Pressekriege: Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896-1912) 9783486707496, 9783486584028

Außenpolitik im Zeitalter der Massenöffentlichkeit "

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German Pages 498 Year 2007

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Pressekriege: Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896-1912)
 9783486707496, 9783486584028

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Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London

Publications of the German Historical Institute London

Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London Herausgegeben von Andreas Gestrich Band 64 Publications of the German Historical Institute London Edited by Andreas Gestrich Volume 64

R. Oldenbourg Verlag München 2007

Dominik Geppert

Pressekriege Öffentlichkeit und Diplomatie in den deutsch-britischen Beziehungen (1896–1912)

R. Oldenbourg Verlag München 2007

Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2007 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Dieter Vollendorf, München Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht). Satz: Typodata GmbH, München Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Bindung: Buchbinderei Klotz, Jettingen-Scheppach ISBN: 978-3-486-58402-8

INHALT Einleitung

1.

2.

3.

...............................................

1

a) Das Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

b) Forschungsstand und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

5

c) Quellen, Methode, Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

12

d) Begriffe und Differenzierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

19

Kommunikation und Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

a) Die Macht der Nachrichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

b) Der Aufstieg der Massenpresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

c) Die bürokratische Pressepolitik der Wilhelmstraße . . . . . . . . . . . .

47

d) Westminster und Whitehall: Koordination durch Klüngelei . . . . .

59

e) Reuters und Wolff’s Telegraphisches Bureau als halb-offizielle Staatsagenturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

f) Internationales Nachrichtenwesen als „Wurzel der Weltpolitik“. .

80

Etablierung von Wahrnehmungsmustern: das Krügertelegramm als Medienereignis . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

a) Die publizistische Vorgeschichte des Krügertelegramms . . . . . . . .

91

b) Das Pressemanagement der deutschen und britischen Regierung

94

c) Reaktionen der britischen Presse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

101

d) Die Folgen der Telegrammkrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109

e) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

122

Publizistische Eskalationsmechanismen in Konfliktzeiten: der Burenkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

a) Nachrichtenübermittlung und Kriegsgräuel . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125

b) Antibritische Stereotype und die deutsche Reichsleitung . . . . . . .

132

c) Pressepolitische Schwierigkeiten von Bülows Neutralitätskurs . .

141

d) Der doppelbödige Charakter der deutschen Pressepolitik . . . . . . .

151

e) Die Deutschlandberichterstattung der britischen Presse bis 1901

159

f) Der Umschwung in der britischen Berichterstattung . . . . . . . . . . .

168

g) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174

VI 4.

5.

6.

Inhalt

Die Vorreiterrolle der Richtungspresse: die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien . . . . . . . . . . .

179

a) Die antideutsche Pressekampagne um die National Review . . . . .

179

b) Die Venezuelakrise und das Verhältnis zu den USA . . . . . . . . . . . .

183

c) Die Bagdadbahndebatte und die Annäherung an den Zweibund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190

d) Chamberlains Schutzzoll-Kampagne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

199

e) Der Primat der Pressepolitik in der deutschen Englandpolitik . . .

205

f) Bernstorffs pressepolitische Offensive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

212

g) Pressepolitik in der ersten Marokkokrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

222

h) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

228

Schreckensnachrichten mit Methode: Flottenpropaganda in Deutschland und England . . . . . . . . . .

233

a) Grundzüge der Flottenpropaganda in Deutschland und England . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

233

b) Der „Flottenschrecken“ vom Winter 1904/5 . . . . . . . . . . . . . . . . . .

246

c) Offiziöse Interviews und das Dilemma der deutschen Publizitätsstrategie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

256

d) Gezielte Indiskretionen und die Probleme britischer Flottenwerbung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

269

e) Pressepolitik in der zweiten Marokkokrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

284

f) Die Auseinandersetzung um die Flottennovelle 1911/1912 . . . . . .

289

g) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

294

Die Verstärkerfunktion der Massenpresse: das Beispiel des Northcliffe-Konzerns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299

a) Die Deutschlandberichterstattung der Daily Mail (1896 bis 1905). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

299

b) Invasionsängste und Spionagehysterie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

307

c) Der Zeppelinschrecken vom Mai 1909 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

319

d) Presse-Imperien, Parteipolitik und Wahlkampfstrategien. . . . . . . .

326

e) Die Blatchford-Artikel in der Daily Mail. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

331

f) Northcliffe: Mythos und Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

340

g) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

347

Inhalt

VII

Versuche einer „Abrüstung der Presse“: die Journalistenreisen 1906 und 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

351

a) Kritik an den „Pressefehden“. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

351

b) Die Entstehungsgeschichte der Journalistenbesuche . . . . . . . . . . .

358

c) Der Verlauf der beiden Journalistenbesuche . . . . . . . . . . . . . . . . . .

364

d) Gründe für die Folgenlosigkeit der Initiative . . . . . . . . . . . . . . . . .

371

e) Reaktionen der deutschen und britischen Diplomatie . . . . . . . . . .

377

f) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

382

Publizistische Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

387

a) Kritik an Greys Geheimdiplomatie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

387

b) Francis W. Hirst und Theodor Schiemann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

390

c) Norman Angells Versuch, die „öffentliche Meinung“ zu erziehen

400

d) Ludwig Steins Zeitschrift Nord und Süd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

407

e) Epilog: Die deutsch-britischen Pressebeziehungen 1913–1914 . . .

412

f) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

418

Die Transformation der Diplomatie durch die Massenpresse . . . .

421

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

439

Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

441

Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

443

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

445

Abstract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

475

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

477

7.

8.

Für Christina

EinlEitung Newspaper wars between peoples are fortunately bloodless, but they cause bad blood. Nothing but harm can come of a continual course of international pinpricks in the papers, which encourages Germans to say or think „England is the enemy!“ and Englishmen to say or think „Germany is the enemy!“ (Daily Chronicle vom 30. November 1904)

a) Das Thema im Frühjahr 1905 widmete William Kerridge Haselden, Karikaturist der tageszeitung Daily Mirror, eine Zeichnung zu den deutsch-britischen Beziehungen einem großen thema: Krieg und Frieden (Abbildung 1). im Zentrum stand dabei keines der Probleme, die in den folgenden hundert Jahren die Historiographie zum Verhältnis zwischen dem edwardianischen England und dem wilhelminischen Deutschland bestimmen sollten.1 Es ging weder um Handelskonkurrenz und Schutzzollpolitik noch um die bündnispolitischen umgruppierungen der europäischen großmächte, die sich damals anbahnten; auch das maritime Wettrüsten der beiden nationen interessierte nur am Rande. Was den Zeichner beeindruckte, waren die wütenden Proteste, mit denen die deutsche Presse auf Agenturberichte über eine Rede des britischen Seelords Arthur lee reagiert hatte. Wenn es eine Kriegsgefahr zwischen Deutschland und England gab, so ging sie in Haseldens interpretation nicht von den Völkern und ihren Regierungen aus. Die schmauchten in gestalt der beiden nationalcharaktere John Bull und Herr Schmidt einträchtig die Friedenspfeife miteinander. Der Konflikt wurde vielmehr als „Pressekrieg“ mit den Waffen des gedruckten – und gesprochenen – Wortes ausgetragen. Derartige „Zeitungsfehden“ – die Briten sprachen von „press bickerings“ oder „newspaper wars“ – faszinierten um die Jahreswende 1904/1905 nicht nur den Karikaturisten des Daily Mirror; sie beschäftigten Politiker und Diplomaten, Journalisten und das Zeitungspublikum auf beiden Seiten der nordsee. unter dem Begriff „Zeitungskriege“ fassten die Zeitgenossen dabei all jene Situationen zusammen, in denen die Presse den Anlass zur Konfrontation zwischen Deutschland und großbritannien schuf oder half, begrenzbar scheinende politische Meinungsverschiedenheiten zu großen Auseinandersetzungen hochzuspie1



Die Bezeichnungen „großbritannien“ und „England“ werden in dieser Studie synonym verwandt, wie das unter den Zeitgenossen innerhalb und außerhalb der britischen inseln üblich war. Selbst ein Mann wie der Berlin-Korrespondent der Times, george Saunders, der stolz auf seine schottische Herkunft war, sprach wie selbstverständlich von „England“, wenn er das Vereinigte Königreich meinte; dasselbe gilt für die Bezeichnungen „Deutschland“ beziehungsweise „germany“, die mit zunehmender Selbstverständlichkeit benutzt wurden, wenn das Deutsche Reich gemeint war. Zu Haselden siehe Bryant und Heneage, Dictionary; zur Rede von lee siehe unten Kapitel 5. b).



Einleitung

Abbildung 1: Daily Mirror, 6. Mai 1905.

len. Zeitungskriege, so war Ende november 1904 in der liberalen britischen Morgenzeitung Daily Chronicle zu lesen, sorgten für böses Blut zwischen den Völkern, auch wenn sie glücklicherweise unblutig verliefen. Fast zeitgleich prangerte Reichskanzler Bernhard von Bülow in einem interview mit einem englischen Journalisten den „Papierkrieg“ britischer Publizisten gegen das 

Daily Chronicle vom 0. november 1904.

a) Das Thema



Deutsche Reich an.4 Die deutsche Boulevardzeitung BZ am Mittag behauptete damals, die Presse sei „fast allmächtig“: Sie beeinflusse „alle geister, und diejenigen, die ihren Einfluss leugnen und sich für unabhängig von ihr halten, stehen am meisten unter ihrem Zauberbanne“.5 Das Phänomen der „Zeitungskriege“ war weder auf die Jahre 1904 und 1905 noch auf das bilaterale deutsch-britische Verhältnis beschränkt. Vielmehr erweist bereits eine kursorische Durchsicht beliebiger Zeitungsbände und diplomatischer Korrespondenzen, wie allgegenwärtig die Rede von „Pressefehden“ zwischen nationen in den knapp zwei Jahrzehnten vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs war. Das betraf nicht nur die deutsch-französischen und die deutschrussischen Beziehungen, sondern auch das britisch-französische Verhältnis vor 1904 oder die Beziehungen zwischen den uSA und Japan. nur wenige Wochen bevor Haselden seine Karikatur für den Daily Mirror zeichnete, hatten Russland und großbritannien wegen des Zwischenfalls an der Doggerbank am Rande eines Krieges gestanden; für diese Eskalation machten viele Zeitgenossen nicht zuletzt die Brandartikel britischer Zeitungen verantwortlich. im Falle der deutsch-britischen Beziehungen lässt sich die Hochphase der „Zeitungskriege“ ziemlich genau auf die Jahre zwischen 189 und 191 datieren: zwar gab es auch davor und danach Pressekritik am jeweils anderen land, aber eben nicht jene gipfelpunkte wechselseitiger Schuldzuweisungen und Verdächtigungen, die im zeitgenössischen Verständnis diese Art publizistischer Konflikte ausmachten und die allgemeine Kriegserwartung wesentlich verstärkten.8 Der liberale britische Politiker Viscount Esher, ein enger Vertrauter König Edwards Vii., war nach einer der zahlreichen deutsch-englischen „Pressefehden“ im Jahr 1910 überzeugt, man habe niemals zuvor so dicht vor einem großen Konflikt in Europa gestanden: „the tension between germany and England is a newspaper tension, but it is severe for all that.“9 Hätte man in diesen Jahren Diplomaten und Politiker gefragt, welche Faktoren die internationalen Beziehungen am meisten belasteten, so hätten sie vermutlich – neben dem Wettrüsten – kaum etwas so häufig genannt wie „die Presse“. Europas Diplomaten und Außenminister, schrieb der liberale Politiker Sir Mountstuart grant Duff an den Doyen des englischen Journalismus, t. H. S. Escott, kämen prächtig miteinander aus und würden ihre Meinungs4 5 

 8 9

J. l. Bashford, great Britain and germany. A Conversation with Count von Bulow, the german Chancellor, in: Nineteenth Century, Dezember 1904; siehe auch Kapitel 5. c). BZ am Mittag, 1. Februar 1905. Mit Blick auf die nach dem russisch-japanischen Krieg 1904/1905 grassierenden amerikanisch-japanischen „Pressefehden“ schrieb der liberale britische Publizist W. t. Stead, die Boulevardpresse, die „yellow press“, sei die wirkliche „gelbe gefahr“; W. t. Stead, the Real Yellow Peril. the Psychology of a War Scare, in: Review of Reviews vom August 190, S. 11–4; ähnlich auch der amerikanische Missionar Gulick, Problem, S. 15. W. t. Stead, His Majesty’s Public Concillors, in: Review of Reviews vom Dezember 1904. Vgl. Schumann, Frieden. Esher an seinen Sohn, 4. Januar 1910, abgedruckt in: Brett, Journals, Bd. , S. 44.

4

Einleitung

unterschiede problemlos bereinigen, wenn nicht die Journalisten dazwischenfunkten, internationale Missgunst und gehässigkeiten schürten: „it is a disgusting spectacle.“10 noch im Mai 1914, wenige Wochen vor Beginn des Ersten Weltkriegs, behauptete der Berliner Botschafter einer der Entente-Mächte gegenüber einem deutschen Reporter, die zügellose Presse Europas stelle eine viel größere Kriegsgefahr dar als die rivalisierenden großmachtblöcke; das unwiderstehliche Wachstum der Pressemacht werde über kurz oder lang jedes Regieren unmöglich machen. Die moderne Presse scheine gerade auf dem gebiet der Außenpolitik die einzige Kraft zu sein, die sich jeder Regulierung entziehe: ein ebenso zügelloser wie verantwortungsloser tyrann. Früher oder später müssten sich die Regierungen in aller Welt mit diesem Übel ernsthaft auseinander setzen, ehe ihnen das Heft des Handelns vollends entwunden werde.11 Den Hintergrund derartiger düsterer Prophezeiungen und pessimistischer Prognosen bildete das gefühl der diplomatischen Würdenträger, von den Vertretern der Presse in die Defensive gedrängt zu werden. Ehemalige Arkanbereiche staatlicher und gesellschaftlicher Herrschaft gerieten unter immer stärkeren Druck, sich Kräften zu öffnen, die im namen der Allgemeinheit Zugang zu bis dahin exklusiven Handlungsfeldern traditioneller Eliten verlangten. Regierungen sahen sich herausgefordert, selbst Kerngebiete ihrer Zuständigkeit wie die Außenpolitik gegenüber dem Ansturm der Publizität zu behaupten. Die Presse, so lautet meine Arbeitshypothese, war die treibende Kraft dieser Expansion des öffentlichen Raumes. in den zwei Jahrzehnten vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs bewirkten technische innovationen wie die Rotationsmaschine, der telegraf, später das telefon, zusammen mit dem Aufkommen einer sich als politisch neutral verstehenden, über Anzeigen finanzierten und im Straßenverkauf abgesetzten Massenpresse sowie einem gesteigerten professionellen Selbstbewusstsein der Journalisten eine dramatische Verschiebung im Koordinatensystem von Öffentlichkeit und Diplomatie. Der Aufstieg der kommerziellen Massenpresse und ihrer Produzenten veränderte dauerhaft die Bedingungen, unter denen Außenpolitik betrieben wurde und bis in die gegenwart betrieben wird. nicht zufällig begannen Zeitgenossen in diesen Jahrzehnten, die Presse selbst immer öfter als „großmacht“ zu bezeichnen.1 Ziel meiner Studie ist es, am Beispiel der deutsch-britischen „Zeitungskriege“ die Wechselwirkungen zwischen der aufkommenden Massenpresse und der tra10 11

1

Escott, Masters, S. 8. Berliner Lokalanzeiger vom 9. Mai 1914; siehe auch Daily Mail vom 11. Mai 1914, Kopie in: loC, Wile Papers, Scrapbook, Reel 1. Der name des Botschafters wurde in keinem der beiden Artikel genannt. Das auf napoleon i. zurückgehende Zitat von der Presse als „sechster großmacht“ findet sich etwa in der Rede des Abgeordneten Dirksen im Reichstag, 1. März 1910, Kopie in: PA-AA, Deutschland nr. 1a secr., R 1488, sowie im Artikel „Die neue großmacht“ der Kölnischen Zeitung nr. 1, 14. Dezember 1909, Kopie in: PA-AA Deutschland 1 Bd. 4, R 148. Für spätere Verwendungen in der literatur siehe exemplarisch Eberle, großmacht; Wilke, „großmacht“.

b) Forschungsstand und Fragestellungen

5

ditionell als geheim- beziehungsweise Kabinettsdiplomatie betriebenen Außenpolitik in den 5 Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zu untersuchen. Die „Pressefehden“ werden als Brennpunkte aufgefasst, in denen sich zeitgenössische Diskurse und die Aktionen verschiedener individuen und sozialer gruppen gleichsam bündelten; sie wirkten als Verdichtungsphasen medialer und politischer Kommunikation, in denen Feindbilder geschaffen oder bestätigt, Selbstwahrnehmungen modifiziert oder befestigt wurden. Zugleich boten sie gelegenheit, das Verhältnis von Diplomatie und Öffentlichkeit auszuhandeln und gegebenenfalls neu zu justieren. Die Presse wird dabei nicht als exogener Faktor gesehen, der auf „die Politik“ einwirkt, sondern als konstitutives Element der jeweiligen politischen Kultur, die politische Entscheidungen überhaupt erst hervorbringt und konditioniert. Am Beispiel der deutsch-britischen Beziehungen lässt sich das Spannungsverhältnis zwischen „öffentlicher Meinung“ und Diplomatie besonders gut analysieren. Denn diplomatische Reibereien wegen feindseliger Zeitungsartikel, kritischer Pressekommentare oder als beleidigend empfundener Karikaturen spielten zwischen Deutschland und großbritannien in jenen Jahren eine herausgehobene Rolle. gleichzeitig wurde die Behauptung, zwischen beiden ländern gebe es eigentlich keine interessengegensätze und Schuld an politischen Missstimmungen seien allein jene unglückseligen „Pressefehden“, zum Standardargument all derjenigen, die eine Verbesserung der Beziehungen anstrebten. Darüber hinaus haben wir es auf einer komparatistischen Ebene in Deutschland und großbritannien mit ländern zu tun, die sich im Hinblick auf größe, Bevölkerungszahl, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung hinreichend ähnelten, um sinnvolle Vergleiche zuzulassen, die jedoch gerade im Hinblick auf ihre Medienstrukturen auch so verschiedenartig waren, dass sie als Kontrastfolien für zwei unterschiedliche Entwicklungspfade dienen können.

b) Forschungsstand und Fragestellungen Dass die deutsch-britischen „Zeitungskriege“ bisher noch nicht zum gegenstand einer systematischen, quellengestützten historischen untersuchung gemacht worden sind, liegt zum teil daran, dass die geschichte der Presse bis vor kurzem hauptsächlich in ihren nationalen und innenpolitischen Bezügen untersucht worden ist.1 nationen übergreifende Vergleichsstudien sind immer noch die Ausnahme.14 gleiches gilt für internationale Beziehungsgeschichten der

1 14

Für Deutschland zuletzt Stöber, Pressepolitik; für die Bismarck-Ära Wetzel, Presseinnenpolitik. Für großbritannien immer noch grundlegend Koss, Rise. Jörg Requates asymmetrischer Vergleich der Entwicklung des Journalistenberufes in Deutschland, Frankreich und großbritannien hat bisher kaum nachahmer gefunden; Requate, Journalismus; siehe außerdem die knappen historischen Passagen in der kommunikationswissenschaftlichen Studie von Esser, Kräfte.



Einleitung

Presse; die letzten umfassenden Versuche in dieser Richtung datieren aus den 190er und 1940er Jahren, als amerikanische Historiker die politischen Effekte und Wechselwirkungen der Presseberichterstattung in den verschiedenen europäischen großmächten mit Hilfe derjenigen Quellen analysierten, die ihnen damals zur Verfügung standen: Erinnerungen von Politikern und Journalisten, Zeitungsartikel sowie die amtlichen Quelleneditionen.15 Vierzig Jahre später hat der englische Historiker Paul Kennedy in seiner großen Studie über die Herausbildung des deutsch-britischen Antagonismus’ wichtige neue Erkenntnisse über das geliefert, was er die „Orchestrierung des Patriotismus’“ durch die populären Massenzeitungen genannt hat. insgesamt spielte die Presse bei Kennedy jedoch eine untergeordnete Rolle. Überdies konzentrierte er sich auf die politische Motivation der Journalisten, ließ die genuin journalistischen und kommerziellen triebkräfte, die das Verhalten der Presse mitbestimmten, weitgehend unbeachtet.1 Ähnliches galt auch für Wolfgang Mommsens Studien über Außenpolitik und öffentliche Meinung im wilhelminischen Deutschland.1 Hinzu kommt, dass die geschichtswissenschaftliche Forschung bei der untersuchung des komplexen Verhältnisses von Regierung und Presse mit Blick auf Deutschland und großbritannien unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt hat. in Bezug auf Deutschland stand der Einfluss der Regierung auf die Presse im Vordergrund.18 Historiker, die sich mit großbritannien beschäftigten, legten hingegen den Akzent eher auf die Beeinflussung der Regierung durch die Presse.19 Die unterschiedliche Stoßrichtung der bisherigen Historiografie erklärt sich teilweise daher, dass die deutsche Presse in der tat über weite Strecken des 19. und 0. Jahrhunderts hinweg eine „gelenkte“ oder „inspirierte“ Presse war – etwa im Ersten Weltkrieg0, im nationalsozialismus1 oder (mit Einschränkungen) in der Bismarck-Ära – und dass eben diese Epochen von Pressehistorikern besonders eingehend untersucht worden sind. Die so zentral wichtige, in vieler Hinsicht aber widersprüchliche und komplizierte Zeit des Wilhelminismus’ ist hingegen bis vor kurzem vernachlässigt und völlig zu Recht zu den „insbesondere von der neueren pressegeschichtlichen literatur am wenigsten untersuchten Epochen“ gerechnet worden. 15 1 1 18 19 0 1  

Allen voran Hale, germany; ders.: Publicity; siehe auch Scott, Weeks; Carroll, Public Opinion; ders., germany; Fay, Einfluß. Kennedy, Rise (besonders Kap. 18). Mommsen, Public Opinion; ders., Bürgerstolz; ders., großmachtstellung; ders., nationalstaat. Für die Bülow-Ära vgl. Winzen, Weltmachtkonzept; Gemeinhardt, Pressepolitik; allgemein zur Pressepolitik des Auswärtigen Amtes siehe Schöneberger, Diplomatie. Vgl. Morris, Scaremongers. Zur Öffentlichkeitsarbeit des Foreign Office siehe Cohen, Media Diplomacy. Siehe Welch, germany; Creutz, Pressepolitik; Koszyk, Pressepolitik. Vgl. neben Hale, Press, vor allem die Arbeiten von Frei, Eroberung; Frei und Schmitz, Journalismus. Vgl. Stöber, Presseorganisation; Sösemann, Publizistik; Naujoks, Jahrzehnt; ders., Bismarck. Requate, Öffentlichkeit Zitat S. , Fn. .

b) Forschungsstand und Fragestellungen



Auf der anderen Seite betonten Studien, die sich mit der englischen Presse dieser Zeit beschäftigten, oft den schädlichen, krisenverschärfenden Einfluss der Zeitungen und Zeitschriften auf die britische Außenpolitik. Schon während der Jahre 1914 bis 1918 und verstärkt in der Zwischenkriegszeit schrieben viele deutsche Historiker und Publizisten der britischen (zusammen mit der französischen und russischen) Presse die Schuld oder zumindest eine große Mitschuld am Ausbruch des Weltkriegs zu.4 Oswald Spengler hat diese Sichtweise in seinem „untergang des Abendlandes“ pointiert vertreten, als er den „Pressefeldzug“ frei nach Clausewitz als die „Fortsetzung – oder Vorbereitung – des Krieges mit anderen Mitteln“ bezeichnete. Mit Blick auf England sprach er von der „Diktatur der Presse“, die es überflüssig mache, dass die Herrscher ihre untertanen zum Waffendienst verpflichteten; stattdessen peitsche man ihre geister auf „durch Artikel, telegramme, Bilder [...] bis sie Waffen fordern und ihre Führer zu einem Kampfe zwingen“.5 An den historischen Seminaren deutscher universitäten entstanden während dieser Jahre zahlreiche Dissertationen, die in Fallstudien den Wendepunkt auszumachen suchten, an dem sich die britische Regierung auf Druck der Presse gegen das Deutsche Reich gewandt habe. Die Betonung der britischen Pressemacht erlaubte es, an der illusion festzuhalten, Deutschland sei nicht auf militärischem gebiet besiegt worden, sondern lediglich aufgrund der überlegenen Propagandatechniken der Westmächte. Die these von der Kriegsschuld der britischen Presse war freilich nicht auf Deutschland beschränkt. Auch in großbritannien glaubten nicht wenige, die britische Presse habe entscheidend dazu beigetragen, das land in den Krieg zu treiben. Schon 1914 behauptete ein liberaler britischer Journalist, außer dem deutschen Kaiser habe niemand so viel Schuld am Kriegsausbruch auf sich geladen wie Englands mächtigster Pressebaron, lord northcliffe.8 nach 1945 verkehrte sich die Überbetonung der Pressemacht in ihr gegenteil, als sich die Historiker anschickten, die nun zugänglichen Regierungsakten auszuwerten. in großbritannien setzte sich im Anschluss an die Arbeiten Zara Steiners die Vorstellung durch, der „official mind“ des außenpolitischen Establishments sei weitgehend unbeeinflusst und unabhängig von äußeren Einflüssen gewesen.9 in Deutschland hatte sich die traditionelle Diplomatiegeschichte von jeher auf die staatliche Seite konzentriert und die Medien allenfalls als Abbild einer ominösen „öffentlichen Meinung“ am Rande einbezogen, nicht 4 5   8 9

Siehe etwa Kellen, Presse; Loeb, Feind; Schiemann, Presse; Gottschalk von dem Knesebeck, Wahrheit; Zimmermann, Presse. Spengler, untergang, S. 118, 114. Vgl. Herkenberg, „times“; Metz, Flotte; Bauermann, times. Vgl. Ross, Mass Politics; Bussemer, Propaganda, S. 100–151. Gardiner, „Daily Mail“, S. 10–11; in diesem Sinne auch Angell, Press; ders., Mind; Playne, Mind. Steiner, Foreign Office; Robbins, Public Opinion. Zu einem ähnlichen Ergebnis, wenn auch mit einer anderen Begründung, gelangt Wilson, Foreign Office.

8

Einleitung

aber als eigenständige Akteure untersucht.0 Die Arbeiten Eberhard naujoks und seiner Schüler beschränkten sich überwiegend auf die staatliche Presselenkung in der Bismarckära und die deutsch-französischen Beziehungen.1 Zwar analysierten Fritz Fischer und sein Schüler Klaus Wernecke in den 190er Jahren darüber hinaus die Rolle der deutschen Presse in der unmittelbaren Vorgeschichte des Ersten Weltkrieges; aber auch sie nahmen die Zeitungen weniger als autonomen Faktor und mehr als Sprachrohr bestimmter politischer und wirtschaftlicher interessengruppen wahr. Die in der DDR entstandene Arbeit von günter Heidorn war allzu ideologisch geprägt, um eine nachhaltige Wirkung außerhalb der marxistischen geschichtswissenschaft zu entfalten. Man kann die Presse daher mit Fug und Recht als „vernachlässigte Randgröße“ in der deutschen Historiografie der nachkriegszeit bezeichnen.4 Das hat sich erst in den letzten Jahren geändert. Für verschiedene Forschungsrichtungen der geschichtswissenschaft rückt das Verhältnis von Medien und Politik zunehmend ins Zentrum des Erkenntnisinteresses. So hat eine herkömmlich oft auf institutionen und technik beschränkte Mediengeschichte begonnen, sich zur geschichte der Öffentlichkeit zu erweitern. Es geht ihr nicht mehr vorrangig darum, die institutionengeschichte einzelner Zeitungen und Radiosender nachzuzeichnen oder die technikgeschichte von telegrafie, Rotationsdruck und Rundfunk zu schreiben.5 Vielmehr analysiert sie massenmediale Prozesse mit sozial- und kulturgeschichtlich geschultem Blick als „Kern menschlicher Weltaneignung“. Ausgehend vom aktuellen Befund einer wachsenden Bedeutung der Medien für die Politikgestaltung gerät außerdem die mediale geschichte des Politischen in den Blick. Politik wird dabei als kommunikatives Handeln gerade von Historikern neu entdeckt, die der klassischen Politikgeschichte ausgesprochen distanziert gegenüberstanden.8 Aus einem kulturgeschichtlichen Blickwinkel wird das „Politische“ nicht mehr nur – ja nicht einmal mehr vorrangig – auf staatliches Handeln bezogen, sondern als Austragung gesellschaftlicher Deutungskämpfe über den geltungsbereich der Politik begriffen.9 0

1   4 5   8 9

Daher resultierten zahlreiche Dissertationen, deren titel die Wendung „im Spiegel der Presse“ enthalten; vgl. stellvertretend für viele Sell, Abkommen; Jahrl, urteil; Baruth, Marokkopolitik. Naujoks, Pressepolitik; ders., lindau; Grube, Politik; Radewahn, Presse; Hink, Pressepolitik; Pohl, „Einflussnahme“. Fischer, Krieg; Wernecke, Wille. Heidorn, Monopole. Rosenberger, Zeitungen, S. 50–59. Die klassische institutionengeschichte der deutschen Presse stammt von Koszyk, Presse; daran anschließend etwa Lückemeier, information. Schildt, Jahrhundert, S. 0; Schulz, Aufstieg; Requate, Öffentlichkeit. Frevert und Braungart (Hrsg.), Medien. Frevert und Haupt (Hrsg.), Politikgeschichte; Mergel, Überlegungen; Landwehr, Diskurs. universität Bielefeld, SFB 584 „Das Politische als Kommunikationsraum in der geschichte“; http://www.uni-bielefeld.de/geschichte/sfb584/; Stollberg-Rilinger, Kulturgeschichte.

b) Forschungsstand und Fragestellungen

9

Daneben gibt es die zahlreichen Forschungen zur transnationalen geschichte: sei es in Form der Beziehungsgeschichte, als Verflechtungsgeschichte oder transfergeschichte, die sich bei aller bewussten Offenheit der themen- und Fragestellungen mit Kräften und Bewegungen, personellen Verbindungen und institutionellen Konstellationen jenseits der nationalstaaten beschäftigen.40 Die globalisierung politischer Kommunikation gehört ebenso in den Kontext dieser Forschungen wie interkulturelle Kontakte und netzwerke, die Entterritorialisierung transnationaler Beziehungen und die institutionalisierung globaler Politik in internationalen Organisationen.41 Jenseits der alten Primatsdebatten richtet schließlich eine als „internationale geschichte“ erneuerte Diplomatiegeschichte ihr Augenmerk verstärkt auf themen wie die interdependenz von gesellschaftlichen Entwicklungen und internationalen Beziehungen sowie die Bedeutung kollektiver Mentalitäten und Wahrnehmungsmuster, die bislang nicht zu ihren bevorzugten themen gezählt haben.4 nicht mehr die Schilderung der „Haupt- und Staatsaktionen großer Männer“ steht im Mittelpunkt, sondern die äußeren wie inneren Bedingungen und Bedingtheiten außenpolitischen Handelns, zu denen auch Medienstrukturen gehören.4 Meine Studie ist diesen historiographischen neuansätzen in vielfacher Weise verpflichtet. Mit der neuen Mediengeschichte teilt sie die Prämisse, dass Medien nicht bloß die Wirklichkeit abbilden, eine wie auch immer geartete „öffentliche Meinung“ widerspiegeln oder gesellschaftliche Kräfteverhältnisse repräsentieren, sondern selbst politische Akteure sind, die ihren eigenen Verhaltensmustern folgen. Sie versteht sich zugleich als Beitrag zur kulturgeschichtlichen Erweiterung der Politikgeschichte, weil sie der Frage konkurrierender Realitätsinterpretationen sowie der individuellen und kollektiven Selbst- und Fremdwahrnehmungen der handelnden Personen und sozialen gruppen besondere Aufmerksamkeit schenkt. Wie die Studien zur transnationalen geschichte fragt sie nach den Bewegungen von Menschen, Produkten und gedanken über nationale grenzen hinweg; sie untersucht Bedingungsfaktoren der Herausbildung nationaler identitäten, die jenseits der nationalstaaten liegen. Mit der internationalen geschichte schließlich teilt sie das interesse an der gegenseitigen Durchdringung von innen- und Außenpolitik, an der Verzahnung gesellschaftlicher, kultureller, ökonomischer und politischer Prozesse. Dennoch betritt die Studie in vielerlei Hinsicht thematisches und methodisches neuland. Denn bislang wurden kaum Versuche unternommen, die geschilderten Ansätze für die Analyse der Rolle von Medien in der internationalen

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Siehe zuletzt die Zwischenbilanz in Budde et al. (Hrsg.), geschichte. So der Vorschlag von Kaiser, Weltgeschichte. Vgl. die programmatischen Aufsätze von Conze, niedhart und Frank in: Loth et al. (Hrsg.), internationale geschichte, S. 11–185; Gienow-Hecht und Schumacher (Hrsg.): Culture; Conze et al. (Hrsg.): geschichte. Siehe Marcowitz, Diplomatiegeschichte; Lehmkuhl, Diplomatiegeschichte.

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Einleitung

Politik fruchtbar zu machen. Die neue Mediengeschichte hat sich überwiegend auf nationale Öffentlichkeiten konzentriert; Studien über mediale interaktionen zwischen verschiedenen nationalen Öffentlichkeiten gibt es kaum. Auch kulturund kommunikationshistorische Analysen des Politischen haben sich bisher vornehmlich innergesellschaftlichen beziehungsweise innerstaatlichen Prozessen gewidmet und die Außenpolitik weitgehend ausgeblendet.44 Bei den Bestrebungen, die vielen nationalgeschichten transnational zu entgrenzen, bleibt die mediale Dimension ebenfalls oft außen vor oder bekommt höchstens eine Rolle am Rande zugewiesen.45 und auch die internationale geschichte hat die Rolle der Massenmedien „zwischen Staatenwelt und gesellschaftswelt“ nur kursorisch thematisiert.4 Allenfalls bei der Erforschung des Kalten Krieges finden mediengeschichtliche Ansätze in der neueren Forschung Verwendung.4 Diese Forschungslücke überrascht umso mehr als gerade die Dekaden um die Wende vom 19. zum 0. Jahrhundert als Formationsphase von trends, die gesellschaft, Politik, Ökonomie und Kultur des 0. Jahrhunderts geprägt haben, in jüngster Zeit wieder verstärkt ins Blickfeld der geschichtswissenschaft geraten ist. Die neue Mediengeschichte zum Beispiel beschreibt die Ausdifferenzierung massenmedial geprägter Öffentlichkeiten um 1900 wahlweise als „zweiten Strukturwandel der Öffentlichkeit“, als „massenmediale Sattelzeit“ oder schlicht als „Medienrevolution“, in deren Verlauf sich erst so etwas wie „nationale Kommunikationsgemeinschaften“ herausbildeten.48 Aus kulturgeschichtlicher Perspektive ist darüber hinaus auf den qualitativen Wandel politischer Kommunikation, insbesondere auf Verschiebungen im Verhältnis von Öffentlichkeit und Privatsphäre, hingewiesen worden, in denen parallel zu dem Aufkommen auflagenstarker Massenzeitungen und der Professionalisierung des Journalistenberufs eine Fundamentalpolitisierung von „unten“ einsetzte.49 gleichzeitig wird die Zeit um die Jahrhundertwende nicht mehr nur als Hochphase übersteigerter nationalismen angesehen, sondern daneben zunehmend auch als Epoche beschleunigter globalisierung und internationalisierung, in der politische Aktivisten verschiedenster Richtungen sich in supranationalen Verbänden organisatorisch zusammenschlossen, in der Experten verschiedenster Fachrichtungen über ländergrenzen hinweg Kontakt aufnahmen und überstaatliche normierungen 44 45

4

4 48 49

Siehe etwa die Beiträge in Frevert und Haupt (Hrsg.), Politikgeschichte; Mergel, Überlegungen. Vgl. etwa Conrad und Osterhammel (Hrsg.), Kaiserreich; vgl. zuletzt auch die kritischen Bemerkungen von Michael geyer, Rezension zu: gunilla Budde et al. (Hrsg.): transnationale geschichte, in: H-Soz-u-Kult, 11.10.00, . Eckart Conze handelt das thema in seinem wegweisenden programmatischen Aufsatz auf 1 Zeilen ab; Conze, Staatenwelt. Von den bisher 1 Bänden der Reihe Studien zur internationalen geschichte beschäftigt sich kein einziger vorrangig mit der Rolle der Medien in den internationalen Beziehungen. Siehe etwa Schumacher, Kalter Krieg. Weisbrod, Medien; Knoch und Morat, Medienwandel; Kohlrausch, Monarch, S. 48–5. Vgl. Bösch, Private.

b) Forschungsstand und Fragestellungen

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auf verschiedensten Feldern vereinbarten: vom Post- und telegraphenwesen über das Seerecht bis zur Einrichtung weltweiter Zeitzonen.50 Mit Blick auf die internationalen Beziehungen schließlich hat Magnus Brechtken die Jahre zwischen 1895 und 190 als „Scharnierzeit“ charakterisiert, in deren Verlauf sich das Staatensystem einerseits globalisierte und zum anderen aus einem Zustand relativer Offenheit in einen Zustand relativer geschlossenheit der großmächtebeziehungen überging.51 Es ist verwunderlich, dass bisher kaum Versuche unternommen wurden, die hier skizzierten umbrüche in Medien, gesellschaft, Ökonomie, politischer Kultur und Außenpolitik übereinander zu blenden und in ihren Wechselwirkungen zu analysieren. Eine Kulturgeschichte der internationalen Beziehungen im Zeitalter des Hochimperialismus gibt es allenfalls in Ansätzen.5 Eine geschichte medialer interaktionen zwischen nationen, wie sie die vorliegende Studie anstrebt, wäre ein Kernbestandteil einer derartigen Kulturgeschichte internationaler Politik. Sie kann auf verschiedenen Ebenen dazu beitragen, Forschungslücken zu füllen und neue Forschungsfelder zu erschließen: Erstens bezieht sie neue Akteure in die historische Analyse internationaler Beziehungen ein, indem sie das gespür dafür schärft, dass Journalisten als Redakteure, Auslandskorrespondenten, Kriegsberichterstatter, leitartikler, Karikaturisten oder Verleger seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmend wichtige Mitspieler im diplomatischen Spiel wurden. Sie fragt, auf welche Weise diese neuen Mitspieler die überkommenen Spielregeln der Außenpolitik beeinflussten, wie sich ihr Selbstverständnis und Standesbewusstsein im Zeitalter der Massenmedien veränderten, welche Auswirkungen das Zusammenspiel der Presse mit anderen teilbereichen von Öffentlichkeit wie Parlamenten, politischen Parteien, Verbänden, Flugschriften, Demonstrationen, Versammlungen auf die internationale politische Kommunikation hatte. Dabei gilt es, übernationale gemeinsamkeiten zwischen den Entwicklungen in verschiedenen ländern ebenso im Auge zu behalten wie nationale Spezifika. Zweitens analysiert sie, wie die klassischen Protagonisten der Diplomatieund Politikgeschichte – die diplomatischen und politischen Eliten – auf das sich wandelnde mediale umfeld reagierten, in dem sie zu handeln hatten. Sie untersucht nicht nur die von den Medien beförderte und geforderte theatralisch-inszenatorische Dimension von Politik.5 Sie fragt auch nach der Elastizität politischer und ökonomischer Systeme, nach der Flexibilität sozialer und kultureller Praktiken von gesellschaften bei der integration des neuartigen Phänomens massenmedial mobilisierter Öffentlichkeiten. Eine Mediengeschichte der internationalen Beziehungen vermag auf diese Weise die Sphären 50 51 5 5

Geyer und Paulmann (Hrsg.), Mechanics; siehe auch Iriye, Community. Brechtken, Scharnierzeit; siehe auch Rose, Empire. Einen wichtigen Anfang macht Daniel, Einkreisung; für eine Kulturgeschichte der Diplomatie siehe jetzt den Band von Mösslang und Riotte (Hrsg.), Diplomats’ World. Siehe Paulmann, Pomp.

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von Politik, Wirtschaft, Kultur und gesellschaft miteinander zu verbinden. Da die Medien und ihre Produzenten allen vier Sphären gleichermaßen angehören, erfüllen sie in idealer Weise eine Scharnierfunktion und integrieren vielfältige Blickwinkel. Drittens widmet sie sich als Kulturgeschichte der Ebene der von den Medien entscheidend mitgeformten Weltwahrnehmungen, Realitätsinterpretationen und Sinnstiftungen. Sie analysiert, welchen Einfluss die Darstellungsweisen und Wirkungsmechanismen der Massenmedien auf Selbstbilder und Fremdbilder ihrer Rezipienten – seien es Politiker und Diplomaten oder der Rest des Publikums – hatten. Dabei gerät gerade auch der Bereich von Emotionen und leidenschafen in den Blick, den eine rein auf vorgeblich rational definierbare nationale interessen fixierte Diplomatiegeschichte allzu häufig ausgeklammert hat.54 Viertens schließlich hat eine Mediengeschichte der internationalen Beziehungen die Aufgabe, die Auswirkungen veränderter Medienstrukturen auf das internationale System als ganzes zu untersuchen. Sie betrachtet die Effekte beschleunigter globaler Kommunikation auf die Funktionsfähigkeit etablierter Abstimmungsmechanismen und Krisenbewältigungsstrategien. Dabei fragt sie insbesondere, ob die Medien prinzipiell als ein zusätzlicher Spannungsfaktor wirkten oder ob sie auch zur Entspannung beitragen konnten.

c) Quellen, Methode, Gliederung Jede Studie, die sich der Wechselwirkung von Medien und Außenpolitik widmet, steht vor einem Quellenproblem: Auf der einen Seite ertrinkt der Historiker beinahe in der Flut abertausender Artikel in hunderten von Zeitschriften und Zeitungen, die zum teil mehrmals am tag erschienen; auf der anderen Seite ist es extrem mühsam – und häufig unmöglich – herauszufinden, auf welchen Wegen das, was in der Presse stand, dort hineinkam und wie es von den lesern aufgenommen wurde. Mit Blick auf die lage in Deutschland und England kommt noch eine weitere grundlegende Schwierigkeit hinzu: Während die in Deutschland überlieferten Akten das Studium staatlicher Pressepolitik begünstigen, erlauben die britischen Quellen eher die Erforschung der Presseseite. in Deutschland, so ließe sich zugespitzt sagen, betrieb die Regierung eine bürokratische Pressepolitik, während in großbritannien ein weniger schematischer Ansatz vorherrschte, den man als „Koordination durch Klüngelei“ bezeichnen könnte. infolgedessen existiert im deutschen Fall ein beträchtlicher Quellenkorpus, vor allem im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, aber auch im Archiv des Militärgeschichtlichen Forschungsamts, im Bundesarchiv und im Preußischen geheimen Staatsarchiv in Berlin-Dahlem; hier wird die tätigkeit amtlicher Stellen – etwa der Pressestelle im Auswärtigen Amt, des nachrichtenbüros 54

Vgl. Bösch und Borutta (Hrsg.), Massen; Benthien et al. (Hrsg.), Emotionalität; Frevert, Angst; Kessel, Mentalitätengeschichte; François et al. (Hrsg.), nation.

c) Quellen, Methode, Gliederung

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des Reichsmarineamtes, des literarischen Bureaus im preußischen Staatsministerium – dokumentiert. in großbritannien existierten keine vergleichbaren institutionen. Bis zum Ersten Weltkrieg gab es beispielsweise kein britisches gegenstück zum „Pressebüro“ des Berliner Auswärtigen Amtes.55 Das heißt freilich nicht, dass englische Politiker und Beamte der Presse weniger Aufmerksamkeit geschenkt, ihr weniger Bedeutung zugemessen hätten; es bedeutet lediglich, dass sie andere Methoden im umgang mit der Presse anwendeten. Die entsprechenden Kontakte und gespräche fanden nicht in einer Amtsstube in der Wilhelmstraße statt, sondern in den londoner gentlemen’s Clubs, wo Redakteure, Politiker und Diplomaten informell zusammentrafen. Als Folge sind die Quellenbelege für diese Kontakte entweder über zahllose private nachlässe und diverse amtliche Aktenbestände verstreut oder für die nachwelt verloren, weil die privaten gespräche in Clubs nicht in förmlichen Protokollen festgehalten wurden. Dafür haben im britischen Fall die Archive führender Zeitungen wie der Times und des Manchester Guardian sowie zahlreiche Privatnachlässe von Journalisten und Verlegern überdauert, während in Deutschland fast alle vergleichbaren Quellenbestände im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurden.5 Die Schieflage bei den Quellenbeständen, die gleichsam strukturell dazu verführt, die Rolle der Staatsmacht in Deutschland und die Rolle der Pressemacht in England allzu stark hervorzuheben, macht einen institutionengeschichtlichen Vergleichsansatz von vornherein unmöglich. Ohnehin kommt jede Studie, die einseitig auf staatliche oder nur auf Presse-institutionen blickt, zu verzerrenden Ergebnissen. Stattdessen gilt es, die Sichtweise von Politikern und Diplomaten, das Selbstverständnis und die Praktiken von Journalisten sowie die politischen und wirtschaftlichen Kalküle der Zeitungsverleger in die Analyse einzubeziehen. Das Ziel besteht darin, die untersuchung verschiedener Handlungs- und Wahrnehmungsebenen zu verbinden: die deutsche und britische Presse soll in ihren jeweiligen innenpolitischen Bezügen (ihrem Verhältnis zum Parlament, den politischen Parteien und interessenverbänden) erfasst, die jeweiligen Verbindungen zur Diplomatie analysiert werden; zugleich geht es darum, die Wechselwirkungen und Verwicklungen zwischen deutscher und britischer Seite auf der Ebene der Diplomatie wie der Presse in den Blick zu nehmen. Dieses komplexe Beziehungsgeflecht lässt sich nur anhand von Fallbeispielen adäquat untersuchen. Die deutsch-britischen „Pressefehden“ bilden aus verschiedenen gründen eine besonders geeignete gruppe derartiger Fallbeispiele und geben damit Auswahlkriterien zur Hand, um das sonst uferlose 55 5

Für die Zeit danach vgl. Thompson, Politicians; Sanders und Taylor, Propaganda. Die in diesem Zusammenhang wichtigsten Privatnachlässe sind diejenigen von Alfred Harmsworth (lord lorthcliffe) und J. Alfred Spender in der British library, george Saunders und William thomas Stead im Churchill College Cambridge, leo Maxse im West Sussex Record Office, Alfred gardiner in der British library of Political and Economic Science sowie John St. loe Strachey und Ralph D. Blumenfeld im House of lords Record Office.

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Quellenmaterial (Zeitungsartikel, Karikaturen, diplomatische Korrespondenz, private nachlässe) zu begrenzen und handhabbar zu machen. Zum einen erscheint eine Fokussierung anhand inhaltlicher Kriterien sinnvoller als eine rein formal begründete Beschränkung, wie sie Vertreter quantitativer inhaltsanalysen bevorzugen; denn sie erlaubt die Konzentration auf diejenigen Aspekte, die von den Zeitgenossen als ein besonders wichtiger Beitrag der Presse zu den internationalen Beziehungen jener Jahre verstanden wurden.5 insofern stellt eine derartige thematische Einengung keine unzulässige Verkürzung oder gar die Ausklammerung einer weniger mit Konflikten behafteten „normalität“ der deutsch-britischen Pressebeziehungen dar. Sie hebt vielmehr auf eine idealtypische Verdichtung dessen ab, was in den Augen damaliger Diplomaten, Politiker und Publizisten das Wesen der Presse ausmachte.58 Auch unabhängig vom zeitgenössischen urteil erscheint die Annahme gerechtfertigt, dass sich medial vermittelte Deutungsmuster, Wahrnehmungsschemata und Handlungsvorgaben nicht kontinuierlich über einen langen Zeitraum aufbauen, sondern während publizistischer Verdichtungsphasen gleichsam in Schüben und Sprüngen etabliert werden.59 Zudem bieten die „Pressefehden“ einen Ansatz, komparatistische Aspekte – etwa im Hinblick auf die unterschiedlichen Pressetraditionen, politischen Rahmenbedingungen oder die soziale Zusammensetzung der politischen und publizistischen Eliten – mit einer Beziehungsgeschichte zu verknüpfen, in der die verschiedenen Akteure in beiden ländern miteinander in Kontakt gerieten, aufeinander reagierten. Auf diese Weise wird eine typische Schwäche komparatistischer Arbeiten vermieden, nämlich künstlich gleichsam hermetisch gegen die Außenwelt abgeschlossene Einheiten zu schaffen, die dann miteinander verglichen werden können.0 Schließlich wäre es auch falsch zu glauben, die Presse formiere aus sich heraus „öffentliche Meinung“, sei so etwas wie der alleinige Produzent von Öffentlichkeit. Vielmehr stellt sie lediglich ein wichtiges Segment von Öffentlichkeit dar und steht in vielfältigen Beziehungen zu anderen Öffentlichkeiten – etwa den Parlamenten, politischen Parteien, Verbänden, der Flugschriftenliteratur oder der Straßenöffentlichkeit in Form von Demonstrationen und Versammlungen. Sie bildet „öffentliche Meinungen“ ab und prägt sie zugleich. Sie vermittelt Vorstellungen von der Außenpolitik und gestaltet diese mit. Diese Scharnierfunktion der Presse lässt sich anhand der „Zeitungskriege“ besonders 5 58

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Vgl. Kracauer, inhaltsanalyse. Die mit einer quantitativen inhaltsanalyse verbundenen Schwierigkeiten und historischen unschärfen werden deutlich bei Rosenberger, Zeitungen. „the centre of attention“, hat der britische Historiker Michael Bentley in anderem Zusammenhang einmal geschrieben, „will be the centre of attention. […] We shall consider preoccupation“; Bentley, Politics, S. 1–4. Darin ähnelt die Wirkungsweise von „Pressekriegen“ der typologie innergesellschaftlicher Skandale; vgl. Thompson, Scandal. Vgl. etwa Conrad, Marginalisierung; Paulmann, Vergleich; Osterhammel, Sozialgeschichte, bes. S. 15–5; Welskopp, Stolpersteine.

c) Quellen, Methode, Gliederung

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gut untersuchen, besteht doch deren Charakteristikum gerade darin, dass sie nicht auf die Medien beschränkt blieben, sondern auf andere teilbereiche der Öffentlichkeit übergriffen beziehungsweise von dort erst in die Presse hineingetragen wurden. Eine Analyse dieses vielschichtigen Phänomens kann verschiedene Anregungen einer Histoire croisée aufgreifen, wie sie Michael Werner und Bénédicte Zimmermann als untersuchung „wechselseitiger, in sich vernetzter Konstitutionsprozesse“ skizziert haben.1 Vor allem drei Aspekte einer so verstandenen „Verflechtungsgeschichte“ sind in diesem Zusammenhang fruchtbar zu machen: Erstens nimmt sie ein konkretes Phänomen oder „Objekt“ zum Ausgangspunkt und nicht – wie Vergleichs- oder transferstudien – vorgegebene Modelle oder „globale Konstruktionen“. Mit anderen Worten: Die Verflechtung von Außenpolitik und Medienstrukturen, Diplomatie und Öffentlichkeit, internationalen Beziehungen und „öffentlicher Meinung“ wird nicht anhand abstrakter Kategorien analysiert; vielmehr zeigt erst die untersuchung konkreter „Zeitungskriege“, was Politiker, Diplomaten und Journalisten unter diesen Begriffen im Einzelnen verstanden und wie sich dieses Verständnis wandelte. Eng damit verbunden ist zweitens, dass die Histoire croisée die Perspektive der verschiedenen Akteure in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses rückt, eine geschichtsschreibung fordert, „die von der Ebene der Handelnden ausgeht, von den Konflikten, in denen sie standen, und den Strategien, die sie zu ihrer lösung entwickelten“. Auf die deutsch-englischen „Pressefehden“ angewandt, bedeutet dies, sich nicht mit einer Diskursanalyse zufrieden zu geben, sondern im Detail nachzuvollziehen, welche Werte und Zielvorstellungen für die unterschiedlichen Akteure in den verschiedenen Konfliktsituationen jeweils maßgebend waren; es gilt zu erarbeiten, in welche Metaphern und Symbole sie ihre gedanken fassten und mit welchen Methoden sie ihre Absichten innerhalb der vorgegebenen politischen, juristischen, medialen und ökonomischen Rahmenbedingungen zu verwirklichen trachteten. Diese Vervielfachung der Blickwinkel läuft, drittens, auf das hinaus, was Werner und Zimmermann „reflexive induktion“ genannt haben: die kreuzweise Konstruktion der Fragestellungen und des Problemzusammenhangs, die darauf zielt, das Phänomen von mehreren Standpunkten aus zu betrachten, in verschiedene Referenzsysteme einzuordnen, mit Hilfe historisch unterschiedlich aufgeladener Begrifflichkeiten zu erfassen. nur auf diese Weise hat man eine Chance, jenen „dynamischen Komplex konkurrierender Realitätsinterpretationen“ angemessen zu analysieren, der im Zentrum jeder geschichte der modernen Medien steht.4 Dabei ist im Falle der deutsch-englischen „Zeitungskriege“ nicht nur auf nationale und weltanschauliche Differenzen zu achten, sondern 1   4

Werner und Zimmermann, Vergleich, Zitat S. 19. Ebd., S. 1. Ebd., S. –. Schulz, Aufstieg, S. 9.

