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German Pages 309 [310] Year 2017
Annette C. Cremer, Anette Baumann, Eva Bender (Hrsg.) Prinzessinnen unterwegs Reisen fürstlicher Frauen in der Frühen Neuzeit
bibliothek altes Reich
Herausgegeben von Anette Baumann, Stephan Wendehorst und Siegrid Westphal
Band 22
Prinzessinnen unterwegs Reisen fürstlicher Frauen in der Frühen Neuzeit Herausgegeben von Annette C. Cremer, Anette Baumann, Eva Bender
ISBN 978-3-11-047371-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-053293-7 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-053065-0 ISSN 2190-2038 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2018 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Umschlagabbildung: Dirk Maes, Park mit großem Bassin, Statue, Kutsche und Reitern, Schwarze Kreide, grau laviert, Wien, Albertina, Inv.-Nr. 10375 (Detail) Lektorat: Anja Borkam Satz: fidus Publikations-Service GmbH, Nördlingen Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Vorwort Der vorliegende Band präsentiert die Ergebnisse einer Tagung, die unter dem Titel Prinzessin, unterwegs. Reisen hochadeliger Frauen in der Frühen Neuzeit (1450–1850) am 21. und 22. Januar 2016 an der Justus-Liebig-Universität Gießen unter der Leitung der Herausgeberinnen stattfand. Unser besonderer Dank gilt Professor Horst Carl (Geschichte der Frühen Neuzeit, Gießen) für seine groß zügige Unterstützung des Tagungs- und Buchprojektes sowie der Mitarbeiterin des Lehrstuhls Cristina Sasse und den studentischen Hilfskräften Sebastian Halbe und Thore Czopnik für die Unterstützung der Tagungsdurchführung. Von großer Bedeutung für das Gelingen der Umsetzung des Bandes war die arbeits intensive Visualisierung der Prinzessinnenreisen anhand historischen Karten materials, das engagiert von Larissa Sebastian und Alice Karkhiran-Khozani vorbereitet wurde. Jedes Tagungs- und Buchprojekt ist jenseits der ersten Idee und der Konzepterstellung ein Gemeinschaftsprojekt, zu dessen Gelingen viele Köpfe und Hände beitragen. Ihnen allen gilt daher unser herzlicher Dank! Wir widmen diesen Band Jutta Schwarzkopf †. Ihr Beitrag wurde behutsam redigiert und erscheint weitgehend in der unveränderten Form seiner Einreich ung kurz vor ihrem Tod am 7. Juni 2016. Gießen, im Juni 2017 Die Herausgeberinnen
https://doi.org/10.1515/9783110532937-202
Inhaltsverzeichnis Vorwort
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Annette C. Cremer Reisenden Prinzessinnen und Fürstinnen auf der Spur Einige forschungsstrategische Überlegungen Anette Baumann Zu den Beiträgen dieses Bandes
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Caroline zum Kolk Frauenreisen im Spiegel höfischer Itinerare der französischen Renaissance 43 Elena Taddei Hin- und herüber die Alpen 57 Die Reisen von Anna Caterina Gonzaga (1566–1621), Erzherzogin von Österreich Jutta Schwarzkopf † Die Rundreisen Königin Elisabeths I. (1533–1603) von England durch ihr Reich
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Holger Kürbis Besuche von Fürstinnen und Prinzessinnen am Gothaer Hof zwischen 1660 und 1756 89 Philip Haas Reisen einer Regentin 109 Hedwig Sophie von Hessen-Kassel, geb. Markgräfin von Brandenburg (1623–1683) Teresa Schröder-Stapper Äbtissinnen und Stiftsdamen unterwegs 133 Die Reisen der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (1651–1728)
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Inhaltsverzeichnis
Sandra Hertel Auf dem Weg von der Jungfrau zum Mann? 155 Das Reisezeremoniell der Antrittsreise von Erzherzogin Maria Elisabeth (1680– 1741) als Statthalterin der Österreichischen Niederlande von Wien nach Brüssel im Jahr 1725 Christian Gepp und Stefan Lenk Reisen aus Staatsräson 171 Die Brautfahrten der Erzherzogin Maria Carolina 1768 und der Erzherzogin Maria Amalia 1769 Stefan Lehr „Als russische Adelige hatte ich die volle Freiheit zu gehen, wohin es mir gefiel“ 191 Hochadlige russische Frauen auf Europareise (1769–1790) Katrin Gäde Zwischen Eigensinn und Wahnsinn 219 Die Reisen der Herzogin Marie Friederike von Anhalt-Bernburg, geb. Landgräfin von Hessen-Kassel (1768–1839) – ein Quellenbericht Martin Knauer Die reisende Fürstin im napoleonischen Staatskult Das Beispiel Katharina von Westphalen (1783–1835)
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Birte Förster Reisen, repräsentieren, fliehen 249 Luise, Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz und Königin von Preußen (1776–1810) unterwegs Christina Vanja Zur Bubenquelle nach Bad Ems 269 Die Badereisen der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (1709–1758), Kurfürstin Maria Anna Sophie von Bayern (1728–1797), Königin Amalie von Griechenland (1818–1875) und Erbgroßherzogin Mathilde von Hessen-Darmstadt (1813–1862) Abbildungsverzeichnis der einzelnen Beiträge Namensregister
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Reisenden Prinzessinnen und Fürstinnen auf der Spur 1 Prinzessinnen auf Reisen Nicht nur Männer reisten, Frauen taten dies ebenso.1 Auf den Hochadel in der Frühen Neuzeit trifft diese Aussage besonders zu. Bis in jüngster Zeit sind die Reisen von Prinzessinnen, Herzoginnen und Fürstinnen von der Forschung jedoch als Ausnahmen behandelt worden.2 Zu den bekannten Beispielen gehören die französische Königin Maria de Medici (1575–1642), ihre Brautfahrt und ihre Exilreisen als Witwe,3 Königin Christina von Schweden (1626–1698), die nach ihrer Abdankung inkognito als „Graf von Dohna“ nach Rom reiste,4 die Engländerinnen Alethea Howard, Countess of Arundel (1585–1654), die mit ihrem Gemahl, den Kindern und einer Entourage 1613/14 Europa bereiste5 und Lady Mary Montagu (1689–1762), die als Gemahlin des englischen Botschafters 1717 unter anderem nach Konstantinopel fuhr. Reichsständische Fürstinnen waren dagegen Wilhelmine von Ansbach-Bayreuth (1709–1758), die 1754/55 mit ihrem Gemahl über Südfrankreich Unteritalien besuchte und sich dort antike Stätten erwanderte,6 Karoline von Hessen-Darmstadt (1721–1774),7 die mit ihren drei unverheirateten
1 Annegret Pelz: Reisen Frauen anders? Von Entdeckerinnen und reisenden Frauenzimmern, in: Hermann Bausinger, Klaus Beyrer, Gottfried Korff (Hrsg.), Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus. München 1991, S. 174–178. 2 Beispiele zu weiblichen Reisenden spielen bei dem Grundlagenwerk von Rainer Babel/Werner Paravicini (Hrsg.), Grand Tour. Adeliges Reisen und europäische Kultur vom 14. bis zum 18. Jahrhundert (Beihefte der Francia, Bd. 60), Ostfildern 2005 nur eine marginale Rolle. Auch der Band von Farid Abdelouahab: Unterwegs. Reisetagebücher aus fünf Jahrhunderten. Kehl 2007 enthält bei über fünfzig besprochenen Tagebüchern kein weibliches Selbstzeugnis. 3 Helga Hübner/Eva Regtmeier: Maria de Medici. Frankfurt a. M. 2010, S. 163–235. 4 Michael Busch: Christine von Schweden – eine Skizze. Hamburg 2003, S. 23–25. 5 Edward Chaney/Timothy Wilks: The Jacobean Grand Tour. Early Stuart Travellers in Europe. London/New York 2013, S. 22. 6 Helke Kammerer-Grothaus (Hrsg.), Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth. Tagebuch der Italienischen Reise (1754–1755). Bayreuth 2002. 7 Ulrike Leuschner/Rainer Maaß (Hrsg.), Journal du voyage en Russie. Marianne von Löws Tagebuch der Russlandreise der Großen Landgräfin Karoline von Hessen-Darmstadt 1773. Darmstadt 2015. https://doi.org/10.1515/9783110532937-001
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Töchtern 1773 nach Russland reiste, Herzogin Anna Amalia von Sachsen-WeimarEisenach (1739–1807), die als Witwe eine mehrjährige Italienreise antrat, Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz (1776–1810), die spätere Königin von Preußen, die 1791 als 15-Jährige mit ihrer Großmutter und ihren Geschwistern nach Holland reiste,8 sowie Pauline zur Lippe (1769–1820), die sich im Rahmen ihrer Regentschaft auf Reisen für die staatliche Selbständigkeit Lippes einsetzte.9 Diese kurze Aufzählung, die auf den ersten Blick die unterschiedlichen Anlässe, Funktionen und Modalitäten während des hier interessierenden Zeitraums zeigt, ist um viele weitere Namen zu ergänzen.10 Reisen – verstanden als mindestens einen Tag andauernde Form der Bewegung im Raum, die von einem Zentralort ausgeht oder linear von einem zum anderen Ort verläuft – gilt als eine Domäne der Prinzen, Herzöge, Fürsten und Könige. Ihre weiblichen Pendants verließen den heimischen oder erheirateten Hof nicht – so jedenfalls haben die griechische Mythologie, die Bibel und zum Teil auch die frühneuzeitliche Traktatliteratur in polarer Weise den ‚raumgreifenden‘ Mann mit der ortsgebundenen Frau konzeptionalisiert und zugleich deren (beider) Zustimmung aufgrund ihrer vermeintlichen geschlechtsgebundenen Disposition unterstellt.11 Wenn überhaupt, sind Frauen als Mitreisende, nicht als eigenständige Handelnde oder gar Initiatorinnen verstanden worden. Damit werden jedoch ganz wesentlich die Eigenständigkeit und Eigensinnigkeit fürstlich-weiblicher Reisender, ihre Rolle als Diplomatinnen und Mediatorinnen im
8 Paul Hartig (Hrsg.), Luise Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz. Die Reise an den Niederrhein und nach Holland 1791. Das Tagebuch der späteren Königin von Preußen. München 1987. 9 Ulrike Leuschner: Die Russlandreise der „Großen Landgräfin“ Karoline von Hessen-Darmstadt im Jahr 1773, in: Schlossmuseum Darmstadt (Hrsg.), Unterwegs … des Fürsten Reiselust (Katalog zur gleichnamigen Ausstellung Schlossmuseum Darmstadt). Darmstadt 2012, S. 27–54; Helga Meise: Die Tagebücher der Landgräfinnen Sophia Eleonora und Elisabeth Dorothea von HessenDarmstadt. Höfische Ego-Dokumente des 17. Jahrhunderts zwischen Selbstvergewisserung und Selbstreflexion, in: Magdalene Heuser (Hrsg.), Autobiographien von Frauen. Beiträge zu ihrer Geschichte. Tübingen 1996, S. 49–70. 10 Etwa Elisabeth Schoder: Die Reise der Kaiserin Maria nach Spanien, in: Friedrich Edelmayer (Hrsg.), Hispania-Austria II. Die Epoche Philipps II. Wien/München 1999, S. 151–179; oder die Reisen der Erzherzogin Maria von Innerösterreich (1551–1608), die für und mit den fünf Töchtern Krakau, Alba Julia und Madrid bereiste. Siehe Katrin Keller: Frauen – Hof – Diplomatie. Die höfische Gesellschaft als Handlungsraum von Frauen in Außenbeziehungen, in: Corina Bastian/ Eva Kathrin Dade/Hillard von Thiessen (Hrsg.), Das Geschlecht der Diplomatie. Geschlechter rollen in den Außenbeziehungen vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Köln/Weimar/ Wien 2014, S. 33–50 (hier S. 46 f.). 11 Pelz: Reisen Frauen anders? (wie Anm. 1), S. 174 f.
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Dienst ihrer Familien sowie ihren Einfluss auf die Auswahl der Reiseprogrammpunkte übergangen.12 Entgegen des oben skizzierten, stereotypen idealen Entwurfs reisten Frauen des europäischen Hochadels jedoch wie eingangs bereits gesagt häufig. Zwar gehörte die Geschlechtszugehörigkeit zu den grundsätzlichen Beschränkungen des Reisens, allerdings ist der pauschalen Aussage, dass sehr viel mehr Männer als Frauen reisten und zugleich die Reisen der Frauen kürzere Strecken überbrückten, nur bedingt zuzustimmen und vor allem ständisch zu differenzieren.13 Mobilität war eines der Privilegien des Standes, das beide Geschlechter, Männer und Frauen, genossen. Das Reisen von fürstlichen Frauen sprengte grundsätzlich keine normativen Grenzen. Allerdings unterlagen die Reisen von Frauen aufgrund der innerfamilialen variablen Ausformung der Geschlechterhierarchie und dem offiziellen Fehlen einer eigenständigen hofrechtlichen Legitimation mitunter größeren Restriktionen als die männlicher Familienmitglieder.14 Daher bildeten sich aufgrund der Geschlechtszugehörigkeit und den nach zeitgenössischem Verständnis daran geknüpften Handlungsfeldern spezifische Reisetypen aus. Bestimmte Reiseanlässe (Universitätsbesuch oder kriegerische Auseinandersetzung) und Mobilitätsformen (wie etwa die Reise zu Pferd) waren eingeschränkt, galten als unschicklich oder standen ausschließlich männlichen Standesangehörigen offen. Viele Reisebedingungen betrafen jedoch fürstliche Reisende beiderlei Geschlechts. Das Reisen im Allgemeinen hing neben der individuellen Finanzkraft der Reisenden zunächst von den äußeren Bedingungen wie der geographischen Lage und den Voraussetzungen der Verkehrsinfrastruktur ab, die Reisen in ganze Regionen behinderten oder begünstigen konnten.15 Dazu gehörten das Vorhandensein natürlicher Routen wie schiffbarer Flüsse, die Passierbarkeit von geographischen Hindernissen wie Bergpässen, das Vorhandensein und die wechselhafte Qualität der Wege- und Straßennetze: Eine Reise in oder durch die Niederlande war zu jeder Jahreszeit möglich, die Überquerung der Alpen im Winter schier
12 Besonders die neuere Diplomatieforschung hat Prinzessinnen und Fürstinnen als Akteurinnen sichtbar gemacht, zu deren Handlungsräumen auch das Reisen gehörte. Vgl. Bastian/Dade/ Von Thiessen (Hrsg.), Diplomatie. (wie Anm. 10), bes. S. 33–129. 13 Hamish Scott: Travel and Communications, in: ders. (Hrsg.), The Oxford Handbook of Early Modern European History 1350–1750, Bd. I, Peoples and Place, Oxford 2015, S. 165–191 (hier S. 170 f.). 14 Bärbel Raschke: Fürstinnenreisen im 18. Jahrhundert. Ein Problemaufriß am Beispiel der Rußlandreise Karolines von Hessen-Darmstadt 1773, in: Joachim Rees/Winfried Siebers (Hrsg.), Europareisen politisch-sozialer Eliten im 18. Jahrhundert. Berlin 2002, S. 183–207 (hier S. 190 f.). 15 Scott, Travel (wie Anm. 13), S. 170.
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unmöglich.16 Den je nach der zu bewältigenden Distanz unterschiedlichen Transportmitteln kam große Bedeutung zu, also den Pferden, Karren und Kutschen, die ein- oder mehrspännig die Bequemlichkeit, Geschwindigkeit und Tagesstrecke bestimmten, die Schlitten, Sänften und Tragsessel, die entweder zur lokalen Fortbewegung dienten oder dann zum Einsatz kamen, wenn die Kutschen aufgrund der Beschaffenheit der Wege nicht mehr weiterkamen.17 Wechselnde Spurbreiten, Sommer- und Wintergeschirre, die Reiseinfrastrukturen wie etwa die Häufigkeit von Poststationen zum Umspannen der Pferde und zum Ausruhen der Insassen, das Vorhandensein und ebenfalls die Qualität der Unterkünfte am Weg, das Überschreiten territorialer Grenzen, die dabei anfallenden Zölle und erforderlichen Passierscheine, die Gefahr, ausgeraubt oder je nach Reiseziel gar verschleppt zu werden, und die wechselnden Sprachen und Währungen determinierten die Reisebedingungen und waren begleitende ‚widrige‘ Umstände des Reisens, die Männer und Frauen zugleich betrafen. Während auch noch im 17. Jahrhundert für den Herrn das Reiten als standesgemäß angesehen wurde, reisten die Damen nach dem Aufkommen der Kutsche im späten 16. Jahrhundert eher (aber nicht ausschließlich) mit dieser, und zwar je nach Rang, Entfernung und Gefälle ein-, zwei-, vier-, fünf- oder sechsspännig oder im Falle örtlicher Fortbewegung in der oben bereits erwähnten Sänfte oder im Tragsessel. Manche Strecken bewältigten sie schlicht auch zu Fuß, obwohl „die Fortbewegung zu Fuß [als] ein sichtbares Erkennungsmerkmal für Armut“18 galt. ‚Repräsentative‘ Reisen, die ohne oder im offenen Inkognito durchgeführt wurden, erfolgten meist mit einer umfangreichen Entourage von bis zu mehreren Hundert Personen und Pferden, die eine immense Versorgungslogistik nötig machten.19 Jeder zusätzliche Mitreisende musste nicht nur entlohnt, sondern auch verköstigt und untergebracht werden. Mit dem Ausbau des Straßennetzes im 18. Jahrhundert und der Umgestaltung von Hauptverkehrsachsen zu breiten Chausseen verbesserte sich die Reiseinfrastruktur und spätestens durch die Einführung der Eisenbahn im 19. Jahrhundert
16 Uwe A. Oster (Hrsg.), Wege über die Alpen. Von der Frühzeit bis heute. Darmstadt 2006. 17 Vgl. die Darstellungen bei Winfried Löschburg: Von Reiselust und Reiseleid. Eine Kultur geschichte. Frankfurt a. M. 1977. 18 Klaus Beyrer: Reise, in: Friedrich Jaeger (Hrsg.), Enzyklopädie der Neuzeit. Stuttgart 2005– 2012, Sp. 984. 19 Norbert Conrads: Das Incognito. Standesreisen ohne Konventionen, in: Babel/Paravicini (Hrsg.), Grand Tour (wie Anm. 2), S. 591–608; auch Volker Barth: Inkognito. Geschichte eines Zeremoniells. München 2013. Conrad weist ausschließlich männliche Beispiele auf; Barth bezeichnet das Inkognito als „männlich konnotiertes Zeremoniell“ (S. 309), allerdings scheinen mehrere Inkognitoträgerinnen auf, darunter Christina von Schweden, eine Herzogin von Württemberg und Sophie von Hannover (S. 309 f.).
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wurde das Reisen zu einer gängigen Kulturpraxis einer sich stetig verbreiternden Personengruppe mit sich ausweitender sozialer Zugehörigkeit. Ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, dem Reisejahrhundert, war das Reisen und auch das Berichten darüber kein Elitenphänomen mehr, sondern zunehmend von aufgeklärt-bürgerlichem Bildungswillen geprägt.20 Bei näherer Betrachtung zeigen sich deshalb zunächst die prinzipiellen Gemeinsamkeiten und erst in zweiter Linie die Unterschiede zwischen (fürstlich-)weiblichen und (fürstlich-)männlichen Reisen. Wo also lagen die Unterschiede? Einer der Unterschiede, die durch die Zugehörigkeit zum sozialen Geschlecht ausgelöst wurde, ist die spezifische Verhaltenskodifizierung, die von Prinzessinnen ein höheres Maß an Tugendhaftigkeit erwartete als von Prinzen.21 Aber auch der tatsächliche biologische Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Reisenden machte einen planenden Umgang mit der regelmäßig einsetzenden „natürliche Reinigung“ notwendig, aber auch mit Schwangerschaften, Fehlgeburten und Niederkünften, die zu längeren Aufenthalten oder Verzögerungen führten, die aber keineswegs das Reisen verhinderten. Gerade der weibliche Hochadel ließ sich durch die biologischen Bedingungen des eigenen Geschlechts nicht grundsätzlich vom Reisen abhalten. Die Tatsache, dass Männer zu ihrer Verteidigung stets selbst bewaffnet waren, Frauen jedoch nicht, machte eine zusätzliche personelle Schutzausstattung nötig, die die Kosten erhöhte. Bislang hat die männliche Reise als Norm und Folie für die Bewertung der weiblichen Reisetätigkeit gedient. An ihrer Häufigkeit, ihren Typen und Funktionen, an ihrer Reichweite und dynastischen Bedeutung ist die Relevanz der fürstlich-weiblichen Reise als ‚Sonderform‘ gemessen worden. Tatsächlich sollte die fürstlich-weibliche Reise aufgrund der Gleichrangigkeit oder prinzipiellen Gleichwertigkeit von Männern und Frauen im dynastischen Verständnis des Hochadels zwar durchaus vergleichend, aber dennoch als eigenständiges Phänomen aus ‚eigenem Recht‘ verstanden werden. Denn „fürstliche und adlige Frauen [standen] stets im Spannungsfeld zwischen Geschlecht und Herrschaft, zwischen Geschlechtszugehörigkeit und den damit verbundenen rechtlichen Grenzen einerseits und Familienzugehörigkeit und den damit verbundenen Verpflichtungen andererseits“.22 Reiste ein Familienmitglied, so reiste stets die Ehre, die „splendor
20 Scott: Travel (wie Anm. 13), S. 165–191; Beyrer: Reise, in EdN (wie Anm. 18); Werner Paravicini: Vom Erkenntniswert der Adelsreise. Einleitung, in: Rainer Babel/ders. (Hrsg.), Grand Tour (wie Anm. 2), S. 11–22 (hier S. 17); Gabriele M. Knoll: Kulturgeschichte des Reisens. Von der Pilgerfahrt zum Badeurlaub. Darmstadt 2006, Kap. II. 21 Trauschke, Martina (Hrsg.), Memoiren der Kurfürstin Sophie von Hannover. Ein höfisches Lebensbild aus dem 17. Jahrhundert. Göttingen 2014, S. 76. 22 Keller: Handlungsraum (wie Anm. 10), S. 36.
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familias“ des ganzen Hauses, der Dynastie.23 Fürstliche Reisende, egal ob männlich oder weiblich, waren daher immer Stellvertreter und Stellvertreterinnen ihrer Dynastie. Wurde diese beschädigt, entehrt oder gekränkt, so war die Beschädigung, Entehrung oder Kränkung des Teils gleichzusetzen mit der des Ganzen. Die Bewegung in exterritorialen Gefilden stellte damit eine mögliche Angriffsstelle, eine potentielle Schwächung des Hauses dar. Im Fall der reisenden Prinzessin griff jedoch noch ein zweites Verständnis von Ehre, nämlich die Geschlechts- und Tugendehre, die besonders schützenswert war, solange es sich um unverheiratete Prinzessinnen handelte, deren ‚Marktwert‘ von ihrer Jungfräulichkeit abhing. Verheiratete Fürstinnen reisten auch ohne offizielle diplomatische Mission als Stellvertreterinnen ihres Gemahls und als Reputationsträgerinnen der Dynastie. Witwen hatten eine wichtige Funktion als Mediatorinnen, waren jedoch zugleich (je nach Lebensalter) dem Vorwurf der ‚Wollust‘ ausgesetzt.24 Obwohl also die allgemeinen Gefahren wie Unfälle, Raub, Verschleppung, Krankheit, Tod und Konfessionswechsel beiden Geschlechtern drohten, wurde sexuelle Libertinage zur besonderen Gefahr in der Fremde für Frauen. Aber auch Männern, denen durchaus ein gewisses Maß an ‚Erfahrungen‘ zugestanden wurde, konnte ihr Verhalten zum Verhängnis werden und die dynastischen Planung empfindlich beeinträchtigen (siehe unten). Um den Verführungen der Fremde, sei es in konfessioneller, sexueller oder allgemein kultureller Art nicht zu erliegen, wurden die eigene Kultur und die eigenen Werte bis hin zum eigenen Essen exportiert. Die Reisenden nahmen eine unterschiedlich große Anzahl an Entourage und Personal mit, vom Koch über den Hofprediger/Priester bis hin zu einer Gruppe von Hofdamen und Fräulein, die die Zentralperson permanent umringten und die soziale Kontrolle garantierten. Mit festem Vorsatz und Durchsetzungsvermögen konnte diese Kontrolle vor Ort gelöst oder kurzfristig aufgehoben werden, allerdings wurden Regelbrüche gegen das Wertesystem des Herkunftshofes durch die Entourage erschwert.
2 Quellen Warum wissen wir so wenig von den Reisen des weiblichen Hochadels?25 Die literaturwissenschaftliche und historische Reise- und Hofforschung hat sich fast
23 Beatrix Bastl: Tugend, Liebe, Ehre. Die adelige Frau in der Frühen Neuzeit. Wien 2000, S. 30. 24 Britta-Juliane Kruse: Witwen. Kulturgeschichte eines Standes in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Berlin 2007, S. 219. 25 Bislang sind die Quellen noch unvollständig erfasst: In dem bibliographischen Verzeichnis deutschsprachiger Frauenreisen 1700 bis 1810 von Wolfgang Griep und Annegret Pelz werden
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ausschließlich für die Reiseformen und -funktionen von adligen Männern interessiert und dabei besonders die Bildungsreise, die Prinzenreise als Abschluss der Ausbildung und die (englische) Grand Tour im ausgehenden 17. und vor allem im 18. Jahrhundert in den Fokus genommen.26 Schwerpunkte der Forschung sind die konfessionell gebundenen, städtischen und höfischen Reiseziele, die Rezeption und der Kulturtransfer besonders vom Besuch italienischer Zielorte (Venedig) als allgemein geteilter ästhetischer und kultureller Kanon.27 Zudem hat die in Bezug auf Prinzen und Fürsten bessere Quellensituation zu einer intensiveren Erforschung von deren Reisetätigkeit geführt.28 Zugleich folgte aus der Menge an gegenständlichen Zeugnissen, der Sammlungstätigkeit der Reisenden und deren prägender Bedeutung in den modernen Museumsbeständen Europas die Präferenz der Untersuchung der verschiedenen Dimensionen der Kavalierstour und der Grand Tour.29 Bildquellen wie Skizzen, Graphiken, Landschaftsgemälde oder Portraits thematisieren nur unter bestimmten Bedingungen fürstlich-weibliche Reisen (siehe unten) und drängen sich als Quellengattung ebenfalls nicht auf.
auf knapp 300 Seiten 31 Schriftzeugnisse/Nachweise adliger Frauenreisen erwähnt. Wolfgang Griep/Annegret Pelz: Frauen reisen. Ein bibliographisches Verzeichnis deutschsprachiger Frauenreisen 1700 bis 1810 (Eutiner Kompendien, Bd. 1). Bremen 1995; John Ingamells: Dictionary of British and Irish Travellers in Italy 1701–1800. Yale 1997 enthält ebenfalls nur wenige Hinweise auf Quellen zu adlig-weiblichen Reisenden; Joachim Rees/Winfried Siebers: Erfahrungsraum Europa. Reisen politischer Funktionsträger des Alten Reichs 1750–1800. Ein kommentiertes Verzeichnis handschriftlicher Quellen. Berlin 2005, S. 34–37. Erst in jüngerer und jüngster Zeit sind Editionen von Reisetagebüchern erschienen, so zum Beispiel die der Pauline zur Lippe, die mit ihrem Gemahl und später als Regentin aus privaten, aber auch politischen Anlässen zwischen 1799 und 1818 reiste (Hermann Niebuhr (Hrsg.), Eine Fürstin unterwegs. Reisetagebücher der Fürstin Pauline zur Lippe 1799–1818. Detmold 1990), und der Großherzogin von Oldenburg, die um 1900 nach Konstantinopel reiste: Thomas Weiberg (Bearb.): Zwischen Orient und Ostsee. Die Reisetagebücher der Großherzogin Elisabeth von Oldenburg (Wilhelminische Studien, Bd. 9). Oldenburg 2009. 26 Antje Stannek: Telemachs Brüder. Die höfische Bildungsreise des 17. Jahrhunderts. Frankfurt a. M./New York 2001; Mathis Leibetseder: Die Kavalierstour. Adelige Erziehungsreisen im 17. und 18. Jahrhundert. Köln 2004; Eva Bender: Die Prinzenreise. Bildungsaufenthalt und Kavalierstour im höfischen Kontext gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Berlin 2011. 27 Zum Beispiel Jochen Luckhardt: Malerei und Divertissement. Reisen Herzog Anton Ulrichs und seiner Familie nach Venedig. Braunschweig 2002. 28 Rees/Siebers: Erfahrungsraum Europa (wie Anm. 25), S. 34–36; Raschke: Fürstinnenreisen (wie Anm. 14), S. 184 f. 29 Andrew Wilton/Ilaria Bignamini (Hrsg.), Grand Tour. The Lure of Italy in the Eighteenth Century (Katalog der Ausstellung Tate Gallery London, Oktober 1996 bis Januar 1997). London 1996; John Henry Merryman: Thinking about the Elgin Marbles. London 2000.
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Welche Quellen können der Erforschung weiblicher Reisetätigkeiten dienen, wenn die Überlieferung nicht die gleiche Dichte aufweist? Die Vielzahl vorliegender Studien zu Königinnen, Fürstinnen, Herzoginnen und Gräfinnen gibt wichtige Hinweise auf deren Reisen.30 Die oben genannten reisenden hochadligen Frauen sind aus zwei Gründen bekannt: Sie schrieben selbst in Briefen, Reisetagebüchern oder Memoiren darüber oder ihre Lebenswege waren bereits für ihre Zeitgenossen ungewöhnlich und von öffentlichem Interesse begleitet.31 Neben den genannten Selbstzeugnissen und narrativen Quellen gehören innerhöfische Kommunikationen, Rechnungen, Reisepläne, Reiseinstruktionen, annotierte Reiserouten, Reisezeremonielle und nicht nur allgemeine, sondern spezifisch auf ein weibliches Publikum bezogene Publikationen zu den heranzuziehenden Quellgattungen.32 Aber auch Leichenpredigten können Aussagen über das Reiseverhalten und die Bewegungsmuster von Fürstinnen enthalten.33 Der zeitgenössische Diskurs über das Reisen von (adligen) Frauen im Allgemeinen ist widersprüchlich, da er einerseits das Reisen von Frauen entweder nicht thematisierte oder dessen Sinnhaftigkeit bezweifelte, andererseits jedoch die alltägliche Praxis aufscheinen
30 Zum Beispiel Clarissa Campbell Orr (Hrsg.), Queenship in Europe 1660–1815. The Role of the Consort. Cambridge 2004. 31 Vgl. neben den beiden bereits genannten Hartig (Hrsg.), Luise (wie Anm. 8) und Kammerer-Grothaus (Hrsg.), Markgräfin Wilhelmine, Tagebuch (wie Anm. 6), die folgenden Editionen: Katja Dimitrieva/Viola Klein (Hrsg.), Maria Pavlovna. Die frühen Tagebücher der Erbherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach. Köln, Weimar, Wien 2000; Ingeborg Titz-Matuszak/Peter Brosche (Hrsg.), Das Reisetagebuch 1807 der Herzogin Charlotte Amalie von Sachsen-Gotha-Altenburg. Gotha 2003. Zur Rezeption etwa: A. G. Cross: Contemporary British Responses (1762–1810) to the Personality and Career of Princess Ekaterina Romanova Dashkova, in: Oxford Slavonic Papers, Bd. 27 (1994), S. 41–61. 32 Ein allgemeiner Ratgeber für hohe und niedrige Standespersonen wäre zum Beispiel: Paul Jacob Marperger: Anmerckungen über das Reisen in Frembde Länder/Dessen rechten Gebrauch und Mißbrauch und den/dem Publico daraus entstehenden Nutzen oder Schaden. Dresden und Leipzig 1733, unter: http://diglib.hab.de/drucke/ac-239-2/start.htm (zuletzt abgerufen am 22. Mai 2017). Marperger nennt verschiedene Berufsgruppen und Motive: Handwerker, Kaufleute, Gelehrte, Geistliche, Soldaten, Zivilpersonen im Staatsdienst, Landesherren; zur Erhaltung der Gesundheit, Lust-Reisen, Reisen aus Sicherheitsgründen (Pest/Krieg), Reisen, um dem Gesetz zu entgehen, Reisen, um Altherthümer und moderne Sehenswürdigkeiten zu besuchen (S. 4–8). Dass Frauen als Reisende hier und andernorts nicht explizit erwähnt werden, bedeutet nicht, dass es keine reisenden Frauen gab, sondern dass die Autoren keine Notwendigkeit einer separaten Erwähnung sahen. 33 Vgl. zum Beispiel den Lebenslauf im Rahmen der Leichenpredigt auf Herzogin Johanna Magdalena von Sachsen-Weißenfels (1656–1686), in der regelmäßige Reisen zwischen Altenburg, Weißenfels und Halle aufscheinen: Anonym: Letztes Denckmal […]. Weißenfels 1686 (HAB Wolfenbüttel, Lpr. Stolb. 19551).
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lässt.34Apodemiken, also „Schriften, die Anweisungen zum richtigen Beobachtungen und Verhalten auf Reisen gaben und darüber hinaus auch historisch, theoretisch und methodologisch über das Reisen reflektierten“,35 spiegeln das Reisen als breiter werdende Kulturpraxis der späthumanistischen Bildungsreise, die Blütezeit der adligen Kavaliertour bis hin zur aufgeklärt bürgerlichen Bildungsreise und die Notwendigkeit solcher reisebegleitenden Handbücher. Sie entwickelten sich im frühen 16. Jahrhundert in den Druckorten Basel, Frankfurt und London, fanden ab dem frühen 17. Jahrhundert europaweit Verbreitung und endeten 1795 mit Franz Posselts Apodemik oder die Kunst zu reisen.36 Frauen wurden jedoch nicht erst hier explizit – und in diesem Fall freilich kritisch – als Publikum angesprochen. Dass auch Frauen im Allgemeinen bereits um 1700 selbstverständlich reisten, zeigen dagegen verschiedenen Publikationen, wie etwa das populäre Frauenzimmerlexicon von Amaranthes 1715, das Einträge zum Reisebuch, der Reisebekleidung und der Reisekohle zum Nachzeichnen des Gesehenen beinhaltet, oder etwa der Curieuse Frauenzimmer und Reise-Handkalender, erstmals 1717 mit der sechsten Auflagen von 1737 in Erfurt erschienen, der einen Messekalender und damit quasi eine Reiseaufforderung enthielt.37 Die Forschung hat zudem bereits exemplarisch gezeigt, dass sich Fürstinnen anhand allgemeiner Reiseliteratur auf ihre eigenen Reisen vorbereiteten und sich auch unterwegs mit Reiseführern versorgten.38 Zedlers Universallexicon aus der Mitte des 18. Jahrhunderts enthält mehr als zwanzig Lemmata, die den Begriff Reise beinhalten, darunter auch ein Trisenet (= Pulver) für Schwangere, so […] weit reisen müssen. Hier wird deutlich, dass das Reisen zu den üblichen Alltagspraktiken von (adligen) Frauen gehörte und auch Schwangerschaften keinen Hinderungsgrund darstellten.39 Leonard Chris-
34 Einschläge Traktate wie etwa die Gruppe der protestantischen Hausvätertraktate, legen (nieder-)adlige Frauen auf ihre Häuslichkeit fest. Das Reisen als solches erwähnt zum Beispiel Florinus nur in Bezug auf den korrekten Umgang mit dem Reitpferd. Franz Philipp Florinus: Oeconomus Prudens et legalis […]. Nürnberg 1705, S. 934 f. 35 Justin Stagl: Apodemiken – eine räsonierte Bibliographie der reisetheoretischen Literatur des 16., 17. und 18. Jahrhunderts. Paderborn u. a. 1983, S. 7. 36 Ebd., S. 107–118. Ein berühmtes Werk stellt Fénelons Telemaque (Den Haag 1699) dar, der Reise-, Bildungsroman und Fürstenspiegel zugleich ist (dt. Übers. 1715). 37 Gottlieb Siegmund Amaranthes: Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexicon. Frankfurt a. M./Leipzig 1715, unter http://www.deutschestextarchiv.de/book/view/corvinus_ frauenzimmer_1715 (zuletzt abgerufen am 27. Mai 2017), Sp. 1603. 38 Raschke: Fürstinnenreisen (wie Anm. 14), S. 183 f. 39 Abreise, Messe-Reise, herrliche Reise, die Reisebeschreibung, das Reisegeld und die Reisekosten, die Reisekappe, den Reisekoffer und das Reisen an fremde Orte, Wanderung, Wanderschafft, den Reisenden, den Reisepaß, die Sabbaths-Reise, Sicherheit derer Reisenden, ein Trisenet für Schwangere, so erschrocken oder weit reisen müssen, ein Lemma zum Verreisen, ein
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toph Sturm beschrieb 1704 in der geöffneten Raritätenkammer die Funktion des Reisens als beste Schule des Lebens, als da man täglich in dem grossen Buche der Welt etwas Neues zu lernen auffkriegt. […] Man soll sich auff Reisen durch löbliche Sitten und frembder Weisheit qualificiren; Man soll mehr um die Wissenschaften, Seltenheiten der Natur, und Antiquitäten auswertiger Nationen, und andre sehenswürdige Sachen bekümmert seyn, als daß viele unnütze Leute sich begnügen lassen, wenn sie Prächtige Paläste, Gärten, Spring-Brunnen, Bereiter, Fecht- und Tanz-Meister besuchen, und sich Wunder-Dinge einbilden, wenn sie nach Hause kommen und doch weder rechte Klugheit erlernet haben noch von was in der That galantes discouriren können […].40
Sturm richtete sich an reisende Curiosi und schloss damit Frauen der sozialen Eliten als Zielgruppe keineswegs aus. Eine kluge Konversation, die auch auf Reiseerfahrungen gründete, gehörte zu den Grundkenntnissen beider Geschlechter:41 Denn kein nothwendiger Stück der politen Welt ist, als wann man mit einem ieden honetten Menschen, er sey, wes Standes er wolle, bey Gelegenheit sich mit anständigen Gesprächen unterhalten kann.42 Die Reisepraxis als Teil der Alltagskultur hochadliger Damen scheint nicht unter dem Einfluss des publizistischen Diskurses gestanden zu haben, denn dieser zielte auf ein bürgerliches Publikum ab.43 Tatsächlich sind das offizielle fürstlich-weibliche Reisen und die Vorgaben des Reisezeremoniells für Fürsten deckungsgleich (siehe unten). Traktatliteratur ist zur Ergründung der hochadlig-weiblichen Reise also nur in sehr allgemeiner Form aussagekräftig. Jedoch können indirekte Nachweise von Reisen über Erwähnungen, Messerechnungen, Besuchsbücher in Sammlungen und Museen Aufschluss geben über die häufigen Bewegungen der Prinzessinnen und Fürstinnen.44 Auch die materiellen Zeug-
Lemma zum Unvermutheten Reisen, Wegfertig oder Reisefertig, das Reise-Maß, Zug, Reise oder Wanderung, Bündel, das Reise-Geräth der Gesellen. Vgl. Johann Heinrich Zedler (Hrsg.), Universal-Lexicon […]. Halle und Leipzig 1731–1754, unter: https://www.zedler-lexikon.de/index. html?c=startseite&l=de (zuletzt abgerufen am 15. Juni 2017). 40 Leonard Christoph Sturm: Die geöffnete Raritäten- und Naturalien-Kammer [Des geöffneten Ritterplatzes dritter Theil, Hamburg 1705], Hamburg 1704, Vorrede, S. 4–6 (hier S. 4 f.). 41 Ronald G. Asch: Europäischer Adel in der Frühen Neuzeit. Eine Einführung. Köln u. a. 2008. Ziel sei die „Kunst der Konversation“ gewesen, S. 155. 42 Sturm: Raritäten- und Naturalien-Kammer (wie Anm. 39), S. 6. 43 Vgl. etwa Posselts apodiktische Absage an die weibliche Reise: Franz Posselt: Apodemik oder die Kunst zu reisen. 2 Bde., Leipzig 1795, Bd. 1, S. 733–736. 44 Vgl. das Besucherbuch von Kunsthaus und Museum Fridericianum 1769–1796 Kassel, unter: http://portal.ub.uni-kassel.de/besucherbuch/datenbank.php?lang=de (zuletzt abgerufen am 14. Juni 2017), das Einträge vieler reisender hochadliger Frauen aufweist.
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nisse der weiblichen Reisetätigkeit wie klappbare Reisebetten oder Sitzsäcke, um die Bequemlichkeit der Reise zu erhöhen, Reiseküchen, Reiseapotheken, Reisekleidung, Schreibzeug und Necessaires sind Ausdruck des Reisens als einer üblichen und nicht etwa außergewöhnlichen Kulturpraxis der weiblichen Eliten.45
3 Reisetypen Bislang hat die Forschung nur einen Typus der weiblichen Reise aufgrund ihrer dynastischen Relevanz als politische Allianzen zur Kenntnis genommen: die Brautfahrt als notwendiges und daher legitimes und unbestrittenes Motiv adligweiblicher Reiseerfahrung, als räumliches Heraustreten aus dem heimatlichen Territorium und als Übertreten in einen neuen Wirkungskreis.46 Wegen ihres Status als dynastisch bedeutungtragende und symbolisch begleitete Bewegung im Raum ist sie als Sonderform der adlig-weiblichen Reise zu verstehen, die mit dem Begriff der Migration als dauerhafte Form der Mobilität zu beschreiben wäre.47
45 Alexa-Beatrice Christ: „Was er füglich entbehren kann, lasse er zurück“. Reisegepäck im Spiegel von Apodemiken des ausgehenden 18. Jahrhunderts, in: Schlossmuseum Darmstadt (Hrsg.), Unterwegs … (wie Anm. 9), S. 9–26. 46 Tobias Hübner: Beschreibung der Reiß, […] Des Durchleuchtigsten … Herrn Friederichen deß Fünften, Heidelberg 1613. Tafel 7 zeigt die Ankunft des Zuges vor Heidelberg; Mark Brayshay: The Choreography of Journeys of Magnificence. Arranging the Post-Nuptial Progress of Frederick, the Elector Palatine, and Princess Elizabeth of England from London to Heidelberg in 1613, in: Journal of Early Modern History 12 (2008), S. 383–408. Sara Smart/Mara R. Wade (Hrsg.), The Palatine Wedding of 1613. Protestant Alliance and Court Festival, Wiesbaden 2013, bes. S. 371–426 (Progress to and Reception in Heidelberg) und Tafel 8 (Adam Willaerts, 1619, „Embarkation at Margate“, S. 654) und Tafel 14 („Entry of Duke Johann Casimir of Pfalz-Lautern and his wife into Frankenthal“, 1577, S. 657); Helen Watanabe-O’Kelly: Cultural Transfer and the Eigtheenth-Century Queen Consort, in: German History Bd. 34/2 (2016), S. 279–292. Vgl. das HERA-Projekt Marriage Cultures. Queens Consort and European Identities 1500–1800, unter: http://www.marryingcultures.eu/maps (zuletzt abgerufen am 17. Mai 2017), hier „marriage Jouneys“. Besonders interessant ist der von Zedler benannte Rechtsbegriff der notwendige Reise […] welche jemand entweder des gemeinen bestens wegen vornehmen muss, oder, in deren Unterbleibung ihm oder denen Seinigen ein […] unverwindlicher Schade bevorstehet (Zedler (wie Anm. 39), Bd. 24, Sp. 1452 f.). Dieses Argument könnte zur Untermauerung von Reiseprojekten Anwendung gefunden haben. 47 Zu Brautfahrten und Brautschätzen vgl. Christiane Coester: Brautfahrten. Grenzüberschreitungen und Fremdheitserfahrungen adliger Frauen in der Frühen Neuzeit, in: Francia 35 (2008), S. 149–168; Michaela Völkel: „Ihr gehört das Gut: Wie darf ich mich drum kümmern, was sie mit ihm thut?“ Zur materiellen Kultur hochadeliger Frauen in Brandenburg-Preußen, in: KultGeP Vorträge und Forschungen 2 (2015), S. 1–31; Elena Taddei: Fremde Fürstinnen in Ferrara. Heiratsmigration zwischen Integration und Fremdsein im 16. Jahrhundert, in: dies./Michael Müller/Robert Rebitsch
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Abb. 1: Anonym. Die Hochzeit zwischen Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1578–1653) und Magdalene von Bayern (1587–1628), Hochzeitszug, Empfang, Kirchgang, Vermählung; München, 1613.
Bildliche Darstellungen der Brautfahrt zeigen entweder ein dokumentarisches Interesse am Geschehen oder stellen die Brautfahrt als mythisch überhöhte Rite de Passage dar, wie sie zum Beispiel Peter Paul Rubens Gemälde Ankunft der Maria de Medici in Marseille nach der Schiffsreise von Livorno im Jahr 1600 zeigt,
(Hrsg.), Migration und Reisen. Mobilität in der Neuzeit (Innsbrucker Historische Studien 28). Innsbruck u. a. 2012. S. 43–54; Eine bislang kaum erforschte Brautfahrt ist die der Amélie Auguste von Leuchtenberg (1812–1873), Enkelin von König Maximilian I. von Bayern. Sie heiratete 1829 Kaiser Peter I. von Brasilien und reiste mit 17 Jahren teilweise inkognito von München über Ostende zunächst nach Portsmouth und von dort sechs Wochen mit dem Schiff nach Rio de Janeiro (Barth: Inkognito (wie Anm. 19), S. 189). 1831 kehrte das Paar nach Europa zurück. Nach dem Tod des Gemahls bewegte sie sich regelmäßig zwischen Lissabon und München. Zum Verfahren der Brautübergabe und zu diskursiv-juristischen Aspekten siehe Michael Stolleis: Die Prinzessin als Braut, in: Joachim Bahnert/Christoph Gramm u. a. (Hrsg.), Verfassung – Philosophie – Kirche. Berlin 2001, S. 45–57.
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die die französische Königinwitwe mehr als zwanzig Jahre später selbst zur Stabilisierung ihrer Position in Hinblick auf eine höfische Öffentlichkeit in Auftrag gab.48 Während Rubens Gemälde den Moment des territorialen Eintritts in den neuen Herrschaftsraum einfängt und die Schiffsreise nur fragmentarisch angedeutet wird, bildet der anonyme Kupferstich der Vermählung zwischen Pfalzgraf Wolfgang Wilhelm von Pfalz-Neuburg (1578–1653) und Magdalene von Bayern (1587–1628) in München 1613 ein Bilddokument aus, das Details wie die exakte Bezeichnung der Personen und deren An- und Abreise und die einzelnen Szenen der Hochzeit aufnimmt (Abb. 1). Neben der Brautfahrt wurden besonders zeremonielle Bewegungsmotive bildlich festgehalten, so etwa die Huldigungsreise Maria Theresias 1740.49 Aber auch andere Reisetypen finden sich in bildlichen Darstellungen.50 Trotz einzelner Funde ist das Bildthema der reisenden Prinzessin, Fürstin oder Fürstinnenwitwe vergleichsweise selten, besonders die ‚zweckfreie‘ Bewegung im Nahraum, wie beispielsweise die Kreidezeichnung von Dirk Maes aus dem frühen 18. Jahrhundert zeigt.51 In den Textquellen findet sich dagegen neben der Brautfahrt eine Vielzahl an Reiseanlässen, Motiven und Auslösern fürstlich-weiblicher Reisen.52 Dazu
48 Peter Paul Rubens, Die Ankunft der Maria de’ Medici im Hafen von Marseille 1600 (Débarquement de Maria de’ Medici au port de Marseille (3 novembre 1600), Paris, Musée du Louvre, 1622–1625. Zur Reise von Livorno nach Marseille bis zum Königshof mit 2000 Personen vgl. Hübner/Regtmeier: Maria de’ Medici (wie Anm. 3), S. 45– 48; vgl. auch folgende Abb.: Sophie von Hannover, Einholung der Braut 1668, Kupferstich von Georg Krikau, Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek C 15746, 2 Sammelband Joh. Friedrich. 49 Elias Baeck, Eigentliche Abbildung des prächtigen Zugs (Huldigung der N. Ö. Stände an Ihr. Königl. Maj. Maria Theresia), Politisches Flugblatt, 1740, Bayrische Staatsbibliothek München, 45d0253a. 50 Johannes Lingelbach, Königin Christina von Schweden (1626–1689) auf dem Weg nach San Paolo fuori le Muro, Staatliche Museen Berlin, Gemäldegalerie, Ivnr. 443; Auch Erasmus de Bie, View of the Meir, Antwerpen, Rockox House, Öl auf Leinwand 118 x 85 cm, zeigt die Durchreise der Christina von Schweden; Valentin Wagner, Reiseskizzenbuch: Landgraf Georgs von Hessen Gepäckstrain, 1631–1638, Tusche, Feder, 10 x 13,7 cm, Albertina, Wien, 3364r. 3382_83R zeigt das Aussehen eines Transportkarrens, einer „frühen“ Kutsche. 51 Dirk Maes (1659–1717), Park mit großem Bassin, Statue, Kutsche und Reitern (Detail), Schwarze Kreide, grau laviert, 13,5 x 20,5 cm (Albertina Wien, IV10375) = Titelvignette dieses Bandes. Die repräsentative Gestaltung der Kutsche, die sechsspännig gefahren wird, der Vorreiter und die berittene, livrierte Entourage verweist auf einen lokalen Ausflug einer Prinzessin oder Herzogin, die sich schemenhaft im Innern der Kutsche ausmachen lässt. Im Bildaufbau der Landschaft kommt der Szene jedoch nur die Aufgabe einer Staffage zu. 52 Vgl. auch die vorgeschlagenen Typologien bei Raschke: Fürstinnenreisen (wie Anm. 14), S. 183–207 und in der Einleitung von Rees/Siebers: Erfahrungsraum Europa (wie Anm. 25), S. 36– 38. Brian Dolan: Ladies of the Grand Tour. London 2001. Brian Dolan stellt die Reisemotive der
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gehören die Verlegung des Lebensmittelpunktes, mehrtägige oder mehrwöchige Verwandtenbesuche, mit konkretem Anlass (Krankenbesuch, Geburt eines Kindes) oder aber aus praktischen Gründen der Übernachtung unterwegs zu anderen Zielen, Fahrten, die der eigenen Gesundheit dienten, der Besuch von Festivitäten und Divertissements (Messebesuche/Karneval), Kultur- und Bildungsreisen, territorial-politische Anlässe wie die Teilnahme an Landtagen oder der Besuch des Reichstags, Einzüge oder Trauerzeremonielle, territoriale Verwaltungsangelegenheiten (wie etwa die Inspektion von Regalen oder Ämtern) oder dynastisch-diplomatische Reisen im Zusammenhang mit der Eheanbahnung. Auch Geleit für weibliche Familienmitglieder zeigt sich häufig als Motiv. Reisen aus religionspolitischen, konfessionellen oder spirituellen Gründen stellten einen weiteren Reiseanlass dar, wie etwa Wallfahrten, die Hinwendung zum Pietismus oder die Anbahnung und Durchführung eines Konfessionswechsels. Ein zusätzlicher Typus scheint in den Reisen zum Reputationserhalt auf, etwa aus ‚amourösen‘ Gründen wie die Abreise oder die Vermeidung von bestimmten Orten.53 Umgekehrt diente das Aufsuchen bestimmter Orte als Deckmantel für sozial unerwünschte Ereignisse wie die Pflege von außerehelichen Beziehungen oder auch zur Vertuschung einer illegitimen Schwangerschaft. Nicht zuletzt hatte die Vermeidung mancher Orte, etwa aufgrund des Ausbruchs der Pest, den Schutz des eigenen Lebens zum Ziel, wie auch die Flucht vor den zu fürchtenden Folgen von Krieg oder drohender Gewalt. Nur in wenigen Fällen zeigt sich in den Quellen ein isolierter Reisetypus, der ausschließlich einem Anlass folgte.54 War zum Beispiel der Hauptgrund der Besuch eines Heilbades, wurden auf dem Hin- oder Rückweg Zwischenstationen bei Verwandten eingelegt und Sehenswürdigkeiten entlang des Weges besucht. Die Bäderreise war also zugleich Verwandtenbesuchs- und Bildungsreise, auch gab es insbesondere hier Mischformen. Das über das Reich und die angrenzenden Territorien verteilte dynastische oder durch Freundschaften verpflichtete
englischen Frauen des 18. Jahrhunderts unter den Leitgedanken der ihnen bis dahin verwehrten Bildung bzw. Selbst- und Persönlichkeitsbildung, gepaart mit Freiheit und Unabhängigkeit von engen heimischen Familienkonstellationen. Nicht wenige Frauen der sozialen Eliten hätten eine Lösung für eine unglückliche Ehe in ausgedehnten Europareisen gefunden. Seine Beispiele stammen jedoch weitestgehend aus nichtadligem Milieu. Die von Dolan aufgestellte Liste der Reisemotive und Kategorien: „Education and Improvement“, „Liberty and Independence“, „Fashionable Society and Foreign Affairs“, „Sea Breezes and Sanity“, „Fine Art and Fashion“. 53 Trauschke (Hrsg.), Memoiren (wie Anm. 21), S. 68 f. Sophie entzieht sich durch mehrfache Ortswechsel einem Verehrer. Zugleich wird auch deutlich, dass ein überstürztes Aufbrechen gern von dem Gerücht einer Schwangerschaft begleitet wurde (S. 100 f.). 54 Rees/Siebers: Erfahrungsraum Europa (wie Anm. 25), S. 36.
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Personen- und Höfenetzwerk machte das Von-Station-zu-Station-Reisen durch die „uniforme Hospitalität der Höfe“55 zumindest für die Zentralperson leicht, wenn auch sozial ermüdend. Auch die freien Reichsstädte waren an einer guten Beziehung interessiert, bereiteten ehrenvolle Empfänge vor, sorgten für Nahrung, gaben Gastgeschenke aus und stellten die besten Häuser vor Ort als Logements zur Verfügung.56 Die durch die Besuche des weiblichen Hochadels immer wieder von neuem bestätigten und gefestigten Beziehungen bedienten das Verweis system der verschiedenen sozialen Netzwerke; ein guter oder schlechter Bericht über den Empfang konnte dabei empfindliche Folgen haben und zur Meidung dieser Orte und damit zum sozialen Ausschluss führen, was besonders für die kleineren und Kleinsthöfe eine Schmälerung ihrer Reputation bedeutete. Das Durchreisen der Fürstinnen und Prinzessinnen mit ihrer Entourage hatte also eine erhebliche Bedeutung für die durchreisten Orte, wenn auch aufgrund der großen finanziellen Belastungen, die mit deren Beherbergung einhergingen, nicht nur eine positive. Anhand der unterschiedlichen Dauer der Reisen, vom Tagesauspflug bis hin zum mehrmonatigen oder gar mehrjährigen Aufenthalt, und besonders aber der dabei zurückgelegten Wegstrecke ergeben sich Bewegungstypen, die als lokale, innerterritoriale, transterritoriale und transnationale Reisen eingeordnet werden können. Sie sollen im Folgenden am Beispiel der Reisen Prinzessin Sophies von der Pfalz, spätere Herzogin/Kurfürstin von Hannover, vorgestellt werden.
55 Paravicini: Erkenntniswert (wie Anm. 20), S. 15. 56 Zur Organisation, Vorbereitung und politischen Funktion einer fürstlich-weiblichen Reise siehe Mark Brayshay: Long-distance royal journeys. Anne of Denmark’s Journey from Stirling to Windsor in 1603, in: The Journal of Transport History Bd. 25/1 (2004), S. 1–21.
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4 Die Reisen der Prinzessin Sophie von der Pfalz, der späteren Herzogin/Kurfürstin von Hannover (1630–1714)
Abb. 2: John Smith, Sophie von Kurpfalz (1630–1714), Herzogin von Braunschweig-Lüneburg und Kurfürstin von Hannover, Erbprinzessin von Großbritannien, 1706.
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Sophie von Hannover wurde 1630 als zwölftes Kind des Kurfürsten Friedrich von der Pfalz (1596–1632) und Elisabeth Stuart (1596–1662) in Den Haag geboren. Die ersten zwanzig Lebensjahre verbrachte sie in Holland, die folgenden acht Jahre nach der Restitution am kurpfälzischen Hof ihres ältesten Bruders Karl Ludwig (1617–1680) in Heidelberg bis zu ihrer Heirat mit dem nachgeborenen Ernst August von Braunschweig-Lüneburg (1629–1698). Aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor, darunter Sophie Charlotte (1668–1705), die spätere Königin von Preußen. Im Jahr 1692 wurde Ernst August von Kaiser Leopold I. (1640–1705) die neunte Kur zuerkannt. Für die politische Geschichte Europas wurde Sophie durch den englischen Act of Settlement von 1701 bedeutend, dessen Ziel die Verhinderung katholischer Monarchen in England darstellte und aufgrund dessen Sophies erstgeborener Sohn Georg Ludwig (1660–1727) nach dem Tod der kinderlosen Queen Anne 1714 als Georg I. den englischen Thron bestieg.57 In der Folge wurden bis 1837 Kurhannover und der englische Thron in Personalunion geführt. Das Interesse der Forschung gilt besonders Sophies Position als Stammmutter des englischen Königshauses, das mit dem dreihundertjährigen Thronjubiläum 2014 nochmals intensiviert wurde. Im selben Jahr erschien die kommentierte, ins Deutsche übersetzte Neuedition des Textes, der diesen Ausführungen zugrunde liegt.58 Im Jahre 1681, mit 51 Jahren, nachdem mehrere nahestehende Verwandte gestorben waren und Sophie selbst mit dem Tod rechnete, der doch erst 35 Jahre
57 Zum Zeitpunkt des Act waren von den Kindern der protestantischen Elisabeth Stuart nur zwei Töchter am Leben: Sophie und ihre kinderlose und zum Katholizismus konvertierte Schwester Luise Hollandine. Vgl. den Ausstellungskatalog Katja Lembke (Hrsg.), Hannovers Herrscher auf Englands Thron 1714–1837 (anlässlich der Sonderausstellung „Als die Royals aus Hannover kamen. Hannovers Herrscher auf Englands Thron 1714–1837“ im Niedersächsischen Landesmuseum Hannover und im Museum Schloss Herrenhausen, 17. Mai bis 5. Oktober 2014). Hannover 2014; Christine van den Heuvel: Sophie von der Pfalz (1630–1714) und ihre Tochter Sophie Charlotte (1668–1705), in: Kerstin Merkel/Heide Wunder (Hrsg.), Deutsche Frauen der Frühen Neuzeit. Darmstadt 2000, S. 77–92; Mathilde Knoop: Kurfürstin Sophie von Hannover. Hildesheim 1963; Adolf Köcher: Geschichte von Hannover und Braunschweig 1648–1714, Leipzig 1884–1895 (2 Bde.); Georg Schnath: Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674–1714, Bd. 1, Hildesheim 1976; Ute Daniel: Zwischen Zentrum und Peripherie der Hofgesellschaft. Zur biographischen Struktur eines Fürstinnenlebens der Frühen Neuzeit am Beispiel der Kurfürstin Sophie von Hannover, in: L’Homme. Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 8 (1997), S. 208–218. 58 Trauschke (Hrsg.), Memoiren (wie Anm. 21). Originale Abschrift: Niedersächsisches Staatsarchiv Hannover, Hann. Des. 91 Kurfürstin Sophie, 4.
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später erfolgte, beendete sie ihre Memoiren.59 Sophie schrieb: jetzt, wo ich fünfzig Jahre alt bin, denke [ich immerzu], daß es nicht lange dauern wird, bis ich meiner Schwester und meinem Bruder [in den Tod] folge.60 Der Kontext ist allerdings nicht nur in der Lebenskrise zu verorten, sondern in dem schwelenden Konflikt um die Frage der Erbansprüche um das Herzogtum Braunschweig-Lüneburg zwischen dem älteren Bruder Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg (1624–1705) und dem jüngeren Bruder Ernst August. Georg Wilhelm war zunächst 1656 als Gemahl für Prinzessin Sophie vorgesehen worden, hatte jedoch nach dem Verlöbnis auf einer Reise nach Venedig dort eine ungewollte Schwangerschaft provoziert und musste damit die geplante Verbindung lösen.61 Zur Schadensbegrenzung kam es zum Brüdertausch, wobei Georg Wilhelm versprach, auf ein Konnubium und damit auf die Chance auf rechtmäßige Erben zu verzichten. Damit wurden Sophies zukünftige Kinder zu den Erben des Herzogtums erhoben. Bereits 1664 verband sich Georg Wilhelm jedoch mit Eleonore d’Olbreuse (1639– 1722), die er über mehrere Schritte am Hof etablierte und letztlich entgegen seiner Zusage 1676 ehelichte.62 Sophies Memoiren dienten primär dazu, ihre königliche Abstammung zu betonen, die Rechtmäßigkeit ihrer Ansprüche mit Hilfe von Abschriften eingeflochtener Dokumente zu untermauern und vielleicht zugleich – auch wenn das Manuskript nie veröffentlicht wurde – in publizistische Konkurrenz mit ihrer Schwägerin Eleonore d’Olbreuse und der Geliebten ihres Mannes, Maria Mancini (1639–1715), zu treten, die beide kurz zuvor Memoiren publiziert hatten.63 Im
59 Die einzige Version davon, eine annotierte Abschrift von niemand anderem als dem hannoverischen Hofrat Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), wurde erst 1850 im königlichen Archiv des Landes Hannover entdeckt. Eine erste französische originalsprachliche Ausgabe erschien 1879, eine englische Übersetzung 1888 und eine deutsche Ausgabe 1913. Vgl. Ulrich Klappstein: Zur Textgestalt der Memoiren und zu dieser Übersetzung, in: Trauschke (Hrsg.), Memoiren (wie Anm. 21), S. 185–193. 60 Ebd., S. 153. 61 Alheidis von Rohr vermutete eine Geschlechtskrankheit. Alheidis von Rohr: Sophie Kurfürstin von Hannover (1630–1714) (Begleitband. zur Ausstellung Histor. Museum am Hohen Ufer Hannover). Hannover 1980, S. 31. 62 Michael Sikora: Dynastie und Eigensinn. Herzog Georg Wilhelm von Celle, Eleonore d’Olbreuse und die Spielregeln des Fürstenstandes, in: Heiko Laß (Hrsg.), Hof und Medien im Spannungsfeld von dynastischer Tradition und politischer Innovation zwischen 1648 und 1714 (Rudolstädter Forschungen zur Residenzkultur, Bd. 4). München 2008, S. 19–30. 63 Laut Dreier (Helke Dreier: Memoirs as Dynastic Means of Legitimization: Duchess Sophie of Hannover, in: Biography, Bd. 27/3 (Sommer 2004), S. 495–516, hier S. 514) handelt es sich dabei um den Druck: Maria Manchini: Apologie ou les vérizables mémoires de Mad. Mancini … Leiden 1678 und Eleonore d’Olbreuse: Avanture historique, écrite par lòrdre de Madame***. Paris 1679.
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Jahre 1685 wurde Gottfried Wilhelm Leibniz damit betraut, eine Geschichte des Welfenhauses zu verfassen. Es ist deshalb zu vermuten, dass Sophies Memoiren nicht nur die Funktion eines Selbstzeugnisses hatten, sondern als Basis offizieller Geschichtsschreibung dienen sollten.64 Prinzessin Sophie berichtete ausführlich in ihren chronologisch verfassten Memoiren von ihren Reisen. Obwohl die zu den Selbstzeugnissen zählende Gattung der Memoiren aufgrund der gefilterten, retrospektiven Narration nicht uneingeschränkt als historische Quelle verwendet werden kann, sind die Aussagen aufgrund ihrer „diskursiven Zeitgenossenschaft“ dennoch glaubwürdig.65 Bis 1681 fand Sophie fünf größere Reisebewegungen sowie einzelne kleinere Ausflüge erwähnenswert: Reisen in den Niederlanden (1630–1650), mehrere Reisen im Reich, darunter die Brautfahrt (1658), nach Italien (1664–65), gemeinsam mit ihrem Gemahl, jedoch teilweise zeitversetzt und mit je eigener Suite, nach Frankreich (1679) alleine mit ihrer Tochter und gemeinsam nach Dänemark (1680). Sophies Memoiren zeigen nur einen kleinen Ausschnitt ihrer Reisetätigkeit, nämlich die Reisen, die als kritische Lebensereignisse persönlich bedeutsam waren, oder solche, die sie dynastisch oder politisch für relevant hielt. Wie überaus wichtig die Reisen waren, beweist der große Raum, den dieses Thema im Rahmen der Memoiren einnimmt. Ohne meist präzise Zeitangaben zu nennen, ist die Erzählung ereignisorientiert und enthält primär Beschreibungen, ohne Introspektion; sie taucht an verschiedenen Stellen ausführlich in die Geschehnisse ein und fährt dann wieder in großen Bögen fort.
64 Sie waren nie zur Veröffentlichung vorgesehen. Leibniz’ Kommentaren ist zu entnehmen, dass er Vereinheitlichungen in Bezug auf die Verwendung von Zeitformen und orthographische Korrekturen vorschlug. Klappstein: Textgestalt (wie Anm. 59), S. 189 f. Zur Editionsgeschichte siehe auch Dreier: Memoirs (wie Anm. 63), S. 500 f. 65 Dreier: Memoirs (wie Anm. 63), S. 496 in Anlehnung an Katharina von Hammerstein. Die im Rückblick geschilderten Ereignisse und Bewertungen, seien „historiography strongly mediated by the filter of subjective perception“ und „description of things past from the subjective point of view“, ebd., S. 498. Zu den komplexen Zusammenhängen zwischen literarischen Traditionen und Reisebeschreibungen siehe Stephan Conermann: Reiseberichte als Erzähltexte, in: ders./ Bekim Agai (Hrsg.), „Wenn einer eine Reise tut, hat er was zu erzählen“. Präfiguration – Konfiguration – Refiguration in muslimischen Reiseberichten. Berlin 2013, S. 7–27 mit Referenz an den Gießener Anglisten Ansgar Nünning.
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Abb. 3: Die dynastischen Bezugsorte, Mobilitätskreise und Reisen der Sophie von Kurpfalz. Reisen in den Niederlanden der Prinzessin in Kindheit und Jugend 1630–1650: Sternförmige Bewegung von den zentralen Orten Leiden und Den Haag (nach Rhenen, Honslaarsdijk, Voorhout, Delft und Breda); Übersiedlung nach Heidelberg 1650 (über Den Haag, Düsseldorf, Köln, Rheinfels, Bacharach, Oppenheim, Mannheim); Reisen vom Kurpfälzer Hof in Heidelberg (Stuttgart ~1651, Regensburg 1653); Brautfahrt 1658 von Heidelberg nach Hannover (über Weinheim, Mainz, Darmstadt, Frankfurt, Friedberg, Butzbach, Gießen, Kassel, Minden); häufige lokale Reisen zwischen 1658 und 1680 (Hannover, Celle, Iburg, Osnabrück, Paderborn, Jagdgebiet Hümmling); Reise nach Italien 1664/65 (über Kassel, Heidelberg, Bretten, Ulm, Augsburg, Trient, Bozen, Verona, Vicenza, Venedig, Vicenza, Mailand, Bologna, Piacenza, Modena, Rom; zurück über Frascati, Siena, Florenz, Bologna, Vicenza, Mailand, Gotthard, Teufelsbrücke, Basel, Selz, Germersheim, Heidelberg); Frankreich 1679 (über Amsterdam, Leyden, Brüssel, Hal, Soignies, Mons, Valenciennes, Cambray, St. Denis, Liancourt, Maubuisson, Paris, St. Cloud, Versailles; zurück über Maubuisson, St. Denis, Raincy, Metz, Köln, Duisburg, Osnabrück) und Dänemark 1680.
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Vier Orte scheinen wiederholt in Sophies Beschreibungen auf, nämlich Leiden, der Ort ihrer Kindheit und Jugend, Heidelberg als dynastischer Ursprungsort und Osnabrück und Hannover als zentrale Wirkungsorte der Herzogin. Alle vier Orte, die mit Lebensphasen korrelieren, stellen persönliche Fixpunkte und den Inbegriff ihres dynastischen Selbstverständnisses dar. Sophie berichtete von den Modalitäten der Reisen, von der Entourage, von der Bequemlichkeit der Kutschen und Gefährte,66 der Qualität der Unterkünfte, den Zuständen und Schwierig keitsgraden der Wege, aber auch von gefährlichen Situationen wie stürmischen Winden bei Bootsfahrten, dem mehrfachen Durchgehen der Pferde oder von vom Weg abgekommenen und beinahe im Sumpf versunkenen Kutschen. Auf der Fahrt nach Italien benötigte ihr Tross beispielsweise zwischen Augsburg und Bozen neun Tage, weil die Wagen mehrere Male umgeworfen wurden, was meine Mädchen sehr in Schrecken versetzt hat. Die Keppel ging fast den ganzen Weg zu Fuß, und die La Motthe reiste lieber zu Pferd. Ich dagegen ging kein Risiko ein und bediente mich einer Sänfte.67 Einmal ereignete sich beinahe ein Unfall bei den Salutschüssen, die zum Abschied in Kassel abgefeuert wurden, da alle Kugeln in der Nähe meiner Sänfte nieder[fielen,] aber […] ich trug keinen Schaden davon.68 Manchmal machten die Reisebedingungen jegliche ständische Differenzierung zunichte. Über die Hinreise 1680 nach Dänemark, die dortigen ‚Kutschen‘ und Wege schrieb sie: Ich hatte niemals Leute von Stande gesehen, die sich eines solches Gefährtes bedienten. Sie sind wie Heuwagen beschaffen […] ich ließ einen kleinen Koffer darauflegen, auf den ich mich setzte, meine Tochter saß vor mir […] ein Lakai der Königin diente mir als Kutscher und ein kleiner Junge als Postillon. Sie jagten, ohne den Weg im Dunkeln zu erkennen, im Nu davon. Und da wir häufig Wasser überqueren mußten, verfehlte der kleine Knabe den Weg, und wir wären fast alle ertrunken, ohne daß man es bemerkt hätte […].69 Sophie erzählte diese mitunter lebensbedrohlichen Situationen in unterschiedlichem Gestus und Stimmung: manchmal mit gebührendem Ernst, als eine ihrer Hofdamen unter die durchgehenden Kutschpferde geriet und schwer verletzt wurde, oder aber auch mit stilisierter Leichtigkeit.70 Von den Strapazen und Gefahren der Reisen berich-
66 Alle meine Mädchen und Frauen fuhren in vier Karossen, die Männer von Stande ritten zu Pferd, die übrigen reisten auf gewöhnlichen Fuhrwerken. Trauschke (Hrsg.), Memoiren (wie Anm. 21), S. 71, auf dem Weg nach Italien. 67 Ebd., S. 71. 68 Ebd., S. 105. 69 Ebd., S. 150 f. 70 Ebd., S. 76, S. 86 (Kutschunfälle); Unwetter auf dem Boot während der Rückfahrt von Frankreich auf dem Rhein: Meine Damen fingen an zu schreien, ich aber lachte nur in diesem Trubel. Ebd., S. 147.
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teten auch andere weibliche Reisende: Lady Mary Montagu beschrieb die heikle Beschaffenheit der Wege ihrer Reise 1717 nach Konstantinopel und Nordafrika, ebenso Wilhelmine von Ansbach-Bayreuth, die häufig von Koliken, Kopfschmerzen oder diffusem Kranksein schrieb,71 Prinzessin Luise, die von der Kanalreise in der Trekschuite, die sie mehr tot als lebendig überstand und von wundgeriebenen Gliedmaßen berichtete;72 sie erzählten von steilen Klippen, verschlossenen Stadttoren oder überfüllten Herbergen, wie etwa Pauline zur Lippe bei ihren transterritorialen Reisen um 1800, die sie selbst und ihre Entourage bei völliger Erschöpfung nachts zur Weiterreise zwang.73 Sophie wurde unterwegs mehrfach melancholisch, krank und unpäßlich.74 Alles, was sie zu sich nahm, verließ ihren Körper ebenso schnell wieder, was sie so schwächte, dass sie häufig ohnmächtig wurde. Dass diese Umstände immer wieder thematisiert wurden, ist trotz einer gewissen Topik sicherlich ein Zeichen dafür, dass das Reisen eine große physische Anstrengung darstellte, die die Autorinnen jedoch wiederholt in Kauf nahmen (oder nehmen mussten). Sophie reiste je nach Ziel und Intention mit kleiner, mittlerer oder großer Entourage. Für den ‚privaten‘ Besuch der Schwägerin, die Königin von Dänemark nutzte sie zwei Kutschen, während die Reise nach Italien mit einem zweihundert Personen starken Zug durchgeführt wurde. Auf einigen Reisen verwendete sie das Inkognito „Madame de Osnabrück“, das je nach Gutdünken geschlossen oder offen geführt und mitunter auch spontan gelüftet wurde, um zum Beispiel ihren Vorrang in Anwesenheit einer Geliebten ihres Gemahls zu behaupten.75 Erfreut berichtete sie einerseits von Situationen, in denen ihr das Inkognito mehr Freiheiten gab und sie zum Beispiel unerkannt mit ihrer weiblichen Entourage zu Fuß Innsbruck besichtigen konnte, andererseits von Situationen, bei denen man sie trotz des Inkognitos mit der ihr zustehenden Würdigung behandelte.76 Sie bemerkte jedoch ebenfalls indigniert, wenn ihre Gastgeber das Logement oder das Ausmaß der Höflichkeiten am sozialen Status ihres Inkognitos und nicht an
71 Kammerer-Grothaus (Hrsg.), Tagebuch (wie Anm. 6), S. 38. Eintrag vom 11. 4. 1755 aus Antibes: fühlte ich mich so krank, daß ich den ganzen Tag im Bett blieb. 72 Hartig (Hrsg.), Luise (wie Anm. 8), S. 54 und 57. 73 Vgl. auch der Beinahekutschunfall am Rhein, den Elisabeth Stuart erlebte, der nur durch das beherzte Eingreifen eines jungen Försters verhindert wurde, vgl. Brayshay: Choreography (wie Anm. 46), S. 403. Für Königin Luise stellte das Reisen mitunter eine Last dar: Malve Gräfin Rothkirch (Hrsg.), Königin Luise von Preußen. Briefe und Aufzeichnungen 1786–1810. München 1985, S. 125. 74 Trauschke (Hrsg.), Memoiren (wie Anm. 21), S. 74. 75 Ebd., S. 83, bezieht sich auf Maria Mancini. 76 Ebd., S. 70 (Innsbruck), ebenso in Venedig (S. 88) und Vicenza (S. 98).
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ihrem eigentlichen Stand orientierten.77 Zu den mitgeführten Personen gehörten stets der Reisehofmeister, eine Auswahl an Hofdamen und Fräulein, ein eigener Koch und unzählige weitere Bedienstete, die nur nummerisch genannt werden.78 Zum Zeitvertreib wurde während der Reise vorgelesen, diskutiert und gespielt. So ließ sich Sophie einen Holztisch in ihr Gefährt einbauen, um Karten spielen zu können.79 Wo auch immer sie hinkam, wurden ihr Geschenke überreicht, Gastmähler oder Feste veranstaltet und zu ihren Ehren Konzerte, Theaterstücke oder Opern aufgeführt. Sophie reiste auch nach dem Berichtzeitraum ihrer Memoiren: ab 1692 als Kurfürstin und ab 1698 als Witwe: so etwa 1681 nach Wiesbaden, 1684 zur Vermählung ihrer Tochter Sophie Charlotte mit Friedrich III. von Brandenburg, 1690 nach Karlsbad und 1700 zur Kur nach Aachen und zu Besuch nach Het Loo.80 Sophie fuhr ihrem Rang gemäß sechsspännig. Auch die eigenen Kinder, Söhne wie Tochter oder Nichten, wurde bereits früh zu Reisen mitgenommen.81 Dass Reisen für sie zu den alltäglichen und regelmäßigen Praktiken gehörte, zeigt auch die diesbezügliche materielle Ausstattung: So verfügte sie als Witwe über einen eigenen Marstall, der in ihrem Todesjahr 1714 21 Kutschpferde, 4 Klepper, 11 Kutschen und halboffene Wagen, 6 Kammerrüstwagen und 2 Sänften. [… Die] „neue ganz vergüldete Leibcarosse“ war eine Berline mit Schwanenhälsen und Spiegelgläsern, die innen mit blauem Samt und blauen Damastgardinen ausgestattet war und zu der passend ein Bezug für den Kutschbock und sechs Geschirre mit den Hauptgestellen, Vorreitersattel und Überhängen mit Fransen und Quasten gehörten. […] Die reichen Stadtwagen waren mit grünem Samt und goldenen Tressen und schwarz/silber ausgeschlagen; eine war meist für die häufig zu beachtende allgemeine Hoftrauer mit schwarzem Tuch überzogen. Ihre einfacheren Reisewagen hatten Leder oder Wachstuchbezüge und innen graues Tuch. Zu vier Kammerrüstwagen gehörten rote Verdecke und Körbe, in denen ihr Reisegepäck mit den Klei-
77 Ebd., S. 128, zu Paris. 78 Ebd., S. 71. 79 Ebd., S. 78. 80 Alheidis von Rohr: Sophie (wie Anm. 61), S. 8, S. 78. Gegenseitige Besuche zwischen Mutter und Tochter, S. 42; Empfang der dänischen Königin-Witwe Sophie Amalia 1681 in Hannover, bei der auch Sophie eine tragenden Rolle spielte, vgl. Johann Christian Lünig: Theatrum Ceremoniale, Bd. 1, Leipzig 1719, S. 288–289. Zum Treffen verschiedener Herzöge und Kurfürsten in Pyrmont ebenfalls im Kontext des Besuchs der dänischen Königin-Witwe Sophie Amalia 1681, ebd., S. 290, Sophie war mit Gemahl anwesend. Lünig erwähnte das Umgehen des Protokolls durch das Los. Von Sophies Besuch bei ihrer Tochter vom 6. bis zum 16. Mai 1695, ihrem Gefolge und dem mit dem Besuch verbundenen umfangreichen Zeremoniell berichtete Lünig, ebd., S. 247. 81 Alheidis von Rohr: Sophie (wie Anm. 61), S. 40; Trauschke (Hrsg.), Memoiren (wie Anm. 21), S. 65: Besuch mit der Nichte Lieselotte von Kurpfalz bei ihrer Mutter in den Niederlanden; Sophie reiste schwanger; S. 66: Sophie reiste mit Säugling nach Heidelberg.
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dern, Hausgeräth, Geschirr, Besteck und Reisemöbeln mitgeführt wurde. […] Sophie besaß hierfür eigens ein Reisebett, Reisestühle, Klapptische und ein Reisebesteck.82
Vergleicht man die Informationen, die Sophie selbst 1680 über die Reiseanlässe, die Vorbereitungen und Durchführungen, die Begrüßungen und Begegnungen unterwegs, die Lustbarkeiten und das Zeremoniell gab, mit dem darüber hinaus bekannten Reiseverhalten, das Julius Bernhard von Rohr knapp fünfzig Jahre später im neunten Kapitel seiner Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der großen Herren 1733 von den Reisen der Fürstlichen Herrschaften in Bezug auf deren Modalitäten beschrieb, zeigen sich kaum Unterschiede.83 Auch wenn von Rohr sprachlich in seinen Ausführungen nicht zwischen Fürst und Fürstin unterschied, ist davon auszugehen, dass Frauen ohnehin mit eingeschlossen waren. Die hier vorgeführten Regeln galten ebenso für den weiblichen Hochadel auf Reisen; die beiden Geschlechter waren in ihrer Repräsentationsfunktion untrennbar miteinander verbunden.84 Das Differenzmerkmal war hier der Stand und nicht das Geschlecht der Reisenden.
5 Reiseanlässe und Bewegungsmuster Neun der oben identifizierten allgemeinen Typen der Reiseanlässe finden sich in Sophies Memoiren (Abb. 3). Ihre Kindheit und Jugend verbrachte Sophie am Prinzenhof in Leiden (1630–1641). Nach dessen Auflösung wurde sie an den Hof ihrer Mutter nach Den Haag gebracht, wo sie neun weitere Jahre blieb. In diesen Jahren sind (vermutlich regelmäßige) Fahrten zwischen beiden Höfen nachweisbar sowie sternförmige ausgelegte Besuche in der Region von Leiden und Den Haag aus nach Rhenen, Honslaarsdijk, Voorhout, Delft und Breda. Im Jahr 1650 verließ sie den Hof der Mutter und reiste von Den Haag nach Heidelberg zu ihrem Bruder an den kurpfälzischen Hof, wo sie acht Jahre bis zur Vermählung mit Ernst August lebte.85
82 Ebd., S. 74. 83 Julius Bernhard von Rohr: Einleitung zur Ceremoniel-Wissenschafft der großen Herren. Berlin 1733, S. 124–132. 84 Keller: Handlungsraum (wie Anm. 10), S. 35. 85 Die Verlegung des Lebensmittelpunktes als Reiseanlass beinhaltete beispielsweise auch die Reise zum neuen Vormund von Waisenkindern oder Mündeln (so. zum Beispiel die bekannte Pietistin und Dichterin geistlicher Lieder Æmilie Juliane von Barby und Mühlingen (1637–1706), die nach dem Tod der Eltern 1642 von Graf Ludwig-Günther von Schwarzburg-Rudolstadt aufge-
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Danach folgten: die Brautfahrt als Rite de Passage (von Heidelberg nach Hannover 1658); mehrwöchige Verwandtenbesuche (bei der dänischen Königin und Schwägerin 1680) ohne konkreten Anlass oder etwa ein Krankenbesuch (der Schwester und Äbtissin in Herford 1679); Fahrten, die der eigenen Gesundheit dienten (mehrfache Kuraufenthalte in Bad Pyrmont); Einladungen zu Festivitäten (unter anderem zu der des Herzogs von Württemberg nach Stuttgart um 1652); Reisen als Amüsements (Kultur-, Bildungs- und Vergnügungsreisen wie zum Beispiel die Italienreise 1664/1665);86 Reisen bei dynastisch-diplomatischen Anlässen (nach Frankreich 1679, Verhandlungen über ein mögliches Konnubium für die eigene Tochter; nach Glücksburg im Oktober 1667, das Treffen mit dem dänischen Königspaar zur Stiftung einer Ehe zwischen der dänischen Prinzessin Wilhelmine Ernestine und ihrem Neffen, dem Kurprinzen Karl von der Pfalz); Geleite für weibliche Familienmitglieder, besonders Prinzessinnen (1671 sowohl die Heimführung der dänischen Prinzessin von Altona nach Heidelberg und die Übergabe ihrer Nichte Elisabeth Charlotte in Straßburg, die den Bruder Ludwigs XIV., Philipp von Orléans (1640–1701), heiratete); Reisen bei territorial-politischen Anlässe wie Einzügen (Iburg und Hannover), Trauer (November 1665 Celle) oder der Besuch des Reichstags in Regensburg (April 1653); Abreisen oder Vermeidung von bestimmten Orten zum Schutz der eigenen Reputation (zum Beispiel aus Celle, um den amourösen Anwandelungen des Schwagers zu entgehen).
Drei weitere (weibliche) Reiseanlässe finden sich nicht in Sophies Memoiren, nämlich Reisen aus konfessionspolitischen Gründen, Flucht aufgrund einer bedrohlichen Situation und Reisen zur Vertuschung einer illegitimen Schwanger-
nommen wurde und die später dessen Sohn ehelichte und folglich Reichsgräfin von Schwarzburg-Rudolstadt wurde) oder die ‚Verschickung‘ der Prinzessinnen zur Ausbildung an verwandte Höfe, wie zum Beispiel Elisabeth Charlotte von der Pfalz (1652–1722), die mit vier Jahren von Heidelberg zu ihrer Tante Sophie von Hannover gebracht wurde und dort mehrere Jahre verbachte. Trauschke (Hrsg.), Memoiren (wie Anm. 21), S. 195 f. 86 Laut Alheidis von Rohr verursachte die Reise nach Italien ihr jedoch solche Schwierigkeiten, dass sie nicht bereit gewesen sein soll, ein zweites Mal dorthin zu reisen. Alheidis von Rohr: Sophie (wie Anm. 61), S. 77.
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schaft.87 Ein berühmtes Beispiel einer nicht kriegerisch bedingten Flucht ist das der Maria Mancini (1639–1715), der Jugendliebe von Ludwig XIV., die vor ihrem Ehemann Lorenzo Colonna (1637–1689) durch Europa floh.88 Ein weniger bekanntes Beispiel für einen Vertuschungsversuch einer ungewollten und wohl auch unerkannten Schwangerschaft ist das der Henriette Christine von BraunschweigLüneburg (1669–1753). Als Äbtissin von Stift Gandersheim kam sie 1712 im Alter von 43 Jahren mit einem Knaben nieder. Zur Vertuschung konvertierte sie noch im Wochenbett zum Katholizismus und reiste mit ihrer Schwester nach Roermond, um sich dort im Ursulinenkonvent zu verstecken.89 Liest man die Memoiren systematisch in Bezug auf Sophies Bewegung im Raum, lässt sich zwar nicht das vollständige Bewegungsprofil der Prinzessin/ Herzogin/Kurfürstin/Witwe ableiten, jedoch ist es möglich, ihre Reisetätigkeiten in vier geographisch-räumliche Bewegungstypen einzuordnen, die sich ebenfalls bei anderen hochadligen Frauen – auch in diesem Band – nachvollziehen lassen:90 1. Lokale Bewegungen und Tagesausflüge vor Ort umfassten Spaziergänge und Spazierfahrten, Jagden, Theaterbesuche, Einkäufe, Festivitäten, örtliche Trauerfeiern und alltägliche Besuche.91
87 Die Herzogin von Devonshire (1757–1806) und Lady Elizabeth Foster (1759–1824) „were among those who went abroad to conceal the birth of illegitimate children“. John Ingamells: Discovering Italy, British Travellers in the Eighteenth Century, in: Wilton/Bignamini (Hrsg.), Grand Tour (wie Anm. 29), S. 21–30 (hier S. 26); Marie Catherine Le Jumel de Barneville Baronne d‘ Aulnoy (1650/51–1705), spätere Schriftstellerin, floh nach einem Komplott gegen den Gemahl mit ihrer Mutter von Frankreich aus 1669 nach England und Spanien, vgl. Griep/Pelz: Frauen reisen (wie Anm. 25), S. 27; vgl. ebenso den berühmten und tragischen Fluchtversuch von Ludwig XVI. und Marie Antoinette 1791 mit Pässen, die auf den Namen M. Durand und M. Rochet lauteten. Barth: Inkognito (wie Anm. 19), S. 176 f. 88 Maria Mancini: Apology or the genuine Memoires of Madame Maria Manchini. London 1679. 89 Ute Küppers-Braun: Fürstäbtissin Henriette Christine von Braunschweig-Lüneburg. Oder kann eine Frau ohne ihr Wissen schwanger werden?, in: Martin Hoernes (Hrsg.), Gandersheim und Essen. Vergleichende Untersuchungen zu sächsischen Frauenstiften. Essen 2006, S. 229– 244. Dass das überstürzte Abreisen vom Hofe auch grundlos zur Annahme einer zu vertuschenden Schwangerschaft führte, beweisen wiederum die Memoiren Sophies von Hannover. 90 Zum Beispiel an Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807), vgl. Joachim Berger: Anna Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739–1807). Denk- und Handlungsräume einer „aufgeklärten“ Herzogin. Heidelberg 2003, S. 518–588 und Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth, vgl. Kammerer-Grothaus (Hrsg.), Tagebuch (wie Anm. 6). 91 Vgl. etwa auch zur lokalen ‚zweckfreien‘ Bewegung die Reisen zu und Aufenthalte im Landschaftspark Rosenau/Coburg von Victoria, Königin von England: Isabel David: „The dear Rosenau is so lovely“. Die Reisen in den Landschaftspark Rosenau unter besonderer Berücksichtigung der Aufenthalte der englischen Königin Victoria, in: Hubertus Fischer u. a. (Hrsg.), Reisen
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2. Innerterritoriale Bewegungen: An den persönlichen Zentralorten der Herzogin ist von einem sternartigen lokalen Bewegungsmuster innerhalb des jeweiligen Territoriums, zum Beispiel in den Niederlanden oder zwischen den Residenzen Braunschweig-Lüneburgs in Osnabrück, Iburg, Hannover und Celle auszugehen, die bis zu drei Tagesreisen entfernt lagen, bei einer durchschnittlichen Strecke von 25 Kilometern in 3 Stunden. 3. Als transterritoriale Bewegung wäre das Reisen zwischen ihren dynastischen Zentralorten zu bezeichnen, also zum Beispiel der Umzug vom Exilhof in Leiden nach Heidelberg oder die Brautfahrt von Heidelberg nach Hannover. 4. Als transnationale Bewegungsmuster sind die Reisen zu weiter entfernten Orten, nach Süditalien oder Venedig, Frankreich und Dänemark einzuordnen. Obwohl nicht in allen Fällen historisch korrekt von ,Nation‘ zu sprechen ist und es sich im Fall von Dänemark sogar um ein Verwandtschaftsverhältnis ersten Grades handelte, deuten Sophies Beschreibungen auf ein nationalstereotypes Verständnis und kulturelle Fremdheit gegenüber ‚den‘ Italienern oder ‚der‘ französischen Lebensart hin. Alle diese in Sophies Memoiren aufscheinenden Bewegungstypen finden sich in den verschiedenen Beispielen des vorliegenden Bandes.
6 Weibliche Wahrnehmung? Eine spezielle Erörterung bedarf die Frage nach der „weiblichen Wahrnehmung“ auf Reisen. Oft wird implizit oder explizit die These von spezifisch weiblichen Interessen und Wahrnehmungen vertreten.92 Diese Hypothese fußt auf zeitgenössischen Aussagen. In der Vorrede der ersten Ausgabe von Lady Mary Montagus berühmten Briefen aus dem Orient befand Mary Astell 1724, dass die Damen weit besseren Nutzen aus ihren Reisen zu ziehen wissen als die Herren, daß, da die Welt
in Parks und Gärten. Umrisse einer Rezeptions- und Imaginationsgeschichte. München 2012, S. 275–290. 92 Mit Christina von Schweden (Cécile Peter), Sophie von Hannover (Sylvie Requemora-Gros), Sophie Dorothee Auguste Luise Prinzessin von Württemberg, der zweiten Ehefrau des russischen Zaren Paul I. (Ekaterina Bulgakova) und mit Sophie von La Roche (Caroline zum Kolk), siehe Caroline zum Kolk u. a. (Hrsg.), Voyageurs étrangers à la cour de France 1589 – 1789. Regards Croisés. Rennes 2014, S. 207–274; Vgl. ebenso die Reisen und Beobachtungen der Charlotte-Amélie de La Trémoilles (1625–1720) im Beitrag von Dorothea Nolde: Vom Umgang mit Fremdheit. Begegnungen zwischen Reisenden und Gastgebern im 17. Jahrhundert, in: Babel/Paravicini (Hrsg.), Grand Tour (wie Anm. 2), S. 579–590.
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mit Männerreisen bis zum Ekel überladen worden ist, die alle in dem nämlichen Ton geschrieben und mit denselben Kleinigkeiten angefüllt sind, eine Dame die Fähigkeit hat, sich eine neue Bahn zu eröffnen.93 Als Folie der Beurteilung dienten ihr die Reiseberichte englischer Grandtouristen und die literarische Modegattung des Briefes, der letters on a voyage through…. Das Alleinstellungsmerkmal jenen gegenüber war im Fall Mary Montagus, die sich mit ihrem Mann von 1716 bis 1718 in Konstantinopel aufhielt, der nur ihr als Frau erlaubte Zugang zum Serail und ihre Berichte darüber, für den sich das westliche Europa immens interessierte.94 Mary Astell hob damit nicht nur die Möglichkeiten für Frauen zu reisen hervor, sondern unterstellte die ‚andere‘ Art des weiblichen Reisens, der Zugang zu Orten, die Männern versagt waren, die differierende Auswahl der besuchten Sehenswürdigkeiten und geschlechtsbedingte Wahrnehmungen der Fremde, die sich in den Beschreibungen niederschlugen. Lassen sich etwaige ‚weibliche‘ Wahrnehmungsmuster bei Sophie von der Pfalz aufzeigen? Nach ihren zum Teil dreißig Jahre nach dem Erlebten retrospektiv geschriebenen Memoiren zu urteilen interessierte sich Prinzessin/Herzogin Sophie in Italien, Frankreich und Dänemark für das Decorum und die materielle Ausstattung jeglicher Situation, für die Schönheit und Anmut der Damenwelt, deren Kleidung, Juwelen, die Interieurs, für Gärten und für die Feinheiten des Zeremoniells, die Angemessenheit der Ausstattungen und des Verhaltens, das sich von der Kritik über das unschickliche Vorspannen verschiedenfarbiger Kutschpferde bis hin zur Höflichkeit der Gastgeber oder Tischherren erstreckte. Auch be- und vermerkte sie präzise, wer neben wem bei der Tafel oder in der Kutsche platziert wurde oder ob man ihr einen Lehnstuhl oder nur ein Taburett (Hocker) anbot oder wie viele Treppenstufen man ihr bei der Begrüßung entgegenkam (die Königin erwies uns die Gnade, uns am Wagen zu empfangen)95 oder bis wohin präzise man sie bei der Verabschiedung geleitete – feinste Zeichen der sozialen Statuserhöhung oder -degradierung als Spiegel ihres eigenen Ranges im
93 Irma Bühler (Hrsg.), Mary Wortley Montagu. Briefe aus dem Orient. Stuttgart 1962, S. 14, Vorrede der Dame Mary Astell 1724. Siehe auch das Portrait von Jonathan Richardson, Lady Mary Wortley Montagu in Turkish Dress with a Page, um 1745, Öl auf Leinwand, 2390 x 1448 mm, Tate Gallery London, aus: Jennifer G. Germann: Picturing Marie Leszinska (1703–1768). Representing Queenship in Eighteenth-Century France. Farnham 2015, S. 81. 94 Claudia Opitz: Kulturvergleich und Geschlechterbeziehungen in der Aufklärung: Lady Wortley Montagues „Briefe aus dem Orient“, in: dies., Aufklärung der Geschlechter, Revolution der Geschlechterordnung. Studien zur Politik- und Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts. München 2002, S. 92–107. 95 Trauschke (Hrsg.), Memoiren (wie Anm. 21), S. 98.
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Verhältnis zu anderen Anwesenden in der Selbst- und Fremdwahrnehmung.96 Landesübliche höfische Sitten irritierten sie mitunter: wie fremd sich eine Deutsche wie ich in einem Land gefühlt hat, in dem man nur an Liebensaffairen denkt und wo sich die Damen für entehrt halten, wenn die keinen Verehrer haben, Mir war stets beigebracht worden, Koketterie habe als ein Vergehen zu gelten; in Italien erfuhr ich das genaue Gegenteil.97 Es bleiben jedoch Zweifel, inwieweit hier von einer dezidiert ‚weiblichen‘ Wahrnehmung gesprochen werden kann. Die von Mary Astell als ‚weiblich‘ angepriesene Darstellung bezog sich zwar tatsächlich auf die männlichen Zeitgenossen verwehrten Erlebnisse, aber stärker noch auf die stereotype schriftliche Darstellungsweise. Die Wahrnehmung war weniger geschlechtlich, sondern primär ständisch geprägt und wurde in ähnlicher Weise von hochadligen Männern geteilt. Die Richtigkeit der Thesen wäre jedoch empirisch-komparatistisch zu prüfen. Dabei wäre nicht nur nach Inhalten und Wahrnehmungen, sondern auch nach Darstellungskonventionen zu fragen.
7 Die Fragen dieses Bandes Ziel dieses Bandes ist es, das Phänomen der hochadlig-weiblichen Reise in ihrer Eigenständigkeit in den Blick zu nehmen und dabei die Handlungsmöglichkeiten nicht nur in Abgrenzung zu männlichen Handlungsspielräumen, sondern in der Binnendifferenzierung des weiblichen Adels in Korrespondenz mit dem jeweiligen biographischen Stand und Status innerhalb der Dynastie oder des Familienverbandes in ersten Fragestellungen und Ergebnissen aufzuzeigen. Die Untersuchungen des Bandes werden aus einer Schnittmenge von vier Leitkategorien gebildet, nämlich Reise, Geschlecht, Hof und Raum, und berühren unterschiedliche Forschungsfelder und Diskurse, wie die der Hofforschung, der interdisziplinären und besonders literarturwissenschaftlich geprägten Reiseforschung, der Geschlechtergeschichte und der aus der Geographie übernommenen kulturwissenschaftlichen Leitkategorie des doppelten Raumes, des konkreten
96 Sophie war selbst wenig modeorientiert, hatte allerdings eine Vorliebe für teuren Schmuck, deren symbolischen und materiellen Wert sie schätzte. Alheidis von Rohr: Sophie (wie Anm. 61), S. 50–52. Wilhelmine von Bayreuth gab ebenfalls bei nahezu jeder Begegnung an, ob man sie an der Kutsche, am unteren oder oberen Ende der Treppe empfing, vgl. Kammerer-Grothaus (Hrsg.), Tagebuch (wie Anm. 6). 97 Trauschke (Hrsg.), Memoiren (wie Anm. 21), S. 76.
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und des abstrakten Handlungsraumes.98 Aus einer geschlechterhistorischen Perspektive wäre zu fragen, in welcher Weise die Möglichkeiten, Formen und Modalitäten der Reisen dazu beitrugen, die Konstruktion des sozialen Geschlechts herzustellen und aufrechtzuerhalten. Eine zentrale Frage ist die nur auf Frauen zutreffende Situation des Umgangs mit Schwangerschaft und Niederkunft im Kontext der Reisen. Sophie von Hannover reiste mehrfach schwanger und hochschwanger, stets begleitet von ihrer Hebamme (meine Hebamme folgte mir überall hin, da sie Furcht vor einem Unfall hatte);99 einmal schaffte sie es nur im letzten Moment mit Hilfe eines Tragsessels ins Heidelberger Schloss und musste unter Unwohlsein (Wehen) stehend ein zweistündiges Gespräch mit ihrem Bruder absolvieren, bevor sie sich nur Niederkunft in ihre Gemächer zurückziehen konnte.100 Ein anderes Mal hielt sie eine Fehlgeburt ans Bett in Heidelberg gefesselt, an einer weiteren Stelle vermerkte sie einen Ohnmachtsanfall aufgrund einer Schwangerschaft.101 Andernorts schrieb sie: Ich fuhr also mit ihnen nach Straßburg, obwohl erst vier Wochen seit meiner Niederkunft vergangen waren.102 Es muss deshalb gefragt werden, wie sich überhaupt die adlig-weibliche Reise von der adlig-männlichen unterschied, waren doch die äußeren Bedingungen, also Wege, Wetter, Gefahren und auch das Zeremoniell für beide Geschlechter wie bereits gezeigt weitgehend gleich. Auch ist eine intensive Spurensuche nach den Quellen, die weibliche hochadlige Reise beschreiben, angebracht. Weitere Fragen schließen sich an: Ist es sinnvoll, in einer nötigen Adaption von bislang in der Reiseforschung benutzten Begrifflichkeiten von der Prinzessinnenreise zu sprechen? Oder drängt sich aufgrund der Variationen der Reisetätigkeit in Abhängigkeit vom Personenstand eine begriffliche Ausdifferenzierung in Fürstinnenreise und Witwenreise auf? Lässt sich eine chronologische Entwicklung adlig-weiblicher Reisetätigkeit aufzeigen, die den oben ausgewiesenen Bewegungstypen folgte? Reicht der hier dargestellte Motivkanon aus oder
98 Vgl. dazu die grundlegenden Publikationen zur Verknüpfung von Geschlecht und Raum von Shirley Ardener: Ground rules and social maps for Women: An Introduction, in: dies. (Hrsg.), Women and Space. Ground Rules and Social Maps. Oxford 1993 (2. Aufl.), S. 1–30, Doreen Massey: Space, Place and Gender. Padstow 1994 und Helen Hills: Architecture and the Politics of Gender in Early Modern Europe. Aldershot 2003. 99 Trautschke, Memoiren, S. 102. 100 Ebd., S. 106: [D]er Kurfürst […] sprach eine Stunde ununterbrochen mit mir, ohne mich zum Sitzen aufzufordern […] ich bin niemals so froh gewesen wie dieses Mal, danach auf seine Gesellschaft zu verzichten, denn die Hebamme war mir nötiger. Die ganze Nacht hindurch fühlte ich mich unwohl, bis ich gegen zehn Uhr morgens von einem Knaben entbunden wurde […]. 101 Ebd., S. 70, S. 89. 102 Ebd., S. 107.
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wäre er zu erweitern? Welchen Einfluss hatte die Konfessionszugehörigkeit? Wie beeinflussten die Umstände und die Zahl der Entourage das Reisegeschehen? Von welcher Bedeutung war die Reisetätigkeit für die reisende Zentralperson in Bezug auf deren durch ihre „Vielgereistheit“103 erhöhtes kulturelles Kapital und damit den Einfluss der Reiseerfahrung auf den Status innerhalb der eigenen Dynastie, etwa als erfolgreiche Mittlerin und mit Erfahrungswissen ausgestattete Informationsträgerin? Analog wäre nach der Bedeutung der Reisetätigkeit für die Konstitution der sozialen Gemeinschaft der Entourage selbst und der Figuration des Höfischen im Allgemeinen zu fragen. Die Ausgangsthese des Bandes gründet auf der Vermutung, dass Mobilität zu den alltäglichen Erfahrungen des weiblichen Adels und Hochadels gehörte, und zwar entgegen der gängigen geschlechtsgebundenen polaren Konzeptionalisierung. Dass nicht nur Sophie, sondern auch viele andere Damen ihres Standes sich oft auf Reisen befanden, zeigt sich indirekt in ihren Memoiren: Während sie entlang ihrer Reiseroute einzelne Höfe besuchte, vermerkte sie vielfach die Abwesenheit der Herzoginnen und Prinzessinnen, die sich just selbst auf Reisen befanden.104 Die Reisetätigkeit, der Handlungsrahmen und auch der Reisetypus sind mit verschiedenen biographischen Lebensphasen und dem Grad der ökonomischen Selbständigkeit mehrfach relational zu korrelieren. Denn es ist nicht nur faktisch, sondern auch analytisch ein großer Unterschied, ob eine Fürstin als Königin oder als Regentin, gemeinsam mit ihrem Gemahl oder als Gemahlin ‚nur‘ mitreiste; ob eine unverheiratete Schwester oder Tante oder eine Witwe reiste, ob es sich um die Erbprinzessin oder eine nachgeborene Prinzessin handelte oder etwa um abhängiges weibliches Personal wie Hofdamen und Hofmeisterinnen.105 Auf übergeordneter Ebene wäre ebenfalls in Bezug auf das Motiv der Reisen nach dem Grad an Freiwilligkeit und damit nach den Handlungsmöglichkeiten zu fragen, die mittelbar oder unmittelbar in einer Reise zum Ausdruck kamen und die eng an den Personenstand und an das Lebensalter, aber auch die ökonomischen Möglichkeiten gebunden waren. Vor allem während der Kindheit und Jugend muss von wenig eigenem Einfluss ausgegangen werden.106 Aber auch
103 Werner Paravicini: Der Grand Tour in der europäischen Geschichte. Zusammenfassung, in: Babel/ders. (Hrsg.), Grand Tour (wie Anm. 2), S. 657–674 (hier S. 665). 104 Zum Beispiel Trautschke, S. 104: Als wir durch Kassel kamen, war die Madame Landgräfin, die damals Regentin war, gar nicht anwesend. Oder auch die Anwesenheit vieler ebenfalls gereister Prinzessinnen bei Festen, S. 41. 105 Helmut Brosch (Hrsg.), Marianne Kraus: Für mich gemerkt auf meiner Reise nach Italien 1791. Reisetagebuch der Malerin und Erbacher Hofdame. Buchen 1996. 106 W. R. B. Robinson: Princess Mary’s Itinerary in the Marches of Wales 1525–1527: a provisonal Record, in: Historical Research, Bd. 71, Nr. 175 (Juni 1998), S. 233–252. Die neunjährige Prinzessin
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‚erwachsene‘ oder verheiratete Frauen konnten massiven Zwängen ausgesetzt sein. Dies belegen zum Beispiel die biographischen Verläufe der Anna Constantia Reichsgräfin von Cosel (1680–1765), die von 1716 bis zu ihrem Tod auf Burg Stolpen festgesetzt wurde, oder das Schicksal der Sophie Dorothea Herzogin von Braunschweig und Lüneburg (1666–1726), die wegen einer Affäre von ihrem Ehemann, dem späteren Kurfürsten Georg Ludwig von Hannover ab 1694 auf Schloss Ahlden gefangen gehalten wurde.107 Beiden Frauen wurde aus politischen Gründen ihre Bewegung, ihr Raumhandeln und damit auch ihr Einfluss genommen. Die Beiträge des Bandes zeigen den unterschiedlichen Grad an Freiwilligkeit, mit dem die Reisen unternommen wurden, mitunter die Restriktionen durch den Hausvorstand oder die ökonomischen Beschränkungen, die lokal verschiedenen höfischen Besuchskulturen und generell die sich verändernde Reisekultur, die sich in anderen Länderschwerpunkten und in einem neuen Kanon der Sehenswürdigkeiten – statt Antiken Manufakturwesen – niederschlug. Sie verweisen auf die Konjunkturen und Tendenzen einer höfisch-weiblichen Reisekultur. Die hier versammelten Fallbeispiele zwischen der Mitte des 16. und der Mitte des 19. Jahrhunderts geben erste Hinweise, wie diese Fragen zu beantworten sein könnten. Das vorliegende Buch befasst sich ausschließlich mit reisenden Königinnen, Fürstinnen, Regentinnen, Herzoginnen, Gräfinnen und Prinzessinnen, damit also Angehörigen von Dynastien eigenständiger Territorien oder Herrschaftsbereiche, mit ihren Reisemotiven, Zielen und Handlungsoptionen. Es wirft einen ersten diachronen Blick auf das Phänomen des reisenden weiblichen Hochadels und erhebt nicht den Anspruch, weder sämtliche Reiseformen noch alle Möglichkeiten und Modi des Reisens vollständig erfasst zu haben. Zu einer grundlegenden Erforschung wäre eine genealogisch systematische, diachrone, nach Regionen und Adelsrängen differenzierte, archivalisch gestützte intensive Recherche nötig, die das Phänomen in seiner Breite auf eine empirisch signifikante Grundlage stellen könnte. Dabei wäre besonders auf die oben genannte Verschränkung zwischen Lebensalter, Familienstand und Position innerhalb des dynastischen Verbands sowie auf die äußeren Bedingungen und die politische Bedeutung des Territoriums zu achten und mit den oft gemischten Reiseanlässen und Intentionen und den Reisezielen zu korrelieren, um zu einer Einordnung von fürstlich-weiblichen
Mary wurde von ihrem Vater King Henry VIII. auf eine 19 Monate dauernde Reise durch Wales geschickt, um die Macht des Königs dort auszubauen. 107 Vgl. Peter Burschel: „sachen, da ich kein Journal von machen werde.“ Geheimnisrede oder der Fall Königsmarck in den Briefen der Kurfürstin Sophie von Hannover, in: Peter Aufgebauer/ Christine van den Heuvel (Hrsg.), Herrschaftspraxis und soziale Ordnung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Ernst Schubert zum Gedenken. Hannover 2006, S. 465–476.
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Reisen und ihren Bedeutungen zu gelangen. Im Sinn der Geschlechtergeschichte wäre nach den in der Geschlechtszugehörigkeit begründeten, sozial determinierten Handlungsoptionen und Hindernissen zu fragen, die das Reisen von Fürstinnen zu einem von männlichen Reisen verschiedenen Phänomen werden ließ, das bedeutsam war für die einzelne Reisende sowie für die sozialen Dynamiken innerhalb höfischer Beziehungssysteme und Machtverschiebungen. Nicht zu vergessen ist: Neben den strukturell beschränkenden oder förderlichen Faktoren, den ökonomischen Möglichkeiten, den örtlichen oder dynastischen Traditionen und dem Verhältnis zwischen den Ehepartnern waren besonders die Disposition und Neigungen der einzelnen Person ausschlaggebend. Die hier versammelten Beiträge zeigen vor allem eines: die breite Reisetätigkeit des weiblichen Hochadels in ihren vielfältigen Erscheinungsformen als Teil einer adlig-weiblichen Alltagskulturgeschichte. Es gab Frauen, die nicht reisen konnten, weil das Geld fehlte; es gab Regionen, in denen es als unüblich angesehen wurde, wenn Frauen ohne Gemahl reisten; es gab Frauen, denen das Reisen vom Familienvorstand untersagt wurde, und es gab Frauen, die gar nicht reisen wollten. Aber es gab auch die kompletten Gegenentwürfe. Von ihnen allen ist im Folgenden die Rede.
