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German Pages 346 [348] Year 2003
STUDIEN UND TEXTE ZUR SOZIALGESCHICHTE DER LITERATUR
Herausgegeben von Wolfgang Frühwald, Georg Jäger, Dieter Langewiesche, Alberto Martino, Rainer Wohlfeil
Band 95
Michael Ansel
Prutz, Hettner und Haym Hegelianische Literaturgeschichtsschreibung zwischen spekulativer Kunstdeutung und philologischer Quellenkritik
Max Niemeyer Verlag Tübingen 2003
Annetten gewidmet, nach Heine alleine die Große, die Feine, die Reine, die Eine!
Redaktion
des Bandes: Georg
Jäger
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 3-484-35095-4
ISSN 0174-4410
© Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 2003 http://www.niemeyer.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Satz: Melanie Gradtke, Dublin Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Einband: Buchbinderei Geiger, Ammerbuch
Vorwort
Im Mittelpunkt der vorliegenden Untersuchung steht die hegelianische Literaturgeschichtsschreibung im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts, welche die ihr gebührende Beachtung in den Forschungen zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik erst ansatzweise erfahren hat. Die Gründe dafür sind vielfaltig. Sie reichen bis auf Karl Lachmanns wirkungsmächtige Verdikte gegen die literaturwissenschaftlichen Arbeiten von Karl Rosenkranz zurück, hängen aber auch mit dem Umstand zusammen, dass die hier behandelten Autoren bislang nicht als wissenschaftshistorische Generation erfasst, sondern jeweils einzeln untersucht worden sind. Das immer noch anzutreffende Pauschalurteil, hegelianische Autoren seien wegen ihrer Sozialisation durch spekulative Kategorien zur Übernahme einer konstruktiven Rolle im Professionalisierungsprozess der später als Geisteswissenschaften bezeichneten Fächer außerstande gewesen, stellt jedenfalls eine unzulässige Verkürzung eines wesentlich komplexeren wissenschaftsgeschichtlichen Sachverhalts dar: Von Hegels Philosophie und ihren Derivaten sind wichtige Impulse für die Verwissenschaftlichung der Literaturgeschichtsschreibung ausgegangen. Bei der Durchführung meines Ende 1999 abgeschlossenen Forschungsprojekts habe ich vielfältige, mitunter über innerakademische Belange hinausreichende Unterstützung erfahren, für die ich ganz herzlich danken möchte: Herr Prof. Dr. Georg Jäger (München) hat durch seine stets sachdienliche Förderung und den von ihm gewährten vorbehaltlosen Rückhalt maßgeblich zum Gelingen dieser Studie beigetragen. Von Gerhard Lauers (Göttingen) weit ausgreifender Fachkompetenz und seiner liebenswürdigen Hilfsbereitschaft konnte ich oft mit großem Gewinn profitieren. In anregenden Diskussionen mit Holger Dainat (Magdeburg) habe ich - trotz einzelner Auffassungsunterschiede - sowohl in methodologischer als auch objektspezifischer Hinsicht sehr viel gelernt. Herr Prof. Dr. Uwe Meves (Oldenburg) und Michael Schlott (Leipzig) waren so freundlich, Einblick in bislang unpublizierte, für die Wissenschaftsgeschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert einschlägige Quellentexte zu gewähren. Es gäbe noch etliche Kolleg(inn)en und Freunde anzuführen, die mit Rat und Tat zur Seite standen. Ein Name darf allerdings keineswegs unerwähnt bleiben: Ohne die flinken, kompetenten Herstellerinnenhände von Melanie Gradtke (Dublin) hätte das Buch in seiner vorliegenden Form nicht publiziert werden können. Böblingen, im März 2003
Michael Ansei V
I.
Einleitung Neuere Arbeiten zur Wissenschaftsgeschichte der Germanistik (3) - Zur vorliegenden Untersuchung (7) - Die Kapitelfolge (11)
II. Heines Deutschland-Schriften und ihre zeitgenössische wissenschaftliche Rezeption Das Projekt der nationalen Poesiegeschichtsschreibung (14) Theorie ... (14) - ... und historiographische Praxis (18) - Abweichungen von genrebildenden Konventionen (22) - Hegelianische Einflüsse (23) - Die zeitgenössische wissenschaftliche Rezeption (27) - Heines Historiographie im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext (39) - Hegels Philosophie und die Verwissenschaftlichung der Literaturgeschichtsschreibung (42)
III. Ein Generationsprofil Familiäre Sozialisation im Geist eines rationalistischen Protestantismus (46) - Schulzeit: Neuhumanistische und hegelianische Einflüsse (47) - Studien an Zentren des Hegelianismus (50) Vergebliche Habilitationsversuche und das Scheitern einer Kunsthistorikerkarriere (58) - Die richtungweisende hegelianische Sozialisation und ihre Zeitgemäßheit (64) - Wissenschaftsgeschichtliche Konditionen (69) - Publikationsorte und -praxis bis 1848/49 (72) - Die hegelianischen Zeitschriften im Kontext der Verwissenschaftlichung der Literaturgeschichtsschreibung (81) - Mehr oder minder erfolgreiche akademische Pläne (85) Veröffentlichungen seit der Jahrhundertmitte (91) - Ideengeschichte des 18. Jahrhunderts in emanzipatorischer Absicht als Vorlesungs- und Forschungsschwerpunkt (100)
IV. Hegelianische Geschichtsphilosophie und Ästhetik als Grundlagen der Historiographie,
105
Vormärzliche Hegel-Rezeption (105) - Hegel-Zerrbilder (109) — Philosophischer Universalismus versus historisch-philologische Wissenschaften: Rosenkranz (113) - Geschichtsteleologie und Politik: Prutz und Haym (116) - Ästhetik und Literaturkritik: Vischer und Hettner (123) - Zwischenbilanz (134)
V. Vom literaturwissenschaftlich angewandten Hegelianismus zur Literaturgeschichtsschreibung
136
Von der spekulativen Philosophie zur Psychologie und Historie (136) - Philologie ... (141) - ... und Philosophie (145) - Philosophische Wissenschaft als methodisch geregeltes und sachadäquates Verfahren (150) - Die innere Geschichte des deutschen Volksgeistes (157) - Geschichtsdarstellung ( 1 6 1 ) - Die Historizität der Geistesgeschichte (166) - Geschichte als systematische Totalität (170)
VI. Die Auseinandersetzung mit der Romantik 1. Hegels Solger-Rezension (1828)
174 175
Zwei erfolgreiche Axiome der Romantik-Kritik (178) 2. Rosenkranz'Tieck-Aufsatz (1838)
181
Konstruktion (182) - Die Integration real- und literaturgeschichtlicher Daten (184) - Tieck und die Geschichte der romantischen Schule (185) - Systemzwang (188) - Hegels Axiome im Dienst eines literaturgeschichtlichen Erkenntnisinteresses (189) - Rosenkranz' Aufsatz im Kontext der zeitgenössischen Auseinandersetzung mit der Romantik (192)
3. Prutz'Literatur-Vorlesungen (1847) Geschichtsphilosophische Situierung (197) - Die Romantiker als Goethe-Epigonen (199) - Die wichtigsten Romantiker (202) Romantik und Politik zwischen den Befreiungskriegen und der Julirevolution (205) - Die letzten Ausläufer der Romantik (209) - Die Historizität der Romantik (210) - Geschichtsphilosophisch bedingte Mängel (213) - Prutz' Bedeutung für die hegelianische Romantik-Historiographie (217)
VIII
196
4. Hettners Romantik-Buch (1850)
219
Der poetische Idealismus (221) - Charakteristika der Romantik (223) - Goethe und Schiller (227) - Der weitere Verlauf der Romantik (229) - Das Ende der Romantik (233) - Hettners literaturhistorische Kompetenz (235) - Der wissenschaftliche Kontext (240) - Hegelianische Historisierung der Romantik (243)
5. Hayms Romantik-Monographie (1870)
247
Bauplan und Erkenntnisinteresse (247) - Ludwig Tieck (250) Tieck im Kontext der Romantiker (257) - Quellenreichtum und philologische Kompetenz (260) - Erkenntnisgewinn (265) - Die vier Komponenten der hegelianischen Romantik-Historiographie (272) - Noch einmal: Philologie und Philosophie (288)
VII. Prutz, Hettner und Haym im Kontext der Wissenschaftsgeschichte
290
Grundzüge der modernen Wissenschaft (290) - Literaturgeschichtsschreibung als zeitgemäße Wissenschaft (292) - Gründe für das Scheitern der Literaturgeschichtsschreibung als akademische Disziplin (303) - Der Misserfolg der (hegelianischen) Literaturgeschichtsschreibung - eine richtige Weichenstellung? (308) Literaturverzeichnis
311
Bemerkungen zur Titelaufnahme, Zitierweise und Orthographie ( 3 1 1 ) - Abkürzungen (312) - Heinrich Heine (313) - Karl Rosenkranz (313) - Friedrich Theodor Vischer (313) - Robert Prutz (313) - Hermann Hettner (314) - Rudolf Haym (315) - Weitere (wissenschaftsgeschichtliche) Primärtexte (316) - Forschungsliteratur (317) Personenregister
331
IX
I. Einleitung
Wenn man jene Fächer der deutschen Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts betrachtet, die seit dem Neukantianismus als Geisteswissenschaften bezeichnet werden, so fällt auf, dass ein nicht zu unterschätzender Anteil ihrer namhaften Repräsentanten durch die Schule des Hegelianismus gegangen ist. Das gilt nicht nur für die Philosophie selbst - außer den meist bekannten, aber immer noch unterschätzten Junghegelianern 1 müssen hier beispielsweise Friedrich Wilhelm Hinrichs (1794— 1861) und Karl Rosenkranz (1805-1879) erwähnt werden - , sondern auch für zahlreiche andere Disziplinen. Von Hegels Philosophie und dem in ihrem Umkreis entstandenen Schrifttum beeinflusst waren die Theologen bzw. Theologiekritiker Ferdinand Christian Baur (1792-1860), David Friedrich Strauß (1808-1874) und Ludwig Feuerbach (1804-1872), der Ästhetiker Friedrich Theodor Vischer (18071887), die Kunsthistoriker Gustav Heinrich Hotho (1802-1873), Anton Springer (1825-1891) und Karl Schnaase (1798-1875), die Philosophiehistoriker Johann Eduard Erdmann (1805-1892), Eduard Zeller (1814-1908) und Kuno Fischer (1824-1907), der Historiker Gustav Droysen (1808-1884), der Jurist Eduard Gans (1798-1839) und die Sozialwissenschaftler Lorenz von Stein (1815-1890) und Karl Marx (1818-1883). Schließlich trifft dieser Sachverhalt auch auf die uns besonders interessierende damalige Germanistik zu. Neben den bereits erwähnten Philosophen und Ästhetikern Rosenkranz und Vischer, deren Einfluss auf die Literaturkritik und -Wissenschaft ihrer Zeit hoch zu veranschlagen ist, sind hier Viktor Hehn (18131890), Robert Prutz (1816-1872), Theodor Wilhelm Danzel (1818-1850), Hermann Hettner (1821-1882), Rudolf Haym (1821-1901) und Rudolf Gottschall (18231909) zu nennen. Versteht man das 19. Jahrhundert als das Jahrhundert des Historismus, dann ist dieser Befund sowohl verständlich als auch erstaunlich. Verständlich ist er deshalb, weil Hegels gesamtes Werk seit der Phänomenologie des Geistes (1807) auf der Voraussetzung beruht, man müsse das Vernünftige in der jeweils konkreten Gestalt des Wirklichen erkennen. Eine solche Voraussetzung ermöglichte die Aufwertung
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Das prominenteste Opfer dieser Unterschätzung ist Bruno Bauer (1809-1882). Das Urteil von Stuke 1963 (S. 127, Anm. 9), dass »die Bauer-Forschung streng genommen immer noch in den allerersten Anfängen [steckt]«, ist bis heute uneingeschränkt gültig. 25 Jahre nach Stukes Plädoyer für eine eingehende Beschäftigung mit Bauers Leben und Werken musste Eßbach 1988 (S. 84, Anm. 175) erneut feststellen, es sei »charakteristisch für den Stand der Forschung zu B. Bauer, dass immer noch eine Gesamtausgabe seines Werkes fehlt«.
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der (historischen) Realität, der die abendländische Philosophie platonisch-christlicher Provenienz als dem Zufälligen und Kontingenten immer skeptisch gegenübergestanden war. Zugleich antizipierte sie die für den Historismus wesentliche Überzeugung von der individuellen Gestalt geschichtlicher Phänomene und legitimierte die Auffassung, dass die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit eine unverzichtbare Notwendigkeit für das Selbstverständnis der Gegenwart darstelle. Hegels Philosophie begünstigte also insofern die Entstehung des Historismus, als sie einige für dessen Selbstverständnis grundlegende weltanschauliche Prämissen bereits formuliert und argumentativ erprobt hatte. Daher ist es nachvollziehbar, weshalb der mit solchen Prämissen vertraute Personenkreis zur Übernahme einer führenden Rolle im geistigen Leben des 19. Jahrhunderts prädestiniert war. Andererseits bedarf es keiner vertieften wissenschaftsgeschichtlichen Kenntnisse, um die Fragwürdigkeit dieser Aussage sofort einzusehen. Bekanntlich konstituierte sich der durch den Anspruch auf Quellenkritik legitimierende und einem methodisch geregelten Forschungsprozess der Erkenntnismaximierung folgende Historismus als moderne, arbeitsteilige Wissenschaft, die mit wichtigen epistemologischen Grundzügen der Philosophie Hegels unvereinbar war. Während der Deutsche Idealismus einschließlich des Hegeischen Systems die Totalität alles Seienden einer spekulativen Betrachtung unterzog, spezialisierte sich die wissenschaftliche Forschung auf eng umgrenzte Objekte, entwickelte gegenstandsadäquate Untersuchungsmethoden und klammerte die Beantwortung metaphysischer Fragestellungen aus. Angesichts dieser schwerwiegenden Gegensätze wird man die Schulung in den Kategorien der idealistischen Spekulation eher als Handikap denn als günstige Startbedingung für eine erfolgreiche Tätigkeit innerhalb der sich professionalisierenden Wissenschaften des 19. Jahrhunderts einschätzen müssen. Hegels »metaphysische[r] Historismus« 2 erweist sich also als ambivalent. Er bereitete der von Wilhelm Dilthey auf den Begriff gebrachten, für das 19. Jahrhundert charakteristischen Kritik der historischen Vernunft den Boden, enthielt aber zugleich Elemente, die sich gegen Verwissenschaftlichungstendenzen sperrten. Man könnte daher der Ansicht zuneigen, die Beschäftigung mit Hegel stelle eine später definitiv überwundene Episode im Werdegang der eingangs zusammengestellten Autoren dar. Diese Ansicht ist jedoch nicht überzeugend, weil sie konsequenterweise auch die durchaus plausiblen Schrittmacherdienste von Hegels Werk für die Entstehung des Historismus leugnen müsste. Nimmt man hingegen die skizzierte Ambivalenz der Philosophie Hegels ernst, so bietet sich ein anderes, differenzierteres Erklärungsmodell an: Im Gegensatz zu den orthodoxen Hegel-Schülern, die sich im Sinne ihres Lehrers als Sachwalter der universalen Philosophie begriffen, waren jene Autoren zur Übernahme einer innovativen Rolle im Verwissenschaftlichungsprozess der Kultur- und Geisteswissenschaften befähigt, die sich - bewusst oder unbewusst partiell von Hegel gelöst und dabei insbesondere mit der spekulativen Ausrichtung
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Löwith II 1983, S. 376 u.ö.
seines Denkens gebrochen hatten. Die Hinwendung zur historisch-konkreten Forschungsarbeit setzte ein aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive als produktiv zu bezeichnendes Missverständnis der Philosophie Hegels voraus, das die metaphysischen Grundlagen und Zielsetzungen dieser idealistischen Philosophie aus den Augen verlor, an der von ihr begründeten Identität von Vernunft und Wirklichkeit aber ausdrücklich festhielt. Die vorliegende Untersuchung soll dieses Erklärungsmodell anhand der historischen Entwicklung der Germanistik plausibilisieren.
Neuere Arbeiten zur Wissenschaftsgeschichte
der Germanistik
Die in den letzten Jahren stark intensivierte wissenschaftsgeschichtliche Forschung hat dem Personenkreis, der die Schule des Hegelianismus durchlaufen und die wissenschaftliche Beschäftigung mit deutscher Sprache und Literatur im 19. Jahrhundert nicht unmaßgeblich beeinflusst hat, die ihm gebührende Aufmerksamkeit bislang verweigert. Es gibt zwar Spezialuntersuchungen zu einzelnen Autoren oder thematisch weiter gespannte, diese Autoren einbeziehende wissenschaftshistorische Werke, aber keine Arbeit, die den Versuch einer systematischen Rekonstruktion der vom Hegelianismus ausgehenden Impulse auf die Entstehung der Germanistik unternommen hat. 3 Dies ist insofern verwunderlich, als die Bedeutung philosophisch geschulter Wissenschaftler für die Frühphase der Germanistik schon lange bekannt ist. Manfred Lemmer hat bereits 1958 darauf hingewiesen, dass »die Behandlung deutschphilologischer Gegenstände« an der Universität Halle-Wittenberg vor 1850 und zum Teil darüber hinaus unter anderem »in den Händen der Philosophen [lag]«. 4 Bei seinem »Versuch einer statistisch-typologischen Bestimmung der germanistischen Gelehrtenspezies« in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist Jörg Jochen Müller 1974 auch der Frage nachgegangen, »welche traditionellen Wissenschaftsdisziplinen bei der Geburt der neuen Universitätswissenschaft Pate standen«. Unter
Von den wissenschaftsgeschichtlich ausgerichteten Arbeiten, die einzelnen Autoren gewidmet sind und deren hegelianische Abstammung thematisieren, ist Rautenberg 1986 hervorzuheben. Die gewiss verdienstvollen Arbeiten der ehemaligen DDR-Germanistik - Harich 1955, Jahn 1959, Pepperle 1981 - leiden unter dem Umstand, dass sie Prutz, Hettner und Haym in die vorgefertigte Schablone des so genannten progressiven bürgerlichen Erbes hineingezwängt und als Vorläufer der materialistischen Literaturbetrachtung interpretiert haben. Die umfangreiche Arbeit von Schlott 1993 ist hier nur partiell einschlägig, weil sie sich nicht auf die Darlegung der hegelianischen Sozialisation von Hettner beschränkt, sondern eine Vielzahl unterschiedlicher Aspekte zu Hettners Leben und Schriften thematisiert. Allerdings will auch Schlott zeigen, dass Hettner als ein »in der spekulativen Philosophie Hegels geschulte[r] Gelehrte[r ...] den Professionen der Philologen, Archäologen und Kunstwissenschaftler an den Hochschulen als >Dilettant< [erscheint und] Außenseiter dieser Gelehrtengesellschaft [bleibt], die sich in >Disziplinen< organisiert« (S. 1). Der Befund, dass man in Hettners Werken eine Vielzahl hegelianischer Relikte auffinden kann, ist zutreffend, deren einseitige Bewertung als Professionalisierungshindemisse jedoch problematisch, wie sich im Verlauf unserer Untersuchung zeigen wird; vgl. hierzu auch Ansei 1996b. 4
Lemmer 1957/58, S. 1122; vgl. ebd., S. 1123f.
3
den herangezogenen 100 Germanisten falle nicht zuletzt »der hohe Anteil von 16 Philosophen« auf. »Die Fächerkombination [...] Philosophie/klassische Philologie begegnet häufig«. 5 1987 schließlich hat Wilhelm Voßkamp betont, dass zu Beginn des 19. Jahrhunderts »ein gemeinsames Fach >Literaturwissenschaft< [...] nicht bestand«. Die Erforschung der Geschichte der Germanistik habe dem Umstand Rechenschaft zu tragen, »dass eine Thematisierung deutscher Literatur in so verschiedenen Disziplinen wie Philologie, Philosophie und Geschichte erfolgte«. 6 Zweifellos hat das von Jürgen Fohrmann und Voßkamp geleitete Forschungsprojekt zur Wissenschaftsgeschichte der deutschen Literaturwissenschaft 7 die derzeitige fachgeschichtliche Reflexion auf ein vormals unerreichtes Niveau gehoben. Ermöglicht wurde dies durch die Erarbeitung eines aus systemtheoretischer Perspektive konzipierten »mehrdimensionale[n] Frageraster[s]«, das die »komplementäre Untersuchung institutionen- und methodengeschichtlicher Fragestellungen sowie die Berücksichtigung des Verhältnisses von Universität, kulturellem System und Erziehungswesen« erlaubt. 8 Betrachtet man allerdings die drei zur Kernzone dieses Forschungsprojekts gehörenden Aufsatzbände, so muss man feststellen, dass Voßkamps Plädoyer, die Anfange der Germanistik bei Fachvertretern anderer Disziplinen aufzusuchen, allein im Hinblick auf die (klassische) Philologie konsequent durchgeführt wurde. Die Entstehung der disziplinaren Gemeinschaft wurde vorzugsweise unter Berücksichtigung der Exponenten aus dem philologischen Lager verfolgt. 9 Eine solche Prioritätensetzung ist zwar verständlich, weil es im 19. Jahrhundert allein den Philologen gelungen ist, sich dauerhaft an der Universität zu etablieren und ihre Art des Umgangs mit Texten als wissenschaftlich zu deklarieren. Dennoch ist sie insofern problematisch, als sie die Impulse der anderen, zumindest partiell einschlägigen und insofern von Voßkamp zu Recht benannten Fächer für die Entstehung der deutschen Literaturwissenschaft ausblendet. Die Beiträger dieses Projekts zur deutschen Literaturwissenschaft haben also eine Geschichte der Sieger geschrieben. Natürlich haben sie damit keine apologetische Absicht verfolgt. Es ging ihnen nicht um eine nachträgliche Rechtfertigung der aus heutiger Sicht mitunter unangenehm berührenden Philologenselbstherrlichkeit des
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Müller 1974, S. 22, 3 1 , 3 3 u. 32. Voßkamp 1987, S. 2*. Vgl. neben den Sammelbänden von Fohrmann/Voßkamp 1987, 1991 u. 1994 die in unmittelbarer Nähe zu diesem Projekt entstandenen Arbeiten von Fohrmann 1989, Kolk 1990 und Kruckis 1995. Voßkamp 1991, S. 27; vgl. auch Fohrmann 1991 b. Für uns von besonderem Interesse sind allerdings sind Kruckis 1994a, 1994b u. 1995. Kruckis bezieht einige hegelianisch geprägte Autoren in seine Arbeiten ein, weist auf ihre Sozialisation hin und erkennt ihre wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung auf eine ausgewogene Weise an. Wegen seiner primär auf die Verbindung von gattungs- und wissenschaftsgeschichtlichen Fragestellungen ausgerichteten Erkenntnisabsicht ist Kruckis jedoch an einer systematischen Untersuchung des vom Hegelianismus ausgehenden Einflusses auf die Geschichte der Germanistik nicht interessiert.
19. Jahrhunderts, sondern um eine differenzierte Beschreibung und Erklärung der Gründe für die Erfolgsgeschichte der Philologie innerhalb der Germanistik des 19. Jahrhunderts. Diese zweifellos mit überzeugenden Forschungsergebnissen demonstrierte Erfolgsgeschichte gaukelt aber eine trügerische Einheit der Fachentwicklung vor, weil sie jene Autoren, die von den von Voßkamp ebenfalls ausdrücklich erwähnten Fächern der Geschichte oder Philosophie ausgegangen sind und deren wissenschaftliche Arbeit zunächst keine stabile institutionelle Verankerung an der Universität erfahren hat, zu Statisten eines ohne ihr Zutun voranschreitenden Prozesses der Verwissenschaftlichung der Germanistik degradiert. Fohrmann hat sich zu Recht gegen die Versuche der älteren, ideologiekritisch ausgerichteten Wissenschaftsgeschichtsschreibung gewandt, die Anfange der Germanistik im 19. Jahrhundert mit der Entstehung der nationalen Literaturgeschichtsschreibung gleichzusetzen. 10 Er und seine Mitarbeiter haben jedoch der Entstehung eines anderen Ursprungsmythos Vorschub geleistet, indem sie sich auf die Analyse jenes philologischen Disziplinbildungsprozesses konzentrierten, der im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts allmählich feste Konturen annahm, und eine große Zahl wissenschaftsgeschichtlich bedeutender, hierfür jedoch unerheblicher Personen, Werke und Zeitschriften entweder nur streiften oder überhaupt nicht zur Sprache brachten. Die dadurch erzeugte Illusion einer homogenen Fachentwicklung wird aber um den Preis einiger Frageverbote erkauft. Sie bagatellisiert nicht nur die Rivalitäten der um akademische Anerkennung ringenden Vertreter unterschiedlicher Wissenschaftsauffassungen und die Brüche und Inkonsistenzen während der Frühphase der Germanistik, sondern beschränkt sich auch auf Kosten der Einbringung eines kritischen Fragepotenzials in die Erforschung der Wissenschaftsgeschichte auf die Erklärung dessen, wie es eigentlich gewesen. 11 Anstatt bei der Erörterung der Tatsache stehen zu bleiben, weshalb die Hegelianer und Literaturhistoriker aus dem Konstituierungsprozess der Germanistik ausgegrenzt wurden, hätte man sich gelegentlich mit der Frage beschäftigen können, ob diese Ausgrenzungen dem Fach zugute gekommen sind. Die Legitimität einer solchen Frage erhellt nicht nur aus dem Umstand, dass z.B. 10 11
Vgl. Fohrmann 1989 (S. 2) und Fohrmann 1991b (S. 112). So lädt beispielsweise die Formulierung von Dainat 1993 (S. 233), »bekanntlich« sei »die Verwissenschaftlichung der Germanistik wie der Neueren deutschen Literaturgeschichte als Philologisierung [erfolgt]«, zu dem Missverständnis ein, den Begriff der Philologisierung als einheitsstiftende Zielkategorie der Fachentwicklung im 19. Jahrhundert aufzufassen. Diese Formulierung ist auch insofern unglücklich, als sie der von den damaligen Philologen behaupteten Ansicht, allein die Dignität ihrer wissenschaftlichen Arbeit habe den Erfolg ihrer Fachrichtung an der Universität begründet, nicht entschieden genug entgegentritt. Symptomatisch ist des Weiteren die Beobachtung, dass man bei Fohrmann 1989 keine Textstellen findet, die über das Referat der von den Philologen vorgebrachten Argumente gegen das ihres Erachtens dilettantische Genre der Literaturgeschichtsschreibung hinausgehen und den Versuch einer wissenschaftskritischen Bilanzierung dieser Argumente unternehmen. Das grundsätzliche Argument von Dainat 1996, »da die Wissenschaft, wie auch ihre Subsysteme über keinen sie repräsentierenden Sprecher verfügen«, sei es geboten, »das Augenmerk aufjene Scientific Communities zu richten, die über die Geltung von Wis-
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Prutz' Göttinger
Dichterbund
(1841) auf quellenkritischen Studien beruht, die den
Vergleich mit den Publikationen der Altphilologen keineswegs zu scheuen brauchen, und dass sein Verfasser ein Problembewusstsein hinsichtlich methodologischer Fragestellungen besaß, das den Glauben Jakob Grimms und Karl Lachmanns an ihre vermeintlich rein induktiv aus den Quellen schöpfende Arbeitsweise als rührende Naivität erscheinen lässt. Sie resultiert auch aus den Motiven für die Erforschung der Geschichte der Germanistik. Wenn die Wissenschaftsgeschichte als notwendige Voraussetzung für aktuelle Theorie- und Methodendiskussionen begriffen wird und als Reaktion auf die andauernde Identitätskrise der Germanistik seit dem Ende ihrer ideologiekritischen Phase in zunehmendem Maße Anerkennung findet, dann tut man nicht gut daran, das ihr zugedachte, über die Erklärung historischer Entwicklungen hinausgehende Erkenntnispotenzial zugunsten explizit oder implizit erfolgter Sinnzuschreibungen an die fachgeschichtliche Vergangenheit zu verspielen. 1 2 Die Fragestellung unserer Untersuchung wurde angeregt durch die Arbeiten Klaus Weimars, der sich 1976 mit dem Problem beschäftigt hat, »wann und bei w e m der Beginn der deutschen Literaturwissenschaft festzusetzen sei«: »Die ersten, die ihre Bemühungen um die deutsche Literatur als wissenschaftlich deklarierten, waren [...] einige Schüler Hegels, die sich der Neuheit ihres Anspruches und Verfahrens auch sehr wohl bewusst waren«. Dies seien Karl Friedrich Göschel ( 1784—1862), Hinrichs ( 1 7 9 4 - 1 8 6 1 ) , August Wilhelm Bohtz ( 1 7 9 9 - 1 8 8 0 ) , Hotho ( 1 8 0 2 - 1 8 7 3 ) , Heinrich Theodor Rötscher ( 1 8 0 3 - 1 8 7 1 ) , Rosenkranz ( 1 8 0 5 - 1 8 7 9 ) und Friedrich August Rauch ( 1 8 0 6 - 1 8 4 1 ) gewesen. Die These, diese Hegelianer pauschal als »Gründerge-
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sensansprüchen entscheiden, auf jene Bedingungen und Voraussetzungen, unter denen solche Entscheidungen fallen und Bestand haben« (S. 463, Anm. 2 u. S. 463), stellt unseres Erachtens einen aus der Beschäftigung mit der Systemtheorie resultierenden Theorieeffekt dar, der die Ebenen der Analyse und der Beurteilung vermengt: So zutreffend Dainats Feststellung und so wichtig es ist, sich um eine möglichst objektive Rekonstruktion der wissenschaftsgeschichtlichen Vergangenheit zu bemühen, so wenig braucht sich eine kritische Forschung mit diesem Schritt zu begnügen. Sie kann darüber hinaus auf der Grundlage rationaler Argumente Beurteilungen der ermittelten Sachverhalte vorlegen, die keineswegs als normative Wertsetzungen, sondern als Diskussionsvorschläge zu verstehen sind, über deren Triftigkeit innerhalb der interessierten Forschergemeinschaft zu befinden ist. Man sollte die regulative Idee, aus wissenschaftshistorischen Studien lernen zu können, trotz aller ihr von Danneberg/Schönert 1997 zu Recht entgegengebrachten Skepsis nicht vorschnell preisgeben. Lutz Danneberg und Jörg Schönert sprechen sich zwar nicht generell gegen die Möglichkeit einer Einlösung dieser regulativen Idee aus, stellen aber die nachdenklich stimmende Frage, ob man »aus Wissenschaftsgeschichte [...] eben doch nur Wissenschaftsgeó'cA/cAíe [lernt?]« (S. 56; Herv. v. Danneberg/Schönert). Unseres Erachtens formuliert diese Frage eine allzu pessimistische Position. Anspruchsvollen Arbeiten über die fachgeschichtliche Vergangenheit lassen sich selbst dann konstruktive Lerneffekte entnehmen, wenn es nicht gelingt, eine »übergreifende Verbindung zwischen wissenschaftlicher Vergangenheit und Gegenwart (oder Zukunft) etwa mittels Rationalitätstheorien« herzustellen (S. 54), wobei natürlich die hier nicht weiter zu verfolgende Frage zu erörtern wäre, unter welchen Bedingungen man von solchen Lerneffekten sprechen will.
neration« der Literaturwissenschaft zu betrachten 13 , ist jedoch nicht plausibel. Die genannten Autoren verwendeten die Begriffe »wissenschaftlich« und »philosophisch« nämlich wie Hegel als Synonyme, weil auch sie davon ausgingen, dass die weltgeschichtliche Vernunft sich ausnahmslos in allen Bereichen der Geschichte manifestiere. Sie waren deshalb weder gewillt noch dazu befähigt, die so genannte wissenschaftliche Beschäftigung mit den verschiedenen Künsten und der Literatur als selbstständige Disziplinen mit einem speziellen Gegenstandsbereich und empirischen, eigens dafür entwickelten Methoden anzuerkennen. Im Interesse einer »Vervollständigung der Philosophie« betrieben sie eine »angewandte Ästhetik«, die sich der »Methode der Konstruktion aus der Idee« befleißigte. Auf der Basis einer solchen spekulativen Ideengläubigkeit war keine moderne Wissenschaft möglich. Den orthodoxen Hegelianern ging es um »die Notwendigkeit der historischen Absicherung ideeller Konstruktionen«, nicht um die Erfassung der (kunst)geschichtlichen Wirklichkeit selbst 14 - Weimar hat das selbst hervorgehoben. Allein angesichts dieses Sachverhalts, dem weitere, nicht objekt- oder methodenspezifische, sondern institutionengeschichtliche Aspekte hinzugefügt werden können, ist es nur folgerichtig, dass er die These einer hegelianisch inspirierten Gründergeneration in seiner Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft (1989) nicht mehr aufrecht erhalten hat. Für unsere Zwecke aufschlussreich ist allerdings die hohe wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung, die Weimar den Literaturhistorikern Danzel, Prutz, Hettner und Haym dort zuerkennt, ohne freilich deren hegelianische Sozialisation ausdrücklich zu erwähnen. 15 Sowohl diese Einschätzung als auch der Ansatz, eine Autorengruppe aus dem Umkreis des Hegelianismus als Generation zu behandeln, sind als Anregungen in die vorliegende Untersuchung eingegangen, die Weimars Überlegungen über die Impulse des Hegelianismus für die Verwissenschaftlichung der Germanistik im 19. Jahrhundert aufgreift und weiterführt.
Zur vorliegenden
Untersuchung
Unsere Arbeit soll zur Erhellung des zwar lange bekannten, bislang aber kaum erforschten Sachverhalts beitragen, dass die Verwissenschaftlichung der Beschäftigung mit deutscher Sprache und Literatur während der Entstehungs- und Etablierungsphase des Fachs Germanistik auch von philosophisch geschulten Autoren profitiert hat. Ihr Erkenntnisinteresse lässt sich in dreifacher Hinsicht spezifizieren: Erstens konzentriert sie sich auf Verfasser aus dem Umfeld des Hegelianismus, da von dort offenbar nachhaltige Professionalisierungsimpulse für alle geisteswissenschaftlichen Fächer einschließlich der Germanistik ausgegangen sind. Zweitens thematisiert sie anspruchsvolle, modernen wissenschaftlichen Anforderungen (teilweise) Genüge leistende Autoren und Werke, um deren fachspezifische Innovations13 14 15
Weimar 1976, S. 303, 307 u. 312. Weimar 1976, S. 308, 312, 309 u. 312. Vgl. Weimar 1989, S. 319ff. 7
fahigkeit überzeugend belegen zu können. Drittens begreift sie exemplarisch ausgewählte Vertreter aus dem eingangs genannten, für die Entwicklung der Germanistik relevanten Personenkreis als eine eigenständige, durch ihre hegelianische Sozialisation definierbare Generation von Literatur- bzw. Philosophiehistorikern und versucht, sie in der Fachgeschichte der Germanistik zu verorten. Diese Prämissen haben den Zuschnitt der folgenden Untersuchungen geprägt. Eine personenzentrierte Behandlung unseres Themas erschien uns als wenig sinnvoll. Gewiss hätte man einen Autor auswählen und stellvertretend nach Maßgabe der skizzierten Fragestellungen behandeln können. Gleichwohl verspricht die Einbeziehung mehrerer hegelianischer Forscher einen größeren Erkenntnisgewinn. Eine solche, erweiterte Materialbasis ermöglicht nicht nur eine größere Reichweite und Plausibilität der Untersuchungsergebnisse, sondern auch differenziertere Einsichten in ein überindividuelles wissenschaftsgeschichtliches Phänomen. Allerdings musste aus arbeitsökonomischen Gründen natürlich eine Auswahl aus dem für uns interessanten Personenkreis getroffen werden. Unter Berücksichtigung der Frage nach dem Grad der fachwissenschaftlichen Kompetenz der relevanten Autoren konnten Rosenkranz und Vischer, Hehn und Gottschall ausgeschieden werden. Die beiden zuerst Genannten blieben zeitlebens Philosophen, die den definitiven Übergang zur historischen Literaturwissenschaft als Rückschritt empfunden hätten. Rosenkranz legte zwar seit 1830 eine Vielzahl instruktiver, für die Geschichte der Germanistik wichtiger Aufsätze und Bücher vor, publizierte aber auch beachtenswerte Werke philosophischen, philosophiehistorischen, ästhetischen, theologischen, pädagogischen sowie biographischen Inhalts und trat insbesondere als Hegel-Exeget in Erscheinung. Diese Vielseitigkeit erklärt sich aus seiner Auffassung, dass die Hegeische Philosophie in ihrer Funktion als Universalwissenschaft alle Einzeldisziplinen in sich enthalte und zu deren sachgemäßer Bearbeitung befähige. Dieselbe Überzeugung von der übergreifenden Bedeutung der Philosophie inspirierte den Ästhetiker, Kunst- und Literaturwissenschaftler Vischer, dessen sechsbändige Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen (1846/57) grundlegende Lehrsätze der idealistischen Metaphysik explizit voraussetzt und auf dieser Basis allen Künsten und Kunstwerken ihren historisch-systematischen Ort anweisen will. Rosenkranz und Vischer können also nicht im Mittelpunkt unserer Untersuchung stehen, sollen jedoch aus zwei Gründen in sie einbezogen werden. Einerseits haben sie die Diskussion über die (deutsche) Literatur zu ihrer Zeit stark beeinflusst. Andererseits lassen sich die anderen, durch sie ebenfalls geprägten, professioneller arbeitenden und deshalb für uns unmittelbar einschlägigen hegelianischen Literaturhistoriker von ihnen abgrenzen, so dass sich innerhalb der hier behandelten Autorengruppe eine schrittweise Annäherung an ein modernes Wissenschaftsverständnis aufzeigen lässt. Hehn und Gottschall stehen der Verabsolutierung von Hegels Philosophie zwar schon fern, können aber wegen ihrer vergleichsweise geringen Bedeutung für die Geschichte der Germanistik unberücksichtigt bleiben. Beide hatten kaum Anteil an der
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zeitgenössischen literaturwissenschaftlichen Kommunikation und entwickelten im Gegensatz zu Prutz, Danzel, Hettner und Haym keinen Ehrgeiz, sich in zentrale, Einfluss und Ansehen garantierende akademische Institutionen einbinden zu lassen. Hehns Tätigkeit als Lektor für deutsche Sprache und Literatur an der Universität Dorpat (1847-1851) und als Oberbibliothekar an der Bibliothek in Petersburg (1855-1873) vollzog sich an Orten, die für den Verwissenschaftlichungsprozess der Beschäftigung mit deutscher Sprache und Literatur keine Bedeutung hatten. Die Betrachtungen über Goethe (1887) erschienen erst drei Jahre vor seinem Tod. Hehn war bis zu diesem Zeitpunkt lediglich als Reiseschriftsteller und Kulturhistoriker bekannt geworden, während seine wenigen anderen, für unsere Zwecke wichtigen Texte alle postum publiziert wurden. Hehns notorische Publikationsscheu, die sowohl aus seinem kontemplativen, Jakob Burckhardts Geisteshaltung verwandten Naturell als auch aus einem an klassischen Mustern geschulten Stilwillen resultiert, stellt das genaue Gegenteil des Veröffentlichungsbedürfnisses eines professionellen, sich durch die Mitteilung von Forschungsergebnissen legitimierenden Autors dar. Gottschalls Universitätskarriere war schon nach seiner Promotion zum Doktor der Rechte (1846) beendet, weil er den vom Ministerium Eichhorn geforderten Nachweis seiner politischen Loyalität nicht erbringen konnte oder wollte. Immerhin war er der gebildeten Öffentlichkeit durch seine auflagenstarke Deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts (1855) und durch eine große Zahl literaturkritischer und kulturhistorischer Studien bekannt. Als Verfasser einer Poetik (1858), langjähriger Redakteur (1865-1888) der Blätter fiir literarische Unterhaltung und versatiler, in allen Gattungen produzierender Dichter gehört er jedoch wie sein Kollege Julian Schmidt zu jenen insbesondere für das zweite Drittel des 19. Jahrhunderts typischen Kritikern, die sich, außerhalb des akademischen Bereichs stehend, unter anderem auch literaturhistorischen Genres zuwandten. Schließlich haben wir uns für den Ausschluss Danzels entschlossen. Selbstverständlich war hierfür der Maßstab der wissenschaftlichen Befähigung nicht entscheidend, da Danzel als der in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts arrivierteste Vertreter der hegelianischen Literaturhistoriographie anzusehen ist. Deshalb ist uns die Entscheidung gegen diesen Autor, dessen Berücksichtigung der These bezüglich der vom Hegelianismus stimulierten Verwissenschaftlichungstendenzen erhebliches zusätzliches Gewicht verliehen hätte, besonders schwer gefallen. Allerdings sprach gerade die früh erreichte Professionalität insofern gegen seine Einbeziehung, als der im Alter von nur 32 Jahren Verstorbene mit seiner Gottsched-Edition (1848) und seiner LessingMonographie (1850) schon zur Jahrhundertmitte Arbeiten vorgelegt hatte, die in doppelter Hinsicht als nicht repräsentativ eingestuft werden müssen. Sie sind - etwa im Vergleich mit Hettners Romantischer Schule (1850) - weder für den Argumentationsstand und Verwissenschaftlichungsgrad innerhalb der hier zu behandelnden Autorengruppe noch für die damalige Gesamtsituation des Fachs Germanistik charakteristisch, weil sie die erst in den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts aufkommende neuphilologische Praxis antizipierten, Dichtermonographien oder Quellensammlungen vorzulegen.
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Im Zentrum unserer Untersuchung werden also Prutz, Hettner und Haym stehen. Der Ansatz, sie als Vertreter einer vom Hegelianismus beeinflussten Generation von Literaturwissenschaftlern zu begreifen, hat zwei Konsequenzen. Zum einen impliziert er eine Konzentration auf die Gemeinsamkeiten und vergleichbaren Züge dieser Autoren. Die Unterschiede zwischen ihnen sollen nicht verschwiegen, hauptsächlich aber dann angesprochen werden, wenn sie im Rahmen unseres Erkenntnisinteresses signifikant sind. Wegen der Vielseitigkeit von Prutz, Hettner und Haym wird man daher die Beschäftigung mit mancher Thematik vermissen, die bei einer Beschränkung auf die Auseinandersetzung mit einem der drei Autoren hätte zur Sprache gebracht werden müssen. Zum anderen hat der hier gewählte Ansatz eine gewisse Vernachlässigung der diachronen Dimension unseres Untersuchungsgegenstands zur Folge. Es wird zwar dargelegt, dass Prutz, Hettner und Haym eine modernere, professionellen Standards eher genügende Wissenschaftsauffassung besaßen als Vischer und Rosenkranz. Ansonsten wird es jedoch im Hinblick auf die im Zentrum unserer Untersuchung stehenden Autoren insbesondere darum gehen, deren Generationszugehörigkeit durch die Herausarbeitung der zwischen 1840 und 1870 sich nicht wesentlich verändernden Konstanten ihrer weltanschaulichen Überzeugungen und Wissenschaftspraxis zu betonen. Es soll gezeigt werden, dass alle ihre Werke von Prutz' Göttinger Dichterbund (1841) bis zu Hayms Romantik-Monographie (1870) trotz gewisser Modifikationen Resultate desselben, von den Ereignissen der Jahre 1848/49 im Kern unberührt gebliebenen Wissenschaftsparadigmas sind, das überdies eine hinreichende Trennschärfe gegenüber den von einem philologischen Wissenschaftsverständnis ausgehenden Arbeiten der Scherer-Schule besitzt. Schließlich ist es angebracht, unsere Fragestellung von philosophiegeschichtlichen Untersuchungen abzugrenzen. Hegels Denken und seine Derivate werden hier aus einem ihnen unangemessenen Blickwinkel betrachtet. Wir interpretieren sie als Materialbasis, aus der Prutz, Hettner und Haym einige für ihre Zwecke nutzbringende Elemente nach eigenem, nicht immer reflektiertem Gutdünken übernommen haben. Detaillierte, im Rahmen unseres Erkenntnisinteresses unergiebige Ausfuhrungen zu den Problemen, was im Einzelnen unter dem äußerst vielschichtigen ideengeschichtlichen Phänomen des Hegelianismus zu verstehen ist und weshalb bzw. inwiefern die uns beschäftigenden Autoren Hegel missverstanden haben, wird man im Folgenden ebenso wenig finden wie eine kritische Bewertung dieser Missverständnisse. Stattdessen gehen wir von der Tatsache aus, dass die verkürzte und subjektive Wahrnehmung von Hegels Philosophie ein zeittypisches Phänomen darstellt und als Bedingung der Möglichkeit für die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung der Werke von Prutz, Hettner und Haym anzusehen ist. Für unsere Zwecke gleichfalls nicht zentral ist das für die philosophiehistorische Forschung zahlreiche Schwierigkeiten mit sich bringende Problem, die diversen, meist kurzlebigen Gruppierungen der Hegelianer zu identifizieren. Das hängt damit zusammen, dass wir uns größtenteils auf allgemeine, von allen Hegelianern geteilte philosophische und weltanschauliche Grundannahmen beziehen und dass die ohnehin nicht eindeutigen
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Bezeichnungen der verschiedenen Hegel-Schüler aus dem von uns gewählten wissenschaftsgeschichtlichen Blickwinkel unbrauchbar sind. 16 Wir unterscheiden daher primär zwischen Hegels Philosophie und dem hegelianischen Schrifttum, also den Werken der Hegel-Schüler. Sollte der jeweilige Argumentationskontext weiterer Spezifizierungen bedürfen, so werden sie dort eigens thematisiert.
Die
Kapitelfolge
Unsere Untersuchung besteht aus sieben Kapiteln. Das zweite Kapitel ist einem prominenten Autor vorbehalten, dessen Name bislang noch nicht gefallen ist: Heinrich Heine ist schon mehrfach Gegenstand von Arbeiten gewesen, die seine Beschäftigung mit Hegels Philosophie und seine Kontakte zu Hegelianern thematisiert haben. 1 7 Im Gegensatz zu diesen allgemein gehaltenen Arbeiten soll demonstriert werden, dass Heines Deutschland-Schriften und deren Rezeption durch einen bestimmten Personenkreis auch für unser spezielles Erkenntnisinteresse lohnende Untersuchungsobjekte darstellen. Das dritte Kapitel behandelt die Frage der Generationszugehörigkeit von Prutz, Hettner und Haym. Hier werden alle Daten gesammelt und in vergleichender Perspektive vorgestellt, die in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht aufschlussreich sind. Nach der Auswertung dieses Datenmaterials begeben wir uns auf die Spurensuche nach den Reflexen des Hegelianismus in den Werken von Prutz, Hettner und Haym. Unter Einbeziehung einschlägiger Texte von Rosenkranz und Vischer wird das vierte Kapitel ihre Hegel-Rezeption thematisieren und sich sodann der Erörterung der daraus resultierenden Folgen für ihr Geschichtsverständnis widmen. Das fünfte Kapitel diskutiert die Hinwendung unserer Autoren zur Literatur- und Philosophiegeschichtsschreibung vor dem Hintergrund ihres hegelianischen Geschichtsverständnisses und stellt die von ihnen erhobenen programmatischen Forderungen an eine anspruchsvolle Historiographie vor. Das sechste, die Realisierung theoretischer Vorgaben überprüfende Kapitel beschäftigt sich konkret mit den Möglichkeiten und Grenzen ihrer Literaturgeschichtsschreibung. Dabei bot sich ihre Auseinandersetzung mit der Romantik an, weil nicht nur sie, sondern - außer Heine - mit Hegel und Rosenkranz zwei weitere, für uns interessante und deshalb dort mitberücksichtigte Verfasser einschlägige Arbeiten hierüber vorgelegt
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Politische und wissenschaftsgeschichtliche Fortschrittsbestrebungen sind natürlich keinesfalls identisch. So sind beispielsweise Hothos Untersuchungen zur Kunst und Literatur (vgl. Ziemer 1994, S. 24ff.) für die Geschichte der Geisteswissenschaften von größerer Wichtigkeit als das Romantik-Manifest (1839/40) von Arnold Rüge und Theodor Echtermeyer. Andererseits - darauf wird im dritten Kapitel unserer Untersuchung zurückzukommen sein darf man die etwa von den junghegelianischen Zeitschriften ausgehenden Impulse für die Verwissenschaftlichung der Beschäftigung mit der (deutschsprachigen) Literatur nicht unterschätzen. - Zur Problematik der Begriffe »Alt-« und »Jung-«, »Links-« und »Rechtshegelianer«, die schon die mit diesen Begriffen operierenden und bezeichneten Autoren selbst beschäftigte, vgl. Eßbach 1988, S. 131 ff. u. 155f., Anm. 228.
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Vgl. Harich 1956, Krüger 1977 und Lefebvre 1986. 11
haben. 18 Abschließend wird der Versuch unternommen, den Professionalisierungsgrad der Wissenschaftspraxis von Prutz, Hettner und Haym kritisch zu bilanzieren, diese Autoren in der Geschichte der Germanistik zu situieren und die Frage zu erörtern, weshalb ihnen eine dauerhafte Etablierung der Disziplin der (Neueren) deutschen Literaturgeschichte an der Universität nicht gelungen ist.
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Dies ist ein weiterer, allerdings nur äußerlicher Grund, der gegen die Berücksichtigung Danzels im Rahmen unserer Untersuchung sprach. Da Danzel sich im Gegensatz zu Prutz, Hettner und Haym nicht ausführlich mit der Romantik auseinandergesetzt hat, hätte seine Einbeziehung das Scheitern unserer Absicht bedeutet, die Romantik-Rezeption aller schwerpunktmäßig thematisierten Autoren vergleichend vorzustellen.
II. Heines Deutschland-Schriften und ihre zeitgenössische wissenschaftliche Rezeption
Gervinus: Die Aufgabe war: was H. Hfeine] in einem kl[einen] Büchlein voll Geist gegebenf,] jetzt in einem grfoßen] Buche ohne Geist zu geben die Aufgabe [ist] gut gelöst (Heinrich Heine, in: DHA X, S. 331).
