Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen als Beitrag zur Normbildung 9783161546402, 9783161543265

Handelsschiedsgerichte nehmen im globalen Wirtschaftsverkehr mittlerweile eine bedeutende Stellung ein. Ihr anhaltender

142 34 4MB

German Pages 377 [379] Year 2016

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Cover
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Teil: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens
Kapitel 1: Einführung und Problemaufriss
I. Einleitende Bemerkungen
II. Gegenstand der Darstellung und Gang der Untersuchung
Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens
I. Nichtöffentlichkeit und Vertraulichkeit
II. Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht
1. Vertraulichkeit durch Parteivereinbarung
a. Die Parteivereinbarung als Grundlage des Schiedsverfahrens
b. Zulässigkeit von Vertraulichkeitsvereinbarungen
c. Form und rechtstechnische Umsetzung der Vertraulichkeitsvereinbarung
aa. Schiedsklausel
bb. Schiedsabrede
cc. Konkludente Vereinbarung
2. Vertraulichkeit aus der „Natur des Schiedsverfahrens“
a. Genese des Begründungsansatzes
b. Vereinbarkeit mit deutschem Recht
3. Vertraulichkeit aufgrund von Schiedsordnungen
4. Vertraulichkeit aufgrund gerichtlicher Anordnung
a. Verfahrensleitende Verfügung des Schiedsgerichts
aa. Mit ausdrücklicher Ermächtigung der Parteien
bb. Ohne ausdrückliche Ermächtigung der Parteien
b. Einstweilige Maßnahmen des staatlichen Gerichts
5. Vertraulichkeit aufgrund gesetzlicher Regelungen
a. Die Rechtslage in Deutschland
aa. Unionsrecht
bb. Deutsches Verfassungsrecht
cc. Sonstiges Völkerrecht
dd. Einfaches Gesetzesrecht
b. Überblick zur Rechtslage in anderen Staaten
aa. Die Rechtslage in England
bb. Die Rechtslage in Neuseeland
cc. Die Rechtslage in Spanien
dd. Die Rechtslage in Rumänien
ee. Die Rechtslage in Hongkong
ff. Die Rechtslage in Schottland
gg. Die Rechtslage in Norwegen
III. Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht
1. Inhalt der Vertraulichkeitspflicht
a. Existenz und Beteiligte des Schiedsverfahrens
aa. Positives Recht
bb. Die Position der Rechtsprechung
cc. Praktische Schwierigkeiten der Geheimhaltung der Existenz eines Schiedsverfahrens
(1) Schiedsverfahren zwischen Privaten
(2) Schiedsverfahren unter Beteiligung der öffentlichen Hand
(a) Offenlegung nach Informationsfreiheitsgesetzen
(b) Offenlegung aufgrund parlamentarischer Auskunftsrechte
(c) Offenlegung aufgrund presserechtlicher Auskunftsrechte
b. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse
c. Verfahrensunterlagen und Beweismittel
d. Schiedsspruch
aa. Grundsatz: Vertraulichkeit des Schiedsspruchs
bb. Mögliche Ausnahmen vom Grundsatz der Vertraulichkeit des Schiedsspruchs
(1) Offenlegung mit Zustimmung der anderen Partei(en)
(2) Offenlegung aufgrund von gesetzlicher oder gerichtlicher Anordnung
(3) Offenlegung zur Wahrung der berechtigten Interessen einer Partei (legitimate interest exception)
(a) Shearson Lehman Hutton Inc. v. Maclaine Watson & Co. Ltd. (1988)
(b) Dolling-Baker v. Merrett (1990)
(c) Hassneh Insurance Co. of Israel v. Mew (1992)
(d) Insurance Co. v. Lloyd’s Syndicate (1994)
(e) Ali Shipping v. Shipyard Trogir (1997)
(f) AEGIS v. European Re (2003)
(g) City of Moscow v. Bankers Trust Co. (2004)
(h) Zusammenfassung
(4) Offenlegung im Interesse der Justiz (interests of justice exception)
(5) Offenlegung im öffentlichen Interesse (public interest exception)
(a) Esso Australia Resources Ltd. v. Plowman (1995)
(b) Commonwealth of Australia v. Cockatoo Dockyard Pty. Ltd. (1995)
2. Zeitliche Geltung der Vertraulichkeitsverpflichtung
IV. Persönliche Reichweite der Vertraulichkeitspflicht
1. Parteien
2. Schiedsrichter
3. Parteivertreter
4. Zeugen
5. Sachverständige
6. Schiedsinstitution
V. Rechtsschutzmöglichkeiten bei Vertraulichkeitsverletzungen
1. Materielle Rechtslage
a. Kündigung der Schiedsvereinbarung
b. Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche
aa. Vertragliche Ansprüche
bb. Gesetzliche Ansprüche
(1) § 1004 Abs. 1 BGB analog i. V. m. § 823 BGB
(2) § 97 Abs. 1 UrhG
c. Schadensersatzansprüche
aa. Vertragliche Schadensersatzansprüche
bb. Gesetzliche Schadensersatzansprüche
(1) § 823 Abs. 1 BGB
(2) § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 17, 19a UrhG
(3) § 97 Abs. 2 UrhG
cc. Anspruchshöhe
2. Prozessuale Durchsetzung
a. Zuständigkeit
aa. Grundsatz: Parallele Zuständigkeiten
bb. Einstweilige Verfügungen des Schiedsgerichts (1041 Abs. 1 ZPO)
cc. Einstweilige Verfügungen des staatlichen Gerichts (§ 1033 ZPO)
b. Vollstreckung
VI. Zusammenfassung
2. Teil: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren
Kapitel 1: Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes
I. Begriffliche Klärungen: Recht, Normbildung, Präjudiz
II. Normbildung durch Präjudizien im nationalrechtlichen Kontext
1. Das Präjudiz im common law und die stare decisis doctrine
2. Das Präjudiz im deutschen Recht
a. Die Rechtsnatur des Präjudizes
b. Die faktische Bindungswirkung des Präjudizes
3. Fazit
Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren
I. Auftrag und Befugnis des Schiedsgerichts zur Normbildung
II. Bezugspunkte schiedsrichterlicher Normbildung
1. Nationales und transnationales Recht
2. Materielles Recht und Prozessrecht
III. Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung
1. Publizität
2. Autonomie
a. Begrenzte Aufhebbarkeit von Schiedssprüchen
b. Entscheidung aufgrund transnationaler Rechtsgrundsätze
3. Kohärenz
a. Keine rechtliche Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen
b. Faktische Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen .
c. Elemente einer faktischen Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen
aa. Faktische Präzedenzwirkung schiedsgerichtlicher Entscheidungen als Ausdruck eines normativen Konsenses
bb. Verkürzung der Verfahrensdauer und Effizienzsteigerung (Begründungslast)
cc. Selbstverständnis der Schiedsrichterschaft
dd. Verteilung und Abschichtung von Verantwortung
ee. Demonstration fachlicher Expertise durch die Schiedsrichter
ff. Schlussfolgerungen
IV. Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen in der schiedsgerichtlichen Praxis
1. ICSID-Schiedsgerichte
2. Iran-United States Claims Tribunal
3. Internationaler Sportschiedsgerichtshof
4. WTO-Panels und WTO Appellate Body
5. NAFTA-Schiedsgerichte
6. UDRP-Panels
7. ICC-Schiedsgerichte
8. Zusammenfassung
V. Vorteile und systembildende Funktionen einer allgemeinen Veröffentlichungspraxis
1. Präventive Konfliktvermeidung
2. Faire und effiziente Durchführung des Schiedsverfahrens
a. Mehr Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit für die Parteien
b. Erleichterung der Schiedsrichterauswahl
c. Qualitätssicherung und Verhinderung von Missbrauch
d. Verhinderung von Nachteilen zulasten unerfahrener Parteien
e. Fortbildungsmöglichkeiten für Schiedsrichter und Parteivertreter
f. Ermöglichung einer fachwissenschaftlichen Diskussion
g. Zeit- und Kostenvorteile
3. Steigerung der Akzeptanz und der Legitimität des Schiedsverfahrens
a. Größere Legitimität der Schiedsgerichtsbarkeit durch mehr Verfahrens- und Entscheidungstransparenz
b. Alleinstellungsmerkmal für Institutionen
c. Ausstrahlungswirkung auf staatliche Rechtsprechung
4. Keine überwiegenden Nachteile durch allgemeine Veröffentlichungspraxis
a. Keine Einschränkung der Flexibilität des Schiedsverfahrens
b. Zunahme an Streitigkeiten durch Veröffentlichung unwahrscheinlich
c. Wahrung der Vertraulichkeit durch Anonymisierung der Entscheidungen
VI. Zusammenfassung
3. Teil: Die Veröffentlichung von Schiedssprüchenals Beitrag zur Normbildung
Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit und in der Schiedsgerichtsbarkeit
I. Publizität von staatlichen Gerichtsentscheidungen in Deutschland
1. Amtliche Veröffentlichung von Entscheidungen durch die Gerichte
a. Rechtsgrundlagen und Entscheidungsmaßstäbe
b. Praktische Durchführung
aa. Amtliche und quasi-amtliche Entscheidungssammlungen
bb. Juristische Fachzeitschriften und Online-Datenbanken
2. Veröffentlichung von Entscheidungen auf Antrag Dritter
3. Pflicht zur Anonymisierung veröffentlichter Entscheidungen?
a. Anonymisierungspflichten bei amtlicher Veröffentlichung
b. Anonymisierungspflichten bei Veröffentlichung durch Private
II. Publizität von Schiedssprüchen in Deutschland
1. Veröffentlichung in Entscheidungssammlungen und Online-Datenbanken
2. Veröffentlichung in juristischen Fachzeitschriften
III. Publizität von Schiedssprüchen außerhalb Deutschlands
1. Beispiele einer systematischen Veröffentlichungpraxis
a. ICSID
b. Iran-United States Claims Tribunal
c. NAFTA Chapter 11-Schiedsverfahren
d. WTO-Panels und WTO Appellate Body
e. Internationaler Sportschiedsgerichtshof
f. UDRP
g. Seehandelsschiedsgerichtsbarkeit
h. P.R.I.M.E. Finance
2. Beispiele einer unregelmäßigen Veröffentlichungspraxis
a. ICC
b. LCIA
c. SCC
d. CIETAC
e. Schiedsgericht der Handelskammer Mailand
f. Online-Datenbanken: CLOUT und Kluwer Arbitration
3. Beispiele einer restriktiven oder fehlenden Veröffentlichungspraxis
a. WIPO
b. Ad hoc-Schiedsgerichte
Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung von Schiedssprüchen in Deutschland
I. Keine Rechtspflicht zur Veröffentlichung von Schiedssprüchen
II. Einsichtsberechtigter Personenkreis
1. „Kleine Lösung“: Einsichtsrecht für Verfahrensbeteiligte
2. „Große Lösung“: Allgemeine Veröffentlichung von Schiedssprüchen
III. Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung von Schiedssprüchen
1. Veröffentlichung aufgrund individueller Parteivereinbarung
2. Veröffentlichung aufgrund gesetzlicher Vorschriften
3. Veröffentlichung aufgrund schiedsordnungsrechtlicher Vorschriften
IV. Zuständigkeit für die Veröffentlichung
V. Verfahren der Veröffentlichung
1. Die Auswahl der zu veröffentlichenden Schiedssprüche
a. Notwendigkeit einer Vorauswahl und Auswahlkriterien
aa. Veröffentlichung ohne Vorauswahl
bb. Veröffentlichung nach Vorauswahl
b. Auswahlberechtigter Personenkreis
2. Entscheidung über die Veröffentlichung
a. Zustimmungsberechtigte Beteiligte
aa. Schiedsrichter
bb. Schiedsinstitution
cc. Parteien
b. Ausgestaltung des Zustimmungsverfahrens
aa. Ausdrückliche Zustimmung der Parteien zur Veröffentlichung (Zustimmungslösung)
bb. Widerspruchsrecht der Parteien gegen die Veröffentlichung (Widerspruchslösung)
cc. Form und Frist des Widerspruchs
3. Zusammenfassung
VI. Form der Veröffentlichung
1. Art und Weise der Veröffentlichung
a. Nichtanonymisierte Veröffentlichung
b. Auszugsweise Veröffentlichung
c. Veröffentlichung nach Karenzzeit
d. Anonymisierte Veröffentlichung
2. Umfang der Anonymisierung
a. Das Anonymisierungskonzept der Milan Guidelines
b. Identität der Verfahrensbeteiligten
aa. Namen der Parteien
bb. Namen der Schiedsrichter
cc. Namen der Parteivertreter und sonstiger Verfahrensbeteiligter
c. Informationen zum Schiedsverfahren
aa. Schiedsinstitution
bb. Aktenzeichen
cc. Schiedsvereinbarung
dd. Anwendbares Recht
ee. Streitwert; Kosten
ff. Schiedsort und Datum der Entscheidung
gg. Verfahrenssprache und Sprache des Schiedsspruchs
d. Informationen zum Sachverhalt
aa. Prozessuale und sachverhaltsbezogene Daten
bb. Angaben zu Zahlen und Beträgen
cc. Angaben zu Orten
dd. Sonstige sachverhaltsbezogene Informationen
ee. Rechtliche Argumentation der Parteien
e. Zusammenfassung
3. Verfahren der Anonymisierung
a. Anonymisierungzuständigkeit
aa. Anonymisierung durch das Schiedsgericht
bb. Anonymisierung durch die Schiedsinstitution
b. Verfahren der Anonymisierung und Abstimmung der Veröffentlichung mit den Parteien
4. Forum für die Veröffentlichung
VII. Zusammenfassung
Kapitel 3: Zusammenfassung der Ergebnisse
Literaturverzeichnis
Sachregister
Recommend Papers

Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen als Beitrag zur Normbildung
 9783161546402, 9783161543265

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht Band 128 herausgegeben von Rolf Stürner

Philip Wimalasena

Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen als Beitrag zur Normbildung

Mohr Siebeck

Philip Wimalasena, geboren 1983; Studium der Rechtswissenschaften in Bonn, Frankfurt am Main und Lyon; Referendariat am Kammergericht; 2015 Promotion; seit 2014 Rechtsanwalt im Bereich Prozessführung und Schiedsverfahren; derzeit Graduiertenstudium (LL.M.) an der University of Cambridge.

e-ISBN PDF 978-3-16-154640-2 ISBN 978-3-16-154326-5 ISSN 0722-7574 (Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht) Die Deutsche Nationalibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver­ wertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von epline in Kirchheim/Teck gesetzt und von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden.

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im September 2014 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main als Inauguraldissertation angenommen. Der Annahme ging – ab Herbst 2012 – eine gleichermaßen schöne wie herausfordernde Zeit als Mitarbeiter am Institut für Rechtsvergleichung der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main sowie in der Praxisgruppe Konfliktlösung des Frankfurter Büros der Sozietät Freshfields Bruckhaus Deringer LLP voraus, die ich stets in bester Erinnerung behalten werde. Dank gebührt zuvorderst meinem Doktorvater, Herrn Professor Joachim Zekoll, für die fortlaufende Ermunterung und Unterstützung während und nach Erstellung der Arbeit sowie für die Möglichkeiten zu eigenverantwortlicher Forschung, die ich während zweier Jahre am Lehrstuhl genießen durfte. Auch meinen Lehrstuhlkollegen Christian Fuchs und Michael Schulz schulde ich für ihre Anteilnahme, Unterstützung und Kollegialität Dank. Ein besonderer Dank gebührt auch Frau Irmgard Burmester-Schick, die das Lehrstuhlsekretariat in gleichermaßen kompetenter und liebenswürdiger Art geführt und die Erstellung der Arbeit stets nach Kräften gefördert hat. Herrn Professor Rolf Trittmann danke ich für die Möglichkeit zum fachlichen Austausch mit einer Vielzahl von Schiedspraktikern und für wertvolle inhaltliche Anmerkungen zum Thema der Arbeit. Herrn Professor Rainer Hofmann danke ich für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes. Herrn Professor Rolf Stürner sowie dem Verlag Mohr Siebeck danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe „Veröffentlichungen zum Verfahrensrecht“. Christian Duve und Moritz Keller haben mich mit ihrem Beitrag (SchiedsVZ 2005, 169) zur Wahl des Dissertationsthemas inspiriert und in der Folge auch bei der Erstellung der Arbeit unterstützt und gefördert. Fabian Hentschel und Mathias Maas möchte ich für die kritische Durchsicht und Korrektur der Arbeit danken. Verbleibende Fehler sind allein meine. Die Arbeit befindet sich, soweit nicht anders angegeben, auf dem Stand vom 1. Dezember 2015. Sie ist Karin Beindorff und Axel-R. Oestmann gewidmet, denen ich weit mehr verdanke, als diese Widmung ausdrücken kann. Cambridge, im April 2016

Philip Wimalasena

Inhaltsverzeichnis

1. Teil Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens Kapitel 1: Einführung und Problemaufriss  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 I. Einleitende Bemerkungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 II. Gegenstand der Darstellung und Gang der Untersuchung  . . . . . . . . . . 9

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . 11 I. Nichtöffentlichkeit und Vertraulichkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 II. Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . 14 1. Vertraulichkeit durch Parteivereinbarung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Die Parteivereinbarung als Grundlage des Schiedsverfahrens  . . . . . b. Zulässigkeit von Vertraulichkeitsvereinbarungen  . . . . . . . . . . . . . . . c. Form und rechtstechnische Umsetzung der Vertraulichkeitsvereinbarung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Schiedsklausel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Schiedsabrede  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Konkludente Vereinbarung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertraulichkeit aus der „Natur des Schiedsverfahrens“  . . . . . . . . . . . . . a. Genese des Begründungsansatzes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Vereinbarkeit mit deutschem Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertraulichkeit aufgrund von Schiedsordnungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vertraulichkeit aufgrund gerichtlicher Anordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Verfahrensleitende Verfügung des Schiedsgerichts  . . . . . . . . . . . . . . aa. Mit ausdrücklicher Ermächtigung der Parteien  . . . . . . . . . . . . . . bb. Ohne ausdrückliche Ermächtigung der Parteien  . . . . . . . . . . . . . b. Einstweilige Maßnahmen des staatlichen Gerichts  . . . . . . . . . . . . . . 5. Vertraulichkeit aufgrund gesetzlicher Regelungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Die Rechtslage in Deutschland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Unionsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

14 15 15

16 16 19 20 22 23 27 29 32 33 33 33 37 39 39 39

VIII

Inhaltsverzeichnis

bb. Deutsches Verfassungsrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Sonstiges Völkerrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd. Einfaches Gesetzesrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Überblick zur Rechtslage in anderen Staaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Die Rechtslage in England  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Die Rechtslage in Neuseeland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Die Rechtslage in Spanien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd. Die Rechtslage in Rumänien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee. Die Rechtslage in Hongkong  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff. Die Rechtslage in Schottland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg. Die Rechtslage in Norwegen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 41 41 44 44 45 46 47 47 47 48

III. Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

1. Inhalt der Vertraulichkeitspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 a. Existenz und Beteiligte des Schiedsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 aa. Positives Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 bb. Die Position der Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 cc. Praktische Schwierigkeiten der Geheimhaltung der Existenz eines Schiedsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (1) Schiedsverfahren zwischen Privaten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 (2) Schiedsverfahren unter Beteiligung der öffentlichen Hand  . . 57 (a) Offenlegung nach Informationsfreiheitsgesetzen  . . . . . . 58 (b) Offenlegung aufgrund parlamentarischer Auskunftsrechte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (c) Offenlegung aufgrund presserechtlicher Auskunftsrechte 61 b. Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 c. Verfahrensunterlagen und Beweismittel  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 d. Schiedsspruch  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 aa. Grundsatz: Vertraulichkeit des Schiedsspruchs  . . . . . . . . . . . . . . 69 bb. Mögliche Ausnahmen vom Grundsatz der Vertraulichkeit des Schiedsspruchs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 (1) Offenlegung mit Zustimmung der anderen Partei(en)  . . . . . . 71 (2) Offenlegung aufgrund von gesetzlicher oder gerichtlicher Anordnung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 (3) Offenlegung zur Wahrung der berechtigten Interessen einer Partei (legitimate interest exception)  . . . . . . . . . . . . . . 73 (a) Shearson Lehman Hutton Inc. v. Maclaine Watson & Co. Ltd. (1988)  . . . . . . . . . . . . . . . . 73 (b) Dolling-Baker v. Merrett (1990)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 (c) Hassneh Insurance Co. of Israel v. Mew (1992)  . . . . . . . 75 (d) Insurance Co. v. Lloyd’s Syndicate (1994)  . . . . . . . . . . . 76 (e) Ali Shipping v. Shipyard Trogir (1997)  . . . . . . . . . . . . . . 77 (f) AEGIS v. European Re (2003)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 (g) City of Moscow v. Bankers Trust Co. (2004)  . . . . . . . . . 80



Inhaltsverzeichnis

(h) Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Offenlegung im Interesse der Justiz (interests of justice exception)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Offenlegung im öffentlichen Interesse (public interest exception)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Esso Australia Resources Ltd. v. Plowman (1995)  . . . . . (b) Commonwealth of Australia v. Cockatoo Dockyard Pty. Ltd. (1995)  . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zeitliche Geltung der Vertraulichkeitsverpflichtung  . . . . . . . . . . . . . . .

IX 82 83 85 85 87 89

IV. Persönliche Reichweite der Vertraulichkeitspflicht  . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Parteien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schiedsrichter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Parteivertreter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zeugen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sachverständige  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schiedsinstitution  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92 93 98 100 102 104

V. Rechtsschutzmöglichkeiten bei Vertraulichkeitsverletzungen  . . . . . . . . 105 1. Materielle Rechtslage  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Kündigung der Schiedsvereinbarung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Vertragliche Ansprüche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Gesetzliche Ansprüche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) § 1004 Abs. 1 BGB analog i. V. m. § 823 BGB  . . . . . . . . . . . . (2) § 97 Abs. 1 UrhG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Schadensersatzansprüche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Vertragliche Schadensersatzansprüche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Gesetzliche Schadensersatzansprüche  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) § 823 Abs. 1 BGB  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 17, 19a UrhG  . . . . . . . . . . . . . . (3) § 97 Abs. 2 UrhG  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Anspruchshöhe  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Prozessuale Durchsetzung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Zuständigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Grundsatz: Parallele Zuständigkeiten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Einstweilige Verfügungen des Schiedsgerichts (1041 Abs. 1 ZPO)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Einstweilige Verfügungen des staatlichen Gerichts (§ 1033 ZPO)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Vollstreckung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 106 109 109 110 110 112 113 113 115 116 116 117 117 118 119 119

120 121 122

VI. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123

X

Inhaltsverzeichnis

2. Teil Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren Kapitel 1: Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 I. Begriffliche Klärungen: Recht, Normbildung, Präjudiz  . . . . . . . . . . . . 127 II. Normbildung durch Präjudizien im nationalrechtlichen Kontext  . . . . . 131 1. Das Präjudiz im common law und die stare decisis doctrine  . . . . . . . . . 2. Das Präjudiz im deutschen Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Die Rechtsnatur des Präjudizes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Die faktische Bindungswirkung des Präjudizes  . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fazit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

132 136 136 138 147

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren  . . . 149 I. Auftrag und Befugnis des Schiedsgerichts zur Normbildung  . . . . . . . . 149 II. Bezugspunkte schiedsrichterlicher Normbildung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153

1. Nationales und transnationales Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Materielles Recht und Prozessrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

III. Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung  . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Publizität  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Autonomie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Begrenzte Aufhebbarkeit von Schiedssprüchen  . . . . . . . . . . . . . . . . b. Entscheidung aufgrund transnationaler Rechtsgrundsätze  . . . . . . . . 3. Kohärenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Keine rechtliche Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Faktische Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen  . c. Elemente einer faktischen Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Faktische Präzedenzwirkung schiedsgerichtlicher Entscheidungen als Ausdruck eines normativen Konsenses  . . . . bb. Verkürzung der Verfahrensdauer und Effizienzsteigerung (Begründungslast)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Selbstverständnis der Schiedsrichterschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . dd. Verteilung und Abschichtung von Verantwortung  . . . . . . . . . . . . ee. Demonstration fachlicher Expertise durch die Schiedsrichter  . . . ff. Schlussfolgerungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

162 163 163 165 166

166 168 170 171 175 179 186 188 189



Inhaltsverzeichnis

XI

IV. Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen in der schiedsgerichtlichen Praxis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. ICSID-Schiedsgerichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Iran-United States Claims Tribunal  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Internationaler Sportschiedsgerichtshof  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. WTO-Panels und WTO Appellate Body  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. NAFTA-Schiedsgerichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. UDRP-Panels  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. ICC-Schiedsgerichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

191 195 198 200 203 205 208 211

V. Vorteile und systembildende Funktionen einer allgemeinen Veröffentlichungspraxis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 1. Präventive Konfliktvermeidung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Faire und effiziente Durchführung des Schiedsverfahrens  . . . . . . . . . . . a. Mehr Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit für die Parteien  . . . . . b. Erleichterung der Schiedsrichterauswahl  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Qualitätssicherung und Verhinderung von Missbrauch  . . . . . . . . . . . d. Verhinderung von Nachteilen zulasten unerfahrener Parteien  . . . . . . e. Fortbildungsmöglichkeiten für Schiedsrichter und Parteivertreter  . . f. Ermöglichung einer fachwissenschaftlichen Diskussion  . . . . . . . . . . g. Zeit- und Kostenvorteile  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Steigerung der Akzeptanz und der Legitimität des Schiedsverfahrens  . a. Größere Legitimität der Schiedsgerichtsbarkeit durch mehr Verfahrens- und Entscheidungstransparenz  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Alleinstellungsmerkmal für Institutionen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Ausstrahlungswirkung auf staatliche Rechtsprechung  . . . . . . . . . . . 4. Keine überwiegenden Nachteile durch allgemeine Veröffentlichungspraxis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Keine Einschränkung der Flexibilität des Schiedsverfahrens  . . . . . . b. Zunahme an Streitigkeiten durch Veröffentlichung unwahrscheinlich  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Wahrung der Vertraulichkeit durch Anonymisierung der Entscheidungen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

212 215 216 218 220 222 224 226 227 228 229 233 234 235 235

236 238

VI. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238

3. Teil Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen als Beitrag zur Normbildung Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit und in der Schiedsgerichtsbarkeit  . . . . . . . . . . . . 241

XII

Inhaltsverzeichnis

I. Publizität von staatlichen Gerichtsentscheidungen in Deutschland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 1. Amtliche Veröffentlichung von Entscheidungen durch die Gerichte  . . . a. Rechtsgrundlagen und Entscheidungsmaßstäbe  . . . . . . . . . . . . . . . . b. Praktische Durchführung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Amtliche und quasi-amtliche Entscheidungssammlungen  . . . . . bb. Juristische Fachzeitschriften und Online-Datenbanken  . . . . . . . . 2. Veröffentlichung von Entscheidungen auf Antrag Dritter  . . . . . . . . . . . 3. Pflicht zur Anonymisierung veröffentlichter Entscheidungen?  . . . . . . . a. Anonymisierungspflichten bei amtlicher Veröffentlichung  . . . . . . . . b. Anonymisierungspflichten bei Veröffentlichung durch Private  . . . .

242 242 244 244 247 247 249 249 251

II. Publizität von Schiedssprüchen in Deutschland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 252

1. Veröffentlichung in Entscheidungssammlungen und Online-Datenbanken  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2. Veröffentlichung in juristischen Fachzeitschriften  . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

III. Publizität von Schiedssprüchen außerhalb Deutschlands  . . . . . . . . . . . 256 1. Beispiele einer systematischen Veröffentlichungpraxis  . . . . . . . . . . . . . a. ICSID  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Iran-United States Claims Tribunal  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. NAFTA Chapter 11-Schiedsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. WTO-Panels und WTO Appellate Body  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Internationaler Sportschiedsgerichtshof  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f. UDRP  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g. Seehandelsschiedsgerichtsbarkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h. P.R.I.M.E. Finance  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beispiele einer unregelmäßigen Veröffentlichungspraxis  . . . . . . . . . . . a. ICC  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. LCIA  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. SCC  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. CIETAC  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Schiedsgericht der Handelskammer Mailand  . . . . . . . . . . . . . . . . . . f. Online-Datenbanken: CLOUT und Kluwer Arbitration  . . . . . . . . . . 3. Beispiele einer restriktiven oder fehlenden Veröffentlichungspraxis  . . . a. WIPO  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Ad hoc-Schiedsgerichte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

256 256 257 258 259 260 260 261 262 262 263 264 265 265 266 267 268 268 268

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung von Schiedssprüchen in Deutschland  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 I. Keine Rechtspflicht zur Veröffentlichung von Schiedssprüchen  . . . . . . 271 II. Einsichtsberechtigter Personenkreis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 1. „Kleine Lösung“: Einsichtsrecht für Verfahrensbeteiligte  . . . . . . . . . . . 272



Inhaltsverzeichnis

XIII

2. „Große Lösung“: Allgemeine Veröffentlichung von Schiedssprüchen  . 273

III. Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung von Schiedssprüchen  . . . . . . 274

1. Veröffentlichung aufgrund individueller Parteivereinbarung  . . . . . . . . . 275 2. Veröffentlichung aufgrund gesetzlicher Vorschriften  . . . . . . . . . . . . . . . 276 3. Veröffentlichung aufgrund schiedsordnungsrechtlicher Vorschriften  . . 277

IV. Zuständigkeit für die Veröffentlichung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 V. Verfahren der Veröffentlichung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 1. Die Auswahl der zu veröffentlichenden Schiedssprüche  . . . . . . . . . . . . a. Notwendigkeit einer Vorauswahl und Auswahlkriterien  . . . . . . . . . . aa. Veröffentlichung ohne Vorauswahl  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Veröffentlichung nach Vorauswahl  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Auswahlberechtigter Personenkreis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entscheidung über die Veröffentlichung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Zustimmungsberechtigte Beteiligte  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Schiedsrichter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Schiedsinstitution  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Parteien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Ausgestaltung des Zustimmungsverfahrens  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Ausdrückliche Zustimmung der Parteien zur Veröffentlichung (Zustimmungslösung)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Widerspruchsrecht der Parteien gegen die Veröffentlichung (Widerspruchslösung)  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Form und Frist des Widerspruchs  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

279 280 280 282 285 286 286 286 288 289 291 292

292 297 298

VI. Form der Veröffentlichung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 1. Art und Weise der Veröffentlichung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Nichtanonymisierte Veröffentlichung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b. Auszugsweise Veröffentlichung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c. Veröffentlichung nach Karenzzeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d. Anonymisierte Veröffentlichung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang der Anonymisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Das Anonymisierungskonzept der Milan Guidelines  . . . . . . . . . . . . b. Identität der Verfahrensbeteiligten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Namen der Parteien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Namen der Schiedsrichter  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Namen der Parteivertreter und sonstiger Verfahrensbeteiligter  . . c. Informationen zum Schiedsverfahren  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Schiedsinstitution  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Aktenzeichen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Schiedsvereinbarung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd. Anwendbares Recht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee. Streitwert; Kosten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299 300 301 302 303 305 306 308 308 309 313 314 314 315 315 316 316

XIV

Inhaltsverzeichnis

ff. Schiedsort und Datum der Entscheidung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg. Verfahrenssprache und Sprache des Schiedsspruchs  . . . . . . . . . . d. Informationen zum Sachverhalt  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Prozessuale und sachverhaltsbezogene Daten  . . . . . . . . . . . . . . . bb. Angaben zu Zahlen und Beträgen  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc. Angaben zu Orten  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd. Sonstige sachverhaltsbezogene Informationen  . . . . . . . . . . . . . . ee. Rechtliche Argumentation der Parteien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verfahren der Anonymisierung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a. Anonymisierungzuständigkeit  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa. Anonymisierung durch das Schiedsgericht  . . . . . . . . . . . . . . . . . bb. Anonymisierung durch die Schiedsinstitution  . . . . . . . . . . . . . . . b. Verfahren der Anonymisierung und Abstimmung der Veröffentlichung mit den Parteien  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Forum für die Veröffentlichung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

317 317 317 318 318 318 318 319 319 320 320 321 322 322 323

VII. Zusammenfassung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323

Kapitel 3: Zusammenfassung der Ergebnisse  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 Literaturverzeichnis  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335 Sachregister  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 357

Abkürzungsverzeichnis AAA AAA/ICDR

American Arbitration Association American Arbitration Association/International Centre for Dispute Resolution AAA/ICDR-SchO Schiedsgerichtsordnung der American Arbitration Association/ International Centre for Dispute Resolution (2014) Arab Center for Domain Name Dispute Resolution ACDR Asian Domain Name Dispute Resolution Centre ADNDRC AktG Aktiengesetz ArbGG Arbeitsgerichtsgesetz BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof Berufsordnung der Rechtsanwälte BORA BRAO Bundesrechtsanwaltsordnung BT-Drs. Bundestagsdrucksache BVerfGG Bundesverfassungsgerichtsgesetz BVerfGGO Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts BVerwG Bundesverwaltungsgericht Czech Arbitration Court – Arbitration Centre for Internet Disputes CAC Camera Arbitrale di Milano CAM Court of Arbitration for Sport CAS CIETAC China International Economic and Trade Arbitration Commission CIETAC-SchO Schiedsgerichtsordnung der China International Economic and Trade Arbitration Commission (2015) Case Law on UNCITRAL Texts CLOUT International Institute for Conflict Prevention and Resolution CPR Departmental Advisory Committee on Arbitration DAC DIS Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. Schiedsgerichtsordnung der Deutschen Institution für SchiedsDIS-SchO gerichtsbarkeit e. V. (1998) Dispute Settlement Understanding DSU Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch EGBGB Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGMR EGZPO Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung Europäische Menschenrechtskonvention EMRK FGO Finanzgerichtsordnung Grundgesetz GG German Maritime Arbitration Association GMAA GMAA-SchO Schiedsgerichtsordnung der German Maritime Arbitration Associa­ tion (2013)

XVI

Abkürzungsverzeichnis

GmbHG GmbH-Gesetz GVG Gerichtsverfassungsgesetz HGB Handelsgesetzbuch HKIAC Hong Kong International Arbitration Centre Schiedsgerichtsordnung des Hong Kong International Arbitration HKIAC-SchO Centre (2013) International Bar Association IBA Indian Council of Arbitration ICA Schiedsgerichtsordnung des Indian Council of Arbitration (2012) ICA-SchO ICANN Internet Corporation for Assigned Names and Numbers International Chamber of Commerce ICC Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Chamber of Commerce ICC-SchO (2012) International Council for Commercial Arbitration ICCA ICSID International Centre for Settlement of Investment Disputes Schiedsgerichtsordnung des International Centre for Settlement of ICSID-SchO Investment Disputes (2006) ICSID-Übk ICSID-Übereinkommen IFG Informationsfreiheitsgesetz Internationaler Gerichtshof IGH IGH-Statut Statut des Internationalen Gerichtshofs Iran-United States Claims Tribunal IUSCT Japan Commercial Arbitration Association JCAA Schiedsgerichtsordnung der Japan Commercial Arbitration AssociaJCAA-SchO tion (2014) Judicial Arbitration and Mediation Services JAMS Kuala Lumpur Regional Centre for Arbitration KLRCA KunstUrhG Kunsturheberrechtsgesetz London Court of International Arbitration LCIA Schiedsgerichtsordnung des London Court of International ArbitraLCIA-SchO tion (2014) LG Landgericht London Maritime Arbitrators Association LMAA LMAA Terms Schiedsgerichtsordnung der London Maritime Arbitrators Associa­ tion (2012) LPG Landespressegesetz Mergers & Acquisitions M&A National Arbitration Forum NAF North American Free Trade Agreement NAFTA NAFTA-Übk NAFTA-Übereinkommen New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Voll­ NYÜ streckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 OLG Oberlandesgericht OVG/VGH Oberverwaltungsgericht/Verwaltungsgerichtshof Stockholm Chamber of Commerce SCC SCC-SchO Schiedsgerichtsordnung der Stockholm Chamber of Commerce (2010) SGG Sozialgerichtsgesetz



SIAC SIAC-SchO

Abkürzungsverzeichnis

XVII

Singapore International Arbitration Centre Schiedsgerichtsordnung des Singapore International Arbitration Centre (2013) SMA Society of Maritime Arbitrators StGB Strafgesetzbuch Internationale Schiedsordnung der Schweizerischen HandelsSwiss Rules kammern (2012) Tokyo Maritime Arbitration Commission TOMAC Transatlantic Trade and Investment Partnership TTIP UDRP Uniform Domain Name Resolution Policy United Nations Commission on International Trade Law UNCITRAL UNCITRAL-SchO Schiedsgerichtsordnung der United Nations Commission on International Trade Law (2010) Institut International pour l’Unification du Droit Privé UNIDROIT UrhG Urheberrechtsgesetz VG Verwaltungsgericht VVG Versicherungsvertragsgesetz VwGO Verwaltungsgerichtsordnung Schiedsregeln des Vienna International Arbitral Centre (2013) Wiener Regeln World Intellectual Property Organization WIPO Schiedsgerichtsordnung der World Intellectual Property Organiza­ WIPO-SchO tion (2014) WpHG Wertpapierhandelsgesetz World Trade Organization WTO ZPO Zivilprozessordnung

1. Teil

Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Kapitel 1

Einführung und Problemaufriss I.  Einleitende Bemerkungen „Als wissenschaftlich interessierter Jurist und als Richter eines der Rechtsgrundsätzlichkeit, Rechtsfortbildung und Rechtseinheitlichkeit verpflichteten Gerichts bedauere ich dagegen eine mit der zunehmenden Anzahl schiedsgerichtlicher Verfahren verbundene Entwicklung: Ein Teil der interessanten handels- und wirtschaftsrechtlichen Auseinandersetzungen gelangt nicht mehr zu den ordentlichen Gerichten und damit in die rechtswissenschaftliche Diskussion. Die staatlichen Gerichte bleiben außen vor. Es ergehen daher keine Grundsatzentscheidungen zum materiellen Recht durch Obergerichte, die aber regelmäßig Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion werden. Das Schiedsverfahren ist schließlich vertraulich und gerade nicht öffentlich. Die Rechtsfortbildung, aber auch der befruchtende Diskurs unterbleiben.“1

Mit diesen Worten eröffnete der damalige Präsident des Bundesgerichtshofs, Prof. Dr. Günter Hirsch im Februar 2003 die 1. Petersberger Schiedstage. Im Mittelpunkt des Festvortrags stand – nicht zum ersten Mal – das Verhältnis der staatlichen Gerichtsbarkeit zur Schiedsgerichtsbarkeit. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Schiedsgerichtsbarkeit in den vergangenen Jahren ihren besonderen Wert ein ums andere Mal unter Beweis gestellt und sich in wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten als sinnvolle und verbreitet genutzte Alternative zum staatlichen Gerichtsverfahren etabliert hat. Dies gilt sowohl auf der transnationalen wie – zunehmend – auch auf der nationalen Ebene.2 Für 1  Hirsch, SchiedsVZ 2003, 49, 52. Der Trend zu einer fortschreitenden Auslagerung von M&A-Streitigkeiten in schiedsgerichtliche Verfahren wurde von den Teilnehmern der 10. Petersberger Schiedstage am 25./26. Februar 2012 (Thema: „M&A und Schiedsverfahren“) erneut bestätigt, vgl. den Tagungsbericht von Demuth, SchiedsVZ 2012, 271. Auch der Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz, Heiko Maas, wies anlässlich seiner Rede zur Amtseinführung der Präsidentin des Bundesgerichtshofs, Bettina Limperg, am 2. Oktober 2014 auf die zunehmende Privatisierung der Streitbeilegung in wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten hin. 2 Vgl. die Nachweise bei Berger, SchiedsVZ 2009, 289, 290 f. Siehe hierzu auch die empirische Analyse zur nationalen und transnationalen Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit von Hoffmann, SchiedsVZ 2010, 96. Hoffmanns Einschätzung einer allgemeinen Zunahme an Schiedsverfahren wird durch statistische Erhebungen der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. (DIS) (www.disarb.org) bestätigt. Danach erhöhten sich in den vergangenen Jahren sowohl die absolute Zahl der DIS-administrierten Schiedsverfahren als auch die Gesamtstreitwerte deutlich. Vgl. hierzu auch die Nachweise bei Berger, SchiedsVZ 2009, 289, 290; Bredow, SchiedsVZ 2009, 22.

4

Kapitel 1: Einführung und Problemaufriss

diesen Bedeutungsgewinn sind verschiedene Faktoren verantwortlich, die als bekannt unterstellt und deshalb an dieser Stelle nur in aller Kürze referiert werden sollen.3 Eine raschere Verfahrensdurchführung, spezialisierte und durch die Parteien ausgewählte Schiedsrichter mit besonderen Fachkenntnissen, eine erleichterte internationale Vollstreckung des Schiedsspruchs sowie die Gewährleistung der Vertraulichkeit des Verfahrens sind nur einige der Gründe, die die zunehmende Beliebtheit des Schiedsverfahrens im nationalen und internationalen Wirtschaftsverkehr gefördert haben. Wo staatliche Gerichtsverfahren sich in mehreren Instanzen oft über Jahre hinziehen, wo in öffentlicher Verhandlung der Streitgegenstand seziert wird, wo dem staatlichen Richter häufig die besondere Kenntnis der streitigen Materie fehlt, wo die Anerkennung und Vollstreckung des gerichtlichen Urteils unsicher ist, da kann das Schiedsverfahren eine zweckmäßige alternative Plattform zur Austragung von Rechtsstreitigkeiten darstellen. Diese Konkurrenz, das oligopolistische Nebeneinander von staatlicher gerichtlicher und privater Schiedsgerichtsbarkeit hat sich stellenweise jedoch bereits zu einem schiedsgerichtlichen Monopol verdichtet.4 In einzelnen Gebieten des Wirtschaftsrechts – so beispielsweise im Bereich Post-M&A5 – hat sich das Schiedsverfahren als Mittel der Konfliktlösung längst in einem solchen Maße durchgesetzt, dass entsprechende Rechtsstreitigkeiten überhaupt nicht mehr vor die staatlichen Gerichte gelangen.6 In anderen Rechtsbereichen, in jüngerer Zeit 3  Für eine umfassende Darstellung siehe statt aller Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 1. Eine pointierte Kritik der Schiedsgerichtsbarkeit findet sich dagegen bei Graf von Westphalen, ZIP 1986, 1159. 4  Berger, in: Elsing-FS, 2015, S. 15, 24 f.; Calliess, in: Verhandlungen zum 70. DJT, 2014, A 28; Maurer, Lex Maritima, 2012, S. 155 f.; Hoffmann/Maurer, ZfRS 2010, 279; Tercier, ZEuP 2010, 229; Schill, DÖV 2010, 1013, 1016 f.; Strong, 20 American Review of International Arbitration 119, 128, dort Fn. 27 (2009); Sawang, Geheimhaltung, 2009, S. 242. Siehe hierzu auch die statistischen Nachweise zur Zunahme von Schiedsverfahren in Deutschland bei Hoffmann, SchiedsVZ 2010, 96 sowie bei Hoffmann/Maurer aaO. 5  Calliess, in: Verhandlungen zum 70. DJT, 2014, A 97; Berger, SchiedsVZ 2009, 289, 296; Sachs, SchiedsVZ 2004, 123, 124. 6  Sachs, SchiedsVZ 2004, 123, 124, zitiert lediglich eine gerichtliche Entscheidung zum Recht des Unternehmenskaufs im Rahmen einer größeren Transaktion: OLG Hamburg ZIP 1994, 944 (Kaufhof ./. Oppermann). Zur zunehmenden Abwanderung einzelner Rechtsbereiche in die Schiedsgerichtsbarkeit in den letzten Jahren vgl. Franz/Keune, VersR 2013, 12 (für Rückversicherungsstreitigkeiten); Aden, DZWiR 2012, 360, 361; Demuth, SchiedsVZ 2012, 271 (für Due Diligence- und M&A-Streitigkeiten); Hobeck, DRiZ 2005, 177 f.; Böckstiegel, in: Beteiligung, 2005, S. 1, 4 (für Infrastruktur- und Anlagenbaustreitigkeiten); Rabe, TranspR 1989, 356 (für seerechtliche Streitigkeiten). Allgemein zu dieser Entwicklung Risse, SchiedsVZ 2014, 265, 273; Sawang, Geheimhaltung, 2009, S. 242; Böckstiegel/Kröll/Nacimiento, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, S. 3, 5 ff. Zu beachten ist freilich, dass für den in vielen Bereichen zu beobachtenden Präjudizienverlust auch andere Gründe verantwortlich sein können, so unter anderem eine auch in der staatlichen Gerichtsbarkeit zunehmende Tendenz zu taktisch motivierten Vergleichsschlüssen mit dem erklärten Ziel der Vermeidung von Präjudizien, vgl. Fuchs, JZ 2013, 990; Gal, Haftung, 2009, S. 331; Drahozal, 40 Loyola of



I.  Einleitende Bemerkungen

5

z. B. bei gesellschaftsrechtlichen Beschlussmängelstreitigkeiten, ist eine ähnliche Entwicklung bereits absehbar.7 Das Verfahren selbst, die Tatsache seiner Einleitung und – noch wichtiger – dessen Ergebnis in Form des Schiedsspruchs bleiben in der Regel vertraulich und der Öffentlichkeit unbekannt. Das deutsche Recht kennt hier keine dem staatlichen gerichtlichen Verfahren entsprechenden Publizitätspflichten weshalb eine diskursive Fortbildung des Rechts in diesen Bereichen faktisch nicht mehr stattfindet.8 Es ist diese „Entstaatlichung der Justiz“9, die Hirsch in seinem Vortrag einer kritischen Würdigung unterzieht und die auch mehr als zehn Jahre später wenig von ihrer Aktualität eingebüßt hat. Denn die Auslagerung bestimmter Rechtsbereiche in die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens hat ihren Preis: der rechtswissenschaftliche Diskurs und – damit einhergehend – die Normbildung unterbleiben. Dieses Problem besitzt verschiedene Facetten: Es ist zunächst ein rechtsmethodologisches Problem, weil es die Art und Weise der juristischen Präjudizienbildung und damit allgemein die Voraussetzungen einer (diskursiven) Fortbildung des Rechts betrifft. Normbildung durch Richterrecht setzt begriffsnotwendig die Publizität gerichtlicher Entscheidungen voraus. Diese müssen öffentlich zugänglich sein, damit ihr Inhalt und ihre Begründung Gegenstand allseitiger, kritischer Erörterung werden können. Diesem Aspekt widmet sich auch Hirsch. Es ist darüber hinaus ein praktisch-strategisches Problem, weil es dem beratenden Anwalt Prognosen hinsichtlich der Chancen und Risiken eines Schiedsverfahrens erheblich erschwert, wo nicht gar unmöglich macht. Wo der anwaltliche Vertreter im staatlichen Gerichtsverfahren seine prozessuale Strategie im Regelfall an der einschlägigen Rechtsprechung orientieren und seinen Mandanten entsprechend zu den Erfolgsaussichten einer Klage bzw. der Verteidigung gegen eine solche beraten wird, ist ihm dies in bestimmten Bereichen des Wirtschaftsrechts nicht mehr möglich, weil eine solche Orientierungshilfe im Sinne allgemein bekannter Bewertungsstandards fehlt. Ein wenig überraschendes Ergebnis dieser Entwicklung ist die unter Praktikern beklagte „Unberechenbarkeit“ schiedsgerichtlicher Entscheidungen.10 Los Angeles Law Review 187, 204 (2007); Perschbacher/Bassett, 84 Boston University Law Review 1, 16 ff., 26 (2004); Wolf, ZZP 89 (1976), 260, 264 f. 7  Der Bundesgerichtshof hat zu dieser Entwicklung ab 1996 durch die SchiedsfähigkeitRechtsprechung maßgeblich beigetragen, vgl. BGH, NJW 1996, 1753 (Schiedsfähigkeit I); NJW 2009, 1962 (Schiedsfähigkeit II). Auf die damit verbundene Abwanderung gesellschaftsrechtlicher Streitigkeiten in die Schiedsgerichtsbarkeit hat auch der (ehemalige) Vorsitzende Richter am BGH und Miturheber der Schiedsfähigkeit-Entscheidungen, Prof. Dr. Wulf Goette, hingewiesen, vgl. Goette, AnwBl 2012, 33, 34; ebenso Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 267; Schwedt, SchiedsVZ 2010, 166. 8 Plastisch Alford, 19 Ohio State Journal on Dispute Resolution 69, 86 (2003): “Decades of work on […] arbitration matters […] are in a black box, unexamined and unscrutable.” 9  Hoffmann/Maurer, ZfRS 2010, 279. 10 So Templeman, 30 Journal of International Arbitration 197, 202 (2013); McConnaughay, 93 Northwestern University Law Review, 453, 494 (1999); Stumpf, in: Bülow-FS, 1981,

6

Kapitel 1: Einführung und Problemaufriss

Umgekehrt ist diese Entwicklung ebenso ein Problem für das erkennende Schiedsgericht, weil auch die Schiedsrichter sich bei der Bewertung der ihnen vorliegenden Sachverhalte meist nicht an einschlägigen materiellen bzw. prozessualen Standards orientieren können, wie dies ihren Kollegen an einem staatlichen Gericht möglich ist. Auch sie könnten im Rahmen der Entscheidungsfindung von einer allgemeinen Zugänglichkeit schiedsgerichtlicher Präjudizien profitieren, um ihrer Entscheidung durch die Orientierung an allgemein anerkannten Bewertungsstandards zusätzliche sachliche Autorität zu verleihen und um widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden. Nicht zuletzt ist die Abwanderung ganzer Rechtsbereiche in die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens und die damit einhergehende Erosion des Präjudizienbestands auch unter demokratietheoretischen Aspekten bedenklich, weil das Schiedsverfahren als solches sichtbarer Ausdruck von Privatisierungstendenzen auch im Recht ist. Die Frage, ob das Recht und der Ausdruck, den es jeweils in konkreten gerichtlichen Entscheidungen findet, Allgemeingut sind, oder ob sie lediglich zur Austragung von Meinungsverschiedenheiten „im Hinterzimmer“ gut sind, wird besonders in den USA intensiv diskutiert. Perschbacher und Bassett verfolgen die fortschreitende Privatisierung der Streitbeilegung durch Auslagerung in das Schiedsverfahren – so zum Beispiel seit einiger Zeit auch bei Verbrauchergeschäften – kritisch und sprechen in diesem Zusammenhang drastisch vom „end of law“ bzw. vom „vanishing trial“.11 Diese Frage ist in letzter Konsequenz eine solche nach der Aufgabe und der sozialen Funktion des Rechts in der demokratisch verfassten Gesellschaft, deren besondere Ausprägung das öffentliche Gerichtsverfahren bildet. Schließlich birgt die Analyse der Bedingungen und Folgen einer möglichen Privatisierung des Präjudizes auch rechtspolitische Implikationen, weil die soeben beschriebenen Privatisierungstendenzen die Frage aufwerfen, ob und wie dieser Entwicklung de lege ferenda begegnet werden kann und soll, so beispielsweise durch eine Veröffentlichungspflicht für Schiedssprüche.12 Versucht man, aus diesen unterschiedlichen Perspektiven ein verbindendes Element herauszuarbeiten, so stößt man stets auf das Spannungsverhältnis zwischen dem individuellen Interesse der Schiedsparteien an der Vertraulichkeit des Verfahrens und einem öffentlichen Interesse an der Kenntnisnahme, Erörterung, Nutzung und Fortentwicklung des Entscheidungsinhalts, mit anderen Worten, S. 217, 225 (für die Handelsschiedsgerichtsbarkeit); Griebel/Kim, SchiedsVZ 2007, 186, 195 (für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit). 11  Perschbacher/Bassett, 84 Boston University Law Review 1 (2004). Kritisch auch Maurer, Lex Maritima, 2012, S. 155 f. Zu den rechtlichen und gesellschaftlichen Folgen des gegenwärtig zu beobachtenden Präjudizienverlusts auch Weidemaier, 90 North Carolina Law Review 1091, 1108 (2012); Weinstein, 11 Ohio State Journal on Dispute Resolution 241, 246 (1996); Dragich, 44 American University Law Review 757 (1995). 12  So – wenngleich mit Einschränkungen (Anonymisierung) – Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169, 177 f.



I.  Einleitende Bemerkungen

7

an der Entwicklung und Fortbildung des Rechts. Dieses Spannungsverhältnis und die Möglichkeiten zu seiner Auflösung sind in Deutschland noch nicht umfassend aufgearbeitet worden. Insbesondere in der deutschen Rechtsliteratur wird die dargestellte Problematik – sofern sie überhaupt Erwähnung findet – unter Verweis auf den Grundsatz der Parteiautonomie und die diesbezüglichen Erwartungen der Parteien meist knapp zugunsten der Vertraulichkeit entschieden.13 Nicht nur bleiben die wesentlichen Rechtsbegriffe und ihre spezifischen Funktionen im Schiedsverfahren weitgehend im Dunkeln, die Schiedsgerichtsbarkeit wird auf diese Weise auch pauschal von jeder rechtspolitischen Verantwortlichkeit freigesprochen. Diese Haltung ist vor dem Hintergrund einer spätestens seit Mitte der 90er Jahre geführten transnationalen Debatte über den Inhalt und die Grenzen einer Vertraulichkeitspflicht im Schiedsverfahren sowie über die tatsächlichen und rechtlichen Auswirkungen einer solchen Annahme nicht überzeugend, zumal zwischenzeitlich in verschiedenen Ländern gerichtliche Entscheidungen zu dieser Problematik ergangen sind, die ihrerseits Gegenstand kritischer Erörterung geworden sind. Diese Entscheidungen verdeutlichen – ungeachtet der teilweise unterschiedlichen Lösungsansätze – die vielschichtigen Interessen- und Rationalitätenkonflikte, die mit der Annahme einer Vertraulichkeitsverpflichtung im Schiedsverfahren verbunden sind. Gleichzeitig ist das allgemeine Bewusstsein für die Bedeutung größerer Verfahrens- und Entscheidungstransparenz im Schiedsverfahren gewachsen. Eine Reihe prominenter Schiedspraktiker und Rechtswissenschaftler hat in den vergangenen Jahren für eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen im Interesse der Normbildung plädiert und auf die Gefahren einer fortgesetzten „Geheimwissenschaft“ sowohl für die Legitimität und Attraktivität des Schiedsverfahrens als auch für die Rechtssicherheit hingewiesen.14 Seinen jüngsten 13  Schütze, in: Glossner-FS, 1994, S. 333, 340; Nicklisch, RIW 1991, 89, 90. Siehe hierzu auch die Nachweise bei Maurer, Lex Maritima, 2012, S. 175 f. Zu der Bedeutung der (vermeintlichen) Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens für die Entscheidung der Parteien für oder gegen die Schiedsgerichtsbarkeit existieren nur wenige empirische Untersuchungen, deren Ergebnisse keine eindeutigen Rückschlüsse zulassen. Teilweise wird die Vertraulichkeit des Verfahrens als wesentlicher Grund für die Wahl des Schiedsverfahrens genannt, teilweise ist sie offenbar nur von untergeordneter Bedeutung. Vgl. hierzu die Nachweise bei Karton, 28 Arbitration International 447, 467 (2012); Ritz, 27 Journal of International Arbitration 221, 222 (2010); Derains, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 57; Nisja, International Arbitration Law Review 2008, 187, 188; Oldenstam/von Pachelbel, SchiedsVZ 2006, 31, 33. 14  So z. B. Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, Vorb §§ 1025 ff., Rn. 72; Karton, 28 Arbitration International 447 (2012); Weidemaier, 90 North Carolina Law Review 1091, 1092 f., 1099 (2012); Fernández-Armesto, Cahiers de l’arbitrage 2012, 583; Schill, DÖV 2010, 1013, 1016 f.; Renner, KJ 2010, 66; Hoffmann, DRiZ 2009, 329, 330; Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 236 (2008); Jolivet, 22 Arbitration International 265, 268 (2006); Raymond, 16 American Review of International Arbitration 479, 501, 503 (2005); Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169 (2005); Rogers, 20 American University International Law Review 957, 1004 (2005); Habersack, SchiedsVZ 2004, 261, 262; Gruner, 41 Columbia Journal of Transnational Law 923, 959 f. (2003); Buys, 14 American Review of International

8

Kapitel 1: Einführung und Problemaufriss

Ausdruck hat dieser prozessuale Zeitgeist in der heftigen öffentlichen Kritik an dem geplanten transatlantischen Freihandelsabkommen TTIP gefunden, welches für Streitigkeiten betreffend die Verletzung vertraglich vereinbarter Investitionsschutzstandards zunächst eine Zuständigkeit besonderer Investitionsschiedsgerichte erwogen hatte.15 Diese – teilweise als „Legitimitätskrise des Schiedsverfahrens“ bezeichneten – Bedenken haben in jüngster Zeit auch bei den Schiedsinstitutionen selbst Widerhall gefunden. So hat das Schiedsgericht der Handelskammer Mailand im Jahre 2011 erstmals Richtlinien zur anonymisierten Veröffentlichung von Schiedssprüchen16 beschlossen, auf deren Grundlage eine regelmäßige Publikationspraxis begonnen werden soll. Parallel dazu hat der London Court of International Arbitration (LCIA) im Jahre 2011 damit begonnen, Entscheidungen zu Befangenheitsanträgen gegen Schiedsrichter (challenge decisions) zu publizieren, auch dies ausdrücklich im Interesse der Entwicklung einer einheitlichen, kohärenten Entscheidungspraxis.17 Prof. Catherine Rogers hat im Jahr 2012 mit dem Aufbau einer Online-Schiedsrichterdatenbank begonnen, die auch frühere Entscheidungen der Kandidaten enthalten soll.18 Ebenfalls im Jahr 2012 begannen das International Centre for Dispute Resolution der American Arbitration Association19 und das Singapore International Arbitration Centre20 Arbitration 121 (2003); Blackaby, in: Contemporary Questions, 2003, S. 355, 363; Smit, 11 American Review of International Arbitration 567, 579 (2000); Tashiro, 9 Journal of International Arbitration 97 (1992); Buxbaum, 4 International Tax and Business Lawyer 205, 208 (1986); Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Journal 317, 336 f. (1984); Lew, in: Liber amicorum Sanders, 1982, S. 223, 232; Kropholler, Einheitsrecht, 1975, S. 148; Lando, in: Materielles Recht und Verfahrensrecht, 1972, S. 85, 86; Neumayer, aaO, S. 93. Hoffmann, DRiZ 2009, 329, 330, plädiert in diesem Zusammenhang für eine gezielte Stärkung der Attraktivität der staatlichen Gerichte für wirtschaftsrechtliche Streitigkeiten, so v. a. durch die Bildung besonderer Kammern für internationale Handelssachen und eine Beschränkung des Instanzenzugs. Siehe hierzu auch Calliess, in: Verhandlungen des 70. DJT, 2014, A 15 sowie den jüngsten Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen (KfiHG), BT-Drs. 18/1287. 15  Vgl. hierzu auch die vielbeachteten Stellungnahmen „Profiting from Injustice“ (2012) und „Profiting from Crisis“ (2014) des Corporate Europe Observatory, die eine sehr kritische Haltung zur Investitionsschiedsgerichtsbarkeit einnehmen. Heftige öffentliche Kritik an der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit hat sich in Deutschland insbesondere an den sog. VattenfallVerfahren entzündet, vgl. nur „Vattenfall – 15 Juristen gegen die Demokratie“, FR Online vom 23. März 2013 (zuletzt abgerufen am 1. Dezember 2015). 16  Guidelines for the Anonymous Publication of Arbitral Awards (2011), abrufbar unter www.camera-arbitrale.it. 17  Veröffentlicht in 27 Arbitration International, No. 3 (2011). 18 “The International Arbitrator Information Project: From an Ideation to Operation”, Kluwer Arbitration Blog vom 10. Dezember 2012, abrufbar unter www.kluwerarbitrationblog. com. Seit 2015 firmiert das Projekt als Arbitrator Intelligence (www.arbitratorintelligence.org). 19  Im September 2012 ist ein erster Sammelband der “ICDR Awards and Commentaries” erschienen. 20 Die Veröffentlichung erfolgt über die LexisNexis-Datenbank, vgl. www.lexisnexis. com.sg/en-sg/products/singapore-arbitral-awards.page.



II. Gegenstand der Darstellung und Gang der Untersuchung

9

mit der Veröffentlichung anonymisierter Entscheidungsauszüge. Im August 2013 erschien zu diesem Thema ein vom Schiedsgericht der Handelskammer Mailand herausgegebener Sammelband („The Rise of Transparency in International Arbitration“)21, dessen Autoren ebenfalls dafür plädieren, die Schiedsgerichtsbarkeit in ihrem eigenen sowie im Interesse ihrer Nutzer transparenter zu gestalten. In diese Richtung zielen auch die im Januar 2014 verabschiedeten UNCITRAL Rules on Transparency in Treaty-Based Investor-State Arbitration, die für die internationale Investitionsschiedsgerichtsbarkeit neben der Veröffentlichung sämtlicher Entscheidungen des Schiedsgerichts auch die Publikation sonstiger Verfahrensdokumente, insbesondere von Schriftsätzen der Parteien und von Sachverständigengutachten, vorsehen.22 Ein Bericht des International Commercial Disputes Committee der New York City Bar plädierte im Februar 2014 ebenfalls für eine umfassendere Veröffentlichung schiedsgerichtlicher Entscheidungen.23 Der Ruf nach mehr Transparenz im Schiedsverfahren gewinnt vor diesem Hintergrund zunehmend an Unterstützung, wobei die systematische Publikation schiedsrichterlicher Entscheidungen regelmäßig als zentraler Bestandteil einer neuen Transparenzkultur genannt wird. Das Thema hat – wenn auch mit Verzögerung – die Agenda erreicht. Gleichwohl stellt sich hinsichtlich der Umsetzung dieser Forderungen im Detail eine Reihe von Fragen, mit denen sich die vorliegende Arbeit nachfolgend im Einzelnen auseinandersetzen möchte.

II. Gegenstand der Darstellung und Gang der Untersuchung Gegenstand der nachfolgenden Darstellung ist die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen im Interesse der Normbildung in Deutschland möglich und sinnvoll ist. Im Folgenden wird der Begriff des Schiedsspruchs in einem weiten Sinne gebraucht und umfasst, soweit nicht anders angegeben, auch sonstige schiedsgerichtliche Entscheidungen (z. B. verfahrensleitende Verfügungen), soweit diese unter Normbildungsgesichtspunkten von Interesse sind.24 Die Unter21  Alberto Malatesta/Rinaldo Sali (Hg.), The Rise of Transparency in International Arbitration, 2013. 22 Abrufbar unter www.uncitral.org. Siehe hierzu auch Euler/Gehring/Scherer, Transparency in International Investment Arbitration, 2015. 23  Abrufbar unter http://www.nycbar.org. 24  So auch Karton, 28 Arbitration International 447, 448, dort Fn. 3 (2012); Coe, 54 University of Kansas Law Review 1339, 1357 (2006). Art. 34 Abs. 5 P.R.I.M.E. Finance-SchO erstreckt das Recht der Schiedsinstitution zur Veröffentlichung von Entscheidungsauszügen ausdrücklich auch auf verfahrensleitende Verfügungen des Schiedsgerichts. Die ICC hat in mittlerweile zwei Bänden bereits eine Reihe von verfahrensleitenden Verfügungen veröffentlicht (Collection of Procedural Decisions in ICC Arbitration).

10

Kapitel 1: Einführung und Problemaufriss

suchung konzentriert sich im Übrigen auf die Analyse der Voraussetzungen und Folgen einer größeren Entscheidungspublizität in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, wenngleich sie an verschiedenen Stellen auf die Rechtslage in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit und in anderen Schiedsregimes vergleichend Bezug nimmt. Soweit daher im Folgenden die Begriffe der Schiedsgerichtsbarkeit bzw. des Schiedsverfahrens verwendet werden, ist damit, soweit nicht anders angegeben, die Handelsschiedsgerichtsbarkeit gemeint. Die Fragestellung der Untersuchung macht eine Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Handlungsrationalitäten, die im Spannungsfeld zwischen der grundsätzlichen Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens einerseits und dem Interesse an einer möglichst umfassenden Entscheidungstransparenz andererseits auftreten, unausweichlich. Eine mögliche Zusammenführung dieser gegenläufigen Handlungsrationalitäten erfordert dabei zunächst eine Klärung der Bedeutung der Begriffe der Vertraulichkeit und der Normbildung, da von Inhalt und Reichweite dieser Begrifflichkeiten abhängt, an welcher Stelle und in welchem Umfang Spannungen zwischen diesen Rationalitäten entstehen bzw. entstehen können. Erst auf dieser Grundlage können sodann konkrete Lösungsansätze entwickelt werden. Dieser Schwerpunktsetzung folgt auch die Gliederung der Arbeit. Teil I behandelt die rechtlichen Grundlagen und die inhaltliche Reichweite des Vertraulichkeitsgrundsatzes nach deutschem Recht und erläutert die diesbezüglichen Rechtsschutzmöglichkeiten. Teil II stellt im Anschluss zunächst die rechtlichen Grundlagen, Erscheinungsformen und Funktionen der „klassischen“ einzelstaatlichen Normbildung dar, bevor versucht wird, auf dieser Grundlage einen eigenständigen schiedsverfahrensrechtlichen Normbildungsbegriff auf der Grundlage schiedsgerichtlicher Präjudizien zu entwickeln. Hier sind neben der Klärung der grundsätzlichen Befugnis des Schiedsgerichts zur Normbildung insbesondere deren Voraussetzungen und Auswirkungen in der Praxis zu untersuchen. In Teil III sollen schließlich auf der Basis der Begriffsbestimmungen der ersten beiden Abschnitte der Arbeit Möglichkeiten zur Auflösung des Spannungsverhältnisses zwischen Vertraulichkeit und Normbildung diskutiert und Lösungsansätze auf der Grundlage des deutschen Rechts entwickelt werden, bevor abschließend eine zusammenfassende Würdigung der Ergebnisse erfolgt.

Kapitel 2

Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens wird gemeinhin als einer der wesentlichen Vorteile des Schiedsverfahrens und als Hauptargument gegen eine größere Transparenz des Schiedsverfahrens und der in diesem Verfahren ergangenen Entscheidungen ins Feld geführt. Bei näherem Hinsehen zeigt sich allerdings, dass dieses vermeintliche Strukturprinzip sowohl im Grundsatz als auch in seinen Einzelheiten weithin umstritten ist. Diese Sachlage rechtfertigt es, zunächst den Versuch zu unternehmen, den Inhalt und die Reichweite des Vertraulichkeitsgrundsatzes näher zu bestimmen, bevor in einem zweiten Schritt die Möglichkeiten einer Normbildung durch Schiedsgerichte betrachtet werden. Zunächst sind in diesem Zusammenhang die verwandten aber gleichwohl nicht synonymen Begrifflichkeiten der Nichtöffentlichkeit und der Vertraulichkeit zu unterscheiden (I.), bevor im nächsten Schritt auf die Rechtsgrundlagen (II.) sowie die sachliche (III.) und persönliche (IV.) Reichweite des Vertraulichkeitsgrundsatzes eingegangen wird. Abschließend widmet sich dieser Abschnitt den Rechtsschutzmöglichkeiten der betroffenen Beteiligten (V.), bevor eine kurze Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse diesen Teil der Untersuchung beendet (VI.).

I.  Nichtöffentlichkeit und Vertraulichkeit Die nähere Bestimmung des Begriffs der Vertraulichkeit (confidentiality) erfordert zunächst eine inhaltliche Abgrenzung von dem verwandten, aber dennoch nicht deckungsgleichen Begriff der Nichtöffentlichkeit (privacy).1 Beide Begriffe stehen zueinander mit Blick auf ihre übergeordneten Funktionen in einem komplementären Verhältnis.2 Sie sind aus diesem Grunde primär unter funk1  Die häufig fehlende Unterscheidung zwischen diesen Begriffen kritisiert auch Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 608 (2004). Zu der teilweise unklaren Abgrenzung in der deutschsprachigen Diskussion siehe Haas/Kahlert, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, S. 963, 964. 2 Plastisch Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 608 (2004): “Confidentiality and privacy are two sides of the same coin.” Ebenso die dissenting opinion von Toohey J in der Rechtssache Esso Australia Resources Ltd. v. Plowman, 11 Arbitration International 255, 257 (1995). Vereinzelt wird die komplementäre Funktion dieser Begriffe bestritten, so z. B. durch Pocar, in: Transparency, 2013, xv; Young/Chapman, 27 ASA Bulletin

12

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

tionalen Gesichtspunkten, nämlich mit Blick auf ihre unterschiedlichen Schutzrichtungen abzugrenzen. Der gemeinsame Bezugspunkt der Konzepte der Vertraulichkeit und der Nichtöffentlichkeit ist die Sicherstellung einer diskreten und – im untechnischen Sinne – vertraulichen Durchführung des Schiedsverfahrens. Während die Nichtöffentlichkeit des Verfahrens jedoch einen Schutz der Schiedsparteien vor unberechtigter Kenntnisnahme Dritter von Verfahrensinformationen im Außenverhältnis begründet, wirkt die Vertraulichkeit des Verfahrens im Innenverhältnis zwischen den Verfahrensbeteiligten und begründet zwischen diesen entsprechende Geheimhaltungspflichten. Der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit des Schiedsverfahrens bestimmt, dass die mündlichen Verhandlungen vor dem Schiedsgericht nicht in Gegenwart verfahrensfremder Dritter stattfinden sollen (Grundsatz der Parteiöffentlichkeit). Grundsätzlich sind damit allein die unmittelbaren Verfahrensbeteiligten, also die Schiedsparteien und ihre Vertreter, Zeugen, Sachverständige und das Schiedsgericht selbst zur Anwesenheit bei mündlichen Verhandlungen berechtigt.3 Ausnahmen hiervon sind nach dem Grundsatz der Parteiautonomie allein mit dem Einverständnis beider Parteien zulässig, die auf die staatliche Gerichtsbarkeit zugeschnittene Vorschrift des § 169 GVG ist im Schiedsverfahren unanwendbar.4 Im Gegensatz zum staatlichen gerichtlichen Verfahren, wo die Teilnahme an Verhandlungen im Grundsatz jedermann offensteht und die Öffentlichkeit nur unter besonderen Umständen ausgeschlossen werden kann, gilt somit ein umgekehrtes Regel-Ausnahme-Verhältnis. Der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit des Schiedsverfahrens ist im deutschen Recht allgemein anerkannt.5 Seine dogmatische Grundlage ist gleichwohl unklar. In der Zivilprozessordnung findet der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit keine Erwähnung. Auch die DIS-Schiedsgerichtsordnung (DIS-SchO) verbürgt in § 43.1 allein die Vertraulichkeit, nicht aber die Nichtöffentlichkeit des Schiedsverfahrens.6 Trotz fehlender Kodifizierung gehört der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit nach allgemeiner Auffassung zu den konstitutiven Merkmalen des schiedsgerichtlichen 26, 28 f. (2009), die darauf hinweisen, dass die Nichtöffentlichkeit des Verfahrens nicht allein der Gewährleistung der Vertraulichkeit, sondern vor allem der Sicherstellung der prozeduralen Flexibilität des Schiedsverfahrens dient. 3  Oldenstam/Pachelbel, SchiedsVZ 2006, 31, 32; Lew, 11 Arbitration International 283, 285 f. (1995). 4  Voit, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 1042, Rn. 31; Ehricke, CR 1989, 665, 668. Dagegen plädiert Aden, DZWiR 2012, 360 für eine analoge Anwendung des § 169 GVG im schiedsgerichtlichen Verfahren bzw. für die Einfügung eines neuen § 1062a ZPO, der die weitgehende Veröffentlichung von in Deutschland erlassenen Schiedssprüchen vorsehen würde 5  Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 69; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 144; Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, Vorb §§ 1025 ff., Rn. 71; Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005, S. 454; Kühn/Gantenberg, in: Schlosser-FS, 2005, S. 461, 462 f.; Prütting, in: Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 629, 632. 6 So zutreffend Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005, S. 454 f.; anders Kreindler/Rust, in: Beck‘sches Rechtsanwalts-Handbuch, 10. Aufl. 2011, § 7, Rn. 28.



I.  Nichtöffentlichkeit und Vertraulichkeit

13

Verfahrens, sodass über seine Geltung weitgehend Einigkeit besteht. Teilweise wird dieser Geltungsanspruch aus der „Natur des Schiedsverfahrens“ begründet7, teilweise wird er in einer stillschweigenden Vereinbarung der Schiedsparteien gesucht.8 Ob der bloße vage Rekurs auf eine weitgehend diffuse „Natur des Schiedsverfahrens“ einen geeigneten Ansatz zur Begründung von konkreten Rechtspflichten darstellt, ist zweifelhaft. Überzeugender erscheint es dagegen, angesichts der absoluten Üblichkeit einer nichtöffentlichen Durchführung des Schiedsverfahrens von einem entsprechenden konkludenten Einigungswillen der Parteien, zumindest aber von einer gewohnheitsrechtlichen Übung auszugehen.9 Die nichtöffentliche Durchführung des Schiedsverfahrens wird daneben auch international regelmäßig vorausgesetzt und in einer Reihe von Schiedsordnungen ausdrücklich gewährleistet. So bestimmt beispielsweise Art. 26 Abs. 3 ICC-SchO: „Das Schiedsgericht bestimmt den Ablauf der mündlichen Verhandlung, in der alle Parteien anwesend sein dürfen. Ohne Zustimmung des Schiedsgerichts und der Parteien sind an dem Verfahren nicht Beteiligte nicht zuzulassen.“

In diesem Sinne legt auch Art. 19.4 LCIA-SchO fest: “All meetings and hearings shall be in private unless the parties agree otherwise in writing or the Arbitral Tribunal directs otherwise.”

Auch staatliche Rechtsordnungen erkennen den Grundsatz der Nichtöffentlichkeit an. Die englische Rechtsprechung entnimmt das Recht der Schiedsparteien auf Nichtöffentlichkeit bereits implizit der Schiedsvereinbarung. Diese Sichtweise ist im angelsächsischen Rechtskreis unter Verweis auf die „Natur des Schiedsverfahrens“ weithin übernommen worden.10 Die diskrete Durchführung des Schiedsverfahrens kann jedoch allein durch die Anerkennung der Nichtöffentlichkeit des Verfahrens nicht gewährleistet werden. Denn die Weitergabe oder Verbreitung von Verfahrensinformationen ist neben Dritten auch den Beteiligten selbst außerhalb der mündlichen Verhandlung ohne weiteres möglich.11 Die Gewährleistung der Nichtöffentlichkeit des Schiedsverfahrens, die im wesentlichen allein die mündliche Verhandlung schützt, ist deshalb für sich genommen nicht geeignet, dem Interesse der Schiedsparteien an einer diskreten Verfahrensabwicklung Rechnung zu tragen. Zur Vermeidung von Schutzlücken 7  So offenbar Kühn/Gantenberg, in: Schlosser-FS, 2005, S. 461, 462 f. (“implied condition of the arbitration clause”); Sanders, Quo Vadis Arbitration?, 1999, S. 1, 5. 8  Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005, S. 455. 9  Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005, S. 453. Ähnlich („ungeschriebener Grundsatz der Schiedsgerichtsbarkeit“) auch Risse/Dehm, ZVglRWiss 114 (2015) 407, 413 m. w. N. 10  Zur Tragfähigkeit dieses Begründungsansatzes ausführlich unten S. 23 ff. 11  Blackaby/Partasides, in: Redfern and Hunter on International Arbitration, 5. Aufl. 2009, Rn. 2148; Collins, 11 Arbitration International 321, 323 (1995).

14

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

muss deshalb neben der Nichtöffentlichkeit des Verfahrens auch dessen allgemeine Vertraulichkeit sichergestellt sein. Nichtöffentlichkeit und Vertraulichkeit erfüllen auf diese Weise komplementäre Funktionen. Anders als die Nichtöffentlichkeit ist die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens jedoch ein in vielerlei Hinsicht umstrittenes Konzept. Denn die sachliche Reichweite des Vertraulichkeitsgrundsatzes und die konkreten rechtlichen Pflichten, die sich daraus für die Beteiligten des Verfahrens ergeben, sind in weiten Teilen unklar und Gegenstand einer anhaltenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Zudem hat die in den letzten Jahren zu dieser Frage ergangene Rechtsprechung deutlich gemacht, dass eine umfassende Verpflichtung der Beteiligten und insbesondere der Schiedsparteien zur Vertraulichkeit angesichts einer Vielzahl von Ausnahmetatbeständen weder rechtlich zu begründen noch in der Praxis sinnvoll umzusetzen ist. Die vorliegende Arbeit untersucht im Folgenden vor dem Hintergrund dieser Kontroversen die rechtlichen Grundlagen und die inhaltliche Reichweite des Vertraulichkeitsgrundsatzes im Schiedsverfahren. Der weitgehend unstreitige Grundsatz der Nichtöffentlichkeit des Schiedsverfahrens soll hingegen für die weitere Untersuchung, soweit er nicht ausdrücklich in Bezug genommen wird, außer Betracht bleiben.

II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht Eine schiedsverfahrensrechtliche Vertraulichkeitspflicht lässt sich rechtlich auf unterschiedliche Weise begründen. Zunächst steht es den Parteien frei, eine entsprechende vertragliche Vereinbarung zu treffen (1.). Fraglich ist hingegen, ob eine solche Verpflichtung auch aus der verbreitet in Bezug genommenen „Natur des Schiedsverfahrens“ entstehen kann (2.). In vielen Fällen sehen darüber hinaus auch institutionelle Schiedsordnungen eine Vertraulichkeitspflicht einzelner oder aller Verfahrensbeteiligter vor (3.). Fehlt es an einer entsprechenden Bestimmung in der einschlägigen Schiedsordnung, kann auch das Schiedsgericht im Rahmen seiner Verfahrensleitungskompetenz Verfügungen zur Sicherung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens erlassen (4.). Zuletzt kann eine Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens auch auf gesetzlicher Grundlage bestehen (5.).

1.  Vertraulichkeit durch Parteivereinbarung Das Schiedsverfahren ist nicht obligatorisch. Es verdankt seine Existenz regelmäßig einer vertraglichen Vereinbarung der Parteien und gewährt ihnen weitreichende Freiräume hinsichtlich seiner konkreten Ausgestaltung (a.). Im Rahmen dieser privatautonomen Gestaltungsmacht können die Parteien deshalb auch einvernehmlich Regelungen zur Vertraulichkeit des Verfahrens vereinbaren



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

15

(b.). Hinsichtlich der rechtstechnischen Umsetzung einer solchen Vereinbarung stehen den Parteien verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung (c.).

a.  Die Parteivereinbarung als Grundlage des Schiedsverfahrens “Arbitration is a creature of contract.”12 Dieser Grundsatz prägt und legitimiert das Schiedsverfahren gleichermaßen nach innen wie nach außen. Intern vermittelt der vertragliche Konsens der Schiedsparteien dem Schiedsgericht die Kompetenz zur Verfahrensleitung sowie die sachliche Autorität, eine verbindliche Entscheidung über den Streitgegenstand zu treffen. Im Außenverhältnis erlaubt die Übereinkunft der Parteien den weitgehenden Verzicht auf eine staatliche Richtigkeitskontrolle der schiedsrichterlichen Entscheidung und rechtfertigt gleichzeitig die Inanspruchnahme staatlicher Vollstreckungsorgane zur Durchsetzung des Schiedsspruchs. Diese privatautonome Gestaltungshoheit der Schiedsparteien manifestiert sich unter anderem darin, dass diese nicht – wie vor nationalen Gerichten – an die Prozessordnung des Forumstaats gebunden sind. Sie besitzen stattdessen die Möglichkeit, dem Schiedsgericht selbständig Vorgaben hinsichtlich der von diesem anzuwendenden Verfahrensordnung zu machen, sei es durch die Wahl einer institutionellen Schiedsordnung, sei es durch Formulierung von ad hoc-Verfahrensregeln (vgl. § 1042 Abs. 3 ZPO).13

b.  Zulässigkeit von Vertraulichkeitsvereinbarungen Daneben steht es den Schiedsparteien frei, auf den Ablauf des Verfahrens im Einzelnen und die Pflichten der Beteiligten auch in sonstiger Weise Einfluss zu nehmen. Es ist anerkannt, dass die Schiedsparteien sich gegenseitig zur Wahrung der Vertraulichkeit hinsichtlich eines bestimmten Schiedsverfahrens verpflichten können.14 Diese Möglichkeit ist auch von praktischer Bedeutung. Denn nach der wohl herrschenden Meinung im deutschen Recht folgt, anders als beispielsweise im englischen Recht, eine rechtlich bindende Verpflichtung der Schiedsparteien zur Wahrung der Vertraulichkeit nicht bereits aus der „Natur des Schiedsverfahrens“ bzw. aus dem bloßen Abschluss einer Schiedsvereinbarung. Sie bedarf vielmehr einer ausdrücklichen vertraglichen Abrede 12 

Franck, 12 ILSA Journal of International and Comparative Law 499, 502 (2006). Sawang, Geheimhaltung, 2009, S. 242. 14  Siehe nur Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 105 f.; Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 9; Trakman, 18 Arbitration International 1, 11 f. (2002); Leahy/Bianchi, 17 Journal of International Arbitration 19, 36 (2000); Baldwin, 31 Texas International Law Journal 451, 456 (1996). Vgl. auch die diesbezüglichen Empfehlungen der IBA Guidelines for Drafting International Arbitration Clauses (2010), §§ 60–65. Inwieweit die Schiedsparteien daneben auch die übrigen Verfahrensbeteiligten zur Vertraulichkeit verpflichten können, ist im Einzelnen streitig. Dazu ausführlich unten S. 92 ff. 13 

16

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

der Parteien.15 Zu beachten bleibt jedoch, dass auch eine ausdrückliche vertragliche Abrede – abhängig von dem auf sie anwendbaren Recht – im Einzelfall mit Blick auf die Interessen der Parteien oder der weiteren Öffentlichkeit Ausnahmen zulassen muss.16

c.  Form und rechtstechnische Umsetzung der Vertraulichkeitsvereinbarung Hinsichtlich der rechtstechnischen Umsetzung einer Vertraulichkeitsvereinbarung bestehen verschiedene Möglichkeiten. Die Vereinbarung kann sowohl in die Schiedsklausel selbst integriert werden (aa.) als auch in eine selbständige Schiedsabrede (confidentiality agreement) ausgelagert werden (bb.). Im Grundsatz ist darüber hinaus auch eine konkludente Einigung der Parteien über die Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens denkbar (cc.).

aa. Schiedsklausel Zunächst können die Parteien eine Vertraulichkeitsverpflichtung unmittelbar in die Schiedsklausel integrieren. Die Schiedsklausel (§ 1029 Abs. 2 Alt. 2 ZPO) stellt nach deutschem Recht einen eigenständigen, in den Hauptvertrag integrierten Prozessvertrag dar, dessen Form und Inhalt sich nach den §§ 1029 ff. ZPO richten.17 Gemäß § 1031 ZPO besteht für die Schiedsklausel grundsätzlich eine (erleichterte) Schriftformpflicht.18 Inhaltlich muss die Schiedsklausel mindestens erkennen lassen, dass einzelne oder sämtliche Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis ausschließlich einem Schiedsgericht zur Entscheidung zugewiesen werden sollen (§ 1029 Abs. 1 ZPO).19 Neben diesen inhaltlichen Mindestanforderungen können die Parteien fakultativ weitere Abreden in die Schiedsklausel aufnehmen.20 Rechtsgrundlage hierfür ist § 1042 Abs. 3 ZPO, wonach die Parteien, innerhalb der durch das zwingende Recht des Schiedsorts gezogenen Grenzen, das Verfahren selbst regeln können. Auch Vereinbarungen über die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens können auf 15 

So ausdrücklich OLG Frankfurt, BeckRS 2008, 03899. Vertraulichkeitserwägungen können aus diesem Grunde auch bei der Wahl des Schiedsorts von Bedeutung sein, vgl. Ritz, 27 Journal of International Arbitration 221, 240 ff. (2010). Zur sachlichen Reichweite des Vertraulichkeitsgrundsatzes im Einzelnen unten S. 48 ff. 17 BGH, NJW 2009, 1962, 1964; NJW 1987, 651, 652; Saenger, ZPO, 6. Aufl. 2015, § 1029, Rn. 1. 18  Die Schiedsklausel kann auch durch Bezugnahme auf Allgemeine Geschäftsbedingungen zum Bestandteil des Vertrags gemacht werden, vgl. § 1031 Abs. 3 ZPO. Für Verbrauchergeschäfte sieht § 1031 Abs. 5 ZPO strengere Formvorschriften vor, allerdings dürfte dieser Bestimmung in der Praxis nur geringe Bedeutung zukommen, da der ganz überwiegende Teil der Schiedsvereinbarungen im Bereich der (internationalen) Handelsschiedsgerichtsbarkeit zwischen Unternehmern im Sinne des § 14 BGB geschlossen wird. 19  Geimer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 1029, Rn. 28. 20  Wolf/Eslami, in: BeckOK-ZPO, Stand: 1. 6. 2015, § 1029, Rn. 12. 16 



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

17

diesem Wege zum Gegenstand der Schiedsklausel gemacht werden. Bei einer solchen Vertraulichkeitsvereinbarung handelt es sich jedoch nicht um einen Bestandteil der Schiedsklausel, sondern um eine selbständige materiellrechtliche Nebenabrede, auf die insbesondere die Formvorgaben des § 1031 ZPO keine Anwendung finden.21 Die vertragliche Lösung besitzt zunächst den Vorteil, dass den Parteien die wechselseitige Bedeutung einer vertraulichen Zusammenarbeit von Anfang an vor Augen geführt wird. Zudem bindet die Schiedsklausel als Prozessvertrag grundsätzlich auch Rechtsnachfolger. Sie wird insoweit nach dem Rechtsgedanken des § 401 BGB als eine Eigenschaft des abgetretenen Rechts oder Rechtsverhältnisses qualifiziert, sodass auch eine formlose Übertragung möglich ist.22 Die Parteien sind auf diese Weise auch bei einem vollständigen oder teilweisen Übergang des Rechtsverhältnisses gegen mögliche vertraulichkeitsfeindliche Handlungen des Rechtsnachfolgers im Zusammenhang mit einem späteren Schiedsverfahren geschützt. Gegen die Aufnahme einer Vertraulichkeitsvereinbarung in die Schiedsklausel sprechen aber vor allem verhandlungspsychologische Aspekte. Regelmäßig werden die Parteien, vor allem bei einer langfristig angelegten Zusammenarbeit, kein Interesse daran haben, die Details eines in dieser Phase noch nicht absehbaren Rechtsstreits im Einzelnen bereits zu Beginn der Kooperation festzulegen.23 Ein solches Anliegen in der Vertragsanbahnungs- und Verhandlungsphase, in welcher der Aufbau gegenseitigen Vertrauens im Vordergrund steht, prominent anzusprechen, widerspräche jeglicher Verhandlungsdynamik und wäre einem konstruktiven Verhandlungsklima insgesamt abträglich. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass eine solche Klausel, um den gewünschten Effekt zu erzielen, eine Reihe teilweise äußerst komplexer Ausnahmetatbestände berücksichtigen müsste und entsprechend umfangreich wäre, was wiederum den Verhandlungsauf21  Die Schriftformpflicht gilt ausschließlich für den nach § 1029 Abs. 1 ZPO erforderlichen Mindestinhalt der Schiedsklausel. Für weitergehende Vereinbarungen – wie z. B. zur Vertraulichkeit des Verfahrens – besteht kein Formzwang, vgl. Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1031, Rn. 13; § 1042, Rn. 79; Wilske/Markert, in: BeckOK-ZPO, Stand: 1. 9. 2015, § 1042, Rn. 20; Wolf/Hasenstab, RIW 2011, 612, 617; Sachs/Lörcher, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, § 1042, Rn. 28; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 15, Rn. 30. 22  BGH, NJW 1998, 371; Wagner, in: Beteiligung, 2005, S. 7, 14 ff. 23  So auch ten Cate, 44 New York University Journal of International Law and Politics 1109, 1155 (2012); Hwang/Chung, 26 Journal of International Arbitration 609, 644 (2009); Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1241 f. (2006); Müller, 23 ASA Bulletin 216, 225 (2005); Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 636, dort Fn. 143 (2004); Lachmann, SchiedsVZ 2003, 28; Bagner, 18 Journal of International Arbitration 243, 248 (2001); Brown, 16 American University International Law Review 969, 989 f. (2001). Treffend in diesem Zusammenhang Fraser: “Parties may not want to talk about the funeral while negotiating the terms of the marriage.”, zitiert nach Brown, 16 American University International Law Review, 969, 990 (2001).

18

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

wand erhöhen würde.24 Zudem ist zu beachten, dass die Vertragsparteien in der Praxis regelmäßig auf Musterschiedsklauseln zurückgreifen, die ein Großteil der nationalen und internationalen Schiedsinstitutionen mittlerweile zur Verfügung stellt. Diese Musterklauseln beruhen auf den praktischen Erfahrungen der Institutionen sowie auf der fortlaufenden Beobachtung der Entwicklungen in Rechtsprechung und Wissenschaft und gewähren aus diesem Grunde eine besondere Rechtssicherheit.25 Keine der gängigen Musterklauseln enthält besondere Bestimmungen zur Vertraulichkeit des Verfahrens26, was eine vertragliche Regelung der Vertraulichkeitsfrage zusätzlich unwahrscheinlich macht. Die Modifizierung und Erweiterung dieser Klauseln durch ergänzende Regelungen zur Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens birgt zudem das Risiko späterer Auslegungsschwierigkeiten und kann unter Umständen sogar zur Unwirksamkeit der Schiedsklausel führen.27 In jedem Falle schafft eine derartige Überfrachtung der Schiedsklausel einen zusätzlichen Hebel zur taktischen Verhinderung oder zumindest Verzögerung des Schiedsverfahrens durch eine Partei. Ob diesen Bedenken in tatsächlicher Hinsicht eine allgemeine Zurückhaltung der Vertragsparteien bei der Aufnahme von Vertraulichkeitsabreden in Schiedsklauseln entspricht, kann angesichts des dürftigen statistischen Materials nicht verlässlich beurteilt werden. Umfassende empirische Untersuchungen zu dieser Fragestellung sind nicht bekannt. Für den Teilbereich der US-amerikanischen Verbraucherschiedsgerichtsbarkeit haben Demaine/Hensler im Jahre 2004 festgestellt, dass lediglich 13,5 % der Schiedsklauseln die Schiedsparteien zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichten.28 Einschätzungen von Schiedspraktikern deuten darauf hin, dass die Parteien auch in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit nur verhältnismäßig selten Vereinbarungen über die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens treffen.29 24  Vgl. beispielsweise die umfangreiche Vertraulichkeitsregelung in Art. 14 des neuseeländischen Arbitration Act 1996 und den Klauselvorschlag bei Müller, 23 ASA Bulletin 216, 237 (2005). Kritisch auch Hwang/Chung, 26 Journal of International Arbitration 609, 644 (2009); Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 149; Sikiric, 13 Croatian Arbitration Year­book 131, 142 f. (2006); Bagner, 18 Journal of International Arbitration 243, 248 (2001). 25  Wilke, Handelsschiedsverfahren, 2006, S. 11; Lachmann, SchiedsVZ 2003, 28, 32. 26  Vgl. die Nachweise bei Müller, 23 ASA Bulletin 216, 225, dort Fn. 53 (2005). 27  Leahy/Bianchi, 17 Journal of International Arbitration 19, 36, dort Fn. 85 (2000). 28  Demaine/Hensler, 67 Law & Contemporary Problems 55, 69 (2004). Siehe auch Kratky Doré, 81 Chicago-Kent Law Review 463, 483, dort Fn. 110 (2006); Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1235 f. (2006). 29  Azzali, in: Transparency, 2013, xx; Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 106; Wittinghofer, SchiedsVZ 2009, 156, 157: „Individualvertragliche Ergänzungen in Schiedsklauseln […] sind selten.“ Ähnlich Lazareff, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 81, 87: “In practice, confidentiality clauses are relatively rare and do not necessarily cover the proceedings.” Nach Angaben des Generalsekretärs des ICC-Schiedsgerichtshofs, Andrea Carlevaris, bestanden im Zeitraum zwischen 2008 und 2012 in 548 von insgesamt 3.828 eingeleiteten Verfahren – dies entspricht einer Quote von ca. 14 % – vertragliche Vereinbarungen zur Vertraulichkeit des Verfahrens zwischen den Parteien, vgl. Carlevaris, in: Transparency, 2013, S. 123, 130. Die von



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

19

bb. Schiedsabrede Die Parteien können sich daneben auch in einer selbständigen Schiedsabrede (§ 1029 Abs. 2 Alt. 1 ZPO) zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens verpflichten (confidentiality agreement).30 Rechtsgrundlage ist wiederum § 1042 Abs. 3 ZPO. Im Unternehmenskaufrecht sind Vertraulichkeitsvereinbarungen, speziell im Zusammenhang mit Bieterverfahren, bereits seit Langem üblich.31 Seit einigen Jahren regt eine zunehmende Zahl von Autoren auch im Bereich des internationalen Schiedsverfahrensrechts den Abschluss besonderer Vertraulichkeitsvereinbarungen zur Gewährleistung einer diskreten Abwicklung des Schiedsverfahrens an, nachdem eine Reihe gerichtlicher Entscheidungen Zweifel an der umfassenden Geltung des Vertraulichkeitsgrundsatzes im Schiedsverfahren gesät hat.32 Für diese Lösung spricht, dass eine Vertraulichkeitsvereinbarung den Parteien in mehrfacher Hinsicht ausreichende Flexibilität gewährt. In zeitlicher Hinsicht kann sie grundsätzlich zu jedem beliebigen Zeitpunkt – auch rückwirkend – abgeschlossen werden.33 Häufig wird der (nachträgliche) Abschluss einer Vertraulichkeitsvereinbarung in Betracht kommen, wenn ein Rechtsstreit zwischen den Vertragsparteien bereits absehbar ist. Dies ist insofern von Vorteil, als zu diesem Zeitpunkt die Interessenlage der Beteiligten oft besser zu erkennen ist als zu Beginn einer häufig langfristig angelegten Zusammenarbeit. Die Vereinbarung lässt sich auf diese Weise flexibel an die aktuellen Bedürfnisse der Parteien anpassen. Speziell im Rahmen länger andauernder Geschäftsbeziehungen kann dies zudem sinnvoll sein, um die Zusammenarbeit der Parteien nicht bereits zu Beginn mit Misstrauen und unnötigen Spannungen zu belasten.34 Auf den Abschluss einer solchen Vereinbarung kann und sollte angesichts der unklaren Rechtslage zur Vermeidung späterer Streitigkeiten auch das Schiedsgericht hinwirken.35 Carlevaris genannten Zahlen zeigen aber einen merklichen Anstieg solcher Vereinbarungen im genannten Zeitraum und lassen den Schluss zu, dass die Parteien zunehmend die Bedeutung individualvertraglicher Abreden für die Gewährleistung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens erkennen. 30 In ICC-Schiedsverfahren kann eine Vertraulichkeitsvereinbarung auch in den Terms of Reference erfolgen, vgl. OLG Frankfurt, SchiedsVZ 2013, 49, 55; Wyss, International Arbitration Law Review 2009, 158, 167; Young/Chapman, 27 ASA Bulletin 26, 31 (2009); Dimolitsa, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 5 f.; Sikiric, 13 Croatian Arbitration Yearbook, 131, 146 (2006). 31  Kurz, Vertraulichkeitsvereinbarungen, 3. Aufl. 2013, Rn. 583 ff.; von Werder/Kost, BB 2010, 2903. 32  Siehe nur Hobeck/Stubbe, SchiedsVZ 2003, 15, 18, dort Fn. 11. 33  Kurz, Vertraulichkeitsvereinbarungen, 3. Aufl. 2013, Rn. 28. 34  Siehe bereits oben S. 17. 35  Berger, in: Post Award Issues, 2012, S. 75, 88. Vgl. auch die diesbezügliche Empfehlung in Art. 31 f. UNCITRAL Notes on Organizing Arbitral Proceedings (2012), abrufbar unter www.uncitral.org.

20

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Die Parteien und das Schiedsgericht haben jedoch dafür Sorge zu tragen, dass der Inhalt der Vereinbarung im Einklang mit geltendem Recht steht. Dazu zählen – auch bei einer möglichen Rechtswahl durch die Parteien – insbesondere die zwingenden gesetzlichen Regelungen der jeweiligen lex loci arbitri. Zudem sollte die Vereinbarung die Entscheidungszuständigkeit bei Vertraulichkeitsverstößen regeln. In diesem Zusammenhang erscheint es praktikabel, in die Vertraulichkeitsvereinbarung ebenfalls eine Schiedsklausel aufzunehmen, da andererseits eine Zuständigkeit der staatlichen Gerichte bestünde, die dann – in öffentlicher Verhandlung – über die Wirksamkeit und Reichweite der Vertraulichkeitsvereinbarung zu entscheiden hätten. Hat sich das Schiedsgericht bereits konstituiert, bietet sich aus Effizienz- und Kostengründen die Vereinbarung von dessen Zuständigkeit an.36 Gegen diese Lösung spricht, dass eine Schiedsabrede, anders als eine Schiedsklausel, nicht von Gesetzes wegen auf eventuelle Rechtsnachfolger übergeht, da es sich um eine selbständige, nicht nachfolgefähige Sondervereinbarung zwischen den jeweiligen Parteien handelt. Insoweit gilt der Grundsatz der Relativität des Schuldverhältnisses. Im Falle der Rechtsnachfolge oder im Falle einer Beteiligung Dritter am Schiedsverfahren müsste die interessierte Partei deshalb dafür Sorge tragen, dass entsprechende Vereinbarungen auch mit den entsprechenden Rechtsnachfolgern oder Dritten getroffen werden. Im Ergebnis wird der Abschluss einer gesonderten Schiedsabrede aus den dargestellten verhandlungspsychologischen Gründen sowie wegen der zeitlichen und inhaltlichen Flexibilität dennoch regelmäßig einer Aufnahme solcher Punkte in die Schiedsklausel vorzuziehen sein. Beide Alternativen weisen allerdings gleichermaßen den strukturellen Nachteil auf, dass wegen des auch insoweit geltenden Grundsatzes der Relativität des Schuldverhältnisses stets nur die Schiedsparteien selbst, nicht aber sonstige Verfahrensbeteiligte wie Schiedsrichter, Sachverständige, Zeugen etc. durch die Vertraulichkeitsvereinbarung gebunden werden. Hier bestehen jedoch ggf. andere Möglichkeiten, diesen Gegebenheiten Rechnung zu tragen.37

cc.  Konkludente Vereinbarung Da Vereinbarungen über die Vertraulichkeit des Verfahrens nicht den Formerfordernissen des § 1031 ZPO genügen müssen38, ist eine konkludente Einigung der Parteien über die vertrauliche Durchführung des Schiedsverfahrens grundsätzlich denkbar.39 Eine solche konkludente Einigung setzt voraus, dass 36 

Smit, 11 American Review of International Arbitration 567, 581 (2000). Dazu ausführlich unten S. 92 ff. 38  Siehe bereits oben S. 16 f. 39  OLG Frankfurt, SchiedsVZ 2013, 49, 55; Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1031, Rn. 13; § 1042, Rn. 79; Sachs/Lörcher, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, § 1042, Rn. 28; Haas/Kahlert, aaO, S. 963, 971. 37 



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

21

der Wille der Parteien zur Wahrung der Vertraulichkeit sich mit hinreichender Sicherheit aus der Auslegung des Vertragstextes bzw. aus den Umständen des Vertragsschlusses ergibt.40 Daran wird es meist fehlen. Die Parteien werden sich bei der Aufnahme einer Schiedsvereinbarung – die im Rahmen von Vertragsverhandlungen im Übrigen meist erst im letzten Moment erfolgt – regelmäßig keine Gedanken über die Vertraulichkeit eines Verfahrens, das noch gar nicht abzusehen ist, machen.41 Selbst wenn dies jedoch einmal der Fall sein sollte, müsste diese Absicht im Verhalten zumindest einer Partei erkennbaren Ausdruck finden, bloßes Schweigen ist insoweit nicht ausreichend.42 Schließlich birgt jede konkludente Vereinbarung Beweisprobleme. Der Nachweis des Bestehens einer solchen Abrede wird sich in aller Regel schwierig gestalten, wenn nicht bereits hinsichtlich der grundsätzlichen Einigung der Parteien, so doch spätestens hinsichtlich der Frage des Inhalts der Einigung und der verfahrensrechtlichen Konsequenzen eines Verstoßes. Eine konkludente Einigung liegt im Übrigen entgegen mancher Stimmen nicht bereits im bloßen Abschluss der Schiedsvereinbarung. Englische43 und französische44 Gerichte hatten in der Vergangenheit zunächst angenommen, dass sich die Parteien durch den Abschluss der Schiedsvereinbarung konkludent zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens verpflichteten. Die internationale Rechtsprechung ist dieser Sichtweise, die im Übrigen in der späteren englischen Rechtsprechung wieder aufgegeben wurde, nur teilweise gefolgt. Insbesondere US-amerikanische45, australische46 und 40 

Mansel, in: Jauernig, BGB, 15. Aufl. 2014, § 133, Rn. 1 ff. Ritz, 27 Journal of International Arbitration 221, 237 f. (2010). 42  Ritz, 27 Journal of International Arbitration 221, 238 (2010). 43  Dolling-Baker v. Merrett, [1990] 1 WLR 1205; Ali Shipping v. Shipyard Trogir, [1999] 1 WLR 314. 44  Näher zur französischen Rechtsprechung unten S. 113, dort Fn. 444. 45  United States of America v. Panhandle Eastern Corp., 118 F. R. D. 346 (D. Del. 1988). Für weitere bundesgerichtliche Entscheidungen zur Reichweite der Vertraulichkeit im Schiedsverfahren siehe Contship Containerlines, Ltd. v. PPG Industries Inc., [2003] WL 1948807 (S. D. N. Y. April 23, 2003); Lawrence E. Jaffee Pension Plan v. Household International Inc., [2004] WL 1821968 (D. Colo. Aug. 13, 2004); Urban Box Office Network v. Interfase Managers, [2004] WL 2375819 (S. D. N. Y. Oct. 21, 2004). Für einzelstaatliche Entscheidungen vgl. A. T. v. State Farm Mutual Automobile Insurance Co., [1999] WL 333177; Group Health Plan, Inc. v. BJC Health Systems, Inc., 30 S. W. 3d 198 (Mo. Ct. App. 2000). Zur US-amerikanischen Rechtsprechung auch Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 40 ff.; Noussia, Confidentiality, 2010, S. 118 ff.; Reuben, 54 University of Kansas Law Review 1255, 1265 ff. (2006). Teilweise vertreten US-amerikanische Gerichte den Standpunkt, dass die Vereinbarung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens und des Schiedsspruchs zur Unwirksamkeit der Schiedsvereinbarung führen kann, soweit dies eine Partei – in der Regel den repeat player – systematisch bevorzugt, vgl. Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1220 (2006); Raymond, 16 American Review of International Arbitration 479, 496 ff. (2005); Kratky Doré, 81 Chicago-Kent Law Review 463, 502 ff. (2006). 46  Esso Australia Resources Ltd. v. The Honourable Sidney James Plowman, 11 Arbitra­ tion International 235 (1995). 41 

22

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

schwedische47 Gerichte haben die Annahme einer konkludenten Einigung über die vertrauliche Durchführung des Schiedsverfahrens allein auf der Grundlage einer zwischen den Parteien geschlossenen Schiedsvereinbarung verneint. Auch die deutsche Rechtsprechung hat sich der letztgenannten Ansicht angeschlossen und entschieden, dass eine Vertraulichkeitspflicht der Schiedsparteien nicht bereits durch ein zwischen diesen bestehendes Prozessverhältnis begründet wird, sondern vielmehr einer ausdrücklichen vertraglichen Abrede bedarf.48 Eine konkludente Einigung der Parteien über die Vertraulichkeit des Verfahrens setzt nach zutreffender Ansicht deshalb ein Verhalten voraus, das über den bloßen Abschluss einer Schiedsvereinbarung hinausgeht. Selbst wenn man jedoch annehmen wollte, dass eine konkludente Vertraulichkeitsvereinbarung im Grundsatz möglich ist, so bleibt die Frage nach dem praktischen Nutzen einer solchen Feststellung. Wie bereits dargelegt handelt es sich bei Vertraulichkeitsvereinbarungen in Handelsschiedsverfahren um komplexe Vertragswerke, die, um einen effektiven Schutz der Vertraulichkeit des Verfahrens gewährleisten zu können, eine Vielzahl von Fragen zur Reichweite der Verpflichtung, den Konsequenzen eines Vertragsverstoßes sowie zur Zuständigkeit und zum Verfahren bei Regelverletzungen beantworten müssen. Der Nachweis eines konkludenten Parteikonsenses zu diesen vielfältigen und teilweise in rechtlicher Hinsicht äußerst komplexen Detailfragen dürfte in der Praxis kaum gelingen.49 Der praktische Wert einer konkludenten Vertraulichkeitsvereinbarung ist deshalb – selbst wenn der prinzipielle Nachweis einer solchen Einigung gelingen sollte – wegen der zu erwartenden Beweisprobleme gering und aus diesem Grunde für die Schiedspraxis nicht zu empfehlen.

2.  Vertraulichkeit aus der „Natur des Schiedsverfahrens“ Teilweise wird darüber hinaus die Auffassung vertreten, eine Vertraulichkeitspflicht ergebe sich unabhängig vom Bestehen vertraglicher Abreden bereits aus der „Natur des Schiedsverfahrens“. Im Folgenden soll zunächst die Genese dieses Begründungsansatzes nachgezeichnet werden (a.), bevor dessen Vereinbarkeit mit dem deutschen Recht erörtert wird (b.).

47 

Bulgarian Foreign Trade Bank Ltd. v. AI Trade Finance Inc., die letztinstanzliche Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ist abgedruckt in XXVI YCA 291 (2001). 48  OLG Frankfurt, BeckRS 2008, 03899. Die Annahme einer konkludenten Vertraulichkeitsvereinbarung setzt nach richtiger Ansicht konkrete, einzelfallbezogene Anhaltspunkte für die Existenz eines diesbezüglichen übereinstimmenden Parteiwillens voraus, so auch Haas/ Kahlert, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, S. 963, 972. 49 Treffend Oldenstam/Pachelbel, SchiedsVZ 2006, 31, 32: “As a contractual undertak­ ing, confidentiality can be highly complicated even under the best of circumstances.”



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

23

a.  Genese des Begründungsansatzes Eine Gesamtschau der verfügbaren gerichtlichen Entscheidungen zur Frage der Vertraulichkeit im Schiedsverfahren macht deutlich, dass Parteien dieser Problematik allzu oft keine Beachtung schenken, sei es, um den Erfolg von Verhandlungen bzw. einer künftigen geschäftlichen Zusammenarbeit nicht zu gefährden, sei es, weil die potentielle Brisanz des Themas ihnen nicht bewusst ist. Meist schweigen auch Schiedsvereinbarungen zu der Frage der Vertraulichkeit. Angesichts dessen stellt sich die Frage, wie dieses Schweigen berechtigterweise verstanden werden darf: Als bewusste Entscheidung gegen eine vertrauliche Durchführung des Verfahrens, oder, im Gegenteil, als stillschweigende Annahme, die Vertraulichkeit des Verfahrens sei auch ohne ausdrückliche Parteivereinbarung gewährleistet? Letztlich betrifft diese Unterscheidung die Frage, ob die Vertraulichkeit ein dem Schiedsverfahren immanentes Wesensmerkmal ist, sodass eine Parteivereinbarung entbehrlich ist, oder ob erst der gemeinsame, übereinstimmende Wille der Schiedsparteien eine wechselseitige Pflicht zur Geheimhaltung des Verfahrens begründet. Die Antworten auf diese Frage fallen erwartungsgemäß unterschiedlich aus. Die Befürworter einer schiedsverfahrensimmanenten Vertraulichkeitspflicht verorten deren Rechtsgrundlage entweder nebulös in der „Natur des Schiedsverfahrens“50 oder nehmen – etwas präziser – die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens auf gewohnheitsrechtlicher Basis an.51 Teilweise wird darüber hinaus eine Vertraulichkeitspflicht der Schiedsparteien auf der Grundlage des Grundsatzes von Treu und Glauben erwogen.52 Eine vierte Auffassung nimmt eine Vertraulichkeitspflicht als Nebenpflicht im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB an.53 Gemeinsam ist den genannten Ansätzen, zumindest soweit man auch die im Rahmen des § 241 Abs. 2 BGB bestehende Pflichtenbeziehung nicht als vertragliches, sondern als gesetzlich begründetes Schuldverhältnis ansieht54, dass eine Vertraulichkeitspflicht ohne Rücksicht auf die subjektive Willensrichtung der Parteien aus den (objektiven)

50 

So vor allem die englische Rechtsprechung, hierzu sogleich S. 24 f. Sanders, Quo Vadis Arbitration?, 1999, S. 1, 5; Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005, S. 453. 52  So ausdrücklich das Stockholmer Berufungsgericht in AI Trade Finance Inc. v. Bulgarian Foreign Trade Bank Ltd., zitiert nach Brown, 16 American University International Law Review 969, 986 (2001); ebenso Ritz, 27 Journal of International Arbitration 221, 238 f. (2010). Angesichts der Tatsache, dass das Schiedsverfahren ebenso wie das staatliche Gerichtsverfahren ein kontradiktorisches Verfahren darstellt, sind derart weitgehende Loyalitätspflichten im Verhältnis der Parteien untereinander zumindest in dieser Allgemeinheit aber abzulehnen. 53  Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 142 ff. 54  Olzen, in: Staudinger, Neubearbeitung 2009, § 241, Rn. 383 ff. Dabei wird teilweise ein gesetzliches Schuldverhältnis angenommen, teilweise auf deliktsrechtliche Verkehrspflichten abgestellt. 51 

24

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Umständen des Vertragsschlusses und des daran anknüpfenden Schuldverhältnisses konstruiert wird.55 Diese Sichtweise hat vor allem in der englischen Rechtsprechung ihren spezifischen Niederschlag gefunden.56 In den Entscheidungen Oxford Shipping Co. Ltd. v. Nippon Yusen Kaisha57 und Dolling-Baker v. Merrett58 betonten die englischen Gerichte, dass der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit des Schiedsverfahrens unabhängig von einer entsprechenden Willenseinigung der Schiedsparteien als implied term gelte, wenn und soweit sich die Parteien wirksam auf die Durchführung eines Schiedsverfahrens verständigt hätten.59 In Hassneh Insurance Co. of Israel v. Mew60 und Ali Shipping v. Shipyard Trogir61 dehnten die englischen Gerichte diese Doktrin auch auf den Grundsatz der Vertraulichkeit des Verfahrens aus. Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens folgt nach dieser Auffassung bereits aus dem Abschluss der Schiedsvereinbarung, ohne dass allerdings die inhaltliche Reichweite einer solcherart begründeten Vertraulichkeitspflicht hinreichend klar wird. Während die Frage nach der Rechtsnatur der implied terms in früheren Entscheidungen (Oxford Shipping, Dolling-Baker, Hassneh) von den Gerichten nicht eindeutig beantwortet wurde, hat Ali Shipping nunmehr klargestellt, dass die implied terms nicht mit einer konkludenten Einigung der Schiedsparteien gleichzusetzen sind (implied in fact). Die Vertraulichkeitspflicht wird den Parteien vielmehr von Gesetzes wegen (implied in law) auferlegt, sie gilt damit objektiv und unabhängig von den Umständen des 55 

Ritz, 27 Journal of International Arbitration 221, 231 (2010). Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 14 ff.; Thoma, 25 Journal of International Arbitration 299, 302 ff. (2008). Außerhalb Englands vertrat die Cour d’appel Paris bereits im Jahre 1986 in der Entscheidung Aita v. Ojjeh die Auffassung, dass die Parteien eines Schiedsverfahrens unabhängig vom Vorliegen einer ausdrücklichen Parteiabrede aufgrund der Natur des Schiedsverfahrens zur Vertraulichkeit verpflichtet seien. Näher zu dieser Entscheidung unten S. 115 f. 57  Oxford Shipping Co. Ltd. v. Nippon Yusen Kaisha, („The Eastern Saga“), 3 All E. R. 835, 842B (1984): “The concept of private arbitration derives simply from the fact that the parties have agreed to submit to arbitration particular disputes arising between them and only them. It is implicit in that strangers shall be excluded from the hearings and conduct of the arbitration.” 58  Dolling-Baker v. Merrett, [1990] 1 WLR 1205, 1213E: “As between parties to an arbitration, although the proceedings are consensual and may thus be regarded as wholly voluntary, their very nature is such that there must, in my judgment, be some implied obligation on both parties not to disclose or use for any other purpose any documents prepared for and used in the arbitration.” 59  In rechtsdogmatischer Hinsicht entsprechen die implied terms des englischen Rechts (ungeschriebenen) vertraglichen Nebenpflichten nach § 241 Abs. 2 BGB, die das begleitende Pflichtenprogramm der Vertragsparteien konkretisieren, vgl. Zimmermann, AcP 193 (1993), 121; Schmidt-Kessel, ZVglRWiss 96 (1997), 101; Grobecker, Implied Terms und Treu und Glauben, 1999; ders., ZEuP 2000, 125. 60  Hassneh Insurance Co. Of Israel v. Mew, [1993] 2 Lloyds Report 243, 246: “Such an obligation [of confidentiality, d. Verf.] can exist only because it is implied in the agreement to arbitrate and like any other implied term must be capable of reasonably precise definition.” 61  Ali Shipping v. Shipyard Trogir, [1999] 1 WLR 314. 56 



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

25

Einzelfalls und der subjektiven Willensrichtung der Parteien.62 In der Entscheidung Emmott v. Michael Wilson & Partners aus dem Jahre 2008 hat der High Court diese Rechtsprechung fortgeführt und betont, die Vertraulichkeitspflicht sei “really a rule of substantive law masquerading as an implied term.”63 Die juristische Rechtfertigung für diese dogmatische Einordnung haben die einzelnen Entscheidungen – weitgehend ohne nähere Begründung – in der „Natur“ bzw. in dem „Konzept“ des Schiedsverfahrens gesucht, welches nach seinem Sinn und Zweck nur als vertrauliches Verfahren gedacht werden könne. Lediglich mit Blick auf eine besondere Fragestellung, nämlich die fortdauernde Vertraulichkeit von Dokumenten aus einem bereits abgeschlossenen Schiedsverfahren, präzisierte der Court of Appeal in Dolling-Baker diesen Ansatz, indem er auf die strukturelle Ähnlichkeit der rechtlichen Beziehungen der Schiedsparteien zum vertraulichen Bank-Kunden-Verhältnis hinwies, bei dem eine Pflicht der Beteiligten zur Wahrung der Vertraulichkeit allgemein anerkannt sei, und auf dieser Grundlage das Herausgabeverlangen abwies.64 Insgesamt wird aus der vorzitierten Rechtsprechung der rechtliche Charakter der Vertraulichkeitspflicht nicht immer hinreichend deutlich. Teilweise deutet die Wortwahl der Gerichte auf die Annahme einer gesetzlich begründeten vertraglichen Nebenpflicht hin, teilweise scheint die Vertraulichkeit des Verfahrens auf gewohnheitsrechtlicher Grundlage angenommen zu werden. Die Annahme einer solchen verfahrensimmanenten Vertraulichkeitspflicht ist jedoch problematisch. Sie unterstellt stillschweigend einen normativen Konsens, der, so er jemals existierte, spätestens seit Mitte der 1990er Jahre brüchig geworden ist. Während die englischen Gerichte und der überwiegende Teil der englischen Rechtswissenschaft – nicht zuletzt aus standortpolitischen Erwägungen65 – eine vertraulichkeitsfreundliche Haltung einnehmen, haben andere Jurisdiktionen deutlich kritischere Positionen entwickelt. Die herrschende Rechtsprechung in den USA66, in Australien67 und in Schwe62  Ali Shipping v. Shipyard Trogir, [1999] 1 WLR 314, 326C: “I consider that the implied term ought properly to be regarded as attaching as a matter of law.” 63  Emmott v. Michael Wilson & Partners, [2008] EWCA Civ. 184, Rn. 84; zu dieser Entscheidung auch Crookenden, 25 Arbitration International 603, 607 (2009); Wittinghofer, SchiedsVZ 2009, 156. 64  Die Tragfähigkeit dieser Analogie bezweifelt Thoma, 25 Journal of International Arbitration 299, 308 (2008). 65  Thoma, 25 Journal of International Arbitration 299, 313 f. (2008). 66  United States of America v. Panhandle Eastern Corp., 118 F. R. D. 346 (D. Del. 1988). Diese Auffassung hatten zuvor bereits die Gerichte in Industrotech Constructors Inc. v. Duke University, (1984) 314 SE 2d 272, 274 und Giacobazzi Grandi Vini S. p. A. v. Renfield Corp., [1987] US dist Lexis 1783, vertreten. Die Panhandle-Rechtsprechung hat sowohl auf der bundes- als auch auf der einzelstaatlichen Ebene Zustimmung erfahren, vgl. die Nachweise oben S. 21, dort Fn. 45. 67  Esso Australia Resources Ltd. and others v. The Honourable Sidney James Plowman, 11 Arbitration International 235 (1995).

26

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

den68 lehnt die Anerkennung einer allgemeinen Vertraulichkeitspflicht aus der Natur des Schiedsverfahrens ab und erkennt eine solche nur bei Vorliegen einer ausdrücklichen Parteiabrede oder entsprechender Bestimmungen der gewählten Schiedsordnung oder der lex loci arbitri an. Und auch im letzteren Fall wird die Autonomie der Parteien durch schützenswerte private (legitimate interest exception) und öffentliche (public interest exception) Interessen weiter begrenzt. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei einer vergleichenden Betrachtung von institutionellen Schiedsordnungen und nationalen Schiedsgesetzen.69 Die aufgezeigten Entwicklungen sind in den vergangenen Jahren durch eine anhaltende wissenschaftliche Diskussion begleitet und vorangetrieben worden. Wurden in diesem Zusammenhang zunächst der vertrauliche Charakter des Schiedsverfahrens und dessen Funktion als einzelfallbezogener Streitbeilegungsmechanismus betont, mehren sich in den vergangenen Jahren Stimmen, die von der Schiedsgerichtsbarkeit angesichts ihrer wachsenden systemischen Bedeutung größere Transparenzanstrengungen einschließlich der Veröffentlichung von Schiedssprüchen und sonstigen Verfahrensentscheidungen verlangen.70 Die Vertreter dieser Strömung weisen zutreffend darauf hin, dass zum einen bereits de lege lata zahlreiche vertragliche und gesetzliche Ausnahmen vom Vertraulichkeitsgrundsatz existieren und zum anderen aus systemischen Erwägungen auch de lege ferenda eine transparentere Verfahrenspraxis wünschenswert sei. Angesichts dieser Entwicklungen sowie des national wie international uneinheitlichen Meinungsbilds kann die Annahme einer allgemeinen, aus der Natur des Schiedsverfahrens resultierenden, Vertraulichkeitspflicht deshalb keineswegs mehr als gewohnheitsrechtlich legitimierter ‘common ground’ der rechtspolitischen und rechtswissenschaftlichen Diskussion gelten. Die Argumentationslinie der englischen Gerichte überzeugt vor diesem Hintergrund nicht. In der Praxis wirken sich die unterschiedlichen Sichtweisen gleichwohl nur in geringem Maße aus. Denn auch die englischen Gerichte erkennen an, dass eine allgemeine Vertraulichkeitspflicht eine Reihe von Ausnahmetatbeständen vorsehen muss. Jüngere Stellungnahmen haben vor diesem Hintergrund die grundsätzliche Zweckmäßigkeit einer allgemeinen Vertraulichkeitspflicht bezweifelt.71 Im Ergebnis ist deshalb die Frage nach der Existenz eines allgemeinen Vertraulichkeitsgrundsatzes im Schiedsverfahren in der überwiegenden Zahl der Fälle eine Frage der Rechtfertigung: Nimmt man die Existenz eines solchen Grundsatzes an, bedarf die Offenlegung von Verfahrensinformationen einer – wie auch immer gestalteten – Rechtfertigung. Lehnt man 68  Bulgarian Foreign Trade Bank Ltd. v. AI Trade Finance Inc., die letztinstanzliche Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ist abgedruckt in XXVI YCA 291 (2001). 69  Dazu ausführlich unten S. 29 ff. 70  Siehe bereits oben S. 7, dort Fn. 14. 71  Karton, 28 Arbitration International 447, 462 f. (2012).



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

27

eine allgemeine Geheimhaltungspflicht dagegen ab, so entfällt auch das Rechtfertigungserfordernis.

b.  Vereinbarkeit mit deutschem Recht Die Entstehung von Vertragspflichten durch Gewohnheitsrecht bzw. auf der Grundlage gesetzlich begründeter vertraglicher Nebenpflichten ist auch in Deutschland anerkannt. Im erstgenannten Fall setzt die Anerkennung einer entsprechenden Rechtspflicht jedoch voraus, dass in objektiver Hinsicht eine allgemeine Übung über einen gewissen Zeitraum vorliegt (longa consuetudo), die in subjektiver Hinsicht von der Überzeugung der Rechtsgemeinschaft getragen wird, dass diese Übung rechtsverbindlichen Charakter besitzt (opinio iuris).72 An beiden Elementen dürfte es mit Blick auf die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens in Deutschland fehlen. Der Nachweis einer allgemeinen Übung erfordert zweierlei: Zunächst muss in bestimmten Verkehrskreisen ein bestimmter Lebenssachverhalt wiederholt und mit hinreichender Häufigkeit auftreten, damit sich überhaupt eine bestimmte tatsächliche Praxis einstellen kann.73 Gegenstand des Gewohnheitsrechts ist jedoch keine tatsächliche Praxis, sondern allein deren rechtliche Bewertung. Nur wenn – in einem zweiten Schritt – eine tatsächlich bestehende Handlungspraxis auch Gegenstand einer gleichmäßigen rechtlichen Behandlung ist, lässt sich von einer allgemeinen Übung im Sinne der longa consuetudo sprechen.74 Letzteres ist jedoch nur dann der Fall, wenn diese Übung über die unmittelbar beteiligten Verkehrskreise hinaus auch in den sog. Rechtsanwenderkreisen, d. h. vor allem bei den staatlichen Gerichten, anerkannt und Gegenstand einer gleichmäßigen rechtlichen Behandlung durch diese Kreise ist.75 Mit anderen Worten: Ohne Anerkennung und Anwendung durch die Rechtsprechung ist die Entstehung gewohnheitsrechtlicher Rechts-

72 Vgl. Larenz, in: Schima-FS, 1969, S. 247, 254: „Nicht die Übung als solche, sondern erst die hinter ihr stehende, durch sie manifestierte allgemeine Überzeugung des Gebotenseins vermöge der rechtsethischen Richtigkeit eines solchen Verhaltens vermag die normative Verbindlichkeit des Gewohnheitsrechts zu begründen.“ 73 Das setzt im Übrigen die öffentliche Zugänglichkeit bzw. Wahrnehmbarkeit dieser Praxis voraus. Bereits hier steht die weitgehende Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens der Entstehung einer gewohnheitsrechtlichen Übung entgegen. 74  Krebs/Becker, JuS 2013, 97, 98  f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl. 1995, S. 258; kritisch Esser, von Hippel-FS, 1967, S. 95, 100 ff. 75  Umgekehrt kann Gewohnheitsrecht aber auch nicht allein durch eine bestimmte (höchstrichterliche) Rechtsprechung entstehen, weil die Justiz ansonsten der Rechtsgemeinschaft auf diese Weise ihre eigenen normativen Vorstellungen aufzwingen könnte. Eine Anerkennung bestimmter Grundsätze durch die Rechtsprechung kann zur Entstehung von Gewohnheitsrecht beitragen, dieses aber nicht im Alleingang erzeugen, vgl. BAG, JZ 1980, 482; Krebs/Becker, JuS 2013, 97, 98; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl. 1995, S. 258; Rehbinder, JuS 1991, 542, 543; Larenz, FS-Schima, 1969, S. 247, 254.

28

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

regeln nicht möglich.76 An einer solchen Anerkennung fehlt es mit Blick auf die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens jedoch. Nicht nur fehlt es aus den eingangs dieser Arbeit genannten Gründen weitgehend an einschlägigen Präjudizien, die deutsche Rechtsprechung steht zudem der Annahme einer impliziten Vertraulichkeitsverpflichtung der Schiedsparteien tendenziell ablehnend gegenüber. Der Bundesgerichtshof hat zwar in der Vergangenheit betont, dass die Parteien eines Schiedsverfahrens eine Pflicht zur „fördernden Mitwirkung“ unterliegen, dies aber nur auf die Pflicht der Parteien zur Mitwirkung an der Auswahl der Schiedsrichter und der Leistung der entsprechenden Kostenvorschüsse bezogen.77 Das OLG Frankfurt hat im Jahre 2004 entschieden, dass die Parteien nur dann zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens verpflichtet sind, wenn sie eine ausdrückliche diesbezügliche Vereinbarung getroffen haben und damit der gewohnheitsrechtlichen Anerkennung einer Vertraulichkeitspflicht eine Absage erteilt.78 Auch die Tatsache, dass die §§ 1042 ff. ZPO, die Einzelheiten des schiedsrichterlichen Verfahrens regeln, die Frage der Vertraulichkeit – wie im Übrigen auch eine Reihe prominenter Schiedsordnungen (z. B. ICC, UNCITRAL) – nicht einmal erwähnen, legt nahe, dass die Vertraulichkeit jedenfalls nicht zum „Wesen“ des Schiedsverfahrens gehört.79 Ein allgemeiner Konsens zur vertraulichen Durchführung des Schiedsverfahrens existiert im Übrigen, wie bereits dargelegt, auch nicht auf internationaler Ebene. Die dargestellten Erwägungen machen zudem deutlich, dass die vertrauliche Durchführung des Schiedsverfahrens nicht von einer umfassenden subjektiven Richtigkeitsüberzeugung im Sinne einer opinio iuris getragen wird. Selbst wenn man annehmen wollte, dass eine allgemeine Übung in dieser Frage tatsächlich besteht, so besäße diese in Ermangelung einer entsprechenden Richtigkeitsüberzeugung doch nur den Charakter einer im Rahmen der zivilrechtlichen Generalklauseln zu berücksichtigenden (objektiven) Verkehrssitte, nicht aber den einer unmittelbaren und pflichtenbegründenden Rechtsquelle.80 Nimmt 76  Sehr deutlich formuliert dies BGH, NJW 1961, 313, 315: „Die zur Bildung eines Gewohnheitsrechts erforderliche gemeinsame Rechtsüberzeugung entfällt nämlich schon deswegen, weil es an einer bestätigenden ständigen Rechtsprechung […] fehlt.“ Esser, in: von Hippel-FS, 1967, S. 95, 126 weist darauf hin, dass die Bedeutung der Gerichtsautorität für die Anerkennung gewohnheitsrechtlicher Rechtssätze vor allem durch die zunehmende Verrechtlichung gesellschaftlicher Beziehungen gestiegen ist. Problematisch kann das Erfordernis einer richterlichen Anerkennung im Einzelfall dann sein, wenn eine bestimmte Verkehrsübung so unstreitig ist, dass eine Befassung der Gerichte erst gar nicht erfolgt. 77  BGH, NJW 1988, 1215. 78  OLG Frankfurt, BeckRS 2008, 03899: „Der Kläger als Schiedspartei und der Beklagte waren durchaus berechtigt, das Ergebnis des Schiedsspruchs in einem Zivilverfahren mit einzuführen. Hätten die Parteien dies nicht gewollt, dann hätten sie es in der Schiedsvereinbarung ausdrücklich erwähnen müssen.“ 79  So u. a. Lazareff, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 81; Fortier, 15 Arbitration International 131, 133 (1999). 80  Looschelders/Olzen, in: Staudinger, Neubearbeitung 2009, § 242, Rn. 167.



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

29

man das Diktum, dass das Gewohnheitsrecht die wesentlichen Grundsätze und Überzeugungen der gesamten Rechtsgemeinschaft wiedergeben muss, ernst, so bestehen erhebliche Zweifel, ob in Spezialmaterien wie dem Schiedsverfahrensrecht überhaupt Gewohnheitsrecht entstehen kann.81 Dies ließe sich allenfalls unter Verengung des Maßstabs auf die Schiedsgemeinschaft leisten. Dann aber läge kein allgemein bindendes Gewohnheitsrecht, sondern nur eine bereichsspezifische Verkehrssitte vor. Aber selbst innerhalb der Schiedsgemeinschaft besteht, wie bereits dargelegt, in Vertraulichkeitsfragen kein allgemeiner Konsens. Gleiches gilt im Bereich der Rechtsanwendung für die staatlichen Gerichte. Nicht zuletzt läuft die Annahme einer gewohnheitsrechtlichen Vertraulichkeitspflicht auch dem Grundsatz der Parteiautonomie zuwider.82 Den Parteien wird auf diesem Wege pauschal ein umfassendes Geheimhaltungsinteresse unterstellt, das in vielen Fällen in dieser Form gar nicht bestehen wird.83 Selbst wenn dies einmal der Fall sein sollte, dürfte eine gewohnheitsrechtliche Vertraulichkeitspflicht, deren Inhalt und Reichweite in vielen Fällen unklar ist, nicht zur damit bezweckten Rechtssicherheit beitragen, zumal sich die Frage stellt, wie die Parteien angesichts einer solchen „unsichtbaren“ Regelung gegebenenfalls sinnvoll einen opt-out erklären sollen.84 Insgesamt stehen die vielfältigen Kontroversen zur Frage der Geltung und des Umfangs der Vertraulichkeit im Schiedsverfahren damit sowohl einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung als auch einer im Wege gesetzlicher Nebenpflichten begründeten Geltung dieses Rechtssatzes in Deutschland entgegen.

3.  Vertraulichkeit aufgrund von Schiedsordnungen Die Parteien können die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens auch durch die Vereinbarung einer Verfahrensordnung mit entsprechenden Schutzbestimmungen gewährleisten. Das Recht zur Wahl einer bestimmten Verfahrensordnung, auf deren Grundlage das Schiedsverfahren durchgeführt wird, stellt einen der wesentlichen Unterschiede zwischen dem staatlichen gerichtlichen Verfahren und dem Schiedsverfahren dar. Zwar gestattet das deutsche Recht den Vertragsparteien in beiden Fällen die Wahl eines bestimmten materiellen Rechts. Aber nur im schiedsgerichtlichen Verfahren können die Parteien auch das anwendbare Verfahrensrecht selbst festlegen, während staatliche Gerichte stets das 81 

Ähnlich bereits Larenz, in: Schima-FS, 1969, S. 247, 254. Young/Chapman, 27 ASA Bulletin 26, 31 f. (2009). 83  Azzali, in: Transparency, 2013, xxiii, weist darauf hin, dass Handelsschiedsverfahren häufig keinen Bezug zu sensiblen Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen aufweisen, sodass auch kein gesteigertes Vertraulichkeitsinteresse der Parteien bestehe. Zudem sei zu berücksichtigen, dass eine umfassende Vertraulichkeit des Verfahrens in vielen Fällen bereits aufgrund gesetzlicher oder bilanzieller Offenlegungspflichten nicht umzusetzen sei. 84  Young/Chapman, 27 ASA Bulletin 26, 31 (2009). 82 

30

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Verfahrensrecht ihrer eigenen Jurisdiktion zur Anwendung bringen. Bei der Wahl der im Einzelnen anwendbaren Verfahrensvorschriften sind die Parteien weitgehend frei. Vorbehaltlich zwingender Rechtsvorschriften des Rechts des Schiedsorts können sie das Verfahren nach ihren Vorstellungen gestalten, was § 1042 Abs. 3 ZPO für Schiedsverfahren mit Schiedsort in Deutschland nochmals ausdrücklich klarstellt. Üblicherweise geschieht dies durch Bezugnahme auf eine institutionelle Schiedsordnung in der Schiedsvereinbarung, deren Bestimmungen auf diesem Wege Inhalt des Vertrags werden und zwischen den Parteien entsprechende Rechte und Pflichten begründen.85 Zu den Pflichten, die die Parteien auf diese Weise übernehmen, zählt in vielen Fällen auch die Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens. Entsprechende Bestimmungen sind mittlerweile in der Mehrzahl der national und international häufig genutzten Schiedsordnungen enthalten. Hinsichtlich des materiellen Schutzniveaus bestehen jedoch teilweise deutliche Unterschiede, und zwar sowohl mit Blick auf die sachliche Reichweite der Vertraulichkeitspflicht als auch hinsichtlich des verpflichteten Personenkreises.86 Auch die rechtlichen Folgen eines Pflichtverstoßes sind ganz überwiegend nicht geregelt.87 Vereinbaren die Parteien lediglich pauschal die Anwendbarkeit einer bestimmten Verfahrensordnung, so besteht vor dem Hintergrund dieser Unterschiede das Risiko, dass der insoweit gewährte Vertraulichkeitsschutz unvollständig oder lückenhaft ist. Die nachfolgende Übersicht verdeutlicht das gegenwärtige Regelungsgefälle auf der Ebene der institutionellen Schiedsordnungen. Tabelle 1 beschreibt die sachliche, Tabelle 2 die persönliche Reichweite der einzelnen Vertraulichkeitsregelungen. Ein wesentlicher Vorteil schiedsordnungsrechtlicher Vertraulichkeitsbestimmungen gegenüber bilateralen Vereinbarungen der Parteien besteht darin, dass mithilfe einer solchen Bezugnahme nicht nur die Parteien, sondern – wenn auch in unterschiedlichem Umfang – sonstige Verfahrensbeteiligte gebunden werden können. Eine vertragliche Abrede kann dagegen allenfalls die Schiedsparteien, nicht hingegen sonstige Verfahrensbeteiligte binden, da ansonsten in unzulässiger Weise Pflichten zulasten Dritter begründet würden.88 Vertragliche Vertraulichkeitsvereinbarungen zwischen den Parteien des Schiedsverfahrens gewährleisten deshalb regelmäßig keinen umfassenden Schutz. Wollen die Parteien Schutzlücken vermeiden, sind deshalb ergänzende vertragliche Absicherungen notwendig. Soweit nicht bereits die gewählte Verfahrensordnung 85  Schubert/Strohe, in: Handbuch für Kaufrecht, 2002, S. 325, 349; Münzberg, Parteivereinbarungen, 1970, S. 83. Im Gegensatz zu individualvertraglichen Vereinbarungen bieten institutionelle Verfahrensordnungen nicht zuletzt den Vorteil, dass Schiedsrichter, Rechtsanwälte und Vertreter der Institutionen regelmäßig bereits praktische Erfahrungen hinsichtlich der Auslegung und Anwendung dieser Regeln besitzen, vgl. Spohnheimer, Gestaltungsfreiheit, 2010, S. 103 ff. 86  Dazu ausführlich unten S. 31 f. 87  Eine Ausnahme stellt insoweit Art. 35.4 SIAC-SchO dar. 88  Dazu ausführlich unten S. 100 f.



31

II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

Tabelle 1: Sachliche Reichweite der Vertraulichkeitspflicht Institution

ICC (2012) UNCITRAL (2010) ICSID (2006) AAA/ICDR (2014) LCIA (2014) SCC (2010) DIS (1998) CAS (2013) CIETAC (2015) GMAA (2013) HKIAC (2013) JCAA (2014) KLRCA (2013) WIPO (2014) SIAC (2013) Swiss Rules (2012) Wiener Regeln (2013) LMAA (2012)

Allgemeine Existenz / Betei- Verfahrensunter- SchiedsVertraulichkeit ligte des Verlagen / Beweis- spruch fahrens mittel

x x x x x

x x

x

x x x x x

x (x)89 x x x x (x)90 x

x x x x

x x x x (x)91 (x)92

das Schiedsgericht zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet, bietet sich die Aufnahme einer entsprechenden Verpflichtung in den Schiedsrichtervertrag an.93 Parteivertreter sind in der Regel bereits standesrechtlich zur vertraulichen Behandlung von Verfahrensinformationen verpflichtet.94 Sachverständige und Zeugen können durch die benennenden Parteien vertraglich zur Vertraulichkeit verpflichtet werden; die Parteien können sich wechselseitig entsprechende 89  Gemäß Art. 48 Abs. 4 Satz 2 ICSID-SchO ist das Zentrum gehalten, Auszüge der rechtlichen Erwägungen des Schiedsgerichts auch ohne Zustimmung der Parteien zeitnah zu veröffentlichen. 90  Rule 43 Satz 3 CAS Procedural Rules gewährt dem Division President das Recht, den Schiedsspruch im Einzelfall auch ohne Zustimmung der Schiedsparteien zu veröffentlichen. In der Praxis kommt dies nach Angaben des CAS aber nur sehr selten vor. Stattdessen wirkt der Gerichtshof regelmäßig auf eine Erteilung der Zustimmung zur Veröffentlichung durch die Parteien hin. 91  Die Institution darf den Schiedsspruch grundsätzlich in anonymisierter Form veröffentlichen, soweit nicht eine der Parteien der Veröffentlichung binnen 30 Tagen nach Zustellung der Entscheidung widerspricht (Art. 41 Wiener Regeln). 92 Die Institution darf den Schiedsspruch grundsätzlich in anonymisierter Form veröffentlichen, soweit nicht eine oder beide Parteien der Veröffentlichung binnen 21 Tagen ab Mitteilung der Veröffentlichungsabsicht widersprechen (Rule 26 LMAA Terms). 93  Zur Pflicht der Schiedsrichter zur Wahrung der Vertraulichkeit siehe unten S. 93 ff. 94  Hierzu im einzelnen unten S. 98 ff.

32

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Tabelle 2: Persönliche Reichweite der Vertraulichkeitspflicht Institution ICC (2012) UNCITRAL (2010) ICSID (2006) AAA/ICDR (2014) LCIA (2014) SCC (2010) DIS (1998) CAS (2013) CIETAC (2015) GMAA (2013) HKIAC (2013) JCAA (2014) KLRCA (2013) WIPO (2014) SIAC (2013) Swiss Rules (2012) Wiener Regeln (2013) LMAA (2012)

Parteien Parteiver- Schieds- Sachver- Zeugen Institution treter richter ständige (x)95 (x)96 x

x x x x x x x x x x

x x

x x x x x x x x x x x x

x (x)97

(x)98

x

x

x (x)99 x

x (x) x

x

x x x x x x x x x x

Pflichten auferlegen.100 In der Praxis vereinbaren die Parteien eines Schiedsverfahrens regelmäßig nur die Anwendbarkeit einer bestimmten (institutionellen) Verfahrensordnung. Individuelle vertragliche Regelungen betreffend die Vertraulichkeit des Verfahrens stellen dagegen die Ausnahme dar.

4.  Vertraulichkeit aufgrund gerichtlicher Anordnung Eine Verpflichtung der Parteien zur Wahrung der Vertraulichkeit kann ferner auch durch Anordnung des Schiedsgerichts (a.) oder eines staatlichen Gerichts (b.) begründet werden. 95  Die Vertraulichkeit des Verfahrens ist ungeachtet des Fehlens rechtlicher Regelungen faktisch gewährleistet. Siehe hierzu auch unten S. 104 f. 96  Schiedsrichter müssen intern eine schriftliche Vertraulichkeitserklärung abgeben, vgl. Art. 6 Abs. 2 ICSID Rules. 97  Gemäß § 43.1 Satz 2 DIS-SchO sind von den Beteiligten im Verfahren hinzugezogene Personen, also insbesondere Sachverständige und Zeugen, zur Verschwiegenheit zu verpflichten. 98  Siehe oben Fn. 97. 99  Zur Vertraulichkeit verpflichtet sind gemäß Rule  38 Abs. 2 JCAA-SchO auch “other persons involved in the arbitral proceedings”. 100  Vgl. § 43.1 Satz 2 DIS-SchO.



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

33

a.  Verfahrensleitende Verfügung des Schiedsgerichts Das Schiedsgericht kann verfahrensleitende Verfügungen entweder mit ausdrücklicher Ermächtigung durch die Parteien (aa.) oder auf der Grundlage von gesetzlichen oder schiedsordnungsrechtlichen Kompetenznormen (bb.) erlassen.

aa.  Mit ausdrücklicher Ermächtigung der Parteien Gegen die Kompetenz des Schiedsgerichts zum Erlass verfahrensleitender Verfügungen (procedural orders) zum Schutz vertraulicher Informationen bestehen keine Bedenken, soweit die Schiedsparteien das Schiedsgericht zuvor entsprechend ermächtigt haben. Die autonome Vereinbarung der Parteien als normative Grundlage des Schiedsverfahrens umfasst auch das Recht, dem Schiedsgericht bestimmte Verfahrensgestaltungen verbindlich vorzuschreiben oder das Schiedsgericht zu bestimmten Handlungen zu ermächtigen.101 Eine solche Ermächtigung kann bereits in die Schiedsklausel aufgenommen werden, aber auch zu einem späteren Zeitpunkt, erforderlichenfalls auch nach Einleitung des Schiedsverfahrens, erfolgen.102 Empirische Daten zur Nutzung dieser Gestaltungsmöglichkeiten durch die Schiedsparteien fehlen. Nach Einschätzung von Schiedspraktikern ist dies allerdings eher selten der Fall. Zum einen seien die Parteien aufgrund ihrer Differenzen häufig nicht in der Lage, sich einvernehmlich auf bestimmte Verfahrensregeln zu einigen, zum anderen fehle es den Parteivertretern des Öfteren an ausreichender Sachkenntnis in Fragen der schiedsgerichtlichen Verfahrensgestaltung sowie an der Bereitschaft, in diesen Fragen proaktiv auf das Schiedsgericht einzuwirken.103

bb.  Ohne ausdrückliche Ermächtigung der Parteien Haben die Parteien keine Vereinbarung hinsichtlich der Einzelheiten der Verfahrensgestaltung getroffen, so kann das Schiedsgericht die Verfahrensregeln regelmäßig auch dann nach eigenem Ermessen festsetzen, wenn es hierzu nicht ausdrücklich ermächtigt worden ist.104 Die meisten nationalen Schiedsgesetze 101  Zum Ganzen Baldwin, 31 Texas International Law Journal 451, 457 ff. (1996). Zum deutschen Recht Haas/Kahlert, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, S. 963, 973. 102  Wagner/Bülau, SchiedsVZ 2013, 6; Wyss, International Arbitration Law Review 2009, 158, 162; Sikiric, 13 Croatian Arbitration Yearbook 131, 165 f. (2006). 103 Vgl. Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 141 f. 104  Coppo, in: Transparency, 2013, S. 137, 144; Carlevaris, aaO, S. 123, 128; Hwang/ Thio, 29 Journal of International Arbitration 137, 145 (2012). Anders Crookenden, 25 Arbitration International 603, 604 (2009); Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 151; Ritz, Geheimhaltung, 2007, S. 98; Kühn/Gantenberg, in: Schlosser-FS, 2005, S. 461, 464; wohl auch Haas/Kahlert, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, S. 963, 973; Prütting, in: Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 629, 635.

34

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

und ein Großteil der prominenten Schiedsordnungen enthalten entsprechende Ermächtigungstatbestände.105 So bestimmt beispielsweise § 24.1 Satz 2 DISSchO: „Im Übrigen [d. h. bei Fehlen einer Parteivereinbarung, d. Verf.] bestimmt das Schiedsgericht das Verfahren nach freiem Ermessen.“

Die Vorschriften des 10. Buchs der ZPO enthalten für Schiedsverfahren mit Schiedsort in Deutschland eine entsprechende Regelung. § 1042 Abs. 4 Satz 1 ZPO bestimmt in Anlehnung an Art. 19 Abs. 2 Satz 1 des UNCITRAL-Modellgesetzes106 insoweit: „Soweit eine Vereinbarung der Parteien nicht vorliegt und dieses Buch keine Regelung enthält, werden die Verfahrensregeln vom Schiedsgericht nach freiem Ermessen bestimmt.“

Das Schiedsgericht ist nach diesen Vorschriften berechtigt, das Verfahren in Ermangelung einer Parteivereinbarung nach eigenem Ermessen zu gestalten. Da die Vorschriften der ZPO nur wenige Bestimmungen zum Ablauf des schiedsgerichtlichen Verfahrens enthalten (§§ 1042–1050 ZPO), ist eine Konkretisierung dieser Vorschriften durch das Schiedsgericht in praktischer Hinsicht auch regelmäßig erforderlich.107 Neben dem Rückgriff auf solche allgemeinen verfahrensrechtlichen Ermächtigungsnormen erscheint es grundsätzlich ebenfalls denkbar, die Rechtsgrundlage für vertraulichkeitsbezogene Maßnahmen des Schiedsgerichts in den Vorschriften betreffend den Erlass einstweiliger Maßnahmen zu suchen.108 Da der Erlass einstweiliger Maßnahmen jedoch einen entsprechenden Antrag einer oder beider Parteien voraussetzt109, scheidet diese Möglichkeit jedenfalls dann aus, wenn das Schiedsgericht von Amts wegen tätig werden möchte. In der Praxis werden Verfahrensfragen regelmäßig im Rahmen von verfahrensleitenden Verfügungen – meist bereits zu Beginn des Verfahrens110 – behandelt. Dazu gehören beispielsweise Bestimmungen über die Kommunikation zwischen Parteien und Schiedsgericht, über die Form der Schriftsätze und der Anlagen, den Ablauf der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme sowie über Fristen und die Folgen der Fristversäumnis. Das Schiedsgericht kann aber auch Verfügungen zu Fragen der Vertraulichkeit 105 Näher Baldwin, 31 Texas International Law Journal 451, 465 ff. (1996); Kratky Doré, 81 Chicago-Kent Law Review 463, 483 f. (2006). 106  UNCITRAL Model Law on Arbitration vom 11. Dezember 1985, in der Fassung vom 4. Dezember 2006. 107  Wagner/Bülau, SchiedsVZ 2013, 6. 108 Diese Möglichkeit erwog auch das ICSID-Schiedsgericht im Verfahren Abaclat and others v. The Argentine Republic (ICSID Case No. ARB/07/5), vgl. Procedural Order No.  3 (Confidentiality Order) vom 27. Januar 2010, Rn. 59 ff. Die Entscheidung kann unter www.italaw.com abgerufen warden. 109  Vgl. § 1041 Abs. 1 Satz 1 ZPO; § 20.1 DIS-SchO. 110  Wagner/Bülau, SchiedsVZ 2013, 6, 10.



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

35

(confidentiality orders) erlassen. Diese Möglichkeit sieht beispielsweise Art. 22 Abs. 3 ICC-SchO ausdrücklich vor, während die ICC-Regeln im Übrigen auf eine Verpflichtung der Verfahrensbeteiligten zur Wahrung der Vertraulichkeit verzichten.111 Das OLG Köln hat in einer neueren Entscheidung betont, dass eine Vertraulichkeitsverfügung des Schiedsgerichts jedenfalls dann nicht gegen den verfahrensrechtlichen ordre public, insbesondere gegen den Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs, verstößt, wenn und soweit das Schiedsgericht den Parteien vor Erlass der Verfügung Gelegenheit zur Stellungnahme gibt und die Ausführungen der Parteien bei seiner Entscheidung berücksichtigt.112 Da diese Vorgehensweise in der schiedsgerichtlichen Praxis die Regel darstellt, dürfte der Gehörsgrundsatz dem Erlass solcher Verfügungen in der Regel nicht entgegenstehen. Mittelbar hat das Gericht darüber hinaus klargestellt, dass das Schiedsgericht eine Vertraulichkeitsverfügung auch auf der Grundlage seiner allgemeinen und in allen Schiedsordnungen gewährleisteten Verfahrensleitungskompetenz – in dem vom OLG Köln entschiedenen Fall auf Grundlage der Swiss Rules – erlassen kann. Nach deutschem Recht sind Vertraulichkeitsverfügungen des Schiedsgerichts damit im Grundsatz nicht zu beanstanden. Vertraulichkeitsverfügungen gelangen im Bereich der Handelsschiedsgerichtsbarkeit in der Regel nicht an die Öffentlichkeit. Anders kann dies im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit sein, so z. B. in dem ICSIDSchiedsverfahren Abaclat and others v. The Argentine Republic.113 In diesem Verfahren nahm das Schiedsgericht ausführlich (auf 49 Seiten) zu den Positionen der Parteien sowie zu seiner eigenen Kompetenz zum Erlass einer Vertraulichkeitsverfügung Stellung. In diesem Zusammenhang erörterte das Schiedsgericht insbesondere verschiedene, in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlagen zum Erlass der Verfügung.114 Im Ergebnis stützte es die Verfügung auf Art. 19 ICSID-SchO. Dort heißt es: “The Tribunal shall make the orders required for the conduct of the proceeding.”

Bei Art. 19 handelt es sich ebenfalls um eine verfahrensrechtliche Generalklausel, deren Wortlaut mit dem der vorzitierten Vorschriften der DIS-SchO und der 111  Carlevaris, in: Transparency, 2013, S. 123, 128 ff.; Derains/Schwartz, Guide to the ICC Rules, 2. Aufl. 2005, S. 284 ff. Die Gründe für den Verzicht auf die Aufnahme einer allgemeinen Vertraulichkeitspflicht in die ICC-Schiedsordnung lagen seinerzeit zum einen in der Schwierigkeit einer überzeugenden rechtstechnischen Umsetzung, zum anderen in der Befürchtung, dass eine umfassende Vertraulichkeitsregelung im Nachgang zu den australischen Entscheidungen Esso und Cockatoo das Risiko der Aufhebung von Schiedssprüchen steigern könnte, vgl. Karton, 28 Arbitration International 447, 452 (2012); Konrad/Hunter, in: Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 2011, Art. 30 LCIA-Schiedsregeln, Rn. 3. 112  OLG Köln, BeckRS 2011, 05669. 113  ICSID Case No. ARB/07/5 (Abaclat and others v. The Argentine Republic), Procedural Order No. 3 (Confidentiality Order) vom 27. Januar 2010. 114  Abaclat and others v. The Argentine Republic (ICSID Case No. ARB/07/5), Procedural Order No. 3 (Confidentiality Order) vom 27. Januar 2010, Rn. 59 ff.