8 Forschungsdesiderata und Ausblick „Kaum beachtet wurde bisher, daß [sic] die erhöhte Mobilität der Fürstinnen notwendigerweise den weiblichen Anteil in den […] Reisegesellschaften stärken musste.“108 An diesem Desiderat ändert auch der vorliegende Band nichts. Abhängige (nieder-)adlige Frauen im höfischen Dienst, die aus anderen Motiven, wie zum Beispiel der Anreise zur Aufnahme einer Beschäftigung als Gouvernante, reisten oder die in einer abhängigen Position als Hofdame (mit-)reisen mussten (oder durften), sind explizit nicht Thema dieses Bandes, wenngleich sie manchmal in den Beiträgen als Nebenakteurinnen aufscheinen.109 Die Verpflichtungen
108 Rees/Siebers: Erfahrungsraum Europa (wie Anm. 25), S. 38. 109 Auch in den Memoiren der Prinzessin Sophie werden die Hofdamen häufig genannt, mitunter auch deren eigene Reiseaufgaben im Dienst der Herzogin (Trauschke (Hrsg.), Memoiren (wie Anm. 21), S. 92). Vgl. allgemein Katrin Keller: Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts. Wien 2005; Vgl. die Autobiographie der Gesellschafterin Cornelia Knight (1757–1837) der Prinzessin Charlotte Augusta von Großbritannien (1796–1817), vermählt mit Prinz Leopold von Sachsen-Coburg-Saalfeld (1790–1865), Cornelia Knight: Autobiography of Miss Cornelia Knight, lady companion to the Princess Charlotte of Wales, with extracts from her jour-
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wie auch die Chance, die es bedeutete, im Tross einer Fürstin nach Venedig oder Versailles teilhaben zu können, müssen enorm gewesen sein, stellten gerade die Reisen für die Hofdamen und Fräulein eine Erweiterung ihres Horizonts, ihrer interkulturellen Kompetenzen und eine weitere Berufsqualifikation und auch eine Chance dar, einen ‚angemessenen‘ Lebenspartner kennenzulernen. Die Gruppe der niederadligen Baroninnen und Freiinnen reiste jedoch auch unabhängig von etwaigen Zugehörigkeiten zu einer höfischen Entourage, aus eigenen Interessen heraus.110 Bei den Reisen Niederadliger handelt es sich trotz mancher äußerlichen Ähnlichkeiten zu hochadlig-weiblichen Reisen um ein prinzipiell anderes Phänomen, das sich nicht vor der Folie territorialer Repräsentation entfaltete, sondern das sich für die ‚Privatpersonen‘ in Abhängigkeit von neuen Lebensmodellen herausbildete. Vor dem Hintergrund der aufgeklärten Gesellschaft des späten 18. Jahrhunderts und den bürgerlich geprägten Geschlechtstugendentwürfen mussten sich die hochgebildeten Frauen des niederen Adels neu erfinden, als reisende und zugleich tugendhafte Frauen.111 Mögen ihre finanziellen Ressourcen wesentlich begrenzter gewesen sein als die des weiblichen Hochadels, so standen sie weniger unter Beobachtung als die Fürstinnen. Hier ist von besonderem Interesse, wie der soziale Stand mit dem Handlungsrahmen korrelierte und ob sich der Rahmen umgekehrt proportional zu ihrem sozialen Rang verhielt. Die sich deutlich verbessernde Quellensituation zu adlig-weiblichen Reisen von Frauen der Geburtsjahrgänge ab 1750 könnte als Hinweis gedeutet werden, dass nicht nur die Reisen als solche, sondern deren literarische Verarbeitung und Veröffentlichung der Briefkorrespondenzen zunahm. Bei vielen reisenden niederadligen Frauen, die über eigenständige zeitgenössische Publikationen ab dem letzten Viertel des 18. Jahrhunderts greifbar werden, scheint die häufige Reisetätigkeit mit biographischen Brüchen, wie sie Trennungen oder Scheidun-
nals and anecdote books. London 1861; Gräfin Paula von Kollowitz: Eine Reise nach Mexiko im Jahre 1864. (2. Aufl.) Wien 1867, begleitete den österreichischen Erzherzog Maximilian und seine Gemahlin Charlotte. Vgl. Ana-Isabel Aliaga-Buchenau: An Austrian Princess’s Representation of Gender in Nineteenth-Century Mexico, in: SECOLAS annals (Nov./2003), Bd. 35, S. 26–36. 110 Ein weiteres Beispiel wäre etwa Madame de Genlis (1746–1830), die im französischen Hochadel tätige Reisegouvernante und Autorin. Zu einer anderen Kategorie gehören die Reisenden aus dem Kreis der Göttinger Universitätsmamsellen, die, mitunter niederadlig, akademische Bildungsreisen unternahmen wie Dorothea von Schlözer. Ähnlich auch Elisabeth Charlotte Constanzia von der Recke (1754–1833) und Marie Sophie von La Roche (1730–1807). Sophie von La Roche reiste durch die Schweiz, Frankreich, Holland und England. Diese Reisen wurden als Journal oder Tagebuch zwischen 1787und 1800 veröffentlicht. Dazu Erdmut Jost: Wege zur weiblichen Glückseligkeit. Sophie von La Roches Reisejournale 1784 bis 1786. Thalhofen 2007. 111 Pelz: Reisen Frauen anders? (wie Anm. 1), S. 177.
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gen darstellen, zu korrelieren.112 Das Reisen war damit Teil eines neuen biographischen Modells gebildeter Frauen, das diesen neue Handlungsräume eröffnete. In einem nächsten Schritt wäre daher nicht nur die systematische Erforschung des abhängigen weiblichen Hofadels in Bezug auf das Reisen, sondern auch die Beschäftigung mit der eigenständigen sozialen Formation des gebildeten Nieder adels, die oft zugleich Salonnièren waren, einzufordern. Im 19. Jahrhundert zeigte die stetig zunehmende Reisetätigkeit von fürstlichen Frauen über weitere Strecken und Zielorte – neben Indien nun auch China, Japan oder Südamerika – die Ausweitung des Handlungsraumes und zugleich der Lebensmodelle, die alternative Biographien nun auch für hochadlige Frauen ermöglichten, wie etwa die Reisetätigkeit der Prinzessin Therese von Bayern (1850–1925) eindrücklich zeigt.113 Fürstliche Frauen reisten zu jeder Zeit, auch wenn die Konturen und Konjunkturen ihrer Reisetätigkeit noch der systematischen und vertieften Erforschung harren. Ein weiteres Desiderat, das auch dieser Band nicht auflöst, stellt die Ausweitung des Blickes nach Außereuropa dar. Nur selten bewegt sich die Forschung zur (weiblichen) Adelsreise der Frühen Neuzeit bislang über (west-) europäische Reisende und europäische Reiseziele hinaus.114
112 Geschieden waren etwa die Reisenden Elisabeth von der Recke (1754–1833), Juliane von Krüdener (1764–1824) und Lady Elizabeth Berkeley (1750–1823), vgl. Grieb/Pelz: Frauen reisen (wie Anm. 25), S. 78, 161 f. und 226 f. 113 Hadumod Bußmann, Evi Neukum-Fichtner (Hrsg.), „Ich bleibe ein Wesen eigener Art“. Prinzessin Therese von Bayern. Wissenschaftlerin – Forschungsreisende – Mäzenin (1850–1925). München 1997. 114 Isabel Godin des Odonais (1728 –1792) reiste auf der Suche nach ihrem Mann „in einer Gewalttour zu Fuß und mit dem Boot […] von den Anden durch die Amazonasniederungen bis zum Pazifik“, Griep/Pelz: Frauen reisen, S. 126; Dan Slusanschi: Princess Olena’s Safe-Conduct through Poland and Lithuania (1482), in: Revue roumaine d’ histoire, 1995, Bd. 34, Issue 1/2, S. 195–199 (Geleitbrief und Reiseroute); Jyotsna G. Singh: Boundary Crossing in the Islamic World. Princess Gulbadan as Traveler, Biographer and Witness to History, 1523–1603, in: Early Modern Women: An Interdisziplinary Journal 2012, Bd. 7, S. 231–240. Die Prinzessin reiste unter anderem von Kabul über Lahore nach Agra und berichtete von der Verlegung des Harems und der Eleganz des mindestens einhundert Personen großen Zuges. Der osmanische Hof zeigte zum Beispiel eine strukturell angelegte Verlegung und Dezentralisierung der jungen Prinzenhöfe mit ihren Müttern, dazu Leslie P. Peirce: The imperial Harem. Women and Sovereignty in the Ottoman Empire. Oxford 1993. Auch die Orientreise der Lady Stanhope ist kaum erforscht: Hester Stanhope: Memoirs of the Lady Hester Stanhope. London 1845 [Reprint Salzburg 1985]. Bärbel Arenz/Gisela Lipsky: Mit Kompass und Korsett. Reisende Entdeckerinnen. Ostfildern 2010, S. 18–27.
Anette Baumann
Zu den Beiträgen dieses Bandes Der Band umfasst ein breites Spektrum an Aufsätzen, das vom Beginn des 16. Jahrhunderts bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts reicht. Die Beiträge sind dabei nicht thematisch gegliedert, sondern werden in zeitlicher Reihenfolge präsentiert, um Dynamiken und Entwicklungslinien besser verdeutlichen zu können. Caroline zum Kolk (Paris) beschreibt im ersten Beitrag die Reisen der französischen Königinnen des 16. Jahrhunderts, vor allem aber Katharina von Medicis (1519–1589). Sie weist dabei auf den speziellen Quellentypus der Itinerare hin, der bis jetzt im Zusammenhang mit Herrscherinnenreisen wenig Beachtung gefunden habe. Die Auswertung der Reisen des Hofes unter Katharina ergibt, dass der Hof immer weniger reiste und sich immer häufiger in Paris aufhielt. Die Gründe hierfür sieht die Autorin vor allem in dem Bedürfnis nach einem geregelten Hofleben und einer effizienteren Verwaltung sowie einer Reduzierung der Kosten. Grundsätzlich reisten französische Königinnen mit einem getrennten Hofstaat. Erst nach der Thronbesteigung Heinrichs II. 1547, dem Ehemann Katharinas, reisten König und Königin gemeinsam. Auch in ihrer Witwenzeit reiste Katharina viel, und dies – wegen der Religionskriege – vor allem aus politischen Gründen. Grundprobleme bei allen diesen Reisen stellten Unwetter, Kriegsverläufe und die mangelhafte Nachrichtenübermittlung dar. Der Beitrag von Elena Taddei (Innsbruck) widmet sich den Reisen der Erzherzogin Anna Caterina Gonzaga (1616–1684). Taddei unterscheidet diese nach Funktionen zwischen Familienbesuchen, dynastischen Reisen mit ihrem Ehemann, Badereisen, Wallfahrten und religionspolitischen Reisen, die sie vor allem als Witwe unternahm. Die Quellenlage erlaubt es, im Fall Anna Caterina Gonzagas auch Aussagen über den Grad an Selbstbestimmung zu treffen. Meist wurden die Reisen bis in das kleinste Detail zwischen Hofmeister und Ehemann abgestimmt. Selbst die Verlängerung eines Badeaufenthaltes lag in der Entscheidungsgewalt des Ehemannes, wobei allgemeine Argumente wichtiger waren als der Wunsch der Reisenden selbst. Der Aufsatz zeigt, dass es bei Reisen Unterschiede zwischen Italien und dem Reich gab. So waren alleinreisende Frauen in Italien unüblich. Von anderen Arten von Zwängen berichtet Jutta Schwarzkopf (Bielefeld, † 2016) in ihrem Beitrag über die Reisen Elisabeths I. (1533–1603) von England. Sie schildert in ihrem Beitrag die alljährlichen Rundreisen der englischen Königin und arbeitet deren typische Merkmale heraus. Elisabeth I. reiste vor allem in den Somhttps://doi.org/10.1515/9783110532937-002
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mermonaten in die Umgebung der Hauptstadt, um den Seuchen in London zu umgehen und den Palast säubern zu lassen. Schwarzkopfs besonderes Interesse gilt dem Zusammentreffen zwischen Untertanen und Königin und dem daraus folgenden Herrschaftsverständnis Elisabeths. Sie kann dabei vier Schlüsselelemente ausmachen: erstens den Empfang der Königin, zweitens die Übergabe der Geschenke an sie, drittens die Reden, die zu diesem Anlass gehalten wurden, sowie viertens die Darstellung einer Art Pantomime (pageant). Letzteres war eine Form der Supplikation der Untertanen an die Herrscherin in bildnerischer Form. Auf diese Weise konnten Wünsche artikuliert und von der Königin abweichende Meinungen unbeschadet formuliert werden. Die pageants waren auch ein Mittel, um Ratschläge zu erteilen. Der Empfang der reisenden Königin durch ihre Untertanen wurde so zu einer Art symbolischen Kommunikation, die unterschiedliche Elemente wie Rede, Bewegung, Kostüme und Gaben umfasste und miteinander in Beziehung setzte. Holger Kürbis (Gotha) wählt in seiner Darstellung einen gänzlich anderen Zugang. Er beschreibt nicht die Reisen einer einzelnen Prinzessin oder Königin, sondern untersucht den Besuch des Gothaer Hofes zwischen 1660 und 1756 durch adlige Frauen und verschiebt den bisher eingenommen Blickwinkel von Personen hin zu Orten. Hierzu wertet er neben Tagebüchern Fourierbücher des Gothaer Hofes aus. Fourierbücher sind Listen, die aufzeichnen, welche Personen durch den Gothaer Hof an der fürstlichen Tafel versorgt wurden. Dabei enthalten die Fourierbücher nicht nur Namen, sondern auch Rang und Zeitraum der Anwesenheit der betreffenden Person. Bei einer quantitativen Auswertung der Fourierbücher in Kombination mit den Tagebüchern der Gothaer Herzöge kann Kürbis feststellen, dass die Besucherinnen meist aus der weiteren und engeren Verwandtschaft stammten. Die Dynastie war entscheidend und bestimmte so das auf das eigene Territorium beschränkte Reiseverhalten der Frauen des kleinstaatlichen Adelshofes. Bemerkenswerte Ergebnisse sind das allgemein geringe Besuchsaufkommen sowie dessen wechselnde Konjunkturen. Philip Haas (Marburg) geht in seinem Aufsatz auf einen speziellen Typus des Reisens ein, den er treffend als „Regentinnenreisen“ bezeichnet. Er untersucht die Reisen Hedwig Sophies von Hessen-Kassel (1623–1683), die die vormundschaftliche Regentin ihres Sohnes war, und in dieser Eigenschaft bis zu dessen Volljährigkeit mit weiteren Nebenvormündern von 1663 bis 1677 herrschte. Diese Funktion beeinflusste ihre Reisen im erheblichen Maße. Reiseanlässe wie Taufen, Verwandtschaftsbesuche und Badereisen nahm sie zum Anlass, um ihre Handlungsspielräume optimal zu nutzen. Dabei verband sie auch die Reisen des Erbprinzen geschickt mit ihren Zielen. Besonders deutlich wird dies bei der Reise
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anlässlich der Taufe ihres ersten Enkelkindes nach Dänemark. Die Eheverhandlungen des reformierten Hauses Hessen-Kassel mit den lutherischen Dänen waren nicht optimal verlaufen, und Hedwig Sophie wollte die Taufreise für Nachbesserungen zum Wohle ihrer Tochter nutzen. Die Verhandlungen führte sie dabei immer in enger Abstimmung mit ihren Räten. Auch Badereisen nutzte sie zu politischen Zwecken. Nicht zuletzt gelang es ihr auf diese Weise, erstmals hessische Truppen zu vermieten. Haas zeigt damit deutlich, dass Reisen von Regentinnen eine ganz eigene Gattung bildeten, die zukünftig noch stärker erforscht werden müssten. Teresa Schröder-Stapper (Duisburg-Essen) führt uns in ihrem Aufsatz eine weitere, weitgehend selbständig reisende weibliche Adelsgruppe vor Augen. Sie widmet sich in ihrem Bericht der Reisetätigkeit der Äbtissinnen und Kanonissinnen der kaiserlichen und freiweltlichen Damenstifte Essen, Herford und Quedlinburg gegen Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts. Es zeigt sich, dass gerade die Äbtissinnen und Kanonissinnen von Damenstiften eine rege Reisetätigkeit verfolgten, die neben den üblichen Verwandtenbesuchen auch ihren vielfältigen Amtsverpflichtungen geschuldet waren. Zum Teil lebten die Kanonissinnen gar nicht mehr im Stift, sondern ausschließlich bei ihrer Verwandtschaft. Am Beispiel von Charlotte von Kurland (1686–1748) und Elisabeth von der Pfalz (1618–1680) wird zudem deutlich, dass auch äußere Bedrohungen einen Reisegrund darstellten und sich sogar zu einem unfreiwilligen Daueraufenthalt ausweiten konnten. Wichtig war dabei immer das adäquate Zeremoniell, das durch Reisen inkognito umgangen werden konnte. Inkognitoreisen waren auch dann notwendig, wenn die Äbtissinnen und Kanonissinnen politische Ziele erreichen wollten, zum Beispiel bei einem Besuch beim Reichstag in Regensburg. Gleichzeitig wird klar, dass Damenstifte auch Reiseziele für junge Frauen waren. Denn hier konnten sie im Rahmen von Besuchen bei ihrer im Stift beheimateten Verwandtschaft Ausbildungsdefizite ausgleichen. Schröder-Stapper kann verdeutlichen, dass Stand, Status, Alter und Konfession adliger Äbtissinnen und Kanonissinnen wichtiger waren als ihre Geschlechtszugehörigkeit. Ein Sonderfall einer Reise in stellvertretender politischer Funktion stellt Sandra Hertel (Wien) vor. Es handelt sich dabei um die Antrittsreise der österreichischen Erzherzogin Maria Elisabeth (1680–1741) von Wien nach Brüssel. Sie war notwendig geworden, da die Erzherzogin zur Statthalterin der Österreichischen Niederlande ernannt worden war. Hertel versteht die Reise als eine Art Übergangsritus der jungfräulichen Erzherzogin zur Stellvertreterin des Kaisers, da Riten und Zeremoniell eine herausragende Bedeutung zukam. Deutlich wird dies an der fortwährenden Berichterstattung durch die Wiener Zeitungen. Problema-
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tisch war in diesem Zusammenhang aber ihr Geschlecht und ihr unverheirateter Personenstand, der die Hofkonferenz vor besondere Herausforderungen stellte und kuriose Blüten trieb. Die Suche nach Präzedenzfällen blieb erfolglos und die Begegnungen zwischen Erzherzogin und verschiedenen Würdenträgern mussten diskutiert und minutiös vorbereitet werden. Sie endeten meist damit, dass man sie wegen der zeremoniellen Schwierigkeiten eher vermied, um keine Ehrverletzungen entstehen zu lassen. In Brüssel angekommen, fiel die Differenzierung zwischen Geschlecht und Amt weg. Jetzt wurde die Erzherzogin wie der Kaiser behandelt. Brautfahrten als Prinzessinnenreisen sind dagegen ein schon länger untersuchtes Forschungsgebiet. Als notwendige Folge dynastischer Heiratspolitik darf auch dieser Typus hier nicht fehlen. Christian Gepp und Stefan Lenk (Wien) beschreiben anhand von Quellen aus dem Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv die Vorbereitung und Durchführung der Brautreisen zweier Töchter Maria Theresias, Maria Carolinas (1752–1814) und Maria Amalias (1746–1804). Sie zeigen anschaulich, wie es gelang, gegenüber den bourbonischen Herrscherhäusern die spezielle habsburgische Auffassung von Herrschaft zu betonen. Die Bourbonen erwiesen sich jedoch als gleichwertige Partner, die ihrerseits im Zeremoniell, zum Beispiel durch ihre Uniformen, eigene Akzente setzen konnten. Beide Brautfahrten, die nur im einjährigen Abstand stattfanden, stellten so ein besonderes Mittel der politischen Kommunikation dar, das gerade für die Habsburger beispielhaft war. Stefan Lehr (Münster) erweitert unseren Horizont mit einem Blick auf die Reisen russischer Adliger in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, indem er auf zahlreiche noch nicht erschlossene Quellen in russischen Archiven hinweist. Alle drei Damen, die er uns vorstellt, verfassten anlässlich ihrer Reisen Tagebücher, die für die Öffentlichkeit oder aber für die Familie geschrieben wurden. Dabei zeigt sich, dass die Reisen, jedenfalls vordergründig, zur Gesundheitsvorsorge unternommen wurden. Fürstin Daškova (1743–1810) verfolgte mit den Reisen aber das Ziel, ihren Sohn aus dem üblichen russischen Milieu herauszuführen und sich selbst umfassend zu bilden, indem sie auf ihren Reisen ganz bewusst den Kontakt zu wichtigen europäischen Gelehrten suchte. Hierzu verfasste sie Reiseberichte, die eng auf den Leserkreis abgestimmt waren und den jeweiligen männlichen oder weiblichen Geschmack bedienten. Fürstin Stroganova (1743–1819) verfolgte ähnliche Ziele. Ihr Reisebericht war vor allem für die Familie bestimmt und legte besonderen Wert auf die Bildung eines sozialen Netzwerkes. Dies war auch bei Fürstin Golicyna (1741/44–1837) der Fall. Da ihr Vater Diplomat gewesen war, kannte sie Europa schon seit Kindheit an und verband geschickt Bildungsreise mit Gesundheitsvorsorge. Sie schildert in ihren Aufzeichnungen auch die zahl-
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reichen Reisen innerhalb Russlands, die vor allem der Verwaltung und den Verwandtschaftsbesuchen dienten. Die beschränkten Reisemöglichkeiten der Herzogin Marie Friederike von AnhaltBernburg (1768–1839) in der Zeit um 1800 thematisiert Katrin Gäde (Magdeburg) anhand eines eindrücklichen Quellenberichtes. Reisen wird hier als Möglichkeit der Flucht vor Ehemann und heimischem Hof geschildert, die jedoch immer stärker mit Restriktionen einhergingen, je mehr sich die Herzogin den Anordnungen und Verfügungen des Personals und des Gatten widersetzte. Als Ursache für ihr nonkonformes Verhalten wurde eine Gemütskrankheit diagnostiziert, auf die die Familie vermehrt mit Sanktionen reagierte. Letztlich endete die Ehe der Herzogin in der Scheidung und Vater und Bruder übernahmen die Vormundschaft über die Tochter bzw. Schwester. Infolgedessen wurde ihre Reisefreiheit letztlich bis zu einer Art Haft eingeschränkt. Martin Knauer (Münster) schildert einen besonderen Typus der Fürstinnenreisen, die als Staatskult im Geiste Napoleons inszeniert waren. Hierzu wählt er Katharina von Westphalen (1783–1835) als Beispiel. Bei den Reisen wird auf ein vielschichtiges Inventarium traditioneller Formen zurückgegriffen, die nicht nur die materielle Kultur umfasste, sondern sich auch symbolpolitischer Praktiken bediente. Besonders wird dies im sogenannten großen und kleinen Adventus deutlich, der als Symbol für die Inbesitznahme des Landes diente und der auch schon im Ancien Régime praktiziert wurde. Festzustellen ist hier, dass Katharina diese Reisen meist zusammen mit ihrem Gatten Jérôme unternahm. Besonders wichtig war die Huldigungsreise von 1808. Oft wurden auf den Reisen mehrere Zwecke miteinander verbunden. So kombinierte man private Reisen aus kulturellem Interesse, aber auch um bestimmte Naturerfahrungen zu machen mit dem Staatszweck. Ähnliche Reisezwecke schildert Birte Förster (Darmstadt), wenn sie die Reisen von Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz (1787–1810), spätere Königin von Preußen, als grundsätzlich fremdbestimmt wahrnimmt. Sie stellt die These auf, dass das neue Ideal der bürgerlichen Königin selbständige Reisen verhinderten. Luises erste Reisen fanden als Begleitung ihrer Großmutter statt, und sie umfassten ein umfangreiches Bildungsprogramm, das auch den Besuch von Waisenhäusern und Fabriken einschloss und der Pflege des sozialen Netzwerkes diente. Erst als Braut lernte Luise das zeremonielle Reisen kennen. Bis auf zwei Reisen waren nun alle Reisen ihrem Amt geschuldet und wurden durch König und Königin gemeinsam durchgeführt. Darin, so Förster, zeigte sich das im Wandel begrif-
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fene Verständnis von Königin und König, die jetzt nicht mehr getrennt agierten, sondern als Landesmutter und Landesvater handelten. Der abschließende Beitrag von Christina Vanja (Kassel) setzt sich dagegen mit den Badereisen von Fürstinnen oder Prinzessinnen um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert nach Ems auseinander. Die Reisen dienten vor allem dem Zweck, eine bisher ausgebliebene Schwangerschaft herbeizuführen, um so den Fortbestand der Dynastie möglichst mit einem männlichen Erben zu sichern. Ems besaß in dieser Hinsicht einen ausgezeichneten Ruf. Eine besondere warme Quelle, die sogenannte Bubenquelle sollte Abhilfe schaffen. Anhand der Badereisen der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (1709–1758) 1737, der Kurfürstin Maria Anna Sophie (1728–1797) von Bayern 1763 und der Schwägerinnen Königin Amalie von Griechenland (1818–1875) und der Erbherzogin Mathilde von Hessen-Darmstadt und bei Rhein (1813–1862) im Sommer 1841 wird deutlich, dass die Reisen zwar vor allem dazu dienten, schwanger zu werden und deshalb ein anstrengendes Kurprogramm zu absolvieren war. Gleichzeitig ging es jedoch darum, sich mit anderen Hoheiten zu treffen und öffentliche Präsenz zu zeigen. Dabei ist eine deutliche Entwicklung des Kurbades als Reiseziel zu konstatieren. War Bad Ems zu Anfang des 18. Jahrhunderts ein mehr oder weniger öder Ort, wandelte er sich achtzig Jahre später zum Modebad und populären Reiseziel. Zudem hatte sich die höfische Etikette gelockert, allerdings nicht im Sinne einer Annäherung an die einheimische bürgerliche Gesellschaft. Letztlich blieben die Fürstinnen auch im Kurbad unter sich. Zur Funktion der Visualisierung der Reiserouten: Nicht alle von den Autorinnen und Autoren besprochenen Reisen sind in der Form von Linieneintragungen in einer Karte umgesetzt worden. Das hat verschiedenen Gründe: Häufig sind nur grobe Reisedaten, Stationen und Zielorte überliefert worden, nicht aber die konkreten Reiserouten. Teilweise thematisieren die Beiträge viele kleinere Reisen oder generelle Bewegungsradien, die die Visualisierung nicht sinnvoll erscheinen lassen. Zusätzlich macht die historische Karte aus dem frühen 18. Jahrhundert das Markieren einzelner, vor allem kleinerer Orte nur schwer realisierbar. Wir haben uns bemüht, die Reisen so präzise wie möglich nachzuzeichnen. War dies nicht möglich, sind die Routen als Luftlinien zwischen einzelnen Stationen wiedergegeben. Das Ziel dieser Form der Illustration der Reisen ist es, die Entfernungen und Dimensionen der einzelnen Reisen auf einen Blick sichtbar zu machen und einen unmittelbaren Vergleich zwischen den verschiedenen Reisetypen zu ermöglichen.
Caroline zum Kolk
Frauenreisen im Spiegel höfischer Itinerare der französischen Renaissance In den 1970er Jahren ist das Thema ‚Reise‘ auch in Frankreich verstärkt ins Zentrum der Forschung gerückt. Hierzu sind Perspektiven entwickelt worden, die der spezifischen Situation des Landes Rechnung trugen.1 Ab dem Mittelalter gehörte Frankreich neben Italien zu den bevorzugten Reisezielen Europas und war ein unverzichtbarer Bestandteil der Grand Tour, zu der eine Vielzahl von Studien veröffentlicht worden sind. Die Fokussierung auf diese Reisegattung ist für die Frauen- und Geschlechtergeschichte bedeutend, da die Grand Tour nach gängiger Forschungsmeinung eine Reiseform ist, die Frauen nicht praktiziert hätten. Die Entwicklung hat somit für die Frühe Neuzeit eine Tendenz verstärkt, die die Historiographie zum Thema Reisen seit den 1970er Jahren geprägt hat: Nur 3 Prozent der von 1970 bis 2010 in Frankreich veröffentlichten Studien sind Frauen gewidmet.2 Nicole Pellegrin bezeichnet dies als ein „schwarzes Loch“ der Erinnerung und stellt die Frage, ob die Auffassung einer nur von Männern praktizierten Grand Tour wissenschaftlich auf Dauer Bestand haben werde.3 Isabelle Havelange hat in einer Untersuchung der Veröffentlichungen zum Thema Reisen eine weitere Diskrepanz aufgezeigt. Von den 135 untersuchten weiblichen Reisenden sind nur 26 dem vorrevolutionären Zeitalter zuzuordnen: 4 dem Mittelalter, 3 dem 16. Jahrhundert, 7 dem 17. Jahrhundert und 12 den Jahren
1 1984 ist das bis heute für diese Thematik zentrale Centre de recherche sur la littérature des voyages (http://www.crlv.org/) gegründet worden. 2 Die Untersuchung von Isabelle Havelange beruht auf der Auswertung der Bibliographie annuelle de l’histoire de France, die von der französischen Nationalbibliothek in Zusammenarbeit mit dem Centre National de la Recherche Scientifique (künftig: CNRS) erstellt wird und jährlich mehr als zehntausend französische und ausländische Neuerscheinungen zur französischen Geschichte aufführt. Isabelle Havelange: Les voyageuses françaises au prisme de la bibliographie annuelle de l’histoire de France (de 1970 à 2010), in: Genre & Histoire (künftig: GH) 8, Printemps 2011 (https://genrehistoire.revues.org/1308), 56 Abschnitte (hier Abschn. 4). 3 Nicole Pellegrin: Genre, voyage et histoire. Quelques aperçus, in: GH 8, Printemps 2011 (http:// genrehistoire.revues.org/1290), 10 Abschitte (hier Abschn. 8). In Frankreich ist eine 1769 von der zehnjährigen Victorienne Delphine Nathalie de Mortemart (1759–1828) unternommene Grand Tour bekannt: Laetitia Gigault (Hrsg.), Un merveilleux voyage: le journal d’une enfant pendant l’été 1769. Strasburg 2006. https://doi.org/10.1515/9783110532937-003
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1700 bis 1789.4 Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts sind es vor allem Fürstinnen wie die Königin Gerberga, die Herzogin von Burgund Isabelle von Portugal sowie Marguerite von Valois und Katharina von Medici, die im Zentrum der Untersuchungen stehen. Mit der Gegenreformation öffnet sich dann das Themenspektrum für französische Mystikerinnen und Nonnen, die sich in der Neuen Welt engagierten. Studien zum 17. und 18. Jahrhundert behandeln zunehmend auch Bildungsreisen, Reisen von Künstlerinnen und Frauen, die an Forschungsexpeditionen teilnahmen, wie Jeanne Barret, die von 1766 bis 1768 als Mann verkleidet Louis-Antoine de Bougainville auf einer Weltreise begleitete. Auch wenn die Bibliographie, die Havelanges Untersuchung zugrunde liegt, Lücken aufweist und Studien, die nach 2010 veröffentlicht wurden, nicht berücksichtigt, so kann doch zweifelsohne festgestellt werden, dass Reisen von Frauen in der Frühen Neuzeit noch immer Terra incognita sind.5 Diese Forschungslücke ist nach Dorothea Nolde auf zwei Faktoren zurückzuführen: Zum einen hätten Frauen nur selten Reiseberichte hinterlassen, die von der Reiseforschung bisher privilegierte Quellengattung. Zum anderen hätten sie kaum größere Reisen, die auf dem Schema von zeitlich und geographisch klar abgegrenzten Unternehmen beruhten, unternommen. Seien Frauen unterwegs gewesen, so häufig im Rahmen von Stippvisiten oder einer Reise, die von längeren Pausen und Unterbrechungen geprägt gewesen sei.6 Die Erforschung der Mobilität der Frauen erfordert somit eine Erweiterung der Definition des Begriffes ‚Reisen‘ sowie das Hinzuziehen von Quellen unterschiedlichster Art. Die Struktur der Reisetätigkeit von Frauen zeigt sich besonders deutlich in Itineraren, die durch die Auswertung von Briefen, Urkunden und Rechnungen rekonstruiert werden können. Ein 2015 gestartetes Projekt zu den Itineraren des französischen Hofes hat zu der Veröffentlichung solcher Dokumente in einer
4 Havelange: Les voyageuses françaises (wie Anm. 2), Abschn. 8, und dies.: Les voyageuses dans la BAHF, du Moyen Âge au XXe siècle. Bibliographie 1970–2010, GH 8, Printemps 2011 (http:// genrehistoire.revues.org/1197). 5 Nicht berücksichtigt wurden z. B. Dorothea Nolde: Princesses voyageuses au XVIIe siècle. Médiatrices politiques et passeuses culturelles, in: Clio 28, 2008, S. 59–76; Philippe Contamine: Dames à cheval, in: Geneviève und Philippe Contamine, Autour de Marguerite d’Écosse: reines, princesses et dames du XVe siècle: actes du colloque de Thouars, 23 et 24 mai 1997. Paris 1999, S. 201–219, sowie die dem Thema „Itinérances féminines“ gewidmete Ausgabe von Astrolabe 21, Sept./Okt. 2008; zu den Reisen von Christine von Schweden, Sophie von Hanover, Marie Fedorovna (geb. Sophie-Dorothée von Würtemberg-Montbéliard) und Sophie von La Roche in Frankreich siehe Caroline zum Kolk/Jean Boutier et al. (Hrsg.), Voyageurs étrangers à la cour de France (1589–1789) – regards croisées. Rennes 2014. 6 Nolde: Princesses voyageuses au XVIIe siècle (wie Anm. 5), S. 61.
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Datenbank und zu ihrer Einarbeitung in ein geographisches Informationssystem mit Computerkartographie geführt.7 Auch können Studien und Dokumente zum Thema auf der Webseite „Cour de France.fr“ veröffentlicht werden. Der hierzu veröffentlichte „Call for participation“ lädt Forscher und Forscherinnen aus dem In- und Ausland zur Teilnahme ein und unterstreicht ein besonderes Interesse für Itinerare von Frauen, die am französischen Hof residierten. Diese geben nicht nur Aufschluss über die Formen der Mobilität von Frauen, sie werfen auch ein Licht auf den höfischen Alltag, die Organisation und den Platz von Frauen am Hof. Die bisher publizierten Itinerare von Philipp VI., Ludwig XI., Franz I., Heinrich II., Franz II., Heinrich III. und Katharina von Medici8 ermöglichen es, erste Ergebnisse zu diesen Fragestellungen vorzustellen.
1 Ein Hof auf Reisen Der französische Hof zeichnete sich im 16. Jahrhundert durch eine ausgeprägte Mobilität aus, die eine wachsende Anzahl von Frauen und Männer betraf. Von ca. eintausend Personen im 15. Jahrhundert war er auf eine Größe angewachsen, die mit der Stadt Nancy oder Grenoble verglichen werden kann: Schätzungen gehen von ca. acht- bis zwölftausend Menschen aus, wenn die Hofstaate der königlichen Familie, der Hofleute und Gäste versammelt waren.9 Der Frauenanteil des Hofes hatte sich ebenfalls vergrößert. Anne de Bretagne nahm Ende des 15. Jahrhunderts zahlreiche Dames und Demoiselles in ihren Hofstaat auf (der in Frankreich
7 Das Projekt wurde 2015 von „Cour de France.fr“ (http://cour-de-france.fr) initiiert. Die Datenbank mit mehr als 28.400 Einträgen (Stand: März 2017) kann online konsultiert werden: http:// cour-de-france.fr/rubrique434.html. Die Einarbeitung der Daten in ein geographisches Informationssystem ist in Zusammenarbeit mit ALPAGE (AnaLyse diachronique de l’espace urbain PArisien: approche GEomatique, CNRS) unternommen worden. Es kann ebenfalls im Internet konsultiert werden: http://mapd.sig.huma-num.fr/itinraires/flash/?. 8 Siehe hierzu die Liste der bereits veröffentlichten Itinerare: http://cour-de-france.fr/rubrique434.html. 9 Die Stadt Nancy hatte Ende des 16. Jahrhunderts elftausend Einwohner, Grenoble zwölftausend: Stéphane Durand: Les villes en France, XVIe–XVIIIe siècle. Paris 2006, S. 6. Zur Größe des Hofes siehe Yvonne Labande-Mailfert: Charles VIII et son milieu (1470–1498). La jeunesse au pouvoir. Paris 1975, S. 139–141; Nicolas Le Roux: La Maison du roi sous les premiers Bourbons: institution sociale et outil politique, in: Chantal Grell, Benoît Pellistrandi (Hrsg.), Les Cours d’Espagne et de France au XVIIe siècle. Madrid 2007, S. 13–40; Caroline zum Kolk: The household of the Queen of France in the Sixteenth Century, in: The Court Historian 14/1, Juli 2009, S. 3–22.
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Maison oder Hôtel genannt wurde). Ihre Nachfolgerinnen knüpften daran an.10 Verfügte im 15. Jahrhundert die Herrscherin durchschnittlich über 18 Frauen, so stieg ihre Anzahl im 16. Jahrhundert auf 66 an, eine Größenordnung, die in den folgenden Jahrhunderten nicht mehr erreicht wurde.11 Die Maisons der Prinzessinnen und der Königinmutter waren von dieser Entwicklung nicht ausgeschlossen, die ihren Höhepunkt am Ende der Valois-Dynastie erreichte: 1588 zählte der Hofstaat der Königin Louise de Lorraine 98, der der Königinmutter Katharina von Medici 112 Frauen.12 Das Itinerar der Katharina von Medici zeichnet ein deutliches Bild von der Entwicklung der Reisetätigkeit des Hofes, auf die sie ab 1560 als Regentin einen wesentlichen Einfluss nehmen konnte.13 Katharina wurde 1533 mit Heinrich von Orléans, dem zweiten Sohn Franz I., verheiratet und verblieb bis zu ihrem Tod im Jahre 1589 am französischen Hof. Ihr Itinerar umspannt somit fünf Regierungszeiten (Franz I., Heinrich II., Franz II., Karl IX. und Heinrich III.) und ermöglicht es, die Reisetätigkeit einer Prinzessin (bis 1547), einer Königin (bis 1559), einer Regentin (bis 1563) und einer in der Politik tätigen Königinmutter (bis 1589) zu erfassen.14 Es ist bisher nicht in seiner Gesamtheit untersucht worden. Seine Auswertung steht in engem Zusammenhang mit Fragestellungen zur politischen und dynastischen Praxis, zur adligen und weiblichen Reisekultur, zu den sozialen Strukturen und zum Hofalltag. Die Reisen des Hofes und der Königin sind mit all diesen Thematiken verknüpft, und es ist selten möglich, eine klare Trennung
10 Caroline zum Kolk: The household of the Queen (wie Anm. 9), S. 10 f. 11 Im 17. Jahrhundert waren durchschnittlich 37, im 18. Jahrhundert 33 Frauen im Hofstaat der Königin(nen) zu finden. Caroline zum Kolk: La maison de la reine de France et son personnel féminin (Moyen Âge-XVIe siècle), in: Kathleen Wilson-Chevalier, Caroline zum Kolk (Hrsg.), Femmes à la cour de France. Villeneuve d'Ascq 2018. 12 Diese Zahlen beruhen auf einer Auswertung der in der Bibliothèque nationale de France und den Archives nationales aufbewahrten Hofstaatslisten. Caroline zum Kolk: Les femmes à la cour de France au XVIe siècle. La fonction politique de la maison de Catherine de Médicis (1533–1574), in: Armel Nayt-Dubois/Emmanuelle Santinelli-Foltz (Hrsg.), Femmes de pouvoir et pouvoir des femmes dans l’Occident médiéval et moderne. Valenciennes 2009, S. 237–258. 13 Caroline zum Kolk (Hrsg.), Itinéraire de Catherine de Médicis. Les lieux de séjour la reine d’après sa correspondance (1529–1588), Paris 2008 (http://cour-de-france.fr/article249.html). 14 Die ersten Jahre sind nur lückenhaft dokumentiert; die Angaben häufen sich in dem Zeitraum, in dem Katharina für und mit ihren Söhnen die Macht ausübte. Das Itinerar enthält insgesamt 3591 Einträge; nur 45 für die Regierungszeit Franz’ I., 182 für die Heinrichs II., 40 für die kurze Regierungszeit Franz’ II., 1676 für die Karls IX. und 1648 für die Heinrichs III. Für die Erstellung des Itinerars ist die Korrespondenz der Königin ausgewertet worden: Lettres de Catherine de Médicis (künftig: LCM), Hector de la Ferrière-Percy/Gustave Baguenault de Puchesse/André Lesort (Hrsg.), Paris 1880–1943, 11 Bände.
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und Klassifizierung der Beweggründe für die Reisen vorzunehmen. Ein Jagdaufenthalt konnte politische Verhandlungen beinhalten und Patronagebeziehungen wiederbeleben, eine königliche Antrittsreise, wie die Tour royal der Jahre 1564 bis 1566, wurde auch zur Beilegung diplomatischer, religiöser, juristischer und wirtschaftlicher Konflikte genutzt. Deutlich zeichnet sich im Itinerar der Königin eine Veränderung der Reisetätigkeit des Hofes ab. Es beginnt 1533 unter der Regierung des sehr ‚wanderlustigen‘ Franz I., der, wie seine mittelalterlichen Vorgänger, häufig mit dem Hof über Land zog. Es endet 56 Jahre später unter seinem Enkel Heinrich III., der mit Vorliebe in Paris residierte und nur selten reiste. Die Itinerare belegen, dass diese Entwicklung auf Maßnahmen von Katharina von Medici zurückzuführen war, die den Hof ab 1566 in Paris ansiedelte. Die Aufenthalte in der Hauptstadt wurden ab diesem Jahr zahlreicher und waren von längerer Dauer. In den Itineraren Franz’ I. und Heinrichs II. weisen nur 15 Prozent der Angaben auf einen Parisaufenthalt hin. Im Itinerar Katharinas entsprechen sie ab 1566 34 Prozent. Klammern wir die Jahre aus, in denen größere Reisen stattfanden (1569, 1577 und 1584), so ergibt sich ein Wert von 38 Prozent. Das Itinerar Heinrich III. (1574–1589) übertrifft diese Größenordnung noch: 59 Prozent aller Angaben seines Itinerars betreffen Paris.15 Die von der Königinmutter eingeleitete Bevorzugung der Hauptstadt als Aufenthaltsort, diese Sedentarisierung, erklärt sich nicht nur mit den Vorzügen des Stadtlebens. Die Reisetätigkeit des Hofes stand der Entwicklung eines geregelten Hoflebens und -zeremoniells entgegen, erschwerte die Verwaltung des Reiches und war zudem äußerst kostspielig. Auch die Religionskriege und die mit ihnen einhergehenden Unruhen in der Provinz begründeten den Rückzug in die als königstreu geltende Hauptstadt. Neben dieser bisher wenig untersuchten Sedentarisierung geben die Itinerare auch Hinweise auf die Charakteristika der weiblichen Mobilität am französischen Hof. Sie ermöglichen es, die Reisetätigkeit von Männern und Frauen im Detail nachzuzeichnen und die ihr innewohnenden geschlechtsspezifischen Merkmale zu identifizieren.
15 Siehe hierzu Caroline zum Kolk: Zwischen Tradition und Moderne: Katharina von Medici und der französische Hof zur Zeit Karls IX., in: Ulrike Ilg (Hrsg.), Fürstliche Witwen in der Frühen Neuzeit. Zur Kunst- und Kulturgeschichte eines Standes. Petersberg 2015, S. 73–85.
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2 Die Reisen Katharinas von Medici und ihres weiblichen Hofstaats (1533–1559)
Abb. 1: François Clouet, Katharina von Medici (1519–1589), Königin von Frankreich, um 1540.
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Die Hofstaate der Frauen verfügten über alle für das Reisen notwendigen Ämter und Dienste, was es ihnen ermöglichte, unabhängig vom Hof zu reisen und zu existieren. Im Gegensatz zu anderen Ländern blieb diese Autonomie in Frankreich bis ins späte 17. Jahrhundert erhalten. Sie war für die Organisation des Reisekönigtums unverzichtbar: Ging es über Land, teilte sich der Hof auf und reiste in kleinen Gruppen, was Versorgungsengpässe und den Mangel an Unterkünften reduzierte. Katharina von Medici lernte diese Praxis gleich zu Beginn ihres Frankreichaufenthaltes kennen. Nach ihrer Hochzeit, die am 28. Oktober 1533 stattfand, organisierte sich der Abzug des Hofes aus Marseille in mehreren Etappen. Die Söhne des Königs verließen die Stadt am 31. Oktober, die Familie der Bourbonen folgte ihnen zwölf Tage später. Katharina brach mit den Töchtern des Königs am 13. November auf; einige Stunden später verließ der Obersthofmeister Anne de Montmorency mit seiner Familie die Stadt. Franz I. machte sich mit seinem Gefolge am nächsten Tag auf den Weg; zurück blieb nur die Königin, Eleonore von Österreich, die erkrankt war und erst zehn Tage später Marseille verlassen konnte.16 Der Aufenthaltsort Katharinas stimmte somit nicht immer mit dem ihres Mannes oder dem des Königs überein, und dies nicht nur während der Reisen; auch längere Aufenthalte waren von diesem Umstand geprägt. In der Regierungszeit Franz’ I. betreffen nur 43 Prozent der (sehr lückenhaften) Angaben ihres Itinerars den Aufenthaltsort ihres Schwiegervaters. Dieses Phänomen gilt auch für die Region Île-de-France, die der Hof besonders häufig aufsuchte.17 Es scheint sich hierbei um eine bereits vor 1530 gängige Praxis zu handeln. Die Königin Claude residierte bis zu ihrem Tod im Jahre 1524 häufig fern vom Hof in Amboise. Die zweite Frau Franz’ I., Eleonore von Österreich, war im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin häufig am Hof, hielt sich aber nicht immer in derselben Residenz wie ihr Mann auf; eine Erstellung ihres Itinerars wäre für eine weitergehende Untersuchung aufschlussreich. Die häufigen Trennungen Katharinas von ihrem Mann endeten 1547 mit der Thronbesteigung Heinrichs II., der das Reisekönigtum seines Vaters fortführte. Franz I. hatte in 32 Jahren (1515–1547) an 783 verschiedenen Orten residiert. Die Reisen führten den Hof in diesen Jahren in nahezu alle Regionen des Reiches, nur das Limousin musste auf einen Besuch des Herrschers verzichten. Heinrich II.
16 Honorat de Valbelle: Histoire journalière (1498–1539), hrsg. von V. L. Bourilly, Aix-en-Provence 1985, 2 Bde., Band 1, S. 255–259. 17 Das Pariser Umland dominiert mit 39 Prozent das Itinerar Franz’ I. Siehe hierzu Caroline zum Kolk (Hrsg.), Itinéraire de François Ier. Les lieux de séjour du roi d’après ses actes (1515–1547). Paris 2015 (http://cour-de-france.fr/article3662.html).
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besuchte in 13 Regierungsjahren (1547–1559) 354 verschiedene Orte. Auch unter seiner Herrschaft bereiste der Hof bis auf zwei Regionen (Limousin und Aquitanien) alle Gebiete des Reiches. Neu war jedoch die enge Kooperation des königlichen Paares, die ab 1547 deutlich wurde: Katharina von Medici und Heinrich II. trennten sich nur selten. 70 Prozent der Aufenthaltsorte der Königin stimmen mit denen ihres Mannes überein und 71 von 77 Aufenthalten in der Île-de-France verbrachte das Paar gemeinsam. Die Trennungen waren meist der Kriegsführung geschuldet, wobei Katharina sich auch bei diesen Gelegenheiten oft nur wenige Kilometer von ihrem Mann entfernt im Hinterland aufhielt. 1552 war sie in Châlons-en-Champagne, um die Versorgung der Truppen zu überwachen und, wie sie selber sagte, den Beruf des Munitionärs zu erlernen.18 1554 hielt sie sich wenige Kilometer von der Truppe entfernt im Reimser Umland auf. Diese Nähe zur Kampfzone löste bei ihren Begleiterinnen Unruhe aus: Madame von Nevers verängstigt dermaßen meine Frauen, weil sie behauptet, wir würden niemals ohne Eskorte sicher von Artel nach Mézières gelangen, dass es ein Vergnügen ist, sich dies anzuschauen.19 Auch die zahlreichen Schwangerschaften der Königin führten zu keiner Trennung des Paares, was bei Claude und Franz I. noch die Regel war. Wurde das Reiten zu beschwerlich, so ließ sich die hochschwangere Königin in einer Sänfte tragen.20 Für die Niederkunft zog sich der Hof in die Schlösser von Fontainebleau oder Saint-Germain-en-Laye zurück. Nach wenigen Wochen wurde das Neugeborene dann in den Hofstaat der Kinder integriert, der im Loiretal oder in der Île-de-France residierte. Seine Ausgliederung aus dem Hof ermöglichte es den Eltern, ihre Reisetätigkeit fortzusetzen, ohne auf die Belange der Kinder Rücksicht nehmen zu müssen. Die konstante Präsenz Katharinas und ihrer Damen veränderte die Struktur und den Alltag des Hofes. Frauen waren nun regelmäßig vor Ort und erhielten, wenn wir den Aussagen Brantômes Glauben schenken, in den Residenzen die Hälfte der Unterkünfte zugewiesen.21Auch übernahm die Königin bei Reisen die Führung des Hofes, was es Heinrich ermöglichte, die Etappen mit einer reduzier-
18 Briefe an Anne de Montmorency vom 16. und 20. Mai 1552, LCM, Bd. 1, S. 56 und S. 314. 19 Madame de Nevers a fait tant de peur à toutes ces femmes, car elle dit que nous n’iront pas surement sans escorte d’Artel à Mézières, que c’est un passe temps de le voir [Übersetzung Autorin]. Brief an Anne de Montmorency, 20. Juni 1552, LCM, Bd. 1, S. 67. 20 Pierre de Bourdeilles, Abbé de Brantôme: Recueil des Dames, poésies et tombeaux. Paris 1991, S. 68. 21 Brantôme: Recueil (wie Anm. 20), S. 59. Monique Chatenet hat die Verteilung der Räume in Saint-Germain-en-Laye untersucht: Une demeure royale au milieu du XVIe siècle. La distribution des espaces au château de Saint-Germain-en-Laye, in: Revue de l’Art, 81/1 (1988), S. 20–30.
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ten Begleitung zügig zurückzulegen. Katharina reiste dabei in Begleitung ihrer Hofdamen, deren Zug ein prachtvolles Bild abgab: Es war prächtig anzuschauen, wenn die Königin über Land ging […]. Sie würden vierzig bis fünfzig Damen und Fräulein gesehen haben, die ihr auf prächtig geschmückten Pferden folgten, und die sich mit soviel Grazie hielten, dass sie den Männern in nichts nachstanden […] ihre Hüte waren mit Federn geschmückt was die Pracht noch vermehrte, und diese im Wind wehenden Federn waren wie eine Aufforderung, Liebe oder Krieg zu erklären.22
Abb. 2: Antoine Caron, Das Schloss von Anet, Tuschzeichnung, um 1570.
Der Hof legte im Durchschnitt 20 bis 30 Kilometer pro Tag zurück und nutzte alle zur Verfügung stehenden Transportmittel. Die einzige zeitgenössische Darstel-
22 Il faisait beau veoir aussi quand la Reyne alloit par pays […] vous heussiez veu quarante à cinquante Dames ou Damoiselles la suyvre, montées sur de belles hacquenées tant bien harnechées, et elles se tenant à cheval de si bonne grâce, que les hommes ne s’y parroissoient pas mieux […]; leurs chapeaux tant bien garnis de plumes, ce qui enrichissoit encor’ la grace, si que ces plumes volletantes en l’air representoient à demander amour ou guerre. Brantôme: Recueil (wie Anm. 20), S. 59 und S. 68 [Übersetz. Autorin].
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lung einer solchen Hofreise zeugt von deren Varietät: Viele Hofleute gingen zu Fuß, andere wurden in Sänften (litières) getragen, wieder andere reisten in einem mit Ledersträngen gefederten Wagen (chariot branlant), zu Pferd oder per Boot (Abb. 2). Der Transport des Gepäcks, des Mobiliars und der königlichen Menagerie (mit den unverzichtbaren Jagdvögeln, Hunden und einem Bären) ließ sich nur mit viel Aufwand bewerkstelligen. Dass Katharina von Medici sich auch mit großer Geschwindigkeit fortbewegen konnte, zeigt ihr Itinerar: Sie legte des Öfteren 50 oder 60 Kilometer an einem Tag zurück. Ihre Tochter Marguerite berichtete in ihren Memoiren von einem wahren Parforceritt, der die Königinmutter im Jahre 1569 von Paris nach Tours führte. Sie brauchte für die 280 Kilometer lange Strecke nur dreieinhalb Tage, was einem Durschnitt von 80 Kilometer täglich entspricht. Dies ging nicht ohne Ungemach und Unfälle vor sich. Der Kardinal Karl von Bourbon war den Strapazen nicht gewachsen und blieb hinter der Gruppe zurück, was ihn zum Gespött der Hofjugend machte.23
3 Die Reisen einer Regentin und Königinmutter (1560–1589) Nach dem Tod Heinrichs II. am 10. Juli 1559 und der kurzen Regierungszeit Franz’ II. wurde Katharina im Dezember 1560 Regentin für ihren minderjährigen Sohn Karl IX. Sie entschied nun über die Reisen und Aufenthaltsorte des Hofes. Offiziell endete ihre Regentschaft mit der Großjährigkeit Karls am 17. August 1563. Die Königinmutter behielt jedoch auch in den Folgejahren Einfluss auf die politischen Belange des Reiches und auf den Hof. Unter Heinrich III., der 1574 seinem Bruder Karl auf den Thron folgte, entstand eine neue Konstellation: Heinrich regierte eigenständiger als sein Vorgänger, beteiligte jedoch wie sein Bruder seine Mutter an der Regierung. Katharina führte für ihn Verhandlungen und bereiste mehr als er selbst das Land.24
23 Karl von Bourbon, Erzbischoff von Rouen (1523–1590). Marguerite de Valois: Mémoires et Discours. Nachdruck Saint-Etienne 2004, S. 54. 24 Heinrich III. residierte in Paris, wie es Karl IX. ab 1566 getan hatte (wie Anm. 16).
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Abb. 3 : Die Reisen der Katharina von Medici (1560–1588)25.
Abb. 4: Häufigkeit der Aufenthalte von Katharina von Medici in den Jahren 1533–1589 vor (lila) und nach (grün) der grossen Hofreise (15. März 1564 – 5. Mai 1566). Paris dominiert nach 1566 (= grösster grüner Kreis), was vor 1564 nicht der Fall ist.
25 Diese Statistik zeigt Aufenthalte an Orten an, die nicht für längere Aufenthalte genutzt wurden. Nicht berücksichtigt sind Aufenthalte in Paris, Fontainebleau, Saint-Germain-en-Laye, Saint-Maur, Blois und Chenonceaux. Karte © Autorin.
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Die Religionskriege führten ab 1562 zu einer Vielzahl von Reisen, die Verhandlungen, der Kriegsführung oder der Befriedung eines Gebietes dienten. Der Großteil dieser Reisen war von begrenztem Ausmaß: Sie nahmen einige Tage oder ein bis zwei Wochen in Anspruch. Andere betrafen mehrere Regionen des Landes und zeichneten sich durch ihre Länge aus. Hier ist vor allem Karls IX. Huldigungsreise (von März 1564 bis Mai 1566) zu nennen, die von den Zeitgenossen auch als Tour (im Sinne einer Rundreise) bezeichnet wurde.26 Auch die Jahre 1569 und 1570 wiesen eine außergewöhnlich hohe Mobilität auf. Während des dritten Religionskrieges reiste Katharina von Medici mit der Armee, wie sie es bereits 1562/63 getan hatte. Das Jahr 1578 führte sie in den Süden des Reiches, wo sie den Abfall der protestantisch dominierten Provinzen zu verhindern suchte. Diese Reise dauerte 14 Monate (von September 1578 bis November 1579) und nahm einen ähnlichen Verlauf wie die Tour Royal der 1560er Jahre. Ihre letzte große Reise fand im Alter von 67 Jahren statt, um Verhandlungen mit Heinrich von Navarra und den Protestanten in Westfrankreich zu führen (von November 1586 bis März 1587). Bei all diesen Fahrten wurde die Königinmutter von Frauen ihres Hofstaates begleitet, auch wenn diese nicht immer vollzählig waren. Katharina lud zuweilen auch Adlige ein, die mit ihren Verhandlungspartnern in Beziehung standen und als Vermittlerinnen dienen konnten: Catherine de Lorraine tat dies 1579, Anne d’Este 1587.27 Musste die Königinmutter eine Strecke schnell zurücklegen, umgab sie sich mit einer reduzierten weiblichen Eskorte, zur der in den 1560er Jahren ihre Tochter Marguerite und zwei enge Vertraute, Claude Catherine von Clermont und Charlotte von Beaune-Semblançay, zählten.28 Neben den Gefahren des Krieges, der Epidemien, der Unfälle und der Unwetter kam es bei diesen Reisen immer wieder zu Versorgungsengpässen und Schwierigkeiten im Bereich der Nachrichtenübermittlung, die für die letzte Reise der Königin gut dokumentiert sind. Frankreich besaß 1584 einen königlichen
26 Eine Reisebeschreibung wurde auf Wunsch Katharinas von Medici veröffentlicht: Abel Jouan: Recueil et discours du voyage du roy Charles IX. Lyon 1567. Siehe zu dieser Reise Jean Boutier/ Alain Dewerpe/Daniel Nordman: Un tour de France royal. le voyage de Charles IX (1564–1566). Paris 1984; Pierre Champion: Catherine de Médicis présente à Charles IX son royaume (1564– 1566). Paris 1937 und Victor E. Graham/W. McAllister Johnson: The Royal Tour of France by Charles IX and Catherine de’ Medici. Festivals and Entries, 1564–1566. Toronto 1979. 27 Catherine de Lorraine (1552–1596), Herzogin von Montpensier; Anne d’Este (1531–1607), Herzogin von Guise. 28 Marguerite de Valois: Memoires (wie Anm. 24), S. 54. Claude Catherine de Clermont (1543– 1603), Gräfin von Retz; Charlotte de Beaune-Semblançay (1551–1617), Dame von Sauve.
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Botendienst, der 252 Poststationen an 14 Straßen nutzen konnte.29 Für die Überbringung der Briefe bevorzugte Katharina jedoch ihr vertraute Boten, die zumeist Mitglieder ihres Hofstaates waren. Während der Verhandlungen im Jahre 1586 residierte Katharina in Cognac, Heinrich III. im 400 Kilometer entfernten Paris. Trotz der Waffenruhe wurden die Boten der Königinmutter mehrfach überfallen und ausgeraubt. Einige Briefsendungen fielen den Protestanten in die Hände, immer wieder brach die Verbindung zwischen Cognac und dem Hof ab. In diesen Fällen entschied die Königinmutter eigenständig über den Verlauf der Verhandlungen.30 In ruhigeren Zeiten residierte Katharina von Medici mit dem König in Paris, das sie durch den Bau der Tuilerien auf seine Funktion als Residenzstadt vorbereitet hatte. Die von Franz I. und Heinrich II. bevorzugten Residenzen SaintGermain-en-Laye und Fontainebleau wurden ab 1566 nur noch selten aufgesucht. Diese Fixierung auf die Hauptstadt wurde unter Heinrich III. fortgesetzt und verschärfte den Unterschied mit den nach wie vor häufigen Reisen.
4 Fazit Zusammenfassend können wir feststellen, dass Reisen im 16. Jahrhundert ein fester Bestandteil des Alltags der französischen Königin und der Frauen ihres Gefolges waren, die wie die Männer des Hofes zwischen Koffern starben.31 Im Gegensatz zu England, in dem der Hof zumeist nur das Londoner Umland und den Süden der Insel bereiste, betrafen diese Reisen nahezu alle Provinzen des Königreiches und konnten sich über mehrere Monate und Jahre hinziehen. Geschlechtsbedingte Unterschiede sind in den Itineraren Katharinas von Medici und Heinrichs II. kaum festzustellen. Das Paar trennte sich nur selten, was die Präsenz von Frauen am Hof verstärkte und es Katharina ermöglichte, bei der Organisation und Kontrolle des Hofes mitzuwirken. Trennungen des Paares kamen vor allem in Kriegszeiten vor. Als Regentin konnte Katharina von Medici jedoch auch diese geschlechtsbedingte Grenze überschreiten. Die Zahl der Reisen zu Verhandlungen und politische Missionen nahmen ab 1560 zu; unter Heinrich
29 Patrick Marchand: Le maître de poste et le messager. Les transports publics en France au temps des chevaux. Paris 2006, S. 186 f. 30 Briefe an M. de Villeroi vom 20. und 27. November 1586, Brief an M. de Mortemart vom 2. Dezember 1586, LCM, Bd. 9, S. 88, S. 91, S. 102. 31 Pierre de Dampmartin: Discours sur quelques particularitez, touchant les Intrigues de la Cour. Divisez en trois Livres. Traitant du bonheur & malheur des Favoris. Paris 1651, Bd. 1, S. 82.
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III. kam es zu einer Arbeitsteilung, die es dem König ermöglichte, den Großteil des Jahres in Paris zu verbringen. Die Frage, ob es sich bei diesem Reisprofil um eine Ausnahme handelte, kann nur durch die Untersuchung weiterer Itinerare beantwortet werden, die sowohl für die Hof- als auch für die Genderforschung ein vielversprechendes Forschungsfeld darstellen.
Elena Taddei
Hin- und herüber die Alpen Die Reisen von Anna Caterina Gonzaga (1566–1621), Erzherzogin von Österreich Aber hier wunderte er sich noch viel mehr über ihre Dummheit, da ihm gerade für diese Reise gesagt worden war, der Übergang über die Alpen sei hier überaus schwierig, die Landessitten seltsam, die Wege unzugänglich, die Unterkunftsverhältnisse barbarisch und das Klima unerträglich.1
Abb. 1: Anna Caterina Gonzaga (1566–1621). 1 Michel de Montaigne: Tagebuch einer Reise durch Italien, die Schweiz und Deutschland in den Jahren 1580 und 1581, hrsg. und aus dem Französischen übertragen von Otto Flake. Frankfurt a. M. 1988, S. 81. https://doi.org/10.1515/9783110532937-004
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Elena Taddei
Kurz nachdem Michel de Montaigne die Stereotypen und Vorurteile über die furchteinflößenden und unüberwindlichen Gebirgszüge auf dem Weg nach Süden – wenigstens privat, denn sein Tagebuch wurde erst viel später publiziert – entschärft hatte, reiste eine junge Herzogin aus der italienischen Poebene zum ersten aber nicht zum letzten Mal über den Alpenhauptkamm. Anna Caterina Gonzaga2 wurde als zweite Tochter des Herzogs von Mantua, Guglielmo III. Gonzaga,3 und der Erzherzogin von Österreich, Eleonore,4 einer Tochter Kaiser Ferdinands I., 1566 in Mantua geboren. Wie ihr Bruder Vincenzo und ihre Schwester Margherita genoss Anna Caterina als Kind eines großen Mäzens und einer der Frömmigkeit und der Gegenreformation besonders zugeneigten Mutter eine humanistische und tiefreligiöse Erziehung. Von diesen im Habsburgerreich der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts begehrten Vorzügen einer Fürstentochter dürfte auch der 1573 im Zuge einer Italienreise auf Brautschau nach Mantua gelangte Erzherzog Ferdinand II.,5 seit 1567 Landesfürst von Tirol, beeindruckt gewesen sein. Obwohl noch nicht Witwer seiner heimlich geheirate-
2 Elena Taddei: Anna Caterina Gonzaga und ihre Zeit. Der italienische Einfluss am Innsbrucker Hof, in: Heinz Noflatscher/Jan Paul Niederkorn (Hrsg.), Der Innsbrucker Hof. Residenz und höfische Gesellschaft in Tirol vom 15. bis 19. Jahrhundert. Wien 2005 (Archiv für Österreichische Geschichte 138), S. 213–240; Rotraut Becker: Art. Gonzaga, Anna Caterina, in: Dizionario Biografico degli Italiani, künftig: DBI, Bd. 57. Rom 2001, S. 682–684; Veronika Sandbichler: Anna Caterina Gonzaga, in: Alfred Auer/Margot Rauch/dies./Katharina Seidl (Hrsg.), Philippine Welser & Anna Caterina Gonzaga. Die Gemahlinnen Erzherzog Ferdinands II. (Ausstellungskatalog Schloss Ambras 24. Juni–31. Oktober 1998). Wien 1998, S. 41–69; Monika E. Wallas: Anna Caterina Gonzaga. Leben und Wirken der zweiten Gemahlin Erzherzog Ferdinands II. (unveröff. Hausarbeit, Universität). Innsbruck 1990; Gregor M. Zinkl (Hrsg.), Erzherzogin Anna Juliana von Gonzaga. Die Wunderblume von Tirol. Nach Aufzeichnungen ihres Beichtvaters P. Joseph Maria Barchi. Innsbruck 1907; Joseph Maria Barchi: Lebenswandel der hochwürdigsten, durchleuchtigsten und gottseligsten Fürstinn, und Frau Frau Anna Juliana Erzherzogin zu Österreich etc. etc. Ordens der Dienerinnen unser L. Frau; beschrieben von ihrem Beichtvater Joseph M. Barchi. 2. Aufl. Innsbruck 1770. 3 Guglielmo Gonzaga (1538–1587), Herzog von Mantua und des Montferrats, war ein großer Kunst- und Musikliebhaber und Sammler. Raffaele Tamali/Paola Besutti: Art. Guglielmo Gonzaga, in: DBI, Bd. 61. Rom 2004, S. 5–10. 4 Erzherzogin Leonore(a) von Österreich (1534–1594), Tochter von Kaiser Ferdinand I. und Anna Jagiello heiratete 1561 den Herzog von Mantua. Sonia Pellizzer: Art. Eleonora d’Asburgo, in: DBI, Bd. 42. Roma 1993, S. 419–422. 5 Erzherzog Ferdinand II. (1529–1595) war von 1548 bis 1567 Statthalter von Böhmen und ab 1563 Landesfürst von Tirol. Fritz Steinegger: Art. Ferdinand II., in: NDB, Bd. 5. Berlin 1961, S. 91 f.; Josef Hirn: Erzherzog Ferdinand II. von Tirol. Geschichte seiner Regierung und seiner Länder, 2 Bde. Innsbruck 1885–1888.
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ten bürgerlichen Ehefrau Philippine Welser,6 war Ferdinand auf der Suche nach einer standesgemäßen Verbindung zur Erhaltung der Tiroler Linie. Nach dem Tod seiner ersten Frau im Jahr 1580 begann der 53-Jährige um seine gerade einmal 16-jährige Nichte Anna Caterina Gonzaga zu werben. Im Frühjahr 1582 reiste die Herzogstochter nach der prunkvollen Eheschließung per procuram in Mantua in Begleitung ihrer Mutter Eleonore und ihres Bruders Vincenzo nach Innsbruck, um den Erzherzog zu heiraten. Der Brautvater, Guglielmo Gonzaga, hatte allerdings erst mühsam überredet werden müssen, die Brautmutter und zugleich Schwester des Erzherzogs nach Innsbruck mitreisen zu lassen. Nach Guglielmo Gonzagas Ansicht war es nämlich in Italien nicht Sitte, die Frauen ohne Ehemänner in fremde Länder reisen zu lassen: disse, che il Sig.or Duca ci preghi, di haverlo per iscusato perché non possa consentire che la Madama Ser.ma venga in qua con la sua figlia, n.ra sposa allegando per cio le sequenti ragioni e cause. Prima, che non sia la usanza d’Italia lasciar le donne andar in luochi et paesi foresti senza lor mariti.7 Der Bräutigam zeigte sich über seinen Gesandten, Dario Castelletti da Nomi, ungehalten (alquanto altieri)8 über die anfängliche Weigerung seines Schwagers und bald Schwiegervaters. Noch Anfang Mai 1582 war der Herzogin von Mantua keine Reiseerlaubnis gewährt worden und der Tiroler Landesfürst berichtete seinem Gesandten, der Herzog von Mantua beharre weiter darauf, dass das Alleinreisen von Frauen nicht üblich sei; außerdem habe er ihm vorgeschlagen, falls er dies nicht glaube, den Herzog von Ferrara zu fragen, welcher Guglielmos jüngere Tochter und Anna Caterinas Schwester auch nicht alleine zu ihren Eltern nach Mantua reisen lasse.9 Doch schließlich gab der Brautvater nach und Eleonore, für die die Gegend nicht fremd war, da sie den größten Teil ihrer Kindheit und Jugend vor allem nach dem Tod ihrer Mutter 1547 am Innsbrucker Hof verbracht hatte,10 begleitete zusammen mit Vincenzo und einem Gefolge von
6 1557 hatte Erzherzog Ferdinand II. heimlich die Augsburger Patrizierstocher Philippine Welser (um 1527–1580) geheiratet, die ihm zwei Söhne, Andreas und Karl, schenkte. Margot Rauch: Philippine Welser, in: Auer/Rauch/Sandbichler/Seidl (Hrsg.), Philippine Welser & Anna Caterina Gonzaga (wie Anm. 2), S. 5–40. 7 Tiroler Landesarchiv (künftig: TLA), Ferdinandea, pos. 37: Mantuanische Heiratshandlungen, Erzherzog Ferdinand II. an Dario Castelletti da Nomi, 20. April 1582. 8 TLA, Ferdinandea, pos. 37: Mantuanische Heiratshandlungen, Erzherzog Ferdinand II. an Dario Castelletti da Nomi, 29. März 1582. 9 Ebd. 10 Veronika Sandbichler: Eleonore, Erzherzogin von Österreich, Duchessa di Mantova e Monferrato sempre così lucido specchio inanti gli occhi, in: Sabine Haag (Hrsg.), Nozze italiane. Österreichische Erzherzoginnen im Italien des 16. Jahrhunderts (Ausstellungskatalog, Schloss Ambras, Innsbruck 25. Juni – 17. Oktober 2010). Wien 2010, S. 83–108, hier S. 83.
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insgesamt zweihundert Personen die junge Braut nach Innsbruck. Auf dieser Reise bewegte sich Anna Caterina zuerst in der offenen Sänfte, eine Strecke ritt sie selber, dann reiste sie in der Kutsche und zog schließlich am 14. Mai 1582 in einer vergoldeten Sänfte in Innsbruck ein.11 Diese lange Reise von der Poebene bis nach Innsbruck war die erste, aber nicht die einzige der Mantuanerin, die bis zu ihrem Lebensabend ein recht bewegtes Leben führte.12 Noch im Zuge der Hochzeitsfeierlichkeiten wechselte der Hof von Innsbruck zum nahe gelegenen Schloss Ambras und zur Gämsenjagd bei der Martinswand nach Zirl, 18 Kilometer vor Innsbruck. Außerdem schenkte Erzherzog Ferdinand seiner jungen Braut zur Hochzeit die Edelsitze Wohlgemutsheim in Baumkirchen und Grüneck bei Mils, 15 Kilometer von Innsbruck entfernt, wohin sie regelmäßig zur Sommerfrische und zum Jagen gingen, wenn sie nicht zum Achensee oder ins Ötztal reisten.13 Anna Caterina wurde – wie ihre Mutter – in eine sprachlich und kulturell fremde Umgebung verheiratet. So war es für sie, die sich in Innsbruck nicht sogleich einlebte, weil sie die deutsche Sprache nicht beherrschte,14 eine Erleichterung, dass ihre Mutter Eleonore – Guglielmo Gonzagas eingangs erwähnter Behauptung zum Trotz – nach der Brautreise auch noch ein zweites Mal zur Geburt ihres ersten Enkelkindes über die Alpen reiste, um sie bei der Niederkunft zu unterstützen. Von hier reiste die Herzogin von Mantua weiter nach Hall zu ihrer Schwester, Erzherzogin Magdalena, der ersten Fürstäbtissin des 1567 gegründeten adligen Damenstifts zu Hall. Wenn das Wetter es zugelassen hätte, wäre sie – wie im Jahr zuvor – zur anderen Schwester Anna, welche Herzog Albrecht V. von Bayern geheiratet hatte, nach München weitergezogen. Auch Anna Caterinas Mutter war also eine nicht unerhebliche Reisetätigkeit über die Alpen eigen.
11 Zum Einzug siehe die Beschreibung bei Victor Klarwill (Hrsg.), Fugger-Zeitungen: ungedruckte Briefe an das Haus Fugger aus den Jahren 1568–1605. Wien/Leipzig/München 1923, Nr. 49, S. 58–61. 12 Hier ist – wie in der Folge noch zu zeigen sein wird – Veronika Sandbichler nicht zuzustimmen, die von einem „zurückgezogene[n] Leben“ Anna Caterinas spricht. Sandbichler: Eleonore (wie Anm. 10), S. 105. 13 Wallas: Anna Caterina Gonzaga (wie Anm. 2), S. 55, 59, 100. 14 Non essendo però de qui alcuno del Nostro sangue che habo la lingua Italiana, Archivio di Stato di Mantova, Archivio Gonzaga, Anna Caterina an Guglielmo Gonzaga, 21. Oktober 1582 und 3. März 1583.
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1 Der Familienbesuch
Abb. 2: Anna Caterina Gonzaga reist an Weihnachten 1584 von Innsbruck über Steinach, Sterzing, Brixen, Kollman, Bozen, Neumarkt, Trient, Rovereto, Dolcè und Villafranca nach Mantua zum Familienbesuch.
Um Weihnachten 1584 begann Erzherzog Ferdinand, den ersten Familienbesuch15 seiner Ehefrau in Mantua und von dort aus bei der Schwester in Ferrara16 zu organisieren.
15 Wie Katrin Keller bereits am Beispiel der Erzherzogin Maria von Innerösterreich gezeigt hat, waren Familienbesuche durchaus üblich, wenn auch nicht im Ausmaß der Erzherzogin von Innerösterreich, die insgesamt achtmal mit ihrem Gemahl nach München reiste. Katrin Keller: Erzherzogin Maria von Innerösterreich (1551–1608). Zwischen Habsburg und Wittelsbach. Wien/ Köln/Weimar 2012, S. 197. 16 Anna Caterinas Schwester Margherita Gonzaga hatte 1579 den Herzog von Ferrara, Modena und Reggio, Alfonso II. d’Este, geheiratet. War dieses Heiratsprojekt dezidiert als Bündnis gegen die durch die Erhebung zu Großherzögen bevorzugten Medici entstanden, so gab es zwischen den Estes und Gonzagas bereits frühere (Heirats-)Beziehungen. Wenn man der Einschätzung des venezianischen Gesandten Glauben schenken kann, dann hätte auch Guglielmo Gonzaga, falls
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Im Bestand Ferdinandea des Tiroler Landesarchivs (TLA) befinden sich für diese erste Alleinreise der Erzherzogin einige Vorschläge für die Zusammensetzung des sie begleitenden Hofstaates, Entwürfe für die Reiseroute und Angaben zu Unterkünften, die einer Landesfürstin angemessen erschienen. Waren zunächst 200 Personen (inklusive aller Diener) mit 150 Pferden als Geleit veranschlagt worden, so fuhren schließlich 83 Personen mit 68 Tieren von Innsbruck über Steinach, Sterzing, Brixen, Kollman, Bozen, Neumarkt, Trient, Rovereto, Dolcè und Villafranca in 10 Tagen und 39 Meilen zurücklegend nach Mantua.17 Der Kostenvoranschlag der Reise rechnete mit den Löhnen der Mitreisenden und den Ausgaben für Verpflegung und Unterkünfte mit insgesamt 6400 Gulden.18 Der Besuch war auf Wunsch des Vaters der Erzherzogin organisiert worden, der seinen Schwiegersohn im November und Dezember wiederholt gebeten hatte, Anna Caterina für das Dreikönigsfest zu Besuch kommen zu lassen. Dafür, dass die Reise erst im April und Mai angetreten wurde, gab es – nicht ausdrücklich genannte – gute Gründe, wie Guglielmo Gonzaga schließlich verständnisvoll zugab.19 Wahrscheinlich wäre die Reise über den Brennerpass (1370 Meter) im Winter der Erzherzogin, die zwischen zwei Schwangerschaften stand, nicht zumutbar gewesen. Interessant und ausführlich belegt bei dieser Reise zu den Angehörigen sind die Vorkehrungen, die der Obersthofmeister, Dario Castelletti da Nomi, treffen musste. Um für alle Eventualitäten der Reise gewappnet zu sein, stellte er einen „Fragenkatalog“ (Particulare da risolvere con Vostra Signoria Altissima) für den Erzherzog zusammen, anhand dessen wichtige zeremonielle und organisatorische Punkte geklärt werden sollten. So musste entschieden werden, welche Unterkünfte auf der Reise nach Mantua angedacht waren, ob diese bewacht werden
keine Erzherzogin zur Ehe mit ihm bereit gewesen wäre, eine Schwester Alfonsos II. d’Este geheiratet. Gustav Turba: Venezianische Depeschen vom Kaiserhofe (Dispacci di Germania), Bd. 3. Wien 1895, Giacomo Soranzo an den Dogen, [Wien,] 2. December 1560, Nr. 81, S. 172–175, hier S. 173. Zu Margherita als dritter Ehefrau des Herzogs von Ferrara siehe Alfonso Lazzari: Le ultime tre duchesse di Ferrara e la corte estense ai tempi di Torquato Tasso. Rovigo 1952, S. 205–370. 17 Zu dieser Strecke und den zwischen deutschen und italienischen Meilen divergierenden Angaben siehe auch die Beispiele bei Guido Braun: Imagines imperii. Die Wahrnehmung des Reiches und der Deutschen durch die römische Kurie im Reformationsjahrhundert (1523–1585). Münster 2014 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte, Bd. 37), S. 444 und besonders Anm. 47. 18 TLA, Ferdinandea, pos. 125: Reise nach Mantua. Am Anfang des Faszikels ist das Verzeichnis des Hofstaates, gegen Ende das der bocche, also der zu versorgenden Personen zu finden. Dieses Faszikel über ihre erste Alleinreise ist doppelt so dick wie jenes der beiden Reisen mit Ferdinand nach Wien und Prag. 19 TLA, Ferdinandea, pos. 125: Guglielmo Gonzaga an Erzherzog Ferdinand II. am 22. Januar 1585.
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mussten und wenn ja welche. Der Obersthofmeister ließ weiter fragen, wer im selben Haus der Erzherzogin übernachten sollte und ob seine Frau, die Obersthofmeisterin, im Zimmer mit der Fürstin zu schlafen habe. Weitere Fragen betrafen den Tafeldienst: Wer sollte mit der Fürstin speisen, wer sollte hingegen bedienen und wie viele verschiedene Tafeln sollte es geben? Dario Castelletti musste auch klären, ob die Erzherzogin, die von Mantua nach Ferrara zu ihrer Schwester reisen sollte, bei den Empfängen tanzen durfte, und wenn ja, mit wem, und ob sie bei den Empfängen die (deutsche) Landestracht behalten oder die italienische Kleidung annehmen sollte. Wie habe man weiter mit Gastgeschenken und wie mit Bittschaften auf der Reise umzugehen? Wen sollte die Erzherzogin außer den Fürstbischof von Trient, der einzigen Residenzstadt auf dem Weg, auf ihrer Reise besuchen? Welche Zuwendungen sollten die Hofmeister und das restliche Personal an den Höfen von Trient, Mantua und Ferrara erhalten? Weiter fragte der Obersthofmeister, wer die Befehle der Fürstin entgegennehmen und wer sich um sie kümmern müsse, falls er erkrankte. Schließlich musste der Erzherzog auch festlegen, wie lange seine Ehefrau in Mantua und in Ferrara verweilen durfte.20 Diese Fragen dienten nicht allein der Planung und Vorbereitung, sondern waren auch wichtig, um einen geregelten Alltag und ein standesgemäßes Zeremoniell im ‚Ausnahmezustand‘ der Reise garantieren zu können. Sie zeigen auch, dass die Entscheidungsgewalt in diesem Fall – sehr wahrscheinlich auch vom jungen Alter der Erzherzogin diktiert – ausschließlich beim Ehemann lag.21 Nach diesen langwierigen Reisevorbereitungen, die in den Quellen Eingang gefunden haben, wurde der Erzherzog vom Obersthofmeister unter anderem über die Reise, die Gegebenheiten auf dem Weg und vor allem über das an den einzelnen Aufenthaltsorten einzuhaltende Zeremoniell – ein bedeutender Faktor für eine alleinreisenden Landesfürstin – unterrichtet. Zur besseren Verständlichkeit und als Beleg für die Einhaltung der in dieser Zeit überaus wichtigen Rangordnung legte Dario Castelletti einem seiner Briefe sogar eine Skizze über die Sitzordnung bei der Tafel anlässlich des Empfanges in Mantua bei.22
20 Ebd.: Reise nach Mantua. Particulare da risolvere con S. V. A. von Dario Castelletti da Nomi. 21 Verständlicherweise nahm mit zunehmendem Alter und unter Voraussetzung der Erfüllung der Pflicht als Gebärerin von männlichem Nachwuchs zur Erhaltung der Dynastie der Entscheidungs- und Handlungsraum einer Fürstin zu, wie die herausragenden von Keller untersuchten Beispiele der Erzherzogin Maria von Innerösterreich und Kurfürstin Anna von Sachsen sowie weitere Beispiele in diesem Band zeigen. Katrin Keller: Kurfürstin Anna von Sachsen (1532–1585). Von Möglichkeiten und Grenzen einer „Landesmutter“, in: Jan Hirschbiegel/Werner Paravicini (Hrsg.), Das Frauenzimmer: Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Stuttgart 2000, S. 263–285; dies.: Erzherzogin Maria von Innerösterreich (wie Anm. 15). 22 TLA, Ferdinandea, pos. 125: Dario Castelletti da Nomi an Erzherzog Ferdinand II., undat.
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2 Dynastische Reisen mit Erzherzog Ferdinand (1529–1595)
Abb. 3: Reise des Erzherzogspaares im Sommer 1588 von Innsbruck über Braunau, Linz, Helmstett, Hohenfurt, Kromau, Pregraten und Tabor nach Prag.
1583, 1584 und 1585 überstand Erzherzogin Anna Caterina drei Schwangerschaften und Geburten.23 Aus der Verbindung waren ‚nur‘ Töchter hervorgegangen, wodurch Ferdinands Hoffnung auf einen standesgemäßen, männlichen Nachfolger für die Tiroler Linie enttäuscht wurde. Nachdem Anna Caterina im späten Frühjahr 1585 nach Mantua und Ferrara bei ihren Verwandten zu Besuch gewesen war, reiste sie als Schwangere – Anna
23 Anna Eleonora, geboren 1583, starb nach sechs Monaten. Die zweite Tochter mit Namen Anna Caterina (1584–1649) trat als 28-Jährige mit ihrer Mutter in das von dieser gegründete Regelhaus des Servitinnenklosters in Innsbruck ein. Siehe Brigitte Hamann: Art. Maria, in: dies. (Hrsg.), Die Habsburger. Ein biographisches Lexikon. 3. Aufl. Wien 1988, S. 289. Die dritte Tochter Anna wurde 1611 die Ehefrau von Erzherzog und dann Kaiser Matthias; beide wurden 1612 in Frankfurt – getrennt voneinander – zu Kaiser und Kaiserin gekrönt. Vgl. Art. Anna von Tirol, in: Constant von Wurzbach: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Österreich, Bd. 6. Wien 1860, S. 152. Rudolf Neck: Art. Anna von Tirol, in: Hamann (Hrsg.), Die Habsburger (wie Anm. 23), S. 57 f.
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sollte am 4. Oktober geboren werden24 – mit Ferdinand noch am Tag ihrer Ankunft weiter Richtung Prag an den Kaiserhof.25 Ihr Obersthofmeister Dario Castelletti da Nomi, der sie nach Mantua und Ferrara begleitet hatte, blieb während dieser dynastischen Reise in Innsbruck bei der Erstgeborenen des Erzherzogspaares. Pflichtbewusst berichtete er diesem von den Neuigkeiten am Innsbrucker Hof und vom Unwohlsein des Kleinkindes, das aber nur auf das Zahnen zurückzuführen sei.26 Die zweite Reise an den Kaiserhof nach Prag fand im Juli und August 1588 statt und dauerte zwölf Tage (davon ein Tag Pause in Linz).27 Dem Erzherzog war sehr daran gelegen, die neue, standesgemäße Ehefrau an den Kaiserhof zu führen, um nach seiner ersten morganatischen Verbindung zu beweisen, wieder in die Domus Austriae zurückgekehrt zu sein und die Tiroler Linie – sofern ihm Anna Caterina doch noch einen Sohn schenken würde – nun standesgemäß aufrechterhalten zu können.
3 Dynastische und religionspolitische Reisen als Witwe Auch als Witwe unternahm Anna Caterina verschiedene Reisen. Wie ihre Mutter begleitete sie ihre Tochter, Erzherzogin Anna,28 die dem angehenden Kaiser Matthias versprochen war, auf deren Brautreise nach Wien. Wie im Falle der Erzher-
24 Nach Hirn am 6. Oktober, nach Neck und Wurzbach am 4. Oktober 1585. Ebd. 25 Dazu siehe Karl Vocelka: Rudolf II. und seine Zeit. Wien/Köln/Graz 1985; Eliška Fučíková u. a. (Hrsg.), Rudolf II and Prague. The Court and the City (Catalogue of the exhibition, 30 may – 7 september 1997). London 1997. 26 Ha havuto ar quanto di caldo per causa per quelche dicono per far li denti et non da altro. TLA, Ferdinandea, pos, 126: Reis nach Prag 1585, 1588, Dario da Nomi an Erzherzog Ferdinand, 14. und 31. Mai 1585. Da sich das Erzherzogspaar aber auf der Reise nicht brieflich bei ihm meldete, begann er sich Sorgen zu machen. Ebd. 27 TLA, Ferdinandea, pos, 126: Reis nach Prag 1585, 1588. 28 Anna sollte ebenfalls ein kurzes, aber bewegtes Leben haben: Sie reiste mit ihrem Gemahl Matthias nach Frankfurt zu ihrer beider Krönung zum Kaiser und zur Kaiserin, dann zu ihrer eigenen Krönung nach Ungarn und schließlich nach Böhmen. Nur nach Sachsen reiste sie, die sich beschwerte, aufgrund des Reisens keine Zeit zum Schreiben zu haben, nicht mit. Vgl. Elena Taddei: Anna von Tirol: „Kaiserin für Gottes Gnaden“?, in: Bettina Braun/Katrin Keller/Matthias Schnettger (Hrsg.), Nur die Frau des Kaisers? Kaiserinnen in der Frühen Neuzeit Wien/Köln/ Weimar 2016 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Bd. 64), S. 99–116.
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zogin Maria von Innerösterreich war es der Wunsch und Wille der Brautmutter, die Tochter zu ihrem Gemahl zu führen, obwohl es männliche Alternativen für ein standesgemäßes Geleit gab.29 Doch bevor sich Mutter und Tochter auf dem Weg zum Kaiserhof machen konnten, mussten sie für eine angemessene Ausstattung der angehenden Kaiserin am St. Egidimarkt in Bozen sorgen. Von hier aus reisten sie in Begleitung von Erzherzog Maximilian im November 1611 über das Pustertal nach Wien. Anna Caterinas kränkliche älteste Tochter Maria wurde auf dem Weg in der Abtei Sonnenburg untergebracht.30 Den Hochzeitsfeierlichkeiten31 in Wien blieben etliche, vor allem ausländische Gäste fern, da zeitgleich in Mantua Vincenzos Gemahlin Eleonora und die spanische Königin verstorben waren. Anna Caterina blieb bis Ende Januar in Wien bei ihrer Tochter und fuhr dann nach Graz, um dort Verwandte zu besuchen. Dann zog sie über das Pustertal, die älteste Tochter abholend, zurück nach Innsbruck, wo sie sich weiter der Etablierung des von ihr gegründeten Doppelklosters widmete.32 Aus den Quellen im Tiroler Landesarchiv wird ersichtlich, dass sich Kaiserin Anna, meist zusammen mit ihrem Ehemann Matthias, für die religiösen Projekte ihrer Mutter einsetzte. 1615 besuchte Anna Caterina ihre bereits zur Kaiserin gekrönte Tochter in Prag und brachte ihr Silbergeschirr als Geschenk mit. Dass es sich dabei nicht nur um einen letzten Familienbesuch der bald einem Klosterleben votierten Mutter handelte, beweist die Tatsache, dass Anna Caterina ein weitaus wertvolleres Gegengeschenk von ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn erhielt, nämlich den dringend benötigten kaiserlichen Schutz für das von ihr 1606 gegründete Regelhaus, das seitdem das kaiserliche Wappen tragen durfte.33
29 Dass eine Mutter ihre Tochter zur Heirat und in ihre neue Heimat begleitete, war nicht allgemein üblich. Allerdings hat schon Keller aufgezeigt, dass auch Erzherzogin Maria von Innerösterreich darauf bestand, alle ihre Töchter in deren neue Heimat zu begleiten und ihre Schwiegersöhne kennenzulernen. Durch den persönlichen Kontakt hatte sie eine größere Möglichkeit zur Einflussnahme. Keller: Erzherzogin Maria von Innerösterreich (wie Anm. 15), S. 195 f. Beide verwitweten Mütter hatten durch die Teilnahme an der Brautreise erfolgreich versucht, aus den gewinnbringenden Eheschließungen auch für die Zukunft wichtige Kontakte zu knüpfen. 30 Die Unterbringung der Töchter in Klöstern oder im Haller Damenstift war eine mehrmals genutzte Möglichkeit für Anna Caterina, alleine oder – wie in diesem Fall – nur mit der jüngsten Tochter zu reisen. Wallas: Anna Caterina Gonzaga (wie Anm. 2), S. 79, 87–89. 31 Katharina Kirchmayer: Hochzeit – Krönung – Tod. Rites de passage im Leben von Kaiser Matthias und Anna (unveröff. Dipl. Universität Wien). Wien 2007, S. 35–39. 32 Wallas: Anna Caterina Gonzaga (wie Anm. 2), S. 88 f. 33 Siehe Ulrike Margesin: Wirtschaftliche Studien über das erzfürstliche Stift und Regelhaus zu Innsbruck 1613–1783 (unveröff. Diss. Universität Innsbruck). Innsbruck 1987, S. 97. Wallas: Anna Caterina Gonzaga, (wie Anm. 2), S. 99, Anm. 2 und S. 111.
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4 Badereisen Anna Caterina war schon in jungen Jahren von Wassersucht34 geplagt und suchte zur Linderung und – in den ersten Ehejahren – auch zur Steigerung der Fruchtbarkeit öfters ein Heilbad auf, wie das Innsbruck nahe Frauenbad von Sellrain35 oder 1606 das schweizerische Baden, von wo aus sie mit ihren Töchtern zum Wallfahrtsort Einsiedeln reiste. Am besten belegt sind ihre Reise zu den Bädern von Bormio im Jahr 1590 und der vierwöchige Kuraufenthalt dort.36
34 Diese Krankheit steigerte sich so sehr, dass sie 1607 nicht zur Hochzeit ihres Neffen nach Mantua reisen konnte, da – wie sie brieflich festhielt – ihre Beleibtheit und Wassersucht das Gehen und Stehen erschwerten. Anna Caterina an Vincenzo Gonzaga, 1. Dezember 1607, zit. in Wallas: Anna Caterina Gonzaga (wie Anm. 2), S. 102. 35 Es handelt sich hierbei um das 1460 erstmals erwähnte Wildbad Rot(h)enbrunn mit seinem eisenhaltigen Quellwasser im Sommerfrischeort Sellrain (20 Kilometer Luftlinie von Innsbruck entfernt), das von 1515 bis 1930 in Betrieb war. Ernst Krall: Heilbäder in Nord- und Osttirol – Ihre ehemalige Bedeutung und ihre heutige Funktion (unveröff. Hausarbeit Universität Innsbruck). Innbruck 1982, Tabelle 98, Pos. 58, S. 109. 36 TLA, Ferdinandea, pos. 250: Der Fst. Dt. unser gnedigsten Frauen Raiß geen Wormbs in das Bad 1590. Dieser Kuraufenthalt wurde bereits von der Autorin untersucht in: Elena Taddei: L’arciduchessa Anna Caterina Gonzaga ai Bagni di Bormio: un tipico soggiorno curativo alla fine del XVI secolo, in: Bollettino storico Alta Valtellina 7 (2004), 69–84. Nachdem die Franzosen um 1500 endgültig den Herzog von Mailand Ludovico Sforza, genannt il Moro, besiegt und das Veltlin besetzt hatten, begann im Gegenzug das zum größten Teil schon reformierte Graubünden den Vorstoß nach Süden und gewann 1512 die Oberhand über die Franzosen. Im selben Jahr unterstellten sich die Bormienser in der Hoffnung auf Wohlwollen und Entgegenkommen der neuen Herren freiwillig dem Bischof von Chur, Paul Ziegler (Bischof von 1505 bis 1541), und der Herrschaft der Drei Bünde. Als Graubünden Bormio und die umliegenden Täler in Besitz nahm, fand es eine lange Tradition von Privilegien und Statuten aus dem frühen 14. Jahrhundert vor. Zwischen den nun besetzten Gebieten, dem Veltlin, der Grafschaft Chiavenna und Bormio bestanden bis zu diesem Zeitpunkt der Besetzung keine administrativen oder rechtlichen Verbindungen. Alle drei Gebiete, die unabhängig voneinander zuerst von den Visconti und später den Bündnern besetzt wurden, behielten auch unter der ‚Fremdherrschaft‘ den Status unabhängiger, autonomer Gebiete. Wie Chiavenna und das Veltlin erlebte auch Bormio trotz der Herrschaft der Drei Bünde ein relativ freies und ruhiges 16. Jahrhundert. Die maßgebliche Literatur zur Geschichte Bormios ist: Giuseppe Romegialli: Storia della Valtellina e delle già contee di Bormio e Chiavenna in 4 Bde. Sondrio 1834–1839; Tullio Urangia Tazzoli: La Contea di Bormio. Raccolta di materiali per lo studio delle Alte Valli dell’Adda, Bd. 4: La storia. Bergamo 1938; Bruno Credano: Storia di Bormio. Bormio 1966. Guglielmo Scaramellini: Die Beziehungen zwischen den Drei Bünden und dem Veltlin, Chiavenna und Bormio, aus dem Italienischen übersetzt von Ruth Theus, in: Verein für Bündner Kulturforschung (Hrsg.), Handbuch der Bündner Geschichte, Bd. 2: Frühe Neuzeit. Chur 2000, S. 141–172.
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Um die Heilwirkung des warmen, schwefel- und eisenhaltigen sowie stark radioaktiven Wassers der ältesten Quellen des Alpenraumes zu genießen,37 musste die Erzherzogin eine beschwerliche Reise ins Veltlin38 in fünf Etappen mit durchschnittlich 4,5 Meilen pro Tag über das Wormser Joch, ein 2501 Meter hoher Berg, über den die Grenze zwischen Schweiz (Graubünden) und Italien (Lombardei) verläuft, auf sich nehmen. Für dieses Unternehmen mussten aufwändige Vorbereitungen getroffen werden, die ihren Niederschlag in den Archivquellen gefunden haben. Zunächst galt es, die Zahl und Zusammensetzung des sie begleitenden Hofstaates, die Tafelordnung auf Reisen,39 die Kutschenordnung und die Route festzulegen. Aus den zahlreichen Entwürfen und Plänen wird klar, dass Erzherzog Ferdinand der ‚Organisator‘, Entscheidungsträger und Ansprechpartner in allen die Reiseplanung und den Aufenthalt betreffenden Fragen war. Die Hauptperson, die reisende Fürstin, tritt dabei in den Quellen selbst nicht in Erscheinung. Es wird vor und während der Reise bzw. des Aufenthaltes immer nur über sie geschrieben und von ihrem Gesundheitszustand und der Wirkung der Heilbäder berichtet. Dario Castelletti da Nomi entwarf zusammen mit anderen Räten die Reiseroute und begleitete Anna Caterina auch nach Bormio. Vom Innsbrucker Hof aus wurden die Nachtquartiere und die Mahlzeiten organisiert. Es ist aus den Quellen nicht ersichtlich, woher die Informationen über die Versorgungsmöglichkeiten und die Wegbeschaffenheit kamen. Neben den allgemeinen Erfahrungswerten und der Annahme, dass unbekannte Strecken abgefahren wurden, dürften wohl auch lokale Eliten und Ansprechpersonen um Auskunft gebeten worden sein, wenn auch der schriftliche Beleg fehlt. Während der Reise und des Aufenthaltes hielten der Obersthofmeister, der Landhauptmann und der Sekretär Erzherzog Ferdinand kontinuierlich, meist täglich über die Fortschritte, besondere Gege-
37 Die Vorzüge dieser Bäder für Anna Caterina lagen in ihrer Heilwirkung u. a. bei Gelenkserkrankungen, Gicht und Fettsucht. Carlo Paganini: Die Thermalbäder in der Geschichte einer Stadt im Gebirge: Bormio, in: Josef Nössing (Hrsg.), Die Alpen als Heilungs- und Erholungsraum/ Le alpi luogo di cura e risposo (Historikertagung in Meran, 19.–21. Oktober 1988). Bozen 1994, S. 239–268, hier S. 245. 38 Der Umbrailpass bzw. das Wormser Joch ist ein Pass der Ortlergruppe. Er war ursprünglich die einzige Verbindung zwischen dem Obervinschgau und dem Veltlin bzw. Bormio. Das Wormser Joch und das Veltlin gehörten zu den bedeutendsten Zugängen zu Mitteleuropa und nach Italien und zu wichtigen Messen wie Glurns, Meran, Bozen Trient und Riva. 39 Diese ist insofern interessant, als dass einerseits die Rangordnung des reisenden Hofstaates anhand der Liste jener, die mit der Fürstin speisen sollten, jener, die gleichzeitig, aber an einer anderen Tafel essen durften, und jener der Nachesser dargestellt werden kann, und sich andererseits auch eine realistische Zahl der zu verköstigenden Personen (hier 107) im Unterschied zum mehrfach adaptierten Verzeichnis des Hofstaates abbildet.
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benheiten, den Zustand der Erzherzogin, über den Besuch, den sie empfing, und die Ehren, die ihr zuteilwurden, informiert. So berichtete Dario Castelletti, dass Anna Caterina den Statthalter des Veltlins empfangen hatte, der ihr mit acht Weinfässern,40 Kapaunen und Hühnern seine Aufwartung gemacht hatte.41 Die reisende Fürstin war Stellvertreterin ihres Gemahls, des Landesherrn oder Territorialfürsten und auf Alleinreisen an seiner statt Empfängerin von Ehren und Geschenken oder der Beherbergung costfrai (für Mensch und Tier) durch die lokalen Eliten. Anna Caterina wurde den Quellen nach unter anderem in Imst im Ansitz der Familie Fieger42 und in Nauders im Schloss von Herrn Khuen43 aufgenommen. Neben der standesgemäßen Aufnahme und Bewirtung erhielt sie die Ehre der Begleitung und Eskorte – in Chur kam ihr Franz Hendl, Hauptmann des Ortes, mit Berittenen und Bogenschützen entgegen – und es wurden ihr Empfänge bereitet, bei denen sie mit Lebensmitteln für die Versorgung ihres Hofstaates beschenkt wurde. Diese Begegnungen und Treffen mit den lokalen Eliten folgten verständlicherweise einem vorgezeichneten Zeremoniell, von dem man nur aus Sicherheitsgründen abwich, wie der Obersthofmeister nach Innsbruck berichtete. So wartete man in Chur beim Treffen mit dem Bischof mit den Salutschüssen, bis die Erzherzogin der Sänfte entstiegen war, um nicht durch das Erschrecken der Pferde einen Unfall zu verursachen.44 Wie der Familienbesuch in Mantua war auch diese Reise kostspielig. Eine zwischenzeitliche Kostenaufstellung in Chur zeigt, dass nach etwas mehr als der Hälfte der Hinreise inklusive der Ausgaben für Empfänge und die Besoldung des Hofstaates fast 7500 Gulden ausgegeben worden waren. Während des Kuraufenthaltes in Bormio fragte der Obersthofmeister bei Erzherzog Ferdinand brieflich nach, ob dem von der Erzherzogin geäußerten Wunsch
40 Zu Flüssigkeiten und insbesondere Wein als Geschenk und Reminiszenz eines spätmittelalterlichen Gastgeberrituals siehe Valentin Grobener: Gefährliche Geschenke. Ritual, Politik und die Sprache der Korruption in der Eidgenossenschaft im späten Mittelalter und am Beginn der Neuzeit. Konstanz 2000 (Konflikte und Kultur – Historische Perspektiven 3), S. 51–71. 41 TLA, Ferdinandea, pos. 250: Der Fst. Dt. unser gnedigsten Frauen Raiß geen Wormbs in das Bad 1590, Dario Castelletti da Nomi an Erzherzog Ferdinand II. am 23. Juli 1590. 42 Dieses durch den Bergbau zu Reichtum gekommene Tiroler Adelsgeschlecht wurde im Gegenzug zu Geldleihen von den Landesfürsten mit verschiedenen Ansitzen und Burgen im heutigen Tirol und Südtirol bedacht. Vgl. Wilfried Bahnmüller: Burgen und Schlösser in Tirol, Südtirol und Vorarlberg. St. Pölten/Wien/Linz 2004, S. 20, 46, 71, 220. 43 Der Ritter Jakob Khuen hatte die Burg Nauders 1535 als Pfand erhalten und ließ sie aufwändig ausbauen. Vgl. ebd. 90 f. 44 TLA, Ferdinandea, pos. 250, Der Fst. Dt. unser gnedigsten Frauen Raiß geen Wormbs in das Bad 1590, Dario Castelletti da Nomi an Erzherzog Ferdinand II. am 8. Juli 1590.
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nach einem Ausflug zum Wallfahrtsort Tirano (er nannte den Ort Zirano), eine Stadt in der heutigen italienischen Provinz Sondrio, wo 1505 nach einer Marienerscheinung eine monumentale Wallfahrtskirche entstanden war,45 stattgegeben werden könne. Anna Caterina wollte nach dem Bad- und Messbesuch zu diesem Wallfahrtsort reisen, doch der Obersthofmeister hatte Zweifel, ob es passende Unterkünfte und sichere Straßen gebe.46 Wahrscheinlich kannte er die Strecke nicht und konnte auch keine verlässlichen Informationen darüber einholen. Anhand der Quellen lässt sich nicht eruieren, ob die Erzherzogin ihren Willen durchsetzen konnte oder nicht. Der Ausflug wird nicht mehr erwähnt. Tatsache ist, dass alles, was sich während der Reise oder des Aufenthaltes einer Prinzessin ‚außerplanmäßig‘ ergab, erst der Zustimmung des Gemahls/Vaters und Landesfürsten bedurfte. Diese Reise an den westlichen Rand der Alpen war beschwerlich und deshalb wenig verwunderlich von etlichen Berichten und Klagen begleitet. Anna Caterina, die im Herzen der Alpen von hohen, im Winter oft unpassierbaren Bergen umgeben war, reiste meistens zwischen Mai und Oktober. Dadurch fiel die Hinoder Rückreise oft in die heiße Jahreszeit. Dass nicht nur die vor allem in italienischen Wahrnehmungen stereotypisierte schlechte Witterung, sondern auch die Hitze und vor allem der Staub der Reisegesellschaft zusetzten, beweist ein Bericht des nach Bormio mitreisenden Landhauptmannes: Siamo arrivati a Landeck sani et salvi, ma con grandissimo caldo et tanta polvere che ha turato il naso, le orecchie, et la gola, che molti parlano raucamente come se havessero havuto la tosse per anni […]; parchi che le strade si brusano dal gran calore.47
Dario Castelletti hingegen berichtete von der Beschwerlichkeit des Weges bei Münster, wo die Erzherzogin gezwungen war, aus der Kutsche zu steigen und einige Schritte auf steinigem Weg zu gehen, um sich dann auf seine Bitte hin mit der Sänfte weiter tragen zu lassen. Dabei soll sie voller Furcht um eine heile Ankunft gebetet haben.48 Selbst wenn angenommen werden kann, dass Anna
45 Antonio Guissani/L. Varischetti: Il santaurio della Madonna di Tirano nella storia e nell’ Arte. Como 1962, 2. Aufl. Sondrio 1964. 46 TLA, Ferdinandea, pos. 250, Der Fst. Dt. unser gnedigsten Frauen Raiß geen Wormbs in das Bad 1590, Dario Castelletti da Nomi an Erzherzog Ferdinand II. am 17. Juli 1590. 47 Wir sind heil und ganz in Landeck angekommen, aber bei großer Hitze und so viel Staub, dass die Nase, die Ohren und der Hals verstopft sind und manche so heiser reden, als hätten sie jahrelang Husten gehabt […] die Straßen scheinen vor Hitze zu glühen [Übersetzung ET]. TLA, Ferdinandea, pos. 250, Der Fst. Dt. unser gnedigsten Frauen Raiß geen Wormbs in das Bad 1590, Fortunato di Pacci di Fiorenza an Erzherzog Ferdinand II. am 5. Juli 1590. 48 Ebd., Dario Castelletti da Nomi an Erzherzog Ferdinand II. am 2. und 3. Juli 1590.
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Caterina erst im Zuge weiterer Reiseerfahrungen ‚abgehärtet‘ wurde, bediente der Obersthofmeisters hier eindeutig das Stereotyp der fragilen und eines bewegten Lebens nicht gewohnten Frau und Fürstin. Nachdem die Gefahren und Strapazen der Reise überstanden waren, galt es für den Hofstaat der alleinreisenden Fürstin und vorrangig für den Obersthofmeister, den Alltag in der Ferne sicher und standesgemäß zu gestalten und regelmäßig darüber zu berichten. Nachdem Dario Castelletti seine Herrin zum Thermalbad von Bormio49 geführt hatte, bemühte er sich, dem Erzherzog zu versichern, dass dessen Gemahlin nur beim Messgang gesehen werden könne: Madama Ser.ma non poteva esser visto se no’ quando andava alla messa.50 Damit wollte er wahrscheinlich von vornherein und trotz der Tatsache, dass es seit 1514 ein eigenes Frauenbad in Bormio gab, dem dem Baden allgemein zugeschriebenen Verdacht der Unsittlichkeit vorbeugen.51 Die Dauer des Kuraufenthaltes Anna Caterina Gonzagas war von den beiden begleitenden Ärzten Giovanni Battista Ferrari und Stefano Vescovi auf zwanzig Tage festgelegt worden. In fünf erhaltenen Briefen berichteten die Ärzte Ferdinand über die Heilwirkung des Badens und den Gesundheitszustand der Erzherzogin. Diese Schreiben lassen ein Bild des Alltags im Kurbad am Ende des 16. Jahrhunderts entstehen. Nach einer Reinigung mittels Abführmittel begann die Erzherzogin zweimal am Tag mit steigender Intensität zu baden, das Heilwasser zu trinken und zu „duschen“ (prendere la goccia).52 Das Trinken und Schwit-
49 Das warme Thermalwasser, das aus dem Umbrailtal in das auf 1420 Meter Höhe gelegene Bormio fließt, war nicht nur in römischer Zeit bekannt, wie uns die bis in die Neuzeit erhaltenen Bagni Romani zeigen, sondern als Kultstätte einer Wassergottheit schon früher, so etwa um 400 v. Chr. Die auch während des Mittelalters weiter betriebenen Bäder erlebten 1513/14 ihre erste, archivbelegte, signifikante Umstrukturierung und Erweiterung, als das Frauenbad im oberen Teil der Anlage an der Felswand errichtet wurde, sodass man eine Trennung der Geschlechter vornehmen konnte, die bis dato nur in der Alternierung der Badetage garantiert war. Vgl. Dante Sosio: I bagni di Bormio nel corso dei secoli. Studi e ricerche nelle valli bormiesi. Sondrio 1985. Zur Geschichte des Badewesens allgemein siehe: Eduard Bäumer: Die Geschichte des Badewesens. Breslau 1903; Julian Marcuse: Bäder und Badewesen in Vergangenheit und Gegenwart. Eine kulturhistorische Studie. Stuttgart 1903; Michael Matheus (Hrsg.), Badeorte und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit. Stuttgart 2001 (Mainzer Vorträge, Bd. 5). 50 TLA, Ferdinandea, pos. 250, Der Fst. Dt. unser gnedigsten Frauen Raiß geen Wormbs in das Bad 1590, Dario Castelletti da Nomi an Erzherzog Ferdinand II. am 2. August 1590. 51 Paganini: Die Thermalbäder (wie Anm. 37), S. 255. 52 Damit ist ein steter Tropfen aus einer Höhle gemeint, der besonders viel Dampf erzeugt. Vgl. Frank Fürbeth: Zur Bedeutung des Bäderwesens im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Heinz Dopsch/Peter F. Kramml (Hrsg.), Paracelsus und Salzburg. Vorträge bei den internationalen Kongressen in Salzburg und Badgastein anlässlich des Paracelsus-Jahres 1993. Salzburg 1994, S. 463–487, hier S. 464.
