereits nach der Urteilsverkündung erwogen, ihm fristlos zu kündigen, bevor bekannt war, dass das Urteil noch nicht rechtskräftig war. Intern gab es bei Daimler-Benz zur Frage der Weiterbeschäftigung Richard W.s durchaus unterschiedliche Meinungen; die zentrale Personalabteilung bremste jedoch die, die Richard W. wieder einstellen wollten, darunter der Betriebsrat. Die Leitlinie war zunächst, auf ein rechtskräftiges Urteil und dessen schriftliche Vorlage zu warten; zudem bestanden in der Personalabteilung grundsätzliche Bedenken gegen eine Weiterbeschäftigung Richard W.s. Weil man ihm aber nicht fristlos kündigen wollte, bevor das Urteil vorlag, hoffte man, ihm die Lage in einem persönlichen Gespräch so deutlich zu machen, dass er von sich aus kündigen würde. In diesem Gespräch versuchte Richard W. seinerseits, die Bedenken bei Daimler-Benz zu zerstreuen, indem er bemerkte, dass der gesamte Prozess in der Presse doch sehr aufgebauscht worden sei. Die Gesprächspartner von Daimler-Benz wiesen Richard W. ihrerseits auf die „politische Seite“ des Falls hin, die unter Umständen „die Daimler-Benz AG durch Presse- und sonstige Notizen in ein falsches Licht bringen könnte“ 384 , und legten ihm nahe, sich schon einmal nach einem neuen Arbeitgeber umzusehen; man werde bei Referenzen gerne behilflich sein. Trotzdem gab es andere Kräfte,

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die zumindest eine genaue Prüfung des Sachverhalts forderten, nicht zuletzt aufgrund des Briefs des Abgeordneten Dürr und mit dem Hinweis, dass Richard W. in die Verbrechen „mehr oder weniger hineingeschlittert“ 385 sei. Dieser bot an, sich zu verpflichten, „die Arbeit sofort niederzulegen, falls meine Wiederbeschäftigung von der Presse aufgegriffen und bekannt gemacht wird.“ 386 Als sich herausstellte, dass sich die schriftliche Abfassung des Urteils aus verschiedenen Gründen noch weiter verzögern würde, beendete man bei Daimler-Benz die abwartende Haltung und teilte Richard W. am 8. Februar 1962 die sofortige Kündigung mit. Sollte er nach seiner Strafverbüßung an einer Wiedereinstellung interessiert sein, würde man einen solchen Antrag „wohlwollend“ überprüfen, ließ man Richard W. wissen. 387 Der Gedanke an die negative öffentliche Wirkung hatte erheblichen Anteil an dieser Entscheidung, an der auch der Hinweis des Abgeordneten Dürr auf den Fall Schmidt-Hammer nichts hatte ändern können. Richard W. hatte in der Zwischenzeit bereits in einer Pforzheimer Fabrik für Ziffernblätter einen neuen Arbeitgeber gefunden, der sich 1964 beim Oberstaatsanwalt in Tübingen dafür einsetzte, Richard W. einen Strafaufschub zu gewähren, weil man ihm andernfalls kündigen müsse und seine Stelle nicht freihalten könne. 388 Wie man letztlich bei Daimler-Benz mit Rudolf Schl. verfuhr, ist nicht klar; seine Personalakte enthält keine internen Schreiben und keinen Vermerk darüber, ob und wann er entlassen wurde, nur den Hinweis, dass er mit seiner Verhaftung suspendiert wurde. 389 Wesentlich unproblematischer gestaltete sich die Frage nach einer eventuellen Wiedereinstellung in allen anderen Fällen. Persönliche Wertschätzung, ungeachtet der Prozessergebnisse gaben den Ausschlag hierzu. So konnte Karl D. nach seiner Untersuchungshaft wieder bei seinem bisherigen Arbeitgeber, einer Bremer Großhandelsfirma, als verantwortlicher Finanzreferent einsteigen. Die Stelle wurde ihm auch während seiner Strafhaft offengehalten. 390 Seine Stelle beim Heimkehrerverband hatte er zuvor offensichtlich verloren, obwohl dieser sich im Verfahren für ihn eingesetzt hatte. 391 Die Mosterei, bei der Rudolf Th. vor seiner Verhaftung gearbeitet hatte, nahm ihn nach der Untersuchungshaft wieder auf und unterstützte ein Gnadengesuch um Strafaufschub bzw. um eine bedingte Strafaussetzung mit der Begründung, dass seine Arbeitskraft nicht zu ersetzen sei.392 Heinz Ta. arbeitete nach seiner Entlassung ebenfalls wieder für seine alte Firma, und auch Raths Arbeitgeber hielt diesem seinen Arbeitsplatz frei, womit er sein Engagement für ihn fortsetzte, das sich bereits während dessen Spruchkammervefahren gezeigt hatte. 393 Bei Noa war die Angelegenheit etwas heikler, hätte man meinen können. Schließlich arbeitete er als Lokalredakteur bei einer Zeitung. Beim Gießener Anzeiger wollte man ihn jedoch unterstützen und beteiligte sich 1962 an einem Gnadengesuch um Aussetzung des Haftbefehls, weil Noa nicht zu ersetzen sei. Sollte er aus der Untersuchungshaft freikommen, erklärte man, werde man ihn sofort wieder

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in der Redaktion einstellen. 394 Genau das geschah einen Monat später. Bis 1969 arbeitete Noa als Redakteur für den Gießener Anzeiger; mit Beginn des Jahres 1970 – das Urteil stand bevor – versetzte man ihn mit Rücksicht auf die Öffentlichkeitswirkung in das Archiv des eigenen Verlags, wobei man betonte, dass man nicht beabsichtige, Noa zu kündigen. 395 Auch der Verlag, nun offizieller Arbeitgeber Noas, betonte in einem weiteren Gnadengesuch, dem sich auch der Betriebsrat angeschlossen hatte, dass Noa bei vorzeitiger Haftentlassung sofort wieder bei ihnen arbeiten könne. 396 Bliebe noch Werner Schö., über dessen Verhältnis zu seinem Arbeitgeber bereits im Kontext seiner Flucht die Frage gestellt wurde, ob sie nicht auch freundschaftlich miteinander verbunden waren. Sein Vorgesetzter hätte nach der Fluchtgeschichte enttäuscht sein können, war es aber nicht. Die Verbindung blieb bestehen, man schrieb sich Briefe; er stellte sogar die Freundin Werner Schö.s in seinem Betrieb ein und unterstützte 1964 ein Gnadengesuch, indem er ihm wieder eine Stelle in seinem Betrieb anbot.397

4.2. Das private soziale Umfeld Die Frage nach den Folgen für die bisherige Etablierung und Integration stellt sich auch mit Blick auf das private soziale Umfeld, zu dem die Familie, Freunde, Bekannte, aber auch Personen gezählt werden, die abseits des beruflichen Umfelds in Kontakt mit den Betroffenen standen und sich in die Verfahren einbrachten. Die Rechtfertigung der Täter vor Gericht war gleichzeitig auch die Rechtfertigung vor dieser Personengruppe. Während im Fall Heuser die Ehefrau sehr wahrscheinlich von den Tätigkeiten ihres Mannes gewusst hatte, mussten in allen anderen Fällen die Täter in irgendeiner Form vor ihren Partnern, Familien und Bekannten Stellung nehmen. Die Reaktionen aus dieser Gruppe waren, soweit sie sich aus den Quellen nachvollziehen lassen, alle gleich. Man unterstützte die Ehemänner, Väter, Brüder und Freunde und überbrückte den empfundenen Widerspruch zwischen den Vorwürfen und der Person, die man meist seit Jahren kannte, indem man entweder bestritt, dass der Betroffene zu solchen Taten überhaupt fähig sei oder ihn mit den gleichen Argumenten rechtfertigte, die er selbst benutzte. Die psychologischen Motive dahinter mögen vielfältig sein, und es kann an dieser Stelle allein schon aufgrund mangelnden Materials keine diesbezügliche Analyse geleistet werden. Es darf aber vermutet werden, dass sich in dieser Abwehrhaltung auch Selbstschutz ausdrückte. Was würde es beispielsweise für die Partnerin bedeuten, die Taten, die Beteiligung, gar eine Verantwortung des Partners zu akzeptieren? Ihre eigene Urteilsfähigkeit wäre radikal in Frage gestellt. Um die Täter nicht als Täter betrachten zu müssen, bedurfte es Rechtfertigungen, in denen sich Täter- und Geschichtsbild gegenseitig ergänzten und die es ermöglichten, die zwei Gesichter ein und derselben Person, die

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offiziell aufgezeigt wurden, zusammenzubringen. Ganz praktisch fürchteten die Partner um die bürgerliche Existenz. Die Thematik tat ihr übriges dazu: Die einzelnen Taten konnten noch so grausam gewesen sein; die Tatsache, dass sie im Kontext des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs geschehen waren, trug auf verschiedene Weise zu ihrer Entschuldung, primär aber zur Entschuldung derer bei, die sie begangen hatten. Das Geschichtsbild der Personen aus dem sozialen Umfeld bestimmte, wie die Taten beurteilt wurden und wer oder was dafür verantwortlich gemacht wurde. Denn auch die Frauen, Freunde und Bekannten waren Teil des nationalsozialistischen Deutschlands gewesen; auch sie hatten nach 1945 entlastende Erklärungen und Betrachtungsweisen für sich selbst gefunden. Die Prozesse stellten das prinzipiell in Frage. Nicht zu vernachlässigen ist, dass, wie Interviews mit Besuchern der Wehrmachtsausstellung gezeigt haben, die Deutung der Geschichte durch den Mann auch diejenige der Frau war und demnach gemeinsam konstruiert worden war. 398 Und noch etwas dürfte eine Rolle gespielt haben bei der schnellen Bereitschaft, die Täter nicht als Täter zu betrachten: Nichts verband das soziale Umfeld mit den Opfern. Die Opfer im Prozess hatten keine Namen, sie tauchten fast immer nur in Form von Erschießungszahlen auf. Die Meinungen, die diese Personengruppe vorbrachte, basierten auf der Vorstellung eines Nationalsozialismus, in der einer alles bestimmenden Führungsriege eine Masse von Befehlsempfängern unterstand, die gezwungen war, Befehle und Entscheidungen der Staatsführung auszuführen. Statt Hitlers willigen Helfern sahen sie ausschließlich unwillige Helfer. Die Ehefrau Rudolf Schl.s wandte sich direkt mit einem Gnadengesuch an den Justizminister von Rheinland-Pfalz, in dem sie ganz offen ihre Meinung über den Prozess gegen ihren Mann mitteilte: „Mein Mann hat die Straftat nicht aus eigenem Antrieb verübt, er ist ein Opfer der Befehlsverhältnisse in der SS und der Erteilung verbrecherischer Befehle durch Hitler. […] Ich […] bin nun mit meinem Kind das schuldlose Opfer des Kriegsgeschehens. Ich glaube, dass die Männer, die ohne persönliche Exzesse das getan haben, was sie für ihre Pflicht hielten, eine mildere Beurteilung verdienen als eigentliche Kriminelle.“ 399 Ähnlich dachte auch Gerhard S.s Schwägerin, aus deren Schreiben an ihn hervorgeht, dass sie dessen Rechtfertigung und Argumentation folgte. Sie schrieb ihm: „Dass Du zur Ausführung von Schandbefehlen nicht zu haben warst, glauben wir alle. Die damalige Zeit stand aber unter ganz anderen Gesichtspunkten und ist normalen Verhältnissen schwer vergleichbar. Doch Soldateneid, ob 1914 oder 39 oder heute, bleibt ein Eid und das macht alles Überlegen so schwer. […] Wir alle ohne Ausnahme stehen einmütig hinter Dir.“ 400 Die Täter wurden von ihrem Umfeld so wieder zu Opfern gemacht – zu Opfern des NS-Systems, zu denen man, legt man ihr Geschichtsbild zugrunde, den Großteil der Bevölkerung und damit auch sich selbst zählen

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wollte, zu Opfern verbrecherischer Befehle und schließlich, gemeinsam mit ihren Familien, zu Opfern einer Justiz, die diese Zusammenhänge nicht erkennen wollte. Ähnlich wie vor den Spruchkammern Gefangenschaft und Internierung bereits vor der Verhängung einer Sühnestrafe als solche verstanden und dies auch von den Spruchkammern entsprechend gehandhabt wurde, galten auch jetzt Gefangenschaft und Internierung als bereits erbrachte Sühneleistung, und eine weitere Haftstrafe wurde als doppelte Bestrafung empfunden. In einem Schreiben an die Staatsanwaltschaft Ulm drückte die Ehefrau von Richard W. genau das aus: „Mein Mann […] hat sich ein einigermaßen normales Leben redlich verdient. Er hat nach dem Krieg doch von unten wieder anfangen müssen, und es ist ihm wirklich nichts geschenkt worden. […] Wir haben alles selbst erarbeitet, und wenn mein Mann irgendetwas gutzumachen gehabt hätte, wäre das schon zehntausendmal abgegolten.“ 401 In ihren zum Teil zahlreichen Unterstützungsschreiben, in ihrem Engagement, mit dem sich Familien, vor allem aber Freunde und Bekannte, darunter auch Amtsträger, für die Täter einsetzten, verbinden sich durchweg Rechtfertigung und Entschuldung der Betroffenen auf der einen und die Kritik an den NS-Prozessen auf der anderen Seite. Mögen die Betroffenen vielleicht bei ihrer Verhaftung um ihren Ruf und ihr Ansehen in diesem Kreis gefürchtet haben, die Reaktionen, die sie schließlich erreichten, machten eines ganz deutlich: Ihre Integration und ihr Ansehen konnten die Prozesse in diesem Umfeld nicht schmälern. Man hielt zu ihnen, weil man sie nicht mit den eigenen Täterkategorien und -konzepten fassen konnte und wollte, weil man sie für die Verbrechen, der man sie angeklagt hatte, nicht verantwortlich hielt und die Verbrechen selbst eine entpersonalisierte Masse betrafen, für die keine Empathie vorhanden war, und zuletzt, weil, ähnlich wie bei den Entnazifizierungsverfahren bereits vermutet wurde, die eigene Rolle im Nationalsozialismus bzw. die Entschuldung, die man dafür gefunden haben mochte, in Frage gestellt wurden. Die Unterstützung, die die Täter erfuhren, war vielfältig. Da gab es Briefe wie den der Ehefrau Friedrich Me.s an ihren Mann, in dem sie in verschwörerischer Sprache auf den regen und illegal betriebenen Informationsaustausch anspielte, den seine Kollegen und Freunde organisierten. Mit ihnen stand sie in regelmäßigem Kontakt; umso wichtiger war es für sie daher, ihm mitzuteilen, dass einer seiner Freunde, der ehemalige Angehörige des EK 5 und Kriminalkommissar in Düsseldorf, Karl-Heinz J., ebenfalls festgenommen worden sei: „Nun hat’s ihn doch erwischt! Der nächste Bitte!“ 402 Es gab Freunde und Bekannte, die regelmäßig schrieben und den Tätern offen mitteilten, dass sie auf ihrer Seite stünden und was sie von den NS-Prozessen hielten – das waren dann die Briefe, die abgefangen wurden und in den Verfahrensakten landeten. Da waren die entfernten Bekannten, die von dem Prozess gegen Schmidt-Hammer aus der Zeitung erfahren

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hatten und dies zum Anlass nahmen, dem Gericht das humanistische Umfeld zu schildern, in dem Schmidt-Hammer aufgewachsen war. Daneben gab es ganz konkrete Unterstützung, wie die eines Bekannten von Walter He., der anbot, eine Bürgschaft in Höhe von 50 000 DM für dessen Entlassung aus der Untersuchungshaft zu leisten. 403 Besondere Beachtung verdienen die Gnadengesuche, die für die Betroffenen eingereicht wurden, meist gesammelt durch ihren Anwalt. Sie illustrieren nicht nur, wie die, die sie schrieben, argumentierten, welche Vorstellung von Nationalsozialismus sie pflegten, welche Meinung sie vertraten, sondern zeigen mit Blick auf die Tatsache, dass unter den Leumündern auch Politiker waren, auch, dass diese keine Bedenken hatten, sich für die betreffenden Personen zu verwenden. Im Fall von Rudolf Th. waren es der SPD-Kreisverband und ein Bundestagsabgeordneter, die sich für seine vorzeitige Entlassung aus der Haft einsetzten. Ersterer vertrat die Auffassung, dass Rudolf Th. geständig gewesen sei, dies aber im Strafmaß nicht genügend berücksichtigt worden sei. Rudolf Th. war danach ungerecht behandelt worden. „Umso mehr sind wir der Meinung, dass ihm nun alle möglichen Hilfen zuteil werden sollten, um die Verbüßung der restlichen Strafe auf dem Gnadenweg zu erlassen. Herr Rudolf Th. hat als Mensch gebüßt.“ 404 Den Rechtsanwalt forderten die SPD-Vertreter auf, alles zu tun, damit Rudolf Th., „der innerlich weit abgerückt ist vom damals Geschehenen, wieder arbeiten kann, […] dass er nicht nur harte Paragraphen, sondern auch die berechtigte Gnade finden kann“. Der Bundestagsabgeordnete Adolf Mauk unterstellte in seinem Gnadengesuch an den baden-württembergischen Justizminister indirekt, dass es das Landgericht Heilbronn besonders eilig gehabt habe, Rudolf Th. zu verurteilen. Nicht nur unterschwellig, sondern direkt kritisierte er die Verfolgung von Taten, die über 20 Jahre zurücklagen. Daher, so seine Forderung, sollte man Rudolf Th. endlich seine Ruhe gönnen, weil er und seine Familie genug gebüßt hätten. 405 Nach dem ersten Urteil des Landgerichts Wuppertal gegen Walter He. reichten 20 ehemalige Einwohner seines Heimatdorfes bei seinem Rechtsanwalt eine Leumundserklärung ein. Inhaltlich unterschied sie sich nicht von dem, was während der Entnazifizierungsverfahren in eidesstattlichen Erklärungen stand und veranschaulicht deshalb, wie eng und wie realitätsfern der Maßstab für Täter noch in den 1960er Jahren sein konnte. In dem Brief erklärten sie, dass Walter He.s gesamte Familie dem Nationalsozialismus ablehnend gegenübergestanden hatte und seine Angehörigen weder der NSDAP noch ihren Gliederungen angehört hätten. Zudem habe sich Walter He. weder politisch betätigt, noch „nationalsozialistisches Verhalten“ gezeigt. 406 Besonders umfangreich war die Unterstützung, die Gerhard S. aus Schwanenwede bekam, dem Ort, an dem er nach seiner Entlassung aus der Internierungshaft gelebt hatte und auf lokalpolitischer Ebene aktiv gewesen

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war. Der erste Offizielle, der sich an Gerhard S. wandte, war der Landrat des Kreises Osterholz, Christian Evers. Er hatte aus der Zeitung von Gerhard S.s Verhaftung erfahren, war aber mittlerweile auch von ihm in einem Brief über den Sachverhalt aus dessen Sicht informiert worden. Evers stellte sich hinter Gerhard S. und ließ diesen wissen, wie nicht nur er über das Verfahren gegen ihn dachte: „Ich habe mit vielen Ihrer Bekannten über Sie gesprochen, und ich kann Ihnen nur sagen, dass alle es außerordentlich bedauern, dass Sie in dieser Weise erneut aus der Bahn geworfen werden. Sie tuen mir wirklich leid.“ 407 Evers sprach sich für den Schlussstrich unter die NS-Geschichte aus: „Ich bedaure es auch außerordentlich, dass nach rund 15 Jahren immer wieder neue Wunden aufgerissen werden, Wunden, die nun doch größtenteils wohl verheilt sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie etwas begangen haben, was das Licht der Öffentlichkeit zu scheuen braucht.“ 408 Auch der Vorstand des Selbsthilfebauvereins und der Schuldirektor von Schwanenwede setzten Schreiben für Gerhard S. auf, die auch angefordert gewesen sein können. Beide Schreiben hoben sein Engagement in der Gemeinde hervor und bescheinigten ihm eine demokratische Haltung. 409 Die Gemeinde Schwanenwede ließ dem Rechtsanwalt von Gerhard S. ebenfalls eine Beurteilung zukommen, nachdem man erfahren hatte, dass er „wegen angeblicher Zugehörigkeit zu einer Polizeieinheit, die im Osten eingesetzt gewesen war“ 410 , in Untersuchungshaft sitze. Die Gemeinde äußerte sich nicht zur Sache, sondern hob die Leistungen Gerhard S.s für die Gemeinde heraus und betonte dessen anständigen Charakter und positive Haltung zur Demokratie. Weil exakt dieser Hinweis auch in den zuvor genannten Schreiben sowie in einem nachweislich von Gerhard S. angeforderten Leumundszeugnis des ehemaligen niedersächsischen Ministers für Wirtschaft und Verkehr, Hermann Ahrens, auftaucht, liegt die Vermutung nahe, dass der Angeschuldigte oder sein Anwalt um diese Schreiben mit einem solchen Hinweis gebeten hatten. Widerwillig war keines der Schreiben aufgesetzt worden. So wies der Gemeindedirektor den Rechtsanwalt darauf hin, dass der Gemeinderat damit einverstanden sei, dass das Schreiben zur Verteidigung Gerhard S.s genutzt wird. Sollten weitere Erklärungen nötig sein, werde man sie gerne ausstellen. 411 Das war die offizielle Version. Es gab aber auch eine freundschaftlich inoffizielle. Am gleichen Tag schrieb der Gemeindedirektor auch einen privaten Brief an Gerhard S. Darin heißt es: „Wir bedauern hier alle sehr, dass Du, offenbar doch nur durch eine kurzfristige Zugehörigkeit zu einer bestimmten Einheit, so viel auf Dich nehmen musst. Lieber Gerhard! Wir haben Dich hier in Schwanenwede in den Jahren unserer gemeinsamen Arbeit schätzen und achten gelernt und halten zu Dir.“ 412 Es sei sicher, dass Schwanenwede ihn jederzeit „mit offenen Armen“ aufnehmen werde.

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Für sein Gesuch um Entlassung aus der Untersuchungshaft erhielt Gerhard S. ganz konkrete und praktische Hilfe. Der Inhaber eines kleinen Betriebes in Schwanenwede bot ihm einen Arbeitsplatz an. 413 Das Angebot war zuvor mit dem Oberkreisdirektor von Osterholz-Scharmbeck, Gottschalk, besprochen worden, der zustimmte und sich bereiterklärte, Gerhard S. in Freiheit zur Seite zu stehen. Die mögliche negative öffentliche Wirkung dieser Entscheidung hatte der Oberkreisdirektor durchaus bedacht, aber schließlich entkräftet. Dem Firmenbesitzer teilte er mit: „Ich halte Gerhard S.s Entlassung in die einsame Heidesiedlung Schwanenwede zu Ihnen für günstiger als die Übernahme in einen größeren Betrieb mit bürokratischer Personalpolitik. Ich habe die Frage der Haftentlassung von Herrn Gerhard S. vorsorglich mit einigen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens des Kreisgebietes und insbesondere des Bereiches Schwanenwede besprochen […]. Auch hier wurde nicht befürchtet, dass die Rückkehr von Herrn Gerhard S. irgendwelche Schwierigkeiten auslösen würde.“414 Gerhard S. kam zwar nicht aus Untersuchungshaft frei, aber er konnte sich sicher sein, dass er in seinem privaten sozialen Umfeld nichts an Ansehen eingebüßt hatte.

4.3. Zusammenfassung Die Gerichtsurteile der ausgesuchten Personen waren der Ausgangspunkt für diese Arbeit gewesen. Sie sollten bei der Personenauswahl helfen. Die Entscheidung, die Phase der NS-Prozesse selbst in die Arbeit miteinzubeziehen und sie nicht mit der Verhaftung der ausgewählten Personen enden zu lassen, ergab sich erst beim Durchsehen der Prozessunterlagen und der Erkenntnis, dass die Prozesse nicht automatisch der Endpunkt der Integration und Etablierung gewesen sind. Zweifellos beendeten die einsetzenden Ermittlungen und Prozesse eine Phase, in der es sich die Betroffenen in der Sicherheit einer bürgerlichen Existenz eingerichtet hatten. Sie demaskierten die Hoffnung, es werde so weiter gehen, als Trugbild; sie beendeten Karrieren im Staatsdienst, brachten finanzielle Einbußen, Untersuchungs- und auch Strafhaft. Aber sie setzten mit der Thematisierung der Verbrechen und der Verurteilung der Angeklagten keinen Endpunkt hinter deren Integration und Etablierung. Es war in der Regel für die Betroffenen kein Problem, wieder Arbeit zu finden beziehungsweise bei ihrem alten Arbeitgeber wieder einzusteigen, entweder während des Prozesses, wenn sie sich nicht mehr in Untersuchungshaft befanden, oder aber nach ihrer Entlassung aus der Strafhaft im Gnadenweg. Wie sich gezeigt hat, waren die meisten von ihnen zu Beginn der Ermittlungen gegen sie überzeugt davon gewesen, dass ihnen keine oder nur geringe strafrechtliche Konsequenzen drohten. Auch mit Untersuchungshaft hatten sie nicht unbedingt gerechnet; schließlich waren sie sich nach ihrer ersten Zeugenbefragung bewusst, dass auch ihre Rolle innerhalb des Kom-

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mandos Thema der Ermittlungen werden konnte. Mit dem gegen Ende der 1950er Jahre einsetzenden Paradigmenwechsel im strafrechtlichen und politischen Umgang mit NS-Gewaltverbrechen hatten sie schlicht nicht gerechnet. Bis zu ihrer eigenen Verhaftung lebten sie daher so weiter wie bisher. Gegen eine Flucht sprachen nicht nur die ganz praktischen Erwägungen, dass es dafür Kontakte, ausreichend finanzielle Mittel und den Willen brauchte, all das, was man sich aufgebaut hatte, zurückzulassen, einschließlich der Familie. Dagegen sprachen in erster Linie ihre Geschichtsdeutung und ihr Selbstverständnis, die besagten, dass sie sich nichts vorzuwerfen hatten und die Verantwortung bei anderen gelegen habe. Auffällig in ihren Verteidigungen ist die mit nationalsozialistischen Begriffen und Wendungen durchtränkte Sprache, die weiterhin zur Verschleierung und Irreführung gebraucht wurde. 415 Jürgen Matthäus hat betont, dass die „abstrakten, die mörderische Realität und die Verantwortung des Handelnden ausblendenden Formulierungen“ 416 denen entsprachen, die in den „weltanschaulichen“ Schulungsmaterialien gebraucht wurden. Bei ihren Spruchkammerverfahren waren sie damit noch durchgekommen, doch die Situation, die nun auf sie wartete, war eine andere. Sie sahen sich einer völlig neuen Beweismitteldichte gegenüber. Vorhandene Dokumente wurden genutzt, um Falschaussagen als solche zu entlarven. Und es war durchaus nicht so, dass Kameraden sich nicht gegenseitig belastet hätten. Sie hüllten sich zwar hinsichtlich Namen in Schweigen und beriefen sich auf fehlende Erinnerungen, wenn sie danach gefragt wurden, ob eine bestimmte Person bei diesem oder jenem Einsatz dabei gewesen war und was sie gemacht hatte – schließlich wollte man selbst auch nicht belastet werden. Doch die Solidaritäten erwiesen sich als brüchig: innerhalb eines Kommandos hatte es nicht nur enge Freundschaften gegeben, Führer konnten sich unbeliebt machen, und Entgleisungen, verbal oder nonverbal, waren anderen in Erinnerung geblieben – und so erhielten die Ermittler doch mehr Informationen, als die Betreffenden erwartet hatten. Bei allen vorliegenden Erkenntnissen, die die Angeklagten belasteten, erwiesen sich die Gerichte, an die die Vorermittlungen abgegeben worden waren, als Schwachstellen, insofern persönliche Denkmuster und Wertvorstellungen einen Interpretationsspielraum eröffneten und die Tatbeteiligung der Einzelnen entkräften konnten und dies auch taten. Nicht immer äußerten sie sich so deutlich wie in der Beurteilung der Taten des Sk 1005 durch das Stuttgarter Landgericht, das diese explizit rechtfertigte. Ruft man sich noch einmal die konsensfähigen Topoi der Entnazifizierungsphase in Erinnerung, finden sich auch hier noch Relikte: die Betonung des Zwangscharakters, die Tendenz, in der NS-Führungsriege die Hauptverantwortlichen zu sehen, den Neuanfang nach Kriegsende bereits als Strafe und Sühne in einem zu betrachten, individuelle Verantwortung und Handlungsfreiheit zu minimieren, die Tatsache, dass jemand begeisterter Anhänger des Nationalsozialismus

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gewesen war, als missbrauchten Idealismus zu betrachten. Das alles waren keine neuen Konstrukte; sie wurden nur dadurch, dass sie zu Urteilsbegründungen herangezogen wurden, legitimiert. Bisher punktuell vorhandene Tendenzen einer gesellschaftlichen Liberalisierung verdichteten sich um die Wende der 1950er zu den 1960er Jahren zu einer nicht mehr aufzuhaltenden Entwicklung, in der die Strafprozesse eine doppelte Rolle einnahmen: als Teil und Folge dieser Tendenz einerseits und als Impulsgeber andererseits. Die Grausamkeiten, die in den Prozessen verhandelt wurden und über die die Presse berichtete, führten jedoch nicht dazu, dass die Verurteilten innerhalb der Gesellschaft mit Ächtung und Ausschluss zu rechnen hatten. Den hier behandelten Personen wurde aus ihrem beruflichen und privaten Umfeld Verständnis, Sympathie und Unterstützung entgegengebracht; Unverständnis und Antipathien richteten sich gegen Justiz und Medien. Arbeitgebern und dem privaten Umfeld war bei ihrer vorbehaltlosen Unterstützung durchaus bewusst, dass ihr Handeln der öffentlichen, oder besser gesagt, der offiziellen Meinung und Haltung gegenüber Nationalsozialismus und nationalsozialistischen Verbrechen entgegenlief. Keine moralischen Bedenken lagen der Entscheidung der Verantwortlichen bei Daimler-Benz zugrunde, Richard W. nicht weiterzubeschäftigen. Es war die Furcht vor negativen Schlagzeilen im In- und Ausland. Während ein Schrei der Empörung durch die bundesdeutsche Presse ging, als Gerhard S. nach der Urteilsverkündung wegen Anrechnung seiner Untersuchungshaft direkt in die Freiheit entlassen wurde, hatten ihm Bekannte bereits ein Flugticket besorgt, um ihn nach Westdeutschland zurückzubringen. Bei allen Beteiligten an den Prozessen kann – in unterschiedlicher Ausprägung – das Unvermögen beobachtet werden, die Angeklagten als Täter mit ihrer gesamten Verantwortlichkeit zu erkennen und zu benennen. Die Strafzumessungsbegründungen, in denen aufgeführt wurde, was für und was gegen die Angeklagten sprach, zeigen, wie eigene Wertvorstellungen der Richter in die Bewertung einflossen und die Angeklagten mit zum Teil absurden Begründungen in ein milderes Licht tauchten, ungeachtet der rekonstruierten Verbrechen. Die gleichzeitige Verurteilung von Massenverbrechen ungeheuren Ausmaßes mit dem herkömmlichen juristischen Instrumentarium und der gleichzeitige Versuch, die Angeklagten abzugrenzen von den „normalen“ Täterkategorien, warf die Frage nach dem Sinn einer Strafe auf. Totalitarismustheoretisch basierte Denkmuster machten juristisch aus Tätern Gehilfen. Entgegen anders lautender Einschätzungen schuf die Justiz in den Prozessen weder ein neues Täterbild noch ein neues Geschichtsbild, sondern griff vielmehr auf vorhandene Vorstellungen und Kategorien zurück. 417 Bis zum Ulmer Einsatzgruppenprozess speisten sich die Erfahrungen mit Täterkategorisierungen aus den Prozessen der Alliierten. Mit den Einsatzgruppen hatten sie es mit einer klar umrissenen Grup-

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pierung und mit klaren Tatkomplexen zu tun. Obwohl durchweg konkrete Mordaktionen be- und verhandelt wurden, taten sich die Gerichte extrem schwer damit, Initiativhandlungen und die Handlungsfreiheiten der Akteure zu erkennen und in die strafrechtlichen Erwägungen einzubeziehen. Sie schienen durch ihre Zuordnung zu bestimmten Kommandos mehr als Teil einer handelnden Gruppe, denn als handelnde Individuen und unterschieden sich in dieser Hinsicht von den Angeklagten in den Konzentrationslagerprozessen. Sie als Befehlsempfänger zu betrachten, stand in der Tradition der Distanzierung und Schuldabwehr, die mit den Nürnberger Prozessen ihren Ausgang genommen hatte. Der „Führerbefehl“ oder „Endlösungsbefehl“, auf den Ohlendorf sich in seiner Verteidigung berufen hatte und von dem er behauptet hatte, dass er vor Einsatz der Einsatzgruppen bekannt gegeben worden sei, und auf dem auch die zeitgenössische Geschichtswissenschaft aufbaute, geisterte durch die Gerichtssäle. 418 Die Erkenntnis, die Hilberg formuliert hat, dass allein mit Befehlen das Judentum niemals vernichtet worden wäre, hatte sich bei den hier besprochenen Prozessen noch nicht durchgesetzt. 419 Was für die Justiz der Gehilfe, war für das soziale Umfeld und für das Gros der Gesellschaft der gleichen Generation das Opfer. „Ein grundlegender Einstellungswandel in der Bevölkerungsmehrheit“, konstatierte Marc von Miquel, „war ausgeblieben.“ 420 Er drückte damit überspitzt das aus, was meines Erachtens Konrad Kwiet treffender beschrieben hat, indem er auf die Kluft verwies, die bis heute zwischen „wissenschaftlichem Kenntnisstand und dem Entwicklungsgrad kollektiver Identität“ 421 bestehe. Aber, und darauf hebt Edgar Wolfrum ab, es bildete sich im Laufe der 1960 Jahre in der deutschen Öffentlichkeit der Konsens einer negativen Bewertung des Nationalsozialismus: „Der Nationalsozialismus“, urteilte er, „wurde von der Bevölkerung zunehmend als Skandalon betrachtet, ja die Distanzierung von ihm begann zum Nachweis und Konstitutivum des Bundesbürgers zu werden.“ 422 Dass dies nicht unbedingt eine ehrliche und offene Auseinandersetzung, die sich an geschichtswissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, bedeutet, das konnte im großen Stil an den Reaktionen auf die Wehrmachtsausstellung beobachtet werden. Für die hier behandelte Phase ab den späten 1950er Jahren bleibt schließlich festzuhalten, dass es eine Gleichzeitigkeit von Prozessen der Wandlung und des Beharrens gab: Der Prozess der Liberalisierung ist als gesamtgesellschaftlicher Denkprozess auf der großen gesellschaftlichen Ebene festzustellen, der auf die mediale Öffentlichkeit, aber eben noch nicht in den kleinen privaten Zusammenhängen wirkte.

Schlussbetrachtung Man sei getäuscht worden, hatte der Innenminister von NordrheinWestfalen nach der Festnahme Heusers auf die Anfrage der SPD geantwortet, wie jemand wie Georg Heuser in den Dienst der Kriminalpolizei hatte zurückkehren und eine steile Karriere machen können.1 Sicher, er hatte getäuscht, genauso wie Friedrich Me., Walter He., Wilhelm E. und Gerhard S. bei ihrer Rückkehr in den Staatsdienst getäuscht hatten. Funktionieren konnte das aber nur, weil man sich auf der anderen Seite nur allzu bereitwillig täuschen lassen wollte, was wiederum der reflexartige Fingerzeig auf den Täter verwischen sollte. Wenn es allein auf das Vorgehen der Täter, auf ihr Geschick, ihre Anpassungsfähigkeit, ihre Verschleierungstaktik angekommen wäre, dann wäre ihre Integration sehr wahrscheinlich nicht so erfolgreich gewesen. An allen Etappenpunkten ihrer Nachkriegslebensläufe, die in der Arbeit betrachtet wurden, erhielten die 19 Täter Unterstützung, nicht nur aus ihrem sozialen Umfeld; vor allem profitierten sie bis Ende der 1950er Jahre vom herrschenden politischen und sozialen Klima, von einem Mangel an Wissen über die Historie, von selbstexkulpatorischen und selbstviktimisierenden Mentalitäten, die wiederum diffus bestimmten, wer Täter, wer Verantwortlicher, wer Schuldiger war. Die Unterstützung, die diejenigen bei Kriegsende erfuhren, die sich einer Gefangennahme entziehen wollten, war situationsbedingt, egal, ob sie wie Friedrich Me. bei der eigenen Familie oder wie Gerhard S. bei einem Bauern unterkamen. Familiäre Solidaritäten waren fraglos verlässlicher, doch solange Gerhard S. unauffällig blieb und keinen Anlass zur Kritik gab, konnte auch er mit Solidarität rechnen; Fragen brauchte er nicht zu fürchten. Nur drei der 19 Personen gelang es, nicht interniert zu werden; sie konnten früher als die anderen damit beginnen, ihr Nachkriegsleben zu regeln. Letztlich aber war es nicht die zentrale Weichenstellung, die sie damit hatten schaffen wollen. Die politischen Rahmenbedingungen, die Entscheidungen der Besatzungsmächte gaben das Schritttempo vor und bestimmten, was möglich war und was nicht. Für Heuser hieß es trotz Freiheit und unter rätselhaften Umständen erstandenem Nichtbetroffenenbescheid auf eine Gelegenheit zur Rückkehr in die Kriminalpolizei zu warten und bis dahin die Lage zu sondieren. Nicht zu unterschätzen ist der Eindruck, den die zu Anfang intensive Fahndung der alliierten Kräfte nach verdächtigen Personen auf die Betroffenen gemacht haben dürfte. Andererseits müssen sich Heinrich Win. und Friedrich Me. wieder einigermaßen sicher gefühlt haben, als sie für amerikanische bzw. britische Dienststellen

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arbeiteten. Erstaunlich sind auch Heusers gezielte Kontaktaufnahmen zu seinen früheren Kameraden, deren Motive letztlich im Dunkeln bleiben. Nicht Hürde, sondern ein wichtiger Schritt auf dem Weg in Richtung Integration und „Normalität“ war die Entnazifizierung. In biografischen Arbeiten finden die Akten kaum Beachtung, obwohl sie zeigen können, wie die Verfahren zu Drehtüren, zum Symbol des persönlichen Neuanfangs nach Kriegsende werden konnten. Sie verdeutlichen, wie sich die Täter zu diesem Zeitpunkt rechtfertigten, wie sie ihre Rolle im Nationalsozialismus sahen, auf welche Weise sie ihre Lebensläufe anpassten, welche Argumente sie als konsensfähig einschätzten. Eine Haltung zeigen sie jedoch nicht: Demut. Ganz im Gegenteil erscheint die Selbstrechtfertigung der Einzelnen bereits sehr gefestigt gewesen zu sein. Zwar war die Mehrheit darum bemüht, ihre Einsätze mit Einsatzkommandos in ihren Lebensläufen zu verheimlichen. Maximal, und das empfand man als kommunizierbar, war die Rede von einem „Osteinsatz“ oder von „Partisanen- bzw. Bandenkampf“, was als durchweg militärische Maßnahme präsentiert wurde. Beide Begriffe waren mit individuellen Vorstellungen und Interpretationen belegbar, waren wenig konkret, schienen aber vor allem eines zu symbolisieren: die Härte des Krieges, der man ausgesetzt gewesen war. Weil der Zweite Weltkrieg als konventioneller Krieg betrachtet wurde, war es ebenfalls sagbar, einer Einheit der Waffen-SS angehört zu haben, nicht zuletzt, wenn man angab, dorthin versetzt worden zu sein. Dass die Zugehörigkeit zu einer Einsatzgruppe durchaus nicht zwingend negative Folgen haben musste, konnte an den Beispielen August Hä., Rath, Heinz Ta. und Fritz Zi. beobachtet werden. Wichtig war allerdings, dass eine solche Zugehörigkeit, vor allem die eigene Rolle innerhalb der Einheit, marginalisiert werden konnte. Außerordentlich mutet in diesem Kontext der Fall August Hä. an, dessen NS-Lebenslauf im Fall 9 (Einsatzgruppenprozess) bekannt geworden war und über den die zuständige Spruchkammer ebenfalls informiert war. Weil man dort jedoch annahm, dass August Hä. von den Amerikanern bestraft worden wäre, wenn ihm Verbrechen vorzuwerfen gewesen wären, betrachtete man sich als nicht zuständig und die Angelegenheit für erledigt. Wegen seiner „formalen“ Belastungen wurde er im Berufungsverfahren dennoch in die Gruppe I der Hauptschuldigen und damit höher als im ersten Spruch eingestuft. Den Spruchkammerverfahren sind nicht nur strukturelle Fehler wie ihre eingeschränkte (Handlungs)Kompetenz vorzuwerfen, sie konnten zu einer Farce und zur Entlastung eines ganzen Volkes werden, weil ein eklatanter Mangel an Sachwissen herrschte und gleichzeitig nach einem Prototyp des Nationalsozialisten gesucht wurde, der den Facetten der Realität nicht im Geringsten gerecht wurde. Selbst wenn der öffentliche Kläger weitere Nachforschungen anstrengte, konnte dies nur im Rahmen der vorgegebenen Kompetenzen geschehen, wenn nicht das Verfahren an ein Gericht abgege-

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ben wurde. Ein unausgesprochener Konsens herrschte in den Spruchkammern wie in der breiten Gesellschaft darüber, wer als Nationalsozialist und was als nationalsozialistisches Verhalten zu gelten habe. Dieser einschränkende Blick war die logische Konsequenz der Schuldzuweisung auf die Führungsspitze des NS-Regimes. Gesucht wurde der, der negativ aufgefallen war, der sich bereichert hatte, der die Loyalität gegenüber Freunden, Nachbarn oder Kollegen verletzt hatte, der bei der Gestapo gewesen war, der sich „Gestapo-Methoden“ bedient hatte oder als Parteifunktionär gewirkt hatte. So ist zu verstehen, dass bei denen, deren GestapoZugehörigkeit bekannt wurde, stärker nachgeforscht wurde, allerdings, wie sich zeigte, wieder in die falsche Richtung und nur mit dem Mittel der Nachfrage am Dienstort. In Noa allerdings glaubte man einen willigen Förderer des Systems erkannt zu haben, weil er zugegeben hatte, ein Sippenhaftlager eingerichtet und anschließend zu den Bewachern gezählt zu haben. Erst als Zeugen bestätigten, dass der Bewacher, den sie für Noa hielten, sie nicht misshandelt hatte, wurde der Spruch gegen ihn aufgehoben. Dabei hätte bereits sein bekanntgewordener Lebenslauf ausgereicht, ihn als Unterstützer des Systems einzustufen; ausschlaggebend war jedoch allein seine Tätigkeit in Zusammenhang mit dem Sippenhaftlager. Dass jemand angab, sich für den Nationalsozialismus begeistert zu haben, wurde ihm nicht per se angelastet. Das Argument des verführten Idealisten, zumal, wenn es noch mit dem Hinweis auf ein national eingestelltes Elternhaus einherging, stieß auf Verständnis. Und schließlich ließ sich auch die Zugehörigkeit zu NSOrganisationen mit dem Hinweis auf Opportunismus, sie seien nur „formal“ und „äußerlich“ gewesen, rechtfertigen, und auf die gleiche Weise wurden SS-Ränge zu Dienstgradangleichungen. Bereits zum Zeitpunkt der Entnazifizierung war die Legende der unpolitischen Kriminalpolizei ein verbreitetes Argument zur Selbstentschuldung. Kameraden bescheinigten sich gegenseitig, nicht linientreue Untergebene gewesen zu sein, sich im Dienst immer loyal zu ihren Kollegen verhalten zu haben und ausschließlich kriminalpolizeiliche Aufgaben wahrgenommen zu haben. In Abgrenzung zur Gestapo wurde hier die Legende eines Hortes des Rechts inmitten eines Unrechtsstaates kreiert. Die Gelegenheit zu Absprachen gab es vor allem innerhalb der Internierungslager, wo alte Kameraden wieder aufeinander trafen und die Möglichkeit gegeben war, Legenden zu konstruieren und Verteidigungsstrategien zu entwickeln. Genau daran arbeitete auch Gerhard S. in der von ihm organisierten „Rechtsberatung“ im Internierungslager Neuengamme. Ihr Antrieb war die Möglichkeit, sich selbst in ein „richtiges“ Licht zu setzen, aktiv an der Verbesserung ihrer Situation zu arbeiten und nicht zuletzt die Abneigung gegen die Verfahren, denen sie sich zu stellen hatten. Die Aussagen und Erklärungen der Kameraden bezogen sich auf den Dienst, die Aufgaben

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des Betroffenen sowie auf sein Verhalten. Überprüfbar waren die Anekdoten, die berichtet wurden und als Beweis für nicht konformes Verhalten dienen sollten, nicht. Ergänzend zum apolitischen und korrekten Dienstverhalten bestätigten die Erklärungen von Nachbarn, Bekannten, Bürgermeistern und Pfarrer den lauteren Charakter und verwiesen auf ein gutes Elternhaus. Sie geben vor allem Auskunft darüber, über welche sozialen Verbindungen die einzelnen Personen verfügten und wer ihnen bereitwillig Leumundszeugnisse ausstellte. Durchzogen von Stereotypen waren alle eidesstattlichen Erklärungen, und dennoch wurden sie von den Kammern als Beweismittel sehr ernst genommen, obwohl die Art und Weise, wie eidesstattliche Erklärungen zustande kamen, bekannt gewesen sein dürfte. Ein Konsens aller an der Entnazifizierung beteiligten Akteure bestand darin, die Härten der Nachkriegszeit im Allgemeinen und Gefangenschaft bzw. Internierung im Besonderen als Sühne aufzufassen, so dass Internierungszeiten gerne auf die zu verhängende Sühneleistung angerechnet wurden. Das Ergebnis war, dass der Spruch faktisch die Inhaftierung beendete. Als durchweg konsensfähig erwies sich die totalitaristische Deutungsweise des Nationalsozialismus, des alles durchdringenden Zwangs-, Überwachungs- und Bedrohungscharakters, dem sich niemand, auch nicht ein SS-Führungsdienstgrad, hätte entziehen können. Die Totalitarismustheorie entwickelte sich offensichtlich bereits zu diesem Zeitpunkt zum „ideologischen und geschichtskulturellen Kitt“ 2 einer Gesellschaft. Das galt erst recht für die nachfolgende Phase, in der sich die Täter beruflich wieder angemessen etablieren wollten. Die erfolgreiche Entnazifizierung war die Voraussetzung, sich beruflich wieder etablieren zu können. Bis dahin nahmen sie in einer Übergangsphase Arbeiten an, die zunächst nichts mit ihren ursprünglichen Ausbildungen zu tun hatten. Mit Abschluss ihrer Verfahren, Gründung der Bundesrepublik und besonders nach Erlass des Ausführungsgesetzes zum Artikel 131 GG änderte sich, vor allem für ehemalige Beamte, die noch nicht wieder in ihren Dienst hatten zurückkehren können, die Situation. Das Ausführungsgesetz zum Artikel 131 GG hatte deutlich gemacht, dass man auch belastetes Personal wieder integrieren wollte; daran änderten auch die – niedrigen – Hürden nichts, die in das Gesetz eingebaut worden waren. Nicht alle aber trauten den Möglichkeiten der Rückkehr, weil sie eine erneute und vielleicht genauere Überprüfung ihrer Lebensläufe fürchteten, und bewarben sich aus diesem Grund bewusst nicht um ihre Wiedereinstellung. Täter wie Rudolf Th. wollten einen radikalen Schnitt, einen Neuanfang, von dem sie hofften, dass er sicherer sei als die Rückkehr in den Staatsdienst. Karl D. verzichtete, wenn auch verärgert, weil er für sich als ehemaliger Gestapo-Angehöriger keine Möglichkeit für einen Wiedereinstieg in den Polizeidienst sah. Umso selbstbewusster forderten beispielsweise Wilhelm E. und Gerhard S. ihre Rückkehr in den

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öffentlichen Dienst, und auch Heuser ließ nicht locker, bis er dies endlich wieder erreicht hatte. Dass sie es schafften, lag nicht allein daran, dass sie ihre Lebensläufe geschickt gefälscht hatten. Es lag vor allem daran, dass man ihnen sehr weit entgegen kam. Im Fall Friedrich Me.s ignorierte ein Gönner bei der Regierungsbezirks-Polizei Arnsberg seinen Osteinsatz, Walter He. traf in dem Leiter des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen auf einen ehemaligen Kollegen der Kriminalpolizei Breslau, und Best scheint im Fall Gerhard S. Überzeugungsarbeit geleistet zu haben. Dass Heusers Fürsprecher auch dessen Einsatz beim Einsatzkommando 14 in der Slowakei erwähnte, hatte keinerlei negative Auswirkungen, weil er es als Abkommandierung bezeichnete, weil er selbst dieser Einheit angehört hatte und zugleich Heusers Fähigkeiten anpries. Die Bereitschaft, sich täuschen zu lassen oder sogar aktiv daran teilzunehmen, war groß und bedingt durch die personellen Kontinuitäten in Polizei und Kriminalpolizei. Es waren ehemalige NSFührungskräfte, die über Wiedereinstellungen entschieden, die sie vorantreiben oder behindern konnten, und es waren ehemalige Kameraden, die bereits für die Entnazifizierungsverfahren Erklärungen ausgestellt hatten und nun einmal mehr die apolitische Dienstführung der Bewerber bestätigten. Dass sie selbst meistens schon wieder im Polizeidienst waren, unterstrich ihre Glaubwürdigkeit. Wichtig war, dass der Bewerber keinen Anlass dafür lieferte, nicht eingestellt zu werden, das heißt, dass er offiziell nicht so belastet war, dass eine eventuelle Enttarnung unnötig die Aufmerksamkeit auf die Dienststelle gezogen hätte und, nicht weniger wichtig, dass er sich während des Nationalsozialismus loyal gegenüber Kollegen und Vorgesetzten verhalten hatte. Das Wissen um die tatsächliche Vergangenheit verband Bewerber, ehemalige Kameraden und diejenigen, die auf Seiten der Behörde über ihre Einstellung zu entscheiden hatten. Ohne dieses „konstruktive“ Zusammenspiel, das mit einer nur ungenügenden Überprüfung der Vergangenheit der Bewerber einherging, wäre ihre Wiedereinstellung nicht so einfach verlaufen. Gefordert war von allen die Anpassung an die Richtlinien der neuen Demokratie. „Nur staatsbürgerliches Wohlverhalten verhieß den Lohn der sozialen Wiedereingliederung“ 3 , bemerkte Axel Schildt. Und das fiel umso leichter, je mehr die persönlichen, allen voran wirtschaftlichen Vorteile in und durch den neuen Staat spürbar wurden. Die Signale, die von der endgültigen Liquidation der Entnazifizierung, von den umfangreichen Amnestierungen seitens der Amerikaner, vom Gesetz zum Artikel 131 GG, von der Amnestiegesetzgebung, den Verjährungen und vom Umgang mit der Frage der Kriegsgefangenen ausgingen, zeigten eindeutig, wie man in der jungen Bundesrepublik mit der NS-Vergangenheit umzugehen gedachte. Die Zeichen standen auf Integration, daran hatten auch der Prozess gegen den Angehörigen des Ek 3, Martin Weiß, 1950 vor dem Würzburger Land-

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gericht, der für ihn und einen weiteren Angeklagten mit lebenslangen Haftstrafen endete, und der Dortmunder Prozess gegen Angehörige des Polizeibataillons 61 wegen Erschießungen von Juden des Warschauer Ghettos, nichts geändert, zumal letzterer durchweg mit Freisprüchen endete. 4 Fast alle kehrten sie Anfang der 1950er Jahre zurück in die Berufe, in denen sie ausgebildet worden waren. Auch Werner Schö. fand nach seiner Entlassung aus österreichischer Haft und seiner Abschiebung nach Deutschland zeitnah eine Anstellung. Kein Arbeitgeber interessierte sich für ihre NS-Vergangenheit, und so irritierten die Angaben Richard W.s, die er in seiner Bewerbung über seinen Einsatz mit der Stapo Tilsit machte, nicht weiter. Verbindungen zu ehemaligen Kameraden konnten auch für die, die ihre berufliche Zukunft in der Wirtschaft suchten, hilfreich sein. So im Fall Rudolf Schl., dem Heuser, inzwischen Kriminalhauptkommissar und Leiter der Kriminalpolizei Kaiserslautern, eine Referenz ausstellte. Wegen fehlender Akten ist nur in wenigen Fällen bekannt geworden, mit welchen Angaben sich die Betroffenen bewarben und wen sie als Referenzen angaben bzw. was diese ihnen bestätigten. Die überlieferten Dokumente zeigen aber, dass sie sich sehr wohl darauf verstanden, ihre fachlichen Fähigkeiten so darzustellen, dass die langjährige Lücke in der Berufspraxis keinen Makel bedeutete. Persönliche Kontakte wie im Fall Rath, der bei einem Handwerksbetrieb in seiner Heimatgemeinde Arbeit fand, erwiesen sich als besonders vorteilhaft, weil mit ihnen starke Solidaritäten verbunden waren. Bei Rath zeigte sich das bereits während seines Entnazifizierungsverfahrens, als sich sein Arbeitgeber für ihn einsetzte. Schmidt-Hammer konnte sich bei seinem beruflichen Wiedereinstieg auf seinen alten Ausbildungsbetrieb und Arbeitgeber verlassen, der ihn wieder einstellte und sich ebenfalls solidarisch mit ihm erklären sollte. Abhängig von ihrem persönlichen Ehrgeiz, ihren Ambitionen, ihren erlernten Berufen und den gegebenen Möglichkeiten – für August Hä. war mit seiner Einstufung in die Gruppe der Hauptschuldigen keine Rückkehr in den Staatsdienst möglich – suchten sie sich ihre Rolle in der Gesellschaft der 1950er Jahre, die ihnen dafür die nötigen Voraussetzungen bot, zumindest bis gegen Ende des Jahrzehnts, als spürbare Transformationsprozesse einsetzten. Die Bedingungen ihrer Reetablierung wurden auf verschiedenen Ebenen geschaffen, von der Politik herunter bis in das direkte soziale Umfeld. Es war keine Zeit, in der der Nationalsozialismus beschwiegen wurde; er wurde durchaus thematisiert, allerdings vorwiegend unter den Vorzeichen der Verharmlosung, des Unkonkreten, des Aufrechnens und Abwälzens von Schuld, des Unwissens über Verbrechen, des anekdotischen Erzählens. Der Holocaust blieb dabei ausgeklammert, der Blick war auf sich selbst gerichtet. Auf diese Weise wurde die nationalsozialistische Vergangenheit thematisiert, ohne sich mit ihr konkret auseinanderzusetzen. Gleichzeitig wurde politisch die Abgrenzung vom nationalsozialistischen

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Deutschland beschworen. Auch das gehörte zur „Vergangenheitspolitik“, wobei der politische Umgang der Politik mit der Vergangenheit einem Abarbeiten glich. An mental fortwirkenden Dispositionen zeigte sich, was als spezifisch nationalsozialistisch empfunden wurde und was nicht. Bekanntestes Beispiel ist der Antikommunismus, der im Gegensatz zwischen West und Ost erneute Legitimation erhielt. Kontinuitäten in Denkformen zeigten sich ebenfalls im Umgang mit Opfern des Nationalsozialismus, „Asozialen“, Zwangssterilisierten, psychisch kranken Menschen, Homosexuellen, Sinti und Roma – sie alle sahen sich damit konfrontiert, nicht als Opfer wahrgenommen zu werden. Dass sich die Ordnungs- und Wertevorstellungen weiter Teile der Bevölkerung zunächst am Kaiserreich und an den „Friedensjahren“ des National-sozialismus orientierten, sowie der Rückzug ins Private, die Besinnung auf Familie, den „privaten“ Wiederaufbau, das Streben nach Normalität, erleichterte den Tätern die soziale Reetablierung. Zum einen wollten sie selbst nichts anderes, zum anderen brachten sie alle Voraussetzungen mit, in dem gelebten Konzept von Bürgerlichkeit unauffällig aufzugehen, das nicht exklusiv, sondern nunmehr inklusiv verstanden wurde und mit fortschreitender wirtschaftlicher Prosperität integrierend wirkte. Die Täter von einst gingen einer „ehrlichen“ Arbeit nach, hatten, bis auf Fritz Zi., eine Familie, schufen sich ein Heim, waren wie Richard W. vielleicht noch im örtlichen sozialen Leben eingebunden und im Übrigen unauffällig. Über ein eventuelles politisches Engagement ist bis auf Gerhard S.s gemeindepolitisches Wirken für den BHE nichts bekannt, und das erklärt sich wiederum aus dem Charakter Gerhard S.s, der es nicht problematisch empfand, sich öffentlich zu exponieren, weil er für sich selbst einen skrupellosen Umgang mit seiner Vergangenheit gefunden hatte. Sporadische Kameradenkontakte, als solche wurden sie jedenfalls dargestellt, lassen sich für mehrere Personen feststellen; am umfangreichsten waren sie jedoch unter den vormaligen Angehörigen der Dienststelle des KdS/BdS in Minsk. Die Sozialisation im Gewaltmilieu dieser Dienststelle hatte sie eng miteinander verbunden; von ausschweifenden Feiern in Minsk, die auch die Frauen der Dienststelle einschloss, ist die Rede. Die Initiative der Kontaktaufnahme ging in der Hauptsache von Heuser aus, wobei unbekannt ist, welche Motive er anfangs verfolgte. Er scheint sich indes genau überlegt zu haben, zu wem er Kontakt aufnahm und wie eng er die Verbindung werden ließ. Die Freundschaft, die er mit Rudolf Schl. bereits in Minsk gepflegt hatte, bezog in den 1950er Jahren auch die Ehefrauen mit ein. Während Heuser bei der Kriminalpolizei Rheinland-Pfalz die Karriereleiter erklomm, unterhielt er gleichzeitig private Beziehungen zu ehemaligen Kameraden aufrecht. Für größere Treffen gibt es jedoch keine Anhaltspunkte; es darf angenommen werden, dass man sich durchaus der Gefahr von Kontakten, die in die Vergangenheit reichten, bewusst war.