D i e s e s Kapitel soll anhand der Erörterung der philosophie- und literaturgeschichtlichen Abhandlungen Heinrich Heines in den Problemkreis der Untersuchung einfuhren. Im Mittelpunkt der folgenden Ausfuhrungen stehen die Schriften ZGR und RS, 1 die entstehungsgeschichtlich sowie konzeptuell zusammengehören und deshalb eine »fragmentarische Einheit« bilden. 2 Die Frage, ob man Heines Deutschland-Schriften, vornehmlich RS, als literaturgeschichtliche(s) Werk(e) bezeichnen kann, hat die Forschung immer wieder beschäftigt. Die bislang darauf gegebenen Antworten können nicht befriedigen. Sie waren nämlich von der meistens nicht eigens thematisierten Voraussetzung abhängig, was die jeweiligen Wissenschaftler unter einer Literaturgeschichte verstanden. Ein solches dezisionistisches Verfahren war allerdings insofern unumgänglich, als das maßgebende Genre selbst nur unzureichend erforscht war. Diese Situation hat sich seit den Untersuchen von Jürgen Fohrmann definitiv geändert. Obwohl Fohrmann nur gelegentlich auf Heine zu sprechen kommt, können seine Arbeiten wesentlich zur Klärung unserer Fragestellung beitragen. 3
1 2
3
Über die Verwendung und Platzierung von Siglen vgl. unten Seite 311. Götze 1980, S. 397f. Heine hat auf die Betonung dieses Zusammenhangs, der nur in den unter dem Obertitel De l 'Allemagne publizierten französischen Buchausgaben der beiden Texte (1835 und 1855) verwirklicht werden konnte, großen Wert gelegt. In der Vorrede zur Erstauflage des Salon II, der hauptsächlich ZGR enthält, weist Heine daraufhin, »daß diese Blätter [...] zu einer Ueberschau deutscher Geistesvorgänge [gehören,...] die auch in deutscher Sprache als Beyträge >zur Geschichte der neueren schönen Literatur in Deutschland< erschienen sind«. Äußere Gründe hätten es ihm »nicht [erlaubt], die verschiedenen Theile jener Ueberschau in chronologischer Reihenfolge und unter einem Gesammttitel mitzutheilen« (DHA VIII, S. 11). In der Vorrede zur RS schreibt Heine, er habe seine »Mittheilungen >zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland< als einen zweiten Theil des >Salon< publiziren müssen; und doch sollte diese Arbeit eigentlich die allgemeine Einleitung in die deutsche Literatur bilden« (DHA VIII, S. 123). Wir können im Folgenden natürlich nur die wichtigsten Punkte aus den seit 1986 vorgelegten materialreichen Untersuchungen Fohrmanns skizzieren. Grundlegend ist Fohrmann 1989; verwiesen sei hier insbesondere auf Fohrmann 1991 a, weil dieser Aufsatz die unseres Erachtens konziseste Zusammenfassung der Forschungen Fohrmanns bietet und sich überdies auf den für Heine relevanten Zeitraum bis zur Jahrhundertmitte beschränkt. 13
Das Projekt der nationalen
Poesiegeschichtsschreibung
Im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts setzte sich die Überzeugung durch, dass man von einer in der Geschichte selbst auffindbaren Ordnung auszugehen habe, die dem Historiker die Pflicht auferlege, die in der Vergangenheit sich manifestierenden Gesetzmäßigkeiten herauszuarbeiten. Auch das Projekt der deutschen Literaturgeschichte beruht auf diesen weltanschaulichen Voraussetzungen. Es sollte als qualitative Überbietung der überkommenen enzyklopädisch-bibliographischen Litterärgeschichten fungieren, deren polyhistorisches Klassifizierungsschema nunmehr als äußerliches, zum eigentlichen Gehalt der historischen Überlieferung nicht vordringendes Mittel der Materialerschließung betrachtet wurde. Wer im Gegensatz zu den aggregathaften, auf quantitative Vollständigkeit bedachten Litterärgeschichten eine wahrheitsgetreue Rekonstruktion der Vergangenheit anstrebe, der müsse seine besondere Aufmerksamkeit auf die historische Tiefendimension richten und die hinter der Oberfläche der scheinbar kontingenten Fakten und Ereignisse wirksamen Ideen aufspüren. Wenn man diese Ideen und die von ihnen geschaffenen Sinnzusammenhänge zum Gegenstand der Darstellung mache, dann könne man eine innere, d.h. Authentizität verbürgende Geschichte schreiben. Die Vertreter der im 19. Jahrhundert reüssierenden Literaturgeschichte versuchten diese Forderung einzulösen, indem sie ihr Material über die ihres Erachtens einheits- und kontinuitätsstiftende Kategorie der Nation organisierten. Sie verfolgten die Entelechie eines zwar gleich bleibenden, sich jedoch zeitlich entfaltenden und insofern seiner eigentlichen Bestimmung immer näher kommenden Volksgeistes, der sich in den poetischen Werken seinen adäquatesten Ausdruck geschaffen habe. Die Nation repräsentierte das Ganze im Sinne einer qualitativ verstandenen Totalität. Sie sollte eine substanzielle Historiographie ermöglichen, die alle relevanten Bestandteile der Tradition in den Blick bekommen und die zwischen ihnen bestehenden Zusammenhänge veranschaulichen könne. Das neue literaturhistorische Projekt wurde als nationale, sich sowohl an Experten als auch an gebildete Laien richtende Wissenschaft begriffen, welche die über den reinen Erkenntnisgewinn hinausgehende öffentliche Aufgabe besitze, durch die Darlegung der Beschaffenheit des Volksgeistes identitätsbildend zu wirken und dadurch zugleich ein politisches Orientierungswissen bereitzustellen. Angesichts dieser Zielsetzung der Literaturgeschichte, die ohnehin mit den ästhetischen Qualitäten eines Kunstwerks verglichen wurde, da sich die Einheit und Ordnung der historischen Entwicklung in ihr widerzuspiegeln habe, verlangte man von ihrem Verfasser die Fähigkeit, sich einer gut lesbaren und dennoch wissenschaftlichen Standards genügenden Schreibart zu befleißigen.
Theorie... Vergleicht man die von Fohrmann vorgelegten Ergebnisse mit einschlägigen Textstellen aus Heines Werk, so kann man feststellen, dass Heine mit der zeitgenössi14
sehen Diskussion über die Anforderungen an eine moderne Literaturgeschichtsschreibung vertraut war und einige in dieser Hinsicht relevante Standards in seinen Deutschland-Schriften historiographisch verwirklicht hat. Heine beteiligte sich an der für die 20er und 30er Jahre des 19. Jahrhunderts typischen Polemik gegen die obsoleten, »Aeußerlichkeiten« (DHA X, S. 338) verhafteten Litterärgeschichten. Wolfgang Menzel, so schrieb er 1828, sei leider »mehr ein encyklopädischer Kopf als ein synthetisch wissenschaftlicher«. Die in seinem Werk Die deutsche Literatur (1828) behandelten »Gegenstände entsteigen daher nicht aus einem einzigen innersten Prinzip, sie werden vielmehr nach einem geistreichen Schematismus einzeln abgehandelt« (DHA X, S. 240). Wer ein »Convolut raisonnirender Artikel, literärischer Rapsodien, trockner Notizen« vorlege oder sich »gar ins Gebiet der Chrestomathie« verirre (DHA XIII, S. 300), der könne nicht als ernst zu nehmender Literaturhistoriker gelten. Im Gegensatz dazu plädiert Heine in der RS für den Versuch, die Suche nach geschichtlichen Zusammenhänge zum durchgängigen Forschungsimperativ zu machen, weil man nur so zu wesentlichen Einsichten in den Verlauf der Geschichte gelangen könne. »Die großen Fakta und die großen Bücher entstehen nicht aus Geringfügigkeiten, sondern sie sind nothwendig, sie hängen zusammen mit den Kreisläufen von Sonne, Mond und Sternen, und sie entstehen vielleicht durch deren Influenz auf die Erde. Die Fakta sind nur die Resultate der Ideen« (DHA VIII, S. 216). Diese Ideen4 seien die entscheidenden Triebkräfte der geschichtlichen Entwicklung. Sie übten die ihnen zuerkannte Steuerungsfunktion letztlich jenseits des Wirkungsbereichs einzelner Akteure aus - daher korreliert Heine sie mit den von Menschenhand unbeeinflussbaren Planetenbewegungen - und schüfen eine sich dem geschulten Blick des Historikers erschließende Kohärenz zwischen den unterschiedlichsten Ereignissen oder kulturellen Manifestationen einer Epoche. Wie in einem kleinen Wasserglas eine ganze Welt wunderlicher Thierchen enthalten ist, die eben so sehr von der Allmacht Gottes zeugen, wie die größten Bestien: so enthält der kleinste Musenalmanach zuweilen eine Unzahl Dichterlinge, die dem stillen Forscher eben so interessant dünken, wie die größten Elephanten der Literatur (DHA VIII, S. 216).
Neben ihrer realhistorischen Wirksamkeit spricht Heine den Ideen also eine zentrale erkenntnisleitende Funktion zu. Wer »die Erscheinung gewisser Ideen, oder gewisser Bücher worin diese sich offenbaren« (DHA VIII, S. 216), begriffen habe, der könne eine innere Geschichte der Literatur schreiben, welche »die Schriftsteller [...] nach dem innern geistigen Prinzip, nach Wahlverwandschaft [ordnet]« (DHA X, S. 33 8).5 Mit dem von ihr erbrachten Nachweis, »daß zu gewissen Zeiten sich gewisse 4
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Heines Ideenbegriff und seine Konzeptualisierung durch die Vertreter des (frühen) Historismus (vgl. Ansei 1990, S. 86ff.) weisen zahlreiche Parallelen auf. Heine grenzt eine solche Literaturgeschichte nicht nur vom aggregathaften »Typus der >LitterärgeschichteWiener Vorlesung e n organisieren ihr Material national, und dies gilt nicht nur für die Moderne. >Nation< kann jetzt rückprojiziert werden« (Fohrmann 1989, S. 111). Ein solches »Konzept der romantischen Nationalisierung« liegt auch August Wilhelm Schlegels Vorlesungen über die Geschichte der deutschen Sprache und Poesie zugrunde, die Heine als Student im Wintersemester 1819/20 in Bonn gehört hat. Dort ist allerdings der unter den Vorzeichen dieses Konzepts stehende »rekonstruktive Impetus [versandet ...] Schlegel liefert eine Literaturgeschichte, die sich weitgehend philologisiert hat« (ebd., S. 110). Über die häufige Verwendung des Volksgeistbegriffs in Hegels Geschichtsphilosophie, die Heine im Wintersemester 1822/23 als Berliner Student kennen gelernt hatte, informiert Lefebvre 1986, S. 45f. u. 106ff.; vgl. auch das unter der Anmerkungsnummer 38 auf Seite 159 mitgeteilte Zitat. Volksgeistspekulationen haben auf das Geschichtsverständnis Heines eine anhaltende, auch nach der Abfassung von ZGR und RS wirksame Attraktivität ausgeübt. Die bei Lefebvre 1986 (S. 53ff.) aufgelisteten Anstreichungen in seinem Handexemplar der zweiten, 1840 erschienenen und von Karl Hegel herausgegebenen Auflage von Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte heben mehrere Stellen hervor, die in diesem Sinne einschlägig sind.
nis der »Bedeutung der Religion und Philosophie in Deutschland« unverzichtbar (DHA VIII, S. 13). Am Anfang der RS setzt er sich mit Madame de Staëls Werk De l'Allemagne (1810) auseinander, das trotz seiner Qualitäten ein distanziert zu betrachtendes, antinapoleonisches »Koteriebuch« (DHA VIII, S. 125) sei. 7 Keineswegs zufallig vergleicht er es mit der Germania des Tacitus, die schon den deutschen Humanisten des 16. Jahrhunderts als wichtiger Bezugstext bei ihren Bemühungen um die Erstellung einer idealisierten deutschen Kulturtradition gedient hatte. Da de Staël wie Tacitus »durch [ihre] Apologie der Deutschen, eine indirekte Satyre gegen [ihre] Landsleute schreiben wollte«, habe sie keine wahrheitsgetreue Darstellung der »Evoluzionen des deutschen Geistes« liefern können (DHA VIII, S. 126 u. 125). Dagegen macht Heine noch 1855, im Avant-Propos zur französischen Neuauflage seiner ebenfalls unter dem Titel De l'Allemagne zusammengefassten Deutschland-Schriften, den Anspruch geltend, dieses von seiner berühmten Vorgängerin verfehlte Ansinnen befriedigend umgesetzt zu haben. Er habe sich mit jenen Schriften »imposé la tâche de dévoiler aux yeux du public français ce que le peuple allemand possède de plus intime et de plus national, et en quoi s'exprime pour ainsi dire toute son âme rêveuse et forte à la fois« (DHA VIII, S. 255). Außerdem wollte Heine die Einsichten in die Beschaffenheit des deutschen Volksgeistes und seines derzeitigen Entwicklungsstandes für literarische und praktische Zwecke nutzbar machen. Der Eifer für »historische Untersuchungen« sei mit einem »offenefn] Auge für alle Erscheinungen des wirklichen Lebens« (DHA XIII, S. 300) zu verbinden. Da Heine mit seiner Historiographie »das Verhältniß des Lebens zu den Büchern aufzufassen« (DHA X, S. 240) gedachte, richtete er sich an ein kulturell und politisch interessiertes Laienpublikum, das mit einer leicht verständlichen Schreibart anzusprechen sei. Heine stilisiert sich zum Vorkämpfer der Rechte des Volkes, der im Gegensatz zu den »meisten deutschen Gelehrten« bestrebt gewesen sei, »sich populär auszusprechen« und »die Ausdrücke einer Schulsprache zu vermeiden« (DHA VIII, S. 13). Wenigstens in diesem beherzigenswerten Punkt glaubt er August Wilhelm Schlegel ein Verdienst um die deutsche Literatur zuerkennen zu müssen. Schlegel habe »gezeigt, wie man wissenschaftliche Gegenstände in eleganter Sprache behandeln kann. Früherhin wagten wenige deutsche Gelehrte ein wissenschaftliches Buch in einem klaren und anziehenden Style zu schreiben« (DHA VIII, S. 173). 8 Mittlerweile habe man jedoch begriffen, dass auch eine anspruchsvolle Literaturgeschichte nur einem »durch ästhetische Begabnisse, durch Macht der Darstellung [ausgezeichneten]« Autor gelingen könne, da sie einem Kunstwerk gleiche:
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Wesentlich ausführlicher begründet Heine diese Charakterisierung von de Staels Werk zu Beginn seiner Geständnisse (DHA XV, S. 9-57; hier: S. 15ff.). Zu de Staels Werk vgl. Barbe 1994. Vgl. Heines Polemik gegen Kants Stil in der Kritik der reinen Vernunft (1781/87): »In Betreff der [schlechten Schreibart] verdient Kant größeren Tadel als irgend ein anderer Philosoph. Um so mehr, wenn wir seinen vorhergehenden besseren Styl erwägen. Die kürzlich erschienene Sammlung seiner kleinen Schriften enthält die ersten Versuche, und wir wundem
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Sie sei »unterhaltend wie ein Kunstwerk durch harmonischen Reitz der schönen Rede« (DHA XIII, S. 301).
... und historiographische
Praxis
Heines glaubte zumindest in den 30er und 40er Jahren an eine in der Geschichte selbst auffindbare Ordnung. Da er der Ansicht war, dass das Freiheitsprinzip sich unaufhaltsam ausbreite, untergliederte er die nachmittelalterliche deutsche Geschichte in eine religiöse, eine ästhetische und eine politische Periode. 9 Im Reformationszeitalter sei der Gedanke von der Freiheit jedes Individuums erstmals definitiv artikuliert worden, aber auf den Geltungsbereich des religiösen Lebens beschränkt geblieben. Während des in der Dichtung Goethes und Schillers sowie der Philosophie des Deutschen Idealismus kulminierenden 18. Jahrhunderts habe dieser emanzipatorische Gedanke seine Wirkung auf die Sphäre der säkularen Moral und des gesellschaftlichen Umgangs ausgedehnt und stehe gegenwärtig, in der mit dem Schlagwort vom »Ende der Kunstperiode« zu charakterisierenden Übergangszeit, im Begriff, sich Einfluss auf die Gestaltung der politischen Wirklichkeit zu verschaffen. Angesichts dieser fortschrittsoptimistischen Überzeugung vom geordneten Verlauf der Geschichte fiel es Heine nicht schwer, ideengeschichtliche Zusammenhänge herzustellen. Er konstatiert sie zwischen Religion und Philosophie, indem er den Deutschen Idealismus als legitimen Erben des Protestantismus vorstellt, sowie zwischen Philosophie und Literatur: Gleich zu Beginn des ersten Buches von ZGR situiert er die Dichtung vor dem Hintergrund der religions- und philosophiegeschichtlichen Entwicklung in Deutschland. 10 Zugleich thematisiert er innerliterarische Zusammenhänge. Von zentraler Wichtigkeit ist hierbei die Tatsache, dass er als erster die »Coterie« (DHA VIII, S. 222) der sich anfangs in Jena um die Brüder Schlegel sammelnden Dichter unter dem Namen der romantischen Schule subsu-
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uns da über die gute, manchmal sehr witzige Schreibart«. »Kant hat durch den schwerfalligen, steifleinenen Styl seines Hauptwerks sehr vielen Schaden gestiftet. Denn die geistlosen Nachahmer äfften ihn nach [...], und es entstand bey uns der Aberglaube, daß man kein Philosoph sey wenn man gut schriebe« (DHA VIII, S. 82 u. 83). Am Ende von ZGR findet sich eine ironische Variante dieser Dreiteilung: »Mich dünkt, ein methodisches Volk wie wir, mußte mit der Reformazion beginnen, konnte erst hierauf sich mit der Philosophie beschäftigen, und durfte nur nach deren Vollendung zur politischen Revoluzion übergehen. Diese Ordnung finde ich ganz vernünftig [...] Die Philosophie hätte [...] nimmermehr die Köpfe gebrauchen können, die von der Revoluzion, wenn diese ihr vorherging, abgeschlagen worden wären« (DHA VIII, S. 117). Auch in einem ursprünglich als Anfang von ZGR geplanten Text zieht Heine den vom Deutschen Idealismus entwickelten »Satz der Identitätslehre« als Erklärungsgrundlage für die deutsche Dichtung heran. »Diesen Satz [...] werde ich oft im Sinne tragen und meine Worte werden manchmal als Variazionen desselben gelten können. Denn nicht bloß dient er als Stütze einer möglichen Ethik [...], sondern es ergeben sich daraus die größten Wahrheiten der Poetik, und er findet noch fruchtbarere Anwendung wenn ich das Wesen der neueren deutschen Literatur zu erklären [...] habe« (DHA VIII, S. 446).
miert. 1 1 Damit löste sich Heine - wie Manfred Windfuhr zu Recht betont hat - von der »damals [noch] herrschenden Vorstellung von der Romantik als Kategorie für die moderne, nichtantikisierende Literatur schlechthin« und begriff sie stattdessen als eigenständige kulturhistorische Strömung. Angesichts ihrer »Eingrenzung auf die spezifische Periode um 1800« biete RS »die erste zusammenfassende Darstellung der engeren Romantik [...] und ist also als eine Pionierarbeit innerhalb der Romantikgeschichtsschreibung zu bezeichnen«. 1 2 Heine beließ es aber nicht nur bei der Herausarbeitung kultureller Interdependenzen, sondern stellte die Religion, Philosophie und Literatur auch in das politische und soziale Umfeld ihrer Zeit. Er deutet an, dass nicht zuletzt eigensüchtige materielle und politische Interessen aller am Reichstag zu Worms (1521) Beteiligten die Ausbreitung der Reformation begünstigt hatten ( D H A VIII, S. 32). Die Entwicklung des Deutschen Idealismus wird von ihm in Beziehung zur französischen Zeitgeschichte seit 1789 gesetzt ( D H A VIII, S. 77), indem er Kant mit Robespierre, Fichte mit Napoleon, Schelling mit der Restauration seit 1815 und Hegel mit Louis Philippe vergleicht. 1 3 Außerdem hebt er die politische Begünstigung hervor, welche die romantische Besinnung auf die Traditionen des deutschen Volksgeistes vor und während der Befreiungskriege erfahren hatte, und beleuchtet die mittelbar herrschaftsstabilisierende, auf Ablenkung und Zerstreuung beruhende Funktion der politisch indifferenten oder affirmativen Gegenwartskunst sowie deren Förderung durch restaurative Kräfte ( D H A VIII, S. 140ff. u. 178ff.). 1 4
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Kruse 1973 (S. 452) weist in diesem Zusammenhang auf den Einfluss von »Heines Lehrer August Wilhelm Schlegels« hin, dem »der Begriff >Schule< [sehr geläufig ist...] Die Bonner Vorlesungen seit dem Wintersemester 1818/19 verwenden ihn für die verschiedensten Gruppenphänomene«. Windfuhr 1981, S. 1048; vgl. ebd., S. 1294ff. Lefebvre 1986 macht in seinem Exkurs über die »[im Allgemeinen wenig bekannte] Wirkungsgeschichte der deutschen Philosophie in Frankreich« (S. 200ff., Anm. 51; Zitat: S. 200) darauf aufmerksam, dass Heine eine solche Pionierleistung auch mit der französischen Fassung seiner Abhandlung ZGR erbracht hat: »Der Beginn der Rezeption Hegels fallt [...] in den Zeitabschnitt 1830-1840, wie auch die Rezeption Kants, Fichtes und Schellings zwischen 1820 und 1830 einsetzte. Angesichts dieser Tatsachen wird die Originalität und die Bedeutung von Heines Ansatz - Heine war der erste Hegelianer, der auf Französisch publizierte - besonders deutlich« (S. 201). Vgl. DHA VIII, S. 80ff. (Kant), 94 (Fichte) u. 114f. (Schelling und Hegel). Zum ersten Mal führte Heine diese Analogie 1831 in seiner Einleitung zu: Kahldorf über den Adel durch (DHA XI, S. 134-145; hier: S. 134f.). »Die Parallelisierung von deutscher Philosophie und politischer Revolution in Frankreich« ist im philosophiehistorischen Schrifttum der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts häufig anzutreffen. »[Sie] findet sich [...] in nahezu allen Darstellungen, in denen die Rechtshegelianer auf die Geschichte des deutschen Idealismus reflektieren« (Hengst 1973, S. 59). Vgl. Anm. 22 auf Seite 24. Die Treffsicherheit der beiden zuletzt genannten Textstellen erhellt nicht zuletzt daraus, dass sie von der Zensur (teilweise) gestrichen wurden. Die Vertreter des Spätabsolutismus fühlten sich offenbar durch die in den unterdrückten Passagen dargelegten Zusammenhänge kompromittiert. 19
Diese Beispiele, die um viele weitere ergänzt werden könnten, zeigen, dass Heines Historiographie maßgeblich durch die Darstellung (ideen)geschichtlicher Zusammenhänge geprägt wird. Zusammenhänge lassen sich jedoch nur durch die Verwendung von Oberbegriffen herstellen. Als materialerschließende und -strukturierende Bewertungskriterien finden insbesondere die Begriffe »Protestantismus«, »Reformation« und »Revolution«, »Sensualismus«, »Pantheismus«, »Freiheit« und »Humanität« Verwendung, da sie als fortschrittsweisende, die Signatur der Neuzeit bestimmende Ideen angesehen wurden. Mit ihrer Hilfe sowie der ihrer Gegenpole (»Katholizismus«, »Restauration«, »Indifferentismus« und »Spiritualismus«) verknüpft Heine geschichtliche Ereignisse und Personen zu Entwicklungsreihen, wobei die Komplexität dieses Verfahrens dadurch gesteigert wird, dass er historische Phänomene oder Personen je nach Perspektive in verschiedene Stränge eingliedert und einer unterschiedlichen Beurteilung unterzieht. 15 So ist Goethe für Heine in politischer Hinsicht ein rückständiger Indifferentist, während er als Künstler auf der Höhe, ja sogar im Zentrum seiner Zeit steht. Papst Leo X. ist zwar der ranghöchste Vertreter des emanzipationsfeindlichen Katholizismus, wird in seiner Eigenschaft als Förderer der sinnenfreudigen Renaissancekunst jedoch »ein eben so eifriger Protestant wie Luther« (DHA VIII, S. 133) genannt. Genügt Heine auch dem Postulat, der Literaturhistoriker habe das »Ganze« zur Darstellung zu bringen? Hinter der Materialfiille etwa von Gervinus' voluminöser und wissenschaftsgeschichtlich bedeutsamer Geschichte der poetischen NationalLiteratur der Deutschen (1835/42) bleiben seine kurz zuvor verfassten Abhandlungen weit zurück. Dennoch ist zu bedenken, dass in ZGR ein großer Bogen von der Entstehung des Christentums über den germanischen Volksglauben, das Mittelalter und die Reformation bis zum Deutschen Idealismus einschließlich der prognostizierten Revolution in Deutschland gespannt wird. Auch das erste Buch der RS situiert die Romantik im Kontext der für sie relevanten Elemente der abendländischen Ideengeschichte, von denen hauptsächlich die durch das Christentum verursachte Zei15
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Die Ausführungen bei Fohrmann 1994 (S. 588f.) werden Heines Abhandlungen nicht gerecht, weil sie zu einseitig deren Zweiteilung der deutschen Ideengeschichte in eine reaktionäre und eine fortschrittliche Richtung hervorheben. Fohrmann behandelt RS und die 1839/40 in den Hallischen Jahrbüchern erschienene Artikelserie Der Protestantismus und die Romantik von Arnold Rüge und Theodor Echtermeyer als Beispiele für eine Literaturgeschichtsschreibung, »die die Geschichte in zwei Traditionen aufspaltet« und daher »mit zwei oppositiv angeordneten Autorengruppen [arbeitet]: auf der einen Seite die christlichkatholische Poesie des Mittelalters, an die die Romantik wieder anknüpft, auf der anderen Seite die Autoren einer (protestantisch inspirierten) Aufklärung« (S. 588). Dieses Verfahren trifft für Ruges und Echtermeyers Artikel zu, aber nicht für Heines vielschichtiger angelegte Deutschland-Schriften. Fohrmann lässt die für diese Texte ebenfalls erkenntnisleitende Kategorie des Pantheismus bzw. Sensualismus außer Acht und somit unberücksichtigt, dass Heines Emanzipationsbegriff neben politischen Dimensionen zugleich anthropologische und ästhetische Komponenten enthält. Heines Historiographie bringt deutlich zum Ausdruck, dass er als Künstler eine andere Rubrizierung und Bewertung der Tradition bevorzugt denn als engagierter Zeitkritiker.
tenwende, das Mittelalter und die durch Goethe repräsentierte »Kunstperiode« hervorzuheben sind. 1 6 Berücksichtigt man des Weiteren, dass beide Abhandlungen als einheitliches Projekt konzipiert waren und dass RS ihren eigentlichen Untersuchungsgegenstand, die von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zu Goethes Tod datierte »Kunstperiode«, ausführlich behandelt, so wird man ihrem Verfasser ein gewisses Streben nach einer ohnehin immer nur qualitativ definierbaren Ganzheit nicht absprechen können. Heines Versuch, den gesamten deutschen Nationalgeist erfassen zu wollen, operiert mit der Unterscheidung zwischen dem faktischen, durch beklagenswerte politische Rückständigkeit geprägten Zustand Deutschlands und dessen Achtung gebietenden kulturellen Errungenschaften. Noch in der 1852 verfassten Vorrede zur zweiten Auflage von Z G R verwahrt sich Heine entschieden gegen alle öffentlichen Verlautbarungen, die diese Unterscheidung mit denunziatorischer Absicht bewusst verschleiert hätten. Aeußerte ich mich in meinem Unmuth über das alte, offizielle Deutschland, das verschimmelte Philisterland, [...] so wußte man das was ich sagte, so darzustellen, als sey hier die Rede von dem wirklichen Deutschland, dem großen, geheimnißvollen, so zu sagen anonymen Deutschland des deutschen Volkes, des schlafenden Souverainen (DHA VIII, S. 496f.). Die Deutschen seien eine durch ihre gemeinsame Sprache und Kultur bereits geeinte Nation. Diese ideelle Einheit antizipiere die künftige politische Einigung. Luther habe durch seine Bibelübersetzung die »allgemeine Schriftsprache« (DHA VIII, S. 40) geschaffen, die
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Ausgehend vom Befund der ihn »[befremdenden] Ausführlichkeit, mit der Heine sich der altdeutschen Kunst widmet«, vertritt Hohendahl 1974 die These, dass Heines RS »als Gegenwurf zu [Friedrich] Schlegels Wiener Vorlesungen [über die Geschichte der alten und neuen Litteratur] [...] zu lesen« sei (S. 69 u. 68). Als Belege für diese These, deren Gültigkeit von Clasen 1979 (S. 88ff.) und Windfuhr 1981 (S. 1298) bereits stark eingeschränkt wurde, führt Hohendahl neben einigen, mitunter bis in Details gehende »Übemahme[n] und Umdeutung[en]« Heines (S. 70) ein grundsätzliches Argument an: »[Schlegels] historisch argumentierende Apologie läuft darauf hinaus, das Mittelalter als unabdingbaren Bestandteil der modernen Geistesbildung auszugeben, so dass moderne Nationalkultur sich nur auf der Grundlage einer eigenständigen poetischen Vorzeit entwickeln kann [...] Das Mittelalter ist für Schlegel [...] Vermittler an die Moderne [...] als Sammler und Bewahrer antiker Literatur und Philosophie und als Schöpfer eigenständiger Volkspoesie [...] An diesen Ansichten, die ja nicht nur das Mittelalter als eine eigenständige Literaturepoche legitimieren, sondern im gleichen Maße zum Verständnis der modernen Literatur beitragen wollten, konnte Heine nicht vorübergehen« (S. 72f.). Mit diesen Ausfuhrungen thematisiert Hohendahl letztlich den von ihm allerdings nicht explizit formulierten Sachverhalt, dass den Wiener Vorlesungen ein nationalliterarisch definiertes Organisationsprinzip zugrundeliegt. Da dieses Organisationsprinzip jedoch kein Spezifikum der Wiener Vorlesungen Schlegels darstellt, sondern generell für die seit den 20er Jahren entstehende nationale Poesiegeschichtsschreibung charakteristisch ist, sollte man Schlegels Einfluss in diesem Punkt nicht überschätzen. 21
noch immer in Deutschland [herrscht], und [...] diesem politisch und religiös zerstückelten Lande eine literarische Einheit [giebt...] Dieser Umstand wird, wenn bey uns die politische Revoluzion ausbricht, gar merkwürdige Erscheinungen zur Folge haben. Die Freyheit wird überall sprechen können und ihre Sprache wird biblisch seyn (DHA VIII, S. 40).
Der deutsche Volksgeist habe vor allem »in zwey Dingen, in der Philosophie und im Liede, alle andern Nazionen überflügelt« (DHA XV, S. 55). Deshalb widmete Heine seine großen Deutschland-Schriften je einer dieser beiden »höchstefn] Blüthefn] des deutschen Geistes« (DHA X, S. 336). Zu dessen wichtigsten philosophischen Leistungen gehörten die von ihm als Bestandteile der »altgermanische[n] Nazionalreligion« bezeichneten Geschichten des germanischen Volksglaubens, die auf besonders eingängige Weise »den Charakter des deutschen Volks [illustriren]« (DHA VIII, S. 26), und die seit Kant zur »Nazionalsache« (DHA VIII, S. 91) gewordene Philosophie des Deutschen Idealismus. Zentrale poetische Manifestationen des deutschen Volks seien das von den »starren Kämpen des Nordens« (DHA VIII, S. 129) zeugende Nibelungenlied, der »aus den Volkssagen [herausgesuchte]« und als »weltliche Bibel der Deutschen« (DHA VIII, S. 159) fungierende Faust, dessen Titelfigur die Inkarnation des »deutsche[n] Volk[s ...] selber« (DHA VIII, S. 160) darstelle, und die Gedichtsammlung Des Knaben Wunderhorn: »In diesen Liedern fühlt man den Herzschlag des deutschen Volks« (DHA VIII, S. 202).
Abweichungen
von genrebildenden
Konventionen
Nachdem die bisherigen Ausführungen Heines Qualifikation als Vertreter einer avancierten, den Ansprüchen der zeitgenössischen Reformdiskussion genügenden Literaturgeschichtsschreibung herausgearbeitet haben, soll nun kurz dargelegt werden, dass seine Deutschland-Schriften auch einige Verstöße gegen gängige Merkmale dieses Genres aufweisen. So hielt Heine nicht zuletzt im Interesse einer Legitimation der eigenen, nach dem »Ende der Kunstperiode« neu zu begründenden Dichtung ausdrücklich an literaturkritischen Intentionen und an der Aufgabe einer ästhetischen Beurteilung der Literatur fest. Wegen seiner künstlerischen Ambitionen brachte er ein spezifisch artifizielles Interesse an der Romantik auf. Für solche Aufgaben fühlte sich die seit den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts allmählich etablierende Literaturgeschichtsschreibung nicht eigentlich zuständig. 17 Schon in den 30er und 40er Jahren hatten Gervinus und Prutz die Zuständigkeit für formale Wertungen auf eine die Disziplinentwicklung antizipierende Weise aus dem Aufgabenkatalog des Literaturhistorikers ausgegrenzt. 18 Außerdem ließ es Heine an der erwünschten Pietät gegenüber der deutschen Kulturnation fehlen. Einerseits betrachtete er den deutschen Volksgeist mit einer gewissen Distanz aus kosmopolitischer Perspektive.
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Vgl. Bohrer 1989. Daher wird Heines Absicht, »nach Goethes Tode dem deutschen Publikum eine literarische Abrechnung zu überschicken« und einer »neue[n] Literatur [...] zugleich [ihr] Program [sie!]« zu geben (Heine am 8. April 1833 an Heinrich Laube, zitiert nach HSA XXI, S. 52), häufig
Dies ist sowohl auf seine jüdische Abstammung als auch auf seine Sozialisation im Geist des universalistisch und humanistisch ausgerichteten Deutschen Idealismus zurückzuführen. 19 Andererseits hielt er sich nicht an das Gebot einer von subjektiven Belangen abstrahierenden Einfühlung in die Geschichte, die aus der Zielsetzung einer möglichst wahrheitsgetreuen Rekonstruktion der Vergangenheit resultierte. Anstatt bescheiden hinter die darzulegenden Gegenstände zurückzutreten und diese möglichst realitätsnah zu vergegenwärtigen, ist Heine in seinen Texten als wertsetzende und urteilsbildende Instanz stets präsent. Das zeigt sich auch an seiner vermeintlich willkürlichen Schreibart, die den Anforderungen an wissenschaftliche Prosa nicht standhält. Zwar entspricht sein populärer, an bildungswillige Laien adressierter Stil einem wichtigen Punkt der auf Breitenwirksamkeit bedachten literaturhistorischen Programmatik, unterscheidet sich aber erheblich von den fachspezifischen Gepflogenheiten. Heines Prosa ist auf eine für wissenschaftliche Zwecke inakzeptable Weise elaboriert.
Hegelianische
Einflüsse
Heines Kompetenz zur Abfassung von Texten, die für die Verwissenschaftlichung der Literaturgeschichtsschreibung einschlägig sind, wird durch die eben erwähnten Einschränkungen partiell, aber nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Diese Kompetenz resultierte aus seiner Beschäftigung mit dem literaturkritischen und -historischen Schrifttum Herders und der Romantiker, hauptsächlich jedoch aus seiner Auseinandersetzung mit der Philosophie Hegels. Als Student hörte Heine zwischen als Argument angeführt, um RS von wissenschaftlichen Literaturgeschichten abzugrenzen (vgl. Mayer 1965, S. 321 f.; Hahn 1973, S. 421 f.; Kuttenkeuler 1972, S. 141, Anm. 37). Dieses Argument allein ist jedoch kein hinreichendes Abgrenzungskriterium. Zum einen haben auch Gervinus (vgl. Ansei 1990, S. 156ff.) und Prutz entgegen ihren programmatischen Bekundungen ästhetische Werturteile gefallt, die nur weniger extravagant und deshalb unauffälliger als jene Heines waren, weil sie sich an den in der zeitgenössischen Literaturkritik ohnehin dominierenden klassizistischen Normen orientierten. Zum anderen wollte beispielsweise auch der als qualifizierter Literaturhistoriker anerkannte Hettner, der noch in den 50er Jahren von einer neuen Glanzzeit der deutschsprachigen Dichtung träumte, seine früheren Schriften, insbesondere Das moderne Drama (1852), als engagierte Beiträge zur Herbeiführung der ersehnten kulturellen Blüte verstanden wissen. 19
»Der Patriotismus des Franzosen besteht darin, daß sein Herz [...] sich erweitert, daß es nicht mehr bloß die nächsten Angehörigen, sondern ganz Frankreich, das ganze Land der (Zivilisation, mit seiner Liebe umfaßt; der Patriotismus des Deutschen hingegen besteht darin, daß sein Herz enger wird [...], daß er das Fremdländische haßt, daß er nicht mehr Weltbürger, nicht mehr Europäer, sondern nur ein enger Teutscher seyn will. Da sahen wir nun das idealische Flegelthum, das Herr Jahn in System gebracht; es begann die schäbige, plumpe, ungewaschene Opposizion gegen eine Gesinnung, die eben das Herrlichste und Heiligste ist, was Deutschland hervorgebracht hat, nemlich gegen jene Humanität, gegen jene allgemeine Menschen-Verbrüderung, gegen jenen Cosmopolitismus, dem unsere großen Geister, Lessing, Herder, Schiller Goethe, Jean Paul, dem alle Gebildeten in Deutschland immer gehuldigt haben« (DHA VIII, S. 141).
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1821 und 1823 in Berlin Vorlesungen bei Hegel und besaß durch seine Mitgliedschaft im Verein für Kultur und Wissenschaft der Juden20 die Möglichkeit, im Umgang mit hegelianisch Gesinnten seine Kennmisse der Hegeischen Philosophie zu vertiefen. Inwiefern ist es berechtigt, die Qualität seiner Abhandlungen auf Einflüsse aus deren Umkreis zurückzuführen? Heines Abhängigkeit bzw. produktive Umdeutung von Hegels Geschichtsphilosophie, die ihn in die Nähe des Junghegelianismus rückt, ist seit den Untersuchungen von Wolfgang Harich und Horst Stuke bekannt.21 Im Rahmen unserer Fragestellung sind zwei Gesichtspunkte aus diesem Themenspektrum von Bedeutung: Erstens war Heine wegen seiner grundsätzlichen Übernahme des Hegeischen Glaubens an eine vernunfitgeleitete, zielgerichtete Geschichte in der Lage, die von ihm selbst und anderen Vertretern des neuen literaturhistorischen Projekts geforderte Rekonstruktion der geschichtlichen Ordnung zu erbringen. Zweitens konnten die DeutschlandSchriften, die einen der beiden Pfeiler seines kosmopolitischen Programms der Völkerverständigung zwischen Franzosen und Deutschen bilden, auf eine spezielle, diesem Programm zugrundeliegende Vorgabe aus der Philosophie Hegels zurückgreifen. 22 Hegels Auffassung, die Franzosen und insbesondere die Deutschen seien die letzten beiden weltgeschichtlich bedeutsamen Völker, ließ sich mit dem Wunsch der »meisten Literarhistoriker« verbinden, »einen internationalem Zusammenhang
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Vgl. Lutz 1997. Vgl. Harich 1956 und Stuke 1963, S. 57-63. Löwith 1962 hat den Schluss von ZGR in seine Textsammlung (S. 39f.) aufgenommen, geht aber in der Einleitung dazu nicht auf Heine ein. Harich 1956 (S. 35f.) und Lefebvre 1986 (S. 107ff.) haben darauf aufmerksam gemacht, dass sich Heines »pacifike Mission, die Völker einander näher zu bringen« (Heine im April 1833 an einen Anonymus in Hamburg, zitiert nach HSA XXI, S. 51), auf ein Axiom aus Hegels Philosophie stützte: »Heine ist der Autor, der die Differenz zwischen zwei > VolksgeisternGeistreich und tiefsinnige das drückt nach Heines Sprachgebrauch aus, dass Rosenkranz seinen Stoff nicht einfach referiert, sondern nach umfassenderen Kategorien interpretiert« (S. 1056f.).
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S. IV) bezeichnet wird, konnte sich Heine in dem Vorhaben bestärkt sehen, seine Abhandlungen zur deutschsprachigen Philosophie und Literatur als Beiträge zur Geistesgeschichte in einem Hegeischen Wortsinn zu konzipieren. Ursula Rautenberg hat die weltanschauliche Basis und erkenntnisleitende Absicht dieses Werks mit folgenden Worten umrissen: »Geschichte wird als Ausdruck des sich erzeugenden Geistes aufgefasst; die scheinbare Zufälligkeit der individuellen Bildungen weicht dem Prinzip einer notwendigen, gesetzmäßigen Abfolge. Die Geschichte des Geistes als sinnstiftende Kraft gewährleistet den Zusammenhang der erscheinenden literarischen Produkte und die Einbindung der Literaturgeschichte in die Universalgeschichte. Als poetischer Reflex des Geistes ordnen sich die vielen einzelnen Werke, als >Monumente der Ideetrockene< Altphilologie, Hettner die abstrakte, inhaltsleere Scheinwelten produzierende Metaphysik und Haym die obsolete rationalistische Theologie. Für unsere Fragestellung ist die Tatsache von Bedeutung, dass der im allgemeinen Zeittrend liegende, in die Beschäftigung mit der Kunst-, Philosophie- und Literaturgeschichte einmündende Werdegang von Prutz, Hettner und Haym unter dem Einfluss des Hegelianismus vonstatten ging. Dies ist nicht verwunderlich, da die Hegelianer selbst eine wichtige Rolle im vormärzlichen Klima der Götterdämmerung des Deutschen Idealismus spielten, 53 indem sie die philosophische Spekulation des Quietismus bezichtigten, für die Etablierung einer wirklichkeitszugewandten und -verändernden Wissenschaft plädierten, an der Verbreitung der historisch-philologischen Bibel- bzw. Textkritik erheblichen Anteil hatten und sich partiell gegenüber den empirisch oder historisch verfahrenden Einzelwissenschaften zu öffnen begannen. Die Kunst-, Philosophie- und Literaturgeschichte bot sich unseren Autoren aus mehreren Gründen als realistische, einen direkten Bezug zur Gegenwart besitzende Wissenschaft an: Sie ging von konkreten Forschungsobjekten aus, die mittels historischer Studien bzw. empirischer Anschauung zu rekonstruieren waren. Damit beschäftigte sie sich mit Produkten menschlicher Kreativität, die gemäß den Definitionsversuchen namhafter Vertreter des Neuhumanismus und Feuerbachs im Gegensatz zur Philosophie und Theologie den 52 53
Vgl. Köster 1972, S. 21 ff. Zu den Junghegelianern vgl. Stuke 1963, Cornehl 1971, Köster 1972, Mader 1975, Pepperle 1978 und Eßbach 1988.
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ganzen Menschen in seiner Eigenschaft als sinnliches und geistiges Wesen thematisierten und dessen diesseitige Existenz zum Gegenstand ihrer Erkenntnisabsicht machten. Des Weiteren besaßen Gespräche über Kunst und Literatur in der damaligen bürgerlichen Geselligkeitskultur 54 einen heute kaum mehr nachvollziehbaren Stellenwert und eine kryptopolitische, die individuelle Gesittung gegen ständestaatliche Privilegien ausspielende Dimension, die sich bis zu der auch von unseren Autoren praktizierten offenen Politisierung des philosophischen und literarischen Erbes in der vormärzlichen Diskussion steigern konnte. Der Befund, dass Prutz, Hettner und Haym unter maßgeblicher Beteiligung des Hegelianismus zu Philosophie- und Literaturhistorikern geworden sind, ist für die Wissenschaftsgeschichte der Germanistik bedeutend. Er widerlegt die gängige, auch heutzutage noch anzutreffende Meinung, die in den Kategorien eines philosophischen Systems Geschulten hätten im 19. Jahrhundert keine Chance gehabt, Anschluss an die sich damals herausbildende moderne Wissenschaft zu finden. Allerdings waren Prutz und Haym in ihrer Eigenschaft als hegelianische Parteigänger aus politischen Gründen mit ihren Gesuchen zur Zulassung als Hochschullehrer gescheitert. Hettners Intermezzo in Rom hingegen war unergiebig gewesen, weil er wegen seiner kunstphilosophisch motivierten Erkenntnisabsicht von den Mitgliedern des Archäologischen Instituts der fachlichen Inkompetenz geziehen worden war. Die hegelianische Sozialisation erwies sich somit als ambivalent: Einerseits hatte sie das Interesse für Ästhetik, Kunst- und Literaturgeschichte geweckt. Andererseits wirkte sie im zeitgenössischen wissenschaftsorganisatorischen Bereich aus politischen oder fachspezifischen Gründen als karriereschädigend. 55 Angesichts dieser Ambivalenz stellt sich die Frage, was unsere Autoren zu der Annahme bewog, ihre Wissenschaftsauffassung innerhalb des Fachs der deutschen Sprache und Literatur erfolgreich umsetzen und damit eine Universitätslaufbahn beginnen zu können. Kann man eine solche Annahme aus damaliger Perspektive als wohl überlegte Option begrei-
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Vgl. Neumaier 1975, Kaschuba 1988 und Frühwald 1990. Dabei ist außerdem zu berücksichtigen, dass politische und wissenschaftliche Motive sowohl von den Befürwortern als auch den Gegnern des Hegelianismus in den 40er Jahren und in der nachmärzlichen Reaktionszeit nicht klar voneinander getrennt wurden. Während die Progressiven wie Rüge oder Bruno Bauer Fortschrittlichkeit mit wissenschaftlicher Kompetenz kurzerhand identifizierten, verfolgten die Vertreter der Restauration die Strategie, die vermeintliche wissenschaftliche Unseriosität ihrer Gegner auf deren politische und charakterliche Unreife zurückzufuhren. Die Einschätzung, dass das Denken in den Kategorien der Hegeischen Philosophie anspruchsvolle Forschungsarbeit vereitle und stattdessen einer unergiebigen, theorielastigen Oberflächlichkeit Vorschub leiste, findet man in dem bereits zitierten, gegen die Habilitationsabsichten von Prutz intervenierenden Schreiben Pernices an Eichhorn. Auf geschickte Weise verknüpft Pernice dort sein Hauptargument, den »Ultraliberalismus« des Antragstellers, mit den vorgeblich unausweichlichen Folgen dieser politischen Einstellung. Prutz dürfe nicht als Dozent zugelassen werden, »damit [den ...] Studirenden nicht die Gelegenheit gewährt werde, statt eines gründlichen, aber eben deßhalb schwierigen Wissens ein allgemeines, aber eben deßhalb müheloseres Roisonnement
fen? Zur Klärung dieser Frage ist es notwendig, einen Blick auf die zeitgenössische Gesamtsituation der Germanistik zu werfen.
Wissenschaftsgeschichtliche
Konditionen
Die Germanistik, dieses »Wissensgebiet ohne kontinuierliche akademische Tradition«, 56 bietet in ihrer mindestens bis 1850 reichenden Etablierungsphase ein uneinheitliches Bild. Uwe Meves, auf dessen Forschungen wir uns hauptsächlich stützen, hat betont, »wie groß die Spannweite in dem als Deutsche Philologie firmierenden Fach« 57 noch in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts war. Legt man die von Klaus Weimar entwickelte Typologie der fünf Generationen von Hochschulgermanisten 58 zugrunde, so stellt sich die Situation des Fachs an den Universitäten im Stichjahr 1840 folgendermaßen dar: Von den zehn Ordinariaten waren noch vier mit Generalisten (Johann Christoph Schlüter in Münster, Christian Wilbrandt in Rostock 59 und August Wilhelm Schlegel sowie Friedrich Ferdinand Delbrück in Bonn), drei mit textwissenschaftlich orientierten Philologen (Georg Friedrich Benecke in Göttingen, Lachmann in Berlin und August Heinrich Hoffmann von Fallersleben in Breslau) und zwei mit altertumswissenschaftlich ausgerichteten Philologen (Friedrich Heinrich von der Hagen in Berlin und Hans Ferdinand Maßmann in München) besetzt. Die Liste wird komplettiert durch den Romanisten Ferdinand Diez in Bonn, der deutschphilologische Fragestellungen in sein Lehrangebot einbezog und insofern symptomatisch für die Frühphase der Germanistik ist, als die ihrem Gegenstandsbereich zuzuordnenden Themen bis zur Jahrhundertmitte und teilweise sogar darüber hinaus auch von Ver-
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f i e l ] sich zu eigen zu machen« (zitiert nach Meves 1993, S. 352). In der Unterredung, die Haym mit Eilers wegen seines Habilitationsplans führte, kamen dieselben Vorbehalte zur Sprache. Eilers misstraute nicht nur Hayms Beteuerungen, sich definitiv von Hegels Philosophie gelöst zu haben - womit er sicherlich im Recht war sondern verknüpfte diesen Argwohn mit dem ihm folgerichtig scheinenden Argument, Haym könne daher »noch keine Quellenstudien über die Geschichte namentlich der alten Philosophie getrieben« (Haym 1902, S. 154) haben. Kolk 1991, S. 127. Meves 1994, S. 142. Die folgenden Ausführungen beruhen auf einer Auswertung der bei Meves (S. 197ff.) zusammengestellten Tabellen. »Seit Mitte der 30er Jahre sind die Universitäten daran gegangen, für den versorgungsbedürftigen Nachwuchs eine fünfte Generation von Deutschprofessuren zu eröffnen: nicht mehr Generalisten-, nicht mehr Philologie-, sondern nunmehr Literaturgeschichtsprofessuren« (Weimar 1989, S. 336). Wir übernehmen diese Klassifizierung, unterscheiden jedoch mit Meves innerhalb der vierten Generation der Philologen zwei - durch Lachmann einerseits und Jakob Grimm andererseits repräsentierte - Richtungen, weil entgegen den Ausführungen Weimars (S. 238) auch »die in methodisch unterschiedlicher Weise altertumswissenschaftlich bzw. kulturhistorisch orientierte Richtung im fünften Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts präsent [bleibt]« (Meves 1994, S. 150). Zu dieser Einordnung vgl. Meves 1994, S. 138.