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zen führten zur Abgabe von Sand über die Harnwege und – so der Arzt – großer Erleichterung in den Gelenken durch das Zurückgehen der Wassereinlagerungen.53 Trotz dieser positiven Auswirkung der Bäder wandten sich die Ärzte am 27. Juli 1590 an Erzherzog Ferdinand mit der Bitte um Verlängerung des Aufenthaltes. Die Gründe dafür waren einerseits der Verlust wichtiger Badetage durch eine übermittelte Trauernachricht,54 die Anna Caterina stark erschüttert hatte, und andererseits das Einsetzten der Menstruation, wodurch wieder drei Badetage ungenutzt geblieben waren. Aus diesem Grund teilten die Leibärzte den Entschluss der Badegesellschaft mit, noch eine Woche zu bleiben und erst Anfang August zurückzukehren.55 Wie hier klar ersichtlich wird, bedurfte nicht nur der Anlass der Reise gewisser Legitimationsgründe, sondern auch die Änderung oder Verlängerung eines Aufenthaltes benötigte vor allem bei alleinreisenden Frauen einer stärkeren Begründung, im vorliegenden Fall einer ‚Fachmeinung‘, die mit der Wirkungslosigkeit des ganzen Reiseaufwandes argumentierte. Dieser schließlich verlängerte Kuraufenthalt der Erzherzogin hinterließ in den Bädern von Bormio ebenso Spuren, wie zumeist in solchen Institutionen (Bädern, Klöstern) sowie an Fürstenhöfen allgemein Zeichen von Reisen und Besuchen zurückblieben. Eine solche prominente Persönlichkeit wie die Landesfürstin von Tirol zu beherbergen und in ihrer Gesundheit gebessert entlassen zu können hatte einen bedeutenden und nachhaltigen Werbeeffekt für diese Badeeinrichtung, die in der Frühen Neuzeit wiederholt in finanzielle Bedrängnis geriet.56 Es war Aufgabe der Stadtherren von Bormio, nicht nur über Verbesserungsarbeiten und gewinnbringende Investitionen57 zu entscheiden, sondern auch für
53 TLA, Ferdinandea, pos. 250: Der Fst. Dt. unser gnedigsten Frauen Raiß geen Wormbs in das Bad 1590, Giovanni Battista Ferrari an Erzherzog Ferdinand II. am 14., 19., 24., 27. und 30. Juli 1590. 54 Der Erzherzog hatte Anna Caterina vom Tod Erzherzog Karls II. von Innerösterreich berichtet. 55 Ma havendossi sua Altezza bagnato due giorni quasi inutilmente doppo la nova della morte del Serenissimo Signor Carlo suo cognato. Et di più hora aspettiamo di perder ancore due o tre altri giorni per la superveniente purgatione ordinaria femminile. Noi per riflorar questi habbiamo concluso che sua Altezza Serenissima si bagni ancora tutta la settimana che viene, poi risposi un giorno o due, tanto che sicurmente (piacendo a Dio) si partiremo di qua il primo martedì d’Agosto, che sarà il settimo giorno del mese. TLA, Ferdinandea, pos. 250: Der Fst. Dt. unser gnedigsten Frauen Raiß geen Wormbs in das Bad 1590, Giovanni Battista Ferrari an Erzherzog Ferdinand II. am 27. Juli 1590. 56 Vgl. Paganini: Die Thermalbäder (wie Anm. 37), S. 252–260. 57 Fürbeth spricht von einer Institutionalisierung der Badefahrt ab dem 15. Jahrhundert und der Schaffung eines prosperierenden Wirtschaftszweiges durch die Badekultur. Vgl. Fürbeth: Zur Bedeutung des Bäderwesens (wie Anm. 52), S. 470 f.
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einen Kuraufenthalt, besonders von Adligen und Fürsten, die Werbetrommel zu rühren und den Kontakt zu potentiellen Badegästen zu pflegen. Zu dieser ‚Werbekampagne‘ können auch die beiden Briefe der Stadtherren von Bormio an Erzherzog Ferdinand II. gezählt werden. Im ersten vom 5. Juni 159058 bedankte sich der Stadtrat für den Beschluss des Erzherzogs, seine zweite Ehefrau zur Kur nach Bormio reisen lassen zu wollen. Für den Aufenthalt der Erzherzogin versprach man gute und preiswerte Verpflegung durch den Wirt, jede mögliche Aufmerksamkeit für eine wirkungsvolle Kur und garantierte mit der Behauptung, es seien keine Banditen im Land, für ihre und ihres Hofstaates Sicherheit. Der zweite Brief vom 27. Oktober 1590 ist ein rückblickendes Dankesschreiben für die Bevorzugung jener Gemeinde und ihres heilsamen Wassers, verbunden mit der Bitte um Weiterempfehlung, aber vor allem um künftige Unterstützung.59 Die Bäder profitierten nicht nur von der Anwesenheit der Landesfürstin von Tirol, sondern auch von wichtigen mit diesem Aufenthalt einhergehenden Um- und Erneuerungsarbeiten. Nach ihrer Abreise wurde explizit darauf hingewiesen, dass man jenen Durchgang (wahrscheinlich zur Kirche San Martino), den die Erzherzogin Anna Caterina in Auftrag gegeben hatte, instand halten solle. Unter den verschiedenen für die Ankunft der Erzherzogin hergerichteten Zimmern befand sich ein besonders schönes und komfortables, das nach ihrem Besuch den Namen stanza dell’Arciduchessa trug.60 Ihr Aufenthalt hatte somit eine Verbesserung der Infrastruktur, ein bleibendes ‚Aushängeschild‘ und einen Werbeeffekt mit sich gebracht.
5 Wallfahrten Anna Caterina war von ihrer Mutter stark religiös geprägt worden und konnte ihre Frömmigkeit auch in Tirol, einer Hochburg der Gegenreformation unter Erzherzog Ferdinand II., ausleben. Zusammen mit ihrem Gatten engagierte sie sich in
58 TLA, Ferdinandea, pos. 250: Der Fst. Dt. unser gnedigsten Frauen Raiß geen Wormbs in das Bad 1590, Stadtrat von Bormio an Erzherzog Ferdinand II., am 5. Juni 1590. Acht Tage später folgte der Eintrag im Stadtbuch: adventus Serenissimae Archiducissae Austriae ad Thermas Burmiensas, Quaternus consiliori[!]m, sorte estiva 1589 [!], registro, fol. 247. 59 TLA, Ferdinandea, pos. 250: Der Fst. Dt. unser gnedigsten Frauen Raiß geen Wormbs in das Bad 1590, Stadtrat von Bormio an Erzherzog Ferdinand II., am 27. Oktober 1590. Diese Bitte um Unterstützung deutet auf den jahrhundertealten Unabhängigkeitskampf der Stadt gegen die umliegenden Herrschaften und Fürsten hin. Vgl. Scaramellini: Die Beziehungen zwischen den Drei Bünden (wie Anm. 36), 143–152. 60 Vgl. Sosio: Bagni di Bormio (wie Anm. 49), S. 69–75.
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verschiedenen Stiftungsprojekten und der Gründung von religiösen Orden oder unternahm Wallfahrten, wie jene 1583 nach Seefeld, Ort eines Eucharistiewunders.61 Als Witwe gründete sie auf dem ihr von Ferdinand vererbten Grundbesitz der Ruhelust im Beisein ihrer beiden Töchter ein Doppelkloster, bestehend aus dem Regelhaus der Terziarinnen, eine halbweltliche Einrichtung mit Keuschheits- und Gehorsamsgelübde, und dem Versperrten Kloster der Servitinnen mit strenger Klausur und der gemeinsamen Kirche der Maria Opferung. Im Jubeljahr 1600 wollte Anna Caterina über ihre Heimatstadt Mantua wahrscheinlich zusammen mit ihrer Schwester Margherita nach Loreto reisen.62 Nach dem Tod des Landesfürsten, ihres Gemahls, war die Regierung Tirols und der Vorlande zunächst an Erzherzog Maximilian den Deutschmeister übergegangen.63 Diese – oft wenig präsente – Statthalterschaft spiegelt sich in den lückenhaften Tiroler Quellen zur Hofhaltung und Regierung wider. Die Witwe und ihre Töchter waren von Anbeginn an von Geldnöten geplagt, denn Kaiser Rudolf II. zögerte die Testamentseröffnung fast ein Jahr lang hinaus.64 Deshalb wurde auch ihr Ansuchen um finanzielle Unterstützung für die vorhabende Raiß oder Kirchfart nach Loreta zu Jahresende 1599 zunächst abschlägig beschieden.65 Nachdem die Kammer ihr Gesuch zurückgewiesen hatte, weil es nicht aus dem Fonds der Ordinari-Ausgaben zu begleichen sei, und da das Amt sowieso mit der Auszahlung
61 Wallas: Anna Caterina Gonzaga (wie Anm. 2), S. 67. 62 Es ist sehr wahrscheinlich, dass ihre ebenso verwitwete und der Gegenreformation verschriebene Schwester mitreiste, bevor diese sich im Juli 1601 nach Casale Monferrato begab und dort im Namen ihres Bruders die Regierung führte. Ob auch deren Bruder Vincenzo mitreiste, ist hingegen fraglich, schließlich folgte er im Juli 1601 Kaiser Rudolf II. in den im Jahr zuvor virulent gewordenen Türkenkrieg und begab sich 1605 selbst nach Loreto, Assisi, Florenz und Rom. Mar gherita, die als Witwe Alfonsos II. d’Este von dem an den Kirchenstaat anheimgefallenen Ferrara in ihre Heimatstadt Mantua zurückkehrte, gründete 1603 auch ein Kloster – allerdings anders als ihre Schwester förderte sie die Ursulinen. Auch diese Einrichtung wurde nach den Vorbildern jenseits der Alpen eine standesgemäße Ausbildungsstätte für Adelstöchter und zugleich ein Rückzugsort für Witwen. Hier führte Margherita ein zurückgezogenes Leben, nachdem sie 1610 ihre Schwester Anna Caterina in Innsbruck besucht hatte. Vgl. Giuseppe Coniglio: I Gonzaga. Varese 1967, S. 381f; Lazzari: Le ultime tre duchesse (wie Anm. 16), S. 223f, 358–360. 63 Zu diesem Landesfürsten von Tirol siehe: Josef Hirn: Erzherzog Maximilian der Deutschmeister. Regent von Tirol, Bd. 2, hrsg. v. Heinrich Noflatscher, Innsbruck 1936; Heinz Noflatscher: Glaube, Reich und Dynastie. Maximilian der Deutschmeister (1558–1618). Marburg 1987 (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens Bd. 11). 64 Taddei: Anna von Tirol (wie Anm. 28), S. 105. 65 Es befinden sich im TLA indizierte Hinweise (unter Österreichische Erzherzogin Anna Katherina) in den oberösterreichischen Kammerkopialbüchern der Serien Geschäft von Hof, Gutachten an Hof, Entbieten und Gemeine Missiven jeweils der Jahre 1599 und 1600.
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ihrer Witwendeputate in Verzug war, bestimmte der Kaiser66 im Februar 1600, dass sie ein Deputat von 2000 Gulden, die er zu verdoppeln versprach, erhalten und ihr somit das gleiche Reisegeld wie der verwitweten Erzherzogin zu Graz67 zur Verfügung stehen solle. Aus den Gesuchen und Verordnungen von März und April 1600 lässt sich herauslesen, dass Anna Caterinas Töchter nicht in dem festgelegten achtzigköpfigen Gefolge mitreisten und dass Zahlungen an die Städte und Poststationen, wo sie sich entlang der Reise aufhalten würde, für Pferde, Unterkunft, Zölle, Leibgarde und Ausstattung entrichtet wurden.68 Es gibt für diese Reise – vielleicht auch aufgrund der Überlieferungslücken, das bleibt nicht ganz auszuschließen – keine Kutschen-, Tafelordnung, Hofstaatsverzeichnisse, Instruktionen für die Repräsentationsaufgaben oder für das Zeremoniell. Eine fürstliche Witwe, aber nicht mehr amtierende Landesfürstin reiste augenscheinlich anders; es standen ihre religiösen bzw. religionspolitischen Ziele und nicht mehr die Herrschaftsinszenierung im Vordergrund. Wenn diese durch Kaiser und Kammer vorbereitete Reise lockerer und freier im Zeremoniell gewesen zu sein scheint, war sie allerdings auch finanziell unterdotiert, denn Anna Caterina musste mit nur 4000 Gulden auskommen, was sie schließlich zur Verpfändung ihres Schmuckes veranlasste.
6 Fazit Die Auffassung, dass Reisen vorrangig zum Handlungsrepertoire von Fürsten gehörte und Fürstinnen nach ihrer Brautreise ein eher örtlich gebundenes Dasein führten, kann am Beispiel der Erzherzogin Anna Caterina Gonzaga und ihrer weiblichen Verwandten sicher relativiert werden. Die Mobilität des Adels war natürlich vom Charakter und von der Erziehung der reisenden Fürstin, aber vor allem von den von Familie und Ehemann gewährten Möglichkeiten abhängig. Außerdem benötigte eine Prinzessin mehr bzw. besser argumentierende Gründe
66 Rudolfs Einlenken und „Großzügigkeit“ war nicht ganz ohne Hintergedanken. Es galt den für den Türkenkrieg bereitgestellten Bruder der Erzherzogin, Vincenzo Gonzaga, nicht zu verärgern. 67 Erzherzogin Maria von Innerösterreich war auf ihrer Rückreise aus Spanien, wohin sie ihre Tochter zur Verheiratung begleitet hatte, 1599 nach Loreto gereist und hatte für diese Wallfahrt um finanzielle Unterstützung angesucht. Keller: Erzherzogin Maria von Innerösterreich (wie Anm. 15), S. 218 f. 68 Nicht wegen der Angemessenheit der Unterkünfte oder des einzuhaltenden Zeremoniells, sondern vielmehr wegen der Kostenübernahme wurden eine genaue Reiseroute bis Mantua und ein Abfahrtsdatum (der Pfingsttag, 21. Mai 1600 n.s.) von der Kammer festgelegt.
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zum Reisen: Nach ihrer Verheiratung bot sich die Möglichkeit des Verwandtenbesuchs, besonders anlässlich von Hochzeiten und Taufen. Weitere Reisemöglichkeiten ergaben sich durch Gesundheitsbeschwerden, die das Aufsuchen von Heilbädern verlangten. Auch die unter anderem politisch motivierte Demonstration von Frömmigkeit bot – gerade im Rahmen der Gegenreformation – Anlass zum Reisen in Form von Pilger- und Wallfahrten. Anna Caterina Gonzaga, Erzherzogin von Österreich, schöpfte alle genannten, einer Adelsfrau zustehenden Reisegründe mehrmals aus. Sie unternahm im Laufe ihres Ehelebens und ihrer Witwenschaft allein, mit Gemahl und/oder Töchtern Reisen aus politischen Gründen, um die Herkunftsfamilie zu besuchen, um Kurorte, Jagdschlösser und unterschiedliche Wallfahrtsorte aufzusuchen und um ihre Tochter auf deren Brautreise zu begleiten, wie schon ihre Mutter vor ihr. Am Beispiel dieser nach Tirol verheirateten italienischen Fürstin und ihrer weiblichen Verwandten kann also gezeigt werden, dass Prinzessinnen in der Frühen Neuzeit weit mehr als ausschließlich in ihrer ‚neue Heimat‘ unterwegs waren und dass sie sich dabei auch nicht von der Beschwerlichkeit einer Alpenüberquerung aufhalten ließen.
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Die Rundreisen Königin Elisabeths I. (1533–1603) von England durch ihr Reich
Abb. 1: Königin Elisabeth I. von England unternahm in den Sommermonaten Rundreisen, die einen durchschnittlichen Radius von 40 bis 50 Meilen (maximal 150 Meilen) aufwiesen. Exemplarisch hier die Reisen nach Bristol 1574 und Norwich 1578.
In ihrer mehr als vierzig Jahre von 1558 bis 1603 währenden Herrschaft unternahm Elisabeth I. von England mit nahezu ihrem gesamten Hofstaat zwischen Juli und September insgesamt 23 Rundreisen, die sie in die Städte und aristokratischen Herrschaftssitze Südenglands führten.1 Diese Reisen sind sehr gut dokumentiert, denn das Interesse der Gastgeber, ihr kulturelles Kapital durch die Veröffentlichung des Besuchs der Herrscherin zu mehren, paarte sich mit dem Interesse Elisabeths, ihrem Volk das Bild einer zugänglichen Königin zu vermitteln.2 Die zeitgenössischen Quellen liegen zudem in der von John Nichols
1 Mary Hill Cole: Monarchy in Motion. An Overview of Elizabethan Progresses, in: Jayne Elisabeth Archer/Elizabeth Goldring/Sarah Knight (Hrsg.), The Progresses, Pageants and Entertainments of Elizabeth I. Oxford/New York 2007, S. 27–45 (hier S. 27). 2 Kevin Sharpe: Selling the Tudor monarchy: authority and image in sixteenth-century England. New Haven u. a. 2009. https://doi.org/10.1515/9783110532937-005
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besorgten Quellensammlung in gedruckter Form vor und sind leicht zugänglich.3 Der historischen Analyse der Reisen Elisabeths hat sich vor allem Mary Hill Cole gewidmet. Auf Nichols sowie auf die Arbeiten Coles stützt sich dieser Beitrag wesentlich, beschränkt sich aber auf die Untersuchung der Besuche Elisabeths in den Städten ihres Reiches. Auf einen kurzen Überblick über die praktischen Beweggründe und wesentlichen Kennzeichen dieser Reisen folgt eine Darstellung der Stadtbesuche der Königin unter besonderer Berücksichtigung des Zeremoniells. Das Zeremoniell der Begegnungen der Königin mit ihren Untertanen gibt Aufschluss über seine politische Funktion im Kontext der von Elisabeth praktizierten persönlichen Monarchie. Nach Intention und Ansicht der Königin galt die Loyalität des Volkes nicht so sehr der Monarchin als höchster weltlicher Autorität, als vielmehr Elisabeth aufgrund der Art und Weise, wie sie die Funktion der Monarchin ausfüllte. Die praktischen Beweggründe für die Rundreisen der Königin lagen zum einen in der regelmäßig wiederkehrenden Notwendigkeit, den aktuell bewohnten königlichen Palast zu verlassen, damit er gründlich gereinigt werden konnte. Zum andern wollten die Königin und ihr Hofstaat mit dem Aufenthalt in gesunder Landluft der Pest aus dem Wege gehen, die nahezu allsommerlich London heimsuchte. Da zudem in dieser Zeit ein eventuell einberufenes Parlament in die Sommerpause ging und sich somit die Anwesenheit der Königin am Regierungssitz erübrigte sowie schließlich Heu als Futter für die Pferde in großen Mengen verfügbar war, boten sich die Sommermonate für die Rundreisen an. Auf ihnen entfernte sich Elisabeth nie mehr als 150 Meilen von London, gewöhnlich aber bewegte sie sich im Umkreis von 40 bis 50 Meilen von der Hauptstadt. Die Reisen beschränkten sich also auf die relativ bevölkerten, reichen und sicheren Gegenden ihres Reiches. Die frühzeitige Planung der Reiseroute oblag Lord Chamberlain, dem Großkämmerer und Vorsteher des Hofstaats, sowie dem Kronrat.4 Allerdings wurde die Planung unterwegs häufig modifiziert, entweder um Ausbrüchen der Pest auch in ländlichen Gebieten aus dem Wege zu gehen, oder weil die Königin spontan auf einer Abänderung der Route bestand.
3 John Nichols: The progresses and public processions of Queen Elizabeth. London 1788 [ND Elizabeth Goldring/Faith Eales/Elizabeth Clarke/Jayne Elisabeth Archer (Hrsg.), John Nichols’s The Progresses and Public Processions of Queen Elizabeth I, Oxford/New York 2014]. 4 Patrick Collinson: Pulling the Strings. Religion and Politics in the Progress of 1578, in: Archer et. al. (Hrsg.), Progresses (wie Anm. 1), S. 122–141 (hier S. 125).
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1 Begrüßungszeremonien Die Besuche Elisabeths in den Städten ihres Reiches umfassten vier Schlüsselelemente: den Empfang der Königin, die ihr überreichten Gaben, die Reden, die bei diesem Anlass gehalten wurden, sowie die ihr zu Ehren veranstalteten pageants.5 Wenn sich die Königin auf ihrer Reise einer Stadt näherte, wurde sie bereits an den Grenzen des Stadtgebiets von Vertretern der städtischen Obrigkeit begrüßt. Dabei stellten diese mittels farbenprächtiger und luxuriöser Kleidung sowie ihrer Amtsinsignien ihren Status und ihre Macht zur Schau. Die zur Begrüßung gehörende Übergabe der Symbole städtischer Macht, des mace, des Amtsstabs, und des rod of office, des städtischen Zepters, an die Königin erinnerte an die historische Auffassung englischer Monarchen, dass sie das ganze Land vermittels lokaler Amtsträger beherrschten. Huldvoll gab Elisabeth die Amtsinsignien an deren Träger zurück.6 Der Standes- und Statusunterschied drückte sich zugleich in der physischen Positionierung aller Beteiligten aus: Elisabeth saß dabei entweder zu Pferde oder in einer offenen und daher einsehbaren Kutsche, oder sie stand vor der Menge, die sich zu ihrer Begrüßung versammelt hatte. In jedem Falle verwies ihre erhöhte und separierte Position auf ihre Dominanz, denn sie war immer von der abgestiegenen und vor ihr knienden Abordnung der städtischer Obrigkeit, die ihre Autorität vor ihr beugte, getrennt und höher platziert. Doch um nicht als rigide oder unnahbar zu erscheinen, lehnte sich Elisabeth vor und forderte die vor ihr knienden Männer mit freundlichen Worten auf, sich zu erheben.7 Unverzichtbar beim Empfang der Königin war die materielle Gabe, die ihr überreicht wurde. In ihr manifestierten sich das Gewähren und die Entgegennahme von Gastfreundschaft. Der Königin wurden Texte, vor allem die Bibel, oder Kleidungsstücke wie etwa Handschuhe, aber auch Juwelen überreicht. In diesen Geschenken verband sich die Manifestation von Loyalität mit der Behauptung persönlicher Intimität. Doch mit ihrer zunehmenden Bedeutung im Verlaufe von Elisabeths Herrschaft bestand die Gabe in der Regel aus Geld oder aus Gegenständen aus Edelmetall. Die Ehre beider Parteien verlangte angemessene rhetorische
5 Nach dem Oxford English Dictionary bezeichnet dieses Wort eine anschauliche bildliche Darstellung, einen allegorischen Einfall, entweder auf einer feststehenden Bühne oder auf einem Festwagen angebracht; eine öffentliche, gewöhnlich wortlose Darbietung oder ein Schauspiel bei einem Festspiel oder einer öffentlichen Feierlichkeit. 6 Felicity Heal: Giving and Receiving on Royal Progress, S. 46–61, in: Archer et al. (Hrsg.), Progresses (wie Anm. 1). 7 Mary Hill Cole: Ceremonial Dialogue between Elizabeth and her civic hosts, in: Douglas F. Rutledge (Hrsg.), Ceremony and text in the Renaissance. Newark Del. 1996, S. 84–102 (hier S. 88).
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Strategien bei der Überreichung und der Entgegennahme der Gabe. So bekräftigten die Gebenden ihre Loyalität und werteten die eigene Gabe ab.8 Dagegen betonte Elisabeth, die diese Gaben gern entgegennahm, in ihren Dankesreden, dass ihr mehr als an allen materiellen Gaben an der immateriellen Zuneigung und Loyalität ihrer Untertanen gelegen sei. So sagte sie etwa bei ihrem Besuch von Norwich: We hartily thanke you, Master Maior, and all the reste, for these tokens of goodwill, nevertheless Princes have no neede of money: God hath endowed us abundantly, we come not therefore, but for that whiche in right is our owne, the heartes and true allegeance of our Subjects, whiche are the greatest riches of a Kingdome.9
Auf die politische Funktion des bewusst von der Königin herbeigeführten Eindrucks der Zugänglichkeit verweist implizit Robert Naunton. Sie habe zur Großzügigkeit der Gaben wie auch zur Bereitwilligkeit geführt, mit der Elisabeths Parlamente Steuern bewilligten. Diese Einschätzung unterschlägt allerdings die vielfältigen, jedoch immer fehlgeschlagenen Versuche ihrer Parlamente, das Erfordernis ihrer Zustimmung zu Steuererhebungen als Druckmittel einzusetzen. Versuchten sie zu Beginn von Elisabeths Herrschaft, sie zum Heiraten zu bewegen, so drangen sie später darauf, als mit einem leiblichen Thronfolger realistisch nicht mehr zu rechnen war, dass sie einen Thronfolger benenne. Des Weiteren erwarteten sie ein entschlosseneres Vorgehen gegen ihre Rivalin Mary Stuart. Dessen ungeachtet behauptete Robert Naunton, Elisabeth habe mehr Geld von ihren Untertanen erhalten als jeder ihrer Vorgänger. Dies sei eine Folge der Zurschaustellung ihrer Person und Majestät gegenüber ihren Untertanen unterschiedlichster Herkunft: [F]or I believe no prince living, that was so tender of honour and so exactly stood for the preservation of sovereigntie was so great a courtier of the people, yea of the Commons, and that stooped and declined lowe in presenting her person to the publique view as she passed in her progress on the people.10
Über die konkrete Gabe hinaus überließ die Stadt ihre sämtlichen Ressourcen der königlichen Besucherin. Die Königin war eingeladen zu konsumieren, was ihrem Volk, letztlich aber auch ihr selbst gehörte. Es handelte sich dabei nicht
8 Ebd., S. 89; Heal: Giving and Receiving (wie Anm. 6), S. 55. 9 Nichols: Progresses (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 700. 10 James Caulfield (Hrsg.), The Court of Queen Elizabeth; originally written by Sir R. Naunton under the title ,Fragmenta Regalia‘. With considerable biographical additions. London 1814, S. 14.
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um einen Oktroy, denn die Überlassung war Teil einer Dialektik von freiwilligem Geben und dankbarer Entgegennahme des Offerierten. Mit diesem offenen Austausch bekräftigten die Untertanen ihre Loyalität gegenüber der Monarchin,11 die diese ihrerseits ihrer guten Herrschaft versicherte. Dies drückte sich im Sprachgebrauch Elisabeths aus, wenn sie den Vertragscharakter, der dem Geben und Empfangen implizit innewohnte, anerkannte, indem sie die Gaben als angemessenen Ausdruck von Gehorsam akzeptierte und auf sie mit ebenso angemessenem Dank als königlichem Prärogativ reagierte, nicht zuletzt um durch die Sprache der Dankbarkeit Loyalität zu bestärken. Die Gabe und die ihre Überreichung begleitenden Reden sowie die königliche Reaktion darauf bildeten die zentralen Momente der Begrüßungszeremonie. Die Reden wiesen bei aller Verschiedenheit der Bedingungen vor Ort eine gemeinsame Struktur und Rhetorik auf, stammten gelegentlich sogar vom selben Verfasser. Zentrales Element vieler Reden war die Bitte um einen königlichen Gunstbeweis, die in den Zusammenhang der illustren Geschichte der Stadt gestellt wurde, in deren Verlauf diese bereits bei vielen Gelegenheiten habe auf königliche Hilfe zählen können. Das Eigeninteresse musste dabei in die Sprache der Ergebenheit gekleidet, und spezifische Anliegen mussten vom Besuch der Königin entkoppelt werden. Die Reden boten allerdings auch die Möglichkeit, auf die Interdependenz guter Herrschaft auf allen Ebenen des Reiches hinzuweisen. So betonte etwa der Bürgermeister von Norwich in seiner Ansprache den Aspekt der Reziprozität, indem er darauf aufmerksam machte, wie wohlgeordnet das städtische Gemeinwesen sei, sicher, dienstbar und religiös konform, eine wichtige Feststellung im postreformatorischen England, in dem viele noch längst nicht ihren katholischen Glauben aufgegeben hatten und anderen die Anglikanische Kirche zu wenig protestantisch war. Diese Feststellung enthielt den impliziten Hinweis, dass die städtischen Autoritäten ihrer Verantwortung nachgekommen seien. Explizit bat er um die Milde der Königin, während der Aspekt der Reziprozität der Beziehung zu ihr implizit blieb. In ihrer Antwort erinnerte Elisabeth die Stadt an ihre eigene Autorität und nahm den Aspekt der Reziprozität auf, als sie sagte: [W]e assure ourselves in you, so do you assure yourselves in us of a louing and gracious souereign.12
11 Mary Hill Cole: Religious Conformity and the Progresses of Elizabeth I, in: Carole Levin/Jo Eldridge Carney/Debra Barrett-Graves (Hrsg.), Elizabeth I. Always Her Own Free Woman. Aldershot 2003, S. 63–77 (hier S. 66). Dies war von besonderer Bedeutung für jene Adligen, die sich nach wie vor zum Katholizismus bekannten, jedoch gegenüber Elisabeth loyal waren. 12 Nichols: Progresses (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 700.
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Wie immer wurde der regulierende Einfluss der zeremoniellen Regeln öffentlichen Redens besonders in der Spannung deutlich, die entstand, wenn sie durchbrochen wurden und Redner politisch heikle Themen ansprachen, der Königin gar Ratschläge erteilten oder ihre eigene Ansicht zu nationalen Fragen kundtaten. Allerdings wurde die Brisanz solcher Äußerungen durch den zeremoniellen Rahmen, in dem sie erfolgten, entschärft. Dies ermöglichte der Königin eine Interpretation des Gesagten als Ausdruck loyaler Absichten. Am Ende der Begrüßungszeremonie wurde Elisabeth von den städtischen Amtsträgern in die Mitte genommen, wurde damit der städtischen Führungselite gleichsam einverleibt und noch vor ihrem Gefolge ins Zentrum der Stadt geleitet. Dort wurde sie der Stadtbevölkerung, die sich zu ihrem Empfang eingefunden hatte, als ein Mitglied des städtischen Gemeinwesens präsentiert. Auf das offiziell-förmliche folgte so das viel weniger offiziell-förmliche Willkommen durch die städtische Menge. Es war Elisabeth wichtig, von der Volksmenge gesehen zu werden. Sichtbarkeit signalisierte Zugänglichkeit und symbolisierte die Liebe und Sorge der Monarchin für ihr Volk, das darauf mit der Loyalität reagierte, die der Königin als wesentliche Stütze ihrer Herrschaft galt.13 So heißt es etwa bei Nichols, sie habe veranlasst, dass every part and side of the Coache [to] be opened that all her subjectes present might behold her. Which most gladly they desired.14
Während ihres Aufenthaltes in der Stadt wurde der Königin gewöhnlich ein pageant dargeboten. Diese oftmals aufgrund ihrer Ausstattung sehr kostspieligen Aufführungen waren ebenfalls eine Gabe der Stadt an die Herrscherin. Für die Kosten des königlichen Besuchs kamen in der Regel die städtische Obrigkeit und die Zünfte auf, Letztere unter Androhung von Sanktionen bei mangelnder Willfährigkeit.15 Neben ihrer zeremoniellen Funktion, die Königin bei ihrem Besuch in der Stadt feierlich zu unterhalten, waren die pageants aber auch darauf angelegt, ihr eine Botschaft zu vermitteln. Sie gaben den Vorstellungen der Stadt von guter Herrschaft Ausdruck.16 Das Zeremoniell des pageant bot den Städten die seltene Gelegenheit, sich der Aufmerksamkeit der Königin sicher zu sein, und war ein Medium, dessen Flexibilität es gestattete, Bedürfnisse, Befürchtungen
13 William Leahy: Elizabethan Triumphal Processions, Aldershot u. a. 2005, S. 1–2. 14 Nichols: Progresses (wie Anm. 3), Bd. 2, S. 29. 15 Leahy: Elizabethan Triumphal Processions (wie Anm. 13), S. 65. 16 Tim Moylan: Advising the Queen. Good Governance in Elizabeth I’s Entries into London, Bristol, and Norwich, in: Donald Stump/Linda Shenk/Carole Levin (Hrsg.), Elizabeth I and the ,sovereign arts‘. Essays in literature, history, and culture. Tempe Arizona 2011, S. 233–250.
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und Wünsche ihr gegenüber zu artikulieren, ja sogar die ‚Wahrheit‘ auszusprechen. Beispielhaft lässt sich dies anhand von Elisabeths Besuchen in Bristol im Jahre 1574 sowie in Norwich 1578 zeigen. Sie fielen in die Mitte ihrer Herrschaft, als sie bereits eine in Regierungsgeschäften erfahrene Monarchin war. Dennoch nutzten beide Städte ihre jeweiligen pageants dazu, der Königin Ratschläge zu erteilen. Sie wurden nicht enttäuscht, denn Elisabeth nahm sich die Zeit, genau zuzuhören und zu antworten. In den pageants wurden zwei einander überlagernden Vorstellungen guter Herrschaft Ausdruck gegeben. Elisabeths Überzeugung ihres Gottesgnadentums und damit letztendlich ihrer alleinigen Verantwortung für die richtige Ordnung im Staat stand die Überzeugung der städtischen Eliten gegenüber, dass die Ordnung des Gemeinwesens die angemessene Ausübung von Autorität auf allen Ebenen der Regierung, einschließlich der städtischen, verlange.
2 Reisen zur Religionsbefriedung Als Elisabeth 1574 Bristol besuchte, traf sie auf eine Hafenstadt in der Provinz, die der Ankunft der Monarchin als einem außerordentlichen Ereignis mit aufgeregter Freude entgegensah. Bristol litt zu jener Zeit schon seit längerem unter dem Niedergang seines Handels und war nach dem Fehlschlagen anderer Maßnahmen überzeugt, er sei auf die angespannten Beziehungen zwischen England und Spanien zurückzuführen. Im Verständnis der Stadtväter bedeutete gute Herrschaft, dass die Krone durch diplomatische Bemühungen Bedingungen schaffe, unter denen der Handel von Bristol wieder florieren werde. Um die Interdependenz der zwei Ebenen von Herrschaft zu verdeutlichen, organisierten die Stadtväter eine dreitägige allegorische Schlacht. Als Reaktion unterzeichnete Elisabeth den Vertrag von Bristol, der zumindest nominell die Freundschaft Spaniens sicherte. Elisabeth hatte Bristol als Reiseziel ausgewählt, um religiöse Konformität auch im Südwesten Englands herbeizuführen. Sie hoffte, dass der religiöse Frieden in ihrem Reich durch eine eigens von ihr zu diesem Zweck eingesetzte Kommission mittels königlicher Autorität hergestellt werde. Religionspolitisch verfolgte Elisabeth eine via media,17 einen gemäßigten Protestantismus, um die katholischen Bevölkerungsgruppen in ihrem Reich ohne Druck für die neue
17 Diarmaid McCulloch: The later reformation in England, 1547–1603. New York 1990.
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Konfession zu gewinnen. Dieses Thema wurde im pageant in einer Weise aufgenommen, welche die Notwendigkeit eines Herrschers unterstrich, der sowohl die Weisheit als auch die Macht besitzt, mit religiösem Nonkonformismus umzugehen. In dieser Rolle wurde Elisabeth gesehen. Den vereinten Truppen von Volk und Königin muss sich die Figur Krieg geschlagen geben. Auch in der Bezugnahme auf religiöse Auseinandersetzungen wurde also auf die Vorstellung der geteilten Verantwortung zwischen der Monarchin mit ihrer guten Herrschaft und der städtischen Obrigkeit mit ihrer Autorität verwiesen. Ähnliches geschah in Norwich, damals nach London die zweitgrößte Stadt Englands. Sie war ganz besonders vom Tuchhandel mit den Niederlanden abhängig, hatte religiös motivierte Unruhen erlebt und war zwischen Puritanern und gemäßigten Protestanten tief gespalten. Beide Themen wurden im pageant aus Anlass des Besuchs der Königin aufgenommen. Darin brachte die Stadt ihre eigenständigen Bemühungen zum Ausdruck, durch ihr Gewerbe zu prosperieren. Zudem vermittelte der pageant den Eindruck, in der Stadt dominierten die protestantischen Mitglieder des Gemeinderats unangefochten. Die Erfüllung ihrer Verantwortung im Kleinen spiegelte das Modell guter Herrschaft wider, das die Stadtväter in der Königin und ihrem Kronrat im Großen sahen. Die zentrale Botschaft aller pageants in Norwich lautete, die Stadt erwarte von der Königin, ihre Autorität in einer Weise auszuüben, die den Bedürfnissen des Volks entspreche. Herrscherempfänge waren kein Novum der elisabethanischen Ära, wohl aber die selektive Adaption deren traditioneller Elemente, vor allem Förmlichkeit und Öffentlichkeit, für Elisabeths eigene politische Ziele. Die von ihr besuchten Städte stellten sich schnell auf das königliche Interesse an Förmlichkeit und Zurschaustellung ein. Zugleich nutzten sie den königlichen Besuch, um durch die Publizierung seiner Einzelheiten ihr eigenes Bild in der Öffentlichkeit zu prägen. In diesen Darstellungen nahm die Form des Gebens und des Empfangens eine zentrale Rolle ein. Die Stadtbewohner erwiesen dem königlichen Hof, der bei ihnen zu Besuch war, eine Gastfreundschaft, die den Rahmen für ihre Bittgesuche und die öffentliche Wahrnehmung ihrer Stadt bildete. Die Königin wiederum akzeptierte ihre Gastfreundschaft, die den Hintergrund für die Zurschaustellung ihrer königlichen Prärogative darstellte. Durch das Akzeptieren der Gastfreundschaft erinnerte Elisabeth ihre Untertanen an das, was sie als die Wohltaten ihrer Herrschaft sah: ein sicheres und gut verteidigtes Königreich, religiöse Stabilität, wachsenden Handel und Wohlstand, eine zuverlässige Justiz und eine Monarchin, deren höchstes Bestreben dem Wohl und der Sicherheit ihres Volkes galt. Die Öffentlichkeit des Geschehens war für die Wahrnehmung dieser miteinander verknüpften Absichten unabdingbar.
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3 Dialog Elisabeth bestand auf den Rundreisen, um einerseits die Pracht und den Glanz ihrer Herrschaft, symbolisiert in ihren prächtigen Gewändern und der Ausstattung des sie begleitenden Hofstaates, zumindest visuell erfahrbar zu machen, andererseits um Zugänglichkeit für die Anliegen ihrer Untertanen zu demonstrieren. Auf ihren Reisen erreichte sie sehr viel mehr Menschen, als wenn sie in ihren Palästen im Themsetal geblieben wäre. Die Zurschaustellung ihrer Majestät sowie die Demonstration von Zugänglichkeit dienten über die Herstellung von persönlicher Loyalität zur Königin der Stabilisierung ihrer Herrschaft.18 Doch auch die lokalen Eliten der Städte, die sie besuchte, verbanden mit dem Empfang der Königin bestimmte Absichten, die auf die Mehrung der städtischen Reputation zielten. Daher lassen sich die Besuche Elisabeths in den Städten ihres Reiches als ein Dialog deuten, in dem beide Seiten im Austausch zeremonieller Botschaften ihre eigene Agenda verfolgten.19 So beschränkten sich die städtischen Repräsentanten nicht darauf, Elisabeth mit Komplimenten zu schmeicheln, die sie idealisierten, sondern sie präsentierten ihr Modelle von der Art von Machtausübung, die sie sich von ihr erhofften, während Elisabeth nicht müde wurde, auf den königlichen Ursprung aller Autorität hinzuweisen. Die städtische Präsentation von Modellen guter Herrschaft lässt sich durchaus auch als Hinweis auf die Bedingungen deuten, an welche die städtischen Eliten ihre Loyalität gegenüber Elisabeth knüpften. Doch dem Verweis auf die Konditionalität von Loyalität wurde durch seine Vermittlung im zeremoniellen Rahmen eines pageant die Spitze genommen. Als aufmerksame Rezipientin der Reden und Darbietungen vermittelte Elisabeth den Eindruck, die Botschaft mit all ihren Implikationen verstanden zu haben. Daher konnte allein die Möglichkeit, eine potentiell hochverräterische Position, wie implizit auch immer, gegenüber der Herrscherin zu äußern, Zufriedenheit hervorrufen. Ermöglicht wurde dies durch das Zeremoniell, das beiden Parteien bekannte und von ihnen beachtete implizite Regelwerk für die Begegnung der Königin mit ihren Untertanen. Solange der Rahmen der von ihm ermöglichten und erforderten symbolischen Kommunikation nicht durchbrochen wurde, war es möglich, Erwartungen an die Königin, ja sogar Kritik an ihr zu formulieren. Königin und städtische Obrigkeit traten also in einen Dialog ein. Der Begriff des Dialogs umfasst hier weit mehr als diskursive Aussagen über Sachverhalte und bezieht performative Elemente wie Bewegun-
18 Sharpe: Selling the Tudor monarchy (wie Anm. 2), S. 418. 19 Moylan: Advising the Queen (wie Anm. 16), S. 234.
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gen, Prozessionen, Kostüme, Gaben und festliche Empfänge ein.20 So verstanden, verweist der Begriff auf den symbolischen Gehalt der Interaktion von Angesicht zu Angesicht, in der die Beziehungen von Herrscherin und Beherrschten im Verlaufe der Zeremonie ausagiert wurden. Die Rhetorik der Sommerreisen schuf eine Konversation zwischen städtischer pageantry und königlicher Ikonographie, einen Dialog, der die kompatiblen, wenn auch unterschiedlichen Botschaften von Königin und Stadtbevölkerung miteinander verknüpfte. In einer ungewöhnlichen Choreographie bewegte sich die Königin auf ihre Untertanen zu anstatt umgekehrt. Die körperliche Anwesenheit und Zugänglichkeit der Königin bei ihrem Eintritt in die gastgebende Gemeinschaft war ein wichtiger Aspekt der politischen Beziehung zwischen Volk und Monarchin, den die Königin kultivierte und den die Gastgeber durch die Institution der Sommerreise teilten. Das reiche Willkommen, das Elisabeths Bild als allmächtige Herrscherin aufbaute, gereichte der Stadt in einer Dynamik zur Ehre, welche die Reputation beider Seiten steigerte. Versteht man die städtischen Empfänge Elisabeths als Dialog, so bot die zeremonielle Konversation dem anwesenden Mikrokosmos der englischen Gesellschaft, Königin und Aristokratie, Kaufleuten und Arbeitern, die Gelegenheit, über alle Statusunterschiede hinweg miteinander zu kommunizieren, ohne die soziale Hierarchie in Frage zu stellen. Doch selbst wenn man diese Interpretation von Elisabeths Rundreisen akzeptiert, darf man die geographische, soziale, politische und religiöse Begrenztheit deren herrschaftsstabilisierender Funktion nicht ignorieren. Der Radius von Elisabeths Reisen war begrenzt und führte sie nur in ungefähr die Hälfte aller Grafschaften ihres Reiches. So besuchte sie niemals den äußersten Südwesten und riskierte es auch nicht, in die überwiegend katholisch gebliebenen Regionen im Norden zu reisen, schon gar nicht, solange sich ihre Rivalin Mary Stuart dort aufhielt und von katholischen Bevölkerungsgruppen unterstützt wurde, die eine katholische Königin einer protestantischen bei weitem vorzogen. Die Rundreisen stabilisierten Elisabeths Herrschaft also in jenen Gebieten des Reiches, in denen sie am wenigsten in Frage gestellt wurde.
20 Mary Hill Cole: The Portable Queen. Elizabeth I and the Politics of Ceremony, Amherst 1999, S. 121; auf die große Bedeutung der performativen Dimension von Macht weist Sharpe hin: Sharpe: Selling the Tudor monarchy (wie Anm. 2), S. 462.
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4 Sicherheit der Königin auf Reisen Die Reisen hatten auch unbeabsichtigte Konsequenzen, denn sie machten Elisabeth verletzlich. Ihre öffentliche Zurschaustellung in Verbindung mit dem Chaos eines ganzen Hofes in Bewegung machten es nahezu unmöglich, den Zugang zur Königin wirksam zu kontrollieren,21 auch wenn versucht wurde, alle Angehörigen nichtrespektabler gesellschaftlicher Gruppen auf Distanz zu halten. Praktisch wurde dies in der Weise durchgesetzt, dass königliche Amtsträger während der Rundreisen unerwünschte Personen von der Reiseroute fernzuhalten suchten. Das übliche Mittel, sie zu vertreiben, war die königliche Proklamation, in der die Reiseroute der Königin bekanntgegeben und alle herrenlosen Männer, Jungen, Vagabunden, Schurken, unautorisierte Frauen, Handwerker ohne Lizenz, Wäscher sowie Personen ‚niederen Standes‘ mit ihren Frauen und Kindern aufgefordert wurden, innerhalb von zwölf Stunden nach Veröffentlichung der Proklamation den Hof zu verlassen und ihm fortan fernzubleiben. Die Königin suchte also den Kontakt mit ihren Untertanen so weit wie möglich unter kontrollierten Bedingungen der Interaktion, doch ließ sie vom Hof all jene common loiterers, Wegelagerer, entfernen, deren Außenseiterstatus ihren zeremoniellen Dialog und potentiell ihre Sicherheit bedrohten. Auf Anweisung ihres ersten Ratgebers Burghley mussten der knight harbinger, der königliche Quartiermacher, und der knight marshall, der Hofmarschall, Menschenmengen daran hindern, sich in der Nähe des Hofes auf Reisen niederzulassen, indem sie jede Person im Umkreis von 2 Meilen des Hofes mehrmals wöchentlich überprüften. Auf ihren Rundreisen schloss Elisabeth also die Ehrenwerten ein, die Armen jedoch aus, um die politischen und sozialen Hierarchien aufrechtzuerhalten, auf denen ihre Herrschaft beruhte. Noch in einer weiteren Hinsicht wurde die Absicht der Königin, mittels ihrer Sommerreisen die Loyalität ihres Volkes zu bestärken, unterminiert. Die Reisen gaben Gerüchten in der Bevölkerung Nahrung, die, wenig überraschend, um die Sexualität der zeit ihres Lebens ledigen Königin kreisten. Sie wurde sexueller Beziehungen zu verschiedenen Höflingen verdächtigt, und es wurde angenommen, sie unternehme die Reisen, um die aus diesen Verbindungen hervorgehenden Kinder fernab der Öffentlichkeit zur Welt zu bringen.22
21 Cole: Portable Queen (wie Anm. 20), S. 163–164. 22 Carole Levin: „We shall never have a merry world while the Queene lyveth“: Gender, Monarchy and the Power of seditious Words, S. 77–97 (hier S. 78), in: Julia M. Walker (Hrsg.), Dissing Elizabeth: Negative Representations of Gloriana. Durham u. a. 1998.
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5 Fazit: Reisen als Herrschaftsinstrument Die Rundreisen mit ihrer Mischung aus Zurschaustellung königlicher Majestät und der Gelegenheit des Zuhörens waren ein wichtiges Mittel der Sicherung von Willfährigkeit, auf der Elisabeths Herrschaft wesentlich beruhte. Die Willfährigkeit ihrer Untertanen speiste sich nicht zuletzt aus den Bindungen persönlicher Zuneigung zur Königin, die durch die Rundreisen gefördert wurden. Deshalb bestand sie auf der Beibehaltung der Sommerreisen. Ein weiterer Grund dafür lag darin, dass das Chaos eines ganzen Hofstaates auf Reisen es ihr leicht machte, sich den Beeinflussungsbemühungen ihres Kronrates zu entziehen. Den Klagen ihrer Ratgeber über die Mühseligkeit, den Regierungsgeschäften mobil nachzugehen, stand Elisabeths Absicht gegenüber, unangefochten das königliche Prärogativ der politischen Entscheidung auszuüben. Im Falle Elisabeths, der regierenden Königin, fielen abstrakter und konkreter Handlungsraum in eins. Als Herrscherin genoss Elisabeth ein hohes Maß an Handlungs- und Bewegungsfreiheit, wenn auch ihre Position als höchste weltliche Autorität in einem Spannungsverhältnis zu ihrer Stellung im zeitgenössischen Geschlechterverhältnis stand. Ein Mittel, dieses Spannungsverhältnis zu ihren Gunsten aufzulösen, waren die Sommerreisen, wie oben ausgeführt. Ihr theoretisch unbegrenzter Mobilitätsradius wurde praktisch durch politische Erwägungen begrenzt, die ihre Sicherheit betrafen und den Besuch großer Teile ihres Reiches ausschlossen. Neben dem allgemeinen Ziel der Sommerreisen, die Loyalität ihres Volks zu stärken, wählte Elisabeth eine Reihe ihrer städtischen Reiseziele aufgrund spezifischer politischer Erwägungen aus, die vor allem mit ihrer Religionspolitik verknüpft waren. Religiös war das postreformatorische England tief gespalten, nicht nur zwischen katholischen und protestantischen Bevölkerungsgruppen, sondern auch innerhalb letzterer, die eine alles andere als homogene Gruppe bildete. Das übergeordnete Ziel war jedoch die Stabilisierung ihrer Herrschaft durch die Stärkung der Loyalität ihres Volkes.
Holger Kürbis
Besuche von Fürstinnen und Prinzessinnen am Gothaer Hof zwischen 1660 und 1756 Eine der ersten Fragen, die sich im Hinblick auf die Reisen hochadliger Frauen stellt, ist die nach den Quellen. Auf den ersten Blick scheint das zunächst unproblematisch zu sein, gibt es doch zu den Prinzenreisen, Kavalierstouren oder den vergleichbaren Reisen von nichtadligen Personen eine umfangreiche Forschung. Die Grundlage bildet eine Vielzahl an überlieferten Reiseberichten, teilweise in zeitgenössischen Publikationen, in älteren und neueren Editionen oder als Manuskripte in Archiven und Bibliotheken. Analog sollte es auch eine entsprechende Überlieferung zu den Reisen hochadliger Frauen geben. Ganz so einfach ist es jedoch nicht. Das hängt zunächst mit dem eher überschaubaren Forschungsstand zum Thema zusammen, sowohl im engeren Sinn, was die Reisen angeht, als auch in einer allgemeinen Perspektive, was die Bildung bzw. Ausbildung der Prinzessinnen betrifft. Weiterhin scheint es aber auch ein eher generelles Problem der schriftlichen Überlieferung zu den Prinzessinnenreisen zu sein, die sich eben nicht in erster Linie in entsprechenden Berichten spiegelt. Verfügen wir im Hinblick auf die Prinzenreisen über eine recht breite Überlieferung, scheint es diese für die Reisen der Prinzessinnen zumindest nicht in einem vergleichbaren Umfang zu geben. Allerdings steht diese Aussage unter Vorbehalt. Gerade vor diesem Hintergrund wird der vorliegende Beitrag eine allgemeine Perspektive einnehmen. Ausgehend von der Annahme, dass die Ziele der reisenden Prinzessinnen und Fürstinnen in erster Linie andere Höfe waren, wird am Beispiel des Hofes von Sachsen-Gotha-Altenburg versucht, das Reiseaufkommen der hochadligen Frauen aus einer quantitativen Perspektive zu betrachten. Auf der Grundlage unterschiedlicher Quellen werden dabei die Besuche am Gothaer Hof und die auswärtigen Aufenthalte der Gothaer Prinzessinnen analysiert. Die Frage nach den Reisen der Prinzessinnen und Fürstinnen berührt eine Vielzahl von Aspekten, die im Zusammenhang mit der Dynastie und dem Hof stehen. Einfache und vor allem schnelle Antworten wird es hier nicht geben. Das Spektrum reicht von Fragen des Fortbestandes der Dynastie bis hin zur finanziellen Ausstattung der Hofhaltungen der Prinzessinnen, Fürstinnen und der Witwen. Alle diese Aspekte spielen in Bezug auf Fragen der Mobilität der Prinzessinnen und Fürstinnen eine Rolle. Hinzu treten die jeweils individuellen Gegebenheiten und Vorlieben.
https://doi.org/10.1515/9783110532937-006
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Holger Kürbis
Im Unterschied zur Erziehung und Ausbildung der Prinzessinnen sind wir über die frühneuzeitliche Prinzenerziehung gut unterrichtet.1 Deren mehr oder weniger standardisierter Ablauf lässt sich aufgrund unterschiedlicher Quellen gut nachvollziehen. Gleichwohl gab es in den einzelnen Fürstenhäusern Abweichungen, die sich aus der dynastischen Tradition, der konfessionellen Ausrichtung, aus spezifischen Anforderungen oder einfach den aktuellen Vorlieben des Fürsten oder des Fürstenpaares ergaben. Das bezieht sich etwa auf die bevorzugten Studienorte, die Durchführung von Prinzenreisen überhaupt oder deren hauptsächliche Ziele. In diesem Kontext waren die Reisen Teil der Ausbildung. Neben speziellen Erziehungsinstruktionen finden sich allgemeine Festlegungen in der Regel in den fürstlichen Testamenten. Das ist auch für Sachsen-Gotha der Fall. In seinem im Jahre 1654 aufgesetzten Letzten Willen verfügte Herzog Ernst (1601–1675) in allgemeiner Form, wie die Ausbildung der Kinder abzulaufen habe:2 So sollten sowohl die Söhne als auch die Töchter im lutherischen Bekenntnis unterwiesen werden. Nur für die Söhne wurden die weiteren Angaben etwas konkreter. Sie sollten ferner eine Universität besuchen, die notwendigen Sprachen und Künste erlernen. Weiterhin könnten sie, nachdem sie den Zustand ihrer Fürstenthum und Lande/ wie nicht weniger des allgemeinen Vaterlandes teutscher Nation besehen und erlernet/ daß sie ohne Gefahr ihres Gewissens/ und mit guten Nutz/auch in andere Lande sich begeben/ selbige besichtigen.3
1 Seit dem 19. und frühen 20. Jahrhundert gibt es zu diesem Thema zahlreiche Arbeiten. Vgl. etwa Ernst Reimann: Prinzenerziehung in Sachsen am Ausgang des 16. und im Anfange des 17. Jahrhunderts. Dresden 1904. Für Hessen: Notker Hammerstein: Prinzenerziehung im landgräflichen Hessen-Darmstadt, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 33 (1983), S. 193–237. Allgemeiner Überblick bei Eva Bender: Die Prinzenreise. Bildungsaufenthalt und Kavalierstour im höfischen Kontext gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Berlin 2011 (Schriften zur Residenzkultur, 6), S. 39–74. Zuletzt für den Gothaer Hof: dies.: Prinzenerziehung am Gothaer Hof, in: Sascha Salatowsky (Hrsg.), Gotha macht Schule. Bildung von Luther bis Francke (Katalog zur Ausstellung der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha in Zusammenarbeit mit der Stiftung Schloss Friedenstein Gotha). Gotha 2013 (Veröffentlichungen der Forschungsbibliothek Gotha Bd. 49), S. 70–79. 2 Hertzog Ernsts zu Sachsen=Gotha Testament, de Anno 1654, in: Johann Christian Lünig, Das Teutsche Reichs-Archiv. Bd. 8: Des Teutschen Reichs-Archivs Partis Specialis Continuatio II. […] Leipzig 1712, S. 464–487, unter urn:nbn:de:bvb:384-uba000272-6, zuletzt abgerufen am 19. April 2016. Für einen großen Teil fürstlicher Testamente sind die entsprechenden Angaben hinsichtlich der Ausbildung und den Reisen ähnlich. Vgl. dazu kurz Holger Kürbis: Hispania descripta. Von der Reise zum Bericht. Deutschsprachige Reiseberichte des 16. und 17. Jahrhunderts über Spanien. Ein Beitrag zur Struktur und Funktion der frühneuzeitlichen Reiseliteratur. Frankfurt am Main u. a. 2004, S. 42 und S. 99–104. 3 Hertzog Ernsts zu Sachsen=Gotha Testament (wie Anm. 2), S. 471.
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Für die Prinzessinnen war das nicht vorgesehen. Ausführlicher über die Ausbildung der Prinzessinnen ließ sich der eng mit dem Gothaer Hof verbundene Veit Ludwig von Seckendorff aus.4 In einem vergleichsweise detaillierten Katalog legte er dar, worin die Erziehung aller fürstlichen Kinder bestehe. Die Grundlagen bildeten die Unterweisung im Bekenntnis, in den christlichen Tugenden, in den Herrschaftstugenden sowie im Lesen, Schreiben und Rechnen.5 Diese [Fächer] achtet man billich für unentbehrlich vnd höchst nothwendig/ folgende aber dienen den Jungen Herren zu besserem Grund dessen/ was Sie in ihren Regenten Stand einsten lernen sollen/denen Fürstl. Fräwlein aber zu Erweckung ihres Verstands vnd sonderbahrer wol Anständigkeit vnd Nitzbarkeit/ sonderlich weill sichs zu tragen kan/ daß ein Fürstl. vnd Gräffliche Weibes Person/ wie anderswo gedacht/ in Vormundschafft iher Kinder zu eines Lands=Regierung gelangen kan/ oder auch gewissen Aemptern vnd Herrschafften/ die Ihnen zum Leibgedinge eingereumet werden/vorstehen müssen. Dahero können in der Jugend in Teutscher Sprache/ wo nicht ein Fräwlein auß sonderbahrer Beliebung der Fürstlichen Eltern oder ihrer selbst zur Lateinischen Lust hätte/ folgende Stücke auch gelehret werden.6
Die weiteren Unterweisungen betrafen die Natur als Gottes Schöpfung, die Kenntnis des eigenen Fürstentums und seiner Geschichte wie auch die Geschichte des Alten Reiches insgesamt, die Beschaffenheit eines fürstlichen Haushalts und Übungen in mündlicher und schriftlicher Konversation.7 Erst danach differenzierte Seckendorff deutlich zwischen den Söhnen, die zur Regierung gelangen sollten und den Töchtern. Während den Prinzen eine vertiefende und weiterführende Ausbildung zugedacht war, verbunden mit den relevanten körperlichen Übungen, wurden ihren Schwestern zur Einübung nützlicher Gebärden, des Tanzens und zu Frauenzimmerarbeit angehalten. Zur Entspannung wurden Spiele, Jagen und Fischen sowie Musik für beide Geschlechter benannt.8 Reisen waren im Rahmen der von Seckendorff skizzierten normativen Ideale nur für die Prinzen vorgesehen. Wenn diese ein Alter von 16 oder 18 Jahren erreichten, sollten sie
4 Seckendorff war lange Jahre Amtsträger des Gothaer Herzogs. Roswitha Jacobsen: Die Brüder Seckendorff und ihre Beziehungen zu Sachsen-Gotha, in: Ernst der Fromme (1601–1675). Staatsmann und Reformer (Wissenschaftliche Beiträge und Katalog zur Ausstellung, hrsg. von Roswitha Jacobsen und Hans-Jörg Ruge). Bucha 2002, S. 95–120. 5 Veit Ludwig von Seckendorff: Teutscher Fürsten=Stat […]. Hanau 1656, S. 73. 6 Ebd., S. 73 f. 7 Ebd., S. 74. 8 Ebd., S. 75–77.
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zu einer Erfahrung der Sachen/ die Ihnen nötig nutzlich oder wol anständig/ nach Gelegenheit entweder zu einer vnd anderer fürnehmen Verrichtung bey den Regiments=Gschäfften gezogen/ oder an fremde Höffe vnd Länder oder hohe Schulen/ doch mit guter Behutsamkeit gebührlicher Instruction vnd trewen Dienern/ oder in rechtmässige Kriege für das Vatterland/ oder eine bekante redliche Sache/ geführet werden.9
Zwar war für Mädchen in der Traktatliteratur keine Reise an fremde Höfe als institutionalisierte Form der Ausbildung vorgesehen; trotzdem wurden sie in der Praxis aus den gleichen Motiven heraus – Erlernen der höfischen Kompetenzen und Netzwerkbildung – als Kinder mitunter für mehrere Jahre an die Höfe von weiblichen Verwandten geschickt, die das kulturelle Kapital der Prinzessinnen zu schützen und auszubauen wussten. Ein prominentes Beispiel stellt etwa Prinzessin Elisabeth Charlotte von der Pfalz (1652–1722) dar, die mehrere Jahre bei ihrer Tante Sophie von Hannover (1630–1714) verbrachte. Dass die Prinzen und Prinzessinnen am Hofe Herzog Ernsts im Hinblick auf die ersten Jahre des Unterrichts prinzipiell gleich behandelt wurden, dokumentieren die Instruktionen für die Erziehung und noch deutlicher die Protokolle über die regelmäßigen Prüfungen zu den Lernfortschritten.10 Erst mit dem Ende der Unterweisungen am heimischen Hof, etwa im Alter von 16 Jahren, setzte eine stärkere Differenzierung zwischen den Geschlechtern ein. Der Erbprinz Johann Ernst (1641–1657) und seine ein Jahr ältere Schwester Elisabeth Dorothea (1640–
9 Ebd., S. 78. Anders als Bärbel Raschke festgestellt hat, äußerte sich Seckendorff also sehr wohl zu den Reisen der Prinzen. Bärbel Raschke: Fürstinnenreisen im 18. Jahrhundert. Ein Problemaufriß am Beispiel der Rußlandreise Karolines von Hessen-Darmstadt 1773, in: Joachim Rees, Winfried Siebers u. Hilmar Tilgner (Hrsg.), Europareisen politisch-sozialer Eliten im 18. Jahrhundert. Berlin 2002 (Aufklärung und Europa, 6), S. 183–207, hier S. 190. Auffällig ist bei Seckendorff auch die prinzipielle Gleichsetzung zwischen Reise und auswärtigen Kriegsdiensten hinsichtlich des Erfahrungswertes. Vgl. dazu auch Holger Kürbis: Kavalierstouren des brandenburgischpreußischen Adels (1550–1750). Quantitative Überlegungen, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte 61 (2010), S. 60–82, hier S. 61 f. Ebenfalls mit dem Hinweis auf die prinzipielle Gleichrangigkeit beider Erfahrungsbereiche, auch unter dem Hinweis auf die oben zitierte Textstelle bei Seckendorff, Eva Bender: Ludwig Heinrich von Nassau-Dillenburg (1681–1710). Karrierestrategien für nachgeborene Prinzen, in: Leben in Leichenpredigten 06/2010, http://www. personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/ludwig-heinrichvon-nassau-dillenburg-1681-1710.html (zuletzt abgerufen am 19. April 2016). 10 Thüringisches Staatsarchiv Gotha (künftig ThStA Gotha), Geheimes Archiv, E III. 2. Hertzog Ernstens zu S. Gotha Fürst. Kinder Printz Joh: Ernstens, Fräulein Elisabethen Dorothen, Sophien und Johannen HzS p. Information betr. 1645. 1648. Sowie ebd. E III. 6a Protocolla, Deliberationes und darauf erfolgte Fürst. Verordnungen neben darzugehörigen Tabellen. Der Fürst. Kinder Information betreffendt. de Annis 1658.1660.1661.
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1709) wurden gemeinsam unterrichtet und geprüft.11 Auf der Rückseite eines undatierten Wochenplanes, der die Unterrichtseinheiten für die Prinzen Johann Ernst und Friedrich (1646–1691) verzeichnete, sind die Stunden vermerkt, die Elisabeth Dorothea gemeinsam mit Johann Ernst besuchen sollte.12 Wenngleich die archivalische Überlieferung hinsichtlich der Instruktionen für die Ausbildung und Erziehung der Prinzessinnen keineswegs den gleichen Umfang wie für die Prinzen erreichte, zeigt sie doch deutlich, dass die Bildung der Töchter keineswegs vernachlässigt oder dem Zufall überlassen wurde. Das heißt aber nicht, dass es keine Europareisen von Prinzessinnen oder Fürstinnen gegeben hätte, wenn auch nicht für das Gothaer Beispiel. Vermutlich kamen diese häufiger vor, als es die bisher in der Forschung thematisierte überschaubare Anzahl der bekannten Beispiele nahelegt.13 In diesen Fällen sind die Reisen durch Berichte oder zumindest Briefe dokumentiert.14 Unterschiede zu den Berichten der männlichen Adeligen hinsichtlich der textlichen Konventionen lassen sich nicht beobachten. Da die Prinzenreisen nicht nur Teil der standesgemäßen Ausbildung waren, sondern auch nicht unerhebliche Kosten verursachten, gehörte dazu die Dokumentation der Reise in einem Bericht, der über den Verlauf Rechenschaft ablegte. Entweder stammte dieser vom Prinzen oder einem seiner Begleiter, öfter liegen
11 Etwas später kamen dazu die 1643 geborene Sophia, die 1645 geborene Johanna und der 1646 geborene Friedrich. 12 ThStA Gotha, Geheimes Archiv, E III 6a (unfol.). Der Plan stammt vermutlich aus dem Jahr 1656 oder 1657. Neben Theologie und Deutsch kamen dazu Physica bei Hiob Ludolf Vndt einsweils drey stunden in der Historia Universalis bey H. Ludolffen, biß ihr ein eigener Autor, welchen der Hoff Inspector tractiren könte, erwehlet wird. Johann Ernst hatte daneben noch die Lektüre von Sallust und Florus, Grammatik und Exercitium styli sowie Französisch zu absolvieren. 13 Häufiger verwiesen wurde bisher auf die Reisen der Herzogin Anna Amalia von Sachsen-Weimar und der Markgräfin Wilhelmine von Brandenburg-Bayreuth. Vgl. Raschke: Fürstinnenreisen (wie Anm. 9). Hier bleibt allerdings unerwähnt, dass die Markgräfin Wilhelmine ihre Reise in Begleitung ihres Ehemannes absolvierte, was für die Interpretation nicht unwesentlich ist. Als weiteres prominentes Beispiel verweist Annette Cremer in ihrem Einleitungsbeitrag zu diesem Band auf die Reisen von Herzogin Sophie von Hannover. In der Forschung ist dieses Beispiel bisher kaum gewürdigt worden. 14 Vgl. für die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts: Joachim Rees/Winfried Siebers: Erfahrungsraum Europa. Reisen politischer Funktionsträger des Alten Reiches 1750–1800. Ein kommentiertes Verzeichnis handschriftlicher Quellen. Berlin 2005 (Aufklärung und Europa, Bd. 18). Aufgeführt sind unter 56 Reisen 6 Touren von Fürstinnen oder Prinzessinnen. Wie das Beispiel der Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth sind auch noch weitere Beispiele für Reisen von Fürstinnen mit ihren Ehemännern verzeichnet. Es hat den Anschein, dass diese aufwändige und sehr hilfreiche Publikation in der Forschung bisher keine entsprechende Aufmerksamkeit erfahren hat.
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auch beide Varianten vor. Da für die Prinzessinnen entsprechende Reisen nicht vorgesehen waren, fehlte hier der Grund für die Dokumentation oder aber die Dokumente wurden nicht aufbewahrt.
1 Quellen jenseits der Reiseberichte Auch wenn Reiseberichte im eigentlichen Sinne eher selten gewesen zu sein scheinen, ist zu prüfen, ob sich nicht in anderen Kontexten vergleichbare Aufzeichnungen finden lassen. Zu fragen ist zunächst, welche Quellen, die Auskünfte über die Reisen von Prinzessinnen geben, jenseits der Reiseberichte in Frage kämen. An erster Stelle stehen hierbei sicherlich vergleichbare Überlieferungen, etwa Tagebücher, die in Form der Schreibkalender in Einzelfällen vielfältige Informationen enthalten können.15 Für den Gothaer Hof lässt sich dieser Weg aufgrund der Überlieferungslage nicht beschreiten. Die noch vorhandenen Schreibkalender der ersten Gemahlin Herzog Friedrichs I. liefern hinsichtlich ihrer Reisen kein aufschlussreiches Bild.16 Ob sich eventuell, wie im Fall der älteren Schwester des Herzogs, Elisabeth Dorothea, die mit dem Landgrafen Ludwig VI. von HessenDarmstadt (1630–1678) vermählt war,17 an anderen Höfen eine entsprechende Überlieferung erhalten hat, ist unklar.18 Eine weitere Möglichkeit könnte in der Auswertung von Leichenpredigten bestehen. Zumindest für die Kavalierstouren
15 Prinzipiell zu den fürstlichen Schreibkalendern Helga Meise: Das archivierte Ich. Schreibkalender und höfische Repräsentation in Hessen-Darmstadt 1624–1790. Darmstadt 2002 (Arbeiten der Hessischen Historischen Kommission, N. F. 21). 16 Magdalena Sybilla (1648–1681), geborene Prinzessin von Sachsen-Weißenfels, 1669 vermählt mit Herzog Friedrich I. von Sachsen-Gotha. In der Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha (künftig UFB Erfurt/Gotha) sind neun Schreibkalender der Prinzessin überliefert: die Jahrgänge von 1663 bis 1670 und 1679. Insgesamt weisen alle Schreibkalender vergleichsweise wenige Einträge auf, eigene Reisen der Prinzessin sind nicht verzeichnet. Die Angaben zu fürstlichen Besuchern in Halle bzw. in Gotha sind sehr lückenhaft. 17 Zu den bereits in Gotha geführten Schreibkalendern Elisabeth Dorotheas vgl. Meise: Schreibkalender (wie Anm. 15), S. 347–356. 18 Die jüngere Schwester Herzog Friedrichs, Dorothea Maria (1654–1682) blieb unvermählt. Bisher konnten für sie keine überlieferten Schreibkalender ermittelt werden. Ob sich für die Töchter Herzog Friedrichs, Anna Sophie (1670–1728), vermählt mit Ludwig Friedrich I. von SchwarzburgRudolstadt, Dorothea Maria (1674–1713), vermählt mit Ernst Ludwig I. von Sachsen-Meiningen, Friederike (1675–1709), vermählt mit Johann August von Anhalt-Zerbst und Johanna (1680–1704), vermählt mit Adolf Friedrich II. von Mecklenburg-Strelitz, entsprechende Überlieferungen außerhalb Gothas erhalten haben, konnte bisher nicht ermittelt werden.
Besuche von Fürstinnen und Prinzessinnen am Gothaer Hof zwischen 1660 und 1756
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bilden diese eine gute Quellengrundlage.19 Für die Prinzessinnen und Fürstinnen selbst scheint dieser Weg, zumindest nach einigen Stichproben für die Gothaer Prinzessinnen jedoch nicht weiterführend zu sein. Gleichwohl hat Eva Bender auf das Potential dieser Quellengruppe verwiesen, etwa anhand des Beispiels mitreisender Hofdamen.20 Bei der Frage nach reisenden Prinzessinnen und Fürstinnen lässt sich die Perspektive auch umkehren, indem man von potentiellen Reisezielen oder -stationen ausgeht und die anwesenden hochadligen Frauen in den Blick nimmt. Dafür sind allerdings Quellen notwendig, die Auskunft über die Anwesenheit von Standesgenossen an einem Hof geben. Neben fürstlichen Schreibkalendern, die, wenn sie gründlich geführt wurden, einen detaillierten Aufschluss über Besucher des eigenen Hofes liefern können, kommen auch andere Quellen in Betracht. Diese unterscheiden sich allerdings für die einzelnen Höfe, insofern ist hier eine Prüfung relevanter Quellen für jeden Hof notwendig.21
19 Allgemein zur Leichenpredigt als Quelle für das Bildungsverhalten vgl. Ralf Berg: Leichenpredigten und Bildungsverhalten. Einige Aspekte des Bildungsverhaltens ausgewählter sozialer Gruppen, in: Rudolf Lenz (Hrsg.), Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften, Bd. 3. Marburg 1984, S. 139–162. Als Beispiel für eine umfangreiche Auswertung von Leichenpredigten hinsichtlich der Kavalierstouren Kürbis: Kavalierstouren (wie Anm. 9). Vgl. daneben für die Prinzenreisen Eva Bender: Thüringische Prinzen auf Reisen im 17. Jahrhundert, in: Eva-Maria Dickhaut (Hrsg.), Leichenpredigten als Medien der Erinnerungskultur im europäischen Kontext. Stuttgart 2014 (Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften, 5), S 217–236; dies.: Die Kavalierstour Ludwig Friedrichs I. von Schwarzburg-Rudolstadt im Spannungsverhältnis der Standeserhöhung, in: Eva-Maria Dickhaut (Hrsg.), Wohlgelebt! Wohlgestorben? Leichenpredigten in der Historischen Bibliothek der Stadt Rudolstadt. Stuttgart 2013 (Akademie der Wissenschaften und Literatur Mainz, Abhandlungen geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse 2013, 4), S. 51–63. 20 Vgl. Eva Bender: Elisabeth von Meysebug, geb. Robinson (1629–1681). Spiegel einer rechtTugend-edlen Matronen – Das Leben einer (un)gewöhnlichen Adligen?, in: Leben in Leichenpredigten 11/2013 unter http://www.personalschriften.de/leichenpredigten/artikelserien/artikelansicht/details/elisabeth-von-meysebug-geb-robinson-1629-1681.html (zuletzt abgerufen am 19. April 2016). 21 Für die wettinischen Höfe der albertinischen Linie sind die Hofdiarien eine ergiebige Quellengruppe. Vgl. dazu: Gabriele Henkel: Die Hoftagebücher Herzog Augusts von Sachsen-Weißenfels, in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 18 (1991), S. 75–114. Vergleichbare Quellen gibt es auch für andere Höfe, allerdings fehlt hier eine systematische Erfassung. Ähnlich den Hofdiarien geben beispielsweis am Berliner Hof die Zeremonialakten einen vergleichbaren Überblick über die Besucher des Hofes, allerdings nur für einen kurzen Zeitraum. Johann von Besser (1654–1729): Schriften. Bd. 3: Ceremonial-Acta, hrsg. von Peter-Michael Hahn, bearb. von Vinzenz Czech und Holger Kürbis. Heidelberg 2009.
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2 Fourierbücher als Quellen Für die vorliegenden Betrachtungen wurden mit den Fourierbüchern und den Kammerrechnungen zwei andere Quellengruppen herangezogen, die auf den ersten Blick nichts mit den Reisen zu tun haben. So wurden im Hinblick auf die fürstlichen Besucherinnen des Gothaer Hofes die Fourierzettel und Fourierbücher ausgewertet. Für die Reisen der Gothaer Prinzessinnen wurden die Schreibkalender der Herzöge Friedrich I. und Friedrich II. (1676–1732) und stichprobenartig die Kammerrechnungen analysiert. Mit den Fourierbüchern liegt für den Gothaer Hof eine Quelle vor, die die Besucherstruktur sehr exakt abbildet.22 Analog dazu können auch die Fourierzettel (siehe unten) herangezogen werden, die allerdings in der Regel nur lückenhaft überliefert sind. Der Gothaer Hof dient hier als Beispiel, da er als typischer Vertreter eines mittleren frühneuzeitlichen Fürstenhofes gelten kann. Er dürfte damit durchaus repräsentativ für die Mehrzahl der Fürstenhöfe des Alten Reiches sein. Der Betrachtungszeitraum ergibt sich zum einen aus der Überlieferungslage. Die Fourierbücher wurden in Gotha ab 1694 geführt. Durch die Auswertung von Fourierzetteln23 und der Tagebücher Herzog Friedrichs I.24 lässt sich der Untersuchungszeitraum noch etwa dreißig Jahre nach vorn verlegen. Zum anderen, spätestens mit dem Siebenjährigen Krieg, wandelte sich die Bedeutung der mittleren Fürstenhöfe. Das zeigte sich in der abnehmenden
22 Vgl. dazu ausführlich: Holger Kürbis: Fourierzettel und Fourierbücher für den Gothaer Hof (1664 bis 1756) als Quelle der Hofkulturforschung, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte 68 (2014), S. 79–104. Für den Hof Ernsts II. von Sachsen-Gotha-Altenburg vgl. Roswitha Jacobsen: Höfische Kultur im Aufklärungszeitalter. Die Tafel als Medium herrschaftlicher Repräsentation am Gothaer Hof Ernsts II., in: Werner Greiling, Andreas Klinger/Christoph Köhler (Hrsg.), Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg. Ein Herrscher im Zeitalter der Aufklärung. Köln/Weimar/Wien 2005 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen, Kleine Reihe, Bd. 15), S. 169–184. Die Fourierbücher für den Gothaer Hof liegen für den Zeitraum von 1694 bis 1905 vor. Sie befinden sich im Bestand des Oberhofmarschallamtes, allerdings ist der Bestand geteilt. Die Jahrgänge 1694 bis 1825 befinden sich als Leihgabe des ThStA Gotha unter der Signatur Nr. 681c in der UFB Erfurt/Gotha. Die Bände für Sachsen-Coburg von 1812 bis 1826 und Sachsen-Coburg und Gotha jeweils für Coburg und Gotha von 1826 bis 1905 liegen im ThStA Gotha. Sowohl die Bestände des Archivs als auch der Bibliothek wurden im Rahmen der Bestandssicherung verfilmt und digitalisiert. Zugänglich unter: http://archive.thulb.uni-jena.de/staatsarchive/servlets/solr/ archive_default?q=component.top:%229ecd1bfb-0d95-4a81-94c5-9c301fa2b60b%22 (zuletzt abgerufen am 26. April 2016). 23 Fourierzettel für den Gothaer Hof finden sich in einigen Bänden mit Hofhaltungssachen im Bestand der UFB Erfurt/Gotha, u. a. Chart. A 1105, Chart. A 1106, Chart. A 1414. 24 Friedrich I. von Sachsen-Gotha und Altenburg. Tagebücher 1667–1686, bearb. von Roswitha Jacobsen unter Mitarbeit von Juliane Brandsch, 3 Bde. Weimar 1998–2003 (Veröffentlichungen aus den thüringischen Staatsarchiven, 4/1–4/3).
Besuche von Fürstinnen und Prinzessinnen am Gothaer Hof zwischen 1660 und 1756
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politischen Relevanz der entsprechenden Territorien, spiegelte sich aber auch in der Besucherstruktur. Die Fourierbücher bestehen aus Listen, die die Personen an der fürstlichen Tafel und den Beitafeln für die Mittags- und Abendmahlzeit eines jeden Tages verzeichneten. Daneben wurden auch die Personen aufgelistet, die ebenfalls über diese Tafeln versorgt wurden, auch wenn sie nicht daran saßen. Ausnahmen der Aufzeichnungspraxis gab es nur bei Abwesenheit des Fürsten und der Fürstin. In diesen Fällen wurde das Residenzschloss in der Regel allerdings auch nicht besucht. Theoretisch gibt es für jedes Jahr, entsprechend den Quartalen, vier Bände, allerdings gerade für die frühen Jahre mit einigen Lücken. Auch für einige weitere wettinische Höfe der ernestinischen Linie25 und den Hof der Schwarzburger in Rudolstadt26 liegen Fourierbücher vor. Das Vorbild für die Führung der entsprechenden Aufzeichnungen war sehr wahrscheinlich in allen Fällen der Gothaer Hof. Entweder gab es einen Austausch höfischer Amtsträger (Rudolstadt) oder es bestand zur Zeit der Einführung der Fourierbücher eine Vormundschaftsregierung durch den Gothaer Hof (Weimar) oder ein enger familiärer Kontakt (Meiningen). Für weitere Höfe konnten bisher keine Bestände ermittelt werden. Die Fourierbücher enthalten eine Vielzahl an Informationen. Es lassen sich der Name und der Rang der an der fürstlichen Tafel anwesenden Personen sowie der Zeitraum der Anwesenheit entnehmen. In der Regel sind daneben der Ort der Tafel und häufig Angaben zum ersten Empfang verzeichnet. Nicht systematisch sind weiterhin abwesende Angehörige des Hofes, Beförderungen und Todesfälle erfasst. In einigen Fällen finden sich auch Trauerordnungen, Aufzeichnungen zur Rezeption der Gesandten, selten Festbeschreibungen. Keine Aussagen sind möglich zum Grund und Ablauf des Aufenthaltes. Neben den Listen für die Tafeln enthalten die Fourierbücher auch Abschriften von Fourierzetteln, mit denen sich die Besucher am Gothaer Hof anmeldeten. Diese geben Auskunft über die Anzahl der ankommenden Personen, deren Stand und die Anzahl der Pferde. Die Fourierbücher dienten vermutlich als Organisationsinstrument für die Hofverwaltung. Sie gestatteten eine bessere und systematische Übersicht über die tatsächlich versorgten Personen. Weiterhin dienten sie als Referenzwerk, etwa hinsichtlich des Empfangs von Gesandten oder der Platzierung an der Tafel.
25 Das betrifft die Höfe in Meiningen (1744–1918), Weimar (1748–1918), Altenburg (1805–1919). 26 Die Überlieferung für Rudolstadt reicht von 1721 bis 1911. Die erste systematische Beschäftigung mit den Fourierbüchern vgl. Vinzenz Czech: Legitimation und Repräsentation. Zum Selbstverständnis sächsisch-thüringischer Reichsgrafen in der frühen Neuzeit. Berlin 2003 (Schriften zur Residenzkultur, Bd. 2), besonders S. 324–333.
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Aus der Referenzfunktion der Fourierbücher resultierte vermutlich auch deren Archivierung. Für den Gothaer Hof gibt es etwa im Hinblick auf zeremonielle Fragen keine andere Überlieferung. Als Hilfsmittel für die Auswertung der fürstlichen Besucher am Gothaer Hof wurden drei Kategorien gebildet: erstens „Familie“: Eltern, Kinder, Ehepartner, Schwiegereltern, Geschwister der Eltern, deren Kinder; zweitens „dynastische Verwandtschaft“: alle Angehörigen der Häuser, zu denen familiäre Beziehungen bestanden und die nicht unter „Familie“ erfasst wurden, auch wenn es in der aktuellen Generation keine Eheverbindungen gab; drittens „keine Verwandtschaft“: keine nachweisbaren Beziehungen. Gerade die beiden ersten Kategorien lassen sich nicht immer sauber trennen. Gleichwohl sind sie der besseren Übersicht halber hier beibehalten worden.
3 Besucherinnen auf Schloss Friedenstein Das Bild, das sich für die Besuche von Prinzessinnen und Fürstinnen ergibt, die allein oder in Gruppen den Gothaer Hof besuchten,27 entspricht in etwa der Struktur der fürstlichen Besucher insgesamt.28 Auffällig ist der hohe Anteil an Familienbesuchen, der bei den weiblichen Gästen noch deutlich ausgeprägter war. Von insgesamt 148 Besuchen von Prinzessinnen und Fürstinnen zwischen 1661 und 1750 entfielen 101 auf die Kategorie „Familie“, 41 auf die Kategorie „dynastische Verwandtschaft“ und nur 6 auf die Kategorie „keine Verwandtschaft“. Die Hälfte der Besuche nichtverwandter Fürstinnen absolvierte die Gräfin Concordia von Schwarzburg-Arnstadt (1648–1683).29 Eine Visite entfiel auf Gräfin Sophia Dorothea von Schwarzburg-Arnstadt (gest. 1685).30 Die zwei übrigen Besuche unternahmen zwei nicht identifizierte Prinzessinnen von Holstein. Die genannten 148 Besuche verteilten sich auf 44 unterschiedliche Personen. Davon lassen sich 22 der engeren Familie, 18 der weiteren dynastischen Verwandtschaft zuordnen, während zu 4 kein verwandtschaftliches Verhältnis bestand. Die Aufenthaltsdauer der Besucherinnen war abhängig vom Grund ihrer Anwesenheit. In der Regel fielen die Visiten eher kurz aus. Den wohl kürzesten Besuch absolvierte
27 Vgl. Abb. 1. 28 Vgl. dazu Kürbis: Fourierbücher (wie Anm. 22), S. 91–97. 29 Geborene Gräfin von Sayn-Wittgenstein (1648–1683), vermählt mit Ludwig Günther II. von Schwarzburg-Sondershausen (1621–1681). 30 Geborene Gräfin von Mörsburg (gest. 1685), verwitwete Gräfin von Arnstadt, vermählt mit Christian Günther II. von Schwarzburg-Sondershausen (1616–1666).
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die Pfalzgräfin bei Rhein Elisabeth Amalia Magdalena, geborene Prinzessin von Hessen-Darmstadt (1635–1709), Schwester des Landgrafen Ludwig, der mit der Schwester Herzog Friedrichs I. vermählt war. Am 25. August 1669 weilte sie für drei Stunden auf Schloss Friedenstein, was gerade für das Mittagsmahl reichte.31 Anna Sophia (1670–1728), die Tochter Friedrichs I., 1691 vermählt mit dem Grafen von Schwarzburg-Rudolstadt, hielt sich im Durchschnitt zwischen vier und fünf Tagen auf. Die insgesamt übliche Aufenthaltsdauer lag zwischen einem und zwei Tagen. Längere Aufenthalte waren die Ausnahme. Das traf in dieser Form für alle fürstlichen Besucher zu. Auch für die anderen Residenzen des Herzogtums lassen sich anhand der Fourierbücher einzelne Besuche von Fürstinnen nachweisen. Für Altenburg sind zwischen 1718 und 1742 wenigstens acht Besuche belegbar.32 Davon können vier der „Familie“, die übrigen der „dynastischen Verwandtschaft“ zugeordnet werden. Die Besuche erfolgten alle während der in Altenburg abgehaltenen Landtage und der Anwesenheit des Herzogs. Auch für die Nebenresidenz in Ichtershausen sind einzelne Besuche ermittelt worden.33 Hier waren es allerdings nur fünf, einer entfiel auf die „Familie“, die vier anderen auf die „dynastische Verwandtschaft“.
31 Jacobsen: Tagebücher (wie Anm. 24), Bd. 1, S. 101. 32 Für die Aufenthalte in der Residenz Altenburg liegen einige Fourierbücher vor, die über die Tafeln während der Anwesenheit des Herzogs Auskunft geben. Die hier angegebenen Laufzeiten beziehen sich nicht auf die permanente Anwesenheit des Herzogs. Die Aufenthalte dauerten in der Regel nur wenige Wochen. In den Aufzeichnungen sind jeweils mehrere Zeiträume dokumentiert. Siehe unter UFB Erfurt/Gotha die Fourierbücher für Altenburg 1715 bis 1750. 33 UFB Erfurt/Gotha Fourierbuch für Ichtershausen 1733 bis 1736. Fourierbuch für Ichtershausen und Friedrichswerth 1736 bis 1738. Fourierbuch für Ichtershausen und Friedrichswerth 1745 bis 1755.
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Anzahl der Besuche
30 25 20
keine dynastische Verwandtschaft
15
dynastische Verwandtschaft
10 5
Familie
0
Zeitraum
Abb. 1: Besuche von Fürstinnen und Prinzessinnen auf Schloss Friedenstein 1661–1750.
Insgesamt ist hinsichtlich des Besuchsaufkommens am Gothaer Hof ein eindeutiger Abwärtstrend erkennbar. Eine weitere Sichtung der Fourierbücher für die späteren Jahre ergab zwischen 1768 und 1773 nochmals einen kurzzeitigen Gegentrend, danach fiel das Besuchsaufkommen wieder ab. Neben den Schwankungen im Hinblick auf den Umfang der Familie spielten auch andere Faktoren eine Rolle. So war etwa Friedrich I. in den Jahren zwischen 1687 und 1691 durch Reisen und Feldzüge häufig abwesend. Im Fall Friedrichs II. scheint für die letzten Jahre seiner Regierung das Alter bzw. die Gesundheit mit ein Grund für den Rückgang der Besuche gewesen zu sein. Für die erste Hälfte der Regierung Friedrichs III. (1699–1772) kam neben der kleineren Familie wahrscheinlich noch ein anderer Aspekt hinzu, der in der schwindenden politischen Bedeutsamkeit der mittleren Fürstentümer zu suchen sein könnte.34 Auf der Grundlage der überlieferten Fourierzettel lässt sich auch der Umfang des Reisehofstaates der Fürstinnen und Prinzessinnen recht zuverlässig ermitteln. Sie reisten in jedem Fall mit der Kutsche. Der Umfang des Reisehofstaates schwankte. Bei alleinreisenden Prinzessinnen bewegte er sich zwischen 7 und 10 Personen, bei Fürstinnen zwischen 9 und 15 Personen. Waren mehrere fürstliche Frauen gemeinsam unterwegs, stieg die Zahl der begleitenden Personen teilweise recht deutlich. Einige Beispiele sollen das illustrieren. Die im Jahre 1712 während ihrer Anwesenheit auf Schloss Friedenstein verstorbene Herzogin Sophia Maria
34 Vgl. Kürbis: Fourierbücher (wie Anm. 22), S. 95–97.
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von Sachsen-Eisenberg (1661–1712)35 besuchte zwischen 1703 und 1712 wenigstens viermal den Gothaer Hof. Die Reisen absolvierte sie jeweils in Begleitung von 15 Personen.36 Die Spitzenposition unter den weiblichen Gästen dürfte vermutlich die Herzogin Anna Sophie von Schwarzburg-Rudolstadt einnehmen, die zwischen 1693 und 1727 wenigstens 29 Besuche, natürlich nicht immer allein, abstattete.37 Im Jahre 1715 reiste sie allein mit zehn Personen.38 Gleichfalls mit zehn Personen war die Prinzessin Sophie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt (1694–1776) im Jahre 1716 unterwegs.39 Bei ihrem zweiten Aufenthalt im selben Jahr begleiteten sie sieben Personen.40 Im Jahre 1723 reiste die Herzogin von Schwarzburg-Rudolstadt zusammen mit drei Prinzessinnen, Dorothea Sophia (1706–1737), Luise Friederike (1706–1787) und Emilie Juliana (1699–1774), begleitet von 23 Personen.41 Einen zweiten Aufenthalt im selben Jahr zusammen mit Prinzessin Emilie Juliana absolvierte sie mit 13 Personen.42
4 Reisende Prinzessinnen aus Gotha Um den Reisen der Gothaer Prinzessinnen und Herzoginnen auf die Spur zu kommen, ist ein anderer Weg beschritten worden. Zunächst sind die Tagebücher Herzog Friedrichs I. ausgewertet worden. Wie seine eigenen Reisen, so verzeichnete er auch die auswärtigen Aufenthalte seiner Schwester Dorothea Maria. Diese unternahm zwischen 1671 und 1681 sieben Reisen. Mit Ausnahme eines Besu-
35 Geborene Prinzessin von Hessen-Darmstadt (1661–1712), 1681 vermählte sich Herzog Christian von Sachsen-Eisenberg (1653–1707) in zweiter Ehe mit ihr. 36 UFB Erfurt/Gotha Fourierbuch 1703 (III), 24. August, Fourierzettel fol. 59r, Fourierbuch 1708 (I), 11. Mai, Fourierzettel fol. 81v, Fourierbuch 1711 (III), 30. August, Fourierzettel fol. 125v, Fourierbuch 1712 (III), 13. August, Fourierzettel fol. 115r. Für Herzog Christian von Sachsen-Eisenberg sind nach 1689 keine Besuche mehr nachweisbar. 37 Es ist also keineswegs der Fall, dass Reisen an den elterlichen Hof negativ belegt waren, wie das Beispiel Bärbel Raschkes für Karoline von Hessen-Darmstadt nahelegt. Raschke: Fürstinnenreisen (wie Anm. 9), S. 195. Als weiteres Beispiel für mehrfache Reisen an den elterlichen Hof vgl. etwa die Kurfürstin/Königin Sophie Charlotte von Brandenburg-Preußen. Definitiv belegen lassen sich Besuche in Hannover für die Jahre 1690, 1691, 1698, 1699, 1703, 1704, 1705. Vgl. Johann von Besser: Schriften. Bd. 3: Ceremonial-Acta (wie Anm. 23), S. 10, S. 42, S. 81, S. 120, S. 161, S. 185, S. 206. 38 UFB Erfurt/Gotha Fourierbuch 1715 (II), 23. März, Fourierzettel fol. 14r. 39 Ebd., Fourierbuch 1716 (I), 4. März, Fourierzettel fol. 87v. 40 Ebd., Fourierbuch 1716 (II), 21. März, Fourierzettel fol. 18r. 41 Ebd., Fourierbuch 1723 (III), 19. Juni, Fourierzettel fol. 38r. 42 Ebd., Fourierbuch 1723 (IV), 27. Oktober, Fourierzettel fol. 34r.
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ches in Darmstadt beschränkten sich die kurzen Touren auf das nähere regionale Umfeld. Allein absolvierte die Prinzessin zwei Reisen. Im Jahre 1676 war sie für einige Tage allein in Ichtershausen, innerhalb des Territoriums von SachsenGotha. Im Jahre 1681 reiste sie nach Eisenach. Die fünf anderen Reisen führten sie entweder zusammen mit der älteren Schwester oder einem der Brüder nach Darmstadt, Arnstadt, Weimar, Jena, Eisenach und Saalfeld. Für die Töchter Herzog Friedrichs I. lassen sich anhand seiner Tagebücher zunächst vergleichsweise wenige Reisen belegen. Diese führten auch wieder in das regionale Umfeld. Für die älteste Tochter, Anna Sophia (1670–1728), lassen sich zwei Reisen belegen. 1684 reiste sie zusammen mit ihrer jüngeren Schwester Dorothea Maria (1674–1713) nach Leipzig und Zeitz und allein im Jahre 1686 nach Eisenach. Für das Jahr 1697 liegt mit dem einzigen überlieferten Schreibkalender Herzog Friedrichs II. eine den Tagebüchern seines Vaters sehr ähnliche Quelle vor.43 Der Herzog verzeichnete die Reisen seiner Schwestern im Verlaufe dieses Jahres. So reiste Dorothea Maria zweimal nach Rudolstadt, einmal zusammen mit ihrer Schwester Friederike (1675–1709), daneben besuchte sie einmal das Schloss Rahtsfeld im eigenen Territorium. Friederike reiste allein nach Bad Ems. Die jüngste Schwester Johanna (1680–1704) begab sich einmal über Stadt Ilm nach Rudolstadt. Da es zu den Reisen der Gothaer Prinzessinnen keine überlieferten Aufzeichnungen gibt, stellt sich die Frage nach weiteren Quellen, die deren Abwesenheit aus der Residenz dokumentieren könnten. Dabei zeigte sich, dass die friedensteinischen Kammerrechnungen zumindest über den Umstand der Reise und in der Regel auch über das jeweilige Reiseziel Informationen liefern können. Darüber hinaus lassen sich mit Hilfe der Rechnungen Fragen zur Finanzierung der Reisen beantworten. Stichprobenartig wurde für den Zeitraum von 1686 bis zum Jahr 1703 eine Auswertung sowohl für das Deputat der Prinzessinnen sowie für die Reisekosten vorgenommen. Im Jahre 1686 enden die überlieferten Tagebuchaufzeichnungen Herzog Friedrichs I. und zwischen 1702 und 1704 vermählten sich die drei jüngsten Töchter des Herzogs. Die älteste Tochter Herzog Friedrichs II. wurde im Jahre 1697 geboren, verstarb allerdings 1703. Eine 1712 geborene Prinzessin erreichte ihr erstes Lebensjahr nicht. Erst 1715 wurde die nächste Prinzessin geboren. Die friedensteinische Kammer war die Hauptkasse des Herzogtums. Wenngleich ab 1691 die Kriegskasse hinzu kam, aus der in späteren Jahren auch
43 Das Manuskript befindet sich in der UFB Erfurt/Gotha, Chart. B 1468. Holger Kürbis, Der Schreibkalender des Herzogs Friedrich II. von Sachsen-Gotha-Altenburg auf das Jahr 1697. Kommentar und Edition, in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten, 43 (2016), H. 2, S. 157–194.
Besuche von Fürstinnen und Prinzessinnen am Gothaer Hof zwischen 1660 und 1756
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Ausgaben für den Hof getätigt wurden, fielen für den betrachteten Zeitraum alle Ausgaben in die Zuständigkeit der Kammer. Die Reiseziele der Gothaer Prinzessinnen und der Herzoginnen unterscheiden sich zwischen 1686 und 1703 insgesamt nicht wesentlich von dem auf der Grundlage der Schreibkalender ermittelten Befund.44 Im Verlauf der 33 hier betrachteten Jahre unternahmen die Herzoginnen und die Prinzessinnen entweder allein oder in Gruppen, aber ohne den Herzog, 68 Reisen. Die Mehrzahl der Besuche erfolgte bei Angehörigen der Familie oder der dynastischen Verwandtschaft. So entfielen allein zwanzig Besuche auf den Hof in Rudolstadt und fünf Besuche auf den Zerbster Hof.45 Die Aufenthalte in den anderen Residenzen bzw. Lust- und Jagdschlössern des eigenen Territoriums konzentrierten sich auf Altenburg mit jeweils zwölf Besuchen. Von den weiteren auswärtigen Aufenthalten führten etwa vier in unterschiedliche Bäder46 und im Jahre 1700 reiste die Herzogin nach Leipzig.47 Sowohl die Herzogin als auch die Prinzessinnen erhielten ein in der Regel quartalsweise ausgezahltes Deputat. In seinem Testament aus dem Jahre 1654 hatte Herzog Ernst ein Deputat für seine Töchter festgesetzt. Ab dem 16. Lebensjahr sollten sie 350 und ab dem 18. Lebensjahr jährlich 500 Gulden erhalten. Daraus sollten die für sich und die Bedienten notwendigen Ausgaben bestritten werden. Das von Friedrich I. seinen Töchtern gezahlte Deputat war deutlich höher, es belief sich auf 171 Reichstaler und 9 Groschen im Quartal.48 Gesonderte
44 Vgl. Abb. 2. 45 Im Jahre 1689 reiste die Gemahlin Herzog Friedrichs I., Christina (1645–1705), geborene Prinzessin von Baden-Durlach, verwitwete Markgräfin von Brandenburg-Ansbach, nach Zerbst. Im Jahre 1695 besuchte die Prinzessin Dorothea Maria den Zerbster Hof. Jeweils im Herbst 1697 und 1699 besuchte die Herzogin Magdalena Auguste (1679–1740), geborene Prinzessin von Anhalt-Zerbst, den heimischen Hof und 1703 reiste die Herzogin mit den Prinzen und Prinzessinnen ebenfalls nach Zerbst. ThStA Gotha, Friedensteinische Kammerrechnungen 1688/1689, 1699/1700 und 1702/1703. 46 Herzogin Christina von Sachsen-Gotha-Altenburg brach am 7. Mai 1686 aus Gotha auf und reiste über Ansbach, Stuttgart und Durlach zur Sauerbrunnenkur nach Teinach-Zavelstein. Die Rückkehr erfolgte am 3. August. Vgl. Jacobsen: Tagebücher (wie Anm. 24), Bd. 2, S. 439 und S. 456 und ThStA Gotha, Friedensteinische Kammerrechnungen 1685/1686. Im Jahre 1691 reisten die Herzogin und die drei Prinzessinnen nach Wildungen. 1695 und 1697 begab sich Prinzessin Friederike nach Ems. ThStA Gotha, Friedensteinische Kammerrechnungen 1690/1691, 1694/1695 und 1697/1698. Vgl. auch den Schreibkalender Herzog Friedrichs II. 1697 (wie Anm. 43). 47 Im August reiste die Herzogin Magdalena Auguste (1679–1740), geborene Prinzessin von Anhalt-Zerbst, nach Leipzig. ThStA Gotha, Friedensteinische Kammerrechnungen 1699/1700. 48 Die drei Prinzessinnen Dorothea Maria, Friederike und Johanna erhielten jeweils dieselbe Summe. Die 1691 verwitwete Herzogin, die ihren Witwensitz in Altenburg hatte, erhielt im Quar-
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Rechnungen, wofür dieses Geld aufgewendet wurde, konnten bisher nicht ermittelt werden. Die Prinzessinnen mussten aus diesen Einnahmen allerdings nicht ihre Reisekosten bestreiten. Auf erfolgte Rechnung wurden diese von der Kammer beglichen. Die Kosten unterschieden sich nach Dauer und Ziel der Reise. Die Ausgaben für die gewöhnlichen Reisen innerhalb des eigenen Territoriums oder an die Höfe im regionalen Umfeld lagen in der Regel deutlich unter 100 Reichstaler. Für den hier betrachteten Zeitraum sticht allein die Reise Prinzessin Friederikes ins Emser Bad heraus.49 Da die Reisekosten aus der herzoglichen Kammer bestritten wurden, ist die Annahme naheliegend, dass die längeren oder kürzeren Reisen der Prinzessinnen wohl in der Regel vorher durch den Herzog, entweder den Vater oder regierenden Bruder, genehmigt wurden. Allerdings lässt sich das bisher nicht eindeutig belegen.50 Jedoch unternahm die herzogliche Familie die Mehrzahl der Bäderreisen zusammen. In einigen Fällen liegen auch für diese gemeinsamen Aufenthalte Fourierbücher vor, die den Kontakt mit anderen adeligen Personen dokumentieren.51 Die Sozialstruktur der Besucher dort ist nicht gänzlich identisch mit der der Gäste auf Schloss Friedenstein, wenngleich Überschneidungen zu beobachten sind. Der größte Teil der Kontakte entfiel auf gräfliche Gäste; Zusammentreffen mit Fürsten waren eher eine Ausnahme.52
tal 571 Reichstaler und 9 Groschen. Die Herzogin erhielt 371 Reichstaler und 9 Groschen. Vgl. ThStA Gotha, Friedensteinische Kammerrechnungen 1695/1696. 49 Für die Reise und den Aufenthalt vom 24. Mai bis 7. Juli 1697 weist die Rechnung einen Betrag von 1086 Reichstaler, 20 Groschen und 7 Denar aus. Dazu kamen noch 31 Reichstaler und 9 Groschen für die Aufwartung des Kochs. ThStA Gotha, Friedensteinische Kammerrechnungen 1696/1697 und 1697/1698. Als Vergleich: Die Prinzenreise Friedrichs I. von Sachsen-Gotha in den Jahren 1667 und 1668 nach Frankreich und Italien kostete 7114 Reichstaler, 16 Groschen und 8 Denar. ThStA Gotha, Geheimes Archiv, Kammerimmediate 1747, fol. 18r. 50 Das trifft auch auf die Reisen der Prinzen zu. Zwar unterlagen die Prinzenreisen eindeutig der Genehmigung durch den Herzog, ob das auch für die kleineren Touren galt, lässt sich ebenfalls nicht belegen. 51 Für die Aufenthalte im Carlsbad liegen zwei Fourierbücher vor, UFB Erfurt/Gotha Fourierbuch für Carlsbad 1713, 1717, 1721 und Fourierbuch für Carlsbad 1725, 1731, 1737. 52 Im Jahre 1713 waren unter den 17 Anwesenden an der herzoglichen Tafel 4 Fürstinnen. Es handelte sich um die Herzogin Dorothea Sophie von Mecklenburg-Strelitz (1692–1765), geborene Prinzessin von Holstein-Plön, vermählt mit Herzog Adolf Friedrich III., weiterhin eine Fürstin von Nassau, eine Prinzessin von Schwarzburg-Sondershausen und die Fürstin Magdalena Sophie von Schönburg-Hartenstein (1680–1751), geborene Prinzessin von Schwarzburg-Sondershausen, vermählt mit Graf Georg Albrecht von Schönburg-Hartenstein. Die anderen Personen verteilten sich auf unterschiedliche gräfliche Geschlechter. Während des Aufenthaltes im Jahre 1717 fanden sich an fürstlichen Personen der Erbprinz und die Erbprinzessin sowie eine weitere Prinzessin von Anhalt-Zerbst. 1721 waren keine fürstlichen Personen vertreten. 1725 fanden sich der Prinz Karl Friedrich von Sachsen-Meiningen und die Markgräfin Christiane Charlotte von
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Abschließend stellt sich die Frage, wie sich die Abnahme der Besuchszahlen auf Schloss Friedenstein im Lauf des 18. Jahrhunderts erklären lassen könnte. Vielleicht kam es einem allgemeinen Wandel innerhalb der höfischen Besucherkultur, die sich von gegenseitigen Besuchen zu Treffen an dritten Orten, wie sie etwa die Leipziger oder Frankfurter Messe oder die Heilbäder darstellten, verschob. Es ist nicht nachweisbar, dass der Besuch der Bäder und die dortigen Kontakte einen signifikanten Einfluss auf die Besucherzahl und -struktur auf Schloss Friedenstein hatte. Es gibt keine Anhaltspunkte für einen kausalen Zusammenhang zwischen den Bäderreisen und dem Ausbleiben von Visiten in der Gothaer Residenz. Auch scheinen die fürstlichen Korrespondenzen die Besuche nicht ersetzt, sondern nur flankiert zu haben, und wurden dann als eigenständiges Kontaktmedium fortgeführt. Die Gothaer Herzöge korrespondierten mit einer Vielzahl an Personen ihres Standes. Dabei zeigen sich ebenfalls keine gravierenden Unterschiede, besonders im Hinblick auf die häufigeren Briefpartner/-innen im Vergleich zu Rang und Status der oben aufgezeigten Besucherstruktur.53
Brandenburg-Ansbach (1694–1729), geborene Prinzessin von Württemberg-Winnental, vermählt mit Markgraf Wilhelm Friedrich, an der Tafel ein. 1731 gab es wieder keine fürstlichen Gäste und im Jahre 1737 saß Herzog Johann Adolf von Sachsen-Weißenfels (1685–1746), der seit 1734 mit Friederike von Sachsen-Gotha (1715–1775) vermählt war, an der Tafel. 53 Eine Auswertung der von Herzog Friedrich I. für die Jahre 1669 bis 1673 in seinen Tagebüchern verzeichneten eingehenden und ausgehenden Korrespondenz mit fürstlichen Personen lieferte folgendes Bild: Von den 348 verzeichneten eingehenden Schreiben entfielen 177 auf die „Familie“, 117 auf die „dynastische Verwandtschaft“ und 54 auf die Gruppe „keine verwandtschaftlichen Beziehungen“. Von den 310 ausgehenden Briefen entfielen 166 auf die „Familie“, 98 auf die „dynastische Verwandtschaft“ und 46 auf die Gruppe „keine verwandtschaftliche Beziehungen“. Vgl. dazu auch Kürbis: Fourierbücher (wie Anm. 22), S. 97 f.
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40 35
Anzahl der Reisen
30 25
Sonstige
20 15
Familie/dynastische Verwandtschaft
10
Altenburg/Lustschlösser
5 0
1671 –1681
1682 –1692
1693 –1703
Zeitraum
Abb. 2: Reisen der Prinzessinnen und Herzoginnen von Sachsen-Gotha-Altenburg 1671–1703.
Abb. 3: Mobilitätsradius der Prinzessinnen und Herzoginnen von Sachsen-Gotha-Altenburg.
Besuche von Fürstinnen und Prinzessinnen am Gothaer Hof zwischen 1660 und 1756
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5 Fazit Zwei Aspekte lassen sich für die Besuche von Prinzessinnen und Fürstinnen am Gothaer Hof festhalten: Zum einen können sie fast ausschließlich der Familie bzw. der dynastischen Verwandtschaft zugeordnet werden. Besuche nichtverwandter hochadliger Frauen waren eine Ausnahme. Daraus ergibt sich, wie bei den Besuchen insgesamt, dass der stärkste Bezugspunkt die eigene Dynastie war. Dieses Ergebnis hat Konsequenzen für das Verständnis der historischen Forschung von der höfischen Öffentlichkeit und der zeitgenössischen höfischen Repräsentation. Offenbar war der faktische Adressatenkreis – zumindest für das hier untersuchte Fallbeispiel des Gothaer Hofes – überschaubarer als bisher angenommen. Vor diesem Hintergrund könnten die großen kurfürstlichen Höfe, die als Besuchsmagneten fungierten, eine Ausnahme dargestellt haben. Aber auch diese These wäre empirisch zu prüfen. Zum anderen wird deutlich, dass die Reisen der hochadligen Frauen anhand der vorgestellten Auswertung für das Beispiel Sachsen-Gotha einen regionalen Schwerpunkt hatten. Dieser Aspekt trifft aber jenseits der Kavalierstour auch auf die Reisen der Prinzen und Fürsten zu. Neben den großen Reisen, die in der Regel eine einmalige Angelegenheit waren, überwogen auch hier die vielen regionalen Reisen. Große oder ausgedehnte Unternehmungen durch Frankreich oder Italien kamen für die Prinzessinnen, vielleicht auch aus Sorge um die Gefährdung der Jungfräulichkeit, zumindest weniger in Betracht. Ergiebiger könnte die Recherche im Hinblick auf die verwitweten Fürstinnen ausfallen, wenngleich hier die finanzielle Versorgung der Witwenausstattung eine wesentliche Beschränkung dargestellt haben mochte.54 Ähnlich wie die Fürsten und Prinzen waren auch die Fürstinnen und Prinzessinnen im regionalen Umkreis häufig unterwegs. Reisen erfolgten gemeinsam oder getrennt. Auch die fürstlichen Kinder bewegten sich innerhalb des Territoriums oder in der regionalen Umgebung häufig allein oder in kleineren Gruppen. Lediglich im Hinblick auf den Ausbildungscharakter der Prinzenreisen scheint es signifikante Unterschiede zu den Reisen der Prinzessinnen gegeben zu haben. Hier findet sich – zumindest formal – keine Entsprechung.
54 Der finanzielle Aspekt der Reisen wird oft vergessen, etwa bei Raschke: Fürstinnenreisen (wie Anm. 9). Das ebenfalls von Raschke hervorgehobene vergleichsweise hohe Reisealter der Fürstinnen sollte nicht überbewertet werden. Ebd. 189. Es gibt auch andere Beispiele: Sophie von Hannover war bei Antritt ihrer Italienreise 34 Jahre alt. Das gesundheitliche Risiko aufgrund des Alters dürfte eher eine untergeordnete Rolle gespielt haben. Auch junge Prinzen oder Adlige auf ihren Kavalierstouren, die ein Alter zwischen 16 und 20 Jahren hatten, verstarben gelegentlich während ihrer Touren. Reisen war immer gefährlich für Leib und Leben, unabhängig vom Alter.
