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German Pages [404] Year 1988
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 81
VÖR
Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft Herausgegeben von Helmut Berding, Jürgen Kocka Hans-Ulrich Wehler
Band 81 Tibor Süle Preußische Bürokratietradition
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
Preußische Bürokratietradition Zur Entwicklung von Verwaltung und Beamtenschaft in Deutschland 1871-1918
von
Tibor Süle
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
C I P - K u r z t i t e l a u f n a h m e der Deutschen Bibliothek Süle,
Tibor:
Preussische Bürokratietradition : zur E n t w i c k l u n g v o n V e r w a l t u n g u. Beamtenschaft in Deutschland 1 8 7 1 - 1 9 1 8 / v o n T i b o r Süle. - G ö t t i n g e n Vandenhoeck u. Ruprecht, 1988 (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft;Bd. 81) I S B N 3-525-35743-5 NE: GT
Gedruckt mit U n t e r s t ü t z u n g des F ö r d e r u n g s - u n d Beihilfefonds Wissenschaft der V G Wort © 1988, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen. - Printed in G e r m a n y . Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede V e r w e r t u n g außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist o h n e Z u s t i m m u n g des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere f ü r Vervielfältigungen, U b e r s e t z u n g e n , M i k r o v e r f i l m u n g e n u n d die Einspeicherung u n d Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesetzt aus B e m b o auf Linotron 202 System 3 (Linotype) Satz: G u t f r e u n d , D a r m s t a d t Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen
Inhalt
Vorwort
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I. Einleitung
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II. Bürokratie zwischen alt und neu. Perpektiven, Prozesse und Probleme der Modernisierung 1871-1914
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1. Staat und Staatsapparat unter sich ändernden gesellschaftlichen und funktionalen B e d i n g u n g e n .
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a) b) c) d)
Die Staatsrolle im Wandel Expansion und Differenzierung der Verwaltung Bürokratische Organisation und Rationalisierung Bürokratiebildung in der Bürokratie: Veränderungen im Apparat unter dem Aspekt der Herrschaftsbeziehungen e) Fragen einer Entbürokratisierung 2. D a s Verwaltungspersonal. B e r u f s - und Lebensumstände der Beamten a) Beamtenverfassung und personelle Infrastrukturwandlungen b) Der Staatsdiener als Fachmann: Professionalisierungsverhältnisse im höheren Dienst. c) Der Staatsdiener als Fachmann: Professionalisierungsstrategien und ihre Grenzen bei den nicht akademisch gebildeten Beamten d) Besoldung und Lebenshaltung 3. Gruppeninteressen gegen Staatsinteresse. Entstehung und Entfaltung der B e a m t e n b e w e g u n g . a) Von der Selbsthilfe zur aktiven Interessenpolitik b) Interessenorganisation als berufsständische Fach Vertretung. c) Auf dem Weg zur integrativen Massenorganisation. 4. Staatsdienerkaste oder integrierter Teil der Gesellschaft. D a s schwierige Verhältnis der Beamten zur sozialen Umwelt a) Die Ambivalenz gesellschaftlicher Sonderstellung b) Ziele und Möglichkeiten der sozialen Integration von mittleren und unteren Beamten c) Zur sozialen Stellung der höheren Beamten
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III. Die vertagte Entscheidung. Wandel und Stagnation der Bürokratie im Ersten Weltkrieg
205
1. Von der Improvisation zur Verwaltungszwangswirtschaft. Bürokratischer Rigorismus im Gewand des Wohlfahrtsstaates
205
2. Berufs- und Lebensverhältnisse der Beamten
220
3. Die Vereinigung der Beamtenbewegung
231
IV. Zusammenfassung und Ausblick
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Abkürzungsverzeichnis
266
Anmerkungen
271
Quellen- und Literaturverzeichnis
357
1. Unveröffentlichte Quellen 2. Veröffentlichte Quellen und Literatur allgemein 3. Beiträge in der Beamtenpresse Sachregister
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357 365 386 397
Verzeichnis der Tabellen
Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab.
Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab.
1: Geschäftsbelastung des preußischen Oberverwaltungsgerichts 1875-1902 2: Entwicklung der öffentlichen Beamtenschaft in Preußen 1858-1907 3: Beamte der preußischen Provinzialbehörden der allgemeinen Landesverwaltung 1849-1911 4: Beamte der preußischen Amts- und Landgerichte 1875-1908. 5: Beamte (einschließlich Unterbeamte) der preußischen/preußischhessischen Staatseisenbahn 1858-1907 6: Anteile der Laufbahnkategorien (höherer, mittlerer, unterer Dienst) im traditionellen Behördenapparat 1858-1907 7: Anteile der Laufbahnkategorien (höherer, mittlerer, unterer Dienst) in den Mittelinstanzen der preußischen allgemeinen Verwaltung 1849-1903 8: Anteile der Laufbahnkategorien (höherer, mittlerer, unterer Dienst) in der preußischen (preußisch-hessischen) Eisenbahnverwaltung 1859-1907 9: Zahl und Anteil der Beamten mit Familienangehörigen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Preußen 1858-1907 10: Brutto-Nominalgehälter in der preußischen allgemeinen Verwaltung 1850-1914 11: Brutto-Nominalgehälter in der preußischen (preußisch-hessischen) Eisenbahnverwaltung 1860-1914. 12: Brutto-Nominalgehälter in der Reichs-Post- und Telegraphen-Verwaltung 1872-1914 13: Jahres-Nominal-Gehälter ausgewählter Gruppen preußischer Beamter des höheren Dienstes 1860-1913 . 14: Durchschnittliche Jahres-Realgehälter ausgewählter Gruppen preußischer Beamter des höheren Dienstes 1871-1913 15: Bilanzen in Familienbudgets höherer Beamter 16: Hauptausgaben von Haushaltungen höherer Beamter im Vergleich 17: Nominallöhne und-gehälter im Vergleich 1871-1913 18: Reallöhne und -gehälter im Vergleich 1871-1913 19: Ledige unter den mittleren und unteren Beamten Preußens 1913 im Vergleich zu den Ledigen in der Gesamtbevölkerung . 20: Ledige unter den mittleren und unteren Reichs-Post- und Telegraphenbeamten 1912 im Vergleich zu den Ledigen in der Reichsbevölkerung
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Tab. 21: Jahres-Wirtschaftsrechnungen im Vergleich (1907/08) Tab. 22: Tägliche Arbeitsstunden bei der preußisch-hessischen Staatseisenbahn 1910 und 1913 Tab. 23: Ruhezeiten bei der preußisch-hessischen Staatseisenbahn 1910 Tab. 24: Wochenarbeitszeit der mittleren und unteren Beamten der Postund Telegraphenbetriebsverwaltung und des Büro- und Kanzleipersonals der Oberpostdirektionen und Oberpostkassen 1909 und 1911 Tab. 25: Durchschnittliches Lebensalter von in den Jahren 1902-1904 erstmalig etatmäßig angestellten preußischen und Reichsbeamten im mittleren Dienst (außer Kanzleibeamten) zum Zeitpunkt ihrer etatmäßigen Anstellung Tab. 26: Durchschnittliches Lebensalter von in den Jahren 1902-1904 erstmalig etatmäßig angestellten preußischen und Reichsbeamten im Kanzleidienst zum Zeitpunkt ihrer etatmäßigen Anstellung Tab. 27: Durchschnittliches Lebensalter von in den Jahren 1902-1904 erstmalig etatmäßig angestellten preußischen und Reichs-Unterbeamten zum Zeitpunkt ihrer etatmäßigen Anstellung. Tab. 28: Durchschnittliches Lebensalter von höheren Beamten in der preußischen allgemeinen und der Justizverwaltung »beim Einrücken in die Stellung« in den Rechnungsjahren 1901-1903. Tab. 29: Anteile des Adels in wichtigen Kategorien der preußischen höheren Beamtenschaft 1910 Tab. 30: Verteilung der preußischen höheren Beamtenschaft und der Bevölkerung nach der Religionszugehörigkeit 1910 Tab. 31: Realgehälter »typischer Besoldungsgruppen verheirateter Reichsbeamter« im Ersten Weltkrieg
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124 160 161
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Vorwort
Es hat lange gedauert, bis aus der Idee zu dieser Studie ein Buch wurde. Von diesem Grundzug der Entstehungsgeschichte, der sich wahrlich nicht immer von seinen schönen Seiten zeigte, wird zunehmend eine positive Komponente wirksam: der Zeitfilter läßt nur noch angenehme Momente der Erinnerung durch. Zu ihnen gehört außer der grundlegenden Entdekkerfreude vor allem jene selten gewordene Beschaulichkeit, die zwanglos betriebene Forschung zu schaffen vermag. Sie verbindet sich zumeist mit der Atmosphäre besuchter Archive und Bibliotheken; die Außenstelle des Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchivs im alten Wasserschloß Kalkum mit seinen Graugänsen oder die frühmorgendlichen Fahrten von Berlin nach und durch Potsdam (in ein Archiv, das seinen Benutzern Kaffee offeriert!) bleiben im Gedächtnis. Erfreuen konnte man sich übrigens überall der problemlosen Zugänglichkeit der gesuchten Bestände. Das gilt auch für die Bibliotheken, von denen - nicht zuletzt wegen ihrer ausgezeichneten historischen Sammlungen - die Universitäts- und Stadtbibliothek Köln und die Stadtbibliothek Mönchengladbach hervorgehoben seien. Ein Gewinn waren die sich während der Arbeit ergebenden fachlich-persönlichen Kontakte. Für ihr waches Interesse am Thema, ihre geduldige Zuhörerschaft, ihre Anregungen oder auch eingehende Kritik danke ich H. Fenske, J. Kocka, B. Mann, H. Mommsen, R. Morsey und R. Schnur. Überhaupt erst möglich wurde das Vorhaben durch das Verständnis und die Mithilfe meiner Familie. Dieses Buch ist auch ihr Buch. Köln, im Mai 1988
Tibor Süle
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I. Einleitung
Staatliche Bürokratie und Bürokratisierung hatten im Preußen des späten 19. Jahrhunderts eine bereits historisch gefestigte Tradition. Und das heißt in diesem Fall mehr als nur lange Vergangenheit, es besagt auch historischen Rang. Dennoch scheint sich erst in der Wilhelminischen Zeit jene epochale Rolle des Bürokratie-Phänomens voll zu offenbaren, die ihm Max Weber in seiner berühmt gewordenen Analyse ebenso nachdrücklich wie eindrucksvoll bescheinigt. Weber gelangte am Beispiel der preußisch-deutschen öffentlichen Verwaltung gerade dieser Zeit zu seinem Bürokratiebegriff überhaupt, seine, des Zeitgenossen, Erlebnisse sind es, die man in den Thesen von der Universalität und Unaufhaltsamkeit bürokratischer Prozesse und Strukturen mitverarbeitet findet. Auch in Kenntnis konkreter historischer Daten und Zusammenhänge, die dem heutigen Beobachter zugänglich sind, lassen sich Vorgänge ausmachen, die sowohl ihrer Dimension wie Intensität nach auf einen Durchbruch hinweisen, in dem staatlich initiierte Bürokratisierung eine neue Stufe erreichte, wenn nicht gar irreversibel wurde: Sprunghaftes Anwachsen der öffentlichen Verwaltungsaufgaben, rasche und weite Ausdehnung der Staatssphäre und signifikant enger werdende Verflechtung von Staatsbürokratie und Wirtschaft. Solche Prozesse, die einen entscheidenden Terrain- und Bedeutungsgewinn des staatlich-administrativen Systems anzeigen, eine Blüte also, implizieren allerdings zugleich eine Herausforderung. Sie lassen Rückwirkungen auf eben dieses System annehmbar werden, insbesondere, wenn man davon ausgeht, daß Bürokratien von ihren Umfeldbedingungen nicht abstrahierbar sind. Die Zeit, die hier zur Debatte steht, ist die Epoche der Hochindustrialisierung. Die ihr spezifischen wirtschaftlichen, politischen, gesellschaftlichen und funktionalen Strukturen und Verhältnisse bedingen, stärker als andere Gesellschaftsformationen, bürokratische Herrschaft. Zugleich zeichnen sie sich aus durch ein wachsendes Bedürfnis nach Daseinsvorsorge, die im weitesten Verständnis des Begriffs eine Vielzahl öffentlicher Verwaltungsleistungen von der sozialen Vorsorge bis zur staatlichen Konjunkturlenkung in sich schließt. Derartige Funktionen sind in den Kategorien einer lediglich als Instrument legaler Herrschaft verstandenen Bürokratie, wie sie sich auch bei Weber präsentiert, schwerlich hinreichend deutbar. Leistungsverwaltung, die neue Art, öffentlichen Dienst zu versehen, verweist eher auf einen dienenden Apparat. Ein Apparat von diesem Schlag mag, etwa durch Monopolisierung zentral wichtiger Leistungen, ei11
ne Schlüssel- oder Herrschaftsstellung innehaben, er wäre jedoch mit dem Begriff der delegierten Herrschaft nicht zutreffend beschrieben, zumal in ihm Bürokratie auch im Sinne eines optimalen Mittels rationaler Aufgabenbewältigung auf gewisse Grenzen stößt. Vor diesem Hintergrund nun nimmt sich die angesprochene Herausforderung an die Staatsbürokratie nicht allein als Problem zusätzlicher Aufrüstung und Anstrengung im Interesse der Erledigung von Mehraufgaben aus. Sie besagt auch Auseinandersetzung mit Fragen der eigenen Struktur, da man annehmen kann, daß sie - der Weberschen Beschreibung gemäß — in der überkommenen Form primär den Typ der Herrschaftsbürokratie repräsentierte. Die kritische Überprüfung des Hergebrachten auf seine Tauglichkeit, seine eventuelle Anpassung oder Ergänzung wurde so zu einer wichtigen Aufgabe und zugleich zu einem kennzeichnenden Element der preußisch-deutschen Bürokratiegeschichte im behandelten Zeitraum. Diese Konstellation zugrundegelegt, will die vorliegende Untersuchung die Begegnung gleichsam der preußischen Bürokratietradition mit den Gegebenheiten und Erfordernissen hochindustrieller Modernisierung bzw. die daraus resultierenden Entwicklungen nachzeichnen. Die Tradition, angesichts der generationenlangen Kreativfunktion der preußischen Bürokratie nicht bloß Erinnerung, sondern bestimmende und gestaltende Kraft, erscheint dabei in einer Hauptrolle, die zugleich eine Doppelrolle ist: Tradition als Quelle erfahrungsgestützter Überlegenheit, die der Bürokratie zur zum Teil ungewöhnlichen Initiativ- und Korrekturfähigkeit verhilft, und Tradition als Quelle von Beharrung, die (vom politischen Konservatismus abgesehen) dem Glauben des Erfolgreichen entspringt, das Bewährte sei auch gleich zukunftstauglich oder Rationalisierung schon Strukturverbesserung. Alles dies impliziert naheliegenderweise Widersprüche und schwierige Lösungswege. Erzählt wird mithin die Geschichte eines von inhärenten Spannungen durchzogenen Prozesses. Das skizzierte Sujet wird innerhalb der gesetzten Zeitabschnitte (von den 1870er Jahren bis 1914 und 1914-1918) im wesentlichen jeweils in drei Komplexe gefaßt. Der erste befaßt sich mit dem behördlichen Bereich, der zweite mit dem Beamtenberuf und der dritte mit dem Verhältnis zwischen Staat und Beamtenschaft bzw. Beamtenschaft und Gesellschaft. In dem mit Behördenbereich gekennzeichneten Komplex wird die sozusagen apparative Verkörperung der Bürokratie untersucht, und zwar nicht nur unter organisations- und arbeitstechnischen Aspekten oder morphologischen Gesichtspunkten wie ζ. B. Wachstum, sondern, da dies die Janusgesichtigkeit der Tradition zusätzlich zu verdeutlichen verspricht, auch aus der Sicht der Organisationsziele (Verwaltungskonzeptionen) und der Herrschaftsverhältnisse im Apparat. Die Beschränkung auf eine wie immer geartete Staats- und Behördengeschichte wäre jedoch dem verfolgten Erkenntnisinteresse nicht dienlich. Erst die Hinzuziehung der Geschichte der Beamtenschaft, so scheint es, 12
macht die von der Evolution an die Verwaltung herangetragenen Probleme bzw. von der Verwaltung evolutionsgerecht an sich selber gestellten Aufgaben und die Auseinandersetzung mit ihnen vollends deutlich. Es ist wahrscheinlich nicht abwegig zu meinen, daß in der Arbeit, in den Einstellungen und Verhaltensweisen und in der dienstlichen wie sozialen Stellung der Beamten sich Tradition als Macht der Überlieferung besonders nachhaltig auswirkt, aber auch Änderungen oder Änderungserfordernisse sich plastisch ausdrücken. Man kann dies anhand grundlegender Faktoren näher ausführen: Für das tradierte Beamtenmodell ist die Einheit der Beamtenschaft als Träger delegierter Herrschaft (zumindest als Postulat) typisch. Dem entspricht eine rechtlich wie ideologisch untermauerte, enge, ja identifikatorische Verknüpfung des Beamten mit dem Staat (oder Monarchen) als Herrschaftsquelle. Diese Beamtenverfassung wird indessen inkohärent, wenn und insofern Verwaltung nicht als Herrschaftsverband auftritt. Übt sie moderne sozial- und interventionsstaatliche Leistungsfunktionen aus, so ist der Beitrag des mitwirkenden Beamten kaum noch als Realisierung delegierter Herrschaft analysierbar. Die Beamtentätigkeit und der Beamte selbst erscheinen hier vielmehr als Teile eines Funktionssystems, dessen Wesensmerkmal nicht Herrschaft, sondern die arbeitsteilige Erbringung von Sachleistungen ist. Berücksichigt man nun, daß Herrschafts- oder Ordnungsverwaltung auch unter den Bedingungen der entwickelten Industriegesellschaft weiter besteht, so ist in alledem der Verfall der in der traditionellen Verwaltungsstruktur dominanten (wenn auch nie voll verwirklichten) Einheit der Beamtenschaft angelegt. Das aber besagt eine - nicht nur in den Außenbeziehungen, sondern auch innerhalb des Staatsbereiches wirksame - Scheidung bzw. Gegensätzlichkeit von eigentlich (kraft hoheitlicher Herrschaftsdelegation) verwaltendem und eher verwaltetem Personal mit möglichen weiteren Konsequenzen in bezug auf Arbeitsweisen, Dienstauffassungen, soziale Haltungen oder berufliche und gesellschaftliche Interessen. Die Unterscheidbarkeit der Beamten nach ihrem Verhältnis zur engeren Verwaltungs- und/oder Herrschaftssphäre, an dieser Stelle illustrationshalber hervorgehoben, bestimmt gewiß weder die Beziehungen einzelner Beamter oder Beamtenkategorien zueinander, zum Staat, zur Gesellschaft und zu ihrem Beruf restlos, noch beschreibt sie die personalbezogenen Implikationen des für die Fragestellung relevanten Geschehens in jeder Hinsicht; Beamtengeschichte, wie diese Darstellung sie bieten möchte, ist breiter anzulegen. Die beruflichen Verhältnisse der Beamten, ihre interessenpolitische Lage, ihre Lebensbedingungen überhaupt und die (sonstigen) soziologischen Ausprägungen des Beamtendaseins werden daher auch in ihren jeweils spezifischen, >eigenen< Problemzusammenhängen ausführlich behandelt. Methodisch gesehen kann eine historische Bürokratieuntersuchung, die nicht beabsichtigt, politische Ereignisgeschichte oder reine Deskription zu 13
sein, bürokratietheoretische Orientierungshilfen schwerlich ganz außer acht lassen. Wenn dabei, wie in der bisherigen Schilderung mehrfach geschehen, auf Max Webers fundamentale Analyse Bezug genommen und ausgesagt wird, Weber beschreibe Bürokratie als Herrschaftsverband, und wenn zugleich argumentiert wird, die klassische Befehlsbürokratie sei ergänzungsbedürftig geworden, dann besagt das, unbeschadet der hohen Wertschätzung der Weberschen Sätze, deren partielle Revisionsbedürftigkeit. Läßt man sich nämlich von der These leiten, daß die Staatsbürokratie als Körperschaft in der Moderne eben nicht nur zu >regieren< hat, und bedenkt man parallel dazu, daß das Webersche Modell nur dann beansprucht, besonders zweckmäßig zu sein, wenn es um die (technisch effiziente) Ausübung legaler Herrschaft geht, so ist evident, daß Verwaltungsorganisation und Verwaltungshandeln in Fällen von Dienstleistung andere Verrichtungs-, Kooperations- und Autoritätsformen oder -beziehungen implizieren als die, die Weber in den Vordergrund stellt. Hierzu nun liefert die gegenwärtige Organisations- und Berufssoziologie Anregungen und Muster, etwa in Gestalt der informellen oder (besonders) der sogenannten professionellen Organisation. 1 Es wäre wohl verfehlt, wollte man solche Muster verabsolutieren und diese oder gängige systemtheoretische Organisationssoziologien insgesamt als Weber-Ersatz benutzen. An ihre pauschale oder unbesehene Übernahme ist, sei es wegen ihrer im allgemeinen unzureichenden Geschichtsbindung, sei es wegen der ihnen meist eigenen Vernachlässigung des - in unserem zeitlichen wie thematischen Rahmen letztlich unverzichtbaren - Herrschaftsaspektes, 2 nicht gedacht. Sie können aber als Additive verstanden werden, deren Einsatz immer dort nützlich sein mag, wo Webers Modell trotz seiner Zugänglichkeit für weiterführende Interpretationen nicht zu greifen scheint. Zur Überprüfung der eigenen Reflexionen über die Tragfähigkeit der Weberschen Grundlagen oder deren Ergänzung bzw. historiographische Verwertung bieten sich sodann Beispiele gelungener bürokratiehistorischer Forschung an, in denen Bürokratiegeschichte nicht einfach einschlägige Thematik und nicht pure Theoriedarstellung (speziell Weber-Exegese) ist, sondern sich als Theorieanwendung auf historische Sujets präsentiert. 3 Ungeachtet möglicher Erweiterungen oder Modifizierungen scheint für die Zwecke dieser Arbeit die Analyse von Weber insgesamt freilich u n u m gehbar. In der Untersuchung bilden, wie oben ausgeführt, Bewährung, Wandelbarkeit bzw. Wandel historisch gefestigter Strukturen als Problem der Staatsverwaltung einen zentralen Gesichtspunkt. Der Idealtyp der Bürokratie von Weber beschreibt die geschichtlich gewordene preußischdeutsche Bürokratie in hohem Maß. Er ist daher dem Untersuchungsgegenstand insofern voll angemessen, als er die in der konkreten Verwaltung der Zeit vorgegebenen organisatorischen und bürokratietechnischen Grundlagen, die auf ihnen basierenden Vorgehensweisen, die logischen 14
Grundzüge des klassischen Beamtenmodells und in gewisser Weise auch den traditionellen Verwaltungsgeist transparent macht und erklärt. Hinzu k o m m t der Herrschaftsbezug, den Weber so stark betont. Das meint unter anderem Hierarchie und Amtsautorität als typische Herrschaftsordnung in der bürokratischen Organisation - für unsere Belange wichtige Faktoren. Aus Webers Verständnis bürokratischer Herrschaft und speziell der Bürokratie als Herrschaftsverband folgt aber auch, daß es sich dabei um eine spezifische, mit eigener Zweckbestimmung und Zielrichtung ausgestattete Organisation in einem größeren Organisationsgebilde handelt. Das ist in erster Linie auf den Bezug Staatsverwaltung-Gesamtgesellschaft gemünzt, paßt aber auch auf andere Figurationen. Obwohl das Erkenntnisinteresse in dieser Arbeit sich auf die verwaltungsinterne Sphäre richtet, die Außenbeziehungen mithin weitgehend ausgeblendet bleiben, ist für sie der genannte Zusammenhang bzw. seine Übertragbarkeit wesentlich. Die darin enthaltene Aussage, zusammen mit der Weberschen These von der in modernen Großorganisationen unausweichlichen Bürokratisierung, verhelfen dazu, die im behandelten Zeitraum ausgeprägte Bürokratiebildung in der Bürokratie (Verwaltung der Verwaltung) und die damit hochrelevant werdenden Herrschaftsbeziehungen zwischen Beamten und Beamten jenseits hierarchischer Strukturen zu thematisieren, typische Phänomene, die konkret vor allem in bezug auf Stellung und Verhalten der >kleinen Beamtem besonders in leistenden Großverwaltungen unübergehbar sind. Aus der umrissenen Fragestellung mag schon ersichtlich geworden sein, daß es hier trotz der mehrschichtigen Anlage nicht beabsichtigt ist, eine thematisch allumfassende Beamten- oder Verwaltungsgeschichte zu schreiben. Dem entspricht auch, daß von der Ganzheit der Verwaltungs- bzw. Behördensparten und Beamtenkategorien nicht systematisch alle in die Darstellung einbezogen werden konnten; die insgesamt nicht zu bewältigende Masse hielt zur Selektion an. Unter Beamten werden primär die sogenannten unmittelbaren oder >eigentlichen< Staatsbeamten verstanden, andere kommen nur am Rande vor (ζ. B. Lehrer, Kommunalbeamte). Verwaltung soll alles heißen, was zum dienstlichen Aufgabenbereich der Beamten zählte, respektive grundsätzlich alle Einrichtungen, in denen sie tätig waren, folglich nicht nur die Ordnungs- oder hoheitliche Verwaltung, sondern eben auch die Leistungsverwaltungen. Als möglichst durchgehend zu beachtende Kategorien wurden bestimmt im Behördenteil die nachgeordneten Instanzen der allgemeinen inneren Verwaltung, insbesondere die »Bezirksregierungen« und, als Hauptbeispiel für Leistungs- und zugleich Betriebsverwaltung, die preußischen Staatsbahnen sowie ihre Schwesterinstitution Reichspost, auf der Personalebene wiederum die bei ihnen allen beschäftigten Beamten sämtlicher Laufbahnen. Gleichwohl wurden, wo es angebracht schien und sich realisieren ließ, auch andere Ressorts und Behördeneinheiten berücksichtigt und dies, wie in den anderen Fällen, unter Einschluß aller ihrer Beamten. Daß das Eingehen auf das jeweilige Gesamt-
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personal die umfassende Berücksichtigung der mittleren und unteren Beamten in sich schließt, ist hierbei deshalb gesondert hervorzuheben, weil die Geschichte dieser Dienstränge im angegebenen Zeitraum bisher kaum untersucht worden ist. Die Heranziehung der Reichspost - darauf muß in diesem Zusammenhang eingegangen werden - durchbricht die Reihe sonst durchweg preußischer Beispiele. Trotzdem ist sie vertretbar, nicht nur aufgrund der überwiegend preußischen Masse dieser erst 1872 in Reichszuständigkeit übergegangenen Behörde, sondern auch des preußischen Geistes wegen, der bei ihrer Konstituierung und Ausgestaltung im Jahr nach der Reichsgründung Pate stand. Die Einbindung der Post wurde gar schlicht unumgänglich im Hinblick auf die Beamtenbewegung, die ihrerseits unverzichtbarer Bestandteil der Darstellung ist. Post- und Telegraphenbeamte spielten in dieser Bewegung eine nicht ignorierbare Rolle. Sie zogen im übrigen zwischen sich und den preußischen Mitbeamten ebensowenig eine prinzipielle Grenze, wie es umgekehrt geschah; es gab da zumindest bei den mittleren und unteren Beamten eine von Landes- oder Reichszugehörigkeit unabhängige Gemeinsamkeit, die der Historiker nicht auflösen kann. Das Beispiel der Post mag außerdem andeuten, daß Beamtenfragen die Behördenund Laufbahneinteilung ebenso konterkarieren konnten wie sie geographische Kategorien überspannten. Postbeamte gelten ja als Vorreiter der interessenpolitischen Beamtenbewegung, für deren Entwicklung nicht zuletzt die Überwindung des Ressortpatriotismus und, mit Einschränkungen, der Rangklassenunterschiede typisch werden sollten. Solche Überschneidungen oder Gemeinsamkeiten trifft man überhaupt auch im großen Rahmen an, und dies mit Blick auf die Verwaltung ebenso wie hinsichtlich der Beamtenschaft. Preußische Bürokratietradition kann, zumal für die Zeit nach der Reichsgründung, schwerlich als rein regionales Phänomen begriffen werden. Man wird vielmehr von einem in mehrfacher Hinsicht prägenden Einfluß sprechen müssen, ob in bezug auf die Reichsbürokratie oder die öffentlichen Dienste von Einzelstaaten. So gesehen darf die Entwicklung in Preußen bis zum gewissen Grad zugleich als ein fur das Deutschland des Reiches von 1871 insgesamt bezeichnender Prozeß gelten. Bei einer Arbeit wie dieser, die keine typische Ereignisdarstellung sein kann und will, gestaltet sich die chronologische Abgrenzung nicht einfach. Es fällt schwer, einen auf ein kalendarisches Einzeldatum fixierbaren Anfang zu setzen. Die asynchrone Entwicklung der bei einer komplexen Fragestellung zwangsläufig vielfältigen Komponenten bedingt vielmehr eine Mehrzahl >kleiner Anfanges die sich erst allmählich zum erkennbaren Großtrend bündeln. Im vorliegenden Fall können die 1870er Jahre als die Zeit sich häufender Anzeichen einer Zäsur genannt werden. Während dieser Dekade vollzog sich, begleitet von einer politischen Trendwende konservativer Prägung, die entscheidende Abwendung von wirtschaftsliberalen Grundsätzen auf breiter ökonomischer Basis und im Zeichen beginnen16
der staatlicher Daseinsvorsorge moderner Art. In diesen Jahren reifte die soziale Frage, vor allem als Arbeiterproblem, zu einem hinsichtlich der Staatswohlfahrt entwicklungsrelevanten Faktor heran (festzumachen u. a. an der hierfür symptomatischen Gründung des Vereins für Socialpolitik 1872). Mit der 1872 eingeführten K r e i o r d n u n g begann eine Reihe von Verwaltungsreformen, die, unabhängig von ihrer ursprünglich liberalen Intention, unter der Hand sich bald zum Gouvernementalisierungsprozeß und zur intensiven organisationstechnischen Durchbürokratisierung der Verwaltung wandelte. Unmittelbar nach dem deutsch-französischen Krieg wurden die Weichen gestellt für die (seit der umfassenden Verstaatlichung 1879) sehr rasche Expansion der Staatseisenbahn, die zusammen mit dem intensiven Ausbau der Post ab 1872 einen Meilenstein auf dem Weg der Veränderung von Verwaltungs- aber auch Personalstrukturen und Beamtenmentalität bildete. U n d von 1875 datiert die Verbreitung von Beamtenselbsthilfeorganisationen, in denen sich die Beamtenfrage als sozialökonomische Frage und indirekt auch schon die interessenpolitische Beamtenbewegung ankündigte. Das Jahr 1871 soll darum nicht wie üblich einen politischen Einschnitt bzw. ein herausragendes Einzelereignis markieren. Es steht (zur Vermeidung eher umständlicher Wendungen im Titel wie > 1870er Jahre< gebraucht) für ein Jahrzehnt, in dem eine im Sinne unserer Fragestellung neue Entwicklung nach und nach anlief. Die Wahl der langen ersten Zeitspanne bis 1914 rechtfertigt sich dadurch, daß sie längerfristige Trends besser darstellbar werden läßt bzw. dadurch, daß Zwischenzäsuren nur in Teilbereichen (ζ. B. in bezug auf einige Etappen der Beamtenbewegung), nicht jedoch durchgängig auszumachen waren. Andererseits bietet sich ein Einschnitt 1914 an, da im Krieg ζ. T. gleichsam qualitative Änderungen hinsichtlich der Entwicklung des Sozialund Interventionsstaates, der Berufs- und Lebenssituation der Beamten und (trotz gewisser Kontinuitäten seit 1909) auch im Hinblick auf die Beamtenbewegung vor sich gingen. Der Schlußpunkt bei 1918 (Kriegsende/Revolutionsausbruch) bezeichnet strukturgeschichtlich möglicherweise keine zwingende, eindeutige Epochenwende. Einerseits wurde die Staatsverwaltung, was ihr Aufgabendeputat angeht, schon im Krieg im wohlfahrtsstaatlichen Sinn stärker gefordert; man kann darin eine bereits vor 1918 erreichte neue Stufe der Entwicklung sehen. Andererseits wurde die Verwaltung in ihrem Aufbau, ihrer Arbeitsorganisation, Verrichtungsmethodik und -technik oder ihrer Autoritäts- bzw. Berufsstruktur und -qualität auch nach 1918 nicht grundlegend oder schlagartig umgestaltet. Die Entscheidung für 1918 ist freilich gut begründbar. Für dieses Jahr als Stichjahr spricht, daß man die Kriegsverwaltung wie auch die Kriegswirtschaft mindestens in der Form, in der sie sich darboten und mindestens solange die Sonderbedingungen der Kriegssituation gegeben waren, eher für Improvisation oder Provisorium als für die Verwirklichung von etwas Neuem hielt. Bezeichnenderweise 17
diskutierte man während des Krieges über diese Dinge immer nur im Sinne einer Mic/ikriegsordnung. Im Krieg dominierte eben trotz Schlagworten und Versuchen weniger das Neue als vielmehr der Verfall des Alten. Allerdings war der Verfall am Ende so weit fortgeschritten, daß die unveränderte Beibehaltung der bestehenden Verwaltung nach 1918 nicht als wahre Fortsetzung, sondern als Verstoß gegen ein dringendes strukturelles Änderungsgebot erscheint und somit eigentlich als Diskontinuität. Kontinuität wird, so gesehen, zum Bruch und die nachrevolutionäre Zeit zu einem neuen Abschnitt auch der Verwaltungsgeschichte. Die Quellenlage stellte im ganzen keine unüberwindlichen Hindernisse, wenngleich die Recherchen sich nicht leicht gestalteten und die Materialbeschaffung aufwendig war. Eine der Hauptquellen bildeten Archivalien, die in zentralen und regionalen Archiven der Bundesrepublik und der Deutschen Demokratischen Republik lagern. In einem speziellen Zusammenhang (Berufsbildung) erwiesen sich Aktenbestände des Universitätsarchivs Köln als hilfreich. Ein zweiter wesentlicher Quellenfundus waren Erzeugnisse der Beamtenpresse, ein schwer zugängliches und bisher ungenutztes Material. Wichtig waren drittens gedruckte amtliche Statistiken und Parlamentsdrucksachen. Nicht unerwähnt bleiben soll schließlich die zeitgenössische Memoiren- und Broschürenliteratur, die teilweise hochwertige Materialien bot. Im Bereich der Fachliteratur sind aus älterer Zeit einige bemerkenswerte Beiträge überkommen 4 , die nicht nur Informationen und Einsichten vermitteln, sondern zum Teil theoretische Qualität besitzen. Sie reichen indessen nicht hin, um die Geschichte der Bürokratie, selbst auf dem damaligen Stand, breit genug oder abschließend zu beleuchten. Die neuere Historiographie hat den Gegenstand in bezug auf die Periode von 1871 bis 1918 bis in die jüngste Vergangenheit fast ganz vernachlässigt. 5 Erst in den letzten Jahren sind einige monographische Darstellungen erschienen,6 doch sie schließen die Forschungslücke nicht, entweder weil sie thematisch eingleisig fahren und/oder weil sie größere Zeiträume umspannen und der uns interessierenden Epoche nur eher kurze Abschnitte widmen können.
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II. Bürokratie zwischen alt und neu. Perspektiven, Prozesse und Probleme der Modernisierung 1871-1914
1. Staat und Staatsapparat unter sich ändernden gesellschaftlichen und funktionalen Bedingungen a) Die Staatsrolle im Wandel
Man mochte es beklagen oder begrüßen, die Rolle des Staates erfuhr in Preußen während der letzten rund 30 Jahre des 19. Jahrhunderts gravierende Veränderungen. Das erschien durchaus nicht selbstverständlich in einem Land, in dem man gewohnt war, zwar staatlich verordneten Wandel, kaum jedoch die Wandelbarkeit des Staates zu erfahren. Besann man sich auf die enormen Wandlungen, die sich in dieser Zeit auch sonst vollzogen, so brauchte dies allerdings nicht ganz unbegreiflich zu sein. Preußen und das unter seiner Hegemonie gegründete Reich erlebten den Durchbruch zum entwickelten Industriestaat; auf der Grundlage des seit der Jahrhundertmitte wirksamen Industrialisierungsschubes ging man nun beschleunigt den Weg einer vor allem im ökonomischen Bereich sich immer stärker entfaltenden, wiewohl nicht nur auf ihn beschränkbaren Modernisierung. Historisch gleichsam im Zeitraffertempo stieg Preußen-Deutschland von einem agrarisch strukturierten Nachzügler der okzidentalen Evolution zu einer im europäischen Vergleich fuhrenden wirtschaftlichen Macht mit fortschreitendem, auch in konjunkturellen Krisen nicht entscheidend unterbrochenen Produktions- und Produktivitätswachstum auf. Dieser fundamentale Wachstumsprozeß war gleichzeitig ein tiefgreifender Strukturwandlungsprozeß. Er krempelte die Gesellschaft, wenn auch nicht unbedingt die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse, im Zuge einer beispiellosen Mobilisierungswelle geographisch, kulturell und sozial um. Zu weithin sichtbaren Zeichen dieses Vorgangs wurden die rapide Zunahme der Beweglichkeit von Menschen, Gütern und Informationen, die unerhört beschleunigte, mit einer horizontalen Bevölkerungsverschiebung größten Ausmaßes verbundene Verstädterung, die Schwächung oder Auflösung alter Familien- und Autoritätsbande, die vielfältige Entwurzelung großer Menschenmassen, die Trennung von Arbeits- und Lebensraum, die auch ganz allgemein um sich greifende Segmentierung der Lebens- und Arbeitsverfassung insbesondere in den Großstädten, die sprunghafte Expan19
sion der Arbeiterschaft und ihre dominante Ausformung als Fabrikproletariat, aber auch die allmähliche Akkumulation von mittleren und unteren Angestellten zu einer breiten und sich nach unten abgrenzenden besonderen Kategorie, die immer eindeutigere sozialökonomische Selbstinterpretation des »alten Mittelstandes« als in einer bedrohlichen Klemmlage zwischen Großunternehmertum und Proletariat befindlich und nicht zuletzt die mit diesen und verwandten Strömungen einhergehende Aufladung sozialer Interessengegensätze und Spannungen, die sich zu erheblichem Teil als wachsendes Schutzbedürfnis präsentierten. 1 Hinter diesen Umformungen waltete gewissermaßen als funktionales Grundprinzip der Epoche die Arbeitsteilung. Die Besitz- und Herrschaftsverhältnisse und Konjunktursituationen überlagernd, prägte sie die Produktion, die Distribution und in Verbindung damit nicht zuletzt die Welt der Berufe entscheidend mit; Differenzierung, Spezialisierung, organisatorische Rationalisierung durch Funktionstrennung, stärkere Bindung an immer zahlreicher werdende fachlich begründete Zuständigkeiten und Wissens-, ja Wissenschaftsabhängigkeit traten zum schnellen Vormarsch auf breiter Front an. In all diesen funktionalen Kriterien und den skizzierten allgemeinen Charakteristika der (deutschen) Gesellschaft des fin de siecle wird zunächst am ehesten ein Zug der Arbeitsteilung nachempfindbar, den man, abstrakter gefaßt, Autarkieverlust nennen könnte. Er verweist auf die Eigenschaft der sich entfaltenden hochindustriellen Massengesellschaft, sich in immer kleinere, allerdings auch immer weniger für sich lebensfähige Funktionseinheiten zu dividieren, insgesamt also auf einen abnehmenden >natürlichen< Z u sammenhalt und Gleichgewichtssinn. N u r diesen Effekt zu beachten, würde dem Gesamtphänomen jedoch nicht gerecht. Es gilt auch zu sehen, daß gerade der forcierte Fortgang von Wachstum und Modernisierung einen von einem Punkt oder Grad der Desintegration an zwingenden Bedarf nach synthetischem Ersatz fur die schwindende Selbstregulationsfähigkeit von Wirtschaft und Gesellschaft erzeugte. Konkret konnte dieser Ersatz kaum in etwas anderem bestehen als in öffentlich angebotenen und bedarfsbedingt von allen nutzbaren spezifischen Leistungen unterschiedlicher Art (von der Wasserversorgung bis zur Konjunkturlenkung) im Interesse der Aufrechterhaltung eines adäquaten Funktionszustandes des Ganzen. Allgemein ausgedrückt bedeutete dies die Instrumentalisierung der Regulation selbst als arbeitsteilige Funktion. 2 Damit allerdings erscheinen die fraglichen Desintegrationswirkungen nicht als letzte Konsequenz der Arbeitsteiligkeit, sondern eher als die Folge ihrer unvollständigen Ausbildung oder Anwendung, und die Befriedigung des Ersatzbedarfs als ihre folgerichtige Komplettierung. In der Tat wurden die >künstlichen< Funktionshilfen mit zunehmender Dichte und Deutlichkeit zum Wahrzeichen der hochindustriellen Evolutionsphase. Vielleicht ist es in unserem Argumentationskontext nicht falsch, in der 20
Entwicklung und Zunahme solcher Stützungsinstrumente das eigentlich Neue zu sehen, den Ausdruck eines Transformationsprozesses, der die ökonomischen, politischen und sozialen Verhältnissse im Zeichen signifikant erhöhter organisatorischer Verflechtung von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft trendhaft verändern sollte. 3 Wohl nicht zufällig läßt sich der Wandel gerade in diesem Punkt gleichzeitig so leicht in geläufige Kategorien angebbarer Wirtschafts- und Sozialordnungen übersetzen, d. h. höchst konkret als Überforderung, respektive sich anbahnende Überwindung des liberalen Konkurrenzkapitalismus beschreiben. 4 Noch deutlicher wird dies, wenn man nicht nur die artifiziellen Regulierungsmechanismen selbst im Auge hat, sondern auch danach fragt, wer die zusehends wichtiger, ja unverzichtbar werdenden und sich sprunghaft vergrößernden Regulierungsaufgaben übernehmen sollte. Der an der selbsttätigen Wirtschaftsbalance orientierte Liberalismus hatte sich darum aus Prinzip nicht gekümmert. Wenngleich solche Aufgaben faktisch durchaus nicht ganz vernachlässigt wurden - insbesondere im modernen Versorgungs- und Entsorgungswesen gab es U n ternehmungen, die sich ihnen im Sinne der Nutzung einer Marktchance widmeten - 5 , so blieb ihre Wahrnehmung im liberalen System allerdings eher beliebig und zufällig. In dem Maß aber, in dem man sich (angesichts der beschriebenen, die liberalen Maßstäbe sprengenden Strukturwandlungsprozesse) Unverbindlichkeit nicht leisten konnte, mußte die Zuständigkeit problematisiert werden. Und da bot sich die umfassendste und einheitlichste Institution, der Staat, als zentrale, wenngleich auch jetzt nicht alleinige Agentur von Versorgung, Vorsorge und Funktionssteuerung am ehesten an; es empfahl sich der Wohlfahrtsstaat. 6 Damit kann als weiteres entscheidendes Kennzeichen der Epoche nun auch die grundsätzlich zunehmende Wichtigkeit des Staates jenseits seiner traditionellen Funktion in der Herrschaftssphäre ausgemacht werden. All diese säkularen Veränderungen, einschließlich die der Staatsrolle, konnten sich freilich von Gesellschaft zu Gesellschaft bei aller grundsätzlichen Ähnlichkeit recht unterschiedlich ausprägen. Als typisch für die deutsche Entwicklung dürften gelten: zum einen die ebenso abrupte wie nachhaltige Abwendung vom Liberalismus und zum anderen die entwicklungsgeschichtlich besonders frühzeitige und sogleich umfassende und intensive Partizipation des Staates an der Gestaltung des wirtschaftlichen und sozialen Geschehens. Seit dem Vormärz gab es in Preußen ungeachtet von Widersprüchen und wechselnder Intensität eine liberale staatliche Wirtschaftsforderung und eine liberal-kapitalistische Industrieentfaltung, die im Gründerboom von 1869-1873 kulminierte. So hektisch, ungestüm und auch unbekümmert man sich zuletzt in diesen Prozeß stürzte oder von ihm mittragen ließ, so ernüchtert und beängstigt erlebte man den plötzlichen großen Konjunktureinbruch 1873, zumal der industrielle Gründerkrach bald von einer Agrarkrise potenziert wurde. Obwohl das fundamentale Wachstum insgesamt 21
nicht wirklich abbrach, führten diese Rückschläge und die nachfolgenden Stockungen zu einer rasch fortschreitenden Diskreditierung wirtschaftsliberaler Prinzipien und Vorstellungen von einer sich selbst regulierenden Konkurrenzwirtschaft. In der Folge entstanden »nie mehr rückgängig gemachte organisatorische Veränderungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich«, 7 Zusammenschlüsse und Verflechtungen von Unternehmungen, Wettbewerbsregulierungen und nicht zuletzt Interessenorganisationen, die die interne Selbsthilfe sozusagen nach außen abstützten. Erleichtert wurde die Abkehr vom Wirtschaftsliberalismus noch durch eher konjunkturindifferente, wenngleich darum nicht weniger gravierende Ausprägungen liberaler Insuffizienz. Im Kern handelte es sich u m das mindestens mit dem klassischen wirtschaftsliberalen Denken naturgemäß verknüpfte »Desinteresse« oder Unvermögen, 8 »Daseinsvorsorge«, 9 Sozialpolitik und dergleichen zu betreiben, etwas, was man sich angesichts eines modernisierungsbedingt entstehenden Grundbedürfnisses nach derartigen Leistungen nicht uneingeschränkt erlauben konnte. Besonders die soziale Frage der Unterschichten verlangte, wie man empfand, nach einer zeitgemäßen Antwort, zumal die relative organisatorische wie >plebiszitäre< Stärke und plakativ sozialistische Profilierung der deutschen (politischen) Arbeiterbewegung das Wirtschaftsbürgertum aktiv zu bedrohen schien. Hinzu kam, daß dem Wirtschaftsliberalismus keine adäquate gesellschaftlichweltanschauliche Liberalität, ob als allgemeine Werthaltung oder parlamentarischer bzw. sonstiger Machtfaktor, zur Seite stand, erst recht nach 1873 nicht, da die Einigkeit des liberalen Lagers allmählich verfiel. Als wesentliches weiteres Movens der Umstellung setzte gleichzeitig eine konservative Sammlungspolitik ein, zum Teil als unmittelbar politisch wirksames und als solches 1878/79 das Ende der liberalen Regierungsbeteiligung besiegelndes Interessenbündnis der großagrarischen und schwerindustriellen Unternehmerschaft, zum Teil aber auch als Echo auf jene mit den Mitteln liberalen Honoratiorentums nicht mehr lösbaren Zeitprobleme. Denn, so paradox dies auf den ersten Blick anmuten mag, die konservativen Machteliten besaßen das bessere, pragmatischere Gespür nicht nur für sozialpolitische Postulate, sondern auch für die damit verknüpften »ideologischen und organisatorischen Führungstechniken des Massenzeitalters«. 10 Es mutet nicht als Überraschung an, wenn all diese Vorgänge seit den späten 1870er Jahren, in deren Verlaufsich Modernisierungsbedürftigkeit vielfach als Schutz-, Vorsorge- und Steuerungsbedürftigkeit spezifizierte, den Staat geradezu zwingend auf den Plan riefen. Allerdings erklärt sich weder der für die preußisch-deutschen Verhältnisse typische Umfang, noch die Intensität und Promptheit des staatlichen Engagements aus entwicklungstypischen >Sachzwängen< zureichend, obwohl man berücksichtigen muß, daß die Rapidität des Wachstums derlei Zwänge erheblich verstärkte. Z u m Gesamtbild gehört also auch, daß es in Preußen eine alte und tief ver22
wurzelte, selbst in den liberalen Zeitabschnitten übliche Tradition der Staatsintervention gab, die Tatsache mit anderen Worten, daß die starke Präsenz des Staates - und mögen die Aufgaben im Zeitverlauf inhaltlich durchaus nicht identisch geblieben sein - an sich nichts Unbekanntes oder Ungewohntes mehr war, so daß sie, als sie jetzt akute Bedeutung gewann, keiner gänzlich neuen Orientierung und auch apparativ keiner ganz neuen Rüstung bedurfte. Hochrelevant war außerdem der konservative Charakter des hier zu Debatte stehenden Umschwungs. Denn, so wenig staatlich getragene Modernisierung an sich konservativ sein mußte, Konservatismus ging in der Regel mit Gouvernementalismus einher. Die etatistische Haltung, die übrigens in Preußen eine länger und fester verankerte und weiter verbreitete Neigung gewesen sein dürfte, als es die der konservativen Wende vorausgehende Schönwetterperiode des Liberalismus auf Anhieb vermuten läßt, wurde so zum Trend und erleichterte das stärkere Hervortreten des Staates. Noch bevor die Wirtschaftskrise einsetzte, noch während sich die Liberalen (ζ. T. erfolgreich) um weniger Staat durch mehr Selbstverwaltung mühten, begeisterten sich antimanchesterlich gesinnte Sozialreformer schon für »eine starke Staatsgewalt, welche über den egoistischen Klasseninteressen stehend die Gesetze gebe, mit gerechter Hand die Verwaltung leite, die Schwachen stütze [und] die unteren Klassen hebe.« 11 Der »Verein für Socialpolitik«, den sie 1872 zur Förderung der Sozialstaatlichkeit gründeten, war ein beredter Ausdruck des vorhandenen etatistischen Potentials über im engeren Sinn konservative Kreise und Kräfte hinaus. 12 Wenngleich die im Verein zusammengeschlossenen sogenannten Kathedersozialisten wohl in geringerem Maß zu direktem, praktischem Einfluß gelangten als von ihnen erhofft, 1 3 sorgte die bald einsetzende wirtschaftliche Depression dafür, daß die Frage der staatlichen Eingriffe in das Sozial- und Wirtschaftsleben kein akademisches Problem und nicht auf die soziale Frage der U n terschichten beschränkt blieb. Die zunehmende, von Konzentration, Interdependenz und Interessenzusammenschlüssen begleitete Umstrukturierung der Wirtschaft sprengte bald Dimension und Möglichkeiten der Selbsthilfe. Trotz manchen freihändlerischen Widerstands und der bleibenden Abneigung, unternehmerische Autonomie über das Notwendige hinaus an den Staat abzutreten, obsiegte bis 1879 die konservativ-protektionistische Linie und überhaupt eine Haltung, die erweiterte staatliche Intervention und Lenkung allgemein zuließ, ja anforderte. Von nun an gab es eine fortschreitend engere Verknüpfung und Verflechtung der ökonomischen und der staatlichen Sphäre. 14 Dazu trug freilich auch der Staat erheblich bei, der seinen Einfluß- und Kompetenzbereich nicht zuletzt aus eigenem Impetus ausdehnte, wenn nicht sogar »usurpierte«, 15 und dies weit jenseits der engeren, die Privatwirtschaft direkt regulierenden Tätigkeit. Er wurde auch zum Träger einer großangelegten präventiv-fürsorgerischen Sozialpolitik und eines expansiven Angebotes anderer daseinswichtiger 23
»Leistungen an die Allgemeinheit«. 16 Vielleicht kann man in bezug auf das letztere Moment gar von der dichter und dichter werdenden Verknüpfung des staatlichen Bereichs mit der Daseinskultur schlechthin ausgehen; nicht zufällig war das Wort von Kulturaufgaben oder Kulturmission des Staates jetzt in aller Munde. All diese neuen Aufgaben und die insgesamt vervielfachte Funktionslast nun, um damit an unserem Ausgangspunkt wieder anzuknüpfen, veränderten den Staat bzw. seine Verwaltung oder wenigstens die Voraussetzungen staatlicher Administration zum Teil erheblich. Angesichts der interventionistischen Tradition insonderheit in Preußen mag es zunächst zwar scheinen, als habe damit noch kein wirklicher Wechsel in eine qualitativ neue Phase der Zielorientierung und Verwaltungsausübung stattgefunden, sondern nur eine Intensivierung des immer schon Gewesenen. 17 Gewiß, man wird für die hier in Frage stehende Zeit von keiner voll entwickelten Wohlfahrtsstaatlichkeit, nicht von vollendeter Verwandlung, reden können. Aber auch jetzt schon geschah manches, was nicht ins alte Schema paßte. Die von der preußischen Verwaltung betriebene wirtschaftliche M o dernisierung >von oben< ζ. B . glich spätestens von den 1880er Jahren an weder der Erziehungsdiktatur des frühen 19. Jahrhunderts noch dem Wirtschaftsliberalismus der hohen Ministerialbürokratie in den beiden Dekaden nach 1850. Im Gegensatz zu damals ging es jetzt nicht um Eingriffe im Interesse der Herstellung industrieller Verhältnisse. Staatliche Interventionen waren nun eher »Reaktionen auf ökonomische und soziale Gleichgewichtsstörungen eines längst in Bewegung gesetzten Industrialisierungsprozesses«. 18 Das drückte eine qualitative Änderung aus. Eine weitere qualitative Besonderheit war, daß staatliche Maßnahmen der Wirtschaftssteuerung nicht mehr souveräne Alleingänge, sondern - seitdem die großen Produzenten-Interessenverbände bestanden - im Prinzip konsensabhängige Aktionen darstellten. Das gleiche kann im größeren, nicht nur Unternehmen und Unternehmer, sondern die Bedürfnisse und Interessenlagen der ganzen Gesellschaft einbeziehenden Rahmen gelten; die selbst unter preußischen Bedingungen allmählich wachsenden (formalen wie informellen) Einflußmöglichkeiten auch der Massen auf politische und andere Entscheidungsprozesse schlossen ein primär selbstgenügsames staatliches Vorgehen bzw. eine gänzlich voluntaristische staatliche »Aufgabenentwicklung« 19 mehr und mehr aus. Aber auch die Schwerkraft der mit früher essentiell nicht mehr vergleichbaren Arbeits-, Lebens- und überhaupt Funktionsstrukturen in der zunehmend komplexen Industriegesellschaft, mit anderen Worten unignorierbare sachliche Faktoren, wirkten dahin, daß der Staat die Linie überschritt, die sowohl den eher an der liberalen Marktordnung orientierten wie den autoritären Fürsorgestaat vom Typus des modernen Wohlfahrtsstaates trennte. Nimmt man etwa die Sozialpolitik, konkret die Sozialgesetzgebung der 80er Jahre, läßt sich beobachten, daß der diese Gesetze initiierende
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Staat nicht restlos im Geiste vergangener Jahrzehnte handelte und handeln konnte. So ambivalent, d. h. regressiv (im Dienste der gegebenen Herrschaftsverhältnisse stehend) dieses Sozialwerk insbesondere in der persönlichen Auffassung Bismarcks zum Teil auch geblieben sein mag, partielle Vorstöße zur modernen, partnerschaftlichen Vorsorge realisierte es doch. 20 Wichtig ist auch zu sehen, daß Daseinsvorsorge durch Leistungsverwaltung überhaupt eine vom hoheitlichen Interventionismus der Ordnungsverwaltung prinzipiell unterschiedliche bzw. die prinzipielle Unterscheidung erfordernde Staatsfunktion verkörperte. Mit der Daseinsvorsorge wuchs dem Staat ein neuer Verwaltungszweck zu, der weder in die überkommene Verwaltungslehre paßte, noch mit der üblichen Verwaltungstechnik sachgerecht erfüllt werden konnte. Die sich häufenden, vor allem die von den Sonderverwaltungen erbrachten neuen Staatsleistungen sprengten jedenfalls faktisch den Rahmen fiskalischer oder autoritativ-hoheitlicher Fundierbarkeit. Besonders auf dem Gebiet der elementaren Fürsorge- und Versorgungsleistungen, der ersten Stufe der Daseinsvorsorge, 21 erwies es sich schon im 19. Jahrhundert, daß diese Aktivitäten immer weniger als Funktion des reinen Staatswillens begriffen werden konnten. Sie wurden vielmehr in zunehmendem Maß zur Funktion des Staates im arbeitsteiligen Gesamtsystem der Gesellschaft. 22 Es ist eine andere Frage, ob dies unmittelbar von einer befriedigenden theoretischen Durchdringung und/oder der Entwicklung immanenter Verhaltensmuster und Leistungstechniken begleitet wurde. Auch eine schleppende Bewußtseinsänderung und mangelnde praktische Anpassung änderten jedoch nichts daran, daß die Wahrnehmung neuartiger Aufgaben den Staat in einen stärker denn je selbsttragenden Evolutionsprozeß einbezogen und ihm dort eine qualitativ andere Rolle als die der lediglich »guten Policey« 23 zuwiesen. Trug man freilich ihren Implikationen, vor allem im Hinblick auf Wachstum, Proportionen, Organisationsgrad, Organisationsstruktur und Berufs- wie Arbeitsverhältnisse des Staatsapparates wenigstens längerfristig nicht adäquat Rechnung, versprachen 24 sie allerdings zur Quelle von Dysfunktionalität, Spannungen und Konflikten zu werden, und dies nicht nur im Makrosystem sondern auch im Innern des Staatsbereichs.
b) Expansion
und Differenzierung
der
Verwaltung
Wie immer man die Rolle des preußisch-deutschen Staates seit Anbruch des letzten Drittels des 19. Jahrhunderts im einzelnen charakterisieren und abgrenzen will, fest steht, daß er von der Industriegesellschaft in erhöhtem und kontinuierlich zunehmendem Maß mit einer Vielzahl und Vielfalt neuer Aufgaben konfrontiert wurde. Diese Änderung in der Beanspruchung, zumal in zeitlich starker Konzentration, blieb nicht ohne Auswirkungen 25
auf den Verwaltungsapparat. Die morphologisch auffälligsten unter den hier aufzuzeigenden Folgeerscheinungen waren die Expansion der Verwaltungssphäre und ihre beschleunigte Differenzierung. Das Wachstum von Industrie und Gewerbe im engeren Sinn, um mit diesem fundamentalen Faktor zu beginnen, rief den Staat, auch und gerade dann, wenn er derlei Entwicklungen nicht selbst initiiert hatte, früher oder später als ordnende, koordinierende, oder als Waren, vor allem aber Leistungen produzierende Instanz direkt oder indirekt auf den Plan. Von der Größenordnung her wohl am eindrucksvollsten äußerte sich diese Beziehung, zum Teil Wechselbeziehung, zwischen Industrialisierung und Verwaltungsentwicklung auf dem Gebiet des Infrastrukturbedarfs der Wirtschaft, im Bereich des Transport- und Kommunikationswesens. Darunter fiel in erster Linie das Angewiesensein der Unternehmungen auf die »rasche und wohlfeile Fortschaffung der Güter«, 1 sprich die Eisenbahn, dieses modernste und schnellste Transportmittel der Zeit. Da die Bahnen als staatliche Veranstaltung aus diesen (wiewohl auch aus fiskalpolitischen und militärstrategischen) Gründen seit Ende der 70er Jahre forciert ausgebaut wurden, kam hier eine Aufgabe auf die Verwaltung zu, deren Dimensionen Ausdrücke wie »gewaltig« und »ungeheuerlich«2 nicht übertrieben erscheinen ließen. Ähnliches galt fur die Post, besonders für ihre jüngsten Angebote wie Telegraphie und Telefon, deren Ausbreitung und Benutzung als »Werkzeug der Volkswirtschaft« 3 in geradezu atemberaubendem Tempo voranschritten; das Fernsprechnetz ζ. B. brachte es im Reich von rund 2000 Telefonapparaten im Jahre 1880 auf 50259 bis 1890, auf 250778 auf dem Stand von 1900 und auf 537196 gar 1905.4 Die Ausdehnung der Finanzverwaltung, auch dies unschwer mit der Wirtschaftsentwicklung in Verbindung zu setzen, war erheblich. Obwohl die Finanzen seit jeher zu den klassischen Anliegen staatlicher Administration gehörten und in Preußen zu den ersten Sparten, für die eigene Ressortministerien eingerichtet worden waren, erfuhr dieser Verwaltungszweig in der Bismarck- bzw. Wilhelminischen Ära wichtige Ausweitungen. Verursacht wurde dies zum Teil durch den Aufbau eines ganz neuen Behördenapparates ab 1867, den die zeitgemäße Verwaltung der direkten Steuern erfordert hatte, zum Teil aber auch durch die nach 1891 dringend gewordene Kapazitätsaufstockung im Zuge der Reform der Veranlagung der indirekten Steuern (Einkommenssteuergesetz vom 24. 6. 1891). Vorgänge, die vor dem Hintergrund des rapid steigenden Sozialprodukts und der Vervielfachung steuerpflichtiger Einkommen zu sehen sind.5 Weniger gut meßbare aber mit Sicherheit zusätzliche Arbeit, mithin ein Impuls zur Kapazitätserweiterung, erwuchs der Verwaltung schließlich aus ihrem sich zu dieser Zeit merklich intensivierenden Umgang und »Handeln« mit Interessen verbänden und der parallel dazu einsetzenden modernen Wirtschaftslenkung. 6 Ein weiteres Feld, auf dem die allmählich in die zweite industrielle Revolution übergehende Wirtschaftsentwicklung den Staatsapparat als Kontroll26
behörde immer stärker in Anspruch nahm, war die Fabrikinspektion oder Gewerbeaufsicht, wie sie später hieß. 7 Durch königliches Regulativ 1839 eingerichtet, weitete sich die Institution nach der Reichsgründungszeit rukkartig aus. Den Aufsichtsbeamten, deren Zahl mit der Aufgabenfülle wuchs, oblag immer mehr. Anfangs waren sie nur zuständig für die Verhinderung des Mißbrauchs von Kinderarbeit, am Ende des 19. Jahrhunderts hatten sie die Kontrolle sämtlicher Arbeiterschutzbestimmungen und die technische Überwachung der Gewerbebetriebe inne - angesichts der rapiden Industrialisierung und der Vermehrung der Vorschriften eine außerordentliche Fülle von Arbeit und Verantwortung. Kein Wunder, daß die Gewerbeaufsicht Anfang des 20. Jahrhunderts zu den »wichtigsten« Verwaltungsaufgaben gezählt werden konnte. 8 Andere Modernisierungsphänomene wie Bevölkerungswachstum, Mobilisierung, Verstädterung usw., die zu systematischer Daseinsvorsorge zumindest auf dem Sektor der Grundbedürfnisse und zu einer Reihe sonstiger Sozial- und Wohlfahrtsleistungen, zu größerer Verbindlichkeit und schnellerer Gangart nötigten, schufen Probleme, die mehr als ausreichten, um die öffentliche Bürokratie, sollte sie nicht ausgebaut werden, in Bedrängnis zu bringen. Dabei banden nicht nur Energieversorgung, Gesundheitswesen, Sozialversicherungssystem oder Schulsektor, um bekannte Fälle zu nennen, 9 immer mehr Verwaltungskräfte. Auch kleinere Aufgaben auf >Nebenbühnen< des Geschehens wirkten dahin. Dazu gehörte ζ. B. die Überwachung des Kassenwesens der Städte, die wegen der zunehmenden Komplexität der Verhältnisse von den Bezirksregierungen einen immer intensiveren und systematischeren Einsatz verlangte und nicht wenig dazu beitrug, daß der Bedarf an Kassen- und Rechnungspersonal merklich und kontinuierlich anstieg. 10 In ähnlicher Weise stärker in die Pflicht genommen wurden die staatlichen Bauverwaltungen, denen nicht nur das hohe Tempo der Stadtentwicklung zu schaffen machte, sondern auch das sich modifizierende Bauordnungswesen; es schrieb über die klassischen Kontrollen (Standfestigkeit, Feuerschutz usw.) hinaus nun auch die Beachtung »gesundheitliche[r), ästhetische[r] und städtebauliche^] Interessen« vor. 11 Die Übernahme der standesamtlichen Registrierung in staatliche Kompetenz seit 1874, 12 die Neuordnung des polizeilichen Meldewesens, 13 das wachsende staatliche Engagement auf den Gebieten öffentlicher Arbeitsvermittlung 14 und veterinärpolizeilicher Aufgaben 15 sind weitere Beispiele für zusätzliche Verwaltungsaufgaben und zusätzlich benötigte Verwaltungskräfte. Nicht zuletzt seien in diesem Zusammenhang die Wissenschaftsförderung und das Hochschulwesen erwähnt, die in richtiger Einschätzung der Wissensabhängigkeit moderner Gesellschaften von den 1880er Jahren an konsequent zu umfassenden und leistungsfähigen Systemen - mit sprunghaft steigendem Mittel- und Personalbedarf - ausgebaut wurden. 16 Politische Vorgänge schließlich trugen ihren Teil zur Ausdehnung der 27
Verwaltung und Vermehrung ihres Tätigkeitsvolumens bei. Das enorme Wachstum des staatlichen Eisenbahnbetriebes ζ. B. ging zum guten Teil auf politische Entscheidungen zurück. Nicht gesondert hingewiesen zu werden braucht auf die trotz aller ökonomischen Hintergründe betont politische Natur eines anderen Vorgangs, nämlich der Reichsgründung. Unterstrichen werden soll hier nur, daß sie die Länderverwaltungen belastete, blieb doch das Reich, teils aus seiner föderalistischen Struktur, teils aus U n wägbarkeiten des Anfangs heraus, in zahlreichen Verwaltungsangelegenheiten lange Zeit »Kostgänger« der Einzelstaaten. 17 Der nicht zuletzt politisch motivierte und/oder geführte Kampf gegen die Sozialdemokratie beschäftigte selbst nach der Nichterneuerung des Sozialistengesetzes die Polizei ständig und in ständig wachsendem Maß. Deren Berichte wiederum bescherten den Behörden der inneren Verwaltung vom Landratsamt bis zum Ministerium Mehrarbeit. In den politischen Zusammenhang gehört auch die 1872 und 1875 gesetzlich eingeführte Verwaltungsgerichtsbarkeit. 18 Sie bewirkte die Errichtung einer neuen Justizbehörde (Oberverwaltungsgericht). Ihre eigenartige Konstruktion, d. h. teilweise Verklammerung mit der Kreis- und Bezirksverwaltung, führte außerdem dazu, daß ihre Geschäfte von diesen zuletzt erwähnten Stellen mit erledigt werden mußten. Das war kein geringer Aufwand bei der bald sehr stark zunehmenden Anzahl der anstehenden »Vorgänge«, von deren Akkumulation man sich anhand der Zahlen zum »Geschäftsumfang« des preußischen Oberverwaltungsgerichts zwischen 1875 und 1902 einen Begriff machen kann. Tab. 1: Geschäftsbelastung des preußischen Oberverwaltungsgerichts 1875-1902 in Häufigkeitszahlen verschiedener Indikatoren.19 Indikatoren Sitzungen Journalnummern neu eingegangene streitige Verwaltungssachen sonst eingegangene Geschäftssachen
1876/77
1891
1899
1902
30 1204
87 2968
225 5779
420 17910
329* 18900
153
750
1134
8643
9149
136
329
404
934
1131
1875/76
* Rückgang bedingt durch »Aufhebung der Steuerkammern (Dreimännerkollegien)«. Siehe angegebene Quelle
Auch andere Ergebnisse der Verwaltungsreformen der 70er Jahre trugen zur Vergrößerung der Verwaltungsbehörden und Vermehrung der Geschäfte bei. Die Kreisordnung von 1872 z.B., die die Selbstverwaltung stärken sollte, erwies sich letztlich als eine arbeitsintensive Bürde für den Landrat, der jetzt als Vorsitzender des Kreisausschusses auch noch die Selbstverwaltung mit zu verwalten hatte. Und die ähnlich motivierte Provinzialordnung von 1875 schuf gleich zwei neue staatliche Instanzen mit 28
neuen Agenda und neuem Personalbedarf, den Provinzialrat und den Bezirksrat. Die Gesetze der 80er Jahre änderten an dem zuvor erreichten hohen Stand politisch verschuldeter Selbstbeschäftigung nichts, es sei denn im Sinne einer Steigerung. Nichts macht den Verwaltungsausbau freilich so unmittelbar anschaulich wie die Personalzahlen. 20 Global gestaltete sich die zahlenmäßige Stärke der preußischen Beamtenschaft in dem der letzten Berufszählung der Monarchie (1907) vorausgegangenen halben Jahrhundert so (s. Tab. 2a): Tab. 2a: Entwicklung der öffentlichen Beamtenschaft in Preußen 1858-1907 (Variante A: weiter Rahmen) 21 Jahr
Anzahl der Beamten
Anzahl der hauptberuflich Erwerbstätigen in der Gesamtbevölkerung
Anteil der Beamten an den hauptberuflich Erwerbstätigen in der Bevölkerung in Prozenten
1858 1882 1895 1907
150437 251471 599056 945892
5186434 8439835 13242253 18038389
2,9 3,0 4,5 5,2
Da die amtliche Statistik der Zeit »unmittelbare« Staatsbeamte von mittelbaren und von Bediensteten kommunaler Verwaltungen nicht trennt bzw. sie mit Berufsgruppen außerhalb des öffentlichen Dienstes vermischt, mag diese Übersicht Unschärfen enthalten. Aus diesem Grunde soll hier versucht werden, in einer engeren Fassung die Kategorien auszuscheiden, die die vermutlich höchsten Anteile von nicht zum unmittelbaren preußischen Staatsdienst gehörenden Berufsgruppen enthalten. Dabei ensteht folgendes Bild (s. Tab. 2b). Tab. 2b: Entwicklung der öffentlichen Beamtenschaft in Preußen 1858-1907 (Variante B: engerer Rahmen) 22 Jahr
Anzahl der Beamten
Anteil der Beamten an den hauptberuflich Erwerbstätigen in der Bevölkerung in Prozenten
1858 1882 1895 1907
82318 160283 312531 496364
1,5 1,9 2,4 2,8
Beide Versionen ergeben ein linear verlaufendes absolutes wie relatives Wachstum. Obwohl auch durch die Einengung keine Lupenreinheit erreicht wird, dürfte nun sicher genug belegt sein, daß die preußische unmit29
telbare Beamtenschaft stark expandierte, schneller als die Berufstätigen im allgemeinen. Sie gehörte also zu den »Überholern«, ungeachtet der Tatsache, daß sie im Gegensatz etwa zu den Angestellten keine neue, sondern eine frühzeitig bereits hochentwickelte Berufskategorie stellte; 23 das wertet die von ihr erreichten Steigerungsraten weiter auf. J e nach Verwaltungszweig unterschieden sich diese Raten zwar, doch gab es keine Behörde, deren Personalkapazität nicht beträchtlich erweitert wurde. Das Beamtenpersonal der preußischen Provinzialbehörden, die hier als Indikator fur die allgemeine Verwaltung dienen sollen, hatte sich 1911 gegenüber 1875 fast verdoppelt und zählte zweieinhalb Mal so viel Köpfe wie 1849. Bei den preußischen Amts- und Landgerichten gab es in der Zeit zwischen 1875 und 1908 einen Personalzuwachs von rund 1 0 0 % . (Vgl. Tab. 3 u. 4.) Tab. 3: Beamte der preußischen Provinzialbehörden der allgemeinen Landesverwaltung 1849-1911 (in absoluten Zahlen) 24 Jahr Anzahl der Beamten
1849
1859
1868
1875
1893
1901
1911
1407
1531
1740
2100
2458
3007
3724
Tab. 4: Beamte der preußischen Amts- und Landgerichte 1875-1908 (in absoluten Zahlen) 25 Jahr Anzahl der Beamten
1875
1880
1893
1904
1908
10058
12720
16392
18332
21560
Noch kräftiger expandierten die besonderen Verwaltungen. Von den kleineren von ihnen war ζ. B. die Gewerbeaufsicht zunächst (zwischen 1853 und 1873) mit nur drei Beamten bestückt gewesen. Bis 1895 stieg ihre Zahl auf 179, bis 1905 auf 252 und 1911 auf 515. 2 6 Ebenfalls eindrucksvoll gestaltete sich die Personalvermehrung in der Hauptverwaltung der Staatsschulden, einer Behörde ähnlicher Größenordnung. Sie verfugte 1911 über sechsmal so viel Beamte wie 1851, in absoluten Zahlen: 1851: 45, 1871: 72, 1891: 134, 1911: 253. 2 7 Die großen wissenschaftlichen Bibiliotheken (Königliche Bibliothek und Universitätsbibliotheken) Preußens, für deren Mitarbeiter im höheren Dienst man erst gegen Ende der 80er Jahre überhaupt eine eigene Beamtenlaufbahn einzurichten begann, brachten es 1884 auf ganze 32 Beamte im wissenschaftlichen Dienst, 1890 dagegen auf 144. Sie hatten Anfang 1900 immerhin schon deren 159 und 1914 schließlich 564. 2 8 Was den kleineren Sonderbehörden naturgemäß fehlte, brachte neben hohem Entwicklungstempo das Großunternehmen Staatseisenbahn exem-
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plarisch hervor: Beamtenmassen. Verwaltung und Betrieb der preußischen Eisenbahnen erreichten insgesamt folgende Personalstärken (Tab. 5): T a b . 5: B e a m t e (einschließlich Unterbeamte) der preußischen/preußisch-hessischen Staatseisenbahnen 1858-1907 (in absoluten Zahlen) 2 9 Jahr Anzahl der Beamten
1858
1878
1883
1896
1900
1907
9426
49926
62986
107734
186829
261456
Es ist zunächt unwichtig, daß die Akkumulation besonders nach 1878 u. a. die Folge umfassender Verstaatlichung war, also auch durch die Übernahme der Privatbahn-Belegschaften zustande kam, das Ergebnis war Expansion. Nicht anders sah es im Bereich der preußischen, späteren norddeutschen Bundespost und schließlich Reichspost- und Telegraphenverwaltung aus. Aus den rund 15000 Bediensteten von 1850 wurden bis 1872 nicht weniger als 55514, bis 1900 schon 185063 und 1905 gar 228727. 30 Als Bilanz kann man eine überaus starke Ausdehnung des staatlichen Bereichs konstatieren, die von den 80er Jahren an geradezu »dramatische« Formen annahm. 31 Obwohl sich das Wachstum im 20.Jahrhundert fortsetzte und mit zum Teil höheren Raten denn j e aufwartete, war in jener Zeit, den letzten beiden Dekaden vor 1900, der entscheidende Sprung nach oben erfolgt. Er verwandelte die meisten Behörden in ansehnliche bis voluminöse Organisationen, die Dienstleistungs- und/oder Versorgungsunternehmen der öffentlichen Hand sogar in Großbetriebe allererster Ordnung. Die Staatsverwaltung löste sich während dieser Periode endgültig von ihrer gewohnten Größenordnung und präsentierte sich im ganzen in grundlegend veränderter Dimension. Doch, so imposant das Hineinwachsen der Staatsbürokratie in eine neue Größenordnung auch war, demonstrierte es nur einen Teil des Gestaltwandels, den die Verwaltung insbesondere während der letzten 35 bis 40 Jahre vor 1914 durchmachte. Das zweite neben der Expansion wichtige Phänomen, auf das bei der Betrachtung der Aufbauorganisation eingegangen werden soll, ist die beschleunigte fachliche Differenzierung des Verwaltungskörpers. Dabei ist nicht die Zunahme neuer Fachkompetenzen insgesamt entscheidend, sondern ihre Ansiedlung außerhalb der allgemeinen oder Ordnungsverwaltung bzw. der Justiz. Es interessiert also die Entwicklung von speziellen Verwaltungszweigen mit primär leistender statt hoheitlicher Funktion und ihr Gewichtungsverhältnis zur allgemeinen Verwaltung. Den sogenannten Sonderverwaltungen begegnet man in Preußen schon zu Anfang des 19. Jahrhunderts in respektabler Auffächerung. 32 So bestanden oder wurden im Zuge der großen Reformen neu geschaffen die Konsistorien als Kirchenaufsicht auf Provinzialebene, die Medizinalkollegien als 31
Sachverständigen- und Gutachtergremium insbesondere in gerichtsmedizinischen Sachen, das Ober- später Provinzialschulkollegium fur das höhere Schulwesen, die für landeskulturelle Angelegenheiten (Melioration, Gemeinheitsteilung) zuständigen Generalkommissionen, die Bergämter, die Provinzialdirektorien für die indirekten Steuern und Zölle und schließlich das Generalpostamt (zu dieser Zeit freilich kaum mehr als eine dem Staatskanzleramt direkt unterstellte Koordinationsstelle für die lokalen Postämter, über die an O r t und Stelle die allgemeine Verwaltung noch mit Aufsicht führte). All diese >sonstigen< Verwaltungsstellen, ihre Zuständigkeiten und ihre Arbeitsvolumina reichten freilich vorerst nicht hin, um neben der fast Rundum-Kompetenz und Geschäftsfülle der allgemeinen Landesverwaltung größeres Gewicht zu erlangen. In der zweiten Jahrhunderthälfte 33 begannen dann Anzahl, Umfang und Zuständigkeitsrahmen der Spezialbehörden merklich größer zu werden. Daß sich da etwas tat, äußerte sich in der Errichtung neuer Ministerien wie der für Landwirtschaft, Domänen und Forsten bzw. für Handel, Gewerbe und Bauwesen 1848, in der Zuordnung der Generalpostdirektion und der Eisenbahnangelegenheiten zum Ressort des letzteren bzw. der damit eingeleiteten planvolleren Entwicklung der staatlichen Eisenbahnen, in der 1848/ 49 erfolgten Schaffung von Postmittelinstanzen (Oberpostdirektionen), der Übertragung der noch bei den Regierungen gelegenen postalischen Aufsichtsbefugnisse auf die Postverwaltung oder in der Erhebung der Fabrikinspektoren zum staatlichen Organ per Gesetz 1853. Aber auch jetzt noch waren sie allesamt keine Größe, die die Hegemonie der allgemeinen Verwaltung in verwaltungstheoretischer oder machtpraktischer Hinsicht ernsthaft tangierte. Zumindest auf dem Gebiet der Theorie blieb das auch weiterhin so. Die Verwaltungslehre, eine Disziplin, der die Beschäftigung mit der Theorie nahegelegen hätte, verfiel nach Lorenz von Stein zusehends, von ihr war eine maßgebliche, wissenschaftlich fundierte Analyse der Sonderformen der Verwaltung nicht zu erwarten. 34 Von der anstelle der Verwaltungslehre emporgekommenen Verwaltungsrechtswissenschaft, insbesondere von Otto Mayers Anstaltslehre, wurden sie zwar wahrgenommen. Aber ihr leistender Charakter und damit ihre von der Ordnungsverwaltung politisch und funktionell abweichende Eigenart wurde nicht thematisiert. Im Gegenteil: Da die herrschende Lehre das Recht der Verwaltung grundsätzlich als öffentliches Recht definierte und Öffenlichrechtlichkeit wiederum nur als hoheitlich zu begreifen vermochte, wurde jeder Verwaltungsakt, mithin auch die Tätigkeit leistender Verwaltungszweige, für obrigkeitlich erklärt und in dieser Form festgeschrieben. 35 Dessenungeachtet gingen Vermehrung und Wachstum der Sonderbehörden weiter, im letzten Viertel des Jahrhunderts gar massiv und auf breiter Front. Die umfassende Verstaatlichung von Transport und Verkehr, die sprunghafte Ausdehnung des staatlichen Gesundheits- und medizinischen 32
Versorgungswesens, der Schul- und Hochschuleinrichtungen, der öffentlichen Vorsorge überhaupt, die Übernahme von immer mehr Funktionen bei der Stabilisierung des ökonomischen Wachstums und der Regelung sozialer Konflikte und in deren Folge eben die beschleunigte Spezialisierung alter und neuer Sondereinrichtungen, ihre auch organisatorisch voranschreitende Verselbständigung 36 bei gleichzeitiger Durchsetzung der allgemeinen Verwaltung mit teilintegrierten Spezialämtern (Gewerbeaufsicht und Zweige der Finanzen beispielsweise), eine sich allmählich manifestierende Neigung altehrwürdiger Regierungsabteilungen zum Separatismus und das zum Teil enorme Wachstum von Sonder- und Leistungsverwaltungen kennzeichneten diese Phase. All dies machte das große Theoriedefizit 37 auf dem Gebiet der Leistungsverwaltung nicht wett, es höhlte jedoch sowohl die Universalität wie die offizielle Vorrangstellung der allgemeinen Verwaltung immerhin in der Praxis aus. Jetzt begann sich der faktische Stellenwert der nicht mit O r d nungs- oder juridischen Aufgaben betrauten Behörden, deren Anzahl, Aufgabenmasse und fachliche Kompetenzen auffällig zunahmen, nachhaltig zu offenbaren. Vor allem zeigte das nunmehr teilweise übergroße Volumen von Sonderbehörden mindestens in quantitativer Hinsicht die Überflügelung der allgemeinen Verwaltung und damit auch eine Eigenart der generellen Verwaltungsexpansion definitiv an: die Umkehr der Proportionen. Der globale Wachstumsprozeß hatte sich höchst ungleichmäßig vollzogen, der Ausbau war mit einem Umbau, präziser einer gravierenden Verschiebung der Gewichtungen innerhalb des Verwaltungsganzen einhergegangen. Hatten bis eben noch die allgemeine Landesverwaltung und die Justiz, traditionell >die< Behörden schlechthin, sowohl nach Rang wie nach Personalkapazität den Ton angegeben, taten es nun, jedenfalls mengenmäßig, mit einem Mal die Sonderverwaltungen. Zur Veranschaulichung über die oben mitgeteilten Zahlen hinaus: 1858 standen 96746 Beamten der Ordnungs- und Justizverwaltung nur rund 30000 Post- und Bahnbeamte gegenüber. Im Jahre 1895 aber war das Verhältnis 168897 zu 258016 zugunsten der Verkehrsverwaltungen, 1907 gar 234935 zu über einer halben Million (563856). 38 Die großen Verkehrsverwaltungen, deren Ausdehnung und Dienstleistungsfunktion besonders rationale Organisation erforderte, trugen außerdem wesentlich dazu bei, daß organisatorische Fragen der Verwaltung sich aus der starken Bindung an politische Nutzanwendung und Behördenarithmetik, in die sie im Reformjahrzehnt 1872-1883 verstrickt gewesen waren, heraüslösten und sich vordringlich als strukturell-funktionales Problem präsentierten. All dies in Erwägung gezogen kann man abschließend feststellen, daß die Ausweitung der Staatsbürokratie infolge der in ihr eingelagerten Strukturfragen keinen sich selbst genügenden Prozeß darstellte, sondern zugleich eine Ausweitung der Problembereiche mit sich brachte, mit denen sich die Bürokratie im Zuge der Modernisierung erst einmal auseinandersetzen 33
mußte, um in der neuen Phase ihrer Geschichte, in die sie eintrat, zu sich zu finden. »Der Staat ist in den letzten fünfzig Jahren ein anderer geworden als er früher war«, hieß es in einer Betrachtung 1910. 39 Dem galt es konzeptionell, insbesondere organisations- und berufsstrukturell Rechnung zu tragen. c) Bürokratische Organisation und Rationalisierung
Die beschriebenen Expansions- und Differenzierungsvorgänge blieben nicht ohne Folgen für die innere Verfassung des Apparates. Anschwellen des Geschäftsvolumens, Aufgabenvielfalt, mehr Akten, mehr Hände, durch die sie gingen, schwierigere Anforderungen, die die Arbeit stellte, verursachten eine schwindende Überschaubarkeit und erschwerten die technische Beherrschung der Verwaltungsorganisation. Sie hielten also zur Rationalisierung an, die konkret mehr Bürokratisierung, im vorliegenden Fall mehr und bessere bürokratische Organisation bedeutete - im einzelnen vor allem die generelle Stärkung der Geltung gesatzter Regel (Formalisierung), die konsequente Durchbildung vertikaler Befehls- und Gehorsamsbeziehungen (Hierarchisierung), die Ermöglichung exakter Nachvollziehbarkeit und Kontrolle von Vorgängen und Verrichtungen (Schriftlichkeit, Aktenmäßigkeit) und nicht zuletzt die konsequente Ausstattung mit kompetentem hauptamtlichen Personal (Berufsmäßigkeit). 1 Die Reformen zu Anfang des 19. Jahrhunderts hatten die Fundamente moderner Bürokratisierung in der preußischen Verwaltung gelegt. 2 Vor allem die Ablösung der »Kabinettsregierung« durch Ressortministerien und deren rationalisierte Ausgestaltung gemäß dem Real- und Direktorialsystem, sprich Zuständigkeitseinteilung nach Sachgebieten statt nach geographischen Regionen bzw. hierarchische statt kollegiale Entscheidungsstruktur auf der obersten Ebene, dann die Umwandlung der Kriegs- und Domänenkammern in Bezirksregierungen mit normierter Allzuständigkeit und präzisierten Geschäftsgangs- und Geschäftsverteilungsverhältnissen auf der nachgeordneten Behördenstufe, dazu die umfassende Klassifizierung der Beamtenränge bzw. Laufbahnen, Maßnahmen im Interesse geregelten Personalnachschubs und verbindlicher Berufsqualifikation, die Schaffung eines Berufsbeamtentums überhaupt, 3 bewirkten die definitive Entflechtung von unmittelbarer Herrschaft und Verwaltungstätigkeit, den entscheidenden Entwicklungsschritt vom präbendalen zum bürokratisch-rationalen Administrationsapparat, 4 schufen eine für die Zeit bemerkenswerte Formalisierung, festigten und forderten die Arbeitsteiligkeit und Berufsmäßigkeit der Verwaltung. Trotz dieses administrativen >take off< handelte es sich allerdings noch keineswegs um eine in jeder Beziehung hochgradige, nicht einmal um eine lückenlose bürokratische Organisation. Die Hierarchisierung als Rangklassement der Beamtenschaft erreichte zwar schon 1817 eine ansehnliche, bis
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Ende der Monarchie auch später nicht grundlegend revidierte Staffelung. Aber als Ordnungsprinzip der Arbeitsorganisation wies die Hierarchie gravierende Brüche auf. Die Kollegialverfassung der Bezirksregierungen, die 1825 mit der Einsetzung eines primus inter pares (Präsident) wohl abgeschwächt jedoch nicht abgeschafft wurde, 5 und die Sonderstellung der Landräte und der Kreisadministration etwa, um die wichtigsten Beispiele zu nennen, nivellierten oder konterkarierten die (hierarchische) Amtsautorität in erheblichem Maß. Auch als einheitliche Instanzenkette blieb die Behördenorganisation im bürokratischen Sinn infolge der nur indirekten und unbestimmten Einordnung der Oberpräsidien und Landratsämter in sich unvollendet. Unvollendet blieb auch die Durchformalisierung. Einschlägige Order und Instruktionen regelten nicht alles konsequent, was im Rahmen des durch sie geschaffenen Rationalitätsanspruchs durchaus hätte geregelt werden können oder sollen, so ζ. B. die Arbeitszeiten.6 Für manche Bereiche scheint es überhaupt keine stabilen und formalen Regelbindungen gegeben zu haben, in erster Linie für die Geschäftsbeziehungen zwischen Ministerien und Mittelbehörden, wo auch infolge der Zunahme ressortministerieller Eigenmacht wohl einige Verfahrenswillkür herrschte und Spielregeln sich entweder als Konglomerat von Ad-hoc-Vorschriften oder in Gestalt schlichter Gewohnheiten etablieren konnten. Auch in der Kreisverwaltung etwa, die von ihrer Grundverfassung her die Informalität forderte, etablierte sich zusätzlich ein Zug zur Uneinheitlichkeit dadurch, daß die Schaffung einer Gesamt-Kreisordnung zunächst mißlang und die Provinzen ihre eigenen Kreisordnungen erließen. Wichtig ist außerdem zu sehen, daß das, was im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts erreicht worden war, später fast 50 Jahre lang weder systematisch fortentwickelt noch sachgerecht aufgefrischt wurde. Vor allem auf geschäftsorganisatorischem und bürotechnischem Gebiet zehrte man davon vielfach bis zur Reichsgründungszeit, teils auch länger. Das besagt nicht, daß die alten Spielregeln nicht ergänzt oder abgewandelt bzw. sowohl von formalen Bestimmungen wie von einer informell sich ändernden Übung überlagert wurden. Doch dies war eher Flickwerk, das qualitativ wenig einbrachte, so daß man in bezug auf den Bürokratisierungsstand oder -zustand mindestens der ministeriellen und der allgemeinen Landesverwaltung seit 1825 von einer Stagnation wird sprechen können. 7 »Zur Organisationsfrage« der Regierungen schrieb ein höherer preußischer Beamter 1868: Zwar sei die allerhöchste Kabinettsordre vom 23. Okt. 1817 »durch verschiedene spätere Verordnungen und Rescripte direct und indirect geändert und ergänzt worden«, trotzdem habe man, »wiewohl in dieser Weise die Grundprincipien der Instruction vielfach durchlöchert wurden, eine den Anforderungen der Zeit entsprechende Umarbeitung der Instruction unterlassen«.8 Mögen damit gleichzeitig Bürokratisierungstendenzen überhaupt beklagt worden sein, hinreichend klar wird auch, daß die 35
fragliche Epoche im Hinblick auf die organisationsstrukturelle Entwicklung wenig hervorgebracht hat. Noch 1876 konnte man daher mit Recht behaupten: »Die unfertigen Zustände der inneren Verwaltung sind geradezu bedrohlich. «9 In den 1870er Jahren war allerdings schon Bewegung in die Szene gekommen. Sie war auch jetzt nicht immer gewollt und/oder das Ergebnis gezielter Maßnahmen. Z u m nicht geringen Teil stieß Bürokratisierung auf ausgesprochene Ablehnung und dies nicht nur bei Liberalen; Bismarcks einschlägige Geringschätzung ζ. B. ist bekannt. 10 Ebenso wenig ging sie in jedem Fall auf die zeittypische sozialökonomische Explosion zurück, sie fußte vielmehr auch in politischen Vorgängen. Bismarcks nicht nur ökonomisch motivierte Verstaatlichungsstrategie der Eisenbahnen etwa, im Ergebnis die Schaffung einer ohne hochgradige bürokratische Rationalität kaum handhabbaren Riesenorganisation, wäre in diesem Zusammenhang anzuführen. Oder, zugleich als Beispiel für ungewollte Bürokratisierung, die liberalen Bemühungen um weniger Staat durch mehr Selbstverwaltung, die, teils weil die Selbstverwaltungsgremien bald eigene Verwaltungsstäbe brauchten, teils weil sie die Arbeit der mit ihnen kooperierenden bzw. verknüpften Staatsbehörden vermehrten und komplizierten, direkt oder indirekt Bürokratisierungszwänge ausübten. 11 Gleichwohl, von den 70er Jahren an erfolgte ein organisatorischer Bürokratisierungsschub, der als Modernisierung der Arbeitsstruktur der Staatsverwaltung Beachtung verdient. Will man ihre Schwerpunkte orten, läßt sich zunächst der Durchbruch des hierarchischen Prinzips erkennen. Den bedeutungsvollsten Vorgang in diesem Kontext stellte im Bereich der allgemeinen Verwaltung die U m g e staltung der Bezirksregierungen dar, deren bis dahin kollegial organisierte Abteilung des »Innern« von 1880 an aufgehoben und durch »bureaumäßig« verfaßte Präsidialabteilungen ersetzt wurde. 1 2 Mit anderen Worten, im Kernbereich der Bezirks Verwaltung ging die ganze Amtsautorität auf einen Beamten »persönlich« über. Statt des Kollegiums besaß hier nunmehr der Regierungspräsident alle »der Regierung zustehenden Befugnisse«; 13 sein Amt wurde zur eindeutigen hierarchischen Spitze. Die beiden anderen Abteilungen verblieben zwar auf dem Papier unter kollegialer Verfassung, doch auch hier setzten sich unter dem Druck der Verhältnisse faktisch rationellere, bürokratische Praktiken oder jedenfalls die Umgehung der kollegialen Willensbildung durch. Es bildete sich etwa der Brauch heraus, die Zustimmung des Kollegiums zu unterstellen, wenn der Abteilungsdirigent und der für eine Sache zuständige Dezernent sich einig waren. Oder man nahm, statt Abteilungssitzungen abzuhalten »vermehrte Rücksprachen« mit dem Regierungspräsidenten. 14 N u r bei Meinungsverschiedenheiten oder herausragend wichtigen Sachen kam ein Vorgang vor das Kollegium. Überdies bekam der Regierungspräsident ein Vetorecht gegen Kollegialbeschlüsse, mehr noch, in Eilfällen konnte er von vornherein selbständig ent36
scheiden. Insgesamt erhielt sich also das Kollegialsystem auch dort, wo es weiterhin vorgesehen blieb, vielfach nur nominell. Die neue Stellung des Präsidenten modelte nicht nur die interne Autoritätsstruktur der Regierungen um (aus Regierungsmitgliedern als »Kollegen« wurden grundsätzlich Untergebene), sie zog wichtige Konsequenzen auch im Gesamtrahmen der Behördenhierarchie der allgemeinen Verwaltung nach sich. Indem der Präsident von Bindungen an und Rücksichtnahmen auf das Kollegium freikam, verlor er mit der Entmachtung dieses Gremiums gleichzeitig die institutionelle Stütze seiner relativen Autonomie gegenüber der vorgesetzten Behörde, 15 mochte diese Autonomie zuletzt auch noch so klein oder theoretisch geworden sein. Jetzt wurde der Regierungspräsident in aller Form abhängiger Weisungsempfänger zuständiger Ministerien. Aus der definitiven Einfügung des Regierungspräsidenten in ein hierarchisches Gehorsamsverhältnis ergab sich ferner die Notwendigkeit, die Stellung des bislang in einem verhältnismäßig vagen Bereich zwischen Ministerium und Regierung operierenden Oberpräsidenten und seiner Behörde im hierarchischen Sinn zu klären. Wenn man das Oberpräsidium nicht aufhob, was ja nicht geschah, konnte diese Klärung fast nichts anderes bedeuten, als den Ausbau und die Festigung des Oberpräsidiums als »Zwischeninstanz zwischen Bezirks- und Ministerialinstanz«; die Klärung mußte mit andern Worten in die »Betonung der Vorgesetzteneigenschaft des Oberpräsidenten gegenüber dem Regierungspräsidenten« münden. 16 In umgekehrter Richtung wurde der Regierungspräsident im gleichen Zuge zu einem vom Landratsamt nach oben abgehobenes Behördenglied, da dem letzteren durch die fortschreitende Übernahme staatlicher Aufgaben von Seiten der Gemeindeverbände immer mehr behördliche Befugnisse zugefallen, d. h. die Kreisverwaltungen in zahlreichen Angelegenheiten aus bloßem ausführenden Organ der Bezirksregierung praktisch zur unteren Intanz der allgemeinen Verwaltung geworden waren. Somit komplettierte sich das hierarchische System nach unten hin. 17 Parallel zu der eben geschilderten Entwicklung verlief noch eine weitere, die den Landrat zwar auf andere Weise aber mit dem gleichen Effekt stärker in die staatliche Amterfolge integrierte: der allmähliche Schwund des junkerlichen, agrarischen Honoratiorencharakters der landrätlichen Stellung. 18 Die traditionelle Einbindung in die mächtige Nebenhierarchie dienstunabhängiger sozialer Geltung, die dem Staatsdiener Landrat über die Bedeutung seiner Beamtenposition hinaus zum Ansehen verholfen hatte, lockerte sich nach 1872 doch merkbar. Die neue Kreisordnung aus diesem Jahr, die die feudalen Züge der Kreisverfassung beschnitt, schwächte fortan auch das altständische Gepräge der Landratswürde generell. Spezielle Faktoren kamen hinzu, berufsimmanente in erster Linie. Aus der Kreisordnung waren neue Aufgaben erwachsen, die stärker als bisher den ausgebildeten Verwaltungsfachmann verlangten. Aber auch die mit einer Reihe neuartiger Sachprobleme verbundene Verstädterung vieler Kreise entzog der einst 37
quasi natürlichen Eignung landadeliger »Dilettanten« für diesen Posten mehr und mehr den Boden. 19 So wandelte sich das Landratsamt, trotz seines weiterhin >politischen< Charakters, zu einer Stellung, die zunehmend von Laufbahnbeamten eingenommen wurde. Damit sah sich auch der Landrat generell stärker auf den staatsamtlichen Gehalt und Wert seiner Stellung verwiesen. Die Hierarchisierung beschränkte sich freilich nicht auf die allgemeine Verwaltung. Ihr Vormarsch manifestierte sich ebenso in den Sonderverwaltungen. Überaus deutlich wurde dies gerade bei Bahn und Post, den >reinsten< Sonderbehörden, 20 die von ihrer Größe her besonderen Wert auf die rationalisierende Wirkung möglichst präziser Autoritäts- und Verrichtungsgefüge zu legen hatten. Es gehörte in der Tat zu den typischen Organisationsleistungen der preußischen Generalpostdirektoren nach 1849 bis hin zum ersten Reichs-Generalpostmeister, Heinrich Stephan, dem staatlichen Postwesen systematisch einen vertikal gegliederten Behördenaufbau (einschließlich der faktischen Erhebung seiner obersten Stufe zum eigenständigen Ressortministerium) unterlegt und die Personalorganisation im hierarchischen Sinn bereinigt bzw. vervollständigt zu haben. 21 Phasenverschoben zwar gegenüber der älteren Institution Post und mit eigener Note, aber im Grunde der gleiche Vorgang spielte sich auch bei der preußischen Eisenbahnverwaltung ab: die 1849/50 als Aufgabe gleichsam entdeckte, 1878 mit der Errichtung des Ministeriums der öffentlichen Arbeiten systematisch in Angriff genommene und in der reformierten Verwaltungsordnung von 1895 kulminierende Entfaltung und Verfeinerung der formalen Organisation als hierarchisches Kompetenz- und Ausfuhrungssystem. Dieser Prozeß läßt sich etwas ausfuhrlicher folgendermaßen schildern.22 Das erste Organisationsstatut (1850) sah als Regelfall eine zweigeschossige Konstruktion vor, mit der Bahnabteilung des Ministeriums für Handel und Gewerbe als obere und den kollegial, sprich nach dem Nebenordnungsprinzip der Mitglieder arbeitenden Direktionen als unterstellte Instanzen. Nur ausnahmsweise, nämlich für die Betreuung der damals noch wenigen längeren Strecken, durften die Direktionen Betriebsinspektoren anstellen bzw. diese sich von Eisenbahnbaumeistern, Maschinenmeistern und Kontrolleuren aushelfen lassen. Sonst verwalteten die Direktionen den »Ausführungsdienst« unmittelbar. Insgesamt ergab das ein teilweise recht buntes Gemisch aus regionalen Eigenheiten, in dem immerhin das Verhältnis von Ministerium und Direktionen zueinander festen Bestand hatte. Der Aufbau änderte sich 1867 anläßlich der Revision der Organisationsstatuten, die jetzt »Allgemeine Bestimmungen über die Verwaltung der Staatseisenbahnen« hießen. Als neue Organe zwischen die Direktionen und die örtlichen Dienststellen bzw. regional zuständigen Inspektionen wurden nun sogenannte Oberbeamte geschoben. Allerdings nicht überall, sondern wie einst die Inspektoren nur bei Bedarf, um die in großen Bezirken sich leicht verflüchtigende, doch immer weniger verzichtbare Einheitlichkeit der 38
Aufsicht zu gewährleisten. Auch waren die Oberbeamten nicht als formal eigenständige Instanz gedacht, sie arbeiteten als Stab der Direktionen. Tatsächlich verlängerten sie aber die hierarchische Kette um ein weiteres Glied. Fünf Jahre später (1872) gewann die Unterinstanz deutlichere Konturen in Gestalt der »Eisenbahnkommissionen«, die die Einrichtung des Oberbeamten ablösten, wenngleich ihre hierarchische Beziehung zu den Direktionen vorerst widersprüchlich oder jedenfalls »wenig klar geordnet« 23 blieb. Unter dem neuen Ministerium der öffentlichen Arbeiten, überwiegend ein Eisenbahnministerium, erfuhr dieses Organsiationsgerüst 1879 eine bedeutende Fortentwicklung. Man klärte das Verhältnis der jetzt in Betriebsämter umgetauften Kommissionen, die ihrerseits noch 1878 den Inspektionsdienst aufgesogen hatten, zu den Direktionen, indem man ihnen genauer umrissene Kompetenzen und unmißverständlich den Rang einer nachgeordneten Behörde gab. Gleichzeitig bekamen die bisher kollegialen Direktionen eine bürokratische (direktoriale) Verfassung, unter anderem mit der Folge, daß sie sich vertikal differenzierten und jetzt drei einander über- bzw. untergeordnete Ebenen (Präsident, Abteilung, Dezernat) aufwiesen. Doch im Zeitverlauf bewährte sich diese Lösung nicht. Das lag nicht am hierarchischen Prinzip an sich, sondern an der dezentralen Gesamtordnung, die die Vorteile der Hierarchisierung untergrub. Dezentralisation bedeutete erstens, daß die in sich und untereinander vertikal gut untergliederten Instanzen in den einzelnen Direktionsbezirken unverbunden neben denen der jeweils anderen Bezirke standen. Z u m anderen hieß Dezentralisation, daß einer Bezirksdirektion stets mehrere Betriebsämter unterstanden, die wiederum keine horizontale Bindung zueinander hatten. Dies alles führte zu regional uneinheitlichen Praktiken und insgesamt zu einem allmählich untragbaren Durcheinander, zumal unter den Bedingungen des für die Zeit nach 1879 typischen extensiven Wachstums. Die somit notwendig gewordene Reform fand 1895 statt. Die in diesem Jahr erlassene neue »Verwaltungsordnung für Staatseisenbahnen« stand ganz im Zeichen der Straffung und Zentralisierung. Sie schaffte die Betriebsämter ab und beseitigte damit die störende Zwischenstufe zwischen Direktion und örtlicher Inspektion. Auch innerhalb der Direktionen erfolgte eine Straffung dergestalt, daß die Abteilungen aufgehoben wurden, wodurch die Dezernenten dem Präsidenten nunmehr unmittelbar unterstanden. Aber das hierarchische Prinzip litt unter der Verringerung der Zahl der Zwischenstationen nicht. Im Gegenteil, die Reform zielte ausdrücklich darauf ab, der U n terbrechung vertikaler Befehls- und Gehorsamslinien entgegenzuwirken. Ganz in diesem Sinn wurde denn auch die Bindung der Mittelinstanzen (Direktionen) zum Ministerium als oberste Leitung gestärkt. Entscheidend war bei alledem die Eliminierung jeder Dezentralisation durch das Verbot an die jeweils vorgesetzten Instanzen, ihre Weisungsbefugnis gegenüber den nachgeordneten Stellen nach regional oder lokal unterschiedlichen Maximen anzuwenden.