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Sie alle konnten ein Teil der gesellschaftlichen Normalität werden, weil unter dem Vorzeichen der Westintegration der Bundesrepublik ihre Integration gewünscht war, weil sich ihre persönliche Selbstentschuldung mit der gesamtgesellschaftlichen traf, weil sie sich selbst längst vom nationalsozialistischen Staat abgewandt hatten, und es für sie daher kein Problem darstellte, sich den neuen rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen anzupassen. Sie hatten verstanden, was möglich war und was nicht, was öffentlich sagbar war und was nicht, um nicht in Misskredit zu kommen. Ihre Arbeitgeber waren mit ihnen zufrieden; auch eine halbherzige Überprüfung von Heusers Lebenslauf vor seiner Ernennung zum Leiter des Landeskriminalamtes Rheinland-Pfalz gefährdete seine Karriere nicht. Es darf vermutet werden, dass sie sich nie endgültig sicher gefühlt haben; je länger ihnen aber nichts passierte, desto unwahrscheinlicher muss es ihnen erschienen sein, dass ihre Vergangenheit ihnen noch einmal schaden könnte. Umso überraschter waren sie, als dies dann doch geschah. Mit dem Einsatzgruppenprozess und der Errichtung der Zentralen Stelle in Ludwigsburg muss ihnen bewusst geworden sein, dass auch sie früher oder später von den Ermittlungen erfasst werden würden. Reaktionen blieben jedoch bis auf die Flucht Werner Schö.s aus. Die Existenzen, die sie sich aufgebaut hatten, banden sie ebenso wie der Glaube daran, dass man sie vielleicht befragen, aber nicht strafrechtlich zur Verantwortung ziehen würde. Ihre unterschiedlichen Reaktionen auf die anlaufenden Ermittlungen veranschaulichen, wie unterschiedlich sie mit ihrer persönlichen Vergangenheit umgegangen waren. Am radikalsten hatte wohl Rudolf Th. den Schnitt zwischen seinem NS-Lebenslauf und seiner Nachkriegsbiografie gezogen. Keiner wusste an seinem neuen Wohnort um seine Vergangenheit; seine Frau, die er erst nach Kriegsende geheiratet hatte, wusste nicht einmal, dass er bei der Gestapo gewesen war. Genau diese Situation belastete ihn jedoch, wie er bei seiner Verhaftung deutlich machte. Dass er in eine unscheinbare Normalität abgetaucht war, hatte ihn nicht vor einer Verhaftung bewahren können. Es machte letztlich keinen Unterschied, ob man sich wie er verhielt oder wie Heuser in einer exponierten Position befand; entscheidend war die Sorgfalt der Ermittler. Einzig die Fallhöhe änderte sich. Die meisten von ihnen wurden im Zeitraum zwischen 1957 und 1965 verhaftet und in Untersuchungshaft genommen. Dass sie in Haft genommen wurden, zeigte ihnen, dass ihre persönliche Einschätzung ihrer Lage sich als falsch erwiesen hatte. Nicht alle realisierten sofort die weitreichenden Konsequenzen, die diese Entwicklung für ihr Leben haben sollte. Heuser wehrte sich gegen den Vorwurf des Einstellungsbetrugs und seine zügig erfolgte Entlassung aus dem Beamtenstatus. Er hatte gehofft, dass sich sein Arbeitgeber für eine gütliche Einigung nach einem Prozess einsetzen würde. Dass stattdessen seine Bewerbung und Biografie noch einmal durchleuchtet und dabei seine Betrügereien aufgedeckt wurden, damit hatte er nicht gerechnet.

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Mit ihrer Festnahme stellte sich massiv die Frage nach ihrer Zukunft. Untersuchungshaft, und zumal noch eine von langer Dauer, bedeutete Verdienstausfall, und abhängig von der Dauer der Untersuchungshaft stellte sich die Frage, wie sich der Arbeitgeber verhalten würde, ob man den Arbeitsplatz verlieren würde. Die Beamten unter den 19 Tätern konnten sich die letzte Frage selbst beantworten. Ihre Laufbahn im Staatsdienst war beendet; Versetzungen nach der Verhaftung wie im Fall Friedrich Me. geschahen allein aus dem Grund, den Betroffenen an eine möglichst unauffällige Stelle zu versetzen. Sollte Fritz Zi. tatsächlich wie vermutet für den BND gearbeitet haben, dann dürfte er sich wohl zu Recht vor dem Stuttgarter Landgericht darüber aufgeregt haben, dass dies nun nach einer Veröffentlichung im Spiegel vorbei sei. Anders gestaltete sich die Situation für diejenigen, die in der Wirtschaft beschäftigt waren. Eine besondere Stellung nehmen die ein, die sich selbständig gemacht hatten. Es ist leider nicht überliefert, wie die Geschäfte für August Hä., Theodor Gr. und Heinrich Win. weiterliefen, aber wenn sich keiner fand, der die Geschäfte während ihrer Abwesenheit übernehmen konnte, fiel ihre Verdienstquelle weg. Heinrich Win. kam entgegen, dass er nach zehn Tagen Untersuchungshaft gegen Kaution freigelassen wurde; August Hä.s Geschäft bestand noch, als der Haftbefehl gegen ihn drei Jahre nach seiner Verhaftung außer Kraft gesetzt wurde; wie es mit Theodor Gr.s Geschäft aussah, ist nicht bekannt. Aus dem Verhalten der Arbeitgeber ist ersichtlich, wie wenig die Betreffenden in ihrem Umfeld als Täter wahrgenommen und wie unterschiedlich die Wirkung des eigenen Handels in der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Sowohl im Fall Rudolf Schl.s als auch im Fall Richard W. hatte die Firma Daimler-Benz zunächst weiterhin ein geringeres Gehalt gezahlt. Richard W. selbst hatte auf Verständnis und darauf gehofft, dass ihn sein Arbeitgeber auch nach der Urteilsverkündung wieder einstellen werde. Die Solidaritäten, auf die er gezählt hatte, gab es tatsächlich. Doch angesichts einer befürchteten negativen Außenwirkung, sollte seine Weiterbeschäftigung in der Öffentlichkeit bekannt werden, entschied man sich für seine Kündigung. Unbeeinflusst von solchen Überlegungen hielt das Unternehmen Carl Zeiss zu Schmidt-Hammer, weil man unabhängig von dem, was während des Prozesses an Verbrechen zutagekam, diesen für unschuldig hielt. Ebenso, um ein weiteres Beispiel anzuführen, durfte Noa beim Gießener Anzeiger weiter als Redakteur arbeiten, nachdem er aus Untersuchungshaft entlassen worden war. Diejenigen Arbeitgeber, die eine Weiterbeschäftigung ermöglichten, den Arbeitsplatz frei hielten, sich mit Gnadengesuchen für den Betroffenen einsetzten, waren deutlich in der Mehrheit. Hinter diesem Verhalten standen zum einen persönliche Beziehungen, die sich in Loyalitäten zeigten, zum anderen wurden die betreffenden Personen nicht als Täter angesehen. Schon eher als Opfer der Justiz, was dem Selbstverständnis der

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Täter entsprach. Von einer solchen Haltung profitierten auch die, die keine Zukunft mehr im Staatsdienst hatten. Sie fanden sogar noch während laufender Verfahren neue Arbeitgeber, denen ihre Situation bekannt gewesen sein dürfte. Die Solidarität mit den Angeklagten erstreckte sich nicht nur auf Arbeitgeber, sie umfasste das soziale private Umfeld ebenso wie Kollegen. Innerhalb der Familien ist zu beobachten, dass die Partnerinnen, wo dies nachvollziehbar war, die Ansichten und Argumente ihrer Männer übernahmen – sei es, dass die Wahrnehmung und Deutung der NSVergangenheit bereits zuvor gemeinsam generiert und abgeglichen worden war, sei es, dass es nun darum ging, sich selbst, die gemeinsame Zeit nicht in Frage stellen zu müssen. Der Faktor Kollegen fällt vor allem bei den Angeklagten aus den Reihen der Polizei und Kriminalpolizei ins Gewicht. Die Solidaritäten, die hier gezeigt wurden, galten dem betroffenen Kollegen; gleichzeitig dienten sie aber auch der Verteidigung der Legende der unpolitischen, nicht verbrecherischen Ordnungspolizei und Kriminalpolizei. Sie boten ihre Beteiligung an Kautionen an, und im Fall Friedrich Me.s versuchten Kollegen mit illegalen Methoden, einen Informationsaustausch zwischen Untersuchungshäftlingen zu ermöglichen. Freundschaften und kameradschaftliche Solidaritäten kollidierten mit der Dienstauffassung, wenn der Kollege und Freund Friedrich Me.s NS-Verfahren mit der Begründung ablehnte, dass bundesdeutsche Gerichte nicht zuständig seien. Politische und gesellschaftliche Transformationsprozesse hatten eine Veränderung im Umgang mit der NS-Vergangenheit eingeleitet. Die NSVerfahren, auch wenn sie zu Recht häufig wegen fragwürdiger Rechtsprechung kritisiert worden sind, waren ein sehr wichtiger Teil dieser viele gesellschaftliche Aspekte umfassenden einsetzenden Selbstreflexion, die den Blick direkt auf Verbrechen und ihre Täter lenkte. Über die Medien wurde dieser Diskurs direkt in die Gesellschaft hineingetragen und stellte Lebenslügen in Frage. Vor Gericht breiteten Angeklagte und ihre Rechtsanwälte die Argumente und Rechtfertigungen aus, die sie bereits in der Nachkriegszeit gebraucht hatten. Diesmal waren sie vielleicht ausgefeilter, doch die Strategien und Grundargumente waren gleich geblieben. Reflexartig warteten sie mit bekannten Topoi auf, die sich in den Spruchkammer- und Spruchgerichtsverfahren als konsensfähig erwiesen hatten und es innerhalb der Gesellschaft der frühen 1950er Jahre noch gewesen waren. Gleiches gilt für die Meinungen und Reaktionen, die aus ihrem sozialen Umfeld überliefert sind. Während Rechtsanwälte Schlussstriche forderten und Angeklagte von politischer Justiz sprachen und sich der NS-Sprache bedienten, trugen die Staatsanwälte der Zentralen Stelle in Ludwigsburg Dokumente zusammen, die Verbrechen und Tatbeteiligungen belegen halfen. Entscheidend war jedoch, wie die vorgebrachten Einlassungen der Angeklagten von den jeweiligen Gerichten bewertet wurden, welche Vorstellungen von Geschichte und welche Denkweisen konsensfähig waren. Am

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weitesten ging das Landgericht Stuttgart, das nichts anderes feststellte, als dass die Arbeit des Sonderkommandos 1005 letztlich auf nachvollziehbaren und positiv zu bewertenden Motiven beruht habe. Die Gerichte taten sich trotz genauer Rekonstruktionen von Tathergängen schwer, Täterschaften in den Taten der Angeklagten zu erkennen; auch sie konnten den scheinbaren Widerspruch zwischen den integrierten Bürgern und den NS-Biografien nicht auflösen. Gängigen Argumentationen wie der militärischen Notwendigkeit von Erschießungen, die Verwendung des Begriffs „Partisan“ für die Opfer, um Rechtmäßigkeit von Erschießungen vorzutäuschen, hatten die Gerichte Sachwissen entgegenzusetzen. Befehlsnotstand war ebenfalls kein Argument mehr, das per se anerkannt worden wäre. Wenn es aber darum ging, zu bewerten, was dem Angeklagten bei der Strafzumessung zugute gehalten werden sollte und was nicht, wird ein problematischer Interpretationsspielraum sichtbar, der zu unterschiedlichen Urteilsbegründungen vor unterschiedlichen Gerichten führte. In diesem Deutungsspielraum entfalteten Denkweisen und Vorstellungen von Richtern ihre Wirkungskraft und deckten sich in den hier vorgestellten Beispielen mit alten Argumentationen. Anstatt die NS-Sozialisation der Angeklagten schärfer in den Blick zu nehmen, war von Idealismus die Rede; selbst im Fall des früheren Parteiredners Fritz Zi. wurde die Befehlssituation, wo dies möglich war, betont. Von der Presse wurden fragwürdige Urteile indes schonungslos kommentiert, worin sich das Nebeneinander von überkommenen und sich wandelnden Einstellungen und Wertmaßstäben in der gesellschaftlichen und politischen Umbruchszeit der 1960er Jahre zeigt. Der Konsens, wie mit der Vergangenheit umzugehen und wie sie zu beurteilen war, war aufgebrochen, Überkommenes stand neben neuen Fragen und Sichtweisen. Die Strafverfahren und die mit ihnen bekannt gewordenen Verbrechen bedeuteten für die 19 hier betrachteten Täter nicht zwingend Ächtung und Ausgrenzung. In ihrem sozialen Umfeld blieben sie integriert, ungeachtet der Prozesse und wie die Presse über sie berichtete.

Prosopographischer Anhang 1. Karl D. Karl D. wird am 5. November 1907 als Sohn eines Drehers in Geestemünde geboren. 1 Von 1913 bis 1921 besucht er in Oldenburg die Volksschule, absolviert eine kaufmännische Lehre und arbeitet bis 1926 bei verschiedenen Firmen in seinem erlernten Beruf. Auf seine Meldung hin wird er Anfang 1926 bei der Schutzpolizei des Landes Oldenburg eingestellt, wo er bei der Bereitschaftspolizei ausgebildet und anschließend in verschiedenen Städten im Revierdienst eingesetzt wird. 1933 tritt er der NSDAP bei; 1936 erfolgt seine Abordnung zur Politischen Polizei in Delmenhorst, aus der er Anfang 1938 als Versorgungsanwärter ausscheidet. Karl D. möchte weiterkommen: Sein nächstes Ziel ist die Inspektorenlaufbahn. Seine neue Anstellung als Inspektorenanwärter bei der Landesversicherungsanstalt Kassel entspricht allerdings nicht seinen Vorstellungen, so dass er nach kurzer Zeit in gleicher Position auf eigenen Wunsch zur Gestapo Wilhelmshaven wechselt, wo er – inzwischen seit 1939 SS-Mitglied – 1941 zum Polizeiinspektor ernannt wird. Seine neue Dienststelle ist zunächst die Staatspolizei-Leitstelle Wien, von Herbst 1941 bis Mai 1945 ist er bei der Stapo-Stelle Kattowitz. Im Zeitraum von November 1942 bis Frühjahr 1944 wird er zur Dienststelle des KdS und späteren BdS in Minsk abgeordnet, wo er in der Abteilung I/II (Personalwesen und Wirtschaftsangelegenheiten) das Kassen- und Rechnungswesen leitet. Hier in Minsk kreuzen sich die Wege von Karl D., Georg Heuser und Rudolf Schl. Als das Minsker Ghetto im Herbst 1943 aufgelöst wird, ist Karl D. mit einem Räumkommando an dieser Aktion und später als Schütze bei einer der folgenden Massenerschießungen beteiligt. Auch bei der Erschießung von 300 Minsker Männern, Frauen und Kindern als Vergeltung für das Attentat auf den Generalkommissar Wilhelm Kube im Herbst 1943 ist D. als Schütze eingesetzt. Anfang 1944 kehrt er zu seiner alten Dienststelle nach Kattowitz zurück. Bei Heranrücken der Roten Armee setzt er sich im Januar 1945 nach Chemnitz ab. Bei Kriegsende gelingt es Karl D., der sich zu diesem Zeitpunkt in Prag befindet, unbehelligt nach Bremen zu kommen. Seiner Entnazifizierung entgeht er mit einem Trick: Als er vom Arbeitsamt Bremen einen Meldebogen zugeschickt bekommt, lässt er sich an das Arbeitsamt Oldenburg umschreiben, wo er sich allerdings nie meldet. In Oldenburg arbeitet er bis Ende 1954 als Ziegelei- und Bauarbeiter, bevor er im Januar 1955 beim Landesverband der Heimkehrer in Bremen eine Anstellung als Bilanzbuch-

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halter findet. Mit Blick auf seine Vergangenheit und aus Furcht vor Nachforschungen verzichtet er darauf, Ansprüche nach Artikel 131 GG anzumelden. Seine Vorsicht nützt ihm aber nichts: Kurz nach der Verhaftung Heusers, dem ehemaligen Leiter der Gestapo in Minsk, wird er 1959 zum ersten Mal als Zeuge zu den Vorgängen in Minsk vernommen und am 11. Mai 1960 vorläufig festgenommen. Das Landgericht Koblenz, vor dem er unter anderem gemeinsam mit Heuser, Rudolf Schl. und Arthur Harder angeklagt ist, verurteilt ihn am 21. Mai 1963 wegen Beihilfe zum Mord zu vier Jahren Zuchthaus. Nach seiner Entlassung aus der Untersuchungshaft arbeitet Karl D. bei einer Bremer Großhandelsfirma, bei der er bis zu seinem Strafantritt zum Finanzreferenten aufsteigt. Die Firma erklärt sich bereit, ihn nach einer eventuellen Begnadigung sofort wieder einzustellen. Karl D. stirbt am 20. Juli 1986 in Bremen.

2. Wilhelm E. Wilhelm E. wird am 18. August 1904 als Sohn eines Maschinenarbeiters in Wolmirstedt geboren. 2 Er schließt die Volksschule ab, lässt sich zum Mechaniker ausbilden und arbeitet bis 1925 in diesem Beruf. Obwohl er eigentlich Ingenieur werden möchte, tritt er 1925 doch in die anhaltinische Schutzpolizei ein, von der er 1936 zur Politischen Polizei abgeordnet wird. Auf seine Bewerbung hin wird er nach Ende seiner zwölfjährigen Dienstzeit 1937 als Kriminaloberassistent in die Kripo übernommen und erhält eine Planstelle bei der späteren Stapo-Stelle Dessau. Im gleichen Jahr tritt er der NSDAP bei. Von Januar 1940 bis Juni 1941 wird Wilhelm E. – mittlerweile im Rang eines SS-Untersturmführers – zur Stapo-Leitstelle Brünn zur Bekämpfung einheimischer „Widerstandsgruppen“ eingesetzt. Zurück in Dessau, wird er nach Bad Schmiedeberg kommandiert und dort dem Sk 4b zugeteilt, dem er bis Herbst 1942 angehört. Er führt eigene Kommandos, leitet Erschießungen und schießt dabei auch selbst. Auf Befehl des Kommandoführers Fritz Braune leitet und überwacht er den Abtransport von ca. 600 Patienten einer psychiatrischen Anstalt bei Poltawa sowie deren anschließende Erschießung. Nach seiner Rückkehr nach Dessau besucht er einen Hundeführerlehrgang der Sipo und leitet anschließend bis Ende 1942/Anfang 1943 eine ukrainische Kripo-Dienststelle in Kiew. Kurz vor Kriegsende – er ist inzwischen wieder bei seiner alten Dienststelle in Dessau – geht er nach eigenen Angaben freiwillig zur Wehrmacht. Am 7. Mai 1945 kommt er nach eigenen Angaben in amerikanische und britische Kriegsgefangenschaft, aus der er bereits im Juli 1945 wieder entlassen worden sein will. Unterlagen eines Entnazifizierungsverfahrens wurden

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nicht gefunden. Er zieht nach Waltrop und arbeitet zunächst in der Landwirtschaft und im Bergbau, will aber in seinen alten Beruf zurück: Eine Bewerbung beim Bundeskriminalamt in Hamburg 1952 bleibt mangels freier Planstellen allerdings erfolglos. Erst am 1. Juli 1955 gelingt ihm aufgrund des Gesetzes zu Artikel 131 GG die Wiedereinstellung als Polizeihauptwachtmeister bei der Kreispolizeibehörde in Recklinghausen. Seine Wiedereinstellung hatte er direkt beim Innenminister betrieben. In seinem Lebenslauf verschleiert er seine wahren Tätigkeiten während der NS-Zeit. Er steigt bis zum Polizeiobermeister auf, bevor er am Abend des 20. März 1963 festgenommen wird. Noch in der Nacht unternimmt er in seiner Zelle einen Selbstmordversuch. 3 Das Landgericht Düsseldorf verurteilt ihn am 12. Januar 1973 wegen Beihilfe zum Mord in zwei Fällen an mindestens 603 Menschen zu einer Gesamtstrafe von fünf Jahren Gefängnis. Der Bundesgerichtshof bestätigt das Urteil am 1. April 1976. Wilhelm E. stirbt am 1. April 1995 in Dormagen.

3. Theodor Gr. Theodor Gr. wird am 5. Dezember 1909 in Riesenbeck (Kreis Tecklenburg) als Sohn eines Tischlermeisters geboren. 4 Nach der Unterprima verlässt er das Gymnasium und arbeitet im väterlichen Betrieb mit, bevor er eine Banklehre bei der Kreissparkasse in Ibbenbüren beginnt. In seinem Heimatort führt er ab 1933 die SA und baut die örtliche HJ auf. Als sein Plan, Zahlmeister bei der Wehrmacht zu werden, nicht aufgeht, meldet er sich 1936 zum SD in Berlin, wo er im SD-Hauptamt eingesetzt wird. Zeitgleich erfolgt sein Eintritt in die SS. 1939 arbeitet er in der Verwaltung der SD-Schule in Bernau, bevor er mit der Einsatzgruppe V in Polen einmarschiert. Er schlägt dann den Weg in die Kriminalpolizei ein: Ab August 1940 gehört der nunmehrige SSUntersturmführer Theodor Gr. als Kriminalhilfskommissar der Außenstelle der Gestapo in Würzburg an; im Oktober erfolgt seine Ernennung zum Kriminalkommissar. Knapp ein Jahr später, im Oktober 1941, wird er dem Ek 6 zugeteilt und nimmt an Einsätzen im Raum Dnjepropetrowsk und Stalino, wohin das Kommando im November 1941 verlegt wird, teil. In führender Stellung ist er an Judenerschießungen beteiligt, auch als Schütze. So leitet er auf Befehl Dr. Krögers beispielsweise die Erschießungsaktion von 800 Patienten einer Anstalt für Geisteskranke in Igrin: Er spricht mit den Ärzten, besichtigt die Erschießungsgruben und leitet schließlich die Erschießung. Seine Zeit beim Ek 6 endet, als er im März 1942 nach Kiew befohlen wird. Weil der unter Alkoholproblemen leidende Theodor Gr. sich betrunken in eine Angelegenheit der Gestapo einmischt, wird er zur Außenstelle Uman versetzt. Doch auch hier trinkt er weiter und fällt seinen Vorge-

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setzten negativ auf, weshalb er wieder zurück nach Würzburg versetzt wird. Vernachlässigung der Dienststelle, Unordnung, Schmutz, mangelhafter Verschluss und die Beschäftigung eines „Hausjuden“ wirft man ihm beim RSHA vor. 5 Zurück in Würzburg kollidiert er erneut mit dem SSEhrenkodex: Eine Nachbarin, deren Ehemann Wehrmachtssoldat ist, beschuldigt ihn, sie zu sexuellen Handlungen habe zwingen zu wollen und ihr damit gedroht zu haben, sie ebenso zu erschießen, wie er es bereits mit vielen Menschen in Russland getan habe. Das SS- und Polizeigericht Nürnberg verurteilt ihn daraufhin im April 1943 zu acht Monaten Gefängnis, die Theodor Gr. im SS-Straflager Danzig-Matzkau absitzt, und zu einem sechsmonatigen „Entwöhnungsaufenthalt“ im KZ Buchenwald. 6 Seine Laufbahn als SS-Führer ist damit beendet. Im Herbst 1944 kommt er als Sturmmann zur Waffen-SS und gerät im Frühjahr 1945 in GarmischPartenkirchen in amerikanische Gefangenschaft. Wegen seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS, zum SD und zur Gestapo wird er interniert und am 7. Mai 1946 in das Internierungslager Darmstadt eingeliefert. In der Nacht vom 7. auf den 8. April 1947 gelingt ihm die Flucht aus dem Lager. Bei seiner Vernehmung im Verfahren gegen Erich Ehrlinger, den Führer des Sk 1b, sagt er 1959 dazu, er habe es verstanden, einem Entnazifizierungsverfahren aus dem Weg zu gehen. In dem später gegen ihn geführten Strafverfahren ist nur von „Entlassung“ aus der Internierungshaft die Rede. Während man im Lager vermutet, dass Theodor Gr. sich in die sowjetisch besetzte Zone abgesetzt hat, weil seine Familie in Niederzimmern (Kreis Erfurt) wohnt, begibt dieser sich jedoch an seinen alten Heimatort Riesenbeck. Dort betreibt er ein „ambulantes Textilgewerbe“, bis er am 30. April 1962 verhaftet und vom Landgericht Wuppertal am 7. August 1963 wegen Beihilfe zum Mord an 800 Geisteskranken und zehn Juden zu einer Zuchthausstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt wird. Das Urteil wird nach zwei Revisionen am 13. Dezember 1967 bestätigt. Im selben Verfahren muss sich auch Walter He. verantworten. Theodor Gr. stirbt am 25. August 1975 in Hörstel.

4. August Hä. August Hä. wird am 31. Januar 1912 in Mellingen (Schweiz) als Sohn eines Küfermeisters geboren. 7 Bei Beginn des Ersten Weltkriegs ziehen seine Eltern nach Schwäbisch Hall, wo sein Vater als selbständiger Küfermeister arbeitet. 1927 schließt August Hä. die Oberrealschule ab, lernt bei seinem Vater das Küferhandwerk und arbeitet von 1932 bis 1934 im väterlichen Betrieb.

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Bereits zu dieser Zeit hat er zum Nationalsozialismus gefunden: Seit Beginn 1932 ist er Mitglied in der NSDAP; im gleichen Jahr gehört er neun Monate der SA an, vom Sommer 1932 bis zum Frühjahr 1933 der HJ (wo er das goldene HJ-Abzeichen verliehen bekommt) und im Februar 1933 tritt er in die SS ein. Später wird er auch noch Mitglied im Verein Lebensborn, der auf Veranlassung Himmlers 1935 gegründet wird. Die Arbeit in der väterlichen Küferei gibt er 1934 auf, um sich zunächst einer der 1933 aufgestellten „Politischen Bereitschaften“ anzuschließen, den Vorgängern der späteren Verfügungstruppen (VT) bzw. der Waffen-SS. Bis Ende Juli 1937 gehört er der SS-Standarte „Deutschland“ in Ellwangen und München an, bevor er zur SS-Grenzüberwachung beim Grenzpolizeikommissariat Kiefersfelden (Kufstein) kommt. Dort wird er im August 1937 als Kriminalangestellter bei der Gestapo eingestellt. Ende des Jahres wechselt er als Inspektionsführer an die Grenzpolizeischule Pretzsch, wo er ab Sommer 1940 den gesamten Innendienst leitet und in dieser Funktion auch als Ausbilder für die Anwärter des leitenden Dienstes eingesetzt wird. Zuvor war er nach eigenen Angaben mit der Grenzpolizei 1938 im Sudetengau und 1939 in Polen eingesetzt worden und hatte für diese Einsätze das EK II und das KVK II. Klasse verliehen bekommen. 8 August Hä. aber möchte weiterkommen: Auf seinen Wunsch hin wird er 1941 selbst als Anwärter des leitenden Dienstes zugelassen, nachdem er in Berlin das Begabtenabitur abgelegt hat. Im Mai 1941 wird er nach Pretzsch befohlen und dem Sk 4a der Einsatzgruppe C zugeteilt. Mit diesem Kommando, das bis zum 12. Oktober 1941 laut „Ereignismeldung“ über 51 000 Menschen tötet, ist er das nächste halbe Jahr in der Ukraine eingesetzt und nimmt als Schütze und Teilkommandoführer an den Mordaktionen der Einheit teil. August Hä. ist außerdem als Beobachter bei einem Experiment in Shitomir anwesend, bei dem der Oberstabsarzt Dr. Gerhart Panning die Wirkung von Explosionsmunition an lebenden sowjetischen Kriegsgefangenen testet 9 . In BelajaZerkow organisiert er die Erschießung von jüdischen Kindern, und in Wassilkow leitet er als Teilkommandoführer die Erschießung von mindestens 200 Juden und 60 Geisteskranken. Auch an der zwei Tage dauernden Erschießung von über 33 000 Juden in der Schlucht von Babij Jar bei Kiew am 29. und 30. September 1941 ist August Hä. beteiligt: Er führt Aufsicht an der Schlucht und gibt Nachschüsse ab. Zurück in Berlin setzt er seine Ausbildung bis Mitte 1942 fort, wird dann aber entlassen, weil er den Anforderungen nicht gewachsen ist. Er legt die Prüfung zum Kriminalkommissar ab und wird Ende 1942 zur Stapo-Stelle Innsbruck, im Frühjahr 1943 dann zur Stapo-Außenstelle Bregenz versetzt. Im Spätsommer des gleichen Jahres kommt er wieder zu einem Einsatzkommando, diesmal zum Sk 11b im Bereich des BdS Kiew und dort zum Polizeiregiment 11. Im Dezember 1943 erfolgt seine Abordnung zum BdS Griechenland nach Athen, wo ihm schließlich die Leitung der Außenstelle

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in Patras übertragen wird. Von Griechenland wird er ein Jahr später zum KdS Wien beordert, wo er als Kommandoführer beim Bau des sogenannten Südostwalls 10 und anschließend bei der 6. SS-Panzerarmee im Bereich Donau und Semmering eingesetzt wird. Dort kommt er im Mai 1945 in amerikanische Kriegsgefangenschaft. Aufgrund seiner SS-Zugehörigkeit wird er bis August 1948 interniert. Im Einsatzgruppenprozess (Fall 9) vor dem Militärgerichtshof der USA befindet er sich als Zeuge der Verteidigung in Zeugenhaft, wo er sich nach eigenen Angaben ungestört mit Angeklagten wie dem einstigen SSStandartenführer Paul Blobel, erster Führer des Sk 4a und später Leiter der Aktion 1005, treffen und absprechen kann und Blobel und er sich gegenseitig eidesstattliche Erklärungen ausstellen. 11 Bei seinem Spruchkammerverfahren ist deshalb seine ehemalige Zugehörigkeit zum Sk 4a bekannt, und der öffentliche Kläger der Spruchkammer des Interniertenlagers Ludwigsburg stellt vergleichsweise umfangreiche Recherchen zu seiner NSVergangenheit an. In einem Berufungsverfahren wird August Hä. am 14. Juli 1948 in die Gruppe I der Hauptschuldigen eingestuft und mit drei Jahren Arbeitslager unter Anrechnung der bisherigen Haftzeit bestraft. Zuvor war er in die Gruppe III der Belasteten eingereiht worden. Nach seiner Entlassung aus der Internierung begibt sich August Hä. in seine Heimatstadt Schwäbisch Hall, arbeitet wieder in der väterlichen Küferei, die er 1954 übernimmt und um einen Wein- und Spirituosenhandel erweitert. Obwohl sein Name aus dem Einsatzgruppenprozess bekannt ist, bleibt er die gesamten 1950er Jahre über unbehelligt. Im Juni 1963 wird er zum ersten Mal im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München gegen Bruno Müller zum Komplex Sk 11b vernommen. Die Sonderkommission der Zentralen Stelle in Ludwigsburg, die im Komplex Sk 4a ermittelt, war bereits im Sommer 1960 auf den Namen August Hä. gestoßen. Im März 1963 erlässt sie eine Strafanzeige gegen August Hä., und am 25. Mai 1965 erfolgt seine Festnahme in dieser Sache. In einem Revisionsverfahren verurteilt das Landgericht Darmstadt August Hä. am 12. Dezember 1973 wegen Beihilfe zum Mord zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren. Das erste Urteil vom 29. November 1968 hatte noch eine Gesamtstrafe von neun Jahren Zuchthaus vorgesehen. August Hä. stirbt am 20. Juni 1999 in Ilshofen.

5. Arthur Harder Arthur Harder wird am 19. September 1910 in Frankfurt a.M. als Sohn eines Kaufmanns geboren. 12 Nach Abschluss der Volksschule 1926 besucht er eine Handelsschule und absolviert eine kaufmännische Ausbildung. Bereits 1929 wird er Mitglied in der NSDAP und der SA, von der er 1930 in

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die SS überwechselt. 1933 wird er zum SS-Untersturmführer, zwei Jahre später zum SS-Obersturmführer befördert. Als überzeugtes SS-Mitglied ist Harder zudem Mitglied in Himmlers Verein Lebensborn. Er arbeitet zunächst als kaufmännischer Angestellter bei Tapetenfabriken, wobei er zum Teil in SS-Uniform an seinem Arbeitsplatz erscheint. Ab 1938 ist er dann hauptamtlich für den SD im SD-Abschnitt Düsseldorf tätig. Hier begegnet er zum ersten Mal Paul Blobel, der zu diesem Zeitpunkt Leiter des SDAbschnitts Düsseldorf ist. Nach dem Angriff auf Polen kommt Harder mit einer Einsatzgruppe nach Posen. Von 1940 bis 1943 arbeitet er im Rang eines SS-Hauptsturmführers in Lissa für die Umwandererzentralstelle in Litzmannstadt (Đódľ). In Litzmannstadt lernt er auch seine spätere Frau kennen, die ebenfalls bei der Umwandererzentralstelle arbeitet. Auf eigene Initiative, wie er angibt, wird er einer Einsatzgruppe im Kaukasus im Operationsgebiet der SS-Division Wiking zugeteilt, bevor ihn im Sommer 1943 Blobel, den er bereits aus Düsseldorf kennt, in Warschau in die Aufgaben des Enterdungskommandos Sk 1005 einweiht und als seinen Adjutanten zum Kommando holt. Hier kreuzen sich auch erstmals die Wege von Harder und Fritz Zi., der ein Teilkommando des Sk 1005 leitet. Von September bis November 1943 arbeitet Harder das Kommando auf Gut Trostinez bei Minsk ein und leitet es auch. Dieses Gut wurde von der KdS/BdS-Dienststelle in Minsk verwaltet und diente zugleich als Ort für Massenexekutionen und Lager für den Besitz, der den Ermordeten abgenommen worden war. Harder besorgt im Vorfeld der „Enterdungen“ die Haken zum Herausziehen der Leichen, Schaufeln, Tragen für die Leichen, Knochenstampfer, Drahtsiebe und Brennmaterial. Er ist es, der beim Kommando anregt, die jüdischen Häftlinge, die die Massengräber ausheben, die Leichen verbrennen müssen und anschließend selbst erschossen und verbrannt werden, in Bunkern unterzubringen, um eine mögliche Flucht zu verhindern. Tatsächlich werden die Häftlinge auf seinen Vorschlag hin abends an den Füßen mit Ketten gefesselt in Erdbunkern untergebracht. Im Herbst 1943 ist Harder an einer Lebendverbrennung von drei Menschen in der Nähe des Gutes Trostinez beteiligt – einer Aktion des BdS Minsk. Er deckt den zur Verbrennung vorgesehenen Stapel aus Leichen und Holz mit Reisig ab, steckt einen Pfahl in den Stapel, an dem danach ein Opfer festgebunden wird, und ist bei der anschließenden Verbrennung der Opfer anwesend. Nach diesem Einsatz wird er Ende 1944 der EG z.b.V. Iltis zugeteilt. Bei Kriegsende kommt er in jugoslawische Kriegsgefangenschaft, aus der er allerdings fliehen kann. In Kärnten nehmen ihn britische Truppen gefangen und internieren ihn im Lager Tarent, wo er Fritz Zi. und Walter He. wiedertrifft. Von den Briten den Amerikanern übergeben, kommt er 1946 in das Lager Dachau und anschließend in das Internierungslager Darmstadt. Die Spruchkammer Darmstadt-Lager reiht ihn am 2. Juli 1948

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in die Gruppe III der Belasteten ein. Zuvor hatten ihn sowohl der Bürgermeister als auch die SPD seines Wohnortes als Nazi beschrieben. Harder selbst hatte seinen Lebenslauf gründlich verfälscht, ist aber weiterhin vom SS-Elitegedanken überzeugt. Im Juli 1948 wird er aus dem Internierungslager Darmstadt entlassen. Dass ihn bereits im Oktober 1947 ein ehemaliger Angehöriger des Sonderkommandos 1005 in einer eidesstattlichen Aussage gegenüber dem amerikanischen Militär konkret mit der oben geschilderten Lebendverbrennung belastet hatte, bleibt für ihn folgenlos.13 Harder arbeitet zunächst als Maurer, bis er 1952 als kaufmännischer Angestellter bei der Firma Krupp-Kraftfahrzeuge in Frankfurt a.M. Arbeit findet. Mit ehemaligen Mitinternierten aus Dachau hält Harder weiterhin schriftlichen Kontakt, und um 1950 herum besucht ihn sogar Walter He. in Frankfurt. Erst zehn Jahre später wird er wieder mit seiner Vergangenheit konfrontiert: Wegen der Lebendverbrennungen in Minsk erlässt das Amtsgericht Koblenz am 4. Februar 1960 Haftbefehl gegen Harder. Die Ermittlungen gegen ihn waren durch die Erkenntnisse aus den Ermittlungen gegen den ehemaligen SS-Obersturmführer und Leiter der Gestapo beim KdS/BdS Minsk, Georg Heuser, ausgelöst worden. Gleichzeitig ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Hamburg gegen Harder wegen Ermordungen während seiner Zeit beim Sk 1005. Das Landgericht Koblenz verurteilt ihn am 21. Mai 1963 wegen eines Verbrechens der gemeinschaftlichen Beihilfe zum Mord zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Mit ihm auf der Anklagebank sitzen Heuser, Rudolf Schl. und Karl D. Harder stirbt am 3. Februar 1964 in Frankfurt a.M., noch bevor das Urteil Rechtskraft erlangt.

6. Walter He. Walter He. wird am 11. Januar 1911 im schlesischen Barschdorf als Sohn eines Landwirts geboren. 14 Nach Abschluss der Oberrealschule 1929 plant er, Offizier bei der Handelsmarine zu werden, studiert dann aber Jura in Wien, Breslau und Jena. Während seiner Jenaer Studienzeit engagiert er sich in der vom SA-Hochschulamt eingerichteten Wehrsportausbildung. Nach sechs Semestern bricht er 1934 sein Studium ab, leistet freiwilligen Wehrdienst in der Reichswehr und arbeitet anschließend von 1936 bis 1937 bei einer Versicherungsgesellschaft. Es folgt der Einstieg bei der Kriminalpolizei in Breslau. Im August 1942 erreicht Walter He., der mittlerweile Kriminalkommissar ist, dort die Abkommandierung zur Einsatzgruppe C nach Kiew. In Kiew wird er dem Ek 6 in Rostow zugeteilt. Bis Januar 1943 übernimmt er als SS-Obersturmführer bei dieser Einheit die Führung des Teilkommandos in Schachty. In dieser

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Stellung leitet er die Erschießungen von Juden – Männern, Frauen und Kindern – und anderen „potentiellen Gegnern“ an einem Kohlenschacht in Schachty. Anschließend bildet er in Mariupol sogenannte Hilfswillige aus der einheimischen Bevölkerung aus, mit denen er im März 1943 zum „Bandeneinsatz“ in die Pripjet-Sümpfe kommt. Seine nächste Station ist das nach Riga verlegte sogenannte Enterdungskommando Sk 1005b, dessen Führung er 1944 als Nachfolger von Fritz Zi. übernimmt. Wie die meisten ehemaligen Angehörigen dieses Sonderkommandos kommt er nach dessen Auflösung zur EG z.B.V. Iltis 15 , innerhalb der er als Teilkommandoführer im „Bandenkampf“ im österreichisch-jugoslawischen Gebiet agiert. Am 11. Mai 1945 kommt er in britische Gefangenschaft und wird bis Juni 1947 in Italien unter anderem in den Lagern in Rimini und Tarent interniert. Hier trifft er Fritz Zi., seinen Vorgänger beim Sk 1005b, und Arthur Harder, den er als ehemaligen Angehörigen des Sk 1005 bei der EG z.B.V. Iltis kennen gelernt hatte, wieder. Nach seiner Entlassung arbeitet er in einem Lager für Torfmoor in Hannover, bei einer Versicherung, als Werbevertreter und als Geschäftsführer des Einzelhandelsverbandes Burgdorf. In Hannover erkennt ihn 1947/48 ein ehemaliger Untergebener beim Ek 6, Paul B., wieder, der ihn auf die von ihm geleiteten Exekutionen in Schachty anspricht und ihm droht, Schwierigkeiten machen zu können. Auch Harder sieht er in der Nachkriegszeit wieder: Angeblich anlässlich einer Geschäftsreise trifft er sich mit ihm in Frankfurt a.M. In seinem Entnazifizierungsverfahren verschleiert Walter He. seine wahren Tätigkeiten während der NS-Zeit und wird zunächst in die Gruppe IV der Mitläufer, 1949 aber schließlich vom Entnazifizierungshauptausschuss Lüneburg in die Gruppe V der Entlasteten eingestuft. Von November 1951 bis November 1954 ist Walter He. nach eigenen Angaben für die Münchner Firma Siegert & Co. GmbH Industrievertretungen im Bereich Im- und Export in Hamburg tätig. Daneben geht Walter He. aber einer noch viel wichtigeren Beschäftigung nach: Unter den Decknamen Werner Heller, Willi Hellmann und Werner Hassel ist er vom November 1950 bis November 1953 als „Zweig. Case Officer Section D. St. 11 Zw. 1“ 16 für die Organisation Gehlen, den Vorgänger des BND, im Raum Hamburg im Einsatz. Mit einem gefälschten Lebenslauf und unwahren eidesstattlichen Erklärungen ehemaliger Kripo-Kollegen gelingt Walter He. Ende 1954 die Wiedereinstellung als Kriminalkommissar bei der nordrhein-westfälischen Kriminalpolizei, bei der er sich bereits 1950 wieder beworben hatte. Er steigt bis zum Kriminaloberkommissar im Landeskriminalamt Düsseldorf auf, bevor ihn seine Vergangenheit einholt: Im November 1961 wird er als ehemaliger Angehöriger des Sk 1005 im Verfahren gegen Erich Ehrlinger durch die Staatsanwaltschaft Hamburg vernommen. Gleichzeitig ermittelt die Staatsanwaltschaft Wuppertal gegen ihn als ehemaligen Teilkommandoführer des Ek 6. Der letztgenannte Tatkomplex führt am 8. Januar 1962 zu

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seiner Verhaftung. Das Landgericht Wuppertal, das im gleichen Verfahren auch über Theodor Gr. verhandelt, verurteilt He. am 7. August 1963 wegen Beihilfe zum Mord an 40 Juden zu vier Jahren und drei Monaten Zuchthaus. Bis das Urteil im Dezember 1967 rechtskräftig wird, kommt er auf freien Fuß und findet bei einem Autohandelshaus in Düsseldorf eine Anstellung – als Leiter der Rechtsabteilung. Dann ermittelt auch die Staatsanwaltschaft Stuttgart gegen ihn und Fritz Zi. im Komplex Sk 1005b. Obwohl Walter He. dieses Kommando in Riga führte und während dieser Zeit auch Häftlinge erschossen wurden, glaubt das Landgericht Stuttgart seinen zweifelhaften Einlassungen und spricht ihn am 13. März 1969 frei, weil es einen „Putativnotstand“ nicht ausschließen kann. Walter He. stirbt am 23. Juli 1980 in Düsseldorf.