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Jenseits der Frage nach der Mobilität weiblicher Hochadliger erlauben die Ergebnisse jedoch noch weitgehendere Aussagen. Insgesamt scheint die Forschung bislang zu sehr von dem Postulat der unbedingten Erfüllung der in den staatsrechtlichen Traktaten ausgelobten Repräsentation der fürstlichen Magnifizenz durch Fürsten und Fürstinnen ausgegangen zu sein. Angesichts einer so stark verringerten Anzahl an Repräsentationsmöglichkeiten unter Präsenz und Augenscheinnahme Adliger in der eigenen Residenz ist diese Annahme jedoch zu relativieren. Vielmehr wäre zu prüfen, ob nicht die Kontakte zu den Untertanen der Residenzstädte viel zahlreicher und sehr viel bedeutungsvoller als sozialer Referenzrahmen waren als die transregionalen Adelsnetzwerke. Die Befunde zu den Besuchen von Prinzen und Prinzessinnen in Gotha und der geringen Reisetätigkeit von Gothaer Prinzen und Prinzessinnen lassen sich als starke Fixierung des Hauses auf das eigene Territorium lesen. Aus der Perspektive der fürstlichen Repräsentation wäre das auch kontraproduktiv. Der Empfang von Fürsten oder Adeligen in der Residenz und die Vorführung der fürstlichen Magnifizenz ließen sich nicht durch Treffen an einem dritten Ort ersetzen. Zwar bestand hier die Möglichkeit des wechselseitigen Austausches, allerdings mit erheblich reduziertem Zeremoniell und sonstigem Aufwand. Im Hinblick auf die Funktion und Bedeutung der fürstlichen Repräsentation ließ sich aber die persönliche Anwesenheit der Gäste nicht kompensieren. Eine Sonderrolle dürften vielleicht die zahlreichen Fürstenbegegnungen während der Leipziger Messe eingenommen haben. Allerdings ist dieser Aspekt bislang nicht untersucht worden.55
55 Herzog Friedrich I. besuchte die Leipziger Messe etwa im Oktober 1675, April 1678, Mai 1683, Januar, April und Oktober 1684, Mai und Oktober 1685, Oktober 1686. Vgl. Jacobsen: Tagebücher (wie Anm. 24). Als Herzog Friedrich II. im Januar 1697 mit seinem Bruder Johann Wilhelm die Messe besuchte, kam es zu mehreren Begegnungen mit Standesgenossen. Ohne die Prinzen und Prinzessinnen gehörten dazu der Kurfürst/König von Sachsen-Polen und dessen Gemahlin, der Markgraf von Brandenburg-Bayreuth, der Herzog von Sachsen-Weißenfels und der Herzog von Sachsen-Eisenach. Vgl. Schreibkalender Friedrichs II. (wie Anm. 43).
Philip Haas
Reisen einer Regentin Hedwig Sophie von Hessen-Kassel, geb. Markgräfin von Brandenburg (1623–1683)
Abb. 1: Philipp Kilian nach Abraham Wuchters, Landgräfin Hedwig Sophia von Hessen-Kassel, 1663. https://doi.org/10.1515/9783110532937-007
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Abb. 2: Reisen der Hedwig Sophie von Hessen-Kassel nach Kopenhagen (August bis Oktober 1671), nach Cölln an der Spree (Juni 1668) und nach Meinigen (August 1674).
Nicht nur im allgemeinen Geschichtsverständnis der Gegenwart stellt die Herrschaft von Frauen während der Vormoderne eine Ausnahme dar, sondern auch der gelehrte Diskurs des Mittelalters und der Frühen Neuzeit schloss Frauen mehrheitlich von Herrschaft aus.1 Innerhalb der politischen Praxis übten Fürstinnen demgegenüber oftmals erheblichen politischen Einfluss aus und konnten insbesondere als Vormundschaftsregentinnen zu einer bedeutenden Machtposition gelangen. Eine vormundschaftliche Regentin sollte gemeinsam mit weiteren Nebenvormündern stellvertretend für ihren ältesten Sohn bis zu dessen Volljährigkeit die Herrschaft in einem Fürstentum ausüben und war somit in einer Art Statthalterfunktion in dessen Namen tätig. Dabei verfügte sie über weitreichende Herrschaftsrechte, die kaum hinter denen eines männlichen Fürsten zurückstanden. Dennoch galt auf normativer Ebene auch Vormundschaft als ein prinzipiell männliches Amt, weibliche Vormundschaft stützte sich deshalb zumeist auf testamentarische Verordnungen des verstorbenen Ehegatten und war innerhalb
1 Vgl. Heide Wunder: Gynäkokratie. Auf der Suche nach einem verloren gegangenen Begriff der frühneuzeitlichen politischen Sprache, in: Zeitenblicke 8, 2 (2009), http://www.zeitenblicke. de/2009/2/wunder (abgerufen am 25. 1. 2017).
Reisen einer Regentin
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der Rechtstheorie umstritten, wenn auch letztlich mehrheitlich anerkannt.2 Deshalb waren „die Handlungsspielräume einer Regentin vielfach enger, der Abstimmungsbedarf demgegenüber höher als bei einem aus eigenem Recht herrschenden Fürsten“.3 Dies wirkte sich nicht zuletzt auch auf ihre Reisetätigkeiten aus, die insbesondere vor dem Geheimen Rat als Kontrollinstanz zu rechtfertigen waren. Die Reisetätigkeit einer Regentin soll im Folgenden exemplarisch untersucht werden, um zu klären, welche Bedeutung Reisen für eine vormundschaftliche Herrscherin besaßen, für welche Ziele sie Mobilität nutzte und welche Handlungsspielräume sich ihr dabei boten. Als Fallbeispiel dienen die Reisen Hedwig Sophies von Brandenburg (1623–1683),4 die von 1663 bis 1677 die vormundschaftliche Regentschaft in Hessen-Kassel ausübte. Als Untersuchungsobjekt bietet sich ihre Regentschaft an, da die vormundschaftlichen Regentschaften Hessens insgesamt vergleichsweise gut erforscht sind,5 aber eine systematische Untersuchung der Reisen einer dieser Regentinnen bislang noch nicht vorliegt. Hedwig Sophie stand in intensivem Austausch mit ihrem Bruder, dem ‚Großen Kurfürsten‘ Friedrich Wilhelm von Brandenburg, mit dem sie politisch eng kooperierte.6
2 Vgl. Pauline Puppel: Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500–1700. Frankfurt a. M./New York 2004, S. 13–88 zu rechtlichen Diskursen und Grundlagen von Vormundschaft und vormundschaftlicher Regentschaft. Vgl. insbesondere Kapitel 2 (S. 55–88) zur weiblichen Regentschaft. 3 Matthias Schnettger: Weibliche Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Einige Beobachtungen aus verfassungs- und politikgeschichtlicher Sicht, in: Zeitenblicke 8, 2 (2009), http://www.zeitenblicke.de/2009/2/schnettger/index_html (abgerufen am 24. März 2016), § 15 und 18. 4 Für einen kompakten Überblick zu ihrem Leben und Wirken vgl. Pauline Puppel: Hedwig Sophie Landgräfin von Hessen-Kassel, geb. Markgräfin von Brandenburg, in: Eckart G. Franz (Hrsg.), Haus Hessen. Biographisches Lexikon. Darmstadt 2012, S. 106–107. 5 Neben der bereits zitierten Monographie Puppels, die als unerlässliches Standardwerk zum Thema Vormundschaftsregentinnen der Frühen Neuzeit zu betrachten ist, vgl. dies.: Formen von Witwenherrschaft. Landgräfin Anna von Hessen (1485–1525), in: Martina Schattkowsky (Hrsg.), Witwenschaft in der Frühen Neuzeit. Fürstliche und adlige Witwen zwischen Fremd- und Selbstbestimmung. Leipzig 2003, S. 139–160; dies.: Handlungsspielräume von Regentinnen. Marie von England, Landgräfin von Hessen-Kassel, Regentin von Hanau (1723–1772, reg. 1760–1764), in: Julia Frindte/Siegrid Westphal (Hrsg.), Handlungsspielräume von Frauen um 1800. Heidelberg 2005, S. 271–292; Rajah Scheepers: Regentin per Staatsstreich? Landgräfin Anna von Hessen (1485–1525). Königsstein 2007; Simone Buckreus: Die Körper einer Regentin. Amelia Elisabeth von Hessen-Kassel (1602–1651). Köln 2008. 6 Zur Korrespondenz Hedwig-Sophies und zur engen, aber wechselvollen Beziehung zu ihrem Bruder vgl. Almut Bues: Der Briefwechsel der Landgräfin Hedwig Sophie von Hessen-Kassel mit ihrer Schwester Luise Charlotte, Herzogin von Kurland, in: Hessisches Jahrbuch für Landesgeschichte 43 (1993), S. 77–106; Puppel: Die Regentin (wie Anm. 2), S. 243–244.
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Auch dieser Umstand schlug sich, wie zu zeigen sein wird, in einer intensiven Reisetätigkeit nieder, welche ihre Korrespondenz mit dem Geheimen Rat in Kassel dokumentiert. Dieser Briefwechsel, die zentrale Quelle der vorliegenden Untersuchung, konzentriert sich dabei vor allem auf die Ziele und Absichten ihrer Reisen, während der Verlauf und die Reisemodalitäten nur selten Erwähnung fanden, zumeist nur, wenn sie den inhaltlichen Absichten der Unternehmungen entgegenstanden. Es wird zu prüfen sein, ob und wie eine Regentin im Zuge ihrer Reisetätigkeiten mit dem zeitgenössischen Normen und Erwartungen umging, die an ihr Amt herangetragen wurden, und welche Handlungsspielräume sie dabei nutzte. Wie zu zeigen sein wird, griff Hedwig Sophie gezielt bestimmte ‚klassische‘ Reiseanlässe wie Verwandtschaftsbesuche, Reisen zu Taufen, Badereisen auf und kombinierte sie mit ihrer Tätigkeit als Regentin. Ihre Reisen, so die zentrale These des vorliegenden Aufsatzes, boten ihr in ihrer Regierungsfunktion neue Handlungsspielräume und stellten einen integralen Teil ihrer Tätigkeit als Regentin dar, und zwar gerade in ihrer doppelten Gestalt als Verwandtschaftsbesuche und politisch motivierte Reisen im engeren Sinne. In besonderer Deutlichkeit zeigt dies ihre Reise im Jahre 1671 nach Kopenhagen zu ihrer Tochter Charlotte Amalie anlässlich der Taufe ihres ersten Enkels, des späteren Friedrichs IV. von Dänemark. Im Folgenden soll diese Reise gesondert betrachtet werden, dann erst erfolgt eine Untersuchung von Hedwig Sophies sonstiger Reisetätigkeit mit einem abschließenden Fazit.
1 Die Reise nach Kopenhagen 1671: Eheverhandlungen nach der Heirat und Prinzenreise in Begleitung Im Herbst des Jahres 1665 begannen die Verhandlungen um die Verheiratung Charlotte Amalies (1650–1714) mit Christian (V.) von Dänemark (1646–1699).7
7 Zu den Eheverhandlungen, den Zielen und Interessen, welche mit diesem trilateralen Projekt verbunden waren, sowie den nun folgenden Ausführungen vgl. die Dissertationsschrift des Verfassers Philip Haas: Fürstenehe und Interessen. Die dynastische Ehe der Frühen Neuzeit in zeitgenössischer Traktatliteratur und politischer Praxis am Beispiel Hessen-Kassels, Darmstadt/ Marburg 2017, S. 153–195. Zum bisherigen Forschungsstand, der die Beteiligung Brandenburgs nur ansatzweise erkennt, vgl. Laurs Laursen/Carl S. Christiansen: Danmark-Norges traktater 1523–1750 med dertil hørende aktstykker paa Carlsbergfondets bekostning. Bd. 6 (1665–1675), Kopenhagen 1923; Louis Bobé: Charlotte Amalie Königin zu Dänemark Prinzessin zu Hessen-
Reisen einer Regentin
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Dabei wurde diese Ehe durch die Vermittlung Friedrich Wilhelms von Brandenburg angebahnt, des Onkels und weiteren Vormunds der Braut, und zielte primär auf eine Annäherung zwischen Dänemark und der Markgrafschaft.8 Dies schlug sich unmittelbar in Form zweier Defensivallianzen nieder, welche sich implizit gegen Schweden richteten. Die zweijährigen Verhandlungen gestalteten sich als äußerst schwierig, was mehrere Ursachen hatte: Die reformierte Braut aus Hessen-Kassel wollte auch nach der Hochzeit nicht zur lutherischen Konfession ihres Ehemanns konvertieren, sondern einen eigenen calvinistischen Hofstaat in Kopenhagen unterhalten, der durch ihren brandenburgischen Onkel protegiert und mit einem Hofprediger versehen wurde.9 Des Weiteren hatte sich die regierende Landgräfin eine bessere finanzielle Ausstattung und Versorgung ihrer Tochter im Witwenfall versprochen, als sie in den Verhandlungen hatte durchsetzen können, ohne diese grundsätzlich zu gefährden.10 Drittens hatte sich Hedwig Sophie durch den königlichen Verhandlungspartner, der im Rang über ihr stand, immer wieder herabgesetzt und nicht ausreichend respektiert gesehen, was die Verhandlungen massiv belastet und nur durch Intervention des Kurfürsten hatte gelöst werden können.11Alles in allem war Hedwig Sophie keineswegs zufrieden
Cassel und die Anfänge der deutsch und französischen reformierten Kirche zu Kopenhagen. Kopenhagen 1940; Veronika Jäger/Helmut Burmeister: Charlotte Amalie, Prinzessin von HessenKassel, Königin von Dänemark, in: dies. (Hrsg.), Hessische Prinzessinnen auf Dänemarks Thron. Die Beziehungen zwischen Dänemark und Hessen vom 17.–20. Jahrhundert, Hofgeismar 2010, S. 31–48; Holger Thomas Gräf: Charlotte Amalie Landgräfin von Hessen-Kassel, verh. Königin von Dänemark [HK 29], in: Franz (Hrsg.): Haus Hessen (wie Anm. 4), S. 110–112. 8 Noch bevor Hessen-Kassel und Dänemark in Verhandlung traten, korrespondierte der König von Dänemark-Norwegen mit dem Kurfürsten von Brandenburg: So hob der dänische König hervor, dass er durch diese Ehe die zwischen beyden Königl. und Churfürstl. häußern von langen Jahren her gepflogenen guten Verstendnüß und Parteilichkeit befästigen und vergrößern wolle (HStAM, 4a 53 Nr. 9, Brief vom 16. September 1665, unfol.). Der Kurfürst antwortete ihm hierauf: was Ew. Königl. Mayst. in dero angelegenheiten […] an mich bringen laßen wollen habe er zur genüge vernommen. Er werde nichts unterlaßen […], was zur cultivirung und erhaltung der zwischen Ew. Königl. Mayst. und Mir […] gebrachten Vertrawlichen freundschaft und Verbundnüs immermehr gereichen mag (RAK 301 Tyske Kancelli Udenrigske Afdeling 1511–1770. Brandenburg-Preussen: Brevweksling mellem fyrstenhusene Kurfyrst Friedrich II. Wlhelm af Brandenburg 1661–1674, Brief vom 28. September 1665, unfol.). 9 Der Hofprediger Johannes Kuschius unterrichtete Friedrich Wilhelm regelmäßig über die Situation des reformierten Hofstaates und die Lage Charlotte Amalies. Die Berichte finden sich in: GstA PK, I HA Rep. 11, Auswärtige Beziehungen, Akten, Nr. 1306, unfol. 10 Vgl. HStAM, 4a 53 Nr. 9, unfol. 11 Am deutlichsten geht dies aus einem Gesandtschaftsbericht dänischer Räte hervor, wonach die Landgräfin sich durch die dänische Verhandlungsführung schlimmer als inter Principem et subditos (zwischen Fürst und Untertanen) üblich behandelt fühle (RAK 301 Tyske Kancelli Uden-
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mit dem Verlauf und den Ergebnissen der Eheverhandlung, als sie ihre Tochter im Sommer 1667 auf deren Brautzug bis an die Grenze ihres Territoriums geleitete.12 Charlotte Amalie sah sich in den folgenden Monaten und Jahren heftigen Anfeindungen konfessioneller Art ausgesetzt, wobei ein Teil der dänischen Minister sich sogar gegen ihre Krönung aussprach, weshalb sie sich immer wieder an ihre Mutter und vor allem ihren Onkel in Berlin wenden musste.13 Aus diesem Grund brach Hedwig Sophie vier Jahre später anlässlich der Taufe des ersten Kindes ihrer Tochter auf, um diese in Kopenhagen zu besuchen und deren Situation zu verbessern. War die „Verwandtenreise“, also der Besuch entfernt wohnender Familienangehöriger, bereits ein ‚klassischer‘ Grund für (hoch-)adlige Frauen zu reisen,14 so gehörte die „Reise zur ersten Entbindung einer verheirateten Tochter“ geradezu zur „soziale[n] Pflicht der Fürstin“.15 Trotz der schwierigen Lage ihrer Tochter und ihres Status als Vormundschaftsregentin setzte sich Hedwig Sophie nicht über die für Frauen normativ tabuisierte Form einer Reise in politischer Mission hinweg,16 vielmehr nutzte sie die Taufe ihres Enkels als passenden Anlass für den Aufbruch nach Kopenhagen. Dabei ist auch hervorzuheben: Während der Eheverhandlungen hatten die Modalitäten der Taufe etwaiger Kinder einen besonders neuralgischen Punkt berührt, heftige Kontroversen zwischen den Verhandlungspartnern ausgelöst und waren zugunsten der lutherisch-dänischen Seite verlaufen. Die Landgräfin hatte in den Verhandlungen geltend gemacht, das freye Reformierte Religionsexercitium umfasse
rigske Afdeling. 1666–1667 Hessen-Kassel: Akter vedr. Kronprins Christian ægteskab. Brief vom 29. April 1667, unfol.). 12 Zum Brautzug vgl. HStAM, 4d 1029, unfol. 13 Bobé: Charlotte Amalie (wie Anm. 7), S. 4–6. 14 Sabine Holländer: Reisen – die weibliche Dimension, in: Michael Maurer (Hrsg.), Neue Impulse der Reiseforschung. Berlin 1999, S. 189–207 (hier S. 190). 15 Bärbel Raschke: Fürstinnenreisen im 18. Jahrhundert. Ein Problemaufriß am Beispiel der Rußlandreise Karolines von Hessen-Darmstadt 1773, in: Joachim Rees/Winfried Siebers/Hilmar Tilgner (Hrsg.), Europareisen politisch-sozialer Eliten im 18. Jahrhundert. Theoretische Neuorientierung – kommunikative Praxis – Kultur- und Wissenstransfer. Berlin 2002, S. 183–207 (hier S. 194). 16 Ebd., S. 196. Freilich schloss der Diskurs – im Sinne der Grenzen des Denk- und Sagbaren – einer solchen Tabuisierung in der Praxis keineswegs aus, dass fürstliche Frauen auf ihren Reisen de facto diplomatische Funktionen erfüllten und in politische Verhandlungen traten. Vgl. hierzu insbesondere den Sammelband von Corina Bastian/Eva Kathrin Dade/Hillard von Thiessen/ Christian Windler (Hrsg.), Das Geschlecht der Diplomatie. Geschlechterrollen in den Außenbeziehungen vom Spätmittelalter bis zum 20. Jahrhundert, Köln 2014 sowie Corina Bastian: ‚Diplomatie kennt kein Geschlecht‘. Die Korrespondenz der Madame de Maintenon und der Princesse des Ursins im Spanischen Erbfolgekrieg (1705–1715), in: Zeitenblicke 8, 2 (2009), http://www. zeitenblicke.de/2009/2/bastian/index (abgerufen am 24. März 2016).
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die Eheliche Copulation und die heylige Taufe, in jedem Fall aber Letztere als ein essential stück der Religionsausübung, was die dänische Seite gar bedenklich gestimmt hatte.17 Es wurde ebenso wie das Recht auf reformierte Eheschließung abgelehnt, während man schließlich nur das reformierte begräbnüs einräumte.18 Wie sich auch dem Ehevertrag entnehmen lässt, sollte dies die reformierte Taufe etwaiger Kinder der Ehe verhindern.19 Bot ein Verwandtschaftsbesuch den formalen Anlass für Hedwig Sophies Aufbruch nach Kopenhagen, war das maßgebliche Ziel der Reise von 1671 ein im engeren Sinne politisches Unterfangen, und zwar auf mehreren Ebenen zugleich: Das primäre Ziel der Reise lag – aus eben geschilderten Gründen – darin, die Situation ihrer Tochter in Dänemark zu verbessern, indem sie persönliche Präsenz bei der konfessionell heiklen Taufzeremonie zeigte. Diese Zielsetzung beschränkte sich aber nicht allein auf die Person Charlotte Amalies, sondern hinter ihrem Engagement stand durchaus die Absicht, den reformierten Glauben in Dänemark zu implementieren. Interne Dokumente der Eheverhandlungen belegen, dass das Idealziel hessischer Verhandlungsführung in der Einführung der reformierten Religion in Dänemark über den Hofstaat Charlotte Amalies hinaus bestanden hatte: Es sei zu wünschen, daß das Exercitium religionis reformata, in amplissima forma durchgesetzt werde, das heißt, daß auch andere zu Ihrer Durchl. der Princessin estat nicht gehörige Personen sich der reformierten religions Exercitÿ mit gebrauchen möchten.20 Tatsächlich setzte sich Charlotte Amalie in späteren Jahren erfolgreich für eine Ansiedlung von Hugenotten in Dänemark ein.21 Die Reise der Landgräfin verlief von Kassel über Rinteln, Bremen, Bremervörde, Altona, Hamburg, Itzehoe, Flensburg, Hadersleben nach Kopenhagen.22 Am 17. September 1671 traf Hedwig Sophie in Kopenhagen ein, wo sie von ihrem Schwiegersohn, der seit dem Tod seines Vaters im Vorjahr dänischer König war, mit allen hohen ehren und affection empfangen wurde. Dennoch zeigte sie sich entschlossen, mit dem König über ein und andere Unß bekannte ahngelegenheit zu
17 HStAM, 4a 53 Nr. 9, Fürstlich hessische Declaration Juli 1666, unfol. 18 Ebd., Nr. 14, Synopse, unfol. 19 Aegteskabstraktat mellem Kronprins Christian (V) af Danmark-Norge og Charlotte Amalie, in: Laursen/Christiansen: Danmark-Norges traktater (wie Anm. 7), S. 175: Er soll sich aber der heyligen tauffe keineswegs, weniger noch bey dem von den printzlichen ehevermählten durch die güte des Höchsten erwarteten fröhlichen ehesegen anmassen, noch die eheliche copulation verrichten und übernehmen. 20 HStAM, 4a 53 Nr. 9, „Information“ an den Gesandten von Dalwig. 21 Vgl. Bobé: Charlotte Amalie (wie Anm. 7). 22 HStAM, 4a 55 Nr. 6, Ausgabenverzeichnis der Reise nach Dänemark, unfol. Die Reise kostete insgesamt 1185 Reichstaler.
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reden.23 Das zuvorkommende Verhalten des dänischen Königs und dessen Ehrerbietung in den ersten Tagen ihres Aufenthaltes blieb dann aber nicht ohne Einfluss auf ihr Vorgehen, wie sie nach Kassel berichtete: Inzwischen können wir unberichtet nicht laßen, was maßen Ihre Mayt: der König unß mitt aller gnade, ehre und höffligkeit dergestalt wohl begegnet, daß wir es hoch zu rühmens ursach haben. Der Religionssache […] haben wir vor deswegens abgestanden, weilen es sich damit aufjetzo in solchen guten standt befindet, daß durch unzeittiges errinnerns und sollicitierens wirs vielmehr zu verderben alß gut zu machen dafürhalten müßen. Wir werden unß jedoch nach ein oder andern Veranlaßung richten, und dahin sehen, ob und wie durch gelinde und freundliche zusprache der König zu gewünnen, und von demselben etwas ein und anders zum zweck dienendes noch zu erhalten sein wolle, gestalt wir unß hierzu des vorgestern […] angelangten [brandenburgischen Rats] von Blumenthal […] zu bedienen nicht unterlassen werden.24
Die Landgräfin hatte ganz offensichtlich ihre Reise mit ihrem Bruder und dessen Gesandten zeitlich koordiniert, der sie bei ihren Verhandlungen unterstützen sollte und dies auch tat.25 Aufgrund des latenten Konflikts zwischen Brandenburg und Schweden, der bereits die Eheverhandlungen von 1665 bis 1667 massiv geprägt hatte, war Friedrich Wilhelm nach wie vor an einem guten Verhältnis zu Dänemark-Norwegen interessiert. Auch hatte er in einem persönlichen Brief an den dänischen König betont, der reformirten Religion zugethan zu sein, weshalb er sich dauerhaft obligirt befinde dieses christliche werck […] zum besten Charlotte Amalies langfristig zu garantieren.26 Seine neuerliche Unterstützung hatte Hedwig Sophie im Jahre 1671 vor ihrer Reise beharrlich mobilisieren und gegen dessen Willen durchsetzen müssen: So teilte sie ihrem Geheimen Rat mit, sie habe von ihrem Bruder gewisse Schreiben erhalten, dennoch werde sie sich nicht von ihrer Reise und deren Zielen abbringen lassen: Ich werde mich aber daran nicht kehren, noch von meinem Vorhaben abwendig machen laßen, sondern […] bey festsetzung alles zumuthens gerade fortgehn und sehen, was es zu Copenhagn abgeben will. Sie habe ganz im Gegenteil ihren Bruder ersucht, die Abfertigung
23 Ebd., 4d 1031, Brief vom 19. September 1671, unfol. 24 Ebd., Brief vom 23. September 1671. 25 Zur Mission Blumenthals vgl. auch Puppel: Regentin (wie Anm. 2), S. 248. Christoph Caspar von Blumenthal gilt als einer der ersten professionellen Diplomaten Brandenburgs: „In seiner fast ausschließlichen Verwendung im diplomatischen Dienst darf man den ersten Versuch erblicken, auch in Brandenburg-Preußen Berufsdiplomaten zu verwenden“; Hans Bellée: Blumenthal, Christoph Kaspar Freiherr von, in: Neue Deutsche Biographie 2 (1955), S. 330, http:// www.deutsche-biographie.de/pnd104312106.html (abgerufen am 8. Dezember 2015). 26 GstA PK, I HA Rep. 11, Auswärtige Beziehungen, Akten, Nr. 1305, Brief vom 18. August 1666, unfol.
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des Freyherrn von Blumenthal nach Copenhagn möglichst zu beschleunigen.27 Hedwig Sophies Regentschaft präsentiert sich in einer Mischung aus selbstbestimmter Eigeninitiative und der Kooperation mit ihrem Bruder. Dass sie sich nun ausschließlich Blumenthals ‚bedienen‘ wollte, statt sich persönlich an den dänischen König zu wenden, lag einerseits in dem entgegenkommenden Verhalten ihres Gastgebers begründet. Hierin manifestiert sich zugleich die von Paulmann beschriebene „verpflichtende Wirkung“ von „Freundschaftsund Verwandtschaftsritualen“ und ihres „potenziell verpflichtenden Effekts“ im persönlichen Verkehr zwischen Regenten.28 Andererseits scheint Hedwig Sophie es vorgezogen zu haben, die direkten Verhandlungen mit ihrem Schwiegersohn dem brandenburgischen Gesandten zu überlassen. Dies geschah nicht zuletzt auf Veranlassung des Geheimen Rats: Dieser zeigte sich erleichtert, dass sich das dortige Religionswesen anitzo in so gutem stande befinden, und riet ihr dringlich, auf die brandenburgische Diplomatie zurückzugreifen, statt die Verhandlungen selbst zu führen.29 Offensichtlich wurden bereits die freundliche Aufnahme der Regentin und die gute Atmosphäre zwischen den Verwandten als Erfolg der Reise gewertet, zumal ihre Tochter unter rein rechtlichen Gesichtspunkten in ihrer konfessionellen Integrität weitgehend geschützt war und eher ‚informellen‘ Anfeindungen ausgesetzt gewesen zu sein scheint.30 Die Landgräfin ging in den folgenden Briefen nicht mehr weiter auf diese Angelegenheit ein. Die Lage Charlotte Amalies wollte die Regentin auch in finanzieller Hinsicht verbessern: Das Leibgedinge31 ihrer Tochter, das sich auf dreyßigtausend Rthl. jährliche intraden belaufe, wolle sie noch auf Viertzig tausend Rthl. anheben, und
27 HStAM, 4d 1031, Brief vom 28. August 1671, unfol. 28 Johannes Paulmann: Pomp und Politik. Monarchenbegegnungen in Europa zwischen Ancien Régime und Erstem Weltkrieg. Paderborn 2000, S. 36. 29 HStAM, 4d 1031, Brief vom 7. Oktober 1671, unfol. 30 Der dänische König Friedrich III. erließ im Laufe der Eheverhandlungen insgesamt drei Resolutionen. Diese offiziellen Urkunden garantierten in unterschiedlicher Form die reformierte Konfession Charlotte Amalies und ihres Hofstaates. Eine Synopse der drei Resolutionen und der jeweiligen hessischen Gravamina findet sich in: HStAM, 4a 53 Nr. 14. Auch der Ehevertrag, welcher auf den Resolutionen gründete, garantierte die konfessionellen Rechte der Braut und ihres Personals, vgl. Aegteskabstraktat mellem Kronprins Christian (V) af Danmark-Norge og Charlotte Amalie, Datter af Landgrev Vilhelm VI af Hessen-Cassel, in: Laurs R. Laursen/Carl S. Christiansen (Hrsg.), Danmark-Norges Traktater 1523–1750 med dertil hørende Aktstykker. Bd. 6 (1665–1675), Kopenhagen 1923, S. 175–197, insbesondere §§ 2 und 8 auf S. 176–177 und 180. 31 Hierbei ist anscheinend nicht gemeint, dass Charlotte Amalie jährlich 40.000 Reichstaler erhalten sollte, sondern es handelt sich um die Zins- und Anlagengewinne von dieser Gesamtsumme.
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ihr designierter Witwensitz müsse auf eines anderen […] orths gebracht werden.32 Hatte man sich im Zuge der Eheverhandlungen auf die Schanderburg (dänisch: Skanderborg) in Jütland geeinigt, mit der Hedwig Sophie von Anfang an unzufrieden gewesen war,33 so wurde nun das Schloss Sonderburg ins Auge gefasst, das sich seit Dezember 1667 wieder in dänischem Besitz befand.34 Der Geheime Rat schlug ihr vor, das Wittum lieber in das noch weiter südlich gelegene Delmenhorst verlegen zu lassen, um welches das dänische Königshaus seit 1667 einen Erbstreit führte.35 Die Regentin betonte, dass sie, was das Leibgedinge und ein besseres Wittum angehe, während ihres Aufenthaltes zur erreichung des zwecks mitt beyzutragen nicht ermanglen werde.36 Tatsächlich gelang es Hedwig Sophie, diese Ziele durchzusetzen, was die bisherige Forschung aber nicht auf ihre Reisetätigkeit, sondern eher auf die kurz zuvor erfolgte Thronbesteigung ihres Schwiegersohnes zurückgeführt hat.37 Christian V. hatte aber bereits mehr als ein Jahr zuvor den Thron bestiegen, auch handelte es sich bei den nachträglichen Anpas-
32 HStAM, 4d 1031, Brief vom 23. September 1671, unfol. 33 Der hessische Gesandte von Dalwig hatte die Schanderburg 1666 besichtigt und berichtet: das Hauß sei eben nicht à la moderne gebauet, auch […] etwas ruiniret, aber alles in allem bequemer […] als hießiges königl Schloß (HStAM, 4a 53 Nr. 9, Brief vom 7. April 1666, unfol.). Die Landgräfin verlangte daraufhin für ihre Tochter im Entwurf ihrer ersten Gegenresolution zunächst ein bequemeres Wittumb im Herzogthumb Holstein, strich dies aber wieder aus dem Katalog der Forderungen, wie dem Konzept zu entnehmen ist (ebd., Fürstlich hessische Declaration Juli 1666, unfol.). 34 Ebd., 4d 1031, Brief vom 23. September 1671. „1664 hatte Friedrich III. dem Herzogtum Sonderburg eine Kommission auf den Hals gehetzt, und diese hatte im Dezember 1667 erklärt, dass der Herzog seine Länder verwirkt habe, weil er nicht in der Lage war, seinen [finanziellen] Verpflichtungen nachzukommen“; Carsten Porskrog Rasmussen: Die dänischen Könige als Herzöge von Schleswig und Holstein, in: ders./Elke Imberger/Dieter Lohmeier/Ingwer Momsen (Hrsg.), De slesvigske hertuger. Die Fürsten des Landes. Herzöge und Grafen von Schleswig, Holstein und Lauenburg. Neumünster 2008, S. 72–109 (hier S. 98). Zur Geschichte des Herzogtums Sonderburg vgl. Inge Adriansen: Die Herzöge von Sonderburg, in: Rasmussen/Imberger/Lohmeier/Momsen (Hrsg.), De slesvigske hertuger, S. 232–245. 35 HStAM, 4d 1031, Brief vom 7. Oktober 1671, unfol. Der Erbstreit wurde 1676 vom Reichshofrat zugunsten des Plöner Herzoghauses entschieden, welches aber 1671 einen geheimen Erbtausch mit dem dänischen König vereinbart hatte, der umgehend durchgeführt wurde. Vgl. Inge Adriansen/Silke Hunzinger: Die Herzöge von Plön, in: Rasmussen/Imberger/Lohmeier/Momsen (Hrsg.), De slesvigske hertuger, (wie Anm. 34), S. 294. 36 HStAM, 4d 1031, Brief vom 23. September 1671, unfol. 37 Laursen/Christiansen: Danmark-Norges traktater (wie Anm. 7), S. 174: „Efter sin Tronbesligelse forberede Kong Christian V 24 Okt. 1671 Livgedinget for Drottning Charlotte Amalie med 40.000 Rdlr aarlig Indtægt, at oppebære af Grevskabet Pinneberg og Sønderborg Slot og Amt paa Als.“ („Nach seiner Thronbesteigung setzte König Christian V. am 24. Oktober 1671 das Leibgedinge für Königin Charlotte Amalie auf 40.000 Reichstaler jährliches Einkommen fest, das aus
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sungen des Ehevertrages in entscheidenden Punkten der Witwenversorgung um einen sehr außergewöhnlichen Schritt. Da dieser zudem zeitlich unmittelbar auf den Aufenthalt Hedwig Sophies in Kopenhagen folgte und allen ihren diesbezüglichen Forderungen Rechnung trug, ist ihre Reise in diesem Kontext stärker zu gewichten, als dies bislang in der Forschung geschehen ist. Die Reise Hedwig Sophies von 1671 zielte somit darauf ab, die Lebensbedingungen ihrer Tochter in Dänemark zu verbessern. Dies geschah auf zweierlei Weise: einmal durch eine allgemeine Verbesserung der Beziehungen ihres Hauses zur dänischen Königsfamilie und dem Königshof, welche durch die schwierigen Eheverhandlungen und die Anfeindungen Charlotte Amalies angespannt gewesen waren, zum anderen durch Modifikation der Verabredungen, die im Zuge der Eheverhandlungen Jahre zuvor getroffen worden waren. Die hessische Regentin unternahm ihre Reise, um persönlich Nachverhandlungen zur Ehe ihrer Tochter aus dem Jahre 1667 zu führen. Dabei nutzte sie die seitdem eingetretenen Veränderungen der politischen Situation Dänemarks, wie insbesondere den Erwerb Sonderburgs kurz nach dem Eheschluss, als Basis weiterer Verhandlungen. Gleichwohl verfolgte sie mit ihrer Reise noch weitere Zielsetzungen. So traf sich Hedwig Sophie in Kopenhagen mit den Ambassadeur[en] und Residenten von Frankreich, Schweden, Brandenburg und den Generalstaaten, wobei sie letzteres Treffen in ihrem Bericht besonders hervorhebt, wenn sie auch nicht auf Inhalte der Besprechungen eingeht.38 Wie aus der Korrespondenz mit dem Geheimen Rat im Sommer des Folgejahres hervorgeht, verfolgte sie über ihren Bruder das Ziel, hessische Truppen an die Generalstaaten zu vermieten, die sich zu diesem Zeitpunkt im Krieg mit Frankreich befanden.39 Ob sie Ende 1671 im unmittelbaren Vorfeld des Krieges bereits eine solche Möglichkeit mit dem Botschafter sondierte, muss Spekulation bleiben. Eindeutig lässt sich hingegen feststellen, dass die Reise von 1671 auch dem Ziel diente, ihren ältesten Sohn Karl, den Hedwig Sophie auf ihre Reise mitnahm, am dänischen Hof einzuführen. Der eigentliche Erbprinz Wilhelm VII. war im November 1670 überraschend mit 19 Jahren auf seiner Prinzenreise in Paris an einer Krankheit verstorben,40 was als stetes Risiko eines solchen Unternehmens
der Grafschaft Pinneberg, dem Schloss Sonderburg und dem Amt bei Als empfangen werden sollte.“) 38 HStAM, 4d 1031, Brief vom 23. September 1671, unfol. 39 Siehe hierzu den nächsten Abschnitt. 40 Vgl. Holger Thomas Gräf: Wilhelm VII., reg. Landgraf von Hessen-Kassel, in: Franz (Hrsg.), Haus Hessen (wie Anm. 4), S. 112–113.
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angesehen wurde.41 Die Eltern der Prinzen und Kavaliere, insbesondere auch deren Mütter, wirkten oftmals in nicht geringem Maße auf die Planung und den Ablauf solcher Touren ein.42 Darüber hinaus lassen sich sogar Beispiele für eine direkte „Teilnahme an der prinzlichen ‚Kavalierstour‘“ finden. Die Markgräfin Karoline Luise von Baden „führte während der Paris-Reise 1771 ihre vierzehnund sechzehnjährigen Söhne selbst in die Hofgesellschaft von Versailles und die Salons von Paris ein“.43 Genau einhundert Jahre zuvor war der 17-jährige Erbprinz Karl in Begleitung seiner Mutter Hedwig Sophie nach Kopenhagen gereist. Ob Hedwig Sophie für Karl diese Variante der Prinzenreise primär wählte, um etwaige gesundheitliche Risiken für ihren Erbprinzen persönlich im Blick zu haben und abwenden zu können, ist fraglich. Der tatsächliche Verlauf der gemeinsamen Reise widerspricht dieser Vermutung: In Hadersleben (dänisch: Haderslev), unmittelbar vor der Überfahrt nach Kopenhagen, erkrankte Karl schwer an den Kinderblattern und musste mehrere Wochen dort auf dem Krankenbett verbringen.44 Nach einigen Tagen ging Hedwig Sophie davon aus, ihr Sohn werde die Krankheit überleben, und sah sich dergestalt veranlaßet, […] auf erhaltene des Königs permission unßere reyße nach Copenhagen […] fortzusetzen, unsers geliebten Sohns Lt. aber under ufsicht dero hofmeisters […] dieses orths zu laßen. [Er solle dann] nach erlangter reconvalescentz nachen Copenhagen […] folgen.45
Die Landgräfin setzte also ihre Reise fort und überließ den Erbprinzen der Obhut seines Hofmeisters. Diesem kam im 17. und 18. Jahrhundert eine entscheidende Rolle bei Kavalierstouren und Prinzenreisen zu.46 Hedwig Sophie übertrug folg-
41 Mathis Leibetseder: Die Kavalierstour. Adlige Erziehungsreisen im 17. und 18. Jahrhundert. Köln 2004, S. 176, 179. 42 Vgl. ebd., S. 46–52. 43 Joachim Rees/Winfried Siebers: Erfahrungsraum Europa. Reisen politischer Funktionsträger des Alten Reiches 1750–1800. Ein kommentiertes Verzeichnis handschriftlicher Quellen. Berlin 2005, S. 35. 44 HStAM, 4d 1031, Brief vom 10. September 1671, unfol.: Es hat aber dem allerhöchsten gefallen, unseren vielgeliebten Sohn Prinz Carl, nachdem seine Lt. Anfangs etwas magenschwäche und mattigkeit empfunden, darauff mitt den Kinder blattern zu belegen, Wodurch wir unß bemüßiget gefunden, dieses orths zu verweilen. 45 Ebd. 46 Eva Bender: Die Prinzenreise. Bildungsaufenthalt und Kavaliertour im höfischen Kontext gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Berlin 2011, S. 96. Zu Unterschieden zwischen dem Hofmeisteramt auf Kavalierstouren und im Zuge von Prinzenreisen, vgl. S. 92.
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lich die Leitungsfunktion über ihren Sohn, welche sie bis dahin selbst ausgeübt hatte, dem Hofmeister, wie dies auf einer Prinzenreise ohne Begleitung der Mutter üblich gewesen wäre. Der Geheime Rat antwortete der Regentin, dass er ihr die getroffene Entscheidung, den Prinzen zurückzulassen, überlassen müsse, sie aber gar bedenklich pfinde. Hierfür wurden mehrere Gründe angeführt: Neben diplomatischen Schwierigkeiten mit dem dänischen König, der es kaum zulassen werde, den kranken Prinzen in Kopenhagen aufzunehmen, drohten von wind und wetter gravierende inconvenientien […] bey passierung des Belts, sodass es das sicherste für Sn. Dhl. Sein würde, wenn er direkt nach Kassel zurückkehrte. Des Weiteren aber könne das Ziel der Reise ohnehin nicht mehr erreicht werden, da die in gesicht und sonsten erscheinenden fleken sich so bald nicht verlieren würden und Karl aufgrund seiner Pockennarben am dänischen Hof nicht mehr vorzeigbar sei.47 Hedwig Sophie kümmerte sich nicht um diese Einwände. Am 30. September 1671 meldete sie nach Kassel, der dänische König habe eingewilligt, Karl dürfe nach Kopenhagen übersetzen.48 Dort angelangt, erwarb er materielle Mitbringsel, wie eine Schrotbüchse und ein Perspektiv, wurde am dänischen Hof eingeführt und vom dänischen König mit dem Elefantenorden ausgezeichnet.49 In dieser Aufnahme und Einführung am dänischen Hof zeigte sich die Reise für den Prinzen abermals in der Funktion einer Prinzenreise, denn sie diente „wesentlich […] der allgemeinen Erkundung eines homogenen standesspezifischen Sozialraumes im Rahmen einer übernationalen Adelskultur“.50 Offensichtlich bot die Reise nach Kopenhagen eine willkommene Möglichkeit, den Erbprinzen an einem verwandten Hof in die europäische Adelskultur einzuführen. Da die Regentin die Reise aus oben genannten Gründen ohnehin zu unternehmen gewillt war, ließ sich kostengünstig und ohne größere Umstände die Funktion einer Prinzenreise in diese Fahrt integrieren.
47 HStAM, 4d 1031, Brief vom 18. September 1671, unfol. 48 Ebd., Brief vom 30. September 1671, unfol. 49 Hans Philippi: Landgraf Karl von Hessen-Kassel. Marburg 1976, S. 8. Für den dänischen Elefantenorden vgl. Pierre H. Helyot: Ausführliche Geschichte aller geistlichen und weltlichen Kloster- und Ritterorden für beyderley Geschlecht […]. Bd. 8, Leipzig 1756, S. 456–461. Für eine moderne wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Ritterorden vgl. Jørgen Pedersen: Riddere af Elefantordenen 1559–2009. Odense [Ottensee] 2009. 50 Thomas Grosser: Reisen sozialer Eliten. Kavalierstour – Patrizierreise – bürgerliche Bildungsreise, in: Maurer (Hrsg.), Neue Impulse der Reiseforschung (wie Anm. 14), S. 135–176 (hier S. 142). Zum „höfischen Comportement“ als einem „Hauptaspekt während der Reisen“ von Prinzen vgl. Bender: Die Prinzenreise (wie Anm. 46), S. 240–310.
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Neben den eben dargestellten Zielsetzungen ist auch ein Begleitumstand der Reise bemerkenswert: Hedwig Sophie ließ sich auf dem Weg nach und in Kopenhagen genau über den Ablauf des zeitgleich stattfindenden Brautzuges von Wilhelmine Ernestine von Dänemark (1650–1706) unterrichten. Wie aus einem Fourierzedull hervorgeht, der sich in Hedwig Sophies Reiseunterlagen findet, zog die dänische Prinzessin mit 445 Personen und 507 Pferden von Kopenhagen nach Heidelberg, wo sie am 20. September 1671 Karl II. von der Pfalz heiratete.51 Der Brautzug führte durch Hessen-Kassel, wo sie sich vom 5. bis 9. September 1671 aufhielt.52 Hedwig Sophie ließ sich fortwährend vom Geheimen Rat über diese Reise auf dem Laufenden halten und traf Anordnungen für den Empfang der Dänin. Sie selbst langte am 2. September in Hadersleben an und wollte, nachdem sie des Sontags stilllager gehalten, des montags darauf,53 also am nächsten Tag, nach Kopenhagen übersetzen, so dass sie just an dem Tag bei ihrem Gastgeber eingetroffen wäre, an welchem auch die dänische Prinzessin ihr Territorium betreten hätte. Diese Synchronisation beider Reisen scheiterte wegen der Krankheit ihres Sohnes Karl. Dennoch demonstriert das Unterfangen die genaue Planung der Reise durch Hedwig Sophie und lässt sich als zeremonielle Geste deuten, welche eine Reziprozität von Gast- und Gastgeberrolle, von Besuch und Gegenbesuch inszenierte. Alles in allem zeigte sich die Reise Hedwig Sophies von 1671 als eine Unternehmung, mit der sie mehrere Zielsetzungen verband. Die Landgräfin wollte in persönlichem Gespräch und in Kooperation mit Brandenburg die konfessionelle und finanzielle Situation ihrer Tochter verbessern, traf sich mit Botschaftern auswärtiger Mächte und nahm ihren ältesten Sohn zu einer Art Prinzenreise mit, um ihn unter ihrer Aufsicht am dänischen Hof einzuführen. Dabei griff die Regentin auf einen Verwandtschaftsbesuch als Reiseanlass zurück. Obgleich sie sich auf einer diplomatischen Mission befand, handelte es sich formell um den Besuch ihrer Tochter anlässlich der Taufe ihres Enkels, was – auch wenn dies in den Quellen nie explizit ausgesprochen wird – vermutlich den direkten Kontakt mit dem dänischen König erleichtert haben dürfte, da die Reise nicht den Zwängen einer offiziellen diplomatischen Mission unterlag.
51 HStAM, 4d 1031, Fourierzedull, unfol. Zu Wilhelmine Ernestine von Dänemark und ihrem Brautzug vgl. Louis Bobé: Vilhelmine Ernestine, in: Dansk biografisk leksikon. Bd. 18, Kopenhagen 1904, S. 593. Zur Anbahnung der Heirat vgl. auch: Sophie Ruppel: Verbündete Rivalen. Geschwisterbeziehungen im Hochadel des 17. Jahrhunderts. Köln/Weimar/Wien 2006, S. 208. 52 HStAM, 4d 1031, Die abreyse der Königl. Princessin Selber und dero Comitat, unfol. 53 Ebd., Brief vom 10. September 1671, unfol.
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Mehrere Reiseanlässe und Reisefunktionen miteinander zu kombinieren war sicherlich auch aus finanziellen Gründen attraktiv: Wie im folgenden Abschnitt näher zu betrachten ist, suchte Hedwig Sophie in den frühen 1670er Jahren nach Möglichkeiten, die Soldaten des zunehmend größer werdenden stehenden Heeres der Landgrafschaft als Subsidientruppen zu vermieten,54 um an Geld zu gelangen. Die Reise von 1671 war unter ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet in jedem Fall erfolgreich, da sie mehrere Ziele bündeln konnte.
2 Die weitere Reisetätigkeit der Regentin Hedwig Sophie Neben der eben dargestellten Reise nach Kopenhagen unternahm Hedwig Sophie während ihrer Regierungszeit noch zahlreiche weitere Reisen. Bereits vor 1671 besuchte Hedwig Sophie mehrmals ihren Bruder in Brandenburg. Im Juni 1668 reiste sie zu dessen Hochzeit mit Dorothea Sophie von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg,55 die am 14. Juni in Gröningen bei Oschersleben stattfand.56 Die Reise verlief zunächst über Witzenhausen, Duderstadt bis Herzberg am Harz, wo Hedwig Sophie wartete, da ihr eine wichtige Rolle beim Brautzug zukam, denn sie habe Ferner anstalt dahier eingerichtet, daß nach heutigem Stillager, Wir mit der verwittibten Herzogin morgen […] von hier aufbrechen und Unsern weg unter geleit eines Braunschweigisch Hanoverischen Regiments zu Pferd über Lasfeld bis an die Wolfenbüttelische Gräntze nehmen und darauf […] in Langelheim zu übernachten, übermorgen freytags aber […] uf den Halberstattischen Gräntzen von Unsers Herrn Brudern des Churfürsten zu Brandenburg Ld. […] persönliche […] einhohlung zu erwarten.57
54 Zur sukzessiven Armierung der Landgrafschaft Hessen-Kassel in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts vgl. Gustav Hollenberg (Hrsg.), Die Hessen-Kasselischen Landtagsabschiede. Marburg 1989, S. XXXIII. 55 Zu Dorothea Sophie von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg und ihrem Wirken als Kurfürstin von Brandenburg vgl. Christine von Brühl: Anmut im märkischen Sand. Die Frauen der Hohenzollern. Berlin 2015, S. 56–76. 56 Daniel Schönpflug: Die Heiraten der Hohenzollern. Verwandtschaft, Politik und Ritual in Europa 1640–1918. Göttingen 2013, S. 288. 57 HStAM, 4d 1030, Brief vom 10. Juni 1668, unfol. Die Braut war bis zu dessen Tod 1665 mit Christian Ludwig von Braunschweig-Lüneburg verheiratet gewesen und somit bis zu ihrer zweiten Ehe ‚verwittibt‘. Zu diesem vgl. Christine van den Heuvel: Christian Ludwig – Herzog von Braunschweig und Lüneburg (1622–1665), in: Brigitte Streich (Hrsg.), Stadt – Land – Schloss. Celle als Residenz. Bielefeld 2000, S. 87–95.
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Das Geleit ihres Bruders führe dann bis Gröningen, wo sie den Churfürstl. Vermählungs actui abzuwarthen habe. Zu ihrem Treffen mit der Braut in Herzberg nahm die Landgräfin ihren ältesten Sohn Wilhelm mit, der von dort wieder nach Kassel zurückkehren sollte.58 Neben ihrer Funktion im Rahmen des Brautzuges und dem Besuch der Hochzeit ihres Bruders verband sie mit der Reise auch politische Absichten. So äußerte sie nach der Hochzeit ihr Bedauern darüber, dass sie nur sehr kurz und aüßerlich mit dem Kurfürsten und dessen Ministern habe reden können. Insbesondere interessiere sie dessen Meinung zum jüngst geschlossenen Frieden, wobei es sich um den Frieden von Aachen gehandelt haben dürfte, der im Mai 1668 den Devolutionskrieg beendet hatte.59 Hierin ist wohl auch der Grund zu sehen, weshalb sie den Schreiben an ihren Geheimen Rat zufolge demonstrativ widerwillig der Aufforderung ihres Bruders und dessen Frau folgte, mit nach Berlin zu reisen, statt umgehend nach Kassel zurückzukehren. Die Sechstägige reyse verlief unter einem ansehnlichen und grosen gefolg einer Menge von Caroßen und vielen völkern über Magdeburg, Potsdam und Spandau nach Cölln an der Spree.60 Dort ergab sich dann endlich die ersehnte Gelegenheit, sich mit Friedrich Wilhelm zu beraten, sodass sie im Anschluss wieder nach Kassel abreisen konnte.61 Die Reise von 1668 verband abermals einen Verwandtschaftsbesuch anlässlich einer besonderen Gelegenheit mit politischen Verhandlungen oder zumindest Beratungen, die allerdings – auch aufgrund der Quellenlage – deutlich unkonkreter bleiben als die von 1671. So rechtfertigte die Landgräfin gegenüber ihrem Geheimen Rat ihre Weiterreise nach Cölln an der Spree vor allem unter Bezugnahme auf noch ausstehende politische Gespräche mit ihrem Bruder und dessen Ministern. Ende August und Anfang September 1672 traf sie sich mit Friedrich Wilhelm in Halberstadt.62 Der Grund ihrer Reise lag in der besorgnus der Überziehung Ihrer Landt und leuthe von des Keyserl. und Churbrandenburgischen armée, da deren marche wohl etwas durch Heßen gehe.63 Anlässlich des Französisch-Niederlän-
58 HStAM, 4d 1030, Brief vom 10. Juni 1668, unfol. 59 Ebd., Brief vom 15. Juni 1668, unfol. 60 Ebd., Brief vom 24. Juni 1668, unfol. 61 Ebd., Brief vom 28. Juni 1668, unfol. Sie habe mit ihrem Bruder über ein und andere bekannt meist angelegene puncte sich unterhalten, theils auch einige von hiesigen Ministris hierüber informieret und mit Ihnen daraus communiciren zu laßen, der Zeit und gelegenheit bei so weit bey itzigen zustand möglich gewesen. Genaueres wolle sie mit dem Geheimen Rat nach ihrer Rückkehr mündlich besprechen. 62 Ebd., 4d 1033, Brief vom 30. August 1672: Sie sei gestern abends nach 7 uhr mit unserm comitat anhero gesundt und wohl angekommen. 63 Ebd., Brief vom 31. August 1672, unfol.
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dischen Krieges (1672–1679), „the imperial and Brandenburg armies were at last conjoined on 26 September [1672] near Hildesheim“, um den Truppen des französischen Marschalls Turenne entgegenzutreten.64 Die kaiserliche Armee sollte zu diesem Zweck unter dem Kommando Raimondo Montecuccolis durch HessenKassel ziehen. Die Reise Hedwig Sophies nach Halberstadt zielte darauf ab, bey Jetziger dortiger anwesenheit des herren General Lieuthenants Graffens von Montecuculi durch Vermittlung Ihrer Churf. Dhl. zu Brandenburg als die hierbevor selbst darzu vertröstung gethan, zur Verhütung einer solchen marche von diesen landthen decliniret und abgewendet werden mögen.65
Nach vorhergehenden Gesprächen des Kurfürsten mit dem Heerführer traf sich dieser mit der Landgräfin zwei Tage später persönlich. Sie bat ihn, die marche so einzurichten, daß ihres geliebten Sohns Ld. Landen nicht damit berühret werden möchten. So er auch zu thun versprochen.66 Hedwig Sophie berief sich also auf den Schutz der Länder ihres Sohnes, den sie als Regentin zu gewährleisten habe, und machte in der persönlichen Begegnung mit dem General ihr Amt und die damit verbundene Verantwortung stark. Ihre Reise kann als eine Art ‚Supplikationsreise‘ interpretiert werden.67 Noch ein weiteres Ziel verband die Fürstin mit dieser Reise, das sich allerdings nicht umsetzen ließ: Ihr Bruder habe ihr mitgeteilt, es bestehe Hoffnung auf die in vorschlag kommenden Subsidien von Holland,68 was sie mit ihm persönlich besprechen wolle. In einem weiteren Brief vom selben Tag, vermutlich nach dem Gespräch mit Friedrich Wilhelm, heißt es demgegenüber: Es sei auf die in vorschlag kommenden subsidien von Hollandt schlechte hofnung zu machen.69 Vor allem im 18. Jahrhundert galt Hessen-Kassel als wichtigster Lieferant von Subsidientruppen im Reich und sein politisches Gewicht und Ansehen „beruhte[n] wesentlich auf ihrer ausgezeichneten, aber nur durch Subsidienzahlungen der
64 Olaf van Nimwegen: The Dutch Army and the Military Revolutions (1588–1688). Woodbridge 2010, S. 448. 65 HStAM, 4d 1033, Brief vom 31. August 1671, unfol. 66 Ebd., Brief vom 2. September 1671, unfol. 67 Zumindest unter nichtfürstlichen Frauen galten Suppliken durchaus als geschlechtskonforme Handlung: „Der Anteil von Frauen unter den Absendern von Suppliken gilt allgemein in der Forschung als relativ hoch.“ Joachim Eibach: Männer vor Gericht – Frauen vor Gericht, in: Christine Roll/Frank Pohle/Matthias Myrczek (Hrsg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. Bilanz und Perspektiven der Frühneuzeitforschung, Köln/Weimar/Wien 2010, S. 564. 68 HStAM, 4d 1040, Brief vom 31. August 1671, unfol. 69 Ebd., 4d 1033, Brief vom 31. August 1671, unfol.
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Großmächte in ihrer unverhältnismäßigen Stärke zu erhaltenden Armee“,70 sodass Charles Ingrao sogar vom „Hessian Mercenary State“71 gesprochen hat. Am prominentesten dürfte bis heute die Beteiligung hessischer Soldaten am Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg sein,72 aber bereits 1677 wurde ein erster Subsidienvertrag von Landgraf Karl mit seinem Schwager, dem dänischen König Christian V., geschlossen.73 Die Reise Hedwig Sophies von 1672 zeigt demgegenüber, dass bereits sie bemüht war, hessische Truppen zu vermieten und diese Praxis nicht erst von ihrem Sohn fünf Jahre später angedacht und umgesetzt wurde. Ihr Vorgehen ist dabei in doppelter Hinsicht bemerkenswert: Erstens versuchte sie ganz offensichtlich Subsidienverträge über die Vermittlung ihres Bruders abzuschließen. Durch seine erste Frau, Luise Henriette, die allerdings bereits 1667 verstorben war, war Friedrich Wilhelm eng mit dem Haus Oranje verbunden.74 Unter der Regentschaft ihres Sohnes Landgraf Karl und dessen Nachfolgern sollte es gängige Praxis werden, Subsidienverträge an verwandtschaftliche Beziehungen, insbesondere an Eheprojekte zu binden.75 Womöglich hatte ihr Vorgehen also beispielgebenden Charakter für die Subsidienpolitik ihrer Nachfolger. Zweitens zeigt sich, dass Hedwig Sophie den Durchzug des kaiserlichen Heeres auch aktiv zu nutzen bemüht war: Sie trat nicht nur als passive Bittstellerin auf, die Schaden von Hessen-Kassel abwenden wollte, sondern sie war vielmehr bestrebt, eben diesen Interessenkonflikt für Subsidiengeschäfte zu nutzen. Ihr persönlicher Kontakt und der ihres Bruders mit dem Feldherrn Montecuccoli anlässlich von dessen Durchzug bot eine günstige Gelegenheit für dieses Unterfangen.
70 Wolf von Both/Hans Vogel: Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel. Ein Fürst der Rokokozeit. München 1964, S. 9. 71 Charles W. Ingrao: The Hessian Mercenary State. Ideas, Institutions, and Reform under Fredrick II, 1760–1785. Cambridge 1987. 72 Für eine umfassende Darstellung des aktuellen Forschungsstands zum Einsatz im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und zur vorhergehenden Subsidienpolitik Hessen-Kassels vgl. den Sammelband Holger Thomas Gräf/Andreas Hedwig/Annegret Wenz-Haubfleisch (Hrsg.), Die „Hessians“ im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (1776–1783). Neue Quellen, neue Medien, neue Forschungen. Marburg 2014. 73 Holger Thomas Gräf: Ce troupes fait notre Perou. Die Subsidienverträge der Landgrafschaft Hessen-Kassel im Überblick, in: ders./Hedwig/Wenz-Haubfleisch (Hrsg.), Die „Hessians“ (wie Anm. 72), S. 41–58, hier S. 47. 74 Ulrike Hammer: Kurfürstin Luise Henriette. Eine Oranierin als Mittlerin zwischen Brandenburg-Preußen und den Niederlanden. Münster 2001. 75 Philip Haas: Je me suis marié par des considérations politiques! Die dynastische Ehepolitik Hessen-Kassels unter Landgraf Carl, in: Holger Thomas Gräf/Christoph Kampmann/Bernd Küster (Hrsg.), Landgraf Carl (1654–1730). Fürstliches Planen und Handeln zwischen Innovation und Tradition. Marburg 2017.
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Nach dem Gespräch mit Montecuccoli habe Hedwig Sophie umgehend wieder abreisen wollen, aber der Kurfürst und dessen Frau hätten sie dazu überredet, noch morgen allhier zu bleiben. Sie habe letztlich vor allem deshalb eingewilligt, schrieb sie dem Geheimen Rat, weil sie hoffe, doch noch die Subsidien zu erlangen,76 was allerdings nicht möglich war. Auf dem Rückweg nahm sie ihren Neffen, den späteren Friedrich III. von Brandenburg, mit nach Kassel und bestand darauf, dort mit militärischen Ehren empfangen zu werden.77 Wie bereits 1668 rechtfertigte die Landgräfin gegenüber ihrem Rat die Verlängerung ihres Verwandtschaftsbesuchs über den eigentlichen Reiseanlass hinaus durch einen Verweis auf weiterführende politische Ziele, die sie nur durch die Fortsetzung der Reise erreichen könne. Zwei weitere Reisen dienten der Absicht, Truppendurchzüge und Einquartierungen vom Land abzuwenden, wobei Hedwig Sophie sich abermals auf ihre Verantwortung als Regentin berief: Im August 1674 begab sie sich in die hessische Exklave Schmalkalden und traf sich erneut mit ihrem Bruder, da ihres Sohns landten so allerseits mit verschiedenen durchzügen sehr miniret78 würden. Am 29. August 1674 traf sie sich mit dem Kurfürsten in Meiningen und bat diesen darum, daß der osthen, wo der march vorgenommen wird, die Unterthanen nicht gar so sehr mitgenommen werden mögten, da sich der Durchmarsch nicht gänzlich verhindern ließ.79 Etwa ein Jahr später reiste sie nach Glückstadt, dem damaligen Verwaltungszentrum des dänischen Schleswigs,80 um die negativen Auswirkungen des sogenannten Nordischen Kriegs (1674–1679) auf Hessen-Kassel – genauer gesagt die Exklave Schaumburg81 – einzudämmen. Nach der Niederlage der Schweden gegen Brandenburg bei Fehrbellin schlossen sich immer mehr Territorien der
76 HStAM, 4d 1033, Brief vom 4. September 1671, unfol. 77 Ebd., Brief vom 8. September 1672, unfol. 78 Ebd., 4d 1038, Brief vom 23. August 1674, unfol. 79 Ebd., Brief vom 29. August 1674, unfol. 80 Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt: Glückstadt, in: ders./Ortwin Pelc (Hrsg.), Schleswig-Holstein Lexikon. Neumünster 2000, http://www.geschichte-s-h.de/glueckstadt/(abgerufen am 17. Dezember 2015). Bereits unter Christian IV. von Dänemark war Glückstadt „auf dem Wege, zu einer zweiten Hauptstadt zu werden“ (Rasmussen: Die dänischen Könige (wie Anm. 34), S. 92), konnte dann aber freilich Kopenhagen nicht verdrängen. 81 Zur Teilung der Grafschaft Schaumburg 1640 und der Personalunion des hessischen Anteils mit Hessen-Kassel vgl. insbesondere Annette von Stieglitz: Hessen und Schaumburg. Die Landgrafschaft und ihre Exklave in ihrer verwaltungsorganisatorischen und personellen Verknüpfung, in: Hubert Höing (Hrsg.), Schaumburg und die Welt. Zu Schaumburgs auswärtigen Beziehungen in der Geschichte. Bielefeld 2002, S. 292–321.
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antischwedischen Allianz an82 und es kam auch zum Kampf um die schwedische Besitzung Bremen-Verden.83 Neben den eigentlichen Kriegshandlungen richteten dabei vor allem die Einquartierungen von Truppen beträchtliche Schäden an: „Die Situation eskalierte“ bereits im Anfangsstadium der Auseinandersetzung, „weil man sich teilweise bis zu zehn Monate einquartierte und die einzelnen Armeen deshalb ständig um die knappen Quartierplätze stritten. […] Die Schäden durch Übergriffe während der Einquartierungen […] im Winter 1675“ waren enorm.84 Hedwig Sophie hatte erfahren, man habe dem Hertzog zu Braunschweig für den Fall, dass er sich von Schweden abwende und zur Gegenseite übertrete, zu unterhalt dero armee von dem König Dennemarks, Chur Brandenb. und Munsterischen ministris versprochen, bey Ihro Kays. Mayst. es dahin zu vermitteln, dass die Landgräfin ihm auch die Grafschaft Schaumburg als subsistenzquartier zur Verfügung stelle. Hierdurch alarmiert, traf sie sich mit einem brandenburgischen Kammerherrn und einem Geheimen Rat aus Münster und bat diese, dass unßer antheilen der grafschaft Schaumburg hierunter von Einquartierungen beschont bleiben möchte, was man ihr zugesichert habe.85 Auch an die schwedische Seite wandte sie sich, indem sie Esaias von Pufendorf, dem älteren Bruder Samuel von Pufendorfs, schrieb, der als Diplomat in schwedischen Diensten stand, seit 1674
82 Paul Douglas Lockhart: Sweden in the Seventeenth Century. Basingstoke 2004, S. 120–122; Garry Dean Peterson: Warrior Kings of Sweden. The Rise of an Empire in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. North Carolina/London 2007, S. 232–238, besonders S. 236. 83 Zur Provinz Bremen-Verden unter schwedischer Herrschaft vgl. Beate-Christine Fiedler: Die Verwaltung der Herzogtümer Bremen und Verden in der Schwedenzeit 1652–1715. Organisation und Wesen der Verwaltung. Stade 1987; Jürgen Bohmbach: Ein Anzug, der nicht paßte – die Herzogtümer Bremen und Verden als schwedischer Brückenkopf, Kompensationsobjekt und militärisches Reservoir, in: Horst Wernicke/Hans–Joachim Hacker (Hrsg.), Der Westfälische Frieden von 1648 – Wende in der Geschichte des Ostseeraums. Hamburg 2001, S. 247–266; Beate-Christine Fiedler: Bremen-Verden im Visier der schwedischen Krone, in: Inken Schmidt-Voges/Nils Jörn (Hrsg.), Mit Schweden verbündet – von Schweden besetzt. Akteure, Praktiken und Wahrnehmungen schwedischer Herrschaft im Alten Reich während des Dreißigjährigen Krieges. Hamburg 2016, S. 225–244. 84 Maren Lorenz: Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650–1700). Köln 2007, S. 55. 85 HStAM, 4d 1037, Brief vom 2. September 1675, unfol.
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Kanzler in Stade war86 und sich in Norddeutschland aufhielt,87 er möge zu dießer Land Sicherheit und Beschützung Schaumburg verschonen.88 Hedwig Sophie hatte zuvor, im Sommer des Jahres 1675, auch eine Badeoder Kurreise zum Pyrmonter Bronnen unternommen,89 der für sie recht günstig zwischen dem Territorium Hessen-Kassels und dem weiter nördlich gelegenen Schaumburg lag. Bei Pyrmont handelte es sich um einen der prominentesten Badeorte für hochadlige Kurreisen.90 Kur- oder Badereisen galten als ein legitimer Reisegrund für Frauen und „konnten allein unternommen werden“, ja „hier war unter Umständen die Begleitung durch den Fürsten eher ungewöhnlich“.91 Auffällig ist, dass Hedwig Sophie über den Verlauf der Reise selbst und ihren Aufenthalt im Kurort in ihren Berichten an den Geheimen Rat fast kein Wort verlor. Stattdessen traf sie vor allem Anordnungen zu einer Truppenrevolte in Lippstadt, über welche Kassel sie auf dem Laufenden hielt. Ihre Badereise unterbrach ihre Tätigkeit als Regentin nicht, vielmehr setzte sie ihre Arbeit durch die Korrespondenz mit dem Geheimen Rat auch in Abwesenheit fort. Der Aufenthalt in Pyrmont wurde akzeptiert, aber von der Regentin nicht in den Vordergrund gestellt oder inszeniert, wohl weil kein direkter politischer Vorteil aus dieser Reise zu erwarten war.92 Ab 1676 führte Hedwig Sophie in Brandenburg die Eheverhandlungen für die Hochzeit ihrer Tochter Elisabeth Henriette mit Friedrich III. von Brandenburg.
86 Heiko Droste: Im Dienste der Krone. Schwedische Diplomaten im 17. Jahrhundert. Berlin 2006, S. 405: „Kanzler in Stade 7. März 1674“. 87 Reinhold Brode: Pufendorf, Esaias, in: Allgemeine Deutsche Biographie 26 (1888), S. 695–99, http://www.deutsche-biographie.de/pnd104156457.html?anchor=adb (abgerufen am 16. Dezember 2015): „Eine Reihe von Gesandtschaften führte nach der Fehrbelliner Schlacht den bewährten Diplomaten mit der Instruction, nach Bundesgenossen zu spähen, an verschiedene deutsche Fürstensitze. 1675 verhandelte er in Neuburg, in München, in Hannover.“ 88 HStAM, 4d 1037, Brief vom 13. August 1675, unfol. 89 Ebd., 4d 1036, Brief vom 17. August 1675, unfol. 90 Holger Thomas Gräf/Ralf Pröve: Wege ins Ungewisse. Reisen in der Frühen Neuzeit 1500– 1800. Frankfurt a. M. 1997, S. 45. Vgl. auch Reinhold P. Kuhnert: Urbanität auf dem Lande. Badereisen nach Pyrmont im 18. Jahrhundert. Göttingen 1984; Hans-Henning Walter: Bad Pyrmont. Das Fürstenbad Europas, in: ders. (Hrsg.), Der salzige Jungbrunnen. Geschichte der deutschen Soleheilbäder. Freiberg 2006, S. 177–183. 91 Raschke: Fürstinnenreisen (wie Anm. 15), S. 194. Vgl. auch Holländer: Reisen (wie Anm. 14), S. 190. 92 Freilich ist in Rechnung zu stellen, dass die Reisen einer (regierenden) Fürstin per se eine politische Dimension beinhaltete, insbesondere wenn sie nicht inkognito reiste. An dieser Stelle wird unter einer fehlenden ‚politischen‘ Dimension verstanden, dass Hedwig-Sophie nicht mit festen Verhandlungszielen nach Pyrmont reiste, wie dies bei den anderen hier betrachteten Reisen der Fall war.
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Eheanbahnungen waren ein diplomatisch äußerst heikles Terrain, bei einem Scheitern der Verhandlungen konnte es unter Umständen zu einem Ehrverlust der beteiligten fürstlichen Akteure kommen. Nur bei bereits bestehender Verwandtschaft und einem Klima des Vertrauens traten die Familienoberhäupter schon während der Sondierungsgespräche in direkten Kontakt miteinander, ansonsten wurden indirekte Verhandlungswege wie etwa geheime Gesandtschaften oder eine dritte Partei als Unterhändler bevorzugt.93 Die enge Verwandtschaft mit dem Kurfürsten ließ solche direkten Verhandlungen beider Familienoberhäupter offensichtlich zu und machte diplomatische Reisen Hedwig Sophies an den Hof ihres Bruders zum Zwecke der Sondierung der Ehe möglich. Im Laufe der dreijährigen Verhandlungen trat ihr ältester Sohn Karl mehr und mehr in den Vordergrund und übernahm schließlich im folgenden Jahr (1675) die Herrschaft in Hessen-Kassel.94 1683 starb Hedwig Sophie auf ihrem Witwensitz Schloss Wilhelmsburg in Schmalkalden,95 dessen besondere Lage als Exklave Hessen-Kassels traditionell genutzt wurde, um eine Einmischung verwitweter Fürstinnen in die Politik zu verhindern.96
3 Fazit – Die Reisen der Regentin als multifunktionale Bündelungen Die Reisen der Landgräfin Hedwig Sophie in den knapp 15 Jahren ihrer Regentschaft zeigen exemplarisch ein eigenständiges Profil von Regentinnenreisen, in denen Politik allgegenwärtig war.
93 Vgl. Bengt Büttner/Philip Haas: Geheim – Öffentlich – Sicher. Der Ablauf von Verhandlungen und die Funktion der Öffentlichkeit bei dynastischen Ehen der Frühen Neuzeit, in: Historisches Jahrbuch 137 (2017), S. 218–247; ders.: Qualia ex repudiis Illustrium infortunia et calamitates! Verhandlungsabbruch und öffentliche Zurückweisung als Sicherheitsproblem dynastischer Ehen der Frühen Neuzeit, in: Horst Carl, Christoph Kampmann, Rainer Babel (Hrsg), Sicherheitsprobleme im 16. und 17. Jahrhundert – Bedrohungen, Konzepte, Ambivalenzen. Baden-Baden 2017 (im Erscheinen). 94 Vgl. Haas: Fürstenehe und Interessen (wie Anm. 7), S. 196–205. 95 Johannes Wießing: Schmalkalden: Eine kleine Stadt mit großer Geschichte. Wetzlar 2013, S. 246. 96 Uta Löwenstein: „Daß sie sich uf iren Withumbssitz begeben und sich sonsten anderer der Herrschaften Sachen und Handlungen nicht undernemen…“ Hofhaltung fürstlicher Frauen und Witwen in der frühen Neuzeit, in: Jörg Jochen Berns/Detlef Ignasiak (Hrsg.), Frühneuzeitliche Hofkultur in Hessen und Thüringen. Erlangen/Jena 1993, S. 115–141, insbesondere S. 116.
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Besonders deutlich veranschaulichte dies die Reise nach Kopenhagen im Herbst des Jahres 1671. Unzufrieden mit den Verhältnissen am dänischen Hof und den Resultaten der Eheverhandlungen ihrer Tochter vier Jahre zuvor, war Hedwig Sophie bestrebt, diese nachträglich zu justieren und zu verändern. Gegen den Willen ihres Bruders, aber mit dessen diplomatischer Unterstützung, versuchte sie, die Beziehung zum dänischen König, die konfessionelle Situation ihrer Tochter und deren Witwenversorgung zu verbessern, was ihr weitgehend gelang. Sie nutzte die diplomatische Bühne Kopenhagens, um Kontakte zu Botschaftern europäischer Mächte zu knüpfen und ihren ältesten Sohn an einem Königshof einzuführen. Die Zwecke ihrer Reise waren also eher diplomatischer Natur und wurden auch gegenüber dem Geheimen Rat vor allem als solche dargestellt und gerechtfertigt. Gegenüber der dänischen Seite kommunizierte Hedwig Sophie ihre Reise als Verwandtschaftsbesuch und stellte gerade nicht ihre diplomatischen Zielsetzungen in den Vordergrund. Im Gegenteil: Auch wenn die Landgräfin in Kopenhagen selbstverständlich in persönlichen Kontakt zu ihrem Schwiegersohn trat, scheint sie mit ihm nicht über ihre politischen Zielsetzungen gesprochen zu haben. Um diese Angelegenheiten mit dem dänischen König zu besprechen, bediente sie sich der Vermittlung des brandenburgischen Gesandten von Blumenthal, der eigens von ihrem Bruder Friedrich Wilhelm zu diesem Zweck nach Kopenhagen entsandt worden war, unterstrich jedoch die eigenen Ziele durch ihre bloße Anwesenheit. Blumenthal führte mit ihrem Schwiegersohn die Nachverhandlungen zur Ehe ihrer Tochter von 1667. Auch die weiteren hier betrachteten Beispiele zeigen: Hedwig Sophie verknüpfte Verwandtschaftsreisen geschickt mit politischen Verhandlungen. Sie besuchte ihren Bruder anlässlich seiner Hochzeit und geleitete sogar die Braut ein Stück des Weges. Dennoch musste die Reise auch nach vollzogener Zeremonie verlängert werden, da noch keine Gelegenheit zu politischen Konsultationen bestanden hatte, jedenfalls wurde dies so vor dem Geheimen Rat begründet. Ähnlich verhielt es sich bei einer weiteren Reise zu ihrem Bruder nach Halberstadt, wo sie versuchte, hessische Soldaten an die Niederlande zu vermieten, und deshalb ihre Reise verlängerte. Generell sah sich Hedwig Sophie ganz offensichtlich gegenüber ihren Räten immer wieder dazu veranlasst, die politische Dimension ihrer Reisen hervorzuheben, während sie zugleich fast ausnahmslos Verwandtschaftsbesuche als Reiseanlass wählte. Diesen Anlass konnte sie nach außen in den Vordergrund stellen, statt ihre politischen Absichten zu betonen. Dazu hielt auch der Geheime Rat sie an, wie insbesondere die Reise nach Dänemark veranschaulicht. Der doppelte Charakter ihrer Reisen als Verwandtschaftsbesuche und politische Verhandlungen und die Möglichkeit gegenüber unterschiedlichen Adressaten, einen der beiden Reisezwecke zu betonen, verdeutlichen den Handlungsspielraum der reisenden Regentin.
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Mehrfach bat sie auswärtige Mächte um die Schonung der Territorien. Unter Vermittlung ihres Bruders, aber 1675 auch in eigener Initiative, bemühte sie sich, Durchzüge und Einquartierungen abzuwenden, was ihr zumeist auch gelang. Neben der Fürsprache ihres Bruders dürfte dabei ihr Status als Witwe und Vormundschaftsregentin ausschlaggebend gewesen sein. Gleichwohl ließ sie es hier nicht bei der Rolle als Bittstellerin bewenden, sondern sie wurde auch gestalterisch tätig: Den Durchzug eines kaiserlichen Heeres im Jahre 1672 unter Befehl des Feldherrn Montecuccoli in die Niederlande begriff sie als Gelegenheit, um durch die Vermittlung ihres Bruders über die Vermietung hessischer Subsidientruppen an die Generalstaaten zu verhandeln. Dennoch zeigt sich, dass bereits Hedwig Sophie und nicht erst ihr Sohn Karl Subsidienpolitik betreiben wollte und hierfür auf verwandtschaftliche Bindungen zurückgriff. Auch zu diesem Zweck ging sie auf Reisen. Die Reiseaktivität Hedwig Sophies erweckt insgesamt einen streng zweckgebundenen Eindruck, dienten ihre Unternehmungen doch anscheinend stets einer konkreten Zielsetzung nach Art einer diplomatischen Mission. Dies mag allerdings auch auf die Quellengattung zurückzuführen sein, nämlich ihre Briefe und Berichte sowie Rechtfertigungen gegenüber ihrem Geheimen Rat. Mit Ausnahme der Reise nach Glückstadt waren stets Verwandtschaftsbesuche der Anlass, ließ sich ‚Persönliches‘ und offensichtlich auch Angenehmes mit dem Nützlichen verbinden. Reisen jenseits diplomatischer Zwecke, wie ihr Kuraufenthalt in Pyrmont, waren gegebenenfalls legitim, aber nicht weiter der Rede wert. Der komplexe Charakter von Regentinnenreisen konnte herausgestellt werden und wäre an weiteren Beispielen zu untersuchen. Zugleich hat sich gezeigt, dass Reisen und persönliche Begegnungen ein wichtiges Instrument einer Vormundschaftsregierung darstellten oder darstellen konnten.
Teresa Schröder-Stapper
Äbtissinnen und Stiftsdamen unterwegs Die Reisen der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (1651–1728)
Abb. 1: Peter Schenk, Charlotte Sophie von Kurland (1651–1728), Äbtissin von Herford (1688–1728), undatierter Kupferstich.
Als 1698 kurbrandenburgische Soldaten auf die Herforder Stiftsfreiheit eindrangen, floh die Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland (1651–1728) angesichts so offenbahre[r] Gewaldt nach Wien.1 Auf dem Weg dorthin machte sie in Regensburg Halt.
1 Hessisches Staatsarchiv Marburg (künftig: HStA Marburg), 4f Preußen Nr. 434, Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel, 18. Juli 1698, unfol. Kurfürst Friedrich III./I. von Brandenburg engagierte sich im Konflikt zwischen der Äbtissin und der Dekanissin des Herforder Stiftes und beanspruchte damit nicht nur die Stellung eines übergeordneten Richters, sondern die Landeshoheit über das reichsunmittelbare Stift. Vgl. zu den zahlreichen Konflikten im und um das Stift Herford Teresa Schröder-Stapper: Fürstäbtissinnen. Frühneuzeitliche Stiftsherrschaften zwischen Verwandtschaft, Lokalgewalten und Reichsverband. Köln/Weimar/ https://doi.org/10.1515/9783110532937-008
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Teresa Schröder-Stapper
Abb. 2: Flucht der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland aus ihrem Stift Herford nach Regensburg und Wien in den Jahren 1698 bis 1702 und ihr Gang von Herford ins Exil nach Verden im Jahr 1703
Hier traf sie mit verschiedenen Reichstagsgesandten und dem Prinzipalkommissar des Kaisers, Fürst Ferdinand August von Lobkowitz, zusammen und suchte bei ihnen Hilfe.2 Diese Kontaktaufnahme fand nicht im öffentlichen Raum der Beratungen statt, sondern in informellen Treffen am Rande des Reichstages, aber dennoch vor einem breiten Publikum. Denn obwohl die Äbtissin inkognito auf ihrer Fahrt durch Regensburg reiste, blieben ihr Aufenthalt sowie die Gründe ihrer Durchreise nicht unbemerkt, sondern lösten Entrüstung unter den Gesandten der anderen Stände aus, die die Besetzung des Herforder Stifts durch kurbrandenburgisches Militär verurteilten.3
Wien 2015 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Studien zur Geschichte, Literatur und Kunst). 2 HStA Marburg, 4f Preußen Nr. 434, Auszug aus dem Bericht des hessischen Reichstagsabgesandten Freiherrn Adam Eckenbrecht von der Malsburg, 29. August 1698, unfol.; ebd., Kurfürst/ König Friedrich III./I. von Brandenburg an Landgraf Karl von Hessen-Kassel, 12. August 1698, unfol. 3 Ebd., Kurfürst/König Friederich III./I. von Brandenburg an Landgraf Karl von Hessen-Kassel, 12. August 1698, unfol.
Äbtissinnen und Stiftsdamen unterwegs
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Dies war und blieb nicht die einzige Reise, die die Herforder Äbtissin unternahm. Vielmehr war das Leben von Charlotte Sophie von Kurland von Kindheit an durch vielfältige Ortswechsel geprägt. Die Herzogin kann daher als gutes Beispiel für die Mobilität von hochadligen Frauen in der Frühen Neuzeit gelten. Anhand ihres Falles und unter Berücksichtigung weiterer Beispiele reisender Stiftsdamen und Äbtissinnen aus den kaiserlich freiweltlichen Damenstiften Essen, Herford und Quedlinburg nehme ich im Nachfolgenden unterschiedliche Typen (Besuch, Vergnügungsreise, Flucht, Exil) und Anlässe (adliger Kindertausch, Verwandtschaftsbesuche, politisch motivierte Reisen) von Reisen hochadliger Frauen in den Blick. Besondere Aufmerksamkeit schenke ich dabei dem Grad an Freiwilligkeit, mit dem die Damen die Reisen antraten. Bereits das Eingangsbeispiel legt nahe, dass nicht jede Reise aus freien Stücken, sondern mitunter unter Zwang angetreten wurde. Dies galt nicht allein für den Anlass, sondern auch für das Ziel, das unter Umständen nicht frei wählbar, sondern von anderen, zum Beispiel den Eltern, vorgegeben wurde. Ausgangsbedingungen, wie etwa fehlende finanzielle Mittel, nahmen ebenfalls Einfluss auf Gestalt und Ziel der Reise. Zugleich gilt meine Aufmerksamkeit der repräsentativen Ausstattung der Reise, sprich ihrem eher informellen oder aber formellen Charakter. Die Standesrepräsentation und der Ausweis von Rangstellung spielten im frühneuzeitlichen Adel eine nicht zu vernachlässigende Rolle der eigenen Selbstvergewisserung und der Darstellung nach außen.4 Zugleich werden Fragen nach der Finanzierung solcher Reisen, der Reisebegleitung und den mit der Reise verbundenen Gefahren behandelt. Die Darstellung orientiert sich an den verschiedenen Lebensabschnitten einer hochadligen Stiftsdame oder Äbtissin. Geschlecht, Stand, Status und Alter bilden somit die interdependenten Analysekategorien, die den nachfolgenden Ausführungen zugrunde liegen.5 Im Hinblick auf die Beschäftigung mit der Mobilität hochadliger Stiftsdamen ist es zunächst unerlässlich, auf den Unterschied zwischen Kloster und freiweltlichem Damenstift einzugehen, der maßgeblich für die Mobilität der Insassen war.
4 Vgl. hierzu Vinzenz Czech: Legitimation und Repräsentation. Zum Selbstverständnis thüringisch-sächsischer Reichsgrafen in der frühen Neuzeit. Berlin 2003. 5 Vgl. Andrea Griesebner: Geschlecht als mehrfach relationale Kategorie. Methodologische Anmerkungen aus der Perspektive der Frühen Neuzeit, in: Veronika Aegerter (Hrsg.), Geschlecht hat Methode. Zürich 1999, S. 129−137; dies.: Historisierte Körper. Eine Herausforderung für die Konzeptualisierung von Geschlecht, in: Christa Gürtler/Eva Hausbacher (Hrsg.), Unter die Haut. Körperdiskurse in Geschichte(n) und Bildern. Innsbruck/Wien 1999, S. 53−75; Michaela Hohkamp: Im Gestrüpp der Kategorien: zum Gebrauch von „Geschlecht“ in der Frühen Neuzeit, in: Andrea Griesebner/Christina Lutter (Hrsg.), Die Macht der Kategorien. Perspektiven historischer Geschlechterforschung. Wien 2000 (Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit, Bd. 2), S. 6−17.
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Teresa Schröder-Stapper
Während das Leben in einem Kloster mehrheitlich durch die stabilitas loci und strenge Klausurregelungen geprägt war,6 war es hochadligen Stiftsdamen nicht nur erlaubt, das Stift immer wieder für Reisen zu verlassen, sondern mehr noch durch die Aufnahme in mehreren Stiften zwingend erforderlich, um an den jeweiligen Orten ihren Pflichten nachzukommen.7 In der Reisetätigkeit spiegelt sich mitunter auch der ständische Unterschied zwischen niederadligen und bürgerlichen Klosterfrauen, niederadligen Stiftsdamen und hochadligen Stiftsdamen wider. Letztere hatten in weit größerem Maße nicht nur die finanziellen Mittel, um zu reisen, sondern waren aufgrund ihrer hochadligen Sozialisation einen häufigen Ortswechsel zwischen verschiedenen Winter- und Sommerresidenzen, repräsentativen Ausflügen und Verwandtenbesuchen gewohnt. Dies soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass es nicht auch unter niederadligen und bürgerlichen Klosterfrauen sowie niederadligen Stiftsdamen ein gewisses Maß an Mobilität gab,8 aber wohl in geringerem Ausmaß und in anderer Gestalt. Das Amt der Äbtissin und die damit verbundenen Regierungsaufgaben haben weniger Bedeutung für die Mobilität der Amtsträgerinnen, da diese mehrheitlich durch ihr Kanzleipersonal in Vertretung wahrgenommen wurden.9
6 Zur Unterscheidung zwischen Kloster und Stift vgl. Teresa Schröder: Zwischen Chorgesang und Kartenspiel – Lebensführung und Herrschaftspraxis in Kloster und Stift, in: Veronika Capská/Ellinor Forster/Janine Christina Maegraith/Christine Schneider (Hrsg.), Zwischen Aufbruch und Ungewissheit. Klösterliche und weltliche Frauengemeinschaften in Zentraleuropa im „langen“ 18. Jahrhundert. Opava 2012, S. 267−295. 7 Vgl. Ute Küppers-Braun: Macht in Frauenhand. 1.000 Jahre Herrschaft adliger Frauen in Essen. 4. Aufl. Essen 2008, S. 170; dies.: Frauen des hohen Adels im kaiserlich-freiweltlichen Damenstift Essen (1605–1803). Eine verfassungs- und sozialgeschichtliche Studie. Zugleich ein Beitrag zur Geschichte der Stifte Thorn, Elten, Vreden und St. Ursula in Köln. Münster 1997 (Quellen und Studien. Veröffentlichungen des Instituts für kirchengeschichtliche Forschung, Bd. 8), S. 246. 8 Vgl. zum Beispiel Renate Oldermann: Eine Stiftsjungfer im Dreissigjährigen Krieg. Das Leben der westfälischen Adligen Lucretia von Haren (1605–1675). Köln/Weimar/Wien 2013; Jan Zdichynec: quia sic fert consuetudo? Die Klausur in den Zisterzienserinnenklöstern der Frühen Neuzeit: Vorschriften, Wahrnehmung und Praxis, in: Capská/Forster/Maegraith/Schneider (Hrsg.), Zwischen Aufbruch und Ungewissheit (wie Anm. 6), S. 37−68. 9 Vgl. hierzu Schröder-Stapper: Fürstäbtissinnen (wie Anm. 1), S. 303−315, 322−333.
Äbtissinnen und Stiftsdamen unterwegs
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1 Erziehung und Ausbildung Charlotte Sophie von Kurland war die Tochter Herzog Jacobs von Kurland (1610–1682) und dessen Frau Luise Charlotte von Brandenburg (1617–1676), einer Schwester des Großen Kurfürsten, und wurde am 1. September 1651 in Mittau im Herzogtum Kurland geboren. Große Teile ihrer Kindheit und Jugend verbrachte sie an den Höfen ihres Onkels Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (1620–1688) in Berlin und ihrer Tante Landgräfin Hedwig Sophie von HessenKassel (1623–1683), ebenfalls eine Schwester ihrer Mutter. Denn bereits wenige Jahre nach ihrer Geburt wurde das kleine Herzogtum Kurland durch den Ausbruch des Zweiten Nordischen Krieges stark in Mitleidenschaft gezogen und der wirtschaftliche Aufschwung zunichte gemacht, die Herzogsfamilie geriet sogar zwischenzeitlich in Gefangenschaft.10 Noch während des Krieges kam Charlotte Sophie an den kurbrandenburgischen Hof und wurde dort zwischen 1660 und 1667 erzogen. Sie reiste gemeinsam mit ihrem Bruder Alexander (1659–1686).11 Die Aufnahme von Kindern aus dem Verwandtenkreis war keine Seltenheit in der frühneuzeitlichen Adelsgesellschaft.12 Es ist kaum anzunehmen, dass die Kinder dabei viel Einflussmöglichkeit hatten. Der Kindertausch diente sowohl als Mittel der Vernetzung zwischen den verwandten Dynastien als auch als Solidaritätsbeweis.13 Dieses Spektrum an Motiven spielte auch im Fall der kurländischen Prinzen und Prinzessinnen eine Rolle. Zwar diente deren Aufnahme sowohl am Hof in Berlin als auch durch Landgräfin Hedwig Sophie von Hessen-
10 Vgl. Almut Bues: Das Herzogtum Kurland und der Norden der polnisch-litauischen Adelsrepublik im 16. und 17. Jahrhundert. Gießen 2001. Hier auch weiterführende Literatur zum Herzogtum Kurland. 11 Vgl. ebd., S. 109. Während der Wahlabsprachen zur Neuwahl einer Herforder Äbtissin im Jahr 1688 erklärte Friedrich Wilhelm selbst, dass seine Nichte an seinem Hof erzogen worden sei. Vgl. Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abt. Westfalen Münster (künftig: LAV NRW W Münster), Fürstabtei Herford Nr. 1211: Friedrich Wilhelm an den brandenburgischen Landdrosten in der Grafschaft Ravensberg von dem Busche, 8./18. April 1688, unfol. 12 Vgl. zur frühneuzeitlichen Praxis der Kinderverschickung Sophie Ruppel: Verbündete Rivalen. Geschwisterbeziehungen im Hochadel des 17. Jahrhunderts. Köln/Weimar/Wien 2006, S. 89−94. 13 Vgl. Cordula Nolte: Die Familie im Adel. Haushaltsstrukturen und Wohnverhältnisse im Spätmittelalter, in: Karl-Heinz Spieß (Hrsg.), Die Familie in der Gesellschaft des Mittelalters. Ostfildern 2009 (Vorträge und Forschungen, Bd. 71), S. 77−105, hier 89 f.; vgl. zu den möglichen Motiven von Kinderverschickung im spätmittelalterlichen Adel Cordula Nolte: Familie, Hof und Herrschaft. Das verwandtschaftliche Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Reichsfürsten am Beispiel der Markgrafen von Brandenburg-Ansbach (1440–1530). Ostfildern 2005 (MittelalterForschungen, Bd. 11), S. 193.
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Kassel zunächst einmal der Entlastung der Herkunftsfamilie in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Der Werdegang der herzoglichen Kinder zeugt jedoch davon, dass sich daraus gleichzeitig militärische Karrieren und Eheprojekte ergaben. Während die nachgeborenen Söhne Ferdinand (1655–1737) und Alexander in die brandenburgische Armee eintraten, wurde Maria Amalie (1653–1711) am Hof in Kassel auf ihre Rolle als künftige Landgräfin vorbereitet. Insbesondere bei der Suche nach geeigneten und vor allem reformierten Ehemännern für ihre Töchter setzte die Herzogin von Kurland auf die Hilfe ihres Bruders, den Großen Kurfürsten. So bat sie dessen Vertrauten, Oberpräsident Otto von Schwerin (1616–1679), er möchte den so gut sein und bey sein Churfürst helffen, das Seine Churfürstliche Durchlaucht für ihre Arme reformirte Megdlein hülf Mitsorgen.14 Tatsächlich war Friedrich Wilhelm am Zustandekommen der Ehen seiner Nichten Luise Elisabeth (1646–1690) mit dem Landgrafen Friedrich II. von Hessen-Homburg (1633–1708) und Marie Amalie mit dem Landgrafen Karl von Hessen-Kassel (1654–1730) beteiligt.15 Dem von ihm betriebenen Eheprojekt für Charlotte Sophie mit dem Markgrafen Christian Ernst von Bayreuth (1655–1712) setzte jedoch der Rückzieher des Bräutigams ein Ende.16 Stattdessen trat er später nachdrücklich für ihre Wahl zur Äbtissin des Stiftes Herford ein.17 Nicht nur die Höfe von Verwandten dienten als Anlaufpunkt für die Erziehung von hochadligen Töchtern, gleiches gilt auch für die verschiedenen Damenstifte. Mit einem solchen Aufenthalt war nicht zwangsläufig direkt der Eintritt ins Stift verbunden, sondern nicht selten waren hochadlige Töchter zum Beispiel bei nahen Verwandten zu Besuch im Stift. Dies gilt für Prinzessin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar (1657–1704), die auf eigenen Wunsch zwanzigjährig als Kostgängerin der Äbtissin Anna Sophia von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld (1619–1680) Aufnahme im Stift Quedlinburg zur religiösen Unterweisung fand.18 Ihre Weima-
14 Luise Charlotte an den kurbrandenburgischen Oberpräsidenten des Geheimen Rates und engen Vertrauten des Großen Kurfürsten, Reichsfreiherr von Schwerin (22. April 1661), abgedruckt in: Leopold von Orlich: Friedrich Wilhelm der Große Kurfürst. Nach bisher noch unbekannten Original=Handschriften. Berlin/Posen/Bromberg 1836, Anhang S. 65. 15 Vgl. August Seraphim: Eine Schwester des Großen Kurfürsten Luise Charlotte Markgräfin von Brandenburg, Herzogin von Kurland (1617–1676). Berlin 1901, S. 123−125. 16 Vgl. ebd., 119–123; Friedrich Wilhelm an Oberpräsident von Schwerin (20. Mai 1671) in: Ferdinand Hirsch (Hrsg.), Urkunden und Actenstücke zur Geschichte des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg, Bd. 12, Politische Verhandlungen, Bd. 8. Berlin 1892, S. 949, Anm. 1. 17 Vgl. Schröder-Stapper: Fürstäbtissinnen (wie Anm. 1), S. 56, 145 f. 18 Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (künftig: ThHStA Weimar), Auswärtige Angelegenheiten Nr. D 2192, Anna Dorothea von Sachsen-Weimar an den Weimarer Kanzler Happen, 30. Juni 1677, fol. 9r−10r. In dem Schreiben bat die Prinzessin den Kanzler nicht nur, sich darum zu
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rer Herkunftsdynastie zahlte der Äbtissin für ein Jahr 300 Reichstaler Kostgeld für Kost Gemach, Holz, Licht und andere ermelte Bequemlichkeiten.19 Jedoch bereits kurz nach ihrer Ankunft im Stift machte sich die Prinzessin Hoffnungen auf die Koadjutorie und damit die künftige Nachfolge im Amt der Äbtissin. Auch wenn sich diese Hoffnungen mit der Wahl der amtierenden Pröpstin Anna Sophia von Hessen-Darmstadt (1636–1683) zerschlugen, plante Anna Dorothea ihren dauerhaften Eintritt ins Stift und ihre Karriere innerhalb der Stiftshierarchie. Sie richtete ihr Augenmerk zunächst auf das freiwerdende Amt der Pröpstin. 1681 zur Pröpstin aufgestiegen, bemühte sie sich erneut um die Koadjutorie und gelangte schließlich 1685 als Äbtissin an die Spitze des Stifts.20 Nicht nur Anna Dorothea, sondern auch ihre Schwestern Wilhelmine (1658–1712) und Eleonore Sophie (1660–1687) hielten sich zeitweise in Quedlinburg auf, jedoch ohne eine Stelle als Kanonissin anzustreben. Damenstifte fungierten in der Frühen Neuzeit nicht selten als familiäre Erziehungsinstitution, wo Tanten ihre Nichten gemäß ständischer und religiöser Werte erzogen.21 Ein solches Verhältnis ist auch für Charlotte Sophie von Kurland und ihre Nichte Eleonore von Hessen-Homburg (1679–1763) belegt, die nach dem frühen Tod ihrer Mutter von der ins Amt der Herforder Äbtissin aufgestiegenen Herzogin von Kurland zeitweise erzogen wurde. Vor dem Hintergrund solcher Personenkonstellationen hat Ute Küppers-Braun die Erziehungs- und Sozialisationsfunktion frühneuzeitlicher Damenstifte betont.22 Blieb eine hochadlige Prinzessin vorerst unverheiratet und gehörte auch keiner Korporation wie einem Kloster oder Stift an, war sie nicht selten gezwungen, auch später noch von einem verwandten Fürstenhof zum nächsten zu reisen. Dies gilt nicht nur für Charlotte Sophie von Kurland, die sich in den 1670er und
bemühen, dass sie ihren Aufenthalt im Stift nehmen könne, sondern auch den Vater von diesem Anliegen zu überzeugen. 19 Ebd., Vereinbarung zur Unterbringung der Prinzessin Anna Dorothea von Sachsen-Weimar im Stift Quedlinburg, 13. Juli 1677, fol. 19r−21v. 20 Vgl. Schröder-Stapper: Fürstäbtissinnen (wie Anm. 1), S. 91−93. 21 Zur Funktion der Tante vgl. Michaela Hohkamp: Editorial: Tanten, in: WerkstattGeschichte 46 (2007), S. 3−4; dies.: Eine Tante für alle Fälle: Tanten-Nichten-Beziehungen und ihre politische Bedeutung für die reichsfürstliche Gesellschaft der Frühen Neuzeit (16. bis 18. Jahrhundert), in: Margareth Lanzinger/Edith Saurer (Hrsg.), Politiken der Verwandtschaft. Wien 2007, S. 149−171; dies.: Tanten: vom Nutzen einer verwandtschaftlichen Figur für die Erforschung familiärer Ökonomien in der Frühen Neuzeit, in: WerkstattGeschichte 46 (2007), S. 5−12. 22 Vgl. Ute Küppers-Braun: Katholische Hochadelsstifte als Orte weiblicher Sozialisation im 17. und 18. Jahrhundert, in: Elke Kleinau/Claudia Opitz (Hrsg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung, Bd. 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung. Frankfurt a. M. u. a. 1996, S. 207−217. Ähnliches lässt sich aber auch von den evangelischen Damenstiften sagen.
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1680er Jahren vorzugsweise am landgräflichen Hof in Kassel bei ihrer Schwester Marie Amalie aufhielt, sondern auch für Elisabeth von der Pfalz (1618–1680) nach dem Sturz ihres Vaters, Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz (1596–1632). Eine regelrechte Odyssee führte sie seit ihrem zweiten Lebensjahr an verschiedene Höfe ihres verwandtschaftlichen Beziehungsnetzes insbesondere nach Berlin/Cölln an der Spree, Kassel und später Osnabrück zu ihrer Schwester Sophie (1630–1714).23 Erst mit ihrer Aufnahme ins Stift Herford sowie ihrer Wahl zur Koadjutorin und damit künftigen Äbtissin im Jahr 1661 endete ihr Wanderleben.24
2 Wahl und Amtsantritt Als Charlotte Sophie von Kurland am 20./30. Juni 1688 zur neuen Äbtissin von Herford gewählt wurde, geschah dies in ihrer Abwesenheit.25 Sie weilte am landgräflichen Hof in Kassel, und das, obwohl sie seit November 1686 eine Stelle als Kanonissin im Stift innehatte.26 Ihre Stimmabgabe hatte sie per Vollmacht an den Amtmann zu Möllenbruch Henrich Dilmers und den Obristen von Hanstein delegiert.27 Zum Ende des 17. und vor allem im 18. Jahrhundert hielten sich die Herforder Kanonissen mehrheitlich nicht mehr dauerhaft im Stift auf, sondern lebten weiterhin am Hof ihrer Herkunftsdynastie. Die Statuten des Herforder Stifts bestätigen: Eine Canonissin bedarf nicht, wann Sie nicht gern will, steths praesent zu seyn.28 Zugleich heben die Statuten jedoch das Wahlrecht der Kanonissin bei der Wahl einer neuen Äbtissin und die Partizipation an der Stiftsregierung während der Vakanz gemeinsam mit den Kapitularen hervor. Die Bevollmächtigung von Dritten mit der Stimmabgabe stellte jedoch seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts keine Seltenheit im Herforder Stift dar. Vielmehr sah sich das
23 Helge Bei der Wieden: Elisabeth von der Pfalz in ihrer Zeit, in: ders. (Hrsg.), Elisabeth von der Pfalz. Äbtissin von Herford, 1618–1680. Eine Biographie in Einzeldarstellungen. Hannover 2008 (Veröffentlichungen der historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 245), S. 41 f., 47−49. 24 Vgl. Helge Bei der Wieden: Ein Schloß auf dem Mond und eine Versorgung in Westfalen. Der Weg der Pfalzgräfin Elisabeth nach Herford, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 6 (1998), S. 7−38. 25 LAV NRW W Münster, Fürstabtei Herford Nr. 1211, Charlotte Sophie von Kurland an das Kapitel, 26. Mai 1688, keine Folierung. 26 Ebd., Fürstabtei Herford Nr. 866, Protokoll der Investitur der Prinzessin Charlotte Sophie von Kurland mit einer vakanten Kanonissenstelle, 18. November 1686, unfol. 27 Ebd., Fürstabtei Herford Nr. 1211, Vollmacht, keine Datierung, unfol. 28 Ebd., Fürstabtei Herford Nr. 1067, Statuten des Stifts, [1700], keine Datierung, unfol.
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Kapitel als Korporation gezwungen, einen finanziellen Anreiz von 100 Taler für die Anwesenheit bei der Äbtissinnenwahl zu bieten.29 Dennoch ließen sich die Kanonissen wiederholt entschuldigen. Dies galt ebenso für den feierlichen Akt der Inthronisation einer neuen Äbtissin, bei dem auch an sich alle Mitglieder des Stifts zugegen sein sollten. Sowohl der kurze Zeitraum zwischen der Einladung und dem jeweiligen Akt als auch die schwächliche[…] Leibes Constitution wurden als Gründe für die Verhinderung der Reise nach Herford von den Kanonissen angegeben.30 Die neuerwählten Äbtissinnen ließen es sich hingegen nicht nehmen, zumindest beim solennen Akt ihrer Inthronisation anwesend zu sein – und dass auch, wenn sie wie Prinzessin Anna Amalie in Preußen (1756–1787) als Äbtissin des Stifts Quedlinburg oder Maria Kunigunde von Sachsen (1740–1826) als Äbtissin des Stifts Essen den Rest der Zeit nicht vor Ort weilten. Beide reisten zu ihrem Herrschaftsantritt jeweils mit großem Gefolge an. Der Tross der preußischen Prinzessin Anna Amalie umfasste elf Kutschen sowie drei einzelne Reiter mit insgesamt 85 Pferden.31 Sie brachte annähernd ihren ganzen Hofstaat sowie die nötige Ausstattung in Form von Porzellan, Silber-, Kupfer- und Eisengeschirr mit.32 Sowohl die Ausstattungsgegenstände als auch das vielköpfige Gefolge und insbesondere die zahlreichen achtspännigen Kutschen dienten der Prinzessin zum Ausweis ihres königlichen Ranges und ihrer standesgemäßen Repräsentation. Nicht selten wurden die neuerwählten Äbtissinnen zu ihrer feierlichen Inthronisation zudem von ihrer Verwandtschaft begleitet. So reiste Maria Kunigunde von Sachsen 1777 gemeinsam mit ihrem Bruder Clemens Wenzeslaus (1739–1812), Kurfürst von Trier, nach Essen,33 während Charlotte Sophie von Kurland 1688 von ihrer Schwester und ihrem Schwager, dem Landgrafenpaar von Hessen-Kassel begleitet wurde.34 Dies zeigt die hohe politische Bedeutung der Inthronisation.
29 LAV NRW W Münster, Fürstabtei Herford Akten Nr. 266, Notiz über Entlohnung der Anwesenheit bei der Wahl einer neuen Äbtissin, ohne Datierung, unfol. 30 Ebd., Fürstabtei Herford Akten Nr. 1118, Gratulations-, Dank- und Entschuldigungsschreiben der Kanonissinnen auf die von der Äbtissin Hedwig Sophie Auguste ergangene Einladungen zu ihrer Inthronisation, unfol. 31 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin (künftig: GStA PK Berlin), BPH Rep. 46 König Friedrich Wilhelm I. Nr. W 107, Liste des erforderlichen Vorspannes zur Reise Ihrer königlichen Hoheit der Printzeßin Amalie von Berlin nach Quedlinburg, ohne Datierung, unfol. 32 GStA PK Berlin, BPH Rep. 46 König Friedrich Wilhelm I. Nr. W 107, Specification derer Wagen, so unumgänglich zu der Reise Ihro Königl. Hoheiten der Princessin Amalie von Berlin nach Quedlinburg nöthig seind, keine Datierung, unfol. 33 Vgl. Küppers-Braun: Macht in Frauenhand (wie Anm. 7), S. 170−172. 34 LAV NRW W Münster, Fürstabtei Herford Nr. 1207, Prozessionsordnung bei Inthronisation der Herzogin Charlotte Sophie von Kurland, ohne Datierung, unfol.
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Der Einzug einer neuen Äbtissin folgte einem im Vorfeld lang vorbereiteten Zeremoniell, das den fürstlichen (bzw. königlichen) Stand der Amtsträgerin in Form von genau festgelegten und von jedermann erkennbaren Rangzeichen wie der sechsspännigen – bzw. im Fall der königlichen Prinzessin in Preußen achtspännigen – Kutsche zum Ausdruck brachte. Einzelne Passagen wie die Einholung (adventus) der Äbtissin hatten darüber hinaus Ritualcharakter und manifestierten den Herrschaftsanspruch der Neuerwählten.35 Die erste Reise der neuen Äbtissin ins Stift folgte streng formellen Regeln. Während Charlotte Sophie von Kurland nach ihrer Inthronisation zumindest vorerst ihren Aufenthalt im Herforder Stift nahm, residierten andere Äbtissinnen der norddeutschen Damenstifte dauerhaft nicht im Stift und reisten lediglich zu besonderen Anlässen an. Dies gilt sowohl für die Essener Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen, die am Kurtrierer Hof in Koblenz lebte,36 als auch für die Quedlinburger Äbtissin Anna Amalie in Preußen, die zwischen ihren beiden Palais in Berlin pendelte. Letztere reiste überhaupt nur dreimal nach Quedlinburg: 1756 zu ihrer feierlichen Inthronisation, 1765 nach dem Siebenjährigen Krieg und schließlich 1785 zur Einführung Prinzessin Friederikes von Preußen (1767–1820) als neuer Pröpstin.37 Einen mittleren Weg schlug die Herforder Äbtissin Johanna Charlotte von Brandenburg (1682–1750) ein. Sie pendelte zu Beginn ihrer Stiftsherrschaft regelmäßig zwischen Herford und Berlin, wo sie ebenfalls ein Palais unterhielt. Erst am Ende ihres Lebens erklärte sie, dass das Große get-
35 Barbara Stollberg-Rilinger: Rituale. Berlin 2014 (Historische Einführungen, Bd. 16), S. 14 f. 36 Vgl. Pauline Puppel: „Mon mari“ – Ma chère femme“. Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Essen und Erzbischof Clemens Wenzeslaus von Trier, in: Koblenzer Beiträge zur Geschichte und Kultur N. F. 15/16 (2008), S. 43−66, hier S. 50 f.; Mario Kramp: „Prinzess, Ihr halt kein Takt!“ Kunigunde von Sachsen am Koblenzer Hof, in: ders. (Hrsg.), Ein letzter Glanz. Die Koblenzer Residenz des Kurfürsten. Zum 200. Todesjahr des Hofmalers Heinrich Felix (1732–1803), Katalog zur Ausstellung im Mittelrhein-Museum. Koblenz 2003 (Kleine Reihe/Mittelrhein-Museum Koblenz, Bd. 2), S. 28−35. 37 Vgl. Marc Serge Revvière/Annett Volmer: The Library of an Enlightened Prussian Princess. Catalogue oft he non-music sections of the Amalien-Bibliothek. Berlin 2002 (Aufklärung und Europa, Bd. 7), S. 27; Johann Heinrich Fritsch: Geschichte des ehemaligen Reichsstifts und der Stadt Quedlinburg, Teil 2. Quedlinburg 1828, S. 103−106, 107−108; Ute Küppers-Braun: Kanonissin, Dechantin, Pröpstin und Äbtissin – Quedlinburger Stiftsdamen nach der Reformation, in: Clemens Bley (Hrsg.), Kayserlich – frey – weltlich. Das Reichsstift Quedlinburg im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. Halle 2009 (Studien zur Landesgeschichte, Bd. 21), S. 30−104, hier 77 f., 87, 90.