36

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

ZPO weitgehend identisch ist. Inhaltlich enthielt die Verfügung des Schiedsgerichts detaillierte Vorgaben zum Schutz einzelner Dokumentenkategorien. Aus Sicht des Schiedsgerichts sollte eine Öffentlichmachung von Verfahrensinformationen im Allgemeinen möglich sein, soweit dadurch nicht der Gefahr einer einseitigen Darstellung des Rechtsstreits und – daraus folgend – der Verschärfung des Konflikts zwischen den Parteien Vorschub geleistet werde.115 In Anwendung dieser Kriterien gestattete das Schiedsgericht den Parteien insbesondere die Abgabe allgemeiner Stellungnahmen zum Verfahren, sowie – mit deren Einverständnis – die Veröffentlichung des Schiedsspruchs und weiterer Entscheidungen des Schiedsgerichts, vorbehaltlich einer entsprechenden Einigung aber nicht die Publikation von Schriftsätzen, Zeugenaussagen, Verhandlungsprotokollen und sonstiger Korrespondenz mit dem Schiedsgericht. Mit dieser Differenzierung verfolgte das Schiedsgericht erklärtermaßen den Zweck, einerseits dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit an dem Gang des Verfahrens Rechnung zu tragen, andererseits aber sowohl sensible Verfahrensinformationen zu schützen als auch gleichzeitig die Öffentlichmachung einseitig verzerrter Sachverhaltsschilderungen durch die Parteien, so vor allem in Schriftsätzen und sonstigen Parteidokumenten, zu verhindern. Beim Erlass verfahrensleitender Verfügungen ist jedoch Vorsicht geboten. Regelmäßig wird das Schiedsgericht, auch wenn es keine Zweifel an seiner Kompetenz zum Erlass einer solchen Verfügung hat, die Schiedsparteien in die Entscheidungsfindung einbeziehen, ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme gewähren und ihre diesbezüglichen Anregungen zur Kenntnis nehmen.116 Diese Praxis ist zur Vermeidung von Gehörsverletzungen, zur Nutzung der Sachverhaltskenntnis der Parteien sowie allgemein zur Erhöhung der Legitimität der Entscheidung sinnvoll117, jedoch – wie eine kürzlich ergangene Entscheidung des OLG Frankfurt118 zeigt – nicht ohne Risiko, weil sie die Grenzen zwischen zweiseitiger Parteivereinbarung und einseitiger schiedsgerichtlicher Verfügung im Einzelfall verwischen kann. Diese Unterscheidung ist aber von erheblicher praktischer Bedeutung, weil das Schiedsgericht nur im letztgenannten Fall berechtigt ist, von einer einmal getroffenen Anordnung ohne Rücksicht auf den Willen der Parteien wieder Abstand zu nehmen. Wird die Regelung hingegen als Parteivereinbarung qualifiziert, so ist für eine spätere Änderung oder Aufhebung dieser Regelung stets das Einverständnis beider Parteien erforderlich. Setzt sich das Schiedsgericht über dieses Erfordernis hinweg, riskiert es die Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Verstoßes gegen Parteivereinbarungen 115 Für weitere Nachweise zur Entscheidungspraxis siehe Kinnear/Obadia/Gagain, in: Transparency, 2013, S. 107, 110. 116  Wagner/Bülau, SchiedsVZ 2013, 6, 13. 117  Wagner/Bülau, SchiedsVZ 2013 6, 7. 118 OLG Frankfurt, SchiedsVZ 2013, 49. Zu dieser Entscheidung ausführlich unten S. 107 ff.



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

37

(§ 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. d) ZPO). Zur Wahrung seiner verfahrensrechtlichen Flexibilität muss das Schiedsgericht deshalb stets deutlich machen, dass die getroffene Entscheidung auch bei Einbindung der Parteien auf seiner eigenen, originären Kompetenz zur Verfahrensleitung und -gestaltung beruht. Abschließend besteht zumindest in Australien auch das Risiko der Aufhebung einer schiedsgerichtlichen Vertraulichkeitsverfügung wegen Nichtberücksichtigung des öffentlichen Interesses. In der Sache Commonwealth of Australia v. Cockatoo Dockyard Pty. Ltd.119 entschied der Court of Appeal of New South Wales, dass eine schiedsrichterliche confidentiality order, die das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit an der Kenntnisnahme von Einzelheiten des betreffenden Schiedsverfahrens ignoriert, im Einzelfall wegen Zuständigkeitsüberschreitung der Aufhebung unterliegen kann.120 Zumindest im australischen Recht findet die Verfahrensleitungsbefugnis des Schiedsgerichts damit eine weitere Grenze in den berechtigten Interessen verfahrensfremder Dritter, die bei der Entscheidung über Anordnungen betreffend die Vertraulichkeit des Verfahrens zu berücksichtigen sind.

b.  Einstweilige Maßnahmen des staatlichen Gerichts Ist das Schiedsgericht nach dem Gesagten somit regelmäßig befugt, von Amts wegen Maßnahmen zur Sicherstellung der Vertraulichkeit des Verfahrens zu treffen, so sind gleichwohl Situationen denkbar, in denen ein Bedürfnis nach ergänzendem staatlichem (Eil-)Rechtsschutz bestehen kann. Das kann in der Praxis insbesondere der Fall sein, wenn sich das Schiedsgericht zu Beginn des Schiedsverfahrens noch nicht konstituiert hat und demgemäß noch nicht in der Lage ist, selbständig Sicherungsmaßnahmen zu treffen. Auch nach Beendigung des Schiedsverfahrens ist eine Inanspruchnahme staatlichen Rechtsschutzes denkbar, weil die Zuständigkeit des Schiedsgericht vorbehaltlich abweichender Parteivereinbarungen regelmäßig mit Abschluss des Verfahrens endet (functus officio)121, während für die Parteien die Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens auch nach dessen Abschluss von Bedeutung bleiben kann.122 In diesen Fällen kann eine Partei vor staatlichen Gerichten den Erlass einstweiliger Maßnahmen zum Schutze der Vertraulichkeit des Verfahrens beantragen. Die Kompetenz staatlicher Gerichte zum Erlass einstweiliger Maßnahmen in Bezug 119 

(1995) 36 NSWLR 662. Zu dieser Entscheidung ausführlich unten S. 87 ff. Eine Überschreitung der Zuständigkeit kann beispielsweise darin liegen, dass die confidentiality order unterschiedslos auch solche Dokumente für vertraulich erklärt, die auf der Grundlage von Informationsfreiheitsgesetzen herauszugeben oder auf Anforderung staatlichen Behörden vorzulegen wären. 121  Derains/Schwartz, Guide to the ICC Rules, 2. Aufl. 2005, S. 286. 122  Siehe nur Hwang/Chung, 26 Journal of International Arbitration 609, 621 (2009). Ausführlich zur zeitlichen Reichweite der Vertraulichkeitspflicht unten S. 89 ff. 120 

38

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

auf ein anhängiges Schiedsverfahren folgt im Geltungsbereich des 10. Buchs der ZPO aus § 1033 ZPO. Die meisten Schiedsordnungen, so auch § 20.2 DISSchO, enthalten vergleichbare Regelungen.123 Da auch Schiedsgerichte gemäß § 1041 ZPO (und § 20.1 DIS-SchO) einstweilige Maßnahmen erlassen können, führt dies zu einem Nebeneinander von staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit, was im Interesse eines umfassenden und effektiven Rechtsschutzes für die Parteien jedoch der gesetzgeberischen Absicht entspricht.124 Das staatliche Gericht darf dabei aber, wie auch das Schiedsgericht im Rahmen des § 1041 ZPO, nur auf Antrag einer Partei, niemals von Amts wegen tätig werden. In der Sache ist anerkannt, dass im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes auch vorbeugende Unterlassungsverfügungen, beispielsweise die Unterlassung der Bekanntgabe der Einleitung eines Schiedsverfahrens oder der Weitergabe sonstiger Verfahrensinformationen, durchgesetzt werden können. Grundsätzlich können die Schiedsparteien damit ihre berechtigten Vertraulichkeitsinteressen auch unter Zuhilfenahme der staatlichen Gerichte durchsetzen. Zu beachten ist allerdings, dass einstweilige Maßnahmen nur dann Aussicht auf Erfolg haben können, wenn der Antragsteller neben einem Verfügungsanspruch, etwa auf Grundlage einer zwischen den Parteien bestehenden Vertraulichkeitsvereinbarung, auch eine besondere Eilbedürftigkeit als Verfügungsgrund glaubhaft machen kann. Letzteres setzt jedoch tatsächliche Anhaltspunkte für eine unmittelbar bevorstehende Vertraulichkeitsverletzung voraus, an deren Vorliegen die Rechtsprechung besonders bei vorbeugenden Unterlassungsverfügungen wegen des damit verbundenen erheblichen Rechtseingriffs strenge Anforderungen stellt.125 Dieser Nachweis wird durch den Antragsteller in der Praxis wohl nur dann zu erbringen sein, wenn bestimmte objektive Tatsachen, z. B. vorangegangene Auseinandersetzungen zwischen den Parteien über die Frage der Vertraulichkeit, die Vermutung rechtfertigen, dass die andere Partei (oder ein sonstiger Verfahrensbeteiligter) in nächster Zukunft einen solchen Verstoß begehen wird. Fehlt es – wie häufig – an solchen Anhaltspunkten, wird der Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen in der Regel keinen Erfolg haben. Gegen unvermittelte, nicht absehbare Verletzungen der Vertraulichkeit bleibt damit in der Regel nur die Möglichkeit der Inanspruchnahme nachträglichen Rechtsschutzes, so vor allem in Form von Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzsprüchen.126

123  Zur Vereinbarkeit mit dem NYÜ Baldwin, 31 Texas International Law Journal 451, 461 f. (1996). 124  Voit, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 1033, Rn. 1. 125  Drescher, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2012, § 935, Rn. 17. 126  Dazu ausführlich unten S. 109 ff.



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

39

5.  Vertraulichkeit aufgrund gesetzlicher Regelungen Berücksichtigt man, dass nach allgemeiner Auffassung die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens maßgeblich zu dessen Attraktivität gegenüber der staatlichen Gerichtsbarkeit beiträgt, so erstaunt es auf den ersten Blick, dass diese Vertraulichkeit weder in Deutschland (a.) noch in den meisten anderen Ländern (b.) gesetzlich gewährleistet wird.

a.  Die Rechtslage in Deutschland In Deutschland bestehen weder auf unions- (aa.) noch auf verfassungsrechtlicher (bb.) Grundlage Regelungen zur Sicherstellung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens. Auch auf völkerrechtlicher (cc.) und einfachgesetzlicher (dd.) Ebene fehlen entsprechende Bestimmungen.

aa. Unionsrecht Das Unionsrecht enthält – bei aller gegenwärtigen Regelungsdichte – weder Vorschriften über das Schiedsverfahren im Allgemeinen noch über dessen konkrete Ausgestaltung, obgleich die Schiedsgerichtsbarkeit im innereuropäischen Wirtschaftsverkehr eine erhebliche und weiterhin zunehmende Bedeutung besitzt und zudem eine Reihe bedeutender Schiedsinstitutionen, zuvorderst die ICC in Paris, ihren Sitz innerhalb der Europäischen Union haben.127 Unionsrechtliche Verfahrensvorschriften zum grenzüberschreitenden Rechtsverkehr wie die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 („Brüssel I“) oder die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 („Rom I“) sind auf Schiedsverfahren nicht anwendbar128, daran haben auch die jüngsten Reformen nichts geändert.129 Demgemäß bestehen auch zur Frage der Vertraulichkeit im Schiedsverfahren keine unionsrechtlichen Vorgaben.

127 

Raeschke-Kessler, SchiedsVZ 2003, 145, 146. Art. 1 Abs. 2 lit. d) VO (EG) Nr. 44/2001, nunmehr Art. 1 Abs. 2 lit. d) VO (EU) Nr. 1215/2012; Art. 1 Abs. 2 lit. e) VO (EG) Nr. 593/2008. 129  Die Brüssel I-VO schließt auch nach ihrer Neufassung (Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 vom 12. Dezember 2012, in Kraft seit dem 10. Januar 2015) die Schiedsgerichtsbarkeit von ihrem Anwendungsbereich aus (vgl. Erwägungsgrund 12 der Verordnung). Zu beachten ist aber, dass bestimmte unionsrechtliche Vorschriften zum materiellrechtlichen ordre public im Sinne des New Yorker Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958 gehören, so beispielsweise die Bestimmungen des Unionskartellrechts (Art. 101, 102 AEUV). Ignoriert ein Schiedsspruch diese inhaltlichen Vorgaben, muss er durch die Gerichte des betreffenden Mitgliedsstaats aufgehoben werden, siehe hierzu die Entscheidung Eco Swiss/Benetton des Europäischen Gerichtshofs (Rs. C-126/97, abgedruckt in GRUR Int. 1999, 737). 128  Vgl.

40

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

bb.  Deutsches Verfassungsrecht Das Grundgesetz schweigt zum Schiedsverfahren insoweit, als sich dem Verfassungstext keine unmittelbaren Erkenntnisse für dessen inhaltliche und verfahrenstechnische Durchführung entnehmen lassen. Unstreitig ist allein, dass Art. 92 GG kein staatliches Rechtsprechungsmonopol begründet.130 Es wäre gleichwohl falsch anzunehmen, das Schiedsverfahren sei deshalb von jeglichen verfassungsrechtlichen Bindungen frei. Auch im Schiedsverfahren – dies gilt für inländische wie für ausländische Verfahren gleichermaßen – müssen bestimmte verfahrensrechtliche Mindeststandards eingehalten werden, damit dessen Ergebnis in Form des Schiedsspruchs von den deutschen staatlichen Behörden als rechtsverbindlich anerkannt und – erforderlichenfalls – vollstreckt werden kann. Diese Anbindung des Schiedsverfahrens an verfassungsrechtlich anerkannte prozessuale Mindeststandards erfolgt mithilfe des Justizgewähranspruchs.131 Der Justizgewähranspruch wird aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip sowie aus Art. 6 Abs. 1 EMRK abgeleitet.132 Danach sind insbesondere das Recht auf rechtliches Gehör und die Gleichbehandlung der Schiedsparteien zu gewährleisten, die sich zudem in jeder Lage des Verfahrens durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen dürfen.133 § 1042 Abs. 1, 2 ZPO bestätigt die Geltung dieser verfassungsrechtlichen Verbürgungen im Rahmen des Schiedsverfahren nochmals ausdrücklich. Ein verfassungsrechtlicher Schutz der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens existiert nach dem Gesagten hingegen nicht und kann vor dem Hintergrund, dass der Justizgewähranspruch in funktionaler Hinsicht lediglich verfahrensrechtliche Mindeststandards staatlicher Gerichtsverfahren in das private Schiedsverfahren transponiert, auch nicht existieren. Denn die vertrauliche Verfahrensdurchführung ist allein dem Schiedsverfahren, nicht hingegen dem staatlichen Gerichtsverfahren, für welches der Grundsatz der Verfahrensöffentlichkeit (§ 169 GVG) gilt, eigen. Insgesamt gewährleistet das Grundgesetz somit allein die Einhaltung grundlegender allgemeiner Verfahrensvorschriften, und verhält sich im Übrigen 130  Schütze, ZVglRWiss 2011, 89, 91; Geimer, in: Integritätsprobleme, 1994, S. 113, 118; Aden, DZWiR 2012, 360, 361. Zum Ganzen Distler, Private Schiedsgerichtsbarkeit und Verfassung, 2000. 131 Vgl. Steinbrück, Unterstützung, 2009, S. 48 f. Pfeiffer, Zuständigkeit, 1994, S. 335, weist darauf hin, dass dieser Terminus semantisch ein autoritäres Staatsverständnis („Gewährung“) perpetuiert, dass nach heutigen staats- und gesellschaftspolitischen Maßstäben überholt ist und zieht vor diesem Hintergrund den Begriff „Justizanspruch“ vor. 132  Das Schiedsgericht ist nicht Teil der staatlichen Gewalt und deshalb unmittelbar weder an die Grundrechte noch an die sonstigen verfassungsrechtlichen Verbürgungen gebunden, Art. 19 Abs. 4 GG gilt nicht unmittelbar. Das Grundgesetz verpflichtet aber den Gesetzgeber, das Schiedsverfahren in rechtsstaatlicher Weise auszugestalten, vgl. Geimer, in: Integritätsprobleme, 1994, S. 113, 126 ff. 133  Diese Gewährleistungen gelten unabhängig davon, dass die Parteien durch die Schiedsvereinbarung wirksam auf ihren Justizgewähranspruch verzichtet haben, siehe BGH, NJW 1986, 3027, 3028 f.; Steinbrück, Unterstützung, 2009, S. 49 m. w. N.



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

41

in der Frage der konkreten inhaltlichen Ausgestaltung des Schiedsverfahrens neutral. Auch aus den Bestimmungen des Grundgesetzes lässt sich mithin ein besonderer Vertraulichkeitsschutz im Schiedsverfahren nicht ableiten.

cc.  Sonstiges Völkerrecht Außerhalb des Unionsrechts kann vor allem die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) Bedeutung für das Schiedsverfahren entfalten.134 Art. 6 Abs. 1 EMRK formuliert einen Kern von Verfahrensgarantien, zu denen unter anderem das Recht auf ein faires Verfahren gehört. Diese Vorschrift steht der vertraulichen Durchführung des Schiedsverfahrens – unabhängig von der Frage ob man ihre Anwendbarkeit auf Schiedsgerichte bejaht135 – jedoch nicht entgegen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits im Jahre 1999 in der Rechtssache Suovaniemi and others v. Finland entschieden, dass die Entscheidung der Parteien für ein nichtöffentliches Schiedsverfahren im Lichte der Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht zu beanstanden sei, zumal auch im staatlichen Gerichtsverfahren der Öffentlichkeitsgrundsatz nicht unumschränkt gelte.136 Zwar trifft Suovaniemi nur eine Aussage zur Nichtöffentlichkeit, nicht hingegen zur Vertraulichkeit des Verfahrens. Im Wege des ErstRecht-Schlusses ließe sich jedoch argumentieren, dass, wenn schon die allgemein anerkannte Nichtöffentlichkeit des Schiedsverfahrens mit Blick auf Art. 6 Abs. 1 EMR unbedenklich sein soll, dies erst recht für das deutlich umstrittenere und weniger konturierte Konzept der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens gelten muss. Art. 6 Abs. 1 EMRK steht damit im Ergebnis dem Schiedsverfahren und insbesondere dessen grundsätzlich vertraulicher Ausgestaltung, wie auch das Unionsrecht und das Grundgesetz, neutral gegenüber. Auch im Übrigen sind weder völkerrechtliche Verträge noch völkerrechtliches Gewohnheitsrecht ersichtlich, die die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens vorschreiben würden.

dd.  Einfaches Gesetzesrecht Das deutsche Schiedsverfahrensrecht wurde mit Wirkung zum 1. Januar 1998 grundlegend überarbeitet.137 Ziel dieser Reform war es, durch die Schaffung 134 Hierzu

Steinbrück, Unterstützung, 2009, S. 54 ff. Zum Meinungsstand Haas, SchiedsVZ 2009, 73, 75 f. 136  EGMR, Beschl. v. 23. 2. 1999, Az.: 31737/96. Siehe hierzu auch die Entscheidungen Deweer v. Belgium, EGMRE 1, 463, 473 f. und Nordström-Janzon and Nordstöm-Lehtinen v. Netherlands (Az. Nr. 28101/95) sowie die Besprechung dieser Entscheidungen bei Heermann, SchiedsVZ 2014, 66, 67 ff. Näher zum Ganzen Kaufmann-Kohler/Schultz, Online Dispute Resolution, 2004, S. 205 f.; Tweeddale, 21 Arbitration International 59, 67 f. (2005). 137  Gesetz zur Neuregelung des Schiedsverfahrensrecht (Schiedsverfahrens-Neuregelungsgesetz – SchiedsVfG) vom 30. Dezember 1997, BGBl. I 1997, S. 3224. Für einen Überblick zum Gesetzgebungsverfahren vgl. Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, Vorb §§ 1025 ff., Rn. 150 ff. 135 

42

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

eines modernen und international wettbewerbsfähigen Schiedsverfahrensrechts den Schiedsstandort Deutschland zu stärken.138 Das neu gefasste 10. Buch der ZPO gilt für alle Schiedsverfahren, deren Schiedsort in Deutschland liegt (§ 1025 Abs. 1 ZPO).139 Inhaltlich hat sich der deutsche Gesetzgeber bei der Novellierung weitgehend an den Bestimmungen des UNCITRAL Model Arbitration Law von 1985 orientiert, einem von der UNCITRAL entwickelten Modellgesetz, welches die internationale Rechtsvereinheitlichung im Bereich des Schiedsverfahrensrechts vorantreiben will.140 Die Rechtsprechung zieht konsequenterweise das Modellgesetz sowie die Auslegungsempfehlungen der UNCITRAL auch bei der Auslegung der Regelungen des 10. Buchs der ZPO als Interpretationshilfe heran.141 Das UNCITRAL Model Law regelt die Frage der Vertraulichkeit im Schiedsverfahren seinerseits nicht. Die mit der Erarbeitung des Modellgesetzes betraute UNCITRAL-Arbeitsgruppe hatte im Zuge der Entwurfsberatungen die Aufnahme entsprechender Schutzbestimmungen zunächst erwogen, hiervon im weiteren Verlauf der Verhandlungen jedoch wieder Abstand genommen. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe hielten dies angesichts der zu erwartenden Schwierigkeiten bei der Formulierung einer allgemeintauglichen Definition für nicht praktikabel. Die Arbeitsgruppe äußerte sich in diesem Zusammenhang auch zu der Frage einer möglichen Veröffentlichung von Schiedssprüchen. Im Ergebnis nahm man von der Aufnahme einer entsprechenden Bestimmung mit der Begründung Abstand, dies müsse den Parteien bzw. den von diesen gewählten institutionellen Schiedsordnungen überlassen bleiben. So heißt es in einer Erklärung der Arbeitsgruppe: “It may be doubted whether the Model Law should deal with the question whether an award may be published. Although it is controversial since there are good reasons for and against such publication, the decision may be left to the parties or the arbitration rules chosen by them. If, nevertheless, a provision were to be included, probably an acceptable compromise could be that the award may be made public only with the express consent of the parties.”142

138  Vgl. den Regierungsentwurf zum SchiedsVfG vom 22. März 1996 (Reg-E SchiedsVfG, BT-Drs. 13/5274, S. 1, 22 ff. 139  Einzelne Vorschriften des 10. Buchs finden darüber hinaus auch auf Schiedsverfahren mit ausländischem oder unbestimmtem Schiedsort Anwendung (vgl. § 1025 Abs. 2 ZPO). 140 Neben der Bundesrepublik Deutschland haben unter anderem auch Kanada, Australien, Russland, Schweden, Hongkong, Mexiko, Ägypten, Bulgarien, Ukraine, Schottland, Peru, Nigeria, Tunesien und Bermuda das UNCITRAL Model Law zur Grundlage ihrer nationalen Schiedsverfahrensregelungen gemacht. Hingegen hat eine beachtliche Anzahl von Staaten unabhängig vom Model Law eigene Schiedsverfahrensgesetze entwickelt, so unter anderem der überwiegende Teil der US-amerikanischen Bundesstaaten, England und Belgien, vgl. die Ländernachweise bei Schütze, Rechtsverfolgung, 2009, Rn. 512. 141  Vgl. BGH, NJW-RR 2011, 570 f. 142  UNCITRAL Secretariat Note A/CN.9/207 vom 14. Mai 1981, abgedruckt in Holtzmann/Neuhaus, UNCITRAL Model Law, 1994, S. 846.



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

43

Die weitgehende Übernahme der Bestimmungen des Modellgesetzes hatte zur Folge, dass auch das neue 10. Buch der ZPO die Vertraulichkeitsfrage nicht regelt.143 Die Gewährleistung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens gehört nicht zum nach § 1042 ZPO geschützten und der Parteidisposition entzogenen Kernbestand von Verfahrensregeln. Auch im Weiteren enthalten die Verfahrensvorschriften der §§ 1042–1050 ZPO, die dem V. Kapitel des Modellgesetzes praktisch wörtlich entnommen wurden144, keinen Hinweis auf die Vertraulichkeit des Verfahrens. In der zugehörigen Kommentarliteratur wird allenfalls darauf hingewiesen, dass die Vorschriften der §§ 169 ff. GVG über die Gerichtsöffentlichkeit auf das Schiedsverfahren keine Anwendung finden.145 Dies ist mit Blick auf § 3 Abs. 1 EGZPO, der den Anwendungsbereich des Gesetzes ausdrücklich auf die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten der ordentlichen Gerichtsbarkeit beschränkt, zwar zutreffend, führt aber hinsichtlich der Frage nach dem Bestehen von gesetzlichen Mechanismen zum Schutz der Vertraulichkeit des Verfahren zu keinem anderen Ergebnis. Denn §§ 169 ff. GVG betreffen allein die Öffentlichkeit bzw. Nichtöffentlichkeit des Verfahrens, nicht aber dessen Vertraulichkeit. Wie bereits eingangs gezeigt stellen Nichtöffentlichkeit und Vertraulichkeit jedoch getrennte und zu unterscheidende Konzepte dar. Ein gesetzlicher Vertraulichkeitsschutz auf Grundlage der ZPO existiert in Deutschland de lege lata nicht und ist vor dem Hintergrund der geringen Präsenz dieses Themas im deutschen rechtspolitischen und rechtswissenschaftlichen Diskurs in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten.146 Als Reaktion hierauf haben verschiedene Autoren sowohl die Bedeutung individualvertraglicher Vertraulichkeitsregelungen als auch die Möglichkeit der Wahl einer institutionellen Schiedsordnung mit entsprechenden Schutzregelungen durch die Schiedsparteien hervorgehoben.147 143  Risse/Oehm, ZVglRWiss 114 (2015) 407, 415; Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 101; Bredow, BB 1998, Beilage Nr. 2, S. 2; Weigand, WiB 1997, 1273 ff.; Mahlich, NJW 1998, 563, 566. 144  Reg-E SchiedsVfG, S. 46. 145  Voit, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 1042, Rn. 31. 146 Dagegen sieht § 1 Abs. 1 MediationsG ausdrücklich die Vertraulichkeit des Mediationsverfahrens vor. In der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/5335, S. 13) heißt es dazu: „Die Vertraulichkeit ist für den Erfolg einer Mediation entscheidend. Denn nur so können die Parteien ihre regelungsbedürftigen Interessen und die hierfür wesentlichen Informationen offen mitteilen. In dem vertraulichen Rahmen der Mediation können die Parteien zu gemeinsamen Überzeugungen gelangen, die Grundlage einer von allen Seiten als gerecht empfundenen Lösung sind.“ Diese ausführliche Begründung der Notwendigkeit einer Vertraulichkeitspflicht im Mediationsverfahren könnte im Umkehrschluss auch als bewusster Verzicht auf eine Vertraulichkeitspflicht im Schiedsverfahren interpretiert werden, so wohl auch Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 104 f. 147  Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1; Dimolitsa, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 5; Sikiric, 13 Croatian Arbitration Yearbook 131, 162 (2006); Lew/ Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, 2003, S. 177; Denoix de Saint Marc, 20 Journal of International Arbitration 211, 213 (2003).

44

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

b.  Überblick zur Rechtslage in anderen Staaten In denjenigen Ländern, in denen die Aufnahme von Bestimmungen zur Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens in die nationalen Schiedsgesetze in den letzten Jahren erwogen worden ist, hat man hiervon in der Folge wegen der befürchteten Umsetzungsschwierigkeiten überwiegend wieder Abstand genommen.148 Gesetzliche Regelungen sind demgemäß nur in wenigen Staaten, so vor allem in England (aa.), Neuseeland (bb.), Spanien (cc.), Rumänien (dd.), Hongkong (ee.), Schottland (ff.) und Norwegen (gg.) zu finden. Hinsichtlich der sachlichen und persönlichen Reichweite des Vertraulichkeitsschutzes bestehen teilweise erhebliche Unterschiede.

aa.  Die Rechtslage in England Im Zuge der Beratungen über die Reform des englischen Arbitration Act im Jahre 1996 erwog das Departmental Advisory Committee on Arbitration (DAC), ein im Auftrag des Parlaments tätiges Expertengremium, welches mit der Erstellung eines entsprechenden Gesetzentwurfs beauftragt war, seinerzeit zunächst, den Schutz der Vertraulichkeit im Schiedsverfahren ausdrücklich gesetzlich zu regeln. Im Ergebnis wurde dieses Thema jedoch im allseitigen Einvernehmen bewusst aus dem Gesetzentwurf ausgeklammert. In seinem Abschlussbericht nahm das Komitee zu den Gründen für diese Entscheidung Stellung.149 Obgleich der Grundsatz der vertraulichen Durchführung des Schiedsverfahrens in England allgemein anerkannt sei, könne gleichzeitig in Ansehung der englischen und internationalen Rechtsprechung kein Zweifel daran bestehen, dass dieser Grundsatz durch vielfältige Ausnahmen relativiert werde. Hier sei vor allem zu berücksichtigen, dass die Schiedsparteien regelmäßig einer Reihe von gesetzlichen und vertraglichen Offenlegungspflichten unterlägen. Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der Schwierigkeit, Verstöße gegen den Vertraulichkeitsgrundsatz angemessen zu sanktionieren, sei eine gesetzliche Regelung nicht sinnvoll. Im Einzelnen: “Given these exceptions and qualifications, the formulation of any statutory principles would be likely to create new impediments to the practice of English arbitration and, in particular, to add to English litigation on the issue. Far from solving a difficulty, the DAC was firmly of the view that it would create new ones. Indeed, even if acceptable statutory guidelines could be formulated, there would remain the difficulty of fixing and enforcing sanctions for non-compliance.”150 148  Hwang/Chung, 26 Journal of International Arbitration, 609, 610 (2009); Trakman, 18 Arbitration International 1, 7 f. (2002). 149  Der Bericht ist abgedruckt in 13 Arbitration International 275 (1997). 150  13 Arbitration International 275, 279 (1997); hierzu Kouris, 22 Journal of International Arbitration 127, 132 (2005); Trakman, 18 Arbitration International 1, 8 (2002).



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

45

Aus diesen Gründen sei es vorzugswürdig, Fragen der Vertraulichkeit durch die Wahl geeigneter Schiedsordnungen zu klären bzw. auf Einzelfallbasis durch die Gerichte entscheiden zu lassen: “Where desirable, institutional rules can stipulate for these general principles, even where the arbitration agreement is not governed by English law. As to English law itself, whilst the breadth and existence of certain exceptions remains disputed, these can be resolved by the English courts on a pragmatic case-by-case basis.”151

Der englische Gesetzgeber ist dieser Empfehlung mit der Verabschiedung des neuen Arbitration Act gefolgt.152 Fragen zur Existenz und Reichweite der Vertraulichkeit im Schiedsverfahren sind in England Gegenstand eines mittlerweile umfangreichen case law geworden, dessen wesentliche Erkenntnisse und Erfahrungen seinerseits in die Gesetzgebungen anderer Staaten eingeflossen sind.

bb.  Die Rechtslage in Neuseeland Zu den wenigen Ländern, deren Schiedsgesetze explizite Regelungen zur Sicherstellung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens enthalten, gehört Neuseeland.153 Der neuseeländische Arbitration Act 1996154 gilt gemäß Art. 6 Abs. 1 für alle Schiedsverfahren, deren Schiedsort in Neuseeland liegt und basiert inhaltlich auf dem UNCITRAL Model Law von 1985. Gleichwohl geht das Gesetz an verschiedenen Punkten über die Regelungsvorschläge des Modellgesetzes hinaus. In der ursprünglichen Fassung sah Art. 14 B des Arbitration Act 1996 eine umfassende Verpflichtung der Schiedsparteien zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens bei gleichzeitig eng begrenzten Ausnahmetatbeständen vor. Als „vertrauliche Information“ im Sinne der Bestimmung galten neben dem Schiedsspruch selbst auch Schriftsätze, Verfahrensdokumente, Beweismittel und Korrespondenzunterlagen (Art. 2 Abs. 1). Art. 14 B des Arbitration Act 1996 wurde jedoch schon bald nach seinem Inkrafttreten für verfehlt, da zu eng, gehalten. Vor dem Hintergrund der teilweise kontroversen internationalen Rechtsprechung zum Inhalt und zur Reichweite des Vertraulichkeitsgrundsatzes im Schiedsverfahren beauftragte das neuseeländische Parlament die Law Commission, ein juristisches Expertengremium,

151 

13 Arbitration International 275, 279 (1997). Act 1996 (of England), 1996 Chapter 23, vom 17. Juni 1996, in Kraft getreten am 31. Januar 1997. 153 Hierzu Ritz, 27 Journal of International Arbitration 221, 228 (2010); Hwang/Chung, 26 Journal of International Arbitration 609, 631 ff. (2009); Sikiric, 13 Croatian Arbitration Yearbook 131, 144 f. (2006); Tweeddale, 21 Arbitration International 59, 61 f. (2005); Müller, 23 ASA Bulletin 216, 217 (2005). 154 Arbitration Act 1996, 1996/No. 99, vom 2. September 1996, in Kraft getreten am 1. Juli 1997. 152  Arbitration

46

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

mit der Erarbeitung eines Reformvorschlags. Der Abschlussbericht der Law Commission im Februar 2003 beurteilte die ursprüngliche Regelung in Art. 14 B des Arbitration Act 1996 insgesamt kritisch: “Section 14, however, arguably contains flaws: First, the exceptions to the implied term seem insufficiently wide to deal with many everyday situations where disclosure may be necessary. In England, for example, cases have recognised exceptions to their common law rule, which may not be permitted under section 14. Second, it is arguable that no statutory implied term can ever set out exhaustively all of the exceptions that may arise; these need to be determined on a case-by-case basis.”155

Die Law Commission schlug deshalb eine Erweiterung des nach ihrer Auffassung zu engen Ausnahmenkatalogs vor, wobei sie einerseits Wert darauf legte, den hierzu bereits entwickelten Maßstäben der internationalen – insbesondere der englischen und der australischen – Rechtsprechung Rechnung zu tragen, andererseits aber auch eine ausreichende inhaltliche Flexibilität der Regelungen zu gewährleisten. Im Ergebnis führte dies zur Einführung umfangreicher Ausnahmetatbestände (Art. 14 C). Besondere Publizitätspflichten im Interesse der Normbildung enthält Art. 14 C Arbitration Act 1996 allerdings nicht. Daneben sah der Vorschlag der Law Commission ein gerichtliches Verfahren zur Durchsetzung des Vertraulichkeitsgebots vor (Art. 14 D-14 I). Der neuseeländische Gesetzgeber setzte die Empfehlungen der Law Commission im Jahre 2007 um.156 Die Entwicklung des neuseeländischen Schiedsverfahrensrechts hat die Befürchtungen der DAC und des englischen Gesetzgebers in mehrfacher Hinsicht bestätigt. In der gerichtlichen Praxis haben sich die Regelungen überwiegend als zu starr und wenig praktikabel erwiesen. Ebensowenig ist ersichtlich, dass die gesetzgeberischen Aktivitäten der vergangenen Jahre zur Steigerung der allgemeinen Attraktivität des Schiedsstandorts Neuseeland beigetragen hätten.

cc.  Die Rechtslage in Spanien Das reformierte spanische Schiedsverfahrensgesetz von 2003157 enthält in Art. 24 Abs. 2 eine Bestimmung, wonach das Schiedsgericht, die Parteien und die Schiedsinstitution jeweils zur Wahrung der Verschwiegenheit hinsichtlich

155 Law

Commission, Report 83 (Februar 2003), Improving the Arbitration Act 1996, Rn. 5, abrufbar unter http://www.lawcom.govt.nz/sites/default/files/publications/2003/02/ Publication_88_210_R83.pdf. 156  Arbitration Amendment Act 2007, 2007/No. 94, vom 17. Oktober 2007, in Kraft getreten am 18. Oktober 2007. 157  Ley de Arbitraje (60/2003) vom 23. Dezember 2003, in Kraft getreten am 26. März 2004. Für Einzelheiten siehe Fröhlingsdorf, SchiedsVZ 2011, 174; Helbing, SchiedsVZ 2004, 148.



II.  Rechtliche Grundlagen einer Vertraulichkeitspflicht

47

des Schiedsverfahrens verpflichtet werden.158 Die Vertraulichkeitspflicht besteht ausdrücklich auch über das Ende des Schiedsverfahrens hinaus fort.159

dd.  Die Rechtslage in Rumänien Seit der Reform des rumänischen Zivilprozessrechts im Jahre 2013 verpflichtet Art. 353 (c) der Zivilprozessordnung (Codul de procedura civila) Schiedsrichter ausdrücklich zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens. Die Schiedsparteien und die übrigen Verfahrensbeteiligten sind hingegen nicht zur Vertraulichkeit verpflichtet.160

ee.  Die Rechtslage in Hongkong § 18 Abs. 1 der Hongkong Arbitration Ordinance vom 1. Juni 2011161 verpflichtet die Parteien des Schiedsverfahrens zur Verschwiegenheit sowohl hinsichtlich der Einzelheiten des Verfahrens wie auch hinsichtlich des Schiedsspruchs, lässt aber eine Reihe anerkannter Ausnahmen zu. So bleibt die Offenlegung des Schiedsspruchs unter anderem bei Verfolgung legitimer Interessen einer Partei und im staatlichen Vollstreckbarerklärungsverfahren zulässig (§ 18 Abs. 2 Hongkong Arbitration Ordinance). Ergänzend sind auch dem Schiedsverfahren nachfolgende Aufhebungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren vor den staatlichen Gerichten von Hongkong vertraulich (§§ 16, 17 Hongkong Arbitration Ordinance).

ff.  Die Rechtslage in Schottland Im schottischen Recht gilt mit Blick auf Schiedsverfahren eine umfassende Vertraulichkeitspflicht. Rule 26 des im Juni 2010 in Kraft getretenen schottischen Arbitration Act162 verpflichtet die Parteien und das Schiedsgericht zur Verschwiegenheit hinsichtlich sämtlicher Informationen mit Bezug zum Schiedsverfahren, lässt aber – in Anlehnung an die Rechtsprechung der englischen Gerichte – eine Reihe von Ausnahmen zu. Danach ist die Offenlegung von Verfahrensinformationen oder des Schiedsspruchs zulässig, wenn und soweit eine gesetzliche Offenlegungspflicht besteht oder die Offenlegung den legitimen 158  Zur Anwendung der neuen Vertraulichkeitsbestimmungen in der Praxis siehe Hamilton/Maestre de Robles, 24 Mealey’s International Arbitration Report 18 (2009). 159  Hamilton/Maestre de Robles, 24 Mealey’s International Arbitration Report 18 (2009). 160 Art. 8 der Schiedsgerichtsordnung der Rumänischen Industrie- und Handelskammer i. d. F. vom 2. April 2013 verpflichtet dagegen auch die Parteien und die Institution selbst zur Wahrung der Vertraulichkeit. 161  Chapter 609, L. N. 38 of 2011, abrufbar unter www.legislation.gov.hk. 162  Arbitration (Scotland) Act 2010 (AA), abrufbar unter www.legislation.gov.uk.

48

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Interessen einer Partei, den Interessen der Justiz oder dem öffentlichen Interesse entspricht.

gg.  Die Rechtslage in Norwegen Das norwegische Schiedsverfahrensgesetz aus dem Jahre 2004 verfolgt dagegen einen umgekehrten Ansatz und stellt in Art. 5 Abs. 1 ausdrücklich fest, dass Schiedsverfahren in Norwegen von Gesetzes wegen keinen Vertraulichkeitsschutz genießen.163 Dies gilt auch für den Schiedsspruch, von dem gemäß Art. 36 Abs. 5 zu Archivzwecken überdies eine unterzeichnete Abschrift beim örtlich zuständigen Bezirksgericht zu hinterlegen ist.164 Legen die Parteien gleichwohl Wert auf die vertrauliche Durchführung des Schiedsverfahrens, müssen sie eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung treffen. In den Gesetzesmaterialien wird diese Regelung ausdrücklich damit begründet, dass der Zugang zu schiedsgerichtlichen Entscheidungen im Interesse der Allgemeinheit liege und den Prozess der Normbildung fördere.165

III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht Die wissenschaftliche Diskussion zu den rechtlichen Grundlagen einer schiedsverfahrensrechtlichen Vertraulichkeitspflicht findet ihre Fortsetzung in der Frage nach dem Inhalt und den Grenzen einer solchen Pflicht. Sind die Verfahrensbeteiligten im konkreten Einzelfall zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens verpflichtet, so bleibt gleichwohl fraglich, welchen konkreten Inhalt diese Verpflichtung mit Blick auf die einzelnen Abschnitte des Schiedsverfahrens und die zu schützenden Informationen besitzt (1.). Ähnliche Unsicherheiten bestehen hinsichtlich der zeitlichen Reichweite einer solchen Pflicht (2.).

1.  Inhalt der Vertraulichkeitspflicht Ob eine Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit bereits für die bloße Existenz des Schiedsverfahrens gilt (a.), ob sie Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Parteien umfasst (b.) und ob schließlich auch sonstige Verfahrensunterlagen (c.) und der Schiedsspruch selbst (d.) der Geheimhaltung unterliegen, wird in Rechtsprechung und Literatur teilweise kontrovers diskutiert. Auch nationale 163  Näher hierzu Karton, 28 Arbitration International 447, 450 (2012); Nisja, 11 International Arbitration Law Review 187 (2008); Ritz, Geheimhaltung, 2007, S. 17. 164  In der Praxis wird diese Vorschrift aber offenbar selten beachtet, vgl. Nisja, 11 International Arbitration Law Review 187, 188 (2008). 165 Vgl. Hobér/Foerster, SchiedsVZ 2007, 207, 211, dort Fn. 40.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

49

gesetzliche Vorschriften sowie institutionelle Schiedsordnungen enthalten insoweit nur selten umfassende Regelungen. Die rechtswissenschaftliche Debatte um den Inhalt und die Grenzen einer schiedsverfahrensrechtlichen Vertraulichkeitspflicht kann deshalb ungeachtet einzelner Ansätze zur Konkretisierung und Präzisierung der Pflichtenlage noch nicht als beendet angesehen werden.

a.  Existenz und Beteiligte des Schiedsverfahrens Fraglich ist zunächst, ob die bloße Existenz des Schiedsverfahrens und seiner Beteiligten ohne nähere Angaben zum Inhalt des Rechtsstreits bereits eine vertrauliche und damit geheimhaltungspflichtige Tatsache darstellt. Zu den Verfahrensbeteiligten zählen neben den Parteien insbesondere Schiedsrichter, Parteivertreter, Sachverständige und Zeugen.166 Die Parteien eines Schiedsverfahrens können aus verschiedenen Gründen ein Interesse an der Geheimhaltung von dessen Existenz besitzen, so vor allem mit Blick auf die Vermeidung negativer Publicity und damit verbundener allgemeiner wirtschaftlicher Nachteile oder zur Minimierung des Risikos weiterer Rechtsstreitigkeiten. Im Folgenden sollen zunächst mögliche gesetzliche Regelungen dieser Frage untersucht werden (aa.), bevor die Position der Rechtsprechung in dieser Frage analysiert wird (bb.). Abschließend geht dieser Abschnitt auf die beträchtlichen praktischen Schwierigkeiten ein, die mit dem Versuch einer Geheimhaltung der Existenz und der Beteiligten eines Schiedsverfahrens verbunden sind (cc.).

aa.  Positives Recht Gesetzliche Regelungen, die die Existenz eines Schiedsverfahrens ausdrücklich zur vertraulichen Information erklären, existieren nicht. Einige wenige nationale Schiedsgesetze enthalten eine allgemeine Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens167, im Übrigen fehlt es an einem gesetzlich verankerten Vertraulichkeitsschutz. Ähnliches gilt für den Bereich der institutionellen Schiedsordnungen.168 Ausdrückliche Regelungen zur Geheimhaltung der Existenz eines Schiedsverfahrens enthalten nur wenige Schiedsordnungen.169 Insbesondere bei Streitigkeiten über geistige Eigentumsrechte, z. B. über Patente oder Lizenzen, kann die Geheimhaltung der Existenz einer rechtlichen Auseinandersetzung von großer Bedeutung sein, dementsprechend enthält die WIPO-SchO in diesem Punkt umfassende Vorschriften zur Sicherung der Vertraulichkeit des 166 

Dazu sogleich unten S. 92 ff. Siehe oben S. 44 ff. 168  Vgl. die Übersicht oben S. 31 f. 169  Siehe aber beispielsweise § 43.1 DIS-SchO; Art. 75 WIPO-SchO; Art. 42.1 HKIACSchO; Art. 35.1 SIAC-SchO sowie die weiteren Nachweise bei Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 75. 167 

50

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Verfahrens.170 Eine Reihe weiterer Schiedsordnungen schützt lediglich in allgemeiner Form alle Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Schiedsverfahren (“all matters relating to the (arbitral) proceedings”). Insgesamt wird die Vertraulichkeit der Existenz des Schiedsverfahrens durch das positive Recht nur eingeschränkt gewährleistet.

bb.  Die Position der Rechtsprechung Entscheidungen staatlicher Gerichte zur Frage der Vertraulichkeit der Existenz eines Schiedsverfahrens sind bislang kaum öffentlich bekannt geworden.171 Dagegen haben zumindest im Bereich der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit einzelne Schiedsgerichte das Recht der Schiedsparteien, sich in allgemeiner Form in der Öffentlichkeit über ein Verfahren zu äußern, betont. Erstmals setzte sich im Jahre 1983 ein ICSID-Schiedsgericht mit der Frage nach der Zulässigkeit der Weitergabe von Verfahrensinformationen an die Öffentlichkeit auseinander. Im Verfahren Amco Asia Corp. et. al. v. Republic of Indonesia hatte die beklagte Republik Indonesien das Schiedsgericht ersucht, den Klägern im Wege einer einstweiligen Verfügung zu untersagen, öffentliche Stellungnahmen zum Verfahrensstand und zu ihrer Rechtsauffassung abzugeben. Dieses Verhalten widerspreche dem “spirit of confidentiality” des internationalen Schiedsverfahrens. Das Schiedsgericht lehnte den Antrag der Beklagten ab und führte in diesem Zusammenhang aus: “Finally, as to the “spirit of confidentiality” of the arbitral procedure, it is right to say that the Convention and the Rules do not prevent the parties from revealing their case […].”172

Im Ergebnis sah das Schiedsgericht die inkriminierten Stellungnahmen der Kläger weder als rechts- noch als treuwidrig an. Dieser Linie folgte einige Jahre später auch das Schiedsgericht im Verfahren Metalclad Corp. v. United Mexican States, in welchem die Klägerin Verstöße der Beklagten gegen die Bestimmungen des North American Free Trade Agreement (NAFTA) geltend machte. Dort hatte die Beklagte beim Schiedsgericht den Erlass einer confidentiality 170  Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, 5. Aufl. 2009, Rn. 2174; Karton, 28 Arbitration International 447, 469 (2012). Gleichwohl formuliert Art. 75 WIPO-SchO eine Reihe von teils weitreichenden Ausnahmen zum Vertraulichkeitsgrundsatz, so ist nach Art. 75 lit. b) die Offenlegung der Existenz des Schiedsverfahren auch dann zulässig, wenn dies nach Treu und Glauben oder aus Gründen der Aufrichtigkeit (candor) geboten ist. 171  Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 29 ff.; Sikiric, 13 Croation Arbitration Yearbook 131, 150 (2006); Brown, 16 American University International Law Review 969, 1001 ff. (2001). Für das schweizerische Recht vgl. Ritz, Geheimhaltung, 2007, S. 89 f. 172  Amco Asia Corp. et. al. v. Republic of Indonesia, ICSID Case No. ARB/81/1, Entscheidung vom 9. Dezember 1983, abgedruckt in 24 International Legal Materials 365, 368 (1985). Zu dieser Entscheidung auch Paulsson/Rawding, 11 Arbitration International 303, 307 f. (1995).



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

51

order mit der Begründung beantragt, öffentliche Stellungnahmen der Klägerin gefährdeten die Integrität des Verfahrens, unterminierten die Zuständigkeit des Schiedsgerichts und beeinträchtigten ihre subjektiven Rechte. Das Schiedsgericht lehnte auch diesen Antrag als unbegründet ab und begründete dies wie folgt: “There remains nonetheless a question as to whether there exists any general principle of confidentiality that would operate to prohibit public discussion of the arbitration proceed­ ings by either party. Neither the NAFTA nor the ICSID (Additional Facility) Rules contain any express restrictions on the freedom of the parties in this respect. Though it is frequently said that one of the reasons for recourse to arbitration is to avoid publicity, unless the agreement between the parties incorporates such a limitation, each of them is still free to speak publicly of the arbitration. It may be observed that no such limitation is written into such major arbitral texts as the UNCITRAL Rules or the draft Articles on Arbitration adopted by the International Law Commission. Indeed, as has been pointed out by the Claimant in its comments, under United States securities laws, the Claimant, as a public company traded on a public stock exchange in the United States, is under a positive duty to provide certain information about its activities to its shareholders, especially regarding its involvement in a process the outcome of which could perhaps significantly affect its share value.”173

Diese Sichtweise wurde durch Schiedsgericht im Verfahren Loewen Group Inc. & Raymond L. Loewen v. United States of America bestätigt.174 Das Recht der Parteien, in allgemeiner Form Informationen über ein anhängiges Verfahren öffentlich zu machen, darf jedoch nicht die Durchführung des Verfahrens gefährden und soll insbesondere nicht zur Entstehung oder Vertiefung von Meinungsverschiedenheiten führen. Diese Position ist durch das Schiedsgericht im Verfahren Biwater Gauff (Tanzania) Ltd. v. United Republic of Tanzania entwickelt worden. In einer procedural order führte das Schiedsgericht insoweit aus: “Subject to the restrictions on disclosure of specific documents set out below, neither party should be prevented from engaging in general discussion about the case in public, provided that any such public discussion is restricted to what is necessary (for example, pursuant to the Republic’s duty to provide the public with information concerning gov­ ernmental and public affairs), and is not used as an instrument to further antagonise the parties, exacerbate their differences, unduly pressure one of them, or render the resolution of the dispute potentially more difficult.”175

173  Metalclad Corp. v. United Mexican States, ICSID Case No. ARB/(AF)/97/1, Entscheidung vom 27. Oktober 1997, Rn. 9. 174  Loewen Group Inc. & Raymond L. Loewen v. United States of America, ICSID Case No. ARB/(AF)/98/3, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 5. Januar 2001, Rn. 26. Zu dieser Entscheidung auch Egonu, 24 Journal of International Arbitration 479, 485 f. (2007). 175  Biwater Gauff (Tanzania) Ltd. v. United Republic of Tanzania, ICSID Case No. ARB/05/22, Procedural Order No. 3 vom 29. September 2006, Rn. 149.

52

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Diese Rechtsauffassung teilte jüngst auch das Schiedsgericht in dem ICSIDSchiedsverfahren Abaclat and others v. The Argentine Republic.176 Zwar ist insoweit zu berücksichtigen, dass in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit aufgrund der Beteiligung von hoheitlichen Trägern öffentlicher Gewalt grundsätzlich ein höherer Transparenzmaßstab anzulegen ist.177 Dennoch besitzen die Ausführungen der vorgenannten Schiedsgerichte auch für die Handelsschiedsgerichtsbarkeit Relevanz. Das Beispiel der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zeigt, was auch in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit zunehmend offensichtlich wird: Zum einen besteht kein allgemeingültiges Prinzip, wonach die Existenz des Verfahrens per se vertraulich wäre, zum anderen hat die offenlegende Partei aber gleichwohl die Interessen der jeweils anderen Partei zu berücksichtigen und die Offenlegung der Existenz eines Schiedsverfahrens insbesondere nicht zum Zwecke der bewussten Schädigung des Prozessgegners durch eine einseitig verzerrte Darstellung des Sachverhalts zu nutzen.

cc.  Praktische Schwierigkeiten der Geheimhaltung der Existenz eines Schiedsverfahrens In Ansehung des positiven Rechts und der einschlägigen Rechtsprechung besteht nach dem Gesagten kein allgemeiner rechtlicher Grundsatz, wonach die Existenz des Verfahrens de jure eine geheimhaltungsbedürftige Tatsache darstellen würde, wenngleich die Grundsätze von Treu und Glauben ein Mindestmaß an Rücksichtnahme auf die Interessen und Belange des Prozessgegners verlangen. Unabhängig von diesen rechtlichen Erwägungen ist die Geheimhaltung eines Schiedsverfahrens ab einer gewissen Größenordnung aber auch praktisch kaum zu leisten. Dies gilt umso mehr, wenn an dem Verfahren ein Träger hoheitlicher Gewalt beteiligt ist.

(1)  Schiedsverfahren zwischen Privaten Die Geheimhaltung der Existenz eines Schiedsverfahrens ist bereits in tatsächlicher Hinsicht kaum möglich. Schiedsverfahren sind ab einer bestimmten Größenordnung in der Regel trotz aller Geheimhaltungsbemühungen im Markt bekannt, zumal wenn dieser überschaubar ist.178 Sind diese Informationen ein176  Abaclat and others v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/07/05, Procedural Order No. 3 (Confidentiality Order) vom 27. Januar 2010, Rn. 84 ff. Alle zitierten Entscheidungen sind abrufbar unter www.italaw.com. 177  Siehe nur Mistelis, 21 Arbitration International 211, 212 (2005). 178  Berger, in: Post Award Issues, 2012, S. 75, 89; Dimolitsa, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 5, 8; Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 245 (2008); Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1221 (2006); Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, 2003, S. 177; Gaillard/Savage, Fouchard, Gaillard, Goldman, 1999, Rn. 384.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

53

mal öffentlich geworden, genießen sie keinen Vertraulichkeitsschutz mehr. In der Praxis gelangen vertrauliche Informationen über anhängige Schiedsverfahren immer wieder an die Öffentlichkeit, häufig auch deshalb, weil mindestens eine Partei ein Eigeninteresse an der Öffentlichmachung besitzt.179 Ergänzend lässt sich die Existenz eines Schiedsverfahrens den bilanziellen Kennzahlen der betreffenden Unternehmen entnehmen, da aus bilanzrechtlichen Gründen regelmäßig entsprechende Rückstellungen zu bilden sind.180 In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass eine Reihe von Unternehmen anhängige Rechtsstreitigkeiten (einschließlich Schiedsverfahren) zur Information der Aktionäre und Gesellschafter in den Geschäftsbericht aufnehmen.181 So gab die E. ON Ruhrgas AG in der Vergangenheit öffentlich sowohl die Einleitung als auch den Abschluss eines Schiedsverfahrens gegen OAO Gazprom, mit welchem sie die Anpassung von Preisklauseln in langfristigen Gaslieferverträgen begehrte, bekannt.182 In ähnlicher Weise berichtete die RWE AG in ihrem Lagebericht für das erste Halbjahr 2013183 sowie in einer besonderen Pressemitteilung184 über den Abschluss eines Gaspreisanpassungs-Schiedsverfahrens gegen OAO Gazprom und teilte in diesem Zusammenhang auch Einzelheiten zum Streitgegenstand sowie zum Tenor des Schiedsspruchs mit. Auch auf Seiten des Schiedsgerichts und der Parteivertreter ist eine lückenlose Geheimhaltung aus praktischen Gründen in der Regel nicht möglich. Im Nominierungsverfahren treten Parteivertreter üblicherweise an mehrere Kandidaten heran, wobei regelmäßig Details zu den Schiedsparteien und zum Streitgegenstand weitergegeben werden.185 Die Kandidaten sind ihrerseits gehalten, 179  Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 28; Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 125; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 146; Jolivet, 22 Arbitration International 265, 269 (2006); Müller, 23 ASA Bulletin 216, 230 (2005); Brown, 16 American University International Law Review 969, 1012 ff. (2001); Paulsson/Rawding, 11 Arbitration International 303, 314 (1995). Beispielhaft sei auf den Bericht “Konflikt in Katar” im Handelsblatt (Nr. 125) vom 3. Juli 2013 verwiesen, in dessen Rahmen ausführlich und unter Nennung einer Vielzahl vertraulicher Details über ein ICC-Schiedsverfahren zwischen der Bilfinger SE und einem türkischen Subunternehmer sowie über die Entscheidung des Schiedsgerichts berichtet wird. Es liegt nahe, dass solche Informationen nur durch gezielte Indiskretionen der Verfahrensbeteiligten an die Öffentlichkeit gelangen konnten. 180  In Deutschland folgt diese Pflicht aus § 249 HGB; Prozessrisiken sind „ungewisse Verbindlichkeiten“ im Sinne von § 249 Abs. 1 S. 1 HGB. Vgl. im Übrigen Rogers, 54 University of Kansas Law Review 1301, 1328 (2006); Denoix de Saint Marc, 20 Journal of International Arbitration 211, 214 (2003). 181  Denoix de Saint Marc, 20 Journal of International Arbitration 211, 214 (2003). 182  Pressemitteilung der E. ON SE vom 3. Juli 2012, abrufbar unter www.eon.com. Vgl. auch die begleitende Presseberichterstattung, z. B. „Schiedsgericht entscheidet über Gasstreit zwischen Eon und Gazprom“, Handelsblatt Online vom 1. August 2011 (zuletzt abgerufen am 1. Dezember 2015). 183  Zwischenbericht der RWE AG vom 13. August 2013 über das erste Halbjahr 2013, abrufbar unter www.rwe.de. 184  Pressemitteilung der RWE AG vom 27. Juni 2013, abrufbar unter www.rwe.de. 185  Lotz, AnwBl 2002, 202, 207.

54

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

vor Übernahme des Schiedsrichtermandats zur Vermeidung von Interessenkonflikten interne conflict checks durchzuführen, wodurch diese Informationen weiter verbreitet werden.186 Eine absolute Vertraulichkeit kann unter Berücksichtigung dieser Belange deshalb nicht gewährleistet werden. Es kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass all diese potentiellen Verfahrensbeteiligten umfassend zur Verschwiegenheit hinsichtlich der ihnen auf diese Weise bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet sind. Im Gegenteil: Eine solche Offenlegung ist als best practice anerkannt und wird von einer Reihe von Schiedsinstitutionen auch im Rahmen ihrer internen Regelungen ausdrücklich verlangt.187 Ein Kandidat müsste demgemäß beispielsweise offenlegen, dass er bereits als Schiedsrichter in einem anderen Verfahren unter Beteiligung einer oder mehrerer der Parteien tätig ist. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, riskiert er bei einem späteren Bekanntwerden des Interessenkonflikts seine Abberufung wegen Befangenheit188 oder gar Schadensersatzansprüche seitens der Parteien.189 Auf Seiten der Parteivertreter kommt die Offenlegung der Existenz eines Schiedsverfahrens überdies im Rahmen von Mandats-Pitches in Betracht. Kanzleien verweisen in diesem Zusammenhang zum Nachweis ihrer besonderen Kompetenz regelmäßig auf ihren track record, um Kompetenz zu demonstrieren. Zwar werden diese Verweise regelmäßig anonymisiert, gleichwohl kann auch dort trotz fehlender Namensnennung die Identität der Parteien erkennbar sein.190 Eine absolute Vertraulichkeit ist vor diesem Hintergrund nicht zu erwarten. Selbst wenn dem so wäre, so bliebe immer noch fraglich, ob diese Verpflichtung in der Praxis auch tatsächlich beachtet wird. Neben diesen faktischen Hindernissen stehen der Geheimhaltung der Existenz eines Schiedsverfahrens auch rechtliche Gründe entgegen. Besonders börsennotierte Unternehmen unterliegen einer Reihe von gesetzlichen und vertraglichen Offenlegungspflichten, die das Postulat einer umfassenden Verfahrensvertraulichkeit häufig illusorisch machen. Gesetzliche Offenlegungspflichten entstehen in Deutschland vor allem im Rahmen des § 15 Abs. 1 S. 1 WpHG. Danach muss ein Inlandsemittent von Finanzinstrumenten Insiderinformationen, die ihn unmittelbar betreffen, unverzüglich veröffentlichen. Zu den 186  Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, 2003, S. 270; Lotz, AnwBl 2002, 202, 207; näher hierzu auch unten S. 97. 187  In der Schiedspraxis nehmen die IBA Guidelines on Conflicts of Interest in International Arbitration (2014) eine wichtige Funktion beim Umgang mit Interessenkonflikten ein. Auf der Ebene der Schiedsinstitutionen verlangt beispielsweise die ICC von Schiedsrichterkandidaten, vor Ernennung die Unterzeichnung eines „Statement of Acceptance, Availability and Independence“, in dessen Rahmen die Kandidaten umfassend Auskunft über mögliche Interessenkonflikte erteilen müssen. 188  Commonwealth Coatings Corp. v. Continental Casualty Co., 393 US 145 (1968). 189  Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, 2003, S. 271. 190  Eine Erkennbarkeit dürfte den betreffenden Kanzleien aus Gründen der Eigenwerbung nicht gänzlich unwillkommen sein, vgl. Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 126 f.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

55

veröffentlichungspflichtigen Informationen im Sinne dieser Vorschrift zählen auch Rechtsstreitigkeiten des betreffenden Unternehmens.191 In der Praxis wird die Einleitung von Schiedsverfahren regelmäßig als Ad-hoc-Mitteilung an den Kapitalmarkt bekanntgegeben.192 Weiterhin können Informationen zu Schiedsverfahren im Rahmen der sonstigen Auskunftspflichten der Gesellschaft (§ 51a GmbHG, § 118 HGB; § 131 AktG) an die Öffentlichkeit gelangen. Ergänzend bestehen unter Umständen interne Mitteilungspflichten gegenüber Konzernmuttergesellschaften oder gegenüber nationalen Aufsichtsbehörden.193 In den USA dienen die vorgenannten Informationsquellen teilweise bereits als empirische Grundlage für Studien zur internationalen Schiedsgerichtsbarkeit.194 Daneben kann die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens auch durch eine Befassung staatlicher Gerichte im Rahmen von Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren beeinträchtigt werden.195 Für eventuelle mündliche Verhandlungen verpflichtet § 169 GVG zur Zulassung der allgemeinen Öffentlichkeit. Ein Ausschluss der Öffentlichkeit zur Wahrung der Vertraulichkeitsinteressen der Schiedsparteien kommt in Ermangelung entsprechender gesetzlicher Ausnahmetatbestände regelmäßig nicht in Betracht.196 Allenfalls 191 

Zimmer, in: Kapitalmarktrechts-Kommentar, 3. Aufl. 2004, § 15 WpHG, Rn. 174; Azzali, in: Transparency, 2013, xxiii; Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 193; Hoffmann, Handelssachen, 2011, S. 79; Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 65; Oldenstam/Pachelbel, SchiedsVZ 2006, 31, 33; Tollkühn, ZIP 2004, 2215, 2216; Rogers, 54 University of Kansas Law Review 1301, 1328 (2006); Müller, 23 ASA Bulletin 216, 227 (2005); Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 628 (2004); Denoix de Saint Marc, 20 Journal of International Arbitration 211, 214 (2003); Brown, 16 American University International Law Review 969, 1003 (2001); Collins, 11 Arbitration International 321, 328 (1995); Smit, 11 Arbitration International 337, 339 (1995). Die Cour d’appel Paris stellte in der Entscheidung Bleustein et autres v. Société True North Inc. et Société FCB International (Revue de l‘arbitrage 2003, 189) folgerichtig fest, dass die Verpflichtung zur Beachtung gesetzlicher Veröffentlichungsvorschriften auch durch eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung der Schiedsparteien zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens nicht beeinträchtigt werden kann. Näher zu dieser Entscheidung Noussia, Confidentiality, 2010, S. 64. 192  Beispielhaft sei verwiesen auf eine Ad-Hoc-Mitteilung der Gigaset AG vom 3. Mai 2012, in welcher die Einleitung eines Schiedsverfahrens durch die Evonik Degussa GmbH gegen Gigaset mitgeteilt wird. Dort wurden neben der Tatsache der Verfahrenseinleitung auch über die wesentlichen Streitpunkte sowie die Rechtsauffassung von Gigaset berichtet. In ähnlicher Ausführlichkeit berichtete die RWE AG mit Ad-Hoc-Mitteilung vom 27. Juni 2013 über den Abschluss eines Schiedsverfahrens gegen OAO Gazprom. 193  Sikiric, 13 Croatian Arbitration Yearbook 131, 151 (2006); Tweeddale, 21 Arbitration International 59 (2005); Lew, 11 Arbitration International 283, 285 (1995); Smit, 11 Arbitration International 297, 298 (1995). 194  Rogers, 54 University of Kansas Law Review 1301, 1322, 1328 (2006). 195  Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook 175, 186 (1997). 196  Diese Möglichkeit besteht hingegen in Hongkong. Art. 16 der Hongkong Arbitration Ordinance vom 1. Juni 2011 sieht vor, dass gerichtliche Verfahren, also vor allem Aufhebungsund Vollstreckbarerklärungsverfahren, grundsätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit in camera verhandelt werden. Siehe hierzu Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 619 (2004); Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook 175, 187 (1997); Kaplan, 1 Ameri­

56

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

kann die Öffentlichkeit gemäß § 172 Nr. 2 GVG zum Schutz von Betriebsoder Geschäftsgeheimnissen der Parteien ausgeschlossen werden, wobei die Gerichte diesbezüglich strenge Anforderungen stellen.197 Selbst wenn diese Voraussetzungen vorliegen sollten, ist zu beachten, dass die Verkündung der Entscheidung in jedem Falle öffentlich zu erfolgen hat (§ 173 Abs. 1 GVG). Interessierte Dritte können ferner, soweit sie ein rechtliches Interesse nachweisen können, gemäß § 299 Abs. 2 ZPO Einsichtnahme in die Verfahrensakten verlangen und damit mittelbar Kenntnis von der Existenz und den Beteiligten eines Schiedsverfahrens sowie den Einzelheiten des Verfahrensgangs nehmen. Unter vertragsrechtlichen Gesichtspunkten ist zu berücksichtigen, dass Unternehmen ihre Prozessrisiken regelmäßig versichern. Ist ein solches Unternehmen als Kläger oder Beklagter an einem Schiedsverfahren beteiligt, ist diese Tatsache dem Versicherer anzuzeigen (§ 19 Abs. 1 Satz 1 VVG). Missachtet der Versicherungsnehmer diese Anzeigepflicht, kann der Versicherer mit leistungsbefreiender Wirkung vom Vertrag zurücktreten (§ 19 Abs. 2 VVG). Die Aufrechterhaltung des Versicherungsschutzes setzt deshalb notwendig die Mitteilung der Verfahrenseinleitung an den Versicherer voraus.198 Im Übrigen kann auch der Versicherer selbst einem möglicherweise vorhandenen Rückversicherer zur Offenlegung des Sachverhalts verpflichtet sein.199 Schließlich kann die Vertraulichkeit eines Schiedsverfahrens auch durch die Offenlegung unternehmensinterner Informationen anlässlich von due diligence-Prüfungen im Zusammenhang mit einem Unternehmenskauf gefährdet werden.200 Der Verkäufer ist verpflichtet, den Bietern Zugang zu sämtlichen Informationen mit Auswirkungen auf den Wert und die Ertragsfähigkeit des Unternehmens zu verschaffen.201 Versäumt er dies, kann das zu Schadensersatzforderungen einzelner Bieter auf der Grundlage der Verletzung vorvertraglicher

can Review of International Arbitration 25, 35 (1990). Für England: CPR r 62.10(3)(b), dazu Hwang/Chung, 26 Journal of International Arbitration 609, 619 (2009). Für Neuseeland: Art. 14 I Arbitration Act, dazu Hwang/Chung, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 39, 52. 197  Siehe unten Fn. 234 m. w. N. 198  Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S.  197; Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005, S. 458; Kühn/Gantenberg, Schlosser-FS, 2005, S. 461, 464; Tweeddale, 21 Arbitration International 59 (2005); Prütting, in: Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 629, 635; Smit, 11 Arbitration International 337, 339 (1995); Lew, 11 Arbitration International 283, 284 (1995). Siehe auch Esso Australia Resources Ltd. v. Plowman, 11 Arbitration International 235, 245 (1995). 199  Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 129, dort Fn. 364; Hwang/Chung, 26 Journal of International Arbitration 609, 626 (2009). 200 Hierzu Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 197 ff.; Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 626 f. (2004); Denoix de Saint Marc, 20 Journal of International Arbitration 211, 214 f. (2003). 201  Feldmann/Löwisch, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2012, § 311, Rn. 119.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

57

Aufklärungspflichten führen.202 Zu den in diesem Sinne aufklärungsbedürftigen Tatsachen zählen auch anhängige oder drohende Rechtsstreitigkeiten des betreffenden Unternehmens, die aufgrund der damit verbundenen finanziellen und reputativen Risiken unter Umständen erhebliche Auswirkungen auf die Kaufentscheidung bzw. auf die Ermittlung des Kaufpreises haben können.203 Zwar verpflichtet der Verkäufer die Bieter regelmäßig zur Wahrung der Vertraulichkeit hinsichtlich sämtlicher Informationen, die diesen im Zusammenhang mit der due diligence-Prüfung bekannt geworden sind.204 Das Risiko einer unbefugten Weitergabe dieser Informationen durch einzelne Bieter oder sonstige Dritte lässt sich damit gleichwohl nicht ausschließen. Die vorgenannten Schwierigkeiten werden zusätzlich dadurch verstärkt, dass nicht alle Beteiligten des Schiedsverfahrens gesetzlich oder auf Grundlage schiedsordnungsrechtlicher Bestimmungen zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet werden können. Insbesondere mit Blick auf Zeugen und sonstige Dritte bestehen de lege lata teilweise erhebliche Schutzlücken, die nur im Wege ergänzender vertraglicher Vereinbarungen ausgefüllt werden können.205

(2)  Schiedsverfahren unter Beteiligung der öffentlichen Hand Eine noch weitergehende Transparenz ist in Schiedsverfahren unter Beteiligung der öffentlichen Hand üblich. Durch die wachsende Nutzung öffentlich-privater Partnerschaften zur Finanzierung von Aufgaben der öffentlichen Daseinsvorsorge gewinnt diese Frage zunehmend an Bedeutung.206 Die entsprechenden Vertragswerke enthalten regelmäßig Schiedsklauseln207, sodass bei der Einleitung eines Schiedsverfahrens auf der Grundlage dieser Klauseln fraglich ist, wie die Vertraulichkeitsinteressen der Parteien mit dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit abzuwägen sind, mit anderen Worten, wo die „Grenze der Heimlichkeit“208 im Einzelfall verläuft. Denkbar sind in diesem Zusammenhang insbesondere Auskunftsansprüche Dritter auf der Grundlage der Informations-

202  Allgemein zur Ermittlung des Schadens bei Aufklärungspflichtverletzungen Emmerich, in: MüKo-BGB, 6. Aufl. 2012, § 311, Rn. 199 ff. 203  Nach LG Berlin, 5 O 176/04, Rn. 155 – juris, können auch etwaige Rechtsstreitigkeiten des Zielunternehmens zu dessen Beschaffenheit im Sinne von § 434 BGB gehören. 204 Ausführlich Kurz, Vertraulichkeitsvereinbarungen, 3. Aufl. 2013, Rn. 583 ff.; von Werder/Kost, BB 2010, 2903 ff. 205  Dazu ausführlich unten S. 100 ff. 206 Vgl. hierzu die Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung der Umsetzung von Öffentlich Privaten Partnerschaften (ÖPP) und zur Verbesserung gesetzlicher Rahmenbedingungen von ÖPP, BT-Drs. 15/5668, S. 10. Zum Ganzen auch Wolff, NVwZ 2012, 205; Schill, DÖV 2010, 1013. 207  Wolff, NVwZ 2012, 205, 207. 208  Wolff, NVwZ 2012, 205.

58

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

freiheitsgesetze des Bundes und der Länder sowie aufgrund parlamentarischer Fragerechte und presserechtlicher Auskunftsansprüche.

(a)  Offenlegung nach Informationsfreiheitsgesetzen Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) des Bundes und die entsprechenden Gesetze der Länder gewähren Dritten unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen gegen Bundes- oder Landesbehörden.209 Amtliche Information ist gemäß § 2 Nr. 1 IFG jede amtlichen Zwecken dienende Aufzeichnung, unabhängig von der Art ihrer Speicherung. Nach dieser weiten Definition gehören hierzu auch Unterlagen aus einem Schiedsverfahren unter Beteiligung eines Trägers hoheitlicher Gewalt. Der Auskunftsanspruch besteht allerdings nicht uneingeschränkt, sondern kann nach Maßgabe der §§ 3–6 IFG begrenzt werden. Danach sind Beschränkungen unter anderem zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§ 6 Satz 2 IFG)210, bei vertraulich erhobenen oder übermittelten Informationen (§ 3 Nr. 7 IFG) und bei nachteiligen Auswirkungen auf ein laufendes Gerichtsverfahren (§ 3 Nr. 1 lit. g) IFG) möglich. Für das tatbestandliche Vorliegen einer solchen Ausnahme ist die um Auskunft ersuchte Behörde darlegungs- und beweisbelastet.211 Praktische Bedeutung haben diese Einschränkungen im Zusammenhang mit zwei Schiedsklagen der Bundesrepublik Deutschland gegen das Toll CollectBetreiberkonsortium wegen verzögerter Inbetriebnahme eines elektronischen LKW-Mautsystems erlangt. Mehrere Antragsteller, darunter auch Abgeordnete des Deutschen Bundestags, begehrten ab 2006/2007 Einsicht in den Mautbetreibervertrag, was das zuständige Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unter Verweis auf schützenswerte Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse des Betreiberkonsortiums sowie auf die laufenden Schiedsverfahren ablehnte. Auch der von den Antragstellern eingeschaltete Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit konnte nicht die Freigabe des Mautbetreibervertrags erwirken.212 Die Antragsteller erhoben daraufhin vor dem Verwaltungsgericht Berlin Klage auf Erteilung der begehrten Aus209  Vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 IFG: „Jeder hat nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen.“ Soweit im Folgenden Bestimmungen des IFG zitiert werden, ist das bundesrechtliche IFG gemeint. 210  VG Neustadt, Urt. v. 6. 9. 2013, Az. 4 K 242/13.NW; Fischer/Fluck, NVwZ 2013, 337. 211  Schoch, in: Schoch, IFG, 2009, § 3, Rn. 88; Fischer/Fluck, NVwZ 2013, 337. Die Ausnahmetatbestände der §§ 3–6 IFG sind grundsätzlich eng auszulegen, vgl. VG Frankfurt a. M., BeckRS 2008, 36515. 212  Vgl. den Tätigkeitsbericht des Bundesdatenschutzbeauftragten für die Jahre 2006 und 2007, S. 57 ff., sowie die Stellungnahme der Bundesregierung hierzu (BT-Drs. 16/8500, S. 6). Siehe auch die Antwort der Bundesregierung vom 7. Juli 2006 auf eine Kleine Anfrage der FDP-Bundestagsfraktion, BT-Drs. 16/2168, S. 4 f. Zum Ganzen auch Schoch, in: Schoch, IFG, 2009, § 1, Rn. 216.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

59

künfte. Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab und begründete dies damit, im Fall einer Zugänglichmachung der begehrten Unterlagen seien nachteilige Auswirkungen auf das laufende Schiedsverfahren zu befürchten.213 Ausdrücklich vertrat das Gericht die Ansicht, § 3 Nr. 1 lit. g) IFG, dessen Wortlaut nur von „laufenden Gerichtsverfahren“ spricht, sei aufgrund der funktionellen Gleichwertigkeit des Schiedsverfahrens zum staatlichen Gerichtsverfahren auch auf Schiedsverfahren anwendbar.214 Damit ist der Schutz vertraulicher Informationen zumindest im Grundsatz gewährleistet. Zu beachten ist jedoch, dass dieser Schutz nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut nur für die Dauer des laufenden (Schieds-) Verfahrens gilt.215 Nach dessen Abschluss steht § 3 Nr. 1 lit. g) IFG einer Herausgabe von verfahrensrelevanten Informationen nicht mehr entgegen. Insgesamt erhöht das IFG aus Sicht der Parteien das Risiko des öffentlichen Bekanntwerdens verfahrensinterner Informationen, wenngleich die Offenlegung nach den gesetzlichen Vorschriften aus einer Reihe von Gründen verweigert werden kann. Dennoch bleibt angesichts der weiten Formulierung vieler Ausnahmetatbestände sowie wegen des weitgehenden Fehlens gerichtlicher Entscheidungen zu den hierdurch aufgeworfenen Fragen ein nicht unerhebliches Restrisiko, dass ein Gericht die Offenlegung verfahrensinterner Unterlagen auf der Grundlage des Auskunftsanspruchs nach dem IFG anordnen könnte.

(b)  Offenlegung aufgrund parlamentarischer Auskunftsrechte In der Regel gebieten verfassungsrechtliche Grundsätze wie der Grundsatz der Gewaltenteilung, der eine effektive parlamentarische Kontrolle der Exekutive verlangt, eine weitergehende Transparenz des Verfahrens und des Schiedsspruchs, als dies bei privaten Parteien der Fall wäre.216 Diese parlamentarische Kontrolle findet unter anderem durch das parlamentarische Fragerecht (Interpellationsrecht) statt, welches dem einzelnen Abgeordneten das Recht vermittelt, die Regierung zu allen Gegenständen innerhalb ihres Zuständigkeitsbereichs zu 213  VG Berlin, Urt. v. 11. 6. 2008, Az. VG 2 A 69.07. Die Berufung der Kläger beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (Az. OVG 12 B 26.08) hat sich nach Auskunft der Geschäftsstelle des Senats zwischenzeitlich durch Rücknahme erledigt. In Polen hat das Verwaltungsgericht Warschau mit Urteil vom 13. Dezember 2012 (Az. II SAB/Wa 252/12) nach Abschluss des Schiedsverfahrens dem Antrag einer Nichtregierungsorganisation auf Herausgabe eines Investitionsschiedsspruchs auf der Grundlage des polnischen Informationsfreiheitsgesetzes stattgegeben, vgl. Hepburn/Balcerzak, “Polish Court Rules on Release of Investment Arbitration Awards under Freedom of Information Law”, International Arbitration Reporter vom 2. Januar 2013 (zuletzt abgerufen am 1. Dezember 2015). 214 Zustimmend Roth, in: Berger/Roth/Scheel/Partsch, IFG, 2. Aufl. 2013, § 3, Rn. 74; wohl auch Schoch, in: Schoch, IFG, 2009, § 3, Rn. 80. 215  Schoch, in: Schoch, IFG, 2009, § 3, Rn. 79, 81. 216  Wolff, NvwZ 2012, 205, 207 ff.; Schill, DÖV 2010, 1013, 1016 f.; ablehnend Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, Vorb §§ 1025 ff., Rn. 71.

60

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

befragen.217 Eine inhaltliche Begrenzung erfährt das Fragerecht nur hinsichtlich des Schutzes staatlicher Geheimnisse und individueller Rechte sowie zur Wahrung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Regierung.218 Diesbezügliche gegenläufige Interessen sind unter Berücksichtigung der unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Aufgabenzuweisungen möglichst schonend in Ausgleich zu bringen.219 Eine vollständige Informationsverweigerung ist vor diesem Hintergrund in der Regel unzulässig.220 In der Praxis gibt die staatliche Exekutive regelmäßig über anhängige Schiedsverfahren unter Beteiligung der öffentlichen Hand Auskunft. Auf verschiedene parlamentarische Anfragen wurden sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene unter anderem Angaben zur (Neu-)Besetzung des Schiedsgerichts221, zu den beratenden Anwaltskanzleien222, zum Stand des Verfahrens223, zu Anspruchsgrund und -höhe224, zum Streitwert225, zu den Verfahrenskosten226 sowie zu den Auswirkungen des Verfahrens auf die 217 

Butzer, in: BeckOK-GG, Stand: 1. 9. 2015, Art. 38, Rn. 112. Butzer, in: BeckOK-GG, Stand: 1. 9. 2015, Art. 38, Rn. 128. 219  BVerfG, NVwZ 2009, 1092, 1093 f. 220  Butzer, in: BeckOK-GG, Stand: 1.  9. 2015, Art. 38, Rn. 128. Gleichwohl kommen solche Fälle vereinzelt auch in der Praxis vor. So verweigerte die baden-württembergische Landesregierung in der Vergangenheit trotz wiederholter parlamentarischer Anfragen nähere Auskünfte zu den Kosten des anhängigen ICC-Schiedsverfahrens der EnBW gegen den französischen Stromversorger EdF wegen möglicher Zuvielzahlungen beim Erwerb des EdFAnteils an der EnBW durch die seinerzeitige Landesregierung Mappus. Die FDP erhob in der Folge beim Baden-Württembergischen Staatsgerichtshof Klage auf Erteilung der begehrten Auskünfte, das Verfahren ist mittlerweile einvernehmlich beigelegt worden, vgl. „EnBW-Prozess: FDP und Grün-Rot legen Streit bei“, Rhein-Neckar-Zeitung Online vom 30. November 2013 (zuletzt abgerufen am 1. Dezember 2015). 221  Vgl. die Antwort der Bundesregierung vom 21. Mai 2013 auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu der Neubesetzung des Vorsitzenden des Schiedsgerichts in einem anhängigen Toll Collect-Schiedsverfahren, BT-Drs. 17/13599, S. 5. Der Berliner Senat nannte in seiner Antwort vom 28. Dezember 2011 auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Daniel Buchholz (SPD) die Namen aller Schiedsrichter des Schiedsgerichts in einem anhängigen Schiedsverfahren betreffend die Beteiligung von RWE/Veolia an den Berliner Wasserbetrieben, Drs. 17/10 046, S. 1. 222  Antwort des Berliner Senats vom 28. Dezember 2011 auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Daniel Buchholz, Drs. 17/10 046, S. 2. 223  Antwort des Berliner Senats vom 28. Dezember 2011 auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Daniel Buchholz, Drs. 17/10 046, S. 2; Antwort des Hamburger Senats vom 25. August 2009 auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Monika Schaal (SPD) betreffend das Schiedsverfahren der Vattenfall AG gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen des Kraftwerks Hamburg-Moorburg, Drs. 19/3875, S. 1. Weitergehende Auskünfte zur Verfahrensstrategie der Bundesrepublik Deutschland und der Freien und Hansestadt Hamburg lehnte der Senat unter Verweis auf das laufende Verfahren jedoch ab. 224  Antwort des Berliner Senats vom 28. Dezember 2011 auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Daniel Buchholz, Drs. 17/10 046, S. 2. 225  Antwort des Berliner Senats vom 28. Dezember 2011 auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Daniel Buchholz, Drs. 17/10 046, S. 2. 226  Antwort der Bundesregierung vom 13. Januar 2015 auf die Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE, BT-Drs. 18/3721, S. 3 (Vattenfall); Antwort der Bundesregierung vom 21. Mai 218 



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

61

weiteren vertraglichen Beziehungen der Parteien227 gemacht. Ob diese Informationen zu einer sachgerechten Ausübung der parlamentarischen Kontrollrechte ausreichen, wird unterschiedlich beantwortet.228 Für die Parteien eines Schiedsverfahrens, an dem ein staatlicher Hoheitsträger beteiligt ist, bedeutet dies, dass eine umfassende Geheimhaltung der Existenz des Schiedsverfahrens sowie verfahrensrelevanter Informationen in der Regel nicht möglich sein wird.

(c)  Offenlegung aufgrund presserechtlicher Auskunftsrechte Schließlich sehen auch die Pressegesetze der Länder Auskunftsrechte von Presseorganen gegen öffentliche Stellen vor.229 Danach besteht regelmäßig ein umfassender Auskunftsanspruch gegen die im Einzelfall handelnde Behörde, der nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen eingeschränkt werden kann.230 Regelmäßig sehen die landesrechtlichen Ausnahmetatbestände, ähnlich den Regelungen in den Informationsfreiheitsgesetzen, ein Recht zur Verweigerung der Auskunft für solche Fälle vor, in denen die Offenlegung Auswirkungen auf die Durchführung eines schwebenden Verfahrens oder auf bestehende Geheimhaltungsvorschriften haben würde. Zwar liegen – soweit ersichtlich – keine gerichtlichen Entscheidungen zu Fragen der Auskunftserteilung betreffend Schiedsverfahren, an denen Träger hoheitlicher Gewalt beteiligt sind, vor. Die hierzu vorhandene Rechtsprechung legt jedoch den Schluss nahe, dass die betreffende Behörde im Falle der Auskunftsverweigerung nicht unerhebliche Darlegungs- und Beweislasten treffen würden.231 Zudem wird der Ausnahmetatbestand des „schwebenden Verfahrens“ mit Blick auf das verfassungsrechtlich geschützte Wächteramt der Presse überwiegend eng ausgelegt und teilweise sogar auf strafrechtliche Verfahren begrenzt.232

2013 auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 17/13599, S. 5 (Toll Collect). 227  Antwort der Bundesregierung vom 21. Mai 2013 auf die Kleine Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drs. 17/13599, S. 5. 228 Kritisch Wolff, NVwZ 2012, 205, 207 f. 229 Näher Helbach, Schutz, 2012, S. 76 f.; Köhler, NJW 2005, 2337. Der presserechtliche Auskunftsanspruch besteht parallel zu einem möglichen Anspruch auf Grundlage der Informationsfreiheitsgesetze und unabhängig von diesem (so ausdrücklich z. B. § 4 Abs. 5 BlnPrG, vgl. hierzu auch Partsch, NJW 2013, 2858, 2860). Presserechtliche Auskunftsansprüche bestehen im Übrigen auch gegenüber privatrechtlich organisierten Unternehmen der öffentlichen Hand, vgl. BGH, NJW 2005, 1720; Weberling, in: Presserecht, 6. Aufl. 2012, Kap. 19, Rn. 4 f. 230 Der presserechtliche Auskunftsanspruch umfasst jedoch nicht die Gewährung von Akteneinsicht, vgl. VG Berlin, Beschl. v. 2. 9. 2013, Az. 27 L 217.13. 231  Siehe beispielsweise OVG Hamburg, BeckRS 2010, 54803; VG Cottbus, AfP 2008, 114. 232 So Helbach, Schutz, 2012, S. 90 f.; Weberling, in: Presserecht, 6. Aufl. 2012, Kap. 20, Rn. 5 ff.; Burkhardt, in: Presserecht, 5. Aufl. 2006, § 4 LPG, Rn. 94 f.

62

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Insgesamt lässt sich die Existenz eines Schiedsverfahrens sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen allenfalls unvollständig und unter Inkaufnahme einer Reihe sachlicher und persönlicher Ausnahmen geheim halten. Dies gilt in besonderem Maße bei einer Beteiligung von Trägern hoheitlicher Gewalt am Schiedsverfahren.

b.  Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse Der eigentliche Zweck der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens liegt nach verbreiteter Ansicht im Schutz der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Schiedsparteien.233 Die Parteien eines solchen Verfahrens sind in der Regel Unternehmen, häufig aus Branchen, in denen technologische und informationelle Wissensvorsprünge von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sind. Sensible interne Informationen sollen aus diesem Grunde nach Möglichkeit nicht in öffentlicher Verhandlung vor einem staatlichen Gericht zur Kenntnisnahme des Prozessgegners und der Öffentlichkeit offengelegt werden müssen.234 Vor diesem Hintergrund legen die Parteien vielfach Wert darauf, den Kreis der Verfahrensbeteiligten so weit wie möglich einzuschränken. Das Schiedsverfahren mit der Möglichkeit einer nichtöffentlichen Verhandlung und eines auch im Übrigen vertraulichen Verfahrens kann deshalb ein attraktives alternatives Forum zur Austragung von Rechtsstreitigkeiten darstellen. Dies gilt umso mehr im angelsächsischen Rechtskreis, in dessen Zivilprozess die sog. pre-trial discovery üblich ist, die weitreichende Offenlegungspflichten der Parteien mit sich bringt.235 Fraglich bleibt, in welchem Umfang dieses Vertrauen in die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens mit Blick auf die Rechtslage auch tatsächlich gerechtfertigt ist. Da ein Vertraulichkeitsschutz auf gesetzlicher Ebene in Deutschland nicht besteht, müssen die Parteien eines nach deutschem Recht durchzuführenden Schiedsverfahrens in der Regel entweder eine Schiedsordnung mit entsprechenden Schutzbestimmungen zur Anwendung berufen oder eine 233 

Gaillard/Savage, Fouchard, Gaillard, Goldman, 1999, Rn. 384; Sikiric, 13 Croatian Arbitration Yearbook 131, 154 (2006). Nach deutschem Recht sind Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse „alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat“, vgl. BVerfG, NVwZ 2006, 1041, 1042. Siehe hierzu auch Helbach, Schutz, 2012, S. 30 ff. 234  Zwar besteht nach § 172 Nr. 2 GVG im Grundsatz die Möglichkeit, die Öffentlichkeit bei Gefahr der Offenlegung von Geschäfts- oder Betriebsgeheimnissen von der mündlichen Verhandlung auszuschließen, dies setzt aber den konkreten Nachweis eines überwiegenden Geheimhaltungsinteresses voraus, siehe Zimmermann, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, GVG § 172, Rn. 7. Zudem gilt der Ausschluss nur für die Verhandlung, nicht aber für die Verkündung der Entscheidung (vgl. § 173 Abs. 1 GVG). 235  Günther, in: Sandrock-FS, 2000, S. 341.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

63

besondere Vertraulichkeitsvereinbarung abschließen.236 Die erstgenannte Möglichkeit ist nicht ohne Risiko, da die sachliche wie auch die persönliche Reichweite der Vertraulichkeitspflicht je nach gewählter Schiedsordnung deutlichen Abweichungen unterliegen kann.237 Zwar wird die Nichtöffentlichkeit der Verhandlung vor dem Schiedsgericht regelmäßig ausdrücklich gewährleistet (siehe nur Art. 28 Abs. 3 Satz 1 UNCITRAL-SchO), die Vertraulichkeit des Verfahrens im Übrigen ist jedoch entweder gar nicht oder nur in Ansätzen geregelt. Besondere Regelungen zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen der Parteien existieren regelmäßig nicht.238 Überdies ist bereits fraglich, welche Informationen überhaupt dem Schutzbereich des Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses unterfallen. Diese Frage wird uneinheitlich beurteilt, entsprechende Definitionen sind in nationalen Schiedsgesetzen oder Schiedsordnungen allenfalls in Ansätzen zu finden.239 Diese Unklarheiten bergen im Mindesten das Risiko späterer Streitigkeiten, weshalb eine individualvertragliche Vertraulichkeitsvereinbarung zwischen den Schiedsparteien, die den Umgang mit schutzbedürftigen Informationen im Verfahren ausdrücklich regelt, aus Gründen der Rechtssicherheit vorzuziehen ist.240 Dies gilt umso mehr, als die Schutzwürdigkeit bestimmter Informationen stark vom Einzelfallkontext und von den individuellen Interessen der jeweiligen Partei abhängt. In ICC-Schiedsverfahren kann eine solche Vereinbarung auch in die terms of reference aufgenommen werden.241 Auf diese Weise lässt sich eine Kenntnisnahme der Öffentlichkeit von dem Inhalt und Gang des Schiedsverfahrens sowie von den Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen der Verfahrensbeteiligten zumindest erschweren. Die Parteien müssen weiterhin berücksichtigen, dass Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht nur vor der allgemeinen Öffentlichkeit, sondern häufig und in noch höherem Maße vor einer Kenntnisnahme der Gegenpartei geschützt werden müssen. Dies gilt vor allem bei brancheninternen Streitigkeiten auf überschaubaren Märkten, wo Patente, Produktzusammensetzungen, Herstellungsverfahren, interne Kalkulationen und ähnliche Informationen mit Blick auf mögliche Wettbewerbsvorteile von nicht zu unterschätzender Bedeutung sein können. Es stellt sich die Frage, wie solche sensiblen Informationen auch innerhalb des Schiedsverfahrens sinnvoll geschützt werden können. Meist wird diese Frage in einem beweisrechtlichen Zusammenhang relevant werden, 236 

Siehe oben S. 15 f. Vgl. die tabellarische Übersicht oben S. 31 f. 238  Eine Ausnahme bildet Art. 52 WIPO-SchO. Siehe hierzu Smit, 9 American Review of International Arbitration 177 (1998). 239  Wyss, International Arbitration Law Review 2009, 158, 160 f. 240  So auch Wyss, International Arbitration Law Review 2009, 158, 167. 241  Dimolitsa, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 5; Lazareff, aaO, S. 81, 87; Müller, 23 ASA Bulletin 216, 238 (2005); Günther, in: Sandrock-FS, 2000, S. 341, 343. 237 

64

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

so vor allem dann, wenn eine Partei zur Substantiierung ihres Vorbringens das Vorliegen einer Verletzungshandlung oder die Entstehung eines konkreten Schadens nachweisen muss. Die Pflicht des Schiedsgerichts zur Ermittlung des Sachverhalts kann in diesem Falle mit den Interessen der Parteien an der Geheimhaltung bestimmter sensibler Unterlagen und Informationen in Konflikt geraten. Um vorab das Risiko von Auseinandersetzungen in diesem Bereich zu minimieren, empfiehlt sich deshalb auch verfahrensintern der Abschluss einer besonderen Vertraulichkeitsvereinbarung. Fehlt es an einer solchen, obliegt es regelmäßig dem Schiedsgericht, Maßnahmen zum Schutz von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen einer Partei zu treffen. Der überwiegende Teil der institutionellen Schiedsordnungen gesteht den Schiedsrichtern insoweit weitgehende Freiheiten bei der Sachverhaltsermittlung zu. So bestimmt beispielsweise § 27.1 DIS-SchO: „Das Schiedsgericht hat den zugrunde liegenden Sachverhalt zu ermitteln. Hierzu kann es nach seinem Ermessen Anordnungen treffen, insbesondere Zeugen und Sachverständige vernehmen und die Vorlage von Urkunden anordnen. Es ist an die Beweisanträge der Parteien nicht gebunden.“

Es ist allgemein anerkannt, dass das dem Schiedsgericht insoweit eingeräumte Ermessen nur durch die Pflicht zur Gleichbehandlung der Parteien und zur Gewährung rechtlichen Gehörs eingeschränkt wird. Nähere Regelungen zur Art und Weise der Durchführung des Beweisverfahrens enthalten institutionelle Schiedsordnungen hingegen meist nicht. In der Praxis orientieren sich Schiedsgerichte deshalb – selbst wenn die Parteien dies nicht ausdrücklich vereinbart haben242 – bei der Erhebung von Beweisen in der Regel an den IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration, einem von der International Bar Association (IBA) herausgegebenen Regelwerk zur Durchführung der Beweisaufnahme in internationalen Schiedsverfahren.243 Die IBA Rules stellen in dogmatischer Hinsicht einen Kompromiss zwischen der kontinentaleuropäischen und der angelsächsischen Beweistradition dar und enthalten Elemente beider Systeme.244 Danach ist jede Partei auf Verlangen der Gegenpartei zu Beginn des Verfahrens grundsätzlich zur Vorlage der von dieser angeforderten Dokumente verpflichtet (Art. 3 Abs. 2 IBA Rules), die Erforderlichkeit der Vorlage muss aber substantiiert dargelegt und die Dokumentgruppen müssen soweit wie möglich individualisiert werden (Art. 3 Abs. 3 IBA Rules), um einer 242  Haller, SchiedsVZ 2013, 135, 136; anders Ritz, 27 Journal of International Arbitration 221, 235, dort Fn. 97 (2010). 243  IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration vom 29. Mai 2010, abrufbar unter www.ibanet.org. 244  Günther, in: Sandrock-FS, 2000, S. 341, 346. Sachs, SchiedsVZ 2003, 193, 198 spricht in diesem Zusammenhang von der Entstehung einer beweisrechtlichen „lex mercatoria processualis“.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

65

bloßen Ausforschung der Gegenseite entgegenzuwirken.245 Sieht eine Partei durch das Vorlagebegehren ihre Geheimhaltungsinteressen beeinträchtigt, hat sie dies dem Schiedsgericht und den anderen Parteien gemäß Art. 3 Abs. 5 IBA Rules schriftlich mitzuteilen. Inhaltlich kann sie sich dabei auf einen der in Art. 9 Abs. 2 IBA Rules geregelten Ausnahmetatbestände berufen. Dort heißt es unter Ziffer e) mit Blick auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der Parteien: “The Arbitral Tribunal shall, at the request of a Party or on its own motion, exclude from evidence or production any Document, statement, oral testimony or inspection for any of the following reasons: [...] e) grounds of commercial or technical confidentiality that the Arbitral Tribunal deter­ mines to be compelling; […].”

Damit kann das Schiedsgericht bestimmte Dokumente von der Vorlagepflicht ausnehmen, soweit es dies zum Schutz von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen einer Partei für geboten hält. Auf welchem Wege diese Überzeugung zu gewinnen ist bzw. welche Interessen in diesem Zusammenhang in einer Abwägung zu berücksichtigen sind, bleibt allerdings unklar.246 Weiterhin kann problematisch sein, dass die Gewichtung der widerstreitenden Interessen nach zutreffender Ansicht einerseits von der allgemeinen Schutzwürdigkeit der fraglichen Dokumente und andererseits von deren Beweisrelevanz für das anhängige Verfahren abhängt, eine Meinungsbildung zu diesen Punkten aber regelmäßig eine Einsichtnahme in die betreffenden Unterlagen voraussetzt, die aus Sicht der zur Vorlage verpflichteten Partei gerade vermieden werden soll.247 In der rechtswissenschaftlichen Literatur werden verschiedene Wege zur Auflösung dieses Interessenkonflikts vorgeschlagen. Danach sollen entweder nur das Schiedsgericht, Sachverständige oder Rechtsanwälte Zugang zu sensiblen Unterlagen erhalten. Wahlweise wird auch vertreten, das Schiedsgericht solle vollen, die Gegenpartei nur begrenzten Zugang zu den betreffenden Informationen erhalten, beispielsweise durch Zurverfügungstellung einer redigierten Fassung.248 Ein solches Vorgehen wirft allerdings eine Reihe von Fragen auf. Wenn der Gegenpartei die Kenntnisnahme von Verfahrensunterlagen vollständig oder teilweise unmöglich gemacht wird, kann darin, vorbehaltlich einer entsprechenden Zustimmung durch die betroffene Partei, eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegen.249 Auch kann fraglich sein, ob das Schiedsgericht 245  Zu den Möglichkeiten des Schutzes vertraulicher Informationen nach den IBA Rules of Evidence vgl. Derains, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 57, 60 ff.; Wyss, International Arbitration Law Review 2009, 158, 163 ff. 246  So auch Haller, SchiedsVZ 2013, 135, 137. 247  Günther, in: Sandrock-FS, 2000, S. 341, 350. 248  Haller, SchiedsVZ 2013, 135, 140; Pörnbacher/Duncker/Baur, SchiedsVZ 2012, 289, 295 f.; Günther, in: Sandrock-FS, 2000, S. 341, 351 ff. 249  Derains, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 57, 68 f.; Wyss, International

66

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

die Entscheidung über die Beweisrelevanz bzw. über die Schutzwürdigkeit von Dokumenten ohne besondere Ermächtigung durch die Parteien an Dritte, z. B. an Sachverständige, übertragen darf.250 Aus den genannten Gründen ist der Abschluss einer individualvertraglichen Vereinbarung durch die Parteien nachdrücklich zu empfehlen, da sie auf diesem Wege den Gegenstand und das Verfahren der Offenlegung selbst gestalten können.251 Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse auch in einem späteren staatlichen Gerichtsverfahren zur Aufhebung oder Vollstreckbarerklärung des Schiedsspruchs mittelbar an die Öffentlichkeit gelangen können.252 Dieses Risiko wird durch die Möglichkeit, die Öffentlichkeit vom Verfahren auszuschließen, aber zumindest abgemildert.253

c.  Verfahrensunterlagen und Beweismittel In der schiedsgerichtlichen Praxis kann die Geheimhaltung von Verfahrensunterlagen und Beweismitteln von erheblicher Bedeutung sein. Zu den Verfahrensunterlagen in diesem Sinne zählen vor allem Schriftsätze, schriftliche Zeugenaussagen, Protokolle mündlicher Verhandlungen und interne Vermerke.254 Beweismittel sind sämtliche Dokumente, die eine Partei zur Substantiierung ihres Vortrags im Schiedsverfahren vorlegt oder anbietet. Hierzu gehören insbesondere – aber nicht ausschließlich – Urkunden, Gutachten, Zeugen und Sachverständige.255 Diese Kategorien unterscheiden sich, trotz mancher Ähnlichkeiten, dadurch, dass Verfahrensunterlagen erst für das SchiedsverArbitration Law Review 2009, 158, 166. Das Schweizerische Bundesgericht hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass der Gegenpartei zumindest Zugang zu einer Zusammenfassung der in Frage stehenden Informationen gewährt werden muss, damit diese ihre tatsächlichen und rechtlichen Argumente hierzu anbringen kann, vgl. die Nachweise bei S. 273, dort Fn. 8. 250 Vgl. Derains, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 57, 66; Günther, in: Sandrock-FS, 2000, S. 341, 352. Art. 52 lit. d) und e) WIPO-SchO ermächtigen hingegen das Schiedsgericht ausdrücklich dazu, einen confidentiality advisor zu ernennen und diesem entsprechende Entscheidungsbefugnisse zu übertragen, vgl. Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 156 f. Smit, 9 American Review of International Arbitration 177, 179 (1998) sieht gleichwohl ein Risiko, dass ein auf dieser Grundlage ergangener Schiedsspruch wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des due process of law aufgehoben werden könnte. 251  Smit, 9 American Review of International Arbitration 177, 178 (1998). 252  Wyss, International Arbitration Law Review 2009, 158, 162. 253  In Deutschland gewährleistet § 172 Nr. 2 GVG diese Möglichkeit (siehe oben Fn. 234). In Hongkong werden Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren von Amts wegen unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt (siehe bereits oben Fn. 196). 254 Vgl. Müller, 23 ASA Bulletin 216, 227 (2005). 255  Im Schiedsverfahren gilt der Strengbeweis nicht, das Schiedsgericht kann freibeweislich jedes Beweismittel, das es zur Aufklärung des Sachverhalts als tauglich erachtet, heranziehen, vgl. OLG Köln, GesR 2009, 157, 161; OLG München, Beschl. v. 22. 1. 2007, Az. 34 Sch 18/06; Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1049, Rn. 44; Voit, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 1042, Rn. 22 ff.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

67

fahren hergestellt werden, während Beweismittel unabhängig vom Verfahren existieren. Auf gesetzlicher Grundlage werden Verfahrensunterlagen und Beweismittel nur vereinzelt ausdrücklich für vertraulich erklärt.256 Ein anderes Bild ergibt sich bei einem Blick auf den Bereich der institutionellen Schiedsordnungen. Hier unterstellt eine Reihe von Regelungen diese Dokumente dem Schutz der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens. Einen weitgehenden Schutz gewährleistet beispielsweise Art. 30.1 LCIA-SchO: “Unless the parties expressly agree in writing to the contrary, the parties undertake as a general principle to keep confidential all awards in their arbitration, together with all materials in the proceedings created for the purpose of the arbitration and all other documents produced by another party in the proceedings not otherwise in the public domain – save and to the extent that disclosure may be required of a party by legal duty, to protect or pursue a legal right or to enforce or challenge an award in bona fide legal proceedings before a state court or other judicial authority.” (Hervorhebung durch den Verfasser)

Auch die DIS-SchO (§ 43.1), die WIPO-SchO (Art. 76) die Swiss Rules (Art. 44 Abs. 1) und die SIAC-SchO (Art. 21.4, 35) enthalten ähnliche Gewährleistungen. Der dadurch gewährleistete Vertraulichkeitsschutz dient verschiedenen Zwecken. Zum einen wird dadurch die umfassende Nichtöffentlichkeit des Verfahrens sichergestellt. Es würde in der Tat seltsam anmuten, einerseits verfahrensfremde Dritte von der physischen Teilnahme an Verhandlungen auszuschließen, ihnen aber gleichzeitig die Möglichkeit zu belassen, den Inhalt dieser Verhandlungen später in Abschrift nachzulesen.257 Zum anderen dient die Vertraulichkeit dieser Unterlagen auch der Verhinderung einseitiger öffentlicher Darstellungen zulasten der anderen Partei(en). Speziell in Schriftsätzen und Parteigutachten wird der Sachverhalt regelmäßig bewusst einseitig zugunsten der jeweiligen Partei dargestellt. Die Öffentlichmachung dieser Dokumente birgt demgemäß das Risiko, bestehende Differenzen und Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien weiter zu vertiefen und auf diese Weise die zügige und sachgerechte Durchführung des Schiedsverfahrens zu gefährden. In diesem Zusammenhang führte das Schiedsgericht im Verfahren Abaclat and others v. The Argentine Republic aus:

256 

So für das englische Recht Collins, 11 Arbitration International 321, 330 (1995). Redfern/Hunter, International Commercial Arbitration, 4. Aufl. 2004, Rn. 1–54. Siehe auch die Entscheidung des englischen High Court in Hassneh Insurance Co. of Israel v. Mew, [1993] 2 Lloyd’s Report 243, 247: “If it be correct that there is at least an implied term in every agreement to arbitrate that the hearing shall be held in private, the requirement of privacy must in principle extend to documents which are created for the purpose of that hearing. The most obvious example is a note or transcript of the evidence. The disclosure to a third party of such documents would be almost equivalent to opening the door to the arbitration room to that third party.” 257 

68

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

“Indeed, based on their function and aim, pleadings and memorials of a Party often present a one-sided story of the dispute. Their publication therefore carries the inherent risk to give an incorrect impression about the proceedings. This would not only thwart public information purposes, but would further antagonise the Parties and aggravate their differences.”258

Die Frage nach der Zulässigkeit der Offenlegung von Verfahrensunterlagen und Beweismitteln hat – dies unterstreicht ihre praktische Relevanz – in der Vergangenheit zu einer Reihe von gerichtlichen Entscheidungen, vornehmlich durch englische Gerichte, geführt. Erstmals befasste sich der High Court im Jahre 1988 mit der Frage, ob Unterlagen aus einem Schiedsverfahren einer besonderen Vertraulichkeit unterliegen. In der Rechtssache Shearson Lehman Hutton Inc. v. Maclaine Watson & Co. Ltd.259 begehrten die Antragsteller unter anderem die Offenlegung von Beweisunterlagen aus einem Schiedsverfahren, das der Antragsgegner gegen eine dritte Partei führte. Der Antragsgegner verweigerte die Offenlegung unter Verweis auf die Vertraulichkeit der Dokumente und berief sich in diesem Zusammenhang auf ein auch in der Rechtsprechung anerkanntes Weitergabeverbot für solche Unterlagen im discovery-Verfahren. Das Gericht gab dem Antrag mit der Begründung statt, die Parteien eines Schiedsverfahrens seien – anders als im discovery-Verfahren – nicht zur Vorlage von Beweismitteln verpflichtet. Wenn sie dennoch freiwillig Beweisunterlagen in ein Verfahren einführten, so dürften sie nicht erwarten, dass diese Unterlagen ohne Weiteres vertraulich blieben, zumal eine Verwendung dieser Unterlagen in einem nachfolgenden Verfahren ihre Verfahrensposition im laufenden Rechtsstreit regelmäßig nicht beeinträchtige.260 Diese Entscheidung hatte jedoch nur kurze Zeit Bestand. Nur zwei Jahre später urteilte der englische Court of Appeal im Verfahren Dolling-Baker v. Merrett,261 dass Verfahrensunterlagen, im konkreten Fall bestimmte schriftliche Zeugenaussagen und sonstige Beweisprotokolle, grundsätzlich einer aus der Natur des Schiedsverfahrens folgenden, impliziten Vertraulichkeitspflicht unterlägen, ihre Offenlegung somit nur bei Vorliegen eines entsprechenden Ausnahmetatbestands, insbesondere zur Gewährleistung eines gerechten und ordnungsgemäßen Verfahrensablaufs (fair disposal of the action) zulässig sei.262 Hassneh Insurance Co. of Israel v. Mew263 setzte diese Rechtsprechung im Grundsatz fort. Zwar stellte der High Court zunächst fest, dass der Schiedsspruch selbst ein potentiell öffentliches Dokument sei und deshalb nicht denselben Beschränkungen wie sonstige Ver258  Abaclat and others v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/07/5, Procedur­al Order No. 3 (Confidentiality Order) vom 27. Januar 2010, Rn. 102. Hierzu bereits oben S. 34 ff. 259  [1989] 1 All ER 1056. Zu dieser Entscheidung ausführlich unten S. 73 f. 260  [1989] 1 All ER 1056, 1059. 261  [1990] 1 WLR 1205. Zu dieser Entscheidung ausführlich unten S. 74 f. 262  [1990] 1 WLR 1205, 1214. 263  [1993] 2 Lloyd‘s Law Reports 243.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

69

fahrensdokumente und Beweismittel unterliegen könne, folgte aber im Übrigen der Rechtsprechung des Court of Appeal in Dolling-Baker, wonach sowohl Unterlagen, die speziell für das Schiedsverfahren hergestellt werden, als auch bereits vorhandene Unterlagen, die in das Schiedsverfahren eingeführt werden, vertraulich seien. Entscheidungen deutscher Gerichte zur Frage der Vertraulichkeit von im Schiedsverfahren verwendeten Unterlagen und Beweismitteln sind nicht ersichtlich. Der Abschluss einer individualvertraglichen Vereinbarung, die die Voraussetzungen einer zulässigen Offenlegung sowie die Rechtsfolgen möglicher Verstöße gegen entsprechende Vertraulichkeitspflichten fixiert, erscheint angesichts der gegenwärtig weitgehend unklaren Rechtslage ratsam.

d. Schiedsspruch Der Schiedsspruch ist nach (noch) herrschender Auffassung grundsätzlich vertraulich (aa.). Gleichwohl ist anerkannt, dass diese Vertraulichkeit nicht unbeschränkt gilt, sondern eine Reihe von Ausnahmen berücksichtigen muss (bb.). Die Offenlegung des Schiedsspruchs kann im Einzelfall mit Einverständnis der anderen Partei oder sonstiger zustimmungsberechtigter Dritter, aufgrund behördlicher oder gerichtlicher Anordnung, zur Wahrnehmung berechtigter Interessen einer Partei, im Interesse der Justiz oder im allgemeinen öffentlichen Interesse zulässig sein.

aa.  Grundsatz: Vertraulichkeit des Schiedsspruchs Der Schiedsspruch ist sowohl nach nationalem Recht als auch nach den meisten Schiedsordnungen vertraulich zu behandeln und kann regelmäßig nur mit Zustimmung beider Parteien öffentlich gemacht werden.264 Vor diesem Hintergrund kommt zunächst der Abgrenzung zwischen Schiedssprüchen und sonstigen schiedsgerichtlichen Entscheidungsformen besondere Bedeutung zu.265 So entscheidet das Schiedsgericht nicht in allen Fällen durch (Teil-, Zwischen-, Vorbehalts- oder End-)Schiedsspruch, sondern kann auch Anordnungen im Wege von verfahrensleitenden Verfügungen (procedural orders) treffen, was vor allem bei Fragen der Verfahrensgestaltung geschieht.266 Die Vorschriften zur Vertraulichkeit von Schiedssprüchen sind auf verfahrensleitende Verfügungen nicht unmittelbar anwendbar, sodass, vorbehaltlich einer anderweitigen 264  Siehe die tabellarische Übersicht oben S. 31 f. Vereinzelt müssen auch die Schiedsinstitution (§ 42 DIS-SchO) oder das Schiedsgericht (Art. 30.3 LCIA-SchO) der Öffentlichmachung des Schiedsspruchs zustimmen. 265 Hierzu Schmidt, SchiedsVZ 2013, 32, sowie ausführlich Spohnheimer, Gestaltungsfreiheit, 2010, S. 28 ff. 266  Siehe bereits oben S. 33 ff.

70

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

vertraglichen Vereinbarung, eine Berechtigung der Parteien (bzw. des Schiedsgerichts oder der Schiedsinstitution) zur einseitigen Veröffentlichung grundsätzlich denkbar erscheint. Die Unterscheidung zwischen Schiedsspruch und verfahrensleitender Verfügung wird im Allgemeinen nach inhaltlichen Kriterien getroffen. Von maßgeblicher Bedeutung ist, ob eine endgültige, für das Schiedsgericht und die Parteien bindende Entscheidung über den Streitgegenstand oder einen abgrenzbaren Teil hiervon vorliegt. Ist dies der Fall, liegt ein selbständig anfechtbarer und vollstreckbarer, rechtskraftfähiger Schiedsspruch vor, ansonsten eine unselbständige verfahrensleitende Verfügung.267 Stellt die Entscheidung des Schiedsgerichts in Anwendung der vorgenannten Kriterien einen Schiedsspruch dar, so müssen beide Parteien, nach manchen Verfahrensordnungen auch das Schiedsgericht oder die Schiedsinstitution, der Veröffentlichung zustimmen. Nur wenige Schiedsordnungen weichen von diesem Grundsatz ab, vorwiegend Seehandelsschiedsgerichte und kleinere Branchenschiedsgerichte. So bestimmt beispielsweise Rule 68 lit. d) ICA-SchO268: “The Council may print, publish or otherwise circulate any award made under its rules or under its auspices, in any arbitration journal, magazine, report, etc. for the purpose of creating arbitration jurisprudence or precedents for the benefit of future arbitrations. No party to the arbitration shall have any objection to the publication of awards as above provided that the names and addresses of any party to the dispute will be omitted from such publication and its identity duly concerned if so desired by such party.”

Eine ähnliche Regelung enthält Art. 28.10 SIAC-SchO: “SIAC may publish any award with the names of the parties and other identifying information redacted.”

In Deutschland finden sich vergleichbare Bestimmungen vor allem in den Verfahrensordnungen kleinerer Branchenschiedsgerichte.269 So heißt es in § 8 Abs. 2 der Schiedsgerichtsordnung des Waren-Vereins der Hamburger Börse e. V. (2011): „Der Vorstand darf Schiedssprüche unter Fortlassung der Namen der Beteiligten veröffentlichen.“

Und § 18 der Schiedsgerichtsordnung des Deutschen Kaffeeverbandes e. V. bei der Handelskammer Hamburg (2006) bestimmt:

267 

Schmidt, SchiedsVZ 2013, 32, 38. of Arbitration des Indian Council of Arbitration (ICA) in der Fassung vom 8. Mai 2012. 269  Vergleichbare Regelungen enthalten § 27 der Schiedsgerichtsordnung für das Schiedsgericht der Bayerischen Warenbörse e. V. (2008), § 27 der Schiedsgerichtsordnung der Südwestdeutschen Warenbörse e. V. (2008) und § 26 der Schiedsordnung der Mitteldeutschen Produktenbörse e. V. (2002). 268 Rules



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

71

„Der Deutsche Kaffeeverband und die Handelskammer Hamburg können die Schiedsgerichtsurteile ganz oder auszugsweise unter Fortlassung der Namen der Parteien veröffentlichen sowie statistisch verarbeiten.“

Derartige Regelungen, die die Entscheidung über die Veröffentlichung des Schiedsspruchs unabhängig vom Willen der Parteien allein der betreffenden Schiedsinstitution überlassen, sind jedoch in Deutschland wie auch international (noch) die Ausnahme. Demgegenüber besteht ein weitgehender Konsens, dass die Parteien zur Geheimhaltung des Schiedsspruchs verpflichtet sind, soweit sie nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt haben.

bb.  Mögliche Ausnahmen vom Grundsatz der Vertraulichkeit des Schiedsspruchs Die sachliche Reichweite dieser Vertraulichkeitspflicht im Einzelfall wird gleichwohl kontrovers diskutiert. Dies gilt vor allem dann, wenn weder eine diesbezügliche Parteiabrede existiert noch entsprechende Regelungen in der einschlägigen Schiedsordnung vorhanden sind. Solche Fälle sind nicht selten. Auf der einen Seite widmen die Parteien Fragen der Verfahrensvertraulichkeit selten besondere Aufmerksamkeit, auf der anderen Seite enthalten in der Praxis bedeutsame Verfahrensordnungen wie die Schiedsordnungen der ICC und von UNCITRAL keine Regelungen zur Vertraulichkeit des Verfahrens im Allgemeinen und des Schiedsspruchs im Besonderen. Bislang kam vor diesem Hintergrund meist staatlichen Gerichten die Aufgabe zu, die sachliche Reichweite des Vertraulichkeitsgrundsatzes und mögliche Ausnahmen zu diesem Grundsatz im Einzelfall zu bestimmen. In den vergangenen Jahren hat die Rechtsprechung auf diese Weise eine Reihe von Grundsätzen entwickelt, die nachfolgend im Einzelnen dargestellt werden sollen.

(1)  Offenlegung mit Zustimmung der anderen Partei(en) Es ist allgemein anerkannt, dass die Öffentlichmachung des Schiedsspruchs zulässig ist, soweit alle Parteien (und ggf. sonstigen Zustimmungsberechtigten) ihr Einverständnis erteilen.270 Diese Befugnis folgt aus dem Grundsatz der Parteiautonomie, der den Parteien des Schiedsverfahrens erlaubt, das Prozessrechtsverhältnis vorbehaltlich der Vorschriften des zwingenden Rechts nach ihrem Willen einvernehmlich zu regeln. Sind sämtliche Parteien und sonstigen Zustimmungsberechtigten mit der Veröffentlichung des Schiedsspruchs einver270 Siehe nur Berger, in: Post Award Issues, 2012, S. 75, 87 f.; Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 58 f. Ein seltenes Beispiel der übereinstimmenden Veröffentlichung eines Schiedsspruchs im Interesse der Normbildung stellt die Entscheidung Barclays Bank plc and others v. Bank of England, abgedruckt in [1985] 1 All ER 385, dar.

72

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

standen, kann diese damit unabhängig von den Vorschriften des anwendbaren nationalen Rechts bzw. der einschlägigen Schiedsordnung erfolgen.

(2)  Offenlegung aufgrund von gesetzlicher oder gerichtlicher Anordnung Gleichermaßen besteht Einigkeit darüber, dass eine Verletzung der Vertraulichkeitspflicht nicht in Betracht kommt, soweit die Offenlegung gesetzlich vorgeschrieben oder gerichtlich angeordnet ist.271 Haben sich die Parteien oder sonstige Verfahrensbeteiligte vertraglich zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet, so folgt diese Ausnahme bereits aus dem Grundsatz, dass eine rechtsgeschäftliche Außerkraftsetzung zwingender gesetzlicher oder richterlicher Anordnungen nicht möglich ist.272 Ebensowenig kann ein Schiedsgericht solchen Anordnungen im Wege der verfahrensleitenden Verfügung die Wirkung nehmen. Da seine Verfahrensleitungskompetenz nur im Rahmen des geltenden Rechts besteht, kann es die Parteien nicht wirksam zu gesetzes- oder gerichtswidrigen Handlungen verpflichten.273 Auch Schiedsordnungen als private, nichthoheitliche Verfahrensregelungen können nur im Rahmen der Gesetze und der diese konkretisierenden gerichtlichen Entscheidungen Wirkung entfalten. Entsprechend schränken alle Schiedsordnungen, die eine Vertraulichkeitspflicht der Verfahrensbeteiligten vorsehen, diese dahingehend ein, dass sie nur insoweit Geltung beansprucht, als gesetzlich nichts anderes bestimmt ist oder keine entgegenstehende gerichtliche Anordnung vorliegt.274 Zwar besteht in Deutschland keine Rechtspflicht zur Veröffentlichung schiedsgerichtlicher Entscheidungen, einzelne gesetzliche Offenlegungs- und Vorlagepflichten, die speziell den Schiedsspruch betreffen, bestehen aber beispielsweise im Handels-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht275 und insbesondere in Vollstreckbarerklärungsverfahren nach §§ 1060 ff. ZPO. Soweit die Vollstreckbarerklärung eines inländischen Schiedsspruchs (§ 1060 ZPO) in der Bundesrepublik Deutschland begehrt wird, ist mit dem betreffenden Antrag gemäß § 1064 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Schiedsspruch im Original oder in beglaubigter Abschrift vorzulegen. Eine ähnliche, aber inhaltlich strengere Regelung gilt für die Vollstreckbarerklärung eines ausländischen Schiedsspruchs in Deutschland. § 1061 Abs. 1 Satz 1 ZPO i. V. m. Art. IV Abs. 1 lit. a) NYÜ276 bestimmt, dass dem zuständigen nationalen Gericht unter anderem ein beglaubigtes Original des Schiedsspruchs oder eine 271 

Smit, 11 Arbitration International 299 (1995). Smit, 11 Arbitration International 297, 298 (1995). 273  So auch der New South Wales High Court in der Entscheidung Commonwealth of Australia v. Cockatoo Dockyard Pty. Ltd. (1995) 36 NSWLR 662. Näher zu dieser Entscheidung unten S. 87 ff. 274  Siehe exemplarisch Art. 30.1 LCIA-SchO. 275  So z. B. § 15 WpHG; § 51a GmbHG; §§ 118, 257 HGB; § 131 AktG. 276  New Yorker Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958. 272 



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

73

beglaubigte Abschrift hiervon vorzulegen ist. Nach dem Günstigkeitsprinzip (Art. VII Abs. 1 NYÜ) kann der Antragsteller sich aber auf § 1064 Abs. 1 Satz 1 ZPO und die dort vorgesehenen, weniger strengen Vorlagemöglichkeiten berufen.277 Auch im Aufhebungsverfahren nach § 1059 ZPO ist der angegriffene Schiedsspruch vorzulegen. Zudem begründet die Befassung eines staatlichen Gerichts ein Risiko, dass Dritte, die ein entsprechendes rechtliches Interesse glaubhaft machen können, Einsicht in die Verfahrensunterlagen einschließlich des Schiedsspruchs nehmen.278 Insgesamt können bestehende gesetzliche oder gerichtliche Offenlegungs- und Vorlagepflichten auf diese Weise das Risiko einer Offenlegung des Schiedsspruchs in nicht unerheblichem Maße erhöhen.

(3)  Offenlegung zur Wahrung der berechtigten Interessen einer Partei (legitimate interest exception) Vor allem englische Gerichte haben bei Fehlen einer vertraglichen Vertraulichkeitsvereinbarung sowie von gesetzlichen oder schiedsordnungsrechtlichen Vertraulichkeitsgewährleistungen wiederholt die Meinung vertreten, dass eine Veröffentlichung des Schiedsspruchs unter bestimmten Umständen auch ohne Einverständnis aller Parteien möglich sei, so vor allem dann, wenn eine Partei ein berechtigtes Interesse (legitimate interest bzw. reasonable necessity) zu ihren Gunsten geltend machen konnte. Die Entwicklung der legitimate interestRechtsprechung und ihre de facto-Rezeption durch deutsche Gerichte soll im Folgenden nachgezeichnet werden.

(a)  Shearson Lehman Hutton Inc. v. Maclaine Watson & Co. Ltd. (1988) Die erste Entscheidung zur Frage des sachlichen Umfangs der Vertraulichkeit im Schiedsverfahren und insbesondere der Voraussetzungen der Offenlegung eines Schiedsspruchs erfolgte in der Rechtssache Shearson Lehman Hutton Inc. v. Maclaine Watson & Co. Ltd.279 In diesem Verfahren begehrte Shearson im Rahmen der discovery von Maclaine die Offenlegung von Unterlagen einschließlich des Schiedsspruchs aus einem vorangegangenen, bereits abgeschlossenen Schiedsverfahren zwischen Maclaine und einer dritten 277 

Voit, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 1061, Rn. 11. dieser Möglichkeit siehe unten S. 247 ff. Das Schweizerische Bundesgericht vertritt die Auffassung, dass die Parteien eines Schiedsverfahrens die Veröffentlichung einer Aufhebungsentscheidung nicht insgesamt verhindern, sondern allenfalls die Streichung einzelner Details verlangen können, siehe hierzu die Entscheidung des Bundesgerichts vom 19. Juni 2006, Az. 4 P 74/2006, abrufbar unter www.bger.ch. Eine ähnliche Auffassung vertreten auch die US-amerikanischen Gerichte, vgl. die Nachweise bei Hassett/Chang, „Public Access v. Arbitration Confidentiality: A Balancing Act That Tilts Towards Access“, abrufbar unter http:// www.mmmlaw.com/assets/files/article_360.pdf. 279  [1989] 1 All ER 1056. 278  Zu

74

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Gesellschaft. Maclaine verweigerte die Herausgabe und machte geltend, diese Dokumente seien vertraulich und deshalb vor einer Herausgabe im discoveryVerfahren geschützt. Der High Court stellte zunächst fest, dass die betreffenden Unterlagen für den anhängigen Rechtsstreit entscheidungserheblich seien und schloss daran die Frage an, ob diese Dokumente aufgrund ihres Ursprungs in einem früheren Schiedsverfahren umfassend und absolut vor einer Herausgabe im discovery-Verfahren geschützt seien. Diese Frage verneinte das Gericht im Ergebnis und begründete dies damit, dass die discovery, unabhängig davon, welche Dokumente sie betreffe, stets Einschränkungen der Vertraulichkeit mit sich bringe. Zwar handle es sich auch beim Schiedsverfahren anerkanntermaßen um ein vertrauliches Verfahren, dies bedeute jedoch nicht, dass die discovery diesbezüglicher Dokumente schlechthin ausgeschlossen sei.280 Im Ergebnis gab das Gericht, ohne sich mit der Frage zu beschäftigen, ob nicht unter bestimmten Umständen Ausnahmen von dieser kategorischen Regel angebracht seien, dem Antrag von Shearson statt und verurteilte Maclaine zur Herausgabe der betreffenden Unterlagen und des Schiedsspruchs.

(b)  Dolling-Baker v. Merrett (1990) Die Shearson-Entscheidung wurde in der Sache allerdings bereits knapp zwei Jahre später durch den Court of Appeal in Dolling-Baker v. Merrett281 verworfen. Diesem Verfahren lag eine Streitigkeit aus einem Rückversicherungsvertrag zugrunde. Der Erstversicherer begehrte unter diesem Vertrag vor den englischen Gerichten von seinem Rückversicherer sowie hilfsweise von dessen Versicherungsmaklern Zahlung wegen Eintritt des Rückversicherungsfalls und beantragte im Rahmen des discovery-Verfahrens von den Versicherungsmaklern die Vorlage von Unterlagen einschließlich des Schiedsspruchs aus einem früheren Schiedsverfahren zwischen dem Rückversicherer und einem anderen Erstversicherer, welches zugunsten des Erstversicherers entschieden worden war. Der beklagte Rückversicherer beantragte daraufhin seinerseits im Wege der einstweiligen Verfügung, den Versicherungsmaklern zu untersagen, die betreffenden Unterlagen in das anhängige gerichtliche Verfahren einzuführen und begründete dies mit der Vertraulichkeit dieser Unterlagen. Der Rückversicherer unterlag mit seinem Verfügungsantrag in erster Instanz, in der Berufungsinstanz gelangte die Sache zum Court of Appeal. Das Gericht vertrat zunächst die Auffassung, dass die Parteien eines Schiedsverfahrens zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens verpflichtet seien. Diese Verpflichtung folge aus der „Natur des Schiedsverfahrens“ und analog zu vergleichbaren Verpflichtungen

280  281 

[1988] 1 WLR 946, 948. [1990] 1 WLR 1205.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

75

im Bank-Kunden-Verhältnis.282 In einem zweiten Schritt betonten die Richter jedoch, dass diese Verpflichtung nicht unbeschränkt gelte, sondern ihre Grenze in dem Erfordernis einer fairen Durchführung des Verfahrens (fair disposal of the action) finde.283 Bei der Frage, ob die begehrten Unterlagen einschließlich des Schiedsspruchs herauszugeben seien, müsse zwischen der Vertraulichkeitsverpflichtung einerseits und den Erfordernissen eines fairen Verfahrens abgewogen werden, wobei das Bestehen einer Vertraulichkeitspflicht zu berücksichtigen und insbesondere zu prüfen sei, ob die begehrten Informationen überhaupt relevant für das anhängige Verfahren seien und im Übrigen möglicherweise auch ohne eine Verletzung dieser Pflicht erlangt werden könnten. Ausnahmen vom Vertraulichkeitsprinzip sind demgemäß möglich, gleichwohl nahm das Gericht in Dolling-Baker (noch) nicht zum konkreten Inhalt einzelner Ausnahmen und zu deren Gewichtung im Abwägungsprozess Stellung.284

(c)  Hassneh Insurance Co. of Israel v. Mew (1992) Die Aufgabe der weiteren Präzisierung dieses Ansatzes übernahm der High Court in Hassneh Insurance Co. of Israel v. Mew.285 Auch diesem Verfahren lag eine Streitigkeit aus einem Rückversicherungsvertrag zugrunde. Dort hatte der Erstversicherer zunächst ein Schiedsverfahren gegen den Rückversicherer eingeleitet, war nach einem ungünstigen (Teil-)Schiedsspruch jedoch dazu übergegangen, stattdessen den Versicherungsmakler vor den staatlichen Gerichten wegen vermeintlicher Vertragsverletzungen auf Schadensersatz in Anspruch zu nehmen. In das staatliche Verfahren wollte der Erstversicherer den Schiedsspruch sowie weitere Dokumente aus dem vorangegangenen Verfahren einführen. Dem widersetzte sich der Rückversicherer, der unter Verweis auf die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens lediglich den Tenor und einige Auszüge aus dem Schiedsspruch, nicht jedoch den gesamten Schiedsspruch sowie die übrigen Unterlagen freigeben wollte. Im Verfügungsverfahren wurde der High Court unter anderem mit der Frage nach der sachlichen Reichweite des Vertraulichkeitsgrundsatzes im Schiedsverfahren befasst. Das Gericht stellte zunächst fest, dass eine Vertraulichkeitspflicht nicht pauschal Geltung beanspruchen könne, sondern stets individuell mit Blick auf die einzelnen, unterschiedlichen Dokumentenkategorien erfolgen müsse. Eine Unterscheidung sei insbesondere zwischen dem Schiedsspruch und den übrigen Verfahrensunterlagen geboten. Ersterer sei schon aufgrund der Tatsache, dass eine Offenlegung gegenüber 282  [1990] 1 WLR 1205, 1213. Zu dieser Entscheidung siehe auch Collins, 11 Arbitration International 321, 332 (1995). 283  [1990] 1 WLR 1205, 1214. 284  Rogers/Miller, 12 Arbitration International 319, 323 (1996). 285 [1993] 2 Lloyd’s Report 243. Zu dieser Entscheidung auch Paulsson/Rawding, 11 Arbitration International 303, 313 (1995).

76

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Dritten in einem möglichen Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren unvermeidbar sei, ein potentiell öffentliches Dokument (potentially public document).286 Dies müsse bei der Frage nach der sachlichen Reichweite der Vertraulichkeitsverpflichtung berücksichtigt werden, zumal nicht davon ausgegangen werden könne, dass die Parteien eines Schiedsverfahrens die Vertraulichkeitspflicht bis zu einem Grad ausdehnen wollten, der die Nutzung des Schiedsspruchs gänzlich unmöglich mache. Demgemäß sei eine Offenlegung des Schiedsspruchs gegenüber Dritten ohne Zustimmung der Gegenpartei und des Schiedsgerichts stets zulässig, wenn und soweit dies zur Wahrnehmung der berechtigten Interessen einer Partei notwendig erscheine (reasonably necessary for the establishment or protection of an arbitrating party‘s legal rights vis-à-vis a third party).287 Dies schließe die Offenlegung der Begründung des Schiedsspruchs mit ein, da dieser regelmäßig nur auf diese Weise sinnvoll zu verstehen sei. Nur eine solche Auslegung entspreche dem wohlverstandenen Interesse der Parteien eines Schiedsverfahrens; nichts anderes gelte im Übrigen in dem von der Interessenlage der Beteiligten vergleichbaren Bank-Kunden-Verhältnis.

(d)  Insurance Co. v. Lloyd’s Syndicate (1994) Die Entscheidung des High Court in Sachen Insurance Co. v. Lloyd‘s Syndicate288 im Jahre 1994 – durch denselben Richter (Colman J) wie in Hassneh – präzisierte das Kriterium der reasonable necessity, welches in Hassneh erstmals aufgestellt worden war, weiter. In diesem Verfahren, wiederum im Rückversicherungsrecht, hatte der Erstversicherer (Insurance Co.) mit einem Konsortium von insgesamt fünf Rückversicherern eine Rückversicherungsvereinbarung abgeschlossen, aus welcher er nach Eintritt des Rückversicherungsfalls Zahlungsansprüche gegen die Rückversicherer geltend machte. Nachdem alle Rückversicherer die Zahlung verweigerten, leitete Insurance Co. zunächst ein Schiedsverfahren gegen den Konsortialführer ein, welches mit einem Schiedsspruch zugunsten von Insurance Co. endete, der die Zahlungspflicht des in Anspruch genommenen Rückversicherers bestätigte. Insurance Co. beabsichtigte daraufhin, diesen Schiedsspruch auch den übrigen Konsorten vorzulegen, um ihre Anspruchsberechtigung nachzuweisen und die Konsorten zur Anerkennung ihrer Haftung zu bewegen. Dagegen wehrte sich der unterlegene 286  [1993]

2 Lloyd’s Report 243, 249; Blackaby/Partasides, Redfern and Hunter on International Arbitration, 5. Aufl. 2009, Rn. 2159; Rawding/Seeger, 19 Arbitration International 483, 484 (2003); Baldwin, 31 Texas International Law Journal 451, 456 (1996); Paulsson/ Rawding, 11 Arbitration International 303, 313 (1995). 287  Rogers/Miller, 12 Arbitration International 319, 324 (1996); Collins, 11 Arbitration International 321, 332 f. (1995). 288  [1995] 1 Lloyd‘s Report 272. Zu dieser Entscheidung auch Noussia, Confidentiality, 2010, S. 109 f.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

77

Konsortialführer im Wege der einstweiligen Verfügung und machte geltend, die Vertraulichkeit des Verfahrens stehe der Offenlegung des Schiedsspruchs entgegen. Der High Court entschied, dass das Kriterium der reasonable necessity eng auszulegen sei. Es sei nicht bereits dann erfüllt, wenn die Offenlegung des Schiedsspruchs bloß wirtschaftlich vorteilhaft (commercially helpful) sei. Eine Offenlegung setze vielmehr voraus, dass diese entweder zum Schutz der Rechte einer Partei zwingend notwendig sei oder der Einleitung eines Verfahrens gegen Dritte diene.289 Dass im zu entscheidenden Fall die Vorlage des Schiedsspruchs die Zahlungsbereitschaft der übrigen Rückversicherer erhöhen würde, sei zwar wahrscheinlich, reiche für sich genommen jedoch nicht aus, um eine Ausnahme von der Vertraulichkeitspflicht zu begründen.

(e)  Ali Shipping v. Shipyard Trogir (1997) Drei Jahre später befasste sich der Court of Appeal in der Sache Ali Shipping v. Shipyard Trogir290 erneut mit der Reichweite der Vertraulichkeitspflicht im Schiedsverfahren. Shipyard Trogir hatte sich gegenüber drei Gesellschaften, unter anderem auch gegenüber Ali Shipping, vertraglich zum Bau von insgesamt drei Schiffen verpflichtet (Hulls 200–202). Alle Verträge enthielten eine Schiedsklausel mit Schiedsort London und unterstanden englischem Recht. Einige Zeit nach Vertragsschluss erwarb eine Holdinggesellschaft sämtliche Anteile an den betreffenden Gesellschaften. Kurze Zeit später schloss Shipyard Trogir mit drei weiteren Gesellschaften, die ebenfalls zu der betreffenden Holdinggesellschaft gehörten, Verträge über den Bau drei weiterer Schiffe (Hulls 204–206). Auch diese Verträge enthielten Schiedsklauseln mit Schiedsort London und unterstanden ebenso englischem Recht. Alle Vereinbarungen wurden seitens der Holdinggesellschaft von denselben Verantwortlichen unterzeichnet und enthielten keine Verpflichtung der Parteien zur Wahrung der Vertraulichkeit. Nachdem Shipyard Trogir eines der von Ali Shipping georderten Schiffe (Hull 202) nicht rechtzeitig gemäß den vertraglichen Vereinbarungen fertigstellen konnte, trat Ali Shipping vom Vertrag zurück und erhob Schiedsklage auf Schadensersatz in erheblicher Höhe. Shipyard Trogir wendete ein, dass die vertragsgemäße Fertigstellung allein deshalb gescheitert sei, weil die übrigen Gesellschaften (Hulls 204–206) ihrer Pflicht zur Leistung von Vorschusszahlungen nicht nachgekommen seien und dass die einzelnen Verträge insoweit als Teil einer einheitlichen Vertragsbeziehung zu qualifizieren seien. Das Schiedsgericht folgte dieser Argumentation nicht und verurteilte Shipyard Trogir antragsgemäß zur Leistung von Schadensersatz. Daraufhin nahm Shipyard Trogir 289  [1995] 1 Lloyd’s Report 272, 276; Baldwin, 31 Texas International Law Journal 451, 484 (1996); Rogers/Miller, 12 Arbitration International 319, 325 (1996); Neill, 12 Arbitration International 287, 295 (1996). 290  [1999] 1 WLR 314.

78

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

mehrere Schiedsverfahren gegen die übrigen Gesellschaften (Hulls 204–206), die bereits einige Jahre zuvor eingeleitet worden waren, aber in der Zwischenzeit geruht hatten, wieder auf und forderte Zahlung der vereinbarten Abschläge auf den Kaufpreis sowie Schadensersatz wegen Nichterfüllung. Das Schiedsgericht in einem dieser Verfahren verpflichtete daraufhin Shipyard Trogir zur Vorlage sämtlicher Unterlagen, auf die sich das Klagebegehren stützte. Shipyard Trogir beabsichtigte dementsprechend, den Schiedsspruch und weitere Unterlagen, insbesondere Protokolle von Zeugenaussagen, aus dem Erstverfahren gegen Ali Shipping vorzulegen. Gegen dieses Vorlagebegehren erwirkte Ali Shipping im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zunächst eine Unterlassungsverfügung, die jedoch in der Folge aufgehoben wurde. Gegen diese Entscheidung legte Ali Shipping Berufung ein. Im Berufungsverfahren bejahte der Court of Appeal zunächst – unabhängig vom Vorliegen einer ausdrücklichen Parteiabrede – die Pflicht der Parteien zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens gegenüber Dritten. Fraglich war jedoch, ob „Dritte“ in diesem Sinne auch die Beklagten der weiteren Schiedsverfahren waren, die zu demselben Konzern wie die Klägerin des Erstverfahrens, Ali Shipping, gehörten. Das Gericht bejahte dies mit dem Argument, dass auch in dieser Konstellation ein berechtigtes Interesse der einzelnen Tochtergesellschaften an der Geheimhaltung der Verfahrensergebnisse bestehe. Zudem führe die Weitergabe dieser Informationen dazu, dass zumindest auch die Schiedsrichter des Zweitverfahrens hiervon Kenntnis erlangen würden. Bei diesen handle es sich um Dritte. Die Tatsache, dass nachfolgende Schiedsgerichte ebenfalls zur Vertraulichkeit verpflichtet seien, ändere hieran, ebenso wie das primär prozesstaktisch motivierte Interesse von Ali Shipping an der Verhinderung der Offenlegung, nichts.291 Stellte die beabsichtigte Offenlegung von Unterlagen aus dem Erstverfahren in den weiteren Verfahren sonach eine Verletzung der Vertraulichkeitspflicht dar, blieb zu prüfen, ob Shipyard Trogir insoweit eine anerkannte Ausnahme vom Vertraulichkeitsgrundsatz in Form einer reasonable necessity nachweisen konnte. Das Gericht prüfte deshalb, ob ein solcher Ausnahmetatbestand vorlag und verneinte die Frage im Ergebnis deshalb, weil Shipyard Trogir den Schiedsspruch aus dem Erstverfahren aus rechtlichen Gründen nicht zur Geltendmachung des Einwands der entgegenstehenden Rechtskraft in den weiteren Verfahren nutzen konnte. Von besonderer Bedeutung ist die Entscheidung, weil der Court of Appeal den Standpunkt einnahm, dass im Falle einer beabsichtigten Offenlegung von Unterlagen aus einem Schiedsverfahren durch eine Partei dem Antrag auf Erlass einer Unterlassungsverfügung der Gegenpartei regelmäßig stattzugeben sei, wenn nicht nachgewiesen werden könne, dass der Verfügungsantrag in betrügerischer oder rechtsmissbräuchlicher Absicht (fraudulent oder in the nature of an abuse 291 

[1999] 1 WLR 314, 329.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

79

of process) gestellt worden sei oder ein anerkannter Ausnahmetatbestand vorliege.292 Damit kann den Verfügungsbeklagten in der Praxis eine erhebliche Darlegungs- und Beweislast treffen, der er in der Regel nur unter Schwierigkeiten gerecht werden können wird.

(f)  AEGIS v. European Re (2003) Während die bislang dargestellten Entscheidungen allesamt Konstellationen betrafen, in denen ein verfahrensfremder Dritter die Offenlegung des Schiedsspruchs begehrte, stellte sich im Verfahren Associated Electric and Gas Insur­ ance Services Ltd. v. European Reinsurance Company of Zurich293 erstmals die Frage nach der Reichweite der Vertraulichkeitsverpflichtung bei mehreren anhängigen Verfahren zwischen denselben Beteiligten. Zwischen AEGIS und European Re waren im Zeitpunkt der Klageerhebung zwei Schiedsverfahren anhängig, die beide Streitigkeiten aus demselben Rückversicherungsvertrag zwischen den Parteien zum Gegenstand hatten. In einem der beiden Verfahren hatten die Parteien eine Vertraulichkeitsvereinbarung geschlossen, nach welcher das Ergebnis des Verfahrens nicht gegenüber Dritten, die an dem Verfahren nicht beteiligt waren, offengelegt werden durfte. Nachdem European Re in diesem Verfahren obsiegt hatte, beabsichtigte sie, die Entscheidung in das noch laufende Parallelverfahren einzuführen. AEGIS ging hiergegen unter Verweis auf die Vertraulichkeitsvereinbarung gerichtlich vor, European Re bestritt, dass der Schutzbereich der Vereinbarung betroffen sei. Dem Privy Council kam in letzter Instanz die Aufgabe zu, die Vertraulichkeitsvereinbarung auszulegen. In der Berufungsinstanz hatte der bahamische Court of Appeal European Re die Einführung des Schiedsspruchs in das Parallelverfahren gestattet. Der Privy Council schloss sich dieser Sichtweise mit dem Argument an, die Vertraulichkeitsvereinbarung hindere nur die Offenlegung des Schiedsspruchs gegenüber Dritten, nicht aber gegenüber den Parteien, selbst wenn sich diese in weiteren Verfahren gegenüberstünden.294 Dies ergebe sich aus dem Zweck der Vereinbarung, die allein die Kenntnisnahme unbefugter Dritter vom Ergebnis des Verfahrens und die damit verbundenen Unannehmlichkeiten für die Schiedsparteien ausschließen wolle. Hingegen könne nicht angenommen werden, die Parteien wollten mit der Vereinbarung die Einführung des Schiedsspruchs in ein Parallelverfahren verhindern, zumal European Re gegen eine Entscheidung des Schiedsgerichts im noch laufenden Verfahren möglicherweise der Einwand der entgegenstehenden Rechtskraft (issue estoppel) zustehe.295 292 

[1999] 1 WLR 314, 329. 1 All ER (Comm) 253. Zu dieser Entscheidung auch Noussia, Confidentiality, 2010, S. 115 f.; Rawding/Seeger, 19 Arbitration International 483 (2003). 294  [2003] 1 All ER (Comm) 253, 258. 295  [2003] 1 All ER (Comm) 253, 260. 293  [2003]

80

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Wegen der Identität der Parteien in beiden Verfahren handelt es sich um eine recht spezielle Fallgestaltung, sodass die Ausführungen des Privy Council unabhängig davon, dass das Gericht außerhalb des ordentlichen Instanzenzugs von England und Wales steht, nicht ohne Weiteres verallgemeinert werden können. Festzuhalten bleibt allerdings, dass auch der Privy Council nachdrücklich betonte, dass eine (in diesem Fall sogar ausdrücklich vereinbarte) Vertraulichkeitspflicht nicht ausnahmslos gelte, vielmehr die berechtigten Interessen der Parteien an der Offenlegung in bestimmten Fällen zu berücksichtigen seien. Dies gelte in besonderem Maße für den Schiedsspruch, der unter Umständen aus bilanzrechtlichen Gründen oder im Zusammenhang mit Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren Dritten zugänglich gemacht werden müsse. Zu Recht betonte der Privy Council abschließend – in deutlicher Kritik der Ali Shipping-Rechtsprechung – dass Verallgemeinerungen und die Formulierung allzu detaillierter implied terms nicht sinnvoll seien, sondern dass die Frage nach der Reichweite der Vertraulichkeitspflicht im Allgemeinen und insbesondere hinsichtlich des Schiedsspruchs allein durch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall geleistet werden könne.296

(g)  City of Moscow v. Bankers Trust Co. (2004) In dem Berufungsverfahren Department of Economics, Policy and Development of the City of Moscow and another v. Bankers Trust Co. and another297 beschäftigte sich der Court of Appeal erneut mit der Reichweite des Vertraulichkeitsgrundsatzes im Schiedsverfahren. In diesem Rechtsstreit ging es primär um die Frage, ob und ggf. in welcher Weise eine Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens auch in nachgelagerten staatlichen Gerichtsverfahren zu beachten ist und insbesondere die Veröffentlichung des Schiedsspruchs hindern kann. Bankers Trust und weitere Gläubiger hatten zunächst im Zusammenhang mit verschiedenen ausstehenden Kreditforderungen ein Schiedsverfahren gegen die Stadtregierung der Stadt Moskau sowie gegen einzelne Stadtverwaltungen eingeleitet. Das Schiedsverfahren nach UNCITRAL-Regeln wurde vertraulich durchgeführt und der Schiedsspruch lediglich den Parteien zur Kenntnis gegeben. Bankers Trust obsiegte nur gegen eine der drei Beklagten und beantragte daraufhin gemäß Art. 68 des englischen Arbitration Act 1996 in den übrigen beiden Fällen jeweils die Aufhebung des Schiedsspruchs wegen erheblicher Mängel (serious irregularity). Der Aufhebungsantrag wurde beim zuständigen High Court gemäß Art. 62.10 (3) (b) der englischen Civil Procedure Rules (CPR) unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt. Der Antrag wurde schließlich 296 

[2003] 1 All ER (Comm) 253, 262. 3 WLR 533. Zu dieser Entscheidung auch Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 53 ff.; Noussia, Confidentiality, 2010, S. 107 f.; Hwang/Chung, 26 Journal of International Arbitration 609, 619 f. (2009). 297  [2004]



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

81

vom High Court abgelehnt, das abweisende Urteil jedoch nicht als „privat/ vertraulich“ markiert. Daraufhin gelangte Lawtel, ein kostenpflichtiger OnlineDatenbankbetreiber, an eine Abschrift der Entscheidung und verschickte kurz darauf eine Zusammenfassung derselben an die ca. 15.000 Abonnenten, der ein Link zum Volltext der Entscheidung beigefügt war. Zuvor hatten bereits die Parteien gegenüber der Presse Stellungnahmen zum Verfahren und zu dessen Ergebnis abgegeben. Die Stadt Moskau beantragte daraufhin beim zuständigen High Court, entweder den Schiedsspruch oder die Zusammenfassung von Lawtel zur Veröffentlichung freizugeben. Nachdem der High Court den Antrag erstinstanzlich zurückgewiesen hatte298, legte die Stadt Moskau Berufung beim Court of Appeal ein. Der Court of Appeal wies die Berufung hinsichtlich der begehrten Offenlegung des Schiedsspruchs zurück und betonte, dass insoweit die Vertraulichkeitsinteressen einer Partei das öffentliche Interesse an einer öffentlichen Verhandlung des Streitgegenstands überwögen. Das Gericht betonte gleichwohl, Art. 62.10 (3) (b) CPR gebiete zwar die nichtöffentliche Durchführung des Aufhebungsverfahrens, entlasse das Gericht aber nicht aus der Verantwortung, selbständig zu prüfen, ob und ggf. in welchem Umfang nicht doch eine öffentliche Verhandlung stattfinden könne und erforderlichenfalls auf die Zustimmung der Parteien zu einer öffentlichen Verhandlung hinzuwirken. Wo dies im Einzelfall nicht möglich sei, solle zumindest die Urteilsverkündung öffentlich stattfinden.299 In diesem Zusammenhang nahm das Gericht ausführlich zur Bedeutung der Publizität gerichtlicher Entscheidungen zu schiedsverfahrensrechtlichen Fragen Stellung und führte insoweit aus: “The public interest in ensuring appropriate standards of fairness in the conduct of arbitrations militates in favour of a public judgment in respect of judgments given on applications under section 68. The desirability of public scrutiny as a means by which confidence in the courts can be maintained and the administration of justice made transparent applies here as in other areas of court activity. […] Arbitration is an important feature of international, commercial and financial life, and there is legitimate interest in its operation and practice. The desirability of a public judgment is particularly present in any case where a judgment involves points of law or practice which may offer future guidance to lawyers and practitioners.”

Zusammengefasst setzen aus der Sicht des Court of Appeal sowohl die allgemeine Akzeptanz und damit letztlich die Legitimität des staatlichen Gerichtsverfahrens als auch die Interessen der Normbildung und der damit verbundenen (Fort-)Entwicklung von Verhaltensmaßstäben ein Mindestmaß an Transparenz 298 

Zur Entscheidung des High Court Seriki, Journal of Business Law 2006, 300, 306. 3 WLR 533, 555. Das Konsensualprinzip, welches das Schiedsverfahren bestimmt, gilt nicht mehr in einem nachfolgenden gerichtlichen Aufhebungsverfahren, hier trifft das staatliche Gericht eine originäre Entscheidung über die Veröffentlichung verfahrensinterner Informationen, vgl. Thoma, 25 Journal of International Arbitration 299, 312 f. (2008); Mistelis, 21 Arbitration International 211, 214 f. (2005). 299  [2004]

82

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

voraus. Vor allem die juristische Fachöffentlichkeit besitze ein gesteigertes Interesse an der Kenntnisnahme von gerichtlichen Entscheidungen, soweit diese Tatsachen- oder Rechtsfragen mit Bezug zum Schiedsverfahren behandelten. Diese Interessen seien mit dem Wunsch der Parteien nach Vertraulichkeit im Einzelfall abzuwägen.300 In Anwendung dieser Kriterien gab das Gericht der Berufung der Stadt Moskau hinsichtlich der Zulässigkeit der Veröffentlichung der Zusammenfassung von Lawtel statt, da die Zusammenfassung keine vertraulichen Informationen über die Parteien oder das Verfahren enthalten habe und deren Interessen somit nicht beeinträchtige.