7. Georg Heuser Georg Heuser wird am 27. Februar 1913 in Berlin als Sohn eines Kaufmanns und späteren Reichsangestellten geboren. 17 Er legt 1932 in Berlin das Abitur ab und studiert in Berlin Jura. In den Jahren 1934 bis 1937 nimmt er immer wieder an mehrmonatigen Lehrgängen der Luftwaffe teil. Nach bestandenem Ersten Staatsexamen 1936 und dem juristischen Vorbereitungsdienst wechselt er zur Exekutive und bewirbt sich bei der Kriminalpolizei, wo er 1939 genommen wird. Sein SS-Beitritt erfolgt angeblich im gleichen Jahr. Nachgeprüft werden kann dies nicht, weil seine SSPersonalakte aus unbekannten Gründen nicht überliefert ist. Die Abschlussprüfung besteht er Anfang 1941 als Lehrgangsbester und kommt als Hilfskriminalkommissar zur Kripo-Leitstelle Berlin. Von dort aus wird er zur EG A nach Riga kommandiert, wo er nach eigenen Angaben dem Sk 1b in Tosno zugeteilt wird. Mit diesem Kommando kommt er Ende November oder Anfang Dezember 1941 nach Minsk. Bis Ende Juni 1944 wird er hier als Angehöriger der Dienststelle des KdS Weißruthenien bleiben, die im Herbst 1943 in die Dienststelle des BdS Russland-Mitte und Weißruthenien umgewandelt wird. Hier lernt er auch seine spätere Ehefrau kennen, die für die Reichsbahn in Minsk tätig ist. Arbeitet Heuser zunächst noch in der Abteilung IV/V (Gestapo/Kriminalpolizei), übernimmt er im Mai 1942 die Leitung der Gestapo, als diese zu einer eigenen Abteilung wird. Vom Führer des Kommandos, Sturmbannführer Eduard Strauch, wird er in dieser Zeit immer wieder als dessen Vertreter eingesetzt. Als Leiter der Gestapo im Rang eines SS-Obersturmführers und ab 1944 eines SSHauptsturmführers ist Heuser maßgeblich und in führender Position an Judenvernichtungsaktionen im Raum Minsk beteiligt und auch dafür verantwortlich: Bei einer Massenexekution von Juden vom 1. bis 3. März 1942, bei der mindestens 1 000 russische Juden aus dem Minsker Ghetto erschossen werden, nimmt er einen Tag lang als Schütze teil. Auch an den

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Erschießungen von jeweils mindestens 900 Juden, die am 11. und 26. Mai 1942 mit Transporten aus Wien in Minsk ankommen, ist er als Schütze beteiligt. An der Ermordung der Juden, die am 4. und 25. September sowie am 9. Oktober 1942 aus Wien, Theresienstadt und wiederum Wien ankommen, ist er einmal als Leiter der Erschießungsstätte, einmal als Aufsicht bei der „Verladung“ der Juden in die Gaswagen und zuletzt wieder als Schütze eingesetzt. An der Großaktion gegen das Minsker Ghetto vom 28. bis 30. Juli 1942, bei der mindestens 9 000 Menschen getötet werden, wirkt er bei der Räumung (30. Juli) sowie als Schütze bei den Erschießungen mit (29. Juli). Er ist vermutlich bei der Liquidierung des Ghettos in Sluzk am 8. Februar 1943 eingesetzt – ein Nachweis gelingt dem Gericht jedoch nicht. Beteiligt ist er dann wieder an der Auflösung des Ghettos in Minsk im Herbst 1943 und einer Lebendverbrennung beim Gut Trostinez. Heuser erschießt zudem eigenhändig zwei russische „Agentinnen“ sowie einen katholischen Priester. Aus juristischen Gründen flossen jedoch nicht alle Taten in seine Verurteilung ein. Ein „ausgesprochener Routinier“ 18 sei Heuser gewesen, sagt Erich Ehrlinger 1959 über diesen aus. Der Rückzug aus Minsk führt Heuser nach eigenen Angaben zunächst für einen Monat als Lehrer an eine aus Berlin nach Nakel in Westpreußen verlegte Polizeischule, bevor er im August 1944 als Führer des Ek 14, das zur Einsatzgruppe H unter Führung von Dr. Josef Witiska gehört, eingesetzt wird. In Brünn zur Bekämpfung des im Spätsommer ausgebrochenen slowakischen Nationalaufstandes aufgestellt, setzt sich das Kommando fast durchweg aus Männern mit Einsatzkommandoerfahrung zusammen. Leiter des Stützpunktes Zilina des Ek 13 beispielsweise ist Werner Schö.; beim Kommando z.b.V. 15 in Nitra taucht der vorherige Sk 1005-Führer Fritz Zi. auf. Ihre Aufgabe ist nicht nur die Niederschlagung des Aufstandes, sondern auch der Abschluss der „Endlösung“ in der Slowakei. Auf das Konto des Ek 14 und Sondereinheiten der slowakischen sogenannten Hlinka-Garde gehen die Ermordung von insgesamt schätzungsweise 2 876 Menschen in den Ortschaften Kremniìka und Nemecká, und ein Bericht des Kommandos erwähnt Verhaftungen von Juden in Topolcany und Umgebung. 19 Bei Kriegsende gelangt Heuser, der zuvor eine Kampfgruppe im Raum Krems a.d. Donau geführt hat, in Zivilkleidung mit seinem Fahrer Ernst Mu. unbehelligt bis nach Bayern, wo ihnen von den Amerikanern der Wagen abgenommen wird. Von dort begibt er sich zu seiner Schwester nach Goslar. Bei seiner Anmeldung dort am 18. August 1945 gibt er als letzten Wohnort Waltershausen im Kreis Königshofen an. In seinem im September 1949 beim Standesamt Goslar beantragten Eheaufgebot lässt er die Frage nach dem Wohnsitz der vorherigen sechs Monate verschleiern, indem der Standesbeamte für ihn unleserlich einen Fantasieort einträgt. Im Zentralregister der Kriegsverbrecher vom Juni 1948 ist Heuser immer noch ausgeschrie-

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ben. Von der Slowakei wird der ehemalige Leiter des Ek 14 wegen Mordes gesucht. 20 Was Heuser dann tut, lässt sich am besten mit der Bezeichnung dubiose Machenschaften beschreiben: Er führt einen Doktortitel der Rechtswissenschaften, den er nie verliehen bekommen hat. In Goslar gibt er sich als Rechtsanwalt aus, arbeitet aber nicht als solcher. Er betreibt eine rege Kontaktaufnahme mit ehemaligen Kameraden der Minsker Dienststelle, schriftlich, aber auch persönlich, wobei den Kontaktierten unbekannt ist, wie er sie ausfindig gemacht hat. Auf ihre Fragen, wo er wohne und was er mache, antwortet er mit unterschiedlichen Geschichten: Mal gibt er an, für die britische Besatzungsmacht zu arbeiten und Einsicht in Fahndungsunterlagen zu haben, mal gibt er sich als Rechtsanwalt aus – beides frei erfundene Geschichten, auch wenn er neben seiner Wohnungstür ein Schild „Rechtsanwalt“ angebracht hat. Eine offizielle Anmeldung scheut er. Heuser fährt während dieser Zeit häufig nach Berlin und in die sowjetisch besetzte Zone und bringt von dort Gegenstände, für seinen Vermieter auch einmal Schmuck, mit. In diesem Zusammenhang bezichtigt der Vermieter ihn 1947 des Diebstahls, was Heuser aber nicht nachgewiesen werden kann. 21 Zur gleichen Zeit belastet ihn Adolf Rübe, der unter Harder beim Sk 1005 gearbeitet hatte, an der Lebendverbrennung von mindestens drei Menschen im Gut Trostinez beteiligt gewesen zu sein. 22 Bereits 1945 hatte ein Angehöriger der Waffen-SS in russischer Gefangenschaft ausgesagt, dass es Heuser gewesen sei, der eine Ghettoaktion in Minsk geleitet habe. 23 Ende 1947 findet er bei der Firma Internationale Transporte Palatia in Mutterstadt Arbeit als kaufmännischer Angestellter und bleibt dort bis Ende Juni 1949. Aus Mutterstadt waren während des Zweiten Weltkriegs ebenfalls Juden nach Minsk verschleppt und dort getötet worden. Bevor er im September 1949 nach Ludwigshafen am Rhein umzieht, gelingt es dem ehemaligen Gestapo-Leiter des KdS/BdS in Minsk nach eigenen Angaben, am 19. August 1949 vom Untersuchungsausschuss für den Stadt- und Landkreis Ludwigshafen einen Nichtbetroffenen-Bescheid ausgestellt zu bekommen. Im späteren Verfahren gegen ihn vor dem Landgericht Koblenz gibt es davon nur eine Abschrift aus Heusers Händen; das Original sowie der angeblich von Heuser in Goslar ausgefüllte Fragebogen sind bis heute unauffindbar, so dass Zweifel angebracht sind, ob Heuser über ein solches Original überhaupt verfügte. An seinem neuen Wohnort Ludwigshafen gibt er sich als Sowjetzonenflüchtling mit letztem Wohnsitz in Banská Bystrica – seinem Einsatzort als Führer des EK 14 in der Slowakei – aus und bekommt einen Flüchtlingsausweis ausgestellt. In Ludwigshafen arbeitet er von Dezember 1949 bis Dezember 1952 als Angestellter bei der Akkumulatorenfabrik Akuwa, zuletzt als kaufmännischer Leiter. Nun arbeitslos, betreibt er seine Wiedereinstellung in die Kriminalpolizei: Mit einem komplett gefälschten Lebenslauf und weiterhin mit seinem falschen Doktortitel

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bewirbt er sich im März 1953 in Mannheim um Wiedereinstellung in den Kriminaldienst, wo allerdings keine Planstellen frei sind, und kurz darauf direkt beim Polizeipräsidenten in Berlin. Auf seine Bewerbung beim Oberbürgermeister der Stadt Ludwigshafen im September 1953 hin kommt er als Aushilfsangestellter zum Ausgleichsamt – für Heuser allerdings nur eine vorübergehende Lösung. Er will weiterhin zur Kriminalpolizei. Im Mai 1954 hat er dann mit seinen gefälschten Lebensläufen und Eingaben Erfolg: Als Unterbringungsberechtigter nach dem Gesetz zum Art. 131 GG wird er als Kriminaloberkommissar in den Kriminalpolizeidienst des Landes Rheinland-Pfalz eingestellt. Dienstort Heusers ist zunächst das Polizeipräsidium Ludwigshafen a. Rhein, dann die Polizeidirektion Kaiserslautern. Es folgt eine steile Karriere: 1955 wird er zum Kriminalhauptkommissar befördert und übernimmt die Leitung der Kriminalpolizei in Kaiserslautern, 1956 erhält er kommissarisch die Geschäfte des Leiters der dortigen Polizeidirektion übertragen. Kurz darauf erfolgt seine Abordnung zum Landeskriminalamt in Koblenz, wo er zum ständigen Stellvertreter des LKA-Leiters aufsteigt. Im Juni 1957 übernimmt er zunächst kommissarisch die Geschäfte des LKA-Chefs, bevor er zum Jahresbeginn 1958 zum Kriminaloberrat befördert und zum Leiter des LKA Rheinland-Pfalz berufen wird. Die Fallhöhe ist immens, als der ehemalige Gestapo-Leiter des BdS in Minsk am 24. Juli 1959 während eines Kuraufenthaltes in Bad Orb wegen seiner Tätigkeiten beim Sk 1b sowie beim KdS bzw. BdS in Minsk verhaftet wird. Zuvor war sein Name im Verfahren gegen Erich Ehrlinger, dem Führer des Sk 1b, aufgetaucht, der Heuser schwer belastet hatte. Die folgenden Ermittlungen der Zentralen Stelle in Ludwigsburg gegen Heuser sowie die folgende Verhaftung mussten wegen dessen beruflicher Position und befürchteter Verschleierungen und Sabotierungen unter strengster Geheimhaltung geschehen. Die Staatsanwaltschaft Koblenz lastet ihm 1962 die Tötung von 30 356 Menschen an. Das Landgericht Koblenz, vor dem er gemeinsam mit Karl D., Rudolf Schl. und Arthur Harder angeklagt ist, verurteilt ihn am 21. Mai 1963 wegen neun Verbrechen der gemeinschaftlichen Beihilfe zum Mord sowie wegen eines Verbrechens der Beihilfe zum Totschlag zu einer Gesamtstrafe von 15 Jahren Zuchthaus. Wegen der ihm vorgeworfenen eigenständigen Ermordung der noch verbliebenen „Hausjuden“ der Minsker Dienststelle, die juristisch als Mord hätte gewertet werden müssen, wurde er nicht angeklagt. Aus der Haft wird Heuser 1969 auf Bewährung entlassen. Wegen seiner Tätigkeiten beim Ek 14 wird er nie angeklagt. 24 Heuser stirbt am 30. Januar 1986 in Koblenz.

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8. Friedrich Me. Friedrich Me. wird am 3. Dezember 1912 in Dortmund als Sohn eines Zugführers geboren. 25 Nach der Reifeprüfung 1932 studiert er in Marburg, Münster und Bethel evangelische Theologie, bricht das Studium aber im Wintersemester 1937/38 ab, weil er den Widerspruch der Bekennenden Kirche, an die er sich während seines Studiums angelehnt haben will, zum NS-Staat nicht mehr mittragen will. Bereits 1933 war der Theologiestudent Friedrich Me. der SA und 1937 dann der NSDAP beigetreten. Er bewirbt sich nach seinem Studienabbruch bei der Kriminalpolizei und arbeitet bis zu seiner dortigen Einstellung am 13. November 1938 beim Bochumer Anzeiger und besucht die kaufmännische Abendschule. Die Kommissarprüfung besteht Friedrich Me. – mittlerweile Mitglied der SS – 1940 als Lehrgangsbester. 1941 wird er zum planmäßigen Kommissar ernannt. Seinen Dienst versieht er bis dahin bei der Kriminalpolizei in Dortmund. Nach einem Ausleselehrgang wird er für den leitenden Dienst der Sipo und des SD bestimmt und studiert daraufhin von Ende 1940 bis Anfang 1943 in Münster, Frankfurt a.M. und Berlin Jura. Seine praktische Ausbildung erhält er beim SD in Frankfurt a.M., gemeinsam mit Werner Schö. 26 Im Mai 1941 wird er zur Grenzpolizeischule nach Pretzsch an der Elbe abgeordnet und im Rang eines SS-Obersturmführers dem Sk 7a zugeteilt, in dem er als Teilkommandoführer agiert. Das Landgericht Essen kann ihm später nur noch die Beteiligung an einer Erschießung von mindestens 200 Juden in Witebsk nachweisen. Nach seiner Rückkehr setzt er sein Studium fort und arbeitet nach bestandener Zwischenprüfung 1943 kurze Zeit als Referendar beim Landratsamt in Starnberg und beim Regierungspräsidenten in München. Von dort wird er bereits im April 1943 als „Zugbeurteiler zur weltanschaulichen Schulung des Führernachwuchses“ für Anwärter des leitenden Dienstes an die Reichsschule der Sipo und des SD in Prag abgeordnet. Von dort kommt er 1944 als Ausbildungsleiter zum BdS Straßburg und wird noch im Januar 1945 zum Regierungsassessor ernannt. Bei Kriegsende setzt sich SS-Hauptsturmführer Friedrich Me. mit einer Gruppe Schüler nach Österreich ab und gelangt in Zivilkleidern zu Verwandten in Freudenberg (Kreis Siegen). Bis zur Währungsreform arbeitet er dort als Holzschnitzer; dann zieht er wieder in seine Heimatstadt Dortmund, wo er zunächst eine Anstellung in der Fahrbereitschaft einer britischen Einheit, der 129. Area Workshop REME, und anschließend beim Civil Labour Office des 10. Anti-Tank-Regiments der britischen Rheinarmee findet. Gleichzeitig gibt er Deutschunterricht im YMCA-Club. Nachdem ihn der Hauptentnazifizierungsausschuss in Dortmund im Juni 1949 in die Kategorie V der Entlasteten eingestuft hat (Friedrich Me. hatte seine wahren Tätigkeiten gekonnt verschwiegen), gelingt ihm im November 1949 die Wiedereinstellung als Kriminalobermeister auf Probe in die Regie-

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rungsbezirkspolizei Arnsberg. Seine Tätigkeit beim Sk 7a verschweigt er bewusst bei seiner Bewerbung, und auch der Chef der RegierungsbezirksPolizei Arnsberg, Ferdinand Hahnzog, lässt sein Wissen darüber, dass Friedrich Me. bei einem „Osteinsatz“ war, unter den Tisch fallen, um dessen Einstellung nicht zu gefährden. Es folgt eine schnelle Karriere: Bereits 1950 ist Friedrich Me. wieder Beamter auf Lebenszeit, 1956 wird er zum Kriminalhauptkommissar ernannt und wechselt im gleichen Jahr als Lehrer an das Polizeiinstitut Hiltrup, wo er nicht nur die Oberbeamten der Kriminalpolizei aus dem gesamten Bundesgebiet ausbildet, sondern auch als Lehrer und Betreuer für Lehrgangsteilnehmer aus Afghanistan, Iran und China zuständig ist und in diesem Kontext nach eigenen Angaben auch mit dem BND und dem MAD zusammenarbeitet. Dem Höhepunkt seiner Beamtenkarriere, der Ernennung zum Kriminalrat 1960, folgt der Abstieg: Zwar leugnet er als Zeuge im Verfahren gegen Alfred Filbert, den Führer des Ek 9, 1961 noch, jemals dem Sk 7a angehört zu haben. Doch noch im gleichen Jahr laufen die strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihn an und bei der Kriminalpolizei Nordrhein-Westfalen sieht man sich gezwungen, ihn aus öffentlichkeitswirksamen Gründen zur Kripo Bochum und später noch nach Gelsenkirchen zu versetzen. Am 16. Februar 1962 wird er wegen seiner Tätigkeiten beim Sk 7a verhaftet. Das Landgericht Essen verurteilt Friedrich Me. am 22. Dezember 1966 wegen Beihilfe zum Mord zu zwei Jahren Zuchthaus. Die Strafe gilt wegen der Untersuchungshaft als verbüßt. Friedrich Me. stirbt am 21. Juli 2001 in Münster.

9. Heinrich Noa Heinrich Noa wird am 23. August 1910 in Erfurt als Sohn eines Möbelfabrikanten geboren. 27 Nach Abschluss des Realgymnasiums 1931 beginnt er ein Medizinstudium in Jena und Marburg und tritt noch im gleichen Jahr nach eigenen Angaben als Reaktion auf ein Attentat auf Hans Friedrich Karl Günther der NSDAP und ein Jahr darauf der SS bei. Nach vier Semestern bricht er sein Studium angeblich wegen finanzieller Schwierigkeiten ab. Vorübergehend arbeitet er im Geschäft seiner Mutter in Brandenburg, bis er sich 1934 freiwillig zum Militär meldet. Nach seinem Ausscheiden kommt er Ende 1935 auf seine Bewerbung hin als Kriminalassistentenanwärter zur Stapo-Stelle nach Münster. Von Juli 1938 bis Juli 1939 leitet er bei der Gestapo nacheinander die Grenzpolizeikommissariate Breisach und Konstanz. Es folgt seine Abordnung nach Wien, wo er einem Einsatzkommando für den Polenfeldzug zugeteilt wird, mit dem er im Raum Lublin tätig ist. Für seinen Einsatz bei diesem Kommando erhält er das Eiserne Kreuz 2. Klasse sowie das Deutsche Schutzwall-Ehrenzeichen. Im Mai 1941 kommt Noa als Anwärter des

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leitenden Dienstes nach Düben, wo er dem Sk 11a unter dem Kommando von SS-Sturmbannführer Paul Zapp – seinem Lehrer für weltanschauliche Schulung – zugeteilt wird. Im Rang eines SS-Obersturmführers leitet er auf Befehl von Zapp unter anderem im Herbst 1941 in Nikolajew eine Erschießung von 227 jüdischen Männern, Frauen und Kindern und befehligt bei einer weiteren Erschießung von mindestens 3 500 Juden am gleichen Ort das Exekutionskommando. Zeitweise agiert er als Stellvertreter Zapps. Nach seiner Rückkehr im Oktober 1941 setzt er sein Studium in Berlin noch ein halbes Jahr fort, scheidet dann aber nach eigenen Angaben wegen Krankheit aus. Bei seinen Vorgesetzten im RSHA gilt er als vorbildlicher Nationalsozialist. Die nächste Dienststelle des inzwischen zum SSHauptsturmführer beförderten Noa ist das Amt VI im RSHA, wo er im Unternehmen „Zeppelin“ 28 eingesetzt wird. Dieses zentrale Projekt des SDAuslandsnachrichtendienstes sah vor, aus sowjetischen Kriegsgefangenen, aber auch Zivilisten, Kollaborateure zu selektieren und rekrutieren, die anschließend hinter der russischen Linie Spionage- und Sabotageaktionen ausführen sollten. 29 Noa kommt im Rahmen dieses Unternehmens im Juli 1942 in das SS-Sonderlager Lublin. In diesem Hauptlager des Unternehmens, das sich in Jablon in der Nähe von Lublin befindet, erhalten im Sommer 1942 ausgewählte Kandidaten für die Einsätze der Aktion „Zeppelin“ eine weltanschauliche Schulung sowie eine Spezialausbildung und werden mit Ausweisen und Ausrüstung ausgestattet. 30 Das Lager Jablon wird bei Noas Ankunft von neun SS-Führer- und 21 SSUnterführerdienstgraden geleitet. Für die russische Seite verzeichnet ein Bericht vom 17. Juli 1942 vier Instrukteure, zwei NKWD-Spezialisten, einen Arzt, 95 „Aktivisten“ und 384 Angehörige der Drushina. 31 Noa wird 1943 zum KdS Reval in Estland, 1944 dann zum KdS Breslau versetzt. Im Oktober 1944 erhält er dort den Auftrag, ein „Sippenhaftlager“ in der Hindenburgbaude, einer Gebirgshütte bei Bad Reinerz, einzurichten, in dem u.a. Angehörige der Familien Kuhn und Goerdeler festgehalten werden. Auch er gehört anschließend zu ihren Bewachern, bis die Häftlinge Ende November in das KZ Stutthof transportiert werden. Bei Kriegsende wird Noa von amerikanischen Truppen gefangengenommen und den Briten übergeben. Die Spruchkammer des Internierungslagers Ludwigsburg, in das Noa nach seiner Rückkehr aus England eingeliefert worden war, stuft ihn am 29. Juli 1948 in die Gruppe I der Hauptschuldigen ein. Den Grund für diese Entscheidung liefert Noas Funktion im Zusammenhang mit der Einrichtung des „Sippenhaftlagers“ und der Bewachung der festgehaltenen Familien. Seinen Einsatz beim Sk 11a hatte Noa verschwiegen. Am 31. Juli 1948 wird er entlassen, weil die bisherige Haft auf die Strafe von drei Jahren Arbeitslager angerechnet wird. In einem Wiederaufnahmeverfahren kurz nach Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 1078 zum Abschluss der politischen Befreiung wird der Spruch gegen Noa am

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18. April 1951 aufgehoben und das Verfahren gegen ihn eingestellt, weil der öffentliche Kläger keinen hinreichenden Verdacht mehr für die frühere Einstufung in die Gruppe der Hauptschuldigen sieht. 32 Noa arbeitet anschließend in der Landwirtschaft und als Hilfsarbeiter, bevor er Mitte 1953 als freier Mitarbeiter zum Gießener Anzeiger kommt und dort 1959 als Redakteur angestellt wird. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I, die zum Komplex Sk 11a ermittelt, lässt Noa im Februar 1962 zunächst als Zeugen vernehmen. Am 24. Mai 1962 wird er festgenommen, aber bereits nach zwei Monaten Untersuchungshaft wieder vorläufig freigelassen. Erst während der Hauptverhandlung vor dem Landgericht München I im Februar 1970 ergeht gegen ihn wieder Haftbefehl. In der Zwischenzeit beschäftigt ihn sein alter Arbeitgeber weiter: Bis Ende 1969 arbeitet Noa als Redakteur für den Gießener Anzeiger, bevor er mit Beginn der Hauptverhandlung im Januar 1970 in das Verlagsarchiv versetzt wird. Das Landgericht München I verurteilt Noa am 26. Februar 1970 wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 897 Fällen zu sieben Jahren Zuchthaus. Noa stirbt am 24. September 1972 in Kassel.

10. Karl Rath Karl Rath wird am 9. Januar 1909 in Lüdenscheid (Kreis Altena) als Sohn eines Kaufmanns geboren. 33 1921 zieht er mit seinen Eltern nach Bückeburg um und besucht das dortige Gymnasium, das er 1924 verlässt. Er lässt sich in einem Kolonial-, Porzellan-, Glas- und Haushaltswarengeschäft in Bückeburg zum Einzelhandelskaufmann ausbilden und arbeitet nach Abschluss der Lehre 1927 bei verschiedenen Firmen als kaufmännischer Angestellter. Während seiner Ausbildung gehört er von 1925 bis 1927 dem Jungdeutschen Orden an. 1932 wird Rat arbeitslos und tritt noch im gleichen Jahr der NSDAP und der SA bei und übernimmt im April 1933 in Bückeburg ein „Buch- und NSDAP-Bedarfsartikelgeschäft“, das er allerdings nach einem Jahr wieder aufgibt. Im Landratsamt seines Heimatortes findet er eine Beschäftigung als Aushilfe, bevor er im August 1934 von der Landesregierung Schaumburg-Lippe als Kanzleiangestellter übernommen und am 25. Mai 1935 der Gestapo-Außenstelle Bückeburg als Aushilfskraft zugewiesen wird. Als Kriminalangestellter übernimmt ihn am 1. Januar 1938 die Gestapo Bielefeld, und 1939 beginnt Rath seine Ausbildung zum Kriminalbeamten. Ab August 1939 leitet Rath – inzwischen SS-Mitglied – die Stapo-Außenstelle in Bückeburg, bis er Ende Mai 1941 nach Düben in Sachsen kommandiert wird, wo Gerhard S. einer seiner Ausbilder wird. In Düben wird er dem Ek 9 zugeteilt, bei dem er bis Sommer 1944 u.a. im Rang eines SS-Obersturmführers als Teilkommandoführer und im Oktober 1941 als Führer des Restkommandos Witebsk eingesetzt ist. Das Landgericht Berlin kann ihm später nachweisen, im Januar 1942 in Witebsk die

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Erschießung von mindestens acht Juden organisiert und einen Absperrdienst aus seinem Kommando zusammengestellt sowie eine weitere Erschießung von mindestens 50 Juden geleitet zu haben. Nach einer Beinverletzung im Sommer 1944 kommt Rath zur Gestapo nach Bad Eilsen, wo er das Kriegsende erlebt. Er nimmt den falschen Namen Arnold Raabe an und hält sich in Pohle mit Hilfsarbeiten über Wasser. Im August 1948 meldet er sich unter seinem richtigen Namen bei der britischen Besatzungsmacht in Bielefeld und geht zurück nach Bückeburg, wo er als Hilfsangestellter bei der Installationsfirma Kempker arbeitet, bis er am 21. September 1948 festgenommen und für einen Monat im Internierungslager Fallingbostel interniert wird. Wegen seiner Zugehörigkeit zur Gestapo verurteilt ihn die Spruchkammer Bielefeld am 20. Januar 1949 zu 6 Monaten Straflager, die Weihnachten 1949 in eine Geldstrafe von 600 DM umgewandelt werden, die wiederum aufgrund des Straffreiheitsgesetzes vom 31. Dezember 1949 erlassen wird. 34 Im Spruchkammerverfahren hatte er einen falschen Lebenslauf angegeben und seinen Einsatz beim Ek 9 zunächst verschleiert. Später gibt er an, nur wenige Tage dem Ek 9 angehört und dann der Wehrmacht unterstanden zu haben, was nicht der Wahrheit entspricht. Seine Angaben ließ er sich durch eidesstattliche Erklärungen, zum Teil aus Bückeburg, bestätigen. Die folgenden 11 Jahre lebt Rath unbehelligt mit seiner Familie in Bückeburg, wo er weiterhin bei der Installations- und Elektrofirma Friedrich Kempker als kaufmännischer Angestellter beschäftigt ist. Im April 1959 wird er zum ersten Mal als Zeuge zum Komplex Ek 9 vernommen und am 13. Januar 1960 verhaftet. Mangels konkreter Beweise kommt er am 17. Januar 1960 wieder auf freien Fuß, bevor er vom 17. Januar bis 29. Juni 1961 und dann wieder am 4. Februar 1965 in Moabit in Untersuchungshaft genommen wird. Wegen Beihilfe zum Mord in zwei Fällen verurteilt das Landgericht Berlin Rath am 6. Mai 1966 zu fünf Jahren Zuchthaus. Im selben Verfahren ist auch Heinz Ta. angeklagt. Zwischen den einzelnen Festnahmen und nach seiner Entlassung auf Bewährung im Mai 1968 beschäftigt ihn wieder sein alter Arbeitgeber. Rath stirbt in am 5. April 1993 in Bückeburg.

11. Rudolf Schl. Rudolf Schl. wird am 11. Juli 1913 in Chemnitz geboren. 35 Das ReformRealgymnasium an seinem Heimatort verlässt er 1933 mit dem Abitur und dem Ziel, Gewerbelehrer zu werden. Er tritt in die SA und mit Beginn seines Studiums am Pädagogischen Institut der TU Dresden auch in den Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbund ein, für den er in der studentischen Auslandsarbeit tätig ist. Noch bevor er im Herbst 1938 die Prüfung zum Gewerbelehrer ablegt, tritt er 1937 der NSDAP und der SS bei. 36 Nach

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eigenen Angaben plant er 1939 ein Auslandsstudium und eine Promotion, geht dann aber wegen, wie er angibt, finanzieller Schwierigkeiten zum SD. Als Referent im Stab des SD-Oberabschnitts Elbe in Leipzig ist er für den Bereich Volkstum und Volkskunde zuständig. Über die Stationen Inspektionsstab Dresden und SD-Abschnitt Chemnitz, wo er als Leiter der Abteilung II/2 für die Lageberichterstattung verantwortlich ist, kommt er im Herbst 1940 im Rang eines SS-Obersturmführers als Lehrer für Geschichte an die Polizeischule in Pretzsch. In einer Beurteilung hatte der Führer des SD-Abschnitts Chemnitz ihm zuvor „wertvolle Führereigenschaften“ bestätigt und seine Weltanschauung als „gefestigt“ beschrieben. 37 In Pretzsch wird Rudolf Schl. 1941 dem EK 8 zugeteilt, mit dem er bis nach Minsk vorrückt, wo er zunächst als Führer eines Restkommandos bleibt, anschließend von Ende 1941 bis 1943 der Dienststelle des KdS in Minsk angehört und als SS-Hauptsturmführer die Abteilung III (SD) leitet. Bei der Dienststelle in Minsk lernt Rudolf Schl. auch seine zeitweilige Partnerin kennen, für die Georg Heuser in einem (später zurückgezogenen) Verlobungs- und Heiratsgesuch für das Rasse- und Siedlungshauptamt bürgt. 38 Während seiner Zeit beim KdS in Minsk ist Rudolf Schl. an mehreren Massenerschießungen von Juden beteiligt: Bei einer dreitägigen Massenerschießung im März 1942, bei der insgesamt mindestens 3 000 Menschen aus dem Ghetto Minsk erschossen werden, ist er als Schütze dabei, und als im gleichen Jahr bei einer Aktion mindestens 200 Juden aus dem Ghetto Slonim erschossen werden, leitet er die Erschießung und schießt auch selbst mit. Er hält „Beruhigungsreden“ vor den Juden, die mit Transporten aus dem Westen gekommen sind, um sie dazu zu bewegen, in die Gaswagen zu steigen. Auch bei weiteren Ankünften von Judentransporten führt er die Aufsicht und überwacht den Abtransport der Opfer zur Exekutionsstätte. Seine Vorgesetzten sind mit ihm zufrieden, wie der Vorschlagsliste für die Verleihung des Kriegsverdienstkreuzes II. Klasse mit Schwertern vom April 1942 zu entnehmen ist. Darin heißt es über Rudolf Schl.: „SS-Obersturmführer Rudolf Schl. hat seit Beginn des sicherheitspolizeilichen Einsatzes in Weißruthenien die nachrichtendienstliche Arbeit in vorbildlicher Weise aufgebaut. Besondere Verdienste hat er sich im Hinblick auf die Erfassung der polnischen Widerstandsbewegung, der in Weißruthenien aufgetretenen Schwierigkeiten und der dortigen Befriedung dieses Raumes erworben. Von außenstehenden übergeordneten Dienststellen wurde dem SS-Obersturmführer Rudolf Schl. persönlich wiederholt die höchste Anerkennung für seine Arbeitsleistung ausgesprochen.“ 39 Überdies erhielt er das Kriegsverdienstkreuz 1. Klasse und eine Tapferkeitsauszeichnung für Angehörige der Ostvölker. Im Mai 1943 wird Rudolf Schl. zum SD-Leitabschnitt Prag versetzt, wo er seine zweite Ehefrau kennenlernt und heiratet, und anschließend noch zu einem Kommando nach Tirol abkommandiert. 40

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Bei Kriegsende gelingt es ihm, in Zivilkleidern einer Gefangennahme zu entgehen und seine Frau bei München zu treffen. Gemeinsam wohnen sie zunächst in Neumarkt-Sankt Veit, wo Rudolf Schl. in der Landwirtschaft und in einer Ziegelei Arbeit findet. Den Meldebogen zur Entnazifizierung füllt er im Mai 1946 mit frei erfundenen Angaben zu seinem Lebenslauf aus, so dass er in die Gruppe V der Entlasteten eingestuft wird. Von 1949 an ist er als Vertreter für verschiedene Schokoladenfabriken in Württemberg tätig, bis er 1955 bei der Daimler-Benz AG in Stuttgart-Untertürkheim eine Anstellung als Ausbilder der kaufmännischen Lehrlinge erhält. Seine wahre Tätigkeit während der NS-Zeit verschleiert er dabei. Ein gewichtiges Referenzschreiben bei seiner Bewerbung stammt aus der Feder seines ehemaligen Vorgesetzten in Minsk und nunmehrigen Leiters der Kriminalpolizei Kaiserslautern, Georg Heuser. Die Verbindung zu Heuser war nie abgerissen; beide besuchen sich, zuletzt noch 1959. Bereits kurz nach Kriegsende hatte Heuser Rudolf Schl. in Neumarkt-Sankt Veit aufgesucht. Auch mit anderen ehemaligen Kameraden des KdS/BdS in Minsk steht Rudolf Schl. weiterhin in Kontakt: so mit seinem einstigen Untergebenen Theodor Ondrej, der nach eigenen Angaben im Jahr 1954 bei Rudolf Schl. wohnt, mit dem Rechtsanwalt Dr. Strohm, der 1954 Ondrej und später zeitweise Heuser vor Gericht vertritt, und mit Heinz Schramm. Der Staatsanwaltschaft Koblenz, die im Komplex KdS/BdS Minsk ermittelt, gelingt es im März 1960, Rudolf Schl. ausfindig zu machen. Gleichzeitig taucht dieser im Ermittlungsverfahren der Münchner Staatsanwaltschaft auf, die zum Komplex Ek 8 ermittelt. Die Sonderkommission „P“ vernimmt Rudolf Schl. erstmals am 6. Mai 1960 in Stuttgart zu seiner Zeit beim KdS in Minsk. Noch am gleichen Tag erlässt das Amtsgericht Stuttgart Haftbefehl gegen ihn. Das Landgericht Koblenz verurteilt Rudolf Schl. am 21. Mai 1963 wegen fünf Verbrechen der gemeinschaftlichen Beihilfe zum Mord zu einer Gesamtstrafe von acht Jahren Zuchthaus. Im gleichen Prozess werden auch Heuser, Karl D. und Harder verurteilt. Rudolf Schl. stirbt am 19. November 1983 in Peißenberg.

12. Werner Schmidt-Hammer Werner Schmidt-Hammer wird am 28. Februar 1907 im ostpreußischen Vogelsang als Sohn eines Apothekers geboren. 41 Weil am Wohnort der Eltern, dem Ostseebad Rauschen, eine weiterführende Schule fehlt, besucht er ein Gymnasium in Breslau, wo er beim Bruder seiner Mutter wohnt. Er schließt die Schule 1924 mit der mittleren Reife ab und lässt sich in Breslau zum Optiker ausbilden. Von 1928 bis 1930 besucht er die Fachhochschule für Optik in Jena und arbeitet anschließend als Optikermeister bei der Firma

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Carl Zeiss. 1936 eröffnet er ein eigenes Optikergeschäft in Königsberg, wird aber am 1. September 1939 zur Polizei einberufen. Bereits zuvor hatte er einige Wochen lang Abendkurse der Polizei besucht. Nach einer Grundausbildung nimmt er im Sommer 1940 an einem Offizierslehrgang teil und wird 1941 zum Kommando der Schutzpolizei Memel versetzt, wo er Ende Oktober des gleichen Jahres Adjutant des Kommandeurs wird. In seiner Eigenschaft als Leutnant der Reserve leitet Schmidt-Hammer im Juni 1941 nachweislich in den litauischen Orten Garsden, Krottingen und Polangen drei Massenerschießungen von Juden und gibt Nachschüsse ab. Er nimmt 1943 noch an einem Kompanieführerlehrgang teil, bevor er zum PolizeiFreiwilligenbataillon 14 Kroatien nach Jugoslawien kommandiert wird. Dort kommt er am 10. Mai 1945 in jugoslawische Kriegsgefangenschaft, aus der er im Februar 1949 nach Grauel bei Rendsburg entlassen wird. Für den Entnazifizierungsausschuss Rendsburg füllt er im März 1949 lediglich einen verkürzten Fragebogen aus, aufgrund dessen er als nicht betroffen eingestuft wird. 42 Sein Wiedereinstieg in das zivile Berufsleben gestaltet sich ebenfalls unproblematisch: Dank seiner Ausbildung und seiner Verbindungen zur Firma Zeiss wird er bei genau dieser Firma im September 1949 in Oberkochen wieder als Augenoptikermeister eingestellt. Durch einen reinen Zufall werden 1954 Ermittlungen gegen den einstigen Polizeidirektor von Memel, Fischer-Schweder, aufgenommen, in deren Verlauf auch Schmidt-Hammer ins Blickfeld der Ermittler gerät, an den sich eine Zeugin erinnern kann. Am 5. Juli 1957 wird der völlig überraschte SchmidtHammer an seinem Arbeitsplatz festgenommen und noch am gleichen Tag bietet die Rechtsabteilung der Firma Carl Zeiss eine Kaution für ihn in Höhe von 20 000 DM, auf Wunsch auch eine höhere Summe, an. Wegen Beihilfe zum Mord in 526 Fällen verurteilt ihn das Landgericht Ulm im sogenannten Ulmer Einsatzgruppenprozess gegen den ehemaligen Polizeidirektor von Memel und neun weitere Angeklagte am 29. August 1958 zu einer Zuchthausstrafe von drei Jahren. Während in der Folgezeit ein Revisionsverfahren läuft, wird er aus der Untersuchungshaft entlassen und arbeitet bis Oktober 1959 inoffiziell von zu Hause aus weiterhin für die Firma Zeiss, dann wird er regulär wieder als Optikermeister im Zweigwerk in Aalen eingestellt. Am 23. Februar 1960 erlangt das Urteil Rechtskraft. Schmidt-Hammer stirbt am 2. März 1979 in Bad Friedrichshall.

13. Gerhard S. Gerhard S. wird am 13. Oktober 1913 in Magdeburg als Sohn eines Zollsekretärs geboren. 43 Nach mehreren Umzügen kommt der national erzogene Gerhard S. an die Schule der Franckeschen Stiftungen in Halle a.d. Saale. Als die Schulleitung 1933 ein neues Traditionsbataillon aufstellen will, sucht sie sich ihn als denjenigen aus, der dieses Bataillon aufbauen und

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führen soll. Während dieser Zeit gehört er der SS an, bevor er die Schule 1934 mit dem Abitur verlässt und die nächsten zwei Jahre zur Reichswehr bzw. dann zur Wehrmacht geht und er darum wieder aus der SS austreten muss. Nachdem er dort als Offizier der Reserve ausgeschieden ist, betreibt er sofort wieder seine Wiederaufnahme in die SS und bewirbt sich bei der Gestapo – angeblich, ohne gewusst zu haben, was die Geheime Staatspolizei sei. Ungeklärt bleibt, ob er sich ebenfalls bei der Kriminalpolizei bewirbt, wie er später angibt, oder ob dies eine nachträgliche Schutzbehauptung ist. In September 1936 tritt er seinen Dienst als Kriminalkommissaranwärter bei der Gestapo Potsdam an. Nach bestandener Prüfung im Juli 1938 wird er unter seiner alten Mitgliedsnummer wieder offiziell in die SS aufgenommen, in den Rang eines SS-Untersturmführers befördert und als Hilfskriminalkommissar zunächst zur Staatspolizeistelle Halle versetzt. Zuvor hatte er in seinem Heiratsgesuch mitgeteilt, sich auch ohne die noch ausstehende Bestätigung seiner SS-Mitgliedschaft den SS-Gesetzen zu unterwerfen. 1940 – mittlerweile ist er auch NSDAP-Mitglied – wird Gerhard S. als Anwärter für den leitenden Dienst ausgewählt und zum RSHA-Amt IV E 3 (Abwehr West) nach Berlin versetzt. 44 Nach dem Sieg über Frankreich ist er nach eigenen Angaben Mitglied einer Kommission, die die Überführung deutscher Häftlinge und Kriegsgefangener aus Lagern und Gefängnissen in Vichy-Frankreich nach Deutschland überwacht. 45 Als im Mai 1941 die Einsatzgruppen zusammengestellt werden, wird er dem Ek 9 unter der Führung des SS-Obersturmbannführers Dr. Filbert zugeteilt. Mit diesem Kommando trifft er Anfang Juli 1941 in Wilna ein. Dort und in weiteren Orten ist Gerhard S. im Rang eines SS-Obersturmführers und damit als Führerdienstgrad im Einsatzkommando an der Ermordung der jüdischen Bevölkerung beteiligt: Bei einer Erschießung in Wilna wirkt er als Schütze mit, an der Erschießung der jüdischen Bevölkerung von Molodeczno bei Wilejka, bei der mindestens 100 Menschen getötet werden, ist er als Teilkommandoführer beteiligt und in der gleichen Funktion leitet er die Erschießung der jüdischen Bevölkerung von Surash, die mindestens 200 Opfer fordert, die meisten von ihnen sind Frauen. Eigenen Angaben zufolge wird Gerhard S. nach dieser letzten Aktion im August 1941 zum Stab der Einsatzgruppe B nach Smolensk versetzt. Sein Einsatz endet im September 1941, und er setzt daraufhin sein Studium in Berlin fort. Im Rahmen des Unternehmens „Zeppelin“ setzt ihn das Amt VI des RSHA (SD-Ausland) nach eigenen Anhaben zur „Betreuung“ russischer Offiziere aus dem Vorlager Sachsenhausen ein. 46 Im Oktober 1942 besteht Gerhard S., inzwischen zum SSHauptsturmführer befördert, das Referendarexamen und beginnt in Königsberg den Vorbereitungsdienst. Nach Besuch einer Führerschule besteht er im Herbst 1943 die große Staatsprüfung für den höheren Verwaltungsdienst, wird zum Verwaltungsassessor ernannt und nach Danzig versetzt.

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Dort ist er als Untersuchungsführer und Verteidiger vor dem SS- und Polizeigericht beim Inspekteur der Sipo und des SD tätig. Ende Januar 1945 will er Verbindungsführer der SS zum Stab der Heeresgruppe Weichsel gewesen sein und noch im April wird er nach eigenen Angaben zum Regierungsrat ernannt. In Zivilkleidung und unter dem falschen Namen Waldeck entzieht er sich bei Kriegsende – angeblich befindet er sich in der Region Lübeck – einer Gefangennahme und kommt in der nächsten Zeit als Arbeiter bei einem Landwirt, im Frühjahr 1946 dann bei einem Gemüsebauern in der Region Vierlande unter. Bereits im Jahr zuvor hatte im Internierungslager Moosburg Andreas von A., ehemals im Stab der Einsatzgruppe B., schriftlich Gerhard S. der Beteiligung an Massenerschießungen bezichtigt. Für Gerhard S. bleibt das folgenlos. Seiner inzwischen nach Schwanenwede, Kreis Osterholz-Scharmbeck, geflüchteten Ehefrau überbringt er selbst unter falschem Namen seine „Todesnachricht“ – schließlich ist er im Dorf nicht bekannt. Ende November 1946 wird er dennoch entdeckt und bis August 1948 im Internierungslager Neuengamme interniert. Hier trifft er Karl-Heinz M. wieder, der 1940 ebenfalls der Kontrollkommission in Frankreich angehört hatte. Überzeugt von der Ungerechtigkeit der Spruchkammerverfahren, zieht er im Lager für seine Mitinternierten eine Rechtsberatung auf. Sein ehemaliger Kollege Karl-Heinz M. übernimmt dabei die Übersetzung der Eingaben. 47 Er selbst wird vom Spruchgericht Hamburg-Bergedorf am 20. Juli 1948 wegen Zugehörigkeit zur SS zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, was durch die Internierungshaft als verbüßt gilt. Was die Zugehörigkeit zur Gestapo betrifft, folgt das Spruchgericht seiner Einlassung, er hätte sich im Notstand befunden. Der Entscheidung liegen ein gefälschter Lebenslauf und Leumundszeugnisse aus dem Kreis der Mitinternierten in Neuengamme zugrunde. Nach seiner Entlassung im Juli 1948 begibt sich Gerhard S. nach Schwanenwede, dem neuen Wohnsitz seiner Frau. Wegen eines Devisenvergehens – Gerhard S. hatte 800 $, die er angeblich von seinem letzten Vorgesetzten erhalten hatte, zu überhöhtem Tageskurs in Umlauf gebracht – verurteilt ihn das Amtsgericht Hamburg am 20. Januar 1949 zu einer Geldstrafe. Am 10. November 1949 wird er vom EntnazifizierungsHauptausschuss Stade in die Kategorie V der Entlasteten eingestuft. Auf dem Fragebogen hatte er zuvor falsche Angaben über seinen Lebenslauf gemacht. Als Vertriebener engagiert er sich an seinem neuen Wohnort im Siedlungsbau, weshalb er 1950 in den Bauausschuss des Landkreises berufen wird. Er wird 1. Vorsitzender des Ortsverbandes und 2. Vorsitzender des Kreisverbandes der Vertriebenen, Elternratsvorsitzender an der Schule und Schiedsmann in Schwanenwede. Im Herbst 1952 tritt er dem BHE (Bund der Heimatlosen und Entrechteten) bei und wird in den Gemeinderat gewählt. Im gleichen Jahr wird er Kreistagsabgeordneter des BHE und

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2. Stellvertretender Landrat. Mit seiner Bewerbung auf die 1954 vakant gewordene Stelle des Stadtdirektors in Osterholz-Scharmbeck scheitert er allerdings, ebenso wie mit der Bewerbung auf die ebenfalls frei gewordene Stelle des Oberkreisdirektors. Trotz seiner Tätigkeiten in den kommunalen Gremien kann er beruflich nicht Fuß fassen: abgesehen von einer mehrmonatigen Anstellung in einer Baustoffhandlung. 1953 ist er arbeitslos. Seinen Versuchen, Ansprüche nach dem Gesetz zum Art. 131 GG anzumelden, begegnet der Regierungspräsident in Stade mit Ablehnung. Gerhard S.s gefälschter Lebenslauf stößt auf Skepsis, Nachforschungen fördern seine Zugehörigkeit zu SS und Gestapo ans Tageslicht, und man zweifelt erheblich an der Glaubwürdigkeit des Bewerbers. Dass er im April 1954 doch noch einen Unterbringungsschein als Regierungsrat zur Wiederverwendung erhält, geht auf eine persönliche Rücksprache des Sachbearbeiters im niedersächsischen Ministerium des Inneren mit dem ehemaligen SSBrigadeführer Dr. Werner Best, dem einstigen Chef des Amtes I im RSHA, zurück. Als Folge dieser Unterredung ermöglicht der Niedersächsische Minister des Innern die Wiedereinstellung von Gerhard S. in den Staatsdienst. Nachdem seine Anträge auf Beschäftigung in der inneren Verwaltung und im Polizeidienst abgelehnt worden sind, erhält Gerhard S. im Mai 1956 eine Anstellung beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft und Verkehr. Bei der Wohnungssuche in Hannover trifft er dort seinen früheren Vorgesetzten beim Ek 9, den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Dr. Alfred Filbert, und bittet ihn um Hilfe bei der Wohnungssuche. Drei Jahre später holt ihn seine Vergangenheit wieder ein: Im Zusammenhang mit dem Verfahrens gegen Filbert, den Führer des Ek 9, stellt der Polizeipräsident von Berlin am 3. Februar 1959 Strafanzeige gegen Gerhard S. Im März beginnen die Ermittlungen gegen ihn wegen seiner Tätigkeiten beim EK 9, die am 21. Mai 1959 zu seiner Verhaftung führen. Vehemente Unterstützung erhält er während seiner Untersuchungshaft vor allem aus seinem früheren Wohnort Schwanenwede; sogar eine Arbeitsstelle bietet man ihm an. Aus der Untersuchungshaft am 24. Mai 1964 entlassen, erhält Gerhard S. eine Anstellung bei einer Versicherungsgesellschaft. Das Landgericht Berlin verurteilt ihn am 28. März 1966 wegen Beihilfe zum Mord in drei Fällen zu einer Gesamtstrafe von sechs Jahren Zuchthaus, die wegen Anrechnung von Untersuchungs- und Internierungshaft als verbüßt gilt. Das Urteil wird durch Beschluss des BGH vom 28. Oktober 1966 rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen Mordes in sechs Fällen an mindestens 8 000 Menschen lebenslängliches Zuchthaus gefordert. Gerhard S. stirbt am 21. September 2000 in Euskirchen.

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14. Werner Schö. Werner Schö. wird am 27. November 1911 in Berlin als Sohn eines Polizeiangehörigen und späteren Gastwirts geboren. 48 Er besteht 1930 das Abitur, studiert in Berlin und Königsberg Volkswirtschaft und besteht 1934 das Diplom-Examen in Berlin. National eingestellt, findet er 1933/34 zur SA. Weil es ihm nicht gelingt, in den Intendanturdienst der Reichswehr eingestellt zu werden, meldet er sich 1935 für ein halbes Jahr freiwillig zum Arbeitsdienst, bevor er sich um eine Einstellung als Kriminalkommissaranwärter bewirbt und Ende 1935 seinen Dienst bei der Kriminalpolizei Berlin beginnt. Ein Jahr später tritt er der SS bei. Nach bestandener Kommissarsprüfung 1937 kommt er zur Gestapo nach Köln, wo er das Referat Wirtschaftsspionageabwehr und Industriesicherung führt. Vorgesehen für den leitenden Dienst, wird Werner Schö. 1940 – dem Jahr, in dem er in der NSDAP aufgenommen wird – zu einem Auswahllehrgang nach Pretzsch an der Elbe und Anfang 1941 zum Jurastudium nach Frankfurt a.M. abgeordnet. Anfang Juli 1941 wird er dem Ek 8 unter der Führung von Dr. Bradfisch zugeteilt, mit dem er bis Ende September 1941 in Russland eingesetzt ist. Als SS-Hauptsturmführer führt Werner Schö. ein Teilkommando, das im Juli 1941 gemeinsam mit Angehörigen des Polizeibataillons 322 in Slonim laut „Ereignismeldung“ 1 075 Juden erschießt. Von Minsk aus wird das Teilkommando Werner Schö.s mit einem Vernichtungsauftrag nach Borissow geschickt, wo es bis Ende September bleibt und zahlreiche Exekutionen ausführt. Werner Schö. leitet auch die Erschießungen der Insassen des Borissower Gefängnisses, das mindestens dreimal „geleert“ wird, wobei mindestens 100 Juden und andere Inhaftierte ermordet werden. Mit seinem Teilkommando ist er zudem für die Selektion und Erschießung von mindestens 30 bis 80 „rassisch minderwertigen“ Kriegsgefangenen, der Erschießung eines jüdischen Arbeitskommandos aus dem Ghetto in Borissow sowie zahlreichen weiteren Erschießungsaktionen von Juden in der Region um Borissow verantwortlich, bei denen einmal 300 - 400, ein anderes Mal mindestens 600 jüdische Männer, Frauen und Kinder getötet werden. Werner Schö., der mit Frauengeschichten prahlt und sich als egozentrischer Selbstdarsteller präsentiert, fühlt sich berufen, ein für ihn „arisch“ aussehendes zwölfjähriges Bauernmädchen aus Borissow zu seinen Eltern nach Berlin zu geben, um es dort aufwachsen zu lassen. Das Mädchen flüchtet allerdings noch vor Kriegsende. 49 Im Oktober 1941 setzt Werner Schö. sein Studium fort und unternimmt aus nicht bekannten Gründen einen Selbstmordversuch. Kurz darauf wird er angeblich wegen eines Briefwechsels mit einem Polen vom leitenden Dienst der Gestapo und vom weiteren Studium ausgeschlossen. 1942 wird er zur Stapo-Leitstelle nach Wien versetzt, wo er bis September 1944 das Referat IV 3b (Wirtschaftsangelegenheiten und Industriesicherung) leitet.