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hümle von Berlin ihr nicht mehr anstehet, die Zeitten seind vorbey, stattdessen wolle sie lieber gantz gelaßen in [ihrer] Einsamen Zelle in Herford bleiben.38
3 Vergnügungsreisen und Wallfahrten Aber auch die wirklich vor Ort residierenden Äbtissinnen und Kanonissen verließen ihr Stift wiederholt, um auf Reisen zu gehen. Die katholischen Stiftsdamen des Essener Stiftes reisten beispielsweise wiederholt nach Kevelaer oder Köln zur Wallfahrt, insbesondere die Kölner Fronleichnamsprozession, auch Gottestracht genannt, erfreute sich großer Beliebtheit.39 Dabei ging es den Kanonissen nicht allein um das religiöse Erlebnis, sondern sie nutzten die Reise, um Verwandte zu treffen und sich zu amüsieren.40 Noch deutlicheren Vergnügungscharakter hatte die Reise der späteren Essener Äbtissin Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach (1696–1776) gemeinsam mit ihren Geschwistern zum Karneval an den kurpfälzischen Hof in Düsseldorf.41 Damit war zugleich der Besuch bei der benachbarten Verwandtschaft verbunden. Geschwister und andere Familienmitglieder dienten nicht selten als Reisebegleitung der alleinstehenden Äbtissinnen oder Stiftsdamen. Ein solches reisendes Geschwisterpaar bildeten auch die Essener Äbtissin Maria Kunigunde von Sachsen und ihr Bruder Kurfürst Clemens Wenzeslaus von Trier. 1769 war die sächsische Prinzessin ursprünglich zu Besuch an den Hof ihres Bruders nach Ehrenbreitstein bei Koblenz gereist. Aus dem Besuch wurde jedoch ein dauerhafter Aufenthalt, den Maria Kunigunde auch nicht nach ihrer Wahl zur Essener Äbtissin aufgab. Statt in Essen residierte sie in Koblenz oder reiste mit ihrem Bruder zu den verschiedenen Lustschlössern, auf die Jagd, zur Kur, nach Augsburg in seine Nebenresidenz oder zur Kaiserkrönung Josephs II. (1741–1790) nach Frankfurt.42 Der Kurfürst und die Fürstin-Äbtissin reisten auf dem Weg dorthin nicht per Kutsche, sondern auf dem Wasser, mit der Jacht des Erzbischofs und Kurfürsten
38 Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt Abteilung Dessau (künftig LHASA D), A 9c Nr. 13, Johanna Charlotte von Brandenburg an Anna Louise von Anhalt-Dessau, 29. Oktober 1744, fol. 12r. 39 Vgl. Küppers-Braun: Frauen des hohen Adels (wie Anm. 7), S. 247. 40 Vgl. ebd. 41 Staatsarchiv Amberg (künftig: StAAm), Geheime Registratur 3/15, Dankschreiben Herzog Theodor Eustach von Pfalz-Sulzbach an Kurfürst Karl Philipp Theodor von der Pfalz, 16. März 1713, fol. 86r−v. 42 Vgl. Puppel: Fürstäbtissin Maria Kunigunde von Essen (wie Anm. 36), S. 57.
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von Trier über den Rhein und den Main zur Kaiserkrönung. Im Gefolge befanden sich vorweg das Kanonierschiff, welches gegebenenfalls Salut schoss, direkt hinter der ‚Großen Jacht‘ eine weitere, kleinere Jacht, auf welcher das Essen eingenommen wurde, sowie zwei weitere Schiffe für Personal und Küche. Während des Aufenthaltes der Geschwister in Frankfurt speiste sogar die kaiserliche Familie an Bord der Jacht.43 Üblicherweise reisten die Äbtissinnen und Kanonissen der norddeutschen kaiserlich freiweltlichen Damenstifte in der Pferdekutsche. Dabei wiesen, wie beim oben bereits aufgeführten Beispiel, die Anzahl der Pferde und die Form des Gespanns die Rangstellung der jeweils Reisenden aus. Als Reichsfürstinnen hatten die Äbtissinnen Anspruch auf eine sechsspännige Kutsche. Eine solche und noch dazu in der kostspieligen Aufmachung eines Staats Wagens verlangte die Herforder Äbtissin Hedwig Sophie Auguste von Holstein-Gottorf (1705–1764) als Geschenk für ihre Unterstützung bei der Wahl der Markgräfin Friederike Charlotte Leopoldine Luise von Brandenburg (1745–1808) zur Koadjutorin Mitte des 18. Jahrhunderts.44 Prinzessin Anna Amalie in Preußen reiste, wie oben bereits gesagt, gemäß ihres königlichen Geburtsstandes in einer achtspännigen Kutsche. Insbesondere dem Hof ihrer Herkunftsdynastien statteten die Äbtissinnen und Kanonissen der norddeutschen Damenstifte regelmäßig einen Besuch ab. Hierbei handelte es sich keinesfalls um rein familiäre Angelegenheiten, sondern auch in diesem Rahmen spielten Rang- und Standesrepräsentation eine große Rolle. So bestellte Herzog Johann Ernst von Sachsen-Weimar (1664–1707) seine Landedelleute zum Besuch seiner Schwester Anna Dorothea, Äbtissin von Quedlinburg, ein, um ihr aufzuwarten.45 Es handelte sich bei der Äbtissin zwar um ein Mitglied des Weimarer Fürstenhauses, zugleich aber auch um eine eigenständige Fürstin des Reiches, der man standesgemäß aufwarten musste. Verwandten- oder Familienbesuche fanden auch aus ökonomischen Erwägungen statt. Bevor Franziska Christina von Pfalz-Sulzbach 1726 zur Äbtissin von Essen gewählt wurde, war sie bereits seit 1717 Äbtissin des heute in den Niederlanden liegenden kleinen Stiftes Thorn, das von da an stets in Personalunion mit dem Stift Essen regiert wurde. Das Stift Thorn war weniger finanzstark als das Stift Essen und warf daher auch für die Äbtissin nur geringe Einkünfte ab.
43 Vgl. J. Jac. Wagner: Die große Leibjacht des letzten Trierischen Kurfürsten Clemens Wenzeslaus, in: Rheinische Heimatblätter 1924, S. 39−42, hier 40 f. 44 LAV NRW W Münster, Abtei Herford Nr. 1123, Beschwerde Markgraf Friedrich Heinrich von Brandenburg an König Friedrich II., 28. März 1755, unfol. 45 ThHStA Weimar, D 2204, Befehl Herzogs Johann Ernst III. von Sachsen-Weimar an die Landedelleute, 13. Juli 1694, fol. 1r.
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Franziska Christina bat in dieser Zeit wiederholt ihren Vater Herzog Theodor Eustach (1659–1732), an den heimischen Hof nach Sulzbach kommen zu dürfen, um Kosten für ihren Unterhalt zu sparen.46 Erst mit ihrem Amtsantritt in Essen besserte sich ihre finanzielle Situation.
4 Reisen von Amts wegen Neben eher persönlich motivierten Ausflügen traten Reisen von Amts wegen. Auf der Ebene der Kanonissin zählen hierzu Reisen in ihr Stift, um dort Verpflichtungen als Stiftsdame wahrzunehmen, wie bei der Wahl einer neuen Äbtissin.47 Insbesondere die Essener Kanonissen hatten zudem häufig in mehreren Stiften eine Präbende inne und reisten daher mitunter von Stift zu Stift. Ein solches Beispiel für eine reisende Stiftsdame liefert die Essener Kanonissin Jeanette von Manderscheid-Blankenheim (1753–1828) Ende des 18. Jahrhunderts. Sie hielt sich in den Jahren 1774 bis 1776 abwechselnd in den Stiften Essen, Elten, Vreden und Thorn, auf dem Stammsitz ihrer Familie in Blankenburg, in Köln und noch verschiedenen weiteren Orten ihres verwandtschaftlichen Umfeldes auf.48 Auch die dauerhaft abwesenden Äbtissinnen des 18. Jahrhunderts reisten gelegentlich in das von ihnen regierte Stift, um dort Amtshandlungen nachzukommen. Hierbei handelte es sich vor allem um solche Akte, in denen die Äbtissin in sede majestatis Amtshandlungen vornahm, wie bei der Aufnahme einer neuen Kanonissin oder dem Amtsantritt einer neuen Dekanissin, um auf diese Weise ihre obrigkeitliche Stellung zum Ausdruck brachte.49 Im politischen Alltagsgeschäft waren es hingegen die Regierungsräte, die in wichtigen Angelegenheiten zwischen dem Aufenthaltsort der Äbtissin und dem Stift pendelten, um
46 StAAm, Geheime Registratur 20/32, Bitte Franziska Christinas gegenüber ihrem Vater Herzog Theodor Eustach von Pfalz-Sulzbach, 18. April 1725, unfol.; ebd., Geheime Registratur 3/12, Bitte Franziska Christinas gegenüber ihrem Vater Herzog Theodor Eustach von Pfalz-Sulzbach, 24. Aug. 1721, fol. 2r−3v. 47 S.o. 48 Vgl. Küppers-Braun: Frauen des hohen Adels (wie Anm. 7), S. 248. 49 Vgl. hierzu Barbara Stollberg-Rilinger: Des Kaisers alte Kleider. Verfassungsgeschichte und Symbolsprache des Alten Reiches. München 2008, S. 53−64. Vgl. allg. zum Sitzen als einer Herrschaftshaltung Hans-Werner Goetz: Der „rechte“ Sitz: Die Symbolik von Rang und Herrschaft im hohen Mittelalter im Spiegel der Sitzordnung, in: Gertrud Blaschnitz/Helmut Hundsbichler/ Gerhard Jaritz/Elisabeth Vavra (Hrsg.), Symbole des Alltags – Alltag der Symbole. Festschrift für Harry Kühnel zum 65. Geburtstag. Granz 1992, S. 11−47. S. zum Beispiel o. die wenigen Aufenthalte Anna Amalies in Preußen im Stift Quedlinburg.
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der Äbtissin den jeweiligen Vorgang vor- und weitere Informationen bereitzu stellen.50Außergewöhnlich war hingegen die eingangs erwähnte Reise der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland über Regensburg nach Wien. Begleitet wurde sie von zwei Stiftsbeamten. Am Kaiserhof angekommen, bemühte sich diese in informellen Treffen mit verschiedenen Reichshofräten sowie dem Reichshofratspräsidenten um den Erlass eines kaiserlichen Schutzbriefes für das Herforder Stift und die Fortsetzung des Reichshofratsprozesses gegen die innerstiftischen Gegnerinnen der Äbtissin.51 Solche Treffen fanden am Rande der formellen Reichshofratssitzungen, zum Beispiel bei einem späten Frühstück oder Diner statt,52 obwohl dem Gerichtspersonal der private Umgang mit den Parteien gemäß der Reichshofratsordnung von 1654 untersagt war.53 Charlotte Sophie von Kurland trat in diesen Verhandlungen nicht in Erscheinung. Überhaupt ist nur wenig über ihren Aufenthalt in Wien bekannt. Anzunehmen ist, dass sie im Umfeld des kaiserlichen Hofes am gesellschaftlichen Leben teilnahm. Sie selbst berichtete gegenüber dem brandenburgischen Kurfürsten und ihrem Schwager, dem Landgrafen von Hessen-Kassel, von Kontakten zu verschiedenen Catholischen, die sie davon zu überzeugen suchten, daß eine religion nichts tauget dan ihr von keinem mehr untreu und chagrin als Euren reformirten chanoinissen hat und von keinem weniger assistence in Euren gerechten sachen
50 Im Essener Regierungsprotokoll ist die Reise des Hofrates Schmitz nach Koblenz verzeichnet, um der Äbtissin eine Aktenkonvolut zu bringen (6. Dezember 1786). Landesarchiv NordrheinWestfalen Abt. Rheinland Düsseldorf (künftig: LAV NRW R Düsseldorf), Stift Essen Akten Nr. 687, Protocolla regiminis, 1686, fol. 45r−48r. Der Herforder Kapitular und ehemalige Stiftsrat Johann Ludewig von Sternfeld unterhielt in Verden, dem Exil der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland, einen eigenen Haushalt, den er nach dem Zerwürfnis mit der Äbtissin auflöste. LAV NRW W Münster, Stift Herford Akten Nr. 119, Bericht des preußischen Informanten in Verden an den preußischen Geheimen Rat Tielemann in Bremen, 7. März 1720, unfol. 51 Vgl. GStA PK Berlin, I. HA Geheimer Rat Rep. 34 Nr. 3120, Bericht des kurbrandenburgischen Agenten Batholdy am Wiener Hof, 14./24. Sept. 1698, unfol. 52 Vgl. Thomas Dorfner: „Es kommet mit einem Reichs=Agenten haubtsächlich darauf an…“. Die Reichshofratsagenten und ihre Bedeutung für die Kommunikation mit dem und über den Reichshofrat (1658–1740), in: Anja Amend/Traut, Anette Baumann/Stefan Wendehorst/Steffen Wunderlich (Hrsg.). Die höchsten Reichsgerichte als mediales Ereignis. München 2012 (Bibliothek Altes Reich, Bd. 11), S. 97−111, ders.: Mittler zwischen Haupt und Gliedern. Die Reichshofratsagenten und ihre Rolle im Verfahren (1658–1740). Münster 2015 (Verhandeln, Verfahren, Entscheiden. Historische Perspektiven, Bd. 2). 53 Reichshofratsordnung 1654, Tit. I. § 15, in: Wolfgang Sellert (Bearb.), Die Ordnungen des Reichshofrates, Bd. 2, S. 82. Eine ähnliche Regelung findet sich für das Reichskammergericht bereits aus dem Jahr 1555. Vgl. Adolf Laufs (Hrsg.), Reichskammergerichtsordnung von 1555. Köln 1976, S. 85.
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als von euren Reformirten blutsfreunden habet […].54 Dahinter verbarg sich der drohende Hinweis auf katholische Kreise am Wiener Hof, die sie zum Glaubenswechsel zu überreden suchten. Sie habe gar damit gedroht, die Jesuites über Ihre in Curland habende praetension zu Erben einzusetzen.55 Tatsächlich hatten sich verschiedene katholische Geistliche, darunter einige Jesuiten sowie Kardinal Graf von Kollonitsch (1631–1707), der als „Proselytenmacher“56 bekannt war,57 der Äbtissin angenommen,58 sodass bald Gerüchte über die geplante Konversion der Äbtissin laut wurden: In der gantzen Stadt [Wien] gehet die Rede, daß Sie den Catholischen Glauben annehmen, und den Fürsten von Schwartzburg heurheten werde.59 Angesichts solcher Nachrichten beauftragte Landgraf Karl von Hessen-Kassel seinen Gesandten in Wien, auff alle ersinliche weiße […] zu verhüten, damit sie nicht endlich gar sich zu enderung der religion, worzu Ihr dem ansehen nach gnugsam anlaß gegeben werden mag, verleiten laßen.60 Der Wiener Hof war dafür bekannt, die Konversion von Mitgliedern evangelischer Fürstenhäuser zum Katholizismus zu protegieren.
54 GStA PK Berlin, I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119, Charlotte Sophie von Kurland an Friedrich III./I., 21. Febr. 1699, unfol. 55 Ebd., Bericht der kurbrandenburgischen Gesandten Dönhoff und Bartholdy aus Wien, Wien, 8./18. Juli 1699, unfol. 56 Hans Schmidt: Konversion und Säkularisation als politische Waffe am Ausgang des Konfessionellen Zeitalters. Neue Quellen zur Politik des Herzog Ernst August von Hannover am Vorabend des Friedens von Nymwegen, in: Francia. Forschungen zur Westeuropäischen Geschichte, Bd. 5, hrsg. v. Deutschen Historischen Institut Paris, Zürich u. a. 1978, S. 183–230, hier 203. Schmidt benutzt den Begriff hier jedoch im Zusammenhang mit Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg. 57 Graf Sigmund von Kollonitsch (1676–1751), seit 1716 Bischof, ab 1722 erster Erzbischof von Wien, 1727 schließlich auch Kardinal, zählte zu den einflussreichsten ‚Proselytenmachern‘ am Kaiserhof und war im frühen 18. Jahrhundert federführend an diversen hochrangigen Konversionen beteiligt. Zu seiner Person siehe Kollonitz, Sigismund Graf von, in: Constant von Wurzbach (Hrsg.), Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich, 12. Teil. Wien 1864, S. 363 f.; Ines Peper: Konversionen im Umkreis des Wiener Hofes um 1700. Wien/München 2010 (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Bd. 55), S. 56, S. 59. 58 HStA Marburg 4 f Preußen Nr. 434, Hessischer Agent von Tettau in Wien an Landgraf Karl von Hessen-Kassel, 11./21. März 1699, unfol. Die katholischen Geistlichen um den Kardinal, Graf von Kollonitsch, boten der Äbtissin angeblich ein möbliertes Haus bei Abtretung ihrer Kurländischen Forderungen an. 59 GStA PK I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3119, Bericht des Residenten Bartholdy aus Wien, 15./25. April 1699, unfol. 60 Ebd., Landgraf Karl von Hessen-Kassel an Friedrich III./I., 9. März 1699, unfol. Nach der Reformation wurden insbesondere am Kaiserhof spektakuläre Glaubenskonversionen von protestantischen Bittstellern vorbereitet, die im Zeichen der katholischen Gegenreformation gesehen werden müssen. Vgl. Peper: Konversionen (wie Anm. 57).
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Für ihre reformierte Verwandtschaft wie den Landgrafen von Hessen-Kassel stellte der andauernde Aufenthalt von Charlotte Sophie von Kurland eine nicht zu vernachlässigende Gefahr dar. Denn die Konversion einer evangelischen Fürstin hätte nicht nur die mit ihr verwandten Höfe in Berlin und Kassel in ihrem Selbstverständnis als Hochburgen der reformierten Konfession getroffen, sondern auch Signalwirkung für das konfessionelle Kräfteverhältnis im Reich gehabt. Landgraf Karl von Hessen-Kassel strengte sich daher an, die Äbtissin zur Abreise aus Wien zu bewegen. Die Vorbereitungen zur Abreise wurden jedoch aufgrund der schlechten finanziellen Lage der Äbtissin erschwert, die weder Einnahmen aus Herford noch Unterhaltszahlungen aus Kurland erhielt. Ihr Rat Thulemeyer bestätigte zwar die Bereitschaft der Äbtissin, Richtung Frankfurt aufzubrechen, erklärte aber, dass die Abreise ohne Vorschuss von 4000 Reichstaler zur Begleichung der Schulden und Finanzierung der Rückreise nicht umsetzbar sei.61 Schließlich war es Landgräfin Marie Amalie von Hessen-Kassel, die ihrer Schwester 5000 Reichstaler zu behüef gewisser ihrer höchst angelegentlich nöthiger ausgaben insbesondere zu beförderung ihrer hiesigen abreyße aus Wien im Frühjahr 1700 zur Verfügung stellte.62 Insgesamt war die Reise Charlotte Sophies von Kurland an den Kaiserhof nur bedingt erfolgreich. Ihre mitgereisten Räte erreichten zwar die Erneuerung des kaiserlichen Schutzbriefes und fanden zunächst auch Unterstützung in dem am Reichshofrat anhängigen innerstiftischen Konflikt.63 Wenig später zog sich der Kaiser aber ebenso wie die von ihm im Schutzbrief bestellten conservatores aus dem Konflikt zwischen der Herforder Äbtissin und ihrem Vetter Friedrich III./I. in Preußen als Schutzherr des Stiftes zurück.64 Andernfalls drohte der preußische
61 HStA Marburg 4f Preußen Nr. 434, Bericht des Gesandten von Tettau an Landgraf Karl von Hessen-Kassel, 11./21. März 1699, unfol. 62 HStA Marburg 4f Kurland Nr. 210, Obligation der Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland über einen Kredit ihrer Schwester, der Landgräfin Marie Amalie von Hessen-Kassel, 14. April 1700, unfol. 63 LAV NRW W Münster Fürstabtei Herford Akten Nr. 119, Kaiserlicher Schutzbrief an die Konservatoren des Herforder Stiftes (Kurfürst von Köln, Fürstbischof von Osnabrück, Pfalzgraf bei Rhein, Kurfürst von Braunschweig-Lüneburg, Herzöge von Braunschweig-Lüneburg), 12. Mai 1699, unfol.; LAV NRW W Münster Fürstabtei Herford Akten Nr. 119, kaiserliche Konfimierung der Suspendierung der Herforder Kapitularinnen, 12. Mai 1699, unfol. 64 Ein zweites kaiserliches Mandat vom 23. Januar 1700 nahm die Konfirmation der Suspendierung der oppositionellen Kanonissen zurück. Dieses ist im Stiftsarchiv nicht im Original überliefert, sondern wird lediglich an verschiedenen anderen Stellen erwähnt, unter anderem in einem Fragenkatalog, der sich mit der Frage beschäftigt, ob das zweite kaiserliche Mandat das erste außer Kraft setzen könne. LAV NRW W Münster Fürstabtei Herford Akten Nr. 118, Fragenkatalog,
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König mit dem sofortigen Rückzug seiner Soldaten aus dem Spanischen Erbfolgekrieg.65
5 Flucht und Exil Charlotte Sophie von Kurland hatte ihr Stift nicht freiwillig verlassen, um nach Wien zu reisen. Im Juli 1698 waren kurbrandenburgische Soldaten auf die Stiftsfreiheit eingedrungen und hatten den Garten des Dekanissinnenhauses besetzt. Zudem ließ die Küsterin, eine Gräfin Horn, mit brandenburgischer Hilfe Wachen vor der Küsterei aufstellen und den Kapitelsaal gewaltsam aufbrechen.66 Die militärische Besetzung des Herforder Stifts war der vorläufige Höhepunkt in einem seit dem Amtsantritt der Herzogin von Kurland schwellenden innerstiftischen Konflikt zwischen der Partei der Äbtissin und der Partei der Dekanissin, die Unterstützung vom brandenburgischen Kurfürsten als Schutzherrn des Stifts erfuhr. Dieser nutzte die innerstiftischen Zwistigkeiten, um seine schutzherrliche Stellung auszubauen und die Landeshoheit über das Stift zu beanspruchen.67 Nur kurze Zeit nach der Wiederankunft Charlotte Sophies in Herford drangen erneut 1703 kurbrandenburgische Soldaten in die Stiftsfreiheit ein und versuchten, zwei wegen Verleumdung in Berlin verurteilte Stiftsräte festzunehmen, und zwangen die Äbtissin zur neuerlichen Flucht. Dieses Mal machte sie sich angesichts ihrer wenig erfolgreichen ersten Reise nicht auf den Weg zum Reichshofrat nach Wien, sondern begab sich ins Exil. Als Aufenthaltsort wählte sie die auf schwedischem Hoheitsgebiet liegende ehemalige Reichsstadt Verden an der Aller.68 Mit ihrer Reise auf schwedisches Territorium stellte sich Charlotte Sophie unter den Schutz des schwedischen Königs, den sie bereits zuvor mehrmals um Hilfe gebeten hatte.69 Mit ihrem Gang ins Exil protestierte Charlotte Sophie von
ohne Datierung, unfol. Zur Schwerfälligkeit kaiserlicher Protektoren vgl. Schröder-Stapper: Fürstäbtissinnen (wie Anm. 1), S. 463 f. 65 LAV NRW W Münster Fürstabtei Herford Akten Nr. 118, Bericht des durch die Äbtissin nach Herford abgesandten Kavaliers von Korff, 10. Dez. 1703, unfol. 66 GStA PK Berlin, I. HA Geheimer Rat Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3120, Protest Charlotte Sophies gegenüber Friedrich III./I., Herford., 17. Juli 1698, unfol. 67 Vgl. Schröder-Stapper: Fürstäbtissinnen (wie Anm. 1), Kap. Verhandeln. 68 Die ehemalige Reichsstadt Verden fiel als Teil des Bistums Verden nach dem Dreißigjährigen Krieg an Schweden und blieb mit einer kurzen Unterbrechung bis 1719 in schwedischem Besitz. 1719 ging die Stadt durch Kauf an das Kurfürstentum Hannover. 69 LAV NRW W Münster, Fürstabtei Herford Nr. 118, verschiedene Hilfegesuche Charlotte Sophies von Kurland gegenüber dem schwedischen König, unfol.
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Kurland gegen ihre zunehmende Entmachtung durch Kurfürst Friedrich III./I. von Brandenburg (1657–1713, seit 1701 König in Preußen). Um sich den Herrschaftsansprüchen ihres brandenburgisch-preußischen Schutzherrn nicht beugen zu müssen, wählte sie demonstrativ die Flucht: Soll ich dann wieder nach Herford, so lange der König daselbst Landesherr seyn und Mich subjungiren will, Ich bin seine unterthanin nicht, sondern eine freye Reichsfürstin […].70 Verden avancierte bald vom vorläufigen Reiseziel zum dauerhaften Aufenthaltsort der Herforder Äbtissin und neuen Ausgangspunkt für ihre Reisen. In ihrem letzten Lebensjahrzehnt führten sie diese Reisen unter anderem in die Niederlande. Am 14. Juni 1721 verließ Charlotte Sophie von Kurland in Begleitung von 15 Personen inkognito und fluchtartig Verden. Diese Heimlichkeit ihres Aufbruchs war nötig, um ihre Gläubiger vor Ort und in Bremen nicht aufzuschrecken.71 Sie nahm mit ihrem Gefolge wohl in Utrecht Quartier.72 Zweck der Reise waren ein heimliches Treffen mit einem russischen Gesandten, um über den Verkauf ihrer kurländischen Erbansprüche zu verhandeln,73 sowie der Versuch, ihre verbliebenen Juwelen in den Niederlanden gewinnbringend zu veräußern, um ihre Schulden abzutragen.74 Verfolgt wurde sie dabei von preußischen Spionen. Friedrich Wilhelm I. (1688–1740) wollte über jeden Schritt der Äbtissin im Bilde sein. Denn es gab immer wieder Gerüchte, sie wolle mit dem auf dieser Reise erworbenen Geld erneut nach Wien aufbrechen – auf preußischer Seite war man sich sicher, egal welchen Zweck sie dort verfolgen wolle, sie könne nichts Gutes im Schilde führen.75 Der König und seine Berater befürchteten ein neuerliches Einschalten des Kaisers als oberstem Richter in die langjährigen Auseinandersetzungen zwischen Friedrich Wilhelm I. und seinem Vorgänger sowie der Äbtissin Charlotte Sophie in Kurland. Einem solchen kaiserlich-oberstrichterlichen Einfluss suchte
70 Ebd., Charlotte Sophie von Kurland an Landgraf Karl von Hessen-Kassel, 14. Oktober 1703, unfol. 71 GStA PK Berlin, I. HA Rep. 9 (Polen) Nr. 7v Fasz. 1, Bericht des preußischen Residenten Thielemann in Bremen, 14. Juni 1721, unfol. 72 Ebd., Bericht des preußischen Residenten Meinerzhagen in Den Haag, 15. Juli 1721, unfol. 73 Ebd. 74 Ebd., königlicher Auftrag an den preußischen Residenten Meinerzhagen, die Äbtissin zu verfolgen, 1. Juli 1721, unfol. 75 GStA PK Berlin, I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3137, Bericht des Bremer Residenten Thielemann, 4. Mai 1720, unfol.; GStA PK Berlin, I. HA Rep. 34 (Kleve, Mark, Ravensberg, Niederlande) Nr. 3139, Bericht des Landschreibers und Geheimes Rates Arnold Henrich von Meinders, 7. Mai 1722, 62r−65r.
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sich der preußische König ebenso wie andere mächtige weltliche Reichsstände zu entziehen.76
6 Letzte Reise Angesichts der anhaltenden Auseinandersetzungen der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie und dem brandenburgisch-preußischen König kehrte die Herzogin von Kurland weder zu Lebzeiten noch im Tode nach Herford zurück. Vermutlich ging ihre letzte Reise durch Kurhannover nach Kassel, der genaue Bestattungsort ist jedoch nicht bekannt.77 Anders erging es der Quedlinburger Äbtissin Anna Dorothea von SachsenWeimar. Sie bestimmte noch zu Lebzeiten in ihrem Testament: Unsere Leich [soll] nach Ablauff 4. Wochen von Unserm Stiffts-Hause Quedlinburg ab- nach Weimar gefahren und in das Unser Glorwürdigsten in Gott ruhenden Herrn Vaters neu erbauetes Begräbnis zu dero entseelten Cörpers Füßen nieder gesetzet werden.78 Darüber hinaus gab sie genaue Anweisungen, wie diese letzte Reise ablaufen solle, nämlich daß aller pomp und Pracht, so viel möglich vermieden werden solle. Nichtsdestoweniger sollte der Leichenzug von Glockengeläut sowie der Prozession der Schulkollegien, der Bediensteten und Minister in Trauerkleidung aus Quedlinburg heraus begleitet werden. In Weimar angelangt, wünschte sie, daß
76 Vgl. zum Dualismus zwischen dem Kaiser und den mächtigen (evangelischen) Reichsständen Barbara Stollberg-Rilinger: Honores regii. Die Königswürde im zeremoniellen Zeichensystem der Frühen Neuzeit, in: Johannes Kunisch (Hrsg.), Dreihundert Jahre Preußische Königskrönung. Eine Tagungsdokumentation. Berlin 2002 (Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte, Neue Folge, Beiheft 6), S. 1−26; insbesondere zu Brandenburg-Preußen vgl. Michael Rohrschneider/Stefan Sienell: Hohenzollern kontra Habsburg? Zu den kurbrandenburgisch-kaiserlichen Beziehungen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, in: Forschungen zur Brandenburgischen und Preußischen Geschichte. Neue Folge 13 (2003), S. 61−81; Tobias Schenk: Reichsjustiz im Spannungsverhältnis von oberstrichterlichem Amt und österreichischen Hausmachtinteressen. Der Reichshofrat und der Konflikt um die Allodifikation der Lehen in Brandenburg-Preußen (1717–1728), in: Anja Amend-Traut/Albrecht Cordes/Wolfgang Sellert (Hrsg.), Geld, Handel, Wirtschaft. Höchste Gerichte im Alten Reich als Spruchkörper und Institution. Berlin/ New York 2013 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. Neue Folge, Bd. 23), S. 103−219; zu den Auswirkungen auf die Reichsstifte vgl. Schröder-Stapper: Fürstäbtissinnen (wie Anm. 1), S. 448−455. 77 Vgl. Helge Bei der Wieden: Die Äbtissinnen der Reichsabtei Herford in der Neuzeit, in: Historisches Jahrbuch für den Kreis Herford 6 (1998), S. 31−54, hier 53, Anm. 115. 78 ThHStA Weimar, A 628, Abschrift des Testament von Anna Dorothea von Sachsen-Weimar, 4. April 1702, fol. 143r−149r.
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die Beysetzung des Abends unter Brennung ziemlicher Anzahl Fackeln und angezündeten Lichtern in der Schloß-Kirche zur Wilhelms-Burg und fürstl. Erbbegräbnis verrichtet werde solle. Sie gab genau an, wie die weiteren Trauerfeierlichkeiten eingerichtet werden sollten, bis hin zu den jeweiligen Musikstücken und dem Bibeltext, der als Fundament für die Leichenpredigt dienen solle. Die Kosten für Leichenzug und Bestattung übertrug sie ihrem Bruder als ihrem Erben. Noch zu Lebzeiten verfasst, diente das Testament zur Vorbereitung auf einen ‚guten‘ Tod und eines standesgemäßen Begräbnisses, auf das man gerade im Adel großen Wert legte.79 Die Bestimmungen Anna Dorotheas von Sachsen-Weimar für ihre Beisetzung griffen zwar zu Beginn den typischen Bescheidenheitstopos adliger Testamente auf, trugen dann aber nicht nur ihrem ständischem Rang, sondern auch ihrer lutherischen Konfession Rechnung. Die Betonung lag nicht auf Fulneralpomp, sondern auf der Leichenpredigt sowie dem Selbstverständnis der Herkunftsdynastie als Beschützer des Luthertums.80 Das abendliche Begräbnis entsprach hingegen wiederum adliger Begräbniskultur. Die Instruktionen des Herzogs von Sachsen-Weimar für die zur Abholung des Leichnams seiner Schwester abgesandten Diener griffen einerseits den Bescheidenheitstopos auf, gepaart mit dem sicher ernst gemeinten Wunsch, Kosten zu sparen: Soll die Abführung von Quedlinburg des Nacht geschehen und dabey alle übrigen Solennitätten und Kosten so viel möglich […] vermieden werden – jedoch mit der Einschränkung: soweit sich ohne Verletzung unserß fürstl. Respects thun läst.81 Andererseits war auch der Herzog darauf bedacht, den fürstlichen Rang seiner Schwester und mehr noch seines Fürstenhauses zum Ausdruck zu bringen. Gradmesser des fürstlichen Ranges waren auch im Hinblick auf den Trauerzug der sechsspännige Trauerwagen sowie dessen standesgemäße Begleitung durch den Hoffourier als zuständigem Zeremonienmeister, zwei Lakaien, ein Unteroffizier mitsamt acht Gardereitern. Auch diese letzte Reise der Quedlinburger Äbtissin folgte demnach formellen Regeln hochadliger Standesrepräsentation. Die Beispiele Charlotte Sophies von Kurland sowie weiterer Äbtissinnen und Kanonissen der norddeutschen kaiserlich-freiweltlichen Damenstifte Essen,
79 Markus Schönberg/Monika Gussone: Testament, in: Gudrun Gersmann/Hans-Werner Langbrandtner (Hrsg.), Adlige Lebenswelten im Rheinland. Kommentierte Quellen der Frühen Neuzeit. Köln/Weimar/Wien 2009 (Vereinigte Adelsarchiv im Rheinland e. V. – Schriften, Bd. 3), S. 211−215, hier 213. 80 Vgl. Martin Scheutz: Ein unbequemer Gast? Tod, Begräbnis und Friedhof in der Frühen Neuzeit, in: Wolfgang Hameter/Meta Niederkorn/Martin Scheutz (Hrsg.), Freund Hein? Tod und Ritual in der Geschichte. Innsbruck 2007, S. 100−134, hier 108 f., 113, 117. 81 ThHSta Weimar, A 628, Instruktionen für die Bediensteten, die den Leichnam Anna Dorotheas nach Weimar begleiten, 6. Nov. 1704, fol. 559v−r, 563r.
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Herford und Quedlinburg legen beredtes Zeugnis ab von der Mobilität hochadliger Frauen in der Frühen Neuzeit. Dadurch unterschieden sie sich wenig von ihren männlichen Verwandten, wenn doch der Radius der Reisen hochadliger Frauen mitunter beschränkter war. Auch die Anlässe waren ähnlich: Erziehung und Ausbildung – wenn auch nicht in der institutionellen Form der Grand Tour –, Amtsantritt und -verpflichtungen, Vergnügungsreisen, Tod. Dabei reisten die hochadligen Frauen nicht immer freiwillig, sondern waren wie Charlotte Sophie von Kurland durch äußere Bedrohung oder wie Elisabeth von der Pfalz aufgrund fehlender Versorgung dazu gezwungen. Eine zunächst auf einen bestimmten Zeitraum festgesetzte Reise konnte sich so auf unbestimmte Zeit verlängern und sogar in einen dauerhaften Aufenthalt münden. Dies galt nicht nur für die Ortswechsel, die zwangsweise erfolgten, sondern ebenso für die freiwillig gewählte Abwesenheit der Äbtissin oder Kanonissin aus ihrem Stift, die wiederum weitere Reisen ins Stift zur Folge hatte. Ein entscheidendes Moment hochadliger Mobilität waren die damit verbundenen repräsentativen Formen, wie etwa die mehrfach aufgeführte Anzahl der Kutschpferde, das Gefolge und eventuelle Begrüßungszeremonien und Verhaltensweisen, die den fürstlichen Rang einer Äbtissin nicht nur abbildeten, sondern überhaupt erst hervorbrachten. In bestimmten Fällen wurde jedoch auf Formen der Standesrepräsentation verzichtet und stattdessen auf das Inkognito zurückgegriffen, um die Kosten für ein umfangreiches Zeremoniell zu sparen, die gegenseitige Kontaktaufnahme zu vereinfachen oder um nicht aufzufallen, wie etwa das Beispiel der Reise der Herforder Äbtissin Charlotte Sophie von Kurland über Regensburg nach Wien zeigt. In Bezug auf die repräsentative Ausgestaltung fallen wenige Unterschiede zum Reisen hochadliger Männer ins Auge. Auf die Begleitung durch Wachen finden sich zum Beispiel keine Hinweise. Demnach war nicht allein das Geschlecht, sondern ebenso verschiedene andere mehrfach relational aufeinander bezogene Ordnungskategorien wie Stand, Status, Alter oder auch Konfession strukturierend für die Handlungsspielräume und damit auch das Reisen hochadliger Frauen.
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Auf dem Weg von der Jungfrau zum Mann? Das Zeremoniell der Antrittsreise von Erzherzogin Maria Elisabeth (1680–1741) als Statthalterin der Österreichischen Niederlande von Wien nach Brüssel 1725
Abb. 1: Maria Elisabeth, Erzherzogin von Österreich (1680–1741), Kupferstich, undatiert. https://doi.org/10.1515/9783110532937-009
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Abb. 2: Die Reise der Erzherzogin Maria Elisabeth als Statthalterin der Österreichischen Niederlande von Wien nach Brüssel im Jahr 1725 über Prag, entlang der Postroute durch Niederösterreich und Mähren, durch die Markgrafschaft Ansbach, das Fürstbistum Würzburg und die Erzbistümer Mainz und Köln, Lüttich.
Unter den unterschiedlichen Anlässen für die Reise einer adligen Frau in der Frühen Neuzeit war der Antritt eines politischen Amtes ein vergleichsweise seltener Reisegrund. Dabei waren Frauen als politisch aktive Akteurinnen fester Bestandteil höfischer und dynastischer Handlungsräume.1 Die häufigste Form der weiblichen Herrschaft in der Frühen Neuzeit war die Witwenregentschaft in Vertretung des unmündigen Erben.2 Die österreichische Erzherzogin Maria Elisabeth (1680–1741) kam der dynastischen Verpflichtung, ihr Leben in den Dienst des Hauses Habsburg zu stellen, auf
1 Britta Kägler: Frauen am Münchener Hof (1651–1657). Kallmünz 2011; Katrin Keller: Mit den Mitteln einer Frau. Handlungsspielräume adliger Frauen in Politik und Diplomatie, in: Hillard von Thiessen/Christian Windler (Hrsg.), Akteure der Außenbeziehungen. Netzwerke und Interkulturalität im historischen Wandel. Köln/Weimar/Wien 2010, S. 219–244; Barbara J. Harris: Woman and Politics in Early Tudor England, in: The Historical Journal 33 (1990), Nr. 2, S. 259–281. 2 Vgl. Pauline Puppel: Die Regentin. Vormundschaftliche Herrschaft in Hessen 1500–1700. Frankfurt a. M. 2004. Siehe auch den Beitrag von Philip Haas in diesem Band.
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besondere Weise nach. Im Alter von 44 Jahren wurde sie 1725 von ihrem Bruder, Kaiser Karl VI. (1685–1740), zur Statthalterin der Österreichischen Niederlande ernannt.3 Maria Elisabeth blieb wie ihre jüngere Schwester Maria Magdalena (1689–1743) zeitlebens unverheiratet und führte am Wiener Hof ein zurückgezogenes, von religiösen und höfischen Zeremonien geprägtes Leben. So gelangte sie in die ungewöhnliche Situation, als Frau ein offizielles Staatsamt zu übernehmen, das aufgrund seiner breit angelegten Befugnisse eigenständiges politisches Handeln ermöglichte.4 Maria Elisabeth war durchsetzungsstark, wurde aufgrund ihrer großen Auffassungsgabe, ihres Intellekts und ihrer umfangreichen Bildung von Freunden und Kritikern gleichermaßen gelobt und nutzte die Spielräume ihrer Instruktionen geschickt aus, um eigene politische Ziele gegen den Willen ihres Bruders zu realisieren. Maria Elisabeth wurde 1680 als zweites Kind von Kaiser Leopold I. (1640– 1705) und Eleonore-Magdalena von Pfalz-Neuburg (1655–1720) geboren. Als auffallend intelligentes Mädchen erhielt sie am Wiener Hof eine überdurchschnittlich gute Ausbildung in Fremdsprachen, Geschichte und Rhetorik. 1712 sollte sie bereits Statthalterin in Spanien werden, doch aufgrund der österreichischen Niederlage im Spanischen Erbfolgekrieg wurde dieser Plan nicht mehr realisiert. 1718 wurde sie zur Statthalterin in Tirol ernannt, trat dieses Amt aus ungeklärten Gründen jedoch nie an.5 1724 musste sich Karl VI. das Scheitern der Statthalterschaft von Prinz Eugen von Savoyen (1663–1736) in den Österreichischen Niederlanden eingestehen. Der Prinz war militärisch am Balkan unabkömmlich und wurde in Brüssel durch den Marquis de Prié vertreten, der binnen kürzester Zeit den gesamten belgischen Adel gegen sich aufgebracht hatte.6 Die Niederlande waren erst 1713 aufgrund des Friedens von Utrecht an den österreichischen Zweig des Hauses Habsburg gelangt, zuvor waren die Spanischen Niederlande von
3 Sandra Hertel: Maria Elisabeth. Österreichische Erzherzogin und Statthalterin in Brüssel (1725–1741), Wien/Köln/Weimar 2014. 4 Die Historiker des 19. Jahrhunderts sprachen ihr jedoch politisch eigenständiges Handeln ab und verorteten ihre jesuitisch geprägte Frömmigkeit als Charakterschwäche. Vgl. Alexandre Henne/Alphonse Wauters: Histoire de la Ville de Bruxelles. Brüssel 1845 (Bd 2), S. 253; Henri Pirenne: Histoire de Belgique. Des origins à nos jours. Brüssel 1950 (Bd. 3), S. 114–119. 5 Vgl. Margarethe Kalmár: Kulturgeschichtliche Studien zu einer Biographie von Erzherzogin Maria Elisabeth (1680–1741) aus Wiener Sicht. Wien 1988 (Diss.), S. 121–133. 6 Vgl. Klaas Van Gelder: Tien jaar trial-and-error? De opbouw van het Oostenrijks bewind in de Zuidelijke Nederlandem (1716–1725). Gent 2011 (Diss.; englische Publikation in Vorbereitung); Klaas Van Gelder/Sandra Hertel: Die Mission des Grafen von Daun in Brüssel 1725. Ein Wendepunkt in der Regierung der Österreichischen Niederlande?, in: ZHF, Bd. 38/2011, H. 3, S. 405–439 (hier S. 408).
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den habsburgischen Königen in Madrid aus regiert worden, die mit Karl II. 1699 allerdings im Mannesstamm ausgestorben waren. Daher war die österreichische Herrschaft in der Region, dessen Adel in seiner Loyalität zwischen Habsburgern und Bourbonen geteilt war und bisweilen sogar eine Unabhängigkeit anstrebte, noch nicht gefestigt. Karl VI. versuchte durch die Ernennung seiner Schwester auf die südniederländischen Adligen zuzugehen und sie durch die Etablierung eines habsburgischen Hofes in Brüssel einzubinden. Er reagierte damit auf die Wünsche vereinzelter südniederländischer Würdenträger, die nach einer Erzherzogin aus Wien verlangt hatten und die Wiederbelebung der spanischen Tradition der Statthalterschaften durch Prinzessinnen von Geblüt anstrebten.7 Der Beginn der Statthalterschaft von Maria Elisabeth ist somit als Kurswechsel des Kaisers und Neuanfang für die österreichische Herrschaft in Brüssel zu verstehen. Entsprechend wichtig war ihr Amtsantritt, der mit großer Pracht inszeniert wurde. Die detailliert vorbereitete und gut dokumentierte Reise Maria Elisabeths in ihre Brüsseler Residenz war ein wichtiger Bestandteil dieses Amtsantrittes. Sie war die einzige große Reise ihres Lebens; Maria Elisabeth starb 1741 in Brüssel. Erst nach dem Österreichischen Erbfolgekrieg wurde sie ihren Wünschen entsprechend 1749 in der Wiener Kapuzinergruft neben ihrem Vater bestattet. Das Wienerische Diarium, die Hof- und Stadtzeitung der kaiserlichen Residenzstadt Wien, berichtete am 5. September 1725 von einem der größten Reisezüge, der jemals die Hofburg verlassen hatte.8 230 Personen in 92 Kutschen, gezogen von 420 Pferden umrundeten die Stadt, überquerten die Donau und begaben sich in nördlicher Richtung nach Enzersdorf.9 Der Auszug der neuen Statthalterin aus Wien wurde von Salutschüssen begleitet. Mit Maria Elisabeth reisten die Hofbediensteten, die sie für ihren Brüsseler Hofstaat aus Wien mitnahm. Die Kammerfräulein, Hofkavaliere und Küchenjungen versahen während der Reise ihren üblichen Dienst für die Erzherzogin, wodurch ihrem vornehmen Rang auch auf den Landstraßen und an den Raststationen entsprochen werden konnte. Es handelte sich im wahrsten Sinne um einen Hof auf Reisen. Die Reise von Maria Elisabeth nach Brüssel war eine klassische Antrittsreise: Die Regentin zog in ihr Land ein, nahm ihr Amt durch die persönliche Präsenz in Besitz und machte sich während des festlichen Einzugs dem Volk gegenüber
7 Barbara Welzel: Die Macht der Witwen. Zum Selbstverständnis niederländischer Statthalterinnen, in: Jan Hirschbiegel/Werner Paravicini (Hrsg.), Das Frauenzimmer. Die Frau bei Hofe in Spätmittelalter und früher Neuzeit. Stuttgart 2000, S. 287–309. 8 Wienerisches Diarium, 5. September 1725, S. 7. 9 Österreichisches Staatsarchiv, Haus-, Hof- und Staatsarchiv (künftig: ÖStA HHStA), Hausarchiv, Familienakten 87, Konv. „Reise“, fol. 160r–161v.
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sichtbar.10 Der öffentliche Zug der Erzherzogin durch die Länder des Heiligen Römischen Reiches ist im konkreten wie im symbolischen Sinne als ein Übergangsritual, eine rite de marge, zu verstehen.11 Ihr bisheriges zurückgezogenes und vergleichsweise bescheidenes Leben ließ die Erzherzogin in Wien zurück, mit Antritt der Reise betrat sie faktisch und symbolisch die europäische Öffentlichkeit und wandelte sich während der Reise von der unverheirateten Erzherzogin zur Statthalterin des Kaisers in den Österreichischen Niederlanden. Öffentlich war die Reise durch den offiziellen Charakter des Reisezuges, die Empfänge und Audienzen an den Reisestationen und die Berichtserstattung durch die lokalen Zeitungen, die von der Anwesenheit der Schwester Kaiser Karls VI. in ihrer Stadt oder ihrem Territorium berichteten. In der kaiserlichen Residenzstadt informierte das Wienerische Diarium über das höfische Zeremoniell sowie die religiösen Rituale der habsburgischen Familienmitglieder, darunter auch eine Wallfahrt Maria Elisabeths nach Maria Zell, wo sie gemeinsam mit ihrer Schwester Maria Magdalena um Beistand für die Reise betete.12 Das Wiener Zeitungspublikum wurde auch fortlaufend über den Reiseverlauf und die Empfangszeremonien in den besuchten Städten informiert. Neben der publizistischen Öffentlichkeit sprach die Reise insbesondere die höfische Öffentlichkeit innerhalb Europas an: die Diplomaten, Botschafter und Gesandten, die die Besuche beobachteten und jedes Detail des Ablaufs ihren jeweiligen Dienstherren beschrieben.13 In den Ritualen zwischen Gast und Gastgeber offenbarte sich dem kundigen Beobachter das Machtverhältnis beider Personen, aus dem wiederum die politische Bedeutung des jeweiligen Herrschaftsgebietes abgeleitet werden konnte. Der Wiener Hof bemühte sich im Vorfeld intensiv, die Regeln für diese Begegnungen so detailliert wie möglich festzulegen, um die richtige Interpretation des Zeremoniells zu gewährleisten. Die Visualisierung der Rangverhältnisse zwi-
10 Harriet Rudolph: Art. „Entrée [festlich, triumphale]“, in: Werner Paravicini (Hrsg.), Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich, Bilder und Begriffe, 1. Teilband: Begriffe. Ostfildern 2005 (= Residenzenforschung Band 15. II), S. 318–323. 11 Gerrit Herlyn: Ritual und Übergangsritual in komplexen Gesellschaften. Sinn- und Bedeutungszuschreibungen zu Begriff und Theorie. Hamburg 2002, S. 21. 12 Stefan Seitschek: Religiöse Praxis am Wiener Hof. Das Beispiel der medialen Berichterstattung, in: István Fazekas/Martin Scheutz/Csaba Szabó/Thomas Winkelbauer (Hrsg.), Frühneuzeitforschung in der Habsburgermonarchie. Adel und Wiener Hof – Konfessionalisierung – Siebenbürgen (= Publikation der Ungarischen Geschichtsforschung in Wien Bd. VII.). Wien 2013, S. 71–101, hier S. 93. 13 Volker Bauer: Höfische Gesellschaft und höfische Öffentlichkeit im alten Reich. Überlegungen zur Mediengeschichte des Fürstenhofs im 17. und 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Kommunikationsgeschichte 5 (2003), S. 29–68.
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schen dem Kaiser und anderen Fürsten bzw. deren Gesandten bei öffentlichen Begegnungen hatte einen normativen Charakter. Der ephemere Moment der Begegnung wurde durch die Beobachter verschriftlicht und an anderen Höfen verbreitet, wodurch die politische Botschaft des Zeremoniells manifestiert wurde.14 Diese Praxis war nicht ohne Risiken, denn mancher Teilnehmer eines öffentlichen Zeremoniells bemühte sich in der Frühen Neuzeit mitunter, durch geringfügige Variierungen des Ablaufs den Anschein zu erwecken, die ihm vorgegebene Stellung sei höher.15 Sichtbare und allgemein verständliche Zeichen waren beispielsweise die Anzahl der Schritte, die man aufeinander zuging, die Anzahl der Pferde vor der Kutsche oder die Wahl des Sitzmöbels: Je besser dieses mit Polsterungen, Rücken- und Armlehne ausgestattet war, desto höher war der Rang der auf ihm sitzenden Person. So konnte beispielsweise auch ein unter den Stuhl gelegter Teppich den Rang des Sitzenden verbessern. Durch diese feine, aber effektvolle Symbolik konnte der Wiener Hof politische Tatsachen schaffen, in Rangstreitigkeiten zwischen den Reichsfürsten eingreifen und eigene Ansprüche untermauern. Politische Realität war das, was im Zeremoniell symbolisch sichtbar wurde.16 Maria Elisabeths öffentlich vollzogene Reise wurde durch das entsprechende Zeremoniell inszeniert. Dieses zu definieren war vor ihrer Reise ein komplexes Problem, denn Maria Elisabeth hatte zwar ein politisches Amt inne, für das entsprechende Würden und Ehrungen vorgesehen waren, aber sie war zugleich weiblichen Geschlechts. Frauen unternahmen üblicherweise Antrittsreisen nicht allein. Die Theorie der Doppelnatur des Königs aus dem englischen Mittelalter galt gleichermaßen für die frühneuzeitliche Erzherzogin.17 Es reisten zwei Körper: Der body natural, also der natürliche Körper Maria Elisabeths, aber auch der body politic, ihr neuer politischer Körper. Letzterer stellte das von Maria Elisabeth bekleidete neue Statthalteramt dar. Der politische Körper symbolisierte den über-
14 Andreas Pečar: Die Ökonomie der Ehre. Höfischer Adel am Kaiserhof Karls VI. (1711–1740). Darmstadt 2003, S. 209, 224. 15 Andreas Pečar: Gab es eine höfische Gesellschaft des Reiches? Rang- und Statuskonkurrenz innerhalb des Reichsadels in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Harm Klueting/Wolfgang Schmale (Hrsg.), Das Reich und seine Territorialstaaten im 17. und 18. Jahrhundert. Aspekte des Mit-, Neben- und Gegeneinander. Münster 2004, S. 183–205 (hier S. 192). 16 Barbara Stolberg-Rilinger: Herstellung und Darstellung politischer Einheit: Instrumentelle und symbolische Dimensionen politischer Repräsentation im 18. Jahrhundert, in: Jan Andres/ Alexa Geisthövel/Matthias Schwengelbeck (Hrsg.), Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit. Frankfurt a. M. 2005, S. 73–92 (hier S. 75). 17 Vgl. Kristin Marek: Die Körper des Königs. Effigies, Bildpolitik und Heiligkeit. München 2009, S. 99–113.
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natürlichen, unsterblichen Staatskörper, den sie gleichzeitig mit dem Amtsantritt angenommen hatte und der aus diesem Grund bereits während der Reise präsent war.18 Da der Staatskörper der Habsburgermonarchie in erster Linie durch Kaiser Karl VI. verkörpert wurde, war dieser während Maria Elisabeths Reise ebenfalls präsent. Denn letztendlich repräsentierte Maria Elisabeth durch ihre Statthalterschaft denselben politischen Staatskörper wie der Kaiser, nur in eingeschränkter Ausprägung. Durch die zeremoniellen Ausdifferenzierungen während der Reise wurde Maria Elisabeths body politic in den Vordergrund gerückt.19 Am Beispiel der zeremoniellen Überlegungen vor Maria Elisabeths Reise ist sehr gut zu ersehen, wie viele unterschiedliche Faktoren das Rangverhältnis beeinflussten und welche potentiellen Missverständnisse und Komplikationen zu erwarten waren. Sie zeigen gleichermaßen die wichtige politische Bedeutung, die die Antrittsreise für Maria Elisabeths Statthalterfunktion und auch für die Rolle des Kaisers im Heiligen Römischen Reich hatte. Maria Elisabeth wurde 1725 die erste Statthalterin von Geblüt, die in Brüssel den österreichischen Zweig des Hauses Habsburg vertrat, denn die Spanischen Niederlande waren als burgundisches Erbe des Hauses nach dem Spanischen Erbfolgekrieg an das Haus Habsburg in Wien gefallen. Dementsprechend war die Statthalterin nicht mehr Vertreterin eines spanischen Königs, sondern eines Kaisers. Obwohl Karl in den Niederlanden nur als Graf von Flandern und Hennegau Landessouverän war, sollte sich seine Kaiserwürde auch in der Aufwertung der politischen Befugnisse des Statthalteramts und im Brüsseler Zeremoniell widerspiegeln. Zur Vorbereitung der Reise seiner Schwester berief Karl VI. eine Hofkonferenz ein, wie es vor wichtigen höfischen und dynastischen Ereignissen am Wiener Hof üblich war. In dieser Hofkonferenz saßen Hofbeamte und die wichtigsten Würdenträger des Hofes und berieten über das Festzeremoniell.20 Zu ihren Aufgaben gehörte auch die Recherche in den höfischen Akten und Protokollen, sodass die jeweiligen Ereignisse nach historischen Vorbildern und Traditionen entsprechend korrekt umgesetzt wurden. Diese Hofkonferenz traf bereits ab Januar 1725 zusammen, um auch den Hofstaat von Maria Elisabeth in Brüssel zu planen, Personal auszuwählen und das Zeremoniell zu definieren. Bei der Festlegung der Route einigte man sich schnell darauf, dass die Erzherzogin über Prag reisen
18 Vgl. Rachel Weil: Der königliche Leib, sein Geschlecht und die Konstruktion der Monarchie, in: Regina Schulte (Hrsg.), Der Körper der Königin. Geschlecht und Herrschaft in der höfischen Welt seit 1500. Frankfurt a. M./New York 2002, S. 99–111 (hier S. 104). 19 Ein umgekehrter Vorgang wäre etwa die Reise inkognito, bei der nur der body natural reiste und der body politic verschleiert blieb. Volker Barth: Inkognito. Geschichte eines Zeremoniells. München 2013, S. 13. 20 Zu Hofkonferenzen vgl. Pečar: Ökonomie (wie Anm. 14), S. 200–207.
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sollte, wo ihr Bruder zwei Jahre zuvor zum König von Böhmen gekrönt worden war. Hier sollte sie der üblichen Postroute durch Niederösterreich und Mähren folgen. Danach war vorgesehen, die Markgrafschaft Ansbach, das Fürstbistum Würzburg und die Erzbistümer Mainz und Köln zu passieren, bevor sie in Lüttich erstmals ihr neues Herrschaftsgebiet betreten sollte.21 Maria Elisabeth reiste somit bevorzugt durch reichsfreies oder geistliches Territorium und mied die ‚wichtigen‘ weltlichen Fürstentümer. Das größte Problem für die Hofkonferenz war der unklare Rang Maria Elisabeths während der Reise: Einerseits war sie bereits ernannte Statthalterin des Kaisers und sollte – ähnlich wie dies Botschaftern zustand – dieselben Ehren wie der Kaiser selbst empfangen. Aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit und ihres Personenstandes konnte sie aus Gründen der Schicklichkeit nicht an allen üblichen Ritualen auf dieselbe Weise partizipieren wie etwa ein männlicher Statthalter. Beispielsweise durfte sie nicht alleine mit einem anderen Mann in einem Raum sein. Zudem traf Maria Elisabeth während ihrer Reise auf eine Vielzahl fürstlicher Personen und deren Gesandten, deren Verhältnisse untereinander bei der Definition des jeweiligen Zeremoniells ebenfalls Beachtung finden mussten, um keinen zu benachteiligen oder zu bevorzugen.22 Trotz ihrer Recherchen fanden die Teilnehmer der Hofkonferenz in den Quellen keinen Präzedenzfall, der ihnen hätte Orientierung bieten können. Für eine politische Reise einer unverheirateten Erzherzogin gab es am Wiener Hof kein einziges Vorbild. So versuchte man sich so eng wie möglich an dem üblichen Reisezeremoniell einer Kaiserinwitwe zu orientieren. Sollten während der Reise Kurfürsten den Wunsch äußern, eine Audienz bei Maria Elisabeth zu erhalten, so würden diese gegenüber Maria Elisabeth als gleichrangig eingestuft.23 Die Gleichrangigkeit wurde beispielsweise durch identische Sitzgelegenheiten visualisiert, die entsprechend dem kurfürstlichen Rang gepolstert und mit Armlehne sein mussten.24 Als besuchte Person und Audienzgeberin konnte Maria Elisabeth ihnen die Ehre erweisen und sie beim Abschied zur Tür ihres Audienzzimmers begleiten, von wo aus sie der Obersthofmeister zurück zur Kutsche geleitete. Diese Vorgaben waren vorab in Wien erarbeitet
21 ÖStA HHStA, Hausarchiv, Familienakten 87, Konv. „Reise“, fol. 160r–161v. 22 André Krischer: Souveränität als sozialer Status. Zur Funktion des diplomatischen Zeremoniells in der Frühen Neuzeit, in: Ralph Kauz/Giorgio Rota/Jan Paul Niederkorn (Hrsg.), Diplomatisches Zeremoniell in Europa und im Mittleren Osten in der Frühen Neuzeit. Wien 2009, S. 1–32 (hier S. 11). 23 ÖStA HHStA, Zeremonialprotokolle 13, fol. 89v. 24 Diese Regel war im 18. Jahrhundert allgemein bekannt. Vgl. Johann Christian Lünig, Theatrum Ceremoniale Historico-Politicum […]. Leipzig 1719 (Bd. 1), S. 192.
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worden, damit der Obersthofmeister für diese potentielle Begegnung vorbereitet war und während der Reise eigenständig agieren konnte. Denn es konnten jederzeit Audienzgesuche an die Erzherzogin herangetragen werden, die grundsätzlich nicht ignoriert werden durften. Die Kurfürsten hatten nach dem Kaiser den höchsten Rang im Reich.25 Nach dem zeitgenössischen Verständnis überstiegen ihr Rang und ihre Würde denen einer Prinzessin, auch wenn es sich dabei um eine Erzherzogin handelte. Das lag vor allem an der Tatsache, dass bei gleichem gesellschaftlichen Rang eine Frau einem Mann gegenüber immer nachgeordnet war.26 In der Ausdifferenzierung des Ranges sorgte die Kategorie Geschlecht somit für die eigentliche Komplexität. Im Fall von Maria Elisabeths Reise wurde ihr Status als Statthalterin des Kaisers nun herangezogen, um die geschlechtlich bedingte Rangrücksetzung zu ihren Gunsten auszugleichen. Die Gleichstellung von Maria Elisabeth mit den Kurfür sten ist somit als zeremonielle Aufwertung ihrer Person zu verstehen, die durch ihre neue politische Rolle als Stellvertreterin des Kaisers und Statthalterin der Österreichischen Niederlande erfolgte. Ihr neuer body politic relativierte die Zugehörigkeit ihres body natural, ohne sie jedoch vollständig aufzuheben. Die vorgebrachten Lösungsvorschläge im Umgang mit der unklaren Protokollsituation sind für die Problematik weiblichen Reisens und die politische Rolle der Erzherzogin und Statthalterin sehr aussagekräftig. Zwei zu durchquerende Territorien im Reich wiesen in dieser Hinsicht bei den Vorbereitungen besondere Schwierigkeiten auf: die Markgrafschaften Ansbach und Bayreuth sowie das Fürstbistum Würzburg. Die Hofkonferenz hegte große Befürchtung, dass die Markgräfinnen von Ansbach und Bayreuth Maria Elisabeth sehen wollen würden. Markgräfin Christiane Charlotte von Ansbach (1694–1729) war kurz zuvor verwitwet und Regentin für ihren minderjährigen Sohn Karl Wilhelm. Markgräfin Sophia von Brandenburg-Bayreuth (1684–1752) hingegen war verheiratet. Beide Herrschaftsgebiete wurden von Maria Elisabeths Reisezug unmittelbar gestreift, auch wenn auf der vorgegebenen Poststrecke die Residenzen der beiden Damen umgangen werden konnten. Als Ort für eine mögliche Audienz wurde entweder die Reichsstadt Nürnberg oder eine Poststation im jeweiligen Gebiet der Markgräfinnen vorgesehen. Diese Audienzen waren zwar im Vorfeld der Reise nicht angekündigt worden, doch ähnlich wie bei dem erar-
25 Heinz Schilling: Höfe und Allianzen. Deutschland 1648–1763. Berlin 1994, S. 25. 26 Bernhard Sterchi: Regel und Ausnahme in der burgundischen Hofetikette. Die „Honneurs de la cour“ von Eléonore de Poitiers, in: Klaus Malettke/Chantal Grell (Hrsg.), Hofgesellschaft und Höflinge an europäischen Fürstenhöfen in der Frühen Neuzeit (15.–18. Jahrhundert). Münster 2001, S. 305–323 (hier S. 310).
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beiteten Zeremoniell für eine Audienz mit einem Kurfürsten wollte die Hofkonferenz die Reisegesellschaft auf alle Eventualitäten vorbereiten. Im Gegensatz zum Zeremoniell mit den Kurfürsten war Erzherzogin Maria Elisabeth den beiden Markgräfinnen nicht gleichgestellt, sondern hatte aufgrund der Statthalterschaft den höheren Rang inne. Die übliche Handhabung des Rangunterschieds im Audienzzeremoniell wäre, wie bereits erwähnt, die symbolische Unterscheidung durch unterschiedliche Sitzgelegenheiten gewesen. Die Hofkonferenz schlug stattdessen vor, Maria Elisabeth solle die Damen im bett liegender27 empfangen, während die Markgräfinnen vor dem Paradebett der Erzherzogin stehen sollten. Dieses Arrangement wies eine weit größere Distanz auf: Nicht nur saß Maria Elisabeth in einem Bett weit bequemer als auf einem Stuhl, sie nahm zudem auf diesem Möbelstück einen viel größeren Raum im Zimmer im Vergleich zu den stehenden Damen ein. Auch die Hofkonferenz war sich bewusst, dass diese Audienzform im Heiligen Römischen Reich unüblich war, sie konnte von den Markgräfinnen als eine Brüskierung und Missachtung ihres Ranges als Reichsfürstinnen interpretiert werden. Deshalb empfahl die Hofkonferenz, dass Maria Elisabeth eine Entschuldigung vorbringen solle. Den Damen sollte vom Obersthofmeister mitgeteilt werden, dass Ihro durchlaucht zwar diese visite und ehr lieb sein würde, sie aber bedauern müsste, daß ihre so lange und besonderliche reise, und davon empfindener abmattung wegen sie nicht in stande wäre, sie anderter als im bett zu empfangen.28 Folgende politische Botschaften wollte die Hofkonferenz durch diese zeremonielle Anordnung vermitteln: Der Rang von Maria Elisabeth entsprach nicht mehr dem einer unverheirateten Erzherzogin, sie stand als Stellvertreterin des Kaisers deutlich über den Reichsfürstinnen. Die Durchsetzung dieser Rangaufwertung im höfischen Zeremoniell innerhalb des Reiches hatte oberste Priorität und wurde als Verdeutlichung ihrer politischen Funktion im Zeremoniell symbolisch manifestiert. Politische Spannungen mit Reichsfürsten, die diese Etikette als Degradierung ihres Ranges deuten würden, sollten allerdings vermieden werden. Daher musste Maria Elisabeths nachvollziehbare Müdigkeit als Ausrede den Damen eine akzeptable Erklärung für das angewandte Zeremoniell liefern. Die Raffinesse dieser Vorgehensweise lag darin, dass ein einmal angewandtes Zeremoniell für zukünftige Begegnungen einen Präzedenzfall darstellte.29 Denn durch die Ausführung des vorgeschriebenen Zeremoniells und ihre Teilnahme
27 ÖStA HHStA, Zeremonialprotokolle 13, fol. 90r. 28 Ebd., fol. 90r–v. 29 Barbara Stollberg-Rilinger: Die zeremonielle Inszenierung des Reiches oder: Was leistet der kulturalistische Ansatz für die Reichsverfassungsgeschichte?, in: Matthias Schnettger (Hrsg.),
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an der Audienz erklärten die Markgräfinnen ihr Einverständnis mit der Etikette. Diese Zustimmung wurde unabhängig von dem Grund für das umgesetzte Zeremoniell in den Protokollen schriftlich festgehalten und galt auch für die Zukunft. Jede weitere Erzherzogin, die im Dienst des Kaisers durch das Reich reisen würde, müsste sich auf dieses Vorbild beziehen und das Zeremoniell übernehmen. Denn das Zeremoniell einer Audienz war ein Abbild der politischen Realität, die von allen Beteiligten im Moment der Umsetzung akzeptiert wurde. An diesem Beispiel wird der performative Aspekt von zeremonieller Repräsentation deutlich: Sie stellte die Realität erst her, die sie abzubilden beabsichtigte.30 Die große Bedeutung, die der Umsetzung des erwünschten Zeremoniells zukam, zeigt sich darin, dass die Hofkonferenz sogar zu einer Notlüge griff, um den erwünschten Statusunterschied umzusetzen. Der Wiener Hof und der Kaiser traten damit auch als Teil der Rang- und Statuskonkurrenz innerhalb der Fürstengesellschaft im Reich auf. Die Hofkonferenz übergab diesen Vorschlag an Kaiser Karl und Maria Elisabeth zur Prüfung. Die Erzherzogin ließ die Hofkonferenz anschließend wissen, sie wolle die Damen nicht im Bett empfangen. Offenbar war ihr dieses Zeremoniell nicht bekannt, denn sie wurde von der Hofkonferenz belehrt, dass dieses Verfahren nicht nur bei vielen Höfen respecte des weiblichen geschlechts unter sich31 gebräuchlich sei, sondern in Madrid auch der Botschafter seine Gäste im Bett empfange. Das Zeremoniell sei demnach in Europa üblich und wurde ihr unabhängig von ihrem Geschlecht empfohlen. An diesem Beispiel wird Maria Elisabeths Einfluss deutlich, der ebenso wie dem Kaiser die Vorschläge über das Zeremoniell zur Genehmigung vorgelegt wurden. Urheber der Ideen waren jedoch die Hofbeamten. Letztendlich blieben alle Pläne hypothetisch, denn die Markgräfinnen baten nicht um eine Audienz. Während alle diese Schwierigkeiten durch Notlügen und Ausweichmanöver geschickt umgangen werden konnten, stellte der Besuch der Stadt Würzburg die Hofkonferenz vor große Herausforderungen. Würzburg gehörte zum gleichnamigen Fürstbistum und wurde von Fürstbischof Christoph Franz von Hutten (1673– 1729) regiert. Die Stadt war die einzige Station auf Maria Elisabeths Reise, die gleichzeitig auch Sitz und Residenz eines Reichsfürsten war, alle anderen Städte, in den ein Reichs- oder ein Kurfürst residierte, konnten umgangen werden.
Imperium Romanum – Irregulare Corpus – Teutscher Reichs-Staat. Das alte Reich im Verständnis der Zeitgenossen und der Historiographie, Mainz 2002, S. 233–246 (hier S. 236). 30 Horst Carl: Art. „Repräsentation. Allgemein“, in: Friedrich Jäger (Hrsg.), EdN, Stuttgart 2010, Bd. 11, Sp. 62–64. 31 ÖStA HHStA, Zeremonialprotokolle 13, fol. 107r.
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Die Schwierigkeiten bei der Vorbereitung des Begrüßungszeremoniells konzentrierten sich auf den kurzen Moment, in dem Maria Elisabeth aus ihrer Kutsche aussteigen würde. Zwischen den Reichsfürstinnen und Bischöfen im Reich war es üblich, dass der Bischof den Damen seine Hand anbot, um beim Aussteigen behilflich zu sein. Nun bezweifelte aber die Hofkonferenz, ob es sich schicken würde, daß Ihro durchlaucht als eine noch ledige- und nie verheiratet geweste frau sich von dem bischoffen führen lassen sollte.32 Des Weiteren war man auch unsicher, ob es für Maria Elisabeth angebracht sei, den Bischof in seinem Quartier zu besuchen oder an einer von ihm gegebenen Festtafel teilzunehmen. Drei verschiedene Vorschläge zur Umgehung dieses Problems wurden dem Kaiser vorgelegt. In einer ersten Variante sollte Maria Elisabeth ihr Quartier in der Stadt wählen und nicht im fürstbischöflichen Palais übernachten. Dabei könne sie auch das Problem der Audienz umgehen, indem sie einen Kavalier mit Komplimenten zum Bischof schicke. Der Bischof müsse umgekehrt ebenso verfahren und sie nicht persönlich besuchen, sondern ebenfalls einen Diener schicken. Der zweite Vorschlag, der von Maria Elisabeths Obersthofmeister Giulio Graf Visconti (1664–1751) stammte, bediente sich wieder der bereits bekannten Entschuldigungspraxis. Maria Elisabeth sollte erneut Müdigkeit aufgrund der strapaziösen Reise vortäuschen und verlangen, in einer Sänfte die Stiegen hinauf in ihr Schlafquartier getragen zu werden. Der Kaiser hielt jedoch dagegen, dass es trotzdem noch genügend Gelegenheiten geben werde, bei denen der Bischof seine Hand anbieten könne: beim Aussteigen aus dem Wagen und aus der Sänfte, auf dem Weg vom Vorzimmer bis in die Retirada und natürlich beim Abschied aus Würzburg.33 Die zweite Variante wurde somit abgelehnt. Der dritte Vorschlag war aufgrund der Spekulationen und Hypothesen der Hofkonferenz sehr komplex, ist aufgrund seiner ausführlichen schriftlichen Dokumentation aber auch eine wertvolle Quelle über die Intentionen des Besuchszeremoniells. Die Konferenz empfahl, einen Kavalier im Voraus nach Würzburg zu schicken, der den Bischof Glauben lassen solle, am Wiener Hof sei es Brauch, dass die Erzherzoginnen durch niemand als ihren obrist hofmeister oder den zu Ihrer führung deputierten Cavalier geführt würde.34 Dann jedoch, so spekulierte der Reichsvizekanzler, könne der Bischof argumentieren, dass das Zeremoniell des Wiener Hofes nicht an einem reichsfürstlichen Hof wie dem Würzburger gelte. Doch damit endete die Gedankenspielerei über Krisenszenarien noch lange nicht. Glaube der Bischof von Würzburg also, am Wiener Hof dürfe niemand den
32 Ebd., fol. 91r. 33 Ebd., fol. 106r. 34 Ebd., fol. 108r.
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Erzherzoginnen die Hand reichen, so könne er aber befürchten, dass Maria Elisabeth das Zeremoniell zwischen Reichsfürstinnen und Bischöfen kenne und nun glaube, er unterlasse das Reichen der Hand aus mangelndem Respekt ihr gegenüber, und sie werde deswegen verstimmt sein. Wegen dieser potentiellen Bedenken des Bischofs nahm die Hofkonferenz an, der Bischof könne die ihm übermittelten Anweisungen des Wiener Hofes aus gutgemeinter Höflichkeit ignorieren. Die Hofkonferenz entwarf aber noch eine weitere und nachvollziehbare Spekulation über die Gedanken und Absichten des Bischofs. Diese bezog sich auf die Ansprüche des Bischofs, entsprechend seines Ranges als Fürstbischof behandelt zu werden. Denn reiche er vor der höfischen Öffentlichkeit und den beobachtenden Gesandten der Erzherzogin nicht die Hand, so könnten diese schlussfolgern, der Wiener Hof halte ihn nicht für würdig genug, eine Erzherzogin an der Hand zu führen.35 Diese öffentliche Degradierung seiner Würde konnte der Bischof an seinem eigenen Hof kaum freiwillig zulassen. Es erschien der Hofkonferenz somit gleichgültig, mit welcher Begründung man dem Bischof das Verbot übermittelte und mit welchen Überlegungen er darauf reagierte: Mit einem Verstoß gegen den vorab bekanntgegebenen zeremoniellen Ablauf war zu rechnen. Die einzige Lösung der Schwierigkeit war die Vermeidung jedweder persönlicher Begegnung zwischen Maria Elisabeth und dem Fürstbischof. Dass ihr Obersthofmeister als höchster und wichtigster Vertreter kein Wort Deutsch sprach, erleichterte den Ablauf nicht. Nach reiflicher Überlegung kommentierte Kaiser Karl VI. die ihm vorgestellten Alternativen und ihre Konsequenzen folgendermaßen: Nach diesen allen Umständen wird das beste seyn, dass der fürst gar nicht erscheinen.36 Und mit dieser Entscheidung wurde der Fürstbischof aus seiner eigenen Stadt ausgeladen. Was bedeuteten nun all diese Spekulationen und Mutmaßungen? Die Ausgangssituation war eine zeremonielle Regel, die sich aus der Geschlechtszugehörigkeit, dem Familienstand der Erzherzogin und dem geistlichen Stand des Fürstbischofs ergab: Maria Elisabeth durfte sich als jungfräuliche Erzherzogin nicht von einem Kirchenmann berühren lassen. Sie musste wie andere junge Erzherzoginnen im besonderen Maße, mehr als eine verheiratete oder verwitwete Frau, ihre Tugend und ihre Keuschheit in der Öffentlichkeit demonstrieren und ihren Körper vor jedweder ‚unsittlichen‘ Berührung schützen, auch noch im Alter von 44 Jahren.37 Zu diesem Schutz waren ihre Obersthofmeisterin und ihre Hofdamen
35 Ebd., fol. 108v. 36 Ebd., fol. 110r. 37 Susanne Burghartz: Geschlecht – Körper – Ehre. Überlegungen zur weiblichen Ehre in der Frühen Neuzeit am Beispiel der Basler Ehegerichtsprotokolle, in: Klaus Schreiner/Gerd Schwer-
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da: Durch ihre permanente Anwesenheit wurde verhindert, dass Maria Elisabeth mit einem Mann allein in einem Zimmer war.38 Doch warum die jungfräuliche Tugend nicht vom Händedruck eines verheirateten oder unverheirateten Adligen, sondern nur von einem Geistlichen verletzt wurde, erklären die genannten Ausführungen nicht. Aus den Überlegungen der Hofkonferenz wird deutlich, dass die zeremoniellen Vorgaben nicht ohne Probleme einem anderen Hof kommuniziert werden konnten, weil schon allein schriftliche Vorgaben Ehrverletzungen provozieren könnten. Dem Fürstbischof sollte eine Hofetikette vorgegaukelt werden, in der nur speziell auf diesen Posten ernannte Adlige die Ehre hätten, einer Erzherzogin die Hand zu reichen und sie an der Hand zu führen. Die wahren Intentionen des Wiener Hofes sollten nicht offengelegt werden. Das Taktieren lag aber nicht allein an der Schwierigkeit, wie dem Fürstbischof dieses Zeremoniell zu vermitteln sei, sondern auch an der fehlenden Garantie, dass es fehlerfrei umgesetzt werden würde. Der Fürstbischof hatte bislang jeder Reichsfürstin, die ihn besucht hatte, die Hand gereicht, und sein Hof sowie alle dort lebenden Gesandten und Berichterstatter wussten das. Würde er Maria Elisabeth nicht die Hand reichen, dann würden sie alle diese Veränderung bemerken und als eine Degradierung des Fürstbischofs durch den Kaiser oder böswillige Unterlassung des Fürstbischofs interpretieren. Beide Deutungen wären ein politischer Skandal, zumal Hutten im Jahr zuvor gegen den Willen des Kaisers zum Fürstbischof gewählt worden war. Die Beobachter wüssten während des Begrüßungszeremoniells nicht, dass diese Abweichung von der üblichen Gewohnheit aufgrund von Maria Elisabeths Jungfräulichkeit notwendig wäre. Da man diese komplexen Überlegungen im Zeremoniell und in der Berichterstattung nicht vermitteln konnte, bevorzugten beide Parteien die Auslassung der Begegnung. Das Risiko, dass bei dem kurzen Zusammentreffen etwas sichtbar wurde, was nicht der Realität entsprach und nicht entsprechen durfte, war zu groß. Es war besser, sich nicht zu sehen, als einen zeremoniellen Fauxpas zu begehen, der nicht mehr zurückgenommen werden konnte. Vor diesem Hintergrund war es vermutlich auch dem Fürstbischof lieber, seinem hohen Gast nicht zu begrüßen, um unangenehme Rangstreitigkeiten zu vermeiden. Die Reise einer unverheirateten Frau – nicht als Regentin und nicht als Witwe – war insbesondere bei ihrem hohen Rang außergewöhnlich. Dafür exis-
hoff (Hrsg.), Verletzte Ehre. Ehrkonflikte in Gesellschaften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Köln/Weimar/Wien 1995, S. 214–234 (hier S. 217). 38 Katrin Keller: Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts. Wien/ Köln/Weimar 2005, S. 94 f.
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tierten bis dato keine Vorbilder und Präzedenzfälle. Daher mussten Hofbeamte aus dem bekannten Reichs- und Audienzzeremoniell eine auf Maria Elisabeths politische Rolle zugeschnittene Version zusammenstellen.39 Konnte das Zeremoniell nicht im Sinne des Wiener Hofes anbefohlen oder verlangt werden, so musste dieses über Ausreden und Vortäuschungen umgesetzt werden. Begegnungen, die ein Rangrisiko trugen, sollten stets mit der Erschöpfung der Erzherzogin entschuldigt werden, weilen Ihro d[urchlaucht] von so großer und strapazirlicher Post-Reyß natürlicher weiß Müd- und Math seyn würde.40 Um die Fürsten der durchquerten Länder nicht zu brüskieren, wurden Kavaliere entsandt, die die Komplimente und Grüße der Erzherzogin übermittelten.41 Verließ eine unverheiratete Prinzessin den heimischen Hof, dann verließ sie auch den Schutzraum für ihre Ehre und Tugend. Diesen Schutz musste sie während ihrer Reise durch andere Vorkehrungen aufrechterhalten, die wiederum Einfluss auf das Zeremoniell hatten. Der Schutz der weiblichen Tugend genoss am Wiener Hof des Barock einen überdurchschnittlich hohen Stellenwert und kann als ein habsburgisches Spezifikum angesehen werden. Die daraus resultierenden Etikette, die Maria Elisabeth sogar exportierte, wurde von anderen Fürsten kommentiert und mitunter sogar verspottet. Eine beliebte Anekdote von Maria Elisabeths Statthalterhof berichtete von dem Besuch des bayerischen Prinzen und späteren Kurfürsten Karl Albrecht (1697–1745) mit seinen Brüdern am Brüsseler Hof 1725. Karl war mit Maria Elisabeths Nichte Maria Amalia (1701–1756) verheiratet und reiste inkognito, dennoch wurde er offiziell am Hof empfangen. Jedoch wurde ihm aus Gründen der Sittlichkeit untersagt, mit Maria Elisabeth zu speisen. Daraufhin soll er angemerkt haben: Es wäre sehr artig, daß da er zu München täglich bey einer Ertz-Herzogin schlieffe, zu Brüssel aber mit einer ErtzHerzogin nicht einmal speisen dürffen.42 In diesem Fall leitete sich das Zeremoniell
39 Mark Hengerer: Die Zeremonialprotokolle und weitere Quellen zum Zeremoniell des Kaiserhofes im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv, in: Josef Pauser/Martin Scheutz/Thomas Winkelbauer (Hrsg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch. München 2004, S. 76–93. Sie stießen dabei auf das Problem, dass das Zeremoniell innerhalb des Reiches nicht nur uneinheitlich, sondern bisweilen auch so unklar war, dass die Reaktionen der besuchten Fürsten nicht eingeschätzt werden konnten. Das Zeremoniell der Frühen Neuzeit war bei Weitem nicht so starr und allgemein anerkannt, wie vielfach angenommen wurde, sondern hatte einen groben Rahmen, innerhalb dessen variiert und verhandelt werden konnte. Pečar: Rang- und Statuskonkurrenz (wie Anm. 15), S. 39. 40 ÖStA HHStA, Zeremonialprotokolle 13, fol. 77r. 41 Ebd., fol. 77v. 42 Carl Pöllnitz: Briefe, welche das merckwürdigste von seinen Reisen und die Eigenschaften derjenigen Personen woraus die vornehmsten Höfe von Europa bestehen, sich enthalten. Frankfurt a. M. 1738‚ (Bd. 3), S. 158; vgl. auch Hertel: Maria Elisabeth (wie Anm. 3), S. 276 f.
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sowohl von Maria Elisabeths Statthalteramt als auch von ihrem Status der Jungfräulichkeit ab. Die Anekdote beweist erneut die Komplexität von zeremoniellen Regeln und das ständig präsente Risiko einer Ehrverletzung. Das Reisezeremoniell hatte aufgrund seines öffentlichen Charakters eine große politische Bedeutung. Maria Elisabeth betrat die städtische und höfische Öffentlichkeit anderer Reichsgebiete und wurde zudem von Botschaftern und Gesandten beobachtet. Das angewandte Zeremoniell bei den Empfängen und Audienzen gab den Beobachtern Auskunft über den Rang, ihre Stellung innerhalb des Reiches und das Verhältnis zwischen Kaiserhof und Reichsfürsten. Die Festlegung ihrer Position erforderte feinsinniges Austarieren und Abwägen zwischen ihrem Geburtsrang, ihrer politischen Stellvertreterfunktion, ihrem Geschlecht und ihrem Familienstand. Insgesamt entschieden vier verschiedene relationale und interdependente Kategorien über ihren Rang. Als Bemessungsgrundlage kann die Tendenz zum höchstmöglichen Rang bei besonderer Beachtung ihrer jungfräulichen Tugend festgestellt werden. All diese Überlegungen hatten den Zweck, Maria Elisabeth als eine würdige Statthalterin des Kaisers in den Österreichischen Niederlanden einzuführen. Sie war gleichermaßen Repräsentantin des Kaisers vor der europäischen Öffentlichkeit wie vor den südniederländischen Provinzen. Ihr Einzug in die Residenzstadt Brüssel war Schluss- und Höhepunkt der Reise. Im Vorfeld hatten die Bürger im Auftrag der Stadtregierung ihre Häuser für den Einzug der Statthalterin geschmückt und illuminiert.43 Auf ihrem Weg nach Brüssel wurde Maria Elisabeth vor den Augen der Welt von einer Erzherzogin zu einer Statthalterin. Wurde sie durch den Antritt eines politischen Staatsamtes auch zum Mann? Die hohe Bedeutung, die dem Schutz der weiblichen Tugend ihres natürlichen Körpers zukam, lässt eine andere Interpretation zu. Dennoch regierte Maria Elisabeth in Brüssel „an Kaisers statt“ und wurde im Zeremoniell nicht wie eine Kaiserin, sondern explizit wie ein Kaiser behandelt. Das politische Amt stellte sie in ihren Handlungsbefugnissen, im Zeremoniell und in der Diplomatie einem Mann gleich – solange ihre Tugend davon unberührt blieb. Als Statthalterin besaß sie zwei Körper: den biologischen, weiblichen und den politischen, männlichen Körper. Während der Reise galt es, ihren mächtigen body politic zu inszenieren und gleichzeitig die Schutzbedürftigkeit des body natural zu beachten. Ihre Antrittsreise zeigt deutlich, dass die Geschlechternormen der Frühen Neuzeit diese Doppelnatur ungeachtet der praktischen und zeremoniellen Schwierigkeiten zuließen, was Maria Elisabeths Statthalterschaft zu einem faszinierenden und komplexen Beispiel weiblicher Herrschaft macht.
43 Wienerisches Diarium, 6. Oktober 1725, S. 3.
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Reisen aus Staatsräson Die Brautfahrten der Erzherzogin Maria Carolina 1768 und der Erzherzogin Maria Amalia 1769
1 Einführung Die schwelenden Konflikte mit Preußen um die Hegemonie im Heiligen Römischen Reich und der Kampf um die Vormachtstellung auf europäischer Ebene dominierten die österreichische Außenpolitik unter Maria Theresia (1717–1780). Besonders seit der Beilegung des Konfliktes mit dem Königreich Neapel-Sizilien 1751 erregten auch die italienischen Fürstentümer immer wieder die Aufmerksamkeit der europäischen Großmächte, die versuchten, die neugeformten politischen Beziehungen durch Eheverbindungen zu festigen. Um gegen das erstarkte Preußen bestehen zu können, beschritt Österreich einen neuen Weg, indem es seinen traditionellen Erzfeind Frankreich als Verbündeten gewann. Dieses Renversement des alliances wurde durch eine Hochzeit erreicht. Der zu jener Zeit am Hof von Versailles herrschende Ludwig XV. (1710–1774) strebte eine Vermählung seiner Enkelin Isabella (1741–1763), der Tochter Herzogs Philipps (1720–1765), des Infanten von Spanien und Herzogs von Parma, mit dem späteren Kaiser Joseph II. (1741–1790) aus dem Hause HabsburgLothringen an. Die Vermählung fand am 6. Oktober 1760 in Wien statt, als sich gerade russische und österreichische Truppen auf dem Vormarsch auf Berlin befanden. Dieser Eheschluss kam jedoch einem Tabubruch gleich, da noch unter der Regentschaft von Kaiser Karl VI. (1685–1740) traditionell Ehen mit deutschen Herrscherhäusern geschlossen worden waren und nicht etwa mit französischen oder italienischen. Karl von Bourbon (1716–1788), König von Neapel-Sizilien, gelangte 1759 als Karl III. auf den spanischen Thron, von wo aus auch er seine ambitionierten Heiratspläne weiter vorantrieb. Seine älteste Tochter Infantin Maria Ludovica (1745–1792) heiratete 1765 in Innsbruck den Großherzog der Toskana, Leopold (1747–1792), der ab 1790 für kurze Zeit als Kaiser Leopold II. in Wien regierte. Für die italienischen Gebiete bedeutet die habsburgische Heiratspolitik eine Konsolidierung des italienischen Staatengebildes. Der kulturelle und politische Einfluss des Wiener Hofes, der sich im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts von der Poebene bis nach Sizilien erstrecken sollte, wurde durch zwei weitere Verbindungen konsolidiert: die Heirat zwischen der https://doi.org/10.1515/9783110532937-010
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Erzherzogin Maria Carolina (1752–1814) 1768 mit dem König von Neapel-Sizilien und die Heirat der Erzherzogin Maria Amalia (1746–1804) 1769 mit dem Herzog von Parma.1 Besonders die prachtvollen und mit großer Entourage durchgeführten Brautfahrten dieser beiden Prinzessinnen machten den Anspruch Wiens sowohl für die eigenen Untertanen als auch für jene der durchreisten Territorien sichtbar. Die Brautfahrten der Erzherzogin Maria Carolina vom 7. April bis 19. Mai 1768 und der Erzherzogin Maria Amalia vom 29. Juni bis 24. August 1769 haben bislang von der historischen Forschung wenig Beachtung gefunden, obwohl sie zeitgenössisch einiges mediales Interesse hervorriefen.
2 Quellenlage In der Abteilung Haus-, Hof- und Staatsarchiv des Österreichischen Staatsarchives befinden sich neben zahlreichen Briefen von Maria Amalia an ihre Mutter und ihre Geschwister auch Korrespondenzen Herzog Ferdinands von Parma sowie Unterlagen zu den Hochzeitsvorbereitungen.2 Ähnlich umfangreich ist die Sammlung zu Maria Carolina, die neben dem Schriftwechsel zur Hochzeitsplanung auch Anweisungen Maria Theresias an ihre Tochter umfasst.3 Des Weiteren stehen mit der Hof-Reis-Lista der Erzherzogin und den von Egon Conte Corti in den 1940er und 1950er angefertigten Transkriptionen zahlreicher Dokumente zusätzliches Material für die Rekonstruktion der Reise zur Verfügung.4 Vor allem die Dokumentationen zu den jeweiligen Routen sind ausführlich und umfangreich erhalten.5
1 Adam Wandruzka: Österreich und Italien im 18. Jahrhundert. Wien 1963, S. 43. 2 Österreichisches Staatsarchiv, Haus- Hof- und Staatsarchiv (künftig: ÖSTA HHStA), Hausarchiv (HausA), Familienkorrespondenz. 3 Die umfangreichen Schilderungen der Hofzeremonielle im Vorfeld der eigentlichen Hochzeit bieten interessante Details über akribische Kleidungsvorschriften, Anreisewege und Abstellmöglichkeiten für Tragsessel und Kutschen, sodass sie eine wertvolle Quelle darstellen, jedoch über die Brautfahrt selbst nur wenig Auskunft geben. 4 ÖSTA HHStA, SB Nl, Conte Corti 1; ÖSTA HHStA HausA, Familienakten 49–3; ÖSTA HHStA, UR FUK 2043. 5 Die Reisen lassen sich aus der Berichterstattung (mit Ausnahme der Strecke Schloss Laxenburg – erste Nächtigung) lückenlos rekonstruieren. Dennoch kann die Gültigkeit der veröffentlichten Ankunfts- und Abreisedaten nicht als gegeben angenommen werden, da die Reisedaten teilweise im Voraus abgedruckt und Verspätungen oder außerplanmäßige Aufenthalte später oder auch nicht dokumentiert wurden.
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Von Interesse sind auch die in der Staatenabteilung verwahrten Dokumente sowie die im Handarchiv Kaiser Franz gesammelten Akten.6 Maria Theresias Anweisungen für das Leben in Parma, die Maria Amalia mit auf den Weg gegeben wurden, sind in mehreren Versionen erhalten. Dabei handelt es sich um zwei handschriftliche Versionen Maria Theresias, wobei die zweite auch persönliche Bemerkungen beinhaltet. Eine saubere Abschrift, ohne Streichungen, Korrekturen und Anmerkungen, stellt eine weitere Variante dar, deren Erscheinungsbildung auf ihren beinahe öffentlichen Charakter schließen lässt.7 Nur wenig Material enthält der seiner Bezeichnung nach vielversprechende Bestand Hofreisen im Habsburg-Lothringischen Familienarchiv. Die darin aufbewahrten Dokumente stammen zwar ebenfalls aus dem Handarchiv von Kaiser Franz I. (1768–1835), beinhalten jedoch größtenteils dessen eigene Reiseaufzeichnungen sowie jene Kaiser Josephs II.8 Die Österreichische Nationalbibliothek besitzt ein Zeitungsarchiv, in dem für den betrachteten Zeitraum beinahe lückenlos alle Ausgaben des Wienerischen Diariums vorhanden sind. Diese sind auch in digitalisierter Form online zugänglich.9 Die Ausgaben dieser seit 1703 zweimal wöchentlich erschienenen Zeitung enthalten neben Berichten aus der Stadt Wien auch Nachrichten aus ganz Europa. Besonders interessant ist die Berichterstattung vom Wiener Kaiserhof, für die das Wienerische Diarium ein Monopol besaß. Eine Einflussnahme des Hofes auf die abgedruckten Nachrichten ist dabei freilich nicht von der Hand zu weisen. Auch die Beschreibung der Reise Maria Carolinas in der Gazette de Vienne ist davon beeinflusst.10 Die Nummern 38 bis 41 dokumentieren akribisch die Reise, die Empfänge und zum Teil auch die Reaktionen der Erzherzogin.11
6 ÖSTA HHStA, Staatenabteilung Parma und ÖSTA HHStA, HausA, Handarchiv Kaiser Franz. 7 Pia Mörtinger-Grohmann: Les débuts de Marie Amélie à Parme à travers les sources autrichiennes de Haus-, Hof- und Staatsarchiv, in: Alba Mora (Hrsg.), Un Borbone tra Parma e l’Europa. Don Ferdinando e il suo tempo (1751–1802). Parma 2005, S. 39–50. 8 Vgl. Krisztina Kulcsár: Die Quellen zu den Hofreisen im Habsburg-Lothringischen Familienarchiv aus den Jahren 1766 bis 1788, in: Josef Pauser, Martin Scheutz, Thomas Winkelbauer (Hrsg.), Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch. Wien 2004 (Mitteilungen des Institutes für Österreichische Geschichtsforschung, künftig: MIÖG), Ergänzungsband 44), S. 108–119 (hier: S. 108–109). 9 Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB), ANNO Historische Zeitungen und Zeitschriften, online unter: www.anno.onb.ac.at (abgerufen am 6. Juni 2016). 10 Die politische Berichterstattung ist generell sehr überschaubar: Zwar wird über Besuche von Verbündeten am Hofe berichtet, ansonsten dominieren Nachrichten über prächtige Festempfänge und Geschenke. 11 ÖSTA HHStA HausA, Familienakten 49–3.
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Weitere Informationen zum Leben am Wiener Hof für die Jahre 1742 bis 1776 sind in den Tagebüchern von Johann Josef Khevenhüller-Metsch sowie der umfassenden Biographie Maria Theresias von Alfred von Arneth zu finden.12 Erstere können hauptsächlich der Orientierung dienen, da an mehreren Stellen die Grenzen zwischen sachlicher Wiedergabe von Informationen und „Hoftratsch“ zu verschwimmen scheinen.
3 Maria Carolina, Königin von Neapel-Sizilien Das Arrangieren einer Ehe zwischen einer der Töchter Maria Theresias mit der spanischen Nebenlinie der Bourbonen zog sich insgesamt über neun Jahre hin. Nicht vorhersehbar war jedoch, dass es Maria Carolina beschieden sein sollte, die Reise nach Neapel anzutreten. Die eigentlich zur Heirat mit König Ferdinand (1756–1825) bestimmte Maria Johanna (1750–1762) war, wie die ihr in der Brautnachfolge bestimmte Maria Josepha (1751–1767), frühzeitig an den Pocken verstorben, sodass Maria Carolina schließlich zur dritten Verlobten des bourbonischen Thronfolgers wurde. Das unbedingte Festhalten Maria Theresias an dieser Eheverbindung unterstreicht den hohen Stellwert, den die Kaiserin dieser Hochzeit beimaß. Es war ihr fester Entschluss, ihren Einfluss in den italienischen Gebieten zu stärken und deshalb eine ihrer Töchter auf den Thron des Königreichs beider Sizilien zu setzen.13 Die langfristige Planung, die der Verbindung der beiden
12 Johann Josef Khevenhüller-Metsch: Aus der Zeit Maria Theresias. Tagebuch des Fürsten Johann Josef Khevenhüller-Metsch, Kaiserlichen Obersthofmeisters 1742–1776, in: R. G. Khevenhuller-Metsch/H. Schlitter (Hrsg.), Bd. 8. Wien 1908–1972; Alfred von Arneth: Geschichte Maria Theresia’s. X Bde. Wien 1863–1879. 13 Dorothy Gies McGuigan: Familie Habsburg 1273 bis 1918. Wien/München 1988, S. 269–271; Karl Vocelka: Glanz und Untergang der höfischen Welt. Repräsentation, Reform und Reaktion im Habsburgischen Vielvölkerstaat. Wien 2004, S. 190. Vgl. weiter Elisabeth Garms-Gornides: Kaunitz und die habsburgische Italienpolitik während des Österreichischen Erbfolgekrieges, in: Grete Klingenstein (Hrsg.), Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg 1711–1794. Neue Perspektiven zu Politik und Kultur der europäischen Aufklärung. Graz 1996, S. 29–46; Maria Carolina führte ein bewegtes Leben zwischen Neapel-Sizilien und Österreich. Das Bild, das die derzeitige Forschung von Maria Carolina zeichnet, ist jenes einer starken und gefestigten Persönlichkeit, die durchaus in der Lage gewesen sei, ihren Willen durchzusetzen. Vgl. Friederike Hausmann: Herrscherin im Paradies der Teufel. Maria Carolina, Königin von Neapel. München 2014 und Friedrich Weissensteiner: Die Töchter Maria Theresias. Wien 1994. Vgl. Marie Caroline (1798–1870), die Tochter des zukünftigen Königs Franz (1825–1830). Trotz ähnlicher Lebensläufe, die durch viele Reisen gekennzeichnet waren, darf letztere, die 1798 mit dem Taufnamen „Carolina“ zur Welt kam und sich erst ab 1816 den Namen „Marie Caroline“ gab, nicht mit der
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Häuser vorausging, fand mit der Unterzeichnung des Ehevertrags am 3. Februar 1768 ihren endgültigen Abschluss.14 Die Vermählung erfolgte noch vor der Abreise Maria Carolinas und wurde gemäß dem Protokoll am 7. April 1768 in der Wiener Augustinerkirche unter dem Segen des päpstlichen Nuntius Antonio Eugenio Visconti (1713–1788) per procurationem vollzogen. Der abwesende Bräutigam wurde durch den Bruder der Braut, Erzherzog Ferdinand (1754–1806), vertreten.
Abb. 1: Maria Carolina – Königin von Neapel- Sizilien (1752–1814).
erstgenannten verwechselt werden. Interessierte finden bei Hildegard Kremer: Marie Caroline. Duchesse de Berry. Graz/Wien 1998 in jedem Fall detaillierte Angaben. 14 Belegt in der Ratifikation Kaiser Josephs II. und Kaiserin Maria Theresias des am 3.Februar 1766 in Wien abgeschlossenen Ehevertrages zwischen König Ferdinand IV. und Erzherzogin Maria Carolina, ÖSTA HHStA UR FUK 2043. Die abweichende Datierung ergibt sich einerseits aus der im Dokument ersichtlichen Streichung des 3. Februar und dessen Ersetzung durch den 24. März, andererseits durch einen Datierungsfehler bei der letzten Stelle der Jahreszahl, die im Dokument mit 1768 angeführt wird.
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Abb. 2: Maria Carolinas Reise vom 7. April bis 19. Mai 1768 von Wien nach Neapel über Niederösterreich, die Steiermark, Kärnten, Osttirol, Brixen nach Innsbruck, weiter über Brixen, Bozen, Trient, Ala, Mantua, Mirandola, Bologna, Florenz, Siena, Rom, Terracina, Portello und Caserta.
3.1 Maria Carolinas Reise nach Neapel vom 7. April bis 19. Mai 1768 Die Abreise erfolgte noch am Tag der Hochzeit. Als Reiselektüre und Vorbereitung auf ihre zukünftige Rolle als Königin erhielt Maria Carolina einen umfassenden Brief mit auf den Weg.15 Dieser diente als eine Handreichung, in der die Kaiserin ihrer Tochter nicht nur gutgemeinte Ratschläge, sondern vielmehr konkrete
15 Die Instruktionen an Maria Carolina waren umfassend und bezogen sich in erster Linie auf ihr Verhalten als zukünftige Herrscherin und nur zu einem Teil auf ihre Rolle als Ehefrau. Über den künftigen Gemahl der Erzherzogin äußerte sich Maria Theresia gegenüber der Erzieherin Gräfin Lerchenfeld hingegen durchaus abfällig, wie sowohl Weissensteiner als auch Tamussino betonen. Weissensteiner: Töchter (wie Anm. 13), S. 181–190; Hausmann: Herrscherin im Paradies (wie Anm. 13), S. 36–44; Ursula Tamussino: Des Teufels Großmutter. Eine Biographie der Königin Maria Carolina von Neapel-Sizilien. Wien 1991, S. 9.
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Anweisungen gab. Diese sollten ihr helfen, ihrer neuen Stellung als Ehefrau und als Fürstin nicht unvorbereitet zu begegnen.16 Die Entourage verließ die Residenzstadt in südlicher Richtung, wobei Teile der Suite bereits am 5. und 6. April zur ersten und zweiten Nachtstation vorausgefahren waren. Maria Carolina befand sich in Begleitung des kaiserlichen Botschafters Generalfeldmarschall Gian Carlo Graf Pallavicini (1739–1789), der mit der Übergabe der Braut beauftragt war. Der Reisleibwagen der Braut wurde von vier deutschen Leibgardisten eskortiert. Der Zug bestand aus fünf sechsspännigen Wagen, denen ein halbes Eskadron, also sechzig Dragoner folgten.17 Insgesamt dürfte die Entourage aus rund 17 sechsspännigen Karossen und 40 weiteren Kutschen bestanden haben. Diese bildeten einen auf die Bedürfnisse einer einzelnen Person ausgerichteten Hofstaat. Neben hochrangigen Begleiterinnen und Begleitern, den militärischen Ehrengarden, Kammerfrauen, Bedienerinnen, Köchen und Köchinnen, Wäscherinnen, Schneiderinnen usw. zählten auch ein Beichtvater, ein Hofkaplan, ein Apotheker sowie ein Chirurg zur Suite Maria Carolinas. Insgesamt kann die Anzahl der Beteiligten auf 250 Personen geschätzt werden.18 Die große Zahl der Reisenden steht in direktem Zusammenhang mit der Verteilung der vielfältigen zu bewerkstelligenden Aufgaben sowie der standesgemäßen Ansprüche. So hatte etwa jede Hofdame der Erzherzogin wiederum selbst Bedienstete, jede Kammerfrau ihre Dienerin19 und jede Hofkammerdienerin20 ebenfalls weiteres Personal. Zusätzlich nahmen die Bekleidung, Ausstattung und Schmuck der Königin zwei Wagen in Anspruch, wobei während der gesamten Reise weitere vier Wagen mit den Bettnotdurften zur nächsten geplanten Nachtstation vorausfuhren. An den Poststationen, an denen der Wechsel der Pferde erfolgte, mussten jeweils rund 350 Wagen- und 21 Reitpferde bereitgestellt werden.21 Zum Vergleich: Die Entourage Kaiser Karls VI. und seiner Gemahlin bei einer Reise nach Prag im Jahr 1732 bestand aus 109 Wagen und 642 Zug- und 69 Reitpferden sowie 530 Personen. Von der böhmischen Hauptstadt reiste die Kaiserin Elisabeth Christine (1691–1750) alleine nach Karlsbad, wobei sie von 63 Wagen, 324 Zug- und 55 Reitpferden sowie insgesamt 316 Personen begleitet wurde. Bei der Krönungsfahrt nach Prag waren es 321 leichtere und 125 schwere
16 ÖSTA HHStA, HausA, Familienakten 49–3, 1–38. 17 Wienerisches Diarium (künftig: WD), 9. April 1768, Nr. 29, S. 7. 18 Vgl. Thea Leitner: Habsburg verkaufte Töchter. Wien 1987, S. 193. 19 In den Quellen als das Mensch vom Kammermensch bezeichnet. 20 In den Quellen als Hofkammerdienerin-Dienerin bezeichnet. 21 Egon Caesar Conte Corti: Ich, eine Tochter Maria Theresias. Ein Lebensbild der Königin Maria Karoline von Neapel. München 1950, S. 42.
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Wagen mit insgesamt 1788 Pferden gewesen, die die kaiserliche Suite bildeten.22 Diese Zahlen ermöglichen einen anschaulichen Vergleich, der dazu beiträgt, den Umfang der Entourage Maria Carolinas in ihrem zeremoniellen Kontext als repräsentativ zu verorten. Das Wienerische Diarium weiß zudem zu berichten, dass die nunmehrige Königin beider Sizilien nach der Vermählung ihre in Blau gehaltene und mit Gold bordierte Reisekleidung anzog, die auch von allen übrigen Mitgliedern der Entourage, unter denen sich auch der neapolitanische Botschafter befand, getragen wurde. Für diese Bekleidung benutzte der Berichterstatter schlichtweg die Bezeichnung Uniform, wodurch sowohl eine visuell-symbolische Einheitlichkeit der Suite, aber zugleich auch die Abgrenzung vom Wiener Hof zum Ausdruck kamen.23 Der erste Abschnitt der Reise erstreckte sich entlang kleinerer Städte und Ortschaften in Niederösterreich, der Steiermark, Kärnten und Osttirol, in denen die Erzherzogin kleinere Empfänge und Feierlichkeiten mit örtlichen Repräsentationen absolvierte. In knapp einer Woche erreichte sie so Brixen im heutigen Südtirol, wo sie am 15. April eintraf. Von dort aus wandte sich die Suite vom direkten Kurs ab nach Norden, um zwei Tage in Innsbruck zu verweilen. Der erste Tag war mit dem offiziellen, prachtvollen Empfang des Magistrates erfüllt, bei dem die Königin durch die Ehrenpforte ins Stadtzentrum zur Hofburg eskortiert wurde. Am darauffolgenden Tag standen ein Besuch der Messe in der Domkirche zu St. Jakob sowie ein Ausflug nach Hall auf dem Programm.24 Nach dem Umweg über Innsbruck wurde der Brennerpass zum zweiten Mal überquert. Nach einer erneuten Übernachtung in Brixen ging die Fahrt weiter nach Bozen, dem nächsten Ziel der Brautfahrt im Etschtal. Die Ankunft gegen 14 Uhr wurde durch den dortigen Magistrat und die einflussreichsten Edelleute der Stadt begleitet. Besonders eindrucksvoll scheint der Empfang am Tage darauf in Trient ausgefallen zu sein. Maria Carolina besuchte ein Orgelkonzert in der Kirche Maria Maggiore und wohnte abends einem Maskenball bei, der zu ihren Ehren veranstaltet wurde.25 Nach einer Übernachtung bei Ala war für den 22. April erneut ein diplomatisches Treffen, diesmal mit dem venezianischen Sonderbotschafter Tiepolo sowie anschließend ausgewählten venezianischen Adligen bei Castelnuovo angesetzt. Für diese Feierlichkeiten war eigens eine Brücke über die Etsch errichtet worden,
22 Hanns Leo Mikoletzky: Hofreisen unter Kaiser Karl VI., in: MIÖG 60,1 (1952), S. 265–285 (hier: S. 271). 23 WD, 9. April 1768, Nr. 29, S. 6–7. 24 Gazette de Vienne, in: ÖSTA HHStA, SB Nl, Conte Corti 1. 25 Ebd.
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um der Königin einen festlichen Empfang zu bereiten, der Aufenthalt war jedoch nur von kurzer Dauer, ehe es das Herzogtum Mantua als nächstes Etappenziel zu erreichen galt. Die lokale Nobilität empfing Maria Carolina am folgenden Tag offiziell mit allen gebührenden Ehren, wobei es sich auch der Herrscher des benachbarten Herzogtums Parma, der ein Jahr später die Schwester Maria Carolinas ehelichen sollte, nicht nehmen ließ, die junge Braut am Folgetag zu einer Unterredung zu treffen. Eine comedie italienne und ein festliches Bankett rundeten die Abende des zweitägigen Aufenthalts ab.26 Auch dem Herzogtum Modena wurde ein Besuch abgestattet und nach einem Zwischenstopp in Mirandola zum Empfang durch den Premierminister des Herzogs Francesco III. d’Este (1698–1780) wurde der Weg in die Hauptstadt fortgesetzt. Dem herzoglichen Empfang und einem üppigen Bankett folgte der Besuch eines Balles, ehe am darauffolgenden Tag erneut Staatsgrenzen überschritten wurden und die Reisegesellschaft den Kirchenstaat in dessen Nordregionen passierte. Hier begann zugleich der Verwandtschaftsbesuch der Braut, die von ihrem Bruder Leopold, dem Großherzog der Toskana, und dessen Gattin Maria Ludovica in Bologna erwartet wurde. Als Repräsentant des Kirchenstaates erschien ein päpstlicher Nuntius, der die Erzherzogin auch später während ihres Aufenthaltes in Rom begleiten sollte.27 Am 27. April ging die Reise weiter in die Toskana, wo Maria Carolina eine Woche in Florenz verbrachte.28 Neben Empfängen im großherzoglichen Palast, der Erkundung der Stadt, ihrer Kirchen, Galerien und gesellschaftlichen Anlässe wie dem Besuch eines Maskenballs und von Theaterstücken stand der Braut vor allem eine Einführung in ihre zukünftigen Pflichten bevor. Während Leopold seiner Schwester zu Ehren Feste und Staatsbesuche arrangierte, um sie dadurch in die Repräsentationsaufgaben einer Herrscherin einzuführen, übernahm Maria Ludovica spezifisch geschlechtsbezogene Verhaltensregeln gegenüber dem zukünftigen Gemahl, so etwa am Abend vor der ersten Begegnung mit Ferdinand eine Einweisung in die Geheimnisse der Hochzeitsnacht.29 Die Weiterreise zu dritt erfolgte schließlich am 3. Mai nach Siena, wo bereits der Empfang durch den Magistrat und ein abendlicher Maskenball für die Reisenden sorgfältig vorbereitet worden waren. Am 6. Mai passierte die Entourage erneut die Grenze zum Kirchenstaat, dieses Mal allerdings bei Montefiascone, wo
26 Gazette de Vienne, in: ÖSTA HHStA HausA Familienakten 49–3. 27 Ebd. 28 Ebd. 29 Weissensteiner: Töchter (wie Anm. 17), S. 179.