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Einleitung

auch auf berufsspezifische unterschiede zwischen Verlegern, Redakteuren, freien Publizisten, Politikern und Diplomaten.5 Eine Mediengeschichte der deutsch-britischen „Pressekriege“ geht allerdings insofern über viele bisherige Ansätze der Verflechtungsgeschichte hinaus als der Austausch zwischen den deutschen und britischen Öffentlichkeiten nicht positiv konnotiert ist. „Zeitungsfehden“ lassen sich nicht als geradlinige Erfolgsstory von gegenseitiger Befruchtung, zunehmender Annäherung und transnationaler integration lesen, wie es in der Stoßrichtung vieler verflechtungsgeschichtlicher Studien liegt; sie handeln vielmehr vorrangig von Verbindungen, die durch Wettbewerb, Abgrenzung, gewalt und Feindschaft geprägt waren. gerade durch die größere Kommunikationsdichte, zunehmende Kontakte und transfers, so die Ausgangshypothese, wuchsen gegnerschaft und Rivalität. Prozesse der nationalisierung auf der einen und internationalisierung sowie transnationalisierung auf der anderen Seite müssen sich nicht gegenseitig ausschließen, sondern können einander ergänzen und verstärken. Hinzu kommt, dass das Verhältnis zwischen Deutschland und großbritannien in eine Vielzahl von Bindungen und Beziehungen zu anderen ländern eingebettet war, die trotz des bipolaren Charakters der meisten „Pressekriege“ stets mitschwangen, wenn deutsche und britische Zeitungen sich befehdeten. So dienten die uSA sowohl in großbritannien als auch in Deutschland gerade im Hinblick auf die Medienentwicklung vielfach als Vorbild – aber auch als Zerr- und Schreckbild – all dessen, was neu, ungewohnt und „modern“ war. Zugleich hatte das gemeinsame diplomatische Werben um Washington direkte Rückwirkungen auf die Beziehungen zwischen london und Berlin, die in den „Zeitungskriegen“ ihren niederschlag fanden. Ähnliches galt für das Verhältnis zu Frankreich und Russland, insbesondere nach Abschluss der Entente Cordiale von 1904 und dem britisch-russischen Abkommen von 190. insofern kann es bei der Analyse deutsch-britischer Pressebeziehungen nicht darum gehen, diese künstlich zu isolieren und aus den vielfältigen weiteren Verschlingungen herauszulösen, in die sie eingebunden waren. Vielmehr gilt es aufzuzeigen, welche Auswirkungen diese asymmetrischen Verflechtungen auf die einzelnen „Pressefehden“ hatten. Zur Ermittlung der „Zeitungskriege“ wurde zunächst die deutsche und britische diplomatische Korrespondenz daraufhin durchgesehen wurde, welche Fäl5





Zu Recht sind „die unterschiedlichen Deutungssysteme von Diplomatie und Politik auf der einen Seite und Öffentlichkeit auf der anderen Seite sowie deren interdependenzen“ als lohnende untersuchungsgegenstände einer erneuerten Diplomatiegeschichte identifiziert worden; Kiessling, Dialog. Vgl. die Ergebnisse der von Daniel Schönpflug und Martin Aust konzipierten tagung „Vom gegner lernen. Feindschaft und Verflechtung zwischen Ost und West“, die vom 0. September bis 1. Oktober 005 am Fachbereich geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien universität Berlin stattfand. David Blackbourn hat daher von den uSA als „triangulation point“ für deutsch-britische Kulturtransfers gesprochen; siehe Blackbourn, „As dependent on each other as man and wife“.

c) Quellen, Methode, Gliederung

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le überhaupt Spuren in den Akten hinterlassen haben. Für Deutschland boten hierbei der Bestand „England “ über die „Englische Presse“ sowie der Bestand „England 81 nr. “ über „Englische Journalisten“ im Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes in Berlin gute Ansatzpunkte. im britischen national Archive in Kew gibt es keinen vergleichbaren Aktenbestand. Es existiert aber für die Jahre 190 bis 1914 ein nach Stichworten sortierter Karteikartenkatalog, der Einträge zu Begriffen wie „german Press“ enthält und auf die entsprechenden Dokumente in den Aktenbänden verweist. Für die Zeit vor 190 muss man die chronologisch und nach ländern geordneten Korrespondenzbücher durchsehen, die ebenfalls stichwortartige Kurzzusammenfassungen von Depeschen und Erlassen enthalten. Ergänzend bot sich eine Auswertung der britischen Monatszeitschrift Review of Reviews an, die für die Zwecke dieser Studie zwei unschätzbare Eigenschaften besaß: Sie verstand sich erstens als Kompilation der wichtigsten politischen Monats- und Vierteljahreszeitschriften Europas und nordamerikas; zweitens verfügte sie über einen Personen- und Sachindex, der unter den Stichworten „Journalism“, „germany“ und „Emperor William ii“ auf die zentralen, mit dem zu untersuchenden themenkomplex zusammenhängenden Aufsätze verwies. Ausgehend von dem grundgerüst, das sich auf diese Weise ergab, sind sodann vertiefend weitere Quellen in Deutschland und großbritannien ausgewertet worden: die tages- und Wochenpresse, die bereits aufgeführten privaten nachlässe und Redaktionsarchive sowie weitere andere amtliche Aktenbestände. Weil der zur Verfügung stehende Quellenbestand derart heterogen ist, erlaubt er es, die skizzierten Fragekomplexen auf verschiedene Weisen zu betrachten: aus der Sicht der deutschen wie britischen Diplomatie ebenso wie durch die Brille konservativer, liberaler und sozialistischer Journalisten, mit den Augen von Politikern und Staatsbeamten ebenso wie aus der Perspektive von Zeitungsverlegern und Redakteuren. Die Studie berücksichtigt in ihrer gliederung die verschiedenen Sichtweisen und setzt sie miteinander in Beziehung. ihr Aufbau folgt dabei einer Mischung aus systematischen und chronologischen Kriterien. Das erste Kapitel gibt einen Überblick über das publizistische und politische Koordinatensystem, innerhalb dessen Journalisten, Politiker und Diplomaten in großbritannien wie Deutschland agierten. Es analysiert, wie sich die infrastruktur der deutschen England- und der britischen Deutschlandberichterstattung während der Jahre 189 bis 191 veränderte. Dabei gilt das Augenmerk zum einen der schnelleren Übermittlung von informationen aufgrund technologischer neuerungen und damit zusammenhängend der zunehmenden Bedeutung von nachrichtenagenturen wie Reuters und Wolff’s telegraphischem Bureau (WtB); zum anderen dem Aufkommen einer Massenpresse, die sich anders als die traditionelle politische Richtungspresse verstärkt durch Annoncen finanzierte, eine breitere leserschaft anzusprechen suchte und aus diesem grunde auch die Art der Berichterstattung veränderte. Mit Blick auf die staatliche Seite wird gefragt, mit welchen Methoden die britischen und deutschen Regierungen Pressepolitik betrieben. Dabei muss man die unterschiedlichen traditionen der Pressepolitik

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Einleitung

in Deutschland und großbritannien ebenso im Auge behalten wie die Zwänge, die das jeweilige politische System und die internationale lage den Regierenden in ihrem umgang mit den Medien auferlegten. in den Kapiteln zwei bis sechs werden die Beobachtungen des ersten Kapitels anhand der Analyse deutsch-britischer „Zeitungskriege“ vertieft und differenziert. Das zweite Kapitel widmet sich dem Krügertelegramm Wilhelms ii. vom Januar 189 als formativer „Pressefehde“ der 1890er Jahre, dessen langfristige Auswirkungen als Medienereignis – im gegensatz zu seinen direkten diplomatischen Konsequenzen – gar nicht hoch genug veranschlagt werden können. Das dritte Kapitel untersucht die publizistischen Eskalationsmechanismen, die dazu führten, dass der britische Krieg gegen die Buren in Südafrika zwischen Herbst 1899 und Sommer 190 zur Wasserscheide in den deutsch-britischen Pressebeziehungen vor dem Ersten Weltkrieg wurde. Stehen dabei vor allem die deutsche Presse und die deutsche Regierung als treibende Faktoren im Zentrum des interesses, so richten die folgenden Kapitel den Blick auf die britische Seite: Das vierte Kapitel analysiert die antideutsche Kampagne meinungsführender britischer Zeitungen und Zeitschriften wie der National Review, der Times und des Spectator während der Jahre 1901 bis 1905 sowie das Echo, das sie in Deutschland auslöste. Ausgehend von der Beobachtung, dass die meisten deutsch-britischen „Zeitungskriege“ der Jahre zwischen der ersten und zweiten Marokkokrise um maritime themen kreisten, widmet sich das fünfte Kapitel den Zusammenhängen von publizistischen Konfrontationen und der Flottenpropaganda, die in beiden ländern sowohl von staatlichen Stellen als auch von gesellschaftlichen interessensgruppen betrieben wurde. Das sechste Kapitel verschiebt den Fokus sodann von der politischen Richtungspresse auf die kommerziellen Massenzeitungen. Die Deutschlandberichterstattung der Zeitungen des northcliffeKonzerns dient als Beispielfall, um die Verstärkerfunktion zu untersuchen, welche die tabloid press in großbritannien und zunehmend auch die Boulevardpresse in Deutschland ausübten. in allen diesen Fällen geht es nicht nur darum, Ereignisse detailliert zu rekonstruieren, sondern vor allem auch typische Abläufe zu skizzieren, die Reaktionen von Politik und Diplomatie zu analysieren und die mögliche Ausweitung auf andere Öffentlichkeiten (Parlamente, Versammlungen, Demonstrationen) zu untersuchen. Es wäre freilich falsch anzunehmen, die deutsch-britischen Pressebeziehungen wären nur von Konfrontation geprägt gewesen. Der „topos vom unvermeidlichen Krieg“ war weder in Deutschland noch in großbritannien die einzige Sichtweise auf das bilaterale Verhältnis.8 Das siebte wie das achte Kapitel betrachten daher gegenstücke zu den geschilderten „Pressefehden“, indem sie Versuche analysieren, mit Hilfe der Presse die Beziehungen zwischen den beiden ländern zu verbessern. Sie untersuchen, welche Kräfte in den Medien, in Politik, Diplomatie und geschäftswelt diese Entspannungsversuche vorantrieben, welche Möglichkeiten ihnen zur Verfügung standen und welche grenzen 8

Mommsen, topos.

d) Begriffe und Differenzierungen

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ihren Bemühungen gesetzt waren. Zwei Zeitabschnitte sind dabei von besonderem interesse: zum einen die Jahre 190 und 190, als nach der ersten Marokkokrise und dem Regierungswechsel in großbritannien zwei hochrangig besetzte „Staatsbesuche“ von deutschen Schriftleitern in großbritannien und von britischen Redakteuren in Deutschland stattfanden; zum anderen die Jahre 1911 und 191 mit ihren vielfältigen Bestrebungen, nach den erschreckenden Erfahrungen der zweiten Marokkokrise vom Sommer 1911 zu einem deutsch-britischen Ausgleich zu gelangen.

d) Begriffe und Differenzierungen Medien, Presse: Wenn auch der meiner Studie zugrunde liegende leitbegriff der „Pressekriege“ oder „Zeitungsfehden“ den Quellen entnommen ist, so bedürfen doch eine Reihe anderer termini genauerer definitorischer Einhegung und inhaltlicher Differenzierung. Der Medienbegriff wird hier im Sinne moderner Massenmedien verwendet und bezeichnet allgemein zugängliche, technisch verbreitete Kommunikationsmittel, die sich an ein verstreutes Publikum wenden.9 Obwohl die Filmtechnik bereits bekannt war und sich immer größerer Popularität erfreute, bildete unter den historischen Bedingungen des untersuchungszeitraumes am Ende des 19. und zu Anfang des 0. Jahrhunderts die Presse das dominierende Medium in großbritannien und im Deutschen Reich. Alle periodischen Druckerzeugnisse wurden dabei zeitgenössisch als „Presse“ bezeichnet, was durchaus sinnvoll war, da es im Hinblick auf Autoren, themen und leserschaft beträchtliche Überschneidungen gab. Eine strikte unterscheidung beziehungsweise trennung zwischen tagespresse auf der einen Seite, Wochen-, Monats- und Vierteljahresschriften auf der anderen Seite wäre den Zielen der vorliegenden Studie deswegen auch nicht dienlich. Zentral für das journalistische Selbstverständnis wie für die Sichtweise des Zeitungspublikums war weniger die Häufigkeit des Erscheinens als vielmehr das Spannungsverhältnis zwischen den Blättern der traditionellen politischen Richtungspresse mit ihrer Zuordnung zu politischen Parteien oder gruppierungen einerseits und der aufkommenden populären Massenpresse andererseits, die nach streng kommerziellen Kriterien agierte und in Deutschland als „generalanzeigerpresse“ oder „Boulevardpresse“ firmierte, während sie in großbritannien als „tabloid“ oder „popular press“ bezeichnet wurde.0 Darüber hinaus verfügten sowohl das spätviktorianische und edwardianische England als auch das wilhelminische Deutschland über eine derart vielfältige, abwechslungsreiche Presselandschaft, dass jede skizzenhafte Zusammenschau rasch an ihre grenzen stößt. Dennoch lässt sich die überregionale britische 9 0

Zu methodischen Ansätzen und grundbegriffen der Medientheorie siehe Schanze (Hrsg.), lexikon. Vgl. den Forschungsüberblick von Bösch, Populärkultur.

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Einleitung

Presse dieser Zeit grob in fünf Kategorien einteilen.1 Die erste gruppierung bildeten die als Morgenblätter erscheinenden großen, auflagenstarken tageszeitungen – seien sie konservativer politischer Ausrichtung wie die Morning Post (gegründet 11), die Times (185), der Daily Telegraph (1855) und der Standard (185) oder liberal wie die Daily News (184) und der Daily Chronicle (18); auch populäre Massenblätter wie die Daily Mail (189) und der Daily Express (1900) gehörten in diese gruppe. Abendzeitungen wie der Globe (180), die Pall Mall Gazette (185), das Echo (188), die St. James Gazette (1880) und die Westminster Gazette (189), welche die zweite Kategorie bildeten, erschienen in deutlich geringerer Auflage, hatten aber unter der politischen und gesellschaftlichen Elite des landes keinen geringeren Einfluss als die Morgenzeitungen, auch wenn ihr tonfall leichtfüßiger, „feuilletonistischer“ war; hinzu kamen einige Abendblätter wie die Evening News (1881) und der Star (1888), die sich nicht an gehobene Schichten, sondern an breite Bevölkerungskreise wandten. Populäre Sonntagszeitungen mit Massenauflage wie die Sunday Times (181), News of the World (184) oder Reynolds News (1850) hatten in großbritannien eine lange tradition und bildeten zusammen mit eher elitären Sonntagszeitungen wie dem zwischenzeitlich enorm einflussreichen Observer (191) eine dritte, eigenständige gruppierung. Viertens gab es Wochenzeitungen, die sich auf themen der Wirtschaft, Religion, Kunst oder des Sports spezialisierten; politischen Fragen widmeten sich vor allem der konservative Spectator (188) und der ebenfalls ins konservative lager tendierende Outlook (189) sowie der freihändlerisch-liberale Economist (184) und die radikalliberale Nation (190). Monatsschriften oder Revuen hatten, fünftens, oft einen stärkeren literarischen Anspruch; die wichtigsten unter ihnen enthielten aber wie die Edinburgh Review (180), Fortnightly Review (185), Nineteenth Century (18), Contemporary Review (18), Quarterly Review (1809) und National Review (188) auch Beiträge von allgemeinem politischem interesse. Mit Blick auf Deutschland ist eine Einteilung anhand der für großbritannien gewählten Kriterien wenig sinnvoll. Weder gab es große Sonntagszeitungen noch eine unterteilung in Morgen- und Abendblätter, da alle wichtigen tageszeitungen zwei- oder sogar dreimal am tag erschienen. Wegen des föderalen Charakters des Reichs kam Zeitungen, die in Köln, München, Hamburg, Bres1 



Die folgende Einteilung übernimmt weitgehend die Kategorisierung von Startt, Journalists, S. –. Einen Überblick über die britische tagespresse geben die einschlägigen Einträge in Griffiths (Hrsg.), Encyclopedia; einen zeitgenössischen Überblick findet man bei Simonis, Street. Dass eine derartige Einteilung auch Zeitgenossen zweckmäßig erschien, geht aus den beiden Übersichten über die britische Presselandschaft hervor, die 1904 und 191 von der deutschen Botschaft in london erstellt wurden; siehe die Aufzeichnungen graf Johann Heinrich von Bernstorffs über die britische Presselandschaft vom 9. Januar 1904, PA-AA, England , R 51 sowie Richard von Kühlmanns vom 1. September 191, England 81 nr. , R 594.

d) Begriffe und Differenzierungen

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lau oder Frankfurt erschienen, neben den Berliner Blättern eine größere Bedeutung zu als der britischen Provinzpresse gegenüber den londoner Zeitungen. Zugleich spielte die Bindung an politische Parteien und gruppierungen eine größere Rolle als in großbritannien, weswegen es zweckmäßig erscheint, zumindest für die tagespresse die parteipolitische Zuordnung zur grundlage der Kategorisierung zu machen.4 Die Kreuzzeitung (eigentlich: Neue Preußische Zeitung, gegr. 1848) war das wichtigste Sprachrohr der preußischen Hochkonservativen; Die Post (18) übernahm diese Funktion für die Freikonservativen, die Tägliche Rundschau (1881) und der Reichsbote (18) für national-konservative und protestantische Kreise; die Deutsche Tageszeitung (1894) vertrat als Organ des Bundes der landwirte den extremen nationalismus der radikalen Agrarier, während die Rheinisch-Westfälische Zeitung (188) schwerindustriellen interessengruppen nahe stand. Zur national-liberalen Richtung gehörten die National-Zeitung (1848) in Berlin, die Kölnische Zeitung (198), die Münchener Neuesten Nachrichten (1848) und die Leipziger Neuesten Nachrichten (1894), obwohl letztere wenigstens zeitweise zugleich mit den Ansichten der Alldeutschen und ihrer Alldeutschen Blätter (1894) liebäugelten. Zum linksliberalen lager kann man neben dem Parteiorgan, der Freisinnigen Zeitung (1885), vor allem die Frankfurter Zeitung (1859), die Vossische Zeitung (11 als Königlich Privilegierte Zeitung von Staats- und Gelehrten Sachen gegründet) und das Berliner Tageblatt (1898) rechnen. im Falle des Zentrums und der Sozialdemokratie war die Parteipresse zugleich die Presse eines Sozialmilieus. Zu den wichtigsten katholischen Blättern zählten dabei die Germania (180) in Berlin und die Kölnische Volkszeitung (189). Die überregional bedeutsame Presse der Arbeiterbewegung bestand neben dem in der Hauptstadt erscheinenden Zentralorgan Vorwärts (18) vor allem in der Leipziger Volkszeitung (1894).5 Daneben gab es die kommerzielle Massenpresse in Form der generalanzeiger, die offensichtliche Parteibindungen mieden und in Berlin etwa durch den Berliner Lokalanzeiger (188 gegründet, seit 1885 als tageszeitung erscheinend) des Verlagshauses Scherl oder ullsteins Berliner Morgenpost (1898) vertreten waren; entsprechende unternehmungen konnte man in fast allen anderen großen Städten des Reiches finden: etwa im leipziger Raum, in Elberfeld und Barmen, Hamburg-Altona, um Düsseldorf und in Chemnitz, wo Wilhelm girardet zwischen 188 und 190 erfolgreiche Zeitungen gründete, oder in 4

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So verfahren etwa Nipperdey, geschichte, Bd. 1, S. 9–811, und Wehler, gesellschaftsgeschichte, Bd. , S. 44–41; vgl. auch die ältere Zusammenschau von Rieger, Presse. Für eine zeitgenössische Zusammenschau, die zu ähnlichen Ergebnissen kam, vgl. den im Auftrag der britischen Botschaft in Berlin erstellten Überblick von george Saunders, ohne Datum (Juni 190), tnA, FO 1/1, S. 18– (abgedruckt in BDFA teil i, Reihe F, Bd. 19, nr. 8, S. 9–0); ähnlich auch die Zusammenstellung des britischen generalkonsuls in Frankfurt Oppenheimer vom . Oktober 1910, tnA, FO 1//4191, S. 45–41. Vgl. Wilke, grundzüge, S. 5–0; Dussel, tagespresse; Stöber, Pressegeschichte.



Einleitung

Breslau, Dresden, Stettin und in Württemberg die Blätter August Hucks. Zu den in politischen Fragen beachteten Wochen- und Monatsschriften zählten die zunächst liberalen, später eher obrigkeitlich-konservativ ausgerichteten Grenzboten und die liberal-konservativen Preußischen Jahrbücher (1858), die seit 188 von dem Militärhistoriker Hans Delbrück herausgegeben wurden (zunächst gemeinsam mit Heinrich von treitschke, seit 1889 in alleiniger Verantwortung), außerdem die nach dem Vorbild der englischen Revuen gestaltete Deutsche Rundschau (184), die von dem Schriftsteller Paul lindau ins leben gerufenen Zeitschriften Die Gegenwart (18) sowie Nord und Süd (18), dann noch die linksliberale Nation theodor Barths (188), Maximilian Hardens Die Zukunft (189) und die Sozialistischen Monatshefte (189) der SPD. Satirische Zeitschriften wie der traditionsreiche Kladderadatsch (1848) in Berlin oder später der Münchener Simplicissimus (189) waren in Deutschland zahlreicher vertreten als in großbritannien, wo in diesem genre lediglich der Punch (1841) reussierte.8 So verschiedenartig diese Publikationen im Hinblick auf ihre weltanschauliche Ausrichtung, ihre Auflagenhöhe, ihren Adressatenkreis, ihr finanzielles Fundament und intellektuelles niveau auch waren, formten sie unter dem Signum „die Presse“ doch in gewissem Sinne eine Einheit – und zwar sowohl in den Augen derer, die sie produzierten, als auch in den Augen ihrer leser in Diplomatie, Politik und gesellschaft. ihre Redakteure, Kommentatoren, Reporter und Verleger standen in großbritannien wie in Deutschland in vielfachem Austausch und Kontakt miteinander. Man traf sich und schrieb einander Briefe, reagierte auf Artikel eines Kollegen mit eigenen Beiträgen in einem anderen Blatt. Oft war ein Autor für verschiedene Organe gleichzeitig tätig. umgekehrt nahmen auch Politiker und Diplomaten die Vielfalt der unterschiedlichen Zeitungen und Zeitschriften nicht selten als organisches ganzes wahr, etwa wenn sie sich nach feindseligen Artikeln in dem einen oder anderen Blatt über „treibereien der Presse“ beschwerten, ganz allgemein eine wachsende Macht „der Presse“ beklagten oder eine verbesserte „Pressepolitik“ forderten. Weitere Bevölkerungskreise akzeptierten ebenfalls, so scheint es, dass „die Presse“ ein getreues Spiegelbild „der öffentlichen Meinung“ abgab. Öffentlichkeit, öffentliche Meinung: Das schillernde Begriffsfeld um die termini „Öffentlichkeit“ und „öffentliche Meinung“ deckt zwei unterschiedliche Verwendungsweisen ab, die beide im Rahmen dieser Studie ihren Platz haben. Als historischer terminus beschreibt der Öffentlichkeitsbegriff den sich wandelnden gehalt und die sich verändernde gestalt dessen, was die Zeitgenossen

 

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Vgl. Wolter, generalanzeiger. Vgl. Nipperdey, geschichte, Bd. 1, S. 810; Wehler, gesellschaftsgeschichte, Bd. , S. 4–8; siehe auch Wilke, Presse. Einen zeitgenössischen Überblick gab im August 190 der britische Botschaftsangehörige Wingfield; vgl. granville an grey, 9. August 190, tnA, FO 1/1, Bl. 18. Siehe Allen, Satire.

d) Begriffe und Differenzierungen



jeweils für den Bereich eines legitim erscheinenden interesses der Allgemeinheit hielten.9 Die Abgrenzungen dieses Bereiches gegenüber den gegenbegriffen des „Privaten“ und „geheimen“ konnten sich im laufe der Zeit ebenso verschieben wie die Ausfüllung dessen, was unter dem Begriff inhaltlich zu verstehen war: die Bandbreite der Möglichkeiten reichte dabei von gesellschaftlichen Partizipationsforderungen bis zu Manipulationsversuchen durch den Staat oder einzelne gesellschaftliche gruppen.80 in dieser Verwendungsweise waren Bedeutungsunterschiede zwischen verschiedenen nationen und gesellschaften nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Hermann Oncken konnte daher in einem 1904 gehaltenen Vortrag darauf hinweisen, dass die „öffentliche Meinung“ keinesfalls in allen ländern ein „gleichartiger Faktor“ sei. Vielmehr bedeute sie „in dem einen land mehr als etwa in einem andern, hat sie in dem einen lande ein ganz anderes gewicht als in dem andern“. Er schlug vor statt der „immer etwas nebelhaft bleibenden Versuche der Systematiker, einen politischen grundbegriff zu ermitteln“, zunächst einmal eine englische öffentliche Meinung, eine französische, eine deutsche öffentliche Meinung ins Auge zu fassen und zu untersuchen, bevor man dann zu einer „vielleicht gar nicht möglichen generalisierung“ schreiten könne.81 Von diesem historischen ist der analytische gebrauch des Öffentlichkeitsbegriffs zu unterscheiden. Er versteht Öffentlichkeit als allgemein zugänglichen Raum, in dem Kommunikation stattfindet, und eröffnet somit die konzeptionelle Möglichkeit, dass teilöffentlichkeiten miteinander in Beziehung treten. Das gilt für unterschiedliche nationale Öffentlichkeiten ebenso wie für gesellschaftliche gruppen oder Milieus, aber auch für verschiedene Aggregatzustände von Öffentlichkeit – sei es in den Medien, in Volksvertretungen, Parteien, Vereinen, Kneipen, Demonstrationszügen oder Massenversammlungen.8 um diese beiden Bedeutungen deutlich voneinander zu unterscheiden wird in dieser Studie der terminus der Öffentlichkeit beziehungsweise teilöffentlichkeit der analytischen Verwendungsweise vorbehalten, während der historische gebrauch mit dem Begriff „öffentliche Meinung“ umschrieben wird, der durch den gebrauch von Anführungszeichen zusätzlich als zeitgenössischen Konnotationen verhafteter Quellenbegriff gekennzeichnet ist. 9

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in diesem Sinne konnte Jürgen Habermas von einem historischen „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ sprechen, auch wenn der stark normativ aufgeladene Öffentlichkeitsbegriff, den er verwandte, die geschichtswissenschaftliche Forschung im Hinblick auf den „zweiten Strukturwandel“ Ende des 19. Jahrhunderts eher behindert als angeregt hat; Habermas, Strukturwandel. Für die Phase des Aufstiegs einer bürgerlichen Öffentlichkeit im 18. und frühen 19. Jahrhundert sind Habermas’ Überlegungen hingegen von der geschichtswissenschaft produktiv aufgenommen, modifiziert und weiter entwickelt worden; siehe etwa Gestrich, Absolutismus. Vgl. Hölscher, Öffentlichkeit; ders.: Öffentlichkeit und geheimnis; Westerberkey, geheimnis; Nolte, Öffentlichkeit; Heyl, Passion. Oncken, Politik, geschichtsschreibung und öffentliche Meinung (1904), in: ders.: Aufsätze, S. 05–4 (S. 1–). Vgl. Schildt et al., Öffentlichkeit; Eley, nations. Kritisch dazu Mah, Phantasies.

4

Einleitung

Diplomatie, Diplomaten: Der Begriff „Diplomatie“ hat ebenfalls eine doppelte Bedeutung. im engeren Sinne umfasst er lediglich das tätigkeitsfeld der in fremde länder entsandten Karrierediplomaten: Botschafter, gesandte, Ministerresidenten, generalkonsuln, legationssekretäre und Attachés.8 in einem weiteren Sinne war jedoch eine größere gruppe von Menschen in großbritannien und im Deutschen Reich „diplomatisch“ tätig. Zu ihr zählten einmal die Angehörigen des Auswärtigen Amtes in Berlin und des Foreign Office in london sowie die Politiker, denen gegenüber die Diplomaten im Ausland und die Beamten in der Zentrale weisungsgebunden waren, allen voran die Regierungschefs und die Außenminister beziehungsweise Außenstaatssekretäre.84 Daneben griffen auch noch andere staatliche Stellen – wie das deutsche Reichsmarineamt und die britische Admiralität, das preußische Kriegsministerium und das britische War Office – direkt oder indirekt in die Außenpolitik ein und verfügten in Form der Marine- beziehungsweise Militärattachés sogar über eigene Vertreter bei zahlreichen Auslandsmissionen.85 ihre tätigkeit wird daher in dieser Studie ebenso wie die außenpolitischen Aktionen der jeweiligen Monarchen unter einem weiten Diplomatiebegriff subsumiert. Die diplomatisch-außenpolitischen Eliten wiesen in großbritannien und Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg weitgehende Parallelen bei den Rekrutierungsmustern und strukturelle Ähnlichkeiten in der sozialen Zusammensetzung auf. in beiden ländern dominierte die Aristokratie – beim Personal der Auslandsmissionen noch deutlicher als in den heimatlichen Amtsstuben und in der Politik. Von den vierzig Botschafterposten, die während des Kaiserreiches zu vergeben waren, ging kein einziger an einen Bürgerlichen; und von den 1 Personen des höheren diplomatischen Dienstes gehörten im Jahr 1908 mehr als die Hälfte dem uradel und nur neun dem Bürgertum an.8 in großbritannien entstammten von den 1 Karrierediplomaten, die zwischen 180 und 1914 zum Botschafter aufrückten, insgesamt 19 der Aristokratie, fünf dem niedrigen landadel (der landed gentry) und lediglich sieben dem Bürgertum.8 Die soziale Exklusivität wurde dabei durch persönliche netzwerke und Patronagesysteme gesichert, die gerade im britischen Fall nicht nur auf familiären Bindungen aufbauten, sondern zusätzlich auch auf Kontakten und loyalitätsbeziehungen aus der Schul- und universitätszeit. Hinzu kam das Erfordernis wirtschaftlicher unabhängigkeit: britische Kandidaten für die Aufnahmeprüfung in den diplomatischen Dienst benötigten ein Privateinkommen von wenigstens £ 400 im Jahr; auch die deutschen Aspiranten mussten die gewähr bieten, sich während der langen Ausbildungsjahre finanziell selbst zu tragen und 8 84 85 8 8

Für das Deutsche Reich siehe Philippi, Korps; Cecil, Dienst; ders.: Service. Zu großbritannien siehe Jones, Service; ders., Structure. Hampe, Amt; Steiner, Office; Keipert und Grupp (Hrsg.), Handbuch. Vgl. Seligman, Military Diplomacy; Mollin, Militär, S. 1–4; Giessler, institution; Ritter, Militärattachés; sowie die Erinnerungen von Widenmann, Marine-Attache. Forsbach, Adel, S. 119. Brechtken, Außenpolitik S. 1.

d) Begriffe und Differenzierungen

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später den von ihnen erwarteten gesellschaftlichen Verpflichtungen nachkommen zu können.88 Journalisten: im gegensatz zur außenpolitischen Elite unterschieden sich die Vertreter der Presse in Deutschland und großbritannien beträchtlich voneinander: sowohl was ihren gesellschaftlichen Hintergrund anbetraf als auch im Hinblick auf die Ausbildungswege, das professionelle Selbstverständnis und ihr Sozialprestige.89 Die Mehrzahl der deutschen Journalisten hatte ein universitätsstudium abgeschlossen, mehr als die Hälfte war sogar promoviert worden (in der Regel von den Philosophischen Fakultäten); die meisten britischen Journalisten hingegen hatten nach der Schule noch als teenager eine Ausbildung bei einer Zeitung begonnen und sich innerhalb der Profession nach oben gearbeitet.90 Zugleich profitierten in großbritannien diejenigen Journalisten, die studiert hatten, während ihrer späteren Karriere mehr von ihren akademischen Verbindungen als ihre deutschen Kollegen, zumal wenn sie eines der renommierteren Colleges in Oxford oder Cambridge besucht hatten. gezielt suchten die führenden politischen Zeitungen Englands unter den Absolventen der beiden alten universitäten ihre nachwuchskräfte aus.91 in Deutschland waren derartige Kontakte über die grenzen der eigenen Profession oder des eigenen sozialen Kreises hinweg sehr viel seltener. Zu seiner Überraschung stellte der britische Journalist Frederick James Higginbotham von der Pall Mall Gazette bei einem Berlinbesuch im Sommer 190 fest, dass die Berliner gesellschaft aus einer Ansammlung konzentrischer Kreise bestand: „in the centre was the Prussian Court, with its little world of the titled aristocracy; then came the army, another privileged ring with a personnel of its own; then the professional and higher commercial classes, and outside these was the business and industrial community – and none of these rings overlapped“.9 Pressevertreter gehörten in Deutschland nicht zu den inneren Kreisen der guten gesellschaft. trotz des im ausgehenden 19. Jahrhundert zu verzeichnenden informellen Professionalisierungsprozesses und der Herausbildung eines spezifischen journalistischen Selbstverständnisses9 blieben deutsche Zeitungsleute Angehö88 89 90

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Vgl. neben den bereits genannten Werken Steiner: Elitism; Lauren, Diplomats, S. 1–. Vgl. für großbritannien Brown, news; für Deutschland siehe neben der Arbeit von Requate, Journalismus, auch Retallack, Pariah. Requate nennt für das letzte Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts mit blick auf Deutschland die Zahlen 8,5% (Studium) und 55,5% (Promotion); vgl. Requate, Journalismus, S. 14–5 (S. 14). John t. Delane wurde 1840 als 4jähriger, von Oxford kommend, zum Chefredakteur der Times berufen. W. l. Courtney war vierzig Jahre alt, als er new College in Oxford verließ, um die leitung des Daily Telegraph zu übernehmen. Auf ähnliche Weise gelangte C. P. Scott mit  Jahren an die Spitze des Manchester Guardian; alle paar Jahre entsandte er einen Vertrauten an seine alte Alma Mater in Cambridge, um nach talenten für das team von leitartikelschreibern seines Blattes Ausschau zu halten; vgl. Lawson, Peterborough Court, S. 19. Higginbotham, Vivid life, S. 195. Requate, Journalismus, S. 98.



Einleitung

rige eines sozial gering geachteten Standes, einer „Art von Pariakaste“, wie Max Weber es genannt hat.94 Auch nach Meinung des langjährigen Reuters-Korrespondenten in Berlin war die Presse im Kaiserreich „an estate without a status“; die Verdienstmöglichkeiten seien gering, Aussichten auf Ansehen, Einfluss und gesellschaftlichen Aufstieg gebe es nicht: „it is the whipping post of the public conscience.“95 Auch wenn in diesen Charakterisierungen eine gewisse Übertreibung mitschwang, bleibt festzuhalten, dass kaum ein deutscher Journalist Zugang zu den Zirkeln der gesellschaftlichen und politischen Elite des landes hatte, der führenden Zeitungsleuten in England offen stand. Derartige unterschiede im Sozialprestige wirkten sich nicht zuletzt auch auf die Art und Weise aus, mit der staatliche Stellen und Amtspersonen in Deutschland und großbritannien die Vertreter der Presse behandelten. Der geringere gesellschaftliche Status und die fehlenden persönlichen Verbindungen deutscher Journalisten zu den Eliten des landes trugen entscheidend dazu bei, dass die Reichsregierung eine Pressepolitik betrieb, die sich fundamental vom Ansatz der britischen Regierung unterschied.9 Wie sich dieses komplexe geflecht von personellen und institutionellen Kontakten, politischen und medialen Strukturen und Kulturen im Zusammenspiel mit wechselseitigen Selbst- und Fremdwahrnehmungen auf das Verhältnis von Öffentlichkeit und Diplomatie auswirkte, wird im Folgenden am Beispiel deutsch-britischer „Pressefehden“ der Jahre 189 bis 191 untersucht. Auch wenn publizistische Konfrontationen zwischen beiden ländern im Zentrum stehen, ist keine weitere Studie über die Herausbildung des deutsch-britischen gegensatzes beabsichtigt.9 geplant ist auch kein Beitrag zu den Entspannungstendenzen in den internationalen Beziehungen vor 1914, obwohl in den letzten beiden Kapiteln Versuche einer „Abrüstung der Presse“ und initiativen einer publizistischen Détente analysiert werden.98 Es geht auch nicht darum, einen lückenlosen Überblick über die Presseberichterstattung zu den diplomatischen Beziehungen zwischen london und Berlin in diesen Jahre zu geben. „Pressefehden“ konnten sich mit den großen diplomatischen Krisen der Epoche überlappen, waren aber nicht mit ihnen deckungsgleich. Den Schlusspunkt der Studie markiert bewusst das Jahr 191 und nicht der Juli 1914. Damit soll deutlich gemacht werden, dass die „Zeitungskriege“ nicht zwangsläufig in den militärischen Konflikt eskalierten. Vielmehr waren die deutsch-britischen Pressebezie94 95 9

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Weber, Politik, S. 191. Harrison, England, S. 11. in mancher Hinsicht ähnelte die lage der deutschen Journalisten ihrer Stellung in großbritannien siebzig Jahre zuvor. 185 hatte die aristokratische London Review behauptet, Journalisten seien „men of obscure birth, imperfect education, blunt feelings and coarse manners, who are accustomed to a low position in society, and are contented to be excluded from a circle in which they have never been used to move“; zitiert nach Marr, trade, S. 1. Hierzu immer noch grundlegend Kennedy, Antagonism. Vgl. etwa Kiessling, Krieg.

d) Begriffe und Differenzierungen



hungen in den beiden letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg von ungewöhnlicher Harmonie und Friedfertigkeit geprägt. Eine untersuchung über die „Pressefehden“ zwischen Deutschland und England ist deswegen auch kein Beitrag zur Kriegsursachenforschung im engeren Sinne. Es gilt vielmehr, am deutsch-britischen Fall exemplarisch eine Verschiebung im gefüge von Öffentlichkeit und Diplomatie zu untersuchen, die vor dem Ersten Weltkrieg erstmals erkennbar wurde und seither die internationalen Beziehungen in nicht geringem Maße mitgeprägt hat.

1. KommuniKation und aussenpolitiK Nations have the press as well as the Governments they deserve. The imperfections of the world will always be represented in its newspapers, if not over-represented; partly because a morbid and mendacious sensationalism is supposed to attract readers, partly because when any great mischief is on foot the first step usually taken is ‚to square the press‘ (F. W. Hirst: The Six Panics, London 1913, S. 142).

a) Die Macht der Nachrichten im Februar 1907 erschien in der europäischen presse eine Reihe von Zeitungsartikeln, die in seltener deutlichkeit zum ausdruck brachten, wie eng Öffentlichkeit und diplomatie in den beiden Jahrzehnten vor Beginn des ersten Weltkriegs ineinander verwoben waren. im Zentrum der artikel stand ein britischer Journalist mit namen William thomas stead, der in jenen Wochen die Hauptstädte europas bereiste. die Fahrt diente dem Zweck, seine ideen für die tagesordnung der Zweiten Haager Friedenskonferenz bekannt zu machen, die im sommer 1907 im Haag stattfinden sollte. als stead aus deutschland kommend in stockholm eintraf, war in der schwedischen presse, die ausführlich über seine mission berichtete, zu lesen, er habe sich in Berlin unter anderem mit Reichskanzler Bernhard von Bülow unterhalten. dieser habe ihm versichert, Kaiser Wilhelm ii. sowie allen führenden Generälen und staatsmännern deutschlands liege nichts so sehr am Herzen wie der Frieden europas und der Welt; lediglich die deutsche presse sehe das mitunter anders. er, Bülow, wisse ein unfehlbares mittel, auf einen schlag den Weltfrieden zu sichern, habe der Kanzler abschließend bemerkt, so stead. man müsse ihm nur erlauben, zwölf einflussreiche Zeitungsredakteure aufknüpfen zu lassen, angefangen mit dem schriftleiter der Kölnischen Zeitung bis hin zum Chefredakteur der Times. am folgenden tag veröffentlichte die Kölnische Zeitung ein offizielles dementi Bülows, der entschieden bestritt, sich auf irgendeine Weise abfällig über die deutsche presse geäußert zu haben. es sei vielmehr der britische Journalist gewesen, auf den der scherzhafte Vorschlag zurückgegangen sei. Wieder einige tage später brachte die Kölnische Zeitung eine zweite Richtigstellung, diesmal von stead, der nach seiner Weiterreise nach paris aus der französischen presse von Bülows dementi erfahren hatte. der Kanzler habe völlig Recht, versicherte stead, die schwedische presse habe ihn falsch zitiert. Bülow habe kein Wort über das Henken von Journalisten verloren, sondern im Gegenteil die deutschen Zeitungen dafür gepriesen, dass sie sich unermüdlich für die sache des Friedens einsetzten.1 diese episode wirft ein erhellendes schlaglicht auf eine ganze Reihe von Gesichtspunkten, die für das Verständnis der Rolle der presse in den internationa1

die episode ist in der britischen diplomatischen Korrespondenz überliefert; vgl. lascelles an Grey, 15. Februar 1907, tna, Fo 372/65.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

len Beziehungen vor 1914 wichtig sind. Zum einen fällt auf, dass Journalisten nicht mehr nur autoren von presseartikeln waren, sondern in zunehmendem maße auch selbst zum Gegenstand des interesses werden konnten. stead war einer der prominentesten, produktivsten und innovativsten Journalisten seiner Zeit – und ein überaus geschickter selbstdarsteller. als Chefredakteur der liberalen tageszeitung Pall Mall Gazette hatte er in den 1880er Jahren nicht nur journalistische neuerungen wie das interview oder spektakuläre pressekampagnen in england populär gemacht. er war auch für eine unüberschaubare Vielzahl philanthropischer anliegen publizistisch zu Felde gezogen. die liste reichte von seinem eintreten für die adoption im säuglingsalter über die einrichtung von stadtbibliotheken und die Förderung der Kunstsprache esperanto bis zu menschenwürdigen unterkünften für die städtischen armen und seinen Kampf gegen Kinderprostitution. in den 1890er Jahren zog sich stead aus dem tagesjournalismus zurück und gründete seine eigene monatszeitschrift, die Review of Reviews, die er von nun an als plattform für seine pressefeldzüge nutzte, nicht zuletzt im dienste der pazifistischen Bewegung.2 Zudem machen die Begebenheiten des Februar 1907 in stockholm, paris und Berlin das ausmaß deutlich, in dem die länder europas und der ganzen Welt zu diesem Zeitpunkt bereits über die medien miteinander verbunden waren. der Bericht einer schwedischen Zeitung konnte 24 stunden später in einem deutschen Blatt dementiert werden, und die französische presse nahm anteil daran, was ein englischer Journalist in skandinavien über sein Gespräch mit dem deutschen Reichskanzler gesagt hatte. natürlich waren auslandsnachrichten schon seit langem ein wichtiger Bestandteil der Zeitungsberichterstattung. aber technische neuerungen wie die telegrafie sorgten dafür, dass nachrichten aus anderen ländern dem Zeitungspublikum immer rascher, billiger und zahlreicher zur Verfügung standen, während zugleich kulturelle phänomene wie der wachsende nationalismus und imperialismus der epoche das interesse der Zeitgenossen an Berichten aus dem ausland stetig weiter wachsen ließen. tonfall und Formate der Berichterstattung wandelten sich ebenfalls. dass Zeitungen, die sich allmählich von ihrer Bindung an die politischen parteien lösten, nicht einfach nur berichteten oder kommentierten, sondern ihre leser und die politik in gezielten pressekampagnen zu konkreten aktionen oder Reformen aufriefen, war eine innovation, die Journalisten wie stead in den 1880er und 1890er Jahren in Großbritannien eingeführt hatten und die alfred Harmsworth (seit 1905 lord northcliffe) in seiner 1896 gegründeten Daily Mail perfektionierte. in deutschland verlief die entwicklung zwar etwas langsamer; die prozesse der Kommerzialisierung und skandalisierung, die lösung von parteipolitischen Bindungen und die intensivierung des Wettbewerbs zwi2

1899 zählte er zu den besonders eifrigen publizistischen Verfechtern der initiative Zar nikolaus ii., eine internationale Friedenskonferenz einzuberufen; zu steads lebensweg und Karriere vgl. Whyte, life; Schults, Crusader; siehe auch die vergleichende Betrachtung von Bösch, Volkstribune.

a) Die Macht der Nachrichten

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schen den verschiedenen Zeitungen dauerten länger, folgten letztlich aber ähnlichen mustern. in beiden ländern waren von politischen parteien unabhängige, über Werbeannoncen finanzierte, im straßenhandel verkaufte und an ein möglichst großes publikum adressierte Zeitungen verstärkt darauf angewiesen, aufmerksamkeit auf sich zu lenken und auf diese Weise höhere auflagen zu erzielen.3 Gleichzeitig explodierte die Zahl der auslandskorrespondenten. ein gewisses professionelles Zusammengehörigkeitsgefühl über nationale Grenzen hinweg bildete sich aus, so dass im Verlauf der 1890er und frühen 1900er Jahre die Vertreter der ausländischen presse in london und Berlin erstmals in Berufsverbänden zusammenfanden, um in allen angelegenheiten, die ihre gemeinsamen interessen berührten, zu kooperieren, wie es im ersten Jahresbericht der londoner Foreign press association aus dem Jahr 1893 hieß.4 Ganz ähnlich lautete die Zielsetzung des 1906 gegründeten Vereins ausländische presse in Berlin, zu dessen 34 Gründungsmitgliedern auch sieben Vertreter britischer Zeitungen gehörten.5 anlässlich des dritten Jahrestreffens, das standesgemäß im Berliner Hotel adlon stattfand, bemerkte die New York Times, die rund fünfzig mitglieder des Vereins versorgten insgesamt mehr als 10 000 Zeitungen in der ganzen zivilisierten Welt mit nachrichten aus deutschland, „and the power concentrated in their hands is so formidable that they play an extremely important part in the public life of Berlin“.6 tatsächlich wuchs parallel zu den skizzierten entwicklungen die Bedeutung der Journalisten, wenigstens in ihren eigenen augen und nach einschätzung vieler politiker. ein weiterer bemerkenswerter aspekt des geschilderten Zusammentreffens zwischen stead und Bülow bestand daher in der tatsache, dass es überhaupt zustande kam. Kein deutscher Kanzler vor Bülow hätte einen Journalisten wie stead vorgelassen, zumal der Herausgeber der Review of Reviews aufgrund seiner Kontakte zum Zarenhof in Berlin als russischer agent galt.7 Bülow jedoch war nicht nur zu einer Begegnung mit stead bereit, er ergriff sogar am ende ihrer unterhaltung beide Hände des publizisten, schüttelte sie ausgiebig und dankte ihm vielmals „for all you have done for the cause of peace and good relations between england and Germany“.8 3 4 5

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siehe Kapitel 1. b). abgedruckt in: Goldsmith (Hrsg.), Britain, s. 3; zum 1906 gegründeten Berliner Gegenstück, dem Verein der ausländischen presse siehe Freeman (Hrsg.), strom. Vgl. die Gründungsstatuten vom Juli 1906, zusammen mit den namen und arbeitgebern der Gründungsmitglieder aufgeführt in paul Goldmann (Neue Freie Presse, Wien) an Bülow, Juli 1906, pa-aa deutschland 126 Bd. 3, R 1481. Zitiert aus dem artikel „mightier than the sword. Foreign press association’s Brilliant parade of power“ in der New York Times vom 14. Januar 1909, Kopie in: loC, Wile papers, scrapbooks, Reel 1. Vgl. münster an Hohenlohe, 17. Juli 1899, pa-aa, england 81 nr. 3, R 5958. so jedenfalls die schilderung steads gegenüber einem Journalistenkollegen, dem Berliner Times-Korrespondenten, George saunders; saunders an Chirol, 11. Februar 1907, nia, Chirol papers.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

die Zeiten, zu denen Wilhelm ii. ausländische Journalisten als „pressbengel“ beschimpfte und anordnete, dass kein auslandskorrespondent am Hofe empfangen werden durfte, waren vorüber.9 in den knapp zwei Jahrzehnten vor 1914 avancierte die presse zu einem zunehmend wichtigen und unabhängigen mitspieler in der internationalen politik. „the newspaper Correspondent is the ambassador of the democracy“, hatte stead schon 1898 behauptet. „He manufactures the opinion to which it is the function of the regular ambassador to give effect. it is difficult to overestimate his importance or to measure his influence for weal or for woe.“10 derartige einschätzungen waren nicht auf Großbritannien beschränkt. Bernhard Guttmann, von 1908 bis 1914 london-Korrespondent der Frankfurter Zeitung, beschrieb in seinen erinnerungen, wie die politische Bedeutung der wirklichen Botschafter vor 1914 immer weiter schwand. ihre aufgabe, so Guttmann, habe sich zunehmend auf die laufende Berichterstattung reduziert, also darauf, „unter den tausend Begebenheiten und eindrükken die festzuhalten, die prognosen der Zukunft gestatten. ein Zeitungskorrespondent tut nichts anderes und erfüllt die Funktion zuweilen besser als die diplomaten.“11 man könne von der presse und der öffentlichen meinung denken wie man wolle, schrieb der Berlin-Korrespondent der Kölnischen Zeitung, arthur von Huhn, 1911 an den inzwischen zurückgetretenen Bülow, „ausschalten kann man sie heute nicht mehr“.12 ein Jahr später verkündete der radikalliberale publizist George Herbert perris zuversichtlich, man erlebe momentan das ende jener unglückseligen tradition, „that international politics are a mystery upon which the vulgar eye must not gaze“.13 Journalisten wie stead und Guttmann, von Huhn und perris standen nicht allein mit ihrer Überzeugung von der wachsenden Bedeutung der presse für die außenpolitik, wie jeder Blick in die aktenbestände der außenministerien der europäischen Großmächte jener epoche zeigt. im politischen archiv des auswärtigen amtes in Berlin beispielsweise dokumentiert die explosion der diplomatischen Überlieferung zu den deutsch-britischen pressebeziehungen, wie sehr das Gewicht der englischen Zeitungen und Zeitschriften in den augen der Wilhelmstraße zugenommen hatte. der Bestand „england 73“, der allgemeinen Fragen der englischen presse gewidmet ist, umfasst für die Jahre 1881 bis 1901 ganze drei Bände, für den Zeitraum von 1902 bis 1914 hingegen beinahe die zehnfache anzahl.14 die Bedeutung der öffentlichen meinung für die „impon9 10 11 12 13 14

Vgl. Charles lowe: the German newspaper press, in: Nineteenth Century 178, december 1891, s. 853–71 (s. 853). Review of Reviews, april 1898, s. 429. Guttmann, schattenriß, s. 286. arthur von Huhn an Bülow, 20. november 1911, zitiert nach Stöber, pressepolitik, s. 20. Perris, Foreign policy, s. vi. nämlich 29 Bände, siehe pa-aa, england 73, R 5612–5643. Ähnliches gilt für den Bestand „england 81 nr. 3“, in dem informationen über einzelne britische Journalisten abgelegt wurden; während für die elf Jahre von 1889 bis 1900 ein einziger aktenband genügte, benötigte man für die folgenden 14 Jahre deren sechs; pa-aa, england 81 nr. 3, R 5958–5964.

a) Die Macht der Nachrichten

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derabilien der inneren wie der äußeren politik“, erklärte Kanzler theobald von Bethmann Hollweg in einem Rundschreiben an die staatssekretäre der Reichsämter vom sommer 1912, sei „in ständigem Zunehmen begriffen“.15 die geschärfte Wahrnehmung der zunehmend wichtigen Rolle einer wie auch immer gearteten „öffentlichen meinung“ für die Großmachtdiplomatie war nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass immer mehr diplomaten und politiker die these vertraten, die presse stelle eine ernsthafte Gefahr für den Weltfrieden dar. schon 1833 hatte alexis de tocqueville mit Blick auf die amerikanische Republik bemerkt, bei der Kontrolle der außenpolitik seien demokratische Regierungen anderen deutlich unterlegen: in der außenpolitik ist fast keine der eigenschaften, die der demokratie wesentlich sind, erforderlich; sie erheischt im Gegenteil die entwicklung fast aller eigenschaften, die der demokratie abgehen. [...] die demokratie vermag […] nur schwer die einzelglieder eines großen unternehmens zu koordinieren, sich an einen plan zu halten und ihn beharrlich über alle Hindernisse hinweg zu verfolgen. das sind eigenschaften wie sie eher ein einzelner oder eine aristokratie entwickeln. aber genau dies sind die eigenschaften, die auf die dauer ein Volk wie einen einzelnen an die Herrschaft bringen.

demokratien neigten in tocquevilles augen dazu, „in der politik mehr Gefühlen als Überlegungen zu gehorchen und einen lang gereiften plan der Befriedigung eines augenblicklichen Wunsches aufzuopfern“.16 spätere Kritiker wiederholten seine argumente in sich variierenden Formen. die meisten Konflikte der vergangenen Jahrzehnte, erklärte Bülow im märz 1909 vor dem Reichstag, seien nicht durch fürstliche ambitionen oder ministerielle Ränke hervorgerufen worden, sondern durch „leidenschaftliche erregung der öffentlichen meinung, die durch presse und parlament die exekutive mit sich fortriss. Wenn es wieder, was Gott verhüten möge, zum Kriege kommen soll, dann wird er hervorgerufen durch jene archerontischen Gewalten, die sich heute leichter entzünden als früher.“17 die Völker seien in der Geschichte vielfach durch lärmende und fanatisierte minderheiten in Kriege hineingetrieben worden, behauptete drei Jahre später auch Bethmann Hollweg: „diese Gefahr besteht noch heute und vielleicht heute in noch größerem maße als früher, nachdem Öffentlichkeit, Volksstimmung, agitation an Gewicht und Bedeutung zugenommen haben.“18 den Resonanzboden derartiger sorgen bildete der fundamentale Wandel der Kommunikationswege im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, der das Verhältnis von presse und außenpolitik einschneidend veränderte. telegrafie, später das telefon und der Funkverkehr verkürzten den Zeitraum zwischen einem ereignis und seiner Berichterstattung, zunächst von Wochen auf wenige tage,

15 16 17 18

diese ausweitung ist selbst dann bemerkenswert, wenn man in Rechnung stellt, dass sich in dieser Zeit der allgemeine aktenanfall bedeutend erhöht hatte; vgl. Hampe, amt. Rundschreiben Bethmann Hollwegs, 19. Juli 1912, pa-aa, deutschland nr. 126, Bd. 10. Tocqueville, demokratie, s. 85–6. Bülow, Reden in auswahl, s. 139. am 22. april 1912 im Reichstag, Verhandlungen des Reichstags Bd. 284, stenographische Berichte, Berlin 1912, s. 1300.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

später auf stunden oder gar minuten. privatwirtschaftlich organisierte nachrichtenagenturen fungierten als Zwischenhändler, die neben der presse auch Banken, Versicherungen und Kaufleute mit politischen und wirtschaftlichen neuigkeiten versorgten. Gleichzeitig erlaubte die Verbesserung der drucktechnik die raschere und zugleich massenhafte publikation von Zeitungen und Flugschriften, die über stetig weiter perfektionierte Vertriebswege immer schneller in die Hände des lesers gelangten. nachrichten flossen mit zunehmender Geschwindigkeit über ländergrenzen hinweg. aktuelle meldungen aus aller Welt waren zumindest in den größeren städten beinahe jederzeit und überall verfügbar, sei es an Bahnhofskiosken, plakatwänden oder über straßenverkäufer. Verfechter internationaler Verständigung und Zusammenarbeit erblickten im ausbau grenzüberschreitender infrastrukturen mächtige triebkräfte zur Überwindung von engstirnigem provinzialismus und nationalismus. eisenbahn, dampfschifffahrt, telegrafie und presse, prophezeite stead 1897, brächten landesgrenzen zum Verschwinden und verwandelten alle modernen staaten in provinzen eines einzigen großen organismus.19 Konservative Kulturkritiker hingegen argwöhnten, aktualitätssucht und informationsüberflutung würden einen allgemeinen Verfall traditioneller Werte befördern und die dekadenz der Gesellschaft vorantreiben. Frederick Greenwood, ein Veteran des britischen Journalismus’, bedauerte, wie ein schier endloser strom von Gerüchten, Berichten und angeblichen enthüllungen zusammen mit den Zwängen eines Wettbewerbs um die neuesten nachrichten alle dämme gebrochen habe.20 der britische Journalist sidney Whitman klagte gegenüber dem Herausgeber der Preußischen Jahrbücher Hans delbrück: „der Größenwahn ist ein produkt des Zeitalters des telegraphen u[nd] des zu viele Zeitungsausschnitte-lesens: Gott sei es geklagt! mehr Ruhe, mehr Bücher lesen, mehr sitzfleisch“.21 als die britische Jugendzeitschrift Young Man im sommer 1908 eine Reihe prominenter Zeitgenossen fragte: „is there too much news?“, antwortete nur der afrikaforscher und ehemalige Generalkonsul für Britisch-Zentralafrika, sir Henry Johnson, mit einem entschiedenen „nein“. die anderen Befragten zeigten sich gegenüber der Fülle verfügbarer nachrichten skeptisch. der naturforscher alfred Russel Wallace fand, zu viele nachrichten behinderten das denken. der ehemalige stellvertretende polizeipräsident londons, sir Robert anderson, sprach von einer art literarischer trunksucht, die unweigerlich die Geisteskräfte schwäche, 19 20

21

W. t. stead, the united states of europe, in: Review of Reviews, Juli 1897, s. 17–29 (s. 27). „[n]ever till now has there been such an inpour of startling reports, unexpected developments, surprising portents, keys to the situation, revelations of the most authorised description […] and never before has there been such eager snatching at the latest supply of a commodity which, in its effect on the consumer, resembles West Coast gin: exciting much but debilitating more“; Frederick Greenwood, the newspaper press. Half a Century’s survey, in: Blackwood’s Edinburgh Magazine 161, mai 1897, s. 704–20 (s. 710–1). Zu Greenwoods pressehistorischer Bedeutung siehe Diamond, precursor. Whitman an delbrück, 3. dezember 1908, sBpK, nl delbrück (Whitman, mappe ii).

a) Die Macht der Nachrichten

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„a narcotic to hinder and detain thought“. der philosoph und politiker Frederic Harrison beschied, es gebe nicht nur zu viele nachrichten, sondern überhaupt zu viel bedrucktes papier.22 einig waren sich optimisten und pessimisten darüber, wie dramatisch sich das alltagsleben der meisten europäer innerhalb weniger Jahrzehnte nach der erfindung der telegrafie durch samuel morse 1837 gewandelt hatte. die Kunde vom tode des englischen Königs William im Jahr 1702 erreichte seine amerikanischen untertanen erst drei monate später. noch die nachricht von der ermordung abraham lincolns 1865 – ein Jahr bevor das erste transatlantikkabel funktionsfähig war – benötigte zwölf tage, um nach london zu gelangen. Vom attentat auf präsident James a. Garfield 1881 war hingegen schon 24 stunden später in den englischen Zeitungen zu lesen.23 um die Jahrhundertwende dauerte die Übermittlung einer telegrafischen nachricht von london nach Bombay nur noch eine knappe stunde, nach China 120 und nach australien 160 minuten.24 Über das atlantikkabel erhielt der manager der Times 1896 ein telegramm seines Washingtoner Korrespondenten innerhalb von nur zwei minuten.25 Gleichzeitig nahm der umfang der gesendeten informationen zu. 1870 erlaubten die technischen Kapazitäten, achtzig Worte in der minute telegrafisch zu übertragen. 17 Jahre später waren es 600, die mit Hilfe ausgetüftelter Kodierungs- und abkürzungssysteme ein Vielfaches an Bedeutung transportieren konnten.26 Weltweit verzehnfachte sich das telegrafennetz in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von knapp 100 000 auf über eine million meilen, während die Zahl der übermittelten telegramme von 62 millionen auf 354 millionen wuchs.27 eine weitere Beschleunigung erfuhr der informationsfluss mit der Verbreitung des telefons, von dem es 1876 in ganz europa nur zweihundert apparate gegeben hatte. der durchbruch erfolgte nach der Jahrhundertwende, als sich allein in deutschland die länge der leitungen in den fünf Jahren zwischen 1901 und 1905 von 59 000 auf 91 300 meilen beinahe verdoppelte, ebenso wie die Zahl der telefongespräche, die von 766 auf 1 352 millionen anwuchs. in Großbritannien wurden allein im Jahr 1905 mehr als 550 millionen telefongespräche geführt.28

22 23 24 25 26 27

28

Young Man, Juli 1908. Vgl. Rantanen, news, s. 20–1; Read, impact s. 125–6. Mulhall, dictionary, s. 457, 790. siehe für die britische presseberichterstattung über indien Kaul, Raj. moberly Bell an anglo-american telegraph Co., 5. november 1896, nia, managerial letter Book. Mulhall, dictionary, s. 457, 790. in deutschland verdoppelte sich die länge der leitungen innerhalb von nicht einmal zwanzig Jahren beinahe: von 57 700 meilen 1888 auf 91 000 meilen 1906. in Großbritannien wuchs sie in demselben Zeitraum von 30 700 meilen auf 56 600 meilen; Mulhall, dictionary, s. 457, 790; Webb, dictionary. Webb, dictionary.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

Hand in Hand mit diesen technologischen innovationen ging eine Revolution der journalistischen praxis. Zwar hatten auslandsnachrichten in der presse schon lange eine wichtige Rolle gespielt, wenigstens in Blättern mit nationaler Bedeutung und Reichweite. aber gegen ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts vergrößerte sich der Raum, der außenpolitischen neuigkeiten in britischen wie deutschen Zeitungen und Zeitschriften eingeräumt wurde, noch einmal gewaltig. schon seit der zweiten Hälfte der 1840er Jahre hatten telegrafisch übermittelte nachrichten in deutschen wie britischen Zeitungen immer mehr an Bedeutung gewonnen.29 aber erst im letzten drittel des Jahrhunderts ersetzten diese Berichte zunehmend handgeschriebene Briefe als wichtigstes medium der nachrichtenübermittlung der presse – seit den 1860er Jahren in england, im Jahrzehnt nach der Reichsgründung auch in deutschland.30 in der letzten dekade vor 1914 schalteten schließlich immer mehr Zeitungen von telegrafischen Berichten auf telefonische mitteilungen um, trotz anfangs verbreiteter skepsis wegen höherer Kosten oder möglicher Übertragungsfehler durch die zwischengeschalteten telefonistinnen.31 die Kombination des expandierenden telegrafennetzes und einer wachsenden nachfrage nach telegrammberichten schuf ein neues Geschäftsfeld für nachrichtenagenturen, die informationen an einem ort sammelten, per telegraf oder telefon an einen anderen ort übermittelten und dort an Zeitungen oder andere interessenten verkauften.32 der löwenanteil der auslandsnachrichten, den die deutsche und britische presse brachte, stammte von den beiden ältesten und größten nachrichtenagenturen, Reuters in Großbritannien und Wolff’s telegraphisches Bureau (WtB) in deutschland.33 dem angebot, das die nachrichtenagenturen bereitstellten, entsprach das interesse auf seiten der Zeitungen. die tägliche auslandsberichterstattung der Times hatte noch 1871 in der Regel aus einigen kurzen telegrammberichten aus paris und dem nahen osten bestanden, die im schnitt selten mehr als eine spalte umfassten. Bereits vier Jahre später widmete die Redaktion der „latest intelligence“ aus dem ausland häufig eine ganze seite und mehr.34 einen zweiten schub erfuhr die entwicklung anfang der 1890er Jahre, als die Zahl der täglichen nachrichtenspalten in der Times von 54 auf 67 bis 70 anwuchs, wobei der Zuwachs vor allem auf das Konto von Berichten aus Übersee ging, wie der manager des Blattes später in einer auflistung vermerkte.35 ein ähnlicher trend ließ sich auch in deutschland beobachten. in der Frankfurter Zeitung etwa verzehnfachte sich der Raum für nachrichten und Berichte aus dem ausland in 29 30 31 32 33 34 35

Vgl. Löbl, Kultur, s. 59–60; Höhne, Report, Bd. 1, s. 33–5. Groth, Zeitung, Bd. 1, s. 556. George saunders an moberly Bell, 24. oktober 1908, nia, moberly Bell papers; Robert dell an C. p. scott, 16. dezember 1913, Guardian archives 204/26a. Vgl. die definition bei Groth, Zeitung, Bd. 1, s. 22. siehe Kapitel 1. e)–f). Hot, Bd. 3, s. 786–7. moberly Bell, „Balance sheet: Company affairs“ vom dezember 1904, zitiert nach Pal­ mer, press, s. 214.

a) Die Macht der Nachrichten

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den fünfzig Jahren zwischen 1863 und 1913 beinahe: von 184 auf 1714 spaltenmeter.36 Besonders markant war die expansion zwischen 1888 und 1913, als der anteil der Berichterstattung über politik, Handel und Vermischtes aus dem ausland von knapp 14 auf fast 28 prozent des gesamten redaktionellen teils anwuchs.37 nicht zufällig waren dies Jahre sich verschärfender internationaler spannungen und Krisen.38 die hier in groben strichen skizzierten Veränderungen im nachrichtenwesen relativierten die privilegien, die Regierung und diplomatie in der außenpolitik besessen hatten. ihr informationsvorsprung schmolz, und vieles von dem, was früher exklusives Herrschaftswissen gewesen war, konnte man nun in der Zeitung lesen. immer öfter war die presse mit Hilfe der nachrichtenagenturen ähnlich rasch, manchmal sogar schneller, im Bilde als die zuständigen ministerien und Ämter. nicht selten kam etwa das britische Kolonialministerium zu dem schluss, dass die presse in london besser über Vorgänge in südafrika informiert war als die Beamten selbst. Zeitungsberichte waren oftmals länger und informativer als depeschen der staatlichen stellen und wurden daher in einigen Fällen sogar in den akten anstelle der offiziellen Berichte aufbewahrt.39 so verbreitete Reuters während des Burenkriegs die Kunde vom entsatz der in mafeking eingeschlossenen britischen truppen im mai 1900 zwei tage bevor die offizielle nachricht aus dem britischen Hauptquartier in südafrika london erreichte.40 etwa zu derselben Zeit, im sommer 1900, war von der ermordung des deutschen Gesandten in peking, Freiherrn von Ketteler, schon in londoner Zeitungen zu lesen, ehe die meldung bei den amtlichen stellen in deutschland eintraf.41 36 37 38