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Als SS-Führer mit Einsatzgruppenerfahrung wird er anschließend zum neu zusammengestellten Ek 13 abgeordnet, mit dem er bis zur Räumung in der Slowakei eingesetzt ist – als Leiter des Stützpunktes Zilina. Das Ek 13 gehört zur EG H unter der Führung von SS-Obersturmbannführer Dr. Josef Witiska. Bei der Erfassung der Juden, schreibt Gila Fatran, habe sich Werner Schö. besonders hervorgetan: „Bei seinem Einzug in die Stadt bemächtigte er sich sofort aller regionalen Regierungsstellen und begann die Teilnehmer am Aufstand aufzuspüren und einzufangen. Parallel dazu mobilisierte er den SD und die Sipo, die Gendarmerie und die bewaffneten Stoßtruppen der ‚Hlinka Garde‘ zwecks Verhaftung der in der Region lebenden Juden. Die Liste der aus Zilina deportierten Juden im Jahre 1944 (die einzige Liste der mit der zweiten Welle Ausgesiedelten) legt Zeugnis von der Besessenheit Schö.s ab. Mit den 23 Transporten (die Überführung von 8 Juden ins Lager inbegriffen), welche die Stadt zwischen dem 13. September 1944 und dem 16. Januar 1945 verließen, wurden 895 Juden deportiert.“ 50 Welcher Einheit er anschließend angehörte, ist unklar; kurz vor der Einnahme Wiens durch die Rote Armee im April 1945 leitet er nach eigenen Angaben in Steyr eine Außendienststelle der Gestapo. Beim Heranrücken der sowjetischen Streitkräfte taucht Werner Schö., der sich in Wien und Umgebung sehr gut auskennt und dort über ein ausgeprägtes soziales Netz verfügt, im Frühjahr 1945 in der Berghütte eines Bekannten seiner Geliebten in Weyer unter. Er gibt sich als Kaufmann Wenzel Schenk, geboren in Prag, mit letztem Wohnsitz in Sillein (Zilina) – seinem Einsatzort beim Ek 13 – aus. Aus einer nahe gelegenen Gemeinde beschafft er sich gefälschte Dokumente, so auch eines, das ihm die Zugehörigkeit zu einer Panzerdivision bestätigen soll. Wahrscheinlich Anfang Juni 1945 verlässt er die Jagdhütte und macht sich über mehrere Zwischenstationen auf den Weg nach Wien. Doch bevor er dort ankommt, wird er am 16. Juli 1945 durch den Hinweis eines ehemaligen Kollegen der Gestapo Wien in seiner neuen Unterkunft bei Atzenbrugg verhaftet. Der Verdacht gegen ihn lautet auf die Beteiligung an Erschießungen in Polen und der Slowakei 1944. Als die Tschechoslowakei daraufhin einen Auslieferungsantrag stellt, gibt Werner Schö. zu, Abteilungsleiter bei der Stapo-Leitstelle Wien gewesen zu sein und entgeht zunächst seiner Auslieferung. Das Landesgericht für Strafsachen in Wien verurteilt ihn am 22. Dezember 1947 nach österreichischem Kriegsverbrechergesetz zu zehn Jahren schwerem Kerker. Seine Aussage widerruft Werner Schö. 1949, woraufhin das Urteil gegen ihn aufgehoben wird. Wegen Bedrohung von Gefängnisinsassen in Zilina mit dem Tode wird er in Wien am 8. Oktober 1951 zu neun Monaten schwerem Kerker verurteilt, auf die die vorherige Haftzeit angerechnet und er nun des Landes verwiesen wird. Bis zum November 1951 befindet er sich in Abschiebehaft, bevor er in die Bundesrepublik entlassen wird. Seine letzte

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Verurteilung wird 1957 aufgrund eines österreichischen Amnestiegesetzes getilgt. In Deutschland erhält er 1953 eine Stelle in einer Firma, die Teile für Motorräder, Fahrräder, Nähmaschinen und Schreibmaschinen herstellt, im April 1954 wechselt er als kaufmännischer Abteilungsleiter zu dem Getränkegroßhandel Matthias Harzheim KG in Köln. In seinem Bewerbungsgespräch hatte er falsche Angaben gemacht, auch was seinen Wunsch, die Firma zu wechseln, betraf. Meldungen über das Münchner Verfahren gegen seinen ehemaligen Vorgesetzten beim Ek 8, Dr. Otto Bradfisch, lassen Werner Schö. nervös werden, denn tatsächlich ergeben sich aus diesem Verfahren Verdächtigungen gegen ihn, die Ermittlungen der Münchner Staatsanwaltschaft und der Zentralstelle Dortmund gegen ihn in Gang setzen. Werner Schö. entschließt sich im Mai 1959 zur Flucht, die ihn nach Österreich, Ägypten und in die Schweiz führt. Unterstützt wird er dabei von seiner Ehefrau in Köln, die er 1954 geheiratet hat, seiner ebenfalls in Köln lebenden Geliebten, einem ehemaligen SS-Kameraden in Wien und weiteren Bekannten aus seiner Wiener Zeit. Seinem Arbeitgeber erklärt er seine Abwesenheit mit gesundheitlichen Problemen. Sein Weg führt ihn dabei auch immer wieder zurück nach Deutschland, so nach Köln und München. Seit dem 20. November 1959 besteht ein Haftbefehl des Amtsgerichts München gegen ihn. Am 12. April 1961 stellt sich Werner Schö., der zwischenzeitlich Kontakt zu dem in NS-Täterkreisen wohlwollend betrachteten Rechtsanwalt Rudolf Aschenauer aufgenommen hat, der Kölner Polizei. Das Landgericht Köln verurteilt Werner Schö. am 12. Mai 1964 wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum Mord in 12 Fällen an 2 170 Menschen zu einer Gesamtstrafe von sechs Jahren Zuchthaus. Das Urteil wird im Oktober desselben Jahres rechtskräftig. Die parallel stattfindenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dortmund gegen ihn wegen Anstiftung zum Mord und Freiheitsberaubung während seiner Zeit beim Ek 13 werden im Februar 1966 eingestellt, dann wieder aufgenommen und schließlich 1975 erneut eingestellt. 1988 wird bei der Zentralen Stelle Ludwigsburg noch einmal eine Ermittlungsakte gegen Werner Schö. angelegt, weil er in der UNKriegsverbrecherliste (und auch in der CROWCASS 51 -Liste) beschuldigt wird, tschechoslowakische Bürger nach Auschwitz-Birkenau deportiert zu haben. 52 Somit betrafen die Ermittlungen seinen Einsatz beim Ek 13, die bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I fortgesetzt wurden. In diesem Verfahren ist auch Heuser angeschuldigt; weil dieser aber 1989 gestorben war, wird das Verfahren gegen ihn eingestellt. Das Verfahren gegen Werner Schö. und einen weiteren Angeklagten wird im Dezember 1990 eingestellt, „da es bei keinem der beiden Beschuldigten möglich war, einen sie belastenden, mordbegründete Tatbestandsmerkmale enthaltenden Sachverhalt zu ermitteln“ 53 . Werner Schö. stirbt am 6. September 2003 in Altenahr.

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15. Heinz Ta. Heinz Ta. wird am 25. April 1912 in Dahlherda (Kreis Fulda) als Sohn eines Försters geboren. 54 Er besucht das Gymnasium in Hersfeld und Eisenach, geht aber vor dem Abitur 1927 ab. In Eisenach absolviert er bis 1930 eine Ausbildung zum Dreher, kann aber anschließend keinen Arbeitsplatz finden. Heinz Ta. setzt sich aktiv für die nationalsozialistische Bewegung ein, Schlägereien eingeschlossen. 55 Von 1929 bis 1930 gehört er der HJ an, von März bis August 1930 der SA, von der er direkt in die SS wechselt, und im November 1930 tritt er in die NSDAP ein. Als Mitglied der am 22. Februar 1933 von Göring ins Leben gerufenen preußischen Hilfspolizei 56 wird er von Juni bis August 1933 im SS-Arbeitslager Trügleben und anschließend bis April 1934 bei der SS-Flugplatzwache in Gotha eingesetzt. 57 Danach arbeitet er als Dreher und Schweißer bei verschiedenen Firmen, bevor er im Dezember 1935 als Kriminalangestellter zur Gestapo nach Dessau wechselt. Im gleichen Jahr erhält er den Rang eines SS-Untersturmführers. Nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Österreich am 12. März 1938 wird er vorübergehend zum Devisenfahndungsamt 58 nach Feldkirch und noch im gleichen Jahr – ebenfalls vorübergehend – zur Gestapo nach Bad Nauheim abgeordnet. 59 Im Frühjahr 1941 wird er nach Düben in Sachsen kommandiert und dem Ek 9 zugeteilt, mit dem er in der Sowjetunion im Einsatz ist. Das Landgericht Berlin weist ihm später nach, als Führer des Teilkommandos Lepel im Februar 1942 auf Befehl die Erschießung der mindestens 1 100 Juden des dortigen Ghettos organisiert und geleitet zu haben. In einem selbst verfassten Bericht vom 30. März 1944, den er mit der Hoffnung auf ein „Bandenkampfabzeichen“ aufsetzt, gibt Heinz Ta. allerdings noch weitere „Judenaktionen“ seines Teilkommandos an: so in Druja, Braslaw und einem weiteren Ort im Gebietskommissariat Glebokie in Weißrussland. In seinem Bericht hält er für den Sommer 1942 u.a. fest: „[…] wurde die Judenstadt Druja zwecks Aktion umstellt. Es kam zu Feuergefechten mit bewaffneten Juden und in der Stadt versteckten Banditen. Die Stadt ging hierbei in Flammen auf.“ 60 Diese Mordeinsätze bestätigt ein Schreiben des Gebietskommissars Petersen in Glebokie an den Generalkommissar Weißruthenien vom 1. Juli 1942 betreffend „Judenaktion“: „Am 27. Mai 1942“, heißt es dort, „erschien der Untersturmführer Ta. vom SD Lepel, Fpn. 37857, um mit dem Gebietskommissariat bezüglich der im Gebiet vorhandenen Juden in Verbindung zu treten. Er hatte den Auftrag, die Grenze des rückwärtigen Heeresgebietes zu dem von der Zivilverwaltung übernommenen Gebiete zu säubern.“ 61 Es folgt die Aufzählung der in den anschließenden Tagen liquidierten acht Ghettos. Dem Bericht ist auch zu entnehmen, dass seine Zeit als Teilkommandoführer beim Ek 9 nicht bereits im Sommer oder Herbst 1942 endet, wie er

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später in der Bundesrepublik bei einer Vernehmung angibt, sondern dass er mindestens bis zum Januar 1943 andauert. Sein eigenes Schreiben beweist auch, dass er mindestens von Oktober 1943 bis April 1944 die Außenstelle des KdS Lublin in Radzyn leitet. Für den dazwischen liegenden Zeitraum von Januar 1943 bis Oktober 1943 geben die Quellen keine vollständige Auskunft, so dass unklar bleibt, wo er in der gesamten Zwischenzeit eingesetzt ist. Sicher ist, dass Heinz Ta. einen Monat, nämlich von Ende Mai bis Ende Juni 1943, bei der Gestapo in Münster ist. 62 Dass er und seine Ehefrau nach 1945 diesen Zeitraum verlängern, indem sie behaupten, dass er von 1943 bis Juni 1944 oder sogar bis 1945 bei der Gestapo in Münster gewesen sei und während dieser gesamten Zeit auch dort gewohnt habe, ist somit als reine Schutzbehauptung zu bewerten. 63 Weil die Ermittler und das Landgericht Berlin später allerdings seinen falschen biografischen Angaben folgen, sind alle Angaben zu Einsätzen und zum Teil auch zu Einsatzorten zwischen 1943 und Kriegsende, die das Landgericht Berlin später seiner Urteilsfindung zugrunde legt, falsch. Nach seinem Einsatz in Radzyn, der wie beschrieben bis mindestens April 1944 dauert, wird er im Herbst 1944 dem Kommando z.b.V. 27 zugeteilt, das zur Niederschlagung des slowakischen Nationalaufstandes in der Ostslowakei eingesetzt wird. 64 Zur Aufgabe der insgesamt fünf Einsatzkommandos der neu aufgestellten Einsatzgruppe H gehört aber auch, die „Endlösung“ in diesem Gebiet zu Ende zu bringen. Die Männer des Kommandos z.b.V. 27 ermorden mindestens 158 Menschen und deportieren über 110 nach Auschwitz und von dort nach Ravensbrück. 65 Dem Kommando gehört auch Rudolf Th. an. Im März 1945 kommt er nach eigenen Angaben in ein Lazarett nach Dessau. Gemeinsam mit seiner Frau, die seit 1940 als Schreibkraft bei der Gestapo Dessau arbeitet, flüchtet er in das osthessische Hersfeld, wo sie sich am 12. Juni anmelden. 66 Beide bleiben dort zunächst unbehelligt, bis sie im Dezember 1945 von den Amerikanern verhaftet und in das Internierungslager Darmstadt gebracht werden. Während seine Frau in das Internierungslager Ludwigsburg überstellt und im September 1946 freigelassen wird, bleibt Heinz Ta. bis zum Juli 1948 in Internierungshaft. Der Ankläger der Spruchkammer des Internierungslagers Darmstadt verdächtigt ihn, während seiner Zeit bei der Gestapo in Bad Nauheim in einem Dorf in der Region Bad Soden-Salmünster einen Polizeibeamten widerrechtlich festgenommen und zwei Mädchen nach ihrer Festnahme in einen wanzenverseuchten Raum gesperrt zu haben. Der Verdacht kann schließlich nicht erhärtet werden. Am 21. Juni 1948 reiht ihn die Spruchkammer in die Gruppe III der Belasteten ein – der Kläger hatte ursprünglich seine Einstufung als Hauptschuldiger gefordert. 67 Der Spruch wird im Februar 1950 rechtskräftig, nachdem der öffentliche Kläger seine Berufung zurückgezogen hat.

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Heinz Ta. findet erst als Dreher, dann als technischer Angestellter bei der Firma Maschinenbau Kupfermühle in Bad Hersfeld einen Arbeitsplatz. Ermittlungen gegen Heinz Ta. kommen 1962 in Gang, nachdem sein Name im Verfahren gegen den ersten Führer des Ek 9, Dr. Alfred Filbert, vor dem Landgericht Berlin gefallen ist. Am 15. Februar 1965 wird er an seinem Arbeitsplatz verhaftet. Das Landgericht Berlin, vor dem sich im selben Prozess auch Karl Rath zu verantworten hat, verurteilt Heinz Ta. am 6. Mai 1966 wegen Beihilfe zum Mord im Fall der Tötung der Ghettobewohner in Lepel zu einer Zuchthausstrafe von sechs Jahren. Wegen der Beteiligung an weiteren Aktionen gegen Juden, die Heinz Ta. in dem oben genannten Dokument von 1944 selbst erwähnt, steht er nie vor Gericht. 68 Auch sein Einsatz in der Slowakei ist nie Gegenstand eines Gerichtsverfahrens. Nach seiner Entlassung auf Bewährung im September 1969 arbeitet Heinz Ta. bis zu seinem Ruhestand 1976 als Monteur bei seinem ehemaligen Arbeitgeber in Bad Hersfeld. Heinz Ta. stirbt am 28. März 1999 in Bad Hersfeld.

16. Rudolf Th. Rudolf Th. wird am 26. Dezember 1913 in Marienberg als Sohn eines Elektrikers geboren. 69 Er besucht die Volks- und Mittelschule und absolviert eine kaufmännische Ausbildung, auf die zwei Jahre Militärdienst bei der tschechischen Armee folgen. Anschließend arbeitet er als Verkäufer in einem Textilgeschäft. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen 1939 geht er zur Grenzpolizei, die zur Gestapo gehört. Im August 1939 kommt er über Troppau nach Wien, wo er einem Einsatzkommando für den Einsatz in Polen zugeteilt wird. Danach gehört er der Dienststelle des KdS in Lublin an, von wo aus er Anfang 1940 zum Grenzpolizeikommissariat in Chelm (Cheđm) abgeordnet wird. Nach einem Ausbruchversuch von ca. 300 Häftlingen aus dem Lager Sobibor am 14. Oktober 1943 stellt das Grenzkommissariat Chelm ein Einsatzkommando zusammen, dem auch Rudolf Th. angehört. Dieses Kommando durchkämmt am 15. und 16. Oktober 1943 das Lager und erschießt hunderte Häftlinge. 70 Im November 1943 wird Rudolf Th. einem Teilkommando des Sk 1005 in Chelm zugeteilt, das die Massengräber im nahe gelegenen Wald Borek beseitigen soll. Aber auch Juden, die zuvor in Gaswagen getötet worden waren, müssen die jüdischen Häftlinge des Kommandos verbrennen. Im Januar 1944 erschießt Rudolf Th. einen alten Mann und eine Frau, die er zu diesem Zweck in das Lager der Sk 1005 gebracht hatte. Als in der Nacht von 23. auf den 24. Februar 1944 schätzungsweise 33 jüdischen Häftlingen des Kommandos aus ihrem Erdbunker die Flucht gelingt, werden daraufhin mindestens 24 Häftlinge, die

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nicht flüchten konnten, von Rudolf Th. und seinen Kollegen erschossen. Im Zusammenhang mit dem slowakischen Volksaufstand kommt Rudolf Th. 1944 mit dem Kommando z.b.V. 27 in die Ostslowakei. Bei derselben Einheit ist auch Heinz Ta. eingesetzt. Auf das Konto dieses Kommandos gehen mindestens 158 ermordete Menschen und über 110 über Auschwitz nach Ravensbrück Deportierte. 71 Denn auch für dieses Kommando galt wie für alle Einheiten der in der Slowakei eingesetzten Einsatzgruppe H der Befehl, nicht nur den Aufstand niederzuschlagen, sondern auch die „Endlösung“ in diesem Gebiet zu Ende zu bringen. 72 Wegen seiner Tätigkeiten in Cholm und in der Slowakei befindet sich Rudolf Th.s Name auch auf der UNKriegsverbrecherliste. Bei Kriegsende kommt Rudolf Th. in russische Gefangenschaft, aus der er nach eigenen Angaben noch im September 1945 entlassen wird. Er begibt sich nach Wien, wo eine Tante lebt, und nimmt Gelegenheitsarbeiten bei der amerikanischen und russischen Besatzungsmacht an. Als er 1946 erfährt, dass seine Mutter mittlerweile im süddeutschen Kupferzell (Kreis Öhringen) wohnt, zieht er ebenfalls dorthin. Gegenüber der Spruchkammer Öhringen verschweigt er seine wahren Tätigkeiten während der NS-Zeit, und das Verfahren gegen ihn wird aufgrund der im Februar 1947 beschlossenen Weihnachtsamnestie am 16. Mai 1947 eingestellt. Um Wiedereinstellung bei der Kriminalpolizei bemüht er sich wegen seiner Gestapo-Zugehörigkeit und aus Furcht davor, dass seine wahre Vergangenheit bekannt werden könnte, nicht. In Öhringen erhält er nach Gelegenheitsarbeiten eine Anstellung als Kaufmann bei der Obst- und Gemüseverwertung Hohenlohe-Franken. Später steigt er zum Versandleiter und Leiter der Produktionsüberwachung auf. Seiner Frau, die er 1954 heiratet, erzählt er nichts von seinen wahren Tätigkeiten und Einsätzen während der NS-Zeit. Auch in seiner neuen Heimat Öhringen ist nichts über seine Vergangenheit bekannt, bis er am 2. November 1960 aufgrund von Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bielefeld zu den Vorgängen in Cholm an seiner Arbeitsstelle festgenommen wird. Als der Haftbefehl gegen ihn am 20. Juli 1962 unter Auflagen außer Vollzug gesetzt wird, kann Rudolf Th. wieder bei seinem alten Arbeitgeber im Versandbüro arbeiten. Das Landgericht Heilbronn, an das der Fall übergeben worden war, verurteilt Rudolf Th. am 14. Mai 1963 nach Aufhebung des ersten Urteils vom 22. Mai 1962 durch den BGH wegen Beihilfe zum Mord zu vier Jahren Zuchthaus. Nach seiner bedingten Entlassung aus der Haft am 1. September 1965 arbeitet Rudolf Th. wieder als Versandleiter bei seiner alten Firma, der nunmehrigen Naturella Südsaft AG. Wegen seiner Tätigkeiten in der Slowakei beim Kommando z.b.V. 27 muss er sich – wie auch Heinz Ta. – nie vor einem Gericht verantworten, obwohl er auch wegen des Einsatzes in der Slowakei auf der UN-Kriegs-

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verbrecherliste geführt wird. Rudolf Th. stirbt am 14. November 1978 in Öhringen.

17. Richard W. Richard W. wird am 19. Mai 1906 in Angerburg in Ostpreußen als viertes Kind eines Taubstummenlehrers geboren. 73 Er wächst in Tilsit auf, verlässt im Alter von 17 Jahren das Realgymnasium und beginnt eine Ausbildung zum Autoschlosser, die er 1927 abschließt. Zunächst arbeitet er als Automonteur in Tilsit, schreibt sich aber Ende 1928 bei der Gewerbehochschule in Köthen ein, um Maschinenbau zu studieren. Nach sechs Semestern bricht er 1931 das Studium angeblich wegen finanzieller Schwierigkeiten ab und arbeitet daraufhin erst einige Monate bei einem Bauern und danach als angestellter Fahrlehrer. Der Versuch, sich in diesem Beruf selbständig zu machen, scheitert bereits nach einem Jahr. Richard W. – seit 1933 Mitglied der SS – bewirbt sich bei der Gestapo Tilsit und wird dort 1936 als Kraftfahrer eingestellt. Ein Jahr später leitet er, der inzwischen auch der NSDAP beigetreten ist, die Kraftfahrbereitschaft seiner Dienststelle. Aber auch er wird im Kriminaldienst ausgebildet und bei politischen Ermittlungen eingesetzt. Ab 1938 will er allerdings nur noch als technischer Beamter eingesetzt worden sein, der für die Kraftfahrzeuge, Waffen und Munition verantwortlich war sowie Schießübungen und Sportkurse leitete. Im gleichen Jahr nimmt er als Angehöriger eines Einsatzkommandos am Einmarsch ins Sudetenland und 1939 beim Einmarsch in Polen teil, nach eigenen Angaben als technischer Beamter. Er bestreitet später, dass sein Einsatzkommando in Polen an Erschießungen beteiligt war. Im Sommer 1940 wird SS-Untersturmführer Richard W. nach eigenen Angaben als Verbindungsoffizier von Tilsit nach Angerburg zu einer Gruppe von geflohenen litauischen Generälen und Regierungsmitgliedern abgestellt. Anschließend kommt Richard W. wieder zu seiner Dienststelle und nimmt als Angehöriger der Stapo-Stelle Tilsit im Zeitraum von Juni bis August 1941 an mindestens vier Massenerschießungen von Juden in Litauen teil: Er stellt Fahrzeuge, Munition und Waffen bereit, gibt Nachschüsse an den Erschießungsgruben auf die Opfer ab, leitet Erschießungen und schlägt in einem Fall mit einem Stock auf die Opfer ein. Im September 1942 wird Richard W. zunächst zu einer Dienststelle der Sipo in Krasnogwardeisk und von dort nach Riga abkommandiert. Mit einem Einsatzkommando kommt er im Oktober 1942 zur Dienststelle des KdS Minsk, wo er ein gutes Verhältnis zu SS-Hauptsturmführer Georg Heuser pflegt, der bei der Dienststelle die Abteilung Gestapo leitet. Während seiner Zeit beim KdS in Minsk ist er ebenfalls an Erschießungen beteiligt, nimmt an einer Räumung des Minsker Ghettos teil, bei der 9 000 Men-

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schen umgebracht werden und ist an der Räumung des Ghettos in Sluzk am 8. und 9. Februar 1943 beteiligt, bei der 1 600 Juden erschossen werden. Für seine Tätigkeiten während seiner Zeit in Minsk werden ihm 1943 das Eiserne Kreuz II. Klasse, das Kriegsverdienstkreuz II. Klasse mit Schwertern und die Tapferkeitsauszeichnung für Ostvölker in Silber verliehen. Im November 1943 kehrt er nach Tilsit zurück und besteht an der Reichsschule in Prag die Eignungsprüfung für den gehobenen Verwaltungsdienst. Anschließend wird er als Leiter der Fahrzeugstaffeln bei der Stapo-Stelle in Frankfurt am Main, beim RSHA in Berlin und in München eingesetzt. Auf dem Weg mit einem Reparaturzug nach Italien gerät er am 20. April 1945 bei Zell am See in amerikanische Gefangenschaft und wird wegen seiner Gestapozugehörigkeit am 26. Juni 1945 interniert. Noch vor seiner Entlassung im Juli 1947 wird seinen eigenen Angaben zufolge im Internierungslager Moosburg ein Spruchgerichtsverfahren gegen ihn eröffnet, das allerdings aufgrund der Mitte 1947 in Kraft tretenden Weihnachtsamnestie eingestellt wird. 74 1950 oder 1951 meldet Wichert Ansprüche nach Artikel 131 GG in Sulzbach-Rosenberg an, wird aber mangels Planstelle abgewiesen. Seinen Antrag auf Wiedereinstellung zieht er später zurück. Arbeit findet er bis Mitte 1951 als Hilfsarbeiter in einem Betonwerk bei Sulzbach-Rosenberg, danach als Automonteur bei der Firma Gutbrod in Calw. Nachdem er mit seiner Familie nach Stammheim umgezogen ist, arbeitet er ab 1954 als Zeichnungskontrolleur bei der Firma Kiefer in Gärtringen, bis er 1957 bei der Firma Daimler-Benz AG im Werk Sindelfingen als technischer Angestellter im Stücklistenbüro eingestellt wird. In seinen Bewerbungsunterlagen gibt er wahrheitswidrig an, während des Krieges eine technische Einheit geführt zu haben. In seinem Wohnort Stammheim ist er als Jäger und als Trainer beim TV Calw und beim VfL Stammheim sozial integriert und etabliert. Im sogenannten Ulmer Einsatzgruppenverfahren gegen führende Angehörige des Ek Stapo und SD Tilsit fällt in Zeugenaussagen allerdings auch sein Name, woraufhin die Staatsanwaltschaft Ulm am 28. Oktober 1959 Strafanzeige gegen ihn erlässt. Gleichzeitig ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz im Rahmen des Komplexes KdS/BdS Minsk gegen ihn wegen der Beteiligung an Erschießungen in Minsk. Am 2. Dezember 1959 wird Richard W. an seinem Arbeitsplatz verhaftet und vom Landgericht Tübingen am 10. Mai 1961 wegen vier Verbrechen der Beihilfe zum Mord in 716 Fällen zu vier Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt. Die Staatsanwaltschaft Koblenz stellt ihr Verfahren gegen Richard W. im Dezember 1970 ein. Er stirbt am 4. März 1978 in Stammheim.

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18. Heinrich Win. Heinrich Win. wird am 1. Juni 1912 in Kempten als Sohn eines Stabszahlmeisters geboren. 75 Er wächst in München auf und beginnt nach dem Abitur ein Jurastudium, das er allerdings nach zwei Semestern abbricht, als sein Vater stirbt. In einem Chemiewerk in Starnberg fängt er 1932 eine Lehre an und steigt bis zum Betriebsleiter auf. 1933 tritt er in die SS ein und schließt sich 1934 für einige Monate dem SS-Reitersturm Starnberg an. Von seinem Posten im Chemiewerk wechselt Heinrich Win. 1936 in die SSGrenzüberwachung und wird 1937 – nunmehr Mitglied in der NSDAP – als Beamtenanwärter von der Grenzpolizei übernommen. Nach CIA-Angaben 76 gehört Heinrich Win. 1939 der Einsatzgruppe z.b.V. unter dem Oberkommando des SS-Obergruppenführers Udo von Woyrsch an, die auf Befehl Himmlers vom 3. September 1939 im oberschlesischen Industrierevier den „aufflackernden Polenaufstand“ radikal „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“ 77 niederschlagen soll. Die Folge waren zahlreiche Massenerschießungen, vor allem von Juden. Nachdem er Anfang 1940 zum Hilfskriminalkommissar ernannt worden ist, kommt er als Anwärter des leitenden Dienstes, der beim SD Berlin eingesetzt ist, doch noch zu seinem Jurastudium. Im Mai 1941 wird er im Rang eines SS-Obersturmführers nach Pretzsch abgeordnet und dem Sk 11b zugeteilt. Heinrich Win. gehört dem Kommando als Führerdienstgrad an. In seinem späteren Prozess vor dem Landgericht München kann man ihm eindeutig nur noch die Beteiligung als Schütze an einer Erschießung von mindestens 40 jüdischen Männern, Frauen und Kindern in Tighina im August 1941 nachweisen (das Schwurgericht folgt nicht der „Ereignismeldung“ Nr. 45, die von 115 erschossenen Juden berichtet). Der in der Anklage erhobene begründete Verdacht, Heinrich Win. habe auf Befehl von Kommandoführer Bruno Müller im Oktober 1941 in Odessa die Erschießung von 500 Juden als Reaktion auf den Sprengstoffanschlag auf das Gebäude der rumänischen Stadtkommandantur organisiert, kann später vor Gericht nicht eindeutig erhärtet werden, weshalb das Gericht zugunsten des Angeklagten entscheidet. Nach seiner Rückkehr im Oktober 1941 setzt er sein Studium fort und arbeitet von August 1944 bis Kriegsende im Reichsfinanzministerium als persönlicher Referent des Generalinspekteurs des Zollgrenzschutzes, zuletzt als Regierungsassessor. Bei Kriegsende wird er in Gmunden in Österreich interniert, kehrt aber bereits 1945 nach München zurück, wo er eine Beschäftigung in der Verwaltung des US-Hauptquartiers findet. Weil er im großen Fragebogen im Januar 1946 falsche Angaben gemacht hat, was zu seiner Anstellung als Buchhalter bei der US-Armee führte, und seinen Meldebogen im April 1946 ebenfalls mit Falschangaben bestückt, wird Heinrich Win. am 18. Januar 1948 auf Beschluss der Spruchkammer X München inhaftiert.

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Obwohl der öffentliche Kläger beantragt, Heinrich Win. in die Gruppe I der Hauptschuldigen einzureihen, entscheidet die Spruchkammer am 22. Februar 1949, ihn als Mitläufer einzuordnen, weil man seinen Lügen und vor allem den vorgelegten eidesstattlichen Erklärungen Glauben schenkt. Seinen beruflichen Wiedereinstieg findet Heinrich Win. danach in der Wirtschaft: zunächst als Geschäftsführer des Verbandes des Garngroßhandels Süd mit Sitz in München, ab 1952 dann als juristischer Mitarbeiter bei einem Wirtschaftsprüfer sowie in einem Unternehmen. 1963 macht er sich als Wirtschaftsjurist selbständig und eröffnet 1967 eine eigene Kanzlei als Vermögensverwalter. Zwischenzeitlich wird er mit seiner NS-Vergangenheit konfrontiert: 1963 und 1966 lässt ihn die Staatsanwaltschaft beim Landgericht München I, die gegen Angehörige der Sonderkommandos 11a und 11b ermittelt, als ehemaligen Angehörigen des Sk 11b zur Sache vernehmen. Erst am 12. Mai 1971 ergeht Haftbefehl gegen Heinrich Win.; knapp zwei Wochen später wird er festgenommen, aber nach zehn Tagen Untersuchungshaft gegen Kaution wieder freigelassen. Wegen Beihilfe zum Mord in 40 Fällen verurteilt ihn das Landgericht München I am 29. März 1974 zu drei Jahren Gefängnis. Heinrich Win. stirbt am 1. Juni 1996 in München.

19. Fritz Zi. Fritz Zi. wird am 24. August 1902 im preußischen Schneidemühl als Sohn eines Zugführers der Reichsbahn geboren. 78 Sein Abitur besteht er 1921 in Stargad, wohin die Familie 1919 aus Posen gezogen war. Danach studiert er in Greifswald Jura und Volkswirtschaft, bis er nach sechs Semestern sein Studium abbricht, sich dem Journalismus zuwendet und 1925 als Werksstudent nach Gießen geht. Politisch verschreibt er sich bereits seit 1919 zuerst nationalem, dann nationalsozialistischem Gedankengut. Während seiner Zeit in Stargard engagiert er sich im Grenzschutz Baltikum-Oberschlesien, ab 1923 ist er für die nationalsozialistische Bewegung tätig: Einen ersten Versuch, der NSDAP beizutreten, muss er bereits 1923 unternommen haben. Im März 1924 fungiert er im Vorfeld der Reichstagswahl im Mai als Vertreter des Gaugeschäftsführers von Stettin. Im Herbst 1924 wird er auf Empfehlung des Landtagsabgeordneten Wilhelm Kube, des späteren Generalkommissars für Weißruthenien, Geschäftsführer der Gauleitung Schleswig-Holstein der Nationalsozialistischen Freiheitspartei. Hinter diesem Namen verbarg sich eine Fraktionsgemeinschaft von Deutschvölkischer Freiheitspartei (DVFP) und NSDAP, auf die sich die jeweiligen Funktionäre nach dem Verbot der NSDAP vor der Reichstagswahl vom 4. Mai 1924 geeinigt hatten. Als die NSDAP 1925 wieder zugelassen wird, tritt ihr Fritz Zi. im Juli bei und baut die norddeutsche Parteizeitung Norddeutscher Beobachter, die

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zeitweise in Greifswald gedruckt wird, mit auf. Er arbeitet anschließend als Werksstudent in Gießen, Wetzlar und bei einer Zeitung in Stargard, bevor er 1929 nach Berlin geht. Durch den Kontakt zum dortigen Gaugeschäftsführer ist er schon bald als Gauredner, dann als Reichsredner und Reichsbetriebszellenredner für die NSDAP unterwegs. 1930 wechselt er in die Berliner Schriftleitung der Schlesischen Zeitung und von dort direkt zum Angriff, wo er im Impressum als Verantwortlicher für den Bereich Wirtschaft genannt wird. Hier bleibt er – abgesehen von einer dreimonatigen Zwischenzeit bei der parteiamtlichen Schleswig-Holsteinischen Tageszeitung –, bis er am 1. Juli 1932 seinen Posten räumen muss: Er hatte sich, wie Goebbels in seinem Tagebuch festhält, an der Portokasse vergriffen.79 Seit März 1932 gehörte Fritz Zi. daneben dem preußischen Landtag als Abgeordneter an. Ende des Jahres erhält er die Stelle des Hauptschriftleiters der neu gegründeten parteiamtlichen Ostfriesischen Tageszeitung. Mit der Machtübernahme Hitlers geht Fritz Zi. als Referent zum SS-Sonderkommando Henze nach Berlin, bevor er von 1934 bis 1938 am Aufbau des Presseapparates des Landesbauernverbandes Kurmark und des Landesbauernverbandes in Bayern mitarbeitet. Die Reichspresseschule bemüht sich 1937, Fritz Zi. als Dozenten für den Fachbereich Innenpolitik zu verpflichten und führt seinen Namen im Planstellenverzeichnis für 1937 auch auf. Doch Fritz Zi. tritt diese Stelle nie an, auch wenn er nach Kriegsende immer wieder behauptet, als Dozent der Reichspresseschule gearbeitet zu haben. 80 1938 wechselt er als Schriftleiter zum Nachrichtendienst Transocean in Berlin. Staatlich finanziert und dem neu geschaffenen Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unterstellt, wurden hier Nachrichten aus eigenen europäischen Dependancen gesammelt und nach Übersee verbreitet. 81 Fritz Zi. wird seit 1937 als Führer im SD-Hauptamt geführt und liefert offensichtlich Nachrichten von seiner Arbeit bei Transocean an den SD. Nach eigenen Angaben will er später dem Amt VI des RSHA zugeordnet gewesen sein. 1941 taucht Fritz Zi. dann in Budapest auf, später in Bukarest – zunächst wahrscheinlich im Auftrag von Transocean, später sehr wahrscheinlich im Auftrag des SD. Er selbst gibt später an, im Oktober 1942 zur Wehrmacht eingezogen worden zu sein. Es erscheint höchst unglaubwürdig, dass Fritz Zi. zur Wehrmacht eingezogen wurde, wenn man seinen früheren als auch seinen späteren Lebenslauf betrachtet. Möglich ist, dass er der SS-Standarte Kurt Eggers angehört hat. Fest steht, dass er Kontakt mit der Einsatzgruppe D hat. 82 Sicher ist auch, dass er Anfang 1943 zur Einsatzgruppe C nach Kiew befohlen wird. Von dort will er zunächst nach Czernigow, dann nach Smolensk gekommen sein. Seine Aufgaben an seinen Einsatzorten lassen sich nicht nachvollziehen. Nach eigenen Angaben will er in Czernigow mit „einer Presseaufgabe“ betraut und als Sachbearbeiter beim Drahtfunk ein-

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gesetzt worden sein und in Smolensk als Verbindungsführer zu einer Wehrmachtsdienststelle in Sachen Wirtschaft gedient haben. Als alter Parteigenosse – er ist mittlerweile Träger des Goldenen Parteiabzeichens und des Silbernen Gau-Ehrenzeichens Berlin – wird er im Sommer 1943 auf Vorschlag von SS-Sturmbannführer Hans Friedrich Sohns Teilkommandoführer des Sk 1005b. Bis Januar 1944 ist das Kommando unter Fritz Zi.s Führung hauptsächlich in Nikolajew eingesetzt, und Fritz Zi. ist es, der die Erschießung der zu den Enterdungsarbeiten eingesetzten Häftlinge anordnet. Seinen Untergebenen gegenüber tritt Fritz Zi. forsch auf, versteht es allerdings, sich selbst ein möglichst angenehmes Leben vor Ort zu verschaffen. Dazu gehört, dass er Ware, die zur Verpflegung des Kommandos gedacht ist, für eigene Zwecke unterschlägt und nach Hause schickt. Es sind Angehörige des Kommandos, die diese Unregelmäßigkeiten bei der Verteilung der Verpflegung schließlich anzeigen, was dazu führt, dass Fritz Zi. nach dem Abzug des Sk 1005b nach Lemberg und anschließendem Sonderurlaub in Zakopane als Führer des Teilkommandos abgelöst wird. Sein Nachfolger wird Walter He. Mit Wirkung vom 1. Dezember 1944 wird er zum Kommando z.b.V. 15 in die Slowakei kommandiert, wo er auch den Führer des Ek 14, Georg Heuser, trifft. Als fünfte Einheit der Einsatzgruppe H war das Kommando 15 Anfang November mit Stab in Nitra eingerichtet worden. Fritz Zi. kommt also zu einem Zeitpunkt in die Slowakei, als der slowakische Volksaufstand bereits niedergeschlagen ist, die zweite Aufgabe der Einheit der EG H aber noch läuft: Der Abschluss der „Endlösung“. Zu den Stützpunkten dieser Einheit gehören zu diesem Zeitpunkt auch das Konzentrationslager Sered sowie Zlaté Moravce. Der letztgenannte wurde vermutlich von Zi. geleitet. Im Februar 1945 wird diese Einheit aufgelöst. 83 Bei Kriegsende gelangt Fritz Zi. auf ungeklärtem Weg nach Österreich, wo er mit gefälschten Papieren in britische Gefangenschaft gerät. Er ist in den Lagern Rimini, Ancona sowie in einem Lager bei Tarent interniert, wo er Harder und Walter He. wieder trifft. Im April 1946 kommt er in das Internierungslager Munsterlager in Norddeutschland und wird ein Jahr später nach eigenen Angaben aus dem Lazarett Fehlen (Kreis Borken) nach Kiel entlassen, wo er bei seiner Tante unterkommt. Seine in Berlin lebende Ehefrau hatte sich und die gemeinsame Tochter beim Einmarsch der russischen Truppen erschossen. Ursprünglich hatten beide Ehepartner den Selbstmord abgesprochen für den Fall, dass Deutschland den Krieg verlieren sollte. Aufgrund des politischen Fragebogens, den Fritz Zi. im Juni 1947 in Kiel falsch ausfüllt, aber dennoch seine journalistischen Tätigkeiten angibt, verweigert ihm der Entnazifizierungsausschuss in Kiel, wieder als Lektor tätig zu werden. Der Entnazifzierungshauptausschuss Kiel stellt wegen Ungereimtheiten in Fritz Zi.s Lebenslauf und wegen schwerer Anschuldigungen, die seine Schwägerin gegen ihn erhebt, umfangreiche

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PROSOPOGRAPHISCHER ANHANG

Nachforschungen an. Unterdessen ermittelt auch das Spruchgericht Recklinghausen gegen Fritz Zi.84 Das Spruchgericht Hamburg-Bergedorf, das die von der Spruchkammer Recklinghausen eingeleiteten Ermittlungen gegen Fritz Zi. bei dessen Wohnungswechsel nach Hamburg übernimmt, verurteilt ihn am 2. April 1949 wegen Mitgliedschaft in SD und SS zu einer Geldstrafe von insgesamt 1 000 DM; die Strafe gilt wegen seiner Internierungshaft allerdings als verbüßt. 85 Der Entnazifizierungsausschuss Kiel reiht ihn als aktiven Nazionalsozialisten am 13. September 1949 in die Kategorie III der Belasteten ein. Auf Antrag Fritz Zi.s erfolgt jedoch einen Monat später seine Umstufung in die Kategorie IV; im Januar 1951 wird er in die Gruppe V der Entlasteten umgestuft. Zwischenzeitlich hatte Fritz Zi. ein zweites Mal geheiratet und seinen Wohnsitz im November 1949 nach Hamburg verlegt. Offiziell gibt er an, wieder journalistisch tätig zu sein; tatsächlich aber ist er geheimdienstlich tätigt – in den 1950er Jahren ist sein Arbeitgeber sehr wahrscheinlich der britische Geheimdienst. Dem OSS (Office of Strategic Services) ist seine frühere SD-Zugehörigkeit seit April 1945 bekannt. Zudem sagt ein ehemaliger Untergebener des SK 1005b im Oktober 1945 gegenüber den Amerikanern in Dachau über Fritz Zi. aus und liefert eine präzise Personenbeschreibung. Bei der CIA wird eine Akte Fritz Zi. angelegt, und spätestens 1951 kommt er in das Blickfeld der Amerikaner – als jemand, der unter anderem freundschaftliche Kontakte zu Personen der Strasserbewegung, der „Bruderschaft“, des antisozialistischen „Bund für Freiheit“ und der DSP unterhält. Zum Komplex Sk 1005 wird Fritz Zi. erstmals 1961 als Zeuge von der Staatsanwaltschaft Hamburg vernommen. Im Prozess vor dem Landgericht Stuttgart aber, der im Dezember 1968 gegen vier führende Angehörige des Sk 1005b, unter ihnen auch Walter He., beginnt, ist er einer der Angeklagten. Das Landgericht Stuttgart verurteilt Fritz Zi. am 13. März 1969 wegen Beihilfe zum Mord an mindestens 30 Menschen zu zweieinhalb Jahren Zuchthausstrafe. Durch Urteil des BGH vom 17. August 1971 wird die Zuchthaus- in eine Freiheitsstrafe umgewandelt. Fritz Zi. stirbt am 28. September 1972 in Hamburg.

Anmerkungen Einleitung 1

Aus dem Urteil des LG Koblenz v. 21.5.1963, in: Justiz und NS-Vebrechen, Lfd. Nr. 552. 2 Vgl. Paul, Selbstmord. 3 Vgl. Herbert, Best. 4 Vgl. Matthäus, Heuser. 5 Orth, S. 56. 6 Vgl. Brunner, Lebenswege. 7 Herbert, NS-Eliten, S. 109. 8 Banach, S. 334. 9 Vgl. Cüppers, Wegbereiter. 10 Vgl. Steinacher. 11 Vgl. Mallmann/Paul (Hg.), Karrieren der Gewalt. 12 Mallmann/Paul, Sozialisation, S. 20. 13 Vgl. Wildt, Generation. 14 Vgl. Hölzl. 15 Vgl. Berghoff/Rauh-Kühne, Fritz K. 16 Vgl. Herbert, Best. Thomas Kühne warf Herbert vor, der Selbstdarstellung Bests aufgesessen zu sein und es versäumt zu haben, den „Menschen“ Best herausgearbeitet zu haben. Vgl. Kühne, Vernichtungskrieg, bes. S. 618. Zur Reetablierung und der Netzwerkarbeit der NS-Eliten vgl. Herbert, Eliten. 17 Vgl. Hachmeister, Rolle. 18 Vgl. Paul, Selbstmord. 19 Vgl. Fait. 20 Lübbe, bes. S. 311f. 21 Vgl. Schenk. 22 Vgl. Ruck. 23 Vgl. Wagner, Resozialisierung. 24 Vgl. Noethen. 25 Angrick, Besatzungspolitik. Zusammengesetztes Zitat der Seiten 726 und 727. 26 Mallmann/Angrick, Mörder, S. 39. 27 Vgl. Link, Stammtisch-Geschichte. 28 Vgl. Kühne, Vernichtungskrieg. 29 Vgl. Gerhard Paul, Psychopathen. 30 Vgl. Mallmann/Paul, Sozialisation. 31 Vgl. Smelser/Syring (Hg.). Die Nachkriegslebensläufe sind hier, wenn überhaupt, eher Randbemerkungen. 32 Mit Bild- und Textdokumenten machte der Band Deutscher Osten 1939–1945 einer breiten Leserschaft Material zum Vernichtungskrieg und seinen Akteuren einsehbar. Vgl. Mallmann/Ries/Pyta (Hg.).

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Vgl. Klein (Hg.). Vgl. Tönsmeyer. 35 Vgl. Kwiet, Mord. 36 Vgl. Mallmann, Menschenjagd; ders., Krieg. 37 Vgl. Weitbrecht. 38 Vgl. Mallmann/Böhler/Matthäus (Hg.), Einsatzgruppen. 39 Vgl. Mđynarczyk. 40 Vgl. Matthäus, Grenze; ders., Welle. Zu Litauen siehe auch Benz/Neiss (Hg.), Judenmord, und Bartuseviìius/Tauber/Wette (Hg.). 41 Vgl. Gerlach, Morde. 42 Vgl. Klemp, Polizeibataillone; ders., Polizeibataillone Osteuropa. 43 Vgl. Angrick/Voigt/Ammerschubert/Klein, „Tagebuch“. 44 Vgl. Mallmann, „Genickschuss“. 45 Vgl. Heer, Zonen. 46 Vgl. Browning, Männer; Goldhagen. 47 Zusammenfassend vgl.: Heyl; Schneider; Heil Erb (Hg.); siehe auch die Reaktion Brownings, Debatte; polemisch: Kautz. 48 Vgl. Reemtsma. 49 Zimbardo, S. 310ff. 50 Vgl. Welzer, Massenmord; ders., Täter. 51 Vgl. Pohl, Gewalt. 52 Mallmann/Paul, Sozialisation, S. 2. 53 Vgl. Kaiser (Hg.). 54 Vgl. Knoch (Hg.), Gewalt. 55 Vgl. Matthäus/Kwiet/Förster/Breitman (Hg.), Ausbildungsziel, bes. den Beitrag von Matthäus, „Judenfrage“. 56 Wildt, Generation, S. 23. 57 Paul, Psychopathen, S. 64. 58 Mallmann/Paul, Sozialisation, S. 18. 59 Vgl. Knoch, Editorial, in: ders. (Hg.), Gewalt, S. 14. 60 Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik. 61 Vollnhals. 62 Vgl. Henke/Woller (Hg.), Säuberung. Für die Zeit danach wäre noch Schuster zu nennen. 63 Vgl. Frei, Problem; ders., Vergangenheitspolitik; Berghoff, Verdrängung; Garbe, Abkehr; Steinbach, Gewaltverbrechen; Doering-Manteuffel, Entwicklungslinien. 64 Vgl. Schildt, Abendland. 65 Vgl. Herbert (Hg.), Wandlungsprozesse. 66 Vgl. Schildt/Siegfried/Lammers (Hg.), Zeiten. 67 Vgl. Frese/Paulus/Teppe (Hg.). 68 Einen bibliografischen Überblick bietet Pollmann; vgl. ebenso Kruse, NS-Prozesse; ders., Maß; Ducklau, Befehlsproblematik; Bernd Hey. 69 Vgl. u.a. Jasper; sehr juristisch geprägt: Redaktion Kritische Justiz (Hg.), Aufarbeitung; Steinbach, Gewaltverbrechen; Greve; Steinbach, NS-Prozesse; Adalbert Rückerl, Strafverfolgung; ders. (Hg.), NS-Prozesse. 70 Vgl. Nehmer. 71 Vgl. Freudiger, juristische Aufarbeitung; dies., blockierte Aufarbeitung. 72 Vgl. Lichtenstein. 34

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Vgl. Okroy. Vgl. Weinke, Verfolgung. 75 Vgl. dies., Gesellschaft. 76 Vgl. Leide. 77 Vgl. von Miquel. 78 Vgl. Wolfrum, „Geschichtsbild“. 79 Vgl. Wagner, Resozialisierung. 80 Vgl. Brunner, Lebenswege. 81 Vgl. Kwiet, Tätern. 82 Vgl. Paul, Psychopathen. 83 Vgl. Lehmann. 84 Zu den Kommentaren in den Ermittlungsakten im Verfahren gegen Heuser u.A. vgl. Matthäus, Kameraden. 74

Die Täter 1 Die Daten sind entnommen aus: Kruse, NS-Prozesse. Kruse stellt besonders KZProzesse Einsatzgruppenprozessen gegenüber. 2 Die Daten sind ebd. entnommen. 3 Kruse, Maß.