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sie der päpstliche Nuntius bereits erwartete.30 Die Reise durch den Kirchenstaat war eine politisch heikle Angelegenheit, da dem Papst einige außenpolitische Entscheidungen des südlichen Königreichs missfielen und eine Umklammerung durch habsburgische Herrschaftsgebiete im Norden und Süden befürchtet wurde.31 Diese politischen Verstimmungen hatten zur Folge, dass der Besuch Roms durch Maria Carolina lange ungeklärt blieb, ehe ein ausgehandelter Kompromiss vorsah, dass sie zwar die Hauptstadt des Kirchenstaates und den Petersdom am 8. Mai betreten durfte, Clemens XIII. (1693–1769) selbst sie jedoch nicht empfing und an seiner statt zwei seiner Neffen die junge Erzherzogin durch Rom begleiteten.32 Trotz dieser zeremoniellen Degradierung wurde den Reisenden der Besuch der Lateransbasilika ermöglicht und ihnen als einzige Ehrerweisung des Papstes gegenüber Maria Carolina beim Passieren der Engelsburg Salutschüsse entgegengebracht33. Gegen 22 Uhr abends erreichte der Tross schließlich das südlich von Rom liegende Marino, wo die Reisenden auch die Nacht verbrachten. Die von Rom fortführenden Straßen waren im Gegensatz zu den nördlichen Verkehrswegen in sehr schlechtem Zustand. Für die Heimführung der Braut wurden die Straßen ausgebaut. Die Planung und Instandsetzung der Strecke nach Caserta und weiter nach Neapel ließen einen beeindruckenden Aufwand erkennen, der sowohl die Bedeutung der Reise und der Erzherzogin als auch den Aufwand zur Behebung infrastruktureller Probleme des Königreiches vor Augen führt.34 Das Erreichen des Königreichs beider Sizilien machte sich für Maria Carolina am 11. Mai aber nicht nur anhand des von Hausmann beschriebenen schlechten Zustands der Straßen bemerkbar. Denn an der Landesgrenze musste sie einen Großteil ihrer 250 Personen zählenden österreichischen Suite zurücklassen. Ihr
30 Gazette de Vienne, in: ÖSTA HHStA HausA Familienakten 49–3. 31 Hausmann: Herrscherin im Paradies (wie Anm. 13), S. 20. 32 Ebd., S. 19–22.; Corti: Lebensbild der Königin (wie Anm. 21), S. 50. 33 Gazette de Vienne, in: ÖSTA HHStA, HausA, Familienakten 49–3. 34 Aus den Briefwechseln Bernardo Tanuccis, Vorsitzender des Regierungsrats und in seiner Machtsphäre durchaus mit Kardinal Richelieu vergleichbar, wird ersichtlich, dass der königliche Hof sich dieser Infrastrukturprobleme schon Monate vor dem Reiseantritt Maria Carolinas bewusst gewesen war und erst mit der definitiven Festlegung der Reise eine notdürftige Sanierung der Strecke beschloss, die wohl eher befestigten Feldwegen denn Straßen glichen. Conti, der als Einziger genaue Zahlen lieferte, benannte einen Arbeitszeitraum von knapp drei Monaten, in denen 1500 Arbeiter zu Werke gingen und eine Strecke von ca. 150 Kilometer von Terracina bis zum Schloss in Caserta und weiter nach Neapel instand setzen mussten. Für weitere Details siehe Harold Acton: The Bourbons of Naples, London 1957, S. 126–127 sowie Corti: Lebensbild der Königin (wie Anm. 29), S. 23.
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blieben fortan nur ein Kammermensch, eine Köchin und eine Hofdame,35 die auch in Neapel als Personal geduldet wurden, sodass sie von nun an – abgesehen von Leopold und seiner Gemahlin – nur noch von ihrem neuen neapolitanischen Gefolge umgeben war.36 Dieser Kulminationspunkt der Reise, das Zurücklassen ihrer Entourage und der endgültige Abschied von den Vertrauten, kostete Maria Carolina am 12. Mai in Terracina wohl einiges an Überwindung. Weissensteiner beschreibt zunächst den programmgemäßen Verlauf der Abschiedszeremonie, bis die Erzherzogin in Tränen ausgebrochen sei.37 Nachdem sich die 16-Jährige wieder beruhigt gehabt habe, habe sie sich dem Zeremoniell entsprechend umkleiden lassen und sei mit ihrem Bruder und dessen Gemahlin sowie dem neapolitanischen Gesandten der Kurie, Kardinal Domenico Orsini d’Aragona (1719–1789), weiter nach Portello gefahren, wo König Ferdinand in einem eigens dafür angefertigten Holzpavillon auf sie gewartet habe.38 Die eigentliche Reise Maria Carolinas endete wenige Stunden später im königlichen Schloss zu Caserta. Hier verbrachten sie und ihr Gemahl etwa eine Woche lang Lustbarkeiten aller Art, ehe der finale Einzug in der Hauptstadt Neapel am 19. Mai erfolgte. Das junge Paar machte sich von Caserta aus in einer „Galakarosse und begleitet von fünfunddreißig Sechsspännern der wichtigsten adeligen Familien“39 auf den letzten Teil der prunkvoll in Szene gesetzten Heimführung der Braut. Die Bedeutung der Reisestrecke war dabei wiederum symbolisch, denn der Weg von Caserta nach Süden in Richtung Neapel führte direkt zur Porta Capuana, dem Ende des alten Inthronisations- und Triumphwegs der Stadt, den mit Ausnahme der spanischen Vizekönige alle Herrscher der Region beschritten hatten.40 Das Ende der sechswöchigen Reise durch die habsburgischen Kronländer, die norditalienischen Fürstentümer, den Kirchenstaat und schlussendlich auch noch den nördlichen Teil ihres neuen Herrschaftsgebietes im Königreich beider Sizilien markierte der 20. Mai 1767, als Maria Carolina feierlich in den Palazzo Reale einzog.
35 Hausmann: Herrscherin im Paradies (wie Anm. 13), S. 21. 36 Vgl. Katrin Keller: Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts. Wien 2005, S. 68–70. 37 Weissensteiner: Töchter (wie Anm. 13), S. 179. 38 Tamussino: Des Teufels Großmutter (wie Anm. 15), S. 66. 39 Hausmann: Herrscherin im Paradies (wie Anm. 13), S. 38. 40 Ebd.
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4 Maria Amalia, Herzogin von Parma Maria Amalia heiratete erst ein Jahr nach ihrer sechs Jahre jüngeren Schwester.41 Die Hochzeitsverhandlungen wurden von Rudolph Joseph Graf Colloredo (1706– 1788), Anton Corfiz Graf Ulfeldt (1699–1769) sowie Demetrius Graf Mahoni und Graf de Durfort42 geführt und kamen am 1. Juni 1769 zum Abschluss. Der daraus resultierende Ehevertrag umfasste 13 Artikel, die unter anderem eine Mitgift in der Höhe von 60.000 Gulden vorsahen.43 Der im April 1769 verfasste Bericht des Kanzlers Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg (1711–1794) an die Kaiserin zeigt, dass der Heiratsvertrag in den meisten Artikeln mit jenem der Erzherzogin Maria Carolina identisch ist. Mit der Heirat war Maria Amalia wie üblich zum Verzicht ihrer geburtsrechtlichen Ansprüche auf die habsburgischen Besitztümer gezwungen, wie aus einem weiteren Schreiben des Staatskanzlers hervorgeht.44 Der Verzicht umfasste dabei nicht nur alle sich bereits im Besitz der Familie befindlichen Territorien, sondern auch künftig erworbene Königreiche, Provinzen und Länder sowie bewegliches und unbewegliches Gut. Maria Amalia erhielt allerdings keine Morgengabe, da sie das Recht behielt, frei über die Hälfte des eingebrachten Heiratsgutes zu verfügen. Die Regelung sah im Falle ihres vorzeitigen Todes, ohne eine testamentarische Verfügung zu hinterlassen, vor, dass das Heiratsgut an den Herzog und dessen Nachkommen und nicht, wie im Falle Maria Carolinas, ans Erzhaus fallen sollte. Einen zweiten Unterschied stellte die Regelung dar, dass es Maria Amalia nach dem Tod Ferdinands nicht erlaubt sein sollte, das Land von ihrem Witwensitz aus zu regieren. Die Brautfahrt betreffend wurde verfügt, dass die Braut nicht bis zur parmesanischen Grenze auf Kosten der Kaiserin reisen sollte. Sie sollte bereits in Mantua dem Herzog übergeben werden.45 Nachdem alle Formalitäten geklärt waren, wurde Maria Amalia am 27. Juni 1769 in der Wiener Augustinerkirche wie ihre Schwester Maria Carolina per procurationem getraut. Die Aufgaben des stellvertretenden Bräutigams übernahm dabei ebenso wie im Jahr zuvor ihr Bruder Erzherzog Ferdinand.
41 Zu Maria Amalia siehe auch Christian Gepp: Maria Amalia e l’influenza di Vienna, in: Alba Mora (Hrsg.), Storia di Parma V. I Borbone: fra Illuminismo e rivoluzioni. Parma 2015, S. 215–234. Vgl. Khevenhüller-Metsch: Bd. II (wie Anm. 12), z. B. S. 47 und S. 78; Arneth: Maria Theresia. Bd. III. Wien 1865 (wie Anm. 12), S. 456; Karl Vocelka: Die Familien Habsburg & Habsburg-Lothringen. Politik – Kultur – Mentalität. Wien/Köln/Weimar 2010, S. 129. 42 Für die beiden letztgenannten sind die Lebensdaten nicht eindeutig eruierbar. 43 ÖSTA HHStA, Staatenabteilung Italienische Staaten, Parma 188. 44 Ebd., Staatenabteilung Italienische Staaten, Parma 90. 45 Ebd., Obersthofmeisteramt, Ältere Zeremonialakten 80–5 30 und 31.
Abb. 3: Maria Amalia – Herzogin von Parma (1746–1804).
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Abb. 4: Maria Amalias Reise vom 29. Juni bis 24. August 1769 von Wien nach Parma über Leoben, Spielberg, Neuwieden, Judenburg, Schrattenberg, Klagenfurt, Lienz, Brixen, Innsbruck, Brixen, Trient, Castelnuovo, Mantua, Casalmaggiore und Colorno.
4.1 Maria Amalias Reise nach Parma vom 29. Juni bis 24. August 1769 Am Tag vor der Hochzeit war bereits eine Anweisung, die notwendigen Reisevorbereitungen zu treffen, an den Obersthofmeister der Erzherzogin Guidobald Graf von Cavriani (1704–1776) ergangen. Maria Amalia verließ bereits zwei Tage später die Residenzstadt. Da ein großer Teil ihrer Entourage bereits vorausgefahren war, begab sie sich mit einem kleineren Gefolge zunächst nach Laxenburg. Aber auch das verbliebene Gefolge war beachtlich. An der Spitze der Suite ritt ein Trupp Husaren gefolgt von drei Postknechten, einem sechsspännigen Wagen mit dem General- und Obersthofpostmeister Wenzel Johann Graf Paar (1719–1792) sowie einem Postoffizier zu Pferd. Daran schlossen zwei weitere sechsspännige Wagen mit vier Kammerherren und dem Obersthofmeister Graf Cavriani an, ehe der Reisleibwagen, geführt von zwei Leibpostillions, mit der nunmehrigen Herzogin und ihrer Obersthofmeisterin folgte. Hinter ihnen ritten vier ungarische Leibgardisten, ein Hofkurier und zwei Hofpostillions. Vor einem weiteren Trupp Husaren, der den Abschluss bildete, fuhr erneut ein sechsspänniger Wagen mit der Gräfin
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Maria Rosa Harrach (1721–1785) und weiteren Kammerfrauen.46 Als Lektüre für ihre Reise hatte Maria Theresia, wie auch schon für Maria Carolina, eigens eine 34 Seiten umfassende Instruktion mit Ratschlägen für ihre künftige Stellung am parmesanischen Hof verfasst.47 Nach einem Rasttag reiste Maria Amalia am 1. Juli 1769 um 7 Uhr morgens von Schloss Laxenburg ab und gelangte über Leoben und Spielberg, wo sie nach einer Übernachtung in Neuwieden im Mürztal das dritte Nachtquartier hielt.48 Von dort ging es weiter über Judenburg nach Schrattenberg, ehe am darauffolgenden Tag der Zug über St. Veit nach Klagenfurt kam, wo das fünfte Nachtlager gehalten wurde.49 Am 5. Juli setzte sie ihre Brautfahrt fort und erreichte zwei Tage später Lienz,50 ehe sie ihr Weg über Brixen51 nach Innsbruck führte, wo sie am 9. Juli um 16 Uhr eintraf und mit Ehrensalven und Glockengeläut begrüßt wurde. An der Ehrenpforte wurde die Herzogin durch den Stadtmagistrat offiziell empfangen, ehe sie durch ein zweireihiges Spalier – gebildet von den Scharfschützen- und Landmilizkompanien, das sich von der Ehrenpforte bis zum Burgplatz zog – zur militärischen Ehrenbezeugung bei der Hauptwache weiterfuhr. Bei der Hofburg gab es erneut einen Empfang, diesmal von Vertretern der Landes- und Militärbehörden, dem ein öffentlicher Auftritt Maria Amalias am Fenster der Hofburg, die Abnahme von Militärparaden sowie ein Handkuss und Souper folgten. Den Abschluss des Tages bildete der Besuch in der Stiftskapelle, bei welchem ein halbstündiges Gebet zum Andenken an den Vater Maria Amalias, der während der Hochzeitsfeierlichkeiten anlässlich der Vermählung ihres Bruders Leopolds mit Maria Ludovica 1765 in Innsbruck unerwartet verstorben war,52 gehalten wurde.53 Der nächste Tag begann mit einer neuerlichen Andacht in der Stiftskapelle, der eine Teilnahme am Hochamt um 11 Uhr in der Domkirche zu St. Jakob folgte. Danach stand der Handkuss für den Hochadel auf dem Programm sowie
46 WD, 1. Juli 1769, Nr. 52, S. 7. 47 ÖSTA HHStA, HausA, Handarchiv Kaiser Franz 23 2 (Instruktion der Kaiserin Maria Theresia für die Erzherzogin Maria Amalia Infantin von Parma). Vgl. auch Ursula Getrude Magnes: Die österreichische Verwaltung in Parma und Piacenza unter Karl VI. und Maria Theresia. Graz 1998, S. 56; Constantin Wurzbach: Biographisches Lexikon des Kaiserthums Oesterreich Bd. 7. Wien 1861, S. 23 und Elisabeth Badinter: Der Infant von Parma. München 2010, S. 34. 48 Mörtinger-Grohmann: Les débuts de Marie Amélie (wie Anm. 9), S. 42. 49 WD, 5. Juli 1769, Nr. 53, S. 6. 50 WD, 8. Juli 1769, Nr. 54, S. 6. 51 Ebd. S. 6–7. und WD, 12. Juli 1769, Nr. 55, S. 7. 52 Renate Zedinger: Franz Stephan von Lothringen (1708–1765). Monarch, Manager, Mäzen. Wien 2008, S. 289–296. 53 WD, 22. Juli 1769, Nr. 58, S. 9–10.
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das gemeinsame Mittagessen mit den Anwesenden bei freyem Zutritt für das Volk. Darunter ist die Abhaltung einer sogenannten offenen Tafel zu verstehen, denn von einer Speisung des Volkes wird in den Quellen nichts berichtet. Vielmehr sollte den Menschen Gelegenheit gegeben werden, die Herzogin zu sehen. Nach dem Essen fuhr die Gesellschaft zum Schloss Ambras, wo das Münzkabinett besichtigt und eine Militärparade abgenommen wurde. Zur Abendunterhaltung begab man sich anschließend wieder zurück nach Innsbruck, wo das Stück La Prova de’ll Opera aufgeführt und ein Lichtspiel bei der Hofburg veranstaltet wurde. Auch diesen Tag, sowie die weiteren, beendete eine Andacht in der Stiftskapelle.54 Am nächsten Tag besuchte man nach der morgendlichen Messe das Frauenstift Regelhaus und aß anschließend gemeinsam mit dem Prinzen von Lambesc55 zu Mittag. Der Nachmittag war erfüllt von der Besichtigung der Salzgewinnungsanlage sowie des Münzamtes in Hall, bei dem die Herzogin vom Innsbrucker Stadtmagistrat begleitet wurde. Nach der Rückkehr wurden das Singspiel vom Vortrag sowie das Lichtspiel bei der Hofburg wiederholt.56 Vor der Rückreise nach Brixen am 12. Juli standen noch ein Messopfer in der Stiftskapelle, eine Andacht in der Pfarrkirche sowie ein Besuch des Ursulinenklosters auf dem Programm, ehe Maria Amalia erneut mit Musik, Glockengeläut und Ehrensalven verabschiedet wurde.57 Zwei Tage später, am 14. Juli, gegen halb 12 Uhr traf die Herzogin in Trient ein und bezog ihr Quartier im dortigen Schloss. Nach dem Mittagessen fuhr die Gesellschaft nach San Maria Maggiore zum Besuch eines Orgelkonzertes in der dortigen Domkirche und der Darbietung eines Chores mit türkischer Musik. Diesem folgte ein eineinhalbstündiger Besuch des Coffeehauß, ehe man ins Schloss zurückkehrte. Abends wurde ein Ball veranstaltet, den Maria Amalia persönlich mit einem Menuett eröffnete.58 Am nächsten Morgen kam ihr Bruder Josef in Begleitung von Johann Carl Graf Dietrichstein (1728–1808) aus Mailand in Trient an, der sich auf seiner ersten größeren Auslandsreise al incognito59 eines Grafen von Falkenstein befand, um dem strengen Reisezeremoniell zu entgehen.
54 Ebd., S. 10. 55 Möglicherweise war hier Karl Eugen Prinz Lothringen-Lambesc (1751–1825) gemeint. Eine genauere Identifikation ist aufgrund der unzureichenden Angaben nicht möglich. 56 Ebd. und WD, 22. Juli 1769, Nr. 58, S. 11. 57 Ebd. 58 Bayreuther Zeitung, 1. August 1769, S. 488. 59 Zum Begriff al incognito siehe auch: Carl Moser: Teutsches Hof-Recht. Bd. 2. Frankfurt/Leipzig 1761, S. 592.
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Seine Suite umfasste dabei lediglich vier bis acht sechsspännige Wagen.60 Bereits am Nachmittag setzte Maria Amalia die Reise, nun in Begleitung ihres Bruders, nach Ala fort.61 Von dort ging es über Castelnuovo weiter nach Mantua, wo die Herzogin und ihr Bruder am 16. Juli gegen 23 Uhr eintrafen und bis zum 19. Juli verweilten.62 In Casalmaggiore wurde Maria Amalia vom herzoglichen Obersthofmeister in Begleitung eines parmesanischen Hofstaats, bestehend aus vier Hofdamen, sechs Edelleuten, zwei Kurieren, zwei Pagen und weiteren Bediensteten, empfangen und auf dem Bucintoro, einer Barke des Herzogs von Modena auf die andere Seite des Flusses übergesetzt, wo sie bereits von ihrem Gemahl und parmesanischen Edelleuten erwartet wurde.63 Die Flussüberquerung stellte zugleich eine entscheidende Zäsur im Reiseverlauf dar. Maria Amalia sah sich gezwungen, den größten Teil ihrer Entourage, die sie seit ihrer Abreise begleitet hatte, an der Grenze des Herzogtums zurückzulassen, wodurch sich die eigentliche Trennung vom kaiserlichen Hof in Wien vollzog. Anschließend setzten sie gemeinsam die Reise nach Colorno, wo sie die Tage bis zu den offiziellen Begrüßungsfeierlichkeiten verbrachten,64 in einem prächtigen Zug fort. An dessen Spitze ritten fünf herzogliche Kuriere, sechs Pagen und acht Stalloffiziere auf geschmückten Pferden. Diesen folgten sechs sechsspännige Wagen mit dem Obersthofmeister des Prinzen, Edelleuten und Kammerherren. Danach fuhren zwei Staatswagen mit Hofdamen und dem Obersthofmeister der Herzogin sowie neuerlich zwei sechsspännige Wagen, in denen der Kommandant der Leibwache und die beiden ersten Hofstallmeister und der Oberkämmerer fuhren. Umgeben von zwölf Leibgardisten folgte nun der mit acht Pferden bespannte Leibwagen mit dem Brautpaar und der Obersthofmeisterin. Den Schluss bildeten 28 Leibgardisten und ein weiterer sechsspänniger Wagen, insgesamt rund einhundert Personen.65 Für den feierlichen Einzug des Brautpaares am 24. August war in Parma eigens ein Triumphbogen errichtet worden, den der Architekt Ennemond-Alexandre Petitot (1727–1801) entworfen hatte und für den Giocondo Albertolli (1742– 1839), ein aus Bedana stammender und seit zehn Jahren in Parma arbeitender Architekt und Bildhauer, Figuren angefertigt hatte. Eine genaue Beschreibung
60 Wolfgang May: Reisen „al incognito“. Zur Reisetätigkeit Kaiser Joseph II., in: MIÖG 93,1 (1985), S. 59–92 (hier: S. 71, 78 und 86). 61 Bayreuther Zeitung, 1. August 1769, S. 488. 62 Bayreuther Zeitung, 8. August 1769, S. 503. 63 WD, 12. Juli 1769, Nr. 55, S. 7. 64 WD, 2. September 1769, Nr. 70, S. 2. 65 WD, 5. August 1769, Nr. 62, S. 3.
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der Festlichkeiten ist in dem zeitgenössischen Festbericht von Paolo Paciaudi66 überliefert, der der repräsentativen Memoria an dieses Ereignis diente.
5 Schlussbetrachtungen Eine zentrale Rolle in der österreichischen Außenpolitik unter Maria Theresia nahm die Heiratspolitik für ihre Kinder ein, die dazu beitragen sollte, die dynastischen Verbindungen zu europäischen Herrscherhäusern, insbesondere mit jenen der bourbonischen Linien, zu festigen oder die durch die Folgen der Schlesischen Kriege zerrütteten Bande neu zu knüpfen. Die hier betrachteten Reisen der Erzherzogin Maria Carolina und der Erzherzogin Maria Amalia sind in diesem Kontext zu verorten. Dabei muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass die beiden Frauen nicht nur als politisches Instrument der Kaiserin zu sehen sind, sondern auch wesentlich zum kulturellen Austausch beitrugen. Zwar lässt sich, wie Elena Taddei in ihrer Studie über die „Fremden Fürstinnen“ in Ferrara festhält, in den hier betrachteten Fällen keine Übersiedlung des gesamten Hofstaates von zum Teil mehreren hundert Personen nachweisen, doch der Einfluss der Fürstin bleibt davon ungebrochen.67 Mit den Reisen verbinden sich jedoch auch Aspekte, die darauf hinweisen, dass sich die Heiratsstrategie nicht immer nach den Vorstellungen der Kaiserin im fernen Wien entwickelte. Zwar wurden die dynastischen Verbindungen der Häuser Habsburg und Bourbon in einem europäischen Kontext enger, doch konnten sich die Beziehungen zu den bourbonischen Nebenlinien auch in eine andere Richtung entwickeln. Wie sich im Falle Maria Amalias zeigt, konnte der Wunsch nach Selbstbestimmung und einem vom Wiener Hof unabhängigen Agieren zu einem Abbruch der Korrespondenz mit der Mutter führen, wie er 1772 erfolgte. Auf der anderen Seite nutzten auch die bourbonischen Fürsten Gelegenheiten, um durch symbolische Handlungen ihre Macht und Autonomie zu demonstrieren. Dazu dienten visuelle und performative Signale, wie etwa die Unifor-
66 Paolo Paciaudi: Descrizione delle feste celebrate in Parma l’anno 1769. Per le auguste nozze di sua altezza reale l’infante Don ferdinando colla reale archiduchessa Maria Amalia. Parma 1769. 67 Elena Taddei: Fremde Fürstinnen in Ferrara. Heiratsmigration zwischen Integration und Fremdsein im 16. Jahrhundert, in: Elena Taddei, Michael Müller, Robert Rebitsch (Hrsg.), Migration und Reisen. Mobilität in der Neuzeit. Innsbruck 2012 (Innsbrucker Historische Studien Bd. 28), S. 43–54 (hier: S. 44–46).
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mierung der Entourage Maria Carolinas oder das Zurücklassen(müssen) des österreichischen Hofstaates an den Grenzen der Fürstentümer. Im Falle der beiden Brautfahrten kommt eine weitere Komponente hinzu. Mittels der von Maria Theresia eigens für ihre Töchter verfassten Instruktionen sollte die Reisezeit von den Erzherzoginnen auch dazu genutzt werden, sich auf ihre neue Rolle als Landesherrinnen vorzubereiten. Diese Instruktionen sollten aus der Perspektive der Mutter dabei behilflich sein, charakterliche „Schwächen“ zu glätten. Nicht zuletzt ist neben der Hochzeit auch der Reise selbst eine hohe Bedeutung beizumessen. Die im Vergleich zum Wasserweg durchaus beschwerlichere Reise auf dem Landweg bot die Möglichkeit, Kontakte zu pflegen, herrschaftliche Repräsentationsaufgaben wahrzunehmen und gleichzeitig zur Bildung der jungen Fürstinnen sowie zum Aufbau eigener Kontakte beizutragen, womit sie die wesentlichsten Merkmale barocker Hofreisen68 in sich vereinten69. Wenn auf den Reisen auch nicht alle Gebiete durchquert und deren Regenten und Regentinnen getroffen werden konnten, so lässt sich die Route über Klagenfurt und Brixen zurück nach Innsbruck und wieder nach Süden bis nach Castelnuovo auch als Unterstreichung des habsburgischen Herrschaftsanspruchs in den oberitalienischen Gebieten und der westlichen Teile der Stammlande auffassen. Dabei kam der Person der jeweils reisenden Erzherzogin als Repräsentantin der Habsburger Dynastie erhebliche symbolische Bedeutung zu. Ein Vergleich der Reise Maria Carolinas und Maria Amalias offenbart deren vielfältige Gemeinsamkeiten, die nicht nur bei der Betrachtung der Reiseroute offenkundig werden. Diese folgte über die ersten 17 Tage der gleichen Strecke und änderte sich erst im Herzogtum Mantua. Bereits die im Jahr 1739 Reise Maria Theresias und Franz Stephans anlässlich dessen Übernahme der Regentschaft im Großherzogtum Toskana nach Florenz war auf der gleichen Route verlaufen. Diese war auf mehreren Hofkonferenzen im November und Dezember 1738 festgelegt worden, nachdem man sich auf eine fünfzehntägige Reisedauer geeinigt hatte. Dabei wurde die Reisegeschwindigkeit auf der Strecke bis Ala mit rund acht bis 11 Meilen pro Tag veranschlagt, während die Entfernung insgesamt mit 86 Meilen abgeschätzt wurde.70 Ein wesentlicher Unterschied zu den späteren Reisen war jedoch der fehlende Aufenthalt in Innsbruck. Dass die Stadt zum obli-
68 Zum Begriff Hofreise siehe auch: Carl: Teutsches Hof-Recht (wie Anm. 75), S. 588–600. 69 Vgl. Mayr: Reisen (wie Anm. 76), S. 61. 70 Eine österreichische Postmeile entspricht ca. 7,6 Kilometer. Daraus ergibt sich eine tägliche Wegstrecke zwischen 60,8 und 83,6 Kilometer; Monika Zellmann: Hofreisen Maria Theresias. Wien 1965 (Diss., ungedruckt), S. 51–54.
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gatorischen Reiseziel wurde, erklärt sich aus dem dortigen Ableben Kaiser Franz I. Stephans im Jahr 1765 und den feierlich abgehaltenen Messen, die einen festen Programmpunkt des Besuches darstellten.71 An einzelnen kleinen Ereignissen zeigte sich der Rangunterschied zwischen den nun verheirateten Schwestern als Königin Maria Carolina und Herzogin Maria Amalia. Diesem Umstand wurde auch dadurch Rechnung getragen, dass die militärische Ehrengarde Maria Carolinas aus einer größeren Anzahl Dragonern und deutschen Leibgardisten bestand, während Maria Amalia von Husaren und ungarischen Leibgardisten eskortiert wurde.
71 Vgl. Tamussino: Des Teufels Großmutter (wie Anm. 15), S. 60.
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„Als russische Adelige hatte ich die volle Freiheit zu gehen, wohin es mir gefiel“ Hochadlige russische Frauen auf Europareise (1769–1790)
Im Juni 1790 wollte der russische Adlige Nikolaj Karamzin den französischen Entdecker Le Vaillant in Paris aufsuchen.1 Dieser war jedoch verreist und so traf Karamzin dessen Ehefrau an, welche die Abwesenheit ihres Mannes mit folgenden Worten kommentierte: Wir Weiber sind bestimmt, auf der Stelle zu bleiben, aber ihr Männer seid allzumal Kalmücken, die von einem zum anderen Ort wandern, um Gott weiß was zu suchen, ohne sich um unsere Unruhe zu kümmern.2 Trifft dieser Kommentar zur vermeintlichen Ortsgebundenheit der Frau in jener Zeit auch auf die Situation im Russländischen Reich zu? Die folgende Studie untersucht die Möglichkeiten des Reisens für hochadlige russische Frauen im 18. Jahrhundert. Sie spürt zunächst den Veränderungen in der Reisekultur nach und zeigt die unterschiedlichen Formen des Reisens von weiblichen Angehörigen der Aristokratie auf. Anschließend stehen exemplarisch die Europareisen dreier hochadliger Damen im Zentrum der Betrachtung: der Fürstin Ekaterina Daškova (1743–1810), der Baronin Natal’ja Stroganova (1743–1819) und der Fürstin Natal’ja Golicyna (1741/1744–1837). Dabei ist insbesondere von Interesse, aus welchen Gründen sie reisten, welche Unternehmungen sie pflegten und welche sozialen Kontakte sie unterwegs knüpften. Darüber hinaus sollen die Geschlechterbilder, die den Selbstzeugnissen der Autorinnen zugrunde liegen, herausgearbeitet werden.
1 Das Zitat im Titel stammt aus den Memoiren der Fürstin Daškova. Vgl. Fürstin Daškova über ihre erste Reise nach Westeuropa. Irene von Lossow (Hrsg.): Fürstin Daschkowa. Erinnerungen. Katharina die Große und ihre Zeit. München 1970, S. 88. 2 Vgl. Jurij M. Lotman u. a. (Hrsg.), Nikolaj Michajlovič Karamzin. Pis’ma russkogo putešestvennika. Leningrad 1984, S. 298; deutsche Übersetzung: Nikolaj M. Karamsin: Briefe eines russischen Reisenden. Berlin 1977, S. 550; Annegret Pelz: Reisen Frauen anders? Von Entdeckerinnen und reisenden Frauenzimmern, in: Hermann Bausinger u. a. (Hrsg.), Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus. München 1991, S. 174–178, hier S. 174. https://doi.org/10.1515/9783110532937-011
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In der historischen Forschung zur Mobilität liegen zum Untersuchungszeitraum mit Blick auf russische Akteure bereits aussagekräftige Studien vor.3 Während in den bisherigen Darstellungen allerdings die Bildungs- und Besichtigungsreisen männlicher russischer Adliger im Vordergrund stehen,4 rückt die vorliegende Studie die Reisen von Frauen ins Zentrum des Interesses.5 Die Quellenbasis besteht aus veröffentlichten6 ebenso wie bislang nicht publizier-
3 Sara Dickinson: Breaking Ground: Travel and National Culture in Russia from Peter I to the Era of Pushkin. New York 2006; dies.: The Russian Tour of Europe before Fonvizin. Travel Writing as Literary Endeavor in Eighteenth-Century Russia, in: The Slavic and East European Journal 45 (2001), S. 1–29; Vladislav Ja. Grosul: Russkoe zarubež’e v pervoj polovine XIX veka. Moskau 2008; Derek Offord: Journeys to a Graveyard: Perceptions of Europe in classical Russian Travel Writing. Dordrecht 2005; Ingrid Širle: Peremena mest: Dvorjanstvo v raz’ezdach i v gostjach, in: Ol’ga Glagoleva/Ingrid Širle (Hrsg.), Dvorjanstvo, vlast‘ i obščestvo v provincial’noj Rossii XVIII veka. Moskau 2012, S. 598–623; Andreas Schönle: Authenticity and Fiction in the Russian Literary Journey 1790–1840. Cambridge 2000; Emmanuel Waegemans: Betrachtungen über das Reisen in der russischen Literatur des 18. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Slawistik 30 (1985), S. 430–435; Konstantin Sivkov (Hrsg.), Putešestvija russkich ljudej za granicu v XVIII v. St. Petersburg 1914. 4 Dazu zählen beispielweise die Briefe eines russischen Reisenden des bekannten Schriftstellers und Historikers Nikolaj Karamzin über seine Europareise 1789–1790 oder die postum publizierten Schreiben des Dramatikers Denis Fonvizin an seine Schwester und seinen Vorgesetzen über mehrere zusammen mit seiner Frau unternommene Fahrten nach Frankreich. Karamsin: Briefe eines russischen Reisenden (wie Anm. 2); Denis Fonvizin: Der Landjunker und andere satirische Dichtungen und Schriften. Berlin 1957, S. 237–347; Denis Fonvizine: Lettres de France (1777–1778). Paris 1995; Denis I. Fonvizin: Sobranie sočinenij. Tom 2. Moskau 1959, S. 317–492 und S. 500–582. Zu den Bildungsreisen russischer Studenten vgl. allgemein Aleksandra V. Bekasova: Die Formierung eines kulturellen Milieus. Russische Studenten und ihre Reisen im späten 18. Jahrhundert, in: Arnd Bauerkämper/Hans Erich Bödeker/Bernard Struck (Hrsg.), Die Welt erfahren. Reisen als kulturelle Begegnungen von 1780 bis heute. Frankfurt am Main 2004, S. 239–264; Sergej A. Kozlov: Russkij putešestvennik ėpochi Prosveščenija. St. Petersburg 2004; Wladimir Berelowitch: La France dans le „Grand Tour“ des nobles russes au cours de la seconde moitié du XVIIIe siècle, in: Cahiers du Monde russe et soviétique 34 (1993), S. 193–210. 5 Sara Dickinson: Women’s Travel and Travel Writing in Russia, 1700–1825, in: Wendy Rosslyn/ Alessandra Tosi (Hrsg.), Women in Russian Culture and Society, 1700–1825. Basingstoke 2007, S. 63–82. 6 Théodore Kourakine (Hrsg.), Souvenirs des voyages de la Princesse Natalie Kourakine 1816– 1830. Paris, Vienne, Carlsbad, Moscou 1903; Natal’ja Stroganova: Zapiski baronessy N. M. Stroganovoj. Dlja sester moich, in: Russkij bibliofil 4 (1914), S. 26–40; Тat’jana P. Peters (Hrsg.), Golicyna, N. P.: Moja sud’ba – ėto ja. Мoskau 2010; Vera Miltchina: Iz putevogo dnevnika N. P. Golicynoj, in: Zapiski otdela rukopisej 46 (1987), S. 95–136; Elena Gretchanaja/Catherine Viollet: Si tu lis jamais ce journal… Diaristes russes francophones 1780–1854. Paris 2008.
Als russische Adelige hatte ich die volle Freiheit zu gehen, wohin es mir gefiel
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ten Reisetagebücher adliger Frauen7 aus Russland.8 Die beiden bekanntesten Autorinnen, Kaiserin Katharina II. (1729–1796) und Fürstin Ekaterina Daškova, verfassten biographische Selbstzeugnisse, in denen sie ausführlich über ihre Fahrten berichteten.9 Auch andere adlige Damen thematisierten das Reisen in ihren Memoiren und weiteren Egodokumenten.10 Insbesondere in den Archiven und Handschriftenabteilungen der Bibliotheken in Moskau und Sankt Petersburg gibt es zahlreiche Nachlässe russischer Adelsgeschlechter, die in der Regel auch umfangreiche Familienkorrespondenzen beinhalten.11 Die überwiegend auf Französisch verfassten Briefe stellen einen Fundus zum hier fokussierten Thema dar, der noch weitgehend unerschlossen ist.12
7 Emilie Murphy beschäftigt sich in einem Dissertationsprojekt mit den französischsprachigen Reisetagebüchern russischer adliger Frauen. Emilie Murphy: Memory and Identiy in Russian Noblewomen’s Francophone Travel Narratives (1790–1842), in: AutobiografiЯ 2/2013, S. 37–49; dies.: Récits de voyage rédigés en français par des femmes russes (1777–1850), in: Elena Gretchanaia/Alexandre Stoev/Catherine Viollet (Hrsg.), La francophonie européenne aux XVIIIe–XIXe siècles. Perspectives littéraires, historiques et culturelles. Bruxelles 2012, S. 221–236. 8 Zwei von ihnen wurden Gegenstand von kurzen Studien. Ljubov’ Savinskaja: Die Europareise der Gräfin Ekaterina Petrovna Barjatinskaja in den Jahren 1789–1792, in: Joachim Rees/Winfried Siebers/Hilmar Tilgner (Hrsg.), Europareisen politisch-sozialer Eliten im 18. Jahrhundert. Theoretische Neuorientierung – kommunikative Praxis – Kultur- und Wissenstransfer. Berlin 2002 (Aufklärung und Europa, Bd. 6), S. 301–312; Sergej Iskjul’: Germanija glazami russkoj putešestvennicy konca XVIII veka. Dnevnik putešestvija E. P. Divovoj, in: Russkie i nemcy v XVIII veke. Vstreča kul’tur. Moskau 2000, S. 31–41. 9 Daškovas Mon Histoire liegt auf Deutsch in verschiedenen Ausgaben vor: Gertrude Kircheisen (Hrsg.), Am Zarenhofe. Memoiren der Fürstin Daschkoff. München 1918 (Bd. 1–2); Lossow (Hrsg.), Fürstin Daschkowa (wie Anm. 1); vgl. Alina Chernova: Mémoires und Mon Histoire. Zarin Katharina die Große und Fürstin Katharina R. Daschkowa in ihren Autobiographien. Berlin 2007. 10 Peters (Hrsg.), Golicyna (wie Anm. 6). Die übersetzte Edition besteht aus zwei Teilen, deren Originale sich in der Handschriftenabteilung der Russländischen Staatsbibliothek (NIOR RGB) in Moskau befinden: 1. Remarques sur des événements de ma vie. 75 S., F. 64, K. 117, Nr. 1, 2. Remarques sur mes voyages. 144 S. , F. 64, K. 113, Nr. 1. 11 Vgl. hierzu beispielweise das Findbuch der Nachlässe im Russländischen Archiv Alter Akten (RGADA): Jurij M. Ėskin (Hrsg.), Rossijskij gosudarstvennyj archiv drevnich aktov. Putevoditel’ v četyrech tomach. T. 4. Moskau 1999. online unter: http://guides.rusarchives.ru/browse/guidebook.html?bid=151(18. April 2017). 12 Vgl. allgemein zu Briefen Adliger als Quelle und Kommunikationsmittel: Elisabeth Lobenwein: Adelige Briefkultur am Beispiel der Privatkorrespondenz der Brüder Hieronymus (1732– 1812) und Gundaker (1731–1807) Colloredo, in: Gerhard Ammerer/Elisabeth Lobenwein/Martin Scheutz (Hrsg.), Adel im 18. Jahrhundert. Umrisse einer sozialen Gruppe in der Krise. Wien u. a. 2015, S. 318–342.
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1 Reisegewohnheiten des russischen Adels Die Lebensweise der russischen Aristokratie unterlag seit den Reformen Peters des Großen im ersten Viertel des 18. Jahrhunderts einem raschen Wandel. Der Zar und erste Kaiser öffnete sein Land gegenüber dem Westen und führte zahlreiche Neuerungen ein.13 Auch die gesellschaftliche Stellung der russischen adligen Frau änderte sich in jener Zeit deutlich.14 Sie sollte fortan nicht mehr separiert im Terem leben, sondern sich westlich kleiden und an geselligen Veranstaltungen teilnehmen.15 Der Prozess einer kulturellen ‚Verwestlichung‘ der Eliten setzte sich auch unter Peters Nachfolgern fort.16 Seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts sind auch Tagebücher und autobiographische Dokumente überliefert, in denen adlige Frauen unter anderem über ihre Reisen berichten.17 In jener Zeit war die Lebenswelt der Oberschicht stark durch die französische Kultur und Sprache geprägt.18 Davon zeugen auch die überwiegend auf Französisch geschriebenen Egodokumente. Russische Frauen reisten allerdings nicht erst seit dem 18. Jahrhundert. Es sind bereits Fahrten der Fürstinnen der Kiewer Rus wie die Olgas von Kiew (†
13 Evgenii V. Anisimov: The Reforms of Peter the Great. Progress through Coercion in Russia. Armonk u. a. 1993; Lindsey Hughes: Russia in the Age of Peter the Great. London u. a.1998; Paul Bushkovitch: Peter the Great. The Struggle for Power 1671–1725. Cambridge u. a. 2006; Reinhard Wittram: Peter I. Czar und Kaiser. Göttingen 1964 (Bd. 1 u. 2). 14 Rosslyn/Tosi (Hrsg.), Women in Russian Culture and Society (wie Anm. 5); Wendy Rosslyn (Hrsg.), Women and Gender in 18th-century Russia. Aldershot 2003; Natalia Pushkareva: Women in Russian History. From the Tenth to the Twentieth Century. Armonk u. a. 1997, hier S. 121. 15 Vgl. Nancy Kollmann: The Seclusion of Elite Muscovite Women, in: Russian History 10 (1983), S. 170–187; Nada Boškovska: Die russische Frau im 17. Jahrhundert. Weimar u. a. 1998. Daniel Schlafly beschreibt diesen Wandel anschaulich am Beispiel der Fürstin Dar’ja L. Golicyna (1668– 1715). Über die Fürstin berichtete der italienische Sopranist Filippo Balatri, der eine Zeit lang bei den Golicyns lebte. Daniel Schlafly: A Muscovite Boiarynia Faces Peter The Great’s Reforms: Dar’ia Golitsyna between two Worlds, in: Canadian-American Slavic Studies 31 (1997), S. 249– 268. 16 Das 18. Jahrhundert wurde wie kein anderes der russischen Geschichte gleich durch mehrere weibliche Herrschergestalten geprägt. Jewgenij Anissimow: Frauen auf dem russischen Thron. Wien 2008. 17 Zur russischen Autobiographik weiblicher Personen im Zeitraum 1700–1855 siehe Toby Clyman/Judith Vowles: Introduction, in: Dies. (Hrsg.), Russia Through Women’s Eyes. Autobiographies from Tsarist Russia. New Haven u. a. 1996, S. 1–46, hier S. 12–25; Elena Gretchanaja/Catherine Viollet: Russische Tagebücher im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Jochen Hellbeck/Klaus Heller (Hrsg.), Autobiographical Practices in Russia – Autobiographische Praktiken in Russland. Göttingen 2004, S. 25–48. 18 Martin Lubenow: Französische Kultur in Russland. Köln u. a. 2002.
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969) zu ihrer Taufe nach Konstantinopel im Jahre 955 belegt. Etwa drei Jahrzehnte später reiste Evpraksia zu ihrer Vermählung nach Sachsen.19 Für das 16. und 17. Jahrhundert wird berichtet, dass sich wohlhabende adlige russische Frauen im Sommer und im Winter aufgrund der günstigen Witterungsbedingungen20 in geschlossenen Kutschen bewegten.21 Aufschlussreich sind die Aufzeichnungen Samuel Collins, des englischen Leibarztes des Zaren Aleksej Michajlovič, der neun Jahre in Moskau verbrachte (1660–1669). Darin heißt es, dass die Majestät ihre Reisen nachts [in Wagen] mit der Mehrzahl ihrer Frauen, d. h. also mit Kammerfrauen, Hofdamen und Stickerinnen, unternommen habe.22 Der Historiker Ivan Zabelin (1820–1908) hat für das 17. Jahrhundert Pilgerfahrten der Zarinnen zu Klöstern sowie Reisen zu ihren Landsitzen in der Umgebung Moskaus erwähnt. Die Monarchinnen wurden bei diesen Unternehmungen von weiteren adligen Damen und von Dienstpersonal begleitet.23 Die Quellen wie auch die ihnen folgende Sekundärliteratur geben jedoch keine konkreten Auskünfte über die Details der Reisen sowie die Wahrnehmung der Frauen. Dies änderte sich erst im Laufe des 18. Jahrhunderts mit dem Aufkommen neuer Formen der Schriftlichkeit weiblicher Autorinnen. Es lassen sich verschiedene Formen des Reisens russischer Adliger feststellen. Eine grobe Unterscheidung betrifft Fahrten innerhalb des Russländischen Reiches, die zum Alltag des Adels gehörten. Dagegen stellten Reisen nach Mittel-, West- und Südeuropa eine Besonderheit dar, die erst im 18. Jahrhundert aufkam
19 Die Tochter des Kiewer Großfürsten Vsevolod Jaroslavič, Evpraksia wurde in jungen Jahren mit dem Markgrafen Heinrich III. von Stade verheiratet. Nach dessen Tod 1087 wurde sie von Kaiser Heinrich IV. geehelicht (1089). Vgl. Klaus Müller (Hrsg.), Itineraria rossica. Altrussische Reiseliteratur. Leipzig 1986, S. 5–6; Hartmut Rüß: Eupraxia-Adelheid. Eine biographische Annäherung, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 54 (2006) S. 481–518. 20 Frühling und Herbst eigneten sich zum Reisen schlecht: Beide Jahreszeiten waren mit starken Regenfällen, übertretenden Flüssen und dementsprechend schlechten bzw. unbefahrbaren Wegen verbunden. Im Frühjahr trug die Schneeschmelze dazu bei, die unbefestigten Straßen aufzuweichen. Rasputica (Wegelosigkeit) ist die russische Bezeichnung für die Schlammzeit in beiden Jahresperioden. Vgl. Rudolf Mumenthaler: Über Stock und Stauden. Reiseumstände in Russland nach Berichten aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, in: Nada Boškovska/Carsten Goehrke u. a. (Hrsg.), Zwischen Adria und Jenissei. Reisen in die Vergangenheit. Werner G. Zimmermann zum 70. Geburtstag. Zürich 1995, S. 225–272. 21 Nikolaj I. Kostomarov: Očerk domašnej žizni i nravov velikorusskogo naroda v XVI i XVII stoletijach. St. Petersburg 1860, S. 121. Vgl. Hartmut Rüß: Herren und Diener. Die soziale und politische Mentalität des russischen Adels. 9.–17. Jahrhundert. Köln u. a. 1994, S. 241. 22 Wilhelm Graf (Hrsg.), Samuel Collins’ Moskovitische Denkwürdigkeiten. Leipzig 1929, S. 34. 23 Ivan E. Zabelin: Domašnij byt russkich caric v XVI i XVII st. Moskau 1901 (Nachdruck: Novosibirsk 1992), S. 168–170.
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und aufgrund der hohen Kosten weitgehend dem kleinen Kreis des Hochadels vorbehalten blieb. Einen großen Einfluss auf die Entwicklung einer regen Reisekultur hatte zweifelsohne das Manifest über die Freiheit des Adels aus dem Jahre 1762,24 welches diese soziale Schicht von der Dienstpflicht befreite und ihr das Recht gab, das Land vorübergehend zu verlassen.25 Mit Blick auf die Fahrten im Inland lässt sich eine hohe Mobilität des Hochadels feststellen, die mit seinem Lebensstil verbunden war. Im Winter lebten die Angehörigen dieses Standes in Sankt Petersburg oder Moskau und im Frühjahr suchten sie ihre Landsitze auf. Diese lagen meist in der näheren Umgebung der beiden Hauptstädte, viele hochadlige Großgrundbesitzer unterhielten jedoch auch bei ihren Ländereien in der Provinz Landsitze. Die Aufhebung der adligen Dienstpflicht bedeutete für die Aristokraten einen immensen Zugewinn an frei verfügbarer Zeit, und so erlebte der Aus- und Aufbau ländlicher Residenzen einen regen Aufschwung.26 Während die Männer auch nach der Aufhebung der Dienstpflicht aus Gründen von Tradition und Prestige weiterhin Dienst im Militär und in der Verwaltung verrichteten und deswegen oft zwischen Stadt und Landsitz pendelten, verbrachten die Frauen und Kinder häufig die ganze warme Jahreszeit auf dem Land, insbesondere um der städtischen Hitze und den als unangenehm empfundenen Gerüchen und dem Schmutz zu entfliehen. Dieser mit langen Fahrten verbundene Lebensstil war innerhalb des Adels weit verbreitet.27 Neben den Reisen innerhalb Russlands unternahm der Hochadel auch solche nach Mittel-, Süd- und Westeuropa. Die russischen Reisenden suchten im Westen Bade- und Kurorte sowie Ärzte auf und profitierten vom wärmeren Klima. Neben diesen Reisemotiven, die der Gesundheit dienlich sein sollten, gab es jedoch auch weitere Interessen, welche die Voyageure mit diesen Touren verbanden. So erfreute man sich an schönen Landschaften und geselligen Veranstaltungen. In Italien etwa waren die Besichtigungen antiker Denkmäler beliebter Bestandteil
24 Irina V. Faizova: „Manifest o vol’nosti“ i služba dvorjanstva v XVIII stoletii. Moskau 1999. 25 Polnoe sobranie zakonov Rossijskoj imperii. St. Petersburg. Sobr. 1-e. T. 15. № 11444 (18. 2. 1762); Michail Beljavskij (Hrsg.), Materialy po istorii SSSR dlja seminarskich i praktičeskich zanjatij. Vypusk 5. Moskau 1989, S. 18. 26 Priscilla R. Roosevelt: Life on the Russian Country Estate. A Social and Cultural History. New Haven 1995. 27 Vgl. beispielsweise die Erinnerungen der Gräfin Varvara N. Golovina, geb. Fürstin Golicyna (1766–1819), in denen sie zu ihrer Kindheit schrieb: Wir verließen die Stadt im April und kehrten erst im November wieder zurück. Varvara N. Golovina: Memuary. Moskau 2005, S. 15. Ähnliche Belege finden sich auch in den Erinnerungen Elizaveta P. Jan’kovas (1768–1861). Vgl. Rasskazy babuški. Iz vospominanij pjati pokolenij zapisannye i sobrannye ee vnukom D. Blagovo. Leningrad 1989, S. 22, 120, 163.
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des Reiseprogramms. Ein Spezifikum junger Adliger waren Kavalierstouren zu Bildungszwecken.28 Gelegentlich begleiteten aber auch die Eltern oder, wie im Falle der Witwe Daškova, die Mutter und Geschwister die Söhne und Brüder. Die wohl verbreitetste Form des Reisens von Frauen in jener Zeit war die Fahrt in Begleitung des Ehemannes.29 Viele Frauen russischer Diplomaten sammelten auf diese Weise Reiseerfahrungen und hielten sich oft längere Zeit im Ausland auf. Zahlreiche russische adlige Damen folgten ihren Männern auch auf Feldzügen, wobei sie einen gebührenden Abstand zum Kampfgeschehen einhielten.30 Nicht zuletzt begleiteten Frauen ihre Gatten auch in die Verbannung, wovon die älteste bekannte selbstverfasste und überlieferte Reisebeschreibung von einer russischen adligen Frau zeugt.31 Diese stammt von der Fürstin Natal’ja Dolgorukaja (1714–1771), einer geborenen Gräfin Šeremeteva.32 In dieser 1767 in russischer Sprache und in Form einer Autobiographie abgefassten Schrift, die 1810 erstmalig veröffentlicht wurde, schilderte die Autorin die Verbannung des Adelsgeschlechts der Dolgorukovs.33 Die mehr als fünfmonatige, unfreiwillige Fahrt in die Verbannung im Jahre 1730 traf die junge Fürstin völlig unvorbereitet und war mit viel Leid verbunden. Ohne zunächst den endgültigen Zielort zu kennen, reiste sie mit ihrem Mann und weiteren Angehörigen von einem bei Moskau gelegenen Gut 260 Kilometer in südöstlicher Richtung nach Kassimow am Fluss Oka, wo sie sich
28 Vgl. Fußnote 4. 29 Verständlicherweise begleiteten nicht nur die Frauen ihre Ehemänner, sondern auch die Männer ihre Gattinnen. Fonvizin beispielsweise nannte als Reisegrund für die Fahrt nach Frankreich, die er mit seiner Frau unternahm, deren Gesundheit. Vgl. Denis Fonvizin an Piotr Panin, 3. 12. 1777, in: Fonvizine: Lettres de France (wie Anm. 4), S. 67. 30 Dickinson: Women’s Travel and Travel Writing (wie Anm. 5), S. 64–65; dies.: Thinking and Feeling in Russian Women’s Travel Writing during the Long 18th Century: The Case of Varvara Bakunina, In: Sonja Koroliov (Hrsg.), Emotion und Kognition. Transformationen in der europäischen Literatur des 18. Jahrhunderts. Berlin u. a. 2013, S. 132–147. Vgl. den Beitrag von Caroline zum Kolk in diesem Band. 31 Die Fürstin verfasste ihre Memoiren für ihren Sohn. 32 Alois Schmücker (Hrsg.), N. B. Dolgorukaja: Svoeručnye zapiski [Das Journal]. Nachdruck der Ausgabe 1913 mit Zeugnissen zur Wirkungsgeschichte des Textes. München 1972. Townsend publizierte sowohl den Originaltext als auch eine englische Übersetzung. Vgl. Charles E. Townsend (Hrsg.), The Memoirs of Princess Natal´ja Borisovna Dolgorukaja. Columbus 1977. 33 Im Alter von nur 16 Jahren und ungeachtet diverser Warnungen vor dem sich bereits abzeichnenden Schicksal dieser Familie hatte die junge Frau in sie eingeheiratet. Natal’jas Ehemann Ivan und seine Angehörigen standen Kaiser Peter II. (1715–1730) nahe und gelangten so zu großem Einfluss und Wohlstand. Nach dem plötzlichen Tod des Herrschers am 18. Januar 1730 fielen die Dolgorukovs aufgrund eines zu ihren Gunsten gefälschten Testaments des Zaren in Ungnade. Vgl. Barbara Alpern Engel: Women in Russia, 1700–2000. Cambridge u. a. 2004, S. XVI; Toby Clyman/Judith Vowles: Introduction (wie Anm. 17), S. 14.
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von ihrer Dienerin und Gouvernante trennen musste. Von dort ging die Fahrt per Schiff bis zum Ural weiter, den die Gruppe auf dem Landweg zu überqueren hatte. Das letzte Stück der Strecke nach Berezovo im Norden Westsibiriens mussten sie in einem völlig heruntergekommenen Boot zurücklegen. Die gesamte Reise fand unter äußerst schlechten Bedingungen statt, und die Dolgorukovs wurden wie Kriminelle behandelt und streng bewacht. Zweifelsohne war diese Fahrt in die Verbannung eine Ausnahmeerscheinung, die den üblicherweise positiv konnotierten Vorstellungen vom Reisen nicht entsprach.
2 Die zwei Europareisen der Fürstin Daškova von 1769 bis 1771 und von 1775 bis 1782
Abb. 1: Gavrila I. Skorodumov, Fürstin Ekaterina Daškova (1743–1810), 1777, graviertes Portrait.
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Abb. 2: Die erste Europareise der Fürstin Ekaterina Daškova 1769–1771 von St. Petersburg über Riga, Königsberg, Danzig, Berlin, Hannover, Aachen, Spa, London, Bath, Bristol, Oxford, London, Paris, Aix-en-Provence, Lyon, Genf, Karlsruhe, Frankfurt am Main, Düsseldorf, Spa, Dresden, Berlin und Riga zurück nach St. Petersburg.
Eine von der Forschungsliteratur bereits intensiv bedachte Reisende war die aufgeklärte Fürstin Ekaterina Daškova, die als Verfasserin von Memoiren34 sowie als Zeitgenossin Katharinas der Großen bekannt ist. Die Fürstin unternahm zwei Fahrten nach Westeuropa.35 Die erste führte sie von 1769 bis 1771 nach Deutschland, England, Holland, Frankreich und in die Schweiz.36 Begleitet wurde sie von ihren beiden Kindern, Anastasija (1760–1831) und Pavel (1763–1807), deren Gouvernante Pelageja Kamenskaja, ihrem Cousin, dem Diplomaten Ivan Voroncov, sowie einem Diener, den sie selbst bei der Aufzählung der Teilnehmer
34 Kircheisen (Hrsg.), Am Zarenhofe (wie Anm. 9); Lossow (Hrsg.), Fürstin Daschkowa (wie Anm. 1); Martha Bradford (Hrsg.), Memoirs of the Princess Daschkaw. London 1840 (2 Bde.); Alexander Woronzoff-Dashkoff u. a. (Hrsg.), Princesse Dachkova: Mon histoire. Mémoires d’une Femme de Lettres Russe à l’Epoque des Lumières. Paris 1999; Mémoires de la Princesse Dashkaw, in: Archiv knjazja Voroncova. Bd. 21. Moskau 1881, S. 1–365. 35 Alexander Woronzoff-Dashkoff: Dashkova. A Life of Influence and Exile. Philadelphia 2008, S. 97–149; A. G. Kross: Poezdka kniagini E. R. Dashkovoi v Velkobritaniiu (1770 i 1776–1780 gg.) i ee nebol’shoe puteshestvie v Gornuiu Shotlandiiou, 1777, in: XVIII vek 19 (1995), S. 223–268. 36 Das Itinerarium der Reise war: Riga, Königsberg, Danzig, Berlin, Hannover, Aachen, Spa, London, Bath, Bristol, Oxford, London, Paris, Aix-en-Provence, Lyon, Genf, Karlsruhe, Frankfurt, Düsseldorf, Spa, Dresden, Berlin, Riga, Petersburg.
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jedoch nicht erwähnte. Als Motiv für die Unternehmung gab Daškova in ihren Lebenserinnerungen an, einen geeigneten Ort für die Erziehung ihres Sohnes zu finden. Diesem wollte sie nicht nur guten Unterricht ermöglichen, sondern ihn zugleich auch dem Einfluss der Familie und der Untergebenen entziehen, um ihn keiner Verwöhnung auszusetzen. Der Kaiserin gegenüber führte sie als Grund für die Reise jedoch den schlechten Gesundheitszustand ihrer Kinder an, der eine Badekur erfordere.37 Daškova wusste, dass Katharina es nicht gerne sah, wenn man ausländische Bildungseinrichtungen denjenigen in Russland vorzog.38
Abb. 3: Die zweite Europareise der Fürstin Ekaterina Daškova 1775 – 1782 von St. Petersburg über Vilnius, Warschau, Berlin, Spa, London, Edinburgh, Highlands, Dublin, London, Bath, Bristol, London, Rotterdam, Haag, Leiden, Haarlem, Utrecht, Brüssel, Paris, Versailles, Genf, Florenz, Pisa, Rom, Neapel, Pompei, Bologna, Venedig, Wien, Prag, Dresden, Berlin, Königsberg und Riga zurück nach St. Petersburg.
Ihre zweite Europareise unternahm die Fürstin von 1775 bis 1782. Neben den zuvor bereits bereisten Ländern suchte sie diesmal auch Irland und Italien auf.39 In erster Linie wollte sie das Studium des Sohnes in Edinburgh beaufsichtigen und ihn bei seiner Kavalierstour begleiten. Fürstin Daškova war aufgrund ihrer
37 Woronzoff-Dashkoff (Hrsg.), Princesse Dachkova (wie Anm. 34), S. 85. 38 Ebd., S. 107. 39 Die Hauptstationen waren Warschau, Berlin, Spa, London, Edinburgh, Dublin, Bath, Bristol, Rotterdam, Leiden, Brüssel, Paris, Genf, Florenz, Rom, Neapel, Pompei, Venedig, Wien.
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engen Verbindung zur Kaiserin, ihrer Beteiligung an Katharinas Staatsstreich und ihres (späteren) Amtes als Direktorin der Russländischen Akademie bereits aus der Sicht ihrer Zeitgenossen eine bedeutsame Persönlichkeit des öffentlichen Lebens. Dies verlieh ihr einen für Frauen der damaligen Zeit untypischen, geradezu ‚männlichen‘ Habitus.40 Ihr aktives und engagiertes Reiseverhalten korrespondierte mit dem hergebrachten Ideal der Kavalierstour adliger russischer Männer der damaligen Zeit. So war sie beispielsweise während ihres dreiwöchigen Aufenthaltes in Paris ihrer eigenen Beschreibung zufolge nur damit beschäftigt, die Kirchen, Klöster, Statuen, Gemälde und alle Denkmäler der Kunst zu sehen.41 Auch in Florenz konzentrierte sich ihre Aufmerksamkeit auf Kunstgalerien, Sakralbauten, Bibliotheken und das naturhistorische Kabinett des Großherzogs. In Brüssel unternahm die Fürstin mit dem Mediziner und Mineralogen FrançoisXavier Burtin (1743–1818) botanische Exkursionen in die Umgebung der Stadt, wo sie diverse ihr aus Russland nicht bekannte Pflanzen entdeckte. Während eines neunwöchigen Aufenthaltes in Pisa lieh Daškova Bücher aus Bibliotheken und Klöstern aus, die sie zusammen mit ihren Kindern von früh morgens an las. Wenn es zur Mittagszeit zu heiß wurde, schlossen sie die Fenster und zündeten ein Licht an, um ihre Studien bis vier Uhr nachmittags fortzusetzen. Ebenfalls früh am Morgen suchten sie in Rom die Innenstadt oder ihre Umgebung auf, um interessante Stätten der Kunst und Antike zu besichtigten. Hier widmete sich die Fürstin insbesondere der Architektur. In Bologna bewunderte sie die Meisterwerke der dortigen Malerschule. In Venedig erwarb sie Stiche für ihre Kunstsammlung.42 Daškova pflegte exklusive Kontakte. In Paris verbrachte sie die Abende im Gespräch mit Diderot, in Genf suchte sie wiederholt Voltaire auf, und in Wien war Kanzler Graf von Kaunitz ihr Gesprächspartner. Dabei ging es auch um politische und geschichtliche Themen. So tauschte sich die Fürstin mit Diderot über die Leibeigenschaft und mit Kaunitz über die Rolle Peters des Großen aus.43 In Aachen und Spa, wo die Reisegruppe auf der ersten Fahrt die Bäder aufsuchte, schloss Daškova enge und langjährige Freundschaften mit zwei Kurgästen aus Irland, Catherine Hamilton und Elizabeth Morgan, den Töchtern eines hohen Klerikers und eines Politikers.44 Beide Damen standen der Fürstin jeden Morgen beim Erlernen der englischen Sprache zur Seite. Obwohl sie auf ihrer ersten Fahrt
40 Zu Daškova schreibt Dickinson u. a. auch: „she herself advertised a masculine pose, both in her behaviour and writings“. Dickinson: Women’s Travel and Travel Writing (wie Anm. 5), S. 68. 41 Woronzoff-Dashkoff (Hrsg.), Princesse Dachkova (wie Anm. 34), S. 91. 42 Belegstellen für diesen sowie die vorangehenden Sätze: ebenda, S. 119, 127–128, 133, 138. 43 Ebd., S. 91–93, 98–99, 139–141. 44 Woronzoff-Dashkoff: Dashkova (wie Anm. 35), S. 100.
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zur Vermeidung exorbitanter Reisekosten offiziell inkognito unterwegs war,45 wurde sie in Berlin bei Hofe empfangen und in Karlsruhe begrüßte sie die Markgräfin von Baden. Allem Anschein nach empfand Daškova eine bisweilen kokette Freude daran, gelegentlich ihre wahre Identität zu verschleiern und in andere soziale Rollen zu schlüpfen. Von Paris aus fuhr sie unerkannt nach Versailles, wo sie an einem öffentlichen Bankett mit der Königsfamilie teilnahm.46 In der Oper in Hannover erkundigte sich ein Offizier aus der Loge des Prinzen, woher sie komme. Als Daškova die Antwort schuldig blieb, zog sich der junge Mann verwundert zurück. Zwei Damen, die der Fürstin einen Platz in ihrer Loge eingeräumt hatten, wurden Zeuginnen dieser Szene. Daškova teilte ihnen mit, dass sie selbst eine Theatersängerin und ihre Gefährtin eine Tänzerin sei. Diese Auskunft stieß auf eine indignierte Reaktion.47 In der Schweiz mietete die Reisegruppe zwei Boote, mit denen sie den Rhein hinabfuhr. Sahen sie eine Stadt oder weckte eine andere Attraktion ihr Interesse, gingen sie an Land und die Fürstin sowie Frau Kamenskaja wanderten in ihren schwarzen Kleidern und Strohhüten umher, unerkannt von irgendeinem Sterblichen, und kauften zuweilen zu ihrer Belustigung selbst die Küchenvorräte von dem Landvolk ein.48 Daškova war die erste russische Autorin, die einen Reisebericht publizierte.49 Die zweiwöchige Tour im Oktober 1770 während ihrer ersten Europareise unternahm die Fürstin – wie bereits erwähnt – in Begleitung ihrer Tochter und deren Gouvernante sowie ihres Cousins.50 Die Reisegruppe besichtigte mehrere Städte an der Süd- und Westküste Englands (Portsmouth, Southampton, Bristol). Darüber hinaus hielt man sich am Kurort Bath auf, besuchte einige adlige Herrensitze51 sowie die alte Universitätsstadt Oxford. Ein weiterer Reisebericht der
45 Vgl. zum Inkognitoreisen Richard Wrigley: Protokollierte Identität. Anmerkungen über das Inkognito in der Reisepraxis und der Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts, in: Rees/Siebers/Tilgner (Hrsg.), Europareisen (wie Anm. 8), S. 209–218. 46 Woronzoff-Dashkoff (Hrsg.), Princesse Dachkova (wie Anm. 34), S. 95. 47 Ebd., S. 88–89. 48 Ebd., S. 100. 49 Putešestvie odnoj rossijskoj znatnoj gospoži po nekotorym aglinskim provincijam [Die Reise einer russländischen adligen Dame durch einige englische Provinzen], in: Galina I. Smagina (Hrsg.), E. R. Daškova: O smysle slova „vospitanie“. Sočinenija, pis’ma, dokumenty. St. Petersburg 2001, S. 95–112. Die Erstpublikation erschien 1775 in der Zeitschrift Opyt trudov Vol’nogo Rossiskogo sobranija pri Imp. Moskovskom universitete, S. 105–144. 50 Der Sohn nahm an ihr nicht teil, da er in London Unterricht erhielt. 51 Sie suchten beispielsweise das Wilton House des Earl of Dembroke in Wilton und den Blenheim Palace des Duke of Marlborough in Woodstock auf.
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Fürstin in französischer Sprache, der ihrer Freundin Elizabeth Morgan gewidmet ist und erst 1995 publiziert wurde, handelt von einem zweiwöchigen Ausflug in das schottische Hochland im Spätsommer 1777.52 Beide Texte ähneln entsprechenden Beschreibungen männlicher Autoren.53 In ihnen ist beispielsweise keine Rede von Daškovas Hingabe für die Kinder. Dagegen führte die Fürstin in ihren Memoiren, die sie ungefähr zwanzig Jahre später verfasste, als Motiv für die beiden Fahrten ihre mütterliche Fürsorge an. Die Diskrepanz in den Darstellungen wird man mit den unterschiedlichen Adressaten und der Entstehungszeit der Schriften erklären können. Daškovas Reisebericht von 1775 wurde in einem Periodikum der Universität Moskau publiziert, wandte sich an ein überwiegend maskulines Lesepublikum und war durch männliche Vorbilder geprägt. Dagegen verfolgten die später entstandenen Lebenserinnerungen unter anderem den Zweck, die aufopfernde Mutterrolle der Autorin gebührend darzustellen.54
52 Kross: Poezdki (wie Anm. 35). 53 Sara Dickinson zufolge beschreibe die Fürstin „a traditional male-dominated social and cultural world“. Daškova verwende standardisierte Redemittel, die den Konventionen durch Männer geprägter literarischer Publikationen entsprächen. Zugleich weist Dickinson darauf hin, dass die Genderzuschreibungen in den Reiseberichten der damaligen Zeit oft unpassend seien, da in der vorromantischen Zeit des Sentimentalismus viele männliche Schriftsteller einen ‚weiblichen‘ Stil gepflegt hätten. Vgl. Dickinson: Women’s Travel and Travel Writing (wie Anm. 5), S. 66–67 und S. 69. 54 Zur Zeit der Niederschrift der Memoiren unterhielt die Fürstin schlechte Beziehungen zu ihren Kindern. Somit dienten Daškovas Erinnerungen ihr auch zur Rechtfertigung ihrer eigenen Position. Ebd., S. 68.
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3 Die Reise der Baronin Natal’ja Stroganova nach Paris im Jahre 1780
Abb. 4: Baronin Natal’ja Stroganova (1743–1819) mit Dar’ja Saltykova.
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Abb. 5: Die Reise der Baronin Natal’ja Stroganova (1780–82) von St. Petersburg über Tartu, Riga, Königsberg, Berlin, Potsdam, Dresden, Meißen, Hannover, Münster, Düsseldorf, Aachen, Spa, Brüssel, Paris (12. 10. 1780–30. 7. 1782), London (8.8.–24. 10. 1782) und Wien zurück nach St. Petersburg.
Die verwitwete Baronin Stroganova, eine geborene Fürstin Belosel’skaja, unternahm in den Jahren 1780 bis 1782 eine zweijährige Fahrt nach Westeuropa, die sie unter anderem nach Paris, London und Wien führte. Sie schrieb ein Reisejournal, in dem sie ihre Eindrücke auf Französisch für die daheimgebliebenen Schwestern festhielt. Im edierten Teil55 beschrieb Stroganova ihre viermonatige Tour (vom 11. Juli bis 12. Oktober 1780) von Sankt Petersburg nach Paris sowie die erste Zeit in der französischen Hauptstadt. Sie wurde von ihrem neunjährigen Sohn Aleksandr (1771–1815) und dessen Erziehern, den gräflichen Eheleuten Ivan (1730–1805) und Dar’ja Saltykov(a) (1739–1802), sowie von zweien ihrer Töchter begleitet. Zudem gehörten ein Arzt und mehrere Diener zu der Reisegruppe. Letztere zählte Stroganova, ebenso wie die Fürstin Daškova in ihren Erinnerungen, nicht zur eigentlichen Reisegesellschaft. Als Grund für die Fahrt gibt das Journal den schlechten
55 Dieser Teil, die Dokumentation der Reise bis Paris, wurde 1914 in russischer Übersetzung publiziert. Gretchanaia und Viollet edierten 2008 eine gekürzte Version auf Französisch auf der Grundlage einer Abschrift der verschollenen Originalversion. Diese Kopie befindet sich in der Abteilung seltener Bücher der Universitätsbibliothek Tomsk. Vgl. Stroganova: Zapiski baronessy (wie Anm. 6); Gretchanaia/Viollet: Si tu lis (wie Anm. 6), S. 68–77 und S. 340. Elena Grečanaja danke ich für die Zurverfügungstellung ihrer Abschriften der Tomsker Version.
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Gesundheitszustand der Gräfin Saltykova an, der einen Kuraufenthalt in Spa notwendig mache.56 Da die Baronin für ihren mitfahrenden Sohn in Paris mehrere Lehrer engagierte, kann man auch hier in dessen Unterrichtung ein Motiv für die Fahrt sehen. Die erste Etappe der Reise führte die Gruppe nach ihrem Aufbruch von Sankt Petersburg über das Baltikum (Tartu, Riga) nach Königsberg. Von dort ging es weiter nach Berlin und Potsdam, Dresden und Meißen. Danach besuchte und durchquerte man Hannover, Münster, Düsseldorf und Aachen und fuhr weiter nach Spa zum Kuraufenthalt. Im Anschluss an einen kurzen Besuch in Brüssel erreichten die Reisenden schließlich Paris – ihren ersten längeren Aufenthaltsort. In ihrem Reisejournal beschrieb Stroganova jeweils kurz die Städte und schilderte die Unternehmungen der Gruppe sowie Treffen mit weiteren Personen. Zum Programm gehörten etwa Besuche des Theaters und bei Hofe sowie ausgiebiges Promenieren. Im Unterschied zu Daškova evozierte die Autorin häufiger traditionell weiblich konnotierte Vorstellungen. So beschrieb sie beispielsweise in sehr gefühlsbetonter Diktion, dass sie beim Abschied aufgrund ihres sehr zarten Gemüts […] viele Tränen vergoss, da sie zum ersten Mal für längere Zeit von ihren Schwestern getrennt worden sei. Sie habe jedoch mit ihrer Cousine, der Gräfin Dar’ja Saltykova, ihre beste Freundin an der Seite, die ihr Trost spende.57 Ein Ständchen des Gardeorchesters in Dresden bereitete ihr große Freude, da sie Musik wie verrückt möge.58 Ihre mütterliche Hingabe brachte sie zum Ausdruck, indem sie mehrfach über ihre Sorgen um die Gesundheit des Sohnes schrieb. Gemeinsam mit ihrer Freundin Saltykova führte sie auf der Fahrt eine Komödie für die Kinder auf, damit die Kleinen sich nicht langweilten. Mit welchen Personen pflegte Stroganova in den besuchten Städten Kontakt? In Berlin traf sie zuerst den langjährigen preußischen Gesandten in Petersburg, Victor Friedrich von Solms-Sonnenwalde (1730–1783). Die Baronin kannte ihn noch von seiner diplomatischen Mission in Russland und freute sich sehr über das Wiedersehen. Seine Ehefrau, die Gräfin von Solms, sorgte für das gesellschaftliche Entree. Auf Schloss Schönhausen stellte sie ihren Gast Elisabeth Christine (1715–1797), der Königin von Preußen, vor. Mit Anna Elisabeth Luise (1738–1820), der Prinzessin von Preußen, machte von Solms sie auf Luises Residenz im Schloss Friedrichsfelde bekannt. Beide Damen empfingen Stroganova sehr freundschaftlich. Darüber hinaus fand sich der englische Gesandte am preußischen Hof, Hugh
56 Die folgenden Aussagen stützen sich – soweit nicht speziell angegeben – auf Stroganovas Reisejournal: Stroganova: Zapiski baronessy (wie Anm. 6), hier S. 27. 57 Ebd., S. 26. 58 Ebd., S. 31.
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Elliot (1752–1830), jeden Tag bei der Reisegruppe ein. Er war ein alter Bekannter des Grafen Saltykov, mit dem er in seiner Jugend in der russischen Armee gedient hatte. Während eines Diners im Haus des Botschafters lernten die russischen Gäste weitere adlige Personen kennen. In Dresden freute sich die Baronin, ihren Bruder wiederzusehen. Er war dort als russischer Gesandter tätig und stellte gesellschaftliche Kontakte her. In Spa nahmen Stroganovas Sohn und die Gräfin Saltykova jeden Morgen Heilwasser zu sich. Zwei Landsleute, die Fürstin Orlova und Fräulein Protasova, stellten sie dort den anderen adligen Damen vor, und danach unternahm man gegenseitige Besuche. Ende August 1780 schloss sich die Gräfin Ekaterina Šuvalova (1743–1816), eine Schwester des mitreisenden Grafen Ivan Saltykov, aus Paris kommend der russischen Reisegruppe an. Ihren Schwestern in Petersburg gestand Stroganova, dass sie und die Gräfin Saltykova gelegentlich den Glücksspielen Biribi und Pharo zuneigten. So hätten sie einmal beide in Spa ihren ganzen Einsatz verspielt.59 Auch in Paris nahm sie sonntags gelegentlich an solchen Spielen teil und verlor fast immer. Die Zeit in der Metropole an der Seine war für die Baronin der Höhepunkt der Reise: Alles erstaunt und begeistert mich. Diese Stadt erscheint mir wie die ganze Welt. Mit einem Wort, ich sehe alles wie im Traum.60 Gleich am ersten Tag besuchte sie die Oper und zeigte sich danach tief beeindruckt von den ausgezeichneten Schauspielern und dem großen Publikum. Gräfin Šuvalova, die seit Jahren in Paris lebte, machte sie mit anderen Adligen bekannt und zeigte ihr exquisite Geschäfte. In Stroganovas Journal ist – neben acht ausländischen Diplomaten – von knapp zwanzig zumeist hochadligen Damen die Rede, welche die Reisegruppe zum Diner aufsuchte. Der 25. März 1781 war ein ganz besonderer Tag für die Baronin. Ihr wurde die Ehre zuteil, die gesamte Königsfamilie zu sehen und Marie Antoinette vorgestellt zu werden. Die Königin empfing sie wohlwollend, stellte viele liebenswürdige Fragen und zeigte ihre königlichen Gemächer und Brillanten.61
59 Die Fürstin Golicyna berichtete während ihres Aufenthaltes in Spa im Sommer 1788 auch über französische Damen, die dort dem Glücksspiel nachgingen. Dieses Verhalten missbilligte sie jedoch. Sie selbst spielte seriöse „Kommerzspiele“ wie Boston und Whist. Vgl. Peters (Hrsg.), Golicyna (wie Anm. 6), S. 258. Zum Kartenspiel siehe Jurij Lotman: Rußlands Adel. Eine Kulturgeschichte von Peter I. bis Nikolaus I. Köln u. a. 1997, S. 145–146. 60 Stroganova: Zapiski baronessy (wie Anm. 6), S. 35. 61 Ebd., S. 38–39.
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4 Die Reisen der Fürstin Golicyna (1741/4462–1837)
Abb. 6: Richard Cosway, Natal’ja Golicyna (1741/44–1837) mit ihren Töchtern Ekaterina und Sof’ja in London, 1790.
62 Für das Geburtsjahr der Fürstin kursieren unterschiedliche Angaben. Folgt man ihren Erinnerungen, so kam sie 1744 zur Welt. Im Russischen Biographischen Wörterbuch und anderen Publikationen aus dem 19. Jahrhundert wurde als Geburtsjahr jedoch 1741 angegeben. Vgl. N. Čulkov: Golicyna, Natal’ja Petrovna, in: Russkij biografičeskij slovar’, S. 218–220, hier S. 218.
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Abb. 7: Die große Europareise der Fürstin Natal’ja Golicyna 1783–1790 von St. Petersburg über Moskau, Kiew, Lemberg, Krakau, Wien, München, Straßburg, Basel, Bieler See, Thun, Grindelwald, Bern, Luzern, Zürich, Basel, Straßburg, Paris (1784–1789), Brüssel, Aachen, Spa, London, Tunbridge Wells, Brighton, Portsmouth, Isle of Wight, Southampton, Bath, Bristol, Oxford, Woodstock, London, Paris, Frankfurt am Main, Berlin, Königsberg und Riga zurück nach St. Petersburg.
4.1 Reisen in Kindheit und Jugend Die Fürstin Natal’ja Golicyna, geborene Gräfin Černyševa, sammelte bereits in jungen Jahren erste Reiseerfahrungen. Diese erwähnte sie in ihren auf Französisch verfassten Erinnerungen, aber noch ohne Beschreibung des Gesehenen und Erlebten.63 Es handelte sich sowohl um dienstliche als auch private Reisen ihres Vaters, des Grafen Petr G. Černyšev (1712–1773), innerhalb und außerhalb Russlands. Während dessen Mission als russischer Gesandter am preußischen Königshof wurde Natal’ja Petrovna in Berlin geboren. Im Jahre 1746 wurde der Graf nach London versetzt und die Familie lebte nun bis zu ihrer Rückkehr nach Petersburg neun Jahre später an der Themse. Wieder in Russland, reisten die Černyševs kurz darauf von Sankt Petersburg zum circa 1340 Kilometer entfernten väterlichen Landgut in Komariči (Gouvernement Kursk) im Süden Russlands,
63 Remarques sur des évéments de ma vie. Naučno issledovatelskij otdel rukopisej Rossijskoj Gosudarstvennoj Biblioteki (NIOR RGB), Moskva. Vjazemy f. 64, k. 117, ed. chr. 1. 75 Bl. Russische Übersetzung Peters (Hrsg.), Golicyna (wie Anm. 6), S. 32–88.
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wo sie den Sommer verbrachten.64 Nach der Berufung Petr Černyševs zum russischen Gesandten in Paris im Jahre 1760 fuhr die Familie für zwei Jahre dorthin. Ihre Eindrücke von der Hin- und Rückfahrt hielt Natal’ja Petrovna in ihren Erinnerungen fest.65 Nach dem Aufbruch im Oktober machten die Černyševs in Riga, Königsberg, Warschau, Wien sowie Straßburg Station und erreichten die Seinemetropole im April 1761. Wenn es ihnen unterwegs an einem Ort besonders gefiel, hielten sie sich dort länger auf. In Warschau verweilten sie einen ganzen Monat und vergnügten sich ausgezeichnet. Sie wurden bei Hofe eingeführt, empfingen täglich Einladungen zu zahlreichen Bällen und Assembleen. In Wien blieb die Reisegruppe nur 15 Tage. Auch hier erfolgte aber ihre Vorstellung am Hof, wo Kaiserin Maria Theresia ihnen freundliche Aufmerksamkeit erwies, und die Einladungen waren abermals zahlreich. Auf der Rückreise von Paris nach Petersburg zwei Jahre später hielten sich die Černyševs vier Monate hindurch in Hannover auf. Der schlechte Zustand der Wege im Herbst sowie eine Erkrankung der Mutter machten diesen langen Zwischenstopp erforderlich. Obwohl Natal’ja Hannover nicht groß erschien, traf sie doch auf viele Adlige und vergnügte sich großartig.
4.2 Nous avons fait le voyage très heureusement66 – Golicynas Reisen im Russländischen Reich (1766–1782) Nach der Rückkehr nach Petersburg und Natal’jas Heirat mit Fürst Vladimir Golicyn im Jahre 1766 unternahmen die beiden bis 1783 zahlreiche Reisen innerhalb Russlands. So wurden auch alle fünf Kinder der Golicyns bei Verwandten in Moskau, auf dem Landsitz eines Cousins sowie im Haus des Vizekanzlers von Litauen in Vilnius geboren. An all diesen Orten verweilte die Fürstin jeweils mehrere Monate. Auch Schwangerschaften hielten sie nicht vom Reisen ab. Von der für den russischen Hochadel charakteristischen Mobilität zeugen auch die jährlichen Aufenthalte der Golicyns vom Frühjahr bis zum Spätherbst auf ihren Gütern, wo sie Landsitze (usad’ba) unterhielten.67 In der Regel besaßen die aristokratischen Familien je eine solche Residenz in der Umgebung von
64 Ebd. NIOR RGB, f. 64, k, 117, ed. chr. 1, Bl. 3; Peters (Hrsg.), Golicyna (wie Anm. 6), S. 32. 65 Peters (Hrsg.), Golicyna (wie Anm. 6), S. 33. 66 Natal’ja Golicyna an Sof’ja Stroganova, 21. 6. 1795. Rossijskij Gosudarstvennyj Archiv Drevnich Aktov (RGADA), fond 1278 (Stroganovy), opis’ 1, delo 358. 67 Einen ähnlichen Lebenswandel beschreibt Milena Lenderová für den böhmischen Hochadel und sein Leben in Prag und Wien im Winter und auf den Landsitzen im Sommer. Vgl. Milena Lederová: Mon journal de voyage… Femmes en route au XIXe siècle (1782–1914), in: Kateřina Drsková (Hrsg.), Linuis diversis libri loquuntur. České Budějovice 2013, S. 172–187, hier S. 175.
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Petersburg sowie Moskau. Die Golicyns verfügten darüber hinaus über Landhäuser auf ihren Gütern in den Gouvernements Kaluga (Gorodnja bei Kaluga) und Kursk (Radogošč und Komariči). Von Petersburg brachen sie im Frühjahr in Richtung Moskau auf und machten 40 Verst68 nördlich vor der Metropole in Roždestvenno auf einem Landsitz der Černyševs, den Natal’ja nach dem Tod ihrer Eltern erbte, einen ersten Halt. Dort begutachteten sie die wirtschaftliche Lage und verbrachten dann einige Zeit in Moskau. Ein von der Fürstin 1772 gekauftes Haus in der Metropole hatte sie vermietet, sodass die Eheleute bei Verwandten Quartier bezogen. Die Reise von Petersburg nach Moskau dauerte im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts etwa sieben Tage, und das Ehepaar führte sie in der Regel bis Roždestvenno (vor Moskau) ohne Unterbrechung durch.69 Von Moskau brachen sie nach zwei bis drei Wochen zu ihrem Landsitz Gorodnja bei Kaluga im Süden auf. Unterwegs besuchten sie weitere Verwandte, beispielsweise Natal’jas Schwager Aleksej Golicyn auf seinem südlich von Moskau gelegenen Landsitz in Uzkoe. In Gorodnja selbst ging das Ehepaar Golicyn der Jagd nach, machte Spazierfahrten und kümmerte sich um die Gutsverwaltung. Mit diesen Aktivitäten verbrachten sie ihre Zeit auch auf den noch weiter südlich gelegenen Gütern in Komariči und Radogošč. Hinzu kamen Besuche von Nachbarn und Verwandten, die ebenfalls auf die Jagd gingen. Bei ihren Landaufenthalten fuhr die Fürstin mehrmals in die Gouvernementstädte Kaluga, Kursk und Orel, wo sie vom jeweiligen (General-)Gouverneur empfangen wurde. Diese Reisen von Petersburg über Moskau nach Gorodnja bei Kaluga, über welche die Fürstin in ihren Erinnerungen berichtete, führte sie auch nach der Rückkehr von ihrer Europareise von 1791 bis 1798 mit ihrem Mann und später als Witwe bis in die 1830er Jahre fast alljährlich durch. Auf dem Landsitz Gorodnja trafen sich im Sommer in der Regel große Teile der Familie. Diese geselligen Aufenthalte erfreuten sich allgemeiner Beliebtheit, und die Golicyns schrieben ihnen aufgrund der frischen Luft und der Bewegung in der Natur auch eine gesundheitsfördernde Wirkung zu. Die lange Reise nach
68 Eine Verst entspricht 1066,78 Metern. 69 Da es auf den Wegen keine adäquaten Gast- und Wirtshäuser gab, reisten die Adligen in ihren Kutschen bzw. Wagen mit Verpflegung und Bettgeschirr Tag und Nacht und mit zahlreichen Pferden. Letzteres war ein Privileg des Adels: Die Anzahl der vor einer Kutsche eingespannten Pferde war gesetzlich geregelt und richtete sich u. a. nach dem Dienstrang. Während sich die Strecke zwischen Moskau und Petersburg gut zum Reisen eignete, waren die übrigen Straßen und Wege in schlechtem Zustand. Ausländische Besucher berichteten davon, dass man in Russland aufgrund des ebenen Geländes und der vielen Pferde, die von Kutschern energisch angetrieben wurden, zügig reiste. Besonders im Winter, wenn die Kutschen und Wagen auf Kufen gestellt wurden, konnte man schnell und bequem fahren. Vgl. Mumenthaler: Stock und Stauden (wie Anm. 20).
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Gorodnja nahm die Fürstin dafür gern auf sich und sie bedauerte es sehr, wenn sie aufgrund einer Erkrankung nicht dorthin fahren konnte.
4.3 Die Europareise von 1783 bis 1790 Die Fürstin Golicyna unternahm im Sommer 1783 mit ihrem Mann, den beiden Töchtern sowie deren Gouvernante und mehreren Dienern eine Reise nach Straßburg zu ihren beiden Söhnen, die bereits ein Jahr zuvor zu Studienzwecken zusammen mit ihrem Erzieher dorthin aufgebrochen waren. Die folgenden Jahre bis 1790 verbrachte die Fürstin überwiegend in Paris, sie unternahm im Sommer 1784 jedoch auch eine einmonatige Rundreise durch die Schweiz, besuchte im Sommer 1788 Spa und hielt sich 1789/90 etwa neun Monate in London auf. Über diese Fahrten verfasste die Fürstin ein Tagebuch in französischer Sprache. Obwohl sie in Begleitung enger Angehöriger reiste, schrieb sie sehr oft in der Ichform, und zwar auch über Unternehmungen, die sie nicht alleine durchführte. Das Tagebuch, das in einigen Passagen die Form eines Reiseberichts hat, verfasste sie für ihre Familie.70 Sie hielt in ihm Eindrücke von den besuchten Städten fest und führte aus, wie die Familie dort ihre Zeit verbrachte und wem sie begegnete. Darüber hinaus beschrieb sie die durchreisten Landschaften. Ihr Augenmerk galt dabei der Landwirtschaft und dem Aussehen der bäuerlichen Bevölkerung, insbesondere der Kleidung und Haartracht der Frauen. Die großen europäischen Metropolen wie Paris, London und Wien überging sie weitgehend, da sie deren Kenntnis beim Leser voraussetzte. Ein Zweck dieses Selbstzeugnisses bestand darin, die Nachkommen neben den Eindrücken des Gesehenen und Erlebten auch auf die besondere Achtung hinzuweisen, die ihr und ihrer Familie von anderen Personen erwiesen wurde. Was waren die Gründe für die lange Fahrt der Fürstin nach Straßburg? Einerseits wollte sie ihre Söhne bei deren weiterer Kavalierstour begleiten und ihre Ausbildung beaufsichtigen. Zum anderen sollte der längere Auslandsaufenthalt der Genesung ihres Ehemanns dienen, der auf die Hilfe ausländischer Ärzte angewiesen war. Diese beiden Motive führte die Fürstin in der Korrespondenz mit ihrer Schwester Dar’ja Saltykova an.71 Bis zu einem gewissen Grad handelte es sich
70 Die heute in der Handschriftenabteilung der Russländischen Staatsbibliothek überlieferte Abschrift trägt die Handschrift der Tochter Ekaterina Apraksina. 71 Natal’ja Golicyna an Dar’ja Saltykova, 31. 1. 1788. NIOR RGB (Moskva) f. 64, k. 83, ed. chr. 48, Bl. 7–7 Rs; Dar’ja Saltykova an Natal’ja Golicyna, 3. 12. 1787. NIOR RGB (Moskva) f. 64, k. 101, ed. chr. 8, Bl. 31- 31 Rs. Vgl. Elena P. Grečanaja: „Je vous parlerai la langue de l’Europe …“ La franco-
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hierbei jedoch auch um eine Rechtfertigung, da sich die Kaiserin bei Saltykova nach den Gründen für den langen Aufenthalt erkundigt hatte. Aus dem Reisetagebuch geht jedoch hervor, dass die Verfasserin große Freude am Reisen empfand und begierig neue Eindrücke sammelte. Der doppelte Anlass, fremde Gegenden aufzusuchen, kam ihr also gewiss nicht ungelegen. Für die Fahrt nach Spa gab sie im Reisetagebuch an, dass sie diese nicht aus gesundheitlichen Gründen unternahm. Vielmehr wolle sie die berühmten Bäder sehen, die für ihren guten Ruf bekannt waren.72 Ihre Erinnerungen und das Reisejournal enthalten mehrere Passagen über die mütterliche Fürsorge für die beiden Söhne. So schilderte sie, wie sehr sie die Trennung von den Söhnen belaste und wie groß ihre Freude sei, wenn sie wieder mit ihnen zusammentreffe.73 Auch das Interesse für die Haartracht und Kleidung von bäuerlichen Frauen würde man wohl eher einer weiblichen Person zuschreiben. Zugleich gibt es jedoch auch Abschnitte, in denen die Autorin und Tochter eines Diplomaten detailliert über die Außenpolitik Russlands oder von ihr aus politischem Interesse besuchte öffentliche Parlamentssitzungen berichtete.74 Somit sind eindeutige geschlechtsbezogene Zuschreibungen aufgrund traditioneller Gendervorstellungen in diesem Falle problematisch. Auf der dreieinhalb Monate dauernden Reise nach Straßburg im Sommer 1783, die über Kiew, Lemberg, Krakau, Wien und München führte, hielten sich die Fürstin und ihre Begleiter nur in der Hauptstadt der Habsburgermonarchie länger auf. Dort mieteten sie für einen Monat in unmittelbarer Nähe zur Hofburg ein Appartement mit zwölf Zimmern. Golicyna fand großen Gefallen an den reinlichen Straßen und sah vieles, was sie lange nicht gesehen hatte, wie beispielsweise die Fiaker und die Portechaises (Sänften). Mehrmals verglich sie Wien mit der französischen Hauptstadt, die ihr als höchster Maßstab galt. Das Postwesen empfand sie beispielsweise als eine gelungene Kopie des Pariser Pendants. Die Postpferde erschienen ihr sogar besser als diejenigen an der Seine. Der Gesandte Russlands bei Hofe, Fürst Dmitrij M. Golicyn, führte die mit ihm verwandte Fürstin in die Wiener Gesellschaft ein. Mit den Gräfinnen Burghausen, Thurn und Waldstein entwickelte sich rasch ein freundschaftliches Verhältnis. Sie luden die Fürstin zu sich ein und stellten sie weiteren Adligen vor. Die von ihr als außerordentlich empfundene Aufmerksamkeit, die ihr und ihrer Familie in Wien von
phonie en Russie (XVIIIe – XIXe siècles). Bruxelles 2012, S. 108–109; Elena P. Grečanaja: Kogda Rossija govorila po-francuzski. Moskau 2010, S. 158–159. 72 Peters (Hrsg.), Golicyna (wie Anm. 6), S. 247. 73 Ebd., S. 141, 308, 349. 74 Ebd., S. 152f, S. 244–247, S. 242f, S. 287–291, S. 342.
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Kaiser Joseph II. und Kanzler Kaunitz zuteilwurde, hob die Autorin ausdrücklich hervor.75 Nachdem die Golicyns mehrere Monate in Straßburg gelebt hatten, verspürte die Fürstin den Wunsch, die nahegelegene Schweiz kennenzulernen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann fuhr sie im Juli 1784 für vier Wochen dorthin. Die Kinder blieben währenddessen unter der Aufsicht des Erzieherehepaars in Straßburg zurück. Auf ihrer Rundfahrt mit zwei Kutschen besuchte das Ehepaar zunächst Basel, anschließend umfuhr es den Bieler See und reiste weiter über Thun und den Thuner See, den es mit dem Schiff überquerte, in die Alpen nach Grindelwald. Von dort ging die Fahrt nach Bern, Luzern und Zürich sowie über Basel wieder zurück nach Straßburg. Die Schweiz hinterließ bei der Fürstin einen sehr guten Eindruck. Bereits unmittelbar nach dem Grenzübertritt stellte sie einen erfreulichen Unterschied zu Frankreich fest: Land und Menschen erschienen ihr wohlhabender. Es herrsche große Reinlichkeit und Bettler gebe es gar nicht. Auf Einladung eines Magistratsmitglieds wohnten die Golicyns einer feierlichen Versammlung des Basler Stadtrats bei. Der Fürstin zufolge waren sie die ersten Ausländer, denen diese Ehre zuteilwurde. Auf der Fahrt nach Biel entlang des Flusses Birs beeindruckte die Fürstin die Natur, die malerische Aussichten mit schönen Weiden, Felsen und Wasserfällen bot. Auch von Bern war die Fürstin fasziniert. Insbesondere das dortige Krankenhaus gefiel ihr wegen dessen Sauberkeit. In Luzern führte der Patrizier und Topograph Franz Ludwig Pfyffer (1716–1802) der Fürstin sein Relief der Urschweiz vor. Pfyffers Frau, die Golicyna besuchte, war eine ältere, liebenswerte Dame, mit der sie ein unterhaltsames Gespräch führte. In Zürich suchte Golicyna den renommierten Dichter, Maler und Graphiker Salomon Gessner (1730–1788) und den Pädagogen Leonhard Usteri (1741–1789) auf. In einer Gaststätte begegnete sie dem russischen Grafen Artemij Voroncov (1748–1813), der ebenfalls durch die Schweiz reiste und mit dem sie auch in den folgenden sechs Tagen gemeinsam speiste. Sie besichtigte in Zürich die Naturaliensammlung des Chorherrn Johannes Gessner (1709–1770), eine Seidenfabrik, die Bibliothek sowie ein Waisenhaus.76 Ähnliche Programme absolvierte sie auch in den anderen Städten, die sie besuchte. Kurze Zeit nach der Rückkehr aus der Schweiz übersiedelte die Fürstin mit ihrem Ehemann und den beiden Töchtern nach Paris, wohin die beiden Söhne
75 Belegstellen für diesen sowie die vorangehenden Sätze zum Wiener Aufenthalt: Peters (Hrsg.), Golicyna (wie Anm. 6), S. 119–123. 76 Belegstellen für diesen sowie die vorangehenden Sätze zur Schweizreise: dies.: Golicyna (wie Anm. 6), S. 157, S. 159 f., S. 176, S. 190 und S. 197.
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ein Jahr später nachfolgten. Golicyna mietete dort ein Haus und blieb bis 1789. In den Jahren 1785 und 1786 reisten die Golicyns nach Fontainebleau, während sich die Königsfamilie dort aufhielt. Auf Einladung der Königin beobachtete die Fürstin hier aus einem Wagen eine Wildschweinjagd. Sie betonte die ihr von Marie Antoinette erwiesene Liebenswürdigkeit.77 Im Sommer 1788 fuhr sie mit ihrem Mann und der älteren Tochter Ekaterina für sechs Wochen in den Kurort Spa, wobei die Reise selbst sowie der Besuch mehrerer Städte (wie Brüssel und Aachen) die Hälfte der Zeit beanspruchte. Die revolutionären Unruhen in Frankreich erfüllten die Fürstin mit Sorge. Daher brach sie mit ihrem Mann und den beiden Töchtern Ende Mai 1789 nach England auf und hielt sich dort zumeist in London auf, wo die beiden Söhne sie in der zweiten Jahreshälfte besuchten. Zusammen unternahm die Familie eine Rundfahrt an die Süd- und Westküste Englands, ähnlich wie die Fürstin Daškova 1770. Dabei besuchten sie mehrere Bäder- und Küstenorte,78 die Isle of Wight sowie die Universitätsstadt Oxford. Auch mehrere Landsitze und Residenzen der englischen Aristokratie lernten sie kennen.79 England war für die Fürstin Golicyna kein Neuland, hatte sie in London doch einen Teil ihrer Kindheit (von 1746 bis 1755) verbracht. Diesen frühen Aufenthalt bewahrte sie in sehr guter Erinnerung. Sie schwärmte vom Land der Götter,80 wo es von allem genug gebe. Man sehe keine Bettler; Männer und Frauen seien reinlich gekleidet, was von Wohlstand zeuge und angenehm anzusehen sei. Die Sauberkeit der Städte und Gasthöfe sowie die guten Wege und Straßen waren maßgebliche Gründe für ihre wohlwollende Wahrnehmung Englands. In London erwies der Prince of Wales und spätere König Georg IV. (1762–1830) der Fürstin Golicyna eine besondere Aufmerksamkeit, indem er mehrere Bälle für sie und ihre beiden Töchter gab. Über ihre Aktivitäten in London schrieb sie: An normalen Tagen ging ich nicht vor drei Uhr morgens schlafen. Da in der letzten Woche drei Bälle waren, kam ich nicht vor sieben Uhr morgens nach Hause.81 Keinem anderen sei in London ein solcher Empfang zuteilgeworden. Anfang März 1790 kehrte die Fürstin mit ihrem Mann und den beiden Töchtern für kurze Zeit nach Paris zurück, um ihren Haushalt aufzulösen. Dann verließen sie die Stadt an der Seine und reisten über Frankfurt am Main, Berlin, Königs-
77 Peters (Hrsg.), Golicyna (wie Anm. 6), S. 220–226. Natal’ja Golicyna an Dar’ja Saltykova, 5./16. 11. 1786. RGADA, f. 1386 (Saltykovy), o. 2, d. 44, Bl. 5 f. 78 Tunbridge Wells, Brighton, Portsmouth, Southampton, Bath, Bristol. 79 Beispielsweise Blenheim Palace des Duke of Marlborough in Woodstock. 80 Peters (Hrsg.), Golicyna (wie Anm. 6), S. 300. 81 Ebd., S. 346.
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berg und Riga nach Sankt Petersburg, das sie am 14. Oktober 1790 erreichten. Zuvor schon hatte Katharina die Große ihre Landsleute aufgefordert, Frankreich aufgrund der Revolutionsereignisse zu verlassen.82
5 Fazit Die hier untersuchten Reisen russischer hochadliger Frauen zeigen, dass dieser Personenkreis von der Möglichkeit, unterwegs zu sein, regen Gebrauch machte. Somit trifft die anfänglich zitierte Aussage zur Ortsgebundenheit von Frauen für hochadlige Russinnen für die Zeit seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht zu. Die Lebensweise der russischen Aristokratie war von einem kontinuierlichen Wechsel zwischen Stadtresidenz und Landsitz geprägt. Die Weite des Russländischen Reiches machte lange Fahrten zu Landgütern und Verwandten daher unverzichtbar. Auch für Frauen waren dabei Übernachtungen in der Kutsche und tagelange Fahrten ohne Aufenthalt (insbesondere auf der Strecke St. Petersburg – Moskau) die Regel. Aber auch Reisen ins westliche Ausland erfreuten sich bei den Aristokratinnen einer wachsenden Beliebtheit. Allerdings unternahmen sie solche Fahrten in der Regel nicht alleine, sondern in männlicher Begleitung. Zumeist hatten sie, abgesehen von leibeigenen Dienern, ihre Ehemänner sowie weitere Familienmitglieder an ihrer Seite. Unter den angeführten Gründen für die Fahrten ins Ausland dominierten die Förderung der Gesundheit sowie die Bildung der Söhne, die man zur Beaufsichtigung begleitete oder besuchte. Beide Reiseanlässe waren in jener Zeit somit für Frauen gesellschaftlich akzeptiert. Bereits von Katharina der Großen sind jedoch kritische Äußerungen über die Bevorzugung ausländischer gegenüber den von ihr geförderten heimischen Bildungsstätten belegt. Mit der Französischen Revolution und den darauffolgenden Koalitionskriegen schied Frankreich dann bis zum Sturz Napoleons als Reiseziel für russische Frauen aus. Andere Motive wie etwa Reiselust nannten die drei Autorinnen in ihren eigenen Texten nicht explizit, allerdings machten sie in ihren Beschreibungen deutlich, dass ihnen das Reisen Freude bereitete. Zu jener Zeit waren hochadlige russische Damen bereits Teil einer gesamteuropäischen Adelskultur und fühlten sich im exklusiven aristokratischen Milieu auch in der Fremde heimisch. Die Betonung der ihnen zuteilgewordenen Empfänge und Vorstellungen an europäischen Höfen diente aber sicherlich auch der
82 Nikolaj Barsukov (Hrsg.), Dnevnik A. V. Chrapovickogo 1782–1793. St. Petersburg 1874, S. 345.
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Hervorhebung der eigenen Person und Familie und wurde als soziales und symbolisches Kapital eingesetzt. Die Reisepraxis bei Auslandsreisen differierte zwischen Männern und Frauen innerhalb der Aristokratie nicht grundlegend. Aus Gründen der Bequemlichkeit und Sicherheit reiste man nie alleine, sondern immer in Begleitung von Dienern. Gravierend waren hingegen die Unterschiede zu Angehörigen anderer sozialer Schichten, auch denen des ärmeren Adels. Reisen ins westliche Ausland konnten sich neben reichen Kaufleuten und einigen wenigen, mit Stipendien geförderten Studenten aufgrund der hohen Kosten in der Regel nur wohlhabende Adlige leisten. Dies kam auch darin zum Ausdruck, dass die russischen adligen Damen bei ihren Touren im Westen in jener Zeit nur auf Landsleute ihres eigenen Standes trafen. Im Vergleich mit den alljährlichen, routinemäßigen Fahrten zu den Gutssitzen in Russland waren die Fahrten nach Westeuropa für den Hochadel im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts auch weiterhin nicht alltäglich. Gleichwohl kann man bei den Golicyns und anderen russischen aristokratischen Geschlechtern von einer sich herausbildenden Tradition des Reisens nach Westen sprechen. Natal’ja Golicyna etwa unternahm zweimal in ihrem Leben eine solche Fahrt: in ihrer Kindheit mit den Eltern und später mit dem Ehemann sowie den eigenen Kindern. Auch die Angehörigen der nächsten beiden Generationen der Golicyns fuhren wiederholt nach Mittel- (Deutschland, Österreich, Schweiz), West- (Frankreich und England) und Südeuropa (Italien). Über die Reisen wurde in den Familien viel gesprochen und sie blieben auch über Generationen hinweg im Gedächtnis präsent. So berichteten die Enkelinnen Natal’ja Golicynas ihrer Mutter in den 1830er Jahren während eines Besuchs in London von ihren Erinnerungen an den Aufenthalt ihrer Großmutter und Mutter in der Stadt im Jahre 1790. Nicht nur die Routen und Modalitäten der Reisen der drei hier betrachteten Aristokratinnen ähnelten sich, sondern auch ihr Verhalten während der Fahrten. Sie kritisierten beispielsweise – ebenso wie viele andere russische Reisende – übereinstimmend die Trägheit und Langsamkeit der preußischen Kutscher. Kunst und Kultur gegenüber waren alle aufgeschlossen. Die sozialen Kontakte und die Besichtigungsprogramme gestalteten sich ebenfalls analog. Dieses Verhaltensmuster entsprach in hohem Maße dem männlicher russischer Voyageure – mit dem bezeichnenden Unterschied, dass Frauen vorab keine den Männern äquivalente Bildung genießen durften. Auch während des Aufenthaltes in Frankreich stand die Ausbildung der beiden Söhne der Golicyna vor derjenigen der Töchter. Zwar erhielten auch die Mädchen Privatunterricht, jedoch bei Weitem nicht in der gleichen Intensität wie ihre Brüder. Und nur die Jungen unternahmen zum Abschluss mit ihrem Erzieher eine Kavalierstour nach Italien.
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Andererseits unterschieden sich die Beschreibungen und Wahrnehmungen der drei Autorinnen von ihren Reisen hinsichtlich der Persönlichkeitsprofile. Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Interessen wird man Fürstin Daškova als eine außergewöhnliche Frau bezeichnen dürfen. Für Natal’ja Golicyna war charakteristisch, dass sie – anders als die Baronin Stroganova – auch der einfachen Bevölkerung auf dem Lande gegenüber aufgeschlossen war und aus dem, was sie sah und erlebte, Schlüsse über allgemeine gesellschaftliche Zustände zog.
Katrin Gäde
Zwischen Eigensinn und Wahnsinn Die Reisen der Herzogin Marie Friederike von Anhalt-Bernburg, geb. Landgräfin von Hessen-Kassel (1768–1839) – ein Quellenbericht
Abb. 1: Marie Friederike Herzogin zu Anhalt, Prinzessin von Hessen-Kassel (1768–1839). https://doi.org/10.1515/9783110532937-012
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Abb. 2: Einzelne Aufenthaltsnachweise und Reisen der Herzogin Marie Friederike: Kassel (Jugend), Ballenstedt (als Gemahlin), Hanau (letzter bekannter Wohnort), Alexisbad (Harz), Karlsbad, Charmonix (1810, missglückte Besteigung des Bosson-Gletschers) sowie die Italienreise 1816/17 von Ballenstedt über Leipzig, Regensburg, Verona (2.9.–26. 9. 1816), Padua, Verona, Rom, Pisa, Venedig, zurück im Frühling 1817 nach Hanau und Kassel.
Frey bin ich geboren, frey will ich leben, und frey will ich sterben.1 So wurde Marie Friederike von Hessen-Kassel (14. September 1768 – 17. April 1839), Tochter des Landgrafen Wilhelm IX. (des späteren Kurfürsten Wilhelm I.) von Hessen-Kassel und spätere Herzogin Marie Friederike von Anhalt-Bernburg 1817 vor dem Hintergrund der Ehescheidungsverhandlungen des herzoglichen Paares zitiert. Diese aus heutiger Sicht modern scheinenden Ansprüche der Herzogin an ihr Leben wurden von ihrer Umgebung genutzt, um ihr als andersartig und von der Norm abweichend empfundenes Verhalten zu beschreiben. Als Ursache ihrer scheinbar widersinnigen Handlungen wurde eine Geisteskrankheit der Herzogin vermutet. Während der Ehe mit Alexius Friedrich Christian, Fürst von Anhalt-Bernburg (ab
1 Landesarchiv Sachsen-Anhalt (künftig: LASA), Z 18, A 4 Nr. 86: Der krankhafte Gemütszustand der Herzogin Marie Friederike, die vom Herzog Alexius beschlossene Trennung der herzoglichen Ehe und die nach der Scheidung stattgehabten Unterhandlungen, 1817, fol. 3v.