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tretern anderer Wissenschaften (Philologen, Philosophen, Historikern) behandelt wurden. Bei den sieben Extraordinariaten sieht die Verteilung anders aus. Generalisten sind dort nicht mehr vertreten. Ihre Zeit war abgelaufen; man erachtete diesen Hochschullehrertyp nicht mehr als forderungswürdig. Stattdessen stehen vier Philologen, von denen drei ihre Disziplin als Textwissenschaft begriffen (Moriz Haupt in Leipzig, Albert Hoefer in Greifswald und Adalbert Keller in Tübingen; hinzu kommt »der an den Typus des Polyhistors erinnernde Friedrich Anton Leopold Reuss« 60 in Würzburg), immerhin drei Vertreter der fünften Germanistengeneration gegenüber: Als Professoren für (Ästhetik und) Literaturgeschichte lehrten Christian Ludwig Theodor Lucas in Königsberg, Friedrich Theodor Vischer in Tübingen und August Kahlert in Breslau. Betrachtet man außerdem die von den Privatdozenten der 30er Jahre »vertretenen Fachgebiete, so ist unschwer zu erkennen, dass bei dem akademischen Nachwuchs die in Hoffmanns Grundriss angeführten Bereiche der neuen Disziplin [...] noch nicht dominierten, weder inhaltlich noch methodisch«. 61 Die Bezeichnungen der Forschungsfelder dieser elfköpfigen Personengruppe differieren stark. Aus der Perspektive der 40er Jahre - in diese Zeit fallen sowohl Prutz' und Hayms Habilitationsversuche als auch Hettners allmähliche Hinwendung zur Literaturgeschichte - stellte sich das Fach Germanistik also als relativ inhomogen und diffus dar. Fest umrissene, allgemein akzeptierte Vorstellungen über Gcgenstandsbereiche, Fragestellungen und Methoden der Disziplin existierten noch nicht. Dennoch konnte man damals mit einigem Recht davon ausgehen, dass die Literaturgeschichte eine im Aufstieg begriffene Teildisziplin sei. Sie war 1840 bereits durch drei außerordentliche Professuren vertreten, deren Stelleninhaber sich in den 30er Jahren habilitiert hatten und schon wenige Jahre später zu Extraordinarien befördert worden waren. 62 Es ist daher nicht verwunderlich, dass in den 40er Jahren außer unseren Autoren auch andere Nachwuchsakademiker den Plan fassten, eine Hochschullaufbahn mit dem Fach (Neuere) Literatur(geschichte) zu begründen. Dies waren Gottschalk Eduard Guhrauer in Breslau (Habilitation: 1842), Theodor Mündt in Berlin (1842), Theodor Wilhelm Danzel in Leipzig (1845), 63 Friedrich Julius Tittmann in Göttingen (1846), Gottfried Kinkel in Bonn (1846) und Franz Xaver Wegele 6 4 in Jena (1848). Aus der Sicht der 40er Jahre erweist sich Prutz', Hayms und Hettners Entscheidung für dieses Fach daher als eine durchaus realistische, er60 61 62
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Meves 1994, S. 142. Meves 1994, S. 140f. Ein Sonderfall in doppelter Hinsicht ist Lucas, der schon seit 1826 als Privatdozent tätig war und seine akademische Tätigkeit wegen seiner beruflichen Beanspruchung als Schulrat und Gymnasialdirektor nur nebenbei ausübte; vgl. Meves 1994, S. 137. Danzel fehlt bei Meves 1994, S. 197ff. Zu seiner Zulassung als Privatdozent und zu seinen vergeblichen Versuchen, eine außerordentliche Professur zu erhalten, vgl. Jahn 1962, S. 313 u. 328f. Bei Danzel 1962 (S. 333-337) sind auch einige Dokumente hierzu abgedruckt. Vgl. Germann I 1954, S. 109-113. Als Literaturhistoriker ist Wegele (1823-1897) allerdings kaum tätig gewesen. »Seine germanistische Lehrtätigkeit [in Jena, Erg. d. Verf.] steht [...] nur am Rande und ist, im Gegensatz zu der historischen, wenig bedeutend gewe-
folgversprechende Strategie. Tatsächlich »[fallen] die größten institutionellen Erfolge der Wissenschaft >deutsche Literaturgeschichte* [...] in die 40er Jahre«. 65 Damals war allerdings nicht absehbar, dass diese Entwicklung schon gegen 1850 stagnierte, sich also eher als »Übergangs- und Unsicherheitsphase« innerhalb der Germanistik denn als konsequente »Verwirklichung einer wissenschaftspolitischen Konzeption« erwies. 66 Bezeichnenderweise ist es keinem der eben genannten Habilitierten in den 50er Jahren gelungen, seinen beruflichen Status innerhalb der Germanistik zu verbessern oder gar zum Ordinarius für Literaturgeschichte aufzusteigen. 67 Eine andere Tendenz hingegen wurde immer stärker: »Im [fünften] Jahrzehnt [... ist] die Mehrzahl der neuen Privatdozenten [...] im Wesentlichen den durch Karl Lachmann und Jacob Grimm repräsentierten Richtungen des neuen Fachs zuzurechnen«. Fast alle von ihnen »stiegen [...] in den folgenden Jahren zu außerordentlichen Professoren auf«. 6 8 Die Macht der institutionell eingebundenen und disziplinär organisierten Philologen begann die Fachentwicklung spürbar zu prägen. Wer sich ihrer Protektion erfreuen konnte, hatte seither viel bessere Chancen auf eine Universitätslaufbahn. Auch für Halle gibt es dafür ein konkretes Beispiel. Im Gegensatz zu Prutz und Haym gelang es Emil Friedrich Julius Sommer (1819-1846) dank der Unterstützung renommierter Fürsprecher, sich im Herbst 1844 für das Fach der deutschen Sprache und Literatur zu habilitieren und den preußischen Minister Eichhorn anschließend mehrmals zur finanziellen Absicherung seiner Privatdozententätigkeit zu bewegen. 6 9 Nicht nur Leo und Sommers Doktorvater Bernhardy, sondern auch die ihm ebenfalls persönlich bekannten Berliner Gelehrten Jakob Grimm und Lachmann hatten sich mehrmals für einen jungen Wissenschaftler eingesetzt, der ihre »inhaltliche Konzeption einer germanistischen Philologie*« vertrat und zugleich von den Konservativen »geradezu als ein Antipode« zu der auch politische Aspekte einbeziehenden Wissenschaftsauffassung von Prutz und Haym eingeschätzt wurde. 7 0
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sen«. Außerdem konzentrierte er sich in seinen germanistischen Lehrveranstaltungen auf »altgermanistisch-sprachwissenschaftliche Fragen [...] Von einem Schüler des Gervinus, der überdies auch für Literaturgeschichte habilitiert war, hätte man in erster Linie Themata aus der neueren Literatur erwartet« (S. 11 lf. u. 111). Weimar 1989, S. 340. Weimar 1989, S. 341. Guhrauer (1843) und Mündt (1848 in Breslau) kamen über Extraordinariate nicht hinaus, Danzel (gest. 1850) und Tittmann (gest. 1883) blieben Privatdozenten. Kinkels Lehrtätigkeit als Bonner Professor für neuere Kunst-, Literatur- und Kulturgeschichte - Kinkel hatte sich bereits 1836 in Bonn für Kirchengeschichte habilitiert - war nach seiner Verwicklung in die Revolutionswirren und seiner spektakulären Flucht aus Deutschland (1850) beendet. Wegele (vgl. Anm. 64 auf Seite 70f.), der immerhin noch 1850 ein Extraordinariat für politische Geschichte und Literaturgeschichte erhalten hatte, kehrte der Germanistik ganz den Rücken und wurde 1857 Ordinarius für Geschichte in Würzburg. Meves 1994, S. 141 f. Vgl. zum Folgenden Meves 1993. Meves 1993, S. 356.
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Sommer - so schrieb Leo in einem Unterstützungsgesuch an Eichhorn vom 18. November 1845 - gehöre unter die wenigen Docenten, welche nur ihre Aufgabe unmittelbar im Auge haben, ihre Stellung nicht zugleich als Mittel benutzen wollen [...] Durch den Ernst seines wißenschaftlichen Strebens hat er den hiesigen Studirenden imponiert; hat allerdings diejenigen[,] die in der deutschen Litteratur nur ein Thema sehen, was geschickt sei, um gewisse in neuester Zeit in Gang gekommene negative und geistig-lüderliche Richtungen zu finden, entschieden abgestoßen [...] Wenn die Wißenschaft des Dr. Sommer auch nicht unmittelbar in die in unsrer Zeit hervortretenden politischen und kirchlichen Fragen eingreift, so ist doch sein Bereich für die künftigen Jugendlehrer wichtig; sein Beispiel und seine Haltung ist [sie!] von sichtbarer sittlicher Wirkung auf die Studirenden und ein unmittelbarer Erfolg liegt schon darin, daß junge Leute von unreifer und oberflächlicher Beschäftigung mit Dingen, die ihnen nichts angehen [sie!], abgezogen und auf ein Feld wißenschaftlichen und treuen-deutschen Interesses geleitet werden. 7
Sommers Tod (1846) beendete die Hochschulkarriere des begabten Gelehrten frühzeitig. Trotzdem zeigt sein Fall deutlich, dass es keineswegs allein die in den Germanistennekrologen des 19. Jahrhunderts mit penetranter Einseitigkeit hervorgehobenen persönlichen Eigenschaften und wissenschaftlichen Tugenden waren, die ihren Trägern eine Laufbahn als renommierte Hochschullehrer sicherten. Die unmittelbare Protektion durch die Autoritäten des Wissenschaftsbetriebs war dafür schon seit der Jahrhundertmitte mindestens ebenso wichtig. Je mehr die einzelnen Fächer an institutionellem Rückhalt gewannen, desto entscheidender wurde diese gezielte Nachwuchsrekrutierung. So betrachtet, hatten Prutz, Hettner und Haym mit doppelten Schwierigkeiten zu kämpfen. Als Hegelianer waren sie aus politisch-weltanschaulichen Gründen als Lehrer der Jugend unerwünscht. Als Literaturhistoriker hatten sie sich in den 40er Jahren, also zu einem scheinbar günstigen Zeitpunkt, für eine Hochschullaufbahn entschieden, ohne vorhersehen zu können, dass die von ihnen gewählte Fachrichtung sich an der Universität wegen des dort zunehmenden Einflusses der Philologen rasch wieder rückläufig entwickeln würde.
Publikationsorte
und -praxis bis 1848/49
Sommer veröffentlichte im Lauf seiner kurzen Schaffenszeit Abhandlungen und Aufsätze in der Zeitschrift fiir deutsches Altertum und Rezensionen in den Jahrbüchern fiir wissenschaftliche Kritik?2 während Prutz seine ersten Arbeiten in den Hallischen Jahrbüchern publizierte. Diese Befunde sind symptomatisch für die Konstituierungsphase des Fachs Germanistik. Sommer und Prutz verstanden sich als professionell arbeitende Wissenschaftler, waren aber wegen der zögerlichen Alimentierungsbereitschaft des Staats gegenüber einem neuen, noch nicht allgemein anerkannten Fach auf Einnahmen aus ihrer Rezensententätigkeit angewiesen. Teils aus innerer Überzeugung, teils jedoch auch in Ermangelung eines anderen, seinen 71 72
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Zitiert nach Meves 1993, S. 383f. Vgl. Sommers Publikationsliste bei Meves 1993, S. 369f., Anm. 1-10 u. S. 373, Anm. 5.
wissenschaftlichen Interessen und Arbeitsschwerpunkten eher entsprechenden Periodikums schrieb Prutz für die Hallischen Jahrbücher. Sommer hingegen besaß immerhin eine Wahlmöglichkeit. Als materielle Not leidender Privatdozent bediente er die trotz ihrer chronischen Absatzschwierigkeiten Autorenhonorare zahlenden Berliner Jahrbücher, während er als Philologe die Zeitschriftfiir deutsches Altertum favorisierte, die als erste germanistische Fachzeitschrift anzusehen ist. 73 Das von ihrem Begründer und Herausgeber Moriz Haupt verfasste Vorwort zum ersten hefte dieser Zeitschrift 7 4 bringt dies - abgesehen von einigen speziellen, hier zu vernachlässigenden Begriffsbestimmungen hinsichtlich der philologischen Wissenschaftspraxis - in mehrfacher Hinsicht zum Ausdruck. Haupt beginnt mit einer rigorosen Eingrenzung des Gegenstandsbereichs. Das deutsche Altertum solle nur Berücksichtigung finden, insofern es in »[der] literatur, [der] spräche, [den] sitten, [den] rechtsalterthümer[n], [dem] glauben der deutschen vorzeit« seinen Niederschlag gefunden habe. Archäologische Funde, mittelalterliche Kunstwerke oder Denkmäler und Fragestellungen aus der politischen Geschichte werden ausgeklammert. Dieser inhaltlichen Spezialisierung entspricht die Konzentration auf eine intensive, neue Erkenntnisse ermöglichende Behandlung der verbleibenden Objekte. Man wolle sich darum bemühen, »unbekanntes dem gebrauche darzubieten und vorhandenes oder neugefundenes wißenschaftlich zu bearbeiten«. Natürlich richtete sich ein so zugeschnittenes Zeitschriftenprojekt ausschließlich an Experten. Haupt verwahrt sich zwar gegen den Vorwurf, dass jene Autoren, »die ihre kräfte der deutschen philologie widmen[, ...] sich vornehm abschließen, ihre bücher nur für wenige[,] geheimer lehren mitkundige leser berechnen«, lässt aber keinen Zweifel an der nur für Fachkreise bestimmten Ausrichtung seiner Zeitschrift aufkommen: »Ich werde dafür sorge tragen daß hier nur würklich merkwürdiges gedruckt wird [...] die forderung daß auch alles schön oder unterhaltend sei lehne ich ab«. Im Vergleich zu Haupts von philologischen Experten getragenem Publikationsmedium stellen sowohl die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik,75 die durch die Societät für wissenschaftliche Kritik zu Berlin herausgegeben wurden, als auch die
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74 75
Vgl. Morvay 1975 und Müller 1991. Einen kurzen Überblick über die verschiedenen Zeitschriften, die in den ersten beiden Dritteln des 19. Jahrhunderts für die Germanistik von Bedeutung waren, bietet Storost 1985, S. 282ff. Morvay 1975 (Sp. 471 ff.) erwähnt einige germanistische Fachperiodika, die vor der Zeitschriftfiir deutsches A Itertum gegründet wurden, sich aber nicht dauerhaft etablieren konnten. - Allgemeine Ausfuhrungen über die wissenschaftliche »Fachzeitschrift als [...] Instrument disziplinär spezialisierter Kommunikation« findet man bei Stichweh 1984, S. 394-441; Zitat: S. 394. Stichweh betont, dass die Fachzeitschrift keineswegs nur als Abbild von Kommunikationsprozessen zu betrachten ist, sondern »ein kausal relevantes institutionelles Instrument« darstellt, »das als ein sozialer Fokus der Formation disziplinarer Gemeinschaften dient und auch in weiteren Hinsichten in die soziale und kognitive Organisation wissenschaftlichen Wissens eingreift« (ebd.). Wieder in: Janota 1980, S. 212-216; alle folgenden Zitate: S. 213. Vgl. Obenaus 1986, S. 26ff„ DLZIV, S. 249ff„ Ziemer 1994, S. 14ff. u. 102ff. und Jamme 1994. 73
Hallischen bzw. Deutschen Jahrbücher einen anderen, in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht weniger professionellen Zeitschriftentyp dar. Das Berliner Periodikum steht in der Tradition der allgemeinen Literaturzeitungen,76 verfolgte jedoch wegen der gewaltigen Expansion des zeitgenössischen Buchmarkts77 das Ziel, sich auf die Anzeige des wissenschaftlich relevanten Schrifttums zu konzentrieren: »Das Institut soll zwar, wie die schon vorhandenen, die gesammte Literatur umfassen, aber [...] in dem Sinne, [... daß ...] die Societät [...] nur diejenigen Schriften beurtheilt, die in irgend einer Richtung bedeutend sind« (DLZ IV, S. 250). Hinter dieser Definition des Gegenstandsbereichs steht weniger der für die alteuropäische Gelehrsamkeit verbindliche, den konventionellen allgemeinen Anzeigeblättern noch zugrundeliegende enzyklopädisch-polyhistorische Literaturbegriff, als vielmehr die damit allerdings prinzipiell vereinbare Vorstellung, dass die universale Hegeische Philosophie fur alle Wissensgebiete zuständig sei. In den Jahrbüchern sollten, den Konventionen eines Rezensionsorgans gemäß, hauptsächlich Besprechungen wissenschaftlicher Arbeiten veröffentlicht werden. Die Besprechungen sollten sich jedoch weder in kleinlicher Detailkritik erschöpfen noch allzu eng auf das Rezensionsobjekt fixiert sein, sondern die Gestalt von fast eigenständigen, übergreifende Zusammenhänge aufzeigenden Untersuchungen annehmen. »Indem das Bestreben des Instituts lediglich auf Förderung [der Würde der Wissenschaft] gerichtet ist, bleibt die jezt vielfach vorherrschende negative Richtung von selbst ausgeschlossen, und die Anzeigen werden mehr den Charakter selbständiger Abhandlungen erhalten« (DLZ IV, S. 251). Die Zeitschrift zielte auf ein »allgemeinefs] wissenschaftliche^] Publicum« bzw. auf die »wissenschaftlich Gebildeten« (DLZ IV, S. 254) und hatte es daher eben so wenig auf eine bloße Befriedigung des Bedürfnisses literarischer Unterhaltung [...] abgesehen, als es andererseits auch nicht in [ihrer] Bestimmung [...] liegt, in der Weise der
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Kolk 1994 (S. 81, Anm. 154) hat die Bedeutung dieser Periodika fiir die Frühphase der Germanistik hervorgehoben. »Wichtig als Publikationsorte für die frühen Germanisten sind auch die Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung und die Allgemeine Literatur-Zeitung (Halle) sowie die Heidelberger Jahrbücher der Literatur und die Göttinger Gelehrten Anzeigen«. Vgl. auch Storost 1985, S. 295f. und Anm. 82 auf Seite 75. Auf diese neuartige, die Beschränkung auf ausgewählte Schriften erzwingende Situation mussten auch die allgemeinen Literaturzeitungen reagieren und damit letztlich die Obsoletheit ihrer Konzeption einräumen. Im Intelligenzblatt der Allgemeinen Literatur-Zeitung (Halle) von 1833 kann man lesen: »Bei der Begründung beabsichtigte man eine Allgemeine Literatur-Zeitung, und dachte bei dieser Allgemeinheit theils an die Gesammtheit der Wissenschaften und Künste, so weit diese letzteren in das Gebiet der Literatur fallen, theils an die Berücksichtigung aller Nationen, die eine Literatur haben [...] Indessen häufte sich immer mehr die Masse der Literatur [...] Mit Recht kann man von einer Allgemeinen Literatur] ZfeitungJ erwarten, daß sie dem Literator ein Repertorium darbiete, woraus er die literarischen Leistungen der Zeit vollständig kennenlerne. Zu diesem Behufe werden nun, vom nächsten Jahre an, neben den Recensionen, Literarhistorische [sie!] Uebersichten gegeben werden, welche mit dem für jede Wissenschaft binnen einer gewissen Zeit Geleisteten bekannt machen« (DLZ I, S. 23f.).
den einzelnen Wissenschaften gewidmeten Specialzeitschriften auf eine nur dem Fachgelehrten Interesse gewährende Detailverhandlung [...] einzugehen (DLZ IV, S. 254). 78 Die Hallischen
Jahrbücher79
sollten nach dem Willen ihrer Herausgeber Rüge und
Echtermeyer eine progressive Variante zu den Jahrbüchern Kritik
fiir
wissenschaftliche
darstellen, die seit der 1835 offenkundig gewordenen Spaltung der Hegel-
Schule von Althegelianern dominiert wurden und zudem mit Repressionsmaßnahmen der restaurativen Kräfte zu kämpfen hatten. Stärker als ihr Berliner Vorbild distanzierten sie sich von der Tradition der allgemeinen Literaturzeitungen, indem sie dessen Tendenz forcierten, sich zugunsten eigenständiger Abhandlungen von objektbezogenen Rezensionen zu lösen. »Übersichten, Leitartikel und so genannte Charakteristiken, Skizzen über progressive Gelehrte der Gegenwart, traten neben die eigentlichen Rezensionen«. 8 0 Damit näherte sich die im Vormärz bekannteste Zeitschrift dem Revuetyp 8 1 an, was auch aus ihrem seit 1840 entfallenen Untertitel Kritiken.
Charakteristiken.
Correspondenzen.
Übersichten
- ersichtlich ist.
Die allgemeinen Literaturzeitungen, die dieser Tradition verpflichteten, sich dem Typ der Revue annähernden hegelianischen Periodika und die Zeitschrift für sches Altertum
deut-
markieren in ihrer unterschiedlichen Ausrichtung das Spektrum der
Zeitschriftenlandschaft, das die Germanisten in den 40er Jahren vorfanden. 8 2 D i e
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Vgl. auch den Brief von Eduard Gans an den Verleger Johann Friedrich Cotta (1764-1832) vom 2. September 1828, in dem Maßnahmen zur Steigerung der öffentlichen Attraktivität der anfangs nur auf geringe Resonanz gestoßenen Zeitschrift erörtert werden. Gans, der entscheidenden Anteil an der Konzeption und Gründung der Jahrbücher hatte, versprach, sich dafür einzusetzen, dass die Rezensionen künftig sowohl kürzer auszufallen hätten als auch »weniger gelehrt und mehr pikant gemacht werden, denn das allein zieht jetzt in Literaturzeitungen« (zitiert nach Ziemer 1994, S. 107). Vgl. Eck 1926, Pepperle 1978, Obenaus 1986, S. 28ff. und DLZ VI, S. 395ff. Obenaus 1986, S. 29. Vgl. Obenaus 1987, S. 37f. »Revuen, universal angelegte Zeitschriften, die einem nicht nur gelehrten Publikum einen allgemeinen Überblick über wissenschaftliche, kulturelle, politische und ökonomisch-soziale Probleme und Themen geben wollten, haben sich im Deutschen Bund in den 30er und 40er Jahren aus dem Zeitschriftentyp der Kritischen Jahrbücher [...] und nach westeuropäischem Vorbild entwickelt«. Sie »vertraten Ansichten und diskutierten Standpunkte, es ging um Meinungsbildung, nicht um bloße Information und Unterhaltung. Dieses Charakteristikum unterscheidet sie am deutlichsten auch von den anspruchsvollen Magazinen und Unterhaltungszeitschriften« (S. 37 u. 38). »Der Zeitschriftentyp hat sich [...] erst nach 1848 voll entfalten können«, wobei den Hallischen Jahrbüchern eine »zentrale Bedeutung für den Prozess der Entwicklung deutscher Revuen« zukam (S. 37). Als Beispiel dafür kann auch die Rezensententätigkeit der Brüder Grimm dienen. Aus der von Denecke 1982 (S. 320-323) zusammengestellten Übersicht geht hervor, dass die Grimms ihre Besprechungen schwerpunktmäßig zwischen 1809 und 1817 in den Heidelbergerjahrbüchern, zwischen 1812 und 1819 in der Leipziger Literaturzeitung, zwischen 1818 bis 1839 in den Göttingischen gelehrten Anzeigen und schließlich in den 50er Jahren im Literarischen Centraiblatt publizierten. Selbst wissenschaftliche Autoritäten ersten Ranges waren also auf allgemeine Literaturzeitungen angewiesen. 75
Entwicklung, die zur Entstehung eigentlicher Fachzeitschriften führte, lief damals erst an. Die Tatsache, dass die philologische Wissenschaftspraxis der von Benecke und Lachmann repräsentierten Richtung im 19. Jahrhundert zunächst die größten institutionellen Erfolge an den deutschen Hochschulen verbuchen konnte, schlägt sich auch im Zeitschriftenbereich nieder. Das dieser Richtung zuzurechnende, von dem Lachmann-Verehrer Haupt begründete Publikationsmedium ist die erste stabile Zeitschriftengründung innerhalb des Fachs Germanistik gewesen - es erscheint bis heute. Es ist charakteristisch f ü r die Situation der J u n g a k a d e m i k e r und ihre Veröffentlichungspraxis in den 40er Jahren, dass selbst der über relativ gute Kontakte innerhalb der disziplinären Gemeinschaft verfügende Philologe Sommer genötigt war, in fachübergreifenden Periodika zu publizieren, weil er auf deren Honorare nicht verzichten konnte. Immerhin bekannten sich die Herausgeber der Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik zu »wahrer Wissenschaftlichkeit« und »streng wissenschaftlichen Principien« (DLZ IV, S. 253). Solche Bekenntnisse und das hohe, zur Zeit seiner Rezensententätigkeit allerdings rasch schwindende Renommee 8 3 dieser Zeitschrift ermöglichten es Sommer, als einer ihrer Beiträger in Erscheinung zu treten. Gleichwohl braucht nicht näher erläutert zu werden, dass er andere, professionellere Vorstellungen von Wissenschaftlichkeit besaß als die philosophisch geschulten Hegelianer. Jedenfalls konnte S o m m e r im Gegensatz zu Prutz auf eine bereits bestehende germanistische Fachzeitschrift zurückgreifen, die thematisch auf die von ihm repräsentierte Disziplin zugeschnitten war. Prutz, der sich bis zur Jahrhundertmitte durch den Göttinger Dichterbund (1841), die Geschichte des deutschen Journalismus (1845), die Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters (1847) und die Vorlesungen über die deutsche Literatur der Gegenwart (1847) einen N a m e n als Historiker der neueren (deutschen) Literatur gemacht hatte, war zu Beginn seiner wissenschaftlichen Karriere mit Aufsätzen in den Hallischen Jahrbüchern hervorgetreten. Zwischen Juli 1839 und März 1841 veröffentlichte er dort mehr als 30 Kritiken, die meist Erscheinungen der Gegenwartsliteratur, aber auch Übersetzungen antiker Dichtungen und einigen literaturwissenschaftlichen Publikationen gewidmet sind. 8 4 Die auf zeitgeschichtliche Universalität und politische Mobilisierung zielende Konzeption jener Zeitschrift musste ihm auf Dauer ebenso zum Problem werden wie die erfolgreichen Attacken der Konservativen gegen die angeblich politische wie wissenschaftliche Unseriosität ihrer
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Seit den späten 30er Jahren verstärkte sich der Druck der Restauration auf die Jahrbücher. Das führte dazu, dass die Konservativen innerhalb der Societät für wissenschaftliche Kritik, zu denen auch Sommers Gönner Leo zählte, zunehmend einflussreicher wurden. Die dadurch ausgelösten Flügelkämpfe trugen zur Verwässerung des ehemaligen Profils der Zeitschrift bei, die drei Jahre nach dem 1843 erfolgten Rückzug der meisten fortschrittlich gesinnten Hegelianer ihr Erscheinen einstellen musste. Diese Beiträge sind aufgelistet bei Büttner 1913, S. 164-166. Die wichtigsten wurden in überarbeiteter Form nochmals in Prutz' Kleinen Schriften (1847) vorgelegt.
Mitarbeiter. 8 5 Daher ist e s verständlich, dass der e h r g e i z i g e u n d ambitionierte, R u g e s z u n e h m e n d e p o l i t i s c h e Radikalisierung überdies ablehnende schaftler Prutz sich seit A n f a n g 1841 v o n den Hallischen
Jahrbüchern
Wissenweitge-
hend zurückzog, u m die e i g e n e n w i s s e n s c h a f t l i c h e n Vorhaben fördern86 und ein ursprünglich v o n Echtermeyer geplantes Zeitschriftenprojekt realisieren z u könn e n . 8 7 Z w i s c h e n 1843 und 1848 gab Prutz das einmal jährlich erschienene rarhistorische
Taschenbuch
Lite-
heraus.
D a s Themenspektrum der Zeitschrift war relativ w e i t gefasst. Sie brachte B e i träge zur antiken, spanischen, italienischen, englischen, französischen und insbesondere zur deutschen Literaturgeschichte, philosophiehistorische Arbeiten und Aufsätze zur europäischen Gegenwartsliteratur. Prutz hatte das geplante Periodikum in e i n e m Brief an Rosenkranz als »eine Sammlung [...] literarhistorischer Monographieen [sie!]« charakterisiert. Es solle »Charakteristiken einzelner Epochen, Autoren, Werke, aus sämmtlichen Gebieten der Lit[eratur]gesch[ichte]«, enthalten. 8 8
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Das dürfte auch der Grund dafür gewesen sein, weshalb Jakob Grimm es bei einer 1838 vorgelegten Rezension für die Hallischen Jahrbücher belassen, zwischen 1841 und 1844 aber immerhin drei Beiträge zu den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik beigesteuert hat (vgl. Denecke 1982, S. 322f.). In mehreren Briefen an Rüge von 1842 entschuldigt Prutz seine Saumseligkeit im Übersenden von Beiträgen für die Deutschen Jahrbücher mit eigenen wissenschaftlichen Arbeiten und seinem Engagement für das Literarhistorische Taschenbuch. Am 18. März schreibt er, Rüge könne »vor dem Mai [...] auf nichts rechnen, da ich bis dahin durch mein T[a]sch[en]b[uch] absorbiert bin«. Am 3. August erklärt er sein langes Schweigen mit der Abfassung des Aufsatzes über Die politische Poesie und seinem Journalismus-Projekt: »Für journalistische Arbeit selbst, d.h. in specie für die Jahrbücher, hab' ich nun unter diesen Umständen freilich wenig Zeit«. Am 7. November rechtfertigt er sich unter anderem mit seiner »Geschfichte] des Journalismus, die weit mehr Mühe und Fleiß erfordert, als man dem Dinge nachher ansehen wird [...], so daß ich bei dem besten Willen und trotz der empfindlichsten Gewissensbisse doch immer nicht zur Ausführung meiner verschiedentlichen Pläne für die Jahrbücher habe gelangen können« (zitiert nach Kretschmer A 1980, S. 28, 15 u. 29).
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Prutz griff Echtermeyers 1839/40 gefassten Plan auf, ein »Jahrbuch für Geschichte der Deutschen Litteratur [zu gründen]« (Echtermeyer in einem Brief vom 14. Januar 1840 an Adolf Stahr, zitiert nach Büttner 1913, S. 85), nachdem auch dieses Projekt wie viele andere Vorhaben Echtermeyers über das Entwurfs- bzw. Vorbereitungsstadium nicht hinausgelangt war. Prutz' Göttinger Dichterbund war aus Vorarbeiten für einen Aufsatz erwachsen, der in jenem Jahrbuch erscheinen sollte. Echtermeyer fühlte sich durch die Initiative von Prutz offenbar übergangen; am 4. März 1842 schrieb Prutz an Rüge: »Echtermeyer mit seinem Zorn ist ein unverschämter Geselle [...] Er wird mich wohl auch des Gedankendiebstahls anklagen. Aber soll denn ein Ding darum nie geschehen, weil er es einmal hat tun wollen und nie tut? Zeit hätte er gehabt [...] Meine Göttinger, wie Du weißt, sollten ein Beitrag zu seinem Tasch[en]b[uch] werden - Das war Weihnacht 39 [... Er] tät' [...] am klügsten und hielte den Mund, denn er blamiert sich j a doch bloß« (zitiert nach Kretschmer A 1980, S. 13f.).
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Brief vom 29. August 1841; zitiert nach Büttner 1917, S. 104. Der erste Jahrgang des Literarhistorischen Taschenbuchs erschien ohne Editorial. Prutz muss bald erkannt haben, dass diese Unterlassung ein Fehler gewesen war, denn am 21. September 1842 schrieb er 77
Dieser extensive, weder auf den deutschsprachigen Kulturkreis noch auf dessen Dichtung beschränkte Literaturbegriff - neben philosophischen Abhandlungen wurden auch historiographische und publizistische Texte behandelt - geht auf die pragmatische Einstellung von Prutz zurück, angesichts des relativ geringen Professionalisierungsgrads der noch von verschiedenen Disziplinen mitberücksichtigten Fachrichtung (Neuere deutsche) Literaturgeschichte während der 40er Jahre einen hinreichend großen Interessentenkreis mit seiner Zeitschrift ansprechen zu können. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Breite des Gegenstandsbereichs die heterogene Zusammensetzung der Mitarbeiter des Literarhistorischen Taschenbuchs korrespondiert. Außer jenen Autoren, die sich bereits auf literaturgeschichtliche Themen spezialisiert hatten, waren Philologen, Philosophen, Historiker und Literaturkritiker daran beteiligt. Den stärksten Anteil bildeten jene Beiträger, die dem Umfeld des Hegelianismus angehörten: Rosenkranz, Vischer, Haym, Adolf und Karl Stahr, Prutz' Lehrer Wellmann, Eduard Meyen, Adolf Bock und natürlich Prutz selbst. Außerdem arbeiteten etliche Autoren mit, die primär der Frühgeschichte der Germanistik zuzuordnen sind: die Literaturhistoriker Danzel, Kahlert (1807-1864), Karl Köstlin (1819-1894), Johann Wilhelm Schäfer (1809-1880) und Tittmann (1814-1883) sowie die Philologen und Literaturhistoriker Hoffmann von Fallersleben (1798-1874), Theodor Jacobi (1816-1848) und Karl Moritz Rapp (1803-1883). Zum Beiträgerkreis gehörten schließlich die Altphilologen Bernhardy und Hermann Köchly (1815-1876), die Historiker und Philologen Karl Gustav Heibig (18081875) und Karl August Mayer (1808-1894), die Historiker Karl Hagen (1810-1868) und Gustav Friedrich Hertzberg (1826-1907) und der renommierte Literaturkritiker und Romancier Willibald Alexis (1798-1871). 89 Auch die Widmungen der einzelnen Jahrgänge der Zeitschrift (1843: Jakob und Wilhelm Grimm, 1844: Schlosser,
89
78
anlässlich der Übersendung von vier Exemplaren jenes Eröffnungsjahrgangs an Rosenkranz: »Gern hätt' ich (und in meinem Plane lag es, dies zu thun) dem ganzen Buche eine kurze Einleitung vorausgeschickt, in welcher, nach einem Ueberblick der bisherigen Entwicklung unsrer Literaturgeschichte, der Platz näher bezeichnet worden wäre, den dieses Buch selbst einzunehmen wünscht. Es war dies im Grunde eine Pflicht, die ich gegen das Unternehmen sowohl, wie gegen Publikum und Mitarbeiter zu erfüllen hatte. Aber das Material des Buches war mir [...] so über den Kopf gewachsen, dass ich von jeder Vergrösserung des Umfangs [...] nothwendig abstehen [sie!] musste« (ebd., S. 120). Angeführt werden alle Autoren, die von wissenschaftsgeschichtlicher Bedeutung sind oder mehr als einen Aufsatz veröffentlicht haben. Der Befund der unterschiedlichen Fachzugehörigkeit der Beiträger wird durch die im letzten Jahrgang des Periodikums vor dem Beginn der eigentlichen Seitenzählung abgedruckte Mitarbeiterliste bekräftigt. Dort sind außer den oben Genannten unter anderen die Namen von Literaturhistorikern bzw. Historikern (August Koberstein, Adolf Laun, M. Duncker, Gervinus), von Dichtem bzw. Literaturkritikern (Auerbach, Herwegh, Levin Schücking), von Philologen und Theologen (Göttling, J. und W. Grimm, Adalbert Keller, Pott, Ritsehl, Adolf Schöll, Emil Rödiger, Karl Schwarz) und von weiteren Hegelianern (A. Benary, Feuerbach, Robert Heinrich Hiecke, Alexander Jung, Karl Friedrich Koppen, Heinrich Albert Oppermann, A. Rüge, Strauß) verzeichnet.
1845: Böckh, 1846: Ludwig Uhland, 1847: Karl Wilhelm Göttling, 1848: Meier) sind aufschlussreich. Sie belegen, dass Prutz nach dem Verbot der Deutschen Jahrbücher die regulative Idee einer emanzipatorischen Wissenschaft keineswegs aufgegeben hatte, sich jedoch die Anerkennung und Unterstützung seines Projekts durch namhafte Vertreter unterschiedlicher Fachrichtungen und Wissenschaftsauffassungen sichern wollte. Das Literarhistorische Taschenbuch sollte strengen akademischen Ansprüchen genügen, sich aber zugleich an bildungswillige Laien richten. Es verfolgte den »Zweck, die Resultate einer wissenschaftlichen [...] Lit[eratur]gesch[ichte] mit dem grösseren Publ[ikum] zu vermitteln«. 90 Die populärwissenschaftliche Ausrichtung wird auch aus einem an alle Mitarbeiter verschickten Zirkular ersichtlich, mit dem C. F. Kius (Hannover) im Januar 1845 die Übernahme des Verlags dieser Zeitschrift ankündigte. Das von Prutz und Kius unterzeichnete Zirkular 91 fordert die Autoren auf, künftig kürzere Aufsätze einzureichen, da »es sich als höchst wünschenswerth darfstellt], den einzelnen Jahrgängen eine möglichst grosse Abwechslung und Mannigfaltigkeit des Inhaltes zu geben«. Außerdem ist darin von der an die Redaktion herangetragenen »Aufforderung« die Rede, »den grösseren Abhandlungen alljährlich einen Anhang kleinerer literarhistorischer Notizen und Miscellen beizufügen«. Diese vor allem aus wirtschaftlichem Interesse ausgegebenen Direktiven, mit der die Attraktivität des Periodikums für nichtprofessionelle Leser gesteigert werden sollte, wurde von Prutz behutsam umgesetzt. Während die ersten beiden Bände der Zeitschrift jeweils fünf relativ umfangreiche Aufsätze enthalten, sind in ihre folgenden Jahrgänge acht oder neun kürzere Beiträge aufgenommen worden. Seit 1846 kam die ebenfalls angekündigte Rubrik Miscellen und Notizen hinzu, die den Abdruck kurzer Texte begünstigen und somit eine noch größere Themenvielfalt garantieren sollte. 92 Dennoch liegt der Schwerpunkt des Literarhistorischen Taschenbuchs auch nach 1846 eindeutig in seinen größeren Abhandlungen, deren Qualität schwankt. 93 Insgesamt betrachtet, erreicht Prutz' Periodikum nicht den Grad der Professionalität der Zeitschrift fiir deutsches Altertum, die einem wesentlich enger umrissenen Gegenstandsbereich gewidmet war, auf einen homogeneren Zuträgerkreis zurückgreifen
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Brief von Prutz an Rosenkranz vom 29. August 1841; zitiert nach Büttner 1917, S. 104. Es ist abgedruckt bei Büttner 1917, S. 138f.; die folgenden Zitate: S. 139. Vielleicht sollte nach außen hin auch der wissenschaftliche Anspruch der Zeitschrift unterstreichen werden - in Haupts Zeitschriftfiir deutsches A Itertum war die Miszelle eine häufig benutzte Textart. Nicht unberücksichtigt darf man dabei natürlich lassen, dass der Abdruck von Kurztexten, mit denen man die letzten Seiten eines Bogens auffüllen konnte, die Herstellung des Periodikums erleichterte. Hervorzuheben sind Rosenkranz' philosophiehistorische Abhandlungen Aus Hegels Leben (1. 1843, S. 89-200), Hegel 's ursprüngliches System 1798-1806. Aus Hegel 's Nachlaß (2. 1844, S. 153-242), Prutz' wegen seiner Fragestellung moderner literaturtheoretischer Aufsatz Über die Unterhaltungsliteratur, insbesondere der Deutschen (3. 1845, S. 423—454) und Danzels quellenkritische Untersuchung zu Lessing über Gleim. Ein Nachtrag zur Lachmann 'sehen Ausgabe von Lessing's Werken (6. 1848, S. 2 5 9 - 3 0 8 ) .
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konnte und sich ausschließlich an Experten richtete. Dieser Qualitätsunterschied resultierte allerdings nicht aus der persönlichen Inkompetenz von Prutz und seinen Mitarbeitern, sondern aus dem unterschiedlichen Entwicklungsstadium der germanistischen Teildisziplinen in den 40er Jahren. Haupts Zeitschrift repräsentiert das fortgeschrittene Niveau der damaligen deutschen Philologie im Vergleich zu der noch in den Anfängen stehenden, durch Prutz' Projekt vertretenen Neueren deutschen Literaturgeschichte. Unter angemessener Berücksichtigung dieser Rahmenbedingungen kann man festhalten, dass es Prutz trotz einer relativ ungünstigen Ausgangslage nicht zuletzt wegen seiner Kontakte zu hegelianisch geprägten Autoren gelungen ist, die erste einigermaßen erfolgreiche Fachzeitschrift für Literaturgeschichte gegründet und geleitet zu haben. 94 Prutz veröffentlichte seit 1839; 95 die fünf Jahre jüngeren Autoren Haym und Hettner legten 1841 und 1844 ihre ersten Arbeiten vor. Die hier vorgestellte hegelianische Generation von Literaturwissenschaftlern begann also, verallgemeinernd gesagt, im fünften Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts zu publizieren. Im Kontext unserer Fragestellung muss allerdings einschränkend hinzugefügt werden, dass Haym und Hettner sich erst seit Mitte bzw. Ende der 40er Jahre für die Fächerkombination Literaturgeschichte und Ästhetik öffneten. Diese Unentschiedenheit hinsichtlich der inhaltlichen Ausrichtung ihrer beruflichen Tätigkeit erklärt auch, weshalb ihre damaligen Publikationen weder quantitativ noch qualitativ das Niveau der Arbeiten von Prutz erreichen und deshalb hier relativ kurz vorgestellt werden können. Hettner hatte sich durch den »Winckelmännchen-Streit« den Zugang zu dem archäologischen Fachorgan Annali dell' Instituto di corrispondenza archeologica versperrt, das 1845 einen Beitrag von ihm gebracht hatte. Nach seinem Debüt mit zwei philosophischen Aufsätzen in Wigand's Vierteljahrsschrift über Feuerbach (1844) und die spekulative Ästhetik (1845) publizierte er in den beiden folgenden Jahren außer der Polemik Die heutigen Winckelmännchen drei weitere, kunstgeschichtlichen Themen gewidmete Arbeiten in den von Schwegler herausgegebenen Jahrbüchern 94
»Vorausgegangen war ein erfolgloses Einmannunternehmen ähnlichen Titels: Taschenbuch für deutsche Literatur-Geschichte. Von Friedrich Steinmann. 1. Jahrgang. Münster 1834« (Weimar 1989, S. 329, Anm.412). Dass sich Prutz der wissenschaftlichen Bedeutung seines Unternehmens bewusst war, geht aus seinem am 13. August 1848 an das preußische Kultusministerium gerichteten Gesuch um eine Anstellung an der Universität Halle hervor. Dort begründet er seine akademische Qualifikation nicht nur mit den eigenen Arbeiten, sondern auch mit der »Herausgabe des Literarhistorischen Taschenbuchs, welches seitdem, unterstützt von den ersten Männern der Wissenschaft, einem Rosenkranz, Vischer, Bernhardy pp. in sechs Jahrgängen (1843-1848) erschienen und für die gesammte Stellung und Auffassung der Literaturgeschichte in Deutschland nicht ohne wesentlichen Einfluß gewesen ist«. (Herrn Prof. Dr. Uwe Meves sei für die freundliche Zitiererlaubnis aus diesem bislang unpublizierten Gesuch herzlich gedankt.)
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Eine Ausnahme bildet die Broschüre Kommentar zum zweiten Teile des Goetheschen Faust von Dr. C. Loewe. Beurteilt von R. E. Prutz, Berlin 1834. Zu dieser Arbeit, mit der Prutz in erster Linie sein jugendliches Mütlein an seinem ehemaligen Musiklehrer kühlen wollte, vgl. Büttner 1913, S. 20ff.
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der Gegenwart. 1846 und 1848 erschienen die selbstständigen Titel Der Landschaftsmaler Willers aus Oldenburg und Vorschule zur bildenden Kunst der Alten. In den Jahren 1848/49 verfasste Hettner schließlich einige Rezensionen unter anderem über Arbeiten von Danzel und Heinrich Viehoff für die Heidelberger Jahrbücher der Literatur. Haym veröffentlichte zwischen 1841 und 1847 in der Allgemeinen Literatur-Zeitung (Halle) 14 Rezensionen zu theologischen, religionskritischen und philosophischen Werken und 1846 sowie 1848 die Artikel Phänomen, Phänomenologie, Phantasie und Philosophie in der von Johann Samuel Ersch (1766-1828) und Johann Gottfried Gruber (1774-1851) herausgegebenen Allgemeinen Encyklopädie der Wissenschaften und Künste. Im selben Zeitraum erschienen fünf eigenständige Broschüren. Die erste ist seinem 1842 verstorbenen Mentor Gesenius und die letzte der Philosophie Feuerbachs gewidmet, während die drei übrigen populärphilosophische, mit den zeitgenössischen kirchlichen und politischen Tendenzen zusammenhängende Fragestellungen erörtern. Außerdem schrieb er wie Hettner in junghegelianischen bzw. von Junghegelianern beeinflussten Periodika: 1846 in den Jahrbüchern der Gegenwart, 1847 in Noacks Jahrbüchern für spekulative Philosophie und die philosophische Bearbeitung der empirischen Wissenschaften und 1848 den Aufsatz Über die Bedeutung des Stils in Prutz' Literarhistorischem Taschenbuch Grundsätzlich standen Haym und Hettner vor derselben Situation wie Prutz. Fachzeitschriften zu den jeweiligen Arbeitsschwerpunkten existierten nicht oder waren ihnen nicht zugänglich. Die meisten ihrer frühen Aufsätze und Rezensionen erschienen entweder in allgemeinen Literaturzeitungen oder in hegelianisch inspirierten Periodika. Da auch Prutz fast alle seine frühen literaturkritischen bzw. -historischen Beiträge in den Hallischen Jahrbüchern publizierte, die überdies von Hettner und Haym mit großem Anteil gelesen wurden und daher eine nicht zu unterschätzende identitätsbildende Funktion ausübten, soll die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung jener Periodika im Folgenden erörtert werden.
Die hegelianischen Zeitschriften im Kontext der der Literaturgeschichtsschreibung
Verwissenschaftlichung
Das Verbot der Deutschen Jahrbücher im Januar 1843 provozierte einige ähnlich konzipierte Nachfolgegründungen. Zu ihnen gehören die von Hettner und Haym, aber auch von Prutz mit Beiträgen bedachten Zeitschriften Wigand 's Vierteljahrsschrift (1844/45), 97 die von Anfang an als Revue erschien, und die als Rezensionsorgan gestarteten, aber noch im ersten Erscheinungsjahr zum Revuetyp übergehenden Jahrbücher der Gegenwart (1843/48). 98 Das von Schwegler stammende 96 97 98
Literarhistorisches Taschenbuch 6. 1848, S. 227-257. Vgl. Obenaus 1986, S. 33f. und DLZ VII, S. 361ff. Vgl. Obenaus 1986, S. 32f., DLZ VII, S. 245ff. und Matzerath 1993, S. 104-116, 124-126, 174, 199-201, 213-215 u. 227.
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Editorial der Jahrbücher beginnt mit einem provokativen Satz: »Die deutschen Jahrbücher [gemeint sind die Hallischen bzw. Deutschen Jahrbücher, Erg. d. Verf.] haben den Litteratur-Zeitungen alten Styls den Todesstoß gegeben« (DLZ VII, S. 246). Es beschwört aber nicht nur die junghegelianische Zeitschriftentradition, als deren legitimer Erbe Schwegler sich darstellen wollte, sondern bietet auf knappstem Raum eine instruktive, der historischen Betrachtung standhaltende Analyse zur zeitgenössischen Situation der wissenschaftlichen Zeitschriften. Der provokative Einleitungssatz wird ergänzt durch die Beobachtung, die gleichzeitige Krise mehrerer solcher Zeitungen - namentlich genannt werden die Jenaische Allgemeine Literaturzeitung, die Göttingischen gelehrten Anzeigen und die Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik - deute daraufhin, dass sie nicht durch individuelles Verschulden der jeweiligen Redaktionen verursacht worden sei, sondern strukturelle Gründe habe. Schwegler führt sie auf den vormals unerreichten Grad der Kommerzialisierung des Buchmarkts und die zunehmende Emanzipation der Einzelwissenschaften zurück. Entweder wird also das Eine Element, die Litteratur als buchhändlerische Thatsache, vorangestellt: so haben wir statt recensirender Litteratur-Zeitungen berichterstattende bibliographische Repertorien; oder wird die Wissenschaft in ihren innem Angelegenheiten [...] zum Gegenstand der Besprechung gemacht [...], so wird man dieß zwar ganz in der Ordnung finden müssen, aber nicht umhin können, zu bemerken, daß dann, ohnehin bei der zunehmenden Vertiefung der einzelnen Fachwissenschaften in sich, eine allgemeine Litteratur-Zeitung kein gegründetes Recht der Existenz mehr hat neben den verschiedenen fachwissenschaftlichen Journalen, zu denen sie sich doch nur als principloses, durch keinen leitenden Gedanken innerlich verknüpftes Aggregat verhalten kann (DLZ VII, S. 246).
Die Zeitschriftenlandschaft habe auf diese grundlegenden Veränderungen bereits reagiert: An die Stelle der alten Litteratur-Zeitungen treten also jetzt drei gesonderte Zweige der Journalistik, fachwissenschaftliche Zeitschriften, [...] bibliographische, [...] endlich solche, welche durch selbstständige Erörterung der schwebenden Zeitfragen die geistigen oder materiellen Interessen der Gegenwart zu fordern bezwecken, und damit die nach außen gekehrte, an die politischen Tageszeitschriften angrenzende Seite der Literatur und Wissenschaft vertreten (DLZ VII, S. 246).
Es ist klar, dass die Jahrbücher der Gegenwart die zuletzt genannte Zeitschriftenvariante zu repräsentieren beabsichtigten, der auch Wigand 's Vierteljahrsschrift und der Prototyp der junghegclianischen Revuen, die Hallischen bzw. Deutschen Jahrbücher, zuzuordnen sind. Deren Herausgeber Rüge hatte eine gleich lautende Positionsbestimmung seines Periodikums vorgenommen, die weitere Aufschlüsse über die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung dieser Zeitschriften gibt. Eine kritische Analyse des gegenwärtigen »Zustand[s] der gelehrten Journalistik« (DLZ VI, S. 397) habe ergeben, daß neuere Institute entweder auf den Standpunkt gewöhnlicher Recensiranstalten zurücksanken, oder [...] zu vollständigen, die ganze Litteratur umfassenden Registern und Repertorien sich gestalteten. Diese Vollständigkeit diente der Notiz, nicht der Wissenschaft; und es erhoben sich dagegen mit Recht in allen Special wissenschaften [...] auch eigne Journale [...] Es schien an der Zeit zu sein, hier einen wesentlichen Schritt vorwärts zu thun. Es
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war nämlich nicht schwer zu bemerken, daß durch die allgemeinen Litteraturzeitungen, die Repertorien und die Specialjournale weder das Leben des principiellen Kampfes, noch ein wahrhaft darstellender Bericht der geistigen Bewegungen gewonnen werde. Dazu bedurfte es eines ganz neuen Mittelpunktes [...] Dies ist der Ursprung und die Bestimmung der Hallischen Jahrbücher (DLZ VI, S. 397).