(h) Zusammenfassung Die legitimate interest exception hat sich in den vergangenen Jahrzehnten zu einer anerkannten Ausnahme vom Prinzip der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens und insbesondere des Schiedsspruchs entwickelt, wobei die Rechtsprechung diesem weitgefassten Begriff trotz fortbestehender Unklarheiten zunehmend Konturen verliehen hat. Wenngleich diese Rechtsprechung nicht frei von Unklarheiten ist, so weist sie doch zutreffend darauf hin, dass selbst die Annahme einer allgemeinen Vertraulichkeitspflicht nicht bedeuten kann, dass diese absolut und kategorisch gilt. Schematische Lösungen sind vor diesem Hintergrund nicht zielführend. Vielmehr gilt es, die berechtigten Interessen der Parteien unter Berücksichtigung bestehender Vertraulichkeitspflichten stets aufs Neue im Einzelfall gegeneinander abzuwägen, zumal die Parteien sich häufig in Situationen finden werden, in denen ihre Interessenlage über das einzelne Verfahren hinausgeht. Auch in der deutschen Rechtsprechung hat die legitimate interest exception – wenn auch ohne ausdrückliche Bezugnahme – ihren Niederschlag gefunden. Das OLG Frankfurt hat in einer kürzlich ergangenen Entscheidung insoweit die Auffassung vertreten, dass es der Partei eines Schiedsverfahrens auch bei bestehender Vertraulichkeitsverpflichtung (in dem entschiedenen Fall auf der Grundlage von § 43.1 DIS-SchO) möglich sein müsse, zur „sachgerechten Wahrnehmung ihrer Interessen“ Verfahrensunterlagen in einem staatlichen Gerichtsverfahren vorzulegen.301 In der Sache bewegt sich das Gericht damit auf der Linie der internationalen Rechtsprechung. Wenngleich sich die dargestellten Entscheidungen nicht unmittelbar mit der Frage auseinandersetzen, ob und ggf. in welchem Umfang die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens einer Veröffentlichung des Schiedsspruchs entgegensteht, so besitzen sie für 300 Zustimmend Young/Chapman, 27 ASA Bulletin 26, 46 f. (2009). Siehe hierzu auch die Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts vom 19. Juni 2006, Az. 4 P 74/2006, abrufbar unter www.bger.ch. 301  OLG Frankfurt, SchiedsVZ 2013, 49, 60. Zu dieser Entscheidung ausführlich unten S. 107 ff.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

83

die hier relevante Fragestellung dennoch einen nicht zu vernachlässigenden Erkenntniswert. Deutlich wird, dass eine absolute Geheimhaltung des Schiedsspruchs bereits im Verhältnis der Parteien untereinander – womit noch nichts über ein mögliches öffentliches Interesse an der Kenntnisnahme schiedsgerichtlicher Entscheidungen gesagt ist – kaum möglich und angesichts der häufig unterschiedlichen Interessenlagen auch nicht sinnvoll ist. Das pauschale Argument, eine Veröffentlichung von Schiedssprüchen komme angesichts des vertraulichen Charakters des Schiedsverfahrens nicht in Betracht, verliert vor dem Hintergrund der teilweise komplexen und widersprüchlichen Interessenlage der Parteien und deren Berücksichtigung im Rahmen der legitimate interest exception viel von seiner Überzeugungskraft. Nicht zuletzt bleibt zu berücksichtigen, dass die Vertraulichkeit schiedsrichterlicher Entscheidungen, wie im Folgenden auszuführen sein wird, auch durch übergeordnete justizielle oder öffentliche Interessen beeinträchtigt werden kann.

(4)  Offenlegung im Interesse der Justiz (interests of justice exception) Neben der legitimate interest exception kristallisiert sich in der jüngeren Rechtsprechung der englischen Gerichte zunehmend eine weitere Ausnahme vom Vertraulichkeitsgrundsatz heraus. Danach soll die Offenlegung des Schiedsspruchs im Einzelfall auch im Interesse der Justiz zulässig sein. Die interests of justice exception fand erstmals in der bereits dargestellten Ali Shipping-Entscheidung des Court of Appeal Erwähnung.302 Dort hatte das Gericht unter Bezugnahme auf die Entscheidung London & Leeds Estates Ltd. v. Paribas (No. 2)303 festgestellt, dass eine Ausnahme vom Vertraulichkeitsgrundsatz auch dann in Betracht komme, wenn Sachverständige oder Zeugen in verschiedenen schiedsgerichtlichen Verfahren widersprüchliche Aussagen getätigt hätten. Es liege im Interesse der Justiz, dass justizielle Entscheidungen – wozu auch schiedsgerichtliche Entscheidungen gehörten – auf der Grundlage wahrheitsgemäßer und schlüssiger Zeugenaussagen ergingen.304 Eine erhebliche – dogmatisch und rechtspolitisch diskussionswürdige305 – Ausweitung erfuhr die interests of justice exception in der Entscheidung Emmott v. Michael Wilson & Partners.306 Dieser Rechtsstreit betraf das Ausscheiden von John Emmott aus der beklagten Anwaltssozietät. Im Zusammenhang hiermit entstanden zwischen den Parteien Streitigkeiten über verschiedene wechselseitige Ansprüche, die sowohl Gegenstand eines in London geführten 302 

Siehe oben S. 77 ff. [1995] 2 EG 134. 304  [1999] 1 WLR 314, 327 f. 305  Vgl. die Kritik von Wittinghofer, SchiedsVZ 2009, 156, 160. 306  [2008] EWCA Civ 184. Hierzu auch Ritz, 27 Journal of International Arbitration 221, 226 f. (2010); Young/Chapman, 27 ASA Bulletin 26, 27 (2009). 303 

84

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Schiedsverfahrens als auch paralleler gerichtlicher Verfahren an weiteren Orten, so unter anderem in Australien, waren. Die beklagte Sozietät warf Emmott sowohl im Schiedsverfahren als auch in den den parallelen staatlichen Gerichtsverfahren unter anderem betrügerisches Verhalten vor. Als die Sozietät diese Vorwürfe nicht substantiieren konnte und in der Folge zunächst im Schiedsverfahren zurückzog, beantragte Emmott beim High Court die Gestattung, die betreffenden Schriftsätze aus dem Londoner Schiedsverfahren auch im australischen Gerichtsverfahren vorlegen zu dürfen, um die Haltlosigkeit der gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu beweisen. Der High Court gab dem Antrag statt, auf die Berufung der beklagten Sozietät bestätigte der Court of Appeal die erstinstanzliche Entscheidung. Das Gericht führte in Übereinstimmung mit der früheren englischen Rechtsprechung zunächst aus, dass die Parteien eines Schiedsverfahrens bereits durch den Abschluss der Schiedsvereinbarung gesetzlich (implied in law) zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens verpflichtet seien, betonte jedoch, dass diese Pflicht nicht ausnahmslos gelte. Eine Ausnahme müsse insbesondere dann gemacht werden, wenn die strikte Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens die Interessen der Justiz beeinträchtige, indem sie zur Entstehung widersprüchlicher Entscheidungen beitrage. Diese Interessen seien auch im reinen Zweiparteienverhältnis zu berücksichtigen. Mit dieser Entscheidung hat der Court of Appeal den Anwendungsbereich der inter­ ests of justice exception erheblich ausgeweitet. Hatte Ali Shipping die interests of justice exception auf Fälle beschränkt, in denen ein außenstehender Dritter ein Interesse an der Offenlegung des Schiedsspruchs geltend machte, dehnt Emmott diese Rechtsprechung nunmehr auch auf rein parteiinterne Streitigkeiten zwischen denselben Parteien aus. Zudem betont das Gericht ausdrücklich den globalen Maßstab der interests of justice: Die Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen rechtfertigt Ausnahmen vom Vertraulichkeitsgrundsatz nicht nur, soweit englische Gerichte befasst sind, sondern auch bei einer Befassung ausländischer – in diesem Fall australischer – Gerichte.307 Ob die interests of justice exception tatsächlich eine selbständige Ausnahme vom Grundsatz der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens darstellt, ist unklar und auch von den Berufungsrichtern in Emmott nicht abschließend geklärt worden. In jedem Fall weist die dogmatische Orientierung an übergeordneten justiziellen Interessen zur Rechtfertigung der Offenlegung des Schiedsspruchs deutliche Parallelen zur public interest exception auf.308 Diese wohl umstrittenste Ausnahme vom Vertraulichkeitsgrundsatz soll im Folgenden dargestellt werden.

307  308 

[2008] EWCA Civ 184, Rn. 111. Wittinghofer, SchiedsVZ 2009, 156, 160.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

85

(5)  Offenlegung im öffentlichen Interesse (public interest exception) Während die englische Rechtsprechung die Öffentlichmachung von Schiedssprüchen in Einzelfällen unter Rekurs auf private (legitimate interest exception) oder justizielle (interests of justice exception) Interessen ermöglicht, haben australische Gerichte, insbesondere der australische High Court, die Auffassung vertreten, dass eine Veröffentlichung der Entscheidungen von Schiedsgerichten sowie weiterer Verfahrensunterlagen auch im allgemeinen öffentlichen Interesse geboten sein könne (public interest exception). Dieser Ausnahmetatbestand wirft jedoch in rechtsdogmatischer wie auch praktischer Hinsicht eine Reihe von Fragen auf, die im Folgenden anhand der einschlägigen Rechtsprechung dargestellt werden sollen.

(a)  Esso Australia Resources Ltd. v. Plowman (1995) Die letztinstanzliche Entscheidung des australischen High Court in Sachen Esso Australia Resources Ltd. and others v. The Honourable Sidney James Plowman and others309 im Jahre 1995 dürfte eine der wichtigsten und meistkommentierten Entscheidungen zum Schiedsverfahrensrecht der letzten Jahrzehnte darstellen.310 Dem Verfahren lagen mehrere Naturgaslieferverträge zugrunde, die Esso Australia Resources Ltd. und ein weiteres Gasförderunternehmen mit zwei öffentlichen Gasversorgungsunternehmen des australischen Bundesstaats Victoria abgeschlossen hatten. Die fraglichen Verträge enthielten Schiedsklauseln, hingegen keine ausdrückliche Verpflichtung der Parteien zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens. Als das australische Bundesparlament 1990 eine neue Steuer auf Naturgas einführte, erhöhte Esso Australia die Bezugspreise. Die öffentlichen Versorger hielten dies für vertragswidrig und leiteten unter beiden Verträgen Schiedsverfahren gegen Esso Australia ein. Da der Ausgang dieser Verfahren potentiell erhebliche Auswirkungen auf die Verbraucherpreise für Gaskunden besaß, verlangte die Regierung von Victoria von den Verfahrensbeteiligten die Offenlegung verschiedener Unterlagen aus diesen Verfahren. Esso Australia verweigerte unter Verweis auf die Vertraulichkeit des Verfahrens jegliche Auskunft. Daraufhin erhob der australische Energieminister James Plowman vor dem Supreme Court of Victoria Klage und begehrte Feststellung, dass die Informationen aus den fraglichen Schiedsverfahren keiner Geheimhaltungspflicht unterlägen. In erster Instanz gab der zuständige Einzel309  Abgedruckt

in 11 Arbitration International 235 (1995). Zeitschrift Arbitration International widmete der Besprechung der Esso-Entscheidung ein eigenes Sonderheft (11 Arbitration International, No. 3 (1995)). Vgl. neben den dortigen Beiträgen auch die Stellungnahmen von Tweeddale, 21 Arbitration International 59, 61 (2005); Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 171 f. (2005); Kouris, 22 Journal of International Arbitration 127, 132 ff. (2005); Neill, 12 Arbitration International 287, 297 ff. (1996); Rogers/Miller, 12 Arbitration International, 319, 327 ff. (1996). 310 Die

86

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

richter der Trial Division der Klage des Ministers statt. Auf die Berufung von Esso bestätigte die Appeal Division des Supreme Court die erstinstanzliche Entscheidung in einer Mehrheitsentscheidung weitgehend.311 Esso legte gegen diese Entscheidung erneut Berufung ein, sodass sich letztinstanzlich der High Court of Australia mit der Frage auseinandersetzen musste, ob und ggf. in welchem Umfang die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens der erstrebten Offenlegung von Informationen aus den beiden Schiedsverfahren entgegenstehe. Der High Court vertrat in einer umstrittenen Mehrheitsentscheidung312 die Auffassung, dass eine allgemeine Vertraulichkeitspflicht der Parteien eines Schiedsverfahrens nicht existiere und bestätigte damit die Instanzentscheidungen des Supreme Court of Victoria. Das Gericht setzte sich zunächst ausführlich mit der Rechtsprechung der englischen Gerichte in Dolling-Baker und Hassneh auseinander, die jeweils eine implizite Vertraulichkeitspflicht der Schiedsparteien aus der Natur des Schiedsverfahrens angenommen hatten. Dieser Argumentation folgte die Richtermehrheit nicht. Zur Begründung führte Mason CJ aus, die international uneinheitliche Rechtsprechung und das gespaltene Meinungsbild in der rechtswissenschaftlichen Literatur machten hinreichend deutlich, dass es an einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung des Vertraulichkeitsgrundsatzes fehle. Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens lasse sich im Übrigen auch nicht unter Verweis auf die diesbezüglichen wirtschaftlichen Interessen der Parteien (business efficacy test)313 begründen. Denn selbst die Verfechter einer allgemeinen Vertraulichkeitspflicht seien sich einig, dass die Vertraulichkeit des Verfahrens in einer Reihe von Fällen durchbrochen werden müsse, sodass die durch das business efficacy-Kriterium unterstellte umfassende Vertraulichkeit in der Praxis ohnehin nicht gewährleistet werden könne.314 Die Richtermehrheit lehnte die Annahme einer allgemeinen verfahrensimmanenten Vertraulichkeitspflicht auf dieser Grundlage daher konsequent ab, fuhr jedoch mit einer hypothetischen Prüfung möglicher Ausnahmen vom Vertraulichkeitsgrundsatz fort. Das Gericht stimmte insoweit der in Hassneh vertretenen Auffassung, wonach auch eine allgemeine Vertraulichkeitspflicht nicht unterschiedslos gelten könne, sondern abhängig von der Interessenlage der Verfahrensbeteiligten verschiedene Ausnahmen zulassen müsse, ausdrücklich zu. Gleichzeitig stellten die Richter jedoch fest, dass die in der englischen Rechtsprechung in Anlehnung 311  Zu den Entscheidungen der Vorinstanzen in Sachen Esso vgl. 11 Arbitration International 235, 238 ff. (1995). 312 Vgl. die ausführliche dissenting opinion von Toohey J, 11 Arbitration International 235, 255 ff. (1995). 313  In Anwendung des business efficacy test ist zu fragen, ob eine Vertragsklausel erforderlich ist, um der Vereinbarung die wirtschaftliche Funktionsfähigkeit zu verleihen, die die Parteien mit dem Vertragsschluss bezwecken. Der business efficacy test findet demgemäß im Rahmen der ergänzenden Vertragsauslegung Anwendung, vgl. Grobecker, Implied Terms, 1999, S. 103 ff. 314  11 Arbitration International 235, 243 ff. (1995).



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

87

an das Bank-Kunden-Verhältnis anerkannten Ausnahmen zu eng gefasst seien. Vielmehr seien auch Situationen denkbar, in denen ein anerkennenswertes Interesse einzelner Dritter bzw. der allgemeinen Öffentlichkeit an der Kenntnisnahme von Informationen aus einem Schiedsverfahren bestehen könne. Diese public interest exception komme vor allem dann in Betracht, wenn staatliche Hoheitsträger Parteien eines Schiedsverfahrens seien. Dem stehe nicht entgegen, dass die Parteien eines Schiedsverfahrens möglicherweise ein berechtigtes Interesse am Schutz sensibler Informationen wie Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen besäßen. Die Vertraulichkeit dieser Informationen könne jedoch auch gewährleistet werden, ohne dass gleich das gesamte Verfahren dem Blick der Öffentlichkeit entzogen werden müsse.315 Obwohl Esso eine besondere Fallgestaltung betraf und in der nachfolgenden gerichtlichen Praxis keineswegs den verbreitet gefürchteten Dammbruch zulasten der grundsätzlichen Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens ausgelöst hat, verdient die Entscheidung Beachtung. Ihre besondere Bedeutung liegt darin, dass sie – obwohl sie es versäumt, allgemeine inhaltliche Kriterien für das Vorliegen eines schützenswerten öffentlichen Interesses zu entwickeln316 – die Interessen nicht verfahrensbeteiligter Dritter bzw. der allgemeinen Öffentlichkeit erstmals als abwägungsrelevanten Faktor etabliert und damit die Vertraulichkeitsdogmatik im Schiedsverfahren wesentlich erweitert hat. Die Existenz berechtigter Offenlegungsinteressen außerhalb des Kreises der unmittelbar Verfahrensbeteiligten wird seit Esso zunehmend auch in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit diskutiert.317 Insgesamt hat der australische High Court damit einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu der anhaltenden Debatte um den Inhalt und die Grenzen der Vertraulichkeit im Schiedsverfahren geleistet.

(b)  Commonwealth of Australia v. Cockatoo Dockyard Pty. Ltd. (1995) Nur wenige Monate nach der Esso-Entscheidung widmete sich ein australisches Gericht erneut der Frage nach dem Bestehen und der Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht im Schiedsverfahren. In der Sache Commonwealth of Australia v. Cockatoo Dockyard Pty. Ltd.318 musste sich der Court of Appeal of New South Wales mit der Frage auseinandersetzen, ob und in welchem Um315 

11 Arbitration International 235, 249 (1995). die Notwendigkeit der Entwicklung materieller Kriterien zur Bestimmung des öffentlichen Interesses weist Brennan J in seiner dissenting opinion hin, vgl. 11 Arbitration International 235, 250 f. (1995). 317  Siehe die Nachweise oben 1. Teil, Kap. 1, Fn. 14. 318 (1995) 36 NSWLR 662. Zu dieser Entscheidung ausführlich Rogers/Miller, 12 Arbitration International 319, 333 ff. (1996); siehe daneben auch Hwang/Thio, 29 Journal of International Arbitration 137, 146 ff. (2012); Crookenden, 25 Arbitration International 603, 604 (2009); Tweeddale, 21 Arbitration International 59, 61 (2005); Trakman, 18 Arbitration International 1, 4 (2002). 316 Auf

88

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

fang die Parteien durch verfahrensleitende Verfügung des Schiedsgerichts zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet werden können. Zwischen dem Commonwealth und Cockatoo waren im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung zwei Schiedsverfahren im Zusammenhang mit einem Pachtvertrag anhängig. Das Commonwealth hatte Cockatoo Island, eine Insel im Hafen von Sydney, im Jahre 1933 langfristig an eine private Gesellschaft, Cockatoo Dock­yard, verpachtet, die darauf unter anderem eine Reparaturwerft betrieb. Der Pachtvertrag enthielt eine Schiedsklausel, die die Parteien auch zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens verpflichtete. Im Jahre 1991, noch vor Ablauf des Pachtvertrags, schloss Cockatoo Dockyard die Werft. Im Nachgang zu dieser Schließung kam es zu diversen Streitigkeiten zwischen den Parteien. Das Commonwealth warf Cockatoo Dockyard unter anderem vor, während der Betriebsdauer der Anlage gegen eine Reihe von Umweltschutzvorschriften verstoßen und damit erhebliche Umweltschäden verursacht zu haben. Cockatoo Dockyard machte ihrerseits geltend, das Commonwealth habe gegen vertragliche Verpflichtungen aus dem Pachtvertrag verstoßen und leitete ein Schiedsverfahren gegen das Commonwealth ein. Im Rahmen dieses Verfahrens beabsichtigte das Commonwealth unter anderem die Veröffentlichung diverser Sachverständigengutachten, die Verstöße von Cockatoo Dockyard gegen Umweltschutzvorschriften belegen sollten. Cockatoo Dockyard wandte sich daraufhin mit dem Antrag an das Schiedsgericht, sämtliche von den Parteien im Verfahren vorzulegenden oder hierfür erstellten Dokumente für vertraulich zu erklären und ihre Weitergabe an Dritte bzw. an die Öffentlichkeit zu verbieten. Das Schiedsgericht entsprach dem Antrag und erließ eine Verfügung, mit welcher den Parteien die Offenlegung verfahrensrelevanter Informationen gegenüber Dritten für die Dauer des Schiedsverfahrens untersagt wurde. Im Gegenzug beantragte das Commonwealth beim New South Wales Supreme Court die Aufhebung der Verfügung mit der Begründung, das Schiedsgericht sei zum Erlass einer derart weitgehenden Verfügung nicht befugt. Der Supreme Court wies den Antrag mit dem Argument zurück, das Commonwealth habe die Reichweite der schiedsrichterlichen Verfügung missverstanden. Das Commonwealth legte gegen diese Entscheidung Berufung beim New South Wales Court of Appeal ein. Der Court of Appeal gab dem Berufungsantrag statt und hob die streitgegenständliche Verfügung auf. Zwar verfüge das Schiedsgericht nach geltendem Recht über umfassende prozessuale Leitungskompetenzen, es dürfe dabei jedoch legitime öffentliche Interessen an der Offenlegung bestimmter verfahrensinterner Informationen nicht ignorieren. Verkenne das Schiedsgericht ein solches öffentliches Interesse an der Offenlegung von Verfahrensinformationen und verpflichte die Parteien gleichwohl zur umfassenden Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens, überschreite es die Grenzen seiner Zuständigkeit. So verhalte es sich in diesem Fall, weshalb die Verfügung des Schiedsgerichts keinen Bestand haben könne.



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

89

Ebenso wie Esso betrifft auch Cockatoo einen Sachverhalt unter Beteiligung eines Trägers hoheitlicher Gewalt, sodass auch hier hinsichtlich der Verallgemeinerungsfähigkeit der dort getroffenen Feststellungen Vorsicht geboten ist. Gleichwohl zeigt die Entscheidung, dass die public interest exception erhebliche Auswirkungen auf die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens haben kann. Zum einen kann die public interest exception auch durch entsprechende Parteivereinbarung nicht beseitigt werden. Selbst wenn die Parteien also – wie auch in Cockatoo – eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens eingehen, bleibt die Anordnung der Offenlegung von Verfahrensunterlagen oder des Schiedsspruchs prinzipiell möglich. Zum anderen präjudiziert die public interest exception auch die prozessuale Verfahrensleitung durch das Schiedsgericht selbst. Dieses muss in seinen verfahrensleitenden Anordnungen legitime Informationsinteressen der Öffentlichkeit unabhängig davon berücksichtigen, ob die Parteien sich – wie im vorliegenden Fall – zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet haben oder nicht. Ebenso wie Esso schweigt jedoch auch Cockatoo zu der wesentlichen Frage, wann und in welchem Umfang ein solches öffentliches Interesse gegeben ist. Den australischen Gerichten kommt aber zumindest das Verdienst zu, diese Frage erstmals zum Gegenstand einer breiteren Diskussion gemacht zu haben.

2.  Zeitliche Geltung der Vertraulichkeitsverpflichtung Neben der inhaltlichen bedarf auch die zeitliche Dimension der Vertraulichkeitspflicht näherer Betrachtung. Diese Frage ist trotz ihrer erheblichen praktischen Bedeutung bislang nur vereinzelt behandelt worden. Ihre Beantwortung hängt maßgeblich von der rechtlichen Grundlage einer solchen Vertraulichkeitspflicht im Einzelfall ab. Es ist unstreitig, dass die Parteien sich im Rahmen ihrer Privatautonomie bereits vor Beginn des Schiedsverfahrens sowie über dessen Ende hinaus zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichten können, was angesichts des weitgehenden Fehlens gesetzlicher oder schiedsordnungsrechtlicher Regelungen auch zu empfehlen ist.319 Diese Einigung kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen, wobei eine ausdrückliche Abrede aus Gründen 319 Die

International Law Association hat auf ihrer Haager Konferenz im Jahre 2010 zum Thema Confidentiality in International Commercial Arbitration mit Blick auf die Vertraulichkeitsproblematik ausdrücklich für individualvertragliche Lösungen geworben, vgl. den Konferenzbericht (August 2010), S. 20, abrufbar unter www.ila-hq.org. Hinsichtlich der Verpflichtung der Schiedsrichter zur Wahrung der Vertraulichkeit bestimmt Art. 9 der IBA Rules of Ethics for International Arbitrators (1987), dass diese auch über das Verfahrensende hinaus zur Geheimhaltung des Schiedsspruchs verpflichtet sind, soweit die Parteien sie nicht einvernehmlich von der Vertraulichkeitpflicht entbinden. Die IBA Rules stellen allerdings kein rechtsverbindliches Regelwerk, sondern lediglich eine unverbindliche best practiceEmpfehlung dar. Zur zeitlichen Dauer der schiedsrichterlichen Vertraulichkeitspflicht nach schweizerischem Recht vgl. Berger, in: Post Award Issues, 2012, S. 75, 90.

90

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

der Rechtssicherheit regelmäßig vorzuziehen sein wird. Der Interessenlage der Parteien wird es in aller Regel entsprechen, dass die Existenz des Schiedsverfahrens sowie vertrauliche Einzelheiten hieraus auch nach dessen Ende vertraulich bleiben, um negative öffentliche Reaktionen oder sonstige nachteilige Auswirkungen auf geschäftliche Aktivitäten zu vermeiden. Eine ausdrückliche Abrede kann die zeitliche Wirksamkeit dieser Pflicht präzise regeln und damit zur Vermeidung späterer Streitigkeiten beitragen. Zwar ist wegen der Formfreiheit einer solchen Abrede nach deutschem Recht auch eine konkludente Vereinbarung der Parteien zur Wahrung der Verfahrensvertraulichkeit möglich, es dürfte praktisch jedoch schwierig sein, einer solchen konkludenten Vereinbarung konkrete Anhaltspunkte hinsichtlich der zeitlichen Reichweite der Vertraulichkeitspflicht zu entnehmen.320 Die zeitliche Geltung einer Vertraulichkeitspflicht kann daneben grundsätzlich auch durch entsprechende Bestimmungen der im Einzelfall einschlägigen Schiedsordnung geregelt werden. Die international bedeutenden Schiedsordnungen enthalten jedoch keine solchen Vorschriften.321 Unabhängig vom Fehlen diesbezüglicher Bestimmungen spricht gegen eine solche Lösung auch, dass eine individuelle, auf die Interessen der Parteien abgestimmte Regelung auf diese Weise nicht möglich ist. Es ist keineswegs gesagt, dass die Parteien für alle Zeiten die Geheimhaltung eines bereits abgeschlossenen Schiedsverfahrens wünschen. In der Praxis mag dem Willen der Parteien möglicherweise bereits mit der Vereinbarung einer zeitlich begrenzten Vertraulichkeitspflicht Genüge getan sein, beispielsweise bis zum Abschluss eines oder mehrerer Parallelverfahren oder einer bestimmten Transaktion. Diese Flexibilität können pauschale Lösungen auf der Grundlage einer institutionellen Schiedsordnung nicht bieten. Schließlich soll die zeitliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht auch durch entsprechende Verfügungen des Schiedsgerichts konkretisiert werden können.322 Ein unbestreitbarer Vorteil der schiedsrichterlichen Verfügung liegt darin, dass die Verfügung, anders als eine Parteiabrede, jederzeit flexibel an Veränderungen des Verfahrensstands angepasst werden kann.323 Ein Formulierungsvorschlag für eine Model Procedural Order on Confidentiality in International Arbitration ist jüngst von Hwang/Thio324 vorgelegt worden, die in der Frage nach der zeitlichen Geltungsdauer der Vertraulichkeitspflicht eine eindeutige Position einnehmen. In § 1 der Mustervereinbarung heißt es: “Except as the parties expressly agree in writing (whether in the arbitration agreement or otherwise) or leave is given by the Arbitral Tribunal, the parties undertake to keep 320 

Zu diesen Schwierigkeiten bereits oben S. 20 ff. Brown, 16 American University International Law Review 969, 999 (2000). 322 So Hwang/Thio, 29 Journal of International Arbitration 137, 165 f. (2012); Baldwin, 31 Texas International Law Journal 451, 454 (1996). 323  Siehe bereits oben S. 33 ff. 324  Hwang/Thio, 29 Journal of International Arbitration 137, 143 (2012). 321 



III.  Sachliche Reichweite einer Vertraulichkeitspflicht

91

confidential all Confidential Information. Additionally, the provisions of this Procedural Order shall continue in force notwithstanding the termination of the arbitration.”

Die Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit soll nach Ansicht der Autoren im Regelfall auch über das Ende des Schiedsverfahrens hinaus Bestand haben. Eine solche Regelung kann das Schiedsgericht allerdings nur mit dem Einverständnis der Parteien treffen, da es insoweit den Parteien zusätzliche Verpflichtungen auferlegt und damit über den ihm durch die Schiedsvereinbarung verliehenen Kompetenzbereich hinausgeht.325 Im Ergebnis bedarf es also auch in dieser Konstellation einer Zustimmung der Parteien. Individualvertraglicher und schiedsrichterlicher Regelungen bedarf es hingegen nicht, wenn die zeitliche Geltung der Vertraulichkeitspflicht bereits gesetzlich festgelegt ist. Dies ist, soweit kein anerkannter Ausnahmetatbestand vorliegt, im englischen und im singapurischen Recht der Fall, wo die Rechtsprechung die zeitlich unbegrenzte Geltung der Vertraulichkeitspflicht mehrfach bestätigt hat.326 Für das neuseeländische Recht hat der dortige High Court in der Rechtssache Television New Zealand v. Langley Productions327 hingegen entschieden, dass die gesetzlich verankerte Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit nicht mehr in einem nachfolgenden Vollstreckbarerklärungsverfahren gilt. Das deutsche Recht kennt demgegenüber keine gesetzliche Verpflichtung der Parteien zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens, sodass auch gesetzliche Vorschriften zum zeitlichen Rahmen dieser Verpflichtung fehlen. Zusammenfassend bleibt festzuhalten, dass die Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens nicht auf die Dauer des schiedsgerichtlichen Verfahrens beschränkt ist, sondern – soweit solche vorhanden sind – maßgeblich vom Inhalt der entsprechenden Parteiabreden abhängt. Fehlt es an solchen, kann auch das Schiedsgericht im Wege der verfahrensleitenden Verfügung Anordnungen zur zeitlichen Reichweite der Vertraulichkeitspflicht treffen, wobei es aber gegebenenfalls die Zustimmung der Parteien einholen muss.

325 

Hwang/Thio, 29 Journal of International Arbitration 137, 164 (2012); im Ergebnis wohl auch Haas/Kahlert, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, S. 963, 973. 326  Hwang/Thio, 29 Journal of International Arbitration 137, 164 (2012). Für das singapurische Recht vgl. die Entscheidung des singapurischen High Court in Myanma Yaung Chi Oo Co. Ltd. v. Win Win Nu and another, [2003] SGHC 124. Zu dieser Entscheidung auch Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 45 f.; Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 172 f. (2005); Smith/Moh, 8 Vindobona Journal of International Commercial Law & Arbitration 37, 43 ff. (2004). Eine vertraulichkeitskritischere Haltung nahm der High Court in der Entscheidung International Coal Pte Ltd. v. Kristle Trading Ltd. and another ([2008] SGHC 182) ein. Danach soll der Schiedsspruch jedenfalls ab dem Zeitpunkt seiner gerichtlichen Registrierung zu Vollstreckungszwecken keinen Vertraulichkeitsschutz mehr genießen. 327  [2000] 2 NZLR 250 (HC). Näher Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 60 ff.; Hwang/ Chung, 26 Journal of International Arbitration 609, 620 f. (2009).

92

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

IV.  Persönliche Reichweite der Vertraulichkeitspflicht An einem Schiedsverfahren ist regelmäßig eine größere Anzahl von Personen beteiligt. In erster Linie sind dies die Parteien selbst (1.) sowie die Mitglieder des Schiedsgerichts (2.). Weitere wesentliche Beteiligte sind in der Regel die anwaltlichen Vertreter der Parteien (3.), daneben im erforderlichen Umfang auch Sachverständige (4.) und Zeugen (5.). Handelt es sich um ein institutionelles Schiedsverfahren, sind ferner auch Mitarbeiter der betreffenden Schiedsinstitution mit dem Verfahren befasst (6.). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und ggf. in welchem Umfang all diese Personen zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens verpflichtet sind.

1. Parteien Die Parteien eines Schiedsverfahrens können sich stets durch individualvertragliche Vereinbarung gegenseitig zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens verpflichten.328 Ob daneben auch eine allgemeine, gewohnheitsrechtlich begründete Vertraulichkeitspflicht existiert, ist umstritten.329 Soweit institutionelle Schiedsordnungen Regelungen zur Vertraulichkeit des Verfahrens enthalten, sind die Parteien eines Schiedsverfahrens überwiegend zur Vertraulichkeit verpflichtet.330 Daneben können die Parteien auch durch das Schiedsgericht im Wege der verfahrensleitenden Verfügung zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet werden, und zwar in der Regel auch ohne dass sie das Schiedsgericht hierzu ausdrücklich ermächtigt haben.331 In Einzelfällen können die Parteien schließlich auch auf gesetzlicher Grundlage zur Vertraulichkeit verpflichtet sein.332 Fraglich kann unter Umständen sein, wer Partei in diesem Sinne ist. Die Vorschriften des 10. Buchs der ZPO verwenden den Parteibegriff ohne nähere Erläuterung. In diesem Zusammenhang kann – vor allem bei Mehrparteienschiedsverfahren – fraglich sein, welche Beteiligten „Parteien“ des Schiedsverfahrens sind. Nach überwiegender Auffassung gilt auch im Schiedsverfahren der formelle Parteibegriff der §§ 50 ff. ZPO.333 Da328 

Siehe oben S. 15 ff. Siehe oben S. 22 ff. 330 Gleichwohl enthält eine Reihe in der Praxis bedeutsamer Schiedsordnungen (ICC, UNCITRAL, ICSID, AAA) keine Verpflichtung der Parteien zur Wahrung der Vertraulichkeit. Näher oben S. 29 ff. 331  Siehe oben S. 33 ff. 332  Siehe oben S. 39 ff. 333  Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1044, Rn. 16; Wilske/Markert, in: BeckOKZPO, Stand: 1. 9. 2015, § 1044, Rn. 3; Saenger, ZPO, 6. Aufl. 2015, § 1044, Rn. 3. Anders Müller/Keilmann, SchiedsVZ 2007, 113, 120: formeller Parteibegriff gilt nur für staatliche Rechtsschutzverfahren, im Schiedsverfahren ist Partei, wer die Schiedsvereinbarung unterzeichnet hat. 329 



IV.  Persönliche Reichweite der Vertraulichkeitspflicht

93

nach ist Partei, wer im eigenen Namen Rechtsschutz begehrt und gegen wen Rechtsschutz begehrt wird.334 Zweifellos gilt dies im Regelfall des Zweiparteienschiedsverfahrens für Kläger und Beklagten. In vielen Fällen werden die Parteien jedoch ein Interesse an der Einbeziehung Dritter haben. Dies kann vor allem bei Regressverfahren in mehrstufigen Lieferbeziehungen oder in Konsortialstreitigkeiten der Fall sein.335 Kommt es in einem solchen Fall zu einer auch im Schiedsverfahren prinzipiell zulässigen336 Streitverkündung und in der Folge zum Streitbeitritt, erlangen die betreffenden Streitverkündeten bzw. Nebenintervenienten gleichwohl nicht die Stellung einer Prozesspartei. Dies ergibt sich aus den in § 68 ZPO angeordneten Wirkungen der Nebenintervention, die über § 74 Abs. 1 ZPO auch für den Streitverkündeten maßgeblich sind. Soweit nach dem Gesagten Dritte dem Schiedsverfahren beitreten, sind sie grundsätzlich nicht zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet. In diesem Falle sind ergänzende vertragliche Abreden zur Sicherstellung der Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens unabdingbar.

2. Schiedsrichter Auch Schiedsrichter sind anerkanntermaßen zur Wahrung der Verschwiegenheit hinsichtlich solcher Informationen, die ihnen aus oder im Zusammenhang mit ihrem Mandat bekannt werden, verpflichtet.337 Die Vertraulichkeitspflicht kann zunächst unmittelbar aus dem zwischen den Schiedsrichtern und den Parteien geschlossenen Schiedsrichtervertrag folgen, wobei sowohl eine ausdrückliche als auch eine konkludente Vereinbarung in Betracht kommt.338 Eine ausdrückliche vertragliche Lösung ist regelmäßig sinnvoll, weil auf diese Weise Inhalt und Reichweite der wechselseitigen Pflichten im Einzelfall präzise geregelt werden können. Zudem kann der Schiedsrichtervertrag auf der Rechtsfolgenseite auch

334  Weth, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 50, Rn. 3; Jaspersen/Wache, in: BeckOKZPO, Stand: 1. 9. 2015, § 91, Rn. 51. 335 Vgl. von Hoffmann, in: Beteiligung, 2005, S. 131 ff. 336 Hierzu Müller/Keilmann, SchiedsVZ 2007, 113; Elsing, SchiedsVZ 2004, 88. 337  Haas/Kahlert, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, S. 963, 967; Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 84; Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 142; Berger, in: Post Award Issues, 2012, S. 75, 89; Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 170 (2005); Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook 175, 180 (1997). Zur Vertraulichkeitspflicht von Hilfspersonen des Schiedsgerichts vgl. Stürner, SchiedsVZ 2013, 322, 324 f. 338 BGH, NJW 1986, 3077, 3078; Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S.  84; Haller, SchiedsVZ 2011, 179, 181; Sawang, Geheimhaltung, 2009, S. 244  f.; Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005, S. 456 f. Abweichend Prütting, in: Schwab-FS, 1990, S. 409, 413; Gleiss/Helm, MDR 1969, 93. Die Vereinbarung kommt jeweils zwischen dem einzelnen Schiedsrichter und allen Parteien zustande, es handelt sich um ein mehrseitiges Rechtsgeschäft, vgl. Münch, in: MüKo- ZPO, 4. Aufl. 2013, Vorb zu den §§ 1034 ff., Rn. 12 und jüngst LG Köln, NJW-RR 2013, 1273, 1274.

94

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

die Konsequenzen von Verstößen gegen die Vertraulichkeitspflicht regeln. Nach der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofs sollen Schiedsrichter aber auch dann zur Verschwiegenheit verpflichtet sein, wenn eine entsprechende ausdrückliche Anordnung im Vertrag fehlt. Der Schiedsrichtervertrag begründet nach dieser Auffassung eine allgemeine Mitwirkungs- und Förderpflicht des Schiedsrichters, die diesen unter anderem zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens verpflichtet.339 Offen bleibt, wie diese Pflicht rechtlich begründet werden kann. Der Bundesgerichtshof geht nach dem Wortlaut der Entscheidung offenbar von einer gewohnheitsrechtlichen Anerkennung aus, die wohl herrschende Ansicht in der Literatur, die eine grundsätzliche Vertraulichkeitspflicht des Schiedsrichters ebenfalls bejaht, nimmt insoweit eine ergänzende Vertragsauslegung vor.340 Die Ansicht der Literatur verdient Zustimmung. Gegen eine gewohnheitsrechtliche Konstruktion spricht zum einen, dass sowohl die Existenz als auch der Inhalt und die Reichweite der schiedsrichterlichen Vertraulichkeitspflicht im Einzelfall unklar sind, und zum anderen, dass ein solcher schematischer Ansatz keinen Raum für einzelfallbezogene Anpassungen lässt und den Interessen der Parteien unter Umständen sogar zuwiderlaufen kann.341 Es ist keineswegs gesagt, dass die Parteien eines Schiedsverfahrens stets und unter allen Umständen an der Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens interessiert sind und das Schiedsgericht demgemäß zu strikter Verschwiegenheit verpflichten möchten. Im Gegenteil sind ohne weiteres auch Situationen denkbar, in denen die umfassende Geheimhaltung der Existenz und der Einzelheiten eines Schiedsverfahrens kontraproduktiv sein kann, so beispielsweise, wenn an dem Verfahren Träger hoheitlicher Gewalt beteiligt sind.342 Die vertragsrechtliche Lösung geht demgegenüber von der Interessenlage der Parteien und der Bedeutung der Vertraulichkeit für diese im konkreten Einzelfall aus und ermöglicht auf diese Weise sachgerechte Lösungen. Der Schiedsrichter ist danach nur insoweit zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet, als dies den übereinstimmenden Erwartungen der Parteien entspricht. Der Erwartungshorizont der Parteien muss deshalb konsequenterweise auch für die Frage nach der zeitlichen Dimension der Vertraulichkeitspflicht maßgeblich sein. In der Regel wird es den Interessen der Parteien entsprechen, den Schiedsrichter nicht nur für die Dauer des Schiedsverfahrens, sondern auch für bestimmte Zeiträume vor und nach dem Verfahren zur Vertraulichkeit zu verpflichten. Häufig werden die Parteien mit Blick auf den Schutz von Betriebs339 

BGH, NJW 1986, 3077, 3078. Gal, Haftung, 2009, S. 330; Sawang, Geheimhaltung, 2009, S. 244 f.; Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005, S. 456 f.; a. A. Prütting, in: Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 629, 633. 341  Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 615, dort Fn. 39 (2004); Smit, 11 Arbitration International 299, 300 (1995). 342  Ritz, 27 Journal of International Arbitration 221, 226 (2010). 340 



IV.  Persönliche Reichweite der Vertraulichkeitspflicht

95

oder Geschäftsgeheimnissen oder auf mögliche negative Folgen für ihre Außendarstellung auch nach dem Abschluss des Schiedsverfahrens daran interessiert sein, dessen Einzelheiten vertraulich zu behandeln. Die Pflicht des Schiedsrichters zur Verschwiegenheit endet demgemäß nicht mit dem Abschluss des Schiedsverfahrens, sondern besteht als „fortwirkende Pflicht“343 auch über dessen Ende hinaus, soweit keine einvernehmliche Aufhebung erfolgt.344 Ob vor diesem Hintergrund ein Schiedsrichter nach Abschluss des Schiedsverfahrens in einem staatlichen Gerichtsverfahren als Zeuge zu Einzelheiten des Schiedsverfahrens aussagen darf oder sogar muss, wird unterschiedlich beurteilt. Ein umfassendes gesetzliches Zeugnisverweigerungsrecht steht dem Schiedsrichter de lege lata nicht zu.345 Unstreitig dürfte aber sein, dass ein Schiedsrichter wegen des auch für das Schiedsverfahren geltenden Beratungsgeheimnisses grundsätzlich nicht als Zeuge zum Inhalt oder zur Auslegung des Schiedsspruchs vernommen werden darf; die Vertraulichkeitspflicht dient neben der Sicherung der Autorität des Schiedsspruchs auch dem Schutz der Schiedsrichter.346 Dies gilt wegen der Schutzfunktion des Beratungsgeheimnisses selbst dann, wenn die Parteien den Schiedsrichter einvernehmlich von seiner Verschwiegenheitspflicht entbinden.347 Damit ist allerdings noch nicht gesagt, dass Schiedsrichter nicht über solche Tatsachen aussagen dürfen, die nicht dem Beratungsgeheimnis unterfallen, beispielsweise über den Inhalt bestimmter Zeugenaussagen. Dies kann beispielsweise dann von Bedeutung sein, wenn ein Zeuge in verschiedenen Schiedsverfahren unterschiedliche bzw. widersprüchliche Angaben zum Sachverhalt macht.348 Angesichts dieser und ähnlicher Fallgestaltungen und unter Berücksichtigung der Tatsache des Fehlens eines allgemeinen Zeugnisverweigerungsrechts erscheint es überzeugend, Ausnahmen von der schiedsrichterlichen Vertraulichkeitspflicht jedenfalls dann zuzulassen, wenn eine Verletzung übergeordneter Interessen droht, was beispielsweise bei massiven, grundrechtsrelevanten Verfahrensverstößen oder bei Verdacht auf im

343 

Gal, Haftung, 2009, S. 327. Haas/Kahlert, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, S. 963, 967; Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005, S. 457. 345  Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, Vorb §§ 1025 ff., Rn. 71. Dagegen gewährt § 4 MediationsG i. V. m. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem Mediator ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich sämtlicher Tatsachen, die ihm im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit bekannt werden, vgl. den Regierungsentwurf zum Mediationsgesetz, BT-Drs. 17/5335, S. 11. Hierzu auch Risse/Bach, SchiedsVZ 2011, 14, 18. 346  BGH, NJW 1957, 592; Kühn/Gantenberg, in: Schlosser-FS, 2005, S. 475; Gleiss/Helm, MDR 1969, 93, 94. 347  BGH, NJW 1957, 592. 348  So der Sachverhalt im Verfahren London & Leeds Estates Ltd. v. Paribas (No. 2), [1995] 2 EG 134. 344 

96

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Zusammenhang mit dem Schiedsverfahren begangene strafbare Handlungen von Verfahrensbeteiligten zumindest nicht ausgeschlossen sein dürfte.349 Eine Vertraulichkeitspflicht kann ferner auch auf schiedsordnungs- oder berufsrechtlicher Grundlage bestehen. Institutionelle Schiedsordnungen verpflichten Schiedsrichter fast ausnahmslos zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens.350 Wo dies nicht der Fall ist, bestehen teilweise ergänzende interne Regelungen. So verpflichtet Art. 6 Abs. 2 ICSID-SchO die Schiedsrichter zur Unterzeichnung einer schriftlichen Erklärung, die unter anderem die Verpflichtung zur Geheimhaltung sämtlicher Informationen zum Schiedsverfahren und zum Schiedsspruch selbst vorsieht.351 Die Schiedsordnung der ICC verpflichtet die Verfahrensbeteiligten einschließlich der Schiedsrichter zwar nicht ausdrücklich zur Vertraulichkeit352, die vertrauliche Behandlung verfahrensinterner Informationen insbesondere durch das Schiedsgericht ist jedoch gelebte Praxis.353 In allgemeiner Form bestimmt schließlich auch Art. 9 der IBA Rules of Ethics for International Arbitrators (1987)354, dass die Schiedsrichter vorbehaltlich einer entsprechenden Zustimmung der Parteien keine Einzelheiten zum Inhalt des Schiedsspruchs an Dritte weitergeben dürfen.355 Noch weitgehend ungeklärt ist, ob ein als Schiedsrichter tätiger Rechtsanwalt auch im Rahmen des Schiedsrichteramts an bestimmte berufsrechtliche Schweigepflichten, beispielsweise nach § 43a Abs. 2 BRAO i. V. m. § 2 BORA, gebunden ist.356 Die bestehenden Unsicherheiten sind wesentlich der Tatsache geschuldet, dass das Berufsbild des Schiedsrichters und insbesondere die mit dem Schiedsrichteramt verbundenen berufsethischen Pflichten in Deutschland gegenwärtig kaum geregelt sind.357 Gleichwohl können Situationen eintreten, in denen ein Schiedsrichter trotz bestehender Verschwiegenheitspflicht zur Offenlegung bestimmter vertraulicher 349  Auch das Beratungsgeheimnis lässt Ausnahmen bei erheblichen Verstößen gegen das Rechtsstaatgebot zu, siehe Voit, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 1052, Rn. 3. 350  Vgl. die tabellarische Übersicht oben S. 31 f. 351  Norris/Metzidakis, 15 Harvard Negotiation Law Review 31, 46 (2010); Lörcher, SchiedsVZ 2005, 11, 16; Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 615 (2004); Buys, 14 American Review of International Arbitration, 121, 124 (2003). 352  Art. 6 des Statuts des Internationalen Schiedsgerichtshofs i. V. m. Art. 1 der Geschäftsordnung des Internationalen Schiedsgerichtshofs gilt ausschließlich für Mitarbeiter des Internationalen Schiedsgerichtshofs. 353  Paulsson/Rawding, 11 Arbitration International 303, 318 f. (1995): “It is true that the ICC Court’s Secretariat, in its form letter notifying persons of their appointment as arbitrators, emphasizes that the arbitrator’s mission requires the utmost respect for the confidential nature of the proceedings.”. Siehe hierzu auch Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 75 f.; Craig/Park/ Paulsson, International Chamber of Commerce, 3. Aufl. 2000, S. 311 f. 354  Abgedruckt in 3 Arbitration International 1 (1987). 355  Craig/Park/Paulsson, International Chamber of Commerce, 3. Aufl. 2000, S. 312. 356 Dafür Prütting, SchiedsVZ 2011, 233, 237 f.; zweifelnd Lotz, AnwBl 2002, 202, 205. 357  Prütting, SchiedsVZ 2011, 233.



IV.  Persönliche Reichweite der Vertraulichkeitspflicht

97

Informationen verpflichtet ist.358 Neben der bereits angesprochenen möglichen Aussagepflicht als Zeuge im Nachgang zu einem Schiedsverfahren kann eine solche Offenlegungspflicht auch bereits vor Beginn eines Schiedsverfahrens entstehen, wenn die Parteien Sondierungsgespräche mit möglichen Schiedsrichterkandidaten führen. Im deutschen Recht bestimmt § 1036 Abs. 1 ZPO insoweit ausdrücklich, dass eine Person, der ein Schiedsrichteramt angetragen wird, alle Umstände offenzulegen hat, die Zweifel an ihrer Unparteilichkeit oder Unabhängigkeit wecken können. Eine vergleichbare Pflicht formuliert auch § 16 DIS-SchO, wobei entsprechende Offenlegungspflichten nicht nur gegenüber den Parteien, sondern auch gegenüber der DIS-Geschäftsstelle bestehen. Die Verpflichtung des Schiedsrichters zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens besteht bis zum rechtskräftigen Abschluss des Schiedsverfahrens. Zu den offenlegungspflichtigen Tatsachen gehören auch eine mögliche Vorbefassung des Kandidaten mit dem Rechtsstreit sowie Schiedsrichtertätigkeiten in früheren Verfahren unter Beteiligung einer oder mehrerer der Parteien.359 Ist der Schiedsrichter demgemäß gesetzlich zur Offenlegung bestimmter Informationen gegenüber den Parteien oder der Schiedsinstitution verpflichtet, muss eine möglicherweise bestehende vertragliche Geheimhaltungspflicht dahinter zurücktreten. Verstößt der Schiedsrichter gegen seine Pflicht zur Vertraulichkeit, ohne dass dies durch gesetzliche Anordnung oder sonstige übergeordnete Erwägungen gerechtfertigt ist, kann er gemäß §§ 1036, 1038 ZPO aus dem Amt entfernt werden.360 Daneben haftet er den Schiedsparteien grundsätzlich auf Unterlassung und auf Schadensersatz.361 Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens kann ferner gefährdet sein, wenn Schiedsrichter im Zusammenhang mit einem Schiedsverfahren Kenntnis von Straftaten, insbesondere von Korruptions- oder Geldwäschedelikten erlangen. Insoweit ließe sich erwägen, ob nicht eine Anzeigepflicht des Schiedsrichters gegenüber den im Einzelfall zuständigen staatlichen Behörden besteht.362 Unstrittig dürfte dagegen sein, dass den Schiedsrichtern in einem solchen Fall ein Recht auf außerordentliche Kündigung des Schiedsrichtervertrags zusteht.363 358  Dazu gehört es aber nicht, dass der Vorsitzende eines Schiedsgerichts die Entscheidung des nachfolgend angerufenen Oberlandesgerichts zur Aufhebung des (Teil-)Schiedsspruchs unter Nennung von verfahrensinternen und mutmaßlich vertraulichen Details öffentlich kritisiert (so aber Deutsch, in: SchiedsVZ 2006, 103, 105 f.). 359  Spohnheimer, Gestaltungsfreiheit, 2010, S. 249 ff. 360  OLG Frankfurt, BeckRS 2008, 13980; Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, Vorb §§ 1034 ff., Rn. 28. 361  Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, Vorb §§ 1034 ff., Rn. 28; Müller, 23 ASA Bulletin 216, 233 (2005); Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 634 (2004); Gal, Haftung, 2009, S. 334; Wyss, International Arbitration Law Review 2009, 158, 166; Paulsson/Rawding, 11 Arbitration International 303, 319, dort Fn. 23 (1995). Zu den Einzelheiten siehe unten S. 109 ff. 362  Rieder/Schoenemann, NJW 2011, 1169, 1173 f. 363  Rieder/Schoenemann, NJW 2011, 1169, 1174.

98

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Mit Blick auf die schadensersatzrechtliche Verantwortung des Schiedsrichters kann schließlich fraglich sein, ob ihm hinsichtlich des Verschuldensmaßstabs gesetzliche oder vertragliche Haftungserleichterungen zugutekommen. Eine unmittelbare Anwendung des Spruchrichterprivilegs nach § 839 Abs. 2 BGB wird unter Verweis auf Wortlaut und Zweck der Vorschrift zwar mehrheitlich abgelehnt, eine ergänzende Vertragsauslegung führt nach herrschender Meinung jedoch regelmäßig zu dem Ergebnis, dass der Schiedsrichter nicht strenger haften soll, als ein staatlicher Richter haften würde.364 Bei institutionellen Schiedsverfahren sind zudem haftungsrelevante Vorschriften der im Einzelfall anwendbaren Schiedsordnung zu beachten. So schließt beispielsweise § 44 DIS-SchO die Haftung des Schiedsrichters und der DIS für einfach fahrlässig begangene Pflichtverletzungen aus. Zu beachten ist allerdings, dass die gesetzlichen Haftungsprivilegierungen regelmäßig nur für die Spruchtätigkeit des Schiedsrichters gelten, nicht hingegen für Pflichtverletzungen außerhalb der eigentlichen richterlichen Entscheidungstätigkeit. Die Wahrung der Vertraulichkeit gehört nicht zur schiedsrichterlichen Spruchtätigkeit. Sofern nicht ausnahmsweise (z. B. § 44.2 DIS-SchO) Haftungserleichterungen auch auf sonstige mit dem Schiedsverfahren in Zusammenhang stehende Handlungen oder Unterlassungen erstreckt werden, haftet der Schiedsrichter demgemäß für jedes Verschulden. Eine darüber hinaus gehende strafrechtliche Verantwortlichkeit des Schiedsrichters nach § 203 Abs. 2 StGB kommt aufgrund seiner fehlenden Eigenschaft als Amtsträger nicht in Betracht.365

3. Parteivertreter Im deutschen Recht kann sich jede Partei eines Schiedsverfahrens durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, § 1042 Abs. 2 ZPO.366 Dieses Recht ist unentziehbar und soll gewährleisten, dass die betreffende Partei ihr Recht auf rechtliches Gehör effektiv wahrnehmen kann.367 Zwar besteht im Schiedsverfahren

364  BGH, NJW 1954, 1763, 1764; Wöstmann, in: Staudinger, Neubearbeitung 2012, § 839, Rn. 332 m. w. N. Für eine analoge Anwendung des § 839 Abs. 2 BGB plädiert dagegen Götz, SchiedsVZ 2012, 311, 316 f. Siehe nun aber BGH, NJW 2013, 1296, 1297, Rn. 18. 365  Stürner, SchiedsVZ 2013, 322, 325; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 4294; Kühn/Gantenberg, in: Schlosser-FS, 2005, S. 461, 470. Anders kann dies u. U. mit Blick auf § 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB jedoch sein, wenn der Schiedsrichter zugleich Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder Steuerberater ist. 366  Das Recht der Schiedsparteien auf anwaltliche Vertretung folgt daneben auch aus § 3 Abs. 3 Hs. 2 Var. 2 BRAO. Die spiegelbildliche Befugnis des Rechtsanwalts, vor Schiedsgerichten aufzutreten, folgt aus § 3 Abs. 2 Var. 2 BRAO. 367  Bei einem Verstoß gegen den Gehörsgrundsatz kann der Schiedsspruch nach § 1059 Abs. 2 Nr. 1 lit. b), c) ZPO aufgehoben werden, sofern er auf der Gehörsverletzung beruht, vgl. BGH, NJW 1986, 1436, 1438; OLG Düsseldorf, BeckRS 2007, 16701.



IV.  Persönliche Reichweite der Vertraulichkeitspflicht

99

kein Anwaltszwang368, gleichwohl ist die anwaltliche Vertretung der Schiedsparteien in der Praxis die Regel.369 Da der bevollmächtigte Rechtsanwalt aufgrund seiner Verfahrensstellung regelmäßig umfassenden Einblick in sämtliche verfahrensrelevanten Unterlagen erlangt, ist seine Verpflichtung zur Vertraulichkeit von besonderer Bedeutung, zumal Fälle einseitiger, nicht autorisierter Weitergabe von Verfahrensinterna durch Parteivertreter in Schiedsverfahren in der Praxis nicht selten sind.370 Ein in Deutschland zugelassener Rechtsanwalt ist bereits gesetzlich zur Vertraulichkeit verpflichtet. § 43a Abs. 2 BRAO bestimmt insoweit: „Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. Diese Pflicht bezieht sich auf alles, was ihm in Ausübung seines Berufes bekannt geworden ist. Dies gilt nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen.“

Diese Pflicht wird in berufsrechtlicher Hinsicht durch § 2 BORA ergänzt, der unter anderem klarstellt, dass die Verschwiegenheitspflicht auch nach Beendigung des Mandats fortwirkt und dass der Rechtsanwalt verpflichtet ist, auch seine Mitarbeiter zur Verschwiegenheit zu verpflichten und anzuhalten. Entsprechende Zeugnisverweigerungs- und Beschlagnahmefreiheitsrechte sichern die berufsrechtliche Verschwiegenheit des Rechtsanwalts weitgehend ab.371 Die vorgenannten Vorschriften gelten auch für die Tätigkeit des Rechtsanwalts in Schiedsverfahren.372 Die Pflicht des anwaltlichen Vertreters zur Wahrung der Verschwiegenheit hinsichtlich von Tatsachen, die ihm im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit anvertraut worden sind, ist auch international unumstritten. Möglicherweise verpflichten institutionelle Schiedsordnung auch deshalb Parteivertreter nur ganz vereinzelt ausdrücklich zur Wahrung der Vertraulich-

368  Geimer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 1042, Rn. 21; Voit, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 1042, Rn. 7; Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 95. 369 Die Parteien eines Schiedsverfahrens mit Schiedsort in Deutschland sind nicht auf in Deutschland zugelassene Rechtsanwälte beschränkt, sondern können auch ausländische Berufsträger mit vergleichbarer Qualifikation mandatieren, siehe nur BT-Drs. 13/5274, S. 46; Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1042, Rn. 67. 370 Vgl. Paulsson/Rawding, 11 Arbitration International 303, 317 (1995), die hierfür vor allem egoistische Gründe verantwortlich machen: “Here the greatest guilt is borne by the lawyers, who have without doubt far more often been the true causes of the unilateral publication of information about awards than their clients. Indiscreet lawyers typically justify themselves by referring to a wish to contribute to the body of international trade law, but somehow the reader cannot keep the word ‘self-aggrandisement’ from creeping into his mind.” Ähnlich Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 126; Jolivet, 22 Arbitration International 265, 269 (2006). Zur Zulässigkeit und zu den Voraussetzungen einer Weitergabe von vertraulichen Verfahrensinformationen an Hilfspersonen (z. B. an den Sekretär des Schiedsgerichts) vgl. Stürner, SchiedsVZ 2013, 322. 371  § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO; §§ 53 Abs. 1 Nr. 3, 97 StPO. 372  Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1042, Rn. 64.

100

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

keit des Schiedsverfahrens.373 In Zweifelsfällen, beispielsweise bei nicht in Deutschland zugelassenen Rechtsanwälten, kann die mandatierende Partei im Übrigen stets auf dem Abschluss einer gesonderten Vertraulichkeitsvereinbarung bestehen.

4. Zeugen Zeugen unterliegen als Beweismittel ohne ihr ausdrückliches Einverständnis grundsätzlich keiner Vertraulichkeitspflicht, obwohl sie aufgrund ihrer Verfahrensstellung unter Umständen umfassende Kenntnisse über ein Schiedsverfahren erlangen können.374 Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten, Zeugen auf andere Weise wirksam zur Wahrung der Vertraulichkeit zu verpflichten, wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur seit Längerem gegen eine allgemeine Vertraulichkeitspflicht plädiert, da diese gegenüber einem wesentlichen Teil der Verfahrensbeteiligten, so vor allem gegenüber den Zeugen, praktisch nicht durchsetzbar sei.375 Im Ausgangspunkt sind Zeugen im schiedsgerichtlichen Verfahren zu nichts verpflichtet.376 Da dem Schiedsgericht die Befugnis zum Erscheinens- und Aussagezwang fehlt, müssen Zeugen gegen ihren Willen nicht erscheinen und dürfen, sofern sie erscheinen, (weitgehend) ungestraft lügen.377 Als Nichtparteien sind sie nicht an die Schiedsvereinbarung gebunden, sodass selbst dann, wenn die betreffende Schiedsvereinbarung eine ausdrücklich oder konkludent vereinbarte Vertraulichkeitspflicht enthält, diese für die Zeugen keine Wirkung entfaltet.378 Gesetzliche Vorschriften, die Zeugen eines schiedsgerichtlichen Verfahrens zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichten würden, sind nicht ersichtlich, in Schiedsordnungen finden sich entsprechende 373 Art. 38 Abs. 2 CIETAC-SchO; Rule 38 Abs. 2 JCAA-SchO. Vgl. die Übersicht oben S. 31 f. 374  Etwas zu optimistisch Oldenstam/Pachelbel, SchiedsVZ 2006, 31, 33 f., die die Auffassung vertreten, Zeugen besäßen lediglich ausschnittsweise Kenntnisse des Schiedsverfahrens und hätten zudem regelmäßig kein Interesse an einer Weitergabe von verfahrensinternen Informationen. 375  Hwang/Chung, 26 Journal International Arbitration 609, 610 (2009); Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 146; Ong, 1 Asian International Arbitration Journal, 169, 172 (2005). 376 Zutreffend Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 151 f.; Smit, 11 Arbitration International 299, 300 (1995); Paulsson/Rawding, 11 Arbitration International 303, 319 (1995). 377  Falschaussagen gegenüber dem Schiedsgericht sind nicht strafbar, weil das Schiedsgericht keine „zur eidlichen Vernehmung von Zeugen oder Sachverständigen zuständige Stelle“ im Sinne der §§ 153 ff. StGB ist. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz stellt die auch im schiedsgerichtlichen Verfahren strafbare Beihilfe zum (versuchten) Prozessbetrug dar, vgl. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 15, Rn. 18. 378  Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005, S. 457. Anders offenbar Burn/ Pearsall, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 23, 35.



IV.  Persönliche Reichweite der Vertraulichkeitspflicht

101

Bestimmungen nur ganz vereinzelt.379 Schließlich können Zeugen auch nicht durch verfahrensleitende Verfügung des Schiedsgerichts zur Vertraulichkeit verpflichtet werden, weil es insoweit an einer tauglichen Ermächtigungsgrundlage zugunsten des Schiedsgerichts fehlt.380 Grundsätzlich kann ein Zeuge damit nur durch ausdrückliche vertragliche Vereinbarung zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet werden.381 Zur Sicherstellung einer möglichst umfassenden Verfahrensvertraulichkeit bietet es sich an, dass die Parteien sich in der Schiedsvereinbarung verpflichten, die von ihnen benannten Zeugen vertraglich zur Verschwiegenheit über sämtliche Umstände, die ihnen durch ihre Zeugentätigkeit bekannt werden, zu verpflichten.382 Von dieser Möglichkeit geht ersichtlich auch § 43.1 Satz 2 DIS-SchO aus, der bestimmt, dass von den Beteiligten im Verfahren hinzugezogene Personen, also insbesondere Zeugen, von den Beteiligten zur Verschwiegenheit zu verpflichten sind. In der schiedsgerichtlichen Praxis wird von dieser Möglichkeit zunehmend Gebrauch gemacht.383 Ausnahmsweise kommt eine Vertraulichkeitspflicht des Zeugen auch ohne entsprechende Abrede in Betracht, wenn dieser zu der benennenden Partei in einem besonderen Rechtsverhältnis steht, kraft dessen er zur vertraulichen Behandlung der ihm bekannt gewordenen Tatsachen verpflichtet ist. Ein solches Rechtsverhältnis kann insbesondere durch Arbeitsvertrag begründet werden.384 Nach deutschem Recht ist der Arbeitnehmer vorbehaltlich spezialgesetzlicher Anordnungen gemäß § 242 BGB verpflichtet, Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse seines Arbeitgebers zu wahren.385 Soweit demgemäß in einem Schiedsverfahren schützenswerte Geheimnisse des Arbeitgebers streitig sind, darf 379  Art. 42.2 HKIAC-SchO; Art. 38 Abs. 2 CIETAC-SchO. Vereinzelt sehen Schiedsordnungen zumindest die Möglichkeit vor, Zeugen oder Sachverständige außerhalb ihrer Aussage des Saals zu verweisen, vgl. Art. 25 Abs. 6 Swiss Rules; Art. 22.7 HKIAC-SchO. 380  Haas/Kahlert, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, S. 963, 974; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 151; Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005, S. 457; Kühn/Gantenberg, in: Schlosser-FS, 2005, S. 461, 472 f.; Prütting, in: Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 629, 636. 381  Allgemeine Auffassung, vgl. Sikiric, 13 Croatian Arbitration Yearbook 131, 153 (2006); Müller, 23 ASA Bulletin 216, 228 (2005); Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 170 (2005); Trakman, 18 Arbitration International 1, 12 (2002). Kritisch zur Praktikabilität dieses Ansatzes Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1221 (2006). 382  Oldenstam/von Pachelbel, SchiedsVZ 2006, 31, 34; Müller, 23 ASA Bulletin 216, 239 (2005); Paulsson/Rawding, 11 Arbitration International 303, 319 (1995). 383  Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 170 (2005). 384  So auch Haas/Kahlert, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, S. 963, 974; Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 92, 94 f.; Brown, 16 American University International Law Review 969, 1006 (2001). 385 Siehe dazu die Übersicht bei Richardi/Fischinger, in: Staudinger, Neubearbeitung 2011, § 611, Rn. 646 ff. In zeitlicher Hinsicht besteht die Verschwiegenheitspflicht unstreitig für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, aber auch für einen angemessenen Zeitraum über dessen Ende hinaus, vgl. Müller-Glöge, in: MüKo-BGB, 6. Aufl. 2012, § 611, Rn. 1093; Joussen, in: BeckOK-BGB, Stand: 1. 9. 2015, § 611, Rn. 404 ff. Für das schweizerische Recht siehe Ritz, Geheimhaltung, 2007, S. 144 f.

102

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

sich der Arbeitnehmer hierzu nicht öffentlich äußern. In welchem Umfang der Arbeitnehmer darüber hinaus zur Wahrung der Verschwiegenheit hinsichtlich solcher Tatsachen, von denen er als Zeuge eines Schiedsverfahrens Kenntnis erlangt hat, verpflichtet ist, lässt sich nicht allgemein, sondern nur mit Blick auf den jeweiligen Einzelfall beantworten. Grundsätzlich besteht die Verschwiegenheitspflicht nur insoweit, wie der Arbeitgeber ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse an der Geheimhaltung der fraglichen Tatsache für sich in Anspruch nehmen kann.386 Die vertrauliche Durchführung eines Schiedsverfahrens zur Vermeidung potentiell gravierender wirtschaftlicher und reputationeller Nachteile kann grundsätzlich ein solches berechtigtes Interesse darstellen. Im Zweifel empfiehlt sich auch in diesem Zusammenhang zur Vermeidung von Unklarheiten der Abschluss einer gesonderten Vertraulichkeitsvereinbarung. Anders stellt sich die Rechtslage für Zeugen in England dar. Nach der Rechtsprechung verpflichtet bereits die Schiedsvereinbarung die Verfahrensbeteiligten konkludent zur Wahrung der Vertraulichkeit, ohne dass es insoweit einer vertraglichen Abrede bedürfte.387 Bereits früh hatten die englischen Gerichte vor diesem Hintergrund neben anderen verfahrensbezogenen Dokumenten wie Sachverständigengutachten auch schriftliche Zeugenaussagen dem Schutz der Vertraulichkeit unterstellt.388 In dem Verfahren London & Leeds Estates Ltd. v. Paribas Ltd.389 urteilte der High Court im Jahre 1994 sodann zum einen, dass auch Sachverständige selbst zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet seien, und zum anderen, dass diese Vertraulichkeitspflicht nicht nur gegenüber der benennenden Partei, sondern gegenüber allen Parteien des Verfahrens bestehe. In der Entscheidung Ali Shipping v. Shipyard Trogir dehnte der Court of Appeal diese Rechtsprechung auch auf Zeugen selbst aus und verpflichtete diese zum Stillschweigen über Tatsachen, von denen diese durch oder im Zusammenhang mit ihrer Zeugenstellung Kenntnis erlangt hatten.390 Nach der im englischen Recht herrschenden – wenn auch nicht unbestrittenen – Auffassung sind Zeugen somit auch unabhängig vom Bestehen entsprechender vertraglicher Abreden zur Wahrung der Verfahrensvertraulichkeit verpflichtet.

5. Sachverständige Ebenso wie der Zeuge ist auch der Sachverständige nicht Partei des Schiedsverfahrens und somit nicht an die Schiedsvereinbarung sowie mögliche Vertrau386 

Joussen, in: BeckOK-BGB, Stand: 1. 9. 2015, § 611, Rn. 407. Hierzu bereits oben S. 23 ff. 388  Dolling-Baker v. Merrett, [1990] 1 WLR 1205; dazu Hoffmann, Handelssachen, 2011, S. 77; Günther, in: Sandrock-FS, 2000, S. 341, 343. 389 Näher Neill, 12 Arbitration International 287, 296 f. (1996). 390  Ali Shipping v. Shipyard Trogir, [1999] 1 WLR 314. Näher Kühn/Gantenberg, in: Schlosser-FS, 2005, S. 461, 473. 387 



IV.  Persönliche Reichweite der Vertraulichkeitspflicht

103

lichkeitsvereinbarungen der Parteien gebunden.391 Ausdrückliche gesetzliche Vertraulichkeitspflichten für Sachverständige in Schiedsverfahren existieren nicht, entsprechende Regelungen in Schiedsordnungen nur ganz vereinzelt.392 Vorbehaltlich anderweitiger Verpflichtungen gegenüber den Schiedsparteien ist der Sachverständige deshalb nicht zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens verpflichtet.393 Um gleichwohl einen angemessenen Vertraulichkeitsschutz zu gewährleisten, bedarf es mithin einer besonderen Rechtsgrundlage. Dabei ist zwischen Parteisachverständigen einerseits und durch das Schiedsgericht bestellten Sachverständigen andererseits zu unterscheiden.394 Parteisachverständige können durch die jeweils benennende Partei vertraglich zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichtet werden.395 Regelmäßig schließen die benennende Partei und der Sachverständige einen Gutachtervertrag, in dessen Rahmen sie auch die Einzelheiten der zu erbringenden gutachterlichen Leistung festlegen. Die Aufnahme entsprechender Vertraulichkeitsbestimmungen in den Gutachtervertrag erscheint vor diesem Hintergrund ohne weiteres möglich.396 Der Gutachtervertrag stellt einen privatrechtlichen Werkvertrag im Sinne von § 631 BGB dar.397 Verstößt der Sachverständige gegen die Vertraulichkeitspflicht, so haftet er der benennenden Partei gemäß §§ 631 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB vertraglich auf Unterlassung und Schadensersatz. Daneben kann auch das Schiedsgericht selbst einen Sachverständigen bestellen (§ 1049 ZPO; § 27.2 DIS-SchO). In diesem Fall kommt ebenfalls ein privatrechtlicher Gutachtervertrag zwischen dem Sachverständigen und beiden Parteien – jeweils vertreten durch das Schiedsgericht – zustande.398 Das Schiedsgericht bzw. die 391  Buys, 14 American Review of International Arbitration 121, 124 (2003); Brown, 16 American University International Law Review 969, 1006 f. (2001); Craig/Park/Paulsson, International Chamber of Commerce, 3. Aufl. 2000, S. 312. 392  Art. 42.2 HKIAC-SchO; Art. 38 Abs. 2 CIETAC-SchO. Dagegen verpflichtet Art. 44 Abs. 1 Swiss Rules ausschließlich gerichtlich bestellte Sachverständige zur Vertraulichkeit. 393  Brown, 16 American University International Law Review 969, 1007 (2001). 394 Näher Lotz, SchiedsVZ 2011, 203, 205 f. In der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit werden im Regelfall Parteigutachter tätig, während das Schiedsgericht nur in wenigen Fällen selbst Sachverständige bestellt, vgl. Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005, S. 366 ff. 395  Wyss, International Arbitration Law Review 2009, 158, 163; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 145; Brown, 16 American University International Law Review 969, 1007 (2001). Demgegenüber kann das Schiedsgericht den Sachverständigen – ebenso wie Zeugen – nicht im Wege einer verfahrensleitenden Verfügung zur Vertraulichkeit verpflichten, da es insoweit an einer Ermächtigungsgrundlage fehlt. 396 So auch Lionnet/Lionnet, Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Aufl. 2005, S. 457. Skeptisch Trakman, 18 Arbitration International 1, 13 (2002), der in Ermangelung allgemein anerkannter Standards Auslegungsstreitigkeiten zwischen den Parteien und mögliche Vollstreckungsverweigerung seitens der staatlichen Gerichte befürchtet. 397  BGH, NJW 1976, 1502; Busche, in: MüKo-BGB, 6. Aufl. 2012, § 631, Rn. 261 m. w. N. 398  H. M., siehe nur die Nachweise bei Voit, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 1049, Rn. 2. Anders Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1049, Rn. 22: Vertrag kommt zwischen dem Sachverständigen und dem Schiedsgericht zustande.

104

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Parteien können und sollten den Sachverständigen im Rahmen dieses Vertrags zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens verpflichten399, was insbesondere vor dem Hintergrund der Auskunfts- und Vorlagepflicht nach § 1049 Abs. 1 Satz 2 ZPO von erheblicher praktischer Bedeutung sein kann. Bei (drohenden) Verstößen gegen die Vertraulichkeitspflicht bestehen in diesem Fall vertragliche Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche, die die Parteien erforderlichenfalls im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durchsetzen können. Insgesamt bestehen damit verschiedene Möglichkeiten, die Vertraulichkeit des Verfahrens gegenüber Dritten sicherzustellen. Eine andere Frage ist demgegenüber, ob der Sachverständige gegen die übrigen Verfahrensbeteiligten, insbesondere gegen die Parteien und das Schiedsgericht, einen Anspruch auf Wahrung der Vertraulichkeit, insbesondere der Geheimhaltung des von ihm erstellten Gutachtens, besitzt. Soweit ersichtlich, wurde diese Frage im deutschen Recht bislang noch nicht erörtert. Im englischen Recht ist eine solche Verpflichtung der übrigen Verfahrensbeteiligten gegenüber dem Sachverständigen anerkannt.400 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz haben die englischen Gerichte in der Vergangenheit im Interesse der Justiz (interests of justice exception) lediglich in solchen Fällen gemacht, in denen ein Sachverständiger in unterschiedlichen Schiedsverfahren abweichende Gutachten zu derselben Frage abgegeben hatte.401

6. Schiedsinstitution Schiedsinstitutionen und ihre Mitarbeiter sind im Allgemeinen umfassend zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens verpflichtet. Praktisch alle institutionellen Schiedsordnungen enthalten entsprechende Bestimmungen.402 Wo solche fehlen, beispielsweise bei der ICC, ist die Verpflichtung zu größtmöglicher Diskretion seitens der ICC und des Schiedsgerichts allerdings gelebte Praxis, deren Bedeutung von Repräsentanten der ICC wiederholt betont 399  Das Schiedsgericht besitzt – anders als im Falle des Parteisachverständigen – gegenüber dem gerichtlich bestellten Sachverständigen ein Weisungsrecht, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, vgl. Lotz, SchiedsVZ 2011, 203, 207. Es kann den Sachverständigen deshalb auch von Amts wegen zur Wahrung der Vertraulichkeit verpflichten. 400  Vgl. die Entscheidung London & Leeds Estates Ltd. v. Paribas (No. 2), [1995] 2 EG 134 des englischen High Court. Zu dieser Entscheidung auch Ritz, Geheimhaltung, 2007, S. 10; Brown, 16 American University International Law Review 969, 1008 (2001). 401  London & Leeds Estates Ltd. v. Paribas (No. 2), [1995] 2 EG 134. 402  Siehe die Übersicht oben S. 31 f. Die meisten Schiedsordnungen wurden im Nachgang zu der Esso-Entscheidung des australischen High Court im Jahre 1995 entsprechend ergänzt, vgl. Karton, 28 Arbitration International 447, 452 (2012). Siehe hierzu auch den Bericht des Departmental Advisory Committee zur Reform des englischen Arbitration Act, abgedruckt in 13 Arbitration International 275, 278 (1997).



V.  Rechtsschutzmöglichkeiten bei Vertraulichkeitsverletzungen

105

worden ist.403 Im Verfahrensalltag legt die ICC großen Wert auf die vertrauliche Abwicklung sämtlicher Aspekte des Schiedsverfahrens. Dies geht so weit, dass beispielsweise bei Schiedsverhandlungen an öffentlich zugänglichen Orten (Hotels, Tagungszentren, etc.) ein Aufruf des Verfahrens nur über das Aktenzeichen, niemals über die Parteinamen, erfolgt.404 Die ICC setzt ihre strengen Vertraulichkeitsstandards auch gezielt zu Zwecken der Eigenwerbung ein.405 Gleichwohl gewährt eine Reihe von Schiedsordnungen den betreffenden Institutionen das Recht, anonymisierte statistische Daten zu den von ihr administrierten Schiedsverfahren zu veröffentlichen.406 So gibt beispielsweise die DIS auf ihrem Internetauftritt jährlich Auskunft zur Zahl der neu eingeleiteten Schiedsverfahren, zu den anwendbaren Verfahrensordnungen, zum Gesamtstreitwert aller anhängigen Verfahren, zur Nationalität der Parteien und zur Sprache des Schiedsverfahrens, zur Anzahl der Mehrparteienverfahren sowie zu institutionellen Schiedsrichterbestellungen.407 Ausführliche Schiedsstatistiken stellen auch die ICC sowie das Schiedsgericht der Handelskammer Mailand (CAM) zur Verfügung.408

V.  Rechtsschutzmöglichkeiten bei Vertraulichkeitsverletzungen Kommt es gleichwohl zu Verletzungen der Vertraulichkeitspflicht, stellt sich die Frage, ob und mit welchen Mitteln die geschädigten Beteiligten hiergegen vorgehen können. Im Folgenden wird insoweit zunächst die materielle Rechtslage dargestellt (1.), bevor Fragen des prozessualen Rechtsschutzes gegen drohende oder bereits erfolgte Vertraulichkeitsverletzungen erörtert werden (2.).

1.  Materielle Rechtslage Die Verletzung der Vertraulichkeitspflicht im Schiedsverfahren kann nach deutschem Recht Abwehransprüche auslösen. Abhängig davon, ob eine Pflichtverletzung droht oder bereits erfolgt ist, kommen unterschiedliche Ansprüche 403 Vgl. Hwang/Chung, 26 Journal of International Arbitration 609, 639 (2009); Craig/ Park/Paulsson, International Chamber of Commerce, 3. Aufl. 2000, S. 311 f. 404  Craig/Park/Paulsson, International Chamber of Commerce, 3. Aufl. 2000, S. 311 f.; Paulsson/Rawding, 11 Arbitration International 303, 304 (1995). 405 www.iccwbo.org. 406  Siehe beispielhaft § 43.2 DIS-SchO (1998). Näher Jolivet, 22 Arbitration International 265, 270 (2006); Drahozal, 20 Journal of International Arbitration 23, 25 (2003). 407  Abrufbar unter www.disarb.org. 408  Weitere Nachweise zur Praxis bei Jolivet, 22 Arbitration International 265, 270 (2006). In der Gesamtschau ist das zur Verfügung stehende statistische Material der Schiedsinstitutionen gleichwohl dürftig, vgl. McIlwrath/Schroeder, in: Transparency, 2013, S. 87, 94 ff.; Drahozal, 20 Journal of International Arbitration 23, 25 f. (2003).

106

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

der geschädigten Partei in Betracht. Diese kann die Schiedsvereinbarung wegen Unzumutbarkeit kündigen (a.) oder die pflichtwidrig handelnden Beteiligten zur Unterlassung bzw. Beseitigung der Pflichtverletzung verpflichten (b.). Darüber hinaus ist auch die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen denkbar (c.).

a.  Kündigung der Schiedsvereinbarung Es ist anerkannt, dass eine Partei die Schiedsvereinbarung kündigen kann, wenn ihr die Fortsetzung des Schiedsverfahrens wegen einer schwerwiegenden Verfehlung der anderen Partei nicht mehr zumutbar ist. Die Schiedsvereinbarung ist ein Prozessvertrag, welcher beide Parteien unter anderem zur Förderung des Verfahrens verpflichtet.409 Das Kündigungsrecht findet seine Grundlage nach überwiegender Auffassung deshalb in einer (analogen) Anwendung des § 314 BGB.410 Die den Parteien auf diese Weise eingeräumte Möglichkeit, sich aus einer ursprünglich einvernehmlich getroffenen Schiedsvereinbarung durch einseitige Erklärung wieder zurückzuziehen, birgt allerdings Missbrauchspotential. So ist es denkbar, dass das Kündigungsrecht gezielt zur Verzögerung oder Vereitelung des Schiedsverfahrens oder der Anspruchsdurchsetzung insgesamt eingesetzt wird. In der Rechtsprechung wie auch in der Literatur werden deshalb an das Tatbestandsmerkmal der Unzumutbarkeit strenge Anforderungen gestellt. Da das Schiedsverfahren ein streitiges Verfahren ist, kann ersichtlich nicht jede – auch heftige – Auseinandersetzung zwischen den Parteien zur Unzumutbarkeit der Fortführung des Schiedsverfahrens führen.411 Auch die vom Gesetzgeber angestrebte prinzipielle Gleichwertigkeit von staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit spricht für eine einschränkende Auslegung des Kündigungsrechts. Denn zum einen würde die Zulassung der Kündigung im Ergebnis zu einer rechtspolitisch fragwürdigen Verlagerung der Aufklärungszuständigkeit vom Schiedsgericht zum staatlichen Gericht führen, zum anderen besteht auch bei grob pflichtwidrigem oder gar betrügerischem Verhalten einer Partei immer noch die Möglichkeit der Einleitung eines Aufhebungsverfahrens nach § 1059 ZPO, in dem dieser Vortrag vollumfänglich berücksichtigt werden kann.412 409 

Hierzu bereits oben S. 16 f. Für eine direkte Anwendung des § 314 BGB Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 617; wohl auch OLG Stuttgart, BeckRS 2009, 13147. Für eine analoge Anwendung des § 314 BGB u. a. OLG Frankfurt, SchiedsVZ 2013, 49, 58; OLG München, SchiedsVZ 2012, 96, 99; Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 8, Rn. 11. 411  BGH, NJW 1986, 2765, 2766; NJW 1957, 589, 590; OLG München, SchiedsVZ 2012, 96, 99 f.; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 622; Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 1029, Rn. 100. 412  Beachte aber § 1027 ZPO. 410 



V.  Rechtsschutzmöglichkeiten bei Vertraulichkeitsverletzungen

107

Die Grenze der Unzumutbarkeit wird vielmehr nach zutreffender Ansicht erst dann überschritten, wenn ein effektiver Rechtsschutz im Schiedsverfahren nicht mehr gewährleistet werden kann, die Schiedsvereinbarung also undurchführbar geworden ist.413 Dies soll vor allem dann der Fall sein, wenn eine Partei die Durchführung des Verfahrens, beispielsweise durch Verweigerung der Mitwirkung bei der Schiedsrichterbestellung414 oder durch absichtliche Terminverzögerungen und Bedrohung von Schiedsrichtern415 grundsätzlich und beharrlich behindert und auf diese Weise die Rechtsdurchsetzung der anderen Partei bewusst zu vereiteln sucht.416 Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob die Verletzung einer bestehenden Vertraulichkeitspflicht eine zur Kündigung berechtigende, erhebliche Verfahrensbehinderung in diesem Sinne darstellen kann. Mit dieser Frage hatte sich im Jahre 2011 das OLG Frankfurt auseinanderzusetzen.417 In diesem Verfahren hatte die Antragstellerin und vormalige Schiedsbeklagte gegen die Antragsgegnerin und vormalige Schiedsklägerin auf Aufhebung eines DIS-Schiedsspruchs geklagt, in welchem sie wegen Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit einem Unternehmenskaufvertrag zur Leistung von Schadensersatz an die Antragsgegnerin verurteilt worden war. Neben einer Reihe von weiteren Aufhebungsgründen machte die Antragstellerin unter anderem geltend, die Antragsgegnerin habe ihre Vertraulichkeitspflicht nach § 43.1 DIS-SchO dadurch verletzt, dass sie seinerzeit während des laufenden Schiedsverfahrens in den USA und in Kanada weitere gerichtliche Verfahren gegen die Antragstellerin eingeleitet und in diesem Zusammenhang auch vertrauliche Informationen und Unterlagen aus dem Schiedsverfahren preisgegeben habe. Das Gericht wies den Aufhebungsantrag in einer vielbeachteten Entscheidung zwar im Ergebnis zurück, machte aber gleichzeitig per obiter dictum deutlich, dass eine Vertraulichkeitsverletzung im Grundsatz durchaus zur Kündigung der Schiedsvereinbarung wegen Unzumutbarkeit berechtigen könne.418 Zudem nutzte das Gericht das obiter dictum zur Präzisierung der tatbestandlichen Voraussetzungen einer solchen Kündigung nach § 314 BGB. Mit Blick auf den Zeitpunkt der Kündigung ist gemäß dem OLG Frankfurt zunächst die Frist des § 314 Abs. 3 BGB zu beachten. Danach muss die Kündigung innerhalb einer angemessenen Frist nach Kenntniserlangung vom Kündigungsgrund erklärt werden. Bei der „Angemessenheit“ der Frist handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der im Einzelfall wertend zu 413  Der BGH hat ein Schiedsverfahren unter anderem für undurchführbar gehalten, wenn eine Partei aus finanziellen Gründen nicht zur Leistung des erforderlichen Kostenvorschusses imstande war, vgl. BGH, NJW-RR 1994, 1214; BGH, NJW 1988, 1215. 414  OLG München, SchiedsVZ 2012, 96, 99 f. 415  BGH, NJW 1986, 2765, 2766. 416  Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 8, Rn. 11. 417 OLG Frankfurt, SchiedsVZ 2013, 49. Siehe zu dieser Entscheidung auch Wagner/ Bülau, SchiedsVZ 2013, 6; Wolf/Hasenstab, RIW 2011, 612. 418  OLG Frankfurt, SchiedsVZ 2013, 49, 58 f.

108

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

konkretisieren ist.419 In dem gegenständlichen Verfahren sah das Gericht einen Zeitraum von acht Monaten zwischen Kenntniserlangung und Ausspruch der Kündigung als nicht mehr angemessen an, sodass die Kündigung bereits aus diesem Grunde unwirksam war.420 Unabhängig von diesem Fristerfordernis gewährt § 314 Abs. 1 BGB einer Partei nur dann ein Kündigungsrecht, wenn dieser die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls sowie unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien nicht zumutbar ist. Das Gericht lehnte in seinem obiter dictum die Annahme einer solchen Unzumutbarkeit ab und führte in diesem Zusammenhang zunächst aus, dass die von der Antragsgegnerin in den USA und Kanada eingeleiteten Gerichtsverfahren sich allein gegen die Antragstellerin bzw. gegen ihren Vorstandsvorsitzenden gerichtet hätten, sodass schon aus diesem Grunde eine Verletzung der Vertraulichkeitspflicht nicht in Betracht komme. Daran ändere sich auch nicht etwa dadurch etwas, dass es bei Verfahren in den USA der Öffentlichkeit möglich sei, Einsicht in die Prozessunterlagen zu nehmen. Schließlich sei zu bedenken, dass die Antragsgegnerin die streitgegenständlichen Verfahren zur einstweiligen Sicherung ihrer zu diesem Zeitpunkt bereits dem Grunde nach titulierten Schadensersatzansprüche eingeleitet habe, nachdem aus ihrer Sicht die Gefahr bestanden habe, dass die Antragstellerin Vermögenswerte auf Dritte übertragen und auf diese Weise eine spätere Vollstreckung vereiteln würde. Die Antragsgegnerin habe vor diesem Hintergrund ein legitimes Interesse an der Sicherung ihrer Vollstreckungsmöglichkeiten besessen. Es sei bereits fraglich, ob der Schutzbereich des § 43.1 DIS-SchO in dieser Konstellation überhaupt eröffnet sei. Zudem sei im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung das Verhalten beider Parteien zu berücksichtigen. Was der Antragstellerin im Einzelnen zumutbar sei, hänge auch von deren eigenem Vorverhalten ab. Die Antragstellerin habe ebenfalls eine Reihe von Verfahren vor staatlichen Gerichten gegen die Antragsgegnerin eingeleitet und in diesen Verfahren Einzelheiten aus dem Schiedsverfahren vorgetragen; die ergangenen Entscheidungen seien teilweise sogar publiziert worden. Vor diesem Hintergrund stelle die Tatsache, dass die Antragsgegnerin dies gleichfalls getan habe, keinen Grund dar, der der Antragstellerin die Fortführung des Schiedsverfahrens unzumutbar gemacht habe. Mit seiner Entscheidung bewegt sich das OLG Frankfurt in der Sache weitgehend auf der Linie der deutschen und internationalen Rechtsprechung. So reduziert das Gericht § 43.1 DIS-SchO teleologisch dahingehend, dass die Verpflichtung der Parteien zur Wahrung der Vertraulichkeit ihre Grenze in der Verfolgung legitimer Interessen findet. Zu den geschützten Interessen in diesem Sinne kann auch eine möglicherweise gebotene ergänzende Rechtsverfolgung vor staatli419  420 

Gaier, in: MüKo-BGB, 6. Aufl. 2012, § 314, Rn. 20. OLG Frankfurt, SchiedsVZ 2013, 49, 58 f.



V.  Rechtsschutzmöglichkeiten bei Vertraulichkeitsverletzungen

109

chen Gerichten zählen. Die Argumentation des OLG Frankfurt nimmt damit im Ergebnis die legitimate interest exception der englischen Rechtsprechung auf.421 Ein Recht zur Kündigung der Schiedsvereinbarung wegen Verletzung der Vertraulichkeit hatte dagegen das Stockholmer Bezirksgericht in Sachen Bulgarian Foreign Trade Bank Ltd. v. AI Trade Finance Inc.422 im Jahre 1998 angenommen. Das Gericht hatte seinerzeit ausgeführt, die Verletzung der Pflicht zur Geheimhaltung stelle eine schwerwiegende Vertragsverletzung (fundamental breach of contract) dar, die die verletzte Partei zur Kündigung der Schiedsvereinbarung berechtige, was im Ergebnis zur Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Fehlens einer wirksamen Schiedsvereinbarung führte. Diese Entscheidung wurde in der Folge allerdings durch den schwedischen Obersten Gerichtshof aufgehoben.423

b.  Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche Neben der Kündigung der Schiedsvereinbarung wegen Unzumutbarkeit können bei einer Verletzung der Vertraulichkeitspflicht grundsätzlich auch Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche bestehen. Solche Ansprüche können im Einzelfall sowohl auf vertraglicher (aa.) wie auch auf gesetzlicher (bb.) Grundlage in Betracht kommen.

aa.  Vertragliche Ansprüche Die Verletzung einer bestehenden Vertraulichkeitspflicht kann zunächst vertragliche Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche der verletzten Partei auslösen. Die Beseitigung der Vertraulichkeitsverletzung kann beispielsweise in der Löschung einer Verlinkung oder eines Datenbank- oder Webeintrags oder dem Rückruf einer Zeitschrift, in der die Veröffentlichung erfolgte, bestehen. Beruht die Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit auf einer vertraglichen Abrede der Parteien oder wird diese Pflicht durch Bezugnahme auf eine Schiedsordnung zum Vertragsinhalt gemacht424, so kann die verletzte Partei auf der Grundlage dieser vertraglichen Abrede von der verletzenden Partei Beseitigung bzw. Unterlassung verlangen. Eine Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr ist bei vertraglichen Unterlassungsansprüchen nicht erforderlich, wohl aber ein hinreichendes Rechtsschutzbedürfnis.425 Dieses ist regelmäßig bereits dann 421 

Dazu bereits oben S. 82. Die Entscheidung ist abgedruckt in Revue de l’arbitrage 1999, 670. 423  Näher zu diesem Verfahren unten S. 116 f. Siehe auch Müller, 23 ASA Bulletin 216, 231 f. (2005); Gaillard/Savage, Fouchard, Gaillard, Goldman, 1999, Rn. 1412. 424 Siehe Schubert/Strohe, in: Handbuch für Kaufrecht, 2002, S. 349; Münzberg, Parteivereinbarungen, 1970, S. 83; Spohnheimer, Gestaltungsfreiheit, 2010, S. 103 ff. 425  BGH, NJW 1999, 1337, 1338. 422 

110

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

gegeben, wenn die Besorgnis einer Zuwiderhandlung gegen die Unterlassungsverpflichtung besteht.426 Ein Verschulden des Verletzers ist, da es sich um einen primären Erfüllungsanspruch handelt, im Übrigen nicht erforderlich. Soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, genügt ein objektiv vertragswidriges Handeln.427

bb.  Gesetzliche Ansprüche (1)  § 1004 Abs. 1 BGB analog i. V. m. § 823 BGB Daneben können der verletzten Partei auch gesetzliche Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche zustehen. Allgemeine Anspruchsgrundlage ist § 1004 Abs. 1 BGB, der ausdrücklich allerdings nur Beeinträchtigungen des Eigentums schützt. Es ist jedoch anerkannt, dass in analoger Anwendung der Vorschrift hinaus auch sonstige absolute Rechte, so unter anderem bei gewerblich tätigen Parteien auch das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, geschützt sind (sog. quasi-negatorischer Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch). Eine Beeinträchtigung des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb kann grundsätzlich auch bei einem Eingriff in die Kommunikationsbeziehungen eines Unternehmens428, insbesondere in der Veröffentlichung ruf- und geschäftsschädigender Tatsachen liegen, an deren Geheimhaltung der Geschäftsinhaber ein berechtigtes Interesse besitzt.429 Zwar wird man unterstellen dürfen, dass die Weitergabe von Informationen über ein Schiedsverfahren im Einzelfall rufschädigende Wirkung für einzelne oder mehrere Verfahrensbeteiligte entfalten kann. So entscheiden sich gerade solche Unternehmen, die die negative Publicity eines staatlichen Gerichtsverfahrens fürchten, wegen ihrer vermeintlich größeren Vertraulichkeit häufig die Schiedsgerichtsbarkeit. Es ist aber fraglich, ob die Voraussetzungen für die Annahme eines Eingriffs in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb in diesen Fällen vorliegen. Ob ein solcher Eingriff vorliegt, ist aufgrund des Charakters des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb als eines offenen Rahmenrechts anhand einer umfassenden Güter- und Interessenabwägung im Einzelfall festzustellen.430 Es ist allgemein anerkannt, dass ein Unternehmen wahre Tatsachenbehauptungen Dritter – und um solche wird es sich bei öffentlichen Verlautbarungen über ein Schiedsverfahren regelmäßig handeln – wegen Art. 5

426 

Bacher, in: BeckOK-ZPO, Stand: 1. 9. 2015, § 253, Rn. 31. Ohly, in: Ohly/Sosnitza, UWG, 6. Aufl. 2014, § 8, Rn. 58. 428  Spindler, in: BeckOK-BGB, Stand: 1. 11. 2013, § 823, Rn. 105. 429  Vgl. die Beispiele bei Teichmann, in: Jauernig, BGB, 15. Aufl. 2014, § 823, Rn. 103 f. 430  Spindler, in: BeckOK-BGB, Stand: 1. 11. 2013, § 823, Rn. 112. 427 



V.  Rechtsschutzmöglichkeiten bei Vertraulichkeitsverletzungen

111

Abs. 1 Satz 1 GG in der Regel hinnehmen muss.431 Berichtet demgemäß eine Partei oder ein sonstiger Verfahrensbeteiligter wahrheitsgemäß über die Existenz sowie über inhaltliche Einzelheiten eines Schiedsverfahrens, so ist dieses Verhalten im Regelfall grundrechtlich gedeckt. Umgekehrt ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Rahmen des Abwägungsprozesses jedoch auch die vertragliche Pflichtenlage zwischen den Beteiligten zu berücksichtigen.432 Das Grundrecht der Meinungsfreiheit rechtfertigt nicht den Verstoß gegen bewusst übernommene vertragliche Pflichten. Damit kann die öffentliche Verlautbarung von Informationen aus einem Schiedsverfahren immer dann einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb darstellen, wenn und soweit die Parteien aufgrund individueller Vereinbarung oder aufgrund der gewählten Schiedsordnung oder des geltenden Rechts zur Vertraulichkeit verpflichtet sind. Der Eingriff muss daneben betriebsbezogener Art sein. Dies ist nach einer ständigen Rechtsprechung dann der Fall, wenn sich die Verletzungshandlung gerade gegen den Betrieb und seine Organisation oder gegen die unternehmerische Entscheidungsfreiheit richtet.433 Diese Voraussetzung kann erfüllt sein, wenn vertrauliche Informationen an die Öffentlichkeit getragen werden, da zu den Grundlagen jeder unternehmerischen Betätigung ein Mindestmaß an Vertraulichkeitsschutz gehört.434 Die teilweise schwierigen Abgrenzungsfragen lassen sich sinnvoll unter Vergegenwärtigung des Zwecks des Betriebsbezogenheitskriteriums, nämlich der Verhinderung der Liquidierung bloßer mittelbarer Vermögensschäden, entscheiden.435 Vorsätzliches Handeln, das bei der bewussten Verbreitung vertraulicher Verfahrensinformationen regelmäßig vorliegen dürfte, begründet fast immer die Betriebsbezogenheit des Eingriffs.436 Liegen die vorgenannten Voraussetzungen vor, kann die geschädigte Partei von der verletzenden Partei die Beseitigung bereits eingetretener sowie – da es sich um eine fortdauernde, sich stets erneuernde Verpflichtung handelt – die Unterlassung künftiger Beeinträchtigungen verlangen.437 431  Siehe nur BGH, NJW 2008, 2110, 2112. Ausnahmen können aber im Einzelfall aus wettbewerbsrechtlicher Sicht (§§ 3, 4, 7 UWG) bestehen, siehe zum Ganzen auch Wagner, in: MüKo-BGB, 6. Aufl. 2013, § 823, Rn. 274. 432  BGH, NJW 2006, 830, 842 f. 433  BGH, NJW 2001, 3115; 1998, 2141, 2142; 1985, 1620; Spindler, in: BeckOK-BGB, Stand: 1. 11. 2013, § 823, Rn. 108. 434  So ausdrücklich LG Frankfurt, BeckRS 2010, 17136. 435  Siehe nur Spindler, in: BeckOK-BGB, Stand: 1. 11. 2013, § 823, Rn. 108. 436  BGHZ 69, 128, 139; 76, 387, 395; 90, 113, 123; BGH, NJW 1981, 2416; OLG Frankfurt, NJW-RR 1988, 52; OLG Rostock, MDR 2007, 1249; OLG Hamm, VersR 2009, 1672; Spindler, in: BeckOK-BGB, Stand: 1. 11. 2013, § 823, Rn. 109. 437  Daneben kann bei einer pflichtwidrigen Weitergabe von Informationen über ein Schiedsverfahren auch eine Verletzung des sog. Unternehmenspersönlichkeitsrechts in Betracht kommen. Die im Rahmen des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb gemachten Ausführungen gelten in diesem Fall entsprechend, insbesondere sind auch bei der Prüfung einer möglichen Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts grundgesetzliche

112

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

(2)  § 97 Abs. 1 UrhG Die pflichtwidrige Öffentlichmachung des Schiedsspruchs im Besonderen kann schließlich auch urheberrechtliche Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche der betroffenen Partei nach § 97 Abs. 1 UrhG auslösen. Das setzt zum einen voraus, dass die Öffentlichmachung einen Urheberrechtsverstoß darstellt, und zum anderen, dass die betroffene Partei Inhaberin des Urheberrechts ist. Ein Schiedsspruch stellt, da er nicht nach § 5 Abs. 1 UrhG gemeinfrei ist, ein Schriftwerk im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 UrhG dar.438 Die Veröffentlichung des Schiedsspruchs ohne Zustimmung des Urhebers, z. B. in Fachzeitschriften oder in juristischen Datenbanken, verletzt demgemäß dessen Verbreitungs- und Zugänglichmachungsrechte nach den §§ 17, 19a UrhG und kann grundsätzlich Beseitigungs- und Unterlassungsansprüche auslösen.439 Schwierigkeiten können sich jedoch bei der Bestimmung der Person des Urhebers ergeben. Das Urheberrecht am Schiedsspruch steht im Ausgangspunkt dem Einzelschiedsrichter als Urheber (§ 7 UrhG) oder, bei einem Mehrpersonenschiedsgericht, den Schiedsrichtern als Miturhebern (§ 8 UrhG) gemeinschaftlich zu. Damit können grundsätzlich allein der oder die Verfasser der Entscheidung urheberrechtliche Schutzansprüche gegen eine unzulässige Verwertung des Schiedsspruchs geltend machen. Das Urheberrecht ist zudem mit der Person des Urhebers untrennbar verbunden und kann im Grundsatz nicht durch Rechtsgeschäft abgetreten werden (§ 29 Abs. 1 UrhG). Der Urheber kann jedoch gemäß §§ 29 Abs. 2, 31 UrhG die Nutzungsrechte an dem geschützten Werk zur nicht-exklusiven (einfaches Nutzungsrecht) oder zur exklusiven (ausschließliches Nutzungsrecht) auf Dritte übertragen.440 Die Parteien könnten vor diesem Hintergrund den oder die Schiedsrichter vertraglich zur Übertragung des ausschließlichen Nutzungsrechts auf sie verpflichten. Eine solche Verpflichtung ließe sich beispielsweise in den Schiedsrichtervertrag aufnehmen. Auf diese Weise könnte bei Vertraulichkeitsverstößen einer Partei die Gegenpartei auf der Grundlage von § 97 Abs. 1 UrhG Beseitigung bzw. Unterlassung der Störung verlangen. In der Praxis wird von dieser Möglichkeit jedoch, soweit ersichtlich, kaum Gebrauch gemacht.441

Wertungen, insbesondere der Schutz der Meinungsfreiheit, zu berücksichtigen, vgl. BGH, NJW 2009, 1872, 1874. 438  Dreier, in: Schulze/Dreier, UrhG, 4. Aufl. 2013, § 5, Rn. 8; Marquardt, in: Wandtke/ Bullinger, UrhR, 4. Aufl. 2014, § 5, Rn. 12. Zur Gemeinfreiheit staatlicher Gerichtsentscheidungen vgl. OVG Lüneburg, NJW 1996, 1489; OVG Berlin, NJW 1993, 676. 439  Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 127. 440 Näher Soppe, in: BeckOK-UrhG, Stand: 1. 10. 2015, § 31, Rn. 65 ff. 441  Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 127 f.



V.  Rechtsschutzmöglichkeiten bei Vertraulichkeitsverletzungen

113

c. Schadensersatzansprüche Schließlich stehen der verletzten Partei möglicherweise auch Schadensersatzansprüche gegen den Verletzer zu. Solche Ansprüche kommen sowohl auf vertraglicher (aa.) als auch auf gesetzlicher (bb.) Grundlage in Betracht. Die Feststellung der Anspruchshöhe kann jedoch mit Schwierigkeiten verbunden sein (cc.).

aa.  Vertragliche Schadensersatzansprüche Soweit eine vertragliche Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens besteht, kann eine Verletzung der Vertraulichkeitspflicht Schadensersatzansprüche nach § 280 Abs. 1 BGB oder nach §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB nach sich ziehen.442 Abhängig von der sachlichen und zeitlichen Reichweite der Schiedsvereinbarung besteht im Übrigen die Möglichkeit, dass auch solche nachgelagerten Streitigkeiten in die Zuständigkeit des Ausgangsschiedsgerichts oder eines neu zu konstituierenden Schiedsgerichts fallen und auf diese Weise nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Einer der wenigen bekannten Fälle, in denen eine Entschädigung in Geld wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens zugesprochen wurde, betrifft die Entscheidung Aita v. Ojjeh der Cour d‘appel Paris aus dem Jahre 1986.443 Dieses Verfahren betraf Streitigkeiten aus einem zwischen den Parteien geschlossenen Darlehensvertrag, der eine Schiedsklausel mit Schiedsort London enthielt. Nachdem das Schiedsgericht zugunsten von Ojjeh entschieden hatte, beantragte Aita vor dem Pariser Berufungsgericht mit verschiedenen Begründungen die Aufhebung des Schiedsspruchs. Ojjeh beantragte die Zurückweisung des Aufhebungsantrags und widerklagend die Verurteilung von Aita zur Zahlung von Schadensersatz wegen Verletzung der Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens. Das Gericht führte aus, die Parteien seien ungeachtet des Fehlens einer ausdrücklichen Vertraulichkeitsvereinbarung zur Geheimhaltung des Schiedsverfahrens verpflichtet gewesen. Diese implizite vertragliche Pflicht gelte ausnahmslos und folge aus der Natur des Schiedsverfahrens.444 Im Ergebnis 442  Abhängig davon, ob die Vertraulichkeitspflicht im Einzelfall eine Haupt- oder eine Nebenpflicht darstellt. Entscheidungen deutscher Gerichte zu dieser Frage sind nicht bekannt. 443  Die Entscheidung ist abgedruckt in Revue de l‘arbitrage 1986, 583. Weitere Nachweise zu dieser Entscheidung bei Noussia, Confidentiality, 2010, S. 120 f.; Gaillard/Savage, Fouchard, Gaillard, Goldman, 1999, Rn. 1412. 444  Von dieser strengen Sichtweise nahm die Cour d’appel Paris in den Rechtssachen Bleustein et autres v. Société True North Inc. et Société FCB International (Revue de l‘arbitrage 2003, 189) und Nafimco v. Foster Wheeler Trading Company AG (Revue de l’Arbitrage 2004, 446) wieder Abstand. Siehe zur französischen Rechtsprechung auch Dimolitsa, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 5, 20 f. Im Zuge der Überarbeitung der Schiedsvorschriften stellte der französische Gesetzgeber im Jahre 2011 ausdrücklich klar, dass zumindest in internationalen Schiedsverfahren keine implizite, verfahrensimmanente Pflicht zur Wahrung der

114

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

wies die Cour d‘appel den Aufhebungsantrag zurück und verurteilte Aita wegen Verletzung der Vertraulichkeitspflicht zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von insgesamt 220.000 französischen Francs. Die entgegengesetzte Haltung nahm der schwedische Oberste Gerichtshof (Högsta Domstolen) im Verfahren Bulgarian Foreign Trade Bank Ltd. v. AI Trade Finance Inc. („Bulbank“) ein.445 Hintergrund dieses Rechtsstreits war ein Darlehensvertrag zwischen einer bulgarischen Bank (der Schiedsbeklagten) und einem österreichischen Darlehensgeber. Die Schiedsklausel sah eine Streitentscheidung nach den Regeln der United Nations Commission for Europe mit Schiedsort Stockholm vor. Bestimmungen zur Vertraulichkeit des Verfahrens enthielt die Vereinbarung nicht. Die Darlehensgeberin trat in der Folge Ansprüche aus dem Darlehensvertrag an eine US-amerikanische Bank (die Schiedsklägerin) ab, welche daraufhin ein Schiedsverfahren zur Geltendmachung dieser Ansprüche gegen die Beklagte einleitete. Im Schiedsverfahren bestritt die Schiedsbeklagte zunächst die Zuständigkeit des Schiedsgerichts, welches in einem Zwischenschiedsspruch seine Zuständigkeit bejahte. Diese Entscheidung gelangte auf Betreiben der Prozessbevollmächtigten der Schiedsklägerin an die Fachzeitschrift Mealey’s International Arbitration Report, die den Schiedsspruch veröffentlichte. Die Schiedsbeklagte kündigte daraufhin die Schiedsvereinbarung wegen Vertragsverletzung und beantragte beim Schiedsgericht die Feststellung der Nichtigkeit der Schiedsvereinbarung. Das Schiedsgericht weigerte sich und erließ einen Endschiedsspruch zugunsten der Schiedsklägerin. Die Schiedsbeklagte beantragte daraufhin beim Stockholmer Bezirksgericht (Stockholm Tingsrätt) die Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Nichtbestehens einer wirksamen Schiedsvereinbarung. Das Gericht entsprach dem Antrag und hob den Schiedsspruch mit der Begründung auf, die Vertraulichkeit sei ein immanentes Wesensmerkmal des Schiedsverfahrens.446 Die Weitergabe des Schiedsspruchs stelle eine erhebliche und zur Kündigung der Schiedsvereinbarung berechtigende Vertragsverletzung (material breach of contract) dar. Zudem folge die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens mittelbar auch aus den entsprechenden Bestimmungen der ECE-Regeln, wonach das Verfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattzufinden habe. Vertraulichkeit besteht, vgl. Art. 1506 i. V. m. Art. 1464 Abs. 4 des Nouveau Code de Procédure Civile. 445  Zu diesem Verfahren ausführlich Bagner, 18 Journal of International Arbitration 243, 245 ff. (2001). Siehe auch Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 135 ff.; Müller, 23 ASA Bulletin 216, 232 (2005); Raymond, 16 American Review of International Arbitration 479, 492 ff. (2005); Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 613 (2004); Nacimiento, BB-Beil. Nr. 6 zu BB 2001, 7 ff.; Brown, 16 American University International Law Review 969, 986 f. (2001); Smit, 11 American Review of International Arbitration 567, 568 f. (2000). Zu den Auswirkungen der Bulbank-Entscheidung auf die Überarbeitung der SCC-Schiedsregeln vgl. Hobér/Foerster, SchiedsVZ 2007, 207, 210 f. 446  Die Entscheidung ist abgedruckt in Revue de l’arbitrage 1999, 670.



V.  Rechtsschutzmöglichkeiten bei Vertraulichkeitsverletzungen

115

Gegen diese Entscheidung legte die Schiedsklägerin Rechtsmittel ein. Das Stockholmer Berufungsgericht (Svea Hovrätt) entschied, dass entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanz eine Vertraulichkeitspflicht dem Schiedsverfahren weder immanent sei noch im Übrigen auf gesetzlicher oder schiedsordnungsrechtlicher Grundlage bestehe.447 Eine solche Pflicht könne im Einzelfall zwar aus den Grundsätzen von Treu und Glauben folgen, dies setze aber eine gravierende Pflichtverletzung voraus, was hier jedoch nicht der Fall gewesen sei. Die veröffentlichte Entscheidung habe nur wenige vertrauliche Informationen zu den Parteien enthalten und sich im Übrigen mit rechtlichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung beschäftigt, an deren Kenntnisnahme ein öffentliches Interesse bestehe. Selbst wenn man in dem Verhalten der Schiedsklägerin und ihrer Bevollmächtigten eine Treuepflichtverletzung sehen wollte, rechtfertige diese jedenfalls nicht die Kündigung der Schiedsvereinbarung, sondern begründe allenfalls Schadensersatzansprüche. Der Schiedsspruch sei aus diesen Gründen aufrechtzuerhalten. Auf die Revision der Schiedsbeklagten gelangte der Rechtsstreit zum schwedischen Obersten Gerichtshof (Högsta Domstolen). Der Gerichtshof bestätigte im Wesentlichen die Auffassung des Berufungsgerichts und stellte im Rahmen einer umfassenden Würdigung des internationalen Meinungsstands in Literatur und Rechtsprechung fest, dass eine implizite Pflicht der Schiedsparteien zur Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens nicht existiere.448 Dass die Parteien im Regelfall von der Vertraulichkeit des Verfahrens ausgingen, führe nicht zur Entstehung einer entsprechenden Rechtspflicht. Weder die von den Parteien gewählte Schiedsordnung noch das schwedische Recht sähen eine solche Vertraulichkeitspflicht vor. Dass die mündliche Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinde bedeute nicht, dass die Parteien gegenüber Dritten zur Wahrung der Vertraulichkeit hinsichtlich der Einzelheiten des Verfahrens verpflichtet seien. Wünschten die Parteien eine solche umfassende Vertraulichkeit, müssten sie eine entsprechende vertragliche Vereinbarung treffen. Im Ergebnis sei die Schiedsbeklagte vorliegend deshalb weder zur Kündigung der Schiedsvereinbarung berechtigt gewesen noch könne sie wegen der Weitergabe des Schiedsspruchs zur Veröffentlichung Schadensersatz beanspruchen.

bb.  Gesetzliche Schadensersatzansprüche Daneben kommen unter Umständen auch gesetzliche Schadensersatzansprüche der verletzten Partei in Betracht.

447  448 

Die Entscheidung ist abgedruckt in XXIV YCA 321 (1999). Die Entscheidung ist abgedruckt in XVI YCA 291 (2001).

116

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

(1)  § 823 Abs. 1 BGB Ein Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 1 BGB setzt die rechtswidrige und schuldhafte Verletzung eines geschützten Rechtsguts der von der Veröffentlichung betroffenen Partei voraus. Insoweit besteht die Möglichkeit, dass die einseitige Veröffentlichung vertraulicher Informationen aus einem Schiedsverfahren einen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der anderen Partei darstellt.449 Erfolgt die Rechtsgutverletzung in rechtswidriger und schuldhafter Weise, besteht dem Grunde nach ein Anspruch auf Ersatz des dadurch verursachten Vermögensschadens. Dessen Berechnung kann allerdings im Einzelfall schwierig sein (dazu sogleich). Die verletzte Partei ist im Übrigen hinsichtlich des Vorliegens der Anspruchsvoraussetzungen darlegungs- und beweisbelastet, was insbesondere mit Blick auf den Nachweis einer Verletzungshandlung sowie auf die Höhe des entstandenen Schadens in der Praxis mit Schwierigkeiten verbunden sein kann.450

(2)  § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 17, 19a UrhG Des Weiteren sind bei einer einseitigen Veröffentlichung des Schiedsspruchs deliktische Schadensersatzansprüche wegen Verletzung eines Schutzgesetzes denkbar. Als Anspruchsgrundlage kommt insoweit § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 17, 19a UrhG in Betracht. § 17 UrhG schützt das sog. Verbreitungsrecht, d. h. das Recht des Urhebers, das Original oder Abschriften eines Werks körperlich der Öffentlichkeit anzubieten oder in Verkehr zu bringen. § 19a UrhG reserviert dem Urheber demgegenüber das Recht der unkörperlichen öffentlichen Zugänglichmachung eines Werks, wozu insbesondere die Online-Bereitstellung zählt.451 Bislang sind allerdings weder § 17 UrhG noch § 19a UrhG als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB anerkannt.452 Selbst wenn man die Schutzgesetzqualität dieser Normen annähme, so bliebe dennoch zu berücksichtigen, dass diese Verwertungsrechte – vorbehaltlich einer Übertragung nach § 31 UrhG – originär den Schiedsrichtern als Urhebern im Sinne der §§ 7, 8 UrhG, nicht aber den Parteien zustehen, sodass es der klagenden Partei im Regelfall an der erforderlichen Anspruchsberechtigung fehlen wird. Ein Schadensersatzanspruch auf der Grundlage des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. §§ 17, 19a UrhG scheidet demgemäß aus.

449 

Dazu bereits oben S. 110 f. Sawang, Geheimhaltung, 2009, S. 300. 451  Bullinger, in: Wandtke/Bullinger, UrhR, 4. Aufl. 2014, § 19a, Rn. 22 ff. 452 Vgl. die Übersicht bei Hager, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2010, § 823, Rn. G 57. 450 



V.  Rechtsschutzmöglichkeiten bei Vertraulichkeitsverletzungen

117

(3)  § 97 Abs. 2 UrhG Ein Schadensersatzanspruch wegen unbefugter Veröffentlichung des Schiedsspruchs kann sich aber aus urheberrechtlichen Bestimmungen ergeben. Gemäß § 97 Abs. 2 Satz 1 UrhG ist, wer vorsätzlich oder fahrlässig das Urheberrecht oder ein anderes urheberrechtlich geschütztes Recht verletzt, dem Verletzten zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet. Zu den durch § 97 Abs. 2 UrhG geschützten Rechten gehören auch die Verwertungsrechte nach §§ 15 ff. UrhG einschließlich des Rechts zur Verbreitung sowie zur öffentlichen Zugänglichmachung eines geschützten Werks.453 Da Schiedssprüche urheberrechtsfähige Werke darstellen, kann die unbefugte einseitige Veröffentlichung des Schiedsspruchs in diese Rechte eingreifen und Ersatzansprüche der geschädigten Partei auslösen. Auch hier ist aber zu bedenken, dass urheberrechtliche Ansprüche originär allein den Schiedsrichtern zustehen, sodass die Anspruchsberechtigung der klagenden Schiedspartei fraglich sein kann. Gerichtliche Entscheidungen zu dieser Frage sind bislang nicht bekannt geworden. Auf der Rechtsfolgenseite stellt § 97 Abs. 2 Satz 2, 3 UrhG dem Verletzten verschiedene Möglichkeiten zur Berechnung seines Schadens zur Verfügung. Neben dem konkreten Schaden nach §§ 249 ff. BGB kann dieser alternativ auch die fiktiven Lizenzgebühren (sog. Lizenzanalogie) oder den Verletzergewinn herausverlangen. Die beiden letztgenannten Berechnungsmethoden sind in der Regel für den darlegungs- und beweisbelasteten Verletzten insofern von Vorteil, als der Nachweis eines konkreten Schadens in der Praxis häufig nicht leicht fallen wird.454 Vor diesem Hintergrund kann die Geltendmachung entgangener Lizenzgebühren bzw. des mit der Veröffentlichung vertraulicher Einzelheiten erzielten Verletzergewinns für den Verletzten die sinnvollste Ersatzmöglichkeit darstellen.

cc. Anspruchshöhe Soweit ein Schadensersatzanspruch der verletzten Partei dem Grunde nach bejaht wird, stellt sich die Frage nach der konkreten Höhe dieses Anspruchs. Gemäß § 249 Abs. 1 BGB ist grundsätzlich derjenige Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Für den vorliegenden Zusammenhang bedeutet dies, dass die verletzte Partei verlangen kann so gestellt zu werden, als wäre die Vertraulichkeitsverletzung nicht erfolgt. Dies kann in der Praxis jedoch mit Schwierigkeiten verbunden sein, da sowohl der Nachweis einer Verletzungshandlung als auch eines hieraus kausal entstandenen Schadens wegen mit der Vertraulichkeitsverletzung verbundenen Imageschäden oder sonstiger Wettbewerbsnachteile häufig 453  454 

Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, 4. Aufl. 2013, § 97, Rn. 5. Dreier, in: Dreier/Schulze, UrhG, 4. Aufl. 2013, § 97, Rn. 60.

118

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

kaum zu erbringen sein wird.455 Diese Schwierigkeiten ließen sich allerdings durch die vertragliche Vereinbarung einer pauschalen Vertragsstrafe für Vertraulichkeitsverletzungen zumindest teilweise lösen.456 Ganz allgemein besteht das Problem, dass nachträgliche Rechtsschutzmöglichkeiten einschließlich der Geltendmachung von Schadensersatz die mit der erstmaligen Vertraulichkeitsverletzung eingetretenen Nachteile in der Regel nicht adäquat ausgleichen können.457 Sind vertrauliche Informationen aus einem Schiedsverfahren einmal an die Öffentlichkeit gelangt, können selbst einstweilige gerichtliche Maßnahmen die Vertraulichkeit nicht wieder vollständig herstellen. Vorzugswürdig sind vor diesem Hintergrund Maßnahmen des vorbeugenden Rechtsschutzes, der aber, wie bereits dargestellt, in der Regel nur schwer zu erlangen sein wird.

2.  Prozessuale Durchsetzung Soweit die Parteien zur Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens verpflichtet sind, können sie gegen Vertraulichkeitsverletzungen von Verfahrensbeteiligten oder sonstigen Dritten gerichtlich vorgehen. In der Praxis wird dies aufgrund der regelmäßig gegebenen Eilbedürftigkeit im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes geschehen.458 Nach deutschem Recht besteht im Grundsatz eine parallele Zuständigkeit von Schiedsgericht und staatlichen Gerichten (a.). Im Rahmen der Entscheidung über den im Einzelfall zu beschreitenden Rechtsweg ist auch eine möglicherweise erforderliche Vollstreckung der Entscheidung zu berücksichtigen (b.).

455  Haas/Kahlert, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, S. 963, 974; Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 283; Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 181; Sawang, Geheimhaltung, 2009, S. 300; Hwang/Chung, 26 Journal of International Arbitration 609, 641 (2009); Lazareff, in: ICC-Bulletin Special Supplement, 2009, S. 81, 88 f.; Oldenstam/von Pachelbel, SchiedsVZ 2006, 31, 34; Sikiric, 13 Croatian Arbitration Yearbook 131, 159 (2006); Brown, 16 University International Law Review 969, 1016 (2001); Smit, 11 American Review of International Arbitration 567, 582 (2000); Gaillard/Savage, Fouchard, Gaillard, Goldman, 1999, Rn. 1412. Siehe auch Amco Asia Corp. et. al. v. The Republic of Indonesia (ICSID Case No. ARB/81/1), 24 International Legal Materials 365. Für vergleichbare Schwierigkeiten bei der Verletzung des schiedsrichterlichen Beratungsgeheimnisses vgl. Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 1042, Rn. 121; Gleiss/Helm, MDR 1969, 93, 95. 456  Kurz, Vertraulichkeitsvereinbarungen, 3. Aufl. 2013, Rn. 298 ff.; Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 283; Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 182; Sawang, Geheimhaltung, 2009, S. 300; Sikiric, 13 Croatian Arbitration Yearbook 131, 159 (2006); Oldenstam/von Pachelbel, SchiedsVZ 2006, 31, 34; Müller, 23 ASA Bulletin 216, 233 (2005). 457  So zutreffend Sawang, Geheimhaltung, 2009, S. 300. 458  Sawang, Geheimhaltung, 2009, S. 300 betont zu Recht, dass die nachträgliche Sanktion von Vertraulichkeitsverletzungen die eingetretenen Schadens meist nur unzureichend kompensiert, weshalb vorbeugender Rechtsschutz in diesem Bereich von besonderer Bedeutung ist. Siehe hierzu auch Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 87.



V.  Rechtsschutzmöglichkeiten bei Vertraulichkeitsverletzungen

119

a. Zuständigkeit In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist fraglich, ob die Abwehr von Vertraulichkeitsverletzungen in den Zuständigkeitsbereich der staatlichen Gerichte oder des Schiedsgerichts fällt. Das deutsche Recht sieht hier im Grundsatz ein zweispuriges Verfahren vor (aa.), sodass einstweilige Maßnahmen sowohl durch das Schiedsgericht (bb.) als auch durch ein staatliches Gericht (cc.) angeordnet werden können.

aa.  Grundsatz: Parallele Zuständigkeiten Nach deutschem Recht besteht für Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes eine parallele Zuständigkeit des Schiedsgerichts und staatlicher Gerichte (§§ 1033, 1041 Abs. 1 ZPO).459 Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte auf diese Weise eine effektive Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht nur während der Dauer des Schiedsverfahrens, sondern insbesondere auch vor dessen Beginn und nach dessen Abschluss sichergestellt werden.460 Widersprüchliche Entscheidungen sind dadurch möglich, können in der Praxis aber sowohl durch eine strenge Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses seitens des staatlichen Gerichts als auch im Verfahren der Vollziehbarerklärung nach § 1041 Abs. 2 ZPO vermieden werden.461 Ob das Schiedsgericht selbst einstweilige Maßnahmen treffen kann oder ob die Parteien insoweit an die staatlichen Gerichte zu verweisen sind, hängt maßgeblich vom Zeitpunkt des Antrags ab. Vor Beginn des Schiedsverfahrens und bis zur Konstituierung des Schiedsgerichts sind die Parteien auf die Inanspruchnahme der staatlichen Gerichte beschränkt, wenn sie den Erlass einstweiliger Maßnahmen begehren. Erst nachdem das Schiedsgericht seine Tätigkeit aufgenommen hat, besteht auch in der Praxis ein zweigleisiger Rechtsschutz. Ob nach dem Abschluss des Schiedsverfahrens, wenn das Schiedsgericht functus officio ist, noch eine Zuständigkeit des Schiedsgerichts gegeben ist, kann nicht in allgemeiner Form beantwortet werden, sondern hängt von der von der rechtlichen Grundlage und zeitlichen Reichweite der Vertraulichkeitspflicht sowie vom sachlichen Geltungsbereich der Schiedsvereinbarung im Einzelfall ab.462

459 

§ 20 DIS-SchO enthält eine fast wortgleiche Regelung. 13/5274, S. 39; Wolf/Eslami, in: BeckOK-ZPO, Stand: 1. 6. 2015, § 1033,

460 BT-Drs.

Rn. 1.

461  Voit, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 1033, Rn. 5; Saenger, ZPO, 6. Aufl. 2015, § 1033, Rn. 5. Teilweise wird auch vorgeschlagen, von der Möglichkeit des § 1041 ZPO keinen Gebrauch zu machen, vgl. Geimer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 1041, Rn. 1; Schütze, BB 1998, 1650, 1653. 462 So zutreffend Ritz, 27 Journal of International Arbitration 221, 243 (2010). Siehe hierzu auch oben S. 89 ff.

120

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Fraglich kann ferner sein, ob diese parallele Zuständigkeit auch für Streitigkeiten über die Existenz oder die Reichweite einer schiedsverfahrensbezogenen Vertraulichkeitspflicht gilt, oder ob nicht insoweit zumindest eine vorrangige Zuständigkeit des Schiedsgerichts besteht. Diese Ansicht hat außerhalb des deutschen Rechts verschiedentlich Unterstützung gefunden463, kann aber nichts daran ändern, dass de lege lata beide Rechtsschutzmöglichkeiten gleichberechtigt nebeneinander stehen. Gleichwohl dürften die besseren Gründe für eine Inanspruchnahme schiedsgerichtlichen Rechtsschutzes sprechen, da in einem öffentlichen staatlichen Gerichtsverfahren stets das Bekanntwerden sensibler verfahrensinterner Informationen droht.464 Die gerichtliche Praxis, insbesondere die Rechtsprechung englischer Gerichte zu Vertraulichkeitsfragen, zeigt hingegen, dass die Schiedsparteien in der Praxis tendenziell eher zur unmittelbaren Inanspruchnahme staatlichen Rechtsschutzes neigen, speziell dann, wenn damit zu rechnen ist, dass die gerichtliche Entscheidung nicht freiwillig befolgt werden wird.465 Aus Sicht des beratenden Rechtsanwalts ist deshalb bei der Rechtswegentscheidung das Risiko einer Offenlegung vertraulicher Informationen gegen die Wahrscheinlichkeit einer mutmaßlich notwendigen Vollstreckung der einstweiligen Maßnahme im Einzelfall abzuwägen.

bb.  Einstweilige Verfügungen des Schiedsgerichts (1041 Abs. 1 ZPO) Das Schiedsgericht kann nach § 1041 Abs. 1 ZPO auf Antrag einer Partei selbständig Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes in Bezug auf den Streitgegenstand anordnen. Einstweilige Maßnahmen nach § 1041 ZPO sind, da sie keine endgültige Entscheidung über den Streitgegenstand oder einen Teil hiervon treffen, keine Schiedssprüche im Sinne von § 1055 ZPO. Von verfahrensleitenden Verfügungen des Schiedsgerichts unterscheiden sie sich dadurch, dass 463 

Karton, 28 Arbitration International 447, 480 (2012); Ritz, 27 Journal of International Arbitration 221, 243 (2010); Crookenden, 25 Arbitration International 603, 606 (2009); Smit, 11 American Review of International Arbitration 567, 568 ff., 579 f. (2000); Gibbons, 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution 769, 777 (2000). Vgl. auch die Entscheidung des englischen Court of Appeal in Emmott v. Michael Wilson & Partners, [2008] EWCA Civ. 184, Rn. 84: “But if the implied agreement of the parties is to be taken as the basis of the obligation of confidentiality […] it ought to follow that disputes about its limits are within the scope of the arbitration agreement and should be determined by the arbitral tribunal.” In Bulgarian Foreign Trade Bank Ltd. v. AI Trade Finance Inc. nahm der schwedische Oberste Gerichtshof hingegen ohne weitere Begründung die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte an, obwohl eine wirksame Schiedsvereinbarung vorlag, vgl. hierzu Smit aaO. 464  Ähnlich Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 276 f. 465  So stellte der Court of Appeal in Emmott v. Michael Wilson & Partners, [2008] EWCA Civ. 184, Rn. 84 fest: “On the evidence of the reported cases, however, it seems that whenever a dispute has arisen as between the parties as to the applicability and extent of confidentiality it has been resolved by an application to the court for an injunction to restrain disclosure: Hassneh Insurance Co of Israel v Mew; Insurance Co v Lloyd’s Syndicate; Ali Shipping Corporation v Shipyard Trogir.”



V.  Rechtsschutzmöglichkeiten bei Vertraulichkeitsverletzungen

121

sie nur auf Antrag einer Partei erlassen werden können. Es handelt sich um eine eigenständige schiedsgerichtliche Entscheidungsform.466 In der Sache ist das Schiedsgericht, anders als ein staatliches Gericht, mit Blick auf den Inhalt der einstweiligen Anordnung nicht an den Maßnahmenkatalog der §§ 916 ff. ZPO gebunden, es ist vielmehr anerkannt, dass die Schiedsrichter auch atypische Anordnungen treffen können.467 Das Schiedsgericht ist damit bei der Entscheidung darüber, auf welche Weise es die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens sicherstellen möchte, grundsätzlich frei. Die einstweilige Anordnung des Schiedsgerichts bedarf zur zwangsweisen Durchsetzung gemäß § 1041 Abs. 2 ZPO der Vollziehung durch die staatlichen Gerichte. In der Praxis dürfte allerdings die freiwillige Befolgung schiedsgerichtlicher Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes die Regel darstellen, zumal die Nichtbefolgung vom Schiedsgericht in der späteren Hauptsacheentscheidung zulasten der säumigen Partei berücksichtigt werden kann.468

cc.  Einstweilige Verfügungen des staatlichen Gerichts (§ 1033 ZPO) Neben dem Schiedsgericht sind gemäß § 1033 ZPO auch die staatlichen Gerichte auf entsprechenden Antrag einer Partei zum Erlass einstweiliger Maßnahmen befugt. In der Sache kann das befasste staatliche Gericht „vorläufige oder sichernde Maßnahmen in Bezug auf den Streitgegenstand des schiedsgerichtlichen Verfahrens“ treffen.469 Stets erforderlich ist ein Bezug zum Streitgegenstand, der bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens jedoch regelmäßig gegeben sein dürfte. Problematisch kann im Einzelfall die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts sein. Hier kann sich zunächst die Frage stellen, welchen Einfluss die Bestimmung eines Schiedsorts auf die örtliche Zuständigkeit des staatlichen Gerichts hat. In der Vergangenheit wurde teilweise vertreten, die Wahl des Schiedsorts sei für mit dem Schiedsverfahren in Zusammenhang stehende staatliche Gerichtsverfahren irrelevant.470 Hiergegen spricht jedoch, dass die Parteien durch die übereinstimmende Wahl eines bestimmten Schiedsorts ihren Willen zum Ausdruck bringen, an diesem Ort nicht nur das schiedsgerichtliche Verfahren, sondern sämtliche mit diesem Verfahren in Zusammenhang stehenden gerichtlichen Handlungen, auch solche vor staatlichen Gerichten, zu konzentrieren.471 Dem übereinstimmenden 466 

Zeiler, SchiedsVZ 2006, 79, 81. Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 17a, Rn. 5. 468  Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1041, Rn. 19; Risse/Frohloff, SchiedsVZ 2011, 239. 469  Zu den im Einzelnen möglichen Maßnahmen Geimer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 1033, Rn. 7. 470  So insbesondere OLG Frankfurt, NJW 1959, 1088 f. 471  OLG Hamburg, NJW 1997, 749; Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1033, Rn. 20, dort auch zur abweichenden Ansicht. Für das common law wird diese Auffassung von Hwang/ 467 

122

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

Willen der Parteien ist deshalb auch mit Blick auf die örtliche Zuständigkeit der staatlichen Gerichte für einstweilige Rechtsschutzmaßnahmen Rechnung zu tragen, sodass – ohne Rücksicht auf die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften – die Gerichte am Schiedsort örtlich zuständig sind. Hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit besteht in Arrestverfahren vor staatlichen Gerichten gemäß § 919 ZPO eine parallele Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache und des Amtsgerichts am Ort der belegenen Sache. In einstweiligen Verfügungsverfahren ist primär das Gericht der Hauptsache (§ 937 ZPO), in Eilfällen auch das Amtsgericht am Ort der belegenen Sache (§ 942 ZPO) zuständig. In diesem Zusammenhang kann fraglich sein, ob das „Gericht der Hauptsache“ das Schiedsgericht oder das fiktive, nach der allgemeinen Streitwertzuständigkeit zu ermittelnde, staatliche Hauptsachegericht ist.472 Angesichts der vorrangigen Regelung des § 1041 ZPO, die ansonsten weitgehend leerlaufen würde, verdient aus systematischen Gründen die letztgenannte Ansicht Zustimmung.

b. Vollstreckung Einstweilige Maßnahmen eines staatlichen Gerichts werden nach den allgemeinen Vorschriften des 8. Buches der ZPO vollstreckt (§ 928 ZPO). Einstweilige Maßnahmen des Schiedsgerichts können dagegen nicht von diesem selbst vollstreckt werden. Das Schiedsgericht ist vielmehr nach § 1041 Abs. 2 ZPO auf die Vollstreckungshilfe der staatlichen Behörden des Schiedsorts angewiesen. Aufgrund dieser Sachlage dürfte die unmittelbare Befassung staatlicher Gerichte in der Praxis regelmäßig zeitliche Vorteile bergen.473 Die Vollstreckung einer einstweiligen Maßnahme birgt allerdings weitere Kostenrisiken. Stellt sich nachträglich heraus, dass die einstweilige Maßnahme zu Unrecht erlassen wurde, kann dies sowohl im staatlichen (§ 945 ZPO) wie auch im Schiedsverfahren (§ 1041 Abs. 4 ZPO) zu einer Schadensersatzhaftung derjenigen Partei, die die Vollziehung erwirkt hat, führen.474 Im letzteren Fall kann der Geschädigte nach dem ausdrücklichen Wortlaut des § 1041 Abs. 4 Satz 2 ZPO seine Ansprüche wahlweise vor dem Schiedsgericht oder vor den staatlichen Gerichten verfolgen.475

Thio, 29 Journal of International Arbitration 137, 139, 163 (2012), vertreten und hat zudem in eine von den Autoren formulierte Muster-Vertraulichkeitsvereinbarung (Model Clause 7) Eingang gefunden. 472  Geimer, in: Zöller, 31. Aufl. 2016, § 1033, Rn. 4; Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, § 1033, Rn. 5; Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1033, Rn. 19 ff. 473  So auch Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1033, Rn. 13; Crookenden, 25 Arbitration International 603, 606 (2009); Müller, 23 ASA Bulletin 216, 238 (2005). 474  Dazu ausführlich Risse/Frohloff, SchiedsVZ 2011, 239. 475 Vertiefend Risse/Frohloff, SchiedsVZ 2011, 239, 246 f.



VI. Zusammenfassung

123

VI. Zusammenfassung Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens beschreibt nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung und der rechtswissenschaftlichen Diskussion mehr eine rechtspolitische Idealvorstellung als einen real existierenden Zustand. Eine allgemeine Vertraulichkeitspflicht besteht in den meisten Jurisdiktionen nicht und muss selbst dort, wo sie vereinzelt besteht, z. B. in England, eine Vielzahl von Ausnahmen zulassen: “Confidentiality is not an absolute notion.”476 Inhalt und Reichweite dieser Ausnahmen sind ihrerseits in weiten Teilen unklar, sodass die mit dem Postulat einer allgemeinen Vertraulichkeit angestrebte Rechtssicherheit faktisch weitgehend zunichte gemacht wird. Nicht zuletzt gestaltet sich auch ein effektiver Rechtsschutz gegen Vertraulichkeitsverletzungen häufig schwierig. Dieser Befund ist wesentlich den strukturellen Grundlagen des Schiedsverfahrens geschuldet. Als “creature of contract” basiert das Schiedsverfahren sowohl hinsichtlich seiner Einleitung als auch in der Art und Weise seiner Durchführung auf dem übereinstimmenden Willen der Parteien, als justizförmiges Verfahren, das anerkennungsfähige, vollstreckbare Rechtstitel produziert, muss es gleichwohl bestimmten rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügen und nicht zuletzt, so vor allem mit Blick auf bestimmte gesetzliche Offenlegungspflichten, mit dem sonstigen Recht in Einklang stehen. Diese Doppelstellung führt dazu, dass die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens und des Schiedsspruchs als Ergebnis dieses Verfahrens von zwei Seiten gefährdet werden kann: Durch einseitige Parteiinteressen oder durch übergeordnete öffentliche und justizielle Interessen. Die hierbei auftretenden Interessenkonflikte können jeweils nur im Wege der einzelfallbezogenen Abwägung beigelegt werden. Um diesen Abwägungsprozess und die insoweit maßgeblichen Abwägungskriterien dreht sich sowohl mit Blick auf Parteiinteressen (legitimate interest exception) als auch mit Blick auf öffentliche und justizielle Interessen (public interest exception, interests of justice exception) ein wesentlicher Teil der andauernden Vertraulichkeitsdebatte. Was bedeutet dies für die im Ausgangspunkt gestellte Frage nach den Möglichkeiten von Normbildung im Schiedsverfahren? Soweit eine solche Normbildung – wie hier vertreten – vor allem durch eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen stattfinden soll, steht die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens diesem Ansatz nicht kategorisch entgegen. Die verbreitet geäußerte Feststellung, die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens hindere die Öffentlichmachung schiedsrichterlicher Entscheidungen, ist zumindest in dieser allgemeinen Form unzutreffend. Eine vollständige Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens ist im Regelfall weder möglich noch erstrebenswert. Die 476 

Daly, 62 University of Miami Law Review 95, 125 (2007).

124

Kapitel 2: Die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens

von einer Reihe von Autoren477 zutreffend hervorgehobene Doppelnatur des Schiedsspruchs als privates und öffentliches Dokument impliziert bereits, dass auch diese Frage nur durch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall befriedigend gelöst werden kann. Soweit tatsächlich ein Vertraulichkeitsinteresse der Schiedsparteien besteht, was nicht ohne weiteres pauschal unterstellt werden darf, ist dieses so schonend wie möglich mit dem Bedürfnis der rechtswissenschaftlichen und rechtspraktischen Fachöffentlichkeit an schiedsgerichtlichen Präjudizien, mit anderen Worten: an informationeller Teilhabe, in Einklang zu bringen. Die insoweit denkbaren Lösungsansätze sollen im nachfolgenden zweiten Teil der Arbeit dargestellt werden.

477 

Vgl. die Nachweise bei Berger, in: Post Award Issues, 2012, S. 75, 88.

2. Teil

Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

Kapitel 1

Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes Rechtsprechung ist stets auch Rechtsschöpfung. Die Konkretisierung des geschriebenen Rechts gehört zu den Kernaufgaben richterlicher Tätigkeit und gewährleistet die praktische Anwendbarkeit abstrakter Rechtsnormen im konkreten Einzelfall. Der Richter bewegt sich insofern in einem Spannungsfeld: Gleichermaßen zur Justizgewähr wie zur Beachtung des Grundsatzes der Gewaltenteilung verpflichtet, kann er sich nicht auf eine (vermeintlich) bloß erkennende Rechts-Findung beschränken, sondern muss angesichts der zwangsläufigen Lückenhaftigkeit des positiven Rechts dort, wo gesetzliche Regelungen fehlen, notwendigerweise auch selbst rechtsschöpferisch tätig werden und auf der Grundlage selbständiger Wertungen eine Lösung des individuellen Rechtsstreits herbeiführen (I.). Dies ist der eigentliche Bereich der richterlichen Normbildung, verstanden als Prozess der schöpferischen Anwendung abstrakter Normen auf den konkret zu entscheidenden Einzelfall. Aufmerksamkeit hat der Prozess der richterlichen Normbildung bislang überwiegend im nationalstaatlichen Kontext gefunden (II.). Als Strukturprinzip richterlicher Entscheidungstätigkeit ist er aber auch auf der schiedsverfahrensrechtlichen Ebene notwendig und möglich.

I.  Begriffliche Klärungen: Recht, Normbildung, Präjudiz Die Annahme, dass Schiedsgerichte durch ihre Entscheidungen prinzipiell normbildende Funktionen wahrnehmen können, beruht auf einem soziologischen Begriff des Rechts, der den Prozess der Normbildung nicht lediglich auf die in einem formalisierten Verfahren positiv gesetzten Rechtsnormen beschränkt, sondern auch der Bestätigung bestimmter Regeln und Verhaltenserwartungen durch die Rechtspraxis Rechtsqualität zuerkennt. Soweit diese Praxis sich bei der Entscheidung der ihr vorgelegten Fälle einerseits an dem binären Codes Recht/Unrecht orientiert und andererseits die Gültigkeit ihrer Wertungen nicht von tatsächlichen Zuwiderhandlungen abhängig macht, mit anderen Worten, zu der kontrafaktischen Stabilisierung von Verhaltenserwartungen beiträgt, besitzt sie Rechtsqualität.1 1 

Vgl. hierzu Maurer, Lex Maritima, 2012, S. 147 ff.

128

Kapitel 1: Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes

Erst die mit einem solchen Rechtsverständnis verbundene Anerkennung der normschöpfenden Kraft einer (schieds-)gerichtlichen Entscheidungspraxis schafft die strukturellen Voraussetzungen für eine Normbildung durch Präjudizien. Die vorliegende Arbeit verwendet im Folgenden in Anlehnung an Kriele2 und Maultzsch3 anstelle des engeren Begriffs der richterlichen Rechtsfortbildung den weiter gefassten Begriff der richterlichen Normbildung. Hierfür sind mehrere Gründe ausschlaggebend. Zunächst ist bereits der Versuch, richterliche Rechtsfortbildung begrifflich und methodologisch trennscharf von „bloßer“ richterlicher Rechtsauslegung abzugrenzen, mit Schwierigkeiten behaftet, die vor allem daher rühren, dass beiden Herangehensweisen gleichermaßen ein rechtsschöpferisches Element innewohnt. Die strukturelle Offenheit und Unbestimmtheit vieler Rechtsnormen führt – zusätzlich begünstigt durch eine zunehmende Zahl inter- und supranationaler Rechtsregimes – in der Rechtsanwendung zur Entstehung von vielfältigen Entscheidungsspielräumen, deren Ausfüllung durch den Richter nicht etwa im Sinne einer allein „richtigen“ Lösung präjudiziert ist, sondern regelmäßig eine mehr oder minder große Auswahl an „vertretbaren“ Lösungen eröffnet. Ob man die richterliche Ausfüllung dieser Entscheidungsspielräume im Einzelfall bereits als Fortbildung oder noch als Auslegung des Rechts ansieht, hängt wesentlich von dem gewählten Bezugspunkt ab. In der deutschen Rechtswissenschaft werden in diesem Zusammenhang als mögliche Bezugspunkte sowohl der (objektive) Wortlaut der betreffenden Bestimmung als auch der (subjektive) Wille des Gesetzgebers genannt.4 Während die erstgenannte Ansicht als Auslegung bezeichnet, was sich in den Grenzen des Wortlauts der Norm hält, und als Fortbildung, was darüber hinausgeht, unterscheidet die zweitgenannte Auffassung zwischen einer von dem erkennbaren Willen des historischen Gesetzgebers gedeckten Rechtsauslegung und einer diesen Willen übersteigenden Rechtsfortbildung. Beide Auffassungen stützen sich jeweils auf bestimmte „klassische“ Auslegungsmethoden: die Vertreter der objektiven Theorie auf die grammatische, die Vertreter der subjektiven Theorie auf die historische bzw. auf die teleologische Auslegung. Die Frage nach dem Verhältnis von Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung wird auf diese Weise letztlich zu der Frage nach dem – noch immer weitgehend ungeklärten5 – Rangverhältnis der einzelnen Auslegungsmethoden untereinander. Eine klare und allgemeingültige begriffliche Trennung zwischen Rechtsauslegung und Rechtsfortbildung ist demgemäß nicht möglich. Sie ist in rechtsmethodischer Hinsicht aber auch nicht zwingend erforderlich, 2 

Kriele, Normbildung durch Präjudizien, in: Normen und Geschichte, 1979, S. 24 ff. Maultzsch, Streitentscheidung und Normbildung durch den Zivilprozess, 2010. 4  Maultzsch, Normbildung, 2010, S. 23 f. 5  Vogenauer, Auslegung, Bd. 1, 2001, S. 151 ff.; Alexy/Dreier, in: Interpreting Statutes, 1991, S. 73, 77 f.; Kriele, Rechtsgewinnung, 1967, S. 244; Diedrich, Präjudizien, 2004, S. 86. 3 



I.  Begriffliche Klärungen: Recht, Normbildung, Präjudiz

129

soweit man anerkennt, dass die tatsächliche Entscheidungstätigkeit des Richters sich nicht in der passiven Rechts-Findung erschöpft, sondern stets auch aktive Recht-Fertigung im Sinne eines selbständigen, schöpferischen Akts ist.6 Dies hat zum einen rechtssoziologische Gründe: Der Richter schwebt nicht über Recht und Gesellschaft, sondern ist ein Teil derselben. Aus dieser Erkenntnis folgt notwendigerweise die Einsicht, dass der Prozess der juristischen Entscheidungsfindung in nicht unerheblichem Maße durch individuelle, subjektive Prägungen, die sich unter anderem in den von Esser beschriebenen „Vorverständnissen“ niederschlagen, bestimmt wird. Diesen Vorverständnissen kommt angesichts des Fehlens allgemeingültiger Auslegungshierarchien in der gerichtlichen Praxis eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu.7 Der Analyse dieser Prädispositionen und ihrem Einfluss auf Rechtsprechung und Justizverwaltung hat sich die Rechtssoziologie insbesondere in den 60er und 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts gewidmet.8 Die rechtsschöpferische Tätigkeit des Richters hat aber auch einen genuin juristischen Grund: Die Unbestimmtheit und Lückenhaftigkeit des positiven Rechts. Es gehört mittlerweile zu den Grunderkenntnissen der Rechtstheorie, dass das geschriebene Recht zu keiner Zeit auch nur annähernd die Vielfältigkeit der vorhandenen Lebens- und Gesellschaftsverhältnisse abbilden kann. Gesetzgeberische Versuche einer in diesem Sinne umfassenden Kodifikation – hier ist prominent der Entwurf eines Preußischen Allgemeinen Landrechts von 1794 zu nennen – hat es gleichwohl zu allen Zeiten gegeben. Ihr ausnahmsloses Scheitern kann aus heutiger Sicht nicht überraschen. Die Schwierigkeiten – um nicht zu sagen: die Unmöglichkeit – einer allumfassenden Kodifikation sind unter den Bedingungen einer sich beschleunigenden politischen, wirtschaftlichen und nicht zuletzt auch rechtlichen Globalisierung, in deren Zuge eine Vielzahl neuer, verschiedentlich überlappender und teilweise widersprüchlicher Rechtsregimes entstanden ist, noch gewachsen. Theoretisch kann der Gesetzgeber in dieser Lage Abhilfe schaffen, praktisch wird die notwendige Anpassung des positiven Rechts an die jeweiligen Verhältnisse aufgrund der zeitlichen Verzögerungen sowie der Unwägbarkeiten des politischen Meinungsbildungsprozesses in weiten Teilen durch richterliche Normbildung geleistet. Wenn die Dritte Gewalt vor diesem Hintergrund rechtsschöpferisch tätig wird, stellt sich jedoch notwendig die Frage nach den inhaltlichen Grenzen, die der richterlichen Normbildung durch die Verfassung und das Gesetz gezogen werden.9 Dieser Frage widmet sich im Folgenden auch die vorliegende Arbeit. Ob man das schöpferische Tätigwerden 6 Vgl. Esser, Vorverständnis, 1972, S. 181: „Die Tätigkeit des Richters ist keine rekonstruktive, sondern eine konstruktive.“ 7  Esser, Vorverständnis, 1972, S. 177 ff. 8 Siehe nur Rottleuthner, Richterliches Handeln, 1973; ders., Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft, 1973. 9  Dazu näher unten S. 154 f.