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1807 Herzog, 12. Juni 1767 – 24. März 1834) und den späteren Scheidungsverhandlungen kamen den Reisen der Herzogin eine zentrale Rolle zu: sowohl für den Herzog, der sich von den Reisen die körperliche und seelische Genesung seiner Gemahlin erhoffte, als auch für die Herzogin, die versuchte, sich der drückenden Enge des heimischen Hofes und der Ehe zu entziehen. Als Fürstin unternahm Marie Friederike allein wie zusammen mit ihrem Gemahl zahlreiche Reisen und Verwandtenbesuche, Bäderreisen oder auch Fahrten zwischen den verschiedenen Residenzen, die sich insgesamt aber vor allem im konventionellen Bewegungsrahmen einer Fürstin verorten lassen. In diese Zeit fallen ebenso längere Reisen der Herzogin in die Schweiz und nach Italien, die sie allein bzw. in Begleitung einer Entourage durchführte. Zu diesen Reisen ist im Landesarchiv Sachsen-Anhalt ein Quellenkorpus, bestehend aus Korrespondenzen, Reiseinstruktionen und -berichten sowie medizinischen Gutachten zum Gesundheitszustand der Herzogin, überliefert. Diese Quellen geben umfangreiche Informationen zu Anlässen, Zielen und zum Verlauf der Reisen. Mit Ausnahme der Brautfahrt und politisch-dynastisch motivierten Reisen lässt sich für nahezu alle Reisen nachweisen, dass vor allem die Sorge um die Gesundheit der Herzogin ein handlungsleitendes Motiv darstellte. Immer wurde die Wiederherstellung des labilen Gesundheitszustandes der Reisenden als Ziel formuliert. Die Untersuchung der Quellen zeigt aber auch, dass Marie Friederike von Anhalt-Bernburg trotz umfangreicher Instruktionen und Vorschriften versuchte, den ihr gesteckten Handlungsrahmen zu nutzen. Daran werden letztendlich auch die Konflikte sichtbar, die sich für die Reisenden aus jener Selbst- und Fremdbestimmung ergaben – Reisen zwischen Reiselust und Reisefrust. Die hoffnungsvolle Ehe des Erbprinzen Alexius Friedrich Christian von Anhalt-Bernburg mit Marie Friederike von Hessen-Kassel begann am 29. November des Jahres 1794. Sie endete nach mehr als zwanzig gemeinsamen Jahren auf Wunsch des Herzogs, der aufgrund der mutmaßlichen Geisteskrankheit die förmliche Ehescheidung von seiner Gattin bewirkte.2 Denn die herzogliche Ehe habe sich wegen der gegenseitigen Abneigung der Gemüther schon seit mehreren Jahren [in] unglücklichen Verhältnissen befunden, wie es in den Scheidungsakten heißt.3 Am 6. August 1817 erfolgte schließlich die förmliche Ehescheidung.
2 Katrin Iffert: Gescheiterte Ehen im Adel Trennung und Scheidung des Herzogs Alexius Friedrich Christian und der Herzogin Marie Friederike zu Anhalt-Bernburg (1794–1817), in: Eva Labouvie (Hrsg.), Adel in Sachsen-Anhalt. Höfisches Leben zwischen Repräsentation, Unternehmertum und Familie. Köln/Weimar/Wien 2007, S. 95–120. 3 LASA, Z 18, A 4 Nr. 88: Die Trennung der Ehe des Herzogs Alexius und der Herzogin Marie Friederike von Bernburg, fol. 15r–16v.
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Die ersten Wochen nach ihrer Eheschließung verbrachte das frisch vermählte Paar bei Marie Friederikes Eltern in Kassel, weil es der jungen Braut schwerfiel, sich von ihrem Heimatterritorium und ihrer Familie endgültig zu trennen. Zu Beginn ihrer Ehe scheinen sowohl Alexius als auch Marie Friederike glücklich gewesen zu sein, wie es Äußerungen seiner Schwester Pauline von Anhalt-Bernburg (1769–1820), seit 1796 Fürstin zur Lippe, nahelegen. Sie berichtete einem Verwandten: Bisher scheint meines Bruders Verbindung die glücklichste von der Welt,4 Alexius schein[e] entzückt und äußerst froh über seine Frau.5 Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor: Alexander Carl (1805–1863) und Wilhelmine Luise (1799–1882), zwei weitere Kinder starben als Säuglinge. Doch trotz dieser anfangs offenbar harmonischen Zeiten zeigten sich in der jungen Ehe schon bald erste Konflikte. Während der Herzog von Anhalt-Bernburg seiner Frau vorwarf, sich nicht ihres Standes und ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter angemessen zu verhalten, beschwerte sich Marie Friederike, dass er ihre persönlichen Freiheiten und Rechte als deutsche Fürstin beschränke und sie zudem ihrer heiligen Mutterrechte beraube.6 Während sie forderte, auch auf Reisen ihrem Stand angemessen ausgestattet zu werden,7 beschwerte er sich über ihre Kauf- und Verschwendungssucht.8 Die Liste der gegenseitigen Vorwürfe und Beschuldigungen ließe sich nahezu endlos fortsetzen. Immer häufiger beschrieb sich Marie Friederike in ihren Briefen als elendige und unglückliche Mutter und stets gehorsame Gattin.9 Schon von Beginn an wurde Marie Friederike ein Widerwillen gegen den im Vergleich zum landgräflichen Hof in Hessen-Kassel eher provinziellen, nicht allzu repräsentativen Hof in Ballenstedt unterstellt. Als Prinzessin von Hessen-Kassel war sie das Leben in einer größeren Stadt und das kulturelle und soziale Angebot eines größeren Hofes gewöhnt. Zunehmend stellte sich auch die gesundheitliche Konstitution der Fürstin als eher labil heraus, was in der Folge zu einem wesentlichen Konfliktfaktor zwischen dem Ehepaar entwickelte. Marie Friederike widersetzte sich immer wieder den ärztlichen Ratschlägen und versuchte, sich den ihr verordneten Behandlungen zu entziehen. Ihr Verhalten stieß in ihrer Umgebung immer mehr auf Ablehnung und Unverständnis. Weil man es sich nicht erklären konnte, wurden die Handlungen der Herzogin mit dem Erscheinungsbild
4 Paul Rachel: Fürstin Pauline zur Lippe und Herzog Friedrich Christian von Augustenburg. Briefe aus den Jahren 1790–1812. Leipzig 1903, S. 211–214. 5 Ebd., S. 207–209. 6 LASA, Z 18, A 4 Nr. 80: Schreiben der Herzogin Marie Friederike von Bernburg aus den Jahren 1815–1817 und darauf erteilte Antworten, fol. 35v. 7 Ebd., fol. 36r–38v. 8 Ebd., fol. 3v. 9 Ebd.
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einer Gemütskrankheit identifiziert.10 Schließlich und nachdem verschiedene Möglichkeiten, die ständigen Konflikte der Ehe zu regeln, gescheitert waren, entschied sich Alexius für die endgültige Trennung von seiner Gemahlin, weil ein gemeinsames Leben am Hof nicht mehr möglich sei und sie eine Gefahr für die Gesundheit seiner Kinder darstelle.11 Das ungewöhnliche Verhalten der Herzogin wurde von ihrer Umgebung zunehmend durch ihre Krankheit erklärt und umgekehrt die Krankheit als Ursache und Ursprung ihrer Nonkonformität angenommen. Übereinstimmend kamen alle Untersuchungen und Gutachten zu dem Schluss, dass Marie Friederike an einer Erkrankung des Gemüts leide. Die Diagnose reichte dabei von schwerer Gemütskrankheit, melancholischem Gemüt und Manie bis zu Raserei. Zur Behandlung und Wiederherstellung ihrer Gesundheit wurden unter anderem kleinere Reisen und Kuraufenthalte empfohlen, die die Gesundheit der Herzogin durch Abwechslung, gutes Essen und ein günstiges Klima positiv beeinflussen sollten. Doch nicht nur im Gemüt der Herzogin wurde nach Erklärungen für ihr Verhalten gesucht, sondern auch in ihrem physischen Zustand. So sah man den Grund der Krankheit auch in der physischen Umbildung der periodischen Verhältnisse12 und einem unrichtigen Kreislauf des Blutes in den Eingeweiden des Unterleibes durch das Aufhören der periodischen Ausleerung,13 also in den Wechseljahren der mittlerweile 47-jährigen Herzogin.14 Um Marie Friederike zu heilen, verordneten die behandelnden Ärzte immer wieder Kuren und Reisen. Gegen Schmerzen, Unpässlichkeiten und den kranken Zustand[…] des Gehirns behandelte man Marie Friederike mit den verschiedensten Arzneien, Schwefelbädern, Aderlässen, eiskalten Kopfumschlägen und Kurreisen, die unter anderem das Trinken von Mineralwasser als Behandlungsmethode vorsahen.15 Im Jahr 1816 empfahlen die Ärzte eine Traubenkur, die mit dem täglichen Verzehr von drei Pfund Weintrauben verbunden war,16 und einen Winterauf-
10 LASA, Z 18, A 4 Nr. 86, fol. 1r. 11 Ebd. 12 Ebd., fol. 9r–v. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 LASA, Z 18, A 4 Nr. 78: Korrespondenz mit dem Kurfürsten von Hessen im Jahre 1815 über die Krankheit der Herzogin, unfol. 16 Wilfried Heinicke: Die Leiden der Fürstin Louise von Anhalt-Dessau (1750–1811). Einer medizinhistorisch-biographischen Betrachtung vierter und letzter Teil, in: Dessauer Kalender. Heimatliches Jahrbuch für Dessau und Umgebung, Jg. 41 (1997), S. 43.
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enthalt in Italien.17 Vom günstigen Klima Italiens und der schönen Landschaft versprach man sich eine deutliche Verbesserung des allgemeinen Gesundheitszustandes der Herzogin. Zusätzlich zu der erhofften Heilung seiner Gemahlin scheinen für Herzog Alexius mit der Italienreise noch andere Erwartungen verbunden gewesen zu sein. In den Instruktionen für die mitreisenden Ärzte und Hauptmann Klätte, der die Reise als Kavalier begleiten sollte, wurde eindeutig formuliert, dass er eine Rückkehr der Herzogin nach Anhalt nur dann gestatte, wenn sich sowohl ihr Verhalten, ihre Gesundheit als auch ihre feindliche und gehässige Gesinnung gegen ihn und andere Personen am Hof gebessert hätten. Die Bedingungen, die der Herzogin damit für eine Rückkehr vorgegeben waren, mussten auf sie als Drohung wirken, denn mit einem Verbot der Heimkehr an den anhaltischen Hof wäre für sie nicht nur eine dauerhafte Entfernung vom herzoglichen Hof, sondern auch eine Trennung von ihren Kindern, insbesondere vom geliebten Sohn, verbunden gewesen.18 Damit waren schon in den Ausgangsbedingungen und Ergebnisforderungen der Italienreise die Grundlagen für ihren konfliktreichen Verlauf gelegt.
1 Die Italienreise zwischen Zwang und Freiheit Informationen über die Italienreise sind zum einen in den Reiseberichten und den Korrespondenzen der Reisegesellschaft und zum anderen in der Korrespondenz der Herzogin überliefert. Besonders aufschlussreich sind die Ausführungen des Hauptmanns Klätte. Er sollte während der gesamten Fahrt für die Sicherheit und Bequemlichkeit der Gesellschaft sorgen und war zusätzlich für die Führung der Kasse und die Aufsicht über das männliche Dienstpersonal verantwortlich.19 Nach einer Auseinandersetzung mit der Herzogin verließ er ohne Erlaubnis des Herzogs die Reisegruppe und kehrte im Januar 1817 allein nach Anhalt-Bernburg zurück.
17 LASA, Z 18, A 4 Nr. 83: Die Berichte des Hauptmanns von Klätte als Reisekavalier der Herzogin Marie Friederike von Bernburg auf der Reise nach Italien 1816 und die im Jahre 1817 gegen ihn angestellte Untersuchung, 1816–1817, fol. 2r–v. 18 Alexander Carl von Anhalt-Bernburg, seit 1834 Herzog (2. März 1805 – 19. August 1863). Für seinen ‚geistesschwachen‘ und nicht regierungsfähigen Sohn schuf Herzog Alexius von AnhaltBernburg kurz vor seinem Tod 1834 einen Geheimen Konferenzrat, vgl. Reinhold Specht: Alexius, in: NDB 1 (1953), S. 198, Onlinefassung: https://www.deutsche-biographie.de/sfz652. html#ndbcontent (abgerufen am 17. Juli 2016). 19 LASA, Z 18, A 4 Nr. 83, fol. 31r–36r.
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Wegen dieser unerlaubten Entfernung vom Dienst wurde er ausführlich zu allen Geschehnissen und Stationen der Reise befragt.20 Neben den Instruktionen und den Korrespondenzen erlauben vor allem diese Aussagen einen Blick auf die Planung, Durchführung und den Ablauf der Reise, vor allem aber geben sie einen Einblick in die Reisepraxis des weiblichen Hochadels. Am 2. September brach die Reisegruppe von Ballenstedt aus in Richtung Italien auf. Man fuhr nur in zwei Wagen, wobei der Wagen der Herzogin lediglich mit ihr selbst und einer Begleitdame besetzt war.21 Die Postpferde wurden regelmäßig gewechselt. Obwohl nicht alle Reiseteilnehmer namentlich bekannt sind, lässt sich die Zusammensetzung der Gruppe doch rekonstruieren. Dazu gehörten neben der Herzogin selbst Hauptmann Klätte, die Ärzte Dr. Curtze und Dr. Harnier, ein Fräulein Seelhorst als Begleitdame, ein Koch, ein Kutscher, mindestens zwei Dienstmädchen sowie eine unbekannte Anzahl weiterer männlicher Dienstboten. Nach kurzen Aufenthalten in Leipzig und Regensburg erreichte die Gruppe am 26. September 1816 Verona. Um möglichst unbehelligt zu sein, nutzte Marie Friederike von Anhalt-Bernburg wie schon früher das Pseudonym der Baroness oder Gräfin von Roschwitz.22 Schon für das Jahr 1810 lässt sich die Verwendung dieses Namens für eine Reise der Herzogin in die Schweiz nachweisen. Jedoch gestaltete sich auch dies nicht immer störungsfrei. Während des Aufenthaltes in der Schweiz deckte ein Mitglied der Gruppe versehentlich auf, dass die Herzogin unter falschem Namen reiste, was öffentliche Spekulationen über die wahre Identität der Gräfin von Roschwitz nach sich zog. Ein Begleiter berichtete entrüstet nach Bernburg, dass die schlecht informierte Lausanner Zeitung hinter der angeblichen Gräfin von Roschwitz die Herzogin von Meiningen vermute, obwohl dieses Geschlecht doch schon längst nicht mehr existierte.23
20 Nach ausführlicher Untersuchung des Vorfalls durch eine vom Herzog berufene Untersuchungskommission wurden die Anschuldigungen gegen Klätte wegen unerlaubten Entfernens aus dem Dienst fallen gelassen, weil zum einen seine Entlassung der unbedingte Wille der Herzogin gewesen sei und zum anderen seine Beweggründe wegen ihres exaltierten Verhaltens als ausreichend entschuldbar erschienen, vgl. LASA, Z 18, A 4 Nr. 83, fol. 58r–59r. 21 Ebd., fol. 2r–v. 22 Ebd., fol. 39v. In den Reisebeschreibungen finden sich unterschiedliche Bezeichnungen. Wahrscheinlich bezieht sich der Name auf das Dorf Roschwitz, das seit 1352 zum Kloster Nienburg gelangte. Nach der Auflösung des Klosters und einer wechselvollen Geschichte ging es schließlich 1736 in den Besitz des Fürsten Viktor Friedrich von Anhalt-Bernburg (1700–1765) über. 23 LASA, Z 18, A 2 Nr. 35b: Die Reisen der Herzogin Marie von Bernburg, Gemahlin des Herzogs Alexius, nach Genf 1810, Kassel 1814 und nach Italien 1816 – 1817, fol. 9r–10v.
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In Klättes Berichten finden sich unzählige Klagen und Beschwerden über die Gewohnheiten der Herzogin während der Reise. Zum einem zeigen seine Berichte zwar, wie sehr Marie Friederike in ihrem Verhalten offenbar von den Vorschriften abwich, andererseits zeigen sie aber auch das Bild einer Frau, die versuchte, ihre Handlungsmöglichkeiten zu erweitern. Klätte beklagte, es habe sich bei der Herzogin ein hoher Grad von Lust [gezeigt,] alles zu sehen, nach allen Gegenden zu gehen und nichts unbereist zu lassen, wobei sie oft quer über die Felder ging und wenig auf schlechte [Wege] Rücksicht nahm.24 Immer wieder kritisierte Klätte auch die ständigen Verspätungen, weil sich die Herzogin an keinerlei Zeiten und Pläne halte, sich über alle Details der Reise beschwere, Geld verschwende oder ungeplante Stopps einlege, um ihre Staffelei zum Malen aufzustellen oder um die Grotte des Catul anzusehen und diese anschließend auch kaufen zu wollen. In ihren andauernden ungewöhnlichen Ideen sah Klätte vor allem eine außerordentliche Belastung für das mitreisende Personal und nicht zuletzt für sich selbst.25 Merkwürdig sei nur, so Klätte weiter, dass ihr all diese Strapazen nichts auszumachen schienen und sie nur wenig abgemattet sei.26 Ähnliches war auch schon während der Schweizreise der Herzogin im Jahr 1810 beklagt worden, weil sie sich wegen der ihr unterstellten Wanderlust bei der Besteigung des Bossonsgletschers bei Chamonix einen komplizierten Beinbruch zuzog. Die Wiederherstellung des schadhaften Fußes verlängerte die Reise um mehrere Wochen.27 Dass sich in der Herberge der Herzogin von Anhalt-Bernburg gleichzeitig auch Kaiserin Josephine,28 die in kleinen Exkursionen die ganze umliegende Gegend besuch[te], und die Königin von Holland29 aufhielten, zeugt von der großen Beliebtheit der Schweiz als Reiseziel unter weiblichen Adligen.30 Hauptmann Klätte formulierte in seinen Berichten deutlich, dass ihn das aus seiner Sicht unberechenbare Verhalten der Herzogin überforderte. Von Herzog Alexius erlassene Reisevorschriften und Verhaltensmaßregeln habe er gegen den starken Willen der Herzogin nicht durchsetzen können, weil sie gedroht habe, ihn zu entlassen. Die Ursache für den Verlauf der Reise sah er dennoch
24 LASA, Z 18, A 4 Nr. 83, fol. 56v. 25 LASA, Z 18, A 2 Nr. 35b, fol. 10r–11r. 26 LASA, Z 18, A 4 Nr. 83, fol. 56v. 27 LASA, Z 18, A 2 Nr. 35b, fol. 1r–8v. 28 Joséphine de Beauharnais (23. Juni 1763 – 29. Mai 1814), als Ehefrau Napoleons Kaiserin der Franzosen. 29 Hortense Eugénie Cécile de Beauharnais (10. April 1783 – 5. Oktober 1837). Königin von Holland bis 1810. Tochter von Joséphine de Beauharnais. 30 LASA, Z 18, A 2 Nr. 35b, fol. 9r–10v.
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in erster Linie in der Gemütskrankheit der Herzogin.31 Daneben findet sich auch die Beschuldigung, sie habe während der Italienreise fortdauernde Begierde alles zu kaufen, und zudem ihren Begleitern gesagt, auf ein paar mehr 1 000 rtl oder weniger komme es nicht an.32 Auch die Bemühungen ihrer Begleiter, sie von Orten abzuhalten, an denen etwas zu kaufen sei, hätten daran nichts ändern können, ebenso wie alle Versuche der Reisegesellschaft und der begleitenden Hofräte Dr. Curtze und Dr. Harnier, die Herzogin aufzuheitern, denn sie zeige trotz aller Sehenswürdigkeiten und Umgebungen nichts außer Langeweile und Gleichgültigkeit.33
2 Selbst- oder Fremdbestimmung? Konflikte und Spannungen traten während der Italienreise immer dann zutage, wenn die Wünsche und Vorstellungen der Herzogin in Widerspruch zu den Vorschriften des Herzogs bzw. Hauptmanns Klätte standen. Immer wieder erhoben die Ärzte und letztlich auch ihr Gemahl den Vorwurf, dass sie durch ihr Verhalten den Genesungsprozess be- oder sogar verhindere. Auch schon auf einer früheren Kurreise nach Karlsbad war Marie Friederike mit diesen Vorwürfen konfrontiert worden. Zum einen habe sie sich nicht die für eine Kur so nötige Ruhe gegönnt, sondern sich die Zeit durch Umhergehen und vorzüglich durch anhaltendes Lesen zum Theil sehr auf das Gefühl wirkender Romane vertrieben, wogegen wie gewöhnlich Vorstellungen und Vorschriften des Arztes nichts vermochten.34 Weil man davon ausging, dass das moralische und sittliche Verhalten für die Entstehung von Krankheiten verantwortlich sei, musste davon ausgegangen werden, dass auch künftig nicht mehr mit einer Heilung der Herzogin zu rechnen sein werde. Tatsächlich sah sich die Herzogin auch im Verlauf der Italienreise erneut diesem Vorwurf ausgesetzt. Gegen den Rat der Ärzte habe sie übermäßige Anstrengungen nicht vermieden, habe sich den Ausschweifungen des Schreibens und des Sprechens der italienischen Sprache, des Zeichnens und des Malens hingegeben. Diese Ausschweifungen hätten zu Krämpfen mit heftig abwechselndem Weinen und Lachen geführt. Durch ihre ungeregelte Lebensweise,35 so die Schlussfolgerung ihrer Ärzte, trage sie daran die alleinige Schuld.
31 LASA, Z 18, A 4 Nr. 83, fol. 12r–13v. 32 Ebd., fol. 6r–7r. 33 Ebd., fol. 47r–48v. 34 LASA, Z 18, A 4 Nr. 78, unfol. 35 LASA, Z 18, A 4 Nr. 86, fol. 2r–v.
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Im Vorfeld der Vorbereitungen der Italienreise versuchte man wegen der Vorkommnisse der vergangenen Reisen möglichst alles zu vermeiden, was der Heilung der Herzogin im Wege stehen könnte. Dazu gehörte nicht zuletzt auch die Begleitung und Überwachung der Herzogin durch das Personal des Herzogs. Marie Friederike selbst scheint dieser Umstand erst im Laufe der Reise bewusst geworden zu sein. Als sich die Reisegesellschaft im November 1816 in Padua aufhielt, kam es wegen der Reisewünsche der Herzogin, die Klätte nicht gestatten wollte, zu einer heftigen Auseinandersetzung. Nachdem Marie Friederike festgestellt hatte, dass Klätte nicht ihren, sondern vielmehr den Befehlen ihres Gemahls folgte, drohte sie, ihn umgehend zu entlassen und alleine weiterzureisen.36 Zunächst konnte der Konflikt beigelegt werden. Doch bereits im Dezember erfolgte nach weiteren Streitigkeiten und dem endgültigen Zerwürfnis schließlich seine Entlassung durch die Herzogin. Klättes Aufgaben als Reisekavalier übernahm für die weitere Reise nothgedrungen Dr. Curtze, der sich diesen Pflichten aber nicht gewachsen sah.37 Trotz aller Vorkehrungen, die im Vorfeld getroffen worden waren, ereigneten sich im Verlauf der Reise zahllose Zwischenfälle, die in Ballenstedt großes Missfallen erregten. Ein Vorfall führte zu besonders großen Verwicklungen der Reisegesellschaft in Italien. Auf der Reise hatte sich die Herzogin mit der jungen Italienerin Marianna Anelli angefreundet. Klätte unterstellte, die Herzogin verhalte sich gerade von der Art, als wenn […] sie in dieselbe verliebt wäre.38 Über die Umstände und den Anlass der Bekanntschaft ist nur wenig überliefert. Briefe der Herzogin weisen darauf hin, dass die Beziehung zu der jungen Italienerin so weit ging, dass sie plante, Marianna mit sich nach Ballenstedt zu nehmen und dort zu verheirateten. Sie sprach gar von Adoption, wofür sie sich selbst in Wien beim Kaiser stark machen wollte. Doch bereits nach kurzer Zeit beklagten sich die Eltern Mariannas, man habe ihnen ihre Tochter geraubt. Tatsächlich hatte die Herzogin geplant, Marianna und ihren Geliebten als neue Reisebegleitung mit sich zu nehmen und dafür Hauptmann Klätte zu entlassen. Der Geliebte Mariannas sollte nach den Plänen der Herzogin in Ballenstedt sogar zusammen mit dem Erbprinzen erzogen werden.39 Auf Anraten von Dr. Curtze schafften die Eltern ihre
36 LASA, Z 18, A 4 Nr. 83, fol. 45r–v. 37 LASA, Z 18, A 4 Nr. 85: Die Berichte des Rats Curtze über die Reise der Herzogin Marie Friederike von Bernburg nach Italien nebst einem ärztlichen Gutachten des Regierungsrats Voigtel in Magdeburg über den Gesundheitszustand der Herzogin, o. fol. (Schreiben vom 15. Dezember 1816). 38 LASA, Z 18, A 4 Nr. 83, fol. 37r–v. 39 LASA, Z 18, A 4 Nr. 86, fol. 3r–6v.
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Tochter aufs Land und entzogen sie so dem Einfluss der Herzogin.40 Erst nachdem sich ihr Plan zerschlagen hatte, das junge Mädchen als Reisebegleiterin mitzunehmen, war Marie Friederike bereit, die Reise in Richtung Verona fortzusetzen. Besonderes Missfallen erregte die Herzogin immer dann, wenn durch ihr Verhalten nicht nur die Reisegesellschaft selbst betroffen war, sondern das öffentliche Ansehen des Hauses gefährdet schien. In den Gesundheitsgutachten zu ihrem Geisteszustand konstatierte man, die Herzogin zeige die höchste Hartnäckigkeit, wenn sie im exaltierten Zustande alle Ihre Pläne, Vorsätze und Wünsche auch in den unbedeutendsten Kleinigkeiten durchzusetzen bemüht ist, selbst wenn deren Ausführung etwas relativ unmögliches enthalten sollte, wie beispielsweise ihr Vorhaben, sich Männerkleidung machen zu lassen und darin zu reiten.41 Ein derart eigensinniges Ansinnen musste aus der Sicht ihrer Begleiter ein völlig widersinniges und unsittliches Verhalten darstellen, obwohl reitende Damen in Hosen zu Beginn des 19. Jahrhunderts nichts gänzlich Unbekanntes waren. Im Zeichen zunehmender Beliebtheit des Reitens als exklusivem Zeitvertreib begann sich um 1800 erstmals auch eine spezielle weibliche Reitmode herauszubilden. Reitkostüme für Damen, vorgestellt als amazonische Tracht, wurden bevorzugtes Sujet der sich im ausgehenden 18. Jahrhundert etablierenden französischen, englischen und deutschen Modepublikationen.42 Diese neue Mode wurde am konservativen Ballenstedter Hof offensichtlich nicht akzeptiert. Denn es war durchaus bekannt, dass die symbolische Aneignung des männlichen Kleidungsstücks durch Frauen, die gegen männliche Vorherrschaft ankämpften oder häusliche Machtverhältnisse auf den Kopf stellten, in Europa seit dem späten Mittelalter bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert als beliebtes Motiv zur Visualisierung patriarchaler Machtstrukturen und ihrer Infragestellung diente.43 Wegen der langen Fertigungsdauer musste Marie Friederike schließlich darauf verzichten, für sich und ihre Begleitdame Männerkleidung anfertigen zu lassen. Nicht nur das ‚ungebührliche‘ Verhalten der Herzogin auf der Italienreise, sondern auch ihre eigenmächtigen Änderungen der Unternehmungen sorgten für ständige Konflikte. Schließlich sei zu Beginn der Reise nur von einer Traubenkur und einem Winteraufenthalt in Pisa die Rede gewesen, nicht jedoch von Ausflugsfahrten nach Rom und Venedig.44 Als Strafe untersagte Herzog Alexius seiner Frau die Rückkehr aus Italien nach Ballenstedt und vor allem das Wiedersehen
40 LASA, Z 18, A 4 Nr. 83, fol. 38r–v. 41 LASA, Z 18, A 4 Nr. 86, fol. 3v. 42 Gundula Wolter: Hosen, weiblich: Kulturgeschichte der Frauenhose. Marburg 1994, S. 111–112. 43 Ebd., S. 78. 44 LASA, Z 18, A 4 Nr. 85, unfol.
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mit ihrem Sohn, an dem sie sehr hing. Selbst als Marie Friederike im Frühling 1817 nach langem Ringen schlussendlich doch die Rückkehr nach Deutschland gestattet wurde, durfte sie nicht an den herzoglichen Hof zurückkehren, sondern lediglich nach Kassel an den Hof ihres Vaters, wo sie über die von ihrem Gatten beabsichtigte Ehescheidung informiert wurde. Schon bei früheren Gelegenheiten hatte Herzog Alexius seiner Gemahlin die Rückkehr nach Anhalt verboten, wenn sie sich nicht erwartungsgemäß verhalten hatte. Als im Jahr 1817 über ihre Rückkehr aus Italien verhandelt wurde, konnten folglich beide auf bekannte Argumentationsmuster zurückgreifen. Bereits 1815 schickte der Herzog seine Gattin zu ihrem Vater nach Kassel, wo sie sich besinnen und ihr Verhalten reflektieren sollte. Obwohl brieflicher Kontakt zwischen den Eheleuten bestand, erfolgten Verhandlungen, in denen es um die künftige Lebensgestaltung oder eine mögliche Versöhnung ging, vor allem zwischen Alexius und Kurfürst Wilhelm I. Den Anlass für die Verbannung an den Hof des Vaters hatte eine lautstarke Auseinandersetzung des Paares in der Öffentlichkeit gegeben, mit den Kindern als Zeugen. Alexius hatte Marie Friederike daraufhin kurzerhand zu ihrem Vater geschickt und ihr eine erneute Einreise nach Anhalt untersagt. Die räumliche Trennung erscheint hier als der Versuch des Ehemannes, die Situation zunächst zu entschärfen und seine Frau durch die Entfernung von ihren Kindern zu bestrafen. Auf die verzweifelten Briefe der Herzogin und der stets wiederholten Bitte, endlich wieder bei ihren Kindern sein zu dürfen, reagierte Alexius nur mit dem Verweis, dass es erst eine Wiedervereinigung mit den Kindern geben könne, wenn sie sich in einer anderen Stimmung befinde.45 Nur wenn die Herzogin während ihrer Abwesenheit den Beweis erbringe, dass sie ihre feindseligen und gehässigen Gesinnungen gegen den Herzog und die Dienerschaft abgelegt habe und zu einem freundlichen und ruhigen Gemütszustand zurückgekehrt sei, könne eine Rückkehr nach Ballenstedt möglich werden.46 Dem Druck des Ehemannes, ihr die Kinder aufgrund des anscheinend aus der Krankheit resultierenden unangemessenen Verhaltens zu entziehen, begegnete Marie Friederike, indem sie ihre Krankheit und ihre körperlichen Leiden als Mittel und Argumente des Gegendrucks einsetzte. Es findet sich in der von ihr überlieferten Korrespondenz kaum ein Brief, in dem sie nicht formulierte, dass es insbesondere die äußere Situation sei, die ihre Gesundheit so sehr belaste. Stets verband sie diesen Hinweis mit der Forderung, auf ihre Wünsche, insbesondere den Kontakt zu ihren eigenen Kindern Rücksicht zu nehmen, da sich ihr angegriffener Gesundheitszustand sonst nur noch mehr verschlimmern werde. Inwieweit
45 LASA, Z 18, A 4 Nr. 78, unfol. 46 Ebd.
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Marie Friederike ihre Krankheit bewusst als Druckmittel und Argument gegenüber ihrer Umgebung einsetzte, kann nicht mehr nachvollzogen werden, ebenso wie nicht mehr geklärt werden kann, ob Marie Friederike tatsächlich an einer Geisteskrankheit litt, oder die Zuschreibung, sie leide an einer Gemüthskrankheit, all ihre Nonkonformismen bündelte. Aus der Rückschau erscheint es jedoch fragwürdig, nur in der angegriffenen Gesundheit oder einer beginnenden ‚Geisteskrankheit‘ die Ursachen für das Verhalten der Herzogin zu sehen. Vielmehr lag wohl auch ein Grund für die Konflikte in der Abneigung Marie Friederikes gegenüber dem Leben in Ballenstedt, dem sie durch immer häufigere Reisen zu entfliehen versuchte. Die aus Ballenstedt stammende Malerin Wilhelmine Bardua betonte in ihren Jugenderinnerungen die Weltabgeschiedenheit der Stadt im 19. Jahrhundert, das Örtchen trage den Stempel stillster Einsamkeit.47 Doch auch nach einer Zeit der Eingewöhnung am Ballenstedter Hof sollte sich Marie Friederikes Situation nicht verbessern, ganz im Gegenteil wurde die Abscheu gegen das Leben und den Hof zunehmend deutlicher. Die Herzogin habe häufig geäußert, so Dr. Curtze, dass ihre Krankheit an Ballenstedt geknüpft sey, daß daselbst alles weit schlechter wäre als anderer Orten, und daß Reisen das hauptsächlichste Mittel wären, [das] Gemüth nach Wunsch zu erheitern.48 Aber auch in den verschiedenen Gutachten zur Gesundheit der Herzogin wurde in der Abneigung Marie Friederikes gegen das Leben am Ballenstedter Hof eine der Ursachen für die Krankheit der Herzogin gesehen. Man stellte fest, dass ihr exaltierter Zustand immer dann auftrete, wenn sie von einer Reise nach Ballenstedt zurückkehre. Ihr Verhalten äußere sich dann durch einen besonderen Widerwillen gegen diesen Ort, gegen die Verhältnisse, gegen die Einförmigkeit des Lebensganges und vorzüglich gegen die kleinen unvermeidlichen Beschränkungen und Verpflichtungen, welche das fürstliche, häusliche und gesellige Leben mit sich bringen. In diesem Zusammenhang wurde in den Charakterzügen Marie Friederikes eine Erklärung gesucht und gefunden. Der Herzogin wurden Beharrlichkeit, Festigkeit, ein melancholisches Temperament und eine angeblich von ihr selbst oft eingestandene Unfähigkeit, den geringsten Widerspruch zu ertragen, unterstellt.49 Nach der Scheidung im August 1817 stand Marie Friederike erneut unter der Vormundschaft ihres Vaters und später unter der ihres Bruders. Über ihre Lebensbedingungen und damit auch ihre Reisemöglichkeiten entschied nun nicht mehr der Ehemann, sondern Vater und Bruder. Mit der Scheidung wurden zugleich
47 Petra Dollinger: Frauen am Ballenstedter Hof: Beiträge zur Geschichte von Politik und Gesellschaft an einem Fürstenhof des 19. Jahrhunderts, 1. Halbbd. Leipzig 1999, S. 15. 48 Ebd., S. 15. 49 Dollinger: Frauen (wie Anm. 47), S. 15.
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auch ihre Handlungsmöglichkeiten immer weiter eingeschränkt. Mit Verweis auf ihren labilen geistigen und körperlichen Zustand wurde sie nach Hanau verbracht und dort unter Hausarrest gestellt. Waren zunächst noch mit Begleitung Spazierfahrten in der näheren Umgebung gestattet, wurden auch diese bald verboten und Marie Friederike war nun gänzlich an ihre Gemächer in Hanau gebunden und ihr damit jedes Recht auf Selbstbestimmung entzogen. Je stärker die Herzogin in ihrer Mobilität eingeschränkt wurde, desto ausdrücklicher formulierte sie in ihrer Korrespondenz und gegenüber ihrer Dienerschaft den dringenden Wunsch zu reisen.50 Eine Reise zu ihrer Schwester, der Herzogin von SachsenGotha-Altenburg,51 nach Erfurt im Oktober 1836 wollte Marie Friederike nutzen, um ihren Sohn Alexander Carl, den regierenden Herzog von Anhalt-Bernburg zu besuchen. Als ihr Vorhaben ruchbar wurde, unterbanden sowohl ihr Bruder als auch der Sohn ihre Reise und eine Rückkehr nach Ballenstedt.52 Ein eigenmächtiges Handeln war nun endgültig unmöglich geworden. Der Tod ihrer Mutter im Jahr 1820 warf die angeschlagene Fürstin völlig aus der Bahn, sie akzeptierte den Tod der Mutter nicht und soll behauptet haben, die Kurfürstin53 sei scheintot begraben worden. Ihr Vater, Kurfürst Wilhelm I., ließ sie auf Schloss Wabern bringen und dort durch Husaren bewachen. Nachdem mehrere Fluchtversuche der Herzogin gescheitert waren, wurde sie entmündigt und nach Hanau gebracht. Hier lebte sie später, vor allem nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 1821, nahezu als Gefangene.54 Ihre letzten Lebensjahre soll sie in völliger geistiger Umnachtung verbracht haben.
3 Schlussbemerkungen Die Reisen der Herzogin erscheinen in den Quellen in einem ambivalenten Licht. Zum einen zeigen sie eine scheinbar ruhelose Frau, die getrieben war von ihrer Lust zu reisen und zu entdecken und die vehement dafür eintrat, ihre eigenen
50 LASA, Z 19, S Nr. 9: Die Reise der Herzoginmutter (Marie Friederike) geborene Prinzessin von Hessen zu einem Besuch hierher nach Bernburg, 1836–1838, fol. 9r. 51 Karoline Amalie von Sachsen-Gotha-Altenburg, geb. von Hessen-Kassel (11. Juli 1771 – 22. Februar 1848). 52 LASA, Z 19, S Nr. 9, fol. 9r. 53 Wilhelmine Karoline von Dänemark (10. Juli 1747 – 14. Januar 1820), Prinzessin von Dänemark und durch Heirat Kurfürstin von Hessen. 54 Philipp Losch: Friederike von Anhalt-Bernburg. Aus dem Leben einer unglücklichen deutschen Fürstin, in: Thüringisch-sächsische Zeitschrift für Geschichte und Kunst, 18 (1929) H. 2, S. 193–215.
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Vorstellungen umzusetzen. Sie sah in den Reisen auch eine Möglichkeit, der höfischen Enge Anhalts und ihren äußerst angespannten ehelichen Verhältnissen zu entfliehen. Die Quellen verdeutlichen aber auch, welchen Zwängen und Einflüssen die Reisende unterworfen war und unter welchen Rahmenbedingungen sie überhaupt reisen konnte. Selbstbestimmtes Reisen war ihr, so wie auch anderen reisenden Fürstinnen ihrer Zeit, die für jegliche Reiseaktivität grundsätzlich die Zustimmung der jeweiligen Landesherren bedurften, niemals möglich: Während ihrer Ehe benötigte sie eine ausdrückliche Erlaubnis ihres Ehemannes und nach ihrer Scheidung die Genehmigung des Vaters und des Bruders.55 Insbesondere während des Ehescheidungsprozesses wurde Marie Friederike, nicht zuletzt auch in Hinsicht auf ihre Reiseaktivitäten, gänzlich zum Verhandlungsobjekt in den Kompetenz- und Machtstreitigkeiten ihres Ehemannes und ihres Vaters. Die Reiseberichte zeugen auch von einem Wandel der Wahrnehmung der Reisen bei der Herzogin selbst. Anscheinend sah sie diese, auch wenn sie unter dem Vorwand gesundheitlicher Gründe erfolgten, als willkommene Gelegenheit, der Enge ihrer Ehe und Anhalt-Bernburgs zu entfliehen und eigenen Interessen nachgehen zu können. Dennoch bleiben in den Quellen konkrete Reiseanlässe oder Kriterien für die Auswahl ihrer Reiseziele weitgehend im Dunkeln. Ob sie beispielsweise in der Schweiz eher Naturerlebnisse, Kunst oder sogar das Zusammenkommen mit dem europäischen Hochadel suchte, der das Land als Reiseziel für sich entdeckt hatte, muss der weiteren wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Reisen der Herzogin überlassen bleiben. Im Zuge der Scheidungsverhandlungen gerieten ihre Interessen an Kunst, Kultur und Naturerlebnissen dann allerdings in den Hintergrund und Verbote, Zwänge und Restriktionen traten zunehmend in den Vordergrund. Konflikte und Spannungen scheinen immer dann entstanden zu sein, wenn das Bedürfnis nach selbstbestimmtem Handeln der Herzogin und die Erwartungen ihres Umfelds an sie aufeinandertrafen. Dementsprechend war die Kommunikation des Herzogpaares geprägt von ständigen Ermahnungen sowie Verhaltens- und Reisevorschriften seitens des Herzogs und Bittgesuchen der Herzogin. Alexius Friedrich Christian von Anhalt-Bernburg versuchte das Verhalten und das Handeln seiner Frau in der Ferne durch den Entzug der finanziellen Mittel, Reiseverbote, Überwachung und durch die Androhung eines Kontaktverbotes zu ihren Kindern zu steuern. Inwieweit Marie Friederike nicht
55 Bärbel Raschke: Fürstinnenreisen im 18. Jahrhundert. Ein Problemaufriß am Beispiel der Rußlandreise Karolines von Hessen-Darmstadt 1773, in: Joachim Rees/Winfried Siebers/Hilmar Tilgner (Hrsg.), Europareisen politisch-sozialer Eliten im 18. Jahrhundert. Theoretische Neuorientierung, kommunikative Praxis, Kultur- und Wissenstransfer. Berlin 2002, S. 183–207, hier S. 190f.
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einem durch eine psychische Erkrankung verursachten Verhaltenszwang unterlag, sondern tatsächlich versuchte, den eigenen, durch ihre Geschlechtszugehörigkeit bestimmten Handlungsrahmen auszuweiten, lässt sich nicht mit Sicherheit entscheiden.
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Die reisende Fürstin im napoleonischen Staatskult Das Beispiel Katharina von Westphalen (1783–1835) Als Fürst(in) offiziell zu unterwegs zu sein, konnte im Zeitalter Napoleons ziemlich ermüden. Wie sehr das ebenso uninspiriert wie erstarrt wirkende Einzugszeremoniell der Napoleoniden die Nerven der Zeitgenossen strapazierte, zeigt eine Bemerkung des klugen Jean Paul: In nichts offenbaret sich die herzlose Maschinenhaftigkeit der Neuern [Zeit] mehr als in der Dürre ihrer Feste, schrieb dieser 1809 – auf dem Höhepunkt der Napoleonverherrlichung in Deutschland. Man nehme einer Stadt Stadtschlüssel und Ehrenbogen, den Freiball, Kanonendonner, die Öllampen und 24 weiße Mädchen mit Blumen weg: so hat man ihr alle Sprachorgane und feurigen Zungen entrissen, womit sie zu einem Helden sagen kann: ,ich staune an‘, und der Heros zieht kahl und leise ein und ab. Ich wünschte nie, Napoleon unterwegs zu sein, weil ich vor jedem frischen Kirchturm zusammenfahren müsste, da jeder mir sich als den Zeigefinger, Reisebarometer und Fernschreiber der verdammten Huldigungs-Langeweile vorstellte, womit man mir meine begangenen Heldentaten, statt sie zu belohnen, dermaßen verbitterte, daß es am Ende kein Wunder wäre, wenn ich keine Wunder mehr täte.1 Für Herrscher, Hof und Bürokratie stellte sich die Situation anders dar. Ihnen erschien das hohle Pathos mit seiner Wiederkehr des Immergleichen politisch unverzichtbar. Im Rahmen des Staatskultes verpflichtete der feierliche Adventus Militär und Beamtentum auf die Ziele der Dynastie. Zudem warb er um die Gunst der oft widerspenstigen Bevölkerung – ein Umstand, der für die ungefestigten, um Anerkennung ringenden napoleonischen Regime von existentieller Bedeutung war. Aber auch die Untertanen zogen Nutzen aus dem Einzugsritual. So bot es alten und neuen Eliten aus Kaufleuten, Zünften und Notabeln eine Plattform, ihre Interessen zu artikulieren und sich dem neuen Staatswesen anzudienen.
1 Jean Paul: „Vorschlag politischer Trauerfeste“, in: ders.: Dämmerungen für Deutschland. Tübingen 1809, S. 77–80 (hier S. 77). Zu Jean Pauls ambivalentem Napoleonbild Jörg Paulus: Jean Paul und die Napoleonische Ära, in: Bernhard Echte/Petra Kabus (Hrsg.), Das Wort und die Freiheit. Jean-Paul-Bildbiographie. Wädenswil 2013, S. 315–319; Gerhard Sauder: Jean Pauls Kriegsächtung und Friedenspredigt zu Beginn des 19. Jahrhunderts, in: Gerhard Schulz/Tim Mehigan (Hrsg.), Literatur und Geschichte. 1788–1988. Bern u. a. 1990, S. 41–65 (hier S. 53–57). https://doi.org/10.1515/9783110532937-013
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Christopher Buchholz und Volker Sellin zählen den Adventus zu den zentralen Elementen des französischen bzw. napoleonischen Staatskultes. Während Ersterer die deutschen Departements seit der Revolution untersucht, konzentriert sich Sellin auf das napoleonische Italien.2 Im Fokus der Staatskultkonzeption, die auf den antiken Republikanismus rekurriert, stehen die Feiern der Revolution, der Lebensalter und Tugenden sowie die Dekadi. Hinzu kommen die kollektiven Erinnerungsfeste, speziell der 14. Juli, der 10. August, der 21. Januar oder – nach dem Staatsstreich – der 18. Brumaire.3 Nach Bonapartes Metamorphose vom Revolutionsgeneral zum Konsul auf Lebenszeit und schließlich zum Kaiser wurde die republikanische Festpraxis in den imperialen Staatskult überführt. Grundlage dafür bildete die Wiederherstellung des Hofzeremoniells, gekoppelt mit der Einführung einer Beamtenetikette.4 Aufgeführt wurde der napoleonische Staatskult vor allem im Kontext zweier Kernrituale: dem zwischen 1804 und 1813/14 im Empire zelebrierten Napoleontag am 15. August, der Herrschergeburtstag, Gedenktag für einen legendären Heiligen und Maria Himmelfahrtstag in einem war,5 sowie dem uns prioritär interessierenden Adventus, der als bürokratischer Staatsakt Herrscher, Verwaltung, Militär und Volk einem gemeinsamen Willen unterstellte.
2 Christopher Buchholz: Französischer Staatskult 1792–1813 im linksrheinischen Deutschland: mit Vergleichen zu Nachbardepartements der habsburgischen Niederlande. Frankfurt a. M. u. a. 1997; Volker Sellin: Der napoleonische Staatskult, in: Guido Braun u. a. (Hrsg.), Napoleonische Expansionspolitik. Okkupation oder Integration? Berlin/Boston 2013 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom, Bd. 127), S. 138–159. Vorüberlegungen im Falle Kassels Martin Knauer: Politik mit und gegen die Tradition. Staatskult und Königtum in Westphalen (1807–1813), in: Veit Veltzke (Hrsg.), Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser. Köln/Weimar/Wien 2007, S. 341–358. 3 Vgl. die klassischen Studien von Mona Ozouf: La fête révolutionnaire. 1789–1799. [Paris] 1976, und Marie-Louise Biver: Fêtes révolutionnaires à Paris. Paris 1979. 4 Zum napoleonischen Hof Philip Mansel: The Eagle in Splendour: Napoleon I. and his Court. London 1987. 5 Sudhir Hazareesingh: The Saint-Napoleon. Celebrations of Souvereignity in Nineteenth-Century France. Cambridge/London 2004.
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1 Staatsreisen Im Folgenden geht es darum, am Beispiel Katharinas von Westphalen (1783–1835)6 die symbolisch-zeremonielle Bedeutung der Fürstinnenreise als Bestandteil des Staatskultes zu verstehen. Im Prinzip schrieb der napoleonische Konstitutionalismus den Ehefrauen der Napoleoniden keine verfassungsrechtliche Stellung zu. Katharina, Tochter Herzog Friedrichs II. von Württemberg, der noch 1803 zum Kurfürsten aufstieg und 1806 von Napoleon die Königskrone erhielt, heiratete im August 1807 in Paris dessen jüngsten Bruder Jérôme. Tatsächlich erwähnt die Konstitution des 1807 installierten Königreichs Westphalen, des ersten Verfassungsstaates in Deutschland, nur den Monarchen aus dem Hause Bonaparte.7 Allerdings ernannte Jérôme – ohne Rücksicht auf die Verfassung – Katharina im Frühjahr 1812 zur Regentin, als er für ein halbes Jahr ein Armeekommando übernahm.8 Den Rang Katharinas als napoleonische Prinzessin dokumentiert ein großformatiges Reiterbildnis im höfischen Gewand aus dem Beginn der Regierungszeit (Abb. 1). Es zeigt die Königin im Jagdkostüm mit Hermelinbesatz unterwegs im Park von Napoleonshöhe, Pendant zu einem motiv- und formatgleichen Zeremonialbild König Jérômes.
6 Eine wissenschaftliche Biographie fehlt. Ein Überblick bei Sabine Köttelwesch: Katharina Königin von Westphalen (1783–1835), in: Helmut Burmeister (Hrsg.), König Jérôme und der Reformstaat Westphalen. Ein junger Monarch und seine Zeit im Spannungsfeld von Begeisterung und Ablehnung. Hofgeismar 2006, S. 73–94, sowie dies./York-Egbert König: „Ich bin vollkommen glücklich, er gefällt mir unendlich“. Katharina von Westphalen. Gemahlin des Jérôme Bonaparte und Königin in Kassel. Gudensberg-Gleichen 2008. 7 Erstabdruck der Constitution des Königreichs Westphalen, in: Gesetz-Bülletin des Königreichs Westphalen, Erster Theil, Kassel 1808, Nr. 1, S. 1–31. 8 In dieser Eigenschaft vertrat Katharina Westphalen auf dem Fürstentag in Dresden.
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Abb. 1: Antoine Jean Baron Gros, Katharina vor Schloss Napoleonshöhe, um 1808.
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Abb. 2: Huldigungsreise vom 15.–25. Mai 1808 von Schloss Napoleonshöhe (Kassel) über Göttingen, Braunschweig, Halberstadt, Magdeburg und Halle, und Harzreise vom 4. –13. August 1811 von Napoleonshöhe über Clausthal, Goslar, Brocken, Wernigerode, Blankenburg, Andreasberg und Göttingen.
Neben ihrem höfischen Anlass stellte die napoleonische Staatsreise in ihrer Zeremonialität einen Akt bürokratischer Routine dar, deren politischer Wert in den institutionalisierten Diskursen zwischen Planungsbehörden und Bevölkerung sowie der Normativität der Regelungen selbst bestand. Dabei kamen traditionelle Herrscheransprüche zur ‚Aufführung‘, die sich in Zeugnissen materieller Kultur (Ehrenpforten, Medaillen) und symbolpolitischen Praktiken (Besuchsprogrammen, Eröffnungen) dokumentierten.9 Darüber hinaus zog die staatskulturelle Aufladung der Herrschervisite positive Veränderungen im Bereich der Infrastruktur nach sich. Beide Dimensionen gehören zusammen: So dienten die Verbesserung alter und die Erschließung neuer Reisewege nicht allein der Herrscher- und Staatsrepräsentation. Vielmehr nutzte die höfische Propaganda die sozioökonomische Modernisierung zugleich als Sprungbrett für ihr Primärziel: die Glorifizierung bonapartistischer Herrschaft. Auch die Eröffnung neuer Wegstrecken war somit Bestandteil des napoleonischen Staatskultes. Dahinter stand das antike Modell der Via triumphalis,
9 Vgl. hierzu auch Martin Knauer: Der aufgeführte Monarch. Herrscherfeiern und Staatskult im Vor- und Frühkonstitutionalismus. Münster 2014 (Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme, Bd. 48).
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das Bonaparte schon als Konsul wiederholt einsetzte. Bei seinem Besuch der Rheinprovinzen nach Annahme der Kaiserwürde markierte der mit Ehrenbogen geschmückte Triumphweg den Auftakt der Feierlichkeiten.10 Viele napoleonischen Staatslenker nutzten Bau und Metaphorik repräsentativer Straßenzüge zur Verherrlichung des Kaisers. Dies galt auch für die Prinzessinnen des Hauses. So widmete etwa Napoleons machtbewusste Schwester Elisa, seit 1805 an der Seite von Felix Baciocchi Fürstin von Lucca und Piombino, dem Staatsgründer eine im Juli 1807 begonnene Postroute zwischen Massa und Carrara.11 Ein marmorner Triumphbogen, dessen Grundsteinlegung auf den 15. August terminiert war, trug die Inschrift Route de Friedland, in Erinnerung an Napoleons Sieg über den Zaren.12 Im überschuldeten Westphalen, das auch in finanzieller Hinsicht gänzlich von Frankreich abhängig war, besaß die Anlage von den Napoleoniden gewidmeten Wegen bescheidenere Dimensionen. Hier konzentrierte sich die Eröffnung imperialer Boulevards auf die Umbenennung bereits bestehender Straßen: Göttingen wertete seinen mittelalterlichen Bohlweg zum Königsweg auf.13 In Osnabrück zirkulierten im Jahre 1811 Ideen für eine Königs Promenade. Projektiert war eine Prachtstraße, die zu Ehren des kaiserlichen Thronfolgers den Namen Boulevard du Roi de Rome erhalten sollte.14
2 Der Adventus Der offizielle Einzug in Westphalens Hauptstadt am 10. Dezember 1807 vollzog sich in der Tradition des Adventus als Symbol für die Inbesitznahme des Landes.
10 Buchholz: Französischer Staatskult (wie Anm. 2), S. 217–226. Zur ersten Rheinreise jetzt Ria Mager: Zwischen Legitimation und Inspektion: Die Rheinlandreise Napoleon Bonapartes im Jahre 1804. Frankfurt a. M. 2016 (Konsulat und Kaiserreich. Studien und Quellen zum Napoleonischen Zeitalter, Bd. 4). Für Napoleons zweite Rheinvisite vgl. auch Veit Veltzke: Napoleons Reisen zum Rhein und sein Besuch in Wesel 1811: eine Visite zwischen imperialer Machtpolitik und lokaler Interessenvertretung, in: ders. (Hrsg.), Napoleon. Trikolore und Kaiseradler (wie Anm. 2), S. 41–65. 11 Paul Marmotton: Les Arts en Toscane sous Napoléon. La princesse Elisa. Paris 1901, S. 26 f. 12 Das entsprechende Dekret erschien in Luccas Amtsblättern. Nachgedruckt vom Moniteur wurde die Route de Friedland zum europäischen Medienereignis. Vgl. etwa die Berichte im Journal de l’Empire, 27. Juli 1807; L’Abeille du Nord, Bd. 19 (1807), Nr. 53; Augsburgische Ordinari Postzeitung, hier: „Lucca, den 17. Jul.“. 13 Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Königreich Westfalen Rep. 7 A, Nr. 5, Bd. 1, Bl. 6. 14 Stadtarchiv Osnabrück Dep. 3b III Nr. 102.
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Staatsorgane wie der Moniteur universel oder das Journal de l’Empire berichteten von den Feierlichkeiten und deuteten sie herrschaftskonform als Akte monarchischer Legitimation unter Anteilnahme der Bevölkerung.15 Neben dem Ersteinzug wurde in Westphalen aber auch der „kleine Adventus“ praktiziert. Hierbei handelte es sich um eine Inspektionsreise, der keine rechtskonstitutive, sondern eine sozialintegrative Bedeutung zukam.16 Da man den Napoleoniden immer wieder mangelnde Legitimität vorwarf, war diesen um so mehr daran gelegen, den Einzügen einen nationalpatriotischen Rahmen zu geben, der an die jeweiligen Landestraditionen anknüpfte. Die besuchten Orte und Institutionen folgten einem bestimmten Muster. Oberste Priorität besaßen die Chef-lieux, oftmals vormalige Residenzstädte, die im Zentrum ausgedehnter Huldigungsreisen standen. Weitere beliebte Anlaufpunkte waren Produktionsstätten und Manufakturen. Zwar überwog hier ebenfalls die Herrschaftssymbolik, dennoch sind neben staatlich-bürokratischer Kontrolle auch spezielle Interessen – etwa an Kunst oder Technik – erkennbar. Unter Napoleon nahmen solche akribisch vorbereiteten Visitationen, die von Staatskünstlern in Zeremonialbildern, Medaillen und Tafelwerken festgehalten wurden, breiten Raum ein. Akademiebesuche und Aufenthalte in der Pariser Münze zeigen, dass Napoleon dabei bewusst Repräsentationsformen Ludwigs XIV. adaptierte.17 Trotz der damit verbundenen obrigkeitlichen Kontrolle dienten die Betriebsbesuche primär höfischer Repräsentation. Die im Auftrag tätigen Propagandisten zeigten Monarch und Volk im gemeinsamen Dienst für die Patria; ein Versuch, Nation und Herrschaft zu stabilisieren. Äußerlich unterschied sich der napoleonische Adventus kaum von seinen Vorgängern im Ancien Régime.18 Näherte sich der Herrscher, zog ihm eine von
15 Für Kassel etwa: Journal de l’Empire, 17. Dezember 1807. Ein Bericht mit herrscherkritischem Unterton findet sich im Journal des Luxus und der Moden. In Vorausschau auf Westphalens frühzeitiges Ende heißt es hier, der angeblich überzogene Pomp führe unausweichlich zu Gedanken an den Wechsel der Dinge, die auch den Glücklichsten treffen wird, trifft oder traf. [Anonym] Einzugs-Feierlichkeiten des Königs und der Königin von Westphalen, und Huldigung in Cassel. Cassel d. 12. Jan. 1808, in: Journal des Luxus und der Moden, Bd. 23 (1808), S. 99–110 (hier S. 104). 16 Zum ,kleinen Adventus‘ Knauer: Der aufgeführte Monarch (wie Anm. 9), S. 157–160. Ähnlich Bärbel Sunderbrink: Revolutionäre Neuordnung auf Zeit. Gelebte Verfassungskultur im Königreich Westphalen. Das Beispiel Minden-Ravensberg. Paderborn u. a. 2015, S. 139–148. 17 Peter Burke: Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs. 2. Aufl. Berlin 2005, insbes. S. 153. Zu Napoleons Medaillenprogramm Lisa Zeitz/Joachim Zeitz: Napoleons Medaillen. Petersberg 2001. 18 Klaus Tenfelde: Adventus. Zur historischen Ikonologie des Festzuges, in: Historische Zeitschrift, Bd. 235 (1981), S. 45–84. Zur Reichstradition Gerrit Jasper Schenk: Zeremoniell und Politik. Herrschereinzüge im spätmittelalterlichen Reich. Köln/Weimar/Wien 2003.
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Korporationen und jungen Adligen gebildete Ehrengarde entgegen. Bürgermeister und Rat überreichten die Schlüssel der Stadt, die der Monarch als Zeichen des Vertrauens zurückgab. Straßen wurden illuminiert, mit Festons und Blumengirlanden verziert. Ehrenbogen waren obligatorisch. Eine Kasseler Radierung, deren ursprüngliche Funktion unklar ist, zeigt Katharina und Jérôme im höfischen Ornat, während ein städtischer Vertreter – hier in Staatstracht – das Schlüsselpaar auf einem Kissen überreicht. 19 Auf repräsentativen Plätzen vollzog sich der zentrale Festakt mit Aufmärschen, Kanonendonner und hymnischen Gesängen. Vertreter der Bürgerschaft trugen Huldigungen vor, die in schmuckvoller Papierform zusammen mit den Schlüsseln auf einem Kissen dargebracht wurden.20 An welchen Staatsreisen und Betriebsinspektionen war Katharina beteiligt und welche Quellen berichten darüber? Wie der den Regierungsantritt symbolisierende Adventus zeigt, unternahmen Westphalens Monarchen die Einzüge oftmals gemeinsam. Dennoch sind auch Staatsreisen belegt, die die Königin allein absolvierte. Spezielle Reiseerlebnisse hielt die Regentin in ihren tagebuchartigen Aufzeichnungen Journal de la reine Catherine wie in diversen Korrespondenzen fest.21 Politisches findet sich hier nicht. Darin ähneln Katharinas Reisebeobachtungen den Itineraren Fürstin Paulines zur Lippe, die als Vertreterin ihres noch unmündigen Sohnes in der vormundschaftlichen Regierung Detmolds allerdings im Unterschied zur Kasseler Regentin Herrscherverantwortung trug.22 Obgleich nur wenige offizielle Quellen von Katharinas Reisen berichten, existierte für die Monarchin und ihre Entourage offenbar ein separates Reise- und Einzugszeremo-
19 Vgl. Übergabe der Stadtschlüssel 1810; Radierung; anonym; 19,2 x 23,2 cm; Museumslandschaft Hessen-Kassel, Graphische Sammlung, GS 13076, aus [Ausst.-Kat.] Michael Eissenhauer (Hrsg.), König Lustik!? Jérôme Bonaparte und der Modellstaat Königreich Westphalen. Museumslandschaft Hessen Kassel. Museum Fridericianum. Kassel, 19. März –29. Juni 2008. München 2008, Nr. 172. 20 Vgl. etwa den Entwurf der Paderborner Stadtschlüssel: Franz Arnold Becker; Bleistift, Aquarell, Tusche; 23,5 x 18,5 cm; Paderborn, Stadtarchiv; A 5265, Bl. 210; Eissenhauer (Hrsg.), König Lustik (wie Anm. 19), Nr. 179. 21 Siehe Albert du Casse (Hrsg.), Memoires et correspondance du roi Jérôme et de la reine Catherine. 7 Bde. Paris 1861–1866; ders. (Hrsg.), Correspondance inédit de la reine Catherine de Westphalie, née Princesse de Wurttemberg avec sa famille et celle du roi Jérôme, les souveraines étrangers et divers personnages. Paris 1893. 22 Dennoch waren Paulines Reisen politisch motiviert. Im Herbst 1807 reiste sie nach Paris, um mit Napoleon zu verhandeln. Ihre Fahrt nach Kassel im Mai 1808 diente der Lösung von Grenzstreitigkeiten mit Westphalen. Paulines eigenhändige Itinerare befinden sich als ungeheftete Konvolute im Staatsarchiv Detmold. Hermann Niebuhr (Bearb.): Eine Fürstin unterwegs. Reisetagebücher der Fürstin Pauline zur Lippe 1799–1818. Detmold 1990 (Lippische Geschichtsquellen, Bd. 19), S. X.
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niell.23 Der Westphälische Moniteur (WM), Kassels amtliches Regierungsorgan,24 enthält neben Angaben zu Staatsreisen innerhalb des Landes (Adventus in Kassel, Erstbereisungen der Departements) sporadische Einträge über einzelne wie gemeinsame Unternehmungen. Viele inoffizielle Abwesenheiten hatten familiäre oder gesundheitliche Anlässe. Im April 1809 reiste die Königin nach Straßburg, um sich mit Kaiserin Joséphine zu treffen; ein Jahr später begab sie sich mit Jérôme in die Niederlande zum Besuch der dortigen Napoleoniden.25 Vereinzelt erwähnt der WM zudem Kuraufenthalte der Monarchin,26 wenngleich zu vermuten ist, dass Katharina regelmäßig nach Ems reiste.
3 Die Huldigungsreise 1808 Im Mai 1808 brachen König und Königin zu einer zehntägigen Huldigungsreise auf, deren wichtigste Stationen Göttingen, Braunschweig, Halberstadt und Magdeburg waren.27 Im darauffolgenden September stand das Weserdepartement im Zentrum einer ähnlichen Tour.28 Da die Amtsträger vor Ort den Präfekten über die Besuche Bericht zu erstatten hatten, hat sich eine größere Anzahl solcher Rapporte erhalten.29 Die komplexen, in Absprache zwischen Kommune, Departement und Regierung erfolgenden Vorbereitungen dokumentieren, dass der ‚kleine Adventus‘ als Staatshandeln zu bewerten ist. Ereignis und Zeremoniell
23 Am 17. Juli 1808 berichtete Marburgs Präfekt vom Besuch der Königin nach vorgeschriebenem Zeremoniell (le cérémoniel préscrit). Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Königreich Westfalen Rep. 6 II A, Nr. 24, Bl. 24 f. 24 Laut Impressum handelte es sich um das einzige offizielle Journal des Königreichs. Vgl. Volker Petri: Der Moniteur Westphalien. Ein Medium napoleonischer Kommunikationspolitik in den Jahren 1808/09, in: Burmeister (Hrsg.), König Jérôme und der Reformstaat (wie Anm. 6), S. 187–208. 25 Dazu die Einträge: WM, 15. April 1809 (Nr. 49); 5. Mai 1810 (Nr. 54). 26 WM, 20. Mai 1811 (Nr. 119). Interessanterweise findet sich hier der Hinweis, der noch junge Jérôme habe im August 1808 in Nenndorf die Douschbäder genutzt, um von seinen rheumatischen Schmerzen befreiet [zu] werden. WM, 23. August 1811 (Nr. 103). 27 Rudolf Goecke/Theodor Ilgen: Das Königreich Westphalen. Sieben Jahre französischer Fremdherrschaft im Herzen Deutschlands 1807–1813. Düsseldorf 1888, S. 135–139; Arthur Kleinschmidt: Geschichte des Königreichs Westfalen. Gotha 1893 (ND Kassel 1970), S. 169–173. 28 Im September besuchte das Königspaar u. a. Paderborn, Bielefeld und Osnabrück. Sunderbrink: Revolutionäre Neuordnung (wie Anm. 16), S. 141–148. 29 Zur Archivtektonik Ingeborg Schnelling-Reinicke: Feiern zwischen Pflicht und Freude. Herrschergeburtstage im Spiegel westphälischer Verwaltungsakten, in: Jahrbuch Preußischer Kulturbesitz, Bd. 44 (2007), S. 289–300.
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fanden mitunter Eingang in den WM: Unsere Reise [nach Göttingen] gleicht einem Triumphzuge, bei welchem der Sieger angebetet ist, heißt es etwa im Auszug aus einem Schreiben, die Reise Sr. Majestät betreffend, welches das Staatsblatt in huldigender Absicht abdruckte.30 Repräsentativ für jenen zweiten Typus westphälischer Staatsreisen, die nicht vordringlich als Adventus fungierten, sondern komplexere Anforderungen erfüllten, waren Besuche, bei denen Huldigung und Inspektion zugunsten touristischer Erlebnisse in den Hintergrund rückten. Von zwei solcher Rundreisen unter Beteiligung Katharinas soll nachfolgend die Rede sein.
4 Die petit voyage au Harz 1811 Auf den Spuren des Montantourismus unternahmen die Monarchen vom 4. bis 13. August 1811 eine Rundreise durch die Harzer Bergwerksregion.31 Katharina sprach in ihren Notizen von einer petit voyage au Harz.32 Begleitet wurde das Paar von wichtigen Vertretern aus Hof und Regierung, wie dem Innen-, Justiz- und Verteidigungsminister.33 Nach Besichtigung der Gruben Dorothea und Caroline in Clausthal sowie der Frankenscharrner Silber(blei)hütte wurden die Kaiserstadt Goslar, Pochwerke und Schmelzhütten in Augenschein genommen, wobei die Monarchen nach damals verbreiteter Touristenpraxis in die Tracht der Bergleute gekleidet waren. Über den Brocken, wo das Paar vom 8. auf den 9. August im Brockenhaus übernachtete, Wernigerode, Blankenburg und Andreasberg ging es über Göttingen nach Kassel zurück. Einer der Reisehöhepunkte war das Spektakel des Feuersetzens im Rammelsberg,34 das Jérôme schon bei einer früheren
30 WM, 19. Mai 1808 (Nr. 62). 31 Siehe die Berichte im WM, 7. August 1811 (Nr. 187); 10. August 1811 (Nr. 189); 11. August 1811 (Nr. 190); 13. August 1811 (Nr. 192); 14. August 1811 (Nr. 193). Zu den Reisestationen vgl. auch Karl Berthold Fischer: Die Harzreise des Königs Jérôme von Westfalen 1811, in: Zeitschrift des HarzVereins für Geschichte und Altertumskunde, Bd. 50 (1917), S. 160–168. Den Hinweis auf diese Publikation verdanke ich Dr. Klaus Dieter Buschau-Tetzner, St. Andreasberg. 32 Siehe hierzu das Journal de la reine Catherine zum 4., 7., 9. und 10. August. Memoires et correspondance (wie Anm. 21), Bd. 5, S. 51–54. 33 Vgl. die „Liste générale des personnes du voyage“ bei Fischer: Harzreise (wie Anm. 31), S. 161 f. 34 Bei der am Rammelsberg noch üblichen Abbautechnik wurden Holzstöße in Brand gesetzt. Durch die Hitze dehnte sich das Erz aus und löste sich von den Wänden. An den Wochenenden führte man das Feuersetzen zahlenden Touristen vor.
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Visite im Jahre 1809 erlebt hatte.35 In der Marmormühle im Kreuztal bei Rübeland ließen sich die Monarchen vom dortigen Direktor Marmorproben zeigen, die aus den Steinbrüchen der Umgebung stammten. Bei der Grube Glücksrad in der Nähe von Clausthal handelte es sich um ein Schaubergwerk, da der Betrieb hier schon 1771 eingestellt worden war. Letztes Highlight der Reise bildete die Erkundung der berühmten, allein von Goethe zwischen 1777 und 1784 dreimal besuchten Baumannhöhle. Schon Ende des 17. Jahrhunderts hatte die Pächterfamilie die Tropfsteinhöhle mit verschließbarer Tür, Stufen, Leitern und Holzbrücken versehen. Im größten Höhlensaal lauschten Jérôme und Katharina einem unterirdischen Konzert. Trotz des Kulturprogramms handelte es sich auch bei der petit voyage au Harz letztlich um eine Staatsreise, die den veränderten Besitzverhältnissen im Harzer Bergbau Rechnung trug. Wie anlässlich der Inkorporierung der nordhannoverschen Provinzen im August 1810 wurden aus diesem Anlass Pfennige gemünzt, um sie im Volk zu verteilen. Da die Minen als Teil des Kommunionharzes zuvor unter welfischer Oberherrschaft gestanden hatten, bot sich nun die willkommene Gelegenheit, die Exklusivität der Visite hervorzuheben. Dem WM lieferte die Bergmannshuldigung ein Argument rechtmäßiger Herrschaft. Der Empfang der Monarchen, heißt es, erfolge nach Art ihrer Väter und dem treubewahrte Brauch uralter Zeiten.36 Obgleich die Grubenfahrt schon beim Besuch der englischen Monarchen erfolgte,37 war Jérômes Visite im Sommer 1809 – bedingt durch die Hannoverabstinenz Georgs III. – die erste Harzreise eines Souveräns seit 50 Jahren, wie das Blatt gebührend hervorhob.38 Katharina argumentierte zwei Jahre später ähnlich. Nach ihrer Auffassung war seit Otto dem Großen (Othon, empereur d’Autriche), der nach damals verbreiteter Meinung 968 am Rammelsberg den Harzer Bergbau begründet hatte, kein Souverän mehr vor Ort gewesen.39
35 Eine Übersicht über prominente Besucher bei Brigitte Heublein: „Schwarze Höhle … Flammen Geprassel“. Goethe und der Montantourismus am Rammelsberg, in: Reinhard Roseneck (Hrsg.), Der Rammelsberg. Tausend Jahre Mensch – Natur – Technik. 2 Bde. Goslar 2001, Bd. 2, S. 206–215. 36 WM, 7. August 1811 (Nr. 187). 37 Uta Richter-Uhlig: Hof und Politik unter den Bedingungen der Personalunion. Die Aufenthalte Georgs II. in Hannover zwischen 1729 und 1741. Hannover 1992 (Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens, Bd. 107), S. 32 f. 38 Der festliche Empfang durch die Bergleute sei den Souverains vorbehalten, und deren hatte der Harz seit 50 Jahren nicht erblikt. WM, 12. September 1809 (Nr. 109). 39 Memoires et correspondance (wie Anm. 21), Bd. 5, S. 51. Das Gründungsdatum 968 findet sich etwa auch in der Statistische[n] Uebersicht des Harzes im WM, 7. Februar 1811 (Nr. 31).
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Selbst die Zutrinktradition ließ sich bruchlos auf die neue Dynastie übertragen. Während einer festlichen Tafel verlangte und erhielt der Oberbergmeister die Ehre dem König nach altem Brauch, aus dem großen silbernen Becher, die Bergkanne genannt, zu Trinken zu reichen.40 Im Unterschied zum korporativen Brauchtum stellte die anschließende Medaillenprägung ein Herrschervorrecht dar. In der Clausthaler Münze, einer von drei Münzstätten des Landes, wurde am 5. August 1811 in Anwesenheit beider Monarchen eine Besuchsmedaille geprägt. 41 Die Vorderseite zeigt deren Porträts mit Symbolen des Bergbaus. Eine ähnliche Aufgabe kam der Gießerei Königshütte zu, bei der Jérôme am letzten Reisetag zwei in Eisen gegossene, vollplastische Bildnisbüsten des Herrscherpaares in Auftrag gab. Das neuartige Verfahren zeugte von der Innovationskraft der nunmehr im Besitz der Napoleoniden befindlichen Hüttenindustrie.42
5 Die Sommerreise 1812 Im August 1812 unternahmen die Regenten eine Sommerreise in den Distrikt Eschwege. Auch hier standen ökonomisches Interesse und Naturerfahrung gleichwertig auf der Agenda. Der Zeitpunkt war insofern heikel, als Jérôme kurz zuvor das ihm vom Kaiser anvertraute Kommando überraschend verlassen hatte und Gerüchte über sein militärisches Versagen die Runde machten. Begleitet von vierhundert Infanteristen, unternahmen Jérôme und Katharina einen Besuch der Saline in Sooden, dem sich eine Besichtigung des Bergwerks auf dem Meißner und das Erlebnis eines Sonnenaufgangs anschlossen.43 Die Verknüpfung von Inspektions- und Lustreise zeigt sich auch darin, dass sowohl das örtliche Intelli-
40 WM, 7. August 1811 (Nr. 187). Auch Katharina erwähnt den Pokal, aus dem schon Georg II. getrunken habe. Memoires et correspondance (wie Anm. 21), Bd. 5, S. 51. Vermutlich handelt es sich um die „Oberharzer Bergkanne von 1652“ aus Knappschaftsbesitz. Friedrich Balck: Die gläserne Oberharzer Bergkanne von 1696 (Oberharzer Geschichts- und Museumsverein e. V.). ClausthalZellerfeld 2001, S. 23 f., 41–63. 41 Vgl. die Bergwerkbesuchsmedaille 1811; Wilhelm Körner; vergoldet; 44,63 x 41,05 cm. Als Silberfassung bei Eissenhauer (Hrsg.), König Lustik (wie Anm. 19), Nr. 367c. 42 Hans-Heinrich Hillegeist: Die staatliche Königshütte bei Lauterberg und ihr Kunstguß im 19. Jahrhundert, in: Gerhard Seib (Hrsg.), Studien zum künstlerischen Eisenguß. Fschr. für Albrecht Kippenberger. Marburg 1970, S. 196–220 (hier S. 211, 216 f.); ders.: König Jérôme und der vollplastische Eisenkunstguß der Königshütte, in: Unser Harz. Heimatzeitschrift für den gesamten Harz und seine Vorlande, Bd. 20 (1972), S. 213–215. 43 Vgl. auch Knauer: Der aufgeführte Monarch (wie Anm. 9), S. 166 f.
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genzblatt als auch das Journal des Luxus und der Moden Berichte druckten.44 Der synchronisierte Auftritt von Mandatsträgern, Fabrikleitern und Belegschaften symbolisierte die Funktionsweise des napoleonischen Staatswesens. Die Bergwerksführung übernahm der Salinendirektor, der Bergrat, Chemiker und Mineraloge Johann Schaub, als Leiter des Bergbezirks Allendorf zusammen mit Franz von Meding, der als Generaldirektor der Berg- und Hüttenwerke seit 1812 in Kassel amtierte. Am Fuße des Berges errichteten Berg-Corps eine Ehrenpforte, die neben Schlägel und Eisen die folgende Inschrift aufwies: Glück auf dem Theuren Königspaar, die Meißnerische Knappschaft. Anschließend begann der ,intime‘ Teil der Reise. König und Königin übernachteten auf dem Berg, um am Morgen, wie es im Journal des Luxus und der Moden heißt, das Schauspiel eines Sonnenaufgangs zu genießen.45 Katharina war offenbar tief beeindruckt. Ihrem Vater schrieb sie: Der König wollte einen kleinen Ausflug auf einen unserer Berge, den Meißner, machen, der zwei Tage angedauert hat. Die Freude über das großartige Panorama habe sie für die Mühsal des Aufstiegs entschädigt.46 Signifikant sind die unterschiedlichen Erwartungshaltungen des Paares. Während der von Beamten entsprechend instruierte Jérôme die berühmten Basaltformationen ansteuerte,47 hatte Katharina entweder schlecht zugehört, als man sie über die Besonderheiten des Meißners informierte, oder aber sich auf ein romantisches Naturerlebnis gefreut. Sie hätten auf Westphalens Mont-Blanc genächtigt, vertraute sie ihrem Journal an. Sie kenne zwar die exakten Ausmaße der höchsten Erhebung des Landes nicht, aber der Ausblick sei entscheidend, nicht die abstrakte Zahl.48
44 [Anonym] Beschreibung der Feierlichkeiten, welche bei der Anwesenheit Ihrer Majestäten des Königs und der Königin im District Eschwege statt hatten, in: Gemeinnützige Anzeigen. Ein Intelligenzblatt für den District Eschwege (Extra-Beilage), 34tes Stück, 29. August 1812, S. 421– 424; [anonym] Der Sommer 1812 in Cassel, in: Journal des Luxus und der Moden, Bd. 27 (1812), S. 802–809 (hier S. 803). 45 Zit. nach: Der Sommer 1812 (wie Anm. 44), S. 803. 46 Brief vom 22. August 1812. Correspondance inédit (wie Anm. 21), S. 73. 47 So im Schreiben des französischen Gesandten am Kasseler Hof, Karl Friedrich Reinhard, an Hugo Bernard Maret, Herzog von Bassano, vom 19. August 1812. Memoires et correspondance (wie Anm. 21), Bd. 6, S. 62. 48 Nous avons couché ou Meisner, c’est le Mont-Blanc de notre Westphalie. Je ne sais pas précisément son élévation, mai j’y ai trouvé une vue superbe et du plaisir, ce qui vaut mieux que des calculs geometriques. Zit. nach: Memoires et correspondance (wie Anm. 21), Bd. 6, S. 49.
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6 Schlussbetrachtung Obgleich bei den Einzügen der Prinzen wie Prinzessinnen aus dem Hause Bonaparte – um Jean Paul anzuführen – der erhobene Zeigefinger wohl bei nicht wenigen Untertanen für Missstimmung sorgte, für die Herrschaft der Napoleoniden erfüllte der Adventus einen wichtigen politischen Zweck. Nicht anders als ihr männliches Pendant generierte die weibliche Staatsreise (allein oder gemeinsam mit dem Herrscher) symbolisches Kapital, welches der Dynastie – wenn schon nicht nach Innen, so doch nach Außen – zu erkennbarer Zustimmung zu verhelfen versprach. Reisepraxis und Reisesymbolik zählten somit zu den sichtbaren Zeugnissen jenes postrevolutionären Gesellschaftsentwurfs, mit dessen Hilfe der napoleonische Staatskult Herrscher und Untertanen einem fiktiven gemeinsamen Willen unterstellte. Als nichtregierende Fürstin verfolgte Katharina von Westphalen keine eigene politische Agenda. Zudem absolvierte sie den Großteil ihrer Staatsreisen an der Seite des Monarchen. Dennoch fand das Hofzeremoniell offenkundig selbst für jene ,privaten‘ Reisen Anwendung, bei denen touristische Interessen des Königs wie der Königin eindeutig im Vordergrund standen. Obgleich Westphalens Staatsblatt nur selten und äußerst knapp über Reisen der Monarchin berichtete, boten seine Informationen doch Anlass für Spekulationen. Hierzu ein letztes Beispiel: Als sich Jérôme im Anschluss an die innenpolitische Krise vom Herbst 1809 nach Fontainebleau begab, um sich vor seinem kaiserlichen Bruder zu rechtfertigen, animierte dies den Redakteur des MW, Friedrich Wilhelm August Murhard, zur kryptischen Ergänzung: Ihre Majestät die Königin ist nicht von Cassel abgereiset.49 Auch wenn der napoleonische Staatskult mit seinem Pathos und letztlich ‚gefälschten‘ Traditionen keineswegs die Versprechungen konstitutioneller Herrschaft einlöste, in der propagandistischen Wirkung seiner Herrschersymbolik, zu der auch das Reisezeremoniell gehörte, war er der Zeit voraus: Regentinnen wie Katharina von Westphalen hatten daran wesentlichen Anteil.
49 WM, 4. November 1809 (Nr. 132).
Birte Förster
Reisen, repräsentieren, fliehen Luise, Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz und Königin von Preußen (1776–1810) unterwegs
Abb. 1: Bereit zur Abfahrt. Die Prinzessinnen Luise (links) und Friederike (rechts) von Preußen im Jahr 1794. https://doi.org/10.1515/9783110532937-014
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Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz, die spätere Königin Luise von Preußen (1776–1810), reiste häufig und aus sehr unterschiedlichen Gründen. Sie unternahm Besuche bei der Familie, Bildungsreisen als Jugendliche, zeremonielle Reisen als Braut nach Berlin und zur Huldigung des neuen Königs, aber auch wiederholte Fluchten vor den Revolutionstruppen (1792) und der napoleonischen Armee (1806/07). Folgt man der von Annette Cremer vorgeschlagenen Unterscheidung von Bewegungsprofilen,1 so sind auch für die Prinzessin und spätere Königin unterschiedliche Bewegungstypen festzustellen. Zu den lokalen Bewegungen gehörten neben den täglichen Unternehmungen sicherlich der Wohnortwechsel innerhalb der Berliner Schlösser und die Aufenthalte in Paretz. Innerterritoriale Bewegungen sind vor allem während der Huldigungsreisen nach der Krönung Friedrich Wilhelms III. 1798 und in Friedenszeiten festzustellen. Auch die Flucht vor den napoleonischen Truppen ist als innerterritoriale Bewegung zu bewerten. Da Hessen-Darmstadt ein recht kleines Fürstentum war, waren fast alle Jugendreisen, sei es nach Frankfurt oder zur Herrschaft Broich, die Flucht nach Sachsen-Hildburghausen und die Reise als Braut nach Berlin, transterritoriale Bewegungen. Reisen nach Straßburg (um 1790), in die Niederlande (1791) und nach St. Petersburg (1809) sind als transnationale Bewegungen zu beschreiben. Kaum eine Reise der späteren Königin fand aus eigenem Antrieb statt, stattdessen war sie als Begleiterin von Familienmitgliedern unterwegs – des Vaters, der Großmutter und ihres künftigen Mannes – oder auf der Flucht. Nur zwei Reisen unternahm sie aus persönlichen Gründen und Wünschen: 1806 weilte die Königin zur Kur in Bad Pyrmont, 1810 reiste sie nach Hohenzieritz, um Vater und Großmutter wiederzusehen. Nachdem sie am 19. Juli 1810 dort verstorben war, trat sie als Tote eine letzte Reise an: bei der Überführung ihres Leichnams nach Berlin.2 Die Motive, Funktionen und Bedeutung von Reisen einer Hochadligen im ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhundert sind Thema dieses Beitrags. Dazu greife ich auf Tagebuchaufzeichnungen und Briefe der späteren Königin von Preußen sowie Briefe ihrer Erzieherin Salomé de Gélieu zurück. Im ersten Teil geht es um die Jugendreisen einer recht unbedeutenden, wenngleich gut vernetzten Prinzessin (Queen Charlotte, die Frau Georgs III., war ihre Tante), dann um zwei repräsentative Reisen der preußischen Königin: die Huldigungsreise 1798 und die Reise nach St. Petersburg 1809. Ihr Aufstieg in den Rang der (künftigen) Gemahlin eines regierenden Fürsten fiel in die Zeit des Wandels der
1 Vgl. die Einleitung von Annette C. Cremer in diesem Band. Ich danke Patrick Bahners für wertvolle Hinweise und Anregungen. 2 Hubertus Büschel: Untertanenliebe. Der Kult um deutsche Monarchen. Göttingen 2006 (Veröffentlichungen des MPI für Geschichte 220), S. 136 ff.
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Vorstellungen von König und Königin. Die wurden nun als Landesvater und Landesmutter gedacht,3 die sich in Habitus und Verhalten komplementär ergänzen sollten. Gemäß dem damit verbundenen Verhaltensideal initiierte die preußische Kronprinzessin und Königin keine eigenen Reisen. Möglicherweise schränkte an der Schwelle zum 19. Jahrhundert und damit zum Zeitpunkt der Durchsetzung einer „neuen Ordnung der Geschlechter“ gerade ihr herausragender Status die Möglichkeiten der preußischen Königin zu eigenständigen Reisen ein. Auch auf der Flucht nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt im Jahr 1806 ohne Gatten und Familienangehörige konnte der Reiseweg kaum von der Königin bestimmt werden, das Zusammentreffen mit dem König war hier oberste Prämisse.4 Ihre Reisen trat Königin Luise von Preußen zeitlebens als Begleiterin an, erst ihr Tod machte sie selbst zum Anlass und Mittelpunkt der letzten Reise.
1 Bildung und Bekanntschaften: Die Jugendreisen der Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz Bereits als Kind reiste Prinzessin Luise von Mecklenburg-Strelitz wohl aus familiären Gründen mehrfach zwischen ihrem Geburtsort Hannover und Darmstadt, dem Herkunftsort von Mutter und Stiefmutter,5 hin und her. Nach deren beider Tod brachte ihr Vater Karl von Mecklenburg-Strelitz sie mit ihren Schwestern Therese und Friederike nach Darmstadt und übergab sie der Obhut ihrer verwitweten Großmutter Marie Luise Albertine von Hessen-Darmstadt (1729–1818). Ein Jahr später folgten die jüngeren Brüder Georg und Karl.6 Von 1787 an unternahmen die Prinzessinnen mit der Großmutter nahezu jährlich Sommerreisen, die sowohl der Bildung der Heranwachsenden als auch deren Einführung in ein adliges Netzwerk und somit dynastischen Zwecken dienten. Überliefert sind diese Reisen durch Briefe, welche die Erzieherin der Prinzessinnen, Salomé de
3 Karen Hagemann: ‚Mannlicher Muth und teutsche Ehre‘. Nation, Militär und Geschlecht zur Zeit der Antinapoleonischen Kriege Preußens. Paderborn u. a. 2002 (Krieg in der Geschichte 8), S. 350–357 und 366–374. 4 Königin Luise von Preußen: Briefe und Aufzeichnungen 1786–1810. München 1995, S. 1 f.; vgl. auch Claudia Honegger: Die Ordnung der Geschlechter. Die Wissenschaften vom Menschen und das Weib 1750–1850. Frankfurt a. M. 1991. 5 Claudia von Gélieu: Die Erzieherin von Königin Luise Salomé de Gélieu. Regensburg 2007, S. 107. 6 S. Königin Luise: Briefe (wie Anm. 4), S. 1 f. Die Schwester Charlotte heiratete bereits 1785 Herzog Friedrich von Sachsen-Hildburghausen.
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Gélieu (1742–1822), an ihre Schwester und an ihre Mutter schrieb, sowie durch ein Reisetagebuch, das die 15-jährige Prinzessin Luise 1791 während ihrer Reise in die Niederlande führte.7 Die als Beschreibung meiner Reise nach Holland8 betitelten Aufzeichnungen waren für ihren daheimgebliebenen Bruder Karl bestimmt, der mit sechs Jahren zu jung für diese Reise war.9 Ein weiterer Grund könnte ein erzieherischer gewesen sein. Möglicherweise sollte die Jugendliche an künftige Aufgaben einer adligen Ehefrau herangeführt werden, zu denen auch die Dokumentation familiärer Ereignisse etwa in Form eines Tagebuchs gehörte.10 Dafür spricht auch, dass sie als Königin ähnliche Reisetagebücher anfertigte. Bei den Reisen der Jugendlichen sind zwei Gruppen auszumachen: Bei jenen der Jahre 1787, 178911 und 1791 in die Herrschaft Broich am Niederrhein, einer Unterherrschaft des Herzogtums Berg, handelte es sich streng genommen um Reisen der Großmutter. Diese Reisen hatten wohl vor allem finanzielle Gründe: Die Prinzessin hatte die Besitzung 1766 nach dem Tod ihres Vaters Christian Carl Reinhard von Leiningen-Dagsburg geerbt, denn ihr einziger Bruder war bereits 1734 verstorben. Offensichtlich wurde dieses Erbe angefochten, denn erst 1787 schloss Marie Luise Albertine mit ihren Schwestern einen Vergleichsvertrag über den Besitz der Herrschaft Broich.12 Kurz nach der zweiten Reise 1789 nahm sie
7 Beide liegen ediert vor: Carsten Peter Thiede/Eckart G. Franz: Jahre mit Luise von Mecklenburg-Strelitz. Aus Aufzeichnungen und Briefen der Salomé von Gélieu (1742–1822), in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde, NF 43 (1985), S. 79–160; Luise, Prinzessin von Mecklenburg-Strelitz: Die Reise an den Niederrhein und nach Holland 1791. Das Tagebuch der späteren Königin von Preußen. Übers. u. mit einem Kommentar von Guido de Wird, hg. v. Paul Hartig. München 1987. An die Reise erinnerte 1876 und 1880 auch folgendes Erinnerungsgedicht Heinrich Kühne: Die Königin Luise in ihren Jugendjahren oder der Herrschaft Broich schönste Zeit. Nebst einem Schlußgesang: Der ‚Schutzgeist Preußens‘ zu Köln. Köln 1880, das Kühne 1876 bereits auf Niederdeutsch publiziert hatte (s. ebd., S. XIf.). 8 Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 24. 9 Der damals elfjährige Erbprinz Georg von Mecklenburg-Strelitz befand sich mit seinem Vater in Bad Pyrmont, s. Königin Luise von Preußen: Briefe (wie Anm. 4), S. 4. 10 S. Christa Hämmerle: Diaries, in: Dobson, Miriam/Ziemann, Benjamin (Hrsg.), Reading Primary Sources. The interpretation of texts from nineteenth- and twentieth-century history. London/New York 2008, S. 141–158; Cynthia A. Huff: Reading as Re-Vision. Approaches to Reading Manuscript Diaries, in: Trev Lynn Broughton (Hrsg.), Autobiography. Critical Concepts in Literary and Cultural Studies, Bd. 4. London/New York 2007, S. 27–48. 11 Über diese zweite Reise ist nur wenig bekannt, s. den knappen Hinweis bei Paul Hartig: Einführung, in: Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 11–14 (hier S. 12). 12 Hauptstaatsarchiv Darmstadt HStAD, Bestand D 4, Nr. 4404. S. a. Hermann Adam von Kamp: Das Schloss Broich und die Herrschaft Broich. Eine Sammlung geschichtlicher Merkwürdigkeiten I. Theil. Nebst einer Abbildung vom Schlosse Broich und dessen nächster Umgebung. Duis-
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einen Kredit von 100.000 Gulden auf und verpfändete dafür die Herrschaft13 – möglicherweise der Grund für die Reisen der Jahre 1789 und 1791. Am 14. Juni 1791 ließ sie ihren drittgeborenen Sohn Georg Karl von Hessen-Darmstadt (1754–1830) als ihren Nachfolger einführen und den Treueeid auf ihn schwören.14 Bei den Reisen der zweiten Gruppe nach Würzburg (1787), Straßburg (1788), zur Kaiserkrönung nach Frankfurt (1790)15 sowie in die Niederlande (1791) standen die Erhaltung und Erweiterung des adligen Netzwerks sowie die Bildung der Prinzessinnen im Vordergrund, beides wurde allerdings auch bei den Reisen nach Broich gepflegt. Reisen war kostspielig, was für die Landgräfin von Hessen-Darmstadt, die sich notorisch in Geldnöten befand, wohl ein Problem darstellte. Trotzdem nahm sie die – in ihren Worten – gleich mühsam[e] und kostspielig[e] Reise16 nach Broich vermutlich zur Herrschaftssicherung auf sich. Bei ihrem Aufenthalt im Jahr 1791 drängte ihr Sohn Georg Karl, der holländischer Generalmajor und Kommandant eines Infanterieregiments der Provinz Friesland war, auf einen Besuch in Aachen und später auch in den Niederlanden. Maria Luise Albertine lehnte die Reise der Kosten wegen zunächst ab. Erst als ihre Schwester Polyxene Wilhelmine von Leiningen anbot, die Kosten für die Reise zu übernehmen, konnten die Pläne Georg Karls in die Tat umgesetzt werden, und am 21. August reiste die Gesellschaft über Xanten nach Kleve.17 Als Transportmittel dienten auf den Jugendreisen eigene oder auch Postkutschen sowie Schiffe und Boote: Als die Prinzessinnen mit ihrer Erzieherin – inkognito als Madame de Vaudale mit ihren Töchtern – nach Straßburg reisten, nahmen sie ab Speyer die Postkutsche und kamen nach einer 23-stündigen Fahrt in der elsässischen Bischofsstadt an.18 Auch bei der Reise in die Niederlande war man auf Mietkutschen angewiesen. Auf der Reise in die Herrschaft Broich ging es angenehmer zu: Hier fuhren sie zunächst mit der eigenen Kutsche an den Rhein,
burg 1852, S. 209, unter: http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/urn/urn:nbn:de:hbz:061:1-73466 (letzter Zugriff 21. Juni 2016). 13 HStAD, Bestand D 4, Nr. 423/8. Für diese Verpfändung musste sie die Zustimmung ihrer Verwandten einholen. 14 Thiede/Franz: Jahre (wie Anm. 7), S. 125–128. Die Herrschaft Broich wurde 1806 aufgehoben, als sie Teil des neugeschaffenen Großherzogtums Berg wurde, s. Bastian Fleermann: Marginalisierung und Emanzipation. Jüdische Alltagskultur im Herzogtum Berg. Neustadt a. d. Aisch 2007, S. 94–100. 15 Thiede/Franz: Jahre (wie Anm. 7), S. 104–117 und S. 119–125. 16 Kamp: Schloss Broich (wie Anm. 12), S. 243. Kamp nennt die Reise des Jahres 1789 als die erste nach Broich. 17 Guido de Wert: Die Reiseroute, in: Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 1–20 (hier S. 18). 18 Bewältigt wurde eine Strecke von 46 Meilen, vermutlich meint Gélieu die französische Meile, die 3,9 Kilometer umfasste. Thiede/Franz: Jahre (wie Anm. 7), S. 105.
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wo in Biebrich ein Schiff bestiegen wurde, das die Reisegesellschaft rheinabwärts in vier Tagen bis nach Düsseldorf brachte. Gemietet wurden an Deck dazu vier Zimmer und zwei Küchen, neben dem Küchenchef wurden auch die Kutsche, zwei Pferde und vier Kanonen mitgeführt.19 Auch in den Niederlanden wurden größere Distanzen mit Treidelbooten zurückgelegt, etwa die Strecke von Utrecht nach Amsterdam und von Haarlem über Leiden nach Den Haag und von dort wieder zurück nach Utrecht.20 Bootsfahrten dienten jedoch nicht allein der Fortbewegung, sondern auch der Unterhaltung. In den Niederlanden fuhr die junge Prinzessin zum ersten Mal zur See, eine Unternehmung, die sie offensichtlich genoss: Das Meer war äußerst bewegt und der Wind legte unser Schiff immer auf die Seite und warf es manchmal von einer Seite auf die andere. Ich war nass wie ein Pudel von den Wogen, die sich an unseren Schiffen brachen und die Wellen waren auch von einer außerordentlichen Höhe. Unsere Überfahrt verlief gut und wir waren sehr vergnügt.21
In Duisburg segelte die Prinzessin auf einem Kanal, im Straßburg war eine Bootsfahrt Teil eines Festes, von Den Haag aus unternahm man einen Schiffsausflug nach Rotterdam.22 Luise von Mecklenburg-Strelitz genoss die Schiffsreisen und -ausflüge, so schrieb sie: [u]nsere ganze Fahrtstrecke nach Utrecht war herrlich.23 Im Gegensatz dazu scheint sie unter den Strapazen der Kutschreisen gelitten zu haben. Immer wieder erzählte die 15-Jährige in der Beschreibung meiner Reise nach Holland davon in plastischen Worten, deren Anschaulichkeit auch auf den kindlichen Adressaten Karl berechnet gewesen sein mochte: Wir kamen nur Schritt für Schritt voran und brauchten fünf Stunden, um nach Xanten zu gelangen; die Sonne röstet uns auf kleiner Flamme und wir glauben umzukommen. Der ganze Weg war nur Sand, brennend heißer Sand, ich glaube wie in Afrika.24
Vor allem das langsame Vorankommen scheint die Prinzessin nur schlecht ertragen zu haben, sie beklagte sich über Poststationen, die bei Pferdewechseln
19 Ebd., S. 85; zur Reise von 1791 s. a. Guido de Wert: Zur Reisegesellschaft, in: Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 1–20 (S. 15 ff.). 20 Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 7, S. 42, 58 f., 64, zur genauen Reiseroute s. ebd., S. 17–19. 21 Luise von Mecklenburg-Strelitz an Georg von Mecklenburg Strelitz, Amsterdam, 30. August 1791, in: Königin Luise: Briefe (wie Anm. 4), S. 5 22 Thiede/Franz: Jahre (wie Anm. 7), S. 90 und 113; Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 19. 23 Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 64. 24 Ebd., S. 24.
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schlecht arbeiteten, über Pferde, die sich wie Schnecken bewegten, und über Kutschen, die eng seien wie eine Heringstonne25. Schließlich geriet sie in Streit mit einem niederländischen Kutscher, den sie bat, schneller zu fahren. Das ich das gesagt habe, bedaure ich, denn ich empfing von ihm ein Gequatsche von einer halben Stunde […] aber in einem Ton, mit einer Zungengewandtheit, so daß meine Zunge sich im Mund wie angeklebt fühlte, ganz erstarrt von Verwunderung und Angst.26
Vermutlich war das Scheitern ihrer ersten Gehversuche gegenüber unbekannten Bediensteten der 15-Jährigen peinlich und sie wollte weitere Auseinandersetzungen vermeiden. Abgesehen vom Tempo war das Reisen auch körperlich anstrengend, die Tagebuchschreiberin berichtete von Flöhen, Staub, Hitze, der Seekrankheit der Großmutter und davon, dass von den Stößen der Fahrt ihre linke Seite ganz blau, grau und schwarz27 geworden sei. Während der Jugendreisen standen Besichtigungen von Gemäldegalerien,28 Kirchen, Klöstern,29 Schlössern30 und Landsitzen31 an. Auf der Rückreise von Broich nach Darmstadt im September 1787 machte man in Köln Station. In der Kirche Sankt Ursula wurden die Gebeine der Heiligen besichtigt, der Dom war Teil des Tourprogramms, jedenfalls sein – so Gélieu – für die Augen von Protestantinnen ungewöhnlich prächtiger Domschatz, möglicherweise auch das Grab der Heiligen Drei Könige, das gegen Bezahlung zur Besichtigung geöffnet32 wurde. Sankt Peter wurde wohl wegen Rubens’ Altarbild der Kreuzigung Petri besucht, auch
25 Ebd., S. 36. 26 Ebd., S. 40 sowie S. 24 und 27. 27 Aus dem Tagebuch der Hollandreise, in: Königin Luise: Briefe (wie Anm. 4), S. 6. 28 In der Düsseldorfer Gemäldegalerie bewunderte man 1787 die Gemälde von Rubens, Thiede/ Franz: Jahre (wie Anm. 7), S. 89 f., auch in Den Haag wurde die Gemäldegalerie besucht, s. Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 60. 29 In Werden wurde das Benediktinerkloster besucht, in Braubach das Kloster der Benediktinerinnen, in Straßburg jenes der Heiligen Magdalena, Thiede/Franz: Jahre (wie Anm. 7), S. 97, 103 und 111. 30 Im November 1787 besichtigte Gélieu mit den Prinzessinnen das Würzburger Schloss, im Sommer 1788 das Palais des Kardinals Rohan, Thiede/Franz: Jahre (wie Anm. 7), S. 104, 117 f., im Sommer 1791 das Schloss Huis ten Bosch, Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 61. 31 Etwa Haus Schüren, das für seinen Terrassengarten berühmte Anwesen des Barmer Kaufmanns Johann Karl Wuppermann, s. Thiede/Franz: Jahre (wie Anm. 7), S. 93, 152 oder das Haus Bellevue der Familie von Spaen in Kleve sowie jenes von Henry Hope in Amsterdam, Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 31, 58, 72, 79. 32 Angesichts der Geldnöte der Großmutter Prinzessin Luises war ein Besuch wohl unwahrscheinlich, da Gélieu diesen wohl beschrieben hätte, Thiede/Franz: Jahre (wie Anm. 7), S. 101.
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das Rathaus war Teil der Stippvisite.33 Von einem Besuch des Straßburger Münsters im Jahr 1788 und dem Erklimmen seines Turmes, vom dem aus die Prinzessin über das (deutsche) Elsass blickte – seit den 1870er Jahren fester Bestandteil des Königin-Luise-Mythos – berichtete Gélieu hingegen nichts.34 Die Sehenswürdigkeiten waren durchaus breit gestreut: In Amsterdam besuchte man das Rathaus, das Oost-Indische-Huis, Synagogen und den Hafen sowie eines der berühmten Armenhäuser und die Marineschule,35 in Den Haag das Naturalienkabinett,36 in Straßburg wurde die Prinzessin Zeugin einer Therapie gegen Schlafwandeln mittels Magnetisieren,37 in Duisburg wurde eine Schleuse besichtigt,38 außerdem standen immer wieder Denkmäler auf dem Programm39. Ausführlicher beschrieb die 15-Jährige das ‚Armenhaus‘ in Amsterdam, wohl das 1782 in Betrieb genommene Nieuwe Werkhuis. Sie rühmte die Anstalt als prachtvoll und sauber, schilderte aber ihr Entsetzen über den Besuch bei Mädchen von schlechter Lebensführung, die sie als Kreaturen bezeichnete und denen unter anderem Diebstahl zur Last gelegt wurde.40 In der Marineschule beobachtete sie den Unterricht am Übungsschiff und im Schulgebäude sowie die Unterbringung der Schüler, die wie auf Schiffen ebenfalls in Hängematten schliefen. Die Jugendliche bewertete die Ausbildung wohl in Übernahme der Angaben und Wertungen der Personen, die ihr eine Führung gaben, als nützlich, da nun nur ausgebildete junge[… ] Leute in den Marinedienst übernommen würden.41 Die Reise scheint damit auch dem Zweck gedient zu haben, das moralische Urteilsvermögen der Prinzessin zu festigen und zu bestätigen. Ein weiteres, durchaus ungewöhnliches Reiseziel waren Fabriken in der unmittelbaren Umgebung von Broich. In Elberfeld inspizierte die Reisegesellschaft die Schnürriemenfabrik von Johann Heinrich Bockmühl und ebenso die Leinenspitzenfabrik der Gebrüder Engels,42 wo die Gäste mit Spitzen beschenkt
33 Ebd., S. 100 f., 159. 34 Ebd., S. 105–118; Birte Förster: Der Königin Luise-Mythos. Mediengeschichte des „Idealbilds deutscher Weiblichkeit“, 1860 bis 1960. Göttingen 2011, S. 105 f. 35 Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 48. 36 Ebd., S. 60, 80. 37 Thiede/Franz: Jahre (wie Anm. 7), S. 112. 38 Ebd., S. 91. 39 In Delft wurden die Grabmäler der Prinzen von Oranien besucht, Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 2–4; in Straßburg das Denkmal des Marschalls von Sachsen, s. ebd., S. 114. 40 Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 48, 77; tags darauf besuchte sie das Maagdenhuis und urteilte: Da kann ich nur wiederholen: Sauberkeit, gute Ordnung, ja sogar Pracht, s. ebd., S. 51, 78. 41 Ebd., S. 48. 42 Bei den Eigentümern handelte es sich um Johann Caspar und Benjamin Engels, Großvater und Großonkel von Friedrich Engels.
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wurden. In Duisburg stand eine Tabakmühle auf dem Programm, auch eine Papiermühle wurde in Augenschein genommen. Einen intensiveren Kontakt scheint die Prinzessin von Hessen-Darmstadt zu Johann Gottfried Brügelmann angestrebt zu haben, der eine mechanische Baumwollspinnerei in Ratingen betrieb und dafür bekannt war, ein Geheimnis um den Techniktransfer aus Großbritannien zu machen. Die Baumwollspinnerei, in der nach den Worten Gélieus mit Ausnahme der Aufseher […] nur Kinder43 arbeiteten, besichtigte die Reisegesellschaft Ende August 1787. Im Vorfeld der dritten Reise nach Broich verhandelte Marie Luise Albertines Sohn Karl Friedrich mit Brügelmann, denn seine Mutter verfolgte Pläne zur Gründung einer Baumwollspinnerei in Broich, wofür sie dem Mülheimer Unternehmer Johann Caspar Troost bereits 1791 ein Privileg verlieh.44 So kam die jugendliche Prinzessin durch die wirtschaftlichen Aktivitäten ihrer Großmutter auch mit Akteuren der Frühindustrialisierung in Kontakt. Da diese Fabrikbesuche nur in den Aufzeichnungen ihrer Erzieherin dokumentiert sind, wissen wir nichts darüber, wie die Prinzessin diese Besuche wahrnahm. 1791 notierte sie allerdings im Tagebuch der Reise nach Amsterdam: nur durch Handel gelangt man zu größeren Reichtümern.45 In Amsterdam besuchte die Reisegesellschaft auch die Familie und Fabrik des bekannten Posamentenfabrikanten J. Francq van den Corput, dessen Reichtum die 15-Jährige beeindruckt schilderte. Unmittelbar darauf reflektierte die Prinzessin in ihrem Tagebuch das Motto Glücklich durch Verdienst wie folgt: Das ist ein schöner Wahlspruch und mir scheint er würdig genug, ihm nachzueifern, denn, nachdem ich darüber nachgedacht habe, frage ich mich: Welches Glück ist dem Glück vorzuziehen, das man als Belohnung für seine Arbeit genießt?46
Zum traditionellen Bildungskanon adliger Mädchen und ihrer Vorbereitung auf repräsentative Aufgaben gehörten solche Aktivitäten nicht.47 Im Sommer 1788 reiste Gélieu mit den Prinzessinnen nach Straßburg, wo sie bei Pfalzgraf Max Joseph von Zweibrücken-Birkenfeld (1756–1825) lebten, der dort als französischer Oberst stationiert war. Der spätere Herzog von Zweibrücken
43 Thiede/Franz: Jahre (wie Anm. 7), S. 96. 44 Ebd., S. 93–98, 154, 158. 45 Luise: Reise (wie Anm. 7), S. 46. 46 Ebd., S. 50, 78. 47 Fremdsprachen, Musik, Kunst standen neben Lesen, Schreiben und Religion auf dem Programm, s. Irene Hardach-Pinke: Erziehung durch Gouvernanten, in: Elke Kleinau/Claudia Opitz (Hrsg.), Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung. Bd. 1: Vom Mittelalter bis zur Aufklärung. Frankfurt a. M., New York 1996, S. 407–427, hier S. 411–416.
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und König von Bayern war mit einer Tante Prinzessin Luises verheiratet, Prinzessin Auguste von Hessen-Darmstadt (1765–1796). Beim Aufenthalt in Straßburg reihten sich Theater- und Opernbesuche, Konzerte, Ausflüge und Tanzveranstaltungen aneinander. Prinzessin Luises Zeit in der seit 1697 französischen alten Reichsstadt diente wohl auch dazu, erste Schritte auf dem öffentlichen Parkett zu unternehmen. Dass die Bildung auf dieser Reise hinter der ‚Zerstreuung‘ zurücktrat, kommentierte Gélieu so: Es freut mich dies um so mehr, als sie [die Prinzessinnen] kein gezwungenes Wesen zur Schau tragen, obwohl sie sich eines Tages auf dem Schauplatz der großen Welt befinden werden, wo sie dazu bestimmt sind zu glänzen, und dies hoffentlich ebenso durch ihre ererbten Tugenden wie durch ihre Stellung. Ich finde, daß ein wenig Zerstreuung nicht nur angemessen für die Gesundheit ist, sondern auch die Welt kennen lehrt und uns anregt, in unseren Mußestunden ernstere Betrachtungen anzustellen.48
Mindestens ebenso wichtig wie die Bildung der Prinzessin scheinen die Pflege und der Ausbau eines adligen Netzwerks gewesen zu sein. Vor allem der Aufenthalt in Frankfurt 1790 anlässlich der Kaiserkrönung Leopolds II. diente diesen Interessen. Prinzessin Luise nahm an Lustspielen und Bällen teil, der Kaiserin wurde allerdings nur die ältere Schwester Therese (1773–1839) vorgestellt.49 Auch Reiserouten wurden entlang der Aufenthaltsorte potentieller Heiratskandidaten geplant: So war Aachen 1791 ein interessantes Reiseziel, weil sich dort mit dem britischen Prinzen Friedrich August, Herzog von York und Albany (1763–1827) ein Verwandter und potentieller Heiratskandidat für Prinzessin Luise aufhielt. Die Prinzessin war ihm 1787 in Darmstadt und Duisburg begegnet50 und schrieb im Juli 1791 an ihren Bruder Georg, es sei ihr eine große Freude ihn wiederzusehen51. Als jedoch bekannt wurde, dass der Herzog sich im Sommer 1791 mit Friederike von Preußen verlobt hatte, wurde die Reiseroute geändert, und man fuhr über Kleve in die Niederlande.52 1792 waren die Prinzessinnen von Mecklenburg-Strelitz in Frankfurt erneut Zeuginnen einer Kaiserkrönung, an Einladungen zu einem der Bälle zweifelte die 16-jährige Prinzessin Luise jedoch: gewiß wird man sich keine Mühe darum geben so unbedeutende Wesen wie Friederike und mich auszugraben. Ich kann Dir nicht verbergen, daß mir das ein wenig Kummer macht, schrieb sie an
48 Thiede/Franz: Jahre (wie Anm. 7), S. 107. 49 Ebd., S. 119–125. 50 Ebd., S. 95. 51 Luise von Mecklenburg Strelitz am 19. Juli 1791 an Georg von Mecklenburg-Strelitz, in: Königin Luise: Briefe (wie Anm. 4), S. 3 f. 52 Gélieu: Die Erzieherin (wie Anm. 5), S. 128.