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Neben der intensiveren Durchbildung hierarchischer Autoritätsstrukturen, deren Werdegang wir bisher verfolgt haben, wurde es im ausgehenden 19. Jahrhundert auch dringend notwendig, eine Geschäftsorganisation zu etablieren, die im Sinne verbindlicher Regelhaftigkeit, rationaler Verrichtungstechnik und verläßlicher Informations- und Kontrollmechanismen Ansprüchen genügte, an denen angesichts unablässig wachsender Beanspruchung auf erhöhtem Schwierigkeitsniveau kaum vorbeizukommen war. Gefragt war mit anderen Worten eine qualitativ hochstehende bürokratische Technologie. Über sie verfugten die Verwaltungen, wie schon kurz erwähnt, keineswegs durchgängig. Die Sonderbehörden nicht, weil sie sich häufig noch im Aufbau bzw. Umbau befanden, so ζ. B. die Verkehrsverwaltungen, die - obwohl noch unfertig - die Einverleibung voluminöser Privatunternehmungen verkraften mußten. Und die allgemeine Verwaltung nicht, weil sie auf der Grundlage veralteter bzw. nicht hinreichend rationaler Regelungen arbeitete. Die »kodifizierten Geschäftsanweisungen« ihrer Mittelinstanzen etwa stammten »vielfach noch« aus dem Vormärz oder sie bestanden aus unsystematischen Einzelanweisungen, die sich »in den verschiedensten Aktenstücken zerstreut« fanden und daher »schwer zugänglich«, ja »den meisten Beamten unbekannt« blieben. 24 Bezeichnend für die Größe des Rationalisierungsbedarfs war, daß man seine Wirkungen selbst am Beispiel des Landratsamts, der traditionell bürokratieärmsten Instanz vielleicht in der gesamten Verwaltung, gut beobachten kann. Die Tätigkeit der Landräte, die jedenfalls vor der Kreisreform von 1872 ihren Reiz überwiegend aus den vergleichsweise individuellen, improvisatorischen und informellen Dienstgepflogenheiten bezogen hatte, kam nun immer weniger ohne Aktenstudium und >Kontor< aus; das Landratsamt wandelte sich von einer Art Herrensitz für den »König« im Kreis 25 zusehends zur Administrationszentrale. Schon die zunehmende Quantität der Vorgänge, die die landrätliche Verwaltung seit der Kreisreform 1872 infolge zusätzlicher Aufgaben zu bewältigen hatte, 26 schlug naheliegenderweise auf die Administrationstechnik durch. Selbst »in den einfachen Verhältnissen« der Kreise wurde das »Schreibwerk für das Bureau« infolge dieser Aufgaben zur erheblichen Arbeitslast. 27 Auch in seiner Eigenschaft als Empfänger immer zahlreicher und ausfuhrlicher werdender Weisungen aber auch als Berichtslieferant sah sich das Landratsbureau zur Formalisierung, Schematisierung und prinzipiell zu systematischer Schreib- und Aktenarbeit genötigt, ganz abgesehen davon, daß die wachsende Menge und Komplexität der Arbeit auf Kosten der Möglichkeit ging, die Kreisangelegenheiten im früheren Maß aus unmittelbarer Anschauung kennenlernen, überblicken und ad hoc regeln zu können. Dieser Schwund der direkten Vergegenwärtigungs-, Urteils- und Handlungschancen zwang die Landräte, sich stärker auf bürokratische Vorgehensweisen umzustellen. 28 Dies um so mehr, als der Landrat als Person nun keineswegs mehr mit einiger Sicherheit der Schicht des eingesessenen 40
Agrarhonoratiorentums entstammte, sondern mehr und mehr aus der kreisfremden Karrierebeamtenschaft kam. 2 9 Einsichten und Klagen, daß die Landräte nicht mehr wie einst vornehmlich außerhalb ihres Büros wirken könnten und nicht länger ohne spezifische Verwaltungskenntnisse (Vorbildung) oder Fachbeistand auskämen, und überhaupt, daß sie »mehr als gut sich mit dem Bureaudienst befassen« müßten, 30 letztlich also nicht umhin könnten, »durch Berichte und Verfügungen ihre Zeit, in der sie Wichtigeres zu tun hätten, auszufüllen«, 31 wurden schon vor der Jahrhundertwende vernehmbar. Ebenso wurde das Anfordern von mehr Büropersonal üblich. Bezeichnenderweise hob sich dabei der spezifische Bedarf nach Kanzlisten und Registratoren deutlich hervor, ein Beleg nicht nur dafür, daß man jetzt wesentlich mehr »Schreibwerk« erstellte, sondern auch dafür, daß man es sich nicht mehr leisten durfte, aktuelles oder selbst älteres Archivmaterial in »von Mäusen zerfressenen« Ablagen zu halten, 32 anders ausgedrückt, daß die Anforderungen an die laufende schriftliche Kommunikation und die Aktendokumentation erheblich gestiegen waren. 33 In der Tätigkeit des Landrats erhielten sich freilich, wie man relativierend hinzufügen muß, trotzdem noch eine Reihe bürokratiefreier Zonen und Züge, auch innerhalb seiner Bürosphäre selbst, die ungeachtet aller Wünsche nach Personalvermehrung und aller Verwünschungen, was die steigende Zahl der Geschäftssachen anging, doch noch weitgehend überschaubar blieb, 34 und daher wie auch aufgrund der in dieser kleinen Behörde nicht hochgradigen Arbeitsteiligkeit eine Hegemonie der Büroförmigkeit nicht zuließ. Ihr waren dagegen die Bezirksregierungen nun um so mehr unterworfen. Für sie wurde spätestens nach Inkrafttreten des Landesverwaltungsgesetzes 1883 die irreversible Abhängigkeit von der Umsetzung der Geschäfte in büromäßige Rationalität zum funktionalen Kriterium erster Ordnung. Denn der Geschäftsumfang wie der Umfang des Apparates nahmen seit den 1870er Jahren in viel größerem Maße zu als vorher. Äußerst ausgedehnte und intensive schriftliche Kommunikation, selbst den Papierverbrauch zum merkbaren materiellen und das »Zerknittern« von Papier zum technisch relevanten Faktor steigernder Aktenumsatz, 35 zum Registraturproblem werdende Aktenmassen prägten symptomatischerweise schon das äußere Erscheinungsbild immer deutlicher mit; der Begriff der Bürokratie, mit dem die Öffentlichkeit ehedem vorwiegend Beamtenherrschaft assoziiert hatte, dürfte in der Zeit des fin de siecle die Bedeutungsnuance der seelenlosen Aktenmaschinerie hinzugewonnen haben. 36 Die Registraturen, die um die Jahrhundertmitte sowohl nach ihrem Raum- und Personalbedarf wie nach ihrer Bedeutung selbst in großen Regierungsbezirken noch eine eher unproblematische Größe darstellen mochten, expandierten nun allgemein sehr stark. Für die aufzubewahrenden Schriftstücke mußten unter Umständen schon Ausweichmagazine auf dem »Boden« oder außerhalb des 41
Regierungsgebäudes eingerichtet werden. 37 Überdies kam ihrer Qualität steigende Bedeutung zu, von ihrer guten Ordnung als Informationsspeicher hing die »Ordnung der Behörde«38 mehr denn je ab. Dilettantische Praktiken, die einst die »rein subjektive Auffassung der jeweiligen Registratoren« zum Maßstab hatten werden lassen, und die »größte Verlegenheit« verursachen konnten, wenn man »nach einem Personenwechsel« archiviertes »Material wieder auffinden« wollte, erschienen nicht länger tolerabel.39 Dafür spricht u. a. die Literatur zum Registraturwesen. Nach den beiden Publikationen, die im Gefolge der Reformen zu Beginn des Jahrhunderts 1819 und 1831 herausgekommen waren und wohl gezielt dazu gedient hatten, den damals aktuellen Neuerungen gemäße Ablagen schaffen zu helfen, erschienen bis zu den 1880er Jahren keine Leitfäden dieser Art. 40 Erst seitdem, dann allerdings rapide, füllte sich der offensichtlich sehr aufnahmebereit gewordene Markt mit einschlägigem Schrifttum. 41 Was für die Registraturen zutraf, nämlich sachgerechte Gestaltung und verbindliche Formalisierung, galt auch für die Ganzheit der Geschäftsabwicklung. In diesem globalen Rahmen lief grundsätzlich der gleiche Entwicklungsprozeß ab. Nicht untypisch dürften hierfür die Geschäftsverteilungspläne sein, von denen angenommen werden kann, daß sie nach einer langen Stabilitätsperiode in eine Phase der Unruhe kamen, geprägt durch die Suche nach der passenden Ordnung unter sich rascher verändernden Außenbedingungen. Am Werdegang der Geschäftsverteilung der Regierung zu Düsseldorf kann man jedenfalls dieses Muster ablesen. Ihre erste Regelung erfuhr sie 1817 nach einem relativ einfachen Schema, das rund 50 Jahre lang mehr oder weniger unverändert in Geltung blieb. Danach wechselten die Pläne sich in schneller Folge ab; 1876, 1888, 1903 und 1905 gab es jeweils neue. 42 Was die formale Ablauforganisation, die Geschäftsordnung, anging, kann Ähnliches beobachtet werden. Man spürte am Ende des Jahrhunderts verbreitet die Abgegriffenheit und Inadäquanz der alten Reglements von 1817 und 1825. Besonders zur Steuerung des »Schreibwerks«, das die Verwaltungen nun in beunruhigend hohem Maß produzierten, benötigte man dringend neue Handhaben. Eine solche schuf dann auch ein Runderlaß der preußischen Innen- und Finanzminister vom 12. August 1897, der Verfahrens- und bürotechnische Rationalisierungsmaßnahmen für den Geschäftsgang der Oberpräsidien und Regierungen vorschrieb. 43 Die vorgesehene »Vereinfachung des Geschäftsganges« und »Verminderung des Schreibwerks« sollte erreicht werden durch den Verzicht (mit gewissen Ausnahmen) auf »Kurialien«, auf Auswüchse des »Kanzleistils«, durch übersichtlich gestaltete Anlagen, Einsparung von »Begleitberichten«, Vereinheitlichung und Rationalisierung der Form amtlicher Schriftstücke überhaupt, Verbesserung der Kommunikation u. ä. mehr.44 Da dieser Erlaß allerdings nur einen Teil des Geschäftsordnungswesens betraf - er sagte ζ. B. in bezug auf die Geschäftsverteilung nichts aus-, be42
halfen sich, wie es scheint, manche Regierungen damit, ihn über den Schreibwerk-Erlaß hinaus auf ihre Bezirke angewandt weiterzuentwickeln. Es macht den Eindruck, daß solche neuen, regionalen Geschäftsordnungen sich nun besonders häuften, sowohl was die Anzahl der Regierungen betrifft, die zu Maßnahmen dieser Art griffen, wie die Häufigkeit von Geschäftsordnungsrevisionen innerhalb einzelner Regierungsbezirke.45 Modernisierung auf dem Gebiet der Bürotechnik und Geschäftsabwicklung hatten freilich nicht nur die allgemeinen Behörden nötig, sondern auch die leistenden Verwaltungszweige. Bei ihnen stellte sich das Problem allerdings anders. Es ging meist darum, ein geordnetes Bürowesen und/ oder eine regelhafte Ablauforganisation überhaupt erst zu entwickeln. Nimmt man das Beispiel der Staatseisenbahnen, wird dieser Bedarf, aber auch seine Befriedigung gut sichtbar. In dem zunächst vergleichsweise kleinen staatlichen Bahnsektor gab es bis zum deutsch-französischen Krieg 1871 nicht nur keinen zusammenhängenden Organisationsaufbau, sondern auch keinen entwickelten Bürobereich. Bis auf die wenigen und freilich auch noch eher kleinen regionalen Direktionen waren Büro- und Betriebswesen weitgehend identisch, wobei das letztere dominierte. Man handelte pragmatisch aus dem Betrieb heraus und baute, wenn die Aufgabenlast zunahm, den ausfuhrenden Dienst, kaum jedoch die Administration aus. Die allmähliche Entwicklung der Administration begann mit der Verwaltungsreform von 1872. Auch jetzt noch bestanden die Keimzellen der Erweiterung, die neu eingerichteten Kommissionen, aus je zwei Beamten, von denen nur einer administrative Aufgaben versah — dies mag die weiterhin begrenzten Größenordnungen und die Bescheidenheit der Büroförmigkeit illustrieren. Da die Kompetenzregelungen unklar blieben, gab es überdies fast mehr Streitigkeiten als effektive Geschäftsführung. Einen wesentlichen Schritt nach vorne brachte erst die Neuordnung von 1879. Extensiver Ausbau des staatlichen Schienennetzes, dazu die Verstaatlichung der Privatbahnen hatten ein rasches Wachstum der Verwaltungsaufgaben und der Ansprüche mit sich gebracht. Dem trug man vor allem mit dem nunmehr dezidiert büromäßigen Ausbau der Direktionen (Präsidialverfasssung, Errichtung von Abteilungen) und der Vergrößerung des administrativen Unterbaus durch Einfuhrung der Betriebsämter Rechnung. Doch die Rationalitätsqualität hielt mit der quantitativen Ausdehnung bzw. beginnenden Verselbständigung des Verwaltungsbereichs nicht Schritt. Es kam zum ineffektiven Bürokratismus, sprich Doppelarbeiten und der Übertreibung von Formalitäten. Immerhin, die Kapazität und die organisatorischen Grundlagen, auf denen bürokratische Rationalität entstehen konnte, waren seit 1879 gegeben, es kam darauf an, die Gegebenheiten adäquat zu nutzen. Diese Chance nahmen die preußischen Staatseisenbahnen mit der durchgreifenden Reform von 1895 nachdrücklich wahr. Die »Verwaltungsordnung« 46 aus diesem Jahr vereinigte nahezu alle Tugenden in sich, die eine >gute Bürokratie< braucht. Sie war vollständig, d. h. sie enthielt eine umfas43
sende Regelung aller relevanten Geschäftsbereiche von der grundlegenden Geschäftsverteilung über Berichtswesen und Betriebsstatistik bis hin zur detaillierten »Büroordnung«. Sie schuf durch kompromißlose Einheitlichkeit die Grundlage für gleichförmige und damit rationale Funktionsabläufe im Gesamtsystem. Sie war ausführlich und präzis und sorgte so für hochgradige Formalisierung. Und sie gewährte schließlich trotz strenger Formalisierung ausreichenden Freiraum für relativ selbständiges Handeln innerhalb des gesteckten Rahmens. Es ist vielleicht nicht uninteressant zu erwähnen, daß der Vormarsch der Büroförmigkeit sich nicht auf den Verwaltungssektor im engen Sinn beschränkte. Auch in eigentlich büroexternen Arbeitsbereichen wie dem Schalterservice, den zahlreichen Stations-, Fracht-, Strecken-, Zugbegleit-, Wartungs- und anderen technischen Diensten schritt die Eliminierung vorbürokratischer Strukturen fort. Gemäß der in ihnen vorgegebenen ergonomischen und arbeitstechnischen Eigenheiten ging dies zwar anders akzentuiert vor sich als in der eigentlichen Bürosphäre, grundsätzlich gab es sie aber doch. In Zwischenzonen zwischen Büro und Betrieb, so im Stations- und Abfertigungsdienst (mit einem im ganzen recht komplexen Aufgabendeputat) differenzierten sich im Laufe der Zeit sogar ausgesprochene Büro-Subsysteme mit spezifischen Büroeigenschaften heraus. Zur Zeit des deutsch-französischen Krieges 1871 hatte man selbst entlang den Hauptstrecken (mit der wahrscheinlichen Ausnahme großstädtischer Bahnhöfe) noch wenig Arbeitsteiligkeit gekannt. »Auf fast sämtlichen Stationen«, erinnerte sich ein Beteiligter, versah man damals üblicherweise einen »kombinierten Dienst«, der Fahrkartenausgabe und Frachtexpedition ebenso umfaßte wie Vorsteherfunktionen. Erst danach, mit der starken Zunahme von Verkehrsfrequenz und -volumen, setzte unter dem »Zwang der Verhältnisse« die Trennung von Arbeitsgängen verbreitet ein. 47 Nun schritt die Spezialisierung rasch voran, ebenso die Herausbildung detaillierter formaler Bestimmungen. 48 Die Ausstellung eines Frachtbriefes und ähnliche Vorgänge wurden zur spezifischen Zuständigkeit und infolge immer präziserer Vorschriften zur büroartigen Schreibund Administrationsarbeit. Ähnliche Verläufe sowohl in der Büroverwaltung wie im Betrieb können auch in bezug auf die Post beobachtet und aufgezeigt werden. Als Paradigma sei die Entwicklung der »Allgemeinen Dienstanweisung für Post und Telegraphie« hervorgehoben. 49 Die Organisation der preußischen Post regelten bis Mitte des 19. Jahrhunderts nur gelegentlich »General- und Special-Cirkulare«, pietätlos ausgedrückt eine in ihrer Summe eher chaotische Anhäufung von Vorschriften sehr unterschiedlicher Art und Bedeutung. Nach einer die Schaffung von Oberpostdirektionen begleitenden, allerdings nur additiven Zusammenfassung von überhaupt bestehenden gültigen Bestimmungen, deren Edition 1850 erfolgt war, erschien die erste systematische »Post-Dienst-Instruktion« im Jahre 1854. Obwohl dieses Re44
gelwerk über eigentliche Organisationsvorschriften hinaus alle einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen enthielt, begnügte es sich mit zwei Textbänden und einer Formularkollektion, blieb also seinem Gehalt wie seinem Umfang nach recht kompakt. Außerdem hatte es ziemlich lange Bestand; es hielt nahezu zwei Jahrzehnte. Mit der Neuausgabe 1872 anläßlich der Umwandlung der Post in eine Reichsbehörde begann ein jäher Wachstums- und Differenzierungsprozeß, in dessen Verlauf die rasche Auffüllung des Regelwerks mit spezifischen Details den Gesamtumfang so groß werden ließ, daß man darangehen mußte, die einzelnen Abschnitte als gesonderte Bände herauszubringen. Die 1900 in Angriff genommene Auflage quoll schon auf die Rekordstärke von 16 stattlichen Bänden auf. Wirft man nun noch einen Blick auf die Verberuflichung als Indikator fortschreitender bürokratischer Rationalität, so stellt man den gleichen Trend fest wie in den bisher dargestellten Bereichen. Das Defizit an hauptamtlichen und, soweit notwendig, fachlich vorgebildeten Kräften, das vornehmlich in SpezialVerwaltungen im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts noch bestand, wurde zusehends behoben. Die Zeit, da etwa Landräte vielfach eher als Landwirt taugten (und sich ihren Gütern so intensiv widmen konnten wie ihrem Amt), die >gute alte ZeitPapierkrieg< u. ä. Doch das war noch nicht die ganze und eigentliche Wahrnehmung der Kritiker. Es ging nicht um diese systemimmanenten Tendenzen an sich, sondern um ihre ungewöhnliche Intensität und Häufung, ihre plötzliche Verkettung zu einem allgemeinen Krisenzustand. Die naturgemäß größere Macht- und Verantwortungsfulle höherer hierarchischer Stellen ζ. B. geriet hier, wie man empfand, zu Bevormundung, notwendige Standardisierung von Arbeitsprozessen verwandelte sich in eine Überfülle der Förmlichkeiten, aus Aktenkundigkeit wurde eine Art Aktenfabrikation und aus Schriftlichkeit dysfunktionale Vielschreiberei. Rationale Regelhaftigkeit überhaupt, so schien es, kehrte sich unter den Bedingungen einer verworrenen Geschäftspraxis in ihr Gegenteil um, Bürokratie kam zum Bürokratismus einer »senil gewordenen« Institution56 herunter. Anhand dieser Kritik, die sich ja an Überhitzungserscheinungen des bürokratischen Mechanismus entzündete, entsteht leicht der Eindruck, als habe es im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts eine Überbürokratisierung gegeben, deren Auswüchse sich nun bemerkbar machten. Dies um so mehr als die meisten Kritiker für Bürokratieabbau plädierten. Doch bei genauerem Hinsehen werden Zeichen sichtbar, die nicht dafür sprechen, daß im Zuge der seit etwa 1872 registrierbaren Rationalisierungswelle zu viel des Guten getan wurde. Es gab keine überentwickelte Bürokratie. Auf dem Gebiet der Hierarchisierung gab es vielmehr nach wie vor bedeutende Lükken und Inkonsequenzen, wie ζ. B. die immer noch eher halbherzige bzw. oberflächliche Einbeziehung der Oberpräsidien in die Instanzenkette oder die häufig mehr störende als hilfreiche Verzahnung von Staatsbehörden und Selbstverwaltungskörperschaften. Die Arbeitsteilung litt unter einem Formalisierungsdefizit. Zwischen einzelnen Ressorts und Ämtern kam es immer wieder zu Zuständigkeitsüberschneidungen, zu unerquicklicher Stückelung und Mischung von Fachaufsicht und Behelfskompetenz und in der Folge zu Doppelarbeit und anderen Ärgernissen. Innerhalb einzelner Behörden lag die Geschäftsverteilung häufig nicht 46
weniger im Argen. 57 Nicht als ob keine Geschäftsverteilung vorgenommen worden wäre. Vielfach scheint das Gegenteil der Fall gewesen zu sein, d. h. eine zu intensive Verteilungspraxis. Häufiger als tunlich wurde umdisponiert, man achtete zu wenig auf die funktionalen Vorteile der Beständigkeit von Kompetenzbesitz und Kooperationsbeziehungen. Anders ausgedrückt, Beamte mußten immer wieder abrupt ganz oder teilweise neue Arbeitsbereiche übernehmen. 58 Solche wahrscheinlich nicht untypischen Schwierigkeiten dürften ihrerseits auf die Schwächen auf dem Gebiet der Gleichförmigkeit und Verbindlichkeit von Arbeitsabläufen zurückzufuhren gewesen sein. Wenn Geschäftsordnungen, Büroordnungen u. ä. fehlten, wenn sie Gelegenheitsprodukte, veraltet, zu wenig bekannt oder zu schwach im Bewußtsein verankert waren, konnten Sach- wie Personaldispositionen kaum dem Optimum entsprechen. Spezifische Büroordnungen z . B . , wie sie die Eisenbahndirektionen besaßen, kannten die Behörden der allgemeinen Verwaltung nicht. Nicht ganz so schlecht stand es um die Geschäftsordnung, für die der Vereinfachungs- und Schriftenreduzierungs-Erlaß 1897 einen gewissen Auftrieb gebracht hat. Er stellte einen ersten Schritt auf dem Weg zu einheitlichen und zeitgemäßen Regelungen dar, freilich auch nicht mehr als das. Immerhin, in seinem Gefolge oder jedenfalls in auffälliger Kumulation während der auf ihn folgenden Jahre bemühten sich einige Regierungen um neue und revidierte Reglements. Aber die Gesamtlage konnte bei weitem nicht befriedigen. Ziemlich brach lag auch die Organisationstechnologie, mit anderen Worten die systematisch rationale Gestaltung des Bürobetriebes und der Kooperationstechnik im engeren Sinn, als Defizit an >know how< außerdem ein Professionalisierungsdesiderat ersten Ranges. Auf diesen Gebieten schien trotz größer werdender Aufmerksamkeit für solidere Registraturordnung, Kanzleiorganisation u. ä. und trotz der im Zuge der Expansion gezwungenermaßen umfangreicher gewordenen praktischen Auseinandersetzung mit diesen und anderen Angelegenheiten des >Bürobereichs< noch viel Dilettantismus zu herrschen, angesichts gewachsener Anforderungen und Erwartungen an die Verwaltung eine gravierende Unzulänglichkeit. Wie sollte es denn weitergehen, hatte sich der geheime Regierungsrat Konrad von Massow schon 1895 gefragt, wenn ». . niemand, absolut niemand von dem technischen Formalbetriebe der Behörden Kenntnis nimmt und mangels dieser Kenntnis auch niemand sich dafür interessiert und selten jemand etwas davon versteht. " 5 9 Seine Frage verlor selbst nach dem Vereinfachungserlaß von 1897, der u. a. diesem Mißstand gegenzusteuern suchte, kaum etwas von seiner Aktualität. Ebensowenig wie seine Feststellung, es sei ». . außerordentlich selten, daß ihn [den Bürobetrieb] höhere Beamte zum Gegenstand ihres Studiums gemacht haben«. 60 Der planmäßigen Ausgestaltung der »Technik des Zusammenarbeitens« 61 und verwandter Gebiete wurde noch lange nicht Genüge getan. Der Bürobetrieb wirkte 47
auf den höheren Dienst eher abschreckend. Folglich blieb der höhere Verwaltungsbeamte, der auf diesem Gebiet die Einzelheiten »wirklich« überblickte, nach wie vor »eine sehr große Seltenheit«. 62 Wie die Befunde belegen, hatte man es sicherlich nicht mit Überbürokratisierung, wohl aber mit einer deformierten Bürokratieauffassung zu tun und vor allem einer Praxis, in der Verwaltungsvorgänge zumindest technisch gesehen in erheblichem Maß zum Selbstzweck verkommen waren. Insbesondere fehlte die verbindliche, einheitliche und alle Bereiche umfassende Formalisierung der Geschäftsverteilung und des Geschäftsgangs. Es mangelte am Problembewußtsein dafür, daß moderne Administration mit Disziplin allein schwerlich befriedigend bewerkstelligt werden konnte, und es gab, wenn überhaupt, nur unzureichende Verantwortungsdelegation. Nicht zuletzt wurde die zunehmende Relevanz von Hilfsinstrumenten effizienter büroförmiger Organisation verkannt und das Instrumentarium selber vernachlässigt oder dilettantischer Handhabung preisgegeben, so ζ. B. die Statistik 63 oder das Informationswesen (NachWeisungen, Ablagen). Die Maßnahmen, die im ausgehenden 19. Jahrhundert getroffen worden waren, erwiesen sich mehr und mehr als zu unsystematisch, zu partiell und wohl auch zu zaghaft, die Schwerkraft alter Praktiken dagegen als zu groß, so daß der Modernisierungseffekt weitgehend ausblieb. N u n wären diese Mißstände vermutlich weniger schnell und weniger kraß hervorgetreten, hätte nicht die beschleunigte industriegesellschaftliche Entwicklung sie zusätzlich verschärft. Durch den »großen Aufschwung in der Landwirtschaft, Bergbau und Industrie« nahm die Belastung auch der allgemeinen Verwaltungsbehörden deutlich zu. 64 Allein schon der U m f a n g der von den Verwaltungsbeamten tagtäglich benutzten Nachschlagewerke verriet es; der »Brauchitsch« ζ. B. wuchs von rund 1000 Seiten in 1881 auf rund 6500 in der Ausgabe von 1902—1904 und der »Herrfurth« von rund 700 Seiten in 1881 auf rund 2500 in 1905.65 Mit etwas rhetorischer Verve konnte man alles in allem durchaus behaupten, die »Inanspruchnahme der Verwaltungsbehörden« wachse auf »lawinenartige« Weise.66 Die für die allgemeine Verwaltung zuständigen Minister des Inneren und der Finanzen sprachen schon 1906 von Geschäftsvermehrung »in außerordentlichem Umfange« 6 7 und im Kronrat gestand man sich im Frühjahr 1909 sogar ein, daß die Verwaltung der sprunghaft angestiegenen Beanspruchung einfach »nicht mehr gewachsen« sei.68 Vor diesem Hintergrund reifte die Einsicht heran, daß der »Übelstand« sich nicht »gewissermaßen selbst beseitigen« würde, 6 9 zunehmend aber auch das Gespür dafür, daß die Sache in größeren Zusammenhängen zu sehen sei. Auch hierbei gilt, daß die Staatsregierung diese Ansicht teilte und spätestens 1908 zu einer konkreten Lageanalyse fand. Sie ließ Anfang 1909 offiziös verlautbaren, daß nach ihrer Ansicht ein Wechselverhältnis bestehe zwischen der ökonomischen Entwicklung und der zunehmenden Belastung der Behörden, mit anderen Worten, daß es sich um keine zufällige 48
und vorübergehende Erscheinung handelte, sondern um einen evolutionsbedingten Trend. 70 Inhaltlich ging man von einer recht präzis anmutenden Diagnose aus. 71 Die Ursache aller Probleme sei, wurde festgestellt, daß man die modernisierungsbedingte »zunehmende Belastung« der Behörden »ohne Änderung der überkommenen bürokratischen Geschäftsformen«, anders ausgedrückt, im Rahmen einer lückenhaften und zum Teil pseudorationalen Bürokratieverfassung habe meistern wollen. Das habe zu einer »Uberspannung der Regierungstätigkeit« und schließlich zur Krise geführt. Nun sollte eine zeitgemäße Bürokratie entstehen. Nicht durch die früher so beliebte aber müßige Umgestaltung des Behördenaufbaus, so wurde betont, sondern tendenziell stärker durch folgerichtige Versachlichung und Durchformalisierung der Geschäftsverteilung und des Geschäftsablaufs, durch Einsatz moderner Büroorganisation und -technik, durch Abbau von unnötigen Kontrollen und ungebührlichem Zentralismus, einhergehend mit der Förderung der Selbständigkeit und Eigenverantwortlichkeit des Personals, darunter teilweise auch der mittleren Beamtenschaft. Seither steuerte man planmäßig und systematisch auf eine umfassende Innovation zu, deren offizielle Inangriffnahme die Einsetzung einer »Immediatkommission zur Vorbereitung der Verwaltungsreform« per königlichem Erlaß im Juni 1909 markierte. 72 Daß die Anstrengung keineswegs als aussichtslos gelten mußte, bewies die preußische Staatseisenbahnverwaltung, der auf dem Wege der Selbsterneuerung 1895 eine nahezu beispielhafte Bürokratisierung gelungen war. Bis auf den Behördenaufbau, an dem man von offizieller Seite so wenig wie möglich rütteln wollte, diente die Bahn aus diesen Gründen denn auch ausdrücklich als Vorbild für die Reform der allgemeinen Verwaltung. 73 Die Immediatkommission, deren Arbeit man mit viel Interesse verfolgte, schien auch voranzukommen. Sie stellte 1910 die sogenannten »Grundzüge für eine (vereinfachte) Geschäftsordnung der Regierungen« fertig; sie wurden am 15. Juni erlassen. 74 Das war in Anbetracht der Schwere des Materials ein zeitlich noch vertretbares Resultat. Und auch inhaltlich stellten die Grundzüge keine schlechte Leistung dar. Sie versprachen, bürokratische Zeremonien, die aus funktional notwendigen Spielregeln Selbstzweck werden zu lassen drohten, gründlich zu beschneiden und gleichzeitig den ärgsten Formalisierungsmangel, der hinter der hergebrachten rituellen Fassade noch vielfach bestand, zu beheben. Damit wurde nicht nur ein rascher Schritt getan, sondern der Hebel zugleich an der Stelle angesetzt, wo Reform am dringlichsten zu sein schien, waren doch Vereinfachung und Beschleunigung des administrativen Prozesses in den Mittelbehörden der allgemeinen Verwaltung zentrale Begehren einer ungeduldig gewordenen Öffentlichkeit, aber auch zentrale Voraussetzungen einer geschmeidigeren und effizienteren Verwaltungspraxis. Es sollte sich aber herausstellen, daß dies - außer einigen marginalen Be-
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Stimmungen auf anderen Gebieten - alles war, was man von der Kommission vorläufig erwarten konnte. Gemessen am Anspruch einer systematischen Neugestaltung der gesamten inneren Verwaltung war all dies viel zu wenig, die Pläne orientierten sich wie man weiß an der Maximallösung. Erreicht werden sollte schließlich die »den dringenden Bedürfnissen der Jetztzeit entsprechende« Gestaltung der Staatsbehörden, d. h. ihre Anpassung an die gesellschaftliche und wirtschaftliche Modernisierung seit der Reichsgründung. 75 Wie die Verwaltung in Form und Inhalt dieser »gewaltige[n] Entwicklung des Erwerbslebens unserer modernen Welt« am besten entspreche, war also »recht eigentlich die Frage der Fragen« an die Reorganisierungsarbeit. 76 Im Prinzip umfaßte demnach der Auftrag der Immediatkommission, die eine solche Reform auszuarbeiten hatte, auch die Schaffung von Organisationsformen, Verfahrensweisen usw. jenseits dessen, wozu die alte Befehlsbürokratie fähig war, Neuerungen, die die überkommene strenge Weisungsabhängigkeit lockerten, den praktisch absoluten Primat der Amtsautorität zugunsten von Sachautorität abschwächten und neben der alten juristischen Generalzuständigkeit neue Fachkompetenzen, ζ. B. ökonomischer oder >technischer< Art, angemessen berücksichtigten. Zumindest schloß der Aufbruch, der zur Einsetzung der Kommission gefuhrt hatte und eine öffentliche Begleitdiskussion speiste, derartige U m formungen nicht aus. Das zeigten weitverbreitete Erwartungen, wie sie sich etwa in dem Ruf nach kaufmännischen Maximen, nach Beseitigung des Juristenmonopols, nach Verwaltungsingenieuren, nach mehr Klientenorientierung u. ä. manifestierten und an die Verwaltungsreformer auch direkt herangetragen wurden. 7 7 Diesen Maximalerwartungen konnte die Kommission kaum genügen. Ihrer Bewegungsfreiheit setzten — entgegen einer ihr formal zugestandenen Generalkompetenz - die im Kronrat vorab festgelegten Richtlinien faktisch von vornherein Grenzen. Das bedeutete in erster Linie, daß die Experten »keine Grundstürzende Umwälzung« herbeiführen, sondern sich auf die Schaffung lediglich einer neuen »Hausordnung« für das alte »Gebäude« der allgemeinen Verwaltung konzentrieren sollten. 78 Danach durften eigentlich nur Fragen der Geschäftsordnung, des Geschäftsganges und dergleichen angepackt werden. Aber auch da sollte es im wesentlichen um >Vereinfachung< gehen, nicht um eine wie immer geartete Neufassung von Grund auf Daß der Kommission der Schwung und die letzte kreative Kraft abging, lag nicht allein an ihren begrenzten Zuständigkeiten. Sie diskutierte auch von sich aus äußerst kleinlich und kontrovers. Und dies nicht nur, was die eigentlichen Mitglieder anging. Die Ressortminister, die zu den Sitzungen in den sie berührenden Fragen herangezogen wurden, taten sich ebenfalls nicht durch besondere Einsicht oder konstruktives Verhalten hervor. Allein die Umorganisation der formal noch kollegialen Abteilungen der Bezirksregierungen nach dem bürokratischen Modell ζ. B., ein Problem zweiter 50
Ordnung, rief nicht enden wollende Bedenken, Einwände, divergierende Vorstellungen und Wünsche hervor; die Beratungen mündeten immer wieder in unfruchtbaren Grundsatzdebatten. Ohne hier einzelne Sachgebiete untersuchen und die Positionen der Beteiligten im einzelnen ausloten zu wollen, wird man sagen können, daß dabei sicherlich ideologische und andere Interessengegensätze aufeinanderstießen, die es erschwerten, sinnvolle Kompromisse zu finden.79 Unter diesen Umständen war es kein Wunder, daß die Reformvorbereitungen nach Erstellung der »Grundzüge« - auch nur ein Provisorium übrigens - ins Stocken gerieten und der Innenminister das Parlament vertrösten bzw. die Kommission drängen mußte. 80 Als dann am 27. Dezember 1913 das Resultat als Novelle des Landesverwaltungsgesetzes endlich vorlag, fand niemand Gefallen daran. Die Novelle stellte etwas weithin Unvollkommenes dar, weil ihr die große Linie fehlte und sie fast mehr ausklammerte als enthielt. Auch die offizielle »Begründung« zum Entwurf fiel sehr farblos, in mancher Beziehung sogar rechtfertigend, ja defensiv aus. Das Herrenhaus, dem Entwurf und Begleitschreiben zuerst zugegangen waren, überwies nach der Plenarsitzung am 9. Januar 1914 das Projekt hausintern an eine »besondere« Kommission, deren Diskussionen aber nicht viel einbrachten, außer daß sie die Schwierigkeit der Materie, die Schwächen der Novelle und ein immer noch ausgeprägtes Konsensdefizit wieder einmal demonstrierten. 81 Trotz Kritik und Bedenken ließ man den Entwurf, sozusagen mit abgewandtem Gewissen, schließlich ohne wesentliche Änderungen passieren und dem Abgeordnetenhaus zustellen. Dieses nahm ihn ohne Begeisterung entgegen und schob seine Behandlung auf die lange Bank. Der dazwischenkommende Krieg verhinderte dann die Beschäftigung mit ihm endgültig; das neue Landesverwaltungsgesetz, wie es hier konzipiert war, kam nie zustande. Würde man bei der Bewertung der Vorgänge nur auf diesen Mißerfolg schauen, verfehlte man freilich eine wirkliche Würdigung. Der historisch wichtigere Aspekt des Reformanlaufs liegt in dem Versuch selbst. Daß die Verwaltung ihn unternommen hatte, spricht für eine für Bürokratien eher untypische Lernfähigkeit. Es muß den engagierten Kritikern und den offiziellen Stellen hoch angerechnet werden, daß sie zur Problemeinsicht gekommen waren und sich schließlich zu einer großangelegten Aktion durchgerungen hatten. Wenn die Reform mißlang, war damit nicht die Sache an sich gescheitert, nur ein erstes Unterfangen, das vielleicht mit zu vielen Verfahrensmängeln befrachtet gewesen ist. Wohl niemand betrachtete die Sache der Reform 1913/14 ernsthaft als erledigt. Gleichwohl, für manche Probleme fehlte die rechte Aufmerksamkeit. Man war generell eher der technologischen Seite der Innovation zugewandt. Tiefere Strukturfragen, vornweg solche, die mit dem Personal zusammenhingen, wurden nicht oder nur unzureichend einbezogen. Themen wie Ausbildung und Rekrutierung, das Verhältnis zwischen Verwaltungs51
und sogenannten technischen Beamten oder eine Entbürokratisierung waren - wiewohl durch Einzelmaßnahmen zum Teil angegangen - kein organischer Teil des zentralen Reformplans. (Daß sie dazugehörten, zeigt der nächste Anlauf 1917, der solche Fragen bewußt berücksichtigte.) Ähnliches gilt übrigens fur die Bahn. Die Bahnbehörde hatte eine exzellente Bürokratiereform durchgeführt, aber wichtige personalstrukturelle Probleme wie die Disharmonie von Beamtenstatus und beamtenuntypischen Aufgaben im Betrieb u. ä. beiseite gelassen. Parallelen bei der Post lassen sich ebenfalls ausmachen. Man kann durchaus der Meinung sein, daß man von den Akteuren in ihrer Zeit nicht zu viel verlangen durfte. Aus historischer Sicht bilden die erwähnten Probleme dennoch unübergehbare Faktoren.
d) Bürokratiebildung in der Bürokratie: Aspekt der Herrschaftsbeziehungen
Veränderungen
im Apparat
unter dem
Eines jener Momente, die sich technologisch-funktionalen Betrachtungsweisen entzogen, kann man beschreiben als die Herausbildung von Herrschaftsverhältnissen, die die Über- und Unterordnungsbeziehungen im Verwaltungsganzen völlig abweichend von der gewohnten Hierarchie zu gestalten begannen. Auch diese Strukturveränderung war, wie schon der Bedarf an bürokratieorganisatorischer und -technischer Vervollkommnung, das Ergebnis der seit einem Vierteljahrhundert laufenden Entwicklung, nur durchbrach sie den üblichen technisch-apparativen Bezugsrahmen und stieß in die sozialökonomische Dimension vor. Sie manifestierte sich vornehmlich als die gleichsam organische Trennung des Gros der Beamten von einer Führungssphäre, die sich ihrerseits als solche immer deutlicher konturierte und abschloß. Damit gelangte eine Fundamen taleigenschaft moderner, rationaler Organisationen zum Durchbruch, die mit Max Weber Bürokratiebildung, d. h. das Beherrschtwerden der verwalteten Mehrheit einer Gesamtorganisation durch eine verwaltende Minderheit zu nennen ist.1 Dieser Befund kann auf den ersten Blick verwundern, verkörperte doch die preußische Staatsverwaltung eine im Weberschen Sinn nahezu idealtypische Bürokratie; sie galt als eine verwaltende Minderheit in sich, und dies seit langem. Sieht man sie so, hebt man allerdings auf das Verhältnis zwischen Staatsverwaltung (als Herrschaftsapparat) und Gesamtgesellschaft (als beherrschte Mehrheit) ab. Bei der hier anzuzeigenden Neuentwicklung ging es jedoch nicht primär um diese Beziehung, wenngleich auch sie von ihr tangiert werden sollte. Was zur Debatte steht, ist vielmehr eine Binnendifferenzierung des Staatsapparates; das Wirksamwerden fundamentaler bürokratischer Herrschaft auf Kosten von immer mehr Verwalteten auch innerhalb der Staatssphäre. Ursächlich stand dahinter die Veränderung von Rolle, Größenordnung und Arbeitsstruktur der Verwaltung. Besonders 52
hervorzuheben ist das rapide, zum Teil großbetriebliche Dimensionen 2 erzeugende Wachstum des Staatsbereichs. Die Großbehörden und Behördensysteme bedurften nun zwingend der Führung durch Binnenstäbe, sie produzierten so viele Regieaufgaben, daß diese ohne arbeitsteilig ausgesonderte Administration nicht mehr bewältigt werden konnten. Überhaupt schritten Arbeitsteiligkeit und Aufgabendifferenzierung so voran, daß die Mehrzahl der Beamtentätigkeiten die direkte sachliche Bindung an die Ordnungsfunktion (Herrschaftsfunktion) des Staates verlor oder gar nicht erst erforderte. Das beschleunigte und verdeutlichte die (grundsätzlich natürlich schon früher angelegte jetzt aber neue Qualität gewinnende) Trennung nach Bürobereich und nichtbüroförmiger Arbeit, was dann meist der Festschreibung der Träger büroexterner Aufgaben als Objekte bürokratischer Herrschaft bzw. Verwaltung gleichkam. Selbst in den Büros gab es nunmehr durchaus Verrichtungen, die in denkbar große Ferne von Herrschaft durch Verwaltung rückten. Diese >Bürokratisierung der Bürokratie^ in deren Zuge sich die alten Struktur- und Funktionsmuster der Verwaltung modifizierten, lief allerdings teilweise verdeckt bzw. durch andere Faktoren überlagert ab. Die Schwerkraft des traditionellen Selbstverständnisses, wonach die preußische Staatsverwaltung eine herrschende, ungeachtet ihrer internen hierarchischen Rangstaffelung der Gesellschaft mit Homogenitätsanspruch gegenübertretende Körperschaft zu sein hatte, blieb überaus mächtig, ganz abgesehen davon, daß Ordnungsverwaltung (Herrschaftsverwaltung) als solche nach wie vor nötig blieb. Ebenso zäh hielten sich ihre traditionelle Rechtsverfassung und Arbeitsausrüstung. Diese Faktoren überlagerten wie gesagt die Neustrukturierung und hinderten ihre Entfaltung. Auch die alte Amtstitel-Hierarchie konservierte sich und konterkarierte jene sich jetzt etablierende Differenzierung in Verwalter und Verwaltete. Dazu kam, daß die Rollenverteilung, wer in welchem Verhältnis zur Herrschaft und deren Mitteln stehe, im Inneren des Apparates sich nicht ganz mit der Stellung nach außen deckte; wer intern zu den Verwaltenden zählte, mußte extern nicht zugleich Träger delegierter Herrschaft sein. Nicht eindeutig absteckbare Grenzlinien schließlich zwischen bürokratisch organisierten Stäben und nichtbürokratischen Führungsspitzen (wie Max Weber sie aus zeitgenössischer Erfahrung dargestellt hatte) erhöhten den Komplexitätsgrad der Umstellungs-Situation. Aus alledem ergab sich mit anderen Worten ein vielschichtiger, verwickelter und zum Teil kontroverser Prozeß. Dennoch war ein durchgehender Dichotomisierungseffekt spätestens seit der Jahrhundertwende unverkennbar. Als allgemeinster Indikator hierfür mag die zu dieser Zeit teilweise als dramatisch empfundene Vertiefung der Kluft zwischen höherem Dienst und Subalternbeamtenschaft dienen. Die Anfänge dieses Prozesses reichten freilich weiter zurück. Bereits 1817 führte eine fundamentale Rangklassen-Verordnung 3 die Zweiteilung in höhere und Subalternbeamte ein. Dies und die Bindung der höheren Verwal53
tungsstellen an ein akademisches Studium 4 leiteten die besagte Entzweiung ein. Allerdings waren damit noch nicht allen Subalternen sogleich alle Einfluß- und Aufstiegschancen genommen. Ihre Stellung dürfte, insbesondere was die Bürokräfte erster Klasse in der allgemeinen Verwaltung und in den Ministerien angeht, informell noch für geraume Zeit stärker geblieben sein als es ihr formaler Status vermuten läßt. Auch bestand cum grano salis bis Mitte des 19. Jahrhunderts eine faktische Karrieredurchlässigkeit, so daß es nicht wenigen Subalternen gelang, in die höhere Kategorie, ja höchste Stellen zu kommen. 5 Umgekehrt wies der höhere Dienst noch für eine ganze Zeit Residuen des alten Einheitsbeamtentums auf. Formal betrachtet fingen bezeichnenderweise selbst zu Beginn des 20. Jahrhunderts alle Anwärter auf höhere Anstellung als Subalterne zweiter Klasse an: dies war die reguläre Einstufung der Referendare. Im Bereich von Post und Telegraphie hatte der höhere Dienst auch tatsächlich keinen separaten Nachwuchs, er wurde bis zur Jahrhundertwende grundsätzlich aus mittleren Beamten ohne akademische Bildung rekrutiert. 6 Vielleicht kam es ebenfalls nicht von ungefähr, daß die ältere allgemeine Berufsstatistik nicht expressis verbis von höheren Beamten sprach, sondern die Wendung »Räte und solche, deren Amt ein Universitätsstudium verlangt« 7 benutzte, und daß die offizielle Eisenbahnstatistik bis Ende des 19. Jahrhunderts und die Hausstatistik der Post noch länger »Beamte« stets undifferenziert angab, d. h. nicht zwischen höheren und mittleren Beamten, sondern Beamten und Unterbeamten unterschied, wobei der Begriff Unterbeamter so viel wie Un-Beamten besagte und Nichtzugehörigkeit ausdrückte. Als nicht grundsätzlich über andere Beamtenkategorien erhaben galt die höhere Laufbahn schließlich im Kontext der ständischen Gemeinschaft, der nach offizieller Lesart alle Staatsdiener angehörten; in der Beamtenselbsthilfebewegung fand diese Maxime seit den 1870er Jahren zumindest propagandistisch zu einer beachtlichen Aktualisierung. In diesen und ähnlichen Zeichen der Verklammerung mag sich so für Subalternbeamte bis in die zweite Hälfte, partiell bis Ende des 19. Jahrhunderts eine nicht zu bagatellisierende Infiltrationschance in die wirkliche Entscheidungssphäre ausgedrückt haben. Gegen Ende des Jahrhunderts nahmen aber die Chancen, die Kluft zu überwinden, grundlegend ab. Mehr noch, der mittlere Dienst wurde aus Gründen, die ζ. T. mit den allgemeinen Zeitströmungen korrespondierten, immer stärker benachteiligt, die höhere Laufbahn dagegen begünstigt. Das Hochschulstudium ζ. B. Laufbahnvoraussetzung für höhere Beamte, erfuhr eine kontinuierliche Wertsteigerung. Den, der es absolvierte, hob es verstärkt, während sein Fehlen den Nichtakademiker relativ gesehen stärker denn je zurückwarf. Die Klage, »bei der großen Zunahme der Wertschätzung akademischer Bildung« rücke »jeder Beamte, der die alma mater auch nur mit dem Ärmel gestreift« habe, »ängstlich vom [mittleren] Bürobeamten ab«, 8 bestand zu Recht. Gleichzeitig schwand die selbständige, unmittelbare Bedeutung der 54
Gymnasialbildung, insbesondere des Abiturs. Bis zum letzten Drittel des 19. Jahrhunderts adelte die Matura noch auch ohne weiterführendes Studium. Danach wurde das Gymnasium tendenziell grundständig und das Abitur mehr und mehr zur bloßen Voraussetzung des Hochschulzugangs. Den Subalternbeamten, die das Abitur traditionell und erfolgreich als soziales Distinktionsinstrument genutzt hatten, brachte diese Entwicklung in sich schon entscheidende Nachteile. Hinzu kam, daß ihre Laufbahnvorbedingungen in bezug auf die Schulbildung von der Jahrhundertmitte an ständig herabgesetzt wurden. Dieser von den Betroffenen als »verhängnisvoll« beklagte Abwärtstrend 9 begann 1855, als ein Kabinettsordre das Vollabitur als Zulassungsvoraussetzung des Zivilsupernumerariates aufhob. Nach 1891, als dann nicht einmal mehr Oberprima- sondern nur noch Obersekundareife (das sog. Einjährigen-Zeugnis) verlangt wurde, fürchteten viele Subalterne gar den endgültigen Niedergang. 1 0 Fast alle Spuren der alten Gemeinsamkeit aller Beamter verschwanden, sie wichen Zeichen der jetzt durchschlagenden Dichotomie. Symptomatischerweise verzeichnete etwa die Personalnachweisung der preußischen Staatsbahnen von 1899 an höhere und mittlere Beamte getrennt. 11 Ebenso bezeichnend war, daß die Reichspost ab 1900 ihren höheren Dienst akademisierte 12 oder daß es in Preußen bald Überlegungen gab, die >Subalternität< des Referendarstatus in aller Form aufzuheben. 1 3 Aus dem echten Subalternenstand hochdienen konnte man sich jetzt nicht mehr und selbst dem Wort subaltern wuchs eine eindeutig diskriminierende Bedeutung zu. 1 4 Auch an eine gesamtständische Gemeinschaft, insbesondere Interessengemeinschaft aller Beamter bzw. von Beamten und Staat, wie die behördlich forcierte Ideologie der (weiter unten dargestellten) Beamten-Selbsthilfeorganisationen sie noch propagierte, war spätestens nach einer neuen interessenpolitischen Beamtenbewegung in den 1890er Jahren naturgemäß nicht zu denken. Die definitive Auseinanderentwicklung des höheren und des Subalternbeamtentums besagte allerdings noch nicht die volle Dichotomisierung, denn zwischen Subalternbeamten und Unterbeamten bestand weiterhin ein Statusunterschied. Doch dieser Unterschied schrumpfte merklich. Viele neue Unterbeamten-Kompetenzen vor allem in den Sonderverwaltungen ließen sich funktional kaum noch von mittleren Tätigkeitsbereichen unterscheiden. Das änderte freilich nichts daran, daß diese Unterbeamten faktisch dem gewöhnlichen Arbeitnehmer mehr ähnelten als dem klassischen T y p des Beamten. Allerdings glich das Niveau weiter Kreise der Unterbeamten nun statt des ungelernten dem des Facharbeiters. D a andererseits die Entwicklung der mittleren Beamtenschaft generell auch eher zum Arbeitnehmer tendierte, rückten beide Sparten, gewollt oder ungewollt, enger zusammen. Zumindest in bezug auf ihre sozialökonomische Interessenlage bildeten sie von da an tendenziell einen Block. Die eigentliche Zäsur verlief damit nicht länger zwischen Beamten und Unterbeamten, sondern höheren Beamten und dem Rest. 55
Der Generaltrend prägte sich sektorenweise unterschiedlich aus. Will man mit dem undankbarsten Beispiel beginnen, so m u ß man die allgemeine Verwaltung nehmen. Daß diese Entwicklung sich hier eher verschwommen präsentierte, weist nicht auf eine prinzipielle Abweichung hin. Hier waren nur die gleichsam natürlichen Voraussetzungen am ungünstigsten. In diesem Verwaltungszweig erhielt sich die Ordnungsfunktion (und damit die Staatsverwaltung als Herrschaftsinstrument) am besten, hier blieb das Wachstum des Apparates am geringsten und die Büroförmigkeit der Geschäftsabwicklung am größten. In einer ziemlich typischen Bürokratie wie dieser lassen sich die Merkmale einer sozusagen wiederholten Bürokratiebildung verständlicherweise weniger gut aufspüren. Betrachtet man die konkreten historischen Vorgänge, kann man zunächst gar den Eindruck gewinnen, hier sei doch eine Gegentendenz wirksam gewesen. Zumindest als Tendenzkorrektur könnte man nämlich die Tatsache werten, daß in der allgemeinen Verwaltung die seit 1825 bestehende Kategorie der mittleren Bürobeamten zweiter Klasse, der »Assistent«, 1896 abgeschafft wurde. 1 5 Es erscheint, als hätten damit die mittleren B ü rokräfte in diesem Sektor eine indirekte A u f w e r t u n g erfahren, und so sich dem beklagten Niedergang wenigstens etwas entziehen können. Die Ü b e r f ü h r u n g der Assistenten in eine hier n u n m e h r homogene Sekretärlaufbahn zeigte indessen nur optisch eine Verbesserung an, in Wirklichkeit drückte sie die ganze Gruppe eher herab. Das wird deutlicher, wenn man die Erläuterung zu der M a ß n a h m e liest. Darin wurde betont: »Es besteht. in der dienstlichen Beschäftigung beider Kategorien und in den an die geschäftliche Qualifikation der Beamten zu stellenden Anforderungen kein Unterschied. «16 Daß dies nicht positiv zu interpretieren war, verriet die finanzielle Seite des Revirements. Künftig sollten die »vereinigten« Klassen als Anfangsgehalt einheitlich die Eingangsstufe der früheren Assistentenbesoldung (1880 Mark jährlich statt 2100) und nur als Endgehalt die alte Sekretärs-Höchststufe bekommen. Dazu wurde die Steigerungshäufigkeit der Dienstalterszulage zeitlich gestreckt; sie sprang jetzt erst in 21 Jahren so oft eine Stufe höher wie zuvor in 18. Z u s a m m e n ergab das für die künftigen Dienstgenerationen eine Gehaltsminderung, 1 7 die man kaum anders denn als Geltungsverlust auslegen konnte. Es gab noch einen Grund, diesen Vorgang für ungünstig zu halten. Die alte Proporzregelung, wonach die Hälfte der etatmäßigen mittleren Stellen mit ehemaligen Unteroffizieren, den sogenannten Militäranwärtern, zu besetzen war, wirkte sich nach dem Fortfall der Assistentenstufe voll zu Lasten der Sekretärsebene aus. Militäranwärter, die in der Regel nur Volksschulbildung besaßen und auch sonst als für anspruchsvollere Aufgaben weniger qualifiziert galten, wurden in der allgemeinen Verwaltung, wenn sie nicht in den Kanzleidienst gingen, über die Assistentenstufe hinweggehoben, d. h. automatisch »erstklassig«. Ohnehin in Verdacht, die Scheidung des mittleren v o m höheren Dienst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entscheidend 56
vertieft zu haben, drückten sie nun das Ansehen der Sekretärskategorie eher herab. 18 Hatte man ohne die Assistenten immerhin einen Schönheitsfehler weniger, währte auch dieser kosmetische Vorteil nicht allzu lange; 1906 wurde die Assistenten-»Klasse« in der allgemeinen Verwaltung, von der hier die Rede ist, reinstalliert.19 Zwar geschah dies nur partiell, nämlich auf der Kreisebene, aber eben doch. Und wiederum nicht ohne einen versteckten Abwertungseffekt. Für die meisten der ihnen zu übertragenden Aufgaben brauchte man eigentlich Sekretäre, steckte aber aus personalpolitischen und finanziellen Gründen zurück, nahm damit eine Art innere Entwertung in Kaufund beschränkte sich darauf, den »>Minderwert< der Stellung nach außenhin« nicht allzu stark in Erscheinung treten zu lassen.20 Die Sekretäre in den Landratsämtern, Regierungen und Oberpräsidien rangierten zwar nach wie vor haushoch über den Boten und Kastellanen ihrer Behörden, dem klassischen »Unterpersonal«, das bei der Definition des Unterbeamten als Träger einfachster, »mechanischer« Tätigkeiten21 Modell gestanden hatte. Doch dieser Vorteil war relativ und widerlegte die Abwärtsbewegung des mittleren Dienstes im großen Rahmen nicht. Diese Zurückstufung läßt sich mit einem anderen Beispiel auch von einer anderen Seite beleuchten. In diesem Beispiel wird nicht die Zunahme des Abstandes des mittleren zum höheren Dienst (im übertragenen Sinn: zur Herrschaftssphäre), sondern die Verringerung seines Vorsprungs gegenüber den Unterbeamten deutlich. Exemplarisch hierfür steht nicht das mittlere Büropersonal, sondern die Kanzlisten (die man merkwürdigerweise nicht ausdrücklich Bürobeamte nannte). Obwohl es Kanzlisten wohlweislich nicht nur in der allgemeinen Verwaltung gab, waren sie und ihre Arbeit doch für diese Verwaltungssparte am ehesten typisch. Darum soll ihr Beispiel in diesem Zusammenhang behandelt werden. Die Kanzlei, im 18. Jahrhundert noch ein Ort, wo nicht nur geschrieben, sondern auch verwaltet wurde, wandelte sich schon im 19.Jahrhundert mehr und mehr in eine ausschließliche Schreibstube.22 Aber auch die Schreibarbeit selbst unterlag einer wesentlichen Funktionsänderung und mit ihr das Personal, das sie versah. Die Tätigkeit der Kanzleibeamten, die Erstellung von Reinschriften und Abschriften anhand der Urschriften, deren Kollationierung und Weitergabe zur Absendung, erfuhr in den sich wandelnden >Betriebsmittleren< Qualität. Denn besser als das eigentliche Büropersonal waren sie nie bewertet worden, eine Besserstellung konnte die gesonderte Bezeichnung selbstredend auch jetzt nicht bedeuten, um so mehr aber das Gegenteil. Ihre eigentliche Relevanz erhielt diese Änderung dadurch, daß sie sich als feste Formel in Etats, Verordnungen, Erlasse und Gesetze einnistete31 und auf diese Weise den formalen Status der Kanzlisten 58
umzuprägen begann. Da es für Preußen kein in sich geschlossenes Beamtengesetz gab, regelten sich nämlich die »Beamtenverhältnisse« gleichsam kumulativ, durch eine Vielzahl von Gesetzen, Erlassen, Gerichtsentscheidungen u. ä. 32 Wenn sich in ihnen kleine faits accomplits zahlreich genug ansammelten, dann richtete man sich allmählich generell nach ihnen. Dabei spielte es keine Rolle, ob sie materiell zentrale oder periphäre Dinge betrafen. Wenn also etwa in Rechtsvorschriften über Unterstützungsfonds, Wohnungsgeldzuschüsse u. ä. Kanzleibeamte sich von mittleren getrennt angeführt und dazu niedriger eingestuft fanden, so mußten sie nach herrschender Auffassung und Ü b u n g eine nachhaltige rechtliche Aushöhlung ihrer 1817 erfolgten und 1825 bestätigten »subalternen« (mittleren) Klassifizierung 33 annehmen. Je mehr Zeit verging, desto stärker nagelten solche kleinen faits accomplits die preußischen Kanzlisten an einen Status im Grenzbereich zwischen Noch-Zugehörigkeit und Nicht-Mehr-Zugehörigkeit zum mittleren Dienst, obwohl ihr Verband mit eifrigem Petitionieren dagegen anzukämpfen versuchte. Doch man war ihnen nicht wohlgesonnen. Die Regierung zeigte sich unwillig, der »jetzt vielfach herrschenden Auffassung, die Kanzleibeamten gehörten nicht mehr zu den mittleren Beamten«, abändernd zu begegnen. 34 Es kam auf diese Weise so weit, daß dem Kanzleipersonal nicht mehr schlicht die Anfechtung seiner Einreihung in den mittleren Sektor drohte, sondern auch die explizite Zuordnung zu den Unterbeamten. Als der Kanzlist F. Weise aus Lüneburg dies in einer Eingabe an den König aussprach, gab er einer verbreiteten Furcht Ausdruck. Die ». Tatsachen lassen die bestimmte Vermutung aufkommen«, schrieb er, »daß man die Kanzleibeamten zu Unterbeamte(n) herabdrücken will«. 35 Die Sorge war nicht unberechtigt. Es gab Minister, die dezidiert die Meinung vertraten, die Kanzleiarbeit sei mittleren Ansprüchen »sachlich« nicht (mehr) adäquat, und sie ließen es den Kanzleibeamten, wenn sie es wissen wollten, ungeschminkt mitteilen. 36 Verwandte Ansichten mit der sinngemäßen Folgerung, die sachgerechte Einstufung der Schreiber könne nur der Unterbeamten-Status sein, tauchten auch in der juristischen Literatur auf. 37 Beklommen konnte vor allem aber machen, daß die Diskussion um die Umbenennung der Subalternen in mittlere Beamte, die um 1909 nicht zuletzt im Abgeordnetenhaus hohe Wellen zu schlagen begann, unter anderem die Grundsatzfrage hochspülte, ob das nach wie vor gültige Rangsystem von 1817 nicht revisionsbedürftig sei. Sollte eine Revision eintreten, kam man aber angesichts des mittlerweile (im Staatsdienst insgesamt) entstandenen Unterbeamtenberges und seiner Bedeutung schwerlich umhin, diese Gruppe, die es der alten Klassifikation nach, mithin >offiziell< gar nicht gab, »neu« »in die Rangordnung aufzunehmen«. 38 Bei der dann unvermeidlich werdenden Erörterung der Frage, wer dazu gehörte, drohte den Kanzlisten ob ihrer aktuell ziemlich negativen Bewertung die Einreihung in diese unterste Klasse. Dieser negative Extremfall trat schließlich 59
nicht ein. Doch auch das Ziel, ihre »Zugehörigkeit zu den mittleren Beamten ausdrücklich und endgültig« bestätigt zu bekommen, erreichten die Kanzlisten nicht. 39 Die übrigen Subalternen agierten etwas erfolgreicher. Im Januar 1912 wurde die Umbenennung in mittlere Beamte regierungsamtlich. »In Zukunft«, so die Entschließung dazu, »soll in Gesetzen, Verordnungen und im sonstigen amtlichen Sprachgebrauche die Bezeichnung >Subalternbeamter< vermieden werden, soweit nicht Bezugnahme auf ältere Gesetze und Verordnungen zu ihrem Gebrauch nötigt, Λ40 Freilich mußten sich die Mittleren fragen, was ihnen das wirklich einbrachte. Skepsis, ob der Abschied vom alten Wort eine wirkliche Verbesserung bedeutete, blieb angebracht. Besann man sich darauf, daß »subaltern« nie eine offizielle Benennung war, mußte man gar zu dem pessimistischen Schluß neigen, die amtliche Festlegung auf »mittlere« sei doch nur die endgültige Zementierung der »schroffen Scheidewand zwischen höherem und Subalternbeamtentum« 41 gewesen. Ein weit anschaulicheres Beispiel als die allgemeine Verwaltung sind für die Entstehung bürokratischer Herrschaft die Sonder-, speziell die Betriebsverwaltungen. Wie ihr Name besagt, hatten sie von Anfang an eine ausgesprochen nichtbüroförmige Komponente, wenn sie ursprünglich nicht sogar hauptsächlich aus dem Betrieb bestanden. Mindestens stand dieser betriebliche Teil einst gleichberechtigt neben dem Bürosektor, vor allem wegen der verhältnismäßig geringen Arbeitsteiligkeit und der damit korrespondierenden Überschaubarkeit der Organisation. Auch die anfangs relative Anspruchslosigkeit der noch nicht allzu zahlreichen Büroaufgaben trug dazu bei. Es gab, um dies einmal anhand der Staatseisenbahnen zu konkretisieren, 42 zunächst ganz wenige »Verwaltungs«-Stellen (Bezirksdirektionen) und auch sie waren noch ziemlich unmittelbar mit dem Betrieb in ihrem Bezirk verbunden. Stationen, Versorgungsstellen und Werkstätten arbeiteten dessenungeachtet recht autark und erledigten die anfallenden Bürogeschäfte in enger Kombination mit dem Betriebsdienst. Dieser Zustand änderte sich schrittweise ab Ende der 1870er Jahre. Nach der Umformung, die mit dem Reformwerk von 1895 im wesentlichen abgeschlossen wurde, besaß die Bahn ein dichtes Netz von büroförmig organisierten, rein verwaltenden Bezirksdirektionen und Inspektionen, und es gab auch sonst, besonders im Stationsbereich, einen sich vom sogenannten Außendienst deutlich separierenden Innen- oder Bürosektor. Von nun an bildeten Verwaltung und Betrieb mit zunehmender Stringenz sozusagen getrennte Welten. Da Verwalten meist Disponieren, Anweisen und Kontrollieren hieß, geriet der Betrieb, obwohl sich erst durch ihn der funktionale Sinn der Gesamtorganisation realisierte, ins zweite Glied. Damit wurden verwaltungsund auch Betriebsbeamte immer strenger voneinander geschieden, wobei die letzteren, obgleich die erdrückende Mehrzahl, in ein nachrangiges Verhältnis zu ihren »Verwaltungen« 43 kamen.
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Diese Auseinanderentwicklung von Büro- und Außendienst bzw. von Büro- und Betriebspersonal beleuchtet ein Streit, den mittlere Bahnbeamte 1905/06 austrugen. Den Anlaß dazu gaben Vorstöße von gehobenen mittleren Beamten des sogenannten nichttechnischen Außendienstes (Stationsund Abfertigungsbetrieb), die auf die Gleichstellung mit den gehobenen mittleren Bürokräften, dem (mittleren) Personal der eigentlichen Verwaltung, abzielten; sie wollten vor allem die Möglichkeit eröffnet bekommen, bei besonderer Befähigung vom Betriebs- in den »inneren« Dienst (Bürodienst) der Bahn überwechseln zu können. 44 Bemerkenswert an dieser Auseinandersetzung erscheint zunächst einmal die Tatsache des Begehrens überhaupt. Sie demonstrierte, daß >die< Verwaltung eine große Anziehungskraft besaß, wohl weil sie grundsätzlich ranghöhere Stellung innehatte. Sie demonstrierte außerdem, daß die Verwaltung einen vom betrieblichen Teil der Gesamtorganisation deutlich und offenbar wirksam abgesonderten Sektor darstellte, und daß aufgrund dieses Umstands sich »so manche Kluft« 4 5 zwischen ihr und dem Betrieb auftat. Bemerkenswert ist sodann, zu welcher Grundsätzlichkeit die >Anmaßung< der Mitbeamten vom Außendienst die Bürobeamten trieb. Denn sie antworteten mit einer Art Grundsatzerklärung, die ihresgleichen sucht. »Überall«, so schrieben sie über die Rolle der Verwaltung, »und in jedem Organismus, in jedem fur sich abgeschlossenen Gebilde gibt es ausführende und leitende Elemente, wie ja ohne Kopf und Herz der Körper eines Lebewesens nun einmal nicht bestehen kann. Die leitenden Elemente müssen naturgemäß die intelligenteren, die geistig befähigteren sein, solche die das Wesen selbst, das sie lenken sollen, auch durch und durch kennen und erfaßt haben. So ist der Generalstab das leitende Element in der Armee, und mögen die Frontoffiziere noch so sehr auf die >Federfuchser< schimpfen, die verlernt haben, einen Zug zu fuhren, diese Federfuchser, alias Generalstäbler, sind nun einmal, vermöge ihrer geistig hervorragenden Befähigung berufen, den Körper der Armee zu lenken und zu leiten, ihm das Leben einzuhauchen und den Koloß in Bewegung zu setzen, um ihn zum Siege zu fuhren. Übertragen wir dieses Bild ins bürgerliche Leben, so erkennen wir in der Direktion einer Staatsbehörde den Generalstab, das Haupt und Herz, von denen aus der Körper dauernd sein Leben erhält, und das Vermögen, wie ein aufgezogenes Uhrwerk regelrecht und ohne Störung und Unterbrechung zu funktionieren. So sind insbesondere die Verwaltungsinstanzen bei den Eisenbahnbehörden beschaffen: die Bureaus der Direktionen mit Einschluß der Hauptkassen und der Kontrollen, sowie die Bau-, Betriebs-, Maschinen-, Werkstätten- und Verkehrsinspektionen. Hier ist der Pulsschlag, dies sind die leitenden Elemente, die den Ausführenden das Leben einhauchen, dessen sie bedürfen, um ordnungsgemäß, unausgesetzt und in geregelter Weise funktionieren zu können, Λ46 Angesichts dieser Selbstdarstellung verwundert es nicht, daß die Bürobeamten selbst den »Tüchtigsten« aus dem Außendienst die Fähigkeit ab61
sprachen, sich in der Verwaltung zu bewähren, es ging schließlich u m das Essentiellste, u m die Verteidigung der bestehenden Exklusivität. 4 7 Genau das Gleiche wie bei der Bahn ging, den Trendcharakter des Prozesses bestätigend, im Postbereich vor sich. Auch hier vollzog sich die »Entfremdung zwischen Verwaltung und Betrieb« 48 in ungefähr dem gleichen Zeitraum, nämlich zwischen 1872 und 1897. 49 Auch hier stand die Entwicklung im Zeichen bürokratischer Durchformalisierung, Hierarchisierung und rapid fortschreitender arbeitsteiliger Differenzierung. Im Ergebnis schottete sich die Bürosphäre bei gleichzeitigem Ausbau merklich ab. Während also im Betrieb sich das Personal und gleichsam die Abhängigkeit akkumulierten, wuchs die bürokratische Herrschaftsfähigkeit der »Verwaltung«, die den riesigen Betriebsteil mit einem vergleichsweise kleinen Stab regierte. Diesen u m die Jahrhundertwende akut und für viele (darunter die alten Kämpen) schmerzlich spürbar werdenden Vorgang k o m mentierte 1904 ein Zeuge des Wandels, der Postdirektor außer Diensten E. Hildebrandt, so: »Auf diese Weise bilden sich. zwei völlig getrennte Gebiete: Verwaltung und Betrieb, und es entsteht die Herrschaft einer der Personenanzahl nach kleinen Bureaukratie, welche sich über die Hunderttausende des werktätigen Personals mit Geringschätzung erhebt.« 5 0 Wenn es allgemein gilt, daß die Trennung in zwei Sphären die Herrschaftsabhängigkeit der Nichtverwaltenden vergrößerte, so gilt speziell, daß die Hauptleidtragenden dieser Entwicklung die mittleren Betriebsbeamten wurden. Im vorliegenden Fall resultierte dies nicht allein aus der zusätzlichen Begünstigung des höheren Dienstes, dessen Angehörige ausnahmslos zu den Verwaltenden zählten. Auf Kosten der Mittleren ging auch, daß der Betrieb die Unterbeamten im gewissen Rahmen begünstigte. Ursache war die weitreichende arbeitsteilige Differenzierung, gepaart mit der t e c h nischem N a t u r der betrieblichen Tätigkeiten; sie ermöglichten bzw. erforderten die Betrauung des unteren Dienstes mit ζ. T. anspruchsvollen Aufgaben. Der Vergleich mit dem Unterpersonal der allgemeinen Verwaltung (im weiteren Sinn: des Bürobereichs) macht den Sachverhalt noch deutlicher. Die Zuständigkeit der Bürounterbeamten erschöpfte sich nach wie vor in prototypisch qualifikationsindifferenten Arbeiten wie Botendienst, Aktenheften, Ofenheizen und dergleichen. Im Vergleich dazu standen, was Kenntnisse, Verantwortung und Einsatz anlangt, die Aufgaben ζ. B. des Weichenstellers oder des Schrankenwärters auf weit höherem Niveau. Vielfach stellte der untere Dienst in den Betrieben gar qualifiziertes H a n d w e r k dar. Er war außerdem, was zu beachten wichtig ist, ein Faktor, ohne den der Betrieb, anders als das Büro, w o die wenigen Unterbeamten zur N o t durch das übrige Personal ersetzt werden konnten, einfach nicht funktionierte. Aufgrund dieser Konstellation kam es, je länger desto ausgeprägter, zu einer Stellenwertverbesserung der Betriebsunterbeamtenschaft. Sie drückte sich nicht zuletzt in der fortschreitenden institutionellen Verankerung die62
ser anfangs recht amorphen Personalkategorie aus. Ihr Werdegang in diesem Sinn kann am Beispiel der Post nachvollzogen werden. 51 Zunächst bildeten die dort auf der untersten Stufe Beschäftigten eine bunte Schar, die die staatlich unterhaltenen sogenannten Unterbediensteten und Hilfsunterpersonal in zahlreichen Abstufungen ebenso umfaßte wie die von Amtsvorstehern privatrechtlich unter Vertrag genommenen Diener. Dieser Aushilfstrupp wies nur bedingt Beamtenähnlichkeit auf. Er erfuhr überhaupt erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts und verstärkt von der Reichsgründungszeit an eine formale Konsolidierung. Da erst wurde mit anderen Worten das untere Personal allmählich ganz in staatliche Regie übernommen, für zunehmend dauerhafte Aufgaben nach zunehmend vereinheitlichten Kriterien rekrutiert, erst nach Aufnahmeprüfungen (1879ff.) angestellt, kategorisiert (d. h. in Großgruppen wie »Schaffner«, »Briefträger« zusammengefaßt) und etatisiert (in »planmäßige« Stellen eingewiesen). Parallel dazu verbesserte sich ihre Rechtsposition: die Kündigungsfristen wurden länger und Unkündbarkeit (nach einer Anzahl von Dienstjahren) möglich. Je weiter sich der Betrieb selbst vergrößerte und - auch im technischen Sinn - vervollkommnete, um so höher stiegen die Ansprüche an die Unterbeamten, um so mehr Aufgaben bekamen sie auch überantwortet, so daß die Grenzlinie zwischen (mittleren) Beamten- und Unterbeamtengeschäften sich im Laufe der Jahre mehr und mehr in der Richtung einer Erweiterung des Gebiets der Unterbeamtentätigkeit verschob«. 52 Allmählich gab es - nicht nur bei der Post - sogar Aufstiegschancen. Die bescheidenere Form war die seit den 1890er Jahren in einigen Bereichen eingeführte Beförderungsstufe »gehobener Unterbeamter« 53 Die weitergehende nahm Gestalt an als Laufbahndurchlässigkeit zum mittleren Dienst hin. Dies war der Fall bei den Staatseisenbahnen, wo Unterbeamte individuelle Aufstiegschancen wahrnehmen konnten, 54 wo aber einigen Spitzengruppen auch der kollektive Statuswechsel gelang: Die Lokomotivführer und die Zugführer wurden 1911 in mittlere Beamte umgewertet. 55 Traf für den mittleren Dienst der Spruch zu, »der Betrieb bietet keine Karriere«,56 so war in bezug auf den unteren eher das Gegenteil richtig. Alles in allem holten die Betriebsunterbeamten relativ zu den mittleren nicht unwesentlich auf. Für die letzteren ergab sich daraus indirekt eine Nivellierung nach unten. Angesichts der sehr großen Masse dieser Unterbeamten hatte das wohl auch eine spartenübergreifende Auswirkung, ließ also die mittleren Büro-Laufbahnen einschließlich der allgemeinen Verwaltung nicht ganz unangetastet. Diesen Ausstrahlungseffekt hatte ein Funktionär des Vereins der preußischen mittleren Bürobeamten I. Klasse wahrscheinlich im Auge, wenn er urteilte: Es ist ». . eine Verschlechterung unserer Klasse dadurch eingetreten, daß. die unteren Schichten der Beamtenschaft uns nähergerückt sind«.57 Die eben zitierte Bemerkung regt zu einer weitergehenden Überlegung an. Es scheint, daß mittleren Beamten selbst Verwaltungsposten im enge63
ren Sinn keine absolute Garantie für eine distinguierte Position boten. Das will heißen, daß unangefochtene bürokratische Herrschaftsfähigkeit nur der höheren Laufbahn innewohnte. Man kann dazu ein Beispiel anfuhren. Im Laufe des schon geschilderten Streits zwischen mittleren Bahnbeamten 1905/06 ließen sich die Außendienstler in ihrem Glauben, genauso viel zu taugen wie die »Herren Bureaukollegen«, 58 bezeichnenderweise nicht irre machen und auch nicht einschüchtern. Das mag ein Zeichen dafür sein, daß der Vorrang subalterner Bürokraten vor anderen mittleren Beamten nicht als über jeden Zweifel erhaben galt. Gleichzeitig macht die Episode den substantiellen Unterschied zwischen Verwaltenden in mittlerer und höherer Rangstellung deutlich. Die gleichen Bahn-Bürosekretäre, die auf ihre Vorrangigkeit gegenüber dem Stationsdienst pochten, beklagten nämlich im gleichen Atemzug ihre unüberwindlich gewordene Hintanstellung zum höheren Dienst im Ton größter Erbitterung. An die Stelle der »sprichwörtlichen« Vertraulichkeit »früherer Zeiten«, hieß es dazu, »Zeiten, in denen der Untergebene im Vorgesetzten nicht einen. unnahbaren Allgewaltigen, sondern einen. Mitarbeiter und Berater zu erblicken gewöhnt war«, sei die »Entfremdung« getreten. In den nun dominierenden »größeren Betrieben« sei ». der Geist des Zusammenwirkens oft ein dem oben geschilderten ganz entgegengesetzter: da lernt der Untergebene den Vorgesetzten, der sich in die Toga der Unnahbarkeit hüllt, kaum noch anders kennen als durch schroffe Verfugungen«. 59 Grundsätzlich anders war es, um hier für die Gesamtbewertung darauf zurückzukommen, auch in der allgemeinen Verwaltung nicht. Zu den Tatbeständen, die die Verwaltungsreformdiskussion zwischen 1902 und 1909 zutage forderte, gehörte die zu groß gewordene Unselbständigkeit der Regierungssekretäre. Wirklich entscheiden oder Einfluß auf Entscheidungen ausüben konnten mittlere Beamte nunmehr von möglichen Zufällen abgesehen nur noch in wenigen Positionen, so vielleicht in den Ministerien, deren mittleres Personal auch formal über den restlichen Subalternen rangierte, in kleinen Fachverwaltungen vielleicht oder etwa in Landratsämtern, wo Kreissekretäre zuweilen nach alter Art als Faktotum und insgeheime Stellvertreter des Landrats fungierten. Insgesamt also gab es einen Trend, der die mittleren Beamten den unteren ein Stück ähnlicher, die höheren aber mit beiden vollends unvergleichbar werden ließ. Diese monopolartige Sonderstellung des höheren Beamtentums als solchem - das muß hier vermerkt werden - war, selbst wenn man die Unerläßlichkeit einer hierarchischen Abstufung und damit einer Spitzengruppe an sich bejaht, durchaus nicht naturnotwendig. Sie erklärt sich weder aus einem evolutionsbedingt begünstigten Qualifikationsvorsprung noch aus der Tatsache bürokratischer Herrschaft hinreichend. Sie muß als letztlich künstlich geschaffene Ordnung im Staatsapparat gelten, Resultat einer Verflechtung der Beamtenelite mit den gesellschaftlich herrschenden Schichten, die nach dieser Grenzmarkierung der Exklusivität verlangte. Daraus ergab sich wohlge64
merkt keineswegs die Infragestellung der beschriebenen verwaltungsinternen Bürokratiebildung, immerhin aber deren besondere Ausformung, die demnach als Verstärkung des Grundeffektes verstanden werden kann. Der Grundeffekt der Teilung des Apparates in Verwaltende und Verwaltete war, daß die übergroße Mehrheit der Staatsbeamten eine wesentliche Eigenschaft des idealtypischen Beamten verlor. Idealtypisch gesehen hatten alle Beamte Träger delegierter bürokratischer Herrschaft und damit im Prinzip gleichartige (wenn auch nicht ranggleiche) Mitglieder eines diese Funktion ausübenden Stabes zu sein. 60 Die hier in Frage stehende Mehrheit, nun selber dezidierter bürokratischer Herrschaft Untertan, wies diese Gleichartigkeit nicht mehr auf. Mögen auch viele >kleine Beamte< einander oder der Gesellschaft gegenüber weiterhin amtsautoritär aufgetreten und dazu formal nicht einmal immer unberechtigt gewesen sein, objektiv gesehen waren die Beamtenmassen unter den obwaltenden Strukturverhältnissen kaum etwas anderes als gewöhnliche Arbeitnehmer. Otto Hintze, trotz konservativer Grundanschauungen und Vorbehalte frappierend weitblikkender Analytiker der Zeitströmung, verzeichnete auch die extreme Konsequenz dieses Vermassungsphänomens, wenn er 1911 von der »Schaffung von Arbeiter-Beamten« sprach. 61 Dieser Zustand ließ die grundsätzliche Diskrepanz zwischen der ständischen und »staatsrechtlichen« Verfassung des Beamtentums auf der einen und der rein sozialökonomischen Komponente der Arbeits- und Seinsverfassung der Beamtenmassen auf der anderen Seite akut spürbar und (im Unterschied zu den 1890er Jahren, als sie eher emotional wahrgenommen worden war) bewußter werden. Er beschwor eine grundlegende Konfliktsituation herauf, die nicht nur eine Auseinandersetzung zwischen dem Staat als Hüter und den Massenbeamten als potentiellen Widersacher der alten Ordnung implizierte. Sie machte auch eine Auseinandersetzung der betroffenen Beamten mit sich unausweichlich, die Auseinandersetzung darüber, ob sie mit der Diskrepanz leben, ob sie eine konsequente Arbeitnehmer-, ja Arbeiter-Haltung einnehmen oder nach einer in der Arbeitsorganisation und Berufsstruktur verankerbaren Alternative zu ihrem sozialen Klassenschicksal suchen sollten.
e) Fragen einer
Entbürokratisierung
Die akut werdende Wirkungsmächtigkeit der sozialökonomischen Grundbedingungen abhängiger Arbeit war nicht der einzige neue Faktor, der die Berufstätigkeit der Staatsbediensteten zu Beginn des 20. Jahrhunderts nachhaltig mitzuprägen begann. Sie war es auch nicht allein, die diese Arbeit vielfach zu faktisch abürokratischer Tätigkeit werden ließ. Auch auf arbeits- und organisationstechnischem Gebiet kam ein Moment stärker zum Tragen, dessen berufliche Relevanz kaum weniger schwer wog. Es war 65
dies die abnehmende Tauglichkeit rein bürokratischer Techniken im angehenden Wohlfahrtsstaat. Gewiß, ganz ohne Bürokratie als Handwerk und Organisation kam man in keiner Verwaltung aus. Es stand nicht ihre Abschaffung zur Debatte. Nur ihre Übermacht wurde fragwürdig, ihre Priorität auch dort, wo sie nicht hinpaßte. Die wirtschaftliche und soziale Evolution rief wie erinnerlich nach dem Staat als leistender Agentur »kollektiver Bedürfnisse«. 1 Gleichgültig ob diese Rolle sich als Steuerung wirtschaftlicher Prozesse oder als Wahrnehmung von Dienstleistungsaufgaben manifestierte, der Ruf wurde immer lauter. Im hochkonjunkturellen Aufschwung nach 1895, als das industriewirtschaftliche Wachstum sich belebte ohne den einst in hohem Maße aus Rezessionsabwehr entstandenen Stützungsanspruch der Unternehmen und die öffentliche Vorsorgebedürftigkeit der Gesellschaft zu mindern, 2 erwies sich moderner Leistungsstaat als gefragter denn je. Allerdings wurde dabei zunehmend deutlich, daß sowohl der Auftrag an den Staat wie seine Umsetzung in die Praxis eben ganz anderer Natur waren als das, was der Staat bisher zu administrieren gewohnt war. Dies als prinzipielle Schwäche bürokratischer Mechanismen aufzufassen fiel nicht leicht, denn die Entwicklung, die partielle Entbürokratisierung empfahl, war die gleiche, die soeben noch bürokratische Rationalisierung nahegelegt hatte. Trotzdem wurde Bürokratieabbau im 20. Jahrhundert zum objektiven Bedarf. Weniger Bürokratie - das stellte kein akademisches Problem dar, sondern entsprang vielfach der praktischen Erfahrung. Zu Entbürokratisierung drängten ζ. B. die im Wandel befindlichen Öffentlichkeitsbeziehungen der Verwaltung, aber auch fachliche und technologische Gegebenheiten der täglichen Arbeit. Das Verhältnis zum Publikum kennzeichnete sich zunehmend durch die Vermehrung und Intensivierung aber auch Veränderung der Kontakte. Je mehr nichthoheitliche Aufgaben die Verwaltung wahrnahm, desto stärker kam dieser Effekt zum Tragen. Anlässe, Umstände, Orte und die Art und Weise der Begegnung mit der Klientel hatten sich spürbar geändert. Beamte und Bürger trafen sich mehr denn je als Anbieter und Kunde, sei es am Postschalter, sei es auf der Bahnreise, im Aufsichtsrat von Unternehmungen, in Lesesälen von Bibliotheken oder während der Fabrikinspektion. All diese sehr unterschiedlichen und nur in Grenzen rein bürokratisch regelbaren Begegnungen 3 erforderten von Beamten wie von Behörden mehr Anpassung und rascheres Reagieren. Mehr Klientenorientierung vertrug sich daher schlecht mit streng bürokratischem Gehabe und starrer Regeltreue. Vielleicht ist es vor diesem Hintergrund nicht verwunderlich, daß die Öffentlichkeitsarbeit von der Verwaltung sozusagen neu entdeckt wurde, 4 oder daß man die Daseinsvorsorge selbst auf der Kreisstufe der allgemeinen Verwaltung ernst zu nehmen begann. 5 Nicht minder wichtige Impulse zum Abbau bürokratischer Strukturen und Techniken gingen aus von der Eigengesetzlichkeit von Verwaltungsge66
genständen, denen man mit dem spezifischen know how von Hoheitsbürokratien eben nicht mehr optimal beikam. Es gab ganze Verwaltungszweige, die sozusagen aus fachspezifischen Sachzwängen bestanden, so etwa die Eisenbahn als Konglomerat technischer, Verkehrs- und transportorganisatorischer oder betriebswirtschaftlicher Faktoren. Nicht nur weil in ihnen, wie ein Kommunalbeamter es einmal ausdrückte, »die Technik im eigentlichen Sinne das Bestimmende« war, 6 gehorchten diese Verwaltungszweige lediglich bedingt der Steuerung durch hoheitlichen Befehl. Auch weil sie (als Dienstleistungsunternehmungen) sich den Gesetzen des Marktes selbst als Staatsmonopole nicht ganz entziehen konnten, durften sie, idealtypisch verstanden, die Sachautorität nicht grundsätzlich hinter die Amtsautorität zurücktreten lassen. Da war aber noch mehr. Wenn man Wert auf marktgerechtes Handeln legte, genügte es nicht, nur den bürokratischen Herrschaftsanspruch - wenigstens etwas - zurückzunehmen. Bürokratie mußte auch als Technik überwunden werden. Gerade das Beispiel der Industrie zeigte, daß man bei aller Wertschätzung und Unumgänglichkeit bürokratischer Rationalität marktrational nur bei partieller Debürokratisierung zu bleiben vermochte. 7 Es kam also darauf an, hierarchische Befehls-Gehorsams-Verhältnisse, >mechanische< Instanzenwege, rein vertikale Kommunikations- und Kooperationsbeziehungen, funktionslose Formalitäten u. ä. zu umgehen. Kurz, Verwaltung, zumal leistende Verwaltung, durfte eigentlich »nicht viel vom Bürokratismus in sich. tragen«. 8 Während der Reformdiskussion seit der Jahrhundertwende tauchten solche Aspekte durchaus auf. Bei jenen prominenten Kritikern der Verwaltung, die den Gedanken einer umfassenden Reform salonfähig gemacht hatten, spielte die Dezentralisierung eine gewichtige Rolle.9 Sie bezeichnete nicht nur Autoritätsverlagerung von den Zentralinstanzen auf nachstehende, sondern auch Rekollegialisierung von Behörden (Dezentralisierung der Behördenleitung) oder Kompetenzminderung der Staatsbürokratie schlechthin zugunsten der Selbstverwaltung. Derlei Vorstellungen liefen auf eine teilweise Reamateurisierung der Verwaltung hinaus, um es so zu formulieren. Ob diese Art Bürokratieabbau, der Schritt also hinter das Rationalitätspotential berufsmäßig betriebenen Verwaltens in einer Zeit, in der die soziale und wirtschaftliche Modernisierung nach mehr bzw. intensiverer Verwaltung verlangte, 10 richtig war, sei dahingestellt. Ein Signal für die Ambivalenz von zu viel Bürokratie, eine symptomatische Absage speziell an die Allmacht der Amtsautorität, waren diese Erwägungen jedoch allemal. Auch die rege gehandelte Idee, »kaufmännische Grundsätze« in der Verwaltung einzubürgern, im erweiterten Sinn: sich ein Beispiel an der freien Wirtschaft zu nehmen, zielte auf die Beseitigung bürokratischer Schwerfälligkeiten durch mehr am Ziel denn an Vorschriftenerfüllung orientierte, pragmatische Sachbearbeitung.11 Auf dem Feld der Ausbildung, wo nach der Verabschiedung der neuen Grundsätze fiir den höheren Dienst 1906 die 67
Auseinandersetzung wider Erwarten sich nicht beruhigte, sondern ausweitete und vertiefte, bildete die Forderung nach Verbesserung und stärkerer Berücksichtigung der Sachkompetenz die zentrale Frage. Bessere Berufsausbildung auf allen Ebenen gehörte überhaupt zu den dringenden Anliegen nicht zuletzt des Staates selbst, der die Erfahrung machen mußte, daß die berufliche Rüstung einer alarmierend großen Zahl von Beamten zunehmend hinter den steigenden Qualitätsanforderungen zurückblieb. Der Versuch, zeitgenössischen Äußerungen 12 zum Bürokratieabbau Schwerpunkte abzugewinnen, fuhrt zu dem Eindruck, daß man im wesentlichen vier Dinge geschaffen haben wollte. Erstens mehr Raum für selbständiges Handeln. Das Verwaltungsmitglied sollte, wie es einmal hieß, »eine starke innere und äußere Freiheit« haben dürfen. 13 Zweitens ging es um mehr Raum für Sachautorität. Fachexpertentum sollte kein der hierarchischen Befehlsautorität »ohnmächtig« unterworfenes Element der Verwaltung und Expertenwissen nicht mehr allein das Herrschaftswissen der Verwaltenden sein. Der »technischen Tätigkeit«, so las sich dies u. a., gebühre der gleiche Rang wie der »verwaltenden«. 14 Das dritte Hauptkriterium, das sich mit den Vorstellungen von einer weniger bürokratischen Bürokratie verband, kann als Klientenorientierung umschrieben werden. Es ließ sich argumentieren, daß wer sozial und wirtschaftlich nützliche Sachleistungen erbringen wolle, die Interessen der Adressaten besser nicht ignoriere. Bürokratischen, lediglich auf die Vorschriftenmäßigkeit bedachten Diensten stehe der potentielle Abnehmer »völlig fremd gegenüber«. Wenn aber auf die »Nutznießer«-Belange eingegangen werde, wenn der Beamte nicht vorfixiert, vielmehr elastisch und differenziert handle, dann sei die Verwaltungsarbeit der Klientel »lieb und wert«, somit wirklich effizient. 15 Viertens verknüpfte sich mit Entbürokratisierung die Erwartung einer höheren Wertschätzung von Leistung. Das implizierte die Loslösung des Arbeitsentgelts und der Berufskarriere von bürokratietypischen »formalen Rücksichten« (Anciennität, Vakanzen, Proporz und dgl.), die das Verdienen und Vorrücken an eine leistungsindifferente Mechanik banden. Leistungsadäquanz hieß aber auch Loslösung von einem deformierten Corpsgeist, der das »Durchschleppen« selbst »mehr oder minder leistungsunfähiger Elemente« erlaubte. 16 N u n fanden sich solche Vorstellungen kaum in systematischer Verdichtung vor. U n d eine ausdrückliche Theoretisierung der Frage gab es erst recht nicht. Diese Artikulationsschwäche verweist auf widrige Vorgaben für die vertiefte Reflexion. Es sei in diesem Zusammenhang an das Beispiel Max Webers erinnert. Kaum jemand hat Bürokratie so eingehend und auch gültig interpretiert wie er. Dennoch blieb für ihn Entbürokratisierung in Gestalt von Strukturänderungen innerhalb bürokratischer Organisationen undenkbar. Das zeigt sich am besten in seinem Verständnis des »Fachmenschentums«. 17 Weber postuliert in diesem Zusammenhang die Identität von Amts-Autorität und Sachautorität. Wie man seitdem weiß, erlag er ei68
ner Art optischer Täuschung, indem er bürokratische Organisation einseitig in herrschaftstheoretischem Kontext begriff. 18 Deshalb definierte er verwaltungsinterne Sachautorität ausschließlich als Herrschaftswissen, woraus sich wiederum die Unmöglichkeit ergab, Expertentum (auch) als potentielle Gegenstrategie zur Bürokratisierung zu sehen. Logisch (und empirisch) ist indessen die Gegensätzlichkeit von fachlichem Spezialistentum und bürokratischer Ordnung zwingender als das Gegenteil. Daher ist in Webers Gedankenführung ein Fixiertsein auf das konkrete Beispiel der preußisch-deutschen Staatsbürokratie der Zeit erkennbar. Es ist anzunehmen, daß das übermächtige Beispiel dieser Bürokratie auch allgemein eine Beeinflussung darstellte, d. h. die Entfaltung von Vorstellungen über nichtbürokratisches Organisationshandeln beeinträchtigte. Gleichwohl lag die Revisions- bzw. Ergänzungsbedürftigkeit rein herrschaftsbürokratischer Rationalität in der Luft. Die Vorstellung vom »Staat als Betrieb« 19 anstelle vom Staat als rein hoheitlich regierender Verwaltung war möglich, wenn nicht gewissermaßen ein Gebot der Zeit. Und mindestens konturenhaft wurde durchaus auch eine alternative Organisationsstrategie erkennbar, in der sich Debürokratisierung zu einem neuen Prinzip verdichten konnte. Es läßt sich »professionelles« Organisationsprinzip 20
nennen. Wenn ein solches Modell, wie man es jetzt zusammenfassend feststellen kann, auf Selbständigkeit, Kreativität, fachkollegialer Verständigung bzw. Aufgabenorganisation und dem Primat von Fachkompetenz aufbaute, dann appellierte es an die Gestaltungsfähigkeit und Gestaltungsbereitschaft des Organisationsmitglieds. Indem es dies postulierte, befreite es die Berufstätigkeit in der Verwaltung von ihrer völligen Instrumentalisierung. Es hob dadurch nicht nur den Stellenwert der Profession für die Organisation, sondern es eröffnete auch fur den Professionellen in der Verwaltung neuartige, vor allem aktiv besser beeinflußbare Berufsperspektiven. Die realen Verhältnisse in der preußischen Verwaltung entsprachen diesem Modell nicht. Es fehlte vorerst an Rahmenbedingungen, die hinreichend bürokratiefreies Arbeiten hätten absichern können. Aber wer an ihrem Ausbau interessiert war, konnte durchaus etwas dafür tun, beispielsweise durch die Vervollkommnung der eigenen Sachkompetenz oder durch die konsequente Nutzung informeller Handlungsspielräume, wo immer sie sich boten. Professionalität als tendenziell herrschaftsindifferente Sachautorität produzierte sich überdies zunehmend von selbst durch die Gesamtpraxis der Verwaltung. Man kann sich nach der Formel richten, daß in dem Maß, in dem staatliche Daseinsvorsorge und/oder staatliche Leistungsverwaltung überhaupt expandierte, sich auch die »Tendenz zur Professionalisierung« verstärkte. 21 Die prinzipielle Tragweite einer solchen Entwicklung konnte kaum zweifelhaft sein. Insbesondere war ihre Bedeutung nicht zu verkennen für die immer größer werdende Schar faktisch »rein privatwirtschaftlich-tech69
nische Funktionen ausübender Beamtenkategorien«, 22 die, in der Regel ohne jede Stabsaufgabe, sich zunehmend in einen beamtenunähnlichen Arbeitnehmerstatus abgedrängt fanden. Ihnen bot Professionalisierung oder deren Imitation eine Chance zur Realisierung einer Arbeitsweise, die sowohl ihrem Berufsauftrag wie ihrer Berufssituation im ganzen besser entsprach als die bürokratische Form. Auf dieser potentiellen Kongruenz baute die Möglichkeit auf, sich beruflich leistungsinhärent zu behaupten bzw. zu verbessern. Da Leistung als Ausdruck besonderer Fachkompetenz, ja funktionaler Unentbehrlichkeit auch eine soziale Standortbestimmung oberhalb der sozialökonomischen Klassenlage markierte, ergab sich hier zugleich ein tendenziell adäquater Ersatz für die (bei den Beamtenmassen) ohnehin längst verlorengegangene Geltung durch delegierte Herrschaft. Nach allem, was man weiß, suchten Beamte einschließlich Unterbeamte, selbst wenn sie gewöhnlichen Arbeitnehmern im Grunde ähnelten, keineswegs das Arbeiterschicksal, sondern nach Möglichkeiten, sich über Lohnarbeiter erhaben zu halten. Sie wollten im Regelfall der Klassengemeinschaft mit Arbeitern entgehen und sich eine stratifikatorische Einordnung in die Gesellschaft nach gradierten statt nach dichotomischen Kriterien 23 sichern. Sollte die Handhabe dazu aus der eigenen Berufskraft selbst erwachsen, konnte es angebracht erscheinen, die Berufstätigkeit mit so viel Eigenwert auszustatten, daß sie die Überwindung der puren Klassenlage ermöglichte. Es empfahl sich also die Vervollkommnung des fachberuflichen Wissens und Könnens und der Leistungsfähigkeit (auch) als Faktor sozialer Schichtung. Es soll hier nicht davon ausgegangen werden, daß Professionalisierung für alle eine Chance bedeutete. Professionalität ist schwer trennbar von qualitativen Merkmalen, sie besitzt daher differenzierende oder gar eliminierende Kraft. Besonders deutlich wird dies, wenn man Profession klassisch definiert. 24 Danach ist sie eine über den gewöhnlichen Beruf erhabene Erwerbstätigkeit und der sie ausübende freiberufliche Akademiker ihr charakteristisches Distinktionsmerkmal. Obwohl ein formaler Qualitätsnachweis, kommt dem akademischen Status dabei weniger die Aufgabe zu, das fachliche E x pertentum des Professionellen zu belegen, er fungiert in der Praxis primär als Garantie für seine Integrität. Auf die Integrität kommt es an, denn Professionen gelten im Kontext der klassischen Auffassung als Träger von Zuständigkeitsmonopolen an sogenannten gesellschaftlichen Zentralwerten, viel zu kostbaren Gütern, als daß sie der Fachqualifikation allein anvertraut werden könnten. Dementsprechend schließen sich die Mitglieder solcher Eliteberufe in Vereinigungen zusammen, die über die (selbstverständlich betriebene) Pflege auch des Fachlichen hinaus als Hüter der Berufsethik und zugleich der ständischen Gemeinschaft der ihr Verpflichteten im wohlverstandenen Eigeninteresse über die Integrität und Leistungsgesinnung der Gruppe wachen, diese Qualitäten freilich auch nach außen plakatieren,
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wie sie überhaupt die Interessenvertretung des Berufsstandes (allerdings mit nichtgewerkschaftlichen Mitteln) auf der Grundlage hoher Prestigeund angemessener Einkommenserwartung wahrnehmen. Idealtypisch weist die klassische Profession einen hohen Exklusivitätsgrad auf, und dies nicht nur im Sinne der starken Selektivität hoher Qualifikationsstandards. Sie impliziert auch Verhältnisse, die sich durch eine sehr geringe Anzahl von Zentralwerten charakterisieren, mithin nur eine ebenso geringe Anzahl von Professionen zulassen. Man kann allerdings einen leicht modifizierten Professionsbegriff zugrunde legen. 25 Dies empfiehlt sich insbesondere dann, wenn man der historischen Situation der Modernisierung gerecht werden will, einer Epoche, für die zunehmender Wertpluralismus, häufigere unselbständige Berufsausübung, mehr Arbeitsteiligkeit und damit verbunden höhergradige Spezialisierung und größere Wissensabhängigkeit (»Verwissenschaftlichung«) typisch zu sein scheint. Zentralwertbezogene Exklusivität, tendentiell uneingeschränkte Berufsautonomie, Überbetonung des Ständischen und der persönlichen Integrität auf Kosten des Fachlichen als Hauptcharakteristika der Profession, die, wie es hier deutlich wird, eher einen historisch älteren Zustand beschreiben, passen nicht ganz ins Bild der M o derne. Weit mehr Übereinstimmung stellt sich her, wenn man Profession für die hier behandelte Zeit zwar nicht im prinzipiellen Gegensatz zum klassischen Modell aber stärker vom »Wissenselement« her und unter der Annahme einer wachsenden Zahl professionsfähiger (akademischer) Berufe bzw. unter Verzicht auf das Kriterium der Freiberuflichkeit des Professionellen begreift. Auf den Staatsdienst angewandt heißt das, daß mit diesem Professionsbegriff nur der höhere Dienst erfaßt werden kann. Es heißt aber nicht, daß die Verwaltung nicht insgesamt, also auch unterhalb der akademischen Ebene, Organisations- und Arbeitsweisen brauchte, in denen Sachautorität, Klientenbezogenheit oder Spielraum für vorschriftenfreie Leistungsentfaltung u. ä. stärker zur Geltung kamen. Das impliziert die adäquate Mitwirkung des subalternen und, in Grenzen, des unteren Personals. Diese Mitwirkung und diese Teile des Personals sind nicht assoziierbar mit Profession im oben definierten Sinn. Da aber in unserem Zusammenhang nicht die volle Verwirklichung der professionellen Organisationsform unterstellt ist, sondern nur ein teilweiser Bürokratieabbau, wird der Beitrag von mittleren und unteren Beamten - als funktional der graduellen Entbürokratisierung angepaßtes Verhalten - auch ohne professionellen Anspruch denkbar.
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2. D a s V e r w a l t u n g s p e r s o n a l . B e r u f s - u n d L e b e n s u m s t ä n d e der B e a m t e n a) Beamtenverfassung
und personelle
Infrastrukturwandlungen
Behördenexpansion, Behördendifferenzierung und der stärker werdende Rationalisierungsdruck, denen sich die Staatsverwaltung seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts nicht entziehen konnte, waren Vorgänge, die Neues genug boten, um in sich schon als hochrelevant gelten zu können. Würde man sich auf sie beschränken, bliebe man allerdings bei einer gleichsam technologischen Institutionsgeschichte stehen. Die volle Tragweite des im Staatsapparat angelegten Wandels läßt sich aber erst erkennen, wenn man die Entwicklung eingehender als bisher mit Blick auch auf das Verwaltungspersonal untersucht. Das verspricht die primär instrumentalen Bezüge des Wandels mit der sozialen, speziell der beruflichen Dimension des Staatsdienstes verknüpfbar und damit auch das Gesamtgeschehen besser erfaßbar werden zu lassen. Will man das Verwaltungspersonal untersuchen, läßt sich das Phänomen Beamtentum, ein die Verhältnisse der Staatsbediensteten fundamental bestimmender Faktor, nicht umgehen. 1 Beamter sein hieß in PreußenDeutschland der tradierten Modellvorstellung nach in vielerlei Hinsicht Sonderstellung. Beamtendasein implizierte ein besonderes, von der weitgehenden Identifikation mit dem Staat (oder der Krone) geprägtes Beschäftigungsverhältnis, war aber zugleich mehr als bloße Arbeitsbeziehung. Es verstand sich auch als eigentümliche Moral- wie Sozialverfassung und eine Lebensform, deren Grundbedingungen sich einerseits durch Privilegierung, andererseits durch Disziplinierung kennzeichneten. Beamtenrecht und Beamtenethos beschränkten sich nicht auf die zweckrationale Regelung der Arbeitstätigkeit und der Arbeitsverhältnisse, sondern erfaßten den Bediensteten jenseits von Berufswelt und Dienstzeit in seiner gesamten Persönlichkeit. Sie bürdeten dem Beamten über seine Verpflichtung zu einer Leistung hinaus Anschauungen und Verhaltensregeln auf, die ihn auch in der privaten Sphäre in wesentlichen Belangen und für immer banden. Ihrem Inhalt nach bestand diese umfassende Beanspruchung des Staatsdieners aus Restriktionen, und seien sie auch, wie im Falle des Gebots »standesgemäßer« und unbescholtener Lebensführung, positiv gefaßt gewesen. Entscheidend war der Subordinationszwang, die unumgängliche Unterordnung unter das sogenannte besondere Gewaltverhältnis. Danach lieferte sich der Beamte dem Dienstherren freiwillig aus, indem er sich einerseits zum unbedingten dienstlichen Gehorsam und zur politischen Treue verpflichtete, andererseits auf wesentliche staatsbürgerliche Grundrechte, darunter die uneingeschränkte politische Freiheit und jede Einflußnahme auf die Gestaltung seines Arbeitsverhältnisses, verzichtete. Mehr noch, er unterwarfsich in Gestalt der Disziplinargerichtsbarkeit einem außerordentlichen Kontroll- und Sanktionswesen. Als Gegenleistung im Rahmen des 72
gleichen besonderen Gewaltverhältnisses genoß er (wenngleich noch nicht in den historisch allerersten Anfängen) mitsamt seiner Familie die lebenslange Fürsorge des Staates (allerdings zu dessen Konditionen), eine potentielle Rundum-Versorgung, für die sich der Terminus Alimentation eingebürgert hat. 2 Als Repräsentanten des Staates gebührte dem Beamten zudem eine amts- und standesadäquate Achtung durch die Bürger, die bei Zuwiderhandlung eingeklagt werden konnte; »Beamtenbeleidigung« war eine Straftat. Zumindest die Spitzenschicht der Amtshierarchie gehörte auch zu den politisch und gesellschaftlich herrschenden Gruppen. Diese Konstruktion war freilich trotz starker ethischer Elemente nicht einfach das Produkt von Willkür oder historischen Zufällen. Sie diente auch gewollter und benötigter funktionaler Rationalität. Deutet man sie in diesem Zusammenhang, so impliziert Beamtentum pekuniäre und im erweiterten Sinn soziale Sicherheit. Die Freiheit von materiellen Sorgen versteht sich wiederum als Gewähr für einen unbestechlichen und unparteiischen Dienst am Gemeinwohl. U n d aus der Sicht der Bürokratie selber wird Verbeamtung interpretierbar als Garantie für sicher verfügbare und durch Hauptberuflichkeit auch kompetente und leistungsfähige Kräfte. Solche Aspekte zeigen in die Moderne. In seiner politischen und rechtlichen Ausprägung verwies der preußischdeutsche Staatsdienst indessen eher »auf vordemokratische und vorindustrielle Verhältnisse«. 3 Das System basierte auf Hoheitlichkeit, die Beamtenschaft war konzipiert als Träger delegierter staatlicher (monarchischer) Macht und die Staatsbürokratie - selbst noch in ihren fürsorgerischen Aktivitäten - als Ordnungsinstanz. Das Modell sah einen im Grunde elitär schmalen und funktional im Prinzip homogenen Verwaltungsapparat vor, baute in arbeitsorganisatorischer Hinsicht vorwiegend auf Amtsautorität und Befehlstreue auf und setzte von der ihm eigentümlichen starren Besoldungsordnung her eigentlich statische ökonomische Verhältnisse voraus. Es schuf mit dem Berufsbeamtentum eine von der übrigen Gesellschaft isolierte Gruppe, die gemäß ihrer Abgeschlossenheit am ehesten in eine ständische Sozialverfassung paßte: eine privilegierte, doch gleichzeitig partiell entmündigte Kaste. N u n aber, seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts, hatte man es mit einer trotz Rezessionsphasen auf Wachstum ausgerichteten Industriewirtschaft mit zunehmendem Bedarf an öffentlicher Daseinsvorsorge zu tun, mit Demokratisierung und Abbau ständischer Strukturen (wie bescheiden oder ambivalent sie auch sein mochten) und verfügte über eine öffentliche Verwaltung, die weder klein noch homogen mehr genannt werden konnte, die in ihrer Gesamtheit allmählich mehr Leistungsaufgaben als Ordnungsgeschäfte wahrnahm, die, wenn sie ihre Arbeit gut machen wollte, immer größeren Wert auf herrschaftsindifferente, fachliche Kompetenz legen mußte und deren niedere Ränge (insbesondere in den leistenden Sektoren) von Privilegierung faktisch wenig verspürten. Unter diesen Umständen 73
entwickelte sich die Konstruktion besonderes Gewalt- und Treueverhältnis in mehr als einer Hinsicht zum potentiellen Spannungsfaktor, und dies nicht nur intern, sondern auch in bezug auf das Verhältnis von Beamtentum und Gesellschaft. Diese Gegensätzlichkeit brauchte dann nicht allzu viel zu besagen, wenn Recht und Ideologie des Beamtentums sich den neuen Gegebenheiten mit der Zeit anglichen. Es sollte sich allerdings herausstellen, daß sie der Entwicklung nicht, zumindest nicht hinreichend folgten. Zwischen Modell und Realität entstand eine gravierende Inkongruenz. Das Ausbleiben der Anpassung wurde in Preußen durch eigenartige Unvollkommenheiten des Beamtenrechts stark begünstigt. Charakteristisch hierfür war zunächst der zögernde Ausbau beamtenrechtlicher Rahmenbedingungen. Zwar hatte das Allgemeine Landrecht von den Beamten schon 1794 über ihre gewöhnlichen Untertanenpflichten hinaus »besondere Treue und Gehorsam« dem Monarchen gegenüber vorgeschrieben. 4 In der unmittelbaren Folgezeit entstanden auch Vorschriften, die als Gegenleistung die eine oder andere Vorform verbindlicher Beamtenversorgung erkennen lassen. Doch die eigentliche Kodifizierung von Beamtenpflichten und -rechten begann erst um die Mitte des 19. Jahrhunderts. 5 Und selbst dann zog sie sich (von der Disziplinargesetzgebung zwischen 1844 und 1852 bis zur gesetzlichen Verankerung der wesentlichsten Alimentationsleistungen in den 1870er und 80er Jahren) noch lange hin, so daß das System seine vorläufige Abrundung nicht vor Ende der Bismarck-Ära erfuhr. 6 Anpassung bedeutete der bis zu den 1880er Jahren erreichte Stand insofern, als verbindliche Versorgungsregelungen zeitgemäßer waren als Versorgung aus dienstherrlicher Gnade. Es fällt aber auf, daß der Staat mehr Wert auf die Pflichten, d. h. die Disziplinierung der Beamten legte als darauf, ihnen Rechte zuzugestehen. Diente die Erweiterung versorgungsrechtlicher Bestimmungen womöglich auch nur zur Vergrößerung von Abhängigkeit und damit zur indirekten Gehorsamssicherung? Wie auch immer, eine Anpassung im Sinne der Liberalisierung überlieferter paternalistischer Treuegebote zumal auf der politisch-staatsbürgerlichen Ebene erfolgte nicht. Kennzeichnend und wichtig für die weitere Entwicklung war, daß das preußische Beamtenrecht noch immer einen Torso darstellte. Von einer systematischen und erschöpfenden rechtlichen Regelung der Beamtenverhältnisse konnte nach wie vor keine Rede sein. Und die Vollendung verzögerte sich weiterhin hartnäckig. Zwar gab es mit der Zeit mehr Vorschriften. Aber die Qualität des Beamtenrechts, um dies einmal so auszudrükken, erhöhten sie nicht. Der einschlägige »Rechtsstoff« lag noch 1914 »in einer schier unübersehbaren Fülle von gesetzlichen Bestimmungen, allgemeinen Verfügungen der Zentralbehörden, Gerichtsentscheidungen und literarischen Arbeiten zersplittert« vor. 7 Mancher Gegenstand fand trotz der Menge der Einzelbestimmungen keine oder keine zufriedenstellende Rege74
lung, was den Zustand und den Eindruck der Zerfurchtheit weiter verstärkte. Es gab vor allem in den Details und bei der Anwendung auf die Vielfalt der zahlreichen Beamtenklassen und Unterklassen einen lästigen Vorschriftenwirrwarr und auch erhebliche Rechtsunsicherheit. Wenn man an diesem Zustand beklagte, er biete ein »lückenloses Bild der Unübersichtlichkeit«, 8 geschah dies nicht unbegründet. Daß Beamte oder Beamtengruppen häufig nicht oder nur schwer zu ermitteln vermochten, wozu sie im einzelnen dienstverpflichtet waren und vor allem, was ihnen zustand, ζ. B. welche vor dem Dienst (etwa beim Militär) oder im Dienst abgeleisteten Arbeitsjahre in welchem Maß für was (Dienstaltersstufe, Pension usw.) angerechnet werden konnten, welche Art Beamteneigenschaft (mittelbare, unmittelbare, widerrufliche, endgültige) man hatte oder welchen Rangstatus (siehe den Fall der Kanzlisten), kurz, die nicht seltene Unklarheit darüber, was man tun mußte und erwarten durfte, war eine ungute Sache, insbesondere wenn man Ansprüche geltend machen wollte. Hinter der Tatsache, daß das Beamtenrecht in Preußen nicht methodisch zu einem geschlossenen Ganzen fortentwickelt wurde und ausgesprochen intransparent blieb, kann man spätestens nach 1890 vermehrt eine regressive Absicht vermuten. Es kam zwar nicht entscheidend auf die Form an. Das Reichsbeamtenrecht war in einem Gesetz zusammengefaßt und dennoch nicht moderner. 9 Aber Dispersität und Lückenhaftigkeit halfen zusätzlich, die Unfreiheiten der Beamten zu konservieren, und sie wahrten gleichzeitig den Spielraum des Staates, normativ zu agieren. Daß dem Beamten selbst systemimmanente Alimentationsrechte nur sparsam und Arbeitnehmer- und allgemeine Staatsbürgerrechte (wie ζ. B. Koalitionsfreiheit, politische Freizügigkeit, Mitsprache oder Mitbestimmung in Fragen der Besoldung und der Arbeitsbedingungen, Einschränkung der Disziplinargerichtsbarkeit und dgl.) gar nicht gewährt wurden, hatte außer mit Sparsamkeit sicherlich einiges mit dem politischen wie weltanschaulichen Konservativismus der Staats- und Behördenführung an sich zu tun. Es empfiehlt sich indes, diese Einstellung auch im Zusammenhang mit bestimmten Verschiebungen in der Infrastruktur des Verwaltungspersonals zu sehen. Ausdehnung und Differenzierung der Verwaltungstätigkeit haben, wie dargestellt, besonders seit den 1880er Jahren zu starker Vergrößerung des Verwaltungsapparates gefuhrt. In der Folge erhöhten sich die Beamtenzahlen ganz erheblich. Verbunden damit war aber auch - und d a r a u f k o m m t es hier an - eine charakteristische Verlagerung, die dem traditionellen Gewich tungsverhältnis von Rangkategorien ein ganz neues Gesicht gab. Sie manifestierte sich primär als starke zahlenmäßige Zunahme der Unterbeamten auf Kosten des mittleren und insbesondere des höheren Dienstes. Für den traditionellen Personalaufbau war nicht die große Überzahl der Unterbeamten, sondern das Gegenteil typisch gewesen. Bei den Behörden 75
herkömmlichen Typs lag ihre Zahl nur wenig über der der höheren Beamten. Zahlenmäßig stärkste Kategorie war hier der mittlere Dienst. Die tabellarische Darstellung der Verteilung, der die Berufszählungsgruppe Ε 2 (»Hofstaat, Diplomatie, Reichs-, Staats-, Bezirks-, Gemeinde- und standesherrliche Verwaltung sowie Rechtspflege«) als Indikator zugrundeliegt, ergibt folgendes Bild. (Tab. 6) Tab. 6: Anteile der Laufbahnkategorien (höherer, mittlerer, unterer Dienst) im traditionellen Behördenapparat 1858-1907 10 Jahr
h.D.
m.D.
abs. 1858 1882 1895 1907
u.D.
abs.
9141 14178 21915 31480
12,5 15,0 13,0 13,3
abs.
63751* 55583 105926 159629
58,9 62,7 67,5
87,5* 26,0 24,3 19,2
24560 41056 45339
* mittlerer und unterer Dienst zusammen
Bekanntermaßen trennt die amtliche allgemeine Statistik dieser Zeit Beamte (einschließlich Unterbeamte) von Nichtbeamten nicht ganz, enthält also Ungenauigkeiten. Aus diesem Grund sollen die Ergebnisse, die die Verwendung der Kategorie Ε 2 erbracht hat, an preußischen Behörden mit gesicherten Ausgangswerten, hier am Beispiel der Mittelinstanzen der allgemeinen Verwaltung, überprüft werden. (Tab. 7) Tab. 7: Anteile der Laufbahnkategorien (höherer, mittlerer, unterer Dienst) in den Mittelinstanzen der preußischen allgemeinen Verwaltung 1849-1903 11 Jahr
h.D.
m.D.
abs. 1849 1859 1868 1879/80 1890/91 1899 1903
301 305 377 420 479 509 588
u.D.
abs. 21,4 19,9 21,7 20,9 20,8 17,2 18,3
880 1001 1092 1308 1524 2105 2257
abs. 62,7 65,3 62,7 65,1 66,1 71,2 70,3
223 227 271 280 303 343 364
15,9 14,8 15,6 14,0 13,1 11,6 11,4
Trotz der relativ größeren Stärke des höheren Dienstes, was bei diesen >regierenden< Behörden nicht verwundert, bestätigt sich auch hier der niedrige Anteil der Unterbeamten und die zahlenmäßige Dominanz der Subalternen grundsätzlich. 76
Ganz anders dagegen »neuere Gebilde«12 wie beispielsweise die preußische Eisenbahnverwaltung. Dort überwog der untere Dienst absolut, er überrundete also auch den mittleren Dienst, wie Tab. 8 zeigt. Tab. 8: Anteile der Laufbahnkategorien (höherer, mittlerer, unterer Dienst) in der preußischen (preußisch-hessischen) Eisenbahn Verwaltung 1859-1907 13 Jahr
h.D.
m.D.
1859 1882 1899 1907
80 1527 1344 1707
u.D.
abs.
abs. 0,8 2,3 0,7 0,6
9346* 19755 51520 61514
abs.
30,0 28,4 23,6
44680 128786 198235
99,2* 67,7 70,9 75,8
* mittlerer und unterer Dienst zusammen.