Rückkehr in die westdeutsche Gesellschaft nach Kriegsende 1

Radioansprache von Thomas Mann im November 1941, in: ders., Welt, S. 512. Ebenso Kwiet, der darauf verweist, dass die Täter spätestens, seit 1943 die ersten Kriegsverbrecherprozesse in der Sowjetunion stattgefunden hatten, wussten, was sie zu erwarten hatten. Auch er vermutet bei ihnen bei Kriegsende weniger Schuldgefühle als vielmehr Angst vor Bestrafung und Bestürzung angesichts der Niederlage. Vgl. Kwiet, Tätern, S. 117. Vgl. dazu auch die Beiträge in Volkmann (Hg.). 3 Vgl. Aussage Fritz Zi. vor dem LG Stuttgart – BAL, B 162/18080, Tonbandprotokolle Bd. 6, Bl. 1. 4 Zum „automatical arrest“ vgl. Schuster. 5 Stephan Link geht beispielsweise der Frage nach, welche Stäbe sich wie und wohin absetzten, Gerhard Paul beschreibt die Anlaufstelle Flensburg für hohe SD-Funktionäre. Vgl. Link, „Festung“; Paul, Schleswig-Holstein, S. 356. 6 Die Tatsache, dass Rudolf Schl. nicht nur private Hilfsarbeiten verrichtete, sondern später auch noch in der örtlichen Ziegelei arbeitete, bot die Möglichkeit, eventuell mehr über dieses Arbeitsverhältnis und die Frage nach dem Zusammenwirken von eigener Strategie und dem Verhalten des sozialen Umfeldes zu erfahren. Eine Anfrage an die einzige Ziegelei in Neumarkt-Sankt Veit blieb allerdings unbeantwortet. 7 Vermerk im Ministerium des Inneren in Mainz v. 11.9.1959 – LHAK, 880, Nr. 13454, o.P. 8 Aussage Georg Heuser v. 27.11.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8473, Bl. 1254. Das Verhältnis Heusers zu der Reichsbahnangestellten war unter den Angehörigen der Dienststelle des KdS Minsk bekannt: Aussage des Zeugen Julius G. v. 6.1.1962 – LHAK, 584,1, Nr. 8529, Bl. 9813. 9 Standesamt Prag an RuS-Hauptamt v. 22.9.1943 – BAB, RS D 5275, Nr. 2066. 10 Vgl. Jugendpsychiatrisches Institut der Stadt Essen an LG Essen v. 13.6.1966 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1092, Bl. 208. Wie im Fall Rudolf Schl.s waren keine 2

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weiteren Informationen über dieses erste Arbeitsverhältnis zu erfahren, diesmal, weil die in den Quellen nicht mit Namen genannte Fabrik trotz intensiver Recherche nicht gefunden werden konnte. 11 Zum Untertauchen unter falschem Namen siehe Frei, Identitätswechsel. 12 Vernehmung Karl Rath v. 13.1.1960 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 8, Bl. 59. 13 Zur Bedeutung der Währungsreform in erfahrungsgeschichtlicher Perspektive vgl. Niethammer, Privat-Wirtschaft, S. 79–82. 14 Aussage Gerhard S. v. 4.3.1960 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 6, Bl. 14. 15 Nachrichtenstelle der Polizei Osterholz an den Niedersächsischen Minister des Innern, das Landeskriminalpolizeiamt Niedersachsen und den Regierungspräsidenten v. 18.5.1962 – LAB, B Rep. 58, Nr. 7090, Bd. 35, Bl.80–82, hier: Bl. 81. Das Schreiben betrifft die Unterstützung des zu diesem Zeitpunkt in Berlin in Untersuchungshaft sitzenden Gerhard S. durch den Polizeibediensteten Knospe des Polizeiabschnitts Osterholz, der Gerhard S. Päckchen ins Gefängnis geschickt hatte. Beide, Gerhard S. und der als Vermittler in der Fernsprechzentrale angestellte Knospe, kannten sich aus der Parteiarbeit für den BHE. Knospe war zudem 2. Stellvertretender Landrat. 16 Vgl. Aussage Gerhard S. v. 4.3.1960 – LAB, B Rep. 58, Nr. 7090, Bd. 6, Bl. 14. 17 Diesen Aspekt betont auch Karl Wilhelm Böttcher, der 1949 für die Frankfurter Hefte zehn Untergetauchte befragte: Böttcher, Menschen. 18 Janka, S. 450. 19 So auch Bajohr, bes. S. 318ff. Er hebt zudem die in der Realität nicht einheitliche, sondern „atomisierte Volksgemeinschaft“ hervor. 20 Rainer Gries weist in seiner Studie den Mythos der Einheit innerhalb der Nachkriegsgesellschaft am Beispiel der Versorgung in die Schranken. Vgl. ders., S. 332. 21 Vgl. Foschepoth, S. 158. 22 Jaspers, S. 13. 23 Levi, S. 359f. 24 Döblin, Schicksalsreise, S. 314. 25 Paul, „Augen“, S. 356. 26 Organisationsplan des Referats IV 3 v. 12.6.1944 – LG Wien, Vr 542/46, Bd. II, Bl. 29. 27 Durch Kontrolle der Zwangsarbeiter sollten Abwehrbeauftragte in der Industrie, vor allem in Rüstungsfabriken, Sabotage verhindern bzw. aufdecken. Ab 1943 arbeiteten sie aufgrund einer RSHA-Entscheidung nicht mehr mit dem Militär, sondern direkt mit der Gestapo zusammen. 28 Ein Gestapobeamter der gleichen Abteilung formulierte seinen Eindruck von Werner Schö. vor Gericht später so: „[Er] legte im übrigen großen Wert auf gesellschaftliche Beziehungen und gesellschaftlichen Verkehr und zwar im Rahmen seines Aufgabenkreises.“ Aussage Johann S. v. 5.11.1947 – LG Wien, Vr 542/46, Bd. I, Bl. 239–241, hier: Bl. 241. 29 Bei seiner Flucht vor der bundesdeutschen Justiz ins Ausland war es ebenfalls eine Freundin, die den inzwischen verheirateten Werner Schö. neben seiner Frau maßgeblich unterstützte. 30 Aussage Jutta R. v. 15.2.1946 – LG Wien, Vr 542/46, Bd. I, Bl. 77. 31 Aussage Werner Schö. in der Hauptverhandlung gegen ihn vor dem Landesgericht für Strafsachen Wien v. 22.12.1947 – Ebd., Bl. 251. 32 Aussage Harry D. (Cousin von Hans R.) v. 26.7.1945 – Ebd., Bl. 49. 33 Aussage Alfred P. v. 21.7.1945 – Ebd., Bl. 47. 34 Werner Schö. an Jutta R. v. 18.7.1945 – Ebd., Bl. 41. 35 Werner Schö. beschuldigte sich selbst des Diebstahls, um den Verdacht von Jutta R. zu nehmen, die nach seiner Verhaftung ebenfalls kurzfristig inhaftiert wurde. Werner

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Schö. an Jutta R. v. 18.7.1945 – Ebd., Bl. 41; Werner Schö. an Josef Übinger von der Polizeidirektion Wien v. 18.7.1945 – Ebd., Bl. 37–39. In diesem Brief bemüht sich Werner Schö. nach seiner Verhaftung um Schadensbegrenzung, indem er sämtliche Personen, mit denen er während seiner Flucht Kontakt hatte, von dem Vorwurf freispricht, ihn wissentlich beim seinem Versuch, unterzutauchen, unterstützt zu haben. Vgl. auch Aussage Jutta R. v. 15.2.1946 – Ebd., Bl. 77. 36 Aussage Harry D. v. 26.7.1945 – Ebd., Bl. 49. 37 Ebd. 38 Werner Schö. an Josef Übinger von der Polizeidirektion Wien v. 18.7.1945 – LG Wien, Vr 542/46, Bd. I, Bl. 37–39, hier: Bl. 39. 39 Zu Werner Schö.s Aufenthalt auf der Jagdhütte vgl. u.a.: Vernehmung Adolf B. v. 1.7.1945 – LG Wien, Vr 542/46, Bd. I, Bl. 33; Vernehmung Harry D. v. 26.7.1945 – Ebd., Bl. 49; Vernehmung Else D. (Cousine von Hans R.) v. 26.7.1945 – Ebd., Bl. 51. 40 Geburts- und Taufbescheinigung – Ebd., Bl. 59. 41 LG Wien, Vr 542/46, Bd. I, o.P. Ebenso alle weiteren in diesem Kapitel erwähnten gefälschten Dokumente. 42 Werner Schö. an Josef Übinger von der Polizeidirektion Wien v. 18.7.1945 – LG Wien, Vr 542/46 Bd. I, Bl. 37–39, hier: Bl. 38. 43 Aussage Adolf B. v. 1.7.1945 – Ebd., Bl. 33. 44 Polizeibericht über die Verhaftung Werner Schö.s – Ebd., Bl. 35. 45 Die Alliierten akzeptierten den Opferstatus Österreichs bereits kurz nach Kriegsende. Vgl. dazu: Kuretsidis-Haider. 46 Vom Vorsitzenden des Gerichts nach dem Grund für B. Verhalten gefragt, rechnete Werner Schö. schonungslos mit seinem ehemaligen Untergebenen Adolf B. ab und bemühte sich dabei, sich selbst ins rechte Licht zu rücken: „B. ist charakterlich minderwertig und hat gegen mich auch die Anzeige gemacht. Er hat sich im Dienst bestechen lassen und mich fortlaufend belogen. Nur meiner besonderen Großzügigkeit und Gutmütigkeit hat er es zu verdanken, dass ich seiner Kinder wegen gegen ihn nichts unternommen habe.“ Aussage Werner Schö. vor dem LG Wien v. 7.12.1946 – LG Wien, Vr 542/46, Bd. I, Bl. 247–251. hier: Bl. 249. 47 Volksgerichte waren eigens eingerichtete Senate an den Landesgerichten in Wien (Sommer 1945 eingerichtet), Graz, Linz und Innsbruck (alle 1946 eingerichtet). Gesetzliche Grundlage für die jeweils zwei Berufs- und drei Laienrichter der Volksgerichte waren das Verbotsgesetz v. 8.5.1945 (das NS-Organisationen, deren Verherrlichung, eine Wiederbetätigung im nationalsozialistischen Sinne und die Glorifizierung Adolf Hitlers verbot) und das am 26.6.1945 von der provisorischen Staatsregierung beschlossene Kriegsverbrechergesetz. Mit dieser besonderen Erweiterung des österreichischen Strafgesetzes sollten NS-spezifische Verbrechen erfasst werden. Die Volksgerichtsbarkeit wurde am 20.12.1955, nach Abschluss des Staatsvertrages über die Wiederherstellung der vollen Souveränität Österreichs, abgeschafft. 48 Urteil – LG Wien, Vr 542/46, Bd. I, Bl. 261. Zu den falschen Angaben vgl. Aussage Werner Schö. vor dem LG Wien v. 7.12.1946 – Ebd., Bl. 247–251. Werner Schö. behauptete darin u.a. er sei 1941 „automatisch“ in die Partei aufgenommen worden und verstand es zudem, seinen Einsatz beim Ek 8 zu verschleiern: Vgl. ebd., Bl. 249. 49 Werner Schö. an Justizminister im Juli 1947 – LG Wien Vr 1072/49, Bd. II, Bl. 123–157. In dieser polemischen Geschichtsklitterung rechtfertigt und verharmlost er den Einsatz der Einsatzgruppe (er spricht von Einheiten) im Zusammenhang mit dem slowakischen Volksaufstand. Er stellt den Einsatz und seiner Meinung nach vereinzelte Erschießungen von Aufständischen als gerechte und noch viel zu milde Reaktion dar.

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Urteil v. 8.10.1951 – Ebd., Bl. 408–423. Die Urteilsschrift ist durchzogen von biografischen Falschangaben Werner Schö.s. Er selbst hatte sich gegenüber der Staatsanwaltschaft zum kleinen Untergebenen stilisiert. Vgl. Beweisantrag Werner Schö. von Anfang November 1949 – Ebd., Bl. 94. 51 Die Verwendung der Begriffe Entnazifizierungsverfahren und Spruchkammerverfahren nebeneinander ist zugegebenermaßen leicht verwirrend. Schließlich waren die Spruchkammerverfahren Teil der Entnazifizierung. Die Bezeichnung Entnazifizierungsverfahren mit den daraus hervorgegangenen Entnazifizierungsakten bezieht sich auf Verfahren, an die sich kein Spruchkammerverfahren anschloss. 52 Niethammer, Schule, S. 54. 53 Vgl. Ders., Mitläuferfabrik. S. 26. 54 Zur Entnazifizierung in Bayern vgl. ders., Mitläuferfabrik; das Beispiel Hessen untersucht Schuster; der europäische Kontext findet sich bei Henke/Woller (Hg.), Säuberung. Darin: Henke, Trennung; zur Entnazifizierung in allen vier Besatzungszonen: Vollnhals. 55 Vollnhals, S. 28. 56 Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 663. 57 Auf diesen Unterschied weist besonders Vollnhals hin, der hier zu Recht einen Vorteil des britischen Verfahrens gegenüber dem amerikanischen sieht. Vgl. ders., S. 33. 58 Mitteilung des HStAD v. 7.12. und 15.12.2005 an die Verf., dass in den Beständen zur Entnazifizierung in Nordrhein-Westfalen als auch im Bestand der Regierung Düsseldorf „Bezirksausgleichsstelle“ keine Akte zu Wilhem E. vorhanden ist. 59 Vgl. Eidesstattliche Erklärung Friedrich Erhard Kraft (Abschrift NO-2853) – LHAK, 584,1, Nr. 8469, Bl. 680ff. 60 Döblin, Schicksalsreise, S. 314. 61 Vgl. Vollnhals, S. 17f. 62 Meldebogen Heinrich Noa – StAL, EL 903/4, Bü. 297, Bl. 1. 63 Politischer Fragebogen Walter He. – HStAH, Nds. 171 Lüneburg, Nr. 30318, o.P. 64 Ebd. 65 Vgl. Fragebogen Heinrich Win. – StAM, SpkA K 1987 (Heinrich Win.). 66 Fragebogen Friedrich Me. – HStAD, NW 1097-Polizei, Nr. 1487, o.P. 67 Auskunft Document Center Berlin über Friedrich Me. – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1084, Bl. 8. 68 Fragebogen Arthur Harder – HStAW, Abt. 520 DZ, Nr. 517804, Bl. 1. 69 Ebd. 70 Vgl. Lebenslauf Gerhard S. (Spruchgerichtsakte) – BAK, Z 42 III/1730, Bl. 49. 71 Vgl. ebd., Bl. 49–51 sowie Entnazifizierungsakte Gerhard S. – StAS, Rep. 275 II Nr. 47199, Bl. 1f. Bei diesem Lebenslauf muss berücksichtigt werden, dass Gerhard S. bereits das Ergebnis seines Spruchgerichtsverfahrens kannte. 72 Vgl. Lebenslauf Karl Rath v. 7.10.1948 – BAK, Z 42 IV/6890, Bl. 3. 73 Spruchkammerakte Heinz Ta. – HStAW, Abt. 520 He, Nr. 40, Bl. 2, 62. 74 Entnazifizierungsakte Werner Schmidt-Hammer – LAS, Abt. 460.11, Nr. 652 Geschäftszeichen AR 18971. 75 Fragebogen Friedrich Me. – HStAD, NW 1097-Polizei, Nr. 1487, o.P. 76 Wagner, Resozialisierung, S. 194. 77 „Indem man die Täter in Himmlers ‚schwarzes Reich‘ verbannte, vollzog man eine institutionelle Isolierung der Verbrechen“, urteilt Gerhard Paul. Der Effekt war die er-

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wähnte Selbstentschuldung der Bevölkerung. Paul, Psychopathen, S. 17; vgl. Reitlinger, Alibi; Paul/Mallmann (Hg.), Gestapo; Mallmann/Paul (Hg.), Gestapo Weltkrieg. 78 Spruchgerichtsakte Gerhard S. – BAK, Z 42 III/1730. 79 Entnazifizierungsakte Gerhard S. – StAS, Rep. 275 II, Nr. 47.199. 80 Lebenslauf Gerhard S. (Spruchgerichtsakte) – BAK, Z 42 III/1730, Bl. 50. 81 RuS-Fragebogen Gerhard S. – BAB, RS F 495, Bl. 2629. 82 Ebd., Bl. 2630. 83 Lebenslauf Gerhard S. (Spruchgerichtsakte) – BAK, Z 42 III/1730, Bl. 52. 84 Ebd. 85 Ebd. 86 Hier und die folgenden Zitate: Anhörung Gerhard S. v. 8.12.1947 – BAK, Z 42 III/1730, Bl. 57. 87 Anklageschrift v. 24.4.1948 – Ebd., Bl. 26f. 88 Spruchkammerakte Gerhard S. – Ebd., BAK, Z 42 III/1730, o.P. 89 Ebd.; vgl. auch Gerhard S. an Spruchgericht v. 27.6.1948 – Ebd., Bl. 32. 90 Politischer Lebenslauf Gerhard S. (Entnazifizierungsakte) – StAS, Rep. 275 II, Nr. 47.199, Bl. 7. 91 Ebd. 92 Ebd. 93 Ebd. 94 Vgl. ebd., Bl. 8. 95 Vgl. Gerhard S. an den Öffentlichen Ankläger beim Entnazifizierungsausschuss Osterholz-Scharmbeck v. 7.10.1948 – StAS, Rep. 275 II, Nr. 47.199, Bl. 6 und seine Beschwerde an den Entnazifizierungshauptausschuss Stade v. 3.12.1948 – Ebd., Bl. 14f. 96 Gerhard S. an den Entnazifizierungshauptausschuss Stade v. 30.1.1949 – StAS, Rep. 275 II, Nr. 47.199, Bl. 16. 97 Vgl. Berufungsantrag v. 12.6.1949 – HStAH, Nds. Lüneburg, Nr. 30318, o.P. 98 Beruflicher und politischer Werdegang – Ebd., o.P. 99 Hier und die folgenden Zitate: Berufungsantrag v. 12.6.1949 – Ebd., o.P. 100 Protokoll der Spruchkammerverhandlung v. 2.7.1948 – HStAW, Abt. 520 DZ, Nr. 517804, o.P. [die drei Seiten des Dokuments tragen alle die Nummerierung 81]. 101 Vgl. Lebenslauf v. 1.9.1947 – HStAW, Abt. 520 DZ, Nr. 517804, Bl. 22. 102 Lebenslauf Arthur Harder v. 1.9.1947 – Ebd. 103 Ebd. 104 Weil er im September/Oktober 1948 einen Monat lang in Fallingbostel interniert war, wurde sein Verfahren zunächst von der zuständigen Spruchkammer BenefeldBomlitz vorbereitet. Nach seiner Entlassung aus der Internierung wurde sein Verfahren am Spruchgericht Bielefeld weitergeführt. Unter dem Spruchgericht Bielefeld findet sich auch seine Akte im Bundesarchiv verzeichnet. 105 Hier und die folgenden Zitate: Vernehmung Karl Rath v. 8.10.1948 – BAK, Z 42 IV/6890, Bl. 5–7, hier: Bl. 6. 106 Hier und die folgenden Zitate: Aussage Karl Rath v. 8.10.1948 – Ebd. 107 Karl Rath an Leiter der Anklagebehörde beim Spruchgericht Benefeld-Bomlitz v. 17.10.1948 – BAK, Z 42 IV/6890, Bl. 8f., hier: Bl. 8. 108 Hier und die folgenden Zitate: Karl Rath an Leiter der Anklagebehörde beim Spruchgericht Benefeld-Bomlitz v. 17.10.1948 – Ebd., Bl. 9. 109 Kogon, Kampf, S. 243. 110 Vgl. Reemtsma.

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Richard W.: „Das Eigentum der liquidierten Juden wurde auf dem Gut [Trostinez, Anm. d. Verf.] gelagert. Jeder Dienststellenangehörige konnte sich dort kaufen, was er brauchte. Ich selbst habe mir einmal einen Schlafanzug gekauft“. Aussage Richard W. v. 19.10.1960 – LHAK, Nr. 8498, Bl. 5143. 112 Vgl. Aussage Heinrich H. (Koch beim Sk 4a) v. 3.12.1963 – StAD, H 13 Da 1291, Nr. 111, Bd. 8, Bl. 1785 u. 1799. 113 Das jedenfalls hielt das Landgericht Tübingen im Prozess gegen Richard W. und einen weiteren Angeklagten beiden zugute. Vgl. Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 509. 114 Reemtsma, S. 94. 115 Welzer, Massenmord, S. 271. Grundlegend auch: ders., Täter; Lüdke. 116 Welzer, Massenmord, S. 271. 117 Vgl. ebd., S. 272. 118 Hilberg schrieb mit Blick auf die Ordnungspolizisten des Lagers Kulmhof: „Schließlich empfanden sie sich ja nicht als Lustmörder. Was sie getan hatten, war – zumindest bei den meisten von ihnen – nur ein unbedeutender Ausschnitt aus ihrem Alltag. Für einige, die wieder Fuß fassten und eine neue Karriere begannen, war die Kriegsphase eine relativ unwichtige, wenn auch bezeichnende Lücke in einem kleinen Absatz für das deutsche Wer ist Wer. Darüber wurde nicht öffentlich gesprochen, nicht einmal den eigenen Kindern berichtet. Die neue Generation würde dieses Zeiten ja ohnehin nicht verstanden haben.“ Hilberg, Täter, S. 48. 119 „Politischer Lebenslauf“ Gerhard S., o.D. – StAS, Rep 275 II, Nr. 47.199, S. 8. 120 Ebd. 121 Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 645. 122 Eidesstattliche Erklärung Dr. K. v. 24.6.1947 – BAK, Z 42 III/3705, Bl. 17. 123 Vgl. Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 613. 124 August Hä. an Trude B. v. 20.2.1957, zitiert in: Vernehmungsprotokoll August Hä. v. 31.3.1965 – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bd. 16, Bl. 3439–3456, hier: Bl. 3441f. 125 Schriftliche Erklärung Karl-Heinz M. v. 23.10.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 5, Umschlag 267. 126 Aussage Gerhard S. v. 8.3.1960 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 5, Bl. 12–18, hier: Bl. 14. 127 Vgl. Bajohr, bes. S. 334. 128 Vgl. Rauh-Kühne, Entnazifizierung, S. 41. Ebenso urteilt Henke, Grenzen, S. 129. 129 Berghoff/Rauh-Kühne, Fritz K., S. 210. 130 Dazu Wolgast; sein Fazit (S. 282): „Aus apologetischen Gründen zeigte sich auch im Nachhinein nur geringe Einsicht in den apriorischen Unrechtscharakter des Regimes – das Urteil der katholischen Seite war behindert durch das Faktum des Konkordatsabschlusses, das der evangelischen Seite durch die weitgehende Anfangseuphorie im Zeichen der nationalen Parole.“ Zur Position, die die katholische Kirche einnahm: van Melis. 131 Siehe dazu: Koebner, Schuldfrage, bes. S. 303f. 132 Henke, Deutschland, S. 348. 133 Aussage Hueser v. 28./29. 8.1962 – BAL, B 162/3599, Bl. 1811. 134 Eine befriedigende, weil exakte, Definition des Attributs „anständig“ gibt es nicht. In dem hier behandelten Kontext beschrieb es denjenigen, der kein „Radau-Nazi“, NSFunktionär, Nutznießer gewesen war, der seinem privaten Umfeld nicht geschadet hatte. Es beschrieb das Gegenteil von dem, was man als negative Seiten des Nationalsozialismus empfand. 135 Vgl. Mallmann, Fußvolk, bes. S. 355f.

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Niethammer, Schule, S. 58. Henke, Trennung, S. 56. 138 Woller, S. 147. 139 Garbe, Abkehr, S. 696. 140 Eidesstattliche Erklärung Joseph Ne. v. 27.5.1948 – HStAW, Abt. 520, Nr. 517804, o.P. 141 Bescheinigung Pfarrer N. v. 11.2.1947 – BAK, Z 42 III/1730, Bl. 6. 142 Ebd. 143 Eidesstattliche Erklärung Ingeborg S., Ernst W. und Margarete B., o.D. – Ebd., Bl. 5. 144 Bescheinigung der Gemeinde Schwanenwede v. 9.1.1948 – Ebd., Bl. 18. 145 Bescheinigung Ernst B. v. 20.5.1949 – HStAW, NW 1097-Polizei, Nr. 1487, o.P. 146 Eidesstattliche Erklärung Otto N. v. 15.6.1949 – HStAH, Nds. 171 Lüneburg, Nr. 30318, o.P. 147 Eidesstattliche Erklärung Agathe H. v. 10.1.1947 – HStAW, Abt. 520 He, Nr. 40, Bl. 74. 148 Bestätigung Pfarrer G. v. 1.4.1947 – Ebd., Bl. 88. 149 Vgl. Eidesstattliche Erklärung Nachbar Z. – BAK, Z 42 III/3705, Bl. 10. 150 Eidesstattliche Erklärung Nachbarin R. – Ebd., Bl. 11. 151 Vgl. Schreiben Kreishandwerkerschaft Schaumburg-Lippe v. 4. Juli 1949 – BAK, Z 42 IV/6890, Bl. 4 sowie Schreiben Firma Kempker v. 5.7.1949 – Ebd., Bl. 10. 152 Schreiben Polizei-Kreisabteilung Bückeburg v. 16.7.1949 – Ebd., Bl. 12. 153 Vgl. dazu auch Niethammer, Mitläuferfabrik, S. 613. 154 Vgl. zu den Topoi ebd., S. 610f. 155 Eidesstattliche Erklärung Helmut Borchardt v. 30.4.1948 – StAM, SpkA K 1987 (Heinrich Win.), o.P. 156 Zu Bovensiepen vgl. Klee, Personenlexikon, S. 68. 157 Eidesstattliche Erklärung Werner B. v. 10.3.1948 – BAK, Z 42 III/1730, Bl. 5. 158 Eidesstattliche Erklärung Erwin R. v. 10.2.1948 – Ebd., o.P. 159 Eidesstattliche Versicherung Otto B. v. 14.6.1949 – HStAH, Nds. 171 Lüneburg, Nr. 30318, o.P. 160 Eidesstattliche Versicherung Max H., o.D. – Ebd. Ähnlich: Zeugenaussagen der ehemaligen Kameraden Bernhard F. und Adolf G. am 9.5.1949 – Ebd.; Protokoll der öffentlichen Sitzung des Entnazifizierungs-Hauptausschusses Lüneburg – Ebd., o.P. 161 Walter He. legt zusätzlich noch eine eidesstattliche Versicherung des angeblich damaligen Landwirtschaftsführers in Schepetowka vor, der ebenfalls erwähnt, dass seines Wissens nach Walter He. nur mit militärischen Aufgaben betraut gewesen sei. Vgl. Eidesstattliche Versicherung Heinrich H. v. 22.11.1948 – Ebd., o.P. 162 Eidesstattliche Versicherung Max H., o.D. – Ebd., o.P. 163 Erklärung Richard R. v. 27.11.1948 – Ebd., o.P. 164 RA F. Hamburger an Spruchkammer Darmstadt-Lager v. 5.3.1948 – HStAW, Abt. 520 DZ, Nr. 517804, Bl. 46–52. 165 Hier und die folgenden Zitate: RA F. Hamburger an Spruchkammer DarmstadtLager v. 5.3.1948 – HStAW, Abt. 520 DZ, NR. 517804, Bl. 47. 166 Ebd., Bl. 51. 167 RA Volkmann an Spruchgericht Bielefeld v. 4.7.1949 – BAK, Z 42 IV/6890, Bl. 1–3, hier: Bl. 2. 168 Revisionsbegründung RA Volkmann v. 12.3.1949 – Ebd., Bl. 59. 169 RA Volkmann an Spruchgericht Bielefeld v. 4.7.1949 – Ebd., 1. 170 Ebd. 137

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ANMERKUNGEN

RA Walter Brixel an Befreiungsministerium Ludwigsburg v. 20.5.1950 – StAL, EL 903/4, Bü. 297, Bl. 52f., hier: Bl. 52. 172 Die Bestätigungen benutzte Noa, um in das Reserve-Offizierskoprs aufgenommen zu werden. Vgl. Heerespsychologe Günther Matzat an Wehrbezirkskommando Münster v. 27.7.1936, Stapo-Leitstelle Münster an Wehrbezirkskommando Münster v. 24.7.1936 – BAD-H, ZR 569, o.P. und Bl. 11. 173 RA Walter Brixel an Befreiungsministerium Ludwigsburg v. 20.5.1950 – StAL, EL 903/4, Bü. 297, Bl. 52. 174 Ebd., Bl. 53. 175 Ebd. 176 RA Alfred Beyer an Spruchgericht Bergedorf v. 30.6.1948 – BAK, Z 42 III/1730, Bl. 35–38, hier: Bl. 38. 177 Ebd., Bl. 36. 178 Ebd. 179 Zu diesem Problem siehe Schuster, S. 301. 180 Das geht aus der Begründung des Spruchs hervor. Spruch v. 9.5.1949 – HStAH, Nds. 171 Lüneburg, Nr. 30318, o.P. 181 Polizei-Wachtmeister Wiedermann v. 15.10.1948 – BAK, Z 42 IV/6890, Bl. 11. 182 Ebd. 183 Klageschrift v. 1.11.1948 – Ebd., Bl. 17. 184 Ebd. 185 Gnadenheft, Schreiben des Arbeitgebers v. 5.7.1949 – BAK, Z 42 IV/6890, Bl. 10. 186 Im SPD-Schreiben heißt es: „Es handelt sich um drei Söhne, die mit ihrer Mutter recht frühzeitig dem Nationalsozialismus verfallen waren und sich stets als gute Nazis gerierten.“ SPD-Distrikt Dornbusch an öffentlichen Kläger Spruchkammer DarmstadtLager v. 24.6.1947 – HStAW, Abt. 520 DZ, Nr. 517804, Bl. 12. Vgl. auch Bezirksvorsteher an öffentlichen Kläger bei der Spruchkammer Darmstadt-Lager v. 22.5.1947 – Ebd., Bl. 10. 187 Vgl. Kossack & Co an Spruchkammer Darmstadt-Lager v. 8.7.1947 – Ebd., Bl. 15; Hansa Iven & Co an Spruchkammer Darmstadt-Lager v. 1.9.1947 – Ebd., Bl. 21. 188 Klageschrift v. 17.12.1948 – Ebd., Bl. 42. 189 Vgl. Spruch v. 20.07.1948 – BAK, Z 42 III/1730, Bl. 52. 190 Bericht des Andreas von A. v. 27.12.1945 (Abschrift) – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 1, Bl. 5. 191 Aussage Adametz v. 25.10.1945 – StAL, EL 317 III, Bü. 1766, Bl. 5. 192 Eidesstattliche Erklärung Adolf R. v. 23.10.1947 – LHAK, 584,1, Nr. 8470, Bl. 871f. 193 Spruch v. 9.5.1949 – HStAH, Nds. 171 Lüneburg, Nr. 30318, o.P. 194 Spruch v. 15.7.1949 – Ebd., o.P. 195 Spruch v. 22.2.1949 – StAM, SpkA K 1987 (Heinrich Win.), o.P. 196 Spruch v. 29.07.1948 – StAL EL, 903/4, Bü. 297, Bl. 33. 197 Spruch v. 18.4.1951 – Ebd., Bl. 63. 198 Spruch v. 20.7.1948 – BAK, Z 42 III/1730, Bl. 54. 199 Ebd., Bl. 56. 200 Vgl., ebd., Bl. 69f. 201 Ebd., Bl. 67. 202 Vgl. Entnazifizierungs-Entscheidung v. 10.11.1949 – StAS, Rep. 275 II, Nr. 47.199, Bl. 21f. 203 Aussage Adametz v. 25.10.1945 – StAL, EL 31 /III, Bü. 1766, Bl. 5.

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Ein Beispiel seiner Rhetorik bietet die von ihm verfasste Abhandlung „Endkampf gegen Versailles“. 205 Lebenslauf Fritz Zi. o.D. – BAK, Z 42 III/3705, Bl. 6. 206 Protokoll der öffentlichen Sitzung, o.D. – Ebd., Bl. 63. 207 Abschrift des Briefs von Magdalena B. an den Entnazifizierungsausschuss Kiel v. 26.8.1947 – LAS, Abt. 460, Nr. 355, Bl. 7. Vgl. ebenfalls Abschrift der Vernehmung von Magdalena B. v. 26.12.1948 – Ebd., Bl. 15. 208 Beides ist in der Spruchgerichtsakte Fritz Zi.s enthalten. 209 Vgl. Kriminaluntersuchungsabteilung an öffentlichen Kläger v. 11.2.1949 – BAK, Z 42 III/3705, Bl. 44. 210 Vgl. Zeugenaussage Lieselotte U. v. 24.2.1949 – BAK, Z 42 III/3705, Bl. 50. 211 Klageschrift v. 25.8.1949 – LAS, Abt. 460, Nr. 355, Bl. 37. 212 Vgl. Aussage Fritz Zi. v. 13.5.1948 – BAK, Z 42 III/3750, Bl. 9f. 213 Hier und die folgenden Zitate: Aussage Fritz Zi. v. 13.5.1948 – Ebd., Bl. 9. 214 Ebd., Bl. 10. 215 Ebd. 216 Fritz Zi. an Entnazifizierungshauptausschuss Kiel v. 7.9.1949 – LAS, Abt. 460, Nr. 355, Bl. 40–49, hier: Bl. 49. 217 Ebd., Bl. 43. 218 Ebd., Bl. 40. 219 Protokoll der öffentlichen Verhandlung v. 13.9.1949 – LAS, Abt. 460, Nr. 355, Bl. 54–56, hier: Bl. 55. 220 Vgl. Eidesstattliche Erklärung Joachim Haupt v. 3.7.1948 – BAK, Z 42 III/3705, Bl. 64f. 221 Vgl. ebenso eidesstattliche Erklärung Werner von Lojewski v. 4.12.1948 – Ebd., Bl. 66f; Erklärung Hans Henrich v. 24.4.1948 – Ebd., Bl. 12. 222 Vgl. Eidesstattliche Erklärung Erich Z. v. 1.7.1947 – Ebd., Bl. 11 und von Adele R. – Ebd., Bl. 12. 223 Spruch v. 12.4.1949 – Ebd., Bl. 72. 224 Ebd., Bl. 73. 225 Klage v. 25.8.1949 – LAS, Abt. 460, Nr. 355, Bl. 37. 226 Ebd. 227 Vgl. ebd., Bl. 38. 228 Vgl. Spruch v. 15.9.1949 – Ebd., Bl. 60f. 1950 ließ Fritz Zi. sich in die Gruppe V der Entlasteten einstufen. Vgl. Spruch v. 20.12.1950 – Ebd., o.P. 229 Zum Fall 9 siehe Ogorreck/Rieß, Fall 9. 230 Meldebogen v. 1.3.1947 – StAL, EL 903/3, Bü. 503, o.P. 231 Zu Paul Blobel siehe Klee, Personenlexikon, S. 53. 232 Zu Walter Blume siehe Klee, Personenlexikon, S. 55 und Wildt, Generation, S. 180–184. 233 Zu Waldemar von Radetzky siehe Klee, Personenlexikon, S. 476. 234 Zu Felix Rühl siehe Klee, Personenlexikon, S. 513. 235 Zu Erwin Schulz siehe Klee, Personenlexikon, S. 568 und Wildt, Generation, S. 790–796. 236 Aussage August Hä. v. 11.6.1963 – StAM, StaW 35306/8, Bl. 1795–1804, hier: Bl. 1800. 237 Über die Absprachen in Nürnberg sagte August Hä. am 17.10.1967 während der Verhandlung vor dem Landgericht Darmstadt: „Während ich in Nürnberg saß, hatte ich

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ANMERKUNGEN

Gelegenheit mit Blobel und Radetzky zusammenzukommen. Wir haben uns damals mehrfach zusammengesetzt und die Dinge von damals zu rekapitulieren versucht. Ein Teil unserer späteren Angaben entspricht der Wahrheit, ein anderer Teil sind reine Manipulationen.“ Aussage August Hä. v. 17.10.1967 – StAD, H 13 Da 1291, Bd. 141, Bl. 148. 238 Eidesstattliche Erklärungen August Hä. für Blobel v. 3.11.1947 und 11.12.1947 – StAL, EL 903/3, Bü. 503, Bl. 95f. und 97f. 239 Eidesstattliche Erklärung August Hä. für Schulz, o.D. – Ebd., Bl. 99f. 240 Eidesstattliche Erklärung August Hä. für Rühl v. 17.12.1947 – Ebd., Bl. 100f. 241 Eidesstattliche Erklärung August Hä. für von Radetzky v. 10.10.1947 – Ebd., Bl. 101f. 242 Eidesstattliche Erklärungen August Hä. für Blume v. 12.1.1948, o D. und v. 17.12.1947 – Ebd., Bl. 102, 103, 104–106. 243 Eidesstattliche Erklärung August Hä. für Blume, o.D. – Ebd., Bl. 104–106, hier: Bl. 104. Siehe auch: Eidesstattliche Erklärung August Hä. für Blume v. 17.12.1947 – Ebd., Bl. 103. 244 Das außerhalb Athens gelegene KZ Chaidari wurde im September 1943 eingerichtet und sollte vor allem der Abschreckung dienen. Es war zum einen Durchgangslager für italienische Kriegsgefangene und für griechische Juden, die nach Polen deportiert wurden, und zum anderen waren dort griechische Geiseln für Massenerschießungen, Widerstandskämpfer und bei Razzien Festgenommene inhaftiert. Ausführlich dazu: Mazower, bes. S. 226–232; Santin, Holocaust, S. 26, Anm. 24; die Erinnerungen des ehemaligen Häftlings und griechischen Autors Themos Kornaros: ders., Chaidari. Zur deutschen Besatzungspolitik vgl. Fleischer, „Ordnung“. 245 Zur „Chaos-Theorie“ vgl. Fleischer, „Ordnung“, bes. S. 208–212 und Mazower, S. 232–234; Wildt, Generation, S. 184. 246 Vgl. Eidesstattliche Erklärungen August Hä.s für Blobel v. 3.11.1947 und 11.12.1947 – StAL, EL 903/3, Bü. 503, Bl. 95f. und 97f. 247 Eidesstattliche Erklärung August Hä. für Blobel v. 11.12.1947 – Ebd., Bl. 97f. 248 Aussage August Hä. v. 9.6.1965 – StAD, H 13 Da, 1291, Bd. 17, Bl. 3632–3646, hier: Bl. 3646. 249 Tatsächlich wurde dies von den beteiligten Stellen von Wehrmacht und Sk 4a so kommuniziert. Die Massenerschießung war jedoch alles andere als eine „Vergeltungsaktion“, wie Hartmut Rüss herausgearbeitet hat, der zudem auf die schon bei vorherigen Mordaktionen erprobte effektive und enge Zusammenarbeit zwischen Reichenau und Blobel hinweist. August Hä. baute in seine eidesstattliche Erklärung für Blobel die vermeintliche Aussage zweier Offiziere ein, die Juden bei der Brandstiftung gesehen hätten. Vgl. Eidesstattliche Erklärung August Hä. für Blobel v. 11.12.1947 – StAL, EL 903/3, Bü. 503, Bl. 97. 250 Eidesstattliche Erklärung August Hä. für von Radetzky v. 10.10.1947 – Ebd., Bl. 101. Nach seiner Motivation für diese Erklärung gefragt, antwortete August Hä. während einer Vernehmung 1965: „Ich musste ja damals Radetzky helfen.“ – Aussage August Hä. v. 13.10.1965 – StAD, H 13 Da, 1291, Bd. 22, Bl. 4701–4713, hier: Bl. 4702. 251 Vgl. Eidesstattliche Erklärung August Hä. für Rühl v. 17.12.1941 – StAL, EL 903/3, Bü. 503, Bl. 100. 252 Ebd. 253 Eidesstattliche Erklärung August Hä. für Schulz, o.D. – Ebd., Bl. 99. 254 Aussage August Hä. v. 12.1.1948 – StAM, StAW 35306/8, Bl. 1806–1814. 255 Aussage August Hä. v. 12.1.1948 – Ebd., Bl. 1808.

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Vgl. zu Martin Sandberger: Klee, Personenlexikon, S. 519; Herbert, Best, S. 456f. über Begnadigungsgesuche von Carlo Schmid und Bundespräsident Heuß; Wildt, Generation, S. 785–790. 257 Vgl. Klageschrift v. 8.4.1949 – StAL, EL 903/3, Bü. 503, Bl. 46. 258 Ebd. 259 Vgl. Spruchkammer Hohenasperg an Bürgermeister, KPD, SPD, CDU und Polizei Pretzsch, o. D. (muss vor Juni 1947 gewesen sein) – Ebd., Bl. 16f. 260 CDU Pretzsch an Spruchkammer Hohenasperg v. Mai 1947 – Ebd., Bl. 20. 261 Beschlagnahmtes Notizblatt – Ebd., Bl. 38. 262 Kriminalaußenstelle Schwäbisch Hall an Landespolizei Württemberg, Direktion, Abteilung II, Stuttgart v. 8.2.1948 – Ebd., Bl. 36. 263 Ebd., Bl. 37. 264 Aktenauszug des Ermittlers v. 17.3.1948 – Ebd., Bl. 45. 265 August Hä. an Spruchkammer Internierungslager Ludwigsburg v. 6.5.1948 – Ebd., Bl. 58–63, hier: Bl. 58. 266 Ebd. 267 Eidesstattliche Erklärung Georg Schraepel für August Hä. v. 20.5.1947 – Ebd., Bl. 64f. Zu Schrapel siehe Mallmann/Böhler/Matthäus, Einsatzgruppen, S. 22, 110 u. 133. 268 Vgl. ebd., Bl. 64. 269 Erklärung Bürgermeister Schwäbisch Hall für August Hä. v. 30.7.1947 – StAL El 903/3, Bü. 503, Bl. 70. 270 Eidesstattliche Erklärung Bürgermeister Schwäbisch Hall für August Hä. v. 30.3.1948 – Ebd., Bl. 71. 271 Ebd. 272 August Hä. an Spruchkammer Internierungslager Ludwigsburg v. 6.5.1948 – Ebd., Bl. 61. 273 Ebd., Bl. 59f. 274 Die eidesstattliche Versicherung Blobels, die er August Hä. am 5.3.1948 ausstellte, ist in den wesentlichen Punkten deckungsgleich mit den eidesstattlichen Erklärungen, die August Hä. für ihn abgab. Ausdrücklich versicherte Blobel, dass August Hä. nicht an befohlenen Exekutionen teilgenommen, von ihm keinen solchen Befehl erhalten habe und keiner der Anwärter des leitenden Dienstes bei der Judenerschießung in Kiew anwesend war. Er nahm damit sich selbst aus der Verantwortung, indem er die Aktion, die er ebenfalls mit beschlossen hatte, in die Hände des 1946 hingerichteten Jeckeln legte, und deckte die SS-Führer wie August Hä. Vgl. Eidesstattliche Erklärung Blobel für August Hä. v. 5.3.1948 – Ebd., Bl. 74–76. 275 Protokoll Spruchkammerverhandlung v. 11.5.1948 – Ebd., Bl. 111–113. 276 Berufung öffentlicher Kläger der Internierungslager Ludwigsburg v. 3.6.1948 – Ebd., Bl. 129. 277 Begründung öffentlicher Kläger der Internierungslager Ludwigsburg v. 8.6.1948 – Ebd., Bl. 130. 278 Vgl. Berufung August Hä. v. 14.5.1948 – Ebd., Bl. 132–134, hier: Bl. 133. 279 Öffentlicher Kläger Berufungskammer der Interniertenlager Ludwigsburg an Vorsitzenden der Berufungskammer der Interniertenlager Ludwigsburg v. 22.6.1948 – Ebd., Bl. 136–138, hier: Bl. 136. 280 Ebd., Bl. 137. 281 Protokoll Spruchkammerverhandlung v. 14.7.1948 – Ebd., o.P.

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ANMERKUNGEN Eidesstattliche Versicherung Willi Heim für August Hä. v. 9.7.1948 – Ebd., Bl.

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Vgl. Protokoll Spruchkammerverhandlung v. 14.7.1948 – Ebd., o.P. Herbert, Liberalisierung, S. 16. Niethammer geht hingegen davon aus, dass es keinen solchen Konsens gegeben habe. Vgl. ders., Deutschland. 285 Auf diese Umdeutung und verschleiernde Bezeichnung weist u.a. Reemtsma, S. 95 hin. 286 Heer, Logik, S. 41–94. Heer demontiert diese Argumentation, indem er auf Beispiele verweist, die zeigen, dass die Bevölkerung ganzer Dörfer wahllos getötet wurde, egal, ob sie sich deutsch-freundlich zeigten oder nicht. 287 Jaspers, S. 19. 288 Aussage Heinrich Noa v. 28.5.1962 – StAM, Staatsanwaltschaft München I 33109/5, Bl. 1022. 289 Die Restaurationskritik ist immer im Erwartungshorizont derer zu sehen, die sie äußerten. Dazu Fröhlich, S. 23. Sie spricht der Kritik an der Restauration eine „konstruktive politische Bedeutung“ zu. Axel Schildt will den Begriff der Restauration ebenfalls auf den Erwartungshorizont der Restaurationskritiker wie Dirks verstanden wissen. Ders., Ende, S. 628. 290 Conze, Suche, bes. S. 16–18, wo er diese Perspektive zusammenfassend darlegt. 291 Altmann, S. 90. 292 Wolfrum, Demokratie, S. 172 293 Frei, Problem, S. 23. 294 Vgl. dazu Freudiger, Aufarbeitung, S. 17f. 241 Personen machten von dieser Regelung Gebrauch, die Zahl der gewährten allgemeinen Amnestien lag bei circa 500 000, 250 000 Verfahren wurden aufgrund des Gesetzes eingestellt. 295 Frei weist darauf hin, dass die Personen, die sich auf dieses Gesetz hin meldeten, zudem meist mit einer problemlosen Entnazifizierung rechnen konnten. Vgl. Frei, Problem, S. 24. 296 Zu den amerikanischen Begnadigungen, vor allem die Haltung innerhalb der deutschen Bevölkerung zu den Verurteilten, siehe Brochhagen, S. 32–44. 297 Wolfrum, Demokratie, S. 172. 298 So Geppert, S. 62. Harald Biermann schließlich urteilt rein funktionalistisch: „Wenn man die frühen Jahre der Bundesrepublik Deutschland Revue passieren lässt, dann liegt der Schluss nahe, dass die von der Politik verordnete Dosis kritischer Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Diktatur für die Bevölkerung bis an die Grenzen des Zumutbaren ging. Ein weiteres Vorangehen hätte wohl nicht zu einer Intensivierung der Beschäftigung mit der jüngsten deutschen Geschichte geführt, sondern zu größerer Ablehnung – im schlimmsten Fall zu einer Destabilisierung der noch jungen Demokratie. Wer die Augen vor dieser Tatsache verschließt, verkennt die reale Situation in den frühen fünfziger Jahren.“ Ders., S. 626. 299 Geppert, S. 62. 300 Vgl. Herbert, Liberalisierung. 301 Ebd., S. 39. 302 Vgl. dazu auch Herbert/Schildt, Kriegsende, S. 22. Rolf Schörken greift daher zu kurz, wenn er u.a. hierarchisches Denken und das Rollenverhältnis zwischen Mann und Frau als weiter wirkende nationalsozialistische Tradition betrachtet. Vgl. ders., bes. S. 139. Auf die Frage, wann es ihnen ihrem Gefühl nach im 20. Jahrhundert am besten gegangen sei, antworteten bei einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach im 284

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Herbst 1951 45% der befragten Deutschen: im Kaiserreich vor 1914, 42% sagten: zwischen 1933 und 1939, 2 % nannten die Gegenwart. Vgl. Schwelling, Integration, S. 180. 303 Dahrendorf, S. 465. 304 Vgl. Herbert, Liberalisierung, S. 39. 305 Conze, Dimensionen, Manuskript des am 28.11.2001 in Köln gehaltenen Vortrags (später als Aufsatz „Eine bürgerliche Republik?“ veröffentlicht). Diese habituelle Rückbesinnung greift auch Christoph Kleßmann auf: ders., Staaten; vgl. auch Wehler. 306 Vgl. Herbert, Liberalisierung, bes. S. 39f.; zur Widersprüchlichkeit der 1950er Jahre siehe auch Reichel. 307 Schildt, Abendland, S. 14 308 Vgl. Giordano, S. 48. 309 Als einer der wenigen sprach Peter Steinbach 1981 die Unkenntnis über den Charakter des NS-Staates an. Vgl. ders., Gewaltverbrechen. 310 Dazu u.a. Steinbach, Gewaltverbrechen, bes. S. 42f. 311 Auf diesen in der Geschichtsforschung vor den 1990er Jahren kaum beachteten Sachverhalt weist Gerhard Paul explizit hin. Vgl. ders., Psychopathen, S. 16. 312 Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949. Stenographische Berichte Bd 6, Bonn 1951, S. 4984. 313 Ebd. 314 Paul, Psychopathen, S. 16. 315 Berghoff, Verdrängung, S. 111. 316 Zu diesem Schluss kommt Rauh-Kühne, Entnazifizierung, S. 69. 317 Vgl. dazu Schildt, Zeiten, S. 30. 318 Ebd., S. 17. 319 Immanuel Baumann weist die zahlreichen Kontinuitäten im Bereich der Kriminologie und Kriminalpolitik in seiner Studie nach. Sein Fazit: „Eine tiefer gehende Beschäftigung mit den inneren Struturen des NS-Regimes, und damit notwendigerweise mit Aspekten nationalsozialistischer Kriminalpolitik, fand nach Kriegsende nicht statt.“ Ders., Verbrechen, S. 169. 320 Die Kontinuitäten, aber vor allem auch die nach und nach einsetzenden Veränderungen in den genannten Bereichen hat eine Forschergruppe um Ulrich Herbert herausgearbeitet. Vgl. Wagner, Resozialisierung; Baumann, Interpretation; Kandora; Brink, Zwangseinweisungen. Zum Weiterwirken bestimmter Bewertungskategorien und ihren Folgen siehe auch Moeller, bes. S. 40f. 321 Wöll, S. 38f. Zu den Illustriertenromanen siehe auch die nicht wissenschaftliche und polemisierende Arbeit von Schornsteiner. In diesen Romanen zeigen sich deutlich Mentalitätskontinuitäten, so die Abwertung von Osteuropäern, Russen und „Zigeunern“, aber auch Argumentationen der Selbstrechtfertigung. Zum Geschichtsbild der katholischen Kirche vgl. van Melis. 322 Rüsen, S. 244. 323 Vgl. Schwelling, Wege, S. 98–127. 324 Vgl. Heer, S. 25. 325 Vgl. dazu u.a. Steinbach, Gewaltverbrechen, bes. S. 14, 24. 326 Paul, Psychopathen, S. 16. 327 Darauf weisen besonders hin: Wolfrum, Demokratie, S. 173 und Glienke, Darstellung, bes. S. 149. 328 Kühne, Vernichtungskrieg, S. 475. 329 Buchheim/Graml, S. 79.