130

Kapitel 1: Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes

des Richters im Einzelfall als Auslegung oder als Rechtsfortbildung bezeichnet, ist demgegenüber aus rechtsmethodologischer Sicht zweitrangig. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass richterliche Normbildung stets einzelfallbezogen ist. Die Aufgabe des Richters besteht in der Entscheidung eines ihm vorliegenden, konkreten Rechtsstreits. Diese Aufgabenzuweisung bestimmt im Zivilprozess sowohl über die verfahrensleitenden Befugnisse des Richters als auch über die inhaltliche Reichweite und die Rechtsfolgen seiner Entscheidung. Letztere werden in Deutschland in allgemeiner Form durch den Begriff der Rechtskraft (res judicata) charakterisiert, wobei die objektive Rechtskraft (§ 322 ZPO) die Rechtswirkungen der Entscheidung auf den konkreten Streitgegenstand und die subjektive Rechtskraft (§ 325 ZPO) die Rechtswirkungen der Entscheidung auf die Verfahrensbeteiligten und deren Rechtsnachfolger begrenzt. Das Konstrukt der Rechtskraft schließt es jedoch nicht per se aus, dass eine richterliche Entscheidung auch über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus Bedeutung erlangt. Obwohl die gesetzlich angeordneten Rechtskraftwirkungen den Prozess der richterlichen Normbildung im Ausgangspunkt auf den konkret zu entscheidenden Einzelfall beschränken, können die inhaltlichen Erwägungen des betreffenden Spruchkörpers einen Anknüpfungspunkt für den Umgang nachfolgender Spruchkörper mit vergleichbaren Sachverhalten bilden und damit den Prozess der Entscheidungsfindung auch in anderen Fällen beeinflussen. Hier beginnt die Theorie des Präjudizes. Unter einem Präjudiz bzw. einem Präzedenzfall wird im Folgenden deshalb die (schieds-)gerichtliche Entscheidung eines Falles, die für spätere gleich- oder ähnlich gelagerte Fälle, unabhängig von der Art der Präzedenzwirkung, leitend und maßstabsbildend wirken kann, verstanden.10 Abzugrenzen ist der hier verwendete Präjudizienbegriff insbesondere vom Begriff der Rechtskraft. Die Rechtskraft dient der dauerhaften Befriedung eines zurückliegenden, konkreten Rechtsverhältnisses, während das Präjudiz als Mittel der Normbildung zukunftsgerichtete, einzelfallübergreifende Orientierungs- und Maßstabsfunktionen wahrnimmt.11 Der Präjudizienbestand einer gegebenen Rechtsordnung soll allgemein als Richterrecht bezeichnet werden. Mit Blick auf die Präzedenzwirkungen eines Präjudizes ist weiter zwischen den vertikalen Präzedenzwirkungen, d. h. Präzedenzwirkungen zwischen über- und nachgeordneten Gerichten einerseits und den horizontalen Präzedenzwirkungen, d. h. Präzedenzwirkungen zwischen hierarchisch gleichgeordneten Spruchkörpern, zu unterscheiden. Die nachfolgenden Ausführungen tragen dieser Unterscheidung Rechnung. Der Prozess der Normbildung durch 10  Legum, in: Precedent, 2008, S. 5 ff. Als Präjudizien sollen insbesondere nicht nur zustimmende, sondern auch ablehnende und neutrale Bezugnahmen gelten. Zu den unterschiedlichen Formen der Bezugnahme auf die Entscheidungen anderer Schiedsgerichte vgl. König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 139 ff. 11  König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 30.



II.  Normbildung durch Präjudizien im nationalrechtlichen Kontext

131

Präjudizien fand bislang vorwiegend in einem nationalstaatlichen Kontext statt, geht aber mit der fortschreitenden Transnationalisierung und Europäisierung des Rechts zunehmend über diesen hinaus und kann unter bestimmten Voraussetzungen auch zur weiteren Entwicklung und Legitimierung des Schiedsverfahrens beitragen. Die in diesem Zusammenhang bestehenden Möglichkeiten sollen im Folgenden dargestellt und erläutert werden.

II.  Normbildung durch Präjudizien im nationalrechtlichen Kontext Die Theorie des Rechts und seiner wesentlichen Entstehungsbedingungen wurde bis in die jüngere und jüngste Zeit fast ausschließlich in einem nationalstaatlichen Kontext diskutiert. Dies galt auch für die Theorie des Präjudizes, dessen Entstehung und Funktionsweise weitgehend in hierarchische, nationalstaatliche Zusammenhänge eingebettet blieben. Diese Sichtweise ist erst in jüngerer Zeit, insbesondere durch die systemtheoretischen Arbeiten von Teubner, in Frage gestellt geworden, der angesichts zunehmender Globalisierungs- und Transnationalisierungstendenzen und dem damit verbundenen Auftreten neuer, atypischer Rechtsphänomene auf die Begrenztheit nationalstaatlich zentrierter Erklärungsansätze hingewiesen hat.12 Gleichwohl bildet die nationalstaatlich geprägte Sicht auf das Präjudiz, seine Bedeutung und seine Funktion, die dogmatische Grundlage, auf welcher die vorliegende Arbeit einen eigenständigen schiedsverfahrensrechtlichen Normbildungs- und Präjudizienbegriff entwickeln möchte. Dieser Ausgangspunkt wurde vor dem Hintergrund gewählt, dass sich einerseits die bislang vorhandenen vereinzelten Argumentationsansätze zu einer schiedsverfahrensrechtlichen Präjudizientheorie ebenfalls an dieser Struktur orientieren und andererseits – wie noch zu zeigen sein wird – Parallelen zwischen der Funktion des Präjudizes im Schiedsverfahren und in den kontinentaleuropäischen Rechtssystemen bestehen. Im Folgenden sollen zunächst die Rechtslage im common law und hier vor allem die stare decisis doctrine, gemäß derer die Entscheidungen höherer und höchster Gerichte rechtliche Präzedenzwirkung besitzen, vorgestellt werden (1.), bevor diesem Ansatz die auch in Deutschland maßgebliche kontinentaleuropäische Sichtweise, wonach gerichtlichen Entscheidungen lediglich faktische Präzedenzwirkung zukommt (2.), gegenüber gestellt wird. Der Abschnitt schließt mit einer Zusammenfassung der gewonnenen Ergebnisse (3.).

12  Teubner, Recht als autopoietisches System, 1989; Fischer-Lescano/Teubner, RegimeKollisionen, 2006.

132

Kapitel 1: Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes

1.  Das Präjudiz im common law und die stare decisis doctrine In den angelsächsisch geprägten Rechtssystemen (common law)13 besitzen gerichtliche Entscheidungen als originäre Rechtsquellen sowie als Auslegungshilfe erhebliche Bedeutung. Die Gesamtheit dieser Entscheidungen bildet das case law, welches gemeinsam mit dem geschriebenen Recht (statute law) und dem Billigkeitsrecht (equity) die rechtliche Grundlage für die Entscheidungstätigkeit der Gerichte bildet.14 Die Anerkennung einer originären richterlichen Rechtsetzungskompetenz erfordert jedoch einerseits eine Klärung des Verhältnisses der unterschiedlichen Rechtsquellen untereinander15 und andererseits eine systematische Bestimmung der richterrechtlichen Präzedenzwirkungen innerhalb der Gerichtshierarchie. Diese Systematisierung leistet die stare decisis doctrine. Danach sind im Interesse der Rechtssicherheit einerseits Untergerichte an die Entscheidungen der oberen und obersten Gerichte gebunden (vertikales stare decisis), andererseits aber auch die oberen und obersten Gerichte selbst an ihre vorangegangenen Entscheidungen (horizontales stare decisis). Für den typischerweise dreigliedrigen Instanzenzug des angelsächischen Rechts führt die vertikale stare decisis-Bindung dazu, dass die erstinstanzlichen Gerichte (trial courts) an die Entscheidungen der Berufungsgerichte (courts of appeal) und der obersten Gerichte (supreme courts) gebunden sind, während die Berufungsgerichte die Rechtsprechung der obersten Gerichte zu beachten haben. Im Rahmen des horizontalen stare decisis stellt sich dagegen die Frage, ob Gerichte an ihre eigene Rechtsprechung gebunden sind. Für erstinstanzliche Gerichte wird eine solche Bindung überwiegend verneint16, für die oberen und obersten Gerichte hingegen prinzipiell bejaht.17 So vertreten sowohl der US-amerikanische Supreme Court als auch das frühere englische House of Lords (seit 2008 der Supreme Court of 13  Der Begriff des common law bezeichnet im weiteren Sinne und insbesondere als Abgrenzung zum civil law die angelsächsisch geprägten Fallrechtssysteme und im engeren Sinne das innerhalb dieser Systeme durch die Rechtsprechung geschaffene Präjudizienrecht (case law). Soweit nicht anders angegeben, wird der Begriff des common law im Folgenden in dem vorbezeichneten weiteren Sinne gebraucht. 14  Unabdingbare Voraussetzung jeden Richterrechts ist aber Entscheidungspublizität, vgl. Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495; Bhala, 9 Journal of Transnational Law & Policy 1, 7 (1999); Dragich, 44 American University Law Review 757, 758, 766 (1995). 15 Grundsätzlich wird die richterliche Rechtsetzungsmacht durch das parlamentarische Gesetzgebungsrecht begrenzt. In England sind zudem Beschränkungen durch das Unionsrecht und die EMRK zu berücksichtigen. 16  Das bedeutet aber nicht, dass die Entscheidungen der Untergerichte keine faktischen Präjudizwirkungen durch argumentative Überzeugungskraft (persuasive precedent) entfalten können. Hierzu ausführlich unten S. 138 ff. 17  Henninger, Europäisches Privatrecht und Methode, 2009, S. 237 ff.; Pilny, Präjudizienrecht, 1993, S. 94 ff. Bemühungen von Lord Hoffmann, die horizontale Präjudizienbindung des englischen Court of Appeal abzuschwächen, blieben ohne Erfolg, vgl. Martens, JZ 2011, 348, 353 f.



II.  Normbildung durch Präjudizien im nationalrechtlichen Kontext

133

the United Kingdom) die Auffassung einer horizontalen Selbstbindung durch vorangegangene Entscheidungen, behalten sich aber gleichwohl das Recht vor, in begründeten Einzelfällen von ihrer früheren Rechtsprechung abzuweichen.18 Insgesamt ist der Richter im common law einem Präjudiz damit trotz grundsätzlich bestehender Bindungswirkungen nicht hilflos ausgeliefert. Eine vertikale Präjudizienbindung kann in der Praxis häufig durch die Möglichkeit der Unterscheidung des zu entscheidenden Sachverhalts oder der zu entscheidenden Rechtsfrage von dem Sachverhalt oder der entschiedenen Rechtsfrage der präjudiziellen Entscheidung (distinguishing) vermieden werden. Das Gericht kann sich insoweit auf den Standpunkt stellen, das betreffende Präjudiz sei aus Tatsachen- oder Rechtsgründen auf den zu entscheidenden Fall nicht anwendbar. In der gerichtlichen Praxis führt die Möglichkeit des distinguishing zu einer erheblichen Aufweichung der vertikalen Präjudizienbindung, da allgemein anerkannte Unterscheidungskriterien für die präjudizielle Vergleichbarkeit gerichtlicher Entscheidungen weitgehend fehlen.19 Die oberen und obersten Gerichte besitzen darüber hinaus die Möglichkeit, eine frühere Rechtsprechung ausdrücklich aufzugeben (overruling). Zwar besteht im Grundsatz eine horizontale Bindung an frühere Entscheidungen, diese gilt aber nicht unumschränkt sondern kann aufgrund übergeordneter Erwägungen im Einzelfall zurücktreten. Ein overruling kommt insbesondere in Betracht, wenn das Festhalten an einer bestimmten Rechtsprechung wegen einer Veränderung des rechtlichen Umfelds oder der tatsächlichen Verhältnisse zu einer evident unhaltbaren oder ungerechten Entscheidung führen würde, mit anderen Worten, wenn eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall zum Überwiegen der letzteren führt. In diesen Fällen akzeptiert auch die stare decisis doctrine im Interesse des Erhalts der Legitimität und Flexibilität des Justizsystems ein Abgehen von der früheren Rechtsprechung. Rechtsprechungsänderungen sind damit auch unter Geltung von stare decisis möglich. Eine pointierte Darstellung der inhaltlichen Voraussetzungen, unter denen eine Änderung der Rechtsprechung in Betracht kommen kann, hat jüngst Chief Justice Roberts in der Entscheidung Citizens United v. Federal Election Commission20 des US-amerikanischen Supreme Court geliefert. In der von ihm und Associate Justice Alito vertretenen concurring opinion heißt es: 18  So namentlich der US Supreme Court in Brown v. Board of Education, 347 U. S. 483, 494 f. [1954]. Das House of Lords hat mit dem Practice Statement von 1966 offiziell seine frühere Position einer strikten horizontalen Präjudizienbindung aufgegeben, vgl. Martens, JZ 2011, 348, 352. Ein Abweichen von der horizontalen Präjudizienbindung kommt vor allem bei einer tiefgreifenden Veränderung der rechtlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen in Betracht. 19  von Ungern-Sternberg, AöR 138 (2013), 1, 10 f.; ten Cate, 44 New York University Journal of International Law and Politics 1109, 1190 ff. (2012) m. w. N. 20  558 U. S. 310 (2010). Zu den inhaltlichen Voraussetzungen eines overruling nimmt ausführlich auch die Mehrheitsentscheidung des US Supreme Court in Planned Parenthood of

134

Kapitel 1: Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes

“Fidelity to precedent – the policy of stare decisis – is vital to the proper exercise of the judicial function. Stare decisis is the preferred course because it promotes the evenhanded, predictable, and consistent development of legal principles, fosters reliance on judicial decisions, and contributes to the actual and perceived integrity of the judicial process. For these reasons, we have long recognized that departures from precedent are inappropriate in the absence of a “special justification.”   At the same time, stare decisis is neither an “inexorable command,” nor “a mechanical formula of adherence to the latest decision”, especially in constitutional cases. If it were, segregation would be legal, minimum wage laws would be unconstitutional, and the Govern­ment could wiretap ordinary criminal suspects without first obtaining warrants. As the dissent properly notes, none of us has viewed stare decisis in such absolute terms.   Stare decisis is instead a “principle of policy”. When considering whether to reexamine a prior erroneous holding, we must balance the importance of having constitutional questions decided against the importance of having them decided right. As Justice Jackson explained, this requires a “sober appraisal of the disadvantages of the innovation as well as those of the questioned case, a weighing of practical effects of one against the other”. In conducting this balancing, we must keep in mind that stare decisis is not an end in itself. It is instead “the means by which we ensure that the law will not merely change erratically, but will develop in a principled and intelligible fashion.” Its greatest purpose is to serve a constitutional ideal – the rule of law. It follows that in the unusual circum­ stance when fidelity to any particular precedent does more to damage this constitutional ideal than to advance it, we must be more willing to depart from that precedent”

Zutreffend weist Roberts darauf hin, dass die Funktion von stare decisis nicht darin liegt, Rechtsprechungsänderungen grundsätzlich zu verhindern, sondern vielmehr sicherstellen soll, dass solche Änderungen nicht willkürlich, sondern nur bei Vorliegen sachlicher Gründe, insbesondere einer erheblichen Veränderung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse und Überzeugungen, und einer sorgfältigen Folgenabwägung vorgenommen werden. Den Gerichten wird auf diese Weise in Fällen einer beabsichtigten Rechtsprechungsänderung im Interesse der Rechtssicherheit eine erhebliche Begründungslast auferlegt. Dieser eher restriktive Ansatz, der die hohe Bedeutung des Vertrauensschutzes im demokratisch verfassten Rechtsstaat betont, genießt auch in Deutschland Unterstützung. In den vergangenen Jahren haben Rechtsprechung21 und Literatur22 sich wiederholt mit der Frage der Abänderbarkeit der höchstrichterlichen Southeastern Pennsylvania v. Casey, 505 U. S. 833 (1992), Stellung. Für weitere Nachweise zur Rechtsprechung vgl. ten Cate, 44 New York University Journal of International Law and Politics 1109, 1190 f. (2012). 21 Nach der Rechtsprechung ist das Vertrauen auf den Fortbestand einer bestimmten Rechtsprechung regelmäßig nicht schutzwürdig. Rechtsprechungsänderungen – auch rückwirkender Art – sind vor dem Hintergrund des Gleichheitsgrundsatzes sowie der richterlichen Unabhängigkeit prinzipiell zulässig, soweit sie nicht willkürlich erfolgen vgl. BVerfG, NVwZ 2005, 81, 82. 22  Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 322 ff.; von Ungern-Sternberg, AöR 138 (2013), 1, 48 f.; Brocker, NJW 2012, 2996; Langenbucher, Richterrecht, 1996, S. 105 ff.; Olzen, JZ 1985, 155, 158 f.



II.  Normbildung durch Präjudizien im nationalrechtlichen Kontext

135

Rechtsprechung und den Folgen einer solchen Änderung für die Betroffenen auseinandergesetzt. Diese Auswirkungen können beträchtlich sein und mit Blick darauf, dass für Rechtsprechungsänderungen kein Rückwirkungsverbot gilt, für die Betroffenen unter Umständen sogar schwerwiegendere Folgen als eine Änderung der Gesetzeslage nach sich ziehen.23 Teilweise wird zur Lösung dieses Problems eine Rechtsprechungsänderung nur mit Wirkung für die Zukunft (ex nunc) vorgeschlagen, die aber ihrerseits dogmatische Schwierigkeiten aufwirft.24 Wenngleich die in Deutschland geführte Diskussion ohne den Begriff des stare decisis auskommt, so zeigt sie doch, dass sich Fragen nach der Zulässigkeit und den Voraussetzungen einer Rechtsprechungsänderung in jedem Rechtssystem, das den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verpflichtet ist, unabhängig von der gewählten Terminologie in ähnlicher Weise stellen. In diesem Spannungsfeld zwischen materieller Einzelfallgerechtigkeit und formaler allgemeiner Rechtssicherheit ermöglichen distinguishing und overruling es den angelsächsischen Gerichten, sich ungeachtet der Geltung der stare decisis doctrine Freiräume für eine individuelle rechtliche Würdigung der ihnen vorliegenden Sachverhalte zu verschaffen. Diese Freiräume werden zusätzlich dadurch akzentuiert, dass in allen Fällen der vertikalen und horizontalen Präjudizienbindung sich diese stets und ausschließlich auf die tragenden Entscheidungsgründe und die dahinter stehenden Rechtsprinzipien, die sog. ratio decidendi, nicht hingegen auf sonstige Erwägungen und Ansichten des Gerichts, die sog. obiter dicta, erstreckt.25 Die Unterscheidung zwischen ratio decidendi und obiter dictum ist aber nicht immer trennscharf möglich.26 Des Öfteren sind die Entscheidungen oberer und oberster Gerichte in dieser Hinsicht unklar oder widersprüchlich. Diese Unsicherheit wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass die Ermittlung der die Entscheidung tragenden Rechtsprinzipien nicht immer einfach ist und häufig Raum für Interpretationen lässt.27 Insgesamt bieten sich den nachgeordneten Gerichten auf diese Weise vielfältige Möglichkeiten zur Abweichung von unliebsamen präjudiziellen Entscheidungen der Obergerichte. Die stare decisis doctrine führt vor diesem Hintergrund in der Rechtsanwendungspraxis zu einer deutlich schwächer ausgeprägten Präjudizienbindung, als dies in der kontinentaleuropäischen Rechts23  Das Rückwirkungsverbot gilt insoweit nicht, weil aus rechtsdogmatischer Sicht lediglich eine abweichende Auslegung der betreffenden – als solcher unverändert bleibenden – Norm vorliegt, vgl. Brocker, NJW 2012, 2996, 2997. Zu den Folgen einer Rechtsprechungsänderung für die Rechtsunterworfenen vgl. auch Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 7. Aufl. 2013, Rn. 249 ff. 24  Olzen, JZ 1985, 155, 158 ff. 25  Honsell, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, Einleitung zum BGB, Rn. 221 ff. 26  Kriele, Rechtsgewinnung, 1967, S. 282 ff.; Langenbucher, Richterrecht, 1996, S. 66 f. 27  Kriele, Rechtsgewinnung, 1967, S. 284.

136

Kapitel 1: Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes

literatur gelegentlich unterstellt wird.28 Trotz der unterschiedlichen Mechanismen der Präjudizienbindung sind die praktischen Unterschiede zum civil law, dass lediglich eine faktische Bindung der Untergerichte an die Entscheidungen oberer und oberster Gerichte kennt (dazu sogleich), daher im Ergebnis gering.

2.  Das Präjudiz im deutschen Recht Die kontinentaleuropäischen Rechte und auch das deutsche Recht sind mit dem Konzept eines präjudiziellen Wertes gerichtlicher Entscheidungen ebenfalls vertraut. Im Gegensatz zum common law wird dem richterlichen Präjudiz hier jedoch keine rechtliche, sondern lediglich eine faktische Verbindlichkeit zuerkannt (a.). Rechtsverbindliche gerichtliche Präjudizien im Sinne der stare decisis doctrine sind dem deutschen Recht fremd. Ungeachtet dieser Unterschiede kommt dem Präjudiz, ebenso wie im common law, auch in der deutschen Rechtspraxis eine erhebliche Bedeutung zu (b.).

a.  Die Rechtsnatur des Präjudizes Die rechtsdogmatische Einordnung des Präjudizes wurde in Deutschland maßgeblich durch die rechtstheoretischen Arbeiten von Larenz geprägt. Larenz vertrat die Auffassung, die (faktische) Präzedenzwirkung des Präjudizes sei kein Ergebnis der richterlichen Entscheidung als solcher, sondern folge vielmehr aus der durch diese Entscheidung in zutreffender Weise ausgelegten und konkretisierten Rechtsnorm.29 Nach dieser Betrachtungsweise besteht außerhalb der Grenzen bestimmter Rechtskraft- und Revisionswirkungen30 keine Rechtsbindung des entscheidenden Richters an die Entscheidungen übergeordneter Gerichte. Dieser bleibt im Rahmen seiner Spruchtätigkeit – in Übereinstimmung mit Art. 97 Abs. 1 GG und § 1 GVG – allein an das Gesetz gebunden, kann sich bei der Auslegung desselben aber von den Überlegungen und der rechtlichen Argumentation früherer Entscheidungen leiten lassen.31 Diese Möglichkeit entbindet den Richter gleichwohl nicht von der Verpflichtung, in jedem Einzelfall 28  Innerhalb des common law-Rechtskreises wird die Präjudizienbindung im englischen Recht am strengsten verwirklicht, während das US-amerikanische Recht hinsichtlich der diesbezüglichen Präzedenzwirkungen und insbesondere bei der Zulassung von Rechtsprechungsänderungen großzügiger verfährt, vgl. Maultzsch, Normbildung, 2010, S. 28 f. 29  Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl. 1995, S. 254; Larenz, in: Schima-FS, 1969, S. 247, 262; so im Ergebnis auch Esser, in: von Hippel-FS, 1967, S. 95, 129. Einen Überblick über den Meinungsstand in der deutschen Rechtsliteratur liefert Fikentscher, in: Präjudizien, 1985, S. 11, 17 ff. 30  §§ 322 Abs. 1, 563 Abs. 2 ZPO. 31  BVerfG, NJW 1993, 996. Eine allgemeine Bindung des Richters an Entscheidungen anderer Gerichte sehen nur wenige Bestimmungen vor (§ 31 Abs. 1 BVerfGG; § 47 Abs. 5 VwGO). Siehe hierzu von Ungern-Sternberg, AöR 138 (2013), 1, 15 ff.; Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 303 f. Die gesetzlich bestimmten Tatbestands- und Rechtskraftwirkungen stehen



II.  Normbildung durch Präjudizien im nationalrechtlichen Kontext

137

eine selbständige Prüfung und Beurteilung der streitgegenständlichen Rechtsfragen vorzunehmen und eine unabhängige Entscheidung zu treffen. Die in der deutschen Rechtswissenschaft mehrheitlich vertretene Einordnung der richterlichen Spruchtätigkeit als Form der Gesetzesauslegung birgt verschiedene Vorteile. Zum einen gewährleistet sie die verfassungsrechtlich verbürgte Unabhängigkeit des Gerichts auch innerhalb der Judikative. Zum anderen begünstigt diese Auffassung, anders als die gewohnheitsrechtliche Präjudizientheorie, die spätere Abänderbarkeit einer bestimmten Auslegung und wahrt auf diese Weise die notwendige inhaltliche Flexibilität der Rechtsprechung.32 Dessen ungeachtet wird teilweise vertreten, richterrechtliche Präjudizien stellten Gewohnheitsrecht dar.33 Unabhängig davon, dass dies eine allgemeine rechtliche Präzedenzwirkung gerichtlicher Entscheidungen voraussetzen würde, die es nach kontinentaleuropäischem und deutschem Rechtsverständnis gerade nicht geben soll, lässt sich diese Betrachtungsweise insgesamt nur unter der Voraussetzung aufrechterhalten, dass man für die erforderliche gleichmäßige Übung der Norm über einen gewissen Zeitraum (longa consuetudo) die bloße gerichtliche Übung ausreichen lässt. Dagegen spricht vor allem, dass das Gewohnheitsrecht auf der einvernehmlichen, tatsächlichen Übung bestimmter Verkehrskreise beruht, während die gerichtliche Entscheidung eine autoritative, einseitig durchsetzbare Regelung auf der Grundlage theoretischer Richtigkeitserwägungen darstellt. Wenngleich es nicht ausgeschlossen ist, dass eine bestimmte Verkehrsübung durch ihre nachfolgende gerichtliche Anerkennung zu Gewohnheitsrecht wird, lassen die konzeptuellen Unterschiede zwischen Richterspruch und tatsächlicher gesellschaftlicher Praxis es nicht zu, richterlichen Entscheidungen die Qualität von Gewohnheitsrecht zuzuerkennen. Würde man dem Richter das Recht zugestehen, seine – wenngleich rechtsdogmatisch fundierte – subjektive Meinung zum Leitbild und verbindlichen Maßstab allgemeiner gesellschaftlicher Anschauungen zu machen, stellte dies eine erhebliche Überdehnung seiner tatsächlichen verfassungsrechtlichen Position dar.34 Zudem könnte eine solche Sichtweise dazu führen, dass Gerichte verbindlich an ihre einmal getroffenen Entscheidungen gebunden werden.35 In verfassungsder verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit des Richters nicht entgegen, siehe Detterbeck, in: Sachs, GG, 7. Aufl. 2014, Art. 97, Rn. 14. 32  Larenz, in: Schima-FS, 1969, S. 247, 253. 33  Vgl. die Nachweise bei Honsell, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, Einleitung zum BGB, Rn. 232 f. 34 Treffend Krebs/Becker, JuS 2013, 97, 98: „Gewohnheitsrecht ist Recht aus den Reihen der gesamten Rechtsgemeinschaft.“ Ebenso Langenbucher, Richterrecht, 1996, S. 115 f.; siehe auch Honsell, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, Einleitung zum BGB, Rn. 235: „Die Theorie, wonach die Juristen das Volk „vertreten“, ist eine Fiktion; Juristenrecht ist etwas ganz anderes als Volksrecht.“ 35  Krebs/Becker, JuS 2013, 97, 98 f.; Olzen, JZ 1985, 155, 159. Diesen Standpunkt vertrat bis zum Practice Statement von 1966 auch das House of Lords, vgl. Martens, JZ 2011, 348,

138

Kapitel 1: Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes

rechtlicher Hinsicht ließe sich diese Konsequenz unter Umständen vertreten: Art. 2 EGBGB, wonach Gesetz jede Rechtsnorm ist, und Art. 20 Abs. 3 GG, welcher die Rechtsprechung an Gesetz und Recht bindet, lassen hinreichend Möglichkeit zur Anerkennung einer gewohnheitsrechtlichen Bindung. Auch das Gewaltenteilungsprinzip steht, was beispielsweise Art. 80 GG zeigt, der Anerkennung von Normen nicht-legislativen Ursprungs nicht kategorisch entgegen.36 Für die Rechtsprechungspraxis hätte diese Auffassung hingegen zur Folge, dass die Gerichte bei künftigen Entscheidungen unmittelbar an das von ihnen geschaffene Gewohnheitsrecht gebunden wären.37 Da Gewohnheitsrecht „Recht aus den Reihen der gesamten Rechtgemeinschaft“ darstellt, könnten die Gerichte, anders als im common law, eine zu Gewohnheitsrecht geronnene Entscheidungspraxis überdies selbständig nicht mehr abändern. Ein mögliches Ergebnis dieser Entwicklung wäre ein Verlust an Flexibilität in der Rechtsprechung. Die Annahme einer gewohnheitsrechtlichen Natur gerichtlicher Präjudizien lässt sich mit Blick auf die Notwendigkeit der Offenhaltung von Entscheidungsspielräumen deshalb nur durchhalten, soweit man diese strenge Bindung auflockert. Diesen Weg geht eine dritte Ansicht, die das Richterrecht und gerichtliche Präjudizien als Rechtsquelle eigener Art ansieht.38 Danach stellt das Richterrecht eine Art „Gewohnheitsrecht light“ dar, das durch die Rechtsprechung zu jeder Zeit wieder aufgehoben oder abgeändert werden kann. Dieser Auffassung, die in ihren Ergebnissen der stare decisis doctrine ähnelt, fehlt es allerdings an der dogmatischen Folgerichtigkeit: Erst die allgemeine und umfassende Rechtsverbindlichkeit schafft das Gewohnheitsrecht.39 Sollen die mit dieser Einordnung verbundenen Nachteile, so vor allem die fehlende Möglichkeit einer späteren Abänderung, vermieden werden, bleibt – in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung – allein die Qualifikation des Richterrechts als Form der Gesetzesauslegung.

b.  Die faktische Bindungswirkung des Präjudizes Die grundsätzliche Berechtigung des Richters zur Auslegung und Fortbildung des Rechts und damit zur Normbildung ist in Deutschland allgemein anerkannt. Eine Reihe von Rechtsbereichen, darunter beispielsweise das kollektive Arbeitsrecht, hat ihre Ausformung sogar primär durch richterliche Normbildung erfahren. Die Anerkennung einer richterlichen Normbildungskompetenz kann 352. Seit dieser Zeit behält sich das House of Lords (seit 2008 der Supreme Court) das Recht vor, von eigenen Präjudizien abzuweichen. 36  So ausdrücklich BVerfG, NJW 1973, 1221, 1225. 37  So bereits Esser, in: von Hippel-FS, 1967, S. 95, 122. 38  Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, S. 179; Olzen, JZ 1985, 155, 158 f. 39  Siehe nur Honsell, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, Einleitung zum BGB, Rn. 234.



II.  Normbildung durch Präjudizien im nationalrechtlichen Kontext

139

jedoch mit weiteren Verfassungsrechtssätzen in Konflikt geraten, so vor allem mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatz der Rechtssicherheit. Richterrecht ist nach der in Deutschland herrschenden Auffassung eine Form der Gesetzesauslegung und genießt als solche keine normative Verbindlichkeit.40 Richterrechtliche Präjudizien können vor diesem Hintergrund keine Rechtsquellen, sondern – im Sinne der mit ihnen verbundenen Präzisierung und Klarstellung des geltenden Rechts – lediglich Rechtserkenntnisquellen sein.41 Das Fehlen einer rechtsverbindlichen Präjudizienbindung würde aber theoretisch bedeuten, dass jedes Gericht ohne Rücksicht auf die vorangegangenen Entscheidungen anderer Gerichte Normbildung nach individuellem Gusto betreiben könnte. Mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes wäre dieses Ergebnis kaum vereinbar, zumal Art. 3 Abs. 1 GG anerkanntermaßen auch die Judikative zur Beachtung des Gleichheitsgrundsatzes und zur Gewährleistung einer möglichst weitgehenden Rechtsanwendungsgleichheit verpflichtet.42 Die Anerkennung einer gerichtlichen Rechtsetzungsbefugnis schließt damit notwendigerweise Überlegungen zu einer rechtlichen Systematisierung und Kontrolle dieser Wirkungen im Interesse der Rechtssicherheit ein. Hier gehen common law und civil law unterschiedliche Wege. Während im Geltungsbereich des common law die Rechtsanwendungsgleichheit mithilfe der stare decisis doctrine, d. h. einer formalisierten Rechtsbindung der Untergerichte an die Rechtsprechung der Obergerichte sowie einer Bindung der Obergerichte an ihre früheren Entscheidungen, sichergestellt wird, lehnen die kontinentaleuropäischen Rechte einschließlich des deutschen Rechts eine solche normative Rechtsbindung wegen ihrer Unvereinbarkeit mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der richterlichen Unabhängigkeit überwiegend ab.43 Dies bedeutet allerdings, wie bereits eingangs hervorgehoben, nicht, dass das deutsche Recht überhaupt keine präjudizielle Wirkung gerichtlicher Entscheidungen kennt. Es ist vielmehr anerkannt, dass insbesondere den gesetzeskonkretisierenden Entscheidungen der oberen und obersten Gerichte im Interesse des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit eine erhebliche 40  BVerfG, NJW 1991, 2549, 2550: „Höchstrichterliche Urteile sind kein Gesetzesrecht und erzeugen keine vergleichbare Rechtsbindung.“ Siehe auch BVerfG, NJW 1975, 968, 969; Honsell, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2013, Einleitung zum BGB, Rn. 226; Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 298 f.; Larenz, in: Schima-FS, 1969, S. 247, 249 f. 41  Berger, in: Elsing-FS, 2015, S. 15, 22; von Ungern-Sternberg, AöR 138 (2013), 1, 5. 42  Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 320 ff. Auch Larenz, in: Schima-FS, 1969, S. 247, 249 ff. sieht im Gleichheitsgebot sowie im Gebot des Vertrauensschutzes zwar normative Anknüpfungspunkte für eine Pflicht zur Berücksichtigung gerichtlicher Präjudizien in der richterlichen Entscheidungsfindung, lehnt eine rechtsverbindliche Präjudizienbindung nach dem Modell des common law aber letztlich unter Verweis auf die grundgesetzlich verbürgte Unabhängigkeit des Richters und die Gefahr einer Anmaßung legislativer Funktionen durch die Judikative ab. So im Ergebnis auch von Ungern-Sternberg, AöR 138 (2013), 1, 47 f. 43  BVerfG, NJW 1991, 2549, 2550; Larenz, in: Schima-FS, 1969, S. 247, 248.

140

Kapitel 1: Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes

faktische Verbindlichkeit zukommen kann.44 Kriele weist mit Recht darauf hin, dass die faktische Beachtung gerichtlicher Präjudizien „für jeden Juristen eine täglich erfahrene Selbstverständlichkeit“ sei.45 In besonderem Maße gilt dies für die Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte, die vor allem in solchen Rechtsbereichen, in denen gesetzliche Regelungen lückenhaft sind oder gänzlich fehlen, eine erhebliche, nahezu gesetzesvertretende, Bedeutung erlangt hat. So wird beispielsweise die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wie empirische Untersuchungen wiederholt gezeigt haben, ungeachtet ihrer fehlenden rechtlichen Verbindlichkeit von den nachgeordneten Gerichten regelmäßig beachtet.46 Diese Bindungswirkung und der damit für die Rechtsanwendung erzielte „Vergewisserungswert“47 können zusätzlich durch die mit einer gewissen Zahl bestätigender Entscheidungen verbundene Entstehung einer ständigen Rechtsprechung (jurisprudence constante) erhöht werden. Die Gründe für die erhebliche faktische Bedeutung richterlicher Präjudizien sind vielfältig und sowohl allgemeinen verfahrensökonomischen Erwägungen als auch spezifischen justizinternen Strukturen geschuldet. Einen wesentlichen Grund für die Beachtung höchstrichterlicher Präjudizien dürfte die mit einer Berücksichtigung früherer Entscheidungen verbundene Arbeitsverringerung für die Untergerichte darstellen. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang der Begriff der „Begründungslast“ (Krebs) oder – synonym – der „Ar44  Berger, in: Elsing-FS, 2015, S. 15, 17 f.; von Ungern-Sternberg, AöR 138 (2013), 1, 3 f., 51 ff.; Diedrich, Präjudizien, 2004, S. 204 ff.; Langenbucher, Richterrecht, 1996, S. 117 ff.; Schütze, in: Glossner-FS, 1994, S. 333; Larenz, in: Schima-FS, 1969, S. 247; Kriele, Rechtsgewinnung, 1967, S. 243; ders., in:, Normen und Geschichte, 1979, S. 24, 25 f. Teilweise wird weiter zwischen einer – bloßen – „faktischen“ und einer – darüber hinausgehenden – „präsumtiven“ Präjudizienbindung entschieden (so z. B. Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 328 f.; Effer-Uhe, Bindungswirkung, 2008, S. 3 ff.). Während erstere aufgrund der in ihr verkörperten „richtigen“ Auslegung der betreffenden Norm Bindungswirkung entfaltet, soll letztere darüber hinaus eine widerlegliche Vermutung für die Richtigkeit eines bestimmten Präjudizes begründen. Diese Unterscheidung überzeugt nicht. Wenn ein Präjudiz aufgrund seiner sachlichen Überzeugungskraft für zutreffend gehalten wird, so begründet dies stets auch eine widerlegliche Vermutung für seine Richtigkeit, da nur eine in der Sache noch überzeugendere Begründung ein Abweichen rechtfertigen kann. „Faktische“ und „präsumtive“ Verbindlichkeit eines Präjudizes beschreiben auf diese Weise zwei Ausschnitte eines zusammenhängenden Reflektionsprozesses. Im Folgenden wird deshalb nur der Begriff der faktischen Verbindlichkeit von Präjudizien verwendet. 45  Kriele, Rechtsgewinnung, 1967, S. 243. Ähnlich Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 7. Aufl. 2013, Rn. 244. 46  Berger, in: Elsing-FS, 2015, S. 15, 19; Olzen, JZ 1985, 155, 157; Larenz, in: Schima-FS, 1969, S. 247, 249. Auch der Bundesgerichtshof selbst hält im Interesse der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes an einer einmal etablierten Rechtsprechung in der Regel solange fest, bis „deutlich überwiegende oder sogar schlechthin zwingende Gründe“ ein Abweichen gebieten (BGH, NJW 1983, 228). Hierzu auch Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 323; Martens, JZ 2011, 348, 355. Für die maßstabsbildende Bedeutung der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist neben deren instanzieller Autorität nicht zuletzt die vergleichsweise hohe Publizität höchstrichterlicher Entscheidungen verantwortlich, vgl. Olzen, JZ 1985, 155, 157. 47  Esser, Vorverständnis, 1972, S. 187.



II.  Normbildung durch Präjudizien im nationalrechtlichen Kontext

141

gumentationslast“ (Kriele). Diese Begriffe beschreiben, in allgemeiner Form, die Verpflichtung der von einer anerkannten Rechtsregel oder privilegierten Rechtsmeinung abweichenden Person zur argumentativen Begründung der Abweichung.48 Umgekehrt genießt die privilegierte Auffassung eine Richtigkeitsvermutung, die denjenigen, der dieser Auffassung zu folgen beabsichtigt, von der Pflicht zur erneuten inhaltlichen Begründung befreit.49 Die Begründungslast ähnelt der zivilprozessualen Darlegungs- und Beweislast. Während die Darlegungs- und Beweislast aber die prozessualen Folgen von Unsicherheiten im Bereich des Tatsächlichen regelt, betrifft die Begründungslast den Umgang mit Unsicherheiten im Bereich des Rechtlichen.50 Begründungslasten existieren zum einen im positiven Recht.51 Sie können aber auch im Rahmen der Diskussion um die Präzedenzwirkung gerichtlicher Entscheidungen Bedeutung entfalten, so vor allem dann, wenn ein Gericht im Rahmen der von ihm zu treffenden Entscheidung von einer bestimmten Rechtsprechung abweichen will. Zwar steht es dem entscheidenden Richter oder Spruchkörper frei, einen bestimmten Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht anders zu würdigen, als dies in vorangegangenen Entscheidungen geschehen ist. Eine Rechtsbindung an die Entscheidungen anderer Gerichte sieht das deutsche Recht, wie bereits dargelegt, im Grundsatz nicht vor. In diesem Fall muss die Abweichung aber inhaltlich begründet werden, der Abweichende trägt also die Begründungslast.52 Anders verhält es sich, wenn das Gericht einer bestimmten, meist höchstrichterlichen, Rechtsprechung folgen will. Hier besteht keine Pflicht zur nochmaligen, selbständigen Begründung der Entscheidung. Ausreichend ist insoweit ein Hinweis darauf, dass der privilegierten Meinung gefolgt wird, deren inhaltliche Begründung sich das Gericht insoweit zu Eigen macht.53 Der Mehrwert dieses Ansatzes liegt zunächst darin, dass er die Teilnehmer des juristischen Diskurses von der Notwendigkeit entlastet, ihre Entscheidungen stets aufs Neue autonom zu begründen. Das Konzept der Begründungslast schafft die Möglichkeit, sich in der Vergangenheit entwickelte und in der Praxis bewährte Lösungsansätze zu eigen zu machen, soweit im Einzelfall nicht bessere Gründe dagegen sprechen. Die Begründungslast dient auf diese Weise der Entlastung des Richters sowie der Straffung des juristischen Diskurses und liefert gleichzeitig eine rechtstheoretische Fundierung der tatsäch48 

Krebs, AcP 1995, 171 ff. Larenz, in: Schima-FS, 1969, S. 247, 262 spricht in ähnlicher Weise von einer „tatsächlichen Vermutung für die Richtigkeit eines höchstrichterlichen Präjudizes.“ 49  Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 328 ff.; Langenbucher, Richterrecht, 1996, S. 118 ff.; Krebs, AcP 195 (1995), 171, 173 f. 50  Krebs, AcP 195 (1995), 171, 172 f. 51  So vor allem durch Rechtsvorschriften, nach denen eine bestimmte Rechtsfolge „im Zweifel“ eintreten soll, vgl. z. B. § 271 Abs. 2 BGB. 52  von Ungern-Sternberg, AöR 138 (2013), 1, 51; Hoffmann, Handelssachen, 2011, S. 140. 53  Olzen, JZ 1985, 155, 157.

142

Kapitel 1: Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes

lichen gerichtlichen Entscheidungspraxis. Die Aufgabe des Richters liegt nicht mehr darin, die aufgeworfenen Rechtsprobleme von Grund auf zu prüfen, sondern beschränkt sich auf die Frage, ob die Umstände des Einzelfalls ein Abweichen von der vorhandenen Lösung rechtfertigen. In der Praxis ersetzt der Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung mittlerweile in vielen Fällen die argumentative Auseinandersetzung mit den streitgegenständlichen Rechtsfragen. Häufig werden Entscheidungen nur noch mit kurzem Hinweis auf die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung begründet, ohne dass insoweit eine selbständige Auseinandersetzung mit den in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansichten erfolgt.54 Diese Entwicklung ist stellenweise bedenklich, angesichts einer auch in den vergangenen Jahren konstant hoch gebliebenen Arbeitsbelastung der deutschen Gerichte in der Praxis jedoch wohl kaum umzukehren. Denn unbestreitbar schafft die Berufung auf vorangegangene gerichtliche Entscheidungen und deren ratio decidendi auf Seiten der Gerichte erhebliche Effizienzgewinne. Neben der Entlastung des Gerichts führt diese Praxis – zumindest in gewissem Umfang – auch zu einer besseren Prognostizierbarkeit gerichtlicher Entscheidungen, da die Abweichung von einer bestehenden Entscheidungspraxis eine entsprechende Begründung voraussetzt, während die Fortführung dieser Praxis im Sinne eines Regel-Ausnahme-Verhältnisses auch ohne Begründung möglich ist.55 Insgesamt besteht aufgrund des mit einer Abweichung verbundenen höheren Begründungsaufwands daher eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht einer bestimmten, mehrheitlich anerkannten Lösung folgen wird. Auch die Parteien und ihre Vertreter können die eigene Argumentation mit Blick auf die im Einzelfall privilegierte Rechtsauffassung anpassen und damit sowohl bei der Entscheidung über die Erfolgsaussichten eines gerichtlichen Verfahrens als auch bei nachfolgenden prozessualen Entscheidungen ihre Optionen sachlich prüfen. Dies erhöht die Rechtssicherheit. Schließlich dient das Konzept der Begründungslast auch der Gleichbehandlung der Parteien, indem es gleich- oder zumindest ähnlich gelagerte Fälle gleich behandelt bzw. Abweichungen von dieser Regel nur gegen entsprechende Begründung der Notwendigkeit der Abweichung im Einzelfall zulässt. Trotz dieser Vorteile ist das Konzept der Begründungslast nicht unproblematisch, und zwar vor allem deshalb, weil anerkannte Kriterien für die inhaltliche Richtigkeit einer bestimmten Entscheidung fehlen. Manche versuchen dieses Problem dadurch zu umgehen, dass sie auf die faktische gesellschaftliche Akzeptanz des ganz überwiegenden Teils der gerichtlichen Entscheidungen verweisen.56 Es kann dahingestellt bleiben, ob diese Einschätzung zutrifft. Selbst 54  Olzen, JZ 1985, 155, 157: „Das Zitat ersetzt die eigene Argumentation.“ Siehe hierzu auch Krebs, AcP 195 (1995), 171, 182. 55  Krebs, AcP 195 (1995), 171, 175 f. 56  Krebs, AcP 195 (1995), 171, 183 f.



II.  Normbildung durch Präjudizien im nationalrechtlichen Kontext

143

wenn man in die widerspruchslose Hinnahme einer bestimmten Entscheidungspraxis durch die – in der Regel juristisch weder kompetente noch interessierte – Bevölkerung eine Art normativer Billigung hineinlesen wollte, unterliegt dieses Argument einem klassischen naturalistischen Fehlschluss, indem es eine vermeintliche Praxis zum normativen Prinzip erhebt. Zur Beantwortung der Frage, was denn nun im normativen Sinne „richtig“ sei, trägt die gerichtliche Praxis nicht bei. Soweit vereinzelt inhaltliche Richtigkeitskriterien bemüht werden, sind diese meist vage.57 Larenz/Canaris weisen deshalb mit Recht darauf hin, dass die Annahme einer faktischen Verbindlichkeit von Präjudizien den entscheidenden Richter nicht von der Pflicht zur selbständigen Prüfung des Präjudizes auf seine Stichhaltigkeit und Überzeugungskraft im Einzelfall befreit.58 Ein weiterer Faktor, der die faktische Verbindlichkeit der Entscheidungen oberer und oberster Gerichte begünstigt, ist die allgemeine Struktur der Gerichtsorganisation bzw. der Justizverwaltung, die nicht unerhebliche psychologische und karrierebedingte Abhängigkeiten erzeugen kann. Für den zur Entscheidung über einen bestimmten Rechtsstreit berufenen Richter kann die Abweichung von der Rechtsprechung übergeordneter Gerichte, obgleich er formal allein an Gesetz und Recht gebunden ist, durchaus nachteilige Folgen haben. Auch die Justiz ist hierarchisch strukturiert. Die berufliche Laufbahn des Richters und insbesondere seine mögliche Berufung an obere und oberste Gerichte hängen wesentlich von den durch den Dienstvorgesetzten erstellten dienstlichen Beurteilungen ab, die neben fachlichen Eignung und der (häufig in Erledigungszahlen gemessenen) Leistungsfähigkeit auch die sozialen Kompetenzen des Richters im Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten bewerten. Es liegt nahe, dass dieses System (unbewusste) Abhängigkeiten und Rücksichtnahmen fördert, die ihrerseits die Entscheidungsfindung des Richters beeinflussen können. Zu diesem faktischen Konformitätsdruck dürfte zu einem erheblichen Teil beitragen, dass die Abweichung von einer bestimmten höchstrichterlichen Rechtsprechung das Risiko einer Aufhebung der Entscheidung in der Berufungs- oder Revisionsinstanz signifikant steigert, was seinerseits – zumindest bei entsprechender Häufung – negative Folgen für die dienstliche Beurteilung des betreffenden Richters nach sich ziehen kann. Diese und ähnliche Abhängigkeiten können sowohl bei der Frage nach der Ernennung eines Proberichters zum Richter auf Lebenszeit als auch für spätere Beförderungen und somit für die weitere berufliche Karriere des Richters erhebliche Bedeutung entfalten und im Ergebnis eine – bewusste oder unbewusste – Anpassung an die jewei-

57 Nach Kriele, Rechtsgewinnung, 1967, S. 271 f., soll ein Präjudiz „richtig“ sein, wenn es am Maßstab des der einschlägigen Normhypothese, die Kriele im Allgemeininteresse sieht, den Anforderungen der Vernunft und der Gerechtigkeit genügt. 58  Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl. 1995, S. 255.

144

Kapitel 1: Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes

ligen Mehrheitsverhältnisse fördern.59 Daneben genießen die Entscheidungen der Obergerichte auch aufgrund der tatsächlichen oder vermeintlich größeren Reputation und Erfahrung der dort tätigen Richter sowie aufgrund der Tatsache, dass die Entscheidungen in Kollegialspruchkörpern und nach eingehender Beratung gefällt werden, eine stärkere Richtigkeitsvermutung. Unabhängig von der Frage, ob diese Annahmen in der Praxis tatsächlich zutreffen60 und im Übrigen zu einer höheren juristischen Qualität der dort getroffenen Entscheidungen führen, darf der Einfluss dieser Erwägungen durch den oft jungen und im gerichtlichen Alltag noch relativ unerfahrenen Instanzrichter nicht unterschätzt werden. Nicht zuletzt wird die faktische Verbindlichkeit insbesondere der höchstrichterlichen Rechtsprechung schließlich dadurch gefördert, dass Rechtsanwälte haftungsrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung nicht kennen und ihrem Mandanten dadurch Nachteile entstehen.61 Desgleichen ist anerkannt, dass eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Einzelfall zum Wegfall der Geschäftsgrundlage eines Vergleichs führen kann, soweit die Parteien bei dessen Abschluss übereinstimmend auf den Fortbestand dieser Rechtsprechung vertraut hatten.62 Insgesamt kann die faktische Verbindlichkeit von Präjudizien auf diese Weise schützenswerte Verhaltenserwartungen sowohl innerhalb der Justiz selbst als auch auf Seiten der Rechtsunterworfenen begründen.63 Die faktische Bedeutung gerichtlicher Präjudizien in Deutschland ist damit rechtstatsächlich nicht zu bestreiten. Die mit der richterlichen Normbildung verbundene Übernahme quasi-legislatorischer Aufgaben durch die Gerichte wirft allerdings die Frage der verfassungsrechtlichen Legitimation auf. Nach Art. 97 Abs. 1 GG ist der Richter unabhängig, unterliegt aber – als notwendiges Korrelat seiner Unabhängigkeit – einer strengen Gesetzesbindung, darf also die ihm vorliegenden Rechtsstreitigkeiten ausschließlich nach Maßgabe des geltenden positiven Rechts bewerten und entscheiden. Richterliche Rechtsprechung und richterliche Gesetzesbindung bedingen einander.64 Die Bindung des Richters an das Gesetz schließt eine richterliche Normbildung gleichwohl nicht 59  Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 326; ten Cate, 44 New York University Journal of International Law and Politics 1109, 1147, 1192 (2012); Olzen, JZ 1985, 155, 157. 60 Vgl. beispielsweise die kürzlich geübte Kritik von Fischer/Eschelbach/Krehl (StV 2013, 395) an dem beim Bundesgerichtshof in Strafsachen praktizierten „Vier-Augen-Prinzip“, wonach im Regelfall allein der zuständige Berichterstatter sowie der Senatsvorsitzende den Inhalt der Verfahrensakte und die Einzelheiten des zu entscheidenden Rechtsstreits kennen. 61  BGH, NJW 2009, 987 f.; zu dieser Entscheidung Römermann, NJW 2009, 2924. Ein Haftungsrisiko kann u. U. auch bei einer fehlenden Kenntnis der Entscheidungspraxis des im Einzellfall zuständigen Untergerichts bestehen, vgl. OLG München, OLGZ 1984, 477, 479; Hirte, NJW 1988, 1698, 1701. 62  BGH, NJW 1972, 1577, 1579. 63  Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl. 1995, S. 253. 64  Morgenthaler, in: BeckOK-GG, Stand: 1. 9. 2015, Art. 97, Rn. 7.



II.  Normbildung durch Präjudizien im nationalrechtlichen Kontext

145

aus.65 Der Richter ist wegen Art. 19 Abs. 4 GG und der dort verbrieften Pflicht zur Justizgewähr nicht zur Rechtsverweigerung berechtigt, und zwar auch dann nicht, wenn die ihm vorliegende Fallkonstellation gesetzlich nicht oder nicht in ausreichendem Maße geregelt ist. Vielmehr obliegt es ihm in solchen Fällen, durch Ermittlung und Anwendung verfassungsrechtlicher und gesetzgeberischer Wertungen auf der Grundlage des geltenden Rechts eine begründete und nachvollziehbare Entscheidung des Rechtsstreits herbeizuführen.66 Der Richter ist, mit anderen Worten, zur Rechtsgewähr verpflichtet. Die damit verbundene partielle Durchbrechung des ohnehin nicht unumschränkt geltenden Grundsatzes der Gewaltenteilung ist, sofern man eine solche überhaupt annehmen möchte, angesichts der ansonsten gefährdeten Verfassungsrechtsgüter, insbesondere der staatlichen Pflicht zur Justizgewähr, hinzunehmen.67 Eine Rechtsprechung gegen den erkennbaren Willen des Gesetz- und Verfassungsgebers (contra legem) bleibt dem Richter aber stets untersagt.68 Sind die vorgenannten Voraussetzungen hingegen erfüllt, ist die richterliche Normbildung unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zulässig.69 Die staatlichen Gerichte sind zur Normbildung nicht nur berechtigt, sondern vor dem Hintergrund des Justizgewähranspruchs der Parteien im Einzelfall auch verfassungsrechtlich verpflichtet. Auf einer übergeordneten Ebene sind die Gerichte darüber hinaus für die Rechtsvereinheitlichung zuständig.70 Diese Gestaltungsaufgabe weist das deutsche Recht vor allem den obersten Gerichten zu. Auf der verfassungsrechtlichen Ebene verpflichtet Art. 95 Abs. 1 GG den Bundesgesetzgeber zur Errichtung bestimmter oberster Gerichtshöfe, deren Zweck die Wahrung der Rechtseinheit im Bundesgebiet ist.71 Bundesgesetzliche Normen sollen bundesweit eine einheitliche Auslegung und Anwendung erfahren. Art. 95 Abs. 3 Satz 1 GG ergänzt diese Bestimmung durch die zusätzliche Verpflichtung zur Errichtung eines Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, der die Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten

65  BVerfG, NJW 1986, 2242; Morgenthaler, in: BeckOK-GG, Stand: 1. 9. 2015, Art. 97, Rn. 9. 66  Jachmann, in: Maunz/Dürig, GG, 74. EL 2015, Art. 95, Rn. 13; Haverkate, ZRP 1976, 88, 91. 67 BVerfG, NJW 1991, 2549, 2550; NJW 1973, 1221, 1225; kritisch Jestaedt, Grundrechtsentfaltung, 1999, S. 325, dort Fn. 176. 68  BVerfG, NJW 1973, 1491, 1494; Hillgruber, in: Maunz/Dürig, 74. EL 2015, Art. 97, Rn. 72 ff. 69  BVerfG, NJW 1973, 1221, 1225. Diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht in späteren Entscheidungen fortgeführt und präzisiert, vgl. BVerfG, NJW 1979, 305, 306; NJW 1984, 475; NJW 1986, 2242, 2243; NJW 1991, 2549; NJW 1998, 519 f.; NJW 2007, 2977; NJW 2011, 1723. 70  BVerfG, NJW 1960, 763, 764; Olzen, JZ 1985, 155. 71  Morgenthaler, in:BeckOK-GG, Stand: 1. 9. 2015, Art. 95, Rn. 3.

146

Kapitel 1: Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes

Bundesgerichte untereinander sicherstellen soll.72 Auch gerichtsintern wird die Einheitlichkeit der Rechtsprechung durch die Einrichtung Großer Senate, deren Aufgabe in der Verhinderung einer widersprüchlichen Beurteilung von Rechtsfragen durch einzelne Senate desselben Gerichts besteht, gefördert.73 Möchte ein Senat in einer Rechtsfrage von der Rechtsprechung eines anderen Senats abweichen, und erklärt der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, an seiner Auffassung festhalten zu wollen, darf der erkennende Senat nicht ohne Weiteres im Sinne seiner eigenen Rechtsauffassung entscheiden, sondern muss die streitige Rechtsfrage dem Großen Senat zur verbindlichen Klärung vorlegen (sog. Divergenzvorlage).74 In Ergänzung hierzu sehen die Verfahrensordnungen der einzelnen Fachgerichtsbarkeiten auch die Möglichkeit einer sog. Rechtsfortbildungsvorlage75 vor. Danach kann der mit der Entscheidung befasste Senat dem Großen Senat bereits im Vorfeld einer Divergenz im Interesse der Normbildung und zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung zur Klärung vorlegen. Die Normbildung zur Gewährleistung einer einheitlichen Rechtsanwendung wird somit auch einfachgesetzlich als richterliche Pflicht und Gestaltungsaufgabe anerkannt.76 In der Sache führen diese Vorlagepflichten im Interesse der Rechtseinheitlichkeit zu einer mittelbaren horizontalen Präjudizienbindung. Die Wahrnehmung rechtsvereinheitlichender und normbildender Funktionen durch die obersten Bundesgerichte setzt jedoch voraus, dass streitige Rechtsfragen in der Praxis auch zu den obersten Gerichten gelangen. Dies wird in Deutschland maßgeblich über ein Vorlagesystem sichergestellt. In allgemeiner Form geschieht dies vor allem durch das Rechtsmittelrecht. Nach den Verfahrensordnungen der einzelnen Fachgerichtsbarkeiten sind entscheidende Kriterien für die Zulässigkeit des Rechtsmittels die grundsätzliche Bedeutung der streitgegenständlichen Rechtsfrage bzw. die Interessen der Normbildung und die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung.77 Bei dem Begriff 72  Auf der Grundlage von Art. 95 Abs. 3 Satz 2 GG hat der Bundesgesetzgeber insoweit das Gesetz zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968 (RsprEinhG) erlassen. Zur Zuständigkeit des Gemeinsamen Senats bestimmt § 2 Abs. 1 RsprEinhG: „Der Gemeinsame Senat entscheidet, wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen will.“ 73  Vgl. hierzu § 132 GVG (Bundesgerichtshof); § 11 VwGO (Bundesverwaltungsgericht); § 45 ArbGG (Bundesarbeitsgericht); § 41 SGG (Bundessozialgericht); § 11 FGO (Bundesfinanzhof). 74  Siehe nur Zimmermann, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, GVG § 132, Rn. 3 ff.; Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 307 ff.; von Ungern-Sternberg, AöR 138 (2013), 1, 36 ff. 75  § 132 Abs. 4 GVG; § 11 Abs. 4 VwGO; § 45 Abs. 4 ArbGG; § 41 Abs. 4 SGG; § 11 Abs. 4 FGO. 76  Zimmermann, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, GVG § 132, Rn. 21. 77 Vgl. §§ 511 Abs. 4 Nr. 1, 543 Abs. 2 ZPO; §§ 124 Abs. 2, 132 Abs. 2 VwGO; §§ 64 Abs. 3, 72 Abs. 2 ArbGG; §§ 144 Abs. 2, 160 Abs. 2 SGG; § 115 Abs. 2 FGO.



II.  Normbildung durch Präjudizien im nationalrechtlichen Kontext

147

der „grundsätzlichen Bedeutung“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der wertenden Konkretisierung im Einzelfall bedarf. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache regelmäßig dann, wenn sie eine klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl weiterer Fälle stellen kann.78 Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts deckt sich weitgehend mit dem Begriff der grundsätzlichen Bedeutung79, betont aber nochmals ausdrücklich das Recht und die Pflicht der Gerichte zur Normbildung. Der Zulassungsgrund der Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung soll schließlich nach dem Willen des Gesetzgebers das Vertrauen der Allgemeinheit in die Rechtsprechung stärken, das durch widersprüchliche oder fehlerhafte Entscheidungen einzelner Gerichte beeinträchtigt werden kann.80 Das Rechtsmittelrecht leistet auf diese Weise einen erheblichen Beitrag zur Rechtsvereinheitlichung. Auf der verfassungsrechtlichen Ebene sichert zudem Art. 100 GG, wonach ein Gericht bei Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit einer entscheidungserheblichen Rechtsnorm das Verfahren auszusetzen und die Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen hat, das Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts und die einheitliche Würdigung der betreffenden Norm.

3. Fazit Letztlich sind die Unterschiede zwischen common law und civil law mit Blick auf die Präzedenzwirkung richterlicher Entscheidungen damit deutlich geringer, als man auf den ersten Blick annehmen könnte. Während die angelsächsisch geprägten Rechte die Einheitlichkeit der Rechtsprechung mithilfe einer formal strengen Rechtsbindung, die allerdings in der Praxis eine Reihe von Ausnahmen zulässt, zu sichern suchen, sehen die kontinentaleuropäischen Rechte und auch das deutsche Recht grundsätzlich keine Bindung des Richters an die Entscheidungen anderer Gerichte vor. Gleichwohl orientieren sich auch Richter im civil law in der Praxis in erheblichem Maße an der Rechtsprechung der oberen und obersten Gerichte, da anderenfalls die Aufhebung der Entscheidung in der Berufungs- oder Revisionsinstanz sowie – mittelbar – berufliche Nachteile drohen können. Das Bundesverfassungsgericht bezog die Bedeutung der richterlichen Normbildung bislang noch ausschließlich auf den Bereich der nationalen staatlichen Gerichtsbarkeit. Die Fortbildung des Rechts durch gerichtliche Spruchkörper ist jedoch nicht auf nationalstaatliche Rechtsordnungen beschränkt. Ein Bedürfnis nach richterlicher Normbildung besteht überall dort, wo die Ungleichzeitig78 

BGH, NJW 2004, 2222, 2223; NJW 2003, 65, 66; NJW 2002, 3029 (zu § 574 ZPO a. F.). Krüger, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2012, § 543, Rn. 11. 80  BT-Drs. 14/4722, S. 104; Krüger, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2012, § 543, Rn. 12. 79 

148

Kapitel 1: Rechtliche Grundlagen und Erscheinungsformen des Präjudizes

keit von tatsächlicher und rechtlicher Entwicklung zu Entscheidungskonflikten führt, mithin in jedem Rechtssystem, das auf einem feststehenden Kodex von Regeln aufbaut. Solche Ordnungen finden sich mittlerweile nicht nur auf der nationalen, sondern auch auf der inter-, supra- und transnationalen Ebene. Einen eindrucksvollen Beleg für die Möglichkeiten supranationaler Normbildung liefert die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.81 Während die einzelfallübergreifenden Auswirkungen der Normbildungstätigkeit des Europäischen Gerichtshofs allerdings durch das Bestehen fester institutioneller Hierarchien sowie eines klaren Instanzenzugs begünstigt werden82, zeigt die Spruchtätigkeit anderer supranationaler Spruchkörper, dass die Entstehung und Veränderung normativer Entscheidungsstandards durch richterliche Spruchtätigkeit auch außerhalb institutioneller Hierarchien möglich ist. Ein Beispiel hierfür bietet die Spruchtätigkeit des Internationalen Gerichtshofs (IGH). Obwohl Art. 59 IGH-Statut klarstellt, dass die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs von Rechts wegen lediglich inter partes gelten, lässt sich in der Praxis nicht nur eine ausgeprägte Tendenz des Gerichtshofs, an einer einmal gefassten Rechtsprechung festzuhalten, sondern darüber hinaus auch in einer zunehmenden Anzahl von Fällen auch eine argumentative Bezugnahme anderer internationaler Spruchkörper auf die Entscheidungen des Gerichtshofs (und vice versa) empirisch nachweisen.83 Die dargestellten Entwicklungen lassen die Annahme zu, dass auch in der Schiedsgerichtsbarkeit – wenngleich unter Berücksichtigung der strukturellen Unterschiede mit gewissen Anpassungen – eine Normbildung auf der Grundlage schiedsrichterlicher Entscheidungen möglich ist. Im Rahmen der Erarbeitung der Voraussetzungen, unter denen eine solche schiedsrichterliche Normbildung möglich sein könnte, bietet vor allem das kontinentaleuropäische Modell einer faktischen und weitgehend argumentativ begründeten Verbindlichkeit von Präjudizien wichtige Ansatzpunkte für die Ausbildung eines eigenständigen schiedsverfahrensrechtlichen Präjudizien- und Normbildungsbegriffs. Dieser Begriff soll nachfolgend im Einzelnen entwickelt und anhand von Beispielen aus der schiedsgerichtlichen Entscheidungspraxis in seinen praktischen Auswirkungen dargestellt werden.

81 Umfassend

hierzu Jacob, Precedents and Case-Based Reasoning in the European Court of Justice, 2014; Walter, Rechtsfortbildung durch den EuGH, 2009; Schulze/Seif, in: Richterrecht, 2003, S. 1 ff.; Stein, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 619 ff. 82  Stein, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 619, 625. 83  Guillaume, 2 Journal of International Dispute Settlement 5, 12 (2011); Weeramantry, 25 ICSID Review 111, 118 f. (2010); Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495, 497 f.; Kaufmann-Kohler, 23 Arbitration International 357, 360 f. (2007); Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 527 f. (2006).

Kapitel 2

Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren Die vorstehenden Überlegungen werfen die Frage auf, ob und in welcher Weise eine schiedsrichterliche Normbildung durch Präjudizien auch in der nationalen und internationalen Schiedsgerichtsbarkeit möglich ist. Das setzt zunächst voraus, dass Schiedsgerichte überhaupt normbildend tätig werden sollen und – sofern dies der Fall ist – hierzu auch befugt sind (I.). Weiterhin bedürfen die inhaltlichen Bezugspunkte einer solchen schiedsrichterlichen Normbildung der Klärung. In diesem Zusammenhang kann insbesondere zwischen nationalen und transnationalen sowie materiellen und prozessualen Normen und Grundsätzen unterschieden werden (II.). Darauf aufbauend sind die Voraussetzungen einer schiedsrichterlichen Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren darzustellen. Es wird zu zeigen sein, dass eine eigenständige schiedsrichterliche Normbildung nur möglich ist, wenn die Minimalvoraussetzungen der Autonomie, der Kohärenz und der Publizität schiedsrichterlicher Entscheidungen erfüllt sind (III.). Dies ist nur mithilfe einer systematischen Veröffentlichungspraxis zu leisten, die insoweit systembildende Funktionen übernehmen kann (IV.). Mit einer solchen systematischen Veröffentlichungspraxis ist, wie im Weiteren zu zeigen sein wird, eine Reihe von Vorteilen verbunden, die sich sowohl im Vorfeld schiedsgerichtlicher Verfahren als auch bei deren Durchführung zeigen (V.). Abschließend werden die im Rahmen dieses Kapitels gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst (VI.).

I.  Auftrag und Befugnis des Schiedsgerichts zur Normbildung Anders als staatliche Gerichte üben Schiedsgerichte im Rahmen ihrer Entscheidungstätigkeit keine öffentliche Gewalt aus.1 Ebenso wenig beruht ihr Tätigwerden auf einem verfassungsrechtlichen oder gesetzlichen Rechtsprechungsund Normbildungsauftrag.2 Während der staatliche Richter von Verfassungs wegen zur Justizgewähr und demgemäß, im Falle der Lückenhaftigkeit oder des Fehlens gesetzlicher Bestimmungen, auch zur Normbildung verpflichtet ist, fehlen entsprechende verfassungsrechtliche oder einfachgesetzliche Bestim1  2 

BGH, NJW 1976, 109, 110; Sandrock, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 21, 34. von Hoffmann, in: Kegel-FS, 1987, S. 215, 231.

150

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

mungen für Schiedsgerichte, deren Rechtsprechungsauftrag im Grundsatz allein durch die vertragliche Vereinbarung der Schiedsparteien und im Übrigen durch Art. 2 Abs. 1 GG bestimmt wird.3 Manche Autoren nehmen dies zum Anlass, Schiedsgerichten allgemein die Befugnis zum normbildenden Tätigwerden abzusprechen.4 Diese Auffassung überzeugt nicht. Schiedsrichter sind zwar nicht verfassungsrechtlich oder einfachgesetzlich, wohl aber aufgrund des mit den Parteien geschlossenen Schiedsrichtervertrags zur Justizgewähr verpflichtet.5 Der Schiedsrichtervertrag verpflichtet den oder die Schiedsrichter dazu, an dem Schiedsverfahren nach besten Kräften mitzuwirken und den Streitfall nach Maßgabe der Schiedsvereinbarung in einem geordneten, rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechenden Verfahren einer alsbaldigen Erledigung zuzuführen.6 Der Schiedsrichter wird in sein Amt berufen um, mit anderen Worten, „die Aufgabe zu Ende zu führen.“7 Gleichzeitig verzichten die Parteien durch den wirksamen Abschluss der Schiedsvereinbarung auf ihren verfassungsrechtlich gewährleisteten Justizgewähranspruch. Dem dürfte es entsprechen, dass auch der Schiedsrichter, der nach Auffassung des Bundesgerichtshofs in gleicher Weise wie ein staatlicher Richter zur Entscheidung eines Rechtsstreits berufen ist8, im Sinne einer privatautonom begründeten Justizgewährpflicht dazu verpflichtet ist, den Rechtsstreit bei Fehlen einschlägiger positivrechtlicher Bestimmungen anhand derjenigen Grundsätze und Wertungen, die er im konkreten Fall für anwendbar hält, (normbildend) einer Lösung zuzuführen. Denn ansonsten stünde den Parteien, die sich im Interesse der Streitentscheidung durch ein von ihnen gewähltes Schiedsgericht ihres Justizgewähranspruchs begeben haben, kein adäquater Rechtsschutz zur Verfügung. Ein solcher negativer Kompetenzkonflikt ist vor dem Hintergrund der in Rede stehenden Verfassungsrechtsgüter nicht hinnehmbar. Die Verpflichtung der Schiedsrichter zum normbildenden Tätigwerden dürfte unstreitig dann bestehen, wenn die Parteien das Schiedsgericht zu einer Entscheidung nach Maßgabe der lex mercatoria oder anderer transnationaler Rechtsgrundsätze (z. B. der UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts) ermächtigt haben, weil insoweit allen Verfahrensbeteiligten bewusst ist, dass die auf den Rechtsstreit anzuwendenden Regeln aufgrund ihres lückenhaften Charakters der wertenden richterlichen Ergänzung und Konkretisierung bedürfen.9 Für eine Pflicht zum normbildenden Tätigwerden spricht im Übrigen auch, dass § 1038 Abs. 1 Satz 1 ZPO, der unter anderem ein Recht 3 

Sandrock, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 21, 35. Loquin, Clunet 1983, 293, 325; wohl auch Ehricke, CR 1989, 665, 668. 5  Schiffer, IPrax 1991, 84, 85; von Hoffmann, in: Kegel-FS, 1987, S. 215, 231. 6 BGH, NJW 1986, 3077, 3078. Siehe auch Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 12, Rn. 1. 7  So LG Köln, NJW-RR 2013, 1273, 1274. 8  So ausdrücklich BGH, NJW 1976, 109, 110. 9  Martiny, in: Internationales Vertragsrecht, 7. Aufl. 2010, Rn. 103; Ritlewski, SchiedsVZ 2007, 130, 133; von Hoffmann, in: Kegel-FS, 1987, S. 215, 231. 4 



I.  Auftrag und Befugnis des Schiedsgerichts zur Normbildung

151

des Schiedsrichters zum Rücktritt vom Schiedsrichteramt bei rechtlicher Unmöglichkeit der Aufgabenerfüllung vorsieht, allein Fälle wie den Verlust der Geschäftsfähigkeit, das Fehlen bestimmter persönlicher Qualifikationen oder einen drohenden Interessenwiderspruch betreffen soll, nicht hingegen das bloße Fehlen oder die Lückenhaftigkeit einschlägiger Rechtsbestimmungen.10 Insgesamt ist nach dem Gesagten somit auch der Schiedsrichter – wenn auch auf privatautonomer Grundlage und vorbehaltlich anderweitiger Abreden – gegenüber den Parteien zur Justizgewähr verpflichtet und insoweit auch zu einem normbildenden Tätigwerden befugt.11 Eine allein mit dem Hinweis auf das Fehlen oder die Lückenhaftigkeit einschlägiger Rechtsbestimmungen begründete faktische Rechtsverweigerung kommt für den Schiedsrichter nicht in Betracht, einer ausdrücklichen einfachgesetzlichen Regelung bedarf es insoweit nicht.12 Ist nach dem Gesagten die rechtliche Befugnis des Schiedsgerichts zur Normbildung im Einzelfall anzunehmen, wirft dies die weitergehende Frage auf, ob eine schiedsrichterliche Normbildung auch wünschenswert ist, mit anderen Worten, ob Schiedsgerichte Normbildung betreiben sollen. Manche Autoren vertreten insoweit die Ansicht, die Funktion von Schiedsgerichten bestehe, in Übereinstimmung mit ihrer privatautonomen Grundlage, ausschließlich in der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit.13 Diese Auffassung entspreche auch den berechtigten Erwartungen der Parteien, die allein an der Lösung ihres Falls interessiert seien, nicht hingegen an der Förderung der allgemeinen Rechtsentwicklung. Das müsse umso mehr gelten, als die Parteien auch die unter Umständen erheblichen Kosten des Schiedsverfahrens trügen. Diese Argumentation ist in mehrfacher Hinsicht fragwürdig. Einerseits verkennt sie, dass ein normbildendes Tätigwerden unabhängig von den diesbezüglichen Vorstellungen der Parteien zum Alltag der meisten Schiedsrichter gehört. In vielen Fällen sind die auf den konkreten Rechtsstreit anzuwendenden Normen oder ihre Reichweite und Auslegung unklar. Dies gilt umso mehr in Schiedsverfahren mit internationalem Bezug, die oft rechtlich nur unvollkommen oder gar nicht geregelte Materien betreffen und aufgrund ihres grenzüberschreitenden Charakters in vielen Fällen zusätzliche Rechtskonflikte bergen. Häufig wird die Entscheidung von Streitigkeiten gerade aus diesen Gründen einem Schiedsgericht übertra-

10 

Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1038, Rn. 15. im Ergebnis auch Geimer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 1051, Rn. 12; Duve/ Keller, SchiedsVZ 2005, 169, 174; Schiffer, IPrax 1991, 84, 85; Schlosser, Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 1989, Rn. 748. 12  So wohl auch Sandrock, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 21, 37. 13  So z. B. de Ly/Friedman/di Radicati Brozolo, 26 Arbitration International 193, 206 (2010); Nariman, in: Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 555, 556; Neumayer, in: Materielles Recht und Verfahrensrecht, 1972, S. 93. Zurückhaltender Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 143. Zu dieser Frage auch Pfaff, in: von der Heydte-FS, 1977, S. 1127, 1133. 11  So

152

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

gen.14 Die Praxis trägt dieser Situation vor allem dadurch Rechnung, dass sie den Schiedsrichtern auf vertraglicher oder gesetzlicher Grundlage ein weites Ermessen bei der Bewertung und Entscheidung von Rechtsfragen einräumt, so vor allem bei der Ermittlung des anwendbaren Rechts, in Fragen der materiellen Prozessleitung oder im Beweisverfahren.15 Dieses Amtsverständnis wird in der Regel auch dem Willen der Parteien entsprechen, selbst wenn dieser nicht ausdrücklich erklärt wurde. Teilweise, wenn offenbar auch selten, ermächtigen die Parteien das Schiedsgericht sogar explizit zu einer Entscheidung aufgrund von Billigkeitserwägungen oder nach Maßgabe einer allgemein anerkannten Handelspraxis.16 Vor diesem Hintergrund bleibt dem Schiedsrichter häufig gar keine andere Möglichkeit, als solche allgemeinen Vorschriften oder Grundsätze durch wertende Konkretisierung handhabbar zu machen, um sie auf den zu entscheidenden Fall anwenden zu können. Die Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit bei gleichzeitigem Verzicht auf ein normbildendes Tätigwerden des Schiedsgerichts wäre in vielen Rechtsbereichen damit praktisch kaum zu leisten. Schiedsrichterliche Normbildung ist gegenwärtig in vielen Fällen eine notwendige Begleiterscheinung schiedsrichterlicher Entscheidungstätigkeit.17 Auf der anderen Seite schließt das besondere Interesse der Parteien an der Entscheidung ihres individuellen Falls eine Berücksichtigung der Interessen der Normbildung keineswegs aus. Im Gegenteil: Die Möglichkeit des Rückgriffs auf die Entscheidungen vorangegangener Schiedsgerichte kann für das entscheidende Schiedsgericht ein wichtiges Mittel zur sachgerechten Entscheidung des Rechtsstreits sein. Insofern kann ein Mindestmaß an Transparenz auch im Interesse der Schiedsparteien liegen, die auf diese Weise die Erfahrungen und Erkenntnisse anderer Spruchkörper für ihre Zwecke nutzen können. Die eigentliche – und auch für die vorliegende Untersuchung maßgebliche – Frage kann daher nur sein, ob die in einem konkreten Verfahren gewonnenen Ergebnisse schiedsrichterlicher Normbildung über den Einzelfall hinaus auch Dritten zur Verfügung stehen sollen. 14  Schlosser, in: Stein/Jonas, ZPO, 23. Aufl. 2014, vor § 1025, Rn. 1; Sandrock, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 21, 36. 15  Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 50; Kaufmann-Kohler, 23 Arbitration International 357, 364 (2007); Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 127. 16  Näher unten S. 157 f. 17 So im Ergebnis auch Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 150 f. m. w. N. Gleichwohl erscheint die Auffassung von Sandrock, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 21, 36, wonach eine Befugnis der Schiedsgerichte zur Normbildung bereits deshalb bestehen soll, weil diese tatsächlich normbildend tätig werden, bedenklich, weil hier von der tatsächlichen Wahrnehmung einer Aufgabe auf eine entsprechende normative Berechtigung geschlossen wird. Ob das Schiedsgericht ein eigenes normbildendes Tätigwerden mit Blick auf die Gefahr einer späteren Aufhebung des Schiedsspruchs wegen Überschreitung seiner Kompetenzen ausdrücklich hervorheben sollte, ist eine andere Frage, vgl. zu dieser Problematik bereits von Breitenstein, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 130.



II.  Bezugspunkte schiedsrichterlicher Normbildung

153

II.  Bezugspunkte schiedsrichterlicher Normbildung Erkennt man die grundsätzliche Befugnis von Schiedsgerichten zur Normbildung an, so stellt sich im Weiteren die Frage, welches Recht denn eigentlich fortgebildet werden soll, und ob auch insoweit im Einzelnen eine Normbildungsbefugnis bejaht werden kann. In diesem Zusammenhang kann einerseits zwischen der Fortbildung nationaler und transnationaler Rechtssätze (1.) und andererseits zwischen der Fortbildung des materiellen Rechts und des Prozessrechts (2.) unterschieden werden. Diese möglichen Bezugspunkte schiedsrichterlicher Normbildung sollen im Folgenden auf ihre praktische Relevanz geprüft werden.

1.  Nationales und transnationales Recht Auf der Ebene des nationalen Rechts ist die Bedeutung von Schiedsgerichten für die Rechtsentwicklung gegenwärtig noch gering. Auch im deutschen Recht haben schiedsgerichtliche Entscheidungen für die Rechtsentwicklung bislang praktisch keine Rolle gespielt.18 In aller Regel werden nationale Rechtsvorschriften bereits durch die Rechtsprechungstätigkeit der staatlichen Gerichte hinreichend konkretisiert und handhabbar gemacht. Dies setzt aus Sicht des Schiedsgerichts allerdings voraus, dass der zu entscheidende Fall zum einen durch das betreffende nationale Recht überhaupt geregelt wird und dass zum anderen mit Blick auf die streitentscheidenden Vorschriften eine gerichtliche Praxis existiert. An der letztgenannten Voraussetzung fehlt es aber häufig gerade deshalb, weil, wie bereits eingangs dieser Arbeit erläutert, die Schiedsgerichtsbarkeit die ordentliche Gerichtsbarkeit in vielen Rechtsbereichen faktisch verdrängt hat.19 Auch haben sich bestimmte Rechtsgebiete, so beispielsweise das Recht des Anlagenbaus, weitgehend außerhalb des geschriebenen Rechts durch informelle best practices und eine darauf aufbauende Vertragspraxis entwickelt. Nicht zuletzt besteht mit Blick auf transnationale Schiedsverfahren auch ein 18  Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169, 172; Sandrock, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 21, 46 f. Eine der wenigen Ausnahmen stellt die frühere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Verdacht des Salmonellenbefalls von Tieren als Sachmangel dar (BGH, NJW 1969, 1171), die inhaltlich an mehrere Entscheidungen der Hamburger freundschaftlichen Arbitrage anknüpft, diese aber gleichwohl nicht ausdrücklich nennt. Einen ausdrücklichen Verweis auf Entscheidungen von Schiedsgerichten enthalten dagegen BGH, NJW 1968, 1085, 1086 (Auslegung einer Selbstbelieferungsklausel) sowie BGH, NJW-RR 1992, 423, 425 (Auslegung einer Indemnity-Klausel). Berger, SchiedsVZ 2009, 289, 297 weist in diesem Zusammenhang auf den Einfluss eines veröffentlichten ICC-Schiedsspruchs auf die Kommentarliteratur zum deutschen AGB-Recht hin. Zum Ganzen König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 107 ff.; von Hoffmann, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 127. In England haben die staatlichen Gerichte im Bereich des Seehandelsrechts wiederholt auf die Entscheidungen von Schiedsgerichten zurückgegriffen, vgl. von Hoffmann aaO. 19 Siehe König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 43 und oben S. 3 f.

154

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

Bedarf nach kollisionsrechtlicher Normbildung.20 Da sowohl Schiedsgesetze als auch institutionelle Schiedsordnungen dem Schiedsgericht bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts regelmäßig ein weites Ermessen zubilligen, ist die schiedsrichterliche Praxis nicht nur auf das Vorhandensein eines belastbaren Präjudizienbestands angewiesen, sondern kann zu dessen Entwicklung durch ihre Spruchtätigkeit auch selbst beitragen. Ähnliches kann für die Auslegung von internationalen Verträgen, die ebenfalls Teil der nationalen Rechtsordnung sind, sowie für die Feststellung von Handelsbräuchen gelten.21 Insgesamt erscheint die Möglichkeit einer Normbildung durch Schiedsgerichte im Bereich des nationalen Rechts damit nicht ausgeschlossen. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist eine Fortbildung des deutschen Rechts durch Schiedsgerichte nicht zu beanstanden. Es besteht kein staatliches Normbildungsmonopol.22 Zwar sind Schiedsgerichte grundsätzlich zur Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben der lex fori am Sitz des Schiedsgerichts verpflichtet.23 In Deutschland wird diese Verfassungsbindung jedoch überwiegend vorab durch die Beschränkung der objektiven Schiedsfähigkeit sowie durch die nachträgliche Möglichkeit der Überprüfung eines Schiedsspruchs im Aufhebungs- oder Vollstreckbarerklärungsverfahren sichergestellt, während im Schiedsverfahren selbst über § 1042 ZPO lediglich rudimentäre verfassungsrechtliche Bindungen (z. B. Recht auf Gleichbehandlung, Recht auf rechtliches Gehör) bestehen. Hinsichtlich der Zulässigkeit einer schiedsrichterlichen Normbildung schweigt das Grundgesetz gänzlich. Dieses Schweigen rechtfertigt vor dem Hintergrund der anerkannten verfassungsrechtlichen Akzeptanz des Schiedsverfahrens die Annahme, dass auch Schiedsgerichte ungeachtet des Fehlens eines entsprechenden Verfassungsauftrags grundsätzlich zur Fortbildung des deutschen Rechts befugt sind.24 Die diesbezüglichen Befugnisse von Schiedsgerichten dürften sogar noch über diejenigen der staatlichen Gerichte hinausgehen. Deren normbildende Tätigkeit wird insbesondere durch den Grundsatz der Gewaltenteilung begrenzt, der es der Judikative verwehrt, den Kernbereich legislativen und exekutiven Handelns durch extensive Normbildung zu verletzen.25 Der Gewaltenteilungsgrundsatz kann jedoch nicht die Spruchtätigkeit von Schiedsrichtern präjudizieren, die keine öffentliche Gewalt ausüben und demgemäß nicht an die verfassungsmäßigen Grenzen richterlicher 20  Renner, KJ 2010, 66, 70; Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 122 ff.; Paulsson, Revue de l’arbitrage 1990, 55, 56; Sandrock, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 21, 48 ff.; Thompson/ Derains, Clunet 1974, 876, 878. 21  Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 47, 51. 22  König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 107; Sandrock, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 21, 37. 23  Das gilt zumindest dann, wenn man mit der wohl herrschenden Meinung das Konzept eines von der Rechtsordnung des Sitzstaats unabhängigen a- oder transnationalen Schiedsspruchs ablehnt, Sandrock, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 21, 31 ff. m. w. N. 24  Siehe bereits oben S. 149 ff. 25  Siehe oben S. 138 f.



II.  Bezugspunkte schiedsrichterlicher Normbildung

155

Tätigkeit gebunden sind, sondern im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG als privatautonom eingesetzte Streitentscheider gerade Freiheit vom Staat in Anspruch nehmen können.26 Die deutsche Rechtsprechung räumt der Spruchpraxis privater Schiedsgerichte vor diesem Hintergrund ausdrücklich weitergehende Freiheiten ein.27 Zu diesen Freiheiten gehört auch die Möglichkeit eines Abweichens von der höchstrichterlichen Rechtsprechung.28 Zwar sind die Entscheidungen oberer und oberster Gerichte in Deutschland für nachgeordnete Gerichte rechtlich nicht verbindlich, sie besitzen aber gleichwohl eine erhebliche faktische Verbindlichkeit, die insbesondere durch die Möglichkeit der Aufhebung einer abweichenden untergerichtlichen Entscheidung im Rechtsmittelverfahren sichergestellt wird.29 Dieses Aufhebungsrisiko besteht für Schiedsgerichte nicht, da der Schiedsspruch im Rahmen des § 1059 ZPO nur in sehr begrenztem Umfang auf Rechtsfehler, insbesondere auf eine Verletzung des ordre public, überprüft werden kann.30 Die bloße Nichtberücksichtigung einer bestimmten höchstrichterlichen Rechtsprechung verstößt nicht gegen den ordre public und stellt keinen tauglichen Aufhebungsgrund dar.31 Dies dürfte in vielen Fällen auch den Interessen der meist unternehmerischen Schiedsparteien entsprechen, die beispielsweise Nachteile aufgrund der strikten und verbreitet als wenig unternehmensfreundlich empfundenen AGB-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vermeiden wollen.32 Einer Fortbildung des deutschen Rechts durch Schiedsgerichte stehen damit aus verfassungsrechtlicher Sicht keine durchgreifenden Gründe entgegen. 26 

Schiffer, IPrax 1991, 84, 86; Sandrock, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 21, 35. So für rechtsgestaltende Anordnungen des Schiedsgerichts BGH, WM 1976, 910, 911; NJW 1959, 1493, 1494; RGZ 147, 22, 24. 28  Berger, in: Elsing-FS, 2015, S. 15, 21 ff.; ders., 9 Journal of International Arbitration 5, 14 (1992); Schroeder, Lex Mercatoria Arbitralis, 2007, S. 185 f.; zurückhaltender Tercier, ZEuP 2010, 229, 234. Anders bis 1979 die Situation im englischen Recht, wo Art. 21 des Arbitration Act 1950 im Rahmen des sog. statement of case die Schiedsgerichte verpflichtete dem High Court auf dessen Anordnung jede Rechtsfrage zur Entscheidung vorzulegen, vgl. hierzu Thoma, 25 Journal of International Arbitration 299, 301 (2008); Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 536 (2006); Baur/Grunsky, Zivilprozessrecht, 1992, S. 132; Sandrock, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 21, 38. 29  Hierzu bereits oben S. 138 ff. 30  Verbot der révision au fond, siehe nur BGH, SchiedsVZ 2008, 40, 42; Wilske/Markert, in: BeckOK-ZPO, Stand: 1. 9. 2015, § 1059, Rn. 27. 31  Aden, RIW 1984, 934, 937. Das Schiedsgericht ist allerdings gehalten, die Parteien hierauf zuvor hinzuweisen und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, um ihr Recht auf rechtliches Gehör zu wahren. Zu dieser Frage auch Trappe, in: Handelsschiedsgerichtsbarkeit, 1987, S. 77, 88 f.; Seitz, 38 Arbitration Journal 58, 59 (1983). Anders kann diese Frage u. U. in common law-Rechtssystemen zu beantworten sein, in denen richterliches case law eine selbständige Rechtsquelle bildet. In der Entscheidung New York Tel Co. v. Communications Workers of America Local 1100 (256 F. 3d 89, 91 ff. (2d Cir. 2001)) bestätigte das US-Berufungsgericht für den Second Circuit die Aufhebung eines Schiedsspruchs, der bindendes Richterrecht desselben Circuit außer Acht gelassen hatte, wegen “manifest disregard of the law”. 32  Berger, in: Elsing-FS, 2015, S. 15 f.; Hobeck, DRiZ 2005, 177, 178. 27 

156

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

Ebenso besteht – wie eingangs dargestellt – zumindest in einzelnen Rechtsbereichen ein Bedürfnis nach schiedsrichterlicher Normbildung. Gleichwohl dürfte einer Normbildung durch Schiedsgerichte im transnationalen Recht eine ungleich bedeutendere Rolle zukommen.33 Als transnationales Recht wird in Anlehnung an die Definition von Calliess und in Abgrenzung zu nationalen (staatlichen) und internationalen (zwischenstaatlichen) Rechtsregimes im Folgenden bezeichnet „eine Rechtsordnung, die auf allgemeine Rechtsprinzipien sowie deren Verdichtung und Bestätigung in zivilgesellschaftlicher Praxis gegründet ist, deren Anwendung, Interpretation und Fortbildung vorwiegend privaten Anbietern alternativer Streitschlichtungsmechanismen obliegt, deren Zwangscharakter durch rechtsförmig organisierte sozialökonomische Sanktionen gesichert wird und deren Kodifikation – soweit vorhanden – in Form von durch private Akteure geschaffenen allgemeinen Prinzipien- und Regelkatalogen, standardisierten Vertragsformularen oder Verhaltenskodizes erfolgt“.34

Zum transnationalen Recht in diesem Sinne kann neben allgemeinen Rechtsgrundsätzen wie den UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts35 oder dem europäischen Draft Common Frame of Reference36 auch die sog. lex mercatoria gezählt werden, die zu den meistdiskutierten Konzepten des internationalen Schiedsverfahrensrechts gehört. Begriff, Rechtsnatur und praktische Bedeutung der lex mercatoria sind ungeachtet einer Vielzahl von Publikationen noch in vielerlei Hinsicht unklar.37 Streit herrscht unter anderem in der Frage, ob es sich bei der lex mercatoria um eine eigenständige transnationale Rechtsordnung38, um das nationale Recht ergänzende allgemeine Rechtsgrundsätze und Handelsbräuche39 oder nicht vielmehr um eine bestimmte Methode der Rechtsfindung40 handelt. Ebenso werden die Rechtsquellen der lex mercatoria und ihr Verhältnis zu nationalen Rechten diskutiert.41 Ohne diese Diskussion im Einzelnen nachzuzeichnen besteht Einigkeit darüber, dass die lex mercatoria ein strukturell unvollständiges, offenes, dynamisches und evolutives Hybridprodukt darstellt, dessen Konturierung und Fortentwicklung 33 

Cremades, 31 American Journal of Comparative Law 526 (1983). Calliess, Verbraucherverträge, 2006, S. 219 in Anlehnung an die klassische Formulierung bei Jessup, Transnational Law, 1956, S. 136. 35  Näher hierzu Berger, 46 American Journal of Comparative Law 129 (1998). 36 Näher hierzu Martinek, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2014, BGB Aktuell, Rn. 195 ff. 37 Umfassend zum Stand der rechtswissenschaftlichen Diskussion Schroeder, Lex Mercatoria Arbitralis, 2007, S. 83 ff., 115 ff.; Ritlewski, SchiedsVZ 2007, 130; Mertens, in: Odersky-FS, 1996, 857 ff.; Paulsson, Revue de l’Arbitrage 1990, 55, 58 ff. 38  Goldman, Clunet 1979, 475  ff.; Gaillard, in: Transnational Law, 2002, S. 53, 65; Berger, Kodifizierung, 1996, S. 85 ff.; Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 148 ff. 39  Siehe die Nachweise bei Berger, Kodifizierung, 1996, S. 35 f. 40  Schroeder, Lex Mercatoria Arbitralis, 2007, S. 174 ff; Kaufmann-Kohler, 23 Arbitration International 357, 364 (2007). 41  Schroeder, Lex Mercatoria Arbitralis, 2007, S. 161 ff. 34 



II.  Bezugspunkte schiedsrichterlicher Normbildung

157

neben der Sammlung und Kodifizierung ihrer wesentlichen Grundsätze („Listenbildung“)42 maßgeblich durch die Spruchpraxis internationaler Schiedsgerichte erfolgt.43 Die hervorgehobene Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit rührt daher, dass diese Form der Streitbeilegung im grenzüberschreitenden Wirtschafts- und Handelsverkehr mittlerweile eine quasimonopolistische Stellung erlangt hat: Die Vereinbarung von Schiedsklauseln in internationalen Vertragswerken ist absolut üblich geworden. Zwar fehlt es aufgrund der weitgehenden Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens an belastbaren Zahlen, Schiedspraktiker schätzen aber, dass bis zu 90 % der Verträge mit grenzüberschreitendem Bezug Schiedsklauseln enthalten.44 Die lex mercatoria wird angesichts dieser Entwicklung somit nicht durch die Rechtsprechung der staatlichen Gerichte, sondern vor allem durch die private Schiedsgerichtsbarkeit fortgebildet. Zwar nehmen die Parteien in der Praxis nur selten eine ausdrückliche Rechtswahl zugunsten der lex mercatoria vor45, Schiedsgerichte ziehen aber – was das deutsche Recht in § 1051 Abs. 4 ZPO ausdrücklich für zulässig erklärt – regelmäßig Handelsbräuche und Usancen des internationalen Warenverkehrs, und damit wesentliche Bestandteile der lex mercatoria, zur Ermittlung des Vertragsinhalts im Wege der Auslegung heran.46 Die Spruchtätigkeit der Schiedsgerichte ist auch deshalb von erheblicher Bedeutung, weil die lex mercatoria in ihrem gegen42  Vgl. hierzu Berger, Kodifizierung, 1996, S. 191 ff. sowie die von Berger in diesem Zusammenhang initiierte Online-Datenbank www.trans-lex.org. 43  Templeman, 30 Journal of International Arbitration 197, 215 (2013); König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 118; Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung, 2010, S. 157; Tercier, ZEuP 2010, 229, 239 f.; Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 242 (2008); Raymond, 16 American Review of International Arbitration 479, 505 f. (2005); Duprey, in: Uniform Arbitration Law, 2005, S. 251, 260; Gaillard/Savage, Fouchard, Gaillard, Goldman, 1999, Rn. 378, 384; Sanders, Quo Vadis Arbitration, 1999, S. 1, 15; Berger, 46 American Journal of Comparative Law 129, 149 (1998); Curtin, 64 Defense Counsel Journal 271, 279 (1997); von Hoffmann, IPrax 1984, 106, 108; Jayme, in: Richterliche Rechtsfortbildung, 1986, S. 567, 592; Kropholler, Einheitsrecht, 1975, S. 147 f. Zurückhaltender Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Journal 317, 318 (1984); Cremades, 31 American Journal of Comparative Law 526, 527, 533 (1983). 44  Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung, 2010, S. 154  f.; Drahozal, 33 Vanderbilt Journal of Transnational Law 79, 94 (2000). Mittelbar wird diese Einschätzung dadurch bestätigt, dass beispielsweise die in Deutschland über die juristische Kommentarliteratur verfügbaren gerichtlichen Entscheidungen zu internationalen Unternehmenstransaktionen die Realitäten des M&A-Marktes nicht einmal mehr ansatzweise abbilden, siehe hierzu bereits oben S. 3 f. 45  In den vergangenen Jahren enthielten regelmäßig weniger als 2 % der Schiedsklauseln in ICC-Verfahren eine Rechtswahl zugunsten der lex mercatoria. Siehe hierzu die statistischen Nachweise bei Cuniberti, 52 Columbia Journal of Transnational Law 369, 398 ff., 403 (2014); Karton, 28 Arbitration International 447, 476 f. (2012); ten Cate, 44 New York University Journal of International Law and Politics 1109, 1116 (2012); Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1909 (2010); Drahozal, 40 Loyola of Los Angeles Law Review 187, 206 f. (2007); Smit, 65 Tulane Law Review 1309, 1315 (1991). 46  Carbonneau, 23 Columbia Journal of Transnational Law 579, 589 ff. (1985); Cremades, 31 American Journal of Comparative Law 526, 527 ff. (1983).

158

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

wärtigen Zustand am Ehesten als Sammlung allgemeiner Rechtsgrundsätze zu begreifen ist, die im Hinblick auf ihre Anwendung im Einzelfall der wertenden Konkretisierung bedürfen. Zu den Kernprinzipien der lex mercatoria gehören beispielsweise die Beachtung der Grundsätze von Treu und Glauben sowie von pacta sunt servanda bei der Vertragsdurchführung, das Korruptionsverbot, die Pflicht zur Schadensminderung und zu Nachverhandlungen bei Störungen des vertraglichen Gleichgewichts sowie der Fortfall vertraglicher Leistungspflichten bei höherer Gewalt (force majeure).47 Es liegt auf der Hand, dass diese allgemeinen Grundsätze der konkretisierenden Auslegung im Einzelfall bedürfen.48 Diese Konkretisierungsarbeit leistet vor allem die (internationale) Schiedsgerichtsbarkeit. Will und soll die Schiedsgerichtsbarkeit diese Konturierungs- und Harmonisierungsaufgabe nachhaltig und mit Erfolg übernehmen, bedürfen ihre Entscheidungen jedoch eines Mindestmaßes an Transparenz.49 Nur dann, wenn schiedsrichterliche Entscheidungen allgemein zugänglich sind, kann sich mit der Zeit eine einzelfallübergreifende Auslegungs- und Anwendungspraxis bilden, die ihrerseits erwartungsstabilisierend wirken und zu einer größeren Berechenbarkeit der schiedsgerichtlichen Spruchpraxis beitragen kann. Diese Konkretisierungsarbeit ist gerade im Bereich der lex mercatoria vonnöten. Zwar können Schiedssprüche unstreitig keine rechtliche Präzedenzwirkung gegenüber verfahrensfremden Dritten entfalten und insbesondere nicht die Entscheidungen nachfolgender Schiedsgerichte präjudizieren. Insoweit kann aber unter Umständen das bereits dargestellte Konzept der faktischen Verbindlichkeit von Präjudizien auch für die Schiedsgerichtsbarkeit fruchtbar gemacht werden.50 Gleichzeitig könnte eine umfassende Veröffentlichungspraxis bereits bestehende Autonomietendenzen im Recht des internationalen Warenverkehrs verstärken und auf diese Weise die systemische Verselbständigung der lex mercatoria vorantreiben. Die hierfür erforderliche Entscheidungstransparenz besteht zumindest in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit jedoch gegenwärtig nicht.51 Anders ist die Situation in der Investitions- und Sportschiedsgerichtsbarkeit, wo die Entscheidungen von Schiedsgerichten bereits einen bedeuten-

47 Näher

Paulsson, Revue de l’arbitrage 1990, 55, 78 ff.; Carbonneau, 23 Columbia Journal of Transnational Law 579, 589 ff. (1985); Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Journal 317, 338 ff. (1984); Cremades, 31 American Journal of Comparative Law 526, 527 ff. (1983). 48  Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 150. 49  Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 153; Carbonneau, 23 Columbia Journal of Transnational Law 579, 581 (1985). 50  Hierzu sogleich unten S. 168 ff. 51 Siehe nur Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1, 8; Reisman, 13 ICCA Congress Series 849, 852 (2006).



II.  Bezugspunkte schiedsrichterlicher Normbildung

159

den Beitrag zur Konkretisierung des vorhandenen Normenbestands und zur allgemeinen Rechtsentwicklung leisten.52

2.  Materielles Recht und Prozessrecht Im Weiteren kann eine Normbildung durch Schiedsgerichte sowohl in Bezug auf das im Einzelfall zur Anwendung berufene materielle Recht als auch mit Blick auf das anwendbare Prozessrecht in Betracht kommen. In der Literatur wird teilweise die Auffassung vertreten, eine Fortbildung des materiellen Rechts sei in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit kaum möglich und überdies wenig sinnvoll, da dieses in der Regel bereits durch die Rechtsprechungstätigkeit staatlicher Gerichte in hinreichendem Umfang konkretisiert werde.53 Diese Aussage trifft in der Praxis allerdings nur mit Einschränkungen zu. Soweit die Parteien eine bestimmte nationale Rechtsordnung zur Anwendung berufen haben oder das Schiedsgericht ersatzweise eine entsprechende kollisionsrechtliche Rechtswahl trifft, besteht in der Regel tatsächlich eine umfangreiche Rechtsprechung der staatlichen Gerichte. Auf diese Referenzmaterialien kann sich auch das Schiedsgericht bei der Entscheidungsfindung stützen. Wenngleich aufgrund der immer noch weitgehend herrschenden Vertraulichkeit in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit keine gesicherten Erkenntnisse darüber bestehen, in welcher Weise Schiedsrichter nationales Recht anwenden und welches Gewicht sie in diesem Zusammenhang der höchstrichterlichen Rechtsprechung der betreffenden Rechtsordnung im konkreten Einzelfall zumessen, so deuten die Erfahrungen von Praktikern darauf hin, dass Schiedsrichter die Entscheidungen ihrer staatlichen Kollegen in der Regel als Anregung und Unterstützung des Prozesses der Entscheidungsfindung wahrnehmen.54 Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die betreffende Rechtsfrage positivrechtlich geregelt wird und zudem durch die gerichtliche Entscheidungspraxis in hinreichendem Umfang konkretisiert wird.55 Dies ist aufgrund der eingangs dieser Arbeit geschilderten zunehmenden Verlagerung ganzer Rechtsbereiche in die Schiedsgerichtsbarkeit mittlerweile nicht mehr durchgängig der Fall.56 Am ehesten 52 

Hierzu ausführlich unten S. 191 ff. ten Cate, 44 New York University Journal of International Law and Politics 1109, 1116 f. (2012). 54  Berger, in: Elsing-FS, 2015, S. 15, 20; ders., 9 Journal of International Arbitration 5, 10 ff. (1992); Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 536 (2006); dagegen kritisch unter Verweis auf die strukturelle Transnationalität des Schiedsverfahrens Strong, 20 American Review of International Arbitration 119, 145 ff. (2009). 55  Hierzu bereits oben S. 153 f. 56  Hierzu auch Weidemaier, 90 North Carolina Law Review 1091, 1113 (2012); ders., 51 William and Mary Law Review 1895, 1931 (2010). Ein NASD-Schiedsgericht (Koruga v. Ming Wang, Case No. 98–04276, [2000] WL 33534559 (N. A. S. D.)) hat dieses Dilemma mit Blick auf das Fehlen gerichtlicher Entscheidungen zu Fragen des Anlegerschutzes treffend 53 

160

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

wird eine schiedsrichterliche Fortbildung des materiellen Rechts aufgrund der zuvor beschriebenen strukturellen Besonderheiten deshalb im Bereich der transnationalen Rechtsgrundsätze sowie bei Fragen des anwendbaren Rechts in Betracht kommen.57 Hier fehlt es an einer staatlichen Rechtsprechung, die der praktischen Rechtsanwendung Impulse verleihen könnte, sodass die Fortentwicklung des Rechts vor allem durch die (internationale) Schiedsgerichtsbarkeit geleistet werden muss. In ähnlicher Weise könnte die Veröffentlichung von Schiedssprüchen zu Fragen der schiedsrichterlichen Unabhängigkeit zur Konkretisierung materieller Entscheidungsstandards beitragen.58 Vor diesem Hintergrund kommt eine schiedsrichterliche Normbildung vor allem im prozessrechtlichen Bereich in Betracht.59 Die allgemein geringe Regelungsdichte in diesem Bereich, beispielsweise in Zuständigkeits-, Beweisoder Kostenfragen, sowie die weitgehenden Freiheiten, die sowohl die Parteien als auch – subsidiär – das Schiedsgericht in Bezug auf die nähere Ausgestaltung des Verfahrens genießen, schaffen die notwendigen strukturellen Bedingungen, unter denen Schiedsgerichte im Einzelfall rechtsschöpfend tätig werden können.60 Dies gilt auch für das deutsche Recht. In Deutschland existieren nur sehr wenige Bestimmungen zum Ablauf des Schiedsverfahrens. § 1042 ZPO beschränkt sich auf die Festlegung einiger elementarer Verfahrensgrundsätze und überlässt die nähere Gestaltung des Verfahrens dem Ermessen der Parteien bzw. des Schiedsgerichts. Üblicherweise regeln die Parteien die Einzelheiten des Verfahrensablaufs daher durch Bezugnahme auf eine institutionelle Schiedsordnung, seltener durch einen Verweis auf nationale Schiedsgesetze oder durch ad hoc-Verfahrensregeln. Aber auch institutionelle Schiedsordnungen enthalten regelmäßig eine Reihe von offenen Bestimmungen und bedürfen aus diesem Grunde vielfach der wertenden Auslegung und Konkretisierung.61 Ähnliches gilt für privat gesetzte best practice-Regelwerke wie die IBA Rules zum Ausdruck gebracht: “[A]lmost no customer/broker cases have been submitted to state courts. Thus, we have no way of knowing how the courts of Washington or California might now rule on the issues before this panel. […] This leaves the field of broker/dealer liability to customers bereft of persuasive legal precedent.” 57  Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 46. 58  In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Veröffentlichung von challenge deci­ sions durch den LCIA zu erwähnen, hierzu auch Sali, in: Transparency, 2013, S. 73, 79 ff. 59  Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 58; ders., in: Precedent, 2008, S. 39, 44 f.; Weidemaier, 90 North Carolina Law Review 1091, 1096 (2012); ders., 51 William and Mary Law Review 1895, 1931 (2010); Strong, 20 American Review of International Arbitration 119, 143 (2009); Kaufmann-Kohler, 23 Arbitration International 357, 362 (2007); Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 97 ff.; Smit, 65 Tulane Law Review 1309, 1311 (1991); Pfaff, in: von der Heydte-FS, 1977, S. 1127, 1138. Die Bedeutung der schiedsrichterlichen Normbildung im prozessualen Bereich spricht dafür – wie bereits eingangs der Untersuchung vorgeschlagen – in geeigneten Fällen auch verfahrensleitende Verfügungen des Schiedsgerichts zu veröffentlichen. 60  Redfern, 13 ICCA Congress Series 871, 874 (2007); Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 97 f., 104; Smit, 65 Tulane Law Review 1309, 1315 (1991). 61  König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 112; Strong, 20 American Review of International



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

161

on the Tak­ing of Evidence in International Arbitration.62 Die erforderliche Konkretisierungsarbeit kann angesichts des Fehlens einer staatlichen Rechtsprechungstätigkeit in diesem Bereich nur durch die Schiedsgerichtsbarkeit geleistet werden. Im Ergebnis findet auf diese Weise eine wechselseitige Beeinflussung zwischen den normativen Vorgaben der Parteien und der anzuwendenden Schiedsordnung und der schiedsrichterlichen Konkretisierung dieser Vorgaben in der Spruchpraxis statt, die vor allem in internationalen Schiedsverfahren zur progressiven Verselbständigung und Transnationalisierung des Prozessrechts führen kann.63 Einzelfallübergreifende Impulse können aus dieser Praxis jedoch nur bei entsprechender Entscheidungspublizität entstehen. Hieran fehlt es gegenwärtig vor allem in weiten Bereichen der Handelsschiedsgerichtsbarkeit. Es ist ein paradigmatischer Ausdruck dieser Schwäche, wenn maßgebliche Kommentare zur DIS-Schiedsgerichtsordnung – deren aktuelle Fassung immerhin seit dem Jahre 1998 in Kraft ist – lediglich auf eine Handvoll DIS-Schiedssprüche verweisen können.64 Ein ähnliches Bild bietet sich im Hinblick auf andere prominente Schiedsordnungen.65 Die Herstellung von Entscheidungsöffentlichkeit ist aber eine notwendige Vorbedingung jeder Art von (schieds-)gerichtlicher Normbildung.66 Der Untersuchung der sachlichen Voraussetzungen einer Normbildung durch Schiedsgerichte widmet sich der nachfolgende Abschnitt.

III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung Erkennt man an, dass Schiedsgerichte zur Normbildung berechtigt und – aus rechtspolitischen Erwägungen – möglicherweise auch berufen sind, so sind im nächsten Schritt die sachlichen Voraussetzungen einer solchen schiedsArbitration 119, 143 (2009); Böckstiegel, in: Precedent, 2008, S. 17, 23; Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 101 ff. 62  Weitere Beispiele bei Rogers, 20 American University International Law Review 957, 1005 (2005). 63  Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 99 ff. In diesem Zusammenhang ist auch zu beachten, dass die Schiedsinstitutionen ihre jeweiligen Schiedsregeln im wechselseitigen Dialog entwerfen und anpassen, sodass auch hier deutliche Vereinheitlichungstendenzen erkennbar werden. 64  Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 2011, zitiert in der Kommentierung der DIS-SchO lediglich einen einzigen Schiedsspruch (DIS-SV-217/00, abgedruckt in SchiedsVZ 2003, 94). 65 Bei Schütze, Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 2011 wird im Rahmen der Kommentierung der LCIA-Schiedsregeln lediglich ein (investitionsrechtlicher) LCIA-Schiedsspruch zitiert, die AAA/ICDR-Schiedsregeln erwähnen keine einzige schiedsgerichtliche Entscheidung. Im Rahmen der Kommentierung der ICC-Schiedsregeln und der UNCITRALSchiedsregeln werden immerhin insgesamt 30 ICC-Entscheidungen zitiert, überwiegend zu Kostenfragen. 66  Smit, 65 Tulane Law Review 1309, 1322 (1991).

162

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

richterlichen Normbildung zu erarbeiten. Hier lassen sich drei übergeordnete Kriterien identifizieren, die zur Entwicklung einer Schiedspraxis, die ihrem Normbildungsauftrag gerecht werden will, erforderlich sind. Erstens setzt jede Form gerichtlicher Normbildung – systemtheoretisch gesprochen – die Möglichkeit der einzelnen Spruchkörper zur wechselseitigen Beobachtung voraus. Mit anderen Worten: Nur wenn die Mitglieder eines Schiedsgerichts wissen, dass und in welcher Weise ein früheres Schiedsgericht seine Entscheidung in einer gleich oder ähnlich gelagerten Frage getroffen hat, können sie dieses Wissen zum Gegenstand ihrer eigenen Erwägungen machen. Schiedsrichterliche Normbildung setzt deshalb notwendig die Publizität schiedsgerichtlicher Entscheidungen voraus (1.). Zum zweiten kann eine autonome schiedsrichterliche Normbildung im Sinne einer selbständigen Anwendung und Auslegung der anwendbaren Rechtsvorschriften nur dort stattfinden, wo der Spruchtätigkeit des Schiedsgerichts entsprechende Freiräume eingeräumt sind, die durch die staatlichen Gerichte entweder gar nicht oder nur eingeschränkt überprüft werden können (2.). Innerhalb dieser Freiräume müssen sich im Weiteren bestimmte Entscheidungsstandards herausbilden, d. h. es muss einen Konsens darüber geben, wie bestimmte Fallkonstellationen rechtlich behandelt werden sollen. Erst die Herausbildung abstrakter normativer Standards verschafft nachfolgenden Schiedsgerichten einzelfallunabhängige Anschlussmöglichkeiten und kann zur Entstehung einer kohärenten Rechtsprechung beitragen (3.).

1. Publizität Eine präjudizielle Wirkung schiedsgerichtlicher Entscheidungen ist ohne entsprechende Publizität nicht vorstellbar. Nur die Möglichkeit der Kenntnisnahme von den Entscheidungen anderer Spruchkörper befähigt das Schiedsgericht, deren Erwägungen bei der eigenen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. Entscheidungspublizität ist damit ein wesentliches Element eines jeden Streitentscheidungssystems: Erst die allgemeine Verfügbarkeit schiedsrichterlicher Entscheidungen schafft die Voraussetzungen für eine argumentative Auseinandersetzung mit den dortigen inhaltlichen Erwägungen und die Möglichkeit präjudizieller Analogieschlüsse und kann auf diesem Wege zur Normbildung beitragen.67 Wissenschaftliche Kritik und Diskussion, allseitige Debatte und

67 

Maurer, Lex Maritima, 2012, S. 175; Fry, 4 Contemporary Asia Arbitration Journal 57, 77 f. (2011); Schütze, ZVglRWiss 2011, 89, 95; ders., in: Glossner-FS, 1994, S. 333, 338; BuckHeeb/Dieckmann, Selbstregulierung, 2010, S. 155; Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 48 f.; Commission, 24 Journal of International Arbitration 129, 136 (2007); Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 153; Fischer, JuS 1995, 654, 655; Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Journal 317, 336 (1984); Kropholler, Einheitsrecht, 1975, S. 148.



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

163

wechselseitige Bezugnahme sind ohne Entscheidungspublizität nicht möglich.68 Die Publizität schiedsrichterlicher Entscheidungen ist damit nicht nur notwendige Voraussetzung jeder Form von schiedsrichterlicher Normbildung, sondern auch – ganz allgemein – Geltungsvoraussetzung jedes Rechts. In welcher Form eine solche Entscheidungspublizität hergestellt werden könnte, um dem angestrebten Ziel einer Normbildung durch schiedsgerichtliche Präjudizien gerecht zu werden, soll im Einzelnen im dritten Teil dieser Arbeit ausgeführt werden.69

2. Autonomie Schiedsgerichte können im Rahmen ihrer Entscheidungstätigkeit nur insoweit selbständig Maßstäbe setzen, als sie über entsprechende rechtliche Gestaltungsspielräume verfügen. Das setzt voraus, dass ihre Entscheidungen nicht durch staatliche Gerichte auf ihre inhaltliche Richtigkeit überprüft werden können. Im deutschen Recht wird die schiedsrichterliche Autonomie, ebenso wie in einer Reihe anderer Jurisdiktionen, vor allem durch weitgehende Beschränkungen im Hinblick auf die Aufhebbarkeit eines Schiedsspruchs sichergestellt (a.). Schiedssprüche können durch deutsche Gerichte nur ausnahmsweise bei schweren Rechtsfehlern oder bei Verstößen gegen elementare Verfahrensrechte aufgehoben werden. Darüber hinaus billigt das deutsche Recht auch Entscheidungen von Schiedsgerichten auf der Grundlage transnationaler Rechtsgrundsätze wie der lex mercatoria oder der UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, die dem Schiedsgericht zusätzliche Freiräume bei der Entwicklung rechtlicher Lösungsansätze gewähren (b.). Insgesamt bestehen damit hinreichende Anknüpfungspunkte für eine autonome schiedsgerichtliche Entscheidungspraxis.

a.  Begrenzte Aufhebbarkeit von Schiedssprüchen Die rechtliche Autonomie des Schiedsverfahrens wird im deutschen Recht maßgeblich über die Beschränkung der inhaltlichen Überprüfung von Schiedssprüchen durch die staatlichen Gerichte gewährleistet. Gemäß § 1059 ZPO kann ein Schiedsspruch durch ein deutsches Gericht nur dann aufgehoben werden, wenn einer der in dieser Bestimmung abschließend aufgezählten Aufhebungsgründe vorliegt. Eine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle findet nicht statt, der Schiedsspruch kann wegen inhaltlicher Mängel nur insoweit aufgehoben werden, als ein gesetzlicher Aufhebungsgrund, z. B. in Form eines ordre publicVerstoßes, vorliegt.70 Das Verbot der révision au fond gilt für deutsche wie für 68  ten Cate, 51 Columbia Journal of Transnational Law 418, 468 (2013); Gaillard/Savage, Fouchard, Gaillard, Goldman, 1999, Rn. 383 f.; Hirsch, SchiedsVZ 2003, 49, 52. 69  Siehe unten S. 241 ff. 70  Münch, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1059, Rn. 4.

164

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

ausländische Schiedssprüche in gleicher Weise.71 Hat das Schiedsgericht die im Einzelfall anwendbaren materiell- oder verfahrensrechtlichen Bestimmungen lediglich falsch angewendet, kommt eine Aufhebung des Schiedsspruchs somit grundsätzlich nicht in Betracht. Nur dann, wenn durch die fehlerhafte Rechtsanwendung einer der in § 1059 ZPO genannte Aufhebungsgründe verwirklicht wird, beispielsweise durch die Missachtung grundlegender Verfahrensbestimmungen oder verfassungsrechtlicher Rechte der Parteien wie des Rechts auf rechtliches Gehör, wird eine Aufhebung des Schiedsspruchs möglich.72 Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die Schiedsrichter in der einfachen Rechtsanwendung weitgehend frei sind.73 Berücksichtigt man in diesem Zusammenhang weiterhin, dass, wie bereits eingangs dieser Arbeit dargestellt, bestimmte Bereiche des Wirtschaftsrechts mittlerweile nahezu ausschließlich in Schiedsverfahren verhandelt werden, so schafft diese Tatsache in Kombination mit dem Verbot der révision au fond beachtliche Entscheidungsfreiräume für das Schiedsgericht.74 Eine noch weitergehende Autonomie bietet in diesem Zusammenhang die ICSID-Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, in deren Anwendungsbereich eine inhaltliche Überprüfung des Schiedsspruchs durch staatliche Gerichte zugunsten eines internen Aufhebungsverfahrens vollständig ausgeschlossen ist.75 Es ist nicht auszuschließen, dass der damit verbundene Ausschluss von staatlichen Kontrollmöglichkeiten zu der aktuell zu beobachtenden Emanzipierung des internationalen Investitionsschiedsrechts beiträgt. Umgekehrt kann eine schiedsrichterliche Entscheidungsautonomie in solchen Rechtsbereichen, in denen, wie in Zuständigkeitsfragen, typischerweise eine Letztentscheidungsbefugnis staatlicher Gerichte besteht, zweifelhaft sein.76

71  Für Schiedssprüche mit ausländischem Schiedsort folgt dies aus Art. V NYÜ, für in Deutschland erlassene Schiedssprüche aus § 1059 ZPO. 72  Saenger, ZPO, 6. Aufl. 2015, § 1059, Rn. 15 ff. Zur Verletzung des verfahrensrechtlichen ordre public durch fehlerhafte Rechtsanwendung vgl. Aden, DZWiR 2011, 400. 73  ten Cate, 44 New York University Journal of International Law and Politics 1109, 1123 (2012). 74  Berger, Kodifizierung, 1996, S. 62; Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Journal 317, 326 (1984); Park/Paulsson, 23 Virginia Journal of International Law 253, 265 (1983). Eine kritische Haltung zu den Autonomiebestrebungen der (transnationalen) Schiedsgerichtsbarkeit nehmen aus demokratietheoretischen Erwägungen z. B. Renner, KJ 2010, 66 und Schill, DÖV 2010, 1013, 1016 f. ein. 75 Näher ten Cate, 44 New York University Journal of International Law and Politics 1109, 1172 (2012). Die Praxis zeigt jedoch, dass unterlegene Parteien nationale Vollstreckbarerklärungsverfahren vielfach zur Verzögerung der Vollstreckung und zur Verlängerung des Rechtsstreits nutzen, vgl. Wilske/Markert/Bräuninger, SchiedsVZ 2014, 49, 62 f. 76  Gaillard/Savage, Fouchard, Gaillard, Goldman, 1999, Rn. 376.



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

165

b.  Entscheidung aufgrund transnationaler Rechtsgrundsätze Das deutsche Recht gestattet den Parteien über § 1051 Abs. 1 Satz 1 ZPO neben der Wahl einer nationalen Rechtsordnung und „Kombinationslösungen“, wie der Verknüpfung einzelner Rechtssätze aus unterschiedlichen Rechtsordnungen, ausdrücklich auch die Wahl nichtstaatlicher, transnationaler Rechtsgrundsätze wie der lex mercatoria, der UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, des europäischen Draft Common Frame of Reference oder der TransLex-Principles.77 Diese Wahlmöglichkeit entspricht der erklärten Absicht des Reformgesetzgebers, den Grundsatz der Parteiautonomie im Schiedsverfahren zu stärken78 und folgt im Übrigen auch aus dem Wortlaut der Bestimmung, die ausdrücklich die Wahl von Rechtsvorschriften, nicht lediglich einer bestimmten Rechtsordnung, gestattet.79 Haben die Parteien keine Rechtswahl vorgenommen, so kann das Schiedsgericht transnationale Rechtsgrundsätze im Rahmen des § 1051 Abs. 2–4 ZPO auch selbständig zur Anwendung bringen.80 Die Möglichkeit zur Berücksichtigung nichtstaatlicher transnationaler Rechtsgrundsätze verschafft dem Schiedsgericht zusätzliche Entscheidungsfreiräume.81 Im Gegensatz zu nationalen Rechtsbestimmungen sind diese Grundsätze zum einen regelmäßig sehr allgemein gefasst und zum anderen noch nicht durch die Rechtsprechung staatlicher Gerichte konkretisiert worden.82 Schiedsgerichte genießen vor diesem Hintergrund weitgehende Freiheiten bei der Auslegung und Anwendung dieser Grundsätze. Wenngleich die unmittelbare Rechtswahl zugunsten transnationaler Rechtsgrundsätze in der Praxis eher die Ausnahme zu sein scheint, so finden diese Grundsätze doch zumindest mittelbar im Wege der Auslegung vertraglicher Bestimmungen und bei der Bestimmung einschlägiger Handelsbräuche Berücksichtigung und können auf diese Weise zur Emanzipierung der schiedsgerichtlichen Spruchpraxis beitragen.83

77  Wilske/Markert, in: BeckOK-ZPO, Stand: 1. 9. 2015, § 1051, Rn. 4; Voit, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 1051, Rn. 2. Umfassend hierzu Berger, Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit, 1992, S. 361 ff. 78  BT-Drs. 13/5274, S. 52. 79  Voit, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 1051, Rn. 2. 80  Das Schiedsgericht darf zwar nach § 1051 Abs. 2 ZPO bei Fehlen einer Rechtswahl der Parteien selbständig nur eine staatliche Rechtsordnung zur Anwendung bringen, kann und soll transnationale Rechtsgrundsätze aber in Übereinstimmung mit § 1051 Abs. 4 ZPO („bestehende Handelsbräuche“) bei der Auslegung des Vertrags berücksichtigen 81  Zwingende Vorschriften des deutschen Rechts können durch eine solche Rechtswahl gleichwohl nicht abbedungen werden, siehe nur Voit, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 1051, Rn. 3. 82  Siehe bereits oben S. 156 ff. 83  Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 148; Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Review 317, 348 (1984).

166

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

3. Kohärenz Die schiedsrichterliche Entscheidung muss jedoch nicht nur autonom gefällt worden sein, sondern sich auch systematisch in eine umfassendere Entscheidungspraxis integrieren lassen. Erst die mit einer solchen Kontextualisierung einhergehende Rationalisierung und Verallgemeinerung des Entscheidungsdispositivs schafft die Grundlagen für die Herausbildung übergreifender normativer Standards.84 In der Schiedsgerichtsbarkeit ist die Herstellung von Entscheidungskohärenz jedoch mit Schwierigkeiten verbunden, weil eine Reihe struktureller Voraussetzungen und Mechanismen, die in den nationalstaatlichen Gerichtsbarkeiten den Entscheidungseinklang gewährleisten, im Schiedsverfahren entweder gar nicht oder nur in Ansätzen vorhanden sind. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang insbesondere das Fehlen eines Instanzenzugs sowie von institutionellen Verfahren zur Gewährleistung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung. Das wirft die Frage auf, wie eine kohärente Entscheidungspraxis im Schiedsverfahren hergestellt werden kann. Dass Schiedsrichter an die Entscheidungen ihrer staatlichen Kollegen grundsätzlich nicht gebunden sind, wurde bereits dargelegt. Gleiches gilt für das Verhältnis der Schiedsrichter untereinander. Auch hier bindet die Entscheidung eines Schiedsgerichts nachfolgende Schiedsgerichte rechtlich nicht (a.). Dies schließt jedoch eine auch in der Praxis zu beobachtende faktische Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen für nachfolgende Schiedsgerichte nicht aus (b.). Einige Elemente, die für diese faktische Präzedenzwirkung verantwortlich sind, sollen nachfolgend dargestellt werden (c.).

a.  Keine rechtliche Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen Die Entscheidung eines Schiedsgerichts erzeugt keine rechtliche Präzedenzwirkung für nachfolgende Schiedsgerichte. Die Rechtskraftwirkungen der schiedsrichterlichen Entscheidung werden durch § 1055 ZPO auf die Schiedsparteien beschränkt, eine Bindung sonstiger Dritter ist nur möglich, soweit die Schiedsvereinbarung auch diese bindet.85 Vergleichbare Regelungen enthält auch ein Großteil der nationalen und internationalen Schiedsordnungen.86 Weitergehende Bindungen bestehen nicht. Insbesondere präjudizieren die rechtlichen Erwägungen des Schiedsgerichts in einer bestimmten Frage nicht die Behandlung dieser Frage durch nachfolgende Schiedsgerichte. Diese sind 84  Jacob, 12 German Law Journal 1005, 1015 (2011); Fry, 4 Contemporary Asia Arbitration Journal 57, 78 (2011). 85  BGH, NJW 1975, 1121, 1122 f.; Wilske/Markert, in: BeckOK-ZPO, Stand: 1. 9. 2015, § 1055, Rn. 7. Zur Rechtslage im englischen Recht vgl. Patil Woolhouse, 5 International Arbitration Law Review 150 (2004). 86  Siehe nur Art. 34 Abs. 6 ICC-SchO; Art. 26.9 LCIA-SchO; Art. 30 Abs. 1 AAA/ICDRSchO.



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

167

in der rechtlichen Würdigung des ihnen vorliegenden Falls frei, eine rechtsverbindliche Präjudizienbindung im Sinne der stare decisis doctrine existiert in der Schiedsgerichtsbarkeit nicht.87 Mittelbare Bestätigung erfährt diese Auffassung dadurch, dass die Nichtberücksichtigung der Entscheidungen anderer Schiedsgerichte zu identischen oder ähnlichen Rechtsfragen grundsätzlich nicht die Aufhebung des betreffenden Schiedsspruchs rechtfertigt. In der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit ist in diesem Zusammenhang vereinzelt die Frage gestellt worden, ob die Nichtberücksichtigung (und Nichtzitierung) schiedsrichterlicher Präjudizien durch den entscheidenden Spruchkörper eine Kompetenzüberschreitung aufgrund fehlerhafter Rechtsanwendung, eine Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör oder eine Verletzung der Pflicht zur Begründung der Entscheidung darstellt.88 Zumindest ein Schiedsgericht hat dies ausdrücklich verneint.89 Zur Begründung führten die Schiedsrichter aus, der Schiedsspruch müsse lediglich einen nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen Tenor und Begründung erkennen lassen. Die Zitierung anderer Entscheidungen könne hierzu zwar beitragen, ihr Fehlen allein mache den Schiedsspruch aber nicht aufhebbar. Gegen eine rechtliche Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen spricht ferner, dass in der Schiedsgerichtsbarkeit wichtige institutionelle Mechanismen, die in den staatlichen Gerichtsbarkeiten die Einheitlichkeit der Rechtsprechung und damit die Entstehung eines Präjudiziensystems im eigentlichen Sinne sicherstellen, nicht vorhanden sind. So fehlt es in der Schiedsgerichtsbarkeit einerseits – trotz entsprechender rechtspolitischer Forderungen90 – an einer übergeordneten Revisionsinstanz, die 87  Allgemeine Meinung, siehe Karton, 28 Arbitration International 447, 463 (2012); Jacob, 12 German Law Journal 1005, 1006 (2011); Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1904, 1906 (2010); Renner, 26 Journal of International Arbitration 533, 555 (2009); Commission, 24 Arbitration International 129, 134 (2007); Rogers, 54 University of Kansas Law Review 1301, 1320 (2006); Schütze, in: Glossner-FS, 1994, S. 333; Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Journal 317, 336 (1984); Cremades, 31 American Journal of Comparative Law 526, 527 (1983); Lando, in: Zweigert-FS, 1981, S. 157, 159; Pfaff, in: von der Heydte-FS, 1977, S. 1127, 1139. Unabhängig hiervon ließe sich jedoch erwägen, ob nicht die Parteien das Schiedsgericht vertraglich (z. B. im Rahmen des Schiedsrichtervertrags) zur Berücksichtigung einer bestimmten schiedsgerichtlichen Spruchpraxis verpflichten könnten, so offenbar auch Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1905 (2010); Perschbacher/Bassett, 84 Boston University Law Review 1, 29 f. (2004); Gibbons, 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution 769, 772 (2000). 88  Gill, 25 ICSID Review 87, 89 f. (2010); Weeramantry, 25 ICSID Review 111, 114 f. (2010); Commission, 24 Journal of International Arbitration 129, 156 2007). 89  Soufraki v. The United Arab Emirates (ICSID Case No. ARB/02/7), Entscheidung vom 5. Juli 2007, Rn. 128, abrufbar unter www.italaw.com. Ebenso Schreuer, ICSID Convention, 2001, S. 953. Siehe hierzu auch die dissenting opinion von Berman im Verfahren Industria Nacional de Alimentos SA (Lucchetti) v. The Republic of Peru, ICSID Case No. ARB/03/4, Entscheidung im Aufhebungsverfahren vom 5. September 2007, Rn. 14, abrufbar unter www. italaw.com. 90  Templeman, 30 Journal of International Arbitration 197 (2013); Fry, 4 Contemporary

168

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

auch rechtvereinheitlichende Funktionen wahrnehmen könnte.91 Ein solcher Instanzenzug wäre aber notwendige Bedingung einer vertikalen Präjudizienbindung. Ebenso fehlt es im horizontalen Verhältnis an verbindlichen Vorlage- und Abstimmungspflichten, die Rechtsprechungsdivergenzen zwischen einzelnen Spruchkörpern vermeiden oder zumindest abmildern könnten. Schiedsgerichte entscheiden, auch innerhalb derselben Institution, stets formal unabhängig.92 Damit scheidet auch eine horizontale Präjudizienbindung aus. Im Ergebnis bestehen somit keine Möglichkeiten zur rechtsverbindlichen Gewährleistung einer einheitlichen Entscheidungspraxis. Eine strikte Präjudizienbindung nach den Grundsätzen von stare decisis besteht nicht, desgleichen fehlt es an institutionellen Mechanismen, die eine vertikale oder horizontale Bindung an vorangegangene Entscheidungen anderer Schiedsgerichte erzeugen könnten.

b.  Faktische Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen Ungeachtet dieser Sachlage lässt sich eine faktische Präzedenzwirkung schiedsgerichtlicher Entscheidungen aber zumindest in einzelnen Rechtsbereichen empirisch nachweisen. Wenngleich eine bestimmte Entscheidung eines Schiedsgerichts ein anderes Schiedsgericht nach dem Gesagten nicht dazu verpflichtet, ebenso zu entscheiden, so bedeutet dies nicht, dass frühere Entscheidungen von Schiedsgerichten keinerlei Auswirkungen auf die Spruchpraxis nachfolgender Schiedsgerichte besitzen.93 Zwar entscheiden Schiedsgerichte die ihnen vorliegenden Fälle formell unabhängig und frei von den rechtlichen Erwägungen Asia Arbitration Journal 57, 78 f. (2011); Renner, 26 Journal of International Arbitration 533, 555 (2009); Smit, 25 Columbia Journal of Transnational Law 9 (1987). 91  Eine Ausnahme bildet das WTO-Regime mit dem WTO Appellate Body, hierzu unten S. 200 ff. Das International Centre for Dispute Resolution (ICDR) der American Arbitration Association (AAA) stellt den Schiedsparteien seit November 2013 mit den Optional Appellate Arbitration Rules ebenfalls eine – fakultativ zu vereinbarende – Berufungsinstanz zur Verfügung. Ähnliche Regelungen enthalten auch die Schiedsregeln der Judicial Arbitration and Mediation Services Inc. (JAMS) und des International Institute for Conflict Prevention (CPR). 92  Das schließt aber nicht aus, dass die Schiedsrichter Entscheidungen anderer Spruchkörper, vor allem innerhalb derselben Institution, kennen und zur Kenntnis nehmen, so für die Entscheidungspraxis der ICC Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 163, dort Fn. 341. 93  Das ignoriert Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 173, der zwar zutreffend auf die fehlende rechtliche Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen hinweist, daraus aber ohne weitere Begründung folgert, dass auch eine faktische Präzedenzwirkung ausgeschlossen sei. Für eine faktische Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen dagegen Pocar, in: Transparency, 2013, xvi; Born, International Arbitration: Cases and Materials, 2011, S. 1059; Buck-Heeb/ Dieckmann, Selbstregulierung, 2010, S. 155; Reed, 25 ICSID Review 95, 96 (2010); Berger, SchiedsVZ 2009, 289, 296; ders., 9 Journal of International Arbitration 5, 19 ff. (1992); Strong, 20 American Review of International Arbitration 119, 143 (2009); Johnson/Brunet, 76 University of Cincinnati Law Review 459, 472 f. (2008); Perret, in: Precedent, 2008, S. 25, 33; Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1016, 1030 (2007); Drahozal, 40 Loyola of Los Angeles Law Review 187, 213 (2007); Rogers, 54 University of Kansas Law Review



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

169

anderer Spruchkörper, die Praxis zeigt jedoch, dass Schiedsgerichte dort, wo eine Kenntnisnahme von den Entscheidungen anderer Schiedsgerichte möglich ist, diese bei der eigenen Entscheidungsfindung regelmäßig berücksichtigen, sei es, dass sie sich der dort vertretenen Auffassung anschließen, sei es, dass sie eine abweichende rechtliche Würdigung argumentativ begründen.94 Eine so verstandene faktische Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen wurde, unter anderem anhand von Zitationsanalysen, bislang in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit95, bei bestimmten ständigen Schiedsgerichten wie dem Iran-United States Claims Tribunal96, in der Sportschiedsgerichtsbarkeit97, in der Arbeitsschiedsgerichtsbarkeit98, in der Anlegerschiedsgerichtsbarkeit99 und bei Branchenschiedsgerichten, namentlich in der Seehandelsschiedsgerichtsbarkeit100, beobachtet. Auch die Entscheidungspraxis in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit wird zunehmend zum Gegenstand empirischer Analysen.101 Wenngleich die präjudizielle Bedeutung schiedsrichterlicher Entscheidungen sich nicht allein in einer entsprechenden Zitationspraxis erschöpft102, sind diese Ergebnisse gleichwohl ein sichtbarer Hinweis auf die Bedeutung, die Schiedsgerichte den Entscheidungen anderer Spruchkörper ungeachtet des Fehlens einer rechtlichen Präzedenzwirkung zumessen. Die Gründe für diesen Dialog 1301, 1320 (2006); dies., 20 American University International Law Review 957, 999 f., 1005 (2005); Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 527 f. (2006); Mistelis, 21 Arbitration International 211, 213 (2005); Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 177 (2005); Carbonneau, 25 Michigan Journal of International Law 1183, 1204 (2004); Tetley, 60 Lousiana Law Review 677, 719 (2000); Rau, 38 South Texas Law Review 485, 536 (1997); Seitz, 38 Arbitration Journal 58 (1983). 94  Dazu mit Beispielen aus der schiedsgerichtlichen Entscheidungspraxis König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 82 ff. 95  Commission, 24 Journal of International Arbitration 129 (2007). Siehe unten S. 191 ff. 96  Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521 (2006). Siehe unten S. 195 ff. 97  Bersagel, 12 Pepperdine Dispute Resolution Law Journal 189 (2012); KaufmannKohler, 23 Arbitration International 357, 365 (2007); Carbonneau, 25 Michigan Journal of International Law 1183, 1204 f. (2004). Siehe unten S. 198 ff. 98  Weidemaier, 90 North Carolina Law Review 1091, 1101 ff. (2012). 99  Weidemaier, 90 North Carolina Law Review 1091, 1104 ff. (2012). 100  Maurer, Lex Maritima, 2012, S. 177 f. 101  König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 125 ff., hat jüngst u. a. die präjudizielle Bedeutung von Schiedssprüchen in der Investitions- und Handelsschiedsgerichtsbarkeit untersucht. Umfassende empirische Untersuchungen werden jedoch ebenfalls durch die Tatsache, dass nur ein geringer Teil der Handelsschiedssprüche an die Öffentlichkeit gelangt, erschwert. 102 Zutreffend Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1901, 1911, dort Fn. 68 (2010); Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 43, die darauf hinweisen, dass schiedsgerichtliche Präjudizien die Entscheidungen des Schiedsgerichts und das vorprozessuale und prozessuale Verhalten der Parteien auch ohne ausdrückliche Bezugnahme leiten können. Posner, 2 American Law and Economics Review 381, 388 f. (2000), zeigt auf, dass eine Entscheidung oder Entscheidungspraxis so allgemein anerkannt sein kann, dass sie ungeachtet ihrer prägenden Bedeutung überhaupt nicht mehr zitiert wird.

170

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

zwischen formell unabhängigen Spruchkörpern und die faktische Berücksichtigung der Entscheidungen anderer Schiedsgerichte lassen sich angesichts des Fehlens einer diesbezüglichen Rechtspflicht nur mithilfe „weicher“ Faktoren unterhalb der Pflichtgrenze erklären. Diese Faktoren und ihre Wirkungsweise sind bislang noch kaum untersucht worden, obwohl ihr Einfluss in der schiedsgerichtlichen Praxis von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist. Im Folgenden sollen einige Voraussetzungen dieser faktischen Präzedenzwirkung im Schiedsverfahren untersucht werden. Eine nähere Untersuchung dieser Elemente zeigt eine deutliche funktionelle Ähnlichkeit in der Behandlung von Präjudizien im Schiedsverfahren und im kontinentaleuropäischen Recht. In beiden Fällen orientiert sich die Bedeutung vorangegangener Entscheidungen am Konzept der faktischen Präzedenzwirkung.

c.  Elemente einer faktischen Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen Die faktische Berücksichtigung der Entscheidungen anderer Schiedsgerichte durch Schiedsrichter beruht in der Praxis auf verschiedenen Aspekten, die sich jedoch nicht trennscharf unterscheiden lassen, sondern sich wechselseitig aufeinander beziehen. Einerseits erlaubt die Bezugnahme auf vorangegangene Entscheidungen es dem Schiedsgericht, seine eigene Entscheidung als „richtig“ und damit als Teil eines übergeordneten normativen Konsenses darzustellen (aa.). Mit der Möglichkeit einer solchen Bezugnahme lässt sich die schiedsrichterliche Entscheidungstätigkeit durch die Nutzung vorhandener Lösungsstrategien zugleich effizienter gestalten (bb.). Neben diesen objektiven Faktoren wird die faktische Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen vor allem durch ein gewandeltes subjektives Selbstverständnis der Schiedsrichterschaft begünstigt (cc.). Entgegen der wohl (noch) herrschenden Meinung, der zufolge Schiedsrichter allein zur isolierten Entscheidung des ihnen vorliegenden Rechtsstreits berufen sind und sich nicht um die übergeordneten Folgen ihrer Spruchpraxis zu kümmern haben, berücksichtigen Schiedsrichter im Rahmen der Entscheidungsfindung zunehmend sowohl die Auswirkungen ihrer Entscheidungen auf andere Schiedsgerichte als auch die Implikationen der Tätigkeit anderer Schiedsgerichte für ihre eigene Spruchtätigkeit. Ein Grund hierfür könnte aus der Perspektive der Schiedsrichter darin liegen, dass die Berücksichtigung anderer Entscheidungen im Rahmen der eigenen Spruchtätigkeit die Verteilung und Abschichtung von Verantwortung erleichtert (dd.). Die Einordnung der eigenen Entscheidung in eine bestimmte Spruchpraxis sorgt aber nicht nur für ein geringeres Kritikrisiko, sondern kann gleichzeitig auch die inhaltliche Legitimität der Entscheidung steigern. Nicht zuletzt kann die Berücksichtigung der Spruchpraxis anderer Schiedsgerichte aus Sicht der entscheidenden Schiedsrichter auch als Alleinstellungsmerkmal bzw. als Nach-



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

171

weis ihrer Erfahrung und fachlichen Befähigung dienen und damit die Chancen künftiger Berufungen erhöhen (ee.). Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass das Zusammenspiel dieser „weichen“ Faktoren in der Praxis zu einer beachtlichen Entscheidungskohärenz führt (ff.).

aa.  Faktische Präzedenzwirkung schiedsgerichtlicher Entscheidungen als Ausdruck eines normativen Konsenses Einmal berücksichtigen Schiedsgerichte die Entscheidungen anderer Spruchkörper, wenn und soweit sie als Beispiel für eine „richtige“, d. h. inhaltlich überzeugende, Entscheidung einer bestimmten Rechtsfrage dienen.103 Zwar stellt der Schiedsspruch, wie auch das staatliche Gerichtsurteil, eine einseitige, autoritative Entscheidung des Rechtsstreits dar, er soll daneben aber auch inhaltlich überzeugen und insbesondere der unterlegenen Partei im Interesse einer freiwilligen Befolgung des Schiedsspruchs nachvollziehbar die Gründe für die Entscheidung darlegen.104 Das setzt zunächst voraus, dass Schiedssprüche überhaupt begründet werden. In der Mehrzahl der Fälle dürfte dieses Erfordernis erfüllt sein, wenngleich hierzu aufgrund der weitgehenden Vertraulichkeit schiedsrichterlicher Entscheidungen keine belastbaren empirischen Daten existieren.105 Die meisten Schiedsordnungen sehen jedoch vor, dass das Schiedsgericht seine Entscheidungen und insbesondere den Schiedsspruch zu begründen hat, soweit die Parteien nicht ausdrücklich etwas Gegenteiliges vereinbart haben.106 Die danach erforderliche Begründung der Entscheidung des Schiedsgerichts muss aber auch in der Sache überzeugen. Anders als der staatliche Richter kann sich der Schiedsrichter nicht darauf beschränken, seine Entscheidung mit dem schlichten Hinweis auf eine bestimmte höchstrichterliche Rechtsauffassung und das mit einer Abweichung von dieser Auffassung 103  Bentolila, Anuario Mexicano de Derecho Internacional (Décimo Aniversario) 2012, 373, 400 f.; Gill, 25 ICSID Review 87 (2010). Kritisch dagegen ten Cate, 51 Columbia Journal of Transnational Law 418, 420 (2013) und Douglas, 25 ICSID Review 104, 109 (2010), die die Auffassung vertreten, in der Schiedsgerichtsbarkeit werde die sachliche Richtigkeit der Entscheidung zunehmend einem fehlgeleiteten Streben nach Entscheidungskohärenz geopfert. 104  Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1902, 1917 (2010); Nariman, in: Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 555, 565; Rau, 38 South Texas Law Review, 485, 535 (1997); Getman, 88 Yale University Law Journal 916, 920 f. (1979). 105  Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1915 ff. (2010); Drahozal, 40 Loyola of Los Angeles Law Review 187, 212 (2007); Rogers, 54 University of Kansas Law Review 1301, 1316 (2006); Park, 10 George Mason Law Review 803, 823 (2002); Baldwin, 31 Texas International Law Journal 451, 488 (1996); Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 122; Carbonneau, 23 Columbia Journal of Transnational Law 579 (1985); ders., 19 Texas International Law Journal 33, 101 ff. (1984). Anders noch Landes/Posner, 8 Journal of Legal Studies 235, 248 (1979): “Arbitrators generally do not write opinions.” 106  Siehe beispielhaft § 34.3 DIS-SchO; Art. 31 Abs. 2 ICC-SchO; Art. 26.1 LCIA-SchO; Art. 30 Abs. 1 AAA/ICDR-SchO; Art. 36 Abs. 1 SCC-SchO.

172

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

verbundene Aufhebungsrisiko zu legitimieren. In der Schiedsgerichtsbarkeit existiert kein vertikaler Instanzenzug, der eine solche Argumentation sachlich rechtfertigen könnte. Stattdessen muss der Schiedsrichter versuchen, die Parteien argumentativ von der Richtigkeit seiner Entscheidung zu überzeugen. Ein wesentlicher Teil dieser Überzeugungsarbeit besteht darin, den Parteien zu verdeutlichen, dass das Schiedsgericht sich bei seiner Entscheidung nicht an seinen eigenen subjektiven Richtigkeitsvorstellungen, sondern an allgemein anerkannten rechtlichen und rechtsstaatlichen Standards orientiert hat, die Interessen der Parteien in zutreffender Weise gegeneinander abgewogen hat und dass das Ergebnis aus diesen Gründen mit dem im Einzelfall anwendbaren Recht sowie mit übergeordneten Gerechtigkeitserwägungen in Einklang steht.107 Berger weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass der weitgehende Verzicht auf eine staatliche Richtigkeitskontrolle des Schiedsspruchs nicht gleichbedeutend mit einem Verzicht der Parteien auf eine Richtigkeitskontrolle an sich sei.108 Die schiedsrichterliche Entscheidung muss zwar keiner vertikalen Überprüfung durch die staatlichen Gerichte, wohl aber einer horizontalen Richtigkeitskontrolle am Maßstab der Entscheidungen anderer Schiedsgerichte standhalten. Der Schiedsspruch muss demgemäß, um zu überzeugen, als Teil eines übergreifenden „richtigen“ normativen Konsenses dargestellt werden. Die Bezugnahme auf vorangegangene Entscheidungen anderer Schiedsgerichte kann hierfür ein Mittel darstellen. In der Sache handelt es sich um eine Form des Analogieschlusses: Weil das Erstverfahren in einer vergleichbaren Fallkonstellation die zu entscheidenden Rechtsfragen zutreffend beurteilt hat, gebieten materielle Gerechtigkeitserwägungen und der Grundsatz der Gleichbehandlung, diese Maßstäbe auch im nunmehr zu entscheidenden Fall anzuwenden.109 Die normative Konturierung des Schiedsspruchs durch Bezugnahme auf andere Entscheidungen in ähnlich gelagerten Fällen kann jedoch Schwierigkeiten aufwerfen, weil anerkannte allgemeingültige Kriterien für die „Richtigkeit“ eines bestimmten Präjudizes fehlen.110 Soweit sich das Schiedsgericht bei seiner Entscheidung innerhalb des ihm durch die Vereinbarungen der Parteien, die Bestimmungen der einschlägigen Schiedsordnung sowie die (zwingenden) Vorschriften des anwendbaren Rechts vorgegebenen Rechtsrahmens hält, ist jede Lösung gleichermaßen vertretbar und in diesem Sinne „richtig“. Allgemeine Richtigkeitsstandards lassen sich deshalb, wenn überhaupt, nur unter Schwierigkeiten formulieren. Dessen ungeachtet werden in der Literatur ver107 Vgl. Bjorklund, in: International Economic Law, 2008, S. 265, 277; Krebs, AcP 195 (1995), 171, 191 f. 108  Berger, Kodifizierung, 1996, S. 70. 109  Weidemaier, 90 North Carolina Law Review 1091, 1112 (2012); Jacob, 12 German Law Journal 1005, 1022 f. (2011); Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 524 (2006). 110  Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1047 (2007).



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

173

schiedene Mindestvoraussetzungen genannt, die eine schiedsgerichtliche Entscheidung erfüllen muss, um als zu berücksichtigendes Präjudiz in Betracht zu kommen. Erstens muss die in Bezug genommene Entscheidung des anderen Schiedsgerichts unter Beachtung der prozessualen Rechte der Verfahrensbeteiligten in einem geordneten rechtsstaatlichen Verfahren zustande gekommen sein.111 Dazu gehört insbesondere die Beachtung grundlegender Verfahrensstandards wie der Grundsätze der Gewähr rechtlichen Gehörs und der Gleichbehandlung der Parteien. Ob dies der Fall war, lässt sich in den meisten Fällen dem Schiedsspruch selbst entnehmen, der regelmäßig auf das Vorbringen beider Seiten eingeht und sodann die Entscheidung des Schiedsgerichts begründet. Zweitens müssen der Sachverhalt und die zu entscheidenden Rechtsfragen des in Bezug genommenen und des zu entscheidenden Falls vergleichbar sein. Nur die tatsächliche und rechtliche Ähnlichkeit rechtfertigt die analoge Anwendung der ratio decidendi der früheren Entscheidung auf den zu entscheidenden Fall.112 Es liegt nahe, dass dieses Erfordernis die Entstehung von Präjudizien vor allem in Rechtsbereichen mit weitgehend einheitlichen Entscheidungsgrundlagen fördert. Dazu gehört vor allem die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, deren – meist in bilateralen Investitionsschutzabkommen kodifizierte – Schutzstandards vielfach ähnlich sind. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung eines bestimmten Verhaltens, beispielsweise bei der Frage, ob eine bestimmte staatliche Handlung gegen das Verbot der entschädigungslosen Enteignung verstößt, liegt deshalb ein Rückgriff auf die Entscheidungen anderer Investitionsschiedsgerichte zu dieser Frage nahe. Dieser Umstand mag zur Erklärung der vergleichsweise hohen Bedeutung schiedsgerichtlicher Präjudizien im Rahmen von Investitionsschiedsstreitigkeiten beitragen.113 Drittens hängt die präjudizielle Qualität einer schiedsgerichtlichen Entscheidung von der Überzeugungskraft und übergeordneten Bedeutung ihrer Begründung ab. Die in Bezug genommene Entscheidung muss insoweit nicht nur eine überzeugende Lösung der zu entscheidenden Rechtsfragen in Übereinstimmung mit dem im Einzelfall anwendbaren Recht bieten, sondern darüber hinaus auch allgemeineren Fairness- und Gerechtigkeitsvorstellungen, beispielsweise zur Gewichtung des Verhältnisses zwischen privaten und öffent111 

Ridgway, 54 Dispute Resolution Journal 50 (1999). Reed, 25 ICSID Review 95, 98 (2010); Weeramantry, 25 ICSID Review 111, 117 (2010); Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 530 ff. (2006). Der Begriff der ratio decidendi wird hier angesichts der Tatsache, dass schiedsrichterliche Entscheidungen keine rechtliche Bindungswirkung (de jure) für nachfolgende Schiedsgerichte entfalten, in einem untechnischen Sinne verwendet. 113  Böckstiegel, in: Precedent, 2008, S. 17, 23. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass selbst wortgleiche Bestimmungen stets in ihrem individuellen Kontext ausgelegt werden müssen, sodass insbesondere die Entstehungsgeschichte des einzelnen BIT und die damit verbundenen Erwartungen der Parteien im Einzelfall zu berücksichtigen sind. 112 

174

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

lichen Interessen im Schiedsverfahren, entsprechen.114 Erst die Einordnung in ein solches übergreifendes Koordinatensystem schafft inhaltliche Anknüpfungsmomente für nachfolgende Spruchkörper und macht die einzelne Entscheidung im präjudiziellen Sinne anschlussfähig.115 Eine solche Kontextualisierung setzt schließlich auch voraus, dass die wesentlichen Aussagen der gewählten Lösung verallgemeinerungsfähig sind. Anschlussfähig sind allein einzelfallunabhängige, abstrakte principles, nicht aber auf den individuellen Rechtsstreit bezogene Aussagen.116 Die inhaltlichen Positionen, die andere Schiedsgerichte eingenommen haben, müssen deshalb ein ausreichendes Abstraktionsniveau aufweisen, um in späteren Streitigkeiten im Rahmen der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden zu können. Viertens beruht die inhaltliche Überzeugungskraft und damit mittelbar auch die normative „Richtigkeit“ einer Entscheidung nicht unwesentlich auf dem persönlichen Prestige der Schiedsrichter.117 Dies beweist bereits die Tatsache, dass – soweit solche verfügbar sind – zunehmend auch dissenting opinions prominenter Schiedsrichter Aufmerksamkeit erfahren und von den Parteien sowie ihren Vertretern zitiert werden.118 Diese Bedeutung der Persönlichkeit des Schiedsrichters entspricht der strukturellen Logik des Schiedsverfahrens. Schiedsrichter werden von den Parteien regelmäßig aufgrund ihrer individuellen fachlichen und intellektuellen Fähigkeiten sowie ihrer spezifischen Rechtsansichten ausgewählt.119 Anders als staatliche Richter treten Schieds114 

Jacob, 12 German Law Journal 1005, 1016 (2011); Kriele, Rechtsgewinnung, 1967, S. 284. 115  Bentolila, Anuario Mexicano de Derecho Internacional (Décimo Aniversario) 2012, 373, 399 f.; Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1901 (2010). 116  Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Journal 317, 347 f. (1984). 117  Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 65; Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 529 (2006); Bhala, 9 Journal of Transnational Law & Policy 1, 145 (1999); Berger, Kodifizierung, 1996, S. 72. Vgl. den Zwischenschiedsspruch des ICSIDSchiedsgerichts im Verfahren El Paso Energy International Co. v. The Argentine Republic (ICSID Case No. ARB/03/15) vom 27. April 2006, in welchem das Schiedsgericht bei der Frage nach der Reichweite einer umbrella clause die Rechtsansichten einer Reihe von ICSIDSchiedsgerichte auf ihre Tragfähigkeit überprüft und in diesem Zusammenhang wiederholt auf die personelle Zusammensetzung der Spruchkörper, insbesondere auf die Person des Schiedsgerichtsvorsitzenden, eingeht. Ähnliche Erwägungen enthalten auch der Teilschiedsspruch vom 19. August 2005 im ad hoc-Verfahren Eureko B. V. v. Republic of Poland, Rn. 257 (alle zitierten Entscheidungen abrufbar unter www.italaw.com) und der Endschiedsspruch in dem ICC-Verfahren Nr. 8385/1995, abgedruckt in Clunet 1997, 1061, 1068. 118  Sikiric, 13 Croatian Arbitration Yearbook 131, 156 (2006); Coe, 54 University of Kansas Law Review 1339, 1356 (2006). Erhebliche Aufmerksamkeit hat beispielsweise die dissenting opinion des Schiedsgerichtsvorsitzenden Mustill im ICSID-Verfahren Tokios Tokelés v. Ukraine (ICSID Case No. ARB/02/18) erlangt, die auch veröffentlicht wurde (20 ICSID Review 245 (2005)). Zur Vereinbarkeit von schiedsrichterlichen dissenting opinions mit dem Beratungsgeheimnis nach deutschem Recht vgl. Bartels, SchiedsVZ 2014, 133; Westermann, SchiedsVZ 2009, 102, 106. 119  Vgl. die Nachweise unten S. 187, Fn. 172.