39 40

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selbst wenn man nicht auf die absoluten Zahlen, sondern auf die Relation zum – ebenfalls angewachsenen – Gesamtumfang schaut, registriert man eine Verdopplung. Groth, Zeitung, Bd. 1, s. 760, 832. nicht alle Zeitungsleser waren derart an nachrichten aus dem ausland interessiert wie das handelsbürgerlich-liberale publikum der Frankfurter Zeitung oder der großbürgerlich-aristokratische leserkreis der Times in den britischen Regierungs-, Verwaltungs-, Wirtschaftsund Finanzeliten. Besonders in der lokalen und regionalen presse spielte auswärtige politik häufig eine untergeordnete Rolle; sie machte im Jahr 1911/2 in württembergischen Regionalzeitungen wie dem Neuen Tagblatt, der Württembergischen Zeitung, der Schwäbischen Tagwacht oder dem Deutschen Volksblatt nur fünf bis sieben prozent des redaktionellen teils aus (Groth, Zeitung, Bd. 1, s. 758). doch in der überregionalen presse verlief die entwicklung ähnlich, wenn auch nicht immer so deutlich wie im Falle der Times und der Frankfurter Zeitung. Porter, origins, s. 117. Read, power, s. 113–4. die Kunde, dass der Berater des Burenpräsidenten Krügers, dr. leyds, von südafrika aus nach europa aufgebrochen war, erreichte in london nicht zuerst die Regierung, sondern die Daily Mail, die sie dann dienstfertig an Kolonialminister Chamberlain weiterleitete; Jones, Fleet street, s. 97–8. das auswärtige amt erhielt die nachricht von Kettelers ermordung am 2. Juli 1900 und leitete sie telegrafisch an den in Wilhelmshaven weilenden Kaiser weiter; Gp Bd. 16, nr. 4540, s. 27 Fn. Zu diesem Zeitpunkt hatten die englischen morgenzeitungen bereits die „Grave news from pekin“ verbreitet; vgl. etwa Daily Mail vom 2. Juli 1900. Zur kurz darauf folgenden Falschmeldung der Daily Mail, auch die anderen europäer in peking seien ermordet worden, vgl. Thompson, northcliffe., s. 75–6.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

b) Der Aufstieg der Massenpresse Was für die nachrichtenagenturen galt, traf in noch stärker ausgeprägtem maße auf die kommerziellen massenzeitungen zu, die seit den 1880er Jahren sowohl in Großbritannien als auch in deutschland immer wichtiger wurden und die presselandschaft in beiden staaten von Grund auf veränderten. ihr aufkommen war ausdruck einer tief greifenden transformation der medienwelt in den Jahrzehnten vor dem ausbruch des ersten Weltkrieges, die sich auf die eigentumsund machtverhältnisse in den Zeitungsverlagen ebenso auswirkte wie auf die finanziellen Fundamente der presse, den inhalt und tonfall ihrer Berichterstattung sowie ihr Verhältnis zur politik. der vielschichtige strukturwandel verlief in Großbritannien rascher, rückhaltloser als in deutschland, war aber in seinen Grundelementen in beiden ländern ähnlich.42 Hier wie dort entstand ein neuartiger typus billiger, großstädtischer tageszeitungen mit hoher auflage, die sich bewusst von der bisher den ton angebenden politischen Richtungspresse abgrenzten. sie richteten sich an kleinbürgerliche leserschichten, deren Zahl und Bedeutung im Zeitalter eines demokratisierten Wahlrechts und verbreiteter Bildungschancen wuchs, deren Vorlieben und Bedürfnisse aber von der etablierten presse nicht bedient wurden. die neue massenpresse firmierte in Großbritannien unter der Bezeichung „popular press“ oder, wie in amerika, auch als „yellow press“. in deutschland entwickelte sie sich in zwei verschiedenen Varianten: einmal seit den 1880er Jahren in Form der sogenannten Generalanzeiger, die im abonnement vertrieben wurden, zum anderen seit der Jahrhundertwende vor allem in Berlin auch als „Boulevardpresse“, die nach amerikanischem und englischem Vorbild für den Handel auf der straße, auf dem Boulevard, konzipiert war. in jedem Fall finanzierten sich die neuen Blätter nicht mehr in erster linie aus Verkaufserlösen oder mit der unterstützung durch politische mäzene, sondern über anzeigenkunden, die in den aufstrebenden, zunehmend zahlungskräftigen neuen lesern aus den unteren mittelschichten eine ergiebige einnahmequelle entdeckten.43 damit vergrößerte sich zugleich die unabhängigkeit der Verleger gegenüber den politischen parteien oder gesellschaftlichen interessengruppen, die zuvor oft für das wirtschaftliche Überleben ihnen dienstbarer Zeitungen gesorgt hatten, wenn diese rote Zahlen schrieben.44 der einzelne Journalist, der für ein massenblatt schrieb, stand nicht mehr im dienste einer politischen partei oder eines reichen partei42

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Zur Geschichte der britischen massenpresse gibt es eine reichhaltige literatur; der Klassiker ist Lee, origins; eine jüngere darstellung stammt von Williams, murder; einen Überblick über die neuere Forschung findet man in: Catterall et al. (Hrsg.), legacy. die entwicklung der deutschen Boulevardpresse ist hingegen bis auf einzelfallstudien noch weitgehend unerforscht; siehe Wolter, Generalanzeiger; vgl. auch Gebhardt, presse. Requate weist darauf hin, dass die innovation weniger in der abhängigkeit vom anzeigengeschäft bestand, als vielmehr in dem leserkreis, der mit den annoncen erreicht werden sollte; Requate: Journalismus, s. 362–5. siehe etwa für die Daily News Koss, Radical, s. 38.

b) Der Aufstieg der Massenpresse

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mannes, sondern war von seinem Verleger beziehungsweise den aktionären des Zeitungsverlages und deren finanziellen und politischen interessen abhängig.45 diese abhängigkeit war umso größer als mit dem aufkommen der massenpresse auch ein prozess der Kapitalkonzentration und der Bildung großer Konzerne einsetzte, wie sie für die phase des Hochimperialismus nicht nur im pressewesen typisch waren.46 Über weite strecken des 19. Jahrhunderts war das pressegeschäft in beiden ländern von Familienunternehmen beziehungsweise bestimmenden Herausgeberpersönlichkeiten geprägt gewesen, die sich selbst oft vor allem als Journalisten und nicht so sehr als Geschäftsleute sahen, auch wenn sie natürlich daran interessiert waren, mit Gewinn zu arbeiten.47 um die Jahrhundertwende verstärkte sich jedoch in Großbritannien der trend, Zeitungsunternehmen nicht länger im privatbesitz, sondern als aktiengesellschaften mit ungleich größerem Kapitalstock zu betreiben, wobei die investoren meist vorrangig an ihren dividenden und nicht mehr in erster linie an journalistischen prinzipien oder inhaltlichen Zielsetzungen interessiert waren.48 in Großbritannien erwarben die großen pressebarone wie alfred und Harold Harmsworth (die späteren lords northcliffe und Rothermere) oder arthur pearson in jenen Jahren derart enorme Vermögen, dass deutsche Zeitungen verächtlich von der „Vertrustung“ und „Vermillionärung“ der englischen presse schrieben.49 die Herablassung war umso weniger gerechtfertigt als in deutschland eine ähnliche entwicklung zu beobachten war. in der Reichshauptstadt hatten sich die medienkonzerne mosse, ullstein und scherl dominierende stellungen erworben, während in der provinz regionale „Generalanzeiger-Könige“ wie Wilhelm Girardet in Westfalen und Wolfgang Huck in Hamburg und Franz Werle in Breslau ganz ähnliche imperien aufbauten.50 45

46 47 48

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Vgl. etwa Hot, Bd. 3, s. 106. der Journalismus, so hieß es in england, hörte damit auf, eine „profession“ zu sein, und wurde ein „trade“; das Zitat wurde schon von den Zeitgenossen northcliffes wichtigstem mitarbeiter Kennedy Jones; zugeschrieben; siehe William maxwell, old lamps for new: some Reflections on Recent Changes in Journalism, in: Nine­ teenth Century and After 75 vom mai 1914, s. 1085–96. Hobsbawm, Zeitalter, s. 51–77. Vgl. die unterscheidung zwischen „Herausgeberzeitungen“ und „Verlegerzeitungen“ bei Requate, Journalismus, s. 119–20. Während 1893 kein einziger Zeitungsverlag an der londoner Börse notiert war, operierten zwanzig Jahre später 90 prozent aller führenden morgen- und abendzeitungen auf der Basis von aktiengesellschaften; siehe Robert donald: new Forces in Journalism (1913), teilweise abgedruckt in: Taylor, Robert donald, s. 266. etwa in Leipziger Neueste Nachrichten vom 7. Januar 1912 (Kopie in: pa-aa, england nr. 73, R 5639). Ähnliche urteile konnte man auch in Großbritannien vernehmen; vgl. etwa den artikel „Harmsworth at Home and abroad“, in: The Nation vom 3. september 1910. Harmsworth selbst sah den prozess der pressezentralisierung als unausweichlich und schwärmte öffentlich davon, welche möglichkeiten einem erfolgreichen Zeitungstrust offen stünden; vgl. alfred Harmsworth, the newspapers of the twentieth Century, in: North American Review vom Januar 1901; zu northcliffe und Rothermere siehe Taylor, outsiders; zu pearson vgl. Dark, life. siehe die entsprechenden Beiträge in: Fischer (Hrsg.), presseverleger.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

der erfolg dieser Zeitungsunternehmer hing davon ab, dass sie den Geschmack und die interessen ihrer leser trafen und bedienten. sie setzten konsequent auf jene Veränderungen in stil, layout und inhalt der Zeitungen, die in Großbritannien seit den 1880er Jahren unter dem Rubrum „new Journalism“ bekannt geworden waren. dazu gehörten nicht nur unterhaltsame, wenn möglich sensationelle, meldungen, eine bilderreiche sprache und ein lebhafter, energisch zupackender und zuspitzender schreibstil, sondern auch innovative drucktechniken, kurze absätze, Zwischenüberschriften zur auflockerung langer texte und Balkenschlagzeilen auf der titelseite, um aufmerksamkeit zu erregen. Boulevardblätter waren voll mit Zeichnungen, Karikaturen, später auch Fotografien. interviews und „human interest stories“ fanden dort erstmals regelmäßig eingang in das journalistische Repertoire. politische leitartikel waren schriller, alarmistischer im ton, stärker an personen als an abstrakten ideen interessiert und vor allem kürzer als in den Blättern der politischen Richtungspresse; die Kommentarspalten der Daily Mail zum Beispiel überstiegen selten 17 Zoll (43 Zentimeter) pro tag – nicht einmal ein Viertel des Raumes, den sie bei einer Zeitung wie der Times einnahmen.51 außerdem fiel der Raum, der genuin politischer Berichterstattung etwa über parlamentsdebatten zugemessen wurde, deutlich geringer aus als in den traditionsblättern.52 stattdessen setzte man auf themen mit höherem unterhaltungswert: sport, Verbrechen, sensationen, Rekorde, Ratgeber für den alltag, Klatsch und tratsch.53 auch die nachrichtenagenturen passten sich den Vorlieben und lesegewohnheiten des veränderten Zeitungspublikums an. Reuters beispielsweise instruierte seine Korrespondenten 1883, künftig verstärkt über „disasters &c. of all kinds“ zu berichten, und stattete alle Büros mit einer langen liste von ereignissen aus, denen besondere aufmerksamkeit zu widmen war: Fires, explosions, floods, inundations, railway accidents, destructive storms, earthquakes, shipwrecks attended with loss of life, accidents to British and american war vessels and to mail steamers, street riots of a grave character, disturbances arising from strikes, duels between, and suicides of persons of note, social or political, and murders of a sensational or atrocious character.54

der Verleger der Daily Mail, lord northcliffe, sei der einzige überzeugte demokrat gewesen, den er gekannt habe, schrieb rückblickend ein journalistischer 51 52

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54

Vgl. Robbins, Freedom s. 130; Baylen, „new Journalism“; Startt, Journalists, s. 9–10. „i cannot help thinking that so many columns of politics [...] will prevent your getting circulation“, schrieb lord northcliffe an den Chefredakteur des Observer. „page 6 is entirely politics this week, heavy politics too. page seven also political. if we are to get a circulation of 70,000 or 100,000 [ausgehend von 30 000, dG] it is essential that we should interest more people“; northcliffe an Garvin, 2. märz 1908, zitiert nach Koss, Rise, Bd. 2, s. 93. Zu Großbritannien siehe Chalaby, northcliffe, s. 33–41; für deutschland siehe Sösemann, presse, s. 83. die meisten Briten scherten sich wenig um die politische ausrichtung ihrer Zeitung, mussten die Wahlkampfmanager der tory-partei verwundert feststellen, „so long as it gives them full details on sport, war, crime, etc.“; memorandum von ernest iwan-muller: „some thoughts upon the present discontent“, ohne datum (Februar 1906), Bod. mss eng. hist. 751, sandars papers, Bl. 139–80. Zitiert nach Reid, power, s. 106.

b) Der Aufstieg der Massenpresse

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Kritiker der neuen massenpresse. northcliffe habe wirklich daran geglaubt, dass in allen dingen der massengeschmack ausschlaggebend sein müsse.55 als er im Zeitungsgeschäft begonnen habe, erklärte northcliffe später einem mitarbeiter, seien alle Blätter für einen Kreis von vielleicht einer halben million leser in den Gentlemen’s Clubs und der kleinen politischen Welt produziert worden, während sich um die verbliebenen 39 der vierzig millionen Briten kein Verleger geschert habe.56 august scherl, der Herausgeber des Berliner Lokalanzeigers, sah das ähnlich. in einem programmatischen leitartikel der ersten ausgabe seines Blattes erklärte er im november 1883, seine Zeitung solle „nicht etwa als ein leckeres mahl für den verwöhnten Geschmack anspruchsvoller leser servirt werden! es soll eine solide Hausmannskost, schmackhaft bereitet und geschmackvoll aufgetragen werden!“57 Kennedy Jones, manager von northcliffes Daily Mail, drückte denselben Gedanken unverblümter aus: „don’t forget you are writing for the meanest intelligence“, pflegte er seinen Reportern und Redakteuren zu predigen.58 die Geschäftsidee der Verleger der kommerziellen massenpresse bestand darin, den Verkaufspreis möglichst niedrig zu halten und dadurch in kurzer Zeit möglichst hohe auflagen zu erzielen.59 als Folge dieser entwicklungen explodierten die auflagenzahlen. obwohl statistische angaben für die Zeit bis zum ersten Weltkrieg notorisch unzuverlässig sind und exakte Quantifizierungen unmöglich machen, kann man von steigerungen um deutlich mehr als das Zehnfache während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ausgehen.60 auf den britischen inseln war die geschätzte monatsauflage aller tageszeitungen, einer zeitgenössischen Zusammenstellung zufolge, von zehn millionen im Jahr 1854 auf 196 millionen 1899 empor geschnellt.61 die Daily Mail hatte sich als auflagenstärkstes englisches Blatt nach angaben ihres ersten managing directors im september 1907 zwischen 850 000 und 900 000 verkauften exemplaren pro tag eingependelt, nachdem die auflage während des Burenkrieges zwischenzeitlich deutlich über einer million gelegen hatte; der Daily Express folgte mit rund 400 000 exemplaren.62 auch im deutschen Reich wuchs die Gesamtauflage der 55 56 57 58 59

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Spender, life, Bd. 2, s. 170. Angell, all, s. 120. Zitiert nach Erman, scherl, s. 78–9. Jones, Fleet street, s. 145. die Daily Mail warb seit 1896 damit, für den preis von einem halben penny (umgerechnet vier pfennig) mit sechs bis acht Vollseiten ebenso viel zu bieten wie die traditionsblätter Standard, Morning Post, Daily Telegraph (am morgen), St. James’ Gazette, Pall Mall Gazette und Westminster Gazette (am mittag bzw. abend) für einen penny – ganz zu schweigen von der Times, die bei einem umfang von zwanzig großen Vollseiten drei penny (25 pfennig) kostete; Daily Express, Daily News und Daily Chronicle folgten alsbald dem Beispiel der Mail; vgl. Koss, Rise, Bd. 2, s. 15–53. Zu den methodischen schwierigkeiten siehe Stöber, nation, s. 76–90; Cunningham, newspapers; McEwen, press. Mulhall, dictionary, s. 791. pryor an ecker, 12. und 19. september 1907, pa-aa, england 73 secr., R 5644.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

Zeitungen zwischen 1870 und 1914 ebenso kontinuierlich wie rasant, wobei der löwenanteil hier ebenfalls auf die Großstadtpresse entfiel.63 die Verleger der kommerziellen massenpresse mühten sich nach Kräften, die Verkaufszahlen mit allen nur erdenklichen Werbeaktionen weiter in die Höhe zu treiben und eine möglichst enge Bindung der leser an ihr Blatt zu erreichen, zum Beispiel durch Rubriken zur lebensberatung oder Kopplungsgeschäfte, bei denen mitunter sogar lebens- oder Rechtsschutzversicherungen angeboten wurden.64 auf die Frage, welche art von ereignissen den Verkauf von Zeitungen ankurbelte, hätten viele Vertreter der massenpresse spektakuläre mordfälle, pompöse Feste und Feierlichkeiten angeführt. Vor allem staatsbegräbnisse versprachen große auflagen.65 die meisten exemplare der Daily Mail (1 493 653 stück) wurden vor 1914 an dem tag verkauft, als das Blatt über den tod Königin Viktorias berichten konnte.66 Zehn Jahre später durchbrach der Daily Mirror mit seinen Berichten über die Beerdigung König edwards Vii. als erste Zeitung die marke von zwei millionen verkauften exemplaren.67 Ganz oben auf der liste verkaufsfördernder ereignisse rangierten in den augen vieler Zeitungsmacher kriegerische Konflikte. „War not only creates a supply of news“, pflegte Kennedy Jones, der mitbegründer der Daily Mail, zu sagen, „but a demand for it.“ Von den englischen Bürgerkriegen des 17. Jahrhunderts über marlboroughs Kampagnen im frühen 18. Jahrhundert, napoleons Feldzüge, den Krimkrieg und den deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 bis hin zum Burenkrieg erstreckte sich seiner ansicht nach eine Kette von Beispielen dafür, wie kriegerische Konflikte den aufschwung journalistischen unternehmertums begünstigten. es war in seinen augen kein Zufall, dass die Daily Mail ihren durchbruch von 500 000 zu einer million verkaufter exemplare ausgerechnet im Burenkrieg geschafft hatte.68 Wie immer man die profitabilität von Kriegen für das Boulevardzeitungsgeschäft im einzelnen bewerten mag69, in den augen der Kritiker der neuen massenzeitungen fügte sich das angebliche Geschäft mit dem tod nahtlos in das 63

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Stöber, nation, s. 79–80. im Jahr 1890 lag die geschätzte monatsauflage mit 140 millionen knapp unter der britischen mit 150 millionen; bei dem Vergleich muss man allerdings die größere Bevölkerungszahl deutschlands in Betracht ziehen; Mulhall, dictionary, s. 464. Sösemann, presse, s. 83. Weitere Beispiele bei Peters, england, s. 135–6, und Fritzsche, Berlin, s. 83–4. Jones, Fleet street, s. 199. pryor an ecker, 19. september 1907, pa-aa, england 73 secr., R 5644. Vgl. Jones, Fleet street, s. 199; siehe auch northcliffe an Jones, ohne datum (mai 1910), Bl, northcliffe papers, add. 62196. Jones, Fleet street, s. 198–200. die erfolgsmischung des Blattes bestand darin, patriotische Reportagen über britische Heldentaten in südafrika – etwa bei der Belagerung von mafeking – mit einer Kampagne gegen die angeblich kurzsichtige und halbherzige Kriegsführung der Regierung zu verbinden; Daily Mail vom 4. Januar 1900; zur Kriegsberichterstattung der Daily Mail siehe Taylor, outsiders, s. 55–72; Thompson, northcliffe, s. 61–92. siehe auch Kapitel 6. f). das standardwerk zur Geschichte der Kriegsberichterstattung stammt von Knightley, Casualty; jetzt auch Daniel (Hrsg.), augenzeugen.

b) Der Aufstieg der Massenpresse

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düstere Bild einer moralisch verkommenen, prinzipien- und skrupellosen „Revolver-“, „Regenbogen-“ oder „Gossenpresse“, der in ihrer sucht nach sensationen und skandalen nichts heilig war: in deutschland wie in england kritisierten nicht nur konservative traditionalisten die kommerzielle massenpresse, sondern auch liberale und sozialisten. Curt erler, Redakteur einer fortschrittlichen schwäbischen tageszeitung, war sich mit dem agrarisch-konservativen schriftleiter der Deutschen Tageszeitung, ernst Graf von Reventlow, in seiner ablehnung der Generalanzeiger-presse einig.70 Jenseits des Kanals wurde der sittliche niedergang der unteren schichten der britischen Gesellschaft aufgrund schlechter erziehung, der Verbreitung von „schundliteratur“ und vor allem in Folge des einflusses der massenpresse nicht nur vom leitartikler der konservativen britischen monatszeitschrift National Review beklagt.71 auch Keir Hardie, der große alte mann der britischen arbeiterbewegung, sah die presse seines landes in einer unheilvollen abwärtsbewegung begriffen, bei der sie die moralischen und intellektuellen standards weiter Bevölkerungskreise mit sich in die tiefe riss.72 Was erler, Reventlow, Hardie und die Kommentatoren der National Review und der Deutschen Tageszeitung über alle nationalen und weltanschaulichen Gräben hinweg verband, war ihre Bindung – als Chefredakteure, schriftleiter oder autoren – an organe jener traditionellen politischen Richtungspresse, denen die neuen pressetypen des Generalanzeigers und der Boulevardzeitung den Rang abzulaufen drohten. sie verspürten den zunehmenden Wettbewerbsdruck, den die neuartigen Zeitungsunternehmungen durch ihre höheren auflagenzahlen, größere Finanzkraft, gefälligere präsentation und flexiblere politische ausrichtung aufbauten. in london, wo die Konkurrenz besonders intensiv war, scheiterten in jenen Jahren nicht wenige Blätter des traditionellen typs, die sich nicht rasch genug an die neuen Verhältnisse anzupassen verstanden.73 Wie sehr sich auch die größten und erfolgreichsten Blätter der politischen Richtungspresse seit der Jahrhundertwende von den neuen massenzeitungen in ihrer existenz bedroht sahen, zeigt das Beispiel des Manchester Guardian, der als proburische Zeitung während des Krieges in südafrika einen schwierigen 70 71

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Erler, macht, s. 27–30; Reventlow, Kaiser, s. 127–9. National Review vom Juni 1909. Ähnlich klagte auch der frühere Berlin-Korrespondent der Times seiner schwester, „[that free education produces] a vast mass of people who read trashy newspapers & novels and nothing else. education ought to [...] cost effort and sacrifice“; George an margaret saunders, 22. dezember 1914, CCC, saunders papers, saun3/ Gs/2/53. „the solid sermon and newspaper articles of even half-a-hundred years ago“, so Hardie, „would not now be tolerated not because of their dullness, but because of the mental effort needed to follow and understand them. a snippety press and a sensational public are outstanding marks of modern times“; Hardie, serfdom, s. 50. Von den 21 Hauptstadtzeitungen, die im Jahr 1901 existierten, verschwand eine 1905, zwei weitere fusionierten bis 1912 mit anderen Blättern; steads 1904 neu gegründetes Daily Paper hielt nur wenige Wochen durch, während die 1906 ins leben gerufene liberale tageszeitung Tribune ihr erscheinen nach zwei Jahren einstellen musste; vgl. Startt, Journalists, s. 8.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

stand hatte. dennoch fürchtete sein Chefredakteur, C. p. scott, weniger den unwillen der leser wegen einer ungenügend „patriotischen“ Haltung des Blattes als vielmehr die Konkurrenz durch die Daily Mail.74 Ähnlich wie der Manchester Guardian als führende liberale provinzzeitung englands sah sich auch die londoner Times als immer noch tonangebende konservative Hauptstadtzeitung durch die neue populäre massenpresse unter druck gesetzt.75 Zu den innovationen, welche die Times und andere britische traditionsblätter in den ersten anderthalb Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts – halb begierig, halb widerwillig – von der aufstrebenden Konkurrenz übernahmen gehörten nicht nur ein weniger überladener schreibstil, mehr sportnachrichten und kürzere, lebendigere parlamentsberichte, sondern auch ein gefälligeres layout.76 darüber hinaus versuchten manche Zeitungen, durch preissenkungen ihre Wettbewerbssituation gegenüber der kommerziellen massenpresse zu verbessern, am spektakulärsten die Times selbst, die ihren Verkaufspreis erst auf zwei penny und schließlich 1914 auf einen penny absenkte.77 in der art und Weise der Berichterstattung versuchte man ebenfalls von der aufstrebenden massenpresse zu lernen. „[W]hatever your Harmsworths and pearsons don’t know“, schrieb der General manager der Times an einen Kollegen, „they do know the public.“ Zwar könne sich ein Blatt wie die Times nicht auf das niveau des Vorstadtgeschwätzes begeben, das die leser der Daily Mail attraktiv fänden, aber man müsse stärker als bisher versuchen, dem publikum die personen nahe zu bringen, über die man schreibe, und es nicht länger mit abstrakten theorien langweilen.78 die entwicklung der deutschen presse verlief in derselben Richtung, aber langsamer als in Großbritannien. insbesondere der deutsche Föderalismus und der dezentrale Charakter des Reiches wirkten als Bremse. Während in england die londoner Hauptstadtzeitungen seit den späten 1880er Jahren und vollends seit der Jahrhundertwende der ehemals florierenden provinzpresse den Rang abliefen, entwickelte sich Berlin nicht zur unangefochtenen pressemetropole des Reiches.79 die Berliner Blätter strahlten ins nord- und ostdeutsche umland aus, aber schon in sachsen hielt die leserschaft ihren angestammten dresdner oder leipziger Zeitungen die treue, in schlesien und ostpreußen las man die Breslauer Blätter. die Kölnische Zeitung war im Westen des Reiches führend, 74 75

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scott an Hobhouse, 30. november 1899, Guardian archives 132/82; siehe auch scott an Hobhouse, 4. Januar 1900, Guardian archives 132/84. nicht ohne unbehagen registrierte man in der Chefredaktion der Times die zunehmende notwendigkeit „to consider what the general public wants in news rather than what the relatively small class of readers who nevertheless constitute the backbone of The Times and give it its prestige expect to find in the paper“; Chirol an steed, 14. dezember 1910, nia, Chirol Correspondence. Startt, Journalism; Startt, Journalists, s. 10. Koss, Rise, Bd. 2, s. 225, 231. Bell an amery, 13. mai 1900, zitiert nach Koss, Rise, Bd. 1, s. 419. Vgl. Lee, origins, s. 158–80; Robbins, Freedom, s. 130–1.

b) Der Aufstieg der Massenpresse

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die Frankfurter Zeitung zusammen mit der Münchener Allgemeinen und den Münchener Neuesten Nachrichten im süden, in Württemberg gab es die Schwäbische Zeitung, von den kleineren regionalen und lokalen organen ganz zu schweigen.80 in der Folge gab es im deutschen Reich mehr Zeitungen als in Großbritannien, mit im durchschnitt deutlich niedrigeren auflagen und einer geringeren Finanzkraft. Während im Jahr 1910 londons sechs millionen einwohnern 19 verschiedene tageszeitungen zur auswahl standen, verfügte Berlin mit drei millionen einwohnern über 28 tageszeitungen.81 Keines dieser Blätter erreichte auch nur annähernd die auflagenhöhe einer Zeitung wie der Daily Mail. die Berliner Morgenpost verfügte als auflagenstärkste deutsche Zeitung im Jahr 1910 nach eigenen angaben über einen abonnentenstamm von rund 300 000.82 Während in deutschland das Zeitungsabonnement und der Vertrieb durch die post den Regelfall darstellten, dominierte in england der straßenverkauf in Bahnhöfen oder beim Kiosk an der ecke; allenfalls ließ man sich seine Zeitung durch den örtlichen newsagent allmorgendlich ins Haus liefern, freilich ohne feste Bindung an ein Blatt, sondern mit der option, die Zeitung beliebig oft zu wechseln. die Redaktionen und Verleger konnten daher nicht, wie in deutschland, auf einen festen stamm von abonnenten zählen, sondern waren auf den einzelverkauf angewiesen.83 der tägliche Konkurrenzkampf half, die preise der massenblätter in Großbritannien stärker zu drücken als in deutschland.84 ein weiterer unterschied bestand darin, dass die führenden Zeitungen der kommerziellen massenpresse in england – allen Beteuerungen parteipolitischer unabhängigkeit zum trotz – ins konservativ-imperialistische lager tendierten, auch wenn sie keineswegs immer zuverlässige Bundesgenossen der tory-parteiführung darstellten.85 das Bild in deutschland war weniger eindeutig. dort schwammen zwar auch viele organe der Generalanzeigerpresse – etwa scherls Berliner Lokalanzeiger – aus politischer neigung wie ökonomischem Kalkül ihrer Verleger in obrigkeitlich-konservativem Fahrwasser. die mindestens ebenso erfolgreichen massenblätter der beiden anderen großen Berliner Zeitungsverlage ullstein und mosse hingegen gehörten dem linksliberalen, fortschrittlichen 80 81 82

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Für eine zeitgenössische Beschreibung siehe Whitman, Germany, s. 281. G. Valentine Williams: the German press Bureau, in: Contemporary Review 97, märz 1910, s. 319. den Lokalanzeiger las eine geschätzte Viertelmillion Berliner, das Berliner Tageblatt gab 170 000, die Welt am Montag 155 000 und die Berliner Morgenzeitung 100 000 abonnenten an; Diez, Zeitungswesen, s. 99; vgl. auch Heenemann, auflagenhöhe, s. 74–7, der für das Jahr 1901 folgende Zahlen nennt: 236 000 (Berliner Morgenpost), 220 000 (Berliner Lokalanzeiger), 73 000 (Berliner Tageblatt). Peters, england, s. 126. Während die Daily Mail oder der Daily Express für umgerechnet vier pfennig zu haben waren, kostete in deutschland eine besonders preiswerte, auf breite Bevölkerungsschichten zielende Zeitung wie die Berliner Morgenpost erst zehn, später 15 pfennig; vgl. Fritzsche, Berlin, s. 75. Vgl. Koss, Rise, Bd. 1, s. 407.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

spektrum an. Hans ullstein zählte zu den mitbegründern der sozialliberalen Fraktion in der Berliner stadtverordnetenversammlung, der er wie auch sein Bruder Hermann jahrelang angehörte. ullsteins Berliner Morgenpost profilierte sich bewusst als Fürsprecherin des „kleinen mannes“ gegenüber einer als autoritär und undemokratisch kritisierten obrigkeit.86 das galt in noch größerem maße für die auflagenstarke sozialdemokratische presse des Kaiserreichs. nach zeitgenössischen schätzungen gab es mitte der 1890er Jahre rund 130 sozialdemokratische Zeitungen in deutschland. der Vorwärts als führendes parteiorgan warf 1892 angeblich einen Jahresprofit von 400 000 Reichsmark ab.87 Knapp zwanzig Jahre später erreichte er eine auflage von 145 000.88 im Jahr 1913 erreichten die mehr als 91 Zeitschriften und Zeitungen der spd, von denen 86 täglich erschienen, eine geschätzte Gesamtauflage von 1,5 millionen exemplaren.89 auf eine derart machtvolle parteipresse blickten die Vertreter der britischen arbeiterbewegung neidvoll und bewundernd.90 in Großbritannien verfügte die arbeiterbewegung bis zu Gründung des Daily Herald 1912 über keine tageszeitung. die existierenden Wochenblätter wie Robert Blatchfords Clarion, H. m. Hyndmans Justice oder Keir Hardies Labour Leader waren oft sektiererisch und untereinander zerstritten. nicht von ungefähr bezeichnete Ramsay macdonald das Fehlen einer starken presse als eine der größten schwächen der britischen arbeiterbewegung, die wegen der Zersplitterung ihrer eigenen presse weitgehend auf die unterstützung durch radikalliberale Zeitungen angewiesen war.91 umgekehrt war die stärke der sozialdemokratischen presse in deutschland nicht nur auf die Größe und macht der deutschen arbeiterbewegung zurückzuführen. sie war auch ein Beleg für die stärkere Beharrungskraft der politischen Richtungspresse im Kaiserreich, die sich langsamer und unvollständiger als in Großbritannien den einflüssen der kommerziellen massenpresse öffnete. in deutschland setzte sich bis weit ins 20. Jahrhundert hinein anders als in Großbritannien das Konzept überparteilicher kommerzieller massenblätter weder im journalistischen selbstverständnis noch in den augen des Zeitungspublikums wirklich durch. der anspruch der Generalanzeigerpresse auf „unparteilichkeit“ wurde noch lange Zeit weithin mit „Gesinnungslosigkeit“ gleichgesetzt – 86 87 88 89 90

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Vgl. Fritzsche, Berlin, s. 75; Mendelssohn, Zeitungsstadt, s. 163–72. Dawson, Germany, Bd. 2, london 1894, s. 238–9. Vgl. allgemein Hall, scandal. Diez, Zeitungswesen, s. 99. Sanders, movement, s. 19. „the German socialist movement is an outstanding illustration of the power of the press“, bemerkte der labour leader anlässlich der Reichstagswahlen vom Januar 1907; the German election, Labour Leader vom 11. Januar 1907, zitiert nach Kim, public opinion, s. 215–6, Fn. 19; vgl. auch Robbins, Freedom, s. 131; allgemein Hopkins, socialist press. MacDonald, movement, s. 235. Ähnlich äußerte sich der Chefredakteur des Labour Leader: „[t]he lack of newspaper press capable of competing with the lavishly financed journalism of the vested interests has always been the chief handicap of the socialist movement“; Stewart, Hardie, s. 160. siehe auch Koss, Rise, Bd. 2, s. 65.

c) Die bürokratische Pressepolitik der Wilhelmstraße

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das galt nicht nur für die sozialdemokratie, sondern fast noch mehr für die parteien der politischen Rechten. insofern bestanden trotz einer gewissen annäherung in den Rahmenbedingungen für produktion und Verbreitung von Zeitungen gravierende unterschiede zwischen Großbritannien und deutschland fort, nicht zuletzt im Hinblick darauf, wie die aufgabe und Rolle der presse gegenüber Regierung und parteien definiert wurde.92

c) Die bürokratische Pressepolitik der Wilhelmstrasse Wenn im Folgenden von einer bürokratischen pressepolitik im Kaiserreich die Rede ist, so zielt der Begriff auf die tatsache, dass es in deutschland anders als in Großbritannien vor dem ersten Weltkrieg amtliche stellen gab, die mit der – wie es zeitgenössisch hieß – „steuerung und Beeinflussung der presse“, also mit „presselenkung“ im weitesten sinne betraut waren.93 in der politischen abteilung des auswärtigen amts existierte zu diesem Zweck seit Bismarcks Zeiten die stelle eines pressereferenten, dessen stab im laufe der Zeit personell aufgestockt wurde, ohne freilich jemals offiziell in den Rang eines eigenständigen pressereferats oder pressebüros erhoben zu werden.94 admiral alfred von tirpitz rief als staatssekretär im Reichsmarineamt 1897 eine „abtheilung für nachrichtenwesen und allgemeine parlaments-angelegenheiten“ ins leben, die er damit beauftragte, propaganda für einen forcierten deutschen Flottenbau zu betreiben.95 Beim preußischen staatsministerium gab es seit 1841 ein Königliches literarisches Bureau, das von 1892 bis zu seiner auflösung 1920 dem preußischen innenminister unterstand.96 auch in anderen Reichsämtern und preußischen ministerien wurden Beamte mit der Bearbeitung von presseangelegenheiten betraut: das ministerium für elsaß-lothringen beispielsweise verfügte seit anfang der 1890er Jahre über ein literarisches Bureau; in dem seit 1907 eigenständigen Kolonialamt gab es von Beginn an einen pressedezernenten; das Reichsschatzamt richtete zur publizistischen Vorbereitung der großen Finanzreform 1908 ein so genanntes Volkswirtschaftliches Büro, das mit propagandafragen betraut war; und auch im Kriegsministerium richtete man ange92 93

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Vgl. Requate, Journalist, bes. s. 141–6. der Begriff „pressepolitik“ wird verwendet, um das zu beschreiben, was Bernd sösemann unter den termini „presse- und informationspolitik“ subsummiert hat: nämlich die „positive oder restriktive bzw. repressive einwirkung auf alle personen und institutionen, die journalistisch tätig sind“ sowie „die einschlägigen rechtlichen und materiellen Voraussetzungen einer öffentlichen Kommunikation, die organisationsformen, die Verantwortlichkeiten sowie die Fülle der Überlegungen und der einzelnen maßnahmen“; Sösemann, publizistik, s. 282. Zur zeitgenössischen terminologie siehe Stöber, pressepolitik, s. 19–20. Vgl. hierzu neben Stöber, pressepolitik, s. 34–40 den älteren Überblick von Vogel, organisation, sowie Jungblut, unter vier Reichskanzlern. Vgl. vor allem Deist, Flottenpolitik, bes. s. 71–84. siehe Nöth­Greis, Büro.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

sichts der beiden großen Heeresvorlagen von 1912/13 und vor dem Hintergrund der sich zeitgleich zuspitzenden Balkankrisen ein pressebüro ein.97 der umgang mit der presse, ihre lenkung und, wenn möglich, Beeinflussung fielen in deutschland wie selbstverständlich in die Zuständigkeit des staates und seiner Bürokratie. durch das ganze 19. Jahrhundert hindurch prosperierten in den deutschen ländern parallel zu den unabhängigen Zeitungen vom staat förmlich betriebene („offiziöse“) und inoffiziell angeleitete beziehungsweise inspirierte („semi-offizielle“) Blätter und Korrespondenzen, wobei das Verhältnis zwischen der freien presse auf der einen und der Regierungspresse auf der anderen seite nicht immer feindselig oder antagonistisch sein musste, sondern mitunter auch als gegenseitige ergänzung verstanden werden konnte.98 Hinzu kamen staatliche Repressionsmaßnahmen wie die Zensur (bis 1848 in Form der Vorzensur vor der Veröffentlichung), die polizeiliche Überwachung oder inhaftierung missliebiger Redakteure. es gab aber auch indirektere Wege der einflussnahme, beispielsweise die heimliche subventionierung bestimmter Blätter, gesellschaftliche auszeichnungen, fürstliche Gunsterweise oder die Gewährung privilegierter informationen für kooperative Journalisten.99 an diese pressepolitischen traditionen knüpfte otto von Bismarck an, als er seit den 1860er Jahren das seiner Regierung zur Verfügung stehende instrumentarium ausbaute und verfeinerte, wobei er von publizistischen Helfern wie lothar Bucher und moritz Busch unterstützt wurde. Zur wichtigsten offiziösen Zeitung avancierte in der Bismarck-Ära die Norddeutsche Allgemeine Zeitung, während unter den semi-offiziellen Blättern für die außenpolitik insbesondere die Kölnische Zeitung an Bedeutung gewann.100 nachdem der Versuch von Bismarcks nachfolger, General leo von Caprivi, weitgehend auf staatliche presselenkung zu verzichten, rasch als gescheitert betrachtet wurde, betrieben alle Reichskanzler bis zum Beginn des ersten Weltkriegs eine mehr oder weniger aktive pressepolitik. sie setzten dabei prinzipiell auf dieselbe mischung aus Repressalien gegen unliebsame Journalisten und Belohnungen für Wohlverhalten, auf die auch Bismarck vertraut hatte.101 allerdings stießen ihre Bemühungen vor dem Hintergrund der skizzierten Veränderungen in nachrichtendienst und pressewesen auf immer größere Hindernisse: die erhöhte Geschwindigkeit des nachrichtenflusses machte es zunehmend schwieriger, unerwünschte meldungen abzufangen; die pluralisierung des medienmarktes erschwerte die Kontrolle auch nur der wichtigsten Zeitungen und Zeitschriften. das vergrößerte den druck auf die leiter der deutschen politik, neue strategien für den umgang mit der presse zu entwickeln. 97 98 99 100 101

Vgl. Stöber, pressepolitik, s. 39–40, Vogel, organisation, s. 27. Zum Volkswirtschaftlichen Büro des Reichsschatzamtes siehe Witt, Reichsfinanzen, s. 162. siehe hierzu Green, public sphere. Zum Übergang von der Zensur zu anderen methoden staatlicher presselenkung vgl. Koh­ nen, pressepolitik. Vgl. Sösemann, publizistik; ders., presse; Stöber, presseorganisation; Naujoks, organisation; ders., lindau. Vgl. Stöber, pressepolitik; Jungblut, unter vier Reichskanzlern.

c) Die bürokratische Pressepolitik der Wilhelmstraße

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ein besonderes engagement legte in dieser Hinsicht Bernhard von Bülow an den tag, der sich nach einschätzung des langjährigen pressereferenten im auswärtigen amt, otto Hammann, „so andauernd und eindringlich mit der öffentlichen meinung“ beschäftigt hatte wie kein staatsmann vor ihm. schon morgens bei der toilette, so Hammann, habe der Reichskanzler begonnen, seinen sekretären Hinweise für die presse zu diktieren.102 ein britischer Berlin-Korrespondent verglich Bülows interesse an allen Regungen der „öffentlichen meinung“ mit der aufmerksamkeit eines anglers, der gespannt jedes Kräuseln der Wasseroberfläche beobachtet.103 tatsächlich achtete Bülow wie kein Reichskanzler vor ihm auf sein image in den medien. mit Hammanns Hilfe versorgte er deutsche wie ausländische Zeitungen nicht nur mit informationen über seine Regierungsaktivitäten und angeblichen politischen leistungen, sondern auch mit einzelheiten aus seinem privatleben, seine persönlichen Vorlieben und Freizeitbeschäftigungen bis hin zu Berichten über seine urlaubsaufenthalte auf der nordseeinsel norderney.104 seine abneigung, staatssekretäre oder minister in der Reichskanzlei zu empfangen, stand in krassem Gegensatz zu der Bereitwilligkeit, mit der er auf Gesprächswünsche von Journalisten einging – eine neigung, die er bereits in seiner Zeit als außenstaatssekretär an den tag gelegt hatte.105 Bülow verwandte viel Zeit und mühe auf die Vorbereitung seiner öffentlichen auftritte, insbesondere die Reden im Reichstag, und besaß ein Gespür für knappe, griffige Formulierungen, die unter englischen Zeitungsleuten als „Bulowics“ bekannt waren.106 nicht zuletzt wegen der großen Beachtung, die Bülow allen mit der presse zusammenhängenden Fragen schenkte, galt er in deutschland – wenigstens zu Beginn seiner amtszeit – als „ein höchst moderner minister“.107 theobald von Bethmann Hollweg, der Bülow im august 1909 als Reichskanzler ablöste, hielt größere distanz zur presse als sein Vorgänger. Von temperament und Charakter her weniger zum selbstdarsteller geeignet, soll er Hammann gegenüber geäußert haben, er liebe „nichts for show“.108 schon bald kritisierten Reichstagsabgeordnete wie der nationalliberale eugen schiffer die Öffentlichkeitsscheu des neuen Regierungschefs.109 Hammann notierte später, Bethmann Hollwegs großer Fehler habe darin bestanden, dass er von anfang seiner Kanzlerschaft an „jede art von Regie, ohne die ein staatsmann in parla102 103 104 105 106

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Hammann, Kurs, s. 67. saunders an maxse, 3. Januar 1902, WsRo, maxse papers 450, Bl. 486–7. Vgl. Lerman, Chancellor, s. 95–6, 115–26. eine gute Beschreibung aus Bülows Zeit als außenstaatssekretär stammt von saunders an Wallace, 4. Februar 1899, nia, Wallace papers; vgl. auch Lerman, Chancellor, s. 104–6. der Begriff wurde von Chirol geprägt; siehe saunders an moberly Bell, 1. mai 1903, nia, moberly Bell papers. Zur stilistischen ausarbeitung der Reden, an der neben Hammann noch ein Referent für literatur und Kunst mitwirkte vgl. Cecil, service, s. 303; Jungblut, unter vier Reichskanzlern, s. 110–1. saunders an Wallace, 15. oktober 1898, nia, Wallace papers [deutsch im original]. Zitiert nach Jungblut, unter vier Reichskanzlern, s. 114. schiffer an Hutten-Czapski, 19. august 1911, Ba lichterfelde, nl 2126, Hutten-Czapski, 237, Bl. 34–35.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

mentarisch regierten ländern nicht populär werden kann, grundsätzlich und beharrlich“ verschmäht habe.110 man sollte die unterschiede zwischen Bülow und Bethmann Hollweg aber nicht überbetonen. auch der neue Kanzler hielt Hammanns pressearbeit im auswärtigen amt für „völlig unentbehrlich“.111 nicht zufällig beschäftigte er sich in seiner ersten außenpolitischen Rede im Reichstag ausführlich mit der Rolle der presse in der außenpolitik; die Kölnische Zeitung veranlasste das zu der Bemerkung, der Kanzler habe damit deren macht anerkannt, was deutlich genug den einfluss beweise, „den die presse in ihrer heutigen entwicklung auf die internationalen Beziehungen ausübt“.112 noch größeren Respekt vor der macht der medien hatte Kaiser Wilhelm ii. obwohl von ihm zahlreiche abfällige Bemerkungen über die presse und ihre Vertreter überliefert sind, besaß er ein gutes Gespür für die Bedeutung der modernen massenmedien und reagierte dementsprechend sensibel auf negative presseberichte über seine person. schon harmlose ungenauigkeiten oder unwahrheiten konnten ihn in Zorn versetzen.113 das wog umso schwerer, als Wilhelm ii. wie kein zweiter monarch seiner Zeit im Rampenlicht der Öffentlichkeit stand. artikel über das privatleben, die Vorlieben und eigentümlichkeiten des deutschen Kaisers und seiner Familie fanden in Zeitungen und Zeitschriften weltweit reißenden absatz, von Berichten über die neuesten rhetorischen entgleisungen des monarchen ganz zu schweigen.114 nicht ganz zu unrecht beklagte die BZ am Mittag eine „Überproduktion an aus- und inländischer Kaiserliteratur“, die von untertanengeist zeuge und „aus der bösen ecke des personenkults“ komme. Weil das persönliche imponiere, sei der Kaiser „der mann für alle Federn.“115 Weit entfernt davon, derartigen Zeitungsartikeln gleichgültig gegenüberzustehen, tendierte der Kaiser dazu, die Bedeutung der presse sowohl für die abbildung als auch für die Formierung „öffentlicher meinung“ zu über110 111 112 113

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notiz vom 7. dezember 1913, veröffentlicht unter der Überschrift „Rücktrittsgedanken des Kanzlers Bethmann Hollweg“, in: Hammann, aufzeichnungen. tagebucheintrag von Bethmann Hollwegs Vertrautem, Kurt Riezler, 11. Juli 1914, abgedruckt in: Erdmann (Hrsg.), Riezler, s. 185. Kölnische Zeitung nr. 854 vom 14. dezember 1909. Gegenüber dem englischen König edward Vii., prahlte Wilhelm ii., die presse habe in seinem Reich nichts zu sagen, „for i am the sole arbiter and master. German Foreign policy and the Government and Country must follow me“; Wilhelm ii. an edward Vii., 30. dezember 1901, Gp, Bd. 17, nr. 5029, s. 111. an den Zaren nikolaus ii. schrieb er, was man gemeinhin „öffentliche meinung nenne, sei „in 99 cases out of a hundred […] a mere forgery“, weswegen er persönlich Zeitungstratsch gegenüber vollkommen indifferent sei; Wilhelm ii. an nikolaus ii., 8. mai 1909, Gp, Bd. 26, nr. 9533, s. 787. Zu Wilhelm als medienkaiser siehe Clarke, Kaiser. s. 160–85; Kohut, Wilhelm ii, s. 127–40. Zu den Zornesausbrüchen vgl. etwa den tagebucheintrag vom 21. november 1904 von Hofmarschall Zedlitz­Trützschler, Zwölf Jahre, s. 97. „the Kaiser is a godsend to the newspapers“, bemerkte stead in der Review of Reviews, und der Berliner Vertreter der Daily Mail erklärte seiner Redaktion, neben der Flotte sei Wilhelm ii. das stärkste Zugpferd jedes deutschland-Korrespondenten; William t. stead, the Kaiser and his austrian second, in: Review of Reviews, mai 1906, s. 457; Wile an northcliffe, 6. Januar 1910, Bl, northcliffe papers, add. 62207. BZ am Mittag vom 13. april 1907.

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schätzen – schon deshalb, weil er einen großen teil dessen, was er über die Welt außerhalb seines Hofes erfuhr, der lektüre von Zeitungsausschnittssammlungen entnahm, die ihm von verschiedenen obersten Reichsbehörden regelmäßig vorgelegt wurden.116 Zugleich zeigte Wilhelm ii. aber ein ausgeprägt realistisches Gespür für die pflege seines öffentlichen images – von der Betonung der eigenen gleichsam „bürgerlichen“ tugendhaftigkeit als guter ehemann und Vater über das sorgfältige Hochzwirbeln seines charakteristischen schnurrbartes vor öffentlichen auftritten und das häufige Wechseln der zahlreichen uniformen bei diesen Gelegenheiten bis hin zu der ausgesprochen modern anmutenden tatsache, dass er Fotografen einblicke in seine privatsphäre ermöglichte.117 der deutsche Fotoreporter Hans Breuer, dem ein schnappschuss der kaiserlichen Kabine auf der Jacht Hohenzollern gelang, wurde vom monarchen nur milde zurechtgewiesen: „Breuer, wenn sie wieder mein Bett fotografieren, dann ziehen sie vorher die Bettdecke stramm.“118 Wichtig waren bei alldem weniger die launen des Kaisers, die verschiedenen persönlichen präferenzen Bülows oder Bethmann Hollwegs, auch nicht die pressepolitischen akzentverschiebungen von der Bismarck-Ära zum Wilhelminismus. entscheidend war vielmehr, dass in deutschland dem staat bei der Bildung dessen, was man allgemein als „öffentliche meinung“ bezeichnete, eine leitende Rolle zukam. die erziehung des Volkes durch die presse gehörte dieser sichtweise zufolge zu den legitimen aufgaben des staates und seiner Führung. Ganz deutlich wurde das obrigkeitsstaatliche presseverständnis in einem programmatischen leitartikel der provinzial-Correspondenz aus dem Jahr 1876. trotz des offiziösen Charakters der Korrespondenz könne von „parteilichkeit“ nicht die Rede sein, hieß es darin, „denn die Regierung ist eben nicht eine bloße partei, sie hat den Beruf und das Bewusstsein, die Gesamtinteressen des landes fern von allem parteiwesen wahrzunehmen.“119 Bemerkenswert ist dabei nicht so sehr, dass die Regierung und ihre presse derartige ansprüche erhoben als vielmehr die Bereitwilligkeit, mit der weite teile der deutschen Bevölkerung sie lange Zeit akzeptierten. als der Historiker Hermann oncken 1904 das aus seiner sicht wünschenswerte Verhältnis von politik und „öffentliche meinung“ skizzierte, forderte er von der Regierung unter anderem, die presse „sorgsam“ zu leiten, während er es als aufgabe der medien ansah, die „staatliche Zucht“ nicht zu verschmähen.120 Wesentlich deutlicher hieß es im Jahr 1913 in einer Festschrift anlässlich des 25jährigen Kronjubiläums Wilhelms ii. zum thema 116

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Vgl. den tagebucheintrag vom 29. Januar 1905 bei Zedlitz­Trützschler, Zwölf Jahre, s. 106; zur problematik der mit der ausschnittslektüre verbundenen selektiven Wahrnehmung des Kaisers siehe Stöber, pressepolitik, s. 180–9. Von „imagepolitik“ spricht Machtan, Wilhelm ii.; vgl. auch den ausstellungskatalog von Windt et al. (Hrsg.), Kaiser. Zitiert nach Clark, Wilhelm ii – image and Reality; vgl. auch Windt, Bildflut. Zitiert nach Sösemann, presse, s. 53–4; zur provinzial-Correspondenz vgl. Stöber: „provinzial-Correspondenz“. Oncken, politik, s. 242–3.

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„öffentliche meinung“: Weil diese für gewöhnlich selbst nicht wisse, „was sie meint und will und vor allem nicht, was sie meinen und wollen soll […], muss es ihr gesagt werden“.121 Zur Begründung dieser auffassung des Verhältnisses von presse, Öffentlichkeit und staat wurde oft auf den föderalen Charakter des Reiches verwiesen. die presse in Frankreich und england sei in der Hauptstadt zentralisiert, schrieb zum Beispiel Hammann in einem Redeentwurf für Bülow. das gebe „der presse in diesen ländern eine macht über die Regierung, andererseits aber auch der Regierung eine macht über die presse, welche bei uns in deutschland unmöglich ist“.122 einen anderen wichtigen unterschied deutete Hammann in dem dokument nur an: das politische system des deutschen Reiches machte eine aktive staatliche pressepolitik zwingend notwendig. da die Reichsregierung verfassungsrechtlich an das Vertrauen des monarchen und nicht an Reichstagsmehrheiten gebunden war, also „über den parteien“ operierte, verfügte sie auch nicht automatisch über eine eigene parteipresse wie etwa die Regierungen in england oder Frankreich. Hinzu kam, dass die leiter der deutschen politik nicht als abgeordnete im Reichstag sitzen mussten und sich nicht vor den Wählern ihrer Wahlkreise in öffentlichen ansprachen zu verantworten hatten. Überhaupt äußerten sich Regierungsvertreter in deutschland sehr viel seltener in öffentlicher Rede als in Großbritannien, wie der Berliner Times-Korrespondent George saunders treffend beobachtete: „[W]hen the Government want to influence public opinion it does so through the press“.123 die aufgabe, dieses Bindeglied zwischen Regierung und Bevölkerung herzustellen, oblag in erster linie dem pressereferenten im auswärtigen amt, Geheimrat otto Hammann, und seinen Helfern, den legationsräten ernst esternaux (seit 1894), Friedrich Heilbron (seit 1902) und Kurt Riezler (seit 1906). Während esternaux als Jurist über eine traditionelle Beamtenlaufbahn zur pressearbeit im auswärtigen amt gelangt war124, kamen der Jurist Hammann und die Geisteswissenschaftler Heilbron und Riezler von der politischen publizistik her. Hammann hatte vor seinem Übertritt in den staatsdienst für verschiedene konservative Zeitungen wie das Deutsche Tageblatt, vor allem aber seit 1885 für die vom preußischen innenministerium finanzierten Neuesten Mittheilungen geschrieben.125 Heilbron war als Berliner Vertreter des Hamburger Correspon121 122

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Zitiert nach Stöber, pressepolitik, s. 273. Redeentwurf von Hammann für Reichskanzler Bülow zum thema „pressepolitik im auslande“ (o. d., ca. 1908), Ba lichterfelde, nl 2106, otto Hammann, 4/63. Ähnlich auch Kölnische Zeitung nr. 354 vom 10. mai 1907; Pall Mall Gazette vom 8. mai 1907. George an david saunders, 29. Januar 1900, CCC, saunders papers, saun2, Gs/1/142. personalakte esternaux, pa-aa, Rep. iV, nr. 35. personalakte Hammann, pa-aa, Rep. iV, nr. 159. Vgl. auch den nachruf von Heilbron, Hammann; otto Graf zu stolberg-Wernigerode, otto Hammann, in: ndB, Bd. 7, Berlin 1966, s. 589–91. Hammann hat außerdem nach dem ersten Weltkrieg in erinnerungsbänden und Zeitschriftenaufsätzen selbst ausführlich über seine tätigkeit berichtet; vgl. Ham­ mann, Kurs; ders., Vorgeschichte; ders., Kaiser; ders., Bilder; ders., aufzeichnungen.

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denten tätig gewesen.126 auch Riezler hatte sich nach seiner promotion für kurze Zeit als publizist betätigt, ehe er als Hilfsarbeiter im auswärtige amt begann.127 dieser vergleichsweise kleine Kreis von Beamten, die im dritten stockwerk der Wilhelmstraße 76 untergebracht waren, hatte eine Fülle von aufgaben. esternaux wertete frühmorgens die deutsche und internationale presse aus und sorgte dafür, dass der Reichskanzler, der außenstaatssekretär und sein unterstaatssekretär als besonders wichtig erachtete artikel auf ihren schreibtischen vorfanden, wenn sie ihren arbeitstag begannen. später am tag wurden auch die Zeitungsausschnitte fertig gestellt, die man dem kaiserlichen Hof zur information des monarchen übersandte. Hammann überließ die Routinetätigkeiten seinen mitarbeitern und kümmerte sich selbst nur um die dringlichsten angelegenheiten des tages. Häufig konferierte er am späten Vormittag zwischen elf und zwölf uhr mit dem Reichskanzler und dem Chef der Reichskanzlei, Friedrich Wilhelm von loebell (unter Bülow) beziehungsweise arnold Wahnschaffe (unter Bethmann Hollweg). nicht selten nahmen an den sitzungen auch einzelne Ressortchefs teil, wenn angelegenheiten, die zu ihrem aufgabenbereich gehörten, zur diskussion standen.128 außerdem wurde in diesen Beratungen die politische linie festgelegt, die Hammann in den folgenden Gesprächen mit deutschen und ausländischen Journalisten vertrat. die presseleute, die im auswärtigen amt als verlässlich galten, warteten auf ihre unterredung mit dem „orakel der Wilhelmstraße“ in zwei engen, spärlich möblierten empfangsräumen.129 Wer sich kooperativ zeigte, konnte allmählich wie ernst Francke von den Münchener Neuesten Nachrichten oder die Berliner Vertreter der Kölnischen Zeitung, dr. Franz Fischer und arthur von Huhn, in den Kreis der publizistischen Vertrauten des pressereferenten aufgenommen werden.130 er sei über die „ganze marokkopolitik in ihrem Zusammenhange mit der ganzen Weltpolitik ganz intim unterrichtet“, brüstete sich ein anderer intimus Hammanns, der Berlin-Korrespondent der Frankfurter Zeitung, august stein, auf dem Höhepunkt der ersten marokkokrise im sommer 1905 gegenüber einem Kollegen, „denn o. H. [= otto Hammann, dG] verkehrt seit 2 monaten nur noch mit mir, ist mit allen anderen verfeindet u[nd] schenkt mir außerordentliches Vertrauen“.131 steins Bemerkung verdeutlicht, dass die praxis der Gewährung privilegierten Zugangs zu offiziellen auskünften eine Kehrseite 126 127 128 129

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personalakte Heilbron, pa-aa, Rep. iV, nr. 242. Vgl. Bert Becker, Kurt Riezler, in: ndB, Bd. 21, Berlin 2003, s. 618–9. Vgl. Hale, publicity, s. 68–9, dessen Beschreibung eines routinemäßigen arbeitstages auf Zeitzeugeninterviews mit Friedrich Heilbron beruht. Vgl. den zeitgenössischen Bericht des langjährigen Reuters-Korrespondenten in Berlin G. Valentine Williams, the German press Bureau, in: Contemporary Review 97, märz 1910, s. 315–25. Vgl. die entsprechenden einschätzungen des preußischen landwirtschaftsministeriums, GspK, i. Ha, Rep. 87 ZB, nr. 87, Bl. 51–4. stein an paul Weitz, 21. Juli 1905, pa-aa, nl paul Weitz, Bd. 3, Bl. 7.