Die zentrale Stellung, die Ruge dem von ihm und Echtermeyer geleiteten Periodikum im geistigen Leben der Zeit attestiert, resultierte aus der Überzeugung, dass allein die Hegeische Philosophie in ihrer Eigenschaft als universale Grundlagendisziplin den Relevanzgrad wissenschaftlicher und kultureller Erzeugnisse bestimmen könne. Zugleich betrieb Ruge eine radikale Politisierung der Philosophie, da für ihn letztlich nur der Grad der Fortschrittlichkeit eines Gegenstandes als Relevanzkriterium zählte. Solche Ansichten standen der im 19. Jahrhundert entstehenden modernen Wissenschaftsauffassung natürlich im Weg. Ruge selbst bestätigt dies unbeabsichtigterweise, wenn er zu Beginn des Jahres 1840 den im Übrigen wegen ihrer zunehmenden konservativen Erstarrung kritisierten Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik vorwirft, in ihnen habe »die Gelehrsamkeit als solche, die empirische Wissenschaft ohne Vermittlung mit dem Gedanken [...] mehr und mehr sich breit gemacht«, während »die philosophischen Disciplinen [...] zurückgetreten« seien (DLZ VI, S. 402). Es lässt sich also vermuten, dass die junghegelianischen Zeitschriften aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive wegen ihres empiriekritischen, geistzentrierten Wirklichkeitsverständnisses und wegen der durch sie vorangetriebenen Politisierung der Wissenschaft einen Rückschritt hinter die Berliner Jahrbücher darstellen. Diese These erhält zusätzliches Gewicht, wenn man die moderne Organisationsstruktur des Mitarbeiterstabs dieses Periodikums mit der auf zwei Personen beschränkten Redaktion der Hallischen Jahrbücher vergleicht. Die keineswegs nur aus Vertretern des Hegelianismus, sondern auch aus einer Vielzahl davon relativ unbeeinflusster Fachgelehrter bestehende" Societät für wissenschaftliche Kritik, welche die zu besprechenden Titel und deren Rezensenten auszuwählen, eingegangene Manuskripte zu begutachten und über deren Aufnahme zu entscheiden hatte, war in drei spezialisierte Ressorts untergliedert. 100 Andererseits muss berücksichtigt werden, dass sowohl die junghegelianischen Zeitschriften als auch die Berliner Jahrbücher wegen ihrer
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Vgl. Ziemer 1994, S. 21 u. 105f. und Obenaus 1994, S. 25ff. »Die Societät theilt sich in Beziehung auf den Geschäftsgang in drei Klassen [...] Die erste Klasse ist die Klasse für Philosophie, Theologie, Rechts- und Staatswissenschaft [...] Die zweite ist die naturwissenschaftliche, diese begreift eben so die Mathematik und Medizin in sich [...] Die dritte Klasse ist die Klasse für Geschichte, Philologie und Kunst« (zitiert nach dem Abdruck der Statuten einer Societätfiir wissenschaftliche Kritik in Berlin bei Hogemann 1994, S. 88-92; Zitat: S. 89). Die Bemerkung Hogemanns, »die Redaktion« sei »der Kontrolle durch die Sozietät entzogen [geblieben]« (S. 83), bezieht sich nur auf deren personelle Zusammensetzung. Der Paragraph 33 der Statuten hält unmissverständlich fest, dass »keinem Aufsatze ohne Authorisation der betreffenden Klasse die Aufnahme vergönnt werden [darf]« (ebd., S. 92). Vgl. auch Schneider 1994.
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Annäherung an den Revuetyp die von den allgemeinen Literaturzeitungen nicht offerierte Möglichkeit zur Veröffentlichung eigenständiger Forschungsbeiträge und programmatischer Reflexionen boten. Daher konnte Prutz in seinen Aufsätzen für die Hallischen Jahrbücher »sein Programm [entwickeln], das er in den Hauptzügen zur Grundlage seines ganzen literarhistorisch-kritischen Schaffens der nächsten Dezennien gemacht hat«. 1 0 1 Angesichts dieser Möglichkeit, sich auf der Grundlage einer für maßgeblich erachteten, Urteilssicherheit gewährenden Philosophie von objektbezogenen Rezensionen weitgehend lösen und allgemeine literaturhistorische Argumentationsformen erproben zu können, darf die wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung der junghegelianischen Zeitschriften der 40er Jahre nicht unterschätzt werden. »Die Grundtendenz der Jahrbücher, den Werken, die sie besprechen, in dem allgemeinen Zusammenhang der geistigen Bewegung ihren Platz anzuweisen, gibt auch den Arbeiten von Prutz ihr besonderes Gepräge. Sie beginnen oft mit einer langen Einleitung, deren Aufgabe es ist, den Standpunkt für die Beurteilung des Buches [...] zu gewinnen. Auf diese Einleitungen wird die meiste Arbeit verwandt, der Hauptnachdruck gelegt; zur Besprechung des Buches selbst müssen dann oft wenige Seiten genügen«. Zu bedenken ist außerdem, dass Ruges radikale, latent wirklichkeitsnegierende und insofern empirischen Studien eher distanziert gegenüberstehende Attitüde innerhalb der Hegelianer nicht unwidersprochen geblieben ist. Schwegler hat seine Jahrbücher der Gegenwart zwar in die von den Hallischen bzw. Deutschen Jahrbüchern eröffnete Traditionslinie gestellt, aber an den politischen und wissenschaftlichen Konzepten, denen diese Zeitschrift insbesondere in ihrer Endphase Ausdruck verliehen hatte, nicht mit Kritik gespart. Wenn man die Dinge nüchtern betrachte, so sei das Verbot der Deutschen Jahrbücher für sie selbst »eher ein Glück als ein Unglück« 1 0 2 gewesen. Der Mangel an gesunder Empirie, das Fortrechnen mit Abstraktionen als fertigen Wahrheiten statt einer ununterbrochen flüssigen Vermittlung zwischen dem Gegebenen und dem Gedanken, der mangelnde Sinn für historische Entwicklung, die Geringschätzung des nationalen Elements im Völkerleben, die Interesselosigkeit für wissenschaftliche Forschung überhaupt, wenn sie nicht unmittelbar zu practischen Resultaten führte, alle diese Eigenschaften, welche die Jahrbücher in ihrem letzten Stadium charakterisierten, konnten mit Recht an ihrer weiteren Entwicklungsfähigkeit zweifeln lassen. 1 0 3
Es ist evident, dass auf der Basis der hier zum Ausdruck kommenden Haltung konstruktive Versuche unternommen werden konnten, empirische Forschungen mit philosophischer Fundierung zu vereinen. Wie sehr diese Chance von Schwegler und 101 102 103
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Büttner 1913, S. 43; das folgende Zitat ebd. Zitiert nach Matzerath 1993, S. 112. Zitiert nach Matzerath 1993, S. 112. Weitere Fundstellen, an denen Schwegler in seiner Zeitschrift kritisch mit Ruges Publizistik abrechnet, verzeichnet Matzerath 1993, S. 112, Anm. 44. Die Distanz der Tübinger Hegelianer gegenüber Rüge ist auch darauf zurückzuführen, dass Rüge Ende 1841 die religionsphilosophische Position von Strauß für überholt gehalten und die Hallischen Jahrbücher auf den Kurs von Feuerbachs Atheismus gebracht hatte.
seinen Beiträgern genutzt wurde, belegt die Feststellung von Sibylle Obenaus, in Anbetracht des hohen Niveaus der Jahrbücher der Gegenwart sei eine ihnen gewidmete eingehende Untersuchung leider als »Desiderat der Forschung« 1 0 4 zu beklagen. Insgesamt betrachtet, stellen alle hegelianischen Periodika im Vormärz Publikationsforen dar, die nicht nur - wie von der Forschung bereits erkannt wurde - für die Kunst- und Literaturkritik, sondern auf je spezifische Weise auch für die Entstehung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Kunst und Literatur wichtig gewesen und in dieser Hinsicht bislang nicht gebührend gewürdigt worden sind. 105 Sie boten dem Nachwuchs der im Entstehen begriffenen geisteswissenschaftlichen Fächer die Möglichkeit zur Artikulation und Erprobung eigener Forschungsansätze oder Untersuchungsmethoden. Außerdem verdichteten sie die Kommunikation nicht nur innerhalb einer hegelianisch sozialisierten Gemeinschaft meist jüngerer Autoren und präsentierten den Hegelianismus in der Öffentlichkeit als eine in wissenschaftlicher Hinsicht ernst zu nehmende geistige Strömung.
Mehr oder minder erfolgreiche akademische
Pläne
Sowohl die in den Tageszeitungen publizierten als auch die ausschließlich politischen Themen gewidmeten Arbeiten von Prutz, Hettner und Haym sind im letzten Abschnitt nicht behandelt worden. Diese Feststellung ist vor allem im Hinblick auf den Werdegang von Haym notwendig. Obwohl die bislang ausgeklammerten Texte im Rahmen unserer Fragestellung nicht ausführlich behandelt werden können, dürfen sie doch in seinem Fall nicht ganz unerwähnt bleiben. Zwischen 1845 und 1860 fristete Haym die Existenz eines »brodlosefn] Privatgelehrtefn] und Litterat[en]« (Hy 1902, S. 198), der auf die Einkünfte aus seiner schriftstellerischen Tätigkeit angewiesen war und sich einen viel beachteten Namen als politischer Publizist im Dienst des gemäßigten Liberalismus gemacht hatte. Schon seine ersten Rezensionen in der Allgemeinen Literaturzeitung verfasste Haym nicht zuletzt zur Aufbesserung seiner chronisch schlechten finanziellen Lage. Auf das Gebiet der politischen Schriftstellerei geriet er durch sein von Max Duncker gewecktes Engagement für die in Halle einflussreiche Bewegung der Lichtfreunde, für die er zahlreiche Artikel über religiös-kirchliche und philosophische Themen mit kryptopolitischem Einschlag verfasste. 1847 wurde er erstmals einer größeren Öf104 105
Vgl. Obenaus 1986, S. 32. Vgl. die exemplarische Studie von Ansei 1997. Eine Zusammenstellung und detaillierte Musterung der in den oben erwähnten hegelianischen Zeitschriften veröffentlichten Beiträge mit wissenschaftsgeschichtlicher Relevanz ist hier aus Raumgründen nicht möglich, so reizvoll ein solches Unterfangen wäre. Parallel zu den für die Geschichte der Germanistik einschlägigen Aufsätzen von Prutz in den Hallischen Jahrbüchern sei hier deshalb stellvertretend nur auf Hothos in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik vorgelegte Arbeiten über Kleist und Goethe hingewiesen, da deren Bedeutung für die deutsche Literaturwissenschaft bereits erkannt und gewürdigt wurde (vgl. Pleister 1993, Hamlin 1994 und Ziemer 1994, S. 24ff.).
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fentlichkeit durch sein Buch über die Reden und Redner des ersten Vereinigten Preußischen Landtags bekannt. 1848 fungierte er als Pressereferent und Publizist der Regierung Camphausen/Hansemann. Nach seiner Wahl zum Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung betätigte er sich aus der Perspektive des rechten Zentrums als Berichterstatter und Chronist der dort geleisteten parlamentarischen Arbeit (Die deutsche Nationalversammlung, 1848/50). Im Auftrag der Gothaer Partei war er 1850 Chefredakteur der Konstitutionellen Zeitung und zwischen 1858 und 1864 verantwortlicher Schriftleiter der von ihm mitbegründeten Preußischen Jahrbücher,106 Es ist schwer zu beurteilen, inwieweit dieser Lebensabschnitt Hayms Wünschen entsprach. Gewiss trat er als ein vom Hegelianismus und dem Vormärzideal einer Verbindung von Wissenschaft und Leben beeinflusster Autor offen für die Konzeption einer praktischen, wirklichkeitszugewandten Wissenschaft ein. Andererseits war er seit der Nichtzulassung zur Habilitation ständig »[sjeiner Subsistenz wegen auf litterarischen Verdienst angewiesen« (Hy 1902, S. 156). Abgesehen von der Feuerbach-Episode, in der er sich zeitweilig mit dem Verzicht auf eine akademische Karriere (als Theologe) abfinden zu müssen glaubte, verlor Haym seine schon von Gesenius unterstützte Habilitationsabsicht trotz aller Rückschläge nie aus den Augen. 1850 gelang es ihm in einer durch die allgemeine politische Lage herbeigeführten günstigen Situation, in der man »nicht mehr zu besorgen brauchte, durch Einspruch von oben an dem Eintritt in die akademische Laufbahn verhindert zu werden« (Hy 1902, S. 202), sich in Halle mit seiner schon 1845 eingereichten Arbeit sowie seinem inzwischen publizierten Philosophie-Artikel zu habilitieren. An seinen finanziellen Verhältnissen änderte die Zulassung zum »Proletariat der Privatdozenten« (BWH, S. 144f.) freilich wenig. »Es blieb also nichts übrig, als daß der Schriftsteller den Docenten ernähre« (Hy 1902, S. 214f.). Dennoch war Haym spätestens seit den frühen 50er Jahren fest entschlossen, seine Hochschulkarriere konsequent zu verfolgen. Seine Zuversicht, dass der Zusammenbruch der Reaktionsphase in Preußen vorhersehbar sei und die Chancen auf eine Professur sodann nicht schlecht ständen, bewahrheitete sich 1860. In diesem Jahr wurde er gegen den zum Teil erbitterten Widerstand der Philosophischen Fakultät von dem während der Neuen Ära als Kultusminister tätigen Moritz August von Bethmann-Hollweg (1795-1877) als Nachfolger von Prutz zum außerordentlichen Professor für Geschichte der Literatur, insbesondere der deutschen, ernannt. 107 Da die Stelle nur mäßig dotiert war und der seit 1858 verheiratete Haym vier Jahre später von der Redaktion der Preu-
' 0 6 Hayms Entwicklung zu einem hinsichtlich seiner weltanschaulichen Überzeugungen typischen Wortführer des gemäßigten Liberalismus und seine politische Publizistik stehen im Mittelpunkt der leider nur bis 1850 reichenden Untersuchung von Rosenberg 1933. 107 Aus den von Meves transkribierten, bislang unveröffentlichten Dokumenten geht hervor, dass sich von Bethmann-Hollweg über die Voten Erdmanns, der Philosophischen Fakultät und Pernices hinwegsetzte. Lediglich Pott hatte sich in einem Separatgutachten entschieden für die Ernennung Hayms ausgesprochen. Vgl. auch Haym 1902 (S. 273ff.) und Hayms Briefe an Max Duncker vom 7. Februar und August 1860, in: BWH, S. 191 ff. u. 195ff.
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ßischen Jahrbücher zurücktrat, konsolidierte sich die materielle Lage für ihn und seine Familie erst 1868, als er nach dem Tod Schallers zum Ordinarius für Philosophie und Geschichte der Literatur berufen wurde. Etwa zehn Jahre früher als Haym war es Prutz gelungen, seine akademischen Pläne zu verwirklichen. Bis zu diesem Zeitpunkt war auch er ausschließlich auf seine Einkünfte als Schriftsteller angewiesen, nachdem seinen bis in die späten 30er Jahre zurückverfolgbaren Habilitationswünschen zunächst ebenfalls kein Erfolg beschieden war. Den Lebensunterhalt für sich und seine Familie - Prutz hatte 1841 Ida Blöde, die Tochter eines bereits 1820 verstorbenen Geheimen Finanzrats, geheiratet verdiente er nicht nur durch wissenschaftliche Publikationen, sondern auch durch politische Aufsätze z.B. für die Rheinische Zeitung, öffentliche Reden und Vorlesungsreihen 1 0 8 und sein Engagement als gefeierter Dichter. Einige Dramen, insbesondere aber politische Gedichte begründeten seinen Namen als oppositioneller Literat, der häufig in Konflikte mit der Zensur und dem Obrigkeitsstaat geriet. Trotz dieser vielseitigen, zum Teil durch die äußeren Verhältnisse aufgedrängten Tätigkeiten verlor Prutz seinen »Lebensplan [...], [s]ich als akademischer Lehrer zu habilitiren« (Pr 1847, S. XVII), nicht aus den Augen. Prutz' nachträgliche Beteuerung von 1847, er habe nie ernsthaft mit einer Zulassung als Hochschullehrer in Halle gerechnet und nur die Willkür der Universitätsverwaltung und der preußischen Bürokratie entlarven wollen (Pr 1847, S. XIXff.), klingt angesichts seiner Verwicklung in die Hallischen Zustände plausibel. Sie muss aber zugleich in ihrer Funktion als eine für die Öffentlichkeit berechnete Souveränitätsdemonstration des konfliktbereiten Liberalen gesehen werden. Jedenfalls passt sie nicht recht zu dem resignativen Unterton des an Adolf Stahr gerichteten Briefs vom Februar 1844, in dem Prutz als unmittelbar Betroffener das erneute Scheitern seiner Habilitationspläne beklagt. Ich habe seit 10 Jahren und länger die akademische Laufbahn ausschließlich zu meinem Ziel gemacht, ich glaube, daß sie es eigentlich ist, wozu meine Natur mich bestimmt und mir ein gewisses Talent mitgegeben hat [...] Gerade diejenige Tätigkeit [wird mir abgeschnitten], die mir die liebste und entsprechendste wäre, für die ich mich durch langjährige geistige und materielle Opfer vorbereitet habe, die mir zugleich eine Aussicht bietet, eine gewisse feste praktische Wirksamkeit zu erlangen und auch äußerlich das Schicksal meiner Familie allmählich zu sichern.109 Die hier zum Ausdruck kommende Frustration dokumentiert Prutz' ernsthaftes Interesse an einer Einbindung in den Hochschulbetrieb, welche - Prutz deutet es an 108
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Die Vorlesungen über die Geschichte des deutschen Theaters (1847) wurden 1846 in Berlin und anschließend in Stettin vor einem gemischten Publikum gehalten. Die ebenfalls ursprünglich für den öffentlichen Vortrag bestimmten Vorlesungen über die deutsche Literatur der Gegenwart (1847) wurden nach der ersten Veranstaltung im Januar 1847 vom Berliner Polizeipräsidenten Eugen von Puttkammer (1800-1874) verboten, da Prutz gegen die Auflage verstoßen habe, »[sich] aller Bemerkungen und Anspielungen in bezug auf Gegenstände, welche dem Gebiete der Politik angehören, [...] zu enthalten« (vgl. das Vorwort in Prutz 1847, S. III-LXXXIV; Zitat: S. LXXI). Brief vom 22. Februar 1844; zitiert nach Göhler 1917/18, S. 235. 87
die materielle Absicherungen für ambitionierte, zeitaufwendige Forschungsvorhaben und eine Integration in die Kommunikationszusammenhänge der disziplinaren Gemeinschaft gewährleisten sollte.110 Die Einsicht, dass die geplanten wissenschaftlichen Projekte mit großem Arbeitsaufwand verbunden und deshalb auf staatliche Alimentierung angewiesen waren, motivierte Prutz' und Hayms, aber natürlich auch Hettners Wunsch, im akademischen Bereich Fuß zu fassen. 1849 nutzte Prutz wie der sich ein Jahr später habilitierende Haym die Gunst der politischen Verhältnisse, sich an der Universität Halle zu etablieren. Obwohl Leo am 2. Januar 1849 das mittlerweile von Adalbert von Ladenburg (1798-1855) geleitete preußische Kultusministerium einmal mehr davor warnen zu müssen glaubte, »die Universitäten zu Versorgungsanstalten für politische Parteigänger« zu machen, 111 wurde Prutz auf Fürsprache Alexander von Humboldts zum außerordentlichen Professor für Literaturgeschichte mit einer mäßigen und überdies jederzeit widerrufbaren 112 jährlichen Remuneration von 500 Talern ernannt. Von einer kurzen Anfangsphase abgesehen, war seine Lehrtätigkeit wenig erfolgreich, da die politischweltanschaulichen Differenzen zwischen ihm und den konservativen Professoren Leo, Pernice, Erdmann und August Tholuck (1799-1877) ständig zu kräftezehrenden Konflikten führten, in die auch seine Studenten zu deren Nachteil verwickelt wurden. Prutz-Schüler mussten bei der Notenvergabe und der Gewährung materieller Vergünstigungen (Stipendien, Freitische usw.) mit Benachteiligungen rechnen. An der relativen Erfolglosigkeit seiner Lehre konnte selbst die an sich fortschrittsweisende Gründung einer seminarähnlichen Veranstaltungsreihe nichts ändern, mit der Prutz erneut sein der Wissenschaft zugute kommendes Organisationstalent und sein Gespür für die Notwendigkeit einer institutionellen Verankerung von Forschung und akademischer Ausbildung unter Beweis stellte. Prutz, der den Nutzen der während seines Altphilologiestudiums genossenen Schulung im Seminar Bernhardys offenbar zu schätzen gelernt hatte, wollte »etwas Aehnliches [...] gründen [...]
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So hat beispielsweise Kreutzer 1971 (S. 446) betont, dass Prutz seine auf arbeitsintensiven Quellenstudien basierende Geschichte des deutschen Journalismus nur hätte fortführen können, »wenn [ihm] die Lebensform und die damit verbundenen Hilfsmittel eines Gelehrten geboten worden wären«. Zitiert nach Meves 1994, S. 146, Anm. 158. Auf der Kabinettsorder, mit der Prutz' Ernennung verfügt wurde, hatte Friedrich Wilhelm IV. eigenhändig den Vermerk angebracht, »[ich] mache [...] Sie [gemeint ist der damalige Kultusminister von Ladenburg, Anm. d. Verf.] dafür verantwortlich, daß beim Rückfall des Mannes in seine frühere[n] irreligiösen und revolutionären Tendenzen, demselben die Geldhilfe sogleich entzogen werde« (zitiert nach Kretschmer II 1980, S. 28f.). Dieser Vermerk wurde von dem späteren reaktionären Kultusminister Karl Otto von Raumer (1805-1859) mehrmals als Druckmittel gegen Prutz eingesetzt. In Schreiben vom 11. Oktober 1853 und 25. Januar 1854 wies er Pernice an, Prutz darauf aufmerksam zu machen, dass seine Zeitschrift Deutsches Museum politisch missliebige und triviale, die Würde eines preußischen Professors kompromittierende Artikel enthalte und dass »ihm im Wiederholungsfalle die ihm [...] widerruflich bewilligte Remuneration sofort werde entzogen werden« (vgl. Kretschmer I 1980, S. 51 - Zitat ebd. - u. 53).
w i e für das Studium der classischen Philologie die philologischen Seminarien«. 1 1 3 Gleich im Wintersemester 1849/50 eröffnete er die v o m Kultusministerium genehmigten, »offenbar aber nur bis 1851/52 [fortgeführten]« 1 1 4 Ü b u n g e n seiner Litterarhistorischen Gesellschaft, w e l c h e die Zielsetzungen verfolgen sollten, bei den Studirenden den Trieb der Selbsttätigkeit [...] zu erwecken, insbesondere aber von der Literaturgeschichte jenen dilettantisch ästhetisirenden Charakter zu entfernen, der ihr im Bewußtsein der Meisten zur Zeit noch anklebt, und auch [für] sie die volle wissenschaftliche Strenge, den ganzen Ernst und Eifer eines philologischen Studiums herzustellen. N a c h d e m Prutz 1859 auf eigenen Wunsch aus d e m Lehrkörper der Universität Halle ausgeschieden war, bestritt er den Unterhalt für sich und seine Familie mit den Einkünften aus seinem Deutschen
Museum,
einer ihm 1865 auf Lebenszeit verliehenen
Pension der Deutschen Schillerstiftung und mit öffentlichen Vortragsreisen, die ihm in den 60er Jahren nochmals große Popularität und den anerkennend gemeinten Titel eines Wanderprofessors deutscher Literatur einbrachten. 1 1 5 O b w o h l Hettner im Gegensatz zu H a y m und Prutz ein Leben ohne finanzielle Sorgen verbrachte, war er w i e seine Kollegen w e g e n seiner Einsicht in die Vorteile einer Integration in akademische Strukturen stark an einer Universitätskarriere interessiert. S c h o n seine Entscheidung für das Studium der H e g e i s c h e n Philosophie, aber auch seine zeitweilige H i n w e n d u n g zur Kunstgeschichte b z w . Archäologie und sei-
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Vgl. Meves 1994, S. 176f.; dieses und das folgende Zitat aus Prutz' Gesuch an den Prorektor Meier ebd., S. 176. Meves betont nicht nur Prutz' Bemühungen, »durch die Betonung des >Philologischen< den von seinen Hallenser Gegnern [...] gegen ihn erhobenen Vorwurf des Dilettantismus zu entkräften« (S. 176), sondern weist zu Recht auch darauf hin, dass »die in diesem Gesuch fixierte programmatische Ausrichtung [...] ganz auf der Linie der von K. Weimar beschriebenen Ansätze eines philologischen Forschungsprogramms der Wissenschaft >deutsche Literaturgeschichte< [liegt], das von Prutz realisiert wurde« (S. 176, Anm. 284). Die wenigen weiteren seminarähnlichen Übungen im Fach Deutsche Literaturgeschichte in den 40er und frühen 50er Jahren (Guhrauer und Jacobi in Breslau, Tittmann in Göttingen, Adolf Ebert in Marburg) verzeichnet Weimar 1989, S. 421 f. Zur Gründung eines institutionalisierten, vom preußischen Ministerium anerkannten Seminars für deutsche Philologie kam es in Halle 1875 dank der Initiative Julius Zachers (vgl. Lemmer 1956, Lemmer 1958/59, S. 362ff. und Meves 1987, S. 77f. u. 81ff.).
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Weimar 1989, S. 422. Haym scheint keine derartigen Veranstaltungen durchgeführt, deren Wert im Gegensatz zu Hettner aber generell anerkannt zu haben. Während Hettner - wie Seuffert 1884 (S. 22) mitteilt - »die Erziehung der Studenten in Seminarien verdammte« und »in diesen Einrichtungen, die [er] nicht genügend kannte und darum einseitig unterschätzte, hier eine Unterdrückung des Geistes [...], eine Herabwürdigung desselben zur Maschine, dort eine der Wissenschaft schädliche Ausrüstung eines talentlosen Kopfes zu gelehrter Arbeit [zu sehen glaubte]«, lobte Haym in einem Brief an Gustav Schmoller vom 24. Juni 1893 die wissenschaftliche Befähigung des seit 1890 in Halle lehrenden Philosophen Benno Erdmann (1851-1921) unter anderem mit dem Hinweis auf dessen erfolgreiches didaktisches Engagement im Rahmen von Seminaren: »In seinen >ÜbungenGeheimnis< der neuen romantischen Poesie sei der >SubjektivismusKampfes< also >der Natur gegen die herzschnürende Prosa< berühren [...] In ebendieser These liegt der Schnittpunkt, in dem sich Hettners bildungsidealistische Option und [...] Hothos kunstgeschichtsphilosophische Projektion kreuzen« (S. 202). Obwohl Hettners Kenntnis des gleich zu Beginn von Rosenkranz' Tieck-Aufsatz erwähnten Buchs von Hotho vorausgesetzt werden kann, muss daraufhingewiesen werden, dass der Ansatz, den antiaufklärerischen romantischen Subjektivismus in eine vom Sturm und Drang eröffnete Traditionslinie zu stellen, zum Kernbestand der hegelianischen Romantik-Kritik gehört und Hettner auch bei Hegel, Rosenkranz und Prutz, ja sogar bei Gervinus (Ge 1842, S. 570, 583 u. 594ff.) begegnet war. Zweitens unterliegt Hettners Untersuchung wegen ihrer ästhetisch-systematischen Fundierung zweifellos »einem enormen Konstruktionszwang« (S. 201). Schlott tendiert unseres Erachtens allerdings zu einer Überbewertung dieses Aspekt, obwohl dessen Hervorhebung im Rahmen des von ihm gewählten monographischen Ansatzes berechtigt sein mag. Im Gegensatz hierzu soll in unserer, mehrere Annäherungen hegelianischer Literaturhistoriker an die Romantik thematisierenden Arbeit gezeigt werden, dass Hettners Konstruktion keinen Makel darstellt, wenn man sie im wissenschaftsgeschichtlichen Kontext ihrer Zeit betrachtet, und dass sie insofern den innovativen Charakter von Hettners Werk verbürgt, als sie im Vergleich mit den von Rosenkranz und Prutz vorgelegten Romantik-Deduktionen relativ schwach ausgeprägt ist.
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erwähnten Prutz, 41 wenn Hettner den vor seiner Arbeit erschienenen »ausführlicheren geschichtlichen Schilderungen« der Romantik vorwirft, »sich immer weit mehr in den Dienst der Publizistik als der Literaturgeschichte [gestellt zu haben]; sie sind nicht objektiv geschichtlich, sondern vorwiegend polemisch. Sie lassen die Schule nicht frei aus ihrer Zeit herauswachsen« (S. 56). Dies ist Hettners ausdrückliches Ziel: »Die Schule ist nur erklärbar, wenn wir auf den ganzen damaligen Zeit- und Literaturcharakter zurückgehen. Sie ist wie jede tiefergreifende geschichtliche Erscheinung eine innere Notwendigkeit« (S. 60). Während nicht nur Rüge und Echtermeyer, sondern auch Heine und Prutz ihre ideologiekritische Destruktion der Romantik mit der ideell schon überwundenen, faktisch aber noch existierenden Macht restaurativer, von romantischen Ideen inspirierter Kräfte begründeten, versucht Hettner »im Interesse der Literaturgeschichte« (S. 56), einen um historische Gerechtigkeit bemühten wissenschaftlichen Standpunkt einzunehmen.
Der poetische
Idealismus
Hettner beginnt seine Ausführungen mit einem kleinen Forschungsbericht. Wenn man den von ihm vertretenen Maßstab an die bislang vorliegenden Untersuchungen anlege, dann zeige sich, dass die Romantik-Forschung »kaum über die notdürftigsten Vorarbeiten [...] hinaus« sei (S. 57). Überzeugend seien weder Eichendorffs Versuch, die Romantik in seiner Schrift Über die ethische und religiöse Bedeutung der neueren romantischen Poesie in Deutschland (1847) als Heimweh nach dem Katholizismus zu deuten, noch die häufiger vertretene Ansicht, man könne sie direkt von der Philosophie Fichtes und Schellings ableiten. Zwar sei »die Poesie der romantischen Schule [...] das notwendige Korrelat jener Philosophien [...] Denkt man aber hierbei [...] an genealogische Abstammung in geradester Linie [...], so kann diese Ansicht der Natur der Sache nach nur in sehr beschränkter Weise wahr sein« (S. 58f.). Hettner begründet dies mit den grundsätzlichen Unterschieden zwischen dem philosophischen Denken und dem von der Phantasie inspirierten künstlerischen Gestaltungswillen. Die zahlreichen persönlichen Kontakte zwischen Denkern und Poeten aus dem Umkreis der romantischen Schule und alle zweifellos vorhandenen Affinitäten zwischen romantischer Philosophie und Literatur könnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass »beide Richtungen [...] ihrem Wesen nach [...] verschieden [sind]. Einem echten Dichter widersteht die Philosophie. Seine Phantasie, gestaltenreich und farbenblühend, hat keine Handhabe für das wesenlose Schattenreich des dialektischen Denkens« (S. 59). Alle Versuche, die Entstehung der romantischen Dichtung entweder von religiösen Bedürfnissen oder einer philosophischen Doktrin abzuleiten, verfehlten die Beschaffenheit ihres Untersuchungsgegenstandes, weil sie
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Erst im zweiten Kapitel des vierten Abschnitts seines Buchs kommt Hettner ausdrücklich auf Prutz' Vorlesungen über die deutsche Literatur der Gegenwart zu sprechen und zitiert dort zustimmend eine Passage, an der Prutz vom aufklärungsfeindlichen Bündnis der deutschen Fürsten und Romantiker handelt (S. 150).
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»äußerliche Gesichtspunkte« anführten, »die der Geschichte der Poesie fremd sind und nur einen sehr entfernten Einfluß auf diese gewinnen können« (S. 57f.). Auch Gervinus' grundlegende Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen müsse sich den Vorwurf gefallen lassen, kunstexterne Kriterien an die Romantik herangetragen zu haben. Anders sei es nicht zu erklären, weshalb er sein umfangreiches Werk mit Goethe und Schiller abgeschlossen und die romantische Schule nur anhangweise behandelt habe. 42 Gervinus und etliche andere Literaturhistoriker hätten nicht begriffen, dass »die Keime und die geschichtlichen Bedingungen der romantischen Schule [...] bereits ganz klar in der poetischen Anschauungsweise [Goethes und Schillers] vorgezeichnet [liegen]«. Die Romantik sei deren »notwendige ergänzende Kehrseite« (S. 60). Beide Richtungen [...] stehen auf gleicher Grundlage, kranken an gleicher Krankheit. Sie leiden daran, daß sie nicht aus dem Bewußtsein ihrer Zeit schreiben, von ihr gehoben und getragen, sondern im bewußten Gegensatz [...] zu dieser. Ein falscher Idealismus ist ihnen gemeinsam. Ihr Unterschied besteht nur darin, daß sie diesen Idealismus in verschiedener Weise [...] geltend machen und durchführen (S. 61).
Die aus der idealistischen Literatur sprechende Gegenwartsverachtung resultiere in erster Linie aus den unbefriedigenden politischen Verhältnissen in Deutschland gegen Ende des 18. Jahrhunderts. Die während der Reformation grundgelegten emanzipatorischen Ideen, an welche die Aufklärung angeknüpft habe, seien in Deutschland nämlich über die Sphären der Religion, Bildung und Kultur nicht hinausgelangt. »Über das Privatleben gehen sie nicht hinaus, in Staat und Öffentlichkeit vermögen sie nicht durchzubrechen« (S. 62). Angesichts solcher Rahmenbedingungen habe hier keine wirklich substanzielle Kunst entstehen können, die, je bedeutender sie sei, »desto tiefer [...] im Leben [ihrer] Zeit und [ihres] Volkes [wurzelt]« (S. 61f.). Überall, wo wir große Kunstperioden erleben, da stehen immer Kunst und unmittelbare Wirklichkeit in innigster Wechselwirkung, die Kunst ist stets nur eine höhere klärende Spiegelung derselben. Aber dazu gehört freilich, daß das wirkliche Leben selbst schon an und für sich schön und künstlerisch sei und dem Dichter willig die Hand reiche. Der Dichter muß große Gestalten vorfinden, die er nur aufzugreifen braucht; er muß Poesie erleben, um Poesie schaffen zu können (S. 62).
Wegen des »trostlosen Zwiespaltes zwischen den Forderungen der Kunst und den Erbärmlichkeiten einer durch und durch prosaischen Wirklichkeit« (S. 66) seien die Autoren in Deutschland genötigt worden, sich entweder auf diese defiziente Wirklichkeit einzulassen und somit »in roh naturalistischer Weise die Forderungen der Kunst zu verletzen« (S. 63) oder sich im Interesse der Dichtung der Realität zu entfremden und letztlich gehaltlose Werke zu schaffen. Den zweiten Weg mit seinen Folgelasten hätten die vom »Ideal hoher und echter Kunst« (S. 67) inspirierten Klassiker und die von ihnen anfangs geforderten Romantiker eingeschlagen. 42
Hettners Diagnose ist nicht ganz korrekt. Es stimmt zwar, dass Gervinus seinen Ausfuhrungen über die Romantik nur provisorischen Charakter zuerkennt. Trotzdem umfassen diese als bloßer Anhang bagatellisierten Ausführungen immerhin etwa 160 Seiten.
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Die Romantiker [...] teilen mit [Goethe und Schiller] die Erkenntnis und das Geltendmachen der echten Poesie gegenüber der herrschenden Unpoesie, und - was mehr ist als dies - Goethe und Schiller waren ihnen selbst bereits mit dem großartigen Irrtum vorangegangen, als könne in einer unpoetischen Zeit trotzdem künstlich eine echte und reine Poesie geschaffen werden. Der gemeinsame Grundfehler dieser gesamten Poesie, der späteren Goethe-Schillerschen sowohl wie der romantischen, ist, daß sie nicht durch die Zeit, sondern trotz der Zeit entsteht (S. 68).
Die ungeachtet ihrer »gemeinsamen idealistischen Grundlage« evidenten Unterschiede zwischen der klassischen und der romantischen Dichtung ließen sich anhand der Erörterung des Problems klären, »ob diese Idealistik in mehr objektiver Weise durchgeführt wird oder rein subjektiv« (S. 68). Während Goethe und Schiller »aus ihrer Wirklichkeit, aber nicht aus der Wirklichkeit überhaupt [geflüchtet]« seien, hätten die Romantiker »aus Verzweiflung über die empirische Natur, die sie umgibt, Natur und Wirklichkeit ganz und gar [verlassen]«. Im Gegensatz zu den Klassikern hätten sie »Plastik und Gegenständlichkeit der Gestaltung aus Prinzip [verschmäht]« und die subjektivistische »Imagination« bzw. das von elitärer Kunstbegeisterung durchdrungene »elementare Gefühlsleben lyrisch-musikalischer Innerlichkeit« zum Zentrum der Poesie erhoben (S. 69, Herv. v. Hettner). Aus der Erkenntnis der unüberbrückbaren Widersprüche zwischen einer prosaischen Gegenwart und der Apotheose der Kunst lasse sich die Geschichte der romantischen Schule unschwer ableiten. Wie Rosenkranz und Prutz unterscheidet Hettner drei Stadien: Das erste Stadium sei gekennzeichnet durch die Sehnsucht der Romantiker nach einer wahrhaften, die krude Realität beschämenden Poesie. »Aber das Wesen der Poesie, das überall nach lebendigem Fleisch und Blut ringt, drängt sie sehr bald [...] von der bloßen Sehnsucht nach Kunst zur Kunst selber«. Der daraus entstandene »ästhetisierende Katholizismus und Hang zum Mittelalter«, dessen zunächst »rein ästhetischer Charakter« ausdrücklich hervorgehoben wird, und die aus ihm schließlich hervorgehende »religiöse und politische Reaktion« markierten das zweite und dritte Stadium der romantischen Schule (S. 70). Die seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts zu beobachtenden »Anfange einer neuen historischen Dichtungsweise«, an denen Tieck maßgeblich beteiligt gewesen sei, gehörten - mit dieser Deutung weicht Hettner von Rosenkranz ab - nicht mehr zur Romantik. Diese wirklichkeitsbejahende und lebensnahe Kunst habe mit der »falsche[n] Idealistik und [dem] realitätslose[n] Subjektivismus« der romantischen Poesie nichts zu tun (S. 71). Hettner beendet den ersten Teil seiner Untersuchung mit der Bemerkung, es sei Aufgabe der folgenden Darlegungen, jene einleitenden Ausführungen über »Wesen, Ursprung und historische[n] Verlauf der Schule« zu präzisieren und mit der »objektivierenden Idealistik Goethes und Schillers« zu vergleichen (S. 70 u. 71).
Charakteristika der Romantik Im zweiten Teil arbeitet Hettner die ihm wesentlich scheinenden poetologischen und weltanschaulichen Voraussetzungen der ersten, bis zur Veröffentlichung von Tiecks 223
Genoveva (1800) datierten Phase der Romantik heraus und geht auf deren künstlerische Umsetzung ein. Nach einer summarischen Würdigung der vom Glauben an die »Eigenmacht und Selbstherrlichkeit der Poesie« (S. 72) inspirierten Übersetzungen und literaturkritischen sowie -historischen Arbeiten der Romantiker, die wegen der ihnen bereits zuteil gewordenen allgemeinen Anerkennung nicht nochmals im Einzelnen vorgestellt zu werden bräuchten, wendet sich Hettner in drei Kapiteln dem hypertrophen Subjektivismus der Romantiker, ihrer Verabsolutierung der Phantasie als Medium der künstlerischen Produktivität und ihrer Verherrlichung des Idealismus bzw. der Dichtung zu. Hettner lässt die Romantik wie Hegel, Rosenkranz und Prutz aus den Nachwirkungen des Sturm und Drang hervorgehen. Die Entwicklung der Literatur seit dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts sei gekennzeichnet durch den »Kampf [...] des Subjektivismus gegen die vernünftige objektive Weltordnung«. Im Gegensatz zu Goethe und Schiller, denen es allmählich gelungen sei, sich mit der Wirklichkeit zu versöhnen, hätten die meisten Dichter dieser Zeit ihre »phantastische Gefühlsüberschwenglichkeit« nicht überwinden können (S. 75). Der Sturm und Drang, so berechtigt er als Oppositionsbewegung gegen den behäbigen, selbstgerechten Moralismus und trivialen Utilitarismus der Spätaufklärung gewesen sei, habe eine Vielzahl von »Phantasten und Sonderlingen erzeugt«, die »ihre Produktionskraft absichtlich durch subjektive Willkürlichkeiten und Bizarrerien [geschwächt und verzerrt]« hätten (S. 76). Die wichtigsten Autoren dieses Personenkreises, die den Übergang zur Romantik bildeten, seien Jean Paul, Hölderlin und der junge Tieck. Trotz ihres zweifellos guten Willens seien Jean Paul und Hölderlin nicht in der Lage gewesen, ihre Phantasiewelt mit den Anforderungen der Realität in Einklang zu bringen. Dieselbe Zerrissenheit komme in den frühen Werken Tiecks, insbesondere im William Lovell, zum Ausdruck. Der völlig haltlose, keine äußeren Zwecke anerkennende Held jenes Romans lebe nur seiner »nacktefn], sich selbst zerstörende[n] Selbstsucht« (S. 79). Diese exzentrische Egomanie und die Unfähigkeit, sich den Realitätsanforderungen zu stellen, seien charakteristisch für die romantische Jugend. »Nur der Einzelne, das Subjekt, hat recht. Die ihm gegenüberstehende Welt, das Objekt, ist ihm schlechthin Untertan und sein willfähriges Spielwerk« (S. 75). Hettner zeichnet wie Gervinus (Ge 1842, S. 580ff.) das Gruppenporträt dünkelhafter, verweichlichter junger Menschen, die im Überfluss einer blühenden literarischen Kultur aufgewachsen und deren Verlockungen erlegen seien. »Sie alle lassen sich, statt durch die ernste Zucht des Lebens und der Wirklichkeit, nur durch Poesie erziehen« (S. 80). Ihrem Subjektivismus und ihrem überzogenen, durch die Entdeckung der Kunstautonomie möglich gewordenen »Kultus der Poesie« hätten sie die problematische Auffassung zu verdanken, »Kunst und Poesie und deren Element und Organ, die Phantasie, sei [sie!] das allein Wesenhafte und Lebendige, alles übrige aber, Leben und Wirklichkeit, sei als platte Prosa für das wahre Genie ohne Bedeutung«. Da die Romantiker »die Phantasie [...] zum alleinigen und unumschränkten Souverän [erklärt]« hätten,
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definiert Hettner die romantische Schule als »Doktrin und Praxis der subjektiv auf sich gestellten, gegenstandslosen, phantastischen Phantasie« (S. 80). Und da die Vorrangstellung der Phantasie willkürlich vom Verstand dekretiert worden sei, ergänzt Hettner seine Definition mit dem Hinweis, diese Schule sei »die Sophistik der Phantasie«, in der das »Gemachte, Absichtliche, Übertriebene« dominiere (S. 81). Im zweiten Kapitel des zweiten Teils versucht Hettner zu zeigen, welche Folgen die von einer solchen »phantastischen Selbstüberhebung« (S. 82) stimulierte Phantasie auf die von ihr hervorgebrachten Kunstwerke ausgeübt habe. Unter Einbeziehung programmatischer Äußerungen der Brüder Schlegel, Novalis' und Tiecks arbeitet er die vermeintliche Gehalt- und Formlosigkeit der romantischen Dichtungen heraus. Einen konkreten, der »natürlichen Außenwelt« entlehnten Inhalt besitze die romantische Poesie nicht. Da sie »überall nur holdes zweckloses Gaukelspiel der Phantasie« sein wolle, habe sie es vor allem mit der »unergründlichen Tiefe des geheimnisvoll in sich verschlossenen Gemütlebens [sie!]« zu tun. Plastisch durchgebildete Charaktere und streng motivierte Handlungsgefüge suche man in ihr vergeblich. »Denn nur das Unbestimmte ist geheimnisvoll, läßt der Phantasie unendlichen Spielraum [...] Durchbildung ist Beschränkung; [...] physiognomische Bestimmtheit ist Verlust an unsagbarer Unendlichkeit« (S. 83). Ihrer Neigung zur diffusen Unverbindlichkeit, zum Verzicht auf die Thematisierung substanzieller Inhalte entspreche das Interesse der Romantiker an der Arabeske und der Instrumentalmusik. Betrachte man die Form der romantischen Dichtungen, so zeige sich dieselbe Willkür. Die »romantische Poesie hat es nie [...] zu einer fest geschlossenen, in sich abgerundeten Komposition gebracht. Die Maßlosigkeit ist Gesetz« (S. 84). Die Romantiker hätten »nie die Idee und den Plan des Ganzen im Auge [behalten], sondern [...] sich in tausend unmotivierte, unzusammenhängende Einzelheiten [verloren]« (S. 87). Diese Vorwürfe, die Hettner als Vertreter einer klassizistischen Kunstlehre ausweisen, gipfeln in dem Vorwurf, die von den romantischen Dichtern angestrebte progressive Universalpoesie sei »sogar ungescheut so weit [gegangen], die klare Sonderung der Poesie in ihre einzelnen, scharf abgegrenzten Gattungen als einen Abfall von ihrer ursprünglichen Fülle und Ganzheit zu betrachten« und deshalb für die Vermengung dieser Gattungen zu plädieren. »Die Vermischung der einzelnen Kunstarten, d.h. die verschwimmende Formlosigkeit, wird Grundsatz und Doktrin und tritt mit dem Anspruch auf, [...] das allein und spezifisch Poetische zu sein« (S. 84 u. 85). Zu dieser erwünschten »chaotischen Formlosigkeit« (S. 85) trage die so genannte romantische Ironie maßgeblich bei, die lediglich eine neue Bezeichnung für den selbstverständlichen Sachverhalt sei, dass der wahre Künstler souverän über die Form des geschaffenen Werks verfüge. Allerdings nimmt Hettner bei seinen Ausfuhrungen zur Ironie die Romantiker und insbesondere Friedrich Schlegel vor Hegels Polemiken ausdrücklich in Schutz: Hegel und seine Schule [...] beurteilen diesen Begriff als einen sittlichen. Und doch ist er in seinem ursprünglichen Ausgangspunkte ein rein ästhetischer [...] Die Ironie ist nicht [...] eine falsche Konsequenz aus Fichte, in dem Sinne, daß sie an die Stelle des absoluten
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unbedingten Ich das rein subjektive, d.h. an die Stelle der sittlichen Freiheit die Willkür gesetzt habe (S. 88f.)
Vielmehr sei sie, »wie sie auch Solger, der Ästhetiker der romantischen Schule, überall bezeichnet, [...] nichts anderes als [...] das Schweben des Künstlers über seinem Stoffe, sein freies Spiel mit ihm«. Die Romantiker hätten jedoch - und insofern habe »Hegel ein volles Recht zu seinem Zorne« - auch diesen Sachverhalt »subjektiv verzerrt[, ...] die Form als reine Form, als bloßes Gaukelspiel der Phantasie [erscheinen lassen] und [...] durch übermütige Selbstparodie die Illusion [...] absichtlich immer wieder selbst [vernichtet]« (S. 89). Angesichts solcher Merkmale sei verständlich, weshalb die gehalt- und konturenlose romantische Dichtung, »die vor lauter Innigkeit und Innerlichkeit grundsätzlich nirgends zu einer festen äußeren Form kommt«, keine dauerhafte Wirkung erzielen könne und warum die den Romantikern am ehesten zusagende Dichtungsart das nicht mehr zeitgemäße Märchen sei. »Hier ist ihre springende phantastische Anschauungsweise ganz am Platze [...] Das Märchen [...] macht die Phantasie zum Schöpfer und Lenker der Dinge, es hebt den natürlichen Weltlauf auf« (S. 85 u. 87). Hettner beendet dieses Kapitel mit einer Erörterung von Tiecks Märchendramen, »in denen [die] romantische Ironie [...] am eigentümlichsten auftritt und in denen daher auch einzig und allein der Grund [...] jener Schlegelschen Doktrin zu suchen ist« (S. 89). Vorbilder der Tieckschen Märchen, denen Hettner mit Sympathie begegnet, seien Werke von Aristophanes, Shakespeare, Gozzi und Holberg. Obwohl »Tieck viel zu reflektiert und vor lauter Streben nach Absichtslosigkeit viel zu absichtlich ist, um selbst die tolle Lustigkeit [...] seiner nächsten Vorbilder [...] erreichen zu können«, werde man den Blaubart, den Gestiefelten Kater und »vor allem Tiecks köstlichste romantische Dichtung, den wunderherrlichen Fortunat« mit Genuss lesen, wenn man sich auf die problematischen poetologischen Voraussetzungen der romantischen Poesie einlassen könne (S. 91). Das letzte, dem ersten Stadium der Romantik gewidmete Kapitel thematisiert die romantische Weltanschauung, deren Konsequenzen für das romantische Literaturverständnis und die für dieses Stadium repräsentativen Werke. Hettner betrachtet die Romantiker als dogmatische Idealisten, die es »auf eine unmittelbare Verwirklichung des Idealismus in Leben und Tat [abgesehen]« und auf die Verbreitung der Einsicht hingearbeitet hätten, »wie allerdings Natur und Menschheit nichts sind als die tatsächliche Existenz der allgegenwärtigen Phantasie, die Realität des Idealismus« (S. 92). Die Romantiker hätten ihr genuin idealistisches Weltbild auf ihren Glauben an die »Phantasie [... als] das Organ und Element des Denkens und ebenso [als] sein[en] ausschließliche^] Gegenstand« aufgebaut. »Es existiert überhaupt nichts als Phantasie. Alles, was ist, ist für und durch sie« (S. 91). Deshalb sei es nur folgerichtig, dass Novalis und Schelling die aus der Phantasie hervorgehende und sich als allmächtige Potenz erweisende Poesie zur »höchste[n] Offenbarung des Absoluten« stilisiert hätten. »Die Romantiker betätigen [...] dieses Allwalten der Phantasie, d.h. den realisierten Idealismus, in rein poetischer Weise. Sie zeigen uns die
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Phantasie als das schaffende und waltende Lebensgeheimnis der Dinge«. Der Aufweis des Absoluten sowohl in der Natur als auch in der Menschenwelt habe zur »romantischen Naturpoesie« und zur »Poesie der Poesie« gefuhrt (S. 94). 43 Der Naturpoesie steht Hettner zwiespältig gegenüber. Zwar begrüßt er die mit ihr verbundene Absicht, die Natur als lebendige Größe darzustellen, die theologischen oder utilitaristischen Zwecken enthoben sei. Andererseits moniert er, dass die Romantiker es meistens nicht bei dieser Einschätzung belassen, sondern die Natur fälschlicherweise dämonisiert und dadurch einem primitiven, die menschliche Freiheit und Würde verneinenden Fatalismus Vorschub geleistet hätten. »Die Natur steht [...] nicht neben der sittlichen Welt, sondern über ihr«. Diese Tendenz zeige sich in Fouqués Undine und in vielen Werken Tiecks, z.B. im Tannhäuser, Runenberg und Liebeszauber. »Tieck hat von dieser düsteren Naturansicht sein Leben lang nicht lassen mögen«. Aus derselben Wurzel, der unreflektierten und schwärmerischen Vergötterung der Natur, leitet Hettner das Interesse einiger Romantiker für die Mystik ab. Schließlich sei die Mystik nichts anderes »als religiöse Naturphantasie«, die »es nicht [wagt], [die] Herrlichkeiten der Natur als selbständig anzuerkennen« (S. 95). Die Poesie der Poesie nehme in den für das erste Stadium der Romantik repräsentativen Künstlerromanen eine dreifache Gestalt an. Erstens trete sie in den Herzensergießungen, im Sternbald und in den Phantasien über die Kunst als »Verherrlichung der Kunst als solcher und Sehnsucht nach ihrer ganzen Fülle und Ursprünglichkeit« (S. 96) auf. Diese Romane propagierten »Universalität und Toleranz des Kunstgeschmacks« (S. 97). Die seit der Veröffentlichung von Heinrich Meyers Aufsatz über Neudeutsche religios-patriotische Kunst (1817) verbreitete Ansicht, sie hätten einer tendenziösen, das deutsche Mittelalter und den Katholizismus verherrlichenden Kunstauffassung Vorschub leisten wollen, sei falsch. Im Heinrich von Ofterdingen werde zweitens »die Poesie [...] zur Metaphysik« (S. 97). In diesem unvollendeten Roman, dessen Programmatik als »höchste Spitze der Romantik« zu betrachten sei, »verklärt sich [das ganze Weltall...] zur Poesie« (S. 99 u. 98). Drittens habe die Lucinde die aufklärerische Indienstnahme der Dichtung durch die Moral umgekehrt und diese »unter die Herrschaft der Poesie gestellt. Die Poesie wird zur Ethik«. Friedrich Schlegels Werk wolle »das wirkliche Leben zur Kunst, zum freien poetischen Spiel machen, zum träumerischen Abandon des spiritualistischen, sich selbst überlassenen, absoluten Phantasielebens« (S. 97 u. 99).