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

175

richter in Ausübung ihres Amtes nicht hinter einen institutionellen, dauerhaften bestehenden Spruchkörper (Kammer oder Senat) zurück. Die Spruchtätigkeit des Schiedsrichters ist nicht unpersönliche Ausübung hoheitlicher Rechtsprechungsbefugnisse, sondern Erfüllung einer höchstpersönlichen und nicht übertragbaren vertraglichen Pflicht.120 Liegen die vorgenannten Mindestvoraussetzungen vor, besteht demgemäß grundsätzlich die Möglichkeit, dass die rechtlichen Erwägungen eines früheren Schiedsgerichts auch bei der Beurteilung der sich in einem laufenden Verfahren stellenden Rechtsfragen herangezogen werden.

bb.  Verkürzung der Verfahrensdauer und Effizienzsteigerung (Begründungslast) Die Anerkennung einer faktischen Präzedenzwirkung schiedsgerichtlicher Entscheidungen kann das Schiedsverfahren darüber hinaus schneller, effizienter und kostengünstiger machen, weil auf diese Weise der im Einzelfall erforderliche Aufwand zur Begründung einer Entscheidung erheblich reduziert werden kann. Regelmäßig wird die kürzere Verfahrensdauer von Schiedsverfahren im Vergleich zu staatlichen Gerichtsverfahren als einer der wesentlichen Vorteile der Schiedsgerichtsbarkeit genannt.121 In dieser Allgemeinheit dürfte diese Aussage jedoch nicht mehr zutreffen. Die in den vergangenen Jahren verbreitet geäußerte Unzufriedenheit der Nutzer mit der gestiegenen Dauer und den höheren Kosten des Schiedsverfahrens stützt diese Einschätzung.122 Die Gründe hierfür sind umstritten. Sie können sowohl in der zunehmenden Nutzung der Schiedsgerichtsbarkeit als Streitbeilegungsform als auch in der gestiegenen Komplexität der einzelnen Verfahren gesehen werden.123 Gleichwohl ist es nicht ausgeschlossen, dass ein Schiedsverfahren im Einzelfall tatsächlich kürzer als ein staatliches Gerichtsverfahren sein kann. Statistische Daten zur Dauer von Schiedsverfahren werden von vielen Schiedsinstitutionen nur unvollständig zur Verfügung gestellt, die Angaben von Praktikern gehen naturgemäß auseinander.124 Die konkrete Verfahrensdauer hängt von einer 120  Zu dem höchstpersönlichen Charakter der aus dem Schiedsrichtervertrag resultierenden Pflichten siehe Prütting, SchiedsVZ 2011, 233, 235. 121  Siehe nur Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 1, Rn. 8. 122  McIlwrath/Schroeder, in: Transparency, 2013, S. 87, 89; Franz/Keune, VersR 2013, 12, 13; Templeman, 30 Journal of International Arbitration 197, 203 (2013); Berger, SchiedsVZ 2009, 289, 291. Vgl. hierzu auch den Bericht “Techniques for Controlling Time and Costs in Arbitration” (2. Aufl. 2012) der ICC Commission on Arbitration, abrufbar unter www.iccwbo. org. 123  Franck, 12 ILSA Journal of International and Comparative Law 499, 500 (2006). 124  Eine Untersuchung des Chartered Institute of Arbitrators (CIArb Costs of International Arbitration Survey, abrufbar unter www.ciarb.org) ermittelte im Jahre 2011 eine durchschnittliche Verfahrensdauer von 17–20 Monaten für Handelsschiedsverfahren. Hobeck, DRiZ 2005,

176

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

Vielzahl unterschiedlicher Faktoren ab, so unter anderem von der gewählten Schiedsordnung, von der Besetzung des Schiedsgerichts, dem prozessualen Verhalten der Parteien und sonstigen Verfahrensbeteiligten sowie der tatsächlichen und rechtlichen Komplexität des Sachverhalts. Unbestritten bestehen ungeachtet des Fehlens eines Instanzenzugs auch im Schiedsverfahren vielfältige Möglichkeiten zu einer zeitlichen Verzögerung des Verfahrens.125 Die Annahme zeitlicher Vorteile durch die Wahl des Schiedsverfahrens dürfte vor diesem Hintergrund mittlerweile in der Mehrzahl der Fälle wohl nur noch zutreffen, soweit man im staatlichen Verfahren die Ausschöpfung des Instanzenzugs unterstellt. Ungeachtet dieser tatsächlichen Schwierigkeiten sehen die meisten institutionellen Schiedsordnungen vor, dass das Schiedsgericht das Verfahren zügig zu führen hat.126 Manche Institutionen stellen den Parteien darüber hinaus auch besondere, beschleunigte Verfahren zur Verfügung127 oder bestimmen Fristen, binnen derer das Schiedsgericht den Endschiedsspruch zu erlassen hat.128 Schiedsrichter stehen vor diesem Hintergrund und angesichts zunehmender Kritik an der längeren Dauer und den damit verbundenen steigenden Kosten des Schiedsverfahrens bei dem Erlass ihrer Entscheidungen in ähnlicher Weise wie staatliche Richter unter einem nicht unerheblichen Zeitdruck. Staatliche Richter können ihre Entscheidungstätigkeit jedoch dadurch effizienter gestalten, dass sie sich bei der Entscheidung des ihnen vorliegenden Falls an der (höchstrichterlichen) Rechtsprechung orientieren und deren recht177, nimmt aus seinen Erfahrungen als früherer General Counsel der Siemens AG eine durchschnittliche Dauer internationaler Schiedsverfahren von zwei bis drei Jahren an. Für ICC-Verfahren wurde in der Vergangenheit eine durchschnittliche Verfahrensdauer von 18 Monaten angenommen (von Schlabrendorff, SchiedsVZ 2003, 34, 36), die ICC selbst veröffentlicht keine Zahlen zur Verfahrensdauer. Für CIETAC-Schiedsverfahren soll die durchschnittliche Verfahrensdauer etwa ein Jahr betragen (Trappe, SchiedsVZ 2006, 258, 265). Die DIS stellt keine amtlichen Statistiken zur Verfahrensdauer zur Verfügung, Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 158, geht für DIS-Schiedsverfahren von einer durchschnittlichen Verfahrensdauer von neun Monaten aus. Detaillierte Statistiken zur Verfahrensdauer stellt dagegen das Schiedsgericht der Handelskammer Mailand zur Verfügung, dort betrug die durchschnittliche Verfahrensdauer zwischen 2003 und 2014 gut 13 Monate, vgl. www.cameraarbitrale.it. 125 Vgl. Horvath/Wilske/Nettlau/Leinwather, in: Guerilla Tactics, 2013, S. 3, 9 f. 126  Siehe nur § 33.1 DIS-SchO: „Das Schiedsgericht hat das Verfahren zügig zu führen und in angemessener Frist einen Schiedsspruch zu erlassen.“ 127  Die Ergänzenden Regeln für beschleunigte Verfahren der DIS (ERBV) aus dem Jahr 2008 sehen vor, dass das Verfahren vor dem Einzelschiedsrichter im Regelfall binnen sechs, vor einem Dreierschiedsgericht binnen neun Monaten nach Klageerhebung abzuschließen ist (§ 1 Abs. 2 DIS-ERBV). Näher hierzu Berger, SchiedsVZ 2008, 105. Eine erhebliche Bedeutung hat die sog. fast track arbitration mittlerweile im Rahmen der Swiss Rules erlangt, wo sie bei Streitwerten unterhalb von CHF 1 Mio. die Regel darstellt, vgl. Scherer, SchiedsVZ 2005, 229, 230 f. 128  Art. 30 Abs. 1 der ICC Rules sieht nunmehr vor, dass das Schiedsgericht im Regelfall binnen sechs Monaten nach Konstituierung bzw. nach Unterzeichnung der Terms of Reference einen Endschiedsspruch zu erlassen hat.



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

177

liche Lösungsansätze auch für ihre eigenen Verfahren nutzen. Diese Möglichkeit besteht sowohl in common law-Systemen mit rechtlicher Präjudizienbindung (stare decisis) als auch in kontinentaleuropäischen Rechtssystemen mit faktischer Präjudizienbindung. Ein solches System der faktischen Präjudizienbindung besteht auch in Deutschland. Die praktische Konsequenz dieses Systems besteht darin, dass der Instanzrichter, sofern er in einer bestimmten Rechtsfrage der privilegierten (höchstrichterlichen) Meinung folgt, seine Entscheidung in der Regel mit einem Verweis auf diese begründen und sie sich damit zu eigen machen kann. Eines weitergehenden Begründungsaufwands bedarf es in diesem Fall regelmäßig nicht. Möchte er hingegen – was ihm im Grundsatz freisteht – in der Beurteilung einer bestimmten Rechtsfrage von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichen, so ist er gehalten, diese Abweichung argumentativ zu begründen. Dies ist die bereits dargestellte Figur der Begründungslast.129 Das damit geschaffene Regel-Ausnahme-Verhältnis dient der Reduzierung von Komplexität und entlastet den Richter von der Notwendigkeit, seine Entscheidungen stets aufs Neue autonom begründen zu müssen. Stattdessen vemittelt die Begründungslast dem Richter die Möglichkeit, sich in der Vergangenheit entwickelte und in der Praxis bewährte Lösungsansätze zu Eigen zu machen, soweit im Einzelfall nicht bessere Gründe dagegen sprechen. Insgesamt wird die richterliche Arbeit dadurch deutlich effizienter gestaltet.130 In der Schiedsgerichtsbarkeit fehlt es – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – bislang an einem vergleichbaren System der Arbeitsteilung, wenngleich sich dort mit Blick auf die Arbeitsbelastung der Schiedsrichter ähnliche Probleme stellen. Angesichts dieser Parallelen ist es nicht ausgeschlossen, dass eine faktische Berücksichtigung der Entscheidungen anderer Schiedsrichter im Sinne des Konzepts der Begründungslast aufgrund des damit verbundenen geringeren Lösungs- und Argumentationsaufwands auch im Schiedsverfahren zu einer effizienteren und im Ergebnis kostengünstigeren Verfahrensdurchführung beitragen könnte. Das Konzept der Begründungslast bedarf für diesen Fall jedoch gewisser Anpassungen, um der Tatsache Rechnung zu tragen, dass es innerhalb der Schiedsgerichtsbarkeit an einem vertikalen Instanzenzug und demgemäß an einer instanziell privilegierten Meinung im Sinne einer höchstrichterlichen Rechtsprechung fehlt. Die Abwesenheit institutionalisierter Hierarchien zwischen den einzelnen Spruchkörpern macht aus Sicht des entscheidenden Schiedsgerichts eine argumentative Begründung erforderlich, weshalb eine bestimmte vorangegangene Entscheidung eines anderen Schiedsgerichts zu berücksichtigen war. Diese Begründung muss für die Parteien nachvollzieh129  Schauer, 39 Stanford Law Review 571, 599 (1987); Kriele, in: Normen und Geschichte, 1979, S. 24, 29. Hierzu bereits oben S. 175 ff. 130  Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 327 f.; Jacob, 12 German Law Journal 1005, 1013 (2011); Olzen, JZ 1985, 155, 157.

178

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

bar darlegen, aus welchen Gründen der Entscheidung gefolgt oder nicht gefolgt wurde. Eine schiedsgerichtliche „Rechtsprechung“ kann sich nicht durch letztinstanzliche Machtworte, sondern allein durch einen fortlaufenden Dialog zwischen den einzelnen Spruchkörpern und durch die diskursive Herausbildung allgemeiner Entscheidungsstandards, mit anderen Worten, durch „imitation and repetition“131 entwickeln. Das Erfordernis einer argumentativen Begründung kann im Vergleich zu der soeben dargelegten Praxis an staatlichen Gerichten zu einem höheren Begründungs- und Zeitaufwand führen. Gleichwohl kann die Figur der Begründungslast auch innerhalb der besonderen Strukturen der Schiedsgerichtsbarkeit für Effizienzgewinne sorgen. Speziell bei regelmäßig wiederkehrenden Rechtsfragen, z. B. zur Auslegung bestimmter Vorschriften einer Schiedsordnung, könnte die inhaltliche Orientierung an bereits vorhandenen Lösungsansätzen und Entscheidungsstandards durch die damit verbundene Schaffung eines argumentativen Referenzrahmens132 nicht unerheblich zur Straffung des Entscheidungsprozesses und damit zur Beschleunigung des Verfahrens beitragen.133 Die Einführung der Figur der Begründungslast in den Prozess der schiedsrichterlichen Entscheidungsfindung würde aber voraussetzen, dass ein entsprechender Zugang zu schiedsrichterlichen Entscheidungen besteht. Denn diese können ihre entscheidungssteuernde Wirkung nur dann entfalten, wenn sie dem Schiedsgericht auch bekannt sind. Daran fehlt es gegenwärtig aber weitgehend. Während die Entscheidungen oberer und oberster Gerichte in Deutschland und in anderen Ländern in weitem Umfang veröffentlicht werden, findet vor allem in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit bislang immer noch erst ein Bruchteil der tatsächlich erlassenen Schiedssprüche seinen Weg in die Öffentlichkeit.134 Der empirische Nachweis einer höheren Effizienz kann deshalb gegenwärtig zumindest in diesem Bereich nicht geführt werden. Das Beispiel der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zeigt jedoch, dass das Konzept der Begründungslast bei entsprechender Entscheidungspublizität auch im schiedsverfahrensrechtlichen Kontext von Bedeutung sein kann. Auch Investitionsschiedsgerichte gehen zunehmend dazu über, ihre Entscheidungen unter Berufung auf eine von anderen Spruchkörpern geteilte, inhaltlich überzeugende und aufgrund dieser Tatsache privilegierte Meinung zu begründen und derjenigen Partei, die eine abweichende Auffassung vertritt, die Begründungs-

131  Bentolila, Anuario Mexicano de Derecho Internacional (Décimo Aniversario) 2012, 373, 376; siehe hierzu auch Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 97. 132  Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 328; Jacob, 12 German Law Journal 1005, 1015 (2011). 133  Schill, 12 German Law Journal 1083, 1098 f. (2011); Brown, 16 American University International Law Review 969, 1018 (2001). 134  König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 55; Hoffmann, Handelssachen, 2011, S. 142; Ginsburg, 36 Vanderbilt Journal of Transnational Law 1335, 1340 (2003); Seitz, 38 Arbitration Journal 58, 60 (1983).



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

179

last für ein Abweichen von dieser privilegierten Meinung im zu entscheidenden Einzelfall aufzuerlegen.135 Angesichts dieser Entwicklung kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass mit zunehmender Entscheidungstransparenz und der damit einhergehenden Zugänglichkeit vorangegangener Lösungsansätze auch in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit die Notwendigkeit einer steten „Neuerfindung des Rads“136 geringer werden wird.

cc.  Selbstverständnis der Schiedsrichterschaft Zur faktischen Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen trägt schließlich in erheblichem Maße auch ein gewandeltes Selbstverständnis vieler Schiedsrichter bei, welches neben den individuellen Interessen der Parteien an der Entscheidung ihres Falls zunehmend auch übergeordnete systemische Interessen der Schiedsgerichtsbarkeit berücksichtigt. Aufgabe der Schiedsgerichtsbarkeit ist in erster Linie die Beilegung individueller Streitigkeiten zwischen zwei oder mehreren Parteien.137 Das Amt des Schiedsrichters ist funktional auf das einzelne Verfahren zugeschnitten, es beginnt mit der Berufung durch die Parteien bzw. durch die Schiedsinstitution und endet mit dem endgültigen Abschluss des Schiedsverfahrens. Die Schiedsrichter werden für die von ihnen erbrachten Leistungen von den Parteien bezahlt und schulden im Gegenzug die zügige und sachgerechte Entscheidung des Rechtsstreits. Diese Ausgangslage nehmen manche zum Anlass, jegliche Verantwortlichkeit des Schiedsgerichts für übergeordnete Interessen, insbesondere für die Fortbildung des Rechts und die rechtspolitische Legitimität des Schiedsverfahrens, abzulehnen. Für den Schiedsrichter, so die Vertreter dieser Auffassung, verdienen bei der Wahrnehmung seines Amts ausschließlich die Interessen der Parteien Berücksichtigung.138 Dieses tatsächliche oder vermeintliche Selbstverständnis der Schiedsrichterschaft ist jedoch im Wandel begriffen. Ungeachtet des weitgehenden 135  Vgl. z. B. den Zwischenschiedsspruch vom 11. Mai 2005 im ICISD-Verfahren Sempra Energy International v. The Argentine Republic (ICSID Case No. ARB/02/16), Rn. 94, 99 (abrufbar unter www.italaw.com); Fauchald, 19 European Journal of International Law 301, 336 f. (2008) sowie die Nachweise unten S. 193, Fn. 193. 136  Douglas, 25 ICSID Review 104, 106 (2010). 137  Böckstiegel, in: Precedent, 2008, S. 17, 19. 138  So z. B. ten Cate, 44 New York University Journal of International Law and Politics 1109, 1117, 1165 (2012); Park, 1 Journal of International Dispute Settlement 25, 43 (2010); de Ly/Friedman/di Radicati Brozolo, 26 Arbitration International 193, 206 (2010); Sharpe, 54 Hastings Law Journal 311, 314 (2003); Nariman, in: Liber amicorum Böckstiegel, 2001, S. 555, 556. Böckstiegel, in: Precedent, 2008, S. 17, 19 f. sieht die primäre Aufgabe des Schiedsrichters ebenfalls in der Entscheidung des ihm vorliegenden Rechtsstreits und begreift die Berücksichtigung systemischer Interessen als überobligatorisches nobile officium. Reisman, 13 ICCA Congress Series 849, 851 f. (2006) vertritt die Auffassung, dass Handelsschiedsrichter deshalb nicht als law-makers geeignet seien, weil sie nicht über die Informationsmöglichkeiten staatlicher Gerichte verfügten und das Verfahren als solches intransparent sei.

180

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

Fehlens berufsrechtlicher Regeln für das Schiedsrichteramt ist gegenwärtig ein informeller Schiedsrichterethos („esprit de corps“) im Entstehen begriffen, der zunehmend auch die systemischen Konsequenzen schiedsrichterlicher Entscheidungstätigkeit in den Mittelpunkt rückt.139 Die damit verbundene Bereitschaft zur Selbstbeobachtung ist für die Entstehung einer tatsächlich autonomen Schiedsgerichtsbarkeit unverzichtbar. In prägnanter Weise hat das Schiedsgericht im NAFTA-Verfahren Glamis Gold, Ltd. v. United States of America diesem gewandelten Selbstverständnis Ausdruck verliehen: “A case-specific mandate is not license to ignore systemic implications. To the contrary, it arguably makes it all the more important that each tribunal renders its case-specific decision with sensitivity to the position of future tribunals and an awareness of other systemic implications […].”140

Zu der Verantwortlichkeit des Schiedsrichters für die Konfliktlösung tritt die Verantwortlichkeit für die Rechtsentwicklung. Dieser Trend zur Kontextualisierung von Einzelentscheidungen und damit zur Annäherung der Entscheidungstätigkeit des Schiedsrichters an die des staatlichen Richters ist wesentlich der Erkenntnis geschuldet, dass die Ausblendung der gegenwärtigen systemischen Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit im nationalen und internationalen Wirtschaftsverkehr mittelfristig nachteilige Auswirkungen auf ihre Legitimität und Akzeptanz und damit auf ihre zukünftige Entwicklung haben kann. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist angesichts ihrer Quasimonopolstellung in zentralen Rechtsbereichen und den weitreichenden Auswirkungen ihrer Entscheidungen mittlerweile zu bedeutend, als dass sie sich schlicht auf die Beilegung von Einzelstreitigkeiten beschränken könnte. Sie muss stattdessen, auch angesichts zunehmender Kritik an ihren Defiziten wie z. B. hoher Kosten und intransparenter Strukturen, damit beginnen, die systemischen Konsequenzen ihrer Tätigkeit in den Blick zu nehmen, wenn sie ihre Legitimationsgrundlage nicht verlieren will. Die Legitimitätsfrage ist für die Schiedsgerichtsbarkeit vor diesem Hintergrund von existenzieller Bedeutung. Jedes gesellschaftliche System bedarf zu seinem Fortbestand der Legitimität. Nur ein als legitim empfundenes System kann damit rechnen, dass seine Entscheidungen sachliche Autorität genießen, akzeptiert und freiwillig befolgt werden. Das Schiedsverfahren bedarf als nicht139  Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 55 f.; König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 253; Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1940 (2010); Rogers, 20 American University International Law Review 957, 1005 (2005); Cheng, 20 American University International Law Review 465, 519 (2005); Carbonneau, 25 Michigan Journal of International Law 1183, 1204 (2004); Stein, Lex Mercatoria, 1995 S. 162, 170, 175; Seitz, 38 Arbitration Journal 58, 60 (1983); allgemein zu den “forward-looking aspects of precedent” Schauer, 39 Stanford Law Journal 571, 588 (1987). 140  Glamis Gold, Ltd. v. United States of America, Schiedsspruch vom 8. Juni 2009, Rn. 6, abrufbar unter www.italaw.com. Siehe Weeramantry, 25 ICSID Review 111, 117 (2010) für weitere Nachweise zur Spruchpraxis.



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

181

obligatorischer, vertraglicher Streitbeilegungsmechanismus in besonderem Maße der Legitimität. Es beruht allein auf dem übereinstimmenden Willen der Parteien, bestimmte Streitigkeiten der Zuständigkeit der staatlichen Gerichte zu entziehen und sie stattdessen der endgültigen und bindenden Entscheidung durch ein unabhängiges Schiedsgericht zu unterwerfen. Weder kann ein Schiedsverfahren ohne Zustimmung der Parteien eingeleitet werden, noch können Schiedsrichter als private, nichtstaatliche Streitentscheider die von ihnen getroffenen Entscheidungen ohne Inanspruchnahme der staatlichen Zwangsvollstreckungsorgane zwangsweise durchsetzen. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist aus diesem Grunde in noch höherem Maße als die staatliche Gerichtsbarkeit auf die Anerkennung und freiwillige Befolgung ihrer Entscheidungen angewiesen.141 Einer solchen freiwilligen Unterwerfung unter die Gerichtsbarkeit eines privaten Spruchkörpers werden die Parteien aber nur dann zustimmen, wenn sie Vertrauen in die Integrität und Kompetenz der Schiedsrichter sowie in die Rechtmäßigkeit und Vorhersehbarkeit schiedsrichterlicher Entscheidungen haben. Vor diesem Hintergrund kommt dem Selbstverständnis der Schiedsrichter eine entscheidende Rolle zu. Würden diese ihre Rolle strikt einzelfallorientiert interpretieren, so dürften ihre Entscheidungen keine über den Einzelfall hinausgehenden rechtlichen Erwägungen, keine obiter dicta und weder eine Auseinandersetzung mit anderen Schiedssprüchen noch eine sonstige Berücksichtigung von verfahrensübergreifenden Interessen wie Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit und Normbildung enthalten. Genau dies ist aber der Fall. Empirisch lässt sich die Tendenz von Schiedsgerichten zur Berücksichtigung früherer schiedsgerichtlicher Entscheidungen vor allem anhand von Zitationsanalysen nachweisen.142 Wenngleich sich auf diese Weise der Einfluss früherer schiedsrichterlicher Entscheidungen auf die Entscheidungsfindung in einem aktuellen Verfahren nur zum Teil nachvollziehen lässt143, stellt die Zitationsanalyse für den vorliegenden Zusammenhang dennoch ein taugliches Instrument dar. Zitationsanalysen zeigen zwar nicht immer, wie eine Entscheidung tatsächlich zustande gekommen ist, sie zeigen aber, auf welche Weise die getroffene Entscheidung gerechtfertigt wird.144 Zur Erforschung des schiedsrichterlichen Selbstverständnisses ist die Zitationsanalyse aus diesem Grunde besonders ge141  Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1026 (2007); Schroeder, Lex Mercatoria Arbitralis, 2007, S. 176. 142 Mithilfe der Zitationsanalyse kann statistisch untersucht werden, ob, in welchem Umfang und mit welcher Zielsetzung Schiedsgerichte die Entscheidungen anderer Schiedsgerichte zur Unterstützung oder Abgrenzung ihrer eigenen Auffassung zitieren. Allgemein zu diesem Forschungsansatz Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 537 f. m. w. N. (2006). 143  Schiedsgerichte können sich – ebenso wie staatliche Gerichte – von den Entscheidungen früherer Spruchkörper inhaltlich auch ohne ausdrückliche Zitierung der betreffenden Entscheidung leiten lassen, siehe bereits oben S. 169, Fn. 102. 144  Weidemaier, 90 North Carolina Law Review 1091, 1110, 1139 (2012).

182

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

eignet. Vorhandene Untersuchungen zur Zitationspraxis von Schiedsgerichten zeigen, dass Schiedsgerichte bei entsprechender Entscheidungstransparenz regelmäßig dazu neigen, sich mit den Entscheidungen anderer Spruchkörper auseinanderzusetzen, und zwar unabhängig davon, ob sie dem dortigen Ergebnis folgen oder es ablehnen.145 In beiden Fällen wird die Relevanz einer früheren Entscheidung für das eigene Verfahren stillschweigend akzeptiert. Diese Praxis beweist, dass, unabhängig von einer ausdrücklichen Anerkennung, innerhalb der Schiedsrichterschaft ein wahrnehmbares Bewusstsein für den systemischen Kontext und die Bedeutung einzelner Entscheidungen für nachfolgende Spruchkörper im Entstehen begriffen ist. Im Zitat zeigen sich das normative Selbstverständnis und der Autonomieanspruch des Schiedsrichters. Ein nachdrückliches Beispiel hierfür liefert die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit. Vor allem ICSID-Schiedsgerichte haben wiederholt nachdrücklich betont, nicht an die Entscheidungen anderer Spruchkörper gebunden sein, um sich sodann – zustimmend oder ablehnend – intensiv mit den dort geäußerten Rechtsauffassungen auseinanderzusetzen.146 In einer Reihe von Fällen begründeten die Schiedsrichter ihr Vorgehen ausdrücklich mit dem Bedürfnis der Parteien nach Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit, das auf Seiten des Schiedsgerichts eine möglichst gleichmäßige Rechtsanwendung erfordere.147 Auch NAFTASchiedsgerichte haben sich wiederholt mit den Begründungsansätzen vorangegangener Spruchkörper argumentativ auseinandergesetzt und ausführlich begründet, aus welchen Gründen sie einem bestimmten Lösungsansatz folgen oder nicht.148 Ähnliche Phänomene lassen sich mittlerweile auch in der WTOSchiedsgerichtsbarkeit149 sowie im Rahmen der Streitbeilegung nach der Uniform Domain Name Resolution Policy (UDRP) der ICANN beobachten.150 Insgesamt zeigt sich in den Ausführungen der Schiedsrichter ein Rollenverständnis, das neben den individuellen Interessen der Parteien zunehmend auch die einzelfallübergreifenden, systemischen Implikationen der schiedsrichterlichen Tätigkeit berücksichtigt. Die Entstehung dieses Berufsethos wird neben der zahlenmäßig überschaubaren Größe der Schiedsrichterschaft vor allem durch den weitgehend einheitlichen juristischen Hintergrund der Schiedsrichter und die damit einhergehende Universalisierung des Diskurses ermöglicht und 145 

Siehe unten S. 191 ff. Siehe unten S. 191 ff. 147  So z. B. Saipem S. p. A. v. People’s Republic of Bangladesh, ICSID Case No. ARB/05/7, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 21. März 2007, Rn. 67, abrufbar unter www.italaw. com. 148  Siehe nur Feldman v. Mexico, Schiedsspruch vom 16. Dezember 2002, Rn. 107, abgedruckt in 7 ICSID Reports 341 (2002). 149  Martha, 44 Netherlands International Law Review 346, 355 f. (1997). Umfassend hierzu Bhala, 9 Journal of Transnational Law & Policy, 1 (1999). 150  Zekoll, in: Beyond Territoriality, 2012, S. 341, 357 ff.; Kaufmann-Kohler, 23 Arbitration International 357, 367 (2007). Zur Situation in der Praxis ausführlich unten S. 205 ff. 146 



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

183

geprägt. Dass ein wesentlicher Teil der schiedsrichterlichen Entscheidungstätigkeit im Ergebnis einer verhältnismäßig kleinen Gruppe von Schiedsrichtern obliegt, zeigt sich vor allem in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit. Dort ist ein zahlenmäßig überschaubarer Kreis von Schiedsrichtern an einem erheblichen Teil der insgesamt geführten Verfahren beteiligt.151 Besonders deutlich wird dieser Einfluss in den Entscheidungen von ICSID-Schiedsgerichten sowie in der Rechtsprechung des Iran-United States Claims Tribunal.152 Die dort aktiven Schiedsrichter sind daneben in vielen Fällen wissenschaftlich tätig und können durch ihre Publikationstätigkeit sowie über Ämter in Schiedsinstitutionen oder Beratergremien einen nicht unerheblichen Einfluss auf rechtspolitische Entwicklungen innerhalb der Schiedsgerichtsbarkeit nehmen.153 Eine Reihe von Kommentatoren vertritt vor diesem Hintergrund die Auffassung, die für die Entstehung eines schiedsgerichtlichen Präjudiziensystems erforderliche Entscheidungskohärenz könne angesichts des Fehlens institutioneller Garantien zur Gewährleistung einer kohärenten Entscheidungspraxis nur durch den professionellen esprit de corps und den damit einhergehenden geteilten Erfahrungsund Wertungshorizont einer kleinen Gruppe von Schiedsrichtern hergestellt werden.154 Die damit verbundene Homogenität gerate mit einer Vergrößerung des Schiedsrichterpools jedoch in Gefahr.155 Diese Ansicht kann ungeachtet ihrer grundsätzlichen Plausibilität nicht restlos überzeugen. Zweifellos kann ein begrenzter Schiedsrichterpool zu einem größeren Entscheidungseinklang beitragen. Die zahlenmäßige Überschaubarkeit der Schiedsrichterschaft kann die Neigung von Schiedsgerichten, Entscheidungen anderer Spruchkörper zu berücksichtigen, aber nicht allein erklären. Denn auch in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, in welcher der Pool an anerkannten Schiedsrichtern bedeutend größer ist, herrscht ungeachtet dessen ein beachtliches Maß an Übereinstimmung hinsichtlich der Art und Weise der Ausübung des Schiedsrichteramts. Die Entwicklung dieses gruppenspezifischen esprit de corps lässt sich überzeugend nur damit erklären, dass die Handelsschiedsrichterschaft, ebenso wie die Investitionsschiedsrichterschaft, gegenwärtig trotz gewisser Unterschiede eine relativ homogene soziale Gruppe darstellt. Diese Homogenität dürfte unabhängig von der Größe des relevanten Schiedsrichterpools wesentlich durch den gemeinsamen juristischen Hintergrund der Schiedsrichter bestimmt sein.156 151  Vgl.

für ICSID-Verfahren die empirischen Nachweise bei Commission, 24 Journal of International Arbitration 129, 137 ff. (2007). 152  Dazu ausführlich unten S. 191 ff. 153  Rogers, 20 American University International Law Review 957, 966 f. (2005). 154  So z. B. Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Journal 317, 336 (1984). Zweifelnd Fauchald, 19 European Journal of International Law 301, 337 (2008). 155  Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1048 f. (2007); Rogers, 20 Ameri­ can University International Law Review 957, 966 f. (2005); Smit, 65 Tulane Law Review 1309. 1322 (1991). 156  Erste empirische Untersuchungen deuten darauf hin, dass die Berücksichtigung oder

184

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

Obwohl die meisten Schiedsgesetze und Schiedsordnungen kein solches Erfordernis aufstellen, werden in der Praxis ganz überwiegend Juristen zu Schiedsrichtern ernannt.157 Unabhängig von Herkunft und Jurisdiktion besteht damit grundlegendes Verständnis für den Eigenwert systemischer Strukturen. Hierzu gehören Rechtseinheitlichkeit, Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit, Effizienz und Transparenz, deren Bedeutung in nahezu allen Rechtssystemen anerkannt ist. Die bewusste Nichtbeachtung relevanter Entscheidungen, die möglicherweise Einfluss auf die eigene Bewertung eines gegebenen Sachverhalts haben können, widerspricht nicht nur dem schiedsrichterlichen Berufsethos, sondern auch den fundamentalen Grundsätzen juristischen Arbeitens.158 Vorhersehbarkeit, Rechtssicherheit und Gleichbehandlung gehören untrennbar zum Begriff des Rechts.159 Warnungen vor einer Erosion des schiedsrichterlichen Selbstverständnisses sowie des damit einhergehenden code of conduct durch eine (vermutete) zahlenmäßige Vergrößerung des Schiedsrichterpools Nichtberücksichtigung früherer schiedsgerichtlicher Entscheidungen durch das Schiedsgericht zumindest in der Sportschiedsgerichtsbarkeit nicht davon abzuhängen scheint, ob die Schiedsrichter aus dem common law oder dem civil law-Rechtskreis stammen, vgl. Bersagel, 12 Pepperdine Dispute Resolution Law Journal 189, 203 f. (2012). 157  ten Cate, 44 New York University Journal of International Law and Politics 1109, 1134 (2012); Commission, 24 Journal of International Arbitration 129, 138 (2007); Sachs, SchiedsVZ 2004, 123, 125; Drahozal, 67 Law & Contemporary Problems 105, 118 (2004); Werner, 14 Journal of International Arbitration 5, 10 (1997). So sind beispielsweise in ICCSchiedsverfahren ca. 95 % der Schiedsrichter Juristen, vgl. Bond, 12 Northwestern Journal of International Law & Business 1, 5 (1991). Teilweise fordern auch institutionelle Schiedsordnungen eine juristische Qualifikation zumindest einzelner Mitglieder des Schiedsgerichts. So sieht § 2.2 DIS-SchO vor, dass der Schiedsgerichtsvorsitzende, soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben, Volljurist sein muss. Art. S 14 des CAS-Statuts (2013) macht die Aufnahme in die CAS-Schiedsrichterliste davon abhängig, dass die betreffende Person über eine juristische Ausbildung verfügt und besondere Kenntnisse des Sportrechts und der Schiedsgerichtsbarkeit besitzt (“personalities with appropriate legal training [and] recognized competence with regard to sports law and/or international arbitration”). 158 Zutreffend Schreuer: “Reliance on past decisions is a fundamental feature of any orderly decision-making process. Drawing on the experience of past decisions plays an important role in securing the necessary uniformity and stability of the law.” (zitiert nach Fauchald, 19 European Journal of International Law 301, 334 (2008)). Nach Coing, JuS 1975, 277, 279 entspricht die Berücksichtigung von Vorentscheidungen im Rahmen der eigenen Entscheidungsfindung einer „natürlichen Tendenz der richterlichen Tätigkeit“, die nicht zuletzt auch der Vermeidung eines Anscheins von Willkür dient. So im Ergebnis auch Lando, in: Zweigert-FS, 1981, S. 157, 159. Siehe auch Gibbons, 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution 769, 786 (2000): “An arbitrator would be silly to ignore a prior well-reasoned arbitral award.” Ähnlich Fry, 4 Contemporary Asia Arbitration Journal 57, 73 (2011): “[I]nternational arbitral tribunals seem to have difficulty ignoring prior decisions […].” Nach Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 133 entspricht die Berücksichtigung vorangegangener Entscheidungen im Interesse der Rechtssicherheit der “universal logic of law and lawyers”. Fuller, Morality of Law, 2. Aufl. 1969, S. 46, sieht den Ursprung des Wunsches nach der Schaffung von konsistenten und vorhersehbaren Rechtsregeln in der allgemeinen „inneren Moral“ des Rechts. Siehe hierzu auch Kaufmann-Kohler, 23 Arbitration International 357, 374 (2007). 159  Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1927 (2010).



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

185

erscheinen vor diesem Hintergrund nicht überzeugend.160 Dass in der Schiedsgerichtsbarkeit über die wechselseitige Bezugnahme unterschiedlicher Spruchkörper hinaus Ansätze für die Entwicklung einer kollektiven Identität vorhanden sind, zeigt im Übrigen auch die zunehmende Professionalisierung und (Selbst-) Regulierung der Schiedsrichterschaft.161 Da völkervertragliche oder gesetzliche Regelungen zur Ausübung des Schiedsrichteramts weitgehend fehlen, wurde das schiedsrichterliche Berufsbild in den vergangenen Jahren neben den Schiedsinstutitionen162 vor allem durch best practice-Kodizes der International Bar Association (IBA) konkretisiert. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang neben den IBA Rules of Ethics for International Arbitrators (1987) vor allem die IBA Guidelines on Conflicts of Interest in International Arbitration (2014). Trotz ihres unverbindlichen Charakters haben diese Regelwerke erheblich zu der Entwicklung allgemeiner Verhaltensstandards und eines professionellen Bewusstseins für die Bedeutung der schiedsrichterlichen Tätigkeit beigetragen.163 Eine wichtige Rolle bei der Etablierung berufsbezogener Standards nehmen daneben auch quasi-berufsständische Institutionen wie das Chartered Institute of Arbitrators ein.164 Im Kontext dieses wachsenden berufsständischen Bewusstseins ist auch die Veröffentlichung von sog. challenge decisions durch den LCIA seit 2011 zu sehen.165 Auch diese Veröffentlichungen erfolgten ausdrücklich im Interesse der Entwicklung einzelfallübergreifender Verhaltensstandards für Schiedsrichter.166 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Entstehung einer kohärenten Entscheidungspraxis in der Schiedsgerichtsbarkeit in erheblichem Umfang von der Entwicklung eines gruppen- und standesspezifischen Selbstverständnisses 160  In diese Richtung Kaufmann-Kohler, in: Precedent, 2008, S. 137, 145 f.; Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1047 ff. (2007); Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Journal 317, 336 f. (1984). 161  Rogers, 20 American University International Law Review 957, 960 ff. (2005); Berger, Kodifizierung, 1996, S. 69. 162  Rogers, 20 American University International Law Review 957, 971 (2005). 163  Rogers, 20 American University International Law Review 957, 960, 980 ff. (2005) spricht von der Entstehung eines “professional impulse”, der sich u. a. in einer Professionalisierung der Schiedsrichterschaft, der Entwicklung einer gemeinsamen Identität und in dem Streben nach berufsständischer Autonomie und Selbstregulierung ausdrückt. 164  Das Institut verleiht abhängig von den Fähigkeiten und Erfahrungen von Schiedsrichtern verschiedene Mitgliedschaftsgrade (Associate, Member, Fellow) und bietet daneben eine Reihe von Aus- und Fortbildungskursen zu schiedsrechtlichen Themen an (www.ciarb.org). 165  Siehe bereits oben S. 8. Noch vor nicht allzu langer Zeit gelangten Entscheidungen der Schiedsinstitutionen zur Ablehnung von Schiedsrichtern nicht an die Öffentlichkeit, die ICC teilte in diesem Zusammenhang mit: “[Decisions of the ICC Court of International Arbitration] on all such questions are final and the reasons for the Court’s decisions are not communicated.”, Guide to ICC Arbitration, 1994, S. 35. Siehe hierzu auch Franck, 12 ILSA Journal of International and Comparative Law 499, 514 (2006). 166  Nicholas/Partasides, 23 Arbitration International 1, 9 (2007).

186

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

abhängt. Wenn und soweit innerhalb der Schiedsrichterschaft ein (informeller) Konsens über die Bedeutung der wechselseitigen Kenntnisnahme der Entscheidungen unterschiedlicher Spruchkörper entsteht, kann dieser Konsens dazu beitragen, das Fehlen institutioneller Mechanismen zur Herstellung eines Entscheidungseinklangs in der Schiedsgerichtsbarkeit auszugleichen. Dass ein solcher Konsens hinsichtlich der Berücksichtigung anderer Schiedssprüche möglich ist, zeigt vor allem, aber nicht nur, das Beispiel der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit. Das sich wandelnde Selbstverständnis der Schiedsrichterschaft hin zu einer stärkeren Betonung der systemischen Verantwortung der einzelnen Spruchkörper kann eine wichtige Rolle bei der Vereinheitlichung der schiedsgerichtlichen Spruchpraxis spielen und insbesondere auch das prozessuale Verhalten der Parteien und ihrer Vertreter beeinflussen. Letztlich wird auf diese Weise die begrenzte externe Kontrolle der Schiedsgerichtsbarkeit durch eine wirksame interne Selbstkontrolle der Schiedsrichter ergänzt.167 Gelegentliche widersprüchliche Entscheidungen, die im Übrigen auch in der hierarchisch organisierten staatlichen Gerichtsbarkeit nicht völlig auszuschließen sind, können diesen Trend im Ganzen nicht in Frage stellen.168

dd.  Verteilung und Abschichtung von Verantwortung Für die Berücksichtigung der Entscheidungen anderer Schiedsgerichte können im Weiteren auch psychologische Gründe verantwortlich sein. Schiedsrichter tragen angesichts der Tatsache, dass sie ganz überwiegend in erster und einziger Instanz tätig werden, gegenüber den Parteien eine erhebliche Verantwortung für die überzeugende und sachgerechte Entscheidung des Rechtsstreits. Dies gilt umso mehr, als ihre Entscheidungen im Einzelfall signifikante wirtschaftliche Folgen haben können. Wenn das Schiedsgericht vor diesem Hintergrund mit einer streitigen Rechtsfrage befasst ist, so wird es in der Praxis versuchen, seine Entscheidung nicht als bloße Einzelmeinung, sondern als Teil eines übergreifenden normativen Konsenses darzustellen, um auf diese Weise Kritik an der Entscheidung zu erschweren und seinen eigenen Verantwortungsbeitrag

167 

Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1044 (2007). auch König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 34; ten Cate, 44 New York University Journal of International Law & Politics 1109, 1174 (2012). Etwas vorschnell erscheint es, die vermeintliche prinzipielle Unfähigkeit der Schiedsgerichtsbarkeit zur Entwicklung kohärenter Entscheidungsstandards daran festzumachen, dass sie, wie in den parallelen CME-Verfahren (CME Czech Republic v. Czech Republic; Lauder v. Czech Republic) vereinzelt widersprüchliche Entscheidungen produziert (hierzu Karton, 28 Arbitration International 447, 465 (2012); Kaufmann-Kohler, in: Precedent, 2008, S. 137, 146; Cheng, 20 American University International Law Review 485, 516 f. (2005)). Unabhängig davon sind solche Widersprüche eher das Ergebnis unvollkommener oder fehlender Möglichkeiten zur Verfahrenskonsolidierung als einer strukturellen Nichteignung der Schiedsgerichtsbarkeit zur Präjudizienbildung. 168  So



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

187

herabzusetzen.169 Für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit stellt Wälde insoweit fest: “The reasoning of almost all modern arbitral awards demonstrates the great care investment tribunals apply to ensure that they are positioned in the mainstream of emerging jurisprudence […].”170

Die Berufung auf einen solchen Konsens erfüllt eine doppelte Funktion: Einerseits werden auf diese Weise – meist unbewusst – tatsächliche oder vermeintliche Legitimitätsdefizite korrigiert. Die Mehrheitsmeinung wird als Bestätigung der normativen Richtigkeit einer bestimmten Lösung herangezogen.171 Andererseits ermöglicht die Bezugnahme auf andere Entscheidungen, die Abschichtung von Verantwortung: Das Schiedsgericht kann einer möglichen Kritik an der Entscheidung entgegenhalten, es sei lediglich einer mehrheitlich vertretenen Meinung gefolgt. Im Ergebnis rechtfertigt das Schiedsgericht in diesen Fällen seine Entscheidung mit der Begründung, nicht nur es selbst, sondern auch andere Schiedsgerichte an seiner Stelle hätten den Rechtsstreit auf eine bestimmte Weise entschieden. Die Entscheidung sei mithin Teil einer allgemeinen Rechtsentwicklung und nicht Ausdruck lediglich individueller Wertungen oder Präferenzen. Dies gilt umso mehr, soweit die in Bezug genommenen Entscheidungen aufgrund ihrer inhaltlichen Überzeugungskraft oder des individuellen Prestiges der Schiedsrichter besondere Autorität genießen.172 Auch eine vorangegangene Zitierung bestimmter Entscheidungen durch die Parteien173 oder die Furcht 169  ten Cate, 51 Columbia Journal of Transnational Law 418, 443, 468 (2013); Jacob, 12 German Law Journal 1005, 1013 (2011); Schauer, 39 Stanford Law Review 571, 599 (1987); Kriele, in: Normen und Geschichte, 1979, S. 24, 29; ders., Rechtsgewinnung, 1967, S. 259; James, Introduction to English Law, 4. Aufl. 1959, S. 10; Siehe hierzu auch den CAS-Schiedsspruch Anderson v. IOC (CAS 2008/A/1545), Rn. 11: “The Panel takes comfort in the fact that its opinion is consistent with numerous CAS precedents.” Weitere Nachweise zur Entscheidungspraxis bei König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 86. f. 170  Zitiert nach Weeramantry, 25 ICSID Review 111, 116 (2010). Vgl. hierzu auch ten Cate, 51 Columbia Journal of Transnational Law 418, 443 (2013). 171  Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1902, 1936 (2010); Buck-Heeb/ Dieckmann, Selbstregulierung, 2010, S. 155; Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 537 (2006); Seitz, 38 Arbitration Journal 58, 59 (1983). 172  ten Cate, 51 Columbia Journal of Transnational Law 418, 443 (2013); König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 173; Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1936 (2010); Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 529 f. (2006). In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass Schiedsrichter, die im Verhältnis zur Mehrheit ihrer Kollegen Extrempositionen einnehmen, dadurch ihre Chancen auf spätere Berufungen, die – soweit verfügbar – vor allem auf der Grundlage früherer Entscheidungen des betreffenden Schiedsrichters getroffen werden, verringern, vgl. Ashenfelter, 77 American Economic Review 342, 343 (1987). 173  Bentolila, Anuario Mexicano de Derecho Internacional (Décimo Aniversario) 2012, 373, 399 f.; Schill, 12 German Law Journal 1083, 1107 (2011); Fry, 4 Contemporary Asia Arbitration Journal 57, 73 (2011); Böckstiegel, in: Precedent, 2008, S. 17, 20.

188

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

vor einer Aufhebung des Schiedsspruchs174 können in diesem Zusammenhang einen Grund für die Bezugnahme einer anderen schiedsgerichtlichen Entscheidung durch das Schiedsgericht darstellen. Die Verteilung und Abschichtung von Verantwortungsbeiträgen stellt vor diesem Hintergrund ein wesentliches, wenngleich in der Mehrzahl der Fälle wohl nicht bewusst reflektiertes Motiv für die Berücksichtigung der Entscheidungen anderer Schiedsgerichte dar.

ee.  Demonstration fachlicher Expertise durch die Schiedsrichter Schließlich können die Berücksichtigung der Entscheidungen anderer Schiedsgerichte sowie eine inhaltliche Auseinandersetzung mit ihren Erwägungen auch den Kenntnisstand und die fachliche Expertise eines Schiedsrichters betonen. Dies wiederum kann nicht nur zu einer größeren Akzeptanz der schiedsrichterlichen Entscheidung durch die Parteien beitragen, sondern darüber hinaus auch das fachliche Renommee und die Reputation des betreffenden Schiedsrichters steigern.175 Schiedsgerichtliche Streitbeilegung ist in den vergangenen Jahrzehnten zu einem bedeutenden Markt geworden in dem Parteivertreter wie auch Schiedsrichter um lukrative Mandate konkurrieren.176 Die Auswahl und Berufung von Schiedsrichtern im Schiedsverfahren folgt, anders als im staatlichen Verfahren, in dem die Parteien auf einen gesetzlichen Richter verwiesen sind, marktförmigen Bedingungen. Die Schiedsrichtertätigkeit stellt eine auf vertraglicher Grundlage angebotene Dienstleistung dar, die von den Schiedsparteien bei Bedarf abgerufen werden kann. In diesem Wettbewerb um Marktanteile können Schiedsrichter durch die Berücksichtigung von und Auseinandersetzung mit den Entscheidungen ihrer Kollegen fachliche Expertise demonstrieren und sich damit für künftige Berufungen empfehlen.177 Dies gilt umso mehr, als die Parteien eines Schiedsverfahrens ebenfalls regelmäßig versuchen, die Berechtigung ihrer Ansprüche mit (schiedsgerichtlichen) Präjudizien zu unterlegen, soweit solche verfügbar sind.178 174 

König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 131, 166 f.; Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 169. Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1917, 1919, 1944 (2010); Cheng, 30 Fordham International Law Review 1014, 1046 (2007); Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1247 (2006); Posner, 2 American Law and Economics Review 381, 385 (2000); Landes/Posner, 8 Journal of Legal Studies 235, 238 f. (1979). 176  Franck, 12 ILSA Journal of International and Comparative Law 499, 516 ff. (2006). 177  Landes/Posner, 8 Journal of Legal Studies 235, 238 f. (1979); Getman, 88 Yale University Law Journal 916, 920 f. (1979). Zurückhaltender Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1953 (2010), der darauf hinweist, dass Schiedsrichter von den Parteien aufgrund ihrer individuellen Qualitäten und Rechtsauffassungen ausgewählt werden. Das schließt es jedoch nicht aus, dass Parteien von den Mitgliedern des Schiedsgerichts unter anderem besondere Markt- und Rechtskenntnisse erwarten, die sich nicht zuletzt in der Kenntnis einer möglicherweise bestehenden schiedsgerichtlichen Entscheidungspraxis niederschlagen. 178  Pörnbacher/Duncker/Baur, SchiedsVZ 2012, 289, 294; Schill, 12 German Law Journal 175 



III.  Voraussetzungen schiedsrichterlicher Normbildung

189

ff. Schlussfolgerungen Gegen die Möglichkeit einer präjudiziellen Wirkung von Schiedssprüchen wird verbreitet eingewendet, dass die Entstehung einer kohärenten Entscheidungspraxis in einem System rechtlich unabhängiger Spruchkörper angesichts des Fehlens entsprechender institutioneller Voraussetzungen nicht möglich sei. Diese Sichtweise ist zu formalistisch. Sie ignoriert, dass eine Harmonisierung der schiedsgerichtlichen Spruchpraxis unabhängig vom Bestehen institutioneller Hierarchien und Kontrollmöglichkeiten auch mithilfe „weicher“ Faktoren erfolgen kann. Auch multipolare, nichthierarchische Konfliktlösungssysteme sind grundsätzlich zur Herstellung von Kohärenz und Entscheidungssicherheit in der Lage. Einmal gebietet die Wahrung der Legitimität des Verfahrens gegenüber den Parteien und der weiteren Öffentlichkeit es dem Schiedsgericht, seine Entscheidung an allgemein akzeptierten normativen Richtigkeitsstandards, die sich insbesondere aus den Entscheidungen vorangegangener Schiedsgerichte ergeben können, zu orientieren. Mit einer solchen Praxis sind gleichzeitig Effizienzgewinne verbunden, die sich insbesondere an die Figur der Begründungslast knüpfen. Von entscheidender Bedeutung für eine kohärente Entscheidungspraxis ist aber vor allem die Entwicklung eines schiedsrichterlichen Selbstverständnisses, das sich nicht auf die Entscheidung des konkreten Einzelfalls beschränkt, sondern diese Entscheidung auch als Beitrag zur allgemeinen Rechtsentwicklung und zur Schaffung einer selbstbewussten und unabhängigen Schiedsgerichtsbarkeit begreift. Hier ist eine deutliche Entwicklung hin zu einem systemischen und professionalisierten Verständnis des Schiedsrichteramts erkennbar. Die Schiedsrichterschaft erscheint nicht länger als bloßes Werkzeug der Parteien, sondern beginnt, eigenständig Akzente zu setzen.179 Nicht zuletzt kann die Berücksichtigung vorangegangener schiedsrichterlicher Entscheidungen aus psychologischer Sicht der Verteilung und Abschichtung von Verantwortungsbeiträgen sowie der Steigerung des fachlichen Prestiges der Schiedsrichter dienen. Diese Wirkungen können zusätzlich durch wiederholte Übung im Sinne einer jurisprudence constante verstärkt werden. Die Tatsache, dass dieser Prozess der fortwährenden Reorientierung und Rekalibrierung des Rechts nur selten spektakulär verläuft, darf nicht über seine tatsächliche Bedeutung hinwegtäuschen. Die Schiedsgerichtsbarkeit ist damit entgegen mancher Kritik durchaus in der Lage, die für den Prozess der Normbildung erforderliche Entscheidungs1083, 1107 (2011); Weeramantry, 25 ICSID Review 111, 116 (2010); Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 168 f.; Carbonneau, 23 Columbia Journal of Transnational Law 579, 608 (1985). 179  Rogers, 20 American University International Law Review 957, 963 (2005). Es ist ein Ausdruck dieses im Wandel begriffenen Selbstverständnisses, wenn erste Schiedsgerichte damit beginnen, sich selbständig mit Entscheidungen anderer Spruchkörper auseinanderzusetzen, ohne dass diese zuvor von den Parteien in das Verfahren eingeführt wurden, vgl. Reed, 25 ICSID Review 95, 99 (2010).

190

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

kohärenz herzustellen, wenngleich die Mittel, derer sie sich bedient, sich nicht mit tradierten institutionellen Kategorien erfassen lassen. Einseitig ist die von manchen geübte Kritik, die unterschiedliche, in Einzelfällen widersprüchliche rechtliche Würdigung bestimmter Rechtsfragen durch einzelne Spruchkörper beweise die strukturelle Ungeeignetheit der Schiedsgerichtsbarkeit zur Herstellung einer kohärenten Entscheidungspraxis.180 Dieses Argument überzeugt nicht. Widersprüchliche Entscheidungen lassen sich auch in institutionalisierten, hierarchisch strukturierten Justizsystemen nicht restlos vermeiden, ohne dass man deshalb eine faktische Präzedenzwirkung vorangegangener Entscheidungen kategorisch in Abrede stellen müsste.181 Dass die Schiedsgerichtsbarkeit gelegentlich widersprüchliche Entscheidungen produziert, rechtfertigt es deshalb nicht, ihre Fähigkeit zur Entwicklung einer harmonischen Entscheidungspraxis pauschal in Frage zu stellen, zumal dieses Problem sich durch effektivere Regelungen zur Konsolidierung paralleler Verfahren zumindest abmildern ließe.182 Jedenfalls überwiegen in denjenigen Bereichen, die wie die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit eine hinreichende Entscheidungspublizität sicherstellen, die Vereinheitlichungstendenzen deutlich die gelegentlichen Widersprüche. Ein schiedsgerichtliches case law scheitert gegenwärtig nicht an der Unmöglichkeit der Herstellung einer kohärenten Entscheidungspraxis, sondern vielmehr an der Tatsache, dass kaum Entscheidungen veröffentlicht werden.183 Dass die systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen eine faktische horizontale Präjudizienbindung und damit beachtliche Vereinheitlichungs- und Harmonisierungsimpulse erzeugen kann, soll im Folgenden an einigen Beispielen exemplarisch erläutert werden.

IV.  Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen in der schiedsgerichtlichen Praxis Die schiedsgerichtliche Praxis zeigt, dass – soweit die Voraussetzungen der Publizität, der Autonomie und der Kohärenz gegeben sind – eine schiedsrichterliche Normbildung entgegen mancher Skepsis durchaus möglich ist. Die Spruchpraxis des ICSID (1.), des Iran-United States Claims Tribunal (2.), des Internationalen Sportschiedsgerichtshofs (3.), der WTO-Handelsschiedsgerichte (4.), der NAFTA-Schiedsgerichte (5.) und der UDRP-Panels (6.) of180 

Vgl. die Nachweise bei S. 186, Fn. 168. Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn – wie im Rahmen der Beschwerde gegen die Streitwertfestsetzung nach deutschem Recht – keine bundesgerichtliche Rechtsmittelzuständigkeit besteht. 182  Fry, 4 Contemporary Asia Arbitration Journal 57, 81 f. (2011); von Hoffmann, in: Beteiligung, 2005, S. 131, 133; von Schlabrendorff, aaO, S. 55, 60. 183  So auch Schütze, 110 ZVglRWiss 89, 95 (2011). 181 



IV.  Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen

191

fenbart, dass Schiedsgerichte sich ungeachtet des Fehlens formalverbindlicher Präzedenzwirkungen inhaltlich an der Rechtsprechung anderer Schiedsgerichte orientieren und diese in ihre eigenen Überlegungen einbeziehen, soweit solche Entscheidungen allgemein zugänglich sind. In der Handelsschiedsgerichtsbarkeit hat eine solche Entwicklung bislang aufgrund der andauernden Vertraulichkeit des Verfahrens noch nicht stattgefunden, wenngleich in den letzten Jahren vor allem in der Spruchpraxis von ICC-Schiedsgerichten vereinzelte Ansätze zur Herausbildung einzelfallübergreifender normativer Standards erkennbar geworden sind (7.). Insgesamt deutet das vorhandene Spruchmaterial darauf hin, dass eine Vereinheitlichung der Spruchpraxis bei entsprechender Entscheidungspublizität durchaus möglich ist (8.). Die nachfolgende Darstellung kann bereits aufgrund der Tatsache, dass der weit überwiegende Teil der schiedsrichterlichen Entscheidungen nicht an die Öffentlichkeit gelangt, keine umfassende quantitativ-empirische Analyse der Spruchpraxis der einzelnen Institutionen leisten. Gleichwohl weisen das vorhandene Entscheidungsmaterial und Berichte von Schiedspraktikern auf einen allgemeinen Trend hin: Schiedsgerichte berücksichtigen im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung zunehmend die Entscheidungen anderer Spruchkörper und setzen sich inhaltlich mit diesen auseinander. Die vorliegende Arbeit versucht vor diesem Hintergrund anhand von Stichproben aus der Entscheidungspraxis aufzuzeigen, in welcher Weise das schiedsricherliche Selbstbild und, damit zusammenhängend, die Art und Weise, in der Schiedsgerichte die Entscheidungen vorangegangener Spruchkörper wahrnehmen und behandeln, im Wandel begriffen ist. Dieses Panorama zeigt, dass die eingangs beschriebene Möglichkeit einer präjudiziellen Wirkung schiedsgerichtlicher Entscheidungen in der Praxis ihre Bestätigung findet. Schiedsrichter sind ungeachtet branchenspezifischer Unterschiede im Grundsatz zunehmend dazu bereit, bei ihrer Entscheidungsfindung die Lösungsansätze anderer Spruchkörper zu berücksichtigen und sich kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen. Diese Bereitschaft zur Selbstbeobachtung und – stellenweise – gar zur Selbstbindung ist für die Entstehung einer tatsächlich autonomen Schiedspraxis von entscheidender Bedeutung und soll im Folgenden an einzelnen Beispielen ausgeführt werden.

1. ICSID-Schiedsgerichte Die im Vergleich zur Handelsschiedsgerichtsbarkeit hohe Verfahrens- und Entscheidungstransparenz in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, hier vor allem bei Schiedsverfahren, die von dem zur Weltbank-Gruppe gehörenden International Centre for the Settlement of Investment Disputes (ICSID) administriert werden, hat diesen Bereich zunehmend zu einem Laboratorium für die Untersuchung der Auswirkungen einer weitreichenden Entscheidungspublizität auf die Entscheidungspraxis einzelner Schiedsgerichte gemacht. In den vergange-

192

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

nen Jahren haben unter anderem Commission184 und Fauchald185 mit jeweils unterschiedlichen methodischen Ansätzen die tatsächliche Entscheidungspraxis von ICSID-Schiedsgerichten und insbesondere die Frage, ob und ggf. in welcher Weise diese Schiedsgerichte die Entscheidungen anderer Spruchkörper zur Kenntnis nehmen und bei der Entscheidungsfindung berücksichtigen, empirisch untersucht. Als gesichert kann gelten, dass die präjudizielle Bedeutung von Schiedssprüchen für die Entscheidungstätigkeit von ICSID-Schiedsgerichten in den vergangenen zehn bis fünfzehn Jahren stark zugenommen hat.186 Zwar besteht weder eine generelle Pflicht zur Berücksichtigung der Entscheidungen anderer Schiedsgerichte noch eine rechtsverbindliche Präjudizienbindung im Sinne der stare decisis doctrine.187 ICSID-Spruchkörper haben dies unter Verweis auf Art. 53 Abs. 1 Satz 1 des ICSID-Übereinkommens bzw. auf Art. 59 IGH-Statut wiederholt betont.188 Gleichwohl stellt die argumentative Bezugnahme auf die Entscheidungen und Lösungsansätze früherer Spruchkörper im Sinne einer persuasive authority in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit mittlerweile die Regel dar.189 Die Bedeutung dieser Entscheidungen für die letztend184  Commission, 24 Journal of International Arbitration 129 (2007). Bei der Untersuchung von Commission handelt es sich um eine Zitationsanalyse, zu dieser Analysemethode siehe bereits oben S. 181, Fn. 142 und die dortigen Nachweise. 185  Fauchald, 19 European Journal of International Law 301 (2008). Anders als Commission untersucht Fauchald nicht die formale Zitationsdichte, sondern die unterschiedlichen Argumentationsmuster, mit deren Hilfe ICSID-Schiedsgerichte ihre Entscheidungen rechtlich begründen. 186  Commission, 24 Journal of International Arbitration 129, 149 f. (2007), arbeitet im Rahmen seiner empirischen Analyse der ICSID-Spruchpraxis heraus, dass ca. seit 2002 ein deutlicher und anhaltender Anstieg sowohl der in absoluten Zahlen veröffentlichten Entscheidungen als auch der Zitierung früherer Entscheidungen anderer ICSID-Schiedsgerichte zu beobachten ist. Zu dieser Entwicklung bereits Schreuer, ICSID Convention, 2001, S. 617. 187  Gill, 25 ICSID Review 87, 88 (2010). 188  SGS Société Générale de Surveillance S. A. v. Republic of the Philippines, ICSID Case No. ARB/02/6, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 29. Januar 2004, Rn. 97; Enron Corporation and Ponderosa Assets, L. P. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/3, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 2. August 2004, Rn. 25; Fraport AG Frankfurt Airport Services Worldwide v. Republic of the Philippines, ICSID Case No. ARB/03/25, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 16. August 2006 (dissenting opinion Cremades), Rn. 7. In der Entscheidung Bayindir Insaat Turizm Ticaret Ve Sanayi A. S. v. Islamic Republic of Pakistan, ICSID Case No. ARB/03/29, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 14. November 2005, Rn. 76, begründete das Schiedsgericht seine Auffassung, nicht an die Rechtsprechung vorangegangener Schiedsgerichte gebunden zu sein, interessanterweise u. a. mit dem Zitat einer anderen schiedsgerichtlichen Entscheidung (AES Corporation v. Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/17). 189  Sandrock, RIW 2012, 429, 443; Guillaume, 2 Journal of International Dispute Settle­ ment 5, 16 (2011); Schill, 12 German Law Journal 1083, 1086, 1095 (2011); Gill, 25 ICSID Review 87, 91 ff. (2010); Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1940 (2010); Weeramantry, 25 ICSID Review 111, 113 (2010); Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495, 499 ff.; Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1044 (2007). Nach Fauchald, 19 European Journal of International Law 301, 356 (2008) nahmen von 98 untersuchten ICSID-Schiedssprüchen 90 auf die Entscheidungen anderer ICSID-Schiedsgerichte



IV.  Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen

193

liche Lösung kann dabei variieren: Überwiegend werden diese Entscheidungen zur unterstützenden Begründung der eigenen Lösung190, teilweise aber auch als entscheidendes Argument für eine bestimmte Lösung191 oder – negativ – zur Abgrenzung des eigenen Entscheidungsansatzes herangezogen.192 Der Hinweis auf eine bestehende „Rechtsprechung“ kann aber auch dazu dienen, derjenigen Partei, die eine abweichende Entscheidung verlangt, die Begründungslast aufzuerlegen.193 In der Sache liegt hierin bereits die Akzeptanz der faktischen Präjudizwirkung schiedsgerichtlicher Entscheidungen: Sowohl Zustimmung als auch Ablehnung eines bestimmten Lösungsansatzes bedürfen nur dann einer sachlichen Begründung, wenn und soweit sie für den eigenen Entscheidungsprozess von Bedeutung sind.194 Aus Sicht der Schiedsrichter fördert die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Rechtsauffassungen anderer Spruchkörper die Harmonisierung der Spruchpraxis und dient auf diese Weise der Erhöhung der Investitions- und Rechtssicherheit sowie der Vorhersehbarkeit der Entscheidungen. In prägnanter Weise hat dies das Schiedsgericht im Verfahren Saipem S. p. A. v. The People’s Republic of Bangladesh zum Ausdruck gebracht: “The Tribunal considers that it is not bound by previous decisions. At the same time, it is of the opinion that it must pay due consideration to earlier decisions of other tribunals. It believes that, subject to compelling contrary grounds, it has a duty to adopt solutions established in a series of consistent cases. It also believes that, subject to the specifics of a given treaty and of the circumstances of the actual case, it has a duty to seek to contribute to the harmonious development of investment law and thereby to meet the legitimate expectation of the community of States and investors towards certainty of the rule of law.”195 Bezug. Weitere 46 Entscheidungen enthielten Bezugnahmen auf Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs, jeweils 30 auf Entscheidungen von UNCITRAL-Schiedsgerichten und sonstigen Investitionsschiedsgerichten (z. B. NAFTA). In 22 Fällen nahmen ICSID-Schiedsgerichte auf Entscheidungen des Iran-United States Claims Tribunal Bezug. 190  Vgl. die umfangreichen Entscheidungsnachweise bei Weeramantry, 25 ICSID Review 111, 116 (2010). 191  CMS Gas Transmission Co. v. The Argentine Republic, ICSID Case ARB/01/8, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 17. Juli 2003, Rn. 70 ff.; Saipem S. p. A. v. People’s Republic of Bangladesh, ICSID Case No. ARB/05/7, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 21. März 2007, Rn. 67; hierzu auch Weeramantry, 25 ICSID Review 111, 113 (2010). 192  SGS Société Générale de Surveillance S. A. v. Republic of the Philippines, ICSID Case No. ARB/02/6, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 29. Januar 2004, Rn. 97. Zu den unterschiedlichen Formen der Bezugnahme vgl. König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 168 ff.; Fry, 4 Contemporary Asia Arbitration Journal 57, 63 ff. (2011). 193 Vgl. Sempra v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/02/16, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 11. Mai 2005, Rn. 99, 146; Camuzzi International S. A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/2, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 11. Mai 2005, Rn. 82. Siehe hierzu auch Fauchald, 19 European Journal of International Law 301, 336 (2008). Zum Konzept der Begründungslast bereits oben S. 175 ff. Alle zitierten Entscheidungen abrufbar unter www.italaw.com. 194  Fry, 4 Contemporary Asia Arbitration Journal 57, 71 (2011). 195  ICSID Case No. ARB/05/7, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 21. März 2007,

194

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

An diesem Entscheidungsauszug wird nicht nur die einzelfallübergreifende, systemische Bedeutung einzelner Entscheidungen für die Fortentwicklung des internationalen Investitionsschutzrechts deutlich, sondern auch ein besonderes Selbstverständnis der Schiedsrichter, die sich selbst als Motor und Pflichtenträger dieses angestrebten Fortschritts sehen. Der faktische Dialog, der auf der Grundlage dieses Selbstverständnisses und des Konzepts der persuasive authority zwischen formell unabhängigen Spruchkörpern stattfindet, führt zu einer zunehmenden Herausbildung normativer Standards in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, und zwar sowohl im Umgang mit prozessualen Fragen, z. B. zur Zuständigkeit des Schiedsgerichts196, als auch bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts, z. B. bei der Konkretisierung des fair and equitable treatment-Standards.197 Aus Sicht des internationalen Investitionsschutzrechts, das im Interesse der Förderung grenzüberschreitender Investitionen in besonderem Maße auf Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit angewiesen ist, ist diese Entwicklung zu begrüßen. Die Herausbildung normativer Entscheidungsstandards kann zur Vermeidung der Einleitung nutzloser Verfahren beitragen198, Verfahrensabläufe durch die Schaffung einer Zugriffsmöglichkeit auf bewährte Lösungsansätze straffen199 und Parteien wie Schiedsrichtern Anregungen zum Umgang mit den sich im Einzelfall stellenden Problemen liefern. Zwar muss betont werden, dass das Konzept der persuasive authority eine unterschiedliche Würdigung rechtlicher Fragen zulässt und unter Umständen, worauf Kritiker einer Normbildung durch schiedsrichterliche Präjudizien hingewiesen haben, zu widersprüchlichen Entscheidungen unterschiedlicher Spruchkörper führen kann.200 Diese Kritik neigt allerdings dazu, vorhandene Inkonsistenzen zu übertreiben und nimmt die strukturellen Bedingungen, unter denen Schiedsgerichte ihre Entscheidungen fällen, nicht in ausreichendem Maße zur Kenntnis. Abweichende oder widersprüchliche Entscheidungen ließen sich nur dann mit Sicherheit vermeiden, wenn man entweder eine Rn. 67. Ähnliche Formulierungen finden sich auch in den Verfahren Gas Natural SDG, S. A. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/03/10, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 17. Juni 2005, Rn. 36 und ADC Affiliate Limited and ADC & ADMC Management Limited v. Republic of Hungary, ICSID Case No. ARB/03/16, Schiedsspruch vom 2. Oktober 2006, Rn. 293. 196  CMS Gas Transmission Co. v. The Argentine Republic, ICSID Case No. ARB/01/8, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 17. Juli 2003, Rn. 72 ff. Alle zitierten Entscheidungen abrufbar unter www.italaw.com. 197  Siehe die Nachweise bei Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1031 ff. (2007). 198  Reed, 25 ICSID Review 95, 99 (2010). 199  Douglas, 25 ICSID Review 104, 106 (2010). 200  Zur Kritik vgl. Cheng, 20 American University International Law Review 465, 516 f. (2005). Dagegen ten Cate, 44 New York University Journal of International Law and Politics 1109, 1174 (2012): “Considering the decentralized nature of arbitration, awards from investment arbitrators show remarkable consistency.”



IV.  Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen

195

rechtsverbindliche Präjudizienbindung im Sinne der stare decisis doctrine einführen oder eine schiedsgerichtliche Rechtsmittelinstanz mit der Befugnis zur Rechtsvereinheitlichung schaffen würde. An der rechtspolitischen Durchsetzbarkeit solcher Reformen bestehen aber erhebliche Zweifel. Gegen eine rechtsverbindliche Präjudizienbindung im gegenwärtigen dezentralen horizontalen System spricht maßgeblich, dass das in zeitlicher Hinsicht erstbefasste Schiedsgericht die Rechtsprechungslinie für alle nachfolgenden Schiedsgerichte vorgeben würde. Damit hinge die weitere Rechtsprechungsentwicklung wesentlich von zeitlichen Zufälligkeiten ab.201 Die Einführung einer Rechtsmittelinstanz mit umfassenden Prüfungsbefugnissen wird de lege ferenda verschiedentlich gefordert202, dürfte aber angesichts der dafür erforderlichen Änderung des ICSID-Übereinkommens auf absehbare Zeit unrealistisch bleiben. Die mit einer systematischen Veröffentlichung der Entscheidungen von Investitionsschiedsgerichten einhergehende Herausbildung normativer Standards stellt deshalb gegenwärtig die einzige Möglichkeit zur graduellen Entwicklung einer kohärenten Entscheidungspraxis dar, die der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit und damit letztlich – vor allem in den Augen ihrer Nutzer – Legitimität verleihen kann. Die tatsächliche Entscheidungspraxis zeigt, dass im internationalen Investitionsschutzrecht die Vereinheitlichungstendenzen die gelegentlichen Widersprüche deutlich überwiegen. Die Bedeutung schiedsgerichtlicher Präjudizien für die Harmonisierung und Fortentwicklung des internationalen Investitionsschutzrechts wird nicht zuletzt aus diesem Grunde zunehmend anerkannt.

2.  Iran-United States Claims Tribunal Das Iran-United States Claims Tribunal (IUSCT) entscheidet seit seiner Gründung im Jahre 1981 in vermögensrechtlichen Streitigkeiten zwischen iranischen und US-amerikanischen Staatsangehörigen (private claims) sowie zwischen der Islamischen Republik Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika (A + B cases) im Nachgang zur Islamischen Revolution von 1979.203 Die Spruchpraxis des Tribunals zeichnete sich von Beginn an durch umfassende Transparenz sowie durch einen fortlaufenden fachlichen Austausch der einzelnen Spruchkörper aus.204 Die für diese Zeit ungewöhnlichen Transparenzbemühungen des 201  So auch das Schiedsgericht im Verfahren SGS Société Générale de Surveillance S. A. v. Republic of the Philippines, ICSID Case No. ARB/02/6, Entscheidung über die Zuständigkeit vom 29. Januar 2004, Rn. 97: “There is no hierarchy of international tribunals, and even if there were, there is no good reason for allowing the first tribunal in time to resolve issues for all later tribunals.” Alle zitierten Entscheidungen abrufbar unter www.italaw.com. 202  Siehe die Nachweise oben S. 167, Fn. 90. 203  Zur Entstehungsgeschichte des Tribunals siehe Wühler, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 93 ff. 204  Böckstiegel, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 3.

196

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

IUSCT erklären sich auch vor dem Hintergrund der fragilen politischen Situation. Angesichts des angespannten Verhältnisses zwischen den USA und der Islamischen Republik infolge der Islamischen Revolution stand das Tribunal seinerzeit unter einem hohen Legitimations- und Rechtfertigungsdruck. Die weitgehende Verfahrens- und Entscheidungspublizität diente dem Tribunal vor diesem Hintergrund auch als Legitimation für seine Tätigkeit sowie als Möglichkeit, Vorwürfen einseitiger Befangenheit entgegenzutreten.205 Auf der Grundlage einer umfassenden Entscheidungspublizität konnte im Jurisdiktionsbereich des IUSCT in der Folge ein kohärentes und weitgehend autonomes Präjudiziensystem entstehen, das von vielen Autoren als gelungenes Beispiel autonomer transnationaler Normbildung angeführt wird.206 Die bislang 876 öffentlich verfügbaren207 Schiedssprüche und sonstigen Entscheidungen des IUSCT zu verschiedenen vertrags- und völkerrechtlichen Fragen von übergeordneter Bedeutung wie zu den Voraussetzungen einer vorzeitigen Vertragsbeendigung, zur clausula rebus sic stantibus, zur Einrede der höheren Gewalt (force majeure), zu Klagen von Doppelstaatlern, zur Staatsangehörigkeit von Unternehmen und zur Möglichkeit einer Durchgriffshaftung auf den Staat bei Handlungen Privater haben in der Wissenschaft erhebliche Aufmerksamkeit erfahren208 und nicht zuletzt auch die Rechtsprechung anderer Investitionsschiedsgerichte, wie beispielsweise von Spruchkörpern des ICSID und des NAFTA, beeinflusst.209 Auch innerhalb des Tribunals haben die einzelnen Schiedsgerichte in ihrer Spruchpraxis zur Rechtfertigung ihrer Entscheidungen bzw. im Interesse einer einheitlichen Rechtsanwendung regelmäßig auf die Entscheidungen anderer Spruchkörper Bezug genommen. So führte beispielhaft das Schiedsgericht im Verfahren The Islamic Republic of Iran v. The United States of America (Cases Nos. A 3, A 8, A 9, A 14, B 61) aus: “The Tribunal has acted throughout this matter entirely consistently with the Tribunal Rules of Procedure, its precedents, and practices. […] The Tribunal has carefully consid­ 205 

Coe, in: Iran-U. S. Claims Tribunal, 2006, S. 119, 120 f., 134. Drahozal, 40 Loyola of Los Angeles Law Review 187, 213 (2007); Coe, in: Iran-U. S. Claims Tribunal, 2006, S. 119, 126 ff.; Alford, 19 Ohio State Journal on Dispute Resolution 69, 86 (2003); Berger, Kodifizierung, 1996, S. 60 f.; Schütze, in: Glossner-FS, 1994, S. 333, 336 f.; Wühler, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 93, 123; Borris, 2 Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit 3 (1988); dagegen (zu) früh Carbonneau, 19 Texas International Law Journal 33, 113 (1984): “[...] the actual awards rendered by the Tribunal have thus far been singularly disappointing from a normative point of view.” 207  Über die Westlaw International-Datenbank (zuletzt abgerufen am 1. Dezember 2015). 208 Unter den hierzu erschienenen Monographien siehe nur Gibson/Drahozal, The Iran-U. S. Claims Tribunal at 25 (2006); Brower/Brueschke, The Iran-United States Claims Tribunal (1998); Aldrich, The Jurisprudence of the Iran-United States Claims Tribunal (1996). Zur normbildenden Bedeutung des IUSCT in einzelnen Rechtsbereichen ausführlich Wühler, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 93, 98 ff. 209 Vgl. die statistischen Nachweise bei Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 523, 540 ff. (2006). 206 



IV.  Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen

197

ered the important issues […] and is pleased to provide the State Parties with a summary and analysis of the relevant Tribunal practice and precedents that have influenced its decisions on these issues.”210

An diesem Entscheidungsauszug wird deutlich, welchen Wert das entscheidende Schiedsgericht der Frage der Entscheidungskohärenz sowie der Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit einräumt. Ohne rechtlich zur Beachtung der Spruchpraxis anderer Spruchkörper verpflichtet zu sein, begründen die Schiedsrichter in der Folge ausführlich, aus welchen Gründen sie ihre Entscheidung an den Entscheidungen früherer Schiedsgerichte orientieren. In einem späteren Zwischenschiedsspruch aus demselben Verfahren führt das Schiedsgericht zur Bedeutung der Entscheidungen anderer Spruchkörper auf den Einwand der USA, solche Entscheidungen seien für das entscheidende Schiedsgericht nach den Grundsätzen von stare decisis bindend, aus: “Properly considered as a distinct prior case, the United States asserts, the implicit-obligation precedent represented by the Partial Award in Case […] should have the effect of stare decisis. While such precedent is generally not to be departed from lightly, the Tribunal is nonetheless permitted to reconsider its key holdings of law in the event that a majority feels that the case was wrongly decided.“

In der Sache lehnt das Schiedsgericht damit eine rechtsverbindliche Präjudizienbindung ab, erkennt aber gleichzeitig die faktische Präzedenzwirkung der Entscheidungen anderer Spruchkörper des Tribunals an, von der es im Interesse der Rechtssicherheit nur bei Vorliegen gewichtiger Gründe abweichen will. Die dogmatische Nähe dieses Ansatzes zum Konzept der Begründungslast ist deutlich zu erkennen. Den Stellenwert einer kohärenten Entscheidungspraxis in der Rechtsprechung des Tribunals belegt auch der nachfolgende Entscheidungsauszug aus dem Verfahren The Islamic Republic of Iran v. The United States of America (Case No. B 1). In diesem Verfahren begründete Richter Brower seine dissenting opinion damit, die Schiedsrichtermehrheit habe in ihrer Entscheidung zur Frage der Zuständigkeit des Schiedsgerichts für eine von der Beklagten erhobene Widerklage eine seit Langem bestehende gerichtliche Praxis ignoriert: “The Order from which I dissent provides that […]. In doing so, the Tribunal, in my view, has acted contrary to twenty years of unvaried precedent. […] Had the Tribunal followed this unbroken line of precedent, the Order from which I dissent would not have been issued. […] I believe that it is incumbent on us to conduct ourselves as precedent would dictate.”211

210  Entscheidung vom 1. Mai 2007, Rn. 11, 13, abrufbar über die Westlaw InternationalDatenbank. 211  Entscheidung vom 27. November 2001, Rn. 2, 7, 9, abrufbar über die Westlaw International-Datenbank. Die Tribunal Rules lassen dissenting opinions von Schiedsrichtern ausdrücklich zu, zu den Gründen siehe Coe, in: Iran-U. S. Claims Tribunal, 2006, S. 119, 128 f.

198

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

Die Entscheidung zeigt in eindrucksvoller Weise das Selbstverständnis eines Schiedsrichters des Tribunals und sein Bemühen um Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit. Diese Ziele hat das Tribunal in seiner Rechtsprechung, ungeachtet mancher Widersprüche, in weitem Umfang verwirklichen können. Hierfür war vor allem die liberale Veröffentlichungspraxis des Tribunals verantwortlich, die in dieser Hinsicht maßstabsbildend gewirkt und die Diskussion um die Chancen und Risiken einer größeren Entscheidungstransparenz in der Schiedsgerichtsbarkeit geprägt hat.212

3.  Internationaler Sportschiedsgerichtshof Der Internationale Sportschiedsgerichtshof (Court of Arbitration for Sport, CAS) mit Sitz in Lausanne, der letztinstanzlich in Streitigkeiten zwischen nationalen oder internationalen Sportverbänden sowie zwischen einzelnen Sportlern und Verbänden oder Vereinen entscheidet, hat seit seiner Gründung im Jahre 1984 im internationalen Sport eine nicht zu unterschätzende Stellung erlangt und maßgeblich zur Entstehung einer transnationalen lex sportiva beigetragen.213 Im nationalen und internationalen Sport ist die Entwicklung allgemeingültiger Entscheidungsstandards, z. B. in Dopingsachen, im Interesse der Fairness und gleicher Ausgangsbedingungen für die Athleten von schlechthin essentieller Bedeutung.214 Da staatliche Gerichte zur Herstellung einer solchen Rechtsanwendungsgleichheit aufgrund ihrer örtlich begrenzten Zuständigkeiten nicht in der Lage sind, hatte die internationale Sportgemeinschaft bereits früh die Gründung einer unabhängigen und umfassend zuständigen Entscheidungsinstanz in Sportsachen vorangetrieben.215 Die Entscheidungen der CAS-Schiedsgerichte sind nicht zuletzt wegen ihrer Bedeutung für das Recht des internationalen Sports in vielen Fällen öffentlich zugänglich, in der Regel über den Internetauftritt des CAS.216 Diese Entscheidungspublizität sowie die Tatsache, dass eine gerichtliche Überprüfung von Entscheidungen des CAS allein vor dem Schweizerischen Bundesgericht möglich ist, haben die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass in den vergangenen Jahren ein zunehmend differenzierteres Präjudiziensystem im Sinne einer lex sportiva entstehen konnte. Dass CAS-Schiedsgerichte es ungeachtet des Fehlens einer rechtlichen Bindung an die Entscheidungen vorangegangener Spruchkörper 212 

Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 96, 161 ff. Organisation und Funktionsweise des CAS siehe Reilly, Journal of Dispute Resolution 2012, 63. 214  Legum, in: Precedent, 2008, S. 5, 13; Kaufmann-Kohler, 23 Arbitration International 357, 376 (2007). 215  Zur Entstehungsgeschichte des CAS siehe Blackshaw, Sport, Mediation and Arbitration, 2010, S. 155. 216  Hierzu ausführlich unten S. 260. 213  Zu



IV.  Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen

199

gleichwohl vermocht haben, eine weitgehend konsistente Spruchpraxis zu entwickeln, zeigen mehrere in jüngerer Zeit gefertigte Zitationsanalysen. So hat beispielsweise Bersagel eine deutliche Angleichung der Entscheidungspraxis in der Frage der Behandlung von Dopingfällen in der internationalen Leichtathletik empirisch nachgewiesen.217 Insgesamt ist die inhaltliche Berücksichtigung und Zitierung von Entscheidungen anderer Spruchkörper durch das entscheidende Schiedsgericht in der CAS-Praxis absolut üblich geworden.218 Zwar haben CAS-Schiedsgerichte in der Vergangenheit wiederholt ihre Unabhängigkeit und die fehlende rechtliche Präzedenzwirkung der Entscheidungen früherer Spruchkörper betont, gleichzeitig aber stets die hohe Bedeutung früherer Entscheidungen als Anleitung und Hilfestellung für spätere Spruchkörper sowie den mit einer Berücksichtigung dieser Entscheidungen verbundenen Gewinn an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit in der Sportschiedsgerichtsbarkeit hervorgehoben. So äußerte das CAS-Schiedsgericht im Verfahren Union Cycliste Internationale v. Jogert & Norwegian Cycling Federation (CAS 1997/176): “In arbitration there is no stare decisis. Nevertheless, the Panel feels that CAS rulings form a valuable body of case law and can contribute to strengthen legal predictability in international sports law. Therefore, although not binding, previous CAS decisions can, and should, be taken into attentive consideration by subsequent CAS panels, in order to help developing legitimate expectations among sports bodies and athletes.”219

Ähnlich begründete auch das Schiedsgericht im Verfahren International Association of Athletics Federations v. USA Track & Field and Y. (CAS 2004/A/628) die inhaltliche Berücksichtigung früherer Entscheidungen von CAS-Spruchkörpern: “In CAS jurisprudence, there is no principle of binding precedent, or stare decisis. However, a CAS panel will obviously try, if the evidence permits, to come to the same conclusion on matters of law as a previous CAS panel.”220

Die erhebliche präjudizielle Bedeutung der Entscheidungen früherer Spruchkörper für den eigenen Prozess der Entscheidungsfindung betonte auch das CAS-Schiedsgericht im Verfahren Anderson v. IOC (CAS 2008/A/1545): 217 

Bersagel, 12 Pepperdine Dispute Resolution Law Journal 189 (2012). Guillaume, 2 Journal of International Dispute Settlement 5, 16 (2011); Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169, 177, 179; Carbonneau, 25 Michigan Journal of International Law 1183, 1204 f. (2004). Kaufmann-Kohler, 23 Arbitration International 357, 365 (2007) erkennt in der Sportschiedsgerichtsbarkeit die Existenz einer faktischen stare decisis doctrine. Diese Schlussfolgerung erscheint angesichts bestehender Abweichungen in der Beurteilung zentraler Rechtsfragen, etwa in der Anwendung des strict liability-Grundsatzes in Dopingfällen, mE etwas zu optimistisch, vgl. Bersagel, 12 Pepperdine Dispute Resolution Law Journal 189, 196 f. (2012). 219  Rn. 40, abrufbar unter www.tas-cas.org. Dazu passt es, das CAS-Schiedsgerichte auch Abweichungen von einer früheren Entscheidungspraxis begründen, so z. B. im Verfahren J. v. Udinese Calcio S. p. A. (CAS 2008/A/1665), Rn. 57, ebenfalls abrufbar unter www.tas-cas.org. 220  Rn. 73. Abrufbar unter www.tas-cas.org. 218 

200

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

“The Panel takes comfort from the fact that its opinion is consistent with numerous CAS precedents. […] Therefore, although a CAS panel in principle might end up deciding differently from a previous panel, it must accord to previous CAS awards a substantial precedential value and it is up to the party advocating a jurisprudential change to submit persuasive arguments and evidence to that effect.”221

Das eingangs dieses Abschnitts beschriebene Konzept der Begründungslast findet in dieser Entscheidung beredten Ausdruck: Solange und soweit in einer bestimmten Rechtsfrage keine argumentativ überzeugenden Gegenargumente vorgetragen werden, wird das Schiedsgericht eine etablierte Rechtsprechungslinie fortführen. Insgesamt zeigt die CAS-Spruchpraxis ein ausgeprägtes Bewusstsein der Schiedsrichterschaft für die einzelfallübergreifende Bedeutung ihrer Entscheidungen und ihre eigene normbildende Funktion innerhalb des CAS-Systems. Die umfassende Beachtung, die CAS-Schiedsgerichte den Entscheidungen früherer Spruchkörper schenken, mag im Übrigen auch der Tatsache geschuldet sein, dass Präjudizien staatlicher Gerichte in Sportsachen aufgrund des nahezu vollständigen Zuständigkeitsmonopols des CAS praktisch nicht mehr verfügbar sind.222 Inhaltliche Impulse für den Umgang mit Sportstreitigkeiten kann aus diesem Grunde allein die Rechtsprechung der CASSchiedsgerichte selbst liefern. Diese Erkenntnis bestimmt, wie die gegenwärtige Entscheidungspraxis zeigt, die Tätigkeit des CAS und seiner Spruchkörper in erheblichem Maße.

4.  WTO-Panels und WTO Appellate Body Die Welthandelsorganisation (World Trade Organization, WTO) verfügt ebenfalls über einen selbständigen Streitbeilegungsmechanismus, das sog. Dispute Settlement Understanding (DSU).223 Entsteht zwischen einzelnen WTO-Mitgliedsstaaten Streit über einen vermeintlichen Verstoß gegen handelsrechtliche Vereinbarungen, kann, soweit eine Beilegung des Streits im Verhandlungswege gescheitert ist, nach Ablauf einer Stillhaltephase die Einberufung eines Panels verlangt werden, das über die Vertragswidrigkeit des beanstandeten Verhaltens entscheidet. Die Panels sind mit internationalen Handelsexperten der WTOMitgliedsstaaten besetzt, die von den Parteien, in der Regel auf Vorschlag des Sekretariats, ernannt werden.224 Gegen die Entscheidung des Panels ist die Berufung zum Appellate Body möglich, der aus sieben auf vier Jahre gewählten anerkannten Experten auf dem Gebiet des internationalen Handelsrechts besteht 221 

Rn. 11, 55, abrufbar unter www.tas-cas.org. Bersagel, 12 Pepperdine Dispute Resolution Law Journal 189, 194 f. (2012). 223  Dispute Settlement Understanding, Anhang II zum WTO-Abkommen vom 15. April 1994, abrufbar unter www.wto.org. Zur Geschichte des DSU vgl. Weiler, 35 Journal of World Trade 191 f. (2001). 224  Zu den Einzelheiten des Ernennungsverfahrens siehe Art. 8 DSU. 222 



IV.  Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen

201

und letztinstanzlich über das Vorliegen und die Rechtsfolgen eines Vertragsverstoßes entscheidet.225 Die WTO-Gerichtsbarkeit gehört auf diese Weise zu den wenigen Rechtsregimes, die über einen vertikalen Instanzenzug verfügen. Die Entscheidungstätigkeit der Panels und des Appellate Body hat seit Gründung der WTO im Jahre 1995 erheblichen Einfluss auf die Harmonisierung und Fortentwicklung des internationalen Handelsrechts ausgeübt. Die umfassende Publizität der Entscheidungen der Panels und des Appellate Body226 sowie das Vorhandensein institutionell-hierarchischer Entscheidungsstrukturen hat in der Praxis zu größerer Rechtseinheitlichkeit und zu einer Art de facto stare decisis geführt.227 Insbesondere die Entscheidungen des Appellate Body dienen sowohl den WTO-Mitgliedsstaaten als auch den Panels bei der rechtlichen Beurteilung handelsrechtlicher Fragen als inhaltlicher Maßstab.228 Der Appellate Body hat in diesem Zusammenhang im Verfahren Japan – Taxes on Alcoholic Beverages zwar die Auffassung des erstinstanzlichen Panels zurückgewiesen, Panel Reports stellten eine bei der Auslegung des WTO-Abkommens zu berücksichtigende „spätere Übung“ im Sinne des Art. 31 Abs. 3 lit. b) der Wiener Vertragsrechtskonvention dar, aber gleichzeitig deutlich gemacht, dass den Entscheidungen früherer Panels bzw. des Appellate Body im Rahmen des Prozesses der Entscheidungsfindung eine wichtige Rolle zukommt: “Adopted panel reports are an important part of the GATT acquis. They are often consid­ ered by subsequent panels. They create legitimate expectations among WTO members, and, therefore, should be taken into account where they are relevant to any dispute. However, they are not binding, except with respect to resolving the particular dispute between the parties to that dispute.”229

Ungeachtet ihrer fehlenden Allgemeinverbindlichkeit kommt den Entscheidungen des Appellate Body in der Praxis mit Blick auf die Auslegung einzelner Vertragsbestimmungen eine erhebliche faktische Bedeutung zu. Im Verfahren United States – Final Anti-Dumping Measures on Stainless Steel from Mexico hat der Appellate Body seine Auffassung von seiner eigenen Rolle im WTOStreitschlichtungssystem prägnant zum Ausdruck gebracht: 225 

Vgl. Art. 17 DSU. Näher hierzu unten S. 259 f. 227  Reinisch, Austrian Arbitration Yearbook 2008, 495, 498; Kaufmann-Kohler, 23 Arbitration International 357, 361 (2007); Bhala, 9 Journal of Transnational Law & Policy 1 (1999); Chua, 16 Berkeley Journal of International Law 171, 195 (1998); ders., 11 Leiden Journal of International Law 45 (1998); Martha, 44 Netherlands International Law Review 346 (1997). 228  ten Cate, 44 New York University Journal of International Law & Politics 1109, 1187 (2012); Weiler, 35 Journal of World Trade 191, 199, 201 (2001); Martha, 44 Netherlands International Law Review 346, 347 ff. (1997). 229  Japan – Taxes on Alcoholic Beverages, Report of the Appellate Body vom 4. Oktober 1996, S. 13. Siehe zu dieser Entscheidung auch Chua, 11 Leiden Journal of International Law 45, 51 ff. (1998); Martha, 44 Netherlands International Law Review 346, 356 ff. (1997). 226 

202

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

“Ensuring “security and predictability” in the dispute settlement system, as contemplated in Article 3.2 of the DSU, implies that, absent cogent reasons, an adjudicatory body will resolve the same legal question in the same way in a subsequent case. […] The creation of the Appellate Body by WTO Members to review legal interpretations developed by panels shows that Members recognized the importance of consistency and stability in the interpretation of their rights and obligations under the covered agreements. This is essential to promote “security and predictability” in the dispute settlement system, and to ensure the “prompt settlement” of disputes. The Panel’s failure to follow previously adopted Appellate Body reports addressing the same issues undermines the development of a coherent and predictable body of jurisprudence clarifying Members’ rights and obligations under the covered agreements as contemplated under the DSU. […] While the application of a provision may be regarded as confined to the context in which it takes place, the relevance of clarification contained in adopted Appellate Body reports is not limited to the application of a particular provision in a specific case.”230

Im vertikalen Verhältnis zu den Panels entfalten die Entscheidungen des Appellate Body somit eine faktische Präzedenzwirkung, im horizontalen Verhältnis neigt der Appellate Body selbst dazu, von seiner früheren „Rechtsprechung“ nur selten und nur in begründeten Fällen abzuweichen.231 Die Panels berücksichtigen im Rahmen der Entscheidungsfindung neben der Rechtsprechung des Appellate Body jedoch auch die Entscheidungen anderer Panels, sei es zur Feststellung einer bestimmten Vertrags- oder Auslegungspraxis oder zur Unterstützung bzw. Abgrenzung der eigenen Lösung.232 Als stellvertretend für diese Praxis kann die Entscheidung des Panels im Verfahren United States – Measures Affecting the Importation, Internal Sale and Use of Tobacco gelten. Zur Frage der Anwendbarkeit des de minimis-Standards auf diskriminatorische Handelsbeschränkungen erklärte das Panel: “Here, the Panel notes that previous panels had rejected arguments of de minimis trade consequences and had found that the size of the impact of a trade measure was not relevant to its consistency with Art. III [GATT, d. Verf.]. […] In accordance with these past panel rulings, the Panel considered that it was not permissible to impose higher internal taxes on imported products than on like domestic products, even where the difference was minimal or of no commercial consequence.”233

230  United States – Final Anti-Dumping Measures on Stainless Steel from Mexico, Appellate Body Report vom 30. April 2008, S. 67. 231  Siehe den Appellate Body Report vom 30. Juni 1997 im Verfahren Canada – Certain Measures concerning Periodicals, S. 18, in welchem der Appellate Body die Fortführung seiner Rechtsprechung aus dem Verfahren Japan – Taxes on Alcoholic Beverages unter Zitierung dieser Entscheidung als „well-established principle“ rechtfertigt. Bhala, 33 George Washington International Law Review 873 (2001) plädiert darüber hinaus de lege ferenda für eine de jure-Präzedenzwirkung von WTO-Entscheidungen. 232  Martha, 44 Netherlands International Law Review 346, 353 ff. (1997). 233  United States – Measures Affecting the Importation, Internal Sale and Use of Tobacco, Panel Report vom 4. Oktober 1994, S. 32. Alle zitierten Entscheidungen abrufbar unter www.wto.org.



IV.  Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen

203

Insgesamt ist im Welthandelsrecht ein System faktischer Präzedenzwirkungen entstanden, dessen Folgewirkungen sich sowohl auf der vertikalen als auch auf der horizontalen Ebene zeigen. Die Rechtsprechung der WTO-Panels und des Appellate Body trägt auf diesem Wege in nicht zu unterschätzender Weise zur Verwirklichung der auch in Art. 3 Abs. 2 DSU angestrebten Ziele größerer Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit im internationalen Handel bei.

5. NAFTA-Schiedsgerichte Das North American Free Trade Agreement (NAFTA), dem neben den USA auch Kanada und Mexiko angehören, hat in Nord- und Mittelamerika eine umfassende Freihandelszone geschaffen und im Zuge der Liberalisierung des Handels zwischen den Vertragsstaaten zugleich ein wirkungsvolles multilaterales Investitionsschutzregime errichtet. Kapitel 11 des NAFTA-Übk sieht zur Beilegung von investitionsbezogenen Streitigkeiten zwischen privaten Investoren und den Vertragsstaaten die Durchführung eines schiedsgerichtlichen Verfahrens, in der Regel nach den ICSID (Additional Facility) Rules oder nach der UNCITRAL-Schiedsgerichtsordnung, vor (Art. 1120 NAFTAÜbk).234 Die Vertragsstaaten haben sich – mit Ausnahme von Mexiko – im Anhang zu Art. 1137 Abs. 4 NAFTA-Übk überdies zur Veröffentlichung aller Entscheidungen von NAFTA-Schiedsgerichten verpflichtet.235 In den vergangenen Jahren ist auf diese Weise eine umfangreiche, öffentlich zugängliche Entscheidungssammlung entstanden.236 Zwar stellt Art. 1136 Abs. 1 NAFTAÜbk ausdrücklich klar, dass die Rechtswirkung eines NAFTA-Schiedsspruchs auf die Parteien des betreffenden Rechtsstreits begrenzt ist. Diese Bestimmung hat NAFTA-Schiedsgerichte jedoch nicht daran gehindert, den Entscheidungen anderer Spruchkörper präjudizielle Bedeutung zuzuerkennen und im Rahmen der eigenen Entscheidungsfindung zu berücksichtigen. So stellte beispielsweise der Schiedsrichter Schwartz in seiner gesonderten Begründung im Verfahren S. D. Myers, Inc. v. Canada fest: “There is no principle of stare decisis under the Chapter 11 system, but a decision of earlier tribunals may be persuasive to those that follow – depending, of course, on the cogency of the reasoning and the factual similarity of earlier disputes to those that are under active consideration.”237

Hat sich demgemäß auf der Grundlage einer persuasive authority eine gefestigte Spruchpraxis gebildet, ist eine Abweichung hiervon vom Schiedsgericht zu 234 Zur Funktionsweise des NAFTA Chapter 11-Schiedsverfahrens siehe Dumberry, 2 Journal of World Trade Law 151 (2001). 235  Siehe hierzu auch die Nachweise bei S. 259, Fn. 84. 236  Näher zu Form und Umfang der Veröffentlichung unten S. 259 f. 237  S. D. Myers, Inc. v. Canada, concurring opinion des Schiedsrichters Schwartz zum Zwischenschiedsspruch vom 12. November 2000, Rn. 89.

204

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

begründen, wie das Schiedsgericht im Verfahren Glamis Gold, Ltd. v. United States of America betonte: “A NAFTA tribunal, while recognizing that there is no precedential effect given to pre­ vious decisions, should communicate its reasons for departing from major trends present in previous decisions, if it chooses to do so. […] Given that there is no precedent, a tribunal may depart from even major previous trends. Unlike institutions with a closed docket of cases where consistency between the various claimants is often of paramount importance, the NAFTA regime’s effort at consistency is one that both looks backward to major trends in past decided disputes and forward toward disputes that have not yet arisen. The appeal process (in the sense that it corrects a statement of the law) in arbitration runs forward in time over several cases rather than upwards in one particular case until a supreme judicial authority settles a question for a time. It is for these reasons that as a tribunal departs from past major trends, it should indicate the reasons for doing so.”238

Den Eigenwert einer mehrheitlich akzeptierten und befolgten Entscheidungspraxis hebt auch Wälde in seiner gesonderten Begründung im Verfahren International Thunderbird Gaming Corp. v. Mexico hervor und führt in diesem Zusammenhang aus: “In international and international economic law – to which investment arbitration prop­ erly belongs – there may not be a formal ‘stare decisis’ rule as in common law countries, but precedent plays an important role. Tribunals and courts may disagree and are at full liberty to deviate from specific awards, but it is hard to maintain that they can and should not respect well-established jurisprudence. WTO, ICJ and in particular investment treaty jurisprudence shows the importance to tribunals of not ‘confronting’ established case law by divergent opinion – except if it is possible to clearly distinguish and justify in-depth such divergence. The role of precedent has been recognised de facto in the reasoning style of tribunals, but can also be formally inferred from Art. 1131 (1) of the NAFTA – which calls for application of the ‘applicable rules of international law’.”239

Die Beachtung und inhaltliche Berücksichtigung einer ständigen Spruchpraxis durch das entscheidende Schiedsgericht – nach Wälde eine Regel des internationalen Rechts – wird als Grundsatz somit auch in der NAFTA-Schiedsgerichtsbarkeit nicht in Frage gestellt. Speziell zur Frage der Auslegung des Art. 1105 NAFTA-Übk, der die Vertragsstaaten zur Gewährung von fair and equitable treatment verpflichtet, ist mittlerweile eine umfangreiche und – trotz einiger Unterschiede – weitgehend kohärente Rechtsprechung entstanden.240 Die NAFTA-Praxis zeigt, dass Parteien und Schiedsrichter zur Begründung ihrer Rechtsauffassung gleichermaßen auf die Entscheidungen früherer Spruchkörper zurückgreifen, soweit solche im Einzelfall verfügbar sind. Dies gilt nicht 238 

Glamis Gold, Ltd. v. United States of America, Schiedsspruch vom 8. Juni 2009, Rn. 8. International Thunderbird Gaming Corp. v. United Mexican States, Separate Opinion Wälde vom 1. Dezember 2005, Rn. 129. Alle zitierten Entscheidungen abrufbar unter www.italaw.com. 240  Dumberry, The Fair and Equitable Treatment Standard: A Guide to NAFTA Case Law on Article 1105 (2013). 239 



IV.  Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen

205

nur für Entscheidungen von NAFTA-Schiedsgerichten, sondern auch für Entscheidungen anderer institutioneller Schiedsgerichte wie z. B. des Iran-United States Claims Tribunal.241

6. UDRP-Panels Die weltweite Vergabe und Verwaltung von Internet-Domainnamen obliegt der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN), einer privaten gemeinnützigen Organisation mit Sitz in Los Angeles.242 Die ICANN vergibt und verwaltet nicht nur sämtliche Domains des World Wide Web, sondern ist gleichzeitig auch für die Beilegung von Streitigkeiten über die Vergabe von Domainnamen zuständig. Zu diesem Zweck wurde die Uniform Domain Name Dispute Resolution Policy (UDRP) geschaffen, die eine zügige und kostengünstige Beilegung von Streitigkeiten zwischen Domaininhabern nach dem Modell der Schiedsgerichtsbarkeit ermöglicht.243 Jeder Domaininhaber unterwirft sich mit Zuteilung der Domain durch ICANN automatisch der Streitbeilegung nach der UDRP. In Übereinstimmung mit der UDRP werden Domainstreitigkeiten im Auftrag der ICANN von sog. Providern, bei denen es sich regelmäßig um international anerkannte Schiedsinstitutionen handelt, nach den Bestimmungen der UDRP sowie ergänzender Verfahrensregeln (Rules for Uniform Domain Name Dispute Resolution Policy) beigelegt. Die Provider setzen zu diesem Zwecke sog. Panels ein, die aus international erfahrenen Juristen mit besonderen Kenntnissen im IT- und Urheberrecht bestehen. Diese Panels entscheiden sodann – im Regelfall binnen 14 Tagen nach Ernennung – über die Frage, ob eine bestimmte Domain von ihrem Inhaber in rechtmäßiger Weise genutzt wird.244 Zwar handelt es sich bei den Panels nicht um Schiedsgerichte im eigentlichen Sinne, da das UDRP-Verfahren die Einleitung von Verfahren vor staatlichen Gerichten nicht ausschließt, sondern lediglich eine ergänzende Rechtsschutzmöglichkeit schafft (Art. 4 (k) UDRP).245 Gleichwohl ähnelt das Streitbeilegungsverfahren 241 

Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 541, 544 (2006). Näher zur Geschichte und zur rechtlichen Struktur der ICANN Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung, 2010, S. 187 ff. 243 Siehe zur UDRP auch Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung, 2010, S.  193 f.; Helfer/Dinwoodie, 43 William and Mary Law Review 141 (2001). 244 Von Bedeutung ist das UDRP-Verfahren vor allem beim Vorgehen gegen das sog. cyber-squatting, d. h. die missbräuchliche Registrierung kommerzieller Domains, um sich zu einem späteren Zeitpunkt die Rechte hieran abkaufen zu lassen. Näher hierzu Zekoll, in: Beyond Territoriality, 2012, S. 341, 357 ff. 245 Zutreffend Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung, 2010, S. 194; Renner, 26 Journal of International Arbitration 533, 548 (2009); Cortés Diéguez, 24 Computer Law & Security Report 349, 350 (2008). Siehe hierzu auch LG Köln, BeckRS 2009, 27626 sowie zur US-amerikanischen Rechtslage Barcelona.com, Inc. v. Excelentisimo Ayuntamiento de Barcelona, 330 F. 3d 617 (4th Cir. 2003). In der Praxis werden aber nur wenige UDRP-Entscheidungen vor staatlichen Gerichten angegriffen, vgl. Renner aaO. 242 

206

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

nach der UDRP in vielen Punkten einem schiedsgerichtlichen Verfahren, sodass die dortigen Erkenntnisse zur Funktion und Bedeutung von Präjudizien auch für den vorliegenden Zusammenhang von Bedeutung sind. Die Entscheidungen von UDRP-Panels in Domainstreitigkeiten zeichnen sich durch eine ausgeprägte wechselseitige Bezugnahme aus, die maßgeblich durch eine umfassende Entscheidungspublizität – sämtliche Entscheidungen werden zeitnah online veröffentlicht – ermöglicht wird.246 Auf diese Weise ist binnen vergleichsweise kurzer Zeit ein beachtlicher Präjudizienbestand entstanden, der von Panels regelmäßig bei der Entscheidungsfindung konsultiert wird.247 Begünstigt wird diese Entwicklung dadurch, dass Domainstreitigkeiten in der überwiegenden Zahl der Fälle durch die Anwendung einiger weniger unbestimmter Rechtsbegriffe (bad faith, legitimate interests) entschieden werden, sodass die Auslegung, die diese Begriffe durch die Rechtsprechung einzelner Spruchkörper erfahren haben, mittlerweile taugliche Anknüpfungspunkte für die Herausbildung allgemeiner normativer Standards bilden. Die Spruchtätigkeit der Panels hat aber auch bei der Frage nach dem im Einzelfall anwendbaren Recht Maßstäbe gesetzt. Wie eine Reihe von Schiedsgesetzen und Schiedsordnungen gestehen auch die UDRP Rules (vgl. Art. 15 (a)) dem Panel bei der Entscheidung über das anwendbare Recht ein weites Ermessen zu. Danach kann das Panel neben der Policy und den Rules bei der Entscheidung des Rechtsstreits alle Rechtsregeln und Rechtsprinzipien anwenden, die es im Einzelfall für anwendbar hält. In der Praxis haben die Panels diese Freiheit dazu genutzt, die Rechtmäßigkeit der Nutzung einer bestimmten Domain durch den Domaininhaber zunächst am Maßstab des ersten Zusatzartikels zur USamerikanischen Verfassung, später zunehmend nach selbstgeschaffenen transnationalen Prinzipien der Meinungs- und Redefreiheit zu beurteilen.248 Vor allem in diesem Bereich hat die Möglichkeit der Panels zur wechselseitigen Beobachtung und zum fachlichen Dialog ungeachtet der hohen Zahl an Entscheidungen binnen relativ kurzer Zeit zu einer merklichen Harmonisierung der Entscheidungspraxis und zu ersten Ansätzen einer lex digitalis geführt.249 Auch die Parteien substantiieren ihren Rechtsvortrag mittlerweile in vielen Fällen mit den Entscheidungen anderer Panels. Zwar bestehen angesichts der hohen Zahl an UDRP-Entscheidungen sowie des Fehlens einer Berufungsinstanz in 246  Kaufmann-Kohler, 23 Arbitration International 357, 367 f. (2007). Näher zu Art und Umfang der Veröffentlichung unten S. 260 f. 247  Zekoll, in: Beyond Territoriality, 2012, S. 341, 357 ff.; Cortés Diéguez, 24 Computer Law & Security Report 349, 357 f. (2008). 248  Renner, 26 Journal of International Arbitration 533, 551 f. (2009). 249  Eine empirische Stichprobenuntersuchung von Kaufmann-Kohler zu im Herbst 2006 erlassenen UDRP-Entscheidungen ergab, dass von den 110 untersuchten Entscheidungen 85 die Entscheidungen anderer UDRP-Spruchkörper zitierten. Insgesamt enthielten die untersuchten Entscheidungen 540 Zitierungen anderer UDRP-Entscheidungen, vgl. KaufmannKohler, 23 Arbitration International 357, 367 (2007).



IV.  Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen

207

manchen Fragen, so z. B. zur rechtlichen Beurteilung der Missbräuchlichkeit der Verwendung identischer Domainnamens, abweichende Ansichten unter den Panels.250 Gleichwohl überwiegt die konsensuale Behandlung wesentlicher Fragen. In prägnanter Weise hat dies beispielsweise das Panel in der Rechtssache D2012–0453 zum Ausdruck gebracht und insoweit ausgeführt: “Unlike certain national legal systems in which a principle of stare decisis may create an obligation on courts to honor past decisions, the Policy does not establish any principle of binding precedent. This lack of binding precedent, however, has not prevented UDRP panels from considering prior cases for their possible guidance. Any number of pre­ vious UDRP decisions can be viewed as providing relevant examples or some degree of guidance. A broader understanding of the use of “precedent” in this context might be referred to as “persuasive” or “soft” precedent. At its most basic, the exercise of con­ sidering whether a prior decision is persuasive focuses on whether a set of circumstances in a previous case (including the facts, rules of decision and reasoning for decision) are sufficiently similar and compelling to justify an assimilation of the two events. The prior case may influence the outcome in a later case, based on factual similarities between the two cases; alternatively, the same principle may suggest a contrary or different decision due to key factual or legal differences. A well-written and reasoned decision can exert more powerful precedential influence, just as a poorly reasoned decision offers little help.”251

Vereinzelt entscheiden Panels im Interesse einer einheitlichen Behandlung bestimmter Rechtsfragen sogar gegen die eigene Überzeugung. So äußerte das Panel in WIPO Case D2004–0338: “In making its finding, the Panel wishes to clarify that its decision […] is based on the need for consistency and comity in domain name disputes ‚jurisprudence‘. Were it not for the persuasive force of the cited decisions, this Panel would have expressed [a different] view […]. Absent the consistency of approach which has found favour with numerous earlier panels, this Panel would have seen no good reason [for the solution it now adopts].”252

Das Bedürfnis der UDRP-Nutzer nach Einheitlichkeit und Vorhersehbarkeit zeigt sich nicht zuletzt auch im „WIPO Overview of WIPO Panel Views on Selected UDRP Questions“, der die Rechtsprechung der WIPO-Panels zu zentralen Fragen der Auslegung und Anwendung der UDRP wiedergibt.253 Insgesamt 250 Näher

Renner, 26 Journal of International Arbitration 533, 551 f. (2009). in diesem Zusammenhang auch die Panel-Entscheidungen in den Rechtssachen WIPO D2010–2193, WIPO D2008–1558, WIPO D2004–0852, WIPO D2008–0488, WIPO D2003–0502, WIPO D2002–0884, WIPO D2001–0491. 252  WIPO D-2004–0338. Alle zitierten Entscheidungen abrufbar unter www.wipo.int. 253  Siehe hierzu auch die Entscheidung WIPO D2009–0150: “Although the WIPO Decision Overview is not precedential in nature, it does reflect a studied and considered summary of consensus positions culled from the decisions of numerous panelists during the first five years of administration of the UDRP. When such a consensus has developed, it is incumbent upon panels to follow the consensus (or the majority view) to promote consistency in UDRP decisions.” 251  Siehe

208

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

zeigt die Rechtsprechung der UDRP-Panels, dass eine umfassende und zeitnahe Publizität schiedsgerichtlicher Entscheidungen speziell in solchen Bereichen, in denen dem Schiedsgericht ein weites Entscheidungsermessen eingeräumt wird, durchaus zu einem Dialog zwischen unabhängigen Spruchkörpern beitragen und die Entstehung einzelfallübergreifender Entscheidungsstandards begünstigen kann. Das UDRP-Verfahren liefert auf diese Weise einen eindrücklichen empirischen Nachweis für die Wirksamkeit „weicher“ Bindungsfaktoren und macht deutlich, dass ein Mehr an Entscheidungstransparenz auch in anderen Bereichen der Schiedsgerichtsbarkeit zu größerer Rechtseinheitlichkeit und Vorhersehbarkeit und damit zu mehr Rechtssicherheit führen kann.

7. ICC-Schiedsgerichte Ob den Entscheidungen von Schiedsgerichten auch in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, speziell in der Spruchpraxis der ICC-Schiedsgerichte, präjudizielle Wirkung zukommt, wird unterschiedlich beurteilt. Manche Autoren erkennen erste Ansätze zur Entstehung einer kohärenten Entscheidungspraxis254 oder vertreten sogar die Auffassung, die ICC-Schiedsgerichtsbarkeit trage in nicht unerheblichem Maße zur Vereinheitlichung der internationalen Handelspraxis bei.255 Die wenigen empirischen Untersuchungen zur Entscheidungspraxis von ICC-Schiedsgerichten gelangen dagegen zu dem Ergebnis, dass eine präjudizielle Wirkung von Schiedssprüchen allenfalls vereinzelt festgestellt werden kann und auch dann nur schwach ausgeprägt ist.256 Zwar wird in diesem Zusammenhang häufig auf den mittlerweile notorischen ICC-Schiedsspruch im Verfahren Dow Chemical France et. al. v. Isover Saint Gobain, verwiesen, in welchem das Schiedsgericht zu der Frage nach der Möglichkeit einer Ausdehnung einer Schiedsklausel auf konzernzugehörige Unternehmen ausführte: “The decisions of these tribunals progressively create case law which should be taken into account, because it draws conclusions from economic reality and conforms to the 254  Karton, 28 Arbitration International 447, 463 (2012); Schroeder, Lex Mercatoria Arbitralis, 2007, S. 108 f.; Rogers, 20 American University International Law Review 957, 1002 (2005); Carbonneau, 25 Michigan Journal of International Law 1183, 1205 (2004); ders., 23 Columbia Journal of Transnational Law 579, 587 ff. (1985); Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 165; Schütze, in: Glossner-FS, 1994, S. 333, 338; Paulsson, Revue de l’Arbitrage 1990, 55, 56. Vgl. hierzu auch Gaillard/Savage, Fouchard, Gaillard, Goldman, 1999, Rn. 384: “On reading ICC awards and their commentaries, one significant phenomenon becomes clear: the more recent awards are based on earlier decisions, and the decisions reached are generally consistent.” 255  Gaillard/Savage, Fouchard, Gaillard, Goldman, 1999, Rn. 384. 256  Kaufmann-Kohler, 23 Arbitration International 357, 362 f. (2007) hat insgesamt 190 ICC-Schiedssprüche mit der Methode der Zitationsanalyse untersucht und gelangt zu dem Ergebnis, dass die untersuchten Entscheidungen lediglich in 10–15 % der Fälle Referenzen zu den Entscheidungen anderer ICC-Schiedsgerichte enthalten, meist in einem prozessualen oder kollisionsrechtlichen Zusammenhang.



IV.  Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen

209

needs of international commerce, to which rules specific to international arbitration, themselves successively elaborated should respond.”257

Die tatsächlichen Auswirkungen dieser Entscheidung auf die weitere ICCSpruchpraxis sind jedoch weitgehend unklar. Zwar sind einige Schiedsgerichte dieser Entscheidung ausdrücklich gefolgt, andere Spruchkörper haben sie dagegen – ungeachtet der tatsächlichen und rechtlichen Vergleichbarkeit der Fallkonstellationen – ignoriert.258 Eine Herausbildung allgemein anerkannter normativer Standards war mit dieser vereinzelten Rezeption jedoch, wie König nachgewiesen hat, bislang nicht verbunden.259 Ähnliches gilt für andere Rechtsbereiche, so unter anderem für das Recht des internationalen Anlagenbaus. Auch hier sind wechselseitige Bezugnahmen insgesamt selten.260 Fraglich ist, welche Schlussfolgerungen hieraus zu ziehen sind. Der denkbare Einwand, Handelsschiedsstreitigkeiten seien häufig sachverhaltslastig, weshalb eine Harmonisierung der Entscheidungspraxis per se weder notwendig noch erstrebenswert sei, kann trotz seiner vordergründigen Plausibilität letztlich nicht überzeugen. Auch sachverhaltslastige Auseinandersetzungen müssen im Ergebnis juristisch überzeugend, d. h. vor allem in Übereinstimmung mit anerkannten normativen Entscheidungsstandards, gelöst werden. Demgemäß besteht auch in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit ein grundsätzliches Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit.261 Gerade bei sachverhaltslastigen Streitigkeiten können beispielsweise Fragen der Beweislast oder des anwendbaren Beweismaßes von Bedeutung sein.262 Auch die Auslegung und Anwendung von best practice-Kodizes wie den IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration kann durch die Verfügbarkeit einer entsprechenden schiedsgerichtliche Entscheidungspraxis erleichert werden. Überdies ignoriert die vorgenannte Auffassung, dass die Parteien ihr Verhalten bereits im Vorfeld eines Rechtsstreits an ihrer jeweiligen Rechtsposition orientieren. Von Bedeutung kann dies insbesondere bei der Frage nach der Opportunität eines Vergleichsschlusses sein, die sich regelmäßig an den hypothetischen Erfolgsaus257  Dow Chemical France et. al. v. Isover Saint Gobain, abgedruckt in IX YCA 131, 136 (1984). 258  Vgl. die Nachweise bei König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 135 ff. 259  König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 127 ff., 130, verwendet in ihrer Untersuchung von 211 ICC-Entscheidungen aus dem Zeitraum 1996–2011 sowohl quantitative als auch qualitative Methoden und gelangt in diesem Zusammenhang zu dem Ergebnis, dass knapp ein Viertel der untersuchten Entscheidungen auf andere Schiedssprüche Bezug nimmt. 260  König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 142 ff.; Guillaume, 2 Journal of International Dispute Settlement 5, 15 (2011); Seppälä, in: Precedent, 2008, S. 67, 68 ff. Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 63, sieht die Gründe hierfür in zutreffender Weise weniger in einer strukturellen Nichteignung dieses Rechtsbereichs zur Präjudizienbildung als vielmehr in der insgesamt geringen Entscheidungstransparenz in diesem Bereich. 261  Carbonneau, 23 Columbia Journal of Transnational Law 579, 588 (1985). 262  Siehe hierzu Trittmann/Mekat, B-arbitra, 2014, 351; Sachs, SchiedsVZ 2003, 193.

210

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

sichten eines ansonsten zu führenden Rechtsstreits orientieren wird.263 Hierfür ist die allgemeine Verfügbarkeit eines repräsentativen Präjudizienbestands unerlässlich. Eine entsprechende Prognosesicherheit zugunsten der Parteien lässt sich auch nicht mit dem Hinweis herstellen, ICC-Schiedsgerichte entschieden meist auf der Grundlage nationaler Rechtsordnungen, sodass diese Normen in Verbindung mit der sie konkretisierenden Rechtsprechung staatlicher Gerichte bereits ein hinreichendes Maß an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit gewährleisteten. Zwar trifft es zu, dass ICC-Schiedsgerichte in der weit überwiegenden Zahl der Fälle nach nationalem Recht entscheiden.264 Ein Mehr an Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit würde jedoch voraussetzen, dass das einschlägige nationale Recht einerseits entsprechende Bestimmungen vorhält, die andererseits durch eine gerichtliche Praxis konkretisiert werden. Gerade das ist jedoch in einer Reihe von Rechtsbereichen – beispielhaft seien insofern Post-M&A-Streitigkeiten genannt – nicht mehr der Fall, weil entsprechende Verfahren aufgrund eines schiedsgerichtlichen Quasi-Monopols nicht mehr zu den nationalen Gerichten gelangen.265 Eine Entscheidungspraxis staatlicher Gerichte, die der Rechtsanwendung Sicherheit verleihen könnte, besteht vor diesem Hintergrund häufig nicht, sodass Schiedsrichter auf das Vorhandensein schiedsgerichtlicher Präjudizien angewiesen sind. Gerade an solchen fehlt es jedoch gegenwärtig. Es ist unstreitig, dass innerhalb der Handelsschiedsgerichtsbarkeit aufgrund der weitgehenden Vertraulichkeit des Verfahrens gegenwärtig nur eine sehr geringe Entscheidungstransparenz besteht. Nach Schätzungen der ICC und von Schiedspraktikern wurden in den vergangenen Jahrzehnten durchschnittlich nur ca. 10–15 % der insgesamt ergangenen ICC-Entscheidungen auszugsweise publiziert.266 Die Publikationsquote liegt damit deutlich unter den entsprechenden Quoten in der Investitions- und Sportschiedsgerichtsbarkeit sowie im Rahmen des UDRP.267 Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass unabhängig davon, dass eine inhaltliche Wechselwirkung auch unterhalb der Zitatebene möglich ist, der fehlende Dialog zwischen Spruchkörpern in der Handelsschiedspraxis in erster Linie auf die noch immer weithin fehlende Entscheidungstransparenz in diesem Bereich zurückzuführen ist.268 Soweit ICC-Schiedssprüche öffentlich verfügbar gemacht werden, geschieht dies zudem vielfach in Form von teilweise stark gekürzten und anonymisierten Exzerpten.269 Abhängig von dem Umfang der Kürzungen kann dies negative 263 

Hierzu ausführlich unten S. 212 ff. die Nachweise bei Cuniberti, 52 Columbia Journal of Transnational Law 369, 399 (2014). 265  Hierzu bereits oben S. 4 f. 266  Ausführlich zu Umfang und Form der Publikation unten S. 263 f. 267  Innerhalb der Handelsschiedsgerichtsbarkeit ist die ICC damit gleichwohl führend. 268  So auch Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 63. 269  Hierzu auch unten S. 263 f. 264  Vgl.



IV.  Beispiele einer faktischen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen

211

Auswirkungen auf die Eignung der Entscheidung für präjudizielle Zwecke nach sich ziehen und eine Bezugnahme zusätzlich erschweren.270 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine faktische Präzedenzwirkung schiedsgerichtlicher Entscheidungen in der ICC-Schiedsgerichtsbarkeit zwar gegenwärtig allenfalls in Ansätzen nachzuweisen ist, dass bei entsprechender Entscheidungspublizität aufgrund des auch in diesem Bereich bestehenden Bedürfnisses nach Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit einer präjudiziellen Nutzung dieser Entscheidungen aber keine überzeugenden Gründe entgegenstehen.

8. Zusammenfassung Ein Blick auf die schiedsgerichtliche Praxis zeigt, dass eine faktische Präzedenzwirkung schiedsrichterlicher Entscheidungen nicht nur prinzipiell denkbar ist, sondern auch tatsächlich vorkommt. Wo solche Entscheidungen allgemein zugänglich sind, werden sie von Schiedsrichtern bei der eigenen Entscheidungsfindung berücksichtigt, sei es als (zusätzlicher) Beleg für die Richtigkeit der eigenen Rechtsauffassung, sei es als inhaltliche Abgrenzung zu der Rechtsauffassung anderer Tribunale. Dabei beschränken sich Schiedsrichter nicht auf die Berücksichtigung der Entscheidungen anderer Schiedsgerichte derselben Institution, sondern verweisen, wo dies sachlich gerechtfertigt ist, auch auf Schiedssprüche anderer Institutionen. Diese Praxis deutet darauf hin, dass die moderne Schiedsrichterschaft ungeachtet der Begrenzungen ihres individuellen Mandats zunehmend die systemischen Folgen ihrer Tätigkeit in den Blick nimmt und ein Selbstverständnis entwickelt, dass der gestiegenen Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit als eines global verfügbaren und wirtschaftlich bedeutenden Streitbeilegungsmechanismus gerecht wird. Der obige Querschnitt zeigt – bei allen Unterschieden im Einzelnen – dass Schiedsrichter Entscheidungen von Kollegen zur Kenntnis nehmen und sich inhaltlich mit diesen auseinandersetzen, soweit solche verfügbar sind. Es handelt sich um eine Art juristisches Metaprinzip, das neben den oben genannten Elementen wesentlich auf dem Streben der Schiedsgerichte nach Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit und Rechtseinheitlichkeit beruht, Werten, die von Juristen universell geteilt werden und die für jedes Rechts-System von schlechthin konstitutiver Bedeutung sind. Die weitgehende soziale und berufliche Homogenität der Schiedsrichterschaft ist dabei Voraussetzung und Motor der gegenwärtig zu beobachtenden Entwicklung eines professionellen esprit de corps. Gleichwohl bedürfen die derzeit vorhandenen und belegbaren Ansätze zur Schaffung einer genuinen schiedsrichterlichen „Rechtsprechung“ der weiteren Entwicklung. Insgesamt ist eine faktische Präzedenzwirkung schiedsgerichtlicher Entscheidungen auf der Grundlage einer persuasive authority vor allem 270 

Hierzu im Einzelnen unten S. 301 f.

212

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit gegenwärtig noch schwach ausgeprägt und nicht frei von Widersprüchen. Solche Widersprüche, die im Übrigen auch in der staatlichen Gerichtsbarkeit nicht vollständig ausgeschlossen werden können, sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf Seiten der Schiedsrichterschaft deutliche Bemühungen zur Herstellung einer kohärenten und widerspruchsfreien Entscheidungspraxis unternommen werden. Der Erfolg dieser Bemühungen wird davon abhängen, ob und in welchem Umfang Schiedsrichter, Parteien sowie die Rechtswissenschaft Zugang zu schiedsrichterlichen Entscheidungen erlangen können. Voraussetzung von Entscheidungskohärenz ist stets die allgemeine Verfügbarkeit eines Präjudizienbestands. Dieses Ziel lässt sich nicht durch eine zufallsgeleitete, gelegentliche Veröffentlichung von Schiedssprüchen erreichen, sondern nur durch eine langfristige, systematische Veröffentlichungspraxis, die dazu beitragen kann, bestehende rechtliche Unsicherheiten zu beseitigen, das Verfahren zu straffen und die Qualität schiedsrichterlicher Entscheidungen zu erhöhen. Die mit einer solchen Praxis verbundenen Vorteile sollen im Folgenden dargestellt werden, bevor in einem abschließenden Kapitel praktische Möglichkeiten zur Umsetzung einer solchen Publikationspraxis erörtert werden sollen.

V.  Vorteile und systembildende Funktionen einer allgemeinen Veröffentlichungspraxis Eine allgemeine Veröffentlichungspraxis für Schiedssprüche birgt verschiedene Vorteile, die sich nicht auf die zuvor beschriebene Förderung der allgemeinen Rechtsentwicklung beschränken. Die durch eine systematische Veröffentlichung schiedsrichterlicher Entscheidungen geschaffene Transparenz kann bereits im Vorfeld von Rechtsstreitigkeiten zur Konfliktvermeidung beitragen (1.), eine faire und effiziente Durchführung des schiedsgerichtlichen Verfahrens gewährleisten (2.) und in allgemeiner Form das Ansehen und die Legitimität der Schiedsgerichtsbarkeit als einer verlässlichen und transparenten Form der Streitschlichtung erhöhen (3.). Mögliche Nachteile, die den Verfahrensbeteiligten aus einer solchen Publikationspraxis erwachsen, stehen dem nicht zwingend entgegen und können mit Blick auf die Vertraulichkeitsinteressen der Parteien insbesondere durch eine Anonymisierung des Schiedsspruchs verhindert werden (4.).

1.  Präventive Konfliktvermeidung Im Bereich der staatlichen Gerichtsbarkeit ist allgemein anerkannt, dass das gerichtliche Verfahren eine doppelte Funktion erfüllt: Einerseits dient es der



V.  Vorteile und systembildende Funktionen

213

Beilegung eines individuellen Rechtsstreits und damit der Befriedung im Einzelfall, andererseits werden durch die in diesem Verfahren ergangene gerichtliche Entscheidung aber auch allgemeine Verhaltensstandards festgelegt und konkretisiert, die bei entsprechender Rezeption durch die Rechtsgemeinschaft ihrerseits zur Vermeidung künftiger Konflikte beitragen können.271 Dies gilt in besonderem Maße für die höchstrichterliche Rechtsprechung, deren Entscheidungen in der Praxis eine erhebliche Breitenwirkung zukommt.272 Die Parteien können unter Berücksichtigung der Rechtsprechungsentwicklungen die Chancen und Risiken einer möglichen gerichtlichen Auseinandersetzung abschätzen und auf diese Weise eine rationale Kalkulation der rechtlichen Konsequenzen eines bestimmten Handelns vornehmen.273 Von den inhaltlichen Vorgaben einer bestimmten Rechtsprechung hängt im Besonderen auch das vorprozessuale Verhalten der Parteien ab, so vor allem die Frage, ob in einer bestimmten Streitigkeit Klage erhoben oder nicht vielmehr der Abschluss eines Vergleichs angestrebt werden sollte.274 Eine im Widerspruch zu einer bestimmten höchstrichterlichen Rechtsprechung erhobene Klage wird regelmäßig erfolglos bleiben, sodass die – im Regelfall anwaltliche – Prüfung der Erfolgsaussichten auch und vor allem die Position der Rechtsprechung berücksichtigen muss. Der beratende Anwalt ist berufsrechtlich verpflichtet, seinen Mandanten auf die Risiken einer im Widerspruch zu einer bestimmten (höchstrichterlichen) Rechtsprechung erhobenen Klage hinzuweisen.275 Unterlässt er dies, kann diese Unterlassung nach deutschem Recht Haftungsansprüche auslösen.276 Eine vergleichbare Steuerungsfunktion kommt der Rechtsprechung im Rahmen von Vergleichsverhandlungen zu, die regelmäßig auf der Grundlage von hypo271  Duprey, in: Uniform Arbitration Law, 2005, S. 251, 274; Perschbacher/Bassett, 84 Boston University Law Review 1, 6 ff. (2004); Lederman, 75 Notre Dame Law Review 221 (1999); Wagner, JZ 1998, 836, 837 f.; Weinstein, 11 Ohio State Journal on Dispute Resolution 241, 248 f. (1996); Schäfer, DRiZ 1995, 460, 461; Brunet, 62 Tulane Law Review 1, 20 (1987); Wolf, ZZP 89 (1976), 260, 264 ff. hat mit Blick auf das deutsche Recht bereits früh die Gefahren beschrieben, die der allgemeinen Rechtsentwicklung und insbesondere der verhaltenssteuernden Funktion des Rechts durch eine zunehmende Tendenz zum Vergleichsschluss drohen. Siehe hierzu auch Katzenmeier, ZZP 115 (2002), 51, 84 f.; Prütting, JZ 1985, 261, 271; ders., in: Verhandlungen des 62. DJT, 1998, O 34; Stürner, JR 1979, 133 f. 272  Für die Rechtslage in Deutschland siehe bereits oben S. 138 ff. 273  Dragich, 44 American University Law Review 757, 779 (1995); Schäfer, DRiZ 1995, 460, 464; Landes/Posner, 8 Journal of Legal Studies 235, 260 (1979); Larenz, Schima-FS, 1960, S. 247. 274  Karton, 28 Arbitration International 447, 466, 471 (2012); Johnson/Brunet, 76 University of Cincinnati Law Review, 459, 472 (2008); Seriki, Journal of Business Law 2006, 300, 310; Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 177 (2005); Raymond, 16 American Review of International Arbitration 479, 507 (2005); Gibbons, 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution 769, 788 (2000); Wagner, JZ 1998, 836, 838; Brunet, 62 Tulane Law Review 1, 24 f. (1987). 275  OLG Koblenz, NJW-RR 2006, 1358, 1359. 276  BGH, NJW 2009, 987 f.

214

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

thetischen Annahmen über den Ausgang eines ansonsten zu führenden gerichtlichen Verfahrens geführt werden. Auch hier stellt die einschlägige (höchstrichterliche) Rechtsprechung den normativen Maßstab für die Tragfähigkeit der jeweiligen Verhandlungspositionen und – aus Sicht der Parteien – für den Erfolg oder Misserfolg des Vergleichsergebnisses dar.277 Eine solche Leitfunktion gerichtlicher Entscheidungen und die damit einhergehende Anerkennung einer richterrechtlichen Normbildungsbefugnis setzt aber notwendig die öffentliche Verfügbarkeit gerichtlicher Entscheidungen voraus.278 Nur eine umfassende Entscheidungspublizität kann zur Entstehung allgemeiner, richterrechtlich geprägter Verhaltensstandards führen. Auch in der Schiedsgerichtsbarkeit kann eine allgemeine Veröffentlichungspraxis schon im Vorfeld von Rechtsstreitigkeiten zur Vermeidung von Konflikten beitragen.279 Dem steht das Fehlen institutioneller Bindungen zwischen den einzelnen Spruchkörpern sowie eines vertikalen Instanzenzugs nicht entgegen. Die Wirkungsweise schiedsrichterlicher Präjudizien beruht, wie bereits dargestellt, nicht auf hierarchischen Zwängen, sondern in weitem Umfang auf psychologischen Mechanismen, so vor allem auf dem Vorhandensein eines gruppenspezifischen Selbstbilds innerhalb der Schiedsrichterschaft und einer auf personalen und inhaltlichen Zuschreibungen beruhenden faktischen Überzeugungskraft einzelner Entscheidungen.280 Wenngleich jedes Schiedsgericht seine Entscheidungen unabhängig und auf der Grundlage eigener Überzeugungen trifft, können schiedsrichterliche Entscheidungen, soweit sie allgemein verfügbar sind, dennoch einen faktischen Befolgungsdruck erzeugen, der zu einer Angleichung der tatsächlichen Entscheidungspraxis führen kann.281 Diese 277 Treffend Mnookin/Kornhauser, 88 Yale Law Journal 950, 968 (1979): “Disputants do not bargain in a vacuum, they bargain in the shadow of the law.” Siehe hierzu auch Katzenmeier, ZZP 115 (2002), 51, 85, dort Fn. 198; Wagner, JZ 1998, 836, 838; Brunet, 62 Tulane Law Review 1, 27 f. (1987). 278 Vgl. Kramer, ZRP 1976, 84, 85: „Man kann nicht die Existenz des Richterrechts anerkennen und es dennoch im Dunkeln lassen.“ 279  König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 251: “Der Schiedsspruch wird für andere Parteien zum Maßstab ihrer Erwartungen.”; ten Cate, 51 Columbia Journal of Transnational Law 418, 453 (2013); Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1, 7; Azzali aaO, xxiv; Karton, 28 Arbitration International 447, 466 (2012); Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1901 (2010); Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1229 f. (2006); Kratky Doré, 81 Chicago-Kent Law Review 463, 492 (2006); Buys, 14 American Review of International Arbitration 121, 136 (2003); Brown, 16 American University International Law Review 969, 1018 (2001); Gibbons, 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution 769, 788 (2000); Sanders, Quo Vadis Arbitration, 1999, S. 1, 15; Ridgway, 54 Dispute Resolution Journal 50, 52 (1999); Rau, 38 South Texas Law Review 485, 535 (1997); Tashiro, 9 Journal of International Arbitration 97, 98 (1992); Pfaff, in: von der Heydte-FS, 1977, S. 1127, 1130. 280  Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 136. Siehe im Übrigen bereits oben S. 170 ff. 281 Vgl. Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1900, dort Fn. 5 (2010): “The lack of vertical precedent […] does not necessarily mean that arbitration systems will produce a conflicting body of precedents. Arbitrators, unlike judges, are subject to market



V.  Vorteile und systembildende Funktionen

215

Einschätzung wird durch die Schiedspraxis bestätigt. So rechtfertigt die Seehandelsschiedsgerichtsbarkeit ihre traditionell ausgeprägte Publikationspraxis ausdrücklich mit dem Hinweis auf die verhaltenssteuernde Wirkung einer allgemeinen Kenntnis der Schiedsrechtsprechung und die dadurch erreichte Konfliktvermeidung.282 Vorhandene empirische Untersuchungen bestätigen Ansätze zur Entstehung einer faktischen, einheitlichen „Rechtsprechung“ in diesem Bereich, zu deren Erfolgen auch die Vermeidung der Einleitung von prognostisch erfolglosen Schiedsklagen gehört.283 Ähnliche Entwicklungen sind in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zu beobachten. Auch hier lässt sich die verhaltenssteuernde Wirkung einer bestimmten „Rechtsprechung“, so vor allem in Fragen der gerichtlichen Zuständigkeit, zumindest in Ansätzen empirisch nachweisen.284 Diese Vereinheitlichungstendenzen können bei entsprechender Verfestigung, wie die vorgenannten Beispiele aus der Praxis zeigen, ebenso wie in der staatlichen Gerichtsbarkeit verhaltenssteuernde Wirkung bei Schiedsrichtern, Parteivertretern und Parteien gleichermaßen entfalten.

2.  Faire und effiziente Durchführung des Schiedsverfahrens Der Erfolg von Streitbeilegungssystemen beruht in erheblichem Maße auf dem Vertrauen der Nutzer in die Integrität des Verfahrens und die Objektivität des Ergebnisses. Dies gilt auch für die Schiedsgerichtsbarkeit. Eine allgemeine Veröffentlichungspraxis kann in mehrfacher Hinsicht einen wichtigen Beitrag zu einer fairen und effizienten Durchführung des Schiedsverfahrens leisten. Zunächst erhöht ein allgemein zugänglicher Entscheidungspool aus Sicht der Parteien und ihrer anwaltlichen Vertreter die Vorhersehbarkeit des Verfahrensablaufs, ermöglicht eine rationale Vergewisserung der eigenen prozessualen Situation und trägt damit zur Rechtssicherheit bei (a.). Von erheblicher Bedeutung für die Parteien kann eine allgemeine Entscheidungspublizität ferner deshalb sein, weil hierdurch der Prozess der Schiedsrichterauswahl, der aufgrund constraints and will apply consistent rules if that is what the parties want.” Auf die verhaltenssteuernde Wirkung einer Veröffentlichung von Schiedssprüchen weist auch Pfaff, in: von der Heydte-FS, 1977, S. 1127, 1130, hin. 282 Vgl. Buys, 14 American Review of International Arbitration 121, 129 (2003) unter Hinweis auf den Internetauftritt der Society of Maritime Arbitrators (SMA); Tashiro, 9 Journal of International Arbitration 97, 98 f (1992). In einer Kommentierung zu den SMA-Schiedsregeln wird die Publikationspraxis der SMA wie folgt gerechtfertigt: “The awards, dating back to the 1950s, contain the essential factual background and the arbitrator’s reasoning in support of their decisions. The reasoning is often of great value in giving insight into the practices and customs of the maritime industry. The awards, therefore, not only serve as a guide for the resolution of disputes, but also as a means of avoiding disputes when negotiating fixtures.”, zitiert nach Tashiro aaO. 283  Carbonneau, 23 Columbia Journal of Transnational Law 579, 587 (1985). 284  Reed, 25 ICSID Review 95, 99 (2010); Fauchald, 19 European Journal of International Law 301, 337 (2008).

216

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

seiner Intransparenz gegenwärtig speziell für unerfahrenere Parteien Nachteile birgt, demokratisiert und transparenter gemacht würde (b.). Auch können die Publizität schiedsrichterlicher Entscheidungen und das damit verbundene Kritikrisiko die Schiedsrichter zu einer verantwortungsvollen Amtsführung anhalten und auf diese Weise zur Verhinderung von Missbräuchen beitragen (c.). Nicht zuletzt kann eine allgemeine Veröffentlichungspraxis die Chancengleichheit zwischen den Parteien fördern und insbesondere die bislang bestehenden Informations- und Wissensvorteile von repeat players ausgleichen (d.). Zudem kann ein allgemein verfügbarer Präjudizienbestand auch der Aus- und Fortbildung von Schiedsrichtern dienen (e.). Schließlich schafft eine allgemeine Publizität schiedsrichterlicher Entscheidungen die für eine allseitige fachwissenschaftliche Diskussion streitiger Rechtsfragen erforderliche Öffentlichkeit und versorgt diese gleichzeitig mit empirischen Daten zur Schiedsgerichtsbarkeit, die ihrerseits als Ansatzpunkt für weitere Untersuchungen dienen können (f.). Zuletzt verspricht eine größere Entscheidungspublizität aufgrund der damit verbundenen Straffung des Schiedsverfahrens auch Zeit- und Kostenvorteile (g.).

a.  Mehr Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit für die Parteien Im Schiedsverfahren kann die Publizität schiedsrichterlicher Entscheidungen ungeachtet des Fehlens rechtlicher Präzedenzwirkungen einen wichtigen Beitrag zur Herausbildung normativer Standards und damit zu mehr Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit leisten.285 Die Begriffe der Vorhersehbarkeit und der Rechtssicherheit beschreiben, einmal aus der subjektiven Perspektive der Parteien, einmal aus einer eher objektiven, systembezogenen Sicht, ein einheit285  Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 54; Sali aaO, S. 73, 85; Berger, in: Post Award Issues, 2012, S. 75, 89; Norris/Metzidakis, 15 Harvard Negotiation Law Review 31, 61 f. (2010); Strong, 20 American Review of International Arbitration 119, 142 f. (2009); Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 243 (2008); Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1016 (2007); Sikiric, 13 Croatian Arbitration Yearbook 131, 157 (2006); Coe, 54 University of Kansas Law Review 1339, 1356 f. (2006); Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 177 (2005); Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 631 (2004); Buys, 14 American Review of International Arbitration 121, 136 (2003); Brown, 16 American University International Law Review 969, 1013 f., 1017 (2001); Leahy/Bianchi, 17 Journal of International Arbitration 19, 51 (2000); Rau, 38 South Texas Law Review 485, 536 (1997); Smit, 11 Arbitration International 299, 301 (1995); Carbonneau, 23 Columbia Journal of Transnational Law 579, 604 (1985); Seitz, 38 Arbitration Journal 58, 59 (1983). Vgl. hierzu auch die Begründung der UNCITRAL für die Einrichtung der CLOUT-Datenbank: “The purpose of the system is to promote international awareness of such legal texts elaborated or adopted by the Commission, to enable judges, arbitrators, lawyers, parties to commercial transactions and other interested persons to take decisions and awards relating to those texts into account in dealing with matters within their responsibilities and to promote the uniform interpretation and application of those texts.” CLOUT User Guide, A/CN.9/SER.C/ GUIDE/1/Rev. 2, S. 2, abrufbar unter http://www.uncitral.org/uncitral/en/case_law.html.



V.  Vorteile und systembildende Funktionen

217

liches Phänomen, nämlich die Verlässlichkeit eines bestimmten Normsystems im Hinblick auf seine Verfahrensabläufe und seine Ergebnisse. Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit und die damit verbundene Stabilisierung von Erwartungshaltungen sind vor diesem Hintergrund unverzichtbare Bestandteile eines jeden Rechts- und Konfliktlösungssystems.286 Dies gilt auch für die Schiedsgerichtsbarkeit. Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit setzen allerdings ein Mindestmaß an Transparenz voraus. Erst die allgemeine Möglichkeit zur Kenntnisnahme von einer bestimmten Verfahrens- und Entscheidungspraxis ermöglicht die Entstehung einzelfallübergreifender Standards, die ihrerseits zu Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit beitragen können. Aus diesem Grunde ist die Publizität schiedsgerichtlicher Entscheidungen für die Entstehung einer verlässlichen Schiedspraxis von schlechthin überragender Bedeutung. Hier bestehen gegenwärtig angesichts der geringen Zahl an veröffentlichten Schiedssprüchen Defizite.287 Wie im Rahmen dieses Kapitels bereits ausgeführt, können vorangegangene Entscheidungen anderer Spruchkörper bei entsprechender Publizität aber ohne Weiteres kommunikative Anschlussstellen darstellen, mithilfe derer das Schiedsgericht seine individuelle Entscheidung kontextualisieren und in einen verfahrensübergreifenden normativen Zusammenhang einordnen kann. Aus Sicht der Parteien und ihrer anwaltlichen Vertreter erhöht die Verfügbarkeit eines Pools von Entscheidungen die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verfahrensausgangs und damit die Vorhersehbarkeit der schiedsrichterlichen Entscheidung. So können veröffentlichte Schiedssprüche nicht nur im Rahmen eines anhängigen Verfahrens, sondern auch bei vorgelagerten Vergleichsverhandlungen oder bereits bei der Gestaltung und Auslegung bestimmter Vertragsbestimmungen von Nutzen sein.288 Der damit verbundene Gewinn an Rechtssicherheit kann sowohl für die Parteien im Einzelfall als auch für die Legitimität des Schiedsverfahrens im Allgemeinen von erheblicher Bedeutung sein. Vor diesem Hintergrund kann die teilweise geäußerte Ansicht, mit der Entscheidung für das Schiedsverfahren nähmen die Parteien bewusst das Risiko überraschender oder widersprüchlicher Entscheidungen in Kauf, nicht überzeugen.289 Die verfügbaren empirischen Nachweise legen vielmehr nahe, dass das Schiedsverfahren von Parteien vor allem wegen der vereinfachten Vollstreckung 286  Rösler, ZZP 126 (2013), 295, 320; Maurer, Lex Maritima, 2012, S. 146; Guillaume, 2 Journal of International Dispute Settlement 5, 6 (2011); Kaufmann-Kohler, in: Precedent, 2008, S. 137, 145. Für die staatliche Gerichtsbarkeit vgl. Dragich, 44 American University Law Review 757, 775 (1995). 287  Schütze, in: Glossner-FS, 1994, S. 333, 338. 288  Pörnbacher/Duncker/Baur, SchiedsVZ 2012, 289, 294; Karton, 28 Arbitration International 447, 471 (2012); Jolivet, 22 Arbitration International 265, 270 (2006); Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 155. 289  So z. B. Seitz, 38 Arbitration Journal 58, 59 (1983). Dagegen zutreffend Gordon, 18 Florida Journal of International Law 549, 575 (2006); Rogers, 20 American University Inter-

218

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

des Schiedsspruchs, der Möglichkeit zur Wahl fachlich besonders qualifizierter Schiedsrichter sowie aufgrund vermeintlicher Zeit- und Kostenvorteile gewählt wird.290 Ein bewusster Verzicht auf Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit wird damit regelmäßig nicht verbunden sein. Gegen ein fehlendes Interesse der Parteien an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit spricht ferner, dass nicht nur die Entscheidung für die (schieds-)gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen, sondern auch die Entscheidung für oder gegen den Abschluss eines Vergleichs sowie zu den inhaltlichen Konditionen desselben in der Praxis regelmäßig von den Erfolgsaussichten des Verfahrens abhängig gemacht wird.291 Nicht zuletzt besitzen auch die Schiedsinstitutionen selbst mit Blick auf die in jüngerer Zeit vermehrt in Frage gestellte Legitimität des Schiedsverfahrens ein Interesse an größerer Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit.292 Schließlich ist auch nicht damit zu rechnen, dass ein Mehr an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit das Schiedsverfahren seiner Flexibilität berauben würde. Auch in der staatlichen Gerichtsbarkeit, die ihre Richter deutlich stärker an frühere Entscheidungen bindet, als dies in der Schiedsgerichtsbarkeit der Fall ist, führt diese Tatsache nicht zum Erliegen der Rechtsentwicklung, sondern erhöht lediglich die Begründungslast desjenigen Spruchkörpers, der von einer allgemein akzeptierten Spruchpraxis abweichen möchte. Insgesamt ist nicht auszuschließen, dass eine größere Publizität von Schiedssprüchen und die damit verbundene zunehmende Herausbildung normativer Standards auch die Vorhersehbarkeit schiedsrichterlicher Entscheidungen und damit die Rechtssicherheit in der Schiedsgerichtsbarkeit positiv beeinflussen werden.

b.  Erleichterung der Schiedsrichterauswahl Eine allgemeine Publizität schiedsgerichtlicher Entscheidungen trägt aber nicht nur zur Vereinheitlichung und Fortbildung des Rechts und damit zu größerer Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit bei, sondern erleichtert und strafft auch den Prozess der Schiedsrichterauswahl. Die Möglichkeit zur Mitwirkung bei der Schiedsrichterbestellung stellt eine der wichtigsten Einflussmöglichkeiten der Parteien auf das Schiedsverfahren dar. Auf diese Weise stellen die Parteien nicht nur sicher, dass die Schiedsrichter über die für die sachgerechte Entscheidung des Rechtsstreits erforderlichen Qualifikationen und Sachkenntnisse verfügen, sie verfolgen damit auch regelmäßig den Zweck, ihrer eigenen Rechtsauffassung mithilfe eines geeigneten Kandidaten innerhalb des Schiedsgerichts Gehör zu verschaffen. Dies ist nicht per se illegitim, wenngleich diese national Law Review 957, 991 f. (2005); Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 631 (2004). 290  Vgl. die Nachweise oben bei Fn. 3. 291  Hierzu bereits oben S. 212 ff. 292  Dazu ausführlich unten S. 229 f.