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hatte: Gegenüber missliebigen, als unzuverlässig oder feindselig eingestuften Journalisten konnte man mit informationsentzug drohen oder die türen der pressestelle ganz verschlossen halten.132 ein derartiges Vorgehen war keineswegs eine spezialität des deutschen auswärtigen amtes, sondern vielmehr die Regel unter den europäischen mächten der epoche vor 1914. der pressebetrieb am Quai d’orsay, berichtete Riezler nach einem Besuch in paris und Gesprächen mit deutschen Korrespondenten vor ort, scheine „einige Ähnlichkeit mit dem in der Wilhelmstrasse zu haben, was den empfang der Journalisten betrifft“.133 Ähnlich verfuhr man auch an den deutschen missionen im ausland, wo in der Regel der zweite mann hinter dem Botschafter mit der pressepolitik betraut war. an der deutschen Vertretung in london waren die Botschaftsräte Hermann von eckardstein (1891–1902), Johann Heinrich von Bernstorff (1902–1906), Wilhelm von stumm (1906–1908) und Richard von Kühlmann (1908–1914) dafür verantwortlich, Kontakt mit den deutschen Korrespondenten zu halten und sie über die offizielle politik der Reichsregierung in Kenntnis zu setzen. auch hier wirkte das prinzip von Zuckerbrot und peitsche: Wer verlässlich kooperierte, erhielt informationen; wer aus irgendwelchen Gründen unangenehm auffiel, wurde ausgeschlossen. so erließ Reichskanzler Bethmann Hollweg im Februar 1911 einen Runderlass an alle kaiserlichen und königlichen missionen, in dem er bestimmte, dass alle Beziehungen der stellen des auswärtigen dienstes zur Redaktion des Berliner Tageblattes und zu dessen auswärtigen Vertretern und mitarbeitern „allmählich in nicht zu schroffer Weise zu lösen“ seien und dass „weder nachrichten noch orientierende Winke mehr erteilt werden“. Zur Begründung hieß es, die Haltung des Tageblattes schließe jeden Zweifel darüber aus, „dass diese Zeitung nicht bloß aus ungeschick, sondern mit bewusster absicht der politik der Kaiserlichen Regierung in inneren und in äußeren Fragen schwierigkeiten“ bereite.134 Für den london-Korrespondenten des Tageblatts, Johannes tschiedel, blieben die pforten der Botschaft fortan verschlossen.135 neben diese praxis selektiver informierung traten methoden staatlicher Repression, beispielsweise die Überwachung durch die spitzel der politischen polizei des Berliner polizeipräsidiums, die direkt dem preußischen innenministe132

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Vgl. etwa die aufzeichnung von loebells über ein Gespräch mit einem Redakteur des Berliner Tageblatts vom 23. märz 1906, Ba lichterfelde, nl 2106, otto Hammann, 1/11, Bl. 11. Freilich sei die macht des französischen außenministeriums „ausgedehnter und intensiver“, so Riezler, nicht zuletzt weil „der deutsche missbrauch des Begriffs ‚offiziös‘ hier unbekannt [ist] [...] das inapiriertwerden ist selbstverständlichkeit, auf der kein makel liegt“; Riezler an Bethmann Hollweg, 4. november. 1909, pa-aa deutschland 126 Bd. 4, R 1482. Runderlass Bethmann Hollwegs, 1. Februar 1911, pa-aa, london 1332. tschiedel an metternich, 20. Januar 1912; metternich an Bethmann Hollweg, 24. Januar 1912; Zimmermann an Botschaft london, 31. Januar 1912; Kühlmann an tschiedel, 1. Februar 1912; alle in: pa-aa, london 1332.

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rium unterstellt war. auf anfrage erstellte sie dossiers für andere Behörden, darunter auch die pressestelle des auswärtigen amtes.136 Vor allem aber trat sie bei Großveranstaltungen wie militärparaden oder Flottenmanövern in aktion, wenn auf jeden journalistischen Berichterstatter ein polizeispitzel angesetzt wurde, wie der Kladderadatsch in satirischer Zuspitzung behauptete.137 Regelrechte strafrechtliche Verfolgung spielte hingegen eine immer weniger wichtige Rolle im Kanon staatlicher pressepolitik; das Reichspressegesetz von 1874 lieferte hierfür relativ wenig ansatzpunkte, nachdem die ausnahmegesetzgebung aus der Zeit des Kulturkampfes und der sozialistengesetze nach 1890 nicht erneuert worden war.138 auch die verbliebenen rechtlichen möglichkeiten wie die anklage wegen majestätsbeleidigung (lèse majesté) wurden nach der Jahrhundertwende immer weniger ausgeschöpft.139 dementsprechend gewannen Versuche an Bedeutung, mit Hilfe gesellschaftlicher auszeichnungen oder staatlicher subventionierung einfluss auf die Berichterstattung bestimmter presseorgane zu gewinnen. Gewöhnlich erhielten einflussreiche Verleger regierungstreuer Zeitungen und besonders verdiente Chefredakteure den Roten adler-orden vierter Klasse, während andere schriftleiter mit dem königlichen Kronen-orden vierter Klasse bedacht wurden.140 Bülow war gern bereit, auch verlässliche auslandskorrespondenten zu dekorieren, vorausgesetzt den Betreffenden war bewusst, „dass der orden von uns kömmt“, wie er Hammann anwies.141 die verdeckte Finanzierungshilfe durch den staat konnte in der Form fester abonnements amtlicher stellen geschehen – wie im Fall der Zeitschrift Die Grenzboten, die auf drängen des Reichskanzlers vom preußischen innenministerium in 47 exemplaren für die verschiedenen ober- und Regierungspräsidenten des landes bezogen wurde.142 sie konnte aber auch durch die Vermittlung privater Kredite zustande kommen wie im Frühjahr 1904, als der Reichskanzler seinen pressereferenten anwies, die Münchener Allgemeine Zeitung müsse „unbedingt über Wasser gehalten werden“, 136

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Vgl. etwa den Bericht über den Berlin-Korrespondenten des Daily Express, Herbert a. White, 15. Juni 1909, pa-aa, england 81 nr. 3, R 5962. Vgl. hierzu und zum Folgenden auch Stöber, pressepolitik, s. 71–2. Kladderadatsch Bd. 54, nr. 38, 22. september 1901. siehe Wenzel, Kulturkampf-Gesetzgebung, s. 135. Zur entstehung des Reichspressegesetzes siehe naujoks, entstehung; zur Wirkung außerdem Wetzel, presseinnenpolitik; Re­ quate, Journalismus, s. 244–64. siehe hierzu die Zahlen bei Rebentisch, Gesichter, s. 58, Fn. 121. Vgl. die entsprechenden anträge des preußischen innenministers an den Kaiser aus den Jahren 1908 bis 1912, in: GspK, i. Ha, Rep. 89, nr. 15235 (Geheimes Zivilkabinett), Bl. 86–7, 171–2, 179–80; ebd., nr. 15236, Bl. 6–9, 21–4, 30, 45–9. Bülow an Hammann, 18. september 1902, Ba lichterfelde, nl 2106, otto Hammann, 1/7, Bl. 38–9. Bülow an preußisches innenministerium, 10. dezember 1901, GspK, i. Ha, Rep. 77, tit. 945, nr. 42 (preußisches innenministerium), Bl. 1–2. das abonnement wurde bis ende 1913 immer wieder erneuert, dann aber eingestellt, „weil die mittel dazu fehlen, außerdem aber auch ein besonderes Bedürfnis nicht anzuerkennen ist“; innenministerium an oberpräsidium Breslau, 13. Februar 1914, ebd., Bl. 174.

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weswegen die finanzielle unterstützung der konservativen schlesischen industriellen Christian Kraft von Hohenlohe-Öhringen und Guido Henkell von donnersmarck zu organisieren sei.143 den wenigsten britischen Beobachtern – ob diplomaten oder publizisten – gefiel das deutsche system der pressepolitik. im „pressebüro“ des auswärtigen amtes würden Journalisten mit offiziösen informationen gestopft wie straßburger Gänse, schrieb der Berlin-Korrespondent der nachrichtenagentur Reuters.144 Viele Briten sahen in dieser praxis eine nahtlose Fortsetzung, wenn nicht gar Vervollkommnung Bismarck’scher pressemanipulationen. diese waren in Großbritannien vor allem durch die 1898 auf englisch veröffentlichten erinnerungen von „Bismarcks Feder“ moritz Busch bekannt und berüchtigt geworden.145 ungeachtet der seither stark veränderten politischen wie publizistischen Rahmenbedingungen fehlte selten der Hinweis auf Bismarck und Busch, wenn man in england über deutsche pressepolitik sprach. „die Veröffentlichungen Buschs bilden noch heute das evangelium der deutschfeindlichen Kreise in england“, urteilte ein deutscher diplomat im dezember 1913.146 diese Wahrnehmungsmuster verweisen auf ein charakteristisches missverständnis, auf das man im Verhältnis von presse und politik häufig stößt: selbst die innovativsten und findigsten politiker und diplomaten tendierten dazu, die gegenwärtigen Verhältnisse auf der Grundlage von erfahrungen zu analysieren, welche die Generation vor ihnen gemacht hatte.147 so wie jeder Generalstab bei seinen Zukunftsplanungen dazu neigte, den vorangegangenen Krieg gewinnen zu wollen, schlugen die pressepolitiker ebenfalls gern die schlachten vergangener tage. Zugleich diente die deutsche pressepolitik aber auch als negativfolie, vor der sich die Verhältnisse in Großbritannien umso heller abhoben. er hoffe, schrieb beispielsweise der diplomat Cecil spring-Rice, der von 1895 bis 1898 an der Botschaft in Berlin tätig gewesen war, einem befreundeten publizisten, die britische presse werde niemals in ein derartig widerwärtiges abhängigkeitsver143 144 145

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Bülow an Hammann, 27. april 1904, Ba lichterfelde, nl 2106, otto Hammann, 1/10, Bl. 42. G. Valentine Williams: the German press Bureau, in: Contemporary Review 97, märz 1910, s. 318–9. Busch, Bismarck, 3 Bde., london 1898. die deutsche ausgabe erschien 1899 durch Vermittlung des Berliner Times-Korrespondenten beim leipziger Verleger Grunow; zur Vermittlung durch die times siehe die Korrespondenz zwischen saunders und moberly Bell vom Herbst und Winter 1898/99 in: nia, moberly Bell papers. Kühlmann an Bethmann Hollweg, 12. dezember 1913, pa-aa, england nr. 78, R 5760. in der Korrespondenz britischer Journalisten und diplomaten finden sich eine Fülle derartiger Bemerkungen; vgl. etwa die Randbemerkungen von eyre Crowe vom 10. november 1908 und 19. april 1909; tna, Fo 371/463/39911, s. 123–5 und ebd., 673/14623, s. 350–1; siehe auch maxse an saunders, 10. november 1902, WsRo, maxse papers 450, 568–71; strachey an northcliffe, 1. Juni und 12. Juli 1909, Bl, northcliffe papers, add. 62175 und HlRo, strachey papers, stR 11/4/23. Für den innenpolitischen Kontext Großbritanniens hat bereits stephen Koss auf dieses phänomen hingewiesen; vgl. Koss, Rise, Bd. 1, s. 411.

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hältnis geraten, „in which the German press is to the government – which makes it almost impossible for a gentleman to be a journalist“.148 der snobistische ton von spring-Rices Äußerungen verdeutlicht die Kluft im sozialen status, die zumindest die gehobenen, politisch einflussreichen Journalisten Großbritanniens von ihren deutschen Kollegen trennte. nur wenn man diese statusunterschiede gebührend berücksichtigt, kann man verstehen, wieso die bürokratische pressepolitik der Reichsregierung gegenüber britischen Journalisten in deutschland auf so große schwierigkeiten stieß. es begann bereits damit, dass viele britische Korrespondenten das oft stundenlange Warten vor der geschlossenen tür einer preußischen amtsstube als demütigend empfanden. Wer sich als publizistischer Botschafter der Weltmacht Großbritannien fühlte, glaubte sich berechtigt, mit den leitern der deutschen politik auf gleicher augenhöhe zu verkehren, und wollte nicht von subalternen Bürokraten mit vorformulierten argumenten abgespeist werden.149 selbst ausgesprochen deutschfreundliche Korrespondenten gerieten in Wut, wenn sie sich von nachgeordneten Beamten schikaniert fühlten. im Falle J. l. Bashfords vom Daily Telegraph führte eine auseinandersetzung mit einem telegrafenbeamten, der sich unter Verweis auf seine dienstvorschriften weigerte, ein dringendes telegramm des Journalisten wie üblich sofort zu übermitteln, nicht nur zu einem heftigen Wortwechsel im telegrafenamt, sondern – nachdem der Vorfall publik geworden war – auch zur Forderung des antisemiten liebermann von sonnenberg im Reichstag, Bashford müsse wegen Beamtenbeleidigung zur Verantwortung gezogen werden.150 Gleichzeitig zeigten die wenigsten auslandskorrespondenten sich von drohgebärden der Berliner polizeimacht beeindruckt. stanley shaw von der amerikanischen Zeitung The Sun, ein irischer Veteran unter den ausländischen Journalisten in Berlin, pflegte zu spotten, was ihn an der berittenen Gendarmerie in der deutschen Hauptstadt am meisten beeindrucke, sei der intelligente ausdruck auf den Gesichtern der pferde.151 Valentine Williams von Reuters machte sich ein Vergnügen daraus, Berliner polizisten zur Weißglut zu treiben, indem er solange selbstbewusst auf seine Rechte pochte, bis den Beamten die Geduldsschnur riss und sie ihn verhaften ließen, woraufhin Williams seine gesellschaftlichen Kontakte spielen ließ und er prompt auf freien Fuß gesetzt werden musste.152 sowohl Williams als auch sein Kollege Frederick William Wile von der Daily Mail reagierten eher amüsiert als besorgt, wenn sie von deutschen polizeispitzeln observiert wurden. tatsächlich besaßen die Beamten der politischen polizei kaum eine effektive Handhabe gegen ausländische Korrespondenten.

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spring Rice an strachey, 17. september 1901, HlRo, strachey papers, stR 13/14/2. Vgl. etwa saunders an Wallace, 4. Februar 1899, nia, Wallace papers. Vgl. Norddeutsche Allgemeine Zeitung nr. 283 vom 19. Juni 1896; siehe auch Gosselin an salisbury, 19. Juni 1896, tna, Fo 64/1377, s. 246–251. Vgl. Wile, news, s. 145. Williams, World, s. 125.

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selbst als Wile wenige Jahre vor Beginn des ersten Weltkriegs geheime einzelheiten der Konstruktion deutscher torpedos in der Daily Mail veröffentlichte, folgten auf die dunklen drohungen des Chefs der politischen polizei keine weiteren sanktionen gegen den Korrespondenten.153 stattdessen drängten die auslandskorrespondenten darauf, presseausweise zu erhalten, die es ihnen erlaubten, bei militärischen Veranstaltungen, Hoffesten und anderen Großereignissen an polizeiabsperrungen vorbeigelassen zu werden. die Begründung mit der Georg von Borries, der Berliner polizeipräsident, dieses ansinnen abwies, ist bezeichnend für den statusunterschied zwischen deutschen und ausländischen Journalisten. auch wenn er ohne weiteres zugeben wolle, so von Borries, „dass die jetzt dem Vereine der ausländischen presse als mitglieder angehörigen 46 Journalisten einer höheren Klasse der publizistik angehören als die hiesigen gewöhnlichen Reporter“, so sei doch eine Grenze zwischen beiden Kategorien nicht zu ziehen, was zu „vielfachen misshelligkeiten“ anlass geben müsse. Wie es in anderen ländern mit der Bevorzugung von Journalisten stehe, entziehe sich seiner Kenntnis, erklärte der polizeipräsident, in Berlin jedoch sei die ordnung nicht aufrecht zu erhalten, „wenn zahlreiche Journalisten sich beliebig überall frei bewegen können“.154 auf die dauer scheint das insistieren der auslandskorrespondenten jedoch erfolg gehabt zu haben. Jedenfalls bedankten sich die Vertreter britischer Zeitungen in Berlin nach dem staatsbesuch edwards Vii. und seiner Gattin alexandra anfang 1909 beim auswärtigen amt für dessen entgegenkommen bei der Berichterstattung über das ereignis.155 Vereinzelt finden sich in den Quellen noch weitere Hinweise darauf, dass zumindest einige Vertreter der deutschen diplomatie zu einem flexibleren, geschickteren umgang mit Journalisten fanden. der frühere außenstaatssekretär adolf marschall von Bieberstein zum Beispiel beschäftigte in seiner Zeit als Botschafter in Konstantinopel mit paul Weitz, dem dortigen Korrespondenten der Frankfurter Zeitung, einen journalistischen Berater, der ihm half, auf die türkische presse einzuwirken.156 die Zusammenarbeit erwies sich als so erfolgreich, dass der Journalist den Botschafter 1907 in die niederlande begleitete, wo marschall die deutsche delegation auf der Zweiten Haager Friedenskonferenz leitete. in ausführlichen Briefen an Hammann berichtete Weitz, der für seine dienste 2000 Reichsmark erhielt, wie er gemeinsam mit marschall systematisch die ausländische presse im Haag umwarb. Weitz lud amerikanische und britische Journalisten zum essen ein und informierte sie gezielt über die vermeintlichen absichten der deutschen seite. andere delegationen hingegen verhielten

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Wile, news, s. 140–142; Williams, World, s. 126–7. Von Borries an aa, 25. oktober 1907, pa-aa deutschland 126 Bd. 3, R 1481. Britische Berlin-Korrespondenten an von schön, 23. Februar 1909, pa-aa, england 81 nr. 3, R 5962. Für seine dienste erhielt Weitz aus der staatskasse jährlich 15 000 Reichsmark; schön an marschall, 31. dezember 1908, pa-aa, deutschland nr. 126a secr., R 1487.

d) Westminster und Whitehall: Koordination durch Klüngelei

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sich der presse gegenüber reservierter.157 sir edward Fry, der über 80jährige leiter der britischen delegation, erklärte den versammelten pressevertretern gleich zu Beginn der Konferenz, sie hätten von ihm keinerlei informationen zu erwarten, und fügte hinzu: „indeed, i don’t know why the newspapers sent any of you here!“.158 die politik der informationsverweigerung seitens der Briten führte dazu, dass sich die meisten Journalisten an marschall und Weitz hielten und die deutsche delegation über weite strecken der Konferenz hinweg eine recht gute presse besaß.159 außerdem trugen Weitz’ aktivitäten bei der Haager Friedenskonferenz maßgeblich dazu bei, dass marschall der Ruf eines besonders fähigen und medienbewussten diplomaten vorauseilte, als er 1912 nach london versetzt wurde.160 eine derartige erfolgreiche Kooperation wie zwischen marschall und Weitz blieb jedoch die ausnahme. im unterschied zu Großbritannien lebten Journalisten und diplomaten in deutschland vor 1914 in separaten Welten, die sich meist nur in den amtsstuben der diversen pressestellen berührten.

d) Westminster und Whitehall: Koordination durch Klüngelei in Großbritannien wurde bis zum Beginn des ersten Weltkriegs kein staatlicher apparat für die pressepolitik aufgebaut. offiziell unternahm die britische Regierung keinerlei Versuche, die presse zu beeinflussen oder deren Berichterstattung in eine bestimmte Richtung zu lenken. politiker und diplomaten bekannten sich ebenso wie die Journalisten zur doktrin von der presse als „Fourth estate“, derzufolge in Großbritannien eine unbeschränkt freie und pluralistische, dem allgemeinwohl verpflichtete presse als notwendige Kontrollinstanz der politik fungierte.161 in england, schrieb König edward Vii. wiederholt an seinen kaiserlichen neffen in deutschland, „we do not possess either the power or the means of preventing the expressions of so called public opinion!“162 sowohl konservative als auch liberale politiker wurden nicht müde, gegenüber dem ausland zu versichern, dass es in england keine wie auch immer gearteten einschränkungen der pressefreiheit gebe. so beauftragte der konservative premierminister 157

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Weitz an Hammann, 13. august und 13. september 1907, Ba lichterfelde, nl 2106, otto Hammann, 1/58, Bl.56–61, 62–63. siehe auch Hammann an Weitz, 3. und 6. august, 11. und 21. september 1907, pa-aa, nl paul Weitz, Bd. 1, Bl. 6–10; vgl. auch Kühlmann, erinnerungen, s. 279–80. Williams, World, s. 103. dafür war die enttäuschung nach dem ende der Konferenz dann vielfach umso größer; zum Verlauf der Verhandlungen vgl. Dülffer, Regeln, s. 300–27. Vgl. etwa saunders an maxse, 16. mai 1912, WsRo, maxse papers 466, Bl. 76–8; Daily News vom 3. august 1912. Vgl. Boyce, Fourth estate. edward Vii. an Wilhelm ii., 23. Januar 1906, pa-aa, england 78 secretissima, R 5774.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

lord salisbury den britischen Botschafter in Berlin, sir Frank lascelles, im dezember 1896, dem deutschen Kaiser auszurichten, „that we have here absolutely no means of controlling or influencing the press“.163 die gleiche sprachregelung galt für Kontakte der britischen diplomatie zur ausländischen presse. auch in dieser Beziehung enthalte sich die Regierung in london jeglicher einflussnahme, betonte der liberale außenminister sir edward Grey kurz nach seinem amtsantritt im Januar 1906 als Reaktion auf entsprechende Vorhaltungen Wilhelms ii. „We of course do not inspire or influence the press of which he [der Kaiser, dG] complains in other countries“, versicherte er lascelles und fügte hinzu, „we are not inspiring now nor will we ever control the press in this country.“164 diese offizielle enthaltsamkeit bedeutete freilich nicht, dass politiker und diplomaten in Großbritannien weniger medienbewusst gewesen wären als ihre Kollegen in deutschland oder dass sie den Wert einer geschickten pressepolitik – des „management“ oder „government of the press“, wie es im englischen hieß – geringer veranschlagt hätten. im Gegenteil: im parlamentarischen Regierungssystem englands, in dem unterhauswahlen über die Regierungsmacht entschieden, kam der „öffentlichen meinung“, ihrer Formierung und abbildung durch die presse eine noch viel zentralere Rolle zu als in deutschland.165 dementsprechend ernst nahmen parteipolitiker und staatsbeamte alle Fragen, die mit der informierung von presse und Öffentlichkeit zusammenhingen. schon im Jahr 1809 hatte das schatzamt in einem Rundschreiben an das Kriegsministerium, die admiralität und das außenamt appelliert: as long as the newspapers shall continue to be considered as important as they are now, some person in each of the three departments ought to read the principal newspapers every morning and send to the treasury […] either a correct statement of the Facts if Facts are to be stated, or a hint of the line which it wished should be taken.166

im Foreign office nahm man sich diese aufforderung durch das gesamte 19. Jahrhundert hindurch zu Herzen. allerdings blieb es nicht dabei, dass nur ein einziger Beamter mit der Zeitungslektüre betraut wurde. in der spätviktorianischen Ära wurden, wie aus einer auflistung vom mai 1886 hervorgeht, täglich nicht weniger als 65 Zeitungen ins außenamt geliefert: 39 morgen- und 26 abendblätter. die eher konservative Times wurde als wichtigste morgenzeitung in 17 exemplaren bestellt, die zu dieser Zeit liberale Pall Mall Gazette als einflussreichste abendzeitung der epoche 12 mal. der staatssekretär las morgens die Times und abends die Pall Mall Gazette sowie die St. James’s Gazette und den Globe. seinem unterstaatssekretär wurden jeden morgen zwei exemplare

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salisbury an lascelles, 3. dezember 1896, tna, Fo 800/23, Bl. 38. so schon salisbury an lascelles, 5. mai 1896, tna, Fo 64/1380, s. 17. in diesem sinne auch lascelles an Wilhelm ii., 16. märz 1900, tna, Fo 800/9, s. 403. Grey an lascelles, 2. Januar 1906, tna, Fo 800/11, Bl. 201–202. Vgl. Thompson, idea. Zitiert nach Ingram, Wages, s. 33.

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der Times zugestellt (eines in die diensträume, das andere in seine privatwohnung), außerdem die konservativen Blätter Morning Post und Daily Telegraph sowie die liberale Daily News und am abend die liberale Pall Mall Gazette zusammen mit der konservativen St. James’s Gazette.167 es blieb nicht bei der bloßen lektüre. spätestens seit den 1840er Jahren gehörte die Fühlungnahme mit der presse zum Handwerkszeug erfolgreicher staatsmänner.168 Viscount palmerston zum Beispiel achtete als außenminister sorgfältig darauf, die termine wichtiger sitzungen so anzuberaumen, dass er Reporter pünktlich zum Redaktionsschluss mit Vorabinformationen versehen konnte. außerdem nutzte er bestimmte Zeitungen wie den Morning Chronicle oder die Morning Post, um diplomatische Versuchsballons steigen zu lassen, ohne sich selbst festlegen zu müssen.169 Zugleich wuchs der Glaube der politiker an die Bedeutung der presse. „opinion now is supreme, and opinion speaks in print“, schrieb der spätere tory-premierminister Benjamin disraeli, der in den 1850er Jahren seine eigene, wenig erfolgreiche Zeitung herausgegeben hatte, in seinem Roman Coningsby und fügte hinzu: „the representation of the press is more complete than the representation of parliament.“170 lord salisbury, der als junger mann regelmäßig für die Vierteljahresschrift Quarterly Review geschrieben hatte, wahrte als premierminister zwar den anschein persönlicher unnahbarkeit, hielt aber durch seinen privatsekretär schomberg mcdonnell regen Kontakt zu wichtigen Zeitungen wie der Daily Mail und der Times, deren Ressortchef für außenpolitik, mackenzie Wallace, er persönlich kannte.171 salisburys neffe und nachfolger in den Ämtern des tory-parteichefs und premierministers, arthur Balfour, kokettierte zwar mit seinem unwissen, wenn es um pressefragen ging, glaubte jedoch ebenfalls an deren zentrale Bedeutung im politischen tagesgeschäft.172 Über seinen privatsekretär John sandars stand er in Verbindung mit einer ganzen Reihe führender konservativer Journalisten wie J. nicol dunn von der Morning Post und ernest Bruce iwan-muller vom Daily Telegraph, die ihn informierten und berieten.173 Kolonialminister Joseph Cham167 168 169 170

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statement showing the distribution of the daily newspapers taken in by the Foreign office, 16. mai 1886, tna, Fo 366/539. siehe allgemein dazu Negrine, politics; Seaton, politics. Brown, Compelling s. 45, 47. Zitiert nach Koss, Rise, Bd. 1, s. 11. selbst sir William ewart Gladstone, disraelis großer liberaler Gegenspieler, von dem seine Zeitgenossen annahmen, er habe sich nicht in die niederungen der pressemanipulation hinab begeben, zeigte „[an] awareness and use of the newspaper press […] much more acute than has hitherto been allowed“, wie der Herausgeber seiner tagebücher später nicht ohne Überraschung feststellte; Matthew (Hrsg), Gladstone diaries, Bd. 5, s. xliv. salisbury an lascelles, 3. dezember 1896, tna, Fo 800/23, Bl. 38; sanderson an lascelles, 23. august 1900, tna, Fo 800/9, Bl. 415–418. siehe auch Koss, Rise, Bd. 1, s. 366–7; ders., Rise, Bd. 2, 18. Balfour an northcliffe, 25. Juli 1899, Bl, northcliffe papers, add. 62153. Vgl. etwa iwan-mullers memorandum „some thoughts upon the present discontent“ vom Februar 1906, Bod. mss eng. hist. 751, sandars papers, Bl. 139–80. iwan-müllers Kar-

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1. Kommunikation und Außenpolitik

berlain, der als Bürgermeister von Birmingham in den 1870er Jahren gelernt hatte, wie nützlich die unterstützung einflussreicher Zeitungen für einen politiker war, zeigte seither ein geradezu besessenes interesse an allem, was mit der presse zusammenhing. Kein anderer politiker der ersten Reihe war für Fragen und Wünsche der Journalisten so offen wie Chamberlain, der deswegen in Fleet street vertraulich „Joe“ genannt wurde.174 unter den politikern der liberalen partei, die 1906 die Konservativen an der Regierung ablöste, zeichneten sich david lloyd George und der junge Winston Churchill durch besonders intensive Kontakte zur medienwelt aus. lloyd George pflegte zunächst als innenminister, später als schatzkanzler mit befreundeten Chefredakteuren wie Robert donald vom Daily Chronicle oder George Riddell von den News of the World zu zechen oder Golf zu spielen; auch seine Beziehungen zu C. p. scott vom Manchester Guardian waren eng.175 Churchill erwies sich als besonders gewieft, wenn es darum ging sicherzustellen, dass die presse über seine Reden berichtete: er versorgte Journalisten mit Vorabinformationen, sprach nur an orten, die mit einer telegrafenverbindung ausgestattet waren, und nie nach 19 uhr 30, so dass die Berichte rechtzeitig vor Redaktionsschluss eintreffen konnten.176 außerdem kultivierte er seinen guten draht zu lord northcliffe und lud als erster lord der admiralität den Verleger sogar zu einer testfahrt in einem unterseeboot ein.177 nicht alle Regierungsmitglieder waren so publicitybewusst wie lloyd George und Churchill, aber auch traditionellere politiker wie premierminister Herbert asquith oder außenminister Grey verfügten über journalistische Vertraute – im Falle asquiths und Greys vor allem J. alfred spender von der Westminster Gazette. derartig enge Verbindungen der verschiedenen Ressortchefs zu bestimmten Zeitungen veranlassten John Burns, den einzigen arbeitervertreter in der liberalen Regierung, zu dem stoßseufzer: „[e]very paper wants its own tame Cabinet minister“.178 die britische Krone unterhielt über die privatsekretäre des monarchen, lord Knollys (1901–1913) und lord stamfordham (1910–1931), sowie über königliche Vertraute wie lord esher ebenfalls Kontakte zur presse.179 in deutschland

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riere war seit gemeinsamen studientagen eng mit Balfours lebensweg verbunden. Von 1884 bis 1896 schrieb er leitartikel für den Manchester Guardian und behielt für Balfour dessen Wahlkreis in manchester im auge; später war er stellvertretender Chefredakteur der Pall Mall Gazette und danach außenpolitischer Redakteur des Daily Telegraph; vgl. Koss, Rise, Bd. 2, s. 29–31. Jones, Fleet street, s. 94; siehe auch Dugdale, Balfour, Bd. 1, s. 208. siehe Koss: Rise, Bd. 2, s. 99, 106, 144–5, 227. statt an den einzelheiten seines staatshaushaltes zu arbeiten, notierte sein unterstaatssekretär im schatzamt enerviert, ziehe lloyd George es vor, vage ideen mit Journalisten auszutauschen; tagebucheintrag von Charles Hobhouse, 7. märz 1909, zitiert ebd., s. 106. northcliffe an Curzon, o. d. (18. dezember 1910), Bl, northcliffe papers, add. 62153. Churchill an northcliffe, 15. oktober 1912 und 9. april 1913, Bl, northcliffe papers, add. 62156. Burns an Gardiner, 7. Juli 1908, Blpes, Gardiner papers, 1/3; vgl. Koss, Radical, s. 97. Zu eshers pressekontakten siehe Richards, memories, s. 130–1; Baylen, politics.

d) Westminster und Whitehall: Koordination durch Klüngelei

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glaubten manche sogar, König edward Vii. unterhalte ein regelrechtes „pressebüro“.180 derartige Vermutungen waren reine „luftgebilde“, wie der deutsche Botschafter in london zu Recht feststellte.181 der einfluss der Krone auf die presse wurde nicht auf institutionellem Wege ausgeübt, sondern in Form von Gesprächen mit journalistischen Vertrauensleuten des Hofes. Königin Victoria setzte dabei unter anderem auf sir theodore martin, einen schottischen Juristen und publizisten; König edward Vii. ließ sich von sir mackenzie Wallace, dem leiter des außenpolitischen Ressorts der Times, über aktuelle entwicklungen auf dem laufenden halten.182 somit hatte die pressepolitik in Großbritannien anders als in deutschland keinen institutionellen, bürokratischen Rahmen, sondern beruhte auf persönlichen Beziehungen zwischen politikern, diplomaten und Journalisten, die häufig dem gleichen sozialen Hintergrund entstammten, in ihrer Jugend dieselben schulen und universitäten besucht hatten, später in london denselben organisationen und Vereinen angehörten. innerhalb dieses sozialen Zirkels, der vielleicht am treffendsten als „establishment“ zu bezeichnen ist, traf man sich beim gemeinsamen mittagessen oder zum dinner, am Rande von Festveranstaltungen und Vorträgen oder bei privaten abendeinladungen. die dabei entstandenen persönlichen Bindungen bildeten die Grundlage jener informellen, unbürokratischen abstimmungsprozesse, die man auch Koordination durch Klüngelei nennen könnte und die im Zentrum der britischen pressepolitik vor dem ersten Weltkrieg standen.183 im Hinblick auf die Beziehungen zwischen politik und presse vertraute man somit auf dieselben unbestimmten, aber wirkungsvollen Kräfte sozialer netzwerkbildung, die auch auf anderen Feldern die ausübung von politischer macht und einfluss in Großbritannien prägten. der deutsche Journalist Friedrich trefz von den Münchener Neuesten Nachrichten hatte ohne Zweifel recht, wenn er einem britischen diplomaten gegenüber erklärte, „that although england possesses no press Bureau, yet, owing to different social conditions, the editors of the leading london dailies keep in more constant touch with the governing classes than is the case in Germany“.184 nicht untypisch war der Werdegang von Harry Webster levy lawson, seit 1903 Verleger des Daily Telegraph. nach dem schulbesuch in eton und einem 180 181 182

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Vgl. Wedel an Bülow, 9. Juli 1907, und Bülow an metternich, 16. Juli 1907, beide in: pa-aa, england 73 secr., R 5644. metternich an Bülow, 27. Juli 1907, pa-aa, england 73 secr., R 5644. Vgl. Buckle (Hrsg.): letters, 3. Reihe, Bd. 3, s. 224–5; Lee, edward Vii., Bd.1, s. 494, 733; Bd. 2, s. 361, 526, 568, 592. Zur medialen präsenz Königin Victorias vgl. Plunkett, Queen Victoria. die Zeitungen von politischer Bedeutung im Großbritannien der ersten Jahre des 20. Jahrhundert, hat stephen Koss zurecht festgestellt, „were a select few, self-consciously concerned with public issues, and [...] addressed to ‚thoughtful men‘ rather than to ‚the crowd‘ [...] the political press per se was distinctly a gentleman’s press, as much in terms of sex as class“; Koss, Rise, Bd. 1, s. 414, 416. acton an Grey über Gespräch mit trefz, 22. november 1912, tna, Fo 371/1371, Bl. 389–95.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

Geschichtsstudium am Balliol College in oxford saß lawson viele Jahre als abgeordneter im unterhaus – anfangs für die liberale partei, später für die tories, ehe er 1916 nach dem tod seines Vaters als zweiter Baron Burnham ins oberhaus wechselte.185 Zwei aspekte dieser Biographie waren bezeichnend für die durchdringung politischen und publizistischen einflusses im england der spätviktorianischen und edwardianischen Ära: erstens fällt die Bedeutung universitärer Kontakte auf, insbesondere des netzwerks ehemaliger Balliol-studenten, zu dem neben lawson, asquith, Grey, tyrrell, spender, saunders und dem Spectator-Herausgeber John st. loe strachey auch der diplomat Cecil springRice und der Vizekönig von indien, George nathanael Curzon gehörten.186 Zweitens zeigt sich, dass die trennlinie zwischen politik und publizistik keineswegs undurchdringlich war. auch wenn ein Wechsel von einer sparte in die andere nicht so üblich war wie etwa im Frankreich der dritten Republik, gab es doch auch in Großbritannien zahlreiche Beispiele von publizisten, die in die politik überwechselten, und umgekehrt – Winston Churchill etwa, der als Kriegsberichterstatter für die Morning Post in südafrika tätig war, ehe er 1900 ins unterhaus gewählt wurde, oder Charles prestwich scott, der von 1896 bis 1906 elf Jahre lang für die liberale partei im House of Commons saß, bevor er sein mandat aufgab, um sich ganz dem manchester Guardian zu widmen, den er 1905 erworben hatte.187 Wichtige orte informeller Kommunikation und zwanglosen, aber oft folgenreichen Gedankenaustausches, die für die britische spielart der pressepolitik unverzichtbar waren, stellten vor allem die Gentlemen’s Clubs des vornehmen londoner Westends dar, wo politiker, diplomaten und Journalisten beim mittag- oder abendessen aktuelle probleme diskutierten, sich auf politische strategien einigten und sprachregelungen in streitfragen vereinbarten.188 tory-Kreise trafen sich dazu gern im Carlton Club, die liberalen im Reform Club, während militärs und marineoffiziere den army and navy Club für ihre Gespräche mit presseleuten bevorzugten.189 außerdem dienten die Clubs vielen Journalisten als informationsbörse für die neuesten nachrichten oder Gerüchte aus Westminster und Whitehall. dort wurden publizistische allianzen geschmiedet, Kampagnen ge185 186 187

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Vgl. Huw Richards, Harry Webster levy lawson, in: odnB Bd. 32, s. 890–1; Hart­ Davis, House, s. 43; Lawson, peterborough Court, s. 165–8. siehe Gwynn (Hrsg.), letters, s. 19–20. die Bedeutung der universitären Verbindungen betonen auch Kaul, angle, sowie Wittek, Feind, s. 186–7. Viscount John morley, um ein anderes Beispiel zu nennen, hatte unter anderem die Fortnightly Review und die Pall Mall Gazette geleitet, ehe er 1883 seine Karriere als liberaler unterhausabgeordneter begann, die ihn 1905 an die spitze des india office führte; vgl. die entsprechenden einträge in Griffiths (Hrsg.), encyclopedia. Zu Frankreich sie Requate, Journalism, s. 87–98. Vgl. allgemein hierzu Lejeune, Clubs. Vgl. den Bericht über ein treffen mit General Grierson von George an margaret saunders, 8. märz 1904, CCC, saunders papers, saun3 Gs/2/34; zum Carlton Club siehe esher an spender, 11. Juni 1912, Bl, spender papers, add. 46,392; zur Bedeutung des Reform Clubs für die liberale partei siehe Koss, Radical, s. 5, 16, 61–2, 71, 136.

d) Westminster und Whitehall: Koordination durch Klüngelei

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plant und vorbereitet. Redakteure der northcliffe-presse zum Beispiel saßen zu diesem Zweck oft mit anderen konservativen Journalisten vom Daily Telegraph und von der National Review im Garrick Club beisammen.190 Für die meisten auslandskorrespondenten bildeten ihre jeweiligen Clubs zugleich eine wichtige anlaufstation und zweite Heimat während ihrer aufenthalte in england. der Berlin-Korrespondent J. l. Bashford etwa pflegte im oxford and Cambridge Club abzusteigen, wenn er in london weilte, Herbert a. White vom Daily Express im Constitutional Club und saunders von der Times im st. James’s Club.191 in der Regel wurden persönliche Beziehungen dabei durch weltanschauliche Übereinstimmungen und parteipolitische loyalitäten verstärkt. politiker wie Joseph Chamberlain und david lloyd George verstanden es sehr geschickt, gleichgesinnte Journalisten um sich zu versammeln und auf ihre jeweiligen politischen projekte – sei es Chamberlains schutzzollkampagne oder lloyd Georges sozialpolitische Reformen – einzuschwören.192 es gab aber gerade in außenpolitischen Fragen auch immer wieder Gelegenheiten, bei denen alte persönliche Bindungen reaktiviert wurden, um über ideologische Gräben und mögliche Regierungswechsel hinweg diplomatische Kontinuität publizistisch abzusichern. auch ohne bürokratischen apparat konnten das britische außenamt und die Botschaften pressepolitischen einfluss entfalten, wenn sie das für notwendig hielten. es gab genügend publizisten, die ihre Bekanntschaften zu führenden Beamten und diplomaten pflegten: der diplomat Cecil spring-Rice zum Beispiel korrespondierte nicht nur mit strachey vom Spectator, sondern auch mit seinem ehemaligen studienfreund alfred spender, von der liberalen Westminster Gazette. leo maxse von der National Review stand ebenfalls mit spring Rice in regem austausch, aber auch mit dem ständigen unterstaatssekretär Charles Hardinge (1906–1910). der leitartikler Henry spenser Wilkinson von der Morning Post war mit dem deutschlandexperten des Foreign office, eyre Crowe, verschwägert.193 Valentine Chirol hatte in den 1870er Jahren selbst eine Karriere im diplomatischen dienst begonnen und hielt zunächst als Berlin-Korrespondent, später als Chef des außenpolitischen Ressorts der Times enge tuchfühlung mit alten Bekannten wie spring Rice und Botschafter lascelles, dem ständigen unterstaatssekretär thomas sanderson (1894–1905) und dessen nachfolgern Hardinge und arthur nicolson (1910–1914).194 190 191

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piper an mantler, 28. november 1904, pa-aa, england presse nr. 73, R 5622. Vgl. Bashford an Bülow, 28. mai 1904, pa-aa, england 78, R 5684; White an stein, 5. Juli 1912, sBpK, nl stein; saunders an seine Frau, 27. mai 1903, CCC, saunders papers, saun3 Gs/3/4. Vgl. Koss, Rise, Bd. 2, s. 18–9, 28–9, 67–8, 99–101, 106–7, 114, 118–9. Crowes Korrespondenz mit seiner mutter aus den später 1890er Jahren zeigt deutlich, wie häufig sich die beiden männer in diesen Jahren trafen, wie intensiv sie Wilkinsons ideen diskutierten, wie sehr Crowe den älteren schwager für dessen Kreativität bewunderte und welch regen anteil der Foreign office-Beamte an den Buchprojekten und politischen plänen des Journalisten nahm; siehe insbesondere Bod, ms. eng d. 2898. Vgl. Steiner, Foreign office, s. 186–92; Hale, publicity, s. 25, 286–7.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

auf ähnliche Weise pflegten auch die Botschaften Beziehungen zum establishment der britischen pressevertreter an ihrem jeweiligen einsatzort. nicht selten war gerade der Times-Korrespondent, der land und leute oft besser kannte als die diplomaten, eine Quelle wichtiger informationen. als das außenamt in london beispielsweise im Frühjahr 1906 eine detaillierte analyse der deutschen presselandschaft anforderte, wurde kein Botschaftsangehöriger mit der aufgabe betraut, sondern George saunders von der Times.195 umgekehrt wurden als zuverlässig erachtete Korrespondenten häufig vom Botschafter oder seinen mitarbeitern ins Vertrauen gezogen, insbesondere wenn der Kontakt über die berufliche ebene hinausging und private Beziehungen einschloss.196 so luden sowohl lascelles (1895–1908) als auch sein Vorgänger sir edward malet (1884–1895) die führenden Vertreter der londoner Zeitungen in Berlin einmal im Jahr zu Weihnachten zu einem Festessen in die Botschaft.197 malet amüsierte sich darüber hinaus im Winter regelmäßig beim eisstockschießen mit saunders im Berliner tiergarten.198 ein derartig vertraulicher und gleichberechtigter gesellschaftlicher Verkehr wäre zwischen deutschen diplomaten und london-Korrespondenten undenkbar gewesen, schon weil die sozialen standesunterschiede ihn nicht zugelassen hätten. Zugleich verhinderten statusdifferenzen aber auch fast alle Kontakte britischer diplomaten zur deutschen presse. „the German writer“, mokierte sich beispielsweise spring-Rice in seiner Zeit an der Botschaft in Berlin ende der 1890er Jahre, a dirty Jew generally, whom his employers are afraid to be seen talking to, gets his ideas from the Foreign office in a back room; launches them in secret, is disavowed if necessary; generally, if successful, is rewarded with some piece of scandal or secret information – and that is the means they have here of making their political opinions known to the world.199

spring Rices antisemitisch eingetönte Äußerungen verwiesen auf die Kehrseite einer pressepolitik, deren Grundlage die gemeinsame Zugehörigkeit zum establishment war: den ausschluss all derjenigen, die nicht zum Kreis der privilegierten gehörten. ausländische Journalisten waren davon genauso betroffen wie britische außenseiter, Vertreter unbedeutender provinzzeitungen oder anderer Blätter, die aus irgendwelchen Gründen als nicht respektabel galten. 195

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siehe das entsprechende memorandum von saunders, o. d. (Juni 1906), tna, Fo 371/166, Bl. 168–73 (abgedruckt in BdFa teil i, Reihe F, Bd. 19, nr. 228, s. 296–303). Für ähnliche Fälle in anderen ländern vgl. Steiner, Foreign office, s. 188–9; Robbins, public opinion, s. 86. Vgl. etwa saunders an Wallace, 16. Januar, 13. und 20. Februar 1897, 15. oktober 1898, nia, Wallace papers; saunders an Chirol, 18. märz und 8. april 1899, ebd., Chirol papers. George an david saunders, 20. dezember 1893, 23. dezember 1899, CCC, saunders papers, saun2 Gs/1/82, 140; George an margaret saunders, 25. dezember 1890, ebd., saun3 Gs/2/23. George an david saunders, 8. dezember 1893, 6. Januar und 28. dezember 1894, CCC, saunders papers, saun2 Gs/1/81, 85, 101. Cecil an stephen spring Rice, 27. Januar 1898, abgedruckt in: Gwynn (Hrsg.), Bd. 1, s. 246.

d) Westminster und Whitehall: Koordination durch Klüngelei

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die britischen eliten hatten über Jahrzehnte hinweg subtile ausgrenzungsmechanismen entwickelt, mit deren Hilfe man die spreu vom Weizen trennen konnte. Wie derartige instrumentarien der differenzierung funktionierten, lässt sich am Beispiel der parlamentsberichterstattung gut nachvollziehen. nachdem 1771 erstmals londoner Reporter ins unterhaus zugelassen worden waren, dauerte es länger als hundert Jahre, ehe 1881 außer den Hauptstadtzeitungen auch führende provinzblätter einige der begehrten plätze auf der pressegallerie des palastes von Westminster zugewiesen bekamen.200 nicht-britischen Zeitungen hingegen wurde unter Verweis auf den platzmangel jeder Zugang zur pressetribüne im parlament verwehrt – ein privileg, das Vertreter ausländischer Blätter in fast allen anderen europäischen staaten genossen, wie die Foreign press association in zahlreichen fruchtlosen Beschwerden immer wieder hervorhob.201 Zusätzlich musste jeder Journalist, der aus dem House of Commons berichtete, sich an die dort herrschende Kleiderordnung halten, die bis 1939 Frack und seidenzylinder vorschrieb.202 da dieselbe Bestimmung auch für den empfang im Foreign office galt, war es vielen – gerade auch ausländischen – Reportern, die sich derartige teure Kleidungsstücke nicht leisten konnten, von vornherein unmöglich, dort vorzusprechen; wiederholte Beschwerden der Foreign press association änderten daran nichts.203 trotz derartiger Vorkehrungen fühlten sich die Beamten des außenministeriums ende der 1890er Jahre durch die überkommenen Verhaltensmaßregeln für Journalisten nicht mehr ausreichend gegen Belästigungen zudringlicher Reporter geschützt.204 „the press Runners seem to have unlimited access to the Foreign office passages + watch every movement of the Foreign ministers“, beklagte sich der stellvertretende unterstaatssekretär Francis Bertie im Herbst 1898. „they have become a positive pest.“ Bertie schlug vor, künftig nur noch leitende Redakteure ins innere des amtes zu den privatsekretären des außenministers vorzulassen. Für einfache Reporter sollte eine informationstafel in der eingangshalle angebracht werden, der alle offiziellen Bekanntmachungen zu entnehmen seien.205 200 201 202 203 204

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John sandars: memorandum on Reporting in parliament, 9. april 1908, Bod., mss eng. hist. 756, sandars papers; vgl. auch Ingram, Wages, s. 23–4. siehe den Bericht des Vizepräsidenten der Fpa, Hermann pollak, in: Sell’s Dictionary of the World press 1899 (wiederabgedruckt in: Goldsmith, Britain, s. 9–14). nur für die Jahre des ersten Weltkriegs galt eine ausnahmeregelung; Ingram, Wages, s. 25; vgl. auch Fife, sixty Years, s. 7–8. Vgl. Goldsmith, Britain, s. 11–3. die von außenminister Granville 1884 erlassenen Regeln besagten, „[that no] newspaper reporters or press Correspondents are to be admitted to the Foreign office unless they come to see some particular gentleman. if they ask for anybody they are to be shown into a waiting room and not be allowed to stand about the passages“, interne Bekanntmachung Granvilles, 1. Juli 1884, tna, Fo 366/391. salisbury hatte später zusätzlich verfügt, dass vor 16 uhr überhaupt keine Journalisten vorgelassen werden dürften; Vermerk von Chief Clerk F. B. alston, 16. märz 1887, ebd. Bertie an salisbury, 10. september 1898, tna, Fo 366/391; siehe dort auch die auf der Grundlage von Berties empfehlungen fomulierten Richtlinien, die unterstaatssekretär sanderson kurz darauf zirkulieren ließ; Rundschreiben sandersons, 13. oktober 1898, ebd.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

Ähnliche Verhaltensmaßregeln veranlasste man einige Jahre darauf auch in der admiralität. „orders will be given“, hieß es in einem Rundschreiben des zuständigen unterstaatssekretärs vom 6. mai 1902, that press Representatives who may call at the admiralty for information are politely conducted to one of the Waiting Rooms on the Ground Floor and are not to be permitted to roam about the office or enter any of the rooms where official business is being carried on. no interviews are to be held with them. the name of the Representative is to be taken to the private secretary of the permanent secretary, who will only give information under authority and is to request the Representative to put in writing anything he may wish to ask. superior authority is to be obtained as to the nature of the answer to be given. He is not to enter into conversation with the Representative unless by special authority. no one in the Registry is authorised to enter into any sort of communication with a press Representative.206

die Grundprinzipien der pressepolitik unterschieden sich somit in deutschland und Großbritannien beträchtlich voneinander. Während es im Kaiserreich aufgabe und erklärtes Ziel der staatlichen Bürokratie war, die einheimische wie ausländische presse durch gezielte informationen und Hinweise zu lenken, bemühten sich die amtlichen stellen in london, ihre offiziellen Kontakte mit Zeitungsleuten so gering wie möglich zu halten. die mechanismen englischer einflussnahme auf die presse setzten im gesellschaftlichen Bereich an, nicht nur bei den politischen parteien, sondern vor allem auch auf der ebene individueller persönlicher Beziehungen – also gerade dort, wo in deutschland die distanz am größten war. innerhalb dieser verschiedenartigen systeme waren jedoch diesseits wie jenseits des Ärmelkanals zum teil ähnliche pressepolitische instrumentarien wirksam. auch in england spielten neben den presserechtlichen Bestimmungen beispielsweise gesellschaftliche auszeichnungen, ordensverleihungen und nobilitierungen sowie die offene oder verdeckte subventionierung bestimmter Blätter eine zentrale Rolle. die polizeistaatlichen Repressionsmethoden und das spitzelsystem, das es im deutschen Kaiserreich gab, fanden in Großbritannien freilich keine entsprechung. dafür waren im Vereinigten Königreich die – aus der germanischen Rechtstradition stammenden – Verleumdungsbestimmungen sehr viel strikter als in deutschland, dessen römische Rechtstradition stärker auf den schutz von leben und eigentum, nicht so sehr auf Fragen der ehre ausgerichtet war: ein britisches Blatt hatte noch nicht einmal das Recht, ungünstige tatsachen aus dem leben einer privatperson mitzuteilen, wenn es den Wahrheitsbeweis für seine Behauptungen antreten konnte.207 Finanzielle Zuschüsse für Zeitungen in Geldnöten waren nichts neues in der britischen pressegeschichte. sie nahmen aber in der spätviktorianischen und edwardianischen epoche angesichts des verschärften Konkurrenzkampfs auf dem 206 207

tna, adm 1/7597. in dem wohl bekanntesten Verleumdungsprozess der epoche wurde die Times im Jahr 1890 dazu verurteilt, dem Führer der irischen partei, Charles stewart parnell, eine entschädigung in Höhe von £ 100 000 (umgerechnet zwei millionen Reichsmark) zu zahlen; vgl. Peters, england, s. 131–2; Jones, Fleet street, s. 300. Zum parnell-skandal siehe auch Hot Bd. 3, s. 43–89.

d) Westminster und Whitehall: Koordination durch Klüngelei

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medienmarkt neue dimensionen an. entscheidend für den Vergleich mit deutschland war der umstand, dass die Zuwendungen nicht aus der staatskasse stammten, sondern von den politischen parteien, die wichtige organe der ihr nahe stehenden politischen Richtungspresse gegen das Vordringen der kommerziellen massenpresse verteidigen wollten, etwa indem sie gezielt annoncen in diesen Blättern schalteten.208 daneben gab es direktere Formen der Zuwendung. so erhielt zum Beispiel die Westminster Gazette als einflussreichste liberale Zeitung der Ära regelmäßige Finanzspritzen von einer Gruppe liberaler unternehmer um sir John Brunner, den Vorsitzenden der national liberal Federation, und alfred mond, den unterhausabgeordneten für den Wahlkreis Chester; die Daily News konnte nur dank der unterstützung des schokoladenfabrikanten George Cadbury überleben.209 die tory-partei zahlte aus der parteikasse mitunter bis zu £ 10 000 pro Jahr an Blätter wie den Observer, den Globe, den Standard und die Pall Mall Gazette.210 außerdem sorgten die parteien dafür, dass ihnen nahe stehende Verleger und Chefredakteure als Zeichen der Wertschätzung in den adelsstand erhoben wurden. der Verleger und Chefredakteur des Daily Telegraph, edward levy lawson, über lange Jahre hinweg Vorsitzender verschiedener wichtiger standesvereinigungen wie der „newspaper proprietor association“, des „newspaper press Fund“, des „institute of Journalists“ und der „empire press union“, wurde auf Betreiben der konservativen Regierung im Juli 1904 als erster lord Burnham nobilitiert und ein Jahr später als Knight Commander of the Royal Victorian order (KCVo) mit der zweithöchsten britischen Ritterwürde ausgezeichnet.211 Wenige tage vor dem ausscheiden aus dem amt verschaffte die Balfour-administration, die alfred Harmsworth 1903 schon den titel eines Baronet hatte verleihen lassen, dem Verleger die erhebung zum Baron northcliffe – schon um auf diese Weise der liberalen nachfolger-Regierung die Chance zu nehmen, dem mächtigen pressebaron durch entsprechende Zusicherungen auf ihre seite zu ziehen.212 tatsächlich setzte die liberale Regierung die praxis ihrer konservativen Vorgänger in dieser Hinsicht fort: 1910 wurde alfreds Bruder Harold, anteilseigner bei der Daily Mail, beim Daily Mirror, Sunday Mirror und einigen provinzzeitungen, ebenfalls der titel eines Baronet verliehen; 1914 avancierte er zum Baron Rothermere.213 208 209 210 211 212 213

Vgl. Jones, Fleet street, s. 302. Zur Westminster Gazette vgl. Koss, Rise, Bd. 2, s. 101–3; zur Daily News siehe ders., Radical, s. 39–41, 47, 66–7, 111. siehe Koss, Rise, Bd. 2, s. 121–2. siehe H. C. G. matthew, edward levy lawson, in: odnB Bd. 32, s. 885–886; Hart­ Davis, House, s. 38. siehe acland-Hood an sandars, 5. dezember 1905, Bod., mss eng hist. 750, sandars papers; vgl. auch Searle, Corruption, s. 93; Thompson, northcliffe, 126–7. siehe Taylor, outsiders, s. 233. Zugleich deuten die anzeichen schlechten Gewissens, die asquith bei derartigen Gelegenheiten an den tag legte, darauf hin, dass er das Vorgehen als bedenklich empfand. so bemerkte er gegenüber spender anlässlich der Verleihung der Rit-

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1. Kommunikation und Außenpolitik

diese Zusammenhänge illustrieren, wie eng nicht nur in deutschland, sondern auch in Großbritannien politik und presse miteinander verwoben waren. in beiden ländern waren politiker, diplomaten und publizisten aufeinander angewiesen und voneinander anhängig. ein gewisses maß an abstimmung, aber auch an Friktionen konnte nicht ausbleiben. diese strukturellen Ähnlichkeiten geraten aus dem Blick, wenn man den Gegensatz zwischen einer „freien“ presse in Großbritannien und einer „gelenkten“ presse in deutschland allzu sehr betont. auf der anderen seite darf man aber auch nicht vergessen, wie stark das deutsche und britische Verständnis von der angemessenen Rolle der presse in der politik voneinander abwichen, wie verschiedenartig sich infolgedessen die Koordinationsprozesse und das ausmaß der spannungen zwischen beiden Bereichen gestalteten.

e) Reuters und Wolff’s Telegraphisches Buureau als halb­offizielle Staatsagenturen an kaum einem anderen Beispiel lassen sich die Gemeinsamkeiten und unterschiede deutscher und britischer pressepolitik so deutlich aufzeigen wie an dem Verhältnis, in dem die großen nachrichtenagenturen beider länder zu ihren jeweiligen Regierungen standen. Wer die macht über die telegramme besitze, so konnte man im dezember 1872 in der Zeitschrift Vanity Fair lesen, der habe die macht über die öffentliche meinung in der außenpolitik, denn aus diesen depeschen beziehe das publikum sein gesamtes Wissen über das, was in der Welt vor sich gehe.214 es folgte ein Bericht über einen ungewöhnlich erfolgreichen Geschäftsmann: paul Julius Reuter, den Gründer von Reuter’s telegram Company, die in den zurückliegenden zwei dekaden zur weltweit führenden telegrafenagentur aufgestiegen war, ihrem Besitzer beträchtlichen Reichtum und 1871 den adelstitel eines Barons eingebracht hatte. Reuter, 1821 in Kassel geboren, war zunächst Handlungsgehilfe und Bankkaufmann in Hannover und Göttingen, dann Buchhändler in Berlin und anschließend für kurze Zeit Redakteur der französischen nachrichtenagentur von Charles Havas in paris gewesen, ehe er 1849 seine eigene lithographierte Korrespondenz ins leben rief. im Jahr darauf startete er in aachen ein unternehmen, das politische und Börsen-nachrichten von und nach Berlin, Wien und paris übermittelte: wo das möglich war, über bereits bestehende telegrafenleitungen, wo noch lücken im netz klafften, wie zwischen aachen und Brüssel, mit Hilfe eines Brieftaubendienstes. der geschäftliche durchbruch gelang ihm zwei Jahre später, nach der Übersiedlung

214

terwürde an den Verleger der sonntagszeitung News of the World, „that it w[oul]d be better that journalists sh[oul]d neither seek nor accept such distinctions; but that, unfortunately, is not the way of the world in which we live“; asquith an spender, 10. november 1909, Bl, spender papers, add. 46,388. Vanity Fair, 14. dezember 1872.