Die Unterschiede lassen sich erklären. Die Personalverteilung der Ordnungsverwaltung war zum Teil sicher von der >politischen< Rolle her bestimmt, die diese Verwaltungsart spielte. Es untermauerte ihre Autorität, wenn der Rangpegel der dort Beschäftigten relativ hoch gehalten wurde, und das sollte wohl auch so sein. Dem entsprach, daß man der Definition des Unterbeamten jene untergeordneten, »mechanischen« Verrichtungen zugrundelegte, von denen es in solchen Verwaltungen wenig gab. Es blieben nur Botendienst, Aktenheften, Hausdienst (Portiers, Hausmeister, Ofenheizer) u. dgl. übrig. Daneben gab es jedoch auch funktionale Gründe. Es herrschte Büroarbeit vor, deren Natur, von der Entscheidungssphäre abgesehen, eher mittlere Qualifikation erforderte, selbst wenn die Kanzlisten mit der Zeit etwas abfielen und in bezug auf ihre Einstufung in die mittlere Kategorie zu einer problematischen Gruppe wurden. Die quantitative Stärke des mittleren Dienstes resultierte daher wohl nicht allein aus politischen Erwägungen. Wenn in den großen Staatsbetrieben dagegen die Unterbeamten zahlenmäßig überragten, so ging das zunächst sicherlich darauf zurück, daß die Definition »mechanische« Tätigkeit hier trotz anderer Voraussetzungen sozusagen bewußt großzügig ausgelegt wurde, um die Stellung der Sonderverwaltungen gegenüber der allgemeinen Verwaltung gleichsam zweitrangig zu halten (dafür spräche auch das kleine Kontingent des höheren Dienstes) und die Finanzierung des riesigen Apparates so billig wie möglich zu machen. Gleichwohl kann auch hier gelten, daß strukturelle Gründe die proportionale Gestaltung der Personalorganisation mitbestimmten. Die Masse der Ausführungsaufgaben war büroextern angesiedelt und umschloß ungleich mehr >einfache< - wenngleich andersgeartete - Arbeiten als der reine Bürobetrieb. Auf welche Ursachen immer die Personalzusammensetzung oder -ein77
stufung in den großen Verkehrsverwaltungen (die Post wies die gleiche auf) im einzelnen zurückging, sie bewirkte im Vergleich eine Unterbewertung der niederen Arbeiten. Sie ergab sich daraus, daß die in den Staatsbetrieben für die Unterbeamten vorgesehenen Aufgaben sowohl inhaltlich wie ihrem arbeitsteiligen Stellenwert nach meist höher standen als die »mechanischen« Tätigkeiten bei der Ordnungsverwaltung. Wenn sie dennoch die gleiche Zuordnung erfuhren wie jene, dann kann gelten, daß ihre größere Bedeutung nicht honoriert, sondern eher heruntergespielt wurde. Ein weiterer wesentlicher Unterschied bestand darin, daß dem Amt der Betriebsunterbeamten eine hoheitliche Eingriffskompetenz, von der selbst auf den landrätlichen Bürodiener wenigstens ein matter Glanz fiel, nicht innewohnte. Sie hatten aufgabenstrukturell mit Herrschaft nichts zu tun, sie, wie übrigens die mittleren Beamten der Leistungsverwaltungen auch, waren Träger von Dienstleistungen. Sie sitzen nicht gleichsam regierend hinter Schreibtischen, hieß es in einer zeitgenössischen Darstellung über solche leistende Beamte, sie ». . legen vielmehr uns morgens die neuesten Nachrichten auf den Frühstückstisch, klettern auf Stangen und Dächern, um Leitungsdrähte zu ziehen, fuhren die Züge und lenken die Maschinen, . steigen in die Schächte und verlegen Kabel, nehmen uns die Waren ab und bringen sie ins Haus und vieles andere mehr.«14 Diese Beamten - und das meint außer Unterbeamten viele Subalterne in Sonderverwaltungen — stellten nicht nur nach außen hin keine herrschende Bürokratie, sondern auch intern. Sie wurden zunehmend, und dies eher als das Personal von Verwaltungsbehörden, zu Objekten hauseigener Bürokratien. Damit verbanden sich Benachteiligungen, die sich ζ. B. in längeren Arbeitszeiten oder häufig in schlechterer Besoldung ausdrückten - Weichensteller etwa bekamen bis zuletzt weniger (1912 um 10%) als die Unterbeamten von Provinzialbehörden. 15 Solche Nachteile wogen um so schwerer als die Betriebsbeamten, wie gesagt, gewiß keine minderwertigere Arbeit taten als ihre Kollegen bei >vornehmeren< Verwaltungen. Wohl auch in bezug auf ihren sozialen Horizont und/oder ihre Weltanschauung wichen Betriebsunterbeamte vom traditionellen Muster ab. Man mag es daraus ersehen, daß sich unter ihnen ehemalige Unteroffiziere (Militäranwärter), die den Unterbeamten als Amtsperson und Träger konservativer Werte typisch verkörperten, kaum befanden: 1903 ganze 8 % bei den preußischen Staatseisenbahnen und gar nur 6 % im Bereich der Reichspost gegenüber 50 % und mehr bei traditionellen Behörden. 16 Bei Betriebsbeamten (hier wieder einschließlich der mittleren) ist eine relativ große Bindung an die Arbeiterklasse anzunehmen. Bisher vorliegende Untersuchungsergebnisse lassen vermuten, daß es insbesondere unter den »nicht akademisch gebildeten« Post- und Eisenbahnbeamten viele gab, die aus Arbeiterfamilien stammten oder ins alte Milieu heirateten.17 In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, daß bei Post und Eisenbahn die Möglichkeit bestand, aus dem Anstellungsverhältnis als Arbeiter in den Beamten78
status übernommen zu werden. Obwohl die »Staatsarbeiter« wegen der beamtenähnlichen Disziplinarverhältnisse sich vielleicht anders verhielten als die Arbeiter in der Privatwirtschaft, dürften ihre sozialen Norm- und Wertvorstellungen immer noch abweichend von denen >eingefleischter< Beamter gewesen sein. 18 All dies kann zu den hier interessierenden Besonderheiten beigetragen haben. Relevant ist schließlich noch die Mengendimension der angezeigten infrastrukturellen Verschiebungen. Zu den Besonderheiten der Personalzusammensetzung in den großen Leistungs- oder Sonderverwaltungen gehörte nicht nur die veränderte Relation. Die neue Schwerpunktbildung am unteren Ende der Hierarchie schuf zugleich neue Größenordnungen. Der Umfang der niederen Dienstklassen wurde so groß, daß die kleinen Beamten durch das Gewicht ihrer absoluten Zahl das Erscheinungsbild des Staatsapparates entscheidend mitzuprägen begannen, und dies nicht nur in den Staatsbetrieben, sondern überhaupt. U m die Mitte des ^.Jahrhunderts, vor der Expansionsphase der Sonderbehörden, bildeten die Unterbeamten noch eine Minderheit selbst gegenüber den Subalternen und, was in diesem Zusammenhang wichtiger ist, sie zählten erst einige Zehntausend. Spätestens seit 1895 waren sie schon in der absoluten Mehrzahl (ca. 5 2 % aller Beamten). 19 Durch sie vor allem wuchs sich der beamtete öffentliche Dienst von einer einst zahlenmäßig eher schmalen Gruppierung zur gesamtgesellschaftlich gewichtigen Quantität aus. Mit ihren Familienangehörigen bildeten die Beamten 1895 eine Menge von knapp zwei Millionen mindestens, und 1907 etwa zweieinhalb Millionen bei zunehmendem Anteil an der Gesamtbevölkerung und zunehmender Tendenz überhaupt. 20 Tab. 9: Zahl und Anteil der Beamten mit Familienangehörigen im Vergleich zur Gesamtbevölkerung in Preußen 1858-1907 21 Jahr
Beamte
Bevölkerung
Anteil der Beamten m. Fam. an der Bevölkerung in %
1858 1895 1907
650000 1961554 2557092
17739913 31855123 38442082
3,6 6,1 6,6
Bedeutsam daran war freilich nicht die bloße Optik. Die neuen, in nichthoheitlichen Aufgabenbereichen beschäftigten Beamtenmassen repräsentierten, wie es ihre bisher skizzierten Eigenheiten belegen dürften, einen anderen als den herkömmlichen Beamtentyp. Mit ihnen strömte ein am ursprünglichen Sinn, Zweck und Rechtsstatus gemessen fast fremdes Element in den Staatsdienst. Es waren dies Beamte mit wahrscheinlich weniger ausgeprägter Staatsbindung, dafür mit mehr Selbstbewußtsein als es das überlieferte Beamtenmodell vorsah oder es den Gehorsamserwartun79
gen der dienstlichen Obrigkeit entsprach. Der Massenbildung unter den Bedingungen relativer Unterprivilegierung war ein Effekt immanent, der sich mit elitärer Selbst- wie Fremdeinschätzung schwerlich vertrug. 22 Entsprechend sahen sich die Betroffenen, darunter auch ein großer Teil der mittleren Betriebsbeamten, auf dem Wege zum »Gehaltsarbeiter«.23 Darin war eine potentiell ambivalente Beziehung zum besonderen Treueverhältnis, letztlich eine fundamentale Spannung zwischen klassischen Maximen des Beamtentums und der neuen Majorität angelegt. Angesichts des nunmehr selbst im gesamtgesellschaftlichen Rahmen bedeutsamen Gewichts der kleinen Beamten deutete sich in dieser Abschwächung der Staatsorientierung zudem ein weitreichendes politisches Problem an, konkret die mögliche Empfänglichkeit fur »sozialistische Agitation«, das nach Dafürhalten des konservativen Obrigkeitsstaates größte zeitgenössische Übel. Dehnte der Staat nun die Beamtenrechte, zumal im Sinne von Arbeitnehmer- und Staatsbürgerrechten aus, erleichterte er noch dazu durch mehr Transparenz ihre Wahrnehmung, kam das — so konnte befürchtet werden - einer gewissermaßen modellwidrigen Stärkung der Arbeitnehmer-Stellung der Beamten gleich, mit all den Gefahren im Schlepptau, die jene externe Beeinflussung durch staatsfeindliche Kräfte implizierte. Bedenkt man außerdem, daß es seit den 1890er Jahren in der Tat - rechtlich unzulässige - Beamteninteressenverbände gab, die ein gewerkschaftliches Auftreten organisierter Beamten in großer Massierung zur realen Gefahr hatten werden lassen, wird der Zusammenhang von Rechtsentwicklung oder besser: -stagnation und Personalentwicklung vollends plausibel. (Sofern Personaleinstufungen Ergebnisse politischer Entscheidungen waren, wird zugleich ein möglicherweise übergroßes Vertrauen des Staates auf die Kraft von Beamtenethos und Disziplinierung sichtbar, oder auch Ignoranz in bezug auf die strukturellen, sozialen und politischen Folgen solcher Personalentscheidungen.) Im Zeitverlauf sollte sich der Zusammenhang zwischen den geschilderten Entwicklungen im Personalwesen und der Handhabung der Beamtenrechtsfrage bestätigen. Als 1908/09 die Besoldungsneuregelung Unruhe und massive Protestbereitschaft unter den Beamten auslöste, beschloß die preußische Staatsregierung (am 26. April 1909), eine systematische Erörterung beamtenrechtlicher Prinzipien vorzunehmen. 24 Allerdings nicht, um deren etwaige Fortentwicklung einzuleiten, vielmehr um verbindliche Richtlinien zu erstellen als Grundlage eines künftig einheitlichen Vorgehens gegen die interessenpolitische Organisationsbewegung der Beamten. 25 Es ging also um die Bekräftigung und womöglich tiefere Verankerung des geltenden Rechtes. Zugrunde lag eine im Staatsministerium erstellte Denkschrift, 26 die im Juli 1909 an die einzelnen Ressorts verteilt wurde 27 und über die die Ministerrunde im Dezember abschließend beriet.28 Heraus kam ein Bekenntnis zum überlieferten Beamtenrecht in Theorie und Praxis. Das fiel nicht allzu 80
schwer, da man, pointiert gesagt, zur Bestätigung der Theorie die Praxis, darunter die Praktiken der Behörden gegenüber den Beamtenorganisationen, heranzog, um dann zu der Überzeugung zu kommen, die Praxis sei rechtens und darum auch nicht revisionsbedürftig. Den Ausgangs- und Kernpunkt formulierte die Denkschrift so: »Die Dienstpflicht des Beamten erschöpft sich nach der Auslegung des geltenden Rechtes, an der in Preußen und im Reiche von den Staatsbehörden ausnahmslos festgehalten worden ist, nicht in den Anforderungen, die an sein amtliches Verhalten und die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben gestellt werden. Sie unterwirft vielmehr darüber hinaus seine ganze Persönlichkeit in allen Lebensverhältnissen und in jeder Art der Betätigung [somit auch der Interessenorganisierung] der Rücksicht auf das Staatswohl und das Dienstinteresse.« 29 Mit anderen Worten: Den Beamten gebührten keine Arbeitnehmer- und auch sonst keine vollen Staatsbürgerrechte. Auf einzelne Punkte angewandt und »in scharfer Betonung« 3 0 ihrer Geltung wurden u. a. folgende Gebote oder Verbote herausgearbeitet. Zum allgemeinen staatsbürgerlichen Status hieß es, daß die Beamten als »Vertreter und Werkzeuge« des einheitlichen Staatswillens sich mit »besonderen Beschränkungen« ihrer Grundrechte abzufinden hätten, d. h. nichts zeigen, äußern und unternehmen durften, was dem Staat und seinen Interessen zuwiderlaufe oder abträglich sei, darunter Gehässigkeit oder Respektlosigkeit gegenüber Vorgesetzten oder Behörden. 31 Auch in bezug auf die berufliche Interessenvertretung wurden die Beamten nach diesen Grundsätzen zu strikter Abstinenz angehalten. Daß die Bildung von und Teilnahme an Organisationen mit gegen die »staatlichen oder dienstlichen Interessen« gerichteten Zielen und Aktionen verboten war und geahndet werden konnte und sollte, verstand sich sozusagen von selbst. Aber die Restriktionen, getragen von einer fundamentalistischen Auslegung des Alimentationsprinzips, gingen noch weiter. Sie erstreckten sich nicht nur auf staatsfeindliche, sondern auf alle Berufsvertretungen, da, wie es hieß, der Beamte keiner gesonderten Vertretung bedürfe. Er habe von Haus aus »seine Organisation«, nämlich die »Staatsverwaltung« selbst, die ihn angemessen versorge. Jede >andere< standespolitische Organisationsbildung stelle daher, selbst wenn sie geduldet werde, eigentlich ein »kontradiktorisches Gegenüber« dar.32 Nicht einmal das Petitionieren hieß man uneingeschränkt gut. Nur wenn es im Namen einer eingetragenen Vereinigung (geduldete Berufsvereinigung, Geselligkeits- oder Selbsthilfevereinigung), d. h. nicht auf der Basis einer - unkontrollierbaren - Massen-Unterschriftensammlung o. ä. und ohne »agitatorische« Absicht geschah, nur wenn es nicht das Ziel verfolgte, »einen unzulässigen Druck auf die vorgesetzten Behörden« oder das Parlament auszuüben und sich nicht auf »Fragen von grundsätzlicher Bedeutung« bezog, sollte es als zulässig angesehen werden. 33 Wenn die Denkschrift auch, mit Rücksicht auf die »Empfindlichkeit« der parlamentarischen Öffentlichkeit, vor einer ungenierten »Überspannung 81
der Rechte des Staates« vor aller Welt abriet und die Regierung sich aus diesem Grund zur gewissen Zurückhaltung entschloß, 34 schmälerte das weder den prinzipiellen Ernst noch die Bedeutung der Sache. Alles in allem kann man ein kompromißloses Bekenntnis zur streng »staatsrechtliche^] Auffassung« der Beamtenverhältnisse 35 konstatieren. Regierung und Verwaltungsspitzen schienen, nicht zuletzt durch in ihren Augen negative ausländische Beispiele gewarnt, 36 alles verhindern zu wollen, was den Beamten auch nur den kleinsten Rechtsanspruch oder die geringste rechtliche Handhabe geben konnte, sozusagen auf der Basis der Gleichberechtigung als Arbeitnehmer und/oder als fordernder Staatsbürger aufzutreten. Insbesondere dürfte das Ziel gewesen sein, den Beamtenmassen als Tarifpartner jede formalrechtliche Anerkennung zu versagen. Daß die formale Angleichung des Beamtenrechts oder überhaupt der ideellen Grundlagen des Beamtentums an stattgefundene Wandlungen in der Aufgaben- und Personalstruktur der Verwaltung scheiterte, zeugte von klarer Position und klarer Konzeption der Staats- und Behördenfuhrung. Diese fast halsstarrige Haltung demonstrierte die Entschlossenheit, an den Grundfesten der Beamtenverfassung nicht rütteln zu lassen. Man handelte wohl in der Überzeugung, daß, wenn man an diesen Basis werten nicht festhielte, man den Staat als ruhenden Pol gefährdete. Es hatte also ». einen eminent praktischen staatspolitischen Sinn, daß zwischen dem Beamtenrecht und dem Arbeitsvertragsrecht eine scharfe Grenze gezogen wurde und der Beamtenschaft mit der Koalitionsfreiheit auch die spezifischen Mittel des Lohnkampfes vorenthalten blieben«. 37 Gleichzeitig bewiesen die Verantwortlichen allerdings einen nicht gering zu schätzenden pragmatischen Sinn, indem sie friedfertige, d. h. nicht politisch-agitatorische Vereinigungen ungeachtet der rechtlichen Unzulässigkeit faktisch dulden wollten. Die dogmatische Bekräftigung der Rechtsverhältnisse steckte, so gesehen, einerseits eine äußerste Grenze ab, schuf aber andererseits Raum für eine gewisse Beweglichkeit im Vorfeld dieser Grenzlinie. Damit wurde einer kaum noch wegzudiskutierenden Veränderung doch Rechnung getragen: man paßte sich der arbeitnehmerähnlich gewordenen Stellung großer Teile der Beamtenschaft und den daraus sich ergebenden Folgen im unbedingt notwendig scheinenden Maß informell an.
b) Der Staatsdiener als Fachmann: Professionalisierungsverhältnisse im höheren
Dienst
Wenn auch die Arbeitnehmer-Komponente im Beamtenberuf, zumal auf seinen niederen Ebenen, zwar unbeabsichtigt doch allmählich deutlich hervortrat, bedeutete das noch nicht, daß die Beamten in ihrer Berufssituation in jedem Fall auf die sozialökonomischen Grundpositionen abhängigen Arbeitnehmertunis zurückgeworfen wurden. Abgesehen davon, daß nie82
mand den trotz Einbußen weiterhin distinguierenden Beamtenstatus einfach ablegen konnte (oder unbedingt wollte), bestimmte sich das Berufsbild der Beamten vielfach auch durch »professionelle« Momente, die eine solche Reduktion erschwerten oder ausschlossen. Dies traf in erster Linie auf den höheren Dienst zu. Definiert man Profession als Beruf, dessen Angehörige kraft Expertentums auf tendentiell akademischem Bildungsniveau berufliche Autonomie (Selbstkontrolle) erstrebten, 1 so bestand für die höheren Beamten die Gefahr der Expertenunfähigkeit durch Fremdbestimmung im Vergleich zu den nicht akademisch gebildeten Beamtenkategorien am wenigsten. Da gerade die jüngsten Veränderungen von Verwaltungsaufgaben und -strukturen im Zeichen des leistendem Elements mehr Professionalität vor allem in Form verstärkter Sachautorität forderten, schien die höhere Beamtenschaft, die ja durch ein universitäres und ein Staats-Examen gegangen war und genügend berufliche Entscheidungsfreiheit hatte, ausgesprochen entwicklungsadäquat gerüstet zu sein. Bei näherem Hinsehen ergaben sich aber aus eben dieser Entwicklung Probleme. Das hing mit dem überlieferten und zunehmend unzeitgemäß werdenden Kompetenz-Selbstverständnis dieser Beamtenklasse zusammen. Der geltenden Ideologie und geübten Praxis nach hatte das Beamtentum, insonderheit der höhere Dienst, keine Sach-, sondern eine Herrschaftskompetenz. Präziser ausgedrückt, seine Sachkompetenz fiel mit seinen Befugnissen als Träger von Herrschaft durch Verwaltung zusammen. Als fachliche Grundlage dieser Zuständigkeit galt in der Nachfolge der Kameralistik die juristische Ausbildung. Eigentlich beschrieb das nur den höheren Verwaltungs-Beamten. Aber auf dem Wege der Verabsolutierung bzw. ideologischen Überhöhung gewann diese Figur informell eine generelle Geltung und überlagerte alle Bereiche und Dienstrichtungen. Nichtjuristen und nichtjuristische Fachbildung nahm man allenfalls als Ausnahme von der Regel wahr - daher ζ. B. die Verlegenheitsbezeichnung »Sonderverwaltungen«. Dieser erdrückende Primat des juristisch vorgebildeten Verwaltungsbeamten ließ ein sogenanntes Juristenmonopol entstehen. 2 Da aber die Geschäfte primär »regierender« Art waren, kam es zur faktischen Unterordnung des fachjuristischen Wissenselements unter die herrschaftsbezogene Amtsautorität, respektive dazu, daß die Rechtswissenschaft als fachliche Berufsbasis an Qualität und schließlich an Bedeutung verlor. Nachlassen der professionellen Fundierung und nachlassende Glaubwürdigkeit wurden auf diese Weise unvermeidlich, und das erst recht bei steigenden Anforderungen an die Fachautorität. Spätestens um die Jahrhundertwende wurde die Inkongruenz zwischen evolutionsbedingt sich erhöhenden Erwartungen an die Verwaltung und dem professionellen Zuschnitt des höheren Dienstes zu einem auch von der großen Öffentlichkeit als störend empfundenen Faktor.3 Kritik wurde laut am Juristenmonopol, da es der (faktisch schon bestehenden aber künftig erweitert benötigten und 83
bedeutsamen) Fachpluralität nicht gerecht wurde und den Horizont des höheren Verwaltungsdienstes selber einengte. Technischer und mehr noch ökonomischer und sozialwissenschaftlicher Sachverstand, so meinten viele, seien unverzichtbar, nicht nur für Spezialisten, sondern, mindestens als Orientierungshintergrund, auch für die »Generalisten« der allgemeinen Verwaltung. Man nahm Anstoß vor allem daran, daß das Juristenprivileg eine sozusagen institutionelle Abstützung erfuhr, indem der ganze Verwaltungsapparat, die Sonderbehörden grundsätzlich Inbegriffen, auf Juristen zugeschnitten war und blieb. Ein ohne Vordisposition begonnenes rechtswissenschaftliches Studium konnte man jederzeit problemlos in die Verbeamtung einmünden lassen, bei anderen Studienvorhaben ging dies nicht selbstverständlich oder ohne Auflagen. In manchen Dienstzweigen (ζ. B. Berg- und Salinenwesen, Forstverwaltung) mußte sich der Interessent zuerst um Zulassung zur Beamtenlaufbahn bemühen und durfte erst danach, schon im Beamtenverhältnis, ein Fachstudium beginnen. 4 Eine juristisch angelegte höhere Laufbahnprüfung, das zweite oder »große« Staatsexamen zum Justiz- oder Regierungsassessor, öffnete dem Anwärter Beschäftigungsmöglichkeiten weit über die Justiz- oder allgemeine innere Verwaltung hinaus und überhaupt grundsätzlich uneingeschränkte Aufstiegschancen. Vom juristischen Studium galt eben, daß es »zu allem denkbaren« befähige. 5 Paul Justin von Breitenbach, 1906 bis 1918 preußischer Minister der öffentlichen Arbeiten, blieb als Erinnerung an seine Berufswahl bezeichnenderweise haften, daß ihn »kein innerer Drang« der »Jurisprudenz zugeführt« habe. Er entschied sich für das Fach, weil »die juristische Laufbahn nach den Auffassungen des alten Obrigkeitsstaates zahlreiche und gangbare Wege des Fortkommens offenhielt«. 6 Sonstige Abschlüsse begründeten im Gegensatz zum juristischen normalerweise eine >eingleisige< Verwendung im Rahmen einer vergleichsweise zweitklassigen Karriere. Der Masse der technischen Fachbeamten standen in der preußischen Bahnverwaltung ζ. B . Juristen stets vor, ganz so, als würde die Gleichstellung der Techniker im eigenen Ressort ». die ganze Verwaltung. von der Höhe herunterbringen«. 7 Einen weiteren Grund, das Juristenmonopol für ambivalent zu halten, gab die (seit den 1860er Jahren beobachtbare) zivilrechtliche Profilierung der in der Verwaltungspraxis vorherrschenden Rechtsauffassung ab. Die in der Ursubstanz liberale und in sich plausible Selbstrechtfertigung der zivilrechtlichen Richtung, daß das Verwaltungsbeamtentum im Rechtsstaat gerade seiner öffentlichen Rolle nur dann wirklich gerecht werde, wenn man es in »ähnliche Schranken« weise wie die Richter, und daß man dies am besten durch »eine stramme [Justiz[juristische Schulung" erreiche, 8 stimmte nicht mehr. Der Rechtspositivismus, der diesem Selbstverständnis zugrundelag, war im Zuge eines merkwürdigen Degenerationsprozesses vom Garanten rechtswissenschaftlicher, im weiteren Sinn rechtsstaatlicher Objektivität oder Neutralität weitgehend zum Legitimierungsinstrument 84
des gouvernementalen status quo verkommen. Daß der formaljuristische Positivismus die Maske der Neutralität auch jetzt anbehielt und daß ein Aufschwung der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft erst einsetzte, nachdem er in der gesamten deutschen Rechtswissenschaft beherrschend geworden war, vergrößerte die ihm anhaftende Ambivalenz nur. 9 Zu alledem kam eine nachlässig gewordene Berufsauffassung. Als Diener am Gemeinwohl konnte der durchschnittliche höhere Verwaltungsbeamte streckenweise nur noch mühsam überzeugen, da es ihm nicht immer leicht fiel, sich anders denn als Hort einseitig konservativer und bürokratiezentrischer Partikularinteressen zu gerieren oder den Nachweis zu fuhren, er sei gegen Nepotismus und ähnliche Anfechtungen der Integrität und anderer Werte der Berufsethik sicher gewappnet. »Betriebsunfälle«,10 wie die Affäre um die »Kanalrebellen« 1899, warfen Schlaglichter auf diese Anfälligkeit. Für besonders viel Wirbel sorgte auch der »Fall Schücking« 1908, als der von den Praktiken seines Landrates und seiner Bezirksregierung aufs äußerste irritierte Bürgermeister von Husum, Engelbert Schücking, die Gelassenheit verlor und in einer anonymen Schrift viel von der angeschmutzten Wäsche der preußischen inneren Verwaltung vor die große Öffentlichkeit leerte.11 Auch weniger spektakuläre Vorgänge wie die bei der Rekrutierung des höheren Verwaltungsdienstes beobachtbare Bevorzugung von Adeligen fanden wachsende kritische Aufmerksamkeit. 12 Bei alledem handelte es sich gewiß um Unerquickliches, und es ist sicher symptomatisch, daß die Angelegenheit Schücking zeitlich mit einer hochgehenden Woge des Unbehagens an der Bürokratie allgemein zusammenfiel. (Nicht zuletzt um dem zu begegnen sah sich die Regierung veranlaßt, umfassende Verwaltungsreformen in die Wege zu leiten.) Aber all diese Affären ließen noch keinen generellen Integritätsverlust befürchten. Das war also immer noch nicht der eigentliche Punkt. Als das essentielle Problem unzulänglicher Berufsgesinnung läßt sich vielmehr die beim Nachwuchs weit verbreitete Auffassung ausmachen, derzufolge der Beruf des Beamten nicht systematisch erlernt zu werden brauche oder doch nebenbei erlernt werden könne. Das primäre Indiz hierfür war eine Haltung, die die Ausbildung fast schon zur Farce werden ließ. »Welch eine Fülle von Kenntnissen hätte ich mir aneignen müssen«, blickte der Regierungspräsident a. D. Gustav von Diest 1904 auf seine Studienzeit zurück, »wenn ich die Vorlesungen wirklich fleißig besucht hätte. Dessen kann ich mich aber nicht rühmen.« 13 Wie er, machten es offenbar viele. Das Studium zu verbummeln, sich womöglich nur gegen Schluß zum Pauken aufzuraffen, bildete eine traditionell beliebte Übung. Man verbrachte die Semester wohl eher in der Verbindung, am Stammtisch und beim Repetitor als an der Universität. 14 Und während des anschließenden »Vorbereitungsdienstes« zum zweiten Staatsexamen (Referendariat) strengte man sich - von der meist desolaten institutionellen Verfassung dieser Ausbildungsphase zusätzlich dazu verleitet — auch nicht sonderlich an. Der Hauptmangel der »gegenwärtigen« Re85
ferendarschulung, stellte 1893 ein hoher Ministerialbeamter fest, »ist. daß bei derselben zu viel dem persönlichen Ermessen und dem persönlichen Eifer überlassen ist, sowohl derjenigen, welche die Ausbildung leiten, als derjenigen, welche ausgebildet werden. , und mancher angehender Assessor findet es ganz bequem, wenn man sich nicht viel um ihn bekümmert und er sich in dem Vorbereitungsjahr einem süßen Nichtstun hingeben kann«. 1 5 Als Resultat von alledem stellten sich »haarsträubende« Lücken im Wissensfundus des höheren Verwaltungsbeamtentums ein. 16 Obwohl man die Prüfungen nicht allzu streng handhabte und die Kandidaten v o m Repetitor gezielt auf die Prüfungen, insbesondere das Fragenrepertoire der zuständigen »Prüfungskommission fur höhere Verwaltungsbeamte« gedrillt worden waren, ». so daß man schon ganz vertrottelt oder ein wahnsinniger Pechvogel sein mußte, wenn man durchfallen wollte«, 1 7 gab es nach Ausweis langjähriger Prüfungsergebnisse immer wieder sehr hohe Raten solcher Trottel und Pechvögel. Die erste juristische Prüfung bestanden im Mittel der Jahre 1900-1905 rund ein Viertel der Kandidaten ( 2 5 , 7 % ) nicht, und der Rest schnitt auch nicht sonderlich ruhmreich ab: »ausreichend« bekamen 6 2 , 8 % , »gut« 1 0 , 9 % und das Prädikat »mit Auszeichnung« schafften 0 , 6 % . 1 8 Auch das zweite Staatsexamen, die eigentliche Laufbahnprüfung, brachte denkbar mäßige Ergebnisse hervor. Zwischen 1900 und 1905 verzeichnete man im Durchschnitt eine Durchfallerquote von rund 1 7 % , mit »ausreichend« schlossen 7 2 % , mit »gut« 1 0 , 7 % und mit »Auszeichnung« 0 , 3 % ab. 1 9 Wenn höhere »technische« Beamte auch keine viel besseren Notendurchschnitte erreichten, 20 so war das kein Trost, die Eliterolle der Verwaltungsbeamten verpflichtete zu mehr. Gleich sein hieß hier schlechter sein. Teilweise sogar peinlich fiel der Vergleich mit anderen akademischen Berufen aus. Evangelische Theologen, Ärzte, Zahnärzte und Pharmazeuten ζ. B . erzielten Prüfungsresultate, die selbst dann besser waren, wenn man die Relativität der Notenwerte und die eventuelle Unterschiedlichkeit der angelegten Maßstäbe in Betracht zieht. Es fiel besonders auf, daß bei den letztgenannten Fächern die Ränge »mit Auszeichnung« und »gut« wesentlich stärker besetzt waren. Sie machten zusammen zu keiner Zeit und in keinem Fall weniger als ein Viertel aus, meist lagen die Anteile deutlich höher. 21 Aus dem einen Mißstand folgte auf die Dauer der andere: Von der Jahrhundertwende an wurde eine als Leistungskrise spezifizierbare Nachwuchskrise auch praktisch wirksam. Die Behörden der allgemeinen Verwaltung bekamen solide qualifiziertes Personal einfach nicht mehr in ausreichendem Maß, immer mehr Referendare mußten von ihnen wegen »Ungeeignetheit« zurückgewiesen 2 2 werden oder bildeten, einmal angenommen, »eher eine Last als eine Unterstützung«. 2 3 Bei dem qualitativ dürftigen Referendarangebot fruchteten auf längere Sicht selbst die sich ge-
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gen Ende des 19. Jahrhunderts deutlich verstärkenden Bemühungen, »Assessoren, die hinter dem Mittelmaß zurückbleiben«, bei Beförderungen möglichst auszuklammern, 24 zunächst auch nicht viel. Regierungen und Landratsämter mußten sich spätestens nach 1900 mit einem nunmehr »zu starken« Kontingent von »minderwertigen Beamten« herumplagen. 25 Und dies keineswegs nur einige und keinesfalls nur gelegentlich. Beim Innenminister häuften sich »seitens der Herren Regierungspräsidenten« ganz allgemein und unablässig »nicht unberechtigte Klagen. über die mangelnde Qualifikation der ihnen überwiesenen höheren Beamten«, 26 eine »große Zahl«, 27 die dann auch »zu wenig, zu dürftig und zu flüchtig« arbeitete. 28 Es verwundert nicht, daß all dies Desiderate personalorganisatorischer Modernisierung und überhaupt Schwachstellen im Personalbereich deutlich werden ließ und wenigstens punktuell zu Maßnahmen veranlaßte. Als einer dieser Schwachpunkte konnte die altmodische, formal zu wenig durchorganisierte Einstellungs- und Bewerbungspraxis angesehen werden. Ein Beispiel dafür, warum: Noch 1894 hielt es der preußische Innenminister fur angebracht und möglich, die gesamte höhere Verwaltungsbeamtenschaft »persönlich kennen zu lernen«. Er verfugte, daß jeder nach Berlin beurlaubte, mir persönlich noch nicht bekannte Beamte sich zwanglos im Überrock bei mir meldet«. 29 Viele Beamte fanden ihrerseits nichts dabei, ins Ministerium zu gehen, u m dort ihre Stellen- oder Versetzungsund Befbrderungswünsche ebenfalls »persönlich«, d . h . außerhalb des Dienstweges vorzutragen. 30 Möglich, ja individuell in gewisser Weise notwendig wurde dies dadurch, daß das Nachweisungs- und Berichtswesen im Personalbereich zu dieser Zeit recht unexakt, aufjeden Fall unübersichtlich war, so daß man zentral keine kontinuierliche und büromäßig rationale Personalüberwachung und -Steuerung zustande brachte. Über die Bewerbungen zum Referendariat, die bei den Regierungspräsidenten in eigener Zuständigkeit administriert wurden, gab es vollends keinen Gesamtüberblick. Parallelbewerbungen stand so nichts im Wege, von einer Stelle abgewiesene Kandidaten konnten ihr Glück woanders wieder versuchen, und sie taten es auch, offensichtlich mit der Folge, daß sich zu viele Mindergeeignete durchmogelten. 31 Hinzu kam dem Vernehmen nach eine bestimmte, vielleicht von gesellschaftlichen Konventionen gesteuerte Hemmung von Vorgesetzten (Behördenleitern), untüchtigen Kollegen gegenüber konsequent amtsautoritär aufzutreten. Jedenfalls monierte der Innenminister 1908: »Einen wesentlichen Grund für die unzureichenden Leistungen erblicke ich darin, daß den betroffenen Beamten diese Unzulänglichkeit nicht zum Bewußtsein k o m m t und die Regierungspräsidenten sich vielfach scheuen. ., ihre Unzufriedenheit mit ihnen zum klaren Ausdruck zu brinΎ1
gen.« N u n aber, d. h. in der Hauptsache von 1900 an (was auf die strammere Führung der neuen Regierung unter Bülow hindeuten könnte), sollte den Übelständen auf diesen Gebieten mit mehr Strenge, verbesserter Nachwei87
sung (durch standardisierte Formulare u. ä.) oder verschärfter Qualitätskontrolle in der Beförderungspolitik begegnet werden. Referendare sollten auch nicht mehr von allen, sondern nur von einigen, dafür vorgesehenen Bezirksregierungen angenommen und von diesen »sofort« ans Innen- beziehungsweise Finanzministerium gemeldet werden. 33 Die Verbesserung von Rekrutierungstechnik und -administration war wichtig sowohl wegen ihres praktischen Wertes wie wegen ihres Wertes als Zeichen für den Willen, Probleme aktiv anzugehen. Ohne Maßnahmen auf dem Gebiet der Ausbildung wäre ihr Nutzeffekt freilich stark reduziert geblieben. In der Ausbildung vor allem der höheren Verwaltungsbeamten gab es ernste Schwierigkeiten inhaltlicher aber auch unterrichtsorganisatorischer Art. Inhaltlich gesehen verursachte die seit 1869 34 zunehmende j u stizjuristische Kopflastigkeit die meisten Spannungen. Das war jene Tendenz, die einst dem liberalen Wunsch nach »Verrechtlichung« der Verwaltung 35 entsprungen war, unterwegs aber zum gouvernementalen Rechtspositivismus verkam. Den liberalen Ursprüngen gemäß wohnte dieser Tendenz, was den Rechtsstoff anging, die Konzentration auf das Privatrecht inne. Öffentliches Recht und Staatsrecht kamen - auch auf Universitäten gleichsam aus der Mode. Mit ihrem Schwund ging das Interesse an benachbarten und verwandten Disziplinen, an Nationalökonomie, Kamerai- und Finanzwissenschaften etwa, ebenfalls zurück. Was blieb, genügte zwar in politischer Hinsicht den nun dominant konservativen Ansprüchen. Die Deckungsungleichheit mit den zunehmenden leistungs- und/oder wohlfahrtsstaatlichen Aufgaben, die sozusagen nach einem modernisierten Ersatz für die Kameralistik verlangten, vergrößerte sich indessen spürbar. Das Fachwissen der Verwaltungsbeamtenschaft wurde damit zum Teil unzeitgemäß und die Behebung der Mängel dringlich. Nach mehreren Revisionen der Ausbildungsordnung seit 1879, 36 die aber eher unter politischen Gesichtspunkten erfolgten und/oder nicht durchdacht genug gewesen sind und so dem eigentlichen Problem nicht gerecht wurden, kam es schließlich im Laufe der 1890er Jahre zu einer (sicherlich im Zusammenhang mit dem gleichzeitigen Aufkommen der Verwaltungsrechtswissenschaft 37 zu sehenden) Grundsatzdiskussion, die zum tieferen Sachproblem vorstieß. Sie mündete in die systematische Vorbereitung einer Gesetzesnovelle, in der nicht zuletzt auch die unterrichtsorganisatorischen Fragen Berücksichtigung fanden. Im Zuge dieser Vorbereitungsarbeit legte eine unter dem Vorsitz des Unterstaatssekretärs im Innenministerium agierende »Kommission zur Berathung von Abänderungen der Bestimmungen betreffend die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst« 1898 wichtige Vorschläge vor. 38 Sie plädierte vor allem für die Erweiterung der nichtjuristischen Studienbereiche gegenüber dem Gesetz von 1879 und dem Regulativ von 1883 und für die Verschärfung der institutionellen Zwänge im Interesse der tatsächlichen Beschäftigung mit den gewünschten Fächern. Im einzelnen sah der Kommissionsbericht vor, die 88
Studenten nicht nur an Vorlesungen, sondern auch an Semester-»Übungen« zu Staats- oder Verwaltungsrecht, Nationalökonomie und Finanzwissenschaft sowie an »Seminaren für Staatswissenschaft« während der großen Ferien teilnehmen zu lassen. Schon in der ersten Prüfung sollten öffentliches Recht und Wirtschaftswissenschaften ernsthaft und in der zweiten dann in praxisnahen Details examiniert werden. Der originellste Vorschlag betraf eine als »außerordentliche Ausbildung« bezeichnete Fortbildung für Referendare, aber auch für Assessoren und womöglich »jüngere Regierungsmitglieder«. Sie müßten, so die Quintessenz des Plans, bei großzügiger Beurlaubung und ohne Nachteile für Besoldung und Dienstaltersberechnung Kurse besuchen, auf Reisen im In- und Ausland »Verhältnisse und Vorbedingungen wichtiger wirtschaftlicher Erwerbszweige« kennenlernen, ferner durch gastweise »Beschäftigung« bei »Handels- und Landwirtschaftskammern und ähnlichen Vertretungskörperschaften« beziehungsweise »in industriellen Etablissements und Geschäftshäusern (Banken)« sich mit dem Wirtschaftsleben »gründlich« bekannt machen können. Ein anderes, 1900 vorgelegtes Gutachten brachte noch weitergehende Empfehlungen insbesondere zum akademischen Ausbildungsabschnitt. Es regte an, das Studium von sechs auf sieben Semester zu verlängern, von denen nur drei auf die Beschäftigung mit der Jurisprudenz entfallen, die anderen aber >Verwaltungsgesunde Menschenverstand< genügten, um in der Verwaltung Tüchtiges zu leisten. .«, 4 5 ihre Aktualität einstweilen nicht ein. Auf besondere Gleichgültigkeit stieß offenbar die Aneignung von Berufswissen »auf gewerblichem und sozialem Gebiet«, 46 sie blieb wie bisher »Nebensa90
che«. 47 Zumindest interessierte und engagierte Reformanhänger fanden es gerechtfertigt, sich über die »geradezu erstaunliche Unkenntnis« wohlfahrtsstaatlicher Probleme zu sorgen oder die beim Nachwuchs anzutreffende Auffassung zu bekritteln, man werde auch »ohne entsprechende Kenntnis genommen, . in der Praxis werde sich das alles von selbst erlernen lassen«. 48 Auch den älteren Beamtengenerationen fiel die Umstellung nicht leicht. Symptomatischerweise stießen die Behörden, wenn es darum ging, die vom Gesetz 1906 vorgeschriebenen Ausbildungsleiter zu finden, auf merkliche Zurückhaltung bei den angesprochenen »Herren«. 49 Daraus resultierten dann Anlaufschwierigkeiten beim Referendarunterricht. 50 Nach wie vor blieb schließlich das Problem der gleichberechtigten fachlichen Differenzierung des höheren Dienstes, d. h. der Nachrangigkeit der Fachbeamten außerhalb des Justiz- und Verwaltungsdienstes weitgehend ungelöst. Dabei wurde der Ruf der negativ Betroffenen nach angemessener Berücksichtigung nicht leiser, im Gegenteil. Selbst die klassische Einheitsbehörde, die Bezirksregierung, konnte vor dem fachlichen Separatismus ihrer Abteilungen nicht mehr sicher sein. Der Regierungspräsident von Königsberg, Robert Graf von Keyserlingk, beschrieb das 1912 so: »Die Forstwirtschaft erhofft. die Abtrennung der Forstabteilungen von den Regierungen. In der Schulverwaltung sind die gleichen Wünsche aufgetaucht; auch da sehnen sich die Fachmänner nach einer Provinzialschulbehörde. Mit der Idee der Bildung von Sonderbehörden zur Veranlagung der direkten Steuern wird die Schöpfung einer Provinzialdirektion für die direkte Steuerverwaltung verknüpft. Und die Beamten der Bauverwaltung traten erst kürzlich noch mit dem Vorschlage der Vereinigung der staatlichen Bautechniker jeder Provinz zu Provinzialbehörden an die Öffentlichkeit«. 51 Den hier erkennbaren Wunsch von Fachkräften nach mehr Geltung artikulierten auch die bei den Staatsbahnen beschäftigten »höheren Techniker« ganz dezidiert und mit direkter Stoßrichtung gegen die Juristen. Die von ihnen oder in ihrem Namen vorgebrachte Kritik an der »Verkennung der Bedeutsamkeit der technischen Kräfte« und der aus ihrer Sicht »Laien-Zusammensetzung der leitenden Behörden«, wurde recht früh thematisiert und recht laut vorgetragen. 52 Auch andere Nichtjuristen meldeten ihre Ansprüche an, wenn nicht anders, dann dadurch, daß sie sich in Vereinigungen zusammenschlossen, die dann die professionelle Eigenart ihrer Mitglieder hervorhoben, also Autonomiebewußtsein demonstrierten. Die preußischen Medizinalbeamten, die wissenschaftlichen Bibliothekare, die Lehrer im höheren Schuldienst und auch die Hochschullehrer 53 sind Beispiele. In diesen Zusammenhang gehört die Akademisierung der zuvor mit fortgebildeten mittleren Beamten beschickten höheren Postlaufbahn 1908.54 Auch sie unterstrich die fachliche Pluralisierung. 91
Der Juristen-Nichtjuristen-Gegensatz gewann dadurch zusätzlich an Gewicht, daß sich die technische Intelligenz auch außerhalb der Staatsbürokratie aktivierte und sich auf diese Weise mit dem Emanzipationskampf einer jungen Profession (der Ingenieure) allgemein vermengte, ohne an Bezug zur und Relevanz fur die öffentliche Verwaltung zu verlieren. In erster Linie gab das »Gesetz über die Befähigung zum höheren Verwaltungsdienst« 1906 der Konkurrenzströmung der Techniker neuen Auftrieb. Zunächst, während der Beratungsphase des Entwurfs, weil die Novellierung die seltene Chance zur Kodifizierung von angestrebten Änderungen bot, später, nach der Verabschiedung, weil es feststand, daß das Gesetz die Anliegen der Ingenieure nicht berücksichtigte. Mit Anderungs- und Ergänzungsvorschlägen, mit Denkschriften, Resolutionen und Eingaben, Literaturdokumentationen u. ä. betrieb vor allem der Verein Deutscher Ingenieure fortan eine rührige Interessenpolitik, die, in unserem Zusammenhang gesehen, auf die Ranggleichheit der Ingenieurausbildung mit der juristischen, d. h. auf die Herstellung gleicher Zugangs- und Verwendungschancen beim Staat im Zeichen der Wunschfigur »Verwaltungsingenieur« hinauslief.55 Eine ähnliche, wenngleich vielleicht etwas zurückhaltender operierende Bewegung war unter den Volkswirten entstanden. 56 Wenn die Volkswirte nach außen bescheidener auftraten, dann einerseits wohl deswegen, weil ihr Beruf gleichsam gerade »erst geboren« war57 und weder über Masse noch über die nötige Selbstsicherheit verfugte. Andererseits deshalb, weil die Zeit sowieso für sie zu arbeiten schien. Die Ausbildungsgesetze für den höheren Staatsdienst, schon 1879 wie auch 1906, enthielten bekanntlich Vorschriften, nach denen die verwaltungsjuristische Studienrichtung eine staatswissenschaftlich-nationalökonomische Komponente umfassen sollte. Obwohl die Bestimmung, diese Disziplinen einzubeziehen, vorläufig praktisch unwirksam geblieben war, konnte man darauf hoffen, daß die zunehmende Verflechtung des Staates mit sozialökonomischen Vorgängen ihr bald Geltung verschaffen würde. Im übrigen fühlten sich die Volkswirte freilich als natürliche »Bundesgenossen« der Techniker58 und stimmten mit ihnen voll darin überein, daß das durch nichts als die »Tradition« zu rechtfertigende »Dogma von der allgemeinen Verwendbarkeit des Juristen in der Verwaltung«59 angesichts der »heute vornehmlich durch Technik und Industrie, Handel und Verkehr beeinflußten Verhältnisse des öffentlichen Lebens«60 unhaltbar sei und der »Neuorganisation« der professionellen Struktur der Verwaltung61 weichen müsse. Diese externen Opponenten der Juristen Vorherrschaft waren keine uneigennützigen Reformer, sie sahen in der Staats- und Kommunalverwaltung auch einen neuen Arbeitsmarkt, 62 den sie fur sich zu erschließen suchten. Sie betrachteten die Dinge daher sicher parteiisch. Dennoch blieben ihre Vorstellungen sachlich fundiert genug, um als ernstes Indiz dafür genommen zu werden, daß das juristische Wissen zu Beginn des 20. Jahrhunderts 92
keinen professionellen Hegemonialanspruch im höheren Staatsdienst mehr rechtfertigte. Vieles wartete, wie man nach alledem konstatieren kann, auf Lösung. Immerhin aber waren die Schwachstellen wohl im wesentlichen erkannt. Und man war nicht untätig geblieben. So entsteht aufs ganze gesehen der Eindruck, daß in der gegebenen historischen Situation die Beseitigung der schleichenden professionellen Dekadenz im höheren Verwaltungsdienst nicht als aussichtslos gelten mußte und die volle Anerkennung der Nichtjuristen im höheren Dienst nicht als abgeschrieben.
c) Der Staatsdiener als Fachmann: Professionalisierungsstrategien zen bei den nicht akademisch gebildeten Beamten
und ihre Gren-
Nun bestand das Problem gesteigerter beruflicher Anforderungen nicht nur beim höheren Dienst. Angesichts fortschreitender Spezialisierung gerade der mittleren, teilweise selbst der unteren Verrichtungen, hatten auch die kleinen Beamten einen immer wichtigeren Beitrag zum Funktionieren des Apparates als arbeitsteiliges System und damit qualitativ Höherstehendes als bisher zu leisten. Der Nachholbedarf, konkret vor allem ein Bedarf an besserer Berufsbildung, war groß. Bezüglich der beruflichen Schulung der Subalternen herrschte bis tief in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts hinein eine Art Naturzustand. Ein großer Teil des Personalnachschubs, die vom Militär übernommenen ausgedienten Unteroffiziere, besaß überhaupt keine fachspezifische Schulung. Ein anderer Teil, die sogenannten Zivilsupernumerare, wuchs zwar bei der allgemeinen Verwaltung in der für ihn eingerichteten »Pflanzschule« heran, erlernte seinen Beruf aber lediglich in der Praxis und durch die Praxis unter höchst unterschiedlichen Bedingungen, ohne einheitliches Curriculum und ohne formalen Qualifikationsnachweis. 1 Sonderbehörden bildeten ihre Zivilanwärter nicht grundsätzlich anders aus. Seit Ende der auch in diesem Zusammenhang wichtigen 1870er Jahre etwa erwiesen sich die archaischen Verhältnisse mehr und mehr als störend. Berufliche »Einsicht und Sachkenntnis« der Beamten ließen stark nach oder konnten gar nicht erst vorausgesetzt werden. 2 Nicht, daß das Personal von heute auf morgen generell untüchtiger geworden wäre. Der Leistungsabfall war relativ, er lag im wesentlichen an den höher werdenden Ansprüchen an seine Arbeit. U m mit der allgemeinen Evolution Schritt halten zu können mußten jedenfalls - schon im wohlverstandenen »dienstlichen Interesse« - entscheidende »Verbesserungen in der geschäftlichen Ausbildung der Anwärter« zuwege gebracht werden. 3 Allerdings konzentrierte sich die Aufmerksamkeit bei der Problemlösung zunächst auf die Beendigung der noch fast völligen Informalität hinsichtlich des Nachweises beruflicher Eig93
nung. Man nahm sich mit anderen Worten vorrangig der Etablierung eines Prüfungswesens an. Auf diesem Gebiet wurde noch vor Ablauf des 19. Jahrhunderts das Notwendige geleistet. 4 Doch das genügte nicht mehr. Es mehrten sich die Anzeichen dafür, daß die höher und insbesondere fachlicher werdenden Anforderungen an die Verwaltungsarbeit eine Hebung der Berufskompetenz erforderten, die ohne institutionalisierte bzw. modernisierte Wissensvermittlung kaum geleistet werden konnte. Prüfungen allein lösten das Problem nicht, sie brachten allenfalls vorübergehende, meist nur scheinbare Besserung. 5 Die einzelnen Verwaltungszweige reagierten auf das Problem unterschiedlich. Während es ζ. B. die Post bei allerdings besonders ausgedehnten und intensiven Prüfungen beließ und nur die für den höheren Dienst vorgesehenen mittleren Beamten praxisextern unterrichtete, 6 gingen die preußischen Staatsbahnen weiter. Vor dem Hintergrund raschen Personalwachstums und rasch evolvierender Technologie bei noch wenig eingefahrener Nachwuchspflege begannen sie 1878 mit dem Aufbau eines verwaltungsinternen Schulsystems, das bis etwa 1902 sich als umfassendes Netzwerk von sog. Stations-, später Eisenbahnschulen präsentierte. 7 Am spätesten rührte sich die allgemeine innere Verwaltung, vielleicht gerade deshalb, weil sie sich auf die bestehende »Pflanzschule« berufen konnte. Aber die Pflanzschule war nicht mehr zeitgemäß. Sie erzog eher zur exakten Befehlsausführung, gefragt aber war mittlerweile Fachverständnis. Typisch manifestierte sich das im Kassen- und Rechnungswesen, auf einem >exakten< und durch die Entwicklung besonders exponierten Gebiet, wo stramme Haltung den Sachverstand am wenigsten ersetzen konnte, wo Kompetenzschwäche und Sachfehler sich sehr schnell und direkt rächten und wo sie als Berufsmanko der Subalternbeamten auch deswegen besonders auffielen, weil diese Arbeit »nahezu ausschließlich« von ihnen statt von höheren Beamten getragen war. 8 Gleichwohl, das erste Prüfungsreglement »für die im Bureau- und Kassendienste bei den königlichen Regierungen (Oberpräsidien) anzustellenden Subalternbeamten« kam erst 1894 zustande. 9 Und Unterrichtsveranstaltungen, die das urtümliche Lernen durch praktische Arbeitsanleitung abgelöst hätten, gab es vor 1900 so gut wie nicht. Die »Instruktionskurse«, die der Regierungspräsident in Aurich gleich nach Inkrafttreten der Prüfungsordnung, ab September 1894, »an jedem Sonnabend« von 16.30 bis 19.00 U h r für »sämmtliche Supernumerarien« obligatorisch durchführen ließ oder eine ähnliche Veranstaltung des Regierungspräsidiums in Aachen hatten Ausnahmecharakter. Diejenigen in Aachen fanden ohnehin nur unregelmäßig statt und hörten nach einiger Zeit überhaupt auf. 10 Überdies sollten die Kurse (so in Aurich) lediglich eine »allgemeine Anleitung« geben, und die als Hauptsache betrachtete »private Vorbereitung« durch »gründliches Selbststudium« nicht ersetzen. Erst zu Beginn des 20.Jahrhunderts, nachdem die Prüfungen als alleiniges Instrument einer besseren 94
Berufsbildung spürbar untauglich geworden waren, kam das Verlangen nach formalisierter, überindividueller Unterweisung bewußter und stärker auf. Zu den ersten, die eine Schulung der neuen Art nun realisierten, gehörten etwa die Regierung in Hildesheim, die von 1903 an, und in Münster, die seit Anfang 1904 Kurse »zur besseren Ausbildung der Regierungsund Steuersupernumerare« einführten. 11 Gegen Ende des Jahrzehnts waren solche Lehrgänge bei den Regierungen keine Rarität mehr. 12 Diese Lehrveranstaltungen, die Eisenbahnschulen und Spezialschulen, die manche besondere Verwaltungszweige unterhielten bzw. der Besuch höherer (im Gegensatz zu allgemeinen höheren Lehranstalten unmittelbar berufsbildender) Fachschulen, den sie vorschrieben, 13 stellten wichtige erste Schritte dar, aber noch keine Lösung. Sie bildeten kein insgesamt lükkenloses Netz, und in qualitativer Hinsicht befriedigten sie auch nicht ganz. »Die berufliche Ausbildung der Beamten«, hieß es dazu 1910, »wird durch die von den Behörden bisher getroffenen Einrichtungen nicht erreicht.« 14 Das bestätigte sich ζ. B. durch die bleibend schlechten, von amtlichen Stellen wie Beamten gleichermaßen beklagten Prüfungsresultate 15 und durch die zunehmende Übung von Behörden, die Anforderungen an die Schulbildung der Laufbahnbewerber informell heraufzusetzen, d. h. nach Möglichkeit nur noch überqualifizierte Kräfte, tendenziell Vollabiturienten, einzustellen.16 Vergleicht man die Zustände im subakademischen Dienst mit denen, die die Berufssituation der höheren Beamten charakterisierten, sind Ähnlichkeiten unleugbar. Aus der Perspektive der Professionalisierung betrachtet gab es jedoch einen grundlegenden Unterschied. Subalterne Tätigkeiten, und erst recht die Unterbeamtenarbeit, begründeten im Gegensatz zu den Geschäften des höheren Dienstes keine Profession im strengen Sinn. Dazu reichte weder ihre Autonomie- oder fachliche Autoritätsfähigkeit noch ihre Prestige- und Einkommenserwartung aus. Im Falle der subakademischen Beamtenschaft konnte es nicht um die bessere Pflege des vollprofessionellen Besitzstandes oder um Vollprofessionalisierung gehen. Gleichwohl konnte sich - insbesondere - der mittlere Dienst punktuell (berufspolitischer) Professionalisierungsüirafegie« bedienen. Der Komplex höherwertige Berufsqualifikation eignete sich dafür gut, grundsätzlich wegen der zunehmenden Bedeutung des Wissenselements im modernen Berufsleben, aber auch, weil man sich in der gegebenen Lage der Verwaltung von einer an verbesserten Standards orientierten Berufspolitik erhebliche Gewinne versprechen konnte. Das setzte zwar entsprechendes Problembewußtsein und aktives Handeln voraus, aber die Betroffenen brachten diese Voraussetzungen offenbar in hinreichendem Maß mit. Aus allen Kreisen der mittleren Beamtenschaft erhob sich die Forderung nach Ausbildung und speziell nach besserer Ausbildung, wobei sich als Merkmale des Wunschzustandes immer mehr der obligatorische, systema95
tische und theoretische Charakter der Schulung herausschälten. Man war sich also zunehmend einig, daß die unbedarfte und uneinheitliche Tradierung unreflektierter Berufserfahrung während der fur Lehrer wie Schüler ohnehin ermüdenden Praxis oder das Verwiesenwerden ausschließlich auf das Selbststudium anachronistisch seien.17 Vordergründig war das eine Reaktion auf den kollektiven Prüfungsschock, auf die Formalisierung der Laufbahnqualifikation, deren Einfuhrung für unbedacht und unbillig gehalten wurde, solange auf sie nicht der Schritt zum formalisierten Unterricht folgte. Aber man blieb nicht bei Protesten stehen. Die Formen aktiver, weiterführender Selbsthilfe reichten vom individuellen Vorstoß ζ. B. eines Aachener Supernumerars, der im Kollegenkreis Informationen zur Schaffung eines einheitlichen Unterrichtsmodells sammelte,18 bis zum organisierten Selbstschulungsprogramm etwa des Postassistentenverbandes mit einer eigenen »Unterrichtszeitung« für 7000 Abonnenten. 19 Jenseits derlei pragmatischer Schritte schimmerte auch die prinzipielle Einsicht auf, daß man ohne moderne Berufsausbildung der modernen Berufsarbeit nicht genügen könne, mehr noch, daß das Berufswissen, zumal Spezialistenwissen es sei, das statt Drill und Gehorsamsbereitschaft die Karriere in der modernen Arbeitswelt wirklich begründe (begründen sollte). Wissen wurde allmählich als berufliche wie soziale Macht bewußt. »Wirke jeder«, spornte die Zeitschrift der Postassistenten ihre Leser zum Lernen an, »solange es Tag ist, sonst bleibt ihm lebenslängliches Bedauern über den entgangenen Gewinn an Wissen, Ansehen, Rang, Einkommen und innerer Befriedigung nicht erspart. «20 Es waren durchaus nicht nur mittlere Beamte, die den Wert des Berufswissens hoch einzuschätzen lernten. Auch viele Unterbeamte, in der Regel gehobene Unterbeamte (der Bahn- und Postverwaltung), setzten dezidiert auf berufliche Bildung und Fortbildung, auf »ein großes Maß gediegener Sach- und Fachkenntnisse« als Gebot aber auch Chance in sich ändernden Zeiten.21 Im einzelnen läßt sich diese Entwicklung der Einschätzung der fachlichen Kompetenz als Vehikel beruflicher Aufwärtsmobilität am Beispiel der mittleren Büro- und Kassenbeamtenschaft und ihrer standespolitischen Aktivitäten, dem Kern der Zivilanwärterbewegung also, recht gut verfolgen. Nicht zuletzt deswegen, weil sie außer dem Prinzip auch das Gegenprinzip sichtbar macht. Repräsentant des Gegenprinzips, um zunächst darauf einzugehen, war das Militäranwärterwesen oder der typische Militäranwärter. 22 So nannte man ehemalige Militärs (Unteroffiziere), die sich um Beamtenstellen bewarben. Sie waren das Produkt einer seit Ende des 18. Jahrhunderts in wachsendem Maß geübten und seit 1867 endgültig auch als Grundsatz verankerten und institutionalisierten Praxis, ausgediente Unteroffiziere (ursprünglich Invalide) der Armee, später auch der Marine und der Schutz96
truppen, versorgungshalber in der Staatsverwaltung unterzubringen. Dies geschah intentionell nicht im Interesse der Verwaltung sondern im Interesse der militärischen Potenz; die gesicherte Zivilversorgung sollte die Unteroffizierslaufbahn für möglichst viele und gute Soldaten attraktiv machen. Vermutlich gab es in der Zivilbürokratie immer schon einen gewissen Widerwillen gegen diese ihr auferlegte Bindung. 23 Dennoch war das System, auch nach 1867 noch, zunächst tragbar. Beginnend mit den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts traten jedoch notorische und sich verschärfende Probleme auf, die dem alten modus vivendi die Grundlage entzogen. Dies hatte im wesentlichen zwei Ursachen. Die erste kann als Mengenproblem bezeichnet werden, die zweite als Qualitätsproblem. Infolge starker Aufrüstung seit der Heeresreform 1859, die 1893 einen Höhepunkt erreichte, wuchs die Zahl der Unteroffiziere unproportional an. Der einstige Mangel an Unteroffizieren verwandelte sich spätestens seit etwa 1901 in einen Überschuß, der dringend abgestoßen werden mußte. Das alles stellte die Zivilverwaltung, den >Empfänger< der Militäranwärter, vor Übersättigungsprobleme. Soweit der quantitative Aspekt. Brisanter und auf die Dauer schwerwiegender war die zweite Komponente der Spannungen. Sie bestand konkret darin, daß diese Kapitulanten, gemessen an den gerade jetzt deutlich anwachsenden fachlichen Anforderungen an die mittlere Beamtenschaft, eine zu niedrige und kaum wesentlich aufbesserungsfähige Vorbildung mitbrachten. Sofern diese Unteroffiziere (und andere Zeitsoldaten) sich also nicht mit dem unteren Beamtendienst begnügten und die Überfuhrung in die Klasse der Mittleren anstrebten, sahen sie sich vor häufig größte Schwierigkeiten gestellt. Man muß sich ihre Präformation vergegenwärtigen: Sie stammten überdurchschnittlich häufig vom Land24 und hatten in der Regel Volksschulbildung. In ihrer Militärzeit, die für den Erwerb der Zivilversorgungsberechtigung mindestens 12 Jahre zu betragen hatte, lernten sie vor allem Befehlsgebung und unbedingten Gehorsam, Verhaltensweisen, die ihnen in »Fleisch und Blut« übergingen und eben ihr »ganzes Thun und Lassen« bestimmten, »auch [noch] in der Beamtenlaufbahn«. 25 Diese »zur zweiten Natur« gewordene Haltung, 26 bei der es weniger auf Fachintelligenz als auf Zuverlässigkeit ankam, blockierte vielfach die Lernfähigkeit und ließ eine fachlich orientierte Leistungsauffassung nur schwer zu. Dies um so mehr als eine ernstzunehmende Umschulung vor der Übernahme in die Zivilverwaltung nicht stattfand. Die drei Monate betragende »informatorische probeweise Beschäftigung«, die manche Behörden praktizierten, reichte nicht hin, um das für viele schier übermächtige Umstellungsproblem zu lösen. Der »plötzliche Übergang aus dem Militärdienst in die Ziviltätigkeit«, so wurde einmal dargelegt, erfordere »eine starke geistige Anstrengung« und führe »oft zu nervöser Überreizung, sogar zum Selbstmord«. 27 Wenn auch bezweifelt werden kann, daß dies, wie an gleicher Stelle behauptet, die »hohe Sterblichkeit« der Beamten erklärte, illustriert es das Dilemma, in dessen Folge 97
Militäranwärter normalerweise für längere Zeit, manche für immer, mit einem Kompetenzhandikap belastet wurden; sie hatten ohne adäquate Vorbereitung bzw. Fortbildungschancen auf einem ihnen »bis dahin vollständig fremden Gebiet«28 gleichsam über Nacht die Geschäfte voll mitzutragen. Bedenkt man außerdem, daß die Militäranwärter durch das lange und nicht leichte Soldatendasein in gewisser Weise »aufgebrauchte« und nicht mehr ganz junge Leute waren, 29 kann man die »ZivilVersorgung« zusammenfassend als eine der Entwicklung und Verankerung von Professionalisierungsstrategien abträgliche Einrichtung bezeichnen. An diesem Charakter der Einrichtung änderte sich vor dem Ersten Weltkrieg nichts Prinzipielles. Das neue Versorgungsgesetz 1906 und die 1907 revidierten »Grundsätze für die Besetzung der mittleren, Kanzlei- und Unterbeamtenstellen bei den Reichs- und Staatsbehörden [und] bei den Kommunalbehörden mit Militäranwärtern und Inhabern des Anstellungsscheins« hielten die bisherigen Regelungen mit relativ geringen Abweichungen aufrecht. 30 Ein um 1909 eingeführter Militäranwärter-Unterricht, der den Übergang in den mittleren Zivildienst erleichtern sollte, blieb unzureichend.31 Und auch die Militäranwärter selbst konnten weder sich noch ihr Image als rückständiges und minderqualifiziertes Element der Subalternbeamtenschaft entscheidend ändern. Der 1895 gegründete »Verband Deutscher Militäranwärter und Invaliden«, ab 1904 »Bund Deutscher Militäranwärter«, steuerte nicht allzu viel zur Bewältigung des Problems bei. Seine Standespolitik konzentrierte sich, den Interessen der Mitglieder gemäß, eher auf die Konservierung als den Abbau anachronistischer beruflicher Zustände. Es überrascht nicht, daß es zur Übung des Bundes gehörte, berufsfremde oder überholte Meriten und Eigenschaften, wie den Wert der Unteroffiziere für die Erhaltung der Wehrkraft, Treue, präzise Pflichterfüllung, Mut, Entschlossenheit, Charakterfestigkeit, praktische Lebensauffassung u. ä.32 herauszustellen. Es wäre falsch zu sagen, es hätte überhaupt keine Bemühungen gegeben, dem Qualifikationsmangel der Militäranwärter zu begegnen. Allerdings war es weniger der »Bund«, der sich dafür engagierte. Eifriger nahm sich ein auch sonst die Beamtenschaft umrankendes privates Kleingewerbe der Nöte der Umschüler an. Auch der Militäranwärter-Bund ignorierte die Angelegenheit nicht ganz. Er begrüßte ζ. B. verbesserte Ausbildungsmöglichkeiten, speziell den 1909 realisierten überleitenden Militäranwärterunterricht, forderte von den Behörden die Anerkennung und Honorierung besonderer, meist technischhandwerklicher Fähigkeiten, die Militäranwärter auf bestimmten Posten während ihrer Soldatenzeit auch ohne formalen Nachweis erworben hatten und trat für eine Art Nachhilfe (Fortbildung) für die bereits im Zivildienst tätigen einstigen Militärs ein.33 Darin eine kollektive Abkehr der Militäranwärter von ihrer bisherigen, auf dem Primat des Versorgungsanspruchs basierenden Berufsauffassung zu sehen fiele indessen schwer. 98
Im Gegensatz zu den abgemusterten Soldaten bildete bei den Zivilanwärtern die Ausbildungsfrage einen zentralen Gesichtspunkt des Berufsverständnisses. Als nicht primär aus Versorgungsgründen zur Verwaltung gekommener, schulisch weit höher vorgebildeter Teil der mittleren Beamtenschaft, waren die Zivilanwärter nicht nur das progressivere Element, sondern auch der Antipode des Militäranwärtertums. In der verschärften Konkurrenzsituation seit der >Überproduktion< an versorgungsberechtigten Militärs gegen Ende des 19. Jahrhunderts artikulierte sich das Anderssein der Zivilsupernumerare, wie sie ursprünglich hießen, auch als handfester Interessengegensatz zu den Militäranwärtern. Zur organisierten Interessenverteidigung sahen sich die Supernumerare nicht nur durch die gestiegene >Invasionsgefahr< seitens der Veteranen an sich veranlaßt, sondern auch durch den Umstand, daß diese seit 1895 einen äußerst agilen Standesverband hatten. Indirekt nötigte ferner die seit 1855 sukzessive fortschreitende Herabsetzung der schulischen Anforderungen an die Zivilanwärter u. a. wegen der ihr immanenten Nivellierungsgefahr zur aktiven Standespolitik. Hinzu kamen natürlich, wie bei anderen Beamtengruppen auch, die üblichen Anlässe, vor allem also Besoldungs- und Versorgungsfragen. So formierte sich ab 1901 eine »Zivilanwärterbewegung«, zunächst als allgemeiner »Verband der Zivilanwärter des Deutschen Reiches« (17. Nov. 1901), bald aber auch in Gestalt regionaler Kategorien verbände wie des »Verbandes der Regierungs- und Steuer-Zivilsupernumerare Preußens« (29. Nov. 1902). 34 Welchen Grundsätzen die Zivilanwärter anhingen, kam in der ersten Zeit zwar weniger deutlich heraus als man es vielleicht erwarten konnte. Zu sehr war man zunächst verstrickt in den direkten Kleinkampf gegen die »Vermilitarisierung« des Beamtentums, 35 in bilaterale Fehden mit dem Militäranwärterbund und in die pragmatische Verfolgung von Brotfragen. Auch die Furcht vor argwöhnischen Behörden, 36 dazu organisatorische Schwächen und Konsensmängel in der Startphase, hemmten die Beschäftigung mit dem programmatisch-ideologischen Hintergrund. 37 Trotzdem lassen sich auch für die erste Zeit Leitvorstellungen und fundamentale Normen ausmachen, es läßt sich vor allem leicht feststellen, daß dem Wissenselement ein besonderer beruflicher Rang zugemessen wurde. Von Anfang an fand insbesondere die Ausbildung in der allgemeinen Verwaltung, Urheimat der Zivilanwärter, engagierte Aufmerksamkeit. Schon zu einer Zeit, da es bei den Bezirksregierungen erst vereinzelt Unterrichtskurse und nicht einmal vereinzelt brauchbare curriculare Vorstellungen gab, bot die zentrale Zivilanwärter-Zeitschrift ein Modell für sogenannte Regierungsschulen an. 38 Es kam auch sonst immer wieder zu Initiativen, derartiges in die Praxis umzusetzen. 39 Interesse und Engagement konzentrierten sich allerdings nicht nur auf solche Regierungsschulen im engeren Sinn. Die Frage stellte sich allgemeiner. Es kam darauf an, die didaktische Ignoranz und Theorie-Abstinenz der bisherigen »Pflanzschule« im Geiste
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einer theoretisch fundierten, systematisch und konsequent durchgeführten Berufsbildung, wo immer sie stattfand, zu überwinden. Das konnte, wie im Falle vieler anderer Berufe, auch in Lehranstalten erfolgen, die nicht Teil der Beschäftigungsbehörde bildeten. So reifte der Gedanke einer behördenexternen Ausbildung allmählich ebenfalls heran. Es half dabei, daß man auf Orientierungshilfen zurückgreifen konnte. Sie gab es in Gestalt der Verwaltungslehrgänge, die die Handelshochschulen in Köln und Frankfurt am Main seit 1903 offerierten, oder in Form von Plänen für weitere Einrichtungen dieser Art. 40 Nun waren diese Einrichtungen zwar kommunaler Provenienz. Aber ihre Konzeption zielte über die Stadtgrenzen hinaus, sie reflektierte und signalisierte einen Bedarf, der grundsätzlich auch im staatlichen Bereich bestand. Diese Kurse und auch eigenständige Verwaltungsakademien, die es bald darauf gab, fanden in der Zivilanwärterbewegung großes Interesse. Man begrüßte solche Institutionen nicht nur als Beispiele moderner, theorieorientierter Berufsschulung. Man konnte sich auch ihren Ausbau von kommunalen zu allgemeinen Beamtenlehrstätten vorstellen. Außerdem ließen sie sich als Argument für die grundsätzliche Hebung der Ausbildungsstandards nutzen, somit auch für die Reinstallierung des Abiturs als Eingangsvoraussetzung der mittleren Laufbahn, das statuspolitische Nahziel der Zivilanwärter. 41 Mit etwas Phantasie mochten sie gar als Keim der Akademisierung der Ausbildung wenigstens einer Elite von mittleren Beamten erscheinen. Der Begriff Akademie regte in sich schon dazu an, wobei man, ob zutreffend oder nicht, auch auf Akademien wie die Polizeiakademie in Hannover oder die Kassen- und Rechnungsakademie in Berlin hinwies. 42 Warum sollten ein akademisch-gebrauchswissenschaftliches Ausbildungsniveau und eine eigene Hochschule für Regierungs-Zivilsupernumerare oder gar für die »gesamte mittlere Beamtenschaft Preußens« nicht auch denkbar sein.43 Jedenfalls begriff man die in Frankfurt und insbesondere in Köln angebotenen Kurse »gewissermaßen als Keim einer Hochschule für mittlere Beamte«, eine konkrete Chance, die genutzt werden sollte. »An uns liegt es nun«, hieß es hierzu, »diesen Keim zur Entwicklung zu bringen, damit er sich zu einem großen Baume auswächst, in dessen Schatten das mittlere Beamtentum immer größerer Tüchtigkeit entgegenreift.« 44 Der Boden, um im Bilde zu bleiben, schien nicht unfruchtbar, in den nächsten Jahren trieben weitere Keime aus, darunter die Verwaltungsbeamtenschule in Düsseldorf im Sommer 1910. Sie trat zunächst zwar nicht mit Hochschulanspruch auf, verkörperte allerdings die Idee der quasi-professionellen Berufsbildung für mittlere Beamte mit großer programmatischer Prägnanz. 45 Im Jahr darauf wurde daraus eine »Akademie für kommunale Verwaltung«, 46 die, wie die Zivilanwärter erfreut feststellten, »hochschulmäßigen Charakter« trug und alle Voraussetzungen erfüllte, nun allgemein als »Vorbild für eine Staatsbeamtenakademie« zu gelten.47 Und kurz danach 100
(1912) erwuchs aus den Verwaltungskursen der Handelshochschule Köln eine selbständige Verwaltungshochschule. Die Entdeckung der Hochschulperspektive markierte ein fast zu ehrgeiziges Ziel, zeigte aber unabhängig von der Realisierbarkeit und ungeachtet der vordergründigen (Laufbahn-) Prüfungsnöte vieler Zivilanwärter 48 an, daß die Frage der Fachbildung prinzipielle Qualität gewann. Die Erkenntnis, daß »Können und Wissen« vor »Treue und Pflicht« gehobene Beamtenarbeit begründeten, 49 wurde denn zuweilen auch in Zusammenhang mit aktuellen Strukturwandlungen gebracht. In der »Denkschrift des Verbandes der Regierungs- und Steuer-Zivilsupernumerare Preußens« vom Juli 1904 stand: »Die gesteigerten Ansprüche auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens haben. zu dem natürlichen Streben gefuhrt, die Anforderungen an die Durchbildung des Standesnachwuchses den veränderten Verhältnissen entsprechend zu erhöhen. « 50 Es tauchten auch Ansichten auf, daß eine Strategie, die auf den Primat von Fachautorität setze, letztlich im Gegensatz zum amtsautoritären Gehabe und auch zur Sonderstellung der Beamten stehe. 51 Wer »gesellschaftliche Hebung« wolle, mahnte ein Beitrag im Kartellblatt 1907, müsse den »bürokratischen Zopf« insbesondere im »Verkehr mit dem Publikum« ebenso »abschütteln können« wie die Versorgungsgesinnung, die »etwas Beschämendes« sei. 52 Im Laufe der Zeit wurde die Zivilanwärterbewegung überhaupt reifer und programmatischer. Ab 1906 kennzeichnete sich die Entwicklung durch vermehrten Mitgliederzulauf und durch die Kartellbildung (1906) der vier bestehenden Organisationen. Auch das Verhältnis zum Militäranwärterbund änderte sich auf kennzeichnende Weise: Das Zivilanwärter-Kartell nahm und formulierte seinen Gegensatz zum Militäranwärterbund nunmehr grundsätzlicher. 53 Nichtsdestoweniger blieben die Möglichkeiten von Professionalisierungsstrategien sehr begrenzt. Erwartungen an die Durchsetzungskraft des Wissenselements, die sich seit 1903 selbst auf die Akademisierung der Ausbildung erstreckten, wurden enttäuscht. Reell kam man über die ersten Schritte zum systematischen überindividuellen Unterricht kaum hinaus. Nicht einmal der institutoneile Rahmen dafür wurde überall geschaffen. Den mittleren Post- und Telegraphenbeamten ζ. B. verweigerte die oberste Ressortbehörde die Einführung eines organisierten amtlichen Unterrichts, den diese mindestens seit 1900 verlangten, noch 1914 kategorisch. 54 Dort, wo es einen solchen Rahmen an sich gab, blieb er unter Umständen recht vage und uneinheitlich (so in der allgemeinen Verwaltung) oder wurde faktisch unangemessen ausgefüllt wie im Falle der Eisenbahnschulen, deren wirklicher Nutzen infolge mäßiger bis dürftiger Praxis schließlich doch »im allgemeinen nur gering« war. 55 Erst recht wurde aus der Beamtenhochschule zunächst nichts. Und auch das Fortbildungsangebot der Handels· und Verwaltungshochschulen konnte nicht genutzt werden, da diese Einrichtungen entgegen vielfach gehegter Hoffnungen nicht in das Berech101
tigungswesen einbezogen wurden. Ihre Zertifikate hatten keine laufbahnfördernde Wirkung. Selbst der Besuch der Kurse stieß auf Schwierigkeiten. Trotz verbaler Wohlwollenskundgebungen der Behörden blieb die Abordnung oder Freistellung mittlerer Beamter in der Regel aus. 56 Die Behörden legten überhaupt ein ambivalentes Verhältnis zur Ausbildung vor allem der mittleren Beamten an den Tag. O b w o h l allenthalben Einigkeit darüber herrschte, daß die Sachkompetenz des Personals im Interesse der Verwaltungen verbessert werden müsse, scheute man doch gewisse Konsequenzen. Bessere Ausbildung und Fortbildung wurden vom Staat prinzipiell gutgeheißen, aber eigentlich nur dann geschätzt, wenn sich damit keine Aufstiegsforderungen (Höherstufung, höhere Besoldung) verbanden, wie dies den Beamten vorschwebte. Eine Verbesserung des Unterrichts stieß auf ihre Grenzen schon dadurch, daß sie die Berufsanfänger dem Arbeitsprozeß und den Behörden damit unbezahlte Arbeitskräfte zu entziehen drohte. Diese Quelle des Sparens sollte nicht preisgegeben werden. 57 Aufs ganze gesehen blieb im Ausbildungsbereich alles mehr oder weniger beim alten. Die ». systematische Ausbildung und eventuelle Weiterbildung des mittleren Personals. .«, so eine Bestandsaufnahme 1914, harrt noch des Ausbaues und dürfte desselben dringend bedürftig erscheinen. Dieses [das Personal] ist für seine Ausbildung beinahe ausschließlich sich selber überlassen und hat manchmal beim besten Willen nicht die Gelegenheit, sich systematisch heranzubilden.« 58 Was die Beschaffenheit der Arbeitsorganisation angeht, so sicherte auch sie den mittleren Beamten im allgemeinen keine angemessene Selbständigkeit, keine Chance zu fachlicher Profilierung, die einen Aufstieg kraft Sachautorität begründen konnte. Das war, bezogen auf die allgemeine Verwaltung, vor Inangriffnahme der Verwaltungsreform so, und so blieb es auch danach. Eine Lockerung der nahezu lückenlosen Weisungsabhängigkeit und der Bindung an häufig eher anspruchslose, darum wenig chancenträchtige Tätigkeiten fand nicht statt oder, wie man auch sagen könnte, die verantwortliche Beschäftigung in professionell entwicklungsfähiger Manier 59 wurde während des hier behandelten Zeitraums nachhaltig wohl »nirgends eingeführt«. 60 Bessere Bedingungen konnten in Sonderverwaltungen vorgefunden werden, wo der Anteil des höheren Dienstes gegenüber dem mittleren meist kleiner war, so daß dem letzteren einfach mehr Geschäfte zufielen, und wo sowohl infolge der stärkeren Aufgabendifferenzierung wie des »leistenden« Charakters dieser Verwaltungen die sachlichen Aspekte der Arbeit sich zuweilen eher in den Vordergrund zu schieben vermochten. Davon profitierte, wenn man sie im Vergleich zur allgemeinen Verwaltung sieht, in gewissen Grenzen auch die Unterbeamtenschaft, die hier zum Teil erheblich qualifiziertere Aufgaben versah als dort. Aber auch diese Vorteile waren relativ. Es gab sie nicht durchgängig, sondern eher selektiv und eher in kleineren Verwaltungszweigen bzw. Behörden. In den großen wurden 102
sie durch strengere Bürokratisierung und/oder restriktive Eigenheiten des Großbetriebes geschmälert oder wettgemacht. Auch im Sinne des Karrierestrebens und vor allem der Realisierung einer modern verstandenen, sprich wesentlich aus eigener Kraft zu gestaltenden Karriere, bot der Staatsdienst eher schlechte Bedingungen. Schuld daran war nicht zuletzt die starre und undurchlässige Hierarchisierung nach Kriterien der Amtsautorität, die sich dann auch als ein Professionalisierungsstrategien widerstrebendes Laufbahnsystem manifestierte. Aus diesem Grund hatten die in den Sonderverwaltungen optisch zuweilen besseren Gegebenheiten eben nur eine scheinbare oder nur informelle Geltung. Sie konnten nur selten in individuelle oder kollektive Karrierevorteile umgesetzt werden. Die in großen Zügen überall gleiche Laufbahnkonstruktion erlaubte eine positive Sanktionierung höchstens in Ausnahmefällen. Speziell die in sich schon verzögernden, durch ein chronisches Unverhältnis zwischen angenommenen Bewerbern und vorhandenen Planstellen weiter verschlechterten Berechtigungs- und Aufrückungsverhältnisse erwiesen sich als nachteilig und in gewisser Weise als tückisch. Die Beamten wurden, die »etatmäßige« Anstellung vor Augen, sozusagen so lange hingehalten, bis es für sie zu spät wurde, zu spät sowohl für ein wirkliches Weiterkommen im Staatsdienst wie für eine externe Alternativkarriere. Die Worte eines Postbeamten geben diese Konstellation treffend wieder. »Ich gehe wohl nicht in der Annahme fehl«, meinte er 1912, »daß kaum einer der Beamten, der mit 16, 17 oder 18 Jahren in den Dienst trat, sich der Tragweite dieses Schrittes vollkommen bewußt gewesen ist. Dazu hätte der Anwärter sowohl das Reichsbeamtengesetz als auch einen Teil der Dienstanweisung vor dem Eintritt genau kennen müssen. Nein, was einem im Staatsdienst blüht, das weiß man erst. wenn man jahrelang darin ist, und dann erst tritt die Erkenntnis ein, wo und wie die bessernde Hand angelegt werden könnte. «61 Zu der Unwirtlichkeit der äußeren Bedingungen kamen die Schwierigkeiten, die der Einstellung der Beamten selber zum postulierten Primat von Sachautorität, fachlicher Leistungsorientierung u. ä. noch immer verbreitet innewohnten. O b w o h l die Entdeckung, daß die »Anforderungen an das Können und Wissen unserer Erwerbstände. enorm gesteigert« worden seien und die Beamtenschaft sich nur behaupten könne, wenn sie ihre allgemeine wie fachliche Ausbildung diesem Zug der Moderne gemäß erhöhe, 62 von ihnen durchaus gemacht worden ist, wurde dies kaum zur Einsicht aller. Es waren primär die Vereinsvorstände und -funktionäre, die Schriftleiter der Vereinsorgane und andere Laien-Redakteure und eine aktive Minderheit der Vereinsmitglieder, die auf solche Erkenntnisse stießen und sich Gedanken über die Konsequenzen machten. Die durchschnittlichen Beamten taten sich mehr oder weniger schwer damit, über berufliche Dinge auf prinzipielle Weise nachzudenken und sich an der Hebung der fachlichen Kompetenz u. ä. tatkräftig und konstruktiv zu beteiligen. Immer wieder
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mußten Vereinszeitungen ihren Lesern die Vorteile, ja die Notwendigkeit von Bildung, Ausbildung und Fortbildung preisen und mehr als einmal das unbefriedigende Engagement für diese Dinge beklagen. 63 Auch bezüglich der Qualität dessen, was die Engagierten taten und dachten, kommt man nicht ganz ohne Relativierung aus. Es kam vor, daß die Allgemeinbildung und die allgemeine höhere Schulbildung mit Berufsausbildung gleichgesetzt wurde, präziser, daß das in der höheren Schule erwerbbare Denktraining als ausreichend angesehen wurde, um sich im Beruf im wesentlichen schon zurechtzufinden. Das widersprach dem Sinn modemer Berufsvorbereitung als Fundierung von Spezialistentum oder schwächte deren Stellenwert ab, wenngleich man sagen muß, daß die Vorstellung, eine gute Allgemeinbildung sei auch eine gute Berufsausbildung, eine zeitgenössisch verbreitete Auffassung war. Man stößt auch auf Vorstellungen, die darauf hinausliefen, die gesellschaftliche Belohnung qualitativ höherwertiger Arbeit in eine Art staatlich garantierte Rangstellung einmünden zu lassen, mit anderen Worten die Wertschätzung >professioneller< Tugenden in ein Element altständischer Ordnung umzumünzen — eine denkbar widersprüchliche Vorstellung. 64 Auch >professionelle< Mentalität im Sinne der Außenkontakte, d. h. einer am Klienten orientierten Dienstleistungsauffassung zu entwickeln und durchzuhalten, fiel Beamten vielfach schwer. Deutlich spiegelt sich dies im dienstlichen Umgang mit dem Publikum, der sich insbesondere dort nicht selten heikel gestaltete, wo unmittelbare Kontakte zum Dienstalltag gehörten, so u. a. in den Verkehrsverwaltungen (Bahn und Post). Daß es ζ. B. Postbeamten im Schalter- und Telefondienst nicht durchweg gelang, mit dem allerdings wohl auch nicht immer leicht zu nehmenden Publikum unprätentiös zu verkehren, illustrieren Beamtenbeleidungsprozesse. 65 Die Umschreibung eines Beamten durch einen Klienten als »blonder Jüngling«, 66 Zurufe wie »frecher Mensch«, 67 »das ist eine Unverschämtheit von Ihnen« 68 u. ä. oder Beschwerden, daß bestimmte Postämter ihre Kundschaft »in gemeiner Weise« behandelten, »sehr langsam« abfertigten, es den Kunden gegenüber »an der erforderlichen Höflichkeit« fehlen ließen,69 daß ein Beamter sich »flegelhaft« benommen habe70 und dergleichen genügten durchweg für eine Anzeige. Erst recht wurde wegen Verletzung der Beamtenehre geklagt beispielsweise für Ausdrücke wie »Esel«, 71 »Schafskopf«, 7 2 »Dösköppe«, 7 3 »Rindvieh« oder »Brummochsen«. 7 4 Es galt ferner als ehrenrührig, wenn ζ. B. ein Briefempfänger meinte, daß die Nichtaushändigung eines Einschreibens an eine zwar nicht als Adressat angeführte aber bekanntermaßen zum Haus gehörige Person durch den Postboten eine »offenkundige Brüskierung und kleinliche Schickanierung« sei, 75 oder eine »Schweinerei«, wenn die Post ihre »Apparate nicht besser in Ordnung halten« könne. 76 Liest man dazu die Hintergrundschilderungen, wird man das Gefühl nicht los, daß Beamte streng, manchmal unnachgiebig bestrebt waren, ihrem Amt oder dem, was sie dafür hielten, Respekt zu verschaffen, so 104
als würden sie nach dem Motto der geltenden Lehre von der öffentlichen Anstalt handeln: »Es macht einen Unterschied, ob der Staat mit den Bürgern auf dem Fuße der Gleichberechtigung verkehrt oder in seiner Machtstellung als Inhaber und Ausüber des Gesamtwillens«. 77 Stellvertretend sei folgender Fall in der Formulierung der Deutschen Postzeitung, Organ der mittleren Postbeamten, ausfuhrlicher wiedergegeben: »Am 17.Januar [1903] kaufte der Kaufmann Max Barg aus Friedenau bei der Rohrpostbetriebsstelle des Postamtes 9 am Leipzigerplatz einige Postwertzeichen. Derselbe rauchte beim Betreten des Schalterraumes und behielt auch die brennende Zigarre beim Fordern der Wertzeichen im Munde. Nach Verabfolgung der Wertzeichen wurde Barg von dem Schalterbeamten, Postassistenten Simson, darauf aufmerksam gemacht, daß das Rauchen nicht gestattet sei. Der Kaufmann Barg machte hierauf und vom Schreibpult aus ungehörige Bemerkungen und rief dem Beamten >Quatschkopf< zu, indem er sich schleunigst entfernte. Der Postassistent Simson eilte dem Barg nach und ließ ihn polizeilich feststellen. « 78 In bezug auf die Eisenbahnbeamten ist eine vergleichbare Grundsituation anzunehmen. Daß obrigkeitliches Denken und Betragen im Bahndienst ebensowenig fehlten wie bei der Post und anderen Verwaltungen, geht aus den häufig negativen Urteilen über Publikumserwartungen und -haltungen hervor. Man fand die Bahnbenutzer irritierend oder auch anmaßend, der Dienst an ihnen galt als lästig und das Eingehen auf sie als Schwäche, wenn nicht als Preisgabe der Beamtenwürde. Es war schon viel, wenn es ab und an zu Selbstermahnungen kam, das »Verhalten dem Publikum gegenüber« müsse doch wohl einer »Revision« unterzogen werden. 79 Man darf freilich nicht vergessen, daß diese Beamten mit einer überaus konfliktträchtigen Aufgabe fertig werden mußten. Das entschuldigt sie in gewisser Weise. Bei näherem Hinsehen kann man entdecken, daß sich in ihrem gespannten Verhältnis zur Klientel kein aus sich heraus erklärbarer ständischer Atavismus manifestierte, daß die Schwierigkeiten vielmehr auf die Aufgabe zurückgingen, Leistungsverwaltung sachimmanent zu realisieren. Im Wilhelminischen Preußen bedeutete Verwaltungshandeln hoheitliches Vorgehen - auch bei Erbringung von Sach- und Dienstleistungen. Und das implizierte Konflikte. Wer staatliche Dienste in Anspruch nahm, mußte sich nach geltender Rechtsauffassung zugleich dem »behördlichen Machtanspruch« unterwerfen. 80 Vorgesehen war also die Hoheitlichkeit einer funktional nichthoheitlichen (vom Ordnungsauftrag freien) Einrichtung. Diese Widersprüchlichkeit zu erklären erforderte schon eine rechtstheoretische und/oder eine Begriffsakrobatik. Formal gelang die Beweisführung vorzüglich. Der brillante Otto Mayer, Begründer und zu dieser Zeit höchste Autorität der deutschen Verwaltungsrechtswissenschaft, machte aus dem französischen contrat administratif (dem Begriff für das herrschaftsfreie öffentlichrechtliche Vertragsverhältnis zwischen Verwaltung und Bürger, von dem er ausge105
gangen war) einen »Verwaltungsakt auf Unterwerfung«. 8 1 In der Sache blieb der Widerspruch freilich bestehen, wenn er sich durch die Mayersche Rechtfertigungslehre nicht gar verschärfte. Die Lage der Beamten erschwerte es zusätzlich, daß sie auch persönlich, als Objekt des besonderen Gewaltverhältnisses, tief in das hoheitliche Gesamtgefüge des Staates eingebettet waren. Es gehörte von ihrer Seite schon deswegen einiges dazu, sozusagen systemindifferent - in diesem Fall benutzerfreundlich - aufzutreten, zumal im Streß oder in Zweifelsfällen. Die folgenden Zeilen der Zeitschrift der preußischen Bahnhofsaufseher geben diesem Dilemma einen beredten Ausdruck. »Ist zwar die Behauptung an sich richtig«, hieß es da, »daß die Eisenbahn für das Publikum da sei, so ist fur den Beamten doch zunächst maßgebend, daß er die Interessen der Verwaltung zu vertreten hat, ohne allerdings dem Publikum gegenüber ungerecht zu sein. Daraus folgt, daß die Vorschriften, wie namentlich die Verkehrsordnung, der Nebengebührentarif u. a. ohne Ausnahme genau angewendet werden müssen. Wird dies nicht getan, so wird das Publikum verwöhnt. « 82 Wägt man nun all die restriktiven Bedingungen gegeneinander ab, so kommt die größere Gewichtigkeit alles in allem den gleichsam externen Faktoren zu, denen, die die Staatsverwaltung als Rechts-, Arbeitsorganisations- und Zielsystem darstellte und/oder produzierte. Angesichts der Zwänge, die von diesen Externa herrührten, erscheinen die Haltungen und Verhaltensweisen der Beamten jedenfalls der mittleren und unteren Stufe eher als läßliche Sünden. Immerhin, nicht wenige von ihnen und insbesondere ihren Organisationen verharrten nicht in Passivität, sie versuchten, aus eigener Initiative und mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln auf Veränderungen der Zeit zu reagieren, so unvollkommen dies auch vielfach ausgefallen sein mag. Wichtig ist zu sehen, daß diese Bemühungen trotz der nach 1909 in vieler Hinsicht schlechter werdenden Aussichten nicht abbrachen. Berufliche Vervollkommnung usw. wurde nicht als falsch oder unerheblich eingestuft, kein Beamtenverein, der ihr bis dahin Bedeutung zugemessen hatte, warf sie als Programmelement über Bord, unter Umständen wurde sie gar neu entdeckt. »Die Standesfrage«, schrieb die Zeitung der vordem an der fachlichen Dimension der Berufsfrage nicht typisch interessierten Postunterbeamten 1912, »beruht [heute]. überwiegend auf der Berufstätigkeit. Wir sehen auch, daß der Grad des Standesbewußtseins meist mit dem der Berufsbildung auf gleicher Höhe steht. Ein jeder Stand genießt in der Öffentlichkeit das Ansehen, das er sich selber schafft. « 83 Daß Professionalisierungsstrategien keine grundsätzliche Absage erfuhren, war abzulesen an den bleibenden Anstrengungen um eine bessere Berufsausbildung. Auch hörten die Beamtenorganisationen nicht auf, sich und ihre Mitglieder zu mehr Leistungsmentalität zu ermahnen, sie blieben sich der zunehmenden Ambivalenz der Staatlichkeit als Determinanten per se des Berufsprestiges bewußt, erstrebten die Anerkennung der Beamten106
arbeit als Sachwert durch die Gesellschaft und den Abbau der Barrieren zwischen ihr und den Beamten als Hindernis solcher Anerkennung.
d) Besoldung und
Lebenshaltung
Man würde die Lage des Verwaltungspersonals unzureichend beschreiben, ließe man seine materiellen Lebensbedingungen außer acht. Das meint hier nicht so sehr die allgemeine Relevanz bzw. Unumgänglichkeit des Materiellen als Grundfaktor eines jeden sozialen Daseins. In unserem Zusammenhang interessiert speziell das Verhältnis zwischen dem staatlichen Alimentationswesen und der Entwicklung der gesamtgesellschaftlichen Lebenshaltung unter den Bedingungen industriewirtschaftlichen Wachstums. Das tradierte, auf dem Grundsatz des Fixums aufbauende Besoldungssystem beim Staat war auf einen verhältnismäßig kleinen Verwaltungsapparat, außerdem auf statische Wirtschaftszustände zugeschnitten 1 - das Attribut »feste« Besoldung hat hier seine tiefere Bedeutung. Auch erforderte es vielfach die Selbstbeteiligung der Beamten, konkret die Finanzierung der eigenen Lebenshaltung während der Ausbildung (mit Ausnahme der Militäranwärter und der Unterbeamten) und mindestens teilweise des geforderten »standesgemäßen« Lebensstils hinterher. Das System war eher vorindustriell, das Beamtenheer aber sowohl in seinem Ausmaß wie in seinen Einstellungen und Ansprüchen mehr und mehr das Produkt der Industriegesellschaft. Weder konnte man von ihm in extenso die materielle Opferbereitschaft früherer Eliten erwarten noch darauf hoffen, daß es sich entscheidend verkleinerte. Gleichzeitig brachte die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einsetzende zweite Industrialisierungsphase zunehmende Produktivität, beschleunigtes Wachstum und damit eine schnellere Entwertung der festgeschriebenen Besoldungssätze mit sich. So gerieten die zwischen der Motz'schen Gehaltsreform 1825 und der »Gründerperiode« noch stabilen Beamteneinkommen allmählich unter Druck und der Staat in Zugzwang. Es kann nicht behauptet werden, der Staat habe nichts unternommen, um der Entwicklung zu begegnen. Die Chronik der einschlägigen Maßnahmen 2 zeigt, daß das Besoldungswesen in Preußen mit den 1860er Jahren bereits in Bewegung geraten und seither geblieben war, und daß hieß auch, daß fur Gehaltserhöhungen und Strukturverbesserung einiges getan wurde, ob gezwungenermaßen oder nicht. Die erste große Welle der Gehaltserhöhungen nach einer über dreißigjährigen Stabilität rollte Ende der 50er Jahre an. Man praktizierte keine Globalaufbesserung, um die Staatsfinanzen - zumal wenn plötzlich Rezessionen wie 1857-59 keine andere Wahl ließen - nicht schlagartig zu belasten, sondern ging, zeitlich gut gestreckt, schrittweise vor. Zuerst, 1858/59, wurden die Unterbeamten bedacht. Es folgten (1859) die mittleren Beamten der Lokal- und Provinzialbehörden 107
sowie die Richter der ersten Instanz. Von 1861 bis 1862 waren die mittleren Beamten der Zentralbehörden und die höheren der Provinzialinstanzen an der Reihe, 1864 der höhere Dienst in den Zentralbehörden und abschließend, 1868, die Minister und andere Spitzenbeamte. Noch vor Komplettierung der Runde sorgten gestiegene Lebenshaltungskosten dafür, daß einigen der unteren Rangklassen wieder (zwischen 1867 und 1870) höhere Besoldungssätze zugebilligt werden mußten. Ein erneuter, diesmal fast genereller Schub nach oben erfolgte 1872, wohl weil er notwendig war, aber auch, weil die französischen Reparationszahlungen die Maßnahme erleichterten. Mit der 1873 anschließenden Einfuhrung des Wohnungsgeldzuschusses erfuhren wieder alle Klassen eine zum Teil nicht unerhebliche Steigerung ihrer Einkommen. Dies traf auch fur die Beamten des neu gegründeten Reiches zu, wie überhaupt ihre Besoldungsverhältnisse in der Folgezeit eine zur preußischen parallel laufende Entwicklung mit den gleichen Einschnitten durchmachten. Wenn auch in den anderthalb Jahrzehnten nach 1873, die Zeit einer längeren Konjunkturstockung, relative Ruhe herrschte, kamen die Gehaltsregulierungen nicht ganz zum Stillstand; gerade die 80er Jahre, die Phase der durchgreifenden Verstaatlichung von Privatbahnen und des Bahnausbaus überhaupt, brachten für fast alle Eisenbahnbeamten-Kategorien Verbesserungen der Grundgehälter mit sich. Verbesserungen gab es auch im Justizdienst (im Gefolge der Reichsjustizreform von 1879) und auch bei einigen Kategorien der Post- und Telegraphenbeamten. Als wichtige Strukturmaßnahme fiel die gesetzliche Regelung der »Fürsorge für Witwen und Waisen der unmittelbaren Staatsdiener« in Preußen (1882) auch in diese Periode. Und dann standen die 90er Jahre in Preußen wie im Reich wieder ganz im Zeichen umfassender Besoldungsreformen. Erstens als Aufstockung der Bezüge nach und nach aller Besoldungsklassen (mit Ausnahme einiger Höchstgehaltsgruppen). Zweitens aber auch als wesentliche Strukturrevision. An die Stelle des älteren Gehaltsstufensystems trat nun das sogenannte Dienstaltersstufen-System. Da die Gehaltsstufenordnung ein Aufrücken nur als Nachrücken bei Entstehung einer »Vakanz« (durch Beförderung oder Ausscheiden des >Vormannesklassischen< Bedingungen reichte das pekuniäre Potential der Beamtenelite hin, um sich auch finanziell in oder nahe der gesellschaftlichen Spitze zu behaupten. Vom späten 19. Jahrhundert an mußte sie aber einkommensmäßig mehr und mehr Bürger, die einst hinter ihr rangiert hatten, an sich vorüberziehen lassen. Während es in Preußen 1855 ζ. B. 116
4700 Personen gab, die ein höheres steuerpflichtiges Einkommen bezogen als ein Regierungspräsident, stieg deren Zahl bis 1912 auf 63000. Und ein preußischer Regierungsrat, der sich 1855 nur rund 25000 materiell Bessergestellten in der ganzen Gesellschaft gegenübersah, wurde 1913 schon von mehr als 200000 überholt. Selbst preußische Minister, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts zu den rund 500 Bestverdienern im Lande zählten, gehörten 1910 dem Einkommen nach nicht einmal mehr zu den oberen Zehntausend.21 U m 1912 konnte es vorkommen, daß ein Assessor bei diätarischer Bezahlung seine Kaufkraft mit der von Friseurgesellen vergleichbar fand, oder daß man klagte, die Einnahmen mittlerer Händler machten in wenigen Tagen so viel aus wie die gelegentlichen Gehaltserhöhungen höherer Beamter für das ganze Jahr. 22 Die mittleren und unteren Beamten befanden sich in keiner grundsätzlich günstigeren Lage als der höhere Dienst. Obwohl sie, insbesondere die Unterbeamten, bessere Besoldungskorrekturen genossen als jener, schlug die Wirtschaftsentwicklung, von der eine Verbandszeitung einmal schrieb, sie sei »stärker als die Regierung« gewesen, 23 auch auf sie durch. Sie scheinen die negativen Folgen eher noch mehr verspürt zu haben als die höhere Beamtenschaft. Jedenfalls reagierten sie empfindlicher und vernehmbarer. Es waren in erster Linie Subalterne und auch Unterbeamte, die schon in den 1870er Jahren zur organisierten Selbsthilfe (in Form von Kredit-, Sparund Konsumgenossenschaften) griffen - trotz der relativ zur Teuerung damals konkurrenzfähigeren Besoldungssätze.24 Aus der genossenschaftlichen Selbsthilfe wurde noch vor Ende des Jahrhunderts eine regelrechte Bewegung. Und seit den 1890er Jahren traten interessenpolitische Verbände dieser Dienstklassen auf,25 ein Zeichen nicht zuletzt für die Verschärfung materieller Schwierigkeiten. Zuletzt rief die Teuerung eine Spannung hervor, die auch durch die gute Besoldungsneuregelung von 1908/09 nicht abgebaut werden konnte und bis 1914 anhielt. Selbst der Verband Deutscher Beamtenvereine, traditionsgemäß strikt der Selbsthilfe verpflichtet, gab 1912 seine interessenpolitische Neutralität auf:26 Angesichts der »neuen Wirtschaftsverhältnisse«27 und des Drängens der Mitglieder sei dies unumgänglich geworden. Und die immer schon in der aktiven Berufspolitik engagierten Vereine klagten lauter denn je. Die Besoldungsordnung habe sich in wenigen Jahren »überlebt«,28 eine »wesentliche Ausbesserung« sei ausgeblieben, hieß es.29 Manche fanden gar, daß man auf die »allgemeine Verteuerung« nur noch mit einem »Notschrei« antworten könne 30 oder daß der kleine Beamte dem »wirtschaftlichen Niedergang« geweiht31 und dem »sozialen Elende« preisgegeben sei.32 In alledem steckte viel Übertreibung. Auch war die schier unüberbietbare Larmoyanz, in der sich die Beamtenpresse übte, zum großen Teil Taktik. Der große Lärm, der geschlagen wurde, zeigte ohnehin nicht nur Sorgen, sondern auch die mittlerweile erreichte Stärke der Beamtenlobby an. Dennoch bleibt die bedenkenswerte Tatsache, daß in den Kreisen der mittleren 117
und Unterbeamten einmütig Lärm geschlagen worden ist. 33 Ganz grundlos geschah das wohl nicht. Daß die kleinen Beamten - und dies nicht erst seit 1909 - heftiger reagierten, mag sich u. a. aus dem gleichsam qualitativen Unterschied erklären, der zwischen ihrer materiellen Problematik und der des höheren Dienstes bestand. Die höheren Staatsbediensteten gehörten trotz allem noch lange nicht zu den »Minderbemittelten« der Gesellschaft. Sie hatten ungleich bessere materielle Reserven und sei es nur dadurch, daß sie leichter zu einträglicheren Nebenverdiensten kamen oder eine finanzkräftigere Verwandtschaft hatten. Wichtiger noch war wohl, daß sie nicht Gefahr liefen, ihre distinguierte Stellung aufgrund ihrer Finanzen zu verlieren. Ihnen gelang die Selbstbehauptung vor allem deshalb besser, weil sie dem Rückgang ihrer Kaufkraft auch mit anderen als materiellen Mitteln zu begegnen und so die Verluste zu kompensieren vermochten. Die höheren Verwaltungs-Beamten und auch höheren Justizbeamten (als Vertreter der dritten Gewalt) hatten eine Herrschaftsstellung inne. Diese Stellung war es, die ihre gesellschaftliche Position substantiell bestimmte. Verglichen damit war für sie die Besoldung, vielleicht sogar ihr professionelles Renommee, von sekundärer Bedeutung. Weniger leicht hatten es höhere nichtjuristische Fachbeamte zumal in den Sonderverwaltungen. Aber auch sie sackten noch nicht unter ein gehobenes Mittelschichtniveau, vielleicht weil gerade sie — wenigstens nach außen - ihr Fachexpertentum in die Waagschale werfen konnten, vielleicht aber auch, weil sie sich als AuchAngehörige des höheren Staatsdienstes hinter dem (trotz Einbußen) immer noch großen Machtprestige der hohen Herrschaftsbürokratie mit verschanzen konnten. Im Gegensatz zu ihnen fehlten den Subalternen und Unterbeamten solche Kompensationsmöglichkeiten weitestgehend. Dazu kam, daß sie, insbesondere am Ende der Besoldungsskala, wenig oder keinen materiellen Spielraum hatten. Wohl mußten sie in der Regel nicht befurchten, das Existenzminimum zu unterschreiten. Aber wenn es um Lebensqualität, um >Extras< ging, stießen sie unter Umständen schnell auf absolute Grenzen. In Zeitabschnitten beschleunigter Teuerung konnte es mindestens für Teilgruppen von ihnen überhaupt sehr knapp werden. Doch der entscheidende Punkt war nicht die drohende Verarmung an sich. Befürchtet wurde vor allen Dingen eine gravierende Verringerung oder der mögliche Verlust des Abstandes zur Arbeiterklasse. Es ging um die Sicherung von Mittelschichtpositionen, bei den Unterbeamten auch um die sichere Zuordnung zum Mittelstand schlechthin. Vergleicht man die Nominalgehälter im mittleren und unteren Staatsdienst mit den Nominallöhnen und -gehältern von Arbeitern und Angestellten der Privatwirtschaft (siehe Tab. 17 a, 17b), läßt sich erkennen, daß bis auf das Jahrfünft nach 1875 die Beamtengehälter trotz mancher Sprünge (infolge von Besoldungsneufestsetzungen) insgesamt langsamer wuchsen. 118
Absolut blieben sie zwar über dem Durchschnitt der Vergleichsgruppen; von Arbeitern wurden - in Ausnah niefällen - allenfalls Unterbeamte eingeholt. Der Ausspruch des Vereinsvorsitzenden der mittleren Bürobeamten erster Klasse in Berlin (im März 1914), die Brauereiarbeiter forderten bereits »das Endgehalt des Sekretärs als Mindestgehalt« 34 und ähnliche Unkenrufe waren eher Rhetorik. Gleichwohl, der Vorsprung der Beamtengehälter schrumpfte. Zur Beunruhigung aus der Sicht der kleinen Beamten gab auch Anlaß, daß die Löhne und Verdienste in der Privatwirtschaft gleichmäßig wuchsen, die Besoldungsentwicklung beim Staat hingegen charakteristische Stockungen aufwies. Das mag den Eindruck der relativen Entwicklungsschwäche zusätzlich untermauert haben. Zu bedenken ist außerdem, daß Beamte im Schnitt zehn oder mehr Jahre nach ihrem Eintritt in den Beruf, mithin erst in relativ hohem Alter »etatsmäßig« angestellt wurden. Bei mittleren wie bei unteren Beamten war es etwa das 30. Lebensjahr. Bis dahin wurden sie entweder nicht (wie ζ. B. mittlere Zivilanwärter während der Ausbildungsphase) oder nur »diätarisch«, d. h. niedriger als regulär besoldet. Da es fortwährende Schwierigkeiten bei der Anrechnung der voretatmäßigen Jahre auf das Dienstalter gab, verschlechterten sich wiederum die Chancen, ein hohes Pensionsdienstalter zu erreichen, was auch deshalb ins Gewicht fiel, weil man den Höchstsatz von 75 % des letzten Gehalts ohnehin erst nach 40 (vor 1882 nach 50) Dienstjahren bekam. 35 Mögen sich Arbeiter unter zumeist härteren Arbeitsbedingungen früher verbraucht haben, für die Lagebeurteilung der Beamten spielte es eine sozialpsychologisch vielleicht nicht unbedeutende Rolle, daß Arbeitnehmer außerhalb des Staatsdienstes in ihrem Beruf scheinbar schneller vorankamen, d. h. in jüngerem Alter vergleichsweise besser verdienten. 36 Den Beamten genügte es sicherlich nicht, eine durch die Alimentation gegebene materielle und soziale Sicherheit im Rücken zu haben. Lebenslänglich garantierte Grundbesoldung, zusätzliche finanzielle Zuwendungen und Alters-ja Hinterbliebenenversorgung waren schön und gut, aber doch eher passive Werte. Sie hoben die Lebensqualität in der Phase der Familiengründung und der >besten Lebensjahre< nicht oder nur bedingt. Deshalb legten die Staatsbediensteten, in diesem Fall vornehmlich die mittleren und unteren von ihnen, über sie hinaus recht viel Wert auf ein möglichst schnell verfugbares, das heißt schon in jüngerem Dienstalter üppiger fließendes Einkommen - wie es die Arbeiter offenbar hatten. Erst diese vordergründige Gleichheit machte wohl die Qualität zumindest der niedrigeren Besoldungssätze mit denen der Arbeiterschaft vergleichbar und sei es nur dem subjektiven Empfinden nach. Und dieses besaß, wie bereits gesagt, ein beträchtliches psychologisches Gewicht. Wenn dann die Alimentation hinzukam, so war das auch wieder mindestens subjektiv durchaus vertretbar, sollte doch gerade ein niederer Staatsdiener nach alter Tradition - und hierbei war vermutlich kein Beamter gegen das Überkommene - tunlichst wenigstens etwas mehr sein können als Zugehörige des »vierten Standest 119
Tab. 17a: Nominallöhne und -gehälter (Jahressätze) im Vergleich 1871-1913. Angaben in Mark pro Jahr 37 Jahr 1 1871 1875 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910 1913
493 651 545 581 650 665 784 849 979 1083
Privatwirtschaft 2 3 526 696 588 647 739 768 877 965 1106 1210
868 1258 1165 1165 1222 1279 1309 1404 1482 1716
4
5
884 1209 1006 1196 1518 1449 1568 1758 1927 2118
2194 2817 2817 2929 2967 3023 3186 3186 3843 3843
Staatsverwaltung 6 7 1550 1957 1957 1994 2052 2310 2569 2569 3190 3240
1500 2215 2215 2215 2228 2628 2628 2590 3037 3037
8 835 1041 1041 1045 1083 1235 1298 1306 1802 1818
Gruppenschlüssel 1 2 = 3 = 4 = 5 =
6 = 7 = 8 =
Durchschnittliches jährliches Arbeitseinkommen in Industrie, Transport und Handel (nach Desai) Durchschnittliches jährliches Arbeitseinkommen in Industrie und Handwerk im Dt. Reich (nach Kübler/Hoffmann) Jahresdurchschnittslohn Berliner und Hannoveraner Drucker (nach Bry) Jahresdurchschnittslohn von Berliner und Rostocker Baufacharbeitern (nach Bry) Staatsverwaltung: Sekretäre (mittleres Jahresgehalt als Durchschnittswert dieser Rangklasse auf Grundlage der in dieser Darstellung aus der allgemeinen, Eisenbahn- und Postverwaltung angeführten Sekretärgruppen). Staatsverwaltung: Assistenten (mittleres Jahresgehalt nach dem Muster wie in 5). Staatsverwaltung: Kanzlisten (mittleres Jahresgehalt nach dem Muster wie in 5, jedoch ohne Post). Staatsverwaltung: Unterbeamte (mittleres Jahresgehalt nach dem Muster wie in 5).
Tab. 17b: Nominallöhne und -gehälter (Jahressätze) im Vergleich 1871-1913. Angaben in Indexzahlen. 1895 = 100 38 Jahr 1 1871 1875 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910 1913
74 98 82 87 98 100 118 128 147 163
Privatwirtschaft 2 3 68 91 76 84 96 100 114 125 144 157
Gruppenschlüssel s. Tabelle 17 a.
120
68 97 91 91 96 100 103 110 116 135
4
5
61 83 69 82 105 100 108 121 133 146
73 93 93 97 98 100 105 105 127 127
Staatsverwaltung 6 7 67 85 85 86 89 100 111 111 138 140
67 84 84 84 84 100 100 98 115 115
8 68 84 84 85 88 100 104 106 146 147
Ähnliches wie bei den Nominalverdiensten kann man in bezug auf die Kaufkraftentwicklung feststellen. (Tab. 18.) Das Realeinkommen der mittleren und unteren Beamten übertraf die Teuerung nur bis etwa 1885 zuverlässig. Danach gab es immer wieder zum Teil tiefe Einbrüche, die insbesondere die Zeit nach 1895 kennzeichnen. Abgesehen davon, daß solche Rückschläge nicht nur relative Kaufkraftminderung verursachten, sondern den Realwert der Gehälter teilweise absolut hinter die steigenden Lebenshaltungskosten zurückfallen ließen, nahm sich die Entwicklung der Beamten-Realgehälter auch im Vergleich mit staatsexternen Arbeitnehmereinkommen schlecht aus. Deren Jahressätze wuchsen seit 1880 ununterbrochen und noch dazu schneller als die Lebenshaltungskosten. 39 Auch wenn Beamte in der Regel nach wie vor mehr Geld verdienten als Arbeiter und etwa untere Angestellte, das relativ schlechtere Abschneiden der staatlichen Gehälter nährte den Unmut. Es verstärkte möglicherweise die Furcht vor einer Nivellierung nach unten und lieferte in jedem Fall interessenpolitisch ausschlachtbaren Stoff. Tab. 18: Reallöhne und -gehälter (Jahressätze) im Vergleich 1 8 7 1 - 1 9 1 3 . Angaben in Indexzahlen. 1 8 9 5 = 100 40 Jahr 1 1871 1875 1880 1885 1890 1895 1900 1905 1910 1913
70 87 79 89 96 100 111 114 119 125
Privatwirtschaft 2 3 64 81 73 85 94 100 107 111 116 121
64 86 87 92 94 100 97 98 93 104
4
5
58 74 66 83 103 100 101 108 107 112
69 82 89 98 96 100 99 93 102 98
Staatsverwaltung 6 7 63 75 82 87 87 100 104 99 111 108
63 75 81 85 82 100 94 87 111 89
Lebenshaltungsindex: 8 64 74 81 86 86 100 107 94 117 113
105,8 112,7 104,0 98,6 102,2 100,0 106,4 112,4 124,2 129,8
Gruppenschlüssel s. Tabelle 17a.
Noch immer hatten die Beamten gegenüber den Arbeitnehmern in der Privatwirtschaft nicht nur direkte, sondern auch einkommensstrukturelle Vorteile wie die Pensionsberechtigung und die - in den 1880er Jahren erheblich verbesserte - Hinterbliebenenversorgung, was als Versicherungsersparnis freilich wieder unmittelbar zu Buche schlug.41 Auch so ist es nicht von der Hand zu weisen, daß die kleinen Beamten vornehmlich in der Zeitperiode nach 1895 manche materielle Einschränkung und Anstrengung zur Finanzierung der Lebenshaltung auf sich zu nehmen hatten. Was der Staat seinen Bediensteten gab, war immer schon auf eine »verhältnismäßig bescheidene Lebenshaltung« zugeschnitten ge121
wesen. 42 Wenn auch diese Lebensführung vielleicht nicht stets so entsagungsvoll war, daß sie, wie einmal formuliert worden ist, ein großes Maß an »sittlicher Kraft« erforderte, 43 so setzte sie doch eine organisatorisch sehr disziplinierte Haushaltung mit planvoller und streng kontrollierter Ausgabenpraxis voraus. Auch zusätzliche Finanzierungsquellen wie Vermögen, Nebenerwerb, Hilfe von Verwandten, Naturaleinnahmen und Kleintierzucht waren in der Regel notwendig und ihre Nutzung seit langem üblich. 44 In den letzten zwei Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg schien allerdings noch mehr gefordert. Es fiel ζ. B. auf, daß die Eheschließungen bei Beamten bzw. die Kinderzahlen in Beamtenfamilien zurückgingen. Ehefaulheit und Kinderfurcht hießen die Schlagworte. 45 Das waren Themen, die die Beamtenpresse, ungeachtet auch möglicher anderer Ursachen, besonders nach 1909 immer wieder mit der materiellen Lage in Verbindung brachte. Immerhin, das Phänomen war gewichtig genug, um 1912/13 offiziell untersucht zu werden. 46 Aus den Erhebungen ging hervor, daß die Junggesellen unter den mittleren und unteren Beamten insgesamt einen kleineren Anteil hatten als in der Bevölkerung. Es stellte sich aber auch heraus, daß die sogenannten nicht-etatmäßigen Beamten vom Gesamtbild signifikant abwichen. (Vgl. Tab. 19, 20.)
Tab. 19: Ledige unter den mittleren und unteren Beamten Preußens 1913 im Vergleich zu den Ledigen in der Gesamtbevölkerung, in % 4 7
MB 12,0
insgesamt UB Zsmn. 4,6
7,9
Beamte etatmäßige MB UB Zsmn.
Beamte Bevölkerung nicht etatmäßige über 20 MB UB Zsmn. Jahre
6,9
54,8
4,4
5,3
31,7
52,0
37,2
M B = mittlere Beamte U B = untere Beamte
Tab. 20: Ledige unter den mittleren und unteren Reichs-Post- und Telegraphenbeamten (zwischen 21 und 35 Jahren) 1912 im Vergleich zu den Ledigen in der Reichsbevölkerung, ( 2 1 - 3 5 Jahre), in 7ο48
MB 65,4
insgesamt UB Zsmn. 29,3
39,4
MB = mittlere Beamte U B = untere Beamte
122
Beamte etatmäßige MB UB Zsmn.
Bevölkerung Beamte nicht etatmäßige über 20 UB Zsmn. Jahre MB
32,8
88,1
8,6
15,1
44,8
57,2
56,2
Bei diesen noch nicht voll verdienenden und noch nicht durch lebenslange Anstellung abgesicherten Beamten, die zum großen Teil im >besten Heiratsalten von 25 bis 35 Jahren standen, dürfte die NichtVerheiratung in der Tat vor allem auf materielle Gründe zurückfuhrbar gewesen sein. Da die Zahl der Nichtetatmäßigen beachtlich zu nennen ist - bei der Post ζ. B. machten sie von allen mittleren Beamten fast ein Viertel und von den unteren 27 % aus - , handelte es sich um ein Problem auch von quantitativem Gewicht. 49 Was die Geburtenziffern angeht, lagen die Beamtenfamilien trotz des auch allgemein rückläufigen Trends 50 ziemlich eindeutig hinter der preußischen bzw. Reichsbevölkerung. Im Aachener Regierungsbezirk entfielen 1913 auf einen verheirateten Beamten unterhalb der höheren Rangebene 2,2 Kinder im Durchschnitt und in ganz Preußen 2,5. In der preußischen Bevölkerung zählte man hingegen durchschnittlich 3,2 pro verheirateten Mann. 51 Bei den mittleren Post- und Telegraphenbeamten betrug der entsprechende Wert 1,9, bei den unteren 2,4, im Reich aber 3,5. 52 Sicherlich ist es angebracht sowohl in der Ledigenfrage wie in bezug auf die Kinderarmut zu relativieren gegenüber der pauschalierenden Darstellung in den Beamtenblättern. Genausowenig wird man wahrscheinlich Berichte über »Pumpwirtschaft« als wuchernden »Krebsschaden am Beamtenhaushalt«, 53 über Verschuldung, über Fälle von Diebstahl im Amt oder Korruption als Zeichen der Not und dergleichen54 verallgemeinern können. Auch Beschreibungen gesundheitsschädlicher Wohnverhältnisse55 und schlechter Ernährung oder Schilderungen der Verzweiflung, »den Pflichten« gegenüber der eigenen Familie mit dem »jetzigen Einkommen« nicht genügen zu können, 56 müssen nicht die Gesamtlage oder auch nur die Lage aller Unterbeamten wiedergegeben haben. Im ganzen lag nicht so sehr Bedürftigkeit schlechthin vor. Es ging um die Gefährdung des standesgemäßen Lebensniveaus. Gerieten Beamtenhaushalte in Bedrängnis, so nicht zuletzt deswegen, weil sie, in wie bescheidenem Maße auch immer, einen Lebensstil pflegten, zu dem sie ihr Amt, aber auch ihr eigener Wille verpflichtete. »Kleine Unterbeamte«, so eine Sozialreportage schon 1891 zum Phänomen, haben »eine zuweilen noch kleinere Einnahme als Arbeiter«. Doch sie »müssen sich besser kleiden, können in keiner Schlafstelle wohnen und haben für ein elendes Zimmerchen 12 bis 15 Mark zu zahlen«. 57 Und erst recht die mittleren Beamten befanden sich in diesem Dilemma. »Scham«, sich und der Welt ihre Bedürftigkeit zu zeigen, 58 die befohlenen »Rücksichten« auf ihre Beamtenstellung, ihr »Bildungsgrad« u. ä. hinderten sie daran, »gleich den niederen Klassen« Wohltätigkeitseinrichtungen in Anspruch zu nehmen. 59 »Wir können«, hieß es 1895 in einer Vereinszeitschrift, »weder in Volksküchen essen, noch in den Vorstadthäusern der Baugesellschaften wohnen.« 60 Mochten sich die finanziellen Umstände noch so verschlechtern, diese Gebote änderten sich nicht. Im Gesuch des »Vereins der Kaiserlichen und Königlichen 123
Unterbeamten in Münster i. Westf.« vom 10. November 1907 an den Regierungspräsidenten des Bezirks stehen die unbeholfenen aber beziehungsreichen Sätze: »In den letzten Jahren sind die Lebensmittel und sonstige Preise. derart gestiegen, daß es dem Unterbeamten [immer schwerer fällt, sein Leben zu bestreiten] mit seinem ohnehin schon geringen Gehalte, ohne Nebenerwerb, weil es von den verschiedenen Behörden verboten ist, und sein Dienst es nicht gestattet, höchstens durch Schreibarbeit, die er nur durch Überanstrengung seiner Kräfte übernehmen kann, um den bittersten Nahrungssorgen zu entgehen. Auch scheint es uns eines Staatsbeamten nicht würdig zu sein, solchen Nebenerwerb zu suchen. Bei dem noch stetigen Steigen der Preise und den zunehmenden Anforderungen, die mit dem Heranwachsen der Kinder an seine Familie gestellt werden, ist es nicht möglich, mit seinem geringen Gehalte auch nur annähernd auszukommen. Zudem sind die Ausgaben, namentlich an Kleidung für sich und seine Familie als Beamter, da er als solcher stets anständig gekleidet sein muß, bedeutend höher als die einer Arbeiterfamilie; auch ist es als Beamter anstößig, seine Frau und Kinder zum Taglohn zu schicken, wie solches bei Arbeiterfamilien der Fall ist. «61 Die Bindung an mit dem Rang der Dienststellung strenger werdende Normen wie gute Adresse, kultiviertes Wohnen überhaupt, würdige Bekleidung, nach Möglichkeit Beschäftigung von Hauspersonal, Bildung, vor allem solide Erziehung und Ausbildung der Kinder, gutbürgerlicher Umgang u. ä. verteuerte das Beamtenleben erheblich. All dies spiegelt sich in den familiären Wirtschaftsrechnungen wider, besonders im Vergleich zu nichtbeamteten Berufsgruppen. Die Ergebnisse einer amtlichen Untersuchung 1907/08 zu den durchschnittlichen Jahresausgaben gibt Tab. 21 a, b wieder. Tab. 21a: Jahres-Wirtschaftsrechnungen im Vergleich (1907/08)62 Beruf des Familienvorst.