V.  Vorteile und systembildende Funktionen

219

Erwartungshaltung mit Blick auf die unabhängige Wahrnehmung des Schiedsrichtermandats Konfliktpotential birgt.293 In der schiedsgerichtlichen Praxis führen die übliche Vereinbarung eines Dreierschiedsgerichts und die damit zusammenhängenden Mechanismen der Mehrheitsbildung jedoch in der Regel zu sachgerechten Lösungen. Der eigene Kandidat muss in der Lage sein, auch die anderen Schiedsrichter und besonders den Vorsitzenden des Schiedsgerichts von der eigenen Rechtsauffassung zu überzeugen. Die hierfür erforderliche sachliche Autorität kann ein Schiedsrichter jedoch nur durch eine glaubhafte, sachliche und unparteiische Amtsführung erlangen. Ein Schiedsrichter, der sich sachlichen Argumenten verschließt und einseitig die Interessen „seiner“ Partei vertritt, wird nicht dazu in der Lage sein, diese Überzeugungsarbeit zu leisten. Zudem dürfte sich ein solches Verhalten zumindest bei entsprechender Häufung negativ auf künftige Berufungen auswirken, sodass Parteischiedsrichter auch aus wohlverstandenem Eigeninteresse an einer überparteilichen Wahrnehmung ihres Amts interessiert sein werden. Die zentrale Bedeutung der Schiedsrichterauswahl für den Ablauf des Schiedsverfahrens steht in deutlichem Kontrast zu der begrenzten Informationsbasis, auf deren Grundlage die Benennung erfolgt. Regelmäßig liegt es im Interesse der Parteien, einen erfahrenen und fachlich spezialisierten Kandidaten zu benennen, der zudem ihrer eigenen Rechtsauffassung wohlwollend gegenübersteht. Ob ein Kandidat dieses Profil erfüllt, lässt sich aber nachvollziehbar nur anhand seiner bisherigen Erfahrungen als Schiedsrichter sowie den in diesem Zusammenhang von ihm (mit-) verantworteten Entscheidungen beurteilen. Dieser track record des Kandidaten ist angesichts der weitgehenden Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens aber regelmäßig nicht oder nur unvollständig verfügbar. Die benennende Partei kann insbesondere nicht auf Schiedssprüche und prozessleitende Verfügungen zugreifen, anhand derer sich die fachlichen Qualitäten des Kandidaten nachvollziehen lassen könnten.294 Objektiv lassen sich die Kenntnisse und Qualifikationen eines Schiedsrichterkandidaten deshalb allenfalls an seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen ablesen, die allerdings eine entsprechende Publikations- oder Vortragstätigkeit voraussetzen, die nicht immer gegeben ist. Überwiegend bleibt der benennenden Partei bzw. ihren Anwälten daher nur die Möglichkeit, sich durch inoffizielle Nach-

293 

Kritisch deshalb Franzen, NJW 1986, 299. Kratky Doré, 81 Chicago-Kent Law Review 463, 490 f. (2006). In denjenigen Bereichen der Schiedsgerichtsbarkeit, in denen schiedsrichterliche Entscheidungen allgemein verfügbar sind, stellen die vorangegangenen Entscheidungen eines Kandidaten ein wesentliches Auswahlkriterium dar. So für die US-amerikanische Arbeitsschiedsgerichtsbarkeit Petersen/ Rezler, Journal of Dispute Resolution 1986, 73, 84. Für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit stellt www.italaw.com umfangreiche Schiedsrichterlisten mit individuellen track records für Recherchezwecke zur Verfügung. 294 

220

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

fragen innerhalb der Schiedsgemeinschaft ein Bild von ihrem Kandidaten zu machen.295 Es liegt auf der Hand, dass dieses System in seiner gegenwärtigen Form sowohl auf Seiten der Parteien wie auch auf Seiten der Parteivertreter repeat players favorisiert, die aufgrund ihrer Prozesserfahrungen nicht nur über entsprechende Kontaktnetzwerke sondern oft auch über Zugriff auf inoffizielle Schiedsspruchsammlungen verfügen.296 Dieser Wissensvorsprung kann im Verlauf eines Verfahrens erhebliche Bedeutung erlangen. Jüngere Studien haben gezeigt, dass diese Situation auch von Seiten der Parteien zunehmend kritisch gesehen wird.297 Eine allgemeine Verfügbarkeit schiedsrichterlicher Entscheidungen könnte angesichts dieser Entwicklungen dazu beitragen, den Prozess der Schiedsrichterauswahl zu professionalisieren und anhand nachvollziehbarer, objektiver Kriterien transparenter zu gestalten.298 Ansätze zur Demokratisierung des Auswahlprozesses durch Schaffung allgemein zugänglicher Schiedsrichterdatenbanken sind daher zu begrüßen.299

c.  Qualitätssicherung und Verhinderung von Missbrauch Schließlich kann eine allgemeine Veröffentlichungspraxis auch die Verantwortlichkeit der Schiedsrichter fördern und durch eine größere Verfahrens- und 295  McIlwrath/Schroeder, in: Transparency, 2013, S. 87, 98; Karton, 28 Arbitration International 447, 470 f. (2012); Norris/Metzidakis, 15 Harvard Negotiation Law Review 31, 59 (2010); Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 177 (2005); Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 243 (2008). Ähnliches gilt im Übrigen für die Auswahl von Schiedsinstitutionen, vgl. McIlwrath/Schroeder aaO, S. 90. 296  Sali, in: Transparency, 2013, S. 73, 84; Kratky Doré, 81 Chicago-Kent Law Review 463, 484 (2006); Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1232 ff. (2006); Rogers, 20 American University International Law Review 957, 967 ff. (2005); Gibbons, 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution 769, 773, 785 ff. (2000); Rau, 38 South Texas Law Review 485, 524 ff. (1997). 297  Nach dem im Jahre 2010 von der Queen Mary University durchgeführten International Arbitration Survey bemängeln ca. 50 % der Unternehmen die begrenzten Möglichkeiten, Informationen über Schiedsrichterkandidaten zu erhalten. 52 % der Unternehmen sind nach eigenen Angaben gezwungen, sich auf die informelle Reputation eines Kandidaten zu verlassen. Die Studie ist abrufbar unter http://www.arbitration.qmul.ac.uk/research/index.html. 298  Kinnear/Obadia/Gagain, in: Transparency, 2013, S. 107, 118; Azzali aaO, xxv; Fernández-Armesto, Cahiers de l’arbitrage 2012, 583, 585 f.; Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 243 (2008); Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 179 (2005); Duprey, in: Uniform Arbitration Law, 2005, S. 251, 274; Buys, 14 American Review of International Arbitration 121, 137 (2003). 299  Zu nennen sind insbesondere das International Arbitrator Information Project (Arbitrator Intelligence) von Prof. Rogers (siehe oben S. 8, Fn. 18) sowie das von Juris Publishing herausgegebene Roster of International Arbitrators (2. Aufl. 2012). Umfangreichere Informationen zu möglichen Schiedsrichterkandidaten stellen auch das International Arbitration Institute Paris (www.iaiparis.com/drm_search.aspund) sowie die Swiss Arbitration Association (ASA) (www.arbitration-ch.org/pages/en/find-counsel-arbitrator/index.html) zur Verfügung. Dagegen tragen einfache Schiedsrichterlisten ohne weitere Informationen zu den einzelnen Kandidaten und ihrem track record nicht zur Erleichterung Auswahlentscheidung bei.



V.  Vorteile und systembildende Funktionen

221

Entscheidungstransparenz sowohl der Qualitätssicherung wie auch der Verhinderung von Missbrauch dienen.300 Nicht nur wird ein Schiedsrichter, der mit der Veröffentlichung seiner Entscheidung rechnen muss, sich bemühen, zu einem tatsachengerechten und juristisch belastbaren Ergebnis zu kommen. Er muss auch damit rechnen, dass eine Entscheidung, die diesen Maßstäben nicht genügt, öffentlich kritisiert werden wird. Dies gilt in noch höherem Maße, wenn – wofür diese Arbeit plädiert301 – Schiedssprüche unter Nennung der Schiedsrichternamen veröffentlicht werden. Das Kritikrisiko und die damit verbundene Gefahr eines Reputationsverlusts werden in den meisten Fällen ausreichen, um den Schiedsrichter zu einer verantwortungsvollen Verfahrensführung und einer unvoreingenommenen und sachlich überzeugenden Entscheidung anzuhalten.302 Die Möglichkeit einer öffentlichen Kontrolle der schiedsrichterlichen Tätigkeit kann vor diesem Hintergrund dazu beitragen, subjektiven oder willkürlichen Entscheidungen vorzubeugen und eine durchgängig hohe Qualität des Schiedsverfahrens und seiner Ergebnisse zu gewährleisten. Durch eine größere Transparenz des Verfahrens und der Entscheidung werden Schiedsrichter im Übrigen weder unter Generalverdacht gestellt noch über Gebühr belastet. Dass staatliche Richter sich nicht bereits durch das bloße „Versprechen individueller Redlichkeit“303 einer Überprüfung ihrer Tätigkeit entziehen können, sondern ihre Entscheidungen vor einer kritischen Öffentlichkeit rechtfertigen und in diesem Zusammenhang auch mit sachlicher Kritik umgehen müssen, ist allgemein anerkannt. Die Vorschriften über die Gerichtsöffentlichkeit sowie über die Publikation gerichtlicher Entscheidungen dienen der Ermöglichung der verfassungsmäßig gebotenen demokratischen Kontrolle der Rechtsprechung und zwingen diese, Rechenschaft über ihre Entscheidungen abzulegen.304 Die 300  Sali, in: Transparency, 2013, S. 73, 84; Azzali aaO, xxv; Karton, 28 Arbitration International 447, 465 f. (2012); Fernández-Armesto, Cahiers de l’arbitrage 2012, 583, 586; Born, International Commercial Arbitration, 2009, S. 2287; Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 243 (2008); Paulsson, in: Appeals Mechanism, 2008, S. 241, 264; Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 176, 179 (2005); Norris/Metzidakis, 15 Harvard Negotiation Law Review 31, 60 (2010); Perschbacher/Bassett, 84 Boston University Law Review 1, 46 (2004); Smit, 11 American Review of International Arbitration 567, 578 (2000); Gibbons, 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution 769, 787 (2000). Für den Bereich der staatlichen Gerichtsbarkeit hat bereits Rheinstein, JuS 1974, 409, 412 eindringlich auf die elementare Bedeutung der Kontrolle durch die Öffentlichkeit für die richterliche Rechtstreue hingewiesen. Diese Kontrolle wird nicht nur durch die Öffentlichkeit der Verhandlung, sondern wesentlich auch durch die allgemeine Verfügbarkeit gerichtlicher Entscheidungen und die Möglichkeit zur Rechtskritik sichergestellt. Siehe hierzu auch Hobeck/Stubbe, SchiedsVZ 2003, 15, 21; Mertens, in: Odersky-FS, 1996, S. 857, 862. 301  Hierzu ausführlich unten S. 309 ff. 302  Karton, 28 Arbitration International 447, 465 (2012); Getman, 88 Yale University Law Journal 916, 921 (1979); so für die Tätigkeit des staatlichen Richters bereits Hirte, NJW 1988, 1698, 1701. 303  Fischer/Eschelbach/Krehl, StV 2013, 399. 304  Zimmermann, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, GVG § 169, Rn. 1.

222

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

Sichtbarmachung des Verfahrens und der daraus hervorgehenden Entscheidung soll insbesondere der Entstehung einer „Geheimjustiz“ und Missbräuchen entgegenwirken.305 Wenn – wofür einiges spricht – Schiedsrichter sich in ihrem Selbstverständnis, ihrer Amtsführung sowie in der Semantik und Form ihrer Entscheidungen zunehmend ihren Kollegen an staatlichen Gerichten annähern, spricht, vor allem mit Blick auf die zunehmende Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit, im Grundsatz nichts dagegen, die für die das staatliche Verfahren geltenden Transparenzmaßstäbe entsprechend auch auf die schiedsrichterliche Entscheidung anzuwenden.

d.  Verhinderung von Nachteilen zulasten unerfahrener Parteien Des Weiteren kann eine allgemeine Publizität schiedsrichterlicher Entscheidungen auch zur tatsächlichen Verwirklichung des Grundsatzes der Waffengleichheit im Schiedsverfahren beitragen. Eine wesentliche Voraussetzung eines fairen Verfahrens ist, dass alle Verfahrensbeteiligten über denselben Informationsstand verfügen.306 Gegenwärtig bestehen aufgrund der weitgehenden Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens in diesem Punkt gewichtige Vorteile für sog. repeat players, d. h. für Parteien, die regelmäßig an Schiedsverfahren beteiligt sind und aus diesem Grunde über umfassende Erfahrungen in diesem Bereich verfügen. Dem stehen sog. one-shot players gegenüber, d. h. Parteien, die über keine oder nur geringe Erfahrungen mit der Schiedsgerichtsbarkeit verfügen. Die Auswirkungen des repeat player advantage307 auf den Ablauf und das Ergebnis staatlicher Gerichtsverfahren wurde erstmals in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts von Galanter beschrieben.308 Danach verfügen repeat players über erhebliche Wissensvorsprünge hinsichtlich des Verfahrensablaufs und der Beteiligten, pflegen häufig informelle Kontakte zu Entscheidungsträgern, besitzen eigene Expertise sowie Zugang zu Spezialistenwissen, können langfristige, interessengeleitete Prozessstrategien implementieren und auf diese Weise sowohl ihre Glaubwürdigkeit steigern als auch den Inhalt des verfügbaren Präjudizienbestands selbst beeinflussen.309 Nicht zuletzt besitzen repeat player die Möglichkeit, über politische Lobbyarbeit die anwendbaren 305 

Diemer, in: KK-StPO, 7. Aufl. 2013, GVG § 169, Rn. 1. So für die Durchführung des schiedsrichterlichen Verfahrens selbst Münch, in: MüKoZPO, 4. Aufl. 2013, § 1042, Rn. 22; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 1290. 307  Zum Begriff siehe Knapp, 71 Fordham Law Review 761, 792 (2003). 308  Galanter, 9 Law & Society Review 95 (1974). 309  Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 118 f.; Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1237 (2006); Gibbons, 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution 769, 773 (2000). Dazu kann auch die Verhinderung von Präjudizien gehören, beispielsweise durch die Wahl des immer noch weitgehend vertraulichen Schiedsverfahrens oder durch taktisch motivierte Vergleichsschlüsse, vgl. Templeman, 30 Journal of International Arbitration 197, 204 (2013); Norris/Metzidakis, 15 Harvard Negotiation Law Review 31, 57 (2010). 306 



V.  Vorteile und systembildende Funktionen

223

Vorschriften selbst zu ihren Gunsten zu verändern.310 Bei formal gleichen Ausgangspositionen führt der repeat player advantage damit in der Praxis zu einem faktischen Ungleichgewicht zulasten der one-shot players. Diese Kritik besitzt auch für das Schiedsverfahren Bedeutung. Auch hier sind Konstellationen, in denen ein one-shot player einem repeat player gegenübersteht, nicht selten.311 Unter den Bedingungen einer weitgehenden Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens führt dies zu einer strukturell bedingten Benachteiligung von one-shot players, die sich auf verschiedenen Ebenen auswirken kann. Diese Ungleichgewichte beginnen mit der Benennung der Schiedsrichter. Repeat players verfügen regelmäßig über umfangreiche Erfahrungen mit verschiedenen Schiedsrichtern und können ihre Branchenkenntnis dazu nutzen, passende Kandidaten aufzuspüren. In der Praxis werden sie dabei häufig durch international tätige Großkanzleien unterstützt, die ihrerseits über erhebliche personelle Ressourcen und entsprechende Erfahrungen mit potentiellen Schiedsrichterkandidaten verfügen.312 Insgesamt führen diese informationellen Asymmetrien zu einer deutlichen Benachteiligung von one-shot players bei der Schiedsrichterauswahl.313 Ähnlich verhält es sich beim Zugang zu schiedsrichterlichen Entscheidungen. Repeat players verfügen häufig über interne Archive schiedsgerichtlicher Entscheidungen aus vorangegangenen Verfahren, die teilweise auch unter der Hand weitergegeben werden.314 Ergänzend können sie auf die Unterstützung internationaler Großkanzleien zurückgreifen, die ihrerseits ebenfalls in vielen Fällen über interne Schiedsspruchsammlungen verfügen.315 Der Zugang zu diesen Entscheidungen erleichtert nicht nur die Schiedsrichterauswahl, sondern kann dem repeat player unter Umständen auch beachtliche prozessuale und materielle Vorteile im Schiedsverfahren selbst verschaffen.316 Selbst wenn diese unveröffentlichten Entscheidungen nicht unmittelbar in ein Verfahren eingeführt werden, erlauben sie dem repeat player gleichwohl eine 310  Galanter, 9 Law & Society Review 95, 98 ff. (1974). Siehe hierzu auch die Entscheidung Cole v. Burns International Security Services, 105 F. 3d 1465 (D. C. Cir. 1997). 311  Vgl. die Untersuchung von Bingham, 29 McGeorge Law Review 223 (1997) zur Rolle von repeat players in der US-amerikanischen Arbeitsschiedsgerichtsbarkeit, die auf die Gefahr einer gezielten Manipulation des Präjudizienbestands durch repeat players hinweist. Ähnlich Menkel-Meadow, 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution 19 (1999). 312  Die Vorhaltung von Dossiers zu einzelnen Schiedsrichtern und ihrer Entscheidungspraxis bzw. die Nutzung von kanzleiinternen Kontaktnetzwerken zur Beurteilung der Eignung von Schiedsrichterkandidaten dürfte in Ansehung einer Reihe von Gesprächen, die der Verfasser mit Schiedspraktikern geführt hat, in der Praxis den Regelfall darstellen. 313  Karton, 28 Arbitration International 447, 470 (2012). 314  Blackaby, in: Contemporary Questions, 2003, S. 360 f.; Rau, 38 South Texas Law Review 485, 525 (1997); Berger, Kodifizierung, 1996, S. 59. 315  Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169, 173 sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Parallelmarkt für Schiedssprüche“. Siehe hierzu auch Norris/Metzidakis, 15 Harvard Negotiation Law Review 31, 66 (2010); Rogers, 54 University of Kansas Law Review 1301, 1319 f. (2006). 316  Coe, 54 University of Kansas Law Review 1339, 1358 (2006).

224

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

Einschätzung seiner prozessualen Situation und ermöglichen ihm gleichzeitig, von besonderen Detailkenntnissen und erprobten Lösungsansätzen zu profitieren. Dies gilt umso mehr, als viele Regelungen, vor allem in Schiedsordnungen, sehr allgemein gefasst sind und der wertenden Konkretisierung im Einzelfall bedürfen. In den wenigen Fällen, in denen Schiedssprüche veröffentlicht werden, geschieht dies häufig über kostenpflichtige Datenbanken wie Westlaw oder LexisNexis mit hohen Zugriffsgebühren, sodass auch hier finanzstarke repeat players bzw. ihre anwaltlichen Vertreter Vorteile genießen.317 Die dargestellten Entwicklungen begünstigen die Entstehung eines „institutionellen Gedächtnisses“318 auf Seiten der repeat players, dem one-shot players keine vergleichbare Sachkompetenz entgegensetzen können. Angesichts dieser Entwicklung besteht die Gefahr, dass eine fortdauernde Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens zu dauerhaften, strukturellen Nachteilen für weniger erfahrene Parteien und zur Entstehung eines „shadow law“ führt, dessen tatsächliche Funktionsweise lediglich einer eingeweihten Minderheit von repeat players bekannt ist und von diesen beeinflusst werden kann.319 Aus den dargestellten Gründen vertritt eine zunehmende Anzahl von Schiedspraktikern und Rechtswissenschaftlern die Auffassung, dass eine allgemeine Veröffentlichungspraxis zum Aufbrechen solcher Informationsasymmetrien und einseitig verzerrter Strukturen beitragen kann.320 Der tatsächlichen Chancengleichheit im Schiedsverfahren dürfte dies nur zuträglich sein.

e.  Fortbildungsmöglichkeiten für Schiedsrichter und Parteivertreter Eine systematische Veröffentlichung von Entscheidungen böte Schiedsrichtern und Parteivertretern im Übrigen die Gelegenheit, sich mit anderen Schiedssprüchen und den dort vertretenen Argumentationsmodellen und Lösungsansätzen auseinanderzusetzen und die eigene Argumentation auf ihre rechtliche Schlüssigkeit und Überzeugungskraft zu prüfen und ggf. als Anregung zu nutzen.321 Es ist nicht auszuschließen, dass ein solcher Austausch und die damit verbundenen Fortbildungsmöglichkeiten sich mittelfristig positiv auf die 317  Maurer, Lex Maritima, 2012, S. 178; Dragich, 44 American University Law Review 757, 792 (1995). 318  Zum Begriff Rau, 38 South Texas Law Review 485, 524 (1997). 319  Perschbacher/Bassett, 84 Boston University Law Review 1, 26 (2004); Raymond, 16 American Review of International Arbitration 479, 502 f. (2005). 320  Coe, in: Iran-U. S. Claims Tribunal, 2006, S. 119, 127. 321  ten Cate, 51 Columbia Journal of Transnational Law 418, 467 (2013); Norris/Metzidakis, 15 Harvard Negotiation Law Review 31, 61 (2010); Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 244 (2008); Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 176 f. (2005); Müller, 23 ASA Bulletin 216, 234 f. (2005); Mistelis, 21 Arbitration International 211, 213 f. (2005); Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, 2003, S. 660; Brown, 16 American University International Law Review 969, 1018 (2001).



V.  Vorteile und systembildende Funktionen

225

allgemeine Qualität schiedsrichterlicher Entscheidungen auswirken würde.322 Darüber hinaus böte eine allgemeine Verfügbarkeit früherer Entscheidungen anderer Schiedsgerichte gerade jüngeren Juristen, die eine Tätigkeit als Schiedsrichter oder Parteivertreter anstreben, die Möglichkeit, fachliche Expertise zu erwerben und sich für künftige Berufungen zu empfehlen.323 Diese Möglichkeiten werden gegenwärtig durch die weitgehende Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens und seiner Ergebnisse zumindest erschwert.324 Das gilt vor allem für jüngere Schiedsrichteraspiranten. Angesichts der gegenwärtigen Situation, die durch das weitgehende Fehlen eines schiedsrichterlichen Berufsrechts sowie gesetzlicher Zugangsregelungen charakterisiert wird, bestimmt sich die fachliche Reputation eines Schiedsrichters maßgeblich nach seiner forensischen Erfahrung. Dem entspricht es, dass beispielsweise die Schiedsrichterdatenbank der DIS primär die Anzahl an Verfahren hervorhebt, an denen ein potentieller Kandidat als Schiedsrichter und als Parteivertreter bislang teilgenommen hat.325 Die Möglichkeiten zur Sammlung solcher praktischen Erfahrungen als Schiedsrichter oder Parteivertreter sind gleichwohl begrenzt: Der Zugang zu solchen Mandaten führt aufgrund der im Schiedsverfahren herrschenden Vertraulichkeit gegenwärtig weitgehend über persönliche Beziehungen, was die objektiven Chancen einer Berücksichtigung von Neueinsteigern faktisch deutlich schmälert. Dieser Effekt wird noch dadurch gesteigert, dass prominente Schiedsrichter häufig auch als Parteivertreter und umgekehrt tätig sind. Im Ergebnis begünstigt dies die Entstehung eines überschaubaren, weitgehend auf persönlichen Bekanntschaften und Beziehungen beruhenden Zirkels, der lukrative Mandate unter sich aufteilt.326 Eine allgemeine Verfügbarkeit schiedsrichterlicher Entscheidungen könnte solchen Verengungstendenzen entgegenwirken und auf diese Weise dazu beitragen, bestehende Beschränkungen aufzubrechen und die Schiedsgerichtsbarkeit auch auf Seiten der Schiedsrichter und der Parteivertreter offener und demokratischer zu gestalten.

322  Coe, 54 University of Kansas Law Review 1339, 1356 (2006); Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 176 (2005). 323  Rogers, 54 University of Kansas Law Review 1301, 1335 (2006); Brown, 16 American University International Law Review 969, 1018 (2001). 324  Karton, 28 Arbitration International 447, 472 (2012); Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1921 (2010); Norris/Metzidakis, 15 Harvard Negotiation Law Review 31, 61 (2010); Gal, Haftung, 2009, S. 332; Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 244 (2008); Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 124 f.; Mistelis, 21 Arbitration Interna­ tional 211, 213 f. (2005); Rogers, 20 American University International Law Review 957, 1005 f. (2005); Müller, 23 ASA Bulletin 216, 235 (2005); Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 620 (2004); Petersen/Rezler, Journal of Dispute Resolution 1986, 73. 325 www.disarb.org. 326  Rogers, 20 American University International Law Review 957, 967 f. (2005).

226

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

f.  Ermöglichung einer fachwissenschaftlichen Diskussion Die allgemeine Verfügbarkeit eines body of precedent kann nicht nur innerhalb eines bestimmten Verfahrens für Zeit- und Effizienzgewinne sorgen, sondern birgt auch einzelfallübergreifende Vorteile. Ein wesentlicher Vorteil in diesem Sinne ist die Ermöglichung einer allseitigen fachwissenschaftlichen Diskussion zwischen Schiedspraktikern und Rechtswissenschaftlern, die ihrerseits Impulse für die Verbesserung und Fortentwicklung des Schiedsverfahrens liefern kann.327 Die wissenschaftliche Aufarbeitung des schiedsgerichtlichen Präjudizienbestands gewährleistet die Rückkoppelung der Praxis an die Theorie und kann gleichermaßen vorhandene Lösungen auf ihre rechtliche Tragfähigkeit prüfen als auch neue Lösungswege in die Diskussion einbringen.328 Ein Beispiel für diese Wechselwirkungen zwischen Theorie und Praxis stellen die bereits erwähnten best practice-Kodizes der IBA dar.329 Auch institutionelle Schiedsordnungen könnten als „geronnene Schiedspraxis“330 von einem intensiveren Erfahrungsaustausch profitieren. Solchen kooperativen Ansätzen steht gegenwärtig allerdings vielfach die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens entgegen.331 Die von einer umfassenderen Publizität schiedsgerichtlicher Entscheidungen ausgehenden Impulse beschränken sich aber nicht allein auf die Entwicklung rechtsdogmatischer Lösungsansätze. Die Verfügbarkeit von Schiedssprüchen liefert auch die Grundlage für rechtsempirische Untersuchungen, beispielsweise zu der Frage, ob und inwiefern Schiedsrichter nationales Recht anders als staatliche Gerichte anwenden bzw. welche Rolle in diesen Fällen der höchstrichterlichen Rechtsprechung einer bestimmten Jurisdiktion zukommt.332 Solche Untersuchungen sind in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit 327  König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 44 f.; ten Cate, 51 Columbia Journal of Transna­ tional Law 418, 465 (2013); Sali, in: Transparency, 2013, S. 73, 84; Azzali aaO, xxvi; Karton, 28 Arbitration International 447, 463 f. (2012); Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung, 2010, S. 155 f.; Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1927 (2010); Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 116 ff.; Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 243 (2008); Commission, 24 Journal of International Arbitration 129, 154 f. (2007); Schroeder, Lex Mercatoria Arbitralis, 2007, S. 99; Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 632 (2004); Buys, 14 American Review of International Arbitration 121, 137 (2003); Lew/ Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, 2003, S. 660; Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 162 ff.; Kropholler, Einheitsrecht, 1975, S. 148. 328 Zu diesem Aspekt auch Buck-Heeb/Dieckmann, Selbstregulierung, 2010, S. 155 f.; Raymond, 16 American Review of International Arbitration 479, 504 f. (2005). 329  Rogers, 20 American University International Law Review 957, 1003 (2005). 330  Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 102 f. 331  Zur Situation in Deutschland Hirsch, SchiedsVZ 2003, 49, 52; Rabe, TranspR 1989, 356 f.; Weidhaas/Swoboda, CR 1988, 104, 106 f. 332 Vgl. Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 97, 119 f., die ihre These, wonach Schiedsrichter nationales Recht lediglich in modifizierter Form zur Anwendung bringen, allerdings auch nicht mit entsprechenden Entscheidungen belegen kann. In welcher Weise das Schiedsgericht eine bestimmte nationale Rechtsordnung und die zugehörige Rechtsprechung berücksichtigt, dürfte sowohl im common law als auch im civil law maßgeblich von den übereinstimmenden



V.  Vorteile und systembildende Funktionen

227

bislang aufgrund der weitgehenden Vertraulichkeit von Schiedssprüchen kaum möglich. In anderen Bereichen der Schiedsgerichtsbarkeit, so vor allem im internationalen Investitionsschutzrecht sowie in der Arbeits- und Sportgerichtsbarkeit sind entsprechende Untersuchungen bereits durchgeführt worden und haben zum Verständnis der tatsächlichen Funktionsweise des Schiedsverfahrens beigetragen.333

g.  Zeit- und Kostenvorteile Nicht zuletzt könnte eine größere Publizität schiedsrichterlicher Entscheidungen zu einer zügigeren und effizienteren Abwicklung des Schiedsverfahrens und damit zu Kostenvorteilen beitragen. Solche Vorteile ergeben sich einerseits aus der Vermeidung der Einleitung unnötiger Verfahren, andererseits aus einer schnelleren und effizienteren Verfahrensdurchführung.334 Die gleichmäßige Behandlung einer bestimmten Rechtsfrage durch Schiedsgerichte kann bei entsprechender Häufigkeit verhaltenssteuernde Wirkungen auf Seiten der Rechtsunterworfenen erzeugen.335 Rechtskundige Parteivertreter werden sich hierauf einstellen und ihre Mandanten entsprechend zu den Erfolgsaussichten eines schiedsgerichtlichen Verfahrens beraten. Die Einleitung unnötiger, da voraussichtlich erfolgloser, Verfahren kann dadurch zumindest verringert werden. Gleichzeitig kann die Möglichkeit des Rückgriffs auf und der Orientierung an früheren Entscheidungen von Schiedsgerichten auch im Schiedsverfahren selbst sowohl für die Parteien als auch für das Schiedsgericht inhaltliche Anschlussstellen und damit Möglichkeiten für eine zügigere Verfahrensdurchführung schaffen. Ohne Zugang zu Präjudizien sind dagegen sowohl Schiedsrichter als auch Parteivertreter gezwungen, stets aufs Neue Einzelfalllösungen zu entwickeln, ohne dass sie insoweit auf allgemeine Standards zurückgreifen oder zu deren Schaffung beitragen könnten.336 Solche Standards können sich vor allem in prozessualen Fragen, beispielsweise zur Auslegung und Anwendung bestimmter Schiedsordnungsbestimmungen, entwickeln. Eine allgemeine Verfügbarkeit schiedsrichterlicher Entscheidungen könnte auf diese Weise beträchtVorgaben bzw. Vorstellungen und Interessen der Parteien abhängen, an denen sich auch das Schiedsgericht zu orientieren hat, vgl. hierzu auch Berger, in: Elsing-FS, 2015, S. 15, 25 f.; ders., 9 Journal of International Arbitration 5, 10 ff. (1992). 333  Siehe hierzu bereits oben S. 191 ff. 334  Sali, in: Transparency, 2013, S. 73, 85; Karton, 28 Arbitration International 447, 466 (2012); Hoffmann, Handelssachen, 2011, S. 84; Sikiric, 13 Croatian Arbitration Yearbook 131, 161 (2006); Müller, 23 ASA Bulletin 216, 234 (2005). Den gegenteiligen Standpunkt nimmt Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1227 (2006) ein, die eine Verlängerung des Schiedsverfahrens durch zunehmende “judicilization” befürchtet, hierzu auch Drahozal, 33 Vanderbilt Journal of Transnational Law 79, 96 (2000). 335  Hierzu bereits oben S. 212 ff. 336  Müller, 23 ASA Bulletin 216, 234 (2005).

228

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

liche Synergien in der Vorbereitung und Durchführung des Schiedsverfahrens freisetzen. Vor dem Hintergrund der eingangs bereits dargestellten zunehmenden Kritik an der längeren Verfahrensdauer und den steigenden Kosten von Schiedsverfahren kann die systematische Veröffentlichung von Entscheidungen damit einen wichtigen Beitrag zur Wahrung der Attraktivität des Schiedsverfahrens leisten. Mögliche Mehrkosten, die durch die Veröffentlichung bzw. die hierfür erforderliche Bearbeitung des Schiedsspruchs entstehen, dürften sich in einem vertretbaren Rahmen halten.337 Im Einzelnen hängt die Höhe dieser Kosten maßgeblich von dem gewählten Publikationsmodus ab.338 In jedem Falle stehen sie zu den durch eine allgemeine Publikationspraxis erzielten systemischen Verbesserungen nicht außer Verhältnis.339

3.  Steigerung der Akzeptanz und der Legitimität des Schiedsverfahrens Eine umfassendere Publizität schiedsrichterlicher Entscheidungen kann daneben auch unabhängig vom konkreten Einzelverfahren zu der allgemeinen Akzeptanz und Legitimität des Schiedsverfahrens beitragen. In der schiedsverfahrensrechtlichen Literatur ist in diesem Zusammenhang in jüngerer Zeit vermehrt der Begriff der „Legitimitätskrise“ genannt worden.340 Unabhängig vom Bestehen oder Nichtbestehen einer solchen Legitimitätskrise ist es nicht von der Hand zu weisen, dass der Erfolg der Schiedsgerichtsbarkeit als alternatives Konfliktlösungsmodell maßgeblich von seiner internen und externen Legitimität abhängt. Diese Legitimität kann das Schiedsverfahren mittel- und langfristig jedoch nur durch eine größere Verfahrens- und Entscheidungstransparenz wahren (a.). Für Schiedsinstitutionen bietet sich zudem die Chance, ein Mehr an Transparenz im Wettbewerb um Marktanteile als Alleinstellungsmerkmal für sich zu nutzen (b.). Schließlich kann die allgemeine Verfügbarkeit eines schiedsgerichtlichen Präjudizienbestands auch eine Ausstrahlungswirkung auf die Rechtsprechung staatlicher Gerichte haben und auf diese Weise zum Abbau von Barrieren und zu einem Dialog zwischen staatlicher Gerichtsbarkeit und Schiedsgerichtsbarkeit beitragen (c.).

337  So auch Coppo, in: Transparency, 2013, S. 137, 153; Karton, 28 Arbitration Interna­ tional 447, 483 (2012); Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 180 (2005). Kritischer Egonu, 24 Journal of International 479, 487 (2007); Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1227 (2006); Seitz, 38 Arbitration Journal 58, 60 (1983). 338  Jolivet, 22 Arbitration International 265, 272 (2006). Näher hierzu unten S. 287. 339  Karton, 28 Arbitration International 447, 483 (2012). 340  ten Cate, 44 New York University Journal of International Law and Politics 1109, 1182 f. (2012); Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1015 (2007); Franck, 73 Fordham Law Review 1521, 1558 ff. (2005).



V.  Vorteile und systembildende Funktionen

229

a.  Größere Legitimität der Schiedsgerichtsbarkeit durch mehr Verfahrensund Entscheidungstransparenz Jedes Streitentscheidungssystem bedarf der Legitimität, letztere verstanden als Anerkennung von dessen spezifischer institutioneller, verfahrens- und entscheidungsbezogener Rechtmäßigkeit. In besonderem Maße gilt dies aufgrund ihrer strukturellen Besonderheiten für die Schiedsgerichtsbarkeit. Anders als in der staatlichen Gerichtsbarkeit besteht in der Schiedsgerichtsbarkeit, mit der Ausnahme einiger weniger ständiger Spruchkörper wie beispielsweise des Iran-United States Claims Tribunals, keine von der Vereinbarung der Parteien losgelöste Zuständigkeit. Jedes Schiedsgericht konstituiert sich im Streitfall auf Grundlage der von den Parteien geschlossenen Schiedsverfahren neu. Existenz und Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit hängen aus diesem Grunde unmittelbar von der privatautonomen Entscheidung der Parteien für oder gegen das Schiedsverfahren ab. Auch im Verfahren selbst ist das Schiedsgericht regelmäßig darum bemüht, in wesentlichen Fragen nicht gegen den Willen einer oder beider Parteien zu handeln.341 Nicht zuletzt hängt die praktische Bedeutung des Schiedsverfahrens auch deshalb von seiner Akzeptanz durch die Parteien ab, weil institutionelle Mechanismen zur zwangsweisen Durchsetzung der Entscheidungen des Schiedsgerichts fehlen bzw. nur im Wege der Inanspruchnahme staatlicher Vollstreckungsorgane möglich sind. Die Schiedsgerichtsbarkeit bedarf deshalb in noch höherem Maße als die staatliche Gerichtsbarkeit der freiwilligen Befolgung durch die Parteien.342 Gleichwohl greift die teilweise geäußerte Annahme, die Legitimität des Schiedsverfahrens beruhe auf der privatautonomen Entscheidung der Parteien, bestimmte Rechtsstreitigkeiten unter Ausschluss der staatlichen Gerichte durch ein Schiedsgericht entscheiden zu lassen, zu kurz und führt im Ergebnis zu einem Zirkelschluss: Das Schiedsverfahren soll legitim sein, weil es von den Parteien gewählt wurde und die Parteien wählen das Schiedsverfahren, weil sie von dessen Legitimität ausgehen. Die eigentliche Quelle der Legitimität des Schiedsverfahrens dürfte deshalb weniger in der tatsächlichen Entscheidung der Parteien für das Schiedsverfahren, sondern in den dieser Entscheidung zugrundeliegenden Annahmen und Erwartungen der Parteien, mit anderen 341 Dies zeigt eindrücklich die bereits dargestellte Entscheidung des OLG Frankfurt (SchiedsVZ 2013, 49, hierzu bereits oben S. 106 ff.), die gleichzeitig exemplarisch die mit einem solchen Ansatz verbundenen Schwierigkeiten der Unterscheidung zwischen Parteivereinbarung und schiedsgerichtlicher Verfügung zeigt. Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 136 ff. weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass auch die Behandlung kollisionsrechtlicher Fragen durch die Schiedsgerichte weniger der Entwicklung kohärenter normativer Standards als letztlich der Rechtfertigung und Legitimierung einer bestimmten Rechtswahl gegenüber den Parteien im Einzelfall dient. Das schließt eine Normbildung auf der Grundlage schiedsgerichtlicher Präjudizien aber nicht aus. 342  Buys, 14 American Review of International Arbitration 121, 136 (2003); Carbonneau, 23 Columbia Journal of Transnational Law 579, 605 (1985).

230

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

Worten, in bestimmten Legitimitäts-Zuschreibungen zu sehen sein. Dies führt zu der Frage, welcher Art und welchen Inhalts diese Zuschreibungen sind und weshalb sie aus Sicht der Parteien geeignet sind, die Legitimität des Schiedsverfahrens zu begründen. Ob ein Streitentscheidungssystem in der Praxis von seinen Nutzern als auch von der weiteren Öffentlichkeit als legitim anerkannt wird, hängt maßgeblich von seiner materiellen und verfahrensbezogenen Leistungsfähigkeit ab.343 Nur ein Konfliktlösungssystem, das tatsächlich Konflikte löst, hat eine Chance, überhaupt als legitim wahrgenommen zu werden. Während die materielle Qualität eines solchen Systems anhand der Übereinstimmung seiner Lösungen mit allgemein anerkannten Fairness- und Gerechtigkeitsvorstellungen gemessen werden kann, hängt seine verfahrensbezogene Leistungsfähigkeit von seiner Entwicklungsfähigkeit, der Wirksamkeit seiner internen Kontrollmechanismen und dem Vorhandensein von Kriterien zur Unterscheidung legitimer von illegitimen Entscheidungen ab.344 Im Rahmen der materiellen Leistungsfähigkeit können sich die Interessen der Parteien vor allem auf die Frage richten, in welcher Weise und unter Rückgriff auf welche Normen das System eine Entscheidung des Rechtsstreits herbeiführt.345 Im Rahmen der verfahrensbezogenen Leistungsfähigkeit des Systems kann für die Parteien von Bedeutung sein, ob und in welchem Umfang das System ein Mindestmaß an Entscheidungskohärenz gewährleisten und damit für Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit im Hinblick auf das Erkenntnisverfahren und die daraus hervorgehende Entscheidung sorgen kann, ob es über Mechanismen zur Verhinderung bzw. Korrektur falscher Entscheidungen oder individuellen Machtmissbrauchs verfügt, ob es sich an geänderte Anforderungen, beispielsweise an den zunehmend geäußerten Wunsch der Parteien nach einer schnelleren und kosteneffizienteren Verfahrensdurchführung, anpassen kann oder ob es objektive Anhaltspunkte für die Beurteilung der fachlichen Qualität sowie der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Schiedsrichter sicherstellen kann.346 Die Beurteilung der Leistungsfähigkeit eines Systems durch die prospektiven Nutzer und die weitere Öffentlichkeit setzt allerdings ein Mindestmaß an Verfahrens- und Entscheidungstransparenz voraus. Nur wenn das Verfahren und die aus ihm erwachsende Entscheidung der Öffentlichkeit zugänglich sind, können prospektive Nutzer eine begründete Entscheidung für oder gegen die Schiedsgerichtsbarkeit treffen. In der Handelsschiedsgerichtsbarkeit bestehen in diesem Punkt erhebliche Defizite. Die 343 Vgl.

Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1019 (2007); Weiler, 35 Journal of World Trade 191, 204 (2001). 344  Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1019 f. (2007). 345  Auf diesen Vertrauensvorschuss ist die Schiedsgerichtsbarkeit gerade dann angewiesen, wenn sie ihre Entscheidungen auf der Grundlage transnationaler Rechtssätze wie der lex mercatoria trifft, vgl. Berger, Kodifizierung, 1996, S. 59. 346  Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1019 f. (2007); Franck 12 ILSA Journal of International and Comparative Law 499, 521 (2006).



V.  Vorteile und systembildende Funktionen

231

tatsächliche Leistungsfähigkeit der Handelsschiedsgerichtsbarkeit und ihrer Protagonisten lässt sich aufgrund der weitgehenden Vertraulichkeit des Verfahrens gegenwärtig kaum auf der Grundlage objektiv verfügbarer Informationen beurteilen. Stattdessen sind die Parteien wie auch die Öffentlichkeit weitgehend auf Berichte von Insidern, auf die nicht immer uneigennützigen Empfehlungen Dritter sowie auf persönliche Erfahrungen und auf Kenntnisse vom Hörensagen angewiesen.347 Es bedarf keiner Erwähnung, dass Legitimität und die Akzeptanz des Schiedsverfahrens unter solchen Bedingungen leiden. Jüngere Umfragen belegen, dass Parteien in nicht wenigen Fällen die Verfahrensleitung des Schiedsgerichts, Dauer und Kosten des Schiedsverfahrens sowie die Qualität der Entscheidung beanstanden.348 Dem damit einhergehenden Vertrauensverlust ließe sich vor allem durch eine transparentere Verfahrensgestaltung sowie durch eine größere Entscheidungstransparenz entgegenwirken.349 Anstrengungen zu größerer Verfahrens- und Entscheidungstransparenz sind in den vergangenen Jahren vor allem in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit unternommen worden. Die Gründe für diesen Paradigmenwechsel lagen vor allem in der zunehmenden Kritik an den weitreichenden Auswirkungen der Entscheidungen der Investitionsschiedsgerichte, denen nur geringe Partizipationsund Kenntnisnahmemöglichkeiten der politischen Öffentlichkeit gegenüberstanden.350 Bedeutende Investitionsschiedsinstitutionen wie etwa das ICSID haben diesen Forderungen durch Teilnahme- und Stellungnahmerechte für a­ mici curiae sowie durch die zeitnahe Veröffentlichung von Verfahrensinformationen, die neben den Entscheidungen des Schiedsgerichts selbst mittlerweile auch Stellungnahmen der Parteien und Dritter sowie weitere Details, beispielsweise zu den Mitgliedern des Schiedsgerichts, den Parteivertretern und dem Stand des Schiedsverfahrens, enthalten, Rechnung getragen.351 Ergänzend haben 347 Vgl. Ginsburg, 36 Vanderbilt Journal of Transnational Law 1335, 1340 (2003); Drahozal, 20 Journal of International Arbitration 23 (2003): “Much of our understanding of what happens in arbitral proceedings is based on anecdotal sources of information […]. The problem with anecdotes, of course, is that it is difficult to evaluate whether the event described is typical or atypical, frequent or infrequent, ordinary or extreme.” 348  Vgl. die Nachweise oben S. 175, Fn. 122. 349  So auch Karton, 28 Arbitration International 447, 472 (2012); Adolphsen, Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl. 2015, S. 360; Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1944 ff. (2010); Norris/Metzidakis, 15 Harvard Negotiation Law Review 31, 62 f. (2010); Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 244; Rogers, 20 American University International Law Review 957, 1006 f. (2005); Gibbons, 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution 769, 787 (2000). 350 Ausführlich Blackaby, in: Contemporary Questions, 2003, S. 355 ff. Dagegen Orrego Vicuña: “Highly respected professional arbitrators will, in any event, be aware of the public interests involved in the cases before them.”, zitiert nach Norris/Metzidakis, 15 Harvard Negotiation Law Review 31, 52 (2010). 351  Siehe hierzu Norris/Metzidakis, 15 Harvard Negotiation Law Review 31, 72 ff. (2010); Renner; KJ 2010, 66, 72; Stumpe, SchiedsVZ 2008, 125; Tweeddale, 21 Arbitration International 59, 62 f. (2005).

232

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

Investitionsschiedsgerichte wiederholt die maßgebliche Bedeutung der Verfahrens- und Entscheidungstransparenz für die Investitionsschiedsgerichtsbarkeit betont.352 Eine vergleichbare Entwicklung ist innerhalb des NAFTA-Übereinkommens, das für Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien ebenfalls einen Schiedsmechanismus (Chapter 11) vorsieht, zu beobachten. Dort haben nach anfänglichen Vorbehalten sämtliche Vertragsparteien des Übereinkommens ihr Einverständnis mit der Veröffentlichung von Chapter 11-Schiedssprüchen erklärt353, sodass mittlerweile eine umfassende Rechtsprechung zur Anwendung und Auslegung des Übereinkommens entstanden ist.354 Auch die Panels und der Appellate Body der WTO lassen seit einigen Jahren mehr Öffentlichkeit in internationalen Handelsstreitigkeiten zu. Dies betrifft sowohl die Öffnung der mündlichen Verhandlungen für nicht verfahrensbeteiligte Dritte wie die umfassende Veröffentlichung der von den Panels sowie vom Appellate Body erlassenen Entscheidungen.355 Zuletzt hat die UNCITRAL im Jahre 2014 die Rules on Transparency in Treaty-Based Investor-State Arbitration verabschiedet, die weitgehende Regelungen zur Öffentlichkeit des Investitionsschiedsverfahrens und der aus ihm hervorgehenden Entscheidungen enthalten. Die Erfahrungen aus der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zeigen, dass die in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit geäußerten Befürchtungen zu den Folgen einer größeren Verfahrens- und Entscheidungstransparenz beherrschbar sein dürften und insbesondere nicht zwangsläufig zu einer Abwanderung von prospektiven Nutzern in andere Konfliktlösungssysteme führen müssen.356 Der gegenwärtige Erfolg der Schiedsgerichtsbarkeit auf nationaler wie auf internationaler Ebene basiert auf dem Vertrauen der Nutzer in die Anerkennungswürdigkeit und Rechtmäßigkeit des Verfahrens und der daraus hervorgehenden Entscheidungen. Die zunehmende wirtschaftliche und systemische Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit führt jedoch zu einem wachsenden Bedürfnis der Nutzer und der weiteren Öffentlichkeit an Vorhersehbarkeit, Rechtssicherheit und rationaler Kalkulation der mit einer Entscheidung für das Schiedsverfahren verbundenen Chancen und Risiken.357

352  Methanex Corp. v. United States of America, Entscheidung vom 15. Januar 2001, Rn. 49; United Parcel Service of America Inc. v. Government of Canada, Entscheidung vom 17. Oktober 2001, Rn. 65. Zu diesen Entscheidungen auch Coe, 54 University of Kansas Law Review 1339, 1370 ff. (2006); Tweeddale, 21 Arbitration International 59, 63 f. (2005). Alle zitierten Entscheidungen abrufbar unter www.italaw.com. 353  Art. 1137 Abs. 4 NAFTA i. V. m. Anhang 1137.4. 354  Hierzu bereits oben S. 203 ff. 355  Bogdandy/Venzke, 12 German Law Journal, 1341, 1363 f. (2011). 356  Siehe unten S. 235 ff. 357  Hoffmann, Handelssachen, 2011, S. 84; Carbonneau, 25 Michigan Journal of International Law 1183, 1207 (2004); Ginsburg, 36 Vanderbilt Journal of Transnational Law 1335, 1344 (2003).



V.  Vorteile und systembildende Funktionen

233

Der künftige Erfolg der Schiedsgerichtsbarkeit als Modell der Konfliktlösung wird davon abhängen, inwieweit sie ihre eigene Leistungsfähigkeit – gerade auch in Abgrenzung zur staatlichen Gerichtsbarkeit – objektiv und sachlich überzeugend unter Beweis stellen kann. Zweifellos trifft es zu, dass die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens für manche Parteien einen gewichtigen Grund für die Wahl der Schiedsgerichtsbarkeit darstellt. Diese Tatsache darf aber aus Sicht der Schiedspraxis nicht zu der Annahme verleiten, dass die Aufgabe der Schiedsgerichtsbarkeit sich in der Herstellung maximaler Vertraulichkeit erschöpfe. Aufgabe und Herausforderung der Schiedsgerichtsbarkeit ist es vielmehr, den Parteien eine seriöse und leistungsfähige Alternative zur staatlichen Gerichtsbarkeit anzubieten und ihnen auf diese Weise die Möglichkeit zu verschaffen, eine selbständige und informierte Entscheidung über die Art und Weise der Streitbeilegung im Einzelfall zu treffen. Dieses Ziel wird sich perspektivisch nicht ohne Anstrengungen hin zu einer größeren Transparenz des Schiedsverfahrens und der aus ihm hervorgehenden Entscheidungen realisieren lassen. Die Schiedspraxis sollte diese Entwicklung nicht als Zumutung, sondern vielmehr als Chance begreifen. Sie hat nichts zu verbergen, wenngleich sie sich gegenwärtig (noch) so verhält.

b.  Alleinstellungsmerkmal für Institutionen Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen kann ferner einzelnen Schiedsinstitutionen als Qualitäts- und Alleinstellungsmerkmal dienen, um das Vertrauen bestimmter Verkehrskreise in ihre Arbeit zu erlangen bzw. zu erhalten.358 Inhaltlich überzeugende Entscheidungen können nicht nur die Sachkompetenz der Schiedsrichter nachweisen, sondern belegen auch die qualitativen Ansprüche der betreffenden Institution hinsichtlich der Schiedsrichterauswahl und der Administration des Verfahrens.359 Angesichts einer zunehmenden Zahl von Schiedsinstitutionen und des damit einhergehenden verschärften Wettbewerbs um Marktanteile kann die in der Praxis immer noch seltene Veröffentlichung von Schiedssprüchen einen wichtigen Baustein zur Entwicklung eines eigenständigen Markenkerns darstellen und sowohl fachliche Kompetenz als auch inhaltliche Qualität kommunizieren. Teilweise geäußerte Bedenken, dass Institutionen mit einer liberalen Veröffentlichungspraxis Wettbewerbsnachteile zu befürchten hätten, werden durch die Praxis nicht bestätigt. So sind beispiels358  Azzali, in: Transparency, 2013, xxvi; Adolphsen, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 2015, S. 360; Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 244 (2008); Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1247 (2006); Rogers, 54 University of Kansas Law Review 1301, 1323, dort Fn. 93 (2006); Ginsburg, 36 Vanderbilt Journal of Transnational Law 1335, 1342 f. (2003); Moehle von Hoffmannswaldau, TranspR 1990, 15. 359  McIlwrath/Schroeder, in: Transparency, 2013, S. 87, 97; Drahozal, 20 Journal of International Arbitration 23, 25 (2003).

234

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

weise die Fallzahlen des ICSID und der Stockholm Chamber of Commerce (SCC), die beide regelmäßig Schiedssprüche veröffentlichen, ungeachtet dieser Tatsache in den vergangenen Jahren beständig gestiegen.360 Auch das SIAC hat ungeachtet der Neufassung seiner Schiedsregeln im Jahre 2013, die dem SIAC unter anderem das Recht gewähren, Schiedssprüche in anonymisierter Form auch ohne Zustimmung der Parteien zu veröffentlichen, einen neuen Verfahrenshöchststand erreicht. Dieser Anstieg mag zwar auch auf anderen Gründen beruhen, er beweist jedoch, dass die bloße Tatsache einer systematischen Publikationspraxis eine Institution aus Sicht der Nutzer offenbar nicht weniger attraktiv macht, soweit gleichwohl ein adäquater Schutz von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen oder sonstigen sensiblen Informationen gewährleistet ist. Eine Flucht der Parteien aus der Schiedsgerichtsbarkeit allein aufgrund einer liberaleren Veröffentlichungspraxis erscheint vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen eher unwahrscheinlich.

c.  Ausstrahlungswirkung auf staatliche Rechtsprechung Schließlich kann die allgemeine Verfügbarkeit von Schiedssprüchen auch Ausstrahlungswirkung auf die Rechtsprechung staatlicher Gerichte entfalten.361 Diese könnten im Rahmen der Entscheidungsfindung auch auf schiedsrichterliche Entscheidungen zurückgreifen und sich deren Erfahrungen und Lösungsansätze zu eigen machen. Diese Möglichkeit besteht insbesondere in den kontinentaleuropäischen Rechten, die keine strikte Präjudizienbindung kennen. Aus rechtsdogmatischer Hinsicht spricht nichts dagegen, dass staatliche Gerichte sich auch mit Entscheidungen von Schiedsgerichten inhaltlich und argumentativ auseinandersetzen, diese in ihren Entscheidungen berücksichtigen und auf diese Weise zu einem besseren wechselseitigen Verständnis beitragen. Dass die Schiedsgerichtsbarkeit weltweit in der staatlichen Gerichtsbarkeit grundsätzlich ein hohes Ansehen besitzt, beweist nicht zuletzt die Tatsache, dass ihr in vielen Jurisdiktionen weitreichende Entscheidungskompetenzen eingeräumt werden, während die staatliche Überprüfung von Schiedssprüchen gleichzeitig auf 360  Karton, 28 Arbitration International 447, 482 (2012). Auch die neuerdings veröffentlichungsfreundliche Haltung des LCIA und des Schiedsgerichts der Handelskammer Mailand ist öffentlich begrüßt worden, Hinweise auf hierdurch verursachte wirtschaftliche Einbußen der Institutionen existieren nicht, vgl. Ritz, 27 Journal of International Arbitration 221, 228 f. (2010); Young/Chapman, 27 ASA Bulletin 26, 29 (2009). Skeptisch dagegen Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1243 (2006). Mögliche wirtschaftliche Risiken für die Institutionen könnten im Übrigen durch eine abgestimmte, gemeinsame Veröffentlichungspraxis mehrerer Institutionen minimiert werden. 361  Weidemaier, 90 North Carolina Law Review 1091, 1141 (2012); Gibbons, 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution 769, 786, 788 (2000); Berger, Kodifizierung, 1996, S. 61; Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 163 f., 169; Carbonneau, 23 Columbia Journal of Transnational Law 579, 610 (1985); Schlosser, in: Rechtsfortbildung, 1989, S. 5, 6.



V.  Vorteile und systembildende Funktionen

235

ein Mindestmaß beschränkt wird.362 Ein wechselseitiger Austausch zwischen beiden Sphären scheint vor diesem Hintergrund durchaus möglich und denkbar. Notwendige Voraussetzung einer solchen Ausstrahlungswirkung ist allerdings die Möglichkeit zur wechselseitigen Beobachtung der jeweilen Spruchkörper.363 Bislang findet eine inhaltliche Auseinandersetzung vorwiegend deshalb nicht statt, weil kaum schiedsrichterliche Entscheidungen öffentlich zugänglich sind.364 Mit der zunehmenden Verfügbarkeit solcher Entscheidungen könnte aber zumindest die Grundlage für einen juristischen Dialog geschaffen werden, der zum Vorteil aller Seiten wäre.365

4.  Keine überwiegenden Nachteile durch allgemeine Veröffentlichungspraxis Den Vorteilen einer systematischen Publikationspraxis stehen keine durchgreifenden Nachteile entgegen. Eine Einschränkung der Flexibilität des Schiedsverfahrens, die gemeinhin als einer der wesentlichen Vorteile dieser Verfahrensart genannt wird, ist mit der Veröffentlichung von Schiedssprüchen nicht verbunden (a.). Ebenso wenig steht zu befürchten, dass die Verfügbarkeit eines wachsenden Präjudizienbestands zu einer allgemeinen Zunahme von Streitigkeiten führen wird (b.). Den Vertraulichkeitsinteressen der Verfahrensbeteiligten kann in der Regel durch die Anonymisierung der Entscheidung Rechnung getragen werden (c.).

a.  Keine Einschränkung der Flexibilität des Schiedsverfahrens Zunächst einmal ist die teilweise geäußerte Befürchtung, die systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen werde die Schiedsgerichtsbarkeit mittelfristig in ein Präjudizienkorsett zwängen und auf diese Weise die allseits geschätzte Flexibilität des Schiedsverfahrens gefährden, unbegründet.366 Wie im Rahmen dieses Kapitels bereits dargelegt, kommt eine rechtsverbindliche Präjudizienbindung im Sinne der stare decisis doctrine in der Schiedsgerichtsbarkeit nicht in Betracht. Denkbar ist angesichts des Fehlens institutioneller Strukturen zur Gewährleistung einer kohärenten Entscheidungspraxis allein 362 

Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 163 f. Maurer, Lex Maritima, 2012, S. 174, 181 f. 364  Siehe hierzu bereits oben S. 191. 365  Beispielsweise könnten staatliche Gerichte schiedsgerichtlichen Entscheidungen Maßstäbe für das Vorliegen eines fairen Schiedsverfahrens entnehmen, siehe hierzu die Rechtsprechungsnachweise bei Weidemaier, 90 North Carolina Law Review 1091, 1144 (2012). 366  So aber Fry, 4 Contemporary Asia Arbitration Journal 57, 85 f. (2011); Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1225 (2006); McConnaughay, 93 Northwestern University Law Review 453, 502 (1999); Ridgway, 54 Dispute Resolution Journal 50, 502 (1997); Rehnquist, 32 Arbitration Journal 1, 5 (1977); Neumayer, in: Materielles Recht und Verfahrensrecht, 1972, S. 93. 363 

236

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

eine faktische Präzedenzwirkung, die letztlich auf der argumentativen Überzeugungskraft der Entscheidung im Einzelfall sowie auf einem spezifischen professionellen Selbstverständnis der Schiedsrichterschaft beruht. Die Freiheit der Schiedsrichter zum kreativen Umgang mit den vielfältigen prozessualen und materiellrechtlichen Herausforderungen des Schiedsverfahrens wird durch die fakultative Möglichkeit einer Orientierung an den Entscheidungen früherer Spruchkörper aber nicht in Frage gestellt.367 Im Gegenteil: Die Möglichkeit zur Kenntnisnahme von den Entscheidungen anderer Spruchkörper kann dazu beitragen, den Horizont des Schiedsgerichts zu erweitern, ihm bereits vorhandene rechtliche Lösungsansätze zur Kenntnis zu bringen und eigene Ansätze im Umgang mit einem bestimmten Rechtsproblem einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine inhaltliche Bereicherung der Entscheidungspraxis durch eine größere Entscheidungspublizität ist insbesondere bei wiederkehrenden prozessualen Rechtsfragen, mit denen sich Schiedsgerichte regelmäßig auseinandersetzen müssen, zu erwarten. In diesem Kontext könnte ein Austausch zwischen verschiedenen Spruchkörpern einen wichtigen Beitrag zur Herausbildung normativer Standards leisten. Zusammengefasst zwingt die Verfügbarkeit eines body of precedent das Schiedsgericht nicht dazu, einer bestimmten Lösung zu folgen, sie zwingt es lediglich dazu, seine Entscheidung für oder gegen die Berücksichtigung eines bestimmten Präjudizes nachvollziehbar und inhaltlich überzeugend zu begründen. Aus diesen Gründen steht nicht zu befürchten, dass eine größere Entscheidungspublizität zu einem Verlust an Flexibilität im Schiedsverfahren führen wird. Gleiches gilt für die teilweise vorgetragene Kritik, eine inhaltliche Orientierung an den Entscheidungen anderer Schiedsgerichte gehe zu Lasten einer sachlich richtigen Entscheidung des Rechtsstreits.368 In Anbetracht der Tatsache, dass schiedsrichterliche Entscheidungen unstreitig keine rechtlichen Bindungswirkungen für nachfolgende Spruchkörper erzeugen können, mithin als persuasive precedents nur durch ihre inhaltliche Qualität überzeugen können, erscheint diese Befürchtung überzogen. Im Übrigen ignoriert diese Auffassung die mit einer größeren Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit verbundenen systemischen Vorteile.369

b.  Zunahme an Streitigkeiten durch Veröffentlichung unwahrscheinlich Manche Autoren haben darüber hinaus die Besorgnis geäußert, dass die mit einer allgemeinen Publikationspraxis verbundene Vergrößerung des Präjudi-

367 

So auch Karton, 28 Arbitration International 447, 485 (2012). aber ten Cate, 51 Columbia Journal of Transnational Law 418, 420 (2013); Weeramantry, 25 ICSID Review 111, 120 (2010); Douglas, 25 ICSID Review 104, 109 (2010). 369  Hierzu bereits ausführlich oben S. 212 ff. 368  So



V.  Vorteile und systembildende Funktionen

237

zienbestands zu einer Zunahme von Streitigkeiten führen könnte.370 Prospektiven Klägern werde auf diese Weise die „Munition“ für weitere Verfahren geliefert. Der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem wachsenden Umfang eines gegebenen Präjudizienbestands und einer darauf beruhenden Zunahme an Schiedsstreitigkeiten dürfte allerdings schwer fallen, zumal angesichts des Fehlens einer rechtlichen Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen sowie einer verbindlichen höchstrichterlichen Rechtsprechung eine bestimmte Entscheidung eines Schiedsgerichts nicht ohne Weiteres dazu führt, dass auch ein nachfolgendes Schiedsgericht in diesem Sinne entscheiden wird. Zudem sind die Gründe, die eine Partei zur Inanspruchnahme schiedsgerichtlichen Rechtsschutzes veranlassen, in der Regel vielschichtig und lassen sich nicht monokausal auf einen einzelnen Faktor zurückführen.371 Zwar lassen sich Nachahmungseffekte letztlich nicht mit Sicherheit ausschließen, in den allermeisten Fällen dürfte der für die Einleitung eines Schiedsverfahrens erforderliche finanzielle und administrative Aufwand sowie die verbleibende Unsicherheit hinsichtlich des Entscheidungsausgangs potentielle Nachahmer aber abschrecken. Umgekehrt werden zur Klage entschlossene Parteien, wie das Vorgehen der so genannten Geierfonds beweist, sich auch von bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der Anspruchsdurchsetzung nicht von der Klageerhebung abhalten lassen. Auch die teilweise geäußerte Befürchtung, eine größere Verfahrenstransparenz sowie die Aussicht auf eine spätere Veröffentlichung des Schiedsspruchs wirkten sich negativ auf das Verfahrensklima und auf die Vergleichsbereitschaft zwischen den Parteien aus, kann nicht überzeugen.372 Zum einen richten sich diese Bedenken primär gegen eine Öffnung der mündlichen Verhandlung für Dritte. Das in diesem Zusammenhang häufig angeführte Risiko des Gesichtsverlusts einer Partei kann überhaupt nur dann in Betracht kommen, wenn der Schiedsspruch Rückschlüsse auf die Identität der Parteien zulassen würde. Dieses Risiko lässt sich durch eine umfassende Anonymisierung der zu veröffentlichenden Entscheidung beherrschbar machen. Im Übrigen zeigt die nicht seltene Praxis des Vergleichsschlusses nach Erlass des Schiedsspruchs (post-award settlement), dass die Vergleichsbereitschaft der Parteien selbst durch den Erlass einer rechtskräftigen Entscheidung nicht per se beeinträchtigt werden muss.373 370  Jolivet, 22 Arbitration International 265, 272 (2006); Paulsson/Rawding, 11 Arbitration International 303, 305 f. (1995). 371  Ähnlich Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 178 (2005). 372  Bogdandy/Venzke, 12 German Law Journal 1341, 1365 (2011); Hobeck, DRiZ 2005, 177; Bhala, 33 George Washington International Law Review 873, 944 (2001); Prütting, JZ 1985, 261, 268. 373 Im Rahmen einer Untersuchung von Mistelis/Lagerberg (International Arbitration: Corporate Attitudes and Practices 2008, S. 8 f., abrufbar unter http://www.arbitration.qmul. ac.uk/research/index.html) gaben 40 % der befragten Unternehmensvertreter an, nach schiedsgerichtlichem Obsiegen gleichwohl in Vergleichsverhandlungen mit der gegnerischen Partei

238

Kapitel 2: Normbildung durch Präjudizien im Schiedsverfahren

c.  Wahrung der Vertraulichkeit durch Anonymisierung der Entscheidungen Letztlich können einer umfassenden Veröffentlichung schiedsrichterlicher Entscheidungen damit allein die Vertraulichkeitsinteressen der Verfahrensbeteiligten und insbesondere der Parteien entgegenstehen. Die mit einer systematischen Veröffentlichung von Schiedssprüchen verbundenen Risiken sind jedoch beherrschbar. Ihnen kann vor allem durch eine effektive Anonymisierung der zu veröffentlichenden Entscheidungen Rechnung getragen werden. Der Analyse der insoweit bestehenden Möglichkeiten widmet sich der nachfolgende dritte Teil der Arbeit.

VI. Zusammenfassung Der vorangegangene Teil der Arbeit hat gezeigt, dass das Konzept einer Normbildung durch Präjudizien auch für das Schiedsverfahren fruchtbar gemacht werden kann. Ungeachtet des Fehlens bestimmter institutioneller Rahmenbedingungen zur Gewährleistung eines Entscheidungseinklangs zeigen sich in denjenigen Bereichen der Schiedsgerichtsbarkeit, die bereits über eine hinreichende Entscheidungstransparenz verfügen, deutliche und empirisch durch entsprechende wechselseitige Bezugnahmen nachweisbare Ansätze zu einer Entwicklung und Angleichung normativer Entscheidungsstandards. In der Handelsschiedsgerichtsbarkeit steht die immer noch weitgehende Vertraulichkeit des Verfahrens einer solchen Entwicklung gegenwärtig noch entgegen. Diesen Schwierigkeiten kann jedoch, wie der nachfolgende Abschnitt zeigen wird, durch eine systematische Veröffentlichungspraxis, die gleichermaßen den berechtigten Vertraulichkeitsinteressen der Parteien wie auch dem öffentlichen und wissenschaftlichen Interesse an einer Kenntnisnahme von den tatsächlichen Entwicklungen der Handelsschiedsgerichtsbarkeit Rechnung trägt, abgeholfen werden.

eingetreten zu sein. Vgl. hierzu auch Templeman, 30 Journal of International Arbitration 197, 204 (2013); Paulsson/Rawding, 11 Arbitration International 303, 306 (1995).

3. Teil

Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen als Beitrag zur Normbildung

Kapitel 1

Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit und in der Schiedsgerichtsbarkeit Im Rahmen der Untersuchung der Frage, unter welchen Voraussetzungen eine systematische Veröffentlichung schiedsrichterlicher Entscheidungen möglich sein könnte, bietet sich zunächst ein Blick auf die gegenwärtige Veröffentlichungspraxis in der deutschen staatlichen Gerichtsbarkeit (I.) sowie in der deutschen (II.) und internationalen (III.) Schiedsgerichtsbarkeit an. Während in der staatlichen Gerichtsbarkeit zumindest die Entscheidungen der oberen und obersten Gerichte in weitem Umfang veröffentlicht werden, bietet sich in der Schiedsgerichtsbarkeit ein gespaltenes Bild. Zwar bemüht sich mittlerweile eine Reihe von Schiedsinstitutionen, vornehmlich in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, in überzeugender Weise um die Herstellung einer größeren Verfahrens- und Entscheidungstransparenz. Gleichwohl bleibt der Öffentlichkeit der Zugang zu einem Großteil der Schiedsjurisprudenz, vor allem in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, weiterhin verschlossen.

I.  Publizität von staatlichen Gerichtsentscheidungen in Deutschland Die Veröffentlichung der Entscheidungen staatlicher Gerichte erfolgt in Deutschland entweder von Amts wegen durch die Gerichte (1.) oder im Einzelfall auf Antrag interessierter Dritter (2.). Auch in diesem Zusammenhang stellt sich jeweils die Frage, wie die Geheimhaltungsinteressen der Parteien mit den Interessen Dritter bzw. der Öffentlichkeit auf Kenntnisnahme von gerichtlichen Entscheidungen im Einzelfall in Einklang gebracht werden können. Die Art und Weise, in der dies geschieht, kann, ungeachtet der strukturellen Unterschiede, auf die noch einzugehen sein wird, deshalb Erkenntnisse für den Umgang mit dieser Abwägungsproblematik auch im Schiedsverfahren liefern. Vor diesem Hintergrund sollen im Folgenden die Voraussetzungen für eine Veröffentlichung staatlicher gerichtlicher Entscheidungen zusammenfassend dargestellt werden und ergänzend auf die Frage einer möglichen Anonymisierungspflicht für zu veröffentlichende Entscheidungen eingegangen werden (3.).

242

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

1.  Amtliche Veröffentlichung von Entscheidungen durch die Gerichte Der nachfolgende Abschnitt stellt das Verfahren der amtlichen Veröffentlichung von Entscheidungen durch die staatlichen Gerichte in Deutschland dar.1 In diesem Zusammenhang ist zunächst auf die anwendbaren Rechtsgrundlagen und Entscheidungsmaßstäbe (a.) und sodann auf deren Umsetzung in der gerichtlichen Praxis (b.) einzugehen.

a.  Rechtsgrundlagen und Entscheidungsmaßstäbe Gerichte setzen durch ihre Entscheidungen Recht. Sie interpretieren und konkretisieren das positive Recht und etablieren auf diese Weise über den konkreten Einzelfall hinaus allgemeine Rechts- und Verhaltensstandards.2 Dieser normative Aspekt richterlichen Handelns erzeugt seinerseits normative Verpflichtungen, die Folge eben jener Normsetzungs- und Gestaltungsmacht sind. Voraussetzung jeder Rechtsgeltung ist die Möglichkeit zur Kenntnisnahme vom Inhalt der betreffenden Rechtsnorm: Nur wer eine Regel kennt oder zumindest die Möglichkeit zur Kenntnisnahme besitzt, kann sein Verhalten hieran orientieren. Die Herstellung von Normpublizität stellt sich vor diesem Hintergrund als ein Gebot des Rechtsstaatsprinzips dar.3 Für den Bereich des positiv gesetzten Rechts findet dieses, in Art. 82 GG auch verfassungsrechtlich verbürgte, Prinzip seinen Niederschlag in der Verpflichtung staatlicher Stellen zur Veröffentlichung des geltenden Normenbestands in den auf Bundes- und Landesebene vorhandenen Gesetz- und Verordnungsblättern.4 Der Inhalt gewohnheitsrechtlicher Normen wird bereits per definitionem als allgemein bekannt vorausgesetzt. Die rule of law erfordert jedoch nicht nur die allgemeine Zugänglichkeit der Primärrechtsquellen, sondern – in einem zweiten Schritt – ebenso die allgemeine Zugänglichkeit der diese Regeln konkretisierenden justiziellen Entscheidungen.5 Erst diese doppelte Transparenzverpflichtung gewährleistet die Möglichkeit zur Kenntnisnahme von den maßgeblichen Verhaltensstandards der Rechtsgemeinschaft.6 1 

Umfassend hierzu Walker, Die Publikation von Gerichtsentscheidungen, 1998. Hierzu bereits oben S. 127 ff. 3  Grzeszick, in: Maunz/Dürig, GG, 74. EL 2015, Art. 20, Rn. 31. 4  Diese stehen zunehmend auch in Form von Online-Datenbanken zur Verfügung (www. bgbl.de). Eine umfassende Sammlung des geltenden deutschen Rechts stellt das Bundesministerium der Justiz auch unter www.gesetze-im-internet.de kostenfrei zur Verfügung. 5  So ausdrücklich für das Recht auf Erteilung anonymisierter Urteilsabschriften an Dritte OLG Celle, NJW 1990, 2570, 2571. Siehe hierzu auch Bohne, NVwZ 2007, 656; Kramer, ZRP 1976, 84, 85. Im Rahmen des Bundestagswahlkampfs 2013 forderte auch die Piratenpartei einen bundesweiten, kostenfreien und umfassenden Online-Zugriff auf Gerichtsentscheidungen, vgl. Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2013, S. 159, abrufbar unter www.piratenpartei.de. 6  Haverkate, ZRP 1976, 88, 90, hat in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hingewiesen, dass Bezugspunkt der normativen Erwartungen der Rechtsgemeinschaft weniger eine 2 



I.  Publizität von staatlichen Gerichtsentscheidungen in Deutschland 

243

Angesichts der elementaren Bedeutung der Normpublizität auf der Primärrechtsebene verwundert es, dass das Verfahren und die materiellen Kriterien der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen in Deutschland kaum geregelt sind. Eine der wenigen Ausnahmen bildet § 31 Abs. 2 Satz 3, 4 BVerfGG, wonach bei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, welche die Nichtigkeit oder Verfassungswidrigkeit eines Bundesgesetzes feststellen, die Entscheidungsformel von Amts wegen im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichen ist.7 Da bestimmten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts „Gesetzeskraft“ zukommt, was – etwas missverständlich8 – ausdrücken soll, dass sie nicht nur zwischen den Parteien des Rechtsstreits (inter partes), sondern im Wege einer personellen Erstreckung der Rechtskraftwirkung inter omnes gelten sollen, ist dieses Publizitätserfordernis konsequent. Hingegen bestehen für die sonstigen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, so unter anderem auch für Entscheidungen über Verfassungsbeschwerden, keine gesetzlichen Publizitätspflichten. Eine ähnliche Regelung trifft § 47 Abs. 5 Satz  2 Hs.  2 VwGO mit Blick auf Entscheidungen der Oberverwaltungsgerichte in Normenkontrollsachen. Auch hier ist die gerichtliche Entscheidung „allgemein verbindlich und die Entscheidungsformel vom Antragsgegner ebenso zu veröffentlichen wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre.“ In allen anderen Fällen ist die Rechtslage weniger eindeutig.9 Das Bundesverwaltungsgericht nahm in einer grundlegenden Entscheidung aus dem Jahre 1997 eine Pflicht der Gerichte zur Veröffentlichung von Entscheidungen von „grundsätzlicher Bedeutung“ auf der Grundlage des Rechtsstaatsprinzips einschließlich des Justizgewährgebots, des Demokratieprinzips und des Grundsatzes der Gewaltenteilung an und führte insoweit aus: „Gerichtliche Entscheidungen konkretisieren die Gesetze, auch bilden sie das Recht fort. […] Schon von daher kommt der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen eine der Verkündung von Rechtsnormen vergleichbare Bedeutung zu. Der Bürger muss in einer zunehmend komplexen Rechtsordnung zuverlässig in Erfahrung bringen können, welche Rechte er hat und welche Pflichten ihm obliegen: Die Möglichkeiten und Aussichten eines Individualrechtsschutzes müssen für ihn annähernd vorhersehbar sein. Ohne ausreichende Publizität der Rechtsprechung ist dies nicht möglich […] Zur Begründung der Pflicht der Gerichte, der Öffentlichkeit ihre Entscheidungen zugänglich zu machen und bestimmte Norm, als vielmehr eine bestimmte Auslegung dieser Norm durch die Gerichte ist. Siehe hierzu auch Albrecht, CR 1998, 373, 374; Esser, in: von Hippel-FS, 1967, S. 95, 113. 7  Die Veröffentlichung erfolgt gemäß § 31 Abs. 5 der Geschäftsordnung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1986 (BVerfGGO) grundsätzlich in anonymisierter Form. 8  Korioth, in: Bundesverfassungsgericht, 9. Aufl. 2012, Rn. 496 f.: „Die Formulierung von der Gesetzeskraft erweist sich so als „leeres Wort“.“ 9  Eine der seltenen einfachgesetzlichen Regelungen findet sich in § 8 BayAGVwGO, der die Veröffentlichung von Entscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vorschreibt. Eine wortgleiche Regelung enthält auch § 5 RhPfAGVwGO.

244

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

zur Kenntnis zu geben, bedarf es bei dieser Verfassungslage keiner speziellen gesetzlichen Regelung; eine solche hätte lediglich klarstellende Bedeutung.“10

Zudem setze auch § 5 Abs. 1 UrhG, der die Entscheidungen staatlicher Gerichte vom Schutz des Urheberrechts ausnehme, eine solche Veröffentlichungspflicht stillschweigend voraus.11 Die Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen stellt sich vor diesem Hintergrund als eine verfassungsunmittelbare öffentliche Aufgabe der rechtsprechenden Gewalt dar, die ausdrücklich auch verhaltenssteuernde Funktionen übernehmen soll. Das weitgehende Fehlen gesetzlicher Vorschriften in diesem Bereich führt jedoch, wie auch das Bundesverwaltungsgericht feststellt, dazu, dass die Veröffentlichungszuständigkeit sowie Verfahren, Form und inhaltliche Kriterien der Veröffentlichung häufig nicht oder nur in Ansätzen geregelt sind. Auch die bereits erwähnte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts trägt nur in begrenztem Umfang zur Beantwortung dieser Fragen bei. Das Gericht beschränkt sich auf die Klarstellung, dass die Gerichte bei der Herausgabe und Veröffentlichung von Entscheidungen an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden sind, sodass eine Unterscheidung nach dem wissenschaftlichen Niveau der belieferten Presseorgane unzulässig ist.12 Die weitere Ausgestaltung des Veröffentlichungsprozesses überlässt das Bundesverwaltungsgericht damit der richterlichen Selbstverwaltung. Dies hat vor dem Hintergrund unterschiedlicher Regelungsansätze bzw. abweichender gewohnheitsrechtlicher Übung an den einzelnen Gerichten zur Entstehung einer bundesweit weitgehend uneinheitlichen Publikationspraxis beigetragen.13

b.  Praktische Durchführung Gerichtsentscheidungen werden in Deutschland entweder in amtlichen oder quasi-amtlichen Entscheidungssammlungen (aa.) oder in juristischen Fachzeitschriften bzw. in Online-Datenbanken (bb.) veröffentlicht.

aa.  Amtliche und quasi-amtliche Entscheidungssammlungen Das Bundesverfassungsgericht und die obersten Gerichtshöfe des Bundes geben seit ihrer Gründung regelmäßig erscheinende amtliche bzw. quasi-amtliche 10 

BVerwG, NJW 1997, 2694, 2695. Diese Entscheidung wird besprochen von Huff, NJW 1997, 2651. Hierzu auch Bohne, NVwZ 2007, 656 f.; Albrecht, CR 1998, 373. Zur Bedeutung der Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen für die Rechtspflege und die allgemeine Öffentlichkeit vgl. auch OVG Bremen, NJW 1989, 926, 928. Das Bundesverfassungsgericht hat die verfassungsrechtliche Pflicht zur Herausgabe veröffentlichungswürdiger Gerichtsentscheidungen – auch vor Eintritt der Rechtskraft – jüngst ausdrücklich bestätigt (BVerfG, Beschl. v. 14. 9. 2015, Az. 1 BvR 857/15). Siehe hierzu auch LG München I, Verf. v. 19. 1. 2016, Az. 6 AR 5/15, 6 AR 6/15. 11  BVerwG NJW 1997, 2694, 2695. 12  BVerwG, NJW 1997, 2694, 2696; VGH Mannheim, NJW 2013, 2045, 2054; Bohne, NVwZ 2007, 656, 659 f.; Albrecht, CR 1998, 373, 374. 13  So auch OLG Celle, NJW 1990, 2570, 2571. Einen Überblick zur Veröffentlichungspraxis deutscher Gerichte liefert Leistner, Veröffentlichungspraxis, 1975, S. 11 ff.



I.  Publizität von staatlichen Gerichtsentscheidungen in Deutschland 

245

Entscheidungssammlungen heraus.14 Die Veröffentlichung ist gesetzlich nicht geregelt und beruht auf gewohnheitsrechtlicher Übung, die teilweise noch auf eine entsprechende Publikationspraxis des Reichsgerichts zurückgeht.15 Allgemeine Richtlinien, die die inhaltlichen Maßstäbe der Veröffentlichungswürdigkeit sowie das Verfahren der Veröffentlichung präzisieren, existieren nur in geringem Umfang und zu einzelnen Sachfragen.16 Im Allgemeinen werden die in den gerichtlichen Entscheidungssammlungen veröffentlichten Entscheidungen von den Richtern dieser Gerichte nach dem Kriterium der „grundsätzlichen Bedeutung“ oder vergleichbaren Kriterien ausgewählt.17 Diese Praxis wirft jedoch in mehrfacher Hinsicht Fragen auf. Zum einen hängt die Bestimmung dessen, was von grundsätzlicher Bedeutung sein soll, von subjektiven Präferenzen ab, zum anderen ist die zukünftige Entwicklung des Rechts und der Rechtsprechung, von der die Bedeutung der Entscheidung und damit ihre „Grundsätzlichkeit“ unmittelbar abhängt, zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung kaum absehbar. Eine solche Auswahl läuft deshalb auch bei besten Absichten stets Gefahr, die tatsächliche Rechtsentwicklung subjektiv zu verzerren. Daran dürfte auch die Vorgabe des Bundesverwaltungsgerichts, wonach bei der Frage der Publikationswürdigkeit einer Entscheidung der Blickwinkel der potentiellen Adressaten der Veröffentlichung maßgeblich sein soll, nichts ändern.18 Zunehmend stellen die vorgenannten Gerichte deshalb auch kostenfreie Online-Datenbanken zur Verfügung, in denen alle oder zumindest

14  Amtlich ist eine Entscheidungssammlung, wenn die Herausgeberschaft durch das Gericht in seiner amtlichen, d. h. behördlichen Funktion als Organ der Judikative erfolgt. Dagegen liegt eine quasi-amtliche Entscheidungssammlung vor, wenn die Herausgeberschaft auf privatrechtlicher Grundlage bei den einzelnen Richtern des betreffenden Gerichts liegt (so ausdrücklich z. B. § 31 Abs. 1 BVerfGGO), siehe OVG Berlin, NJW 1993, 676, 677; Fischer, JuS 1995, 654, 657, dort Fn. 55; Keßler, DRiZ 1975, 294, 296; Leistner, Veröffentlichungspraxis, 1975, S. 11. Gleichwohl kommt auch den quasi-amtlichen Sammlungen in der Praxis erhebliche Bedeutung zu, siehe Fischer aaO. 15  So auch OLG München, OLGZ 1984, 477, 481 f. 16  Vgl. beispielhaft § 18 Abs. 2 Satz 2 der Geschäftsordnung des Bundesgerichtshofs vom 3. März 1952 (Bundesanzeiger Nr. 83): „Die einzelnen Senate beschließen, welche ihrer Entscheidungen in dem Nachschlagewerk [d. h. in der amtlichen Sammlung] zu vermerken sind, und stellen die Rechtssätze (Leitsätze) fest, die in das Nachschlagewerk aufgenommen werden sollen.“ Eine ausführliche Regelung enthält dagegen § 31 der BVerfGGO. Insgesamt dürfte die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Entscheidungen durch die Gerichte aber jedenfalls gewohnheitsrechtlich anerkannt sein, vgl. Hirte, NJW 1988, 1698, 1701. 17  § 18 Abs. 2 Satz 1 der Geschäftsordnung des Bundesgerichtshofs vom 3. März 1952 (Bundesanzeiger Nr. 83): „wichtigere Rechtsfragen“; § 18 der Geschäftsordnung des Bundesarbeitsgerichts vom 13. Juni 2003 (Bundesanzeiger, S. 15401) und § 13 Abs. 1 Satz 2 der Geschäftsordnung des Bundessozialgerichts vom 23. Mai 2003 (Bundesanzeiger, S. 14343): „bedeutsame gerichtliche Entscheidungen“. Zum Verfahren der Veröffentlichung siehe beispielhaft die Erläuterungen auf der Homepage des Bundesfinanzhofs, www.bundesfinanzhof. de. 18  BVerwG, NJW 1997, 2694, 2695.

246

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

der weit überwiegende Teil der Entscheidungen verfügbar sind.19 Zumindest hinsichtlich der jüngeren Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte besteht auf diese Weise die Möglichkeit eines repräsentativen Überblicks über die allgemeine Rechtsprechungsentwicklung. Auf der Ebene der Instanzgerichte fehlt eine solche systematische Veröffentlichungspraxis in Form amtlicher bzw. quasi-amtlicher Entscheidungssammlungen oder allgemein zugänglicher Online-Datenbanken.20 Hier geht die Veröffentlichung von Entscheidungen meist auf die Initiative einzelner Verfahrensbeteiligter zurück. In unregelmäßigen Abständen finden gerichtliche Entscheidungen, meist durch Einsendung von Richtern oder Parteivertretern, ihren Weg in juristische Fachzeitschriften oder in Entscheidungsdatenbanken (z. B. juris). Häufig findet weder ein Austausch zwischen den Senaten bzw. Kammern eines Gerichts noch eine Weiterleitung geeigneter Entscheidungen an die Pressestelle des Gerichts statt.21 Eine – zumindest gewohnheitsrechtliche – Institutionalisierung des Verfahrens und der inhaltlichen Auswahlkriterien hat überwiegend nicht stattgefunden. Dies ist bedauerlich, weil ein Großteil der streitigen Verfahren wegen eines zu geringen Streitwerts oder aus anderen Gründen, z. B. wegen Vergleichs oder Klagerücknahme, nicht in die Revisionsinstanzen gelangt, obwohl auch hier unbestreitbar ein Bedürfnis nach Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit besteht.22 Vor allem im Verbraucherschutzrecht sowie bei Massenverkehrsgeschäften ist die umfassende Kenntnis der gerichtlichen Entscheidungspraxis für Richter und Parteivertreter unter Gleichbehandlungs- und Gerechtigkeitsgesichtspunkten gleichermaßen unabdingbar. Naturgemäß werden solche Präzedenzfälle von einer, meist der wirtschaftlich stärkeren und in eine Vielzahl vergleichbarer Prozesse eingebundenen, Partei nach Möglichkeit verhindert, so vor allem durch taktisch motivierte Vergleichsschlüsse, teilweise noch unmittelbar vor Verkündung einer Entscheidung in der Revisionsinstanz.23 Neben der Verhinderung einschlägiger Präjudizien verfügen erfahrene Parteien zudem über den Vorteil, auf einen privaten Fundus von Entscheidungen aus vorangegangenen Verfahren zurückgreifen zu können.24 19  Bundesgerichtshof: Entscheidungen ab 1. Januar 2000; Bundesverwaltungsgericht: ab 1. Januar 2002; Bundesarbeitsgericht, Bundesfinanzhof und Bundessozialgericht: ab 1. Januar 2009. Grundsätzlich werden alle begründeten Entscheidungen veröffentlicht, Rechtsgrundlage hierfür ist § 4 Abs. 7 JVKostO. Die gewerbliche Nutzung von Entscheidungen bleibt weiterhin kostenpflichtig. 20  Krebs, AcP 195 (1995), 171, 187. 21  Huff, NJW 1997, 2651, 2652, dort Fn. 10; Kramer, ZRP 1976, 84, 86. 22  Auch BVerwG, NJW 1997, 2694, 2695 betont ausdrücklich, dass die Publikationspflicht aus den genannten Gründen auch für die Instanzgerichte gilt. 23 Hierzu Fuchs, JZ 2013, 990. Dass die unterlegene Partei eines Rechtsstreits kein Recht auf Geheimhaltung einer für sie nachteiligen Entscheidung besitzt, wird zu Recht von Hirte, NJW 1988, 1698, 1700, hervorgehoben. 24  Rogers, 54 University of Kansas Law Review 1301, 1320, 1322 (2006)



I.  Publizität von staatlichen Gerichtsentscheidungen in Deutschland 

247

Im Ergebnis führt eine unzureichende und selektive Veröffentlichungspraxis auch hier zu strukturellen Vorteilen für repeat players.25

bb.  Juristische Fachzeitschriften und Online-Datenbanken Neben einer Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen in amtlichen Sammlungen besteht auch die Möglichkeit einer Publikation in juristischen Fachzeitschriften oder Online-Datenbanken. Vor allem auf Ebene der Instanzgerichte, die in aller Regel nicht über amtliche oder quasi-amtliche Veröffentlichungsorgane verfügen, hat die Publikation von Entscheidungen in juristischen Fachzeitschriften und privaten, meist kostenpflichtigen, Online-Datenbanken erhebliche Bedeutung erlangt.26 Gleichwohl fehlt es sowohl mit Blick auf die inhaltlichen Auswahlkriterien als auch auf das Auswahlverfahren an allgemeingültigen Regeln. In der Praxis erfolgt die Weitergabe nach Ermessen durch den erkennenden Spruchkörper, durch einzelne Richter oder durch Parteivertreter.27 Eine redaktionelle Bearbeitung der übersandten Entscheidungen findet in aller Regel erst durch die Redaktion des betreffenden Publikationsorgans statt.28 Bei der Veröffentlichung durch Fachzeitschriften besteht zudem in noch höherem Maße als bei einer amtlichen Publikation das Risiko einer subjektiven Verzerrung der tatsächlichen Spruchpraxis, da diese die veröffentlichten Entscheidungen regelmäßig nach den Informationsbedürfnissen ihrer spezifischen Leserschaft ausrichten werden.29

2.  Veröffentlichung von Entscheidungen auf Antrag Dritter Neben der amtlichen Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen durch die Gerichte und Justizbehörden ist auch eine Publikation auf Initiative privater Dritter möglich. Rechtsgrundlage für diese Fälle ist § 299 Abs. 2 ZPO.30 Danach kann der Vorstand des Gerichts dritten Personen ohne Einwilligung der Parteien Einsicht in die Gerichtsakten gestatten, wenn ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird. Nach herrschender Meinung vermittelt das Recht auf Akteneinsicht bei Vorliegen eines rechtlichen Interesses auch einen Anspruch 25 Hierzu

Kramer, ZRP 1976, 84, 88 sowie oben S. 222 ff. Kuntz, JurPC Web-Dok. 12/2006, Abs. 4, 8. 27  Leistner, Veröffentlichungspraxis, 1975, S. 21. 28  Teilweise wird die editorische Bearbeitung aber auch durch die jeweiligen Einsender übernommen. 29  Ähnlich Kuntz, JurPC Web-Dok. 12/2006, Abs. 39. 30  In der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit bestehen Einsichtsrechte hingegen nur für die Verfahrensbeteiligten, vgl. § 100 VwGO (str.), § 78 FGO; § 120 SGG. Zu beachten ist, dass eine Herausgabe von Entscheidungen auch auf der Grundlage der Informationsfreiheitsgesetze in Betracht kommen kann, hierzu bereits oben S. 58 f. 26 

248

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

auf Herausgabe (anonymisierter) Urteilsabschriften.31 Dies kann beispielsweise bei einem besonderen wissenschaftlichen Forschungsinteresse der Fall sein32, nach einer weitergehenden Ansicht aber auch dann, wenn der Antragsteller auf diesem Wege Kenntnis von einer Entscheidung erlangen möchte, die für ein ihn betreffendes, ähnlich gelagertes, Rechtsverhältnis möglicherweise präjudiziellen Charakter besitzt.33 Schließlich soll ein rechtliches Interesse auch dann vorliegen können, wenn die angeforderte Entscheidung im öffentlichen Informationsinteresse zur weiteren Veröffentlichung in der Presse vorgesehen ist.34 Da § 299 Abs. 2 ZPO dem entscheidenden Gerichtsvorstand bei der Entscheidung über die Gewährung von Akteneinsicht bzw. über die Herausgabe einer Urteilsabschrift jedoch ein Ermessen einräumt, sind die widerstreitenden Interessen im konkreten Einzelfall abzuwägen. Im Rahmen der Interessenabwägung streiten regelmäßig das allgemeine Publizitätsgebot für jegliches staatliche Handeln, die faktische Präzedenzwirkung (auch unter-)gerichtlicher Entscheidungen, der Grundsatz der Öffentlichkeit der Gerichtsverhandlung sowie drohende berufshaftungsrechtliche Risiken des beratenden anwaltlichen Vertreter für eine Herausgabe der betreffenden Entscheidung zu Veröffentlichungszwecken.35 Demgegenüber besitzt die unterlegene Partei kein Recht auf Nichtweitergabe einer für sie nachteiligen Entscheidung, zumal die Weitergabe an Dritte bzw. an die Öffentlichkeit jedenfalls dann, wenn die Identität der Parteien anonymisiert wurde, allenfalls in geringem Maße in deren Rechte eingreift.36 Ein grundsätzlich denkbarer Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ließe sich auf diese Weise unter Verweis auf übergeordnete Transparenzinteressen mit überzeugenden Gründen rechtfertigen.37 In praktischer Hinsicht ist die Tauglichkeit des Einsichtnahmerechts nach § 299 Abs. 2 ZPO zur Herstellung einer umfassenden Entscheidungspublizität jedoch zweifelhaft. In diesem Zusammenhang stellt sich insbesondere die Frage auf welche Weise Antragsteller überhaupt von der Existenz gerichtlicher Entscheidungen mit (potentiell) einzelfallübergreifender Bedeutung erfahren sollen. Dieses Sonderwissen ist 31  Keller, NJW 2004, 413; Hirte, NJW 1988, 1698, 1699. Zu beachten ist jedoch, dass dem entscheidenden Gerichtsvorstand nach dem Wortlaut der Vorschrift ein Entscheidungsermessen eingeräumt ist. Soweit die Herausgabe einer anonymisierten Abschrift verlangt wird, sind aber in der Regel keine schützenswerten Interessen der Verfahrensparteien an der Verhinderung der Herausgabe ersichtlich. 32  Keller, NJW 2004, 413. Siehe auch die Nachweise bei Prütting, in: MüKo-ZPO, 4. Aufl. 2013, § 299, Rn. 22. 33  So OLG München, OLGZ 1984, 477, 479; zustimmend Stackmann, NJW 2010, 1409, 1411. Deutlich strenger KG, NJW 1988, 1738; OLGZ 1976, 158. 34  OLG Celle, NJW 1990, 2570, 2571; Hirte, NJW 1988, 1698, 1702; Huber, in: Musielak, ZPO, 12. Aufl. 2015, § 299, Rn. 3. 35  Hirte, NJW 1988, 1698, 1700 f. 36  Hirte, NJW 1988, 1698, 1700. Vgl. hierzu auch OLG Hamburg, Urt. v. 16. 2. 2010, Az.: 7 U 88/09. 37  Ähnlich Mallmann, DRiZ 1987, 377, 378.



I.  Publizität von staatlichen Gerichtsentscheidungen in Deutschland 

249

jedoch notwendige Voraussetzung eines Einsichtnahme- bzw. Herausgabeantrags und muss zumindest die Parteien und das Aktenzeichen des Rechtsstreits sowie den Streitgegenstand in seinen wesentlichen Umrissen umfassen. Die wenigen vorhandenen gerichtlichen Entscheidungen schweigen zu diesem Punkt, es liegt nahe, dass die Antragsteller – überwiegend Rechtsanwälte – auf informellem Wege, vermutlich von Berufskollegen, von der Existenz dieser Verfahren Kenntnis erlangt haben. Vor diesem Hintergrund ist die Kenntnisnahme von gerichtlichen Entscheidungen über den Antrag nach § 299 Abs. 2 ZPO in hohem Maße an das Sonderwissen und die Initiative einzelner Personen gebunden und zur Herstellung einer allgemeinen Entscheidungstransparenz aus diesem Grunde ungeeignet.

3.  Pflicht zur Anonymisierung veröffentlichter Entscheidungen? Die Möglichkeit einer Anonymisierung von zur Veröffentlichung vorgesehenen gerichtlichen Entscheidungen wirft die Frage auf, ob im Falle einer Veröffentlichung auch eine Pflicht zur Anonymisierung besteht. Unmittelbare gesetzliche Regelungen bestehen hierzu in Deutschland nicht.38 Die Frage, ob eine solche Anonymisierung verpflichtend vorzunehmen ist, kann demgemäß nur auf der Grundlage ergänzender prozess-, persönlichkeits- und datenschutzrechtlicher Wertungen getroffen werden. In diesem Zusammenhang ist zwischen einer amtlichen Veröffentlichung der Entscheidung durch staatliche Stellen einerseits (a.) und einer nichtamtlichen Veröffentlichung durch Private andererseits (b.) zu unterscheiden.

a.  Anonymisierungspflichten bei amtlicher Veröffentlichung Ob eine amtliche Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen nur nach Anonymisierung der zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidung zulässig ist, wird unterschiedlich beurteilt. Die wohl herrschende Meinung nimmt eine umfassende Anonymisierungspflicht auf der Basis grund- und datenschutzrechtlicher Erwägungen an39, während einzelne Stimmen unter Verweis auf das prozessuale Öffentlichkeitsprinzip (§ 169 Satz 1 GVG) eine Befugnis der Gerichte zur nichtanonymisierten Veröffentlichung annehmen.40 Nach einer 38 

Eine seltene spezialgesetzliche Ausnahme bildet § 7 UKlaG. NJW 1997, 2694, 2695. Bis zum sog. Volkszählungsurteil des Bundesverfassungsgerichts war die Veröffentlichung von Klarnamen hingegen weitgehend üblich, vgl. Knerr, JurPC Web-Dok. 73/2004, Abs. 35; Hirte, NJW 1988, 1698, 1702. 40  OLG Hamburg, OLGZ 1988, 51, 53; Haller, JuS 1996, 209, 211; Jauernig, in: Bötticher-FS, 1969, S. 219, 241. In diese Richtung offenbar auch Albrecht, CR 1998, 373, 375: „Die Beteiligung an einem Gerichtsverfahren stellt einen Sozialbezug her, der nicht zum unantastbaren innersten Lebensbereich gehört.“ 39  BVerwG,

250

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

vermittelnden Ansicht soll das Bestehen einer Anonymisierungspflicht vom Ergebnis einer Abwägung der gegenläufigen Interessen im konkreten Einzelfall abhängen.41 Überzeugend erscheint es, mit der letztgenannten Ansicht eine Anonymisierungspflicht nur dort anzunehmen, wo das Recht der Parteien auf informationelle Selbstbestimmung das öffentliche Informationsinteresse im Einzelfall überwiegt. Diese Sichtweise trägt der Tatsache Rechnung, dass das Grundgesetz beide Verfassungspositionen anerkennt, ohne gleichzeitig ein Rangverhältnis zwischen diesen zu begründen. Vielmehr sind das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und das ebenfalls grundgesetzlich geschützte Informationsrecht der Allgemeinheit im Einzelfall möglichst schonend in Ausgleich zu bringen.42 In der Praxis dürfte diese Abwägung regelmäßig eine Anonymisierungspflicht begründen, weil die Kenntnis der Parteinamen für das tatsächliche und rechtliche Verständnis der Entscheidung in den meisten Fällen unerheblich ist.43 Anders kann dies im Einzelfall bei namensrechtlichen Streitigkeiten, bei einer Beteiligung hoheitlicher Stellen oder bei Auseinandersetzungen unter Beteiligung von Personen der Zeitgeschichte im Sinne des § 23 Abs. 1 Nr. 1 KunstUrhG sein, weshalb die Rechtsprechung in diesen Fällen eher dazu neigt, von einer Anonymisierung abzusehen.44 In diesem Zusammenhang kann auch von Bedeutung sein, inwieweit die Identität der Parteien bereits auf anderem Wege, z. B. durch die öffentliche Presseberichterstattung, allgemein bekannt ist.45 Ausnahmen von der Anonymisierungspflicht können aber auch zulasten anderer Prozessbeteiligter wie der anwaltlichen Vertreter bestehen. Die Rechtsprechung hat in der Vergangenheit die Auffassung vertreten, eine Pflicht zur Anonymisierung der Namen der Parteivertreter der unterlegenen Partei bestehe nicht. Ein bloßes reputationelles Interesse am Nichtöffentlichwerden einer pro41  VGH Mannheim, BeckRS 2010, 51399; OLG Hamm, Urt. v. 7. 2. 2008, Az. 4 U 154/07; OLG Hamm, Urt. v. 11. 12. 2007, Az. 4 U 132/07. So im Ergebnis wohl auch BVerfG, Beschl. v. 14. 9. 2015, Az. 1 BvR 857/15; LG München I, Verf. v. 19. 1. 2016, Az. 6 AR 5/15, 6 AR 6/15. 42  So ausdrücklich VGH Mannheim, BeckRS 2010, 51399. 43 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 14.  9. 2015, Az. 1 BvR 857/15; LG München I, Verf. v. 19. 1. 2016, Az. 6 AR 5/15, 6 AR 6/15. Dies entspricht auch der ganz überwiegenden Praxis in Deutschland. In der Finanzgerichtsbarkeit ist die Veröffentlichung von Entscheidungen mit Blick auf die inhaltlichen Anforderungen an eine Anonymisierung des Entscheidungstextes auch am Steuergeheimnis zu messen, vgl. Haupt, DStR 2014, 1025, 1026 ff. Im Einzelfall kann eine Kenntnisnahme von der Identität der Parteien jedoch auch im öffentlichen Interesse liegen, vgl. die Beispiele bei Hirte, NJW 1988, 1698, 1702. 44  Beispielhaft seien hier die zahlreichen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (NJW 1995, 861; NJW 1996, 984; NJW 1996, 1128; NJW 1999, 2893; NJW 2007, 1977; NJW 2008, 3141) und des Bundesverfassungsgerichts (NJW 1994, 1948; NJW 2000, 1021; NJW 2000, 2192; JuS 2008, 1107) in Sachen Caroline von Monaco (bzw. von Hannover) genannt. Weitere Beispiele nennt Huff, MDR 1997, R 1 (Blickwinkel). 45  Hirte, NJW 1988, 1698, 1703 f. Durch die mündliche Verhandlung, die regelmäßig öffentlich ist, wird die Identität der Parteien ohnehin meist publik, vgl. Pfeiffer, NJW 1994, 2996, 2997.



I.  Publizität von staatlichen Gerichtsentscheidungen in Deutschland 

251

zessualen Niederlage könne eine Anonymisierungspflicht nicht begründen.46 Soweit eine Anonymisierung der Entscheidung nicht sinnwahrend möglich ist und deren Verständnis gefährdet, folgt daraus im Übrigen nicht, dass die Veröffentlichung per se unterbleiben muss. Die Möglichkeit einer Identifizierung der Verfahrensbeteiligten ist hinzunehmen, wenn dies aufgrund der Besonderheiten des Rechtsgebiets unvermeidbar ist. Zutreffend führt der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof in diesem Zusammenhang aus: „Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit muss nicht bereits deshalb zwingend zurückstehen, weil die Entscheidung nicht hinreichend anonymisiert ist und eine datenschutzrechtlichen Anforderungen genügende Anonymisierung angesichts des Streitgegenstandes und der Umstände des Falles auch kaum möglich erscheint. Würde dies bereits zur Unzulässigkeit der Veröffentlichung führen, könnte den Informationsansprüchen der Bürger, die ihre Grundlage ebenfalls im Verfassungsrecht finden (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), auf bestimmten Rechtsgebieten – etwa Konkurrentenschutzverfahren, Disziplinarverfahren – kaum noch Rechnung getragen werden.“47

Diese Rechtsprechung verdient aus den dargestellten Erwägungen Zustimmung. Speziell die Veröffentlichung von Entscheidungen oberer und oberster Gerichte, die für die Spruchpraxis der Untergerichte wie auch für die Normbildung von besonderer Bedeutung sind, muss auch dann möglich sein, wenn sich hierdurch im Einzelfall Rückschlüsse auf die Identität der Parteien ziehen lassen. Dass eine Anonymisierung gerichtlicher Entscheidungen vor Veröffentlichung nicht zwingend ist, zeigt im Übrigen das Beispiel der europäischen und angelsächsischen Praxis, die Entscheidungen regelmäßig unter voller Namensnennung der Parteien und sonstigen Verfahrensbeteiligten veröffentlicht. Speziell in der angelsächsischen Rechtspraxis ist es seit Langem üblich, Leitentscheidungen anhand der Parteinamen zu zitieren.48 Auch die Gerichte der Europäischen Union sowie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte veröffentlichen Entscheidungen grundsätzlich unter Nennung der Namen der Parteien.49 Ziel und Zweck dieser Transparenzbemühungen ist die Ermöglichung einer demokratischen Kontrolle der Rechtsprechung.50 Eine mögliche Beeinträchtigung des informationellen Selbstbestimmungsrechts der Parteien wird zur Erreichung dieser Ziele bewusst hingenommen.51

b.  Anonymisierungspflichten bei Veröffentlichung durch Private Die dargestellten Grundsätze gelten im Wesentlichen auch für die Veröffentlichung einer gerichtlichen Entscheidung durch die Parteien oder sonstige 46 

So OLG Hamm, Urt. v. 11. 12. 2007, Az. 4 U 132/07. Mannheim, BeckRS 2010, 51399; anders KG, Beschl. v. 30. 1. 2007, Az. 9 U 131/06. 48 Vgl. Kratky Doré, 81 Chicago-Kent Law Review 464, 471 f. (2006). 49  Knerr, JurPC Web-Dok 73/2004, Abs. 3; Hirte, NJW 1988, 1698, 1705. 50  Stadler, Unternehmensgeheimnis, 1989, S. 191. 51  Stadler, Unternehmensgeheimnis, 1989, S. 191. 47 VGH

252

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

Dritte (z. B. Datenbankbetreiber). Zwar besteht in diesen Fällen lediglich eine mittelbare Grundrechtsbindung, die in diesem Zusammenhang anzustellenden verfassungsrechtlichen Überlegungen finden aber regelmäßig im Rahmen der Frage, ob eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, des Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb oder wettbewerbsrechtlicher Vorschriften vorliegt, Eingang in den Abwägungsprozess. Ergänzend ist zu berücksichtigen, dass die veröffentlichende Person oder Stelle grundsätzlich den Schutz des Grundrechts der Meinungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen kann.52 Unzulässig ist die Namensnennung in der Regel, wenn diese nicht zum tatsächlichen oder rechtlichen Verständnis der Entscheidung erforderlich ist, sondern primär zum Zwecke der Herabwürdigung oder Anprangerung eines Prozessbeteiligten geschieht.53 Im Rahmen der insoweit durchzuführenden Abwägung sind auch das prozessuale und außerprozessuale Vorverhalten der Prozessbeteiligten sowie der aufgrund der Presseberichterstattung bereits bestehende öffentliche Kenntnisstand zu berücksichtigen.54 In Anwendung dieser Kriterien wird die Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen durch Private in der Praxis regelmäßig nur nach vorangegangener Anonymisierung zulässig sein.

II.  Publizität von Schiedssprüchen in Deutschland Eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen findet in Deutschland bislang nicht statt. Zwar ist dieser Befund notwendigerweise mit statistischen Unwägbarkeiten behaftet, die insbesondere darauf zurückzuführen sind, dass bereits die absolute Zahl der in Deutschland durchgeführten Schiedsverfahren kaum verlässlich festgestellt werden kann. Denn zum einen verteilt sich das Verfahrensaufkommen auf eine Reihe unterschiedlicher Schiedsinstitutionen, deren Eingangs- und Entscheidungszahlen nicht in allen Fällen öffentlich zugänglich sind; zum anderen ist der Bereich der ad hoc-Schiedsgerichtsbarkeit aus naheliegenden Gründen einer statistischen Erfassung nicht zugänglich. Hier können allenfalls Erfahrungsberichte von Schiedspraktikern für punktuelle Aufklärung sorgen.55 Trotz dieser Unwägbarkeiten wird aus dem verfügbaren Zahlenmaterial aber jedenfalls die grundsätzliche Tendenz ersichtlich, Schieds52  Siehe hierzu sowie zu einer möglichen Einschränkung der Meinungsfreiheit durch wettbewerbsrechtliche Vorschriften OLG Hamm, BeckRS 2008, 17183. 53  OLG Hamm, BeckRS 2008, 17183; OLG Hamburg, Beschl. v. 9. 7. 2007, Az. 7 W 56/07. 54  OLG Hamburg, Urt. v. 16. 2. 2010, Az. 7 U 88/09. 55  Hoffmann/Maurer, ZfRS 2010, 279, 281; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 112; Böckstiegel/Kröll/Nacimiento, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, S. 3, 5 ff. Wilske, aaO, S. 727, 729, geht von weniger als 1.000 ad hoc-Verfahren pro Jahr in Deutschland aus.



II.  Publizität von Schiedssprüchen in Deutschland

253

sprüche nur in sehr wenigen Ausnahmefällen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Eine vergleichende Gegenüberstellung mag dies verdeutlichen. Zwischen 2004 und 2014 wurden bei der größten deutschen Schiedsinstitution, der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit e. V. (DIS) insgesamt 1.331 Schiedsverfahren eingeleitet.56 In demselben Zeitraum wurden in der Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ), der wichtigsten deutschen schiedsrechtlichen Publikation, lediglich sechs Entscheidungen von DIS-Schiedsgerichten veröffentlicht.57 Dies entspricht einer sog. formalen Publikationsdichte von ca. 0,005 %.58 Da die DIS-Statistik weder ausweist, wie viele Schiedssprüche59 durch DIS-Schiedsgerichte insgesamt erlassen wurden, noch in wie vielen Fällen das Verfahren tatsächlich durch (End-)Schiedsspruch beendet wurde, lässt sich die sog. bereinigte Publikationsdichte, d. h. das Verhältnis der veröffentlichten Entscheidungen zu den durch streitiges Schiedsurteil entschiedenen Verfahren, nicht ermitteln.60 Zu Vergleichsgründen sei darauf hingewiesen, dass frühere statistische Untersuchungen zur formalen Publikationsdichte staatlicher Gerichtsentscheidungen im Zeitraum zwischen 1987 und 1993/94 in den einzelnen Fachgerichtsbarkeiten Werte zwischen 0,24 % und 4,95 %, an den Bundesgerichten immerhin zwischen 19 % und 44 % erbrachten.61 Diese Werte dürften aktuell zumindest an den Bundesgerichten nochmals deutlich höher liegen, nachdem diese ungefähr seit der Jahrtausendwende dazu übergegangen sind, alle begründeten Entscheidungen online zu veröffentlichen.62 Die sehr geringe Publikationsdichte in der Schiedsgerichtsbarkeit ist wesentlich 56 

Quelle: www.disarb.org. 1 Veröffentlichung; 2005: 1 Veröffentlichung; 2006: keine Veröffentlichung; 2007: 2 Veröffentlichungen; 2008: 1 Veröffentlichung; 2009: keine Veröffentlichung; 2010: 1 Veröffentlichung; 2011 bis 2014: keine Veröffentlichungen. 58 Die formale Publikationsdichte bezeichnet das Verhältnis aller erledigten Verfahren zu den veröffentlichten Entscheidungen. Es wurde unterstellt, dass sämtliche bis Ende 2014 eingeleiteten Verfahren mittlerweile abgeschlossen sind. Demgegenüber bezeichnet die bereinigte Publikationsdichte das Verhältnis der durch Schiedsspruch beendeten Verfahren zu den veröffentlichten Entscheidungen. 59  Einschließlich Teil-, Zwischen- und Vorbehaltsschiedssprüchen. 60  Insgesamt liegt die Vergleichsquote in Schiedsverfahren relativ hoch. Das Sekretariat der ICC hat in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass durchschnittlich ca. 50 % der Verfahren vor Erlass einer Entscheidung durch Rücknahme, Vergleich oder aus anderen Gründen (z. B. Nichtzahlung der Schiedsgebühren) beendet werden, vgl. Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 54. Entsprechende statistische Daten werden jedoch nur von wenigen Institutionen zur Verfügung gestellt, so unter anderem auch vom Schiedsgericht der Handelskammer Mailand, vgl. http://www.camera-arbitrale.it. Die dort genannten Zahlen bestätigen den Eindruck, dass nur etwa die Hälfte der eingeleiteten Verfahren durch Schiedsspruch beendet wird. Selbst wenn man vor diesem Hintergrund unterstellen würde, dass lediglich die Hälfte der bei der DIS eingeleiteten Schiedsverfahren tatsächlich durch Schiedsspruch beendet wird, so hätte die bereinigte Publikationsdichte im Zeitraum zwischen 2004 und 2014 gleichwohl nur ca. 0,01 % betragen. 61  Walker, Publikation, 1998, S. 77 ff. 62  Siehe oben S. 244 ff. 57 2004:

254

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

darauf zurückzuführen, dass seitens der großen Schiedsinstitutionen bislang wenig Bereitschaft zu mehr Transparenz bestand. Auf diese Bereitschaft kommt es jedoch maßgeblich an, da – was im Folgenden zu zeigen sein wird – allein Schiedsinstitutionen die notwendigen institutionellen Voraussetzungen für eine systematische und langfristig orientierte Veröffentlichungspraxis besitzen. Gleichwohl sind erste Anzeichen für einen Sinneswandel erkennbar. Ein solcher ist überfällig, will sich die Schiedsgerichtsbarkeit auch zukünftig als effiziente Alternative zum staatlichen Gerichtsverfahren positionieren. Die bisherige Veröffentlichungspraxis in Deutschland wird den in dieser Arbeit formulierten Ansprüchen jedenfalls gegenwärtig nicht gerecht. Sowohl in Entscheidungssammlungen und Datenbanken (1.) als auch in juristischen Fachzeitschriften (2.) werden Schiedssprüche nur äußerst selten veröffentlicht.

1.  Veröffentlichung in Entscheidungssammlungen und Online-Datenbanken Eine Veröffentlichung von Schiedssprüchen in eigens dafür bestimmten Entscheidungssammlungen findet nur in wenigen Fällen, meist durch kleinere Branchenschiedsinstitutionen, statt. So veröffentlicht die Handelskammer Hamburg seit 1975 Schiedssprüche verschiedener Hamburger Branchenschiedsgerichte (Schiedsgericht des Waren-Vereins Hamburger Börse e. V., Schiedsgericht der Hamburger freundschaftlichen Arbitrage, Schiedsgericht des Deutschen Kaffeeverbands e.  V., Schiedsgericht der Handelskammer Hamburg, Logistik-Schiedsgericht der Handelskammer Hamburg) in einer Entscheidungssammlung („Handelsrechtliche Schiedsgerichts-Praxis“, herausgegeben von Straatmann/Ulmer).63 Seit dem Jahre 2002 werden ausgewählte Schiedssprüche dieser Institutionen kostenfrei und allgemein zugänglich auf dem Internetauftritt der Handelskammer Hamburg64 veröffentlicht. Veröffentlicht werden kurze, ca. zwei Seiten lange, anonymisierteAuszüge des Sachverhalts und der Entscheidungsgründe.65 Die Schiedssprüche sind nach Themengebieten gegliedert und können über eine Suchmaske abgerufen werden. Mit Stand vom 1. Dezember 2015 sind dort insgesamt 73 Schiedssprüche verfügbar. Die Veröffentlichung kann regelmäßig ohne Zustimmung der Beteiligten durch die Schiedsinstitution erfolgen, soweit die Parteinamen vor Veröffentlichung anonymisiert werden.66 Die Online-Entscheidungsdatenbank der DIS enthält 63  Zwischen 1975 und 1998 sind in dieser Sammlung insgesamt 6 Bände erschienen (ab Band 3 als „Rechtsprechung kaufmännischer Schiedsgerichte“). 64 www.hk24.de. 65  Angegeben werden lediglich die Schiedsinstitution und das Erlassdatum des Schiedsspruchs. Die Schiedssprüche erhalten zudem für die Zwecke der Veröffentlichung ein besonderes Aktenzeichen und werden durch die Schiedsinstitution mit Leitsätzen versehen. 66  Siehe § 8 Abs. 2 der Schiedsgerichtsordnung des Waren-Vereins der Hamburger Börse e. V. (2011): „Der Vorstand darf Schiedssprüche unter Fortlassung der Namen der Beteiligten veröffentlichen.“ Ähnlich § 18 der Schiedsgerichtsordnung des Deutschen Kaffeeverbands



II.  Publizität von Schiedssprüchen in Deutschland

255

keine Schiedssprüche, sondern ausschließlich Entscheidungen deutscher Gerichte zum Schiedsverfahrensrecht.67 Die Datenbank ist öffentlich und kostenfrei zugänglich, Volltextzugang zu den vorhandenen Entscheidungen erhalten allerdings nur Mitglieder der DIS.

2.  Veröffentlichung in juristischen Fachzeitschriften Schiedssprüche werden daneben in unregelmäßigen Abständen auch in juristischen Fachzeitschriften veröffentlicht. Im deutschsprachigen Raum sind in diesem Zusammenhang vor allem die Zeitschrift für Schiedsverfahrensrecht (SchiedsVZ), das Recht der Internationalen Wirtschaft (RIW) sowie die Neue Juristische Wochenschrift (NJW) hervorzuheben. Aber auch hier ist die Publikationsdichte äußerst gering. In der SchiedsVZ wurden seit ihrer Gründung im Jahre 2003 insgesamt lediglich 18 Schiedssprüche veröffentlicht.68 Die Veröffentlichung erfolgte in den betreffenden Fällen in unterschiedlicher Form. In der Regel waren die Parteinamen geschwärzt bzw. wurden die Parteien nur in ihren jeweiligen Prozessrollen oder durch Nennung ihrer Anfangsbuchstaben („S. AG“) bezeichnet. Die Namen der Schiedsrichter waren in der überwiegenden Mehrheit der Fälle ebenfalls anonymisiert, wurden in zwei Fällen69 aber mit Klarnamen angegeben.70 Teilweise wurden nur Auszüge aus dem Schiedsspruch veröffentlicht, teilweise die vollständige Entscheidung. Insgesamt ergibt sich ein uneinheitliches Bild, allgemeingültige Veröffentlichungsstandards haben sich, wohl auch wegen der Seltenheit von Veröffentlichungen, noch nicht herausgebildet.

e. V. (2006): „Der Deutsche Kaffeeverband und die Handelskammer Hamburg können die Schiedsgerichtsurteile ganz oder auszugsweise unter Fortlassung der Namen der Parteien veröffentlichen sowie statistisch verarbeiten.“ Anders dagegen § 29 Abs. 1 des Regulativs des Schiedsgerichts der Handelskammer Hamburg (2003): „Die Handelskammer darf den Schiedsspruch veröffentlichen, wenn beide Parteien dem zustimmen.“ 67 www.disarb.org. 68  Stand: 1. Dezember 2015. Die Veröffentlichungen teilen sich wie folgt auf: 7x DIS, 3x ICC, 2x CAS, 2x Handelskammer Hamburg, 1x UNCITRAL, 1x LCIA, 1x IHK Kassel, 1x Unbekannt. In den vorangegangenen Jahren wurden auch in anderen juristischen Fachzeitschriften einzelne Schiedssprüche in unregelmäßigen Abständen veröffentlicht, vgl. BB 1999, Beil. 11; NJW-RR 1999, 780; NJW 1997, 613; NJW 1996, 3229; RIW 1995, 590. 69 DIS-Zwischenschiedsspruch vom 25. Januar 2005, Az. DIS-SV-438/04, abgedruckt in SchiedsVZ 2005, 166; Zwischenschiedsspruch des Schiedsgerichts der IHK Kassel vom 15. Dezember 2004, Az. 01/04, abgedruckt in SchiedsVZ 2006, 167. 70 Eine Ausnahme dürfte es darstellen, dass der Vorsitzende eines Schiedsgerichts die nachfolgende Aufhebung des Schiedsspruchs durch das zuständige Oberlandesgericht mit Klarnamen sowie unter Nennung vertraulicher Verfahrensdetails kritisiert, vgl. die Nachweise bei S. 97, Fn. 358.

256

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

III.  Publizität von Schiedssprüchen außerhalb Deutschlands Außerhalb Deutschlands werden Schiedssprüche in unterschiedlichem Umfang veröffentlicht. Nur in wenigen Fällen machen Institutionen Schiedssprüche systematisch der Öffentlichkeit zugänglich (1.). Ist dies jedoch der Fall, so lässt sich empirisch regelmäßig eine faktische Präzedenzwirkung des vorhandenen Präjudizienbestands für die Entscheidungen späterer Schiedsgerichte dieser Institution – teilweise sogar anderer Institutionen – nachweisen.71 Der Großteil der international tätigen Schiedsinstitutionen verfolgt einen Mittelweg und veröffentlicht Schiedssprüche nur in unregelmäßigen Abständen, wobei sich jedoch in den vergangenen Jahren ein zunehmender Trend hin zu mehr Transparenz und damit auch zu mehr Entscheidungspublizität beobachten lässt (2.). Demgegenüber verfolgen andere Institutionen eine Strategie der maximalen Vertraulichkeit, sodass ihre Schiedssprüche selten oder nie in die Öffentlichkeit gelangen (3.).

1.  Beispiele einer systematischen Veröffentlichungpraxis Tendenziell lässt sich eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen am ehesten in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, in der Sportschiedsgerichtsbarkeit sowie bei speziellen Branchenschiedsgerichten, so vor allem in der Seehandelsschiedsgerichtsbarkeit, und bei Domainnamenstreitigkeiten, beobachten. Im Folgenden soll die Veröffentlichungspraxis einzelner Schiedsinstitutionen in diesen Bereichen im Überblick dargestellt werden.

a. ICSID Ein treffliches Beispiel für eine systematische Veröffentlichungspraxis, die mittlerweile auch autonome, normbildende Funktionen wahrnimmt, ist die Tätigkeit des International Centre for the Settlement of Investment Disputes (ICSID). ICSID veröffentlicht seit 1972 in eigener redaktioneller Verantwortung fortlaufend Schiedssprüche und sonstige Entscheidungen von ICSIDSchiedsgerichten und leistet auf diese Weise einen wichtigen Beitrag zur Fortbildung des internationalen Investitionsschutzrechts. Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung ist § 48 Abs. 4 ICSID-SchO. Danach setzt die Veröffentlichung des Schiedsspruchs grds. die Zustimmung der Parteien voraus, das Zentrum ist jedoch gehalten, auch bei Verweigerung der Zustimmung zumindest Auszüge der betreffenden Entscheidung zu veröffentlichen.72 Die Parteien 71 

Siehe oben S. 190 ff. Siehe hierzu auch ICSID Regulation 22. Zu den Einzelheiten der Reform der Veröffentlichungsbestimmungen vgl. Coe, 54 University of Kansas Law Review 1339, 1355 (2006); 72 



III.  Publizität von Schiedssprüchen außerhalb Deutschlands

257

besitzen zudem das Recht, Schiedssprüche einseitig zu veröffentlichen.73 Mit Stand vom 1. Dezember 2015 waren von insgesamt 544 eingeleiteten ICSIDVerfahren 332 Verfahren abgeschlossen worden, davon 206 durch Endschiedsspruch.74 Ein Großteil dieser Endschiedssprüche bzw. von Auszügen hieraus sowie eine erhebliche Anzahl von Zwischenschiedssprüchen und prozessleitenden Verfügungen werden auf dem Internetauftritt des ICSID bzw. im ICSID Review – Foreign Investment Law Journal publiziert.75 ICSID-Entscheidungen sind darüber hinaus auch über Kluwer Arbitration und ITALAW sowie in der Westlaw-Datenbank verfügbar.76 Zunehmend werden bei Mehrheitsentscheidungen auch dissenting opinions einzelner Schiedsrichter veröffentlicht.77 In inhaltlicher Hinsicht enthalten die veröffentlichten Entscheidungen regelmäßig die Namen der Parteien sowie der Mitglieder des Schiedsgerichts. Üblicherweise werden ICSID-Schiedssprüche – gemäß der Rechtstradition des common law – auch anhand der Parteinamen zitiert. In zeitlicher Hinsicht erfolgt eine Veröffentlichung eines Schiedsspruchs oder einer Zusammenfassung in der Regel innerhalb weniger Wochen nach Erlass auf dem Internetauftritt des ICSID.78

b.  Iran-United States Claims Tribunal Ein weiteres Beispiel einer systematischen und umfassenden Veröffentlichungspraxis liefert die Spruchtätigkeit des Iran-United States Claims Tribunal (IUSCT), welches seit seiner Gründung im Jahre 1981 in vermögensrechtlichen Streitigkeiten zwischen iranischen und US-amerikanischen Staatsangehörigen (private claims) sowie zwischen der Islamischen Republik Iran und den Vereinigten Staaten von Amerika (A + B cases) im Nachgang zur Islamischen OECD Working Paper No. 2005/1, Transparency and Third Party Participation in InvestorState Dispute Settlement Procedures, Rn. 37. 73  Norris/Metzidakis, 15 Harvard Negotiation Law Review 31, 48 (2010). Hierzu auch oben S. 49 f. 74  Unter Ausschluss von Schiedssprüchen mit vereinbartem Wortlaut und Entscheidungen im Aufhebungsverfahren. Zum 1. Dezember 2015 waren darüber hinaus insgesamt 212 Verfahren beim ICSID anhängig. Sämtliche Zahlen nach https://icsid.worldbank.org. 75  Die ICSID Review erscheint seit 1986. Eine tabellarische Übersicht der bis 2007 veröffentlichten ICSID-Entscheidungen findet sich bei Commission, 5 Transnational Dispute Management 1 (2007). 76  Näher zu den einzelnen Publikationsplattformen Commission, 24 Journal of International Arbitration 129, 157 (2007). 77 Rechtsgrundlage ist Art. 47 Abs. 3 ICSID-SchO: “Any member of the Tribunal may attach his individual opinion to the award, whether he dissents from the majority or not, or a statement of his dissent.” Zu dieser Entwicklung auch van den Berg, in: Looking to the Future, 2010, S. 821. 78  Bei Zwischenentscheidungen kann die Veröffentlichung auch während des laufenden Verfahrens erfolgen.

258

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

Revolution von 1979 entscheidet.79 Rechtsgrundlage für die Publikation der Entscheidungen des Gerichtshofs ist Art. 32 Abs. 5 der Tribunal Rules of Procedure. Die Tribunal Rules of Procedure basieren auf der UNCITRAL-SchO, sehen allerdings, anders als diese, standardmäßig die Veröffentlichung der Entscheidungen des Tribunals vor. Dort heißt es: “All awards and other decisions shall be made available to the public, except that upon the request of one or more arbitrating parties, the arbitral tribunal may determine that it will not make the entire award or other decision public, but will make public only portions thereof from which the identity of the parties, other identifying facts and trade or military secrets have been deleted.”80

Seit seiner Gründung hat das IUSCT insgesamt mehr als 4.700 private claims sowie knapp 100 A + B cases abgeschlossen und 876 Schiedssprüche (awards) und sonstige Entscheidungen (decisions) erlassen.81 Sämtliche Entscheidungen des Tribunals wurden veröffentlicht. Die Veröffentlichung erfolgt zeitnah nach Erlass einer Entscheidung über die Homepage des IUSCT sowie über die Iran-U. S. Claims Tribunal Reports und Online-Datenbanken wie Westlaw International und Kluwer Arbitration.82 Die Entscheidungen des IUSCT werden grundsätzlich unter voller Namensnennung sowohl der Parteien des Rechtsstreits als auch der entscheidenden Schiedsrichter veröffentlicht. Die Parteien können nicht der Veröffentlichung der Entscheidung insgesamt, sondern allenfalls der nicht anonymisierten Veröffentlichung widersprechen, wobei das Schiedsgericht nach dem Wortlaut der Bestimmung auch im letztgenannten Fall einen Ermessensspielraum besitzt. In der Praxis wurde der überwiegende Teil der Entscheidungen in nicht anonymisierter Form veröffentlicht.

c.  NAFTA Chapter 11-Schiedsverfahren Ein besonderes regionales Investitionsschutzregime stellt Kapitel 11 des North American Free Trade Agreement (NAFTA) bereit. Investoren der Vertragsstaaten haben unter dem NAFTA die Möglichkeit, eine Verletzung vertraglicher 79 

Hierzu bereits oben S. 195 ff. Tribunal Rules of Procedure basieren auf der UNCITRAL-Schiedsordnung, die dargestellte Bestimmung wurde zur Ermöglichung einer Veröffentlichung der IUSCT-Entscheidungen ad hoc ergänzt, siehe Coe, in: Iran-U. S. Claims Tribunal, 2006, S. 119, 127; Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521 f. (2006). 81  Zahlenangaben nach Westlaw International (zuletzt abgerufen am 1. Dezember 2015) und www.state.gov/s/l/3199.htm. Die letzten private claims-Verfahren wurden bereits im Jahre 2002 abgeschlossen, derzeit sind noch mehrere A und B cases beim IUSCT anhängig (siehe zuletzt den Schiedsspruch des Tribunals vom 2. Juli 2014, No. 602 A-15 (IV)/A24-FT, abrufbar unter www.iusct.net). Alle übrigen Verfahren wurden durch Vergleich oder auf sonstige Weise (z. B. Klagerücknahme) abgeschlossen. 82  Mit Stand vom 1. Dezember 2015 sind 38 Bände der Iran-U. S. Claims Tribunal Reports erschienen. 80 Die



III.  Publizität von Schiedssprüchen außerhalb Deutschlands

259

Vereinbarungen auf schiedsgerichtlichem Wege geltend zu machen.83 Gemäß Art. 1137 Abs. 4 NAFTA-Übk i. V. m. mit der Anlage 1137.4 haben sich die Vereinigten Staaten von Amerika und Kanada vertraglich dazu verpflichtet, alle Chapter-11 Schiedssprüche zu publizieren.84 Die aus Repräsentanten der Mitgliedsstaaten zusammengesetzte NAFTA-Freihandelskommission, hat diese Praxis im Jahre 2001 zusätzlich in einer Auslegungsnote bestätigt und insoweit ausgeführt: „Nothing in the NAFTA imposes a general duty of confidentiality on the disputing parties to a Chapter Eleven Arbitration, [or] precludes the Parties from providing public access to documents submitted to, or issued by, a Chapter Eleven tribunal.“85

Mit Stand vom 1. Dezember 2015 waren von insgesamt 79 eingeleiteten Verfahren 26 Verfahren offiziell abgeschlossen worden, davon 21 durch Endschiedsspruch. Sämtliche Endschiedssprüche sind in Übereinstimmung mit den vorgenannten Bestimmungen des NAFTA online verfügbar. In den meisten Fällen werden neben dem Schiedsspruch auch weitere Verfahrensdokumente veröffentlicht. Hierzu zählen neben Zwischenschiedssprüchen und prozessleitenden Verfügungen des Schiedsgerichts auch Schriftsätze der Parteien, Stellungnahmen von amici curiae und Protokolle mündlicher Verhandlungen. Die Namen der Schiedsrichter und der Parteien werden nicht anonymisiert. Die Veröffentlichung erfolgt zeitnah auf den Internetauftritten der jeweils zuständigen nationalen Behörden der Vertragsstaaten.86

d.  WTO-Panels und WTO Appellate Body Die Panels und der Appellate Body der WTO haben in den vergangenen Jahren in erheblichem Umfang zur Konturierung und Fortentwicklung des internationalen Handelsrechts beigetragen. Seit Gründung der WTO im Jahre 1995 haben die WTO-Panels mit Stand vom 1. Dezember 2015 insgesamt 309 Reports und der Appellate Body insgesamt 132 Reports verfasst.87 Alle 83 

Hierzu bereits oben S. 203 ff. hat sich im NAFTA-Übereinkommen zwar lediglich zur Publikation gemäß den im Einzelfall anwendbaren Schiedsordnungsbestimmungen verpflichtet, die Öffentlichmachung aller Entscheidungen mit mexikanischer Beteiligung aber bei verschiedenen Anlässen öffentlich zugesichert. Aus diesem Grunde sind mittlerweile alle Zwischen- und Endschiedssprüche öffentlich verfügbar, vgl. Gantz, 19 American University International Law Review 679, 747 f. (2004). Zur Veröffentlichungspraxis im Rahmen des NAFTA auch Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 237 (2008); Coe, 54 University of Kansas Law Review 1339, 1355 (2006); Mistelis, 21 Arbitration International 211, 219 f. (2005). 85  Zitiert nach Coe, 54 University of Kansas Law Review 1339, 1369 (2006). 86  Informationen zu abgeschlossenen und laufenden Verfahren können insbesondere über den Internetauftritt des US State Department (www.state.gov) sowie über die von Todd Weiler betriebene Website www.NAFTAClaims.com abgerufen werden. 87  Quelle: www.wto.org. 84  Mexiko

260

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

Reports werden nach Zirkulation an die Mitgliedsstaaten unter Nennung der beteiligten Parteien und Schiedsrichter über den Internetauftritt der WTO veröffentlicht.88 Daneben werden die Reports sowie ergänzende internationale Schiedssprüche zu den Marrakesch-Abkommen auch in den WTO Dispute Settlement Reports veröffentlicht.89 Seit dem Jahre 2005 lassen die Panels und der Appellate Body im Interesse institutioneller Transparenz auch öffentliche Verhandlungen zu.90

e.  Internationaler Sportschiedsgerichtshof Schiedssprüche des Internationalen Sportschiedsgerichtshofs (Court of Arbitration for Sport, CAS) können gemäß Rule 43 Satz 3 der CAS Procedural Rules mit dem Einverständnis der Parteien oder durch entsprechende Entscheidung des division president veröffentlicht werden. In der Praxis wirkt der CAS regelmäßig auf eine Zustimmung der Parteien zur Veröffentlichung hin. Von der Gründung des CAS im Jahre 1984 bis zum 31. Dezember 2013 haben CAS-Schiedsgerichte in 3.451 Verfahren insgesamt 2.204 Schiedssprüche erlassen.91 Von diesen sind 522 Schiedssprüche über den Internetauftritt des CAS allgemein zugänglich. Über den Digest of CAS Awards sind CAS-Schiedssprüche auch in gedruckter Form verfügbar.92 Dies entspricht einer bereinigten Publikationsdichte von ca. 24 %. Die Veröffentlichung erfolgt binnen weniger Monate nach Erlass und in der Regel unter Nennung der Namen der Parteien und der Schiedsrichter.

f. UDRP Die Veröffentlichung von Panel-Entscheidungen erfolgt auf Grundlage von Art. 4 (j) der UDRP Policy i. V. m. Art. 16 (b) der UDRP Rules. Grundsätzlich sind sämtliche Entscheidungen der Panels online zu veröffentlichen, lediglich in begründeten Ausnahmefällen ist es den Panels gestattet, Teile der 88 

www.wto.org; www.worldtradelaw.net. Mit Stand vom 1. Dezember 2015 sind 184 Bände der WTO Dispute Settlement Reports erschienen. 90  Der sog. Sutherland Report hatte im Jahre 2004 vor den negativen Folgen fortgesetzter Intransparenz für die Akzeptanz der WTO und ihrer Streitbeilegungssysteme gewarnt und die WTO zu institutionellen Reformen ermutigt, vgl. Bogdandy/Venzke, 12 German Law Journal 1341, 1363 f. (2011). Zur früheren Rechtslage unter dem GATT-Abkommen vgl. Weiler, 35 Journal of World Trade Law 191, 196 f. (2001). 91  Amtliche Statistik des CAS, abrufbar unter www.tas-cas.org/statistics. 92  Digest of CAS Awards I-III (1986–2003). Die CAS Digests bilden die bisher zugängliche Spruchpraxis allerdings nicht vollständig ab, sondern enthalten ausgewählte Schiedssprüche, die die Herausgeber der Digests für besonders veröffentlichungswürdig halten, vgl. CAS Digest I, XXIII. 89 



III.  Publizität von Schiedssprüchen außerhalb Deutschlands

261

Entscheidung von der Veröffentlichung ausnehmen. Die vollständige Verhinderung der Veröffentlichung ist nicht möglich. Die offiziellen UDRP-Provider der ICANN93 haben seit 1999 gemeinsam mehr als 74.000 Entscheidungen in Domainnamensstreitigkeiten erlassen, die über die Internetauftritte der ICANN bzw. der einzelnen Provider allgemein zugänglich sind.94 Die Entscheidungen werden regelmäßig unter Nennung der Partei- und Schiedsrichternahmen veröffentlicht.

g. Seehandelsschiedsgerichtsbarkeit Die Seehandelsschiedsgerichtsbarkeit stellt traditionell einen der wenigen Bereiche der Handelsschiedsgerichtsbarkeit dar, dessen Entscheidungen in weiterem Umfang öffentlich zugänglich sind.95 Eine sehr weitgehende Veröffentlichungsregelung enthalten die Schiedsregeln der US-amerikanischen Society of Maritime Arbitrators (SMA). Diese sehen in Art. 1 Abs. 3 vor, dass die SMA Schiedssprüche jederzeit veröffentlichen kann, sofern die Parteien einer Publikation nicht vorab ausdrücklich widersprochen haben. Die SMA ist nicht dazu verpflichtet, die zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidungen zu anonymisieren. Nach eigenen Angaben veröffentlicht die SMA nahezu alle Schiedssprüche, der Bezug im Wege eines jährlichen Abonnements ist allerdings kostenpflichtig. Insgesamt enthält das Archiv der SMA derzeit mehr als 4.250 Schiedssprüche zu seerechtlichen Fragen.96 Einen zurückhaltenderen Ansatz verfolgen die London Maritime Arbitrators Association (LMAA) und die German Maritime Arbitrators Association (GMAA). Nach Art. 26 der LMAA Terms kann das Schiedsgericht einen Schiedsspruch in anonymisierter Form veröffentlichen, wenn hieran ein Interesse besteht und die Parteien der Veröffentlichung nicht binnen 21 Tagen nach Mitteilung der Veröffentlichungsabsicht durch die LMAA widersprechen. Zwischen 2000 und 2014 erließen LMAA-Schiedsgerichte insgesamt 6.870 Schiedssprüche, im Schnitt mehr als 450 pro Jahr, von denen 1.118 veröffentlicht wurden.97 Dies entspricht einer 93  Derzeit (Stand: 1. Dezember 2015) sind dies das Asian Domain Name Dispute Resolution Centre (ADNDRC), das National Arbitration Forum (NAF), die WIPO, das Czech Arbitration Court Arbitration Center for Internet Disputes (CAC) und das Arab Center for Domain Name Dispute Resolution (ACDR). Frühere Anbieter sind das International Institute for Conflict Prevention and Resolution (CPR) und eResolution. 94  Die Entscheidungszahlen verteilen sich (Stand: 1. Dezember 2015) wie folgt: WIPO: 50.491; NAF: 21.214; ADNDRC: 1.648; CAC: 403; eResolution: 346; CPR: 149. 95 Hierzu Maurer, Lex Maritima, 2012, S. 177 f.; Born, International Arbitration: Cases and Materials, 2011, S. 1059; Tashiro, 9 Journal of International Arbitration 97, 98 ff. (1992) mit Beispielen aus der Publikationspraxis. 96  Quelle: www.smany.org. Mit Stand vom 1. Dezember 2015 sind zudem mehr als 4.180 Entscheidungen von SMA-Schiedsgerichten über die Datenbanken Westlaw International und Lexis Nexis abrufbar. 97  Quelle: www.lmaa.org.uk.

262

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

bereinigten Publikationsdichte von ca. 16 %. Eine vergleichbare opt out-Regelung enthält § 14 Abs. 6 GMAA-SchO, demzufolge der Schiedsspruch vom Schiedsgericht unter Fortlassung der Namen der Parteien, aber unter Nennung des Schiffsnamens veröffentlicht werden darf, wenn nicht eine der Parteien der Veröffentlichung widerspricht.98

h.  P.R.I.M.E. Finance Zu Beginn des Jahres 2012 wurde P.R.I.M.E. Finance mit Sitz in Den Haag gegründet. P.R.I.M.E. Finance bietet Konfliktlösungsdienstleistungen für die internationale Finanzbranche, primär im Bereich Swaps und Derivate, an. Hierzu gehört neben Mediations- und Sachverständigendienstleistungen auch die Durchführung und administrative Begleitung von Schiedsverfahren. Art. 34 Abs. 5 P.R.I.M.E. Finance-SchO sieht mit Blick auf die Veröffentlichung von P.R.I.M.E.-Schiedssprüchen und – ausdrücklich – auch von verfahrensleitenden Verfügungen zur Förderung der allgemeinen Rechtsentwicklung ein gestuftes System vor. Grundsätzlich erfolgt die Veröffentlichung nur mit Zustimmung der Parteien (Satz 1). P.R.I.M.E. Finance ist jedoch befugt, Auszüge aus den rechtlichen Erwägungen des Schiedsspruchs in anonymisierter Form auch ohne Zustimmung der Parteien zu veröffentlichen (Satz 2). P.R.I.M.E. Finance kann darüber hinaus auch den vollständigen Schiedsspruch in anonymisierter Form veröffentlichen, soweit die Parteien nicht binnen einen Monat nach Zustellung der Entscheidung widersprechen (Satz 3). Grundsätzlich ist damit eine vergleichsweise hohe Entscheidungstransparenz zu erwarten. Die veröffentlichten Entscheidungen sollen künftig über den Internetauftritt von P.R.I.M.E. Finance allgemein und kostenfrei zugänglich sein. Gegenwärtig sind dort noch keine Entscheidungen veröffentlicht.

2.  Beispiele einer unregelmäßigen Veröffentlichungspraxis Eine unregelmäßige Veröffentlichung von Schiedssprüchen ist gegenwärtig vor allem im Bereich der Handelsschiedsgerichtsbarkeit die Regel, wobei deutliche Unterschiede zwischen einzelnen Schiedsinstitutionen bestehen. Eine vergleichsweise weitreichende Veröffentlichungspraxis besteht bei der ICC, wobei die tatsächliche Publikationsdichte angesichts der erheblichen Fallzahlen im

98 

Die GMAA administriert nach eigenen Angaben pro Jahr durchschnittlich zwischen 60 und 80 Schiedsverfahren, von denen mehr als die Hälfte durch Vergleich endet. Die GMAA wirkt vor dem Hintergrund, dass kaum noch Entscheidungen staatlicher Gerichte zu Fragen des Seehandelsrechts ergehen, gegenüber den Parteien auf eine Veröffentlichung des Schiedsspruchs hin, insgesamt werden aber gleichwohl nur sehr wenige Entscheidungen veröffentlicht.



III.  Publizität von Schiedssprüchen außerhalb Deutschlands

263

Ergebnis gering ist. Andere Schiedsinstitutionen verfolgen mit Blick auf die Veröffentlichung von Entscheidungen einen noch restriktiveren Ansatz.

a. ICC Eine Vorreiterstellung bei der Veröffentlichung von Schiedssprüchen nimmt im Bereich der Handelsschiedsgerichtsbarkeit die Internationale Handelskammer (ICC) ein, die ungeachtet des Fehlens entsprechender Bestimmungen in ihrer Schiedsordnung bereits seit 1974 ausgewählte Schiedssprüche im Journal du droit international (Clunet), seit 1976 im Yearbook of Commercial Arbitration und seit 1994 in einer eigenen Entscheidungssammlung (Collection of ICC Arbitral Awards) publiziert.99 Seit 2008 können Entscheidungen von ICCSchiedsgerichten zudem kostenpflichtig über die Dispute Resolution Library der ICC online abgerufen werden.100 Auch über die Westlaw InternationalDatenbank sind ICC-Schiedssprüche verfügbar.101 Anfänglich verwehrte sich die ICC dagegen, auf diese Weise zur Entstehung einer „jurisprudence arbitrale“ beizutragen und verwies darauf, dass ICC-Schiedsrichter nicht über die Schiedssprüche anderer ICC-Schiedsgerichte informiert würden, dass die ICC weder die Kompetenz zur Vereinheitlichung der Spruchpraxis besitze, noch diese überhaupt anstrebe, und dass jedes Schiedsgericht seine Entscheidungen unabhängig und ohne Rücksicht auf vorangegangene Entscheidungen anderer Schiedsgerichte treffe.102 Die tatsächliche Entwicklung nahm auf diese Selbstbeschränkung wenig Rücksicht. Bereits im Jahre 1981 konnte der damalige Generalsekretär des Internationalen Schiedsgerichtshofs der ICC, Yves Derains, feststellen, dass eine wahrnehmbare Tendenz von ICC-Schiedsgerichten bestehe, die veröffentlichten Entscheidungen anderer Spruchkörper ihren eigenen rechtlichen Erwägungen zugrunde zu legen.103 Bis zum Jahre 1990 waren bereits 101 ICC-Schiedssprüche veröffentlicht und kommentiert worden.104 Gleichwohl veröffentlicht auch die ICC nur einen Bruchteil ihrer Schiedssprüche. Allein zwischen 2001 und 2011 erließen ICC-Schiedsgerichte insgesamt 4.190 Schiedssprüche, im Schnitt knapp 400 pro Jahr.105 Dagegen wurden im 99  Collection of ICC Arbitral Awards, Bände I–VI (1974–2011). Veröffentlicht werden Schiedssprüche bzw. Entscheidungsauszüge, die zuvor bereits im Clunet oder im Yearbook of Commercial Arbitration erschienen sind. 100 www.iccdrl.com. 101  Mit Stand vom 1. Dezember 2015 enthielt die Datenbank 557 ICC-Schiedssprüche. 102  Thompson/Derains, Clunet 1974, 878: “On peut donc difficilement parler de jurisprudence arbitrale.” Dagegen Stein, Lex Mercatoria, 1995, S. 166. 103  Derains, Clunet 1981, 913, 914. Siehe hierzu bereits oben S. 208 ff. 104  Paulsson, Revue de l‘arbitrage 1990, 55. In der Collection of ICC Arbitral Awards wurden zudem ab 1994 rückwirkend insgesamt 277 Entscheidungen von ICC-Schiedsgerichten aus dem Zeitraum von 1974–1990 (wieder-)veröffentlicht. 105  Quelle: www.iccwbo.org.