e) Reuters und Wolff’s Telegraphisches Buureau

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nach Großbritannien, das 1851 durch ein unterseekabel zwischen dover und Calais an das europäische telegrafennetz angeschlossen worden war. Reuter erkannte als erster, welche möglichkeiten diese Verbindung eröffnete und gründete ein depeschenbüro in london – mit durchschlagendem erfolg. „society has used him graciously“, schloß der artikel in Vanity Fair, „and he in return appears to feel a considerable affection for the country whose notion of foreign affairs he holds in his hands“.215 Fast vierzig Jahre später beschrieb der deutsche publizist Hermann diez die auswirkungen der telegrafischen Kommunikation mit noch emphatischeren Worten. Für die staatskunst wie für das Geschäftsleben, so diez, bedeute die extrem beschleunigte orientierung über ereignisse in aller Welt nicht bloß eine annehmlichkeit, sondern geradezu die Voraussetzung für den erfolg jeder tätigkeit. die Geschwindigkeit des nachrichtendienstes sei „das unentbehrliche Werkzeug und der eigentliche entwicklungskeim einer neuen über die Grenzen der Heimat und des erdteils hinausgreifenden anschauungs- und Handlungsweise, sonach ein mittel der Welterweiterung, die Wurzel der Weltpolitik, der Weltwirtschaft, des praktischen Weltbürgertums“.216 diez wurde 1912 Co-direktor der größten deutschen nachrichtenagentur, der Continental-telegraphen-Compagnie, besser bekannt unter dem namen ihres Gründers als Wolff’s telegraphisches Bureau (WtB). Bernhard Wolffs lebensweg war demjenigen Reuters nicht unähnlich. Wie dieser entstammte der 1811 in Berlin Geborene einer jüdischen Familie. Wie Reuter arbeitete er zeitweilig als Buchhändler in Berlin – bei der Vossischen Buchhandlung, deren teilhaber er später wurde – und ging während der Revolutionswirren 1848 nach Frankreich, wo er anstellung bei Havas’ nachrichtenagentur fand. Wie Reuter inspirierten auch Wolff die pariser erfahrungen zur nutzung der telegrafie für pressezwecke, zunächst lediglich um die nationalzeitung, deren Geschäftsführer er war, mit Börsenkursen und preismitteilungen aus dem in- und ausland zu versorgen. Bald erwies sich jedoch, dass es zu kostspielig war, nur das eigene Blatt mit telegrafischen nachrichten zu versorgen, und Wolff öffnete seinen dienst für andere Blätter. Wolffs engagement in der preußischen Hauptstadt bereits wenige tage nach der eröffnung der telegrafenverbindung von Berlin nach aachen war dafür verantwortlich, dass Reuter kurz darauf an den Rhein und dann nach london auswich.217 die schicksale der beiden agenturen blieben auch in der Folgezeit eng miteinander verknüpft. Wie die britische und deutsche Geschichte im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert überhaupt war ihr Verhältnis von Zusammenarbeit und antagonismus geprägt. Beide profitierten von denselben technologischen neuerungen, nutzten während des Wirtschaftsbooms der 1850er Jahre dieselbe 215 216 217

ebd. Zu Reuters Biographie siehe Read, power, s. 5–34; Storey, Century, s. 3–31. Diez, Zeitungswesen, s. 2. die informationen über Wolffs lebensweg sind spärlich; den besten Überblick gibt Basse, Wolff’s telegraphisches Bureau, s. 15–6.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

Geschäftsidee zum erfolg. doch war das ausmaß des erfolges und die Reichweite ihrer unternehmungen an die jeweiligen nationalen Rahmenbedingungen gebunden, unter denen sie operierten. Vor allem hing die entwicklung der agenturen maßgeblich von ihrem Verhältnis zum deutschen beziehungsweise britischen staat ab. denn je deutlicher wurde, welche politischen Folgewirkungen telegrammberichte haben konnten, desto stärker waren die Regierungen daran interessiert, mittel und Wege zu finden, wie der informationsfluss kanalisiert werden konnte.218 in deutschland gewann die preußische Regierung bereits in den 1860er Jahren entscheidenden einfluss auf WtB. Freilich ging die initiative dabei vom depeschenbüro aus, das sich damals Übernahmeversuchen von seiten der finanzstärkeren britischen und französischen agenturen Reuters und Havas zu erwehren hatte. mit dem argument, preußen dürfe nicht vom ausland nachrichtenpolitisch abhängig werden, wurde WtB in eine Kommanditgesellschaft auf aktien umgewandelt, die sowohl finanziell als auch redaktionell in die Hände von Vertrauensleuten des preußischen ministerpräsidenten otto von Bismarck überging, ohne dass der preußische staat zunächst in eine direkte Verbindung zu der agentur getreten wäre.219 WtB-telegramme mit politischen nachrichten erhielten auf dem staatlich betriebenen telegrafennetz in deutschland Vorrang vor allen anderen privaten depeschen. Zusammen mit der unterbringung der agentur im Hinterhaus des Haupttelegrafenamtes in der Französischen straße im Zentrum Berlins verschaffte diese Vergünstigung WtB einen Wettbewerbsvorteil vor seinen in- und ausländischen Konkurrenten, der nicht aufzuholen war. im Gegenzug verpflichtete sich WtB, alle eingehenden politischen telegramme (nicht die Börsen- und Handelsdepeschen) direkt an die Regierung und andere staatliche stellen zu übermitteln. nachrichten, die das staatsministerium für wichtig hielt, sollte „möglichste publicität innerhalb und außerhalb des norddeutschen Bundes“ gegeben werden. alle telegramme politischer natur mussten von staatlicher seite vor der Veröffentlichung geprüft und gebilligt werden. außerdem hatte die agentur für die schaffung und den ausbau eines telegrafischen auslandsdienstes zu sorgen.220 die historische Forschung hat darin häufig den anfang von so etwas wie einem nachrichtenpolitischen sonderweg deutschlands gesehen. der Kontrakt wurde als erfolgreicher Versuch des großen manipulators Bismarck interpretiert, den nachrichtenverkehr nach und aus deutschland zu kontrollieren, zugleich ein 218

219

220

Vgl. Nickles, Wire. den revolutionären Wandel, den die telegrafie für die britische presse bedeuteten, betont auch Brown, treatment s. 26; für deutschland siehe Koszyk, presse, s. 210–5. im Juni 1869 gewährte die Regierung Wolffs Bureau für 1870 einen zinslosen Kredit über 100 000 taler sowie für die darauf folgenden beiden Jahre nochmals 100 000 als direkte Zuschüsse; siehe Stern, Gold, s. 265. Vertrag vom 10. Juni 1869, in: GspK, Ha i, Rep. 4, nr. 721. ein Überblick über den Vertragsinhalt findet sich in einem promemoria Christoph von tiedemanns, 26. april 1876, in: pa-aa, europa Generalia 33, R 37.

e) Reuters und Wolff’s Telegraphisches Buureau

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wirksames instrument zur lenkung der deutschen und ausländischen presse in die Hand zu bekommen.221 Freilich stellte die enge anlehnung der großen nachrichtenagenturen an die jeweiligen nationalen Regierungen keinesfalls die ausnahme, sondern im europäischen Vergleich eher den Regelfall dar. als die Wilhelmstraße 1877 in paris, Wien und london informationen darüber einholte, welchen status die depeschenbüros der anderen Großmächte besaßen, erhielt sie von ihrem agenten aus Frankreich den Bescheid, Havas figuriere zwar nach außen als selbständige Firma, müsse aber alle auswärtigen telegramme vor ihrer Veröffentlichung den Zensurbeamten im außenministerium vorlegen. die Verbindungen des Hauptredakteurs zum Quai d’orsay seien sehr eng.222 aus Österreich hieß es, das Wiener Korrespondenzbüro habe sich in den zurückliegenden zwanzig Jahren zu einer regelrechten „staatsanstalt“ entwickelt, sei „integrierender Bestandteil“ des Finanz- bzw. Handelsministeriums geworden.223 lediglich aus london vernahm das auswärtige amt, es bestünden keinerlei geregelte Kontakte zwischen Reuters und der Regierung, die sich unter Berufung auf das prinzip der pressefreiheit von dem depeschenbüro fernhalte. in Großbritannien sei es vielmehr so, dass sich mitarbeiter der agentur darüber beklagten, wie begrenzt ihr Zugang zu behördlichen informationen war.224 tatsächlich kam in Großbritannien eine direkte einflussnahme der Regierung auf die nachrichtenagentur nicht in Frage, teils weil die meisten telegrafenleitungen privat betrieben wurden, teils weil es der herrschenden doktrin der pressefreiheit widersprochen hätte. trotzdem fungierte Reuters in den letzten vier Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zunehmend als „semi-official institution of the British empire“, wie es der britische Historiker donald Read in seiner Geschichte des unternehmens formuliert hat. Reuters’ führender diplomatischer Korrespondent in london, arnold Gawthorp, stand in engem Kontakt und steter Fühlung mit dem ständigen unterstaatssekretär im Foreign office, sir thomas sanderson. in ihrem weltweiten nachrichtendienst räumte die agentur offiziellen Verlautbarungen und halb-offiziellen mitteilungen britischer minister und Beamter Vorrang vor anderen nachrichten ein. in ihrem selbstbild erfüllte sie einen ähnlichen dienst für das empire wie der Civil service im mutterland und in den Kolonien. nicht zufällig bezeichnete sie sich gegen ende des Jahr221

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223

224

es sei bemerkenswert, hat Fritz stern festgestellt, dass in preußen selbst in der Hochphase des Wirtschaftsliberalismus ein derartiges halb-staatliches monopol geschaffen werden konnte; Stern, Gold, s. 266. siehe auch Naujoks, Bismarck s. 616; Fischer­Frauen­ dienst, pressepolitik, s. 29. Bericht Beckmann (abschrift) übersandt an Hohenlohe von Botschaft in paris am 16. märz 1877, in: pa-aa, europa Generalia 33, R 37. Vgl. auch Naujoks, Bismarck, s. 613–4. Zur unternehmensgeschichte von Havas siehe Lefebure, Havas. alle depeschen mussten die presseabteilung passieren, ehe sie über ministerielle Korrespondenzen an die Zeitungen weitergeleitet wurden; anders als WtB und Havas, das die ursprüngliche subvention von 30 000 Goldfrancs im Jahr inzwischen angeblich nicht mehr benötigte, tauchten die Kosten der Wiener agentur offen als posten im staatshaushalt auf; stolberg an Bülow, 2. april 1877, in: pa-aa, europa Generalia 33, R 37. münster an aa, 9. Juni 1877, pa-aa, europa Generalia 33, R 37.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

hunderts als einen „service“ und nannte ihre höchsten mitarbeiter „officer“.225 die pressepolitik der britischen Regierung, so berichtete der deutsche Botschafter im Juni 1900 aus london, beschränke sich auf „die ausgabe von bestimmten neuigkeiten durch Reuter’s agentur […], welche dann allerdings mitunter eine gewisse Färbung tragen“.226 in englischen Zeitungen wurden derartige mitteilungen meist mit Wendungen eingeführt wie „Reuter’s agency is enabled to state authoritatively“.227 im Gegenzug erhielt die agentur Zahlungen von Regierungsseite, die in den entsprechenden Verträgen mal als abonnements und subskriptionen, mal als staatliche subventionen bezeichnet wurden.228 damit nicht genug: im Jahr 1911 schlug der Chefeinpeitscher der liberalen Regierungspartei, Reuters parlamentskorresponenten vor, die agentur solle gegen geheime Remuneration aus der staatskasse nicht nur die üblichen Zusammenfassungen wichtiger ministerreden übermitteln, sondern den vollen Wortlaut. Reuters Chefredakteur Frederic William dickinson ging auf den Handel ein.229 spätestens seit 1906 wusste die Reichsregierung von der subventionierung Reuters aus verschiedenen Quellen. derartige unterstützungszahlungen, die sich insgesamt angeblich auf rund £ 20 000 im Jahr beliefen, seien der Grund dafür, „dass dieses Bureau nicht alle seine nachrichten in gänzlich uninteressierter Weise behandeln kann“, hieß es in einem deutschen agentenbericht aus new York.230 dennoch war Reuters unabhängigkeit von der Regierung größer als diejenige von WtB. nur erschien dies aus sicht des depeschenbüros manchmal eher als nachteil denn als Vorteil. Jedenfalls schlug Reuters Chefredakteur, sigmund engländer, dem Foreign office 1894 von sich aus einen Kontrakt vor, der in einigen punkten bis ins detail den Regelungen zwischen dem preußischen 225 226 227 228

229

230

Vgl. Read, power, s. 91; ders., Reuters, s. 211. Hatzfeldt an Hohenlohe, 1. Juni 1900, in: pa-aa, england nr. 78, R 5676. Vgl. etwa Times, 14. oktober 1905. die Regierung in Ägypten zahlte seit 1868 jährlich zwischen £ 1.000 und £ 2.000, damit die ägyptische presse, die zu finanzschwach war, um sich Reuters dienste leisten zu können, mit den nachrichten der agentur versorgt wurde; vgl. Read, power, s. 49, 66, 91; ders.: Reuters, s. 195–212. Gegenüber einem skeptischen mitarbeiter erklärte dickinson, es sei für die agentur von großem Vorteil „to act on these occasions as the hand-maid of the Government. our doing so strengthens our position in this country very considerably, and, at the same time, it shows to those in authority, who have it in their power to be agreeable or disagreeable to ourselves, that our great organization can be of infinite value to them“; dickinson an Roderick Jones, 4. Juli 1911, zitiert in: Read, power, s. 93. „das Bureau ist englandfreundlich, weil es ein englisches unternehmen ist und mit englischem Gelde unterhalten und von engländern geleitet wird“. da subventionen keine unbekannte Größe im Reuter’schen Geschäftsgebaren darstellten, sei das unternehmen „auch in gewissem Grade und in gewissen Richtungen der Beeinflussung nicht unzugänglich“; J. d. Whelpley (new York) an Hammann, 14. Juli 1906, pa-aa, europa Generalia 86 nr. 1, R 551. dem Bericht zufolge erhielt Reuters von diversen britischen Kolonialregierungen ca. £ 5000 pro Jahr, von der britischen south-african Company £ 1000, aus Chile £ 800 und von anderen südamerikanischen Republiken £ 1500; ähnlich die einschätzung des Frankreich-Korrespondenten Robert dell an C. p. scott, 8. april 1912, John Rylands library, Guardian archives 204/3a; siehe auch Read, power, s. 94.

e) Reuters und Wolff’s Telegraphisches Buureau

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staatsministeriums und WtB glich. die agentur verpflichte sich, so engländer, alle politischen telegramme sogleich nach ihrem eingang an die entsprechenden Regierungsstellen weiterzuleiten. Überdies würde keine depesche, deren inhalt fragwürdig erscheine, ohne vorherige Genehmigung der Regierung an die presse gegeben werden. er bot weiter an, vertrauliche Berichte von Reuters mitarbeitern in aller Welt zusammenzustellen und dem außenminister zur information vorzulegen. darüber hinaus schlug engländer vor, informationen, die das Foreign office verbreitet wissen wollte, durch seine agenten weltweit publizieren zu lassen: „strict secrecy being observed as to the source from which they are derived“. als Gegenleistung verlangte die agentur eine jährliche Zahlung in Höhe von £ 500.231 es scheint, als sei der liberale außenminister lord Kimberley zunächst auf den Vorschlag eingegangen, ehe die enge Zusammenarbeit von der konservativen nachfolgeregierung wieder gelockert wurde. Jedenfalls notierte lord salisbury, seinerzeit sowohl premier- als auch außenminister, am Rande eines memorandums des Foreign office, er sei „sceptical of the advantages of our connection with Reuter“.232 auch in deutschland hatten die ursprünglichen Vereinbarungen zwischen staat und WtB keinen langen Bestand. allerdings war es dort die nachrichtenagentur, die sich stillschweigend aus teilen der Vereinbarungen herauszuwinden suchte, nicht die Regierung.233 das Zurückdrängen des Regierungseinflusses hatte methode. nachdem WtB durch die staatliche protektion seine stellung gegenüber Reuters (und Havas) innerhalb deutschlands unanfechtbar gemacht hatte, war ihm daran gelegen, die Beziehungen zu der britischen – wie auch der französischen – agentur einvernehmlich zu gestalten. an der indienstnahme für eine antifranzösische oder möglicherweise in Zukunft auch einmal antibritische außenpolitik der preußischen Regierung, wie sie in der logik des Vertrags von 1869 lag, hatten die Betreiber und Finanziers der agentur kein interesse. außerdem war man sich in der leitung des depeschenbüros, anders als auf staatlicher seite, darüber im Klaren, dass der vertraglich vereinbarte aufbau eines internationalen nachrichtendienstes durch WtB in Konkurrenz zu Havas und insbesondere zu Reuters finanziell ruinös und damit illusorisch war.234 Britische unternehmen spielten in den 1870er und 1880er Jahren im internationalen nachrichten- und Kabelgeschäft eine schlüsselrolle, an der kein Konkurrent vorbei kam. als größte Welt- und Handelsmacht hatte Großbritannien 231 232 233

234

engländer an sanderson, Juli 1894, zitiert nach Read, power, s. 91. salisburys Randbemerkung an einem memorandum eric Barringtons, 10. august 1897, zitiert in: Steiner, Foreign office, s. 36–7. schon bald wurden deren Vertreter nicht mehr zu den Zusammenkünften des aufsichtsrates eingeladen, protokolle der sitzungen sowie Geschäftsberichte und Bilanzen nicht mehr übersandt, so dass ein memorandum aus dem Jahr 1876 konsterniert feststellte, das staatsministerium habe sich „bezüglich der leitung und Verwaltung der Gesellschaft während der letzten vier Jahre in einem völligen dunkel“ befunden; promemoria Christoph von tiedemanns, 26. april 1876, in: pa-aa, europa Generalia 33, R 37. Vgl. Basse, Wolff’s telegraphisches Bureau, s. 42–7.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

ein besonderes interesse an der expansion der telegrafie. Kommerzielle triebkräfte spielten dabei ebenso eine Rolle wie militär-strategische motive. der aufbau privatwirtschaftlich genutzter unterseekabel zwischen europa und amerika, indien und afrika seit mitte der 1860er Jahre profitierte von dem umstand, dass zu dieser Zeit der britische staat gerade die privaten telegrafengesellschaften im innern des Vereinigten Königreichs aufkaufte und das publikum die freiwerdenden Kapitalien vorzugsweise in dem damit verwandten unterseekabel-Geschäft anlegte.235 im Jahrzehnt darauf folgten Verbindungen von europa nach China, südamerika und Japan. planmäßig betrieb die britische Regierung den aufbau einer „all-red route“, das heißt: von Überlandleitungen und unterseekabeln, die nur über britisches territorium führten und das britische mutterland mit seinen Kolonien und dominions in afrika, asien und ozeanien verbanden.236 infolgedessen war die britische dominanz im globalen nachrichtenverkehr gegen ende des 19. Jahrhunderts mindestens ebenso beeindruckend wie die seeherrschaft, auf der sie beruhte.237 deutschland hingegen spielte bis in die 1890er Jahre hinein bei der errichtung eines internationalen Kabelnetzes keine Rolle. unter den großen privaten telegrafengesellschaften waren deutsche unternehmen nicht vertreten. ehe 1882 die erste längere unterseeleitung von emden nach irland verlegt wurde, gab es kein kommerzielles deutsches Kabel, das die bescheidene länge von 500 Kilometern überschritt. auch mit Blick auf unterseeleitungen in staatsbesitz war die position nicht besser. noch 1892 betrieb das Reich lediglich 45 unterseeische staatskabel mit einer Gesamtlänge von 1.541 Kilometern, was 0,6 prozent des weltweiten netzes entsprach. dieses ungleichgewicht befestigte londons position als nachrichtenhauptstadt der Welt und gab Reuters einen enormen Wettbewerbsvorteil gegenüber seinem deutschen Konkurrenten.238 eng damit verbunden war die britische dominanz im Welthandel. Julius Reuter entsandte seine mitarbeiter seit ende der 1850er Jahre unter der devise „Commerce, then news“ ins britische empire. 1894 unterhielt die agentur weltweit 30 Filialen.239 dabei nutzten Reuters agenten die technischen einrichtun235 236 237

238 239

H. pfitzner: die deutschen seekabel, in Berliner Tageblatt nr. 66 vom 6. Februar 1913, Kopie in: Ba lichterfelde, R 901/80740, Bl. 171. siehe Kennedy, Cable Communications. anfang der 1890er Jahre befanden sich rund 60% aller privatwirtschaftlich betriebenen Überseeleitungen und unterseekabel im Besitz britischer Firmen. Von 29 im Jahr 1894 existierenden privaten Kabelgesellschaften hatten 19 ihren sitz in london; von den übrigen saß eine in Kopenhagen und je drei in paris, new York und Buenos aires; vgl. Archiv für Post und Telegraphie nr. 2, 1895, s. 38–40 (s. 39), Kopie in: Ba lichterfelde, R 4701/4360. auch ein drittel aller staatlichen telegrafenleitungen weltweit unterstand der Kontrolle Großbritanniens, wobei die leitungen in privatbesitz (89,6%) überwogen; vgl. Headrick, Weapon, s. 38–9. Headrick, Weapon, s. 38–9; Fabre, Geschichte, s. 78–80; Tenfelde, Welttelegraphie. Zehn in indien und Fernost, acht in Westeuropa (einschließlich Großbritanniens), sechs im australischen Raum, drei in nordamerika, zwei in afrika und eine in osteuropa; bereits 1861 hatte Reuter agenten in wichtigen Häfen indiens, Chinas, Japans, australiens und

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gen, ihre Kenntnisse der günstigsten tarife und Verbindungen nicht nur zur Übertragung von nachrichten für die presse, sondern auch zur Übermittlung privater depeschen im so genannten transmissionsdienst. dies brachte wichtige zusätzliche einkünfte, ermöglichte eine bessere auslastung der organisation und stellte spätestens seit der Jahrhundertwende sogar die Haupteinnahmequelle des unternehmens dar.240 Beide einnahmequellen – die Übermittlung von politischen und Börsen-nachrichten wie die Übertragung privater depeschen – standen Wolff’s Bureau nicht im gleichen maße zur Verfügung, zumal die deutschen tageszeitungen im schnitt ohnehin niedrigere auflagen hatte als die britischen Blätter und deutlich weniger finanzstark waren.241 es nimmt daher nicht wunder, dass die londoner Zeitungen für Reuters nachrichtendienste das Zehnfache dessen bezahlen konnten, was die Berliner presse für die meldungen des Wolff’schen Bureaus aufwandte.242 nicht umsonst, schrieb 1891 ein britischer Beobachter, sage man von deutschen Zeitungen, sie trügen das datum von morgen und enthielten die meldungen der vorigen Woche.243 Vor diesem Hintergrund und wegen der relativ geringen internationalen Verflechtung der deutschen Wirtschaft erschien der aufbau eines kostspieligen weltweiten nachrichtendienstes lange Zeit nicht profitabel und wenig erstrebenswert.244 ihren praktischen niederschlag fand die erkenntnis der WtB-direktion, dass an Reuters im internationalen nachrichtengeschäft kein Weg vorbei führte, in einem als Kartellvertrag bekannt gewordenen, zunächst auf zwanzig Jahre befristeten abkommen vom Januar 1870. darin grenzten die beiden agenturen gemeinsam mit der französischen Havas ihre interessensphären gegeneinander ab und sicherten sich in ihren jeweiligen Gebieten ausschließliche Verwertungs-

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neuseelandsunterhalten; bis 1868 kamen Büros in Bombay, Kalkutta, Karachi, madras, Colombo und point de Galle hinzu. 1870 folgte Konstantinopel; vgl. Read, power, s. 52–3, 63, 108. Zu Reuters Rolle im pressesystem des britischen Weltreiches siehe auch Potter, news, s. 87–105. agentenbericht J. d. Whelpleys, 20. Januar 1906, pa-aa, europa Generalia 86 nr. 1, R 551; vgl. auch Basse: Wolff’s telegraphisches Bureau, s. 37. Vgl. Kapitel 1.b). Reuters erhielt 1906 von den londoner morgenzeitungen £ 1650 und von den abendzeitungen £ 400 im Jahr; agentenbericht J. d. Whelpleys, 20. Januar 1906, pa-aa, europa Generalia 86 nr. 1, R 551. tatsächlich trugen zahlreiche deutsche abendzeitungen das datum des nächsten tages; Charles lowe: the German newspaper press, in: Nineteenth Century 178, dezember 1891, s. 853–71 (s. 861–2). noch 1896 bemerkte ein anderer Besucher aus england, die telegraphischen auslandsnachrichten, die WtB der deutschen presse liefere, seien „absurdly inadequate“; Gilbert Burgess, Germany as she is: Journalism and Journalists, in Daily Mail vom 1. september 1896. Wie stark die entwicklungen in deutschland und Großbritannien bis zur Jahrhundertwende auseinander klafften, wird deutlich, wenn man die Zahl der übermittelten telegramme nach und von Großbritannien und deutschland miteinander vergleicht: 1870 lagen beide länder noch ungefähr gleichauf (10 mill. britische telegramme standen 9 mill. deutschen gegenüber); bis 1888 hatte sich die Zahl der britischen telegramme auf 58 mill. fast versechsfacht, während die deutsche Zahl nicht einmal um den Faktor drei auf 24 mill. gewachsen war; siehe Mulhall, dictionary, s. 790.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

rechte zu. darüber hinaus vereinbarten sie den prinzipiell unentgeltlichen austausch von nachrichtenmaterial, für das der empfänger lediglich die telegrammgebühren zu begleichen hatte. Konkret bedeutete dies, dass Reuters seinen Kunden nur diejenigen nachrichten aus deutschland anbieten durfte, die es direkt von WtB bekommen hatte – und umgekehrt. eine Verpflichtung, das übermittelte material in seiner Gesamtheit zu verwerten, bestand nicht.245 so wie die europäischen Großmächte riesige Gebiete der erde als Kolonien untereinander aufteilten, „kolonisierten“ Reuters, WtB und Havas ihre nachrichtenwelt, indem sie territorien mit begrenztem Zugang schufen. Reuters erhielt exklusivrechte in südafrika, Fernost und dem Rest des britischen empire sowie in den niederlanden und dessen Kolonien. Havas bekam neben Frankreich und dessen Kolonien die romanischen länder des mittelmeerraumes italien, spanien und portugal, während deutschland, skandinavien, st. petersburg und moskau an WtB fielen. das osmanische Reich, Ägypten und Belgien wurden Reuters und Havas gemeinsam zugesprochen. alle anderen Regionen – insbesondere die schweiz, Österreich-ungarn und die donau-Fürstentümer – erklärte man zu neutralen territorien, in denen die drei Vertragspartner ihren Geschäften ohne Restriktionen nachgehen konnten.246 die aufteilung folgte geschäftlichen, nicht politischen Überlegungen. Reuters war in den meisten Gebieten des britischen empire ohnehin bereits mit eigenen Korrespondenten oder Büros vertreten und hatte nach der Übernahme der niederländischen agentur delamar de la Vita 1866 dessen Kunden übernommen. Havas kooperierte seit Jahren mit den führenden italienischen, spanischen und portugiesischen agenturen, hatte ihren aufbau zum teil mitfinanziert, während WtB seinerseits in dänemark und schweden engagiert war, die von mitteleuropa zudem wesentlich leichter und kostengünstiger mit telegrafenleitungen zu erreichen waren als von Frankreich oder den britischen inseln aus. Ähnliches galt für moskau und st. petersburg, von wo aus überdies seit geraumer Zeit russisches Kapital als anlagevermögen in die deutschen länder floss und wo daher gesteigerte nachfrage nach deutschen Börsendaten bestand.247 die vergleichsweise schwach ausgebildete internationale Verflechtung der deutschen Volkswirtschaft und die wenig gefestigte ausgangsposition der deutschen agentur fanden ihren niederschlag in der vertraglichen Festlegung, dass WtB 25 prozent seiner jährlichen profite an Reuters und Havas zu überweisen hatte.248 245

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ein exemplar des am 17. Januar 1870 in paris unterzeichneten abkommens liegt im Ra 1/8818001; eine spätere auflistung der Vertragsinhalte findet sich in: pa-aa, europa Generalia 86, R 533. den besten Überblick über das Geflecht bilateraler und trilateraler abmachungen gibt Rantanen, Foreign, s. 37–46; siehe auch Read, power, s. 57; Basse, Wolff’s telegraphisches Bureau, s. 48–53. Vgl. Basse, Wolff’s telegraphisches Bureau, s. 49–51; Read, power, s. 52. mit dieser Zahlung sollte einerseits die differenz in der Größe des einzugsgebietes und des damit verbundenen nachrichtenvolumens ausgeglichen, andererseits die schließung der deutschen Filialen von Reuters und Havas erkauft werden, auf die insbesondere die preußi-

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das preußische staatsministerium sah in diesem Übereinkommen eine Verletzung seiner ursprünglichen Übereinkunft mit WtB.249 doch der Handlungsspielraum der Regierung war beschränkt. die umwandlung der agentur in eine staatsanstalt nach Wiener Vorbild hätte das Büro aufgrund des Budgetrechts des Reichstags parlamentarischer Kontrolle unterworfen, woran Bismarck nicht gelegen war. der abbruch der Beziehungen zu WtB und die privilegierung eines anderen privaten depeschenbüros war ebenso problematisch, da Wolffs Bureau dank der Kartellverträge mit Reuters und Havas einen weltweiten nachrichtendienst anbieten konnte, von dem andere deutsche agenturen auf absehbare Zeit abgeschnitten waren.250 somit blieb das führende deutsche depeschenbüro im nachrichtengeschäft ebenso wie das deutsche Reich auf politischer ebene in seinem einflussbereich auf europa beschränkt. Bismarcks gescheiterter Versuch, in den Jahren 1887 bis 1889 analog zur diplomatischen Konstellation einen dreibund der deutschen, österreichischen und italienischen nachrichtenagenturen ins leben zu rufen, verdeutlicht, wie sehr bis zum ende seiner amtszeit der Blick auf europa und die dort geschmiedeten Bündnisse seine politik bestimmten.251 WtB war zufrieden damit, seine Vormachtstellung in mittel-, nord- und osteuropa auszubauen und die außereuropäischen Gebiete (mit ausnahme der wenigen mitte der 1880er Jahre erworbenen deutschen Kolonien) Havas und Reuters zu überlassen. letztere einigten sich in zwei sonderabsprachen 1874 und 1876 über die aufteilung ihrer weltweiten interessenssphären: China, Japan und Konstantinopel fielen an die britische agentur. an Havas gingen südamerika und der gesamte mittelmeerraum bis auf Griechenland und Ägypten, das sich beide seiten zur exklusiven nutzung teilten.252 diese separatabkommen nahmen für den nachrichtenverkehr den kolonialpolitischen Handel der Entente Cordiale um drei Jahrzehnte vorweg, wenn nicht in den territorialen einzelheiten, so doch in der stoßrichtung der Vereinbarungen. sie blieben trotz einiger kleinerer Korrekturen bis 1914 in Kraft und beschnitten künftige expansionsmöglichkeiten der an dem Übereinkommen nicht beteiligten deutschen agentur.

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sche Regierung drängte; vgl. engländer an Wentzel, 9. Januar 1889 (Kopie), in: pa-aa, europa Generalia 86, Bd. 2, R 533. promemoria Christoph von tiedemanns, 26. april 1876, in: pa-aa, europa Generalia 33, R 37; vgl. Basse, s. 61. nachdem WtB im Herbst 1879 Bismarcks Forderungen nach einer verschärften Vorzensur und größeren staatlichen Kontrollrechten zurückgewiesen hatte, blieb der Regierung nichts anderes übrig, als den Vertrag auslaufen zu lassen, gleichzeitig jedoch in einer mündlichen Vereinbarung am status quo festzuhalten. auf diese Weise blieb der halb-offizielle Charakter des depeschenbüros gewahrt, ohne dass WtB schriftlich fixierte anrechte auf bestimmte Gegenleistungen besessen hätte; Basse, Wolff’s telegraphisches Bureau, s. 59–63; Stern, Gold, s. 268–9; Naujoks, Bismarck, 616. die Verhandlungen sind dokumentiert in: pa-aa, europa Generalia 86, Bde. 1–4, R 532–5. siehe auch Palmer, Havas; Basse, Wolff’s telegraphisches Bureau, s. 65–90. abkommen vom 1./5. mai 1874 in: Ra 1/890503; abkommen vom mai 1876 in: Ra 1/8818001. Vgl. Rantanen, Foreign news, s. 42–3.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

f) Internationales Nachrichtenwesen als „Wurzel der Weltpolitik“ WtB verdankte den verschiedenen bi- und trilateralen Vereinbarungen der 1870er und 1880er Jahre auf der einen seite seine prosperität und dominanz im mitteleuropäischen nachrichtenverkehr. auf der anderen seite beschränkten die abmachungen aber seine Handlungsfreiheit in territorien außerhalb des Kerngebiets. das erschien in den ersten knapp zwei Jahrzehnten nach der Reichsgründung wenig problematisch, als „europa für deutschland alles und die Übersee so gut wie nichts bedeutete“, wie es in einem memorandum des auswärtigen amtes zur „pressepolitik im ausland“ 1908 hieß.253 ab anfang der 1890er Jahren jedoch wurden die abhängigkeit von Reuters und die schwierigkeiten territorialer expansion vor dem Hintergrund zunehmender weltwirtschaftlicher Verflechtungen deutscher unternehmen und eines wachsenden öffentlichen interesses an kolonialpolitischen themen zu einer zentralen sorge der WtB-leitung, zumal seit 1893 das weltweite britische Kabelnetz in seinen wichtigsten teilen ausgebaut war und das ausmaß der telegrafischen Hegemonie des britischen empire immer deutlicher zutage trat.254 in der Wilhelmstrasse beklagte man sich 1894, dass Reuters deutsche interessen in samoa ungenügend berücksichtige.255 Kurz darauf wurde es übel vermerkt, dass die britische Regierung im Zusammenhang mit dem Jameson Raid um die Jahreswende 1895/1896 den telegrammverkehr von und nach transvaal für mehrere tage einschränkte.256 selbst Wilhelms ii. Glückwunschtelegramm an den Burenpräsidenten paul Krüger wurde erst über die britischen Kabel nach pretoria befördert, nachdem sein inhalt in london bereits durch extrablätter bekannt gemacht worden war.257 „england umspannt mit seinem Kabelnetz die ganze Welt“, klagte im Januar 1898 der Berliner Herold, „und in diesem netz sitzt wie eine Riesenspinne das Reuter’sche Bureau.“258 Während englische Zeitungen die schaffung 253

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entwurf Hammanns für eine Rede Bülows vor der Budgetkommission des Reichstags zum thema „pressepolitik im auslande“, 27. märz 1908, in: Ba lichterfelde, nl 2106, otto Hammann, 4/63 (ein zweites exemplar befindet sich in: pa-aa, deutschland Generalia 126: die presse, R 1482). siehe etwa das memorandum WtB-direktors Heinrich mantlers vom november 1913, Kopie in Ba lichterfelde, nl 2106, otto Hammann, 4/62, Bl. 8–10. Bericht der londoner Botschaft an aa, 20. Juni 1894, pa-aa, europa Generalia 86, nr. 2, R 554. siehe die entsprechenden Beschwerden in den aktenauszügen aus der einschlägigen diplomatischen Korrespondenz in: Ba lichterfelde, nl 2106, otto Hammann, 1/54, Bl. 10, 14; vgl. auch Wilhelm ii. an Hohenlohe, 6. Januar 1896, Gp, Bd. 11, s. 36–37. Vgl. Kunert, Geschichte, s. 205–9. artikel „die deutschfeindlichkeit des Reuter’schen Bureaus“ in Berliner Herold vom 12. Januar 1898, Kopie in: pa-aa, europa Generalia 86 nr. 1, R 551. die britische dominanz im telegraphenwesen und nachrichtengeschäft war nicht allein ein deutsches problem. Frankreich hatte schon 1885 bei seiner expedition nach tongking, dann 1893 im Konflikt mit siam und erneut fünf Jahre später bei der Konfrontation in Faschoda spüren

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eines den Globus umspannenden Kabelnetzwerks als technologischen und imperialen triumph feierten, dominierte in deutschland die Vorstellung vom englischen Kabelmonopol als „lügenzentrale“, wie sie in den Zeichnungen der satirezeitschrift Simplicissimus verbreitet wurde.259 spätestens seit dem Burenkrieg (1899–1902) riss die Kette von Klagen über angeblich deutsch-feindliche, tatsachen verdrehende oder bewusst lügenhafte Berichte der britischen agentur nicht mehr ab. neue nahrung erhielt sie während des russisch-japanischen Krieges, als die Regierung in st. petersburg die sibirische telegrafenleitung nach ostasien sperren ließ und für die dauer des Krieges der gesamte nachrichtenverkehr europas mit dem Fernen osten über die englischen Kabel und somit über Reuters lief.260 nicht selten wurden von da an „Verhetzungen und Verdächtigungen deutschlands“ in der japanischen presse dem englischen Kabelmonopol und insbesondere der Reuter’schen Berichterstattung zugeschrieben, die angeblich von deutschlands politischen absichten ein tatsachenwidriges Zerrbild entwarf. „los von Reuter! los von seinen affiliierten!“, lautete die Forderung.261 noch schärfer fiel der protest der deutschen presse während der ersten marokkokrise aus und insbesondere im Verlauf der folgenden internationalen Konferenz im spanischen Hafenstädtchen algeciras.262 Wolff’s Bureau war dort zunächst nicht mit einem eigenen Korrespondenten vertreten, sondern belieferte die deutsche presse wie üblich mit Berichten von Reuters und Havas. diese interpretierten den Konferenzverlauf, wenig überraschend, aus britischem beziehungsweise französischem Blickwinkel, so dass die pariser politik in marokko als teil einer europäischen Zivilisationsmission und die einwände aus Berlin entweder als kleinlich oder als parteinahme für Rückständigkeit und Barbarei erschienen.263 der proteststurm gegen das Fehlen einer eigenständigen Berichterstattung des WtB einte die deutschen über parteigrenzen hinweg. Von der völkischen Rechten bis hinein ins linksliberale lager beklagte man Wolff’s ab-

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müssen, wie unangenehm, ja potentiell desaströs die abhängigkeit von britischen leitungen in Krisensituationen sein konnte; siehe Headrick, Weapon, s. 79, 84. Vg. Daily Chronicle vom, 26. Juli 1909; thomas theodor Heine, die lügenzentrale, abgedruckt in Simplicissimus, Bilderbuch, s. 86. Wieder veröffentlichte die französische presse die entsprechenden telegramme mit dem Zusatz „de source anglaise“; Report George Grahames über die französische presse, 21. mai 1906, tna, Fo 371/166, s. 99–105. Berliner Neueste Nachrichten nr. 168 vom 1. august 1905; siehe auch die artikel „das Reutersche Bureau und deutschland“ in der National­Zeitung vom 20. märz 1907 und „die unparteilichkeit des Bureau Reuter“ in der Deutschen Japan­Post vom 17. märz 1909, Kopien in: pa-aa, europa Generalia 86 nr. 1, R 551. Vgl. auch mumm (tokio) an Bülow, 16. Januar 1909, pa-aa, europa Generalia nr. 1, R 551; Hennig, seekabelpolitik, s. 22. mehr dazu siehe unten Kapitel 4. g). Vgl. dazu Kreuzzeitung nr. 144 vom 4. april 1906; Berliner Lokal­Anzeiger nr. 87 vom 17. Februar 1906; nr. 95 vom 21. Februar 1906. einen Überblick über die Berichterstattung der Times aus algeciras gibt die materialreiche, aber tendenziöse studie von Schöttle, times, s. 138–210.

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hängigkeit und „die geniale Beeinflussung der presse durch die großen telegraphenbureaus Reuter und agence Havas“.264 die verspätete entsendung eines WtB-Korrespondenten nach algeciras verbesserte zwar die nachrichtenlage der deutschen presse, zumal das Reichspostamt für die dauer der Konferenz eine ausnahme von seiner sonst strikt befolgten Regel machte, pressetelegrammen keine ermäßigten telegrafengebühren einzuräumen.265 diese schritte konnten aber nicht verhindern, dass die veröffentlichte meinung in den meisten anderen staaten ihre informationen weiterhin eher von den britischen und französischen agenturen als von dem deutschen depeschenbüro bezog. so isoliert wie die deutsche delegation – mit ausnahme der halbherzigen österreichischen unterstützung – am Konferenztisch dastand, so isoliert war auch der deutsche standpunkt in der Weltöffentlichkeit, nicht zuletzt aufgrund der dominanten stellung von Reuters und Havas.266 in den ersten monaten des Jahres 1906 häuften sich zudem Klagen aus den Kolonien über die deutsche abhängigkeit von Reuters nachrichtendienst und die angebliche einseitigkeit der britischen depeschen. aus Kamerun hieß es, die britischen telegramme, die man seit einem Jahr durch die Handelskammer übermittelt bekomme, seien zwar eine Verbesserung gegenüber der Zeit davor, „wo die Vorgänge in der Heimat erst durch den postdampfer nach dessen 3 bis 4 wöchentlicher seereise bekannt wurden“. allerdings seien Reuters telegramme einseitig und berücksichtigten fast ausschließlich die Verhältnisse englands und seiner Kolonien. die übrigen mächte verschwänden dagegen mehr oder weniger.267 Ähnliches vernahm die Wilhelmstraße aus togo, von wo Gouverneur Zech meldete, Reuters depeschen brächten „deutschfeindlich gehaltene nachrichten“ oder seien wenigstens so gefärbt, dass alles, was mit deutscher politik im Zusammenhang stehe, „in ein schiefes licht gerückt wird und üble Kritik herausfordert“. Zudem wirkten sich die „gehässigen telegramme“ der britischen agentur schädlich auf die eingeborenen aus.268 Wegen der „Rückständigkeit unseres telegraphischen und pressedienstes“, klagte die alldeutsche Deutsche Zeitung, sei das Reich gezwungen „Weltpolitik ohne Hände und arme“ zu betreiben, „politische Bestrebungen ohne Hilfsmittel und organe“ zu verfolgen. man benötige einen modernen presse- und Kabeldienst „im Ringen mit den wirklichen Weltmächten der ‚weltpolitischen aera‘“.269 264

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so der linksliberale Reichstagsabgeordnete Gothein, Krieg, s. 39. Für die ungleich größere empörung auf der extremen Rechten vgl. Deutsche Zeitung, 16. august 1907; Kopie in: pa-aa, deutschland nr. 126a secr., Bd. 2, R 1487. Vgl. außenminister von schoen an den staatssekretär des Reichspostamtes, 14. Januar 1909, pa-aa deutschland 126 Bd. 4, R 1482. Vgl. die Klagen im Berliner Lokal­Anzeiger nr. 116 vom 5. märz 1906; siehe auch Hale, publicity, s. 277. Korvettenkapitän Wilhelm Bertram an aa, 8. märz 1906, pa-aa, deutschland nr. 126a secr., Bd. 2, R 1487. Gouverneur Zech an aa, 22. mai 1906, pa-aa, deutschland nr. 126a secr., R 1487. artikel „Reuter-depeschen“ in Deutsche Zeitung vom 30. Juni 1907, Kopie in: pa-aa, europa Generalia 86 nr. 1, R 551.

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tatsächlich beschäftigte sich die Reichsregierung schon seit Jahren mit der Frage, wie deutschlands position im internationalen nachrichtenverkehr verbessert werden konnte, von dessen zentraler Bedeutung für deutschlands weltpolitische pläne man fest überzeugt war. Hatten im 19. Jahrhundert beim aufbau des von Großbritannien dominierten Weltkabelnetzes privatwirtschaftliche triebkräfte überwogen, so traten seit der Wende zum 20. Jahrhundert politische, nationalwirtschaftliche und strategische motive immer stärker in den Vordergrund und veranlassten die anderen europäischen Großmächte, vor allem Frankreich und deutschland, „den austausch der nachrichten für die presse nicht mehr wie bisher auf dem umweg über england, sondern auf eigenen oder wenigstens von england unabhängigen linie zu erstreben“.270 im mai 1899 war in nordenham an der Weser mit den „norddeutschen seekabelwerken“ das erste deutsche unternehmen gegründet worden, das unterseekabel produzierte.271 am 9. november lief in newcastle der erste deutsche Kabeldampfer vom stapel. dieser wurde allerdings zunächst zur Verlegung des tsingtau-shanghai-Kabels in Fernost eingesetzt, während das erste deutsche transatlantikkabel von emden über die azoren nach new York, das am 1. september 1900 seinen Betrieb aufnahm, von den britischen Kabelschiffen „Britannia“ und „anglia“ verlegt wurde. denn das deutsche landungsrecht auf den azoren war von den Vorbesitzern nur unter der Bedingung abgetreten worden, dass die Herstellung und Verlegung des Kabels der telegraph Construction and maintenance Company übertragen werde.272 aber schon 1903 und 1904, als das zweite deutsche Kabel nach amerika verlegt wurde, musste man nicht mehr auf englische schiffe zurückgreifen, sondern konnte die arbeiten von dem 1902 in stettin vom stapel gelaufenen dampfer „stephan“ verrichten lassen.273 Welche politische Bedeutung man in deutschland dem nachrichtenverkehr mit amerika über das transatlantikkabel zumaß, wurde ende Juli 1902 deutlich, als der Kaiser persönlich das emdener telegrafenamt besuchte.274 nach 1905 folgte ein weiteres Kabel durch das schwarze meer von Konstanza nach Konstantinopel, mit dessen Hilfe die Reichsregierung die unsicheren türkischen telegrafenlinien umgehen und zugleich den deutschen einfluss mit Blick auf das Bagdadbahnprojekt in Richtung Kleinasien und den persischen Golf vorantreiben wollte. Freilich geriet man dabei wie bei dem eisenbahnprojekt selbst mit englischen – und russischen – interessen in Kon270 271 272

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Roscher, Weltkabelnetz, s. 375, Kopie in: Ba lichterfelde, R 4701/16362. die entsprechende Korrespondenz mit dem Reichspostamtes befindet sich in: Ba lichterfelde, 4701/6228, 4701/16363–16364. planung und Betrieb des transatlantikkabels sind dokumentiert in: Ba lichterfelde R 901/80740, siehe dort vor allem die Kopien der Berichte des Berliner Börsen Courier nr. 162 vom 6. april 1901 (Bl. 14) und des Berliner Tageblatt nr. 66 vom 6. Februar 1910 (Bl. 171). Vgl. auch Hennig, seekabelpolitik, s. 15–25; Roscher, Weltkabelnetz, s. 380–1. Die Post nr. 140 vom 24. märz 1903, Kopie in: Ba lichterfelde R 901/80740, Bl. 37. Norddeutsche Allgemeine Zeitung nr. 178 vom 1. august 1902, Kopie in: Ba lichterfelde, R 901/80740, Bl. 27.

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flikt.275 insbesondere einem deutschen seekabel an der persischen Golfküste, das den sprung nach ostafrika und weiter nach Hinterindien möglich machen sollte, stand die britische Regierung skeptisch gegenüber.276 erfolgreicher war eine andere initiative des Reichspostamts, das 1904 gemeinsam mit der Regierung in den Haag die deutsch-niederländische telegraphengesellschaft mit dem Ziel ins leben rief, die deutschen und holländischen Besitzungen im pazifik an das zu den philippinen führende amerikanische Kabel anzuschließen und auf diese Weise das britische Kabelmonopol in ostasien zu brechen.277 in den Folgejahren stand der ausbau der unterseeleitungen über das spanische teneriffa in den südatlantik im mittelpunkt der Bestrebungen, um Westafrika, vor allem aber das östliche südamerika (argentinien, Brasilien) an das deutsche Kabelnetz anzuschließen.278 Was das nachrichtengeschäft selbst anging, standen zwei aspekte im Vordergrund: einmal die nachrichtenübermittlung aus dem ausland nach deutschland und zum anderen die Verbreitung deutscher nachrichten in anderen ländern. in beiden Fällen erwiesen sich die Kartellverträge von WtB mit Reuters und Havas als zunehmend hinderlich, seit das interesse der deutschen Öffentlichkeit wie der deutschen Regierung an informationen von außerhalb mitteleuropas zunahm. theoretisch standen drei auswege aus dieser lage offen. man konnte die Kontrakte mit den anderen beiden agenturen kündigen und Wolff’s Bureau in Konkurrenz zu Reuter und Havas weltweit operieren lassen. man konnte versuchen, die Kartellverträge in Verhandlungen mit der britischen und französischen seite zu verbessern. oder man konnte die Gründung neuer agenturen betreiben, die anders als Wolff nicht vertraglich gebunden waren. die option einer Kündigung der Kartellverträge bot sich 1898 und wieder 1908/1909, als die existierenden Kontrakte ausliefen. sie war allerdings weder aus finanzieller noch aus politischer sicht attraktiv. 1898, hieß es in einem zehn Jahre später verfassten memorandum des außenministeriums, seien die überseeischen Beziehungen deutschlands noch zu neu und wenig gefestigt gewesen, als dass der Konkurrenzkampf in den Überseegebieten ohne allzu große opfer und mit aussicht auf erfolg hätte geführt werden können. Wolff hätte dabei sämtliche „nicht zu unterschätzende Vorteile aufgeben müssen“, die die Verträ275

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die entsprechenden abstimmungen zwischen dem auswärtigen amt, dem Reichspostamt und den Botschaften in teheran und london sind dokumentiert in: Ba lichterfelde, R 901/80740. nach fast einjähriger prüfung lehnte außenminister Grey das deutsche Vorhaben im april 1914 mit dem Hinweis ab, „dass die landung eines fremden Kabels an den Küsten des Golfs einen schwerwiegenden einfluss auf die britische stellung in den Golfgebieten ausüben würde“; lichnowsky an Bethmann Hollweg, 7. april 1914, Ba lichterfelde, R 901/80742, Bl. 119; siehe auch die schriftliche Begründung von Crowe an lichnowsky, 4. april 1914, ebd., Bl. 120–1. Vgl. Berliner Tageblatt nr. 67 vom 6. Februar 1910, Kopie in: Ba lichterfelde, R 901/80470, Bl. 172. Deutsche Tageszeitung nr. 206 vom 4. mai 1910, Kopie in: Ba lichterfelde, R 901/80740, Bl. 84.

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ge mit Havas und Reuter der agentur in europa einräumten. daran hatte sich auch 1908 nichts Wesentliches geändert. das Übereinkommen mit den britischen und französischen Konkurrenten sicherte nicht nur den einfluss der deutschen agentur im osten europas. es stellte aus sicht der Wilhelmstraße darüber hinaus die einzige möglichkeit dar, „bestimmten auslassungen oder nachrichten, auf die wir Wert legen, auch im Westen Gehör zu verschaffen“. denn es zwinge Reuters und Havas, wenn nicht formell, so doch „in praxi wichtigere nachrichten oder Communiqués wenigstens in Frankreich und in england zu veröffentlichen, und erschwert andererseits tendenziösen englischen und französischen darstellungen die Verbreitung in deutschland“.279 statt die Verträge zu kündigen, konzentrierte sich die WtB-direktion, angeleitet vom außenministerium, die Vertragsbestimmungen zu ihren Gunsten zu verändern. Bei den im mai 1898 in paris stattfindenden Verhandlungen mit Reuters und Havas stand dabei noch die Verdrängung des britischen depeschenbüros aus Hamburg im mittelpunkt.280 das Ziel wurde erreicht, wenn sich Reuters die Zugeständnisse auch teuer abkaufen ließ. Für die schließung seiner Hamburger Filiale erhielt es eine jährliche Zahlung von 10 000 mark von WtB. außerdem verpflichtete sich die deutsche agentur einen jährlichen Festbetrag von 22 500 mark an Reuters und Havas zu zahlen, womit die bisherige Zahlung von 25 prozent des Jahresgewinns abgelöst wurde. das bedeutete zwar eine steigerung um 10 000 mark, hinderte Wolffs Geschäftspartner aber daran, wie bisher einsicht in dessen Bilanzen zu nehmen. im Gegenzug setzte WtB eine erweiterung des deutschen nachrichtendienstes in Übersee durch und durfte künftig ohne Genehmigung durch Reuters und Havas einzelne meldungen nach China, Japan und südamerika übermitteln, solange es die nachrichten einzelnen Zeitungen und nicht den jeweiligen nationalen telegraphenagenturen anbot.281 ein entsprechender auf Ägypten zielender Vorstoß des deutschen Verhandlungsführers Heinrich mantler wurde allerdings wegen der erheblichen britischen und französischen interessen in nahost abgewiesen.282 279

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entwurf Hammanns für eine Rede Bülows vor der Budgetkommission des Reichstags zum thema „pressepolitik im auslande“, o. d. (ca. 1908), in: Ba lichterfelde, nl 2106, otto Hammann, 4/63. siehe die aufzeichungen Hammanns vom 21. märz und 9. mai 1898 (mit Bericht mantlers), beide in: pa-aa, europa Generalia 86 secr, Bd. 8, R 539; außerdem Board minute Books 1893–1899, 27. april 1898, in: Ra, Box 291. Vgl. auch Basse, Wolff’s telegraphisches Bureau, s. 130–5. Zu den praktischen auswirkungen dieser Klausel siehe entwurf Hammanns für eine Rede Bülows vor der Budgetkommission des Reichstags zum thema „pressepolitik im auslande“, o. d. (ca. 1908), in: Ba lichterfelde, nl 2106, otto Hammann, 4/63, aber auch Basse: Wolff’s telegraphisches Bureau, s. 135–7. noch acht Jahre später klagte der neue deutsche Gesandte nach seiner ankunft in Kairo, die ägyptische presse erhalte keine oder nur einige tendenziöse nachrichten aus deutschland. Was sie überhaupt von dort höre, komme durch englische und französische Kanäle; Bernstorff an Hammann, 2. Juni 1906, Ba lichterfelde, nl 2106, otto Hammann, 1/3, Bl. 94.

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doch war bei der neuverhandlung des Kontrakts im Jahr 1908 an eine förmliche ausweitung des Wolff’schen territoriums nicht zu denken. stattdessen setzte die deutsche seite darauf, das prinzip der ausschließlichkeit des Vertragsgebiets zu durchbrechen, das die Verteilung von nachrichten deutschen ursprungs in den britischen und französischen Gebieten ins ermessen von Havas und Reuters legte. tatsächlich waren die beiden agenturen zu der Verpflichtung bereit, bestimmte von WtB gekennzeichnete depeschen entweder unverändert an die abonnenten in ihrem Geschäftsgebiet weiterzuleiten oder wenigstens den Wolff-Vertretern vor ort zur selbständigen Weitergabe an in Betracht kommende Zeitungen zu übermitteln, falls sie die Veröffentlichung aus irgendeinem Grunde selbst nicht vorzunehmen wünschten.283 in der praxis war dieser Verhandlungserfolg freilich wenig wert, weil die anfallenden Kosten in diesen Fällen vom absender zu begleichen waren, so dass eine exzessive inanspruchnahme der Klausel finanziell ruinös gewesen wäre und damit so gut wie ausgeschlossen blieb.284 Überdies verfügte Wolff’s Bureau noch 1913 erst in ansätzen über ein agentennetz in Übersee, das für die erfolgreiche Verteilung der meldungen notwendig gewesen wäre.285 es blieb die möglichkeit, die Gründung von depeschenbüros zu fördern, die keine Bindung an ausländische agenturen hatten. schon 1903 unterstützte das auswärtige amt die Gründung zweier vom Bankier ludwig asch betriebener Korrespondenzen, der „Weltkorrespondenz“ und der wenig später hinzu kommenden „Continental-Correspondenz“, und bemühte sich, potentielle Finanziers aus der privatwirtschaft für die unternehmungen zu interessieren.286 drei Jahre später, nach dem pressepolitischen desaster der ersten marokkokrise und der algeciras-Konferenz, intensivierte die Wilhelmstraße ihre Bemühungen und ermöglichte dem Bankhaus ascher den aufbau der „Kabelgramm-Gesellschaft“. das Grundkapital von 300 000 mark stellte Wolff’s Bureau bereit, das auch für die Verbreitung der nachrichten sorgte. das auswärtige amt steuerte eine jährliche subvention in Höhe von 100 000 mark bei. dafür war die direktion der Gesellschaft, was politische meldungen anbetraf, an die Weisungen des amtes gebunden.287 das ausdrückliche Ziel des unternehmens bestand darin, 283

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eine entsprechende Vereinbarung in Bezug auf Ägypten wurde bereits im sommer 1906 ausgehandelt; siehe Herbert de Reuter an mantler, 11. Juni 1906 und mantler an Hammann, 14. Juni 1906, beide in: pa-aa, europa Generalia 86, nr. 1, R 551. Zu den mit der Regelung verbundenen praktischen problemen siehe die Klagen des deutschen Generalkonsuls in südafrika von Humboldt an aa, 27. august 1910, pa-aa, europa Generalia 86 nr. 1, R 551. Vgl. memorandum Heinrich mantlers (WtB) vom november 1913, Kopie in Ba lichterfelde nl 2106, otto Hammann, 1/62, Bl. 8–10. siehe auch die geheime denkschrift mantlers vom 16. september 1909, in: pa-aa, europa Generalia 86 secr., R 548. die entsprechenden aktenvorgänge finden sich in: pa-aa, deutschland 126, nr. 2h (die Weltkorrespondenz), Bde. 1–3, R 1629–1631; deutschland 126, nr. 2i (die ContinentalCorrespondenz), R 1632–1646. mantler an Hammann, 2. Februar 1906, pa-aa, europa Generalia 86, nr. 4 secr. (die deutsche Kabelgramm Gesellschaft), R 559; siehe auch schon Bülow an Wilhelm ii, 15. no-

f) Internationales Nachrichtenwesen als „Wurzel der Weltpolitik“

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der deutschen presse durch ein eigenständiges Korrespondentennetz direkte nachrichten aus Übersee zukommen zu lassen, „welche nicht durch die Hände von paris und london“ gegangen seien. außerdem hoffte man in der Wilhelmstraße, durch die organisation eines konkurrierenden nachrichtendienstes eine gewisse Kontrolle über Reuters und Havas ausüben und sie zwingen zu können, „in ihrer Berichterstattung sich nicht allzu weit von der Wahrheit zu entfernen“.288 in demselben Kontext ist ein plan des Verbandes deutscher Zeitungsverleger (VdZV) zu sehen, den deren Vorsitzender max Jänecke, der Verleger des Hannoverschen Couriers, vier monate später initiierte. die mitglieder der organisation wurden dazu aufgerufen, sich zusammenzutun und ein eigenes nachrichtenbüro mit sitz in london zu gründen.289 Weder Jäneckes initiative noch aschers unternehmungen war erfolg beschieden. das nachrichtenbüro des VdZV scheint gar nicht erst über das planungsstadium hinaus gelangt zu sein.290 die „Kabelgramm-Gesellschaft“ konnte zwar die Zahl ihrer Korrespondenten bis 1908 von 15 auf 32 erhöhen und auch die anzahl der an die Gesellschaft versandten telegramme im laufe des Jahres 1907 mehr als verdoppeln.291 doch die Qualität des übermittelten materials, das häufig nicht Journalisten, sondern Konsularbeamte oder Kaufleute im nebenamt zusammentrugen, genügte den ansprüchen der presse weniger als der professionell betriebene nachrichtendienst der Kartellagenturen.292 die obsession mit dem internationalen nachrichtenverkehr war keine deutsche Besonderheit. auch die britische Regierung ging dazu über, eine aktivere nachrichtenpolitik zu betreiben und Reuters stellung als semi-offizielle institution des empire gezielter für ihre Zwecke zu nutzen. im unterschied zu den deutschen initiativen, denen es ebenso um die Beeinflussung ausländischer

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vember 1905, in: pa-aa, deutschland nr. 126a secr., R 1486. Vgl. auch Groth,Zeitung, Bd. 1, s. 492. entwurf Hammanns für eine Rede Bülows vor der Budgetkommission des Reichstags zum thema „pressepolitik im auslande“, o. d. (ca. 1908), in: Ba lichterfelde, nl 2106, otto Hammann, 4/63. details im Rundschreiben dr. max Jäneckes, 27. Juni 1906, pa-aa, europa Generalia 86, nr. 2, R 555. die initiative dürfte nicht nur die unabhängigkeit von Reuters, sondern mehr noch von einflüssen der Reichsregierung auf die deutsche presse über WtB zum Ziel gehabt haben. Jedenfalls findet sich in den akten nach Juni 1906 kein Hinweis mehr auf das projekt; vgl. für mögliche Gründe des scheiterns Basse, Wolff’s telegraphisches Bureau, s. 152–3. Von 169 im ersten auf 431 im vierten Quartal; siehe den entwurf Hammanns für eine Rede Bülows vor der Budgetkommission des Reichstags zum thema „pressepolitik im auslande“, o. d. (ca. 1908), in: Ba lichterfelde, nl 2106, otto Hammann, 4/63. Groth, Zeitung, Bd. 1, s. 492. siehe auch die zeitgenössische Kritik in der Deutschen Zei­ tung vom 16. august 1908. Bessere Chancen besaßen zwei andere projekte, die 1913 verwirklicht wurden, vor ausbruch des ersten Weltkriegs aber keine entscheidende Wirkung im internationalen nachrichtendienst mehr entfalteten: die von deutschkonservativen Bankiers- und industriekreisen geförderte „telegraphen-union, internationaler nachrichtendienst GmbH“ und das „syndikat deutscher Überseedienst“; siehe Basse, Wolff’s telegraphisches Bureau, s. 154–6, 170–7.