Goethe und Schiller Im dritten Teil versucht Hettner den Nachweis zu erbringen, dass schon Goethe und Schiller sehr zum Schaden ihrer späteren Werke den von den Romantikern in potenzierter Form wiederholten Fehler begangen hätten, »nicht mehr unmittelbar aus der 43
Schon Hegel spricht - im Gegensatz zu Hettner allerdings mit eindeutig negativem Beiklang - in seiner Solger-Rezension von der »Poesie der Poesie« bzw. von der »Theorie der Poesie der Poesie« (SWJ XX, S. 160 u. 141). Vgl. auch Rosenkranz 1836, S. 192.
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zwingenden Triebkraft ihrer eigenen Zeit heraus [zu schaffen], sondern [...] zu dieser in bewußtem Gegensatz [zu stehen]« (S. 101). Obwohl die von den Klassikern forcierte Rückwendung zu der als Normen setzend anerkannten griechischen Antike »aus Anerkennung der reinsten Kunstschönheit hervorgegangen]« sei (S. 101), habe sie verhängnisvolle Folgen sowohl für das Weimarische Hoftheater als auch für Goethes eigene Kunstproduktion gezeitigt. »Die Weimarsche Theaterschule [...] wird unter Goethes Leitung der getreueste Ausdruck dieser antikisierenden Richtung«, die alles Natürliche und Individuelle und jegliches »wesentlich dramatische Moment der künstlerischen Unmittelbarkeit« zugunsten einer typisierenden, auf Festlichkeit und abstrakte Wahrheit ausgerichteten »Idealität, durch die sich die Kunst von Hause aus streng von der Wirklichkeit abscheidet«, zurückgedrängt habe (S. 103). Dieselbe »antikisierende Stilistik« habe Goethes eigene, seit der Jahrhundertwende verfasste Dramen »der unwirklichsten und eben deshalb auch unwirksamsten Mythik und Allegorik anheim[fallen]« lassen (S. 104 u. 102). Sie alle »bewegen sich nicht sowohl in individuellen vollkräftigen Gestalten, sondern fast ausschließlich in Symbolen und Allegorien. Bei einem Dichter, der noch die Wahlverwandtschaften schreiben kann, ist dies nicht Folge sinkender Produktionskraft, sondern lediglich Folge eines [...] falschen Kunstprinzips« (S. 105). Ein wenig anders stelle sich die dramatische Produktivität Schillers dar, der im Gegensatz zu Goethe versucht habe, »trotz des antiken Stils die Forderungen der Gegenwart im Auge zu behalten« (S. 102). Dennoch habe er sich unter dem Einfluss Goethes »zu der Idee idealer Kunstform erhoben« und seitdem in schärfstem Widerspruch zu seinen von subjektiven Bedürfnissen geprägten Jugenddramen »auf idealste Reinheit und Gegenständlichkeit [gedrängt]. In ihm vor allem fand daher die Großheit und Typenhaftigkeit der antiken Kunstformen den eifrigsten Bewunderer und Nachahmer« (S. 109). Deshalb seien die auf die Wallenstein-rYn\o%K folgenden Dramen »alle ohne Ausnahme lediglich aus rein formellen Rücksichten und Gesichtspunkten geschrieben« worden (S. 108). Schiller habe nämlich erkannt, dass der schlichte, übersichtliche Bauplan der antiken Tragödie und ihre allgemeinmenschliche Typenhaftigkeit der Personen »wesentlich mit dem Schicksalsglauben zusammenhänge« (S. 110). Hettner interpretiert Schillers Dramen von der Maria Stuart bis zum unvollendeten Demetrius als gescheiterte »Experimente], die antikisierende Kunsttheorie in das moderne Drama einzuführen« (S. 119). Anstatt einzusehen, dass der moderne, der Überzeugung von der individuellen Freiheit des Menschen verpflichtete Dramatiker nur mittels einer die Schuld aus individuellen Verfehlungen ableitenden »Charaktertragödie« (S. 110) reüssieren könne, 44 habe Schiller in seinen Tragödien alle möglichen Kunstgriffe angewandt, um »durch künstliche Schürzung des tragischen Knotens, durch Einführung von Wunder und Schicksal [...] antikisierend schlichte und ideale Gestalten zu konstruieren«. Diese 44
»Diese typische Großheit zeigt uns in der Poesie der Alten hauptsächlich nur die Tragödie. Die moderne Tragödie hat eine andere, eine individuellere Charakteristik, weil sie auf w e sentlich andere Grundlage basiert ist. Die antike Tragödie ruht auf dem Glauben und auf der
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Versuche, eine die Klassizität ihrer antiken Vorbilder aufweisende Tragödie zu erzwingen, sei um den Preis »aller Folgerichtigkeit und Naturwahrheit der Charakteristik« erkauft worden (S. 123). Welche »ungeschichtliche Abstraktion« diese auf poetische A b w e g e führende »antikisierende Richtung« der Weimarer Klassiker gewesen sei (S. 125), zeige sich an den künstlerisch weniger begabten Nachahmern Goethes und Schillers in aller Deutlichkeit. U m auf seinen eigentlichen Untersuchungsgegenstand zurückkommen zu können, zieht Hettner mit dem Ion und dem Alarcos
der Brüder Schlegel zwei Dramen
jener Romantiker heran, die in ihrer Eigenschaft »als rein anempfmdende Naturen [dilettantisch] an allen Geschmacksrichtungen herum[genascht]« hätten (S. 130) und zu Beginn ihrer Laufbahn wegen »ihre[r] philologischen Studien« (S. 125) sich noch am ehesten mit dem klassizistischen Stilideal hätten anfreunden können. 4 5 Beide Werke seien so schwach, dass sie nur noch von literaturhistorischem Interesse seien.
Der weitere
Verlauf der
Romantik
Im vierten Teil seiner Abhandlung wendet sich Hettner dem zweiten und dritten Entwicklungsstadium der Romantik und deren Epigonen zu. Die zweite Phase der Romantik erklärt er wie Rosenkranz und Prutz mit dem Argument, dass »die Poesie der romantischen Schule [...] sich [...] aus ihrem gegenstandslosen Insichversunkensein [ermannt]« habe, weil die »Phantasie [...] äußere Gegenstände [verlangt]. Ohne Nahrung von außen stirbt sie in sich ab; sie verglimmt in sich« (S. 129). Die Romantiker seien genötigt worden, der Kunst einen positiven Inhalt zu geben, den sie, ihrem persönlichen Naturell folgend, vor allem im Mittelalter erblickt hätten. »Weiche, nicht Voraussetzung des Schicksals, in der modernen macht sich jeder selbst sein Schicksal. Hier ist jeder seines Glückes Schmied. Daher ruht bei den Alten das Hauptgewicht der Tragik in der vom Schicksal vorbereiteten und bedingten Handlung. Diese ist nach allen Seiten hin zu entfalten; die einzelnen Charaktere kommen dabei nur insoweit in Betracht, als es gilt, den subjektiven Eindruck, die Art und Weise der Einwirkung des Schicksals auf die Menschen darzustellen. Die moderne Tragödie dagegen ist wesentlich Charaktertragödie. In ihr ruht aller Nachdruck auf den Charakteren. Aus ihnen selbst, aus ihrer Natur und ihrer Geschichte, entwickelt sich der Grund und die Notwendigkeit des tragischen Knotens. Das, was bei den Alten schon als unmittelbare Voraussetzung, als Folge des unabwendbaren äußeren Verhängnisses erscheint, die Schuld, muß hier bereits selbst wieder als Resultat vor unseren Augen lebendig sich herausspinnen, und dabei bleibt die andere Seite, die Rückwirkung der Schuld auf den Charakter, die Katastrophe der Vernichtung, dem Dichter ebensowenig erlassen. Hieraus entspringt die weit kompliziertere Ökonomie, die größere räumliche Ausdehnung der modernen Tragödie, hieraus ihre tiefere individuellere Charakteristik. Wer diese aufgibt, gibt das Wesen der modernen Tragödie und der modernen Kunst überhaupt auf« (S. 109f.). 45
Die Nennung des insbesondere Calderons Dramen nachgebildeten Alarcos in diesem Kontext sei insofern gerechtfertigt, als »Calderon [...] durchaus etwas der antiken Tragödie Verwandtes« aufweise, weil er von seinem »rein theistischen Standpunkte aus« Werke geschrieben habe, die »wie [die] antike[n] wesentlich Schicksalsdramfen]« seien. »Hier wie dort steht die Gottheit dem menschlichen Tun äußerlich gegenüber« (S. 126). 229
harmonisch durchgebildete, subjektive Gefühlsmenschen werden sich immer weit mehr vom Orient und Mittelalter angezogen fühlen als von der plastischen Strenge des Altertums« (S. 131). Die Romantiker hätten »das [...], was ihre Phantasie verlangt, [... im Mittelalter] als geschichtliche Tatsache [gefunden]«, weil »die bis zum Eigensinn gesteigerte Subjektivität und die daraus folgende Innerlichkeit und Phantastik [... hier] die Grundlage und Triebfeder aller Taten und Ereignisse« gewesen sei (S. 132). Außerdem habe ihre Überzeugung von der »Notwendigkeit einer rein nationalen Kunst« (S. 132) sie zu einer Suche nach Identifikationsmöglichkeiten mit der mittelalterlichen Weltanschauung und zu einer entschiedenen Opposition gegen den ihrer Meinung zufolge künstlichen Antikekult gedrängt. An sich sei die Hinwendung zum Mittelalter damals nichts Neues gewesen. Die Romantiker hätten an gleichnamige, in den 70er Jahren des 18. Jahrhunderts verfolgte Bestrebungen Herders und Goethes angeknüpft. Allerdings habe das romantische Interesse »an deutscher Art und Kunst« eine vormals unbekannte »mystisch katholisierende Färbung« angenommen, die Hettner auf die aus der aufklärerisch-libertinistischen »Freigeisterei« hervorgehende romantische Gefühlsreligiosität Schleiermachers und Novalis' zurückführt (133 u. 134). 46 Schleiermachers Reden über die Religion hätten das als Protest gegen den Rationalismus und Utilitarismus des 18. Jahrhunderts entstandene, »in der neuen Poesie wiedererwachte Gefühl der individuellen Subjektivität mit dem Wesen der Religion« identifiziert und somit der »romantischein], subjektiv musikalischefn] Innerlichkeit und Gefühlsidealistik [...] die religiöse und theologische Sanktion« erteilt (S. 134). Novalis und andere frühromantische Dichter hätten daraufhin die Schlussfolgerung gezogen, dass »Religion und Poesie [...] ein und dasselbe« seien und dass »ohne Kunst keine Religion, wie ohne Religion keine Kunst« existieren könne (S. 135). Die von Schleiermacher und Novalis ausgehenden Impulse seien rasch auf fruchtbaren Boden gefallen, da sie »längst geheimnisvoll in aller Herzen geschlummert« hätten. »Namentlich war die Wirkung für den engeren Kreis der jungen Dichterschule eine entschieden epochemachende. Ihr Gefühls- und Phantasieleben, das bis dahin rat- und haltlos hin und her geschwankt war, hatte jetzt einen festen Ziel- und Haltpunkt gefunden«. Deshalb seien die Romantiker, wie Friedrich Schlegels Ideen im Athenäum eindeutig zeigten, zunächst ausschließlich wegen ihrer poetischen Ambitionen für die »Wiederherstellung einer lebendigen Religion« und die Erneuerung des mittelalterlichen Christentums eingetreten (S. 135). Durch diese Bestrebungen sei »in die Dichtungen der romantischen Schule ein positiver Gehalt [gekommen]«. Als repräsentative Werke für deren zweites Stadium nennt Hettner Novalis' Geistliche Lieder, Gedichte der Brüder Schlegel und hauptsächlich Tiecks Dramen Genoveva und Kaiser Octavianus, die »in jeder Beziehung 46
Hettner weist in diesem Zusammenhang die von Rüge und Echtermeyer und von Prutz verfochtene These, der durch Hamann, Lavater, Jung-Stilling und die Fürstin Gallitzin verkörperte Pietismus sei als Vorläufer der Romantik zu betrachten, explizit zurück, ohne die Kritisierten namentlich zu nennen.
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die eigenartigsten Erzeugnisse nicht bloß dieser Periode, sondern der gesamten Romantik überhaupt« seien (S. 136). Am wichtigsten ist Hettner der Hinweis, dass diese Dramen wie alle der zweiten Phase der Romantik zuzuordnenden Werke als Produkte eines »poetischen Katholizismus« (S. 133; Herv. d. Verf.) begriffen werden müssten. Es handele sich hierbei um eine »Poesie, [... die] sich [...] durchaus noch auf rein ästhetischem Boden hält« (S. 140). Diese Werke seien nicht aus tief empfundener Religiosität entstanden, sondern resultierten, wie August Wilhelm Schlegel kurz vor seinem Tode öffentlich erklärt habe, aus einer »reinefn] >predilection d'artistemagischen Idealismus< [genannt]« habe (S. 360), auf die Zusammenkünfte der Brüder Schlegel mit Novalis im Sommer 1798 in Dresden und auf die ein Jahr später in Jena geknüpfte Freundschaft zwischen Novalis und Tieck ein. »In Novalis hatte Tieck einen Ersatz für seinen Wackenroder gefunden; in Tieck fand jener zum ersten Male einen Freund, der sich nicht bloß, wie Friedrich Schlegel, auf seinen Geist, sondern, selber ein Dichter, auf sein dichterisches Gemüth verstand« (S. 370). Tiecks Einfluss habe »für die Entwicklung [von Novalis'] Poesie [...] Epoche [gemacht]«, weil sich ihm insbesondere die Entstehung des Heinrich von Ofterdingen verdanke. Vor der ausführlichen Besprechung dieses Romans weist Haym darauf hin, dass man »die eigentliche Blüthezeit der Romantik« seit Tiecks definitivem Umzug nach Jena im Oktober 1799 anzusetzen habe (S. 369 u. 371). Drittens kommt Haym bei seinen Ausführungen zu Schleiermacher im Zusammenhang mit der Erörterung der Auswirkungen der Reden über die Religion auf die Romantiker auf Tiecks Genoveva zu sprechen. Schon vor der Veröffentlichung von Schleiermachers Hauptwerk habe sich - wie die gemeinsamen Projekte von Tieck und Wackenroder gezeigt hätten - der »in der Luft schwebende religiöse Stoff [...] an dem Pole des Kunstgefuhls angesetzt« (S. 456). Novalis' Aufsatz Die Christenheit und Europa und seine Geistlichen Lieder sowie Tiecks Drama könnten belegen, dass diese Tendenz durch die Reden zusätzlichen Auftrieb erhalten habe. Seine Beschäftigung mit den Werken Lope de Vegas und Calderons, seine Vertiefung in Jakob Böhmes Aurora, das ist: Morgenröte im Aufgang und seine Begeisterung für Novalis' von christlicher Frömmigkeit durchdrungene Geistliche Lieder hätten Tieck bewogen, mit der Dramatisierung des ihm 1798 in der Gestalt eines alten Volksbuchs bekannt gewordenen Genoveva-Stoffs »von religiöser Hingebung an die Kunst zu künstlerischer Verherrlichung der Religion« überzugehen (S. 470). In Anbetracht der bisher referierten Urteile Hayms über Tiecks Dramen kann die Einschätzung der Genoveva nicht mehr verwundern: »Nicht in der Straffheit der Composition und in der Einheit des Stils, sondern in dem freien Wechsel und dem Allgemisch der Töne suchte er die künstlerische Aufgabe«. Haym bestreitet, dass Tiecks »religiöses Pathos echt und ursprünglich« gewesen sei (S. 474 u. 476) und spielt Novalis' »Brustton tiefer Frömmigkeit« gegen das schon von Hegel, Rosenkranz und Hettner betonte »Reflectirte und Sentimentale [der] Religionsbegeisterung« in der Genoveva aus (S. 477). 6 3
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Haym stützt sich wie die eben Genannten nicht nur auf Solgers briefliches Urteil über das Drama, sondern greift darüber hinaus auf zwei schon von Hettner (HSL, S. 137, Anm. 1 u. S. 139, Anm. 1) verwendete Selbstzeugnisse Tiecks in den Vorberichten zum ersten und elften Band seiner Schriften zurück (S. 478f.).
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Viertens wirft Haym in seinem Schelling-Kapitel einen Seitenblick auf Tieck. Nach der Erörterung von Schellings Naturphilosophie und der ihr verwandten Untersuchungen bzw. Arbeiten Ritters und Steffens' geht Haym im Kontext seiner Darlegungen über die »Rückwirkung der Naturphilosophie auf die Poesie« (S. 629) vornehmlich auf Tieck ein. Da Tieck schon in seinen früheren Dichtungen immer wieder »die Stimmungsanklänge der Natur [...] wiederzugeben gesucht« habe, sei er von einer solchen spekulativen Naturdeutung zu neuen literarischen Produkten angeregt worden. »Mehr als bisher wurde er unter diesen Einflüssen von spielender Naturmalerei zu mystischer Naturdeutung fortgeführt« (S. 631). Der Getreue Eckart, Der Runenberg und - in abgeschwächter Form - die später erschienenen »Märchenerzählungen« (S. 633) Liebeszauber, Die Elfen und Der Pokal zeichneten sich aus durch eine »größere Vertiefung in das Physikalische, in den geheimen Sinn der Naturerscheinungen und Naturgewalten, in den Zusammenhang dieser Gewalten mit den dunklen, naturartig wirkenden Leidenschaften der Menschenbrust« (S. 631). Allerdings komme auch in diesen Texten wieder eine durch Tiecks Charaktereigenschaften bedingte, nicht bei Schelling, sondern nur bei Steffens Entsprechungen findende »Naturansicht« (S. 632) zum Vorschein: In [der] Tendenz, das Grauen vor den feindseligen, dämonischen Mächten der Schöpfung zu wecken, spricht sich nun freilich zugleich der Unterschied dieser Poesie von der Naturphilosophie aus. Denn während diese den Geist der Natur zu hellem Bewußtsein zu entbinden und damit das Grauen vor der Natur zu verscheuchen suchte, so beruht der Effect jener Poesie gerade umgekehrt auf der Zurückverwandlung des Vernünftigen, Geistigen in die dumpfe Unbewußtheit der Natur (S. 632). 6 4
Nachdem Haym fünftens im Schlusskapitel des dritten und letzten Buchs seiner Untersuchung kurz auf die beiden Hefte des 1800 von Tieck herausgegebenen Poetischen Journals (S. 701 f.), auf die von Tieck und August Wilhelm Schlegel nicht ohne Schwierigkeiten praktizierte »redactionelle Allianz« (S. 713) zur Herausgabe des Musen-Almanachs, auf einige in der Auseinandersetzung mit den Gegnern der romantischen Schule entstandenen Werke Tiecks (S. 759-761) und - im Verlauf der ausfuhrlichen Besprechung von August Wilhelm Schlegels Berliner Vorlesungen auf Tiecks altdeutsche Studien und seine Minnelieder aus dem Schwäbischen Zeit-
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Es ist klar, dass sich alle hegelianisch sozialisierten Autoren von der romantischen Dämonisierung der Natur herausgefordert fühlen mussten. Schon Rosenkranz 1838 hat »diese[n] Zug der Tieck'schen Poesie« moniert und auf die Affinitäten zwischen ihr und Steffens' Naturverständnis hingewiesen: »Die elementarischen Allgemeinheiten heucheln dem zerrissenen Gemüthe eine Verwandtschaft, die ohne wirkliche Sympathie ist [...] Die Natur täuscht den Menschen; sie scheint nur für ihn zu empfinden, ist aber an sich für ihn fühllos, und je mehr sie dies ist, um so greller wird die Verzweiflung, sie als geistig zu interpretieren [...] Man traute der Natur mehr Geist zu, als sie in der That hat. Steffens' Anstrengung, die Natur nicht bloß zu erkennen, [...] sondern sie zu vergeistigen, ist der beste Commentar zu Tieck's Naturmalerei« (S. 35 u. 35f.). Auch Hettner hat - wie oben dargelegt wurde - Tiecks Behandlung der Natur als »alleinige[r] Macht, vor der die menschliche Freiheit widerstandslos zusammenbricht« (HSL, S. 95), einer deutlichen Kritik unterzogen.
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alter (S. 810-813) eingegangen ist, bespricht er schließlich am Ende jenes Kapitels den Kaiser Octavianus, weil Tieck mit diesem Werk »die Summe der romantischen Kunst- und Lebensansichten [...] veranschaulicht« und ein »romantische[s] Universalbuch« vorgelegt habe (S. 855). 65 Der als Drama »völlig verfehlte«, die poetischen Missgriffe der Genoveva in potenzierter Form wiederholende Text sei eine »Musterkarte aller romantischen und mittelalterlichen Versarten, welche nachzubosteln sich die Freunde in Jena zu einer Lieblingsbeschäftigung gemacht hatten« (S. 855 u. 856). 66 Er präsentiere mit seiner »ganzen allegorisch-mythologischen Maskerade« sämtliche Irrtümer der insbesondere von Friedrich Schlegel konzipierten ästhetischen Theorie und belege dadurch eindrucksvoll, dass »nicht die Dichtung, sondern die Wissenschaft [...] durch die romantische Revolution eine nachhaltige Bereicherung und Vertiefung erfahren« habe (S. 857).
Quellenreichtum
und philologische
Kompetenz
Da unser Referat über Hayms programmatische Einleitung in sein Werk und über seine Ausführungen zu Tieck, die - ungeachtet der nachgetragenen »Ergänzungen und Berichtigungen« (S. 865-910) - knapp 20 Prozent des Gesamttextes ausmachen, einen hinreichenden Eindruck seiner Vorgehensweise vermitteln kann, wenden wir uns nun der wissenschaftsgeschichtlichen Bewertung der Romantischen Schule zu. Dabei sei zunächst erwähnt, dass dieses Werk hinsichtlich seiner äußeren Erscheinung modernen wissenschaftlichen Konventionen entspricht. 67 Haym ist der erste Autor, der von der Möglichkeit der Verwendung von Fußnoten Gebrauch macht, 6 8 und diese gezielt in mehrfacher Hinsicht einzusetzen versteht. Er nutzt sie für Hinweise auf Fundorte, Mehrfachdrucke und Textvarianten von Primärtexten, für die
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Diese Einschätzung des Dramas ist charakteristisch für die hegelianische Romantik-Deutung seit Hotho 1835: »Und wenn [Tieck] im Blaubart und in der Genoveva die neue Romantik nur unmittelbar empfanden hatte, so läßt er zuletzt im Octavian ihr gesammtes Wesen sich allegorisch entfalten, bis er sich endlich selbstbespiegelnd im Phantasus zu seinem eigenen Publicum macht« (S. 418). Auch Rosenkranz 1838 (S. 22) hebt hervor, dass Tieck »im Kaiser Octavianus [...] eine Anthologie aller mittelaltrigen Versformen [gegeben]« habe. Vgl. hierzu Danneberg/Niederhauser 1998b. In ihrem einleitenden Beitrag zu diesem Sammelband thematisieren Danneberg/Niederhauser 1998a in sowohl synchroner als auch diachroner Perspektive »die Vielfalt von Aspekten wissenschaftlicher Darstellungsformen und ihrer Erforschung [...] Das Augenmerk liegt auf der Bedeutung einzelner Darstellungsmittel als fachlicher Ordnungsmittel und auf der Frage, welche wissenschaftstheoretischen Aufschlüsse sich aus der Beschäftigung mit Darstellungsformen für Aussagen über die Praxis wissenschaftlicher Tätigkeit ableiten lassen« (S. 15f.). Die Beschäftigung mit dem Erscheinungsbild wissenschaftlicher Texte ist also keineswegs eine triviale, lediglich deren Außenseite betreffende Angelegenheit, sondern führt zur Erörterung wichtiger epistemologischer Probleme bezüglich der Begründbarkeit von Wissensansprüchen. Vgl. Grafton 1995 und Brand 1998. Schon Bernays 1899 widmete dem Gebrauch sowie der Funktion von Zitaten und Fußnoten eine ausführliche Untersuchung; vgl. Anm. 54 auf Seite 242.
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Nennung ihm unzugänglich gebliebener Werke oder Dokumente, für zustimmende, kritische oder ablehnende Verweise auf Sekundärliteratur, für die Diskussion von ungelösten Forschungs- oder Datierungsproblemen und für die Präzisierung oder einschränkende Modifizierung des im Hauptteil Referierten. Seine Diktion ist im Vergleich zum Stil seiner Vorgänger als nüchtern zu bezeichnen. Er meidet die in Rosenkranz' Aufsatz vorhandenen persönlichen Bekenntnisse oder direkten Personenanreden, den redundanten rhetorischen Zuschnitt von Prutz' Vorlesungen über die deutsche Literatur der Gegenwart und - trotz allen Interesses an stilistischer Prägnanz - Hettners keck zugreifende, blumige Ausdrucksweise. Stattdessen pflegt er eine gemäßigte, das Bemühen um eine gegenstandsnahe Beobachtung und zugleich kritische Distanz des Beobachters signalisierende Tonlage. Außerdem erweist sich Hayms Buch wegen seines (nicht vom Verfasser stammenden) Namen-, Titel- und Sachregisters und wegen seines detaillierten Inhaltsverzeichnisses als gut erschlossenes wissenschaftliches Arbeitsmittel, das sich auch zum gezielten Nachschlagen eignet. Das Inhaltsverzeichnis bietet eine detaillierte Gliederung der einzelnen Kapitel, die durch die schlagwortartige Auflistung der jeweils behandelten Themen zustande kommt. Im Text selbst kann man sich gut orientieren, weil dort nicht nur diese, sondern weitere, im Inhaltsverzeichnis aus Platzgründen nicht aufgeführte Schlagworte als Kopfzeilen erscheinen. 69 Dieser äußeren Präsentation entspricht der Inhalt von Hayms Werk. Es ist das einzige aus dem Kreis der hier behandelten Untersuchungen, das modernen philologischen Ansprüchen weitgehend genügt. Zunächst beeindruckt der Umfang des in ihm verarbeiteten Quellenmaterials. Eine Auswertung der für Tieck und Novalis einschlägigen Texte 7 0 ergibt folgendes Bild: Für die Primärtexte zieht Haym im Normalfall die Gesamtausgaben heran, verweist aber bei Bedarf auf Erst- oder Wiederabdrucke. Tiecks Werke werden nach dessen Gedichten (1821/23), 7 1 Schriften (1828/54), Kritischen Schriften (1848/52) und Nachgelassenen Schriften (1855) zitiert, Novalis' Werke nach der von Willibald Beyschlag herausgegebenen Ausgabe der Gedichte (1869) und der von Tieck und Friedrich Schlegel besorgten 69
Ein solches, auch in Hayms Herder-Monographie angewandtes Verfahren bringt beim Neusatz des Textes natürlich Probleme mit sich. Nachdem Wolfgang Harich zu Beginn seiner Edition dieser Monographie auf den unterschiedlichen Seitenumfang zwischen dem Originalwerk und der von ihm betreuten Ausgabe hingewiesen hat, fahrt er fort: »Diese durch die Verschiedenheit der Satztypen und des Satzspiegels bedingten geringen Differenzen erklären, wieso an einigen wenigen Stellen die von Haym gewählten lebenden Kolumnentitel nicht ausreichten, den Inhalt der betreffenden Seiten zu bezeichnen. Wo dies der Fall war, mussten, je nach den sachlichen Erfordernissen, entweder zusätzliche Kolumnentitel formuliert oder aber die bereits vorhandenen für ein bis zwei Seiten mehr als in der ersten Ausgabe verwendet werden« (zitiert nach Haym I 1954, S. V).
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Berücksichtigt wurden der Text und die Anmerkungen der Tieck- und Novalis-Kapitel (S. 19-140 u. 325-390) sowie das Register (S. 911-951). Aus S. 127 (Anm.) geht hervor, dass Haym diese erste Gesamtausgabe verwendet hat, da das dort erwähnte Gedicht Der Traum in die 1841 erschienene zweite Edition der Gedichte nicht mehr aufgenommen wurde (vgl. Tieck VII 1995, S. 455ff. u. 749f.).
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Edition. 72 Briefe der beiden Autoren werden ausgewertet nach Karl von Holteis Sammlung Briefe an Ludwig Tieck (1864), nach der von Tieck selbst und Friedrich von Raumer herausgegebenen Ausgabe Solger's nachgelassene Schriften und Briefwechsel (1826) und nach Ludwig Urlichs' Charlotte von Schiller und ihre Freunde (1860/65). Zusätzliche Selbstaussagen Tiecks zu Leben und Werk entnimmt Haym den Vorberichten zu dessen Schriften. Außerdem benutzt er folgende, für die Rekonstruktion weiterer Lebensumstände der beiden Dichter bisweilen aufschlussreiche (auto)biographische Arbeiten: Rudolf Köpkes Werk über Ludwig Tieck (1855), Varnhagens Vorwort zu den von Wilhelm Bernhardi besorgten Reliquien, Erzählungen und Dichtungen von A. F. Bernhardi und dessen Gattin (1847), Henrik Steffens' Was ich erlebte (1840/44), die von Tieck und August Cölestin Just (1750-1822) stammenden Vorreden zum ersten und dritten Band der dritten Auflage der Novalis-Ausgabe, Immanuel Hermann Fichtes Johann Gottlieb Fichte's Leben und literarischer Briefwechsel (1830/31), Elise Campes Aus dem Leben von Johann Diederich Gries (1855) und Adolf Peters General Dietrich von Miltitz (1863). Hinsichtlich bibliographischer Daten und Hinweise verwendet Haym Goedekes Grundriss (1856/80) und Kobersteins dritten Band der vierten Auflage seines Grundrisses des Geschichte der deutschen National-Literatur (1865/66). An übergreifender, die Romantik als Gesamtphänomen behandelnder Sekundärliteratur erwähnt er neben den in der Einleitung zu seinem Werk genannten Darstellungen von Gervinus, Hettner und Julian Schmidt das Romantik-Manifest von Rüge und Echtermeyer (S. 325, Anm. 1), Rosenkranz' Aufsatz über Tieck (S. 41, Anm. 5) und den ersten Band von Diltheys Schleiermacher-Biographie (S. 391, Anm.). Als weitere, kleinere Beiträge zur Romantik-Forschung führt er eine Untersuchung von J. H. Schlegel (S. 8), den siebten Band der Denkwürdigkeiten von Varnhagen (S. 63), Beyschlags Einleitung zu seiner Ausgabe von Novalis' Gedichten, Aufsätze von Wilhelm Bernhardi über Tieck (S. 27, 115 u. 117) sowie von Rothe über Novalis als religiösen Dichter (S. 467) und - um diese Aufzählung mit dem wichtigsten Beitrag zu schließen - den in den Preußischen Jahrbüchern erschienenen Novalis-Aufsatz von Dilthey an (S. 325, Anm. I). 7 3 Wenn man bedenkt, dass hier nur die für Tieck und Novalis relevanten Textzeugnisse aufgelistet worden sind und dass Haym außerdem ungedrucktes handschriftliches Material sowie weitere, den Status von Realien besitzende Dokumente eingesehen hat (S. 369 u. 676f.), dann kann man sowohl die Quantität als auch die große Bandbreite
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Haym hat die vierte Auflage von 1826 (S. 252, Anm. 2; vgl. aber S. 326, Anm. 1) und den erst 1846 erschienenen, von Tieck und Eduard von Bülow herausgegebenen dritten Band der Schriften verwendet. - Während die Fußnoten in Hayms Romantischer Schule durch Asteriske und - falls notwendig - Kreuze gekennzeichnet sind, werden sie von uns der einfacheren Zitierbarkeit halber je Seite einfach durchgezählt. Bei seinen Ausführungen zu Tieck bezieht sich Haym außerdem des Öfteren (S. 38f., 56 [Anm. 1], 79, 87, 93f. u. 133) zustimmend auf zeitgenössische Rezensionen August Wilhelm Schlegels.
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des herangezogenen Materials ermessen. Es ist davon auszugehen, dass er kein für sein Thema wichtiges Textdokument übersehen hat. Sein Ehrgeiz in dieser Sache erhellt schon aus dem Vorwort seines Buch. Dort berichtet Haym, er habe - »worum ich mich freilich früher hätte kümmern sollen« - nach bereits erfolgtem Druckbeginn von dem von Eduard Böcking verwalteten Nachlass August Wilhelm Schlegels Kunde erhalten: »Was ich jetzt zu thun hatte, [...] wäre mir auch dann nicht zweifelhaft gewesen, wenn der Inhalt [dieser] Papiere meine ganze bisherige Arbeit über den Haufen geworfen hätte« (S. XV). Mindestens ebenso eindrucksvoll wie der Umfang dieses Materials ist Hayms souveräne Umgangsweise mit ihm. Haym, der seine philologische Kompetenz schon in einigen in den 40er Jahren veröffentlichten Rezensionen unter Beweis gestellt hatte, deckt die unzureichende Qualität einiger von ihm verwendeter Ausgaben ohne Umschweife auf. So bezeichnet er die »von W[ilhelm] Bernhardi [...] herausgegebene Sammlung Bernhardi'scher Arbeiten« als »leider weder vollständig noch von kritischem Werth« (S. 117, Anm.) und moniert »die Willkür, mit welcher Friedrich Schlegel und Tieck bei der Herausgabe der Schriften von Novalis verfuhren« (S. 340, Anm.). Der verstreute Abdruck zusammengehöriger Texte und deren sinnentstellende Verstümmelungen in den Schriften machten einen Rückgriff auf die Erstdrucke notwendig (S. 345f., Anm.). 7 4 Generell vergleicht Haym die verschiedenen Fassungen einzelner Werke und weist auf aufschlussreiche Varianten hin. Er verzeichnet Erst- und gegebenenfalls Wiederabdrucke und die in die Werkausgaben übernommenen Textfassungen letzter Hand 7 5 oder weist - wie des Öfteren natürlich bei Friedrich Schlegel 7 6 - auf das Fehlen solcher von ihren Verfassern zwischenzeitlich verworfener Texte in einschlägigen Sammeleditionen hin. Parallel dazu listet er die diversen Selbstaussagen der Autoren zu ihren Werken auf, so dass manchmal geradezu eine kleine Textgeschichte einzelner Werke entsteht. Hierbei kann man einen signifikanten Unterschied zwischen seiner und der von Rosenkranz praktizierten Herangehensweise an solche Dokumente erkennen. Während sein Vorgänger die Vorberichte zu Tiecks während der Ausarbeitung seines Aufsatzes noch im Erscheinen begriffenen Schriften als zusätzliche Informationsquellen begrüßt (Ro 1838, S. 18 u. 23) und deren Aussagen relativ unkritisch übernommen hat, steht Haym sowohl ihnen als auch Köpkes Werk über Tieck viel distanzierter gegenüber: »Es gilt,
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Zu denselben Feststellungen kommt O'Brien 1992. Vgl. S. 26 (Anm.), 37 (Anm. 2), 39 (Anm. 3 u. 5), 41 (Anm. 2), 76 (Anm.), 90 (Anm.), 99 (Anm.), 103f. (Anm. 1/2), 129f. (Anm.) u. 138 (Anm.). In diesem Kontext muss sich Julian Schmidt sagen lassen, dass eine von ihm als Beleg für den Einfluss von Goethes Wilhelm Meister auf Tiecks Sternbald angeführte Textpassage im Erstdruck des Romans gar nicht enthalten, sondern ein »Zusatz der Ausgabe vom Jahre 1843« (S. 135, Anm.) ist. Vgl. S. 179 (Anm.), 182 (Anm. 1), 184 (Anm. 1), 202 (Anm. 3), 207f. (Anm. 2/3), 219 (Anm. 2) u. 222 (Anm.). Gelobt wird hingegen die August Wilhelm Schlegel-Ausgabe von Eduard Böcking: »Die philologische Beschaffenheit der trefflichen, leider unvollendet gebliebenen Ausgabe wird uns in der Regel ersparen, mit unseren Anführungen auf die ursprünglichen Ausgaben der einzelnen Schriften zurückzugehen« (S. 144, Anm. 1). 263
die [...] beiden Veröffentlichungen dankbar zu benutzen; es gilt, sich durch sie nicht irre fuhren zu lassen. Tieck selbst sowohl wie sein Biograph erzählen nicht blos, sondern sie färben und suchen zu stimmen« (S. 19). Haym vergleicht z.B. spätere, meist aus einem großen zeitlichen Abstand getroffene Äußerungen Tiecks über frühere Lebensumstände bzw. Werke mit zeitgenössischen Quellen oder Dokumenten, und kann somit nicht nur die angesprochene Tendenz zur Selbststilisierung, sondern auch einfach Erinnerungslücken oder fehlerhafte Erinnerungen bei Tieck nachweisen. 77 Generell ist festzuhalten, dass sich Hayms Werk geradezu als Beleg für die während seiner Entstehungszeit unter Germanisten immer noch umstrittene Notwendigkeit einer philologisch gestützten Herangehensweise auch an Autoren des 18. und frühen 19. Jahrhunderts lesen lässt. Es liefert auf vielfältige Weise konkretes, unmittelbar evidentes Anschauungsmaterial für den Erkenntniszuwachs, der aus der Anwendung einschlägiger textkritischer Arbeitstechniken auf die Werke, Briefe und sonstigen Textzeugnisse der Romantiker resultiert. Es kommt selten vor, dass Haym gegen philologische Konventionen verstößt. Am auffälligsten in dieser Hinsicht ist seine Zitierweise, die bei der Wiedergabe von Primärtexten im Regelfall auf exakte Fundstellenhinweise verzichtet. Andererseits kann man beobachten, dass die große Vertrautheit Hayms mit dem ausgewerteten Material zu einer gewissen Eigendynamik in der kritischen Textbehandlung führt. Wenn Haym über nicht autopsierte Werke spricht oder Rückschlüsse ziehen zu können glaubt, die sich anhand der ihm vorliegenden Quellen nicht definitiv belegen lassen, so macht er auf diese Sachverhalte aufmerksam. 78 Gewissermaßen beiläufig kann er Irrtümer und falsche Angaben sogar in Goedekes einschlägiger Bibliographie und in Kobersteins philologisch angereicherter Literaturgeschichte korrigieren. 7 9 Schließlich beschäftigt er sich mit dem typisch philologischen Problem der Zuordnung von Autorschaft, indem er die noch heute nicht abschließend geklärten Fragen 80 diskutiert, welche der nicht eindeutig zuschreibbaren Texte aus den Herzensergießungen und Phantasien von Tieck oder von Wackenroder stammen oder welche nicht namentlich gezeichneten Beiträge zu den Fragmenten des Athenäum von Novalis herrühren. 81 Neben die (quellen)kritische Auseinandersetzung mit Primärtexten tritt die Diskussion der Sekundärliteratur. Haym ist der erste aus dem Umkreis unserer Autoren, der sich nicht nur wie Hettner in einem einleitenden Überblick zu seinem Werk summarisch mit der vorangegangenen Romantik-Forschung beschäftigt, sondern auch
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Vgl. S. 60 (Anm. 2), 103 (Anm. 1), 117 (Anm.) u. 329 (Anm. 2). Vgl. S. 31 (Anm.), 34 (Anm.), 115 (Anm. 1), 61 (Anm. 1/2), 110 (Anm. 1) u. 241. Vgl. S. 117 (Anm.) und die im Register (S. 923) unter dem Hinweis »Einzelne Angaben K[oberstein]s berichtigt oder ergänzt« aufgelisteten Fundstellen. Vgl. Wackenroder I 1991, S. 283ff. u. 368ff. sowie die weiteren, dort verzeichneten Fundstellen. Vgl. S. 127 (Anm.) u. 286 (Anm. 1); siehe auch S. 255 (Anm. 1), 282f. (Anm.) u. 283f. (Anm.).
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bei der Erörterung von spezielleren, einzelne Aspekte betreffenden Fragen in größerem Umfang gezielt auf hierfür einschlägige Literatur zurückgreift. Dabei zeigt sich einmal mehr der Umstand, dass die Forschung zur Romantik noch im Entstehen begriffen und Haym teilweise auf die Berücksichtigung von Titeln angewiesen war, denen man heute den Status wissenschaftlicher Literatur nicht mehr zugestehen kann. So weist er zu Beginn des Novalis-Kapitels daraufhin, dass »der Abschnitt über Novalis in dem bekannten Echtermeyer-Ruge'sehen Manifest gegen die Romantik [...] nachgelesen zu werden [verdient]« (S. 325, Anm. 1) und dass »für das Leben Hardenberg^ [...] die zwei sich ergänzenden Lebensskizzen als Quelle [dienen], von denen wir die eine Tieck (in der Vorrede zur 3. Auflage der Novalis'sehen Schriften), die andere Just (zu Anfang des 3. Bandes der Schriften) verdanken« (S. 326, Anm. 1). Über den eingeschränkten Wert dieser mangels neuerer oder qualifizierterer Arbeiten angeführten Titel war sich Haym im Klaren. Deshalb spricht er beispielsweise von Strauß' »zwar mancher Berichtigung aus neueren biographischen Mittheilungen und Documenten bedürftige[m], aber trotzdem noch immer höchst lesenswerthe[m] Aufsatz« über Schleiermacher und Daub (S. 433, Anm. 1). Neben jene zustimmenden Zitationen, mit denen sich Haym zur Stützung seiner Ausführungen auf andere, entweder nur durch Fundstellenangaben kenntlich gemachte oder hinsichtlich ihrer Bedeutung explizit vorgestellte Arbeiten (S. 325, Anm. 1) beruft, treten Hinweise, die sich kritisch mit einzelnen Gesichtspunkten der diskutierten Sekundärliteratur auseinandersetzen, deren Glaubwürdigkeit zu taxieren versuchen oder deren Wert generell in Frage stellen. 82
Erkenntnis gewinn Es ist evident, dass Hayms Buch angesichts der in ihm unter Beweis gestellten großen Vertrautheit sowohl mit einem umfangreichen Quellen- und Dokumentenkorpus als auch mit der einschlägigen Forschungs- sowie weiteren Sekundärliteratur eine von keiner seiner Vorgängeruntersuchungen auch nur annähernd erzielte Gegenstandsnähe der Urteilsbildung erreicht. Dies ist schon rein quantitativ belegbar. Von allen hier behandelten Arbeiten stellt Hayms Buch die umfangreichste, zugleich aber dem kleinsten Objektbereich gewidmete Untersuchung dar. Während Rosenkranz 82
So weist Haym daraufhin, dass Rosenkranz, Julian Schmidt und Gervinus übereinstimmend die Einflüsse von Restif de la Bretonnes Lepaysan perverti auf Tiecks William Lovell übersehen hätten (S. 41, Anm. 5), dass Dilthey eine falsche Entstehungszeit und eine falsche Adressatin eines Novalis-Briefes vermute (S. 327, Anm.), wie Just von einem fehlerhaften Datum in Tiecks Biographie ausgehe (S. 329, Anm. 2/3) und die »Hypothese der Seelenwanderung« im Heinrich von Ofterdingen überschätze (S. 386), dass Justs Lebensabriss von Novalis im Zweifelsfall hinsichtlich der dort festgehaltenen biographischen Daten glaubwürdiger sei als anders lautende Angaben bei Tieck (S. 326, Anm. 1), dass Varnhagens Publikationen unzuverlässig seien (S. 27, Anm. 2 u. S. 63, Anm.) und dass die Ausführungen von J. H. Schlegel über die Romantik trotz ihrer Veröffentlichung in den 60er Jahren als überholt gelten müssten (S. 8, Anm.).
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und Hettner die Romantik bzw. deren Auswirkungen bis in die 30er Jahre des 19. Jahrhunderts hinein verfolgten und Prutz darüber hinaus sogar die zeitgenössische Literatur der 40er Jahre in seine Vorlesungen einbezog, konzentriert sich Haym strikt auf die Entstehung und Ausprägung der Frühromantik. Mit dem Auseinanderbrechen des Jenaer Kreises in den Jahren 1801/02 ist die Romantik seines Erachtens in ihre Krise geraten, die er keiner ausführlichen Darlegung mehr für würdig erachtet. »Die innere Krisis der romantischen Schule fällt wesentlich zusammen mit der zunehmenden äußeren Zerstreuung ihrer Glieder« (S. 858). Haym belässt es bei gelegentlichen Andeutungen auf Indizien, die auf die spätere reaktionäre Erstarrung einiger Romantiker hindeuteten (S. 128f., 344 u. 492), und einem summarischen Hinweis auf die »zweite romantische Dichtergeneration« (S. 862), deren wichtigste Repräsentanten Arnim und Kleist gewesen seien. Die Beschränkung auf diese kurze Zeitspanne bekundet seinen Willen zur Spezialisierung auf einen eng umrissenen, einer intensiven Bearbeitung bedürfenden Gegenstandsbereich und ermöglicht eine ausführliche und differenzierte Auseinandersetzung mit den vorgestellten Autoren. Haym wählt ein monographisches, Lebensläufe und Werke sowohl der einzelnen Romantiker als auch der romantischen Autorengruppe insgesamt auf vielfältige Weise miteinander in Beziehung setzendes Verfahren. Die politische Geschichte, die bei Prutz den entscheidenden Bezugsrahmen abgibt und mit der Französischen Revolution, den Befreiungskriegen, der »quietistischen« Phase der 20er Jahre und der Julirevolution direkt auf die Entwicklung der Romantik bezogen wird, tritt in Hayms Darstellung kaum in Erscheinung. Man kann allenfalls insofern Ansätze zu einer sozialgeschichtlichen Betrachtung bei ihm ausmachen, als er beispielsweise Tiecks Entwicklung zum Schriftsteller (S. 70f.) und den unpolitischen Zuschnitt seiner Literatursatire (S. 101 f.), Friedrich Schlegels Versuche der Begründung einer eigenständigen romantischen Kunsttheorie (S. 237f.) oder die Entstehung von Schleiermachers Reden über die Religion (S. 412f.) vor der Folie der als frivol, selbstzufrieden und schöngeistig charakterisierten Berliner Gesellschaft 83 schildert. Primär geht Haym jedoch ideengeschichtlich vor und begründet dies mit der Beschaffenheit seines Untersuchungsobjekts: Je flacher die Wurzeln sind, welche die Dichtung dieser Zeit im Boden des Lebens, die Philosophie im Boden des Realen hatte, um so mehr verschlingen diese beiden ihre Wurzeln in einander und suchen eine aus der anderen Nahrung zu ziehen. In dieser äußersten Geistigkeit, in dem Ineinanderfließen des Phantasie- und Gedankenlebens besteht geradezu [...] das Wesen der Romantik, und hierin wieder lag die Möglichkeit, daß die feinsten Ausströmungen des Seelenlebens, die Regungen der Frömmigkeit sich friedlich damit verbinden konnten (S. 7f.).
Angesichts der aus ihrer hyperidcalistischen Weltanschauung resultierenden großen Kreativität der Romantiker sei es zwar reizvoll, bisweilen aber kaum möglich, »in dieser ideenreichen Zeit [...] das Abstammungsverhältniß einzelner Gedanken und das Eigenthumsrecht der Geister [zu] bestimmen« (S. 264). Invariante Bezugsgrö83
Vgl. Anm. 32 auf Seite 206.
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ßen von Hayms ideengeschichtlichen Ableitungsversuchen bilden der einerseits durch Goethe (und Schiller) und andererseits der durch Fichte (und Kant) repräsentierte Deutsche Idealismus. Die Romantik sei eine »geistige Bewegung [...], die sich immer und überall, wie verschieden auch sonst, aus der Begegnung des neuen poetischen mit dem neuen philosophischen, des Goethe'schen mit dem Fichte'schen Geiste erzeugte« (S. 608). 84 Hayms Versuch, die Romantik in die Geschichte des sich dichterisch und philosophisch artikulierenden Deutschen Idealismus zu integrieren und aus geistes- sowie literaturgeschichtlichen Problemkonstellationen zu erklären, weist Ähnlichkeiten mit Hettners gleichartigem Ansatz auf. Wenn Haym schreibt, die »romantische Poesie« sei »der abgeschwächte Nachklang einer inhaltsvolleren Bewegung des deutschen Geistes« (S. 440) gewesen, so denkt man unwillkürlich an Hettners Unterscheidung zwischen dem objektiven, durch die kunstfeindlichen Zeitverhältnisse bedingten und insofern berechtigten Idealismus und dessen willkürlicher, subjektivistisch verzerrter romantischer Variante. Haym selbst hat diesen Punkt hervorgehoben. »Daß die Keime der romantischen Schule bereits in der poetischen Anschauungsweise Goethe's und Schiller's klar vorgezeichnet liegen, bei jener aber zu phantastisch-mystischem Subjectivismus auswachsen: das ist es, was von Hettner in [...] überzeugender Weise nachgewiesen wird« (S. 6). Dennoch gibt es gravierende Differenzen zwischen Hettners und Hayms ideengeschichtlicher Methode. Erstens veranschlagt Haym im Gefolge Hegels den Einfluss von Fichte auf die Romantik wesentlich höher als Hettner, der - wie gezeigt wurde - die von Hegel stammende Auffassung, die romantische Ironie sei lediglich eine falsche Schlussfolgerung aus Fichtes Philosophie, als unzureichende Verkürzung zurückwies und das genuin Poetische dieser ästhetischen Kategorie hervorhob. 85 Zweitens geht Haym im Gegensatz zu Hettner konkret von den einzelnen Romantikern aus und lässt seine Darstellung in ein werkorientiertes Gruppenporträt der gemeinschaftlich in Jena wirkenden Schule einmünden. Während Hettner ideengeschichtlich konstruierte, den von den Romantikern favorisierten poetischen Idealismus monolithisch vor dem Hintergrund der allgemeinen politischen und kulturellen Umstände gegen Ende des 18. Jahrhunderts ableitete, die Notwendigkeit seiner Entwicklung deduzierte und den Autoren ihren Platz in dieser Entwicklung zuwies, geht Haym sozusagen induktiv jeweils von den verschiedenen Dichtern und Philosophen bzw. Ästhetikern aus und zeichnet deren auf den Prozess einer Schulbildung zulaufenden Werdegang nach. Seine Beteuerungen, sich am »Faden des Biographischen« und unter Berück-
84
85
Obwohl Prutz die Romantik nicht explizit als ideengeschichtliche Synthese der Positionen von Goethe und Fichte bezeichnete, ist eine solche Auffassung in seinen Vorlesungen insofern vorgebildet, als jene beiden Autoren dort als die wichtigsten Anreger für die romantischen Dichter und Philosophen behandelt werden. Auch über diesen Auffassungsunterschied zu Hettner war sich Haym bewusst. Er betont deshalb, dass Hettners Versuch, »wenigstens den Ursprung der Schule ausschließlich im Poetischen [zu suchen]« (S. 7), seines Erachtens zu kurz greift.