Zahl der Haushalte
1
2
Arbeiter Privatangest. Lehrer mittl. Beamte Unterbeamte
522 36 79 139 67
1835 2405 3427 3052 2116
955 983 1189 1156 1037
Ausgabeposten in Mark 3 4 5
6
7
312 450 719 549 384
101 204 457 333 103
176 379 429 460 210
205 306 506 434 293
78 83 127 120 89
Schlüssel der Ausgabenposten 1 2 3 4 5
= = = = =
124
Gesamtausgaben Nahrung Kleidung Wohnung Heizung und Beleuchtung
6 = Lebensqualität (bestehend aus: Ausbildung der Kinder, »Gesundheits- und Körperpflege« und »Hauspersonal«) 7 = Sonstiges (bestehend aus: Steuern, Versicherungsbeiträgen, »Schuldentilgung«, Aufwendungen für öffentliche Verkehrsmittel u. a. kleineren Posten)
T a b . 2 1 b : Jahres-Wirtschaftsrechnungen im Vergleich (1907/08) 6 3 B e r u f des Familienvorst.
2
Arbeiter Privatangest. Lehrer mittl. B e a m t e Unterbeamte
52,0 40,9 34,7 37,9 49,0
Ausgabeposten in % der Gesamtausgaben 6 3 4 5 11,2 12.7 14.8 14,2 13.9
17,0 18,7 21,0 18,0 18,2
4,3 3,5 3,7 3,9 4,2
4,9 7,5 13,3 10,9 4,7
7 9,6 16,7 12,5 15,1 10,0
Schlüssel der A u s g a b e n g r u p p e s. Tabelle 21 a
Man sieht, 64 daß für Nahrung in Beamtenhaushalten, bezogen auf die Gesamtausgaben, verhältnismäßig wenig ausgegeben wurde, von mittleren Beamten weniger als von Angestellten, von Unterbeamten immer noch deutlich weniger als von Arbeitern. Dagegen waren Beamte bereit, für Bekleidung recht viel zu bezahlen; auf diesem Gebiet zogen die Unterbeamten anteilsmäßig mit den mittleren gleich und ließen sogar die Angestellten hinter sich, um von den Arbeitern gar nicht zu reden. Nur die Lehrer weisen hier, wie in den anderen Punkten auch, bessere Werte auf. Ähnlich sah es bei den Kosten für die Wohnung (mit Heizung und Beleuchtung) aus, für die die mittleren im Jahr beträchtliche 136 Mark mehr opferten als die Angestellten, während die Unterbeamten, bei anteilsmäßiger Gleichheit mit den Angestellten, die Arbeiter immerhin um 83 Mark übertrafen. Was die Aufwendungen für Kultur und andere Bedürfnisse kultivierter Lebensführung angeht, findet man die mittleren Beamten wieder vor den Angestellten und erst recht vor den Arbeitern. Die Unterbeamten stehen hier den Zahlen nach zwar mit den Arbeitern auf praktisch einer Stufe, aber vermutlich nur deswegen, weil sie im Gegensatz zu ihnen für Geselligkeit wohl kaum etwas ausgaben. Leider führt die Erhebung die Aufwendungen für »gesellige« und »geistige« Bedürfnisse nicht getrennt auf. Für die eben geäußerte Vermutung spricht indirekt immerhin, daß die Unterbeamten sich die Erziehung der Kinder über das Doppelte dessen kosten ließen, was Arbeiter dafür erübrigten. 65 Ferner auch, daß der Konsum in Gastwirtschaften (den die Untersuchung allerdings unter Kosten für Nahrung bringt, der aber Rückschlüsse auf das Geselligkeits verhalten überhaupt erlaubt), bei Unterbeamten kaum eine, bei Arbeitern hingegen eine beträchtliche Rolle spielte. 66 In Betracht zu ziehen wäre auch der Umstand, daß die Unterbeamten im Vergleich zu höherstehenden Rang- und damit Einkommenskategorien verstärkt Prioritäten setzen mußten und sich bei der Bewältigung jener Ausgaben, die für die Status-Manifestation primär erforderlich schienen (Wohnung, Kleidung), sozusagen verausgabten, wodurch, in den engen Grenzen ihres materiellen Potentials, die Pflege sekundärer Statusmerkmale bzw. von >Luxusausgaben< wie etwa für »Gesundheits125
pflege« relativ vernachlässigt bleiben mußte. Wichtig ist noch zu sehen, daß die mittleren Beamten sehr viel für Vorsorge (Versicherungen etc.) taten und beide Beamtengruppen ungewöhnlich hohe Summen, absolut j e weils mehr als die anderen Berufsgruppen, für Schuldentilgung aufbrachten67 - direkt oder indirekt Zeichen wohl auch der im Interesse standesgemäßen Lebens unternommenen Anstrengungen. In der Sache der standesgemäßen Lebensgestaltung befanden sich die kleinen Beamten fraglos in voller Übereinstimmung mit den Idealen des Beamtentums. Gehobenen Sozialstatus zu demonstrieren behagte allen. Weniger Treue zeigten sie indessen, wenn es galt, Standesgemäßheit in deren Abhängigkeit vom Alimentationsprinzip zu begreifen. Sie überließen dem Staat ungern die Bestimmung dessen, was angemessene Versorgung sei. In diesem Punkt neigten sie zunehmend zur systeminadäquaten Unabhängigkeit, selbständige Interessenartikulation schien wichtiger als Folgerichtigkeit. Diese Haltung war eine Folge jenes zäsurhaften Personalwachstums, das vor allem nach der vollen Verstaatlichung des Bahn- und Postwesens hohe Grade erreichte und dem mittleren und insbesondere dem unteren Beamtendienst in großem Umfang Leute zuführte die, wie einer der besten Analytiker der Vorgänge, Emil Lederer, es ausdrückte, »eine rein technische Tätigkeit« 68 ausübten. Ihre Funktion war im Grunde eher privatwirtschaftlicher Art als beamtentypisch und ihr »Begriff des >BeamtenFamiliengeistes< im und durch den V D B half nicht über alles hinweg. U n d auch die reine materielle Selbsthilfe genügte als A n t w o r t auf die aktuellen Probleme offensichtlich immer weniger. Gleichzeitig mit ihrer organisatorischen Ausdehnung und Festigung aber unabhängig von, ja in Konkurrenz zu ihr durchlief eine große neue Mobilisierungswelle die Beamtenschaft. Z u Gründungsvätern der neuen Beamtenbewegung wurden 1889/1890 die »Rheinischen Justiz-Subalternbeamten«, die Steiger der Staatsbergwerke im Saarland und die im »Verband der Post- und Telegraphenassistenten« organisierten mittleren Postbeamten. 1 5 Ihnen machten es in rascher Folge andere Gruppen nach, so daß bald eine ganze Reihe von Verwaltungen, allen voran die Betriebsverwaltungen, von der neuen Gründungswelle erfaßt wurden. Die jetzt entstehenden Zusammenschlüsse unterschieden sich gravierend von den Selbsthilfeorganisationen. Sie negierten die Selbsthilfe keineswegs, sie beteiligten sich an bestehenden Einrichtungen dieser Art oder schufen sich ihre eigenen, darin glichen sie der alten Bewegung. Doch in zwei entscheidenden Punkten gab es keine Gemeinsamkeit. Die neuen Vereine rekrutierten ihre Mitglieder nach ganz anderen Gesichtspunkten und sie formulierten ihr Hauptziel grundsätzlich anders. Was das letztere angeht, wagten sie das, worauf die reinen Selbsthilfeorganisationen ausdrücklich verzichtet hatten, nämlich den Schritt zur Interessenpolitik. In der Satzung des für die neue Entwicklung beispielhaften Postassistentenverbandes stand: »Der Verband hat den Zweck, unter seinen Mitgliedern allgemeine und Berufsbildung zu fördern, Geselligkeit und Kollegialität zu pflegen, gemeinsame Vorteile der Mitgliedschaft zu erstreben und die Interessen des Postassistenten-Standes zu vertreten«.16 Interessen vertreten hieß in erster Linie Forderungen an den Staat stellen. M a n sprach zwar nicht von Forderungen, sondern Petitionen und hatte nicht unbedingt vor, barsch aufzutreten. Aber man meinte schon, daß man die eigenen Interessen selber formulieren können dürfe und auch, daß man sich nicht selbstredend damit zufriedenzugeben habe, was der Staat von sich aus biete. 17 Das war ungewohnt, fast revolutionär, genauso übrigens wie die Tatsache, daß statt individuell zu bitten, im N a m e n eines Kollektivs gesprochen werden sollte. Aus der Bejahung der Interessenvertretung ergaben sich Konsequenzen fur die Rekrutierung. An der Vorstellung von einem seiner Merkmale und seiner Wertvorstellungen her einheitlichen Beamtenstand, wie ihn die Selbsthilfevereine sich zurechtgelegt hatten, konnte aus der nun eingenommenen Position heraus nicht länger festgehalten werden. Nicht die Beamteneigenschaft an sich, so der Grundgedanke, sei primär interessenbestimmend, sondern andere Faktoren. Als solche rückten in den Vordergrund die gleiche oder verwandte Tätigkeit, die aus ihr resultierenden Arbeitsbedingungen, die Zugehörigkeit zu einer Rangklasse und natürlich die Höhe der Besoldung. 1 8 129
Praktisch bedeutete dies zunächst eine spartenspezifische Orientierung. Eisenbahner, Post-, Zoll- und Forstbeamte oder Kanzlisten usw. und deren Untergruppen wußten sich in erster Linie dem eigenen engeren Beschäftigungssystem verbunden. Dementsprechend organisierten sie sich fast ausnahmslos nach Verwaltungszweigen oder Fachgruppen getrennt. Es fällt auf, daß die große Mehrheit der Neugründungen aus Bereichen außerhalb der allgemeinen und der Justizverwaltung stammte. Das erklärt sich teilweise daraus, daß Sonderbehörden eine viel größere Zahl fachlich oder funktional unterschiedlicher Tätigkeitsgebiete umfaßten, daher einer Fachgruppenbildung Vorschub leisteten. Allerdings dürfte dies noch nicht die ganze Erklärung sein. Man wird bei den Beamten der Betriebsverwaltungen, einer Großgruppe, in der der Abstammungsanteil aus dem Arbeitermilieu höher lag als sonst im Staatsdienst und die gleichzeitig im Vergleich wenig ausgediente Unteroffiziere umfaßte, 19 vielleicht einen höheren Grad an Respektlosigkeit und Interessenbewußtsein annehmen können als bei traditionsgebundeneren Teilen der Beamtenschaft. Regierungsrat Albert Lötz, Zeitgenosse und kundiger, wenn auch nicht beglückter Beobachter dieser Ereignisse, scheint dies ausdrücken zu wollen, wenn er schreibt: »Die Vereinsbildung zur Verfolgung von Standesinteressen« mutet an ». als eine Folge davon, daß das Beamtentum über den Kreis der Behörden hinausgewachsen ist, die das staatliche Imperium üben, daß große Kategorien von Beamten hinzugekommen sind, an die früher kein Gedanke 20 war«. Allein von der Ressortzugehörigkeit bestimmt wurden materielle Situation und Interessenzusammenhalt der Beamten noch nicht. Gemeinsamkeit auf diesem Gebiet stiftete im hierarchischen, nach Laufbahnen und Besoldungsklassen geschichteten, ja zunehmend getrennten Staatsdienst vollends erst die Rangposition. Infolgedessen verschränkte sich die horizontale, berufsfachliche Differenzierung stark mit dieser vertikalen, so daß sich innerhalb der Verwaltungssparten die großen Laufbahnkategorien weiter differenzierten. Das hieß, daß die mittleren und unteren Beamten sich zumeist getrennte Organisationen schufen. Dies bedeutete weder zwangsläufige Rivalität noch gar Feindschaft, es konnte selbst zur Kooperation über die Laufbahngrenzen hinweg kommen. 21 Aber die Trennung zwischen mittleren und unteren war nicht gekünstelt und behauptete sich,22 ebenso übrigens wie die Abschottung beider zum höheren Dienst, der sich interessenpolitisch nicht organisierte23 und auf diese Weise indirekt preisgab, daß er in einem ganz anderen Lager stand als die, die es nötig fanden, sich zusammenzuschließen. Von Homogenität oder Harmonie aller Beamten konnte jedenfalls keine Rede sein. Die 1890er Jahre machten die Vorstellung von einem einheitlichen Beamtentum als ständischer Gemeinschaft definitiv zur Ideologie.24 Wie aber ließen sich diese Organisationen näher charakterisieren, Gruppierungen, die einerseits nach berufsständischen Merkmalen, andererseits 130
nach dem »Industrieprinzip« (Zugehörigkeit zu einer Wirtschafts- oder wie in diesem Fall einer Verwaltungssparte) 25 gegliedert waren und deren Programm von der Pflege der Geselligkeit über die Förderung beruflicher Bildung bis zur Durchsetzung von Besoldungsforderungen reichte. Waren sie Klubs von Fachkollegen oder Gewerkschaften etwa, betrieben sie eine in Prinzipien faßbare Politik oder muß man sie als eklektisch vorgehende Petitionsgemeinschaften verstehen? Eine Beschreibung soll das Urteil erleichtern. Die Hauptaufmerksamkeit wohl aller dieser Vereine und Verbände galt der Besoldung, einschließlich ihrer Bemessungskriterien und Komplemente (Dienstaltersstufen und Pensionsberechtigung, Wohngeldzuschuß oder Hinterbliebenen Versorgung). Besoldung und Versorgung betreffende Vorschriften, Bestimmungen und Gerichtsentscheide waren allenthalben Gegenstand unaufhörlicher und intensiver Beschäftigung. Aus dem Abdruck ihrer Texte bestanden zum größten Teil die zahlreichen Beamtenterminkalender und Notizbücher, die sie herausbrachten. Zum ständigen Repertoire dieser und ähnlicher Publikationen gehörten weiter ausgedehnte Besoldungs- und Wohngeldtabellen, Anciennitätslisten und dgl. Derlei Stoffe füllten selbstverständlich auch die Verbandspresse neben Berichten, Kommentaren und Zuschriften zu diesen Fragen. Zumindest zu Zeiten der Etatlesungen im Parlament, von denen die Besoldungslage usw. abhing, bestritten manche dieser Zeitungen und Zeitschriften ihre Ausgaben nicht selten hauptsächlich mit dem Abdruck der ihren Bereich betreffenden Verhandlungsprotokolle. 26 Und natürlich hatten auch die von allen Gruppen in steigender Zahl produzierten Petitionen meistens Besoldungsfragen zum Inhalt.27 Diese Konzentration auf Fragen des Arbeitsentgelts läßt ein eher gewerkschaftliches Moment in den Vordergrund treten. Doch haben diesem Vorgehen, so eine bald geäußerte und zählebige Kritik, die prinzipielle Fundierung gefehlt, der Blick für die Situation der Beamten als Arbeitnehmer und der nötige Biß. Dennoch wäre es simplifizierend, von einer kurzsichtigen, eklektischen »Nurbesoldungspolitik« 28 im Sinne dieses Einwandes zu sprechen. Nicht nur, weil dies die Bedeutung kollektiven interessenpolitischen Engagements als eines für Beamte damals ungewöhnlichen Verhaltens nicht ausreichend würdigte, sondern auch, weil die Bewegung auch noch andere Anliegen vorbrachte. Sie betrafen Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen und schlugen sich nieder in konkreten Einzelforderungen, etwa nach besserem Gesundheits- und Unfallschutz und nach der Reduzierung der Arbeitszeit oder nach angemessener und verbindlicher Urlaubs- bzw. Feiertagsregelung. 29 Bedeutsam war auch, daß man dabei die Würde in der Beamten-Arbeitsbeziehung entdeckte und gegen »Drangsalierung« durch Vorgesetzte oder »Kasernenhof«-Ton 30 protestierte, d. h. sich Praktiken nicht gefallen lassen wollte wie etwa die eines Postdirektors, der seine Untergebenen öffentlich »stinkend faul« oder »Rindvieh« nannte und wohl auch nicht sehr zimperlich behandelte. 31 131
Selbst ganz Prinzipielles tauchte auf, ein Emanzipationswille, der an den »Grundsätzen des altpreußischen Beamtenthums« rüttelte. 32 So etwa wenn die »staatsbürgerlichen Rechte« 33 des Beamten zitiert, wenn »knechtische Furcht«, 34 »menschenunwürdiges Kriechertum« 35 und »blinder Gehorsam« 3 6 verurteilt wurden, oder wenn man vom tristen Los der Beamten 37 sprach, an das Recht von Staatsdienern »auf Entwicklung und Vervollkommnung ihrer selbst« 38 erinnerte und der Hoffnung auf Frühlingserwachen »aus tiefer Grabesnacht« 39 Ausdruck gab, oder auf die »Freimachung von unwürdigen Fesseln«. 40 Dazu paßte, daß die Interessenvertretung auch kämpferisch begriffen wurde, und dies nicht nur im Sinne von »unerschrockenem« Einstehen für Änderungen. 41 Es gab Vorstellungen selbst von einem »Sturmlauf« gegen die Verhältnisse42 und davon, für das eigene Anliegen »auf die Schanzen« zu steigen. 43 Gewerkschaft nannten sich die Beamtenorganisationen noch nicht, insgeheim dienten aber einigen von ihnen »Arbeiterorganisationen« in manchem als »Richtschnur«. 44 Dort, wo Beamtentum sich zum Staatsarbeiterverhältnis milderte, auf der untersten Funktionsebene des Eisenbahnbetriebes etwa, zeigte es sich ungeschminkter: Der Verband deutscher Eisenbahner, der sich neben Unterbeamten auch an Bahnarbeiter wandte, verstand sich als »gewerkschaftliche Vereinigung«, 45 und der Verband Deutscher Eisenbahnhandwerker begab sich ausdrücklich in das Patronat immerhin der christlichen Gewerkschaftsbewegung. 46 Es würde das Gesamtbild verzerren, fügte man dem nicht gleich hinzu, daß Äußerungen und Haltungen dieser Art nicht die Regel bildeten. Nur die wenigsten Organisationen stießen so weit vor, und auch sie nicht immer. Anliegen, die die Arbeitsbedingungen betrafen, tauchten ungleich spärlicher auf als Besoldungsfragen. Und wenn sie auftauchten, dann weder systematisch noch streng programmatisch, sondern vielfach nur in Nebensätzen oder verschlüsselt. Das wiederum hatte nicht nur mangelndes Prinzipienbewußtsein zur Ursache. Wohl wissend um die Brisanz aktiver Interessenvertretung im Staatsdienst, übte man sich normalerweise in Tarnung. Vereinssatzungen ζ. B. hielt man gern so vage, daß darin selbst der Ausdruck Interessenvertretung oder ein verwandter Begriff fehlte. In den Statuten des Vereins rheinischer Justiz-Subalternbeamter von 1889, einer Organisation, die tatsächlich »mit großem Nachdruck« für die Standesinteressen focht, 47 stand über den Vereinszweck nur: »Gegenstand der Vereinstätigkeit ist das Streben nach Vollkommenheit in den Berufspflichten und Pflege der Collegialität«. 48 Die richtige Lesart erhellte eine Bemerkung des Vereinsvorsitzenden auf der ersten Generalversammlung im Sommer 1890, als er, von Ungeduldigen bedrängt, versichern mußte, der Verein strebe ja dahin, »unsere Lebens- und Dienstverhältnisse angenehm und correct zu gestalten«. 49 Auch im Falle des Verbandes der Post- und Telegraphenunterbeamten wurde Interessenvertretung, inmitten eines Bündels von Erklärungen über Selbsthilfefunktionen, »Pflege von Treue zu Kaiser 132
und Reich«, Geselligkeit, »Vaterlandsliebe« u. ä. eher beiläufig mit »Hebung des Unterbeamtenstandes« angedeutet, 50 um nach außen zu wirken wie ein »unschuldiges Lamm«. 5 1 Ganz und gar energisch distanzierte man sich normalerweise von (freien) Gewerkschaften und Sozialdemokratie. »Niemals« dürfe »unser Verband«, so die Postassistenten hierzu 1891, mit den »gefurch teten Arbeiter-Fach vereinen sozialistischer Tendenz« in einem Atemzug genannt werden. 52 Diese selbst hätten ja auch »nie gewagt, uns zu den ihrigen zu zählen«. 53 Und wer diese Dementis noch unzureichend fand, sah sich gleichzeitig mit Huldigungen auf den »vielgeliebten« Monarchen und anderen Treuekundgebungen überschüttet. 54 Im allgemeinen dominierte also die Zurückhaltung, aus guten Gründen. Die Routine der Vereinstätigkeit bestand in der Tat aus der vergleichsweise unverfänglichen Besoldungspolitik auf Petitionsbasis, zumal, was nicht vergessen werden darf, den Beamten-Fachvereinen jede institutionalisierte Möglichkeit fehlte, mit dem »Brodgeber« Staat zu verhandeln. 55 Als Vertretungskörperschaften existierten sie für die Behörden zu keiner Zeit, selbst »Beamtenkammern« nach Art der im Arbeitsschutzgesetz (Fassung l.Juni 1891) vorgesehenen und 1892 für die Arbeiter der preußischen Staatsbahnen eingeführten Arbeiterausschüsse ließ der Staat nicht zu. 56 Ungeachtet eines gewissen spontanen »revolutionären« »Sturm und Drang« 5 7 und gewerkschaftsähnlicher Ansätze wird man die neue Beamtenbewegung der 90er Jahre mithin nicht als gewerkschaftlich bezeichnen können. Mit der Einordnung in die Kategorie der reinen Berufsverbände im Sinne der Professionsvereinigung wird man ihr freilich genauso wenig gerecht, dazu war die >Brotkorbpositive< Gegenmaßnahmen in die Wege geleitet, um dem Eisenbahnerverband das Wasser abzugraben. Darunter sind in erster Linie zu verstehen die Gegenpropaganda durch amtlich gelenkte Zeitschriften, die wie »Die Eisenbahn« die »Liebe zu Fürst und Vaterland pflegen und befestigen und den Standpunkt der kaiserlichen Sozialreform vertreten« sollten, 66 sowie die 1897 begonnene Etablierung offiziell geforderter Gegenvereine. Diese sogenannten allgemeinen Eisenbahnvereine 67 sollten alle Dienstbereiche und Dienstgrade integrieren. Sie waren nach dem Muster der Selbsthilfevereine der Bismarck-Ära aufgebaut, fungierten also als Träger von »Wohlfahrtseinrichtungen« zur »Verbesserung der wirtschaftlichen Lage« der Mitglieder. Außerdem dienten sie »zur Belebung und Kräftigung des 135
Bewußtseins der Zusammengehörigkeit der Beamten und Arbeiter der Staatsbahnverwaltung als Glieder eines großen staatlichen Verwaltungskörpers und zur Pflege guter, auf Vertrauen beruhender Beziehungen zwischen den Organen der Verwaltung und den Bediensteten«. 68 Der solchermaßen eingekreiste und bedrängte Verband der Eisenbahner Deutschlands vermochte sich in der Tat nicht recht zu entfalten, sein völliger Zusammenbruch gar konnte nur mit Hilfe konspirativer Praktiken umgangen werden. 69 Es wurde freilich nicht nur der der sozialdemokratischen bzw. freigewerkschaftlichen Infiltration verdächtige Eisenbahnerverband bekämpft. Auch nachdrücklich, ja sozusagen anerkanntermaßen >staatstreue< Eisenbahnervereine mußten mit der Mißgunst des Ministeriums rechnen. Wenngleich sie einer regelrechten Verfolgung nicht ausgesetzt waren, wurden sie jedenfalls intensiv beobachtet, indirekt benachteiligt, ab und an auch schikaniert oder eingeschüchtert und von den künstlichen (staatlich gesteuerten) »Eisenbahnvereinen« bekämpft. Unter diesen Umständen nimmt es nicht Wunder, daß das Organisationswesen der Eisenbahner, insbesondere der skrupulöseren mittleren Beamten, in den 90er Jahren nur mäßig gedieh, d. h. bei weitem »noch nicht so weite Kreise« erfaßte, wie die unbefriedigenden »sozialen und dienstlichen Verhältnisse« es eigentlich nahelegten. 70 Vergleichbare Vorgänge spielten sich auch um die Organisation der unteren und mittleren Post- und Telegraphenbeamten ab. 71 Der »Verband Deutscher Postassistenten« geriet, gerade ein Jahr alt, im Juni 1891 infolge zunehmend unduldsamer Behandlung durch das Reichspostamt in eine existentielle Krise und hatte fortan alle Kräfte aufzubieten, um zu bestehen. Der Druck von oben nahm, hieß es im Bericht über den ersten Verbandstag, »all unser Denken und Thun in Anspruch«. 72 Die Maßnahmen gegen die Postassistenten glichen aufs Haar denen, die gegen die Bahnbediensteten angewandt wurden: Bespitzelung, Behinderung von Versammlungen, Entzug von Begünstigungen, Versetzungen und, um Exempel zu statuieren, die Dienstentlassung des Verbandsvorsitzenden und einer Reihe von Funktionären 1891. Dazu gehörten auch publizistische Attacken, in diesem Fall durch die offiziöse »Deutsche Verkehrs-Zeitung«, »Verkehrte Zeitung« mit Spitznamen. 73 Es gelang den Postassistenten, die akute Krise zu überstehen. Sie schafften dies nicht zuletzt, weil sie es verstanden hatten, sich im Reichstag und in der Tagespresse unterstützende Publizität zu verschaffen. Entscheidend war jedoch, daß der Verband, um sich zu retten, den Passus von der Interessenvertretung noch im Sommer 1891 aus den Statuten strich. Wie sehr es auf diesen Punkt angekommen war, zeigte sich in der Folgezeit. Nachdem der fünfte Verbandstag 1895 in der Annahme, dies sei kein casus belli mehr, die Vertretung der Standesinteressen wieder in die Satzung eingefügt hatte, nahm die Spannung zwischen Verband und >Verwaltung< prompt bedrohlich zu. Sie konnte nur durch die Kapitulation, 136
d. h. die erneute Tilgung des interessenpolitischen Passus, abgebaut werden. 74 Härter noch als die zur mittleren Rangklasse gehörigen Assistenten traf es in auffälliger Parallele zum Eisenbahnerverband die Postunterbeamten. Ihre erste überregionale Organisation, der »Verband Deutscher Post- und Telegraphen-Unterbeamten«, im März 1898 nach mannigfachen Schwierigkeiten doch noch zustande gekommen, mußte bereits ein halbes Jahr später die Illegalerklärung und damit das faktische Verbot seiner Zeitschrift »Deutscher Postbote« hinnehmen und wurde im Frühsommer 1899 zur Selbstauflösung getrieben. 75 Einer landesweiten Organisation waren die Postunterbeamten also ledig, fortan gab es wie vor 1898 nur isolierte und schon darum standespolitisch unwirksame Geselligkeits vereine auf lokaler Ebene. Immerhin blieb ein lockerer Zusammenhalt in größerem Rahmen bestehen, da das Verbandsorgan »Deutscher Postbote« einstweilen (als unabhängiges Fachblatt) weitergeführt wurde. Als Verbandsersatz sollte auch die neue Publikation »Deutsche Reichspost« dienen. Beide konnten freilich den Verlust nicht kompensieren. Der »Deutsche Postbote« ging 1903 ein, und die »Reichspost« erreichte »eine nennenswerte Verbreitung und Bedeutung« nicht mehr. 76 Man sollte nun nicht meinen, daß nur Bahn- und Postbeamtenorganisationen hart angepackt wurden. Gewiß, Post-Staatssekretär Stephan, bis 1897 im Amt, und die Eisenbahnminister galten als Scharfmacher. In ihren Ressorts tat sich auch das meiste, wogegen vorzugehen war, und dies am frühesten. Bald aber konnte man absehen, daß die Organisationsfreudigkeit auch auf andere Verwaltungen übergreifen würde. Wenn die als ebenso konservativ wie staats- und regierungstreu geltenden Militäranwärter, die ehemaligen Unteroffiziere, von einer Verbandsbildung (1895) sich nicht haben abschrecken lassen, wenn die rechtschaffenen Subalternbeamten ostund westpreußischer Kreisverwaltungen 1897 zur Vereinsbildung schritten (der preußische Kreiskommunal-Beamten-Verein nahm in diesen Regionen seinen Anfang) und ein Programm auf der Grundlage der »unbedingten Billigung« der Interessenpolitik verabschiedeten 77 und schließlich gar die Schreiber sich zu organisieren entschlossen (Kanzleibeamtenbund 1899), dann waren das deutliche Zeichen dafür, daß die Beamtenbewegung keine Sonderbewegung der Betriebsbeamtenschaft darstellte. Nun schien aus Regierungssicht der Flächenbrand zu drohen, waren doch auch für intakt gehaltene Teile der niederen Beamtenschaft dem Organisationsfieber verfallen. Und die neuen Vereinigungen traten durchweg mit überregionalem Organisationsanspruch auf, sie legten es also darauf an, Massen zu sammeln und diese gezielt als Mittel ihrer Politik einzusetzen. 78 Von der Tragweite dieser Massen-Strategie alarmiert, einigten sich die Behördenspitzen dahin, die bisher trotz früherer Absprachen noch nicht ganz prinzipienreine und nicht ganz uniform gehandhabte staatliche Beamtenpolitik konzeptionell besser zu verankern und zu vereinheitlichen; es 137
sollte unnachgiebiger vorgegangen werden, und die Härte des Dienstherren sollte alle Unbotmäßigen mit gleicher Wucht treffen. 79 Im Grunde liefen die neuen Grundsätze auf eins hinaus: Sie faßten den bisher eher passiv verstandenen Begriff der Interessenvertretung aktiv. Waren Organisierung von und Mitgliedschaft in Verbänden mit interessenpolitischen Absichten bisher nur an sich unzulässig, galten sie von nun an als ausgesprochene »Dienstvergehen«. 80 Eine scheinbare Kleinigkeit, doch in der Tat eine Änderung mit großer Tragweite. Nicht nur weil Dienstvergehen bewußtes, vorsätzliches Zuwiderhandeln implizierte, sondern auch, weil es ausdrücklich mit Agitation gleichgesetzt wurde. Und als »agitatorisch« galten »Vereine, welche die Stellung der Beamten im Staatsleben zum Gegenstande. [hatten] sowie Vereine, welche die Förderung von Wünschen der Beamten in bezug auf ihr Dienstverhältnis (dienstliche Stellung, Rang, Diensteinkommen pp.) bezweckten«. 81 Diese Verknüpfung mit einem politisch geprägten und negativ vorbelasteten Wert erlaubte nun den logisch fragwürdigen aber zweckdienlichen Schritt, Beamteninteressenvereine und -verbände nach Bedarf politisch zu definieren und gegebenenfalls auch als staatsfeindlich zu interpretieren. Welche Konsequenzen das haben konnte, ist bereits dargelegt worden. Solchermaßen präpariert, ließ sich zu einer umfassenden Aktion zur Bereinigung des Staatsdienstes von »schädlichen« Entwicklungen ausholen. 82 Über die Ressortministerien und ihre Unterbehörden, dazu noch über eine vom Staatsministerium veröffentlichte Publikation erging im April 1899 die Aufforderung an alle unmittelbaren Staatsbeamten und alle Fachorganisationen, sich von »bedauerliche[n] und bedenkliche[n]« Bestrebungen bzw. Vereinen zu distanzieren.83 Die Warnung hatte die Funktion, die Fachvereine generell zum Offenbarungseid zu zwingen, ob sie »zahm« 84 werden oder weiterhin in einer Haltung verharren wollten, »welche durch die unausbleiblichen Folgen dem Staate und ihnen selbst nur zum schwersten Schaden gereichen« würde. 85 Alle, die daraufhin nicht parierten, so war beschlossen worden, mußten gestoppt werden. 86 Wie die vorstehend geschilderten Beispiele belegen, kam es dann auch so. Im Ergebnis schien die Politik der harten Hand sich glänzend zu bewähren, schien der Staat des Beamtenproblems noch vor Anbruch des neuen Jahrhunderts Herr zu werden. 87 U m die Vereine aus der Epoche der Massengründungen scharten sich am Ende dieser Epoche keine wirklichen Massen. Viele von ihnen gab es nicht mehr oder nur in gestutzter Form und gleichsam entschärft, und es gab keinen Verein, der in dieser Situation nicht den Ausgleich bevorzugte — mindestens vorläufig oder formal. Von einer wirksamen, praktikablen Vergewerkschaftung der Beamtenorganisationen konnte noch weniger die Rede sein, und schon gar nicht im freigewerkschaftlichen Sinn. Zum Einbruch des politischen Sozialismus in die Beamtenschaft kam es ebenfalls nicht, die Furcht der Obrigkeit davor war vermutlich größer als die Bedeutung der beamteten Anhänger der Sozialde138
mokratie oder die Aufmerksamkeit der SPD für die Beamtenschaft. 88 Die Spannungen abbauen half eine 1898 abgeschlossene umfassende Besoldungsneuregelung mit zum Teil erheblichen Verbesserungen gerade für niedere Rangklassen. Von Schwachstellen war die staatliche Beamtenpolitik der 90er Jahre indessen nicht frei. Hinter dem überlegenen Auftreten stand eine gehörige Portion Unsicherheit; der Strategie der starken Hand fehlte die Schlüssigkeit. Im Vergleich zur Bismarckzeit wird es deutlich. Auch damals begegnete man dem aufkeimenden modernen Beamtenproblem, sofern es mit der Förderung der Selbsthilfe nicht abgefangen werden konnte, mit Strenge. Vereinzelte Vorstöße, die seit etwa Mitte der 60er Jahre von Lehrern und von Gruppen von Eisenbahnern unternommen worden waren und Ansätze enthielten, die Unfehlbarkeit staatlicher Beamtenversorgung in Frage zu stellen, hatte die Staats- und Behördenfuhrung als unzulässige Übergriffe eingestuft. 89 Dies wiederum hatte die preußische Staatsregierung zur intensiveren Beschäftigung mit der Frage bzw. zu Grundsatzbeschlüssen veranlaßt (1886), eventuellen Tendenzen dieser Art in allen Ressorts mit disziplinarischen Anordnungen und Strafen entgegenzuwirken. 90 Aber in dieser Haltung manifestierte sich noch nicht primär Unsicherheit, oder wenigstens insofern nicht, als sie eine »systemgerechte Konsequenz« 91 in sich trug. Sie fugte sich in jene konservative Sammlungspolitik, den die preußische bzw. Reichsregierung nach der Wende von 1878 verfolgte, bruchlos ein. Die Vollendung der schon seit den 1860er Jahren laufenden (Selbst-)Entliberalisierung des Beamtennachwuchses in der Ära Puttkamer, das systemstärkende Beförderungswesen, das Insistieren auf politische Treue u. ä. m. zielte primär darauf ab, aktiv Werte zu setzen. 92 Es handelte sich um eine Konzeption aus einem Guß, dazu, trotz aller Rückwärtsorientierung, um einen offensiv geführten Erneuerungsfeldzug. Und, was das Wichtigste war, man glaubte daran, was man tat. Wilhelms II. neuer Kurs war hingegen vage. Er wurde sich außerdem selbst untreu; nach sich elastisch und couragiert gerierenden Anfängen kam bald die Flucht zurück ins Autoritäre. Damit erwies sich der Kurs nicht nur als labil. Die ängstliche Befehlshaltung, die er nun darstellte, paßte auch denkbar schlecht in die Zeit der 90er Jahre, die sich von den voraufgegangenen zwei Jahrzehnten, ja auch nur von der letzten Dekade erheblich unterschied. 93 Es war eine Zeit, in der die Modernisierung auf einmal voll durchschlug. Das Tempo mitzugehen erforderte Kongenialität, mindestens aber Konstruktivität, im gesamtgesellschaftlichen Rahmen genauso wie innerhalb der Verwaltungssphäre. Die neue Staatsfuhrung, zweifellos in einer weit diffizileren Lage als die alte, der die Umstände den Glauben an die Reversibilität der Evolution oder wenigstens an deren Kontrolle mit alten Mitteln noch erlaubt hatten, brachte die notwendigen Tugenden nicht auf. Sie begriff die Beamtenbewegung nicht im Kontext eines tiefgreifenden funktionalen und sozialen Strukturwandels. Daraus resultierten Verharm139
losung oder Verteufelung. Für Wilhelms II. anfänglichen Kurs n a h m sich die Beamtenfrage als ein mit großen Gesten lösbares Problem aus. Die spätere Strategie der harten Hand verkürzte sie wiederum zu einer politisch-disziplinierungstechnischen Angelegenheit. Blieb es dabei, kam man an eine Lösung, wie immer sie aussehen mochte, am wenigsten heran.
b) Interessenorganisation als berufsständische Fachvertretung Es blieb nicht bei der harten Konfrontation, die das Verhältnis zwischen Staat und berufspolitisch engagierten Beamtenorganisationen in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts gekennzeichnet hatte. Die schweren Rückschläge zeigten bei den Interessenverbänden Wirkung. Sie sahen in dem Aufbruch der zurückliegenden Jahre zunehmend einen unüberlegten Sturm und Drang, dessen Folgen zu negativ ausfielen, als daß man nicht an eine Strategie-Revision denken mußte. Regierung und Behörden wiederum gestanden sich wohl ein, daß es unrealistisch sei, die gesamte neue Beamtenbewegung verbieten oder in eine reine Selbsthilfebewegung zurückverwandeln zu wollen. Sie legten es also nicht darauf an, unerwünschte Beamtenorganisationen grundsätzlich als politische Vereinigungen und damit als verbotsfähig zu interpretieren. Verboten werden sollten nur die s c h l i m m stem Unterbeamtenverbände. Die anderen galt es zu neutralisieren. Auf beiden Seiten schienen mithin realpolitische Überlegungen die Oberhand zu gewinnen. Die Wende w u r d e eingeleitet durch eine Aussprache zwischen dem Reichspostsekretariat und der Führung des Verbandes der Post- und Telegraphenassistenten, kurz »Postverband« genannt, im März 1899. Sie glich nur auf den ersten Blick einer bedingungslosen Kapitulation der Postbeamten, tatsächlich mündete sie in eine stillschweigende Duldung von Beamteninteressenvertretung. Erleichtert wurde diese Übereinkunft durch den Wechsel im »Postministerium«, w o die Behördenleitung von dem 1897 verstorbenen Heinrich von Stephan auf Viktor von Podbielski und bald danach (1901) auf Reinhold Kraetke überging, umgänglichere Pragmatiker, die die Beamtenbewegung zwar auch nicht liebten, sie aber in ihrem Ressort ohne Brachialgewalt zu stoppen suchten. Während Stephan sie »ideell und materiell mißhandelt« hatte, »sollte jetzt umgekehrt die Erfüllung ihrer materiellen Wünsche dazu benutzt werden, ihr geistiges Rückgrat zu brechen«. 1 Dieser Wechsel hätte freilich allein nicht ausgereicht, wenn nicht die Wiederaufnahme des »Neuen Kurses« der Innenpolitik durch Reichsinnenminister Graf Posadowsky für eine allgemein veränderte Situation gesorgt hätte. Posadowsky wandte sich noch 1899 von der Konzeption der Repressivstrategie ab. Es begann eine rund zehn Jahre währende Entspann u n g des sozialpolitischen Klimas, was auch bedeutete, daß der Staat nicht mehr auf die Einschnürung der beruflichen Interessenvertretung der Arbei140
ter um jeden Preis setzte, sondern, in der Hoffnung, die Gewerkschaftsbewegung dadurch der Sozialdemokratie abspenstig zu machen, auf die Politik des begrenzten Entgegenkommens. 2 Diese Kursänderung bildete die Voraussetzung auch für die gelassenere Handhabung des Beamtenorganisationswesens, für ein gegenseitiges Einlenken auf der Grundlage des do ut des. Der Postverband nannte die auf 1899 folgende Dekade nicht zuletzt aufgrund der neuen Beziehung zur Behörde den »zweiten Abschnitt der Verbandsgeschichte«. 3 Sie sollte es auch für die meisten anderen werden. Reine Besoldungspolitik, das zeigte sich von nun an, wurde toleriert. Allerdings durften ihre Grenzen nicht überschritten werden und sie mußte äußerst zurückhaltend bleiben. Die eigentliche Kondition des Stillhalteabkommens war also, daß die Beamtenorganisationen auf radikalere Methoden und Ziele, zu denen sie in den 90er Jahren geneigt hatten, streng verzichteten. Meist gingen die betroffenen Organisationen auf diese Bedingungen ein, weil Friedlichkeit und Zurückhaltung in der gegebenen historischen Situation eine taktische Notwendigkeit bildeten. Beamtenvereine, die das Wort von der Interessenvertretung auf ihrem Schild willig übermalt hatten, ohne es aus ihrem Bewußtsein streichen zu müssen, eckten bei den Behörden auch dann nicht zwangsläufig an, wenn sie - in Grenzen und möglichst unauffällig - faktisch doch »Standespolitik« betrieben. Man mußte eben darauf achten, die dienstliche Obrigkeit, die jetzt zwar mit einer gleichsam in die Reserve geschickten Intransigenz operierte, aber sanktionsbereit blieb, nicht zu irritieren. 4 Wie die Formel, auf die man sich in aller Informalität geeinigt hatte, praktiziert wurde, geht sehr anschaulich aus den einschlägigen Ereignissen auf dem Verbandstag der preußischen mittleren Eisenbahnbeamten 1903 hervor. Der als Gast geladene »Herr RegierungsVertreter« machte unmißverständlich deutlich, daß »eine maßlose Agitation, die nur auf Erregung von Unzufriedenheit gerichtet« sei, das »Vertrauen zwischen Behörde und Untergebenen« unweigerlich untergrabe. Gleichzeitig räumte er aber auch ein, daß gemeinsame Angelegenheiten »zweckmäßig und ersprießlich erledigt« werden könnten, wenn die Beamten sich die agitatorische Unruhestiftung versagten. Daß der Verband der mittleren Eisenbahner sich offenbar an diese Maxime halten wollte, nannte er »außerordentlich anerkennenswert«. Im Bericht der Vereinszeitung wurden diese Ausführungen dann so kommentiert: »Mit dieser offiziellen Anerkennung können unser Verband und seine Mitglieder zufrieden sein, und ganz diesen Intentionen folgend wird und muß es unsere erste Aufgabe bleiben, unsere Standesinteressen so. zu vertreten, daß uns kein Vorwurf in dieser Richtung treffen kann«. 5 Durch die Zurückdrängung einer forschen und unumwundenen Arbeitnehmerpolitik erfuhr nun die berufsfachliche Komponente der Beamtenzusammenschlüsse direkt oder indirekt starke Förderung. Die Formel von 141
der Pflege von Kollegialität und beruflicher Bildung stand ohnehin in jeder Vereinssatzung. Nun wurde sie ernst genommen. Auch unter dem Einfluß der wenn man so will strukturellen Unvermeidlichkeit, daß die Arbeit insbesondere in den leistenden Verwaltungen immer höhere fachliche Anforderungen stellte, wandten sich die Vereine konsequent und intensiv der Ausbildungsfrage zu. Geboten schien dies ohnehin, denn bessere berufliche Bildungsqualität entsprach einem der dringendsten behördlichen Wünsche der Zeit. Da die Entwicklung (zu größerer Arbeitsteiligkeit) gleichzeitig die berufliche Differenzierung der Beamtenschaft vorantrieb, wurde außerdem die Fachkollegialität aufgewertet. Das führte, stärker als bisher, zur Besinnung auf den engeren Kreis der unmittelbaren Kollegenschaft, auf gemeinsame Berufserfahrungen und -erlebnisse, in gewisser Weise also auch von daher auf den Primat des Metiers im engeren Sinn. Mag es früher gerechtfertigt gewesen sein, argumentierte 1906 eine Betrachtung über den »modernen Beamten«, sich bei »gesellschaftlichen Beziehungen« an der dienstrechtlichen oder Laufbahn-Kategorisierung zu orientieren, sollte nun schon die Lebensklugheit gebieten, weniger rückschauend [sprich auf überlieferte Maßstäbe fixiert] als vielmehr vorwärtsblickend das Auge auf das, was uns alle fesselt, den Beruf, gerichtet zu halten. Ihn zu einem möglichst erhebenden Lebenszweck zu gestalten, müßte die Aufgabe jedes einzelnen sein. «6 Ganz lupenrein konnte dies kurzfristig zwar kaum gelingen. Unter den Bedingungen der Einbettung in das hierarchische Gefuge der Verwaltungsorganisation vermischte sich das Element der beruflichen Fachverwandtschaft mit der vorgegebenen Rangklasseneinteilung zu sehr, so daß sich im ganzen keine uneingeschränkt fachliche Gruppenorientierung ergab. Sie wurde durch die Rangklassenorientierung wirkungsmächtig überlagert, eine Folge, die ihrerseits in hohem Maß darauf zurückging, daß Besoldungsangelegenheiten sich nach hierarchischen Stufen, teilweise aber auch nach Verwaltungssparten unterschiedlich gestalteten. Trotzdem aber führte die seit 1899 dominierende Konstellation zu einer immer stärker werdenden fachlichen Differenzierung der Beamteninteressenorganisationen, wobei Differenzierung die Tendenz zur Herstellung größtmöglicher Homogenität der Mitgliederstrukturen durch immer kleinere Organisationen immer speziellerer Beamtengruppen meinte. Dies war etwas anderes als die Beamtenbewegung der 1890er Jahre und deren Organisationen. Deren Ideal scheint nicht die schmale SpezialVereinigung, sondern der möglichst große, mehrere Rangklassen oder -Unterklassen und aufjeden Fall viele berufliche Fachgruppen umfassende kategoriale Verband gewesen zu sein, etwa der Postverband, der die Vertretung aller mittleren Post- und Telegraphenbeamten intendierte, der mit dem gleichen Anspruch in seinem Bereich auftretende Verband der mittleren preußischen Eisenbahnbeamten, desgleichen der Verein der Justiz-Subalternbeamten, die alle mittleren oder aber der Postunterbeamtenverband und der Verband der Eisenbahner Deutsch142
lands, die alle Unterbeamten bzw. Staatsarbeiter ihrer Ressorts organisieren wollten. Wohl gab es auch andere, kleinere Vereine, geprägt hatten die Epoche aber die Tendenzen zur Massenorganisation und deren Repräsentanten. Nach 1900 jedoch wurden die kleinen Interessengemeinschaften typisch für die Entwicklung. Der 1904 entstandene Eisenbahnassistentenverein interpretierte diesen (hier in den gesamtgesellschaftlichen Z u s a m m e n h a n g gestellten) Prozeß so: »Ganz aus der Mitte der Staatsbürger selbst heraus, ohne Z u t u n der Staatsbehörden oder anderen amtlichen Organen, hat sich eine Organisation der Staatsbürger nach Berufsklassen entsponnen. [Dieser Prozeß verläuft so, daß] ». sie innerhalb der großen Berufsarten eine i m m e r weiter gehende Spezialisierung nach den Berufszweigen entstehen läßt. N a c h d e m [auch] für die Beamten zunächst [Selbsthilfe-]Verbindungen erwachsen waren, welche die Gesamtheit des Beamtenstandes in seinen Interessen zu vertreten unternahmen, soweit sie die gesamte Beamtenwelt gleichmäßig berührten. haben für die Beamtenschaft verschiedener großer Ressorts sich Vereinigungen gebildet, welche dasjenige zu pflegen und zu fördern zum Ziele setzten, was den Angehörigen dieses Ressorts innerhalb der [Gesamt-JBeamtenschaft besonders am Herzen lag und den gesamten Klassen des betreffenden Ressorts gemeinsam war. Es hat aber darüber hinaus jede einzelne Klasse wieder ihre eigenen Schmerzen, Wünsche, Freuden und Leiden, die nur im Kreise der speziellsten Kollegenschaft den ersten Ausdruck und richtig würdigendes Verständnis, eine. eingehende Klärung und schließlich zweckentsprechende Geltendmachung . finden kann. «7 Man wird nicht sagen können, dieser Trend habe eine gegenüber den 1890er Jahren formal vollkommen neue Organisationsart hervorgebracht. Wenn man Berufsorganisationen zu typologisieren versucht, könnte man mit einigen Berufssoziologen zu einer Dreiteilung k o m m e n . Danach gäbe es in entwickelten Industriegesellschaften »(a) wissenschaftliche Gesellschaften, (b) Berufsverbände der Professionen, Semiprofessionen und Geschäftsleute und (c) Gewerkschaften«. Prägend für die erste Form ist das vorwiegend einseitige und relativ apolitische Interesse am Wissensaustausch, während die Gewerkschaft sich nahezu »ausschließlich mit Problemen der Entschädigung und der Arbeitsbedingungen« befaßt. Zwischen diesen »Extremformen« liegend zeichnet sich die mittlere Art durch eine Mischfunktion und mehrschichtige Interessenlage, also durch Interesse sowohl am Wissenselement wie an Arbeits- und Lebensbedingungen aus, wobei sie die Wahrnehmung direkter materieller Interessen eher hintanstellt und Interessenvertretung in hohem Maß zur ethischen Erziehungsund Kontrollaufgabe (Überwachung der Standesnormen) stilisiert bzw. über sie realisiert. 8 Die Beamtenfach vereine gehörten vor 1900 ebenso wie danach in die Kategorie (b) dieser Einteilung. Allerdings, und das sollte hier unterstrichen werden (zumal diese Kategorie eine weitgehende Bin143
nendifferenzierung zuläßt), mit unterschiedlicher Akzentuierung. In der ersten Phase während der 1890er Jahre war der Begriff der Berufsgruppe tendenziell weiter und unspezifischer gefaßt gewesen und Programmatik wie Vorgehensweisen der Organisationen fielen verhältnismäßig plump, nämlich vorwiegend als eklektische Petitionspolitik aus. Dagegen kam in der zweiten Zeitperiode eine trotz aller Ausnahmen, Widersprüchlichkeiten und Verkappungen subtilere, die Selbsterziehung besonders zur Achtung des Berufswissens stärker betonende Aufgabenorientierung auf. Sie wurde begleitet von der primär auf enge Berufsbereiche und/oder Berufspositionen abhebenden Organisierung. Am auffälligsten manifestierte sich der Wandel in einer Welle von Vereinsgründungen auf der Grundlage eben solcher engster Rekrutierungsbasen, beobachtbar etwa am Beispiel der Eisenbahnbeamten, aus deren Mitte nacheinander der »Verband der Eisenbahnfuhrbeamten Deutschlands« (1902), der »Verband der mittleren Staatseisenbahnbeamten des Verwaltungsdienstes« (1904), der »Assistentenverband« der preußisch-hessischen und Reichseisenbahnen (1904), der »Verband der Eisenbahntechniker der preußisch-hessischen Staatsbahnen« (1905), der »Verein der Schaffner und Schaffneranwärter der deutschen Staatseisenbahnen« (1905), der »Deutsche Eisenbahn-Zugführerverband« (1906), der »Verband technischer Assistenten der Preußisch-Hessischen Staatsbahnen« (1907) und der »EisenbahnPraktikanten-Verband« (1908) hervorgingen, obwohl schon einige Vereine für Lokomotivführer, Eisenbahntelegraphisten, Lade-, Rangier- und Bahnmeister, Weichensteller, Schirrmänner und auch für mittlere Eisenbahnbeamte generell bestanden. Ähnliches ist für Zivilanwärter, für Beamte der Steuerverwaltung, Kanzleibeamte und nicht zuletzt die Post- und Telegraphenbeamten zu konstatieren, bei denen (den Postbeamten) nach 1900 mit 11 neuen Vereinen gegenüber zwei davor weit mehr Organisationen entstanden denn je. Allenthalben sprossen neue Zusammenschlüsse hervor, als hätte es vor dem Ausgleich mit den Behörden nicht schon eine erste große Gründungswelle gegeben. Insgesamt kamen zwischen 1900 und 1910 erheblich mehr Fachvertretungen zustande als von 1890 bis 1900. Da die älteren in der Regel weiter bestehen blieben, präsentierte sich die Gesamtheit Beamtenberufsvereine nunmehr in denkbar großer Zahl und Vielfalt. 9 Von den Neugründungen basierte allerdings nur ein Teil auf bisher nicht oder wenig organisierten Beamten oder Beamtenklassen. Die sich neu formierenden Vereine warben vielfach Mitglieder von den bereits bestehenden ab. Daher manifestierte sich der Trend zugleich in der Zersetzung großer Kategorialverbände (ohne sie allerdings ganz aufzuzehren). Als typische und wichtige Vorgänge dieser Art wären hervorzuheben die Desintegration des Vereins mittlerer Staatseisenbahnbeamter, den 1904 die Assistenten und die Beamten des »Verwaltungsdienstes« und 1913 die »Beamten I. Klasse des nichttechnischen Eisenbahndienstes« bzw. eine Gruppe der 144
»Bureaubeamten II. Klasse« verließen. Im Bereich der Post- und Telegraphenverwaltung schieden die »Oberpostschaffner« 1906 aus dem allgemeinen Unterbeamtenverband aus. Dem Postverband bzw. dem von ihm vertretenen Prinzip der kategorialen Organisation wurden 1906 die »Postverwalter«, 1907 die »geprüften Sekretäre und Obersekretäre«, 1908 eine Gruppe von Militäranwärtern, 1909 die »Oberassistenten« und 1910/13 die im »Bund mittlerer Reichs-Post- und Telegraphenbeamten der Zivilanwärterlaufbahn« sich neu zusammenfindenden Beamten untreu. Einen in der Grundtendenz gleichgerichteten Prozeß machten die Zivilanwärter überhaupt durch, deren erste und potentiell globale Organisation, der »Verband der Zivilanwärter des Deutschen Reiches« (1901), in der Zeit bis 1905 von Separatorganisationen (der preußischen Regierungs- und Steuer-Zivilsupernumerare, der Gemeindezivilsupernumerare, der Eisenbahnsupernumerare) überwuchert wurde, so daß eine auch von der Kartellgründung 1906 nur mühsam überdeckte Dominanz der Spezialverbände entstand. 10 Am Ende stimmte der danach kolportierte Spruch fast wörtlich: »Soviel Titulationen, soviel Vereine«.11 Von der verfeinerten Berufsvereinsidee ging eine große Kraft aus, sie brachte die von Sezessionen geplagten Altvereine zur Verzweiflung und manchmal in Rage. Sie fühlten sich nicht nur in ihrem Bestand bedroht, sondern auch um ihre Leistungen betrogen. »Ja von welchen Gefühlen sind denn diese Herren [Abwanderer] früher beseelt gewesen«, empörte sich das »Flügelrad«, Zeitschrift der mittleren Eisenbahner, als die Assistenten Reißaus nahmen. »Haben sie immer nur daran gedacht. ., den Mohren zu entlassen, wenn er seine Schuldigkeit getan hat?« 12 Doch weder Schimpfen noch Argumentieren half, die Sondervereinsorientierungen, der Trend »zu immer kleinerem Zusammenschluß« 13 triumphierte. Er wurde unbeschadet der nach wie vor bestehenden Selbsthilfeorganisationen und den Gründungen aus den 1890er Jahren zum eigentlichen »Kennzeichen der Beamtenbewegung« 14 im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts. Den Behörden war dies hochwillkommen, hatten sie doch gerade die Massenvereinigungen gefurchtet. Sie wußten, daß den Fachvereinen - auch den neuen - nicht nur Kollegialität und Berufsbildung, sondern auch die Besoldung und Versorgung der Mitglieder sehr am Herzen lag. Da das preußische Besoldungssystem insbesondere vor 1909 sich (u. a.) durch ziemliche Uneinheitlichkeit auszeichnete, beziehungsweise preußische und Reichsbesoldung voneinander abwichen, so daß selbst innerhalb nominell auf der gleichen Stufe stehender Rangklassen in verschiedenen Verwaltungszweigen verschiedene Vergütungen vorkamen, bot sich den Behörden hier, zusammen mit dem zuweilen äußerst verschachtelten hierarchischen »Staffelwesen«, 15 ein ausgezeichnetes Mittel, die Zersplitterung auch über die Rang- und Besoldungspolitik zu fördern und zu konservieren. Eine Eisenbahnerzeitschrift schrieb schon 1901: »Die Verwaltungen verstanden den Grundsatz der alten... Römer: Theile und Herrsche! auf ihr Per145
sonal anzuwenden. Jede Gruppe wurde haarscharf von der anderen geschieden, jeder [wurden] besondere Rechte und Befugnisse eingeräumt und durch ein in unzählige Arten zerfallenes Lohnsystem wurde Allen vorgemacht, daß jeder etwas Besonderes sei und zu bedeuten habe.« 16 Das 1906 eingeführte neue Prüfungsreglement für »Weichensteller 1. Klasse«, ein kleiner Fall unter vielen, demonstrierte dies exemplarisch. N u r wer die Prüfung nach dem neuen Modus ablegte, durfte sich künftig Weichensteller erster Klasse nennen und in eine höhere Besoldungsstufe kommen. Die erstklassigen alter Art mußten sich von da an mit niedrigerem Gehalt und dem minderwertigen Titel »StellwerkWeichensteller« zufriedengeben. 17 Wenn es bald eine so kleingemusterte Organisationslandschaft gab, daß man mit Recht von »Vereinsmeierei«18 reden konnte, dann war es darum auch ein Ergebnis dieser Politik, die übrigens nicht nur differenzierte, sondern auch spaltete, d. h. Gruppenegoismus, Gegensätze und Eifersüchteleien schürte und im Ansatz komplexere Programme zuweilen in der Tat zu einer platten »Nurbesoldungsstrategie« verkommen ließ. Mitunter glich die Vereinsszenerie dieser Zeit denn auch einer Arena, in der, anders als Ende des 19. Jahrhunderts, ».. unausgesetzt Kämpfe zwischen den einzelnen Fachvereinen. tobten«. 19 Auch auf individueller Ebene, wo das aufschimmernde Leistungsbewußtsein doch größere Karrierehoffnungen geweckt hatte, wurde Aufstiegsstreben nicht selten korrumpiert; das Denunziationswesen, auch »Kollegenanzeige« genannt, 20 begann um sich zu greifen. Erscheinungen dieser Art taten dem Prinzip indessen keinen Abbruch. Im Gegenteil, der unschöne Kampf >aller gegen alle< war zum Teil unvermeidlich aus der Konkurrenzidee erwachsen, die den Aufbruch zur Professionalität nun einmal begleitete. Natürlich gab es unterschiedliche Annäherungen an das Prinzip, unterschiedliche Verinnerlichungsgrade und ungleiche Prinzipienfestigkeit. Hinter vielen Neugründungen stand nichts weiter oder wenig mehr als platter Gruppenegoismus: das anspruchslose Kalkül, für einen kleineren Kreis leichter (Sonder-)Vorteile herauszuholen als für eine Großkategorie. Aber es gab andere mit weiterem Horizont, denen es mit darum ging, am - auch für Beamte nunmehr unausweichlich scheinenden - »Konkurrenzkampfe der Stände« 21 in einer durch wachsende Pluralisierung und Bedeutung der Berufe gekennzeichneten Gesellschaft teilzunehmen. Es ging um Selbstbehauptung, diesmal auch und verstärkt kraft konkurrenzfähiger Berufs- und Leistungsqualität. Dabei wurde auf jeden Fall immer stärker von berufsspezifischen Basen aus operiert. Was zählte, waren charakteristischerweise die beruflichen Gemeinsamkeiten und nicht gemeinsame sozialökonomische Merkmale, die Kollegengemeinschaft und nicht die Massenplattform oder Massensolidarität. 22 Die spontane Neigung zum kämpferischen Auftreten der 90er Jahre wich meist der bewußten Vermeidung jedes Anscheins von Arbeitskampf. 23 Das Berufsvereinswesen beherrschte das mittlere und untere Beamten146
tum, es kennzeichnete in allererster Linie deren Bemühungen um wirksame Interessenvertretung. Im Kreis der höheren Beamten gab es dergleichen zunächst kaum und auch im Zeitverlauf blieb dort die Selbstorganisierung wesentlich schwächer. Von einer praktisch alle erfassenden Bewegung wie bei den Subalternen und Unterbeamten konnte in ihrem Fall nicht gesprochen werden, von verbreiteter Aktivität auch erst im 20. Jahrhundert. Vor 1900 hatten in Preußen nur die Lehrer und die Medizinalbeamten festgefugte Organisationen. Der verhältnismäßig kleine Zirkel der »rheinpreußischen« Amtsrichter war ein eher der Geselligkeit und/oder dem wissenschaftlichen Erfahrungsaustausch dienender Klub. 24 Nach der Jahrhundertwende wurden die Organisationsbestrebungen wie gesagt intensiver, doch auch jetzt nicht umfassend, und sie führten weiterhin nicht immer zu hochgradiger Formalisierung. Um oder ab 1900 scheinen sich Zugehörige der höheren Post- und Telegraphenlaufbahn in einer eher losen, bis Ende 1905 auch ohne publizistisches Organ gebliebenen »Vereinigung« versammelt zu haben. 25 Sie zählten übrigens recht eigentlich noch nicht zur höheren Beamtenschaft, rekrutierten sie sich doch (vor 1908) ausschließlich aus ehemaligen mittleren Beamten. Ebenfalls von 1900 datiert die Gründung des kleinen »Vereins deutscher Bibliothekare« im höheren Dienst. 26 Einige bei »Reichs-, Staats-, Provinzial- und Kreisbehörden« angestellte höhere Beamte traten dem 1902 gegründeten »Deutschen Volkswirtschaftlichen Verband« bei.27 U m die gleiche Zeit begannen sich die Hochschullehrer zu regen, wenn es auch zu mehr als der Abhaltung von Hochschullehrertagen vorerst nicht reichte.28 Darauf folgte 1907 der Versuch höherer technischer Beamter der preußisch-hessischen Staatseisenbahnen, einen »Verband« zu gründen; er scheiterte am faktischen Verbot durch die vorgesetzte Behörde.29 Die neben der Oberlehrervertretung wahrscheinlich gewichtigste Vereinsbildung schließlich erfolgte 1909, als der preußische Richterverein bzw. der umfassendere Deutsche Richterbund entstanden. 30 Klarer als die Berufsvertretungen der Subalternen ließen diese Vereinsbildungen und -beteiligungen von höheren Beamten den Bezug zur Fachautonomie oder Berufsethik erkennen, unbeschadet der auch bei ihnen nicht zu verhehlenden Besoldungsanliegen. Die Bibliothekare, denen es als neuer Berufsgruppe vielleicht primär um den Nachweis der Wissenschaftlichkeit ihres Tuns ging, hoben ihre Absicht besonders hervor, »die sachlichen Interessen des Bibliothekswesens« zu fordern und »die persönlichen und Standes-Interessen. wie Gehalts- und Titelfragen. dem gegenüber in den Hintergrund treten« zu lassen.31 Der Deutsche Volkswirtschaftliche Verband stand, den Bibliothekaren ähnlich, überhaupt im Zeichen der Konstituierung der Nationalökonomen als eigenständige Berufsgruppe und betonte das fachliche Moment entsprechend. 32 Nicht minder tat dies der Verein höherer preußischer Medizinalbeamter, der schon traditionell und im Namen einer der ältesten Professionen gegen die Herabwürdigung der Fachautorität von Nichtjuristen stritt. 33 Für die Hochschulleh147
rer bildete die als bedroht empfundene Freiheit des akademischen Wissenschaftsbetriebes den entscheidenden Mobilisierungsgrund. 34 Von Seiten der höheren Eisenbahntechniker verlautete, sie wollten der »Hebung des Ansehens der technischen Wissenschaften« 35 dienen. Und das Zustandekommen der Richtervereinigungen scheint viel mit dem Doppelschock der sogenannten Juristenschwemme und der zunehmenden qualitativen Dürftigkeit des Berufsnachwuchses zu tun gehabt zu haben, Dinge, die 1909 in eine Selbstbesinnung weiter Kreise des Juristenstandes überhaupt mündeten und die Richtervereine u. a. zu der Zielformulierung veranlaßt haben, »nicht mehr zu fordern, sondern mehr zu leisten«; »Selbsterziehung [und] innere Vervollkommnung des Berufsrichtertums« sind zur aktuellen Parole geworden. 3 6 Daß die höheren Verwaltungsbeamten keine Vereinigung bildeten, demonstrierte allerdings den unveränderten Primat von Herrschaft durch Verwaltung bzw. Amtsautorität vor Sachautorität. Wenn höhere Fachbeamte außerhalb des engeren Verwaltungsdienstes sich zum Schutz ihrer Professionsanliegen zusammenschlossen, so waren sie damit Teil der gegen die grundsätzliche Interessenidentifikation von Staat und Verwaltungspersonal gerichteten Beamtenbewegung. Gleichwohl erstrebten sie eher die volle Anerkennung als >herrschaftsfähige< Eliten denn die Geltendmachung von Arbeitnehmerinteressen im strengen Sinn. Das unterschied sie vom Rest der Beamtenbewegung. Unabhängig hiervon bildete das Jahrzehnt nach 1899 alles in allem eine Phase der Beamtenbewegung, die sich durch starke berufsspezifische Differenzierung der Organisationsbildung, durch die Politik des geringsten Widerstandes bzw. durch das Vertrauen auf die Wirkungsmächtigkeit von Professionalisierungsstrategien (beim höheren Dienst auch der professionellen Kompetenzen) kennzeichnete. Der zwischen Beamtenverbänden und Staat eingetretene relative Entspannungszustand, die Entschärfung materieller Probleme durch umfassende Besoldungserhöhungen bis 1900, das akute Interesse sowohl der Beamten wie der Behörden an verbesserter Fachausbildung, die seit der Jahrhundertwende eingeleiteten Reformen 37 und die bewußt gewordene Fragwürdigkeit des Militäranwärterwesens waren Faktoren, die eine solche Ausrichtung begünstigten. Die Wirkung dieser Faktoren blieb indessen nicht konstant. Professionalisierungsstrategien liefen sich mit der Zeit fest, ζ. B. weil das Ausbildungssystem sich nicht grundlegend besserte, weil die Aufstiegschancen wegen fehlender Planstellen für das Gros sich als trügerisch erwiesen und/oder weil es für eine berufliche Entfaltung jenseits des amtsautoritären Geltungsgefüges doch nicht genug Raum gab. Die partikularistische Organisationsweise der Interessenvertretungen wiederum bewirkte Schwäche durch Zersplitterung, so daß dann, wenn Appelle versagten, kaum wirksam nachgeholfen werden konnte. Schließlich begann auch noch der Effekt der letzten Besoldungserhöhungen nachzulassen, die Teuerung überholte 148
allmählich die festgeschriebenen Gehälter. Die Folge war ein Stimmungsumschwung, der eine neue Etappe der Beamtenbewegung einleitete.
c) Auf dem Weg zur integrativen
Massenorganisation
Drei Momente kennzeichneten die u m 1909 beginnende neue Phase der Beamtenbewegung: Radikalisierung, Konzentration auf Wirtschaftsfragen und organisatorische Integration. Die Beamtenvertretungen antworteten mit diesen Tendenzen auf die Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage. Die Gehaltsrevisionen von 1908/09, die sie fiir ungeeignet hielten, das zunehmende Mißverhältnis von Besoldung und Preissteigerungen zu beseitigen, bildete dabei den aktuellen Anlaß. Zugleich waren die neuen Trends Reaktionen auf die Restriktionen des Beamtenrechts und die Zersplitterung der Beamtenorganisationen, Dinge, die schlagkräftige Interessenpolitik behinderten. Wie schon 1890 spielten auch jetzt die mittleren Postbeamten eine Vorreiterrolle. Ihre aus Assistenten bestehende Mehrheit erstrebte nicht nur Gehalts-, sondern auch laufbahnstrukturelle Verbesserungen und war daher besonders engagiert. Als sich abzeichnete, daß ihre Laufbahnforderungen unerfüllt bleiben würden und daß die Besoldungsnovelle sie auf absehbare Zeit an den alten Status binden würde, änderten sie die seit 1899, dem »Waffenstillstand« mit der Ressortbehörde, geübte moderate Taktik. Wie ernst der Postverband die Sache nahm, verriet die Einberufung eines außerordentlichen Verbandstages im Dezember 1908 und die ungewöhnlich erregte Sprache der Verbandszeitschrift, in der der »Verantwortliche Redakteur« von Kampf mit »offenem Visier«, 1 von bitterem Unrecht, Verletzung der Standesehre, Solidarität, Entschlossenheit u. ä. schrieb, 2 und die sich nicht scheute, die Aufforderung »Auf die Schanzen!« 3 zu drucken. Die Sondertagung am 3. Dezember 1908 in Berlin mit dem einzigen Tagesordnungspunkt »Stellungnahme zur Besoldungsvorlage« verlief äußerst diszipliniert aber auch in äußerst gespannter Atmosphäre und im Zeichen von pathetischem Ernst. Ebenso die anschließende Mitgliederversammlung, eine bewußt in der Brauerei Friedrichshain abgehaltene Veranstaltung; dort hatten sich, wie der Versammlungsbericht es ausdrückte, die »Kameraden« schon bei der Verbandsgründung 1890 die Treue geschworen. Nun, so der Bericht, haben sie »die Hand zum gleichen Schwur erhoben«, ' stand ihnen doch der »schärfste Kampf« seit langem 5 bevor. Die heiße Phase dieses Kampfes dauerte bis zum 15. Juni 1909, der Verabschiedung des Reichsbesoldungsgesetzes. In diesem halben Jahr ging es zu wie einst in den 1890er Jahren. Ersprießliches kam dabei nicht heraus, die Bilanz läßt sich eher in negativen Folgen ausdrücken: Post-Staatssekretär Kraetke lehnte noch im Januar 1909 die gewünschte Laufbahnreform mit einer umfangreichen Begründung ab. 6 U n d das Besoldungsgesetz fiel 149
so aus, wie es die Postassistenten befürchtet hatten. Überdies griff der Dienstherr hart durch. In einem aufsehenerregenden Disziplinarprozeß, der ein Exempel statuieren sollte, wurde der Verbandsvorsitzende Zollitsch im Oktober 1909 zu Gehaltskürzung und Strafversetzung verurteilt. Er büßte für Ausführungen der Verbandszeitschrift, die laut Urteilsbegründung geeignet waren, einen hohen Grad von Unwillen und U n m u t gegen die Behörden zu erregen, das Pflichtbewußtsein und Pflichtgefühl der Beamten zu untergraben, das Gefühl der Treue in den Beamten zu erschüttern und Zucht und Ordnung im Beamtenkörper zu gefährden«. 7 Diese Erfahrungen ließen für die nächste Zukunft die finanzielle und berufliche Hebung ausgeschlossen erscheinen. Außerdem bestätigten sie die schon Jahre zuvor aufgekommene Skepsis und die spätestens 1909 gewonnene Überzeugung, daß der isolierte Berufsverein als Typ »im gewissen Sinn versagt« habe 8 und man darum umdenken müsse. Man wußte, daß der Waffenstillstand von 1899 zu Ende gegangen war, daß die harte Auseinandersetzung der ersten Bewegungsphase in einer Neuauflage weitergehen würde und daß dem organisatorisch wie ideologisch Rechnung zu tragen sei. Auf keinen Fall Berufsgruppen-, auf jeden Fall standesweite Organisation, so lautete eine der nun aufgestellten Generalmaximen. 9 Was standesweit war oder bedeuten sollte, wurde nicht eindeutig definiert. Mindestens umfaßte es die Gesamtheit der mittleren Reichs-Post- und -Telegraphenbeamten, gleich welcher Schattierung. Doch es gab auch ausladendere U m schreibungen. So war ζ. B. die Rede von der Interessensolidarität der »Beamtenschaft«, 10 dem Zusammenfinden nicht nur der Angehörigen »unseres Berufs«, sondern der »Beamtenschaft in ihrer Gesamtheit«, 11 der »Zentralisierung der Beamtenverbände«, 12 dem »Zusammenschluß großer Beamtenkorporationen« oder einfach »aller Beamten«. 13 Einen praktischen Sinn ergab die integrative Organisationsauffassung natürlich nur im Verbund mit der Veränderung der Zielperspektive gegenüber dem Berufspositionsverein. Berufsindividuelle Probleme konnten nicht im Mittelpunkt des Interesses stehen, die Hauptaufmerksamkeit mußte gemeinsamen Anliegen gelten. Und als solche kamen in erster Linie die Arbeitsverfassung der Staatsbediensteten (Arbeitnehmerrechte, Arbeitsbedingungen) und die von ihr ableitbaren bzw. abhängigen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, vielleicht auch politischen Grundinteressen in Betracht. Schon 1908 argumentierte der spätere Redakteur der Deutschen Postzeitung, Albert Falkenberg, in einer bemerkenswerten Broschüre entsprechend. Er hob die Arbeitnehmer-Eigenschaft des Gros, der öffentlichen, insbesondere der »Betriebsbeamten« hervor, ihre Rolle als bloße »Nummer« im »Massenbetrieb« und den trennenden »Raum« zwischen ihnen und der Verwaltung, sowie die gemeinsame Interessenlage der kleinen Beamten über die »einzelnen Kasten und Kästchen« hinweg. 14 Diese Lagebeurteilung fand sich dann auch 1912 in der verbandsoffiziellen Stel150
lungnahme zur zweiten Minister-Denkschrift 15 in Sachen Personalordnung wieder, namentlich die Feststellung, daß die mittleren Postbeamten einerseits jeden Anschluß an den höheren Dienst, andererseits jede wirksame Distinktionsmöglichkeit von den »Unterbeamtengeschäften« verloren und infolgedessen eine gravierende »soziale Abwärtsbewegung« am Arbeitsplatz vollzogen hätten. 16 Unter den gegebenen Umständen, da nämlich (fast) alle im gleichen Boot säßen, erschien berufliche Konkurrenz (zwischen mittleren und Unterbeamten) also nicht recht sinnvoll, das Zusammenstehen bzw. die Organisierung auf einer möglichst breiten »wirtschaftlichen Grundlage« hingegen nützlich.17 Was auf dem Verbandstag der Postbeamten im Dezember 1908 begonnen hatte, erwies sich sehr bald als übergreifender Trend. Zu dessen erster Manifestation wurde der »Erste Deutsche Beamtentag«, der am 18. April 1909 in Berlin stattfand. Das war eine von rund achttausend Beamten verschiedener Verwaltungszweige besuchte besoldungspolitische Protestversammlung, ein spektakuläres Ereignis, das nach langer Zeit wieder Massen als Mittel beruflicher Interessenpolitik aufbot und obendrein den radikalen Ton vernehmen ließ. »In der Versammlung«, so eine besorgte zeitgenössische Stimme, »fielen die schärfsten Angriffe auf das Verhalten der Regierungen und der gesetzgebenden Körperschaften« und dies unter »tosendem Beifall«. 18 Organisiert worden war das ganze vom »Deutschen Beamtenbund«, einem 1906 gegründeten Wahlverein, der bis 1909 kaum eine Rolle spielte. 19 Jetzt aber, die Spannungen um die Besoldungsfrage nutzend, gelang es ihm, eine große Spontanmasse zu mobilisieren. Und diese Aktion brachte den Stein ins Rollen. Sie dürfte der Auslöser gewesen sein für jene demonstrative Bekräftigung des geltenden Beamtenrechts, die die preußische und die Reichsregierung als Maßnahme bzw. Handhabe gegen die drohende Radikalisierung am 26. April 1909 beschloß und im Juli vollzog. 2 0 Dieser Schritt des Staates schien indessen trotz der darin verdeckt enthaltenen Bereitschaft, es nicht zur Eskalation kommen zu lassen, sich nicht sogleich positiv auszuwirken. Zwar löste sich der schlecht organisierte »Beamtenbund« kurz danach auf, an seine Stelle trat aber am 31. Oktober 1909 eine Folgeorganisation, die sich »Bund der Festbesoldeten, Wirtschaftspolitische Vereinigung der Reichs-, Staats-, Gemeinde-, Privat-Beamten und Lehrer des Deutschen Reiches« nannte.21 Radikaler, dabei präziser und konsequenter als der Beamtenbund von 1906 trat der Festbesoldetenverband ohne Umschweife für die »Sicherstellung der Staatsbürgerlichen Rechte« und die Kodifizierung eines »einheitlichen modernen Beamtenrechts« ein. Im einzelnen hieß das Wahl-, Vereins- und Versammlungsfreiheit, Institutionalisierung interessenpolitischer Beamtenvertretungen (Beamtenausschüsse) in allen Behörden und Staatsbetrieben, gesetzliche Regelung der »Arbeits- und Ruhezeiten sowie der Urlaubsverhältnisse«, Abschaffung der geheimen Personalakten, Anwendung der für gewerbli151
che Arbeiter laut Gewerbeordnung geltenden Schutzbestimmungen auch auf Beamte und Ähnliches mehr. 22 Das waren genau jene Forderungen, die die Staatsfuhrung ausmärzen wollte. U n d auch die organisatorischen Vorstellungen des neuen Bundes basierten auf einem Faktor, der sich mit der offiziellen Ideologie am wenigsten vereinbaren ließ: organisierte Massen. Der Grundgedanke war, daß alle Staatsdiener als zu einer einheitlichen »Wirtschaftsgruppe« zugehörig gelten müßten, da sie ohne Unterschied abhängige Arbeitnehmer seien. Sie bildeten daher auch interessenpolitisch eine Einheit, deren adäquate Erscheinungsform die integrative Massenorganisation sei. 23 Der Bund der Festbesoldeten hatte die alle Beamten umfassende Einheitsorganisation nicht erfunden, er war es aber, der sie ideell wie praktisch endgültig etablierte. Damit und mit seinem radikalen Auftreten entwickelte er sich nicht nur zu einer die Behörden beunruhigenden Erscheinung, er wurde auch relevant für die Beamtenbewegung. Wenngleich selber weniger erfolgreich als erwartet - Mißtrauen bei vielen der alten Beamtenvereine und Desinteresse auf Seiten der Angestellten setzten ihm nach Abklingen der Anfangseuphorie enge Grenzen 24 - , erwies sich doch seine Konzeption im wesentlichen als die Linie der künftigen Entwicklung. Ein Beleg hierfür war die Beamtenrechtsbewegung. Im Sinne der Erkenntnis, daß die Rechtsfrage »die große Frage der Gegenwart und wohl mehr noch der Zukunft« sei,25 nahm diese Bewegung in den letzten Vorkriegsjahren große Ausmaße an. Und dies nicht nur als Träger der vom Festbesoldetenbund oder von Einzelverbänden vorgetragenen einschlägigen Forderungen, sondern auch als organisatorisch integrierende Kraft. Am 28. Oktober 1913 konstituierte sich der »Arbeitsausschuß zur Herbeiführung einer zeitgemäßen Regelung des Beamtenrechts«. 26 Als weiterer Kristallisationspunkt ist die Zeitschrift »Beamten-Jahrbuch« zu nennen, die im Februar 1914 startete und »sich die Erörterung beamtenrechtlicher Fragen als vornehmstes Ziel gesteckt« 27 hatte. Am Arbeitsausschuß beteiligten sich mit dem Bund der Festbesoldeten, dem Postverband, dem Verband der Unterbeamten des Deutschen Reiches und dem Verband der unteren Post- und Telegraphenbeamten sozusagen alle Vorreiter der Beamtenbewegung, wenn man vom Verband der Eisenbahner Deutschlands und den Christlichen Eisenbahnverbänden als Sonderfällen (nicht reinen Beamtenorganisationen) absieht. Doch ihm gehörte nicht nur dieser Kern von profilierten und vergleichsweise radikalen Neuerern an, sondern außerdem noch eine Reihe zum Teil ziemlich unterschiedlicher Organisationen, so der Deutsche Kanzleibeamtenbund, der Verein der expedierenden Sekretäre und Kalkulatoren der höheren Reichsbehörden, der Verband der mittleren Staatseisenbahnbeamten des Verwaltungsdienstes oder der Verein Deutscher Lokomotivführer, der Verband der Post- und Telegraphenbeamtinnen, der Berliner Lehrerverein u. a. Ihnen gesellten sich bis zum Sommer 1914 noch weitere hinzu. Die Gesamtstärke 152
des Arbeitsausschusses soll von 13 angeschlossenen Vereinen mit rund 220000 Mitgliedern Ende 1913 auf über 20 Vereine mit mehr als 300000 Mitgliedern im Juni 1914 angewachsen sein. 28 Volumen und Zusammensetzung des Arbeitsausschusses zeigten an, daß das aktive Einstehen für ein modernisiertes Beamtenrecht nicht mehr als Sache der immer Gleichen und schon gar nicht als Sache einer verhetzten Minorität gewertet werden konnte. Der Kreis, aus dem der Arbeitsausschuß bestand, war bunt und umfaßte auch sehr >brave< Vereine. Dabei reichte die Basis der Rechtsbewegung eigentlich noch weiter, denkt man an die Sympathisanten unter den übrigen Fachvereinen und Verbänden, 29 die die gleichen oder ganz ähnliche Standpunkte einnahmen, ohne förmlich dem Arbeitsausschuß beigetreten zu sein. Zwischen Mitläufern und Avantgarde gab es naturgemäß Unterschiede in der Reflexionsqualität. Den ersteren ging es eher um Einzelpunkte, während die letzteren übergreifende Aspekte und Zusammenhänge betonten. Aber über den Grundsatz, daß die Rechtsverhältnisse im Staatsdienst den Beamten mehr Freiheit und mehr Mitsprache in Berufsangelegenheiten bieten sollten, herrschte breiter Konsens. Es gab bald kaum bedeutendere Berufsorganisationen von mittleren und Unterbeamten mehr, die in der Rechtsfrage ganz abseits standen. Besonders in bezug auf die Staatsbürgerrechte gab es weitreichende Eintracht und auch gut entwickelte Vorstellungen. Das hieß aber nicht, daß sie den im engeren Sinn arbeitsrechtlichen Aspekten des Beamtenrechts ganz den Rang abliefen. Mindestens in der Kernfrage bezüglich der Praktikabilität von Mitbestimmung oder doch Mitsprache an der Arbeitsstätte, der Frage der Beamtenausschüsse, fanden sich klare Vorstellungen und eine beachtlich breite, wenngleich nicht restlose Zustimmung. 3 0 Unmittelbar vor dem Krieg konnte pauschal konstatiert werden, daß die Ausschüsse »in Beamtenkreisen lebhaft angestrebt« wurden. 3 1 Zusammengenommen kann festgehalten werden, daß die Beamtenrechtsbewegung sich zur Klammer zwischen unterschiedlichen, partikularistischen wie integrationswilligen, zaghafteren wie aufsässigeren, kleinen wie großen Interessenverbänden und -vereinen entwickelte. N u r den höheren Dienst wird man hierbei ausnehmen müssen. Zu einem weiteren wichtigen Faktor der sich belebenden und zu übergreifender Organisierung neigenden Beamtenbewegung dieser Jahre wurden die Unterbeamten und ihre Vertretungen. Dabei hatte es längere Zeit gar nicht danach ausgesehen, als könnte die Unterbeamtenschaft einen tonangebenden Part übernehmen. Ihre Organisationen schienen um die Jahrhundertwende zerschlagen. Vereine mit überregionalem Organisationsanspruch wurden nur geduldet, wenn sie lediglich eine spezielle Beamtengruppe mit relativ schmaler Rekrutierungsbasis repräsentierten. Von solchen, die potentiell alle Fachgruppen einer Laufbahn erfaßten, ließ man allenfalls lokale oder regional eng begrenzte, damit relativ ohnmächtige Z u -
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sammenschlüsse zu. Durch die Ausschaltung großer, umfassender Bahnund Postunterbeamtenverbände waren die potentiell mächtigsten Stützen einer Unterbeamtenbewegung vorerst lahmgelegt. Da die Unterbeamten anderer Verwaltungen für sich keine wirklich ins Gewicht fallende Größe darstellten, außerdem ohnehin nur schwache organisatorische Ansätze zeigten, 32 herrschte in der niedersten Rangkategorie im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nach außen hin Ruhe. Beruflich eröffneten sich auf dieser Stufe nur ausnahmsweise Perspektiven, die zu wahrnehmbaren Aufstiegsaktivitäten (wie bei den Postoberschaffnern und den Lokomotivführern) animierten, wenngleich der Wert von Unterbeamtentätigkeiten mindestens in den Betriebsverwaltungen durchaus stieg. Doch das wirkte sich >professionell< nicht durchgehend aus, weckte meist nur eine Erwartungshaltung, die dann eher zu vorübergehender interessenpolitischer Mäßigung beitrug denn zur Lust an der Auflehnung. Das wichtigste Ereignis seit langem bildete die Wiederzulassung des »Verbandes Deutscher Post- und Telegraphen-Unterbeamten« zum 1. Januar 1909. Sie ging zurück auf die Mithilfe, konkret auf eine Resolution des Reichstags vom 26. März 1908, wonach den Reichsbeamten das Recht, Vereine auf überregionaler Ebene ins Leben zu rufen, nicht länger beschnitten werden sollte. Vor dem Hintergrund des neuen Reichsvereinsgesetzes konnte die Regierung dieses Anliegen des Parlaments wahrscheinlich nicht hintertreiben.33 Eine allgemeine Wende im Interessenvertretungswesen der Unterbeamten bedeutete das zwar noch nicht, zumal der preußische Minister der Öffentlichen Arbeiten seine Eisenbahner weiterhin fest im Griff hielt. Aber die Neugründung signalisierte eine Chance. Der wiederentstandene Postunterbeamtenverband war nicht nur vereinsrechtlich eine bedeutsame Tatsache, sondern auch als Faktor, von dem weitere Impulse für die Beamtenbewegung allgemein ausgehen konnten. Die mutigen Anfänge dieses Verbandes dürften noch in Erinnerung gewesen sein, und wer wollte, konnte sich auch überzeugen, daß ihm der einstige Schneid nicht ganz verlorengegangen war; Aktivisten war es gelungen, auch während des Organisationsverbotes Zeitschriften herauszubringen, die den alten Geist wachhielten. 34 Außerdem verhießen die Dimensionen dieser Organisation einiges. Sie war nach der Neuzulassung der größte Einzelverband und, wie es sich bald zeigen sollte, auch der zugkräftigste der gesamten Beamtenbewegung. Auf der Gründungs versammlung, die im Vorgriff auf die formale Zulassung bereits im August 1908 stattfand, vertraten die Delegierten aus 33 Bezirken insgesamt 63262 Mitglieder. Bis Ende 1909 erhöhte sich ihre Zahl um rund zwanzigtausend und danach Jahr für Jahr um weitere dreibis siebentausend, so daß 1913 die Marke von 100000 überschritten wurde. 35 Ein für die Unterbeamtenbewegung aufmunternder Effekt mag 1909/10 auch vom Bund der Festbesoldeten ausgegangen sein, waren doch an seinen Aktivitäten auch Unterbeamte, darunter bekannte Persönlichkeiten ih154
rer Vereinsbewegung, beteiligt. Das gleiche darf m a n v o n d e m 1909 stattgefundenen ersten Deutschen Beamtentag annehmen. Als S y m p t o m der gestiegenen Selbstmobilisierungsbereitschaft v o n U n t e r b e a m t e n ist noch die Entstehung des »Verbandes der U n t e r b e a m t e n des Deutschen Reiches« 1910 zu notieren, der ungeachtet seiner vorerst schmächtigen Statur den U n t e r b e a m t e n vor allem kleinerer Verwaltungszweige die Möglichkeit bot, sich in einer Sammelorganisation zusammenzutun. M i t seinem Ziel, »einmal die gesamte untere Beamtenschaft zu einer großen Organisation. zu vereinigen«, setzte er außerdem programmatisch neue Zeichen. 3 6 Trotz alledem k o n n t e vor 1911 i m m e r noch nicht v o n einer Tendenzw e n d e gesprochen werden. Diese kündigte sich Anfang 1911, n u n allerdings recht klar an, als in Berlin die Vorstände wahrscheinlich der M e h r zahl der preußischen U n t e r b e a m t e n v e r b ä n d e zu einer allgemeinen Aussprache, hauptsächlich über die wirtschaftliche Lage der U n t e r b e a m t e n , z u s a m m e n k a m e n . Sie vereinbarten die Abhaltung des sogenannten Ersten Deutschen Unterbeamtentages, der Form nach eine S u m m e von Vers a m m l u n g e n im ganzen Reich an einem Stichtag. D e r U n t e r b e a m t e n t a g er fand am 19. N o v e m b e r 1911 statt - gelang restlos. Erstens gestaltete er sich v o n den mobilisierten Massen her zu einer »gewaltigen K u n d g e bung«. 3 7 Allein an der Berliner Versammlung, eine v o n insgesamt 60 i m ganzen Land, n a h m e n r u n d zehntausend Menschen teil. Zweitens geriet der U n t e r b e a m t e n t a g zur aufsehenerregenden Demonstration von U n g e horsam. Die Behörden hatten ihn sozusagen boykottiert u n d ihren B e a m ten verboten, sich an i h m zu beteiligen. 3 8 Die ungehaltene Reaktion der amtlichen Seite, die verriet, welche Bedeutung m a n dort der Aktion beimaß, stellte den Veranstaltern in sich schon eine Art Erfolgsbescheinigung aus. Sie fiel dadurch noch deutlicher aus, daß die U n t e r b e a m t e n das Verbot weitgehend ignorierten. 3 9 Auch andere Aspekte unterstreichen die Bedeutsamkeit des Ereignisses. Dazu gehört, daß es einen wichtigen Schritt darstellte, der v o m gleichsam autarken Fachverein als Organisationsmuster w e g f ü h r t e . A u f diesem U n terbeamtentag geschah mehr als die Addition der Zugehörigen unterschiedlicher Verwaltungszweige zu einer Spontanmasse. Es w u r d e n Gemeinsamkeiten demonstriert u n d gefestigt, ein Vorgang, der Fortsetzung finden sollte. »Nicht wie sonst üblich nach Berufen geschieden«, hielt ein Bericht dieses M o m e n t fest, »waren die unteren Beamten hier z u s a m m e n geströmt, u m über spezielle Berufsfragen zu beraten. Nein, hier w a r die Grenze der Verwaltungszugehörigkeit gefallen, und die U n t e r b e a m t e n der verschiedenen Verwaltungen saßen vereint beieinander, u m die gemeinsam e Wirtschaftslage zu erörtern und u m über die möglichen Schritte zur Linderung der wirtschaftlichen Bedrängnis zu beraten. D e n n eine Verschiedenartigkeit bestand nur [äußerlich, d. h.] in bezug auf die [faktische] Z u gehörigkeit zu ihrem jeweiligen Beamtenberuf, sonst aber waren diese Massen von einem einheitlichen Geiste beseelt, und es w a r das gleiche so-
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ziale Niveau, das hier von vornherein eine gewisse Übereinstimmung. herstellte, β40 Es zeichnete sich auch ab, daß die Bereitschaft, trotz Verboten zum Unterbeamtentag zu gehen und dort einheitlichen Geist zu bekunden, nicht (nur) emotionale Gelegenheitsreaktion war. Sie hatte auch mit einer fundamentalen Protesthaltung zu tun. Die unteren Beamten, sagte ein Versammlungsredner, glauben nicht mehr an gottgewollte Abhängigkeiten. Auch in ihnen ist der Glaube an die Möglichkeit einer Revision dieses Abhängigkeitsverhältnisses wach geworden. « 41 Man sollte nun nicht annehmen, der Erste Unterbeamtentag habe sozusagen nur Revolutionäres und dies gar nur auf prinzipielle Weise erörtert. Er widmete mehr Zeit und Aufmerksamkeit den alten Anstellungs-, Besoldungs- und Versorgungsfragen, 42 wenngleich das tiefe Unbehagen mit dem eben erst (1909) in Kraft getretenen Besoldungssystem der Sache unwillkürlich fast grundsätzliche Züge verlieh. Auch ging es - diesen Eindruck vermitteln die Berichte 43 - äußerlich recht wohlerzogen zu, mit all den üblichen Treuekundgebungen und Ehrerbietungen an die Adresse von Monarch und Staat. Es gab also viel Gewohntes und Eklektisches, und das Interesse an kurzfristigen Gehaltsvorteilen dominierte. Dennoch hoben die massenweise praktizierte Gehorsamsverweigerung und die Andeutungen einer organisatorischen Orientierung an sozialökonomischen Kriterien diesen 19. November über den Rahmen des Üblichen hinaus. Daß die Überwindung des Fachvereinsprinzips und der engeren, speziellen Berufsperspektive weder leicht fallen noch selbstverständlich sein mußte, veranschaulicht das Beispiel des Oberpostschaffnerbundes, der eine gegenläufige Politik betrieb und repräsentierte. Die zur Spitze der Unterbeamtenschaft gehörenden Oberschaffner, sogenannte gehobene Unterbeamte, hatten 1904 damit begonnen, unabhängige Vereinigungen zu gründen, wegen der auch für sie geltenden Einschränkungen zunächst j e auf Bezirksebene. Ihrer gehobenen Rangstufe und der ihr zugeschriebenen gehobenen Chancen und Prestigeerwartungen gemäß legten sie Wert auf berufsständisch autonome Interessenvertretung. Und dies nicht nebenbei oder unreflektiert. Sie sahen darin ihr zentrales Anliegen und »eine prinzipielle Frage von höchster Wichtigkeit«. 44 Die Neugeburt des allgemeinen Postunterbeamtenverbandes als zentrale Reichsorganisation 1908/09 schuf für sie eine Situation, die die kritische Reflexion der bisherigen Richtlinien nahelegte und ganz konkret die Frage aufwarf, ob man sich dem neuen alten Verband anschließen sollte, der als Massenorganisation auch Vorteile versprach. In einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Problem bezogen die Oberpostschaffner, die etwas zu verlieren zu haben meinten, schließlich Stellung fur eine separatistische und maßvolle Berufspolitik der engeren Berufsgruppe; sie entschieden sich für »Spezialistentum« und gegen »Massen« und »Massenorganisationen«. 45 Sie billigten diesen Kurs in der Überzeugung, alles andere würde » . . . die ge156
hobenen [Post-] Unterbeamten um die Früchte ihres Fleißes und ihrer beruflichen Intelligenz. bringen«. 46 Rechtzeitig zum allgemeinen Unterbeamtentag, der nicht zuletzt Einheit schaffen und demonstrieren sollte, warteten sie Ende Juni 1911 mit der Vollendung ihrer Sonderorganisation (konkret ihrer Umwandlung vom bislang dezentralen Verbund in den zentralisierten »Bund Deutscher Oberpostschaffner«) auf, der dann das große Unterbeamtentreffen konsequenterweise ignorierte. 47 Vielleicht ist es nicht nötig darauf hinzuweisen, daß diese Verweigerung den Unterbeamtentag nicht gefährdete. Höchstens nimmt sich dessen Gelingen dadurch noch etwas überzeugender und das Neue an ihm noch etwas gewichtiger aus. Signifikanterweise erwiesen sich diese neuen Ansätze auch nicht als Eintagsfliege. Nach dem November 1911 wurde es sozusagen üblich, Unterbeamtentage abzuhalten, wenn sie auch nicht immer so genannt wurden und nicht immer in globalem Rahmen stattfanden. So wird von einer »Pro test Versammlung« von Eisenbahnunterbeamten im Herbst 1912 berichtet. 48 Zu der Reihe solcher Zusammenkünfte dürften auch die Sitzungen der »Vorstände aller Organisationen von unteren Beamten« am 27. November 1912 und 7. Februar 1913 zählen.49 Weiterhin fand am 9. Februar 1913 eine Tagung der »unteren Reichs- und Staatsbeamten des Ruhrkohlegebiets« in Dortmund statt. 50 Desgleichen in Gelsenkirchen eine »Reichs- und Staats-Unterbeamten-Versammlung« am 21. September 1913. Dann, am 2. November 1913 in Siegen, der sogenannte erste Unterbeamtentag der bei der preußisch-hessischen Eisenbahnverwaltung beschäftigten Unterbeamten, 51 gefolgt am 16. November von der Versammlung der »Unteren Beamten des Ruhrgebiets«, diesmal in Mühlheim 52 und der »Allgemeinen Versammlung der unteren Beamten aller Verwaltungen« in Breslau am 21. März 1914.53 Die beachtetste und wohl auch bedeutendste dieser Versammlungen war der allgemeine »Preußische Unterbeamtentag« am 12. Juni 1913, zu dem der »Verband der Unterbeamten des Deutschen Reiches« nach Berlin eingeladen hatte. Immerhin mehr als 2000 Teilnehmer aus allen Verwaltungszweigen, darunter Abgesandte der wichtigsten Unterbeamtenorganisationen fanden sich dort ein, dazu eine Reihe von Landtagsabgeordneten als geladene Gäste. Und auch das Echo in der Presse reichte weit. In der Sache ging es hier wie auf den anderen Tagungen zum großen Teil um Besoldungsfragen, speziell um die Revision der Besoldungsordnung von 1909; die Teuerung bildete nun einmal die Hauptsorge der meisten. Nur an zweiter Stelle bemühte man sich um Verbesserungen von Arbeitsbedingungen. Die wichtigsten diesbezüglichen Forderungen liefen darauf hinaus, der offensichtlich noch beträchtlichen Willkür des Arbeitgebers auf dem Gebiet des Arbeitseinsatzes (Arbeits- bzw. Aufgabenbereichsbestimmung), der Arbeitszeiteinteilung und -festsetzung u. ä. Schranken zu setzen. Es wurden also u. a. gefordert: die »Aufstellung schriftlicher Dienstpläne, . . . die jederzeit zur Einsicht offen liegen müssen«, die »Ge157
Währung eines Mindestmaßes von Sonntagsruhe« und die »eineinhalbfache Anrechnung der Nachtdienststunden und Gewährung einer Nachtdienstentschädigung «.54 In solchen Wünschen, die auch wachsendes Rechtsbewußtsein durchblicken ließen, lag ein wichtiges weiterführendes Moment derartiger Kundgebungen. Ferner in der erlebten Solidarisierung im Zeichen anschwellenden Selbstbewußtseins auf breiter werdender Basis. Schließlich wirkten sie auch in der Zeitdimension als Klammer; sie wahrten die Kontinuität der Ansätze von 1911, die organisatorisch sonst noch keine nennenswerte Verfestigung erfahren hatten. Diese allerdings rückte immer näher, zumal man sich bewußt um sie bemühte. Am 11. November 1913 kamen die Vorstände jener Organisationen, die schon die Tagung 1911 maßgeblich getragen hatten, bisher allerdings nur durch einen damals gebildeten »Neunerausschuß« in losem Kontakt miteinander standen, nach entsprechender Vorarbeit des Neunerausschusses überein, eine »Soziale Arbeitsgemeinschaft der unteren Beamten im Reichs-, Staats- und Gemeindedienst« zu bilden.55 Ihr gehörten 6 Einzelverbände an, darunter der Verband der unteren Post- und Telegraphenbeamten, 56 der Verband der Schaffner und Schaffneranwärter im Staatseisenbahndienst und der Verband der Unterbeamten des Deutschen Reiches mit insgesamt rund 132000 Mitgliedern. Diese Zahl belegt den Massencharakter des Trends zum Zusammenschluß auf ökonomischer Grundlage deutlich, obwohl sie die Wirklichkeit eher noch verkürzt. Es gab Unterbeamtenvereine, die sich der Arbeitsgemeinschaft formal (noch) nicht angeschlossen hatten, die Vereinheitlichung der Interessenvertretung nach diesem Modell aber prinzipiell guthießen. Die Stellungnahme des Publikationsorgans eines solchen Vereins rund zwei Wochen nach der Bildung der Sozialen Arbeitsgemeinschaft spricht für sich. »Man glaubte bisher«, stand da zu lesen, »seinen Stand am besten vertreten zu können, wenn man die Tätigkeit anderer Kategorien als minderwertig bezeichnete, sich selbst dagegen so hinstellte, als ob der eigene Dienst der wichtigste sei. Wohin die Unterbeamten mit diesem System gekommen sind, sehen wir heute nur zu deutlich. Im übrigen ist heutzutage nichts verkehrter als wenn man als Sonderling seine eigenen Wege gehen will. Zu begrüßen ist, daß endlich die Unterbeamten sich aufraffen und ein geschlossenes Ganzes bilden wollen. Nur durch ein einheitliches Vorgehen sämtlicher Unterbeamten kann etwas Ersprießliches erzielt werden.«57 Will man die ganze Reichweite der bei den Unterbeamten herrschenden Aufbruchsstimmung ermessen, muß man diesen breiteren, über die soziale Arbeitsgemeinschaft hinausgehenden Konsens mitberücksichtigen. Was die Organisationsstruktur der neuen Arbeitsgemeinschaft angeht, wäre zunächst festzustellen, daß sie eine Föderation, allerdings eine mit mehr als symbolischen Zentralinstitutionen war. Von ihren beiden Organen setzte sich der sogenannte Hauptausschuß aus den Vorstandsmitglieds
dern der angeschlossenen Vereine zusammen. Diese wählten dann die 12 Mitglieder des »geschäftsfuhrenden Ausschusses« auf die Dauer eines Jahres. Die hauptamtlichen Angestellten der angeschlossenen Vereine, meist ein Generalsekretär und ein Redakteur, hatten in den Sitzungen beider Gremien Teilnahmerecht mit beratender Stimme. Obwohl die Mitgliedsvereine ihre Selbständigkeit und »Eigenart« beibehalten sollten, besaßen die gemeinsamen Organe durchaus die Möglichkeit, im Namen der Arbeitsgemeinschaft eine eigene Politik zu entwickeln. Der »Hauptausschuß«, weil alle »wichtigen Angelegenheiten« der Beschlußfassung durch ihn bedurften und seine Entscheidungen Richtliniencharakter hatten. Und der »geschäftsfuhrende Ausschuß«, weil er die eigentliche, tagtäglich agierende Exekutive war. 58 A m Programm der Arbeitsgemeinschaft fällt auf, daß es klarer als alle sonstigen Programme reiner Beamtenorganisationen 59 die Gegenposition zum »Berufsverein« im Sinne der größten Annäherung an gewerkschaftliche Zielsetzungen absteckte, indem es als ausschließliche Aufgabe der Organisation die Interessenvertretung »auf wirtschaftlichem und sozialpolitischem Gebiet« bestimmte. 60 Geselligkeit, Berufsbildung, Berufsethik und dgl. klammerte es ebenso aus wie eine allgemeine politische Betätigung. Von gehobenem Reflexionsstand in diesem Zusammenhang zeugte, daß die »Richtlinien« außer Besoldungsfragen eine Reihe von Punkten explizit festlegten, die sich auf die Gestaltung des Arbeitsverhältnisses und der Arbeitsbedingungen im engeren Sinn bezogen. 61 Daß mit der Sozialen Arbeitsgemeinschaft vorläufig ein organisatorischer und programmatischer Höhepunkt an arbeitnehmerhafter Interessenvertretung von Beamten erreicht war, galt vor allem im Vergleich zur mittleren Beamtenschaft, um von der höheren ganz zu schweigen. Die quasi professionelle Komponente blieb in den Organisationen der Mittleren trotz Umorientierungsvorgängen stärker bzw. grundsätzlich erhalten, ebenso die Neigung zum Handeln im Alleingang, denn eine Verständigung über ihre gemeinsamen »wirtschaftlichen« und »sozialpolitischen« Anliegen brachten sie vorerst nicht fertig. Treffend und mit Bedauern kommentierte dies die Vereinigung der mittleren Justizbeamten mit den Worten: »Da sind die Unterbeamten uns >mittleren< ein großes Stück vorausgeeilt. Solches Zusammengehen, solches Zusammenarbeiten in allen gemeinschaftlichen Fragen kann nur nutzbringend wirken. « 62 Es ist schwer von der Hand zu weisen, daß die unteren Beamten dazu mehr Grund hatten als die mittleren. Ihre schlechteren Lebens- und Arbeitsumstände scheinen in direktem Verhältnis zum Werdegang ihrer Interessenorganisation zu stehen. Die Lebensbedingungen der Unterbeamten waren die ärmlichsten. Die Unterbeamten waren es auch, die die vergleichsweise schlechtesten Arbeitsbedingungen vorfanden, sie hatten die geringste Berufssicherheit (keine oder nur mühsam erreichbare lebenslängliche Anstellung), unterlagen den härtesten Disziplinarandrohungen (u. a. 159
Arreststrafe), mußten die kürzesten Urlaubs- 63 und die längsten Arbeitszeiten hinnehmen. Anhand ihrer Arbeitszeitverhältnisse, präziser anhand eines Arbeitszeiten-Vergleichs läßt sich das Gesagte exemplarisch belegen. Über das zeitliche Leistungsmaß der Unterbeamten gab es vor dem ersten Weltkrieg außer bei der Eisenbahn- und Postverwaltung wahrscheinlich wenige oder keine verbindlichen und einheitlichen Bestimmungen, mithin keinen formalen Zwang für Behördenchefs, sich an »zeitgemäße« Normen der Arbeitszeitbemessung für Unterbeamte zu halten. In bezug auf die Unterbeamten lassen sich etwa bei der allgemeinen inneren Verwaltung eher lange und von den üblichen Tagesrhythmen abweichende, unregelmäßige Botendienste auch außer Haus und Gebäudedienst nach Büroschluß u. ä. einschließende Arbeitszeitregelungen annehmen. 64 Im Gegensatz hierzu regelten sich die Dienststunden der Büro- und Kanzleibeamten recht günstig. Diesen Schluß erlauben die Bedingungen bei den Bezirksregierungen, wo bei grundsätzlicher Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen 8 Stunden täglich gearbeitet wurde. Rechnet man die Zeiten des aus zwei bis drei Beamten bestehenden Bereitschaftsdienstes, der an allgemein arbeitsfreien Tagen (etwa drei Stunden lang) turnusmäßig geleistet werden mußte, und andere Sonderverpflichtungen, die vorkommen konnten, hinzu, ergibt sich für die mittleren Regierungsbeamten eine Arbeitswoche von etwas unter oder um 50 Stunden. 65 Besser können die Arbeitszeiten für die preußisch-hessische Eisenbahnverwaltung dargelegt werden (Tab. 22), obwohl die amtliche Statistik nur die Tages- und nicht die wöchentliche Arbeitsdauer angibt und verschiedenartige Beamtengruppen ζ. T. vermischt. T a b . 22: Tägliche Arbeitsstunden bei der preußisch-hessischen Staatseisenbahn 1910 und 1913. Angaben in % der aufgelisteten Beamtengruppen 6 6
B e a m t e des inneren Dienstes Stationsvorstände, Fahrdienstleiter, Aufsichtsbeamte, Telegraphenbeamte Lokomotivpersonal Weichensteller Bahn-, Brücken- u. Schrankenwärter
160
bis 8 Std.
1910 über 8 bis 10 Std.
über 10 Std.
bis 8 Std.
1913 über 8 bis 10 Std.
über 10 Std.
94,0
5,5
0,5
94,5
5,0
0,5
22,0
41,0
17,0
34,5
42,0
23,5
22,0 15,0
30,0 15,0
48,0 70,0
26,0 17,5
40,0 21,5
34,0 61,0
2,0
9,0
89,0
4,5
13,0
82,5
Dabei wird klar, daß die Unterbeamten (das sind die letzten beiden Gruppen und vom Lokomotivpersonal die - getrennt nicht nachgewiesenen - Heizer) durchschnittlich entschieden länger zu arbeiten hatten und daß Subalterne nur dann ζ. T. überlangen Tagesdienst verrichten mußten, wenn die Natur der Aufgaben, wie es die Funktionsbezeichnungen in der zweiten Gruppe nahelegen, es mit sich brachte. Dieses Ergebnis modifiziert sich nur unwesentlich graduell, wenn man die arbeitsfreien Tage bzw. Perioden berücksichtigt, ohne die die Arbeitsbelastung nicht reell wiedergegeben wäre (vgl. Tab. 23). Tab. 23: Ruhezeiten bei der preußisch-hessischen Staatseisenbahn 1910 in % der angegebenen Beamtengruppen 6 7 monatl. » Ruhetage« (Anzahl) bis 3 4 oder mehr Beamte des inneren Dienstes Stationsvorstände usw. Lokomotivpersonal Weichensteller Bahnwärter usw.
Dauer der »Ruhetage« in Stunden 24-30 36 und mehr 31-35
30,0
70,0
1,3
2,5
96,2
70,0
30,0
36,6
52,0
11,4
38,5 45,0 43,0
61,5 55,0 57,0
48,2 48,8 83,6
29,6 47,9 12,5
22,2 3,3 3,9
Eine genaue Berechnung der Wochenstunden-Zahl (für die Arbeits- wie für die Ruhezeiten) kann nicht geleistet werden, weil die Quelle nur vage Grunddaten (von-bis-Angaben) enthält. Von zusätzlichem Nachteil ist, daß eine Ruheperiode keinen einheitlichen Zeitwert ausdrückt, da dem sogenannten Ruhetag (zusammenhängende Ruhezeit) verschiedene StundenDauer zugrunde liegen können, ohne daß die Zuordnungen im einzelnen ganz klar würden. Eine Aufstellung der Arbeitszeiten in Wochenmaßstab findet sich nicht. (Hielt die Behörde die Statistik bzw. die Zeitregelungen mit Absicht so unübersichtlich? Dies wäre durchaus denkbar. Der Staat war stets bemüht, Vergleichbarkeiten zwischen einzelnen Dienstgruppen zu vermeiden, um einheitlichen berufspolitischen Forderungen wenig Chance zu lassen. Besonders galt dies für die als >gefährlich< eingeschätzten Bahnbeamten. Der Arbeitszeitenwirrwarr mag zu ihrer Beherrschung durch Teilung gedient haben.) Fest steht jedenfalls, daß die Unterbeamten im Durchschnitt etwa 60 Stunden oder mehr in der Woche arbeiteten, die mittleren aber, zumal im inneren Dienst, erheblich weniger. Besser ist man über die Verhältnisse bei der Reichspost und -Telegraphie informiert, weil die Poststatistik (auf der Tab. 24 basiert) die wöchentlichen Arbeitszeiten angibt. 161
Tab. 24: Wochenarbeitszeit der mittleren und unteren Beamten der Post- und Telegraphenbetriebsverwaltung und des Büro- und Kanzleipersonals der Oberpostdirektionen und Oberpostkassen 1909 und 1911 bezogen auf die Prozente der angegebenen Beamtengruppen 68
männliche mittlere Beamte weibliche mittlere Beamte Unterbeamte
unter 50 Std.
1909 50-60 Std.
über 60 Std.
unter 50 Std.
1911 50-60 Std.
über 60 Std.