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ihre Schwester Therese von Thurn und Taxis.53 Eine weitere Reisebekanntschaft der Prinzessinnen Luise und Friederike sollte im folgenden Jahr mehr Erfolg zeitigen: Nachdem die Familie vor den Revolutionstruppen zur Schwester Charlotte nach Hildburghausen geflohen war, machte sie im März 1793 wieder in Frankfurt Station, wo ein Treffen mit dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm und dessen Bruder Ludwig arrangiert wurde. Wenig später waren beide mit den preußischen Prinzen verlobt und im Dezember 1793 traten sie die Reise nach Berlin an.
2 Symbol der neuen Monarchie: Repräsentative Reisen 1798 bis 1810
Abb. 2: Zwei Reisen der Königin Luise von Preußen: die Huldigungsreise 1798 und die Reise nach St. Petersburg 1809.
53 Luise von Mecklenburg-Strelitz am 19. Juli 1792 an Therese von Thurn und Taxis, in: Königin Luise: Briefe (wie Anm. 4), S. 9. Sie war zu pessimistisch: Tatsächlich eröffnete die Prinzessin den Ball des Fürsten Nikolaus Esterhazy mit Graf Metternich.
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Abb. 3: Auf der Reise zur Hochzeit. Luise und Friederike von Mecklenburg-Strelitz ziehen in der Kutsche durch eine Ehrenpforte am Forum Fridericianum in Berlin ein.
Durch ihre Verlobung mit dem preußischen Kronprinzen am 19. März 1793 änderte sich der Charakter der Reisen Prinzessin Luises. Bisher war sie weitgehend unbemerkt gereist, etwaige Ehrbekundungen hatten der Großmutter gegolten. Dies war mit ihrem Einzug in Berlin am 22. Dezember 1793 auf einen Schlag anders. Nach Augenzeugenberichten wurde sie von der Bevölkerung jubelnd empfangen, Schaulustige drängten sich auf Straßen und Plätzen, an den Fenstern und sogar auf Dächern.54 In der schon zu Lebzeiten einsetzenden Legendenbildung war vor allem eine Begebenheit ihres Einzugs in Berlin gegenwärtig: Als die Kutsche an der Ehrenpforte hielt, die Unter den Linden errichtet worden war, damit die künftige Kronprinzessin einer Darbietung von Kindern lauschen konnte, hob die junge Frau ein kleines Mädchen in die Kutsche, umarmte und küsste es. Der Schelte der Oberhofmeisterin Voß, der Hüterin der höfischen Etikette, begegnete sie mit der Frage, ob sie das nicht mehr tun dürfe.55 Die Botschaft dieser Episode, so Wulf Wülfing, ist deutlich: „Die 17jährige Frau sei ‚einfach‘ und ‚menschlich‘
54 So Friedrich August Ludwig von der Marwitz, zitiert nach Büschel: Untertanenliebe, S. 198. 55 S. etwa Friedrich Adami: Königin Luise. Ihr Leben, Leiden und Sterben. Berlin 1851, S. 40.
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und ignoriere in sittlich ‚reiner‘ Freude die Etikette des Hofes, die zu dieser Zeit als moralisch heruntergekommen gilt.“56 Schon ihr erster öffentlicher Auftritt wurde also dazu genutzt, die preußische Kronprinzessin als ‚natürliches‘ Gegenbild zur Hofetikette zu inszenieren. Das Kronprinzenpaar wurde als einander liebendes, einfach lebendes, bürgerliches Ehepaar dargestellt, was nach der Thronbesteigung im November 1797 namentlich von den Jahrbüchern der preußischen Monarchie vorangetrieben wurde. In den politischen Visionen der romantischen Publizisten wurden König und Königin als bürgerlich-tugendhaftes Liebes- und Ehepaar dargestellt, das als Vorbild an der Spitze der Volksfamilie stand.57 Diese Inszenierung war auch auf der Huldigungsreise in die östlichen Provinzen Preußens stets gegenwärtig, die das junge Königspaar im Frühsommer 1798 vor der Huldigungsfeier am 6. Juli in Berlin unternahm. Nun, warum reise ich? Dieses lässt sich leicht erraten, weil mein Mann es wünscht; dieser Wunsch, ich möchte ihn begleiten, machte mich sehr glücklich, ein neuer Beweis seiner Liebe kann mir nicht gleichgültig sein58 – so beschrieb die Königin am 11. April 1798 ihrem Bruder Georg die Gründe für ihre vierwöchige Reise. Die vorgesehene Reiseroute verlief über Pommern und Danzig nach Ostpreußen, dann über Warschau und Breslau zurück nach Berlin. Die im achten Monat schwangere Königin sollte in kleineren Etappen als der König reisen, an den Hauptorten der Reise sollten sie zusammentreffen. Ihr neuer Status als Königin spiegelte sich auch in der Art des Reisens: Außerdem noch werden alle Wege meiner teuren Person wegen ausgebessert, ich habe meine eigene Kutsche und Vorreiter, die mich fahren, und die kleine Frau Schultzen mit, die mich warten und pflegen soll.59 Die Strapazen der Reise milderten eigene Kutsche und Personal jedoch nur bedingt, die langen Kutschfahrten und die Hitze machten der Königin zu schaffen,60 auf der Fahrt nach Warschau hatte sie sogar einen Unfall, der jedoch glimpflich verlief.61
56 Wulf Wülfing/Karin Bruns/Rolf Parr (Hrsg.), Historische Mythologie der Deutschen 1798– 1918. München 1991, S. 68. 57 Hagemann: ‚Mannlicher Muth‘ (wie Anm. 3), S. 354 f. sowie Matthias Schwengelbeck: Die Politik des Zeremoniells. Huldigungsfeiern im langen 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M., New York 2007 (Historische Politikforschung 11), S. 120. 58 Königin Luise von Preußen am 11. April 1798 an Georg von Mecklenburg-Strelitz, in: Königin Luise: Briefe (wie Anm. 4), S. 133. 59 Ebd. 60 Tagebuch der Reise durch Pommern, Stargard den 25. Mai 1798, ebd., S. 135 f. 61 Königin Luise von Preußen am 12. Juni 1798 an Luise Albertine von Hessen-Darmstadt, ebd., S. 140 f.
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An den Umspannstationen und bei Pausen wurde die Königin von Untertanen begrüßt – eine nicht nur angenehme Erfahrung: Auf dem Weg nach Köslin fühlte sie sich fast erstickt durch die Menschenmenge, die sich bei der Durchfahrt versammelt hatte, und dort angekommen, wurde sie mit entsetzliche[m] Lärm empfangen.62 Sodann gab es Empfänge, in Köslin baten adlige Damen und ein Abgeordneter aus Kolberg um Audienzen. Für die wartende Menge kam sie ihrer monarchischen Zeigepflicht63 nach und ließ sich am Fenster bejubeln, den Blumen streuenden Mädchen, die sie in der Regel in Empfang nahmen, suchte sie ihre Dankbarkeit dafür zu beweisen64. Bei längeren Aufenthalten an den Hauptorten der Reise hatte das Königspaar ein umfassendes Unterhaltungsprogramm zu absolvieren, das frühmorgens begann und bis in die Nacht andauerte, auch die Königin gab Empfänge, die sie als strapaziös empfand.65 Die Huldigungsreise war Teil jenes monarchischen Zeremoniells, das die politische Herrschaft um 1800 rechtfertigen und festigen sollte.66 Der Wunsch Friedrich Wilhelms III., seine Gattin möge ihn begleiten, war wohl nicht allein in der Beziehung der beiden begründet, sondern auch im Versuch, sich von der Hofhaltung des Vaters abzugrenzen und sich als nahbares Königspaar zu präsentieren.67 Auf der Huldigungsreise war Königin Luise der Mittelpunkt der Feierlichkeiten und es oblag ihr, den „größten Teil der monarchischen Repräsentationspflichten“68 wahrzunehmen, denn ihr Gatte tat sich mit seiner repräsentativen Rolle schwer, bezeichnete Zeremonien gar als Possen69. Sie selbst sah den Zweck ihrer Reise darin, das emotionale Band zwischen Untertanen und König zu festigen:
62 Tagebuch der Reise durch Pommern, Stargard den 25. Mai 1798, ebd., S. 136. 63 Alexa Geisthövel: Wilhelm I. am „historischen Eckfenster“: Zur Sichtbarkeit des Monarchen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in: Jan Andres/Dies./Matthias Schwengelbeck (Hrsg.), Die Sinnlichkeit der Macht. Herrschaft und Repräsentation seit der Frühen Neuzeit. Göttingen 2005 (Historische Politikforschung 5), S. 163–185 (hier S. 164). 64 Tagebuch der Reise durch Pommern, Stargard den 25. Mai 1798, Königin Luise: Briefe (wie Anm. 4), S. 135 f. Zum Einzug in Köslin s. a. Schwengelbeck: Politik (wie Anm. 57), S. 122. 65 Königin Luise von Preußen am 9. Juni 1798 an Friederike von Preußen, Königin Luise: Briefe (wie Anm. 4), S. 138; Tagebuch der Reise durch Pommern, Stargard den 25. Mai 1798, in: ebd., S. 135 f. 66 Büschel: Untertanenliebe (wie Anm. 2), S. 25. 67 Alexa Geisthövel: Nahbare Herrscher. Die Selbstdarstellung preußischer Monarchen in Kurorten als Form politischer Kommunikation im 19. Jahrhundert, in: Universität Bielefeld (Hrsg.), Forschung an der Universität Bielefeld 24 (2002), S. 32–37. 68 Schwengelbeck: Politik (wie Anm. 57), S. 120 f. Schwengelbeck hält auch die Reiseplanung für einen Teil dieser Inszenierung, sie konnte aber auch dem Umstand geschuldet sein, dass die Königin wegen ihrer Schwangerschaft in kürzeren Etappen reiste. 69 Zitiert nach ebd., S. 86.
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Ich werde alles anwenden, um ohne Zwang die Liebe der Untertanen durch Höflichkeit, zuvorkommendes Wesen, Dankbarkeit da, wo man mir Beweise der Liebe und Anhänglichkeit geben wird, zu gewinnen und zu verdienen, und so glaube ich, werde ich mit Nutzen reisen.70
Aus Sicht der Königin schien diese Strategie aufzugehen, denn sie berichtete von Liebe und Anhänglichkeit der Bevölkerung.71 Matthias Schwengelbeck betrachtet das Programm der Huldigungsreise als Teil der eingangs erwähnten Inszenierung des Königspaares als Landesvater und Landesmutter,72 wobei vor allem die Königin als Projektionsfläche für dieses bürgerliche Modell von Monarchie gedient habe. Exemplarisch nennt Schwengelbeck den Empfang für Königin Luise in Breslau, bei dem sie als Vorbild „bürgerlicher und häuslicher Tugend“ in Szene gesetzt worden sei. Nicht zufällig spielten die Geschenke der Ehefrauen und Töchter bedeutender Kaufleute der Stadt auf die bevorstehende Mutterschaft der Königin an, unter den Geschenken waren Leinenstoffe, eine Kinderklapper und ein Wiegenband.73 Die sichtbar schwangere Königin ließ sich als Mutter eigenen Nachwuchses wie als Mutter der Landeskinder inszenieren, sie stand für das private, als bürgerlich dargestellte Familienleben des Königspaares. Die Inszenierung wurde vornehmlich von städtischen Interessengruppen vorangetrieben, vor allem der Landesmutter wurde immer wieder symbolische Anerkennungen durch Empfänge, Audienzen und andere Akte der Repräsentation zuteil. Konkrete politische Maßnahmen wurden durch solche symbolischen Handlungen nicht in Aussicht gestellt: Das bürgerliche Geschlechterkonzept lokalisierte auch die Königin in der privaten Sphäre. Der Königin wurde kein body politic zugewiesen, ihr body natural stand im Vordergrund.74 Sie zur bürgerlichen Landesmutter zu stilisieren war also für das an der Inszenierung beteiligte bürgerliche Publikum eine durchaus zwiespältige Angelegenheit, denn Luises Nahbarkeit hatte keine Konsequenzen im politischen Handeln. Diese um 1800 auch an anderen europäischen Höfen zu beobachtende Interpretation der Monarchie führte keineswegs zu mehr Partizipation für die
70 Königin Luise von Preußen am 11. April 1798 an Georg von Mecklenburg-Strelitz, Königin Luise: Briefe (wie Anm. 4), S. 134, im Original mit Hervorhebungen. 71 Königin Luise von Preußen am 4. Juni 1798 an Georg von Mecklenburg-Strelitz, ebd., S. 137. 72 Hagemann: ‚Mannlicher Muth‘ (wie Anm. 3), S. 350–357, 366–374. 73 Schwengelbeck: Politik (wie Anm. 57), S. 123 f., Zitat S. 124. 74 Birte Förster: Die ‚reine Frau‘ gegen den ‚korsischen Dämon‘ – mediale Darstellungen von Außenbeziehungen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Corina Bastian/Eva Dade/Christian Windler (Hrsg.), Das Geschlecht der Diplomatie. Köln u. a. 2014, S. 145–162, hier S. 148–150.
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Bürger und noch weniger für Bürgerinnen.75 Der Zweck der Huldigungsreise, den Untertanen die Neuausrichtung monarchischer Selbstdarstellung zu kommunizieren, wurde dennoch erfüllt. Ihre einzige Auslandsreise unternahm Königin Luise im Dezember 1808 und Januar 1809 nach St. Petersburg, und dies unter ganz anderen Bedingungen. Der preußische Hof hielt sich seit dem Herbst 1806 in Königsberg und Memel im Exil auf, die Rückkehr nach Berlin war ungewiss, der Zar war 1807 im Frieden von Tilsit ein Bündnis mit Napoleon eingegangen. Motivation für die Reise – eine Einladung Alexanders I. war im Oktober 1808 bei dessen Kurzbesuch in Königsberg erfolgt – waren wohl die Bemühungen Friedrich Wilhelms III., einen Nichtangriffspakt mit Russland und Österreich zu schließen. Erst bei seiner Abreise soll er dazu Stellung bezogen haben, während des eigentlichen Besuchs fanden keine politischen Gespräche statt.76 Die mehr als elf Tage dauernde Anreise ging von Königsberg über Memel und Mitau (Jelgava) nach Riga, wo man auf die Brüder des Königs, die Prinzen Wilhelm und August von Preußen traf, die Teil der Entourage waren. Von dort aus fuhr man über Dorpat (Tartu) und Narva nach St. Petersburg. Für die Königin war die Reise anstrengend, sie litt trotz der vom Zaren bereitgestellten Pelze unter der Kälte und berichtete von Frostverletzungen ihrer Bediensteten. Es scheint, als hatte der Zar die Organisation der Reise übernommen, ab der Grenze in Polangen (Palanga) wurden die Reisenden von einem russischen Husarenregiment bis nach Riga begleitet, und auch für Unterbringung und Verpflegung des exilierten Königspaares und seiner Begleiter/-innen schien er gesorgt zu haben. Als das Paar am 7. Januar 1809 vor den Toren St. Petersburgs anlangte, wurde es vom Zaren erwartet, und man zog gemeinsam in einem achtspännigen Galawagen vorbei an Militärparaden in die Stadt ein, wo die Zarin Elisabeth und die Zarinmutter Maria Fjodorowna die Gäste im Winterpalais empfingen.77 Eingeladen hatte Alexander die Gäste aus Preußen wohl auch, um sie mit höfischer Prachtentfaltung zu beeindrucken. Immer wieder beschrieb Königin Luise den Reichtum russischer Hofhaltung – Großer Salon, voll von Tischen mit Diamanten. Eine Flut von Steinen und Monster von Steinen78 –, und sie legte selbst
75 Monika Wienfort: Monarchie in der bürgerlichen Gesellschaft. Deutschland und England von 1640–1848. Göttingen 1993 (Bürgertum 4), S. 169; Ute Daniel: Hoftheater. Zur Geschichte des Theaters und der Höfe im 18. und 19. Jahrhundert. Stuttgart 1995, S. 124 f. 76 Thomas Stamm-Kuhlmann: König in Preußens großer Zeit. Friedrich Wilhelm III. Der Melancholiker auf dem Thron. München 1992, S. 298. 77 Tagebuch der Reise nach St. Petersburg, Königin Luise: Briefe (wie Anm. 4), S. 453–459. 78 Ebd., S. 461, s. a. S. 459 f., 463, sowie Königin Luise am 15. Februar 1809 an Marianne von Preußen, in: ebd., S. 473.
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Wert auf eine möglichst glänzende Kleidung und Schmuck, um vor den Augen der Zarinmutter Gnade zu finden. Fast jeden Abend wurde ein Fest gegeben oder man besuchte Theater, Ballett und Oper. Die Königin absolvierte zudem eine Art ‚Damenprogramm‘, bei dem die Zarinmutter die von ihr protegierten karitativen Einrichtungen vorführte: das Smolnij-Institut für die Erziehung adliger Mädchen, das Katharinenstift für bürgerliche Waisenmädchen, eine Hebammenschule und ein Waisenhaus für Findelkinder.79 Dass die Königin die diplomatischen Bemühungen ihres Mannes unterstützte, ist nur zwischen den Zeilen der Berichte zu lesen. Nach einem Theaterbesuch in Anwesenheit des russischen Außenministers Rumianzow notierte sie am 16. Januar 1809: Ich finde viel Anteilnahme für uns und unser Geschick.80 Deutlicher wurde Königin Luise im Dankesschreiben an den Zaren, das sie noch auf der Heimreise in Memel verfasste: Ich empfehle Ihnen noch die Interessen des Königs, das zukünftige Glück meiner Kinder und ganz Preußens. Möchten Sie den Ideen des Königs über die Garantie der drei Staaten Rußland, Österreich und Preußen zustimmen, möchte die unterzeichnete Konvention die Existenz Ihrer wahren Freunde in Berlin sichern.81
Anders als von Thomas Stamm-Kuhlmann vertreten, hatte der Besuch nicht das Ziel, im „russischen Luxus“ der Enge Memels zu entfliehen.82 Aus dynastischer Sicht war das zumindest an der Oberfläche gute Verhältnis der Monarchen langfristig ein Erfolg, denn Prinzessin Charlotte von Preußen, die älteste Tochter von Friedrich Wilhelm und Luise, heiratete 1817 den Großfürsten Nikolaus, den Bruder Alexanders I., und wurde als Alexandra Fjodorowna 1825 Zarin von Russland.83 Auch wenn der Abschied am 31. Januar 1809 tränenreich ausfiel – Der König weinte, ich schluchzte84 – und die Königin in der drei Jahre jüngeren Zarin Elisabeth, geborenen Prinzessin Louise von Baden, eine Verbündete gefunden zu haben glaubte,85 fühlte sie sich in St. Petersburg nicht wohl. Sie klagte über Fieber, Zahnschmerzen, Übelkeit,86 zu wenig Schlaf und Erschöpfung, in der dritten Besuchswoche musste sie sogar das Bett hüten. Wieder in Preußen angekommen, war sie zu krank für Dankesschreiben und sonstige Korrespondenz.
79 Tagebuch der Reise nach St. Petersburg, ebd., S. 461, 466, 469 f. 80 Ebd., S. 465. 81 Königin Luise am 9. Februar 1809 an Zar Alexander, ebd., S. 475. 82 Stamm-Kuhlmann: König (wie Anm. 75), S. 297. 83 Tagebuch der Reise nach St. Petersburg, Königin Luise: Briefe (wie Anm. 4), S. 473. 84 Ebd., S. 472. 85 Königin Luise am 27. Februar 1809 an Frau von Berg, ebd., S. 483. 86 Ebd., S. 460.
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Ihre Krankheit, so teilte sie der Zarinmutter am 20. Februar 1809 weiter mit, sei auch der Grund, warum sich die Übersiedlung nach Berlin weiter verzögere.87 Da die Königin um Mitteilung ihres Zustands an Zar und Zarin bat, kann das Schreiben auch als Versuch gewertet werden, die Bemühungen ihres Mannes um einen Nichtangriffspakt in Erinnerung zu rufen. Dass dieser nicht zustande kam, mag einer der Gründe für die rückblickende Bewertung ihrer Reise sein, die sie ihrem Bruder Georg anvertraute: ganz Petersburg und seine Feste [waren] mir Pein und Strafe.88
3 Letzte Reise O welche Reise! / Wie traurig leise / Durchzogen wir der schwarzen Fichten Nacht. / Es fielen unsre Tränen in den Sand; / Sie gab einst Schönheit diesem Land89 – so beschrieb der Dichter Achim von Arnim in der Kantate Nachtfeier nach der Einholung der Hohen Leiche Ihrer Majestät der Königin im August 1810 deren letzte Reise. Die sterblichen Überreste der am 19. Juli 1810 Verstorbenen wurden vom 25. bis zum 27. Juli 1810 von Hohenzieritz über Gransee und Oranienburg nach Berlin überführt. Der Leichenzug wurde von mecklenburgischen Soldaten und Forsteinheiten begleitet. Wie Hubertus Büschel in seiner Studie über Untertanenliebe darstellt, habe es Anweisungen des Hofmarschalls, des Innenministeriums und der Landräte für die an der Route des Leichenzugs Ansässigen gegeben, denn bei der Bewachung des Leichnams sei man auf die Unterstützung der Anwohner angewiesen gewesen. Hielt der Leichenzug an, war die Bürgerschaft verantwortlich für dessen Sicherheit. Passierte er eine Ortschaft, waren die Glocken zu läuten, bei Reisepausen hatten Magistrat, Pfarrer und angesehene Bürger ihn zu empfangen. Die Stadt Gransee, wo der Leichnam in der Nacht vom 25. bis 26. Juli 1810 halten sollte, erhielt gesonderte Anweisungen und die Aufforderung des Innenministers von Dohna, den Aufenthalt des Leichenzugs zum Anlass für Beweise ihrer patriotischen Gesinnungen90 zu nehmen. Noch einen Monat zuvor hatte der zuständige Landrat Zieten beim Magistrat von Gransee moniert, dass die Königin auf der Hinreise unbemerkt durch Gransee gereist sei, und für künf-
87 Königin Luise am 20. Februar 1809 an die Zarinmutter Maria Feodorowna, ebd., S. 477. 88 Königin Luise am 21. Februar 1809 an Georg von Mecklenburg-Strelitz, ebd., S. 479. 89 Achim von Arnim: Nachtfeier nach der Einholung der Hohen Leiche Ihrer Majestät der Königin, in: Werke. Bd. 3, hrsg. v. Reinhold Steig, Leipzig 1911, S. 381–404, hier S. 394. 90 Innenminister von Dohna an den Magistrat von Gransee am 22. Juli 1810, zitiert nach Büschel: Untertanenliebe (wie Anm. 2), S. 137.
Reisen, repräsentieren, fliehen
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tige Besuche Spalier, Blumen, Erfrischung, Musik und anständige Kleidung der Bevölkerung verlangt. Doch nun wurde ihnen ob ihrer Anstrengungen Anerkennung aus Berlin zuteil, denn sie hätten ihre Liebe zum Königshaus demonstriert. Dies scheint der Ansporn für weitere Tätigkeiten und zugleich die Möglichkeit positiver Selbstdarstellung gewesen zu sein, denn die Granseer publizierten nicht nur im Jahr darauf ihre Leistungen – der Chor, das Bewachen der Leiche, das Einund Auszugszeremoniell – in einer kleinen Schrift,91 sie errichteten auch einen von Schinkel entworfenen Eisengussbaldachin an der Stelle, wo der Leichnam von einem Zelt geschützt gestanden hatte. Der sogenannte Luisenplatz wurde zum Erinnerungsort, laut Fontane ließ Friedrich Wilhelm III. stets am Baldachin haltmachen, 1860 und 1910 fanden Erinnerungsfeiern statt, auch Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg waren Teil der Erinnerungskultur.92 In Berlin war das Interesse der Bevölkerung am Leichenzug laut Wilhelm von Humboldt groß. Der Leichnam der Königin wurde jedoch nicht aufgebahrt, weil er von der Überführung und wohl auch eine Woche nach dem Tod angegriffen war. Dennoch baten viele Bürgerinnen und Bürger darum, sich von der Königin persönlich verabschieden zu können. Wieweit dieses Interesse tatsächlicher Trauer oder aber der symbolischen Demonstration der Courfähigkeit geschuldet war, ist – so Hubertus Büschel – nicht klar zu erkennen.93 Auch nach ihrem Tod hatte die symbolische Nähe zur Königin offensichtlich eine große Bedeutung für die Bevölkerung.
4 Schluss: Reisen als Begleiterin Von Kindheit an gehörte Mobilität zur Alltagserfahrung der Prinzessin und späteren Königin: Reisen mit der Großmutter, nach der Heirat beständiger Wohnortwechsel zwischen Potsdam, Paretz, Charlottenburg und Berlin. Im Exil hatte die Königsfamilie zwischen 1806 und 1809 keinen festen Wohnsitz. Wo sie sich aufhielt, war durch die jeweilige Kriegssituation bestimmt. In dieser offenen Situation war der politische Einfluss der preußischen Königin am größten, dies ist allerdings auch damit zu erklären, dass politische Reformen nun nicht mehr aufgeschoben werden konnten. Und selbst in dieser Situation war sie vor allem
91 Ebd., S. 136 ff. 92 Theodor Fontane: Das Luisen-Denkmal, in: Walter Keitel (Hrsg.), Theodor Fontane. Sämtliche Werke. Wanderungen durch die Mark Brandenburg 1. Darmstadt 1966, S. 499–502; Förster: LuiseMythos (wie Anm. 34), S. 227–230. 93 Büschel: Untertanenliebe (wie Anm. 2), S. 199 ff.
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Birte Förster
als Beraterin ihres Mannes in Personalfragen tätig, zudem schürte sie die antifranzösische Stimmung bei Hof.94 Ganz gleich ob Jugendreisen, ob aus repräsentativen oder privaten Gründen: Luise von Preußen reiste in der Regel als Begleiterin eines Familienmitglieds. Trotz ihrer hohen sozialen Stellung ergaben sich ihre Bewegungsmuster aus den Reiseplänen anderer. Dieses Muster hing eng mit dem von Annette Cremer thematisierten Grad an Freiwilligkeit95 zusammen, freiwillig reiste die Königin wohl nur 1806 zur Kur nach Bad Pyrmont und 1810 nach Hohenzieritz, um ihre Großmutter und ihren Vater wiederzusehen, und für diese Reise war die Erlaubnis des Königs einzuholen. Auch der Zweck ihrer Reisen wurde von anderen determiniert, als Königin reiste sie als Repräsentantin ihres Landes, ihr Tagesablauf auf den Reisen war von diesen Pflichten als öffentlicher Person geprägt.
94 Luise Schorn-Schütte: Königin Luise. Leben und Legende. München 2003, S. 50, 57. 95 Cremer: Einführung (wie Anm. 1).
Christina Vanja
Zur Bubenquelle nach Bad Ems Die Badereisen der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (1709–1758), Kurfürstin Maria Anna Sophie von Bayern (1728–1797), Königin Amalie von Griechenland (1818–1875) und Erbgroßherzogin Mathilde von Hessen-Darmstadt (1813–1862)
1 Badekuren gegen Unfruchtbarkeit: Die Bubenquelle in Bad Ems im 18. und 19. Jahrhundert Im Lande wünschte man sich sehnlichst einen Thronerben.1 Für Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth ebenso wie für drei weitere verheiratete Fürstinnen, die im Folgenden vorgestellt werden, war ihre – vermutete – „Unfruchtbarkeit“ der Beweggrund zur Reise nach Bad Ems. Das Bad an der Lahn zwischen Limburg und Koblenz galt seit der Bäderrenaissance im 14./15. Jahrhundert2 als heilsamer Ort sowohl für Erkrankungen der Atemwege als auch bei weiblicher Sterilität. Die frühe Schrift von Dr. Johannes Dryander Vom Eymsser Bade von 1535 widmete sich bereits explizit dem Frauenbad: Den frawen so an ihrer mutter erkaltet/vnnd von des wegen vnfruchtbar sein/hilfft es wider zu recht.3 Noch bis zum Fin de Siècle sollten zahlreiche weitere Ärzte Werbung für Bad Ems machen, das besonders Frauen mit Kinderwunsch helfe.4 Eine Statistik besitzen wir nicht, aber es steht
1 Ingeborg Weber-Kellermann (Hrsg.), Wilhelmine von Bayreuth. Eine preußische Königstochter. Glanz und Elend am Hofe des Soldatenkönigs in den Memoiren der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth. Frankfurt a. M. 1990, S. 475. 2 Gerhard Baader: Badewesen, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 1. Stuttgart/Weimar 1999, Sp. 1340–1341; Pius Kaufmann: Gesellschaft im Bad. Die Entwicklung der Badefahrten und der „Naturbäder“ im Gebiet der Schweiz und im angrenzenden südwestdeutschen Raum (1300– 1610). Zürich 2009; Matthias Bitz: Badewesen in Südwestdeutschland 1550 bis 1840. Zum Wandel von Gesellschaft und Architektur. Idstein 1989. 3 Johann Dryander: Vom Eymsser Bade. Was Natur es in im hab. Wie man sich darin halten soll. Auch zu was Kranckheit es gebrauchet sol werden (Einführung von Irmgard Müller). Marburg an der Lahn 1981, S. B IIII. 4 Vgl. u. a. Marsilius Weigel: Außführliche Beschreibung deß vortrefflichen, herrlichen/Vnnd köstlichen warmen Badts Embß, deren Mineralien, Gebrauch, Tugent- und Würckungen: Neben kurtzer Erzehlung etlicher Schwachheiten Vnnd Zufäll/so darinn oder dardurch vnd welcher gestalt/können curiert werden. Frankfurt a. M.1627; Peter Wolfart: Neue Beschreibung der warmen https://doi.org/10.1515/9783110532937-015
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Christina Vanja
außer Frage, dass im Laufe der Jahrhunderte etliche adlige und bürgerliche Ehefrauen wegen ausbleibenden Nachwuchses an die Lahn kamen.5 Hauptattraktion für diese Frauen war in Ems die sogenannte Bubenquelle, deren Gebrauch, nomen est omen, den Ruf besaß, zu männlichem Nachwuchs zu verhelfen.6 Die Bedeutung, welche Kinder für ein Ehepaar besaß, ist andernorts dargestellt worden. Religiöse, ökonomische und soziale Gründe machten Nachwuchs wünschenswert. Kinder zeugten von Gottes Wohlwollen, tradierten den elterlichen Betrieb, konnten die Eltern im Alter versorgen und für sie Fürbitte leisten. Bei Fürstenpaaren standen die Fortsetzung der Dynastie und damit auch das Wohl des Landes im Zentrum. Die Erwartung eines Thronfolgers war mehr als ein persönliches Anliegen, es war ein Politikum.7
Brunnen und Bäder zu Ems […]. Cassel bey Johann Bertram Cramer 1716 (Stadtarchiv Bad Ems, Bs 6, 17); Johann Jacob Grambs: Neue Beschreibung des Embser Baades. Frankfurt a. M. 1732 (Stadtarchiv Bad Ems, Bs 6, 18); Art. Embs, in: Zedlers großes vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Bd. 8, 1734, Sp. 995; Carl Philipp Brückmann: Neue verbesserte und vollständige Beschreibung der gesunden warmen Brunnen und Bädern zu Ems. Frankfurt a. M./Leipzig 1772 (Stadtarchiv Bad Ems, Bs 6, 20); Hartmann Christian Thilenius: Ems und seine Heilquellen. Für Bade- und Brunnengäste beschrieben und mit einer Anleitung zu ihrem zweckmäßigem Gebrauche versehen. Wiesbaden 1816 (Stadtarchiv Bad Ems, Bs 6, 113); Art. Ems, in: Journal der practischen Arzneykunde und Wundarzneykunst, hrsg. von Christoph Wilhelm Hufeland. Berlin 1824, S. 102–126, unter: http://babel.hathitrust.org (abgerufen am 13. 01. 2016); [Emil Osann:] Ems, in: Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, hrsg. von D. W. H. Busch u. a., Bd. 10. Berlin 1834, S. 668–673; Ems, in Brockhaus Bilder-ConversationsLexikon, Bd. 1, Leipzig 1837, S. 658 unter: http://www.zeno.org/Brockhaus-1837/A/Ems (abgerufen am 13. 01. 2016); Heinrich Vogler: Ems, seine Heilquellen, Kur-Einrichtungen wie medicinische Anwendung. Ems 1876 (5. Aufl.). 5 Christina Vanja: Women as Visitors of Spas, in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 13 (2015), S. 219–225; dies.: Arme und Frauen im alten Kurbad, in: Peter Weidisch/Fred Kaspar (Hrsg.), Kurort und Modernität. Tagungsband. Symposium in Bad Kissingen 7.– 9. März 2014 im Rahmen der transnationalen seriellen Bewerbung „Great Spas of Europe“ um die Aufnahme in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes. Würzburg/Bad Kissingen 2017 (Sonderpublikationen des Stadtarchivs Bad Kissingen, Bd. 11, S. 67–81); allgemein auch Hiltgund Jehle: „Laß Deinen Mann zu Hause!“ Die Badereise im 19. Jahrhundert, in: Gruppe Neues Reisen (Hrsg.), Frauen auf Tour. Reisebriefe. Berlin 1988 (Schriften zur Tourismuskritik Bd. 21/22), S. 20–30. 6 Heinz Biehn/Johanna Baronin Herzogenberg: Große Welt reist ins Bad. Nach Briefen, Erinnerungen und anderen Quellen zur Darstellung gebracht. München 1960, S. 146–165, zur Bubenquelle S. 152. 7 Heide Wunder: „Er ist die Sonn‘, sie ist der Mond. Frauen in der Frühen Neuzeit. München 1992, S. 162.
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Die Medizin der Frühen Neuzeit schloss männliche Unfruchtbarkeit keineswegs aus.8 Dennoch wurde – bei fehlenden Diagnoseverfahren – die Ursache für den ausbleibenden Nachwuchs vor allem bei den Frauen gesucht.9 Den Hintergrund bildete die auf die Antike zurückgehende, auch über die Ärzteschaft hinaus weithin anerkannte Humorallehre. Sie sah den weiblichen Körper durch „kalte“ und „feuchte“ Säfte (humores) bestimmt, die diesen gesundheitlich besonders anfällig machten, während Männer mit einer „warmen“ und „trockenen“ Komplexion von vornherein gesünder zu sein schienen.10 Die für die Schwangerschaft zentrale Gebärmutter (der Uterus) galt überdies als eigenwilliges Lebewesen, das sich verkrampfen und verschließen und damit die Aufnahme des Samens verhindern konnte.11 Die Harmonisierung der Körpersäfte, ihre Reinigung von schädlichen Bestandteilen, körperliche und seelische Entspannung und nicht zuletzt ein diätetischer Lebenswandel als Basis gesunden Lebens mit einem Gleichmaß an Bewegung, Ruhe, gesunder Ernährung, frischer Luft und Unterhaltung standen entsprechend auch im Zentrum der damaligen Therapie der „Unfruchtbarkeit“.12
8 Annette Josephs: Der Kampf gegen die Unfruchtbarkeit. Zeugungstheorien und therapeutische Maßnahmen von den Anfängen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Stuttgart 1998 (Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie); dies.: Der Kampf gegen die Unfruchtbarkeit – Zeugungstheorien und therapeutische Maßnahmen von den Anfängen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts, in: Bettina Wahrig (Hrsg.), Arzneien für das „schöne Geschlecht“. Geschlechtsverhältnisse in Phytotherapie und Pharmazie vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert. Stuttgart 2004 (Braunschweiger Veröffentlichungen zur Pharmazie- und Wissenschaftsgeschichte, Bd. 44), S. 35–50. 9 Art. Unfruchtbarkeit, in: Zedlers großes vollständiges Universal-Lexikon aller Wissenschaften und Künste Bd. 49, 1746, Sp. 1294–1314; Art. Unfruchtbarkeit des Weibes, in: Encyclopädisches Wörterbuch der medicinischen Wissenschaften, Bd. 34. Berlin 1845, S. 381–396; Johannes Wittich: Von Unfruchtbarkeit der Weiber/Und Derselben Vrsach/Zeichen und Merckmahl […] Darbey auch mit angehengt/eines weyland beruffenen experimentatoris Mittel/dadurch vielen Personen die Vnfruchtbarkeit abgewendet worden sein soll. Leipzig 1594; Josef Haarhoff: Die Kenntnisse von den Frauenkrankheiten im XVIII. Jahrhundert. Düsseldorf 1936 (Diss.). 10 Esther Fischer-Homberger: Krankheit Frau. Zur Geschichte der Einbildungen. Darmstadt 1984; Barbara Duden: Geschichte unter der Haut. Ein Eisenacher Arzt und seine Patientinnen um 1730. Stuttgart 1987; Christina Vanja: Medizin, Religion und Magie – Krankheit und Heilung in der Frühen Neuzeit, in: Martin Momburg/Dietmar Schulte (Hrsg.), Das Verhältnis von Arzt und Patient. Wie menschlich ist die Medizin? Paderborn 2010 (Heinz Nixdorf Museums Forum), S. 9–35; Olivia Weisser: Ill Composed. Sickness, Gender, and Belief in Early Modern England. London 2015; Sara Read: Menstruation and the Female Body in Early England. Basingstoke 2013. 11 Robert Jütte: Die Frau, die Kröte und der Spitalmeister. Zur Bedeutung der ethnographischen Methode für eine Sozial- und Kulturgeschichte der Medizin, in: Historische Anthropologie 4 (1996), S. 193–215. 12 Heinrich Schipperges: Diätetik, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 3. Stuttgart/Weimar 1999, Sp. 972–973; Wolfram Schmitt: Res non naturales, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. 7. Stuttgart/ Weimar 1999, Sp. 751–752; Britta-Juliane Kruse: „Die Arznei ist Goldes wert“. Mittelalterliche Frau-
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Eine Kur im an Mineralien reichen, warmen Quellwasser, mit Heilwasser zum Trinken, täglichen Spaziergängen und maßvollem Amüsement an einem angenehmen Ort, einem „locus amoenus“,13 mit urbanen Standards, Geselligkeit und künstlerischen Programmen versprach also den Betroffenen Hilfe.14 Alle diese Angebote gab es in Bad Ems, das im 19. Jahrhundert zu einem international beliebten Weltbad wurde. Besucher und vor allem Besucherinnen kamen aus ganz Europa und aus Amerika.15 Sie wurden nicht nur vom attraktiven Heilbad, sondern auch vom Zusammensein mit den am mittlerweile preußischen Ort verweilenden fürstlichen Gästen, darunter der deutsche Kaiser und der russische Zar mit Gefolge, nach Ems gelockt.16 Bei aller Weltläufigkeit des Bades und trotz des raschen Erkenntnisgewinns der naturwissenschaftlich ausgerichteten modernen Medizin verlor die Bubenquelle bis zum Ersten Weltkrieg nicht ihre besondere Attraktivität.17 Bei diesem
enrezepte. Berlin/New York 1999; Michael Stolberg: Homo patiens. Krankheits- und Körpererfahrung in der Frühen Neuzeit. Köln, Weimar, Wien 2003; Klaus Bergdolt: Leib und Seele. Eine Kulturgeschichte des gesunden Lebens. München 1999. 13 Heinrich Schipperges: Der Garten der Gesundheit. Medizin im Mittelalter, München/Zürich 1985; Christina Vanja: Gärten als Orte kranker Menschen – Vom Hospiz-Innenhof zu Parkanlagen von Krankenhäusern und Heilanstalten, in: Stefan Schweizer (Hrsg.), Gärten und Parks als Lebens- und Erlebnisraum. Sozialgeschichtliche Aspekte der Gartenkunst in Früher Neuzeit und Moderne. Worms 2008, S. 109–124. 14 Alfred Martin: Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen. Jena 1906; Johannes Steudel: Therapeutische und soziologische Funktion der Mineralbäder im 19. Jahrhundert, in: Walter Artelt/Walter Rüegg (Hrsg.), Der Arzt und der Kranke in der Gesellschaft des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 1967, S. 82–97. 15 Hermann Sommer: Zur Kur nach Ems. Ein Beitrag zur Geschichte der Badereise von 1830 bis 1914. Stuttgart 1999; ders.: Stationen eines Kurbads im 19. Jahrhundert – Bad Ems, in: Michael Matheus (Hrsg.), Badeorte und Bäderreisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit. Stuttgart 2001, S. 101–131. 16 Hans-Jürgen Sarholz: Ems that mir wohl. Russische Gäste in Bad Ems. Das Zarenhaus. Bad Ems 2006 (Bad Emser Hefte Nr. 269); Karl Billaudelle: Wilhelm I. und die Gräfin Kessler. Bad Ems 1995 (Bad Emser Hefte Nr. 143); Hans-Jürgen Sarholz: Bad Ems. Streifzug durch die Geschichte. Bad Ems 2010 (2. Aufl.): „Im ganzen 19. Jahrhundert gehörte Bad Ems zur Spitzengruppe der deutschen Bäder, nicht vergleichbar mir den absoluten Modebädern, Baden-Baden und Wiesbaden, sonst aber nur mit Aachen und Kissingen weit vor allen anderen.“ S. 50; ders.: Geschichte der Stadt Bad Ems. Bad Ems (Verein für Geschichte, Denkmal- und Landschaftspflege Bad Ems e. V.) Bad Ems 1996 (2. Aufl.); Anke Ziegler: Deutsche Kurstädte im Wandel. Von den Anfängen bis zum Idealtypus im 19. Jahrhundert. Frankfurt a. M. 2004 (Europäische Hochschulschriften Bd. 26). 17 Obwohl sich ein Autor bereits früh über den Glauben an die Bubenquelle lustig machte: [Michael zu] Katzenberger: Die Bubenquelle zu Ems, in: Wissenschaftliche Annalen der gesammten Heilkunde. Berlin 1836, S. 50–57; noch Theodor Fontane ließ seine Protagonistin in den 1870er
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„Hoffnungsstrahl“ für Kinderlose handelte es sich um eine Uterusdusche, welche sich im unteren Bereich des Emser Kurhauses befand. Während das körperwarme Wasser aus dem Erdreich heraufsprudelte, saßen die Frauen auf einem mit Intarsien versehenen Hocker. Dieser besaß ein herzförmiges Loch in der Mitte, durch welches das sehr warme Wasser (fast 40 Grad Celsius) den Unterleib um- und durchspülen konnte.18 Der Besuch der Bubenquelle bildete regelmäßig den Endund Höhepunkt einer Badereise, bei der es um die Überwindung einer angenommenen Sterilität ging. Voraus ging die übliche Trink- und Badekur, begleitet durch einen entspannenden und kräftigenden, vor allem aber regelmäßigen Lebenswandel, der im Zentrum jedes Heilungsprozesses stehen musste.19 Über die Badereisen fürstlicher Personen sind wir besonders gut unterrichtet. Regelmäßig führten sie Korrespondenz mit den Daheimgebliebenen oder anderen Briefpartnern. In einigen Fällen sind neben den in der Regel auf angemessene Form achtenden Briefwechseln auch Tagebücher und Berichte erhalten, welche den Kuraufenthalt mit je eigener Perspektive beleuchten.20 Im Folgenden können entsprechend für drei Kuraufenthalte drei verschiedene Texte herangezo-
Jahren wegen ausbleibenden Nachwuchses nach Bad Ems reisen: Theodor Fontane: Effi Briest. Frankfurt a. M. 1976. 18 Ein Hocker steht heute noch im Bad Emser Museum: Karl Billaudelle: Vergnügliches Emser Kur- und Badebüchlein. Bad Ems 1986, S. 24–26; Bubenquelle, in: Pierer’s Universal-Lexikon der Vergangenheit und der Gegenwart. Altenburg 1857 (Bd. 1. ), S. 390 unter: http://images.zeno.prg/ Pierer-1857 (abgerufen am 08. 01. 2016); C. Panthel: Bad Ems und seine Heilmittel. In gedrängter Darstellung geschildert (1867), 3. Teil. Nachdruck Bad Ems 2015 (Bad Emser Hefte Nr. 444): Namentlich sind es Vaginal- und Uterinkatarrhe, wo sie durch Kräftigung der erschlafften Theile, durch Umänderung und Beschränkung der Sekretionen schätzenswerthe Dienste leisten. Hierbei sind die die Schleimhäute und ihre Drüsen imprägnirende, kräftig erregende Kohlensäure und die Salze gewiss von dem grössten Einflusse. Unsere Bubenquelle ist eine solche milde, aufsteigende, zum äusseren und inneren Gebrauche dienende Dusche und verdankt obigen Einwirkungen hauptsächlich ihren Ruf; S. 76; C. Panthel: Bad Ems und seine Heilmittel. In gedrängter Darstellung geschildert (1867), 2. Teil. Nachdruck Bad Ems 2015 (Bad Emser Hefte Nr. 443): Eines der Bäder im Mittelbau ist das sog. Bubenquellbad, aus dessen Boden eine kleine Fontaine in fingerdickem Strahle von 25–26 Grad R[eaumur], der zu einer milden, äusseren und inneren Douche der betreffenden Theile benutzt wird; S. 55. 19 Alfred Martin: Die 6 res non naturales im deutschen Badewesen einschließlich der Klimatologie, in: 80 Jahre Münchner Medizinische Wochenschrift 1853–1933. München 1933, S. 5–9; vgl. als Beispiel aus einem anderen Bad: Christina Vanja: Weiber und Männer im Bade – Ehepaare beim Kuren im alten Pfäfers, in: Alexander Jendorff/Andrea Pühringer (Hrsg.), Pars pro toto. Historische Miniaturen zum 75. Geburtstag von Heide Wunder. Neustadt an der Aisch 2014, S. 325–336. 20 Zahlreiche Dokumente (Erinnerungen, Briefe) sind bereits durch Mitglieder des Vereins für Geschichte/Denkmal- und Landschaftspflege e. V. Bad Ems in den Bad Emser Heften herausgegeben worden: www.bad-emser-hefte.de.
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gen werden: Lebenserinnerungen, der Bericht eines Reisebegleiters und Briefe. Aus allen drei Quellen ergibt sich ein vielseitiges Bild der Badereise, einschließlich des Wandels der Kur im Verlaufe von rund einhundert Jahren. Im Folgenden seien drei ausgewählte Reisen chronologisch vorgestellt.
2 Die Badereise der Markgräfin von Bayreuth (1709–1758) im Jahre 1737
Abb. 1: Melchior Rhein, Wilhelmine Friederike Sophie Markgräfin von Brandenburg-Bayreuth (1709–1758).
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Abb. 2: Reise der Wilhelmine von Brandenburg-Bayreuth nach Ems 1737 von Erlangen über Wertheim am Main, auf dem Rhein bis Ems; zurück auf dem Landwege über Schlangenbad und Schwalbach nach Wiesbaden und Münichsbrück über Frankfurt nach Hause.
Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (1709–1758), Schwester Friedrichs des Großen, wie dieser umfassend gebildet und der Nachwelt als Schriftstellerin, Komponistin und vor allem als Bauherrin bekannt,21 reiste 1737 nach Bad Ems. Sie war seit 1731 mit Friedrich III. von Brandenburg-Bayreuth (1711–1763) vermählt, und bereits 1732 war die gemeinsame Tochter Friederike Sophie (1732– 1780) geboren worden. Das Ehepaar war demnach nicht kinderlos, doch fehlte der eingangs erwähnte männliche Thronfolger. Die Markgräfin hielt die Emser Reise in ihren nach ihrem Tod publizierten Memoiren fest.22 Sie selbst wünschte
21 Friedrich Ludwig Müller: Die Markgräfin. Aus dem Leben der preußischen Prinzessin Wilhelmine. Mit einem Sonderteil zur Baukunst in Bayreuth von Beatrice Häring. Bonn 2003 (Monumente Publikationen der Deutschen Stiftung Denkmalschutz); Cordula Bischoff: Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth (1709–1758), in: Kerstin Merkel/Heide Wunder (Hrsg.), Deutsche Frauen in der Frühen Neuzeit. Dichterinnen, Malerinnen, Mäzeninnen. Darmstadt 2000, S. 153–167; Martha Schad: Die berühmtesten Frauen der Weltgeschichte. Von der Antike bis zum 17. Jahrhundert. Wiesbaden 2014, zu Wilhelmine von Bayreuth S. 162–167. 22 Zur Geschichte der Memoiren, die französisch verfasst waren und erst im 19. Jahrhundert in die deutsche Sprache übersetzt wurden: Uwe A. Oster: Wilhelmine von Bayreuth. Das Leben der Schwester Friedrichs des Großen. 4. Aufl. München/Zürich 2012, zur Bäderkur S. 211–212, zu Wilhelmines Memoiren S. 355.
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diese Badereise nicht, folgte aber schließlich dem Drängen ihrer Ärzte. Wohl nicht ohne Grund sorgte sie sich um ihre „zarte“ Gesundheit. Dass die warmen Bäder körperlich anstrengten, war ihr ebenso wie den Zeitgenossen bewusst. Die Markgräfin zog Ems anderen Frauenbädern vor, da die Kur hier am wenigst angreifend schien.23 Die Reise des Ehepaares ging vom markgräflichen Erlangen zu Lande nach Wertheim am Main, wo man sich mit Reisegefährten einschiffte. [D]as Essen war vorzüglich, und wir hatten stets eine schöne Gegend vor Augen […], notierte Wilhelmine von Bayreuth in ihrem Tagebuch.24 Die Schifffahrt dauerte sechs Tage. Am letzten Tag stieg die Gesellschaft auf eine Fähre um, welche sie die Lahn hinaufbrachte. Man war sehr müde und abgespannt, so der Rückblick.25 Unglücklicherweise gefiel Bad Ems der Markgräfin überhaupt nicht: Dieser Ort ist sehr unerfreulich. Er liegt in einem Kessel und ist ganz von Felsen umringt. Man sieht hier weder Bäume noch Laub.26 Was Romantiker an Bad Ems später entzücken sollte – die Felsengruppe des Bäderley – empfand die noch barockem Stilempfinden verhaftete Wilhelmine als unkultiviert.27 Außerdem langweilte die scharfe Beobachterin28 die relativ kleine Gesellschaft mit ihren lächerlichen Figuren. Und die nur kurzen Spazierwege führten mitten in den Kot hinein. Ironisch stellte sie fest: Die ‚Promenade‘ bestand nämlich in einer Lindenallee, die längs des Flusses gepflanzt war. Man war nie allein, die Schweine und andre Haustiere leisteten einem getreulich Gesellschaft, so daß man sie mit Stockhieben von sich jagen mußte, um vorwärts zu kommen.29
23 Weber-Kellermann: Memoiren (wie Anm. 1), S. 475; vermutlich kannte sie die wenige Jahre zuvor (1732) erschienene Neue Beschreibung des Embser Baades, in welcher der Frankfurter Arzt Dr. Johann Jakob Grambs die Bubenquelle als wärmste, dickste und stärkste Quelle des alten Bades hervorgehoben hatte, die so genannt werde, weil die Weiber durch Gebrauch dieses Baads mit Buben (Söhnen) sollen schwanger werden. Zitiert nach F. Stemmler: Bad Ems. Historisch-balneologische Bruchstücke aus des Bades Vergangenheit. In Wort und Bild. Bad Ems 1904, S. 20. 24 Weber-Kellermann: Memoiren (wie Anm. 1), S. 476. 25 Ebd. 26 Ebd., S. 477. 27 Im Reiseführer des 19. Jahrhunderts hieß es dagegen, dass es sich bei der Umgebung von Bad Ems um eines der reizendsten und lieblichsten Gebirge des von der Natur so wohl bedachten Herzogthums Nassau […] an einem der romantischsten Punkte des schönen Lahnthals handle. Ludwig Spengler: Bad Ems und seine Quellen um 1860. Bad Ems o. J. (Sonderausgabe Nr. 9 der Vereinsnachrichten), S. 5. 28 Weber-Kellermann: Vorwort, in: dies.: Memoiren (wie Anm. 1), S. 9–26, hier S. 10. 29 Weber-Kellermann (Hrsg.), Memoiren (wie Anm. 1), S. 477 f.
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Nach zwei Ruhetagen begann die eigentliche Kur, die der Markgräfin anfangs gut bekam. Sie nahm nur lauwarme Bäder, wie vom Emser Kurarzt empfohlen. Doch ihr Bayreuther Leibarzt forderte schließlich den Wechsel zum „Heroischen“: Die Markgräfin musste die heißen Bäder im Darmstädter Haus (wo sich die Bubenquelle befand) aufsuchen: Diese Bäder waren so heiß, daß sie das ganze Zimmer mit Dampf erfüllten. Ich stieg sogleich wieder heraus, so die trockene Replik der Fürstin.30 Der Leibarzt ereiferte sich im nachfolgenden Streit mit anderen Ärzten, so die empörte Chronistin, und meinte: die Hauptsache wäre doch, daß ich einen Prinzen bekäme, und wenn ich stürbe, wäre eben eine Frau weniger da.31 Im Anschluss an die Kur besuchte das protestantische Markgrafenpaar eine Fronleichnamsprozession in Koblenz und reiste dann von Ems auf dem Landwege über Schlangenbad und Schwalbach nach Wiesbaden und, nach einem Aufenthalt im darmstädtischen Lustschloss Münichsbrück, weiter über Frankfurt nach Hause. Weiterer Nachwuchs stellte sich jedoch trotz der in Bad Ems erlittenen Prozedur nicht ein.32
30 Ebd., S. 478. 31 Ebd. 32 Ebd., S. 479.
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3 Die Badereise der Kurfürstin Maria Anna Sophie von Bayern (1728–1797) im Jahre 1763
Abb. 3: Georg Desmarees (Werkstatt), Maria Anna, Markgräfin von Bayern (1728–1797), Gemahlin Max III. Joseph, nach 1754.
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Abb. 4: Die Badereise der Kurfürstin Maria Anna Sophie von Bayern im Jahre 1763 von Schloss Nymphenburg über Donauwörth, Crailsheim, Bad Mergentheim, Tauberbischofsheim nach Wertheim am Main, ab hier auf Main und Rhein über Aschaffenburg, Hanau und Frankfurt nach Koblenz, danach per Kutsche vom Ehrenbreitstein nach Bad Ems. Die Rückfahrt erfolgte über Montabaur und Limburg nach Frankfurt, vorbei an Aschaffenburg, Miltenberg, Bad Mergentheim, Dinkelsbühl und Donauwörth zurück nach Nymphenburg.
Sehr viel ausführlicher ist der in der Bayerischen Staatsbibliothek in München erhaltene Bericht über die Badereise der Kurfürstin Maria Anna Sophie von Bayern (1728–1797) aus dem Jahre 1763.33 Der die Fürstin begleitende Hofrat und geheime Sekretarius Carl Philipp von Delling führte Tagebuch, um dem daheimgebliebenen Kurfürsten anschließend einen Bericht geben zu können. Die kursächsische Prinzessin war 1749 mit dem bayerischen Kurprinzen Maximilian III. Joseph Karl Leopold (Regierungszeit 1745–1777) verheiratet worden.34 Im Reisejahr 1763, also nach 14 Ehejahren, war die Ehe noch kinderlos. Auf 48 Seiten protokollierte von
33 Carl Philipp von Delling: Embßer Baad-Reiße. Welche Ihre Churfürst[liche] Durch[laucht] in Bayern [etc.] Unsere Gnädigste Frau von Nymphenburg aus dem 18ten May A[nn]o 1763 nacher Embs ohnweit Coblenz angetretten (Bayerische Staatsbibliothek Cgm 5026); zugleich Karl Billaudelle (Hrsg. und Kommentator): Embßer Baad-Reiße. Bad Ems 1989 (Bad Emser Hefte Nr. 81.1); ders.:Die „Embßer Baad-Reße“ der Kurfürstin Maria Anna Sophia von Bayern im Jahre 1763. Bad Ems 1989 (Bad Emser Hefte Nr. 18.2. Die hier abgedruckten Zitate folgen dem Original. 34 Georg Wilhelm Sante (Hrsg.), Reich und Länder. Geschichte der deutschen Territorien, Bd. 1. Darmstadt 1978, S. 342–343.
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Delling Hin- und Rückreise sowie jeden Tag der Badekur. Die Hinreise führte am 18. Mai 1763 von Schloss Nymphenburg zur bayerischen Grenzstadt Donauwörth, bis wohin der Kurfürst seine Gattin begleitete. Von hier aus ging es über Crailsheim, Bad Mergentheim und Tauberbischofsheim nach Wertheim am Main, wo die ganze Gesellschaft sich einschiffte. Die Fahrt führte auf Main und Rhein weiter an Aschaffenburg, Hanau und Frankfurt, vorbei an Mainz den Rhein hinunter, Bingen und die Loreley passierend, nach Koblenz. Während große Teile des Gepäcks von Lahnstein aus direkt die Lahn hinaufgeschickt wurden, reiste die Gesellschaft mit der Kurfürstin die letzte Strecke in Kutschen auf der alten Chaussee von Ehrenbreitstein nach Bad Ems.35 Hier blieb man nach insgesamt acht Reisetagen vom 26. Mai bis zum 12. Juli 1763.36 Am 13. Juli begann die Rückfahrt, die nun ganz auf dem Landwege erfolgte: nämlich über Montabaur und Limburg nach Frankfurt, vorbei an Aschaffenburg, Miltenberg, Bad Mergentheim, Dinkelsbühl bis zum bayerischen Donauwörth. Hier holte der Kurfürst seine Gattin ab und führte sie zu ihrem Lustschloss bei Dachau.37 Zwar reiste die Kurfürstin inkognito als eine Gräfin von Sülzburg, aber der Rang der Reisegruppe war kaum zu übersehen. Hundert Personen begleiteten die Reisende: mit von der Partie waren etliche adlige Kammerherren, Kammerfrauen und Kammerfräulein; Beichtvater, Leibarzt, Leibchirurg und Leibapotheker mit ihren Bedienten; das Küchenpersonal mit Spezialisten für Pasteten, Konfekte und Weine; schließlich zahlreiche Bedienstete für Wohnräume, Remisen und Stallungen. Für den Transport der „Bagage“ – neben der Bekleidung handelte es sich offensichtlich um riesige Mengen an Lebensmitteln – waren zehn sogenannte Jagdschiffe nötig.38 Es erstaunt wenig, dass diese Reisegesellschaft nicht unbemerkt blieb. Die Honoratioren waren an allen Stationen der Reise auf die Ankunft der Bayern vorbereitet. Es gab Empfänge und Ehrungen, zu denen die weltlichen wie geistlichen Herrschaften der näheren Umgebung erschienen. Die Gesellschaft stieg in Posthäusern, Gasthöfen oder in Adelshöfen (zum Beispiel im Schönborn’schen Hof in Aschaffenburg) ab. Mehrere Nächte verbrachte man auch auf dem Schiff. Vor allem von den Mainbrücken in Frankfurt, der Reichs- und Kaiserstadt, jubelte der Fürstin viel Volk zu.39 Dennoch machte der Reisetrupp hier nicht Halt. Denn an der gesamten Reiseroute fällt ihre Orientierung an katholischen (oder zumindest
35 Delling: Embßer Baad-Reiße (wie Anm. 32), fol. 1–11. 36 Ebd., fol. 12–30. 37 Ebd., fol. 31–41. 38 Ebd., fol. 11. 39 Ebd., fol. 7, es war ein Pfingstmontag.
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zweikonfessionellen) Städten bzw. Territorien auf. Im protestantischen Frankfurt wollte man auch auf der Rückfahrt explizit nicht empfangen werden. Fast täglich ließ die Kurfürstin an den gewählten Haltepunkten Messen lesen und demonstrierte so überall die katholische Glaubenstreue Bayerns. Den Besuchern aus Bayern scheint Bad Ems, so in einem angenehmen Thall seine Lage hat, gut gefallen zu haben.40 Ausreichendes Quartier fand man dort im Nassauischen Hof, der, eine freundliche Geste des reformierten Herzogs von Nassau, von dessen Leuten rund um die Uhr bewacht wurde. Für Andachten stand ein Saal im Quartier zur Verfügung. Verschiedene Male jedoch besuchte die Kurfürstin auch die kleine katholische Kirche auf der anderen Lahnseite.41 Am Beginn der eigentlichen Badekur stand eine ausführliche medizinische Beratung, die durch den Leibarzt des in Koblenz residierenden geistlichen Kurfürsten von Trier, Dr. Cohaus, unterstützt wurde. Sie legten den Tagesablauf mit festen Mahlund Schlafenszeiten sowie Spaziergängen oder Ausflügen fest. Sogar das Verfassen von Briefen an den Gemahl wurde vorgeschrieben: Donnerstags und sonntags ging Post an ihn ab.42 Insgesamt wurden bei einer Aufenthaltsdauer von 48 Tagen 30 als Badetage definiert. Am Anfang und in bestimmten Abständen zwischen den Badetagen wurde purgiert: Der Chirurg ließ die Markgräfin zur Ader, der Arzt verabreichte Abführmittel. An Badetagen trank die Fürstin Bad Emser Heilwasser, welches im Bericht als Spaa-Wasser firmiert.43 Die Kur begann mit einstündigen Wannenbädern. Zu diesem Zwecke richtete man neben den Gemächern der Kurfürstin einen eigenen Baderaum ein. Eine erste Steigerung erfolgte am 18. Badetag durch den Besuch des sogenannten Fürstenbades im Quellbereich unterhalb des Kurhauses. Schließlich folgte am 20. Badetag als weitere Steigerung und als offensichtlicher Höhepunkt der Kur der Gebrauch der benachbarten Bubenquelle.44 Nun begann der Ausklang: Entsprechend reduzierte man in den letzten beiden Tagen das Bad auf eine halbe Stunde.
40 Ebd., fol. 10 v. 41 Es handelte sich um die kleine katholische Kirche auf dem Spieß auf dem linken Lahnufer. Sie war 1676 von Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels erbaut worden: Albert Jacob Gustav Döring: Ems mit seinen natürlich-warmen Heilquellen und Umgebungen. Für Curgäste und angehende Aerzte. Ems 1838, S. 244. 42 Delling: Embßer Baad-Reiße (wie Anm. 32), fol. 12–14. 43 Beim Emser Wasser handelt es sich um einen warmen, alkalisch-muriatischen Säuerling: Biehn/Herzogenberg: Große Welt (wie Anm. 6), S. 162 bzw. nach Fresenius um doppelt kohlensaures Natron: Spengler: Bad Ems (wie Anm. 27), S. 15. 44 Delling: Embßer Baad-Reiße (wie Anm. 32), fol. 22 v: Freytag den 24ten Juny. Nach heuntig zum erstenmahl gebrauchten Quellen, od[er] sogenanten Buben-Baad, und getrunkenem Spaa-Wasser praeparierte man sich zur hei[ligen] Messe.
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Anders als bei Markgräfin Wilhelmine knapp dreißig Jahre zuvor bekamen der bayerischen Kurfürstin alle Anwendungen offensichtlich dem allerhöchsten sey Danck sehr gut.45 Die eigentliche Kur machte jedoch für die bayerische Kurfürstin nur einen Teil der Bad Emser Zeit aus. Bis auf eine Ausnahme nämlich traf täglich Besuch ein. Es handelte sich durchweg um adlige Standespersonen, die entweder ebenfalls in Ems kurten oder aber aus den angrenzenden Territorien oder nahegelegenen Orten kamen, um der hochgestellten Person ihre Aufwartung zu machen. Ranghöchster Gast war der Trierer Kurfürst, der ihretwegen sogar zweimal nach Bad Ems kam. Die Sitzordnung bei Tische hielt von Delling in seinem Bericht extra als Zeichnung fest. Sie verweist auf 14 Gedecke und die Platzierung von bayerischer Kurfürstin und Trierer Kurfürst nebeneinander am oberen linken Eck. Wie von Delling immer wieder vermerkte, führte seine Herrin angenehme Discourse.46 Sie vertrat also ihr eigenes Fürstentum bestens am fremden Orte. Vor der Abreise machte die Kurfürstin ihrerseits einen Besuch beim Kurfürsten und wurde in Ehrenbreitstein glänzend empfangen.47 Der Trierer Kurfürst pflegte, wie von Delling betonte, das Kartenspiel nicht. Umso mehr genoss es offensichtlich die Kurfürstin, sich mit Damen, Kavalieren und sonstigen Gästen am Spieltisch zu unterhalten. Neben den Spaziergängen in der Lindenallee wurde auch ein „kleines Spiel“ fast täglich vermerkt. Nur ein größerer Ausflug wurde neben der Fahrt nach Ehrenbreitstein notiert: Mit dem Schiff fuhr die Gesellschaft lahnabwärts zu Eisenschmiede und Hammerwerk eines Herrn von der Nelle – eine frühindustrielle Sehenswürdigkeit, die auch später zu den Attraktionen der Badereisenden gehörten.48
45 Ebd., fol. 29 v. 46 Ebd., fol. 21 mit Anlage. 47 Ebd., fol. 28 und 29. 48 Ebd., fol. 19 v.; zur „Silberschmelze“ als einem Ausflugsziel, zu dem man im 19. Jahrhundert auch auf einem bequemen Fahrweg gelangen konnte: Heinrich Vogler: Ems, seine Heilquellen, Kur-Einrichtungen wie medicinische Anwendung. Ems 1876, S. 125 f.
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4 Die Badereise der Königin Amalie von Griechenland (1818–1875) und der Erbgroßherzogin Mathilde von Hessen (Darmstadt) und bei Rhein (1813–1862) im Jahre 1841
Abb. 5: Amalie, Königin von Griechenland (1818–1875).
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Abb. 6: Mathilde von Hessen und bei Rhein (1813–1862).
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Abb. 7: Unbekannte Reiseroute der Königin Amalie von Griechenland nach Ems, vermutlich über München.
Abb. 8: Reise der Mathilde von Hessen und bei Rhein von Darmstadt auf dem Landwege über Schwalbach nach Bad Ems.
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Knapp achtzig Jahre später war der Besuch der Schwägerinnen Königin Amalie von Griechenland (1818–1875) und Erbgroßherzogin Mathilde von Hessen (Darmstadt) und bei Rhein (1813–1862) im Sommer 1841 weit weniger förmlich.49 Amalie von Griechenland, Tochter des Oldenburger Großherzogs, war seit 1836 mit dem jüngeren Sohn Ludwigs I. von Bayern, Otto, verheiratet. Dieser war seit 1832 – und bis zu seinem Sturz 1862 – König des von osmanischer Herrschaft befreiten Griechenlands.50 Nach fünf Jahren war die Ehe allerdings noch kinderlos. Über die weite Reise der 23-Jährigen bis Bad Ems, die vermutlich über München führte, wissen wir nichts. Sie stieg am Badeort am 7. Juli 1841 in der Alten Post, der ehemaligen Posthalterei derer von Thurn und Taxis, östlich des Kurbereichs mit 16 Personen ab. Ihr Inkognito als Gräfin von Missolungi war allerdings durch den korrekten Eintrag ihrer Begleiterin als Ober-Hofmeisterin ihrer Majestät von Griechenland leicht zu durchschauen.51 Leibarzt Herr Roesen war ebenso wie ein Obrist mit im Gefolge. Schon im Juni 1841 hatte der französische Gesandte in München an seine Regierung berichtet: Elle [Amalie von Griechenland] se rend eaux d’Ems, réputées en Allemagne propres á donner ou à rendre aux femmes un espoir de maternité.52 Die Badereise war demnach auch in diesem Fall ein Staatsakt, über den es zu rapportieren galt. In einem Geburtstagsbrief an den Schwiegervater in Berchtesgaden, Bayernkönig Ludwig I., teilte die Königin sechs Wochen nach ihrer Ankunft in Bad Ems mit, dass das Bad ihr und Schwägerin Mathilde, Tochter des Königs, gut bekomme. Sie hoffe, dass Ems ihm zwey Enkelchen schenken werde.53 Offensichtlich waren die beiden Frauen im Kurbad fast immer zusammen.54 Zu Bad Ems vermerkte die Königin den häufigen Regen und die zu enge Promenade. In der Tat war das Kurbad seit dem Aufenthalt der Kurfürstin noch einmal deutlich gewachsen. Ein Verzeichnis von 1765 vermeldete 648 Standespersonen, 1838 waren es bereits 3489, 1905 schließlich über 10.000 Kurgäste.55
49 Karl Billaudelle: Zwei Fürstinnen an der Emser Bubenquelle (1841). Bad Ems 1991 (Bad Emser Hefte Nr. 95). 50 Kunst- und Kulturkreis Rastede e. V.: Amalie 1818–1875. Herzogin von Oldenburg, Königin von Griechenland. Oldenburg 2004. 51 Karl Billaudelle: In alten Kurlisten geblättert. Bad Ems 1989 (Bad Emser Hefte Nr. 85) regelmäßig seit 1817 S. 3, fürstliche Gäste S. 11–16, Fürstliches Versteckspiel Decknamen S. 16–17, Gräfin v. Missolungi S. 17, Verschönerungen und Verbesserungen im Bad S. 22–35, mit Postkutsche, Boot und Bahn S. 35–39. 52 Billaudelle: Zwei Fürstinnen (wie Anm. 49), S. 3. 53 Ebd., S. 5. 54 Ebd. 55 Sarholz: Geschichte der Stadt Bad Ems (wie Anm. 16), S. 279.
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Die Königin, die sich in Griechenland nicht nur philanthropisch betätigte, sondern sich mit ihrem Mann auch für Gärten und schöne Bauten engagierte, hatte zweifellos einen Blick für die noch bestehenden Unzulänglichkeiten des Kurbades an der Lahn.56 Zur Kur von Erbgroßherzogin Mathilde von Hessen und bei Rhein, der Namensgeberin der Darmstädter Mathildenhöhe, wissen wir Näheres, da sie eine eifrige, in ihren Ehemann offensichtlich sehr verliebte, recht unkonventionelle Briefschreiberin war. Die bayerische Prinzessin war seit 1833 mit Erbgroßherzog (ab 1848 regierender Fürst) Ludwig (III.) verheiratet, aber mit 28 Jahren nach acht Ehejahren noch kinderlos.57 Offensichtlich war sie schon im Vorjahr in Bad Ems gewesen.58 Nun im Jahr 1841 stieg sie in Bad Ems mit insgesamt elf Personen (darunter einer Gräfin und einem Baron) für 46 Tage bzw. knapp 7 Wochen im Lahnbau des Herzoglich Nassauischen Kurhauses ab, der bis zur napoleonischen Zeit in Darmstädter Besitz gewesen war.59 Elf Briefe sind im Großherzoglichen Archiv erhalten.60 Demnach fuhr die zukünftige Großherzogin von Darmstadt auf dem Landwege über Schwalbach nach Bad Ems. Ihre Wohnung mit Blick auf das Treiben auf der Promenade fand sie allerliebst, allerdings hinderte sie die Kurmusik am ersten Morgen am Ausschlafen. Für die Ausgaben vor Ort stand ihr ein Monatsgeld zur Verfügung.61 Vom strengen Tagesregiment der bayerischen Kurfürstin oder der Betrübnis der Markgräfin von Bayreuth ist in diesen Berichten nichts zu spüren. Statt zu ruhen, machten die Schwägerinnen Besuche oder empfingen Gäste, da sich zahlreiche Bekannte am Kurort aufhielten. Immerhin nahmen sie ab dem 5. Kurtag den Zweck der Reise ernst. Um halb 7 Uhr morgens waren sie bereits am Brunnen und tranken zwei Gläser Krähnchen, liefen, wie sich die Erbgroßherzogin ausdrückte, pour faire passer l’eau auf der Promenade umher, bevor das Frühstück gestattet war. Um halb 11 Uhr stürz[t]en sie sich ins Wasser, das heißt, die Frauen schwammen etwa eine halbe Stunde im Marmorbad. Um 2 Uhr wartete das Mittagessen. Dann folgte täglich, soweit es das Wetter zuließ, eine Ausfahrt. Um halb 7 Uhr abends wurde
56 Billaudelle: Zwei Fürstinnen (wie Anm. 49), S. 5. 57 Barbara Beck: Mathilde, Großherzogin von Hessen und bei Rhein, geb. Prinzessin von Bayern (1813–1862). Darmstadt 1993. 58 Billaudelle: Zwei Fürstinnen (wie Anm. 49), S. 11. 59 Zur Baugeschichte des Kurviertels Sarholz: Geschichte der Stadt Bad Ems (wie Anm. 16), S. 354–390. 60 Hessisches Staatsarchiv Darmstadt, Abt. D4 Nr. 758/12–13. 61 Billaudelle: Zwei Fürstinnen (wie Anm. 49), S. 25; nach der Beschreibung von Dr. Döring 1838 machten zehn böhmische Musiker in der Saison während der Trinkstunden morgens von 6 bis 8 Uhr und abends von 6 bis 7 Uhr im Kurgarten Tafelmusik und zweimal wöchentlich in jedem der größeren Gasthöfe: Döring: Ems (wie Anm. 40), S. 235.
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nochmals Wasser getrunken.62 Im Laufe des Kuraufenthaltes wurden die Menge des Heilwassers und die Badezeit allmählich gesteigert. Am 20. Badetag begannen sie Kesselbrunnen zu trinken und schwammen in entsprechendem Badegewand nun 40 Minuten lang. Ziel der Kur war das 45-minütige Bad.63 Erst spät ist auch bei dieser Kur von der Bubenquelle die Rede. Am 32. Tag bat Mathilde um das Einverständnis ihres Mannes, den örtlichen Badearzt hinzuziehen zu dürfen, da Leibarzt Röse über den Gebrauch der Bubenquelle nicht alleine entscheiden wolle.64 Von täglichen Gottesdiensten, die noch für die bayerische Kurfürstin selbstverständlich gewesen waren, dagegen ist im Bericht der katholisch gebliebenen bayerischen Königstochter an ihren Mann nichts zu lesen, obwohl sie sicherlich Messen besuchte. Dagegen berichtete sie, in welcher Weise sie HessenDarmstadt vertrat, nämlich durch vielfältige Kontakte mit Hoheiten lutherischen oder kalvinistischen Glaubens. Dabei besaß nun nicht mehr ein Erzbischof, sondern Herzog Adolph von Nassau, Territorialherr und gleichsam der Gastgeber in Bad Ems, eine herausgehobene Bedeutung. Ansonsten spielten beim fröhlichen Treiben in Ems zahlreiche Verwandte sowie Kurgäste aus Russland, Schweden, England und Frankreich eine Rolle. Deren gesellschaftliche Stellung wusste die Schreiberin wohl zu bewerten. Allerdings erwarteten die Schwägerinnen die Kaiserin aus St. Petersburg vergebens.65 Nachdem verschiedene Berühmtheiten abgereist waren, zählten nach Meinung Mathildes nur noch die schwedischen Wasas zu den hohen Häuptern.66 Am Ende der vierten Kurwoche kam Mathildes Großonkel, der siebzigjährige König von Hannover, Ernst August I. (1771–1851), mit seinem Stiefsohn nach Bad Ems. Er war seiner Großnichte offensichtlich zugetan und führte in deren rotem Salon ganz offenherzig eine mit englischen Phrasen vermischte Konversation. Dabei äußerte er offensichtlich ohne Bedenken, dass die beiden Schwägerinnen gewiß die Bubenquelle brauchen. Mathilde schrieb ihrem Mann, sie habe geglaubt, unter die Erde zu sinken, und habe fast eine fausse couche, also eine Fehlgeburt, erlitten.67 Denn von ihrem Mann war sie, trotz dessen Besuch in Bad Ems, nicht schwanger. Die vom Großonkel hier erwartete Diskretion über das Ziel der Badereise steht in einem auffallenden Gegensatz zu den Annoncen des Bades, das offen um Frauen mit Kinderwunsch warb. Dennoch durfte offensichtlich nur im engsten Familienkreis über die beste-
62 Billaudelle: Zwei Fürstinnen (wie Anm. 49), S. 13. 63 Ebd., S. 17. 64 Ebd., S. 23. 65 Ebd., S. 18. 66 Ebd., S. 19. 67 Ebd., S. 21.
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hende ‚Beeinträchtigung‘ gesprochen werden. Trotz seines Fauxpas begleitete ihn die bayerische Prinzessin aber zum Abschied bis Koblenz.
4 Resümee Alle vier vorgestellten Fürstinnen hatten ein gemeinsames Ziel für ihre Badereise nach Ems: Fruchtbarkeit, Schwangerschaft und Geburt eines (weiteren) Kindes, insbesondere des erwarteten Thronfolgers. In keinem Fall allerdings war den aufwändigen Unternehmungen Erfolg beschieden: Keine Fürstin wurde schwanger. Im Falle der bayerischen Kurfürstin musste die Erbfolge sogar an die Pfälzer Linie abgegeben werden. Dennoch gereichte die Fahrt den Fürstinnen offensichtlich nicht zum Nachteil, hatten sie doch mit der Badereise zur Bubenquelle alle Mittel genutzt, ihrer dynastisch geforderten Rolle gerecht zu werden. Die Markgräfin von Bayreuth verfolgte weiterhin ihre künstlerischen Projekte, die Königin von Griechenland sowie die Erbgroßherzogin von Hessen und bei Rhein traten zudem durch philanthropische Unternehmungen hervor. Insbesondere Letztere gehört in Darmstadt bis heute zu den besonders verehrten und gewürdigten Persönlichkeiten. Immerhin hatten diese Fürstinnen für ihr Territorium eine Badekur auf sich genommen, deren Strapazen (mehrtätige Reise, tägliches Kurpensum, körperlich „angreifende“ Bäder) durchaus bekannt waren. Demnach hatten sie das ihnen Mögliche versucht. Vor Ort vertraten sie zudem ihr Territorium im weitesten Sinne politisch und konfessionell bei Zusammenkünften mit anderen Hoheiten und durch öffentliche Präsenz. Sie erweiterten auch ihren Wissenshorizont. Denn in dem mondänen Kurort traf sich die „Welt“, jeden Tag gab es Klatsch und Tratsch, man knüpfte familiäre und herrschaftliche Bande und erfuhr Neues aus ganz Europa.68 Wie Karl Billaudelle zutreffend festgestellt hat, erlebten die Badegäste am Kurort „großes Welttheater“.69
68 Birgit Studt: Baden zwischen Lust und Therapie. Das Interesse von Frauen an Bädern und Badereisen in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Sylvelyn Hähner-Rombach (Hrsg.), „Ohne Wasser ist kein Heil“. Medizinische und kulturelle Aspekte der Nutzung von Wasser (Medizin, Gesellschaft und Geschichte, Beiheft 25). Stuttgart 2005, S. 93–117; Ute Mayer: Die Bäder Langenschwalbach und Schlangenbad im Taunus. Vom Luxusbad zum Kassenbad, in: Ulrich Eisenbach/Gerd Hardach (Hrsg.), Reisebilder aus Hessen. Fremdenverkehr, Kur und Tourismus seit dem 18. Jahrhundert. Darmstadt 2001, S. 23–35. 69 Billaudelle: Zwei Fürstinnen, S. 29. Auch große Welt im Bad: Burkhard Fuhs: Mondäne Orte einer vornehmen Gesellschaft. Kultur und Geschichte der Kurstädte 1700–1900. Hildesheim/Zürich/New York 1992 (Historische Texte und Studien 13); Martina Bleymehl-Eiler: „Das Paradies der Kurgäste“ – Die Bäder Wiesbaden, Langenschwalbach und Schlangenbad im 17. und 18. Jahr-
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Abb. 9: Bad Ems 1763. Auf der rechten Seite die beiden Kurhäuser, „F“ das Darmstädter Haus mit der „Bubenquelle“, „D“ das Armenbad, „C“ der noch kleine Spielsaal, links die Allee.
Allerdings entwickelte sich Bad Ems erst allmählich zum „Great Spa“.70 Die kunstsinnige Markgräfin von Bayreuth fand für ihren Geschmack an der Lahn noch einen relativ öden Ort vor. Auch Amalie von Griechenland erlebte noch nicht das strahlende Bad Ems des Fin de Siècle, fand aber bereits zahlreiche Neubauten und erweiterte Alleen und Wandelgänge vor. Für die Kurfürstin von Bayern, welche die aufwändigste Reise unternahm, war die Fahrt vor allem wegen der
hundert, in: Michael Matheus (Hrsg.), Badeorte und Badereisen in Antike, Mittelalter und Neuzeit. Stuttgart 2001, S. 53–80; Martina Bleymehl-Eiler: Ein kleines Elysium – die nassauischen Bäder im 19. Jahrhundert, in: Gast Mannes (Hrsg.), Nassau und seine Bäder in der Zeit um 1840. Wiesbaden 2005, S. 70–117. 70 Bad Ems nimmt wegen des gut erhaltenen Bäderensembles und seiner Weltbedeutung im 19. Jahrhundert neben Karlsbad, Marienbad, Franzensbad (alle Tschechien), Spa (Belgien), Bath (Großbritannien), Baden-Baden und Bad Kissingen an der Welterbebewerbung „Great Spas of Europe“ bei der UNESCO teil. Die erwartete Nominierung wird 2018 stattfinden. Zur Bewerbung vgl. auch Volkmar Eidloth (Hrsg.), Europäische Kurstädte und Modebäder des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 2012.
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für sie interessanten Kontakte gelungen. Sie saß mehrfach mit einem herausragenden Vertreter der päpstlichen Kirche bei Tische. Vermutlich nahm sie, wie ihr Begleiter von Delling, auch die ungekünstelte Natur an Rhein und Lahn positiv auf. Weiterhin interessierte sie sich für den nahe Ems gelegenen Hüttenbetrieb, einen Ort früher Industrialisierung. Die beiden Schwägerinnen, welche rund achtzig Jahre später für knapp zwei Monate das nassauische Bad besuchten, ließen erstaunlicherweise nichts von der inzwischen florierenden Rheinromantik erkennen. In ihren Briefen gingen sie nicht auf die Naturschönheiten rund um den Kurort ein, weder auf die felsigen, gleichsam alpinen Höhen mit ihren Geißen und schweizerischen Hütten noch auf altertümliche Ausflugsziele (pittoreske Dörfer, Denkmäler und Herrschaftssitze).71 Allerdings war für sie der Kuralltag bereits weniger durch die höfische Etikette bestimmt und konnte, im weiteren Sinne, familiären Charakter gewinnen. Vor allem der Umgang der Schwägerinnen miteinander scheint freundschaftlich gewesen zu sein. Schließlich brachte das Bad insbesondere im 19. Jahrhundert viele Abwechslungen: Ausflüge, Picknicks, Konzerte, Empfänge, die, anders als zur Zeit der Markgräfin, kaum mehr Langeweile aufkommen ließen.72 Nur den Spielsalon von Ems scheinen die Frauen nie besucht zu haben.73 Nichtfürstliche Badegäste wurden bemerkenswerterweise kaum erwähnt.74 Dabei stellten Angehörige des niederen Adels und des Bürgertums auch in Bad Ems die Mehrheit der Kurvorstände; überdies befand sich das
71 Gast Mannes (Hrsg.), Nassau und seine Bäder in der Zeit um 1840. Das Widmungsexemplar „The Brunnens of Nassau and the River Lahn“ von George Barnard an Herzog Adolph zu Nassau. Wiesbaden 2005; regelmäßig empfahlen Reiseführer einen „romantischen“ Abstecher nach Ems: Karl Baedeker: Handbuch für Reisende in Deutschland und dem Oesterreichischen Kaiserstaate. Koblenz 1846 (3. Aufl.), zu Ems S. 392–393; Kleiner Führer für die Rhein-Reise von Cöln bis Frankfurt. Nach der siebenundzwanzigsten Auflage des größeren Reiseführers „Der Rhein“. Berlin 1910–1911 (Griebens Reiseführer), S. 79–82. 72 Döring: Ems (wie Anm. 40), S. 202–234; Spengler: Bad Ems (wie Anm. 27), S. 14–17. 73 Ems besaß bereits im 18. Jahrhundert im hessischen und im nassauischen Bereich Spielsäle, die offensichtlich auch Frauen zugänglich waren. So notierte Johann Caspar Lavater am 29. Juni 1774 in seinem Tagebuch: Nachher gieng ich in den Spielsaal, welch ein Leben! Hier ein Billard, dort ein Tischgen – dort wieder Eins – Officiers, Generale, Grafen, Barone und des weiblichen vornehmen Geschlechtes viel. Biehn/Herzogenberg: Große Welt (wie Anm. 6), S. 163. Die Spielbank wurde nach der Annexion Nassaus durch Preußen geschlossen. 74 Zum gemischten Kurpublikum, darunter Vertreter und Vertreterinnen der Familien Goethe, Humboldt, Schlegel, Brentano, Arnim und Freiligrath, Sarholz: Geschichte der Stadt Bad Ems, S. 281–294; Rolf Hübner: Berühmte Kurgäste in Bad Ems. Majestäten und Aristokraten, Dichter und Schriftsteller, Komponisten und Virtuosen. Briedel/Mosel 1998; vgl. für andere Kurorte auch Ute Lotz-Heumann: Kurorte im Reich des 18. Jahrhunderts – ein Typus urbanen Lebens und Laboratorium der bürgerlichen Gesellschaft. Eine Problemskizze, in: Raingard Esser/Thomas Fuchs (Hrsg.), Bäder und Kuren in der Aufklärung. Medizinaldiskurs und Freizeitvergnügen.
Badehospital für arme Kuristen unmittelbar neben dem Darmstädter Haus.75 Abgesehen von dem Besuch eines Fronleichnamszuges durch das Markgrafenehepaar ist zugleich kein Interesse an der einheimischen Bevölkerung und ihren Sitten erkennbar, selbst nicht im 19. Jahrhundert, als Malerei und Dichtung sich diesem Fremdsein widmeten.76 Die Fürstinnen und ihre Gesellschaften blieben letztlich auch auf den Badereisen innerhalb ihrer höfischen Welt – sie hatten den Hof gleichsam an den Kurort verlegt.
Berlin 2003, S. 15–26; Reinhold P. Kuhnert: Urbanität auf dem Lande. Badereisen nach Pyrmont im 18. Jahrhundert. Göttingen 1984. 75 Christina Vanja: Arme Hessen in Kurbädern des 18. Jahrhunderts, in: Virus. Beiträge zur Sozialgeschichte der Medizin 12 (Wien 2013), S. 11–25. 76 Hans-Wolf Jäger (Hrsg.), Europäisches Reisen im Zeitalter der Aufklärung. Heidelberg 1992; Wolfgang Griep (Hrsg.), Sehen und Beschreiben. Europäisches Reisen im 18. und frühen 19. Jahrhundert (Eutiner Forschungen Bd. 1). Hermann Bausinger, Klaus Beyrer, Gottfried Korff (Hrsg.), Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus. München 1999.
Abbildungsverzeichnis der einzelnen Beiträge Hintergrundkarte der Reiserouten: Frederico de Wit, Nova et accurata totius Europae descriptio, um 1700, USA, Library of Congress, Inv.-Nr.: G5700 1700.W5 TIL, 48 x 56 cm, unter: https:// www.loc.gov/resource/g5700.ct000125/(15. 07. 2017), Reiserouten der Prinzessinnen © Larissa Sebastian, Gießen. Annette C. Cremer Abb. 1: Uni.-Bibl. Heidelberg, Graph.Slg. A_0477, 1613. Abb. 2: Schabkunstblatt, 20,7 cm x 24,4 cm © bpk, gemeinfrei unter: http://www.npg.org. uk/collections/search/portrait/mw16167/Princess-Sophia-Electress-of-Hanover (15. 07. 2017). Abb. 3: © Annette C. Cremer/ Larissa Sebastian. Caroline zum Kolk Abb. 1: François Clouet, Katharina von Medici (1519–1589), Königin von Frankreich, um 1540, 17,3cm x 25,9cm, Paris, Bibliothèque Nationale de France, Inv.-Nr. RESERVE NA-22 (4)-BOITE Planche6 © bpk / BnF, Dist. RMN-GP. Abb. 2: Antoine Caron, Das Schloss von Anet, Paris, Musée du Louvre, 29,2cm x 20,7cm, Tuschzeichnung (16. Jh.), Inv.-Nr. RF30624 © bpk | RMN – Grand Palais | Jean-Gilles Berizzi. Abb. 3 und 4: © Caroline zum Kolk. Elena Taddei Abb. 1: © Kunsthistorisches Museum Wien, Inv.-Nr.: GG_7948. Abb. 2 und 3: © Annette C. Cremer / Larissa Sebastian. Jutta Schwarzkopf Abb. 1: © Annette C. Cremer / Larissa Sebastian. Holger Kürbis Abb. 1 und 2: © Autor. Abb. 3: © Annette C. Cremer / Larissa Sebastian. Philip Haas Abb. 1: Archiv Schloss Fasanerie, Inv.-Nr. AHH H 666 © Kulturstiftung des Hauses Hessen. Abb. 2: © Annette C. Cremer / Larissa Sebastian. Teresa Schröder-Stapper Abb. 1: © Stadtarchiv / Stadtbibliothek Trier Sammlung, Sign. Port 510. Abb 2.: © Annette C. Cremer / Larissa Sebastian. Sandra Hertel Abb. 1: © Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv und Grafiksammlung, Inv.-Nr.: PORT_00047504_01. Abb. 2: © Annette C. Cremer / Larissa Sebastian. https://doi.org/10.1515/9783110532937-016
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Christian Gepp / Stefan Lenk Abb. 1: Anton Raphael Mengs, Maria Carolina Erzherzogin von Österreich, Königin von Neapel, Öl auf Leinwand, 130 x 98 cm, Madrid Prado Museum, Inv.-Nr.: P02194, gemeinfrei unter: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Maria-carolina-regina-napol. jpg(15. 07. 2017). Abb. 2: © Annette C. Cremer / Larissa Sebastian. Abb. 3: Unbekannter Künstler, Maria Amalia Erzherzogin von Österreich, Herzogin von Parma, Öl auf Leinwand, 168,5 x 96 cm, Stockholm Schwedisches Nationalmuseum, Inv.-Nr.: NMGrh 637, gemeinfrei unter: https://commons.wikimedia.org/ wiki/File%3AMaria_Amalia%2C_1746-1804%2C_%C3%A4rkehertiginna_ av_%C3%96sterrike_hertiginna_av_Parma_-_Nationalmuseum_-_15307. tif(15. 07. 2017). Abb. 4: © Annette C. Cremer / Larissa Sebastian. Stefan Lehr Abb. 1: Aleksandr G. Brikner: Istorija Ekateriny Vtoroj. St. Petersburg 1885, o. S. (nach S. 120). Abb. 4: Nikolaj M. Romanov (Hg.): Russkie portrety XVIII i XIX stoletij. Bd. 5, St. Petersburg 1909, S. 36. Abb. 6: Bleistiftzeichnung, 29.4 x 21.6 cm, Inv.-Nr.: RCIN 452411, Royal Collection Trust, Windsor © Her Majesty Queen Elizabeth II 2017. Abb. 2, 3, 5, 7: © Annette C. Cremer / Larissa Sebastian. Katrin Gäde Abb. 1: Öl auf Leinwand, 84 x 65 cm, Gemäldesammlung Museum Schloss Bernburg, Inv.-Nr.: VIa/54/16. Abb. 2: © Annette C. Cremer / Larissa Sebastian. Martin Knauer Abb. 1: Öl auf Leinwand, 322 x 260 cm, Versailles, Musée national des châteaux de Versailles et de Trianon, Inv.-Nr.: MV5506 © bpk | RMN – Grand Palais | Gérard Blot. Abb. 2: © Annette C. Cremer / Larissa Sebastian. Birte Förster Abb. 1: Johann Friedrich Bolt, Die Prinzessinnen Luise und Friederike Aquatintaradierung, Druck in Braun (1794) von Plattenrand 20,7 x 13,7 cm, Blattmaß 26,1 x 19,6 cm, nach einem Gemälde von Johann Friedrich Tielker, Inv.-Nr.: 793–43, Kupferstichkabinett, © Staatliche Museen zu Berlin. Abb. 2: © Annette C. Cremer / Larissa Sebastian. Abb. 3: Anonym, Ehren Pfohrte beim Einzug der Königl. Printzessin von Mecklenburg Strelitz im Berlin den 22. December Anno 1793, Radierung, Einblattdruck (1793), Blattmaß 14,1 x 23,1 cm, Inv.-Nr.: YB 11081 m, a, Handschriftenabteilung, © Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz.
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Christina Vanja Abb. 1: Kunstsammlungen der Veste Coburg, Inv.-Nr.: III, 245, 6c. Melchior Rhein (tätig um 1714–1730). Abb. 3: Residenz München, Inv.-Nr.: ResMü.G 67. Abb. 5: Stadtarchiv Darmstadt, Bestand ST 55 Graphische Sammlung Nr. 644. Abb. 6: J. Bergmann, Lithographie, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Geheimes Hausarchiv. Abb. 2, 4, 7, 8: © Annette C. Cremer / Larissa Sebastian. Abb. 9: Carl Philipp von Delling: Embßer Baad-Reiße. Welche Ihre Churfürst[liche] Durch[laucht] in Bayern [etc.] Unsere Gnädigste Frau von Nymphenburg aus dem 18ten May A[nn]o 1763 nacher Embs ohnweit Coblenz angetretten, Bayerische Staatsbibliothek Cgm 5026.
Namenregister A Albertolli, Giocondo 187 Alexander I. (Russland) 264 Amaranthes 9 Anelli, Marianna 228 Anhalt-Bernburg, Alexander Carl von 222, 232 Anhalt-Bernburg, Alexius Friedrich Christian von 220–224, 230, 234 Anhalt-Bernburg, Marie Friederike von 41, 219–234 Anhalt-Bernburg, Pauline von (= Lippe, Pauline zur) Anhalt-Bernburg, Wilhelmine Luise von 222 Anna (HRR) 65, 66 Ansbach, Christiane Charlotte von 163 Ansbach-Bayreuth, Wilhelmine von 1, 22 Arneth, Alfred von 174, 182 Arnim, Achim von 266 Astell, Mary 27 B Baciocchi, Felix 240 Baden, Karoline Luise von 120 Baden, Louise von (= Elisabeth, Zarin) 264, 265 Bardua, Wilhelmine 231 Barret, Jeanne 44 Bayern, Albrecht V. von 60 Bayern, Karl Albrecht von 169 Bayern, Ludwig I. von 286 Bayern, Magdalene von 12, 13 Bayern, Maria Anna Sophie von 42, 269, 278–282, 291 Bayern, Maximilian III. Joseph Karl Leopold von 278, 279 Bayern, Therese von 35 Bayreuth, Christian Ernst von 138 Bayreuth, Wilhelmine von 42, 269, 274–277, 282 Beauharnais, Hortense Eugénie Cécile de 226 Beauharnais, Joséphine de 226, 243 https://doi.org/10.1515/9783110532937-017
Beaune-Semblançay, Charlotte von 54 Blumenthal, von 131 Bockmühl, Johann Heinrich 256 Bonaparte, Elisa 240 Bonaparte, Jerôme 41, 237, 242–248 Bonaparte, Napoleon 216, 235, 236, 240, 241 Bourbon, Karl von/Karl III. von Spanien 52, 171, 172 Bourbon-Parma, Isabella von 171 Bougainville, Louis-Antoine de 44 Brandenburg, Friederike Charlotte Leopoldine Luise von 144 Brandenburg, Friedrich III. von 23, 127, 129, 148, 150 Brandenburg, Friedrich Wilhelm I. von 111, 113, 116, 124–126, 131, 137, 138, 150 Brandenburg, Hedwig Sophie von 38, 109–123, 125–132, 137 Brandenburg, Johanna Charlotte von 142 Brandenburg, Luise Charlotte von 137 Brandenburg-Ansbach, Karl Wilhelm Friedrich von 163 Brandenburg-Bayreuth, Friederike Sophie von 275 Brandenburg-Bayreuth, Friedrich III. von 275 Brandenburg-Bayreuth, Sophia von 163 Braunschweig-Wolfenbüttel, Elisabeth Christine von (HRR) 177 Braunschweig-Wolfenbüttel-Bevern, Elisabeth Christine von (Preußen) 206 Braunschweig-Lüneburg, Ernst August von 17, 18, 24 Braunschweig-Lüneburg, Georg Wilhelm von 18 Braunschweig-Lüneburg, Henriette Christine von 26 Braunschweig-Lüneburg, Sophie Dorothea von 32 Bretagne, Anne de 45 Brügelmann, Johann Gottfried 257 Burghley, William Cecil 87 Burtin, François-Xavier 201
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Namenregister
C Cavriani, Guidobald von 184 Černyšev, Petr G. 209, 210 Černyševa, Gräfin 209 Christian V. (Dänemark) 112, 118, 126 Claude (Frankreich) 49, 50 Clemens XIII. (Papst) 180 Clermont, Claude Catherine von 54 Clouet, François 48 Cohaus, Doktor 281 Collins, Samuel 195 Colloredo, Rudolph Joseph 182 Colonna, Lorenzo 26 Conte Corti, Egon 172, 177, 178 Corput, J. Francq van den 257 Cosel, Anna Constantia von 32 Cosway, Richard 208 Curtze 225, 227–229, 231 D Dänemark, Wilhelmine Ernestine von 25, 122 Daškova, Ekaterina 40, 191, 193, 197–203, 205, 215, 218 Delling, Carl Philipp von 279, 280, 282, 290, 291 Desmarees, Georg 278 Diderot, Denis 201 Dietrichstein, Johann Carl 186 Dilmers, Henrich 140 Dönhoff, Wilhelmine Charlotte von (Solms) 206 Dolgorukaja, Natal’ja, Fürstin 197 Dryander, Johannes 269 Durfort, Graf de 182 E Elliot, Hugh 206, 207 Engels, Gebrüder 256 Elisabeth I. (England) 37, 77–88 Este, Anne d’ 54 Este, Alfonso II. d’ 59, 61 Este, Francesco III. d’ 179 Eustach, Theodor 145 F Ferdinand I. (HRR) 58 Ferrari, Giovanni Battista 71
Fjodorowna, Alexandra (Russland) 265 Fjodorowna, Maria 264 Fontane, Theodor 267 Friedrich IV. (Dänemark) 112 Franz I. (Frankreich) 45–47, 49, 50, 55 Franz II. (Frankreich) 45, 46, 52 Franz I. (HRR) 173 Franz I. Stephan (HRR) 189, 190 G Gélieu, Salomé de 250–252, 257, 258 Gerberga (Frankreich 44 Georg I. (England) 17 Georg III. (England) 245, 250 Georg IV. (England) 215 Gessner, Salomon 214 Gessner, Johannes 214 Golicyn, Aleksej 211 Golicyn, Dimitrij M. 213 Golicyna, Natal’ja 40, 191, 208–218 Golicyn, Vladimir 210 Gonzaga, Anna Caterina 37, 57–76 Gonzaga, Guglielmo III. 58–62 Gonzaga, Margherita 58, 74 Gonzaga, Vincenzo 58, 59, 66 Griechenland, Amalie von 42, 269, 283, 285–287, 290 Griechenland, Otto I. von 286 Gros, Antoine Jean 238 H Hamilton, Catherine 201 Hannover, Ernst August I. von 288 Hannover, Georg Ludwig von 32 Hannover, Sophie Charlotte von 17 Hanstein 140 Harnier 225, 227 Harrach, Maria Rosa von 185 Heinrich II. (Frankreich) 37, 45–47, 49, 50, 52, 55 Heinrich III. (Frankreich) 45–47, 52, 55 Hendl, Franz 69 Hessen-Darmstadt, Anna Sophia von 139 Hessen-Darmstadt, Auguste von 258 Hessen-Darmstadt, Eleonore Sophie von 139 Hessen-Darmstadt, Elisabeth Amalia Magdalena von 99
Namenregister
Hessen-Darmstadt, Georg Karl von 253 Hessen-Darmstadt, Karl Friedrich von 257 Hessen-Darmstadt, Karoline von 1 Hessen-Darmstadt, Ludwig III. von 287 Hessen-Darmstadt, Ludwig VI. von 94 Hessen-Darmstadt, Marie Luise Albertine von 251–253, 257 Hessen-Darmstadt, Mathilde von 42, 269, 283–288 Hessen-Darmstadt, Wilhelmine von 139 Hessen-Homburg, Eleonore von 139 Hessen-Homburg, Friedrich II. von 138 Hessen-Kassel, Charlotte Amalie von 112, 114–117, 119 Hessen-Kassel, Elisabeth Henriette von 129 Hessen-Kassel, Karl von 120, 126, 132, 138, 147, 148 Hessen-Kassel, Marie Amalie von 140, 148 Hessen-Kassel, Wilhelm von 124 Hessen-Kassel, Wilhelm VII. von 119 Hessen-Kassel, Wilhelm IX./ Wilhelm I. von 220, 230, 232 Hildburghausen, Charlotte von 251, 259 Holstein-Gottorf, Hedwig Sophie Auguste von 144 Horn, Gräfin 149 Howard, Alethea, Countess of Arundel 1 Humboldt, Wilhelm von 267 Hutten, Christoph Franz von 165 I Innerösterreich, Maria von 66 J Jean Paul 235, 248 Joseph II. (HRR) 143, 171, 173, 214 K Kamenskaja, Pelageja 199, 202 Karamzin, Nikolaj 191 Karl II. (Spanien) 158 Karl VI. (HRR) 157–159, 161, 165, 167, 171 Karl IX. (Frankreich) 46, 52, 54 Katharina II. (Russland) 193, 199, 200, 216 Kaunitz-Rietberg, Wenzel Anton von 182, 201, 214 Keppel 21
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Khevenhüller-Metsch, Johann Josef 174 Khuen 69 Kiew, Olga von 194 Klätte 224–228 Kollonitsch, Graf von 147 Kurland, Alexander von 137, 138 Kurland, Charlotte von 39 Kurland, Charlotte Sophie von 133–135, 137–142, 146, 148–153 Kurland, Ferdinand von 138 Kurland, Jacob von 137 Kurland, Luise Elisabeth von 138 Kurland, Maria Amalia von 138 L La Motthe 21 Lothringen-Lambesc, Karl Eugen Prinz von 186 Leibniz, Gottfried Wilhelm 18 Leiningen, Polyxene Wilhelmine von 253 Leiningen-Dagsburg, Christian Carl Reinhard von 252 Leopold I. (HRR) 17, 157 Leopold II. (HRR) 171, 179, 181, 185, 258 Le Vaillant, François 191 Lippe, Pauline zur 2, 7, 22, 222, 242 Lobkowitz, Ferdinand August von 134 Lorraine, Catherine de 54 Lorraine, Louise de 46 Ludwig XI. (Frankreich) 45 Ludwig XIV. (Frankreich) 25, 26, 241 Ludwig XV. (Frankreich) 171 M Mahoni, Demetrius, Graf 182 Mancini, Maria 18 Manderscheid-Blankenheim, Jeanette von 145 Maria Theresia (HRR) 13, 171, 173, 174, 185, 188, 189, 210 Matthias (HRR) 65, 66 Mecklenburg-Strelitz, Friederike 249, 251, 259, 260 Mecklenburg-Strelitz, Georg Friedrich Karl von 251, 258, 261 Mecklenburg-Strelitz, Karl Friedrich August von 251
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Namenregister
Mecklenburg-Strelitz, Luise von (= Luise von Preußen) 2, 22, 41, 249–268 Mecklenburg-Strelitz, Sophie Charlotte von (= Charlotte von England) 250 Medici, Katharina de 37, 44–55 Medici, Maria de 1, 12 Meding, Franz von 247 Michajlovič, Aleksej, Zar 195 Missolungi, Gräfin von (= Griechenland, Amalie von) 286 Montagu, Mary 1, 22, 27 Montaigne, Michel de 58 Montecuccoli, Raimondo 125–127, 132 Montmorency, Anne de 49 Morgan, Elizabeth 201, 203 Murhard, Friedrich Wilhelm August 248 N Nassau, Adolph von 288 Navarra, Heinrich von 54 Neapel, Ferdinand von 174, 181 Nevers, Madame von 50 Nikolaus I. (Russland) 265 Nomi, Dario Castelletti da 59, 62, 63, 65, 68–71 O Olbreuse, Eleonore d’ 18 Oranien, Luise Henriette von 126 Orlova, Fürstin 207 Orléans, Heinrich von 46 Orléans, Philipp von 25 Orsini d’Aragona, Domenico 181 Osnabrück, Madame de ( = Pfalz, Sophie von der) 22 Österreich, Anna von 60 Österreich, Eleonore von 58–60 Österreich, Eleonore von (Frankreich) 49 Österreich, Ferdinand von 175, 182 Österreich, Magdalena von 60 Österreich, Maria Amalia von 169 Österreich, Maria Amalia von (= Herzogin von Parma) 171–173, 182–190 Österreich, Maria Carolina von 171–182, 185, 188–190 Österreich, Maria Elisabeth von 155–170 Österreich, Maria Johanna von 174
Österreich, Maria Josepha von 174 Österreich, Maria Magdalena von 157, 159 Österreich, Marie Antoinette von ( = Königin von Frankreich) 207, 215 Österreich, Maximilian der Deutschmeister 66, 74 Otto I. (HRR) 245 P Paar, Wenzel Johann 184 Paciaudi, Paolo 188 Pallavicini, Gian Carlo 177 Parma, Ferdinand von 172 Peter I. (Russland) 194, 201 Petitot, Ennemond-Alexandre 187 Pfalz, Elisabeth von der 39, 140, 153 Pfalz, Elisabeth Charlotte von der 25, 92 Pfalz, Friedrich V. von der 17, 140 Pfalz, Karl von der 25 Pfalz, Karl Ludwig von der 17 Pfalz, Sophie von der (= Sophie von Hannover) 15–31, 92, 140 Pfalz-Neuburg, Eleonore-Magdalena von 157 Pfalz-Neuburg, Wolfgang Wilhelm von 12, 13 Pfalz-Sulzbach, Franziska Christina von 143–145 Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld, Anna Sophia von 138 Pfyffer, Franz Ludwig 214 Philipp VI. von Frankreich 45 Portugal, Isabelle von 44 Preußen, Anna Amalie von 141, 142, 144 Preußen, Anna Elisabeth Luise von 206 Preußen, Friederike von 142 Preußen, Friedrich II. von 275 Preußen, Friedrich Wilhelm III. von 250, 262, 264, 267 Prié, Marquis de 157 Protasova 207 Pufendorf, Esaias von 128 Pufendorf, Samuel von 128 R Rhein, Melchior 274 Röse, Leibarzt 286, 288 Rohr, Julius Bernhard von 24
Namenregister
Roschwitz von, Baroness/ Gräfin (= AnhaltBernburg, Marie Friederike von) 225 Rubens, Peter Paul 12 Rudolf II. (HRR) 74 S Sachsen, Maria Kunigunde von 141–143 Sachsen-Eisenberg, Sophia Maria von 100–101 Sachsen-Gotha-Altenburg, Anna Sophia von 99, 101 Sachsen-Gotha-Altenburg, Dorothea Maria von 101, 102 Sachsen-Gotha-Altenburg, Elisabeth Dorothea von 92–94 Sachsen-Gotha-Altenburg, Ernst von 90, 92 Sachsen-Gotha-Altenburg, Friederike von 102, 104 Sachsen-Gotha-Altenburg, Friedrich von 93 Sachsen-Gotha-Altenburg, Friedrich I. von 94, 96, 99–103 Sachsen-Gotha-Altenburg, Friedrich II. 96, 100, 102 Sachsen-Gotha-Altenburg, Johann Ernst von 92, 93 Sachsen-Gotha-Altenburg, Johanna von 102 Sachsen-Weimar, Anna Dorothea von 138, 139, 144, 151, 152 Sachsen-Weimar, Johann Ernst von 144 Sachsen-Weimar-Eisenach, Anna Amalia von 2 Saltykov, Ivan 205, 207 Saltykova, Dar’ja 205–207, 212, 213 Savoyen, Eugen von 157 Schaub, Johann 247 Schenk, Peter 133 Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, Dorothea Sophie von 123 Schweden, Christina von 1 Schwerin, Otto von 138 Schwarzburg-Arnstadt, Concordia von 98 Schwarzburg-Arnstadt, Sophia Dorothea von 98 Schwarzburg-Rudolstadt, Anna Sophie von 101 Schwarzburg-Rudolstadt, Sophie Juliane von 101 Seckendorff, Veit Ludwig von 91
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Seelhorst, Fräulein 225 Šeremeteva, Gräfin 197 Smith, John 16 Solms-Sonnenwalde, Victor Friedrich von 206 Spanien, Maria Ludovica von 171, 179, 185 Spanien, Philipp von 171 Stroganova, Natal’ja, Baronin 40, 191, 204, 205, 218 Stuart, Elisabeth 17 Stuart, Mary 80, 86 Sülzburg, Gräfin von (= Bayern, Maria Anna Sophie von) 280 Šuvalova, Ekaterina 207 T Thurn und Taxis, Therese Mathilde Amalia von 251, 258 Tirol, Ferdinand II. von 58, 60, 61, 68, 69, 72, 73 Trier, Wenzeslaus, Clemens 141, 143 Troost, Johann Caspar 257 U Ulfeldt, Anton Corfiz 182 Usteri, Leonhard 214 V Valois, Marguerite von 44, 52, 54 Vaudale, Madame de (Inkognito) 253 Vescovi, Stefano 71 Visconti, Antonio Eugenio 175 Visconti, Giulio 166 Voltaire 201 Voroncov, Artemij 214 Voroncov, Ivan 199 W Welser, Philippine 59 Westphalen, Katharina von 235, 237, 238, 242, 244–248 Württemberg, Friedrich II. von 237 Y York und Albany, Friedrich August von 258 Z Zweibrücken-Birkenfeld, Max Joseph von 257