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sichtigung der ihm relevant scheinenden »persönlichen Verhältnisse und Eindrücke« mit seinem Untersuchungsmaterial beschäftigt zu haben (S. 14 u. 176), sind keine bloßen Phrasen gewesen. Hayms Einbeziehung mentaler Dispositionen und individueller Verhältnisse und sein Versuch, die Entstehungsgeschichte einzelner Werke konkret auf die darauf Einfluss nehmenden Faktoren zurückzufuhren, rücken sein Werk in methodischer Hinsicht in die Nähe der seit der Mitte der 70er Jahre vorgelegten Arbeiten der Scherer-Schule. 86 Hayms konsequent durchgeführter monographischer Ansatz führt zwangsläufig zur Einbeziehung einer Vielzahl literatur- und philosophiegeschichtlich nachrangiger Werke und zu einer Aufwertung anderer Romantiker neben Tieck. Während Rosenkranz und Hettner nur die für eine Beurteilung der behandelten Autoren wichtigsten Werke berücksichtigten und Prutz selbst diese im Normalfall unerwähnt ließ, verfolgt Haym den Werdegang der Romantiker mittels biographischer Daten und anhand einer Diskussion der für ihre jeweiligen Schaffensperioden charakteristischen Werke, die je nach dem ihnen zukommenden Stellenwert sowohl für ihre Verfasser als auch für den gruppenspezifischen Kontext mehr oder minder ausführlich thematisiert werden. Allein im Hinblick auf Tieck nennt bzw. bespricht Haym mehr Werke und Schriften als Hettner in seiner gesamten Romantik-Schrift. Hatte Hettner bereits damit begonnen, Novalis' Bedeutung zu steigern und damit Rosenkranz' Ansatz, Tieck zur Zentralgestalt der Romantik zu stilisieren, indirekt in Frage zu stellen, so setzt sich diese Tendenz bei Haym verstärkt fort. Hayms Buch geht auf eine Vorlesungsreihe zurück, die im Wintersemester 1865/66 unter dem Titel Ludwig Tieck und die romantische Schule vorgetragen wurde. 8 7 Im Verlauf seiner weiteren Beschäftigung mit dem Thema hat Haym offenbar eingesehen, dass dieser von Rosenkranz entlehnte Titel eine Überschätzung von Tiecks Rolle innerhalb der Romantik signalisiert und nicht einmal deren von ihm ausschließlich untersuchter Frühphase gerecht wird. Als gleichberechtigte, jeweils in eigens ihnen gewidmeten Kapiteln vorgestellte Autoren treten daher die Brüder Schlegel, Novalis, Schleiermacher und Schelling neben Tieck. Außerdem erfahren Wackenroder und Steffens eine deutliche Aufwertung im Vergleich mit Hettners Untersuchung und rücken Caroline Schlegel-Schelling und Dorothea Schlegel, Bernhardi und Rambach, Hülsen und Ritter erstmals in den Blickwinkel des Interesses. Ein wesentliches, über die Arbeiten von Rosenkranz, Prutz und Hettner hinausgehendes Verdienst Hayms besteht des Weiteren darin, den von ähnlichen Interessen und gleichen Gegnerschaften motivierten Zusammenschluss der Romantiker zu einer nach außen hin gemeinsam auftretenden Gruppe ernst genommen und detailliert nachgewiesen zu haben. Rosenkranz spricht zwar schon im Titel seines Aufsatzes von einer Schule, kommt im weiteren Verlauf seiner Ausführungen aber nicht mehr darauf zu sprechen. Prutz war nicht willens, die »Clique, die [...] exclusive Partei« (TGL, 86
87
Repräsentative biographische Monographien der neudeutschen Philologie verzeichnet Weimar 1989, S. 454f., Anm. 215f. Vgl. Heßler 1935, S. 115.
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S. 270) der Romantiker unbefangen als Interessengemeinschaft zu betrachten, sondern unterstellte ihr von vornherein wie Rüge und Echtermeyer sowie Gervinus eine auf Eigennutz, Immoralität und Eitelkeit basierende Absonderung von der Öffentlichkeit und den Einsatz intriganter Methoden (TGL, S. 269ff.). Über die Tätigkeit und die gemeinsamen Projekte dieser Schule erfahrt man bei Prutz - wie auch bei Hettner - nichts, wobei Hettner immerhin zuzugestehen ist, dass er den ideen- und literaturgeschichtlich deduzierten Begriff der Schule, der jener Ableitung wegen bei ihm ohne weiteres durch den als literarisch-philosophische Strömung verstandenen Terminus der Romantik ersetzt werden kann, in einem wertneutralen Sinn verwendete. Haym hingegen kommt immer wieder an zentralen Stellen seines Buchs auf den Parteibildungsprozess der »Schlegel-Tieck'schen Coterie« (S. 444) und die in diesem Zusammenhang nennenswerten Ereignisse oder Folgen zu sprechen. Eine entscheidende Voraussetzung auf dem Weg zur Gründung »einer neuen, der romantischen Litteraturschule« erblickt Haym in dem Bruch der Brüder Schlegel mit Schiller. »Daß sie [...] die Stifter einer kritisch-poetischen Partei wurden, dazu werden wir demnächst den positiven Grund [...] in ihrer Verbindung mit Tieck [...] finden - aber ein ebenso wichtiges negatives Moment war ihre Abwendung von Schiller« (S. 212). Der »erste Keim einer Genossenschaft, einer Schule« lasse sich in den Jahren 1797/98 in Berlin ausmachen. Haym führt für diese Beobachtung »persönliche wie [...] sachliche Beziehungen« an (S. 269). Zum Verkehr der beiden Schlegel mit Tieck seien einerseits der nach wie vor mit Tieck verbundene Bernhardi und andererseits der mit Friedrich Schlegel befreundete Schleiermacher hinzuzuzählen. Damit hätten - dies sind die von Haym namhaft gemachten sachlichen Aspekte des Zusammenschlusses - romantische Kritik (August Wilhelm Schlegel), Poesie (Tieck), Doktrin oder Ästhetik (Friedrich Schlegel) und Ethik bzw. Religionslehre (Friedrich Schlegel und Schleiermacher) zueinander gefunden. »Mit dem erweiterten Kreise verwandt strebender Menschen erweitert sich auch der Kreis der Tendenzen und Interessen, erweitert und bestimmt sich der Begriff der Romantik« (S. 269). Zur vollen Entfaltung der romantischen Schule sei es dann 1798/99 in Jena gekommen. August Wilhelm Schlegel, Schelling und Fichte hätten damals als Professoren an der Universität gewirkt. Da auch Friedrich Schlegel und Tieck nach Jena gezogen seien und Ritter seine physikalischen Experimente über den Galvanismus dort gemacht habe, sei der in Weißenfels sesshafite Novalis so oft als möglich zu seinen Freunden gestoßen. »So vollständig und so nahe war der Kreis der Romantiker noch nie zusammengewesen. Noch nie war die Wechselwirkung der einzelnen Genossen dieses Kreises so allseitig und lebendig gewesen« (S. 371). Im Zuge seiner Erörterungen über die Entstehung und Verfestigung der romantischen Schule belässt es Haym jedoch nicht bei der Schilderung des »rege[n] geistige[n], gesellige[n] und litterarische[n] Treiben[s], welches sich auf diese Weise entwickelte« (S. 371), sondern berücksichtigt auch überindividuelle, auf die Außenwirkung der Gruppe berechnete Projekte. Haym konstatiert zwar ein »parteiisches Selbstgefühl« (S. 391) als Grundlage der romantischen Propagandastrategien, er-
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blickt darin aber im Gegensatz zu Prutz keinen Hinderungsgrund für eine um Sachlichkeit bemühte Auseinandersetzung mit ihnen. Schon anlässlich seiner Ausführungen zu den ersten Anzeichen einer Schulbildung in Berlin gibt Haym zu verstehen, dass er die Gründung des Athenäum für eine Selbstverständlichkeit halte. »Eins nur, um eine litterarische Schule, um eine Partei vorzustellen, [...] fehlte den verbündeten Freunden. Sie bedurften eines Sammelpunktes, einer von Allen anerkannten Fahne: sie mussten ein eignes journalistisches Organ haben« (S. 269). Anschließend bespricht Haym sowohl die mit dieser Zeitschrift verfolgten literaturpolitischen Motive als auch ihre ersten beiden Hefte ausführlich. Auch im zweiten Segment des fünften, dem Gruppenporträt der etablierten romantischen Schule gewidmeten Kapitel des dritten Buchs (S. 699-764) geht Haym auf vergleichbare Gemeinschaftsprojekte der Romantiker mehrmals ein. »Trotz so vielen häuslichen Haders [überwog] mehr oder weniger bei allen Gliedern dieser litterarischen Familie das Gefühl der Nothwendigkeit [...], nach Außen als eine geschlossene, einmüthige Partei aufzutreten« (S. 717). In diesem Segment, das schwerpunktmäßig sowohl den auf Verspottung literarischer Gegner zielenden Polemiken und satirischen Werken (Ehrenpforte und Triumphbogen fiir den Theaterpräsidenten von Kotzebue) als auch den auf Außenabgrenzung und Selbstdarstellung berechneten Unternehmungen der Romantiker vorbehalten ist, behandelt Haym neben dem Athenäum Tiecks Poetisches Journal, den von August Wilhelm Schlegel und Tieck herausgegebenen Musen-Almanach, den nicht realisierten, vor allem von August Wilhelm Schlegel und Schleiermacher vorangetriebenen Plan der nach dem Ende des Athenäum für nötig erachteten Gründung einer Zeitschrift mit dem Namen Kritische Jahrbücher der deutschen Litteratur und Bernhardis publizistisches und literaturkritisches Engagement für seine romantischen Weggenossen im Archiv der Zeit und in der von ihm selbst herausgegebenen Zeitschrift Kynosarges. Die ausführlichen Erörterungen des polemischen, die Romantiker als Interessengemeinschaft erkennbar machenden Schrifttums und der von diesen ausgeführten oder konzipierten Almanach- sowie Zeitschriftenpläne dokumentieren, dass Haym den Begriff der Schule im Sinne einer gemeinschaftlich agierenden literarischen Gruppe so ernst genommen hat wie vor ihm nur Heine. Während Heine diesen Gruppenzusammenhang allerdings nur als Definitionsmerkmai zur Bestimmung der einzelnen Mitglieder der romantischen Schule verwendete, aber nicht detailliert erläuterte 88 , versucht Haym, die im Rahmen der Gruppe wirksam gewordenen Motivationen und die dadurch bedingten (informellen) Organisationsstrukturen herauszuarbeiten. Der romantische Geist kommt bei ihm erstmals auch als Resultat des Zusammenwirkens individueller Bedürfnisse und gruppenspezifischer Faktoren in den Blick. Wenn er schreibt, die von August Wilhelm Schlegel und Schleiermacher projektierte Zeitschrift hätte »für die neue Bildung unwiderstehlich Propaganda gemacht« und wäre »noch ganz anders als das Athenäum ein Vereinigungspunkt für die Romantiker geworden - sie
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Vgl. die in Anm. 12 auf Seite 19 festgehaltenen Ausführungen bei Windfuhr 1981.
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erst würde die Genossenschaft vollends zu einer wirklichen Schule zusammengeschlossen haben« (S. 739), so bringt er damit des Weiteren die ohnehin durch seine Ausfuhrungen über die von den Romantikern durchgeführten Gemeinschaftsunternehmungen bekundete Einsicht zum Ausdruck, dass die Institutionen des literarischen Lebens wichtige Untersuchungsobjekte der literaturgeschichtlichen Analyse darstellen. Zu jenen Punkten, welche die von keinem seiner Vorgänger erreichte Gegenstandsnähe der Urteilsbildung belegen können, gehört schließlich Hayms auf die Schriften der Romantiker selbst rekurrierende Erörterung der Wortpaare »romantische Dichtung« bzw. »romantische Ironie«. Haym belässt es weder bei einer vagen Berufung auf ästhetische Kategorien hegelianischer Provenienz, noch gibt er sich mit der bloßen Existenz des Namens der romantischen Dichtung zufrieden. Stattdessen entwickelt er seine Begriffsbestimmung des Romantischen anhand einer kritischen Diskussion der hierfür einschlägigen Texte bzw. Textstellen insbesondere bei Friedrich Schlegel und Novalis (S. 250ff. u. 379ff.) und kann dabei Gründe für die bei den seitherigen Betrachtern der Romantik vorherrschende Meinung anführen, dass man die diversen »Ausstellungen Schlegel's über den Begriff des Romantischen als willkürlich und launenhaft, als eine bloße Merkwürdigkeit angeführt und kopfschüttelnd ihre Excentricität und Unverständlichkeit hervorgehoben hat« (S. 252). 89 Haym erklärt die auch von ihm konstatierten Bedeutungsunterschiede bzw. -Verschiebungen des Wortgebrauchs sowohl im Vergleich zwischen Schlegel und Novalis als auch innerhalb der Schlegelschen Schriften mit dem unterschiedlichen Naturell der beiden Autoren und mit dem Umstand, dass sich der Begriff des Romantischen in Schlegels ästhetischer Theoriebildung erst im Lauf der Zeit als Fundamentalkategorie herauskristallisiert habe (S. 770f. u. 802ff.) und in dieser zentralen, von Novalis letztlich geteilten Auffassung »einfach für Romanpoesie gesetzt« (S. 252) worden sei. Auf eine ausfuhrliche Darlegung der einzelnen von Haym diagnostizierten und hinsichtlich ihrer Relevanz taxierten Wortbedeutungen kann hier verzichtet werden. Wichtig ist jedoch die Tatsache, dass Haym nicht nur wie schon Hettner das Niveau der bloßen Polemik gegen die romantische Ironie überwunden hat, 90 sondern darüber hinaus der erste Autor ist, der sich auf der Grundlage umfangreicher, die Chronologie und den Stellenwert der ausgewerteten Dokumente berücksichtigender
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In einem anderen, die Charakterisierung einer Abhandlung Hülsens durch Friedrich Schlegel und Schelling betreffenden Zusammenhang spricht Haym hinsichtlich der Ironie ebenfalls von der »Unbestimmtheit und Willkührlichkeit des romantischen Sprachgebrauchs« (S. 446). Das gilt trotz gelegentlicher Rückfalle. So illustriert Haym beispielsweise den »psychologischein] Zusammenhang zwischen dem unglücklichen Bewußtsein des Lovell und dem neckisch spielenden des Gestiefelten Katers« durch eine Tagebucheintragung Tiecks, die er mit den Worten kommentiert, dies sei »eine Beschreibung der Stimmung, die über Alles, mit Ausnahme der Poesie, hinaus ist, eine Beschreibung der poetischen Sophistik, die schlechthin Alles mit ungebundener Laune zerreibt, ihren Hauptangriff aber gegen die Feinde des Spaßes, der Dichtung und der Phantasie richtet« (S. 96).
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Textvergleiche für eine philologisch abgesicherte und hermeneutisch reflektierte Definition der Romantik entscheidet.
Die vier Komponenten der hegelianischen Romantik-Historiographie Alle bislang erörterten Punkte können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Haym trotz der von keinem seiner Vorgänger erreichten Gegenstandsadäquatheit der Urteilsbildung und trotz seiner partiellen Annäherung an ein positivistisches Wissenschaftsideal eine eindeutig hegelianisch geprägte Deutung der Romantik vorgelegt hat.91 91
Klieme 1969 schenkt Hayms angeblich »[unwiderruflichem] Bruch mit Hegel« (S. 250) allzu bereitwillig Glauben, um Haym in die vom Marxismus konstruierte Verfallsgeschichte des bürgerlichen Denkens im 19. Jahrhundert einordnen und in die Nähe aller jener philosophischen und wissenschaftlichen Tendenzen rücken zu können, die aus marxistischer Perspektive mit dem Verdikt des Agnostizismus oder Irrationalismus gebrandmarkt worden sind. Wir wollen uns hier, den Erfordernissen unserer Untersuchung entsprechend, auf die Erörterung der wissenschaftsgeschichtlichen Fehleinschätzungen beschränken, die aus Kliemes ideologisch motivierter Voreingenommenheit resultieren. Zunächst fallt auf, dass Klieme einige von Hegel übernommene Urteile Hayms über die Romantiker und ihre Werke referiert, ohne auf deren Abstammung von Hegel hinzuweisen (S. 159 u. 174f.). Des Weiteren lässt Klieme den von den Hegelianern Heine, Hotho, Rosenkranz, Prutz und Hettner konstituierten wissenschaftlichen Argumentationskontext völlig außer Acht und vertritt stattdessen die Auffassung, Haym habe sich im Interesse einer möglichst effektiven Profilierung als Literaturhistoriker der Erforschung der Romantik zugewandt, weil diese im Gegensatz zur Aufklärung oder Klassik zu seiner Zeit noch keine eingehende Würdigung erfahren habe. »In der Behandlung der deutschen Romantik als >terra incognita< bisheriger deutscher Literaturgeschichtsschreibung [...] fand Haym ein dankbares, wenn auch keineswegs leicht zu beackerndes Tätigkeitsfeld« (S. 33). Wenn Klieme Übereinstimmungen zwischen Rosenkranz' Tieck-Aufsatz und Hayms Buch schlichtweg in Abrede stellen zu können glaubt (S. 103) und betont, dass Haym »als Vertreter der jüngeren romantischen Dichtung [...] die Namen Brentanos, Fouques, Arnims und - völlig undifferenziert der Romantik zugeschlagen - Kleists« (S. 107) nennt, dann liegt die Vermutung nahe, dass er die Darlegungen von Rosenkranz kaum und die hier einschlägigen Diskussionsbeiträge Hegels und Hothos überhaupt nicht zur Kenntnis genommen hat. Wer jedoch die vielfältigen hegelianischen Voraussetzungen von Hayms Werk negiert, kann wenig Erhellendes über »Hayms Verhältnis zu seinen Vorgängern und Zeitgenossen in der Romantik-Darstellung« (S. 214ff.) zutage fordern. Berücksichtigt werden in diesem Zusammenhang Koberstein, Gervinus, Heine, Hettner und Julian Schmidt, wobei Klieme ausschließlich die Unterschiede zwischen dem angeblich auf Hegel rekurrierenden (S. 218) Gervinus, Heine und dem vermeintlich auf dem Boden des Feuerbachschen Materialismus stehenden (S. 227f.) Hettner einerseits und Haym sowie Julian Schmidt andererseits für berichtenswert hält und die Genannten in zwei einander »diametral entgegengesetzte weltanschauliche Entwicklungslinie[n]« eingliedert: »Während die [von Hegel ausgehende, Erg. d. Verf.] demokratische Linie von Heine und Büchner zu Feuerbach und dem naturwissenschaftlichen Materialismus führt, verläuft die liberale, von Haym mitvollzogene Entwicklung vom jungen [sie!] Deutschland und den Linkshegelianern zum Neukantianismus und Positivis-
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Dies wird schon aus einigen Einzelurteilen ersichtlich, die seine Vertrautheit mit den hegelianischen Arbeiten zur Romantik belegen: H a y m spricht wie Hegel abschätzig von der v o n Friedrich Schlegel postulierten » P o e s i e der Poesie« und hebt mus« (S. 220). »Unter anderem mit Julian Schmidt zusammen verkörperte [Haym] den seit Ende der sechziger Jahre opportun werdenden Typus des preußisch eingefarbten, nationalliberalen Literaturhistorikers, der hinüberleitet zum völlig waschechten Preußischblau der Schererschule« (S. 240). Es bedarf keiner näheren Begründung, dass diese undifferenzierten, allenfalls auf ideologiekritischer Ebene diskussionswürdigen Ausführungen in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht unergiebig sind. Wegen seiner schon im Ansatz verfehlten, die hegelianische Sozialisation Hayms negierenden Betrachtungsweise kann Klieme schließlich natürlich auch weder dessen Erkenntnisinteresse noch dessen wissenschaftliche Leistung angemessen würdigen. Für Haym stellte die Romantik wie für die anderen hegelianisch sozialisierten Autoren eine Provokation dar, mit der er sich ebenso produktiv wie Hotho und seine in dieser Untersuchung behandelten Vorgänger auseinanderzusetzen vermochte. Haym war keineswegs an einer partiellen Rechtfertigung der Romantik interessiert, »indem er [sie] auf verwertbare Vorbilder hin abklopfte und demzufolge wesentliche ihrer Gedankengänge >retteteDarstellung< zu einer romantischen Wildniß, in der die Heerstraße des methodischen Denkens unter dreisten Combinationsspielen verschüttet liegt« (S. 658). Neben die Konstruktion hypertropher Subjektivität tritt also bei Haym wie bei seinen Vorgängern die Diagnose der sowohl aus ihr resultierenden als auch sie bedingenden missglückten Substanzerschließung durch die Romantiker. Diese beiden Gesichtspunkte fungieren bei allen hier behandelten hegelianischen RomantikHistoriographen als Zuordnungskriterien zur Schule. Während Rosenkranz, Prutz und Hettner allerdings wie Hegel jene Diagnose pauschal als überindividuelle, keiner detaillierten Darlegungen bedürfende Gegebenheit begriffen und damit den Übergang von der ersten zur zweiten Phase der Romantik begründeten, weist Haym dieses generationstypische Scheitern jeweils konkret nach. Er thematisiert es in jedem Einzelfall als unterschiedlich folgenreiches Resultat einer individuellen Mischung aus übersteigerter und damit vermittlungsunfähiger oder ungenügender und deshalb nachahmungsbedürftiger Originalitätssucht, pathologischer, eine verzerrte Wirklichkeitswahrnehmung evozierender Ichfixierung und ungenügender persönlicher Diszipliniertheit. Dennoch kann nicht bestritten werden, dass Hayms scheinbar individuell zugeschnittene Vorgehensweise auf ein bewährtes, von Hegel bzw. Rosenkranz bereits erprobtes Argument zurückgreift. Noch deutlicher wird seine Abhängigkeit von der hegelianischen Argumentationslogik, wenn man bedenkt, dass sich die bei den Romantikern diagnostizierte Unfähigkeit, sich den künstlerischen und ideellen Realitätsanforderungen ihrer Zeit konstruktiv zu stellen, nahtlos mit Hayms geschichtsphilosophischer Situierung der Romantik in Beziehung setzen lässt. Da Hayms Publikationen als Bausteine der allgemeinen, auf einem Geschichtssubstanzialismus basierenden Entwicklungsgeschichte des deutschen Geistes im realistischen Sinn betrachtet werden müssen, steht das dargelegte Scheitern der Romantiker in unmittelbarem Einklang mit der generellen Stoßrichtung seines Buchs. Die hyperidealistische Romantik sollte, ähnlich wie in abgeschwächter Form Hegels Philosophie, als kontraproduktive Phase auf dem noch nicht definitiv abgeschlossenen Weg der Wirklichkeitszuwendung des deutschen Geistes porträtiert werden. Damit sind wir im Rahmen der Erörterungen über Hayms hegelianisch geprägte Literaturwissenschaft beim vierten und letzten Punkt angelangt: Haym hat die Romantik sowohl im Kontext einer übergeordneten Makrogeschichte verortet als auch ihren Verlauf als vermeintlich organische Totalität konstruiert. Diese Konstruktionsleistung wird schon daraus ersichtlich, dass Haym einige Romantiker mit zum Teil bereits von seinen Vorgängern verwendeten Rollenklischees klassifiziert und manche ihrer Schriften zu singulären Grundlagentexten hypostasiert. August Wilhelm Schlegel erscheint durchgängig als »kluge[r], gewandte[r], arbeitsame[r] und pünktliche[r] Geschäftsführer« bzw. als »das organisatorische [...] Talent des ganzen Kreises« (S. 16 u. 699). Während seiner auf die Popularisierung des romantischen Gedankenguts ausgerichteten Vorlesungstätigkeit in Berlin zwi-
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sehen 1801 und 1804 avanciert er nach Hayms Auffassung sogar zum »Apostel der Romantik« (S. 767). Der Friedrich Schlegel der Fragmente-Periode und des Gesprächs über die Poesie wird zum »Mittelpunkt des ganzen, von jenem romantischen Geist erfüllten Kreises« und zum »Dolmetscher [seiner] ästhetischen Strebungen und Urteile« stilisiert (S. 264). Novalis verkörpert für Haym den »vollendeten Typus des romantischen Wesens« und wird als »Prophet der Romantik« vorgestellt (S. 15 u. 324). Bezüglich der Etikettierungen einzelner Werke und Schriften haben wir Hayms Einschätzung von Tiecks Kaiser Octavianus als »Summe der romantischen Kunst- und Lebensansichten« bzw. als »orbis pictus [...] der Romantik« (S. 855) und von Schellings Identitätsphilosophie als Explikation der »romantischen Weltformel« oder »Codification des Geistes der Romantik überhaupt« bereits erwähnt (S. 661 u. 660). Eine ähnlich zentrale Bedeutung erkennt Haym einigen Arbeiten Friedrich Schlegels zu. Schlegels als Kristallisationskern der werdenden Schule fungierende, im Lyceum und Athenäum erschienene Fragmente enthielten die »ästhetische Doctrin« der Romantik und deren »Evangelium von der neuen Bildung und [...] Poesie« (S. 248 u. 270). Mit seinem Gespräch über die Poesie habe er das »theoretische Programm« bzw. »eine zweite, vollständigere und entwickeltere Constitution für die romantische Revolution« vorgelegt (S. 699 u. 680). Die Lucinde sei nicht nur als »Ethik Schlegel's«, sondern als Dokument der gesamten »romantische[n] Lebensphilosophie« zu behandeln (S. 493 u. 508). Schleiermachers keineswegs nur für seine romantischen Freunde einschlägige Reden über die Religion seien »das Programm einer neuen Theologie, ein grundlegendes und epochemachendes Werk deutscher Wissenschaft und mehr noch deutscher Bildung« und Novalis' »Schriften [...] gleichsam die Bibel der Schule geworden, [...] aus [denen] allein [man ...] den ganzen Gehalt dieser Bildungsform darstellen könnte« (S. 417 u. 324). Diese letzte Formulierung bezüglich des Werks von Novalis ist sehr aufschlussreich. Die Wichtigkeit der hier erwähnten sowie weiterer, von Haym entsprechend gewürdigter Werke und seine im Prinzip zutreffende Einschätzung der Relevanz jener Textdokumente soll keineswegs bestritten werden. Vielmehr geht es darum, dass Haym einigen Texten eine sie insofern überfordernde Bedeutung zuerkannt hat, als sie zu zentralen, das Wesen der Romantik vollständig repräsentierenden Dokumenten stilisiert werden. Haym substanzialisiert sowohl Personen als auch deren Werke. Ein solches Verfahren hat für ihn den Vorteil, anhand der Erörterung einzelner Werke das vermeintlich >ganze< Wesen der Romantik darlegen zu können, und ist nur auf der Basis einer geschichtsphilosophischen Konstruktionsarbeit möglich, die das Problem der historischen Kontingenz durch die Definition vermeintlicher übergeordneter, stellvertretend für ihre Zeit stehender historischer Erscheinungen zu bewältigen sucht. Natürlich setzt dieses Verfahren auch ein idealistisches, von der Überzeugung der unumschränkten Gestaltungsmacht der Ideen geprägtes Geschichtsverständnis voraus. Nur solche (kunst)historischen Phänomene, in denen sich die Idee vollständig und ungetrübt manifestieren kann, lassen sich auf die von Haym praktizierte Weise als substanzielle Verkörperungen des jeweiligen Zeitgeistes begreifen. Da die
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postulierte Realisierung der Idee gemäß diesem idealistischen Geschichtsverständnis nicht nur für einzelne Bestandteile der Romantik, sondern für sie insgesamt gelten muss, ist davon auszugehen, dass Haym sie als in sich geschlossene, sinnhafte Einheit im Kontext der Geschichte des deutschen Geistes porträtiert hat. Die schon in Rosenkranz' Tieck-Aufsatz artikulierte Auffassung, dass, »ist einmal eine Richtung eingeschlagen, [...] eine Zeit nicht eher von ihr [läßt], als bis sie dieselbe erschöpft hat«, und dass daher auch die romantische Poesie »zu einer organischen Totalität und Succession sich bestimmen mußte« (Ro 1838, S. 20 u. 21), ist auch für Hayms Romantik-Verständnis erkenntnisleitend gewesen. Erste Anzeichen dafür bilden Hayms Parallelisierung der Romantik mit der Französischen Revolution und der Aufbau seines Buchs, das als eine »Darstellung der entscheidenden und in sich zu einem Ganzen sich abschließenden Anfänge [der] romantischen Litteraturbewegung« (S. 5) charakterisiert wird. Haym attestiert der als »revolutionären Idealismus« bzw. »revolutionäre Bewegung« (S. 8 u. 16) bezeichneten Romantik jene Schärfe, jenen gewaltthätigen Charakter, der an den Durchbruch der genialen Tendenzen der siebziger Jahre erinnert und der in mehr als Einer Beziehung sich der großen politischen Umwälzung vergleicht, die sich ungefähr gleichzeitig in Frankreich vollzog. Auch die Deutschen hatten ihre Revolution. Die Geschichte der romantischen Schule ist die Geschichte einer Litteraturrevolution, die ebensowohl als solche gemeint war, wie sie als solche gewirkt hat (S. 14).
Hier kommt die geschichtsphilosophisch motivierte, von Hegel übernommene Parallelisierung von deutscher Ideengeschichte und politischer Geschichte Frankreichs zum Vorschein, wobei Haym allerdings - wie vor ihm bereits Heine und Prutz - im Gegensatz zu Hegel die Literatur ausdrücklich in die ideengeschichtliche Entwicklung in Deutschland einbezieht. Da Haym mit einer von keinem seiner Vorgänger erreichten Intensität das Wesen der Romantik in der Vermengung philosophischer bzw. religiöser und dichterischer Elemente erblickt, kann er sie problemlos in die »von Kant begonnene philosophische Revolution« (S. 27) integrieren und ihr somit einen genau umrissenen Ort in der Geschichte des deutschen Geistes zuweisen. Auch der Bauplan von Hayms Untersuchung lässt den Einfluss des Hegelianismus unschwer erkennen. Er stellt nichts anderes als eine trivialisierte Anwendung des Schemas der Hegeischen Dialektik dar. Auf die in den ersten zwei Büchern thematisierte These und Antithese, die der Genese der romantischen Dichtung einerseits und der romantischen Ästhetik und Literaturkritik andererseits gewidmet sind, folgt im dritten Band die Darstellung der aus der gegenseitigen Bereicherung von literarischer Praxis und Theorie resultierenden Synthese. Unter der Überschrift »Die Blüthezeit der Romantik« werden hier jene Autoren bzw. Textdokumente behandelt, die nach Hayms Auffassung für sein Untersuchungsobjekt von zentraler Bedeutung sind und seinen Gehalt erschöpfend zum Ausdruck bringen. Mit August Wilhelm Schlegels Berliner Vorlesungen (1801/04), die am Ende jenes dritten Buchs auf fast 100 Seiten ausführlich referiert werden, gelangt der Geist der Romantik angeblich zum Be-
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wusstsein seiner selbst und damit zu seinem definitiven Abschluss. Was ihm an gleich gearteten Bestrebungen folgte, konnten bestenfalls kreative Varianten und schlimmstenfalls epigonale Depravationen eines bereits feststehenden Paradigmas sein. Natürlich war sich Haym dessen bewusst, dass die Romantik und die von ihr ausgegangenen ideengeschichtlichen Impulse das erste Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts weit überdauert haben. Aus diesem Grund differenziert er gleich zu Beginn seines Buchs zwischen dessen titelgebendem Untersuchungsobjekt und der Romantik im Allgemeinen: »Nur kurze Zeit bildeten die geistigen Führer dieser Generation eine eigentliche Schule, eine engere Parteigenossenschaft, und an diese in erster Linie knüpft sich der Name der Romantik, der weiterhin zur Bezeichnung einer ganzen Richtung geworden ist« (S. 3). Dennoch konnte er sich auf die Geschichte der eigentlichen Schule beschränken, weil seinem Geschichtssubstanzialismus zufolge das Wesen einer Idee und deren historische Erscheinung(en) zur Deckungsgleichheit kommen mussten. An Signalen im Text, die diesen Substanzialismus belegen, ist kein Mangel. Als hegelianisch sozialisierter Literaturhistoriker weist Haym mehrmals daraufhin, seine Einschätzungen hinsichtlich der Genese und des Verlaufs der Romantik dem Untersuchungsgegenstand selbst entnommen zu haben. Das fünfte und letzte Kapitel des dritten Teils seiner Arbeit, das als Summe dieses ohnehin als Synthese konzipierten Teils angelegt ist, beginnt mit folgenden Worten: Die Aufstellung einer romantischen Weltformel durch Schelling darf uns als ein Beweis gelten, daß der Kreis der romantischen Bestrebungen zu einem gewissen Abschluß, daß sie in sich auf den Punkt der Reife gelangt waren. Wir dürfen erwarten und wir werden wünschen, daß sich das Bewußtsein darüber auch noch in anderen, minder abstracten Formeln und Verkündigungen verrathe, damit uns so neben dem inneren Kern und Werth zugleich der ganze Umfang, der volle Inhalt der Bewegung anschaulich werde (S. 661).
Haym gibt also an, durch die Rekonstruktion der Philosophie Schellings veranlasst worden zu sein, nach weiteren, ähnlich zentralen Werken der Romantik zu suchen. Aus wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive lässt sich der zweite Satz des eben mitgeteilten Zitats entgegen den Intentionen seines Verfassers auch anders lesen. Hayms »Erwartung [...], daß irgendwo eine feste Summe gezogen werde, in der auch die einzelnen Posten noch erkennbar wären« (S. 661), ist weniger als Resultat seiner literatur- und philosophiegeschichtlichen Forschungsarbeit, sondern hauptsächlich als Projektion eines auf die Erkenntnis von vermeintlich sinnstiftenden Zusammenhängen und historischen Totalitäten fixierten Wissenschaftlers zu betrachten. Bei seiner Suche nach solchen, die Substanz der Romantik vollständig verkörpernden Zentraltexten glaubt Haym bei Tiecks Kaiser Octavianus und bei August Wilhelm Schlegels Berliner Vorlesungen fündig geworden zu sein. Obwohl uns heutzutage insbesondere die Wahl von Schlegels Vorlesungen als abschließender Höhepunkt der Romantik als reichlich willkürlich erscheint, stellt sie aus Hayms Blickwinkel gleich in dreifacher Hinsicht eine wohl überlegte Entscheidung dar:
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Erstens handelt es sich hierbei - wie Haym selbst mehrmals betont 97 - um damals größtenteils noch unveröffentlichte Texte. Haym konnte somit als quellennah arbeitender Forscher auftreten, der bei der Auswertung von ungedrucktem Material auf wichtige, unbedingt mitteilungswürdige Dokumente gestoßen war. Zweitens schließen jene Vorlesungen zeitlich unmittelbar an die Auflösung des Jenaer Romantikerkreises an und ließen sich deshalb als Vermächtnis der endgültig zum Bewusstsein ihrer selbst gelangten romantischen Schule deuten. Das Ende der Gruppenaktivität habe die Möglichkeit einer bilanzierenden Reflexion über das gemeinsam Geleistete eröffnet. Drittens waren solche mit programmatischem Anspruch vorgetragenen, kunsthistorische und -theoretische Ausführungen kombinierenden Metatexte besser als einzelne Dichtungen zur Demonstration der These geeignet, dass sich der romantische Geist nicht nur in künstlerischen Hervorbringungen entäußert habe, sondern bis zur Ebene des Selbstbewusstseins vorgestoßen sei. Die Formulierungen, mit denen Haym August Wilhelm Schlegels Vorlesungen einleitend charakterisiert, zeigen nochmals in aller Deutlichkeit, wie sehr seine Romantik-Deutung entgegen allen anders lautenden, die historische Sachadäquatheit seiner Urteilsbildung hervorhebenden Beteuerungen als Produkt einer geschichtsphilosophisch gestützten Konstruktionsleistung zu betrachten ist: Je unbekannter diese Vorlesungen sind, um so mehr wird es sich lohnen, über sie zu berichten. Durch sie tritt W. Schlegel in diesem letzten Stadium der Entstehungsgeschichte der romantischen Schule ganz entschieden vor all' den übrigen Genossen in den Vordergrund. Sie erst sind es, die uns, ganz anders noch als das Schelling'sche System und [...] das Gespräch über die Poesie, einen vollen Ueberblick über Inhalt und Umfang der Bestrebungen der neuen Schule gewähren. Erst hier [...] haben wir die Romantik ganz und als ein Ganzes. In erster Linie [...] erscheint [August Wilhelm Schlegel] als der Ausführer und Dolmetscher der Gedanken seines Bruders. Zugleich indeß als der geschickteste Ordner und Systematiker. Denn zur Systematik gelangt er, zweitens, an den entscheidendsten Punkten durch unverhohlene Anlehnung an die Schelling'sche Philosophie. Was er, den Inhalt anlangend, von seinem Eignen hinzuthut, ist wenig. Ganz sein eigner Lehrmeister ist er etwa nur in den metrischen Dingen. Sein natürlich, ist die Gelehrsamkeit, die Masse der empirischen Einzelheiten, nur daß er auch hiefür, in sprachlichen Dingen an Bernhardi, in Sachen der altdeutschen Litteratur an Tieck einen Anhalt hat (S. 766f.)
Obwohl Haym einräumen muss, dass sich zumindest Schleiermachers Einfluss bei August Wilhelm Schlegel nicht nachweisen lässt - merkwürdigerweise fällt Novalis' Name in diesem Kontext nicht - , wird hier der romantische Geist als Totalität konstruiert, der sich in konzentrierter, potenzierter Form in Schlegels Vorlesungen niedergeschlagen habe. Mit der Erwähnung von Friedrich Schlegels Gespräch über
97
Haym weist darauf hin, dass sein Referat auf den »in den Böcking-Papieren erhaltnen eigenhändigen Heften Schlegel's« (S. 766, Anm. 2) beruhe, erwähnt die bereits gedruckt vorliegenden Textpartien jener Vorlesungen (S. 774, Anm. u. S. 790, Anm.) und meint, »es würde Eulen nach Athen tragen heißen, wenn man noch heut diesen [ersten, im Winter 1801/02 gehaltenen, Erg. d. Verf.] Theil der Schlegel'schen Vorlesungen veröffentlichen wolle. Durch die Hegel'schen Vorlesungen, durch Arbeiten wie namentlich die Vischer'sche ist das überflüssig geworden« (S. 776).
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die Poesie und Schellings Identitätsphilosophie spielt Haym auf Abhandlungen an, die er ihrerseits bereits als zentrale Werke der Romantik gewürdigt hat. Die Romantik erscheint in August Wilhelm Schlegels Vorlesungen somit als Synthese aus den Werken bzw. geistigen Leistungen der Brüder Schlegel, Schelling, Bernhardi und Tieck. Gewissermaßen den Schlussstein in seiner ideengeschichtlichen Konstruktion stellt Hayms Versuch dar, Hegel als legitimen Erben der Romantik zu präsentieren. Bei seinen Ausfuhrungen zu Schelling (S. 659f.) und Friedrich Schlegel (S. 225, 674f., 679 u. 683) betont Haym mehrmals, dass die von diesen beiden Autoren thematisierten philosophischen Probleme in Hegels System aufgehoben worden seien und erst dort ihre klassische Formulierung gefunden hätten. Dieser Gedanke ist für ihn so wichtig, dass er mit ihm sein Buch beschließt. Hegel habe »an jene ursprünglich von Schelling aufgestellte romantische Weltformel [angeknüpft]« und mit seiner Phänomenologie des Geistes die »kunstreichste und großartigste Rationalisierung des romantischen Litteraturgeistes« vorgelegt (S. 864). Mit diesem Werke erreichte die Verbindung von Poesie und Wissenschaft, die das Ideal Schelling's und seiner Freunde gewesen war, ihren Gipfel [...] Hier [...] sammelten und durchdrangen sich mit den kritischen die ästhetischen, mit den historischen die systematischen, mit den künstlerischen die religiösen und ethischen Absichten der Romantiker. Hier endlich erhoben sich die umfangreichen und scheinbar festgefugten Grundmauern jener Encyklopädie, zu der die Uebrigen doch nur Bausteine oder unfertige Risse geliefert hatten. Aber hier trat zugleich die Romantik über sich selbst hinaus [...] Mit dem Auftreten Hegel's entschied sich die Krisis der Romantik. Diese Krisis indeß sollte hier nicht dargestellt, sondern nur bezeichnet werden. Sie ist die Grenze, über welche hinaus die Entwicklung des deutschen Geistes zu verfolgen für diesmal nicht unsre Absicht war (S. 864).
Nachdem Haym in August Wilhelm Schlegels Berliner Vorlesungen die Inkarnation des romantischen Geistes erblicken zu können glaubte, erkennt er Hegels Philosophie den Stellenwert der Vollendung und zugleich der partiellen Überwindung der Romantik zu. Hegels Denken erscheint als erster Schritt auf dem Weg zur unabdingbaren Disziplinierung des unsystematischen, verstiegenen romantischen Idealismus und als Beitrag zu der von Haym sowohl diagnostizierten als auch begrüßten Realitätszuwendung des deutschen Geistes. Auch diese Hegel-Deutung ist - um es mit Hayms eigenen Worten über einen von ihm kritisierten Aufsatz des jungen Friedrich Schlegel zu sagen - »freilich wieder sehr ideologisch und constructiv, mehr Geschichtsphilosophie als Geschichte« (S. 200). Die Integration Hegels in die Romantische Schule ist jedoch noch aus einem weiteren Grund aufschlussreich. Wenn man bedenkt, wie entschieden Haym in anderen Arbeiten gerade die seines Erachtens romantisch-idealistischen Züge im Werk jenes Philosophen bekämpft hat, der am Ende dieses Buchs als positive, die Überwindung der Romantik einleitende Gestalt präsentiert wird, dann kann man ermessen, dass Haym keineswegs mit der von ihm behaupteten »rein historische[n] Haltung« (S. 5) an die Erforschung seines Untersuchungsgegenstands herangegangen ist. Da Haym schon die Beschäftigung mit Hegel für eine nicht nur wissenschaftliche, sondern
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a u c h z u m i n d e s t mittelbar p o l i t i s c h e A u f g a b e h i e l t , 9 8 m u s s t e dies in n o c h s t ä r k e r e m M a ß e f ü r seine A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit d e r R o m a n t i k gelten. H a y m wollte d e n in der R o m a n t i k b e s o n d e r s k r a s s in E r s c h e i n u n g t r e t e n d e n H y p e r i d e a l i s m u s w ä h r e n d der n a c h k a n t i s c h e n P h a s e des D e u t s c h e n I d e a l i s m u s h e r a u s a r b e i t e n u n d auf d e s s e n nachteilige Folgen für die gesellschaftliche und nationale Entwicklung Deutschlands a u f m e r k s a m m a c h e n . " Sein B u c h thematisiert j e n e n a c h seiner Ü b e r z e u g u n g nicht nur a u f W i n c k e l m a n n z u t r e f f e n d e , s o n d e r n a l l g e m e i n g ü l t i g e Schwäche, die sich so oft als die höchste Tugend und Stärke des deutschen Geistes bewährt hat. [Winckelmann's] Anschauung, wie begierig sie an den Formen leiblicher Schönheit haftete, war getragen von demselben Zug nach dem Unsinnlichen, der am Beginn der neuen Zeit unser religiöses Leben aus seiner Veräußerlichung emporgehoben und seitdem unsrer ganzen Bildung immer einseitiger die Richtung auf das Innerliche, auf theologisches Glauben, gelehrtes Forschen, philosophisches Grübeln gegeben hatte. Dem hellen Blicke Winckelmann's gesellt sich ein eigenthümlicher mystischer Tiefsinn (S. 177f.). H a y m s A n l i e g e n b e s t a n d nicht zuletzt darin, d i e p o l i t i s c h e n K o n s e q u e n z e n d i e s e s nicht selten realitätsflüchtigen T i e f s i n n s in die Bilanz seiner R o m a n t i k - D e u t u n g einzubeziehen. D i e A b w e h r h a l t u n g g e g e n die R o m a n t i k u n d H e g e l bezieht die Sicherheit ihres Urteils a b e r g e r a d e aus H a y m s h e g e l i a n i s c h e m G e s c h i c h t s s u b s t a n z i a l i s m u s . W e g e n seines v e r m e i n t l i c h e n W i s s e n s u m d e n V e r l a u f d e r G e s c h i c h t e hält H a y m wie Prutz a m p o l i t i s c h e n A u f t r a g des Historikers u n d an d e s s e n R e c h t zur m o r a l i s c h e n B e u r teilung der t h e m a t i s i e r t e n P e r s o n e n u n d E r e i g n i s s e fest. H a y m s B e t e u e r u n g , a n g e sichts der ü b e r w u n d e n e n H e r r s c h a f t der R o m a n t i k e r ü b r i g e sich eine v o n politischen B e w e g g r ü n d e n m o t i v i e r t e A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit ihr, k a n n nicht d a r ü b e r h i n w e g t ä u s c h e n , dass er sie (einschließlich H e g e l s ) w i e H e g e l in s e i n e m a n G e l e h r s a m k e i t 98
99
Obwohl Haym in späteren Jahren manche kritischen oder polemischen Partien seines 1857 publizierten Hegel-Buchs nicht mehr vorbehaltlos akzeptiert hat, ist er seiner prinzipiellen, immer auch von praktischen Beweggründen motivierten Ablehnung Hegels zeitlebens treu geblieben. Die generationsbedingten Unterschiede, die für Hayms und Diltheys Auseinandersetzung mit der Romantik erkenntnisleitend waren, arbeitet Rodi 1983 (S. 187ff.) heraus: »Der vergleichende Blick auf Haym und Dilthey zeigt, dass die intensive Erfahrung einer nun als vergangen empfundenen Zeit für Haym das Bedürfnis nach historischer Aufarbeitung und Bewältigung weckte [...] Dilthey stand in gänzlich anderen Bezügen zu jener Welt. Ohne die persönliche Erfahrung des vergeblichen Kampfes gegen die Allianz von politischer Reaktion und romantischem Geist< [...], bleibt [er] in seiner Beschäftigung mit der Romantik ohne erkennbares Bedürfnis nach einer Distanzierung oder Selbstfindung gegenüber dieser für ihn abgeklungenen Welt. Es ist vielmehr bei seiner Wendung zu Schleiermacher das Bedürfnis nach einer >modernen Analogie< zu seiner damaligen Haupt-Arbeit über die frühchristlichen Emanations-Systeme mit im Spiel«. Dilthey sei repräsentativ für die »in der Tradition Schleiermachers, Trendelenburgs und anderer Hegel-Gegner stehende Tendenz, in der historischen Aufarbeitung vor allem der romantischen Verstehenslehre den Zusammenhang von Romantik, Historischer Schule und geisteswissenschaftlicher Methodenreflexion in der deutschen Philosophie zu betonen und dem Positivismus gegenüber durchzusetzen« (S. 188f. u. 184). 287
und Wissen reichen Werk »beigesetzt« hat. 1 0 0 Mit der nationalpolitischen und sittlichen Ausrichtung seiner Geschichtsschreibung tritt Haym jedem positivistischen, von der Gleichgültigkeit aller historischen Daten und Fakten ausgehenden Werterelativismus entschieden entgegen, indem er auf verbindliche Relevanzkriterien für die Produktion bzw. Publikation geschichtlichen Wissens rekurriert.
Noch einmal: Philologie und Philosophie Es sind aber nicht nur die eben beschriebenen praktischen, sondern natürlich auch kognitive Konsequenzen, die aus Hayms Fixierung auf vorgängige Ideen resultieren und seine Historiographie definitiv von den Arbeiten der Scherer-Schule trennen. Hayms Geschichtssubstanzialismus ermöglicht die Konstruktion der zielgerichteten, auch von einer romantischen, dezidiert idealistischen Phase geprägten Entwicklung des deutschen Geistes, die nach der Auffassung ihres Urhebers lediglich eine Rekonstruktion der in der Geschichte selbst auffindbaren Ideen darstellt. Dabei mag Haym der älteren hegelianischen Romantik-Historiographie gegenüber noch so sehr betont haben, dass diese Ideen von Individuen getragen oder verkörpert werden. Obwohl er die einzelnen Autoren der Romantik wesentlich genauer als sein Vorgänger in den Blick bekommt, ist auch sein Erkenntnisinteresse primär auf die Erforschung der Ideen und nicht auf die um ihrer selbst willen betrachteten Individuen ausgerichtet. Trotz aller konstatierten persönlichen Besonderheiten wertet Haym die Romantiker wie Rosenkranz, Prutz und Hettner als Repräsentanten eines letztlich a priori gesetzten und geschichtsphilosophisch situierten romantischen Geistes, der maßgeblich durch Subjektzentriertheit, die Unfähigkeit, sich adäquat auf die objektiven Gegebenheiten des Lebens einzulassen, und durch die übertriebene Wertschätzung künstlerisch angeblich unproduktiver Formexperimente bestimmt sei. Dennoch hat Haym mit seinem Romantik-Buch und seiner Monographie über Herder zwei Werke vorgelegt, die den Vergleich mit Untersuchungen aus dem Umfeld der von Scherer geforderten Germanisten keineswegs zu scheuen brauchen und die Fruchtbarkeit der vom Hegelianismus ausgehenden Philosophie- bzw. Literaturgeschichtsschreibung eindrucksvoll dokumentieren. Hayms Feststellung zu Beginn seiner Herder-Monographie, Bernhard Suphan habe ihn »durch sein Beispiel [...] den Wert bedächtigen Verweilens beim Einzelnen und Kleinen höher schätzen gelehrt, als es dem Nichtphilologen von Hause aus natürlich ist« (Hy I 1954, S. 4), gilt prinzipiell auch für seine Romantische Schule und belegt, dass philologische Gründlichkeit und hegelianische Ideengläubigkeit eine konstruktive, wissenschaftsgeschichtlich bedeutsam gewordene Synthese eingehen konnten. Denselben Nachweis haben Prutz und Danzel schon in den 40er Jahren des 19. Jahrhunderts mit ihren Werken über den Göttinger Dichterbund, die Geschichte des deutschen Journalismus und Lessing. Sein Leben und seine Werke erbracht. Diese Bücher einschließlich
100
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Vgl. Hirsch 1973.