264

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

gleichen Zeitraum in der Collection of ICC Arbitral Awards lediglich 236 ICCSchiedssprüche – meist in Auszügen – veröffentlicht, was einer bereinigten Publikationsquote von ca. 6 % entspricht.106 Schätzungen von Praktikern gehen von einer durchschnittlichen bereinigten Publikationsdichte von ca. 10–15 % seit Beginn der Veröffentlichungen aus.107 Die ICC veröffentlicht Schiedssprüche grundsätzlich in gekürzter und anonymisierter Form sowie unter Fortlassung der Namen der Parteien und der Schiedsrichter. Gleichwohl werden einzelne Entscheidungen hin und wieder auch unter Nennung der Namen der Parteien und Schiedsrichter veröffentlicht.

b. LCIA Der London Court of International Arbitration (LCIA) ist eine der weltweit bedeutendsten Schiedsinstitutionen. Trotz der erheblichen Fallzahlen – allein von 2000 bis 2013 wurden insgesamt 2.413 Verfahren anhängig gemacht108 – gelangen nur sehr wenige Entscheidungen von LCIA-Schiedsgerichten an die Öffentlichkeit. Art. 30.3 LCIA-SchO bestimmt insoweit, dass eine Veröffentlichung des Schiedsspruchs nur mit vorheriger schriftlicher Zustimmung der Parteien und des Schiedsgerichts zulässig ist. Einige wenige – insgesamt sechs – Entscheidungen von LCIA-Schiedsgerichten sind über die Westlaw InternationalDatenbank zugänglich. Dies entspricht einer formalen Publikationsdichte von lediglich 0,002 %.109 Vereinzelt werden Schiedssprüche darüber hinaus in juristischen Fachzeitschriften veröffentlicht.110 Einheitliche Publikationskriterien bestehen nicht, teilweise wurden Schiedssprüche anonymisiert veröffentlicht, teilweise unter Nennung der Namen der Parteien und der Schiedsrichter. Gleichwohl lässt sich auch beim LCIA seit einiger Zeit ein wahrnehmbarer Trend hin zu einer größeren Entscheidungstransparenz beobachten. So hat der Court im Jahre 2011 damit begonnen, in anonymisierter Form ausgewählte Entscheidungen zu Befangenheitsanträgen gegen Schiedsrichter (challenge 106  Band III (1991–1995): 65 Entscheidungen; Band IV (1996–2000): 59 Entscheidungen; Band V (2001–2007): 63 Entscheidungen; Band VI (2008–2011): 49 Entscheidungen. Berücksichtigt wurden allein Veröffentlichungen in der Collection of ICC Arbitral Awards. Die tatsächliche Publikationsquote kann daher, insbesondere unter Berücksichtigung privater Veröffentlichungen durch die Parteien, höher liegen, ebenso König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 126, 128. 107  Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 64; ders., in: Precedent, 2008, S. 39, 54 f.; Guillaume, 2 Journal of International Dispute Settlement 5, 15 (2011). Eine solche Veröffentlichungsquote erscheint allerdings recht hoch gegriffen. 108  Vgl. die offizielle Statistik des LCIA unter http://www.lcia.org. 109  Da keine öffentlichen Statistiken über die Anzahl der durch Schiedsspruch erledigten LCIA-Verfahren verfügbar sind, konnte die bereinigte Publikationsdichte nicht ermittelt werden. 110  Siehe z. B. SchiedsVZ 2010, 114.



III.  Publizität von Schiedssprüchen außerhalb Deutschlands

265

decisions) zu publizieren.111 In einem ersten Schritt wurden auf diese Weise 28 Schiedssprüche aus dem Zeitraum zwischen 1996 und 2010 veröffentlicht. Diese Praxis soll auch zukünftig fortgesetzt werden.

c. SCC Das Schiedsgericht der Stockholm Chamber of Commerce (SCC) administriert sowohl Handels- als auch Investitionsschiedsverfahren. Zwischen 2005 und 2014 wurden insgesamt 1.762 Handelsschiedsverfahren bei der SCC anhängig gemacht, darüber hinaus 52 Verfahren in Investitionsstreitigkeiten.112 Gemäß Art. 46 SCC-SchO werden Schiedssprüche durch die SCC grundsätzlich nur mit dem Einverständnis der Parteien veröffentlicht.113 Die SCC wirkt in der Praxis aber auf eine Erteilung der Zustimmung hin. Einzelne Schiedssprüche wurden bis 1999 im Yearbook of the Arbitration Institute of the Stockholm Chamber of Commerce, und ab 1999 im Stockholm Arbitration Report, der ab 2004 als Stockholm International Arbitration Review fortgeführt wurde, veröffentlicht. Die Zeitschrift wurde im Jahr 2009 eingestellt. Daneben wurde eine Auswahl von insgesamt 40 SCC-Schiedssprüchen mit Kommentierung in zwei Sammelbänden (SCC Arbitral Awards 1999–2003; 2004–2009) herausgegeben.114 Einzelne Entscheidungen können zudem über den Internetauftritt der SCC abgerufen werden. Insgesamt gelangt dennoch nur eine vergleichsweise geringe Zahl von SCC-Schiedssprüchen an die Öffentlichkeit. Die bereinigte Publikationsdichte liegt nach Schätzungen von Schiedspraktikern trotz bestehender Transparenzbemühungen nur bei ca. 3–4 %.115 Die Veröffentlichung erfolgt in der Regel in anonymisierter Form.

d. CIETAC Im asiatischen Raum gehört die China International Economic and Trade Arbitration Commission (CIETAC) mit mittlerweile deutlich über 1.000 Verfahrenseingängen pro Jahr zu den führenden Schiedsinstitutionen. Zwischen 2003 und 2013 wurden insgesamt 12.452 nationale und internationale Ver111 Hierzu bereits oben S. 8. Während die Namen der Parteien anonymisiert wurden, sind die Namen der Schiedsrichter mit deren Einverständnis aus den Entscheidungsauszügen ersichtlich. 112  Vgl. die amtliche Statistik der SCC unter www.sccinstitute.com. 113  Demgegenüber steht es den Parteien weitgehend frei, Schiedssprüche selbständig zu veröffentlichen, so bereits die Entscheidung des schwedischen Högsta Domstolen, vgl. oben S. 114 f. 114  Jarvin/Magnusson (Hg.), SCC Arbitral Awards 1999–2003 (2006); Bergman/Bond (Hg.), SCC Arbitral Awards 2004–2009 (2011). 115  Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 64. Einen Trend zu größerer Transparenz erkennt dagegen Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 123.

266

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

fahren bei der CIETAC anhängig gemacht.116 Ungeachtet der Vorschrift des Art. 36 ­CIETAC-SchO, der eine umfassende Verpflichtung der Verfahrensbeteiligten zur Wahrung der Vertraulichkeit vorsieht, veröffentlicht die CIETAC seit Langem Schiedssprüche, so vor allem in der Compilation of Arbitral Awards on China International Economy and Trade, die in drei Bänden 337 Schiedssprüche aus dem Zeitraum von 1960 bis 2002 bereitstellt.117 CIETAC-Schiedssprüche sind daneben auch über die Westlaw International-Datenbank sowie über den Internetauftritt der Pace Law School zugänglich.118 Die Veröffentlichung erfolgt in der Regel auszugsweise und in anonymisierter Form. Da statistische Angaben zu der Zahl der insgesamt pro Jahr durch Schiedsspruch erledigten Verfahren nicht verfügbar sind und CIETAC-Schiedssprüche, wie dargestellt, in verschiedenen Foren veröffentlicht werden, lässt sich die Publikationsdichte nicht zuverlässig ermitteln.

e.  Schiedsgericht der Handelskammer Mailand Das Schiedsgericht der Handelskammer Mailand (CAM) hat sich in den vergangenen Jahren als Vorreiter größerer Transparenz in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit positioniert. Im Jahre 2011 hat die CAM mit den Guidelines for the Anonymous Publication of Arbitral Awards erstmals ein Regelwerk veröffentlicht, dass die systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen im Interesse der Normbildung anstrebt und zu diesem Zweck allgemeine Kriterien für eine möglichst effektive Anonymisierung der betreffenden Entscheidungen entwickelt. Im Herbst 2013 sind darüber hinaus der Generalsekretär und weitere Mitglieder des Sekretariats der CAM als Mitherausgeber und Autoren des Sammelbands The Rise of Transparency in International Arbitration in Erscheinung getreten, in welchem eine Reihe von Schiedsrechtlern mit Blick auf die Legitimität des Schiedsverfahrens und im Interesse der allgemeinen Rechtsentwicklung für eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen plädiert.119 Der Internetauftritt der CAM enthält zudem detaillierte Statistiken zu Anzahl und Dauer des schiedsrichterlichen Verfahrens, zur Herkunft der Parteien und zu den jeweiligen Streitgegenständen. Zwischen 2003 und 2014 wurden insgesamt 1.483 Verfahren eingeleitet, von denen 568 durch Schiedsspruch be116 www.cietac.org.

117  Compilation of Arbitral Awards on China International Economy and Trade, aktuell liegen drei Bände vor (Band I: 1963–1988; Band II: 1989–1995; Band III: 1995–2002). Zudem hat CIETAC nach jüngsten Erkenntnissen offenbar bereits im Jahre 2004 weitere 4.686 Schiedssprüche aus den Jahren 1988–2000 veröffentlicht, vgl. Chew, Announcing Discovery and Research on Chinese Arbitration Awards, University of Pittsburgh, Legal Studies Research Paper No. 2014–20, abrufbar unter http://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2443122. 118  Mit Stand vom 1. Dezember 2015 enthält die Westlaw International-Datenbank insgesamt 170 CIETAC-Schiedssprüche. Der Internetauftritt der Pace Law School stellt (in englischer Übersetzung) insgesamt 321 CIETAC-Entscheidungen zur Verfügung. 119  Malatesta/Sali (Hg.), The Rise of Transparency in International Arbitration, 2013.



III.  Publizität von Schiedssprüchen außerhalb Deutschlands

267

endet wurden.120 23 dieser Entscheidungen sind über den Internetauftritt der CAM öffentlich zugänglich. Dies entspricht einer bereinigten Publikationsdichte von ca. 0,04 %. Die CAM hat jedoch angekündigt, in Zukunft verstärkte Anstrengungen hin zu einer größeren Entscheidungstransparenz zu unternehmen. Den Guidelines for the Anonymous Publication of Arbitral Awards kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu.121

f.  Online-Datenbanken: CLOUT und Kluwer Arbitration Ein besonderes Forum zur Veröffentlichung schiedsgerichtlicher Entscheidungen stellen mittlerweile Online-Datenbanken dar. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die CLOUT-Datenbank der UNCITRAL sowie die Kluwer Arbitration-Datenbank zu nennen. CLOUT sammelt seit 1988 Entscheidungen von staatlichen Gerichten und Schiedsgerichten mit einem Bezug zu UN-Abkommen im Bereich des internationalen Handels sowie zum UNCITRAL-Modellgesetz und stellt diese, meist in Form von gekürzten Abstracts, kostenfrei online zur Verfügung.122 Rechtsgrundlage für die Tätigkeit von CLOUT ist ein Beschluss der UNCITRAL-Kommission.123 Die Einzelheiten des Verfahrens der Beschaffung und Veröffentlichung von Entscheidungen regelt ein User Guide des UNCITRAL-Sekretariats.124 Zur Beschaffung der Entscheidungen setzt UNCITRAL nationale Korrespondenten ein, die die Rechtsprechungsentwicklung in ihren Herkunftsländern verfolgen und relevante Entscheidungen an UNCITRAL übermitteln. CLOUT bemüht sich trotz Schwierigkeiten aufgrund der weitgehenden Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens auch um die Veröffentlichung schiedsgerichtlicher Entscheidungen.125 Mit Stand vom 1. Dezember 2015 stellt CLOUT insgesamt 1.528 gerichtliche Entscheidungen, darunter 140 Schiedssprüche zur Verfügung.126 Über die private, kostenpflichtige Kluwer Arbitration-Datenbank sind mittlerweile mehr als 2.000 Entscheidungen von Schiedsgerichten in Investitions- und Handelssachen verfügbar.127 120  Abrufbar

unter www.camera-arbitrale.it. Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1, 26. 122 http://www.uncitral.org/uncitral/en/case_law.html. 123  Beschluss A/43/17 vom 1988, Rn. 98–109. 124 A/CN.9/SER.C/GUIDE/1/Rev. 2, abrufbar unter http://www.uncitral.org/uncitral/en/ case_law.html. 125  CLOUT User Guide (oben S. 216, Fn. 285), S. 3. 126 Im Einzelnen sind über CLOUT 121 Entscheidungen von Schiedsgerichten zum UN-Kaufrecht (CISG), 18 Entscheidungen zum UNCITRAL-Modellgesetz für die Schiedsgerichtsbarkeit und eine Entscheidung zum UN-Abkommen zu Verjährungsfragen verfügbar. Neben der Verantwortlichkeit für die CLOUT-Datenbank geben die Vereinten Nationen auch die Reports of International Arbitral Awards heraus, die in mittlerweile 30 Bänden völkerrechtliche Schiedssprüche zur Verfügung stellen. 127  Mit Stand vom 1. Dezember 2015 enthält die Kluwer Arbitration-Datenbank 2.244 Schiedssprüche. 121 

268

Kapitel 1: Publizität von Entscheidungen in der staatlichen Gerichtsbarkeit

3.  Beispiele einer restriktiven oder fehlenden Veröffentlichungspraxis Einige Schiedsinstitutionen, so z. B. die WIPO, veröffentlichen schiedsrichterliche Entscheidungen kaum oder gar nicht. Auch Entscheidungen aus dem Bereich der ad hoc-Schiedsgerichtsbarkeit finden in der Praxis allenfalls vereinzelt ihren Weg in die Öffentlichkeit.

a. WIPO Einen restriktiven Ansatz hinsichtlich der Veröffentlichung schiedsrichterlicher Entscheidungen verfolgt insbesondere die World Intellectual Property Organization (WIPO). WIPO-Schiedsgerichte entscheiden regelmäßig in marken-, patent- und urheberrechtlichen Fragen, bei denen die Vertraulichkeit des Verfahrens für die Parteien aus wirtschaftlichen und strategischen Gründen von herausragender Bedeutung ist.128 Um den diesbezüglichen Interessen und Erwartungen der Parteien gerecht zu werden, enthält die WIPO-Schiedsgerichtsordnung (Art. 75–78) umfangreiche und strenge Vertraulichkeitsbestimmungen, die es den Verfahrensbeteiligten in der Regel nicht einmal erlauben, zur Existenz eines laufenden oder abgeschlossenen Verfahrens Stellung zu nehmen. Eine Veröffentlichung der Entscheidungen von WIPO-Schiedsgerichten ist vor diesem Hintergrund praktisch ausgeschlossen.129

b.  Ad hoc-Schiedsgerichte Schließlich werden auch Schiedssprüche von ad hoc-Schiedsgerichten – und zwar sowohl in der Handels- als auch in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit – praktisch kaum je veröffentlicht.130 Als ad hoc-Schiedsgerichte werden im vorliegenden Zusammenhang in einem engeren Sinne alle nichtinstitutionellen Schiedsgerichte verstanden.131 Da ad hoc-Verfahren in diesem Sinne nicht statistisch erfasst werden, fehlen selbst belastbare Zahlen zur tatsächlichen 128 

Hierzu bereits oben S. 49 f. verhält es sich mit Entscheidungen, die WIPO-Spruchkörper im Rahmen ihrer Tätigkeit als UDRP-Provider erlassen, diese sind über den Internetauftritt der WIPO allgemein zugänglich. Vgl. hierzu bereits oben S. 260 f. 130  Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 64; ders., in: Precedent, 2008, S. 39, 53; Guillaume, 2 Journal of International Dispute Settlement 5, 15 (2011); Blackaby, in: Contemporary Questions, 2003, S. 359. Optimistischer Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook 175, 177 (1997); Schütze, in: Glossner-FS, 1994, S. 333, 334 ff. 131  In einem weiten Sinne können als ad hoc-Schiedsgerichte alle nichtständigen Spruchkörper bezeichnet werden, ein solches Begriffsverständnis würde dann auch institutionelle Schiedsgerichte einschließen. Vgl. zu den unterschiedlichen Begriffsbedeutungen Fauchald, 19 European Journal of International Law 301, 307 (2008); Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 528 (2006); Schroeder, SchiedsVZ 2005, 244 f. 129  Anders



III.  Publizität von Schiedssprüchen außerhalb Deutschlands

269

Anzahl solcher Verfahren.132 Die Veröffentlichung von Entscheidungen wird in der Praxis vor allem durch die fehlende administrative Unterstützung einer Schiedsinstitution erschwert, die in der Regel die Veröffentlichung betreut.133 Die mangelnde Verfahrens- und Entscheidungstransparenz in der ad hoc-Schiedsgerichtsbarkeit ist wesentlich dafür verantwortlich, dass Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit gerade in diesem Bereich leiden.134 Mit Verabschiedung der UNCITRAL Rules on Transparency in Treaty-Based Investor-State Arbitration im Januar 2014, die ausdrücklich auch in ad hoc-Verfahren zur Anwendung kommen können135, erscheint künftig eine größere Entscheidungstransparenz im Bereich der ad hoc-Schiedsgerichtsbarkeit aber zumindest denkbar.

132  Hoffmann, SchiedsVZ 2010, 96, 97; Hoffmann/Maurer, ZfRS 2010, 279, 281; Wilske, in: Arbitration in Germany, 2. Aufl. 2015, S. 727, 729. 133  Drahozal, 20 Journal of International Arbitration 23, 25 (2003). Als Alternative ist vereinzelt vorgeschlagen worden, Schiedssprüche auf dem Internetauftritt der entscheidenden Schiedsrichter zu veröffentlichen, vgl. Gibbons, 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution 769, 791 f. (2000). 134  Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 173. Hoffmann, Handelssachen, 2011, S. 141 f. geht vor diesem Hintergrund davon aus, dass der gegenwärtig vorhandene Fundus von Handelsschiedssprüchen lediglich die „Spitze des Eisbergs“ darstellt. 135  Vgl. Art. 1 Abs. 9 UNCITRAL Transparency Rules.

Kapitel 2

Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung von Schiedssprüchen in Deutschland Die Entscheidungen von Schiedsgerichten gelangen nur selten an das Licht der Öffentlichkeit, ihr normbildendes Potential wird, nicht nur in Deutschland, bislang noch kaum genutzt. Diese Tatsache wird unter Verweis auf die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens und die tatsächlichen oder vermeintlichen Erwartungen der Nutzer weithin als „unvermeidlich“ betrachtet.1 Die vorliegende Arbeit vertritt demgegenüber die Ansicht, dass eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen durch die ohnehin in weiten Teilen kontroverse und nicht unumschränkt geltende Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens nicht per se ausgeschlossen wird. Zwar besteht de lege lata keine Rechtspflicht zur Veröffentlichung schiedsrichterlicher Entscheidungen (I.), eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen erscheint, wie der vorangegangene Teil der Arbeit zu zeigen versucht hat, im Interesse der Normbildung sowie zur Legitimierung und Demokratisierung des Schiedsverfahrens aber gleichwohl möglich und wünschenswert. Mit Blick auf die praktische Umsetzung einer solchen systematischen Veröffentlichungspraxis stellt sich jedoch eine Reihe von Fragen. In diesem Zusammenhang ist zunächst zu untersuchen, ob Schiedssprüche der Allgemeinheit als solcher oder lediglich einem begrenzten Personenkreis zugänglich gemacht werden sollten (II.). Im Weiteren bedarf die Frage nach der Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung (III.) und nach der Veröffentlichungszuständigkeit (IV.) der Klärung. Aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen ist im letztgenannten Fall eine Veröffentlichung durch die im Einzelfall zuständige Schiedsinstitution auf der Grundlage schiedsordnungsrechtlicher Bestimmungen vorzuziehen. Im Veröffentlichungsverfahren selbst ist zunächst eine Vorauswahl der für eine Veröffentlichung geeigneten Entscheidungen vorzunehmen, bevor die endgültige Entscheidung über die Veröffentlichung getroffen werden kann (V.). In diesem Zusammenhang kann insbesondere fraglich sein, welchen Beteiligten hinsichtlich der Entscheidung über die Veröffentlichung ein Mitspracherecht zustehen kann und in welcher Weise dieses Recht ausgeübt werden soll. In formaler Hinsicht plädiert die vorliegende Arbeit zur Wahrung der Interessen der Parteien für eine Veröffentlichung von Schiedssprüchen in anonymisierter Form. Mit Blick auf dieses Ziel 1 

So z. B. Thompson/Derains, Clunet 1974, 876, 877.



II.  Einsichtsberechtigter Personenkreis

271

sind sowohl das Verfahren der Anonymisierung als auch der Umfang der für eine wirksame Anonymisierung erforderlichen Bearbeitung zu untersuchen (VI.). Den Abschluss dieses Kapitels bilden einige Überlegungen zu geeigneten Foren für die Veröffentlichung schiedsrichterlicher Entscheidungen.

I.  Keine Rechtspflicht zur Veröffentlichung von Schiedssprüchen Mit Blick auf die Möglichkeit einer systematischen Veröffentlichung von Schiedssprüchen ist zunächst die Frage zu beantworten, ob nicht sogar eine entsprechende Pflicht zur Publikation besteht. Dies ist zu verneinen. Schiedsgerichte stehen als private Spruchkörper außerhalb des staatlichen Justiz- und Verwaltungsapparats. Zwar üben Schiedsrichter im Rahmen ihrer Spruchtätigkeit materielle Rechtsprechungsfunktionen aus, sie tun dies aber nicht im hoheitlichen Auftrag des Staats, sondern im privatautonomen Auftrag der Parteien.2 Fehlt es demgemäß bereits an einem zurechenbaren hoheitlichen Handeln, so können auch die für ein hoheitliches Handeln geltenden Transparenzverpflichtungen keine Anwendung finden. Die für staatliche Gerichte geltenden Publizitätspflichten sind daher für Schiedsgerichte unbeachtlich. Eine Rechtspflicht zur Veröffentlichung von Schiedssprüchen besteht nicht. Eine entsprechende gesetzliche Verpflichtung erscheint zwar grundsätzlich denkbar, ist aus rechtspolitischen Gründen aber unwahrscheinlich.3 Vor diesem Hintergrund ist die Schiedsgerichtsbarkeit selbst aufgerufen, Anstrengungen zu einer größeren Verfahrens- und Entscheidungstransparenz zu unternehmen. Die nachfolgenden Überlegungen möchten hierzu einen Beitrag leisten.

II.  Einsichtsberechtigter Personenkreis Mit Blick auf die vorangestellten Überlegungen stellt sich zunächst die Frage nach dem Adressatenkreis einer systematischen Veröffentlichungspraxis. Die Antwort hierauf hängt maßgeblich von den mit der Veröffentlichung verfolgten Zwecken ab, die sich ihrerseits an den unterschiedlichen und teilweise gegenläufigen Funktionen des Schiedsverfahrens orientieren müssen. Betont man die einzelfallbezogene Natur des Schiedsverfahrens und des Schiedsspruchs, so liegt es nahe, Transparenzforderungen nur insoweit zuzulassen, als dadurch eine effizientere Durchführung des individuellen Verfahrens ermöglicht wird (1.). Hebt man dagegen stärker die kollektiven, verhaltenssteuernden Funk2 

Siehe hierzu bereits oben S. 149 ff. oben S. 41 ff. Zu den verfassungsrechtlichen Grenzen einer Veröffentlichungspflicht siehe auch Risse/Oehm, ZVglRWiss 114 (2015), 407, 418 ff. 3 Siehe

272

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

tionen des Verfahrens und der daraus resultierenden Entscheidung hervor, so können sich Transparenzforderungen nicht auf die unmittelbar Verfahrensbeteiligten beschränken, sondern müssen darüber hinaus gehen (2.). Diesen Linien folgen im Wesentlichen auch die nachfolgend diskutierten Lösungsansätze.

1.  „Kleine Lösung“: Einsichtsrecht für Verfahrensbeteiligte Auf der einen Seite stellt das Schiedsverfahren einen privaten Streitbeilegungsmechanismus dar, dessen Ziel und Rechtfertigung in der Herstellung von Einzelfallgerechtigkeit liegt. In dieser Funktion arbeitet das Schiedsverfahren vergangene Sachverhalte zwischen den Parteien juristisch auf, es ist insoweit individuell-retrospektiv und dient allein den Interessen der Parteien.4 Vor diesem Hintergrund legitimiert sich die Forderung nach der Herstellung größerer Entscheidungstransparenz durch das Ziel der Effizienzoptimierung, d. h. der Verbesserung der operativen Rahmenbedingungen, unter denen die schiedsgerichtliche Entscheidung im Einzelfall zustande kommt. Diese Sichtweise möchte den individuellen Informationsdefiziten der Verfahrensbeteiligten entgegenwirken und das Schiedsverfahren in verfahrensökonomischer Hinsicht optimieren, ohne dabei die umfassende Verfahrensherrschaft der Parteien in Frage zu stellen. Übergeordnete, parteiunabhängige und policy-bezogene Erwägungen spielen in diesem Modell prinzipiell keine Rolle. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen erscheint es denkbar, ein Recht zur Einsicht von Schiedssprüchen nur Verfahrensbeteiligten, also insbesondere Schiedsrichtern, Parteien und deren Vertretern zuzugestehen. Eine solche „kleine Lösung“ würde dem Interesse der Parteien an einer weitgehenden Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens Rechnung tragen und könnte dazu beitragen, bestehende Informationsasymmetrien, insbesondere strukturelle Wissensvorteile von repeat players, abzubauen.5 Ähnlich wie bei dem Recht auf Akteneinsicht bzw. Urteilsherausgabe nach § 299 Abs. 2 ZPO wäre die Einsichtnahme somit von der Glaubhaftmachung eines besonderen rechtlichen Interesses abhängig, welches nach dieser Lösung bereits aus der Stellung des Antragstellers als Beteiligter eines Schiedsverfahrens folgen würde.6 Eine solche „kleine Lösung“ im Sinne eines personal begrenzten Einsichtsrechts ist jedoch aus mehreren Gründen nicht geeignet, zur Förderung der Normbildung im Schiedsverfahren beizutragen. Würde man nur dem Schiedsgericht Einsicht in Schiedssprüche gewähren, so liefe eine Entscheidung, die das Schiedsgericht auf der Grundlage dieser Einsichtnahme träfe, Gefahr, das Recht der Parteien auf rechtliches Gehör zu ver4 

Hierzu bereits oben S. 179. diese Richtung offenbar auch Weidemaier, 51 William and Mary Law Review 1895, 1921 (2010). 6  Siehe hierzu bereits oben S. 247 ff. 5  In



II.  Einsichtsberechtigter Personenkreis

273

letzen.7 Zudem bestünde ein Risiko, dass die bloße Bezugnahme des Schiedsgerichts auf eine unveröffentlichte Entscheidung wegen Verstoßes gegen die regelmäßig bestehende Begründungspflicht (vgl. § 1054 Abs. 2 ZPO) zur Aufhebung des Schiedsspruchs führt.8 Würde man neben dem Schiedsgericht auch Parteien und Parteivertretern Einsichtsrechte zugestehen, so könnte dies zwar zu einer Angleichung des Informationsstands beitragen, würde aber gleichwohl eine allgemeine Nutzung dieser Entscheidungen zu Normbildungszwecken ausschließen. Im Rahmen einer „kleinen Lösung“ könnten schiedsgerichtliche Entscheidungen zudem weder verhaltenssteuernde Wirkungen im Vorfeld von Streitigkeiten entfalten noch Gegenstand einer allseitigen, kritischen Diskussion werden.9 Die „kleine Lösung“ kann vor diesem Hintergrund zur Herausbildung einzelfallübergreifender normativer Entscheidungsstandards keinen Beitrag leisten und ist deshalb abzulehnen.

2.  „Große Lösung“: Allgemeine Veröffentlichung von Schiedssprüchen In einer umfassenderen Perspektive kann die Behandlung individueller Streitigkeiten dadurch einzelfallübergreifende Bedeutung gewinnen, dass sie abstrakte Verhaltensstandards konkretisiert, verbindliche Handlungsanweisungen gibt und auf diese Weise verhaltenssteuernde Funktionen übernimmt.10 Dies setzt allerdings voraus, dass der Normadressat auch tatsächlich dazu in der Lage ist, sich Klarheit über die für ihn maßgeblichen normativen Verhaltenserwartungen zu verschaffen. Für den Bereich der staatlichen Gerichtsbarkeit konkretisiert das Rechtsstaatsgebot diese Forderung, indem es dem Einzelnen einen Anspruch auf Kenntnisnahme von gerichtlichen Entscheidungen, speziell solchen von obersten Gerichten, zuerkennt.11 Für den Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit kann mit Blick auf die Voraussetzungen einer einzelfallübergreifenden 7  So auch König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 67; Leisinger, Vertraulichkeit, 2012, S. 271; Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169, 175. 8  Nach deutschem Recht kann die Nichtbegründung der Entscheidung einen absoluten Revisionsgrund darstellen (siehe nur § 547 Nr. 6 ZPO). Nach der Rechtsprechung (BGH, NJW 1991, 2761, 2762) ist eine Begründung durch Bezugnahme auf andere gerichtliche Entscheidungen nur zulässig, soweit diese veröffentlicht und damit allgemein zugänglich sind. Zur Revisibilität eines Urteils, das sich zur Begründung lediglich auf eine unveröffentlichte, den Parteien nicht bekannte gerichtliche Entscheidung bezieht, siehe BVerwG, BeckRS 2013, 48825. Französische Gerichte lassen es hingegen zu, dass das Schiedsgericht seine Entscheidung auf Entscheidungen anderer Spruchkörper stützt, die den Parteien nicht zur Kenntnis gegeben wurden, vgl. Cour d’appel Paris, Urt. v. 14. 2. 1989 (Société Ofer Brothers v. The Tokyo Marine and Fire Insurance Co. Ltd.); zu dieser Entscheidung auch Berger, Kodifizierung, 1996, S. 59. Zur Rechtslage in der Schweiz vgl. Schweizerisches Bundesgericht, Urt. v. 9. 10. 2012, Az. 4 A 110/2012. 9  So auch Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 121. 10  Hierzu bereits oben S. 212 ff. 11  Siehe bereits oben S. 242 ff.

274

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

Entscheidungswirkung nichts anderes gelten. Auch hier müssen Kenntnisnahmemöglichkeiten Dritter gewährleistet sein, damit die schiedsgerichtliche Entscheidung über den Einzelfall hinaus Wirkung entfalten kann. Solche übergeordneten Funktionen kann das Schiedsgericht jedoch nur dann mit Erfolg wahrnehmen, wenn seine Entscheidungen öffentlich zugänglich sind und damit zum Bestandteil eines allseitigen, öffentlichen Diskurses werden können.12 Zwischen diesen unterschiedlichen Zielrichtungen besteht im Schiedsverfahren naturgemäß ein Spannungsverhältnis, dessen Auflösung zur einen oder zur anderen Seite im Kern Ausdruck bestimmter rechtspolitischer Überzeugungen ist. In diesem Zusammenhang würde eine „große Lösung“ Schiedssprüche nicht nur den Verfahrensbeteiligten, sondern der gesamten Öffentlichkeit zugänglich machen. Zugangsschranken im Sinne einer bestehenden Verfahrensbeteiligung oder eines sonstigen schützenswerten rechtlichen Interesses würden wegfallen. Würde auf diesem Wege eine umfassende Entscheidungstransparenz hergestellt, so könnte dies, wie der vorangegangene Abschnitt dieser Arbeit zu zeigen versucht hat, in erheblichem Maße zur Vereinheitlichung und Fortbildung des Rechts und zu mehr Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit beitragen. Im Ergebnis wird die Schiedsgerichtsbarkeit nur dann einen sinnvollen Beitrag zur Normbildung und damit zur allgemeinen Rechtsentwicklung leisten können, wenn sie ihre Entscheidungen allgemein und ohne Ansehung der Person öffentlich zugänglich macht. Die vorliegende Arbeit plädiert deshalb nachdrücklich für eine systematische und allgemein zugängliche Veröffentlichung schiedsgerichtlicher Entscheidungen. In welcher Weise ein solches allgemeines Einsichtsrecht in der Praxis umgesetzt werden könnte, bildet den Gegenstand der nachfolgenden Darstellung.

III.  Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung von Schiedssprüchen Das Desideratum einer systematischen Veröffentlichung von Schiedssprüchen im Interesse der allgemeinen Rechtsentwicklung wirft die Frage auf, auf welcher rechtlichen Grundlage ein solches Veröffentlichungsvorhaben organisiert werden könnte. Gegenwärtig ist die Veröffentlichung schiedsgerichtlicher Entscheidungen nur in Ansätzen positivrechtlich geregelt. In der Praxis bestehen gleichwohl verschiedene Möglichkeiten zur rechtlichen Absicherung der Möglichkeit zur Publikation von Schiedssprüchen. Stets können die Parteien eine Veröffentlichung durch vertragliche Vereinbarung beschließen, und zwar sowohl vor als auch während des Rechtsstreits sowie nach dessen Abschluss (1.). Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen ist auch einer gesetzlichen 12  Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 121; Cheng, 30 Fordham International Law Journal 1014, 1025 (2007).



III.  Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung von Schiedssprüchen

275

Regelung zugänglich (2.). Schließlich können Voraussetzungen und Verfahren der Veröffentlichung im Bereich der institutionellen Schiedsgerichtsbarkeit auch durch die im Einzelfall zur Anwendung berufene Schiedsordnung geregelt werden (3.).

1.  Veröffentlichung aufgrund individueller Parteivereinbarung Für die Schiedsparteien besteht zunächst die Möglichkeit, die Frage nach der Veröffentlichung des Schiedsspruchs einvernehmlich im Wege einer vertraglichen Vereinbarung zu regeln.13 Diese Möglichkeit ist Ausdruck der privatautonomen Grundlage des Schiedsverfahrens. In der Praxis kommen sowohl die Aufnahme eines entsprechenden Zusatzes in die Schiedsklausel als auch der Abschluss einer selbständigen Vereinbarung in Betracht. Beide Möglichkeiten sind jedoch in der Praxis aus verschiedenen Gründen wenig sinnvoll. Gegen die Aufnahme einer Veröffentlichungsbestimmung in die Schiedsklausel spricht vor allem, dass Parteien sich bei der Formulierung der Vereinbarung in der Praxis häufig an Musterklauseln orientieren, die von verschiedenen Schiedsinstitutionen zur Verfügung gestellt werden. Diese Musterklauseln enthalten regelmäßig keine Bestimmungen zur Frage der Veröffentlichung des Schiedsspruchs, sodass eine Parteivereinbarung auf diesem Wege nur in Ausnahmefällen zustande kommen wird. Der Abschluss einer selbständigen Vereinbarung über die Voraussetzungen und das Verfahren einer Veröffentlichung des Schiedsspruchs ist zwar sowohl vor als auch nach Beginn des schiedsgerichtlichen Verfahrens, ferner auch nach dessen Abschluss möglich, aus verhandlungspsychologischen Gründen in allen Fällen allerdings eher unwahrscheinlich.14 Bei Vertragsschluss sowie im Zeitraum vor Beginn eines Rechtsstreits werden die Schiedsparteien regelmäßig keinen Anlass zu einer detaillierten Regelung künftiger Streitigkeiten und demgemäß auch der Veröffentlichungsmodalitäten sehen.15 Nach Beginn des Verfahrens werden die Parteien sich mit Blick auf die zu diesem Zeitpunkt in der Regel noch ungewissen Erfolgsaussichten nicht auf eine Regelung festlegen wollen. Ähnliches wird aufgrund der unterschiedlichen Interessenlagen im Regelfall nach Abschluss des Verfahrens gelten: Vor allem die unterlegene Partei wird sich häufig gegen eine Veröffentlichung der für sie ungünstigen Entscheidung zur Wehr setzen.16

13 

Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 249 (2008). Hwang/Thio, 29 Journal of International Arbitration 137, 141 (2012) plädieren aus verfahrenstaktischen Gründen für eine Regelung dieser Fragen nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens. 15  Siehe bereits oben S. 16 ff. 16  Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1, 8; Petersen/Rezler, Journal of International Dispute Resolution 1986, 73, 83, dort Fn. 11. 14 

276

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

Maßgeblich gegen eine auf individuellen Parteivereinbarungen beruhende Veröffentlichungspraxis spricht jedoch, dass eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen auf diese Weise nicht gewährleistet werden kann. Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen kann nur dann aktuelle rechtliche Entwicklungen im Bereich der Schiedsgerichtsbarkeit aufzeigen und einen Beitrag zur allgemeinen Rechtsentwicklung leisten, wenn diese Entscheidungen in ausreichendem Maße repräsentativ sind.17 Dies erfordert eine systematische Veröffentlichungspraxis, die gerade nicht von den Umständen des Einzelfalls, wie beispielsweise dem Vorhandensein einer vertraglichen Vereinbarung über die Veröffentlichung des Schiedsspruchs abhängig sein darf. Der Klarstellung halber sei insoweit angemerkt, dass damit nicht gesagt ist, dass die Parteien bei der Entscheidung über die Veröffentlichung kein Mitspracherecht haben sollten.18 Die Bedingungen, unter denen die Entscheidung über die Veröffentlichung getroffen wird, müssen aber im Ausgangspunkt und unabhängig vom Einzelfall gleich sein.

2.  Veröffentlichung aufgrund gesetzlicher Vorschriften Die aufgezeigten Schwächen einer vertraglichen Lösung der Veröffentlichungsfrage könnten durch eine gesetzliche Regelung der Voraussetzungen und des Verfahrens der Veröffentlichung vermieden werden. Eine gesetzliche Regelung der materiellen Voraussetzungen, unter denen eine Veröffentlichung des Schiedsspruchs möglich sein soll, sorgt innerhalb der betreffenden Jurisdiktion für eine einheitliche Entscheidungsgrundlage und kann auf diese Weise zur Entstehung einer systematischen Veröffentlichungspraxis beitragen.19 Gegenüber vergleichbaren Regelungen in institutionellen Schiedsordnungen besitzt eine gesetzliche Normierung vor allem den Vorteil, dass eine Zersplitterung von Veröffentlichungsstandards im Wettbewerb der Institutionen untereinander vermieden wird.20 Gegenwärtig sind jedoch keine Jurisdiktionen bekannt, die über entsprechende gesetzliche Publikationsvorschriften verfügen würden.21 Auch diesbezügliche rechtspolitische Initiativen sind nicht ersichtlich. Das deutsche Recht sieht mit Blick auf das Schiedsverfahren zwar eine Reihe gesetzlicher Auskunfts- und Offenlegungspflichten vor22, enthält aber keine Bestimmungen zur Publikation schiedsgerichtlicher Entscheidungen. Entsprechende Regelun17 

Siehe bereits oben S. 212 f. Hierzu ausführlich unten S. 289 ff. 19  Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 249 (2008); Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1243 f. (2006). 20  Schmitz, 54 University of Kansas Law Review 1211, 1243 (2006). 21  Einen Sonderfall stellt die völkerrechtliche Vereinbarung der NAFTA-Vertragsstaaten zur Veröffentlichung sämtlicher NAFTA-Schiedssprüche vgl. hierzu bereits S. 259. 22  Siehe bereits oben S. 52 ff. 18 



III.  Rechtsgrundlage für die Veröffentlichung von Schiedssprüchen

277

gen sind gleichwohl denkbar, so beispielsweise für in Deutschland erlassene Schiedssprüche im 10. Buch der ZPO.23 Eine gesetzliche Regelung müsste, um verfassungskonform zu sein, die unterschiedlichen und teilweise gegenläufigen Interessen der Verfahrensbeteiligten an einer vertraulichen Verfahrensdurchführung einerseits und der weiteren Öffentlichkeit an größerer Transparenz des Schiedsverfahrens andererseits in überzeugender Weise in Einklang bringen. Dies ist, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, durchaus möglich. Vor dem Hintergrund aktueller rechtspolitischer Entwicklungen ist eine gesetzliche Regelung dieser Frage jedoch gegenwärtig unwahrscheinlich.

3.  Veröffentlichung aufgrund schiedsordnungsrechtlicher Vorschriften In der Schiedspraxis finden sich Bestimmungen über die Voraussetzungen und das Verfahren der Veröffentlichung von Schiedssprüchen vor allem in institutionellen Schiedsordnungen. Eine Reihe prominenter Verfahrensordnungen, darunter die UNCITRAL-SchO, die LCIA-SchO, die AAA-SchO und die DIS-SchO, enthält ausdrückliche Bestimmungen zu den Voraussetzungen und Modalitäten der Veröffentlichung von Schiedssprüchen.24 Angesichts der Tatsache, dass die Parteien die Einzelheiten des Verfahrensablaufs in der Praxis typischerweise durch die Wahl einer institutionellen Verfahrensordnung regeln und dass die Institutionen aufgrund ihrer Tätigkeit über besondere Erfahrungen und eine entsprechende Sachnähe verfügen, erscheint dieser Ansatz überzeugend. Zu beachten ist ferner, dass Schiedsordnungen deutlich schneller und mit geringerem rechtspolitischem Aufwand als gesetzliche Regelungen geändert und angepasst werden können. Zwar entfalten schiedsordnungsrechtliche Bestimmungen zur Veröffentlichung von Schiedssprüchen nur institutionsintern Wirkung und erfassen insbesondere nicht außerhalb von Schiedsinstitutionen geführte ad hoc-Verfahren.25 Dessen ungeachtet lässt sich durch die Verankerung von Publikationsbestimmungen in der Schiedsordnung gleichwohl eine vergleichsweise hohe Breitenwirkung erzielen, die durch die erhebliche und weiterhin zunehmende Bedeutung der institutionellen Schiedsgerichtsbarkeit, die wechselseitige Beobachtung und Vernetzung der betreffenden Institutionen und die damit einhergehende fortlaufende Anpassung und Homogenisierung der Schiedsregeln zusätzlich verstärkt wird. Die Voraussetzungen und das Verfahren der Veröffentlichung von Schiedssprüchen lassen sich vor diesem Hintergrund am sinnvollsten regeln, indem entsprechende Bestimmungen in die Schiedsordnung aufgenommen werden. Die Einbindung der Schiedsinstitution in den Veröffentlichungsprozess schafft zudem die institutionellen Vorausset23 

Vgl. § 1025 Abs. 1 ZPO. Vgl. die Übersicht oben S. 31 f. 25  Karton, 28 Arbitration International 447, 478 (2012). 24 

278

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

zungen für eine gleichmäßige Veröffentlichungspraxis und erhöht die Breitenwirkung der Veröffentlichung (dazu sogleich).

IV.  Zuständigkeit für die Veröffentlichung Die Veröffentlichung schiedsrichterlicher Entscheidungen kann nur dann zur Entstehung normativer Entscheidungsstandards beitragen, wenn sie in systematischer und gleichmäßiger Art und Weise sowie in einem institutionell geordneten Verfahren erfolgt. Das setzt voraus, dass die mit der Veröffentlichung betraute Stelle ein Mindestmaß an institutioneller Festigkeit gewährleisten kann.26 Diese Mindestanforderungen schließen im Regelfall eine Veröffentlichung der Entscheidung durch die Parteien selbst oder durch das Schiedsgericht aus, weil beide nicht über die erforderlichen institutionellen Voraussetzungen verfügen, um eine einheitliche und gleichmäßige Veröffentlichungspraxis zu gewährleisten. Parteien und Schiedsgericht sind als Zweckgemeinschaft regelmäßig nur mit Blick auf ein konkretes Verfahren verbunden und damit zur nachhaltigen Umsetzung einer langfristig orientierten Publikationspraxis nicht in der Lage. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass eine Veröffentlichung nach mehrheitlicher und auch hier vertretener Meinung erst nach Anonymisierung der betreffenden Entscheidung möglich ist.27 Die Anonymisierung erfordert jedoch zusätzliche personelle und administrative Ressourcen sowie die Entwicklung allgemeiner Veröffentlichungsstandards. Aus diesen Gründen kann eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen nur auf institutioneller Ebene erfolgen.28 Manche Kommentatoren haben insoweit die Schaffung einer globalen Schiedsspruchdatenbank, ähnlich der CLOUT-Datenbank der UNCITRAL, angeregt.29 Zwar kooperiert UNCITRAL bei der Sammlung von schiedsrichterlichen Entscheidungen mit verschiedenen internationalen Schiedsinstitutionen, diese Kooperation beschränkt sich jedoch in der Regel auf die Übermittlung einzelner Entscheidungen, meist auf entsprechenden Hinweis der nationalen Korrespondenten. Eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen würde jedoch einen regelmäßigen, institutionalisierten Entscheidungsaustausch 26 

Fry, 4 Contemporary Asia Arbitration Journal 57, 78 (2011). hierzu unten S. 303 ff. 28  Azzali, in: Transparency, 2013, xxx; Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook 175, 181 (1997); Tashiro, 9 Journal of International Arbitration 97, 103 (1992); Carbonneau, 23 Columbia Journal of Transnational Law 579, 608 (1985); Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Journal 317, 337 (1984). In der ad hoc-Schiedsgerichtsbarkeit fehlen solche institutionellen Mechanismen, weshalb eine systematische Veröffentlichungspraxis in diesem Bereich nicht möglich ist. 29  Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 66; ders., in: Precedent, 2008, S. 39, 57; Jolivet, 22 Arbitration International 265, 272 (2006). 27  Ausführlich



V.  Verfahren der Veröffentlichung

279

voraussetzen. Damit ist jedoch gegenwärtig nicht zu rechnen. Erfolgversprechender erscheint es demgegenüber, die Zuständigkeit für die Veröffentlichung von Schiedssprüchen den Schiedsinstitutionen zu überlassen, die als „principal policy makers“30 über die erforderlichen institutionellen Voraussetzungen für eine einheitliche und dauerhafte Publikationstätigkeit verfügen.31 Für eine Veröffentlichungszuständigkeit der Schiedsinstitutionen spricht zudem, dass auf diese Weise nicht nur künftige Entscheidungen, sondern auch bereits vorhandene Archivbestände der betreffenden Institution öffentlich zugänglich gemacht werden könnten, die ihrerseits zur Erweiterung und Kontextualisierung der öffentlich verfügbaren Spruchpraxis genutzt werden könnten.32 Die Zuständigkeit für die Veröffentlichung von Schiedssprüchen gebührt vor diesem Hintergrund den Schiedsinstitutionen.

V.  Verfahren der Veröffentlichung Im Rahmen des Veröffentlichungsverfahrens sind zwei Schritte zu unterscheiden: Zunächst muss die Schiedsinstitution entscheiden, welche Entscheidungen für eine Veröffentlichung generell geeignet sind (1.). Erst im Anschluss an diese Vorauswahl kann eine Entscheidung über die Veröffentlichung selbst getroffen werden (2.).

1.  Die Auswahl der zu veröffentlichenden Schiedssprüche Aus Sicht der veröffentlichenden Schiedsinstitution stellt sich zunächst die Frage, ob sie eine unterschiedslose Veröffentlichung der nach ihren Regeln erlassenen Entscheidungen anstreben oder nur ausgewählte Schiedssprüche veröffentlichen soll. Die überzeugenderen Gründe, die im Folgenden dargelegt werden sollen, sprechen für die letztgenannte Ansicht. In diesem Fall ist zu klären, welche inhaltlichen Kriterien für die Auswahl maßgeblich sein sollen (a.) und durch wen diese vorgenommen werden soll (b.).

30 

Rogers, 54 University of Kansas Law Review, 1301, 1314 (2006). auch Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook 175, 181 (1997); Carbonneau, 23 Columbia Journal of Transnational Law 579, 608 (1985). 32  In diesem Zusammenhang ist auf das Transparency Project des ICSID hinzuweisen, in dessen Rahmen das ICSID die Parteien früherer Verfahren bis zurück in das Jahr 1972 kontaktiert und um Zustimmung zur Veröffentlichung der damaligen Entscheidungen ersucht. Siehe hierzu Kinnear/Obadia/Gagain, in: Transparency, 2013, S. 107, 120. Die Erlangung der Zustimmung kann sich im Einzelfall allerdings problematisch gestalten, wenn die betreffenden Parteien nicht mehr existieren oder ihre Rechtsnachfolger unbekannt sind. 31 So

280

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

a.  Notwendigkeit einer Vorauswahl und Auswahlkriterien Die eingangs dargestellten Vorteile, die mit der Veröffentlichung von Schiedssprüchen verbunden sind, erfordern eine regelmäßige und systematische Veröffentlichungspraxis. Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die veröffentlichten Entscheidungen in ihren inhaltlichen Aussagen hinreichend repräsentativ sind. Diese Repräsentativität ist ihrerseits unabdingbare Voraussetzung dafür, dass Schiedssprüche einen Beitrag zur allgemeinen Rechtsentwicklung leisten können; eine unregelmäßige oder sporadische Veröffentlichungspraxis ist hierzu nicht in der Lage.33 In der Praxis stellt sich angesichts dieser Diagnose die Frage, auf welche Weise die erforderliche Repräsentativität der Spruchpraxis gewährleistet werden kann. Im Ergebnis bestehen zwei Möglichkeiten: Die betreffende Institution kann entweder sämtliche unter ihrer Verantwortung ergangenen Schiedssprüche veröffentlichen (aa.) oder unter diesen eine möglichst repräsentative Auswahl treffen (bb.).

aa.  Veröffentlichung ohne Vorauswahl Eine unterschiedslose Veröffentlichung sämtlicher Schiedssprüche durch die Schiedsinstitutionen wäre unter dem Gesichtspunkt der Repräsentativität zu begrüßen, weil auf diese Weise eine Kontextualisierung einzelner Entscheidungen ermöglicht und die Verfügbarkeit einer zusammenhängenden Spruchpraxis sichergestellt würde.34 Erst durch die Möglichkeit zur Kontextualisierung gewinnen einzelne Schiedssprüche an wissenschaftlichem und präjudiziellem Wert. Gleichzeitig könnte auf diese Weise der Gefahr einer subjektiven Verzerrung der verfügbaren Spruchpraxis entgegengewirkt werden. Dessen ungeachtet führt eine unterschiedslose Veröffentlichungspraxis sowohl unter rechtlichen als auch unter praktischen Gesichtspunkten zu Schwierigkeiten. In rechtlicher Hinsicht ist zu beachten, dass nicht alle schiedsgerichtlichen Entscheidungen von allgemeinem Interesse und demgemäß zur Veröffentlichung geeignet sind. Ein solches überwiegendes öffentliches Interesse an der Publikation ist jedoch erforderlich, weil nur in diesem Fall die berechtigten Interessen der Parteien an der Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens und der in diesem Verfahren ergangenen Entscheidungen zurücktreten müssen. Ein Veröffentlichungsinteresse dürfte zunächst nur für begründete Schiedssprüche bestehen, da nur eine begründete Entscheidung neue rechtliche Erkenntnisse vermitteln kann. Für das deutsche Recht sieht § 1054 Abs. 2 ZPO zwar vor, dass der Schiedsspruch in der Regel zu begründen ist, das Begründungserfordernis entfällt jedoch, so33 

Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 60; ders., in: Precedent, 2008, S. 39, 49. Zu den Zweifeln an der Repräsentativität des gegenwärtig vorhandenen Entscheidungsbestands vgl. Karton, 28 Arbitration International 447, 448 (2012); Drahozal, 20 Journal of International Arbitration 23 (2003). 34 



V.  Verfahren der Veröffentlichung

281

weit die Parteien dies einvernehmlich vereinbart haben.35 Auch Vergleiche, die das Schiedsgericht auf Antrag der Parteien im Wege eines sog. Schiedsspruchs mit vereinbartem Wortlaut festhalten kann, müssen gem. § 1054 Abs. 2 ZPO nicht begründet werden. An ihrer Veröffentlichung besteht aus diesem Grunde regelmäßig kein übergeordnetes Interesse. Schließlich kommen auch Billigkeitsentscheidungen aufgrund ihrer notwendigen Einzelfallbezogenheit nicht als allgemeinrelevante Präjudizien in Betracht, so dass auch in diesen Fällen kein übergeordnetes Interesse an ihrer Veröffentlichung besteht. Gleiches kann – mit der gebotenen Vorsicht – für Schiedssprüche gelten, deren Schwerpunkt in der Sachverhaltsfeststellung, nicht aber in der rechtlichen Bewertung desselben liegt oder deren rechtliche Fragestellungen bereits hinreichend geklärt sind.36 Ein vergleichender Blick in die staatliche Zivilgerichtsbarkeit zeigt, dass dies häufig der Fall sein kann. Aus ähnlichen Gründen kann auch die präjudizielle Tauglichkeit von Schiedssprüchen, die vornehmlich zum Zwecke der Verfahrensbefriedung erlassen werden, fraglich sein. Eine unterschiedslose Veröffentlichungspraxis würde aber auch auf praktische Schwierigkeiten stoßen, weil die zu veröffentlichenden Entscheidungen vor der Publikation umfänglich bearbeitet und insbesondere anonymisiert werden müssten, was mit einem erheblichen Arbeitsmehraufwand sowie mit zusätzlichen Kosten verbunden wäre.37 Das gilt umso mehr, als die Eingangszahlen der meisten Schiedsinstitutionen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen sind. Dieser Mehraufwand ließe sich nur dann rechtfertigen, wenn ihm ein entsprechender rechtlicher Mehrwert entgegenstünde. An einem solchen fehlt es mit Blick auf die Normbildung aber gerade bei rechtlich evident uninteressanten oder redundanten Entscheidungen. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, der auswählenden Person oder Institution hinsichtlich der zu veröffentlichenden Entscheidungen ein Auswahlermessen zuzugestehen.38 Diese Vorgehensweise entspricht auch der gängigen Praxis in der Schiedsgerichtsbarkeit. Soweit ersichtlich, veröffentlichen nur sehr wenige Schiedsinstitutionen nahezu alle Entscheidungen.39 Der überwiegende Teil der Institutionen nimmt hingegen eine Vorauswahl vor. Ebenso verfährt die deutsche staatliche Gerichtsbarkeit, die ein Ermessen hinsichtlich der Entscheidung über die Veröffentlichung voraussetzt. Danach haben zunächst die an der Entscheidung beteiligten Richter eine amtliche Auswahl veröffentlichungswürdiger Entscheidungen zu 35  Eine fast wortgleiche Regelung enthält § 34.3 DIS-SchO. In der Praxis werden Schiedssprüche im Regelfall begründet, siehe bereits oben S. 171 f. 36  Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 65. 37  Im Einzelnen hängt dies allerdings vom Verfahren der Bearbeitung ab, hierzu ausführlich unten S. 305 ff. 38  Coppo, in: Transparency, 2013, S. 137, 150; Sali, aaO, S. 73, 83. 39  So vor allem Branchenschiedsgerichte, vgl. Maurer, Lex Maritima, 2012, S. 177. Zur Veröffentlichungspraxis in der US-amerikanischen Arbeitsschiedsgerichtsbarkeit vgl. Bingham, 29 McGeorge Law Review 223, 232 (1997).

282

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

treffen, die durch die Gerichtsverwaltung um weitere Entscheidungen, an deren Veröffentlichung ersichtlich ein öffentliches Interesse besteht, ergänzt werden kann.40 Soweit eine gerichtliche Entscheidung ihrer rechtskonkretisierenden und verhaltenssteuernden Funktion nicht gerecht wird, beispielsweise dann, wenn die betreffende Rechtsfrage bereits abschließend geklärt wurde, besteht kein Anlass für eine Veröffentlichung der Entscheidung.

bb.  Veröffentlichung nach Vorauswahl Im Ergebnis sprechen daher überzeugende Gründe für eine Vorauswahl der zu veröffentlichenden Schiedssprüche durch die betreffende Schiedsinstitution. Zweifellos sind mit Blick auf die vorangegangenen Ausführungen nicht alle Schiedssprüche in gleichem Maße zur Veröffentlichung geeignet. In der Praxis kann eine undifferenzierte Veröffentlichungspraxis den mit der Veröffentlichung verfolgten Zielen, so insbesondere der Herstellung größerer Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit, unter Umständen sogar zuwiderlaufen und birgt nach Ansicht mancher gar das Risiko, dass relevante Rechtsentwicklungen in der Masse der Veröffentlichungen untergehen bzw. für unerfahrenere und weniger finanzkräftigere Parteien mit einem wirtschaftlich nicht mehr zu leistenden Rechercheaufwand verbunden sind.41 Angesichts der gegenwärtigen und perspektivisch weiterhin wachsenden Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit, die mit entsprechenden Steigerungen in den absoluten Fallzahlen einhergeht, sind diese Risiken nicht von der Hand zu weisen.42 Sie dürften im Lichte der zwischenzeitlichen technischen Entwicklungen in der Praxis aber beherrschbar sein. Elektronische Datenbanken wie beck online oder juris beweisen, dass sich mittlerweile auch umfangreiche Entscheidungssammlungen mit leistungsfähigen Suchmaschinen problemlos in kurzer Zeit auf relevante Entscheidungen durchsuchen lassen. Soweit die entsprechenden technischen Voraussetzungen gegeben sind, stehen insoweit auch einer umfassenden Publikation von Schiedssprüchen keine durchgreifenden Bedenken entgegen. Gegen eine Vorauswahl der zu veröffentlichenden Schiedssprüche wird dagegen vor allem die Gefahr einer subjektiven Verzerrung oder gar Manipulation des auf diese Weise geschaffenen Präjudizienbestands eingewendet (selection bias).43 Diese Befürchtungen sind nicht gänzlich unbegründet. Einerseits 40  BVerwG, NJW 1997, 2694, 2695; Bohne, NVwZ 2007, 656, 657; Huff, NJW 1997, 2651, 2652. 41  Jolivet, 22 Arbitration International 265, 272 (2006); ähnlich Albrecht, CR 1998, 373, 374 für die Veröffentlichung der Entscheidungen staatlicher Gerichte. 42  Zur steigenden Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit als Instrument der Streitbeilegung siehe bereits oben S. 3 ff. 43  Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 65; ders., in: Precedent, 2008, S. 39, 55; Karton, 28 Arbitration International 447, 476 (2012); Pörnbacher/Duncker/Baur, SchiedsVZ 2012,



V.  Verfahren der Veröffentlichung

283

könnten Institutionen dazu verleitet werden, aus Gründen der Eigenwerbung vor allem besonders spektakuläre Fälle zu veröffentlichen, die als „Ausreißer“ aber kein realitätsgetreues Bild der tatsächlichen Entscheidungspraxis innerhalb einer bestimmten Schiedsinstitution liefern können.44 Andererseits fehlen in der Schiedsgerichtsbarkeit institutionelle Hierarchien, die Prognosen über die relative Bedeutung einer Entscheidung sowie über ihre voraussichtlichen Auswirkungen auf die künftige Entscheidungspraxis ermöglichen würden. Die Bedeutung einer schiedsgerichtlichen Entscheidung für die allgemeine Rechtsentwicklung kann damit in Abwesenheit institutioneller Gewichtungskriterien allein anhand einer wertenden Betrachtung ihrer inhaltlichen Aussagen abgeschätzt werden. Es liegt auf der Hand, dass ein solcher Maßstab einen nicht unerheblichen Ermessensspielraum auf Seiten der auswählenden Person oder Institution voraussetzt und damit eine subjektive Verzerrung der Veröffentlichungspraxis nicht ausgeschlossen werden kann.45 Dieses Ergebnis sollte gleichwohl nicht zu einer kategorischen Ablehnung jeder Form von Auswahl, sondern vielmehr zu einer zurückhaltenden Ausübung des Auswahlrechts führen. Hier sind verschiedene Modelle denkbar: Eine Veröffentlichungspraxis kann beispielsweise auf einzelne Rechtsbereiche beschränkt werden. Ein Beispiel hierfür stellt die Veröffentlichung von Entscheidungen zu Befangenheitsanträgen gegen Schiedsrichter (challenge decisions) durch den London Court of International Arbitration dar.46 Diese Veröffentlichungen, begonnen im Jahr 2011, haben trotz ihrer bislang begrenzten Zahl in erheblichem Umfang zur wissenschaftlichen Diskussion und damit zu der Fortentwicklung rechtsethischer Standards bei der Schiedsrichterberufung beigetragen.47 Für eine Reihe kleinerer Branchenschiedsinstitutionen folgt die Beschränkung ihrer Veröffentlichungstätigkeit bereits aus ihrer sachlichen Spezialisierung. Die Abgrenzung nach Sachbereichen kann im Einzelfall schwierig sein, ermöglicht aber gleichwohl die bereichsweise Entwicklung eines Fallrechts und trägt auf diese Weise zu größerer Vorhersehbarkeit und

289, 294; Drahozal, 20 Journal of International Arbitration 23, 26 (2003); Ginsburg, 36 Journal of Transnational Law 1335, 1340 (2003); Thompson/Derains, Clunet 1974, 876, 878. 44  Karton, 28 Arbitration International 447, 476 f. (2012); Hoffmann, Handelssachen, 2011, S. 142; Bingham, 29 McGeorge Law Review 223, 232, 246 (1997) (zur Veröffentlichungspraxis in der US-amerikanischen Arbeitsschiedsgerichtsbarkeit). Kritisch insbesondere zur Veröffentlichungspraxis der ICC Ginsburg, 36 Vanderbilt Journal of Transnational Law 1335, 1340 (2003). 45  Subjektiven Verzerrungstendenzen ließe sich unter Umständen auch dadurch entgegenwirken, dass die zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidungen – wie z. B. bei der ICC oder im früheren Stockholm Arbitration Report – durch Pro/Contra-Anmerkungen oder Kurzbesprechungen von Schiedsrechtlern ergänzt werden. 46  Hierzu bereits oben S. 8. 47  Walsh/Teitelbaum, 27 Arbitration International 283 (2011).

284

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

Rechtssicherheit sowie – mittelbar – zur Außenwahrnehmung der betreffenden Institution bei. Eine Veröffentlichungspraxis kann sich aber auch auf abstrakte Kriterien wie die „allgemeine“, die „grundsätzliche“ oder die „rechtliche“ Bedeutung einer bestimmten Entscheidung, stützen.48 Anhand dieser und ähnlicher Kriterien beurteilen nicht zuletzt auch deutsche staatliche Gerichte die Veröffentlichungswürdigkeit einer bestimmten Entscheidung.49 Es liegt nahe, dass die Verwendung solcher abstrakter Kriterien der über die Veröffentlichung entscheidenden Institution oder Person einen weiten Ermessensspielraum einräumt und in der Praxis zu Anwendungsschwierigkeiten führen kann. Abgesehen von den Fällen evidenter rechtlicher Unbeachtlichkeit hängt die Veröffentlichung in diesen Fällen von der Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs ab, der sich subjektiven Einschätzungen und Präferenzen nicht vollständig entziehen kann. Allgemeine Richtlinien, die in der Praxis folgerichtig auch nicht zu finden sind50, können dieses Problem nicht lösen, ohne in eine kleinteilige Kasuistik zu verfallen. Sinnvoll kann dieses Dilemma nur durch eine möglichst zurückhaltende Ausübung des Auswahlrechts gelöst werden. Die Auswahl sollte sich im Sinne einer Evidenzkontrolle darauf beschränken, allein diejenigen Entscheidungen auszusortieren, deren Veröffentlichung ersichtlich nicht zur Rechtsentwicklung beitragen kann. Dazu gehören, wie bereits eingangs dargestellt, neben unbegründeten Entscheidungen insbesondere deutlich sachverhaltslastige sowie rechtlich unstreitige Entscheidungen.51 Eine solche zurückhaltende Ausübung des Auswahlermessens kann zur Steigerung der rechtlichen Qualität einer Spruchsammlung beitragen, ohne gleichzeitig die Repräsentativität der Auswahl zu gefährden. Insgesamt sprechen die besseren Gründe damit für eine Vorauswahl der zu veröffentlichenden schiedsgerichtlichen Entscheidungen. Das Recht zur Vorauswahl sollte durch die im Einzelfall zuständige Schiedsinstitution jedoch zurückhaltend ausgeübt werden. In der Praxis besteht daneben auch die Möglichkeit, die Veröffentlichung von Schiedssprüchen auf bestimmte abgrenzbare Rechtsbereiche zu beschränken.

48  Nach § 18 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Bundesgerichtshofs sind u. a. diejenigen Senatsentscheidungen zu veröffentlichen die sich mit „wichtigeren Rechtsfragen“ befassen. 49  Hierzu bereits oben S. 244 ff. 50  Coppo, in: Transparency, 2013, S. 137, 149 f. 51 Unstreitig können insbesondere Rechtsfragen sein, die bereits durch die (höchstrichterliche) Rechtsprechung zum gewählten oder sonst anwendbaren Recht geklärt wurden. Gleichwohl können sich im Einzelfall schwierige Wertungsfragen stellen, deren Beantwortung maßgeblich vom Judiz und von der Sachkenntnis der auswahlberechtigten Personen abhängen wird.



V.  Verfahren der Veröffentlichung

285

b.  Auswahlberechtigter Personenkreis Fraglich ist im Weiteren, welches Organ bzw. welche Personen innerhalb der Schiedsinstitution für die Auswahl der zu veröffentlichenden Entscheidungen verantwortlich sein sollen. Grundsätzlich kommen in diesem Zusammenhang neben dem Sekretariat der Institution auch die Schiedsrichter selbst sowie möglicherweise vorhandene Sekretäre des Schiedsgerichts oder case managers der Schiedsinstitution in Betracht. Für eine Auswahl durch die Schiedsrichter spricht, dass diese qua Amt mit den Einzelheiten des Verfahrens und insbesondere mit den rechtlichen Fragen des Sachverhalts vertraut sind. Gegen ein Auswahlrecht für Schiedsrichter spricht allerdings, dass diese in der Regel keinen Überblick über die Veröffentlichungspraxis einer bestimmten Schiedsinstitution besitzen.52 Sie können aus diesem Grunde, ebenso wie der Sekretär des Schiedsgerichts, insbesondere nicht beurteilen, ob und in welcher Weise ihre Entscheidung sich in eine bestehende Spruchpraxis einfügt. Diese Kenntnisse sind für eine sinnvolle Entscheidungsauswahl aber zwingend erforderlich. Über entsprechendes Wissen verfügt dagegen regelmäßig das Sekretariat, das mit der allgemeinen administrativen Unterstützung des Verfahrens befasst und dementsprechend in denjenigen Institutionen, die bereits über eine systematische Veröffentlichungspraxis verfügen, in der Regel auch mit der Auswahl der zu veröffentlichenden Entscheidungen befasst ist.53 Dieses Aufgabenprofil legt es nahe, die Entscheidungsauswahl dem Sekretariat zu überlassen. Denkbar wäre in diesem Zusammenhang auch die Einrichtung eines ständigen Auswahlausschusses, dessen Mitglieder über besondere Kenntnisse in einzelnen, veröffentlichungsrelevanten Rechtsmaterien verfügen. Manche Institutionen verfügen darüber hinaus über sog. case managers, die einzelne Schiedsverfahren für die Institution betreuend begleiten und sowohl die Schriftsätze lesen als auch an den mündlichen Verhandlungen teilnehmen. Aufgrund ihrer besonderen Verfahrenskenntnisse wie auch der Kenntnis der allgemeinen Spruchpraxis kämen auch case managers für die Auswahl der zu veröffentlichenden Schiedssprüche in Betracht oder könnten das Sekretariat zumindest bei der Auswahlentscheidung beraten und unterstützen.54 52  Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Journal 317, 337, dort Fn. 102 (1984). Dies gilt zumindest für den gegenwärtigen Rechtszustand in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit, der durch eine weitgehende Geheimhaltung schiedsrichterlicher Entscheidungen und eine damit einhergehende geringe Publikationsdichte charakterisiert wird. Unter den Bedingungen einer weitgehenden Entscheidungstransparenz wäre diese Frage unter Umständen anders zu beantworten. 53  So z. B. die Sekretariate des ICSID und der UNCITRAL, vgl. hierzu Kinnear/Obadia/ Gagain, in: Transparency, 2013, S. 107, 118 f.; Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 57. 54  So die Praxis am Schiedsgericht der Handelskammer Mailand (CAM). Hier werden veröffentlichungswürdige Schiedssprüche von den case managers ausgewählt und dem Sekretariat mit einer Veröffentlichungsempfehlung vorgelegt. Das Sekretariat trifft dann auf dieser Grundlage die Entscheidung über die Veröffentlichung.

286

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

2.  Entscheidung über die Veröffentlichung Mit Blick auf die Entscheidung über die Veröffentlichung eines Schiedsspruchs ist zunächst zu untersuchen, wer in dieser Frage entscheidungsberechtigt sein soll (a.). In diesem Zusammenhang kommen neben den Parteien insbesondere das Schiedsgericht und die Schiedsinstitution in Betracht. Im Weiteren bedarf sodann die Frage der Klärung, wie das Zustimmungsverfahren ausgestaltet werden soll. Hier wird insbesondere zu untersuchen sein, ob die Zustimmung ausdrücklich erteilt werden muss oder auch im Wege einer Widerspruchslösung (opt-out), erfolgen kann (b.).

a.  Zustimmungsberechtigte Beteiligte Im Rahmen der Entscheidung über die Veröffentlichung des Schiedsspruchs kann fraglich sein, welche Beteiligten insoweit entscheidungsberechtigt sein sollen. Im Einzelnen kommt eine Entscheidungszuständigkeit der Schiedsrichter (aa.), der Schiedsinstitution (bb.) oder der Parteien (cc.) in Betracht.

aa. Schiedsrichter Manche Schiedsordnungen machen die Zulässigkeit einer Veröffentlichung des Schiedsspruchs von der Zustimmung des Schiedsgerichts abhängig. Dies gilt beispielsweise für Schiedsverfahren nach der LCIA-SchO, deren Art. 30 Abs. 3 festlegt, dass eine Veröffentlichung des Schiedsspruchs nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung der Parteien und des Schiedsgerichts in Betracht kommt. Eine Begründung für dieses Zustimmungserfordernis ist in der Kommentarliteratur nicht ersichtlich.55 Folgt man dem zunehmend und auch in der vorliegenden Arbeit vertretenen Ansatz, nach welchem die Veröffentlichung des Schiedsspruchs nur bei Vorliegen eines überwiegenden Geheimhaltungsinteresses der Verfahrensbeteiligten zu unterbleiben hat, so stellt sich die Frage, ob ein solches Interesse auch zugunsten der Mitglieder des Schiedsgerichts bestehen kann. Art. 30.3 LCIA-SchO setzt das Bestehen eines solchen Interesses offenbar stillschweigend und ohne nähere Begründung voraus, was aber keineswegs offensichtlich ist. Im Gegenteil: Überzeugende Gründe sprechen dafür, ein Geheimhaltungsinteresse der Schiedsrichter allenfalls in sehr begrenztem Umfang anzuerkennen. Der Schiedsrichter trägt im Rahmen seiner Spruchtätigkeit eine erhebliche Verantwortung. Die Entscheidung des Schiedsgerichts ist angesichts des Fehlens eines Instanzenzugs in der Schiedsgerichtsbarkeit endgültig und kann – mit wenigen Ausnahmen – auch vor den staatlichen 55 Vgl. die Kommentierung bei Konrad/Hunter, in: Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 2011, Art. 30 LCIA-Schiedsregeln; Coppo, in: Transparency, 2013, S. 137, 152; Smeureanu, Confidentiality, 2011, S. 84.



V.  Verfahren der Veröffentlichung

287

Gerichten nicht mehr angefochten werden. Die Abwesenheit institutioneller Kontrollmechanismen macht die Möglichkeit einer informellen Richtigkeitskontrolle daher umso wichtiger. Eine größere Entscheidungstransparenz im Bereich schiedsrichterlicher Entscheidungen ist in diesem Zusammenhang von entscheidender Bedeutung, um die juristische Qualität und damit – mittelbar – auch die Legitimität des Schiedsverfahrens zu sichern.56 Die Entscheidungen von Schiedsgerichten bedürfen, wie auch die Entscheidungen staatlicher Gerichte, einer kritischen wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Dass Schiedsrichter die allgemeine Kenntnisnahme und Diskussion ihrer Entscheidungen einseitig verhindern können sollen, ist mit diesem Transparenzanspruch nicht vereinbar.57 Für das Erfordernis einer schiedsrichterlichen Zustimmung zur Veröffentlichung des Schiedsspruchs könnte vor diesem Hintergrund allenfalls sprechen, dass Schiedsrichter nach deutschem Recht als (Mit-)Urheber die Nutzungsund Verwertungsrechte am Schiedsspruch besitzen.58 Die Veröffentlichung des Schiedsspruchs, beispielsweise in Fachzeitschriften oder in juristischen Datenbanken, könnte einen Eingriff in diese Rechte darstellen und zugunsten der betreffenden Schiedsrichter Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche nach § 97 UrhG begründen. Die Nutzungs- und Verwertungsrechte können zwar – auch konkludent – an die Parteien oder die Schiedsinstitution abgetreten werden, eine solche Rechtsübertragung darf jedoch nicht ohne entsprechende objektive Anhaltspunkte unterstellt werden und muss zudem mit Blick auf die sachenrechtliche Dimension der Rechtsübertragung hinsichtlich der zugestandenen Nutzungsformen hinreichend bestimmt sein.59 Zur Vermeidung rechtlicher Schwierigkeiten bei der Veröffentlichung des Schiedsspruchs ist deshalb eine ausdrückliche vertragliche Vereinbarung über die Übertragung der Nutzungs- und Verwertungsrechte, sinnvollerweise auf die Schiedsinstitution, zu empfehlen. Eine solche Vereinbarung kann bereits vor Herstellung des urheberrechtlich geschützten Werks, d. h. vor Erlass des Schiedsspruchs, getroffen werden, beispielsweise im Schiedsrichtervertrag. Auch urheberrechtliche Erwägungen rechtfertigen es jedoch im Ergebnis nicht, die Veröffentlichung des Schiedsspruchs von der Zustimmung der Schiedsrichter abhängig zu machen. Sinnvoller erscheint es stattdessen, die Schiedsrichterkandidaten bereits vor Mandatsübernahme förmlich darauf hinzuweisen, dass und in welcher Form

56 

Hierzu bereits ausführlich oben S. 228 ff. So auch Müller, 23 ASA Bulletin 216, 236 (2005). 58  Siehe bereits oben S. 112. 59  BGH, GRUR 2010, 628, 631; Schulze, in: Dreier/Schulze, UrhG, 4. Aufl. 2013, § 31, Rn. 22. Die Annahme einer konkludent erklärten Einwilligung in die rechtsverletzende Handlung stößt dagegen auf dogmatische Schwierigkeiten, vgl. Schulze aaO. 57 

288

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

der Schiedsspruch möglicherweise veröffentlicht werden wird.60 Es stünde den Schiedsrichtern dann frei, in Kenntnis dieser Umstände das Schiedsrichtermandat anzunehmen oder abzulehnen.

bb. Schiedsinstitution Einzelne Schiedsordnungen, so auch § 42 DIS-SchO, fordern darüber hinaus die Zustimmung der mit dem Verfahren befassten Schiedsinstitution zur Veröffentlichung des Schiedsspruchs. Sinn und Zweck dieser Bestimmung sind zweifelhaft. Soweit der Schiedsinstitution auf diese Weise das Recht verliehen werden soll, auch gegen den übereinstimmend erklärten Willen der Parteien eine Veröffentlichung des Schiedsspruchs durch diese zu verhindern, ist dies abzulehnen. Ein legitimes Eigeninteresse der Schiedsinstitution an der Verhinderung der Veröffentlichung eines Schiedsspruchs, mit dessen Veröffentlichung die Parteien einverstanden sind, ist in der Praxis nur schwer vorstellbar und im Übrigen nicht mit der Funktion der Institution innerhalb des Schiedsverfahrens zu vereinbaren. Schiedsinstitutionen tragen zur Vereinfachung und Beschleunigung des Schiedsverfahrens bei, indem sie die Parteien bei der Durchführung des Verfahrens logistisch und administrativ unterstützen. Der Schiedsinstitution kommt im Verhältnis zu den Parteien die Rolle eines Streitbeilegungsdienstleisters zu. Als solcher hat die Institution ihr Verhalten an den Ansprüchen und Erwartungen der Parteien zu orientieren und für die Umsetzung der (übereinstimmenden) Vorstellungen der Parteien zu sorgen. Mit einem solchen Aufgabenverständnis ist es nicht vereinbar, der Schiedsinstitution mit Blick auf die Veröffentlichung des Schiedsspruchs durch die Parteien ein selbständiges Vetorecht zuzuerkennen.61 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage nach dem Bestehen eines Auswahlrechts der Schiedsinstitution bei der selbständigen, „amtlichen“ Veröffentlichung von Schiedssprüchen. Die erwähnte selbständige Veröffentlichung des Schiedsspruchs durch die Parteien im Einzelfall muss von einer systematischen Veröffentlichung schiedsgerichtlicher Entscheidungen auf Initiative der Schiedsinstitution selbst unterschieden werden. Während der Schiedsinstitution im erstgenannten Fall kein Vetorecht zusteht, muss es ihr im zweitgenannten Fall möglich sein, selbständig über die Auswahl von zur Veröffentlichung geeigneten Schiedssprüchen zu entscheiden. Hier ist ein Auswahlermessen auf Seiten der Institution aus den dargestellten 60  So die Praxis des Schiedsgerichts der Handelskammer Mailand, vgl. Coppo, in: Transparency, 2013, S. 137, 151. 61  In der Literatur herrscht weitgehend Einigkeit, dass die Parteien stets dazu berechtigt sind, den Schiedsspruch einvernehmlich zu veröffentlichen, vgl. bereits oben S. 71 f. Der Schiedsinstitution insoweit ein Vetorecht zuzuerkennen, ist weder systematisch überzeugend noch sinnvoll.



V.  Verfahren der Veröffentlichung

289

Gründen sinnvoll.62 Dieses generelle Auswahlermessen darf jedoch nicht mit der Zuerkennung eines einzelfallbezogenen Einspruchsrechts gegen eine Veröffentlichung des Schiedsspruchs durch die Parteien verwechselt werden. Zusammenfassend ist ein Zustimmungserfordernis der Schiedsinstitution bei der Veröffentlichung von Schiedssprüchen durch die Parteien aus den dargestellten Gründen abzulehnen. Hiervon zu unterscheiden ist das Recht der Institution, im Rahmen der eigenen systematischen Veröffentlichung von Schiedssprüchen eine Auswahl zu treffen.

cc. Parteien Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass die Entscheidung über die Veröffentlichung des Schiedsspruchs die möglicherweise bestehenden Interessen der Parteien an der Wahrung der Vertraulichkeit des Verfahrens und der in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidung berücksichtigen und diesen hinsichtlich der Veröffentlichung ein Mitspracherecht einräumen muss. Das Schiedsverfahren beruht als freiwilliger und privater Streitbeilegungsmechanismus auf dem übereinstimmenden Willen der Parteien, bestimmte Rechtsstreitigkeiten der Entscheidungsgewalt der staatlichen Gerichtsbarkeit zu entziehen und durch ein von ihnen gewähltes, unabhängiges Schiedsgericht verbindlich entscheiden zu lassen. Eine notwendige Folge dieser privatautonomen Gestaltungsmacht ist es, dass das Schiedsverfahren selbst wie auch seine Ergebnisse von staatlichen Stellen nur in sehr begrenztem Umfang überprüft werden dürfen. Darüber hinausgehend muss es grundsätzlich den Parteien vorbehalten bleiben, über die Veröffentlichung von Verfahrensdetails zu entscheiden. Entsprechend verlangt der überwiegende Teil der Schiedsordnungen in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung regelmäßig die Zustimmung der Parteien zur Veröffentlichung.63 Die Arbeitsgruppe zum UNCITRAL Model Law hatte im Rahmen der seinerzeitigen Beratungen noch von einer Regelung dieser Frage im Modellgesetz abgesehen und auf die Möglichkeit ergänzender Parteivereinbarungen sowie einer Regelung im Rahmen der Schiedsordnungen verwiesen.64 Das UNCITRAL-Sekretariat sah in einer hierzu ergangenen Stellungnahme die Veröffentlichung des Schiedsspruchs nur nach ausdrücklicher Zustimmung (express consent) der Parteien als „akzeptablen Kompromiss“ an.65 Diese Ansicht ver62 

Hierzu bereits oben S. 280 ff. die Nachweise bei Malatesta, in: Transparency, 2013, S. 39, 49; Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 58 f.; Dimolitsa, in: ICC-Bulletin Special Supplement, 2009, S. 5, 7; Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 619 (2004); Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, 2003, S. 660 f.; Gruner, 41 Columbia Journal of Transnational Law 923, 960 (2003). 64  Hierzu auch Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 619 (2004); Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, 2003, S. 661. 65  Holtzmann/Neuhaus, UNCITRAL Model Law, 1994, S. 842, 846. 63  Vgl.

290

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

dient insoweit Zustimmung, als den Parteien hinsichtlich der Veröffentlichung des Schiedsspruchs ein Mitspracherecht eingeräumt werden muss. Dieses Mitspracherecht ist Folge des das Schiedsverfahren bestimmenden Grundsatzes der Parteiautonomie, der nicht nur im Verfahren selbst, sondern auch über dessen Ende hinaus wirkt und auch die weitere Behandlung des Schiedsspruchs erfasst. Die Parteien können aus unterschiedlichen wirtschaftlichen, prozessstrategischen oder reputationellen Gründen ein berechtigtes Interesse an der Geheimhaltung des Schiedsspruchs besitzen. Das Vorliegen eines berechtigten Geheimhaltungsinteresses darf jedoch nicht pauschal unterstellt werden, sondern ist anhand einer umfassenden Abwägung der im Einzelfall betroffenen Rechtspositionen zu ermitteln. Dies gilt auch für den Fall, dass die Schiedsinstitution die Veröffentlichung des Schiedsspruchs anstrebt. Im Rahmen einer solchen Abwägung wäre zunächst zu berücksichtigen, dass der Schiedsspruch nicht nur ein privates, sondern auch ein öffentliches Dokument ist, dem § 1055 ZPO im Verhältnis zwischen den Parteien die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils verleiht und der auch darüber hinaus im Verhältnis zu Dritten bindende Rechtswirkungen entfalten kann. Diese Doppelnatur des Schiedsspruchs als gleichermaßen privates und öffentliches Dokument manifestiert sich in einer Reihe gesetzlicher und vertraglicher Offenlegungspflichten, die im ersten Teil dieser Arbeit bereits ausführlich dargestellt wurden.66 Eine vollständige Geheimhaltung des Schiedsspruchs ist vor diesem Hintergrund weder rechtlich zu begründen noch praktisch zu leisten. Einer beabsichtigten Veröffentlichung des Schiedsspruchs kann deshalb nicht lediglich pauschal entgegengehalten werden, die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens verbiete ein solches Vorgehen. Ferner müsste eine Interessenabwägung auch die Art und Weise der geplanten Veröffentlichung berücksichtigen. Soweit die Veröffentlichung anonym erfolgt und keinen Hinweis auf die Identität der Parteien enthält, ist nicht ersichtlich, in welcher Weise die Interessen der Parteien hierdurch beeinträchtigt werden könnten.67 Eine Abwägung der widerstreitenden Interessen müsste in diesem Fall – vorausgesetzt, dass eine effektive Anonymisierung möglich ist – prinzipiell zur Zulässigkeit der Publikation führen. Von einem solchen Abwägungsergebnis gehen ersichtlich auch diejenigen Schiedsordnungen aus, die, wie z. B. Art. 30 Abs. 3 AAA/ICDR-SchO, der Schiedsinstitution unabhängig vom Einzelfall das Recht zur Veröffentlichung 66 

Siehe bereits oben S. 71 ff. Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 63: “[O]ne could wonder what the rationale would be for preventing the publication of an award years after it was rendered if the names of the parties and any potentially secret or confidential information has been removed.” Ähnlich Gal, Haftung, 2009, S. 333; Smit, 11 American Review of International Arbitration 567, 583 (2000): “Publication of an arbitral award, especially if it is properly sanitized to delete identifying characteristics, is never a breach of an obligation of confidentiality that is based on the arbitration clause without more and warrants no sanction whatsoever.” 67 Vgl.



V.  Verfahren der Veröffentlichung

291

von anonymisierten Auszügen der rechtlichen Erwägungen des Schiedsgerichts zugestehen.68 Möglichen Geheimhaltungsinteressen der Parteien können vor dem Hintergrund dieser Erwägungen gleich- oder höherrangige Publikationsinteressen entgegenstehen. Fraglich ist, wie ein Interessenausgleich angesichts dieser Sachlage bewerkstelligt werden kann. Einseitige Lösungen sind insoweit abzulehnen. Es erscheint deshalb bedenklich, wenn manche – wenn auch vergleichsweise wenige – Schiedsinstitutionen Schiedssprüche mit dem pauschalen Hinweis auf ein diesbezügliches öffentliches Interesse und ohne Rücksicht auf den Willen und die Interessen der Parteien publizieren.69 Dass ein öffentliches Interesse an der systematischen Veröffentlichung von Schiedssprüchen bestehen kann, ist zwar zutreffend und wurde im Rahmen der vorliegenden Arbeit bereits dargelegt.70 Diese Feststellung ist jedoch nicht gleichbedeutend mit der kategorischen Verneinung berechtigter Geheimhaltungsinteressen der Parteien. Vielmehr gilt es, die widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen im Einzelfall in möglichst schonender Weise in Ausgleich zu bringen. Ein solcher Interessenausgleich darf deshalb weder den Vertraulichkeitsinteressen der Parteien einerseits noch den Kenntnisnahmeinteressen der Öffentlichkeit andererseits pauschal und einseitig den Vorzug geben. Rechtsdogmatisch kann den widerstreitenden Interessen am sinnvollsten im Rahmen der Ausgestaltung des Zustimmungsverfahrens Rechnung getragen werden. Hier bestehen verschiedene Möglichkeiten, die im Folgenden dargestellt werden sollen.

b.  Ausgestaltung des Zustimmungsverfahrens Mit der Anerkennung eines Mitspracherechts der Parteien hinsichtlich der Veröffentlichung des Schiedsspruchs ist noch nichts zu der Art und Weise, in welcher dieses Mitspracherecht verfahrenstechnisch zu organisieren ist, gesagt. Erkennt man an, dass eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen nur unter der Maßgabe erfolgen darf, dass den Parteien ein Mitspracherecht eingeräumt wird, so kommen in diesem Zusammenhang sowohl ein ausdrückliches Zustimmungserfordernis (aa.) als auch ein Vetorecht der Parteien gegen die Veröffentlichung (bb.) in Betracht. Die Tragfähigkeit dieser Lösungsansätze sowie ihre verfahrenstechnische Umsetzung (cc.) sollen im Folgenden einer kritischen Würdigung unterzogen werden.

68 

Vgl. auch Art. 48 Abs. 4 Satz 2 ICSID-SchO. So z. B. das Indian Council of Arbitration (ICA), siehe bereits oben S. 70 f. 70  Siehe oben S. 85 ff. 69 

292

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

aa.  Ausdrückliche Zustimmung der Parteien zur Veröffentlichung (Zustimmungslösung) Das Mitspracherecht der Parteien bei der Entscheidung über die Veröffentlichung des Schiedsspruchs kann zunächst durch das Erfordernis einer ausdrücklichen Zustimmungserklärung (opt-in) abgesichert werden. Diese auch von der ­UNCITRAL favorisierte Lösung, wonach die Parteien ihre Zustimmung zur Veröffentlichung des Schiedsspruchs ausdrücklich zu erklären haben, gewährleistet zwar die Berücksichtigung der Interessen der Parteien, erscheint aber vor allem aus praktischen Erwägungen fragwürdig. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die bloße abstrakte Bitte um Erteilung der Zustimmung zur Veröffentlichung es den Parteien in der Praxis kaum möglich macht, die Bedeutung und möglichen Folgen ihrer Zusage abzuschätzen. Dies gilt umso mehr, wenn die Zustimmung bereits zu Beginn des Verfahrens erklärt werden soll, beispielsweise in den terms of reference.71 Aus Sicht der Parteien ist in der Regel weder absehbar, welche Form eine solche Veröffentlichung haben wird, noch welche Konsequenzen aus der Veröffentlichung erwachsen können, beispielsweise durch das Öffentlichwerden vertraulicher Informationen. Auch der pauschale Hinweis auf eine Anonymisierung der Entscheidung vor Veröffentlichung ist wenig hilfreich, wenn den Parteien nicht hinreichend detailliert deutlich gemacht wird, wie und in welchem Umfang diese erfolgt. Weiterhin ignoriert diese Auffassung die Problematik des sog. „rationalen Desinteresses“72 der Parteien. Vielfach werden Parteien, zumal vor dem Verfahren oder in einem frühen Verfahrensstadium, kein Interesse an einer Positionierung in der Veröffentlichungsfrage haben. Es liegt nahe, dass die zuvor beschriebenen Unsicherheiten und daraus entstehende Interessenlage häufig zu einer Verweigerung der Zustimmung bzw. zu einer Nichtäußerung führen werden, ohne dass tatsächlich sachliche Gründe gegen eine Veröffentlichung sprechen würden. Die Zustimmungslösung ist daher im Ergebnis abzulehnen.

bb.  Widerspruchsrecht der Parteien gegen die Veröffentlichung (Widerspruchslösung) Vorzuziehen ist deshalb eine Lösung, die den Parteien eine sinnvolle Einschätzung der Folgen einer Veröffentlichung ermöglicht und gleichzeitig dem vielfach vorhandenen rationalen Desinteresse der Parteien hinsichtlich einer Veröffentlichung des Schiedsspruchs Rechnung trägt. Diese Möglichkeit bietet eine Widerspruchslösung (opt-out). Danach muss der Veröffentlichung innerhalb einer bestimmten Frist nach Erlass und Zustellung des Schiedsspruchs 71 

Dafür beispielsweise Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 59. Begriff siehe Kalven/Rosenfield, 8 University of Chicago Law Review 684 (1941). 72 Zum



V.  Verfahren der Veröffentlichung

293

widersprochen werden. Geschieht dies nicht, ist die betreffende Institution einseitig zur (anonymisierten) Veröffentlichung des Schiedsspruchs berechtigt. Die Widerspruchslösung begründet auf diese Weise letztlich eine widerlegliche Vermutung für das Einverständnis der Parteien mit der Publikation. Opt-outModelle werden beispielsweise in der Seehandelsschiedsgerichtsbarkeit genutzt.73 So bestimmt Art. 26 der LMAA Terms: “If the tribunal considers that an arbitration decision merits publication and gives notice to the parties of its intention to release the award for publication, then unless either or both parties inform the tribunal of its or their objection to publication within 21 days of the notice, the award may be publicised under such arrangements as the Association may effect from time to time. [...]”

In ähnlicher Weise formuliert § 14 Abs. 6 GMAA-SchO: “Unless a party objects, the arbitral tribunal shall be entitled to publish the award under the name of the vessel but without the names of the parties or other identifying details.”

Art. 43 der Schiedsregeln der Tokyo Maritime Arbitration Commission (TOMAC) des Japanese Shipping Exchange bestimmt: “The award given by the Tribunal may be published unless any party to the arbitration communicates its objections before the arbitral award is sent to the parties. Notwithstanding the foregoing, when an arbitration report is published by TOMAC, information on all arbitral awards may be included regardless of parties’ intention, provided that identity of the parties and all related proper nouns are not disclosed.”

Eine vergleichbare Vorschrift enthält für den Bereich der Handelsschiedsgerichtsbarkeit nunmehr auch Art. 41 der Wiener Schiedsregeln. Dort heißt es: “The Board and the Secretary General may publish anonymized summaries or extracts of awards in legal journals or the VIAC’s own publications, unless a party has objected to publication within 30 days of service of the award.”74

Auch Art. 8 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Schiedsgerichts der Handelskammer Mailand sieht ein Veröffentlichungsrecht der Schiedsinstitution vor, soweit keine Partei der Veröffentlichung widerspricht: “For purposes of research, the Chamber of Arbitration may publish the arbitral award in anonymous format, unless, during the proceedings, any of the parties objects to publication.”

73  Maurer, Lex Maritima, 2012, S. 177; Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 619, dort Fn. 61 (2004); Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook 175, 183 (1997). 74  Von dieser Möglichkeit wurde – soweit ersichtlich – bislang jedoch nur selten Gebrauch gemacht, vgl. Liebscher, in: Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 2011, Art. 30 Wiener Regeln, Rn. 1.

294

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

Die Widerspruchslösung verdient grundsätzlich Zustimmung.75 In vielen Fällen unterbleibt eine Veröffentlichung des Schiedsspruchs häufig allein deshalb, weil seitens der Schiedsrichter und der Institution schlicht vergessen wird, nach der Zustimmung der Parteien zu fragen, wobei gleichzeitig, vor allem bei einer anonymisierten Veröffentlichung der Entscheidung, gute Gründe dafür sprechen, dass die Parteien in vielen Fällen keine Einwände gegen die Publikation erheben würden.76 Wenn diese Einschätzung zutreffen sollte, wofür die Erfahrungen von Schiedspraktikern sprechen, so kann die Widerspruchslösung eine sinnvolle Möglichkeit darstellen, dem rationalen Desinteresse der Verfahrensbeteiligten im Interesse einer größeren Entscheidungstransparenz entgegenzuwirken. Erfahrungsgemäß besteht eine allgemeine menschliche Neigung, vorgegebene default rules zu akzeptieren.77 Nur selten überwiegt die Motivation, aus Gründen des Eigeninteresses auf einer Anpassung dieser Regeln zu bestehen. Im Verbraucherschutzrecht hat dieses Verhaltensmuster den Gesetzgeber beispielsweise dazu veranlasst, Unternehmern zu untersagen, im elektronischen Geschäftsverkehr den Inhalt bestimmter Vertragsabschlüsse mithilfe von Voreinstellungen (z. B. Abschluss von Zusatzversicherungen bei Flugbuchungen) zu ihren Gunsten zu beeinflussen (vgl. § 312a Abs. 3 BGB n. F.).78 Kerngedanke dieses Regelungsansatzes ist der Schutz des geschäftlich unerfahrenen und hinsichtlich der Möglichkeit eines opt-out aus bestimmten Voreinstellungen häufig überforderten Verbrauchers. Anders verhält es sich im Handelsschiedsverfahren. Hier ist mit Blick auf die Sicherstellung einer möglichst repräsentativen Veröffentlichungspraxis ein opt-out-Modell sinnvoll und den in der Regel unternehmerisch erfahrenen und anwaltlich vertretenen Parteien auch zumutbar. Verbraucherschutzbezogene Erwägungen sind in diesem Zusammenhang nicht zielführend. Soweit auf Seiten der Parteien im Einzelfall ernsthafte Einwände selbst gegen eine anonymisierte Entscheidungsveröffentlichung bestehen sollten, darf von ihnen erwartet werden, dass sie diese Bedenken im Wege der Einlegung des Widerspruchs aktiv an die Schiedsinstitution herantragen. Eine übermäßige Belastung der Parteien ist 75  So auch König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 69 f.; Coppo, in: Transparency, 2013, S. 137, 146 ff.; Malatesta, aaO, S. 39, 50; Mourre, aaO, S. 53, 68; Born, International Commercial Arbitration, 2009, S. 2287; Gal, Haftung, 2009, S. 333; Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 174 (2005); Buys, 14 American Review of International Arbitration 121, 138 (2003); wohl auch Tashiro, 9 Journal of International Arbitration 97, 104 (1992). Kritisch zum Erfordernis der Zustimmung der Parteien zur Veröffentlichung Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1, 8. 76  Lando, in: Materielles Recht und Verfahrensrecht, 1972, S. 90. 77  Kahneman/Knetsch/Thaler, 5 Journal of Economic Perspectives 193 (1991); Thaler/ Sunstein, Nudge (2009). 78  Vgl. EuGH, NJW 2012, 2867; siehe hierzu auch OLG Frankfurt, MMR 2015, 112; LG München I, Urt. v. 15. 10. 2014, Az. 37 O 6508/14. Zu den mit der Umsetzung der Verbraucherrechtsrichtlinie verbundenen Änderungen hinsichtlich der Wirksamkeit von Voreinstellungen vgl. Schomburg, VuR 2014, 18, 19 f.



V.  Verfahren der Veröffentlichung

295

hiermit nicht verbunden. Wird kein Widerspruch erhoben, spricht dies dafür, dass auf Seiten der Parteien kein überwiegendes Interesse an einer Verhinderung der Veröffentlichung besteht. Grundsätzlich kann die Widerspruchslösung auf diese Weise einen sinnvollen Ausgleich zwischen den Vertraulichkeitsinteressen der Parteien und dem Interesse der (fachwissenschaftlichen) Öffentlichkeit an der Kenntnisnahme von dem Inhalt schiedsrichterlicher Entscheidungen herstellen. Gleichwohl darf nicht übersehen werden, dass die Widerspruchslösung in ihrer gegenwärtigen Form mit Blick auf das Ziel einer systematischen und umfassenden Veröffentlichung von Schiedssprüchen Risiken birgt.79 Letztlich kann auch nach der Widerspruchslösung jede Partei einseitig die Veröffentlichung des Schiedsspruchs verhindern, sodass die Repräsentativität und damit auch die präjudizielle Eignung des Entscheidungsbestands gefährdet sein können. Die Widerspruchslösung ist daher insoweit zu modifizieren, als nur ein übereinstimmender Widerspruch aller Parteien die Veröffentlichung des Schiedsspruchs verhindern kann (kollektive Widerspruchslösung).80 Diese Lösung steht im Einklang mit Dogmatik und Struktur des Schiedsverfahrens. Rechtliche und legitimatorische Grundlage des Schiedsverfahrens ist, was die Schiedsvereinbarung exemplarisch verdeutlicht, der übereinstimmende Wille der Parteien, nicht hingegen der Wille einzelner Beteiligter. In Übereinstimmung mit diesem Grundsatz stellen auch die meisten institutionellen Schiedsordnungen ihre Verfahrensregeln ausdrücklich unter den Vorbehalt einer abweichenden Parteivereinbarung. Es erscheint daher folgerichtig, von der Veröffentlichung des Schiedsspruchs nur im Falle eines übereinstimmenden Widerspruchs der Parteien abzusehen, soweit die Vertraulichkeitsinteressen der Parteien hierdurch nicht beeinträchtigt werden. Ein solcher Interessenkonflikt sollte aber nach Anonymisierung der Entscheidung prinzipiell entfallen.81 Die mit der kollektiven Widerspruchslösung verbundene Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses kann auf diese Weise dazu beitragen, die Interessen der Verfahrensbeteiligten und der weiteren Öffentlichkeit mit Blick auf die Veröffentlichung von Schiedssprüchen auszubalancieren. Befürchtungen, dass damit zusätzliches Erpressungspotential für böswillige Parteien geschaffen werden könnte, überzeugen nicht. Die kollektive Widerspruchslösung entspricht dem konsensualen 79 

So auch König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 70. Ähnlich Art. 30 Abs. 3 AAA/ICDR-SchO, demzufolge eine anonymisierte Veröffentlichung des Schiedsspruchs nur dann ausgeschlossen ist, wenn die Parteien dies ausdrücklich vereinbart haben. Ähnliche Regelungen finden sich auch in der Sportschiedsgerichtsbarkeit (vgl. Rule 59 Abs. 6 CAS Procedural Rules) und in der Seehandelsschiedsgerichtsbarkeit, vgl. Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 619, dort Fn. 61 (2004). Karton, 28 Arbitration International 447, 479, 480 (2012) will das Widerspruchsrecht der Parteien auf einzelne Änderungen der zu publizierenden Textfassung bzw. auf den Aufschub der Veröffentlichung für höchstens ein Jahr beschränken, die Veröffentlichung als solche aber in das Ermessen der Schiedsinstitution stellen. 81  Näher hierzu unten S. 303 ff. 80 

296

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

Charakter des Schiedsverfahrens, das sowohl hinsichtlich seiner Einleitung als auch hinsichtlich seiner Durchführung auf der Kooperationsbereitschaft der Parteien beruht. Möglichkeiten zu einer Behinderung oder Verzögerung des Schiedsverfahrens bestehen unabhängig von einer möglichen Veröffentlichung des Schiedsspruchs. Es liegt an den Parteien, gemeinsam zu prüfen, ob und ggf. in welcher Weise eine Veröffentlichung ihre übereinstimmenden Interessen im Einzelfall beeinträchtigen könnte. Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass Schiedsgericht und Schiedsinstitution bereits im Vorfeld einer Veröffentlichung, idealerweise bereits zu Beginn des Verfahrens, sachliche Aufklärungsarbeit leisten und den Parteien deutlich machen, welche Kriterien für die Eignung einer Entscheidung zur Veröffentlichung maßgeblich sind, auf welche Weise die Entscheidung anonymisiert wird und welche Bedeutung die Existenz einer allgemein zugänglichen schiedsrichterlichen Spruchpraxis nicht nur für die allgemeine Rechtsentwicklung, sondern auch für die Verfahrensführung der Parteien selbst hat.82 Die Parteien können nur dann eine fundierte Entscheidung darüber treffen, ob die Veröffentlichung zugelassen oder stattdessen Widerspruch eingelegt werden soll, wenn ihnen ihre Handlungsoptionen und die Auswirkungen ihrer Entscheidung nachdrücklich vor Augen geführt werden. Die Veröffentlichung von Entscheidungen sollte nicht im Wege der Überrumpelung, sondern soweit wie möglich in Abstimmung mit den Parteien geschehen. Denkbar wäre beispielsweise, den Parteien als vertrauensbildende Maßnahme bereits zu Verfahrensbeginn eine Informationsbroschüre zukommen zu lassen, welche die Richtlinien der Institution hinsichtlich der Veröffentlichung von Entscheidungen, das Verfahren der Anonymisierung einschließlich der hierfür maßgeblichen Richtlinien sowie ggf. ein Muster einer anonymisierten Entscheidung enthalten könnte. Für mögliche Fragen und Anregungen der Parteien sollten sowohl das Schiedsgericht als auch die Schiedsinstitution jederzeit als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, kann die kollektive Widerspruchslösung eine zweckmäßige Möglichkeit zur

82  Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 248; Rogers, 54 University of Kansas Law Review 1301, 1323, dort Fn. 93 (2006); Weidhaas/Swoboda, CR 1988, 104, 107. Von den Schiedsinstitutionen darf und muss aber erwartet werden, den ausdrücklichen Willen der Parteien und die Vorgaben der maßgeblichen Schiedsordnung zu respektieren. In einem dem Verfasser bekannten Fall hatte ein Parteivertreter vorsorglich der Veröffentlichung eines Schiedsspruchs widersprochen. Die Schiedsregeln der betreffenden Institution sahen vor, dass die Veröffentlichung im Falle eines Widerspruchs zu unterbleiben hatte. Die Schiedsinstitution bestätigte den Eingang des Widerspruchs, kündigte aber gleichzeitig an, dennoch einen anonymisierten Auszug des Schiedsspruchs zu fertigen und dem Parteivertreter zu übersenden, da damit zu rechnen sei, dass der Widerspruch dann zurückgezogen werde. Eine solche „Überrumpelungstaktik“ gefährdet das Vertrauen der Parteien in die Schiedsgerichtsbarkeit und schadet letztlich auch berechtigten Transparenzinteressen.



V.  Verfahren der Veröffentlichung

297

sachgerechten Abwägung der widerstreitenden Interessen im Einzelfall darstellen.

cc.  Form und Frist des Widerspruchs Soweit die Veröffentlichung des Schiedsspruchs nach dem Gesagten davon abhängt, ob die Parteien der Veröffentlichung übereinstimmend widersprochen haben, stellt sich die Frage, in welcher Form und bis zu welchem Zeitpunkt dieser Widerspruch zu erklären ist. Den einschlägigen Schiedsordnungen lassen sich bis auf wenige Ausnahmen diesbezüglich kaum Anhaltspunkte entnehmen. Einzelne Schiedsordnungen sehen in formaler Hinsicht ein Schriftformerfordernis vor, beziehen dieses jedoch auf eine Zustimmungserklärung nach der Zustimmungslösung, nicht auf die Erklärung eines Widerspruchs nach der hier favorisierten kollektiven Widerspruchslösung.83 Manche Autoren meinen in diesem Zusammenhang, die ausdrückliche Erklärung der Zustimmung sei entbehrlich, vielmehr genüge es, wenn sich das Einverständnis der Parteien mit der Veröffentlichung des Schiedsspruchs aus den Umständen ergebe.84 Die besseren Argumente streiten indes für ein ausdrückliches Widerspruchserfordernis.85 Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen ist kein Selbstzweck, sondern soll nicht zuletzt dem Zweck dienen, das Vertrauen der Öffentlichkeit sowie prospektiver Parteien in die Leistungsfähigkeit und Legitimität des schiedsgerichtlichen Verfahrens zu gewinnen und zu erhalten.86 Dem korrespondiert in vielen Fällen die Erwartung der Parteien, im Schiedsverfahren, wenn schon keinen absoluten, so doch zumindest einen im Vergleich zum staatlichen Gerichtsverfahren gesteigerten Vertraulichkeitsschutz zu genießen. Angesichts dieses Erwartungshorizonts sollten Schiedsinstitutionen bemüht sein, in ihrem Auftreten gegenüber Parteien größtmögliche Transparenz walten zu lassen und wichtige verfahrensbezogene Entscheidungen wie die Entscheidung über die Freigabe des Schiedsspruchs zur Veröffentlichung ausdrücklich mit den Parteien zu besprechen. Diesen Standard sollten Schiedsgericht und Schiedsinstitution auch im Rahmen der Widerspruchslösung einhalten und die Parteien ausdrücklich auf die Folgen eines Schweigens oder eines nicht fristgerechten Widerspruchs gegen die Veröffentlichung hinweisen. Ein solcher Hinweis könnte beispielsweise mit der Übersendung des Schiedsspruchs an die Parteien erfolgen. 83  Vgl. § 43.1 DIS-SchO, Art. 30.1 LCIA-SchO, Art. 44 Abs. 1 Swiss Rules. Hierzu auch Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook 175, 183 f. (1997). 84  Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 60. 85  So – wenn auch ohne Begründung – bereits das UNCITRAL-Sekretariat, vgl. Secretariat Note A/CN.9/169 vom 11. Mai 1979, abgedruckt in Holtzmann/Neuhaus, UNCITRAL Model Law, 1994, S. 844, 846 ff. Siehe auch Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook 175, 184 (1997); Tashiro, 9 Journal of International Arbitration 97, 104 (1992). 86  Siehe bereits oben S. 228 ff.

298

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

Neben der Form des Widerspruchs kann auch die Frist, binnen derer der Widerspruch zu erklären ist, fraglich sein. Anders als bei der Frage nach der Form des Widerspruchs ergeben sich entsprechende normative Vorgaben in der Regel aus den einschlägigen Schiedsordnungen. Teilweise wird als Widerspruchsfrist eine bestimmte Anzahl von Tagen gerechnet ab dem Datum des Empfangs des Schiedsspruchs festgesetzt87, teilweise muss der Widerspruch schon während des laufenden Verfahrens erklärt werden.88 Vorzugswürdig ist die erstgenannte Lösung, weil sich die Parteien erst nach Prüfung des Schiedsspruchs eine begründete Meinung darüber bilden können, ob ein Widerspruch gegen die Veröffentlichung angezeigt ist. Auch wenn dies nicht unmittelbar aus den entsprechenden Bestimmungen folgt, darf eine Veröffentlichung nicht vor Ablauf der maßgeblichen Widerspruchsfristen erfolgen. Zwar ist es denkbar, dass ein Widerspruch grundsätzlich auch nach der Veröffentlichung erfolgen kann, jedoch werden bereits durch die erstmalige Veröffentlichung unwiderrufliche Tatsachen geschaffen, die auch durch eine nachträgliche Löschung oder Entfernung der Entscheidung – sofern dies überhaupt möglich ist – nicht beseitigt werden können. Eine effektive Ausübung des Widerspruchsrechts setzt deshalb voraus, dass die Veröffentlichung erst nach Ablauf der maßgeblichen Fristen erfolgt.

3. Zusammenfassung Das Verfahren der Veröffentlichung von Schiedssprüchen beginnt mit einer Auswahl der für eine Publikation in Betracht kommenden Schiedssprüche durch die Schiedsinstitution. Das Auswahlerfordernis verringert den mit einer systematischen Veröffentlichungspraxis verbundenen administrativen Mehraufwand und vermeidet die Publikation rechtlich evident uninteressanter Entscheidungen. Die Auswahlentscheidung sollte auf Ebene der Schiedsinstitution von Personen getroffen werden, die in der Lage sind, die Entscheidung zu kontextualisieren und ihre einzelfallübergreifende Bedeutung einzuschätzen. In der Praxis spricht dies für eine Auswahlzuständigkeit des Sekretariats oder – soweit vorhanden – eines Auswahlausschusses oder der case managers der betreffenden Schiedsinstitution. Den Schiedsparteien sollte aufgrund des mit einer Veröffentlichung des Schiedsspruchs verbundenen Eingriffs in das Schiedsverfahren und ihre privatautonome Gestaltungshoheit ein Mitspracherecht hinsichtlich der Veröffentlichung eingeräumt werden, vorzugsweise in Form eines zeitlich begrenzten, kollektiven Widerspruchsrechts (opt-out) gegen die Veröffentlichung. Die kollektive Widerspruchslösung kann, zumal bei vorheriger Anonymisierung

87 

88 

Art. 41 Wiener Regeln; Art. 26 LMAA Terms. So Art. 8 Abs. 2 CAM-SchO, siehe bereits oben S. 292 ff.



VI.  Form der Veröffentlichung

299

des Schiedsspruchs, ein geeignetes Mittel zum Ausgleich der widerstreitenden Interessen der Parteien und der Öffentlichkeit darstellen.

VI.  Form der Veröffentlichung In der anhaltenden Debatte um die Vor- und Nachteile einer allgemeinen Publizität von Schiedssprüchen kommt der Frage, in welcher Form die Veröffentlichung in der Praxis erfolgen sollte, entscheidende Bedeutung zu. Während in der Sache weitgehende Einigkeit über die positiven Effekte einer umfassenden Entscheidungstransparenz herrscht, knüpfen sich die diesbezüglich geäußerten Bedenken vor allem an eine befürchtete Aufdeckung der Identität der Parteien und sonstigen Verfahrensbeteiligten und an die damit möglicherweise verbundenen nachteiligen wirtschaftlichen und reputationellen Folgen. Im Folgenden wird zu zeigen sein, dass eine Veröffentlichung von Schiedssprüchen auch unter Wahrung der im Einzelfall bestehenden Vertraulichkeitsinteressen der Parteien möglich ist, soweit die zu veröffentlichende Entscheidung zuvor anonymisiert wird (1.). Eine effektive Anonymisierung darf sich in diesem Zusammenhang jedoch nicht auf die Schwärzung der Namen der Parteien beschränken, sondern muss, um insbesondere eine Identifizierung durch Wettbewerber und sonstige Dritte mit Detailwissen zu den Parteien und zum Gegenstand des Rechtsstreits zu verhindern, auch weitere Sachverhaltsaspekte erfassen (2.). Anhaltspunkte für den Umfang der vorzunehmenden Bearbeitung liefern seit einiger Zeit die Guidelines for the Anonymous Publication of Arbitral Awards des Schiedsgerichts der Handelskammer Mailand (CAM). Offen sind schließlich das Verfahren der Anonymisierung (3.) und mögliche Foren für die Veröffentlichung der anonymisierten Schiedssprüche (4.). Hierzu sollen im Folgenden einige Vorschläge unterbreitet werden.

1.  Art und Weise der Veröffentlichung Schiedssprüche können auf unterschiedliche Art und Weise veröffentlicht werden. In Betracht kommt zunächst die Veröffentlichung des Schiedsspruchs in nicht anonymisierter Form und ohne weitere redaktionelle Bearbeitung (a.). Dieser Ansatz löst das Spannungsverhältnis zwischen den möglicherweise bestehenden Geheimhaltungsinteressen der Parteien und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit jedoch einseitig zugunsten des letzteren auf. Im Interesse der Wahrung der Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens könnte ferner eine Beschränkung des zu veröffentlichenden Entscheidungsinhalts erwogen werden, beispielsweise auf Auszüge der rechtlichen Erwägungen des Schiedsgerichts (b.). In diesem Zusammenhang erscheint auch die Veröffentlichung nach Ab-

300

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

lauf einer bestimmten Karenzfrist denkbar (c.). Beide Optionen weisen jedoch Nachteile auf. Im Ergebnis ist daher eine anonymisierte Veröffentlichung des Schiedsspruchs unter Fortlassung der Namen der Parteien und sonstiger Sachverhaltsdetails, anhand derer sich Rückschlüsse auf die Identität der Parteien ziehen lassen, vorzuziehen (d.).

a.  Nichtanonymisierte Veröffentlichung Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen in nicht anonymisierter Form stellt angesichts der durch die Publikation betroffenen Interessen der Parteien und sonstigen Verfahrensbeteiligten im Ergebnis keine sachgerechte Lösung dar. Eine Veröffentlichung des Schiedsspruchs ohne vorangegangene Anonymisierung ist, wie insbesondere die Beispiele aus der Investitions- und Sportschiedsgerichtsbarkeit zeigen, zwar möglich und kann neben der damit verbundenen Förderung von Normbildungsprozessen insbesondere zu einer freiwilligen Befolgung des Schiedsspruchs beitragen.89 Im Bereich der Handelsschiedsgerichtsbarkeit ist eine solche Praxis mit Blick auf die möglicherweise bestehenden Vertraulichkeitsinteressen der Parteien und sonstiger Verfahrensbeteiligter im Ergebnis aber abzulehnen. Die nichtanonymisierte Veröffentlichung von Schiedssprüchen löst das Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit an der Nutzung des normbildenden Potentials der schiedsgerichtlichen Spruchpraxis und dem Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer Geheimhaltung des Schiedsverfahrens und seiner Ergebnisse einseitig zugunsten des ersteren auf und ist dazu geeignet, den wirtschaftlichen und rechtlichen Interessen einer Partei im Einzelfall erheblichen Schaden zuzufügen.90 Im Ergebnis ist eine nicht anonymisierte Veröffentlichung schiedsrichterlicher Entscheidungen daher abzulehnen. Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass eine Offenlegung der Identität der Parteien nicht nur durch die Veröffentlichung des Schiedsspruchs, sondern im Einzelfall auch durch dessen Nichterfüllung drohen kann. So behalten sich einzelne Branchenschiedsinstitutionen das Recht vor, die Namen derjenigen Parteien, die einen rechtskräftigen Schiedsspruch nicht erfüllen, auf einer öffentlich einsehbaren „schwarzen Liste“ zu veröffentlichen.91 In diesem Falle lassen sich mithilfe der Listennennung mittelbare Rückschlüsse auf die Prozessbeteiligung der betreffenden Unternehmen ziehen. 89  Ähnlich Raymond, 16 American Review of International Arbitration 479, 510 f. (2005), die darauf hinweist, dass eine solche Veröffentlichungspraxis durch die damit verbundene Möglichkeit der Enttarnung „schwarzer Schafe“ bereits im Zuge der Anbahnung geschäftlicher Kontakte zu einer besseren Einschätzung der mit einer Zusammenarbeit verbundenen Chancen und Risiken beitragen kann. Zum Ganzen auch Karton, 28 Arbitration International 447, 469 (2012). 90  Hierzu bereits oben S. 289 f. 91  Hoffmann/Maurer, ZfRS 2010, 279, 289; Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Journal 317, 325 (1984). Vgl. § 32 der Schiedsgerichtsordnung des Schiedsgericht



VI.  Form der Veröffentlichung

301

b.  Auszugsweise Veröffentlichung Weiterhin besteht die Möglichkeit, Schiedssprüche lediglich auszugsweise zu veröffentlichen und dadurch sowohl dem Kenntnisnahmeinteresse der Öffentlichkeit als auch den möglicherweise bestehenden Vertraulichkeitsinteressen der Parteien Rechnung zu tragen. Eine Reihe von Schiedsinstitutionen veröffentlicht regelmäßig Auszüge von Schiedssprüchen. Die ICC publiziert bereits seit den 1970er Jahren – meist kommentierte – anonymisierte Exzerpte der Entscheidungen von ICC-Schiedsgerichten.92 Art. 48 Abs. 4 Satz 2 ICSIDSchO verpflichtet das Zentrum seit 2006 zur zeitnahen Veröffentlichung von Auszügen der rechtlichen Erwägungen des Schiedsgerichts.93 Der Umfang der veröffentlichten Auszüge variiert stark. Während ICC-Schiedssprüche in der Regel nur in stark gekürzter Form veröffentlicht werden und der publizierte Text häufig nur wenige Absätze umfasst, werden ICSID-Schiedssprüche regelmäßig nur in verhältnismäßig geringem Umfang gekürzt, meist um den Rechtsvortrag der Parteien.94 Die auszugsweise Veröffentlichung von Schiedssprüchen stellt grundsätzlich ein geeignetes Mittel zur Herstellung größerer Entscheidungstransparenz bei gleichzeitiger Wahrung der Vertraulichkeitsinteressen der Parteien und sonstigen Verfahrensbeteiligten dar. Insbesondere ist ein berechtigtes Interesse der Parteien an der Verhinderung der Veröffentlichung anonymisierter Entscheidungsauszüge nicht ersichtlich.95 Die präjudizielle Eignung auszugsweise publizierter Entscheidungen hängt jedoch maßgeblich vom Ausmaß der Kürzungen bzw. Editierungen ab. Umfangreiche Streichungen können im Einzelfall das Verständnis und damit die präjudizielle Eignung der betreffenden Entscheidung beeinträchtigen.96 Das gilt in besonderem Maße für die Kondes Deutschen Verbands des Großhandels mit Ölen, Fetten und Ölrohstoffen e. V. (GROFOR); § 32 der Schiedsgerichts-Bestimmungen des Schiedsgerichts des Vereins der Getreidehändler der Hamburger Börse e. V. sowie den Geschäftsbericht 2012 des Waren-Vereins der Hamburger Börse e. V., S. 37, abrufbar unter www.waren-verein.de. 92 Vgl. Karton, 28 Arbitration International 447, 453 (2012); Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 238 (2008); Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 123; Jolivet, 22 Arbitration International 265, 272, dort Fn. 18 (2006); Paulsson, Revue de l’arbitrage 1990, 55. 93  Kinnear/Obadia/Gagain, in: Transparency, 2013, S. 107, 111; Cohen Smutny/Young, in: ICC Bulletin Special Supplement, 2009, S. 73, 77; Egonu, 24 Journal of International Arbitration 479, 484 (2007); Commission, 24 Journal of International Arbitration 129, 136 (2007); Lörcher, SchiedsVZ 2005, 11, 16. 94  Bento, The Case for Synposes in Arbitral Awards, Kluwer Arbitration Blog vom 21. November 2013, abrufbar unter www.kluwerarbitrationblog.com, plädiert deshalb dafür, zu veröffentlichenden ICSID-Schiedssprüchen aufgrund ihres Umfangs Kurzzusammenfassungen voranzustellen. 95 Zutreffend Gruner, 41 Columbia Journal of Transnational Law 923, 960 (2003). 96 Vgl. Templeman, 30 Journal of International Arbitration 197, 216, dort Fn. 68 (2013); König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 66 f.; Karton, 28 Arbitration International 447, 479 (2012); Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 55; Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 175 (2005); Craig/Park/Paulsson, International Chamber of Commerce, 3. Aufl. 2000, S. 170;

302

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

textualisierung der Entscheidung. Fehlen Informationen zum tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund des Rechtsstreits, können die relative Reichweite und Bedeutung der dort vertretenen rechtlichen Lösung nur unter Schwierigkeiten ermittelt werden. Auch trennen nicht alle Schiedssprüche klar zwischen Sachverhalt und Rechtsausführungen, sodass beispielsweise die auszugsweise Veröffentlichung der rechtlichen Erwägungen des Schiedsgerichts nicht immer sinnvoll möglich ist. Die Eignung von Entscheidungsauszügen zu Normbildungszwecken ist damit im jeweiligen Einzelfall zu prüfen. Nicht zuletzt kann die mit einer lediglich auszugsweisen Veröffentlichung des Schiedsspruchs verbundene Notwendigkeit von Kürzungen und Streichungen, ähnlich wie bei der Auswahl der für eine Veröffentlichung geeigneten Entscheidungen, zu einer subjektiven Verzerrung der Rechtsauffassung des Schiedsgerichts führen und das Risiko einer einseitigen Beeinflussung der Spruchpraxis erhöhen.97

c.  Veröffentlichung nach Karenzzeit Schließlich ist es denkbar, die Veröffentlichung schiedsrichterlicher Entscheidungen erst nach Ablauf einer bestimmten Zeitspanne zuzulassen. Ein prominentes Beispiel für diese Praxis liefert die ICC, die Schiedssprüche grundsätzlich erst nach Ablauf einer dreijährigen Karenzzeit veröffentlicht und vor Veröffentlichung zusätzlich kürzt und anonymisiert.98 Den Geheimhaltungsinteressen der Parteien ist damit insofern gedient, als sowohl die Identifizierung der Parteien erschwert als auch die möglichen wirtschaftlichen und reputationellen Folgen einer Identifizierung mehrere Jahre nach Ende des Verfahrens beherrschbar gemacht werden. Gegen ein solches Modell spricht aber vor allem, dass die mit einer systematischen Veröffentlichung von Schiedssprüchen bezweckte Rechtsentwicklung bewusst um mehrere Jahre verzögert wird. Insbesondere in wiederkehrenden, streitigen Rechtsfragen erscheint es wenig sinnvoll, der Rechtspraxis absichtsvoll bestehende Lösungsansätze vorzuenthalten. Wenn überhaupt, so sollte die Karenzzeit, auch unter Effizienzgesichtspunkten, daher nicht länger als ein Jahr nach Abschluss des Verfahrens betragen.99 InsDrahozal, 33 Vanderbilt Journal of Transnational Law 79, 108 (2000); Cremades/Plehn, 2 Boston University International Law Journal 317, 343 (1984). 97  Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1, 19. 98  Carlevaris, in: Transparency, 2013, S. 123, 136; Mourre, aaO, S. 53, 68, ders., in: Precedent, 2008, S. 39, 60; Guillaume, 2 Journal of International Dispute Settlement 5, 15 (2011). Sali, in: Transparency, 2013, S. 73, 82 plädiert dagegen für eine Veröffentlichung unmittelbar nach Erlass der Entscheidung (aber nur für challenge decisions). In allen Fällen handelt es sich um eine nichtkodifizierte, informelle Praxis. 99  In diesem Zusammenhang kann fraglich sein, ob eine Veröffentlichung unterbleiben sollte, wenn der Schiedsspruch in einem Aufhebungsverfahren angegriffen wird. Vor dem Hintergrund, dass auch nicht rechtskräftige staatliche Gerichtsurteile in vielen Fällen veröffentlicht werden, erscheint dies unter der Voraussetzung, dass die Veröffentlichung einen entsprechenden Hinweis enthält, nicht ausgeschlossen.



VI.  Form der Veröffentlichung

303

gesamt überzeugender erscheint der Ansatz, die legitimen Interessen der Parteien an der Geheimhaltung sensibler Informationen im Wege der Anonymisierung der Entscheidung zu berücksichtigen, die dann allerdings sicherstellen muss, dass die Identität der Parteien auch von Wettbewerbern und sonstigen Insidern nicht mehr festgestellt werden kann. Die praktische Tragfähigkeit der Anonymisierungsalternative hängt damit wesentlich von der technischen Umsetzung der Anonymisierung ab. Die insoweit bestehenden Möglichkeiten sollen im Folgenden diskutiert werden.

d.  Anonymisierte Veröffentlichung Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen begründet ein potentielles Spannungsverhältnis zwischen dem Interesse der Parteien an der Geheimhaltung des Schiedsverfahrens und dem öffentlichen Interesse an der Kenntnisnahme von dem Inhalt der in diesem Verfahren ergangenen Entscheidungen. Dieser Konflikt darf, wie bereits an früherer Stelle dargelegt, allerdings nicht schematisch unterstellt werden. In vielen Fällen werden die Interessen der Parteien betreffend die Veröffentlichung der Entscheidung auseinandergehen. So dürfte die unterlegene Partei regelmäßig kein Interesse an der Veröffentlichung einer für sie nachteiligen Entscheidung besitzen, während umgekehrt die obsiegende Partei, besonders als Beklagte des Verfahrens, durchaus geneigt sein kann, die durch den Schiedsspruch festgestellte mangelnde Substanz der gegen sie gerichteten Vorwürfe publik zu machen.100 Das Bestehen eines Interessenkonflikts ist demgemäß jeweils im Einzelfall darzutun. Wenn und soweit ein solcher Interessenkonflikt tatsächlich vorliegt, stellt sich die Frage, wie diese widerstreitenden Interessen in Einklang gebracht werden können. Eine Möglichkeit hierzu bietet die Anonymisierung der zu veröffentlichenden Entscheidung, die Rückschlüsse auf die Identität der Parteien und sonstigen Verfahrensbeteiligten verhindern soll. Die Anonymisierung des Schiedsspruchs trägt den Geheimhaltungsinteressen der Parteien Rechnung und kann insoweit eine sinnvolle Kompromisslösung darstellen.101 Der in den vergangenen Jahren zu beobachtende „rise of transparency“ hat sich in einer zunehmenden Zahl, meist anonymisierter, Spruchveröffentlichungen niedergeschlagen.102 Soweit die Möglichkeit 100  Zu den unterschiedlichen Interessenlagen siehe Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1, 8; Azzali, aaO, xxiii; Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook 175, 186 (1997). 101  Pocar, in: Transparency, 2013, xxix; Noussia, Confidentiality, 2010, S. 169; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 152; Mistelis, 21 Arbitration International 211, 214 (2005); Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 175 (2005); Derains/Thompson, Clunet 1974, 876, 877. 102  Blackaby/Partasides, in: Redfern and Hunter on International Arbitration, 5. Aufl. 2009, Rn. 2152; Gal, Haftung, 2009, S. 333; Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 238 (2008); Wälde, in: Precedent, 2008, S. 113, 123; Gruner, 41 Columbia Journal of Transnational Law 923, 959 (2003); Buys, 14 American Review of International Arbitration 121,

304

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

einer effektiven Anonymisierung der zu veröffentlichenden Entscheidung und insbesondere der Identität der Parteien besteht, werden die Geheimhaltungsinteressen der Parteien in der Regel hinter das Kenntnisnahmeinteresse der Öffentlichkeit zurücktreten müssen.103 Von diesem Abwägungsergebnis geht ersichtlich auch Art. 30 AAA/ICDR-SchO aus. Während die Veröffentlichung des Schiedsspruchs grundsätzlich nur mit dem Einverständnis aller Parteien möglich ist, kann die Institution ausgewählte Schiedssprüche in anonymisierter Form auch von Amts wegen veröffentlichen, soweit die Parteien nicht ausdrücklich etwas anderes vereinbart haben (Art. 30 Abs. 3).104 Möglicherweise bestehende Geheimhaltungsinteressen der Parteien können nach der ratio dieser Bestimmung einer Veröffentlichung nicht entgegengehalten werden, wenn diese in anonymisierter Form erfolgt und keine Rückschlüsse auf die Identität der Parteien zulässt. Dies muss umso mehr gelten, wenn die Veröffentlichung erst nach Ablauf einer gewissen Zeitspanne erfolgt. Ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse hinsichtlich einer mit zeitlicher Verzögerung erfolgten, anonymisierten Veröffentlichung des Schiedsspruchs dürfte nur schwerlich zu begründen sein.105 Dieses Abwägungsergebnis setzt aber voraus, dass die Anonymisierung eine Kenntnisnahme von der Identität der Parteien und sonstigen Verfahrensbeteiligten wirksam verhindern kann. Insoweit wird die bloße Entfernung bzw. Schwärzung der Namen der Beteiligten in den meisten Fällen nicht ausreichen. Aus Sicht der Parteien gilt es häufig, weniger eine Kenntnisnahme der allgemeinen Öffentlichkeit, als vielmehr eine Kenntnisnahme einzelner Wettbewerber, Marktteilnehmer oder sonstiger Insider von dem Verfahren und seinen Einzelheiten zu verhindern.106 Hierfür reicht die bloße Entfernung der Namen der Parteien jedoch nicht aus. Speziell auf kleineren, überschaubaren Märkten mit einer begrenzten Anzahl von Akteuren kann ein Schiedsspruch, in dem lediglich die Namen der Parteien anonymisiert worden sind, aufgrund einer Vielzahl weiterer Indizien ohne Weiteres die Identifizierung der Parteien ermöglichen. Eine effektive Anonymisierung des Schiedsspruchs muss deshalb sicherstellen, 125 ff. (2003). Für eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen in anonymisierter Form plädierte bereits früh Carbonneau, 19 Texas International Law Journal 33, 114 (1984); ders., 23 Columbia Journal of Transnational Law 579, 608 (1985). 103  Malatesta, in: Transparency, 2013, S. 39, 50; Sali, aaO, S. 73, 82; Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 64; Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 175 (2005); Gu, 15 American Review of International Arbitration 607, 619 f. (2004); Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook 175, 179 (1997); Neill, 12 Arbitration International 287, 301 (1996). 104  Thümmel, in: Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Aufl. 2011, Art. 27 IAR, Rn. 6. 105  Mourre, in: Transparency, 2013, S. 53, 71; ders., in: Precedent, 2008, S. 39, 63; Smit, 11 American Review of International Arbitration 567, 582 (2000). 106  Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1, 10; Lachmann, Schiedsgerichtspraxis, 3. Aufl. 2008, Rn. 146; Schütze/Tschernig/Wais, Handbuch des Schiedsverfahrens, 2. Aufl. 1990, S. 10; Brown, 16 American University International Law Review 969, 1013 (2001).



VI.  Form der Veröffentlichung

305

dass sämtliche Merkmale und Informationen, die unmittelbar oder mittelbar Rückschlüsse auf die Identität der Verfahrensbeteiligten ermöglichen können, vor der Veröffentlichung entfernt werden.107 Dies kann im Einzelfall umfangreiche Editierungsarbeiten erforderlich machen.108 Das Erfordernis einer effektiven Anonymisierung kann jedoch seinerseits mit dem Kenntnisnahmeinteresse der Allgemeinheit in Konflikt treten und insbesondere die Erreichung der mit der Veröffentlichung angestrebten Ziele, so vor allem der Förderung einer autonomen schiedsrichterlichen Normbildung, vereiteln. Die mit der Veröffentlichung angestrebten Zwecke können zwar auch im Wege einer anonymisierten Veröffentlichung erreicht werden109, dies setzt aber voraus, dass die betreffenden Entscheidungen präjudizielle Tauglichkeit besitzen. Hieran kann es fehlen, wenn der Umfang der im Einzelfall erforderlichen Anonymisierung die Streichung grundlegender Informationen zu dem jeweiligen Verfahren notwendig macht. Das Verständnis der rechtlichen Erwägungen eines bestimmten Falls und die mögliche Anknüpfung an die dortigen Schlussfolgerungen durch nachfolgende Schiedsgerichte erfordern in der Regel zumindest eine grobe Zusammenfassung des zugrunde liegenden Sachverhalts. Wenn diese Informationen aber gleichzeitig geeignet sind, die Identität der Parteien preiszugeben und aus diesem Grunde entfernt werden müssen, kann der Erkenntniswert des Schiedsspruchs insgesamt beeinträchtigt werden. 110 Das wirft die Frage auf, in welchem Umfang und in welcher Tiefe eine Anonymisierung durchgeführt werden kann, ohne die betreffende Entscheidung gleichzeitig für eine präjudizielle Nutzung durch die Öffentlichkeit und insbesondere durch nachfolgende Schiedsgerichte untauglich zu machen. Hierzu sollen nachfolgend einige Überlegungen dargestellt werden.

2.  Umfang der Anonymisierung Umfang und Tiefe der Anonymisierung müssen sich am Zweck derselben, nämlich der Verhinderung einer Offenlegung der Identität der Verfahrensbeteiligten orientieren. Die Anonymisierung kann sich dabei nicht auf die Entfernung bzw. Schwärzung der Namen der Beteiligten beschränken, sondern muss, um eine mögliche mittelbare Identifizierung zu verhindern, auch sonstige individualisierende Sachverhaltsmerkmale umfassen. Die insoweit erforderlichen redak107  Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook 175, 179 f. (1997); Neill, 12 Arbitration International 287, 301 (1996). 108  Zu Umfang und Einzelheiten der Anonymisierung siehe unten S. 305 ff. 109  Mistelis, 21 Arbitration International 211, 214 (2005); Lew/Mistelis/Kröll, Comparative International Commercial Arbitration, 2003, S. 660. 110  Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 175 (2005); Craig/Park/Paulsson, International Chamber of Commerce, 3. Aufl. 2000, S. 170; Ellwood, in: Materielles Recht und Verfahrensrecht, 1972, S. 94.

306

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

tionellen Maßnahmen sollen nachfolgend dargestellt werden. In diesem Zusammenhang sollen auch die im Jahre 2011 verabschiedeten Guidelines for the Anonymous Publication of Arbitral Awards111 (nachfolgend: Milan Guidelines) des Schiedsgerichts der Handelskammer Mailand einer kritischen Würdigung unterzogen werden. Mit den Milan Guidelines (a.) liegt erstmals ein Regelwerk vor, das den Versuch unternimmt, die Anonymisierung von Schiedssprüchen anhand allgemeingültiger Kriterien zu standardisieren und zu professionalisieren. Eine Anonymisierung der zu veröffentlichenden Entscheidung kommt insbesondere in Bezug auf die Identität der Verfahrensbeteiligten (b.), allgemeine Informationen zum Schiedsverfahren (c.) sowie Informationen zu dem in Streit stehenden Sachverhalt (d.) in Betracht. Die nachfolgenden Ausführungen möchten hierzu unter Berücksichtigung der in den Milan Guidelines vertretenen Ansätze mögliche Lösungen aufzeigen.

a.  Das Anonymisierungskonzept der Milan Guidelines Die Milan Guidelines unterteilen sich in drei Abschnitte. Der Allgemeine Teil (Art. 1.1–1.6) enthält Definitionen der wesentlichen Begrifflichkeiten und legt den Anwendungsbereich der Guidelines sowie den generellen Anonymisierungsstandard fest. Der Besondere Teil (Art. 2.1–2.12) enthält Richtlinien zur Anonymisierung einzelner Bestandteile des Schiedsspruchs. Der abschließende verfahrensrechtliche Teil (Art. 3.1–3.6) enthält Bestimmungen zum Verfahren der Anonymisierung und zur Veröffentlichung der Entscheidung. Die Milan Guidelines unterscheiden mit Blick auf die Anonymisierung schiedsrichterlicher Entscheidungen zwischen verschiedenen Typen von Informationen unterschiedlicher Sensibilität, für die jeweils unterschiedliche Anonymisierungsstandards gelten (vgl. Art. 1.1). Zunächst enthält der Schiedsspruch sowohl verfahrensbezogene Informationen (procedural information) als auch materiellrechtliche Informationen (substantive information). Soweit diese Informationen für das Verständnis der Entscheidung unabdingbar sind, handelt es sich um wesentliche Bestandteile des Schiedsspruchs (essential elements of the award), anderenfalls um unwesentliche Bestandteile des Schiedsspruchs (non-essential elements of the award). Während unwesentliche Entscheidungsbestandteile im Zweifel vor der Veröffentlichung entfernt werden können, müssen die wesentlichen Entscheidungsbestandteile aus Verständnisgründen stets mitgeteilt werden. Die Mitteilung bestimmter wesentlicher Informationen kann aber dazu führen, dass die Identität der Parteien offenbart wird. In diesem Zusammenhang ist zwischen wesentlichen Entscheidungsbestandteilen, die eine Identifizierung der Parteien ermöglichen (identifying elements) und solchen Entscheidungsbestandteilen, bei denen dies nicht der Fall ist (non-identifying elements), zu unterscheiden. 111  Abrufbar

unter www.camera-arbitrale.it.



VI.  Form der Veröffentlichung

307

Während gegen die Veröffentlichung der non-identifying elements keine Bedenken bestehen, ist im Rahmen der identifying elements weiter zwischen solchen Entscheidungsbestandteilen, die stets zur Identifizierung der Parteien führen (necessary identifying elements), wie z. B. den Parteinamen, und solchen Entscheidungsbestandteilen, bei denen lediglich die Möglichkeit einer Identifizierung besteht (possible identifying elements), wie z. B. dem Geschäftsfeld der Parteien, zu unterscheiden. Mit Blick auf die Erkennbarkeit der Identität der Parteien ist schließlich zwischen einer allgemeinen Erkennbarkeit (extensive identification) und einer Erkennbarkeit allein durch einen begrenzten Kreis von Dritten, die über besonderes Spezialwissen verfügen (restrictive identification), z. B. Wettbewerber, zu unterscheiden. Im Einzelnen sind diese Überlegungen in der nachstehenden Übersicht zusammengefasst:

Schwierigkeiten können vor diesem Hintergrund vor allem bei der Mitteilung von Sachverhaltselementen entstehen, die für das Verständnis der Entscheidung unabdingbar sind, aber zur Aufdeckung der Identität der Parteien gegenüber der Allgemeinheit oder einzelnen Dritten führen können (identifying elements). Die Milan Guidelines (Art. 1.3) sehen für solche Fälle die folgenden abgestuften Möglichkeiten vor: yy Ersetzung der identifizierbaren Begriffe durch allgemeine (Gattungs-) Begriffe; yy Ersetzung der identifizierbaren Begriffe durch graduell spezifischere Begriffe, soweit für das Verständnis der Entscheidung erforderlich; yy Veröffentlichung der Entscheidung unter Fortlassung bestimmter identifizierbarer Informationen, soweit möglich.

308

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

Kürzungen oder Ersetzungen müssen stets kenntlich gemacht werden, z. B. durch eckige Klammern oder Kursivschreibung (vgl. Art. 3.4 Milan Guide­ lines). Ist eine effektive Anonymisierung nach dem dargestellten Verfahren nicht möglich, bestehen zwei Möglichkeiten: Entweder die Parteien stimmen einer Veröffentlichung zu oder die Veröffentlichung muss insgesamt unterbleiben (Art. 1.3 (3) Milan Guidelines). Im Zweifel muss die Veröffentlichung also unterbleiben, soweit eine effektive Anonymisierung der Entscheidung nicht möglich ist. Vor dem Hintergrund dieser grundsätzlichen Überlegungen sollen im Folgenden der erforderliche Umfang und die Tiefe der Anonymisierung eines Schiedsspruchs mit Blick auf seine unterschiedlichen Bestandteile analysiert werden.

b.  Identität der Verfahrensbeteiligten Im Rahmen der Anonymisierung einer zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidung stellt sich zunächst die Frage, ob und in welchem Umfang die Identität der Verfahrensbeteiligten unkenntlich zu machen ist. Diese Frage ist jeweils gesondert für die Parteien (aa.), die Mitglieder des Schiedsgerichts (bb.) und die Parteivertreter und sonstigen Verfahrensbeteiligten (cc.) zu beantworten.

aa.  Namen der Parteien Die Klarnamen der Schiedsparteien sind aus den zuvor dargestellten Gründen stets zu anonymisieren. Des Weiteren sind auch alle sonstigen individualisierenden Merkmale, die eine mittelbare Identifizierung der Parteien ermöglichen könnten, aus der zu veröffentlichenden Entscheidung zu entfernen.112 Solche Anhaltspunkte werden sich in der Praxis vor allem im Sachverhalt der betreffenden Entscheidung sowie in eventuell vorhandenen tatbestandlichen Ausführungen in den rechtlichen Erwägungen des Schiedsgerichts finden. Art. 2.4 der Milan Guidelines bestimmt insoweit, dass die Namen natürlicher und juristischer Personen zu anonymisieren und im Rahmen der Veröffentlichung lediglich durch ihre prozessuale Stellung (z. B. als Kläger oder Beklagter) zu bezeichnen sind. Bei juristischen Personen ist zusätzlich die Rechtsform anzugeben, soweit dies für das Verständnis der Entscheidung von Bedeutung ist. Im Einzelfall können zum Verständnis der Entscheidung auch Angaben zur Beteiligungsstruktur oder zum Sitz des Unternehmens erforderlich sein. Klarnamen und sonstige individualisierende Hinweise zu den organschaftlichen und gesetzlichen Ver112 So auch Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1, 10; Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook, 175, 180 (1997); Tashiro, 9 Journal of International Arbitration 97, 102 (1992); Ong, 1 Asian International Arbitration Journal 169, 176, 179 (2005), der auch auf mögliche Haftungsrisiken für Schiedsinstitutionen im Falle einer Identifizierbarkeit der Parteien hinweist.



VI.  Form der Veröffentlichung

309

tretern einer juristischen Person sind ebenfalls zu anonymisieren. Soweit beide Parteien sich mit der Offenlegung ihrer Identität ausdrücklich einverstanden erklärt haben, muss nach dem Ansatz der Milan Guidelines hingegen auch die nicht anonymisierte Veröffentlichung der betreffenden Entscheidung zulässig sein. Diese Ansicht verdient mit Blick auf die privatautonome Grundlage des Schiedsverfahrens Zustimmung.

bb.  Namen der Schiedsrichter Die Namen der Mitglieder des Schiedsgerichts sollten – entgegen § 42 DISSchO – nicht anonymisiert werden.113 Für eine Anonymisierung spricht zwar, dass die Veröffentlichung von Schiedssprüchen im Interesse der Normbildung die Angabe der Schiedsrichternamen nicht zwingend erfordert, da insoweit die von den einzelnen Personen losgelöste rechtliche Argumentation im Vordergrund steht. Auch birgt die Angabe der Klarnamen der Schiedsrichter das Risiko eines gewissen „Marketings in eigener Sache“. So könnten Schiedsrichter nach Ansicht mancher Kommentatoren in Versuchung geraten, sich durch eine bestimmte Entscheidungspraxis einseitig für künftige Benennungen als Parteischiedsrichter zu empfehlen, beispielsweise durch den zunehmenden Rückgriff auf dissenting opinions.114 Schließlich könnte das Bekanntwerden einer bestimmten Entscheidungspraxis das Risiko der Ablehnung eines Schiedsrichters wegen Befangenheit erhöhen, zumindest aber von entsprechend interessierten Parteien als ein Mittel zur taktischen Verzögerung oder Verhinderung des Schiedsverfahrens eingesetzt werden.115 Diese Bedenken können insgesamt nicht durchgreifen. Der Einwand, dass die Veröffentlichung der Schiedsrichternamen zu einem übertriebenen Profilierungsstreben in der Schiedsrichterschaft führen könnte116, wird zumindest durch die bisherigen Erfahrungen in der Investitions- und Sportschiedsgerichtsbarkeit, wo die Namen der Mitglieder des Schiedsgerichts regelmäßig öffentlich gemacht werden, empirisch nicht bestätigt.117 Gleichwohl kann nicht davon die 113  So auch Mourre, in: Precedent, 2008, S. 39, 56; Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 246 (2008); Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook, 175, 180 (1997). Der LCIA nennt im Rahmen der seit 2011 veröffentlichten challenge decisions ebenfalls die Namen der entscheidenden Schiedsrichter. 114  Zum Nutzen von dissenting opinions in der Schiedsgerichtsbarkeit Coe, in: Iran-U. S. Claims Tribunal, 2006, S. 119, 128 f. 115  Coppo, in: Transparency, 2013, S. 137, 151. Hiergegen überzeugend Fernández-Armesto, Cahiers de l’arbitrage 2012, 583, 585. 116  So z. B. Seitz, 38 Arbitration Journal 58, 60 (1983). 117 Auffällig ist lediglich, dass z. B. in der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit bestimmte Schiedsrichter regelmäßig entweder nur von Investoren oder nur von Staaten benannt werden. So wird beispielsweise die Schiedsrichterin Prof. Brigitte Stern regelmäßig von beklagten Vertragsstaaten als Parteischiedsrichterin benannt.

310

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

Rede sein, dass die Qualität und Integrität der Schiedsrichterschaft durch diese Entwicklung beeinträchtigt würden. Ebenso wenig deuten schiedsrichterliche Entscheidungen, vor allem von ICSID-Schiedsgerichten, sowie vorhandene Erfahrungsberichte von Schiedsrichtern darauf hin, dass aus diesem Grunde vermehrt Befangenheitsanträge gegen einzelne Schiedsrichter gestellt werden, und dies obwohl der Markt für Schiedsrichter in Investitionsstreitigkeiten deutlich kleiner – und damit die individuellen track records notwendigerweise ausgeprägter – als im Bereich der Handelsstreitigkeiten sind. Hingegen ist nicht auszuschließen, dass die durch die Mitteilung der Schiedsrichternamen geschaffene Möglichkeit einer informierten Schiedsrichterauswahl geeignet ist, die Akzeptanz und Legitimität der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit insgesamt zu steigern.118 Das ist nicht verwunderlich: Die Aussicht, vermittels der Schiedsrichterauswahl zumindest gewährleistet zu wissen, dass eine bestimmte Rechtsauffassung in den Beratungen des Schiedsgerichts Gehör finden wird, ist geeignet, die gefürchtete „Unberechenbarkeit“ des Schiedsverfahrens aus Sicht der Parteien zumindest teilweise abzumildern. Schließlich befürchten manche, aus der Kenntnis der Schiedsrichternamen ließen sich mittelbar Rückschlüsse auf die Identität der Parteien ziehen.119 Auch dieser Einwand überzeugt nicht. Selbst wenn manche repeat players in der Praxis dazu neigen sollten, in verschiedenen Schiedsverfahren jeweils denselben Schiedsrichter zu benennen, ließen sich aus dieser Tatsache nur dann hinreichend sichere Rückschlüsse auf die Identität der benennenden Partei ziehen, wenn diese Benennungspraxis entweder allgemein bekannt wäre oder die veröffentlichten Entscheidungen sonstige Anhaltspunkte enthielten, anhand derer sie einer bestimmten Partei zugeordnet werden könnten. Ebendies sollte nach einer umfassenden Anonymisierung der Entscheidung jedoch nicht mehr der Fall sein.120 Auch urheberrechtliche Bedenken, die in Zusammenhang mit der Veröffentlichung der Namen der Schiedsrichter geäußert werden, können letztlich nicht durchgreifen. Zwar besitzen die Schiedsrichter als (Mit-)Urheber grundsätzlich ein Recht zur Entscheidung über die Veröffentlichung des Schiedsspruchs, dieses Recht besteht aber nur insoweit, als es nicht (konkludent) an die Parteien oder die Schiedsinstitution abgetreten wurde.121 Soweit die Schiedsrichter, wie im Rahmen dieser Arbeit vorgeschlagen, vor Mandatsübernahme durch die Schiedsinstitution auf die Möglichkeit einer Veröffent118 

Hierzu bereits oben S. 218 ff. Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1, 14; Karton, 28 Arbitration International 447, 479 (2012). Zur Praxis der Mehrfachbenennung auch Pörnbacher/Duncker/Baur, SchiedsVZ 2012, 289, 292 f.; von Hoffmann, in: Beteiligung, 2005, S. 131, 135. 120 Nach Sali, in: Transparency, 2013, S. 73, 83 kann die Veröffentlichung der Schiedsrichternamen für die Parteien Anreize zur Diversifizierung ihrer Benennungspraxis schaffen und auf diese Weise allgemein zur Erweiterung des Schiedsrichterpools beitragen. 121  Siehe bereits oben S. 112. 119 



VI.  Form der Veröffentlichung

311

lichung des Schiedsspruchs hingewiesen werden und das Mandat in Kenntnis dieser Tatsache gleichwohl übernehmen, dürfte hierin eine stillschweigende Abtretung der Nutzungsrechte an die Schiedsinstitution liegen.122 Zuletzt wird geltend gemacht, die absehbare Veröffentlichung des Schiedsspruchs könne die vom Schiedsgericht getroffene Entscheidung inhaltlich verzerren, weil das Schiedsgericht das hiermit verbundene Kritikrisiko im Rahmen der Entscheidungsfindung bewusst oder unbewusst berücksichtige. Zwar konnte ein solcher „Beobachtereffekt“ in der US-amerikanischen Zivilgerichtsbarkeit bereits empirisch nachgewiesen werden123, diese Tatsache spricht dennoch nicht entscheidend gegen eine Veröffentlichung der Schiedsrichternamen. Die vorerwähnten empirischen Untersuchungen gelangten seinerzeit zu dem Ergebnis, dass der Beobachtereffekt in den betreffenden Entscheidungen vor allem zu einer höheren Zitatdichte führte.124 Es ist nicht auszuschließen, dass diese Praxis aus Sicht der entscheidenden Richter der Abschichtung von Verantwortung bzw. der Vorbeugung befürchteter Legitimitätsdefizite durch besondere Sorgfalt der Begründung dienen sollte.125 Mit einem solchen Verhalten sind aber keine Qualitätseinbußen, sondern allenfalls Qualitätssteigerungen verbunden, sodass ein möglicher Einfluss der absehbaren Veröffentlichung auf den Prozess der Entscheidungsfindung nicht zu beanstanden wäre. Insgesamt bestehen vor diesem Hintergrund keine durchgreifenden Bedenken gegen die Veröffentlichung der Namen der Schiedsrichter. Gleichwohl haben sich in der bisherigen Veröffentlichungspraxis der Schiedsinstitutionen noch keine einheitlichen Standards herausgebildet. So veröffentlicht die ICC beispielsweise Schiedssprüche manchmal mit, manchmal ohne Nennung der Namen der Schiedsrichter.126 In ähnlicher Weise verfährt auch die DIS, die in ihren wenigen öffentlich verfügbaren Entscheidungen entweder keine Angaben zu den Schiedsrichtern macht, deren Klarnamen oder Abkürzungen mit Berufs- und Titelangabe („Rechtsanwalt Prof. Dr. E.“) verwendet. Art. 2.1 der 122 

Hierzu bereits oben S. 286 f. Weidemaier, 90 North Carolina Law Review 1091, 1106 (2012) m. w. N. 124  Weidemaier, 90 North Carolina Law Review 1091, 1106 (2012). 125  Hierzu bereits oben S. 186 f. 126  Die Namen der Mitglieder des Schiedsgerichts nennen z. B. ICC Award No. 5418/1987, abgedruckt in XIII YCA 91 (1988); ICC Award No. 4131/1982 (Dow Chemical), abgedruckt in IX YCA 131, 136 (1984). Im Dezember 2015 hat der International Court of Arbitration der ICC einstimmig beschlossen, in allen ab dem 1. Januar 2016 eingeleiteten Verfahren Namen und Nationalität der Schiedsrichter sowie das Verfahren der Benennung und die jeweilige Position innerhalb des Schiedsgerichts auf dem Internetauftritt der ICC zu veröffentlichen (siehe Pressemitteilung vom 5. Januar 2016, abrufbar unter http://www.iccwbo.org/News/ Articles/2016/ICC-Court-announces-new-policies-to-foster-transparency-and-ensure-greaterefficiency/, zuletzt abgerufen am 1. März 2016). Eine Veröffentlichung unterbleibt lediglich dann, wenn die Parteien diese übereinstimmend ablehnen. Im Ergebnis führt die ICC damit in Bezug auf die Offenlegung der Identität der Schiedsrichter eine kollektive Widerspruchslösung ein (siehe hierzu bereits die Nachweise auf S. 295, Fn. 80). 123 

312

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

Milan Guidelines verfolgt demgegenüber einen transparenten Ansatz und verlangt nicht nur die Veröffentlichung der Klarnamen der Schiedsrichter, sondern darüber hinaus auch ergänzende Angaben zum Ernennungsverfahren. Dieser Ansatz verdient Unterstützung. Gegen eine Anonymisierung der Schiedsrichternamen spricht vor allem, dass die Parteien auf diese Weise in die Lage versetzt werden, eine informierte Entscheidung über die Besetzung des Schiedsgerichts zu treffen. Die Auswahl der Schiedsrichter kann erheblichen Einfluss auf den Ablauf des Verfahrens und die Erfolgschancen einer Partei haben. Der track record eines Schiedsrichters kann zumindest als Anhaltspunkt für bestimmte Rechtspositionen dienen, die ihrerseits Grundlage einer Parteibenennung sein können. Das Interesse einer Partei an der Benennung eines Schiedsrichters, der ihrer Rechtsauffassung nahesteht und dieser in einem Schiedsrichterkollegium Gehör verschaffen kann, ist legitim. Im Gegensatz zum staatlichen Richter tritt der Schiedsrichter nicht hinter eine von ihm repräsentierte Institution zurück, sondern wird von den Parteien gerade aufgrund seiner individuellen Attribute ausgewählt. Würde man auf die Veröffentlichung der Schiedsrichternamen verzichten, so käme dies im Ergebnis vor allem repeat players und ihren Rechtsberatern zugute, die ihren bestehenden institutionellen Wissensvorsprung betreffend die Entscheidungspraxis einzelner Schiedsrichter zum Nachteil der weniger erfahrenen Partei, der solches Erfahrungswissen nicht zur Verfügung steht, geltend machen können.127 Umso mehr gebietet es der auch im Schiedsverfahren geltende Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit128, solche Informationsasymmetrien nach Möglichkeit zu verhindern. Die gleichberechtigte Möglichkeit der Parteien zur Kenntnisnahme von der Entscheidungspraxis einzelner Schiedsrichterpersönlichkeiten ist zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens deshalb sinnvoll und geboten. Soll die Veröffentlichung von Schiedssprüchen vor diesem Hintergrund auch das Verfahren der Schiedsrichterauswahl vereinfachen und demokratisieren, indem die bisherige Entscheidungspraxis des Schiedsrichterkandidaten transparent gemacht wird, so müssen demgemäß auch die Schiedsrichternamen aus dem Schiedsspruch ersichtlich sein. Nicht zuletzt ist die Identität der entscheidenden Schiedsrichter für das relative Gewicht des Schiedsspruchs und damit für seine präjudizielle Eignung von Relevanz. Schiedsgerichte operieren nicht in hierarchischen Systemen, die Wirkung ihrer Entscheidungen bemisst sich nicht nach ihrer institutionellen Stellung, sondern nach ihrer argumentativen Überzeugungskraft. Letztere hängt nicht unwesentlich vom individuellen und fachlichen Prestige der Mitglieder des Schiedsgerichts ab, sodass die Kenntnis von der Person der Schiedsrichter auch für die Ermittlung der präjudiziellen Bedeutung der veröffentlichten Entscheidung wichtig ist.129 127 

Siehe hierzu bereits oben S. 222 ff. Wilske/Markert, in: BeckOK-ZPO, Stand: 1. 9. 2015, § 1042, Rn. 5. 129  Hierzu bereits oben S. 174 f. 128 



VI.  Form der Veröffentlichung

313

Ein überwiegendes Interesse der Schiedsrichter selbst an der Verhinderung einer Kenntnisnahme der Öffentlichkeit von ihrer Spruchtätigkeit ist nicht ersichtlich.130 Das Fehlen eines schiedsgerichtlichen Instanzenzugs sowie die eingeschränkte Möglichkeit einer Rechtskontrolle durch staatliche Gerichte erfordern im Interesse der Verhinderung von Missbrauch andere Möglichkeiten einer Kontrolle der schiedsrichterlichen Tätigkeit. Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen unter Nennung der Namen der für die Entscheidung verantwortlichen Schiedsrichter kann dazu beitragen, Schiedsrichter zu einer verantwortungsvollen Verfahrensführung und einer unvoreingenommenen und sachlich überzeugenden Entscheidung anzuhalten.131 Nicht zuletzt dürfte die Veröffentlichung der Schiedsrichternamen auch im wirtschaftlichen Interesse der Schiedsrichterschaft selbst liegen, deren Mitglieder sich durch die Qualität ihrer Entscheidungen für künftige Berufungen empfehlen können. Auch ein Blick in die staatliche Gerichtsbarkeit rechtfertigt keine abweichende Einschätzung. Hinsichtlich der Veröffentlichung staatlicher Gerichtsurteile existiert keine einheitliche Praxis. Überwiegend werden die Namen der entscheidenden Richter anonymisiert, teilweise, vor allem an den obersten Gerichtshöfen des Bundes, wo die Zusammensetzung der Spruchkörper ohnehin öffentlich bekannt ist, erscheinen die Klarnamen der Richter auch in der Veröffentlichung. Die in der Gesamtschau überwiegend vorzufindende Anonymisierung der Namen der entscheidenden Richter, die ihre Funktion stellvertretend „im Namen des Volkes“ ausüben, erscheint im staatlichen Kontext durchaus angemessen, weil der Richter hier gerade nicht als Individuum, sondern als Repräsentant der Judikative auftritt und handelt. Aus den vorgenannten Gründen ist diese Praxis im Schiedsverfahren jedoch nicht angemessen: Hier kommt es gerade auf die Persönlichkeit, das Prestige, die Überzeugungen und Rechtsauffassungen des einzelnen Schiedsrichters an, die nicht zuletzt Einfluss auf den „Rang“ und die Bedeutung der Entscheidung nehmen können.132 Vor diesem Hintergrund erscheint eine Veröffentlichung unter Nennung der Namen der an der Entscheidung beteiligten Schiedsrichter insgesamt vorzugswürdig.

cc.  Namen der Parteivertreter und sonstiger Verfahrensbeteiligter Die Namen der Parteivertreter und sonstiger Verfahrensbeteiligter wie Zeugen und Sachverständiger sollten in Übereinstimmung mit Art. 2.5 der Milan Guidelines anonymisiert werden. Für die präjudizielle Eignung der zu veröffentlichenden Entscheidung sind diese Angaben ohne Bedeutung, ein öffent130 Vgl. Müller, 23 ASA Bulletin 216, 236 (2005). Vereinzelte Vorschläge, Schiedsrichtern ein Vetorecht gegen die Veröffentlichung des Schiedsspruchs zuzugestehen (so z. B. Sikiric, 4 Croatian Arbitration Yearbook 175, 180 (1997) m. w. N.) sind abzulehnen. 131  Hierzu bereits oben S. 220 ff. 132  So auch Gibson/Drahozal, 23 Journal of International Arbitration 521, 529 f. (2006); Duve/Keller, SchiedsVZ 2005, 169, 177 f., hierzu auch oben S. 174 f.