60,3
39,7
0,0
56,3
43,7
0,0
99,9 0,0
0,1 29,8
0,0 70,2
96,4 0,0
3,6 23,0
0,0 77,0
Es zeigt sich auch hier, daß Unterbeamten meist eine über 60 Stunden währende, also wesentlich längere Arbeitswoche absolvierten als mittlere, die bei den Männern mehrheitlich, und im Falle der Beamtinnen praktisch vollzählig unter 50 Stunden blieben. (Merkwürdig bleibt die durchgängige Arbeitszeitvermehrung 1911.) Mit diesen Arbeitszeiten waren die Unterbeamten - nicht nur bei der Post - schlechter gestellt als der Durchschnitt der Beschäftigten in der privaten Wirtschaft (Fabrikindustrie und Bergbau), wo man in diesen Jahren allgemein nur 57 Stunden ableisten mußte. 69 Ohne Zweifel, die Unterbeamten hatten Gründe, sich zu organisieren. Und wenn man den großen Zulauf etwa zum Postunterbeamtenverband und zur »Sozialen Arbeitsgemeinschaft« betrachtet oder den Umstand, daß es ζ. B. von den im unteren Dienst tätigen sogenannten Fahrbeamten der preußisch-hessischen Staatsbahnen (Schaffner, Bremser usw.) wohl kaum einen gab, der nicht organisiert war, gewinnt man auch den Eindruck, daß sie aus ihrer Lage die Konsequenzen gezogen hatten. Es häufte sich da sehr viel Protestbereitschaft an, wobei die im Zentrum des Interesses stehenden »Wirtschaftsfragen« dem Organisationsverhalten der Unterbeamtenschaft eine zuweilen durchaus gewerkschaftliche Färbung gaben. Dies wurde auch dadurch unterstrichen, daß in den Reihen der Unterbeamten im Unterschied zu anderen Beamtenkategorien sich in der Tat gewerkschaftlich Engagierte fanden. Sie fielen vor 1914 zahlenmäßig nicht sehr ins Gewicht, aber sie stellten Präzedenzfälle dar, die verdeutlichen, daß sich auf der Unterstufe der Diensthierarchie - dank der erdrückenden Mehrheit der Betriebsunterbeamten - die relativ größte Affinität zu einer Art gewerkschaftlicher Haltung entwickelt hatte. Es gab zwar keine reinen Unterbeamtenorganisationen, die sich, sei es versteckt, sei es offen, zur vollen Gewerkschaftlichkeit bekannten. Es bestanden jedoch gemischte, sich teils aus Unterbeamten, teils aus Staats- und anderen Arbeitern rekrutierende Verbände, die fraglos zu den Gewerkschaften zählten. Zum einen handelte es sich um den »Verband der Eisenbahner Deutsch162
lands« (VED), eine 1897 unter dem Beifall und wohl auch mit heimlichem Beistand der freien Gewerkschaften gegründete Organisation, die sich neben den Eisenbahnarbeitern auch an die »Hülfs- und Unterbeamten« der Staatsbahnen wandte. 70 Am Anfang konnte befurchtet werden, er würde die gesamte Bahnunterbeamtenschaft, und in erster Linie sie, an sich ziehen, was sich dann aber nicht bewahrheitete. Über seinen gewerkschaftlichen Charakter im Sinne der freien Gewerkschaftsbewegung, ja seine Sympathien für die Sozialdemokratie, ließ die Tätigkeit des Verbandes von Beginn an wenig Zweifel zu. Zunächst waren es die programmatischen Äußerungen und die Diktion, die diesen Konnex demonstrierten, später auch die organisatorische Verkettung: 1908 Schloß sich der V E D dem »Deutschen Transportarbeiterverband« an. 71 Trotz dieser Angliederung und trotz weiterer Radikalisierung 72 konnte er sich allerdings nicht nach Wunsch entfalten. Die Behörden bekämpften ihn mit äußerster und nicht nachlassender Härte. So war denn auch an eine nennenswerte Penetration in die Beamtenschaft zunächst kaum zu denken. Die Mitgliederstärke erreichte vor dem ersten Weltkrieg wahrscheinlich zu keinem Zeitpunkt mehr als eineinhalbtausend, und auch davon gehörte nur ein Teil dem Unterbeamtendienst an. 73 Dennoch kann nicht ausgeschlossen werden, daß der V E D viele schweigende Sympathisanten hatte und mit dem, was er anund aussprach, auch fortgesetzt, vielleicht gar in wachsendem Maße, anregend wirkte. 74 Anderen Ursprungs und anders konturiert aber an sich auch gewerkschaftlicher Natur war die andere in diesem Kontext zu behandelnde Organisation: der unter dem Einfluß der christlichen Gewerkschaften 1894 ins Leben gerufene »Verband Deutscher Eisenbahn-Handwerker und -Arbeiter«, besser bekannt als »Trierer Verband«. 75 Auch er erfaßte nicht nur Arbeiter, sondern auch Unterbeamte. Der Trierer Verband war als sogenannte staatstreue und darum von den Behörden relativ wohlgelittene Vereinigung gestartet, deren Augenmerk sich zudem vorerst auf Unterstützungseinrichtungen (Selbsthilfe) konzentrierte. Nach gut einem Jahrzehnt rückte allerdings mehr und mehr die Vertretung der Berufsinteressen in den Vordergrund der Verbandsaktivitäten und -ziele. In Verbindung damit setzte auch ein Radikalisierungsprozeß ein, der zunächst am deutlichsten in dem Streit darüber seinen Ausdruck fand, ob man der christlichen Gewerkschaftsbewegung förmlich beitreten sollte oder nicht. Die Entscheidung fiel 1908, als die Anhänger der konfessionellen Arbeiterbewegung den Verband verließen, unter dem Namen »Zentralverband der Eisenbahnhandwerker und -Arbeiter« (mit Sitz in Elberfeld) ihre eigene Organisation gründeten und den Anschluß an die christlichen Gewerkschaften vollzogen. Den Trierern wiederum (nach der 1909 erfolgten Verlegung des Sitzes in die Reichshauptstadt »Trier-Berliner Verband« genannt), die sich offiziell allerdings nicht als Gewerkschaft bezeichneten, zwang die so entstandene Konkurrenzsituation (zumal unter dem Druck der sich verschlechternden 163
Lebensbedingungen) doch gewerkschaftliche Gangart auf. Nicht zufällig warf ihnen der Gegner in Elberfeld p r o m p t sozialdemokratische Gesinnung vor (was übrigens umgekehrt genauso geschah). Auch aus dem Kreis der reinen Unterbeamtenvereine kamen Vorhaltungen wegen »gewerkschaftlichem Dünkel«. 7 6 U n d das einstige Wohlwollen des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten, der schon den Elberfelder Gewerkschaftsbeitritt nur aus politischen Rücksichten auf die Z e n trumspartei h i n g e n o m m e n hatte, schlug nun symptomatischerweise in die B e m ü h u n g u m , Gründe für die Bekämpfung des Trierer Verbandes zu finden. Ähnlich unnachgiebig wie der V E D wurden allerdings, wie es scheint, weder die Trier-Berliner noch die Elberfelder verfolgt. Das gab beiden Organisationen bessere Wirkungschancen. Sie verkörperten auch eine andere Größenordnung; die erstere zählte im Sommer 1914 rund 100000 Mitglieder, die letztere immerhin 25000. 77 Wie schon beim V E D , lassen sich auch in diesen Fällen die Unterbeamtenanteile nicht bestimmen. Gleichwohl kann die Vermutung ausgesprochen werden, daß es viel mehr christgewerkschaftliche als freigewerkschaftlich organisierte Unterbeamte gab. Es könnte sein, daß es bei Unterbeamten neben den spärlichen direkten Kontakten, die die Beteiligung an den christlichen Eisenbahnerverbänden und dem V E D herstellte, noch weitere, zum Teil familiär vermittelte Bande oder unterschwellige Sympathien zum Gewerkschaftswesen und »vierten Stand« gab, etwas, was sich in ihrem Verhältnis zur Interessenorganisation als eine Art residuales Klassenbewußtsein ausgewirkt haben mag. »Wir untere Beamte«, sagte ein Funktionär des Verbandes der Postunterbeamten, »entstammen alle dergleichen Volksschicht und gehören alle einer gemeinsamen Laufbahn an. D a r u m sollten wir auch alle in einer einheitlichen O r ganisation unsere Interessen verfechten, ob man nun als Postbote auf der untersten [oder] als Oberschaffner auf der obersten Sprosse der [Unterbeamten-] Stufenleiter steht.« 78 Gelegentlich wurden auch »Standesbewußtsein [sie], Energie, Disziplin, O p f e r m u t und Geschlossenheit« von Arbeiterorganisationen bewundert 7 9 und es k a m vor, daß Verbandsfunktionäre das Wort Streik aussprachen. 80 Sicherlich war das nicht typisch oder der Regelfall. Man blieb g e w ö h n lich eher vorsichtig und kompromißbereit, wohl wissend u m die unverändert bestehenden Abhängigkeiten, die v o m geltenden Beamtenrecht und den Sanktionsbefugnissen der dienstlichen Obrigkeit herrührten. Auch Beamtentradition, Beamtenhaltung und die relative Ignoranz und Schwerfälligkeit der Beamtenmassen 8 1 blieben wirkungsmächtige Faktoren, die eine wirkliche Annäherung an Arbeiter, Arbeiterbewegung und/oder gewerkschaftliche Kampfmethoden in der Praxis nicht zuließen. Selbst das Gefühl, unterdrückt, ja ausgebeutet zu werden, 8 2 führte normalerweise nicht zur Bejahung von Streik, 83 man war vielmehr bemüht, einen gangbaren Weg zwischen Bittstellerei und Arbeitskampf zu beschreiten. Man gewinnt so164
gar den Eindruck, daß die Neigung, sich vorerst auf das Petitionieren als das realpolitisch »einzige brauchbare Mittel« zu konzentrieren, zu dieser Zeit überwog. 8 4 Man kann in dieser relativen Zurückhaltung durchaus auch die letztlich doch mäßigende Wirkung der rechtspolitischen Klarstellungen des Staates im Sommer 1909 sehen. Wohl noch mehr als für die Unterbeamten galt für den mittleren Dienst die Devise, die Aufsässigkeit nicht zu weit zu treiben und die Vorteile der Beamtenstellung (auch aus Überzeugung) nicht mutwillig aufs Spiel zu setzen. Bei allem Emanzipationswunsch wollte man Rang- und Standesunterschiede »nicht verwischt« sehen. 85 Ebensowenig wollte man das öffentlichrechtliche Anstellungsverhältnis ohne Not in Frage stellen. Die »Beamtenschaft«, versicherte die Deutsche Postzeitung, Organ der mittleren Postbeamten, halte nichts von »Bestrebungen. die auf eine Hinausdrängung aus dem Beamtenverhältnis abzielen und dieses durch das weit unvollkommenere reine Arbeitnehmerverhältnis ersetzen möchten«. 86 Auch führenden Verbandskadern fiel es nicht leicht, konsequent von traditionalistischen Positionen abzurücken, und das >Fußvolk< wollte den Besitzstand wohl noch weniger gefährdet wissen. Wachsendes Selbstbewußtsein, Wunsch nach besserer Lebensqualität, berufliches Aufstiegsinteresse, Schielen auf hergebrachte Privilegien, Angst vor Repressalien, Taktik und dergleichen bildeten eine Mischung, die man als Haltung des Aufbegehrens mit gleichsam eingebauten Reservatsansprüchen bezeichnen kann. So hielten sich Radikalisierung wie Vergewerkschaftung der Beamtenbewegung vorerst in Grenzen. Gleichwohl, auf längere Sicht konnte nicht ausgeschlossen werden, daß die Beamtenverbände entschiedener auftreten und/oder »in gewerkschaftliche Bahnen« geraten würden. 87 Im Korrespondenzblatt der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands fand sich eine wohl unter dem Eindruck der 1909 aufgetretenen Spannungen verfaßte Stellungnahme, in der es hieß: »So wie die Dinge heute liegen und sich weiter entwickeln werden, wird es keine zehn Jahre mehr dauern, und die Beamtenorganisationen werden in Reih und Glied mit den freien Gewerkschaften kämpfen. . « 88 Landgerichtsrat a. D. Wilhelm Kulemann, Experte auf dem Gebiet des Interessenorganisationswesens der Zeit, schrieb 1910: »Die bestehenden Beamtenvereine haben noch keinen gewerkschaftlichen Charakter, aber immerhin vollzieht sich offenbar auch hier die Entwicklung in dieser Richtung.« 89 Und der Verfasser einer bemerkenswerten Betrachtung über »Entwicklungstendenzen in der Beamtenbewegung« in einer Angestellten-Zeitschrift meinte 1913 in diesem Zusammenhang: »Der Gewerkschaftsgedanke ist auf dem Marsch.« 90 Jenseits der speziellen Frage, ob sich die Beamtenbewegung gewerkschaftlich orientieren werde, warf die Entwicklung überhaupt die Frage auf, wie weit das Abdriften des Gros der organisierten Beamtenschaft vom orthodoxen staatlichen Ideal gehe. Es wurde unverkennbar, daß die Interessen der Beamtenmehrheit trotz aller Widersprüche und Inkonsequenzen 165
sich v o n denen des Staates entfernten u n d dabei waren, zu einer eigenständigen Kraft zu werden. D e r preußische Finanzminister Georg Freiherr von Rheinbaben sprach w o h l dieses P h ä n o m e n an, als er 1909 sagte, daß ». bald ähnlich wie in Frankreich die Beamtenschaft in einer Art von g e w e r k schaftlicher Organisation zu einer geschlossenen Macht im Staate. .« w e r d e n würde. 9 1 Angesichts der G r ö ß e und der zunehmenden Integration der Beamtenverbände u n d angesichts der Tatsache, daß die Staatsmacht sie i m Unterschied zu den 1890er Jahren nur noch zurechtzuweisen aber nicht m e h r zurechtzustutzen vermochte, w a r diese Vermutung berechtigt. Wenn sie unzutreffend blieb, dann nur deshalb, weil sie der Komplettierung bedurfte. Die B e a m t e n b e w e g u n g versprach nicht lediglich i m Staat sich zu einer partikularen Macht zu entwickeln. Sie w a r dabei, sich auch gesellschaftlich als eine Größe f ü r sich zu etablieren.
4. Staatsdienerkaste oder integrierter Teil der Gesellschaft. Das schwierige Verhältnis der Beamten zur sozialen Umwelt a) Die Ambivalenz gesellschaftlicher Sonderstellung Sofern Beamte sich in ihren Interessen u n d Haltungen nicht oder nicht m e h r allein durch ihre >Staatlichkeit< definiert sehen wollten, m u ß t e n sie sich in die neue soziologische Dimension einer S t a n d o r t b e s t i m m u n g nach allgemeinen gesellschaftlichen Kriterien begeben. In diesem Sinn zur Gesellschaft stoßen konnten sie aber nur gegen die geltenden Reglements des B e a m t e n t u m s . D e n n jene M a x i m e n banden sie nicht nur an den Staat, sie schirmten sie gleichzeitig v o n der Gesellschaft ab. Die besondere Treuepflicht, die auch politische Treue bedeutete, verschloß für sie große Felder der politischen Landschaft u n d damit gesellschaftliche Bereiche. Parteinahme für Freisinn oder Z e n t r u m waren meist verpönt, E n g a g e m e n t für die Sozialdemokratie, die National-Polnische, die »dänische« oder die »Weifen«-Partei, da staatsfeindlich, verboten. 1 N u r konservative B i n d u n g galt als staatserhaltend und, weil der Staat nach offizieller Auffassung über den Parteien stand, gleich auch als überparteilich, somit erwünscht. Verpflichtend im R a h m e n des Sonderstatus war auch die Standesgemäßheit, ob sie Familienbildung, Lebenshaltung oder gesellschaftlichen U m g a n g betraf. Für alle diese Auflagen w u r d e n die Beamten, wie m a n weiß, in einer Art Kompensationsgeschäft entschädigt, d. h. privilegiert. Diese Privilegien, wie Titel, O r d e n , Ehrenrechte oder der N i m bus des Amtes sowie U n k ü n d b a r k e i t , Alimentation und - mit Einschränk u n g e n - auch Herrschaftspartizipation, untermauerten freilich die soziale A b s o n d e r u n g zusätzlich. Besser noch als an den zentralen Geboten u n d Verboten wird die b e a m tenständische Isolation an scheinbaren Nebensächlichkeiten deutlich. Gera-
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de weil eher an der Peripherie angesiedelt, zeigen sie die große Reichweite der Einschnürung. Man kann in diesem Zusammenhang an die »Residenzpflicht« erinnern. Sie bestand darin, daß der Beamte einen Wohnort, in der Regel den Ort seiner Dienststelle, zugewiesen bekam, und daß er diesen O r t ohne Vorwissen und Genehmigung seiner Vorgesetzten selbst in der Freizeit, einschließlich der Sonn- und Feiertage, nicht verlassen durfte. Der Grund: Er sollte für eventuell erforderliche Amtsgeschäfte jederzeit, sprich auch außerhalb der regulären Dienststunden, schnell und sicher erreichbar sein. 2 Bezeichnend für Grad und Bedeutung der Beeinträchtigung dieser Art Freizügigkeit war, daß selbst der Verband Deutscher Beamtenvereine gegen diese Verpflichtung protestierte, und zwar mit dem Argument, sie sei »einer gesunden Weiterentwicklung unseres öffentlichen [sprich gesellschaftlichen] Lebens« sehr abträglich. 3 (Paradoxerweise wurden Beamte an ihren Dienstorten trotzdem nicht zwangsläufig heimisch, denn das Versetzungswesen, dem sie sich teils gezwungenermaßen, teils im eigenen Karriereinteresse fügten, machte das Beamtenleben unter Umständen zum »Nomadentum«.) 4 Viel könnte man zu den - partiell strengen - Uniform- und vor allem den Dienstbekleidungsbestimmungen schreiben, einer anderen vermeintlichen Randerscheinung, die bewirken sollte und bewirkte, daß Beamte ihre Bindung an den Staat nicht vergaßen und daß sie auch für andere sichtbar das Zeichen ihrer sie vom Normalbürger optisch distanzierenden Standesoder Kastenzugehörigkeit mit sich trugen. 5 Wenigstens kurz sollte noch die Sittenkontrolle erwähnt sein. Der Beamte hatte sich auch unabhängig von seinem jeweils konkreten geselligen oder familiären Nexus seiner Stellung würdig zu erweisen und Sitte und Anstand streng zu wahren. 6 Wer beamtet wurde oder werden sollte, durfte sich ebensowenig betrinken wie Schulden machen (das Kassenpersonal außerdem auch an der Börse nicht spekulieren). >Verboten< war auch der Ehebruch und der außereheliche Geschlechtsverkehr schlechthin; 7 Francis Kruse, zwischen 1901 und 1918 Präsident mehrerer preußischer Regierungen, blieb zeitlebens stolz darauf, daß er immer streng auf die »eheliche Sauberkeit« seiner Untergebenen 8 geachtet habe. Wie sehr diese Überwachung die soziale Bewegungsfreiheit und gesellschaftliche Integration beeinträchtigen konnte, verdeutlichen die in der Allgemeinen Dienstanweisung der Post (Ausgabe 1909) niedergelegten »Annahmebedingungen« für »Post- und Telegraphengehilfinnen«, die u. a. vorschrieben: »Als Postgehilfinnen und Telegraphengehilfinnen werden wohlerzogene weibliche Personen und kinderlose Witwen aus achtbarer Familie. angenommen. Sie müssen sich tadellos geführt haben und frei von Schulden sein. Auch sollen sie am Ort ihrer Beschäftigung Familienanschluß und Verwandte haben, bei denen sie wohnen können; Ausnahmen hiervon sind zwar gestattet, es ist aber dauernd darüber zu wachen, daß die Unterbringung in jeder Beziehung einwandfrei ist. «9 167
Daß derlei Bevormundung offenbar durchschlug, was auch besagte, daß sie die Beamten zu einem von der gesellschaftlichen N o r m abweichenden Verhalten veranlaßte, mag die Statistik der nichtehelichen Geburten belegen. Bei den öffentlichen Bediensteten kamen hiernach (1880-1900) auf 100 eheliche Geburten 0,1 % uneheliche Kinder. Im Kreis der unselbständig manuell arbeitenden Bevölkerung (»Gehilfen, Gesellen, Lehrlinge, Fabrikarbeiter«) lag deren Zahl 33fach, unter den Privatangestellten 19fach und bei den Selbständigen (Unternehmer und freie Berufe) immer noch 15fach höher.10 Von diesen großen und kleinen Isolationsfaktoren waren gleichwohl nicht alle untragbar. Privilegien, materielle obenan, stieß man nicht von sich. Und standesgemäß wollte man auch gern leben. Nicht weil es sozial isolierte, sondern weil es sozial hob. Viele identifizierten sich mit dem Sonderstatus auch willentlich, aus Überzeugung und vorbehaltlos. Überdies darf man die Restriktionen nicht immer so nehmen, wie sie auf dem Papier standen. Die politische Umzäunung wirkte sich nicht für jeden gleich stark aus. Eine konservative Auslese konnte allenfalls im höheren Dienst der allgemeinen Verwaltung wirklich durchgezogen werden. In den Niederungen der Ranghierarchie, bei den Hunderttausenden der mittleren und vor allem der Unterbeamten, verlor sie in der Praxis sowohl an Bedeutung wie an Stringenz. Die ständige Sorge der Staats- und Behördenflihrung, weite Teile des niederen Beamtentums seien trotz aller Verbote und Strafen sozialdemokratisch und/oder freigewerkschaftlich verseucht, belegt dies ebenso wie die Tatsache, daß man bei der Rekrutierung für den mittleren und unteren Dienst die traditionell als Gewähr konservativer Gesinnung eingestuften Militäranwärter längst nicht in dem Maß berücksichtigte wie man es nach den Vorschriften annehmen konnte. Auch die Einholung des Ehekonsenses, um noch dieses Beispiel zu erwähnen, wurde (1897) abgeschafft. 11 Es blieb zwar eine Anzeigepflicht zur Kontrolle der Standesgemäßheit der Ehe bestehen, 12 aber sie stellte eine weniger scharfe Überwachung dar als die alte Regelung. Man wird überhaupt die Anstands- und Sittlichkeitsgebote im Staatsbereich nicht restlos als staatstypisch ansehen können. Vermutlich bestanden solche faktisch auch in der Privatwirtschaft; niemand stellt gern einen Verschuldeten an, oder jemanden, dem ein schlechter Ruf anhaftet. Man wird also dahingehend relativieren können, daß die Wirkungsmächtigkeit der unmittelbaren rechtlichen Verpflichtungen der Beamten in Wirklichkeit etwas kleiner war als in der Theorie. Natürlich wogen die vom Beamtenrecht geschaffenen Einschränkungen auch so noch schwer. Entscheidend aber dürfte es gewesen sein, daß nicht nur sie es waren, die die Beamten im Griff hielten. Mindestens so effektiv wie die beamtenrechtlichen und politischen, waren gewisse Eigentümlichkeiten der Beschäftigung beim Staat, die sich nicht unmittelbar aus dem besonderen Gewalt- und Treueverhältnis ergaben. Konkret meint dies die 168
eigenartigen Karriere- und Beschäftigungsverhältnisse, die in der Staatsverwaltung als einer nichterwerbswirtschaftlich arbeitenden oder nur auf fiskalischen Gewinn ausgerichteten, wettbewerbsstrukturell jedoch unterentwickelten, folglich steifen und behäbigen Organisation sich teils ungewollt einstellten, teils aber auch von der Ideologie gestützt wurden, der Staatsdienst habe anders zu sein als ein gewöhnlicher Beruf. Darin, zumal in der wohl nicht zufällig äußerst unübersichtlichen und undurchsichtigen Gestaltung des Rangsystems, äußerte sich nicht nur hehre Staatsmetaphysik, sondern auch der Utilitätsgesichtspunkt, den auf diese Weise künstlich separierten und verworrenen Apparat besser ausnutzen und beherrschen zu können. 1 3 Von diesen Verhältnissen rührten einmal die im ganzen charakteristisch flache Karrierekurve, die weitgehend leistungsindifferente und (darum) mäßige und kaum verbesserungsfähige Vergütung und dergleichen her. Sie hatten außerdem den Effekt, wenn nicht den eigentlichen Haupteffekt, daß sie jeden, der sich einmal in das System begab, bis auf Ausnahmen schier unentrinnbar festnagelten. Für den einzelnen mochte sich das zunächst fast unmerklich vollziehen. Unter Umständen vergingen Jahre, bis man wirklich erkannte, »was einem im Staatsdienst blüht[e]«. 14 Zur Verdeutlichung dieser Absorption seien typische Verläufe des (Berufs-)Lebens beim Staat, die Wege ins und im Beamtenverhältnis, geschildert. Sie hatten, bezogen zunächst auf den mittleren Beamten ziviler Provenienz (Zivilsupernumerar), etwa dieses Aussehen: 15 Das Engagement begann im 17., spätestens 25. Lebensjahr mit der Bewerbung und der »Notierung«. Zwischen dieser Vormerkung und dem tatsächlichen Antritt, der mit der »Einberufung« erfolgte, konnten Monate aber auch Jahre liegen. Danach kam der sogenannte Vorbereitungsdienst, eine dreijährige Ausbildung, während der der Anwärter, obwohl er mehr arbeitete als lernte, noch keinen Anspruch auf Anstellung hatte und kein Gehalt bekam; er mußte sich zur Selbstversorgung ausdrücklich verpflichten. Auf die anschließende Dienstprüfung folgte in der Regel vorerst nur eine »diätarische«, also minder besoldete außerplanmäßige und vorläufige Annahme bzw. Beschäftigung. Erst nach längerer, etwa 5 bis 10 Jahre umfassender Wartezeit 16 gelangte der Zivilanwärter zur regulären (etatmäßigen und unkündbaren) Anstellung und damit zur vollen Verbeamtung mit normalem Gehalt. Zu dieser Zeit war er im Durchschnitt ungefähr 30 Jahre alt, sparten weise auch deutlich älter, 17 und formal dennoch ein Anfänger, für den sich der Staatsdienst jetzt erst auszuzahlen begann. Wollte er das investierte Geld und die aufgewandte Zeit amortisiert sehen, mußte er darangehen, Dienstjahre und Meriten zu sammeln, um eine möglichst hohe Besoldungsstufe, Pensionsaltersstufe und andere Vergünstigungen, womöglich auch eine höhere hierarchische oder eine vorteilhafte Beschäftigungsposition (Beförderung oder günstige Versetzung) zu erreichen. 169
Tab. 25: Durchschnittliches Lebensalter von in den Jahren 1902-1904 erstmalig etatmäßig angestellten preußischen und Reichsbeamten im mittleren Dienst (außer Kanzleibeamten) zum Zeitpunkt ihrer etatmäßigen Anstellung (Auswahl). 18 Verwaltungszweig Preußische allgemeine Verwaltung Preußische Verwaltung der indirekten Steuern Preußische Verwaltung der direkten Steuern Preußischer Justizdienst (Provinzialbeamte) Preußischer Justizdienst (Lokalbeamte) Preußisch-Hessische Eisenbahnverwaltung Reichspost und Telegraphie
Zivilanwärter
Militäranwärter
29,0 28,0 31,0 36,4 29,3 33,7 28,0
35,2 48,0 37,0 k. A. 35,2 36,4 33,7
k. A. = keine Angaben/keine Beamte vom angegebenen Laufbahnzugang
Tab. 26: Durchschnittliches Lebensalter von in den Jahren 1902-1904 erstmalig etatmäßig angestellten preußischen und Reichsbeamten im Kanzleidienst zum Zeitpunkt ihrer etatmäßigen Anstellung (Auswahl). 19 Verwaltungszweig Preußische allgemeine Verwaltung Preußisches Kultusministerium Preußisches Finanzministerium nebst Staatsschuldenverwaltung und der Kgl. Seehandlung Preußische Verwaltung der direkten Steuern Preußische Justizverwaltung (Lokalbeamte) Reichseisenbahnverwaltung Reichspost und Telegraphie
Zivilanwärter
Militäranwärter
k. A. 35,0
43,1 37,0
28,7 k. A. 42,0 33,5 k. A.
36,2 39,0 42,1 34,6 33,2
k. A. = keine Angabe/keine Beamte vom angegebenen Laufbahnzugang
Ein Ausscheiden aus dem Staatsdienst lohnte also nach der mühsam erreichten Anstellung genauso wenig wie es vorher sinnvoll möglich war. Abgesehen davon konnte der Ausstieg in diesem Stadium normalerweise nicht mehr realisiert werden. Denn mit 30 oder mehr Jahren war man für einen Wechsel nicht j u n g genug, und die eher mäßige und woanders meist ohnehin kaum verwendbare Ausbildung stand dem Absprung zusätzlich im Wege. Dazu kam, daß die meisten sich während der Ausbildung und des schlecht bezahlten Diätariats verschuldeten und bei ihrer Regelanstellung dann ein verstärktes Bedürfnis nach sicherem und regelmäßigem Einkommen, nach den materiellen Vergünstigungen, die der Staatsdienst bot, und nach dem von den Beamtenorganisationen aufgebauten Selbsthilfesystem hatten. Waren sie dann in dieses Versicherungs-, Konsumgenossen-
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schafts-, Unterstützungs- und Schuldentilgungssystem voll einbezogen, kamen sie davon so leicht nicht mehr frei. Für Militäranwärter (im mittleren Dienst) gestaltete sich die Gebundenheit womöglich noch enger. Sie hatten einen ersten Beruf schon hinter sich, standen mithin, als sie zur Verbeamtung im Zivildienst kamen, in einem meist noch höheren Alter als ihre Zivilkollegen. 20 Im Gegensatz zu ihnen waren sie zudem Umschüler, und dies mit geringerer Vorbildung und Lernfähigkeit, Leute also, denen der Zivildienst von vornherein weniger eine Karriere als vielmehr einen Auslaufberuf oder schlicht eine Versorgungsmöglichkeit bedeutete. Unterbeamte hatten im allgemeinen mit einer ähnlich mühsamen und langwierigen Prozedur bis zu ihrer Etatmäßigkeit zu rechnen. Dies galt in bezug auf beide Hauptzugänge gleichermaßen. Für Μilitäranwärter ζ. T. aus den oben schon erwähnten Gründen, die im-Prinzip gleich blieben, ob der Versorgungsberechtigte nun in den mittleren oder unteren Dienst ging. Im unteren Dienst kam - das ist der wesentlichste Unterschied - der Militäranwärter wegen der einfacheren Prüfungssituation und der wahrscheinlich geringeren Überfullung wohl etwas schneller zur Anstellung. Zivilanwärter, die (in den Betriebsverwaltungen) auch aus dem Reserveheer der Staatsarbeiter kommen konnten, mußten unter Umständen mit längerer Übernahmezeit rechnen. Den »Lebensgang« eines solchen Anwärters bei den Staatsbahnen skizzierte eine wissenschaftliche Erhebung aus der Zeit so: »Aus der Masse der Arbeiterschaft heraus. wird der Anwärter des Weichenstellerberufs zur Ausbildung von der [Bahn-]Betriebsverwaltung übernommen. Indes erst nach mehrjähriger Beschäftigung im Oberbau-, Weichen- und Signaldienst wird er als Hilfsbeamter vereidigt. Im Lauf der nächsten Jahre wird ihm endlich Gelegenheit zur Ablegung der Weichenstellerprüfung gegeben und weitere 3-4 Jahre darauf, d. h. nach 8-12-, ja 14jähriger Hilfsbeamtenzeit, etwa mit 35—37 Lebensjahren, darf er auf T a b . 27: Durchschnittliches Lebensalter von in den Jahren 1902-1904 erstmalig etatmäßig angestellten preußischen und Reichs-Unterbeamten zum Zeitpunkt ihrer etatmäßigen Anstellung (Auswahl). 2 2 Verwaltungszweig Preußische allgemeine Verwaltung Preußische Verwaltung der direkten Steuern Preußische Verwaltung der indirekten Steuern Preußische allgemeine Bauverw. Preußische Eisenbahnverwaltung Preußische Justizverwaltung (Lokalbeamte) Reichspost und Telegraphie Reichseisenbahnverwaltung
Zivilanwärter
Militäranwärter
37,0 k. A. 34,0 42,0 33,6 32,6 31,0 30,2
35,0 38,0 32,0 36,0 29,2 32,6 28,0 33,7
k. A. = keine Angaben/keine B e a m t e v o m angegebenen Laufbahnzugang
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etatmäßige Anstellung als Bahnwärter [und] wieder 2 bis 3 Jahre, bisweilen aber auch 5 bis 6 Jahre später auf einen etatmäßigen Weichenstellerposten rechnen.« 21 Wie sich das Anstellungsalter der Unterbeamten generell gestaltete, ist aus der Aufstellung in Tab. 27 ersichtlich. Günstiger hatten es die höheren Beamten wenigstens insofern, als ihnen die akademische Ausbildung, zumal eine juristische, eine weit bessere Berufsdisposition und selbst einen Wechsel nach außen (mindestens prinzipiell) erlaubte. Wegen der zeitweise ungünstigen Marktlage und aus anderen Gründen (unausgereiftes Berufsbild u. ä.) konnte man bei Technikern und Volkswirten zwar auch das Gegenteil, nämlich das Streben in den öffentlichen Dienst, beobachten. Trotzdem mag man beim höheren Dienst im ganzen eine größere, auch grenzüberwindende Mobilitätschance kraft akademischer Ausbildung und/oder Herrschaftsprivilegierung gelten lassen. Ungeachtet dieses Chancenvorsprungs unterlag aber auch diese Kategorie im allgemeinen einem für den Staatsdienst typischen schleppenden beruflichen Werdegang. Ochsentour und Staatsbindung durch eine erst im vorgerückten Alter vollzogene Vollbestallung u. ä. waren auch hier weit verbreitet. Das läßt sich mit Zahlen belegen. Reichspost und Telegraphie muteten ihren höheren Beamten Wartezeiten zwischen Laufbahnprüfung und etatmäßiger Anstellung in den Jahren 1907-1913 von 6 bis 9Jahren zu. 23 Ihr durchschnittliches Lebensalter beim Erreichen dieser Laufbahnstation betrug 37 und 39 (Post) bzw. 35 und 37 Jahre (Telegraphie). 24 Nun war diese Laufbahn nicht ganz vergleichbar mit dem übrigen höheren Dienst, weil sie noch einem alten, für Post und Telegraphie eigentümlichen Schema folgte, d. h. sich aus einer Spezialklasse der mittleren Beamten rekrutierte. (Die ersten höheren Post- und Telegraphenbeamten nach neuem Muster auf akademischer Stufe wurden erst 1908 zur Ausbildung angenommen. Man kann daher diese neue Kategorie T a b . 28: Durchschnittliches Lebensalter von höheren Beamten in der preußischen allgemeinen und der Justizverwaltung »beim Einrücken in die Stellung« in den Rechnungsjahren 1901-1903 2 5 Stellung
Alter in Jahren
Regierungsassessoren Regierungsräte Oberpräsidialräte Oberregierungsräte Regierungspräsidenten Oberpräsidenten
29,5 40,2 43,8 44,5 47,7 50,3
Richter erster Instanz Landgerichtsdirektoren, Oberlandesgerichtsräte, I. Staatsanwälte Landgerichtspräsidenten, Oberstaatsanwälte Oberlandesgerichtspräsidenten
34,5 47,0 55,0 60,0
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fur die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg vernachlässigen.) Doch auch die Anstellungs- und Beförderungsverhältnisse bei der preußischen allgemeinen und Justizverwaltung (dargestellt in Tab. 28) bieten ein ähnliches Bild, insbesondere was die Beförderung angeht. Zusammenfassend kann man feststellen, daß der Verlauf des Berufslebens im Staatsdienst so beschaffen war, daß er den Beamten im Regelfall gleichsam umklammerte und festhielt; daß er, je länger desto stärker, einen Automatismus produzierte, der eine frühzeitige Umkehr oder späteren Berufswechsel schwer, wenn nicht unmöglich machte. Dieser spezifische Effekt verstärkte die bereits von den Prinzipien des Dienstrechtes im engeren Sinn herrührende Abschirmung des Beamten von der Gesellschaft. Aber nicht nur dieser charakteristische Aufbau des Berufsweges warfein Fang- und gleichzeitig Isolationsnetz über die Beamten. Weitere Faktoren, die wie die faktische Laufbahngestaltung in sich ebenfalls keine unmittelbaren Resultate des Beamtenrechts waren, aber zu den Realitäten des Beamtendaseins gehörten, taten dies auch, ob allein oder in Kombination mit rechtlichen oder aus dem beamtenrechtlichen Anstellungsverhältnis folgenden Verhaltensvorschriften. Da wäre zunächst die von Haus aus verhältnismäßig magere Besoldung zu nennen, die viele Beamte zum Verzicht auf entbehrlich scheinende Ausgaben zwang, darunter Aufwendungen für Geselligkeit, die nicht umsonst oder mit nur geringen Kosten zu haben war. Insbesondere wenn man diese materiellen Momente in Verbindung setzt mit dem Gebot der (kostenintensiven) standesgemäßen Lebensführung, wird die negative Wirkung deutlich. Denn die Pflicht zum standesgemäßen Leben ließ sich infolge der sich relativ verschlechternden Einkommenssituation zunehmend nur durch Errichtung von Fassaden befolgen, die die materiellen Probleme des standesgemäßen Lebens verschleierten. Da man Außenstehende naturgemäß nicht hinter die Kulissen blicken lassen wollte, ergab sich daraus letztlich die Tendenz zu sozialer Abkapselung. Einen paradigmatischen Ausdruck verlieh dieser Verstrickung der Prospekt einer Lungenheilanstalt für Beamte. Darin stand: »Die. Stiftung. dient dem Zweck, solchen an leichten Erkrankungen der Atmungsorgane, insbesondere der Lunge erkrankten Beamten aller Art Aufnahme zu gewähren, die ihrer sozialen Stellung nach nicht in die öffentlichen Lungenheilstätten, die sogenannten Volksheilstätten, aufgenommen werden können, andererseits aber nicht in der Lage sind, die Kosten eines längeren Aufenthalts in einer Privatanstalt ohne Einschränkung der notwendigen Lebenshaltung ihrer Familien zu bestreiten. « 26 In der Reihe isolierender Faktoren sollen die Dienstzeitregelungen 27 nicht unerwähnt bleiben. Zunächst spielte die Länge der Arbeitszeiten, die beim Staat partiell größer als anderswo gewesen zu sein scheint, eine für manche Beamtengruppen nachteilige Rolle. Generell ganz schlecht gestellt waren in dieser Beziehung die Unterbeamten, aber auch zahlreiche mittlere, insbesondere in bestimmten Sektoren der Betriebsverwaltungen. Auch dort, wo 173
die Stundenzahl an sich niedriger lag, so etwa im Bürobereich, verbrachten viele Beamte trotzdem einen langen Arbeitstag. Verursacht wurde dies durch die ausgedehnte Mittagspause von zwei Stunden oder mehr,28 die jene Beamte, die einen zu weiten Weg nach Hause hatten, im Büro oder im Restaurant verbrachten. Sie blieben dann nicht nur im Büro, sondern auch beim meist gemeinsamen Mittagstisch unter sich. Neben der Länge der Dienstzeiten wirkte sich unter Umständen auch die Arbeitszeitverteilung ungünstig aus. Dies war der Fall vor allem in den Betriebsverwaltungen. Die hier verbreitet notwendigen vielfältigen Blockund Bereitschaftsdienste (je nachdem auch mit Nachtwache, Ganztagsanwesenheit und Sonn- und Feiertagsarbeit) gehörten zu den Arbeitsbedingungen, die als hart empfunden wurden, vornehmlich deshalb, weil ihre Gestaltung durch die Behörde oft willkürlich und dazu ergonomisch falsch anmutete. Außerdem banden sie die betroffenen Beamten verstärkt an ihre engere Berufswelt oder rissen sie wegen der regelabweichenden Freizeiten häufig aus dem Lebensrhythmus der Gesamtgesellschaft. Was sich daraus zuweilen ergab, charakterisiert ein offensichtlich erbitterter Bahnhofsbeamter mit dem Satz: »Dienst, essen, schlafen! Weiter haben wir nichts vom Leben. «29 Bis auf höhere Beamte, die keine oder relativ kurze Büro-Präsenzzeiten kannten oder Beamte, die von vornherein einen mehr oder weniger aufgelockert gestaltbaren Außendienst versahen (ζ. B. Gewerbeaufseher, Postboten, Eisenbahnschaffner u. ä.)30 entzogen also die Arbeitszeitverhältnisse eine große Zahl der Berührung mit der Gesellschaft in nicht zu bagatellisierendem Maß. Infolge solcher und ähnlicher Faktoren,31 aber auch als Ergebnis des noch längst nicht überwundenen »Standesdünkels«, sah sich die Beamtenschaft, was soziale Beziehungen, zumal Geselligkeit, anging, wohl sehr häufig auf sich verwiesen. Beziehungen zu anderen Gesellschaftskreisen, in erster Linie familiäre Bande, fehlten selbstverständlich nicht vollends, aber man blieb doch in auffälliger Weise unter sich. Besonders schien das die oft zu langen Dienstzeiten verpflichteten und über wenig Freizeit verfugenden Eisenbahner zu treffen, von denen ein sympathisierender Außenstehender 1911 u. a. schrieb: »Was wissen wir [schon] vom Lokomotivführer oder vom Weichenwärter? Wir kennen die Geschäftsleute unserer Straße, wir kennen die Handwerker und kommen da und dort, in Geselligkeit, Vereinen und politischen Bestrebungen, auch mit anderen Menschen zusammen. Aber die Bediensteten der Bahn sind selten sichtbar. Entweder sind sie im anstrengenden Dienst oder in der notwendigen Ruhe. Wenn andere Menschen Feste halten, an Sonn- und Feiertagen, ist ihr Dienst am größten. Und wenn sie einige Stunden finden, in denen sie auch, aber immer nur teilweise, sich zu froher Geselligkeit zusammenfinden, so grenzt sie der Staat, in dessen Dienst sie stehen, in engste Schranken ein. Sie sind Beamte und werden als solche wie eine besondere Klasse von Menschen angesehen . Sie leben... abgeschlossen und beinahe fremd unter uns. «32 Ten174
denziell unterlagen aber auch Beamte anderer Sparten derlei die Kontakte zur Gesellschaft hemmenden Faktoren. Man machte also Familienausflüge,33 unternahm Bildungsreisen im Kollegenkreis, traf sich auf Beamtenvereinsfesten und -Versammlungen. 34 Oder — und das dürfte den Löwenanteil der alltäglichen Freizeitgestaltung ausgemacht haben - man ging zum Stammtisch, Skatrunde, Kegelabend oder Billardklub, wo sich wohl meist Beamte trafen. 35 Als überindividuelle Ausnahme von der Regel der tendenziellen sozialen Introversion können vermutlich nur die Eliten in der höheren Laufbahn gelten. Sie überwanden die soziale Abschottungswirkung besser oder ganz, entweder weil sie der herrschenden Oberschicht angehörten, teilweise aus ihr stammten und in sie heirateten (Landräte, Regierungspräsidenten, Oberpräsidenten und ihre ranghöheren Untergebenen, andere Behördenleiter, höhere Ministerialbeamte und Minister) oder weil sie einen Teil der geistigen Prominenz stellten (Hochschullehrer) oder zum allgemeinen lokalen Honoratiorentum zählten (Richter, Staatsanwälte, Medizinalräte u. ä.). Es ist vorstellbar, daß dort, wo die Welt klein war und die Beamten rar, auch Subalterne auf ihrer Ebene fest in der Gesellschaft standen, so ζ. B. der Kreissekretär am Amtssitz des Landrats. Andere Ausnahmen sind ebenso denkbar. Aber die große Masse befand sich bis zum gewissen Grad in einem sozialen Hohlraum. Nun störten an dieser Isolation weniger die die Geselligkeit betreffenden Konsequenzen. So ungern bleib man ja auch wieder nicht unter sich, insbesondere wenn durch die Zugehörigkeit zur >Beamtengesellschaft< soziale Statusvorteile erreicht oder behauptet werden konnten. Was mißfiel, war eine Staatsabhängigkeit, die nicht zuletzt vor dem Hintergrund der gesamtgesellschaftlichen Evolution der politischen bzw. Arbeitnehmerrechte als unverhältnismäßig empfunden wurde. Man verdächtigte den Staat, er schaffe und pflege mit Bedacht beamtenrechtlich nicht zwingende, jedoch stillschweigend als solche gehandhabte Laufbahn- und Arbeitsbedingungen, die die Beamten von der Gesellschaft abschirmten, aber nicht - was einer der ursprünglichen Intentionen des Beamtentums entsprochen hätte - , um ihnen soziale Unabhängigkeit zu geben, sondern um sie alternativlos an sich zu binden und somit gefugig zu halten. Es ist hier weniger wichtig, ob der Staat die beamtenrechtliche Abhängigkeit seiner Bediensteten deshalb festschrieb oder überdehnte, weil das im Sinne der Überlieferung konsequent respektive gar nicht anders machbar schien oder weil er keinen Rat wußte, wie man das alte Staatsdienersystem umbauen sollte. Im Ergebnis blieb es bei der Abkoppelung der Beamten von den allgemeinen Arbeitnehmer- und Bürgerrechten. Es mag sein, daß die Regierung und die sonstigen Verantwortlichen die dienstherrliche Kompetenzbefugnis bzw. den Staatsdienerbegriff im restriktiven Sinn überstrapaziert haben. Für die organisierten kleinen Beamten, deren Staatsund Gesellschaftsbild nicht mehr durchgehend und nicht mehr unbedingt dem der orthodoxen Ideale entsprach, 36 ergab sich jedenfalls eine interes175
senwidrige Konstellation und sei es nur insofern, als ihnen das gewünschte Mitspracherecht gleichsam über die eigene Privilegierung versagt wurde. In vielen Fällen handelte es sich allerdings um tatsächlich schlechte und der willkürlichen Bestimmung durch die Behörden unterworfene Arbeitsbedingungen - die Bahnbetriebsbeamten konnten mit den ihren durchaus unzufrieden sein. Da man >von oben< mit der bedingten Ausnahme der Besoldung offenbar kaum freiwillige Zugeständnisse erwarten konnte, war die Forderung wenigstens nach einer institutionalisierten Kommunikationsmöglichkeit (beratende Beamtenausschüsse o. ä.) sicher nicht unberechtigt. Und weil die Führung der Bürokratie sich solchen Wünschen prinzipiell widersetzte, war auch die Kampagne der Beamtenbewegung für die allgemeinen bürgerlichen Freiheiten verständlich. Es war wohlgemerkt keine Auflehnung gegen parteipolitische Verhaltenserwartungen. Das gespannte Verhältnis zum Staat ist kaum als Ergebnis verbreiteter demokratischer Gesinnung zu interpretieren. Den meisten Beamten ging es nicht vorrangig darum, ob man dem konservativen Regime die politische Treue halten müsse oder nicht, sondern - über mögliche parteipolitische Schattierungen hinweg - darum, das Recht auf berufliche Interessenvertretung zu bekommen. Unter den Konsequenzen, die diese Orientierung hatte, ist in unserem engeren Zusammenhang diese die wichtigste: Da die Auflehnung gegen die im Staatsdienst vorfmdlichen Berufs- und Lebensverhältnisse, so wie die Dinge lagen, zur Auflehnung gegen die Isolation der Staatsdiener durch Beamtenrecht und Staatspraxis werden mußte, führte der Interessenkampf die interessenpolitisch betroffenen Beamten mehr oder weniger zwangsläufig auf einen Weg, der, wenn man ihn nicht als Weg in die Gesellschaft verstehen wollte, mindestens als Weg der Annäherung an die Gesellschaft gegangen werden mußte. Wollten die Beamten an Stelle der Sonderbedingungen beim Staat bürgerliche Freiheiten, so war ein Zugehen auf die Gesellschaft kaum vermeidbar. Daß große Teile der Beamtenschaft zu einer in diesem Sinn neuartigen »sozialen Erscheinung«, 37 zu einem Teil der Gesellschaft auf partiell >staatsfreier< Grundlage, geworden waren, sahen aufmerksame Beobachter ebenso wie Beamtenorganisationen. Entsprechend wurde die Frage der Beziehungen zur Gesellschaft in der Beamtenpublizistik unter diesem Vorzeichen insbesondere in den Jahren 1909-1913/14 immer wieder aufgegriffen. 38 »Die deutsche Beamtenschaft«, so drückte es ein Beitrag aus, ». fängt jetzt an, darüber nachzudenken, welche Stellung sie in der sozialen Struktur unseres Volkes einnimmt«. 39 Deutlich wurde dabei, daß es aus den genannten Gründen nunmehr zu den Kernaufgaben gehörte, jede kastenartige Abschließung, insbesondere wenn sie selbstverschuldeter Arroganz entsprang, zu überwinden und sei es nur als Verbalbekenntnis zur sozialen Integration in der Hoffnung, man könne sich durch public relations egalitär darstellen, ohne es wirklich werden zu müssen. Man mußte, zumal sich in der Gesellschaft viel Animosität und Unver176
ständnis angesammelt hatten, sich und anderen auch klarzumachen versuchen, welche Stellung die Beamten im gesellschaftlichen Produktions- und Verteilungsprozeß einnahmen, kurz, daß sie eine notwendige, nützliche und produktive Arbeit verrichteten. Und nicht zuletzt galt es zu wissen und zu demonstrieren, wo innerhalb der Gesellschaft die Beamten hingehörten oder hinzugehören gedachten, vor allem wenn der Beamtenstatus als solcher ihren sozialen Standort einmal nicht oder nicht mehr in der alten Weise determinieren sollte.
b) Ziele und Möglichkeiten Beamten
der sozialen
Integration
von mittleren und
unteren
Was die stratifikatorische Selbstbewertung der mittleren und unteren Beamten im allgemeinen anging, so zeichnete sie sich mindestens in einer Hinsicht durch ziemliche Klarheit aus; man fühlte sich zum Mittelstand gehörig. Gewerkschaftliche Ansätze im Organisationswesen, wie sie zuletzt sichtbar und zum Teil auch so bezeichnet wurden, oder der faktische Arbeitnehmerstatus der allermeisten Zugehörigen der subalternen Rangkategorien, standen dazu nicht im unüberbrückbaren Widerspruch. 1 Auch die zuweilen den Arbeitern fast schon vergleichbare materielle Lage insbesondere weiter Kreise der Unterbeamtenschaft und die normalerweise >niedrige< soziale Herkunft der Unterbeamten animierten nur ganz wenige dazu, sich als Arbeiter oder gar als Proletarier zu definieren. Man war eben Mittelstand, und wenn es sein mußte, aus Trotz. Es finden sich bei Unterbeamten zwar Anspielungen auf die eigenen sozialen Wurzeln als bis hinab zum Boden der sozialen Pyramide reichend, aber sie sind vage und enthalten keine explizite Gleichstellung mit der U n terklasse. 2 Sympathiebekundungen für Arbeitergewerkschaften als nachahmenswerte Beispiele der Organisationstechnik und des Solidaritätsbewußtseins sind ebenfalls bekannt. 3 Vielleicht gab es auch heimliche politische Sympathien für die Arbeiterpartei, und möglicherweise wählte eine Anzahl von Beamten in der Tat immer wieder einmal sozialdemokratisch. 4 Aber man stößt auf keine ernstzunehmende soziale Identifikation mit dem vierten Stand. Wenn Unterbeamte sich mit Arbeitern verglichen, was hinsichtlich der Arbeits- und Lebensbedingungen oft vorkam, dann normalerweise nur, um gegen eine Gleichsetzung mit ihnen zu protestieren oder vor der Proletarisierung zu warnen. Es gehe dabei, schrieb ein Unterbeamtenblatt 1912, nicht einmal um den Wunsch nach »gesteigerter Lebensführung«. Die Unterbeamten erstrebten ». weiter nichts als sich und ihre Familien so zu ernähren, daß sie den Anforderungen des Dienstes Genüge tun können, sie wollen ihre Kinder zu brauchbaren Menschen und Staatsbürgern erziehen, die imstande sind, etwas leisten zu können. Sie wollen aber nicht, daß die Unterernährung in ihren Reihen weiter um sich greift, 177
sie wollen nicht tiefer auf der sozialen Stufenleiter herabgleiten, sie wollen nicht ins Proletariat hinabgerückt werden. «5 Obwohl oder gerade weil damit mindestens indirekt der annähernde Gleichstand mit Teilen des Proletariats auf materiellem Gebiet eingestanden wurde, ging das Bestreben auch der Unterbeamten eben dahin, sich von Arbeitern möglichst abzugrenzen. Selbst die Zeitschrift des für deutsche Staatsdienstverhältnisse radikalen »Verbandes der Unterbeamten Deutschlands«, die an einer Stelle befand, die Unterbeamten hätten keinen Anlaß, »anderen Ständen gegenüber, und sei es auch der Arbeiterstand, besonders viel Selbstgefühl zur Schau zu tragen«, forderte gleichzeitig an anderer Stelle die strikte und garantierte Abgrenzung von Arbeitern. 6 Einzig die freigewerkschaftlich verbundene und prosozialdemokratische Zeitung der Transportarbeiter und Unterbeamten der Eisenbahn bezog Stellung entlang der sozialökonomischen Trennlinie auf selten der Arbeiterklasse. Sie charakterisierte und kritisierte die übliche gesellschaftliche Selbsteinschätzung der Beamten denn auch als vom »Standesbewußtsein« diktiert. 7 Die meisten unteren und mittleren Beamten unterschieden sich voneinander im Hinblick auf ihre soziale Option im wesentlichen tatsächlich nur darin, daß die ersteren u m den Bestand ihrer mittelständischen Geltung fürchteten, während die letzteren eher dazu neigten, eine solche Geltung als Selbstverständlichkeit hinzustellen. Die soziale Sphäre jedenfalls, auf die sich beide gleichermaßen bezogen, war in der Regel die Mitte. Standesgemäßheit, ein von Beamten ständig angewandtes, bis zur Undeutlichkeit abgenutztes Wort, blieb interessanterweise in einem Punkt griffig; es bedeutete aufjeden Fall soviel wie über dem Arbeiter stehend. 8 Es paßt ins Bild, daß auch von Seiten der (organisierten) Arbeiterschaft keine bedeutsamen Vorstöße unternommen wurden, die Barrieren abzureißen. Natürlich stand dem die grimmige Entschlossenheit des Staates entgegen, jeden Kontakt seiner Bediensteten zur »Umsturzpartei« SPD und ihrem sozialen Umfeld zu verhindern. Doch es gibt keine Zeichen dafür, daß wirkliche Großangriffe der SPD oder der freien Gewerkschaften abgewehrt werden mußten, die wurden gar nicht erst vorgetragen. Es sei dahingestellt, ob dies deswegen so kam, weil Sozialdemokratie und sozialistische Gewerkschaften die Staatsmacht im eigenen Interesse nicht provozieren wollten oder weil sie die Beamten im ganzen für einen hoffnungslosen Fall· hielten. Trotzdem träfe es allerdings nicht zu, zu sagen, SPD und Gewerkschaftsbewegung hätten die Staatsbeamtenschaft überhaupt ignoriert. Über den Verband der Eisenbahner ζ. B. versuchten die Gewerkschaften durchaus einen auch direkten Einfluß auszuüben. U n d die SPD versuchte über die Versicherung »Volksfürsorge« offenbar ähnliches. Abgesehen davon nahm sie traditionell Stellung insbesondere für die Staatsarbeiter und Unterbeamten (bei gleichzeitiger Verurteilung der höheren als Klassengegner). Dies und die Tatsache, daß vornehmlich Betriebsbeamte angesprochen wurden, Teile des Apparates also, bei denen sich unterdurchschnittli178
ches Beamtenbewußtsein und überdurchschnittliche Statusinkonsistenz erwarten ließ, spricht für ein bedachtes und gezieltes Vorgehen, desgleichen die versuchte Ausnutzung der seit 1909 anhaltenden Beamtenunruhen und -ängste durch verstärkte Wahlwerbung. Wahr ist freilich auch, daß Sozialdemokratie wie freie Gewerkschaften den öffentlichen Beamten keine hochrangige Aufmerksamkeit widmeten und keine ganz große Bedeutung zumaßen, ihnen, ihren Anliegen und/oder dem Beamtenproblem weder emotional noch analytisch eigentlich näherkamen. Ihre Normalreaktion war und blieb die schematische Übertragung des sozialen Klassenschemas auf die Beamtenschaft 9 bzw. die stereotype Bürokratiekritik. Der Ausspruch im gewerkschaftlichen »Correspondenzblatt« 1909, in zehn Jahren schon würden Beamtenorganisationen »in Reih und Glied mit den freien Gewerkschaften kämpfen«, 10 spiegelte nicht etwa sich anbahnende engere Beziehungen wider, er war die Zufallsprophetie einer vereinzelten Stimme. Überwog im Verhalten der niederen Beamten, wie nun festgehalten werden kann, einerseits die Distanz zur Arbeiterschaft, so dominierte andererseits die Aufstiegs- oder mindestens Status-Quo-Orientierung. Man kann diese Haltung als Ausdruck eines mittelständischen Bewußtseins bezeichnen. Ihr bester, jedenfalls empirisch am besten faßbarer Indikator war die hohe Wertschätzung der Bildung als Faktor sozialen Ansehens und/oder Aufstiegs. Zu ihr gehörte die bereits erörterte Einschätzung der eigenen Berufsbildung. Sie wird aber auch deutlich, wenn nicht noch deutlicher im Intergenerationszusammenhang, d. h. der Einstellung der Beamtenfamilien zur Schulung ihrer Kinder. 11 Die Zusammensetzung der Absolventen öffentlicher Bildungseinrichtungen oberhalb der Volksschulebene wies stets sehr hohe Anteile von Beamtenkindern auf. An der Universität stellten sie durchweg das stärkste Einzelkontingent. Selbst wenn man die Herkunftsgruppe der höheren Beamten abzieht, sieht man den Rest immer ganz vorne rangieren. Den Assoziationsindex zugrundegelegt fielen die Studenten aus mittleren/unteren Beamtenfamilien natürlich hinter den Akademikersöhnen zurück. Sie befanden sich jedoch etwa auf einer Höhe mit dem alten Mittelstand und schier unermeßlich weit über der Gruppe selbst der Angestellten- und erst recht der Arbeiterkinder. 12 Ähnliche Strukturen wie auf dem Hochschulniveau werden auf der Stufe der höheren Schulbildung offenbar. Beamtenkinder bildeten unter den Schülern absolut wie relativ einen der gewichtigsten Kontingente. Alle Rangkategorien (hier einschließlich der Volksschullehrer) zusammengenommen dürften sie in der Zeit zwischen 1900 und 1914 im Durchschnitt ein Drittel aller Schüler ausgemacht haben. Den Anteil allein der Kinder nichtakademisch gebildeter Beamter (ohne Volksschullehrer) kann man auf 10-15% schätzen. Die Beteiligung der Angestellten fiel hier zwar merklich höher aus als auf der Universität und auch die Arbeiter waren nicht mehr glatt zu übersehen. Ein beträchtlicher Vorsprung der subakademischen Beamten blieb aber erhalten; ihnen machte nur der gewerbliche Mittelstand 179
Konkurrenz. 13 In bezug auf die Unterbeamtenkinder muß man das Gesagte allerdings relativieren. Unter den Studenten wird es sie vermutlich nur vereinzelt gegeben haben. 14 Besser war ihre Präsenz auf der Schulebene, wenngleich in den höheren Schulen nur mäßig. Ihre eigentliche Domäne war die Mittelschule, dort findet man sie mit etwa 10-12% der Schüler vertreten. 15 Und das war zumindest in der gesamtgesellschaftlichen Relation immer noch besser als der Platz, den Arbeiterkinder in der Mittelschule hielten. Bezogen auf die Bildungspartizipation der Unterbeamtenkinder insgesamt auf allen Stufen, kann man immerhin von einem gerade noch behaupteten Mittelstandsanschluß sprechen.16 Doch die Distanz zum Proletariat, die Aufstiegsorientierung und der höhere Anspruch sicherten noch keine tatsächliche Verquickung mit dem übrigen Mittelstand, bewirkten keinen Abbau der Isolation, die sich in letzter Zeit mehr oder minder zum gesellschaftlichen Schlüsselproblem des niederen Beamtentums entwickelt hatte. War es nicht sogar so, daß gerade das, worin seine Mittelstandsfähigkeit besonders gut zum Ausdruck kam, eben die insgesamt überdurchschnittliche Bildungshaltung, die soziale Kastenbildung letztlich eher förderte und damit sowohl die Barrieren wie die Spannung zwischen Beamten und Gesellschaft verstärkte? Seinerzeit wie später sprach man ja gern von einem hochentwickelten und historisch gewachsenen ständischen Gemeinschaftsbewußtsein, das das Beamtentum trotz aller Unterschiede seiner »verschiedenartigen Bestandteile« einheitlich beseelte.17 In diesem Zusammenhang konnte unter anderem weitgehende Selbstrekrutierung angenommen werden, speziell auch in Form eines Intergenerations-Aufstiegs, dessen Grundlage naturgemäß die für die jeweils höhere Rangklasse vorgeschriebene höhere (über der der Elterngeneration liegende) Schul- oder Hochschulqualifikation sein mußte. Läßt man diesen nach oben idealtypisch als unbegrenzt anzunehmenden Aufstiegsvorgang bei den mittelschulgebildeten Unterbeamtenkindern 18 beginnen, impliziert das in der Tat eine in anderen Berufs- und/oder Lebenskreisen kaum in vergleichbarer Länge vorstellbare Kette der intensiven Tradierung ständischer Werte und damit eine potentiell umfassende Rekrutierungsautarkie, am Ende also historisch gefestigte Selbstbezogenheit und Exklusivität einer Kaste.19 Daß dies (während der hier behandelten Zeitperiode) wirklich der Fall war, daß also der untere Dienst sich aus sich selbst heraus, die mittlere Beamtenschaft sich überwiegend aus aufstiegsgerecht vorgebildeten Unterbeamtenkindern oder den eigenen, und die höhere wiederum aus ihrer direkten Nachkommenschaft beziehungsweise den studierten Söhnen von mittleren Beamten ergänzte, daß mithin auf diesem Wege eine weitreichende soziale Inzucht stattfand, die dann die Hauptschuld am Isolations- und Integrationsproblem trug, kann allerdings wohl gleich verneint werden. 20 Es finden sich selbstverständlich Anhaltspunkte dafür, daß die Beamtenschaft sich auch aus der eigenen Sphäre rekrutierte, Indizien, die insbeson180
dere dann eindrucksvoll anmuten, wenn man Beamtenherkunft gleich Beamtenherkunft sein läßt, d. h. den Nachwuchs weder nach der fachlichen Eigenschaft noch der hierarchischen Position der Väter strikt differenziert. Auf diese Weise erhält man ζ. B. für die preußischen Westprovinzen im Zeitraum 1890-1914 einen Wert, der besagt, daß durchschnittlich rund 50 % des höheren Dienstes aus Beamtenfamilien (aller Kategorien) stammte. Nach dem gleichen Muster errechnen sich bei den kleinen Beamten (auf die Provinzen Rheinland und Westfalen bezogen) rund 40%. 2 1 Auch sonst lassen Mobilitätsuntersuchungen auf eher hohe Selbstrekrutierung im obigen Sinn und Rahmen schließen. 22 Aus den verfügbaren Zahlen geht allerdings mit einiger Deutlichkeit auch hervor, daß die Hauptbasis der Selbstrekrutierung die Statusstabilen 23 waren; ihr Anteil lag jedenfalls höher als die Quote der Aufsteiger aus dem jeweils nächstniedrigen Laufbahnmilieu. Das könnte mindestens soviel bedeuten, daß der besagte Generationswechsel eher zögernd vor sich ging und daß die allem Anschein nach sehr breite Schicht jeweils schulisch höher gebildeter, potentiell aufstiegsfähiger Beamtenkinder in ihrer Gesamtstärke im unmittelbaren Staatsdienst gar nicht unterkam oder unterkommen wollte, sondern verstärkt in bürokratieexterne Berufe strömte. Dafür spräche ferner, daß in Beamtenfamilien (des subakademischen Bereichs), die die Kehrseiten des Staatsdienstes kennengelernt hatten, die Vererbung des väterlichen »Berufes« durchaus nicht oder zu dieser Zeit nicht mehr in jedem Fall als problemfrei galt. 24 Gleichzeitig ist in der Bevölkerung eine anhaltende Popularität der Staatsanstellung bei der Berufswahl konstatierbar, 25 ob sie auf Unkenntnis von Nachteilen, schieres Sicherheitsdenken, Bequemlichkeit oder was immer sonst zurückgegangen sein mag. Nicht zuletzt Erhebungsdaten zur sozialen Herkunft deuten daraufhin, daß diese Neigung bestand. Insbesondere schält sich dabei der (alte) Mittelstand als die neben der Beamtenschaft selbst bedeutendste Rekrutierungsquelle des Staatsdienstes heraus 26 (mit der möglichen Ausnahme des unteren Dienstes, wo die mittelständische Komponente zugunsten des Zustroms aus der Arbeiterschaft merklich schwächer ausgefallen sein könnte). Weitere Indizien sprechen ebenfalls dafür, daß der (selbständige) Mittelstand dem Beamtenberuf als wichtiges Reservoir diente. Solche Indizien sind die Berufswünsche von Abiturienten aus dieser Gesellschaftssphäre, die eine Vorliebe für Positionen im öffentlichen Dienst gut erkennen lassen. 27 Ein Hinweis darauf sind auch Klagen der gleichen Kreise, die starke Bereitschaft der Jugend, zum >Staat< zu gehen, sei eine Unsitte und verursache für manchen altmittelständischen Beschäftigungszweig allmählich gar Nachwuchsprobleme. 2 8 Dieser Zuspruch von mittelständischer Seite relativiert die Annahme einer allgemein überhohen Selbstrekrutierung des Berufsbeamtentums (intergenerationell über die ganze Länge aller Rangklassen). Sie kann im übrigen in ihrem reellen Ausmaß als so hoch gar nicht gelten. Die 40- oder 50prozentige Rate, von der man vielleicht ausgehen darf, stellte keine exzeptionelle Größe dar, an181
dere Berufe erreichten sie auch, oder überboten sie, sowohl auf der akademischen wie auf der darunter liegenden Ebene. 2 9 Es soll nicht bestritten werden, daß eine intensive Tradierung von spezifischen N o r m e n und Werten stattgefunden beziehungsweise es eine starke beamtenständische Separatmentalität oder Tendenzen der Kastenbildung gegeben hat. Aber man wird nicht gut sagen können, dies sei ganz typischerweise auf dem Wege der Sippenbildung geschehen. Das (mittlere und untere) Beamtentum blieb insofern eine Scheinkaste als es sich eben weder durch eine Art Endogamie noch durch sonstige sippschaftliche Zuzugssperren entscheidend charakterisierte. Das schließt nicht aus, daß BeamtenAbstammung flir Staatsanstellungen eine gute Empfehlung war und blieb, aber eine krasse systematische Benachteiligung von anderen, zumal mittelständischen Herkunftsgruppen, läßt sich in bezug auf die Auswahl des mittleren und unteren Dienstes im 20. Jahrhundert bis auf bestimmte ethnische Minderheiten (Polen ζ. B.) kaum annehmen. Auch eine strenge Gesinnungsauslese, außer der grundsätzlichen Sperre flir Sozialdemokraten oder andere bekennende >Staatsfeindeechten< Beamten in die unterlegene Position des jüngeren Nachahmers zu versetzen; sie stellten für viele Staatsdiener auch nach 1911 wohl nichts weiter dar als Neuankömmlinge, die trotz einschlägiger Bemühungen vergleichsweise wenig ständische Patina angesetzt hatten, und selbst am angeschlagenen StaatsbeamtenImage gemessen das geringere Sozialprestige und Sozialrelevanz besaßen. 37 Im staatlichen Dienst zu stehen bedeutete immer noch Überlegenheit und motivierte kaum, gewisser struktureller aber praktisch wenig wirksamer 184
Interessengemeinsamkeiten willen, den Schritt zu wirklicher sozialer Angleichung zu tun. Ebensowenig wie zur freiwilligen Nivellierung führte der bessere Status der Staatsbeamten allerdings zu akuter Rivalität mit den Angestellten. Der Konkurrenzkampf um staatliche Stellen, zu dem es in der Weimarer Zeit zwischen Angestellten im öffentlichen Dienst und Beamten kommen sollte, was dann auch die Beziehungen zwischen Staatsbeamten und Privatangestelltenschaft überhaupt belastete, hatte vor dem Krieg keinen Nährboden; dazu war die Arbeitsmarktsituation noch zu wenig prekär und die Zahl der Behördenangestellten zu gering. 38 Doch auch ungeachtet der fehlenden Feindseligkeiten verwundert es nicht, daß die zwei Hauptkontingente des neuen Mittelstandes sich als solche im Grunde nicht finden und miteinander präsentieren mochten oder konnten. Das Scheitern des Bundes der Festbesoldeten darf als Konsequenz (und Beleg) nicht zuletzt der beiderseitigen Halbherzigkeiten gelten. Während das Verhältnis zwischen mittleren und kleinen Angestellten und Beamten sich durch mangelnde Kohäsion charakterisierte, überwog nun in der Beziehung der Beamten zum alten Mittelstand trotz mancherlei innerer Bande die Kontroverse. Das Isolationsproblem der Beamten wurde in diesem Fall zunehmend zum Problem der Abwehr durch die Zielgruppe der Annäherungsversuche. Eine der Ursachen hierfür war die mindestens subjektiv als bedrohlich empfundene Lage all' der Detailhändler, Handwerker und Kleinunternehmer zwischen Großkapital und Arbeit, die sie zum verstärkten Interessenkampf gegen alles mobilisierte, was ihnen als geschäftsschädigend vorkam. Obwohl dieser selbständige Mittelstand die Dichotomisierung der Gesellschaft in sozialökonomisch bedingte Blöcke bekämpfte, d. h. um einen Existenzraum und sozialpolitischen Schutz für nach seiner Ansicht nicht dichotomisierbare Kräfte der gesellschaftlichen Mitte stritt, argumentierte er - nicht ohne entsprechende Widersprüchlichkeit - letztlich von einem sozialökonomischen, speziell unternehmerischen Interessenstandpunkt aus. Damit gerieten ihm im Grunde alle Unselbständigen zum interessenpolitischen Gegner - darunter die öffentlichen Beamten. 39 Seine Beziehungen zur Beamtenschaft wurden auch durch andere Faktoren belastet, so die verbreitete pauschale Bürokratiefeindlichkeit, der sich anzuschließen ungeachtet eines ständig geäußerten Anspruchs auf staatliche Förderung offensichtlich nicht schwer fiel. Die seit Anfang des Jahrhunderts öffentlich diskutierte Leistungskrise der Verwaltung, zumal vor dem Hintergrund stetiger, trendhafter Personalvermehrung in allen Ressorts und Behörden, boten die besten Anlässe, Kritik an Staat und Staatsapparat mit steigender Intensität und in steigendem Umfang zu üben. Als dann 1908/09 die große Besoldungsreform (oder: schon wieder eine Besoldungsreform) zur Verhandlung und Verabschiedung kam, d. h. all die Beamtenmassen mehr Gehalt forderten, bekommen sollten und auch erhielten, empfand die Öffentlichkeit die Bürokratie, zu deren >Unfähigkeit< sich jetzt 185
wie es schien auch noch die Unbescheidenheit gesellte, mehr denn j e als unerträglich. 40 Es ist hier schon sichtbar: Diese Haltung ging über den konventionellen Protest gegen die lästigen technischen Kehrseiten der Bürokratisierung (Schematismus, Papierkrieg, Klientenindifferenz und dgl.) hinaus. Nicht zuletzt was das gewerbliche mittelständische Bürgertum anging, steckte in den antibürokratischen Ressentiments auch etwas von Auflehnung gegen den bürokratischen Obrigkeitsstaat, dessen übermächtige Präsenz man satt hatte, vor dessen wirtschaftsfördernder Tradition man keinen Respekt mehr empfand, vielleicht weil die (ökonomische) Modernisierung mittlerweile zu einem selbsttragenden Prozeß geworden war, der zwar der staatlichen Mitwirkung, nicht aber der patriarchalischen Bevormundung bedurfte. Gewiß war das gerade beim alten Mittelstand ein verkappter und/oder degenerierter Protest, aber dennoch wohl ein wenig die Regung, auch einmal Flagge zu zeigen. Unabhängig davon oder besser: gleichzeitig betrachtete der alte Mittelstand die Beamtenschaft wahrscheinlich auch als direkten Konkurrenten u m staatliche Subventionierung (Mittelstandshilfe kontra Alimentation), 4 1 was sicherlich zur Verschärfung der Konfliktsituation beitrug. Ein gewiß subtileres aber emotional nicht unwichtiges Spannungsmoment mag auch gewesen sein, daß beide Seiten nicht erst seit Ende des 19. Jahrhunderts als zum Mittelstand gehörig galten und in gewisser Weise einen latenten Anciennitätsstreit austrugen. 4 2 Doch worüber immer Beamte und alter Mittelstand miteinander sonst zu hadern hatten, die Produzentenhaltung und -interessenlage der kleinen Handel- und Gewerbetreibenden schob sich immer wieder in den Vordergrund und bildete den Tenor aller Anfeindungen des Beamtentums. Sie kam zum Ausdruck in dem (mit der Subventionskonkurrenz freilich unmittelbar verknüpften) Vorwurf, die Beamten seien unproduktive Schmarotzer, sie trügen zur Erwirtschaftung des Sozialprodukts nichts bei und ließen sich von den produktiven Erwerbsständen aushalten. Die andere Hauptklage war, daß die Beamten als in Konsumgenossenschaften organisierte Verbraucher die Geschäfte mittelständischer Unternehmer ebenso permanent wie zunehmend verdürben. Ein Überhandnehmen des B e a m tenkonsumvereinswesens, schrieb das Blatt des Mittelstandsbundes für Handel und Gewerbe schon 1902, sei nicht hinnehmbar, ». weil es wirtschaftlich berechtigte Interessen und gesunde Existenzen rücksichtslos aus dem Sattel wirft und vernichtet«. 4 3 Z u d e m wurde, sozusagen nach sozialen Klassen-Kriterien, die prinzipielle Unterschiedlichkeit und Unvereinbarkeit der wirtschaftlichen Interessenlagen des selbständigen Mittelstandes auf der einen und des neuen Mittelstandes als abhängige Arbeitnehmerschaft auf der anderen Seite hervorgehoben, so etwa im Zusammenhang mit Bestrebungen des Hansabundes und der Deutschen Mittelstands Vereinigung, eine gesamtmittelständische Interessenorganisation zu realisieren. 44 Eine Gemeinsamkeit oder auch 186
nur eine Ähnlichkeit der beiden Mittelstände, hieß es, sei »nicht im geringsten« da. 45 Mehr als einmal siedelte man die Beamten gerade auch im Z u sammenhang mit der vieldiskutierten Konsumvereins-Frage mittelbar oder unmittelbar in der Nähe von Proletariat und Sozialdemokratie an. Die sozial klassenbildende Kraft der Konsumvereine und damit indirekt die einschlägige Beeinflussung der Beamten erläuterte ζ. B. das Deutsche Handwerksblatt 1913 so: »Durch die Organisation der Massen. vornehmlich durch den Zusammenschluß der auf gleicher Stufe stehenden und von den gleichen wirtschaftlichen Verhältnissen abhängigen Schichten in Konsumgenossenschaften, besteht die Gefahr der Vermengung der wirtschaftlichen Interessen mit politischen und gleichzeitig die Gefahr der Verschärfung der Klassengegensätze und des Klassenhasses.« 46 Bereits 1904 hatte der Verband der Kaufleute der Provinz Hannover direkt beklagt, daß eine »große Anzahl von Reichs-, Staats- und Kommunalbeamten« Mitglied in »Konsumvereinen mit sozialdemokratischen Tendenzen« sei.47 Und in ähnlichem Sinn warnte ein Redner auf der Hauptversammlung des Zentralverbandes für Handel und Gewerbe 1911 vor den Beamten als Gefahr für den alten Mittelstand. 48 Die mittleren und unteren Beamten, gegen die sich die Anschuldigungen in der Hauptsache richteten, ließen die Attacken nicht kalt, im Gegenteil. Die Beamtenpresse wies die Tadel immer wieder mit großer Einmütigkeit und Nachdruck zurück. Darin kam allerdings weniger eine Replik- oder Streitbereitschaft zum Ausdruck, sondern Unbehagen. Unbehagen häufig und deutlich darüber, daß die Vorwürfe aus dem alten Mittelstand offensichtlich in einer überholten Vorstellung von Beamtenfunktion und -arbeit wurzelten; daß man die Staatsbediensteten einseitig als Amtspersonen mit hoheitlichem Auftrag begriff, die, wenn sie nicht gerade >herrschtenleistenden< Beamten hinaus zum Anliegen auch des zum klassischen Beamtentum zählenden mittleren Justizpersonals
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wurde. Die Zeitschrift der Justizsekretäre schrieb dazu im Juni 1914 u. a.: In den »Verkehrsanstalten«, den »wirtschaftlichen Einrichtungen der Städte« und anderen »gemeinnötigen Betrieben« üben ». die Beamten eine Tätigkeit aus, die sich von privaten Betrieben nur insofern unterscheidet, als der Arbeitgeber eben der Staat oder die Gemeinde ist. Im Verteilungsprozeß der Güter ist der Verkehrsbeamte, in der Überwachung der rechtlichen Grundlagen unseres Wirtschaftslebens [aber] der Justiz- und Verwaltungsbeamte unentbehrlich. Es leistet eben jeder in seiner Art sozialwirtschaftlich wertvolle Arbeit. « 49 Doch all die Selbstdarstellungen des »modernen Beamten«, 5 0 all die Erläuterungen, Erwiderungen, Appelle und auch persönliche Kontaktsuche beantwortete der alte Mittelstand mit fortgesetzter Feindseligkeit. Diese auch von der sogenannten großen Öffentlichkeit (Presse) häufig unterstützte oder praktizierte Antihaltung war nicht dazu angetan, veränderungsfreundliche Regungen unter den Beamten zu fördern, im Gegenteil. Wenn der Ruf der Beamten an die »Erwerbsstände«: »gebt Platz an eurem Tisch«, 51 in der Regel unsanfte Zurückweisung erntete, wenn man sie permanent als »Drohnen« brandmarkte 52 und rügte, sie verhielten sich als wären nicht sie für die Gesellschaft da, sondern umgekehrt und weiter, daß sie zwar »im Volke« aber nicht »mit dem Volke« lebten, 53 oder wenn die Hetze gegen die Konsumvereine die Behörden immer wieder zu Auftritten als Schutzmacht dieser Einrichtungen zwang, dann mußte das alles bei den Beamten auch Zweifel nähren oder erzeugen, ob die hergebrachte Sonderstellung des Staatsdieners praktisch überwindbar sei, ob sein Platz wirklich woanders als an der Seite des Staates in einem separaten Beamtenstand sein könne. Das Blatt einer wichtigen Eisenbahnerorganisation schrieb in diesem Zusammenhang 1913 die bezeichnenden Sätze: »Die Angriffe auf das Beamtentum haben das Standesbewußtsein [wieder] geweckt und es zur Entfaltung gebracht; ohne diese Angriffe wäre das Standesbewußtsein der Beamten nicht so ausgeprägt worden, als dies heute der Fall ist. « 54 Vor diesem Hintergrund wird verständlicher, daß die Beschäftigung der mittleren und unteren Beamten mit der sozialen Standortproblematik, die besonders zwischen 1908/09 und 1914, in erster Linie als Folge der eskalierenden Auseinandersetzung mit dem alten Mittelstand, einen Höhepunkt erreichte, nicht ganz kongruent verlief. Neben dezidierten Bekenntnissen zum >Leistungsmodell< und sonstigen Bekundungen des sozialen Integrationswunsches tauchten oft genug Manifestationen - sozusagen des Staatsgefuhls auf, die anzuzeigen schienen, daß es selbst Angehörigen von Betriebsverwaltungen nicht durchweg gelingen wollte, die gesellschaftliche und/oder berufliche Rolle des Beamtentums anders als letztlich doch im Sinne einer Sonderrolle zu artikulieren. Solche Manifestationen klangen befremdend, sie konnten gar den Eindruck erwecken, daß die Beamten am Ende doch nur Emanzipation ohne Integration oder eine Integration unter Beibehaltung ihrer erworbenen Privilegien wollten, mit anderen Worten 188
auf die Beseitigung der Nachteile ihres Beamtenstatus ohne Aufgabe von deren Vorteilen aus waren. Zu solchen Eindrücken gab es ζ. B. Anlaß, wenn eine Eisenbahnbeamtenorganisation, die sich energisch gegen das Verdikt vom »Standesdünkel«, Unproduktivität der Beamtenarbeit und »Bürokratismus« oder gegen eine Charakterisierung der Beamten als »Schergen« der »staatlichen Autorität« verwahrte, das »Wesen des Beamtentums« doch von dessen Absonderung vom »großen Kreise der übrigen Bevölkerung« her zu erklären suchte.55 Der gleiche Anlaß war gegeben, wenn ein leitender Funktionär des Verbandes der unteren Postbeamten ausgerechnet zum Thema »staatsbürgerliche Erziehung« der Beamten besonders viel ausgerechnet über die Verinnerlichung der staatstragenden Funktion zu sagen wußte. »Denn«, so wörtlich, »mehr als alle anderen Staatsbürger ist gerade er [der Beamte] ein Glied des Staates: ein Stück von jener Macht, die als die höchste gelten muß . Von dieser die gesamte Kultur beherrschenden Macht ist der Beamte ein lebendiger Teil. Nach ihm und seinem Verhalten im dienstlichen und privaten Leben beurteilt die Mehrheit des Volkes den Staat. Gerade die Unterbeamten haben hier eine Mission zu erfüllen.« 56 Derlei Widersprüchlichkeit trat auch zutage, wenn preußische Bahnhofs-Aufseher, die zu einem »Zusammengehen« auf der Basis der gesellschaftlichen »Gleichberechtigung« ausdrücklich »jedem die Hand« boten, sozusagen im gleichen Atemzug auch erklärten, das Höchste für sie sei die »Anstellung als Staatsbeamter«.57 Oder wenn die Zeitschrift des Postverbandes, die mehr als andere Beamtenblätter modern anmutende Reflexionen über offene Sozialstrukturen brachte, 58 nun doch eine Analyse des Gesellschaftsproblems der Beamten wie diese aufstellte: »Die Entwicklung hat uns aus den alten, soliden Verhältnissen herausgerissen, ohne daß die neuen Verhältnisse uns vollgültigen Ersatz zu bieten vermögen. Daher die Unruhe und Unsicherheit, die durch unsere Reihen geht, daher die Bewegung der deutschen Beamten, die letzten Endes dahin zielt, den Beamten wieder in festumgrenzte solide Verhältnisse zu stellen, die Beamtenschaft in den Gesamtorganismus des Staates und des Volksganzen so einzufügen, daß sie sich wieder [als] an der ihr gehörenden Stelle befindlich fühlen kann. «59 Man kann solche Anwandlungen nicht mit der Provokation durch den alten Mittelstand und andere Gegner allein erklären, und wenn sie noch so sehr dazu angetan sein mochten, die Beamtenschaft in Richtung staatliche Sonderexistenz ein Stück zurückzutreiben. Die Dissonanzen resultierten auch aus der eigenen, von der Tradition nolens volens mitgeprägten Haltung. Gleichwohl steckte in der Hervorkehrung von Besonderheiten der Beamtenrolle durchaus auch etwas Positiveres als nur der Rekurs auf das geistige Erbe eines Standes, das Überholtes konservierte. In den Vorstellungen über die gehobene Bedeutung der Staatsbeamtenschaft ist eben auch ein der aktuellen Entwicklung innewohnendes und insofern in die Zukunft weisendes Element erkennbar. Wenn von Kulturmission, staatstragender 189
Eigenschaft u.a., mithin in irgendeiner Form von der hervorragenden, zentralen Rolle des Beamtentums die Rede war, dann klangen darin auch Hinweise auf die zunehmende Bürokratieabhängigkeit der modernen Welt an. Für den Trendcharakter der Bürokratisierung gab es in Deutschland, insonderheit in Preußen, ja Beweise genug. Hier konnte man über die historisch schon starke Stellung der Bürokratie hinaus, was noch als Sonderfall gelten konnte, auch auf eine ausgesprochene Dynamisierung der staatsbürokratischen Durchdringung der Modernisierung seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zurückblicken. Hier erfolgte, nahezu parallel laufend, auch die auf heimischem Erfahrungsstoff basierende Verankerung dieses Phänomens in einer wissenschaftlichen Theorie von großer Geschlossenheit und Tiefe: dem Werk von Max Weber. Reichte das preußischdeutsche Beispiel nicht, so konnte man über die Grenzen blicken und feststellen, daß Bürokratisierung mittlerweile zur Begleiterscheinung der Entwicklung selbst in ursprünglich so bürokratieabstinenten Industriegesellschaften wie Großbritannien und den USA geworden war. Es gehörte kein preußischer Beamtengeist mehr dazu, der Staatsverwaltung auch für die Zukunft eine Schlüsselrolle zuzuschreiben. 60 Ungleich schwerer war es allerdings, die wachsende Bürokratieabhängigkeit der Welt nicht als Prolongierung der alten Beamtenherrlichkeit zu sehen. Von der reinen Herrschaftsperspektive abzurücken, konnte vom preußisch-deutschen Beamtentum nicht ohne weiteres erwartet werden. Daß dies — in Ansätzen — dennoch erfolgte, ist daher bemerkenswert. Es ist bemerkenswert, daß man über die Betonung der Produktivität der Beamtenarbeit hinaus zu Vorstellungen vorstieß, in denen fortschreitende Bürokratisierung nicht nur als hergebrachtes Herrschafts- sondern auch als ein volkswirtschaftliches Verflechtungsphänomen und der Staat nicht als Ordnungsmacht, sondern als unentbehrlicher Leistungsträger und Wohlfahrtslenker moderner Prägung erschien. Der Wandel der Staatsaufgaben, so wurde in Beamtenblättern sinngemäß argumentiert, begründe eine besondere Funktion und Verantwortung der Beamtenschaft wie (einst) der Herrschaftsauftrag. Wenn für sie daraus zwar eine herausragende Rolle, jedoch keine unbedingte und schon gar nicht unbedingt herrschaftsförmige Überordnung resultiere, so deswegen, weil die wohlfahrtsfördernde Penetration des Staates in die Gesellschaft mit einer zunehmenden kooperativen Beteiligung der Gesellschaft in der Gestaltung des Gemeinwohls einhergehe; man bewege sich aufeinander zu im Zeichen einer Partnerschaft. 61 In diesen Vorstellungen sind unverkennbar Züge einer gemeinwirtschaftlich-genossenschaftlichen Verwaltungs-, Staats- und Gesellschaftsordnung enthalten, wie sie übrigens gleichzeitig auch wissenschaftlich untermauert wurden. Der neben Max Weber und Gustav Schmoller bedeutendste Bürokratie-Kenner der Zeit, Otto Hintze, deutete diese »Fortbildung« der Bürokratie »in freiem, volkstümlichen Geiste« schon in Schriften vor dem Weltkrieg an, und zwar im Unterschied sowohl zu Schmollers
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patriarchalisch-sozialpolitischer wie Webers einseitig herrschaftssoziologischer Auffassung von Verwaltung und Beamtentum. 6 2 Es scheint zwar, daß sein Modell demokratischen oder pluralistischen Maßstäben nicht genügte, doch spiegelte es die Bemühung (u. a. von Subalternbeamten) wider, auf einen als unausweichlich begriffenen Trend und auf das darin enthaltene Dilemma, wie sich mehr Verwaltung mit einer Minimierung der Kluft zwischen Staat bzw. Staatsbediensteten und Gesellschaft verbinden ließe, schon im wohlverstandenen Eigeninteresse konstruktiv zu reagieren. Solche Feinheiten drangen indessen nach außen wahrscheinlich kaum durch, zumal genug von undifferenzierten oder altmodischen Selbstdarstellungen zur Beamtenrolle und auch genug von praktiziertem »Standesdünkel« da war, um das Erscheinungsbild des öffentichen Beamten nach dem Geschmack einer reservierten bis feindlichen Öffentlichkeit und darum für diese eher als lästige Herrschaft wahrnehmbar zu prägen. Und wenn nicht dieses, so hatte ein anderes Moment gute Chancen aufzufallen, nämlich das des wachsenden Arbeitnehmerbewußtseins in der Beamtenschaft, was dann speziell beim alten Mittelstand Sozialismusverdacht u. ä. gegenüber den »wimmelnden Haufen« 63 zum Teil proletaroider Beamtenmassen weckte. Die mittleren und unteren Beamten befanden sich in einer unbequemen sozialen Lage. Ihre Versuche, sich der Gesellschaft anzunähern, mißlangen vorerst. Sie waren eher halbherzig, zu wenig vom Besitzstand-Denken losgelöst gewesen und hatten nicht überzeugen können. Die Gesellschaft wiederum, die angesprochene >MittereinerHerrn< hervorkehrten, während höhere Beamte im Umgang mit hierarchisch weit unter ihnen Stehenden mitunter eine »gerechtere« Tonart fanden. 3 Denn gerade die größere Nähe von niederen Rangklassen zueinander, die in Betriebsverwaltungen nicht selten auch verwechselbare bzw. ineinanderfließende Tätigkeit von mittleren und unteren Beamten 4 war es, was zur kleinlichen Pflege kleiner Unterschiede 5 oder umgekehrt zu Angriffen auf sie motivierte, wohingegen die unantastbare Distanz der höheren Stellung zu subalternen Positionen den >höheren< Vorgesetzten auch 'mal eine schulterklopfende Herablassung ermöglichte. Solidarität, das zeigte sich in der zu übergreifenden Zusammenschlüssen neigenden Beamtenbewegung der letzten Friedensjahre, mindestens aber interessenorganisatorisches Zusammengehen von Unterbeamten und mittleren war nicht ausgeschlossen, sehr wohl jedoch Gemeinsamkeiten mit höheren. Wenn man organisatorische Sammlung und umfassende Interessengemeinschaft sagte oder praktizierte, war und meinte das nicht mehr als die berufliche und standespolitische Kompatibilität der Subalternen und Unterbeamten untereinander; die Oberen blieben ausgeschlossen. »Alle Beamten. gehören zusammen. ., alle sind Teile des großen Körpers. .« - das schrieb die Zeitung der Eisenbahn-Rangiermeister 1913. Doch im gleichen Gedankenzug auch: »Von den höheren Beamten . könnte hier abgesehen werden. «6 Bürokratieextern sah sich der höhere Beamte genauso im Vorteil wie innerhalb der Verwaltung. Diejenigen, die wie er >zeichnenFeudalisierung< der letzteren vorangekommen und/oder auf den Bereich des einflußreichen und vermögenden Unternehmertums konzentriert geblieben. 10 Es scheint vor allem nicht abwegig anzunehmen, daß angepaßte Großbürger, wie in der Gesellschaft so auch in der Verwaltung, am ehesten nach oben gelangten. Stammte man aus den »ersten, sei es adeligen, sei es bürgerlichen Kreisen«, war selbst die falsche (die katholische) Religion, 11 waren selbst ketzerische (liberale) Ansichten 12 kein absolutes Hindernis für das Reussieren, wicwchl am besten natürlich doch der fuhr, der mit den Standarderwartungen inrmonierte. Zweifellos ist darin eine Selektion wiederzuerkennen, die nudi über die soziale Herkunft gesteuert wurde, wenngleich vielleicht nicht einmal so sehr im Stadium der Rekrutierung, wo die zahlenmäßige Bedeutung der vornehmen und/oder reichen Elternhäuser mit der Zeit zurückgegangen sein dürfte, sondern beim späteren Vorrücken in potentiell oder wirklich ausschlaggebende Positionen. Das bedeutet freilich nicht, daß der soziale Hintergrund schlechthin eine abnehmende Rolle spielte. Auch nach der Puttkamerschen Zeit wurde bewußt nach Eigenschaften und Merkmalen ausgewählt, die über die Herkunft hinaus geeignet schienen, dem höheren Beamtentum von vornherein hohes Prestige und gleichzeitig hohe Konsistenz mit der Struktur der Herrschaftseliten zu verleihen.13 Man braucht nur die Zusammensetzung nach Religionszugehörigkeit sich anzusehen, um die Bestätigung zu bekommen. Nach einer umfassenden Ermittlung auf dem Stand von 1910 strukturierte sich die preußische höhere Beamtenschaft von der Religion her so: Tab. 30: Verteilung der preußischen höheren Beamtenschaft und der Bevölkerung nach der Religionszugehörigkeit 1910, in % 1 4
höhere Beamte (ohne Lehrer) Bevölkerung
evang.
kath.