Hettners voluminöser Literaturgeschichte
des achtzehnten
Jahrhunderts
beruhen
nicht nur auf einer genauen Kenntnis der Werke und sonstigen Schriften (Briefe, Tagebücher usw.) der in ihnen behandelten Autoren, sondern beziehen eine Vielzahl weiterer, für ihre Zwecke einschlägiger Quellen sowie Dokumente in ihre Ausführungen ein. 1 0 1
101
Anlässlich seiner Darlegungen über die Herder-Monographie glaubt Harich 1955 (S. 99) festhalten zu können, Haym habe »es wie kein anderer Literaturforscher vor ihm vermocht [...], den Briefwechsel der von ihm behandelten Dichter [...] und ihrer Zeitgenossen auszuwerten, also persönlichste Zeugnisse für die Herausarbeitung ihres Charakterbildes und ihrer Entwicklung zu erschließen. Die Abkehr von Hegel [...] war dafür die Voraussetzung. Eine konsequent hegelianisch verfahrende Methode, ausschließlich auf Herausarbeitung des historisch Wesentlichen und als wesentlich Objektivierten abzielend, hätte dergleichen als Unart des psychologischen Kammerdieners< verworfen«. Diese Darlegungen sind in doppelter Hinsicht korrekturbedürftig. Zum einen ist es nicht zutreffend, dass Hayms Hinwendung zu privaten Dokumenten ohne eine »Abkehr von Hegel« nicht möglich gewesen wäre. Das Gegenteil ist der Fall. Wenn Kruckis 1994a (S. 463) »die historistische Sicherheit, dass die eigene Wissenschaftspraxis sich immer auf apriorische Letztbegründungen stützen kann«, zu Recht als Legitimationsbasis und »Hintergrund für die vereinseitigende Miszellenphilologie kommender Jahrzehnte« benennt - damit ist die auf Danzel folgende Goethe-Philologie bzw. Neuphilologie seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gemeint - , so gilt dies in noch stärkerem Maße für die ideengläubigen hegelianischen Literaturhistoriker, (im Übrigen ist Harichs Aussage insofern überraschend, als er selbst nur wenige Seiten zuvor ausdrücklich betont hat, es »wäre ein Irrtum zu meinen, dass Haym [...] von Hegel, von der idealistischen Tradition überhaupt losgekommen sei«. Vielmehr sei er »in entscheidenden Fragen auf dem Standpunkt des absoluten Idealismus [...] stehen geblieben« und habe an der »Auffassung der Geschichte [...] als eines Gestaltenreichs des Geistes« festgehalten [S. 87]). Zum anderen haben sich Prutz und der ebenfalls »hegelianisch sozialisierte« (Kruckis 1994a, S. 455) Danzel schon lange vor Haym in ihren oben erwähnten, in den 40er Jahren erschienenen Werken erfolgreich um eine sorgfaltige Quellenfundierung ihrer Forschungen bemüht und neben Briefen eine Vielzahl weiterer personenbezogener Dokumente ausgewertet.
289
VII. Prutz, Hettner und Haym im Kontext der Wissenschaftsgeschichte
Das letzte Kapitel wird die Leistungen und Grenzen der Literatur- und Philosophiegeschichtsschreibung von Prutz, Hettner und Haym kritisch diskutieren und im zeitgenössischen wissenschaftlichen Umfeld verorten. Zur Verfolgung dieser Zielsetzungen sind drei Schritte nötig: Erstens werden jene Merkmale skizziert, durch die sich die moderne Wissenschaft generell auszeichnet. Zweitens wird gefragt, inwiefern die Historiographie unserer Autoren und deren institutionelle Verankerung im Wissenschaftsbetrieb ihrer Zeit diesen Merkmalen entspricht. Drittens soll der Frage nachgegangen werden, weshalb es der Literaturgeschichtsschreibung um die Mitte des 19. Jahrhunderts nicht gelungen ist, sich als eigenständige germanistische Disziplin zu etablieren. Schließlich möchten wir unsere Untersuchung mit einer indirekten Sympathieerklärung für die (hegelianische) Literaturgeschichtsschreibung beenden, indem wir dargelegen, dass die erfolgreiche Ausgrenzung dieser auch durch unsere Autoren vertretenen Fachrichtung aus dem Hochschulbereich dem Gesamtfach der Germanistik, rückblickend betrachtet, keineswegs zum Vorteil gereichte.
Grundzüge der modernen Wissenschaft Die auch heute noch verbindliche moderne Wissenschaft hat sich im 19. Jahrhundert allmählich herausgebildet. Obwohl sie zwischenzeitlich mehreren gravierenden Wandlungsprozessen unterworfen war, ist sie seit diesem Zeitpunkt prinzipiell an bestimmte epistemologische, institutionelle und soziale Voraussetzungen gebunden und muss Erträge von gesellschaftlicher und ökonomischer bzw. technischer Verwertbarkeit erbringen, um die Alimentierungsbereitschaft des Staats oder privat(wirtschaftlich)er Geldgeber ihr gegenüber sicherstellen zu können. 1 In epistemologischer Hinsicht verabschiedet die moderne Wissenschaft die metaphysischen Vorgaben der alteuropäischen Gelehrsamkeit sowie der idealistischen Philosophie und wendet sich der Erforschung der empirischen oder historischen Realität zu. Sie definiert genau umrissene, eigenständige Gegenstandsbereiche, entwickelt fachspezifische Kataloge relevanter, lösungsbedürftiger Fragestellungen Die folgenden Ausfuhrungen stellen nicht mehr als eine sehr allgemeine, im Rahmen unserer Fragestellung allerdings ausreichende Skizze der Wissenschaftsentwicklung im 19. Jahrhundert dar. Weiterführende Informationen zum Thema bieten Schnädelbach 1974, Stichweh 1984, Nipperdey 1985, S. 484ff., Schnädelbach 1991, S. 88ff. und Stichweh 1994.
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und konzipiert empirische, gegenstandsadäquate Untersuchungsmethoden. 2 In den Naturwissenschaften setzt sich die auf konkreter und zugleich systematisierter Beobachtung beruhende Tatsachenforschung durch, die durch die Messung quantifizierbarer Größen und die Durchfuhrung beliebig oft wiederholbarer Experimente exakte Ergebnisse erbringt. Die Geistes- und Kulturwissenschaften favorisieren quellenkritisch fundierte, durch hermeneutische, intersubjektiv überprüfbare Regeln definierte Verfahrensweisen. Außerdem ist die Wissenschaft seit dem 19. Jahrhundert durch ständig voranschreitende Professionalisierung und Spezialisierung und die Tendenz zur kontinuierlichen Anschlussforschung gekennzeichnet. Sie wird zu einem methodisch angeleiteten, arbeitsteiligen und prinzipiell unabschließbaren Forschungsprozess, der eine spezifische Berufsethik und eigene Steuerungsmechanismen entwickelt und sich externen Zielvorgaben so weit als möglich zu entziehen sucht. Eine solche Wissenschaftspraxis ist auf ihre Absicherung oder Optimierung durch institutionelle sowie organisatorische Rahmenbedingungen angewiesen. Sie bedarf eines intakten Kommunikationsnetzes, einer stabilen Anzahl von Lehrstühlen, Forschungseinrichtungen und Laboratorien, der Etablierung qualifizierter Lehrveranstaltungen und der Erstellung von verbindlichen, Karrierestrukturen regelnden Qualifikations- und Leistungsprofilen. Die Notwendigkeit, sich durch Publikationen legitimieren zu müssen, ein gesicherter Bestand an wissenschaftlichen Zeitschriften und (regelmäßig wiederkehrende) Kongresse garantieren die gezielte Weitergabe des im Forschungsprozess erarbeiteten Wissensstoffs, während die Existenz fachintern anerkannter Standardwerke und Lehrbücher, die Aufstellung diverser Prüfungsordnungen und die Gründung von Seminaren die Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses ermöglicht. Schließlich erbringt die moderne Wissenschaft eine Vielzahl von Leistungen für die Gesellschaft, die vor allem im Erziehungs- und Ausbildungsbereich und in der industriellen Produktion zu lokalisieren sind. Die Geschichts- und Kulturwissenschaften haben im 19. Jahrhundert wesentliche Beiträge zu den nationalkulturellen Identitätsfindungsprozessen der europäischen Völker bereitgestellt, während die Naturwissenschaften die Grundlagen für die rasant voranschreitende, alle Lebensbereiche in ihren Sog ziehende Industrialisierung und Technisierung geschaffen haben. Ohne die akademisch angeleitete Entstehung professionalisierter Berufsgruppen
2
Stichweh 1994 (S. 231) thematisiert die »selbstreflexive und selbstreferenzielle Wendung in der Wissenschaftsentwicklung« seit dem späten 18. Jahrhundert, indem er hervorhebt, dass seit dieser Zeit »[Methode] in manchen Hinsichten [...] wichtiger wird als Wissen und als die Resultate wissenschaftlicher Forschung [...] Die moderne Wissenschaft [scheint] einen methodengerecht zustande gekommenen Irrtum gegenüber einer dem Zufall verdankten Wahrheit zu präferieren. Unter diesen Umständen wird es zum Anzeichen einer gewissen Reife einer wissenschaftlichen Disziplin, wenn diese nicht länger primär daran interessiert ist, einen immer umfangreicheren Wissensvorrat aufzuhäufen, [sondern] sich eher darauf konzentriert, ihre analytischen Instrumente und ihre kritische Kompetenz zu kultivieren«.
291
(Lehrer, Juristen, Mediziner, Ingenieure) hätte sich die effiziente moderne, auf Arbeitsteilung beruhende Gesellschaft nicht entwickeln können.
Literaturgeschichtsschreibung
als zeitgemäße
Wissenschaft
Die Beantwortung der Frage, ob sich Prutz, Hettner und Haym von der idealistischen Metaphysik verabschiedet haben, lässt die ambivalente Stellung unserer Autoren im Prozess der Verwissenschaftlichung der Beschäftigung mit deutscher Sprache und Literatur im 19. Jahrhundert zutage treten. Man kann diese Frage nämlich sowohl verneinen als auch bejahen. Bedenkt man, dass unsere Autoren zeitlebens von gewissen ästhetischen und geschichtsphilosophischen Vorgaben aus Hegels metaphysisch begründetem System abhängig geblieben sind, so wird man zur ersten Antwort tendieren. Betrachtet man diese Vorgaben hingegen primär als Hintergrundfolie ihrer Historiographie, dann wird man eine solche Antwort als zu pauschal und undifferenziert empfinden. Als Literaturhistoriker haben Prutz, Hettner und Haym im Gegensatz zu Vischer und Rosenkranz weder die Erörterung klassischer Fragen der traditionellen Philosophie oder philosophischen Ästhetik in den Mittelpunkt ihres Erkenntnisinteresses gestellt 3 noch eine allzu schematische Übertragung der Hegelschen Dialektik etwa im Sinne von Göschel oder Hinrichs auf ihre Untersuchungsgegenstände praktiziert. Während sich diese beiden Hegelianer, aber auch der frühe Rosenkranz, auf die Entwicklungslogik der Phänomenologie des Geistes (1807) bezogen, rekurrierten sie vornehmlich auf die Werke des späteren Hegel der Berliner Jahre. Diese unterschiedlichen Bezugspunkte, so wird man verallgemeinernd sagen können, markieren eine in wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive bedeutende Differenz. Der Anschluss an Hegels Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte und seine Vorlesungen über die Aesthetik erlaubte eine relativ weitgehende Öffnung gegenüber der (kunst)geschichtlichen Realität, weil diese beiden Vorlesungen ihrerseits, wie schon Haym hervorgehoben hat, 4 wesentlich mehr empirische oder his-
3
Bei den (auch) als Literaturhistorikern bekannt gewordenen Hegelianern ließ das Interesse an der Ästhetik im Lauf des 19. Jahrhunderts schnell nach. Philosophiegeschichtlich relevante Arbeiten wurden nur noch von Vischer und Rosenkranz vorgelegt. Bezeichnenderweise hat Vischer seine Ästhetik nicht nur schon bald nach deren Abschluss widerrufen, sondern wurde bereits während der Arbeit an seinem Hauptwerk von quälenden Zweifeln bezüglich der Zeitgemäßheit seiner philosophischen Deduktionen heimgesucht (vgl. Anm. 31 auf Seite 130). Danzel, dessen erste Veröffentlichungen noch deutlich von der (Hegelschen) Ästhetik inspiriert worden sind, emanzipierte sich von diesem Themengebiet rasch. Die im Zentrum unserer Untersuchung stehenden Autoren haben überhaupt keine wichtigen Beiträge zur Ästhetik mehr publiziert, obwohl Hettner - wie oben dargelegt wurde - daran ursprünglich durchaus interessiert war und Haym (vgl. Heßler 1935, S. 105-107 u. 114ff., Nr. 83, 90, 94 u. 120) als Hochschullehrer noch in den 1890er Jahren über Poetik und (Geschichte der) Ästhetik gelesen hat.
4
Zu Beginn seiner Ausfuhrungen über Hegels Vorlesungstätigkeit in Berlin konstatiert Haym 1857R eine »Wendung der Hegel'schen Lehre zum Positiven« (S. 397). Insbesondere in seiner Kunst- und Geschichtsphilosophie komme das »Verlangen nach Versöhnung mit
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torische Daten integrieren als Hegels frühere Werke. Nachdem Hegels Identitätsphilosophie selbst diese Öffnung gegenüber der konkreten Geschichte bzw. Kunstgeschichte bereits ein Stück weit betrieben hatte, brauchten Prutz, Hettner und H a y m ihrer eigenen Auffassung zufolge keine prinzipielle Kurskorrektur gegenüber Hegel vorzunehmen, sondern nur auf dem von ihm eingeschlagenen W e g weiter voranzuschreiten. 5 Wissenschaftsgeschichtlich gehören unsere Autoren w i e beispielsweise auch Gervinus oder Droysen zu der von Schnädelbach diagnostizierten »erste[n] Phase des Historismus«, die der »Geschichte selbst die Rolle des normativen Fundaments unseres Denkens und Handelns zugesprochen« hatte. »Mit dieser normativen Rollenzuweisung an die Geschichte [...] ist [...] erklärlich, warum der Übergang von der [...] Ästhetik zur Kunst-, Literatur- und Musikgeschichte, ja von der Philosophie zur Philosophiegeschichte nicht als ein radikaler Bruch aufgefasst wurde«. 6 Schnädelbachs Feststellung, dass die Vertreter jenes Historismus trotz ihrer gegenteiligen Selbsteinschätzung »einem, zumindest implizit mitvertretenen, materialen Vorver-
5
6
der Wirklichkeit quand même« bzw. der »Hunger nach dem Realen« zum Ausdruck (S. 433). Haym hält fest, »daß sich im Gegensatz zur Religionsphilosophie der echte und ursprüngliche Geist der Hegel'schen Philosophie, die Tendenz auf ein wirklich concretes, individualisirendes und geschichtsverständiges Erkennen in der Aesthetik [...] um Vieles lebendiger regt« (S. 442). Im Hinblick auf die Geschichtsphilosophie heißt es, sie habe »das Dilemma [...] von Neuem aufgestellt, ob die Wirklichkeit ernsthaft oder blos scheinbar, ob der menschliche Geist oder dessen logische Copie, ob alle Realität nach der ihr immanenten Lebendigkeit und Entwicklung oder nach der derselben nachgekünstelten Dialektik des sich selbst bestimmenden Begriffs erkannt werden soll. Hegel erklärte sich den Worten nach für das Letztere; er machte thatsächlich [...] einen neuen Versuch zu dem Ersteren« (S. 451 f.). Damit habe er wie Haym nicht zuletzt angesichts des eigenen wissenschaftlichen Werdegangs betonen konnte - einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, »eine geistigere Auffassung der Geschichte hervorzurufen [... und] die geschichtliche Betrachtungsweise des Geistigen wenigstens vorzubereiten« (S. 452). Anhand der Entwicklung der für die Geschichte der Germanistik relevanten Werke von Hinrichs demonstriert Weimar 1975 (S. 143ff.) den »Übergang von der spekulativen zur historischen Behandlung« und betont, man habe es hierbei nicht mit einer »[vereinzelt dastehenden] persönliche[n] Zufälligkeit«, sondern mit einem exemplarischen, für »alle Hegelschüler [...], die sich schreibend mit Literatur beschäftigt haben«, gültigen Vorgang zu tun (S. 149). Weimar weist daraufhin, dass die ersten Produkte der hegelianischen Literaturbetrachtung streng genommen lediglich als - letztlich überflüssige - Demonstrationsobjekte zur Beglaubigung der Richtigkeit der Philosophie Hegels begriffen wurden. Später hingegen sei eine deutliche Aufwertung des (kultur)historisch Vorgegebenen zu beobachten, das als realisierte Idee begriffen und in seinem Eigengewicht ernster genommen worden sei: »Die äußere Geschichte [...] gibt [...] den Ort an, von dem die Konstruktion ausgeht. Der Interpret konstruiert nicht mehr selbstbewusst aus der Idee als dem von ihm Mitgebrachten, sondern >versetzt< sich, über die >äußerlichen< Dinge informiert, zunächst einmal in die Entstehungszeit, um anfangen zu können [...] Die Konstruktion wird damit selbst historisch, sie muss eigentlich den Anspruch erheben, den ursprünglichen Produktionsprozess zu reproduzieren« (S. 146). Schnädelbach 1991, S. 56. 293
ständnis vom Gegenstand [ihrer] Erkenntnis, das man als [...] heimliche Geschichtsmetaphysik [...] ansehen kann«, 7 verhaftet blieben, trifft auf unsere Autoren ebenfalls zu. Sie wandten sich gerade deshalb dem historisch Individuellen zu, weil es wegen seiner zwar kaum mehr thematisierten, ihm stillschweigend aber stets unterstellten Partizipation an der geschichtlich sich angeblich realisierenden Theodizee 8 Anspruch auf seine Beachtung erhob. Prutz, Hettner und Haym betrachteten alle (kultur)geschichtlichen Daten und Ereignisse als Manifestationen des sich historisch realisierenden Geistes und leiteten daraus sowohl die Notwendigkeit einer Beschäftigung mit ihnen als auch die Bestimmung ihrer Bedeutung bzw. unterschiedlichen Relevanz im Kontext jener übergreifenden, einer sinnstiftenden Logik folgenden Entwicklung ab. Wer also aus den zweifellos vorhandenen metaphysischen Relikten in den Werken unserer Autoren nur deren wissenschaftsgeschichtliche Rückständigkeit ableiten zu können glaubt, der übersieht die Tatsache, dass der in diesen Relikten zum Ausdruck kommende, durch Hegels Identitätsphilosophie sanktionierte Glaube an die Kongruenz von Idee und Wirklichkeit die literatur- und philosophiegeschichtliche Forschungsarbeit von Prutz, Hettner und Haym keineswegs behindert, sondern im Gegenteil stimuliert hat. Unsere Autoren waren wie alle anderen Exponenten des damaligen Historismus nicht trotz, sondern gerade wegen ihres Geschichtssubstanzialismus in der Lage, eine wichtige Rolle im Prozess der Verwissenschaftlichung der Geschichtsschreibung zu spielen. Das gilt übrigens uneingeschränkt auch für die Vertreter der philologischen Germanistik. 9 Seinen prägnantesten Ausdruck hat der sie und die Literaturhistoriker einende Geschichtssubstanzialismus in der für beide Gruppen verbindlichen Aufgabe gefunden, den sich im Medium der Literatur artikulierenden Volksgeist heraus7 8
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Schnädelbach 1991, S. 69. Hegel bezeichnet seine Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte ausdrücklich als »Theodicee, eine Rechtfertigung Gottes, welche Leibnitz [sie! ] metaphysisch auf seine Weise in noch unbestimmten, abstracten Kategorien versucht hat, so daß das Uebel in der Welt begriffen, der denkende Geist mit dem Bösen versöhnt werden sollte. In der That liegt nirgend [sie!] eine größere Aufforderung zu solcher versöhnenden Erkenntniß als in der Weltgeschichte« (SWJ XI, S. 42; vgl. Anm. 33 auf Seite 157). Den Zusammenhang zwischen Theodizee und Geschichtsphilosophie thematisiert Marquard 1982. Auch Hardtwig 1991 hat den »geschichtsreligiösen Charakter des deutschen Historismus« (S. 2) herausgearbeitet und mit dessen vom Deutschen Idealismus übernommener Ideengläubigkeit begründet. Bis einschließlich Friedrich Meinecke hätten die deutschen Historiker in den Ideen »metaphysische Größe[n]« erblickt, denen nicht nur eine erkenntnisleitende Funktion, sondern immer zugleich eine »ontologische Qualität« zuerkannt worden sei (S. 3 u. 5). Deshalb habe der Historismus »den Objektivitätsanspruch der Geschichtswissenschaft in letzter Instanz metaphysisch, nicht logisch absicherfn] und damit den [für ihn charakteristischen, Erg. d. Verf.] objektivistischen Fehlschluss abstützfen]« können. »Ihre eigentliche Dignität, ihren Wahrheits- und damit auch ihren über die Geschichtswissenschaft hinausreichenden Geltungsanspruch erhielten die Urteile [...] der Historiker aus der religiös gerechtfertigten Gleichsetzung von Wahrheitsannahme und Wirklichkeit, von Aussage und Substanz« (S. 7). Fohrmann 1989 (S. 37f.) hat deshalb davor gewarnt, die Referenzbekundungen der Philologen gegenüber litterärhistorischen Formen der Gelehrsamkeit zu überschätzen und sich
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zuarbeiten. Philologen und Literaturhistoriker beschäftigten sich im 19. Jahrhundert mit demselben Gegenstandsbereich; ihrem Selbstverständnis zufolge unterschieden sie sich primär durch ihre voneinander abweichenden Zugriffsweisen auf ihre Untersuchungsobjekte. Die philologische Wissenschaftspraxis war zwar insofern gegenstandsadäquater als die auf übergreifende Syntheseoperationen ausgerichtete Literaturhistoriographie, als sie sich kleineren, eng umgrenzten Untersuchungseinheiten mit größerer Intensität widmete. Da sie jedoch ebenfalls auf dem weltanschaulichen Boden der Volksgeistlehre stand, war sie keineswegs von geschichtsphilosophischen oder normativen, der Vergangenheit übergestülpten Versatzstücken frei. So hat Beate Kellner beispielsweise den konstruierenden, auf apriorischen Vorentscheidungen basierenden Charakter von Jakob Grimms Deutscher Mythologie (1835) nachgewiesen und Grimms Selbstdarstellung als uneigennützigen, streng induktiv vorgehenden Sachwalter germanisch-deutscher Identitätsfmdung als bestenfalls unreflektierte Selbsttäuschung enttarnt. 10 Lachmanns Suche nach der archetypischen Handschrift verdankt sich eher logisch-deduktiven Prämissen als historischen Recherchen und führte wegen ihrer Sprachpurgierungen und der Anwendung von Editionsprinzipien, die auf anachronistischen, vom 19. Jahrhundert in die Vergangenheit zurückprojizierten Vorentscheidungen beruhten, zur Konstruktion künstlicher, in Wirklichkeit nie existenter Textgebilde. 11 Auch die Philologen haben also keineswegs eine metaphysikfreie, lediglich quellengestützte Wissenschaft betrieben, sondern ihre Objekte auf der Grundlage vorgängiger Wertentscheidungen rubriziert. Bei der Einschätzung der wissenschaftlichen Qualität der Literaturgeschichtsschreibung von Prutz, Hettner und Haym oder anderen Literaturhistorikern muss deshalb berücksichtigt werden, dass man ahistorische Relikte geschichtsphilosophischer Provenienz sogar in ihren angeblich empirisch und quellennah erarbeiteten Untersuchungen findet. Wer stattdessen ihre Untersuchungen gegen die vermeintlich allein mit solchen Relikten behafteten Werke unserer Autoren ausspielen zu können glaubt, der reproduziert letztlich nur die von den Philologen im 19. Jahrhundert verfolgten und gegen die konkurrierenden Literaturhistoriker erfolgreich eingesetzten Selbstdarstellungs- und Ausgrenzungsstrategien, ohne der tatsächlichen wissenschaftsgeschichtlichen Situation der Germanistik zu dieser Zeit gerecht zu werden.
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dadurch zu falschen Rückschlüssen verleiten zu lassen. Wichtiger als die gemeinsame Liebe zum Detail ist der prinzipielle Unterschied, dass die Philologen abweichend von den taxonomisch klassifizierenden Litterärhistorikem den in der Geschichte selbst angesiedelten Sinn zu dechiffrieren versuchten. Kellner 1994 arbeitet die »Interferenzen [...] zwischen dem [...] spekulativen Überbau der Deutschen Mythologie und der Quellenarbeit J. Grimms« heraus und stellt resümierend fest, dass »im Begriff des Sammeins, der auf einer ersten Ebene die Vorstellung des >treuen< Sammeins im Sinne eines möglichst objektiven Positivismus evozieren soll, [...] eine ganze Weltanschauung komprimiert [ist]« (S. 359). Vgl. Weigel 1989, S. 167ff.
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Das im zweiten Kapitel unserer Untersuchung vorgelegte Ergebnis, dass Heines hegelianische Sozialisation günstige Voraussetzungen für dessen Teilnahme an den seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts durchgeführten Reformen zur Durchsetzung einer modernen, litterärhistorische und spätaufklärerisch-pragmatische Formen der Gelehrsamkeit hinter sich lassenden Literaturgeschichtsschreibung schuf, trifft auch auf Prutz, Hettner und Haym zu. Auf der weltanschaulichen Basis einer das Wirkliche als das Vernünftige identifizierenden Philosophie konnte man problemlos die Berechtigung ableiten, sich auf die Erforschung der Literatur- und Philosophiegeschichtsschreibung zu konzentrieren, weil die Beschäftigung mit der Geschichte oder relevanter Teilbereiche von ihr zu einer lohnenden Aufgabe avanciert war. Die Hinwendung unserer Autoren zur konkreten Historiographie wurde außerdem durch den Umstand begünstigt, dass sowohl die von ihnen internalisierte hegelianische Geschichtsdeutung als auch das neue Konzept der nationalen Literaturgeschichtsschreibung auf ein substanzialistisches Geschichtsverständnis rekurrierten und mit Volksgeistkategorien arbeiteten. Die Schulung in dem von Hegel begründeten und von seinen Schülern übernommenen identitätsphilosophischen Denken hat also maßgeblich zur Bereitschaft von Prutz, Hettner und Haym beigetragen, ein eigenes Forschungsprojekt mit einem eigenständigen Gegenstandsbereich zu definieren, und damit die für die Wissenschaftsentwicklung des 19. Jahrhunderts konstitutive Tendenz zur Spezialisierung vorangetrieben. Der Trend zur Konzentration auf einen engen Gegenstandsbereich lässt sich anhand eines Vergleichs der verschiedenen Erkenntnisinteressen von Hegel, Vischer und Prutz, Hettner sowie Haym gut veranschaulichen. Hegel thematisierte die Kunst im Allgemeinen, weil sie seines Erachtens die niedrigste Stufe der drei Erscheinungsweisen des absoluten Geistes verkörperte. Da sich Hegels Suche nach dem absoluten Wissen im Rahmen eines philosophischen Systems vollzog, räumte er der Beschäftigung mit der dort lokalisierten Kunst keinen Selbstzweck ein. Damit folgte er der traditionellen Einschätzung der Ästhetik, die seit Baumgarten und Kant zwar eine anerkannte philosophische Disziplin war, aber in den Kontext eines ihr übergeordneten, vertikale Bedeutungshierarchien aufweisenden rationalistischen, transzendentalphilosophischen oder idealistischen Lehrgebäudes integriert wurde. Vischer hingegen setzte die von Hegel demonstrierte identitätsphilosophische Kongruenz von Idee und Wirklichkeit einfach voraus und widmete sein voluminöses philosophisches Hauptwerk ausschließlich der Ästhetik und der mit ihr nach seiner Auffassung untrennbar verbundenen universalen Geschichte der Künste. Diese deutliche Aufwertung der Auseinandersetzung mit der Kunst und ihrer Entwicklung wurde motiviert durch Vischers sich in der Definition eines modernen Ideals niederschlagenden, von Hegels Einschätzung abweichenden Überzeugung, dass die eigentliche Blütezeit der Kunst noch ausstehe. Während Vischer unter Zugrundelegung des identitätsphilosophischen Axioms noch die zur Abfassung einer Ästhetik fuhrende Schlussfolgerung gezogen hatte, sein Hauptaugenmerk auf die von keiner Kontingenz getrübte Idee zu richten, wählten Hettner, Prutz und Haym mit ihrer Hin-
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wendung zur Erforschung der literatur- und philosophiegeschichtlichen Wirklichkeit die andere Option. Natürlich stellt diese Option eine größere Emanzipation von Hegel dar als Vischers Entscheidung. Prutz, Hettner und Haym wandten sich bereits konkret jenen Autoren oder literarischen Strömungen zu, die dem von Vischer definierten modernen Ideal zu subsumieren waren. Damit bestätigten sie zwar die Vischers hegelkritischen Reformversuchen der Ästhetik zugrundeliegende Ansicht, dass die moderne Kunst weder eine Schwundstufe des romantischen Ideals sei noch hinsichtlich ihres Aussagewerts einer systembedingten Relativierung durch übergeordnete philosophische Fragestellungen unterworfen werden dürfe. Zugleich gingen sie jedoch in wissenschaftsgeschichtlicher Hinsicht mit ihrer historiographischen Praxis einen entscheidenden Schritt über diese Position hinaus, weil sie sich im Vergleich zu Vischers globalem, die Künste aller Zeiten und Länder einbeziehenden Entwurf von vornherein sowohl chronologisch als auch thematisch auf einzelne, genau begrenzte Untersuchungsgegenstände aus dem Spektrum der neueren deutschen Literatur bzw. Ideengeschichte beschränkten. Zu einer professionellen Wissenschaft gehört aber nicht nur ein spezieller Gegenstandsbereich, sondern auch eine auf ihn abgestimmte Untersuchungsmethode. In dieser Hinsicht unterscheiden sich Prutz, Hettner und Haym ebenfalls sowohl von Vischer als auch von den philologisch orientierten Germanisten. Aus ihrer Perspektive war Vischers Kunstbetrachtung zu abstrakt, weil sie trotz ihrer Anerkennung der Geschichtlichkeit der Kunst ihre Objekte deduktiv als Manifestationen der Ideen begriff, während sich die Philologen allzu bereitwillig von quellenkritischen Fragestellungen oder Detailproblemen absorbieren ließen. Wegen ihres distanzierten, Zusammenhänge suchenden und Relevanzkriterien definierenden Blickwinkels konnten sie z.B. im Gegensatz zu Lachmann und seinen Schülern die Frage nach der Historizität der Literatur in den Mittelpunkt ihrer Forschungsarbeit stellen. Lachmanns Methode isolierte die zu bearbeitenden Texte aus ihrem (kulturgeschichtlichen Umfeld und war primär aus quellenkritischen Gründen an einer im Übrigen meist durch Textvergleiche bewerkstelligten Bestimmung der Chronologie verschiedener Varianten interessiert. 12 Von einer solchen textzentrierten, aber auch von jeder mikrologischen, Mosaiksteinchen der Tradition aneinander fügenden philologischen Wissenschaftspraxis, wie sie von Heinrich Düntzer 13 oder den Mitgliedern der Scherer-Schule vertreten wurde, lässt sich die Untersuchungsmethode unserer Autoren definitiv abgrenzen. Prutz, Hettner und Haym wahrten wegen ihres Interesses an der Herausarbeitung ideengeschichtlicher Zusammenhänge eine größere Distanz gegenüber ihren Unter12
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Es mag sein, dass Lachmann in seiner Vorrede zur Edition des Iwein (1827) als »ziel der philologischen auffassung« die Aufgabe definiert hat, »die ganze dichterische und menschliche gestalt des dichters mit seiner gesamten umgebung sich in allen zügen genau vorzustellen« (zitiert nach Kruckis 1995, S. 99). In seiner formalphilologisch ausgerichteten Forschungspraxis hat er diese Aufgabe jedenfalls nicht konsequent verfolgt. Vgl. Kruckis 1991.
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suchungsgegenständen als die von der hinreichenden Beweiskraft jedes Überlieferungsbruchstücks überzeugten Philologen. Dahinter stand die in Hegels Philosophie grundgelegte Auffassung, dass sich die wahre Bedeutung einer Sache nur erschließen lasse, wenn sie (mittels der dialektischen Methode) in einem ihr übergeordneten Kontext aufgehoben werde. Angesichts des Glaubens an die Wirkungsmacht der Ideen hielten Prutz, Hettner und Haym jegliche zum Selbstzweck werdende, allgemeinere (literatur)historische Themenstellungen aus dem Blick verlierende Erforschung von Detailproblemen für zweitrangig. Die Frage nach der konstitutiven Bedeutung der behandelten Autoren und Werke für die innere Geschichte des sich in der Zeit entfaltenden Volksgeistes entschied über die Relevanz der Untersuchungsgegenstände. Außerdem wollten unsere Autoren die sich als relevant erweisenden Werke und deren Verfasser nicht nur im historischen Kontext ihrer Zeit und bezüglich ihres Wirkungspotenzials situieren, sondern auch den im Hinblick auf die zukünftige Gestaltung des deutschen Nationbildungsprozesses wesentlichen Gehalt der kulturellen Tradition historiographisch vergegenwärtigen. Mit ihrer grundsätzlichen Anerkennung der Geschichtlichkeit von Kunst und Literatur und ihrer Absicht, diese Geschichtlichkeit in den Mittelpunkt ihrer Forschungsarbeit zu stellen, partizipieren Prutz, Hettner und Haym an der im 19. Jahrhundert richtungweisenden Historisierung der Geschichts- und Kulturwissenschaften. Wenn man den Historismus als wissenschaftliche Antwort auf die Erfahrungen des so genannten Revolutionszeitalters seit 1789 - für unsere Autoren und Heine fand die deutsche Variante der Revolution wie für Hegel in der Literatur und Philosophie des Deutschen Idealismus statt - und als Versuch begreift, die Vergangenheit sowohl im Interesse einer Stärkung des fragwürdig gewordenen Traditionsbewusstseins als auch im Dienst der Bereitstellung eines politischen Orientierungswissens geschichtlich aufzuarbeiten, dann entsprechen Prutz, Hettner und Haym als Literaturhistoriker im Vergleich mit allen anderen Fachvertretern der damaligen Germanistik diesem Paradigma am ehesten. Die programmatischen Reflexionen über Aufgaben und Ziele einer anspruchsvollen Literaturgeschichtsschreibung in den Werken unserer Autoren, insbesondere deren Abgrenzungsbemühungen gegenüber den als fachinterne Konkurrenten empfundenen zeitgenössischen Philologen, belegen, dass sich Prutz, Hettner und Haym der Eigenständigkeit ihrer literaturhistorischen Methode bewusst waren. Obwohl sie vor 1848/49 von der Notwendigkeit einer philosophischen Wissenschaft sprachen, artikulierten sie damit keineswegs eine von vornherein obsolete Programmatik. Da sie mit Hegels Engagement im Dienst der Begründung einer wissenschaftlichen Philosophie vertraut waren und zugleich als legitime Erben Hegels aufzutreten beanspruchten, verstanden sie unter einer philosophischen Behandlung ihrer Untersuchungsgegenstände deren methodisch fundierte Erschließung, die von konkreten Objekten auszugehen und die ihnen übergeordneten Ideen zu begreifen habe. Die ersten beiden Aspekte dieses Wissenschaftsverständnisses sind modern, während der dritte insofern als zeitgemäß zu bezeichnen ist, als er die Anschlussfahigkeit der Ar-
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beiten unserer Autoren an die zeitgenössischen Reformbestrebungen in der Literaturgeschichtsschreibung garantierte. Selbst wenn man den Überbietungsanspruch der Literaturhistoriker gegenüber den Philologen nicht zu teilen vermag, muss man zugestehen, dass die Suche nach den in der Geschichte vorhandenen Zusammenhängen als eine legitime wissenschaftliche Arbeit anzuerkennen ist: Das einzelne Werk wird als erklärungsbedürftiges Objekt definiert, das man nur angemessen begreifen kann, wenn man es im politischen und kulturellen Kontext seiner Zeit situiert. Eine solche Zielsetzung sanktioniert die hierzu erforderliche Tätigkeit als arbeitsintensive Forschungsleistung, die dem laienhaften, sich auf die Lektüre einzelner Dichtungen beschränkenden, primär Erbauung und Genuss suchenden Rezipienten verschlossen bleibt. Sie führt zur Akkumulation und zur stets möglichen Infragestellung (kultur)historischen Wissens, weil man sich mit den Problemen auseinanderzusetzen hat, welchen Zusammenhängen die größte Erklärungskraft für die angemessene Würdigung der ausgewählten Untersuchungsobjekte zukomme und welche Werke den Geist ihrer Zeit am besten verkörperten. Die unterschiedlichen Möglichkeiten, diese Fragen zu beantworten und die gegebenen Antworten programmatisch zu reflektieren, eröffnet den prinzipiell unabschließbaren, bis heute andauernden Prozess der historischen Forschung und der ihr gewidmeten Theoriebildung. 14 Das wissenschaftliche Programm unserer Autoren erweist sich also nicht zuletzt wegen seiner gegenwärtig noch anerkannten Gültigkeit als legitim. Weniger wichtig ist dabei, ob man seine Umsetzung durch hegelianisch sozialisierte Wissenschaftler im 19. Jahrhundert mit heutigen Maßstäben vorbehaltlos zu billigen vermag. Eine solche Bewertung verfehlt die damalige wissenschaftsgeschichtliche Situation und ist zweitrangig im Vergleich zu der Feststellung, dass die Erforschung der Historizität von Literatur, Kunst und Philosophie noch immer zum Kernbestand des Erkenntnisinteresses der Geisteswissenschaften gehört. Die Musterung der von Rosenkranz bis Haym vorgelegten Untersuchungen zur Romantik hat gezeigt, wie konstruktiv und lernfähig hegelianisch geschulte Literaturhistoriker mit ihrem selbst gewählten Forschungsauftrag umgegangen sind. Die
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Wir geben hierfür nur ein Beispiel: Der New Historicism - und eben dies macht ihn für unsere Fragestellung interessant-»widerspricht [...] dem Prinzip der linear erzählenden, chronologisch fortschreitenden Literaturgeschichte der traditionellen Art«. Er verwirft die herkömmliche Trennung von Text und Realgeschichte, die ja gleichfalls nur in der Form von Schriftdokumenten vorhanden sei, die prinzipielle Unterscheidung von literarischen und nichtliterarischen Texten und alle »großen übergreifenden Geschichtskonstruktionen«. Trotz dieser ablehnenden Haltung gegenüber wichtigen Aspekten der traditionellen Literaturgeschichtsschreibung stimmt er mit ihr hinsichtlich der Forderung nach Synthesebildungen überein. »Der New Historicism wendet sich nicht grundsätzlich gegen kanonisierte Texte, re-kontextualisiert sie aber durch Vernetzung mit anderen gleichzeitig entstandenen Dokumenten«. Zur Diskussion stehen also die Verknüpfungsregeln und der Status der damit zu erfassenden Texte, aber nicht das Synthesekonzept an sich (vgl. Kaes 1990; Zitate: S. 62, 62 u. 63).
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von Hegels Philosophie überkommene Tendenz zur abstrakten Konstruktion, die von der Überzeugung der Gesetzmäßigkeit der ideengeleiteten Entwicklung motiviert wurde, ist zwar auch in Hayms Werk nicht völlig getilgt, aber wesentlich blasser als in den Untersuchungen von Rosenkranz oder Prutz. 15 Dieser Tatsache korrespondieren die Sachverhalte, dass der Name der Romantik ganz im Sinne seiner schon von Heine praktizierten Verwendung sich immer stärker von den Konnotationen der Ästhetik Hegels löst und zur Bezeichnung für eine kurze, genau umrissene literarische Strömung in Deutschland mutiert und dass Hettner und Haym die hegelianischen Kategorien ihrer Romantik-Deutung nicht einfach a priori vorausgesetzt, sondern (literatur)geschichtlich abgeleitet haben. Deshalb waren Kenntnisse des Hegelianismus bzw. von Hegels Romantik-Kritik nicht mehr erforderlich, um Hettners und Hayms Untersuchungen verstehen und einer kompetenten Beurteilung unterziehen zu können. Beide Sachverhalte belegen die wachsende Befähigung hegelianischer Autoren zur historischen Situierung ihrer Untersuchungsobjekte. Die aus dem Repertoire des Hegelianismus stammende forschungsleitende These, Kunst und Literatur seien nichts anderes als das Produkt der jeweiligen Zeit- und Bildungsumstände, erzwang im Zeitalter des Historismus eine zunehmende Zurückdrängung spekulativer Elemente zugunsten einer quellengestützten und hermeneutisch reflektierten Geschichtsbetrachtung. Die Tendenz zur Konzentration auf spezielle, den behandelten Objekten zunehmend größeren Eigenwert zuerkennende und insofern einen steigenden Professionalisierungsgrad aufweisende Arbeiten wurde außerdem begünstigt durch Prutz', Hettners und Hayms Anerkennung der modernen Wissenschaft als eines sowohl arbeitsteiligen als auch die Vorlage neuer, das vorhandene Wissen bereichernder Ergebnisse einfordernden Verfahrens. Hier waren unsere Autoren in der Forschungspraxis allerdings weiter als in der ihr gewidmeten literaturgeschichtlichen Programmatik, in der sie solche Aspekte nicht eigens reflektierten. Jedenfalls begriffen sie die Romantik-Forschung intuitiv als Kommunikationszusammenhang mit eigenen Gesetzmäßigkeiten und akzeptierten die Notwendigkeit der Anschlussforschung, indem sie sich in ihren Beiträgen mit der im Lauf der Zeit steigenden Zahl einschlägiger Untersuchungen und Quelleneditionen auseinandersetzten. Sie besaßen die Einsicht in die Notwendigkeit einer Spezialisierung auf eine einzelne literarische Strömung und die Kompetenz, sich konstruktiv in den Kontext einer arbeitsteiligen Forschergemeinschaft zu integrieren und, darauf aufbauend, zweifellos die wichtigsten Beiträge zur literaturgeschichtlichen Verortung der Romantik im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts beizusteuern. Angesichts der zentralen Stellung der hegelianischen Romantik-Forschung ist es nur folgerichtig, dass Hayms Werk in sei-
' 5 Die Aussage von Rautenberg 1986 (S. 354), Rosenkranz' Geschichte der Deutschen Poesie im Mittelalter leide an einem durch die Adaption von Kategorien der Hegeischen Philosophie verursachten »Systemzwang«, der »dem historischen Befund Gewalt antut«, trifft auch für den Tieck-Aufsatz von Rosenkranz zu. Im Hinblick auf Hayms Romantische Schule würde man sie hingegen in dieser Eindeutigkeit nicht mehr akzeptieren können.
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ner Eigenschaft als abschließender Kulminationspunkt dieses Strangs zugleich zum Anknüpfungspunkt der modernen literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der romantischen Literatur und Philosophie avancierte. Im Vergleich zu ihren wissenschaftlichen Leistungen als Literatur- und Philosophiehistoriker waren die beruflichen Erfolge von Prutz, Hettner und Haym im Rahmen der sich seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts allmählich institutionalisierenden Germanistik bescheiden. Hettner ist es nie, Prutz nur vorübergehend und Haym erst spät gelungen, sich als Hochschullehrer an der Universität zu etablieren. Aus den Darlegungen im dritten Kapitel unserer Untersuchung ist deutlich geworden, dass dies keineswegs einem persönlichen Verschulden unserer Autoren anzulasten ist, sondern primär mit der allgemeinen Entwicklung der deutschen Literaturwissenschaft seit den 50er Jahren des 19. Jahrhunderts zusammenhängt. Alle drei haben unter zum Teil großen Entbehrungen und trotz herber Rückschläge beharrlich auf eine Hochschullaufbahn hingearbeitet, weil sie sich der großen Vorteile einer institutionellen Einbindung in akademische Strukturen bewusst waren. Prutz unternahm im Vormärz zwei vergebliche Anläufe, sich zu habilitieren, und scheiterte in den 50er Jahren als außerordentlicher Professor in Halle in erster Linie an seiner angegriffenen Gesundheit und dem bornierten, vorwiegend politisch motivierten Widerstand reaktionärer Kollegen gegen seine Lehrtätigkeit. Hettner verfolgte seine akademischen Pläne über den Umweg der Dresdner Stelle als Direktor der Antikensammlung und des Museums der Gipsabgüsse, die mit dem Professorentitel ein angemessenes Sozialprestige gewährte und ihm genügend Zeit zur Abfassung einer voluminösen Literaturgeschichte ließ. Haym war erst beim zweiten Habilitationsversuch erfolgreich und baute seitdem seine Hochschulkarriere bis zum 1868 erreichten Ordinariat zielstrebig aus. Unsere Autoren hatten also begriffen, dass ihre zeitintensive Forschungsarbeit auf Dauer nur mittels einer staatlichen Alimentierung gesichert und ihr Gewicht innerhalb der disziplinären Gemeinschaft der Germanisten durch eine Professur erheblich gestärkt werden könne. Wenn man bedenkt, dass das institutionengeschichtliche Scheitern der Fachrichtung Literaturgeschichte trotz gewisser Anfangserfolge in den 30er und 40er Jahren seit der Mitte des 19. Jahrhunderts feststand, dann sieht die Erfolgsbilanz des von uns behandelten Personenkreises mit Prutz' nachmärzlichem Extraordinariat und Hayms Universitätskarriere seit den 60er Jahren noch relativ günstig aus. Von unseren drei Autoren war Prutz derjenige, der die Notwendigkeit einer institutionellen Verankerung der Wissenschaft offenbar am hellsichtigsten erkannt hat. Dieser Einsicht verdankt sich das mehrjährige Erscheinen des Literarhistorischen Taschenbuchs und sein Versuch der Gründung einer seminarähnlichen Einrichtung an der Universität Halle. Prutz, der den Nutzen der Seminarübungen als BernhardySchüler aus eigener Anschauung kennen gelernt und als Literaturkritiker der Hallischen bzw. Deutschen Jahrbücher die intellektuelle Gravitationskraft einer Zeitschrift erfahren hatte, war sich im Klaren darüber, dass sowohl die gezielte Nachwuchsförderung als auch die Schaffung intakter Kommunikationsforen für die
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Stabilisierung einer wissenschaftlichen Disziplin unverzichtbar sind. Prutz' Zeitschriftenprojekt belegt, dass die hegelianische Sozialisation, die eine überindividuelle, identitätsstiftende Basis von Werten und wissenschaftlichen Zielsetzungen schuf und gemeinschaftsfordernd wirkte, auch in organisatorischer Hinsicht positive wissenschaftsgeschichtliche Folgen zeitigte. Ohne eine solche Sozialisation, welche die Reputation von Prutz als Kritiker begründete, ihn Erfahrungen als Beiträger eines Periodikums sammeln und Kontakte zu Gleichgesinnten knüpfen ließ, hätte sein anspruchsvolles Literarhistorisches Taschenbuch nicht über einen Zeitraum von immerhin sechs Jahren erscheinen können. Außerdem muss man beachten, dass die Schulung in hegelianischen Kategorien auch positive institutionengeschichtliche Auswirkungen hatte, die nicht als vollwertige Bestandteile der modernen Wissenschaftsentwicklung verbucht, ihr im Rahmen einer differenzierten Analyse jedoch zweifellos zugeordnet werden können. Als Beispiele hierfür seien die von Prutz an der Universität Halle durchgeführten seminarähnlichen Übungen und die Jahrbücher fiir wissenschaftliche Kritik, die Hallischen bzw. Deutschen Jahrbücher und das Deutsche Museum genannt. Diese Periodika waren wirkungsvolle, auch der Literaturkritik und der (deutschen) Literaturgeschichte zugute kommende Diskussionsforen. Obwohl sie nicht den Zuschnitt einer professionellen Fachzeitschrift aufweisen und hinsichtlich ihrer wissenschaftsgeschichtlichen Bedeutung mit Haupts Zeitschrift für deutsches Altertum keineswegs konkurrieren können, müssen sie bei einer Bilanz der Organisationsformen der Germanistik im 19. Jahrhundert auf eine ihnen angemessene Weise berücksichtigt werden. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die hegelianische Literaturwissenschaft neben Hayms Romantischer Schule einige weitere Werke hervorgebracht hat, die wegen ihrer unbestreitbaren fachgeschichtlichen Relevanz durchaus zu jenen Standardwerken hätten stilisiert werden können, auf die wissenschaftliche Disziplinen als Bezugsgrößen der internen Diskussion zur Absicherung ihrer kognitiven Eigenständigkeit angewiesen sind. Zu denken ist dabei an Prutz' und Danzels Monographien über den Göttinger Dichterbund, den deutschen Journalismus und Lessing. Auch Hettners voluminöse Literaturgeschichte erfüllte alle Voraussetzungen hierfür, wurde jedoch im Gegensatz zu Wilhelm Scherers Geschichte der deutschen Litteratur (1883) nicht kanonisiert, sondern nur »stillschweigend geplündert« und erst von den Vertretern der Geistesgeschichte wiederentdeckt, 16 weil es während ihrer Entstehungszeit an anerkannten disziplinaren Repräsentanten der von Hettner verkörperten Ideengeschichtsschreibung mangelte, die eine solche Kanonisierung hätten in die Wege leiten und argumentativ abstützen können.
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Vgl. Seuffert 1884, S. 20 (Zitat ebd.) und Ansei 1996a, S. 455ff.