314

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

liches Interesse an der Kenntnisnahme ist nicht ersichtlich.133 Soweit dies zum Verständnis der Entscheidung erforderlich ist, können eventuell bestehende Beziehungen zwischen Zeuge und benennender Partei in allgemeinen Begriffen dargestellt werden.

c.  Informationen zum Schiedsverfahren Fraglich kann im Weiteren sein, in welchem Umfang die Publikation allgemeine Informationen zum Schiedsverfahren und zum Verfahrensablauf enthalten soll. Der mögliche Interessenkonflikt zwischen den gegebenenfalls im Einzelfall bestehenden Geheimhaltungsinteressen der Parteien und dem Kenntnisnahmeinteresse der Öffentlichkeit muss im Wege einer umfassenden Interessenabwägung gelöst werden. Einerseits darf die Veröffentlichung verfahrensbezogener Informationen nicht mittelbar zu einer Offenlegung der Identität der Parteien führen, andererseits erfordert die Kontextualisierung und Bewertung der Entscheidung ein Mindestmaß an Informationen über den Ablauf des Schiedsverfahrens. In diesem Spannungsfeld kann zunächst fraglich sein, ob die administrierende Schiedsinstitution (aa.), ggf. unter Angabe des Aktenzeichens (bb.), in die Veröffentlichung aufzunehmen ist. Weiterhin bleibt zu klären, ob Angaben zur Schiedsvereinbarung (cc.), zum anwendbaren Recht (dd.) und zum Streitwert bzw. zu den Kosten des Schiedsverfahrens (ee.) erforderlich sind. Zuletzt ist zu untersuchen, ob das Verständnis der zu veröffentlichenden Entscheidung auch Mitteilungen zu Datum und Ort der Entscheidung (ff.) sowie zur Verfahrenssprache (gg.) notwendig macht.

aa. Schiedsinstitution Soweit es sich – wie im Regelfall – um die Veröffentlichung der Entscheidung eines institutionellen Schiedsgerichts handelt, sollte die administrierende Schiedsinstitution in der Veröffentlichung angegeben werden. Betrifft die Entscheidung prozessuale Fragen und nimmt sie in diesem Zusammenhang auf einzelne Bestimmungen einer institutionellen Schiedsordnung Bezug, ist die Entscheidung ohne einen Hinweis auf die Schiedsinstitution und die im Einzelfall angewendeten Verfahrensregeln nicht verständlich.134 Art. 2.3 der Milan Guidelines will auf die Angabe der Schiedsinstitution verzichten, soweit sich hieraus aufgrund geringer Fallzahlen der betreffenden Institution Rückschlüsse auf die Identität der Parteien ziehen lassen. Diese Einschränkung dürfte angesichts der konstant hohen und teilweise weiter steigenden Fallzahlen der großen 133  Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1, 16. In der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit werden dagegen die Namen der Parteivertreter regelmäßig im Rubrum der veröffentlichten Entscheidungen genannt. 134  Ähnlich Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1, 15.



VI.  Form der Veröffentlichung

315

Schiedsinstitutionen, die für eine systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen in Betracht kämen, eher theoretischer Natur sein. Schließlich soll die systematische Publikation schiedsgerichtlicher Entscheidungen nach dem hier vertretenen Ansatz nicht zuletzt auch der betreffenden Schiedsinstitution im Wettbewerb um Marktanteile als Qualitäts- und Alleinstellungsmerkmal dienen.135 Auch diese Erwägungen sprechen dafür, die Identität der administrierenden Institution transparent zu machen.

bb. Aktenzeichen Das Aktenzeichen enthält keine Informationen zu den Parteien, sodass auf den ersten Blick keine Bedenken gegen seine Veröffentlichung bestehen. Auch die ICC, die ansonsten eine strenge Vertraulichkeitspolitik verfolgt, veröffentlicht Schiedssprüche mit dem Original-Aktenzeichen des Verfahrens.136 Gleichwohl erscheint es passender, für die Veröffentlichung auf ein separates Aktenzeichen zurückzugreifen. Letztlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich aus den chronologisch fortlaufenden Aktenzeichen der Schiedsinstitutionen zumindest Rückschlüsse auf den Zeitraum der Einreichung der Schiedsklage und damit auf die Identität der Parteien ziehen lassen. Dies entspricht auch der Praxis der Handelskammer Hamburg, die Schiedssprüche für die Veröffentlichung mit einem besonderen Aktenzeichen versieht.137 Auch Art. 2.2 der Milan Guidelines plädiert zur Vermeidung einer mittelbaren Offenlegung der Identität der Parteien für die Veröffentlichung unter einem besonderen Aktenzeichen. Dieses Aktenzeichen sollte zur besseren Einordnung der Entscheidung das Jahr erkennen lassen, in dem die Entscheidung ergangen ist. Der gänzliche Verzicht auf ein Aktenzeichen würde demgegenüber die Identifizierbarkeit und insbesondere die Zitierfähigkeit der Entscheidung beeinträchtigen.

cc. Schiedsvereinbarung Die Schiedsvereinbarung sollte in der Veröffentlichung in jedem Falle angegeben werden. Kommt es für das Verständnis der Entscheidung auf den Wortlaut der Schiedsvereinbarung an, ist, in Übereinstimmung mit Art. 2.6 der Milan Guidelines, auch eine wörtliche Wiedergabe zu erwägen.138 In anderen Fällen mag es denkbar sein, lediglich die wesentlichen Bestimmungen der Klausel zu nennen, ohne deren Wortlaut wiederzugeben. Die Angabe der Schiedsvereinbarung ist für eine sinnvolle Würdigung der betreffenden Entscheidung wichtig, 135 

Siehe bereits oben S. 233 f. Azzali, in: Transparency, 2013, xxix. 137  Siehe bereits oben S. 254. 138  In diesem Zusammenhang kann auch angegeben werden, ob die Schiedsvereinbarung in Form einer Schiedsklausel oder als Schiedsabrede getroffen wurde. 136 

316

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

so vor allem dann, wenn die Entscheidung – wie nicht selten – Streitigkeiten über die Wirksamkeit der Schiedsklausel betrifft. Gegen eine Wiedergabe der Schiedsvereinbarung in der Veröffentlichung spricht vor allem, dass sich mithilfe der Schiedsvereinbarung in manchen Fällen Rückschlüsse auf die Identität der Parteien ziehen lassen. Dies könnte vor allem bei größeren Unternehmen, die als repeat players häufig bestimmte standardisierte Schiedsklauseln verwenden, der Fall sein. Zumindest erfahrene Praktiker könnten in diesen Fällen aus dem Klauseltext auf den Verwender schließen. In solchen Fällen bliebe aber immer noch die Möglichkeit, anstatt des Wortlauts zumindest die wesentlichen Bestimmungen der Schiedsklausel, insbesondere zur anwendbaren Verfahrensordnung und zu dem anwendbaren materiellen Recht, mitzuteilen. Im Regelfall dürfte eine mittelbare Identifizierung der Parteien anhand der Schiedsklausel auch vor dem Hintergrund, dass die Parteien in der überwiegenden Zahl der Fälle auf die mittlerweile von verschiedenen Schiedsinstitutionen zur Verfügung gestellten Musterklauseln zurückgreifen139, jedoch nicht möglich sein.

dd.  Anwendbares Recht Das auf das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien, sei es durch Rechtswahl der Parteien oder durch Bestimmung des Schiedsgerichts, anwendbare Recht sollte stets angegeben werden. Nur auf diese Weise können die rechtlichen Erwägungen des Schiedsgerichts und die ratio decidendi der Entscheidung nachvollzogen werden. Dies gilt umso mehr für die in der Praxis nicht seltenen Fälle, in denen die zu veröffentlichende Entscheidung Fragen des anwendbaren Rechts und der Rechtswahl durch das Schiedsgericht behandelt.

ee.  Streitwert; Kosten Angaben zum Streitwert des Verfahrens sollten grundsätzlich nicht erfolgen, es sei denn, die Streitwerthöhe hat Auswirkungen auf den Inhalt der Entscheidung. Zu erwägen wäre dies beispielsweise bei der Frage der Angemessenheit der voraussichtlichen Kosten eines Antrags auf document production im Verhältnis zum Streitwert. In diesem Fall sollte gleichwohl nicht der exakte Betrag, sondern lediglich eine Größenordnung angegeben werden.140 Mit Blick auf die Kostenentscheidung des Schiedsgerichts sind die zugesprochenen Beträge

139  So auch die Empfehlung der IBA in den Guidelines for Drafting International Arbitration Clauses (2010), §§ 10 f. 140  Denkbar wäre eine tabellarische Zuordnung nach durch die Schiedsinstitution festgesetzten Bezugsgrößen, z. B.  10.000.000.



VI.  Form der Veröffentlichung

317

zu anonymisieren.141 Sie können stattdessen, nach dem Muster von Art. 2.10 Milan Guidelines, mithilfe von Buchstaben und Prozentangaben ausgedrückt werden. Eine anonymisierte Kostenentscheidung, die dem Schiedskläger nur einen Teil der geltend gemachten Verfahrenskosten in Höhe von [A] zuspricht, könnte beispielsweise lauten: „Der Schiedsbeklagte wird verurteilt, im Rahmen der Kostenerstattung an den Schiedskläger 65 % von [A] zu zahlen.“ Eine solche Darstellung ermöglicht das Verständnis der kostenbezogenen Erwägungen des Schiedsgerichts, ohne gleichzeitig vertrauliche wirtschaftliche Informationen der Parteien preiszugeben.

ff.  Schiedsort und Datum der Entscheidung Der Schiedsort sollte zur Verhinderung einer mittelbaren Identifizierung der Parteien im Regelfall nicht angegeben werden. Zum Verständnis des durch die zwingenden Vorschriften des Sitzorts vorgegebenen rechtlichen Rahmens der Entscheidung ist die Angabe der Jurisdiktion, innerhalb derer der Schiedsspruch ergangen ist, regelmäßig ausreichend. Das Datum der Entscheidung sollte ebenfalls nicht angegeben werden, die Angabe des Jahres, in dem die Entscheidung ergangen ist, ist regelmäßig ausreichend und folgt nach dem hier vertretenen Ansatz bereits aus dem Aktenzeichen der Entscheidung.

gg.  Verfahrenssprache und Sprache des Schiedsspruchs Der Schiedsspruch sollte grundsätzlich in der Sprache des Originals veröffentlicht werden. Soweit eine Übersetzung veröffentlicht wird, muss die Originalsprache angegeben werden (vgl. Art. 2.8 der Milan Guidelines).

d.  Informationen zum Sachverhalt Abschließend bedarf die Frage der Klärung, welche sachverhaltsbezogenen Informationen der zu veröffentlichenden Entscheidung zu anonymisieren sind. Auch insoweit ist zwischen der Notwendigkeit einer effektiven Anonymisierung der Identität der Parteien und den für das Verständnis der Entscheidung und ihre präjudizielle Eignung zwingend erforderlichen Mindestinformationen abzuwägen. In diesem Zusammenhang kann insbesondere fraglich sein, welche prozessualen und sachverhaltsbezogenen Daten (aa.), Zahlen- und Betragsangaben (bb.), Ortsangaben (cc.) und sonstigen sachverhaltsbezogenen Infor-

141 Da im Schiedsverfahren, anders als im staatlichen Zivilprozess, kein gesondertes Kostenfestsetzungsverfahren existiert, muss das Schiedsgericht bereits im Schiedsspruch konkrete Beträge zusprechen.

318

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

mationen (dd.) im Einzelfall zu entfernen sind. Zuletzt ist zu erwägen, ob die Veröffentlichung auch um den Rechtsvortrag der Parteien zu kürzen ist (ee.).

aa.  Prozessuale und sachverhaltsbezogene Daten Prozessuale und sachverhaltsbezogene Daten sollten in Übereinstimmung mit Art. 2.9 der Milan Guidelines grundsätzlich anonymisiert werden, soweit das Verständnis der zu veröffentlichenden Entscheidung hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn die Einhaltung bestimmter prozessualer oder materiellrechtlicher Fristen zwischen den Parteien streitig ist. Soweit Datumsangaben aus Verständnisgründen erforderlich sind, sollten nach Möglichkeit nur der Monat und das Jahr angegeben werden (z. B.: „Die Parteien schlossen im Februar 2005 einen auf zehn Jahre befristeten Rahmenvertrag.“).

bb.  Angaben zu Zahlen und Beträgen In der Veröffentlichung sollten Angaben zu Zahlen und Beträgen vermieden werden, soweit das Verständnis der zu veröffentlichenden Entscheidung hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Gemäß Art. 2.10 der Milan Guidelines können solche Angaben, soweit sie entscheidungserheblich sind, mithilfe von (durchgängig verwendeten) Buchstaben bezeichnet werden (z. B.: „Die Closing Accounts der Schiedsbeklagten wiesen nach dem Schiedsgutachten des Sachverständigen zum Stichtag den Betrag [B] aus.“).

cc.  Angaben zu Orten Sachverhaltsbezogene Ortsangaben sind wegen der Gefahr einer mittelbaren Identifizierung der Parteien in Übereinstimmung mit Art. 2.11 der Milan Guidelines zu vermeiden, soweit das Verständnis der zu veröffentlichenden Entscheidung hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Soweit dies aus Verständnisgründen erforderlich ist, kann das betreffende Land angegeben werden.

dd.  Sonstige sachverhaltsbezogene Informationen Sonstige sachverhaltsbezogene Informationen sind zu anonymisieren, sofern sie zu einer mittelbaren Identifizierung der Schiedsparteien beitragen können. Dabei ist in Übereinstimmung mit Art. 2.12 der Milan Guidelines vor allem der Streitgegenstand mit hinreichender Genauigkeit zu bezeichnen. Besteht insoweit die Gefahr einer Offenlegung der Identität der Parteien, sind Einzelheiten



VI.  Form der Veröffentlichung

319

des Sachverhalts in allgemeinen Begriffen zu umschreiben (vgl. Art. 1.3 Milan Guidelines).

ee.  Rechtliche Argumentation der Parteien Die rechtliche Argumentation der Parteien sollte, soweit sie im Rahmen der Sachverhaltsdarstellung des Schiedsgerichts Ausdruck findet, bei der Veröffentlichung berücksichtigt werden. Dies entspricht auch der Veröffentlichungspraxis des ICSID, dessen Entscheidungen regelmäßig in ausführlicher Form das rechtliche Vorbringen der Verfahrensbeteiligten darstellen.142 Gegen eine solche Berücksichtigung könnte allenfalls sprechen, dass die Parteien mit Blick auf parallele oder künftige Rechtsstreitigkeiten ihre argumentative Flexibilität wahren möchten. Soweit die veröffentlichte Entscheidung jedoch zuvor effektiv anonymisiert wurde, besteht für derartige Bedenken kein Anlass.

e. Zusammenfassung Die effektive Anonymisierung schiedsrichterlicher Entscheidungen erfordert, soweit auf diese Weise eine systematische Veröffentlichungspraxis begründet werden soll, zunächst die Schaffung allgemeingültiger Anonymisierungsstandards nach dem Beispiel der Milan Guidelines. Die erfolgreiche Anwendung dieser und vergleichbarer Regelwerke in der Praxis setzt jedoch voraus, dass die für die Anonymisierung verantwortlichen Personen mit dem Verfahren vertraut sind, den Sachverhalt und die Interessenlage der Parteien kennen sowie über die erforderlichen juristischen Fähigkeiten verfügen, um die Anonymisierung in einer Weise vornehmen zu können, die die präjudizielle Eignung der betreffenden Entscheidung nicht aufs Spiel setzt. Die Beherrschung des Zusammenspiels zwischen abstrakter Anonymisierungsvorschrift und der konkreten Anwendung dieser Vorschrift im Einzelfall ist Voraussetzung für den Erfolg der Anonymisierung. Neben der Anonymisierung der Identität der Parteien und weiteren Verfahrensbeteiligten ist besondere Sorgfalt bei der redaktionellen Bearbeitung des Entscheidungssachverhalts sowie von Informationen zum Schiedsverfahren selbst geboten. Für die Veröffentlichungspraxis erscheint ein Konzept sinnvoll, das die wesentlichen Informationen zu der Entscheidung (Aktenzeichen, Parteien, Schiedsgericht, Schiedsort, anwendbares materielles Recht, anwendbares Verfahrensrecht, Streitgegenstand, ggf. Streitwert und Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder Beweisaufnahme) in Form eines Headers voranstellt und sodann in Schlagworten Einzelheiten zu den 142  Soweit das ICSID ohne Zustimmung der Parteien Auszüge der rechtlichen Erwägungen des Schiedsgerichts veröffentlicht (Art. 48 Abs. 4 Satz 2 ICSID-SchO), werden die rechtlichen Ausführungen der Parteien vor Veröffentlichung entfernt.

320

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

rechtlichen Schwerpunkten der Entscheidung nennt, bevor die (redaktionell bearbeitete und anonymisierte) Entscheidung wiedergegeben wird. Beispielhaft könnte ein solcher Header wie folgt gestaltet werden: DIS-Nr. 12/2014 Schiedsklägerin Schiedsbeklagte Schiedsgericht Schiedsort Anwendbares materielles Recht Anwendbares Verfahrensrecht Streitgegenstand Streitwert Jahr der Entscheidung

1 (B. V. niederländischen Rechts) 2 (GmbH & Co. KG deutschen Rechts; natürliche Person) 3 Schiedsrichter (Parteiwahl) Frankreich Deutsches Recht DIS-SchO 1998 Kündigung eines Rahmenvertrags > EUR 10 Mio. 2013

Auslegung einer Kündigungsklausel im kaufmännischen Verkehr – Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund – Geschäftsführerhaftung wegen missbräuchlicher Kündigung – Kostenerstattung bei objektiv nicht erforderlichem Privatgutachten [Anonymisierte Entscheidung]

3.  Verfahren der Anonymisierung Hinsichtlich des Verfahrens der Anonymisierung des Schiedsspruchs stellt sich zunächst die Frage nach der Anonymisierungszuständigkeit (a.). Voraussetzung einer erfolgreichen Anonymisierung der schiedsrichterlichen Entscheidung ist, dass die anonymisierende Stelle sowohl fundierte juristische Kenntnisse als auch eine hinreichende Verfahrensnähe besitzt.143 Im Ergebnis spricht dieses Anforderungsprofil für eine Anonymisierungszuständigkeit entweder des Schiedsgerichts oder der Schiedsinstitution. Schließlich sind auch im Anonymisierungsverfahren die berechtigten Interessen der Parteien zu wahren, so vor allem durch die Herstellung einer hinreichenden Verfahrens- und Entscheidungstransparenz (b.).

a. Anonymisierungzuständigkeit Die Anonymisierung der zu veröffentlichenden Entscheidung kann entweder durch das Schiedsgericht (aa.) oder durch die administrierende Schiedsinstitution (bb.) erfolgen.

143 Vgl.

Comoglio/Roncarolo, in: Transparency, 2013, S. 1, 13, 19.



VI.  Form der Veröffentlichung

321

aa.  Anonymisierung durch das Schiedsgericht Zunächst kommt eine Anonymisierung des Schiedsspruchs durch das Schiedsgericht selbst in Betracht. Die Schiedsrichter sind juristisch qualifiziert und dazu in der Lage, auf der Grundlage der Guidelines eine ausgewogene Entscheidung über Umfang und Tiefe der Anonymisierung zu treffen. Aufgrund ihrer Stellung im Verfahren besitzen sie zudem eine besondere Verfahrensnähe und können insbesondere die Geheimhaltungsinteressen der Parteien bezüglich einzelner Punkte realistisch einschätzen. Es steht vor diesem Hintergrund zu vermuten, dass die Schiedsrichter dazu in der Lage wären, binnen verhältnismäßig kurzer Zeit eine veröffentlichungsfähige clean version der für die Publikation vorgesehenen Entscheidung zu produzieren.144 In diesem Zusammenhang könnten sich die Schiedsrichter auch – soweit vorhanden – durch den Sekretär des Schiedsgerichts unterstützen lassen, der ebenfalls über die für die Anonymisierung erforderliche Sachnähe verfügt. Der Anonymisierungsprozess ließe sich überdies zusätzlich beschleunigen, soweit man die Parteien dazu verpflichten würde, bereits in den vorbereitenden Schriftsätzen bestimmte Informationen als vertraulich und für eine eventuelle Veröffentlichung ungeeignet zu kennzeichnen.145 Eine solche Anordnung könnte das Schiedsgericht beispielsweise im Rahmen einer verfahrensleitenden Verfügung treffen. Eine Anonymisierungszuständigkeit des Schiedsgerichts bedeutet aus Sicht der Schiedsrichter allerdings einen – zu vergütenden – Mehraufwand. Eine Pflicht zur Vornahme der Anonymisierung bzw. zur Erstellung einer clean version könnte nur dann bestehen, wenn der Schiedsrichtervertrag oder eine sonstige vertragliche Vereinbarung zwischen den Parteien und dem Schiedsgericht dies bestimmt. Davon wird im Regelfall nicht auszugehen sein, zumal die Initiative zur Veröffentlichung nach dem hier vertretenen Ansatz nicht von den Parteien, sondern von der Schiedsinstitution ausgehen soll. Eine gegenüber der Schiedsinstitution bestehende Pflicht der Schiedsrichter zur Erstellung einer clean version der zu veröffentlichenden Entscheidung würde ihrerseits eine entsprechende Rechtsgrundlage in der Schiedsordnung erforderlich machen, an der es regelmäßig fehlen wird. Insgesamt erscheint eine Anonymisierung durch das Schiedsgericht deshalb schwierig.

144 

Für diese Lösung plädiert Karton, 28 Arbitration International 447, 479 (2012). Lo, 1 Contemporary Asia Arbitration Journal 235, 247 (2008). In diese Richtung auch Buys, 14 American Review of International Arbitration 121, 137, dort Fn. 67 (2003). Weitergehend König, Präzedenzwirkung, 2013, S. 70 f., die den Parteien das Recht zur Anonymisierung des Schiedsspruchs gewähren möchte. Mit Blick auf die Sicherstellung der präjudiziellen Eignung der Entscheidung, die durch übermäßige Kürzungen in Gefahr geraten kann, ist dieser Ansatz im Ergebnis abzulehnen. 145 Vgl.

322

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

bb.  Anonymisierung durch die Schiedsinstitution Weiterhin ist auch eine Anonymisierungszuständigkeit der Schiedsinstitution denkbar. Auf Seiten der Institution könnte die Anonymisierung der zu veröffentlichenden Entscheidung beispielsweise durch das Sekretariat oder – soweit vorhanden – durch die case managers vorgenommen werden.146 Auch auf Seiten der Schiedsinstitution sind damit im Grundsatz sowohl die erforderlichen juristischen Fähigkeiten wie auch eine hinreichende Verfahrensnähe zur erfolgreichen Durchführung der Anonymisierung vorhanden. Eine Anonymisierungszuständigkeit der Schiedsinstitution böte jedoch auch weitere Vorteile. Anders als die lediglich für ein zeitlich begrenztes Mandat berufenen Schiedsrichter könnten die mit der Anonymisierung befassten Mitarbeiter der Schiedsinstitution in deutlich schnellerer Zeit Routine und besondere Expertise erwerben, die ihrerseits zu einer zügigeren und effizienteren Durchführung des Anonymisierungsverfahrens beitragen könnte. Zudem könnte die Schiedsinstitution die durch die Anonymisierung und Veröffentlichung der Schiedssprüche entstehenden Mehrkosten im Rahmen der Bearbeitungsgebühren auf die Parteien umlegen. Insgesamt sprechen die besseren Gründe damit für eine Anonymisierung der zur Veröffentlichung vorgesehenen Entscheidungen durch die Schiedsinstitution. Soweit für den mit der Anonymisierung verbundenen personellen Mehraufwand keine entsprechend qualifizierten Mitarbeiter zur Verfügung stehen sollten, wäre seitens der Schiedsinstitution die Schaffung ergänzender Haushaltstitel zu erwägen.

b.  Verfahren der Anonymisierung und Abstimmung der Veröffentlichung mit den Parteien Die Veröffentlichung von Schiedssprüchen kann nur dann sowohl die im Einzelfall bestehenden Vertraulichkeitsinteressen der Parteien als auch das Kenntnisnahmeinteresse der Öffentlichkeit gleichermaßen wahren, wenn die zu veröffentlichende Entscheidung vor Publikation effektiv anonymisiert wurde. Hierzu sind in Übereinstimmung mit Art. 3.2 der Milan Guidelines die nachfolgenden Schritte zu beachten: yy Erstmalige Lektüre des Schiedsspruchs; yy Identifizierung der necessary identifying elements und der possible identifying elements; yy Identifizierung der Risiken einer allgemeinen oder aufgrund von Sonderwissen bestehenden Erkennbarkeit der Identität der Parteien; yy Identifizierung der wesentlichen und für das Verständnis der Entscheidung unverzichtbaren Teile des Schiedsspruchs; 146 

So verfährt u. a. das Schiedsgericht der Handelskammer Mailand.



VII. Zusammenfassung

323

yy Anonymisierung der prozessualen Entscheidungsteile; yy Anonymisierung der materiellrechtlichen Entscheidungsteile; yy Abschließende Lektüre; Kontrolle der Nichtidentifizierbarkeit der Parteien. Um zu gewährleisten, dass die redigierte Entscheidung keine Hinweise auf die Identität der Parteien mehr enthält, sollte der Entscheidungstext vor der endgültigen Veröffentlichung den Parteien zur Kenntnisnahme zugeleitet werden.147 Die Parteien könnten die Institution auf diese Weise auf aus ihrer Sicht verbleibende Risiken hinweisen. Das Recht zur Letztentscheidung über den zu veröffentlichenden Entscheidungstext muss gleichwohl bei der Schiedsinstitution liegen, die auch die Verantwortung für das Verständnis und die präjudizielle Eignung der Entscheidung trägt.148

4.  Forum für die Veröffentlichung Abschließend kann fraglich sein, in welcher Form die anonymisierte Entscheidung veröffentlicht werden soll. Zum einen kann die veröffentlichende Schiedsinstitution die betreffenden Entscheidungen im Rahmen einer – ggf. themenspezifischen – „amtlichen Sammlung“ herausgeben, zum anderen ist auch eine Veröffentlichung in einer (kostenpflichtigen) Online-Datenbank mit entsprechenden Suchfunktionen möglich.149 Unter Reichweiten- und Kostengesichtspunkten dürfte die letztgenannte Möglichkeit Vorteile bieten, die gegenwärtige Veröffentlichungspraxis der Schiedsinstitutionen zeigt jedoch, dass offenbar auch ein Markt für gedruckte Spruchsammlungen besteht.

VII. Zusammenfassung Wenngleich keine Rechtspflicht zur Veröffentlichung von Schiedssprüchen besteht, stellt die Veröffentlichung schiedsrichterlicher Entscheidungen im Interesse der Normbildung eine Aufgabe von erheblicher Bedeutung für das weitere Schicksal der (internationalen) Schiedsgerichtsbarkeit dar. Eine solche Veröffentlichungspraxis muss, um einzelfallübergreifende Wirkung entfalten zu können, im Sinne einer „großen Lösung“ ein Einsichtsrecht nicht nur für die unmittelbaren Verfahrensbeteiligten, sondern für die gesamte interessierte Öffentlichkeit gewährleisten. Aus rechtlichen und praktischen Erwägungen er147 

So auch Karton, 28 Arbitration International 447, 479 (2012). Ähnlich Karton, 28 Arbitration International 447, 448, 477, 480 (2012), der die Letztentscheidung über die Veröffentlichung allerdings dem Schiedsgericht überlassen möchte. 149  Mit Blick auf das Ziel der allgemeinen Zugänglichkeit sollte eine Online-Datenbank entweder kostenfrei sein oder zumindest nur geringe Gebühren erheben, vgl. Karton, 28 Arbitration International 447, 480 f. (2012); Jolivet, 22 Arbitration International 265, 272 (2006). 148 

324

Kapitel 2: Überlegungen zu einer systematischen Veröffentlichung

scheint insoweit eine Veröffentlichungszuständigkeit der Schiedsinstitutionen sinnvoll, die sich auf der Grundlage entsprechender schiedsordnungsrechtlicher Bestimmungen rechtlich mit überschaubarem Aufwand realisieren ließe. Mit Blick auf die Qualität und präjudizielle Eignung der zu veröffentlichenden Entscheidungen muss die Schiedsinstitution zudem das Recht besitzen, eine Auswahl der für eine Veröffentlichung geeigneten Entscheidungen vorzunehmen. Die Parteien eines Schiedsverfahrens sind berechtigt, der Veröffentlichung des hieraus hervorgehenden Schiedsspruchs binnen einer festgelegten Widerspruchsfrist übereinstimmend zu widersprechen; in diesem Fall hat die Veröffentlichung zu unterbleiben. Die Veröffentlichung darf mit Blick auf die berechtigten Interessen der Parteien nur in anonymisierter Form erfolgen, Art und Umfang der Anonymisierung sollten zur Sicherstellung einer gleichmäßigen Veröffentlichungspraxis in allgemeinverbindlichen Richtlinien nach dem Beispiel der Milan Guidelines niedergelegt werden. Zu anonymisieren sind neben der Identität der Verfahrensbeteiligten (mit Ausnahme der Schiedsrichter) auch Informationen zum Schiedsverfahren sowie Einzelheiten des streitgegenständlichen Sachverhalts. Für die Anonymisierung sollte, ebenso wie für das weitere Veröffentlichungsverfahren, aus administrativen Gründen die Schiedsinstitution zuständig sein. Ist eine effektive Anonymisierung der Identität der Parteien nicht möglich, muss entweder die Zustimmung der Parteien eingeholt oder von der Veröffentlichung abgesehen werden. Die Veröffentlichung des Schiedsspruchs kann wahlweise in physischer oder in elektronischer Form erfolgen. Das Veröffentlichungs- und Anonymisierungsverfahren sollte die nachfolgend dargestellten Schritte berücksichtigen: yy Zu Verfahrensbeginn schriftlicher Hinweis an die Parteien und das Schiedsgericht, dass die Schiedsinstitution vorbehaltlich eines übereinstimmenden Widerspruchs der Parteien zur anonymisierten Veröffentlichung des Schiedsspruchs berechtigt ist; ggf. Beifügung eines Informationsblatts einschließlich einer anonymisierten Musterentscheidung; yy Während des Verfahrens fortlaufende Betreuung der Parteien zu Fragen im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des Schiedsspruchs; yy Erlass des Schiedsspruchs durch das Schiedsgericht und Mitteilung an die Schiedsinstitution; yy Übersendung des Schiedsspruchs an die Parteien mit schriftlichem Hinweis auf die Möglichkeit einer Veröffentlichung durch die Schiedsinstitution, soweit der Veröffentlichung nicht übereinstimmend binnen der einschlägigen Widerspruchsfrist widersprochen wurde; yy Nach Ablauf der Widerspruchsfrist endgültige Entscheidung der Schiedsinstitution (Sekretariat/Auswahlausschuss/case managers) über die Veröffentlichung;



VII. Zusammenfassung

325

yy Anonymisierung des Schiedsspruchs durch die Schiedsinstitution anhand interner Richtlinien, soweit nicht effektiv möglich, muss Zustimmung der Parteien eingeholt oder von der Veröffentlichung abgesehen werden; yy Übersendung der anonymisierten Fassung an die Parteien zur Kenntnisnahme und ggf. für ergänzende Anonymisierungsvorschläge; yy Erstellung der endgültigen Publikationsfassung unter Berücksichtigung eventueller Hinweise der Parteien; yy Zeitnahe physische oder elektronische Veröffentlichung des Schiedsspruchs. Zumindest für den Regelfall des administrierten Verfahrens bestehen damit sinnvolle Möglichkeiten zu einer systematischen Veröffentlichung von Schiedssprüchen, die ihrerseits zur Normbildung beitragen und damit Rechtssicherheit, Vorhersehbarkeit und Legitimität des Schiedsverfahrens herstellen und fördern kann.

Kapitel 3

Zusammenfassung der Ergebnisse Die Schiedsgerichtsbarkeit hat ihre erhebliche und weiter zunehmende Bedeutung noch nicht zum Anlass genommen, mit Blick auf die Rechtsentwicklung selbständig Impulse zu setzen. Ihr normatives Potential bleibt gegenwärtig weitgehend ungenutzt. Ungeachtet ihrer dominierenden Stellung im internationalen Handelsverkehr, die nicht zuletzt dazu geführt hat, dass bestimmte Typen von Rechtsstreitigkeiten in der Praxis fast nur noch durch Schiedsgerichte entschieden werden, beharrt die Schiedsgerichtsbarkeit in weiten Teilen auf einem Vertraulichkeitsverständnis, dass die Veröffentlichung von Schiedssprüchen als prinzipiell bedrohlich und systemfremd ansieht. In besonderem Maße gilt dies für die Handelsschiedsgerichtsbarkeit. Zur Rechtfertigung verweisen die Befürworter einer umfassenden Vertraulichkeit im Schiedsverfahren überwiegend auf die diesbezüglichen Wünsche und Erwartungen der Parteien. Ob diese strikte Haltung tatsächlich stets im Interesse der Parteien liegt, darf bezweifelt werden. Dies gilt umso mehr, als die Bedeutung, die die Vertraulichkeit des Verfahrens für die Parteien tatsächlich besitzt, nach den wenigen vorhandenen empirischen Untersuchungen zu dieser Frage weitgehend unklar ist. Es liegt nahe, dass diese Frage nicht pauschal, sondern nur mit Blick auf den Einzelfall, unter Berücksichtigung der Besonderheiten des streitgegenständlichen Rechtsverhältnisses und der darauf beruhenden Interessenlage der Parteien, beantwortet werden kann. Selbst wenn die Parteien im Einzelfall besonderen Wert auf die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens legen sollten, so ist keineswegs gesagt, dass sie damit gleichzeitig bewusst die Nachteile in Kauf nehmen wollen, die mit der vertraulichen Durchführung des Schiedsverfahrens notwendigerweise verbunden sind. Zu den Nachteilen, die mit der Verlagerung ganzer Rechtsbereiche in die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens verbunden sind, gehört vor allem der Verlust an Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit, der sich sowohl im Vorfeld möglicher Auseinandersetzungen als auch in deren Verlauf auswirkt. Die Unzugänglichkeit weiter Teile der schiedsgerichtlichen Entscheidungspraxis verhindert die Kenntnisnahme von dieser Praxis durch Schiedsrichter, Parteivertreter und Parteien und trägt auf diese Weise zu der zunehmend beklagten „Unberechenbarkeit“ schiedsrichterlicher Entscheidungen bei. Es drängt sich auf, dass die verhaltenssteuernden Wirkungen, die mit der Kenntnis einer bestimmten Entscheidungspraxis verbunden sind, und die insbesondere eine



Kapitel 3: Zusammenfassung der Ergebnisse 

327

realistische Einschätzung der eigenen rechtlichen Position ermöglichen, unter solchen Bedingungen nicht eintreten können. Normbildung und Rechtsentwicklung kommen als Folge dieser Entwicklungen zum Erliegen oder werden einseitig verzerrt. Letztlich leiden unter den gegenwärtig vorherrschenden Bedingungen auch die Legitimität und Akzeptanz des Schiedsverfahrens als Konfliktlösungsmechanismus. Die vorliegende Arbeit plädiert deshalb im Interesse der Normbildung sowie im Interesse der Schiedsgerichtsbarkeit selbst für eine größere Entscheidungstransparenz in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit und versucht in diesem Zusammenhang, praktische Umsetzungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Der erste Teil der Arbeit zeigt, dass die Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens ein ebenso komplexes wie umstrittenes Konzept darstellt. Eine allgemeine Rechtsregel, wonach das Schiedsverfahren vertraulich sein soll, existiert nicht. Selbst die wenigen Jurisdiktionen, die eine solche Regel anerkennen, formulieren hierzu eine Vielzahl von Ausnahmen, deren sachliche und persönliche Reichweite ihrerseits umstritten ist. Ausnahmen vom Vertraulichkeitsgrundsatz werden sowohl hinsichtlich der legitimen Interessen der Parteien selbst als auch hinsichtlich konkurrierender öffentlicher Interessen, z. B. mit Blick auf gesetzliche oder gerichtliche Offenlegungspflichten, gemacht. Das gilt – aufgrund seiner Doppelnatur als gleichermaßen privates wie öffentliches Dokument – in besonderer Weise für den Schiedsspruch. Die kategorische Ablehnung der Veröffentlichung von Schiedssprüchen unter Verweis auf die Existenz einer vermeintlich allgemein geltenden Vertraulichkeitspflicht kann deshalb nicht überzeugen. Letztlich kann die Frage nach der Zulässigkeit der Veröffentlichung von Schiedssprüchen nur im Wege einer einzelfallbezogenen Abwägung, die sowohl die Vertraulichkeitsinteressen der Parteien als auch das Kenntnisnahmeinteresse der weiteren Öffentlichkeit berücksichtigt, beantwortet werden. Zwar ist es denkbar, dass die Parteien aus verfahrenstaktischen Gründen ein Interesse an der Verhinderung der Veröffentlichung schiedsgerichtlicher Entscheidungen besitzen können, dieses Interesse ist gegenüber dem Kenntnisnahmeinteresse der Öffentlichkeit aber nicht per se vorrangig. Der zweite Teil der Arbeit belegt, dass eine Normbildung durch Präjudizien in der Schiedsgerichtsbarkeit unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist. Schiedsgerichte sind zur Normbildung befugt und – angesichts der Lückenhaftigkeit der maßgeblichen Rechtsvorschriften – häufig auch berufen. Vor allem mit Blick auf die maßgeblichen prozessualen Vorschriften ist ein rechtskonkretisierendes Tätigwerden auch erforderlich, weil diese nicht (mehr) Gegenstand der Rechtsprechungstätigkeit staatlicher Gerichte sind. Eine Normbildung durch Präjudizien in der Schiedsgerichtsbarkeit setzt jedoch dreierlei voraus: Eine allgemeine Zugänglichkeit schiedsrichterlicher Entscheidungen, gerichtlich nicht oder nur eingeschränkt überprüfbare Entscheidungsfreiräume des Schiedsgerichts sowie die Gewährleistung einer hinreichenden Kohärenz

328

Kapitel 3: Zusammenfassung der Ergebnisse

der Entscheidungspraxis. Während die Autonomie der schiedsrichterlichen Entscheidungstätigkeit durch die begrenzte Überprüfbarkeit von Schiedssprüchen durch staatliche Gerichte sowie durch die Möglichkeit, den Rechtsstreit auf der Grundlage von transnationalen Rechtsgrundsätzen, wie beispielsweise den UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, zu entscheiden gewährleistet wird, bedarf die Herstellung von Entscheidungskohärenz in der Schiedsgerichtsbarkeit größerer Anstrengungen. Im Bereich der staatlichen Gerichtsbarkeit wird die Einheitlichkeit der Rechtsprechung vor allem durch ein System institutionalisierter und durch formalisierte Hierarchien instanziell organisierter Spruchkörper gewährleistet, die ihrerseits durch Rechtsmittel- und Vorlagezuständigkeiten verbunden sind. Die einzelfallübergreifende Bedeutung einer Entscheidung hängt wesentlich von der Stellung des entscheidenden Spruchkörpers in diesem System ab, wobei hinsichtlich der präjudiziellen Wirkungen einer Entscheidung in der Praxis nur geringe Unterschiede zwischen angelsächsisch geprägten Rechtssystemen mit rechtlicher Präjudizienbindung (stare decisis) und kontinentaleuropäisch geprägten Rechtssystemen mit faktischer Präjudizienbindung bestehen. Dagegen entscheiden die von den Parteien zur Entscheidung eines spezifischen Rechtsstreits berufenen Schiedsgerichte stets formal unabhängig. Die präjudizielle Wirkung ihrer Entscheidungen wird nicht durch ein System institutioneller Hierarchien bestimmt. Bis auf wenige Ausnahmen, beispielsweise in der Sportschiedsgerichtsbarkeit oder im Verfahren vor dem WTO Appellate Body, ist eine Überprüfung der Entscheidung des Schiedsgerichts durch eine Berufungsinstanz, die auch rechtsvereinheitlichende Funktionen übernehmen könnte, nicht vorgesehen. Ungeachtet dieser Unterschiede ist auch in der Schiedsgerichtsbarkeit die Entwicklung einer kohärenten Entscheidungspraxis möglich. Anders als im Bereich der staatlichen Gerichtsbarkeit wird diese Einheitlichkeit jedoch nicht durch institutionelle Hierarchien, sondern durch weitgehend unsichtbare „weiche“, aber gleichwohl wirksame Faktoren bestimmt. Zentrale Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Selbstverständnis der Schiedsrichterschaft und der daraus folgenden Interpretation ihrer Rolle als Streitentscheider zu. Dieses Selbstverständnis ist gegenwärtig im Wandel begriffen. Wenngleich manche Kommentatoren noch die Auffassung vertreten, die Aufgabe des Schiedsgerichts liege allein in der Entscheidung des ihm vorliegenden Rechtsstreits, zeigt die vorhandene Spruchpraxis, dass Schiedsrichter zunehmend die systemische Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit und die damit verbundenen Anforderungen an ihr Amt in den Blick nehmen. Hier sind es insbesondere die Parteien, die eine an rechtsstaatlichen Grundsätzen, und damit an den Maximen der Rechtssicherheit und der Vorhersehbarkeit orientierte Entscheidungspraxis erwarten. Zu dieser Stabilisierung von Verhaltenserwartungen kann die Schiedsgerichtsbarkeit aber nur dann einen Beitrag leisten, wenn sie neben der Entscheidung des konkreten Einzelfalls auch die übergeordnete Entwicklung der



Kapitel 3: Zusammenfassung der Ergebnisse 

329

Spruchpraxis in den Blick nimmt. Neben mehr Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit kann die Berücksichtigung der Entscheidungen anderer Spruchkörper aber auch zu Effizienzgewinnen führen, die insbesondere mit dem Konzept der Begründungslast verbunden sind. Diese Figur, die auch in der staatlichen Gerichtsbarkeit existiert, erlaubt es dem Schiedsgericht, sich die vorhandenen Lösungsansätze anderer Schiedsgerichte zunutze zu machen und mit dem Verweis auf ihre sachliche Überzeugungskraft auch der eigenen Entscheidung zugrunde zu legen. Die nachweisbare Vereinheitlichung der schiedsgerichtlichen Spruchpraxis wird ferner auch durch entscheidungspsychologische Dispositionen, insbesondere durch die mit einer Berücksichtigung der Entscheidungen anderer Spruchkörper verbundene Verteilung und Abschichtung von Verantwortung, begünstigt. Dazu trägt auch die Tatsache bei, dass die Schiedsgerichtsbarkeit als Streitentscheidungssystem und insbesondere der Prozess der Schiedsrichterbenennung marktförmigen Bedingungen folgen. Schiedsrichter, die ausgeprägte Mindermeinungen vertreten, können damit die Chance späterer Berufungen mindern. Umgekehrt kann ein Schiedsrichter durch die Bezugnahme auf die Entscheidungen anderer Spruchkörper fachliche Expertise demonstrieren und sich für künftige Berufungen empfehlen. Dass diese Mechanismen in der Praxis wirksam sind und ungeachtet des Fehlens institutioneller Hierarchien zu einer Vereinheitlichung der Spruchpraxis beitragen können, zeigt eine Vielzahl von Beispielen aus der Investitions-, Sport-, Domainnamen- und Handelsschiedsgerichtsbarkeit. Bestehende Unterschiede in der jeweiligen Entscheidungspraxis sind weniger der prinzipiellen Unfähigkeit der Schiedsgerichtsbarkeit zur Herstellung von Entscheidungskohärenz, als vielmehr der in vielen Fällen immer noch geringen Entscheidungspublizität geschuldet. Die mit einer umfassenden Entscheidungstransparenz und der damit einhergehenden Entstehung einer schiedsgerichtlichen „Rechtsprechung“ verbundenen Vorteile sind vielfältig. Bereits im Vorfeld eines Verfahrens verschafft die öffentliche Verfügbarkeit einer schiedsgerichtlichen Spruchpraxis den Parteien und ihren anwaltlichen Vertretern die Möglichkeit, die Erfolgsaussichten eines Verfahrens verlässlich einzuschätzen und kann auf diese Weise einen Beitrag zur präventiven Konfliktvermeidung leisten. Im Verfahren selbst kann eine größere Entscheidungstransparenz aus Sicht der Parteien Ungleichgewichte bei der Ernennung der Schiedsrichter ausgleichen, Missbräuchen und nachlässiger Amtsführung auf Seiten des Schiedsgerichts entgegenwirken und insbesondere weniger erfahrenen one-shot players eine Möglichkeit zur gleichberechtigten Teilnahme am Verfahren geben. Schließlich kann eine öffentlich verfügbare Spruchpraxis auch der Aus- und Fortbildung von Schiedsrichtern und Parteivertretern dienen, die wissenschaftliche Diskussion und Aufarbeitung offener Fragen fördern und insgesamt für Zeit- und Kostenvorteile sorgen. Aus einer übergeordneten Perspektive fördert die Publizität der Spruchpraxis Rechtssicherheit

330

Kapitel 3: Zusammenfassung der Ergebnisse

und Vorhersehbarkeit und kann auf diese Weise nicht zuletzt zur Steigerung der Legitimität des Schiedsverfahrens beitragen. Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten kann die Publizität eines Entscheidungsbestands als Nachweis für die allgemeine Qualität der Spruchpraxis dienen und den Schiedsinstitutionen insoweit als Mittel der Außendarstellung und als Alleinstellungsmerkmal dienen. Im Ergebnis deuten sowohl der öffentlich verfügbare Entscheidungsbestand als auch Stellungnahmen aus Wissenschaft und Schiedspraxis darauf hin, dass die Entstehung einer „Rechtsprechung“, die unter anderem normbildende Funktionen wahrnehmen kann, auch in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit möglich ist. Unabdingbare Voraussetzung einer solchen Praxis bleibt jedoch eine umfassende Entscheidungstransparenz. Der abschließende dritte Teil der Arbeit untersucht die Möglichkeiten einer systematischen Veröffentlichung von Schiedssprüchen in Deutschland. Ein empirischer Vergleich zeigt, dass in der Schiedsgerichtsbarkeit eine deutlich geringere Entscheidungstransparenz als in der deutschen staatlichen Gerichtsbarkeit herrscht. Nur wenige Schiedsinstitutionen publizieren regelmäßig schiedsrichterliche Entscheidungen, speziell in der Handelsschiedsgerichtsbarkeit kommt es in der Regel allenfalls zu sporadischen Veröffentlichungen. Wenngleich keine Rechtspflicht zur Veröffentlichung schiedsgerichtlicher Entscheidungen besteht, ist die systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen aus den im zweiten Teil der Arbeit dargestellten Gründen sinnvoll. Soll die Veröffentlichung von Schiedssprüchen auch normbildende Funktionen übernehmen, so reicht es allerdings nicht aus, allein den unmittelbar Verfahrensbeteiligten im Sinne einer „kleinen Lösung“ Zugang zu schiedsrichterlichen Entscheidungen zu gewähren. Die Fortentwicklung des Rechts erfordert vielmehr die Herstellung einer übergreifenden Öffentlichkeit im Sinne einer „großen Lösung“. Nur unter den Bedingungen einer umfassenden und systematischen Entscheidungspublizität ist mit der Entstehung einer kohärenten Spruchpraxis zu rechnen, die Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Schiedsgerichtsbarkeit ist. Sinnvoll lässt sich eine solche Veröffentlichungsregelung im Rahmen von Schiedsordnungen verankern. Den Schiedsinstitutionen sollte auch die Zuständigkeit für die Veröffentlichung zukommen. Eine solche Veröffentlichungspraxis muss, um normbildende Funktionen wahrnehmen zu können, hinreichend repräsentativ sein und aus diesem Grunde danach streben, möglichst viele Entscheidungen zu veröffentlichen. Gleichwohl sollten die Schiedsinstitutionen eine Vorauswahl der zu veröffentlichenden Entscheidungen treffen, um evident uninteressante oder aus sonstigen Gründen ungeeignete Entscheidungen vorab aussortieren zu können. Damit die Repräsentativität der veröffentlichten Spruchpraxis gewährleistet bleibt, sollte dieses Auswahlrecht jedoch zurückhaltend ausgeübt werden. Die sachgerechte Vornahme der Auswahl setzt ihrerseits Kenntnisse der institutionellen Spruchpraxis voraus. Aus diesen Gründen



Kapitel 3: Zusammenfassung der Ergebnisse 

331

erscheint es sinnvoll, die Auswahlentscheidung dem Sekretariat der Schiedsinstitution oder, falls vorhanden, entsprechenden case managers oder einem Auswahlausschuss zu überlassen. Von erheblicher Bedeutung ist im Weiteren die Frage, wer über die Veröffentlichung des Schiedsspruchs entscheiden soll. Der das Schiedsverfahren legitimierende und prägende Grundsatz der Parteiautonomie legt nahe, dass diese Entscheidung nicht ohne eine Beteiligung der Parteien gefällt werden sollte. Gleichwohl bestehen im Rahmen der Ausgestaltung des Zustimmungsverfahrens verschiedene Möglichkeiten, neben den Interessen der Parteien auch das parallele Interesse der Öffentlichkeit an der prinzipiellen Verfügbarkeit schiedsgerichtlicher Entscheidungen zu berücksichtigen. Würde man die Veröffentlichung der Entscheidung von einer vorab zu erklärenden ausdrücklichen Zustimmung der Schiedsparteien abhängig machen, so besteht die Gefahr, dass die Parteien aus Unkenntnis oder Desinteresse hinsichtlich der Chancen und Risiken einer solchen Veröffentlichung die Zustimmung verweigern, wenngleich hierfür keine überzeugenden Gründe existieren. Die vorliegende Arbeit vertritt demgegenüber den Ansatz, dass den gegenläufigen Interessen am sinnvollsten im Rahmen einer Widerspruchslösung Rechnung getragen werden kann. Danach ist die Veröffentlichung des Schiedsspruchs zulässig, wenn nicht binnen einer festgelegten Frist ein Widerspruch erfolgt. Während diejenigen Schiedsordnungen, die bereits eine solche Widerspruchslösung vorsehen, insoweit den Widerspruch einer der Parteien ausreichen lassen, plädiert die vorliegende Arbeit mit Blick auf die vertragsrechtlichen Grundlagen des Schiedsverfahrens für eine kollektive Widerspruchslösung, nach der die Veröffentlichung der Entscheidung nur dann unterbleibt, wenn alle Parteien übereinstimmend der Veröffentlichung widersprechen. Die mit einer solchen kollektiven Widerspruchslösung bezweckte Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses trägt im Sinne der praktischen Konkordanz sowohl dem Mitbestimmungsrecht der Parteien als auch einem möglichen rationalen Desinteresse hinsichtlich der Veröffentlichung der betreffenden Entscheidung Rechnung und führt auf diese Weise zu einem sachgerechten Interessenausgleich. Die Veröffentlichung selbst sollte in anonymisierter Form erfolgen. Zu diesem Zweck sind die Schiedsinstitutionen gehalten, allgemeine Richtlinien zu den inhaltlichen Einzelheiten der Anonymisierung und dem dabei zu beachtenden Verfahren zu entwerfen. Die Guidelines des Schiedsgerichts der Handelskammer Mailand bilden insoweit einen tauglichen Anknüpfungspunkt. Die effektive Anonymisierung der zu veröffentlichenden Entscheidung ist für den Erfolg einer systematischen Publikationspraxis von entscheidender Bedeutung. Nur wenn die effektive Anonymisierung der Entscheidung sichergestellt ist, werden die berechtigten Interessen der Parteien auch im Falle der Veröffentlichung gewahrt. Angesichts der mit der Anonymisierung verbundenen Personal- und Kostenaufwands sollte die Anonymisierung zweckmäßigerweise

332

Kapitel 3: Zusammenfassung der Ergebnisse

durch die Schiedsinstitutionen erfolgen, die über die erforderlichen administrativen Ressourcen verfügen oder solche zumindest mit vertretbarem Aufwand schaffen können. Mit Blick auf die mit einer Anonymisierung verbundenen zusätzlichen Kosten spricht zuletzt vieles für eine Veröffentlichung der Entscheidungen in durchsuchbaren Online-Datenbanken. Die systematische Veröffentlichung von Schiedssprüchen erfordert, neben dem damit verbundenen administrativen Mehraufwand, vor allem ein Umdenken hinsichtlich des Verhältnisses von Vertraulichkeit und Öffentlichkeit im Schiedsverfahren. Gegenwärtig wird dieses Spannungsverhältnis in vielen Fällen noch einseitig zugunsten der Vertraulichkeit aufgelöst. Diese Haltung ist weder dogmatisch überzeugend, noch ist sie der weiteren Entwicklung der Schiedsgerichtsbarkeit förderlich. Das Beispiel der Investitionsschiedsgerichtsbarkeit zeigt, dass eine größere Verfahrens- und Entscheidungstransparenz letztlich allen Beteiligten zugute kommt: Den Schiedsrichtern, die sich an bewährten Standards orientieren und zu deren Entwicklung beitragen können, den Parteivertretern und Parteien, die vor und während des Verfahrens von einer größeren Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit profitieren und nicht zuletzt auch den Schiedsinstitutionen, die auf diese Weise Vertrauen schaffen und unter Beweis stellen können, dass das Schiedsverfahren rechtsstaatlichen Maßstäben genügt. Schiedsverfahren finden nicht im luftleeren Raum statt. Der Schiedsgerichtsbarkeit kommt angesichts ihrer zunehmenden Bedeutung die Pflicht zu, im Interesse der Parteien und der Öffentlichkeit und nicht zuletzt auch in ihrem eigenen Interesse Aufklärungsarbeit zu leisten. Die systematische Veröffentlichung schiedsgerichtlicher Entscheidungen kann hierzu einen bedeutenden Beitrag leisten, den Ausgangspunkt für weitere empirische Untersuchungen zur Entscheidungspraxis bilden und dazu beitragen, das Bild der Schiedsgerichtsbarkeit präziser zu zeichnen, als dies gegenwärtig der Fall ist.1 Das Beharren auf einer umfassenden Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens, die in dieser Form weder rechtlich noch tatsächlich existiert, kann es nicht. Den Schiedsinstitutionen kommt die Aufgabe zu, den notwendigen Mentalitätswandel einzuleiten und sich proaktiv für eine größere Transparenz im Schiedsverfahren einzusetzen. Zu Recht bemerkte das Schiedsgericht im Andersen-Schiedsverfahren zur Frage der Transparenz in der Schiedsgerichtsbarkeit bereits im Jahre 1994: “Indeed, claims of confidentiality have, on the whole, done more harm than good. The arbitral institutions must lead the way in this respect and not timidly serve the wishes of their customers.”2 1 Auf das (immer noch) weitgehende Fehlen empirischen Datenmaterials zur schiedsgerichtlichen Spruchpraxis weisen auch McIlwrath/Schroeder, in: Transparency, 2013, S. 87, 88 und Drahozal, 67 Law & Contemporary Problems 105, 131, dort Fn. 162 (2004) hin. 2  10 American Review of International Arbitration 437 (1994).



Kapitel 3: Zusammenfassung der Ergebnisse 

333

Ohne Zweifel ist der mit einer systematischen Veröffentlichung schiedsrichterlicher Entscheidungen verbundene Paradigmenwechsel mit vielfältigen Herausforderungen und nicht zuletzt auch mit höheren Kosten verbunden. Es sprechen jedoch gute Gründe dafür, dass dieser Mehraufwand im Vergleich mit den materiellen und immateriellen Folgekosten des strikten Festhaltens an einer überkommenen Vertraulichkeitsdogmatik die sinnvollere Lösung darstellt. Die Geheimhaltung und die Intransparenz, die gegenwärtig noch weite Teile der Handelsschiedsgerichtsbarkeit prägen, begünstigen Ungleichgewichte, Vertrauensverlust und Stillstand. Die Ungleichzeitigkeit von tatsächlicher und rechtlicher Entwicklung, die damit zwangsläufig verbunden ist, gereicht letztlich weder der Schiedsgerichtsbarkeit noch der Öffentlichkeit zum Vorteil. Ihren beredtesten Ausdruck hat diese Erkenntnis in der berühmten Mahnung von Lord Denning gefunden, der sich mit Blick auf den Gegenstand der Untersuchung auch die vorliegende Arbeit anschließen möchte: “If we never do anything which has not been done before, we shall never get anywhere. The law will stand still whilst the rest of the world goes on: and that will be bad for both.”3

3 

Packer v. Packer [1953] 2 All ER 127, 129.

Literaturverzeichnis Aden, Menno: Die Nichtöffentlichkeit des Schiedsverfahrens. Verstoß gegen ein prozessuales Grundrecht? in: Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht (DZWiR) 2012, S. 360–363. Aden, Menno: Verfahrensverstoß durch fehlerhafte Rechtsanwendung im Schiedsverfahren, in: Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht (DZWiR) 2011, S. 400–403. Aden, Menno: Die Anwendung materiellen Rechts durch den Schiedsrichter, in: Recht der internationalen Wirtschaft (RIW) 1984, S. 934–938. Adolphsen, Jens: Europäisches Zivilverfahrensrecht, 2. Auflage, Berlin 2015. Ahlberg, Hartwig/Götting, Horst-Peter: Beck’scher Online-Kommentar Urheberrecht, Edition: 8, München 2015. Albrecht, Friedrich: Veröffentlichung von Gerichtsentscheidungen, in: Computer und Recht (CR) 1998, S. 373–377. Aldrich, George H.: The Jurisprudence of the Iran-United States Claims Tribunal, Oxford 1996. Alexy, Robert/Dreier, Ralf: Statutory Interpretation in the Federal Republic of Germany, in: MacCormick, Neil/Summers, Robert S. (Hg.), Interpreting Statutes, S. 73–122, Aldershot 1991. Alford, Roger P.: The American Influence on International Arbitration, in: 19 Ohio State Journal on Dispute Resolution, S. 69–88 (2003). Ashenfelter, Orley C.: Arbitrator Behavior, in: 77 American Economic Review, S. 342– 346 (1987). Azzali, Stefano: Balancing Confidentiality and Transparency, in: Malatesta, Alberto/Sali, Rinaldo (Hg.), The Rise of Transparency in International Arbitration, xix–xxxii, New York 2013. Bagner, Hans: Confidentiality – A Fundamental Principle in International Commercial Arbitration? in: 18 Journal of International Arbitration, S. 243–249 (2001). Baldwin, Charles S.: Protecting Confidential and Proprietary Commercial Information in International Arbitration, in: 31 Texas International Law Journal, S. 451–494 (1996). Bamberger, Heinz Georg/Roth, Herbert: Beck’scher Online-Kommentar BGB, Edition: 35, München 2015. Bartels, Axel: Geheimnisverrat des Dissenters im schiedsrichterlichen Verfahren? in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2014, S. 133–137. Baur, Fritz/Grunsky, Wolfgang: Wege zu einem europäischen Zivilprozessrecht: Tübinger Symposium zum 80. Geburtstag von Fritz Baur, Tübingen 1992. Bentolila, Dolores: Hacia una jurisprudencia arbitral en el arbitraje internacional de inversiones, in: Anuario Mexicano de Derecho Internacional (Décimo Aniversario) 2012, S. 373–420.

336

Literaturverzeichnis

Berger, Bernhard: Notification and Deposit, Publication, Confidentiality and Preserva­ tion of the File, in: Tercier, Pierre (Hg.), Post Award Issues, S. 75–92, New York 2012. Berger, Klaus Peter: Die (fehlende) Bindung des Schiedsrichters an die höchstrichterliche Rechtsprechung, in: Ebke, Werner F. et al. (Hg.), Festschrift für Siegfried H. Elsing zum 65. Geburtstag, S. 15–27, Frankfurt am Main 2015. Berger, Klaus Peter: Herausforderungen für die (deutsche) Schiedsgerichtsbarkeit, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2009, S. 289–299. Berger, Klaus Peter: Die Ergänzenden Regeln für Beschleunigte Verfahren der Deutschen Institution für Schiedsgerichtsbarkeit, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2008, S. 105–110. Berger, Klaus Peter: International Arbitral Practice and the UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts, in: 46 American Journal of Comparative Law, S. 129–150 (1998). Berger, Klaus Peter: Formalisierte oder “schleichende“ Kodifizierung des transnationalen Wirtschaftsrechts, Berlin 1996. Berger, Klaus Peter: The International Arbitrators’ Application of Precedents, in: 9 Journal of International Arbitration, S. 5–22 (1992). Berger, Klaus Peter: Internationale Wirtschaftsschiedsgerichtsbarkeit. Verfahrensund materiellrechtliche Grundprobleme im Spiegel moderner Schiedsgesetze und Schiedspraxis, Berlin 1992. Bersagel, Annie: Is There A Stare Decisis Doctrine in the Court of Arbitration for Sport? An Analysis of Published Awards for Anti-Doping Disputes in Track and Field, in: 12 Pepperdine Dispute Resolution Law Journal, S. 189–213 (2012). Bhala, Raj: The Power of the Past: Towards De Jure Stare Decisis in WTO Adjudication, in: 33 George Washington International Law Review, S. 873–978 (2001). Bhala, Raj: The Precedent Setters: De Facto Stare Decisis in WTO Adjudication, in: 9 Journal of Transnational Law & Policy, S. 1–151 (1999). Bingham, Lisa B.: On Repeat Players, Adhesive Contracts and the Use of Statistics in Judicial Review of Employment Arbitration Awards, in: 29 McGeorge Law Review, S. 223–259 (1997). Bjorklund, Andrea K.: Investment Treaty Arbitral Decisions as Jurisprudence Constante, in: Picker, Colin B. (Hg.), International Economic Law, S. 265–280, Oxford 2008. Blackaby, Nigel: Public Interest and Investment Treaty Arbitration, in: van den Berg, Albert Jan (Hg.), International Commercial Arbitration. Important Contemporary Questions, S. 355–365, Den Haag 2003. Blackaby, Nigel / Partasides, Constantine: Redfern and Hunter on International Arbitration, 5. Auflage, Oxford 2009. Blackshaw, Ian S.: Sport, Mediation and Arbitration, Berlin 2010. Bogdandy, Armin von/Venzke, Ingo: On the Democratic Legitimation of International Judicial Lawmaking, in: 12 German Law Journal, S. 1341–1370 (2011). Bohne, Michael: Die Informationsfreiheit und der Anspruch von Datenbankbetreibern auf Zugang zu Gerichtsentscheidungen, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2007, S. 656–660. Borris, Christian: Die UNCITRAL-Schiedsregeln in der Praxis des Iran-United States Claims Tribunal, in: 2 Jahrbuch für die Praxis der Schiedsgerichtsbarkeit, S. 3–22 (1988). Böckstiegel, Karl-Heinz: Introductory Remarks, in: Gaillard, Emmanuel/Banifatemi, Yas (Hg.), Precedent in International Arbitration, S. 15–24, New York 2008.

Literaturverzeichnis

337

Böckstiegel, Karl-Heinz: Vorwort und Einführung, in: Böckstiegel, Karl-Heinz (Hg.), Rechtsfortbildung durch Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 1–4, Köln 1989. Böckstiegel, Karl-Heinz/Kröll, Stefan M./Nacimiento, Patricia: General Overview, in: Arbitration in Germany: The Model Law in Practice, 2. Auflage, S. 3–50, Alphen aan den Rijn 2015. Born, Gary B.: International Arbitration: Cases and Materials, Alphen aan den Rijn 2011. Born, Gary B.: International Commercial Arbitration, Austin 2009. Bredow, Jens: Aus dem Tagebuch einer Schiedsgerichtsinstitution, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2009, S. 22–26. Bredow, Jens: Das neue 10. Buch der ZPO, in: Betriebs-Berater (BB) 1998, Beilage Nr. 2, S. 2. Brocker, Lars: Rechtsprechungsänderung und Vertrauensschutz. Staatsfunktionengerechte Auslegung des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2012, S. 2996–3001. Brower, Charles N./Brueschke, Jason D.: The Iran-United States Claims Tribunal, Den Haag 1998. Brown, Alexis C.: Presumption Meets Reality: An Exploration of the Confidentiality Obligation in International Commercial Arbitration, in: 16 American University International Law Review, S. 969–1025 (2001). Brunet, Edward: Questioning the Quality of Alternative Dispute Resolution, in: 62 Tulane Law Review, S. 1–56 (1987). Buck-Heeb, Petra/Dieckmann, Andreas: Selbstregulierung im Privatrecht, Tübingen 2010. Büchting, Hans-Ulrich/Heussen, Benno: Beck’sches Rechtsanwalts-Handbuch, 10. Auflage, München 2011. Burn, George/Pearsall, Alison: Exceptions to Confidentiality in International Arbitration, in: ICC Bulletin Special Supplement: Confidentiality in Arbitration, S. 23–35, Paris 2009. Buxbaum, Richard M.: Introduction, in: 4 International Tax & Business Lawyer, S. 205– 208 (1986). Buys, Cindy G.: The Tensions between Confidentiality and Transparency in International Arbitration, in: 14 American Review of International Arbitration, S. 121–138 (2003). Calliess, Gralf-Peter: Der Richter im Zivilprozess – Sind ZPO und GVG noch zeitgemäß? in: Verhandlungen des 70. Deutschen Juristentages, Band I, A1–A111, München 2014. Calliess, Gralf-Peter: Grenzüberschreitende Verbraucherverträge. Rechtssicherheit und Gerechtigkeit auf dem elektronischen Weltmarktplatz, Tübingen 2006. Carbonneau, Thomas E.: Arbitral Law-Making, in: 25 Michigan Journal of International Law, S. 1183–1208 (2004). Carbonneau, Thomas E.: Rendering Arbitral Awards With Reasons: The Elaboration of a Common Law of International Transactions, in: 23 Columbia Journal of Transnational Law, S. 579–614 (1985). Carbonneau, Thomas E.: Arbitral Adjudication: A Comparative Assessment of Its Remedial and Substantive Status in Transnational Commerce, in: 19 Texas International Law Journal, S. 33–114 (1984). Carlevaris, Andrea: Confidentiality in ICC Arbitration, in: Malatesta, Alberto/Sali, Rinaldo (Hg.), The Rise of Transparency in International Arbitration, S. 123–136, New York 2013.

338

Literaturverzeichnis

Cheng, Tai-Heng: Precedent and Control in Investment Treaty Arbitration, in: 30 Fordham International Law Journal, S. 1014–1049 (2007). Cheng, Tai-Heng: Power, Authority and International Investment Law, in: 20 American University International Law Review, S. 465–520 (2005). Chua, Adrian T.: Precedent and Principles of WTO Panel Jurisprudence, in: 16 Berkeley Journal of International Law, S. 171–195 (1998). Chua, Adrian T.: The Precedential Effect of WTO Panel and Appellate Body Reports in: 11 Leiden Journal of International Law, S. 45–61 (1998). Coe, Jack J. Jr.: Transparency in the Resolution of Investor-State Disputes – Adoption, Adaptation and NAFTA Leadership, in: 54 University of Kansas Law Review, S. 1339–1385 (2006). Coe, Jack J. Jr.: The Tribunal’s Transparency Features: Some Observations, in: Drahozal, Christopher R./Gibson, Christopher S. (Hg.), The Iran-U. S. Claims Tribunal at 25: The Cases Everyone Needs to Know for Investor-State & International Arbitration, S. 119–134, Oxford 2006. Cohen-Smutny, Abby/Young, Kristen M.: Confidentiality in Relation to States, in: ICC Bulletin Special Supplement: Confidentiality in Arbitration, S. 73–79, Paris 2009. Coing, Helmut: Zur Ermittlung von Sätzen des Richterrechts, in: Juristische Schulung (JuS) 1975, S. 277–283. Coing, Helmut: Materielles Recht und Verfahrensrecht in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, Frankfurt am Main 1972. Collins, Michael: Privacy and Confidentiality in Arbitration Proceedings, in: 11 Arbitration International, S. 321–336 (1995). Commission, Jeffery P.: Precedent in Investment Treaty Arbitration. A Citation Analysis of a Developing Jurisprudence, in: 24 Journal of International Arbitration, S. 129–158 (2007). Commission, Jeffery P.: Precedent in Investment Treaty Arbitration. The Empirical Backing, in: 2 Transnational Dispute Management, S. 1–7 (2007). Comoglio, Paolo/Roncarolo, Chiara: Presenting the Guidelines for the Publication of Arbitral Awards: Aiming to the Circulation of a Solid Arbitral Case Law, in: Malatesta, Alberto/Sali, Rinaldo (Hg.), The Rise of Transparency in International Arbitration, S. 1–26, New York 2013. Coppo, Benedetta: Confidentiality in the Arbitration Rules of the Milan Chamber, in: Malatesta, Alberto/Sali, Rinaldo (Hg.), The Rise of Transparency in International Arbitration, S. 137–153, New York 2013. Cortés Diéguez, Juan Pablo: An Analysis of the UDRP Experience: Is It Time for Reform? in: 24 Computer Law & Security Report, S. 349–359 (2008). Craig, W. Lawrence/Park, William W./Paulsson, Jan: International Chamber of Commerce Arbitration, 3. Auflage, Dobbs Ferry 2000. Cremades, Bernardo M.: The Impact of International Arbitration on the Development of Business Law, in: 31 American Journal of Comparative Law, S. 526–534 (1983). Cremades, Bernardo M. / Plehn, Steven L.: The New Lex Mercatoria and the Harmonization of the Laws of International Commercial Transactions, in: 2 Boston University International Law Review, S. 317–348 (1984). Crookenden, Simon: Who Should Decide Arbitration Confidentiality Issues? in: 25 Arbitration International, S. 603–613 (2009). Cuniberti, Gilles: Three Theories of Lex Mercatoria, in: 52 Columbia Journal of Transnational Law, S. 369–434 (2014).

Literaturverzeichnis

339

Curtin, Kenneth-Michael: Redefining Public Policy in International Arbitration of Mandatory National Laws, in: 64 Defense Counsel Journal, S. 271–284 (1997). Demaine, Linda J./Hensler, Deborah R.: “Volunteering”; to Arbitrate Through Predispute Arbitration Clauses: The Average Consumer’s Experience, in: 67 Law & Contemporary Problems, S. 55–74 (2003). Demuth, Alexander: 10. Petersberger Schiedstage “M&A und Schiedsverfahren“, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2012, S. 271–276. Denoix de Saint Marc, Valéry: Confidentiality of Arbitration and the Obligation to Dis­ close Information on Listed Companies or During Due Diligence Investigations, in: 20 Journal of International Arbitration, S. 211–216 (2003). Derains, Yves: Evidence and Confidentiality, in: ICC Bulletin Special Supplement: Confidentiality in Arbitration, S. 57–71, Paris 2009. Derains, Yves: Chronique des sentences arbitrales, in: Journal du droit international (Clunet) 1981, S. 913–914. Derains, Yves/Schwartz, Eric A.: A Guide to the ICC Rules of Arbitration, 2. Auflage, Den Haag 2005. Diedrich, Frank: Präjudizien im Zivilrecht, Hamburg 2004. Dimolitsa, Antonias: Institutional Rules and National Regimes Relating to the Obligation of Confidentiality on Parties in Arbitration, in: ICC Bulletin Special Supplement: Confidentiality in Arbitration, S. 5–22, Paris 2009. Douglas, Zachary: Can a Doctrine of Precedent Be Justified in Investment Treaty Arbitration? in: 25 ICSID Review, S. 104–110 (2010). Dragich, Martha J.: Will the Federal Courts of Appeal Perish If They Publish? Or does the Declining Use of Opinions to Explain and Justify Judicial Decisions Pose a Greater Threat? in: 44 American University Law Review, S. 757–802 (1995). Drahozal, Christopher R.: Is Arbitration Lawless? in: 40 Loyola of Los Angeles Law Review, S. 187–216 (2007). Drahozal, Christopher R.: A Behavioral Analysis of Private Judging, in: 67 Law & Contemporary Problems, S. 105–132 (2004). Drahozal, Christopher R.: Of Rabbits and Rhinoceri: A Survey of Empirical Research on International Commercial Arbitration, in: 20 Journal of International Arbitration, S. 23–34 (2003). Drahozal, Christopher R.: Commercial Norms, Commercial Codes and International Commercial Arbitration, in: 33 Vanderbilt Journal of Transnational Law, S. 79–146 (2000). Dumberry, Patrick: The Fair and Equitable Treatment Standard: A Guide To NAFTA Case Law on Article 1105, Den Haag 2013. Dumberry, Patrick: The NAFTA Investment Dispute Settlement Mechanism – A Review of the Latest Case-Law, in: 2 Journal of World Trade Law, S. 151–195 (2001). Duprey, Pierre: Do Arbitral Awards Constitute Precedents? Should Commercial Arbitration Be Distinguished in this Regard from Arbitration Based on Investment Treaties? in: Gaillard, Emmanuel (Hg.), Towards a Uniform International Arbitration Law? S. 251–291, New York 2005. Duve, Christian/Keller, Moritz: Privatisierung der Justiz – Bleibt die Rechtsfortbildung auf der Strecke? Ein Beitrag zur Auflösung des Spannungsverhältnisses von Privatautonomie und Rechtsfortbildung in der Schiedsgerichtsbarkeit, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2005, S. 169–178.

340

Literaturverzeichnis

Effer-Uhe, Daniel Oliver: Die Bindungswirkung von Präjudizien. Eine Untersuchung aus dem Blickwinkel von Prinzipientheorie und Fuzzy-Logik, Göttingen 2008. Egonu, Mabel I.: Investor-State Arbitration Under ICSID: A Case for Presumption Against Confidentiality? in: 24 Journal of International Arbitration, S. 479–489 (2007). Ehricke, Ulrich: Softwareverträge und internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Computer und Recht (CR) 1989, S. 665–670. Elsing, Siegfried: Streitverkündung und Schiedsverfahren, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2004, S. 88–94. Epping, Volker/Hillgruber, Christian: Beck’scher Online-Kommentar GG, Edition: 24, München 2015. Esser, Josef: Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung. Rationalitätsgrundlagen richterlicher Entscheidungspraxis, Frankfurt am Main 1972. Esser, Josef: Richterrecht, Gerichtsgebrauch und Gewohnheitsrecht, in: Esser, Josef/ Thieme, Hans (Hg.), Festschrift für Fritz von Hippel zum 70. Geburtstag, S. 95–130, Tübingen 1967. Euler, Dimitrij/Gehring, Markus/Scherer, Maxi: Transparency in International Investment Arbitration., A Guide to the UNCITRAL Rules on Transparency in, Treaty-Based Investor-State Arbitration, Cambridge 2015. Fauchald, Ole Kristian: The Legal Reasoning of ICSID Tribunals – An Empirical Analysis, in: 19 European Journal of International Law, S. 301–364 (2008). Fernández-Armesto, Juan: The Time Has Come: A Plea for Abandoning Secrecy in Arbitration, in: Cahiers de l’Arbitrage 2012, S. 583–588. Fikentscher, Wolfgang: Die Bedeutung von Präjudizien im heutigen deutschen Privatrecht, in: Blaurock, Uwe (Hg.), Die Bedeutung von Präjudizien im deutschen und französischen Recht, S. 11–23, Frankfurt am Main 1985. Fischer, Detlev: Amtliche Leitsätze und Entscheidungssammlungen – Ein Überblick an Hand der Entwicklung im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit, in: Juristische Schulung (JuS) 1995, S. 654–657. Fischer, Thomas/Eschelbach, Ralf/Krehl, Christoph: Das Zehn-Augen-Prinzip – Zur revisionsgerichtlichen Beschlusspraxis in Strafsachen, in: Der Strafverteidiger (StV) 2013, S. 395–402. Fischer, Kristian/Fluck, Jürgen: Informationsfreiheit versus Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2013, S. 337–341. Fischer-Lescano, Andreas / Teubner, Gunther: Regime-Kollisionen. Zur Fragmentierung des globalen Rechts, Frankfurt am Main 2006. Fortier, L. Yves : The Occasionally Unwarranted Assumption of Confidentiality, in: 15 Arbitration International, S. 131–140 (1999). Franck, Susan D.: The Role of International Arbitrators, in: 12 ILSA Journal of International and Comparative Law, S. 499–521 (2006). Franck, Susan D.: The Legitimacy Crisis in Investment Treaty Arbitration: Privatizing International Public Law Through Inconsistent Decisions, in: 73 Fordham Law Review, S. 1521–1625 (2005). Franz, Einiko B./Keune, Christina: Schiedsvereinbarungen in Rückversicherungsverträgen – Fragen des Schiedsverfahrensrechts und des materiellen Rückversicherungsrechts, in: Zeitschrift für Versicherungsrecht (VersR) 2013, S. 12–23. Franzen, Franz: “Parteischiedsrichter“ – Ein vermeidbarer Mangel der Praxis, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1986, S. 299–302.

Literaturverzeichnis

341

Fröhlingsdorf, Josef: Reform des spanischen Gesetzes zur Schiedsgerichtsbarkeit, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2011, S. 174–179. Fry, James D.: Regularity Through Reason: A Foundation of Virtue for International Arbitration, in: 4 Contemporary Asia Arbitration Journal, S. 57–94 (2011). Fuchs, Christian Otmar: Einschränkungen der Dispositionsmaxime in der Revisionsinstanz: Werden alle Ziele erreicht? in: Juristenzeitung (JZ) 2013, S. 990–994. Fuller, Lon: The Morality of Law, 2. Auflage, New Haven 1969. Gaillard, Emmanuel: Transnational Law: A Legal System Or a Method of DecisionMaking? in: Berger, Klaus Peter (Hg.), The Practice of Transnational Law, S. 53–65, Den Haag 2002. Gaillard, Emmanuel/Savage, John: Fouchard, Gaillard, Goldman on International, Commercial Arbitration, Alphen aan den Rijn 1999. Gal, Jens: Die Haftung des Schiedsrichters in der internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit, Tübingen 2009. Galanter, Marc: Why the “Haves” Come Out Ahead: Speculations on the Limits of Legal Change, in: 9 Law & Society Law Review, S. 95–160 (1974). Gantz, David A.: The Evolution of FTA Investment Provisions: From NAFTA to the United States – Chile Free Trade Agreement, in: 19 American University International Law Review, S. 679–767 (2004). Geimer, Reinhold: Schiedsgerichtsbarkeit und Verfassung (aus deutscher Sicht), in: Schlosser, Peter F. (Hg.), Integritätsprobleme im Umfeld der Justiz, S. 113–199, Bielefeld 1994. Getman, Julius G.: Labor Arbitration and Dispute Resolution, in: 88 Yale Law Journal, S. 916–949 (1979). Gibbons, Llewellyn Joseph: Private Law, Public “Justice”: Another Look at Privacy, Arbitration and Global E-Commerce, in: 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution, S. 769–793 (2000). Gibson, Christopher S./Drahozal, Christopher R.: Iran-United States Claims Tribunal Precedent in Investor-State Arbitration, in: 23 Journal of International Arbitration, S. 521–546 (2006). Gill, Judith: Is There A Special Role for Precedent in Investment Arbitration? in: 25 ICSID Review, S. 87–94 (2010). Ginsburg, Tom: The Culture of Arbitration, in: 36 Vanderbilt Journal of Transnational Law, S. 1335–1345 (2003). Gleiss, Alfred/Helm, Horst: Beratungsgeheimnis im Schiedsgerichtsverfahren, in: Monatsschrift des deutschen Rechts (MDR) 1969, S. 93–95. Goette, Wulf: Gesellschaftsrechtliche Schiedsverfahren: Erfolg zulasten der Gerichte? in: Anwaltsblatt (AnwBl) 2012, S. 33–34. Götz, Andreas: Der Schiedsrichter zwischen Dienstleistungserbringung und Richtertätigkeit – Zum sogenannten Spruchrichterprivileg im System der Schiedsrichterhaftung, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2012, S. 311–317. Goldman, Berthold: La lex mercatoria dans les contrats et l’arbitrage internationaux: réalité et perspectives, in: Journal du droit international (Clunet) 1979, S. 475–505. Gordon, Randy D.: Only One Kick at the Cat: A Contextual Rubric for Evaluating Res Judicata and Collateral Estoppel in International Commercial Arbitration, in: 18 Florida Journal of International Law, S. 549–596 (2006).

342

Literaturverzeichnis

Griebel, Jörn / Kim, Yun-I: Zwischen Aufbruch, Stillstand und Rückschritt – Überlegungen zur Zukunft des internationalen Investitionsrechts, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2007, S. 186–195. Grobecker, Wolfgang: Implied Term of Mutual Trust and Confidence – Treu und Glauben im englischen Arbeitsvertragsrecht, Entscheidung des House of Lords vom 12. Juni 1997, in: Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (ZEuP) 2000, S. 125–139. Grobecker, Wolfgang: Implied terms und Treu und Glauben, Berlin 1999. Gruner, Dora Marta: Accounting for the Public Interest in International Arbitration: The Need for Procedural and Structural Reform, in: 41 Columbia Journal of Transnational Law, S. 923–964 (2003). Gu, Weixia Confidentiality Revisited: Blessing or Curse in International Commercial Arbitration? in: 15 American Review of International Arbitration, S. 607–637 (2004). Günther, Klaus: Einschränkungen der Erhebung von Dokumentenbeweisen aufgrund von Vertraulichkeit und Geschäftsgeheimnissen, in: Berger, Klaus Peter (Hg.), Festschrift für Otto Sandrock zum 70. Geburtstag, S. 341–356, Heidelberg 2000. Guillaume, Gilbert: The Use of Precedent by International Judges and Arbitrators, in: 2 Journal of International Dispute Settlement, S. 5–23 (2011). Haas, Ulrich: Internationale Sportschiedsgerichtsbarkeit und EMRK, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2009, S. 73–84. Haas, Ulrich/Kahlert, Heiner: Privacy and Confidentiality, in: Arbitration in Germany: The Model Law in Practice, 2. Auflage, S. 963–980., Alphen aan den Rijn 2015. Habersack, Mathias: Anmerkung zu BGH, Urt. v. 19. 7. 2004, Az. II ZR 65/03, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2004, S. 261–262. Haller, Heiko A.: Protection of Business Secrets by Way of Protective Orders, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2013, S. 135–140. Haller, Heiko A.: Vorlagepflicht von Schiedsrichterakten im staatlichen Überprüfungsverfahren, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2011, S. 179–183. Haller, Robert: Der „Rechtsweg“ zum EuGH, in: Juristische Schulung (JuS) 1996, S. 209–213. Hamilton, Calvin A./Maestre de Robles, Carlos: Update: Confidentiality in Arbitration, An Issue for Personal Privacy, in: 24 Mealey’s International Arbitration Report, S. 18–20 (2009). Haupt, Heiko: (Kein) Steuergeheimnis nach dem Finanzgerichtsprozess? in: Deutsches Steuerrecht (DStR) 2014, S. 1025–1031. Haverkate, Görg: Untaugliche Warnung vor dem Richterrecht, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 1976, S. 88–91. Heermann, Peter W.: Freiwilligkeit von Schiedsvereinbarungen in der Sportgerichtsbarkeit, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2014, S. 66–79. Helbing, Günter: Das neue spanische Schiedsverfahrensrecht, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2004, S. 148–152. Helfer, Laurence R./Dinwoodie, Graeme B.: Designing Non-National Systems: The Case of the Uniform Domain Name Dispute Resolution Policy, in: 43 William and Mary Law Review, S. 141–274 (2001). Henninger, Thomas: Europäisches Privatrecht und Methode. Entwurf einer rechtsvergleichend gewonnenen juristischen Methodenlehre, Tübingen 2009. Hirsch, Günter: Schiedsgerichte – ein Offenbarungseid für die staatlichen Gerichte? in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2003, S. 49–52.

Literaturverzeichnis

343

Hirte, Heribert: Mitteilung und Publikation von Gerichtsentscheidungen. Zum Spannungsverhältnis von Persönlichkeitsschutz und Interessen der Öffentlichkeit, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1988, S. 1698–1705. Hobeck, Paul: Flucht aus der deutschen Gerichtsbarkeit bei wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten – warum? in: Deutsche Richterzeitung (DRiZ) 2005, S. 177–180. Hobeck, Paul/Stubbe, Christian: Genese einer Schiedsklausel, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2003, S. 15–23. Hobér, Kaj/Foerster, Alexander: Die neue Schiedsordnung 2007 des Schiedsgerichts-, instituts der Stockholmer Handelskammer, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2007, S. 207–212. Hoffmann, Bernd von: Schiedsgerichtsbarkeit in mehrstufigen Vertragsbeziehungen, insbesondere in Subunternehmerverträgen, in: Böckstiegel, Karl-Heinz/Berger, Klaus Peter/Bredow, Jens (Hg.), Die Beteiligung Dritter am Schiedsverfahren, S. 131–150, Köln 2005. Hoffmann, Bernd von: Grundsätzliches zur Anwendung der „lex mercatoria“ durch internationale Schiedsgerichte, in: Musielak, Hans-Joachim (Hg.), Festschrift für Gerhard Kegel zum 75. Geburtstag, S. 215–233, Stuttgart 1987. Hoffmann, Bernd von: „Lex mercatoria“ vor internationalen Schiedsgerichten, in: Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts (IPrax) 1984, S. 106–108. Hoffmann, Hermann: Kammern für internationale Handelssachen, Baden-Baden 2011. Hoffmann, Hermann: Schiedsgerichte als Gewinner der Globalisierung? Eine empirische Analyse zur Bedeutung staatlicher und privater Gerichtsbarkeit für den internationalen Handel, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2010, S. 96–101. Hoffmann, Hermann: Rechtsfortbildung im internationalen Wirtschaftsrecht – Ein Plädoyer für die Einrichtung von Kammern für internationale Handelssachen, in: Deutsche Richterzeitung (DRiZ) 2009, S. 329–331. Hoffmann, Hermann/Maurer, Andreas: Entstaatlichung der Justiz. Empirische Belege zum Bedeutungsverlust staatlicher Gerichte für internationale Wirtschaftsstreitigkeiten, in: Zeitschrift für Rechtssoziologie (ZfRS) 2010, S. 279–302. Holtzmann, Howard M./Neuhaus, Joseph E.: A Guide to the UNCITRAL Model Law on International, Commercial Arbitration, Boston 1994. Horvath, Günther/Wilske, Stephan/Nettlau, Harry/Leinwather, Niamh: Categories of Guerilla Tactics, in: Horvath, Günther/Wilske, Stephan (Hg.), Guerilla Tactics in International Arbitration, S. 3–16, Alphen aan den Rijn 2013. Huff, Martin W. Die Veröffentlichungspflicht der Gerichte, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1997, S. 2651–2653. Huff, Martin W.: Blickwinkel – Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen, in: Monatsschrift des deutschen Rechts (MDR) 1997, R 1. Hwang, Michael/Chung, Katie: Defining the Indefinable: Practical Problems of Confidentiality in Arbitration, in: 27 Journal of International Arbitration, S. 609–645 (2009). Hwang, Michael/Chung, Katie: Protecting Confidentiality and Its Exceptions: The Way Forward? in: ICC Bulletin Special Supplement: Confidentiality in Arbitration, S. 39–55, Paris 2009. Hwang, Michael/Thio, Nicholas: A Proposed Model Procedural Order on Confidentiality in International Arbitration: A Comprehensive and Self-Governing Code, in: 29 Journal of International Arbitration, S. 137–169 (2012). International Chamber of Commerce: Guide to ICC Arbitration, Paris 1994

344

Literaturverzeichnis

Jacob, Marc A.: Precedents and Case-Based Reasoning in the European Court of Justice. Unfinished Business, Cambridge 2014. Jacob, Marc A. : Precedents: Lawmaking Through International Adjudication, in: 12 German Law Journal, S. 1005–1032 (2011). James, Philip S.: Introduction to English Law, 4. Auflage, London 1959. Jauernig, Othmar: Bürgerliches Gesetzbuch mit Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz. Kommentar, 15. Auflage, München 2014. Jauernig, Othmar: Dürfen Prozeßbeteiligte in veröffentlichten Zivilentscheidungen namentlich genannt werden? in: Bettermann, Karl August (Hg.), Festschrift für Eduard Bötticher zum 70. Geburtstag, S. 219–242, Berlin 1969. Jayme, Erik: Richterliche Rechtsfortbildung im Internationalen Privatrecht, in: Richterliche Rechtsfortbildung. Erscheinungsformen, Auftrag und Grenzen – Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, S. 567–597, Heidelberg 1986. Jessup, Philip C.: Transnational Law, New Haven 1956. Jestaedt, Matthias: Grundrechtsentfaltung im Gesetz. Studien zur Interdependenz von Grundrechtsdogmatik und Rechtsgewinnungstheorie, Tübingen 1999. Johnson, Jennifer J./Brunet, Edward: Substantive Fairness in Securities Arbitration, in: 76 University of Cincinnatti Law Review, S. 459–492 (2008). Jolivet, Emmanuel: Access to Information and Awards, in: 22 Arbitration International, S. 265–274 (2006). Kahneman, Daniel/Knetsch, Jack L./Thaler, Richard H.: Anomalies: The Endowment Effect, Loss Aversion and Status Quo Bias, in: 5 Journal of Economic Perspectives, S. 193–206 (1991). Kalven, Harry Jr./Rosenfield, Maurice: The Contemporary Function of the Class Suit, in: 8 University of Chicago Law Review, S. 684–721 (1941). Kaplan, Neil: The Hong Kong Arbitration Ordinance: Some Features and Recent Amendments, in: 1 American Review of International Arbitration, S. 25–36 (1990). Karton, Joshua: A Conflict of Interests: Seeking a Way Forward on Publication of International Arbitral Awards, in: 28 Arbitration International, S. 447–486 (2012). Katzenmeier, Christian: Zivilprozeß und außergerichtliche Streitbeilegung, in: Zeitschrift für Zivilprozess (ZZP) 115 (2002), S. 51–91. Kaufmann-Kohler, Gabrielle: Is Consistency A Myth? in: Gaillard, Emmanuel/Banifatemi, Yas (Hg.), Precedent in International Arbitration, S. 137–147, New York 2008. Kaufmann-Kohler, Gabrielle: Arbitral Precedent: Dream, Necessity or Excuse? in: 23 Arbitration International, S. 357–378 (2007). Kaufmann-Kohler, Gabrielle/Schultz, Thomas: Online Dispute Resolution: Challenges for, Contemporary Justice, Den Haag 2004. Keller, Daniel: Die Akteneinsicht Dritter zu Forschungszwecken, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2004, S. 413–414. Keßler, Heinrich: 25 Jahre Bundesgerichtshof, in: Deutsche Richterzeitung (DRiZ) 1975, S. 294–314. Kinnear, Meg/Obadia, Eloise/Gagain, Michael: The ICSID Approach to Publication of Information in Investor-State Arbitration, in: Malatesta, Alberto/Sali, Rinaldo (Hg.), The Rise of Transparency in International Arbitration, S. 107–122, New York 2013. Knapp, Charles L.: Taking Contracts Private: The Quiet Revolution in Contract Law, in: 71 Fordham Law Review, S. 761–798 (2003).

Literaturverzeichnis

345

Knerr, Gerhard: Die Namensnennung bei der Publikation gerichtlicher Entscheidungen, in: JurPC, Web-Dok. 73/2004, Abs. 1–54, abrufbar unter http://www.jurpc.de/jurpc/ show?id=20040073. Köhler, Helmut: Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Unternehmen der öffentlichen Hand, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2005, S. 2337–2341. König, Valériane: Präzedenzwirkung internationaler Schiedssprüche. Dogmatisch-empirische Analysen zur Handels- und Investitionsschiedsgerichtsbarkeit, Berlin 2013. Kouris, Steven: Confidentiality: Is Arbitration Losing One of Its Major Benefits? in: 22 Journal of International Arbitration, S. 127–140 (2005). Kramer, Ernst A.: Juristische Methodenlehre, Bern 1998. Kramer, Helmut: Informationskrise des Rechts und Veröffentlichungspraxis, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 1976, S. 84–89. Kratky Doré, Laurie: Public Courts versus Private Justice: It’s Time to Let Some Sun Shine in on Alternative Dispute Resolution, in: 81 Chicago-Kent Law Review, S. 463–520 (2006). Krebs, Peter: Die Begründungslast, in: Archiv für die civilistische Praxis (AcP) 195 (1995), S. 171–211. Krebs, Peter/Becker, Maximilian: Entstehung und Abänderbarkeit von Gewohnheitsrecht, in: Juristische Schulung (JuS) 2013, S. 97–104. Kriele, Martin: Normbildung durch Präjudizien, in: Oelmüller, Willi (Hg.), Normen und Geschichte, S. 24–39, Paderborn 1979. Kriele, Martin: Theorie der Rechtsgewinnung, Berlin 1967. Kropholler, Jan: Internationales Einheitsrecht, Tübingen 1975. Krüger, Wolfgang/Rauscher, Thomas: Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, Bde. 1–3, 4. Auflage, München 2012/2013. Kühn, Wolfgang/Gantenberg, Ulrike: Confidentiality in Arbitration, in: Festschrift für Peter Schlosser zum 70. Geburtstag, S. 461–476, Tübingen 2005. Kuntz, Wolfgang: Quantität gerichtlicher Entscheidungen als Qualitätskriterium juristischer Datenbanken, in: JurPC, Web-Dok. 12/2006, Abs. 1–58, abrufbar unter http:// www.jurpc.de/jurpc/show?id=20060012. Kurz, Peter: Vertraulichkeitsvereinbarungen, 3. Auflage, Köln 2013. Lachmann, Jens-Peter: Handbuch für die Schiedsgerichtspraxis, 3. Auflage, Köln 2008. Lachmann, Jens-Peter: Klippen für die Schiedsvereinbarung, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2003, S. 28–33. Landes, William M./Posner, Richard A.: Adjudication As A Private Good, in: 8 Journal of Legal Studies, S. 235–284 (1979). Langenbucher, Katja: Die Entwicklung und Auslegung von Richterrecht. Eine methodologische Untersuchung zur richterlichen Rechtsfortbildung im deutschen Zivilrecht, München 1996. Lando, Ole: Conflict-of-Law Rules for Arbitrators, in: Bernstein, Herbert/Drobnig, Ulrich/Kötz, Heinrich (Hg.), Festschrift für Konrad Zweigert zum 70. Geburtstag, S. 157–178, Tübingen 1981. Larenz, Karl: Über die Bindungswirkung von Präjudizien, in: Walter, Hans (Hg.), Festschrift für Hans Schima, S. 247–264, Wien 1969. Larenz, Karl/Canaris, Claus-Wilhelm: Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Auflage, Berlin 1995.

346

Literaturverzeichnis

Lazareff, Serge: Confidentiality and Arbitration: Theoretical and Philosophical Reflections, in: ICC Bulletin Special Supplement: Confidentiality in Arbitration, S. 81–93, Paris 2009. Leahy, Edward R./Bianchi, Carlos J.: The Changing Face of International Arbitration, in: 17 Journal of International Arbitration, S. 19–62 (2000). Lederman, Leandra: Precedent Lost: Why Encourage Settlement, And Why Permit Non-Party Involvement in Settlements? in: 75 Notre Dame Law Review, S. 221–269 (1999). Legum, Barton: The Definition of “Precedent”; in International Arbitration, in: Gaillard, Emmanuel/Banifatemi, Yas (Hg.), Precedent in International Arbitration, S. 5–14, New York 2008. Leisinger, Christian M.: Vertraulichkeit in internationalen Schiedsverfahren, BadenBaden 2012. Leistner, Georg: Über die Veröffentlichungspraxis oberster und höherer Gerichte in Westeuropa, Tübingen 1975. Lew, Julian D. M.: Expert Report in Esso/BHP v. Plowman, in: 11 Arbitration International, S. 283–293 (1995). Lew, Julian D. M.: The Case for the Publication of Arbitration Awards, in: Schultsz, Jan C./van den Berg, Albert Jan (Hg.), Liber Amicorum Pieter Sanders, S. 223–232, Deventer 1982. Lew, Julian D. M./Mistelis, Loukas A./Kröll, Stefan M.: Comparative International Commercial Arbitration, Alphen aan den Rijn 2003. Lionnet, Klaus/Lionnet, Annette: Handbuch der internationalen und nationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 3. Auflage, Stuttgart 2005. Lo, Chang-Fa: On a Balanced Mechanism of Publishing Arbitral Awards, in: 1 Contemporary Asia Arbitration Journal, S. 235–253 (2008). Löffler, Martin: Presserecht. Kommentar zu den deutschen Landespressegesetzen, 5. Auflage, München 2006. Lörcher, Torsten: ICSID-Schiedsgerichtsbarkeit, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2005, S. 11–21. Loquin, Eric: Les pouvoirs des arbitres internationaux à la lumière de l’évolution récente du droit de l’arbitrage international, in: Journal du droit international (Clunet) 1983, S. 293–345. Lotz, Burkhard: Der Sachverständige im Schiedsverfahren, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2011, S. 203–209. Lotz, Burkhard: Die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit des parteiernannten Schiedsrichters, in: Anwaltsblatt (AnwBl) 2002, S. 202–208. Ly, Filip de/Friedman, Mark W./Di Radicati Brozolo, Luca G.: International Law Association International Commercial, Arbitration Committee’s Report and Recommendations on ‘Ascertaining the Contents of the Applicable Law in International Commercial Arbitration’, in: 26 Arbitration International, S. 193–220 (2010). Mahlich, Thomas C.: Das neue deutsche Schiedsverfahrensrecht aus internationaler Sicht, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1998, S. 563–568. Malatesta, Alberto: Confidentiality in International Commercial Arbitration, in: Malatesta, Alberto/Sali, Rinaldo (Hg.), The Rise of Transparency in International Arbitration, S. 39–52, New York 2013.

Literaturverzeichnis

347

Mallmann, Otto: Das Spannungsverhältnis zwischen Justiz und Datenschutz – Ist der Datenschutz Sand im Getriebe der Justiz? in: Deutsche Richterzeitung (DRiZ) 1987, S. 377–381. Martens, Sebastian A. E.: Die Werte des Stare Decisis, in: Juristenzeitung (JZ) 2011, S. 348–356. Martha, Rutsel Silvestre J.: Precedent in World Trade Law, in: 44 Netherlands International Law Review, S. 346–377 (1997). Maultzsch, Felix: Streitentscheidung und Normbildung durch den Zivilprozess. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zum deutschen, englischen und US-amerikanischen Recht, Tübingen 2010. Maunz, Theodor/Dürig, Günther: Grundgesetz. Kommentar, 74. Ergänzungslieferung, München 2015. Maurer, Andreas: Lex Maritima. Grundzüge eines transnationalen Seehandelsrechts, Tübingen 2012. McConnaughay, Philip J.: The Risks and Virtues of Lawlessness: A “Second Look” at International Commercial Arbitration, in: 93 Northwestern University Law Review, S. 453–523 (1999). McIlwrath, Michael/Schroeder, Roland: Users Need More Transparency in International Arbitration, in: Malatesta, Alberto/Sali, Rinaldo (Hg.), The Rise of Transparency in International Arbitration, S. 87–106, New York 2013. Menkel-Meadow, Carrie: Do the “Haves” Come Out Ahead in Alternative Judicial Systems? Repeat Players in ADR, in: 15 Ohio State Journal on Dispute Resolution, S. 19–61 (1999). Mertens, Hans-Joachim: Das lex mercatoria-Problem, in: Böttcher, Reinhard (Hg.), Festschrift für Walter Odersky zum 65. Geburtstag, S. 857–872, Berlin 1996. Mistelis, Loukas A.: Confidentiality and Third Party Participation, in: 21 Arbitration International, S. 211–231 (2005). Mnookin, Robert N./Kornhauser, Lewis: Bargaining in the Shadow of the Law: The Case of Divorce, in: 88 Yale Law Journal, S. 950–997 (1979). Moehle von Hoffmannswaldau, Dietrich: Schiedssprüche in der rechtswissenschaftlichen Diskussion, in: Transportrecht (TranspR) 1990, S. 15. Mourre, Alexis: The Case for the Publication of Arbitral Awards, in: Malatesta, Alberto/ Sali, Rinaldo (Hg.), The Rise of Transparency in International Arbitration, S. 53–72, New York 2013. Mourre, Alexis: Precedent and Confidentiality in International Commercial Arbitration – The Case for the Publication of Arbitral Awards, in: Gaillard, Emmanuel/Banifatemi, Yas (Hg.), Precedent in International Arbitration, S. 39–65, New York 2008. Müller, Christoph: La confidentialité en arbitrage commercial international: Un trompe l’oeil? in: 23 ASA Bulletin, S. 216–240 (2005). Müller, Werner/Keilmann, Annette: Beteiligung am Schiedsverfahren wider Willen? in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2007, S. 113–121. Münzberg, Reinhard: Die Schranken der Parteivereinbarungen in der privaten internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, Berlin 1970. Musielak, Hans-Joachim: Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz, 12. Auflage, München 2015. Nacimiento, Patricia: Abschied von der Vertraulichkeit im Schiedsverfahren? Zum Urteil des schwedischen Högsta Domstolen vom 27. 10. 2000, in: Betriebs-Berater (BB) 2001, Beilage Nr. 6, S. 7–11.

348

Literaturverzeichnis

Nariman, Fali S.: International Commercial Arbitration – At the Crossroads, in: Briner, Robert/Fortier, L. Yves/Berger, Klaus Peter/Bredow, Jens (Hg.), Liber Amicorum Karl-Heinz Böckstiegel, S. 555–566, Köln 2001. Neill, Patrick: Confidentiality in Arbitration, in: 12 Arbitration International, S. 287–317 (1996). Nicholas, Geoff/Partasides, Constantine: LCIA Court Decisions on Challenges to Arbitrators: A Proposal to Publish, in: 23 Arbitration International, S. 1–42 (2007). Nicklisch, Fritz: Privatautonomie und Schiedsgerichtsbarkeit bei internationalen Bauverträgen, in: Recht der Internationalen Wirtschaft (RIW) 1991, S. 89–91. Nisja, Ola: Confidentiality and Public Access in Arbitration – The Norwegian Approach, in: International Arbitration Law Review 2008, S. 187–192. Norris, Amanda L./Metzidakis, Katina E.: Public Protests, Private Contracts: Confidentiality in ICSID Arbitration and the Cochabamba Water War, in: 15 Harvard Negotiation Law Review, S. 31–75 (2010). Noussia, Kyriaki: Confidentiality in International Commercial Arbitration. A Compara­ tive Analysis of the Position under English, US, German and French Law, Heidelberg 2010. Oldenstam, Robin/Pachelbel, Johann von: Confidentiality in Arbitration – A few reflections and practical notes, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2006, S. 31–36. Olzen, Dirk: Die Rechtswirkungen geänderter höchstrichterlicher Rechtsprechung in Zivilsachen, in: Juristenzeitung (JZ) 1985, S. 155–163. Ong, Colin Y. C.: Confidentiality of Arbitral Awards and the Advantage for Arbitral Institutions to Maintain a Repository of Awards, in: 1 Asian International Arbitration Journal, S. 169–180 (2005). Park, William W.: Arbitrators and Accuracy, in: 1 Journal of International Dispute Settle­ ment, S. 25–53 (2010). Park, William W.: Income Tax Treaty Arbitration, in: 10 George Mason Law Review, S. 803–874 (2002). Park, William W./Paulsson, Jan: The Binding Force of International Arbitral Awards, in: 23 Virginia Journal of International Law, S. 253–285 (1983). Partsch, Christoph: Der Auskunftsanspruch der Presse – Neujustierung durch das BVerwG, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2013, S. 2858–2862. Patil Woolhouse, Sarita: The Effect of an Arbitration Award on Subsequent Arbitration Between Different Parties – An English Law Perspective, in: 5 International Arbitration Law Review, S. 150–156 (2004). Paulsson, Jan: Avoiding Unintended Consequences, in: Sauvant, Karl P. (Hg.), Appeals Mechanism in International Investment Disputes, S. 241–265, New York/Oxford 2008. Paulsson, Jan: La lex mercatoria dans l’arbitrage CCI, in: Revue de l’arbitrage 1990, S. 55–100. Paulsson, Jan/Rawding, Nigel: The Trouble with Confidentiality, in: 11 Arbitration International, S. 303–320 (1995). Perret, Francois: Is There A Need for Consistency in International Commercial Arbitration? in: Gaillard, Emmanuel/Banifatemi, Yas (Hg.), Precedent in International Arbitration, S. 25–37, New York 2008. Perschbacher, Rex R. / Bassett, Debra Lyn: The End of Law, in: 84 Boston University Law Review, S. 1–63 (2004).

Literaturverzeichnis

349

Petersen, Donald J./Rezler, Julius: The Impact of Opinion 11 on the Publication of Arbitration Awards, in: Journal of Dispute Resolution 1986, S. 73–85. Pfaff, Dieter: Zum Problem der Veröffentlichung von Schiedssprüchen in der Internationalen Handels-Schiedsgerichtsbarkeit, in: Kipp, Heinrich (Hg.), Festschrift für Friedrich August Freiherr von der Heydte zur Vollendung des 70. Lebensjahres, S. 1127–1141, Berlin 1977. Pfeiffer, Thomas: Schall und Rauch im Entscheidungsdschungel (oder: Das Mitsubishi Pajero-Urteilsnamenslehrstück), in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1994, S. 2996–2998. Pfeiffer, Thomas: Internationale Zuständigkeit und prozessuale Gerechtigkeit: die internationale Zuständigkeit im Zivilprozess zwischen effektivem Rechtsschutz und nationaler Zuständigkeitspolitik, Frankfurt am Main 1994. Pilny, Karin L.: Präjudizienrecht im anglo-amerikanischen und im deutschen Recht: eine rechtsvergleichende und rechtsmethodologische Analyse unter besonderer Berücksichtigung des Verfassungsrechts, Baden-Baden 1993. Pocar, Fausto: Foreword, in: Malatesta, Alberto/Sali, Rinaldo (Hg.), The Rise of Transparency in International Arbitration, xv–xvii, New York 2013. Pörnbacher, Karl/Duncker, Philipp/Baur, Sebastian: Gaspreisanpassungs-Schiedsverfahren – Hintergründe und prozessuale Besonderheiten, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2012, S. 289–299. Posner, Richard A.: An Economic Analysis of the Use of Citations in the Law, in: 2 Ameri­can Law and Economics Review, S. 381–406 (2000). Prütting, Hanns: Die rechtliche Stellung des Schiedsrichters, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2011, S. 233–239. Prütting, Hanns: Vertraulichkeit in der Schiedsgerichtsbarkeit und in der Mediation, in: Briner, Robert/Fortier, L. Yves/Berger, Klaus Peter/Bredow, Jens (Hg.), Liber Amicorum Karl-Heinz Böckstiegel, S. 629–639, Köln 2001. Prütting, Hanns: Obligatorische Streitschlichtung im Zivilprozeß – Chancen und Probleme, in: Verhandlungen des 62. Deutschen Juristentages, Bd. II, O 11–O 35, München 1998. Prütting, Hanns: Zur Rechtsstellung des Schiedsrichters – dargestellt am richterlichen Beratungsgeheimnis, in: Gottwald, Peter/Prütting, Hanns (Hg.), Festschrift für Karl Heinz Schwab, S. 409–419, München 1990. Prütting, Hanns: Schlichten statt Richten? in: Juristenzeitung (JZ) 1985, S. 261–271. Rabe, Dieter: Vorteilsausgleichung im Zeitcharterrecht – Betrachtungen zum Hamburger Schiedsspruch vom 1. 6. 1989, in: Transportrecht (TranspR) 1989, S. 356–358. Raeschke-Kessler, Hilmar: Gesellschaftsrechtliche Schiedsverfahren und das Recht der EU, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2003, S. 145–154. Rau, Alan Scott: Integrity in Private Judging, in: 38 South Texas Law Review, S. 485–539 (1997). Rawding, Nigel/Seeger, Karolos: Aegis v. European Re and the Confidentiality of Arbitration Awards, in: 19 Arbitration International, S. 483–489 (2003). Raymond, Anjanette H.: Confidentiality in a Forum of Last Resort: Is the Use of Confidential Arbitration a Good Idea for Business and Society? in: 16 American Review of International Arbitration, S. 479–514 (2005). Redfern, Alan: Comments on Commercial Arbitration and Transnational Public Policy, in: van den Berg, Albert Jan (Hg.), ICCA Congress Series No. 13 (2006), S. 871–875, Den Haag 2007.

350

Literaturverzeichnis

Redfern, Alan/Hunter, Martin: Law and Practice of International Commercial, Arbitra­ tion, 4. Auflage, London 2004. Reed, Lucy: The De Facto Precedent Regime in Investment Arbitration: A Case for Proactive Case Management, in: 25 ICSID Review, S. 95–103 (2010). Rehbinder, Manfred: Zur Rechtsqualität des Richterspruchs im System kodifizierten Rechts, in: Juristische Schulung (JuS) 1991, S. 542–543. Rehnquist, William H.: A Jurist’s View of Arbitration, in: 32 Arbitration Journal, S. 1–7 (1977). Reilly, Louise: Introduction to the Court of Arbitration for Sport (CAS) and the Role of National Courts in International Sports Disputes, in: Journal of Dispute Resolution 2012, S. 63–81. Reinisch, August: The Role of Precedent in ICSID Arbitration, in: Austrian Arbitration Yearbook 2008, S. 495–510. Reisman, W. Michael: Law, International Public Policy (So-Called) and Arbitral Choice in International Commercial Arbitration, in: van den Berg, Albert Jan (Hg.), ICCA Congress Series No. 13 (2006), S. 849–856, Den Haag 2007. Reithmann, Christoph: Internationales Vertragsrecht: das internationale Privatrecht der Schuldverträge, 7. Auflage, Köln 2010. Renner, Moritz: Selbstgeschaffenes Recht der Wirtschaft? Öffentliche Interessen in privaten Rechtsregimes, in: Kritische Justiz (KJ) 2010, S. 66–73. Renner, Moritz: Towards A Hierarchy of Norms in Transnational Law? in: 26 Journal of International Arbitration, S. 533–555 (2009). Reuben, Richard C.: Confidentiality in Arbitration: Beyond the Myth, in: 54 University of Kansas Law Review, S. 1255–1300 (2006). Rheinstein, Max: Wer wacht über die Wächter? in: Juristische Schulung (JuS) 1974, 409–418. Ridgway, Delissa A.: International Arbitration: The Next Growth Industry, in: 54 Dispute Resolution Journal, S. 50–52 (1999). Rieder, Markus S./Schoenemann, Andreas: Korruptionsverdacht, Zivilprozess und Schiedsverfahren, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2011, S. 1169–1175. Risse, Jörg: Wehrt Euch endlich! Wider das Arbitration-Bashing, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2014, S. 265–274. Risse, Jörg/Oehm, Max: Vertraulichkeit und Nicht-Öffentlichkeit in Schiedsverfahren, in: Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft (ZVglRWiss) 114 (2015), S. 407–430. Risse, Jörg/Bach, Ivo: Wie frei muss Mediation sein? Von Politik, Ideologie, Gesetzgebern und Gerichten, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2011, S. 14– 20. Risse, Jörg/Frohloff, Jan: Schadensersatzansprüche nach einstweiligen Verfügungen in Schiedsverfahren, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2011, S. 239–248. Ritlewski, Kristoff: Die Lex Mercatoria in der schiedsgerichtlichen Praxis, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2007, S. 130–140. Ritz, Philipp: Privacy and Confidentiality Obligation on Parties in Arbitration under Swiss Law, in: 27 Journal of International Arbitration, S. 221–245 (2010). Ritz, Philipp Die Geheimhaltung im Schiedsverfahren nach schweizerischem Recht, Tübingen 2007. Rösler, Hannes: Präjudizienwirkungen im deutschen Zivilrecht, in: Zeitschrift für Zivilprozess (ZZP) 126 (2013), S. 295–333.

Literaturverzeichnis

351

Rogers, Catherine A.: Transparency in International Commercial Arbitration, in: 54 University of Kansas Law Review, S. 1301–1337 (2006). Rogers, Catherine A.: The Vocation of the International Arbitrator, in: 20 American University International Law Review, S. 957–1020 (2005). Rogers, Andrew/Miller, Duncan: Non-Confidential Arbitration Proceedings, in: 12 Arbitration International, S. 319–345 (1996). Rottleuthner, Hubert: Richterliches Handeln. Zur Kritik der juristischen Dogmatik, Frankfurt am Main 1973. Rottleuthner, Hubert: Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft, Frankfurt am Main 1973. Rüthers, Bernd/Fischer, Christian/Birk, Axel: Rechtstheorie mit Juristischer Methodenlehre, 7. Auflage, München 2013. Sachs, Klaus: Schiedsgerichtsverfahren über Unternehmenskaufverträge – unter besonderer Berücksichtigung kartellrechtlicher Aspekte, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2004, S. 123–129. Sachs, Klaus: Use of Documents and Document Discovery: “Fishing Expeditions” versus Transparency and Burden of Proof, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2003, S. 193–198. Sachs, Michael: Grundgesetz. Kommentar, 7. Auflage, München 2014. Säcker, Franz Jürgen/Rixecker, Roland: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch: BGBdürig, Bde. 2, 4, 5, 6. Auflage, München 2012/2013. Saenger, Ingo: Zivilprozessordnung. Handkommentar, 6. Auflage, Baden-Baden 2015. Sali, Rinaldo: Transparency and Confidentiality: How and Why to Publish Arbitration Decisions, in: Malatesta, Alberto/Sali, Rinaldo (Hg.), The Rise of Transparency in International Arbitration, S. 73–85, New York 2013. Sanders, Pieter: Quo Vadis Arbitration? Sixty Years of Arbitration Practice, A Comparative Study, Den Haag 1999. Sandrock, Otto: Ersatzansprüche geschädigter deutscher Inhaber von griechischen Staatsanleihen, in: Recht der internationalen Wirtschaft (RIW) 2012, S. 429–456. Sandrock, Otto: Die Fortbildung des materiellen Rechts durch die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Böckstiegel, Karl-Heinz (Hg.), Rechtsfortbildung durch Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 21–81, Köln 1989. Sawang, Judith: Geheimhaltung und rechtliches Gehör im Schiedsverfahren nach deutschem Recht, Tübingen 2009. Schäfer, Hans-Bernd: Kein Geld für die Justiz – Was ist uns der Rechtsfrieden wert? in: Deutsche Richterzeitung (DRiZ) 1995, S. 460–471. Schauer, Frederick: Precedent, in: 39 Stanford Law Review, S. 571–605 (1987). Scherer, Matthias: Acceleration of Arbitration Proceedings – The Swiss Way: The Expedited Procedure under the Swiss Rules of International Arbitration, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2005, S. 229–237. Schiffer, Jan K.: Sonderanknüpfung ausländischen „öffentlichen“ Rechts durch Richterrecht in der Internationalen Handelsschiedsgerichtsbarkeit, in: Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts (IPrax) 1991, S. 84–87. Schill, Stephan W.: System-Building in Investment Treaty Arbitration and Lawmaking, in: 12 German Law Journal, S. 1083–1110 (2011). Schill, Stephan W.: Öffentlich-rechtliche Schiedsverfahren zwischen Risikobewältigung und Rechtsrisiko, in: Die öffentliche Verwaltung (DÖV) 2010, S. 1013–1018.

352

Literaturverzeichnis

Schlaich, Klaus/Korioth, Stefan: Das Bundesverfassungsgericht, 9. Auflage, München 2012. Schlosser, Peter F.: Die Fortbildung des Prozessrechts durch die Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Böckstiegel, Karl-Heinz (Hg.), Rechtsfortbildung durch Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 5–19, Köln 1989. Schlosser, Peter F.: Das Recht der internationalen privaten Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Auflage, Tübingen 1989. Schmidt, Felix: Der Schiedsspruch, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2013, S. 32–42. Schmidt-Kessel, Martin: Implied term – Auf der Suche nach dem Funktionsäquivalent, in: Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft (ZVglRWiss) 96 (1997), S. 101– 155. Schmitz, Amy J.: Untangling the Privacy Paradox in Arbitration, in: 54 University of Kansas Law Review, S. 1211–1254 (2006). Schoch, Friedrich: Informationsfreiheitsgesetz. Kommentar, München 2009. Schomburg, Gerhard: Mehr Verbraucherschutz bei Kosten für Nebenleistungen – Die Regelungen des neuen § 312a Abs. 2 bis 6 BGB, in: Verbraucher und Recht (VuR) 2014, S. 18–23. Schreuer, Christoph: ICSID Convention. A Commentary, Cambridge 2001. Schroeder, Hans-Patrick: Die lex mercatoria arbitralis. Strukturelle Transnationalität und transnationale Rechtsstrukturen im Recht der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, München 2007. Schubert, Andreas/Strohe, Dirk: Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, in: Häberle, Siegfried G. (Hg.), Handbuch für Kaufrecht, Rechtsdurchsetzung und Zahlungssicherung im Außenhandel, S. 325–479, München 2002. Schütze, Rolf A.: Institutionelle Schiedsgerichtsbarkeit. Kommentar, 2. Auflage, Köln 2011. Schütze, Rolf A.: Schiedsgerichtsbarkeit und Rechtsvergleichung, in: Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft (ZVglRWiss) 110 (2011), S. 89–97. Schütze, Rolf A.: Rechtsverfolgung im Ausland: Prozessführung vor ausländischen Gerichten und Schiedsgerichten, 4. Auflage, Berlin 2009. Schütze, Rolf A.: Einstweiliger Rechtsschutz im Schiedsverfahren – Praxisgerechte Neuregelung oder juristischer Papiertiger? in: Betriebs-Berater (BB) 1998, S. 1650–1653. Schütze, Rolf A.: Zur Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen, in: Plantey, Alain (Hg.), Festschrift für Ottoarndt Glossner, S. 333–340, Heidelberg 1994. Schütze, Rolf A./Tschernig, Dieter/Wais, Walter: Handbuch des Schiedsverfahrens. Praxis der deutschen und internationalen Schiedsgerichtsbarkeit, 2. Auflage, Berlin 1990. Schulze, Reiner/Seif, Ulrike: Einführung und Summary, in: Schulze, Reiner/Seif, Ulrike (Hg.), Richterrecht und Rechtsfortbildung in der Europäischen Rechtsgemeinschaft, S. 1–24, Tübingen 2003. Schwab, Karl Heinz/Walter/Gerhard: Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Auflage, München 2005. Schwark, Eberhard: Kapitalmarktrechts-Kommentar, 3. Auflage, München 2004. Schwedt, Kirstin: Die praktische Umsetzung der BGH-Urteile Schiedsfähigkeit I und II. Vorstellung der neuen Ergänzenden Regeln für gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten der DIS am 2. 11. 2009 in Frankfurt a. M., in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2010, S. 166–168. Seitz, Peter: The Citation of Authority and Precedent in Arbitration, in: 38 Arbitration Journal, S. 58–61 (1983).

Literaturverzeichnis

353

Seppälä, Christopher R.: The Development of a Case Law in Construction Disputes Relating to FIDIC Contracts, in: Gaillard, Emmanuel/Banifatemi, Yas (Hg.), Precedent in International Arbitration, S. 67–86, New York 2008. Seriki, Hakeem: Confidentiality in Arbitration Proceedings: Recent Trends and Developments, in: Journal of Business Law 2006, S. 300–311. Sharpe, Calvin William: Integrity Review of Arbitration Awards, in: 54 Hastings Law Journal, S. 311–371 (2003). Sikiric, Hrvoje: Confidentiality in Arbitral Proceedings, in: 13 Croatian Arbitration Year­ book, S. 131–166 (2006). Sikiric, Hrvoje: Publication of Arbitral Awards, in: 4 Croatian Arbitration Yearbook, S. 175–189 (1997). Smeureanu, Ileana M.: Confidentiality in International Commercial Arbitration, Alphen aan den Rijn 2011. Smit, Hans: Breach of Confidentiality as a Ground for Avoidance of the Arbitration Agreement, in: 11 American Review of International Arbitration, S. 567–583 (2000). Smit, Hans: Disclosure of Trade Secrets and other Confidential Information, in: 9 Ameri­ can Review of International Arbitration, S. 177–179 (1998). Smit, Hans: Confidentiality in Arbitration, in: 11 Arbitration International, S. 337–340 (1995). Smit, Hans: Expert Report in Esso/BHP v. Plowman, in: 11 Arbitration International, S. 297–298 (1995). Smit, Hans: Case-note on Esso/BHP v. Plowman (Supreme Court of Victoria), in: 11 Arbitration International, S. 299–301 (1995). Smit, Hans: Substance and Procedure in International Arbitration: The Development of a New Legal Order, in: 65 Tulane Law Review, S. 1309–1322 (1991). Smit, Hans: The Future of International Commercial Arbitration: A Single Transnational Institution? in: 25 Columbia Journal of Transnational Law, S. 9–34 (1987). Smith, Gordon/Moh, Meef: Confidentiality of Arbitrations – Singapore’s Position Following the Recent Case of Myanma Yaung Chi Oo Co. Ltd. v. Win Win Nu, in: 8 Vindobona Journal of International Commercial Arbitration, S. 37–48 (2004). Spohnheimer, Frank: Das Schiedsverfahren zwischen antezipiertem Legalanerkenntnis des Schiedsspruchs und prozessualer Gestaltungsfreiheit, Tübingen 2010. Stackmann, Nikolaus: Terra incognita – Was ist gerichtsbekannt? in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 2010, S. 1409–1414. Stadler, Astrid: Der Schutz des Unternehmensgeheimnisses im deutschen und U. S.-amerikanischen Zivilprozess und im Rechtshilfeverfahren, Tübingen 1989. Stein, Torsten: Richterrecht wie anderswo auch? in: Richterliche Rechtsfortbildung. Erscheinungsformen, Auftrag und Grenzen – Festschrift der Juristischen Fakultät zur 600-Jahr-Feier der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, S. 619–641, Heidelberg 1986. Stein, Ursula: Lex mercatoria. Realität und Theorie, Frankfurt am Main 1995. Stein, Friedrich/Jonas, Martin: Kommentar zur Zivilprozessordnung, Bd. 9, 23. Auflage, Tübingen 2015. Steinbrück, Ben: Die Unterstützung ausländischer Schiedsverfahren durch staatliche Gerichte. Eine rechtsvergleichende Untersuchung des deutschen, österreichischen, englischen, schweizerischen, französischen und US-amerikanischen Schiedsrechts, Tübingen 2009.

354

Literaturverzeichnis

Strong, Stacie I.: Research in International Commercial Arbitration: Special Skills, Special Sources, in: 20 American Review of International Arbitration, S. 119–158 (2009). Stürner, Johannes: Hilfspersonen im Schiedsverfahren nach deutschem Recht, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2013, S. 322–328. Stürner, Rolf: Die Aufgabe des Richters, Schiedsrichters und Rechtsanwalts bei der gütlichen Streiterledigung, in: Juristische Rundschau (JR) 1979, S. 133–138. Stumpe, Friederike: Participation of Amici Curiae in Investment Treaty Arbitration, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2008, S. 125–135. Stumpf, Herbert: Vor- und Nachteile von Schiedsgerichten gegenüber ordentlichen Gerichten, in: Böckstiegel, Karl-Heinz u. a. (Hg.), Festschrift für Artur Bülow zum 80. Geburtstag, S. 217–227, Köln 1981. Tashiro, Kenji: Quest for a Rational and Proper Method for the Publication of Arbitral Awards, in: 9 Journal of International Arbitration, S. 97–104 (1992). Templeman, John: Towards a Truly International Court of Arbitration, in: 30 Journal of International Arbitration, S. 197–220 (2013). ten Cate, Irene: The Costs of Consistency: Precedent in Investment Treaty Arbitration, in: 51 Columbia Journal of Transnational Law, S. 418–478 (2013). ten Cate, Irene: International Arbitration and the Ends of Appellate Review, in: 44 New York University Journal of International Law and Politics, S. 1109–1204 (2012). Tercier, Pierre: Schiedsgerichtsbarkeit und “Principles”, in: Zeitschrift für Europäisches Privatrecht (ZEuP) 2010, S. 229–242. Tetley, William: Mixed Jurisdictions: Common Law vs. Civil Law (Codified and Uncodified), in: 60 Louisiana Law Review, S. 677–738 (2000). Teubner, Gunther: Recht als autopoietisches System, Frankfurt am Main 1989. Thaler, Richard H./Sunstein, Cass R.: Nudge: Improving Decisions About Health, Wealth and Happiness, New York 2009 Thoma, Ioanna: Confidentiality in English Arbitration Law: Myths and Realities About its Legal Nature, in: 25 Journal of International Arbitration, S. 299–314 (2008). Thompson, Robert/Derains, Yves: Chronique des sentences arbitrales, in: Journal du droit international (Clunet) 1974, S. 876–878. Tollkühn, Oliver: Die Ad-hoc-Publizität nach dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP) 2004, S. 2215–2220. Trakman, Leon E.: Confidentiality in International Commercial Arbitration, in: 18 Arbitration International, S. 1–18 (2002). Trappe, Johannes: The Law and Institutions of Arbitration in the Federal Republic of Germany and Their Relevance for English-German Business Relations, in: Böckstiegel, Karl-Heinz (Hg.), Handelsschiedsgerichtsbarkeit in England und der Bundesrepublik Deutschland, S. 77–91, Köln 1987. Trittmann, Rolf/Mekat, Martin C.: Standard of Proof in International Commercial Arbitration, in: B-arbitra 2014, S. 351–378. Tweeddale, Andrew: Confidentiality in Arbitration and the Public Interest Exception, in: 21 Arbitration International, S. 59–69 (2005). Ungern-Sternberg, Antje von: Normative Wirkungen von Präjudizien nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in: Archiv des öffentlichen Rechts (AöR) 138 (2013), S. 1–59. van den Berg, Albert Jan: Dissenting Opinions by Party-Appointed Arbitrators in Investment Arbitration, in: Arsanjani, Mahnoush (Hg.), Looking to the Future: Essays on International Law in Honour of W. Michael Reisman, S. 821–843, Leiden 2010.

Literaturverzeichnis

355

Vogenauer, Stefan: Die Auslegung von Gesetzen in England und auf dem Kontinent: eine vergleichende Untersuchung der Rechtsprechung und ihrer historischen Grundlagen, Band 1, Tübingen 2001. Vorwerk, Volkert/Wolf, Christian: Beck’scher Online-Kommentar ZPO, Edition: 16, München 2015. Wälde, Thomas: Confidential Awards as Precedent in Arbitration – Dynamics and Implications of Award Publication, in: Gaillard, Emmanuel/Banifatemi, Yas (Hg.), Precedent in International Arbitration, S. 113–136, New York 2008. Wagner, Gerhard: Obligatorische Streitschlichtung im Zivilprozeß: Kosten, Nutzen, Alternativen, in: Juristenzeitung (JZ) 1998, S. 836–846. Wagner, Gerhard/Bülau, Maximilian: Procedural Orders by Arbitral Tribunals: In the Stays of Party Agreements? in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2013, S. 6–16. Walker, Reinhard: Die Publikation von Gerichtsentscheidungen, Saarbrücken 1998. Walsh, Thomas W./Teitelbaum, Ruth: The LCIA Court Decisions on Challenges to Arbitrators: An Introduction, in: 27 Arbitration International, S. 283–313 (2011). Walter, Konrad: Rechtsfortbildung durch den EuGH. Eine rechtsmethodische Untersuchung ausgehend von der deutschen und französischen Methodenlehre, Berlin 2009. Weeramantry, J. Romesh: The Future Role of Past Awards in Investment Arbitration, in: 25 ICSID Review, S. 111–123 (2010). Weidemaier, W. Mark C.: Judging-Lite: How Arbitrators Use and Create Precedent, in: 90 North Carolina Law Review, S. 1091–1146 (2012). Weidemaier, W. Mark C.: Toward A Theory of Precedent in Arbitration, in: 51 William and Mary Law Review, S. 1895–1958 (2010). Weidhaas, Jutta/Swoboda, Michael: Schiedsgerichtsbarkeit und EDV-Verträge, in: Computer und Recht (CR) 1998, S. 104–111. Weigand, Frank-Bernd: Das neue deutsche Schiedsverfahrensrecht, – Umsetzung des UNCITRAL-Modellgesetzes, in: Wirtschaftliche Beratung (WiB) 1997, S. 1273– 1278. Weiler, Joseph H. H.: The Rule of Lawyers and the Ethos of Diplomats. Reflections on the Internal and External Legitimacy of WTO Dispute Settlement, in: 35 Journal of World Trade Law, S. 191–207. Weinstein, Jack B.: Some Risks and Benefits of Privatization of Justice Through ADR, in: 11 Ohio State Journal on Dispute Resolution, S. 241–295 (1996). Werder, Andreas von/Kost, Timo: Vertraulichkeitsvereinbarungen in der M&A-Praxis, in: Betriebs-Berater (BB) 2010, S. 2903–2911. Werner, Jacques: The Trade Explosion and Some Likely Effects on International Arbitration, in: 14 Journal of International Arbitration, S. 5–15 (1997). Westermann, Harm Peter: Das dissenting vote im Schiedsgerichtsverfahren, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2009, S. 102–109. Westphalen, Friedrich Graf von: Vae victis – der Schrecken der Schiedsgerichtsbarkeit, in: Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (ZIP) 1986, S. 1159. Wilke, Mark: Prozessführung in administrierten internationalen Handelsschiedsverfahren: Eine rechtsvergleichende Untersuchung der internationalen Schiedsordnung der AAA sowie der Schiedsordnungen der DIS und der ICC, Augsburg 2006.

356

Literaturverzeichnis

Wilske, Stephan: Ad hoc Arbitration in Germany, in: Böckstiegel, Karl-Heinz/Kröll, Stefan M./Nacimiento, Patricia (Hg.), Arbitration in Germany. The Model Law in Practice, 2. Auflage, S. 727–751 Alphen aan den Rijn 2015. Wilske, Stephan/Markert, Lars/Bräuninger, Laura: Entwicklungen in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit im Jahre 2013 und Ausblick auf 2014, in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2014, S. 49–65. Wittinghofer, Mathias: Emmott v. Michael Wilson & Partners Ltd.: Der englische Court of Appeal meint es ernst mit der Vertraulichkeit im Schiedsverfahren – oder nicht? in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2009, S. 156–160. Wolf, Manfred: Normative Aspekte richterlicher Vergleichstätigkeit, in: Zeitschrift für Zivilprozess (ZZP) 89 (1976), S. 260–293. Wolf, Christian/Hasenstab, Sven: Hybride Verfahrensgestaltung internationaler Schiedsverfahren, in: Recht der internationalen Wirtschaft (RIW) 2011, S. 612–619. Wolff, Johanna: Grenze der Heimlichkeit. Nichtöffentliche Schiedsverfahren mit Beteiligung der öffentlichen Hand am Maßstab des Verfassungsrechts, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2012, S. 205–209. Wühler, Norbert: Zur Bedeutung des Iran-United States Claims Tribunal für die Rechtsfortbildung, in: Böckstiegel, Karl-Heinz (Hg.), Rechtsfortbildung durch Internationale Schiedsgerichtsbarkeit, S. 93–124, Köln 1989. Wyss, Lukas F.: How To Protect Business Secrets in International Commercial Arbitra­ tion, in: International Arbitration Law Review 2009, S. 158–167. Young, Michael/Chapman, Simon: Confidentiality in International Arbitration: Does the Exception Prove the Rule? Where Now for the Implied Duty of Confidentiality Under English Law? in: 27 ASA Bulletin, S. 26–47 (2009). Zeiler, Gerold: Erstmals einstweilige Maßnahmen im Schiedsverfahren? in: Zeitschrift für Schiedsverfahren (SchiedsVZ) 2006, S. 79–85. Zekoll, Joachim: Jurisdiction in Cyberspace, in: Handl, Günter/Zekoll, Joachim/Zumbansen, Peer (Hg.), Beyond Territoriality. Transnational Legal Authority in an Age of Globalization, S. 341–369, Leiden 2012. Zimmermann, Reinhard: “Heard melodies are sweet, but those unheard are even sweeter” – Conditio tacita, implied condition und die Fortbildung des europäischen Vertragsrechts, in: Archiv für die civilistische Praxis (AcP) 193 (1993), S. 121–173. Zöller, Richard: Zivilprozessordnung, 30. Auflage, Köln 2014.

Sachregister Akteneinsicht  56, 61, 73, 108, 247–249, 272 Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen 249–252 Anonymisierung von Schiedssprüchen –– Interessenabwägung  290 f., 304 f., 314, 327 –– Umfang 305–320 –– Verfahren 320–323 –– Zuständigkeit 320–322 Arbitration Act 1996 (of England)  45, 80 Argumentationslast, siehe Begründungslast Aufhebung von Schiedssprüchen –– Nichtöffentlichkeit des Aufhebungsverfahrens  35, 47, 55, 66, 73, 75 f., 80–82 –– Verbot der révision au fond  155, 163 f. –– wegen Verletzung der Vertraulichkeit  107–109, 114 f. –– wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs  35, 36, 40, 65, 98, 154, 164, 167, 173, 272 f. –– wegen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung, siehe ordre public Autonomie der schiedsrichterlichen Entscheidung 163–165 Begründungslast –– Begriff  140 f. –– im staatlichen Gerichtsverfahren  134, 141–143, 218 –– im Schiedsverfahren  175–179, 189, 193, 197, 200, 329 China International Economic and Trade Arbitration Commission (CIETAC)  31, 32, 100, 101, 103, 176, 265 f.

confidentiality, siehe Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens confidentiality order  34–37, 51 Court of Arbitration for Sport (CAS)  31, 32, 184, 187, 198–200, 255, 260, 295 Deutsche Institution für Schiedsgerichtsbarkeit (DIS)  3, 12, 31, 32, 34, 35 f., 38, 64, 67, 69, 82, 97, 98, 101, 103, 105, 107, 108, 119, 161, 175 f., 184, 225, 253, 255, 277, 281, 288, 309, 311, 320 dissenting opinion  11, 86, 87, 167, 174, 192, 197, 257, 309 Einheitlichkeit der Rechtsprechung –– im Schiedsverfahren  166, 167 f., 184, 201, 207, 211, siehe auch Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen –– im staatlichen Gerichtsverfahren  145– 147, 167 f., 328 Einstweiliger Rechtsschutz –– durch Schiedsgerichte  34, 120 f. –– durch staatliche Gerichte  37–38, 121 f. Entscheidungskohärenz, siehe Präzedenzwirkung Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)  40, 41, 132 Grundgesetz  40, 112, 139, 154, 250 Grundsatz der Parteiautonomie  7, 12, 29, 71, 165, 290, 331 –– Grenzen, siehe Justizgewähranspruch Guidelines for the Anonymous Publication of Arbitral Awards  8, 266 f., 299, 306–309, 311, 313–319, 320, 322 IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration  64 f., 160 f.

358

Sachregister

IBA Guidelines on Conflicts of Interest in International Arbitration  54, 185 IBA Rules of Ethics for International Arbitrators  89, 96, 185 ICANN, siehe UDRP interests of justice exception  83 f., 104, 123 International Centre for the Settlement of Investment Disputes (ICSID)  31, 32, 34, 35, 50–52, 67 f., 92, 96, 118, 164, 167, 174, 179, 182, 183, 184, 191–195, 196, 203, 231, 234, 256 f., 279, 285, 301, 310, 319 International Chamber of Commerce (ICC)  9, 13, 18 f., 28, 31, 32, 35, 39, 53, 54, 60, 63, 71, 92, 96, 104 f., 153, 157, 161, 168, 174, 175, 176, 184, 185, 208–211, 253, 263–264, 283, 301, 302, 311, 315 Iran-United States Claims Tribunal  169, 183, 193, 195–198, 205, 229, 257 f. jurisprudence constante  28, 140, 189 Justizgewähranspruch  40, 127, 145, 149–151, 243 legitimate interest exception  26, 73–83, 85, 109, 123 Legitimität des Schiedsverfahrens  7, 8, 179, 180 f., 187, 189, 195, 217, 218, 228–233, 266, 287, 297, 310, 311, 325, 327, 330 London Court of International Arbitration (LCIA)  8, 13, 31 f., 67, 69, 72, 160, 161, 166, 171, 185, 234, 255, 264 f., 277, 286, 297, 309 „Natur des Schiedsverfahrens“ –– Nichtöffentlichkeit 13 –– Vertraulichkeit  15, 22–29, 68, 74 f., 86, 113 Nichtöffentlichkeit des Schiedsverfahrens  11–14, 24, 41, 43, 62, 63, 67 normativer Konsens  25, 28, 29, 71, 171–175, 186 Normbildung im Schiedsverfahren –– Auftrag und Befugnis des Schiedsgerichts 149–152

–– Begriff 128 –– Bezugspunkte 153–161 North American Free Trade Agreement (NAFTA)  50 f., 180, 182, 193, 196, 203–205, 232, 258 f., 276 Offenlegung von verfahrensbezogenen Informationen –– im öffentlichen Interesse, siehe public interest exception –– Informationsfreiheitsgesetze  37, 58 f., 61, 247 –– parlamentarisches Fragerecht  59–61 –– presserechtlicher Auskunftsanspruch 61 –– zur Wahrnehmung berechtigter Interessen, siehe legitimate interest exception ordre public –– materiellrechtlich  39, 155, 163 –– verfahrensrechtlich  35, 155, 163, 164 Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens  12, 40, 41, 55 Parteivertreter  30, 31, 32, 33, 40, 49, 53 f., 65, 96, 98–100, 120, 144, 188, 215, 220, 224 f., 227, 231, 246, 247, 249, 250, 272 f., 296, 313, 326 persuasive authority, siehe faktische Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen Pflicht zur Veröffentlichung von Entscheidungen –– im Schiedsverfahren  271 –– im staatlichen Gerichtsverfahren  242– 244 Präjudiz –– Begriff 130 –– im Schiedsverfahren, siehe Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen –– im common law, siehe stare decisis doctrine –– im kontinentaleuropäischen Recht 136–147 Präzedenzwirkung von Schiedssprüchen –– faktische  132, 160, 168–170, 171–190, 192, 194, 200, 203 f., 207, 211 f., 236 –– rechtliche 166–168

Sachregister

privacy, siehe Nichtöffentlichkeit des Schiedsverfahrens procedural order, siehe verfahrensleitende Verfügung public interest exception  6, 26, 37, 84, 85–89, 123, 173–174, 290 f., 303–304 Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb  110 f., 116, 252 Rechtsanwälte, siehe Parteivertreter Rechtsfortbildung, siehe Normbildung repeat player advantage  21, 220, 222–224, 247, 272, 310, 312, 316 richterliches Vorverständnis  129, 140 Sachverhaltsermittlung im Schiedsverfahren –– discovery  62, 68, 74 –– Durchführung, siehe IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration –– Ermessen des Schiedsgerichts  64 Sachverständige  9, 12, 20, 31, 32, 49, 65, 66, 83, 88, 100, 101, 102–104, 262, 313 Schiedsgericht der Handelskammer Mailand (CAM)  8, 9, 105, 176, 234, 253, 266 f., 285, 288, 293, 306, 322, 331 Schiedsverfahren –– ad hoc  15, 160, 252, 268 f., 277, 278 –– Beteiligung öffentlicher Rechtsträger 57–62 –– Dauer  175 f. –– Geheimhaltung der Existenz  52–57 –– Kosten  60, 107, 122, 151, 160, 161, 175 f., 180, 205, 218, 227 f., 231, 281, 316 f., 322, 323, 329, 331, 333 Schiedsrichter –– Beratungsgeheimnis 95 –– Berufsethos  180, 182–185, 211 –– challenge decisions  8, 160, 264 f., 283, 302, 309 –– conflict checks, siehe Interessenkonflikt –– esprit de corps, siehe Berufsethos –– Expertise  4, 188 f., 225, 329 –– Fortbildung  185, 224 f. –– Haftung 98

359

–– Interessenkonflikt  53 f., siehe auch IBA Guidelines on Conflicts of Interest in International Arbitration –– Prestige  174, 187, 189, 312 –– Schiedsrichtervertrag  93 f., 97, 112, 150, 167, 175, 289, 321 –– Selbstverständnis  179–186, 189, 194, 198, 211, 222, 235 f., 328 f. –– track record  219, 220, 310, 311 f. –– Vertraulichkeitspflicht  32, 93–98 –– Zeugnisverweigerungsrecht 95 Schiedsspruch –– Ausnahmen vom Grundsatz der Vertraulichkeit 71–89 –– Begriff 9 –– Grundsatz der Vertraulichkeit  69–71 –– Urheber  112, 116, 117, 287 f., 310 f. Seehandelsschiedsgerichte  70, 153, 169, 215, 256, 261 f., 293, 295 soziologischer Rechtsbegriff  127 ständige Rechtsprechung, siehe jurisprudence constante stare decisis doctrine  131, 132–136, 138, 139, 167, 177, 192, 195, 197, 199, 201, 203, 204, 207, 235, 328 Stockholm Chamber of Commerce (SCC)  31, 32, 114, 234, 265 transnationales Recht –– Begriff 156 –– lex mercatoria  64, 150, 156–158, 165, 230 –– UNIDROIT Principles of International Commercial Contracts  150, 156, 163, 165, 328 Transparenz des Schiedsverfahrens, siehe Veröffentlichung von Schiedssprüchen UNCITRAL Transparency Rules  9, 269 UNCITRAL Model Law on Arbitration  34, 42, 45, 267 UNCITRAL-Modellgesetz, siehe UNCITRAL Model Law on Arbitration Uniform Domain Name Resolution Policy (UDRP)  182, 205–208, 210, 260 f., 329 Unionsrecht 39

360

Sachregister

verfahrensleitende Verfügung  33–37 –– zur Sicherung der Vertraulichkeit, siehe confidentiality order Vermeidung widersprüchlicher Entscheidungen  84, 217 Veröffentlichung gerichtlicher Entscheidungen –– auf Antrag Dritter  247–249 –– in amtlichen Entscheidungssammlungen 244–247 –– in Fachzeitschriften oder OnlineDatenbanken 247 Veröffentlichung von Schiedssprüchen –– Anonymisierung, siehe Anonymisierung von Schiedssprüchen –– Auswahl zu veröffentlichender Entscheidungen  245–247, 280–285, 288 f., 298, 323 f. –– Entscheidung über die Veröffentlichung 286–291 –– Form der Veröffentlichung  299–305 –– einsichtsberechtigter Personenkreis 271–274 –– Rechtsgrundlage 274–278 –– Widerspruchslösung  292–297, 298, 331 –– Zuständigkeit  278 f. –– Zustimmungslösung  292, 297 Vertraulichkeit des Schiedsverfahrens –– Begriff 12 –– Betriebs-/Geschäftsgeheimnisse 29, 55 f., 58, 62–66, 87, 94 f., 101, 234 –– Existenz und Beteiligte des Schiedsverfahrens 49–62 –– gewohnheitsrechtliche Geltung, siehe „Natur des Schiedsverfahrens“ –– Kündigung der Schiedsvereinbarung  106–109, 114 f.

–– Rechtsschutzmöglichkeiten 109–117 –– Vertraulichkeitsvereinbarung 14–22 –– zeitliche Dauer der Vertraulichkeitspflicht  89–91 Vorteile größerer Entscheidungspublizität –– präventive Konfliktvermeidung  194, 212–215, 227, 329 –– Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit 216–218 –– Erleichterung der Schiedsrichterauswahl 218–220 –– fachwissenschaftliche Diskussion  226 f. –– Qualitätssicherung und Verhinderung von Missbrauch  220–222 –– Fortbildungsmöglichkeiten  224 f. –– Verhinderung von Nachteilen zulasten unerfahrener Parteien  222–224 –– Zeit- und Kostenvorteile  227 f. World Intellectual Property Organization (WIPO)  31, 32, 49 f., 63, 66, 67, 207, 261, 268 World Trade Organization (WTO)  168, 182, 200–203, 204, 233, 259 f., 328 Zeugen  12, 32, 36, 66, 68, 78, 83, 95, 100–102, 103, 313 Zitationsanalyse  169, 181 f., 192, 198 f., 208 Zivilprozessordnung (ZPO)  12, 15, 16 f., 19, 20, 28, 30, 34, 36, 37, 38, 41–43, 56, 72 f., 92 f., 95, 97, 98, 103, 104, 106, 120–122, 130, 150 f., 154, 155, 157, 160, 163 f., 165, 166, 247–249, 272 f., 277 f., 280, 281, 290