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1. Kommunikation und Außenpolitik

Wahrnehmung des Reiches wie um die Versorgung des einheimischen publikums mit internationalen meldungen ging, fehlte auf der britischen seite der aspekt eines Werbens um die Öffentlichkeiten anderer nationen fast völlig. im Zentrum stand die stärkung des britischen Weltreiches mit den mitteln des nachrichtenverkehrs. nachdem der spätere Vize-König von indien, lord Curzon, 1894 Reuters ostasiendienst als „scanty and bad“ bezeichnet hatte293, bot die agentur drei Jahre darauf von sich aus an, ihren nachrichtendienst im empire auszubauen, wenn das Kolonialministerium dafür £ 500 im Jahr zu zahlen bereit sei. Joseph Chamberlain lehnte den Vorschlag als Kolonialminister der konservativen Regierung noch ab.294 doch nach der Jahrhundertwende mehrten sich die stimmen, die einen verbesserten nachrichtendienst als entscheidende Voraussetzung für den Zusammenhalt des Weltreichs und den Fortbestand britischer Weltmacht anmahnten.295 starken Widerhall fanden derartige ideen auf der ersten imperial press Conference im Juni 1909 in london, die 54 presse-Vertreter aus indien und den weißen dominions mit britischen Zeitungsleuten zusammenbrachte. Bald schälten sich verbilligte telegrammgebühren zwischen england und den Kolonien als zentrale Forderung heraus.296 noch auf der Konferenz wurde ein „imperial news service“ ins leben gerufen und ein entsprechender ausschuss gegründet, der premierminister asquith die Wünsche der pressevertreter vortrug. unterstützt von der Regierung, trat man in Verhandlungen mit den wichtigsten privaten Kabelbetreibern ein und erreichte, dass die „pacific Cable Board“, die „eastern Cable Company“, wenig später auch die „eastern Cable Board“ ihre Gebühren spürbar senkten.297 diese Reduktion ermöglichte es Reuters, einen „imperial service“ einzurichten und seine aktivitäten innerhalb des empire beträchtlich auszuweiten. allein in Hinterindien verdoppelte sich dadurch der umfang des englischen nachrichtendienstes, während der deutsche „noch mehr in den Hintergrund“ gedrängt wurde, wie das deutsche Generalkonsulat in singapur klagte.298 Keine noch so großzügige subvention aus der staatskasse – sei es an WtB oder andere agenturen, sei es die Förderung des Baus deutscher unterseekabel 293 294 295 296

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Curzon, problems, s. 427–8. Porter, origins, s. 115–6. so etwa leo amery an lord northcliffe, 29. Januar 1909, Bl, northcliffe papers, add. 62157. siehe neben Potter, news, s. 132–59, vor allem: a parliament of the press. the First imperial press Conference, written and compiled by thos. H. Hardman with preface by the Rt. Hon. the earl of Rosebery, KG, london 1909. in deutschland bemühte sich das außenministerium ebenfalls jahrelang erfolglos darum, das Reichspostamt von der außenpolitischen opportunität ermäßigter Gebühren für pressetelegramme zu überzeugen; vgl. von schoen an den staatssekretär des Reichspostamtes, 14. Januar 1909, pa-aa deutschland 126, R 1482. Von einem shilling auf neun dime; siehe plehn an WtB, 11. Januar 1911, pa-aa, england presse nr. 73, R 5638. saunier (singapur) an aa, 4. Juli 1911, ebd.

f) Internationales Nachrichtenwesen als „Wurzel der Weltpolitik“

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in aller Welt – konnte den Vorsprung wettmachen, den Reuters florierendes unternehmen mit seinen globalen Verbindungen auf dem Zeitungsmarkt besaß. Zwar wuchs der deutsche anteil am unterseekabelnetz von 1,4 prozent (6.186 Kilometer) 1898 auf 8,3 prozent (43 294 Kilometer) im Jahr 1913, während der englische um mehr als zehn prozentpunkte zurückging. dennoch besaß das Vereinigte Königreich auch zu diesem Zeitpunkt noch mehr als die Hälfte der Kabel in aller Welt (54,3 prozent beziehungsweise 281 828 Kilometer).299 in einem Bericht über die schwächen des deutschen telegrammdienstes nach ostasien listete das deutsche Generalkonsulat in singapur im september 1910 weitere Wettbewerbsvorteile auf, über die Reuters verfügte: „die außerordentliche Verzweigung der unvergleichlichen britischen press-organisation, ihre Finanzkraft und die Vorherrschaft der englischen sprache in ostasien“.300 Fast resignierend hieß es in einem schreiben des auswärtigen amtes an das Kolonialamt vom april 1912 mit Blick auf ostafrika, es sei ausgeschlossen, den depeschendienst von WtB auch nur annähernd auf den umfang des sansibarer Reuterdienstes zu bringen. die deutsche agentur habe nur „einige isolierte Kolonien“ zu versorgen, „während Reuter über ein geschlossenes und umfangreiches netz von Verbindungen in afrika verfügt, in dem Zanzibar nur eine masche ist“.301 letztlich zeigte sich, dass die möglichkeiten der politik, auf das internationale nachrichtengeschäft einfluss zu nehmen, begrenzt waren. in dem maße, in dem technische neuerungen den informationsaustausch über ländergrenzen hinweg beschleunigten und vermehrten, wuchs auch der Glaube der außenpolitischen eliten an die Bedeutung dieser phänomene, ohne dass sie imstande gewesen wären, die entwicklungen aufzuhalten oder entscheidend zu beeinflussen. Zwar kooperierten die großen nachrichtenagenturen sowohl in deutschland als auch in Großbritannien – auf je unterschiedliche Weise und in unterschiedlichem ausmaß – mit den Regierungen. Zwar achteten sie als halboffizielle institutionen, denen an einvernehmlichen Beziehungen mit den staatlichen autoritäten gelegen war, sorgfältig darauf, die politische Führung nicht vor den Kopf zu stoßen. doch die spielregeln, denen ihr Verhalten folgte, wurden stärker von ökonomischen, technologischen und journalistischen als von politischen Kriterien bestimmt.

299 300 301

Roscher, Weltkabelnetz, s. 381. Generalkonsulat singapur an Bethmann Hollweg, 12. september 1910, abschrift in: pa-aa, london 1332. aa an Kolonialamt, 6. april 1912, pa-aa, deutschland nr. 126a secr., R 1489.

2. EtabliErung von WahrnEhmungs­ mustErn: das KrügErtElEgramm als mEdiEnErEignis Next to the Ems telegram no such fateful message has ever been sent over the telegram wire. It has rankled in the mind of this country for sixteen years. It is like a poison in the blood that cannot be eradicated. The dragon’s teeth sown by Cadmus sprang up armed men. The Kruger telegram may be said to have sown Dreadnoughts. (Daily News vom 3. August 1912)

a) Die publizistische Vorgeschichte des Krügertelegramms spannungen aufgrund von feindseligen Zeitungsartikeln waren kein neues Phä­ nomen im deutsch­britischen verhältnis. Während der Kriege von 1864, 1866 und 1870/1 war in deutschen blättern oft unmut über die angebliche Parteilich­ keit vor allem der konservativen britischen Presse gegen Preußen­deutschland laut geworden. in den folgenden beiden dekaden verfochten in deutschland nur linksliberale blätter halbwegs konsistent probritische Positionen. die sozial­ demokratische Presse kritisierte großbritanniens koloniale Expansion und das, was sie als disraelis außenpolitische abenteuer empfand. die Zentrumspresse blieb gerade während des Kulturkampfes reserviert gegenüber dem protestanti­ schen England, das die katholischen iren unterdrückte und dessen monarch über enge familiäre bindungen mit dem ungeliebten haus hohenzollern ver­ fügte, während die schutzzoll­anhänger in den reihen der nationalliberalen und Konservativen die britische Freihandelstradition anfeindeten. in England schwenkten die liberalen Zeitungen, die in den Kriegen gegen Österreich und napoleon iii. für Preußen Partei ergriffen hatten, in den 1870er und 1880er Jah­ ren auf eine kritischere linie ein, nicht zuletzt weil sie die innenpolitischen ver­ hältnisse in deutschland ablehnten. die konservativen blätter hingegen, die an der inneren ordnung der dinge im bismarckreich wenig auszusetzen hatten, blickten misstrauisch auf den neuen machtfaktor in mitteleuropa, auf berlins enge verbindungen mit sankt Petersburg und argwöhnten, das deutsche reich könne bei der nächsten sich bietenden gelegenheit die benachbarten niederlan­ de annektieren und breiten Zugang zur nordseeküste gewinnen.1 die anfänge der Kolonialpolitik unter bismarck führten ab mitte der 1880er Jahre zu wie­ derholtem austausch bitterer Polemiken zwischen deutschen und britischen Zeitungen.2 auch in den 1890er Jahren nach dem abgang bismarcks und der zwischenzeitlichen probritischen Wendung der deutschen außenpolitik mit Caprivis neuem Kurs blieb die Kolonialpolitik das Feld, auf dem die meisten 1 2

siehe hierzu Kennedy, rise, s. 87–102; vgl. auch Schaarschmidt, außenpolitik. vgl. Kennedy, rise, s. 182.

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2. Das Krügertelegramm als Medienereignis

publizistischen schlachten zwischen deutschen und britischen blättern geschla­ gen wurden. nach abschluss des deutsch­englischen abkommens über helgo­ land und sansibar am 1. Juli 1890 beispielsweise richtete sich der unmut der deutschen Presse zunächst vor allem gegen berichte der Times, die abziehenden deutschen Kolonialherren hätten in sansibar den sklavenhandel geduldet, wenn nicht gefördert. vier Jahre später, im Frühjahr und sommer 1894, protestierte die deutsche Presse gegen Englands vertrag mit dem Kongostaat.4 Jedoch waren die kolonialpolitischen Querelen der ersten hälfte der 1890er Jahre die ausnahme und noch nicht die regel in den Pressebeziehungen beider länder. die britischen Zeitungen liberaler wie konservativer Konvenienz blick­ ten zu dieser Zeit besorgter nach Paris und sankt Petersburg als nach berlin. die diplomatische anlehnung salisburys an den dreibund stand nicht im gegensatz zur veröffentlichten meinung, sondern befand sich im Einklang mit ihr. Kaiser Wilhelm ii. wurde anlässlich seiner sieben (!) besuche in großbritannien zwi­ schen 1889 und 1895 von der britischen Presse stets freundlich begrüßt, zum teil sogar, wie bei seinem ersten offiziellen staatsbesuch im Juli 1891, von allen konservativen und nicht wenigen liberalen Zeitungen geradezu herzlich will­ kommen geheißen.5 die deutsche Presse war ebenfalls keineswegs durchgängig englandfeindlich, auch wenn die annahme an boden gewann, das reich werde bei kolonialen absprachen mit dem britischen Weltreich allzu oft übervorteilt. Entscheidend war, dass die gelegentlichen, aber an Zahl und heftigkeit zuneh­ menden antibritischen ausfälle in der deutschen Presse von seiten der britischen blätter meist einfach ignoriert oder kurz abgetan wurden. Englische redakteure und Korrespondenten behandelten ihre ausländischen Kollegen in diesen Jahren mit einer mischung aus wohlwollender nachsicht und herablassender verach­ tung. „i think the way to make allowances for the Chauvinistic attacks of the foreign press“, schrieb der general manager der Times noch anfang 1896 an seinen Korrespondenten in berlin, „is – not exactly to ignore it – but to mention it more in pity than in anger. never to lose one’s temper over it but to treat them, as you would treat wayward children, as something that it would be un­ dignified if not cruel to strike“.6 die erste gelegenheit, bei der dieses muster sporadischer deutscher Presse­ attacken und englischer mäßigung im großen stil durchbrochen wurde, ergab 

4 5 6

siehe hierzu schon hatzfeld an bismarck, 20., 28. Februar und 12. märz 1889, bismarck an den deutschen gesandten in sansibar, 22. Februar 1889, Pa­aa, England 81 nr. , r 5958, sowie den bericht des damaligen Times­Korrespondenten in berlin: Lowe, tale, s. 01–5. Sell, abkommen, gibt einen materialreichen überblick über die reaktion der deutschen Zeitungen. Eine sammlung wichtiger deutscher und britischer Pressestimmen zu dieser streitfrage fin­ det sich im ba lichterfelde, nl 2106, otto hammann, /5, bl. 1–8. siehe Reinermann, Kaiser, s. 89–106. moberly bell an Wickham steed, o. d. (Januar 1896), nia, Wickham steed Papers. vgl. auch die Einschätzung von spring­rice an villiers, 17. Januar 1896, tna, Fo 800/2, bl. 2–4.

a) Die publizistische Vorgeschichte des Krügertelegramms

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sich, als Wilhelm ii. am . Januar 1896 ein glückwunschtelegramm an Paul Krü­ ger, den Präsidenten der burenrepublik transvaal sandte. die politischen hin­ tergründe der Krügerdepesche sind bekannt und müssen nicht im Einzelnen ausgeführt werden: die Entdeckung großer goldvorkommen im transvaal Ende der 1880er Jahre, die scharen ausländischer arbeitskräfte – vor allem bri­ ten – anzog, machte ein gebiet, das für großbritanniens verbindung nach in­ dien ohnehin strategische bedeutung besaß, auch wirtschaftlich höchst attraktiv. gleichzeitig weigerten sich die alteingesessenen europäischen siedler niederlän­ discher herkunft, die buren, den neu hinzuziehenden briten das Wahlrecht zu gewähren, damit sie nicht im eigenen land in die minderheit gerieten. Zu den wachsenden ökonomischen und politischen interessen des deutschen reiches in der region trat die bis ins Jahr 189 zurückreichende diplomatische ausein­ andersetzung zwischen großbritannien und deutschland über den völkerrecht­ lichen status der burenrepublik, von der london unter berufung auf zwei Kon­ ventionen von 1881 und 1884 behauptete, sie sei nicht souverän, sondern befin­ de sich weiter unter britischer oberherrschaft, was die deutsche seite bestritt. vor diesem hintergrund ist die kaum verhüllte drohung des scheidenden briti­ schen botschafters in berlin, sir Edward malet, im herbst 1895 zu sehen, wenn deutschland weiter an seiner haltung gegenüber dem transvaal festhalte, kön­ ne dies zu ernsthaften verwicklungen führen. die bestrebungen des Premiermi­ nisters der Kap­Kolonie Cecil rhodes, den transvaal zusammen mit der ande­ ren burenrepublik, dem oranje­Freistaat, einem durchgehenden, vom Kap bis nach Kairo reichenden britischen Kolonialreich in afrika einzugliedern sowie die stillschweigende duldung von rhodes’ aktivitäten durch den britischen Kolonialminister Joseph Chamberlain ermunterten einen trupp von Englän­ dern unter der Führung von rhodes’ vertrautem, dr. leander starr Jameson, zu einem nicht offiziell mit der britischen regierung abgesprochenen Einfall in den transvaal – unter dem vorwand, die englischen landsleute in der burenrepu­ blik schützen zu wollen. als die Eindringlinge schon nach wenigen tagen von einem kleinen burischen aufgebot festgenommen wurde, beglückwünschte Wilhelm ii. den burenpräsidenten dafür, „dass es ihnen, ohne an die hilfe be­ freundeter mächte zu appellieren, mit ihrem volke gelungen ist, in eigener tat­ kraft gegenüber den bewaffneten scharen, welche als Friedensstörer in ihrem land eingebrochen sind, den Frieden wiederherzustellen und die unabhängig­ keit des landes gegen angriffe von außen zu wahren“.7 die gründe, warum die deutsche Führung das telegramm nach südafrika schickte beziehungsweise die versendung der depesche durch den Kaiser nicht unterband, sind ebenfalls gut erforscht. den Kaiser drängte es, seinem wachsen­ den unmut gegen England luft zu machen und gleichzeitig eine atmosphäre zu schaffen, die den beginn einer ehrgeizigen Flottenrüstung erleichtern sollte. 7

Kaiser Wilhelm an Präsident Krüger, . Januar 1896, gP, bd. 11, nr. 2610, s. 0–1. die neues­ ten monographien zum deutsch­britischen gegensatz in südafrika stammen von Rosenbach, reich; Seligmann, rivalry. vgl. auch van’t Padje, incident.

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2. Das Krügertelegramm als Medienereignis

im auswärtigen amt sah man das glückwunschtelegramm als das kleinere übel angesichts weiter gehender vorstellungen des Kaisers wie der ausrufung eines Protektorats über transvaal, der mobilmachung der marineinfanterie oder der Entsendung von truppen. außerdem kam die transvaalkrise außenstaatssekre­ tär marschall von bieberstein und geheimrat von holstein insofern nicht unge­ legen, als sie schon zuvor mit dem gedanken gespielt hatten, mit der bildung einer antibritischen Kontinentalliga aus Frankreich, russland und deutschland zu drohen und großbritannien auf diese Weise letztlich zu einer engeren bin­ dung an den dreibund zu bewegen. umstritten ist lediglich, ob Wilhelm ii. bei der Entstehung des telegramms die hauptverantwortung zuzuweisen ist8 oder ob er lediglich vorgeschoben, von marschall und holstein für ihre Zwecke in­ strumentalisiert worden ist.9 Weit weniger wissen wir über das Krügertelegramm als medienereignis: als Ereignis also, das seinen spezifischen Charakter auch und gerade den medien verdankte. Es wurde zwar – wie gesehen – weder von der Presse geschaffen noch für sie inszeniert, wohl aber durch deren berichterstattung in seinem verlauf, seinen kurzfristigen Effekten und langfristigen Wirkungen erheblich beein­ flusst.10 im hinblick auf das spannungsverhältnis von diplomatie und Öffent­ lichkeit ist dabei weniger die Frage nach der persönlichen verantwortung des Kaisers von interesse als vielmehr die medialen und diplomatischen Wirkungs­ mechanismen, die dazu führten, dass ihm diese verantwortung zugeschrieben wurde. darüber hinaus gilt es nach den gründen zu fragen, warum das Krüger­ telegramm zum ersten deutsch­britischen „Pressekrieg“ eskalieren und Wahr­ nehmungsmuster etablieren konnte, die in den folgenden 16 Jahren die sicht der beiden ländern aufeinander entscheidend bestimmten, indem bei der interpre­ tation späterer Ereignisse immer wieder auf die vorgänge vom Januar 1896 als referenzpunkt verwiesen wurde.

b) Das Pressemanagement der deutschen und britischen Regierung Was die pressepolitische seite der affäre anbetraf, überraschten die handlungen der reichsregierung nicht. ihre vorkehrungen entsprachen dem üblichen vor­ gehen bürokratischer Presselenkung. am späten vormittag des . Januar, unmit­ telbar nach dem Ende der besprechung im reichskanzlerpalais, wo die deutsche reaktion auf den „Jameson raid“ beraten und der Wortlaut des telegramms beschlossen worden waren, reichte man den text an die nachrichtenagenturen Wtb und reuters weiter, die dafür sorgten, dass die kaiserliche depesche am folgenden tag in allen deutschen Zeitungen stand. Zusätzlich wurde das tele­ 8 9 10

so zuletzt Röhl, Wilhelm ii, s. 874–5. so Mommsen, Kaiser, s. 88–9. vgl. Wilke, geschichte; siehe auch ders., history; Rosenberger, Zeitungen, s. 98–9.

b) Das Pressemanagement der deutschen und britischen Regierung

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gramm ohne Kommentar und Erläuterung in der abendausgabe der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung abgedruckt.11 Während der folgenden tage stand außenstaatssekretär marschall von bieberstein in engem Kontakt mit Justizrat Fischer, dem berliner vertreter der Kölnischen Zeitung. marschall verfasste eigenhändig drei artikel für das rheinische blatt, in denen er den rechtsstand­ punkt der reichsregierung mit blick auf die suzeränitätsfrage wiederholte und deutlich machte, dass sich deutschland nicht einschüchtern lassen werde. am 9. Januar schrieb er einen ähnlichen artikel für die Norddeutsche Allgemeine.12 marschalls Pressepolitik konzentrierte sich somit neben den nachrichten­ agenturen und der offiziösen Norddeutschen Allgemeinen auf die wichtigste semi­offizielle Zeitung in deutschland. hinweise auf versuche der reichslei­ tung, andere deutsche blätter zu beeinflussen, lassen sich weder in den offiziel­ len akten noch in der privaten Korrespondenz oder der späteren memoirenlite­ ratur finden. Eine derartige Einflussnahme war aus sicht der reichsleitung auch gar nicht notwendig. denn die deutsche Presse hatte schon in den tagen vor der Publikation der Krügerdepesche deutlich genug erkennen lassen, wie aufge­ bracht sie über Jamesons Einmarsch in die burenrepublik war. nicht nur die alldeutsche, konservative und nationalliberale Presse, sondern auch linksliberale und sogar sozialdemokratische organe hatten die regierung gedrängt, entschie­ den für die sicherheit und unabhängigkeit der „stammverwandten“ buren ein­ zutreten, das Kräftegleichgewicht in der region zu erhalten und deutsche Wirt­ schaftsinteressen in südafrika zu schützen.1 der Protest gegen die britische aggression könne gar nicht scharf genug ausfallen, hieß es am 1. Januar in der gemäßigten Vossischen Zeitung. man müsse den buren beweisen, dass das deut­ sche reich stark genug sei, seinen schutz auch auf die burenrepubliken auszu­ dehnen, und zwar nicht nur auf diplomatische Weise. am tag darauf äußerte das blatt eine ernste Warnung an England, deutschland benötige keine beleh­ rungen über seine interessen in südafrika. der transvaal habe das recht, um deutsche unterstützung nachzusuchen, da die republik kein „englischer va­ sall“ sei. die Freisinnige Zeitung prophezeite eine unausweichliche englische niederlage, und der sozialdemokratische Vorwärts erklärte, alle zivilisierten völker hätten ein interesse am scheitern von Jamesons „raubzug“.14 11 12

1

14

Norddeutsche Allgemeine Zeitung nr.  vom . Januar 1896; vgl. auch Hale, Publici­ ty, s. 112. siehe marschalls tagebucheinträge vom 4., 5., 7. und 9. Januar 1896, zitiert in Thimme, Krügerdepesche, s. 214; Kölnische Zeitung nr. 11 vom 5. Januar 1896, nr. 15 vom 6. Ja­ nuar 1896 und nr. 19 vom 7. Januar 1896; Norddeutsche Allgemeine Zeitung nr. 14 vom 9. Januar 1896. Zu den Positionen der rechtsgerichteten und nationalliberalen Presse siehe Kreuzzeitung nr. 4 vom 2. Januar 1896; Berliner Neueste Nachrichten nr. 1 vom 1. Januar 1896; National-Zeitung nr. 1 vom 1. Januar 1896; Alldeutsche Blätter nr. 1 vom 5. Januar 1896. Vossische Zeitung nr. 1 vom 1. Januar 1896; nr. 2 vom 2. Januar 1896; Freisinnige Zeitung nr. 2 vom . Januar 1896; Vorwärts nr. 2 vom . Januar 1896; vgl. auch Carroll, germany, s. 66–7; Hale, Publicity, s. 111.

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2. Das Krügertelegramm als Medienereignis

vor dem hintergrund dieser seltenen Einmütigkeit verwundert es nicht, dass marschall bei den beratungen im reichskanzlerpalais äußerte, der text der glückwunschdepesche werde bestimmt ein „schlager“ werden, und am abend zuversichtlich in seinem tagebuch notierte: „unsere Presse ist vorzüglich. alle Parteien einig, sogar die tante voss will kämpfen.“15 die reaktion der deut­ schen blätter am 4. Januar übertraf marschalls Erwartungen womöglich noch. von rechts bis links waren sich die Zeitungen darüber einig, dass Wilhelm ii. mit seinem telegramm den richtigen ton gegenüber England und den buren getroffen habe.16 selbst der sozialdemokratische Vorwärts bekannte widerwil­ lig, bis zu einem gewissen Punkt stimme er mit dem Kaiser in dieser Frage über­ ein.17 Zufrieden konnte reichskanzler hohenlohe am mittag desselben tages der mutter des Kaisers auf die Frage, ob man sich über das telegramm an Krü­ ger freuen solle, zur antwort geben, in jedem Falle befinde es sich im Einklang mit der gegenwärtigen stimmung im lande.18 die patriotische Empörung der deutschen Presse hielt mehrere tage an und blieb nicht auf berlin beschränkt. am 9. Januar berichtete der britische gesand­ te aus münchen, die bayrische Presse sei ebenso feindselig gegenüber England, schreibe in ähnlich gehässigem und verächtlichen ton „as the most extreme of Prussian organs“.19 Einem Polizeibericht zufolge befanden sechs arbeiter am 8. Januar in einer hamburger Kneipe nach lektüre der lokalpresse, es sei „recht schön“ vom deutschen Kaiser, „dass er aus eigenem antriebe eine depesche an den Präsidenten Krüger geschickt hätte. Es sei dies schon wieder ein neues Zei­ chen und beweis, wie der Kaiser auf alle mögliche art und Weise versuchen würde, den Frieden zu sichern und verbindungen zu erreichen“.20 am 12. Janu­ ar veröffentlichte die satirezeitschrift Kladderadatsch ein spottgedicht, in dem es unter anderem hieß: „Zur rechten Zeit war’s ein Kaiserwort/das flog von land zu lande fort/begrüßt mit Jubelschalle/so ist es recht, dass bravheit siegt/ und hochmuth kommt zu Falle!“21 in derselben ausgabe wurde das bild eines übergewichtigen, aufgedunsenen John bull gezeichnet, der in seiner gier nach territorialer Expansion die hände in alle himmelsrichtungen ausstreckte, aber von den buren „zur ader gelassen“ wurde (abbildung 2). so zufrieden die deutsche Führung zunächst mit der Pressereaktion im eige­ nen lande sein konnte, so ärgerlich war für sie das wütende öffentliche Echo, 15 16 17

18 19 20 21

gP, bd. 11, s. 2; tagebucheintrag vom . Januar, zitiert in: Thimme, Krügerdepesche, s. 21. vgl. die mit zustimmenden randbemerkungen des Kaisers versehenen Zeitungsausschnitte im ba lichterfelde, nl 2106, otto hammann, /54, bl. 11–20. Vowärts nr.  vom 4. Januar 1896. Freilich legte das blatt tags darauf Wert auf die Feststel­ lung, das telegramm bringe nur die persönliche ansicht des Kaisers und nichts weiter zum ausdruck; Vorwärts nr. 4 vom 5. Januar 1896. Kaiserin Friedrich an Königin viktoria, 4. Januar 1896, zitiert in Lee, Edward vii, s. 727. drummond an salisbury, 9. Januar 1896, tna, Fo 149/117. Zitiert nach Evans (hrsg.), Kneipengespräche, s. 46. Kladderadatsch bd. 49, nr. 2, 12. Januar 1896. Zur „außenpolitik“ des Kladderadatsch in der wilhelminischen Ära vgl. die knappen bemerkungen bei Schulz, „Kladderadatsch“, s. 18–92.

b) Das Pressemanagement der deutschen und britischen Regierung

Abbildung 2:

Kladderadatsch Bd. 49, Nr. 2, 12. Januar 1896.

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2. Das Krügertelegramm als Medienereignis

das die kaiserliche depesche in großbritannien auslöste. schon am 4. Januar be­ richtete botschafter hatzfeldt aus london, sämtliche britischen Zeitungen mit ausnahme der Daily News interpretierten den glückwunsch als „unfreund­ lichkeit gegen England“. dieser Wechsel sei umso auffallender, als die ganze londoner Presse bisher fast ausnahmslos das vorgehen Jamesons entschieden getadelt hätte. Zweifellos werde es dieser umschwung der öffentlichen meinung für salisbury weitaus schwerer machen, die transvaalkrise im Einvernehmen mit deutschland beizulegen.22 tatsächlich brachten die englischen Journalisten ihre missbilligung in bitteren angriffen auf deutschland und seinen Kaiser zum ausdruck. der Daily Telegraph kritisierte, Wilhelms verhalten sei seiner britischen abstammung unwür­ dig, und überschrieb die entsprechenden berichte aus südafrika mit den Worten „german intrigues against England“. der Chefkommentator der Morning Post, henry spenser Wilkinson, forderte den abzug der britischen Flotte aus dem mittelmeer und deren vereinigung mit der Kanalflotte als gegen deutsch­ land gerichtete drohgebärde, während der berlin­Korrespondent des blattes schwor, die briten würden die kaiserliche depesche niemals vergessen, sondern als richtschnur für ihre künftige außenpolitik immer im hinterkopf behal­ ten.2 die affäre gab vor allem der konservativ­imperialistischen Presse in Eng­ land gelegenheit, das nationale selbstwertgefühl rhetorisch aufzupolieren und das britische selbstbild in ihrem sinne zu korrigieren. „For England’s honour, England, peace­loving, commercial England will fight [...] Every Englishman and every English woman breathes freely. We are ourselves again“, gelobte die Morning Post, während der standard erklärte: „honour still comes first in the calculations of Englishmen, and those critics are greatly deceiving themselves who imagine that the ‚nation of shopkeepers‘ is not also in the hour of need a nation of combatants.“24 diese patriotischen aufwallungen trafen die deutsche regierung, die sich daran gewöhnt hatte, dass antibritische ausfälle der deutschen Presse jenseits des Kanals mit überlegenem schweigen und vornehmer Zurückhaltung beant­ wortet wurden, vollkommen überraschend. marschall empörte sich in seinem tagebuch entsetzt über die „maßlosen“, „frechen“, „törichten“ und „ganz tol­ len“ artikel in englischen Zeitungen.25 „i think“, schrieb der britische bot­ schafter in berlin an seinen Premierminister, „he has really been taken aback by the outburst of popular feeling in England“.26 die verblüffung marschalls war verständlich. auch in großbritannien wunderten sich Politiker, Publizis­ 22 2 24 25 26

hatzfeldt an das auswärtige amt, 4. Januar 1896, gP, bd. 11, nr. 261, s. –4; vgl. auch Hammann, Kurs, s. 12. Daily Telegraph vom 4., 6. und 7. Januar 1896; Morning Post vom 4. und 8. Januar 1896; weitere Einzelheiten bei Hale, Publicity, s. 117–8; Reinermann, Kaiser, s. 148–61. Morning Post vom 9. Januar 1896; Standard vom 6. Januar 1896. tagebucheintragungen vom 4. bis 11. Januar 1896, zitiert nach Röhl, Wilhelm ii, bd. 2, s. 875. lascelles an salisbury, 11. Januar 1896, tna, Fo 800/17.

b) Das Pressemanagement der deutschen und britischen Regierung

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ten und diplomaten über die heftigkeit, mit der die Zeitungen im vereinigten Königreich auf das kaiserliche telegramm reagierten. „For once the whole press is unanimous“, schrieb der junge Eyre Crowe, der sich zu dieser Zeit im Foreign office einen namen als deutschlandexperte zu machen begann. „i am quite certain that if germany carries out her threat and marches in her troops through the Portuguese territory at delagoa bay, it means war with us“.27 die bis dahin beispiellose Eruption antideutscher Emotionen in der britischen Presse hatte verschiedene gründe. Zum einen stand mit dem schicksal südafri­ kas anders als bei den kolonialen Kontroversen der späten 1880er und frühen 1890er Jahre erstmals ein thema zur debatte, das Englands strategische interes­ sen zentral berührte – oder vielmehr das, was die außenpolitischen Eliten groß­ britanniens als ihre strategischen interessen ansahen. die buren, schrieb der berlin­Korrespondent der Morning Post an seinen vater, mochten ja ein starkes und bewundernswertes volk sein, aber sie dürften niemals zur dominierenden Kraft in der region werden, da die deutschen sie als strohmänner benutzen wollten, um die Kapgegend mit deutschen und niederländern zu überfluten. „now we may give up the suez Canal but we cannot and never will let the Cape be endangered. our fleet […] must rule the road to india. it cannot do so with­ out the Cape Colony being british.“28 hinzu kam, dass die depesche des Kaisers zu einem Zeitpunkt in England publiziert wurde, der psychologisch betrachtet ungünstiger kaum hätte gewählt sein können. schon wenige Wochen zuvor hatte ein anderes telegramm eines ausländischen staatsoberhaupts die gemüter in den englischen redaktionsstu­ ben erregt, als der amerikanische Präsident grover Cleveland am 17. dezember 1895 unter verweis auf die monroe­doktrin britische Forderungen an venezue­ la in brüsker Form zurückwies. vor dem hintergrund nagender selbstzweifel angesichts des lang dauernden russisch­britischen gegensatzes in asien sowie von spannungen mit Frankreich in Ägypten und zusammen mit der blamablen schlappe Jamesons im transvaal verletzten die beiden telegramme den patrioti­ schen stolz vor allem konservativ­imperialistisch gesinnter Journalisten, aber auch jüngerer diplomaten zutiefst und ließen ruf den nach drastischen maß­ nahmen und der Wiederherstellung der nationalen Ehre laut werden.29 „i have been unable to sleep all night with the feeling of bitter indignation in me“ schrieb beispielsweise Eyre Crowe in diesen tagen an seine mutter. seinem schwager, dem Journalisten henry spenser Wilkinson schlug er nur halb im scherz vor, 27

28 29

Crowe an seine mutter, 6. Januar 1896, bod, ms. Eng d. 019, Crowe Papers, bl. 126–7. vgl. auch sanderson an lascelles, 15. Januar 1896, tna, Fo 800/9, bl. 24–6; lascelles an salisbury, 24. Januar 1896, tna, Fo 64/176, s. 60–1; Blunt, diaries, s. 212, 214; Moberly Bell, life, s. 212; Cecil an stephen spring­rice, 11. Januar 1896, abgedruckt in Gwynne, letters, bd. 1, s. 187. george saunders an david saunders, 12. Januar 1896, CCC, saunders Papers, gs/1/105. immer noch grundlegend für die Probleme, mit denen salisburys außenpolitik in dieser Zeit konfrontiert war, sind Grenville, salisbury; Lowe, salisbury.

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2. Das Krügertelegramm als Medienereignis

man solle ein an die adresse berlins und Washingtons ein knappes diplomati­ sches rundschreiben versenden mit den Worten: „You go to the devil.“ Er kön­ ne nicht verstehen, so Crowe, warum die britische regierung noch nicht ihren botschafter aus berlin abberufen habe.0 Kolonialminister Chamberlain machte sich zum sprecher derartiger gefühle der Wut und Frustration, indem er einen „act of vigour“ von salisbury forderte „to soothe the wounded vanity of the nation. it does not much matter which of our numerous foes we defy but we ought to defy someone.“ Er schlug eine scharf formulierte depesche an deutschland vor, die so rasch als möglich veröf­ fentlicht werden sollte. als alternativen konnte er sich entweder die Entsen­ dung einer beträchtlichen anzahl von Kriegsschiffen und die vorbereitung von truppenverschiebungen nach südafrika vorstellen oder großzügige hilfszah­ lungen an die Kolonien zum ausbau ihrer verteidigungskapazitäten zu Wasser und zu lande.1 Chamberlain wollte mit diesen maßnahmen offenkundig weni­ ger die deutsche regierung als die britische Öffentlichkeit beeindrucken, wohl wissend, dass die von ihm geforderte demonstration der stärke die Erregung der britischen Zeitungen weiter steigern und nicht dämpfen würde. daran mus­ ste der Kolonialminister, dessen mögliche verstrickung in den Jameson raid bis zur Publikation des kaiserlichen telegramms gegenstand heftiger spekulationen in der britischen Presse gewesen war, ein persönliches interesse haben. Es war gewiss kein Zufall, dass er aus der reihe der zahlreichen Feinde Englands, von denen er salisbury schrieb, ausgerechnet deutschland als Zielscheibe des von ihm propagierten „act of vigour“ auswählte. in deutschland registrierte man jedenfalls genau, wie sehr sich die britischen reaktionen auf die telegramme Clevelands und Wilhelms ii. voneinander unterschieden. dem us­Präsidenten, so klagte holstein gegenüber dem britischen militärattaché Colonel swaine, habe man so viel honig um den bart geschmiert, wie sich in den bienenstöcken großbritanniens habe finden lassen, während die antwort an den Kaiser von einem ganz anderen geist durchdrungen gewesen sei.2 hätte es das törichte telegramm des Kaisers nicht gegeben, bemerkte die monatszeitschrift Review of Reviews hellsichtig, hätte sich die gesamte öffentliche Entrüstung auf dr. Jamesons verschwörung konzentriert. die Krügerdepesche habe jedoch auf einen schlag die situation verändert, und der unwille der Öffentlichkeit wurde auf die deutsche verschwörung gegen die britische vorherrschaft in südafri­ ka umgelenkt. Wie nützlich derartige gerüchte für ihn waren, gab Cham­ berlain indirekt zu, als er in einem Privatbrief an reginald brett (den späteren lord Esher) schrieb, jeder hinweis auf eine deutsch­niederländische Konspi­ 0 1

2 

Crowe an seine mutter, 5. Januar 1896, bod, ms. Eng d. 019, Crowe Papers, bl. 12–4. Eine vierte option sei die sofortige Einigung mit den usa über die strittigen grenzfragen in venezuela; Chamberlain an salisbury, 4. Januar 1896, zitiert nach Garvin, life, bd. , s. 95–6. siehe auch sandersons aufzeichnung über ein gespräch mit Chamberlain vom 5. Januar 1896, tna, Fo 800/1, bl. 18–184. swaines memorandum vom 26. Februar 1896, tna, Fo 64/176, bl. 158. Review of Reviews, Februar 1896, s. 15.

c) Die Reaktion der britischen Presse

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ration in südafrika „undoubtedly tend[s] to divert the issue and share the bla­ me“.4 inwieweit Chamberlain darüber hinaus direkt auf die Presse einwirkte, lässt sich aus den Quellen nicht mit letzter sicherheit entnehmen. Fest steht, dass sein Kolonialministerium im Januar 1896 der einzige teil des britischen regierungs­ apparats war, der eine aktive Pressepolitik betrieb.5 Zudem war es die Cham­ berlain parteipolitisch und ideologisch nahe stehende konservativ­imperialisti­ sche Presse, die besonders heftig gegen deutschland wütete, während sich die liberalen blätter ruhiger verhielten.6 unzufrieden mit der Entwicklung war der Kolonialminister auf keinen Fall. „i have scored“, schrieb er am 8. Januar an seine Frau, „i do not know what my enemies can invent against me but at pre­ sent i see no weak point.“7 als ihm drei Wochen später strachey von der Wo­ chenzeitschrift Spectator zu seinem Erfolg gratulierte, antwortete Chamberlain vieldeutig: „i have been most generously supported in the difficult position in which i have been placed.“8

c) Die Reaktion der britischen Presse Konkrete Kontakte zwischen regierung und Presse lassen sich für die trans­ vaalkrise nur im Fall der Times nachweisen. der herausgeber der Morning Post, lord glenesk, beschwerte sich am 14. Januar in einem schreiben an salisburys Privatsekretär schomberg Kerr mcdonnell, dass downing street der Times ex­ klusive informationen zukommen lasse, die seiner eigenen Zeitung vorenthalten blieben. mcdonnell räumte ein, dass die beschwerde berechtigt sei; und salis­ bury versprach, das Foreign office, das Kolonialministerium und die admirali­ tät zu instruieren, dass die vorzugsbehandlung gegenüber der Times beendet werde.9 in der tat nahm die Times wegen ihrer engen verbindung zur briti­ 4 5 6 7 8

9

Freilich hatte er vor allem Cecil rhodes im sinn, nicht sich selbst; Chamberlain an brett, 1. Februar 1896, abgedruckt in: Brett (hrsg.), Journals, bd. 1, s. 19–4. vgl. Jones, Fleet street, s. 94–5; Porter, origins, s. 114–21. vgl. Reinermann, Kaiser, s. 161–71. Chamberlain an seine Frau, 8. Januar 1896, zitiert bei Marsh, Chamberlain, s. 84. Chamberlain an strachey, 0. Januar 1896, hlro, strachey Papers, str 4/6/6. gleichzei­ tig gab das Kolonialministerium aber nach bekanntwerden von Jamesons Einfall im trans­ vaal Pressemeldungen heraus, in denen die aktion verurteilt wurde. außerdem vermied es Chamberlain, von sich aus die deutsch­britischen beziehungen öffentlich anzusprechen. aus dem von seinem ministerium am 11. Februar publizierten blaubuch zur transvaalfrage waren fast alle bezüge zu deutschland herausgehalten worden; vgl. Porter, origins, s. 91. der minister legte Wert darauf, salisbury wissen zu lassen, dass er in keiner seiner reden vom „ill will and even hatred of germany against England“ gesprochen habe, wie man in deutschland behauptete; randbemerkung Chamberlains zur depesche von lascelles an salisbury, 1. Januar 1896, tna, Fo 64/176, bl. 8. lord glenesk an mcdonnell, 14. Januar 1896; lord glenesk an salisbury, 14. Januar 1896, zitiert in Koss, rise, bd. 1, s. 66–7.

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2. Das Krügertelegramm als Medienereignis

schen regierung und verwaltung während der gesamten affäre eine schlüssel­ stellung ein. im Zentrum des sturms stand ihr berlin­Korrespondent. valentine Chirol war als junger mann 1872 in den britischen diplomatischen dienst einge­ treten, hatte diesen aber nach vier Jahren wieder verlassen und während der fol­ genden 16 Jahre als schriftsteller und gelegenheitsjournalist ein unstetes Wan­ derleben vor allem im nahen osten, indien und China geführt. 1892 war er vertreter der Times in berlin geworden, wo er seit 1895 in freundschaftlichem Kontakt mit dem neuen britischen botschafter sir Frank lascelles und dem botschaftssekretär Cecil spring­rice stand.40 auch ins deutsche auswärtige amt unterhielt Chirol gute beziehungen, insbesondere zu geheimrat holstein, der in mancher hinsicht ein seelenverwandter war. beide männer blieben ihr leben lang Junggesellen, für die ihre arbeit mehr als alles andere bedeutete. beide waren meinungsstark und pflichtbewusst, aber auch das, was man einen schwierigen Charakter nennt: geltungsbedürftig, leicht zu kränken, übertrieben penibel auf die Wahrung der eigenen Ehre und den rang des landes bedacht, das sie vertraten, wobei beide das Persönliche vom Politischen nicht immer klar zu trennen wussten.41 marschall, der Chirols grundsätzlich deutschfreundliche haltung und dessen verbindungen ins Foreign office kannte, hatte den Journalisten schon am tag vor der versendung des kaiserlichen telegramms ins auswärtige amt einbestellt. dort machte er ihm deutlich, wie ernst die reichsregierung die lage im trans­ vaal einschätzte und dass Englands Politik in dieser Frage zu einer antibritischen Kontinentalliga aus russland, Frankreich und deutschland führen könnte.42 Kurz nachdem die depesche nach südafrika abgegangen war, bat man Chirol wieder zu marschall in die Wilhelmstrasse, wo er darüber informiert wurde, dass es sich dabei keineswegs um eine impulsive reaktion des Kaisers handele, son­ dern um einen wohl bedachten schritt der regierung, eine „staatsaktion“.4 Wenn diese schritte dazu dienen sollten, der britischen Führung die deutsche Entschlossenheit vor augen zu führen und berlins verhandlungsposition zu stärken, erreichten sie das gegenteil. Chirol berichtete in seinen veröffentlich­ ten telegrammen an die Times getreulich, wenn auch ohne namensnennung, 40 41 42

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die weit ins nächste Jahrhundert hineinreichenden verbindungen sind in den nachlässen lascelles’ (tna, Fo 800/9) und spring rices (CCC) dokumentiert. Für Chirol siehe neben dessen Erinnerungen, Chirol, Fifty Years, die biographie von Fritzinger, diplomat; vgl. auch Frey, Chirol. Zu holstein siehe Rich, holstein. marschalls tagebucheintrag vom 2. Januar 1896, zitiert bei Thimme, Krügerdepesche, s. 211. das aus dieser unterredung resultierende telegramm Chirols erschien in der Times vom . Januar 1896. den genauen Zeitpunkt dieses gesprächs zu bestimmen, ist schwierig. Chirol nannte im rückblick den . Januar, während in marschalls tagebuch erst für den darauf folgenden tag ein treffen vermerkt ist. Chirol muss jedoch bereits am . Januar von einer gut informierten Quelle im auswärtigen amt details erfahren haben, da die Times schon am morgen des 4. Januar die namen der am gespräch im reichskanzlerpalais beteiligten veröffentlichte; Times vom 4. Januar 1896; Chirol, Fifty Years, s. 279–80; marschalls tagebucheintrag ist zitiert in Thimme, Krügerdepesche.

c) Die Reaktion der britischen Presse

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was ihm marschall zu verstehen gegeben hatte.44 in einem Privatbrief an den leiter des außenpolitischen ressorts der Times, mackenzie Wallace, führte Chi­ rol darüber hinaus seine nicht zur Publikation bestimmte ansicht aus, wie das Krügertelegramm zu interpretieren sei. Er könne darin, so Chirol, nichts ande­ res sehen, als das bestreben „not only to thwart our so­called pretensions in south africa but to make political capital out of existing complications at our expense and to humiliate us“. die deutsche Führung sei „distinctly malevolent. i can put no other structure upon the Emperor’s telegram to Kruger.“45 Wallace war geneigt, die angelegenheit günstiger zu beurteilen, gab aber zu, seiner ur­ sprünglichen annahme, man habe es mit einer unabgestimmten spontanaktion des Kaisers zu tun, die man nicht ernst zu nehmen brauche, sei damit der boden entzogen.46 Entsprechend unverblümt warnte er in seinem nächsten leitartikel: „to fight, if unavoidable, for [british commerce and colonies] is not only an obligation of honour, but a dictate of necessity.“47 die deutsche Witzpresse mokierte sich über die mahnungen der Times (ab­ bildung ). in der Wilhelmstraße hingegen, wo man die artikel der Times noch aufmerksamer studierte als die berichte anderer britischer Zeitungen, war man über die verschärfung des tonfalls bestürzt. holstein mochte nicht daran glau­ ben, dass die Times einem deutsch­britischen Konflikt das Wort redete. gleich­ zeitig hoffte er, über Chirol dem britischen Premierminister einen inoffiziellen Wink zukommen zu lassen, wie man aus der verfahrenen situation ohne ge­ sichtsverlust wieder herauskomme. Er drängte den Journalisten, salisbury über lascelles vom inhalt ihrer gespräche zu berichten, und versicherte ihm, er hoffe die inzwischen begonnenen bilateralen verhandlungen zwischen großbritanni­ en und der burenrepublik würden zum Erfolg führen; falls nicht, stünden unan­ genehme Weiterungen zu befürchten. denn russland werde die gelegenheit nicht verstreichen lassen, deutschland gegen England auszuspielen. Frankreich werde bei der antibritischen Koalition mitmachen, schon aus sorge, dass sonst deutschland seine stelle als russischer bündnispartner einnehmen könne. die­ ses szenario lasse sich nur vermeiden, wenn man in london endlich einsehe, dass an einer britischen anlehnung an den dreibund kein Weg vorbeiführe.48 der geheimrat glaubte wahrscheinlich, er habe mit seinem verweis auf die direkten verhandlungen zwischen großbritannien und der burenrepublik hin­ reichend deutlich zu verstehen gegeben, dass deutschland nicht militärisch in­ tervenieren werde, wenn nur der status quo im transvaal gewahrt bleibe.49 aber für Chirol war etwas anderes entscheidend, nämlich die drohung, das deutsche 44 45 46 47 48 49

Times vom . und 4. Januar 1896. Chirol an Wallace, 4. Januar 1896, zitiert nach hot bd. , s. 259. vgl. auch Morris, scare­ mongers, s. 18. Wallace an Chirol, 6. Januar 1896, nias, Foreign department letter book. Times vom 7. Januar 1896. holstein an hatzfeldt, 8. Januar 1896, gP, bd. 11, nr. 26, s. 41–2; Chirol an Wallace, 7. und 11. Januar 1896, zitiert in: hot, bd. , s. 260, 262. so jedenfalls Rich, holstein, s. 471.

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2. Das Krügertelegramm als Medienereignis

Abbildung 3: Kladderadatsch Bd. 49, Nr. 2, 12. Januar 1896

reich plane zusammen mit Frankreich und russland eine gemeinsame Front gegen großbritannien in der transvaalfrage, um london auf diese Weise zu einer annäherung an den dreibund zu zwingen. „to­day“, schrieb Chirol daher am 7. Januar an Wallace, „i have for the first time, i must admit, fully realized how serious the situation is, for only to­day i have been compelled to suspect that germany’s action in this matter has not been shaped on the spur of the moment but has been prepared de longue main.“50 Chirols misstrauen wurde noch durch die Konfusion um die mögliche lan­ dung deutscher truppen in der delagoabucht vergrößert. schon bei ihrem ersten gespräch nach versendung der Krügerdepesche am . Januar scheint außenminister marschall angedeutet zu haben, berlin habe die Zustimmung lissabons erhalten, notfalls deutsche soldaten in der zum portugiesischen Ko­ lonialreich gehörenden bucht zu landen und von dort zum schutz der deut­ schen bevölkerung in den transvaal zu entsenden.51 am 5. Januar korrigierte er 50 51

Chirol an Wallace, 7. Januar 1896, zitiert in: hot, bd. , s. 260. so jedenfalls die behauptung in einem nicht abgeschickten memorandum von Chirol an lascelles, 25. Januar 1896, zitiert in: hot, bd. , s. 271.

c) Die Reaktion der britischen Presse

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sich gegenüber Chirol dahingehend, dass berlin zwar ein entsprechendes Ersu­ chen an lissabon gerichtet habe, Jameson jedoch festgesetzt worden sei, ehe eine antwort aus Portugal eingegangen war.52 am 8. Januar traf der außen­ staatssekretär überdies den berlin­Korrespondenten des Daily Telegraph und dementierte gerüchte, die reichsregierung habe zwischenzeitlich die Entsen­ dung deutscher truppen nach Pretoria erwogen.5 von ihrem Korrespondenten in lissabon erhielt die Times jedoch am 9. Januar die nachricht, die Wilhelm­ straße habe über die Festnahme Jamesons hinaus versucht, von der portugiesi­ schen regierung ein landerecht zu erwirken und sei ablehnend beschieden worden.54 als Chirol dies erfuhr, schrieb er voll Wut an Wallace: „[if] it is true this is a case in which marschall has lied to me and what is much more impor­ tant to l[ascelles, dem britischen botschafter, dg] […] on both our minds he left the impression that Portugal had not refused, and could not have refused a permission“.55 Weder marschalls drohung mit einer möglichen intervention deutscher trup­ pen noch holsteins dunkle andeutungen über eine eventuelle Kontinentalallianz gegen England hatten direkte auswirkungen auf die britische außenpolitik. sa­ lisbury, den lascelles von den gesprächen Chirols mit holstein wunschgemäß unterrichtet hatte, ließ sich nicht aus der ruhe bringen. die – ohnehin von be­ ginn an vagen – deutschen hoffnungen auf ein Zusammengehen mit Frankreich und russland in der transvaalfrage zerstoben. Was blieb, war Chirols Ärger dar­ über, von der deutschen diplomatie hinters licht geführt und für ihre Zwecke eingespannt worden zu sein. gegenüber Wallace beklagte er sich über die hinter­ hältigen, verlogenen methoden deutscher außenpolitik: „[a]ll their solemn war­ nings and agonized threats of impending evil to England were merely a comedy of intimidation in which i was cast for the part of an unofficial medium.“56 Chi­ rols verbitterung wuchs, als marschall und holstein die zunehmend kritischen telegramme des berliner Times­Korrespondenten mit derjenigen sanktion be­ straften, die für unbotmäßige Journalisten im system der bürokratischen Presse­ lenkung vorgesehen war: informationsentzug und verweigerung des Zugangs zur Wilhelmstraße. das musste Chirol umso mehr kränken, als er sich wegen seiner engen verbindung zu holstein in einer besonderen Position unter den in berlin akkreditierten Journalisten gewähnt hatte und nun feststellen musste, dass er behandelt wurde wie jeder andere missliebig gewordene schreiberling.57 52 5 54 55 56 57

Times vom 8. Januar 1896; hot, bd. , s. 26. tagebucheintrag vom 8. Januar 1896, zitiert in thimme, Krügerdepesche; Daily Telegraph vom 9. Januar 1896, in dem marschall nicht namentlich erwähnt wird. Times vom 10. Januar 1896. Chirol an Wallace, 10. Januar 1896, nia, Foreign department letter book. Chirol an Wallace, 12. Januar 1896, zitiert nach hot, bd. , s. 269. Für Chirols Perspektive siehe das bereits erwähnte memorandum an lascelles, 25. Januar 1896, zitiert in: hot, bd. , s. 271; spring­rice an villiers, 17. Januar 1896, tna, Fo 800/2, bl. 2–4. holsteins sichtweise wird deutlich aus einem späteren schreiben an hatz­ feldt, 29. mai 1898, abgedruckt in: Ebel (hrsg.), hatzfeldt, bd. 2, nr. 724, s. 1162.

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2. Das Krügertelegramm als Medienereignis

Ein gutteil der Konfusion und gegenseitigen verdächtigungen, die nach dem . Januar 1896 die beziehungen zwischen london und berlin trübten, resultier­ ten somit aus der ungeklärten rolle, die eine einflussreiche Zeitung wie die Times im diplomatischen spiel einnahm oder einnehmen sollte, hatten Chirol und Wallace doch in diesen tage eine doppelte schlüsselposition inne: einmal an der schnittstelle zwischen britischer diplomatie und Öffentlichkeit, zum ande­ ren aber auch als geheimer Kanal zwischen der Wilhelmstraße und dem Foreign office. Keiner der beteiligten schien sich darüber im Klaren zu sein, wie schwie­ rig die unterschiedlichen Erwartungen, die sich aus diesen rollen ergaben, mit­ einander in Einklang gebracht werden konnten, ja wie unmöglich es war, die Funktion der berichterstattung mit diplomatischen vermittlungsdiensten zu vereinbaren. denn jeder text aus der Feder Chirols konnte, ja musste fortan auf zweifache Weise gelesen werden: zum einen als objektiver bericht eines unbetei­ ligten beobachters und zum anderen als offiziöse botschaft eines diplomaten ohne Portfolio.58 anders als die Times bedurfte die populäre massenpresse in England keines ministeriellen Zuspruchs, um zu ihrer haltung in der transvaalfrage zu finden. Zwar war die erste wirkliche massenzeitung, die Daily Mail, im Januar 1896 noch nicht auf dem markt (die erste ausgabe erschien am 4. mai 1896). doch testeten ihre herausgeber alfred harmsworth und Kennedy Jones bereits die stilistischen und inhaltlichen neuerungen, die dem blatt kurz darauf zum Er­ folg verhelfen sollten. ihr wichtigstes Experimentierfeld war die abendzeitung Evening News, die ihrer berichterstattung über die Ereignisse im transvaal eine eigene Wendung gab. Wo andere blätter – konservativer wie liberaler richtung – vorsichtige bis deutliche missbilligung über den Einfall in die burenrepublik zum ausdruck brachten, ergriffen harmsworth und Jones vom ersten tag an Partei für Jameson und stilisierten ihn zum helden. sie kritisierten Chamber­ lain, dafür, dass er dessen aktion nicht öffentlich gut heiße, und druckten am 2. Januar auf der titelseite eine dreispaltige Porträtzeichnung Jamesons mit der unterschrift: „may his march to the relief of our brothers and sisters in the transvaal be crowned with success.“ Ein ergänzender artikel auf der zweiten seite lobte „brave dr. Jim“ als „clear and cool headed“. nachdem zwei tage später die Kunde vom scheitern der aktion England erreicht hatte, warteten die Evening News mit der sensationellen nachricht auf: „dr. Jameson not burnt alive, but probably shot“. am 7. Januar druckte die Zeitung einen bericht über den hergang der Festnahme, der zeigen sollte „that dr. Jim acted like an Eng­ lishman“.59 ihren höhepunkt fand die heroisierung sechs Wochen später anlässlich der rückkehr Jamesons aus südafrika vor dem beginn des gerichtsverfahrens ge­ gen ihn. Wieder brachten die Evening news eine dreispaltige Zeichnung Jame­ sons mit der unterschrift „the man of the moment“, die durch den Zusatz er­ 58 59

so auch der titel der jüngsten biographie Chirols; siehe Fritzinger, diplomat. Evening News vom 1., 2., 4. und 7. Januar 1896.

c) Die Reaktion der britischen Presse

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gänzt wurde: „god bless you, doctor Jameson, here’s your country’s love to you.“60 das gegenstück zur glorifizierung Jamesons bildete die verteufelung des deutschen Kaisers. die Evening News schwelgten in gerüchten über einen angeblichen „Pretoria­berlin Plot“ und versahen ihren bericht über das kaiser­ liche telegramm mit der nicht nur irreführenden, sondern sachlich falschen überschrift: „Emperor William’s message. he Congratulates Kruger for hav­ ing Killed Englishmen“.61 diese art der berichterstattung entsprang nicht nur patriotischem überschwang, sondern geschäftlichem Kalkül. die Personalisie­ rung verwickelter politischer Zusammenhänge gehörte zum instrumentarium, mit dem die neu entstehende massenpresse Komplexität reduzieren und ihre leser emotional ansprechen konnte. sie boten ihren lesern damit Projektions­ flächen für deren positive oder negative gefühle, ohne dass es notwendig war, die zugrunde liegenden sachzusammenhänge im einzelnen zu durchdringen. die gegenüberstellung eines heroischen landsmanns und eines diabolischen ausländischen monarchen war einfacher zu begreifen, erlaubte klarere gefühls­ mäßige stellungnahmen als die komplexen, moralisch weniger eindeutigen de­ tails deutscher und britischer Politik in südafrika. darüber hinaus war es für eine massenzeitung, die enge parteipolitische bin­ dungen mied und einen breiten, die Parteigrenzen übergreifenden leserkreis anpeilte, besonders heikel, innenpolitisch kontroverse, zwischen Konservativen und liberalen umstrittene themen aufzugreifen. bei außenpolitischen und im­ perialen Fragen hingegen konnte man eher nationale Einigkeit voraussetzen. schon in der ersten ausgabe der Evening News unter ihrer leitung hatten harmsworth und Jones in einem programmatischen leitartikel verkündet, das blatt werde das Evangelium des Empire verkünden und den glauben an die vereinten bemühungen aller völker, die unter der britischen Flagge versammelt seien.62 Jameson raid und Krügerdepesche gaben ihnen erstmals gelegenheit, diesen leitgedanken im großen stil in die Praxis umzusetzen. „We realized“, schrieb Kennedy Jones im rückblick, that one of the greatest forces, almost untapped, at the disposal of the Press was the depth and volume of public interest in imperial questions. […] the instant we lifted the Jameson raid out of the miasmal fog of party politics and put it in the clear light of rea­ son and honourable motive the heartiest support was accorded cordially to our paper by all classes.6

die Empörung blieb nicht auf die redaktionsräume in Fleet street beschränkt, sondern schwappte alsbald aus den medien auf andere Öffentlichkeiten über. „England seems going perfectly mad“, schrieb spring­rice aus berlin an seinen

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61 62 6

Evening News vom 22. Februar 1896. die Worte griffen in abgewandelter Form eine Zeile aus dem damals populären music hall song „Private tommy atkins“ auf; vgl. Jones, Fleet street, s. 256–7. Evening News vom 4. und 7. Januar 1896. Ebd., 1. august 1894; vgl. auch Jones, Fleet street, s. 12. Jones, Fleet street, s. 146.