andere
78,8 61,8
17,9 36,3
1,5 1,9
unbekannt 1,8
Es ist nicht schwer, die Überrepräsentation der Protestanten zu erkennen. Ähnliches wird sichtbar, wenn man die Struktur nach Geschlechtern heranzieht. Laut Berufszählung von 1907 gab es im höheren Staatsdienst in Preußen (ausschließlich des Bildungssektors) ganze 171 Frauen. Nimmt man die Reichspostbediensteten auf preußischem Staatsgebiet hinzu, steigt die Zahl auch nur um 586 auf757. 1 5 Daraus geht mit hinreichender Klarheit hervor, daß der höhere unmittelbare Beamtendienst kein Frauenberuf war. Die politische Treue und damit die politische Gesinnung und eine entsprechende Auswahl spielten im höheren Verwaltungsdienst eine zentrale 195
Rolle. Und das bedeutete in der hier zur Debatte stehenden Zeit meist konservative Orientierung und ebensolche Zusammensetzung: »Wer nicht ersichtlich auf dem Boden der konservativen Parteien stand oder zum rechten Flügel des Zentrums oder der Nationalliberalen zählte, hatte keinerlei Aussicht auf Annahme.« 16 In den Ministerien achtete man strenger als anderswo auf Leistungsfähigkeit, so mag es sein, daß dadurch die Einberufungen dort etwas liberaler gehandhabt wurden. Ähnliches kann in bezug auf die höheren Richter gelten.17 Insgesamt aber und vor allem was die maßgeblichen Teile der höheren Beamtenschaft angeht, überwog das konservative Element. Diese und andere vergleichbare Charakteristika zusammengefaßt, kann man typisieren: der preußische höhere Beamte, insbesondere der Verwaltungsbeamte im engen Sinn, war männlich, Akademiker, 18 in aller Regel konservativ, überwiegend protestantisch, meist ehemaliger Corpsstudent, natürlich Reserveoffizier und normalerweise ein formbewußter Gesellschafter. 19 Damit repräsentierte er - im Kontrast zu den Subalternbeamten, bei denen solche Merkmale entweder gar nicht oder deutlich schwächer ausgebildet und verlangt waren - einen Typ, der wichtige Leitwerte der wilhelminischen Gesellschaft, und das heißt auch wichtige Leitwerte der tonangebenden Schichten der Gesellschaft in sich vereinigte, wenn nicht zum erheblichen Teil selber prägte, was die Verflechtung wechselseitig förderte. Gefestigt wurde diese Kohärenz durch Faktoren, die weder auf das Herkunftsmilieu noch auf die Rekrutierung oder die Diensterziehung direkt zurückgingen, wenngleich sie im Zusammenhang mit dem Status des höheren Staatsdienstes standen. So ζ. B. die »Heirat hin und her« zwischen staatsexternen Oberschichten und höherem Beamtentum, 20 darunter die Einheirat nicht vermögender, mindestens wirtschaftlich also aus weniger gediegenen oder auch bescheidenen Verhältnissen stammender Beamter in die Großbourgeoisie, eine wahrscheinlich weit verbreitete Praxis.21 Weitere Querverbindungen entstanden durch die auch aktiven Beamten sich mehr und mehr erschließende Möglichkeit, wichtige Funktionen in der privaten Großwirtschaft nebenamtlich zu übernehmen; um 1906 gab es dort für höhere Staatsbeamte bereits 500 Aufsichtsratsstellen.22 Nicht zuletzt ermöglichte die Dienstpraxis selbst, Kontakte zur agrarischen, gewerblichen und kaufmännischen Unternehmerschaft und zur sonstigen Prominenz zu knüpfen, Kontakte, die ins Private verlängert werden konnten und insgesamt zu einer »lebhaftefn] Verbundenheit der oberen Kreise«23 führten. Auch der höhere Beamte, der von Haus aus nicht zu diesen Kreisen gehörte, hatte durch seinen amtlichen Umgang oft eine reelle Chance, sich in sie einzugliedern. Die grundsätzliche Gesellschaftsfähigkeit, die außer seinem »Stand« wohl nur noch dem Geburtsadel und dem Offizierscorps so pauschal zugebilligt wurde, besaß er ja von Anfang seiner Karriere an. Nicht ohne Grund konnte man das Referendariat »die erste Stufe preußischer Herrlichkeit«24 nennen. 196
In der Zusammenschau von Faktoren und Gegebenheiten, wie sie hier angeführt worden sind, ist man geneigt den Schluß zu ziehen, der höhere preußische Beamte habe im frühen 20. Jahrhundert im allgemeinen ein außerordentlich vorteilhaft angelegtes, beneidenswertes Dasein im Einzugsbereich von oder im Besitz tatsächlicher sozialer Herrschaft geführt, das »Leben eines Glücklichen«,25 der sich mit keinem fundamentalen und/oder notorischen Arbeits-, sozialen Integrations-, Rollen- und Statusproblem plagen mußte. Mindestens aber, so kann es scheinen, hatte er trotz manchen Ärgers durch Destabilisierung von gewohnten Verhältnissen, wie etwa auf dem Feld der Ausbildung oder der Verwaltungs(arbeits)organisation, Kraft und Substanz genug, um Unangenehmes als temporäre Störung in ausreichendem Maß zu ignorieren, zu verdrängen, in Kauf zu nehmen oder sonstwie zu überwinden. Eine solche Einschätzung uneingeschränkt gelten zu lassen, hieße indessen die Wirklichkeit stark zu verkürzen, d. h. im preußischen höheren Beamtentum, ob als Herrschaftsinstrument, partikulare Herrschaftskaste, Elite, Standes- oder weltanschauliche Gemeinschaft o. ä., primär das (der formalen Struktur nach) Verbindende auf Kosten des (tatsächlich) Trennenden hervorzuheben. Tatsächlich gab es im höheren Dienst nicht nur keine hierarchische Ranggleichheit selbst von formal Ranggleichen, sondern auch keine Chancengleichheit, außerdem keinen Konsens über die Funktionen, keine Prestigegarantie für alle, keine durchgehende Statuskonsistenz und keine allgemeine soziale Selbstsicherheit. Die höhere Beamtenschaft war mit anderen Worten insgesamt weder so homogen noch so intakt oder in so günstiger Position wie es auf den ersten Blick angenommen werden könnte. Die Differenzierung, von der hier die Rede ist, ist allerdings nicht vergleichbar mit den Differenzen, die es natürlich auch früher gab und die noch oder gerade im späten 19. Jahrhundert für manche Spannung und Auseinandersetzung sorgten. Jene einstigen Entzweiungen höherer Beamter untereinander und/oder mit der Regierung standen primär im Zeichen von politischen Anschauungsunterschieden respektive von Motiven, die größtenteils bestimmten politischen und ökonomischen Privatinteressen entsprangen. Die Kämpfe zwischen Liberalen und Konservativen, die Kämpfe um die Institution des politischen Beamten oder der Ungehorsam der »Kanalrebellen« resultierten nicht entscheidend aus der Arbeits- und Professionsstruktur der Verwaltungsorganisation (es sei denn, man verwechsle die mit viel Aufwand betriebene Behördenarithmetik und den Gegensatz Selbstverwaltung-Staatsverwaltung damit). Und wenn sie die Verwaltungs- oder Berufsstruktur tangierten, dann doch nur infolge, im Interesse und nach Maßgabe politischer Entschlüsse und Wünsche. Andere Spannungsmomente, solche, die sich aus der mit Aufgabendifferenzierungen verwobenen Spezialisierung ergaben, nisteten sich zwar auch seit den 1870/80er Jahren allmählich als Faktoren ein (sie wurden als Forderungen ζ. B. von höheren Eisenbahn- und Medizinalbeamten vernehm197
bar), spielten aber zunächst eine noch untergeordnete Rolle. Erst im 20. Jahrhundert wuchs ihre Bedeutung und Intensität, dann allerdings schnell, während die der politischen Streitigkeiten, wenn auch zum Preise des Sieges der Konservativen und der politischen Beamten, 26 noch vor Ablauf des 19. Jahrhunderts abnahm. Probleme der Verwaltung wurden nun unter der Hand zunehmend zum Problem der über funktionale und fachliche Sachzwänge wie etwa Arbeitsteiligkeit u. ä. gesteuerten Organisationsund Arbeitstechnologie. Das zeigte zuletzt auch die offizielle Auffassung von der Reform der preußischen inneren Verwaltung 1909, die einer solchen Gewichtung Rechnung zu tragen suchte. Auch das Ausbildungsproblem der höheren Verwaltungsbeamten verlor spätestens seit der Jahrhundertwende viel von seinem politischen Einschlag, den es in den davor liegenden 30 Jahren hatte und präsentierte sich deutlicher denn j e auch als Sachfrage. Und das Aufbegehren höherer Fachbeamter wurde mit ihrer wachsenden Zahl und Wichtigkeit auch immer stärker. Daß das höhere Beamtentum seine ihm oft nachgesagte ständische Geschlossenheit nunmehr auch nach außen hin kaum glaubwürdig zu behaupten vermochte, hatte viel mit dieser funktionalen Differenzierung zu tun. Wenn ihm dieser an sich sehr >moderne< Vorgang inmitten des allgemeinen Modernisierungsprozesses im Lande allerdings — denn davon muß man ausgehen - nicht zum Vorteil gereichte, sondern sich eher zu einer erheblichen beruflichen wie sozialen Ungereimtheit auswuchs, dann nicht, weil er stattfand, sondern weil er nicht weit genug gedieh. Der höhere Dienst blieb trotz gewisser auch offizieller Reformeinsichten, -vorhaben und -erwartungen professionell eine veraltete Monokultur. Er blieb zu sehr der Herrschaftsapparat, in dem auch das Herrschaftswissen - selbst unterhalb der Spitzenregion - sich weniger aus (juristischer) Fachkompetenz als vielmehr aus politisch-ideologischen Ansichten und Rücksichten speiste und in den neue Berufsinhalte erst recht schwer einsickerten. Er blieb also dominant auf seine alte regierende oder Ordnungs-Aufgabe ausgerichtet, obwohl dies weder die anstehenden Geschäfte noch auch die eigenen Ressort- und Personalproportionen in diesem Ausmaß mehr rechtfertigten. So schleppte die höhere Beamtenschaft immer schwerer werdende ungelöste Strukturprobleme mit sich, die, als Festschreibung von Anachronismen, sowohl zu Einbußen an Leistungseffizienz und zum Imageverfall wie auch, was in unserem Zusammenhang wichtig ist, zu ungerechtfertigten Benachteiligungen eines Teils des Personal führten. Am Beispiel der sogenannten Techniker, die während der ganzen hier behandelten Zeit im wesentlichen vergeblich gegen die Juristenvorherrschaft und die dahinter stehende generelle Unterdrückung der Sachautorität gestritten haben, lassen sich die negativen Züge dieser Entwicklung (besser: Entwicklungsstagnation) in mancherlei Hinsicht illustrieren. Schon die Bezeichnung verrät Negatives. Techniker hießen durchaus nicht nur Ingenieure und mit Baufragen aller Arten befaßte Fachbeamte, man 198
verstand darunter auch Förster, Ärzte, Veterinäre, Versicherungsrevisoren, Beamte der Schulverwaltung u. a. 27 und demonstrierte mit dieser Pauschalierung geringere Beachtung und Bewertung. Ursprünglich gab es diese Art höherer Beamten, wenn man die Verhältnisse seit Anfang des ^ . J a h r hunderts zugrunde legt, von den Ministerien abgesehen hauptsächlich in den Bezirksregierungen, nämlich als deren »technische Mitglieder«. O b wohl diese Kategorie einen vergleichsweise guten Posten innehatte und gegenüber dem später überwiegend anderswo, konkret in den Sonderverwaltungen, sich verbreitenden Technikertum eine höhere Geltung konservieren konnte, war sie den reinen Verwaltungsbeamten unterlegen; die technischen Regierungsmitglieder hatten ζ. B. bis 1905 im Plenum kein volles Stimmrecht und auch danach nur, wenn sie den Rang der »Räte vierter Klasse« erreichten. 28 Offenbar noch zweitklassiger waren die Techniker der Sonderverwaltungen, und mögen manche dieser Verwaltungszweige noch so technisch profiliert und somit in ihrem eigentlichen funktionalen Wert vom technischen Personal abhängig gewesen sein. Am frühesten, lautesten und hartnäckigsten machten jedenfalls die »höheren Techniker« der preußischen Eisenbahnen auf die ihnen entgegengebrachte mindere Wertschätzung aufmerksam, sie scheinen die auf Juristen zugeschnittene höhere preußische Beamtenkarriere als besonders irritierend erlebt zu haben. 29 Von den Verhältnissen, die dem Juristen gar noch in der Eisenbahnadministration bessere Chancen gewährten als ihnen selber, gaben sie u. a. diese lesenswerte Schilderung: »Nach Ablegung der Abiturientenprüfung bedarf der Jurist für ein abgeschlossenes Hochschulstudium 6, der Ingenieur 8 Semester Der Jurist wird 4Jahre als Referendar, der Ingenieur 3 Jahre als Regierungsbaufuhrer ausgebildet. Die Ernennung als Assessor erfolgt. etwa 9 Jahre nach Ablegung der Abiturientenprüfung, die zum Regierungsbaumeister wegen der längeren Examenszeit meist ein halbes Jahr später. Der Jurist (Gerichtsassessor), der sich der Eisenbahnlaufbahn widmen will, wird nach Einberufung zur Eisenbahnverwaltung nur ein Jahr lang probeweise und zur Ausbildung gegen Besoldung beschäftigt und sodann unter Ernennung zum Regierungsassessor als außeretatsmäßiger Hilfsarbeiter, aber sofort dauernd und unkündbar in den Staatseisenbahndienst übernommen. Etwa 7 bis 8 Jahre nach dem Assessorexamen, rund 35 Jahre alt, gelangt er zur etatsmäßigen Anstellung, und zwar sofort als Mitglied einer Eisenbahndirektion. Der Ingenieur (Regierungsbaumeister) dagegen wird, obgleich er bereits 3 Jahre als Regierungsbauführer tätig gewesen ist, erst nach einer weiteren 5jährigen Beschäftigungszeit unwiderruflich in den Staatsdienst übernommen. Außerdem bezieht er nicht wie der Jurist während der ganzen Probezeit Besoldung, sondern wird längere Zeit ohne Entgelt beschäftigt. Bei der etatsmäßigen Anstellung, die noch bis vor kurzer Zeit erst nach 10 bis 12 Jahren erreicht wurde, wird der Regierungsbaumeister nicht Direktionsmitglied wie der Assessor, sondern bleibt Hilfsarbeiter... bis er 199
nach. weiteren Jahren Vorstand einer der Direktion untergeordneten Inspektion wird. In dieser Stellung beschließen in den meisten Fällen die Ingenieure ihre Laufbahn, β30 War die berufliche und soziale Wertschätzung der Eisenbahningenieure im höheren Dienst besonders ungünstig, so war sie bei den technischen Beamten der allgemeinen Verwaltung mindestens nicht besonders günstig. Als Exempel kann man die Medizinalbeamten anfuhren. Seit 1883, der Gründung des »Preußischen Medizinalbeamten-Vereins«, hörte man auch von ihnen regelmäßig Reformwünsche, denn, wie es einmal in der Rückschau hieß, die »amtliche Stellung der Medizinalbeamten« zeichnete sich durch »völlige Unzulänglichkeit« aus. 31 Voll traf das zwar zunächst nur auf den »Kreisphysikus«, den späteren Kreisarzt, zu, weil die Ausstattung seiner Position offenbar am weitesten hinter den Anforderungen herhinkte, die die moderne öffentliche Gesundheitspflege stellte. Aber nicht nur die Kreisinstanz bot Anlaß zur Kritik. Zu bemängeln war auch die fachliche Zuweisung des staatlichen Medizinalwesens zum Kultusressort, einem Ministerium mit sehr zusammengewürfelter Zuständigkeit (nämlich für »Geistliche, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten«), bei dem die Mediziner sich in die Ecke geschoben fühlten. Über eine ausgesprochen mangelnde Anerkennung ihrer Arbeit klagten sie ferner im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Provinzial-Medizinalkollegien. Aber selbst die Beschäftigung bei den Regierungen, das dankbarste Arbeitsfeld, ließ trotz der 1905 erfolgten Statushebung der »Regierungs- und Medizinalräte« (so der offizielle Titel) zu wünschen übrig. Die Bilanz 1908: »Die Bezirksinstanz ist zweifellos diejenige, die sich im allgemeinen gut bewährt hat; sie leidet nur an dem Fehler, daß die betreffenden technischen Beamten den anderen Regierungsräten gegenüber benachteiligt sind; denn einmal werden sie erst in höherem Lebensalter (von durchschnittlich 44—45 Jahren) befördert, andererseits haben sie nur geringe Aussichten auf eine weitere Beförderung in eine besser dotierte Stellung«. Die einzige wirkliche Veränderung gegenüber früher sei, so wurde sarkastisch hinzugefügt, daß die Arbeitslast »ganz außerordentlich zugenommen« habe. 32 Einigermaßen behaglich konnten die höheren Reichs-Post- und Telegraphenbeamten ihre Stellung finden, nachdem ihnen 1908 ein eigenständiger und exklusiver akademischer Ausbildungsgang eingerichtet worden war, der sie wenigstens vor juristischer Überfremdung in der eigenen Sparte schützte. 33 Er schützte sie freilich nicht vor den Nachteilen einer Schmalspurlaufbahn, im Gegenteil. Gerade die Bezeichnung »Postrat« (behaftet auch mit der Erinnerung an den früher aus einem »mittleren« Zugang rekrutierten höheren Postdienst) behielt weit über die hier zur Debatte stehende Zeit hinaus einen abwertenden Beiklang. Obwohl wahrscheinlich alle >Techniker< im höheren Dienst sich bewußt darüber waren, daß sie kraft ihrer Laufbahnzugehörigkeit eine gegenüber der mittleren Beamtenschaft unvergleichlich bessere, elitäre Position im 200
Verwaltungskörper bekleideten,34 war und ist nicht zu verkennen, daß ihre Geltung keinen Vergleich mit der der höheren Verwaltungsbeamten aushielt. Nicht nur, weil ihre Besoldungen und Karriereaussichten, ungeachtet finanzieller Aufbesserungen 1909, spürbar bescheidener blieben. Ihr Ansehen blieb ebenfalls zweitklassig. Sie rannten sich bildlich gesprochen an den Begrenzungen eines Dienst- und Arbeitsverhältnisses fest, die auf die Bedürfnisse der Ordnungsverwaltung und des juristisch vorgeprägten >Generalisten< zugeschnitten war, nicht jedoch auf die des Technikers und seines typischerweise >leistenden< Aufgabenprofils. Die Behördenobrigkeit verstand es nicht, oder nicht so recht, in den Forderungen dieser Beamten auch die Manifestation struktureller Verschiebungen zu sehen. Und schon gar nicht vermochte (oder wollte?) sie realisieren, daß die Techniker durch die verwaltungsinternen Benachteiligungen gleichzeitig »empfindlichen gesellschaftlichen Zurücksetzungen« 35 ausgesetzt wurden. Den höheren Technischen Eisenbahnbeamten, die u. a. auf diese Komponente ihres Daseins explizit aufmerksam gemacht hatten, wußte der Minister der öffentlichen Arbeiten ζ. B. nur zu erwidern, sie zeigten bei der Verfolgung ihrer Interessen »vielfach ein[en] Mangel an der richtigen Empfindung für die ihnen durch ihre Dienstpflicht auferlegten Schranken«.36 Mit den Technikern wuchs also unter den bestehenden Bedingungen ein Typ des dienstlich und sozial unterprivilegierten höheren Beamten heran, dem der Glaube an den guten Sinn des besonderen Gewaltverhältnisses wesentlich schwerer fallen durfte als dem reinen Verwaltungsbeamten, genauso wie der Anschluß an die Herrschaftseliten. Ihre faktische Unterprivilegierung nahm paradoxerweise sogar in dem Maß zu, in dem das Bedürfnis nach ihrer Arbeit stieg, ohne daß sich an ihrem Status Bedeutendes änderte. Und daran änderte sich vor dem Ende der Monarchie in der Tat nichts Wesentliches. Es sei denn, daß das Mißverhältnis zwischen ihrem Status und ihrem funktionalen Gebrauchswert sich noch weiter vergrößerte. Dies übrigens nicht nur qualitativ. Denn die Techniker hatten einen mittlerweile beachtlichen Anteil an der Arbeit des höheren Dienstes. Man kann dies wenigstens annäherungsweise an ihrer zahlenmäßigen Stärke demonstrieren. Während noch für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts diese Zahl eher in Hunderten angegeben werden kann, betrug sie kurz vor dem Weltkrieg bereits Tausende, konkret etwa knapp 3500 in den preußischen Verwaltungen, und, will man sie berücksichtigen, noch einmal rund 3500 bei Post und Telegraphie.37 Bedeutende Kontingente höherer technischer Beamter im engen Sinn beherbergten außerdem die inzwischen ζ. T. sehr voluminösen Stadtverwaltungen. Auch wenn die Kommunalbeamten nicht als eigentliche, unmittelbare Staatsbeamte galten, prägten die an den großstädtischen Versorgungsbetrieben angestellten Ingenieure u. ä. doch das Bild der technischen Intelligenz im öffentlichen Dienst stark mit, gehörten also in diesem Sinne auch dazu. Nimmt man weniger technisch profilierte Verwaltungen hinzu bzw. Beamte, die weder der geläufigen Einschätzung 201
noch der Funktion nach Techniker waren (Zoll- und Finanzbedienstete, Beamte der vielen kleineren Sonderämter wie ζ. B. der königlichen Seehandlung, der Verwaltung der Staatsschulden und dgl. ferner wissenschaftliche Bibliothekare, Archivare, Hochschullehrer oder auch die Oberlehrer usw.), k o m m t man auf noch wesentlich höhere Zahlen. Ungleichheit unter höheren Beamten stiftete nicht nur die Dienststellung und Dienstrichtung. Sucht man nach weiteren Faktoren, die solches bewirkten, so drängt sich noch als Beispiel die Besoldung nachgerade auf. Man muß die Besoldungsfrage, präziser die Erosion der Gehälter, nicht nur deswegen für relevant halten, weil dabei etwas zu Bruch zu gehen drohte, was trotz Rangstufenunterschieden jeden höheren Beamten zu einer Lebenshaltung auf dem erforderlichen Mindestniveau ständischer Kompatibilität untereinander und zu ständischer Distanz zu Nichtkompatiblen befähigen sollte, nämlich die standesgemäße Alimentation. Die Unzulänglichkeiten der Besoldung, teils ein Ergebnis der begrenzten Haushaltsmittel, teils aber auch der aus dem offiziellen Berufsbild noch nicht getilgten Vorstellung von der Zumutbarkeit partieller Selbstfinanzierung, ist auch darum besonders bedeutungsvoll, weil sie Beamte - oft existenziell - auf private materielle Ressourcen verwies, d. h. ihr berufliches Dasein von außerberuflichen Faktoren abhängig werden ließ. Konkret beeinträchtigte dies die beruflichen Chancen der von Haus aus nicht Wohlhabenden, gleich wie qualifiziert sie sein mochten, zugunsten von Vermögenden. Derlei Benachteiligung wirkte sich nicht nur in der Dienstsphäre aus. Man kann sie in bezug auf die Stellung der Betroffenen in der Gesellschaft ebenso ausmachen. Die spätestens seit Mitte der 1890er Jahre sich wieder verstärkende Konjunktur und die steigenden Verdienstmöglichkeiten in der Wirtschaft hatten es mit sich gebracht, daß der höhere Beamte im Schnitt »nach bürgerlichen Begriffen« 38 nunmehr eher ärmlich entlohnt wurde. Gepflegte Lebensführung war eben zum Massenphänomen geworden, und die Ansprüche an sie verschoben sich durch eine »an Zahl. zunehmende Plutokratie« beständig nach oben. 39 Entwicklungen wie diese relativierten noch so große Anstrengungen der Beamten, sich und ihren Familien ein standesgemäßes Dasein zu sichern bzw. erschwerten das Mithalten erheblich. Dies übrigens u m so mehr als mit der ansteigenden allgemeinen Prosperität einerseits der Stellenwert immaterieller Lebensmaximen sank, andererseits die Beamtenschaft gegenüber den Verlockungen der Konsum- und »Luxus«-Welt offensichtlich nicht immun blieb. 40 Den Mangel zu verklären, wie einst in der großen Zeit Preußens, war unattraktiv geworden. Es liegt auf der Hand, daß die abnehmende Konkurrenzfähigkeit der Dienstbezüge gewichtige berufliche und soziale Folgen zeitigte. Wer kein eigenes oder angeheiratetes Vermögen hatte, keine lukrative Nebenerwerbsquelle oder kein aus amtlichen Repräsentationsfonds indirekt verstärkungsfahiges Spitzengehalt, vermochte den vom höheren Dienst erwarte202
ten Lebenszuschnitt zuverlässig kaum mehr zu realisieren. Daß auf diese Weise Zugehörigen der sozialökonomisch herrschenden Schicht, besitzenden Adeligen ebenso wie Söhnen »millionenschwerer Kommerzienräte«, 41 die weit besseren Voraussetzungen für den Beamtenberuf zuflössen, leuchtet nun auch mehr ein. Ihnen in erster Linie erschloß sich der Zugang zu Positionen amtlich fundierter sozialer Herrschaft einfach schon deswegen, weil sie dem für hohe Karrieren nach wie vor nahezu unerläßlichen aber immer kostspieligeren Repräsentationsgebot optimal genügen konnten. Einem materiell offensichtlich nicht gut gestellten »höheren Verwaltungsbeamten« entfuhr es angesichts dieser Lage: Diejenigen, die kein »größeres Privatvermögen besitzen«, werden ». dadurch benachteiligt, daß ihre finanziell besser gestellten Berufsgenossen gesellschaftlich mehr hervortreten und es deshalb oft in ihrer Laufbahn weiter bringen«. 42 Und ein anderer, der sich um den damit verbundenen ethisch-moralischen Verfall sorgte, schrieb um 1913: Es sei »nicht mehr das Amt«, das den Beamten hebe »wie früher«, gegenwärtig höben vielmehr die Beziehungen und das Vermögen des Beamten seine »amtliche Stellung«. 43 Deutlich zu machen gilt an diesem Punkt, daß sozialökonomische M o mente als Faktor dienstlicher und über die Dienststellung vermittelter sozialer Vorherrschaft in der höheren Beamtenlaufbahn spätestens seit Beginn des 20. Jahrhunderts, wie es scheint, immer stärker zur Geltung kamen. Auch auf diese Weise, wie schon auf dem Wege der unterschiedlichen B e wertung prinzipiell gleichwertiger Kompetenzen (Benachteiligung der >TechnikerErfindungen< der ersten Kriegsphase nicht nur als eine Art Fortsetzung der 1913/14 praktisch gescheiterten preußischen Verwaltungsreform mit anderen Mitteln, sondern insbesondere auch als die konkrete Ausformung künftiger Bedingungen und Formen der Staatsrolle und ihrer organisatorisch-funktionalen Verwirklichung. Dies alles mag um so plausibler wirken, als man in Deutschland die gemischtwirtschaftliche Ordnung an sich nicht erst seit dem August 1914 kannte und auch ausgesprochen gemeinwirtschaftliche Vorstellungen auf eine gewisse Tradition zurückgreifen konnten; die verwaltungsorganisatorische wie -konzeptionelle Entwicklung im Krieg, so spontan oder improvisierend sie anmutete, entbehrte nicht ganz der Kontinuität. 17 Dies gilt allerdings am ehesten für das Gebiet theoretisch-ideologischer Reflexionen, wo die tiefsten Wurzeln zu finden sind. Die Praxis bot nur wenige und schwache Ansätze. Über kriegswirtschaftliche Fragen wurde zwar in verschiedenen Ministerien schon seit 1906 gesprochen, zunächst allerdings sehr sporadisch und ohne greifbare Folgen. Erst 1912, nach dem Balkankrieg, belebte sich die Diskussion. 18 Aus ihr resultierten konkrete Überlegungen zur »wirtschaftlichen Kriegsbereitschaft«,19 die den Rahmen der seit dem deutsch-französischen Krieg 1870/ 71 üblichen Planspiele zur Versorgung insbesondere von »Festungen« mit Vorräten20 sprengten. Außerdem entstand eine ständige Kommission für wirtschaftliche Mobilmachung. Die meisten Impulse gingen wahrscheinlich vom Reichsamt des Innern aus, wo Staatssekretär Clemens von Delbrück offenbar versuchte, gewisse Präventivmaßnahmen in die Tat umzusetzen. Obwohl man dabei noch keineswegs in den Maßstäben der späteren Kriegswirklichkeit dachte und im übrigen wieder so gut wie nichts Handfestes erreichte, stieß man immerhin zu Vorstellungen vor, nach denen die Realisierung der notwendigen Maßnahmen im Ernstfall ausschließlich »auf bürokratischem Wege« als abwegig erschien. Auch enthielten sie im Kern die Idee der nachmaligen Kriegsgesellschaften.21 Das Bild, das Kriegswirtschaft und Kriegsverwaltung als eine auch von neuen Impulsen, von Initiativ- und Improvisationsgeist mitgeprägte Art zu wirtschaften und zu administrieren geboten haben mögen, änderte sich allerdings nach nicht allzu langer Zeit gründlich. Schon 1915 begann ein neuer, 1916 voll dominierender Umschwung, der sich durch zunehmende Reglementierung der Kriegswirtschaft bzw. Einschnürung jener in die Verwaltung sich einnistenden Bewegungsfreiheiten kennzeichnete. Man könn208
te versucht sein, das, was sich dabei herausbildete, als die w a h r e G e m e i n wirtschaft, auch Zentralverwaltungswirtschaft oder Staatssozialismus genannt, zu begreifen, ein System, in d e m der Staat nicht nur einfach i m m e r m e h r ursprünglich a u t o n o m e Bereiche der Privatwirtschaft, ja soziale Freiräume unter seinen Einfluß bringt, sondern dies auch eindeutig im Zeichen umfassenden Z w a n g e s und organisatorisch in Gestalt voller Zentralisier u n g u n d lückenloser Weisungsabhängigkeit, d. h. letztlich in klassisch b ü rokratischer Manier tut. Das hieße allerdings, die Tendenz der nach 1915 tatsächlich geübten Praxis mit der ursprünglichen Idee der G e m e i n w i r t schaft verwechseln. Z u m i n d e s t bei den bekanntesten Protagonisten der deutschen Gemeinwirtschaft, Walther Rathenau und Wichard von M o e l lendorff, aber auch in den Konzeptionen vieler anderer, darunter O t t o Hintze, 2 2 ist die Idee keineswegs einseitig u n d dominant restriktiv gefaßt gewesen. Vielmehr w u r d e Wert gelegt auf die Erhaltung, sogar Förderung abürokratischer Strukturen, auf persönliche Initiative, individuelle Leistung u. ä. i m R a h m e n einer statt auf den »Kult des Portemonnaies« 2 3 auf das Gemeinschaftsinteresse ausgerichteten O r d n u n g . Selbst angesichts ihres Staatsexpansions- und eines gewissen generellen Verbeamtungseffektes 24 brauchte die Gemeinwirtschaft keine Bürokratisierung im o r t h o d o x e n Sinn zu bedeuten, intendierte hier doch die potentiell unbeschränkte Ausd e h n u n g der öffentlichen Bürokratie nicht so sehr die Herrschaft der alten O r d n u n g s - , wie vielmehr die Weiterentwicklung der Leistungsverwaltung. U n d der Letzteren war eher Debürokratisierung adäquat. Aber das war eben nur eine Idealvorstellung, die mit der Wirklichkeit nicht übereinzustimmen brauchte. In bezug auf die Realität kann m a n durchaus der M e i n u n g sein, daß die verwaltungsorganisatorischen u n d -prozeduralen H e r v o r b r i n g u n g e n der ersten Kriegsmonate strukturinnovatorisch k a u m m e h r waren (und blieben) als Versprechungen, sei es weil sie sich in der i m m e r vertrackter werdenden Notlage ohne konventionelle Durchbürokratisierung praktisch nicht bewährten, sei es weil vielleicht nur wenige i m Staatsapparat (zumal in dessen oberen Rängen) sich ernsthaft vorstellen konnten, die u n g e w o h n t e Verschränkung v o n öffentlicher Verwaltung u n d Privatwirtschaft (selbst w e n n m a n daran als R a h m e n festhielt) nicht bald bürokratisch konsolidieren zu müssen. 2 5 Jedenfalls k a m es, wie schon gesagt, tatsächlich zu i m m e r m e h r hierarchiebetonter Zentralisierung, zur Intensivierung strenger Befehls-Gehorsams-Verhältnisse i m Verwaltungshandeln u n d zur Verhinderung der E n t faltung nicht nur des kaufmännischen Geistes, sondern auch der k a u f m ä n nischen u n d anderweitigen Sachautorität. Die entscheidende M a ß n a h m e in diesem Z u s a m m e n h a n g bildete die i m Frühjahr 1915 eingeleitete Z w a n g s wirtschaft auf d e m Lebensmittel- u n d Rohstoffsektor, denen allmählich alle anderen Gebiete folgten. 2 6 N u n m e h r w u r d e n die P r o d u k t e nicht nur wie bisher zwar Kriegszwecken zugeführt aber sonst der verhältnismäßig freien Bewirtschaftung durch die Kriegsgesellschaften überlassen, sondern zu
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Kriegszwecken konfisziert. Das bedeutete das Ende oder doch den Anfang vom Ende der relativen Autonomie der Kriegsgesellschaften und der staatlichen Stellen in der Gestaltung der Kooperationsverhältnisse. Lebensmittel, Futtermittel, Industrierohstoffe, Bekleidung usw. wurden ausdrücklich staatlicher Besitz, der Staat allein verfugte über sie und bestimmte bzw. organisierte ihre weitere Verwendung. Mag vor dieser Zeit eine Balance zwischen Staatsbürokratie und Privatwirtschaft innerhalb der gemeinsamen Bewirtschaftung von Gütern möglich erschienen sein, das Zwangssystem (das die staatliche Komponente eindeutig stärkte) entzog einem solchen Gleichgewicht jedenfalls rasch den Boden. Die Kriegsgesellschaften wurden spätestens von da an zu mehr oder minder reinen Ausfuhrungsorganen der staatlichen Regie. 27 O b man wollte oder nicht, wurde damit den gemischten Verwaltungen jede »Möglichkeit der freieren Entfaltung genommen«, 2 8 die »autoritative«, und das hieß auch büromäßige Geschäftsführung 29 gewann die Oberhand. Am längsten hielten sich gewisse Freiheiten und informelle Praktiken in den Kommunalverbänden, d. h. den Getreide-, anderen Nahrungs- und Futtermittelgesellschaften, obwohl deren durchgehende Verbreitung, wie es scheint, erst nach Einführung der Zwangswirtschaft erfolgte. Der Grund für die stärkere Behauptung von relativer Bürokratiefreiheit trotz und entgegen der Intention der Zwangswirtschaft war, mindestens was preußische Verhältnisse angeht, die überlieferte Art landrätlicher und auch kommunaler Amtspraxis, die sich schon vor dem Krieg dem generellen Trend etwas entzog, sich vollends bürokratisieren zu lassen. Außerdem spielte die mutmaßliche Neigung vieler Landräte, die Interessen agrarischer Produzenten auch auf Kosten des staatlichen Einflusses zu stützen, 30 eine Rolle. Daß die fortschreitende Durchstaatlichung nicht nur die Abhängigkeit der beteiligten Selbstverwaltungen besiegelte, sondern auch die organisatorische und damit bürokratische Dichte der Kriegsverwaltung erhöhte, läßt sich anhand der für Bürokratisierungsvorgänge typischen Konzentration der Kompetenzen in geographisch wie hierarchisch immer zentraleren Spitzenbehörden nach vollziehen. Im Falle des Ernährungssektors ging das so vor sich: Ursprünglich versahen die Kreise und die kreisfreien Städte die Lebensmittelversorgung in ζ. T. spontan wahrgenommener, jedenfalls aber in regional jeweils abgegrenzter Verantwortung. Es bestand zwar seit dem November 1914 eine zentrale »Kriegsgetreidegesellschaft«, aber sie spielte nur eine die Tätigkeit der Kommunalverbände im kaufmännischen Bereich ergänzende Rolle ohne Exekutivbefugnisse. Mit der Einführung der Zwangswirtschaft im Frühjahr 1915, die auf dem Lebens mittelsek tor zuerst das Brotgetreide (gemäß der Bundesratsverordnung vom 25.Januar 1915 zur Brotgetreideordnung) traf, avancierte die Kreisinstanz offiziell zur Exekutive der Lebensmittelversorgung. Gleichzeitig wurde die bis dahin geltende Dezentralisierung der Kompetenz aufgehoben, und zwar dadurch, 210
daß man im Reichsamt des Innern eine »Reichsverteilungsstelle« als übergeordnete Behörde der Brotgetreidewirtschaft errichtete. U m die nun zwischen der Reichsverteilungsstelle, der bestehen gebliebenen allgemeinen Kriegsgetreidegesellschaft und den regionalen oder kommunalen Ausfuhrungsstellen dreigeteilte Arbeit besser koordinieren zu können, hielt man schon bald eine neue Einrichtung für notwendig. Sie entstand am 4. März 1915 unter dem Namen Reichskommissiariat für Getreidefragen. Dabei blieb es aber nicht. Noch im gleichen Jahr fand die Vereinigung der Kriegsgetreidegesellschaft, der Reichsverteilungsstelle und des Reichskommissariats in einer »Reichsgetreidestelle« statt. Nach dem Muster dieser Zentralinstanz für Brotgetreide wurde die Verantwortung nun nach und nach auch für andere Lebensmittel in solchen Stellen (Reichskartoffelstelle, Reichszuckerstelle, Reichsfleischstelle, Reichsfettstelle usw.) zusammengefaßt. Als nächster Schritt erfolgte Ende Mai 1916 die Errichtung des nunmehr für alle diese Lebensmittelbranchen bzw. -reichssteilen generell letztinstanzlich zuständigen »Kriegsernährungsamtes«. Es sollte die Administration der gesamten Kriegsernährung straffund einheitlich durchführen. Wenig später fand man aber, daß ihm die notwendige Exekutivgewalt fehlte. Deshalb schuf man am 17. Februar 1917 eine noch ranghöhere, alleroberste Zentralexekutivinstitution auf Ministerialebene, die die Bezeichnung »Preußischer Staatskommissar für Volksernährung« trug und ein »unmittelbares Anweisungsrecht bis zur untersten Verwaltungsbehörde« 31 erhielt. Die Ausgestaltung dieser Behörde als preußisches Amt erscheint zunächst irreführend. In Wirklichkeit bekam der preußische Volksernährungskommissar durch eine komplizierte Ermächtigungskonstruktion, die man wählen mußte, weil die Schaffung einer Reichsexekutive auf dieser Ebene verfassungsrechtlich nicht möglich war, die Zuständigkeit für das ganze Reich. 32 Je länger der Krieg andauerte, desto stärker wurde auch auf anderen Gebieten die bürokratische Zentralverwaltungswirtschaft ausgebaut. Die Kriegsrohstoffabteilung des preußischen Kriegsministeriums beispielsweise ging im November 1916 in einem erweiterten, nicht allein für Rohstoffe, sondern für die gesamte militärisch relevante Industrie zuständigen sogenannten »Kriegsamt« auf. Es blieb formal eine Abteilung des Kriegsministeriums, doch tatsächlich genoß es eine Quasi-Unabhängigkeit als Zentrale auf seinem Gebiet und regierte — über eine ähnliche Hilfskonstruktion wie der preußische Ernährungskommissar - reichsweit. Wichtig war dabei nicht nur die Konzentration an der Spitze, sondern auch, daß das Kriegsamt einen unmittelbaren Exekutivunterbau in Gestalt der in jedem Armeekorpsbezirk am Sitz des stellvertretenden Generalkommandos errichteten »Kriegsamtsstellen« bekam. Nun konnte, so erwartete man, denkbar zentral, denkbar straffund exakt gearbeitet werden. 33 Ein bürokratisches Regiment war mit alledem nicht einmal immer beabsichtigt. Georg Michaelis z . B . , der als Ernährungskommissar die Kom211
munalverbände 1917 in die Weisungsabhängigkeit gegenüber der zentralen Autorität zurückführte, war 1915 vor den »fürchterlichen Konsequenzen« der notwendigerweise »rein schematischen« Zwangswirtschaft bange gewesen. Merkwürdigerweise erhoffte er nun gerade von der Zentralisierung die Auflockerung der nach seiner Meinung seit 1915 zu bürokratisch gewordenen Zustände. 34 General Groener, Leiter des Kriegsamtes, war in ähnlicher Weise mit dem Vorsatz an seine Arbeit gegangen, bürokratische Ineffizienz zu überwinden. 35 In der Praxis verstrickten sich aber auch diese im übrigen rasch zu riesigen Organisationen heranwachsenden Behörden 36 wie fast alle anderen immer mehr in ausgeprägt büromäßiges Verwalten. Vergleichbares widerfuhr anderen organisatorischen Maßnahmen und Organisationen, die im Zeichen fortschreitend strenger werdender Reglementierung von immer mehr Bereichen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Hindenburg-Programm und dem vaterländischen Hilfsdienstgesetz, seit Mitte 1916 entstanden. Man wollte das fachmännische und unbürokratische Potential der Kriegsgesellschaften oder einzelner Experten durchaus weiterhin nutzen und niemand erstrebte bewußt bürokratische Umständlichkeiten oder Leerlauf. Dennoch kam es zur Einschnürung von Initiative und von Freiräumen, zum »lähmenden« Bürokratismus 37 und zur Ineffizienz. Ob es nun im Zuge von Zwangssyndizierungen in der Wirtschaft (ab Frühjahr 1917) oder Etablierung neuer Ämter in der Verwaltung wie des Reichswirtschaftsamts (21. Oktober 1917) geschah, die »bürokratisch-obrigkeitsstaatliche Vorsorgepolitik« und/oder die »obrigkeitlich-bürokratische Zwangsgewalt« gewannen eine zuweilen bis zur »Vergewaltigung« unbürokratischer Regungen reichende Dominanz. 38 Hält man nach den Ursachen Ausschau, so kann man generell auf tradierte Ordnungsvorstellungen verweisen, aus deren Sicht die Anfänge der Kriegsverwaltung sich schlicht als Chaos ausnahmen und darum beseitigt werden mußten. Man kann verweisen auf Beharrung durch Gewohnheit, ein bürokratisches Verhalten, dessen man sich vielleicht gar nicht bewußt war, so wie ζ. B. der Oberpräsident der Rheinprovinz, der 1917 ein Schreiben an seine Regierungspräsidenten über den künftigen Verzicht auf umständliche (das Schreibwerk aufblähende) Höflichkeitsfloskeln wie »gehorsamst«, »ergebenst« , »beehrt sich ergebenste u. ä. mit der Wendung schloß: »Euerer Hoch wohlgeboren gebe ich hiervon ergebenst Kenntnis.«39 Es gab natürlich auch speziellere Ursachen. Verantwortlich fur die Umstellung auf die Zwangsbewirtschaftung etwa, die ihrerseits Quelle so vieler Eingriffe, Ordnungen, Regeln, Erlasse, Anweisungen, Formulare und anderer, selber administrationsbedürftiger administrativer Hilfsmittel (ζ. B. Brotkarten) wurde, waren wirtschafts- und sozialpolitisch als untragbar geltende Entwicklungen wie hochschnellende Preise und Schwierigkeiten der industriellen wie agrarischen Selbstverwaltung mit dem Grundsatz, dem öffentlichen Wohl statt Partikularinteressen zu dienen.40 Daneben war eine wichtige Ursache die spürbare Verknappung der Vorräte 212
aller Art. Wie findig und unorthodox die einzelnen (im Nahrungsmittelwesen primär kleinen, regionalen) Kriegsgesellschaften bzw. Mischverwaltungen auch arbeiten mochten, sie wiesen eine unter dem beginnenden Diktat des Mangels verbreitet als nachteilig empfundende Eigenschaft auf: sie garantierten keine Gleichmäßigkeit. Aus diesem Grund mußten sie, so wurde offensichtlich an maßgeblichen Stellen, aber auch in der allgemeinen Öffentlichkeit geurteilt, einer wirksamen Regelhaftigkeit unterworfen werden, damit die in der gegebenen Situation zu Priorität gelangte Symmetrie und Zuverlässigkeit der Beschaffung und Verteilung gewährleistet sei. 41 Ganz besonders gilt dies in bezug auf die Ernährung, wo durch die Zersplitterung der von Kreis zu Kreis abgegrenzt organisierten Gesellschaften ein wohl teilweise »grotesker Partikularismus« zustande gekommen war. 42 Vorgänge dieser Art, der damit verbundene Preisauftrieb, dazu erste Proteste aus der Bevölkerung, erleichterten, ja geboten die Einfuhrung der »obrigkeitlichen Bewirtschaftung« des Brotes, der Kartoffel und nach und nach aller Nahrungsmittel, 43 ebenso wie die fortschreitende Verschlimmerung der Versorgungsvoraussetzungen den Wunsch nach Zentralisierung der Geschäfte möglichst in »einer selbständigen obersten Reichsbehörde mit diktatorischer Gewalt« 44 verstärkte. Ein wesentliches Movens der Reglementierung der Kriegsverwaltung war auch das Militär. 45 Aufgrund des Ermächtigungsgesetzes vom 4. August 1914 stiegen die stellvertretenden Generalkommandos zur obersten Exekutivmacht auf und fühlten sich, nicht nur aus diesem Grund, jetzt aber um so stärker, als Ordnungsfaktor, und sie strebten natürlich danach, sich als solcher auch gegenüber der ihnen jetzt unterstellten Zivilverwaltung Geltung zu verschaffen. Den Ordnungsvorstellungen der Militärs nun, so scheint es, widerstrebte in der Regel jede Freizügigkeit und Informalität der Verwaltung. Ihnen mußten vor allem die improvisatorischen Praktiken vieler Zivilstellen in den ersten beiden Kriegsjahren ganz inakzeptabel vorkommen. Aber auch später, als in den zivilen Behörden selbst sich mehr Formalisierung, Zentralisierung und überhaupt Büromäßigkeit durchsetzte, fanden die Generalkommandos und auch die Oberste Heeresleitung die staatliche Administration noch zu zerfahren, lasch, ja unbekümmert, um nicht zu sagen verspielt. 46 Die Militärs erfuhren eine nicht unerhebliche Unterstützung durch Teile der Öffentlichkeit, die, in Verfolgung von Konsumenteninteressen, die Unregelmäßigkeiten der Lebensmitteladministration und die steigenden Lebensmittelpreise usw. nicht länger hinnehmen wollten und einen militärischen Ernährungsdiktator bzw. eine militärische Wirtschaftsführung und auf jeden Fall eine Zentralisation (Konzentrierung der Entscheidungen in einer starken Hand) forderten. 47 Obwohl die Zivilbehörden, so urteilten die stellvertretenden Generalkommandos im September 1916 in diesem Zusammenhang, die Lebensmittelnot sehen, sei ». der Gleichmut unbegreiflich, der bei einzelnen maßgebenden Stellen dieser von Tag zu Tag mehr drängenden Frage gegenüber immer noch zu 213
bestehen scheint, und die Ursache ist, daß die notwendigen Anordnungen so langsam und nicht durchgreifend genug getroffen werden«. 48 Als dann von der zweiten Hälfte 1916 an, unter nunmehr dominant militärischer Führung, die totale nationale Kraftanstrengung in Gang kommen sollte, verlangten die militärischen Kommandostellen nicht nur von der Zivilbevölkerung bessere, sprich besser organisierte Arbeit, sondern verwalteten auch in erhöhtem Maß selber mit. Zu größerer Rationalität führte das entgegen den Erwartungen zwar nicht, wohl aber zur Eskalation der Büroarbeiten und der Büroförmigkeit, allein schon infolge des spätestens jetzt hypertroph werdenden Doppelregierens. 49 Man muß, wenn man nach Ursachen sucht, auch bedenken, daß die voll reglementierte Wirtschaft, zu der in irgendeiner Form der Krieg vermeintlich zwang, das Ausmaß der staatlichen Eingriffe in das Wirtschafts- und Sozialleben in beispielloser Weise erhöhte, d. h. grundsätzlich wesentlich mehr Verwaltung erforderte als die Vorkriegsordnung. Dies ist nicht allein als Expansion durch Addition neuer Verwaltungsbereiche zu den bis dahin wahrgenommenen zu verstehen. Das Ideal der Gemeinwirtschaft, so man sich daran hielt, gebot darüber hinaus eine höhere Verwaltungsintensität. Die deutsche Gemeinwirtschaftsidee ging im Grunde von der Voraussetzung extremer (technologischer) Rationalität und umfassender, durchaus »straffer Organisation« 50 von Produktion und Distribution aus, allgemeiner formuliert von der Vorstellung eines geschlossenen Funktionssystems, in dem alles aufs Beste aufeinander abgestimmt zu sein hatte. 51 Letztlich rief sie damit, ungeachtet ihrer antibürokratischen Prämissen, die Urgesetzlichkeit der Bürokratisierung an, wonach (im Weberschen Verständnis) gerade komplexe sozialökonomische Strukturen, wie es die gemeinwirtschaftliche sein mußte, unausweichlich Bürokratie - als vollendetste Form organisatorischer Rationalität - produzierten. Darin ist kein geplantes Element, sondern eher ein Widerspruch der Gemein wirtschaftstheorie zu sehen, die ja mit Bürokratie, zumindest mit der klassischen Bürokratie, nichts im Sinn hatte, 52 sie aber durch eine Hintertür dennoch hereinließ. Als diese Hintertür könnte die Inkonsequenz erkannt werden, die darin bestand, daß die Gemeinwirtschaft trotz ihrer hochgradigen Organisationsbedürftigkeit sich (der offiziellen preußisch-deutschen Staatsbeamtenideologie nicht unähnlich aber ohne deren Zwangsmittel) zu sehr auf rationell nicht herstellbare, ethisch-voluntaristische Faktoren wie Einsicht, Selbstlosigkeit, Disziplin, Gemeinschaftsbewußtsein oder gar »wissenlosen Drang« verließ. 53 Solche Eigenschaften sollten die »Mechanisierung«, worunter z.B. Walter Rathenau auch den Zwang der Moderne zu rationaler Organisation verstand, überwinden. 5 4 Versagten sie aber und das war die vernachlässigte Konsequenz - , blieb, grob gesprochen, das Bürokratische zurück. Dies übrigens u m so mehr, als die Realisierung der Gemeinwirtschaft alles in allem eher die Ausweitung des staatlichen Einflusses auf die Privatwirtschaft bedeutete als umgekehrt, d. h. die Begünsti214
gung einer potentiell weit stärker bürokratische als neue Formen der Verwaltung versprechenden Tradition. In der Tat entwickelten weder die Unternehmer 5 5 noch der Staat oder die Staatsbeamten, noch auch die bei der Durchführung von Kriegswirtschaft und Kriegsverwaltung Schlüsselpositionen einnehmenden Militärs die ihnen zugedachten Tugenden im erforderlichen Maß. Die positiven Ansätze verkümmerten und/oder wurden von einer dem Ideal immer mehr widersprechenden Praxis majorisiert, so daß statt einer den obrigkeitlichen Wohlfahrtsstaat zum genossenschaftlichen Volksstaat veredelnden Gemeinwirtschaft bald (spätestens ab Ende 1916) der streng bürokratische Staatssozialismus ins Haus stand. Wichard von Moellendorff, der anfangs so viel von der Militärverwaltung erhofft hatte, schrieb im März 1917 in einem aufschlußreichen »Menetekel«: »Am Anfang des Krieges war keine Behörde so vorsichtig mit dem Ausbau neuer Stellen wie das Militär. In der KRA (Kriegsrohstoffabteilung) galt es Anfang 1915 noch als guter Ton, einfach und langsam zu organisieren und sich im Amt möglichst wenig mit falschen Verantwortungen zu belasten. Später verschwanden die H e m m u n gen. Man baute kindisch und hastig weiter, Schachtel an Schachtel, ohne Plan und Stil, das typische Gebäude eines Konstrukteurs, der die Methode ohne den Geist der Aufgabe erfaßte und sich in der komplizierten statt in der komplexen Lösung gefiel. Dazu kamen bureaukratische Gewohnheiten und die militärischen Starrheiten als Baumittel, die jedem Unsinn zu einer gefährlichen Dauerhaftigkeit verhalfen. Statt zu vereinheitlichen und das Wesentliche mit Nachdruck auszustatten, fuhr man im schlechten Sinne fort, woraus beispielsweise der wasserkopfartige Stab des Kriegsamtes, das maschenreiche aber undichte Netz der Außenstellen usw. entstanden. Das Militär übertrifft heute selbst die Reichsämter darin, daß der Ertrag zum Aufwand seiner Organisation in lächerlichem Mißverhältnis steht.« 56 Es geht aus dieser Stellungnahme hervor, daß die Gemeinwirtschaft als Stifter neuer, unbürokratischer Verwaltung 1914—1918 eher versagt als reüssiert hat 57 (womit sich u. a. die hier nicht beantwortbare Frage stellt, ob der Krieg ein praktisches Lehrstück auch für die Unmöglichkeit der Debürokratisierung moderner LeistungsVerwaltung überhaupt war). Moellendorffs Menetekel besagt außerdem, daß nicht allein das Ideal der Gemeinwirtschaft verfehlt wurde, sondern das einer wenigstens in bürokratischer Manier gut funktionierenden Verwaltung auch. Es war die Klage darüber, daß der Versuch, dem vermeintlichen Chaos reglementierend zu begegnen, zu einer chaotischen Reglementiererei geführt habe. Die Symptome waren alt, nur vielleicht noch ausgeprägter: eine noch nie erlebte Flut von »Schreibwerk«, übermäßige Weisungsabhängigkeit (Unselbständigkeit der jeweils Ausführenden), zu starke Häufung von Einzelanweisungen, infolgedessen auch Unverläßlichkeit von Geschäftsverteilungen, ferner Leerlauf (Selbstzwecktätigkeiten), unnötige Doppelarbeiten, zu viel Zeitaufwand und nicht zuletzt ein enormes Kompetenzdurch215
einander. 58 Natürlich war an diesem Zustand die exzeptionelle Kriegslage mitschuldig; sie brachte die Personalverhältnisse der Verwaltung durcheinander und erlaubte auch sonst keine ruhige, gleichmäßige Geschäftsabwicklung. Schuld daran, speziell am Kompetenzchaos, war auch die eigentümliche Doppelgleisigkeit der Administration durch Zivil- und Militärverwaltung, wobei sich die rechtlich und funktionell bis zuletzt unklare Stellung beider Seiten zueinander 59 und das rüde und unbekümmerte »Hineinregieren« der selber keineswegs so rational administrierenden Militärs 60 besonders nachteilig auswirkten. Die Mängel der Kriegsbürokratie rührten aber vor allem daher, daß man - von oben her - dem wachsenden Effizienzzwang überwiegend mit mehr statt weniger Reglementierung, mit Ämtervermehrung statt -reduzierung entgegentrat, ohne gebührend darauf zu achten, ob das alles sich noch mit wahrer Formalisierung, Hierarchisierung und/oder Sachlichkeit vertrug. Einen kleinen aber illustrativen Einblick in diese durch Überorganisation gekennzeichneten Zustände gewährt das Gravamen eines Regierungspräsidenten 1917. »Wesentlich erschwert wird den Kommunalverbänden und den Verwaltungsbehörden die Arbeit«, berichtete er, »durch die bis zu einem Übermaß sich steigernde Schreibarbeit, die noch nie so groß gewesen ist wie in der Kriegszeit und vielfach dazu führt, [die] praktische, dem Interesse der Volksernährung dienende Arbeit zurückzustellen. Es beruht das zum Teil auf der Schaffung neuer Behörden und Stellen, die zunächst mit den persönlichen, örtlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen ihrer Bezirke nicht vertraut sind und sich daher naturgemäß durch schriftliche Berichte der sonst zuständigen und mit den Verhältnissen vertrauten Behörden unterrichten müssen. «61 So reproduzierte Bürokratie immer mehr sich selbst und vergrößerte die Probleme anstatt zu ihrer Lösung beizutragen. Ein eminenter Beleg dafür, daß die organisatorischen Zustände rundum unbefriedigend waren und auch an der Verwaltungsspitze längerfristig als unhaltbar empfunden wurden, war die Wiederaufnahme der im Frühjahr 1914 steckengebliebenen Verwaltungsreform in Preußen zu einer Zeit, da die Durchorganisation der Kriegsadministration weit fortgeschritten war, es sich also nicht darum handeln konnte, durch die Reform eben diesen Ausbau zu bewerkstelligen, sondern höchstens darum, Fehlentwicklungen zu korrigieren. A m 19. Januar 1917 bestimmte ein königliches Kabinettsordre die erneute Inangriffnahme der Verbesserung »aller Staatsverwaltungen« mit Ausnahme von Eisenbahn und Bergbau. 62 Der Ablaufplan sah diesmal anstelle einer Vorbereitungskommission einen für den Entwurf persönlich verantwortlichen Gutachter vor; das sollte die Zügigkeit der Vorarbeiten und die Geschlossenheit der Konzeption gewährleisten. Reformkommissar Bill Drews, später preußischer Innenminister, legte tatsächlich schon am 29. Juli 1917 eine auf umfangreicher und gründlicher Vorbereitung basierende Denkschrift 63 in der erhofften Qualität vor. Daß sie hatte erstellt werden sollen, bewies, daß die Novelle von 1913 endgültig 216
als ungeeignet und erledigt galt, aber, wie gesagt, auch, daß man auf die Kriegsorganisation der Verwaltung, so wie sie aufs ganze gesehen geworden war, gleichfalls keine großen Stücke hielt. Drews' Entwurf ging dementsprechend von der Notwendigkeit einer ebenso generellen wie tiefgreifenden Erneuerung aus und knüpfte weitgehend an die Problemlage, wie sie sich 1909 gestellt hatte, an.64 Im Mittelpunkt des Interesses standen die Begradigung des Behördenaufbaus der allgemeinen Verwaltung - konkret schlug Drews die Auflösung der Bezirksregierungen vor ferner die Beschneidung der übergroßen Befehlsfülle vor allem der Spitzenbehörden im Interesse von mehr Selbständigkeit für nachgeordnete Stellen und Beamte, die Entrümpelung des Geschäftsganges, die Bekämpfung der Personalinflation und schließlich die Verbesserung der Beamtenausbildung. Das Ergebnis der Renovierung sollte eine von ihren schädlichen Verformungen und Verkrustungen geheilte, also verjüngte und gleichsam vernünftige, freilich in ihrer Ausprägung insgesamt herkömmliche Bürokratie sein.65 Ganz ohne Wirkung war der Krieg und das Kriegsverwaltungserlebnis auf die Sache der Verwaltungsreform gleichwohl nicht geblieben. Das allerhöchste Ordre vom Januar 1917 enthielt entsprechende Hinweise. Es begann mit den Sätzen: »Der geschichtlich gewordene Aufbau der Staatsverwaltung trägt nicht mehr allerorten den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung, ist vielfach zu verwickelt und verlangt dadurch mehr Kräfte als nach dem Krieg zur Verfügung stehen werden. Auch haben die Erfahrungen des Krieges gezeigt, daß eine einfachere Gestaltung und Handhabung der Verwaltung möglich ist. Dazu kommt, daß die öffentlichen Lasten nach dem Kriege eine außerordentliche Steigerung erfahren werden. «66 Im Spiegel dieser Ausführungen erscheint der Krieg als der Faktor, der die schon 1909 aufgetretenen Schwächen der alten Verwaltung ad absurdum führte und so zur sofortigen Inangriffnahme der Reform, und dies auf soliderer Grundlage als damals, gemahnte. An einem wichtigen Punkt ging der Erlaß sogar über die Vorkriegsauffassung hinaus. Nicht, wie es scheinen könnte, in bezug auf die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse, denn mit ihnen war schon der Anlauf von 1909 begründet worden. Das neue Element verbarg sich hinter dem Hinweis auf die einfachere Gestaltung und Handhabung der Verwaltung im Krieg, mit anderen Worten das unbürokratische Gebaren der gemischten Administration, womit in erster Linie die Kommunalverbände gemeint waren. Bill Drews jedenfalls wertete die allgemeine Kreisinstanz deutlich auf; sie sollte parallel zur angeregten Auflösung der Bezirksregierungen ausgebaut und gestärkt werden. Darin ist nicht nur die Entscheidung zugunsten einer altbekannten Alternative des Behördenaufbaus zu sehen, sondern eben die Belohnung der trotz aller Widrigkeiten und Kritik bemerkenswerten Bewährung der Kreise im Krieg.67 Und das hieß auch Belohnung ihrer Fähigkeit zu Anpassung und selbständigem Handeln nicht zuletzt bei der Bewäl217
tigung der Aufgaben der Gemeinwirtschaft. Damit ist, obwohl der Reformplan dem Phänomen Interventionsstaatlichkeit und/oder Leistungsverwaltung analytisch nicht weiter nachging, die Aufmerksamkeit für die Ungewohntheit, ja Neuartigkeit vieler Verwaltungsgeschäfte, wenn nicht in gewisser Weise des Verwaltens überhaupt, dokumentiert; sie ist übrigens weithin verspürt und vermerkt worden. 6 8 Die besondere Beachtung der Kommunalverbände und der Rolle der Selbstverwaltung in der Denkschrift besagt auch, daß man wußte, die - nicht nur quantitativ - unüblichen Anforderungen an die Verwaltung, die den Krieg begleiteten und ihn wenigstens partiell auch überdauern sollten, würden von einem konventionell bürokratischen Administrationsmechanismus, und sei er seiner dysfunktionalen Nebenprodukte ledig, adäquat kaum voll erfüllt werden. N u r folgerte Drews daraus offenbar nicht, daß die Staatsverwaltung als solche organisatorisch so umgemodelt werden konnte oder sollte, daß damit Grundpositionen bürokratischer Organisation konzeptionell aufgegeben wurden. Seine Überlegung dürfte vielmehr gewesen sein, daß das, was nicht ins herkömmliche, staatstypische Organisationsschema paßte, aus dem Staatsapparat gleichsam auszulagern und einer anderen Organisation anzuvertrauen sei. In diesem Fall den Kommunalverbänden in ihrer Eigenschaft als Selbstverwaltungs- und zugleich Sachverständigenkörperschaften. Aus der Kooperation beider einander wie in einem Verbundsystem ergänzenden Elemente ergäbe sich dann der nötige (unbürokratische) Funktionseffekt. Sojedenfalls sah das Ergebnis aus; verstärkte Selbstverwaltung galt als der Schlüssel zur Modernisierung der Verwaltung. Mag diese Interpretation im einzelnen zutreffen oder nicht, soviel steht fest, daß der 1917 ausgearbeitete Reformplan, wäre er verwirklicht worden, die preußische Verwaltung ein gutes Stück weitergebracht hätte. Wenn nicht auf dem Weg der sozusagen organischen Entbürokratisierung, so doch auf dem der Bewältigung der akuten Krise. Das Projekt konnte indessen vorläufig nicht wirksam werden, weil seine Realisierung im Krieg als aussichtslos zurückstehen mußte. Man mußte sich mit einem - kaum spürbaren - Palliativum begnügen 69 und im übrigen mit der Kriegsverwaltung leben, wie sie gewachsen war, einer zum Schluß mit sämtlichen klassischen Untugenden schwer beladenen Hoheitsbürokratie. Auf die Grundformel reduziert bedeutete das in der gegebenen historischen Situation konkret, daß sehr viel mehr, sehr viel intensiver verwaltet wurde als früher, nur nicht besser, sondern eher schlechter. Selbst alte Errungenschaften des leistenden Wohlfahrtsstaates wie ζ. B. eine gut funktionierende Eisenbahn litten mehr und mehr an der Verödung ihrer Publikumsdienste infolge militärischer Prioritäten, die Eisenbahnverwaltung, im Vorkriegspreußen das Muster effektiver Behördenorganisation schlechthin, stand gegen Kriegsende überhaupt am Rand totaler organisatorischer Zerrüttung. 7 0 Vollends wurden neuere Evolutionsansätze und -perspektiven verstellt von der zunehmend aussichtsloser werdenden Mühsal des Alltags, den Mangel ge218
recht und reibungslos zu verteilen. Der Kriegssozialismus fuhr sich fest als eine sich und der Gesellschaft nicht einmal die staatliche Verteilung der Küchenabfälle und des Pferdedungs 71 ersparende Monstrosität. Die Kriegsverwaltung dieser Prägung stellte am Ende fast niemanden mehr zufrieden, dafür benachteiligte sie nahezu alle, nunmehr nicht allein aus ihrer Konzeption heraus (wie ζ. B. im Fall der mittelständischen Wirtschaft, die von Anfang an aus strukturellen Gründen stark unter ihr litt), sondern einfach deswegen, weil sie vom überzogenen Hindenburgplan und den sich ohnehin in jeder Hinsicht dramatisch verschlechternden äußeren Bedingungen ausgelaugt, kaum mehr effektiv funktionierte. Die weiteren Folgen fielen entsprechend aus. Es ist wahrscheinlich nicht übertrieben zu sagen, daß die preußische Staatsverwaltung (und natürlich die deutsche Verwaltung überhaupt) einen ungemein schweren Image- und Autoritätsverlust erlitt. 72 »Die Bevölkerung weiß ganz genau«, berichtete der Regierungspräsident des Bezirks Münster in Westfalen schon am 29. April 1917, »daß die Behörden nicht imstande sind, die Durchführung der erlassenen Anordnungen im einzelnen zu überwachen, und setzt sich deshalb vielfach über die Vorschriften hinweg. Daß das Ansehen der Behörden, die die Anordnungen treffen, darunter leidet, bedarf der Erwähnung nicht.« 73 U n d der Landrat des Kreises Lüdinghausen ein Jahr später: »Unverkennbar ist, daß, je länger der Krieg dauert, und je schärfer die öffentliche Bewirtschaftung durchgebaut wird, um so leichtfertiger Erzeuger und Verbraucher sich über die gegebenen Vorschriften hinwegsetzen, trotzdem hier durch öffentliche Aufklärung, Mahnungen und Strafen dem mit aller Kraft entgegengetreten wird. «74 Das paßte nun gar nicht zu der formalen Stellung der öffentlichen Bürokratie, deren Zuständigkeit mit der Kriegswirtschaft, wie mehrfach erwähnt, eine außerordentliche Erweiterung erfahren hatte; in dieser Hinsicht erreichte die Entwicklung im Krieg einen absoluten Höhepunkt bzw. »ihren ersten Abschluß«. 75 Hinter diese »umfassende Institutionalisierung des staatlichen Einflusses« 76 sollte im Grundsatz auch später nicht zurückgegangen werden, eine völlige Rückkehr zum Vorkriegszustand war nicht vorgesehen. An diesem Anspruch oder Trend gemessen aber mußte die öffentliche Verwaltung als doppelt sanierungsbedürftig erscheinen. Auch mußte die Inadäquanz zwischen ihrem neuen Aufgabendeputat, ihrer aktuellen Leistungsfähigkeit, an deren Behebung zu glauben viel Optimismus erforderte, gesteigerte Befürchtungen hervorrufen, die im Krieg stattgefundenen Veränderungen würden auf die Friedenszeit doch nur mehr als Bürokratie alten Stils überkommen - das vertiefte die Staatsverdrossenheit. So gesehen erlebte die Verwaltung das Kriegsende schließlich mit einer noch schwereren Hypothek befrachtet als es ihr aktuelles Versagen unter den widrigen Kriegsverhältnissen allein bedeuten konnte. Einer praktischen Bewältigung der - nicht erst seit 1914 - dringlichen verwaltungstechnischen, verwaltungsorganisatorischen oder -methodi219
sehen Probleme ist man im Krieg demnach nicht nahegekommen, und schon gar nicht in revolutionärer Manier. Was an Verwaltungsformen und -weisen am Ende tatsächlich noch Bestand hatte, war im Grunde nicht neu oder es galt als Notbehelf, nicht als Zukunftsideal. Auch von den theoretischen Vorstößen ins Neuland mußte sich erst noch herausstellen, ob und wieviel Bleibendes sie bewirkt hatten. Somit fielen die zunächst evolutionär anmutenden Impulse des Krieges im großen und ganzen in sich zusammen. Wenn auch viel bewegt worden war, letztlich lag wieder das Alte und Abgenutzte obenauf und verschüttete den Rest. Eine Lösung war das gewiß nicht, es sei denn, man empfand als Lösung schon die Hoffnung darauf, daß der Niedergang jetzt weit genug gegangen war, um den Keim wirklicher Erneuerung in sich zu tragen.
2. Die Berufs- und Lebensverhältnisse der Beamten Trotz aller Enttäuschung über die Kriegsverwaltung, die Erfahrung, daß die deutliche Steigerung der Einbeziehung des Staates in die Geschäfte der Gesellschaft eine schwer reversible Tatsache geworden ist, konnte man in diesen Jahren durchaus machen. So gesehen war man zweifellos dabei, die nächste Stufe zur öffentlichen Wohlfahrt zu erklimmen. Bezieht man dies auf das Berufsleben der Beamten, stellt sich der Zusammenhang mit dem Professionsaspekt, Unterpfand leistender Staatstätigkeit, beinahe von allein her. Zu fragen ist also, ob dieser Effekt des Krieges der professionellen Komponente des Staatsdienstes, die sich seit 1909 ausgesprochen ungünstig entwickelt hatte, zu neuem Aufschwung verhalf. Denn, um dies zu unterstreichen, der Bedarf nach fachprofessionellem Können und Verhalten stieg direkt proportional zum Grad wohlfahrtsstaatlichen Engagements. Einige positive Erscheinungen fallen sogleich ins Auge. Eines dieser Zeichen war, daß Krieg und Kriegswirtschaft die Juristenprivileg-Diskussion, die auch die Chancen eines als zeitgemäß empfundenen professionellen Profilwandels im höheren Dienst transportierte, neu belebten. Mit Blick auf den tendenziell »maßgebenden Einfluß« von Wirtschaft und Technik auf »alle Gebiete des öffentlichen Lebens« im und nach dem Krieg forderten Ingenieure und Volkswirte wieder massiv den (gleichberechtigten) Zugang zum öffentlichen Dienst. 1 Aber auch über diese professionspolitischen Regungen hinaus: die Denkfigur des »Wirtschaftsbeamten« und/oder des Verwaltungstechnikers als solche bekam durch den Krieg sowohl eine neue Aktualität wie auch eine zusätzliche Bestätigung als evolutionsbedingte Ergänzung des Juristen und, im weiteren Sinn, der Herrschaft hoheitlich geprägter Amtsautorität. 2 Neue Impulse bekam im Krieg auch die Beamtenausbildungsfrage. Teils kam dies durch die von Volkswirten und Ingenieuren aufgestellten Forde220
rungen auf, teils als Folge des nicht zuletzt vom Krieg prinzipiell wieder aufgeworfenen Problems der wachsenden beruflichen Qualitätsanforderungen. Perspektivisch von großem Gewicht war in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Revision der Beamtenausbildung fest in den preußischen Verwaltungsreformplan von 1917 eingebettet wurde, und daß dies mit dem Argument geschah, zur »Erfüllung der Verwaltungsaufgaben mit neuzeitlichem Geiste« gehörten neben organisatorischen Maßnahmen unabdingbar »auch leistungsfähigere Beamte«. 3 In einer Analyse, die auf Drews' Schreibtisch gelandet war, stand: »Kurz gefaßt: Jede Verwaltungstätigkeit ist als ein neuer Beruf anzusehen, der sich auf eine reiche Erfahrung in staatlichen, kommunalen oder sonstigen Betrieben gründet. Der Verwaltungsbeamte darf nicht mehr ausschließlich aus einer bestimmten heute anerkannten akademischen Fakultät hervorgehen. Alle akademisch Gebildeten könnten zur Zeit mit wirtschaftlicherem Erfolge als bisher Verwaltungsdienst versehen. Gefördert würde eine solche Entwicklung, wenn durch schleunigste Errichtung von Lehrstühlen für das Verwaltungswesen die wissenschaftlichen Grundlagen des Verwaltungsberufes zielbewußt gesammelt und vertreten würden. Es erfordert das Staatsinteresse, daß baldigst ein Duktus geschaffen wird, nach dem jede Verwaltungsarbeit von der niedersten bis zur obersten Intanz nur von solchen Beamten geleitet wird, die vermöge ihrer fachlichen Vorbildung das Wesen ihres Arbeitsgebietes wirklich voll zu erfassen in der Lage sind. Dann erst wird für die Allgemeinheit eine größtmögliche Steigerung des irgend erreichbaren Gewinnes gewährleistet!« 4 Reformplaner Drews bezog in sein Konzept nicht nur die höheren Beamten, sondern auch den mittleren Dienst ausdrücklich mit ein, 5 ein immer noch nicht selbstverständlicher Schritt, der gerade darum die aktuelle Tragweite moderner (fachprofessioneller) Beruflichkeit in der öffentlichen Verwaltung demonstrierte. Drews wußte wohl, daß die ausreichende Hebung des Qualitätsstandards nicht von jeder Ausgangsbasis her zu leisten war. Vermutlich deshalb wollte er im Falle des mittleren Dienstes schon im Vorfeld der Berufsausbildung für höheres Niveau sorgen. Entscheidendes hierzu sollte der Abbau des Militäranwärtertums beitragen. Im brain trust um Drews tauchte jedenfalls der Vorschlag auf, vor dieser heiligen Kuh der Berufsrekrutierung nicht Halt zu machen und für die »vom Militär zu entlassenden Unteroffiziere« auch andere Arten der Fürsorge als »nur die Anstellung im Staatsdienste« vorzusehen. Die uneingeschränkte Beibehaltung der alten Regelung, so wurde betont, sei »nur auf Kosten eines Verzichtes auf den sonst möglichen Umfang der Verwaltungsreform« denkbar. 6 Da die Verwaltungsreform in der Planungsphase steckenblieb, konnte dieses Vorhaben nicht sogleich realisiert werden. Trotzdem glich es so schon einer revolutionären Tat. Auch in der Ausbildungsfrage - gleich welche Beamtenkategorie man 221
nimmt - konnte man natürlich mit keinen durchgreifenden Maßnahmen rechnen. Eine erfreuliche Episode gab es auf diesem Gebiet immerhin. In Berlin wurde 1916 eine zentrale Ausbildungsstätte für Anwärter des mittleren Bibliotheksdienstes eingerichtet. Sie bot erstmalig im mittleren Dienst systematische theoretische Ausbildung außerhalb der Beschäftigungsbehörde. 7 Damit vollzog sich, wenn auch in einer eher marginalen Verwaltungssparte, ein prinzipiell bedeutsamer Schritt auf dem Wege zu zeitgemäßer Berufsschulung. Einen prinzipiell nach wie vor hohen Stellenwert besaß die Fortbildung, die in den Verwaltungsakademien und -schulen schon vor 1914 eine an sich vielversprechende institutionelle Form gefunden hatte. Natürlich litten solche Einrichtungen genauso unter dem Krieg wie vieles andere auch. Trotzdem gab es hier gewisse greifbare Erfolge. In Köln ζ. B. stieg nach dem großen Abwärtsknick im WS 1914/15 die Zahl der Hörer langsam wieder an und erreichte im Sommer 1918 rund 72% des letzten Vorkriegsstandes. 8 Zu den relativen Erfolgen zählte auch, daß es dem ehemaligen Dozenten der Kölner Akademie Adolf Weber 1916 gelang, die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Breslau zur Errichtung von »Fachhochschulkursen zunächst für Kommunalverwaltung, für soziale Fürsorge, für Bankwirtschaft, für Industriewirtschaft und ländliche Verwaltung« als BeamtenfortbildungsVeranstaltung zu veranlassen. 9 Auch allgemein hielt sich die Idee der Fortbildung erstaunlich gut, sie überlebte schließlich den Krieg ganz intakt. Die schon im Krieg geäußerte Überzeugung, daß Beamtenfortbildungsanstalten einem »dringenden beruflichen und allgemeinen Bedürfnisse« entsprächen und daher in Zukunft mehr denn je gebraucht würden, 1 0 bestätigte sich post festum frappant: Das Fortbildungswesen (Beamtenakademien und -Seminare) erlebte nach 1918 eine wahre Renaissance und seine eigentliche Blüte. 11 Es ist dabei von erheblicher Bedeutung, daß sich nicht nur die Akademien und/oder deren unmittelbare Protagonisten als Hüter der Idee erwiesen. Auch unter den Beamten allgemein schwand das Wissen um die Bedeutung von Fortbildung respektive Professionalisierung trotz der widrigen Umstände während des Krieges nicht dahin. 12 Daß auf diesen Gebieten etwas geschah, und sei es nur dergestalt, daß die Probleme gleichsam in den offiziellen Katalog der Modernisierungsmaßnahmen aufgenommen wurden, bedeutete einen wesentlichen Fortschritt. Doch waren diese und ähnliche Positiva sehr relativ, kaum mehr als wenige und kleine Lichtblicke. Ihnen standen aufs Ganze gesehen eine Überzahl und Übermacht von Faktoren mit sehr nachteiliger Wirkung auf die berufspraktischen und berufsstrukturellen Verhältnisse der öffentlichen Beamten gegenüber. Die Wirklichkeit ihrer Berufsausbildung, um damit zu beginnen, wurde insgesamt nach wie vor von konzeptionell wie organisatorisch-didaktisch sehr mäßiger Schulung geprägt, auf der mittleren Laufbahnebene gar oft von fehlender theoretischer Unterrichtung überhaupt. 222
Selbst im Bereich der Eisenbahnverwaltung, wo es seit der Jahrhundertwende immerhin »erfreuliche Ansätze« durch die sogenannten Eisenbahnschulen gegeben hat, fehlte für die Mehrzahl der mittleren und unteren Beamten ein »planmäßiger Fachunterricht«. Die Lehre lag, ungeachtet von pädagogischer Eignung und dienstlicher Beanspruchung, »fast ganz in der Hand der Dienstvorsteher« und ließ entsprechend viel zu wünschen übrig. Im ganzen war also das Bild »wenig erfreulich«, der Dienstanfänger war »in der Hauptsache auf Selbststudium in der Unzahl von Dienstvorschriften und in den privaten Vorbereitungsbüchern angewiesen«, er war letztlich wenig motiviert, wenn nicht der Gefahr der »Versumpfung« ausgesetzt. 13 Zu den abträglichen Effekten einer mangelhaften Unterrichtspraxis für die Berufsqualität kamen noch die schädlichen Folgen hinzu, die die Verwässerung der Wissenskontrolle, d. h. des Prüfungswesens, nach sich ziehen mußte. Man war, wie hier am Beispiel der mittleren Laufbahnen der preußischen allgemeinen Verwaltung gezeigt werden kann, vom Krieg mindestens informell zur Herabsetzung der sonst üblichen Maßstäbe, zum Teil auch zur Lockerung der Vorschriften bis hin zur Streichung der Dienstprüfung, gezwungen worden. Die Innen- und Finanzminister ermächtigten am 7. August 1914 die für die Examina zuständigen Oberpräsidenten, denjenigen ungeprüften [mittleren] Regierungsbeamten (Zivilund Militäranwärter), die den für die Ablegung der Sekretärprüfung vorgeschriebenen Vorbereitungsdienst bereits vollendet haben oder in den nächsten drei Monaten vollenden würden, und die infolge der Mobilmachung in den Militärdienst einberufen sind, noch einbezogen werden oder freiwillig eintreten, die Prüfung zu erlassen, sofern bei diesen Anwärtern nach ihrer Befähigung und ihren bisherigen dienstlichen Leistungen ihre praktische Brauchbarkeit für den Regierungsbureau- und Kassendienst außer Zweifel steht«. 14 Obwohl die Minister hiermit kein Startzeichen für weitere Erleichterungen geben wollten, erzeugte die gegebene Ermächtigung offenbar eine gewisse Nachgiebigkeit bei den Landesbehörden und Anschlußbegehren bei Beamten in ähnlich gelagerten Fällen. 15 In der Folgezeit mußten die Ministerien immer wieder entsprechende Anregungen und Anträge abwehren. Sie hielten zwar am Grundsatz fest, daß Prüfungen außer den im August 1914 bezeichneten Fällen nicht erlassen werden dürften, konnten aber angesichts auch der immer schwieriger werdenden Verhältnisse anderen Zugeständnissen nicht ganz ausweichen. Allem voran segneten sie die Rücksichtnahme »auf den Umstand, daß sich die Prüflinge nur mangelhaft vorbereiten können«, offiziell ab. 16 Ferner gewährten sie Kriegsteilnehmern u. U. eine Verkürzung des »Vorbereitungsdienstes«, sprich der Ausbildungsdauer.17 Außerdem versprachen sie potentiell Benachteiligten berufliche »Erleichterungen« für die Zeit nach dem Krieg. 18 Es nimmt nun nicht wunder, daß unter den Umständen, für die die skizzierten Vorgänge symptomatisch sind, das Niveau der Berufsfertigkeit er223
heblich sank. Am 31. März 1919 mußten die obersten Ressortchefs bedauernd feststellen, die 1918 abgehaltenen Prüfungen hätten gezeigt, daß selbst bei voll erfüllter Vorbereitungszeit und trotz erheblicher Herabsetzung der Prüfungsanforderungen und mildester Beurteilung der Prüfungsleistungen die Ausbildung[squalität] der Beamten im Durchschnitt kaum das Maß des als ausreichend zu Bezeichnenden erreicht hat«. 19 Solches galt durchaus auch für die höheren Beamten. Auch ihnen kürzte man den »Vorbereitungsdienst« ab und richtete »Notprüfungen« ein, die sie noch vor ihrer Einberufung an die Front oder auf einem kurzen Heimaturlaub gleichsam zwischen Tür und Angel ablegen konnten. Man wird nicht annehmen können, daß dabei hart mit ihnen umgegangen wurde, dennoch gab es neben »einzelnen« ordentlichen Leistungen »viele schwache Rechtsfallbearbeitungen« und »recht häufig Mängel in der Darstellung und dem Ausdrucke«. Mit anderen Worten, das insgesamt eher dürftige Niveau der Vorkriegszeit konnte alles andere als gehoben werden. Von den 1914 (im ordentlichen und Notverfahren) Geprüften 1765 Kandidaten bestanden die Prüfung mit gut oder sehr gut 1 1 % , dagegen mit ausreichend 7 3 % (von denen ein kleiner, 1 3 % der Grundgesamtheit ausmachender Teil die inoffizielle Bewertung »nahezu gut« — früher vollbefriedigend genannt - bekam). Durchgefallen sind 1 6 % . 2 0 Man braucht wohl kaum zu sagen, daß in einer Situation wie dieser, in der es schwer fiel, das Ausbildungsniveau akzeptabel zu halten, für berufsinhaltliche Reformen kein Raum mehr blieb; das Problem des Juristenmonopols wurde während des Krieges selbstverständlich nicht gelöst. Doch nicht genug damit. Schaden nahm die Fachberuflichkeit auch noch auf andere Weise, darunter in hohem Maße durch den Zustrom von nichtprofessionellen Ersatzkräften. Deren Anstellung wurde unumgänglich infolge der massierten Einberufung des Stammpersonals, die ζ. T. »gewaltige« Lücken in die Normalbesatzungen riß. 21 Bezüglich der Mittelbehörden der preußischen allgemeinen Verwaltung (Regierungen) ermittelte man auf dem Stand vom 31. Dezember 1916, trotz Berücksichtung der Ersatzkräfte, gegenüber dem 31. Juli 1914 eine durchschnittliche Personalverringerung von 2 5 % , wobei der höhere Dienst diesen Mittelwert noch übertraf. 22 Die Staatseisenbahnen im Reich, die als unmittelbar kriegswichtiger Betrieb möglicherweise sehr geschont wurden, mußten immer noch auf mindestens 1 0 - 1 2 % , möglicherweise aber um 2 0 % ihrer Beamten verzichten. 23 Eine Schätzung des preußischen Innenministeriums vom September 1917 wartet mit insgesamt noch viel höheren Zahlen auf. Darin wurde vermutet, daß »im Verlauf des Krieges. im Durchschnitt 40 bis 60 von Hundert des Bestandes der Beamten zum Heeresdienst einberufen worden« sei. 24 Abgesehen davon, daß nach einiger Zeit die gesteigerten Kriegsanstrengungen (Hindenburgplan) einen zusätzlichen erhöhten Gesamtpersonalbedarf erzeugten, so daß man die Sollstärken auch mit immer neuen Hilfs-
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kräften nicht ganz erreichte, konnten die Ersatzleute die fehlende Berufskompetenz der eingerückten Beamten nicht ausgleichen. Die Auslese, urteilte der bekannte Verwaltungsrechtler Konrad Bornhak in der Rückschau, stand an der Front. »Zurück blieben nur die älteren Jahrgänge, von denen auch noch einzelne namentlich als Offiziere freiwillig mitgingen, und diejenigen, die wegen irgendeines körperlichen Schadens militärisch nicht tauglich waren. Es handelte sich also um eine Aushöhlung des Beamtentums von innen heraus durch Entziehung seiner besten Kräfte.« 25 Man muß diese Einschätzung so nicht akzeptieren, um dennoch der Meinung zu sein, die Absorbierung von Laufbahnbeamten durch den Waffendienst habe das Niveau der Arbeit der Staatsverwaltung und damit des (ohnehin angeschlagenen) beruflichen Ansehens des Beamtentums (weiter) gesenkt. Der Ersatz selbst setzte sich, ressort- bzw. behördenweise in unterschiedlicher Gewichtung, hauptsächlich aus pensionierten Beamten, aus bürokratiefremden Fachleuten, die meist für die »Kriegsgesellschaften« engagiert wurden, 2 6 aus Kriegsbeschädigten, aus Jugendlichen und, in großem Ausmaß, aus Frauen zusammen. 27 Sofern es reaktivierte Beamte waren, hielt sich der negative Effekt in Grenzen, er bestand meist in der geminderten körperlichen Leistungsfähigkeit. In den anderen Fällen ergaben sich die Probleme aus der Berufsfremdheit, weswegen sie ungleich schwerer wogen. In arbeitstechnischer Hinsicht konnten diese Probleme nach der Eingewöhnung in bestimmtem Umfang wohl abgebaut werden. Trotzdem blieb meist eine unerwünschte Wirkung erhalten, die man als Kompetenzschädigung umschreiben kann. Die Hilfskräfte brachten in der Regel keine oder nur in Schnellkursen erworbene oberflächliche Berufskenntnisse mit. Ungeachtet dessen versahen sie formal sehr häufig die gleiche Arbeit, die vordem geprüfte Beamte getan hatten. Sie erwarben nicht selten auch Ansprüche auf eine reguläre, respektive Daueranstellung. Nach außen hin sah das dann so aus, als ob die Tätigkeit, oder mindestens eine Reihe von Tätigkeiten beim Staat, eine besondere Fachqualifikation nicht oder nicht unbedingt erforderte. N u r scheinbar andere Folgen zeitigte die Heranziehung von Wirtschaftsfachleuten, bei denen fachliches Kompetenzdefizit ja nicht angenommen werden konnte. Doch gerade die Beschäftigung aufgrund ihrer Experteneigenschaft, der Tatsache, daß sie mit den Kniffen ihrer Branche/Fachdisziplin »aufs innigste« vertraut waren, 28 zeigte, daß die Staatsbürokratie über derartige Fachkräfte nicht verfugte, und dies beileibe nicht nur, weil viele Beamte in den Krieg gezogen waren. Die höhere Bürokratie mußte eben wichtige Aufgaben nach >außen< delegieren und auf diese Weise Inkompetenz, das schlimmste Übel einer Profession, bekennen. Leistende Wirtschaftsverwaltung, um sie einmal so zu nennen, ließ sich eben nicht gut nur mit juristisch vorgebildeten Bürokraten, den sogenannten Generalisten, betreiben. Brachte man es nicht fertig, ihr (dysfunktional gewordenes) Kompetenzmonopol durch geeignete neue Ausbildungsinhalte (National225
Ökonomie usw.) sachlich besser auszustatten oder zugunsten von Volkswirten und Technikern im Staatsdienst konsequent zu durchbrechen, blieb wohl nur die andere Konsequenz: die Veräußerung von Aufgaben an die Selbstverwaltung. Man kann in der Tendenz des Drewschen Verwaltungsreformentwurfs, Fachaufgaben vermehrt an Selbstverwaltungen abzutreten, einen Korrekturversuch im letzteren Sinn sehen. Möglicherweise stand dahinter auch die Auffassung, daß bürokratische Rationalität einerseits unwandelbar, andererseits aber keine politische Rationalität sei, und daß Bürokratiereform, die politisch klug genug sein wollte, um sich von einer überwuchernden Bürokratieförmigkeit letztlich nicht erdrosseln zu lassen, zugleich eine Begrenzung des Geltungsbereichs der Bürokratie zu sein habe.29 Litt die Bürokratie im Falle der fremden Experten sozusagen unter den Fähigkeiten derer, die man von außerhalb herangeholt hatte, so belud sie sich in anderen Fällen mit Problemen, die von der mangelnden Berufseignung der Neuzugänge herrührten. Dies war natürlich der Regelfall, und typisch in erster Linie für die mittleren und unteren Dienstbereiche. Das geringere Übel waren die echten, im Prinzip vorübergehend zu beschäftigenden Hilfskräfte. In einer wichtigen, auch quantitativ gewichtigen Ausnahme geriet aber die Anstellung von Ersatzpersonal zur Rekrutierung minderqualifizierter Laufbahnbeamten. Gemeint sind die Militäranwärter, deren Strom, statt (wie von Reformern ersehnt) abzuebben, ungemein anschwoll. Das hatte zum einen mit dem Krieg zu tun, zum anderen mit der Rolle der Verwaltung, Auffangnetz fur die Ausscheidungen der Militärmaschinerie zu sein. Der Krieg produzierte nicht die Normalzahl von Zivilversorgungsberechtigten, er stieß eine überhöhte Quote aus, die große Schar von Kriegsinvaliden und Kriegs Veteranen. Man sah das selbstverständlich schon nach einem Kriegsjahr so kommen. 30 Nur, was mit den Betroffenen geschehen sollte, sah man nicht, es sei denn, sie wurden nach altem Muster vom öffentlichen Zivildienst übernommen. Die Zivilverwaltung fand sich dann auch, nicht ohne Pressionen der Militärführung, dazu bereit, die Ressortchefs schickten eine Empfehlung und Anweisung nach der anderen an die untergeordneten Behörden, sich jenes vom Krieg besonders tangierten Personenkreises »im politischen Interesse« dringend und außerplanmäßig anzunehmen. 31 Von formellen Voraussetzungen, darunter Vorbildung und Fachausbildung, sollte dabei weitgehend abgesehen werden.32 Ob es Reformern oder Beamtenverbänden paßte oder nicht, man hatte mit einem neuen Schwall von Leuten fertig zu werden, von denen man hämisch behaupten konnte, sie seien zu Beamten geworden, weil ihnen »zu anderen Berufen die erforderliche Vor- und Ausbildung fehlte«.33 Die Mengendimension des Problems, das die Sonderanstellungen während des Krieges fur die Berufsbeamtenschaft mit sich brachten, mag das Beispiel der Frauenarbeit im Staatsdienst illustrieren. Bei den preußischhessischen Staatseisenbahnen waren im Rechnungsjahr 1913 beschäftigt 226
1470 Beamtinnen und 3791 Hilfsbeamtinnen, zusammen also 5267. Bis zum März 1917 verdreifachte sich die Gesamtzahl auf 16362. Und nun sah die Verteilung so aus: Den vollen Beamtenstatus besaßen praktisch nicht mehr als vor dem Krieg, nämlich 1514, als Aushelferinnen waren dagegen 14848 tätig. Der Zuwachs ging also auf das Konto der irregulären Rekrutierung. Eine noch sprunghaftere Steigerung brachte das nächste Jahr. Für den März 1918 weist die Statistik oberhalb der Arbeiterinnen-Kategorie 32157 weibliche Kräfte aus, davon 30545 Hilfsbeamtinnen bei lediglich 1612 Beamtinnen. 34 Die Reichspost, die früher noch als die Eisenbahn Frauen in erheblichem Umfang einzustellen begonnen hatte, beschäftigte 1913 rund 22 Tausend Beamtinnen. Gegen Kriegsende waren es etwa 25 Tausend, die Zahl der seit 1914 dazugekommenen »Kriegsaushelferinnen« jedoch lag bei 50 Tausend.35 Natürlich fanden Frauen jetzt auch außerhalb der großen Betriebsverwaltungen und ihrer traditionellen Domäne, des Lehramtes, stärker Eingang in den Staatsdienst. Als »Fabrikpflegerinnen« beispielsweise spielten sie in der Gewerbeaufsicht eine wichtige Rolle, desgleichen in der Arbeitsvermittlung und Fürsorgeadministration. 36 Auch die Oberpräsidien, Regierungen und Landratsämter in Preußen mußten »zur Entlastung des männlichen Personals« immer mehr auf Frauen zurückgreifen, wenngleich sie versuchten, sie in die höchsten Heiligtümer des Expeditions- und Kassendienstes nicht eindringen zu lassen.37 Derart ersatzgeschwächt und, gemessen an den anstehenden Aufgaben, notorisch unterbesetzt, arbeiteten die Behörden und Staatsbetriebe am Rande ihrer und ihres Personals Überforderung. In den amtlichen Berichten kehrten die Klagen über die äußerste Anspannung aller verfugbaren Kräfte, über zu weitgehende Beanspruchung, Auszehrung, Zusammenbrüche und Erkrankungen ständig wieder. Aus alledem resultierte, daß der Amtsbetrieb kaum noch ordnungsgemäß aufrechterhalten werden konnte, zumal wenn man bedenkt, wieviel bürokratiestrukturelle Handikaps der Staatsapparat in Gestalt ungelöster Reformprobleme ohnhin mitschleppte. Ob es sich um die Eisenbahn handelte oder um die allgemeine Verwaltung, überall herrschten am Ende schier chaotische Zustände. 38 In einem Stimmungsbericht hieß es: »Wir. wursteln nur so darauf los, damit wir die große, sich immer mehr häufende Arbeit aus dem Wege bekommen, immer feste gegen die Vorschrift.«39 Es gab kaum verläßliche Ordnung, kaum wirksame Geschäftsverteilung mehr, Rechnungen blieben jahrelang liegen und überhaupt mußte vieles »für spätere Zeit zurückgelegt« werden.40 Kein Wunder, daß mancher Verantwortliche unter diesen Umständen die Verantwortung für den Geschäftsgang gar nicht mehr tragen zu können glaubte.41 Kein Wunder auch, daß das Publikum diese Bürokratie miserabel fand, der beruflichen Leistung der Beamten denkbar schlechte Noten erteilte und seine Mißachtung u. U. ziemlich unwirsch zum Ausdruck brachte. »Die den Beamten gegenüber gebrauchten Redewendun227
gen«, berichtete ein verzweifelter Regierungsrat im Februar 1918, »lassen sich nicht [mehr] wiedergeben«. 42 Dem Berufsprestige der Beamten waren allerdings nicht nur Faktoren abträglich, die ihren Ursprung in verwaltungs- und behördenstrukturellen, arbeits- bzw. personalorganisatorischen Umständen oder in der kriegsbedingten Verwässerung der Professionalität der Berufsgruppe hatten. Mit zunehmender Kriegsdauer ließ auch die Arbeitsmoral der meisten Beamten entschieden nach. Spätestens in der zweiten Kriegshälfte äußerte sich dies bereits verbreitet als Korruption. Es war ein offenes Geheimnis, daß Beamte sich am Schwarzhandel beteiligten, sich bestechen ließen oder Diebstähle begingen, und sei es nur aus »Vaterliebe«.43 Insbesondere fur Post- und Bahnbedienstete, die viel mit Warensendungen, mit Lebensmittel- und Heizstofftransport u. ä. zu tun hatten, lag die Versuchung nahe, für sich etwas abzuzweigen oder ihren Positionsvorteil auf andere Weise zu nutzen. Ein Landrat meinte im Februar 1918, es gäbe »kaum einen Eisenbahnbeamten . ., der nicht am Schleichhandel beteiligt« sei. 44 Aber auch die allgemeine Verwaltung hatte keine weiße Weste. Wilhelm Frh. von Gayl ζ. B . , ehemaliger preußischer Regierungsbeamter und seit 1916 Leiter der Abteilung Politik und Verwaltung beim Stab des Militäroberbefehlshabers Ost, machte die Erfahrung, daß »der umfassende Handelsbetrieb der Verwaltung« im Zuge der Kriegswirtschaft »Korruptionsmöglichkeiten« Tür und Tor öffnete, denen »nicht alle Verwaltungsangehörigen« widerstanden hätten. 45 Selbst die strafrechtlich erfaßte »Amtskriminalität« im Deutschen Reich, die in den letzten 30 Jahren vor dem Kriegsausbruch linear zurückgegangen war, stieg ab 1916 ganz eindeutig wieder an und erreichte 1918 ein Rekordvolumen, das zweieinhalbmal so hoch lag wie das von 1913. 46 Zweifellos, das viel beschworene Beamtenethos war weitgehend dahin, und dies nicht nur in den Augen der Öffentlichkeit. Auch den Beamten selbst wurde es bewußt, sie mußten sich eingestehen, daß sie gegen das traditionelle Ideal versündigt hatten, ob sie es nun bedauerten oder nicht. »Das Beamtentum«, schrieb ein Eisenbahnerblatt im Mai 1918, »hat seine unbefleckte Seele eingebüßt: es gleicht heut' dem Falter, dem man den Staub von seinen Flügeln genommen. hat.« 47 Allein schuldig daran brauchten sich freilich auch diejenigen nicht zu fühlen, denen einiges an den alten Werten lag. Denn es wurde auch deutlich, daß die moralische Schlappe nicht nur auf menschliche Schwächen, nicht einmal lediglich auf die extremen Arbeitsanforderungen zurückging, sondern auch und vor allem auf eine bedrückende materielle Lage, die die Kraft der meisten überforderte. Der Beamte, so wurde dieser Zusammenhang einmal umschrieben, sei krank - »seelisch und wirtschaftlich«. 48 In der Tat, die schon 1913 bedrohlich schwachen Beamtengehälter verloren im Krieg noch viel mehr an Wert und Konkurrenzfähigkeit. U m die Teuerung auszugleichen, gewährte der Staat seit dem Oktober 1915 beson-
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dere Kriegsbeihilfen und zahlte außerdem sogenannte Teuerungszulagen zum Gehalt. Den niedrigeren Rangklassen wurden auch die Grundgehälter erhöht, und zwar durch die 1916 erfolgte Änderung des Besoldungsgesetzes von 1909. All diese Korrekturen machten eine Menge aus, in manchen Kategorien übertrafen die Sonderzuwendungen schließlich gar das eigentliche Gehalt. 49 Trotzdem vermochten sie nicht mit der Geldentwertung Schritt zu halten. Das Realeinkommen der Beamten verringerte sich schon 1915 allgemein fast um ein Viertel gegenüber 1913 und sank dann weiter, teilweise unter die Hälfte des letzten Friedenswertes. Tab. 31: Realgehälter »typischer Besoldungsgruppen verheirateter Reichsbeamter« im Ersten Weltkrieg in % (1913 = lOO)50
höhere Beamte mittlere Beamte untere Beamte
1913
1914
1915
1916
1917
1918
100 100 100
97,2 97,2 97,2
77,3 77,3 77,3
58,9 58,9 58,9
42,0 48,6 53,6
46,8 55,0 69,6
Damit kehrte wirklich N o t in die meisten Beamtenhaushalte ein. Ein materielles Durchkommen schien dem Staatsbediensteten im allgemeinen »nur möglich durch Angliederung seiner Lebenshaltung an die der sozial tiefer stehenden Schichten«. 51 Es konnte jetzt mit anderen Worten immer weniger darum gehen, das »standesgemäße Dekorum« 5 2 aufrechtzuerhalten, es ging ums Essen, um die Bekleidung, die Wohnung und andere existentielle Dinge schlechthin. Daß nicht einmal dieser Grundbedarf sicher und gleichmäßig gedeckt werden konnte, mag etwa eine Umfrage des preußischen Finanzministeriums zu den »wirtschaftliche[n] Verhältnisse[n] der mittleren und Unterbeamten« im Oktober 1918 beleuchten, durch die u. a. ermittelt werden sollte, ob die Kriegsteuerungszulage »zur Beschaffung eines Anzuges für die Person des Beamten« verwendet worden sei. Heraus kam eine einhellige Verneinung mit der Begründung, man habe die Zulage für lebenswichtigere Dinge ausgeben müssen. 53 Das hieß, daß das Diensteinkommen und die besonderen Beihilfen zusammen höchstens ausreichten, u m die Löcher zu stopfen, die der unverzichtbare Lebensbedarf täglich aufriß. Auch das schaffte man häufig nur, wenn man sich (noch mehr als bisher) verschuldete, bzw. Nebenverdienstmöglichkeiten und andere Quellen der Verbilligung der Lebenshaltung erschloß. So scheuten sich Beamte längst nicht mehr, eine früher von vielen für unstandesgemäß gehaltene »Karnickelzucht« zu betreiben. 54 U n d auf das schon traditionelle Musizieren für Geld wollten sie erst recht nicht verzichten. 55 Daß freilich auch das oft nicht reichte, mag der Ausrufeines niederen Zollbeamten illustrieren: »So kann es . . . nicht länger weitergehen. Erbarmen mit meiner Familie!«56 229
Die Tatsache, daß die einzelnen Beamtenklassen wie seit eh und je, jetzt aber mit stärkerer Betonung umgekehrt proportional zu ihrer hierarchischen Position mit finanziellen Aufbesserungen bedacht wurden, half am zentralen Problempunkt nicht: Der mittleren Beamtenschaft fehlte die u. U. entscheidende Summe Geld zur Abwehr gegen die Verarmung, und den Unterbeamten, denen sie zusätzlich zugute kam, reichte sie trotzdem nicht, um sie vor der definitiven Pauperisierung zu bewahren. Der Abrutsch war um so krasser als die Löhne in der privaten, zumal kriegswichtigen Wirtschaft trotz Einbußen etwas besser mit der Teuerung mithielten als die Beamtenbesoldung. Da nützte es den mittleren und unteren Beamten wenig, daß auch der höhere Dienst finanziell in den Sog nach unten geriet und die andere große Festbesoldetengruppe, die Angestellten, eine materielle Annäherung an den Arbeiterstandard hinnehmen mußte. 57 So traf denn die Formel, die eine Beamtenzeitung im Mai 1918 zur Beschreibung der Lage fand, mindestens in der Tendenz zu: »Heute steht die obere Beamtenklasse auf der Höhe des Bureaudieners von 1870, der mittlere aber steht dem Arbeiter gleich - und der untere? Für ihn ist überhaupt keine Vergleichsmöglichkeit vorhanden, er steht auf der untersten Stufe überhaupt.« 58 Diese sozialen Verschiebungen, sieht man sie von ihren im engeren Sinn berufsstrukturellen Auswirkungen her, rundeten jene Verkümmerung der Professionalität des Staatsdienstes ab, die sich während des Krieges aus der Ballung mißlicher Zustände auf dem Gebiet der Rekrutierung, der Ausbildung, der Berufsethik und des Berufsprestiges ergab: seit längerem ungelöste Professionalisierungsprobleme steigerten sich so zum akuten Krisensyndrom, das Berufsbild wurde rissig und Frustration breitete sich aus. Abgesehen davon, daß es zuweilen zweifelhaft schien, ob es unter den gegebenen Lebensverhältnissen überhaupt gelänge, sich noch lange »arbeitsfähig und arbeitsfreudig zu erhalten«,59 sahen sich Beamte zunehmend ihrem »Beruf innerlich entfremdet« 60 und rieten der Sohnesgeneration, sie möge sich »anderen, lohnenderen Berufen zuwenden«. 61 Die Linien der Entwicklung lagen nun klar zutage. Das Berufsbeamtentum - selbst als Expertentum fur Herrschaft, insbesondere aber für moderne Leistungsaufgaben - hatte schwere Schäden erlitten. Das vertiefte die funktionalen Schwächen der Verwaltung und untergrub deren und der Beamtenschaft Ansehen just in einem Augenblick, da die expandierende (Kriegs-) »Wohlfahrtspflege« Fachautorität und Sachleistung stringenter als irgendwann vorher zu eigentlichen Hauptkriterien der Beamtenarbeit hätte werden lassen müssen. Wohl noch folgenschwerer war, daß damit außer dem Prestige auch die Aussicht schwand, die Beamten durch ihren Beruf auf strukturell neue Weise in die Gesellschaft einzubinden, ja daß das Vorurteil der Unproduktivität frische Nahrung fand. Das war der eine Strang. Gleichzeitig schritt die materielle Auszehrung der Beamten nicht minder drastisch voran - der andere dominierende Faktor. Entsprechend rückten 230
die materiellen und im erweiterten Sinn sozialökonomischen Grundbedingungen des Berufslebens in den Vordergrund. Was konnten die Folgen und Reaktionen sein? Übersetzte man es mit Proletarisierung, so war es eine für Beamte jetzt wie früher als vollendetes Unglück empfundene Veränderung. Als soziale Perspektive stieß sie also auf alles andere als Gegenliebe. Als Lösung der Berufsprobleme, gewissermaßen die Alternative zum modernen »Fachmenschentum«, konnte es angesichts der fortschreitenden wohlfahrtsstaatlichen Verquickung der öffentlichen Verwaltung auch nicht gelten. Dennoch transportierte der Vorgang ein weiterführendes Element. In der Schärfe, mit der er sich im Verlauf des Krieges ausprägte, lag eine große desillusionierende und auch mobilisierende Kraft. Er demonstrierte die schier unerträglich gewordene Inkongruenz vom wahren und offiziellen Status der Beamtenmassen und ließ, bei aller Entgeisterung, Verdrängung kaum mehr zu. Er drängte die Betroffenen zur Klärung und in jedem Fall zur Aktion. U m so erstaunlicher mutet die von der Beamtenschaft, die Führung Inbegriffen, in der Kriegssituation erbrachte Leistung an. Trotz allen Aderlasses und trotz aller Uberforderung sicherte sie ja der »belagerten Festung« eine schlecht und recht einigermaßen funktionierende Verwaltung. Darin mag man die große Kraft und die positiven Seiten der sehr langen Beamtentradition und im weiteren Sinn der akkumulierten Verwaltungserfahrung erkennen. Man begreift, welch enorme Substanz sich da angesammelt hatte. Man versteht zugleich besser, wie schwer es fallen konnte, am Alten nicht festhalten zu wollen. Es wird aber auch einsichtig, daß es eben zum nicht geringen Teil doch strukturell Veraltetes war, was sich im Krieg noch einmal bewährt hatte und daß man deshalb auf die Dauer einen zu hohen Preis für allzu große Pietät gezahlt haben würde.