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Lübbe, S. 335. Auch Peter Reichels Annahme, eine Phase der Distanzierung und zeitlichen Verzögerung einer Beschäftigung mit den Folgen der Diktatur sei für die Errichtung einer Demokratie nötig gewesen, muss mit dem Verweis auf die aktive Integration der Betroffenen und ihre eigene Rolle dabei eine klare Absage erteilt werden. Vgl. ders., S. 37. Zu Lübbes viel zitierter und aufgegriffener These, über die die Forschung mittlerweile hinaus ist, siehe auch: Frei, Problem, S. 26f, der sie kritisiert, ebenso wie Gotthard Jasper, der Lübbes Begriff der „Stille“ eine „Halbherzigkeit“ in der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit entgegenstellt: ders., Wiedergutmachung. 331 Frei betont den Einfluss der NS-Belasteten im Integrationsprozess, wenn er schreibt: „Nach Gründung der Bundesrepublik, so könnte man zugespitzt formulieren, war die hochgradige Integration der Deutschen während der NS-Zeit nicht mehr länger eine kollektive Schuld und Schande, sondern eine Art politischer Trumpf: Die zu Integrierenden bestimmten nun allein schon aufgrund ihrer Masse die Bedingungen ihrer Integration zu einem erheblichen Teil selbst.“ Ders., Problem, S. 26. 332 Peter Reichel spricht davon, dass sich der Konsens des Beschweigens im Verlauf der 1950er Jahre immer wieder als brüchig erwiesen habe. Ders., S. 139. 333 Conze, Suche, S. 126. 334 Vgl. Schriftliche Ausführungen Schmidt-Hammers über seinen Lebenslauf und seine politische Vergangenheit v. 28.10.1956 – StAL, EL 322, Nr. 32518, Bd. 4, Bl. 3172–3179. 335 Schriftliche Auskunft der Firma Zeiss aus Schmidt-Hammers Personalakte. E-Mail v. 22.3.2004. 336 Dies geht aus einem Schreiben der Firma Zeiss hervor, mit dem sich die Geschäftsleitung und der Betriebsrat einem Gnadengesuch für Schmidt-Hammer anschließen. Schreiben Betriebsrat und Geschäftsleitung der Firma Zeiss v. 8.8.1961 – StAL, EL 322, Nr. 32518, Bü. 19, Bl. 7ff. 337 Abschrift der Zwischenbeurteilung Schmidt-Hammers durch seinen Vorgesetzten v. 27.10.1953, die dem Schreiben zum Gnadengesuch v. 8.8.1961 als Anhang beigefügt ist. 338 Referenz von Georg Heuser für Rudolf Schl. v. 23.3.1955 an die Daimler-Benz AG – Daimler-Chrysler, Personalakte Rudolf Schl., o.P. 339 Ebd. 340 Referenz von Viktor S. für Rudolf Schl. v. 23.3.1955 an die Daimler-Benz AG – Daimler-Chrysler, Personalakte Rudolf Schl., o.P. 341 Referenz von Paul W. für Rudolf Schl. v. 19.3.1955 an die Daimler-Benz AG – Daimler-Chrysler, Personalakte Rudolf Schl., o.P. 342 Richard W. an Direktor Daimler-Benz Sindelfingen v. 23.3.1957 – DaimlerChrysler, Personalakte Richard W. 343 Lebenslauf Richard W. – Daimler-Chrysler, Personalakte Richard W. 344 Referenzschreiben (Name geschwärzt) eines Mitarbeiters oder Vorgesetzten von Richard W. bei der Firma Kiefer in Gärtringen an Daimler-Benz v. 24.6.1957 – DaimlerChrysler, Personalakte Richard W. 345 Anstellungsvertrag – Daimler-Chrylser, Personalakte Richard W. 346 Vgl. Aussage Hans Harzheim v. 19.7.1960 – BAL, B 162/3290, Bl. 75–78. 347 Vgl. Ärztliches Gutachten von Werner Schö. v. 30.3.1965 – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1864, Bl. 162. 348 Telefonische Auskunft von Oskar von Bohuszewicz, Schwiegersohn des Firmenleiters Bernhard Sobizack v. 12.5.2004. Da keine Personalunterlagen mehr aus der betreffenden Zeit vorhanden waren, befragte er Familienmitglieder und ehemalige Beschäftig-

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te, auf deren Aussagen sich seine Antwort bezog. Grundlegende Firmendaten, die zur Ermittlung einer Nachfolgefirma von Sobizack führten, lieferte die Industrie- und Handelskammer Bielefeld. Schreiben IHK Bielefeld v. 28.4.2004. 349 Für die Eliten, die nach 1945 in die Selbständigkeit oder in die Wirtschaft gingen, hat Herbert genau das gleiche Phänomen konstatiert. Vgl. Herbert, Best, S. 457. 350 Berghoff weist zu Recht auf den verschleiernden Charakter dieses Begriffes hin. Ders. Verdrängung, bes. S. 112. 351 Vgl. Noethen, S. 324. 352 Vgl. ebd., S. 366. 353 Während Freudiger, Aufarbeitung, S. 19–21, Herbert, Best, S. 483, Frei, Vergangenheitspolitik, S. 29f. und Garbe, Abkehr, S. 704 davon ausgehen, dass das Gesetz zu Art. 131 GG einen Wiedereinstellungsanspruch für frühere Staatsbedienstete schuf, vertritt Noethen die gegenteilige Auffassung und verweist auf den Gesetzeskommentar von Georg Anders, Ministerialrat im Bundesinnenministerium, für den das Gesetz eine „Verpflichtung des Dienstherren“ darstellte, die sich „zu Gunsten“ des betroffenen Personenkreises auswirkte. Vgl. Noethen, S. 367. 354 Vgl. Herbert, Best, S. 487. Ausgewählte Nachkriegslebensläufe von GestapoBeamten finden sich in Paul, Selbstmord. 355 Aussage Rudolf Th. v. 2.11.1960 – BAL, B162/4974, Bl. 394. 356 Vgl. dto. – Ebd. Bl. 395. 357 Siehe ebd., Bl. 394. 358 Vgl. Personalbericht v. 27.5.1939 – BAB (ehem. BDC), SSO Wilhelm E., Film Nr. 169, Bl. 1333. 359 Wilhelm E. an Innenminister Nordrhein-Westfalen v. 6.3.1954 – Polizeipräsidium Recklinghausen, Personalakte Wilhelm E., Bl. 5–7, hier: Bl. 6. 360 Ebd. 361 Ebd. 362 Vgl. ebd., Bl. 5f. 363 Ebd., Bl. 7. 364 Vgl. Regierungspräsident Münster an Polizeipräsidenten Recklinghausen v. 6.4.1954 – Polizeipräsidium Recklinghausen, Personalakte Wilhelm E., Bl. 9. 365 Vgl. Personalbogen und handschriftlicher Lebenslauf Wilhelm E.s – Polizeipräsidium Recklinghausen, Personalakte Wilhelm E., Bl. 1f. und 12f. 366 Eidesstattliche Erklärungen Wilhelm E.s – Polizeipräsidium Recklinghausen, Personalakte Wilhelm E., Bl. 19f. 367 Vgl. Personalakte Walter He. – StADet, D 99, Nr. 14984. 368 Vgl. hierzu und im Folgenden Bewerbungsschreiben Walter He. an LKA NRW v. 20.4.1950 – Ebd., Akte C, Bl. 3. 369 Auch wenn Walter He. das Abtreibungsdezernat als günstiges, weil vermeintliches nicht nationalsozialistisch beeinflusstes Einsatzgebiet, anbrachte, so ist es tatsächlich ein Beispiel dafür, wie bereitwillig die Kriminalpolizei der NS-Politik folgte. Als Himmler 1937 ein massiveres Vorgehen gegen Abtreibungen für Kripo- und Gestapo-Leitern propagierte, ließ die entsprechende Radikalisierung der Maßnahmen seitens der Kriminalpolizei nicht lange auf sich warten. Vgl. dazu Wagner, Volksgemeinschaft, S. 250f. 370 Handschriftlicher Lebenslauf Walter He. – StADet, D 99, Nr. 14984, Akte C, Bl. 4. 371 Vgl. Melde- und Personalbogen zum Gesetz Art. 131 GG – StADet, D 99, Nr. 14984, Unterbringungsakte. 372 Walter He. an Innenminister NRW v. 23.3.1954 – StADet, D 99, Nr. 14984, Akte E, o.P.

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Vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover v. 25.8.1960 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 34, Bl. 68–73. 374 Eidesstattliche Erklärung Willi B. v. 9.5.1950 – StADet, D 99, Nr. 14984, Akte A, Bl. 8. 375 Eidesstattliche Erklärung Gerhard W. v. 13.6.1950 – Ebd., Bl. 9.; vgl. auch Meldeund Personalbogen zum Gesetz 131 GG – StADet, D 99, Nr. 14984, Unterbringungsakte. 376 Ausführlich findet sich der Lebenslauf D’heils bei Noethen, S. 324–326. 377 Äußerung Josef Mü. beim LKA NRW v. 17.5.1950 – StADet, D 99, Nr. 14984, Akte C, Bl. 8. 378 Ebd. 379 Vermerk LKA NRW v. 7.8.1950 – Ebd., Bl. 6. 380 Vgl. Arbeitszeugnis Versicherungsdienst Dr. Max Lenk KG v. 2.10.1948 – Ebd., Bl. 12. 381 Anlage zur Überprüfung des Polizeibewerbers Walter He. v. 19.8.1952 – Ebd., Bl. 22. 382 Vermerk Innenminister NRW v. 1.10.1954 – StADet, D 99, Nr. 14984, Akte E, o.P 383 LKA NRW an Regierungspräsidenten NRW v. 4.12.1954 – StADet, D 99, Nr. 14984, Akte C, Bl. 32. 384 Vgl. ausführlich dazu Noethen, S. 327–329. 385 Ferdinand Hahnzog an Regierungspräsidenten Arnsberg v. 24.5.1962 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1088, Bl. 19f. Das US-Militär legte über den Internierten Eweler eine Akte an. Vgl. Personal File Heinrich Eweler – NA, Record Group 319, Nr. XE000502, Box Nr. 678. 386 Protokoll der Zeugenaussage Hahnzogs v. 17.4.1963 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1088, Bl. 42. 387 Vgl. Hahnzog an Innenminister NRW v. 2.6.1962 – Ebd., Bl. 17f. sowie Protokoll der Zeugenaussage Hahnzogs v. 17.4.1963 – Ebd., Bl. 42f. 388 Vgl. Noethen, S. 397–399. 389 Protokoll der Zeugenaussage Hahnzogs v. 17.4.1963 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1088, Bl. 42. 390 Herbert, Best, S. 486. 391 Ebd., 487 392 Vgl. ebd., S. 473. 393 Mallmann/Angrick, Mörder, S. 21f. 394 Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen, Fassung v. 1.9.1953, § 67, Art. 2, BGBl. 1953 I, S. 1303. 395 Vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover v. 25.8.1960 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 34, Bl. 68f. 396 Hermann Ahrens v. 28.9.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 5, Bl. 267. 397 Vgl. Eidesstattliche Erklärung Heinrich H. v. 12.11.1951 und Eidesstattliche Erklärung Kurt B. v. 22.8.1953 – Polizeipräsidium Recklinghausen, Personalakte Wilhelm E., Bl. 22. 398 Eidesstattliche Erklärung Heinz B. von 1955 – Ebd., Bl. 33. 399 Undatierter Vermerk – Ebd., Bl. 18. 400 Vermerk der Polizei Recklinghausen v. 7.3.1955 – Ebd., Bl. 38. 401 Dazu Noethen, S. 380. 402 Vgl. Wagner, Resozialisierung, bes. S. 191. 403 Ebd. 404 Vgl. Noethen, S. 193f.

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Vgl. ebd., S. 194–196. So verweist Dietrich Schenk auf den Kollegenkreis um Paul Dickopf an der Führungsspitze des BKA, der nichts anderes war als ein Kreis alter Kameraden, die sich auf dem Kriminalkommissar-Anwärterlehrgang 1938 auf der Führerschule der Sicherheitspolizei in Charlottenburg kennengelernt hatten. Vgl. ders., bes. S. 66–74. 407 Wagner, Resozialisierung, S. 212. 408 Vgl. Brunner, Lebensläufe, bes. S. 126. 409 Böttcher/Schäfer, Polizei, S. 148. 410 Zitiert in: Noethen, S. 481. 411 Vgl. Noethen, S. 477. 412 Zu Bomhards Biografie und seiner Rolle in der Bundesrepublik und dem Netzwerk aus alten Kameraden, das Bomhard unterhielt, siehe Dierl; Hölzl. Dass Bomhard in den 1960er Jahren Erster Bürgermeister von Prien am Chiemsee war, machte ihn zum angesehenen Bürger und somit – zunächst – über jeden Verdacht erhaben. 413 Zur Rolle Bomhards in dieser Interessensvertretung siehe Hölzl, Bomhard, S. 22– 43. Zur Apologetik innerhalb der Polizei vgl. auch Mallmann, Fußvolk, bes. S. 357–359. 414 Wehner hatte zur Elite der Sicherheitspolizei gehört. Er war Dienst- und Referatsleiter im Reichskriminalpolizeiamt, Leiter der „Reichszentrale zur Bekämpfung von Kapitalverbrechen“ und war u.a. mit den Ermittlungen nach dem Attentat auf Hitler durch Georg Elser 1939 und dem Attentat auf Reinhard Heydrich 1942 beauftragt gewesen. Obwohl er offensichtlich hohes Vertrauen genossen hatte und den Rang eines SSSturmbannführers gehabt hatte, wurde er schließlich 1951 in die Gruppe V eingestuft und kam als „131er“ zur Dortmunder Polizei. Siehe dazu vor allem Noethen, S. 381f. 415 Vgl. Der Spiegel, Jg. 3, Nr. 40, 29.9.1949 bis Jg. 4, Nr. 16, 20.4.1950. 416 Eine biografische Studie Nebes liefert Rathert. Als Verschwörer beim Attentatsversuch v. 20. Juli 1944 wurde er festgenommen und im März 1945 hingerichtet. 417 Für die NS-Eliten stellt Herbert fest: „Die Politik Adenauers gegenüber den ehemaligen Nationalsozialisten hatte sich insofern bestätigt, als eine beinahe vollständige soziale Reintegration unter der Voraussetzung der jedenfalls öffentlichen Bejahung der demokratischen Republik und des Verzichts auf neo-nationalsozialistische Betätigung erreicht worden war.“ Herbert, Best, S. 474. 418 Melde- und Personalbogen zum Bundesgesetz nach Artikel 131 GG, unterschrieben von Heuser am 27.2.1953 – LHAK, 880, Nr. 13444, o.P. Bezüglich seiner Promotion legte er eine angebliche Abschrift eines Schreibens des Polizeipräsidenten in Berlin v. 16.11.1941 vor, in dem es hieß: „Wir teilen Ihnen hierdurch mit, dass die Promotionsurkunde der Deutschen Karls-Universität (Carolinum) in Prag vom 1.4.1941 hier eingegangen ist. Dieselbe befindet sich bei Ihrer Personalakte.“ Weil in Berlin aber keine Personalakte mehr vorhanden war und auch seine SS-Akten nach Kriegsende verschwunden waren, konnte Heuser, der schon während der NS-Zeit diesen Doktortitel geführt hatte, damit zunächst durchkommen. Während des Verfahrens gegen ihn vor dem Landgericht Koblenz wurde diesem Punkt sehr genau nachgegangen, zumal sich Heuser in seinen Aussagen in Widersprüche verwickelt hatte und im Verlauf der Ermittlungen eine Arbeit mit dem Titel „Die Problematik des Sektionsrechts. Insbesondere der klinischen Sektion“ auftauchte, die Heuser im Rahmen des Kriminalratsanwärter-Lehrgangs geschrieben hatte. Den gleichen Titel hatte er zuvor als Titel seiner Doktorarbeit angegeben. Vgl. Vermerk Abteilung 1K in Mainz v. 11.9.1959 – LHAK, 880, Nr. 13454, o.P. Schließlich gab er zu, niemals eine Promotionsurkunde besessen zu haben. Vgl. hierzu Heuser an Staw. Bornscheuer v. 3.13.1959 (auch hier unterschreibt er noch mit „Dr. Heuser“) – LHAK, 584,1, Nr. 8473, Bl. 1259; Zeitgeschichtliches Gutachten „Zum Problem der 406

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Gehorsamspflicht der Schutzstaffeln und der Polizei gegenüber Vernichtungsbefehlen unter besonderer Berücksichtigung der Vorgänge bei der Dienststelle des KdS Minsk“ von Hans-Günther Seraphim im Auftrag der Staatsanwaltschaft – LHAK, 584,1, Nr. 8536, Bl. 10743. Dort heißt es zu Heusers Behauptungen zur Erlangung seines Doktorgrades: „Die Angaben tragen so überdeutlich den Stempel der Unwahrheit an sich, dass über dieses Problem jede Diskussion überflüssig erscheint. Eine Regelung, wie Heuser sie angibt, hat es niemals gegeben. […] Immerhin erscheint diese Angelegenheit deshalb erwähnenswert, weil sie charakteristisch für Heuser ist.“ 419 Heuser an Präsidenten des Amts für öffentliche Ordnung der Stadt Mannheim v. 5.3.1953 – LHAK, 584,1, Nr. 8626, .o.P.; Bewerbung Heusers beim Leiter des LKA Rheinland-Pfalz v. 5.3.1953 – LHAK, 880, Nr. 13446, o.P. 420 Abschrift Zeugnis Internationale Transporte Palatia (Walter & Kärger) v. 30.6.1949 – LHAK, 880, Nr. 13443, Bl. 9. Im späteren Verfahren gegen Heuser waren die Ermittler zeitweilig sogar davon ausgegangen, dass Heuser nie bei dieser Firma gearbeitet hatte, bis von einem Rechtsanwalt in Heusers Auftrag das Originalschreiben übergeben wurde. Damit war klar, dass die falschen Angaben der Verschleierung dienten. Vgl. Vermerk der Abteilung K1 in Mainz v. 11.9.1959 – LHAK, 880, Nr. 13454, o.P.; Vermerk über die Nichtigkeitserklärung des Beamtenverhältnisses von Heuser v. 24.9.1959 – Ebd., o.P.; Das Original des Zeugnisses wurde der Personalakte beigefügt unter der Nr. 13455. Heuser leugnete später den gezielten Betrug: Schriftliche Antworten Heusers auf Fragenkatalog des Innenministers v. 18.11.1959 – Ebd. 421 Antwortschreiben auf Heusers Bewerbungsschreiben an LKA-Leiter RheinlandPfalz v. 30.3.1953 – LHAK, 880, Nr. 13446, o.P.; Antwortschreiben auf Heusers Bewerbungsschreiben an Präsidenten des Amts für öffentliche Ordnung Mannheim v. 7.3.1953 – LHAK, 584,1, Nr. 8666, o.P. 422 Heuser an Polizeipräsidenten Berlin v. 14.4.1953 – Ebd., o.P. 423 Lebenslauf Heusers v. 14.4.1953 – Ebd., o.P. 424 Polizeipräsident Berlin, Abteilung „K“ an Heuser v. 25.4.1953 – Ebd., o.P. 425 Heuser an Polizeipräsidenten Berlin v. 17.11.1953 – Ebd., o.P. 426 Vgl. Polizeipräsident in Berlin an Heuser v. 8.12.1953 – Ebd., o.P. 427 Vgl. Heuser an Oberbürgermeister Ludwigshafen v. 10.9.1953 – LHAK, 880, Nr. 13446, o.P. 428 Heuser an Dingermann v. 10.1.1954 – Ebd., o.P. 429 Hoßbach hatte Dingermann kennengelernt, als er beim Bundeskriminalamt Wiesbaden für die Sicherungsgruppe Bonn arbeitete. Vgl. Vermerk der Sonderkommission „P“ über eine informatorische Vernehmung von Johannes Hoßbach v. 6.4.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8482, Bl. 2701. 430 Vgl. Vermerk der Sonderkommission „P“ über eine informatorische Vernehmung von Johannes Hoßbach v. 6.4.1960 – Ebd. 431 Johannes Hoßbach an Ministerium des Innern von Rheinland-Pfalz v. 21.3.1954 – LHAK, 584,1, Nr. 8467, Bl. 414. 432 Vgl. Vermerk bei der Abteilung „K“ in Berlin v. August 1955 – LHAK, 584,1, Nr. 86666, o.P. 433 Vgl. Schreiben Polizeipräsident in Berlin, Abteilung „K“ an Leiter der Kriminalpolizei Mannheim v. 30.8.1955 – Ebd., o.P. 434 Erich Ehrlinger über Heuser in seiner Vernehmung v. 21.5.1959 – BAL, B 162/2644, Bl. 2623. 435 So nannte ihn Strohm, ehemaliger Dienststellenangehöriger in Minsk und während des Prozesses gegen Heuser und andere vorübergehend dessen Rechtsanwalt. Zeitge-

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schichtliches Gutachten „Zum Problem der Gehorsamspflicht der Schutzstaffel und der Polizei gegenüber Vernichtungsbefehlen unter besonderer Berücksichtigung der Vorgänge bei der Dienststelle des KdS Minsk“ von Hans-Günther Seraphim im Auftrag der Staatsanwaltschaft – LHAK, 584,1, Nr. 8536, Bl. 10744. 436 Vernehmung Paul Rumschewitz v. 20.7.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8795, Bl. 4155. Rumschewitz gehörte zu den Personen, zu denen Heuser nach Kriegsende Kontakt aufnahm. 437 Beurteilung Heusers beim Polizeipräsidium Ludwigshafen für die Zeit v. 1.5.1954 bis 31.8.1954 – LHAK, 880, Nr. 13443, Bl. 15. Vgl. auch Zeugnis Polizei-Insitut Hiltrup über die Teilnahme an einem Kriminalrats-Anwärterlehrgang v. 2.12.1955 – Ebd., Bl. 21. 438 Vermerk über Heusers Lehrgangsleistung v. 13.12.1955 – LHAK, 880, Nr. 13443, Bl. 23. 439 Artikel „Ehrenvolle Berufung“ in „Rheinpfalz“ (5.8.1955). 440 Vgl. Ernennungsurkunde v. 18.5.1956 und Ministerium des Innern RheinlandPfalz an Heuser v. 18.5.1956 – LHAK, 880, Nr. 13445, o.P. 441 Vgl. Ministerium des Innern Rheinland-Pfalz an Heuser v. 20.6.1956 – LHAK, 880, Nr. 13445, o.P. 442 Vgl. Vermerk Schneeberger, Leiter der Polizeiabteilung im Innenministerium Rheinland-Pfalz, über eine Unterredung mit Heuser v. 10.1.1956 – LHAK, 880, Nr. 13446, o.P. In Nordrhein-Westfalen bestritt man, an Heuser herangetreten zu sein. 443 Vgl. ebd. 444 Heuser an LKA, Regierungs-Oberinspektor Jonas, Ministerium des Innern v. 20.8.1957 – LHAK, 880, Nr. 13452, o.P. 445 Vgl. die Antwort des rheinland-pfälzischen Innenministers Wolters auf eine große Anfrage der SPD zum Fall Heuser: Stenographischer Bericht über die 5. Sitzung des Landtages Rheinland-Pfalz im Landtagsgebäude zu Mainz am 6. Oktober 1959 – LHAK, 880, Nr. 13453, S. 119f. 446 Telefonverzeichnis SD-Hauptamt von 1944 – BAD-H, Z 920 A. 61, Bl. 2. 447 Vgl. Verhandlung vor dem LG Stuttgart – BAL, B 162/18080, Tonbandprotokoll Bd. 6, S. 7f. 448 Wolkenhöhe, in: Der Spiegel, Nr. 40/1968, S. 58f., hier: S. 59. 449 Verhandlung vor dem LG Stuttgart – BAL, B 162/18080, Tonbandprotokoll Bd. 6, S. 7. 450 Tonbandprotokoll der Gerichtsverhandlung – Ebd., 6, S. 6f. 451 Journalisten-Handbuch 1956, S. 355. Journalisten-Handbuch 1960, S. 407. Journalisten-Handbuch, 1966, S. 342. 452 Weder Günther Wilke, der 1953 der Redaktion des Norddeutschen Echos angehörte, noch Hans Motzner, Chefredakteur dieser Zeitung in Kiel von 1949 bis 1951, können sich an einen Fritz Zi. erinnern. Für das Engagement, mit dem Günther Wilke der Anfrage der Autorin nachging, sowie das informative Telefongespräch v. 25.5.2004 sei ihm an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich gedankt. Ebenfalls bedanke ich mich bei Christian Koberg vom DKP-Parteivorstand für die Weitervermittlung an Günther Wilke. 453 In den Personalunterlagen sowie in der Autorenkartei des Rheinischen Merkur ist für den in Frage kommenden Zeitraum kein Fritz Zi. verzeichnet. – E-Mail von Sybille Mohnhoff (Archiv Rheinischer Merkur) an die Autorin v. 12.5.2004. Dr. Otto B. Roegele, damaliger Chefredakteur und bis zu seinem Tod im September 2005 Mitherausgeber des Rheinischen Merkurs, bestätigte diesen Befund mit dem Hinweis, dass es keine norddeutsche Redaktion des Blattes gegeben habe. – Telefonate der Autorin mit Dr. Roegele v. 15.5.2004 und 1.6.2004. Dr. Otto B. Roegele, Sybille Mohnhoff und

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Dr. Birgitta Mogge-Stubbe danke ich für ihr Engagement, mit dem sie meiner Anfrage begegnet sind, und für Ihre weiterführenden Recherchetipps. 454 Auskunft von Herrn Reichard von der Presse-Versorgungsstelle. – Telefonat der Autorin mit ihm v. 20.7.2004. Auskunft des Geschäftsführers des Hamburger Journalisten-Verbandes, Stefan Endter. – E-Mail von Stefan Endter an die Autorin v. 1.6.2004. 455 Falls dort Akten über Fritz Zi. vorhanden sind, sind sie als Verschlusssache eingestuft und nicht zugänglich. Schreiben des BND (Archivwesen) an die Verfasserin v. 19.5. und 5.7.2004. 456 Vgl. Aussage des Zeugen Gerhard A. gegenüber den Amerikanern in Dachau v. 25.10.1945. – StAL, EL 317 III, Bü. 1766, Bl. 5. 457 In den Akten an dem Kürzel G2 erkennbar. 458 CIA Name File Fritz Zi. – NA, Washington RG 263, Box 51–58. Alle im weiteren Text genannten CIA-Informationen stammen aus dieser Akte, die nicht vollständig sein muss. In der vorliegenden Kopie der Akte sind fast alle Namen Dritter geschwärzt, ebenso die Empfänger der Informationen. Meist ließen sich die so entstandenen Lücken in den Texten durch intensive Recherche schließen. 459 Das Konzept selbst wird dem ehemaligen SS-Standartenführer Dr. Alfred FrankeGricksch zugeschrieben, u.a. Leiter des Amts I im SS-Personalhauptamt und Schwiegersohn Gregor Strassers. Der „Bruderschaft“, die ein Netz von Zellen in allen westdeutschen Zonen gespannt hatte, gehörten durchweg ehemalige NS-Führer an, so der ehemalige Reichsjugendführer Arthur Axmann, der eine Zelle der Bruderschaft in Hamburg führte, der ehemalige Generalleutnant der Division „Großdeutschland“, Hasso von Manteuffel, oder Hans Fritzsche, der ehemalige Leiter der Rundfunkabteilung im Reichspropagandaministerium. Die „Bruderschaft“ wurde um 1951 von Werner Naumann, dem ehemaligen persönlichen Referenten von Joseph Goebbels, übernommen, der in Düsseldorf bereits ehemalige NS-Funktionäre in einem „Düsseldorfer Kreis“ mit dem Ziel zusammengebracht hatte, den bestehenden Staat zu stürzen. Vgl. Opitz, S. 243–257 sowie die Einträge zu Alfred Franke-Gricksch und Werner Naumann im Lexikon Rechtsextremismus des Informationsdienstes gegen Rechtsextremismus, www.lexikon.idgr.de. 460 Rechtshilfegesuch der Militäroberstaatsanwaltschaft UdSSR wegen Wiederaufnahme der Untersuchung zum Fall Helmut S. v. 10.7.1989 – BStU, MfS HA IX/11 AV 14/89, Bl. 4. 461 Diverse Zeitungsausschnitte v. Frühjahr 1952, die im HStAD überliefert sind, informieren über diese Umbenennung, ohne jedoch ein genaues Datum zu nennen. Für diese Information und die vorausgehende Recherche im Bestand des Verfassungsschutzes danke ich Dr. Horst Romeyk vom HStAD – E-Mail von Dr. Horst Romeyk an die Verfasserin v. 15. und 18.11.2004. 462 Die Aussage von Wolf Schenke 1973 gegenüber dem Autor Rainer Dohse findet sich in: Dohse, S. 110, Fußnote 281. 463 Obwohl der Name im CIA-Dokument geschwärzt ist, lässt der Kontext keinen anderen Schluss zu, als dass es sich um Bruno Fricke handelt. – Vgl. Stöss, Union, S. 1241– 1278, zu Fricke besonders S. 1248 und S. 1266f. 464 Seine Position in der DSP verdankte Fricke seiner engen Beziehung zu Gereke. Zu Gerecke vgl. die Einleitung von Stöss, S. 1266 (zu Gerekes Biografie besonders Fußnote 71). 465 Wie alle Namen Dritter ist auch der dieser Person in der Kopie leider unkenntlich gemacht. 466 Wie alle Namen Dritter ist auch der dieser Person in der Kopie leider unkenntlich gemacht.

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BND an die Zentrale Stelle v. 4.5.1966 – BAL, B 162/25304. Verhandlung vor dem LG Stuttgart – BAL, B 162/18080, Tonbandprotokoll Bd. 6, S. 7f. 469 Für die NS-Eliten stellte Ulrich Herbert daher fest, dass sie Kontakte zu ehemaligen Mitarbeitern eher vermieden. Vgl. ders., NS-Eliten, bes. S. 109. 470 Bei einer Hausdurchsuchung stellte die Polizei einen Ordner mit 124 Seiten sicher, nach Angaben Harders Schriftwechsel mit Personen, die mit ihm in Dachau gewesen waren. Vgl. Durchsuchungsbericht kriminalpolizeiliche Sk „P“ v. 18.2.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8477, Bl. 1989. 471 Aussage August Hä.s (als Zeuge) im Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft München beim LG München I gegen ehemalige Angehörige der Einsatzgruppe D v. 11.6.1963 – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bd. 19, Bl. 4108. 472 Aussage August Hä. v. 31.5.1965 – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bl. 3441f. 473 Auch Filbert gab an, Gerhard S. sowie einen weiteren Angehörigen des Ek 9 nach 1945 „zufällig“ getroffen zu haben. Bei der Berliner Staatsanwaltschaft unterstrich man im Vernehmungsprotokoll das Wort „zufällig“ doppelt mit roter Farbe. Vgl. Vernehmung Filbert v. 11.5.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 1, Bl. 175. Vgl. auch Zwischenbericht in der Ermittlungssache gegen Gerhard S. v. 5.5.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 4, Bl. 78. 474 Diese Verbindungen gehen aus den Untersuchungen zu zum Teil illegalen Unterstützungs- und Verschleierungsversuchen aus dem Kollegen- und Freundeskreis von Friedrich Me. während dessen Untersuchungshaft hervor. Vgl. u.a. Essener Untersuchungsrichter an die ZSL v. 21.12.1964 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1089, Bl. 154– 156. 475 Aussage Heinrich Win. v. 21.8.1963 – StAM, Staatsanwaltschaft München I 35306/9, Bl. 1884. 476 Das erklärte Fritz Zi. als Zeuge in einer Gegenüberstellung mit dem Angeklagten Harder. Vgl. Aussage Fritz Zi. v. 7.11.1961 – BAL, B 162/1325, Bl. 347 und 351. 477 Aussage Richard W.s v. 14.12.1960 – StAL, EL 317 III, Bü. 1081, Bl. 8. 478 Heuser schrieb damals vielsagend: „Sie hat in einer Zeit, als ihr zukünftiger Mann sich in einer exponierten und gefährlichen Stellung im SD-mäßigen Einsatz in RusslandMitte befand, in jeder Situation hervorragend und kameradschaftlich zu ihm gehalten.“ Vgl. Schreiben Heusers (o.D.) – BAB, RS F 343, Nr. 7, Bl. 70. 479 Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 552, S. 172. 480 Vgl. Vermerk der Sonderkommission „P“ v. 30.11.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8503, Bl. 5879–58881 sowie Vernehmung Friedrich Merbach v. 2.6.1961 – LHAK, 584,1, Nr. 8754, Bl. 7619. 481 Rumschewitz gab an, dass Heuser und Merbach sie bereits 1945 besucht hätten, was den Zeitangaben Merbachs widerspricht. Vgl. Vernehmung Rumschewitz v. 28.12.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8959, o.P. 482 Vernehmung Wilke v. 16.8.1961 – LHAK, 584,1, Nr. 8754, Bl. 8815. Die erwähnten jüdischen Geschwister gab es tatsächlich. Sie hatten nach eigenen Angaben Heuser darauf aufmerksam gemacht, dass sie keine „Volljuden“ seien und waren daraufhin aus dem Minsker Ghetto herausgekommen und zur Arbeitsleistung bei der Dienststelle des BdS/KdS Minsk herangezogen worden. Ob sich Heuser allerdings bei ihnen versteckt hielt, ließ sich nicht feststellen. Vgl. Ferdinand T. (einer der Geschwister) an ZSL v. 26.6.1961 – LHAK, 584,1, Nr. 8666, o.P. Zu Wilke siehe auch Mallmann, Sicherheitspolizei. 483 Vgl. Vernehmung Ulrich Fr. v. 8.8.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8755, Bl. 4339. 484 Zu Kuhn-Weiß siehe Hachmeister, Schleyer, S. 209–211. 468

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Vgl. Vernehmung Friedrich Kuhn-Weiß v. 18.8.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8494, Bl. 4452–4466. Befragt nach seinen Verbindungen zu ehemaligen Kameraden aus Minsk hielt sich Kuhn-Weiß bewusst bedeckt und machte auch Falschangaben zu seiner eigenen NS-Biografie. Nach der Ermordung Schleyers warnte er dessen Familie, dass ein politisch links eingestellter Journalist eine Biografie zu schreiben plane, in der auch Schleyers Rolle vor 1945 angesprochen werden könne. Er schlug er der Familie einen Publizisten vor, der eine eigene Geschichte Schleyers schreiben und dabei die Zeit des Nationalsozialismus angemessen behandeln werde. Vgl. Hachmeister, Schleyer. 486 Vgl. Vernehmung Julius G. v. 6.1.1962 – LHAK, 584,1, Nr. 8529, Bl. 9810–9814; Vernehmung Ernst Mu. v. 2.3.1961 – LHAK, 584,1, Nr. 8510, Bl. 6896f.; Vernehmung Josef F. v. 27.3.1961 – LHAK, 584,1, Nr. 8511, Bl. 7113; Vernehmung Heinz Sch.v. 14.11.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8501, Bl. 5505. 487 Vgl. Vernehmung Ilse B. v. 16.8.1955 – LHAK, 584,1, Nr. 8666, o.P. 488 Ondrejs Aussagen sind mit Vorsicht zu behandeln, da er während seiner Vernehmung hauptsächlich log, Tatsachen verschwieg oder verdrehte und sich mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit und noch immer währenden Einstellung zu produzieren versuchte. Vgl. Vernehmung Theodor Ondrej v. 23.5.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8485, Bl. 3186ff.; Bl. 3129–3196 befindet sich ein Vermerk der Vernehmungsbeamten, der Aufschluss über Ondrejs Verhalten und seine nationalsozialistische Einstellung gibt. Zu der Verbindung zwischen Rudolf Schl. und Ondrej vgl. auch Aussage Rudolf Schl. v. 12.5.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8484, Bl. 3027. 489 Aussage Merbach v. 2.6.1961 – LHAK, 584,1, Nr. 8754, Bl. 7619. 490 Vgl. Aussage Theodor Ondrej v. 23.5.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8485, Bl.3139. 491 Vgl. Aussage Willi Foge v. 25.6.1962 – LHAK, 584,1, Nr. 8539, Bl. 11163– 11167. 492 Aussage Paul Rumschewitz v. 28.12.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8759, o.P. 493 So die Beschreibung in einer Beurteilung für eine Beförderung zum Polizeimeister v. 18.6.1956 und einer Beurteilung für die Ernennung zum Polizeiobermeister v. 23.9.1961 – Polizeipräsidium Recklinghausen, Personalakte Wilhelm E., Bl. 60 und 82. 494 Beurteilung Wilhelm E.s für die Ernennung zum Polizeiobermeister v. 23.9.1961 – Ebd., Bl. 82. 495 Personalbericht v. 27.5.1939 – BAB (ehem. BDC), SSO Wilhelm E., Film Nr. 169, Bl. 1333. 496 Beurteilung Schmidt-Hammers v. 27.10.1953 – StAL, EL 322, Nr. 32518, Bl. 9. 497 Vgl. Beurteilung v. 22.5.1963 – Daimler-Chrysler, Personalakte Rudolf Schl., o.P. Zu beachten ist, dass das Zeugnis wohl auf Wunsch Rudolf Schl.s nach seiner Verhaftung ausgestellt wurde. 498 Beurteilung für die Zeit v. 1.12.1954 bis 25.3.1955 – StADet, D 99, Nr. 14984, Akte A, Bl. 11. 499 Dto. – Ebd., Bl. 12. 500 Beurteilung für die Zeit v. 26.3.1955 bis 14.3.1957 – Ebd., Bl. 15. 501 Vgl. Aktenvermerk des Untersuchungsrichters beim LG Essen v. 21.9.1962 und Schreiben Polizeiinstitut Hiltrup an Untersuchungsrichter beim LG Essen aus dem gleichen Monat – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1087, Bl. 266a und 275. 502 Diese Angabe machte Friedrich Me., der sich in der Rolle des Wichtigen und Geheimnisvollen gefiel, in seinem späteren Prozess. Der BND bestätigte solche Kontakte gegenüber dem LKA Nordrein-Westfalen auf Anfrage nicht. Vgl. LKA NordrheinWestfalen an Innenminister Nordrhein-Westfalen v. 29.11.1962 – HStAD, NW 899, Nr. 117, Bl. 185f.

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Nachrichtenstelle im Polizei-Abschnitt Osterholz an Niedersächsischen Minister des Innern, LKA Niedersachsen und Regierungspräsidenten v. 18.5.1962 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 35, Bl. 80–82. In einer heimatgeschichtlichen Publikation wird Gerhard S. als „Dr. S.“ geführt, der den ersten Siedlungsverein gegründet habe. Vgl. Fremde Heimat Niedersachsen, bes. S. 93. 504 Dies geht aus einer Solidaritätsbekundung des Schuldirektors Gustav H. aus Schwanenwede an Gerhard S. v. 13.10.1959 hervor. – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 34, Bl. 142. 505 Aus der Einleitung in: Wildt (Hg.), Nachrichtendienst, S. 30f. 506 Nachtwei, S. 77. 507 Hierzu ausführlich Conze, Republik.

Strafrechtliche Verfolgung – Endpunkt der Integration? 1

Ich folge damit der Überlegung von Conze, Republik; zu den intellektuellen Debatten der 1960er Jahre vgl. Rusinek. 2 Gallus, S.43. 3 Ebd., bes. S. 43–47. Metzler, Ende, bes. S. 73. 4 Vgl. Wolfrum, Demokratie, S. 155. 5 Herbert, Lernprozess, S. 41. 6 Vgl. ebd.,S. 40. 7 Metzler, Ende, S. 47. 8 Dahrendorf, S. 471. 9 Vgl. Conze, Republik, bes. S. 538. 10 Beispielhaft hat Christina von Hodenberg diesen Prozess für die bundesdeutsche Presse beschrieben. Einen Überblick bietet Korte, Gesellschaft. 11 Vgl. von Hodenberg. 12 Gallus, S. 49. 13 Wolfrum, Demokratie, S. 187. 14 Liberalisierung soll hier im Sinne Herberts verstanden werden als eine „Modernisierung der Lebensweisen und -normen und der politischen Einstellungen im Sinne von Partizipation, Pluralität und Abbau hierarchischer und autoritärer Strukturen“, als „wertund handlungsbezogener Begriff der politischen Kultur, der sich auf Dispositionsstrukturen der Gesellschaft von der Familie bis zur Regierung bezieht.“ Bewusst soll der Begriff nicht gleichgesetzt werden mit dem lange Zeit in diesem Zusammenhang gebräuchlichen aber inzwischen fraglich gewordenen Begriff der „Verwestlichung“. Herbert, Liberalisierung, S. 12. 15 Van Laak, S. 306. 16 Conze, Suche, S. 183. 17 In den Reihen des BKA war es Kriminaldirektor Bernd Niggemeyer, der sich der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung während des Nationalsozialismus positiv erinnerte und eine nur gering modifizierte Neuauflage forderte, damit aber letztlich nicht durchkam. Wie Patrick Wagner feststellt, stand diesen ideologischen Kontinuitäten inzwischen eine „Diskontinuität in den gesellschaftlichen Machtverhältnissen“ gegenüber. Vgl. ders., Volksgemeinschaft, S. 407. 18 Vgl. dazu die Beiträge in Herbert, Liberalisierung. 19 Vgl. Freudiger, Aufarbeitung, S. 22; Perels, Amnestien, bes. S. 679. 20 Ausführlich über die verschiedenen Faktoren, die zu ihrer Gründung führten vgl. Weinke, Verfolgung S. 82–93. Zu ihrer Geschichte und zur Geschichte der in Nordrhein-

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Westfalen eingerichteten Zentralstelle Dortmund siehe: Weinke, Gesellschaft; Pauli; Dreßen; Rondholz; Maaß. 21 Vgl. u.a. Bästlein. 22 Zu dieser Diskussion ausführlich Weinke, Verfolgung, S.88–90. 23 Zur Verjährung: Bauer, Labyrinth, bes. S. 153. 24 Zu den fatalen Folgen dieser Verjährungsregelung siehe Freudiger, Aufarbeitung. 25 Auf die Auswirkung auf die Verfolgung nicht nur von sogenannten Schreibtischtätern, sondern auch von Tätern wie Fahrern oder Schützen weist Greve, bes. S. 201 hin. 26 Herbert wendet sich in seiner Studie akribisch gegen die Lesart des Gesetzesbeschluss als „Panne“; er geht von einer gezielten Aktion des Leiters der Strafrechtsabteilung im Bundesjustizministeriums, Eduard Dreher, aus. Vgl. ders., Best, S. 508–510. 27 Für Steinbach war dies ein zentraler Verdienst der Prozesse. Ders., NS-Prozesse; Irmtrud Wojak und Susanne Meinl bezeichneten den Auschwitz-Prozess als mediales Ereignis, das eine Mauer des Schweigens über den Völkermord im Osten eingerissen habe: dies., S. 8. 28 Vgl. Bericht über den Prozessverlauf des Polizeibeamten Hans B. v. 9.8.1963 – HStAD, NW 334, Nr. 50, Bl. 106; Brink, „Auschwitz“. 29 Krause, Eichmann-Prozess, S. 190. 30 Vgl. Herwig; Weinke, Gesellschaft, bes. S. 60–70. 31 Es würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen, die Lern- und Veränderungsprozesse in den unterschiedlichsten gesellschaftlichen, politischen und wissenschaftlichen Bereichen auch nur zu skizzieren. Ausführlich dazu: der von Herbert herausgegebene Sammelband Wandlungsprozesse; der von Frese, Paulus und Teppe herausgegebene Band Demokratisierung und gesellschaftlicher Aufbruch, hervorzuheben ist darin der Beitrag von Wolfrum, „Geschichtsbild“; schließlich der von Schildt, Siegfried und Lammers herausgegebene Band Dynamische Zeiten. 32 Vgl. Aussage Schmidt-Hammer v. 9.11.1955 und 8.5.1956 – StAL, EL 322, Nr. 32518, Bd. 1, Bl. 40–48 und Bl. 250–262. 33 Zur „Endlösung“ in Litauen siehe Matthäus, Grenze; Benz/Neiss (Hg.), Judenmord; Benz, Ermordung; Curilla. Was den Ablauf der Erschießungen angeht, folgt Curilla den Aussagen der Zeugen und Angeklagten vor Gericht.. 34 Vgl. Eröffnungsbeschluss des Landgericht Ulm v. 23.7.1956 – StAL, EL 322, Nr. 32518, Bd. 1, Bl. 491–496. 35 Vgl. Eidesstattliche Versicherung der Ehefrau Schmidt-Hammers v. 12.7.1957 – StAL, EL 48/2 I, Bü. 11, Bl. 3546. 36 Bericht des LKA Baden-Württemberg über die Verhaftung Schmidt-Hammers an die Strafkammer beim Landgericht Ulm – StAL, EL 322, Nr. 32518, Bd. 14, Bl. 3526. Direkt bei der Verhaftung sprach Schmidt-Hammer wieder davon, Selbstmord zu begehen, weil er eine Untersuchungshaft nicht durchstehen könne. 37 Artikel „Heuser wollte einen Mitwisser zu falschen Aussagen bewegen“ in der Rhein-Zeitung v. 22.11.1962 – StAL, EL 317 III, Bü. 1191. 38 Aussage Erich Ehrlinger v. 8.5.1959 – BAL, B 162/2644, Bl. 2619. 39 Aussage Erich Ehrlinger v. 21.5.1959 – Ebd., Bl. 2623. 40 Strafanzeige des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg, Zentrale Stelle, gegen Heuser v. 13.7.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8465, Bl. 3; Haftbefehl des Amtsgerichts Karlsruhe gegen Heuser v. 15.7.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8626, Bl. 1. 41 Zu den Dortmunder Ermittlungen siehe OStA Dortmund an StA Mainz v. 9.12.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8474, Bl. 1380. 42 Vgl. Aussage Friedrich Me. v. 1.8.1961 – BAL, B 162/3572, Bl. 53.

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Vgl. Aussage Karl D. v. 24.8.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8469, Bl. 723. Vgl. Aussage Karl D. v. 24.8.1959 – Ebd., Bl. 729. 45 Vermerk der Kriminalpolizeilichen Sonderkommission „P“ (Mainz) v. 5.2.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8753, Bl. 2f. 46 Aussage Karl D. v. 24.8.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8469, Bl. 738; Vgl. ebenso Vermerk der Kriminalpolizeilichen Sonderkommission „P“ in Mainz über die Vernehmung Karl D.s v. 1.8.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8753, Bl. 1880f. 47 Vgl. Aussage Theodor Gr. v. 21.8.1959 im Verfahren gegen Erich Ehrlinger – BAL, B 162/2646, Bl. 3959. 48 Vgl. Aussage Theodor Gr. v. 19.7.1960 – BAL, B 162/1570, Bl. 123–132. Theodor Gr. äußerte sich darin u.a. über die Tötung mit Gaswagen und die Erschießung der Patienten einer Anstalt in Igrin, ohne dazu gefragt worden zu sein. Er erwähnte auch, zwar ohne sie so zu nennen, die Erschießung der Kiewer Juden in der Schlucht von Babi Jar, die er als „Zuschauer“ gesehen habe. 49 Vgl. Aussage Noa v. 4.2.1962 – StAM, Staatsanwaltschaft München I 33109, Bd. 4, Bl. 849f. 50 Tatsächlich muss ihm jemand den zunächst abschlägigen Bescheid des AG Münster über die beantragte Ausstellung eines Haftbefehls zugespielt haben. 51 Aussage Walter He. v. 9.1. 1962 nach seiner Verhaftung – HStAD, Gerichte Rep. 240, Nr. 106, Bl. 1379. 52 Dto. – Ebd. 53 Zur Festnahme a. 20.3.1063: BAL, B 162/3777, Bl 12; Verfügung des Staatsanwalts v. 21.3.1963 – Ebd., Bl. 15; Bericht über Transport Wilhelm E.s zum Gefängnis Düsseldorf-Derendorf v. 21.3.1963 – Polizeipräsidium Recklinghausen, Personalakte Wilhelm E., o.P. 54 Aussage Wilhelm E. v. 21.3.1963 – BAL, B 162/3777, Bl. 16. 55 Aussage Wilhelm E. v. 2.11.1960 – BAL, B 162/4981, Bl. 394 (Ermittlungsakte gegen Hugo Raschendorfer). Das Verfahren der Staw München gegen Raschendorfer wurde abgetrennt von den Verfahren gegen Rudolf Th. und Heilig, die vor dem LG Heilbronn angeklagt waren. Die Akten aus dem Prozess gegen Rudolf Th. wurden anschließend vom LG Heilbronn an die Staatsanwaltschaft München für das dortige Verfahren gegen Raschendorfer abgegeben und verlieben dort. 56 Aussage Wilhelm E. (wahrscheinlich 1961) – Ebd., Bl. 457. 57 Aussage Karl D. v. 24.8.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 9469, Bl. 722. 58 Aussage Hans Harzheim v. 19.7.1960 – BAL, B 162/3290, Bl. 76. 59 Vgl. Aussage Ingeborg L. (Geliebte von Werner Schö.) am 4.6.1960 – Ebd., Bl. 61. 60 Vgl. Bericht über versuchte Verhaftung und Fahndung nach Werner Schö. durch das bayerische LKA v. 8.12.1959 – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1868, Bl. 66. 61 Vgl. Aussage Hans Harzheim v. 19.7.1960 – BAL, B 162/3290, Bl. 57. 62 Vgl. Werner Schö. an seine Ehefrau v. 25.2.1960 – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1868, Bl. 9. 63 Aussage Ingeborg L. v. 4.6.1960 – BAL, B 162/3290, Bl. 62. 64 Vgl. Aussage Ingeborg L. v. 4.6.1960 – Ebd.; Aussage Hans Harzheim v. 19.7.1960 – Ebd., Bl. 77. 65 Vgl. Aussage Hans Harzheim v. 19.7.1960 – Ebd., Bl. 57 und Aussage Ingeborg L. v. 4.6.1960 – Ebd., Bl. 62. 66 Vgl. Aussage Ingeborg L. v. 4.6.1960 – Ebd., Bl. 62. Sie vermutete außerdem, dass Werner Schö. wieder Kontakt zu seiner ehemaligen Freundin Jutta R., die ihm damals bei seiner Flucht bei Kriegsende geholfen hatte, aufgenommen hatte. 44

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ANMERKUNGEN

Anonymes Schreiben aus Österreich an BKA Wiesbaden v. 6.11.1959 – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1849, Bl. 41. 68 Anordnung AG Köln v. 14.12.1959 – BAL, B 162/3290, Bl. 39. 69 Nach der Befragung durch die österreichische Polizei schrieb Julius S. der Ehefrau Werner Schö.s einen erbosten Brief, dass er nun nichts mehr mit der Sache zu tun haben wolle. 70 Staw München v. 7.4.1960 an BKA Wiesbaden – BAL, B 162/3290, Bl. 52. 71 Das Treffen hatte Werner Schö. schriftlich mit Harzheim vereinbart. Vgl. Aussage Hans Harzheim v. 19.7.1960 – Ebd., Bl. 77. Außerdem traf er mit seiner Freundin zusammen. Vgl. Aussage Ingeborg L. v. 4.6.1960 – Ebd., Bl. 63. 72 Die Verbindungen Werner Schö.s nach Hausleiten hatte die österreichische Krimnalpolizei recherchiert. Vgl. Interpol Wien an BKA Wiesbaden v. 14.6.1960 – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1876, Bl. 89, Mitteilung des BKA Wiesbaden an Staw München – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1868, Bl. 50f. und die darauf folgenden weitere Ermittlung der Staatsanwaltschaft München: StA München an Ermittlungsrichter AG Köln v. 28.6.1960 – HStAD Gerichte Rep. 267, Nr. 1876, Bl. 88. 73 Vgl. Aussage Hans Harzheim v. 19.7.1960 – BAL, B 162/3290, Bl. 77 sowie Aussage Ingeborg L. v. 4.6.1960 – Ebd., Bl. 65. 74 Zu den Ermittlungen vgl. Aktenvermerk des LKA Bayern v. 27.6.1960 – Ebd., Bl. 66f. 75 Bundeskriminalblatt v. 6.7.1960, Jg. 10, Nr. 1431. 76 Vgl. Aussage Ingeborg L. v. 4.8.1960 – BAL, B 162/3290, Bl. 80f. und Aussage der Pensionswirtin Maria W. v. 30.8.1960 – Ebd., Bl. 83f. 77 Rudolf Aschenauer an Staanwanwaltschaft Köln v. 26.3.1961 – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1876, Bl. 109. 78 LKA Bayern an StA München v. 17.5.1961 über die Selbststellung Werner Schö.s und die Tatsache, dass die StA Köln den Münchner Haftbefehl nicht umsetzte, sondern Werner Schö. zum Ermittlungsrichter nach Dortmund bringen ließ – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1868, Bl. 51. 79 Vgl. Kwiet, Tätern, bes. S. 119. 80 Vermerk der Kriminalpolizeilichen Sonderkommission „P“ v. 5.2.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8753, Bl. 3. 81 Vgl. Ducklau, Befehlsproblematik, S. 152. 82 Vgl. u.a. Kitterman. 83 Vgl. Heinz Ta. an Berliner Senator für Justiz v. 30.11.1967 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7096, Gnadenheft, Bl. 21.; Friedrich Me. an Untersuchungsrichter beim LG Essen v. 30.6.1963 – HStAD, Gerichte Rep. 299. Nr. 1088, Bl. 55f. 84 Aussage Karl D. v. 11.5.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8484, Bl. 3063. 85 Vorstand der Strafgefängnisse und der Untersuchungshaftanstalt Köln an Gnadenstelle beim LG Köln v. 10.11.1964 – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1866, Bl. 7. 86 Aussage Heinrich Win. v. 16.12.1971 – BAL, B 162/1021, Bl. 187–195. Der Untersuchungsrichter beim LG München I fasste zusammen, dass Heinrich Win. in vollem Umfang alle ihm zur Last gelegten Taten bzw. überhaupt eine Beteiligung daran bestreite. Vgl. Untersuchungsrichter beim LG München I an Generalstaatsanwalt der UdSSR v. 3.5.1972 – BAL, B 162/1021, Bl. 311. Der Mitangeklagte Helmut A. brachte Heinrich Win. mit „unheimlichen Rohheiten“ in Verbindung, der ebenfalls angeklagte Johannes Schlupper vermutete, dass Heinrich Win. bereits in Polen Exekutionserfahrung gemacht haben musste, weil er bei der ersten Erschießung durch das Kommando bestens organisiert hatte. Vgl. Aussage Helmut A. v. 15.11.1961 – StAM, Staatsanwaltschaften 33306, Bd. 4, Bl. 841; Aussage Johannes Schlupper v. 10.5.1962 – Ebd., Bd. 5, Bl. 1009. Der

ANMERKUNGEN

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Zeuge Heinrich B. sagte aus, Heinrich Win. habe im Kommando als hart in Bezug auf Judenmaßnahmen gegolten. Aussage Heinrich B. v. 15.7.1970 – Ebd., Bd. 21, Bl. 4438. 87 Aussage Rudolf Th. v. 12.11.1960 – BAL, B 162/4981, Bl. 433. 88 Einlassungen Schmidt-Hammers zusammengefasst in Anklageschrift der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Stuttgart v. 25.6.1957 – StAL, EL 322, Nr. 32518, Bd. 16, Bl. 97, 111, 131, 137. 89 Vgl. Aussage Karl D. v. 11.5.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8484, Bl. 3060. 90 Aussage August Hä. v. 19.6.1965 – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bl. 3646. 91 Der Zeuge Fritz H. hatte Blobel und August Hä. als die Führer genannt, die einen „konsequenten Standpunkt“ hinsichtlich der Judentötungen eingenommen hatten. Als August Hä. von der Feldgendarmerie ein 12-jähriger Junge gebracht worden sei, von dem behauptet wurde, dass er auf deutsche Soldaten geschossen habe, habe August Hä. auf die Frage, was nun mit ihm geschehen solle, in seinem schwäbischen Dialekt geantwortet: „Ha, den tun wir halt umlege!“. Das sei dann auch passiert. Aussage Fritz H. v. 17.3.1964 – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bd. 9, Bl. 2037; vgl. auch Strafanzeige gegen August Hä. v. 7.3.1963 – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bd. 5, Bl. 970–976. 92 Pohl, Einsatzgruppe, S. 75. 93 Aussage Franz H. v. 2.3.1962 – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bd. 2, Bl. 493. 94 Zahlreich sind die plastischen Berichte über Erschießungen in den Verfahrensakten des Prozesses gegen Angehörige des Sk 4a, die Zeugen und Angeklagte abgaben, mal aufgeregt, mal sachlich kalt. Vgl. Aussage August Hä. v. 9.6.1965 – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bd. 17, Bl. 3640. 95 Eine sozialpsychologische Deutung der Kindererschießung in Bjelaja Zerkow findet sich bei Welzer, Täter, S. 173–181. August Hä. wird darin mit einem Decknamen versehen, obwohl er im Zusammenhang mit diesem Verbrechen nie anonymisiert wird. Zum historischen Hintergrund vlg. Cüppers. Wegbereiter, bes. S. 184f. 96 Vgl. Helmuth Großcurth an Heeresgruppe Süd und AOK 6 v. 21.8.1941 (Abschrift) – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bd. 111, S. 376–385. Großcurth kritisierte die Erschießung von Frauen und Kindern als „Maßnahmen, die sich nicht von den Greueln des Gegners unterschieden“. Vgl. auch Reichenaus an Großcurth v. 26.8.1941 – Ebd., Bl. 385f. 97 Aussage August Hä. v. 10.5.1966 – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bd. 31, Bl 6593. 98 Aussage August Hä. v. 13.10.1965 – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bd. 22, Bl. 4704. Panning veröffentlichte die Ergebnisse des Versuchs in einem Aufsatz: Gerhart Panning, Wirkungsform und Nachweis der sowjetischen Infanteriesprengmunition. Vgl. auch Herber, Gerichtsmedizin, S. 274–278. 99 Aussage Noa v. 28.5.1962 – StAM, Staatsanwaltschaft München I 33109/5, Bl. 1030. 100 Dto. – Ebd., Bl. 1040. 101 Dto. – Ebd., Bl. 1041. 102 Dto. – Ebd., Bl. 1044. 103 Dto. – Ebd., Bl. 1046. 104 Wilhelm stellte fest, dass dem äußeren Terror kein innerer Terror entsprach und die Gerichtsbarkeit in der SS im Vergleich zur Wehrmacht wesentlich milder ausgeübt wurde. Vgl. Wilhelm, Einsatzgruppe, S. 30. 105 Aussage Noa v. 28.5.1962 – StAM, Staatsanwaltschaft München I 33109/5, Bl. 1047. Vgl. auch Aussage Noa v. 18.8.1965 – Ebd., Staatsanwaltschaft München I 33109/11, Bl. 2295. Zum Phänomen kameradschaftlicher Gruppensolidarität siehe Kühne, Kameradschaft.