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bruder.64 briten aller Klassen machten ihrem unmut auf verschiedenste Weise luft. das einfachere volk demonstrierte in music halls und theatern mit be­ geisterungsstürmen für patriotische gedichte und nationalistische gesänge, wie populär dr. Jameson und wie unbeliebt der deutsche Kaiser war. der refrain einer Produktion im „tivoli“ lautete: „We brooked no slight from foreign might/in the glorious days of old/ our cause is right/if we need we’ll fight/ What is our own we’ll hold.“65 angehörige der gebildeteren schichten griffen selbst zur Feder und verfassten wütende leserbriefe an die Times, die Morning Post oder den Standard, in denen sie forderten, den namen des Kaisers aus den britischen armee­ und marinelisten zu streichen, oder das unterhaus auffor­ derten, unverzüglich fünfzig millionen Pfund für die verbesserung englischer verteidigungsanlagen bereit zu stellen.66 Ähnlich feindselige gefühle wurden in diesen tagen im ganzen land laut. Ein findiger schottischer brauerei­besitzer rief in Zeitungsannoncen zum boykott deutscher hefe auf und warb für das eigene Produkt mit der begründung: „[i]t may do good to tell how germany may […] be touched through the national purse. stop sending money out of the country. use no more german yeast to make your bread. ask for [our] yeast, absolutely pure and of home made manufacture.“67 Für deutsche bankiers war es zwischenzeitlich unmöglich, in der City of london geschäfte mit Englän­ dern abzuschließen.68 trotz derartiger anfeindungen konzentrierte sich der öffentliche unmut überwiegend auf die Person des deutschen monarchen. in Chard in somer­ setshire brachte der bürgermeister bei einer öffentlichen versammlung einen toast auf die königliche Familie aus und nahm davon unter lautem beifall nur einen Enkelsohn der englischen Königin ausdrücklich aus.69 berichte, dass of­ fiziere der 1st royal dragoons ein Porträt Wilhelms ii., der seit 189 Ehreno­ berst des regiments war, in ihrem Kasino mit dem gesicht zur Wand gedreht hätten, wurden zwar später heftig dementiert.70 doch am ausmaß des gegen den Kaiser gerichteten volkszorns konnte kein Zweifel bestehen, wie die deut­ sche Führung aus den zahlreichen, meist anonymen, schmähbriefen ersehen konnte, die täglich aus England an Wilhelm ii. geschickt wurden.71 die Perso­ nalisierung durch die massenpresse zeigte Wirkung: Chirols telegrammen zum trotz wurde die glückwunschdepesche an Präsident Krüger nicht in erster li­ nie als deutsche staatsaktion, sondern vor allem als persönliche tat des deut­ schen Kaisers wahrgenommen.

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Cecil an stephen spring­rice, 11. Januar 1896, abgedruckt in Gwynn, letters, bd. 1, s. 187. Zitiert in Evening News vom 20. Januar 1896. Morning Post vom 8. Januar 1896; Standard vom 7. Januar 1896; vgl. Hale, s. 119–20. Evening News vom 18. Januar 1896. hatzfeldt an holstein, 21. Januar 1896, gP, bd. 11, nr. 266, s. 5. Daily Telegraph vom 7. Januar 1896. Leipziger Tageblatt vom 28. Februar 1901, Kopie in: tna, Fo 215/46. lascelles an salisbury, 24. Januar 1896, tna, Fo 64/176, bl. 60.

d) Die Folgen der Telegrammkrise

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d) Die Folgen der Telegrammkrise die Erregung der britischen Öffentlichkeit beunruhigte die deutsche regierung außerordentlich. aus london warnte botschafter hatzfeldt, die „manifestatio­ nen der englischen Presse“ hätten eine vollständig veränderte situation geschaf­ fen. die allgemeine stimmung sei zwischenzeitlich derart explosiv gewesen, „dass die regierung, wenn sie ebenfalls den Kopf verloren oder aus irgendeinem grund den Krieg gewünscht hätte, dabei die ganze öffentliche meinung hinter sich gehabt hätte.“72 angesichts dieses bedrohlichen szenarios beendete die reichsregierung ihre versuche, london publizistisch unter druck zu setzen, und bemühte sich nun im gegenteil darum, die Pressebeziehungen zwischen beiden ländern wieder zu verbessern. marschall versicherte dem britischen botschafter, er tue, was in seiner Kraft stehe, um den tonfall der deutschen Zei­ tungen zu mäßigen.7 tatsächlich waren die deutschen blätter schon seit mitte Januar merklich stiller geworden, sei es aufgrund direkter intervention der re­ gierung, sei es weil die redakteure selbst erschreckt waren, welches Echo ihre artikel auf der anderen seite des Ärmelkanals ausgelöst hatten.74 gleichzeitig versuchte auch der Kaiser, die beziehungen zum britischen hof zu entspannen, indem er der britischen Presse die alleinige schuld für die ver­ trauenskrise in die schuhe schob. in einem schreiben an seine „most beloved grandmama“ vom 8. Januar behauptete er, sein telegramm an Krüger sei nie­ mals gegen England oder die britische regierung gerichtet gewesen. Er habe viel mehr Jamesons Freibeuterei deswegen so scharf getadelt, weil es ein akt offenkundigen ungehorsams gegen victorias befehle gewesen sei. seine hoch­ herzige motivation sei jedoch von den britischen Zeitungen vollständig fehlge­ deutet worden. als dank hätten die englischen Zeitungen die törichte idee ver­ breitet, er, Wilhelm, habe sich feindselig gegen England benommen. außerdem hätten sie durch ihre wiederholten ungerechtfertigten angriffe auf ihn, die deutsche Presse gegen sich aufgebracht. „[t]his made people rather hot & rash. but i hope & trust that this will soon pass away“.75 um sicher zu gehen, dass diese interpretation nicht nur die Queen, sondern auch die britische Öffent­ lichkeit erreichte, wurden die berlin­Korrespondenten der Times und des Daily Telegraph „most confidentially“ über den inhalt des kaiserlichen schreibens informiert.76 Freilich reagierte die britische Presse anders als man in berlin an­ genommen hatte, indem sie die Erklärung des Kaisers nicht etwa dankbar auf­ nahm, sondern seinen brief als akt der reue und bitte um verzeihung deute­ 72 7 74

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hatzfeldt an holstein, 21. Januar 1896, gP, bd. 11, nr. 266, s. 5. lascelles an salisbury, 1. Januar 1896, tna, Fo 64/176, bl. 8. siehe auch schon lascel­ les an salisbury, 11. Januar 1896, tna, Fo 800/17. so führte ein bericht in der Morning Post vom 10. Januar 1896 die neue mäßigung der deutschen blätter auf die ankündigung der britischen regierung zurück, ein geschwader nach südafrika zu entsenden. Wilhelm ii. an victoria, 8. Januar 1896, zitiert nach Röhl, Wilhelm ii., bd. 2, s. 141–2. Chirol an moberly bell, o. d. (Januar 1896), nia, moberly bell Papers.

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te.77 dies wiederum versetzte die deutsche Presse neuerlich in rage und löste eine reihe von Protestartikeln in der Kölnischen Zeitung und der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung aus.78 damit waren die schlachten des „Pressekrieges“ vorerst geschlagen; es folg­ ten nur noch kleinere nachhutgefechte.79 die britische diplomatie registrierte diese Entwicklung mit Erleichterung. insbesondere die ältere generation von diplomaten und beamten im Foreign office um botschafter lascelles und un­ terstaatssekretär sanderson zeigte sich erfreut, dass die beziehungen zwischen london und berlin wieder „dove­like“ zu werden versprachen. aus ihrer sicht brachten derartige „Zeitungsfehden“ ein irrationales, nicht steuerbares Element in die außenpolitik, das zu bedauern war, aber gegen das man nichts unterneh­ men konnte und das man daher am besten ignorierte.80 Zu dieser ansicht neigte auch salisbury, der sowohl von botschafter hatzfeldt als auch von Königin vic­ toria bedrängt wurde, etwas gegen die ausfälle der englischen Presse zu unter­ nehmen. „Could you not hint to our respectable papers not to write violent ar­ ticles to excite the people?“, bat die monarchin ihren Premierminister. „these newspaper wars often tend to provoke war, which would be too awful.“ ob­ wohl salisbury bereitwillig versprach, alles zu tun, was in seinen Kräften stehe, gibt es keinen hinweis darauf, dass er auf irgendeine Weise in dieser richtung tätig wurde.81 Freilich gab es unter den jüngeren mitgliedern der britischen außenpoliti­ schen Elite auch eine andere reaktion. männer wie spring­rice und Crowe hielten den austausch gegenseitiger beschimpfungen in der deutschen und bri­ tischen Presse zwar ebenfalls für bedauerlich. „What beasts newspapers are!“, schrieb spring­rice. „i wish a few newspaper editors could be hanged.“82 gleichzeitig hatten die wütenden Entgegnungen der britischen Zeitungen aus ihrer sicht aber auch ihr gutes. denn sie lehrten die deutsche regierung, dass die geduld großbritanniens begrenzt sei und dass man das land nicht unge­ straft reizen durfte: „they have been kicking us for years“ behauptete spring­ rice, „on the assumption that they were kicking a dead ass. it is a great surprise to see starting up a live lion.“8 Crowe teilte diese Einschätzung. „the people here are up in earnest now“, jubilierte er am 6. Januar in einem brief an seine 77 78

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Daily Telegraph vom 11. Januar 1896; Morning Post vom 14. Januar 1896; Standard vom 11., 14. und 15. Januar 1896. Kölnische Zeitung nr. 6 vom 1. Januar 1896; Norddeutsche Allgemeine Zeitung nr. 2 vom 14. Januar 1896; vgl. auch spring­rice an villiers, 18. Januar 1896, tna, Fo 800/2, bl. 5–6. vgl. spring­rice an villiers, 18. Januar 1896, tna, Fo 800/2, s. 5. sanderson an lascelles, 15. Januar 1896, tna, Fo 800/9, s. 24–6; lascelles an salisbury, 11. Januar 1896, tna, Fo 800/17. vgl. hatzfeldt an holstein, 21. Januar 1896, gP, bd. 11, nr. 266, s. 5–54; victoria an salis­ bury, 8. Januar 1896, abgedruckt in: Buckle (hrsg.), letters, bd. , s. 1. Cecil an stephen spring­rice, 11. Januar 1896, abgedruckt in: Gwynn, letters, bd. 1, s. 187–8. spring­rice an villiers, 11. Januar 1896, tna, Fo 800/2, s. 22–27.

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mutter, „and not minded to be kicked any longer, no matter by whom, or by how many.“84 aus britischer sicht habe die angelegenheit nur gutes, urteilte er wenige tage später: it has roused the people in a good sense, and it has cleaned the atmosphere all round. i would hope that now at last the days are over, when we are always being hectored and abused and spoken and written­to with impertinence from berlin. that alone will be a blessing.85

sorge bereitete Crowe und anderen nachwuchsbeamten im Foreign office je­ doch die haltung des britischen Premierministers, die man für allzu nachgiebig und kompromissgeneigt hielt. „the inclination of salisbury is to give way on any and every point in order to stop a difficulty“, schrieb Crowe. „in fact i al­ most believe that we can only be momentarily firm under the immediate effect of insulting messages or telegrams from foreign potentates, who ought therefore to have our blessing!“86 so betrachtet, stellten die streitigkeiten in der Presse keine unerwünschten übertritte der Öffentlichkeit auf das exklusive Feld der diplomatie dar, sondern im gegenteil eine willkommene Ergänzung dessen, was die wachsende Zahl der Kritiker salisburys für die allzu passive, defensive und genuin unspektakuläre außenpolitik des Premierministers hielt. das Pro­ blem einer Einbeziehung der Presse in das diplomatische geschäft bestand le­ diglich darin, dass es nahezu unmöglich war, die einmal befreiten geister wieder in die Flasche zu bannen. „i hope it won’t be pushed too far“, schrieb spring­ rice eher ratlos.87 salisbury hatte die gleiche schwierigkeit im sinn, als er gegenüber lascelles bemerkte, die antibritischen „ausbrüche“ der deutschen Journalisten seien langfristig ein besorgniserregenderes Phänomen als die gelegentlichen Wutan­ fälle des Kaisers, „for their temper does not go up and down with the ease and rapidity which marks the movements of their master“.88 tatsächlich köchelte der unmut der Presse in deutschland und England in den folgenden monaten gleichsam auf kleiner Flamme weiter. an sich nichtige anlässe sorgten immer wieder dafür, dass die Querelen kurzfristig wieder belebt, Feindseligkeiten und verdächtigungen ausgetauscht wurden. deutsche wie englische Zeitungen nah­ men beispielsweise im november 1896 eine rede lord lonsdales zum anlass neuerlich gegeneinander zu polemisieren. der sportler, liebling der medien und persönliche Freund des Kaisers hatte versucht, dessen Krügerdepesche zu rechtfertigen. in großbritannien wurde das unterfangen, eine mögliche be­ rechtigung des deutschen standpunkts auch nur zu erwägen, heftig angefeindet. Währenddessen zogen deutsche blätter gegen „die englische unverschämtheit“ 84 85 86 87 88

Crowe an seine mutter, 6. Januar 1896, bod, ms. Eng d. 019, Crowe Papers, bl. 126–7. Crowe an seine mutter, 9. Januar 1896, ebd., bl. 142; siehe auch den brief vom 14. Januar 1896, ebd., bl. 152–6. Crowe an seine mutter, 17. Januar 1896, ebd., bl. 164–7. spring­rice an villiers, 11. Januar 1896, tna, Fo 800/2, s. 22–27. salisbury an lascelles, 22. Januar 1896, zitiert nach Winzen, Englandpolitik, s. 114.

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zu Felde, dem Kaiser eine schwere beleidigung zuzufügen, indem man ihn gleichsam zu verteidigen suche.89 Kaum war die Erregung abgeklungen, da be­ schwor ein streik der hafenarbeiter in hamburg neuen Ärger herauf. in einigen deutschen Zeitungen, insbesondere in blättern der bismarck nahe stehenden Presse wie den Hamburger Nachrichten, tauchte das gerücht auf, englische agitatoren seien am ausbruch der arbeitsniederlegungen beteiligt. mehr noch: es wurde die vermutung geäußert, englische geschäftskreise hätten den ar­ beitskampf ausgelöst und finanziert, um den deutschen handel zu schädigen oder den aufbau einer deutschen schlachtflotte zu vereiteln.90 die Times rea­ gierte auf diese verdächtigungen mit einer Explosion „like a 50 ton gun“, wie sanderson schrieb.91 derartige Knalleffekte verhallten rasch. Zu größeren Eruptionen kam es zu­ nächst nicht mehr. vielmehr verbesserten sich in den Jahren 1897 und 1898 nicht nur die beziehungen auf regierungsebene; auch der tonfall in der Presse wurde allmählich „versöhnlicher“.92 auf beiden seiten, bemühten sich die außenäm­ ter, mäßigend auf die jeweiligen Zeitungen einzuwirken, damit die vorsichtige diplomatische Wiederannäherung seit der zweiten Jahreshälfte 1898 nicht durch ein Wiederaufflackern der „Pressefehden“ gefährdet werde. holstein zum bei­ spiel lud den Times­Korrespondenten saunders anfang Februar 1897 zu einem abendessen in sein lieblingsrestaurant im grunewald bei berlin. das anschlie­ ßende fast zwei stunden dauernde tète-à-tète, in dem der geheimrat den Jour­ nalisten mit seinen ansichten über fast alle aktuellen Fragen der außenpolitik – von Ägypten über den nahen osten bis zu den beziehungen zu Frankreich und russland – beehrte, war nach saunders’ auffassung als „a kind of reconci­ liation“ zu verstehen.9 umgekehrt beauftragte Königin victoria im Januar 1898 ihren vertrauten sir theodore martin, in britischen Pressekreisen auf eine posi­ tivere deutschlandberichterstattung hinzuwirken. nachdem martin mit zahl­ reichen Kollegen gesprochen hatte, berichtete er der Königin, die stimmung unter den führenden Journalisten des landes gegenüber dem deutschen reich sei „conciliatory“. die Chefredaktion der Times sandte sogar eine botschaft an saunders in berlin, in der es hieß: „We think it advisable not to say at present anything unnecessarily irritating to the germans.“94 89

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Times vom 1. november 1896; Morning Post vom 14. november 1896. siehe auch den zusammenfassenden bericht über die englisch­deutschen beziehungen 1896–1902, in: Eng­ land nr. 78 secr., r 5797. vgl. Hall, scandal, s. 7. der unterstaatssekretär fügte hinzu: „the times reminds me of a war rocket, as war ro­ ckets used to be before they were rifled, you never know whether it will not come bang at you with a roar, and scatter dread and destruction in your own ranks“; sanderson an las­ celles, 5. dezember 1896, tna, Fo 800/9, bl. 74–5; vgl. auch lascelles an salisbury, 28. no­ vember 1896, tna, Fo 64/180, bl. 18–4. undatierter bericht über die englisch­deutschen beziehungen 1896–1902, in: England nr. 78 secr., r 5797. saunders an Wallace, 10. Februar 1897, nia, Wallace Papers; vgl. hot bd. , s. 297–8. Zitiert nach Buckle (hrsg.), letters, bd. , s. 224–5.

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angesichts dieser bemühungen in london und berlin, das deutsch­britische verhältnis zu normalisieren oder wenigstens den anschein der normalität zu erwecken, verlor die Krise um die Krügerdepesche Einiges von der bedrohlich­ keit, die sie im Januar 1896 gehabt hatte. Knapp zwei Jahre nach den turbulen­ ten Ereignissen bezeichnete ein liberaler britischer Journalist das verhalten der englischen Presse in der affäre als große „Eselei“.95 Etwa zu derselben Zeit ur­ teilte der irische unterhausabgeordnete Justin mcCarthy: „something too much, we think, was made of this by the English press and public in general.“96 als der Kaiser im märz 1899 Cecil rhodes in berlin freundlich empfing, kom­ mentierte die Times: „the german Emperor in granting this interview finally effaces in a handsome and magnanimous way the irritating memories of his ac­ tion on the occasion of the Jameson raid“.97 noch freundlicher fielen die urtei­ le knapp zwei Jahre später bei Wilhelms reise ans sterbebett seiner großmutter, Königin victoria, aus. der spontane besuch zeige, schrieb der liberale Daily Chronicle, „that if there once was bitterness the sore is healed, and this nation will not easily forget a very grateful act.“98 aus sicht der Daily News war die damalige Erregung der britischen Presse sowieso völlig unverhältnismäßig ge­ wesen: „his majesty had a perfect right to assume, and paid us a compliment in assuming, that neither the government nor the people of great britain could approve of that melancholy and miserable crime.“99 selbst in der üblicherweise ausgesprochen deutschfeindlichen National Review konnte man im Juli 1902 lesen, das telegramm des Kaisers sei zwar impulsiv und unfreundlich gewesen, aber jeder Engländer mit kühlem Kopf müsse heute zugeben, dass der Jameson raid der britischen reputation in der ganzen Welt schwersten schaden zugefügt habe „and is, therefore, rightly condemned by the friends of England“.100 nicht viel anders sah es in deutschland aus, wo der liberale Journalist theodor Wolff noch im Februar 1909 anlässlich des besuchs von König Edward in berlin be­ hauptete, die bedeutung der Krügerdepesche für das deutsch­britische verhält­ nis werde allgemein überschätzt.101 mit blick auf die diplomatischen beziehungen im engeren sinne hatte Wolff sicherlich recht.102 auch die negativen Folgen für das, was die briten public 95 96 97 98

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„We were great donkeys about [the Kaiser’s] Kruger telegram“; spender an stead, 14. dezember 1897, CCC, stead Papers, 1/67, bl. 59–5 (bl. 594). McCarthy, history, s. 447–8. Zitiert nach Reinermann, Kaiser, s. 186. Daily Chronicle vom 24. Januar 1901. Ähnliche Wertungen finden sich in vielen britischen blättern: Manchester Guardian vom 22. Januar, Westminster Gazette vom 21. Januar, Daily Telegraph vom 28. Januar 1901; vgl. Reinermann, Kaiser, s. 216–7, 25–6. Daily News vom 0. Januar 1901. bei der proburischen Daily News schwang im lob für den Kaiser sicherlich die hoffnung mit, ein erneutes Eingreifen Wilhelms in südafrika kön­ ne helfen, den burenkrieg zu beenden. National Review, Juli 1902. Berliner Tageblatt nr. 69 vom 8. Februar 1909. vgl. etwa das urteil Churchills, der rückblickend davon sprach, das Krügertelegramm habe nur vorübergehende verstimmung hervorgerufen; Churchill, World Crisis, bd. 1, s. 19.

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relations nannten, waren zunächst alles andere als verheerend. der Pressewir­ bel um das kaiserliche telegramm löste keineswegs sofort unheilbaren Eng­ landhass in deutschland oder eine grassierende teutophobie in großbritan­ nien aus.10 der entstandene schaden war nicht so groß, als dass er durch ein Zusammenwirken geschickter diplomatie und maßvoller Presseberichterstat­ tung nicht hätte repariert oder wenigstens eingedämmt werden können.104 dennoch kann man die langfristigen auswirkungen dieses ersten frontalen Zu­ sammenstoßes deutscher und britischer Zeitungsöffentlichkeiten gar nicht hoch genug einschätzen. denn er etablierte denkschemata und handlungsvor­ gaben, auf die bei späteren gelegenheiten gleichsam reflexhaft zurückgegriffen wurde. bei Wilhelm ii. setzte sich der Eindruck fest, die britische Presse polemisiere nicht nur gegen deutschland, sondern gegen ihn persönlich. der gedanke, eng­ lische Zeitungen führten eine unausgesetzte schmähkampagne gegen ihn, wurde zur obsession, zur fixen idee des Kaisers, in der er von seinen höflingen nach Kräften bestätigt wurde. Ende Januar 1896 beobachtete holstein, wie gereizt der monarch gegen England sei: „seine umgebung betrachtet die persönlichen angriffe der engl[ischen] Presse gegen s. m. als so viele ohrfeigen gegen deutsch­ land. vermutlich wird auch von jener seite an s. m. gesagt, dass man für diese insulte satisfaktion fordern sollte. Was weiß ein Flügeladjutant von engl[ischer] Pressegesetzgebung?“105 die diplomatische Korrespondenz zwischen der britischen botschaft in ber­ lin und dem Foreign office war in den folgenden monaten und Jahren voll von den unermüdlich wiederholten beschwerden des Kaisers über das Fehlverhalten englischer Zeitungen. anfang märz beklagte er sich, dass salisbury es versäumt habe, sein, Wilhelms, schreiben an Königin victoria vom 8. Januar von der eng­ lischen Presse ins rechte licht rücken zu lassen.106 im april beschwerte sich der Kaiser innerhalb weniger tage erst bei lascelles, dann bei militärattaché grier­ son über die fortgesetzte Feindseligkeit der britischen Presse gegen seine Per­ son, „which, he said, was quite unjustified by facts“.107 Zwei Wochen später klagte er dem botschafter, „that the tone of the English press is still hostile“.108 als im herbst 1896 nach bismarcks Enthüllung der geheimen Zusatzklauseln des deutschen rückversicherungsvertrages mit russland erneut kritische stim­ men in England laut wurden, fand der Kaiser seine Entspannungsbemühungen 10 104 105 106 107 108

vgl. Reinermann, Kaiser, s. 177–8. Ein vorbild für ein derartiges vorgehen lieferten die britisch­französischen beziehungen nach der Faschodakrise 1898; vgl. Serodes, dirigeants. holstein an hatzfeldt, 22. Januar 1896, abgedruckt in: Ebel (hrsg.), hatzfeldt, nr. 668, s. 1068–70 (s. 1069). lascelles an salisbury, 4. märz 1896, tna, Fo 64/176, bl. 182–98. grierson an lascelles, 2. april 1896, tna, Fo 64/177, bl. 8–9; ähnlich lascelles an sa­ lisbury, 11. märz 1896, tna, Fo 64/176, bl. 20–. lascelles an salisbury, 5. mai 1896, tna, Fo 64/180, bl. 100; vgl. auch gosselin an salis­ bury, 1. Juni 1896, tna, Fo 64/177, bl. 219–20.

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von den britischen Zeitungen nicht gebührend gewürdigt.109 gegenüber dem österreichischen botschafter beschwerte er sich, die englische Presse habe über­ haupt keine notiz davon genommen, wie demonstrativ er den geburtstag sei­ ner mutter, der Kaiserin Friedrich, gefeiert habe, „which he intended as a de­ monstration against Prince bismarck’s anti­English campaign“.110 uneinig war man sich in deutschland lediglich darüber, wer für die fortge­ setzten attacken verantwortlich zu machen sei: die regierung oder die Presse. der Kaiser ging davon aus, dass es salisbury möglich gewesen wäre, etwas gegen die angriffe zu unternehmen, und dass der englische Premier lediglich unwillig war, sich in dieser hinsicht zu engagieren.111 der ehemalige Chef des preußi­ schen generalstabs, graf Waldersee, vermutete sogar, die englischen Zeitungen seien instruiert, „die öffentliche meinung zu erhitzen u[nd] zu verwirren“.112 die deutsche botschaft in london war anderer ansicht. man müsse mit der tatsache rechnen, schrieb hatzfeldt, „dass keine regierung hier – auch nicht eine parlamentarisch so starke wie die jetzige – imstande ist oder zu sein glaubt, sich der öffentlichen meinung zu widersetzen, wenn sie sich mit einer gewissen intensität geltend macht.“11 unabhängig von den vermuteten abhängigkeitsverhältnissen zwischen briti­ scher regierung und Presse, blieb der Ärger in deutschland nicht auf die Person Wilhelms und seinen engsten umkreis beschränkt. die „haarsträubenden ge­ meinheiten u[nd] unverschämtheiten“, die sich die englische Presse dem Kaiser gegenüber habe zu schulden kommen lassen, würden hoffentlich unvergessen bleiben, notierte Waldersee auf dem höhepunkt der Krise in seinem tagebuch.114 Er und andere anglophobe in deutschland erblickten in den Pressepolemiken einen nachweis der tief sitzenden vorbehalte und intriganten methoden Englands gegen deutschland. in den heftigen englischen reaktionen komme „ein lang ver­ haltener groll“ gegen das reich zum ausdruck. großbritannien sei durch die deutsche Kolonialpolitik beunruhigt und „intriguirt beharrlich gegen uns“.115 in Waldersees augen hatte die telegrammaffäre zwei nicht zu unterschätzen­ de vorteile. Zum einen habe sie den Kaiser „in ganz deutschland […] populär gemacht“.116 damit war erneut deutlich geworden, welches mobilisierungspo­ tential in einer Politik antienglischer Widerstandsgesten lag. Zum anderen hatte 109 110

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Ein bericht in der Daily Mail vom 9. november 1896 trug die überschrift „bismarck’s indiscretions. neutrality treaty directed against England“. lascelles an salisbury, . dezember 1896, tna, Fo 64/179, bl. 20–1; lascelles an salis­ bury, 22. november 1896, tna, Fo 64/180, bl. 178; zum hintergrund siehe Hank, Kanzler, s. 597–610. siehe etwa lascelles an lansdowne, 6. Februar 190, tna, Fo 800/129, bl. 178–9. tagebucheintrag vom 10. Januar 1896, zitiert nach Röhl, Wilhelm, s. 878. hatzfeldt an holstein, 21. Januar 1896, gP, bd. 11, nr. 266, s. 5. tagebucheintrag vom 12. Januar 1896, abgedruckt in: Meisner (hrsg.), denkwürdigkeiten, bd. 2, s. 64–5. tagebucheintrag vom 7. Januar 1896, zitiert nach Röhl, Wilhelm ii., s. 877–8. tagebucheintrag vom 21. Januar 1896, abgedruckt in Meisner (hrsg.), denkwürdigkeiten, bd. 2, s. 65–6.

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sie den vielen Englandfreunden in deutschland demonstriert, wie „doppelzün­ gig, grundfalsch u[nd] ausschließlich egoistisch“ die britische Politik war.117 diese meinung gewann in deutschland durch den „Zeitungskrieg“ vom Januar 1896 zweifellos an boden. Was man den Engländern an hinterhältigkeit und heimtücke zutraute, machte ein artikel in der Kölnischen Zeitung vom 17. Ja­ nuar deutlich. darin wurde implizit argumentiert, großbritannien habe schon 1807 gegen dänemark gezeigt, wie es mit schwächeren gegnern verfahre, als es die dänische Flotte im hafen von Kopenhagen gestellt und versenkt hatte. Wenn sich die möglichkeit ergäbe, würde England auch deutschland jederzeit ein „Kopenhagen“ bereiten, „um einen höchst lästigen nebenbuhler auf dem Welt­ markt loszuwerden“.118 die angst vor einem zweiten „Kopenhagen“ entwi­ ckelte sich in der deutschen Publizistik der folgenden Jahre zu einem steten be­ gleiter des ausbaus der deutschen schlachtflotte.119 Zugleich avancierte das Krügertelegramm des Kaisers zu einer bequemen Kurzformel, auf die immer dann zurückgegriffen werden konnte, wenn künftig in deutschland der volkszorn gegen großbritannien hoch kochte. die baronin von spitzemberg notierte beispielsweise auf dem höhepunkt der deutschen an­ glophobie während des burenkrieges in ihrem tagebuch, die „absolute Kühle“ der regierung gegenüber den buren sei unverständlich, „besonders im gegen­ satz zu des Kaisers telegramm an Krüger von damals“.120 Zur gleichen Zeit fragte ein redner auf einer antibritischen Protestversammlung in hamburg vor mehreren tausend menschen unter tosendem beifall: „Was ist aus dem zweiten telegramm geworden?“121 in ähnlicher Weise wurde etwa auch während der beiden marokkokrisen und im Zuge der deutsch­britischen auseinandersetzun­ gen um die Flottenrüstung gerade von der rechts gerichteten Presse immer dann an das Krügertelegramm erinnert, wenn es galt, die angeblich allzu große Eng­ landliebe des Kaisers anzuprangern. Wilhelms öffentliche Konfrontation mit der britischen regierung avancierte somit zum maßstab, an dem die spätere Po­ litik des monarchen gemessen und für unzureichend befunden wurde. umgekehrt verbreitete sich in großbritannien nach der Krügerdepesche die überzeugung, die deutsche Presse sei dauerhaft und unverrückbar england­ feindlich. „it is only since the Kaiser’s telegram to Kruger“, schrieb im Januar 1905 ein anonymer autor in der Contemporary Review, „that [the English] have evinced a keen interest in the teutonic Press, and what they have found 117 118 119

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tagebucheintrag vom 12. Januar 1896, zitiert nach Röhl, Wilhelm ii., s. 879. Kölnische Zeitung nr. 48 vom 17. Januar 1896; vgl. die reaktion von spring­rice an villiers, 17. Januar 1896, tna, Fo 800/2, bl. 2–4. siehe drummond an salisbury, 16. Februar 1900, tna, Fo 149/121; Deutsche Rundschau, dezember 1904; Deutsche Revue, märz 1905; Kreuzzeitung nr. 265 vom 10. Juni 1909 und die entsprechenden randbemerkungen in: tna, Fo 71/674/22047, bl. 167–71. vgl. Steinberg, Copenhagen. tagebucheintrag vom 9. november 1899, abgedruckt in Vierhaus (hrsg.), tagebuch, s. 90. Berliner Neueste Nachrichten nr. 50 vom 26. oktober 1899.

d) Die Folgen der Telegrammkrise

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there is rank hatred of themselves.“122 tatsächlich meldeten britische diploma­ ten seither – oft ohne die beträchtlichen unterschiede zwischen blättern ver­ schiedener politischer richtungen zu berücksichtigen – nach london, wie die deutschen Zeitungen fortführen, England zu schmähen und zu verunglimpfen. über die ostertage habe es eine kurze verschnaufpause in den deutschen het­ zereien gegeben, hieß es in einem bericht der botschaft in berlin vom april 1896, „but respite has not been for long“.12 der tonfall der deutschen blätter, so spring­rice einen monat später, sei weiterhin ohne ausnahme „as violent against England as ever“.124 verstärkt wurde dieser Eindruck dadurch, dass die deutsche Führung ihrer­ seits herausstrich, wie stark die gegen England gerichteten vorbehalte in der deutschen Öffentlichkeit seien – womöglich um auf diese Weise ihre eigene ko­ operative haltung in umso günstigerem licht erscheinen zu lassen.125 der ver­ such war nicht nur zwecklos, sondern geradezu töricht. denn die Erfahrungen des Januar 1896 überzeugten britische beobachter keineswegs vom guten Willen der Wilhelmstraße, sondern bestärkten sie im gegenteil in ihrer ansicht, die reichsregierung habe die deutsche Presse vollständig unter Kontrolle und sei da­ her für alle antibritischen artikel in deutschen blättern direkt verantwortlich. sie übe ihren Einfluss auf die Presse vielleicht nicht mehr so geschickt aus wie zu bismarcks Zeit, behauptete Chirol in einem memorandum für botschafter las­ celles, in dem er seine lehren aus der transvaalkrise zusammenfasste, aber der arm des Pressebüros im auswärtigen amt reiche weiter als je zuvor. „i have good reasons for believing that the recent anti­English campaign in the press was initiated and carried on under direct instructions from that department“.126 als botschafter hatzfeldt gegenüber Wallace von der Times im märz 1896 erklärte, dass die beziehung zwischen den regierungen in london und berlin zu keiner Zeit gestört gewesen und aller schaden der Presse anzulasten sei, stimmte der Journalist zwar zu, bemerkte aber scheinheilig, wie erstaunlich es doch sei, „that organs in constant touch with the Wilhelmstrasse should have so misrepresented the views and feelings of the government“. hatzfeldt, so Wallace, hätte diese bemerkung ersichtlich wenig gefallen. der botschafter habe versucht, das thema zu wechseln mit einigen allgemeinen bemerkungen „about the so­called inspired organs in germany having often views different from the views of the govern­ ment. in reply to this, i confess myself to looking a little incredulous“.127 122 12

124 125 126 127

Contemporary Review, Januar 1905, s. 11–21. gosselin an salisbury, 8. april 1896, tna, Fo 64/177, bl. 7–8. gosselin zitierte einen ar­ tikel der National-Zeitung vom 7. april, der auf einen bericht in der Times vom 4. april reagierte. spring­rice an villiers, 9. mai 1896, tna, Fo 800/2, bl. 7–4. siehe die berichte über gespräche mit dem Kaiser und mit marschall von lascelles an sa­ lisbury, 25. und 26. november 1896, tna, Fo 64/179, bl. 201–2 und 207–10. vgl. das memorandum von Chirol an lascelles, 25. Januar 1896, zitiert in hot, bd. , s. 271. Wallace an Chirol, 11. märz 1896, nia, Chirol Papers.

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2. Das Krügertelegramm als Medienereignis

derartige Einschätzungen herrschten nicht nur in Journalistenkreisen vor, sondern auch unter britischen diplomaten. das auswärtige amt lenke die deut­ sche Presse wie zu bismarcks Zeiten, schrieb spring­rice im herbst 1898: it is a systematic campaign of slander, which sometimes goes into winter quarters, but ne­ ver makes peace. Whoever does it, there can be no doubt of its existence. Perhaps the old policy is pursued by amateurs. but it has been successful in making every Englishman liv­ ing in germany […] regard the public press of germany and the public men who inspire the press, as an engine of concentrated and studied malignity which makes one long to give the answer which it deserves. to go to war for newspaper articles! it sounds absurd; and yet that is what almost every English resident in germany must be inclined to wish.128

bei keinem anderen britischen diplomaten lassen sich die weit reichenden Fol­ gen des Krügertelegramms so deutlich nachvollziehen wie bei Eyre Crowe, der in den folgenden anderthalb Jahrzehnten zum führenden deutschlandexperten des Foreign office avancierte und entscheidenden Einfluss auf die Formulie­ rung britischer deutschlandpolitik gewinnen sollte. vor den Ereignissen des Januars 1896 hatte Crowe lediglich ein vages unbehagen angesichts der Passivi­ tät und scheinbaren richtungslosigkeit britischer außen­ und verteidigungspo­ litik verspürt, das sich vornehmlich gegen russland und Frankreich richtete.129 im Zuge der diplomatischen und medialen verwicklungen um das kaiserliche telegramm kristallisierte sich jedoch für den in leipzig geborenen nachwuchs­ beamten, der eine deutsche mutter hatte, erst im alter von siebzehn Jahren nach England gekommen war und im Jahr 190 seine deutsche Cousine heiraten soll­ te, immer deutlicher heraus, dass deutschland in Zukunft der wichtigste gegner großbritanniens in der Welt sein werde.10 im hinblick auf das verhältnis von Öffentlichkeit und diplomatie ist es be­ zeichnend, für wie zentral Crowe in diesem Zusammenhang die rolle der Pres­ se in deutschland und England erachtete. in seinen augen lag die hauptschuld am sich abzeichnenden bruch zwischen beiden ländern bei den publizistischen brunnenvergiftern im Kaiserreich, die seit Jahren bewusst, wahrheitswidrig und böswillig Englandhass in deutschen Zeitungen schürten.11 die drahtzieher dieser Kampagne vermutete er dabei nicht in deutschen redaktionsstuben, son­ dern im regierungsapparat, wo man außen­ und innenpolitisches Kapital aus der Konfrontation mit England schlagen wolle, ohne dabei selbst in Erschei­ 128

129

10 11

spring­rice an Chirol, 9. oktober 1898, abgedruckt in: Gwynn, letters bd. 1, s. 261. Zu den vergeblichen versuchen der deutschen diplomatie, die britische seite von der begrenz­ ten Wirkung der Presselenkung in deutschland zu überzeugen siehe lascelles an salisbury, 24. Januar 1896, tna, Fo 64/176, bl. 60–1. „the whole defence business here is unsound“, schrieb er im november 1895. „so we are to have more naval programm & expenditures. but that the lesson has really been learnt or taken to heart, that the gov[ernmen]t even now quite realize what they have brought the country to – i am afraid one can hardly hope or expect. it remains sad and serious“; Crowe an seine mutter, 26. november 1895, bod, ms. Eng d. 019, Crowe Papers, bl. 85–8. siehe vor allem die dichte Korrespondenz mit seiner mutter in den Jahren 1895 bis 1900, bod, ms. Eng d. 2898–90, 2909–10, 019. vgl. auch Brechtken, außenpolitik, s. 14–5. Crowe an seine mutter, 7. Januar 1896, bod, ms. Eng d. 019, Crowe Papers, bl. 10–5.

d) Die Folgen der Telegrammkrise

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nung zu treten.12 die im gefolge des Krügertelegramms erstmals konstatierte Kluft zwischen privaten Freundschaftsbeteuerungen der reichsleitung auf der einen seite und der öffentlich grassierenden, von staatlichen stellen geschürten anglophobie auf der anderen avancierte in den folgenden Jahren zu einem fe­ sten bestandteil von Crowes deutschlandpolitischen analysen, die im vorwurf der doppelzüngigkeit und lügenhaftigkeit deutscher außenpolitik gipfelten.1 „statements circulated in germany about us in general and our gov[ernmen]t. in particular“, notierte er im sommer 1900, „have not hitherto been characterized by any strict regard to truth and bearing false witness against your neighbour appears to be one of the mosaic injunctions which the new­testamentary pious Christians in berlin consider to have been altogether abrogated since 1871.“14 mit blick auf großbritannien konstatierte Crowe einen doppelten Effekt der „Pressefehde“ um das Krügertelegramm: Zum einen schrieb er den rückzieher der deutschen regierung nicht zuletzt dem schrecken über die Empörung der bri­ tischen Presse zu.15 Zum anderen registrierte er erfreut, dass die mobilisierung der britischen Öffentlichkeit das zögerliche Kabinett salisbury zu einem entschie­ deneren auftreten gegenüber deutschland gezwungen habe. „there is no kno­ wing“, argwöhnte Crowe, „what our gov[ernmen]t might not have swallowed in the desire not to cause a quarrel, had not the emperor’s public telegram revealed the whole situation to the british public.“16 dieses verhaltensmuster des Zu­ rückweichens der britischen regierung vor dem druck einer nationalistisch auf­ geheizten Öffentlichkeit sollte sich in den folgenden Jahren – etwa im Faschoda­ Konflikt mit Frankreich oder zu beginn des burenkrieges – noch mehrfach wie­ derholen, sehr zur Freude außenpolitischer Falken wie Crowe.17 auf mittlere sicht erwartete Crowe, dass die öffentliche Konfrontation zwischen deutschland und England zu einer strategischen umorientierung der britischen außenpolitik führen werde, weg von der von salisbury verfolgten losen anbindung an den dreibund, hin zu Frankreich und russland. „the extraordinary and to us quite unintelligible venomous onslaught“, notierte der beamte im herbst 1896, made in germany by press, gov[ernmen]t, and everybody, by the simple expedient of continued lying and vulgar abuse for now more than a year, has now finally thrown us into the arms of russia. […] the consequences for germany may become exceedingly unpleasant. anyhow her predominant position on the continent will be profoundly mo­ dified and the centre of influence shifted to quarters where she doesn’t meet with much friendship.18 12 1 14 15

16 17 18

Crowe an seine mutter, 21. Januar 1896, ebd., bl. 188–9. Crowe an seine mutter, 24. märz 1896, bod, ms. Eng d. 2898, Crowe Papers, bl. 80. Crowe an seine mutter, o. d. (august 1900), bod, ms. Eng d. 2900, Crowe Papers, bl. 165. „the outcome of all the present excitement is that germany retires from her aggressive position and becomes civil. [...] there can be little doubt that the drawing­in of their horns is directly due to the outburst of popular feeling here“, Crowe an seine mutter, 9. Januar 1896, bod, ms. Eng d. 019, Crowe Papers, bl. 142. Ebd. Crowe an seine mutter, 26. Juli 1899, bod, ms. Eng d. 2900, Crowe Papers, bl. 56–9. Crowe an seine mutter, 7. oktober 1896, bod, ms. Eng d. 2899, Crowe Papers, bl. 6–8.

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2. Das Krügertelegramm als Medienereignis

in ihrer intensität standen sich deutsche Englandfeindschaft und britische teu­ tophobie in nichts nach, räumte Crowe ein, auch wenn deutschfeindliche arti­ kel in der britischen Presse seltener vorkämen als anglophobe hetzereien in deutschen Zeitungen.19 der entscheidende unterschied bestand jedoch seiner ansicht nach in der haltung der jeweiligen regierungen diesen Phänomenen gegenüber: die britische „öffentliche meinung“ mochte ihre regierung zu be­ herzteren defensivaktionen antreiben, die deutsche reichsleitung hingegen schürte bewusst den öffentlichen Konflikt mit England, um offensive Ziele zu erreichen.140 bei dieser analyse rückte zusammen mit der deutschen Presse und dem auswärtigen amt auch der monarch persönlich ins Zentrum von Crowes Kritik. der Kaiser dürfe sich nicht darüber beschweren, dass er persönlich in der Presse angegriffen werde, urteilte er. das sei lediglich die natürliche und le­ gitime Folge seines sehr persönlichen regierungsstils und seines öffentlichen Einmischens in jeden regierungsakt: „Why for instance that personal telegram? Why should he personally tell our ambassador of his great hope that Jameson and all his men, when prisoners, would be shot, and so on. if you want to govern with a big ‚i‘, you may have all the glory, but you must also take the de­ feat.“141 tatsächlich blieb die telegramm­Episode am image des Kaisers in großbri­ tannien haften wie kaum eine andere begebenheit seiner langen herrschaftszeit. als Wilhelm ii. 1897 an der spitze der deutschen vertreter am Prozessionszug des diamantenen Kronjubiläums Königin victorias teilnahm, rief eine stimme im londoner Cockney­dialekt dem bruder des Kaisers zu: „there’s a post of­ fice around the corner, if you want to send any more telegrams.“142 als ein Zeichner der britischen satirezeitschrift Moonshine im Februar 1898 einen typi­ schen tag im leben des deutschen Kaisers ins bild setzte, gehörte das versen­ den eines telegramms an „dear old Paul“ ebenso selbstverständlich dazu wie das abnehmen diverser militärparaden, die veränderung der Weltkarte, das drillen der kaiserlichen Familie – und die wütende Zurechtweisung eines un­ botmäßigen Karikaturisten.14 noch Jahre später liebten es britische Journali­ sten, artikel über Wilhelm ii. mit überschriften zu versehen, die auf depeschen oder telegramme bezug nahmen und auf die impulsivität des Kaisers anspiel­ ten. nach der ersten marokkokrise beispielsweise bezeichnete William t. stead ein telegramm Wilhelms an den österreichischen außenminister goluchowski 19 140

141 142 14

Crowe an seine mutter, 1. september 1897, ebd., bl. 112. „the difference i do believe is that in the case of germany the government does harbour hostile projects against us“, erklärte er, „and that such projects, whether practical or not, have the openly announced approval of the whole country, with very few exceptions, whilst in England, however great the animosity to germany, nobody has ever dreamt of coveting german territory or colonies or anything else, and nobody has any idea of attacking her, or of inciting other countries to make themselves nasty to her“; ebd., bl. 115–6. Crowe an seine mutter, 9. Januar 1896, zitiert nach Röhl, Wilhelm ii., s. 876. vgl. Pond und Harmsworth, northcliffe, s. 22. vgl. Rebentisch, gesichter, s. 199–200.

d) Die Folgen der Telegrammkrise

121

als die unklügste tat seit der Krügerdepesche, hielt dem Kaiser aber zugute, „that his utterances have all the charm of the outbursts of a clever child“.144 Eng verbunden mit der unberechenbarkeit des Kaisers und den heimtücki­ schen und intriganten methoden, die man im auswärtigen amt vorherrschen sah, war ein weiteres stereotyp, das seit der transvaalkrise in britischen vorstel­ lungen über deutschland Form anzunehmen begann: die idee, das reich habe es langfristig darauf abgesehen, großbritannien zu vernichten und als Weltmacht abzulösen. die ersten spuren dieses gedankens, der später unverzichtbarer be­ standteil im arsenal antideutscher Polemiken in der britischen Presse wurde, fin­ den sich in leserbriefen aus den turbulenten Januartagen 1896. so berichtete ein offizier namens Elliott von einem gespräch mit einem deutschen general, in dem dieser sich angeblich damit gebrüstet habe, im Falle eines Krieges mit Eng­ land werde deutschland zuerst belgien und holland mit 500 000 mann überren­ nen und dann mit den auf diese Weise erbeuteten Flotten über den Kanal nach England übersetzen.145 das schreckbild einer möglichen deutschen dominanz auf dem Kontinent, der eine invasion der britischen inseln auf dem Fuße folgte, wurde auch in aufgebrachten Zuschriften an andere blätter variiert.146 in den folgenden Jahren setzte sich in deutschland wie England die überzeu­ gung fest, alle schwierigkeiten in den beziehungen zwischen beiden völkern hätten mit dem Krüger­telegramm begonnen und seien durch spätere „indis­ creet utterances“ des Kaisers weiter verschlimmert worden.147 noch im Jahr 1912 wunderte sich ein deutscher Journalist bei einem besuch in großbritanni­ en, wie oft in seinen unterhaltungen mit Engländern die Krügerdepesche zur sprache kam und als beweis für die tief verwurzelte Feindschaft deutschlands angeführt wurde.148 der Chefredakteur der radikalliberalen Daily News be­ zeichnete das Krügertelegramm in einem atemzug mit der Emser depesche als die verhängnisvollste nachricht, die jemals über ein telegrafenkabel geleitet worden sei. „the dragon’s teeth sown by Cadmus sprang up armed men. the Kruger telegram may be said to have sown dreadnoughts.“149 Wenige Wochen nach ausbruch des Ersten Weltkrieges beschrieb der ehemalige berlin­Korre­ spondent der konservativen Morning Post die affäre als „the greatest mistake of William ii’s reign […] for he had awakened in England suspicions which were never to be wholly eradicated“.150 144

145 146 147 148 149 150

Review of Reviews, mai 1906, s. 457; vgl. auch Daily Mail vom 2. Juni 1909, in der eine schlagzeile auf der titelseite lautete: „Kaiser and a Forged telegram“, während ein bericht auf seite 2 den titel trug: „the Kaiser’s telegram. his majesty’s grievances“. Times vom 9. Januar 1896 nachgedruckt in Evening News vom 8. Januar 1896. Times vom 7. Januar 1896; Daily News vom 10. Januar 1896; Standard vom 9. Januar 1896; vgl. Hale, Publicity, s. 12–4. Finlay (dresden) an grey, 15. september 1908, tna, Fo 71/462/2686, bl. 118–9. acton (darmstadt) an grey, 22. november 1912, tna, Fo 71/171, bl. 89–95. Daily News vom . august 1912. george an margaret saunders, 29. august 1914, CCC, saunders Papers, saun / gs/2/51.

122

2. Das Krügertelegramm als Medienereignis

e) Zwischenfazit in den publizistischen und diplomatischen auseinandersetzungen um das Krü­ gertelegramm Kaiser Wilhelms ii. waren bereits die entscheidenden Wesens­ merkmale späterer „Pressekriege“ angelegt: Eine in der tradition bürokratischer Presselenkung stehende Kampagne, die als publizistische begleitmusik einer di­ plomatischen offensive gedacht war, geriet der deutschen reichsleitung außer Kontrolle und rückte von der Peripherie ins Zentrum außenpolitischen handelns – teils wegen der gesteigerten antienglischen aggressivität fast der gesamten deut­ schen Presse, teils aber auch, weil sich die britische Presse gegenüber Kritik aus dem ausland nervöser und dünnhäutiger verhielt als zu früheren Zeiten.151 die deutsche diplomatie reagierte auf die aus ihrer sicht vollkommen unerwartete publizistische Eskalation geschockt und hilflos. mit den ausbrüchen der deut­ schen Zeitungen hatte sie gerechnet, aber für die Funktionsmechanismen des bri­ tischen medienmarktes besaß sie ebenso wenig ein sensorium wie für das berufs­ ethos und das professionelle selbstwertgefühl prominenter englischer Journalis­ ten wie valentine Chirol. insbesondere gegenüber den politischen implikationen der publizistisch­diplomatischen doppelrolle des Times­Korrespondenten zeig­ ten sich männer wie marschall und holstein hoffnungslos überfordert. die außenpolitischen Eliten großbritanniens hingegen glaubten in ihrer mehr­ zahl noch, die Empörung der deutschen Presse getrost ignorieren zu können. „[P]eople over here really don’t care a straw“, urteilte Crowe, „whether any fo­ reign country likes us or dislikes us. they are certainly not afraid of anybody.“152 Eine gruppe jüngerer diplomaten und nachwuchsbeamter im Foreign office, die in Kolonialminister Joseph Chamberlain einen Fürsprecher im Kabinett fan­ den, begann jedoch in der mobilisierung der britischen Öffentlichkeit durch „Pressekriege“ ein geeignetes vehikel zu erblicken, um auf mittlere sicht die ab­ wartend­pragmatisch verfahrende außenpolitik lord salisburys, die sie für nicht mehr zeitgemäß und den britischen interessen entsprechend hielten, durch eine aktivere, den britischen standpunkt offensiver verfechtende Politik zu ersetzen. Zugleich kann man anhand der publizistischen turbulenzen um das Kaiserte­ legramm die auswirkungen massenmedialer berichterstattung unter den neuar­ tigen bedingungen einer sich umstrukturierenden Presselandschaft beispielhaft studieren. der Jameson raid und Wilhelms grußbotschaft an Präsident Krüger reduzierten komplexe außenpolitische Zusammenhänge auf einen für alle leser verständlichen Kern, der personalisierende und emotionalisierende interpreta­ tionen geradezu herausforderte. die zeitliche verdichtung der Ereignisse auf we­ nige tage kam den Produktionsmechanismen der tagespresse mit ihren aktuali­ tätserfordernissen, begrenzten aufmerksamkeitsspannen und geringen halb­ 151 152

vgl. die nicht in jeder hinsicht überzeugende argumentation bei Wipperfürth, souverä­ nität. Crowe an seine mutter, 1. september 1897, bod, ms. Eng d. 2899, Crowe Papers, bl. 112.

e) Zwischenfazit

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wertszeiten berichtenswerter neuigkeiten entgegen. das vergleichsweise rasche abebben der medialen aufregung bestätigte diese Wirkungszusammenhänge. dennoch waren die langzeitfolgen des Krügertelegramms als medienereignis gewaltig. beim deutschen Zeitungspublikum verfestigten sich negative Klischee­ bilder Englands und der Engländer zu einem immer düstereren stereotyp vom selbstsüchtigen, arroganten und heuchlerischen albion, dessen gewissenlos ex­ pansive Kolonialpolitik von männern wie rhodes and Jameson personifiziert wurde. „the general ignorance“, beklagte sich Crowe, „of everything connected with this colonial policy even in intelligent circles [in deutschland, dg] seems to me quite marvellous. When rhodes and Jameson have been depicted as typical Englishmen, namely scoundrels of the purest water, everything seems said.“15 umgekehrt bereitete der „Pressekrieg“ um das Krügertelegramm der transfor­ mation des britischen deutschlandbildes den boden: immer mehr wurde das reich nunmehr von der britischen Öffentlichkeit als potentiell bedrohlicher ri­ vale wahrgenommen, der nicht nur gefährlich stark war, sondern auch ungestüm, rücksichtslos, sprunghaft und unberechenbar. Personifiziert wurden diese Eigen­ schaften von Wilhelm ii., dessen bis dahin weitgehend positives image in groß­ britannien durch das Krügertelegramm schwer beschädigt wurde. insofern war der Kaiser – nicht ohne eigenes Zutun – zum wichtigsten leid­ tragenden der Personalisierungsstrategie der britischen Presse geworden. Er reagierte auf diesen umschwung, der ihn völlig unvorbereitet traf, mit einer übersteigerten abneigung gegenüber der britischen Presse, die er fortan gern für alle schwierigkeiten im deutsch­britischen verhältnis verantwortlich machte. mit dieser Einschätzung befand sich der Kaiser im Einklang mit den analysen seiner diplomaten. denn auch diese führten die britischen reaktionen auf das Krügertelegramm nicht auf eine verstimmung der regierung zurück, sondern auf eine tiefgehende „Erbitterung im Publikum“, wie botschafter hatzfeldt schrieb. man musste daher aus sicht der Wilhelmstraße künftig mit der tatsache rechnen, dass keine britische regierung imstande war oder zu sein glaubte, „sich der öffentlichen meinung zu widersetzen, wenn sie sich mit einer gewissen in­ tensität geltend macht“.154 die schlussfolgerungen des Foreign office liefen ex­ akt in die entgegengesetzte richtung. dort machte man die inspirationen der reichsleitung für die ausfälle der deutschen Presse verantwortlich und begann, doppelzüngigkeit und lügenhaftigkeit als Wesensmerkmale deutscher außen­ politik anzusehen. „baron holstein is undoubtedly clever“, notierte der briti­ sche militär­attaché in berlin, Colonel swaine, im Februar 1896 in einem me­ morandum, „but absolutely unscrupolous. he has the failing of every german whether he is an exalted personage, a diplomatist, or of the lower classes, – he lies and lies without flushing“.155 15 154 155

Crowe an seine mutter, 17. märz 1896, bod, ms. Eng d. 2898, Crowe Papers, bl. 7; vgl. auch schon den brief vom 7. Januar 1896, bod, ms. Eng d. 019, Crowe Papers, bl. 10–5. hatzfeldt an holstein, 21. Januar 1896, gP, bd. 11, nr. 266, s. 5–4. memorandum von Colonel swaine, 26. Februar 1896, tna, Fo 64/176, bl. 158.

3. Publizistische eskalationsmechanismen in konfliktzeiten: der burenkrieg Ich zürne den Engländern nicht weil sie Krieg führen, aber ich hasse sie, weil sie es wegen des Geldes tun, weil sie es tun 20 gegen einen, weil sie lügen und zuallererst, weil sie gegen die Buren Krieg führen. [...] Ich hasse die Engländer und würde glauben, etwas Gutes zu tun, wenn ich einen erschießen könnte. In diesen Gefühlen habe ich, leider mit der Feder, mein Scherflein beigetragen. [...] Ich will kränken. So bitter, als ich es herausbringe. (Ludwig Thoma an Dagny Langen, 28. April 1900)

a) Nachrichtenübermittlung und Kriegsgräuel bis ende der 1890er Jahre war unklar, ob die „Pressefehden“ um die krügerdepesche episode bleiben oder zum trendsetter avancieren würden. ein dauerhafter umschlag in den deutsch-britischen Pressebeziehungen ereignete sich erst während des burenkrieges, der im herbst 1899 begann. im gegensatz zum krügertelegramm handelte es sich nicht um ein einmaliges, scharf umgrenztes ereignis, nach dem Politik, diplomatie und Publizistik rasch zur tagesordnung übergehen konnten. die kampfhandlungen im transvaal zogen sich über fast drei Jahre bis zum sommer 1902 hin und gaben deutschen reportern und leitartiklern fast täglich gelegenheit, das Verhalten der politischen und militärischen führung großbritanniens sowie der einfachen soldaten zu kommentieren. Während sich die historische forschung zum deutsch-britischen Verhältnis dieser Jahre überwiegend auf die geheimen bündnisbemühungen von Politikern wie Joseph chamberlain und diplomaten wie dem freiherrn von eckardstein konzentriert hat, war das augenmerk der zeitgenössischen Presse, die von diesen Verhandlungen nichts wusste, fast ausschließlich auf den burenkrieg gerichtet.1 Wenn sich historiker überhaupt mit den deutsch-britischen „Pressekriegen“ während des burenkrieges befasst haben, untersuchten sie diese zumeist unter dem blickwinkel pressepolitischer manipulationsversuche von seiten der reichsregierung in der frühphase bülow’scher Weltpolitik.2 im folgenden wird der umgekehrte Weg beschritten, indem die Pressepolitik der deutschen führung zunächst einmal als Reaktion auf die publizistische eskalation interpretiert wird, die ihren eigenen, vom regierungshandeln nur bedingt zu beeinflussenden mechanismen gehorchte und daher als eigenständiges Phänomen, nicht als bloße ableitung der „großen Politik“ analysiert und gedeutet werden muss. für die britische seite wird zu hinterfragen sein, ob die zeitungen während dieser 1 2

siehe Koch, alliance negotiations; Kennedy, World Policy; Becker, Wende; Meinecke, geschichte. siehe vor allem Winzen, Weltmachtkonzept; vgl. auch Becker, bülow. eine ausnahme bildet Daniel, einkreisung.