3. Die Vereinigung der Beamtenbewegung Sowohl der organisatorisch-technische Zustand der Verwaltung wie die berufliche, einschließlich berufsethische Verfassung der Beamtenschaft ließen nunmehr kaum einen Zweifel daran, daß das gesamte System, das sich in ihnen widerspiegelte, der Erneuerung an Haupt und Gliedern bedurfte. Und die materielle Misere der Beamtenschaft weckte gleichgroße Zweifel, ob eine Verbesserung ohne Systemkorrektur denkbar sei. Die Mißstände waren aber in sich noch nicht wirkungsmächtig genug, um die allerletzte Zuspitzung zu erzeugen und auf diese Weise den reinigenden Konflikt auszulösen. Sie mußten, wollte man auf einen grünen Zweig kommen, sozusagen aktiv in Anstöße umgesetzt werden. Für diese Rolle eignete sich die Beamtenbewegung nicht schlecht. Als interessenpolitisches Forum konnte sie das, was not tat, sowohl am empfindsamsten registrieren wie am 231
schärfsten wiedergeben. Sie war insbesondere gefordert in bezug auf den Gegensatz zwischen formalem Status und sozialökonomischer Wirklichkeit der Beamtenmassen, den eigentlich neuralgischen Punkt im strukturellen Problemspektrum des Staatssektors. Hier, wo die Lage sich während der Kriegszeit zum einen durch extreme Verarmung, zum anderen durch extreme Minimierung von Kompensationschancen prägte, befand sich die Beamtenbewegung nicht nur in einer Schlüsselposition, sondern auch in Zugzwang. Aus all diesen Gründen konnte man von ihr weiterfuhrende Impulse erwarten. In der Tat, das Beamtenorganisationswesen trat im Krieg in eine neue Entfaltungsphase und es erlangte mehr Gewichtigkeit denn je zuvor. Es gab spezifischerweise einen kräftigen Aufschwung für die gleichsam gewerkschaftliche Komponente, ganz im Sinne der Umstände, die den Schutz der Arbeits- und Lebensverhältnisse im primär materiellen Sinn und auf der Basis von sozialökonomischen Grundinteressen erforderten. Damit setzte sich eine etwa seit 1909 beobachtbare Tendenz, allerdings unter deutlicher Intensivierung und Stabilisierung fort. Wie bei allen anderen Interessengruppen und -Organisationen, hatten Kriegsausbruch und Burgfrieden auch bei den Beamtenvertretungen eine Aktivitätspause erzwungen. Aber sie schnitten die Evolution nicht ab. Jene Intensivierung der Beamtenbewegung in den mittleren und unteren Dienstbereichen, die sich seit 1909 vor allem als Beamtenrechtskampagne und organisatorische Integrationstendenz bemerkbar gemacht hatte, wurzelte tiefer, als daß sie ganz abreißen konnte. 1 Zwar durften nur Idealisten oder Zweckoptimisten in der ersten Kriegsphase davon ausgehen, daß »die Schaffung eines allgemeinen deutschen Beamtenbundes zu erwarten« sei. 2 Doch das Begehren nach mehr kollektiver Entfaltungsfreiheit und wirkungsvollerer Organisation flackerte schon 1915 wieder auf. Teilweise geschah dies mit Blick auf den Burgfrieden noch verhalten, eher in verschlüsselten, allgemein gehaltenen Reflexionen über den Wert der Organisation und den Nutzen von Solidarität. 3 Z u m Teil kam es allerdings auch zur ungeschminkten Forderung nach tätiger Wiederaufnahme der organisatorischen Konzentrationsarbeit 4 und sogar zu konkreten Maßnahmen zugunsten größerer Zusammenschlüsse. Dazu gehörte die Gründung der »Arbeitsgemeinschaft der Verbände der mittleren Post- und Telegraphenbeamten« am 9. Mai 1915, die die endgültige Abkehr von der Aufsplitterung dieser Dienstkategorie in immer kleinere Spezialisten- oder Sondervereine signalisierte. 5 Aufeinander zu bewegten sich auch die bis dahin scharf miteinander konkurrierenden Unterbeamten- und Staatsarbeiterorganisationen »Verband der deutschen Eisenbahnhandwerker und -arbeiter« (TrierBerlin-Verband), und »Zentralverband Deutscher Eisenbahner« (Elbersfelder Verband), die nach 1915 begonnenen Beratungen sich Anfang 1916 ebenfalls zu einer »Arbeitsgemeinschaft« zusammenschlossen. 6 Ein bemerkenswertes Ereignis war ferner die Beteiligung von Beamtenverbänden an 232
dem am 13. Dezember 1914 ins Leben gerufenen »Kriegsausschuß für Konsumenteninteressen«, nicht nur, weil hier Beamtenorganisationen unter ein Dach mit Arbeitervereinigungen kamen, sondern auch weil man von der gemeinsamen Teilnahme gesteigertes Solidaritätsgefühl erwarten konnte. 7 Der gewichtigste Schritt indessen war am 19. April 1915 getan worden. An diesem Tag lud der Generalsekretär des Verbandes der unteren Postbeamten, Ernst Remmers, Vorsitzende einer Reihe anderer Beamtenvereinigungen »zur Erörterung einer wichtigen Organisationsfrage« ein. 8 Dem folgte am 22. April die erste Besprechung im Berliner Lehrervereinshaus, die mit einem folgenreichen N o v u m endete: Man beschloß, Kurs auf eine allumfassende Beamteninteressenorganisation zu nehmen. Diese künftige »Interessengemeinschaft deutscher Reichs- und Staatsbeamtenverbände«, 9 deren Satzungsentwurf ein fünfköpfiger Ausschuß sogleich auszuarbeiten begann, überbot, falls sie zustande kam, alle bisherigen Zusammenschlüsse dadurch, daß sie weder zwischen Laufbahnen noch zwischen Verwaltungssparten unterschied und trotzdem keine Selbsthilfe nach Art des (gleichfalls rangklassen- und ressortübergreifenden) Verbandes Deutscher Beamtenvereine zu betreiben vorhatte oder ein bloßes Zwischen- bzw. Teilziel wie etwa der »Arbeitsausschuß zur Herbeiführung einer zeitgemäßen Regelung des Beamtenrechts« verfolgen wollte, sondern sich (perspektivisch) als volles und dauerhaftes Berufsvertretungsorgan begriff. 10 Es dauerte eine Weile, bis die Interessengemeinschaft sich formal konstitutierte (am 5. Februar 1916), und es wurde noch später, bis sie ihre Arbeit tatsächlich aufnahm (am 1. Oktober 1916). Aber sie erwies sich, je länger desto mehr, als ein lebensfähiges, immer kräftiger werdendes Gebilde. Bei der Annahme der Satzungen im Februar 1916 waren Vertreter von 14 O r ganisationen anwesend, die zusammen rund 180000 Mitglieder repräsentierten. Ende 1916 bestand die IG schon aus 21 Verbänden mit über 300000 Mitgliedern. Bis zur ersten Hauptversammlung am 13. und 14. Oktober 1917 erhöhten sich die Zahlen auf 36 Verbände und rund 500000 Mitglieder und zur Zeit der zweiten Hauptversammlung im Juni 1918 zählte man 72 Teilvereinigungen, in denen etwa 600000 Beamte organisiert waren. Damit war sie die bis dahin absolut »größte Beamten Vereinigung«. 11 Diese Zahlen zeugen vom durchschlagenden Erfolg der beruflichen Interessenvertretung als einheitlicher, integrativer Massenorganisation. Seinen Initiatoren war es offensichtlich geglückt, ein Auffangnetz zu knüpfen für die vorherrschende Stimmung, die verbreitesten Vorstellungen und die bedrückendsten Sorgen der meisten Beamten, noch bevor sie sich sonst irgendwo als Trend kanalisieren konnten; die IG traf und vertrat das Zugkräftigste zum richtigen Zeitpunkt am nachhaltigsten. Dafür erntete sie wachsenden Zuspruch und Zulauf. Eine jener im Verlauf des Krieges sich ausbreitenden Überzeugungen, auf die die IG baute, war, daß man in einer Epoche lebte, deren Kennzeichen »unstreitig die Organisation« sei,12 und daß der Krieg dieses sozial 233
wie volkswirtschaftlich unumgängliche Phänomen eindeutig zum bestimmenden Moment der Gegenwart gemacht habe. 13 Ausschlaggebende Bedeutung erlangte dies für die Beamten allerdings erst in einem spezifischen Sinn. Viele von ihnen meinten beobachten zu können, daß alle anderen »Stände« zum umfassenden »Zusammenschluß drängten« 14 oder dabei seien, ihre bestehenden Globalorganisationen und deren Einfluß zu festigen. Die Beamtenpresse berief sich in diesem Zusammenhang auf die »Produzenten- und Händlerorganisation[en]«, 15 im einzelnen mit Vorliebe auf den Bund der Landwirte, Bund der Industriellen oder den Hansabund, aber ebenso auf die Arbeitnehmerzusammenschlüsse, also die Angestelltenbewegung und - auffallend häufig und nachdrücklich - die freien Gewerkschaften, unter deren Wirksamkeit die Arbeiterschaft einen hohen Grad der Geschlossenheit erreicht habe.16 Man malte also, nicht zu Unrecht, was die prägende Kraft der Interessenverbände im Wilhelminischen Deutschland angeht, das Bild einer in feste Blöcke organisierten Gesellschaft, in der eben alle Großgruppen nach Maßgabe »der gleichen oder annähernd gleichen wirtschafltichen Interessen«17 ihre ebenso umfassenden wie mächtigen Standesverbände hätten. Nur die Beamten, so die besorgte Schlußfolgerung, seien ohne vergleichbare Einheitsvertretung, deshalb müßten sie sich unverzüglich eine solche schaffen. Eile schien geboten, weil man »den Weg zur Standesorganisation«, sprich die Bildung ökonomischer Interessenblöcke,18 für eine gerade jetzt in Vollendung befindliche Gesetzmäßigkeit volkswirtschaftlicher Evolution hielt und es vor diesem Hintergrund vernünftig war, den Abstand zum Rest der Gesellschaft lieber heute als morgen aufzuholen. Es gab dafür jedoch noch einen, aus Beamtensicht viel wichtigeren Grund: Die Protagonisten der neuen Einheitsvertretung - und bald nicht nur sie - hegten die Überzeugung, daß es nach dem Krieg, gleich wie er ende, zu großen wirtschaftlichen wie sozialen Revirements (vor allem im Sinne sozialer Umschichtungen) kommen werde, einer weitgehenden Neuordnung der Dinge, bei der die gesellschaftlichen Kräfte ihre jeweiligen Interessen gleichzeitig anmelden und durchzusetzen versuchen würden. Wer in diesem entscheidenden Moment nicht dabei und nicht kräftig genug sei, müsse unterliegen und auf absehbare Zeit ins Hintertreffen geraten. U m für diesen Augenblick, der wie befürchtet wurde, sehr bald kommen konnte, rechtzeitig gerüstet zu sein, um nicht zu spät daran zu sein, wenn alles davon abhing, das Gewicht des millionenstarken Beamtenheeres mit einer Stimme ins Spiel zu bringen, sollte die interessenorganisatorische Einigung der Beamten so schnell wie möglich erreicht sein.19 Man mag zweifeln an der vollen Richtigkeit der Vorstellung von einer bis auf die Beamten bereits durch und durch in Wirtschafts-»Ständen« organisierten Gesellschaft. Es mag auch fraglich sein, ob alle organisierten Beamten all die von den Verbandskadern und -blättern angestellten Überlegungen selbst zu machen bereit oder nachzuvollziehen fähig waren, denn 234
auch jetzt fanden aktives Engagement für Verbandsangelegenheiten und damit »standespolitischer« Scharfblick in der natürlichen Trägheit der Masse ihre Grenzen. 20 Aber die Umstände, die sich als sozialer und interessenorganisatorischer Anschlußverlust analysieren ließen, durchlebten mehr oder weniger intensiv und bewußt die allermeisten Staatsdiener, so daß sie mindestens >gefuhlsmäßig< mitkamen. Daß es den Beamten jetzt, den Erfahrungshorizont der Lebenden zugrunde gelegt, im allgemeinen wahrscheinlich schlechter ging denn je, brauchte ζ. B. kaum kognitiv abgeleitet zu werden. Wer es wollte, konnte es freilich auch nachlesen; kaum je war die Beamtenpresse so voll von Artikeln über die Besoldungs-, Wirtschaftsund allgemeine soziale Lebenslage, von Berechnungen, Vergleichen, von Informationen und Spekulationen zum Berechtigungswesen (sprich: wem welche Alimentations- bzw. Fürsorgeleistung des Staates in welchem Maß zustehe) oder auch von Klagen, Flehen und Mahnen wie während des Krieges. In alledem wurde der Krieg als Ausnahmesituation und die Ausnahmesituation als wesentliche Ursache der akuten Verschlechterung nicht übersehen. Viele ahnten und manche wußten jedoch, daß der im Krieg erreichte Tiefpunkt der materiellen Verhältnisse der Beamten nicht vollends als akzidenteller Zustand zu begreifen war, sondern als Fortsetzung eines langen Abwärtstrends, der sich nach 1914 nur noch beschleunigt habe. Und das beunruhigte mehr als die reine Kriegsmisere. Den zweiten Hauptgrund, von den Lebensumständen besonders alarmiert zu sein, bildete der soziale Vergleich, mit anderen Worten die Tatsache, daß es den Beamten nicht nur schlecht ging, sondern relativ auch schlechter als dem größten Teil der Gesellschaft. In einem Punkt sogar absolut: Sofern sie dem unteren und dem mittleren Dienst angehörten, wurden sie in erheblichem Umfang von den Arbeitern eingeholt, teilweise auch deutlich überholt. Damit war das soziale Tabu, Beamte finanziell mit Arbeitern vergleichbar oder gar schwächer als Proletarier werden zu lassen, auf breiter Front gefallen. Daß die mittleren relativ stärker absackten als die unteren, so daß der Krieg die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen diesen beiden Kategorien stark verwischte, gereichte den Unterbeamten genausowenig zur Genugtuung wie den mittleren die Tatsache, daß sie unter Umständen mit den Arbeitern etwas besser Schritt halten konnten. Immerhin aber wurde dadurch das Zusammengehörigkeitsgefühl aller kleinen Beamten mindestens im Sinne einer Notgemeinschaft nolens volens gestärkt. Zu den gemeinsamen Grunderfahrungen der Kriegszeit gehörte auch die Ohnmacht, gegen den materiellen und sozialen Abstieg wirksam anzugehen, verbunden mit dem Eindruck sowohl, daß dies systembedingt sei, wie auch, daß der Krieg das alte System ad absurdum geführt habe. Die Ohnmacht wurzelte in der überkommenen Minderberechtigung der Beamten, kollektive Interessenpolitik zu betreiben; immer noch waren alle nicht auf purer Geselligkeit oder Selbsthilfe basierenden Beamtenvereinigungen rechtsdogmatisch unzulässig. Daß sie geduldet wurden, machte 235
den Zustand eher noch ärgerlicher, konnte doch gerade die jetzt fraglos glatte Duldung zuweilen davon ablenken, wie weit man sich nach wie vor von der vollen Anerkennung entfernt befand. Ganz in Vergessenheit gerieten die Restriktionen des Beamtenrechts freilich nicht. Dafür sorgten die programmatischen Forderungen der IG in Fortsetzung der Vorkriegs-Beamtenrechtsbewegung nach arbeitsrechtlichen und staatsbürgerlichen Freiheiten und immer noch vorkommende Fälle behördlichen Rigorismus 21 oder andere Vorgänge. Zu den letzteren gehörte die Novellierung des § 17 des Reichsvereinsgesetzes von 1908 im Juni 1916. In diesem Zusammenhang wurde wieder einmal deutlich, daß der Staat nicht daran dachte, den Beamten die volle Vereinigungsfreiheit zuzuerkennen. Dabei ließ er gleichzeitig seine grundsätzlichen Vorbehalte gegenüber den sozialistischen Arbeitergewerkschaften bzw. ihrer tarifpolitischen Tätigkeit fallen, gab also den Staatsfeinden von gestern das, was er seinen eigenen Beschäftigten weiterhin verweigerte. 22 Immerhin, diese Behandlung eignete sich gut, den Zusammenhalt der Beamten und die Konzentration ihrer Kräfte als Trotzbündnis gegen die anachronistische Rechtslage zu fördern. Überdies enthielt die Entwicklung Hinweise darauf, daß die Beamten in absehbarer Zeit nicht nur eine Abwehr- oder Kampf-, sondern ebensosehr eine Konsensgemeinschaft auch in bezug auf ihr Verhältnis zum Staat brauchen würden. Denn in der restriktiven Halsstarrigkeit der herrschenden Spitzen der Bürokratie, einer Haltung, die man jetzt nicht zuletzt als eine Art Angstparalyse angesichts zerbröckelnder Werte deuten konnte, oder auch im Kriegsbesoldungsdebakel oder in der beruflichen Karrierewidrigkeit der meisten Beamtenlaufbahnen, die gerade die 1917 ausgegebene inhaltslose Kanzlerparole von der freien Bahn für alle Tüchtigen unfreiwillig aber um so stärker fühlbar werden ließ, 23 schimmerte etwas von einer System-Krise durch. Man konnte das Gefühl haben, der Staat sei hilflos geworden, daß im Rahmen der alten Staatsdienst- und Staatsdienerkonzeption, an der er festhielt, keine grundsätzlich besseren Ergebnisse zu erwarten seien, daß also das System, sollte das Beamtendasein künftig besser werden, wesentlich geändert werden müsse. 24 Wollte man aber einen so tiefgreifenden Wandel, brauchte man sowohl alle Kräfte wie die breitestmögliche Übereinstimmung darüber, wie die künftigen, insbesondere arbeitsrechtlichen Verhältnisse beim Staat gestaltet werden könnten. Die »Interessengemeinschaft« sprach diese den überwiegenden Teil der Beamten treffenden und bewegenden Probleme, wie gesagt, meist deutlich und frühzeitig an. Sie >lag< damit richtig, denn mit zunehmender Kriegsdauer wurden die gemeinsamen Sorgen der Beamtenmassen nicht nur immer größer, sondern auch immer gleichförmiger. All das legte ein gemeinsames Vorgehen nahe. Gleichwohl gab es auch Differenzen, die dem im Wege standen. Einem der stärksten trennenden Momente, der Pflege von Partikularinteressen durch die einzelnen beruflichen Fach- und hierarchischen Ranggruppen, baute die IG damit vor, daß sie von Anfang an keine 236
Allzuständigkeit beanspruchte, d. h. nur aktiv werden wollte in wichtigen und grundsätzlichen Fragen, »deren Lösung im Gesamtinteresse des deutschen Beamtenstandes« 25 lag. Sie war, verstand sich und wollte verstanden werden als Dachverband, in dem die Einzelverbände als korporative Mitglieder eine Subautonomie behielten, die ausreichte, um in Spezialangelegenheiten (falls diese nicht als Hahnenkampf gegen ein anderes Mitglied der IG aufgefaßt wurden) agieren zu können. 26 Weder die Sonderinteressen aller Fach- und/oder Rangverbände noch andere Widerstände waren allerdings sogleich eliminierbar. Als sichtbares Zeichen hierfür entstanden neben der IG weitere Konzentrationen. Im Januar 1917 die »Arbeitsgemeinschaft der Interessenverbände der mittleren Beamten der Besoldungsklassen 14—20«, die im wesentlichen preußische Assistenten umfaßte. 2 7 Es folgten die »Arbeitsgemeinschaft der mittleren Staats- und Reichsbeamten erster Klasse«, 28 eine »Arbeitsgemeinschaft der Unterbeamtenverbände« 2 9 und schließlich, im Januar 1918, der »Bund der Beamten der preußisch-hessischen und der Reichseisenbahnen«. 30 O b w o h l die IG einerseits nicht alle Unterbeamten organisierte und andererseits auch Verbände mittlerer Beamten zu ihren Mitgliedern zählte, war sie zunächst eindeutig von Unterbeamten dominiert. 31 Beim mittleren Dienst also, der den Hauptanteil der genannten Konkurrenzzusammenschlüsse bildete, stieß sie offensichtlich noch auf Zurückhaltung (die sich allerdings noch im Laufe des Jahres 1917 stark reduzierte). Dazu kamen regionale Gegenunternehmungen (die die IG übrigens indirekt als überwiegend preußisch-norddeutsche Angelegenheit ausweisen). Im südlichen Deutschland, namentlich in Bayern, Württemberg, Baden, Sachsen und auch in Hessen waren einheitliche sog. Landesverbände entstanden, aus deren Mitte dann u m 1917 die Bestrebung erwuchs, in eigener Regie einen »Reichs verband Deutscher Beamten vereine« zu gründen; die IG, so sagte man im Süden, sollte sich darin »eingliedern«. 32 Gar nicht zu übersehen war schließlich der Verband deutscher Beamtenvereine, zwar keine Neugründung, aber ein großer Block, der 1912 den reinen Selbsthilfegedanken aufgegeben und sein Programm auch auf die Interessenpolitik ausgedehnt hatte und nun, als ebenfalls integrativ angelegte Organisation, Anspruch auf maßgebliche Mitgestaltung eines umfassenden Interessenzusammenschlusses anmeldete. 33 Die Lage zu Beginn der zweiten Kriegshälfte kann demnach so beschrieben werden, daß es eine allenthalben spürbare Neigung zur Konzentration der Beamteninteressenorganisationen gab, aber auch unterschiedliche Ansätze dazu. Wenn die grundsätzliche Konzentrations Willigkeit mit dem Endziel einer Globalorganisation anhielt oder gar anwuchs - und das schien der Fall zu sein - , dann ging allerdings das Nebeneinander ohne Klärung der gegenseitigen Verhältnisse nicht lange gut. Der V D B wie die IG hielten jedenfalls eine Aussprache schon Mitte 1917 für notwendig. Ebenso mußten die Beziehungen zu den süddeutschen Verbänden bereinigt werden. Die 237
Zusammenkunft, die letztlich alle wünschten, fand am 8./9. September 1917 in Stuttgart statt. Obwohl es zu den Intentionen der Versammelten gehörte, auch über den Zusammenschluß der Teilnehmerorganisationen (außer der IG, dem VDB und den süddeutschen bzw. oldenburgischen, mecklenburgischen und elsaß-lothringischen »Landesverbänden« waren es der Bund der Gemeindebeamten Deutschlands und der Deutsche Lehrerverein) zu beraten, kam es zur regelrechten Verschmelzung freilich nicht. Aber man gelangte zu wesentlichen Klarstellungen, so u. a., daß der IG als stärkster Kraft nicht zuzumuten sei, sich einfach hinter das Firmenschild fremder Initiativen stellen zu müssen und daß andererseits der VDB und die »Landesverbände« (insgesamt) paritätisch mit der IG behandelt werden sollten. Überdies erzielte man prinzipielle Übereinstimmung über die Notwendigkeit einer Gesamtinteressenvertretung der Beamten und vollzog sogar Schritte zur Annäherung. Die am 9. September einstimmig angenommene Entschließung aller enthielt das Bekenntnis zur engen Zusammenarbeit. Wörtlich: »Die heute in Stuttgart versammelten Vertreter [von Beamtenorganisationen] erachten den Zusammenschluß sämtlicher Vereine zu einheitlicher, gemeinsamer und praktischer Arbeit auf dem Gebiete des Beamtenrechts, der Besoldungsfrage und der Hebung und Anerkennung des Beamtenstandes und der wirtschaftlichen Selbsthilfe für dringend notwendig. β34 Außerdem wurde die Bildung eines »Reichsarbeitsausschusses« vereinbart, der neben der Inangriffnahme »bestimmte[r] wichtige[r]« gemeinsamer Interessenfragen sich auch um die Realisierung des Zusammenschlusses »der bestehenden großen Verbände in einen Reichs verband« bemühen sollte.35 Tatsächlich geschah allerdings wenig, außer daß Unterausschüsse, darunter ein »Organisationsausschuß«, eingesetzt und in den Sitzungen des Gesamt-Reichsarbeitsausschusses (im Dezember 1917 und im Juni und September 1918) weitere Beschlüsse gefaßt wurden, die Verständigung voranzutreiben. 36 Auf dem Gebiet der praktischen Interessenpolitik trug die Zusammenarbeit ebenfalls keine üppigen Früchte, zumal das jeweils selbständige Vorgehen der Reichsarbeitsausschuß-Mitglieder keineswegs aufhörte. 37 Es war nur zu offensichtlich, daß keine Seite der anderen ganz traute, bzw. alle ihre eigenen Vorstellungen durchsetzen wollten. Dabei stellte sich auch heraus, daß als eigentliche Kontrahenten die IG und der VDB einander gegenüberstanden. Darin, daß die Beamtenschaft im Krieg wirtschaftlich und sozial schwere Einbußen erlitten habe, daß sie nicht einfach nur materiell Not leide, sondern auch hinter anderen Teilen der Gesellschaft zurückgefallen sei, ging der VDB mit der »Interessengemeinschaft« noch einig. Einigkeit bestand weiter darin, daß man dagegen etwas unternehmen müsse und daß Zwistigkeiten der Beamten untereinander der Sache schadeten. Stimmte der VDB damit auch der Notwendigkeit eines organisatorischen Zusammenschlusses aller Beamten prinzipiell zu, vertrat er in bezug auf Form und 238
Ziel der Gesamtorganisation allerdings schon abweichende Ansichten. Es gibt kaum konkrete Hinweise darauf, welche formale Organisation dem VDB im einzelnen vorschwebte, soviel wird man jedoch sagen können, daß sie, wiewohl gleichermaßen als Dachverband korporativer Mitglieder verfaßt, wahrscheinlich lockerer gefugt und, wenn überhaupt, viel weniger auf fachlich gegliederte Berufs Vertretungen aufgebaut sein sollte als das, was die bestimmenden Kreise der IG zu schaffen vorhatten. Auf den fachlich-professionellen Aspekt der Beamtentätigkeit legte man im VDB jedenfalls vergleichsweise wenig Wert. Man bestritt die Nützlichkeit beruflicher Kenntnisse nicht, verbuchte sie aber nur als notwendiges Übel, dem fast kein Eigenwert innewohne. Mit Blick auf die »neue Zeit« nach dem Krieg, mithin sicherlich nicht ohne prinzipiellen Ernst, schrieb das zentrale Verbandsorgan des VDB in diesem Zusammenhang: »Einseitige Fachbildung. ist zwar wertvoll, darf aber im Interesse der Volkskultur und des sozialen Fortschritts das Standesglied nicht allein voll befriedigen. Das Wissen soll Mittel zu selbständigem Denken, Suchen, Finden sein, soll wahre Bildung vermitteln. Wir Deutschen neigen ja zur Vielseitigkeit, unser Wesen ist so reichhaltig, daß Einseitigkeit, und sei sie noch so entwickelt, uns nicht befriedigt. Sehen wir deshalb so viel als möglich über die engeren Berufsgrenzen hinaus ins vielgestaltige Leben, besonders auch wir Beamte. [. .] Spezialistentum ist Teilmenschentum, wir aber brauchen Vollmenschen.«38 Hinter diesem Ruf nach dem »Vollmenschen« stand u. a. die Überzeugung von der sich künftig stark ausweitenden Rolle der Beamtenschaft, mehr noch, der gesteigerten Relevanz der Staatstätigkeit, die den Beamten intensiver denn je fordern würde. Den Grund sah man in der sich entfaltenden Gemeinwirtschaft oder in dem (angenommenen) Effekt des Krieges überhaupt, die Gesellschaft zur Volksgemeinschaft zusammenzuschweißen, respektive zu veredeln. Man ging davon aus, daß sich im Nachkriegsdeutschland ein gemeinwirtschaftlich gesteuerter »sozialer Organismus«39 mit der Qualität einer Neuordnung herausbilden und etablieren werde, in der dann dem Beamten, schon als bestimmender Kraft der Gemeinwirtschaft, die Führung notwendigerweise zufalle. Dies war die Vorstellung vom vollendeten »Beamtenstaat« als Verwirklichung sowohl der Volkseinheit wie des »deutschen Volksgeistes«.40 Ideen wie diese von einer unter verstärkter staatlicher Beteiligung stärker durchorganisierten Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung bildeten weder die Erfindung noch - zumal in der Kriegszeit - das Monopol des VDB. Doch außer ihm und dem Kreis der ihm angeschlossenen Vereine gab es, soweit ersichtlich, keine Beamtenorganisation, die dem Beamtenstaat und der Führerrolle des Beamtentums mit vergleichbarer ideologischer Schärfe das Wort redete. Von spezieller Bedeutung in unserem engeren Zusammenhang ist dabei, daß die Vorbereitung auf diese kommenden großen Aufgaben, wie gesehen, nicht etwa in der Vervollkommnung fachlicher Qualitäten, sondern offensichtlich in der Entwicklung und Pflege profes239
sions-indifferenter Tugenden bestehen sollte. Präziser gesagt, die beruflichen Anforderungen wurden in der Führungsrolle adäquate Kategorien übersetzt. »Persönlichkeitswerte«, »Kulturwerte«, »bleibende Lebenswerte«, das Hervorheben der »inneren, sittlichen [und] idealen« Werte und eine ihnen gemäße »Standeskultur« machten also die Hauptsache. 41 N u r sie und nicht plattes, vom Hauptzweck und von seiner einheitlichen Verfolgung ablenkendes Spezialistentum vermochten dem Beamten aus dieser Sicht der Dinge zu seinem wahren Beruf zu verhelfen, nämlich der Volksgemeinschaft im deutschen »soziale[n] Königtum« 4 2 als »Leiter und Lehrer« 43 den Weg zu weisen. N u n war im Krieg die Berufskultur, waren sowohl die Chancen der Beamten, durch Fachwissen und Sachautorität beruflich voranzukommen wie ihr Glaube daran, auch allgemein stark in Mitleidenschaft gezogen worden. Beruf und berufliche Interessenorganisation, deren Begriff sich ohnehin auch prinzipiell nicht zwingend an (moderner, fachlich ausgerichteter) Professionalität orientieren mußte, konnten besonders jetzt, da es tendenziell um materielle Existenzfragen ging, primär ganz anders aufgefaßt werden, nämlich als Einkommensquelle und/oder Einfluß auf die Einkommensund Arbeitsbedingungen. Wenn dies im Augenblick das eigentliche Anliegen organisierter Berufsinteressenvertretung zu sein hatte, brauchte die aprofessionelle Haltung des V D B fur sich noch keine berufspolitische Todsünde zu bedeuten. In der Tat schien der V D B solche Prioritäten nicht zu ignorieren; er engagierte sich jetzt stärker denn je in Fragen der Gehaltsund Beschäftigungsverhältnisse der Beamten. Wenngleich Einsatz für »wirtschaftliche« Belange in der althergebrachten Diktion des Verbandes (verwirrenderweise) weiterhin Selbsthilfe und nicht etwa Lohnkampf meinte, so war die Intensivierung seines Eintretens für die Wirtschaftsinteressen der Beamten auch über die Selbsthilfe hinaus (das dann nicht »wirtschaftliche« Betätigung, sondern Gehaltspolitik u. ä. hieß) doch unverkennbar geworden. Aber was besagte das? U m eins gleich festzuhalten: auf keinen Fall die Infragestellung des Alimentationsprinzips, sondern nur eine bessere Versorgung in dessen Rahmen. Auch dort, wo das Besoldungswesen einschließlich der früherer Zeiten, kritisiert wurde, blieben die Grundfesten des Beamtentums, bis auf die (schon 1912 erfolgte) Absage an die totale interessenpolitische Abstinenz, die freilich nichts weiter bedeutete, als daß der V D B sich nunmehr zum Petitionieren bereit fand, unangetastet. Auch die Teilnahme des V D B an der Beamtenbewegung, die er sich schon aus Gründen der Konkurrenzfähigkeit gegenüber der »Interessengemeinschaft« und um der Stimmung der Beamtenmassen willen nicht versagen wollte oder konnte, sollte nichts Grundsätzliches verändern helfen; über die Koalitionsfreiheit ζ. B. verlor der V D B im Krieg kaum ein Wort. 44 Man gewinnt eher den Eindruck, daß es der VDB-Führung auf Neuerungen oder Verbesserungen ankam, die den Beamten »die Sicherung der Grundlagen ihrer 240
staatsrechtlichen Stellung« 45 in der geltenden Fassung einbrachten, in keiner Weise aber auf die Verwässerung der B i n d u n g an jene Fundamente. M a n sprach ja auch nicht i m N a m e n von Beamten als Arbeitnehmer, sondern pochte aus der Position der besonderen Subordination u n d Treue auf das Recht auf standesgemäßes Leben. 4 6 Klar stellt die nachfolgende F o r m u lierung den Unterschied heraus, der gemacht w u r d e zwischen dem (zulässigen) Eintreten für Alimentationsverbesserungen u n d d e m (verwerflichen) Rütteln an den Fundamenten klassischen Beamtentums: »Die [Forder u n g nach] Teuerungsfürsorge ist. ganz anders anzusehen als eine g r u n d legende Ä n d e r u n g in der Rechtsstellung der Beamten, [Staats-jAngestellten u n d [Staats-]Arbeiter zu ihren vorgesetzten Behörden. Für die höhere Besoldung oder die G e w ä h r u n g von Teuerungszulagen k o m m e n U m s t ä n de in Betracht, deren W ü r d i g u n g nicht entfernt mit d e m erweiterten Vereinsrecht unter denselben Gesichtswinkel gerückt werden darf. Was in d e m ersten Fall lediglich eine praktische M a ß n a h m e wäre, bedeutet im zweiten Fall eine grundsätzliche S c h w e n k u n g von großer Tragweite. «47 Ebenso bezeichnend wie diese Warnung vor jeder grundsätzlichen S c h w e n k u n g war die Entscheidung des V D B , sich an einer (vom Deutschen Technikerverband angeregten) Eingabe an den Bundesrat »wegen Ä n d e r u n g des Reichsvereinsgesetzes« nicht zu beteiligen, der in der Petition gleichzeitig anzusprechenden »Frage der Bemessung und A b s t u f u n g der Beamtengehälter« aber »lebhaftes Interesse« entgegenzubringen. 4 8 Typischerweise herrschte i m V D B auch in der Frage, in welcher Form die Beamteninteressenvertretung institutionalisiert werden sollte, w e n n es einmal zur rechtlichen Fixier u n g kam, spürbare Zurückhaltung vor. Nicht einmal Beamtenausschüsse u n d / o d e r - k a m m e r n fanden sichere Z u s t i m m u n g , oder höchstens sie w u r den akzeptiert. 4 9 U n d das hieß auch: von gewerkschaftlichen Formationen, die, welcher Art auch immer, m e h r sein m u ß t e n als die Ausschüsse, hielt m a n nichts. Wenn also der V D B für die organisatorische Einheit aller Beamten plädierte bzw. die Einigung nach seiner Fasson wollte, so meinte das nicht nur die N e g a t i o n einer in Kategorien der Berufspositionen oder -richtungen zu verstehenden Aufgliederung, sondern auch des Zusammenschlusses auf der Grundlage der sozialökonomischen Gleichartigkeit abhängig Beschäftigter. Seine interessenpolitische Haltung definierte sich nicht einmal primär v o m Beruf (ob unter sozialökonomischem oder professionellem Aspekt), nicht v o n der Berufs-Gruppe oder den Berufsgruppen der B e a m ten, sondern letztlich und ausschlaggebend v o m Stand her als einem (die höheren Beamten ausdrücklich einschließenden) integrativen Gebilde, basierend auf d e m gemeinsamen gesellschaftlichen u n d / o d e r dienstlichen Sonderstatus und d e m daraus sich bildenden »Standesgefuhl«. 5 0 D e m g e g e n ü b e r stellte die »Interessengemeinschaft« nachdrücklich klar, daß sich die Bildung einer allumfassenden Organisation nach ihrer Intention und Auffassung »nur auf der Grundlage der beruflichen Interessenver-
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tretung« vollziehen könne. 51 Darin sollte zum Ausdruck kommen einmal, daß man nicht beabsichtigte, die Fachvereine einzuebnen, sondern sie vielmehr als »Säulen« der Gesamtorganisation nutzen wollte, und zum zweiten, daß die Betonung auf dem beruflichen Aspekt der Interessenwahrnehmung zu liegen hatte im Gegensatz zu einer ständisch-genossenschaftlichen Orientierung mit unterentwickelter »sozialpolitischer« Komponente wie beim VDB. 5 2 Wenn die IG kein gesamtständischer Verband nach Art der VDB-Tradition sein wollte und trotzdem der Einheitsidee huldigte, dann geschah dies aus der schon vorerwähnten Überlegung heraus, daß die wirtschaftliche Evolution die Bildung großer Interessengemeinschaften von sozialökonomisch gleichen oder nahe verwandten Gruppen gebiete (was dann gleichzeitig die dabei erforderliche Dämpfung berufsständischprofessioneller Partikularismen gewährleiste). Die Beamten, die, wie es das IG-Organ »Die Gemeinschaft« 1917 formulierte, »in ihren sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen alle von demselben Boden getragen« seien, 53 durften da hinter anderen Segmenten der Gesellschaft nicht zurückstehen. Was immer »alle« hierbei bedeutet haben mag, in Wirklichkeit waren allerdings nicht alle Beamten angesprochen, sondern nur die, die sich vom sozialen und wirtschaftlichen Status her vergleichen ließen. Wie schon im Bund der Festbesoldeten oder anderen Konzentrationsgebilden der Vorkriegszeit, so begriff man mindestens die höheren Beamten auch jetzt faktisch nicht mit ein. Diese beteiligten sich an der IG ohnehin nicht, während dem VDB manche von ihnen angehörten und dort auch erheblichen Einfluß ausübten. Der Interessengemeinschaft, vermerkte die VDB-Zeitschrift »Deutsche Beamten-Rundschau« dazu mit einiger Süffisance, fehle im Gegensatz zum Verband Deutscher Beamtenverbände ». der Einschlag des höheren Beamtentums ganz. ..« U n d sie stellte anschließend auch klar, daß nach ihrer Ansicht ». die Interessengemeinschaft zur Vertretung der höheren Beamten jedenfalls nicht legitimiert ist, da solche ihr nicht angehören«. 54 Freilich auch der V D B war keine wirkliche Interessenvertretung der höheren Beamtenschaft; auch ihm hatte sich nur ein Bruchteil von ihr angeschlossen und dies weniger aus berufspolitischen Gründen als vielmehr der Vorteile der Selbsthilfe wegen. Im Krieg verarmte der höhere Dienst im Durchschnitt zwar stark, aber das war fur ihn vor Ende 1918 im allgemeinen kein Grund, die Nähe der Bediensteten niederer Laufbahnen zu suchen, und sei es nur als Zweckbündnis. Die prinzipielle Distanz zwischen oben und unten, neben der die kleine Herrlichkeit auch vieler subalterner Vorsteher im Umgang mit ihren Untergebenen sich fast bedeutungslos ausnahm, 55 schien dem höheren Dienst (oder der großen Majorität von ihm) konservierbar, die Regelung von Interessenproblemen auf dem »direkten« Wege zum Dienstherrn (statt über Beamtenausschüsse u. ä.)56 immer noch möglich und ein Vergleich mit dem kleinen Beamten generell verfehlt. Selbst nach der Revolution, als die veränderten Verhältnisse die Aufgabe der frü242
heren »Zurückhaltung« gegenüber der Interessenbewegung ratsam erscheinen ließen, 57 standen sich im Grunde »mittlere und untere Beamte einerseits und höhere Beamte andererseits als Parteien« gegenüber. 58 U m aber darauf zurückzukommen: Die Organisationsbasis der Interessengemeinschaft reduzierte sich faktisch auf die unteren und (mit sich abschwächender Sicherheit) mittleren Beamten. Und deren materielle Verhältnisse, ζ. T. auch Arbeitsbedingungen, bildeten unter den vom Krieg im Zeichen der Angleichung geschaffenen Bedingungen keine schlechte Basis für die Annahme einer weitgehenden, auch sozialökonomisch als solche deutbaren Interessenhomogenität. In der IG war es auch verbreitet üblich geworden, den Staatsbediensteten trotz nicht zu leugnender Unterschiede zum gewöhnlichen Angestellten oder Arbeiter faktisch als Arbeitnehmer zu betrachten. »Wenn er arbeitet«, hieß es dazu im Blatt der IG, »so geschieht dies nicht in erster Linie wegen des Standesansehens oder etwaiger Sondervorteile, sondern vorwiegend um der Entlohnung willen; er arbeitet um leben zu können, um für sich und seine Familie das tägliche Brot zu schaffen.« 59 Es lag auf der gleichen Linie, zu fordern, daß der neuen Zeit entsprechend das Verhältnis der Beamten zu ihren Arbeitgebern im neuzeitlichen Sinn geregelt wird«. 60 Und neuzeitliche Regelung bedeutete vor allem die völlige Koalitionsfreiheit und die rechtliche Anerkennung bzw. Absicherung der Beamtenorganisationen als Vertretungen ihrer Mitglieder in Arbeitsangelegenheiten. Diese Einstellung nährte sich im Unterschied zur Vorkriegszeit immer mehr aus Grundsatzkritik. Die Zweifel an der Fähigkeit des klassischen Beamtensystems, jemals zeitgemäße Möglichkeiten »eines angemessenen materiellen und ideellen Aufstiegs« zu schaffen, 61 wuchsen, man scheute sich auch nicht, die preußisch-deutsche Beamtenverfassung ganz offen als von »durchaus militärisch-obrigkeitlicher Art« und als »Anachronismus« zu charakterisieren 62 oder gar als »Instrument zur Aufrechterhaltung der konservativen Herrschaft« 63 anzuprangern. Zuweilen stieß die Kritik zu Erwägungen vor, ob das Anstellungsverhältnis der beim Staat Beschäftigten als Beamte überhaupt noch sinnvoll sei. »Die Gemeinschaft«, Organ der IG, schrieb: »Mancher Beamte wird sich jetzt in der Zeit der wirtschaftlichen und finanziellen N o t herausgesehnt haben aus der festen Lebensstellung.« Wen wundert's, meinte der Artikel weiter, biete sie doch gegenüber der »freien« Anstellung keine Vorteile mehr. Übertriebene »Furcht vor dem Bruch mit den althergebrachten Grundsätzen« sei in dieser Situation fehl am Platze. 64 Dies war keine ganz vereinzelte Stimme. Die Beamten, verlautete im gleichen Sinn etwa von Seiten des Eisenbahnassistentenverbandes (Mitglied der IG), beanspruchten »keine besondere Berücksichtigung, die auch eine besondere einschränkende Behandlung rechtfertigen würde«. 65 Feste Anstellung, Sicherheit des Einkommens und Pensionsberechtigung, seien einst, als sie »alleiniges Vorrecht« der Beamten waren, eine »schöne Sache« 243
gewesen. »Sie haben aber an Wert eingebüßt, seit [ζ. B.] die großen Privatbetriebe, Handelshäuser, Landwirtschaften usw. das gleiche Recht ihren Angestellen eingeräumt haben. Jedenfalls erblickt heute kein Beamter in seiner Anstellung als solcher irgend einen erheblichen Vorteil. Andererseits wird fast jeder Beamte seine Stellung ohne weiteres aufgeben, wenn sich ihm woanders irgend etwas Besseres bietet.« 66 Insbesondere Unterbeamten, die sich ζ. T. selbst von Arbeitern »weit überflügelt« fühlten, konnte die Ambivalenz ihrer Bindung an den Beamtenstatus unangenehm spürbar werden. Sie fragten sich dann auch zu Recht: »Ist es unter diesen Verhältnissen überhaupt noch ein Vorteil, Beamter zu werden?« 67 Es wäre falsch, diese und ähnliche Äußerungen, sei es für die Unterbeamtenschaft, sei es für die IG generell, für repräsentativ zu halten. Man würde sie auch mißdeuten, wenn man sie als Ausdruck eines unabänderlichen radikalen Willens zur »Ausrottung des geltenden Systems« nehme. 68 Sie verrieten oft eher Bedauern darüber, daß es nicht besser gekommen sei, und die Hoffnung, von alten Vorteilen in irgendeiner Weise doch noch weiter profitieren zu können. Die Interessengemeinschaft deutscher Beamtenverbände brannte keine Brücken hinter sich ab. Ernst Remmers persönlich, der eigentliche Motor der IG, kämpfte beispielsweise in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Postunterbeamten Verbandes zumindest noch 1916 für eine Ausgestaltung des unteren Dienstes als vollwertige Beamtenhufbahn.69 Und Albert Falkenberg, einer der agilsten und aufsässigsten Beamtenpublizisten des letzten Jahrzehnts und seit 1917 vernehmlichste Stimme der IG, bezog Stellung gegen die Unterwerfung selbst von Betriebs- und anderen nichthoheitlichen Beamten unter eine »gemeinrechtliche« Regelung als ungute »Radikalkur«. 70 Wahrscheinlich ist es nicht falsch, den Generalnenner dessen, was die IG oder ihr nahestehende Organisationen bezüglich der Statusfrage erstrebten respektive für machbar hielten, in der schon im O k tober 1915 geprägten Formel zu suchen, die kommenden Verhältnisse müßten ». sich orientieren nach dem Grundsatz, daß bei einem Minimum von Abhängigkeit sich der Beamte zum vollwertigen Staatsbürger erheben kann«. 71 Eine gewisse Abhängigkeit, so scheint es, konzedierte man also schon, hielt sie möglicherweise auch für funktional unumgänglich und darum vertretbar, oder erhoffte sie sogar um der wirtschaftlichen Vorteile (Versorgung) willen. Man tat es allerdings trotz gelegentlicher Anfechtungen ohne ideologische Überhöhung, ohne viel Gefühl für die Mythologie des Staatsdienertums, ohne intakten Glauben an die immateriellen Vorzüge des Beamtenstatus' und ohne den Willen, verbleibende Abhängigkeiten als Verpflichtung zu »besonderer Treue« zu verinnerlichen. In gewisser Analogie zum bisher zur Statusfrage Gesagten kann man ferner davon ausgehen, daß das Bekenntnis der IG zur Berufsinteressenvertretung und den gleichgearteten Arbeitnehmerinteressen der breiten Beamtenmassen kein Bekenntnis zur sozialökonomischen Klassenlage bedeutete. Niemand leugnete die Ähnlichkeiten mit Arbeitnehmern in der freien 244
Wirtschaft. »Am nächsten stehen uns wirtschaftlich die großen Kreise der Angestellten und Arbeiter«, schrieb diese Einsicht bestätigend die Deutsche Postzeitung Ende 1916. 72 Doch den Arbeitern gleichstehen wollten im allgemeinen nicht einmal die Unterbeamten - trotz bzw. gerade wegen der klassengesellschaftlich dichotomisierenden Wirkungen des Krieges. 73 Daran änderte nichts, daß man in der IG, entsprechend der Übung vor allem der Unterbeamtenbewegung schon vor 1914, von Arbeiterorganisationen, die freien Gewerkschaften keineswegs ausgenommen, sehr viel hielt, ja sie kopieren wollte. 74 Das Gesellschaftsbild auch progressiver Beamtenorganisationen war nicht dichotomisch, sondern orientierte sich an der Gradation. Auch die Annahme großer, sozialökonomisch bedingter Interessenblöcke sprengte den Rahmen ihres Denkens in gradierten Dimensionen nicht, weil es sich bei dieser Annahme weniger um eine Ableitung aus dem grundlegenden Verhältnis der Gesellschaftsmitglieder zu den Produktionsbzw. Verwaltungsmitteln an sich handelte (Besitz-Nichtbesitz, Verfugung -Nichtverfugung) als vielmehr um eine Unterscheidung nach zusätzlichen Merkmalen des jeweiligen Grund Verhältnisses, also etwa nach der Art und Weise, dem Umfang o. ä. der Selbständigkeit oder Unselbständigkeit. 75 So wurden, selbst wenn man andere Gradationsfaktoren wie berufliche oder sonstige Normen und Werte, Bildung, Herkunft usw. ausklammerte, Differenzierungen innerhalb sozialökonomischer >Klassen< möglich, unter den abhängigen Arbeitnehmern ζ. B. in Beamte, Angestellte und Arbeiter oder in »Festbesoldete« (Beamte plus Angestellte) und Lohnempfänger. Entschieden den Arbeitnehmer-Standpunkt im klassengesellschaftlichen Sinn vertrat nur der freigewerkschaftliche Verband der Eisenbahner Deutschlands (VED). Er wollte die Staatsdiener als Teil der Arbeiterschaft verstanden wissen und ging auch mit dem Beamtenstatus ziemlich konsequent ins Gericht, nicht allein aus seiner prinzipiellen Einstellung heraus, sondern auch, weil der Augenblick dafür günstig schien. Die »Beamtenschaft«, befand die Zeitschrift »Weckruf« schon 1916, trage so schwer an den Nachteilen ihrer besonderen Bindungen, daß sie sich daraus »zurzeit mit Händen und Füßen freizumachen sucht«. 76 Erst recht bekämpfte der V E D Ansichten - sie hatten in den 1916 zum »Zentralverband Deutscher Eisenbahner« vereinigten christlichen Eisenbahnerorganisationen ihre Hauptstütze - , wonach den im öffentlichen Dienst beschäftigten Arbeitern, sogenannten Staatsarbeitern, ein beamtenähnliches Anstellungsverhältnis gebühre. Es wäre verfehlt, so die Argumentation des VED, sich fur einige Scheinvorteile und leere Titel der Möglichkeiten zu begeben, die der Arbeitnehmer bei der Verwirklichung seiner wirtschaftlichen und sozialen Ziele mittlerweile habe. 77 Wenn der V E D eine Ausnahme darstellte, so allerdings eine bedeutende, jedenfalls von 1917 an. In diesem und dem nächsten Jahr erlebte er einen explosionsartigen Mitgliederzuwachs; aus den rund 1000 Getreuen, die bis 1916 durch Dick und Dünn mit ihm gegangen waren, wurden bis Septem245
ber 1918 über 55 Tausend. 78 Das ist nicht von allein gekommen, der überwältigenden Expansion war ein geschickter taktischer Zug vorausgegangen, von dem wiederum gesagt werden muß, daß er ohne die starke Veränderung der allgemeinen sozialen und politischen Landschaft und ohne das Einlenken des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten kaum zu diesem Erfolg geführt hätte. U m für die Eisenbahner, speziell die Eisenbahnarbeiter, die sich offen keiner sozialistischen Organisation anschließen durften, attraktiver und risikoärmer zu werden, beschloß der V E D im Sommer 1916, aus der Transportarbeitergewerkschaft, der er angehörte, auszuscheiden und unter dem neuen Namen »Deutscher Eisenbahner-Verband« (1. Juli 1916) als formal von den freien Gewerkschaften unabhängiger »Betriebsverband« aufzutreten. N u n konnte er einen weiteren, ebenfalls geplanten aber im Verbund mit der Transportgewerkschaft undurchführbaren Schritt tun: er verzichtete auf das Streikrecht, um auch von den Bahnbehörden akzeptiert werden zu können. Damit hatte er mehr Erfolg als erwartet, denn schon am 24. Februar 1917 ließ ihn der am Abbau möglicher Spannungen offensichtlich dringend interessierte preußische Minister der öffentlichen Arbeiten, auf dessen Amtsterritorium die Masse der potentiellen Verbandsmitglieder arbeitete, als legal ausdrücklich zu. So fiel das letzte große Hindernis der Entfaltung, und der D E V gewann im N u Scharen von Mitgliedern. 79 Trotz des - taktischen - Streikverzichts und der äußerlichen Trennung von den freien Gewerkschaften blieb der Verband sich und seinen Idealen treu, wozu es auch gehörte, zwischen Arbeitnehmern beim Staat und anderswo keinen prinzipiellen Unterschied zu machen. O b w o h l der DEV, ungeachtet des zuletzt insgesamt sehr starken Mitgliederzustroms, vor der Revolution im wesentlichen Staatsarbeiter, d. h. wahrscheinlich immer noch verhältnismäßig wenige (Unter-)Beamte organisierte, schuf er eine prinzipiell wichtige Verbindung zwischen Arbeitnehmer innerhalb und außerhalb des Staatsdienstes auf einer sozialen Ebene, die entschieden tiefer lag als jene, auf der sich Beamte und Angestellte im Bund der Festbesoldeten einst treffen wollten. Dieser Öffnung sollte in der veränderten Situation nach dem November 1918 sowohl grundsätzlich wie in quantitativer Hinsicht noch eine erhebliche Bedeutung zukommen. Bis dahin freilich galt, daß die allermeisten Beamten keinen Geschmack daran fanden, sich zur proletarischen Klassenlage und der Klassengemeinschaft mit den Arbeitern zu bekennen, sie brachten es mindestens nicht zum Ausdruck. Dies bedeutete jedoch nicht, daß sie alle die soziale Position und Rolle des Beamtentums, dem Verein Deutscher Beamtenverbände gleich, aus der klassischen staatsständischen Perspektive sahen. Die »Interessengemeinschaft« jedenfalls - darauf ist schon oben hingewiesen worden - propagierte keinen obrigkeitsstaatlichen Führerstatus und keine entsprechende Führungsaufgabe. Sie bekannte sich zur staatsbürgerlichen Gleichheit (und legte staatsbürgerliche Selbsterziehung jedem Staatsdiener drin246
gend nahe) im Sinne der Absage an eine von Natur aus höhere Weihe des Beamtentums. Anstelle der alten Legitimation verlangte sie von der Gesellschaft dafür die Anerkennung der Beamtentätigkeit als notwendige und produktive Arbeit und vom Staat die Entlassung in die (fast uneingeschränkte, eigentlich nur vom Streikverzicht geschmälerte) staatsbürgerliche Freiheit. Im Gegensatz zum V D B sprach sich die Interessengemeinschaft beim politischen Wechsel des Oktober 1918 prompt für den Staat der parlamentarisch verantwortlichen Parteien-Regierungen aus und durchbrach damit die alte Barriere des tradierten, streng überparteilichen Dienstideals. 80 O b w o h l diese recht aufgeschlossene Haltung keine programmatische Verdichtung erfuhr - die IG tat sich mit einem offiziellen Programm wegen der Schwierigkeit der Materie, wegen Rücksichten auf ihre eigene, relativ bunte Zusammensetzung und der Kontroversen innerhalb der Reichsarbeitsgemeinschaft doch schwer - , wurde die Marschroute für alle, die mitzudenken und mitzuziehen gewillt waren, gut erkennbar, erkennbar übrigens nicht nur in sich, sondern auch als weltanschaulicher Gegensatz zum VDB. 8 1 Trotz der beiderseitigen Absichtserklärungen, nach einem modus vivendi zu suchen, trotz auch der in diesem Sinne tätigen Sonderausschüsse zuletzt gab es einen Verständigungs-»Dauerausschuß« - wuchs infolge der unterschiedlichen und fest behaupteten Grundpositionen in der Reichsarbeitsgemeinschaft die Spannung zwischen IG und VDB immer weiter an. Es kam zwar zu keiner förmlichen Entscheidungsschlacht, aber im Frühherbst 1918 waren die Gegensätze allem Anschein nach schon so unversöhnlich, daß die Hoffnung auf einen Kompromiß und damit die Motivation zur Zurückhaltung schwanden. Mindestens dürfte dies auf Seiten der IG der Fall gewesen sein. Am 22. September 1918, auf der dritten Sitzung der Reichsarbeitsgemeinschaft, hielt im Namen der IG deren Generalsekretär Ernst Remmers eine Rede, die man als Einleitung einer großen Kraftprobe empfinden kann. Remmers forderte den V D B mehr oder weniger ultimativ auf, sich auf sein ursprüngliches Gebiet, die Selbsthilfe, zurückzuziehen, während er für die IG gleichzeitig die generelle Zuständigkeit in der Berufsinteressenvertretung reklamierte. 82 Damit ging, vermutlich in richtiger Einschätzung ihrer Stärke, die tendenziell gewerkschaftliche Richtung in die Offensive. Sie sollte sich bald darauf tatsächlich durchsetzen; der Deutsche Beamtenbund wurde am 4. Dezember auf ausdrücklich »gewerkschaftlicher Grundlage« gegründet. 83 Damit sollte sich nicht nur die ersehnte Vereinigung der Beamtenbewegung vollenden. Es schien sich auch der seit langem schwelende und zuletzt akute Statuskonflikt der Beamtenmassen zugunsten ihrer dominant sozialökonomisch definierten Arbeitnehmereigenschaft aufzulösen. Bei näherem Hinsehen entdeckt man allerdings, daß die schon im September 1918 sich abzeichnende Gewerkschaftlichkeit der potentiell vereinigten Beamteninteressenvertretung mit Hypotheken belastet war. Vor al247
lern zwei Phänomene sind hier von Belang. Gemeint ist einmal das von der »Interessengemeinschaft« frühzeitig thematisierte und auch später vorherrschende Prinzip der Unvereinbarkeit der Beamteninteressenvertretung mit der Öffnung zu jeder anderen, externen Interessenorganisation oder sozialen Gruppe. 84 Das zweite Charakteristikum war die grundsätzliche Bejahung (oder zumindest fehlende konsequente Ablehnung) des Berufsbeamtentums. 85 War die sich gewerkschaftlich deklarierende Beamtenbewegung, die solche Merkmale trug, nicht doch nur bloße Standesvertretung, nicht die Organisation der Staatsdienerkaste zur Verteidigung von Standesprivilegien in einer den Zeitverhältnissen angepaßten Gestalt? Nun ist sicher, daß man beide hier in Frage stehenden Eigentümlichkeiten nicht undifferenziert sehen darf. Hinter der organisatorischen Selbstabschirmung ζ. B. verbarg sich nicht zwingend das Sonderbewußtsein einer ständischen Gemeinschaft oder ähnliches. Man wollte sich ja nicht abkapseln. Es wurde vielmehr größter Wert gelegt auf die Angleichung an die Gesellschaft. In der »Interessengemeinschaft« stand die Maxime von der »mögliche[n] Auflösung der gesellschaftlichen Geschlossenheit des Beamtentums und dem Aufgehen im allgemeinen Staatsbürgertum« offenbar noch höher im Kurs als in der Vorkriegs-Beamtenbewegung. Denn von dieser »Sozialisierung« der Beamten bzw. dem Ausgang dieses Prozesses hingen jetzt, wie es schien, »Aufstieg oder Untergang« ab. 86 Die Beamten sahen sich allerdings als interessenorganisatorisch relativ unterentwickelte Nachzügler und befürchteten, daß eine Verschmelzung ihrer Verbände mit den als stärker geltenden Arbeitergewerkschaften oder Angestelltenvereinen nur zu deren Konditionen möglich, mithin nachteilig sei. Es galt überhaupt als unsicher, ob Beamte in diesen Fremdvertretungen willkommen seien. Das hatte nicht zuletzt damit zu tun, daß die Beamten sich - im Krieg noch stärker als vordem - grundsätzlich von einer ihnen vorwiegend negativ gesonnenen Öffentlichkeit umgeben sahen. Allem voran bestand das alte Spannungsverhältnis zum gewerblichen oder besitzenden Mittelstand, jetzt durch einen noch schärferen Konsumenten-Produzenten-Gegensatz vertieft und um akute Querelen zwischen Beamten und Hauseigentümern erweitert, 87 fort. Dies wog um so schwerer als alter Mittelstand und Großunternehmertum auf der Grundlage der Profitsolidarität88 und des zum Kriegsende aufblühenden Anti-Etatismus einander näher rückten, so daß sich auf dieser Seite eine ungewöhnlich breite und eine antibürokratische, d. h. auch Anti-Beamten-Front, bildete. Auf der anderen Seite gab es seit dem (praktisch schon 1912) gescheiterten Versuch mit dem Bund der Festbesoldeten keine wirksame Annäherung der Beamten an die Privatangestellten und umgekehrt. Nicht anders verhielt es sich im ganzen mit den Arbeitern, ungeachtet der grenzüberschreitenden Wirkung des »Deutschen Eisenbahner-Verbandes« und der Sympathien manch anderer Beamtenverbände für die freien Gewerkschaften. Bei den Beamten - angesichts des zu großen sozialen Abstandes des höheren Dienstes, der
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eine ernsthafte Beachtung des Proletariats von dessen Seite ausschloß, kann man hier nur von mittleren und Unterbeamten sprechen - dominierte die Eifersucht auf die politisch wie wirtschaftlich relativ verbesserte Lage (mindestens von Teilen) der Arbeiterschaft. Und was die Gewerkschaften und die SPD angeht, blieben sie ihrem Vorkriegsverhalten treu, d. h. sie entwickelten kein explizites, geschweige denn konsequentes Beamtenprogramm oder -politik. 89 So kam man in den Beziehungen zueinander über eine vage Konsumenteninteressengemeinschaft nicht heraus, sofern der auch die Arbeiter und Arbeiterorganisationen beherrschende Bürokratieüberdruß Gemeinschaftsempfindungen überhaupt zuließ. Alles in allem konnten sich die Beamten in der Gesellschaft während des Krieges genausowenig wie davor, wenn nicht weniger denn je, zu Hause fühlen. Diese direkte oder indirekte partielle Zurückweisung kann ihre auch aus anderen Überlegungen resultierende Strategie, ihr Heil im organisatorischen Alleingang zu suchen, noch verstärkt haben. Auch in bezug auf die Einstellung zum »Berufsbeamtentum« muß man relativieren. Kein Beamten/jerw/sverein verband mit dem Begriff programmatisch und/oder uneingeschränkt etwa die Vorstellung von Beamtenherrschaft. Erst recht dagegen war man, wenn Berufsbeamtentum Unterwerfung im Sinn des besonderen Gewalt- und Treueverhältnisses bedeutete. Die Geschichte der Beamtenbewegung seit 1890 ist zum großen Teil die Geschichte der angestrebten Loslösung der Beamtenmassen von dieser Bindung. Wenn also Berufsbeamtentum bejaht und dabei nicht als Fachprofessionalität verstanden wurde, dann meinte das primär nur noch Vorteile der Alimentation. Natürlich blieb das Recht auf Alimentierung und Fürsorge eine Begünstigung ständischen Ursprungs und, trennte man es von den besonderen Beamtenpflichten, eine fragwürdige dazu. Aber der Wunsch nach Beibehaltung dieser Privilegien erscheint in seiner gleichsam aus der organischen Einheit des vollen Beamtenbegriffs herausgenommenen Form nicht als gänzlich inkompatibel mit einer Art gewerkschaftlichem Selbstverständnis. Man kann ihn also durchaus begreifen als das materielle Anliegen einer bestimmten Arbeitnehmerkategorie, die eben nicht die moralische Größe besaß, auf bestehende Vorteile freiwillig zu verzichten. All die Argumente gegen den Eindruck eines ständisch geschlossenen und verwurzelten Berufsbeamtentums unter gewerkschaftlicher Tarnkappe mögen einiges ins richtige Licht rücken und eine differenziertere Sicht der Dinge ermöglichen. Es läßt sich jedoch nicht wegdiskutieren, daß die Beamtenbewegung auch in dieser höchsten Entfaltungsphase ihrer bisherigen Geschichte den Sprung zur vollständigen Emanzipation nicht nur nicht geschafft, sondern auch nicht gewagt hat. Die unstrittig großen organisatorischen Fortschritte hoben die Wirkungsmächtigkeit regressiver Vorstellungen und Kräfte nicht ganz auf, »neuzeitliche Regungen« 90 verwoben sich nur zu häufig mit Atavismen, vieles blieb halbverstanden oder Scheinbe249
kenntnis zum Neuen. Man war also dem Tradierten gegenüber insgesamt doch noch verbreitet anfällig und im Angesicht der Moderne unsicher. Allerdings kann man dies auch wieder nicht gleichmäßig auf alle Beamte und Beamtenorganisationen beziehen. Es gab, wie gesehen, typische Trendunterschiede, und einzelne Segmente der jetzt schier allumfassenden Gesamtbewegung sahen sich in Manchem wie durch »Welten«91 voneinander getrennt. A m tiefsten in orthodoxer Haltung verankert blieben der Verband Deutscher Beamtenvereine und selbstverständlich die höheren Beamten, letztere in einem Ausmaß, daß sie als Teil der integrativen Interessenbewegung vor der Revolution ganz ausschieden. Am weitesten auf gewerkschaftliches Terrain stießen die freigewerkschaftlichen Eisenbahner vor. Doch befand sich unter ihnen trotz des zuletzt beträchtlichen Mitgliederzuwachses nach wie vor eine verhältnismäßig geringe Anzahl von Beamten (die Mehrheit bildeten Staatsarbeiter). Als eigentliche Repräsentanten des Gewerkschaftsverständnisses von Beamtenmassen kann man so die »Interessengemeinschaft« verbuchen. Sie war am Ende zwar nicht mehr ganz jene von der relativen Radikalität der Betriebsunterbeamten getragene Kraft, als die sie gestartet war, sondern ein breites Sammelbecken fur Berufsvereine (Fachvereine). Gleichwohl wurde sie insgesamt eher von Pietätlosigkeit gegenüber dem klassischen Beamten- und Staatsdienstideal geprägt als durch Fixiertsein darauf Sie stellte eine relativ weit entwickelte und, was mehr zählte, noch weiter entwicklungsfähige Arbeitnehmervertretung dar, keine fertige Gewerkschaft, aber den passenden Rahmen, in dem der gleichsam »innere Ausbau auf gewerkschaftlicher Linie« vervollkommnet werden konnte. 92 Sie hatte sich, so scheint es, weit genug vom offiziellen Uralt-Beamtenmodell entfernt, um von dessen Gravitationskraft nicht absolut sicher beherrscht zu werden. Es war mit anderen Worten denkbar, daß sie neue Schritte auf dem Weg der Modernisierung tat, wenn die Umstände sie dazu anregten oder gar zwangen. Die Kriegszeit endete mit der Dominanz der »Interessengemeinschaft«, daher im Prinzip auch mit der Aussicht auf eine gleichsam von unten herkommende Überwindung der akuten Inkongruenz, die sich zwischen dem öffentlich-rechtlichen Beamtenstatus und der sozialökonomischen Wirklichkeit der meisten Staatsbediensteten aufgebaut hatte. Und solange diese Aussicht bestand, bestand die Hoffnung auf den vielleicht entscheidenden Schritt aus der Dauerkrise des Beamtendaseins, ja der Staatsverwaltung schlechthin.
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IV. Zusammenfassung und Ausblick
Blickt man von dem Stand her, den die Dinge Ende 1918 erreicht haben, auf die vergangenen 40-50 Jahre zurück, ist man zunächst auf den zurückgelegten Weg fixiert. Man registriert, nicht unbeeindruckt, wie weit die Bürokratie doch von den Verhältnissen abgerückt ist, die zu Beginn der 1870er Jahre bestanden hatten. Es lag zweifellos sehr viel hinter der Beamtenbewegung. Aber nicht nur sie, die Beamten überhaupt und gerade auch die Verwaltung als Arbeitsorganisation und Ordnungssystem hatten eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Seit der Reichsgründungszeit spielte sich als Folge der Anpassung an die sich modernisierende wirtschaftliche und soziale Umwelt eine wesentliche Erweiterung der Verwaltungsaufgaben und eine einschneidende Ergänzung der Verwaltungsziele bzw. der Verwaltungskonzeption ab. Der preußisch-deutsche Staat wandelte sich im modernen, umfassenden Sinn zum Leistungsträger und erreichte auf dem Gebiet der Daseinsvorsorge noch im 19. Jahrhundert Positionen, die anderswo in der Welt erst am Vorabend des Ersten Weltkrieges oder noch später gewonnen wurden. Eskortiert wurden diese Fortschritte von dem definitiven Heranreifen einer vormals relativ kleinen und berufsinhaltlich wie -technisch eher homogenen Bürokratie von vorherrschend elitärer Aura zu einem von Personalmassen geprägten Großsystem mit buntscheckigem Fachprofil. Diese Entwicklungen brachten eine beträchtliche Erhöhung der funktionalen Eigenansprüche aber auch der Fremderwartungen mit sich. Rapider Aufgabenzuwachs und apparativer Ausbau erforderten mit anderen Worten wesentlich verbesserte Organisations- und Verrichtungstechnologien. Man begegnete diesen Herausforderungen zum Teil mit Bravour, die Rationalisierung von Verwaltung und Betrieb der preußischen Staatseisenbahnen ζ. B. gelang, wie man weiß, eindrucksvoll. In einer für Bürokratien ungewöhnlich lernfähigen Weise verstand sich die preußische Verwaltung überhaupt darauf, an einmal erkannte Modernisierungsaufgaben tätig heranzugehen. Die Aktivitäten etwa zur Verbesserung der Berufsausbildung, der Rekrutierung oder - ein herausragendes Beispiel - zur Erneuerung der gesamten inneren Verwaltung belegen dies zur Genüge. Auch die fortgesetzten, stets sorgfaltigen Bemühungen um Besoldungsreformen gehören hierzu. Neben solchen planvollen Vorgängen gab es den informellen Wandel 251
besonders ausgeprägt im Personalbereich. Der Sinngehalt von Beamtenstatus und Beamtenfunktion, das Verhältnis von Beamten zu Beamten und nicht zuletzt die Beziehungen zwischen Staat und Staatsdienern haben sich im Laufe der Zeit in bedeutendem Maß vom orthodoxen Staatsdienst- und Staatsdienerideal entfernt. Zwei Momenten kam hierbei überdurchschnittliche Bedeutung zu, erstens einer spezifischen Statusminderung der Personalmehrheit, zweitens den gleichzeitigen Emanzipationsregungen der gleichen Majorität. Während des Verlaufs jener rund 50 Jahre geriet ja das Gros der Beamtenschaft in eine durch Wachstum, Durchbürokratisierung und Funktionswandel des Staatsapparates erzeugte Situation, in der es nur noch Gegenstand eines bürokratischen Herrschaftssystems sein konnte und nicht länger dessen Teil. Aus der Figur des Staatsbediensteten als Träger delegierter Herrschaft wurde so unterhalb der jetzt von anderen schärfer denn je separierten höheren Dienstebene faktisch der abhängige Arbeitnehmer. Die Objekt-Rolle, die er innerhalb des Staatsbereichs spielte, vermochte er auch nach außen hin nicht oder selten und auch dann nur stark abgeschwächt und meist ohne überzeugende Legitimation in ein Subjekt-Verhältnis umzumodeln. Eben diese Statusminderung warf aber sogleich die Emanzipationsfrage auf. Es schien möglich, ja notwendig, sich sowohl dem Staat wie der Gesellschaft gegenüber (auch) auf alternative Weise zu präsentieren und zu behaupten, nämlich durch herrschaftsunabhängige professionelle Kompetenz und Leistung und/oder starke, sei es an berufsfachlichen, sei es primär an übergreifenden sozialökonomischen Faktoren des Arbeitnehmerdaseins orientierte Interessenwahrnehmung. Selbst in der höheren Laufbahn sah sich der auf das sogenannte Juristenmonopol und die juristische Vorbildung als Herrschaftswissen gestützte Typ des Einheitsbeamten in hoheitlicher Funktion durch den Fachbeamten mit Leistungsaufgabe (wenngleich nicht das höhere Beamtentum als Herrschaftsgruppe) in Frage gestellt. Daß die mittleren und unteren Beamten auf derlei Strukturverschiebungen mit einer berufs- und interessenpolitischen Selbstmobilisierung reagierten, gehört unmittelbar noch zum anzuzeigenden Wandel, verboten sich doch solche Selbständigkeits- oder Selbstbestimmungsbestrebungen nach dem klassischen Beamtenmodell ganz und gar. Angesichts all dieser Vorgänge ist der Eindruck weit ausladenden Wandels, wie gesagt, schwer abzuwehren. In Kenntnis des Gesamtgeschehens bleibt diese Impression dennoch zwiespältig. Der Rückblick nötigt gleichzeitig zur Feststellung des Gegenteils, nämlich daß trotz aller Bewegung, die in die Bürokratie-Szene gekommen war, man sich kaum vom Ausgangspunkt entfernt hatte oder wenn doch, dann ohne dieses Sich-Entfernt-Haben ganz bewältigen zu können. Es scheint, als habe es Fortentwicklung und Stillstand in einem gegeben. Z u m Teil erklärt sich diese sozusagen dynamische Stagnation sicher daraus, daß es Bereiche in der Staatssphäre gab, an denen die Evolution fast spurlos vorübergegangen 252
war. Die eigentliche Erklärung freilich ist, daß auch tatsächlich stattgefundene, sei es bewußt herbeigeführte, sei es spontan vor sich gegangene Änderungsprozesse vielfach insuffizient blieben. Das meint z.B., daß die Durchführung geplanter Innovationen (Reformen) mißlang, oder daß die Durchführung zwar glückte, die Konzeption jedoch nicht stimmte und ebenso, daß der Wandel nur informell stattfand und die Informalität nicht zu überwinden vermochte mit der Konsequenz, daß er keine Verbindlichkeit erlangte und am Ende gegen die bestehenden Formalstrukturen nicht ankam. Vielleicht läßt sich dies alles zusammenfassend so sagen, daß das richtige Gespür der preußischen Bürokratie für zukunftswichtige Aufgaben und die Aufgeschlossenheit für deren Wahrnehmung zwar von einem gehörigen Gärungsprozeß bzw. von manch aufwendiger, ja imposanter Umstellung, aber letztlich von keiner die traditionellen Bürokratiestrukturen entscheidend treffenden Umgestaltung begleitet wurde. Nach rund einem halben Jahrhundert intensiver Entwicklung befand sich die preußische Bürokratie also immer noch in einem unentschiedenen Zustand, in dem Altes und Neues eine zuweilen bunte Mischung bildeten. Aus orthodoxer Sicht, einer Betrachtungsweise, für die Sanierungsmaßnahmen sich schon wie Strukturwandel ausnehmen mochten, war das M o dernisierung genug. Doch unleugbare Disfunktionalitäten, Verunsicherungen auch in Grundsatzfragen und notorische Interessengegensätze zwischen Behördenobrigkeit und Personal u. ä. zeigten an, daß wohl weitergegangen werden mußte, daß sich moderne Zielsetzung mit einer in mancher Beziehung veralteten Bürokratie nur begrenzt verfolgen ließen. Eine weitergehende Modernisierung fiel indessen nicht leicht. Schuld daran war zunächst die sachimmanente Schwierigkeit, ein seit langem bestehendes, technisch seinerzeit ebenso solid gebautes wie ideell fest verankertes Bürokratiegebilde umrüsten, wenn nicht gar durch eine Neukonstruktion ersetzen zu müssen; Länder, die zur gleichen Zeit eine moderne Staatsverwaltung im wesentlichen erst neu zu entwickeln sich gezwungen sahen, hatten es in dieser Beziehung leichter. Einen guten Teil der Schuld trug ferner die Staatsfuhrung und die herrschende Beamtenelite, deren (politischer) Konservatismus und Herrschaftsinteresse das Denken wie Handeln jenseits einer illiberalen Konvention häufig ausschloß oder sehr erschwerte. Die hohe Bürokratie war nicht uneinsichtig und nicht wandlungsunfahig, aber im Grunde ließ sie, mag sie auch die Bedürfnisse der angehenden Wohlfahrtsgesellschaft richtig erahnt haben, nur eine gleichsam bewahrende Erneuerung zu. Der Fortschritt in der Bürokratie mußte ins konservative Schema passen. So blieb dann mancher spontaner, informeller Wandel ignoriert oder schlicht verboten. Auf ein Minimum schrumpfte die Innovationsbereitschaft von Regierung und maßgeblichen Beamtenkreisen insbesondere dann, wenn es um die Beamtenverfassung, die rechtlichen und ideologischen Fundamente des Beamtentums ging. Hier gab man selten Pardon, Abweichungen provozierten in der Regel den 253
Griff zu den Mitteln repressiver Machtpolitik. Daß die Schwerkraft des Althergebrachten nicht eindeutig und zuverlässig durchbrochen werden konnte, lag gleichwohl an der übrigen Beamtenschaft mit. Auch sie schleppte, bewußt oder unbewußt, einiges von den überkommenen Dienst- und Gesellschaftsvorstellungen mit sich. Selbst privilegienärmsten Rang- und Funktionskategorien fiel es ungeachtet verbreiteter Emanzipationsabsichten schwer, sich von der Tradition verläßlich loszusagen, wiewohl die Beamtenmassen mittlerweile weniger der Staatsdiener-Exklusivität, dem Ethos des Berufsbeamtentums oder anderen typischen Beamtentugenden aus der Vorzeit anhingen als den sozialpolitischen Verheißungen der Verbeamtung. Wenn die Loslösung von den tradierten Verhältnissen vorerst nur unvollkommen gelang, dann hatte das außerdem viel mit der problematischen Beziehung zwischen Beamten und Gesellschaft zu tun. Eine Annäherung beider Seiten, die von der zunehmenden Ambivalenz des besonderen Beamtenstatus her am Ende ebenso folgerichtig wie wünschenswert schien, erfolgte nicht; die Beamten, obwohl längst keine echte soziale und berufliche Sondergemeinschaft mehr, fanden in ihrer Mehrheit ihren Platz als Bürger unter Bürgern nicht. Es steht außer Frage, daß ihr amtlicher Rechtsstatus und ihre bei allem Integrationswunsch widersprüchlich gebliebenen Eingliederungsideen und -gebahren eine definitive Sozialisation neuer Art behinderten. Nicht weniger stand allerdings die Gesellschaft der Auffüllung der Kluft im Wege. Abgesehen von einem auch in ihr noch recht lebendigen ständischen Separatismus, der indirekt sicher eine Rolle spielte, sperrte sie sich (mit Ausnahme der wenigstens die Spitzen der Bürokratie einbegreifenden herrschenden Schichten) den Integrationsavancen der Beamtenschaft noch aus vielerlei Gründen - einer Mischung aus Ressentiments, abweichenden Interessen und tief sitzender Gewöhnung an die Trennung vom Staat und somit auch an das vermeintlich immerwährende Anderssein von Staatsbediensteten. Je mehr Zeit verging, desto schwieriger gestaltete sich die Aufarbeitung der Modernisierungsdesiderate, zumal weiterhin neue Punkte hinzukamen, während die ursprünglich relativ große Unbefangenheit derlei Problemen gegenüber immer mehr schwand. Es war in dieser Beziehung kein gutes Omen, daß der Durchbruch zu einer konstruktiven Problembewältigung auch in den Jahren krisenhafter Zuspitzung um 1909 ausblieb. Im Krieg braute sich immerhin noch einmal eine Situation zusammen, die genügend vorwärtstreibende Impulse zu geben versprach. Die Inkorporation des Staates als Redistributionsinstanz in Wirtschaft und Gesellschaft erfuhr eine ruckartige Steigerung und man erlebte die Realisierung mutmaßlich zukunftsweisender Organisationsmuster in der Verwaltung. Und wenn die innovativen Anstöße der Kriegswirtschaft im Zeitverlauf weitgehend der bürokratischen Überfremdung - ironisch gesagt der streng reglementierten Ineffektivität - zum Opfer fielen, so hatte auch das sein Gutes. Denn die 254
autoritäre Verwaltungsordnung stellte sich in bedenklichem Maß bloß; sie demonstrierte ihre dringende Erneuerungsbedürftigkeit nachhaltig. Damit übereinstimmend geriet das orthodoxe Beamtenmodell auf einen Tiefpunkt seiner Reputation. Dafür nahm der Verfall des überlieferten Beamtenethos ungewöhnlichen Umfang an, gepaart mit der bisher höchsten Steigerung des interessenpolitischen Selbstbewußtseins und Aktionismus in der Beamtenschaft. Aus dieser Gleichzeitigkeit gegenläufiger Vorgänge ergab sich schließlich eine ausgedehnte Radikalisierung weiter Beamtenkreise,1 was dann auch wieder auf die mittlerweile erreichte Destabilisierung der gesamten Bürokratie zurückverwies; alles drängte offenbar auf eine große Lösung. Und dennoch, weder die gesteigerte Radikalität der Beamtenbewegung noch die im Krieg erlittenen Schlappen der Verwaltung gingen wohl weit genug. Was sich schon 1909-1914 angedeutet hatte, reifte 1918 zur quasi Gewißheit heran, nämlich daß weder dem Staat noch der Beamtenschaft aus sich heraus jene Kraft erwüchse, die die überfällige Reform an Haupt und Gliedern auslösen würde. In dieser gleichwohl veränderungsträchtig gebliebenen Situation,2 so die Schlußfolgerung, die die Rückschau mit dem Ausblick verbindet, kam der Einwirkung einer fremden Kraft entscheidende Bedeutung zu. Als im November 1918 der revolutionäre Wechsel zur Republik erfolgte, schien sogar die ideale Kraft geboren, prädestiniert, den Stein ins Rollen zu bringen. Aber Geschichte ist anders. Die Revolutionsregierung schritt nicht zur Revolutionierung des Staatsapparates, sondern beschwor ihn, weiterzumachen wie bisher. Was immer die Motive 3 für diese Selbstauslieferung der jungen Republik an die etablierte Bürokratie waren - »Anti-Chaos-Reflex«,4 Realpolitik, legalistisches oder einfach spießerhaftes Ordnungsdenken, übertriebene Vorstellungen von funktionalem Stellenwert und fachlicher Güte der Verwaltung, der Glaube an die Aufhebbarkeit des als Provisorium Zugelassenen - durch die praktisch ungeschmälerte Übernahme des Beamtenrechts, der Beamten, der Verwaltungseinrichtungen und Verwaltungsstrukturen der Monarchie wurde jedenfalls die Gunst der Stunde, grundlegende Veränderungen herbeizuführen, ungenutzt gelassen. Es ist zwar müßig darüber zu spekulieren, ob das neue Regime die Beamten hätte sozusagen entlassen und das Beamtentum als Institution abschaffen können oder sollen. Aber es beging auf alle Fälle den Fehler, daß es trotz seiner erklärten Absicht, es mit der ererbten Beamtenschaft weiterzumachen, der Beamtenbewegung auch keine ganz eindeutige oder jedenfalls nur eine mißdeutbare und ungesicherte Garantie zur Erhaltung des Berufsbeamtentums gab. Damit verstärkte es die dort schon seit längerem vorherrschende existentielle Furcht vor der Stunde Null zur Panik, was wiederum entscheidend dazu beitrug, daß die Vereinigung der Bewegung zum Deutschen Beamtenbund am 4. Dezember 1918 sich Hals über Kopf und unter völliger Hintanstellung aller trennenden Momente zwischen progressivem und konservativem Flügel vollzog. Obwohl dieser Vorgang die Ge255
werkschaftsidee keineswegs zum Verlöschen brachte, stärkte er doch in diesem wichtigen historischen Augenblick - und sei es nur vorübergehend — unverkennbar das ständische Moment. Folgenschwerer als dieser eher indirekte und der Regierung gewiß nicht allein anzulastende Effekt war allerdings, daß der neue Staat sich durch die Entscheidung für die administrative Kontinuität in einen - und hier ist das Wort angebracht - umfassenden Systemzwang begab. Man kann nicht behaupten, das republikanische Regime habe, wenigstens anfangs, Änderungen überhaupt nicht ins Auge gefaßt, es war eher umgekehrt. Aber das als wohl vorübergehend gedachte Arrangement mit der überkommenen Bürokratie wurde unter der Hand zum Dauerzustand. Die politischen und praktischen Ursachen dafür sind, sieht man sie vor dem Hintergrund des allgemeinen historischen Geschehens, naheliegend. Zunächst einmal mangelte es den verschiedenen Regierungen in bezug auf die Bürokratiefrage an einer ausgereiften Konzeption oder, vor allem in den späteren Jahren, an der politischen Bereitschaft und Handlungsfreiheit, überfällige Änderungen in Angriff zu nehmen. 5 Unabhängig von den politischen Ideenpotentialen oder jeweiligen Kräfteverhältnissen hinderten die innen- wie außenpolitischen Unbillen der Zeit selbst nach Ende der revolutionären Phase die ruhige und volle Hinwendung zum Verwaltungs- und Beamtenproblem, zumal der Apparat, vorerst ständig mit schwierigen Sofortaufgaben (ζ. B. Demobilmachung) befrachtet, möglichst unbehelligt gelassen werden wollte und sollte. Überdies festigte, ja aktualisierte die nun einmal im Amt befindliche Verwaltung mit jedem neuen Tag ihre Kompetenz und erschwerte so, über die normative Kraft des Faktischen, denkbare Abänderungen zusätzlich. Man braucht wahrscheinlich nicht herauszustreichen, daß dieser Stellenwert der Verwaltung allen Beamten, primär aber jenen zahlreichen Kräften ausgerechnet in ausschlaggebenden Positionen, denen ein Wandel aus politisch-ideologischen Gründen respektive Herrschaftsinteressen nicht behagte, außerdem eine ausgezeichnete Ausgangslage selbst für bewußte Obstruktion verschaffte. In der Tat hat vor allem wohl die hohe Bürokratie fortan viel und aktiv dazu beigetragen, daß Liberalisierung kaum stattfand. Doch Systemzwang bedeutete noch mehr und noch etwas anderes. Er war auch wirksam als systemerhaltende, womöglich -regenerierende Macht der strukturellen Interdependenz, die kaum gebrochen werden konnte, solange die essentiellen und zudem rechtlich verpflichtenden Bedingungen der vorrevolutionären Dienstverfassung bestanden. Zunächst schien man sich dessen nicht ganz bewußt gewesen zu sein6 und steuerte teilweise auf Regelungen hin, die dem nach wie vor gültigen Beamtenrecht aus alter Zeit, insbesondere dem Grundsatz des besonderen Gewaltverhältnisses, widersprachen. Ganz deutlich wurde dies in der Frage der Koalitionsfreiheit der Beamten. Während der ersten Monate nach der Revolution verrieten die Verlautbarungen aus der Gesetzgebung noch die 256
eindeutige Tendenz, den Beamten das volle Koalitionsrecht unter Einschluß eben des Streikrechts zu gewähren. 7 Jedoch schon mit Beginn der Vorarbeiten zur neuen Verfassung wurde, unbeschadet der ebenfalls bewußt werdenden pragmatischen Dimension der Angelegenheit, die rechtliche Inkongruenz dieser Orientierung entdeckt. Hierauf ist es zurückzufuhren, daß die Verfassung 1919 die Vereinigungsfreiheit der Beamten bereits in einer Form verkündete, die der einengenden Auslegung Raum ließ.8 Dem folgte im Frühjahr 1920 dann die förmliche Uminterpretation durch eine Erklärung der preußischen Landesregierung, der sich wenig später auch das Reich anschloß. 9 Darin wurde den Beamten vor allem unter Berufung auf ihre besondere Treuepilicht das Streikrecht explizit aberkannt. Bezeichnenderweise blieb es nicht bei diesem, die Vereinigungsfreiheit schon einschneidend schmälernden Rückzieher. Auch die gesetzliche Legitimierung von »BeamtenVertretungen« kam trotz des entsprechenden Verfassungsauftrags durch Art. 130 während der ganzen Weimarer Zeit nicht zustande. Ebenfalls in diesen Zusammenhang gehört das Petitionsrecht. Abweichend von der Rechtslage vor 1918 erkannte die republikanische Verfassung den Beamten dieses Recht zunächst voll, also auch im Sinne der fur eine ungehinderte gewerkschaftliche Betätigung unerläßlichen kollektiven Petition, zu. Trotzdem wurden später Disziplinarverfahren gegen petitionierende Beamte angestrengt und eine verbindliche rechtliche Klärung, obwohl der Beamtenbund sie verlangte, in Preußen wie im Reich von den Regierenden hintertrieben. 10 Der gleiche Vorgang der Rücknahmen läßt sich in bezug auf die (übrigen) politischen Freiheiten der Staatsbediensteten beobachten. 11 Nicht anders als in der Koalitionsfrage ging man hier ursprünglich davon aus, daß die Beamten außerhalb des Dienstes12 anderen Staatsbürgern völlig gleichgestellt sein sollten. So stand es anschließend in der Verfassung. Wenn jedoch die Disziplinargesetze von einst und das Subordinations- wie Treuegebot weiter galten, wenn also der Beamte seinem Rechtsstatus nach unverändert ein Stück vom Staat geblieben war - und ungewollt kontradiktorisch bestätigte die Verfassung auch dies - 1 3 konnte er genaugenommen nicht in die totale politische und gesellschaftliche Freiheit entlassen werden; er war nur frei in den Grenzen seiner Übereinstimmung mit dem Staat. Diese Logik stimmte, sofern ihre spezifischen Prämissen gegeben waren, unabhängig von der Staatsform, sie band in der Republik genauso wie einst in der Monarchie. Solange die Weimarer Demokratie die tragenden Pfeiler der monarchischen Beamtenverfassung nicht konsequent beseitigte, im Gegenteil, diese durch die Entscheidung für die administrative Kontinuität auch noch in der Praxis akzeptierte, blieb die Wirkungsmächtigkeit des alten Modells auch unter ihrer Herrschaft anderen Faktoren überlegen. Als nach 1920 die Disharmonie zwischen Staat und Staatsdienern allmählich überhandzunehmen schien, konnte die Regierung, so gesehen, nicht anders als sich gegen systemstörende Inkongruenzen und für die Rekomplettie257
rung des ursprünglichen Ordnungsgefüges zu entscheiden. Dies geschah konkret durch das Republikschutzgesetz 1922, das die Treuepflicht der Beamten, entgegen der verfassungsmäßig fixierten politischen Freizügigkeit, auf die außerdienstliche Sphäre ausdehnte.14 Man kann die primär politische Dimension der Frage getrost verlassen und sich eher funktionalen Aspekten und Zusammenhängen wie Verwaltungsorganisation, Berufsausbildung oder Besoldungs- und Lebensgestaltung der Beamten und dgl. zuwenden; die bestimmende Wirkung der überkommenen Grundlagen der Institution bleibt gleich gut sichtbar. Alsbald nach der Revolution wurden auch diese Problemfelder in irgendeiner Form angegangen, falls nicht aus politischem Impetus, so aus praktischer Notwendigkeit. Die Verwaltungsreform ζ. B. weil sie mit der unaufschiebbaren Verfassungsfrage, speziell mit der Stellung der Länder zueinander und zum Reich in engster Verbindung stand und ohnehin ein seit längerem aktuelles Desiderat bildete. Die Besoldungsrevision weil die inflationäre Verunstaltung der Gehälter und Lebensverhältnisse keine andere Wahl ließ. Und die mit ihr verknüpfbare Laufbahnneuordnung weil die Verknüpfung eben sinnvoll und das Durchkämmen des Gewirrs der rund 180 Gehaltsklassen aus der Monarchie mehr als angebracht erschien. Was vermochten indessen diese Schritte, wenn die entscheidenden Bestimmungen der Beamten Verfassung sich nicht geändert hatten. Als abhängige, auf diese Grundbedingungen aufbauende Maßnahmen konnten sie jedenfalls die abgesteckten Grenzen nicht durchbrechen, ohne sich der Ambivalenz preiszugeben. Oder sie mußten von vornherein staatsexterne Lösungen ansteuern. Dies tat ζ. B. - konsequenterweise - der in Preußen als Reformkommissar wieder eingesetzte Bill Drews, der schon seine im Krieg entwickelte Idee, große Bereiche der staatlichen Verwaltungstätigkeit in die Selbstverwaltung auszulagern, nun noch stärker akzentuierte. Anders schien wohl der Primat starrer Amtsautorität, d. h. die angesichts expandierender Wohlfahrtsstaatlichkeit unhaltbare Unelastizität und fachliche Einseitigkeit (Juristenmonopol) der (allgemeinen) Verwaltung im nötigen Maß nicht überwindbar. Der Rest, die Pläne also, die sich auf die Gestaltung der in staatlicher Regie zu verbleibenden Verwaltung - in Preußen wie im Reich - bezogen, bewegte sich bis auf die stärkere Verknüpfung der Berufsausbildung mit der eigentlichen Verwaltungsreform bezeichnenderweise unverändert im Rahmen der wohlbekannten doch unfruchtbaren Behördenarithmethik (Verhältnis von Oberpräsidium, Bezirksregierung und Kreisverwaltung zueinander bzw. zur Ministerialinstanz). Daß die Verwaltungsreform sich - wieder einmal - endlos dahinschleppte und schließlich scheiterte, war für die Primärbedingungen ebenfalls typisch, wenngleich daran auch andere Faktoren, wie politische Gegensätze und der übermächtige Sparzwang, einen wesentlichen Anteil hatten. Die Bilanz: von tiefenstrukturell nur bedingt relevanten15 Maßnahmen, wie der Übernahme einiger Landesobliegenheiten durch das Reich (Staatsbahnen, Steuerangelegen258
heiten), der Abzweigung des neuen Ministeriums für Volks Wohlfahrt aus dem Innenressort und der Namensänderung des Kultusministeriums abgesehen, erfolgte kein Wandel in Verwaltungskörper und Verwaltungsordnung; das »gewaltige neue Leben« mußte weiterhin in die »alten Formen gezwängt werden«. 16 Es ist kein Zufall, daß auch in den anderen Bereichen im Grunde nichts anderes herauskam, es sei denn die noch deutlichere Manifestation des Rückzugs von gleichsam voreilig eingenommenen Positionen, die von der letztlich überlegenen Grundordnung abwichen. Im Besoldungswesen etwa gab es zwar schon 1920 neue Gesetze und neue Gehälter. Es gab sogar die regierungsamtliche, wiewohl neuartige Interpretation, die Diensteinkommen seien eine Abgeltung für die Leistungen der Beamten. 17 Aber diese Ansicht war durch die Rechtslage nicht gedeckt. Rechtlich bildete das planmäßige Diensteinkommen nach wie vor das nur in den Kategorien des öffentlichen und nicht des Privatrechts faßbare Entgelt dafür, daß der Beamte seine ganze Persönlichkeit in den Dienst des Staates stellte, d. h. es hatte die »Natur einer Rente«.18 Die (oben angesprochene) Auslegung der Regierung von 1920, ein »Schwächeanfall« sozusagen,19 hielt auch den tatsächlichen Verhältnissen nicht stand, blieben doch die Gehälter starr (>festrechts< geschwenkten Beamtenbund, den sie zuvor (bis 1922) als zu gemäßigt verlassen hatten. 36 Es fällt auch auf, daß Beamte und Gesellschaft jetzt erneut deutlich auseinandertrieben, 37 der soziale und berufliche Sondercharakter der Beamtenschaft trat also auch auf diese Weise stärker in Erscheinung. Wäre hinter der Wende ein lediglich taktischer Rückzug auszumachen, könnte man das Ereignis als eine unter vielen Fluktuationen, mithin als relativ unbedeutend werten. Doch es handelte sich nicht um ein Scheinmanöver, man wechselte wirklich die Position. Apostrophiert man das Konservative als negativ, kann man diesen Vorgang in sich schon bedauern als Rückfall der Beamtenschaft hinter einen bereits erreichten Evolutionsstand. Die Wende gewinnt aber auch darüber hinaus Relevanz, weil man annehmen kann, daß sie die jahrzehntelange Suche nach einem beruflichen und gesellschaftlichen Selbstverständnis jenseits der orthodoxen Staatsdienerkonzeption nicht zum glücklichen Ende brachte, sondern die alte Statuskrise verschärft wiederbelebte. Wenn die breite Mitte der Beamtenschaft in den 1920er Jahren im Grunde zu einer Haltung zurückkehrte, die sie schon in monarchischer Zeit mehr und mehr in Zwiespalt gestürzt hatte, so geschah das eher aus Verlegenheit denn aus Überzeugung; es war der in gewissem Sinn verzweifelte Versuch, die unausweichlich scheinende Statusinkongruenz zu verinnerlichen. Gerade das aber barg eine fatal anmutende Konsequenz: Man konnte den Versuch kaum unternehmen, ohne ihn gleichzeitig abzulehnen. Wer sich da arrangierte, tat es mehr denn je ohne Glauben daran und das heißt auch ohne ausreichenden Halt in dem, womit er sich abgefunden hatte. Gemäß der Konstruktion des preußisch-deutschen öffentlichen Dienstes, der die Quasi-Identität von Staat und Beamtentum eigentümlich war, bedeutete dies konkret vor allen Dingen, daß die betroffenen Beamten sich in dem von ihnen erlebten Staat nicht (mehr) aufgehoben fanden. Ihr Arrangement mit den Verhältnissen kann daher alles andere als die Konsolidierung dieser Beziehung gewertet werden. Kompromiß wider besseres Wissen, Konsensheuchelei oder Selbstbetrug passen zur Charakterisierung des Sachverhaltes besser. Der Weimarer Staat, der die Versprechen von 1919 nicht nur nicht einlöste, sondern eher ins Gegenteil verkehrte, erzeugte Erbitterung, ja Ressentiments, von denen angenommen werden kann, daß sie sich von einem Punkt an als moralische und vor allem politische Schuldzuweisung gegen ihn zu richten begannen. 38 Beamte, die von Anfang an gegen die Republik waren, konnten sich nun doppelt bestätigt fühlen: der alte höhere Dienst, dessen Haltung am meisten von mitgebrachter Distanz oder Anti-Position geprägt worden sein dürfte 39 und auch viele mittlere und untere Beamte, die Kraft ihres sozialen und ideologischen Hintergrunds der Revolution und dem aus ihr hervorgehenden Staat von vornherein festsitzende konservative Vorbehalte und Widerstandsneigung entgegenbrachten. Und wenn es auch stimmt, daß diese 263
Beamtenkreise lieber mehr Kontinuität wollten als zu wenig, so war es ihnen nicht gleichgültig, unter wessen Regie. Obwohl der republikanische Staat, je länger je mehr, im Rahmen der alten Dienst- und Verwaltungsverfassung agierte, brachte das keine Annäherung. Wahrscheinlicher ist, daß dies streng traditionalistischen Beamtenkreisen gar als Usurpation vorkam und ihre Abneigung mehr förderte als abzubauen half. Die Irritationsschwelle dieser Kreise lag niedrig, diesen Staat satt zu haben bedurfte ihrerseits keiner großen Anstrengung. Aber auch denjenigen Beamten, die der Republik zunächst eher mit Offenheit begegnet waren, ein beträchtlicher Teil der niederen Dienstkategorien (im ganzen überwiegend aus den Betriebsverwaltungen), wurde der Boden des Vertrauens, wie gesehen, entzogen. Für ihren Glauben an eine wenigstens kleine Modernisierung oder die Hoffnung auf eine moderate Arbeitnehmer-Unabhängigkeit gab es nun kaum noch Platz, dafür um so mehr fur Republiküberdruß, hatte doch das demokratische Regime es nicht fertiggebracht, den Beamten eine neue Kost aufzutischen oder wenn schon die alte, so wenigstens besser gewürzt als zu Kaisers Zeiten. Die Entzweiung mit der Republik darf indessen nicht vergessen lassen, daß sehr große Teile der Beamtenschaft die Verhältnisse schon in der Monarchie als unzuträglich erlebt hatten - davon war eben schon andeutungsweise die Rede. Die Entgeisterung, ja Entwurzelung reichte also tiefer und ging zeitlich weiter zurück als daß sie nur auf Weimar bezogen werden und/ oder ausschließlich mit Antirepublikanismus, Demokratiefeindschaft und ähnlichem erklärt werden könnte. Der Verlust des festen Halts schließt infolgedessen den Umstand mit ein, daß auch eine Flucht in die alte Zeit allenfalls zur nostalgischen Verklärung des ancien regime fuhren, jedoch keinen sicheren Weg aus dem Orientierungsdilemma der Gegenwart weisen konnte. War dennoch fur diejenigen Beamten, die seit jeher lieber in die Vergangenheit schauten, damit immerhin ein gewisser Orientierungsersatz und/ oder Identifikationsmöglichkeit gegeben, an der sie sich aufrichten konnten, so waren die von der konservativen Konvention stärker abgerückten Teile der Beamtenschaft ohne solchen Notbehelf gleich doppelt betroffen. Gemeint sind im wesentlichen die Gruppen, die die klassische Bürokratieverfassung schon in der Monarchie als mehr oder weniger unhaltbar empfunden und daher, wie ein Verbandsblatt es Ende November 1918 formulierte, ihr »Vertrauen zur alten Regierung« am nachhaltigsten eingebüßt hatten. 40 Nach dem Vertrauensverlust gegenüber der neuen Regierung sahen sie sich nun in einem Zustand besonders erschwerter Standortfindung. Hatten von Haus aus konservative Beamte, wie erwähnt, wenigstens ihre monarchisch-obrigkeitlichen Überzeugungen, die ihnen auch unter veränderten Verhältnissen einen politischen, moralischen und gesellschaftlichen Halt gaben und die Ausrichtung wenigstens an einem (ohne Monarchen) abstrakten Dienstideal erlaubten, verfiel jener andere Teil wohl zunehmend 264
der Orientierungsleere. Es ist gut denkbar, daß diese - in erster Linie in den nichtgehobenen mittleren und den unteren Rängen anzusiedelnden - Beamten von daher eine überdurchschnittliche Empfänglichkeit für Ordnungsvorstellungen entwickelten, die weder monarchisch-konservativ noch republikanisch-demokratisch waren, 41 zumal in der Spätphase der Republik42 Lage und Aussichten der Beamtenschaft sich wieder dramatisch verschlechterten und solche Ordnungsvorstellungen von der KPD, vor allem aber von der nationalsozialistischen Bewegung mit wachsender Publizität angeboten wurden. Damit ist nicht gesagt, daß konservative Denkweisen und Haltungen oder, wie im Falle der höheren Verwaltungsbeamten, die an sich auch Befriedigung vermittelnde Möglichkeit, mitzuregieren, immer ausreichten, um ein Überkippen des Unbehagens an der Republik in Rechtsextremismus zu verhindern. 43 Sie boten jedoch vermutlich die etwas bessere Gewähr gegen Radikalisierung. Andererseits wird die in sonstigen Beamtengruppen eher mögliche Sensibilisierung für extremistische Ideologien wohl ebenfalls nicht total und nicht sofort wirksam geworden sein, so daß dem postmonarchischen Regime im großen und ganzen wenigstens die mißmutige Pflichterfüllung der Mehrheit seiner Bediensteten längere Zeit erhalten blieb. Es mag am Ende zutreffen, daß der Weimarer Staat nicht in höherem Maß an seinen Beamten gescheitert ist als an sich selber.44 Ebenso gilt aber, daß diese Beamtenschaft zum Retter von Republik und Demokratie kaum taugte.
265
Abkürzungsverzeichnis
ADA ADR AE AFGB AH Anl. Ann. AÖR APT ARP ASG ASS BÄK BBRK BJB BPT BÜE
CB1
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ZB1
Zentralblatt des Verbandes der Staatseisenbahnbeamten des inneren Dienstes, Köln.
ΖΕΑ
Zeitschrift (ab. Jg. 4, 1907: Wochenschrift) des Vereins der Eisenbahn-Assistenten der Preußisch-Hessischen-Eisenbahn-Gemeinschaft und der Reichseisenbahnen, Berlin.
ZfB
Zentralblatt für Bibliothekswesen, Hg. v. O . Hartwig u. K. Schulz, Leipzig.
ZfGS
Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Hg. v. K. Bücher, Tübingen.
ZfP
Zeitschrift für Politik, Hg. v. R. Schmidt, Berlin.
ZHA
Zeitschrift für Haltestellen-Aufseher. Organ für Haltestellen-Aufseher des Stations- und Abfertigungsdienstes der Preußisch-Hessischen-Staats- und der ReichsEisenbahnen (ab Jg. 6, 1906: Zeitschrift für Bahnhofs-Aufseher), Wiesbaden.
ZPV
Zeitschrift für Polizei- und Verwaltungsbeamte. Organ für Kreisausschüsse, Magistrate, Polizeiverwaltungen, Distriktkommissarien, Amtmänner, Landbürgermeister, Amts-, Gemeinde- und Gutsvorsteher. Organ des preußischen Kreiskommunal-Beamten-Vereins, Berlin.
Zs.
Zeitschrift.
ZsDJ
Zeitschrift für deutsche Justizsekretäre, Köln (s. auch: ZsRJS).
ZsLA
Zeitschrift des Königlich Preußischen Statistischen Landesamtes, Berlin.
269
ZsMJ
Zeitschrft fur mittlere Justizbeamte, Köln (s. auch: ZsRJS).
ZsPF
Zeitschrift fur Post- und Fernmeldewesen, Schriftleitung U . Engel, Düsseldorf.
ZsRJS
Zeitschrift fur rheinische Justiz-Subaltern-Beamte (ab J g . 11, 1901: fur mittlere J u stizbeamte, J g . 17, 1906: fur das deutsche Gerichtssekretariat, Jg. 21, 1910: fur deutsche Justizsekretäre), Köln.
ZStAM
Zentrales Staatsarchiv Merseburg.
ZStAP
Zentrales Staatsarchiv Potsdam.
ZZA
Zeitschrift für die Civil-Anwärter des Deutschen Reiches (ab Jg. 6, 1907: für die deutschen mittleren Beamten aus dem ZivilanWärterstande), Bremerhaven, später: Hannover.
270
Anmerkungen
I. Einleitung 1 Siehe am besten die in diesem Buch angeführten Beiträge von R. Mayntz und W. Schluchter und die dort nachgewiesene weiterfuhrende Literatur. 2 Grundsätzliche Kritik an dieser Versäumnis übt R. Dahrendorf, Gesellschaft und Freiheit. Zur soziologischen Analyse der Gegenwart, München 1961. Dahrendorfs einschlägige Aufsätze (auch in späteren Sammlungen erschienen) gehören zum Besten, was es in diesem Z u sammenhang gibt. 3 Dazu zählen die Siemens-Untersuchung von J. Kocka, Unternehmensverwaltung und Angestelltenschaft am Beispiel Siemens 1847-1914, Stuttgart 1969, die sich zwar auf eine Bürokratie der Privatwirtschaft bezieht, doch methodisch übertragbar ist, sowie eine Bürokratiestudie des ungarischen Historikers P. Somlai, Hivatalnoki szervezet es intenziv iparositäs [Bürokratische Organisation und intensive Industrialisierung], Budapest 1977, die die deutsche Staatsbürokratie der Zeit um die Jahrhundertwende analysiert. 4 Das meint vor allem die Autoren: O . Hintze, E. Lederer, A. Lötz, O . Most oder auch W. Naude. 5 Ausnahmen bilden die Studien von F. Härtung u. H. Hejfter. 6 Vgl. den von K. Jeserich u. a. herausgegebenen dritten Band der »Deutschen Verwaltungsgeschichte« und die jüngsten Publikationen von H. Fenske, H. Hattenhauer, H. Henning u n d B . Wunder.
II. Bürokratie zwischen alt und neu. Perspektiven, Prozesse und Probleme der Modernisierung 1871-1914 1. Staat und Staatsapparat unter sich ändernden gesellschaftlichen und funktionalen Bedingungen a) Die Staatsrolle im Wandel 1 Stellvertretend für die ausgedehnte Literatur zur Sozialgeschichte der Zeit sei an dieser Stelle die Zusammenstellung genannt in K. Jeserich u. a. (Hg.), Dt. Verwaltungsgeschichte, Bd. 3, Stuttgart 1984, S. 16f. 2 Sehr anregend ist hierzu die Abhandlung von E. Pankoke, Soziale Selbstverwaltung, in: ASG, Jg. 12, 1972, S. 185-203 (insbes. 195, 203), wenn auch dort der Bezug spezieller ist. 3 Für diesen Prozeß hält die Historiographie den Begriff »organisierter Kapitalismus« bereit. Siehe Η. A. Winkler (Hg.), Organisierter Kapitalismus. Voraussetzungen und Anfänge, Göttingen 1974. Der Begriff ist umstritten, aber die Kritik hat noch keinen besseren hervorgebracht. Z u der Diskussion etwa:. U . Bermbach, Z u r Diskussion eines historisch-systematischen Modells, in: GG, Jg. 2, 1976, S. 264-273; L. Gall, Z u r Ausbildung und Charakter des Interventionsstaates, in: H Z , Bd. 227, 1978, S. 552-570; V. Hentschel, Wirtschaft und Wirtschaftspolitik im Wilhelminischen Deutschland. Organisierter Kapitalismus und Interventionsstaat?, Stuttgart 1978, W. J. Mommsen, Der deutsche Liberalismus zwischen »klassenloser
271
Anmerkungen zu S.
21-23
Bürgergesellschaft« und »Organisiertem Kapitalismus«, in: GG, Jg. 4, 1978, S. 77-90; T h . Nipperdey, Organisierter Kapitalismus, Verbände und die Krise des Kaiserreichs, ebd. Jg. 5, 1979, S. 418-433. Z u m in diesem Zusammenhang ebenfalls diskutierten »staatsmonopolistischen Kapitalismus« kann hier der Hinweis auf die eben zitierte Literatur, die ihn ζ. T. mitbehandelt bzw. auf den Beitrag von Μ. E. Hilter, Kapital, in: O. Brunner u. a. (Hg.), Historische Grundbegriffe, Bd. 3, Stuttgart 1982, S. 450f. genügen. 4 Die substantielle Krise des (klassischen) Liberalismus bestand nicht zuletzt darin, daß er als selbst hochgradig künstliches Gebilde (vgl. H. U . Wehler, Der Aufstieg des Organisierten Kapitalismus, in: Winkler, Kapitalismus, S. 37) traditionelle Ordnungen zu desintegrieren begonnen hatte, mit den Konsequenzen über ein bestimmtes Stadium hinaus aber nicht fertig wurde. 5 Vergleiche etwa die stark privaten Anfänge der öffentlich nutzbaren städtischen Energielieferung, des Nahverkehrs usw. in Preußen, ausfuhrlich dargestellt und statistisch belegt von H. Silbergleit, Preußens Städte. Denkschrift zum hundertjährigen Jubiläum der Städteordnung v o m 19. Nov. 1808, Berlin 1908. 6 Vom Wohlfahrtsstaat ist in der Literatur normalerweise nicht fur sich, sondern in übergeordneten Zusammenhängen und demgemäß meist in spezifischer Anwendung, d. h. jeweils in gewisser Einseitigkeit die Rede, so primär vom Interventionsstaat (im Sinne der wirtschaftlich fördernden, schirmenden und lenkenden Funktion) beim organisierten Kapitalismus, dem Sozialstaat bei sozialpolitischen Themen und dem Leistungsstaat (oder auch nur Leistungsverwaltung) in verwaltungstheoretischen oder -historischen Bezügen. Es gibt auch keine eindeutige und einheitliche Begrifllichkeit. Hier soll Wohlfahrtsstaat die Aufgaben- und Funktionsgesamtheit all dieser Elemente heißen, wobei auf die Zugehörigkeit der am häufigsten vernachlässigten Leistungs-Komponente zum Ganzen, die Rolle des Staates also als öffentlicher Service-Anbieter, besonderer Wert gelegt wird. Literaturbeispiele für die Untersuchung des Wohlfahrtsstaates unter eher globaler bzw. kumulativer Fragestellung: W.J. Mommsen (Hg.), Die Entstehung des Wohlfahrtsstaates in Großbritannien und Deutschland 1850-1950, Stuttgart 1982 (bes. Kap. IV); G. A. Ritter (Hg.), Vom Wohlfahrtsausschuß zum Wohlfahrtsstaat, Köln 1973. Hierher können auch die entsprechenden Passagen von E. R. Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, Bd. 4, Stuttgart 19822, gezählt werden. Das klassische Buch zum Leistungsstaat ist von E. Forsthoff, Die Verwaltung als Leistungsträger, Stuttgart 1938. Vergleiche außerdem ζ. Β. H. Groettrup, Die kommunale Leistungsverwaltung, Stuttgart 1973 und W. Rüjher, Formen öffentlicher Verwaltung im Bereich der Wirtschaft, Berlin 1967. 7 G. A. Ritter u. J. Kocka (Hg.), Deutsche Sozialgeschichte, Bd. 2, München 1974, S. 13. 8 H. Fenske, Einleitung, in: ders.(Hg.), Im Bismarckschen Reich 1871-1890, Darmstadt 1978, S. 23. 9 Forsthoff, Verwaltung, prägt diesen (sicherlich nicht ganz zufriedenstellenden) Begriff zur näheren Charakterisierung der Leistungsstaatlichkeit. Wichtige Differenzierung des Begriffes bei P. Badura, Die Daseinsvorsorge als Verwaltungszweck der Leistungsverwaltung und der soziale Rechtsstaat, in: Ö V , Jg. 19, 1966, S. 624-633. 10 M. Stürmer, Das ruhelose Reich, Deutschland 1866-1918, Berlin 1983, S. 113. Vgl. auch Gall, S. 565 f. 11 Gustav Schmoller in seiner Eröffnungsrede auf der Gründungsversammlung des Vereins für Sozialpolitik 1872, zit. nach der Dokumentation in Fenske, Reich, S. 90. 12 Zur Geschichte des Vereins vgl. I. Gorges, Sozialforschung in Deutschland 1872-1914, Königstein/Ts. 1980; D. Lindenlaub, Richtungskämpfe im Verein für Socialpolitik, Wiesbaden 1967, und M. L. Plessen, Die Wirksamkeit des Vereins für Socialpolitik von 1872-1890, Berlin 1975. 13 Vgl. vor allem Plessen. 14 So J. Kocka, Organisierter Kapitalismus oder Staatsmonopolistischer Kapitalismus?, in: Winkler, Kapitalismus, S. 21, im Sinne eines Hauptmerkmals des Organisierten Kapitalismus.
272
Anmerkungen zu S.
23-25
15 Das meinte Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, Aufl. 1956, S. 569. 16 S. Klewitz, Die von Staat und K o m m u n e fur den privaten Haushalt übernommenen Leistungen, Leipzig 1911. Vgl. auch die auf die Leistungsstaatlichkeit bezogenen Teile der Anm. 6. 17 So sehen es z. B. H. J. Puhle, Vom Wohlfahrtsausschuß zum Wohlfahrtsstaat, in: Ritter, Wohlfahrtsausschuß, S. 42 und J. Tampke, Bismarcks Sozialgesetzgebung: Ein wirklicher Durchbruch?, in: W.J. Mommsen, Entstehung, S. 79-91, wobei Tampke (der in Australien lehrt) im Unterschied zu Puhle nicht sehr einnehmend argumentiert bzw. offensichtlich keine ausreichende Literatur zur Verfugung hat. 18 Kocka, Kapitalismus, S. 33. 19 E. Mäding, Verwaltungsgeschichte als Aufgabengeschichte in: Verw. Bd. 15, 1982, S. 197. Ähnlich P. Chr. Witt, Finanzpolitik und sozialer Wandel. Wachstum und Funktionswandel der Staatsaufgaben in Deutschland 1871-1933, in: H. U . Wehler (Hg.), Sozialgeschichte heute, Göttingen 1974, S. 567. 20 Jüngst hat es G. A. Ritter, Sozialversicherung in Deutschland und England. Entstehung und Grundzüge im Vergleich, München 1983, überzeugend herausgearbeitet. Im großen und ganzen zustimmend eine andere neue, wenn auch weit weniger eingehende und vertiefte Darstellung, V. Hentschel, Geschichte der deutschen Sozialpolitik (1880-1980), Frankfurt a. M. 1983. Nach wie vor nützlich ist A. Gladen, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland, Wiesbaden 1974. In diesen Werken ist die wesentliche weitere Literatur angezeigt bzw. verarbeitet. 21 Vgl. Badura, S. 626. 22 Auf dieses M o m e n t und eine sich dabei herausbildende Bürokratie neuen Typs weist nachdrücklich hin das ausgezeichnete Essay von P. Somlai, Hivatalnoki szervezet es intenziv iparositäs, Budapest 1977. 23 Vgl. F. L. Knemeyer, Polizei, in: O . Brunner (Hg.), Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 4, Stuttgart 1978, S. 875-897. Die schon im preußischen Allgemeinen Landrecht angelegte Trennung der Ordnungs- und Wohlfahrtsaufgabe der Polizei erlangte im sog. »Kreuzberg-Urteil« des preuß. Oberverwaltungsgerichts 1882 eine wichtige formale Fixierung. Dies war fur die Entwicklung ebenso typisch wie allerdings auch die Tatsache, daß die Trennung faktisch doch nicht wirksam wurde (vgl. ebd. S. 891 und 894). 24 Insbesondere wenn man davon ausgeht, daß in der Hochindustrialisierungsphase die von Max Weber postulierte Assoziation von Modernisierung und Bürokratisierung von den Voraussetzungen her auf einen Kulminationspunkt gelangt war und gleichzeitig annimmt, daß die Herrschafts- und Sozialbeziehungen des staatlichen Verwaltungspersonals in Preußen noch eindeutig von der Persistenz vorindustriell-patriarchalischer Muster bestimmt waren, muß man über die Problematik der sich verändernden Staatsaufgaben an sich hinaus die dramatische Veränderung in bezug auf das Verhältnis zwischen Berufs- und Lebensverfassung von Beamten auf der einen Seite und Staatsfunktionen (als Verwaltungsfunktion) auf der anderen nachdrücklich betonen. Vgl. hierzu von H. Reinke, Bürokratie im politischen System Deutschlands. Studien zur partiellen Ausdifferenzierung der Verwaltung aus dem >ganzen Hausgroßen Families sie förderten m. a. W. (durch die staatstreuen Selbsthilfevereine) den Gedanken oder besser die Ideologie der Einheit aller Beamten im staatlichen Standesbewußtsein und damit auch den der Interessengleichheit zwischen Staat und Staatsdienern. Beide Strategien dienten, so unterschiedlich sie anmuteten, dem Ziel, die selbständige Interessenartikulierung der Beamten in möglichst engen Grenzen bzw. besser kontrollierbar zu halten. Hierzu als Illustration etwa die Auffassung des Ministers der öffentl. Arbeiten 1902-1906 H. v. Budde (Aufzeichnungen, S. 64). 17 Die Regelung bezog sich auf die Reichseisenbahn, die Art der Maßnahme unterschied sich aber nicht von der Praxis in Preußen. Vgl. ZStAP, Reichseisenbahnamt, Nr. 277 a, Bl. 60 f. 18 Die politische Entwicklung, S. 157 f. 19 Was tut not?, in: FR, Jg. 17, 1913, S. 599. 20 Beispiele bringt FR, Jg. 8, 1904, S. 388ff., 628f., Jg. 9, 1905, S. 367, 768, Jg. 10, 1906, S. 203f., Jg. 12, 1908, S. 229. Die Denunziation diente auch, behördlich unterstützt, zur Bekämpfung der Sozialdemokratie und des freien Gewerkschaftswesens. Vgl. auch Saul, S. 318. 21 Die Ziele des Verbandes der preußischen Regierungs- und Steuer-Zivilsupernumerare, in: Z Z A , Jg. 3, 1904, S. 134. Im gleichen Sinn: Selbsthilfe und Selbstzucht, S. 49. S. auch die Stelle bei Anm. 7. 22 Vgl. etwa: Massenprobleme, in: Z Z A , Jg. 8, 1909, S. 273-277; Einiges über den Bund der Festbesoldeten, ebd., S. 285f.; Die Bewertung der mittl. B., in: FR, Jg. 11, 1907, S. 221-224; Vom Wesen des Berufslebens, ebd., Jg. 12, 1908, S. 117; Beamtenausschüsse oder Fachvereine?, ebd., S. 529-530; Massen-Organisationen, in: P W , J g . 6 , 1910, S.767f.; Kultur und Fortschritt, ebd., Jg. 8, 1912, S. 564f. Diese Beispiele wurden gewählt, weil sie gleichzeitig den vergleichsweise konservativen Charakter dieser Art Berufs-Standespolitik wiedergeben. Aus konservativen Neigungen erklären sich übrigens Widersprüchlichkeiten im Vorgehen mancher Verbände, die ζ. B. zwar Massen sammeln (etwa alle mittleren Eisenbahner wie der Verein mittlerer Staatseisenbahnbeamten) wollten, Massenpolitik (Radikalität) aber nicht nur aus taktischen Gründen - ablehnten. Andererseits gilt auch, daß die Hinwendung zu unverfänglicheren Berufsbelangen und -werten und in Verbindung damit das Beschreiten des Weges beruflicher Sonderinteressen (Sondervereinsbildung) oft nur gezwungenermaßen erfolgte; es fehlte also auch vor 1909 nicht an Versuchen, den Z w a n g abzuschütteln, Beruf sozusagen großräumig zu definieren oder auch zu berufsübergreifenden Interessenorganisationen zu kommen. Vgl. etwa den Hinweis auf eine (gescheiterte) Kartellbildung fachlich unterschiedlicher Vereine im Frühjahr 1905 bei Saul, S. 327 oder die Geschichte des Deutschen Beamtenbundes von 1906 (in Kap. II 3c, dieser Darstellung). 23 In einer Selbstdarstellung des Postverbandes wird in diesem Sinn zwischen der ersten, bis 1899 währenden »Kampfperiode« und der nachfolgenden Besinnung auf eine stille Aufbauarbeit, »Periode der Innenarbeit« genannt, unterschieden. Vgl. Falkenberg, Postverband, S. 8, 45. 24 Vgl. Kulemann, Berufsvereine, Bd. 1, S. 20 und 65 (Lehrer, Richter) und: Das Preußische Medizinal- und Gesundheitswesen in den Jahren 1883-1908. Festschr. zur Feier des 25jährigen Bestehens des Preußischen Medizinalbeamten-Vereins, Berlin 1908. 25 Über die »Vereinigung der höheren Post- und Telegraphenbeamten« gibt es nur knappe
316
Anmerkungen zu S.
147-150
Hinweise, etwa in: H W B Post, S. 222 oder bei Scherf, S. 119 u. 145. Die Verbandszeitschrift hieß im l . J g . 1905/06 »Im Zeichen des Verkehrs«, von 1906/07 an »Blätter fur Post und Telegraphie« (BPT). 26 Vgl. H. Paalzow, Versammlung deutscher Bibliothekare, in: ZfB, Jg. 17, 1900, S. 337-341 und A. Hilsenbeck, 25 Jahre Verein Deutscher Bibliothekare, ebd., Jg. 42, 1925, S. 418-426. Mitgliederstärke 1900: 68 Personen. 27 Vgl. Kruegerde Corti, Jahre, S. 86, 94. 28 Vgl. Kulemann, Berufsvereine, Bd. 1, S. 17 ff. 29 Information aus: Das Vorgehen des Ministers der öffentlichen Arbeiten gegen den Verband der höheren technischen Eisenbahnbeamten, in: M D B , Jg. 32, 1908, S. 100-101. Dort ist auch der Erlaß des Ministers (J. v. Breitenbach) vom 26. April 1907 abgedruckt, wonach die geplante Gründung »agitatorischer« Natur und deswegen zu untersagen sei. 30 Vgl. R. Schmidt, Die Richtervereine, Berlin 1911. 31 Siehe Paalzow, S. 337. 32 Vgl. Kruegerde Corti, Jahre. 33 Vgl. Das Preußische Medizinal- und Gesundheitswesen. 34 Kulemann, Berufsvereine, Bd. 1, S. 17f. zititert Aufrufe u. andere programmatische Ä u ßerungen, die dies belegen. 35 Nach: Das Vorgehen des Ministers, S. 100. 36 Zitate aus R. Schmidt, S. 53 f. Z u m Vorspiel der Vereinsgründung bzw. Hintergrund der Standeskrise s. auch K. Kade, Der deutsche Richter, Berlin, 19102, S. 229-240. Eine gute Z u sammenfassung des Phänomens bringt Hattenhauer, Geschichte, S. 288 ff. 37 Z u ihnen gehörte die Personalreform, die sogenannte Personalordnung der Reichspost 1900, von der sich die Beamten bessere Aufstiegschancen aufgrund von Leistung versprachen. Vgl. »Allerhöchster Erlaß«, 24. Dez. 1899, und die anschließenden »Verfugungen des Staatssekretärs des Reichs-Postamts«, 1. Jan. 1900, in: ARP, Jg. 21, 1900, S. 1-7, mit diversen, nicht fortlaufend paginierten Anlagen. Für die Reaktion der mittleren Postbeamten ein Zitat aus ihrem Verbandsblatt: »Als das Jahr 1900 der mittleren Postbeamtenschaft die Personalreform bescherte, atmete [sie] freier in dem Bewußtsein: >Endlich die Bahn frei!kleinen Verhältnissen gemeint ist. 79 Vgl. Die Arbeiterorganisationen Deutschlands, in: DP, Jg. 11, 1911, S. 876. 80 Vgl. Verbandstag 1912, ο. P. 81 Diese Probleme beleuchten ζ. B.: Sich regen bringt Segen, in: D U Z , Jg. 3, 1912, Nr. 19, o. P.; Hemmnisse im Organisationswesen, ebd., Jg. 4, 1913, S. 181-183; Die Organisation als Erziehungs- und Bildungsfaktor der unteren Beamtenschaft, in: DP, Jg. 12, 1912, S. 1770-1771; Kastengeist und Standesdünkel, ebd., S. 910-912; Lenz, Die unteren Postbeamten und die Militäranwärter, ebd., Jg. 13, 1913, S. 1184; H. Kamossa, Beamte, S. 25-27; Titelund Uniformsucht, in: D U Z , Jg. 4, 1913, S. 152-153; Unglaubliche Beamtenbeleidigungen, ebd., S. 200-201. 82 Hugo Kamossa, Redakteur der Zeitschrift des Verbandes der Unterbeamten des Deutschen Reiches, gab dem Ausdruck in seiner Rede auf dem 4. Verbandstag im Jahre 1912 ζ. T. mit Wendungen wie »ungewöhnliche Ausnutzung« u. ä. Vgl. den Bericht »Verbandstag 1912«, in: D U Z , Jg. 3, 1912, Nr. 14u. 15, ο. P. 83 Vgl. Arbeiterorganisationen, S. 876, mit klarer Stellungnahme gegen den Streik (und sei es nur aus taktischen Gründen). 84 Zitat aus: Ernste Zeiten, ernste Pflichten, in: DP, Jg. 14, 1914 (Mai), S. 890. 85 Funktionär Britz auf dem Gautag 1912 in Frankfurt a. M. Vortrag u. d. T. Die Personalpolitik der Postverwaltung, in : D P Z , Jg. 23, 1912, S. 1033.
322
Anmerkungen zu S.
165-167
86 F. Winters, Die Beamtenorganisation in ihren Beziehungen zum Staate und zum Volksganzen, in: D P Z , Jg. 21, 1910, S. 846. 87 Hintze, Beamtenstand, S. 94. 88 U . d. Titel: Wesen und Ziele der Beamtenorganisationen, S. 728. 89 W. Kulemann, Der Gewerkschaftsgedanke unter den Angestellten und Beamten, in: JbSBI, 1910, S. 7. 90 Kleinheinz, S. 355. 91 Zit. nach Rejewski, S. 137.
4. Staatsdienerkaste oder integrierter Teil der Gesellschaft. Das schwierige Verhältnis der Beamten zur sozialen U m w e l t a) Die Ambivalenz gesellschaftlicher Sonderstellung 1 Für die rechtlich bindenden Verbote s. P. v. Rheinbaben, Die preußischen Disziplinargesetze, Berlin 19112, S. 8-84, und Brand, S. 554—558. Die wichtigste neuere Literatur gibt an der Dokumenten-Reader von E. Brandt. Interessante, ζ. T. pittoreske Einzelbeispiele von Ü b e r wachung und Sanktionierung vor allem in bezug auf Zentrum und SPD aus dem Postressort, in: ZStAP, Reichspostamt Nr. 3243, 3244, 4939. Für die innere Verwaltung s. GStAB, Rep. 84a, Nr. 3141-3144. Interessante Einzelakte in bezug auf das Zentrum: LHAK, Abt. 403, Nr. 8806. 2 Begründet durch das preußische Allgemeine Landrecht (Teil II Tit. 10 § 92). Übersicht bei Brand, S. 519-523. 3 Entschließung des Verbandstages 1911 zum »Auswärtswohnen der Beamten«. Siehe: Bericht über den 21. Verbandstag, in: M D B , Jg. 35, 1911, S. 275. Öffentliches Leben meint hier wohl außerdienstliches Leben der Beamten. 4 Siehe den Artikel »Beamtentum - Nomadentum«, in: ZBA, Jg. 8, 1908, S. 361. Vom Direktor des Statistischen Amtes der Stadt Barmen wurden 1911 »Zugewanderte« unter den Erwerbstätigen in rheinischen Großstädten (Köln, Düsseldorf, Essen, Duisburg, Elberfeld, Barmen, Aachen, Krefeld) ermittelt. Danach machten die Zugewanderten im Durchschnitt der angegebenen Städte in der Industrie, einschließlich Bergbau und Baugewerbe (Gruppe Β der amtl. Statistik), 57,8%, in Handel, Verkehr und Gastgewerbe (Gruppe C) 64,6%, in öffentlicher Dienst, Freie Berufe (Gruppe E) 80,5% und bei »Häuslichen Dienstboten« (Gruppe G) 87,0% aus. Daß rund 8 0 % der Beamten (usw.) nicht Eingeborene waren, ist ein Hinweis, der beträchtliche horizontale Mobilität anzuzeigen scheint. Vgl. H. Haacke, Die Zugewanderten im Erwerbsleben der rheinischen Großstädte, in: D W Z , Jg. 7, 1911, Sp. 579. In der neueren wiss. Literatur ist diese Frage in bezug auf Beamte und insbes. für Preußen bisher scheinbar nicht üppig behandelt worden. Der Aufsatz von D. Langewiesche, Wanderungsbewegungen in der Hochindustrialisierungsperiode, in: VSW, Bd. 64, 1977, S. 1—40, weist nur fur die Württembergische Hauptstadt Stuttgart beamtenspezifische Zahlen auf (S. 35). Danach gehörten die Beamten allerdings zu den Seßhaftesten. Laut D. Crew, Modernität und soziale Mobilität in einer deutschen Industriestadt, Bochum 1880-1901, in: H. Kaelble (Hg.), Geschichte der sozialen Mobilität seit der industriellen Revolution, Königsstein 1978, S. 169, gehörten dagegen zumindest die »kleinen Beamten« (andere sind nicht genannt) in Bochum zu den Gruppen mit den niedrigsten Persistenzraten (am Anfang der angegebenen Zeitperiode), wenn sie sich auch im Zeitverlauf relativ gesehen stabilisierten. 5 Kommentierende Übersicht über die geltenden Bestimmungen bei Brand. S. llOff. In der Beamtenpresse wird diese Frage immer wieder und unter verschiedenen Aspekten behandelt; sie böte genügend Stoff fur eine Spezialuntersuchung.
323
Anmerkungen zu S.
167-169
6 Dies gehörte nicht zu den informellen Erwartungen, sondern wurde von der gesetzeskräftigen Instruktion v o m 23. Oktober 1817, in: GS, 1817, S. 272, festgelegt. 7 Vgl. Brand, S. 550ff. u. P. Rheinbaben, S. 74f. 8 So sein Biograph und zeitweiliger Mitarbeiter E. Hoffinann, Kruse, S. 26. 9 § 77 der ADA, 1909, Abschnitt X, 1, S. 63. 10 Nach M. Broesike, Rückblick auf die Entwicklung der preußischen Bevölkerung von 1875 bis 1900, Berlin 1904 (Preußische Statistik, Bd. 188), Tabellenteil, S. 118f. (Tabelle 40). 11 Zur Praxis noch während seiner Geltung s. z . B . die Akten: StAM, Reg. Ar. I. Pr., Nr. 126 und 133 sowie LHAK, Abt. 403, Nr. 8767 und 8768. 12 Vgl. Brand, S. 554. Für die konkrete Anschauung (hier bezogen auf höhere Beamte) auch hier ein Aktenhinweis: H S t A D , Reg. A. Pr., Nr. 346. 13 Für die hier behandelte Zeit kann dabei ein doppeltes Motiv gelten: Der Staat geriet mehr und mehr in einen Konkurrenznachteil gegenüber der nichtstaatlichen Arbeits- und Berufswelt, er mußte daher sein Personal verstärkt zu halten bemüht sein und es trotzdem billig halten. (Zu dieser Strategie gehörte im Prinzip selbstverständlich auch das Locken mit sozialpolitisch-materiellen Privilegien - Vergünstigungen über die Grundalimentation hinaus - , nur reichte die Finanzkraft des Staates jetzt immer weniger aus, um dem hinlängliche Attraktivität zu geben.) Gleichzeitig mußte der Staat sich der seit den 1890er Jahren latent und seit 1909 wieder akut drohenden systemwidrigen Interessenemanzipation der Beamtenmassen erwehren. 14 Siehe die Beschreibung von jemandem, der es aus Erfahrung wissen mußte, nämlich F. Winters (Das moderne Beamtenproblem [Buchausg.], S. 14). Ellwein u. Zoll schreiben (S. 34), daß es ein »ausgeklügeltes System« von Ausbildungsgängen, Prüfungen, Laufbahnen, Titeln usw. gegeben und daß dies Zwänge ausgeübt habe. An anderer Stelle heißt es, daß die Besonderheiten des Beamtenberufs den »Berufswechsel« aus ideologischen und praktischen Gründen »einfach« ausgeschlossen hätten (S. 35). Dies wird allerdings, anders als in der vorliegenden Darstellung, nicht als Quelle von entzweienden Konflikten, sondern unter dem Gesichtspunkt der weitgehenden Interessenidentität bzw. Wesensidentität von Staat und Beamten interpretiert. 15 Das folgende ist, wenn nicht anders angegeben, kompiliert anhand von Ausbildungsund Laufbahnvorschriften, Hinweisen usw., im einzelnen in: Illing (versch. Auflagen); H W B P V ; H W B Post; Dreger (versch. Aufl.); Der Eisenbahnbeamte im mittleren nichttechnischen Dienste, Leipzig o.J. (Mein künftiger Beruf, Bd. 17); Winters, Beamtenfrage, S. 39 ff. 16 In einer Publikation von mittleren Beamten des preußischen Eisenbahnstations- und Abfertigungsdienstes wurde bezüglich der eigenen Gruppe auf dem Stand von 1905 eine Wartezeit von 4 bis 7 Jahren zwischen Prüfung und etatmäßiger Anstellung angegeben. Vgl. Die Dienststellen-Vorsteher des Stations- und Abfertigungsdienstes der Preußisch-Hessischen Staats- und Reichseisenbahnen, Berlin 1905, S. 68. Die gleichen Zeiten werden in bezug auf den mittleren Justizdienst genannt (ebd.). Für die preußischen Regierungs- und Steuerzivilsupernumerare führte deren Denkschrift vom 26. Sept. 1906 an das Innen- bzw. Finanzministerium (HStAD, Reg. A. Pr., Nr. 171, Bl. 86-87) zwischen 9,5 und 10,5 Jahren an. Hinweise auf eine Reihe von Reichsbehörden mit Wartezeiten zwischen 4 und 6 Jahren enthält: Zeitdauer der diätarischen Beschäftigung und Anstellungsgrundsätze bei den Reichsbehörden, in: Z Z A , Jg. 8, 1909, S. 79 sowie Nochmals Zeitdauer, ebd., S. 109. Es klagen über das zu lange Diätariat allgemein: Denkschrift an seine Exzellenz den Herrn Minister der öffentlichen Arbeiten, Sept. 1905, abgedr. in: FR, Jg. 9, 1905, S. 621-624; Die mittleren Staatseisenbahnbeamten, S. 25-29. 17 Siehe die nächste Tabelle. Was einige zusätzliche Daten angeht, so lag einer Berechnung der Z Z A zufolge (Unfähigkeit oder böser Wille, Jg. 6, 1907, S. 102) das Durchschnittsalter der mittleren Beamten in den Verwaltungszweigen Preußisch-Hessische Eisenbahnen, preußische
324
Anmerkungen
zu S.
169-174
Justiz sowie Reichspost 1902-1904 bei 30,3 (Zivilanwärter) und 34,9 (Militäranwärter) Jahren. Ähnlich ein Artikel über Eisenbahnassistenten (Berechtigte Wünsche, in: FR, Jg. 8, 1904, S. 257 f.) aber nur mit der Angabe, die Anstellung erfolge »im Anfang der dreißiger Jahre« der Bewerber. Bei der Post waren 1912 rund 8 0 % der etatsmäßigen mittleren Beamten älter als 35 Jahre und 93,1 % älter als 30 Jahre. Vgl. Statistik I über den Haus- und Familienstand. 18 Quelle: R T , 1905/06, Anl. Bd. 6, S. 4536-4560 (Drucks. Nr. 433, Anl. 18): Übersicht über die Anstellungs- und Pensionierungsalter der aus den Zivil- und Militäranwärtern hervorgegangenen etatsmäßigen Angehörigen des mittleren Beamtendienstes im Reiche und in den größeren Bundesstaaten. 19 Quelle: Ebd., S. 4566-4585 (Anl. 19): dass. betr. die »Angehörigen des Kanzleibeamtendienstes«. 20 Siehe die beiden letzten Tabellen. Nach einer Erhebung des Bundes der Militäranwärter um 1907 sollen die Militäranwärter die (in der Regel über die Anciennität gesteuerte) höchste Besoldungsstufe in einem um durchschnittlich 15 Jahre höherem Lebensalter erreicht haben als Zivilanwärter. Über diese Untersuchung berichtet die Z Z A , Jg. 6, 1907, S. 100. 21 Zimmermann, Lage, S. 134. Darin befinden sich auch Beschreibungen weiterer anderer Unterbeamtenkarrieren. An den hier geschilderten Verhältnissen hat sich auch später nichts entscheidendes geändert. Vgl. etwa die Beschreibung des typischen Werdegangs von Hilfsheizern um 1913 in der als Broschüre publizierten »Denkschrift über die Lage der Hilfsheizer der Preußisch-Hessischen Eisenbahngemeinschaft«, Köln 1913, S. 1—4. 22 Quelle: R T , 1905/06, Anl., Bd. 6, S. 4586-4623 (Drucks. Nr. 433, Anl. 20): Anstellungsund Pensionierungsalter der Unterbeamten 1902-1904. 23 Beleg für die Jahre 1907-1911: Denkschrift über die Beamtenorganisation, S. 23. Für 1912 und 1913: D P Z . J g . 24, 1913, S. 1749 (Rubrik »Beamtenverhältnisse«). 24 Nach: Die Rangliste der höheren Postbeamten für 1912, in: B P T , J g . 8, 1912/13, S. 86. 25 Quelle: R T , 1905/06, Anl., Bd. 6, S. 4632-4643 (Drucks. Nr. 433, Anl. 22): »Nachweisung über die Anstellungs-, Gehalts- und Pensionsverhältnisse der in der Justiz- oder allg. Verwaltung vorgebildeten höheren Beamten . . « i n Preußen 1901-03. Für später sind Daten in dieser Reichweite schwer zu ermitteln. Immerhin ist hier dieser Hinweis möglich: Nach der im »Taschen-Kalender fur Verwaltungsbeamte« für 1916 mitgeteilten »Rangliste« waren von den höheren Beamten der preußischen inneren Verwaltung, die 1903 zum Rat ernannt worden waren, bis Ende 1912 rund 6 7 % noch nicht weiterbefördert und bis Ende 1913 immer noch r u n d 6 2 % . (Vgl. S. 218-220). 26 Viktoria-Luise-Stiftung. Heilanstalt für Beamte im königlichen Bade Rehburg (Provinz Hannover). U m 1913. In: HStAD, Reg. Α., Nr. 73, ο. P. 27 Vgl. Kap. II 3 c. Beiträge, in denen die sozialen Nachteile nicht zuletzt auch der Sonnund Feiertagsarbeit hervorgehoben werden: Schwarz, Die Sonntagsruhe der mittleren ReichsPost- und Telegraphenbeamten, in: D P Z , J g . 22, 1911, S. 1453-1454; Kastengeist, S. 912; Personalmangel und seine Folgen, in: FR, J g . 11, 1907, S. 314-315; Zur Frage der dienstfreien Sonntage, ebd., J g . 17, 1913, S. 513-515; L. Werner, Die Bedeutung des deutschen Lokomotivbeamten und seine Wünsche, Berlin 1913, S. 11-28; Der Beamte und seine Familie, in: B B R K , Jg. 1, 1914 (April), S. 12-13. 28 Die lange Mittagspause war nicht unbedingt beliebt. Sie führte zunehmend zur Forderung nach dem ungeteilten Arbeitstag nach englischem Muster. Vgl. etwa: Geteilte oder durchgehende Arbeitszeit der Beamten?, in: M D B , J g . 35, 1911, S. 372. A u f den Kommunaldienst bezogen, aber bezeichnend für das Problem allg.: Vorteile der ungeteilten Arbeitszeit, Köln 1911; Die ungeteilte Arbeitszeit, Düsseldorf 1912. 29 Etwas von den Dienststunden. [Leserzuschrift], in: FR, J g . 8, 1904, S. 630. Ähnlich ein gleichnamiger Art., ebd., S. 594. 30 »Kollegen im Außendienst«, so die Darstellung eines Bahnbeamten, seien von der Entfremdung weniger betroffen. Siehe G. Sturm, »Am Flügelrad«. Sozial- und wirtschaftspoliti-
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Anmerkungen zu S.
174-176
sehe Reflexe des Eisenbahnbeamtenlebens, Berlin 1908, S. 2 (Broschüre in Selbstverlag, ZStAP, Reichseisenbahnamt, Nr. 227 a, Bl. 82). 31 Z u r Ordensfrage vgl. Henning, Beamtenschaft, S. 142f. Ein solcher Faktor war beispielsweise noch die Unterbringung in Dienstwohnungen, die insbes. dann, wenn sich die Wohnungen in Amtsgebäuden befanden oder Häuserkomplexe mit nur beamteten Bewohnern bildeten, sozial isolieren konnte. Zur Dienstwohnungsfrage Beispiele aus der allg. Verwaltung im Zeitraum 1890-1912 in der Akte LHAK, Abt. 403, Nr. 14572. Über die Dienstwohnungen bei der Reichspost informiert: StatPost, 1910, S. 11. 32 G. W. Zimmerli, Im Dienst des Flügelrads. Bilder aus dem Eisenbahnerleben, Berlin 1911, S. 6f. Im gleichen Sinn die Schilderung durch einen Bahnbeamten. Vgl. ZStAP, Reichseisenbahnamt, Nr. 277a, Bl. 134f. 33 Von B. Beuys, Familienleben in Deutschland, Reinbek 1980, S. 441 f. als beliebteste Freizeitaktivität der Beamten bezeichnet (ohne Belege). 34 Schematisch zwar, aber trotzdem aufschlußreich informieren insbes. über die gesellige Rolle der Vereine, die einmal als die wirkliche soziale »Heimat« der Beamten bezeichnet w o r den sind (vgl. Zur Gründung des Vereins, in: ΖΕΑ, Jg. 1, 1904, S. 1), die in den meisten Beamtenblättern fur Vereinsnachrichten (Nachrichten der Lokalorganisationen) eingerichteten Rubriken. 35 Entsprechende Schilderungen und Hinweise enthalten: Was sollen wir lesen?, in: DRP, Jg. 3, 1900, S. 270; Das Vereinsleben im Winterhalbjahr, in: FR, Jg. 8, 1904, S. 545 f.; Selbsthilfe und Selbstzucht, S. 57; Die Kulturmission der Beamten, in: WEA, Jg. 4, 1907, S. 368; Was leistet uns der Verband, ebd., Jg. 10, 1913, S. 167; Freund, Der Beamte im modernen Staate, in: »Anlage« zur DBR, Jg. 2, 1913, S. 10. Wohl ebenfalls aus eigener Anschauung der Professor der Philosophie und der Pädagogik an der kgl. Akademie in Posen, R. Lehmann, Erziehung und Unterricht. Grundzüge einer praktischen Pädagogik, Berlin 1912, S. 133f. Zur Beteiligung an allg. Vereinen vgl. Henning, Beamtenschaft, S. 141 f. 36 Gegenteiliger Meinung sind Ellwein u. Zoll, S. 35 f. 37 Hintze, Beamtenstand, S. 66. Wörtlich die gleiche Wendung im gleichen Zusammenhang bei A. Höße, Die Bestrebungen der deutschen Beamtenschaft auf organisatorischem und gesetzgeberischem Gebiete, in: ADR, Jg. 45, 1912, S. 814. Es ist gut möglich, daß Höfle den Ausdruck, wie auch andere Ausdrücke, von Hintze übernommen oder überhaupt wichtige Anregungen von ihm empfangen hat. Beide unterscheiden sich allerdings in der Bewertung des entdeckten Phänomens. Hintze neigt dazu, die angegriffene Staatlichkeit, die staatsrechtlich-instrumentale Natur des Beamtentums, gegen die, wie er es nennt, »nationalökonomische Theorie« (S. 73) in Schutz zu nehmen, obwohl er die Expansion des Beamtenproblems über den alten Rahmen hinaus als Entwicklungstrend ausmacht und für außerordentlich wichtig hält. Höfle, (Dr., möglicherweise Berater von Beamtenverbänden, Autor von Beiträgen in mehreren Beamtenzeitschriften) hat deutliche Sympathien für die Arbeitnehmer-Auffassung vom Staatsdiener bzw. die »Bestrebungen der öffentlichen Beamten als volkswirtschaftliche Bewegung« (S. 814, Hervorhebung im Original). Nach seiner Meinung paßten mindestens die Beamten der Leistungsverwaltungen nicht mehr ins Schema des klassichen Beamtentums. Dem sollte, so Höfle, Rechnung getragen werden. 38 Beispiele: Z u m neuen Jahre, 1909, S. 5-6; die Bedeutung des Verbandes, S. 132; Zur Einfuhrung, in: N B Z , Jg. 1, 1910, Nr. 1, ο. P. Bund der Festbesoldeten und Bürgerschaft, ebd., Nr. 7; Unsere Feinde, ebd., Nr. 8; Beamte und Bürger, ebd., Jg. 3, 1912, Nr. 23; Beamte und Publikum, in: PW, Jg. 7, 1911, S. 821 f.; Domscheit, Wünsche und Bestrebungen der mittleren Post- und Telegraphenbeamten, in: D P Z , Jg. 22, 1911, S. 892; Kastengeist, S. 911 f.; Beamte und öffentliche Meinung, in: FR, Jg. 17, 1913, S. 562; Die Beziehungen zwischen Beamtenschaft und anderen Erwerbsständen, in: RM, Jg. 16, 1913, Nr. 30, S. 4; Bürger unter Bürgern, in: WEA, Jg. 10, 1913, S. 346; Was uns not tut, ebd., S. 281 f.; 1st die Beamtenschaft produktiv?, in: ZsDJ, Jg. 25, 1914, S. 101-103; Nochmals Beamte und öffentliche Meinung,
326
Anmerkungen zu S.