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Gründe fiir das Scheitern der Literaturgeschichtsschreibung akademische Disziplin
als
Man kann es aber nicht bei der Aussage belassen, dass die Schulung in hegelianischen Kategorien einige Institutionalisierungsimpulse für die Geschichte der Germanistik im 19. Jahrhundert beigesteuert hat. Eine hierzu gegenläufige Tendenz war damals viel folgenreicher: Prutz, Hettner und Haym sahen sich in ihrer Eigenschaft als Hegelianer bis weit in die 50er Jahre hinein eindeutig politisch-ideologisch motivierten Repressionen ausgesetzt, die ihrem Werdegang äußerst hinderlich waren. Nicht zuletzt deshalb ist es der (hier durch unsere Autoren vertretenen) Fachrichtung der Neueren deutschen Literaturgeschichte nicht gelungen, sich trotz gewisser Erfolge in den 30er und 40er Jahren parallel zur Konsolidierungsphase der deutschen Philologie (1840-1870) als wissenschaftliche Disziplin zu etablieren. 17 Die häufig von oppositionell eingestellten Autoren verfasste, liberale und nationale Zielsetzungen artikulierende Literaturgeschichtsschreibung wurde von den herrschenden Repräsentanten der Restauration im Vormärz und in der Reaktionsphase der 50er Jahre ohnehin nicht als seriöse Wissenschaft, sondern als wirkungsvolle und deshalb mit allen Mitteln zu bekämpfende politische Propaganda eingeschätzt. Die heftigen Abwehrmechanismen der Vertreter der konservativen Hochschulbürokratie gegenüber Prutz, Hettner und Haym erklären sich aus der Tatsache, dass unsere Autoren in doppelter Hinsicht an der Universität unerwünscht waren. Sowohl als Hegelianer als auch als Literaturhistoriker galten sie als Mitglieder einer radikalen, die bestehende Ordnung gefährdenden Partei. Mit ihrem Anspruch, als nationale und identitätsbildende, auf öffentliche Wirksamkeit bedachte Wissenschaft aufzutreten, die eine auch Laien zugängliche Darstellungsweise zu pflegen habe, weist die Literaturgeschichtsschreibung wichtige Parallelen zur zeitgenössischen Geschichtswissenschaft auf. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass mit Gervinus ein Historiker eine einflussreiche, schon bald nach ihrem Erscheinen zum Bezugspunkt der fachlichen Diskussion avancierende Literaturgeschichte vorgelegt hat. Diese Parallelen und die durch sie bedingte Konkurrenzsituation zu einem anderen, schon über eine längere akademische Tradition verfügenden Fach waren der Entwicklung der Literaturgeschichtsschreibung ebenfalls nachteilig, weil es der Geschichtswissenschaft schon früher gelungen war, sich als seriöse wissenschaftliche Disziplin zu konstituieren und sich den Ruf einer sowohl quellenkritisch fundierten als auch in politischer Hinsicht bedeutenden Orientierungswissenschaft zu erwerben. In den 40er Jahren, als die Literaturgeschichte ihre ersten bescheidenen Erfolge auf dem Weg zur Institutionalisierung an der Universität erzielte, war die Geschichtswissenschaft bereits »eine, wenn nicht die geistig führende Macht, eine große, schnell etablierte Wissenschaft, attraktiv und mit einer großen Anzahl von bedeutenden Gelehrten, Forschern und Geschichtsschreibern, zugleich von allgemeiner, kulturell-intellektueller wie verfassungs-, national17
Vgl. zum Folgenden Dainat 1996, S. 465ff.
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und konfessionspolitischer B e d e u t u n g « . 1 8 A u s diesen Gründen dürfte der v o n der Öffentlichkeit auf die Kultusbürokratie ausgeübte Druck, die akademische Karriere der Literaturgeschichtsschreibung zu forcieren, eher gering g e w e s e n sein. W e s h a l b hätte man sich v e h e m e n t für die Begünstigung eines Fachs engagieren sollen, das v o n der G e s c h i c h t s w i s s e n s c h a f t bereits erbrachte Leistungen für die Gesellschaft anbot?19 D e s Weiteren gibt es innerwissenschaftliche Gründe, die der Etablierung der Literaturgeschichtsschreibung als Universitätsdisziplin im W e g standen und e n g mit der Erfolgsgeschichte der Philologie verknüpft sind. B e i d e Fachrichtungen beanspruchten die Bearbeitung desselben Gegenstandsbereichs: die Erforschung des deutschen Volksgeistes, der sich in den (schriftlichen) Denkmälern bzw. dichterischen Werken seinen adäquatesten Ausdruck g e s c h a f f e n habe. Verschärft wurde dieser Zuständigkeitskonflikt durch die Tatsache, dass die Philologen nicht nur die Thematisierung der deutschen Sprache und ihrer Geschichte, sondern explizit auch die Behandlung literaturhistorischer Fragen als eigenes Aufgabengebiet für sich re-
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Nipperdey 1985, S. 516. Ein schwieriges, noch nicht definitiv gelöstes Problem stellt die Frage nach der Anbindung der Philologie und Literaturgeschichtsschreibung an den Schul- bzw. Erziehungsbereich dar. Dainat 1996 (S. 465) weist zwar zu Recht daraufhin, dass »die Philologen [...] den Abnehmer ihrer Leistungen (außerhalb des Wissenschaftssystems) vor allem im Erziehungssystem finden«. Dieser allerdings etwas pauschale Hinweis kann durch die Ausführungen von Meves 1991 (vgl. auch Meves 1994, S. 150-165 u. 177-186) differenziert werden. In seinem sich auf die Verhältnisse in Preußen konzentrierenden Beitrag fuhrt Meves aus, dass die institutionelle Verankerung für den von Dainat betonten Sachverhalt erst seit den 60er Jahren gegeben war: »1866 sind zum ersten Male alle Prüfungskommissionen mit einem Hochschulgermanisten als Prüfer für das Fach der deutschen Sprache und Literatur besetzt« (S. 173). Für den im Rahmen unserer Fragestellung besonders interessierenden Zeitraum davor sind zwei Sachverhalte wichtig. Erstens verlangt das 1831 erlassene Reglementßir die Prüfungen der Candidaten des höheren Schulamts, dass die Deutschprüfung sich »auf die allgemeine Grammatik, auf den eigenthümlichen Charakter und die Gesetze der deutschen Sprache, so wie auf ihre historische Entwickelung und die Geschichte ihrer Litteratur« zu erstrecken habe (zitiert nach ebd., S. 165). Es bezieht also wie seine Nachfolgeregelung von 1866, die unter anderem eine Vertrautheit »mit dem Entwicklungsgange der deutschen Literatur, besonders mit der poetischen Literatur der classischen Periode des Mittelalters und der neueren Zeit« fordert (zitiert nach ebd., S. 174), die Neuere deutsche Literaturgeschichte ausdrücklich in den Bereich der prüfungsrelevanten Fragestellungen ein. Zweitens waren im zweiten Jahrhundertdrittel, in dem meist fachfremde Universitätslehrer die Examina in Deutsch mitbetreuten, die Prüfungsinhalte stark von den jeweilgen Prüfern abhängig. Dennoch weist Meves vor allem für die Universitäten Münster, Halle und Breslau nach, »dass auch die neuere deutsche Literatur als Prüfungsgegenstand Beachtung fand« (S. 182). Behandelt wurden beispielsweise Satiriker des 16. Jahrhunderts, Martin Opitz und die schlesischen Dichterschulen, die Sprachgesellschaften des 17. und 18. Jahrhunderts, Lessing, Klopstock, der Göttinger Hainbund, Goethe, Schiller, Jean Paul und die Romantik. Aus diesen Befunden lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass Dainats obige Feststellung für die als Konsolidierungsphase der Germanistik anzusehende Zeitspanne nicht uneingeschränkt gültig ist.
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klamiert hatten. 20 Bei ihren Bemühungen, die eigene Erfolgsträchtigkeit und Förderungswürdigkeit zu demonstrieren, befand sich die Philologie gegenüber der Literaturgeschichtsschreibung somit in einer günstigeren Ausgangsposition: Sie konnte im Vergleich zu ihrer Konkurrentin als die universale, geschichtliche Fragestellungen einbeziehende Wissenschaft hinsichtlich der Erforschung der deutschen Sprache und Literatur auftreten. Hierbei muss man außerdem die von Klaus Stichweh betonte Tatsache berücksichtigen, dass die disziplinare Identität am Beginn jeder fachgeschichtlichen Entwicklung insbesondere über den je spezifischen Gegenstandsbezug der Forschungstätigkeit hergestellt wird. 21 Diese Tatsache erwies sich für die Literaturgeschichtsschreibung natürlich als Nachteil. So lange der Gegenstandsbezug im Mittelpunkt der Legitimationsbestrebungen der germanistischen Teilfächer stand, war nicht plausibel begründbar, weshalb eine Fachrichtung alimentiert werden sollte, die sich den bereits von ihrer Konkurrentin erfolgversprechend bearbeiteten Objekten zu widmen beabsichtigte. Außerdem war es der germanistischen Philologie mit ihrem Anschluss an die Altphilologie gelungen, eine vertrauenbildende Kontinuität zu einem schon lange bewährten und akademisch anerkannten Fach herzustellen, die eine hinreichende Garantie für die Produktivität auch der als ihre Erbin auftretenden, wesentlich jüngeren Wissenschaft bot. Diese Kontinuität manifestierte sich beispielsweise in einer anschaulichen, für die Zeitgenossen überzeugenden Weise in Lachmanns erfolgreicher Tätigkeit als Editor antiker (Properz, Tibull, Catull), mediävistischer (Nibelungenlied, Hartmann von Aue, Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach) und neugermanistischer (Lessing) Autoren. Während die germanistische Philologie von der ungebrochenen Reputation der Altphilologie zehrte, hatte die Literaturgeschichte keine auch nur annähernd gleichwertige wissenschaftliche Patin aufzubieten. Hinzu kommt, dass der Geltungsbereich der als Legitimationswissenschaft fungierenden Altphilologie nicht nur auf die (alt)sprachlichen Fächer beschränkt blieb, weil wesentliche Bestandteile ihres Aufgabengebiets, nämlich sämtliche Fragen der Quellenerschließung, -bearbeitung und -kritik, auch für andere Disziplinen schon lange einschlägig waren. Seit dem Humanismus und der Reformation und seit der Begründung des neuzeitlichen Territorialstaats kam der Altphilologie der Status einer Grundlagenwissenschaft zu, welche die fortan auch für die Theologie, die Rechts- und die Geschichtswissenschaft unverzichtbare philologische Kompetenz vermittelte.22 Es kann daher davon ausgegangen werden, dass sich die Förderung der germanistischen Philologie seit den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts auch der (stillschweigenden) Zustimmung einiger Universitätslehrer der theologi-
20 21 22
Vgl. Fohrmann 1989, S. 212ff. Vgl. Stichweh 1984, S. 18, Anm. 35. Vgl. Muhlack 1988, S. 156ff. Muhlack resümiert, dass die vom Humanismus begründete klassische Philologie im 17. und 18. Jahrhundert »unbestritten eine führende, wegweisende, dominierende Position einnimmt, ja im gelehrten Bewusstsein der Zeit für den Begriff der Philologie selbst steht« (S. 160).
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sehen und juristischen Fakultäten erfreute. Wenn man die Fähigkeit von Institutionen bedenkt, auf die Umsetzung ihnen auferlegter Umstrukturierungsmaßnahmen Einfluss zu nehmen, dann wird man dieses Argument als nicht gering veranschlagen dürfen. Schließlich fiel es der Philologie im Vergleich zur Literaturgeschichte relativ leicht, sich in eine Wissenschaftspraxis zu integrieren, die seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmend als eine spezifische Form der Arbeit definiert wurde. Die Vertreter der philologischen Germanistik konnten ihre Erschließung und kritische Behandlung des Quellenmaterials unschwer als zeit- und arbeitsintensive Forschungsleistung präsentieren, die zudem wegen der Vielzahl der zu sichtenden Texte und in Anbetracht der komplizierten Textvergleiche nur mittels einer arbeitsteiligen Vorgehensweise bewältigt werden könne. Die anfängliche Beschränkung der Philologen auf die Edition mittelalterlicher Werke erfolgte nicht zuletzt mit der Absicht, die eigene Forschung als eine absolut unverzichtbare Rekonstruktionstätigkeit legitimieren zu können, die sowohl wegen der prekären Überlieferungslage der Texte als auch wegen deren Abfassung in alt- bzw. mittelhochdeutscher Sprache eines einschlägigen Expertenwissens bedurfte. Im Gegensatz hierzu seien die von der Literaturgeschichtsschreibung zwar nicht ausschließlich, aber bevorzugt thematisierten Werke seit der Reformation gut zugänglich und aus sich selbst verständlich. Erst der Beginn der Arbeit an den von Karl Goedeke und Bernhard Suphan betreuten historisch-kritischen Ausgaben zu Schiller (1867/76) und Herder (1877/1913) markiert einen allmählichen Wandel jener Auffassung. Zu diesem Zeitpunkt waren allerdings die Mitglieder der auch durch unsere Autoren repräsentierten Generation von Literaturhistorikern mit Ausnahme Hayms bereits aus dem Prozess der Institutionalisierung der Germanistik ausgegrenzt und die Weichen definitiv für eine Reformulierung literaturhistorischer Fragestellungen unter der Hegemonie des philologischen Paradigmas gestellt worden. Der Hinweis auf die angeblich keine wissenschaftliche Behandlung benötigende, jedermann verständliche neuere deutsche Literatur war aber nicht der einzige und im Übrigen noch der harmlosere Einwand, der gegen die Literaturgeschichtsschreibung erhoben wurde: Da die Philologen eine vollwertige Literaturgeschichte als fernes Endresultat eines langwierigen Forschungsprozesses betrachteten, diskreditieren sie die zeitgleich mit ihren Untersuchungen vorgelegten Werke dieses Genres als vorschnelle Synthesemodelle. Aus der hier verfolgten, Wissenschaft als Arbeit definierenden Perspektive bedeutet dies, dass die Literaturhistoriker mit dem Vorwurf konfrontiert wurden, das Gebot der Detail- und Anschlussforschung missachtet zu haben. Anstatt sich an der mühsamen, aber notwendigen Erarbeitung einer soliden Quellengrundlage zu beteiligen, versuchten die über den Rang gebildeter Dilettanten meist nicht hinausgelangenden Literaturhistoriker, die wissenschaftlichen Defizite ihrer Werke durch eine glänzende Darstellungstechnik zu kaschieren. Dieser Vorwurf, der im philologischen Topos vom unseriösen, auf Öffentlichkeitswirksamkeit bedachten Feuilletonismus gipfelte, stellte das ganze Projekt der nationalen Litera-
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turgeschichtsschreibung in Frage. Die Absicht, den literarischen und ideengeschichtlichen Werdegang der Nation zu vergegenwärtigen, erzwang die Konstruktion von Totalitätsentwürfen, die aus der Sicht der Philologen nicht nur einen anmaßenden, die eigenen Forschungen abwertenden Wahrheitsanspruch erhoben, sondern auch in ihrer Gesamtheit falsifizierbar waren. Künftige Quellenfunde oder die durch textkritische Recherchen notwendig gewordene Neubewertung bereits bekannter Überlieferungsträger ließen ihrer Ansicht zufolge die Konstruktionen der auf einem noch schmalen Fundament aufbauenden Literaturgeschichtsschreibung relativ schnell obsolet werden. Die primär formalphilologisch ausgerichtete Editionstätigkeit, die der intensiven Bearbeitung eines genau umrissenen Textkorpus gewidmet war, entsprach dem historisch-empirischen, mit einer dezidiert antispekulativen Stoßrichtung versehenen modernen Wissenschaftsideal besser als das Konzept der von vornherein auf die Erkenntnis des gesamten Volksgeistes ausgerichteten Literaturgeschichtsschreibung. Da die Philologen im Gegensatz zu den Literaturhistorikern einen jeweils vergleichsweise kleinen Gegenstandsbereich bearbeiteten, stellte der für die moderne Wissenschaft konstitutive Falsifizierbarkeitsvorbehalt für sie kein ernsthaftes Problem dar. Philologische Irrtümer und Fehleinschätzungen betrafen nur Aspekte aus dem umfangreichen Spektrum der Überlieferung und waren anhand konkreter Textzeugnisse korrigierbar, ohne dass solche Korrekturen zwangsläufig mit Auswirkungen auf die Resultate anderer quellenkritischer Forschungsprojekte verbunden gewesen wären. Die Literaturgeschichtsschreibung hingegen bot wegen des mit ihr verbundenen umfassenden Wahrheitsanspruchs viel größere Angriffsflächen, weil einander widersprechende Werke ihres Genres denselben Gegenstand betrafen und deshalb letztlich unvereinbar waren. Die steigende Zahl an disparaten Literaturgeschichten ermöglichte es ihren Gegnern, das offensichtlich noch verfrühte, solche Widersprüche hervorbringende literaturhistorische Projekt insgesamt in Frage zu stellen. Solche Diskreditierungsversuche waren insofern besonders erfolgreich, als sich die Germanistik noch in ihrer gewissermaßen vorkritischen, vor der Dilthey-Rezeption anzusetzenden Phase befand und sowohl Philologen als auch Literaturhistoriker an dem Versprechen festhielten, authentische Einsichten hinsichtlich der Beschaffenheit des deutschen Volksgeistes zu präsentieren. Obwohl unseren hegelianisch sozialisierten Autoren die Auffassung geläufig war, dass Geschichte immer begriffene Geschichte sei und nach Maßgabe erkenntnisleitender Prämissen erforscht werden müsse, hielten sie die herausgearbeiteten Zusammenhänge lediglich für Rekonstruktionen der ideengeschichtlichen Überlieferung. Selbst diese bescheidenen, ontologisch zurückgebundenen Ansätze zur hermeneutischen Reflexion und das davon abgeleitete Methodenideal mussten auf die Ablehnung der sich aus der Altphilologie oder der Historischen Rechtsschule rekrutierenden Germanisten stoßen, die mehrheitlich kein Problembewusstsein bezüglich der objektmodellierenden Kraft wissenschaftlicher Fragestellungen und Verfahren besaßen. Ihr naives, auf der
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romantischen Vergangenheits- bzw. Mittelalterverklärung basierendes philologisches Methodenideal stilisierte alle Reste der Überlieferung zu gleichberechtigten, mit einem emphatischen Wahrheitsgehalt aufgeladenen Reliquien, denen man sich mit einem hingebungsvollen Gefühl der Andacht und einem unvoreingenommenen, von jeglichem Gegenwartsbezug oder allen Relevanzkriterien abstrahierenden Einfühlungsvermögen zu nähern habe. 23 So lange auch die Literaturhistoriker die Illusion nährten, ein authentisches Bild der Überlieferung präsentieren und dies allein mittels eines Rekurses auf die Objekte selbst bewerkstelligen zu können, konnte es eigentlich nur eine wahrheitsgetreue Literaturgeschichte geben. Unter dieser Voraussetzung ließ sich das rasch expandierende, eine Vielzahl miteinander konkurrierender Entwürfe hervorbringende literaturhistorische Projekt effektiv mit dem Vorwurf konfrontieren, einer nicht sachadäquaten, von gegenstandsfremden Präferenzen abhängigen Interpretation der Überlieferung Vorschub zu leisten.
Der Misserfolg der (hegelianischen) Literaturgeschichtsschreibung eine richtige Weichenstellung?
—
Nach der Erörterung der politischen und wissenschaftlichen Gründe für den institutionengeschichtlichen Misserfolg der Fachrichtung deutsche Literaturgeschichte im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts möchten wir abschließend die These vertreten, dass die erfolgreiche Ausgrenzung der ebenfalls dieser Fachrichtung zuzurechnenden Hegelianer der Germanistik insgesamt keineswegs zum Vorteil gereichte. Damit sollen die bleibenden Leistungen der Philologen im 19. Jahrhundert weder geschmälert noch deren Insistieren auf der Notwendigkeit des Erwerbs einer auch heutzutage für alle Sprach- und Literaturwissenschaften noch gültigen philologischen Kompetenz in Abrede gestellt werden. Es geht auch nicht darum, die Wissenschaftsgeschichte der Germanistik nachträglich in eine Geschichte, wie sie hätte sein sollen, umzuschreiben. Wir sind lediglich der Ansicht, dass eine kritische wissenschaftshistorische Forschungsarbeit nicht nur dem von den Philologen erarbeiteten Methodenideal, sondern auch der hegelianischen Konzeption der begriffenen Geschichte ihre Anerkennung zu zollen hat. Der daraus resultierende, auf die eigenen Analysen übertragene Versuch, die Wissenschaftsgeschichte der Germanistik zu begreifen, braucht sich aber nicht auf die soeben geleistete Darlegung der Voraussetzungen für die unterschiedlichen Entfaltungsmöglichkeiten der Philologie und der Literaturgeschichtsschreibung zu beschränken. Im Interesse einer nüchternen Bilanzierung der fachgeschichtlichen Vergangenheit darf sich dieser Versuch darüber hinaus auf der Basis wissenschaftlicher Rationalitätsstandards mit der Frage beschäftigen, welche
23
Vgl. Jendreiek 1975 und Kruckis 1995, S. 80-88. Die »Illusionslosigkeit, es mit im emphatischen Sinne totem Material zu tun zu haben, unterscheidet Hegel grundsätzlich von seinen Gegnern der so genannten >Historischen SchuleÜber den altdeutschen Meistersang< (1811). Eine Fallstudie zum deutschen Rezensionsbetrieb zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 23. 1982, Sp. 605-658 - Literarische und politische Zeitschriften 1830-1848, Stuttgart 1986 - Literarische und politische Zeitschriften 1848-1880, Stuttgart 1987 - Berliner Allgemeine Literaturzeitung oder »Hegelblatt«? Die »Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik« im Spannungsfeld preußischer Universitäts- und Pressepolitik der Restauration und des Vormärz, in: Jamme 1994, S. 15-56
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Personenregister
Aischylos 57 Alewyn, Richard 45 Alexander der Große 107 Alexis, Willibald 78 Ansei, Michael 3, 15, 23,41, 85, 117, 135, 146, 186, 198,302 Aristophanes 39, 185f., 226, 255 Arndt, Ernst Moritz 98, 207, 216 Arnim, Achim von 22, 182, 187f., 195,205, 233,241,266, 272 Arnim, Bettina von 192, 195, 210 Arnim-Boitzenburg, Adolf Heinrich von 60 Atterbom, Per Daniel Amadeus 219 Auerbach, Berthold 78, 90, 97, 205 Baasner, Rainer 173, 175 Bachmann, Karl Friedrich 59 Bachmayr, Johann Nepomuk 94 Baechtold, Jakob 96 Barbe, Jean-Paul 17 Bassenge, Friedrich 169 Bauer, Bruno 1, 52, 68, 170 Baumgarten, Alexander Gottlieb 296 Baumgarten, Hermann 99 Baur, Ferdinand Christian 1, 153 Beck, Karl 205, 210 Becker, Ursula 92f. Behler, Ernst 176 Belger, Christian 33 Benary, Karl Albert Agathon 48ff., 78 Benecke, Georg Friedrich 69, 76 Bernays, Jakob 173 Bernays, Michael 91, 96, 242, 260 Bernhardi, August Ferdinand 250, 255, 262f„ 268ff., 285f. Bernhardi, Wilhelm 262f. Bernhardy, Gottfried 53f„ 57f., 65, 71, 78, 80, 88,301 Beta, Heinrich (d.i. Bettzich, Heinrich) 89 Bethmann-Hollweg, Moritz August von 86 Beyschlag, Johann Heinrich Christoph Willibald 261 f.
Biedermann, Gustav Woldemar von 96 Blöde, Ida 87 Bock, Adolf 78, 93 Bodin, Jean 144 Böckh, Philipp August 49, 53f., 57, 65, 79 Böcking, Eduard 263, 285 Böhme, Jakob 258 Börne, Ludwig 34, 184, 205, 215, 241 Bohrer, Karl Heinz 22, 176f., 276 Bohtz, August Wilhelm 6 Bopp, Franz 53 Bouterweck, Friedrich Ludewig 40 Boxberger, Robert 96 Brackert, Helmut 309 Brand, Kaspar 260 Brentano, Clemens 22, 182,186,188,192f., 205, 233f., 237, 272 Brinker-Gabler, Gisela 182 Brümmer, Manfred 60, 62 Brunn, Heinrich 131 Bucher, Max 135, 150, 172f. Buckle, Henry Thomas 95 Buddeus, Aurelius 93 Büchner, Georg 272 Bülow, Eduard von 262 Büttner, Georg 46-49,54f„ 59,76f„ 79f„ 84, 144, 148, 160 Burckhardt, Jakob 9 Busse, Wilhelm 60f„ 65 Byron, George Gordon 234 Calderón de la Barca, Pedro 101, 229, 258 Campe, Elise 262 Campe, Joachim Heinrich 48 Campe, Julius 36 Camphausen, Gottfried Ludolf 86 Carriere, Philipp Moriz 93 Catullus, Gaius Valerius 305 Cervantes y Saavedra, Miguel de 250 Chamisso, Adelbert von (d.i. Chamisso de Boncourt, Louis Charles Adélaïde de) 210 Chateaubriand, François René de 28
331
Chezy, Helmina von 241 Christus 28 Clasen, Herbert 21 Clauren, Heinrich (d.i. Heun, Gottlieb Samuel Karl) 208 Cornehl, Peter 67, 106, 171 Cotta, Johann Friedrich 75 Creizenach, Wilhelm 96 Creuzer, Georg Friedrich 54, 204, 233 Dainat, Holger 5f., 303f. Danneberg, Lutz 6, 260 Danzel, Theodor Wilhelm 1, 7, 9, 12, 70f., 78f„ 81, 143, 145, 162, 173f„ 288f„ 292, 302 Daub, Karl 265 Delbrück, Friedrich Ferdinand 69 Denecke, Ludwig 75, 77 Descartes, René 54f., 110, 132f. Devrient, Eduard Philipp 241 Diez, Ferdinand 69 Dilthey, Wilhelm 2, 98, 145, 175, 262,265, 287, 307 Droysen, Johann Gustav 1, 54, 65, 95, 293 Düntzer, Heinrich 96, 297 Düvel, Hans 135 Duncker, Max 53, 65, 78, 85f„ 98 Ebert, Adolf 89 Echtermeyer, Theodor 11,20,38,49,52,58, 65,75,77,83,160f., 174ff„ 183,195,216, 218f., 221, 230, 236, 238, 241, 243, 262, 265, 269 Eck, Else von 75 Eichendorff, Joseph von 187,210,221,241 f. Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich 9, 52, 60-63, 68, 71 f., 102, 107 Eilers, Gerd 61, 69 Eisele, Ulf 92 Engels, Friedrich 38 Erdmann, Benno 89 Erdmann, Johann Eduard 1, 52-56, 86, 88 Ersch, Johann, Samuel 81, 97 Estermann, Alfred 27, 33, 92, 94 Eßbach, Wolfgang 1, 11, 51 f., 67 Fabian, Bernhard 46 Feuerbach, Anselm 97, 145 Feuerbach, Ludwig 1, 5 7 , 5 9 , 6 2 , 6 5 , 6 7 , 7 8 , 80f., 84, 86, 103, 110ff„ 119, 122, 125, 132,137-140,272
332
Fichte, Immanuel Hermann 108, 143, 262 Fichte, Johann Gottlieb 19, 24, 98f., 120ff., 143f„ 163,177f„ 191,198,201,206,213, 221, 225, 250, 262, 267, 269, 277 Fielitz, Wilhelm 96 Fiorillo, Johann Dominicus 185 Fischer, Kuno 1, 156, 165, 177 Förster, Friedrich Christoph 106f., 192 Fohrmann, Jürgen 4f., 13f., 16, 20, 25, 27, 33, 39,42, 158, 163, 172, 196,216, 245, 294, 305 Forster, Georg 97, 145 Fouque, Friedrich de La Motte 181, 184, 187f., 205, 227, 234,272 Franck, Gustav 59 Freiligrath, Ferdinand 210 Frenzel, Karl 93 Freytag, Gustav 95, 130 Friedrich II. 204 Friedrich Wilhelm IV. 52, 88, 107 Fritsch-Rößler, Waltraud 196 Frühwald, Wolfgang 68 Gabler, Georg Andreas 51, 54 Gallitzin, Amalia 230 Gans, Eduard 1 , 4 8 , 5 1 , 7 5 Geiger, Ludwig 96 Geldsetzer, Lutz 55 Geliert, Christian Fürchtegott 185 Gentz, Friedrich von 97, 100, 119, 232 Gerlach, Gottlieb Wilhelm 53f. Germann, Dietrich 70, 90, 119 Gervinus, Georg Gottfried 13, 20, 22f., 41, 4 4 , 4 7 , 5 8 , 7 1 , 7 8 , 9 5 , 1 0 2 , 116, 118,148, 165, 167, 174, 197f., 2 0 0 , 2 1 6 , 2 1 8 , 2 2 0 , 222, 224, 237, 241, 248f., 262, 265, 269, 272, 293, 303 Gesenius, Heinrich Friedrich Wilhelm 56f., 81, 86
Gethmann-Siefert, Annemarie 174 Girnus, Wilhelm 159 Glaser-Gerhard, Ernst 156, 164f., 171 Goedeke, Karl 96, 262, 264, 306 Goethe, Johann Wolfgang 9, 18, 20-23, 33, 48, 50, 53, 66, 80, 85, 92, 94, 96, 99, lOlff., 114, 116, 139, 142, 145ff„ 165ff„ 174, 180f„ 185ff„ 193, 196, 198f„ 201, 208, 210f„ 213f„ 220, 222ff„ 227-230, 233-238,241,243,248f., 254,256f., 263, 267, 289, 304 Göhler, Rudolf 87
Görres, Joseph von 182, 204, 216, 233 Göschel, Karl Friedrich 6, 112f., 135, 292 Göttling, Karl Wilhelm 78f. Götze, Karl-Heinz 13 Goldoni, Carlo 186 Gorzny, Willy 4 6 Gosche, Richard 95 Gottschall, Rudolf 1, 8f., 93, 130 Gottsched, Johann Christoph 9, 101, 143, 145, 162 Gozzi, Carlo 185f., 226, 243, 2 5 4 Grillparzer, Franz 207 Grimm, Jakob 6, 4 4 , 4 9 , 69, 71, 75, I i i . , 162f„ 205, 2 3 3 , 2 9 5 Grimm, Wilhelm 75, 78, 205, 233 Gruber, Johann Gottfried 81, 97 Grün, Anastasius 205, 210 Grün, Karl 93 Guhrauer, Gottschalk Eduard 48, 70f., 89, 93, 143f„ 162 Gutzkow, Karl 92, 192 Hagen, Friedrich Heinrich von der 69 Hagen, Karl 78 Hahl, Wemer 123, 135 Hahn, Karl-Heinz 23 Haller, Karl Ludwig von 232 Hamann, Johann Georg 230, 249 Hamlin, Cyrus 85 Hansemann, David 86 Hardtwig, Wolfgang 294 Harich, Wolfgang 3, 11, 2 4 , 4 6 , 261, 2 8 9 Hartmann, Eduard von 98 Hartmann von Aue 305 Hasselbach, Karl Friedrich Wilhelm 4 8 Hauff, Gustav 93 Haupt, Moriz 32ff., 4 0 , 4 2 f . , 7 0 , 7 3 , 7 6 , 79f., 9 1 , 9 5 , 173, 302 Hebbel, Friedrich 94 Hegel, Karl 16 Hehn, Viktor 1, 8f. Heine, Heinrich 11, 13—44, 51, 56, 66, 108, 114, 136, 154, 159, 174ff., 184ff„ 189, 192f„ 195, 197f„ 200, 2 0 3 - 2 0 6 , 2 0 9 f „ 217f., 221, 235, 241, 244, 270, 272, 274, 2 8 3 , 2 9 6 , 298, 300 Heinse, Wilhelm 9 5 f „ 105, 193, 2 5 6 Heibig, Karl Gustav 78 Hell, Theodor (d.i. Winckler, Karl) 208 Hengst, Heinz 19 Henneberger, August 93
Henning, Leopold von 51 Herder, Johann Gottfried 1 6 , 2 3 , 4 8 , 9 9 , 1 4 3 , 160, 172, 185, 200, 230, 249, 261, 288f„ 306 Hermann, Gottfried 32, 53 Herricht, Hildegard 48, 97, 249 Hertzberg, Gustav Friedrich 78 Herwegh, Georg 78, 134, 167 Heß, Moses 38 Heßler, Wolfgang 102, 268, 292 Hiecke, Robert Heinrich 78 Hinrichs, Friedrich Wilhelm 1 , 6 , 3 8 , 5 2 - 5 6 , 102, 112f„ 135, 176, 182, 292f. Hirsch, Emanuel 288 Hirzel, Ludwig 96 Hitzig, Julius Eduard 232, 241 Hoefer, Albert 70 Hölderlin, Friedrich 195, 202, 224, 2 4 4 , 2 4 8 Hölter, Achim 182 Hoffmann, Ernst Theodor Amadeus 177, 179, 187, 207, 2 3 4 , 2 4 1 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich 69f., 78 Hoffmeister, Gerhard 174f. Hoffmeister, Karl 142, 241 Hogemann, Friedrich 83 Hohendahl, Peter Uwe 2 1 , 1 2 3 , 1 5 5 , 1 9 6 , 3 0 9 Holberg, Ludwig 94, 145, 226, 250, 254 Holtei, Karl von 262 Homer 142 Horatius Flaccus, Quintus 142 Horn, Franz 208 Hotho, Gustav Heinrich 1 , 6 , 1 1 , 5 1 , 5 3 f . , 65, 85, 124, 175ff., 181, 185, 192, 195, 220, 233, 260, 272ff. Houwald, Emst Christoph 207, 2 3 4 Hübner, Hans 102 Hülsen, August Ludwig 248, 268, 271 Humboldt, Alexander von 88 Humboldt, Wilhelm von 97f„ 1 3 9 , 1 4 5 , 1 6 0 , 236 Hunger, Ulrich 182 Hutten, Ulrich von 98 Ilting, Karl-Heinz 107 Immermann, Karl Leberecht 205 Jacobi, Friedrich Heinrich 198 Jacobi, Theodor 78, 89 Jacoby, Daniel 96 Jäger, Georg 131, 134f„ 137f„ 216, 2 4 4
333
Jaeger, Hans 45 Jahn, Friedrich Ludwig 23, 207, 216 Jahn, Jürgen 3, 70, 110, 242 Jahn, Otto 92 Jamme, Christoph 73 Janota, Johannes 73 Japtok, Eugen 114, 181 ff. Jean Paul (d.i. Richter, Johann Paul Friedrich) 23,177,182,184,224,256,304 Jeismann, Karl-Emst 47 Jendreiek, Helmut 159, 308 Jonson, B e n j a m i n ) 252 Jung, Alexander 36f., 42, 78 Jung-Stilling, Johann Heinrich (d.i. Jung, Johann Heinrich) 230 Just, August Cölestin 262, 265 Kaes, Anton 299 Kahlen, August 70, 78, 93 Kanowsky, Walter 26 Kant, Immanuel 1 7 , 1 9 , 2 2 , 2 4 , 5 4 , 1 0 1 , 1 1 6 , 198, 267, 283, 296 Kaschuba, Wolfgang 68 Kaulen, Heinrich 100 Keller, Adalbert 70, 78 Keller, Gottfried 94, 97 Kellner, Beate 295 Kern, Heinrich 134 Kerner, Justinus 187, 196, 234 Kind, (Johann) Friedrich 208 Kinder, Hermann 125, 171, 176 Kinkel, Gottfried 70f. Kircher, Hartmut 46 Kius, C.F. 79 Kleist, Heinrich von 85, 176f„ 179f„ 187, 233f., 266, 272, 274 Klieme, Günter 120, 161, 272ff. Klinger, Friedrich Maximilian 193 Klopstock, Friedrich Gottlieb 116,181,249, 304 Koberstein, August 78, 248f., 262, 264,272 Koch, Max 96 Köchly, Hermann 78 Köhler, Reinhold 96 Köhnke, Klaus Christian 66, 118, 171 Köpke, Rudolf 262f. Koppen, Karl Friedrich 78 Körner, Christian Gottfried 236 Körner, Theodor 207 Köster, Udo 67 Köstlin, Karl 78
334
Kolk, Rainer 4 , 4 1 , 69, 74,91, 309 Kotzebue, August von 185 Krämer, Hans 136, 153, 173 Kretschmer, Georg 47, 77, 88, 94 Kreutzer, Hans Joachim 88, 103, 145, 165 Krohn, Margot 98 Kruckis, Hans Martin 4, 92, 135,196, 289, 297, 308 Krüger, Eduard 11 Kruse, Joseph A. 19 Kühne, Gustav 192 Kuttenkeuler, Wolfgang 23 Lachmann, Karl 6 , 4 0 , 4 4 , 4 9 , 53, 57f„ 69, 71, 76, 79, 91, 142, 145, 295, 297, 305 Ladenburg, Adalbert von 88 Lafontaine, August (Heinrich Julius) 185 Lange, Andreas 45 Lassalle, Ferdinand 38 Laube, Heinrich 22, 27-30, 34, 37, 40, 192 Laun, Adolf 78 Lavater, Johann Kaspar 230, 249 Lechler, Gotthard Viktor 143, 147, 158, 168 Lefebvre, Jean Pierre 11, 16, 19, 24ff., 159 Leibniz, Gottfried Wilhelm 143, 162, 294 Lemmer, Manfred 3, 89, 102f. Lenau, Nikolaus (d.i. Edler von Strehlenau, Nikolaus Franz Niembsch) 205,210 Lenz, Jakob Michael Reinhold 186, 192f. Leo, Heinrich 52, 55f., 58, 71 f., 76, 88 Lessing, Gotthold Ephraim 9 , 2 3 , 5 8 , 6 4 , 7 9 , 97, lOlff., 142, 145, 162f„ 185, 248f„ 252, 288, 302, 304f. Lewald, Fanny 94f. Lick, Thomas 92 Liebrecht, Felix 96 Linge, Karl 49 Loebell, Johann Wilhelm 177 Loeper, Gustav von 96 Löwe, Karl 80 Löwith, Karl 2, 24, 66, 113 Louis Philippe 19 Lucas, Christian Ludwig Theodor 70 Lucas, Hans-Christian 107 Ludwig, Otto 130 Lütgert, Wilhelm 66 Luther, Martin 20f., 103 Lutz, Edith 24 Macaulay, Thomas Babington 98f. Mader, Johann 67
Maler Müller (d.i. Müller, Friedrich) 97,145, 192 f. Mannheim, Karl 45 Manzoni, Alessandro 234 Marheineke, Philipp Konrad 51, 106 Marquard, Odo 294 Marx, Karl 1, 38 Maßmann, Hans Ferdinand 69 Matzerath, Josef 64, 81, 84 Mayer, Hans 23 Mayer, Karl August 78 Meier, Moritz Hermann Eduard 55, 79, 89 Meinecke, Friedrich 294 Mendelssohn, Moses 252 Mengs, Anton Raffael 101 Menzel, Wolfgang 15, 35, 40, 192, 195 Metscher, Thomas 169 Metzke, Erwin 113f., 127 Meves, Uwe 34,60, 69-72, 80, 86, 88f„ 304 Meyen, Eduard 78 Meyer, Johann Heinrich 33,227 Meyer, Richard M. 99 Meyr, Melchior 93 Michelet, Karl Ludwig 51, 54, 57 Minor, Jakob 96, 99 Mörike, Eduard 167 Mommsen, Theodor 92, 98 Mone, Franz Josef 182 Morvay, Karin 73 Mosen, Julius 241 Müller, Adam 204, 232,236 Müller, Jan-Dirk 43, 73 Müller, Jörg Jochen 3f. Müller von Itzehoe, Johann Gottwerth (d.i. Müller, Johann Gottwerth) 252 Müller von Königswinter, Wolfgang 93 Müllner, Adolph 207, 234 Muhlack, Ulrich 305 Muncker, Franz 123 Mündt, Theodor 70f„ 105, 135, 173, 192, 195 Musäus, Johann Karl August 185, 252 Napoleon Bonaparte 17, 19, 199, 206, 234 Nauwerck, Karl Ludwig Theodor 63, 65 Neander, August 106 Neumaier, Herbert 68 Nicolai, Friedrich 185, 204, 213, 252, 254f. Nicolai jun. 253, 255 Nicolovius, Alfred 145 Niemeyer, Hermann Agathon 103
Niethammer, Friedrich Immanuel 144 Nipperdey, Thomas 290, 304 Noack, Ludwig 81 Novalis (d.i. Hardenberg, Georg Philipp Friedrich von) 33,99, 176-179, 181,186, 189,191 f., 202,214,216,225f., 230,232, 236, 239, 241, 247f„ 256ff„ 261-265, 268f„ 271, 274-277, 279, 282, 285 Obenaus, Sibylle 73,75,81,83,85,92,94f., 98 O'Brien, William Arctander 263 Oelmüller, Willi 124, 128, 130, 137ff. Opitz, Martin 304 Oppermann, Heinrich Albert 78 Orientalis, Isidorus (d.i. Loeben, Otto Heinrich von) 234 Ortlepp, Ernst 28f„ 40 Pepperle, Ingrid 3, 67, 75, 103 Pernice, Ludwig Wilhelm Anton 55, 60, 62, 68, 86, 88 Pertz, Georg Heinrich 163 Peters, Adolf 262 Petersen, Julius 45, 146 Philippi, Ferdinand 36 Platen, August von (d.i. Platen-Hallermünde, August von) 208 Piaton 2, 57 Pleister, Michael 85 Plumpe, Gerhard 169 Pöggeler, Otto 174, 176, 179, 181 Pott, August Friedrich 53, 55ff., 78, 86 Propertius, Sextus 305 Pückler-Muskau, Hermann von 205 Puschkin, Alexander Sergejewitsch 234 Puttkammer, Eugen von 87 Rambach, Friedrich Eberhard 251, 268 Rapp, Karl Moritz 78 Rauch, Friedrich August 6 Raumer, Friedrich von 262 Raumer, Karl Otto von 88 Raupach, Ernst Benjamin 194 Rautenberg, Ursula 3, 26, 105, 114, 300 Reichardt, Johann Friedrich 250 Reinhold, Ernst Christian Gottlieb 59 Restif de La Bretonne, Nicolas Edme 265 Reuss, Friedrich Anton Leopold 70 Rietschel, Ernst 95 Ritsehl, Friedrich Wilhelm 53, 63, 78, 173
335
Ritter, Joachim 107 Ritter, Johann Wilhelm 248, 259, 268f. Robespierre, Maximilien 19 Rodi, Frithjof 246, 287 Roediger, Emil 56, 78 Rötscher, Heinrich Theodor 6, 124 Rosenberg, Hans 46, 52, 55ff., 61 f., 86, 102f„ 108, l l l f . , 123, 143,216 Rosenkranz, Karl 1, 6, 8, 10f., 16, 25ff., 36, 38,40-43,56,59,65,77-80,93,96,105f„ 110f., 113ff., 117, 124, 126ff., 135, 144, 148, 150f., 154, 169, 172-175, 181-197, 200f„ 203, 206f„ 210-214, 216-220, 223f., 227, 229, 233, 235, 237-241, 244247, 252, 258-263, 265, 268, 272, 274, 278f„ 281, 283, 288, 292, 299f„ 309 Rothe, Richard 262 Rousseau, Jean Jacques 101 Rückert, Friedrich 207f. Rüge, Arnold 11, 20, 37f., 49, 52, 57, 64f., 68, 75, 77f„ 82ff., 93, 112, 138, 170f„ 174ff., 183, 195,205,216,218-221,230, 236ff., 241, 243, 262, 265,269 Rumohr, Karl Friedrich von 139 Sachs, Hans 254 Sauer, August 96 Schäfer, Johann Wilhelm 29f., 40, 78 Schaller, Julius 53f., 56f., 87, 101 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph von 19, 24, 33, 53f„ 139, 185, 202ff„ 211, 214, 216, 221, 226, 248, 259, 268f„ 271, 277, 279f., 282, 284ff. Schenkendorf, Maximilian 207, 234 Scherer, Wilhelm 10, 91,96, 99f., 268,273, 288, 297, 302 Schiller, Charlotte von 262 Schiller, Friedrich 18,23,53,98, 102f., 139, 142f., 164, 166f., 176, 181, 193, 198ff., 206, 208, 211, 213f., 220, 222ff„ 227ff., 234ff„ 238, 241, 243,249,267, 269, 304, 306 Schlawe, Fritz 134 Schlegel, August Wilhelm 16-19, 31f., 38, 69, 177, 182, 185,203f., 206,208,214ff., 225, 229-232, 236, 247f„ 257ff„ 262f„ 268ff., 273f., 276, 278f„ 281, 283-286 Schlegel, Dorothea 268 Schlegel, Friedrich 16, 18, 21, 32f., 38ff., 174, 176ff, 182, 185f., 194, 203f., 206, 208, 214ff„ 225ff„ 229-232, 236, 241,
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247f., 251, 256ff„ 260f., 263, 266, 268f„ 271,273, 275-280, 282, 285f. Schlegel, J. H. 262,265 Schlegel-Schelling, Caroline 9 8 , 2 6 8 Schleiermacher, Friedrich von 98, 106, 174f„ 176, 181, 186, 195, 204,230, 236, 248, 252, 258, 262, 265f., 268ff., 276, 278ff„ 282, 285, 287 Schlesier, Gustav Wilhelm 192 Schlosser, Friedrich Christoph 54, 78, 216 Schlott, Michael 3,46f., 49ff., 54f., 62ff., 90, 92, 96f„ 101, 130f„ 133, 139, 148, 159, 162, 166, 170, 220,243 Schlüter, Johann Christoph 69 Schmidt, Erich 96, 103 Schmidt, Julian 9, 95, 130, 175, 238, 248, 262f„ 265, 272f. Schmoller, Gustav 89 Schnaase, Karl 1 Schnädelbach, Herbert 290, 293f. Schneider, Helmut 83 Schnorr von Carolsfeld, Franz 95f. Schöll, Adolf 78, 99 Schönert, Jörg 6 Schopenhauer, Arthur 98 Schräder, Wilhelm 248 Schubarth, Karl Ernst 49f. Schücking, Levin 78 Schütz(-Lacrimas), Wilhelm von 234 Schumann, Andreas 41 Schwarz, Karl 78 Schwegler, Karl Albert 64, 80ff„ 84, 171 Scott, Walter 234 Sengle, Friedrich 150 Seuffert, Bernhard 89, 96, 302 Shaftesbury, Anthony Ashley Cooper 168 Shakespeare, William 53, 101, 133, 148, 200, 226, 243, 250, 252, 254 Shelley, Percy Bysshe 234 Sömmerring, Samuel Thomas 145 Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 175,177ff., 181 f., 190,194,204,226f„ 231,236,240, 248, 258, 262 Sommer, Emil Friedrich Julius 71 ff., 76 Spalding, William 97 Spinoza, Baruch de (d.i. d'Espinoza, Bento) 103, 132f. Springer, Anton 1, 93, 173 Stackmann, Karl 42, 163 Stägemann, Friedrich August von 207 Stael-Holstein, Germaine de 17, 32f.
Stahr, Adolf 64, Iii., 87, 93, 160, 164, 171, 241 Stahr, Karl 78 Steffens, Henrik 54,139,181,204,248,259, 262, 268 Stein, Heinrich Friedrich Karl vom 98, 103, 163 Stein, Lorenz von 1 Stein zum Altenstein, Karl Sigmund Franz vom 51, 62, 106 Steinmann, Friedrich 80 Stern, Adolf 46, 54 Stichweh, Klaus 73, 290f., 305 Stockmar, Marie von 46 Storost, Jürgen 73f. Strauß, David Friedrich 1, 38, 45, 51, 56f., 61, 65, 78, 84, 98, 192, 195f., 265 Stuke, Horst 1,24, 67, 108, 113 Suphan, Bernhard 99, 288, 306 Tacitus, Publius Cornelius 17 Tholuck, August 55, 88 Tibullus, Albius 305 Tieck, Ludwig 31, 102, 175-197, 201, 203ff., 207f., 213ff., 217-220, 223-227, 230ff., 234, 236-241, 245, 247f., 2 5 0 266, 268-272, 274-279, 282-286, 300 Tittmann, Friedrich Julius 70f., 78, 89 Tomaschek, Karl 91 Trendelenburg, Friedrich Adolf 287 Tuch, Christian Friedrich 56 Uhland, Ludwig 79, 208, 234 Uhlich, Leberecht 52 Ulrici, Hermann 53 Unger, Rudolf 146 Urlichs, Ludwig 262 Vamhagen von Ense, Karl August 98, 164, 241,262, 265 Varrentrapp, Conrad 47 Vega Carpio, Lope de 258 Veit, Dorothea 256 Velde, Karl Franz van der 208 Viehoff, Heinrich 81, 92, 142, 146f. Vischer, Friedrich Theodor 1, 8, 10f., 38, 64f., 70,78,80,105,123-135,137ff., 141, 148, 159f„ 166f„ 170f„ 175, 235,241, 244, 285, 292,296f. Volhard, Ewald 127f., 138f. Volkmann, Richard 53, 58
Voß, Johann Heinrich 33 Voßkamp, Wilhelm 4f. Wackenroder, Wilhelm Heinrich 186, 204, 247,250, 252f., 255-258,264, 268, 277f. Wagner, Richard 95, 141 Walther von der Vogelweide 305 Walzel, Oskar 99 Wegele, Franz Xaver 70f. Weigel, Harald 295 Weimar, Klaus 6f., 2 6 , 6 5 , 6 9 , 7 1 , 8 0 , 8 9 , 9 1 , 101, 113, 139, 145, 158f„ 176, 268, 293 Weisflog, Karl 208 Weiße, Christian Hermann 32f., 36f„ 40, 42ff., 64f., 108, 138, 154 Welcker, Friedrich Gottlieb 145, 173 Wellmann, Franz Albert Ferdinand 48ff., 53, 65, 78, 93 Werner, Richard Maria 96 Werner, Zacharias 187f„ 195,205,207,232, 234, 241 Westphal, Otto 98 Widhammer, Helmuth 95, 130, 175 Wigand, Georg 92 Wigand, Otto 80ff., 130 Wieland, Christoph Martin 102, 249 Wienbarg, Ludolf 34f. Wihl, Ludwig 35, 40 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 136, 173 Wilbrandt, Christian 69 Willems, Gottfried 137 Willers, Ernst 81, 131 Winckelmann, Johann Joachim 139, 185, 249,287 Windfuhr, Manfred 15f„ 19, 21, 25, 27, 29, 31, 33f., 36, 38, 176 Wislicenus, Gustav Adolf 52 Wolf, Friedrich August 49, 53 Wolff, Christian 101 Wolff, Oskar Ludwig Bernhard 90 Wolfram von Eschenbach 305 Wolzogen, Caroline von 256 Wurm, Christian Friedrich 28f. Zacher, Julius 89 Zarncke, Friedrich 92 Zeller, Eduard 1, 93, 120, 136, 173 Ziegesar, Anton von 59 Ziemer, Elisabeth 11, 73, 75, 83, 85, 177 Zumpt, Gottlob 54
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