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ANMERKUNGEN Aussage Noa v. 28.5.1962 – StAM, Staatsanwaltschaft München I 33109/5, Bl.

1045. 107

Aussage Noa v. 18.8.1965 – Ebd., Staatsanwaltschaft München I 33109/11, Bl. 2295. Der Satzbau ist im Originalzitat falsch. 108 Vgl. Aktenvermerk eines Ermittlungsbeamten v. 24.11.1963 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1088, o.P. 109 Vgl. Aktenvermerk – BAL, B 162/3599, Bl. 1877. 110 Vgl. Aussage Friedrich Me. v. 17.4.1962 – Ebd., B 162/3572, o.P. 111 Vgl. Aussage Friedrich Me. v. 15.11.1963 – Ebd., B162/3599, Bl. 3914. 112 Vgl. Aussage Friedrich Me. v. 12.6.1964 – Ebd., B 162/2604, Bl. 4308. 113 Vgl. Landgerichtsrat Isphording an OSta beim LG Dortmund v. 24.7.1962 – Ebd., B 162/3599, Bl. 1743 und Anklageschrift gegen Friedrich Me. – Ebd., B 162/3572, Bl. 61 und Aussage Friedrich Me. v. 18.11.1963 – Ebd., B 162/3599, Bl. 3920. 114 Aussage Friedrich Me. v. 11.10.1961 – HStAD ,Gerichte Rep. 299, Nr. 1085, Bl. 15. 115 Vgl. Aussage Friedrich Me. v. 17.4.1962 – BAL, B 162/3572, o.P. 116 Vgl. Lebenslauf Friedrich Me. – BAB, Friedrich Me., RS D 5275, als Kopie auch in HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1084, Bl. 105f. 117 Friedrich Me. zählte darunter Meinungs-, Hang-, Trieb-, und Berufsverbrecher auf. Vgl. Friedrich Me. an Untersuchungsrichter beim LG Dortmund v. 30.6.1963 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1088, Bl. 55. 118 Dto. – Ebd. 119 Dto. – Ebd. 120 Vgl. Aussage Rath v. 5.2.1965 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7096, Bl. 52f. und Aussage Rath v. 11.2.1965 – Ebd., Bl. 69–73. 121 Vgl. Aussage Rath v. 11.2.1965 – Ebd., Bl. 70. Diese Art spitzfindiger Argumentationen, in der mit beliebigen Details historische Tatsachen negiert werden sollten, finden sich in den Aussagen immer wieder. Wolfgang Benz geht darauf ein in seinem Aufsatz: Abwehr. Zum Ek 9 und der Einsatzgruppe B siehe Gerlach, Einsatzgruppe. 122 Vgl. Rath an LG Berlin v. 25.10.1967 – LAB, Rep. 058, Vollstreckungsheft I, Bl. 27. 123 Vgl. Rath an LG Berlin v. 12.5.1966 (Gesuch um Haftverschonung) – Ebd., Nr. 7096, Bd. 42, Bl. 7. 124 Rath an LG Berlin v. 1.1.1968 (Gesuch um Haftverschonung) – Ebd., B Rep. 058, Vollstreckungsheft I, Bl. 43. 125 Vgl. Aussage Harder v. 15.6.1961 – BAL, B 162/1325, Bl. 131. 126 Vgl. dto. – Ebd., Bl. 128–135. 127 In einer Gegenüberstellung hatte beispielsweise Otto Goldapp Harder eindeutig wiedererkannt und ausgesagt, dass Harder das Kommando auf Gut Trostinez angeführt habe. „Ich führte das zum Kommando gehörende Polizeikommando und war Harder unterstellt.“ Aussage Goldapp v. 17.2.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8477, Bl. 1968. Vgl. auch Aussage Harder v. 15.6.1961 – BAL, B 162/1325, Bd. 1, Bl. 132 sowie die Gegenüberstellung von Harder und Fritz Zi. v. 7.11.1961 – Ebd., Bl. 345–348. 128 Aussage Harder v. 17.2.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8477, Bl. 1971. 129 Vgl. Aussage des Zeugen Hans B. v. 16.6.1961 – LHAK, 584,1, Nr. 8517, Bl. 8013 sowie Aussage Harder v. 19.2.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8478, Bl. 2090. 130 Vgl. Aussage Harder v. 30.5.1961 – LHAK, 584,1, Nr. 8515, Bl. 7613. 131 Vgl. Aussage Adolf R. in der Gegenüberstellung mit Harder v. 19.2.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8478, Bl. 2084–2088.

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Vgl. dto. – Ebd. Außerdem seine Aussage v. 5.8.1960 – LHAK, 584,1, Bd. 8491, Bl. 4210–4212; Aussage Friedrich Seekel v. 23.5.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8486, Bl. 3267f.; Aussage Johann V. v. 6.10.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8497, Bl. 4895f.; Aussage Hans B. v. 16.6.1961 – LHAK, 584,1, Nr. 8517, Bl. 8010–8015. Aussage Otto D. v. 14.6.1961, in der er seine zuvor gemachten konkreten Belastungen gegenüber Harder zurückzog – LHAK, 584,1, Nr. 8516, Bl. 7831–7833. Der Zeuge Hans B. hatte hingegen wie andere auch berichtet, dass sich die Frau losgerissen habe und noch einmal festgebunden worden sei. Hans B. sagte aus, der ganze Vorgang sei so grausam gewesen, dass er zeitweise weggesehen habe. „Wenn Harder dabei gewesen ist“, sagte er, „so wird er sich schon daran beteiligt haben, so wie ich ihn kenne.“ Aussage Hans B. v. 16.6.1961 – LHAK, 584,1, Nr. 8517, Bl. 8013. 133 Aussage Harder vor dem LG Koblenz 15.10.1962 (1. Verhandlungstag) – LHAK, 584,1, Nr. 584,1, Bl. 11472. 134 Harder an Ministerpräsidenten Rheinland-Pfalz v. 13.3.1961 – LHAK, 584,1, Nr. 8627, Bl. 77. 135 Aussage Richard N. v. 4.5.1959 – LAB, 058, Nr. 7090, Bd. 4, Bl. 77. Der Zeuge Richard W., ebenfalls Angehöriger des Polizeibataillons 9, hatte über Gerhard S. ausgesagt: „Von dem SS-Obersturmführer Gerhard S. hatte ich persönlich den Eindruck, dass er in die Fußstapfen von Dr. Filbert trat und dass Gerhard S. genauso radikal gegenüber den Juden durchgriff wie Filbert.“ Aussage Richard W. v. 22.4.1959 – Ebd., Bl. 56. 136 Vier Tage später bat er dringend um seine abgegebene Sammelmappe mit Schriftstücken, Notizen und Adressen, um, wie er angab, seine Verteidigung vorbereiten zu können. Vgl. Schreiben Gerhard S. an AG Berlin v. 25.5.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 5, Bl. 84. Die Ermittlungen gegen Gerhard S. hatten im März 1959 begonnen, nachdem sein Name in vorausgegangenen Vernehmungen genannt worden war. 137 Gerhard S. stellte sogar einen eigenen Beweisantrag beim Generalstaatsanwalt beim LG Berlin. Vgl. Gerhard S. an Generalstaatsanwalt beim LG Berlin v. 22.10.1959 – LAB, B Rep. 58, Nr. 7090, Bd. 5, Bl. 235. 138 Aussage Gerhard S. v. 21.5.1959 nach seiner Verhaftung – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 1, Bl. 231 und Aussage Gerhard S. v. 27.7.1959 – Ebd., Bd. 5, Bl. 139. 139 Vgl. Aussage Gerhard S. v. 27.7.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 5, Bl. 139. 140 Aussage Gerhard S. v. 12.6.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 1, Bl. 303. Diesen Aspekt betonte er 1961 der Staatsanwaltschaft gegenüber noch einmal schriftlich unter dem Titel „Die äußere Form der Erschießungen“. Schreiben Gerhard S. v. 3.10.1961 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 24, Bl. 146. 141 Aussage Gerhard S. v. 12.6.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 1, Bl. 304. 142 Vgl. dazu Kwiet, Tätern, bes. S. 122 und Herbert, Best, S. 494f. 143 Aussage Gerhard S. v. 12.6.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 1, Bl. 306. 144 Ereignismeldung UdSSR Nr. 21 v. 13.7.1943 – als Kopie in: LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 1, Bl. 101. 145 Ereignismeldung UdSSR Nr. 73 v. 4.9.1941 – Ebd., Bl. 109. 146 Der Führer der Ordnungspolizei bestritt in einer Gegenüberstellung mit Gerhard S. allerdings, dass es eine Auflehnung oder die besagte Aufforderung von Gerhard S. an ihn gegeben habe. Vgl. Aussage Richard Neubert v. 18.3.1960 – Ebd., Bd. 6, Bl. 47. 147 Aussage Gerhard S. v. 12.6.1959 – Ebd., Bd. 1, Bl. 307. 148 Vgl. Aussage Filbert bei einer Gegenüberstellung mit Gerhard S. v. 18.3.1960 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 6, Bl. 44. 149 Vgl. Aussage Gerhard S. v. 15.6.1959 – Ebd., Bd. 1, Bl. 315. 150 Vgl. dto. – Ebd.

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Gerhard S. an Generalstaatsanwalt beim LG Berlin v. 22.10.1959 – Ebd., Bd. 5, Bl. 235. Zu der Nachkriegskarriere von Schulz vgl. Wildt, Generation, S. 790–796. 152 Aussage Karl Schulz v. 16.5.1960 – Ebd., Bd. 6, Bl. 253. 153 Vgl. Aussage Gerhard S. v. 15.6.1959 – Ebd., Bd. 1, Bl. 320. 154 Vgl. dto. – Ebd., Bl. 317. 155 Schreiben Gerhard S. v. 20.12.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 5, Bl. 289– 299. 156 Dto. – Ebd. Bl. 289. 157 Ebd., Bl. 292. 158 Ebd., Bl. 292f. 159 Vgl. Aussage Gerhard S. v. 28.9.1960 – LAB. B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 24, Bl. 141. 160 Peter Longerich beschreibt in seiner Studie „Davon haben wir nichts gewusst!“ ausführlich, wie die Entdeckung von Massengräbern polnischer Offizieren in Katyn systematisch von der NS-Propaganda genutzt wurden, um eine scharfe antisemitische Kampagne gegen den bolschewistischen Feind zu führen. Zu Katyn siehe auch Ruchniewicz/Ruchniewicz. 161 Zum Einfluss dieser Vorstellungen vgl. Paul, Psychopathen, S. 18 und Kwiet, Tätern, bes. S. 119–121. 162 Gerhard S. v. 20.12.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 5, Bl. 292. 163 Ebd. 164 Ebd., Bl. 297. 165 So in seiner Vernehmung v. 26.9.1961, nachdem ihm verschiedene Zeugenaussagen vorgehalten worden waren – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 24, Bl. 124–132. Vor allem aber auch in seiner Aussage v. 28.9.1961, in der er noch weitere Schutzbehauptungen konstruierte, um die gegen ihn sprechenden Zeugenaussagen zu entkräften – Ebd., Bl. 134–138. 166 Vgl. Aussage Gerhard S. v. 8.3.1960 – LAB, 058, Nr. 7090, Bd. 6, Bl. 13. 167 Gerhard S. v. 3.10.1961 als Reaktion auf die vorangegangene Gegenüberstellung mit dem Mitangeschuldigten Wilhelm Greiffenberg – Ebd., Bd. 24, Bl. 145. 168 Aussage Gerhard S. v. 28.9.1960 – Ebd., Bd. 24, Bl. 140. 169 Aussage Gerhard S. v. 8.3.1960 – Ebd., Bd. 6, Bl. 12, 13. 170 Dto. – Ebd., Bl. 15. 171 Gerhard S. an Georg W. v. 13.9.1960 – Ebd., Bd. 13, Bl. 44. 172 Nach dem Erscheinen des Spiegel-Artikels beschuldigte Fritz Zi. in scharfem Ton die Staatsanwaltschaft, Akteninhalte an das Magazin weitergegeben zu haben. Vgl. Fritz Zi. an Staw beim LG Stuttgart v. 3.10.1968 – StAL, EL 317 III, Bü. 1777, o.P. 173 Aussage Fritz Zi. vor dem LG Stuttgart – BAL, B 162/ 18082, Tonbandprotokoll Bd. 15, Bl. 29. 174 Aussage Fritz Zi. v. 7.11.1961 – BAL, B 162/25304, Bl. 353. 175 Explizit widmete sich Hannes Heer dieser Thematik und entlarvt die gängigen Rechtfertigungsargumentationen anhand einzelner Beispiele. Vgl. ders., Logik. Auf die Macht falscher Begrifflichkeiten weist Reemtsma hin. Vgl. ders., S. 95. Die Erfahrung, dass Juden und Partisanen nachträglich immer noch gleichgesetzt wurden, um sich zu rechtfertigen, machte auch Ruth Beckermann, als sie Besucher der Wiener Wehrmachtsausstellung interviewte. 176 Vor Gericht erklärte er den Begriff „judenfrei“ später so: „Juden eben im Sinne, dass wie früher, vor allen Dingen in der Westzone im alten Ansiedlungsregion hundert-

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tausende oder vielleicht Millionen von Juden lebten, dass die nicht mehr da waren, das ist damit gemeint gewesen.“ – BAL, B 162/18082, Tonbandprotokoll Bd. 14, Bl. 20. 177 Aussage Fritz Zi. v. 6.7.1965 – StAL, EL 317 III, Bü. 1763, Bl. 233. 178 Schlusswort Fritz Zi. vor dem LG Stuttgart – Ebd., Bü. 1774, Bl. 1905. 179 Bereits als Zeuge hatte Fritz Zi. diese Geschichte erfunden, den Namen nannte er erst später. Vgl. Aussage Fritz Zi. v. 7.11.1961 – BAL, B 162/25304, Bl. 357; Beweiswürdigung des LG Stuttgart – StAL, EL 317 III, Bü. 1765, Bl. 128f. 180 Aussage Fritz Zi. vor dem LG Stuttgart – BAL, B 162/18082, Tonbandprotokoll Bd. 13, Bl. 2. 181 Dto. – Ebd., Bl. 12. 182 Dto. – Ebd., Bl. 2. 183 Dto. – Ebd., Bl. 9–13. 184 Vgl. Aussage Walter He. v. 28.6.1960 – HStAD, Gerichte Rep. 240, Nr. 106, Bl. 357f. 185 Aussage Walter He. v. 28.6.1960 – Ebd., Nr. 106, Bl. 359. 186 Vgl. Aussage Walter He. v. 28.11.1961 – BAL, B 162/1325, Bl. 388–397. 187 Aussage Walter He. v. 1.12.1961 – Ebd., Bl. 381f. 188 Vgl. dto. – Ebd., Bl. 383f. 189 Dto. – Ebd., Bl. 387. 190 Vgl. Mitteilung LKA Nordrhein-Westfalen an Innenminister Nordrhein-Westfalen v. 9.1.1962 – HStAD, NW 334, Nr. 50, Bl. 13. 191 Aussage Walter He. nach der Eröffnung des Haftbefehls v. 9.1.1962 – HStAD, Gerichte Rep 240, Nr. 111, Bl. 1379. 192 Aussage Walter He. v. 9.1.1962 – BAL, B 162/1570, Bl. 290. 193 Bericht über den Prozessverlauf vor dem LG Wuppertal von PolizeiOberkommissar Hans Brings v. 9.8.1963, hier über den 6. Verhandlungstag am 20.6.1963 – HStAD, NW 334, Nr. 50, Bl. 98. 194 Aussage Walter He. vor Gericht – HStAD, Gerichte Rep. 240, Nr. 127, Bl. 16. 195 Vgl. Aussage Walter He. v. 9.1.1962 – BAL, B 162/1570, Bl. 288, 292. 196 Walter He. an 2. Strafkammer des LG Wuppertal v. 11.12.1962 – HStAD, Gerichte Rep. 240, Nr. 114, Bl. 192. 197 Vgl. Walter He. an 2. Strafkammer des LG Wuppertal v. 11.12.1962 – Ebd., Bl. 192. 198 Walter He. an die 2. Strafkammer des LG Wuppertal v. 6.3.1963 – Ebd., Bl. 209. 199 Dto. – Ebd., Bl. 210. 200 Dto. – Ebd., Bl. 211. 201 Das Urteil des LG Wuppertal gegen Walter He. war am 13.12.1967 rechtskräftig geworden, im Januar 1968 hatte Walter He. seine Haft angetreten, der Prozess gegen ihn vor dem LG Stuttgart begann Ende 1968. 202 Aussage Walter He. vor dem LG Stuttgart – BAL, B 162/18083, Tonbandprotokoll Bd. 18a, Bl. 34. 203 Aussage Walter He. vor dem LG Stuttgart – Ebd., Tonbandprotokoll Bd. 18b, Bl. 19. 204 Dto. – Ebd., Bl. 26. 205 Dto. – Ebd., Tonbandprotokoll Bd. 18a, Bl. 32f., ähnlich auch Bd. 18b, S. 28. 206 Vgl. LKA Baden-Württemberg, Sonderkommission an Untersuchungsrichter beim LG Ulm – StAL, EL 317 III, Bü. 1083, Bd. 1, o.P. Aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen mit den Angeklagten im Ulmer Einsatzgruppenprozess vermutete man Verabredungs- und Verdunkelungsgefahr. Vgl. Haftbefehl v. 19.11.1959 – StAL, EL 48/2 I, Bü. 1, Bl. 29.

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Vgl. Vermerk der Staatsanwaltschaft Koblenz v. August 1968 – LHAK, 584,1, Nr. 8752, Bl. 36–38. 208 Vgl. Richard W. an G. Richard W. v. 24.1.1960 – BAL, B 162/4886, Bl. 75. 209 Vgl. Vermerk Kriminalmeister Wittmann, Sonderkommission „P“ über die Vernehmung Richard W.s am 19.10.1960 – StAL, El 317 III, Bü. 1081, o.P. 210 Vgl. Aussage Richard W. v. 19.10.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8498, Bl. 5138–5143 und Aussage Richard W. v. 14.12.1960 – Ebd., Nr. 8505, Bl. 6149f. 211 Aussage Richard W. v. 14.12.1960 – StAL, El 317 III, Bü. 1081, Bl. 8f., auch LHAK, 584,1, Nr. 8505, Bl. 6150. 212 Aussage Richard W. v. 12.12.1960 – StAL, El 317 III Bü. 1081, o.P. Vgl. auch Eidintas. 213 Vgl. Aussage Richard W. v. 8.1.1960 – BAL, B 162/4886, Bl. 57. 214 Vgl. Aussage Richard W. v. 2.12.1960 – Ebd., Bl. 47f., 55f. und Bd. 2, Bl. 23. Seiner Aussage zufolge wusste er nicht, wer die Juden durch ein in der Nähe der Exekutionsstätte gelegenes Wasserloch getrieben hatte. Allerdings waren wohl nicht einzelne Juden, sondern die ganze Gruppe durch den Teich gejagt worden. 215 Vgl. Aussage Richard W. v. 5.1.1960 – BAL, B 162/4886, Bl. 48. 216 Aussage Richard W. v. 18.12.1959 – Ebd., Bl. 51. 217 Der Mitangeklagte Alfred Krumbach hatte u.a. von Exzessen Richard W.s, dessen unbeherrschter Art und Liebe zum Alkohol gesprochen. Vgl. Aussage Alfred Krumbach v. 18.5.1960 – BAL, B 162/3224, Bl. 128. 218 Aussage Richard W. v. 5.1.1960 – BAL, B 162/4886, Bl. 54. 219 Vgl. Aussage Richard W. v. 19.1.1960 – Ebd., Bl. 70–73 und Erklärung des in den USA lebenden jüdischen Freundes – StAL, EL 317 III, Bü. 1082, Bl. 9f. 220 Aussage Wilhelm Gerke v. 19.5.1960 – StAL, EL 48/2 I, Bü. 1, Bl. 109. 221 Aussage Richard W. v. 8.1.1960 – BAL, B 162/4886, Bl. 60. 222 Dto. – Ebd., Bl. 60f. 223 Pohl wies darauf hin, dass das Sk 4a bereits im Juli 1941 die ersten Frauen erschoss. Vgl. ders., Einsatzgruppe, bes. S. 74. 224 Siehe dazu Matthäus, Grenze. 225 Vgl. Aussage Richard W. v. 19.1.1960 – BAL, B 162/4886, Bl. 73. 226 dpa-Meldung, undatiert – StAL, EL 317 III, Bü. 1081, o.P. 227 Zu den Verbrechen siehe Matthäus, Welle. 228 Auf die belastende Aussage Ehrlingers hin wurden bei ehemaligen Angehörigen des Polizeibataillons 9 weitere Auskünfte über Heuser eingeholt. Vgl. OSta Karlsruhe an ZSL v. 3.6.1959 – BAL, B 162/3224, Bl. 1. 229 Julius G., der bei der Reichsbahndirektion in Minsk gearbeitet hatte und dem Heuser nach 1945 eine Postkarte geschrieben hatte, sagte am 6.1.1962 aus, was er beim Rückzug aus Minsk gesehen haben wollte: „Ich traf in dem im übrigen wie ausgestorben daliegenden Gebäude in einem Zimmer Dr. Heuser an und erklärte ihm unsere Situation [sie brauchten Verpflegung, Anm. d. Verf.]. Wir bekamen Marschverpflegung. Bei dieser Gelegenheit saß Heuser sehr betrunken in einem Stuhl und äußerte mir gegenüber, dem Sinn nach, er habe gerade jetzt noch seine Juden erschossen und wolle jetzt abhauen.“ – LHAK, 584,1, Nr. 8529, Bl. 9813. 230 Zur Festnahme vgl. ZSL an Justizministerium Baden-Württemberg v. 24.7.1959 – BAL, B 162/3224, Bl. 3. Über die besondere Bedeutung des nachfolgenden Prozesses in Koblenz und die Schwierigkeiten der vorausgehenden Ermittlungen ausführlich: Matthäus, Kameraden.

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Im Verfahren konnte letztlich nicht eindeutig geklärt wären, ob er, wie Ehrlinger angab, von Anfang an beim Sk 1b gewesen war und zudem als Stellvertreter Ehrlingers agierte, oder ob er, wie er selbst behauptete, erst in Tosno zum Kommando gestoßen ist. Vgl. Aussage Heuser v. 29.7.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8467, Bl. 393–407. Vgl. auch Ehrlingers Aussage v. 3.8.1959 – Ebd., Bl. 415–419. 232 Vgl. Aussage Heuser v. 24.7.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8465, Bl. 369–370 und Aussage Heuser v. 24.7.1959 – BAL, B 162/2644, Bl. 2845–2848. 233 Dto. – LHAK, 584,1, Nr. 8465, Bl. 370. 234 Vgl. Aussage Heuser v. 29.7.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8467, Bl. 390–396 und Fortsetzung der Vernehmung am 30. und 31.7.1959 – Ebd., Bl. 397–401, Bl. 402–412. 235 Vgl. Aussage Heuser v. 31.7.1959 – Ebd., 403. 236 Vgl. Aussage Heuser v. 24.7.1959 – BAL, B 162/2644, Bl. 2847. 237 Zur „Aktion Sumpffieber“ vgl. Matthäus, Welle, 261f. und Cüppers, Wegbereiter, S. 252–260. 238 Vgl. Aussage Heuser v. 27.11.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8473, Bl. 1247. 239 Vgl. Aussage Julie S. v. 20.3.1962, – Ebd., Nr. 8535, Bl. 10525f. und seine Aussage vor Gericht, Fortsetzung der Vernehmung v. 5.11.1962 – BAL, B 162/3224, Bl. 510. 240 Aussage Heuser v. 27.11.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8473, Bl. 1258. 241 Vgl. Schriftlicher Bericht Heusers – Ebd., Nr. 8752, besonders Bl. 8–18. 242 Dto. – Ebd., Bl. 13. 243 Vgl. Aussage Heuser vor dem LG Koblenz, Fortsetzung der Vernehmung v. 5.11.1962 – BAL, B 162/3224, Bl. 510, 504, 503. 244 Vgl. Aussage Heuser vor dem LG Koblenz 31.10.1962 – Ebd., Bl. 493. 245 Vgl. dto. – Ebd., Bl. 496. 246 Aussage Heuser vor dem LG Koblenz, Fortsetzung der verantwortlichen Vernehmung v. 5.11.1962 – Ebd., Bl. 499f. 247 Dto. – Ebd., Bl. 505. 248 Dto. – Ebd., Bl. 506. 249 Dto. – Ebd., Bl. 508. 250 Aussage Karl D. v. 24.8.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8469, Bl. 735. 251 Vgl. Aussage Heuser vor dem LG Koblenz v. 10.5.1963 – Ebd., Nr. 8547, Bl. 13049. 252 Vgl. OSta Dortmund an Staatsanwaltschaft Mainz v. 9.12.1959 – Ebd., Bl. 1380. 253 Vgl. BAL, B 162/4618, Bl. 217ff. sowie OSta Dortmund an OSta Köln v. 4.9.1961 – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1876, Bl. 1f. 254 Vgl. Gerlach, Kontextualisierung. 255 Der Dolmetscher Werner Schö.s beim Ek 8, Robert L., hatte ihn als kompromisslos bezeichnet, aber auch von dessen Hang zur Prahlerei gesprochen. Vgl. Aussage Robert L. v. 27.2.1963 – BAL, B 162/3290, Bl. 238–241, Günter St. hatte ihn als „eifrig“ beschrieben und angemerkt, dass Werner Schö. seiner Meinung nach mehr Aktionen als unbedingt nötig gemacht habe. Vgl. Aussage Günther St. – Ebd., Bd. 2, Bl. 354. 256 Zu den Erschießungen in Slonim siehe Nolte. 257 Aussage Werner Schö. v. 14.8.1961 (mündliche Verhandlung über den Haftbefehl) – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1849, Bl. 86; ähnlich auch in seiner Vernehmung am 8.6.1961 – Ebd., Bl. 66. 258 Aussage Werner Schö. v. 13.4.1961 – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1850, Bl. 80. 259 Vgl. Aussage Werner Schö. v. 14.8.1961 (mündliche Verhandlung über den Haftbefehl) – Ebd., Nr. 1849, Bl. 84, 91.

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Aussage Werner Schö. v. 8.6.1961 – Ebd., Bl. 66. Vgl. Aussage Werner Schö. v. 14.8.1961 (mündliche Verhandlung über den Haftbefehl) – Ebd., Bl. 87–90. 262 Vgl. Aussage Werner Schö. v. 5.4.1963 – Ebd., Nr. 1858, Bl. 183. 263 Aussage Werner Schö. v. 10.4.1963 – Ebd., Bl. 189. 264 Aussage Werner Schö. v. 11.4.1963 – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1859, Bl. 200. 265 Siehe dazu auch Volkmann (Hg.); Wette, Krieg. 266 So u.a. in seiner Schrift „Politische Justiz in der Bundesrepublik 1962 betrachtet mit den Augen des ‚Kriegsverbrechers‘ Werner Schö.“, die er 13.11.1962 dem nordrheinwestfälischen Ministerpräsidenten zuschickte – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1854, Bl. 150. 267 Schreiben Werner Schö. „Rechtfertigen ist nicht Gutheißen“, Beilage zum Schreiben an AG Köln v. 27.9.1961 – Ebd., Nr. 1868, Bl. 127. 268 Dto. – Ebd., Bl. 133. 269 Dto. – Ebd., Bl. 140. 270 Dto. – Ebd., Bl. 151f. 271 Dto. – Ebd., Bl. 129. 272 Das Zitat aus seiner Vorlesung an der Universität Heidelberg im Wintersemester 1945/46 findet sich in: Jaspers, S. 65. 273 Vgl. Aussage August Hä. v. 11.6.1963 – BAL, B 162/1055, Bl. 1800. 274 Vermerk Untersuchungsrichter beim LG Darmstadt v. 31.5.1965 – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bd. 16, Bl. 3456. 275 Aussage August Hä. v. 11.6.1963 – StAM, Staatsanwaltschaft München StaW 35306/8, Bl. 1799. 276 Dto. – Ebd., Bl. 1800. 277 Harder an Ministerpräsidenten Rheinland-Pfalz v. 13.3.1961 – LHAK, 584,1, Nr. 8627, Bl. 76. 278 Vgl. BAL, B 162/18080, Tonbandprotokoll Bd. 4, Bl. 1–9. 279 Vgl. Schlusswort Fritz Zi.s – StAL, EL 317 III, Bü. 1774, Bl. 1901–1906. 280 Gerhard S. an Georg W. v. 13.9.1960 – LAB, Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 13, Bl. 42. 281 Dto. – Ebd. 282 Vgl. dto. – Ebd., Bl. 42. 283 So in einem Brief an seine Frau v. 21.5.1961 – Ebd., Bd. 22, Bl. 37f. 284 Gerhard S. an 7. Strafkammer beim LG Berlin v. 1.9.1961 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 24, bes. Bl. 52–54. 285 Werner Schö. an Willi W. – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1860, o.P. 286 Vgl. Werner Schö. an seinen Bruder v. 1.9.1963 – BAL, B 162/3291, Bl. 389–392, vor allem auch sein nächster Brief v. 13.9.1963 – Ebd., Bl. 393–395. 287 Werner Schö. an Erich Mende v. 10.9.1963 (wurde beschlagnahmt) – Ebd., Bl. 396. 288 Dto. – Ebd., Bl. 387f. 289 Vermerk v. 18.9.1962 – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1852, Bl. 68. 290 Die Zusammenarbeit des Teilkommandos Schö. mit der Wehrmacht hat Christian Gerlach herausgearbeitet: ders, Kontextualisierung. 291 Werner Schö.: „Politische Justiz in der Bundesrepublik 1962 betrachtet mit den Augen des ‚Kriegsverbrechers‘ Werner Schö.“, an Ministerpräsidenten NordrheinWestfalen v. 11.12.1962 – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1854, Bl. 152. 292 Vgl. RA Schütz an Staw. LG Heilbronn v. 24.4.1964 – StAL, EL 312, Bü. 780, o.P. 293 Vgl. Gnadengesuch Rechtsanwälte Schütz/Kleine v. 20.5.1965 – Ebd., Bl. 4. 261

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RA Schütz an Staw. LG Heilbronn v. 24.4.1964 – Ebd. Bl. 5. Dto. – Ebd., Bl. 4. 296 Dto. – Ebd., Bl. 5. 297 Dto. – Ebd. 298 RA Hartwich an AG Wuppertal v. 9.2.1962 – BAL, B 162/1581, Bl. 1487. 299 Dto. – Ebd., Bl. 1488. 300 Plädoyer des Rechtsanwalts – StAL, EL 322, Nr. 32518, Bü. 16, Bl. 2, 62. Darin sagte er: „Er [Schmidt-Hammer] war dabei ebenso gutgläubig, wie der größte Teil des deutschen Volkes, der das eigentliche Antlitz des NS erst nach dem Krieg kennen gelernt hat.“ 301 Vgl. sein Plädoyer – StAL, EL 322, Bd. 16, Bl. 11f., 16, 24, 34, 40 302 Zur Erschießung in Garsden siehe Curilla, S. 138–143. 303 Der Zeuge Max K. sagte aus, dass es seiner Meinung nach zu diesem Zeitpunkt noch keine Partisanen gegeben habe. „Daher kann ich auch nicht daran glauben, dass es sich bei den Erschossenen um Partisanen gehandelt haben soll. Ich habe die erschossenen Männer mit Sicherheit als Juden erkannt.“ Aussage Max K. v. 6.12.1955 – StAL, EL 322, Nr. 32518, Bd. 1, Bl. 66. Ähnlich sagte auch der Zeuge Richard F. aus. Vgl. Aussage Richard F. v. 8.12.1955 – Ebd., Bl. 88–90. 304 Zu den Exekutionen in Polangen und Krottingen und dem Verhalten SchmidtHammers bei den Exekutionen siehe Curilla, S. 143–149. 305 Plädoyer des Rechtsanwalts – StAL, EL 322, Bd. 16, Bl. 42. 306 Rechtsanwälte Nissen/Lowe an Strafkammer LG Ulm v. 31.7.1957 – StAL, EL 48/I, Bü. 11, Bl. 3609. 307 Dies. an Strafkammer LG Ulm v. 22.2.1962 – StAL, EL 322, Nr. 32518, Bd.24, Bl. 6315a. Ähnlich auch in seinem Plädoyer – Ebd., Bd. 16, Bl 3a. 308 Freudiger geht auf die Überbewertung der Befehlssituation am Beispiel des Münchner Verfahrens gegen Bradfisch ein. Vgl. Freudiger, Aufarbeitung; dort auch zur Problematik der „subjektiven Theorie“, S. 188, 408. Vgl. ebenso Ducklau, Befehlsproblematik. Er kritisiert, dass die Gerichte es versäumt hätten, den eng gefassten § 47 MStGB genauer abzugrenzen. 309 Der Rechtsanwalt Schmidt-Hammers beispielsweise berief sich auf Bomhard, der seinerseits bemüht war, Todesurteile von SS- und Polizeigerichten wegen Befehlsverweigerung zu finden, um den behaupteten Befehlsnotstand zu belegen. Vgl. Plädoyer RA Nissen/Lowe – StAL, EL 322, Nr. 32517, Bd. 16, Bl. 67. Zu dem Netzwerk, das Bomhard für seine Lobbyarbeit für die Ordnungspolizei betrieb, siehe: Dierl; Hölzl. Vgl. Schreyer an Generalstaatsanwalt beim AG Berlin-Charlottenburg v. 1.3.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 4, Bl. 61–63. Bomhard war in dem Verfahren gegen Gerhard S. ebenfalls als Zeuge vernommen worden. Er hatte geleugnet, von den Einsätzen der Ordnungspolizei gewusst zu haben und nannte sie „die armen Opfer Heydrich und Himmlerscher Ostpolitik“. Aussage Bomhard v. 23.3.1959 – Ebd., Bd. 4, Bl. 66f. Auf seine Aussage beim Ulmer Einsatzgruppenprozess berief sich wiederum der Rechtsanwalt von Georg S. Vgl. RA Scheid an Untersuchungsrichter beim LG Berlin v. 10.4.1961 – Ebd., Bd. 22, Bl. 8. 310 Vgl. Gertrud H. an RA Heusers v. 27.11.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8666, o.P.; Vermerk über die Vernehmung von Sabine D. v. 30.4.1960 – LHAK, 584,1,Nr. 8483, Bl. 2873. 311 Zitiert in: OSta Essen an Justizminister Nordrhein-Westfalen v. 30.8.1962 – HStAD, NW 899, Nr. 117, Bl. 12; ausführlicher über das Verhalten des zuständigen Amtsgerichtsrats in Münster: Vermerk Staatsanwaltschaft Essen v. 29.8.1961 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1084, Bl. 97–100 und Vermerk v. 30.8.1961 – Ebd., Bl. 112–114. 295

322 312

ANMERKUNGEN

Beschluss des LG Münster v. 1.9.1961 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1084, Bl. 121–123. 313 Vgl. Schüle an Justizministerium Baden-Württemberg v. 18.8.1959 – BAL, B 162/3224, Bl. 39f. 314 Vgl. Urteil des LG Stuttgart v. 13.3.1969 – StAL, EL 317 III, Bü. 1765, Bl. 128– 133. 315 Vgl. Friedrich Me. an Feldkommandanten in Welikije Luki v. 23.9.1941 (Kopie) – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1088, Bl. 222. 316 Ausführlich geht Annette Weinke auf die Rechtshilfebeziehungen der Bundesrepublik mit der DDR und den Ostblockstaaten im Zusammenhang mit NS-Verfahren ein: Dies., Verfolgung, S. 161–197. 317 Vgl. Einsatzbefehl des KdS Weißruthenien in Minsk v. 5.2.1943 – BAD-H, ZR 809 A.7, Bl. 1–4 und folgendes nicht betiteltes Dokument über die Zusammensetzung der einzelnen Kommandos – Ebd., Bl. 5–8. 318 Vgl. Vermerk der Staatsanwaltschaft Koblenz, August 1968 – LHAK, 584,1, Nr. 8752, Bl. 29, 35. 319 Eine Besprechung hatte sich darum gedreht, dass über Pfingsten keine Judentransporte in Minsk ankommen sollten, sondern erst nach den Feiertagen; ein anderes Mal sollte ein Transport ausnahmsweise bereits in Baranowitschi ausgeladen werden, die weiteren Transporte würden dann wieder von ihm, Heuser, in Minsk übernommen werden. Vgl. Schreiben – unterzeichnet von Heuser im Auftrag des KdS an Reichsbahndirektion Mitte v. 23.5.42 und v. 21.7.1942 – Ebd., Nr. 8798, Bl. 218, 227. 320 Heinz Ta. nannte mindestens vier weitere Aktionen gegen Juden, eine Seite des Dokuments fehlt. Vgl. Bericht Heinz Ta.s v. 30.3.1944 – BAD-H, ZR 635 A.1, Bl. 47–49 (Bl. 47r nicht vorhanden). 1999 machte Klaus-Michael Mallmann die Zentrale Stelle, darauf aufmerksam, dass er an sieben weiteren Aktionen beteiligt gewesen war. 321 Gebietskommissar Petersen an den Generalkommissar Weißruthenien v. 1. Juli 1942 betr. „Judenaktion“, abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus (Hg.), Einsatz, S. 224. 322 Bericht der Sipo und des SD für den Distrikt Lublin, Grenzpolizeikommissariat Cholm v. 17.3.1944 – BAD-H, ZR 635 A.1, Bl. 8. 323 Zitiert im Schreiben Konrad von Moltke an Zentrale Stelle v. 19.5.1965 – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bd. 23, Bl. 4960. 324 Vgl. Urteil des LG Ulm v. 29.8.1958 – StAL, EL 322, Nr. 32518, Bl. 6245, 6249. 325 Vgl. Urteil des LG Berlin v. 28.3.1966 (3 P (K) Ks 1/62) – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 35, Bl. 172. 326 Urteil des LG Stuttgart v. 13.3.1969 – StAL, EL 317 III, Bü. 1765, Bl. 195. 327 Die Analyse findet sich bei Nehmer, S. 644f. 328 Urteil des LG Stuttgart v. 13.3.1969 – EL, 317 III, Bü. 1765, Bl. 193. 329 Dto. – Ebd., Bl. 194. 330 Dto. – Ebd. 331 Urteil des LG München I v. 26.2.1970, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 724; Urteil LG Heilbronn v. 14.5.1963 (Ks 16/62), in: Ebd., Lfd. Nr. 551, S. 117. 332 Vgl. Urteil LG Tübingen v. 10.5.1961 (Ks 2/61), in: Ebd., Lfd. Nr. 509, S. 400. 333 Referat Strauch auf der Tagung der Gebietskommissare, Hauptabteilungsleiter und Abteilungsleiter des Generalkommissars in Minsk v. 8.4.–10.4.1943. Als Kopie in: LHAK, 584,1, Nr. 8798, Bl. 146. 334 Vgl. Welzer, Massenmord, bes. S. 263. 335 Plädoyer des Staatsanwaltes, LG Wuppertal, v. 26.7.1963 – HStAD, NW 334, Nr. 50, Bl. 118.

ANMERKUNGEN 336

323

Urteil Landgericht Darmstadt (Ks 1/67) v. 29.11.1968 – StAD, H 13 Da, Nr. 1291, Bd. 111, Bl. 489. 337 Dto. – Ebd., Bl. 654. 338 Siehe hierzu besonders Paul, Psychopathen, bes. S. 16–18. 339 Anklageschrift gegen Heinrich Win. – BAL, B 162/1073, Bl. 5244, 5251. 340 Adalbert Rückerl, Strafmaß in NS-Verbrecherprozessen. Vortrag auf der Arbeitstagung der mit der Verfolgung von NS-Gewaltverbrechen befassten Staatsanwälte in Calw 1964. Hier als Kopie in: NW Staw Münster, Staw. Bochum, 16 Ks 1/66, Bd. 9228, Bl. 110–132. 341 Weinke, Verfolgung, S. 164. 342 Ein Beispiel wäre das Urteil gegen Noa, LG München I v. 26.2.1970 (IV 9/69), in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 724. 343 Urteil des LG Ulm v. 29.8.1959 (Ks 2/57), in: Ebd., Lfd. Nr. 499, S. 380. 344 Z.B. im Beschluss über die vorzeitige Haftentlassung von Schmidt-Hammer: Beschluss LG Ulm v. 6.2.1962 – StAL, EL 48/2, Nr. 19 (Vollstreckungsheft), o.P; auch: Beschluss des OLG Düsseldorf über die vorzeitige Haftentlassung Walter He.s v. 6.12.1968 – HStAD, Gerichte Rep. 240, Nr. 36, bes. Bl. 113. 345 Urteil des LG Stuttgart v. 13.3.1969 (Ks 22/67) – StAL, EL 317 III, Bü. 1765, Bl. 194. 346 Dto. – Ebd., Bl. 196. 347 Urteilsspruch und Ausführungen des Vorsitzenden des LG Berlin – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Handakten Bd. 5, Bl. 149. 348 Landesstrafanstalt Bruchsal an OSta beim LG Heilbronn v. 29.6.1965 – StAL, EL 312, Bü. 780, o.P. 349 Pfarrer Hugo M. v. 17.8.1964 – HStAD, Gerichte Rep. 388, Nr. 378, Bl. 134. 350 Vorstand Strafanstalt Tegel v. 17.2.1969 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7096, Vollstreckungsheft II, Bl. 15. 351 Vgl. Vorstand Strafanstalt Tegel v. 29.11.1967 – Ebd., Vollstreckungsheft I, Bl. 31. 352 Beschluss der 1. Strafkammer LG Koblenz v. 11.7.1969 – LHAK, 584,1, Nr. 9765, Bl. 61f. 353 Simmel, S. 18. 354 Vermerk Staatsanwaltschaft Essen v. 29.8.1961 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1084, Bl. 98. 355 Vermerk des Innenministeriums v. 27.11.1961 – HStAD, NW 899, Nr. 117, Bl. 36. Friedrich Me. wurde zunächst nach Bochum, 1965 dann nach Gelsenkirchen versetzt. Dort muss daher seine Personalakte liegen. 356 Artikel „Kriminalpolizei-Chef Heuser vorläufig des Amtes enthoben“ (Die Welt, 31.7.1959, S. 4). 357 Heuser zu Fragenkatalog des Innenministers v. 18.11.1959 – LHAK, 880, Nr. 13454, o.P. 358 Dto. – Ebd., o.P. 359 Vgl. Vermerk über die Nichtigkeitserklärung des Beamtenverhältnisses von Heuser v. 24.9.1959 – Ebd., o.P. 360 Heuser an Innenminister Rheinland-Pfalz v. 5.1.1960 – LHAK, 880 (Personalakte Heuser), Nr. 13455, o.P. 361 Seine Klage wird jedoch mit Beschluss des Oberverwaltungsgerichts RheinlandPfalz v. 12.12.1960 zurückgewiesen. – LHAK, 584,1 Nr. 13454, o.P.

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ANMERKUNGEN

Vermerk Direktor LKA Nordrhein-Westfalen über Treffen mit Staw beim LG Hamburg am 1.12.1961 – StADet, D 99, Nr. 14984 (Personalakte Walter He.), Disziplinarvorgang Walter He., Heft 2, Bl. 2. 363 Ganz im Gegensatz dazu vgl. Wilhelm, Einsatzgruppe S. 464. 364 Vgl. RA Gottwald an AG Ratingen v. 25.1.1965 – HStAD, Gerichte Rep. 388, Nr. 379, Bl. 168. 365 Vgl. Vermerk Innenministerium Nordrhein-Westfalen v. 21.7.1967 – HStAD, NW 899, Nr. 119, Bl. 410. 366 Helfsgott wies darauf in der Verhandlung vor dem LG Stuttgart hin – BAL, B 162/18080, Tonbandprotokolle Bd. 7, Bl. 6f. Vgl. dazu auch RA Hartwich an LG Wuppertal v. 11.7.1968 – HStAD, Gerichte Rep. 240, Nr. 136, Bl. 95f. 367 ZSL an Staatsanwaltschaft Karlsruhe und Justizministerium Baden-Württemberg v. 18.8.1959 – BAL, B 162/3224, Bl. 37f., 39f. 368 Beide waren der Zentralen Stelle in Ludwigsburg als auch dem Amtsgericht Ratingen in dieser Hinsicht namentlich bekannt. Vgl. Bürgschaft Dienststelle Recklinghausen v. 6.8.1964 – HStAD, Gerichte Rep. 388, Nr. 379, Bl. 108 und Leiter Zentralstelle NRW an Beschwerdekammer LG Düsseldorf v. 19.8.1964 – Ebd., Bl. 152–154. 369 In einem Vermerk über eine vorausgegangene Vernehmung Friedrich Me.s heißt es, dass Friedrich Me. gesagt habe, dass er seit langem über Vorgänge beim AG und LG Münster, die seiner Festnahme vorausgegangen seien, unterrichtet gewesen war. „Auf meine Bemerkung, dass ja sogar der den ersten Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Haftbefehls ablehnende Beschluss des Haftrichters des AG Münster aus der Akte verschwunden sei, lächelte er vielsagend.“ Vermerk Untersuchungsrichter LG Essen v. 18.9.1962 – BAL, B 162/3599, Bl. 1883. 370 Vgl. Vermerk Untersuchungsrichter LG Essen v. 27.9.1962 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1087, Bl. 276f. 371 Vgl. Vermerk Landeskriminalamt Düsseldorf v. 5.11.1962 – Ebd., Bl. 282f. 372 Vgl. Aussage des Justizbeamten Wilhelm E. v. 10.11.1962 – Ebd., Bl. 284f. 373 Vgl. Untersuchungsrichter LG Essen an Polizeipräsidenten Dortmund v. 9.3.1966 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1092, Bl. 174–176 und Untersuchungsrichter LG Essen an Generalstaatsanwalt OLG Hamm v. 29.8.1963 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1087,Bl. 287f. 374 Vgl. Karl-Heinz J. an Franz T. v. 18.11.1962 (von Zensur abgefangen) – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1089, Bl. 158f. 375 Vgl. Untersuchungsrichter LG Essen an Leiter Zentralstelle NRW für die Bearbeitung von nationalsozialistischen Massenverbrechen beim Leitenden OSta Dortmund v. 21.12.1964 – Ebd., Bl. 154–156; Vernehmung Eberhard St. v. 15.12.1964 – Ebd., Bl. 146. 376 Vermerk Landeskriminalamt Düsseldorf v. 5.11.1962 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1087, Bl. 282f. 377 Vgl. Carl-Zeiss-Stiftung an RA Nissen v. 5.7.1957 – StAL, EL 48/2 I, Bd. 21, Bl. 3547. 378 Dto. – Ebd. 379 Beschluss der Strafkammer LG Ulm gegen den Erlass eines Haftbefehls gegen Schmidt-Hammer v. 18.12.1958 – StAL, EL 48/2 I, Bd. 13, Bl. 5131. 380 Vgl. Kriminalkommissariat Ellwangen an Staatsanwaltschaft LG Ulm v. 13.12.1958 – Ebd., Bl. 5122–5124. 381 Vgl. Kriminalkommissariat Ellwangen an Staatsanwaltschaft LG Ulm v. 17.1.1960 – StAL, EL 322, Nr. 32518, Bd. 21, Bl. 5861a.