176-179
in: FR, J g . 18, 1914, S. 135; Die Festschrift zum Gautag in Hannover, in: D Z P , Jg. 25, 1914, S. 826; A. Falkenberg, Arbeitsrecht und Beamtenrecht, in: B J B , Jg. 1, 1914, S. 34. (Alle Beiträge von 1914 sind aus der Zeit vor dem Krieg.). 39 Die Bedeutung des Verbandes, S. 132.
b) Ziele und Möglichkeiten der sozialen Integration von mittleren und unteren Beamten 1 Dem Prinzip nach ist die Gewerkschaft und/oder Gewerkschaftlichkeit nicht an die Arbeiterklasse, an Arbeiter als Mitglieder, Klassenbewußtsein als Movens bzw. Klassenkampf als Mittel gebunden, wenngleich die gravierende Verschlechterung von Arbeits- und Lebensbedingungen die Hinwendung zur Gewerkschaftlichkeit zweifellos begünstigt. (Man kann natürlich der Meinung sein, daß Gewerkschaftlichkeit ohne Proletarisierung >unecht< sei.) Zum Verhältnis Angestellte - Gewerkschaft in Deutschland vgl. etwa G. Hartfiel, Angestellte und Angestelltengewerkschaften in Deutschland, Berlin 1961, G.Horke, Soziologie der Gewerkschaften, Wien 1977, S. 278ff. Kocka, Klassengesellschaft, S. 82, ders., Angestellten, speziell S. 146f., E. Lederer, Die Privatangestellten in der modernen Wirtschaftsentwicklung, Tübingen 1912, speziell S. 148ff., Schluchter, S. 158. 2 Vgl. z . B . den Vorspann zum Bericht »Erster Deutscher Unterbeamtentag«, in: DP, J g . 11, 1911, S. 1685 bzw. die im Bericht zitierte Rede von E. Remmers, ebd. S. 1686, Die Organisation als Erziehungs- und Bildungsfaktor, S. 1770f., Bildung und Wissen, in: WW, J g . 18, 1913, S. 222. 3 Vgl. Die Arbeiterorganisationen, in: DP, J g . 11, 1911, S. 876, Ernste Zeiten, ernste Pflichten, ebd., Jg. 14, 1914, S. 891. 4 Diesbezügliche Annahmen, Befürchtungen und Anschuldigungen wurden immer wieder von verschiedenen Seiten in verschiedenen Zusammenhängen geäußert, exakt belegbar ist dies freilich bisher nicht. Siehe aus der Literatur: Leixner, S. 339; Zimmermann, Lage, S. 170; Sozialdemokratie und Beamtentum. Eine Betrachtung über den sozialdemokratischen Stimmenzuwachs bei der letzten Reichstagswahl aus den Kreisen der mittleren Beamten, Berlin 1903 2 ; Eisenbahn-Beamte und Landtag, in: FR, Jg. 8, 1904, S. 189f.; Etwas von den Dienststunden, S. 593ff. P. Ideler, Der Sozialismus und die Beamtenschaft, Berlin 1910; Fribolin, S.97. 5 Radikalisierung der Beamtenschaft, in: DP, Jg. 12, 1912, S. 1626f. Für diesen Zusammenhang noch: Mittlere Beamte und niedere Beamtenklasse, in: PW, Jg. 7, 1911, S. 551 f. und 567ff.; Zur Denkschrift über die Personalreform, in: DP, Jg. 12, 1912, S. 868-869; Der Beamte und seine Familie, S. 12f. 6 H. Kamossa, Untere Beamte, S. 26 (Zitat), ferner: Arbeiter oder Beamte?, in: D U Z , J g . 4, 1913, S. 110-11. 7 Schließet die Reihen!, in: WR, J g . 15, 1911, S. 90. Siehe noch: Freiheit des Arbeitsvertrages, ebd., J g . 17, 1913, S. 141 und: Auch eine Magenfrage?, ebd., S. 189. 8 Anwendungsbeispiele des Begriffs in einer Beamtenzeitschrift: FR, J g . 6, 1902, S. 131; J g . 7, 1903, S. 571 f.; J g . 8, 1904, S. 398f.; J g . 9, 1905, S. 672; Jg. 12, 1908, S. 28, 466ff.; Jg. 17, 1913, S. 442, 525 ff. Die Verschwommenheit des Begriffes anhand anderer Beispiele bestätigt Till, S. 177 ff. 9 Eingehender, wenn auch wohl noch nicht erschöpfend wurde das Verhältnis der deutschen Arbeiterbewegung zur Beamtenschaft auch für die Zeit vor der Revolution untersucht von G. Hoffmann. Das eher negative bzw. passive Verhältnis der SPD zur Beamtenschaft vor dem Krieg bestätigt im Rückblick L. Radlof, Die Kernfrage der preußischen Verwaltung, in: N Z , J g . 37, Bd. 2, 1919, S. 524. Zur Aktivität der »Volksfursorge« vgl. D B R , Jg. 2, 1913, S. 417—420. Charakteristisch für die sozialdemokratische Wahlwerbung um die Beamten sind die Dokumente: Handbuch für Sozialdemokratische Wähler, Berlin 1911, S. 411-422, und:
327
Anmerkungen zu S.
179-t80
Beamtenschaft und Sozialdemokratie, Berlin 1911. Letztere Publikation war die Nr. 7 in der u m 1907 gestarteten Reihe »Sozialdemokratische Flugschriften«. Mit ihrer Hilfe sollten u. a. »der Sache des Proletariats neue Anhänger« gwonnen werden. (Zitierter Text auf der inneren Umschlagseite der Hefte). 10 Wesen und Ziele der Beamtenorganisation, in: CorrBl., Jg. 19, 1909, S. 728. 11 Dies war insbesondere deshalb eine >Haltungunechte< höhere Laufbahn, da deren Mitglieder aus den ursprünglich zum mittleren Beamtentum gehörenden »Eleven« rekrutiert und keiner universitären Ausbildung mehr zugeführt wurden. Unter den Eleven konnte also kein Jurist sein. Das Schloß natürlich die Anstellung von Juristen nicht prinzipiell aus, bewirkte es aber in der Tat. Jedenfalls gab es 1912 nur fünfjuristen im höheren Post- und Telegraphendienst. Vgl. Die Rangliste der höheren Postbeamten für 1912, in: BPT, Jg. 8, 1912/13, S. 86. Die neue Laufbahn ab 1908 war in ihrer bis 1922 gültigen Fassung so konstruiert, daß sie den Zugang für Juristen verwehrte. (Vgl. die Bestimmungen, in: ARP, Jg. 29, 1908, S. 125 ff.) 34 Selbst die höheren Postbeamten der alten (unechten) Laufbahn meinten von sich, sie hätten eine »bevorzugte soziale Stellung«. Vgl. die Einseitigkeit als Gefahr fur das deutsche Beamtentum, in: BPT, Jg. 1, 1905/06, S. 14. Mit noch mehr Recht konnten dies höhere Bahntechniker von sich behaupten. Vgl. Klagen und Wünsche, S. 6 f. 35 Ebd., S. 7. 36 Beurteilung im Rahmen der Beratung über die beamtenrechtspolitische Marschroute der Regierung bzw. der obersten Ressortbehörden 1909, speziell in bezug auf die Nichtzulassung einer Interessenvereinigung höherer Bahntechniker. Vgl. die einschlägige »Denkschrift« in: GStAB, Rep. 90, Nr. 2324, Bl. 77-78. 37 Grunenberg, S. 311 und 315 f. fuhrt, eingeteilt in die Gruppen Kreisbau- und Wasserbaubeamte, Eisenbahnbaubeamte, Beamte der Bergbehörden, Gewerbeinspektoren, RegierungsMedizinal-Beamte, Oberförster, insges. 3468 Personen fur Preußen auf dem Stand von 1910 auf. Bei der Post gab es 1912 nach Aufstellung der Blätter für Post und Telegraphie (BPT, Jg. 8, 1912/13, S. 86) 3676 höhere Beamte insgesamt, von denen freilich nur ein Bruchteil als Techniker im engeren Sinn gelten konnte. Exaktere Angaben sind nicht möglich, da einschlägige statistische Unterteilungen fehlen und die Etats die >Techniker< als solche auch nicht herausdifferenzieren. 38 Eschwege, S. 825. 39 Ebd., S. 829. 40 Dies prangern an u. a. Massow, S. 202, Die N o t des höheren Mittelstandes, S. 3ff., Borussicus, S. 127ff. E. Warner, Beamtenkorruption und Staatsmoral, in: M D B , Jg. 38, (Mai) 1914, S. 137-139, Most, S.6f. 41 Borussicus, S. 123. 42 Die N o t des höheren Mittelstandes, S. 14. Harnack, S. 47, spricht in bezug auf diese Zeit davon, daß das Vermögen »Voraussetzung« selbst der »Beförderung« war. Z u m Zugang der reichen bürgerlichen Schichten zur höheren Verwaltungslaufbahn vgl. weiter Kaelble, Mobilität, S. 270, Röhl, S. 302, Ulimann, S. 119ff. 43 Borussicus, S. 127, siehe auch S. 123. 44 Von den etatmäßig angestellten höheren Beamten in Preußen waren rund 2 2 % ledig, verglichen mit rund 7 % der mittleren und 4 % der unteren. Trotz der längeren Ausbildung, die das Heiraten hinauszögerte und hier relativierend berücksichtigt werden muß, ist der >Vorsprungc bemerkenswert. Daten aus der »Hauptnachweisung über den Haus- und Familienstand der männlichen Beamten im ganzen preußischen Staate nach dem Stand v o m 1. O k t o ber 1913«, Anl. 1 der Drucks. Nr. 550, in: AH, 1914/15, Anl., Bd. 6, S. 3341. Die Abnahme der Eheschließungen höherer Beamter behauptet »Die N o t des höheren Mittelstandes«, S. 5. 45 Vgl. Hauptnachweisung. Für die Gesamtbevölkerung: StatJB, Jg. 10, 1912, S. 11. Vgl. auch Geburtenrückgang und Beamte, S. 387-389.
336
Anmerkungen zu S.
203-206
46 Simon, S. 430. 47 Reform oder Revolution, S. 203. Ebenso: Geburtenrückgang und Beamte, S. 388 und Die N o t des höheren Mittelstandes, S. 14. 48 H. Henning sieht am Ende seiner (zeitlich bis 1914 reichenden) Analyse die höhere Beamtenschaft im Zustand eines (vornehmlich in den politischen Folgen) tragischen Widerspruchs zwischen Modernisierung und Beharrung. (Vgl. Beamtenschaft, S. 98-112). 49 Werner Frh. v. Rheinbaben, ein Neffe des Ministers Paul v. Rheinbaben (selbst kein Beamter, sondern Soldat), bezogen auf die »Ära Bülow« in seinem Erinnerungsband »Viermal Deutschland 1895-1954«, Berlin 1954, S. 51.
III. D i e vertagte Entscheidung. Wandel und Stagnation der Bürokratie i m Ersten Weltkrieg 1. Von der Improvisation zur Verwaltungszwangswirtschaft. Bürokratischer Rigorismus im Gewand des Wohlfahrtsstaates 1 Schreiben an den Innenminister, zit. nach Stüttgen, S. 365. Dort angegeben die Akte: GStAB, Rep. 2 II Oberpräs., Nr. 3576 Bd. 1 (ehem. Staatsarchiv Königsberg). Z u m Bürokratieabbau nach dem Krieg vgl. auch W. Kulemann, In welcher Weise wird die neuzeitliche deutsche Beamtenbewegung durch den Krieg beeinflußt werden?, in: BJB, Jg. 1, 1914 (Dez.), S. 93 und F. Winters, Bureaukratismus und Staatsbürgertum der Beamten, ebd. (April 1915), S. 115-117. 2 Vgl. als Beispiel die retrospektiven Berichte der Landräte des Regierungsbezirks Trier v o m April/Mai 1916, die auf Anforderung des Innenministers vom 18. 4. 1916, die Tätigkeit der allgemeinen Verwaltung seit Kriegsbeginn zu schildern, erstellt wurden. Akte: LHAK, Abt. 442, Nr. 7449, ο. P. Eine gute Charakterisierung bringt H. Warmbold, Futtergetreide im Kriege, Berlin 1917, S. 36 f. 3 Bericht des Landrats des Kreises Berncastel, 3. Mai 1916, LHAK, Abt. 442, Nr. 7449, o.P. 4 Bericht des Landrats des Kreises Lennep an den Regierungspräsidenten in Düsseldorf vom 29. April 1916 aus dem gleichen Anlaß, in: HStAD, Reg. D. Pr., Nr. 81, Bl. 156. 5 Vgl. das Standardwerk zur Kriegsernährungsgeschichte, A. Skalweit, Die deutsche Kriegsernährungswirtschaft, Stuttgart 1927, S. 149ff., sowie A. Skalweit u. H. Krüger, Die Nahrungsmittelwirtschaft großer Städte im Kriege, Berlin 1917 und U . v. Hassel, Die Einrichtungen der preußischen Landkreise auf dem Gebiete der Kriegswirtschaft, Berlin 1918. Interessant ist auch die Bemerkung des Generals Wilhelm Frh. van Gayl, wonach »im ersten und zweiten Kriegsjahr die Kriegsgesellschaften wie Pilze nach ergiebigem Regen aus der Erde« schössen. Vgl. Bd. 2 seiner Memoiren u. d. T. »Mit Schwert und Feder. Erinnerungen an Front- und Verwaltungsdienst in den Jahren 1914/1919«. Maschinenschr. Manuskr., in: BÄK, Nachlaß Nr. 31, Bl. 145. Unergiebig fur das erste halbe Jahr des Krieges in diesem Zusammenhang ist M . Schumacher, Land und Politik. Eine Untersuchung über politische Parteien u. agrarische Interessen 1914-1923, Düsseldorf 1978. Die genannte Zeit sollte überhaupt verwaltungsgeschichtlich noch näher untersucht werden. 6 So umschrieb den Gegenstand einer seiner bekanntesten Verfechter, Wichard von Moellendorff, in seinem Brief vom 4. August 1916 an den Verleger (Verlagsbuchhandlung K. Sigismund in Berlin) seines Buches »Deutsche Gemeinwirtschaft«. Schreiben in: BÄK, Nachlaß Moellendorf, Nr. 11, ο. P. 7 Skalweit, S. 149. Der Begriff Kommunalverband war etwas schwammig. Man bezeich-
337
Anmerkungen zu S.
206-209
nete damit u. a. sowohl die Landrats- und Bürgermeisterämter als solche wie auch die Selbstverwaltungsorgane der Kreise bzw. kreisfreien Städte. Dazu Skalweit, ebd. S. 151 u. Alter, Die Kommunalverbände in der Kriegswirtschaft, in: Die Kreis- und Gemeindeverwaltung, Jg. 11, 1918, S. 38. Vgl. auch H W B P V , 3. Aufl., Bd. 1, S. 1036. 8 Vgl. weiter unten in diesem Kapitel. 9 Vgl. die Beschreibung durch ihren damaligen Vorsitzenden G. Michaelis in seinen Memoiren, S. 270ff. 10 Skalweit, S. 151. 11 Rückblick des Landrats M. Kiepert, Die Arbeit des Landrats von der Kriegs- und Revolutionszeit über Kapputsch, Inflations- und Wirtschaftskrise zu Adolf Hitler, Berlin 1935, S. 6. 12 Schilderung aus erster Hand bei W. Rathenau, Deutschlands Rohstoffversorgung, in: ders., Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, Berlin 1925 (W. R. Gesammelte Schriften Bd. 5), S. 27f., 49ff. Siehe auch die Beschreibung eines anderen Beteiligten, nämlich K. Wiesenfeld, Zwischen Wirtschaft und Staat, Berlin 1960, S. 51 f. sowie die sehr aufschlußreiche Oberblicksdarstellung von H. Fenske, Die Verwaltung im Ersten Weltkrieg, in: Jeserich u. a. S. 879 ff. 13 Rathenau, Rohstoffversorgung, S. 41. 14 Fenske, Verwaltung, S. 880 schreibt: »Der eigentliche Gewinn der beteiligten Unternehmungen lag nicht in der Verzinsung des Kapitals, sondern in den Vorteilen, die sie wegen ihrer Mitgliedschaft bei der Belieferung mit Rohstoffen hatten.« 15 Rathenau, Rohstoffversorgung, S. 37-39. 16 Dazu ausführlich F. Zunkel, Industrie und Staatssozialismus. Der Kampf um die Wirtschaftsordnung in Deutschland 1914-1918, Düsseldorf 1974. Vgl. auch K. Schwabe, Wissenschaft und Kriegsmoral, Göttingen 1969, S. 42. In diesem Zusammenhang sei generell auf die wirtschaftsstrukturelle bzw. -politische Problematik der Kriegswirtschaft hingewiesen. Sie soll hier nicht näher behandelt werden. Gleichwohl gehört sie zum Hintergrund der Darstellung in diesem Kapitel, die diesbezüglich davon ausgeht, daß die Kriegsverhältnisse eine konzeptionell weiterentwickelte Fortsetzung des Modernisierungsprozesses darstellten, bzw. daß die Entwicklung der öffentlichen Verwaltung dazu in enger Wechselbeziehung stand. Aus der Literatur sei noch hervorgehoben Kocka, Klassengesellschaft, G. D. Feldmann, Army, industry and labor in Germany 1914-1918, Princeton 1966, ders., Der deutsche Organisierte Kapitalismus während der Kriegs- und Inflationsjahre 1914—1923, in Winkler, Kapitalismus, S. 150-171 u. das ausgezeichnete Essay von Böhme, S. 107 ff. Nützlich auch sowohl als Übersicht wie als Materialsammlung G. Brüggemeier, Entwicklung des Rechts im Organisierten Kapitalismus, Bd. 1, Frankfurt a. M. 1977. 17 Die Entwicklung einschlägiger Theorien insbesondere in der Wissenschaft schildern Zunkel, S. 50ff. und Schwabe, Wissenschaft, S. 42f. Speziell zu O . Hintze vgl. in dieser Arbeit weiter oben Kap. II 4b. 18 Hierzu und zum Folgenden allg. Fenske, Verwaltung, S. 868 f. 19 So Klemens von Delbrück, Die wirtschaftliche Mobilmachung in Deutschland 1914, München 1924, S. 88. 20 Vgl. Kriegsrüstung und Kriegswirtschaft Bd. 1, Berlin 1930 (Der Weltkrieg 1914-1918. Sonderband). 21 Vgl. K. Delbrück, Mobilmachung, S. 69ff., 88f. Zitat auf S. 85. Ferner: Kriegsrüstung, S. 318ff. und Skalweit, S. 16ff. 22 S. Anm. 17. 23 W. von Moellendorff im Entwurf eines Schreibens an einen in diesem Aktenstück nicht namentlich genannten Ministerialdirektor am 12.6. 1916, BÄK, Nachlaß Moellendorff, Nr. 11, ο. Ρ 24 Moellendorff sah (ohne Begeisterung) voraus, daß im Zuge der Gemeinwirtschaft »jeder sich gütlich selbst mit einem Bruchstück seines Wesens staatlich verbeamtet«. Siehe seine
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Anmerkungen zu S.
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Schrift »Deutsche Gemeinwirtschaft«, Berlin 1916, S. 33. Auch Ε -Joffe schrieb im gleichen Zusammenhang v o m »Wirtschaftsdienst als Staatsdienst« (Volkswirtschaft und Krieg, Tübingen 1915, S. 25). U n d W. Sombart sah in der Folge der Vergemeinschaftung der Wirtschaft einen generellen »Prozeß der Verbeamtung« sich vollziehen (Beamtenschaft und Wirtschaft, Berlin 1927, S. 19). 25 Die Rivalität zwischen dem von der Staatsverwaltung vertretenen öffentlichen und dem in den Kriegsgesellschaften verankerten Privatinteresse (vgl. Fenske, Verwaltung, S. 880) mag die Bürokratisierung als eine die staatliche Seite begünstigende O r d n u n g gefördert haben. 26 Vgl. etwa Zunkel, S. 23-26. 27 Vgl. die Darstellung am Beispiel der Kriegsrohstoffabteilung bzw. -gesellschaften von Wiedenfeld, S. 51-55, ferner P. von Kielmansegg, Deutschland und der Erste Weltkrieg, Frankfurt a. M. 1968, S. 169f. In bezug auf die Ernährungswirtschaft Michaelis, S. 276f. Die Bürokratisierung der Kriegsgesellschaften hebt hervor E. Schultze, Entschlußkraft, in: Chr. Eckert (Hg.), Der Eintritt der erfahrungswissenschaftlichen Intelligenz in die Verwaltung, Stuttgart 1919, S. 59. 28 Aus dem Bericht des Landrats in Krefeld vom 3. 5. 1916 über die Wirkung der »neueren Bestimmungen« auf die dortige »Futtermittelstelle«, HStAD, Reg. D. Pr., Nr. 81, Bl. 142. 29 Vgl. Wiedenfeld, S. 53. Auch Kiepert, S. 4-6. 30 Vgl. Feldmann, Army, S. 284, 286, 288ff., w o dargestellt wird, daß der preußische Landwirtschaftsminister K. Frh. von Schorlemer (bis August 1917 im Amt) stets fur die freie Bewirtschaftung war, bzw. seine Landräte und deren Bestrebungen gegen den Staatszwang nach Kräften deckte und so deren >Zähmung< hinauszögerte. Es dauerte bis Febr. 1917, bis der Staat sich eine Kontrolle über die Ernährungs wirtschaft sicherte. 31 Die vorangegangene Schilderung basiert auf Fenske, Verwaltung, S. 882ff., 886 ff., Schumacher, insbes. S. 39 ff., W.Dieckmann, Behördenorganisation in der dt. Kriegswirtschaft 1914-1918, Hamburg 1937, S. 69-77, Michaelis, S. 280-290, Skalweit, S. 167-186. Zitat ebd. S. 186. 32 Dazu die eben zit. Beiträge von Fenske, S. 887, Dieckmann, S. 77, Michaelis, S. 290, Skalweit, S. 185 f. 33 Vgl. Fenske, Verwaltung, S. 886f., Dieckmann, S. 49fT., Feldmann, Army, S. 190ff. Zur Vorgeschichte des Kriegsamtes ebd. S. 178 ff. 34 Siehe Michaelis, S. 276. 35 So stellt es Kielmansegg, S. 193 dar. Auch Feldmann, Army, S. 111. Siehe natürlich auch das Selbstzeugnis von W. Groener, Lebenserinnerungen, Göttingen 1957. 36 Zahlen zur Kriegsrohstoffabteilung bzw. Reichsgetreidestelle bei Fenske, Verwaltung, S. 879, 883. 37 Meinung und Ausdruck (im Zusammenhang mit dem Kriegsamt) von Kielmansegg, S. 193. 38 Desgleichen Zunkel, S. 97 und 201. 39 An die »Regierungspräsidenten der Provinz«, 18. 5. 1917, HStAD, Reg. A. Pr., Nr. 29, Bl. 13. 40 Vgl. Zunkel, S. 23-26 und Brüggemeier, S. 85. 41 A m Beispiel der Bezirksregierung Düsseldorf dargestellt von Knopp, S. 306-308, auch 321 ff. Allgemein: Skalweit, S. 148, 163 und Alter, S. 38. 42 Vgl. Einleitung, in: Militär und Innenpolitik im Weltkrieg 1914-1918. Teil 1, Düsseldorf 1970, S. LX. Es kam beispielsweise vor, daß »Landkreise die Ausfuhr bestimmter Güter in die Nachbarkreise verboten«. Ebd. 43 Vgl. E. Hoffmann, Kruse, S. 125-127 (Zitat S. 126), eine Biographie, in die viel Selbsterlebtes v o m Autor, Regierungsmitglied in Düsseldorf, eingegangen ist. 44 Ebd., S. 129. Vgl. auch Feldmann, Army, S.99, 105. 45 Z u m Folgenden auch Fenske, Verwaltung, S. 871-878.
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46 Der zugespitzteste weil verabsolutierende Ausdruck dieser Auffassung findet sich bei E. Ludendorff selbst, der in seinen Memoiren (Meine Kriegserinnerungen 1914-1918, 4. Aufl., Berlin 1919, S. 3-6) die Schuld an der Niederlage Deutschland — so plump wie demagogisch - der Zivilregierung bzw. den Zivilbehörden zuschrieb, da sie die Heimatfront nicht straff und energisch genug organisiert hätten. General von Gayl, der noch unter Ludendorff Leiter der Abteilung Politik und Verwaltung beim Stab des Oberbefehlshabers Ost geworden ist, schildert (ohne freilich seinen Vorgesetzten damit auch nur entfernt kritisieren zu wollen), wie wenig Ludendorff von der Zivilverwaltung bzw. aufgelockerten Verwaltungsformen hielt; als Oberbefehlshaber Ost setzte er u. a. »die völlige Ausschaltung der (Kriegs-)Gesellschaften im Ostgebiet« durch. Siehe Gayls Erinnerungen (Archivfundstelle in Anm. 5), Bl. 145. 47 Vgl. Feldmann, Army, S. 105, 108. 48 »Auszug aus der Zusammenstellung der Monatsberichte der stellvertretenden Generalkommandos betr. die allgemeine Stimmung im Volke« vom 3 . 9 . 1916. Dokument Nr. 172, in: Militär und Innenpolitik, Teil 1, S. 425. 49 Dazu generell Feldmann, Army, sowie: Militär und Innenpolitik, ferner auch die übergreifenden Darstellungen: Kielmansegg, bzw. F. Klein u. a. (Hg.), Deutschland im Ersten Weltkrieg, Bd. 1-3, Berlin (Ost) 1968-1969. Vgl. auch die Anm. 54 und 55. 50 W. von Moellendorf in seinem Gutachten »Zur Lebensmittelfrage«, 1. Jan. 1917, B Ä K , Nachlaß Moellendorf, Nr. 11, ο. P. 51 Besonders typisch hierfür sind die Schriften: Moellendorff, Gemeinwirtschaft, W Rathenau, die neue Wirtschaft, Berlin 1918, S. 34 ff. oder etwa A. Rieck, Verschwendung im Handel Jena 1917, (Deutsche Gemein Wirtschaft, H. 2). Obwohl nach dem Krieg erschienen, lohnt sich einen der Schlußsätze zu zitieren aus H. Paach, Zinsablaß, Jena 1919, Heft 6 der gleichen Reihe, S. 15, wo es heißt: »Der Umbau des Wirtschaftswesens soll dieselbe Übersichtlichkeit, Ordnung und logische Folgerichtigkeit aufweisen, die ein organisches Gebilde mit Leben erfüllt und die an einem planvollen Bauwerk aller Welt gefällt.« Den Ausdruck Technokrat zu Moellendorfs Charakterisierung prägt Feldmann, Kapitalismus, S. 160. 52 Moellendorf ζ. B. betonte, daß die Staatsverwaltung in ihrer alten Form sich für die Gemeinwirtschaft nicht eigne. Vgl. Deutsche Gemeinwirtschaft, S. 33. Ähnlich in einem undatierten und nicht adressierten Schreiben (Durchschlag mit den Anfangs Worten »Als Verfasser einer Schrift. .«) aus der Kriegszeit, wo Moellendorf mahnt, es wäre falsch zu glauben, »die heutige Bürokratie« könne und solle »das Geschäft der Gemeinwirtschaft begründen und leiten« (S. 1 des Manuskripts), in: B Ä K , Nachlaß Moellendorf, Nr. 33, ο. P. Im gleichen Sinn auch in dem in der Anm. 6 angegebenen Schriftstück. 53 Vgl. etwa W. Rathenau, Von kommenden Dingen, Berlin 1917, aus dem auch das Zitat stammt (S. 54). Von Moellendorff die beiden Schriften: Gemeinwirtschaft und Von Einst zu Einst. In Schreiben an Moellendorff von Gesinnungsfreunden findet man leicht diese sittlichen Postulate, wenn dort etwa davon die Rede ist, die Verwirklichung der Gemeinwirtschaft mit Hilfe einer »Partei des deutschen Geistes« zu betreiben (Dr. Wilhelm Bühring an M . am 11.12. 1918, B Ä K , Nachlaß Moellendorff, Nr. 25, ο. P) oder daß die Gemeinwirtschaft mit einer »neuen Geistigkeit« verknüpft sei (Frh. von Gleichen, ohne Datierung, ebd., Bd. 33, o. P.). Vgl. auch P. Berglar-Schroeer, Walther Rathenau. Seine Zeit. Sein Werk. Seine Persönlichkeit, Bremen 1970. Berglar betont diese Eigenschaft der Theorien Rathenaus (hat allerdings keinen Zugang zu den eigentlichen organisatorischen Prämissen). Beide Seiten hebt hingegen hervor Zunkel, S. 62f. 54 Vgl. Von kommenden Dingen, S. 344ff., bzw. Die neue Wirtschaft, S. 28f. 55 Charakteristischerweise bezeichnete sich Moellendorff als »Verfasser einer Schrift« (gemeint ist entweder die Gemeinwirtschaft oder Von einst zu einst), »die aus dem Lager der Unternehmer im allgemeinen entweder als Narretei oder als Hetzerei aufgenommen worden ist«. (Archivfundstelle in Anm. 52.) Dies kennzeichnet die Situation spätestens ab 1916, nämlich daß Industrie und Handel, die sich anfangs mit der Beschneidung der völligen Unterneh-
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merfreiheit ζ. T. ganz gut arrangiert hatten, mit dem Überhandnehmen der staatlichen O m n i potenz sich wieder energisch der Wiederherstellung der Wirtschaftsfreiheit zuwandten. Hierzu grundlegend: Zunkel. Vgl. auch Kocka, Klassengesellschaft, S. 116f. 56 Manuskript v o m 1. 3. 1917 m. d. Überschrift »Menetekel für heutige Militärfuhrung«, BÄK, Nachlaß Moellendorff, Nr. 11, ο. P. 57 Ein zentral wichtiges Dokument in diesem Zusammenhang ist die von R. Merton verfaßte Denkschrift »Über die Notwendigkeit eines staatlichen Eingriffs zur Regelung der U n ternehmergewinne und Arbeitslöhne« v o m 12.7. 1917, abgedruckt bei Brüggemeier, S. 224—228 (Dok. Nr. 38). Es weist übrigens auch auf, daß von Versagen der Gemeinwirtschaft nicht nur deswegen die Rede sein konnte, weil die Praxis sowohl der Militär- wie der Zivilbürokratie ihren Vorstellungen zuwiderlief, sondern auch, weil sie, von der Entwicklung dazu getrieben, selbst das Prinzip der Überzeugung gegen das Prinzip des (staatlichen) Z w a n ges eintauschte oder ihm auf jeden Fall den Primat gab, und sei es nur aus der N o t heraus, von der >verpfuschtem Kriegswirtschaft auf diese Weise zu einer »verständige(n) Übergangswirtschaft« (S. 226) zu kommen. Für die aktuellen Hintergründe s. Brüggemeier, ebd., S. 88. Über seine Bemerkung zum Inhalt, die Denkschrift sei eine »Umsetzung gemein wirtschaftlicher Vorstellungen«, wie sie Rathenau, Moellendorf usw. hatten (ebd.), kann man geteilter Meinung sein. 58 Siehe als Beispiel die Akten: HStAD, Reg. A. Pr., Nr. 252; Reg. D. Pr., Nr. 14 und 54; StAM, Reg M., Nr. 1311 oder GStAB, Rep. 92 Nachlaß Drews, Nr. 67, 68, die diese Symptome direkt oder indirekt widerspiegeln. Ebenso die Akten in den Archiven mit Beständen der ehemaligen preußischen allg. Landesbehörden, die die sogenannten »Zeitungsberichte« (Verwaltungsberichte) aus der Kriegszeit enthalten. Diese Berichte waren nach Kriegsausbruch zunächst »in Fortfall gekommen«, weil ihre Erstellung offensichtlich zu viel Arbeitskraft band, die man dringender woanders brauchte. A m 9. 12. 1916 führte sie ein Erlaß des Innenministers allerdings wieder ein; man meinte sie im Zuge der intensiveren Durchorganisation der Verwaltung nun doch nicht mehr vermissen zu können. (Vgl. StAM, Oberpräs. Nr. 1408, Bl. 22.) So sind die Zeitungsberichte doppelt interessant, da nicht nur ihre Inhalte Informationen über den Zustand der Verwaltung bieten, sondern ihr Schicksal selber ein gutes Beispiel fur die Vermehrung des »Schreibwerks« abgibt. 59 Allg. vgl. Einleitung, in: Militär und Innenpolitik, Teil 1, S. XXXI-LI. Darstellung am Beispiel eines Regierungsbezirks bietet Knopp, S. 299-304. 60 Vgl. die Kritik des Reichsschatzamt-Staatssekretärs (1916) und preuß. Staatsministers (1917) Siegfried Graf von Roedern, BÄK, Kleine Erwerbungen, Nr. 317 Bd. 2 (maschinenschr. Manuskript über den Ersten Weltkrieg ohne Titel), Bl. 102-108. Zitat: Bl. 106. Brüggemeier, S. 88, spricht von einer »notorisch unwirtschaftlich arbeitende[n] Militärbürokratie«. 61 Zeitungsbericht der Regierung in Münster in Westf. vom 30. Januar 1917, StAM, O b e r präs., Nr. 1408, Bl. 33. Es ist angebracht, dem hier noch ein Zitat von Skalweit, S. 179, hinzuzufügen: »Jedes auftretende Bedürfnis schlug sich sofort in einer besonderen Organisation nieder. Die Folge war eine Hypertrophie an organisatorischer Arbeit, die in dem Außenstehenden gerade den entgegengesetzten Eindruck, nämlich den mangelnder Organisation hervorrief. « 62 Es ist abgedruckt in: PVB, Jg. 38, 1916/17, S. 252. (Darin wird auch bestimmt, daß die Reformvorbereitung fur die Justizverwaltung abgetrennt von den übrigen und durch einen besonderen Gutachter erfolgen sollte. In dieser Darstellung wird auf die Justizverwaltung nicht eingegangen.) R. Morsey (Bemühungen, S. 864) vermerkt, daß - obwohl die N o t w e n digkeit der Reform in der Luft lag - es eine Überraschung gewesen sei, daß »der Anstoß zu Reformüberlegungen« unvermittelt durch die genannte Kabinettsordre erfolgt sei. 63 B. Drews, Grundzüge einer Verwaltungsreform, Berlin 1919. Im Manuskript lag sie natürlich zum bezeichneten Zeitpunkt vor, nur die Veröffentlichung wurde durch den Krieg verzögert. Der Nachlaß Drews (im GStAB, Rep. 92) enthält nicht nur das Manuskript, sondern
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auch das zu seiner Erstellung gesammelte Material (Erhebungen, Gutachten, Presseausschnitts- und amtl. Dokumentensammlungen usw.). Für eine noch ausstehende ausfuhrliche Darstellung des Reformanlaufs im Krieg bietet er eine wertvolle Fundgrube. 64 Der Plan umfaßte allerdings mehr als die von der einstigen Immediatkommission erarbeitete Gesetzesvorlage, da Drews im Gegensatz zur Kommission an keine vergleichbar einschränkende Direktive gebunden war. So konnte er ζ. B. auch die Umgestaltung der Behördenorganisation, die 1909 ausgeklammert worden ist, behandeln. 65 Vgl. die »Grundzüge«. Aus der Literatur außerdem: Elbe, S. 236ff. u. Härtung, S. 337f. 66 Siehe PVB, Jg. 38, 1916/17, S. 252. 67 Vgl. bei Drews, insbes. S. 3ff. und 7. Diese Bewährung unterstrich schon am 18. 4. 1916 ein »geheimer« Erlaß des Innenministers an die Oberpräsidenten. Vgl. HStAD, Reg. D. Pr., Nr. 81, Bl. 1. Ebenso der Kölner Regierungspräsident in seinem Bericht an den Oberpräsidenten der Rheinprovinz 1.2. 1917 (LHAK, Abt. 403, Nr. 9046, ο. P.) und vermutlich auch noch andere Regierungspräsidenten, die ähnliche Berichte zu erstellen hatten. F. Härtung bezieht in die positive Bewertung alle »mit Selbstverwaltungsorganen verbundenen« Instanzen, also außer den Landräten und Städten auch die Oberpräsidenten ein (S. 337f.). 68 Beispiele: Die »Monatsschrift für deutsche Beamte« (MDB) schrieb am 14. Dez. 1914 von »vollständig veränderten Verhältnisse(n)«, in die es mangels Zeit kein »Einarbeiten« gegeben habe (S. 326). Die Verwaltungsbehörden waren, so der Landrat des Kreises Berncastel in seinem Bericht vom 3. 5. 1916 über den Kriegsbeginn, »nicht im entferntesten gewohnt« gewesen, Aufgaben, wie die Kriegswirtschaft sie mit sich gebracht habe, wahrzunehmen. Vgl. LHAK, Abt. 442, Nr. 7449, ο. P. »Das jetzige kriegswirtschaftliche Leben ist für alle in Betracht kommenden Behörden neu« und man habe noch immer keine »hinreichende Erfahrung«, schrieb der Oberbürgermeister von Münster i. Westf. an seinen Regierungspräsidenten 19. Jan. 1917 (StAM, Reg. M., Nr. 4837, ο. P.). U n d der Landrat Max Kiepert, S. 5, erinnerte sich, daß die Kriegswirtschaft »neue, nie gekannte Aufgaben« gestellt habe. 69 »Kriegsgesetz zur Vereinfachung der Verwaltung« v o m 13. Mai 1918, in: GS, 1918, S. 53-59. Zur Bewertung vgl. Härtung, 338. 70 Ausdrücke wie »Versagen« und »trauriges Bild« in bezug auf die Bahn bei Kriegsende gebraucht in seinem Fazit der Leiter des Kriegsamtes und nachmaliger Reichseisenbahnminister (von 1921 bis 1923) W. Groener, Die deutschen Eisenbahnen im Weltkriege, in: Eisenbahnen der Gegenwart, Neue Ausg., Berlin 1923, Bd. 1, S. 21-34. Bilanz auf S. 34. Vgl. weiter Sarter, bzw. L. Robe, Zusammenbruch der deutschen Eisenbahnen? Ein Beitrag zur Frage der Verkehrsnot, Berlin 1920. H. Seidenfits, S. 384, urteilt da wohl zu positiv. 71 Aus der »Bekanntmachung« des stellvertretenden Generalkommandos des 8. Armeekorps 11.2. 1917: »Sämtlicher Dünger von Militärpferden, der anfällt, wird, soweit er nicht von den Truppenteilen in eigenem Betriebe gebraucht wird, für Gemüsebau beschlagnahmt.« HStAD, Reg. Α., Nr. 17252, ο. P. In Bezug auf Schlachthaus- und Küchenabfälle vgl. Knopp, S. 315. 72 Zur Bürokratiekritik allg. Kocka, Klassengesellschaft, S. 19f., 99f., 116f. und 126f. Regionale Beispiele vor allem im Sinne der Gehorsamsverweigerung durch die Bevölkerung bei Wien, S. 162, 169 und Stüttgen, S. 372. Aus ζ. T. eigener Anschauung heraus: Skalweit, S. 3, 146, Kiepert, S. 21, 23 und von Roedern, der als Folge speziell der Vorherrschaft der Militärverwaltungen die »schwerste Erschütterung der Autorität der Zivilbehörden« feststellt (Quellenangabe in A n m . 60, Bl. 107). S. auch Anm. 73 und 74. 73 StAM, Oberpräs., Nr. 1408, Bl. 89. 74 Ebd. Reg. M., Nr. 4837, ο. P. Vgl. auch weitere Berichte in dieser Akte bzw. ebd. Nr. 4836. 75 Böhme, S. 108. Vgl. auch G. Schulz, Zwischen Demokratie und Diktatur, Bd. 1, Stuttgart 1963, S. 49, und H. Croon, Bürgertum und Verwaltung, in: Tradition, Jg. 9, 1964, S. 41. 76 Zunkel, S. 30. Vgl. ferner Rüjner, Formen, S. 127-29 und Forsthoff, Lehrbuch, S. 63 ff.
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2. Berufs- und Lebensverhältnisse der Beamten 1 Der Vorstand des Vereins Deutscher Ingenieure: Eingabe an den Herrn Reichskanzler betr. Zulassung der Diplom-Ingenieure zum höheren Verwaltungsdienst. Vom 13. Juni 1916. Abgedr. in: ZVDI, Jg. 60, 1916, S. 624. Siehe auch die Eingaben des Deutschen Volkswirtschaftlichen Verbandes betr. »Anstellung eines ständigen volkswirtschaftlichen Beirates bei Oberpräsidien usw.« und betr. »Fachakademiker-Stellen«, abgedr. in: VB, Jg. 15, 1916, S. 65-69. Ersteres Dokument auch in ZStAM, Rep. 77, Tit. 192 Nr. 59, Bd. 3, Bl. 280 f. Aktennotiz über ablehnende Entscheidung ebd., Bl. 288. 2 Vgl. den fur die Bestrebungen von Ö k o n o m e n und Ingenieuren repräsentativen Sammelband von Eckert. Die Beiträge waren bereits 1917 entstanden (vgl. Einleitung, o. P ) . 3 Drews, S. 177. 4 Regierungsbaumester Dr. Ing. W. Scheibe am 2. August 1917 u. d. Überschrift »Die zukünftige Ausnutzung des technischen Akademikers in der Verwaltung«, in: GStAB, Rep. 92 Nachl. Drews, Nr. 52, Bl. 1-23. Zitat: Bl. 4. 5 Drews, S. 178. 6 Vgl. ein in der Materialsammlung der Dienststelle Drews befindliches Gutachten zur Annahme, Ausbildung u. Prüfung von Büro- und Kassenbeamten. In: GStAB, Rep. 92 Nachl. Drews, Nr. 50, Bl. 27. (Das Schreiben, das schon vor dem Krieg im preußischen Innen- oder Justizministerium konzipiert worden sein soll, wurde dem Büro Drews im April 1917 übersandt. Vgl. das Begleitschreiben, aus dem die Herkunft nicht ganz präzis hervorgeht, ebd., Bl. 1.) 7 Die Einrichtung geschah in Abänderung der Ausbildungsordnung von 1909 durch einen Erlaß v o m 24. März 1916, abgedr. in: Die Bibliothekskurse der Zentrale fur Volksbücherei 1916-1918, Berlin 1918, S. 37ff. Vgl. insbes. § 4 (ebd., S. 38). 8 Berechnung nach den Nachweisungen der Akademie, in: U A K , Zugang 10c, Nr. 41, ο. P. Der Anteil der Beamten ist bedauerlicherweise nicht angegeben. 9 Aus dem Bericht von F. X. Ragel, Fachhochschulkurse für Verwaltungsbeamte, in: M D B , Jg. 40, 1916, S. 144. 10 »Bericht über das Beamtenseminar in Aschersleben« vom 26.Juli 1917, in: GStAB, Rep. 92 Nachl. Drews, Nr. 49, Bl. 3. Diese auch »Erstes Preußisches Verwaltungsbeamtenseminar« genannte Einrichtung war 1910 in kommunaler Trägerschaft entstanden und diente in erster Linie dazu, Volks- und Mittelschulabgänger ohne Einjährigenprüfung (besonders Militäranwärter) auf die »einjährige Prüfung« vorzubereiten (sie selbst hatte keine amtliche Prüfungsberechtigung). Vgl. ebd., Bl. 2ff. 11 Vgl. K. Kumpmann, Die Verwaltungs-Akademien und ihre Gegner, in: BJB, Jg. 15, 1928, S. 353-362. Hierin k o m m t das Engagement der mittleren und unteren Beamten gut heraus; die Akademiebewegung war ihr Anliegen, während die höheren Beamten gegen sie opponierten. Z u m Thema ferner: Aufgaben, Wege, Ziele der deutschen Beamtenhochschulen, Berlin 1925; Die Beamtenhochschulbewegung, Berlin 1925; U. Berger, Beamtenausbildungswesen gestern u. heute, in: DBB, S. HI/15—23. 12 Z u m Beispiel: Kritik am deutschen Behörden- und Beamtenapparat, in: DP, Jg. 16, 1916, S. 431—432; Neuorientierungen. Ebd., Jg. 17, 1917, S. 221-222; Der untere Beamte im neuen Deutschland, ebd. S. 641-643; Freie Bahn für alle Tüchtigen, in: D P Z , Jg. 28, 1917, S. 132-136; Dem Tüchtigen die Bahn frei, in: FR, Jg. 22, 1918, S. 50-51. 13 D e m Tüchtigen, S. 50-51. Für die Lage insgesamt vgl. auch Ragel, S. 144-145 u. vor allem die in den Anm. 6 u. 9 (im letzteren Fall speziell Bl. 6-7) angegebenen Akten. 14 Runderlaß, in: HStAD, Reg. A. Pr., Nr. 235, Bl. 175. Hervorhebung im Original. 15 Vgl. die (gemeinsamen) Erlasse der preußischen Finanz- und Innenminister an die Oberpräsidenten v o m 23. 9. 1914, ebd., Bl. 179, v o m 2. 7. 1915, ebd., Bl. 182 u. 6. 10. 1916, ebd., Bl. 185.
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Anmerkungen zu S.
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16 Erlaß an die Oberpräsidenten 21. 1. 1916, ebd., Bl. 181. 17 Dass. 16.3. 1918, ebd., Bl. 190-191. 18 Dass. 2.7. 1915, ebd., Bl. 182. 19 Finanz- und Innenminister an die Oberpräsidenten 31. 3. 1919, ebd., Bl. 214. 20 Diese Zahlen berücksichtigen die nachträglich annullierten Prüfungen bzw. die Prüfungsabbrecher nicht. Dadurch erscheint das Ergebnis in günstigerem Licht als es tatsächlich war. Die Zitate und die für die Berechnung benutzten Angaben stammen aus dem Bericht: Das Ergebnis der großen juristischen Staatsprüfung einschließlich der Notprüfungen in Preußen im Jahre 1914, in: DBR, Jg. 4, 1915, S. 103-104. Vgl. ferner: Abkürzung des juristischen Vorbereitungsdienstes für Kriegsteilnehmer, ebd., Jg. 6, 1917, S. 149. 21 Drews, S. 1. 22 Nach einer offiziellen Erhebung 1917, in: GStAB, Rep. 92 Nachl. Drews, Nr. 43. Vgl. auch Drews, S. 1. 23 Für Preußen konnten keine den Anteil der kriegsberufenen Beamten gesondert ausweisenden Aufgaben gefunden werden. N u r aus den Gesamtzahlen lassen sich im Vergleich 1914/ 1917 gewisse Schlüsse ziehen. Die Zahl aller (preußisch-hessischen) Bahnbeamten und -Hilfsbeamten betrug im März 1917: 311889. Das war gegenüber dem März 1914 ein Plus von 3 , 7 % . Da diese Zuwachsrate als niedrig gelten kann, die Gesamtzahl aber auch die zum Heeresdienst Einberufenen enthält, kann man von einem gegenüber 1914 tatsächlich verringerten Personal ausgehen. Eine indirekte Bestätigung dürfte sein, daß die Zahl der Bahnarbeiter sich auch absolut verringert hat. Quelle: B Ü E , 1913, S. 109 und 1917, S. 17-18. Für das Reich teilt Sarter, S. 283, mit, daß es im März 1917 rund 80000 und im März 1918 rund 100000 »für Heereszwecke abgegebene Beamte« bei den Staatsbahnen gab. Bezogen auf die von Sarter angeführten Gesamtzahlen macht das eine Verminderung gegenüber der nominellen Gesamtbelegschaft auf dem Stand vom März 1917 rund 11 % und vom März 1918 rund 12% aus. Wenn man die abgegebenen Beamten (sofern Sarter wirklich Beamte und nicht Personal überhaupt meint) nicht mit den auch die Bahnarbeiter einschließenden Zahlen, sondern der Gesamtheit der eigentlichen Beamten vergleicht (sie sind bei Sarter nicht angegeben, aber die preußischen Verhältnisse zugrunde gelegt kann man einen Beamtenanteil am Gesamtpersonal von etwa 5 5 % annehmen), k o m m t man auf 19,4% (1917) bzw. 22,4% (1918). (Die bei Sarter unter einer bestimmten Jahreszahl stehenden Zahlen beziehen sich - aufgrund der Abweichung des Rechnungsjahres v o m Kalenderjahr-jeweils auf Ende März des nächsten Jahres.) 24 In der »Begründung« zum Gesetzesentwurf zur Verwaltungsvereinfachung vom 22. September 1917, in: AH, 1916/18 Anl. Bd. 7, S. 4122 (Drucks. Nr. 613). 25 K. Bornhak, Die deutsche Beamtenschaft im Kriege, in: DBR, Jg. 7, 1918, S. 261. 26 In diesem Fall kann man von Ersatz eigentlich nicht sprechen (vgl. das vorige Kapitel), die bessere Bezeichnung wäre Ergänzung. 27 Diese Zusammenstellung und die nachfolgende Charakterisierung nach dem Merkblatt zur Erhebung 1917 der bei den preußischen Bezirksregierungen beschäftigten Beamten (GStAB, Rep. 92 Nachl. Drews, Nr. 43, Bl. 1), einem Bericht ohne Erlaß über die Personalsituation der Regierung Münster i. W. an die Innen- und Finanzminister vom 17. 3. 1916 (StAM, Reg. M. Nr. 4582, ο. P.) sowie Sarter, S. 144-148, Sautter, S.351, U . v. Gersdorff, Frauen im Kriegsdienst 1914-1945, Stuttgart 1969, S. 24f. und Groeben, Die öffentliche Verwaltung, S. 173. 28 Erlaß des »Kriegsamtes« im preußischen Kriegsministerium v o m 30. 12. 1916 im Z u sammenhang mit der Anstellung von »praktischen Landwirten« für die innerhalb der Kriegsamtsstellen (Unterbehörden des Kriegsamtes) zu bildenden »Wirtschaftsämter«. Abschrift in: HStAD, Reg. Α., Nr. 17252, ο. P. 29 Dies wäre der Ort bzw. Zusammenhang, w o auch Max Webers Bürokratiedilemma und -kritik, wie sie im Krieg zum Ausdruck gekommen sind (am bekanntesten wohl in »Parlament und Regierung im neugeordneten Deutschland« aber auch in anderen Publikationen,
344
Anmerkungen zu S.
226-227
greifbar ζ. B. in den »Gesammelten politischen Schriften« in versch. Aufl.) einzuordnen und, insbesondere im historischen Kontext, noch zu erörtern wären. Zu Drews' Intentionen s. das vorige Kapitel. 30 Vgl. Bergenthal, Die Zivilversorgung der Militäranwärter nach dem Kriege, in: PVB, Jg. 36, 1914/15 (Juli 1915), S. 643-646. 31 Zitat aus dem Erlaß der preußischen Innen- und Finanzminister v o m 12. 7. 1915, in: HStAD, Reg. A. Pr., Nr. 171, Bl. 279. Weitere Schreiben dieser Art ebd. Bl. 277, 283-285, 308. Vgl. auch ZStAP, Reichseisenbahnamt, Nr. 116, Bl. 96-100, 113. 32 So der Erlaß des preußischen Ministers der öffentlichen Arbeiten v o m 15. März 1915 (bezogen auf invalide Offiziere). Vgl. ebd., Bl. 3. 33 Aus dem den Militäranwärtern nicht wohlgesonnenen Artikel »Gedanken über den Nachwuchs«, i n : DP, Jg. 15, 1915, S. 1010. 34 Quelle: B Ü E für die Betriebsjahre 1913 u. 1917, S. 109 bzw. 17-18. (Das Betriebsjahr endete jeweils im März des folgenden Kalenderjahres.) Ebd. die Zahlen der Arbeiterinnen, von denen es im März 1914 ganze 3804 gab, im März 1918 hingegen 56894. 35 Vgl. StatPost, 1913, S. 10 und Sautter, S. 351. Für 1918 gibt es keine offizielle Statistik. Die Zahl bei Kriegsende ist nach Sautters Mitteilung, wonach bei insgesamt rund 75000 weibl. Beschäftigten der Post die »Zahl der Kriegsaushelferinnen die der Beamtinnen u m das Doppelte überstieg«, geschätzt. Für 1919 gibt die Statistik (StatPost, 1919, S. 10) 30504 Beamtinnen an. 36 Gersdorff, S. 24 f. Zur Gewerbeaufsicht auch die Akte: HStAD, Reg. D., Nr. 33485. 37 Vgl. das Schreiben des Oberpräsidenten der Provinz Westfalen vom 2. 3. 1915 an die Regierungspräsidenten (daraus auch das Zitat), in: StAM, Reg. M., Nr. 4601, ο. P. Ferner ζ. B. einen Umlauf des Regierungspräsidenten des Bezirks Münster vom 24. 12. 1915, ebd. und den Zeitungsbericht des Landrats des Kreises Aahaus vom 19.1. 1917, ebd. Nr. 4837, ο. P. 38 Als Beispiel mit vielen einschlägigen Belegen seien genannt die Aktenbände: StAM, Reg. Α., Nr. 4581, 4582 u. 4585 oder der Band aus LHAK, Abt. 442, Nr. 7449. Der Präsident des Kriegsernährungsamtes, v. Batocki, schrieb an »sämtliche Bundesregierungen« am 19.12. 1916 u. a.: »Es ist bekannt, daß die unteren Verwaltungsbehörden, denen immer neue und schwierigere Aufgaben gestellt worden sind und noch gestellt werden, infolge zunehmender Entziehung ihres eingearbeiteten Personals an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit gelangt sind.« (Abschriftlich in: HStAD, Reg. Α., Nr. 4775 ο. P. Hervorhebung nicht im Original.) U n d das Innenministerium ließ im Sept. 1917 wissen: »Nach dem übereinstimmenden Urteil aller Staatsbehörden sind die Beamten im allgemeinen bis an die Grenze der Leistungsfähigkeit, vielfach schon über ihre Kraft, in Anspruch genommen.« (In der »Begründung« zur Verwaltungsvereinfachungs-Novelle vom 22. Sept. 1917, in: AH, 1916/18 Anl. 7, S. 4122.) Für die Zustände bei den Staatsbahnen s. Sarter, ζ. B., S. 117, 121 f. 39 J. Blick, Zeitungsgedanken, in: RM, Jg. 19, 1916 Nr. 3, S. 2. 40 Bericht des Münsteraner Regierungspräsidenten an die Finanz- und Innenminister, 17. 3. 1916, in: StAM, Reg. M., Nr. 4582, ο. P. 41 So der eben zitierte Regierungspräsident. Vgl. sein Schreiben an die Minister vom 14. Okt. 1917, ebd. ο. P. Ähnlich ζ. B. der Düsseldorfer Regierungsrat R.Jentges, der mit einem Entlassungsgesuch drohte für den Fall, daß ihm weiterhin eingearbeitete Kräfte entzogen würden; dies würde praktisch den Zusammenbruch der Arbeit in seiner Abteilung bedeuten und er könne das weder fachlich noch dem Publikum gegenüber vertreten. Vgl. seine Schreiben an den Regierungspräsidenten v o m 18.7. 1917, in: HStAD, Reg. D. Pr., Nr. 54, Bl. 348-349 und vom 11.2. 1918, ebd., Bl. 350-351. Zusätzlich interssant macht diese Episode die Tatsache, daß mit Jentges sich ein fachlich (in der Steuerverwaltung) ausgewiesener und engagierter aber >stiller< Arbeiter, dem große Auftritte offenbar fremd waren, zum vehementen Protest genötigt sah. Zur Person vgl. den Qualifikationsbericht von 1917, ebd. Reg. D. Pr., Nr. 299, Bl. 223.
345
Anmerkungen
zu S.
228-230
4 2 Es war dies ders. R . Jentges. Vgl. sein Schreiben v o m 11. 2. 1918 (Anm. 41). 43 Nämlich um den Kindern Nahrung zu beschaffen. Vgl. Schützt uns!, in: W E A , J g . 15, 1918, S. 19. 4 4 Zit. nach Stüttgen, S. 372. 45 Maschinenschr. Manuskr. m. d. Titel »Mit Schwert und Feder. Erinnerungen an Frontund Verwaltungsdienst in den Jahren 1 9 1 4 - 1 9 1 9 . « In: B Ä K , Nachl. 31 (v. Gayl), B d . 2, B l . 146. Für den Gesamtzusammenhang Zwangsbewirtschaftung - Korruption vgl. Conze, Sozialgeschichte, S. 682. 46 B e i dieser Feststellung wird von einer 1 9 1 4 - 1 9 1 8 im wesentlichen gleichbleibenden Zahl der »Strafmündigen« ausgegangen. Daten zur Straffälligkeit i m A m t teilt mit St. Moelter, D e r Funktionswandel der öffentlichen Verwaltung seit dem Ausgang des 19. Jahrhunderts im Lichte der Entwicklung des Beamtenstrafrechts, München 1975, S. 1 1 2 - 1 1 3 . Die Aufschlüsselung der »häufigsten Amtsdelikte«, ebd., S. 115ff. 47 D e r Niedergang des Beamtentums, in: F R , J g . 22, 1918, S. 75. Im gleichen Sinn ζ. B . noch Beamten-Zeitläufte, ebd., S. 1 3 8 - 1 4 0 , D i e Berufsfreudigkeit, in: D P , J g . 17, 1917, S. 4 0 3 - 4 0 5 , B e a m t e und neue Wirtschaft, in: W E A , J g . 15, 1918, S. 139, Winters, Beamtenfrage, S. 10. 48 B e a m t e und neue Wirtschaft, S. 139. (Hervorhebung nicht i m Original.) Ganz im gleichen Sinn auch der langjährige Kenner der materiellen Verhältnisse und Lebensbedingungen vor allem des niederen Beamtentums, W. Zimmermann, D i e Bedeutung der Frage der gesunkenen Kaufkraft des Arbeitseinkommens fur die deutsche Volkswirtschaft und Sozialpolitik, J e na 1919, S. 67 f. 49 Aus der Literatur zur Besoldungsfrage im Krieg: G. Strutz, Das Beamtenproblem nach dem Kriege insbesondere in Preußen, Stuttgart 1918, insbes. S. 4 0 f f . ; Denkschrift über die Entwicklung der Besoldung der Reichsbeamten von 1897 bis Dezember 1924, in: Reichsbesoldungsblatt, J g . 4, 1925, S. 1 3 - 1 5 ; W. Möller, H. Völter, D i e deutsche Beamtenbesoldung, in: Die Beamtenbesoldung im modernen Staat, Berlin 1932, S. 1 4 - 1 5 ; Hülden, S. 111/59 ff. Neuere Informationen zum Hintergrund: K. L. Holtfierich, Die deutsche Inflation 1 9 1 4 - 1 9 2 3 , Berlin 1980 und U . Malich, Z u r Entwicklung des Reallohns im Ersten Weltkrieg, in: J b W G , 1980/11, S. 5 5 - 7 0 . 50 Nach: Zahlen zur Geldentwertung in Deutschland 1 9 1 4 - 1 9 2 3 . Reichsamt, Berlin 1925, (Wirtschaft u. Statistik. Sonderh. 1), S. 43.
Bearb. im Statist.
51 Die Krisis der Beamtenschaft, in: W W , J g . 22, 1917, S. 169. Vgl. auch die prägnante Äußerung eines gehobenen mittleren Beamten (Obersekretär) im Sept. 1918 zur Proletarisierung, zit. bei Kocka, Klassengesellschaft, S. 83. 52 Beamten-Zeitläufte, S. 139. 53 D i e Ergebnisse fur den Regierungsbezirk Düsseldorf, auf die sich die hier gemachten Verallgemeinerungen stützen, finden sich in: H S t A D , Reg. D . Pr., Nr. 95, B l . 4 2 - 1 5 8 . Zitate: Bl. 42. 5 4 Vgl. F. Roßnick, Vorbereitungen fur unsere Friedensarbeit, in: F R , J g . 21, 1917, S. 34. 55 D e r preuß. Innenminister ordnete am 23. 9. 1914 ein entsprechendes Musizierverbot an, um einen Wettbewerb mit den »Berufsmusikern« zu unterbinden, zumal die Beamten die zünftigen Preise unterboten, Siehe Z S t A P , Reichsamt/Reichsministerium des Innern, Nr. 2378, B l . 252, 266. Vgl. auch H S t A D , Reg. A. Nr. 76, B l . 3. Allerdings wurden später (1916) »Ausnahmen« zugelassen (ebd., B l . 44) bzw. mußte das grundsätzliche Verbot bekräftigt werden (noch April 1919, vgl. ebd., B l . 128), was darauf schließen läßt, daß von Seiten der Beamten ein Bedürfnis bestand, diese Einnahmequelle zu nutzen. 56 Z S t A M , Rep. 151 III, Nr. 1499, B l . 296. 57 Vergleichswerte etwa bei Kocka, Klassengesellschaft, S. 1 6 f . , 71 ff. 58 D e r Niedergang des Beamtentums, in: F R , J g . 22, 1918, S. 75. Im Verwaltungsbericht f. d. Zeit O k t . 1917 bis März 1918 des preuß. Regierungspräsidenten in K ö l n an den Oberprä-
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Anmerkungen zu S.
230-233
sidenten der Rheinprovinz stand es ganz ähnlich formuliert: »Wenn der Arbeiter mit Leichtigkeit 3000 bis 5 000 Μ im Jahr verdienen kann, wird die Stellung des mittleren und unteren Beamten naturgemäß herabgedrückt; auch der höhere Beamte empfindet die im Flusse befindliche Umschichtung der Bevölkerungsklassen schwer.« LHAK, Abt. 403, Nr. 9046, Bl. 434. 59 Ebd. 60 Winters, Beamtenfrage, S. 10. 61 Das Herabsinken der Beamten auf der sozialen Stufenleiter, in: Der Beamte, 1917, S. 102. Die Unattraktivität (zumindest des mittleren und unteren Dienstes) konstatieren auch die Artikel »Zur Lage der Beamtenschaft«, in: DBR, Jg. 6, 1917, S. 216 oder »Die wirtschaftliche Lage der Beamten«, in: FR, Jg. 22, 1918, S. 140-141.
3. D i e V e r e i n i g u n g d e r B e a m t e n b e w e g u n g 1 E. Lederer unterschätzte diese Vorgänge, wenn er meinte, der Krieg habe keine »Phase besonders lebendiger Organisationstätigkeit unterbrochen«. (Beamtenorganisation und -Fragen im Krieg, in: ASS, Bd. 41, 1916, S. 907.) 2 A. Falkenberg, Zukunftsarbeit, in: BJB, Jg. 1, 1914, S. 68. 3 Vgl. Organisation und Krieg!, in: FR, Jg. 19, 1915, S. 177-78; Wert der Organisation, in: DP, Jg. 15, 1915, S. 390; A. Heinen, Beamte unter sich, in: BBRK, Jg. 2, 1915, S. 60-65. 4 Von signalgebender Wirkung war der Artikel »Neue Bahnen«, in: ZsDJ, Jg. 26, 1915, S. 135-36. Für das Echo s. Beamtenpolitik, in: DP, Jg. 16, 1916, S. 139. 5 Vgl. Arbeitsgemeinschaft der Postbeamten-Organisationen, in: D P Z , Jg. 26, 1915, S. 324-25. 6 Nachrichtlich in: D P Z , Jg. 27, 1916, S. 204. 7 Vgl. H. v. Gerlach, Der Kriegsausschuß fur Konsumenteninteressen und die Beamten, in: BJB, Jg. 2, 1915, S. 111-14. 8 Zitat nach: DBB, S. II/3. Vgl. auch E. Remmers, Die organisatorische Einheit der deutschen Beamten, Berlin 1918, S. 20. In einem Bericht des preußischen Innenministers an das Staatsministerium vom 20. Oktober 1917 hieß es etwas verschwommen, die Geschichte der IG lasse sich etwa bis November 1915 zurückverfolgen. Vgl. ZStAP, Reichsamt/Reichsministerium des Innern, Nr. 2742, Bl. 105. 9 U m auch den Kommunalbeamten und Lehrern, die nicht als unmittelbare Staatsbeamte galten bzw. keine Reichsbediensteten waren, Rechnung zu tragen, wurde der N a m e später (Okt. 1917) in »Interessengemeinschaft deutscher Beamten verbände« umgeändert. Vgl. Α .Falkenberg, Die Oktobertagung der Interessengemeinschaft, in: Gem., Jg. 1, 1917, Nr. 15, S.2. 10 Daten zur Chronik allgemein wurden gewonnen aus: Laubinger, S. 64ff.; DBB, S.II/ 3ff.; 40 Jahre, S. 208f.· Remmers, Einheit; Falkenberg, Beamtenbewegung, S. 19ff.; Scherf, S. 101 ff.; Winters, Beamtenfrage, S. 94ff. Die Satzungen sind abgedruckt in: BJB, Jg. 2, 1915, S. 195-96 (Entwurf) und in: RM, Jg. 19, 1916, Nr. 8, S. 1-2. Im allgemeinen Publikationsorgan der Interessengemeinschaft, »Die Gemeinschaft«, sind sie nicht enthalten. Es sind dort überhaupt verhältnismäßig wenig Nachrichten zu den aktuellen Ereignissen enthalten. Das Korrespondenzblatt der IG (»Beamten-Korrespondenz«), die als Pressebulletin diente und wahrscheinlich mehr brachte, konnte nicht beschafft werden. 11 Das stellte schon Ende Juni 1917 ein Bericht des Polizeipräsidenten von Berlin (ZStAP, Reichsamt/Reichsministerium des Innern, Nr. 2742, Bl. 106) fest. Zahlen nach: DBB, S. II/3-4 u. 40 Jahre, S. 208. 12 Wert der Organisation, S. 390.
347
Anmerkungen
zu S.
234-236
13 Vgl. ebd. und die in den Anm. 3 u. 4 angegebene Literatur. Außerdem: Bericht über eine Sitzung der Beamtenverbände am Sonntag, den 16. April 1916 im Weißen Saal des Lehrervereinshauses Berlin, in: FR, J g . 20, 1916, S. 83f.; A. Asmuth, Die Verwirklichung des O r ganisationsgedankens in der Beamtenschaft, in: B B R K , J g . 5, 1918, S. 15-18; Beamtenpolitik, in: DP, J g . 16, 1916, S. 139. 14 D. Nitschke, Vereinigungsbestrebungen, in: D P Z , J g . 26, 1915, S. 289. 15 Wirtschaftspolitik und Beamteninteresse, ebd., S. 752f. 16 Außer den beiden zuletzt zitierten Aufsätzen vgl. etwa noch: Arbeitsgemeinschaft der Postbeamten-Organisationen, S. 324; Neue Wege, in: R M , Jg. 18, 1915, Nr. 39, S. 1-2; Unerreichte Organisationsleistungen, ebd., Nr. 15, S. 3-4; A. Höße, Der Krieg als Erzieher, in: B J B , Jg. 2, 1915, S. 179-180; W. Flügel, Die wirtschaftspolitische Organisation der deutschen Beamten, ebd., J g . 3, 1917, S. 2; Interessengemeinschaft, in: FR, Jg. 20, 1916, S. 199; L. Heyde, Beamte und Arbeiter, in: WW, Jg. 22, 1917, S. 207; E. Remmers, Geleitwort, in: Gem., J g . 1, 1917, Nr. 1, S. 1; A. Falkenberg, Die Beamtengewerkschaft, ebd., J g . 2, 1918, S. 282. Speziell zu Integrations- und Vergewerkschaftungstendenzen in der Angestelltenschaft insges a m t j . Kocka, Zur Problematik der deutschen Angestellten 1914—1933, in: H. Mommsen (Hg.), Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1974, S. 794f., 803. 17 Flügel, S. 2. 18 Höfle, Krieg, S. 180. 19 Belege zu diesem Punkt ζ. B. in den Beiträgen: Arbeitsgemeinschaft der PostbeamtenOrganisationen, S. 324; Vereinheitlichung der deutschen Beamtenbewegung, in: R M , J g . 18, 1915, Nr. 23, S. 5; Neue Wege, S. 1; Die Beamtenorganisationen nach dem Kriege, in: D U Z , J g . 7, 1916, S. 169; Neue Grundlagen der Beamtenwirtschaft, in: D P Z , J g . 28, 1917, S. 436; Schmiedel, Beamtenkammern oder Beamtenausschüsse, in: D B R , J g . 6, 1917, S. 331. 20 Wie schon vor dem Krieg, fanden sich auch jetzt immer wieder Hinweise auf bzw. Klagen über die lasche Vereinsaktivität der gewöhnlichen Mitglieder. Beispiele: A. Gehlen, Krieg und Vereinsarbeit, in: B B R K , J g . 1, 1914, S. 68-69; E. Kuhlmann, Warum ich nicht zur Vereinsversammlung gekommen bin, in: FR, Jg. 20, 1916, S. 114—115; Vereinsmitglieder an die Arbeit!, ebd., J g . 22, 1918, S. 155-56; Blick, Nr. 3, S. 2, Nr. 10, S. 3-4; Jung, Kommende Aufgaben, in: PW, J g . 13, 1917, S. 11. 21 Schilderungen bei A. Falkenberg, Zur zweiten Hauptversammlung der Interessengemeinschaft, in: Gem., J g . 2, 1918, S. 134; ders. Beamtenbewegung, S. 49ff. und F. Winters, Über die rechtliche Stellung der Beamtenorganisationen, in: B J B , J g . 4, 1917, S. 145f. 22 In seiner Eigenschaft als preußischer Ministerpräsident schrieb Th. v. Bethmann-Hollweg schon am 16. Dez. 1915 in einem geheimen Schreiben an die »sämtlichen Herren Staatsminister«, man könne den Behörden nicht die Befugnis nehmen, »die Vereins- und Versammlungsfreiheit der ihnen unterstellten Beamten, Angestellten oder Arbeiter soweit zu beschränken als es die Interessen, die Sicherheit und die Zwecke des Reichs oder des Staates erfordern«. Siehe Z S t A M , Rep. 151 H B , Nr. 899, Bl. 120f. Für die Reaktion aufseiten der Beamten etwa: Die Stellung der Beamtenvereine zu der bevorstehenden Änderung des Reichsvereinsgesetzes, in: R M , Jg. 19, 1916, Nr. 22, S. 1-2; Das Organisationsrecht der Beamten, in: D P Z , J g . 27, 1916, S. 359-61; H. Kamossa, Die Beamten für ihr Vereinsrecht, in: B J B , J g . 3, 1916, S. 45; Die Änderung des Vereinsgesetzes und die Beamten, in: DP, Jg. 17, 1917, S. 505. - Text in: R G B l . , J g . 69, 1916, S. 635. Siehe auch: Das Vereinsgesetz vom 19. April 1908 nebst Ausfuhrungsbestimmungen bearb. v. A. Romen, enthaltend das Abänderungsgesetz vom 26. Juni 1916, Berlin 1916", S. 347-382. (Vorgechichte, Text, Kommentar.) 23 Die Zeitschrift des Postunterbeamtenverbandes ζ. B . reagierte darauf u. a. mit der sarkastischen Bemerkung, auch bisher habe niemand gefordert, »den Idioten die Bahn freizugeben«. (Beruf und Ausbildung, in: DP, Jg. 17, 1917, S. 475.). 24 Systemskepsis bzw. -kritik wurde laut beispielsweise in den Artikeln: Die Krisis in der
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Anmerkungen
zu S.
236-240
Beamtenschaft, S. 169; Neue Grundlagen, S. 436; A. Falkenberg, Die deutsche Beamtenfrage nach dem Kriege, in: Gem., J g . 2, 1918, S. 210. 25 § 4 der Statuten, in: B J B , J g . 2, 1915, S. 195 oder in: R M , J g . 19, 1916, Nr. 8, S. 1. 26 Vgl. auch § 3 Abs. 2, der wohl so auszulegen ist, ferner Remmers, Geleitwort, S. 1. 27 Vgl. entsprechende Mitteilung in: R M , J g . 20, 1917, Nr. 4, S. 2. 28 Hinweis ohne nähere Angabe im Artikel Eine Krisis der Beamtenbewegung?, in: W E A , Jg. 15, 1918, S. 28. 29 Ebenso ebd. 30 Vgl. Ein Wort über den Eisenbahnbeamtenbund, in: FR, J g . 22, 1918, S. 9 0 - 9 2 u. Über die Aufgaben des Eisenbahnbeamten-Bundes, in: R M , J g . 21, 1918, Nr. 25/26, S. 2 - 3 . 31 Listen der teilnehmenden Verbände drucken u. a. ab Remmers, Einheit, S. 2 2 - 2 3 (Stand Febr. 1916) und: Die Hauptversammlung der Interessengemeinschaft deutscher Beamtenverbände, in: D P , Jg. 17, 1917, S. 670-671 (Stand Okt. 1917). 32 Vgl. die Darstellung von Scher/, S. 102. 33 Vgl. ebd. 1916 gehörten dem V D B 309 Vereine (die allerdings ζ. T. nur lokale Organisationen waren) mit 288956 Mitgliedern an. Zahlen bei E. Klewitz, 25 Jahre Verband Deutscher Beamtenvereine, in: D B R , J g . 7, 1918, S. 20. 34 Nach dem Bericht: Zusammenschluß der deutschen Beamten-Verbände, in: D B R , J g . 6, 1917, S. 278. 35 Ebd. 36 Vgl. Der Reichsarbeitsausschuß der Beamten und Lehrer, in: B J B , Jg. 4, 1917, S. 190, Erste Sitzung des Reichsarbeitsausschusses, in: D B R , J g . 6, 1917, S. 352, Zweite Tagung des Reichsarbeitsausschusses, ebd., 1918, S. 191-193 und A. Falkenberg, Die erste Tagung des Reichsarbeitsausschusses, in: Gem., J g . 1, 1917, Nr. 18, S. 1-2. 37 Vgl. Die Entwicklung der Interessengemeinschaft Deutscher Beamtenverbände, in: B J B , J g . 4, 1917, S. 188-190, u.: Eingabe des Verbandes deutscher Beamtenvereine zur Notlage der Beamtenschaft, in: D B R , Jg. 6, 1917, S. 351-352. 38 A. Schapp, Die neue Zeit u. der Beamtenstand, in: D B R , J g . 4, 1915, S. 327. Ähnlich: Neuer Geist im deutschen Beamtenleben, in: M D B , J g . 40, 1916, S. 122-125. 39 Wittschewsky, Vom Beamtenstaat zum Volksstaat, in: D B R , J g . 6, 1917, S. 194. 40 Ebd., S. 195. Z u m ganzen außerdem: Deutschlands Erhaltungskrieg und die Aufgaben der Beamtenschaft, in: M D B , Jg. 39, 1915, S. 1-3; Der Ausgleich der Gegensätze, ebd. S. 49-52; Schapp, Zeit; R Kirschner, Beamte und das gemeinwirtschaftliche Organisationsprinzip, in: M D B , J g . 41, 1917, S. 51-53, 63-65; Wittschewsky, Der Ausbau des Staates, in: D B R , J g . 6, 1917, S. 267-270. Siehe auch die in Anm. 38 angegebene Lit. Die Belege aus M D B spiegeln die Haltung des Preußischen Beamtenvereins, größter Einzelverein und gewissermaßen Mutterboden des V D B , wider. 41 A. Schapp, Standeskultur, in: M D B , J g . 39, 1915, S. 10-12. Vgl. auch Neuer Geist, S. 123. 42 Wittschewsky, Beamtenstaat, S. 179. 43 Deutschlands Erhaltungskrieg, S. 2. 44 Typischerweise beschäftigte sich ein großer Fortsetzungsartikel (A. Vogels, Der Krieg und das Beamtenrecht, in: D B R , J g . 5, 1916, S. 180-82, 196-198, 214-216, 228-231) nur mit der Auslegung des geltenden Rechts und ging dabei auf heikle Fragen nicht ein. In der D B R ist dem Beamtenrecht sonst kein Artikel gewidmet. Auch in der M D B wagte sich nur ein Autor zu der ungeschminkten Forderung der »vollen politischen Freiheit und Selbständigkeit, soweit sie mit der herrschenden Gesellschaftsordnung vereinbar ist« vor. Vgl. G. Menzel, Die N o t wendigkeit eines neuen Preußischen Beamtengesetzes, in: M D B , J g . 42, 1918 (März), S. 35-36. Detailkritik - an der leistungsunabhängigen Bemessung der Beamtengehälter - übt A. Zeiler, Der Beamtengehalt, ebd., J g . 41, 1917, S. 104f. In dieser Frage, letztlich eine Frage der ungenügenden Besoldung, scheint es auf der >Basis< Diskussionen gegeben zu haben. Dar-
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auf weist wohl hin, daß der V D B im Sept. 1917 eine Umfrage zur Sache bei den angeschlossenen Vereinen, unter milder Beeinflussung zugunsten des Alimentationsprinzips, veranstaltete. Vgl. D B R , Jg. 6, 1917, S. 281-282. 45 Politische Betätigung der Beamten, in: D B R , J g . 7, 1918, S. 178. 46 Typisch hierfür Wittschewsky, Literarisches zur Beamtenfrage, in: D B R , J g . 6, 1917, S. 1 - 3 , 34-36. Wohl um diejenigen, die dies für anachronistisch hielten, nicht unnötig zu verärgern (man beachte, daß um diese Zeit der Konkurrenzkampf mit der Interessengemeinschaft begann), ließ die Schriftleitung diesem Aufsatz eine abschwächende Entgegnung folgen. Vgl. D. Scharringhausen, Literarisches zur Beamtenfrage, ebd., S. 145-146, sowie die B e merkung der Schriftleitung, ebd., S. 34. 47 Wittschewsky, Glossen zum Beamtenwesen, in: D B R , Jg. 5, 1916, S. 177 f. 48 Bericht: »Besprechung von Beamtenverbänden über Organisationsrecht, Beamtenbesoldung und Geburtenrückgang«, ebd., S. 159. 49 Vgl. Wittschewsky, Die öffentlich-rechtliche Vertretung der Beamtenschaft, in: D B R , J g . 7, 1918, S. 183-185, und Schmiedel, S. 329-331. 50 Politische Betätigung der Beamten, S. 178. Vgl. auch Anm. 40. 51 E. Remmers in seiner Rede vor dem »Reichsarbeitsausschuß« am 22. Sept. 1918, zit. nach der Wiedergabe in ders., Einheit, S. 27. Siehe auch: Hauptversammlung der Interessengemeinschaft, in: Gem., J g . 2, 1918, S. 173. Eine gute Beschreibung der unterschiedlichen Charaktere von V D B und IG enthält ein Antrag betr. d. Ablehnung einer Vereinigung mit dem V D B . Abgedr. (unter »Verschiedenes«) in: Gem., J g . 2, 1918, S. 143. 52 Vgl. Remmers, Einheit, S. 20-32. Ferner Scherf, S. 105, Falkenberg, Beamtenbewegung, S. 42, 61 f. und E. Schrön, Deutscher Beamtenbund ( D B B ) 1918-1933, in: Die bürgerlichen Parteien in Deutschland, Bd. 1, Leipzig 1968, S. 422. 53 F. Winters, Die neue Beamtenbewegung, in: Gem., J g . 1, 1917, Nr. 2, S. 1. 54 Politische Betätigung der Beamten, S. 178. In der Tat, noch am 25. Juni 1918, hat die »Arbeitsgemeinschaft Höherer Beamter«, Vorläufer des Bundes der höheren Beamten, K o n sens darüber erzielt, daß der Beitritt zur IG »für die höheren Beamtenvereine nach Lage der Verhältnisse nicht in Frage komme«. Sitzungsbericht vom 2. 8. 1918, Z S t A P , Reichsbund der höheren Beamten, Nr. 217, Bl. 182. Mit dem V D B dagegen sprach man immerhin. Vgl. ebd., Bl. 183, ferner F. v. Gerhardt, Neue Ziele der Beamtenorganisation, in: M D B , J g . 39, 1915, S. 108. 55 Vgl.: Nochmals Kastengeist, in: D U Z , Jg. 6, 1915, S. 145-47; A. Gehlen, Kollegialität der Vorgesetzten, in: B B R K , J g . 2, 1915, S. 57-59; Wünsche der diesjährigen Hauptversammlung, in: FR, J g . 20, 1916, S. 165-66; Mittlere und untere Beamte, in: D P , J g . 17, 1917, S. 484; Tenius, Beamte und Politik, in: W E A , J g . 15, 1918, S. 163. Ein Beispiel dafür, wie sehr insbesondere die höheren Verwaltungsbeamten die Subalternen als eine Art Diener ansahen, ist, daß sie — auch nach der Revolution noch — ihre Dienstreisekosten-Abrechnungen von mittleren Bürobeamten machen ließen. Vgl. den Protest der letzteren dagegen in einem Schreiben (der »Vereinigung der Regierungssekretäre der Regierung Düsseldorf«) am 29. 6. 1919, in: H S t A D , Reg. D. Pr., Nr. 55, Bl. 215. Ebenfalls bezeichnend ist, daß der preußische Minister der öffentlichen Arbeiten in einem Erlaß zum »Verhalten der ausfuhrenden, beaufsichtigenden und leitenden Amtsgenossen untereinander« am 12. 12. 1918 zu mehr »Menschenfreundlichkeit und verständnisvollem Eingehen auf Wünsche und Anregungen der unterstellten Amtsgenossen« ermahnen mußte. Siehe: Eisenbahnverordnungsblatt, J g . 41, 1918, S. 260. 56 Wittschewsky, Vertretung, S. 184. 57 So ein Flugblatt des »Berufsvereins höherer Verwaltungsbeamter« (undatiert, aus der Zeit zwischen dem 9. Nov. und dem 4. Dez. 1918), an »alle höheren Verwaltungsbeamten«, in: H S t A D , Reg. D. Pr., Nr. 94, Bl. 7. 58 Rasch, Beamtenorganisationen, in: D B R , J g . 7, 1918 (1. Dez.), S. 339.
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Anmerkungen zu S.
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59 W. Eckenbrecher, Die Starrheit im Beamtentum, in: Gem., Jg. 2, 1918 (1. Okt.), S. 236, Hervorhebung im Original. 60 Rede von E. Remmers auf dem 6. Postunterbeamten-Verbandstag im Juli 1916, wiedergegeben im »Bericht« darüber, in: DP, Jg. 16, 1916, S. 664. 61 Falkenberg, Beamtenfrage, S. 210. Vgl. auch Krisis der Beamtenschaft, S. 169, w o besonders die mangelnde Konkurrenzfähigkeit des Beamtentums als Berufs- und Lebensordnung im Vergleich zu den gesamtgesellschaftlich anzutreffenden Standards hervorgehoben wird. 62 Im Rückblick auf die Geschichte über die erhalten gebliebenen konservativen Züge des preußisch-deutschen Beamtenmodells nachdenkend D. Scharringhausen: Die neue Zeit, in: Gem., Jg. 2, 1918 (16. Dez.), S. 296. 63 Dies stand ursprünglich nicht in einer Beamtenzeitschrift, da Verbandsorgane aktuelle allgemeinpolitische Wertungen ja nicht bringen durften, sondern in einem Artikel des Berliner Tagblatts v o m 26.5. 1917 u. d. T. »Neuorientierung und Beamtenschaft«. Der Autor, M. d. A H C. Delius, war selbst mittlerer Beamter und ein bekannter Parteigänger der »Interessengemeinschaft«. Sein Artikel ist inmitten einer Sammlung von Pressestimmen abgedr. in: DBR, Jg. 6, 1917, S. 181-182. Zitat: S. 182. 64 Eckenbrecher, S. 235-236. 65 A. Zapp, Die neue Zeit und die Beamtenschaft, i n : W E A , J g . 15, 1918 (2. Nov.), S. 138. 66 Die Regierung und die Zukunft der Beamten, ebd. (30. Nov.), S. 155. 67 Beamte und Arbeiter, in : RM, Jg. 20, 1917, Nr. 30/31, S. 1. 68 Auch der kritische Beitrag von Eckenbrecher, S. 236, warnt davor. 69 Vgl. seine Stellungnahme auf dem Verbandstag der Postunterbeamten 1916, abgedr. in: DP, Jg. 16, 1916, S. 655. 70 Vgl. Die Frage der deutschen Beamten, in: BJB, Jg. 2, 1915, S. 159. 71 Ebd., S. 158. Genauso im späteren Artikel »Zur Erneuerung des Beamtenrechts« (Gem., Jg. 1, 1917, Nr. 3, S. 5). Das Gewicht dieser Wiederholung liegt darin, daß Falkenberg zu dieser Zeit der Schriftleiter des Blattes der IG war, so daß er gewissermaßen auch fur die IG sprach. Vgl. auch sein Buch »Die dt. Beamtenbewegung nach der Revolution«, S. 53. 72 A. Barteid, Die Stellung der Beamten nach dem Kriege, in: D P Z , Jg. 27, 1916, S. 615. Der »Arbeiterstand«, so eine andere Formulierung im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Konsumenten- und Produzenteninteressen, sei »stärkster Partner« der Beamtenschaft. (E. Pinck, Beamtenschaft und innerer Ausgleich, in: BJB, Jg. 5, 1918, S. 6.) 73 Z u diesen Wirkungen und Tendenzen generell Kocka, Klassengesellschaft. 74 Repräsentativ für den Führungskreis der späteren IG ist die Stellungnahme von Höfle, Krieg, S. 180. Stimmen aus Unterbeamtenorganisationen: E. Remmers, Die Organisation im Kriege, in: DP, Jg. 16, 1916, S. 68; Politische Betätigung der unteren Beamten, ebd., Jg. 17, 1917, S. 473. Unerreichte Organisationsleistungen, S. 3—4. Es trifft zu, was Scherf (S. 107) feststellte, daß nämlich die »Arbeitergewerkschaften« - im Hinblick auf Organisationstechnik und Organisationsaufbau - der »Lehrmeister« des Beamtenbundes gewesen seien. 75 Gut k o m m t diese Auffassung zum Ausdruck in Formulierungen wie: »Das Beamtenverhältnis« sei »eine besondere Art des allgemeinen Lohnverhältnisses« (Flügel, S. 2) oder: es gäbe »eine eigene volkswirtschaftliche Schicht des Beamtentums. welche mit ausgesprochener Eigenart im Wirtschaftsleben steht« (Höfle, Krieg, S. 181). 76 Staatsarbeiterrecht?, in: WR, Jg. 20, 1916, S. 38. 77 Vgl. Keine »Privilegien«, ebd., S. 10, Das Arbeitsvertragsrecht in Staatsbetrieben, ebd. S. 57, Vom Staatsarbeiterrecht, ebd., S. 65f. 78 Nach den Angaben bei Büß, S. 96-100. 79 Vgl. ebd., S. 89-100. Außerdem: Der Deutsche Eisenbahner-Verband, in: WR, Jg. 20, 1916, S. 49-50; Unterkriegen? - Nein!, ebd., S. 93. Schon Anfang 1915 war im Staatsministerium auf einen Antrag des V E D hin die Aufhebung der Restriktionen erwogen worden. O b -
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wohl die Aufhebung auch Befürwortung fand, konnte man sich damals noch nicht zu einem positiven Bescheid durchringen. Vgl. ZStAM, Rep. 151 HB, Nr. 900, Bl. 185 ff. 80 Vgl. A. Falkenberg, Die Interessengemeinschaft Deutscher Beamtenverbände und die neue Zeit, in: Gem., Jg. 2, 1918, (16. Okt.), S. 245-247. 81 Eine spätere Formulierung sprach von »zwei Welten« (Falkenberg, Beamtenbewegung, S. 22). 82 Vgl. den Abdruck in: DBB, S. II/5-9. 83 O b w o h l es bis zur Konstituierung der Gesamtorganisation als Deutscher Beamtenbund noch waghalsiger Manöver seitens der IG bedurfte, um mit der Vereinigung unter ihrer Führung nicht zu scheitern, hatte sich ihre Linie formal schon am 14. November durchgesetzt. Die »Interessengemeinschaft« hatte für diesen Tag alle interessierten Beamtenorganisationen zu einer Sitzung eingeladen, die über den Zusammenschluß zu einer Gesamtorganisation beraten sollte. Dort wurde der Beschluß gefaßt, diesen Zusammenschluß »auf gewerkschaftlicher Grundlage zu vollziehen«. Darüber berichtet Falkenberg, Beamtengewerkschaft, S. 281. Siehe auch die Dokumentation in: DBB, S. 11/10—11. 84 Ein Zusammenschluß mit Arbeitergewerkschaften stand zu dieser Zeit grundsätzlich nicht zur Debatte. Z u m Verhältnis zum (formal immer noch existierenden) Bund der Festbesoldeten, das als Einstellung der IG zu den Angestellten überhaupt gesehen werden kann, vgl. die schon mehrfach zit. Rede von E. Remmers am 22. Sept. 1918 (nach: ders., Einheit, S. 27). In dem der IG nahestehenden »Beamten-Jahrbuch« fanden sich immer wieder Stellungnahmen pro BdF. Vgl. Ε.Jacubeit, Beamtenwirtschaftspolitik im Kriege und nach dem Kriege, in: BJB, Jg. 1, 1914, S. 80. Flügel, S. 7. Remmers' Ablehnung (mit der er sich offenbar durchsetzte) mag insofern etwas merkwürdig anmuten, als die Vorstellungen, die der Politik der IG zugrunde lagen, sehr denen des Bundes der Festbesoldeten ähnelten. 85 Dazu jüngst: Halmen. 86 Vom politisch-sozialen Beamtentum, in: Gem., Jg. 1, 1917, Nr. 3, S. 2-3. Vgl. auch Die Osterbotschaft, in: D P Z , Jg. 28, 1917, S. 441 f., w o von Seiten des »Postverbandes« (Mitglied der IG) ebenfalls wörtlich die »Sozialisierung des Beamtentums« gefordert wurde. Das Wort wurde etwa in dem Sinn gebraucht, wie die heutige Soziologie den Begriff Sozialisation versteht und verwendet. 87 Dieser infolge von Mieterhöhungen ausgebrochene Konflikt wirbelte viel Staub auf. Vgl. ζ. B. Die Wohnungsfrage - eine Standesfrage, in: FR, Jg. 20, 1916, S. 3; Ρ.Jus, Die Wohnungsnot, ebd. S. 77-78; Massenkündigungen und Mietsteigerungen, in: DP, Jg. 17, 1917, S. 485-487. 88 Sinngemäß so genannt und beschrieben durch E. Schmidt, Die Ernährungsökonomie und die Beamten, in: DP, Jg. 15, 1915, S. 750-751. Allgemein Kocka, Klassengesellschaft. 89 Diese Meinung vertritt G. Hojjmann, S. 27-29. 90 Falkenberg, Interessengemeinschaft, S. 246. 91 Siehe Anm. 81. 92 Falkenberg, Beamtengewerkschaft, S. 282. Dieser Aufsatz ist als Ist-Analyse der Gewerkschaftlichkeit der Beamtenbewegung einige Tage vor Gründung des Beamtenbundes insgesamt beachtenswert.
IV. Zusammenfassung und Ausblick 1 Selbst die Zeitschrift der konservativen Katholischen Beamten vereine zog Ende 1918 so Bilanz: »Es kann nicht geleugnet werden, daß ein gewisser Radikalismus große Kreise des Volkes erfaßt h a t . Der Beamtenstand, der von jeher als konservativ gerichtet im besten Sinne galt, der als eine der sichersten Stützen für Thron und Altar angesehen wurde, ist nicht von
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diesem Radikalismus verschont geblieben. Ja, man wird sagen müssen, daß diese unheilvolle Entwicklung sich bei ihm in verhältnismäßig kürzerer Zeit vollzogen hat wie bei den anderen Ständen.« (Scheufens, Die katholische Beamtenvereinsbewegung, ihre Aufgaben und Ziele, in: BBRK, Jg. 5, 1918, S. 78.) 2 Vgl. das Urteil von H. Grebing, Konservative Republik oder soziale Demokratie. Zur Bewertung der Novemberrevolution in der neueren westdeutschen Historiographie, in: E. Kolb (Hg.), Vom Kaiserreich zur Republik, Köln 1972, S. 392, H. Schmahl, Disziplinarrecht und politische Betätigung der Beamten in der Weimarer Republik, Berlin 1977, S. 195 und R. Rürup, Demokratische Revolution und »dritter Weg«. Die Deutsche Revolution von 1918/ 19 in der neueren wissenschaftlichen Diskussion, in: GG, Jg. 9, 1983, S. 293. 3 Hier mag der mittelbare Beleg durch den Hinweis auf die eben zit. Literatur-Revuen von Grebing, S. 386—403 und Rürup, S. 278-301 genügen. Dort noch nicht berücksichtigt ist D. Lehnert, Sozialdemokratie und Novemberrevolution, Frankfurt a. M. 1983 sowie das wichtige Buch von Η. A. Winkler, Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik 1918-1924, Berlin 1984. 4 R. Löwenthal, Bonn und Weimar, in: Η. A. Winkler (Hg.), Politische Weichenstellungen im Nachkriegsdeutschland 1945-1953, Göttingen 1979, S. 11. 5 Vgl. R. Morsey, Beamtenschaft und Verwaltung zwischen Republik und »Neuem Staat«, in: K. D. Erdmann u. H. Schulze (Hg.), Weimar. Selbstpreisgabe einer Demokratie, Düsseldorf 1980, S. 157. 6 Vgl. auch H. Möller, Verwaltungsstaat und parlamentarische Demokratie. Preußen 1919-1932, in: Ritter, Regierung, S. 152, sowie Schmahl, S. 195. 7 Vgl. Th. Ramm, Das Koalitions- und Streikrecht der Beamten, Köln 1970, S. 70. Z u m Fragenkomplex überhaupt R a m m insgesamt und die in Anm. 28 angegebene Literatur. 8 »Die WRV [Weimarer Reichsverfassung] trennte zunächst die Vereinsfreiheit, die allen Deutschen zustand (Art. 124 S. 1 WRV), von der Vereinigungsfreiheit. Weiterhin wurde die Vereinigungsfreiheit für die Beamten (Art. 130 II WRV) und die im Wirtschaftsleben Tätigen (Art. 159) gesondert gewährleistet. Die Streikfreiheit blieb unerwähnt.« (Ramm, ebd.) 9 Erklärung vom 20. 2. 1920. Abgedr. bei Ramm, S. 80f. und L. Bendix, Das Streikrecht der Beamten, 2. Aufl., Berlin 1922, S. 43f. 10 Z u r Petitionsfrage Schmahl, S. 119 ff. Schmahl betont hierbei besonders, daß das Ergebnis auf eine starke Einflußnahme der höheren Bürokratie zurückzufuhren war. 11 Z u m Folgenden ebd., S. 55 ff. 12 Dieses »außerhalb« meint keine Sonderstellung der Beamten im Dienst. Für jedes, also auch staatsexternes Anstellungsverhältnis galt, daß auf unmittelbare Pflichten, die sich aus einer Arbeitsverrichtung ergäben, Rücksicht zu nehmen sei. Vgl. ebd., S. 41. 13 Vgl. H. Möller, S. 152, Morsey, Beamtenschaft, S. 154 und ders. Verfassungsfeinde im öffentlichen Dienst der Weimarer Republik - ein aktuelles Lehrstück?, in: Politische Parteien und öffentlicher Dienst, Bonn 1982, S. 108ff. und 112ff. 14 Der Gesetzgeber forderte von den Beamten jetzt zwar keine Identifikation mit, er postulierte >nur< ein Treueverhältnis auf der Grundlage der Sachlichkeit gegenüber dem Staat. (Vgl. Schmahl, S. 63-71, Schlink, S. 339 oder Fenske, Bürokratie, S. 30f.) Eine erhebliche und, wie gesagt, partiell auch auf die außerdienstliche Sphäre ausgedehnte Bindung (verbindliche Verhaltenserwartung) verkörperte das - v o m Reich materiell von den meisten Ländern, darunter Preußen, übernommene - Republikschutzgesetz aber doch. In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, daß das Gesetz speziell dem Rechtsradikalismus einen Riegel vorschieben sollte. An dieser Stelle sei auch noch auf den Parallelvorgang in bezug auf den Beamteneid hingewiesen. Vgl. Schmahl, S. 43 ff. 15 Interessant immerhin war die Kompetenzverringerung der allgemeinen Verwaltung durch die Abgabe der Steuerverwaltung und die Schaffung des Wohlfahrtsressorts, bzw. die Stärkung des Sonderbehördenwesens hierdurch.
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Anmerkungen zu S.
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16 Zitat aus Bühler, Einleitung, in: Die Behördenorganisation des Ruhrgebiets und die Verwaltungsreform, Essen 1926, S. 2. Zur Verwaltungsreform insgesamt Schulz, insbes. S. 249ff., 516ff„ sowie Elbe, S. 248-284. 17 Zitiert bei Volter, S. 74. 18 HWBPV, 3. Aufl. Bd. 1, S. 195 unter Angabe von Reichsgerichtsentscheidungen. 19 Völter, S. 74; R. Castner, Entwicklung und Problematik der Beamtenbesoldung, in: JbGVV, Jg. 82, 1962, S. 470. Diese Beiträge auch für den Gesamtkomplex Besoldung, S. 15ff. und 461 if. Siehe außerdem A. Kunz, Verteilungskampf oder Interessenkonsensus? Einkommensentwicklung und Sozialverhalten von Arbeitnehmergruppen in der Inflationszeit 1914 bis 1924, in: Feldmann (Hg.), Die deutsche Inflation. Eine Zwischenbilanz, Berlin 1982, S. 347-384; Hülden, S. III/59ff. u. W. Möller, S. 123ff. 20 Ebd., S. 141. 21 Vgl. R G Z , ζ. B. 96/87, 104/60, 104/252, 107/190. Die herrschende RechtsaufTassung summiert O . Solch, Insbesondere Besoldungen und Hinterbliebenenversorgung, in: G. Anschätz u. R. Thoma (Hg.), Handbuch des Deutschen Staatsrechts, Bd. 2, Tübingen 1932, S. 68-76. Vgl. auch W.Jellinek, Rechtsformen des öffentlichen Dienstes, ebd. S. 20-33, sowie HWBPV, 3. Aufl. Bd. 1, S. 194f. 22 W.Möller, S. 17und219. 23 Die Ausbildungsfrage allgemein beleuchtet aus der zeitgenössischen Perspektive Haussmann, Beamtenbildung und -fortbildung als Teile der Verwaltungsreform, in: BJB, Jg. 15, 1928, S. 131-138. Z u r Ausbildung des höheren Verwaltungs- und Justizdienstes vgl. Breuckmann, E. Geib, Die Ausbildung des Nachwuchses für den höheren Verwaltungsdienst unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte der Justiz- und Verwaltungsausbildung in Preußen, in: A Ö R , Jg. 80, 1955/56, S. 307-345, H. v. Dellbrügge (Hg.), Die Ausbildung für den höheren Dienst in der allgemeinen inneren Verwaltung, Berlin 1938. Für den mittleren und unteren Dienst am besten B. Schwarze, der auch andere Verwaltungen berücksichtigt. Dennoch gibt es in bezug auf die Regelausbildung dieser Beamtenkategorien in der Weimarer Zeit große Informationslücken. Der Beitrag von U . Berger ist hierfür weitgehend unbrauchbar, zum Fortbildungswesen enthält er hingegen Informationen. Betreffend die Fortbildung (des mittleren Dienstes) ist die Literaturlage generell besser. Vgl. etwa: Giese, bzw. Beamtenhochschulbewegung. Hingewiesen sei noch auf die Zeitschrift »Beamten-Jahrbuch«, die wichtige Aufsätze zum Thema bringt. Vermerkt sei hier auch, daß das Fortbildungswesen, das, primär von mittleren Beamten, fast unmittelbar nach der Revolution mit großem Elan wiederbelebt worden ist (vgl. den Erlebnisbericht von Apelt, S. 117f.), seine Beliebtheit unter diesen Beamten auch nach dem kritischen Jahr 1923 nicht verlor. Dies erklärt sich wohl zum einen aus dem in fiir >Arbeitskämpfe< schlechten Zeiten naheliegenden Rückzug auf Pflege professioneller Werte und zum anderen aus der — vorwiegend jeweils als individuell zu verstehenden — H o f f nung, mit der Zeit doch noch den Bewährungsaufstieg auf diese Weise zu schaffen. 24 Die Streikfrage ist in diesem Zusammenhang ein zentraler Indikator. Es ist bemerkenswert, daß das Gros der Beamten - bis auf die höheren - den vordem verpönten Streik nach der Revolution, wenn auch in »mehr oder weniger offener Form« (Laubinger, S. 131), zunächst voll, d. h. auch als Wirtschaftsstreik, guthieß und daß Beamte 1920 und 1922 tatsächlich streikten. Vgl. etwa Ramm, Bendix, G. Hoffmann bzw. Halmen, S. 188ff., der u m den Nachweis bemüht ist, die ständisch-konservativen Züge auch der mittleren und unteren Beamtenschaft seien trotz allem durchgehend dominant gewesen. 25 Vgl. Apelt, S. 117f. Apelt war von 1921 an Vorsitzender des Reichsverbandes deutscher Verwaltungsakademien. 26 Viele der sog. höheren Vorgesetzten werden so empfunden haben wie der Postdirektor Göbel, der in seinem Bericht v o m 12. Mai 1919 an die Oberpostdirektion Münster i. W. beklagte, die Ausschüsse verbreiteten den »schlimmen Geist« der Unbotmäßigkeit. Vgl. Akte: StAM, O P D Münster, Nr. 859, ο. P. Aus der Literatur s. C. Windscheid, Z u r Entwicklung des
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Anmerkungen zu S.
260-26i
Personalvertretungsgedankens von 1918 bis heute, in: DBB, S. HI/33-42, P. Müller, Die Beamtenausschüsse der Deutschen Reichspost, 5. Aufl. Berlin 1931, H. Wildermann, Die Entwicklung der Arbeiter-, Angestellten- und Beamten-Ausschüsse in Deutschland, Kiel 1922. 27 Dies ist eines der Forschungsergebnisse von Kunz, Verteilungskampf, S. 371 (Zitat) u. 368 f. 28 Darstellungen hierzu G. Hoffmann, Laubinger, S. 67ff., Schrön, S. 422—428. 29 Natürlich gilt dies nicht ohne Abstriche bzw. nicht für alle und nicht auf in der Zeit gleichbleibende Weise. Die Einhaltung der Loyalität war für viele sicherlich mindestens lästig, die Demokratisierungsmaßnahmen selbst für manche Nichtbetroffene brüskierend, die stärker als früher ausfallende Nivellierung bzw. Schwächung der Gehälter bedrückend und für das Sozialprestige schädlich. So mag die Stellung der höheren Beamten sich in mancherlei Beziehung vor allem im Laufe der Zeit graduell weiter verschlechtert haben oder teilweise auch (sozial wie materiell) prekär geworden sein, seine alles in allem günstige Stellung verlor das alte höhere (Verwaltungs-) Beamtentum als solches aber nicht. Aus der Literatur s. etwa die meist primär auf die höhere Beamtenschaft bezogenen Beiträge von W. Elben, Das Problem der Kontinuität in der deutschen Revolution. Die Politik der Staatssekretäre und der militärischen Führung v o m November 1918 bis Februar 1919, Düsseldorf 1965; H. Fenske, Monarchisches Beamtentum und demokratischer Staat. Z u m Problem der Bürokratie in der Weimarer Republik, in: Demokratie und Verwaltung, Berlin 1972, S. 117-136; H. Hattenhauer, Z u r Lage der Justiz in der Weimarer Republik, in: Weimar. Selbstpreisgabe einer Demokratie, Düsseldorf 1980, S. 169-176; H. Möller, S. 149-180; H. Mommsen, Beamtentum und Staat in der Weimarer Republik, in: DVP, Jg. 32, 1981, S. 194-201; R. Morsey, Beamtenschaft, S. 151-168; ders. Beamtenpolitik, S. 101-116; E. Pikart, Preußische Beamtenpolitik 1918-1933, in: Vierteljahreshefte fiir Zeitgeschichte, Jg. 6, 1958, S. 119-137; W. Runge, Politik und Beamtentum im Parteienstaat 1918-1932. Die Demokratisierung der politischen Beamten in Preußen zwischen 1918 und 1933, Stuttgart 1965; Thiele, S. 39-51; P.Chr. Witt, Kontinuität und Diskontinuität im politischen System der Weimarer Republik. Das Verhältnis von Regierung, Bürokratie und Reichstag, in: Ritter, Regierung, S. 117-148. 30 »Denkschrift der Ortsgruppe Düsseldorf des Bundes der höheren Beamten zum Entwurf der Besoldungsordnung« 1920, die auch eine »Haushaltsaufstellung« enthält. Akte in: HStAD, Reg. A. Pr., Nr. 411, Bl. 161-164. Zitate: 163f. Zur Selbsteinschätzung der höheren Beamten als die »geistigen Führer« und »leitende Klasse« noch »über den anderen Klassen von Beamten« s. auch die im Ministerium f. Handel und Gewerbe im Januar 1920 ausgearbeitete Denkschrift »Die Staatsumwälzung und die höheren Staatsbeamten«, in: GStAB, Rep. 92 Nachl. Drews, Nr. 44, B. 8-13. Zitate: Bl. 11. 31 RGBl., Jg. 76, 1923/1, S. 999-1010, GS, 1924, S. 73-96. Vgl. auch HWBPV, 3. Aufl. Bd. 2, S. 271 fT. 32 Die von der Verfassung gegebene Zusicherung der wohlerwogenen Rechte meinte in diesem Punkt nur Beamte, die ihre Lebensanstellung bereits innehatten und deren Dienstfähigkeit außer jeden Zweifel stand. Die von ihrem Lebensalter her fur pensionsreif erklärbaren Beamten (unabhängig von der aktuell festgesetzten Altersgruppe) oder die anderweitig Dienstunfähigen sowie die auf Zeit, Widerruf und dgl. Angestellten waren rechtlich korrekt abbaubar. Vgl. die Reichsgerichtsentscheidung vom 14. März 1922, in: RGZ, 104/58 ff. Damit waren die Maßnahmen in bezug auf einen wesentlichen Teil der Betroffenen schon vor 1923 abgesichert. Unabhängig davon beruhte der Abbau auf einer verfassungsändernden gesetzlichen Ermächtigung, die noch mehr erlaubte. Sie gab den Regierungen die formal völlig legale Handhabe, auch dort einzugreifen, w o es sich tatsächlich um die Beschneidung der wohlerworbenen Rechte handelte. Dazu s. das »Ermächtigungsgesetz« v o m 13. Okt. 1923, in: RGBl., Jg. 76, 1923/1, S. 943. Z u seiner Entstehung vgl. die Oberverwaltungsgerichtsentscheidung (II. Senat, 21. Febr. 1925), mitgeteilt in: Juristische Wochenschrift, 1926, S. 829.
355
Anmerkungen zu S.
261-265
Danach war das Gesetz »in den Formen zustande gekommen, welche R. Verf. Art. 76 für Änderungen [der Verfassung] vorschreibt«. 33 Die Richtlinien sind als Anhang abgedr. bei Ramm, S. 189. Das »Programm des Deutschen Beamtenbundes« vom Okt. 1924 hielt am Streikrecht auch nominell nicht mehr fest und erklärte nur: »Die in der Verfassung gewährleistete Vereinigungsfreiheit wird uneingeschränkt in Anspruch genommen.« Abgedr. in: DBB, S. II/88. 34 Z u diesem Komplex: Kunz, Stand, S. 55-86. Quintessenz auf S. 81. Die Zäsur »Mitte der 20er Jahre« im Hinblick auf die »zunehmende Orientierung nach rechts«, bezogen allerdings auf die höheren Verwaltungsbeamten, setzt auch Fenske, Beamtentum, S. 136. 35 Besonders augenfällig wurde dies während der Auseinandersetzung mit Angestellten im Zuge der Personalabbau-Afiare. Gut ausgearbeitet bei Kunz, Stand. 36 Zahlen und andere Angaben bei Kunz, Stand, S. 58. Ubersicht, allerdings nur auf dem Stand von 1928, in: DBB, S. 1/94. Vgl. auch Schrön, S. 426. 37 Zeitlich parallel zum Personalabbau verlief eine sich erneut verstärkende öffentliche Kritik an Verwaltung und Beamtenschaft. Insbesondere die Unternehmer und der alte Mittelstand orientierten sich (wieder) zunehmend am »staatsfreien« Weg des Wirtschaftslebens. (So L. Preller, Sozialpolitik in der Weimarer Republik, Kronberg 1978, S. 319, die Betonung dieses Weges auf der gemeinsamen Tagung des Reichsverbandes der deutschen Industrie und der Vereinigung deutscher Arbeitgeberverbände im März 1924 referierend. Die Entfremdung zwischen Staat und Wirtschaft ab 1920 behandelt P. Chr. Witt, Staatliche Wirtschaftspolitik in Deutschland 1918 bis 1923. Entwicklung und Zerstörung einer modernen wirtschaftspolitischen Strategie, in: Feldmann, Inflation, S. 151-179. Ähnlich G. Feldmann, Demobilmachung und Sozialordnung der Zwischenkriegszeit in Europa, in: GG, Jg. 9, 1983, insbes. S. 170ff.) Sie befanden allemal, daß die Verwaltung viel zu aufgebläht, ineffektiv und teuer sei und traten mit wachsender Intensität gegen Beamtenforderungen auf (vgl. z. B. G. Schulz, S. 531). Infolge der beim Personalabbau im öffentlichen Dienst hart aufeinanderprallenden gegensätzlichen Interessen von Beamten und Staatsangestellten verschlechterten sich zudem die Beamten-Angestellten-Beziehungen ab 1923 entscheidend (detailliert untersucht bei Kunz, Stand). Daß Beamte und Arbeiter keine Weggenossen sein werden, zeigte sich allerspätestens nach der Streikdebatte im Beamtenbund 1922/23. 38 Vgl. H. Mommsen, Beamtentum und Staat, S. 197. 39 Vgl. die in A n m . 28 angegebene Literatur. 40 Die Regierung und die Z u k u n f t der Beamten, S. 156. 41 Ein Indiz hierfür ist der auffällige Erfolg der N S D A P u. a. unter den Betriebsbeamten. Vgl. H. Mommsen, Beamtentum und Staat, S. 199; Morsey, Beamtenschaft, S. 161; Schmahl, S. 155. 42 Vgl. Morsey, Beamtenschaft, S. 160 ff.; ders., Staatsfeinde im öffentlichen Dienst (1929-1932). Die Beamtenpolitik gegenüber NSDAP-Mitgliedern, in: K. König (Hg.), Ö f fentlicher Dienst, Köln 1979, S. 111 ff.; ders., Verfassungsfeinde, S. 108-125. Auch auf das Verhältnis zum Kommunismus geht näher ein: Schmahl, S. 137ff. Z u r Spätphase ferner H. Mommsen, Beamtentum und Staat, u. ders., Die Stellung der Beamtenschaft in Reich, Ländern und Gemeinden in der Ära Brüning, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Jg. 21, 1973, S. 151-165. 43 Gerade die Idee der Überparteilichkeit bekam im Zeitverlauf eine antidemokratische Stoßrichtung. Vgl. vor allem Schmahl, S. 178 ff.; Morsey, Beamtenschaft, S. 163, 165; H. Mommsen, Beamtentum im Dritten Reich, Stuttgart 1966, S. 25; Fenske, Beamtentum, S. 121. 44 Dies ist die Grundthese bei Morsey, Beamtenschaft. In der Bilanz ähnlich auch Fenske, Beamtentum, S. 136.
356
Quellen- und Literaturverzeichnis
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Nr. 3142 Nr. 3143 Nr. 3144
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Nr. 516 Nr. 573
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Pr.Nr. 411 Pr.Nr. 594
Pr.Nr. 4775 Nr. 73 Nr. 76 Nr. 17252
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Pr. Nr. 50 Pr.Nr. 51 Pr.Nr. 52 Pr.Nr. 53 Pr.Nr. 54 Pr.Nr. 55 Pr. Nr. 81 Pr.Nr. 89
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Wirksamkeit des Staatskommissars in Ernährungsfragen für die Provinzen Westfalen, Rheinland und Hessen-Nassau. Gen. 1917 Bd. 1 Bürobeamte. Spec. Bd. 1. 1904-1911 dass. Bd. 2. 1912-1919 Anstellungsgrundsätze fur Militär- und Zivilanwärter. Spec. Bd. 1. 1902-1922 Prüfung der Bürobeamten. Spec. Bd. 1. 1894-1911 Unterrichtskurse fur Bürobeamte. Spec. Bd. 1. 1903-1909 Beamte im Mobilmachungsfall. Spec. Bd. 1. 1914-1916 dass. Bd. 2. 1916-1919
Nr. 4585 Nr. 4601 Nr. 4602 Nr. 4603 Nr. 4604 Nr. 4761 Nr. 4836 Nr. 4837
Verwendung der Beamten nach der Demobilmachung. Spec. 1915-1919 Beschäftigung von Damen. Gen. 1915 Unterbeamte. Spec. Bd. 1. 1904-1922 Vermehrung von mittleren und Unterbeamten. Spec. Bd. 1. 1892-1909 Vermehrung der mittleren Beamten der Regierung Münster. Bd. 2. 1910-1914 Geschäftsanweisung. 1828-1911 Zeitungsberichte der Landräte. Bd. 4. 1912-1917 dass. Bd. 6. 1914-1918
Universitätsarchiv Köln Zugang 10 a Nr. 1
Verwaltungs-Hochschule. Generalakten. Bd. 1. 1912-1919
Zugang 10c Nr. 33
Hochschule fur kommunale und soziale Verwaltung. Generalia. Bd. 1. 1911-1916
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