ANMERKUNGEN 382

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Firma Zeiss v. 8.8.1961 – Ebd., Nr. 23518, Bd. 19, Bl. 8. RA Dürr v. 20.10.1961 (Adressat geschwärzt) – Daimler-Chrysler, Personalakte Richard W., o.P. 384 Aktennotiz Daimler-Benz AG v. 6.9.1961 – Daimler-Chrysler, Personalakte Richard W., o.P. 385 Vertrauliche Notiz an kaufmännisches Sekretariat Werk Sindelfingen v. 27.11.1961 (alle Namen geschwärzt) – Daimler-Chrysler, Personalakte Richard W., o.P. 386 Richard W. v. 30.1.1962 – Ebd. 387 Vgl. Daimler-Benz AG an Richard W. v. 8.2.1962 – Ebd.; Aktennotiz DaimlerBenz AG v. 8.2.1962 – Ebd. 388 Vgl. Weber & Baral an OSta Tübingen – StAL, EL 317 III, Bü. 108e, Bl. 10 und Zeugnis Weber & Baral für Richard W. v. 2.4.1962 – Ebd., Bl. 12. 389 Vgl. Zeugnis für Rudolf Schl. v. 14.8.1963 – Daimler-Chrysler, Personalakte Schl., o.P. 390 Vgl. Firma Immo Rugo/Bremen an RA v. 11.6.1966 – LHAK, 584,1, Nr. 8778, Vollstreckungsheft 6, Bl. 39; RA Barzen an OSta Koblenz v. 8.4.1965 – Ebd., Bl. 10; RA Barzen an Strafkammer LG Koblenz v. 13.5.1966 – Ebd., Bl. 29. 391 RA Friedrich Me. an OLG Koblenz v. 3.6.1960 – LHAK, 584,1, Nr. 8486, Bl. 3330. 392 Naturella Südsaft AG v. 24.4.1964 – StAL, EL 312, Bü. 780, Bl. 7. 393 Zu Heinz Ta. existieren durch verschiedene Firmenübernahmen keine Personalakten mehr; ein Mitarbeiter seiner damaligen Firma erklärte aber, dass Heinz Ta. nach seiner Inhaftierung noch bis zu seinem Ruhestand Mitte der 1970er Jahre als Monteur für die Firma Kupfermühle in Bad Hersfeld gearbeitet habe. Vgl. E-Mail der Firma Grenzebach BSH GmbH (Nachfolgefirma) an die Verfasserin v. 19.7.2004. Zu Rath vgl. Friedrich Kempker v. 5.5.1967 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7096, Vollstreckungsheft 1, Bl. 13; RA an Staatsanwaltschaft Berlin v. 19.1.1960 – Ebd., Bd. 16, Bl. 96 394 Schreiben Gießener Anzeiger v. 13.6.1962 – StAM, Staatsanwaltschaft München I, 33109/5, Bl. 1161. 395 Schreiben Giessener Anzeiger v. 2.3.1970 – Ebd., 33109/22, Bl. 3591; RA Gutschmidt an LG München v. 3.3.1970 – Ebd., Bl. 3948. 396 Vgl. Schreiben Verlag des Gießener Anzeigers v. 29.10.1971 – Ebd., 33109/48, Bl. 14; Schreiben Betriebsrat v. 5.11.1971 – Ebd., Bl. 15. 397 Hans Harzheim an LG Köln v. 28.11.1964 – HStAD, Gerichte Rep. 267, Nr. 1866, Bl. 35. 398 Vgl. Kühne, Vernichtungskrieg, S. 484. 399 Ehefrau Rudolf Schl. an Justizminister Rheinland-Pfalz v. 22.12.1964 – LHAK, 584,1, Nr. 8774, Bl. 2f. Auch ein ehemaliger Lehrling von Rudolf Schl. verwandte sich für ihn in einem Schreiben an das LG Koblenz. Vgl. Günther S. an LG Koblenz v. 18.12.1961 – Ebd., Nr. 8544, Bl. 12238f. 400 Schwägerin von Gerhard S. an denselben v. 24.5.1960 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 6, Bl. 289. 401 Ehefrau von Richard W. an StA Ulm v. 29.12.1959 – StAL, EL 317 III, Bü. 1981, o.P. 402 Ehefrau Friedrich Me.s an Friedrich Me. v. 9.1.1963 – HStAD, Gerichte Rep. 299, Nr. 1089, Bl. 162f. Der Brief wurde wegen seines Inhalts wieder zurückgeschickt. 403 Vgl. RA Hartwich an Strafkammer LG Wuppertal v. 10.12.1962 – Ebd., Gerichte Rep. 240, Nr. 114, Bl. 188. 404 SPD-Ortsverein Öhringen an RA v. 29.4.1964 – StAL, EL 312, Bü. 780, Bl. 10 (nicht durchgehend paginiert) 405 Adolf Mauk an Justizminster Baden-Württemberg v. 4.5.1964 – Ebd., o.P. 383

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ANMERKUNGEN

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RA Hartwig an LG Wuppertal v. 2.11.1965 – BAL, B 162/1580, Bl. 72. Ob der Brief zugestellt oder wegen des Inhalts zurückgeschickt wurde, ist nicht bekannt. Evers an Gerhard S. v. 7.9.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 5, Bl. 267 (Kuvert mit fünf Schriftstücken). 408 Evers an Gerhard S. v. 7.9.1959 – Ebd. 409 Vgl. Selbsthilfebauverein Schwanenwede v. 5.10.1959 – Ebd.; Schuldirektor Gustav H. an Gerhard S. v. 13.10.1959 – Ebd., Bd. 34, Bl. 142. 410 Gemeinde Schwanenwede an RA Scheid v. 16.12.1959 – Ebd., Bd. 5, Bl. 271. 411 Dto. – Ebd. 412 Gemeindedirektor Schwanenwede an Gerhard S. v. 16.12.1959 – Ebd., Bd. 34, Bl. 143. 413 Vgl. Arbeitsangebot der Firma Hansa-Trikot v. 10.8.1963 – Ebd., Bl. 136. 414 Oberkreisdirektor Gottschalk an Firma Hansa-Trikot v. 5.9.1963 – Ebd., Bl. 140. 415 Darauf macht Kwiet aufmerksam: ders, Tätern, bes. S. 124. 416 Matthäus, „Judenfrage“, S. 78. 417 Anders Nehmer, bes. S. 668. 418 Zu den tatsächlichen Entscheidungsprozessen zur „Endlösung“ mit Bezug auf die Einsatzgruppen siehe Ogorreck, Einsatzgruppen. Er stellte fest, dass der August 1941 der zentrale Monat war, der den Umschwung von der noch selektiven Ermordung hin zur ausnahmslosen Judenvernichtung markierte und den Einsatzkommandos in eben diesem Monat ihre neue Aufgabe übermittelt wurde. Ebenfalls dazu siehe Mallmann, Türöffner. 419 Zitiert in: Paul, Psychopathen, S. 37. 420 Von Miquel, S. 57. 421 Kwiet, Tätern, S. 137. 422 Wolfrum, „Geschichtsbild“, S. 239. 407

Schlussbetrachtung 1

Vgl. die Antwort des rheinland-pfälzischen Innenministers Wolters auf eine große Anfrage der SPD zum Fall Heuser: Stenographischer Bericht über die 5. Sitzung des Landtages Rheinland-Pfalz im Landtagsgebäude zu Mainz am 6. Oktober 1959 – LHAK, 880, Nr. 13453, S. 119f. 2 Wolfrum, „Geschichtsbild“, S. 231. 3 Schildt, Ankunft, S. 124. 4 Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 192 und 396.

Prosopographischer Anhang 1

Die biografischen Daten sind dem Urteil entnommen. Vgl. Urteil LG Koblenz v. 21.5.1963 (9 Ks 2/62), in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 552. Weil es sich um eine kurze Überblicksdarstellung handelt, wurde in der Regel in den Kurzbiografien auf weitere Belege verzichtet. Sie finden sich ausführlich in den übrigen Kapiteln des Buches. 2 Vgl. Urteil LG Düsseldorf v. 12.11.1973 (8 Ks 3/70), in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 784. 3 Meldung Gerichtsgefängnis Recklinghausen v. 21.3.1961 – HStAD, Gerichte Rep. 388, Nr. 308, Bl. 14. 4 Vgl. Urteil LG Wuppertal v. 7.8.1963 (12 Ks 1/62), in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 606.

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Beurteilung Theodor Gr.s, SS-Personalakte – HStAD, Gerichte Rep. 240, Nr. 134 o.P. (Kopie). 6 Zur Einrichtung eines Bereichs zum Alkoholentzug für SS-Führer im Konzentrationslager Buchenwald siehe Vorschlag des Inspekteurs der Konzentrationslager an Himmler v. 23.7.1941, abgedruckt in: Herber, Gerichtsmedizin, S. 441f. 7 Vgl. Urteil LG Darmstadt v. 29.11.1968 (Ks 1/67), in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 694. 8 Spruchkammerakte August Hä. – StAL, EL 903/3, Bü. 503, Bl. 2. 9 Die Ergebnisse dieses grausamen Experiments veröffentlichte Panning in der Zeitschrift „Der deutsche Militärarzt“, gab dort aber an, dass auf Teile ausgeschlachteter Pferde geschossen worden sei. Vgl. Panning, Wirkungsform. Der Abschnitt über die Menschenversuche befindet sich auf den Seiten 24–29. Panning war Leiter des Gerichtlich-Medizinischen Instituts der Militärärztlichen Akademie Berlin und beratender Gerichtsmediziner beim Heeres-Sanitätsinspekteur. Er starb im März 1944. 10 Vgl. zum Südostwall Szita, bes. S. 193ff. Bei einer Wohnungsdurchsuchung fand die Polizei 1948 bei Wilhelm E. einen Notizblock, auf dem vier ungarische Juden namentlich genannt bzw. beschrieben sind, die bei Odenburg beim Bau des „Schutzwalles“ eingesetzt waren. August Hä. hatte ihre Namen seiner Frau bei einem Besuch im Kriegsgefangenenlager Augsburg-Göggingen diktiert. Sie sollte die Juden als Entlastungszeugen für ihn bei der jüdischen Gemeinde in Budapest ermitteln. Vgl. aus der Spruchkammerakte August Hä.s: Kriminalaußenstelle Schwäbisch Hall an Landespolizei Württemberg, Direktion, Abteilung II, Stuttgart v. 8.2.1948 – StAL, EL 903/3, Bü. 503, Bl. 36. Das Notizblatt befindet sich ebenfalls in der Spruchkammerakte, Bl. 38f. 11 Vgl. Eidesstattliche Versicherung August Hä. v. 3.11.1947, Dokument Blobel Nr. 5 – StAL, EL 903/3, Bü. 503, Bl. 95ff.; eidesstattliche Versicherung August Hä. v. 11.12.1947, Dokument Blobel Nr. 6 – Ebd., 96ff. 12 Vgl. Urteil LG Koblenz v. 21.5.1963 (9 Ks 2/62), in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 552. 13 Vgl. Eidesstattliche Erklärung Adolf Rübe v. 23.10.1947 – LHAK, 584,1, Nr. 8470, Bl. 871f. 14 Vgl. Urteil LG Wuppertal v. 30.12.1965 (12 Ks 1/62), in: Justiz und NSVerbrechen, Lfd. Nr. 606. 15 Die z.b.V.-Gruppe Iltis setzte sich aus Volksdeutschen, Angehörigen des SD, der Schutzpolizei und der Sicherheitspolizei zusammen, die zuvor dem Sonderkommando 1005 unter der Leitung von Paul Blobel angehört hatten. Auch die neue Einheit wurde von Blobel geleitet. Vgl. dazu Mallmann, Menschenjagd, S. 313. 16 CIA Name File Walter He. – NA, Record Group 263, Box 22. Die Akte enthält ein Formblatt (reference memorandum) mit persönlichen Daten und zwei Passfotos Walter He., eines davon ist offensichtlich eine Kopie seines Personalausweises. Darunter heißt es: „Gehlen Org. Employment“. CIA oder CIC hatten also herausgefunden, dass Walter He. für die Organisation Gehlen arbeitete und zwar von Anfang November 1950 bis zum 30. November 1954. Auch seine Decknamen werden genannt. Am 15.9. 1955 gehen dieses Informationen auf Anfrage v. Chief, EE an den Chief of Base, Pullach. Ein Jahr darauf, im November 1955, berichtet der Chief, EE an den Chief of Base, Pullach über die Vergangenheit Walter He.s: „1. In addition to information already available to you in [geschwärzt] etc., Headquarters files reveal only the following possible trace on Subject: 2. SHAXF card and [geschwärzt] card: He.: Rank – Krim.Kom. (by June 41); Career – Sipo, Breslau (June 41).” 17 Vgl. Urteil LG Koblenz v. 21.5.1963, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 552.

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Vernehmung Erich Ehrlinger v. 21.5.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8465, Bl. 10. Vgl. Einsatzkommando 14 an Führer der Einsatzgruppe H, Witiska, v. 8.9.1944 und 9.9.1944 – BAB, R 70 Slowakei, Nr. 189, Bl. 53f. und 55–60. Unterschrieben sind die Berichte jeweils von Heuser. 20 Vermerk im Ministerium des Inneren in Mainz v. 11.9.1959 – LHAK, 880, Nr. 13454, o.P. 21 Die Ermittlungen werden sehr schnell eingestellt, wieder aufgenommen und dann wieder eingestellt. Vgl. OStA Braunschweig an Zentrale Stelle v. 6.8.1959 – LHAK, 584,1, Nr. 8468, Bd. 4, Bl. 552 und Vernehmung Bernhard D. v. 5.8.1959 – Ebd., Bl. 525ff. 22 Vgl. Eidesstattliche Erklärung Adolf Rübe v. 23.10.1947 – LHAK, 584,1, Nr. 8470, Bl. 871f. 23 Vgl. Aussage Franz Karl H. v. 16.12.1945 in Minsk – BStU, PA 5545, Bl. 39. 24 Ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Koblenz in den späten 1970er Jahren gegen Heuser als ehemaligen Führer des Ek 14 wurde eingestellt. Heuser hatte erfolgreich die wahren Aufgaben und Taten seines Kommandos verschleiern können. Vgl. dazu: Kwiet, Mord, bes. S. 79 und S. 80, Anm. 1. 25 Vgl. Urteil LG Essen v. 22.12.1966, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 643. 26 BB CdS v. 7.12.1940 – BAB, RD 19/2. 27 Vgl. Urteil LG München I v. 26.2.1970, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 724. 28 Trotz vorhandenen Quellenmaterials gibt es nur einen fundierten Aufsatz über das Unternehmen „Zeppelin“: Mallmann, Krieg. 29 Zu den Selektionen in den Kriegsgefangenenlagern sowie zu den Ursachen für die hohe Zahl der freiwilligen Meldungen vgl. ebd., S. 328–332. 30 Zum Lager Jablon vgl. ebd., S. 330. 31 Mallmann beschreibt, dass das RSHA im Frühjahr 1942 mit dem Aufbau zweier russischer Freiwilligenverbände, Drushina I und Drushina II, begann. Vgl. ebd., S. 331. Zu den Zahlen vgl. Lagebericht Nr. 5 des „SS-Sonderlagers Lublin“ in Jablon v. 17.7.1942 – BAD-H, Z 920, A. 47. Zum deutschen Personal zählten zudem noch zwei Kanzleiangestellte, fünf Dolmetscher und 19 „volksdeutsche“ Wachmänner. Der Bedarf an Kleidung im Lager wurde mit dem gedeckt, was man anderen Opfern zuvor geraubt hatte. Vgl. ebd., Bl. 4. Zu den verschiedenen Lagern vgl. Mallmann, Krieg, S. 330. 32 §1 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 1078 zum Abschluss der politischen Befreiung lautete: „Besteht auf Grund des Ergebnisses der Ermittlungen des öffentlichen Klägers kein hinreichender Verdacht, dass ein Betroffener Hauptschuldiger oder Belasteter ist, so hat der öffentliche Kläger das Verfahren einzustellen. Ist die Klage bereits erhoben; so ist das Verfahren durch Beschluss einzustellen. Der Beschluss unterliegt nicht der Beschwerde.“ 33 Vgl. Urteil LG Berlin v. 6.5.1966, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 630. 34 Das „Gesetz über die Gewährung von Straffreiheit“ war eines der ersten Gesetze, das der Bundestag der neu gegründeten Bundesrepublik erließ. Nach Zustimmung durch die Alliierte Hohe Kommission wurde es am 31.12.1949 verkündet. Die Amnestie umfasste 1.) Urteile von Spruchgerichten in der britischen Zone wegen „Organisationsverbrechen“ 2.) Strafen von bis zu sechs Monaten Gefängnis und Geldstrafen bis zu 5 000 DM für Taten, die vor Gründung der Bundesrepublik und nicht aus Grausamkeit, ehrloser Gesinnung oder Gewinnsucht begangen worden waren, 3.) politisch motivierte Taten, die nach dem 8.5.1945 begangen worden waren und 4.) Vergehen, die „zur Verschleierung des Personenstandes aus politischen Gründen“ seit dem 10.5.1945 begangen worden waren, 19

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vorausgesetzt, die Betroffenen meldeten sich bis zum 31.3.1950 bei der Polizei. Letzteres galt damit auch für ranghohe NSDAP-Funktionäre und SS-Angehörige, die es vorgezogen hatten, unter falschem Namen unterzutauchen. Das mit großer Mehrheit beschlossene Gesetz war ein Bekenntnis gegen die Entnazifizierung und für Integration und signalisierte: Schlussstrich! Zu dieser Signalwirkung vgl. Frei, Problem, bes. S. 23–26 und Perels, Amnestien, bes. S. 678. Zum Straffreiheitsgesetz von 1949 vgl. auch Freudiger, Aufarbeitung, S. 16–18. 35 Vgl. Urteil LG Koblenz v. 21.5.1963, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 552. 36 In seinem Aufnahmegesuch in die SA schrieb er am 1.11.1933: „Ich tue dies in dem Bewusstsein, als deutscher Student und Volksgenosse in die zur Tat gewordene Volksgemeinschaft, die S.A., hineinzugehören. Ich verpflichte mich, mich immer für meines Volkes Ehre und Freiheit im Sinne unseres Führers einzusetzen.“ – BAD-H, ZR 691 A. 13. 37 Beurteilung Rudolf Schl.s v. 22.7.1940 – Ebd. 38 RuS Fragebogen Rudolf Schl. – BAB, RS F 343, Bl. 28. 39 Vorschlagsliste für die Verleihung des KVK II. Klasse mit Schwertern – BAD-H, ZR 691 A. 13. 40 Er selbst gibt an, einem „Begleitkommando Wlassow“ angehört zu haben, was zeitlich nicht möglich ist. Allerdings zeigt sich bei Durchsicht der Quellen immer wieder, dass die Beteiligten häufig die Bezeichnungen Wlassow-Armee mit dem Unternehmen „Zeppelin“ und den Osteinheiten durcheinander bringen. 41 Vgl. Urteil LG Ulm v. 29.8.1958, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 465. 42 Verkürzter Fragebogen Schmidt-Hammer für Entnazifizierungsausschuss Rendsburg – LAS, Abt. 460.11, Nr. 652. 43 Vgl. Urteil LG Berlin v. 28.3.1966, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 627. 44 Selbstverfasster Lebenslauf Gerhard S. aus seiner Spruchkammerakte – BAK, Z 42 III/1730, Bl. 49–52, hier: Bl. 51. 45 Das sah § 19 des Waffenstillstandsabkommens vor. 46 Mallmann zufolge bildeten die Vorlager eine „zweite Selektionsschleuse“ für die potentiellen Kandidaten des Unternehmens „Zeppelin“. Neben Sachsenhausen gab es für russische Kriegsgefangene noch die Vorlager Buchenwald und Oswitz bei Breslau. In diesem Lagern stand nach Mallmann die propagandistische Beeinflussung im Vordergrund. Vgl. ders., Krieg, S. 330. Gerhard S. selbst sagte 1959 über seine Aufgabe aus: „Ich hatte den Auftrag, eine Gruppe antibolschewistischer russischer Offiziere persönlich zu betreuen, die als russische Gegenregierung [sic!] in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten eingesetzt werden sollten. In einem Sonderlager des KZ-Sachsenhausen erfolgte die Unterbringung der russischen Offiziere und von dort führte ich sie in und in der Umgebung von Berlin herum.“ Aussage S. v. 21.10.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 5, Bl. 229. Genauere Angaben in: Lebenslauf Gerhard S. – BAK, Z 42 III/1730, Bl. 48–52. Vgl. dazu auch Entnazifizierungsakte Gerhard S., Fragebogen v. 3.9.1948 – StAS, Rep. 275 II, Nr. 47.199, Bl. 1. In der Beschreibung von Gerhard S.s Lebenslauf im Urteil des Landgerichts Berlin wird dieser Einsatz nicht erwähnt. Gerhard S. selbst gibt ihn aber sowohl in seinem Entnazifizierungsverfahren als auch in einem selbst verfassten Lebenslauf während seines Spruchkammerverfahrens an. 47 1959 legt Karl-Heinz M., inzwischen Kriminalhauptkommissar in Celle, ein Leumundszeugnis für Gerhard S. ab, der sich zu diesem Zeitpunkt in Untersuchungshaft befindet. Schriftliche Erklärung Karl-Heinz M. v. 23.10.1959 – LAB, B Rep. 058, Nr. 7090, Bd. 5, Umschlag Bl. 267. 48 Vgl. Urteil LG Köln v. 12.5.1964, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 573.

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Der Dolmetscher Werner Schö.s in dessen Teilkommando, Robert L., gab dazu am 27.2.1963 als Zeuge gegenüber der Polizei an: „Werner Schö. war eigentlich auch noch unreif und ich hatte das Gefühl, dass er es ein Leben lang bleiben würde. Und so unreif wie er war, war die Idee das Bauernmädchen Genia in die Großstadt Berlin zu verpflanzen. Er hatte sich begeistert für das germanische Aussehen dieses blondbezopften 11-jährigen Mädchens. Ich musste die Eltern beschwätzen, das Mädchen in die elterliche Familie Schö. nach Berlin zu geben. Es ist dann so gekommen, dass dieses Mädchen sich einem kaukasischen Hilfswilligen zugewandt hatte und die Familie Schö. verlassen hatte.“ Aussage Robert L. v. 27.2.1963 – BAL, B 162/3290, Bl. 240. Werner Schö. selbst sagte dazu am 11.4.1963 auf Vorhalt aus, dass er nicht vorgehabt hätte, das Mädchen Genia dem Rasse- und Siedlungshauptamt vorzustellen. „[…] vielmehr war dieses Mädchen für mich eine Art seelische Zuflucht. Ich habe es, ohne ihm im Mindesten nahezutreten, verwöhnt. Ich habe die Genia in Borissow eingekleidet, bei meinen Eltern wie eine Tochter untergebracht und dafür gesorgt, dass sie nach Wien und in die Alpen kam. Ich hatte mir vorgestellt, etwas aus ihr zu machen. Dass es nicht gut gegangen ist mit ihr, habe ich nach dem Kriege durch meine Eltern erfahren.“ Aussage Werner Schö. v. 11.4.1963 – BAL, B 162/3291, Bl. 379. 50 Fatran, S. 104. 51 Central Registry of War Criminals and Security Suspects. 52 Verfügung der Zentralen Stelle Ludwigsburg v. 16.8.1988 – BAL, B 162/41713, Bl. 214. 53 Vermerk ZSL – Ebd., Bl. 266. 54 Vgl. Urteil LG Berlin v. 6.5.1966, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 630. 55 In seinem SS-Personalbericht v. 16.7.1937 heißt es dazu: „Verletzungen, Verfolgungen und Strafen im Kampfe für die Bewegung: Kopfverletzung (4cm langer Messerschnitt) 4 Vorderzähne durch Schlag mit Zaunlatte verloren. […] durch Marxisten eine leichte Gehirnerschütterung erlitten. Eisenach wegen gegn. Verfolgung verlassen (1932).“ – BAB (ehem. BDC), SSO Heinz Ta., Film Nr. 172 B, Bl. 918f. 56 Die von Göring gebildete Hilfspolizei rekrutierte sich aus Mitgliedern der SS, der SA und des „Stahlhelm“. 57 SS-Stammrollenauszug – BAB (ehem. BDC), SSO Heinz Ta. Film Nr. 172 B, Bl. 927. 58 Die Devisenfahndungsämter waren 1936 eingerichtet worden. 59 Aussage Heinz Ta. v. 16.9.1947 – HStAW, Abt. 520 He, Nr. 40, Bl. 61. Seine Abordnung zur Gestapo nach Gießen, auf der die Anklage der Spruchkammer des Internierungslagers Darmstadt beruht, erwähnt er selbst nur während seines Spruchkammerverfahrens. In den Akten des Landgerichts Berlin fehlt diese Angabe völlig. 60 Bericht Heinz Ta. v. 30.3.1944 – BAD-H, ZR 635 A. 1, Bl. 47–49, hier: Bl. 48. Ein Blatt des Berichtes fehlt, so dass anhand dieser Quelle nicht nachzuvollziehen ist, in welchen Monat im Sommer 1942 er diese Aktion verlegt. 61 Gebietskommissar Petersen an Generalkommissar Weißruthenien, 1.7.1942, abgedruckt in: Benz/Kwiet/Matthäus (Hg.), Einsatz, S. 224. 62 Archivauskunft aus dem Melderegister der Stadt Münster – Stadt Münster an Verfasserin v. 21.12.2005. 63 Vgl. Aussage Heinz Ta. v. 25.9.1947 – HStAW, Abt. 520 He, Nr. 40, Bl. 62. Im Meldebogen, den Heinz Ta. am 27.9.1946 im Internierungslager Darmstadt ausfüllt, gibt er sogar an, v. 26.3.1943 bis 1945 in Münster gewohnt zu haben: Ebd., Bl. 2. Dem widerspricht allerdings seine Ehefrau, die gegenüber der Polizei in Hersfeld am 16.10.1947 angibt, ihr Mann sei im Sommer 1944 zur Gestapo nach Münster und von dort im Herbst 1944 in die Slowakei gekommen. Vgl. Aussage der Ehefrau v. 16.10.1947 – Ebd., Bl. 17.

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In Heinz Ta.s SS-Akte findet sich kein Hinweis darauf. Gegenüber den Ermittlern und dem Landgericht Berlin verschweigt er diesen Einsatz erfolgreich. Dabei hatte seine Ehefrau bereits während seines Spruchkammerverfahrens angegeben, dass ihr Mann 1944 noch in der Slowakei eingesetzt war. Vgl. Aussage der Ehefrau v. 16.10.1947 – HStAW, Abt. 520 He, Nr. 40, Bl. 17. Die konkrete Zuordnung Heinz Ta.s zum Sonderkommando z.b.V. 27 erfolgt 1972 seitens der êSSR, die im Rahmen der Aktion „Mosaik“ nationalsozialistische Verbrechen in der Slowakei recherchiert. In einem geheimen Schreiben teilt das Innenministerium der êSSR im Juni 1972 der Stasi Namen und Kommandoangehörigen mit und bittet um deren Identifizierung: Innenministerium êSSR an Stasi v. 12.6.1972 – BStU, MfS Allg. P. 9946/79, Bl. 66f. 65 Vgl. Tönsmeyer, S. 173, Anm. 22. 66 Vermerk öffentlicher Kläger Spruchkammer Internierungslager Darmstadt – HStAW, Abt. 520 He, Nr. 40, Bl. 9. 67 Klageschrift v. 10.3.1948 – Ebd., Bl. 65; Spruch v. 21.6.1948 – Ebd., Bl. 98. 68 Mallmann weist am 5.6.1999 in einem Schreiben die Zentrale Stelle in Ludwigsburg darauf hin. – BAL, Karteikarte Heinz Ta. 69 Vgl. Urteil LG Heilbronn v. 14.5.1963, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 551. 70 In einem Bericht des Grenzkommissariats Chelm v. 17.3.21944 heiß es: „In den Nachmittagsstunden des 14.10.1943 unternahmen etwa 300 Häftlinge des Sonderlagers Sobibor, nachdem sie einen Teil der Wachmannschaften entwaffnet und einen SS-Führer, sowie 10 SS-Unterführer ermordet hatten, einen Ausbruchsversuch, der zum Teil gelang. Vom Grenzpolizeikommissariat Chelm wurde ein Einsatzkommando nach Sobibor entsendet, dem die nachstehend aufgeführten SS-Angehörigen beigegeben waren.“ Im Folgenden ist auch Rudolf Th. aufgeführt. Weiter wird berichtet: „Das vom Grenzpolizeikommissariat Chelm entsandte Einsatzkommando führte die Durchkämmung der einzelnen Lager innerhalb des Lagers durch. […] Eine größere Anzahl Häftlinge wurde hierbei erschossen, bzw. 159 Häftlinge befehlsgemäß behandelt. Alle Angehörigen des Einsatzkommandos haben sich während der ganzen Aktion bewährt.“ Bericht Grenzkommissariat Chelm v. 17.3.1944 – BAD-H, ZR 635 A. 1, Bl. 8. 71 Vgl. Tönsmeyer, S. 173, Fußnote 22. 72 Vgl. Kwiet, Mord, bes. S. 75. 73 Vgl. Urteil LG Tübingen v. 10.5.1961, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 509. 74 Tatsächlich sind keine Verfahrensunterlagen überliefert. Weder findet sich auf der Karteikarte für Richard W. in der Zentralen Interniertenkartei im Landesarchiv München ein Hinweis, noch ist dort ein Verfahren bei der Spruchkammer Freising Land verzeichnet. Auskunft von Dr. Bachmann, Staatsarchiv München, v. 2.3.2004. 75 Vgl. Urteil LG München v. 29.3.1974, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 807. 76 CIA Name File Heinrich Win. – NA, Washington RG 263 Box 57. Die Akte wird im Herbst 1965 angelegt und enthält vor allem BDC-Unterlagen über Heinrich Win. Innerhalb der Einsatzgruppe z.b.V. gehörte Heinrich Win. nach CIA-Erkenntnissen einer von insgesamt zwei Einheiten der Sipo an, die unter dem Kommando von SS-Oberführer Dr. Otto Rasch standen. Zur Einsatzgruppe z.b.V. von Woyrsch vgl.: Krausnick, Einsatzgruppen, S. 41–45; Rossino. 77 Fernschreiben RFSS an Udo von Woyrsch v. 3.9.1939 – Zitiert in: Weitbrecht, S. 60. 78 Vgl. Urteil LG Stuttgart v. 13.3.1969, in: Justiz und NS-Verbrechen, Lfd. Nr. 701. 79 Tagebucheintrag Goebbels v. 12.6.1932: „Viel Besprechungen und Ärger. Fritz Zi. hat die Portokasse beklaut und muß deshalb entlassen werden.“ Zitiert in: Müsse, S. 197, Anm. 2. 80 Müsse, S. 179f.

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Zur Nachrichtenagentur Transocean vgl. Klee, Transocean. Eine verharmlosende autobiografische Erinnerung liefert Zi.s einstiger Arbeitskollege Werner von Lojewski, Jahre, S. 57–68. Im Spruchkammerverfahren gegen Fritz Zi. vor dem Spruchgericht Recklinghausen verfasst von Lojewski ihm eine eidesstattliche Erklärung: Erklärung Werner von Lojewskis v. 4.12.1948 – BAK, Z 42 III/3705, Bl. 66. 82 Ein Angehöriger der Einsatzgruppe D erwähnt ihn in einem „Gedicht“ „Kriegsweihnacht 1941“, dort heißt es: „Bonifazius Kiesewetter dieses alte Rübenschwein, fiel bei ner Pastorentochter in Piatra mächtig rein!“. Unter Kommandoangehörigen wurde Fritz Zi. „Bonifazius Kiesewetter“ genannt, weil er dafür bekannt war, die obszönen Gedichte mit der gleichnamigen fiktiven Hauptfigur vorzulesen. Vgl. „Kriegsweihnacht 41“ – StAM, Staatsanwaltschaft München I, 33109/56, Bl. 670. Mit Piatra war Piatra Neamt in Rumänien gemeint. Das würde darauf hindeuten, dass sich Fritz Zi. Ende 1941 in Rumänien aufhielt. Zwei Fotografien von August und September 1941 zeigen ihn in Ungarn. – BAK, Z 42 III/3705, o.P. 83 Vgl. Tönsmeyer, S. 175. 84 Spruchkammerakte Fritz Zi. – BAK, Z 42 III/3705. 85 Entnazifizierungsakte Fritz Zi. – LAS, Abt. 460, Nr. 355.

Abkürzungsverzeichnis AG AOK BAB BAD-H BAK BAL BB CdS BDC BdO BdS BHE BGH Bl. BND BStU Bü. CIA EG Ek Gestapo HJ HStAD HStAH HStAW HSSPF KdS LAB LAS LG LHAK LKA NA NSDAP NSD StB o.D. o.P. OSta RA RG RSHA

Amtsgericht Armeeoberkommando Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv Dahlwitz-Hoppegarten Bundesarchiv Koblenz Bundesarchiv Ludwigsburg Befehlsblatt des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD Berlin Document Centre Befehlshaber der Ordnungspolizei Befehlshaber der Sicherheitspolizei Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten Bundesgerichtshof Blatt Bundesnachrichtendienst Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitschefs der ehemaligen DDR Büschel Central Intelligence Agency Einsatzgruppe Einsatzkommando Geheime Staatspolizei Hitlerjugend Hauptstaatsarchiv Düsseldorf Hauptstaatsarchiv Hannover Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Höherer SS- und Polizeiführer Kommandeur der Sicherheitspolizei Landesarchiv Berlin Landesarchiv Schleswig-Holstein Landgericht Landeshauptarchiv Koblenz Landeskriminalamt National Archives, College Park Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistischer Deutscher Studentenbund ohne Datum ohne Paginierung Oberstaatsanwalt Rechtsanwalt Record Group Reichssicherheitshauptamt

334 SA SD Sk StAD StADet StAL StAM StAS Staw. SS SSPF z.b.V. ZSL

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Sturmabteilung Sicherheitsdienst Sonderkommando Staatsarchiv Darmstadt Staatsarchiv Detmold Staatsarchiv Ludwigsburg Staatsarchiv München Staatsarchiv Stade Staatsanwalt Schutzstaffel SS- und Polizeiführer zur besonderen Verwendung Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg

Quellen und Literatur 1. Quellen 1.1. Ungedruckte Quellen Bundesarchiv Berlin (BAB) R 70 Slowakei Deutsche Polizeidienststellen in der Slowakei R 70 Griechenland Deutsche Polizeidienststellen in Griechenland NS 18 Reichspropagandaleiter der NSDAP (u.a. Fritz Zi.) RD 19/2 Befehlsblatt des Chefs der Sipo und des SD Bestände des ehemaligen Berlin Document Center (BDC): SSO-Akten, RuSHA-Akten, sonstige personenbezogene Daten (über personenbezogene Recherche) Bundesarchiv-Zwischenarchiv, Dahlwitz-Hoppegarten (BAD-H) Zu Wilhelm E.: Z 7090 A.3 Zu Theodor Gr.: ZR 594 A.8 Zu Arthur Harder: ZR 759 A.14 Zu Walter He.: ZR 773 A.2; ZD 1519/54; ZD 27/54 Ob Zu Friedrich Me.: ZR 786 A.4; ZR 917 A.4 Zu Rudolf Schl.: ZR 798 A.5; ZR 691 A.13 Zu Gerhard S.: ZB II 5184; ZB 2 1103 A.1; ZA I 7155 A. 23; ZR 920 A. 145; ZR 747 A 14; ZR 747 A 15 Zu Werner Schö.: ZB II 1103 A.1 Zu Heinz Ta.: ZR 635 A.1 Zu Rudolf Th.: ZR 773 A.2; ZR 635 A.1 Zu Richard W.: ZR 809 A.7; ZR 809 A.8 Zu Fritz Zi.: Z 920 A.61; SS Dienstaltersliste 1938 Bundesarchiv Koblenz (BAK) Z 42 IV Spruchgericht Bielefeld (u.a. Spruchgerichtsakte Karl Rath) Z 42 III Spruchgericht Hamburg-Bergedorf (u.a. Spruchgerichtsakten Fritz Zi. und Gerhard S.) Bundesarchiv-Außenstelle Ludwigsburg Die Recherche der Ermittlungsakten erfolgte über die Personenkartei der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen Ludwigsburg Zu Wilhelm E.: B 162/3769–3793; B 162/14472; B 162/18184 (Verfahren gegen Wilhelm E.)

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QUELLEN UND LITERATUR

Zu Theodor Gr.: B 162/2641–2662; B 162/14150 (Verfahren gegen Erich Ehrlinger); B 162/1570–1583; B 162/4690; B 162/14308 (Verfahren gegen Theodor Gr. und Walter He.) Zu August Hä.: B 162/4729; B 162/4697–4699; B 162/B 162/5641–5655; B 162/195; B 162/5657–5676; B 162/5678–5686; B 162/19200–19224; B 162/17922–17999; B 162/17962; B 162/409; B 162/3517; B 162/ 5678; B 162/14101; B 162/14396; B 162/14436–14438; 1568–1569; B 162/17908– 17918; B 162/17919–17999; B 162/19300 (Verfahren gegen August Hä.; LG Darmstadt Ks 1/67; Ermittlungen gegen Angehörige des Sk 4a); B 162/1020– 1021; B 162/1110; B 162/956 (Verfahren gegen Bruno Müller) Zu Arthur Harder: B 162/1325–1334; B 162/14366 (Verfahren gegen Otto Goldapp) Zu Walter He.: B 162/1325–1334; B 162/14366 (Verfahren gegen Otto Goldapp); B 162/1579–1583; B 162/4690; B 162/14308; B 162/20216–20217 (Verfahren gegen Walter He. und Theodor Gr.); B 162/3536–3552; B 162/18080–18092 (Tonbandprotokolle der Gerichtsverhandlung) Zu Georg Heuser: B 162/3224–3230; B 162/14151–14153 (Ermittlungen LG Koblenz 9 Ks 2/62); B 162/2641–2662; B 162/14150 (Ermittlungen gegen Ehrich Ehrlinger); B 162/1325–1334; B 162/14366 (Ermittlungen gegen Otto Goldapp) Zu Friedrich Me.: B 162/3572–3576; B 162/3598–3620; B 162/14174–14248; B 162/14199 (Verfahren gegen Friedrich Me.); Zu Rudolf Schl.: B 162/ 3407–3420; B 162/14197 Zu Werner Schö.: B 162/3290–3292; B 162/14168; B 162/4618 (Ermittlungen bzgl. Ek 13); B 162/41712–41713 (Ermittlungen wegen Mordes in Nove Mesto und KZ Auschwitz) Zu Rudolf Th.: B 162/4972–4984; B 162/4679; B 162/14135; B 162/14428 Zu Richard W.: B 162/3224–3230; B 162/14151–14153 (Verfahren LG Koblenz 9 Ks 2/62); B 162/4886–4888; B 162/4674; B 162/14116 (Verfahren gegen Richard W.); B 162/30369 Zu Fritz Zi.: B 162/25304; B 162/3536–3552; B 162/18080–18092 (Tonbandprotokolle der Gerichtsverhandlung) Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitschefs der ehemaligen DDR (BStU) Zu Heinz Ta.: RHE 46/72; MfS Allg. P. 9946/79 Zu Georg Heuser: PA 5545; RHE 33/89; RHE 139/70, Teil 1 und 2; RHE 46/72 Zu Rudolf Schl.: PA 5545 Zu Rudolf Th.: RHE West 47 Zu Arthur Harder: RHE 4/74 SU Bd. 1b Zu Rudolf Schl.: RHE 61/73 SU, Bd. 6 Zu August Hä.: AS 88/68 Zu Wilhelm E.: RHE 112/71 SU Zu Fritz Zi.: AV 14/89; RHE 47/68 SU; RHE West 496/3; RHE 18/74 SU; AS 27/69 Zu Theodor Gr.: RHE 10/66 SU Zu Walter He.: RHE 10/66 SU; RHE 31/75 SU Zu Werner Schö.: RHE 61/73 SU; PA 5113

QUELLEN UND LITERATUR

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Hauptstaatsarchiv Düsseldorf (HStAD) Gerichte Rep. 240 Staatsanwaltschaft Wuppertal (u.a. Verfahren gegen Theodor Gr. und Walter He.) Gerichte Rep. 267 Staatsanwaltschaft Köln (Verfahren gegen Werner Schö.) Gerichte Rep. 299 Staatsanwaltschaft Essen (Verfahren gegen Friedrich Me.) Gerichte Rep. 388 Staatsanwaltschaft Düsseldorf (u.a. Verfahren gegen Wilhelm E.) NW 334 Innenministerium NRW, Abt. 4 (u.a. Wilhelm E., Walter He.) NW 899 Innenministerium NRW, Abt. 4 (u.a. Friedrich Me.) NW 1097-POLIZEI Sonderbeauftragte, Entnazifizierung (u.a. Entnazifizierungsakte Friedrich Me.) Hauptstaatsarchiv Hannover (HStAH) Nds. 171 Lüneburg, Nr. 30318 (Entnazifizierungsakte Walter He.) Hauptstaatsarchiv Wiesbaden (HStAW) Abt. 520 DZ Spruchkammer Darmstadt Zentral (u.a. Spruchkammerakte Arthur Harder) Abt. 520 He Spruchkammer Hersfeld (u.a. Spruchkammerakte Heinz Ta.) Abt. 631a Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Frankfurt a.M. (u.a. Verfahren gegen August Hä.) Landesarchiv Berlin (LAB) B Rep. 058 Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin (u.a. Verfahren gegen Gerhard S. [3 P (K) Ks 1/62]; Karl Rath und Heinz Ta. [(500) 3P (K) Ks 1/65]) Landesarchiv Schleswig-Holstein (LAS) Abt. 460 Entnazifizierungsakten (u.a. Entnazifizierungsakten von Werner-Schmidt-Hammer und Fritz Zi.) Landesgericht für Strafsachen Wien Az. Vgl 2 Vr 542/46 (Verfahren gegen Werner Schö.) Az. Vg 1a Vr 1072/49 (Verfahren gegen Werner Schö.) Landeshauptarchiv Koblenz (LHAK) Bestand Nr. 880 Ministerium des Innern und für Sport Rheinland-Pfalz (u.a. Personalakte Georg Heuser) Bestand Nr. 584,1 Staatsanwaltschaft Koblenz (u.a. Verfahren 9 Ks 2/62 gegen Karl D., Arthur Harder, Georg Heuser, Rudolf Schl.; Richard W.)

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QUELLEN UND LITERATUR

National Archives, College Park (NA) Record Group 263 CIA (u.a. personenbezogene Akten zu Walter He., Fritz Zi., Heinrich Win.) Record Group 319 Records of the Army Staff, Investigative Records Repository (u.a. personenbezogene Akte zu Heinrich Eweler) Staatsanwaltschaft Kaiserslautern Az 18 Js 7/73 (Ermittlungen gegen Wolfgang Abel; u.a. August Hä.) Staatsarchiv Darmstadt (StAD) H 13 Da Staatsanwaltschaft Darmstadt

(Verfahren gegen August Hä.)

Staats- und Personenstandsarchiv Detmold (StADet) D 99 Personalakten (u.a. Walter He.) Staatsarchiv Ludwigsburg (StAL) EL 48/2 I Landeskriminalamt Baden-Württemberg: Ermittlungsverfahren gegen NS-Gewaltverbrecher (u.a. Ermittlungen gegen Werner Schmidt-Hammer; Ermittlungen gegen Richard W.) EL 312 Staatsanwaltschaft beim LG Heilbronn (u.a. Ermittlungen gegen Rudolf Th.) EL 317 III Staatsanwaltschaft beim LG Stuttgart: Ermittlungen zu NSGewaltverbrechen, Schwurgerichtssachen (u.a. Ermittlungen gegen Fritz Zi., Walter He., Richard W.; Zeitungsausschnitte Heuser-Prozess) EL 322 Staatsanwaltschaft beim LG Ulm (u.a. Verfahren gegen Werner Schmidt-Hammer, Ermittlungen gegen Richard W.) EL 902 Heimatspruchkammern: Verfahrensakten (u.a. Spruchkammerakte Rudolf Th.) EL 903/3 Spruchkammer der Interniertenlager: Verfahrensakten des Lagers Kornwestheim (u.a. Spruchkammerakte August Hä.) EL 904/2 Interniertenlager: sonstige Unterlagen, amerikanische Interniertenkartei (u.a. Karteikarte Theodor Gr.) Staatsarchiv München (StAM) StaW 33124 Staatsanwaltschaften (Verfahren 113 Ks 3/67; vom LG Heilbronn abgegebene Akten aus dem Verfahren gegen Rudolf Th.) SpkA K 3333 Rudolf Schl. (Spruchkammerakte Rudolf Schl.) StAW 35306 Staatsanwaltschaften (Verfahren gegen Heinrich Win.; August Hä. als Zeuge) StAW 33109 Staatsanwaltschaften (u.a. Dokument zu Friedrich Me.) Staatsarchiv Münster (StA Münster) StAnw. Bochum (Verfahren 16 Ks 1/66; Rudolf Th.) StAnw. Dortmund (Ermittlungen gegen Werner Schö.)

QUELLEN UND LITERATUR

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Staatsarchiv Stade (StAS) Rep. 275 II Entnazifizierungsakten deutscher Stellen (u.a. Entnazifizierungsakte Gerhard S.) Firma Daimler-Chrysler AG Personalakte Rudolf Schl. Personalakte Richard W. Polizeipräsidium Recklinghausen Personalakte Wilhelm E.

1.2. Gedruckte Quellen Justiz und NS-Verbrechen. Die westdeutschen Strafurteile aus den Jahren 1945 bis 1973, Bände 1–37, bearbeitet von C.F. Rüter und D.W. de Mildt, Amsterdam, München 1968–2007. Verhandlungen des Deutschen Bundestages, 1. Wahlperiode 1949. Stenographische Berichte, Bd. 6, Bonn 1951.

2. Literatur 2.1. Zeitgenössische Schriften Der Spiegel (in Auswahl) Döblin, Alfred, Schicksalsreise. Bericht und Bekenntnis, hrsg. v. Anthony W. Riley, Solothurn, Düsseldorf 1993. Journalisten-Handbuch 1956, Wer schreibt worüber? Bad Godesberg 1956. Journalisten-Handbuch 1960, Wer schreibt worüber? Wiesbaden 1960. Journalisten-Handbuch 1966/67, Wer schreibt und spricht worüber? Wiesbaden 1966. Lojewski, Werner von, Tausend Jahre – durch meine Brille. Ein Journalistenleben im Dritten Reich, Freiburg i.B. 1985. Mann, Thomas, An die gesittete Welt. Politische Schriften und Reden im Exil, hrsg. v. Peter de Mendelssohn, Frankfurt a.M. 1986. Panning, Gerhart, Wirkungsform und Nachweis der sowjetischen Infanteriesprengmunition. Mit 12 Abbildungen, in: Der deutsche Militärarzt. Zeitschrift für die gesamte Wehrmedizin 7 (1942). Wirtschafts-Behörden und -Organisationen, bearbeitet von Georg Paulini, Essen 1957. Zi., Fritz, Der Endkampf gegen Versailles, in: Jahrbuch der Auslandsorganisationen der NSDAP, Hamburg 1940.

340

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2.2. Sekundärliteratur Altmann, Rüdiger, Der wilde Frieden. Notizen zu einer politischen Theorie des Scheiterns, Stuttgart 1987. Angrick, Andrej, Besatzungspolitik und Massenmord. Die Einsatzgruppe D in der südlichen Sowjetunion 1941–1943, Hamburg 2003. Angrick, Andrej/Voigt, Martina/Ammerschubert, Silke/Klein, Peter, „Da hätte man schon ein Tagebuch führen müssen“. Das Polizeibataillon 322 und die Judenmorde im Bereich der Heeresgruppe Mitte während des Sommers und Herbstes 1941, in: Helge Grabitz, Klaus Bästlein, Johannes Tuchel (Hg.), Die Normalität des Verbrechens. Bilanz und Perspektiven der Forschung zu den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, Berlin 1994, S. 325–385. Bästlein, Klaus, „Nazi-Blutrichter als Stützen des Adenauer-Regimes“. Die DDR. Kampagnen gegen NS-Richter und -Staatsanwälte, die Reaktionen der bundesdeutschen Justiz und ihre gescheiterte „Selbstreinigung“ 1957–1968, in: Helge Grabitz, Klaus Bästlein, Johannes Tuchel (Hg.), Die Normalität des Verbrechens. Bilanz und Perspektiven der Forschung zu den nationalsozialistischen Gewaltverbrechen, Berlin 1994, S. 408–443. Bajohr, Frank, Hamburg – Der Zerfall der „Volksgemeinschaft“, in: Ulrich Herbert, Axel Schildt (Hg.), Kriegsende in Europa. Vom Beginn des deutschen Machtzerfalls bis zur Stabilisierung der Nachkriegsordnung 1944–1948, Essen 1998, S. 318–336. Banach, Jens, Heydrichs Elite: das Führerkorps der Sicherheitspolizei und des SD 1936–1945, Paderborn, München, Wien u.a. 1998. Bartuseviìius, Vincas/Tauber, Joachim/Wette, Wolfram (Hg.), Holocaust in Litauen. Krieg, Judenmord und Kollaboration im Jahre 1941, Köln, Weimar, Wien 2003. Bauer, Fritz, Im Labyrinth der Kriegsverbrecher-Prozesse. Die unklare Rechtslage ermöglicht widerspruchsvolle Entscheidungen (1961), in: ders., Die Humanität der Rechtsordnung. Ausgewählte Schriften, hrsg. v. Joachim Perels, Irmtrud Wojak, Frankfurt a.M., New York 1998, S. 143–165. Baumann, Imanuel, Interpretation und Sanktionierung von Jugendkriminalität, in: Ulrich Herbert (Hg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980, Göttingen 2002, S. 348–378. Baumann, Imanuel, Dem Verbrechen auf der Spur. Eine Geschichte der Kriminologie und Kriminalpolitik in Deutschland 1880 bis 1980, Göttingen 2006. Beckermann, Ruth, Jenseits des Krieges. Ehemalige Wehrmachtssoldaten erinnern sich, Wien 1998. Benz, Wolfgang, Die Abwehr der Vergangenheit. Ein Problem nur für Historiker und Moralisten?, in: Dan Diner (Hg.), Ist der Nationalsozialismus Geschichte? Zu Historisierung und Historikerstreit, Frankfurt a.M. 1987, S. 17–33. Benz, Wolfgang, Die Ermordung der baltischen Juden und die einheimische Bevölkerung, in: Jürgen Matthäus, Klaus-Michael Mallmann (Hg.), Deutsche, Juden, Völkermord. Der Holocaust als Geschichte und Gegenwart, Darmstadt 2006, S. 141–152. Benz, Wolfgang/Distel, Barbara (Hg.), Die vergessenen Lager, Dachauer Hefte 5 (1989).

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Danksagung Die vorliegende Untersuchung ist eine leicht gekürzte und überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Juli 2008 am Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften der Universität Marburg angenommen wurde. Dass ich nach längeren Recherchen zu diesem Thema gefunden habe, von dem ich behaupten möchte, dass es mir gerade wegen der damit auch verbundenen Belastungen sehr viel über Menschen beigebracht hat, verdanke ich den Anregungen meines Doktorvaters, Prof. Eckart Conze. Bei ihm möchte ich mich für die immer offene und ermutigende Unterstützung meiner Arbeit an erster Stelle bedanken. Hilfreiche Anregungen und konstruktive Kritik erhielt ich von den Teilnehmern seines Marburger Kolloquiums. Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich dem Evangelischen Studienwerk e.V. Villigst, das mir fünf Semester lang ein Promotionsstipendium gewährte. Meine Arbeit war mit langwierigen und umfangreichen Recherchen verbunden, die ohne die vielfältige Unterstützung und Hilfe von Archivmitarbeitenden, Staatsanwaltschaften, Polizeibehörden, Arbeitgebern der von mir ausgesuchten Personen und vielen weiteren Menschen, die mir Auskünfte erteilten, nicht möglich gewesen wäre. Ihnen allen möchte ich ein ganz herzliches Dankeschön sagen. Wichtige Anregungen zur Überarbeitung der Dissertation für eine Publikation verdanke ich Dominik Geppert von der Universität Marburg, der zudem das Zweitgutachten der Dissertation übernahm. Professor KlausMichael Mallmann danke ich für die Bereitschaft, meine Arbeit in die Ludwigs-burger Forschungsreihe aufzunehmen, für seine hilfreichen Kommentare und Korrekturen sowie für den Kontakt zu seiner Doktorandin Lenka Sindelarova, die Detailwissen einbrachte. Daniel Zimmermann und seine Kollegen und Kolleginnen von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt sorgten dafür, dass der Text die richtige Form bekam. Vor allem aber möchte ich mich bei meinem Mann Marc bedanken, der mich geduldig durch alle Höhen und Tiefen dieser Arbeit begleitet hat.