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3. Der Burenkrieg

Jahre wirklich so unabhängig von diplomatie und Politik agierten, wie es die englische doktrin von der „freiheit der Presse“ nahe legte und wie es von der britischen historiographie lange zeit fortgeschrieben wurde.3 fest steht jedenfalls, dass britische diplomaten vom ersten tag des krieges an über den ausgeprägten englandhass der deutschen Presse klagten. der englische gesandte in dresden konstatierte am 10. oktober 1899, es sei schwierig, auch nur einen einzigen artikel in der sächsischen Presse zu finden, in dem die südafrikanischen republiken nicht der moralischen unterstützung des reichs versichert würden oder in dem nicht auf die enge blutsverwandtschaft der deutschen bevölkerung mit den buren hingewiesen werde. selbst die blätter der bisher probritischen linksliberalen und sozialdemokraten, ergänzte er wenige tage später, beteiligten sich an den hetzereien. dieser eindruck wurde aus bayern bestätigt. die blätter schmähten england wie am ersten tag des krieges, schrieb der münchener gesandte im februar 1900. die berichterstattung sei vielfach beleidigend; jedes nur denkbare mittel werde angewandt, um dem Publikum zu demonstrieren, dass der krieg ungerecht sei, dass es den briten nur darum gehe, die burischen goldminen in ihren besitz zu bekommen und england überhaupt jede schlechtigkeit zuzutrauen sei.6 die sächsischen Journalisten, berichtete der gesandte aus dresden im märz 1900, zeigten sich gnadenlos in ihrer Verunglimpfung englischer institutionen, staatsmänner, generäle und britischer soldaten, who were malevolently held up to special execration as mercenary ruffians, and were habitually accused of showing cowardice under fire, of ill-treating and robbing the wounded, and of ravishing women on all possible and impossible occasions. every british reverse was magnified into a disaster, and, as in addition to these perfidious methods, the ingenious device was resorted to of periodically reporting as accomplished facts diverse calamities, which, happily, only had an imaginary existence, it is hardly surprising that the belief generally gained ground that the british empire was in process of dissolution and decay.

derartige darstellungen waren nicht auf die deutsche Presse beschränkt, sondern dominierten während des burenkrieges das englandbild in den zeitungen vieler länder auf dem europäischen festland.8 in london kam es zu derart heftigen auseinandersetzungen innerhalb der foreign Press association sowie 3 



6  8

kritisch hierzu Porter, milner. zur deutschen anglophobie während des burenkrieges siehe Kröll, buren-agitation; Anderson, background. eine zeitgenössische einschätzung findet man bei Erler, macht, s. 6–83. „it is not too much to say that anglophobia is rampant everywhere“, klagte der gesandte weiter, „this attitude of the Press and the public is by no means peculiar to saxony, […] throughout the empire only a small number of journals have adopted a more moderate and reasonable tone“; sir condie stephen an salisbury, 10. und 16. oktober 1899, tna, fo 21/2. sir Victor drummond an salisbury, 1. februar 1900, tna, fo 19/121. stephen an salisbury, 1. märz 1900, tna, fo 21/6; abgedruckt in: bdfa i, reihe f, bd. 19, s. 3– (s. 3). Vgl. von Holthoon, Public opinion.

a) Nachrichtenübermittlung und Kriegsgräuel

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zwischen fPa-mitgliedern und britischen Journalisten, dass ihr russischer Präsident im Jahr 1900 eine tagung organisierte, die sich den als gefährlichen eingeschätzten zeitungspolemiken widmete.9 die kritischen berichte entbehrten nicht jeglicher grundlage. die briten erlitten gerade in den ersten monaten des krieges unerwartete rückschläge gegen eine burenarmee, die ungleich besser mit dem gelände vertraut war als ihr gegner und über mehr maschinengewehren, kanonen und flinten verfügte als man angenommen hatte.10 nach drei monaten hatten die buren die englische armee nicht nur aus den eigenen republiken zurückgedrängt, sondern stießen ihrerseits in britisches territorium vor. insgesamt verlor das empire in dem fast dreijährigen kampf gegen etwa 0 000 bis 0 000 burische bauern rund  000 mann. die kosten für die staatskasse beliefen sich am ende auf eine Viertelmilliarde Pfund. der krieg enthüllte gravierende defizite in organisation und führung sowie beim Personal der britischen armee. selbst nachdem sich im frühjahr und sommer 1900 unter einem neuen britischen oberkommandierenden, general frederick sleigh roberts, das blatt zu wenden begann, die briten in den transvaal und den oranje-freistaat einrückten, die beiden hauptstädte Pretoria und bloemfontein eroberten, weigerten sich die buren zu kapitulieren und verlegten sich stattdessen auf den guerillakrieg. roberts und sein nachfolger general horation herbert kitchener (ab november 1900) antworteten mit dem systematischen niederbrennen von rund 30 000 burischen farmhäusern. die dort von den burenkämpfern zurückgelassenen frauen und kinder wurden in behelfsunterkünfte, in sogenannte konzentrationslager, eingewiesen, wo knapp 28 000 von ihnen, in der mehrzahl kinder, an unterernährung und seuchen starben.11 es gab somit genug gründe, kritisch über den britischen krieg in südafrika zu berichten. darüber hinaus wurde die berichterstattung der deutschen Presse jedoch gerade in den ersten kriegsmonaten durch eine flut von falschmeldungen und gräuelgeschichten verzerrt, die sich auch über die seiten seriöser zeitungen ergossen. eine zentrale ursache hierfür war in der abhängigkeit deutscher blätter von britischen, genauer gesagt: reuters-nachrichten aus südafrika zu suchen. gemäß der kartellabsprachen zwischen der britischen agentur und der deutschen Wtb besaß reuters ein monopol auf nachrichten aus dieser region.12 Was bis dahin den wenigsten aufgefallen war, wurde mit kriegsbeginn auf einen schlag politisch brisant, als deutsche Journalisten begannen, das britische depeschenbüro voreingenommener, ja bewusst lügenhafter berichterstattung zu bezichtigen und reuters-telegramme mit zusätzen zu versehen wie: „englische lügenmeldungen“, „englische lügen“ oder „englische schwinde9 10

11 12

Archivarius, decades. zur kooperation der schwäbischen firma mauser mit den buren siehe den briefwechsel zwischen dem britischen generalkonsul in stuttgart und dem gesandten in münchen, rose an drummond, 13. märz 1900, und drummond an salisbury, 21. märz 1900, tna, fo 19/121; vgl. allgemein Pakenham, boer War, london 1991. Vgl. Spies, methods. Vgl. kapitel 1. e).

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3. Der Burenkrieg

leien“. zugleich beschimpfte man Wolff’s bureau als probritisch und feindete es wegen seiner zusammenarbeit mit reuters heftig an.13 ihren rationalen kern hatten derartige Vorwürfe in dem umstand, dass es kaum möglichkeiten eigenständiger deutscher berichterstattung aus dem kriegsgebiet gab. alle direkten telegrafenverbindungen befanden sich in britischer hand, wenn auch zunächst auf indirektem Wege von Pretoria über lourenço marques in der delagoabucht nachrichten über die portugiesischen kolonien am britischen kabelnetzwerk vorbei übermittelt werden konnten. das bereitete der britischen diplomatie in den anfangsmonaten des krieges zwar einiges kopfzerbrechen, blieb jedoch weitgehend folgenlos.1 die deutsche Presse musste mangels alternativen die spielregeln der britischen militärführung akzeptieren, wie sie in den gedruckten „rules for newspaper correspondents accompanying troops in the field“ niedergelegt waren: die benutzung von chiffriertechniken und kodierungen war untersagt; alle nachrichten mussten in englischer sprache abgefasst sein und einem militärischen zensor zur Prüfung vorgelegt werden.1 das misstrauen der deutschen Presse war nicht aus der luft gegriffen.16 auch französische zeitungen druckten reuters-meldungen während des burenkrieges mit dem ausdrücklichen zusatz „de source anglaise“.1 selbst in england wurden in der proburischen Presse hier und da zweifel am Wahrheitsgehalt der telegramme aus südafrika laut. Wer die kriegsberichterstattung verfolge, hieß es am 2. april 1901 in einem leitartikel des Manchester Guardian, der habe mittlerweile aus erfahrung gelernt, „that if he wants the truth he must never take the surface meaning of a telegram, but must poke about until he finds it in a subordinate clause or an adjective, or in an implication that is unexpressed“.18 Was den burenkrieg betreffe, schrieb der deutschlandfreundliche britische Jour13

1

1

16 1 18

Berliner Lokal-Anzeiger, nr. 18 vom 3. november 1899, nr. 0 vom 19. november 1899; Vossische Zeitung nr. 3 vom 22. Januar 1900; Deutsche Zeitung vom 6. februar 1903. die nation der dichter und denker scheine sich wenigstens in sachsen einer besonderen spielart der metaphysik verschrieben zu haben, klagte der britische gesandte in dresden, „by which a large subjectivity supersedes the merely objective aspects of truth. they wish to believe that the british army is composed of dissolute and undisciplined hordes of mercenary ruffians and they accordingly gloat over any blood curling story in which ravished women and murdered infants play the principal part, and calmly dismiss as ‚english lies‘ evidence to the contrary“; stephen an lansdowne, 8. Januar 1901, tna, fo 21/6. siehe den bericht über eine audienz bei kaiser Wilhelm vom britischen militärattaché grierson an gough (botschaftsrat in berlin), 6. november 1899, tna, fo 6/11, s. 16–19 (bd, bd. 1, nr. 1). Vgl. auch george an david saunders, 1. dezember 1899, ccc, saunders Papers, gs/1/138. die britischen zensurmaßnahmen im burenkrieg sind dokumentiert in: tna, Wo 33/280 und tna, fo 83/2196, bl. 108–10.; vgl. auch Read, Power, s. 112; Headrick, Weapon, s. 8–9. siehe Potter, news, s. 36–. report george grahames über die französische Presse, 21. mai 1906, tna, fo 31/166, bl. 99–10. Manchester Guardian vom 2. april 1901; vgl. Hampton, Press, s. 18.

a) Nachrichtenübermittlung und Kriegsgräuel

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nalist sidney Whitman in einem Privatbrief an hans delbrück, so spreche er nie darüber und schreibe auch fast nichts mehr zu diesem thema. „Was hier gelogen worden ist + noch täglich gelogen wird, spottet jeder beschreibung.“19 in der tat waren männer wie reuters chefberichterstatter aus südafrika, gwynne, überzeugte imperialisten, die den krieg gegen die burenrepubliken gerecht und richtig fanden, die britischen truppen in ihren berichten ohne zögern als „unsere“ truppen bezeichneten, wohl auch dann und wann selbstzensur übten, wenn sie glaubten, es diene dem empire. gwynne selbst schrieb im Juli 1901 voll stolz an baron herbert de reuter, der britische oberbefehlshaber in südafrika, general kitchener, habe ihm gesagt, er wünschte, gwynne wäre der einzige offizielle berichterstatter „so that other correspondents whom he could not trust should not be with the army.“20 reuters berichterstattung aus südafrika war patriotisch und regierungstreu, aber keine bloße hurra-Propaganda. die agentur berichtete über britische niederlagen ebenso wie über britische siege.21 dies wiederum bestärkte jene stimmen im britischen kolonialministerium, im umkreis von cecil rhodes und in der britischen Presse, die ohnehin der ansicht waren, die patriotische zuverlässigkeit eines international ausgerichteten und weltweit vernetzten unternehmens wie reuters sei mit äußerster skepsis zu betrachten.22 so glaubte der berliner korrespondent der Times seine heimatredaktion im november 1899 warnen zu müssen, reuters Vertreter in der reichshauptstadt sei „a virulent pro-boer“, von dessen fähigkeiten er keine hohe meinung habe.23 noch Jahre später verfolgte der ehemalige auslandschef der Times „with great suspicion the relations between reuter’s + Wolff’s Press bureau“. die geschäftsverbindung, schrieb er an einen Journalistenkollegen, sei verantwortlich für „the distinctly pro-german bias of much of the news sent by reuter from this country to the dominions + foreign countries“.2 die Presse im reich sah das ganz anders. bald erschienen in der deutschen Witzpresse spottbilder, die John bull als Postbeamten porträtierten, der mit zornesrotem kopf briefe las, die er eigentlich befördern sollte, um hinterher den adressaten mitzuteilen: „bedaure sehr, meine herren, es sind keine briefe für sie angekommen, außerdem hat nichts dringestanden.“2 andere zeichner karikierten englische kriegskorrespondenten als sonntagsjäger, die in südafrika 19 20 21

22

23 2 2

Whitman an delbrück, 29. november 1899, sbPk, nl delbrück (Whitman, mappe ii). gwynne an herbert de reuter, 12. Juli 1901, zit. nach Read, Power, s. 111. sie sorgte zudem dafür, dass sie mit J. de Villiers roos aus Johannesburg auch über einen korrespondenten im burischen lager verfügte, der mit sympathie für die sache der afrikaner berichtete; vgl. ebd., s. 6, 111–3. die kampagne von Evening News und Daily Mail gegen den mangelnden Patriotismus der nachrichtenagentur reichte bis in die mitte der 1890er Jahre zurück; siehe etwa Evening News vom 30. dezember 189. Vgl. auch Storey, century, s. 131. saunders an chirol, 10. november 1899, nia, chirol Papers. chirol an strachey, 10. september 191, in: hlro, strachey Papers, str /9/12. Vgl. auch bereits chirol an northcliffe, 23. februar 1909, bl, northcliffe Papers, add. 6221. Kladderadatsch bd. 3, nr. 3 vom 21. Januar 1900.

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3. Der Burenkrieg

Abbildung 4: Ulk Bd. 49, Nr. 3, 14. Dezember 1899.

kaninchen erlegten und dann in „dringenden telegrammen“ britische erfolge nach europa vermeldeten.26 an kiosken konnte man spottpostkarten kaufen mit aufdrucken wie: „die telegraphenstangen reißen sich aus Wut über die vielen lügendepeschen sämtliche drahthaare aus!“ oder „die stangen da längs dem eisenbahndamme sind ja ganz schauderhaft verbogen -- kein Wunder! englische kriegstelegramme haben die dinger krumm gelogen.“2 die berliner satirezeitschrift Ulk karikierte die britischen zensurmaßnahmen, indem sie John bull als betrügerischen Wirt darstellte, der seinen gästen gepanschtes bier einschenkte. obwohl den verschiedenen zapfhähnen unterschiedliche etiketten aufgeklebt waren, stammte das gebräu doch letztlich immer aus ein und demselben fass: der „englischen kabelgesellschaft“ (abbildung ). zwar konnten die briten nicht verhindern, dass sich einige deutsche reporter ins burische lager durchzuschlagen versuchten.28 doch war diesen abenteu26 2

28

ebd., bd. 2, nr. 9 vom 3. dezember 1899. ein exemplar findet sich im nachlass des englischen Publizisten leo maxse: Wsro, maxse Papers , 800; vgl. auch Ulk nr. 3 vom 2. oktober 1899. allgemein zu ansichtskarten als medium politischer kommunikation im wilhelminischen kaiserreich siehe May, deutsch. bertie an salisbury, 10. Januar 1900, tna, fo 800/9, bl. 363–.

a) Nachrichtenübermittlung und Kriegsgräuel

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rern selten erfolg beschieden. rein zahlenmäßig fielen sie gegenüber den auf der britischen seite akkreditierten korrespondenten kaum ins gewicht. allein für reuters berichteten angeblich mehr als hundert Journalisten aus südafrika.29 nur selten konnten deutsche blätter wie die Frankfurter Zeitung auf eigene briefliche berichte aus kapstadt oder anderen städten zurückgreifen. 9 Prozent aller nachrichten aus südafrika gelangten über london nach deutschland.30 Ulk machte aus der not eine tugend und erfand ihren eigenen kriegsreporter, fritz tintenklex, einen zehnjährigen sextaner, der sich für die aufgabe neutraler berichterstattung angeblich besonders gut eignete, weil er im geografieunterricht in der schule „afrika überhaupt noch nicht gehabt hat“. es handele sich, hieß es im ersten tintenklex-bericht, bei dem krieg der briten gegen die buren um „kultur-Verschönerung oder ethische zivilisation“: der engländer ist nämlich so gebildet, daß er ein förmliches fieber („englische krankheit“) kriegt, wenn er irgendwo ein ungebildetes stück land sieht, und dies sofort ins englische zu übersetzen sucht. er bedient sich dazu der dum-dum-geschosse, der torpedo’s, der dynamit-Patronen, der kleinkalibrigen gewehre und sonstiger moderner bildungsmittel. Woraus dann die eingeborenen menschenfresser am leichtesten erkennen, wieviel sie noch zu lernen haben, bevor sie eine zivilisierte monarchie werden können!31

nicht alle fingierten meldungen waren so offen als erfindungen deklariert. berichte aus angeblich unabhängiger Quelle fanden in der deutschen Presse reißenden absatz, auch wenn sie von derart dubiosen agenturen stammten wie jener „kabel-korrespondenz“ mit sitz in london, die sich nachrichten von siegen der buren einfach ausdachte, mit dem herkunftsort Johannesburg oder Pretoria versah und sie dann an rund fünfzig deutsche zeitungen verkaufte.32 einem bericht des Berliner Tageblatts zufolge, stellte die für das unternehmen verantwortliche „londoner gaunerbande“ ihre korrespondenz in 38 exemplaren in london autographisch her, verschiffte sie nach frankreich, von wo aus sie mit dem Poststempel von calais versehen an deutsche abnehmer wie die Vossische Zeitung, die Kreuzzeitung, die Deutsche Tageszeitung und die National-Zeitung versandt wurde. der korrespondent der Daily Mail in der preußischen hauptstadt behauptete in einem brief an das berliner tageblatt, die gruppe sei schon im Vorjahr während des spanisch-amerikanischen krieges aktiv gewesen, als sogar die offiziöse Norddeutsche Allgemeine Zeitung ihre berichte abgedruckt habe. in den meisten fällen, so der Daily Mail-korrespondent, seien „die berichte dem geschmack eines theils des deutschen Pu29

30 31 32

Vgl. den bericht des reuters-korrespondenten Gwynne, adventures, s. 123–6. allgemein zur britischen kriegsberichterstattung aus südafrika siehe Steinsieck, medienkrieg; ders., zeiten. geschichte der frankfurter zeitung, s. 8; Hale, Publicity, s. 199. Ulk nr. 3 vom 2. oktober 1899; siehe auch nr.  vom 10. november 1899; nr. 8 vom 1. dezember 1899; nr. 0 vom 1. dezember 1899 für weitere tintenklex-berichte. Vgl. den bericht in der Frankfurter Zeitung nr. 30 vom 8. dezember 1899, der den missbrauch enttarnte; siehe auch Die Post, nr. 89 vom 22. februar 1900; Daily Mail vom 12. und 13. februar 1902.

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3. Der Burenkrieg

blikums entsprechend stark chauvinistisch gewürzt“.33 das geschäft mit solchen falschmeldungen erwies sich in den aufgeregten monaten um die Jahrhundertwende als derart erfolgreich, dass die initiatoren schon im Januar 1900 an die expansion ihres unternehmens denken konnten und die herausgabe einer „kontinental-korrespondenz für die londoner und die englische Provinz-Presse“ ankündigten.3 berichte von britischen gräueltaten an burischen frauen und kindern, dem einsatz von dumdum-geschossen oder anderer barbarischer kriegsmethoden der britischen armee gehörten zum standardrepertoire deutscher berichterstattung über den burenkrieg und wurden von der deutschen bevölkerung bereitwillig geglaubt. ein solcher „barbarismus“ am ende des 19. Jahrhunderts sei geradezu skandalös, erklärte einem Polizeibericht zufolge ein hamburger arbeiter im kneipengespräch. es sei hohe zeit, dass man „den engländern das kriegführen mal ordentlich abgewöhnte, damit endlich ruhe eintritt“.3 manchmal waren die geschichten frei erfunden, manchmal wurden sie von burischen Propagandisten in europa gestreut, etwa von der „deutschen burencentrale“ mit sitz in berlin und münchen, die seit Juli 1901 mit dem „burenfreund“ eine eigene zeitschrift herausgab.36 oft druckten deutsche blätter auch kritiklos Übersetzungen antibritischer artikel ausländischer zeitungen, besonders der französischen und der oppositionellen irischen Presse, etwa die falschmeldung, lord roberts habe den befehl erteilt, keine burischen gefangenen zu machen.3

b) Antibritische Stereotype und die deutsche Reichsleitung ihren höhepunkt erlebte die deutsche anglophobie nach einer rede des britischen kolonialministers chamberlain in edinburgh im oktober 1901. die ansprache war innenpolitisch motiviert und vorrangig an das einheimische Publikum gerichtet. es ging chamberlain darum, angesichts wachsender kritik im in- und ausland an der britischen kriegführung in südafrika die Politik der regierung zu rechtfertigen. um den Vorwürfen entgegenzutreten, das von den 33 3 3 36

3

Berliner Tageblatt nr. 62 vom 9. dezember 1899 und nr. 630 vom 11. dezember 1899. Vgl. hoppe an delbrück, 2. Januar 1900, sbPk, nl hans delbrück. zitiert nach Evans (hrsg.), kneipengespräche, s. 38. Vgl. Berliner Tageblatt nr. 13, 19, 0 vom 8., 11., 23. Januar 1900, Vossische Zeitung nr. 0 vom 2. oktober 1900. zur „deutschen buren-centrale“ siehe außer dem artikel im Berliner Tageblatt nr. 2 vom 2. oktober 1900 vor allem Kröll, buren-agitation. aus dem irischen Freeman’s Journal übernommen in den Münchener Neuesten Nachrichten nr. 3 vom 21. Januar 1901; für den nachdruck von artikeln aus der französischen Presse siehe beispielsweise Die Post nr. 21 vom 6. november 1900, die ausführlich aus dem Matin zitiert.

b) Antibritische Stereotype und die deutsche Reichsleitung

133

briten in südafrika errichtete system von konzentrationslagern auch für nichtkombattanten sei „barbarisch“, verglich er das britische Vorgehen mit der Praxis anderer nationen in früheren kriegen: i think the time has come – is coming – when measures of greater severity may be necessary and if that time comes we can find precedents for anything that we may do in the action of those nations who now criticize our „barbarity“ and „cruelty“, but whose example in Poland, in the caucasus, in almeria, in tongking, in bosnia, in the franco-german war, we have never even approached.38

Während die Öffentlichkeit in den anderen von chamberlain angesprochenen ländern – frankreich, spanien und russland – weitgehend ruhig blieb, brach in deutschland eine sturmflut der empörung los.39 in einer flut von Protestkundgebungen, flugblättern, zeitungsartikeln und zeitschriftenkommentaren verschaffte sich die Wut luft. dabei war die Presse zunächst nicht die treibende kraft. „this agitation“, beobachtete ein leserbriefschreiber in der Daily Mail, „is not engineered by the newspapers, which are merely echoing public opinion“.0 tatsächlich organisierten studenten und Professoren an den universitäten, Veteranenverbände, regionale gliederungen des alldeutschen Verbandes und der kolonialgesellschaft in fast allen großen städten des landes demonstrationen und Versammlungen, auf denen sie ihre empörung über das zum ausdruck brachten, was sie als die schmähung der ruhmreichen deutschen armee von 180/1 durch chamberlain auffassten.1 in berlin veranstaltete die studentenschaft – auf anordnung des rektors außerhalb der universität – eine Veranstaltung, auf der außer einem verwundeten Veteranen der burenarmee drei Professoren sowie ein redakteur der Deutschen Zeitung das Wort ergriffen. zum schluss verabschiedete man eine deklaration, die chamberlains Vergleich als Verleumdung „unserer heldenhaften toten“ und beleidigung der nationalen ehre zurückwies.2 in münchen versammelten sich 3000 studenten und zahlreiche Professoren der universität sowie der technischen hochschule, um gegen chamberlains rede zu protestieren und den reden der Professoren von stengel und du moulin-eckart zu lauschen, die chamberlains Äußerungen in schärfstem ton zurückwiesen, wie der britische gesandte nach london berichtete: „the speeches were enthusiastically received“.3 die 38 39 0 1

2 3

zitiert in Times vom 26 october 1901. Vgl. Hammann, kurs, s. 130; Ebeler, stellung, s. 19–0; Dreyer, deutschland, s. 2–6. Daily Mail vom 21. november 1901. es gab Versammlungen in kassel, hannover, greifswald, stuttgart, göttingen, hamburg, leipzig, köln, bielefeld, dresden, duisburg, marburg, breslau, rostock und bonn; die vollständigste auflistung der Veranstaltungen findet man in den ausgaben der Deutschen Zeitung, die zwischen dem 1. november und dem 1. dezember 1901 über kaum etwas anderes berichtete; vgl. auch die aktenstücke im bestand des Preußischen innenministeriums (acta betr. die agitation zu gunsten der boeren), gsPk, i. ha, rep. , tit. 80, nr. 1. siehe Berliner Lokal-Anzeiger nr. 1 vom 1. november 1901. John ford an salisbury, 21. november 1901, tna, fo 19/123. Vgl. auch Münchener Neuesten Nachrichten nr. 2 vom 22. november 1901.

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3. Der Burenkrieg

schaufenster der bayerischen hauptstadt, hieß es in dem besorgten leserbrief eines in bayern lebenden briten, seien voll mit farbdrucken „representing english atrocities in south africa – horrible calumnies which are enough to drive any public to fury – and the german public is only too ready to believe them“. die deutsche Presse wurde von der Welle der entrüstung mitgerissen. die wichtigsten berliner blätter und die großen Provinzzeitungen hatten chamberlains rede zunächst scharf, aber maßvoll kritisiert und waren dann zur tagesordnung übergegangen. erst unter dem eindruck der zahlreichen kundgebungen geriet das thema wieder ins blickfeld der redakteure. einige vor allem der konservativen und alldeutschen schriftleiter ergriffen begeistert die chance, in das kampfgeschrei gegen england einzustimmen.6 andere hielten sich zunächst erkennbar zurück, fanden die Protestdemonstrationen übertrieben bis schädlich und schwenkten erst später um – sei es aus rücksichtnahme auf die stimmung ihrer leserschaft wie die Kölnische Volkszeitung, die bis zum 18. november stillschweigen bewahrte, um sich dann umso empörter zu zeigen, sei es getrieben durch die kritik anderer blätter wie im falle der National-Zeitung und der Vossischen Zeitung, denen die kreuzzeitung „leisetreterei gegenüber dem auslande“ vorgeworfen hatte. obwohl Wtb unmittelbar nach chamberlains rede einen 00 Worte langen bericht über nach deutschland telegrafiert hatte, der eine Übersetzung der umstrittenen Passage enthielt, spielte das, was der kolonialminister gesagt hatte, bald keine rolle mehr in den artikeln der deutschen Presse.8 stattdessen richtete sich die entrüstung gegen chamberlain als Verkörperung des burenkrieges und – auf einer allgemeineren ebene – des angeblichen nationalcharakters des englischen händlervolkes. die Vossische Zeitung nannte den kolonialminister einen geborenen intriganten und „ränkeschmied, der die kniffe und schleichwege des erfolgreichen fabrikanten und krämers in die Politik mit sich nahm  

6 

8

Daily Mail vom 12. november 1901. die National-Zeitung nr. 8 vom 26. oktober 1901 bezeichnete chamberlains darstellung als „tendenziös“; das Berliner Tageblatt nr. 6 vom 26. oktober 1901 sprach von einer „unverschämtheit, die wir entschieden zurückweisen müssen“; vgl. auch Frankfurter Zeitung nr. 29 vom 26. oktober 1901; Berliner Lokal-Anzeiger nr. 0 vom 26. oktober 1901; Vossische Zeitung nr. 0 vom 26. oktober 1901. Vgl. etwa Kreuzzeitung nr. 20 vom . november 1901; Deutsche Zeitung nr. 262 vom . november 1901; Tägliche Rundschau nr. 2 vom . november 1901. Kreuzzeitung nr. 29 vom 10. november 1901. Vgl. Kölnische Volkszeitung nr. 1030 vom 18. november 1901; nr. 103 vom 19. november 1901 und nr. 102 vom 22. november 1901; für den sinneswandel der Vossischen Zeitung siehe nr. 63 vom . november 1901 und nr. 86 bzw. 92 vom 1. und 21. november 1901. „at no meeting“, berichtete der britische gesandte aus dresden, „nor in any of the recent abusive leading articles that have appeared in the Press has there been any translation of or verbal quotation from the speech alluded to“; gough an lansdowne, 20. november 1901, tna, fo 21/6. der britische geschäftsträger in berlin klagte gegenüber dem deutschen außenstaatssekretär, die öffentliche meinung auf dem kontinent „had been much misled by telegraphic summaries and other unauthenticated reports of the speech“; buchanan an richthofen, 2. november 1901, Pa-aa, england nr. 8 secretissima, r 1.

b) Antibritische Stereotype und die deutsche Reichsleitung

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und noch heute das Verfahren, das ihm als schraubenfabrikanten ein gewaltiges Vermögen einbrachte, als staatsmann im Verkehr mit anderen nationen befolgt“.9 die Deutsche Zeitung bemerkte, wenig originell, im kopf des besorgten schraubenfabrikanten müsse wohl eine schraube „losgegangen“ sein. in dem artikel war vom „ehemaligen schraubenfabrikanten von manchester“ die rede, obwohl chamberlain aus birmingham stammte. die freud’sche fehlleistung mag auf den Wunsch zurückzuführen sein, mit der anspielung auf das „manchestertum“ außen- und wirtschaftspolitische feindbilder zur deckung zu bringen.0 der Kladderadatsch wurde noch deutlicher. in einem spottgedicht über „englands zierden“ verhöhnte das Witzblatt die britischen generäle sir redvers buller und lord roberts als militärische Versager, während es den kolonialminister als inkarnation der lügenhaftigkeit darstellte: „es war im rath der britenkrone/noch nie wohl solch ein bösewicht./John bull hat manchen groß gezogen,/der keinen glanz dem reich verlieh,/doch einen buben so verlogen,/Wie dieser ist, gab es noch nie.“1 dass die deutsche Öffentlichkeit so viel heftiger und wütender auf die edinburgher rede reagierte als das Publikum in den anderen von chamberlain genannten ländern, erklärt sich zum teil aus den Vergleichsfällen, die der kolonialminister gewählt hatte. bis auf den krieg von 180/1 handelte es sich entweder um bürgerkriege oder kolonialkonflikte, während der krieg gegen frankreich in den augen der deutschen ober- und mittelschichten mit der geburt der nationalen einheit und dem erwerb historischer größe gleichgesetzt wurde. seine berechtigung und die idealistischen, patriotischen motive der deutschen soldaten waren aus diesem blickwinkel derart über jeden zweifel erhaben, dass auch jede kritik an den methoden der kriegführung als angriff auf die nationale ehre gewertet wurde.2 zugleich jedoch sind der ausbruch der anglophobie, den deutschland im november und dezember 1901 erlebte, sowie die stereotype darstellung englischer soldaten und staatsmänner als feige, verlogen, dekadent nur zu begreifen, wenn man sie vor dem hintergrund der deutschen Presseberichterstattung über den burenkrieg in den vorausgegangenen zwei Jahren betrachtet. die klischeebilder, die in dieser zeit entstanden waren, wurden jetzt abgerufen. Wenn chamberlain aus deutscher sicht die durchtriebenheit und heimtücke der engländer personifizierte, so stand könig edward Vii. für den dekadenten, verlebten und letztlich dem untergang geweihten charakter des inselvolkes, das seine beste zeit hinter sich habe. auf einer kundgebung in Jena henkte die studentenschaft eine Puppe mit den zügen des kolonialministers, während ein abbild des könig champagner schlürfend am fuße des galgens saß, und stu9 0 1 2

Vossische Zeitung nr. 6 vom 2. november 1901. Was vor dem hintergrund von chamberlains späterer Wendung zur schutzzollpolitik besonders ironisch ist; Deutsche Zeitung nr. 262 vom . november 1901. Kladderadatsch bd. , nr.  vom 3. november 1901. Vgl. auch das spottgedicht „der freche chamberlain“ in: Ulk nr.  vom 1. november 1901. Vgl. Becker, strammstehen, s. 112.

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3. Der Burenkrieg

denten unter den zuschauern „goldaktien aus Johannesburg“ verteilten, auf denen zu lesen stand: „deutscher michel, das lässt du dir gefallen“.3 der artikel eines unbedeutenden Provinzblatts, der Nordwestdeutschen Zeitung, der wegen seiner bösartigkeit in die akten des londoner foreign office gelangte, kritisierte den ausschweifenden lebenswandel edwards in seinen Jahren als kronprinz und erklärte, wo es sich um die züchtigung verkommener subjekte handele, vor denen die menschliche gesellschaft zu schützen sei, müsse man zum stock greifen: so wäre es vor Jahren am Platze gewesen als der damalige Prinz von Wales sich eifrig an der schändung von unreifen mädchen betheiligte, einem sport, der damals bei den lebemännern der englischen gesellschaft in hoher blüthe stand. Wäre damals vor dem schlosse von Windsor oder auf dem trafalgar square zu london in gegenwart des ministeriums und des Parlaments an dem Prinzen die wohlverdiente Prügelstrafe vollzogen worden, so hätte gewiß ganz europa laut beifall zu erkennen gegeben. Jetzt, wo der fette lüstling die krone von england trägt, ist allerdings nicht mehr daran zu denken, daß die damals leider versäumte züchtigung noch nachgeholt wird. das ist der könig des Volkes mit dem wir sympathisieren sollen und seine rechte hand, der bübische chamberlain wagt es, den mordbuben kitchener, der das heer, das ihm unterstellt ist, selbst zu einer mörderbande stempelt, mit unseren greisen generalen von 0/1 zu vergleichen, denen dann die höchste zierde eines deutschen, das eiserne kreuz, die brust zierte!

der letzte satz der Passage verweist auf einen weiteren gemeinplatz im englandbild der deutschen Presse, wie es sich in der reaktion auf chamberlains rede darstellte: den räuberischen britischen söldnern in südafrika, dem „heer der mietlinge“, wurden die deutschen helden des Volksheeres von 180/1 gegenübergestellt. der londoner korrespondent des Berliner Tageblattes, der den briten vorwarf, verwundeten und kranken buren medizinische hilfe von deutschen und anderen ausländischen Ärzten vorzuenthalten, weitete den Vorwurf über die britische und deutsche armee ins generelle, wenn er schrieb: [d]iese Pharisäer, die die Worte ‚liberty‘ und ‚humanity‘ stets im munde führen, sollten nicht mit den schärfsten Worten des tadels von den deutschen, von allen auf civilisation anspruch machenden nationen gebrandmarkt werden dürfen, und wagen es, sich über diesen tadel verletzt zu zeigen? [...] nichts hat je den größeren rassenunterschied zwischen dem deutschen Volke und dem englischen zutage gefördert als dieser krieg. im deutschen Volke der durch keine mittel umzubringende idealismus, im englischen ein vor keinen mitteln zurückschreckender, materialistischer utilitarismus, eingehüllt in einen kirchlichen fettteich.6

angesichts derartiger Vorwürfe nimmt es nicht Wunder, dass die britische diplomatische korrespondenz aus deutschland zwischen 1899 und 1902 voll war mit klagen über die irreführung der deutschen Öffentlichkeit durch die Pres3   6

Vgl. Kreuzzeitung nr. 2 vom . november 1901. Nordwestdeutsche Zeitung vom 1. november 1901; kopie in: tna, fo 6/122, bl. 181–. Deutsche Tageszeitung nr. 20 vom . november 1901; Münchener Neueste Nachrichten nr. 2 vom 22. november 1901. Berliner Tageblatt nr. 63 vom . november 1901.

b) Antibritische Stereotype und die deutsche Reichsleitung

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se. dabei legten die diplomatischen berichterstatter den schwerpunkt teils auf die leichtgläubigkeit, teils auf den bösen Willen der verantwortlichen redakteure.8 so berichtete der britische gesandte in münchen im dezember 1899, die Münchener Neuesten Nachrichten würden nicht aufhören, falsche sensationsmeldungen über den krieg in südafrika zu drucken. als beispiel führte er einen artikel der zeitung vom . dezember an, der auf informationen der burischen gesandtschaft in brüssel beruhte und konstatierte, die engländer hätten 300 gefangene buren getötet und viele weitere verstümmelt. „reports such as these“, klagte der diplomat, „are never contradicted + apparently credited by the 90,000 readers of this anglophobe journal“.9 besonders anstößig fanden britische diplomaten die karikaturen königin Victorias und ihres sohnes albert, seit 1901 könig edward Vii., in deutschen Witzblättern wie Kladderadatsch, Ulk und Simplicissimus. aus britischer sicht erschienen diese zeichnungen umso beleidigender und verletzender als sie einer tradition politischer satire entstammten, die sich von der angelsächsischen unterschied. die entwicklung des Journalismus gehe hin zum bild und somit zur karikatur, hatte stead schon 1890 bemerkt: „it may be accepted as an axiom that in appealing to a popular electorate, the paper that makes the most effective use of the caricature will carry the day.“ gleichzeitig kritisierte stead jedoch, die satirezeitschriften des europäischen festlands schöpften allzu unbedenklich aus trüben Quellen: „Whatever may be said about english prudery, we do, at least, keep out of our comic literature the kind of unclean suggestive pictures which defile almost every issue of the comic papers of france, austria and italy.“60 stead hätte seiner liste problemlos deutschland hinzufügen können. deutsche karikaturisten standen ebenso wie ihre kollegen in frankreich, Österreich und italien in einer tradition, in der sexuelle anspielungen, krasse Übertreibungen und drastische scherze zum künstlerischen repertoire gehörten. für die satire sei derbheit die „allererste grundbedingung“, schrieb ludwig thoma vom Simplicissimus in diesen tagen mit blick auf den burenkrieg: die sog. ‚feine satire‘ geht vielleicht in der form von nadelstichen, bosheiten, geistreichereien in einem salon; an der rauen luft, welche draußen im politischen leben weht, sehen diese zierpflänzchen kläglich aus; sie ertragen das weiße sonnenlicht nicht. lieber schweigen, als so zierlich auf dinge, welche das blut in den kopf treiben, hintupfen. [...] dreinhauen, daß die fetzen fliegen. [...] mit den füßen muß man auf dem boden stehen, recht fest. und zuhauen muß man.61

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Vgl. etwa drummond an salisbury, 28. februar und 9. märz 1900, tna, fo 19/121. stephen an salisbury, 8. Januar 1901, tna, fo 21/6; drummond an salisbury, 1. februar 1900, tna, fo 19/121. Vgl. auch die aufzeichnung eckardsteins vom Januar 1900, abgedruckt in Eckardstein, lebenserinnerungen, bd. 2, s. 18. J. d. harford an salisbury, 9. dezember 1899, tna, fo 19/120. Review of Reviews vom dezember 1890; ähnlich auch das urteil von gilbert burgess, germany as she is: Journalism and Journalists, in: Daily Mail vom 1. september 1896, und von Harrison, england, s. 121. thoma an dagny langen, 20. april 1900, abgedruckt in Thoma, leben, s. 1.

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3. Der Burenkrieg

thoma und seine kollegen beim Simplicissimus beließen es nicht bei ankündigungen im privaten briefverkehr. Vom ersten tag an polemisierte die zeitschrift gegen das Vorgehen der briten in südafrika.62 im april 1900 brachte thoma ein sonderheft zum burenkrieg heraus, zu dem künstler wie thomas theodor heine, max liebermann, bruno Paul und max slevogt ebenso beitrugen wie die naturalistischen schriftsteller karl bleibtreu und michael georg conrad oder Johannes trojan vom Kladderadatsch.63 im Simplicissimus wurde die königin als verlebtversoffene alte mit einer Whiskeyflasche an ihrer seite abgebildet, die sich vergeblich bemühte, einen Vogel strauß zu rupfen (abbildung ). thoma nannte sie in der korrespondenz mit seinem Verleger die „schwabbelige Queen“ und fragte: Warum soll man dieses filzige, geizige alte frauenzimmer schonen? […] hat sie einmal den mund geöffnet, um die scheußliche mißhandlung der burenfrauen zu hindern? Was hat sie in einer 62jährigen regierung getan, um von uns ehrfurcht verlangen zu können? Wissen sie auch nur eine schöne handlung von ihr? ich nicht. sie hat wie jedes andere hökerweib ihre langbeinigen töchter an den mann gebracht, hat große reichtümer angehäuft und umgibt sich jetzt mit vielen hunden und katzen. ich bin überzeugt, daß sie mit derselben gemütsruhe ihre albert cakes in die tasse eintunkt, wenn sie hört, daß wieder 000 in südafrika gestorben sind.6

ihren sohn und nachfolger edward Vii. porträtierten die zeichner entweder als fetten lebemann in Pariser nachtbars, umgeben von champagnergläsern und huren, oder sie zeigten ihn, wie er frauen und kinder in konzentrationslagern zerstampfte und sich darüber beschwerte, dass deren blut bis zu seiner krone hinauf spritze (abbildung 6).6 die karikaturen des münchener spottblattes mochten besonders drastisch ausfallen, außergewöhnlich waren sie nicht. auch Ulk brachte zeichnungen edwards Vii., der seine krone mit burenblut aufpolierte, während sich der Kladderadatsch darüber mokierte, dass edward als thronfolger zu beginn des krieges in england geblieben war, statt an der spitze britischer truppen in südafrika im feld zu stehen; gern wurde der spätere könig an der spitze einer kompanie von schoßhündchen abgebildet.66 derartige zeichnungen wurden nicht nur zur ergötzung des deutschen Publikums verfertigt, sondern durchaus auch mit einem seitenblick auf mögliche reaktionen in england. ludwig thoma verstand sich ausdrücklich als kämpfer gegen großbritannien, der statt des schwertes die feder benutzte. „in der Queen treffe ich das ganze Volk“, erklärte er. „da ärgern sich die krämer und schreien über rohheit. der hieb sitzt gut! deswegen habe ich ihn geschlagen. [...] wir haben alles in kampfesstimmung gemacht. es soll die buren freuen u[nd] die engländer ärgern.“6 62 63 6 6 66 6

Vgl. auch die knappen bemerkungen bei Allen, satire, s. 129–30. Thoma (hrsg.), burenkrieg. thoma an albert langen, 16. dezember 1900, abgedruckt in Thoma, leben, s. 66–. Vgl. auch Simplicissismus bd.  (1899/1900), nr. 2. siehe Ulk bd. 30, nr.  vom 22. november 1901; Kladderadatsch bd. 2, nr. 1 vom 1. dezember 1899; bd. , nr.  vom 3. februar 1901 und nr.  vom 10. november 1901. thoma an dagny langen, 28. april 1900, abgedruckt in Thoma, leben, s. 3–.

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Abbildung 5:

Simplicissimus Bd. 4 (1899/1900), Nr. 32.

tatsächlich beschwerten sich britische diplomaten regelmäßig über karikaturen des Simplicissimus und anderer Witzblätter. sie forderten die deutschen behörden auf, die entsprechenden zeitschriften zu konfiszieren oder wenigstens aus den schaufenstern und auslagen der kioske entfernen zu las-

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3. Der Burenkrieg

Abbildung 6: Simplicissimus Bd. 6 (1901/1902), Nr. 32.

sen.68 gewöhnlich kamen die deutschen stellen derartigen bitten inoffiziell nach. auch sorgten sie dafür, dass die reichspost ansichtskarten mit antibri68

Vgl. etwa drummond an salisbury, 21. märz und 2. april 1900, tna, fo 19/121; stephen an salisbury, 1. märz 1900, tna, fo 21/6; arthur bigge an lascelles, . und 1. Januar 1901, tna, fo 800/10, s. 1–2 und 1–18. Vgl. auch saunders an chirol, 8. dezember 1899, nia, chirol Papers; chirol an holstein, 23. november 1901, abgedruckt in: Rich und Fisher (hrsg.), holstein-Papiere, bd. , nr. 86, s. 21.

c) Pressepolitische Schwierigkeiten von Bülows Neutralitätskurs

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tischen motiven nicht mehr beförderte.69 zugleich erklärten sie, es sei unmöglich, förmliche Verleumdungsverfahren einzuleiten, solange der britische botschafter nicht offiziell im namen seines monarchen darum ersuche.0 botschafter lascelles stellte sich jedoch auf den standpunkt, die britische krone sei „far too exalted to be touched by any scurrilous caricatures and libels“. er riet, von offiziellen beschwerden abzusehen, da diese lediglich der Werbung für die derart verfolgten blätter dienen würden.1 Wie recht er damit hatte, verdeutlichte thomas reaktion auf die beschlagnahmung seiner sondernummer zum burenkrieg im april 1900. „eine feine nachricht!“, jubelte er, nachdem man ihm mitgeteilt hatte, die münchner Polizeidirektion habe die entfernung des heftes aus den schaufenstern angeordnet. der schriftsteller machte sich sogleich daran, die regionale, nationale und internationale Presse von der Augsburger Abendzeitung über den Berliner LokalAnzeiger bis zur Wiener Neuen Freien Presse zum Protest gegen die Polizeiaktion zu mobilisieren: „ich will radau schlagen bis unsere Polizisten schwarz werden. in 10 tagen muss jetzt die erste auflage weg sein. [...] unter diesen umständen wird nr. 6 Simpl wie eine bombe einschlagen. [...] das gibt einen wundervollen radau! [...] ich sehe, daß die hiebe sitzen. mehr wollte ich nicht. nochmals hep hep hurrah für den burenkrieg!“2

c) Pressepolitische Schwierigkeiten von Bülows Neutralitätskurs die frage des umgangs mit antibritischen karikaturen macht deutlich, welchen schwierigkeiten die Pressepolitik der reichsregierung während des burenkriegs gegenüberstand. sie musste im spannungsfeld außenpolitischer strategien und innenpolitischer rücksichtnahmen agieren, ohne dabei die pressegesetzlichen rahmenbedingungen und die gebote diplomatischer etikette aus den augen zu verlieren. außenstaatssekretär bülow, der im oktober 1900 den fürsten hohenlohe als reichskanzler ablöste, hatte die deutsche diplomatie schon vor kriegsbeginn auf eine „neutrale und absolut loyale“ haltung in der südafrikafrage festgelegt.3 gleichzeitig versuchte er, die deutsche Presse auf denselben kurs strikter neutralität einschwören zu lassen. „gegenüber der transvaalkrisis“, schrieb er im september an seine mitarbeiter in der Wilhelmstraße, 69

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siehe etwa den brief des sächsischen außenministers von metzsch an stephen, 1. märz 1900, tna, fo 21/; ähnlich lascelles an salisbury, 6. und 13. april 1900, tna, fo 6/193, bl. 8–9, bl. 2–. das deutsche Presserecht schützte ausländische souveräne, also regierende monarchen, aber keine thronfolger, vor beleidigungen; so jedenfalls saunders an moberly bell, 8. april 1900, nia, moberly bell Papers. lascelles an sanderson, 28. märz 1902, tna, fo 800/18, bl. 6–. thoma an albert langen, 22. april 1900, abgedruckt in Thoma, leben, s. 2. bülow an aa, 2. oktober 1899, gP, bd. 1, nr. 38, s. 398.

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3. Der Burenkrieg

sollte sich unsere Presse einer ruhigen, sachlichen und kühlen sprache befleißigen. Wenn die ausgesprochen offiziösen organe sorgfältig vermeiden müssen, durch auffällige Parteinahme für england oder gehässige ausfälle gegen die boeren die gefühle weiter deutscher kreise zu verletzen, so steht andererseits zu wünschen, dass bei einem krieg zwischen england und transvaal die deutsche Presse nicht in den während des amerikanischspanischen krieges begangenen fehler verfalle, sich von vornherein und in unnötig lärmender Weise auf die seite des schwächeren zu stellen.

bülows forderung, die deutschen zeitungen sollten ihre anglophobie mäßigen, lag zum einen die sorge zugrunde, den aufbau der deutschen flotte nicht durch eine explizit antibritische Politik zu gefährden. zum anderen fürchtete er, erst von russland und frankreich gegen großbritannien in stellung gebracht und dann in exponierter Position im stich gelassen zu werden. beide Überlegungen spiegelten sich in seiner anweisung vom 31. oktober wider, die deutsche Presse solle angesichts britischer niederlagen „eine kühle und ruhige sprache“ wählen, keine „falsche sentimentalität“ oder „unpolitische erregung“ erkennen lassen. allzu deutlich hervortretende schadenfreude und offener Jubel würden nur „die erbitterung der engländer gegen uns lenken, die wir ihnen zur see noch nicht gewachsen sind, und gleichzeitig bei den russen und franzosen die hoffnung nähren, dass wir bereit wären, uns allein gegen england vorschieben zu lassen“.6 umgekehrt wurden das Pressebüro, Wtb und botschaftsrat eckardstein in london angewiesen, „alle freundlichen auslassungen deutscher blätter für england – auch solche, in denen nur menschliches mitgefühl, anerkennung englischer bravour usw. zum ausdruck kommt, regelmäßig und reichlich nach england gelangen zu lassen“. Überraschender als bülows pressepolitische erwägungen war der umstand, wie wenig erfolg ihnen beschieden war. die mehrheit der deutschen zeitungen und zeitschriften – gerade auch die organe der sammlungsparteien, die sonst an der seite der regierung standen – folgte seinen Vorgaben nicht. alle bemühungen des auswärtigen amtes, die Presse auf regierungskurs zu bringen, blieben vergeblich. insbesondere die „wüsten antienglischen artikel“ der bismarcktreuen Hamburger Nachrichten, hinter denen man intrigen herbert von bismarcks wähnte, ärgerten die Wilhelmstraße.8 neben der Norddeutschen Allgemeinen und der Kölnischen Zeitung unterstützten nur eine handvoll liberaler 



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bülow an aa, 20. september 1899, gP, bd. 1, nr. 38, s. 39–6. zur Pressepolitik des auswärtigen amtes siehe Hammann, Vorgeschichte, s. . zum deutsch-amerikanischen Pressekrieg 1898 und seinem hintergrund vgl. Herwig, Politics, s. 28–33; Carroll, germany, s. 11–8. Vgl. etwa seinen brief an Wilhelm ii. vom 6. august 1899, in dem er dem kaiser riet, „salisbury zu gewinnen und leidliche politische beziehungen aufrecht zu erhalten, bis unsere flotte (um mit scharnhorst zu reden) aus dem gröbsten heraus ist“, zitiert nach Fesser, reichskanzler, s. 8–9. bülow an aa, 31. oktober 1899, gP, bd. 1, s. 1–, fn. Verfügung richthofens vom dezember 1899, ebd., bd. 1, s. 18, fn. hammann an eckardstein, 28. oktober 1899, abgedruckt in Eckardstein, lebenserinnerungen, bd. 2, s. 119.

c) Pressepolitische Schwierigkeiten von Bülows Neutralitätskurs

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und katholischer organe die haltung der regierung.9 Weithin unbeachtet verhallte ein im – normalerweise regierungskritischen – Berliner Tageblatt veröffentlichtes „mahnwort an das deutsche Publikum“: sympathiekundgebungen für die buren seien zwar verständlich, aber unklug, da england zweifellos als sieger aus dem kampf um die suprematie in südafrika hervorgehen werde und man es sich mit der Weltmacht besser nicht verscherze: die wirklich thörichten bemerkungen, die in manchen blättern über englische soldaten und englische kriegführung gefallen sind, die kindliche Verkleinerung der englischen erfolge – es sind deren ja bis jetzt nicht viele, das aufgreifen sensationeller depeschen, wie solche über den fall von ladysmith mit daran geknüpften höhnischen bemerkungen, das alles sind dinge, die nicht dazu angetan sind, bei der finalabwicklung der dinge in südafrika günstig auf die situation der deutschen in südafrika einzuwirken.80

die feindseligkeit derart weiter teile der deutschen Presse gegenüber england war für die reichsregierung und die krone umso unangenehmer als bereits lange vor ausbruch des krieges für ende november ein besuch des kaisers in großbritannien vereinbart worden war.81 eine absage der reise wäre einer diplomatischen ohrfeige gleichgekommen, hätte nicht nur die beziehungen zwischen den regierungen in berlin und london, sondern auch zwischen den beiden herrscherhäusern belastet. umgekehrt lehnte jedoch die deutsche Presse fast einhellig das besuchsvorhaben ab. selbst eine gemäßigte zeitung wie die Vossische argumentierte, die reise könne leicht als geste deutscher billigung für den britischen krieg gegen die buren gedeutet werden. der kaiser laufe gefahr, sich in direkten gegensatz zu den gefühlen und ansichten der mehrheit seiner untertanen zu begeben, die mit den buren sympathisierten und die britische Politik missbilligten. Wenn der monarch und seine berater dennoch an dem Plan festhielten, müsse wenigstens deutlich herausgestellt werden, dass es sich um eine reine familienangelegenheit, eine pure höflichkeit Wilhelms gegenüber seiner königlichen großmutter handele. deutlichere kritik übten die alldeutschen, agrarischen und bismarckischen blätter.82 in hamburg und münchen versammelten sich mehrere tausend menschen, um gegen die kaiserreise zu protestieren und ihrem unmut gegenüber großbritannien und dem, was sie für die unverständliche anglomanie der reichsregierung hielten, luft zu machen.83 9

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letztere fanden es allein wegen des kämpferischen Protestantismus der buren schwierig, sich mit ganzem herzen auf deren seite zu stellen; vgl. etwa Kölnische Volkszeitung nr. 96 und nr. 1006 vom 1. und 2. oktober 1899. zur Position der liberalen Frankfurter Zeitung siehe nr. 288, 298, 302 vom 1., 2. und 31. oktober 1899. siehe auch saunders an chirol, 21. november 1899, nia, chirol Papers. Berliner Tageblatt nr. 629 vom 11. dezember 1899. richthofen an aa, 1. august 1899, Pa-aa, Preußen 1 nr. 1, nr. 0, bd. , r 3698; vgl. Winzen, Weltmachtskonzept, s. 210. Vossische Zeitung nr. 9 vom 21. oktober 1899; ähnlich die haltung der Frankfurter Zeitung nr. 302 vom 31. oktober 1899, aber auch der konservativen der Kreuzzeitung nr. 82 und 8 vom 13. und 1. oktober 1899; vgl. auch Hale, Publicity, s. 19–198. Vgl. Times vom 26. oktober 1899, Berliner Neueste Nachrichten nr. 03 vom 26. oktober 1899.

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3. Der Burenkrieg

die reichsregierung tat ihr möglichstes, um die kunde von derartigen Veranstaltungen zu unterdrücken. Wtb wurde angewiesen, nicht zu berichten, und demgemäß verirrten sich nur wenige meldungen in die deutsche Presse.8 bülow und der kaiser fürchteten negative reaktionen in england, und auch in london sorgte man sich wegen möglicher auswirkungen auf den harmonischen ablauf des besuchsprogramms. am 13. november sprach der britische finanzier alfred rothschild auf der deutschen botschaft vor und fragte, ob man die deutsche Presse nicht veranlassen könne, während der zeit des kaiserbesuchs einen england gegenüber freundlicheren ton anzuschlagen.8 tatsächlich blieb die tätigkeit des Pressebüros im auswärtigen amt nicht ohne Wirkung – zumindest auf die semi-offizielle und der regierung nahe stehende Presse. noch vor wenigen Wochen, so klagte der schriftleiter der anglophoben Täglichen Rundschau drei tage nach rotschilds besuch in der botschaft, hätte es kaum ein deutsches blatt gegeben, das nicht schwer wiegende bedenken gegen die reise des kaisers gehabt habe. in den letzten tagen habe sich bei einem teil dieser Presse und zwar in erster linie bei den zahlreichen blättern, „welche sich ihre inspiration bei der Wilhelmstraße zu holen pflegen, eine Wandlung eingestellt, und schon sind einige so weit, diese reise ganz in der ordnung zu finden“.86 am ende bestätigten sich weder die befürchtungen der Täglichen Rundschau noch die sorgen rothschilds und der regierungen. die deutsche Presse hieß das monarchentreffen nicht gut, kritisierte den kaiser aber auch nicht offen. stattdessen überging sie das ereignis mit stillschweigen.8 dennoch hielt es bülow, der den kaiser nach england begleitete, für klug, in seinen gesprächen mit königin Victoria und ihren ministern einen defensiven ton anzuschlagen, wann immer das gespräch auf die anglophobie der deutschen Presse kam. für ihn bestand kein zweifel daran, dass die königin – wie er selbst – „präokkupiert [war] durch die sprache der deutschen Presse“.88 er gab sich zerknirscht über die attacken deutscher zeitungen gegen england, wie Victoria im anschluss an die unterredung in ihrem tagebuch notierte.89 auch in seinem gespräch mit sir francis bertie, dem stellvertretenden unterstaatssekretär im foreign office, gab bülow seine missbilligung der deutschen zeitungen zu Protokoll. er wies darauf hin, dass diese in keinem fall die ansichten der krone wider spiegelten;

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Vgl. Hale, Publicity, s. 198. könne man der Presse nicht klarmachen, fragte rothschild, „dass zu einer zeit, wo gerade so weittragende Verbindungen zwischen den beiderseitigen regierungen stattgefunden hätten, […] es kaum ‚in good taste‘ sei, sich in so anglophoben auslassungen“ zu ergehen?; aufzeichnung hatzfeldts, 13. november 1899, Pa-aa, geheimakten der botschaft london, 1899, bd. 1191. Tägliche Rundschau vom 16. november 1899, kopie in: Pa-aa, Preußen 1 nr. 1, nr. 0, bd. , r 3698. Vgl. Hale, Publicity, s. 198. aufzeichnung bülows, 2. november 1899, gP, bd. 1, nr. 398, s. 13–20 (s. 18). tagebucheintrag vom 23. november 1899, abgedruckt in: Buckle (hrsg.), letters, bd. 3, s. 23.

c) Pressepolitische Schwierigkeiten von Bülows Neutralitätskurs

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im gegenteil seien die angriffe auf england teilweise als innenpolitisch motivierte attacken gegen den kaiser und seine regierung zu verstehen.90 zur erleichterung bülows ging die zahl englandfeindlicher artikel in den deutschen blättern ab dem frühjahr 1900 zurück. das lag teilweise an den fortgesetzten bemühungen der Pressereferenten des auswärtigen amtes. lascelles bemerkte anfang märz in einem gespräch mit dem kaiser, er beobachte mit freude, dass einige deutsche zeitungen seit kurzem eine fairere sprache gegenüber england führten.91 zwei monate später berichtete lascelles über einen betont positiven artikel zu den deutsch-britischen beziehungen, der in der zeitung Die Post erschienen war, und fügte hinzu: „[t]he friendly tone of the article would appear to confirm the impression that efforts are being made, through the medium of the Press, to reconcile public opinion in germany to the policy at present pursued by the emperor in his relations with her majesty’s government.“92 Vor allem aber war das abklingen der anglophobie der deutschen zeitungen den entwicklungen auf dem südafrikanischen kriegsschauplatz zu verdanken. „the germans are becoming more reasonable“, unterrichtete der Times-korrespondent in berlin seine heimatredaktion im märz, als sich die britischen truppen nach der einnahme kimberleys mitte februar auf dem Vormarsch befanden.93 anfang Juni eroberten sie Pretoria. alles deutete auf einen sieg großbritanniens hin. mit dem ausbleiben von meldungen burischer siege verlor der krieg für deutsche redakteure an nachrichtenwert, zumal sich im sommer 1900 die aufmerksamkeit der Öffentlichkeit dem boxeraufstand in china und den damit verbundenen diplomatischen Verwicklungen zuwandte. der krieg in südafrika machte auf den titelblättern dem krieg in fernost Platz.9 Wie wenig einfluss die reichsleitung letztlich auf die berichterstattung und die kommentare der deutschen Presse hatte, wurde im spätherbst erneut deutlich, als der burenkrieg durch die propagandistisch geschickte europareise Präsident krügers plötzlich wieder schlagzeilen machte. nachdem der krieg militärisch entschieden war, versuchte die burische führung die europäische Öffentlichkeit für ihre sache zu mobilisieren und auf diesem Wege einfluss auf die diplomatie der großmächte zu gewinnen. ausführlich berichteten die deutschen blätter über den euphorischen empfang, der „ohm Paul“ in Paris bereitet wurde, wo er zweimal mit staatspräsident loubet zusammentraf. aus münchen kabelte der 90

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memorandum berties, 26. november 1899, tna, fo 800/10, bertie Papers, bl. 1–. Winzen hat darauf hingewiesen, dass bülow es – nicht nur – in diesem fall mit der Wahrheit nicht allzu genau nahm, da weniger die oppositionellen blätter als die organe der sammlungsparteien für die hetze verantwortlich waren; Winzen, Weltmachtskonzept, s. 219. der kaiser erwiderte darauf, bülow habe sich verdient gemacht „in his very difficult task of improving the tone of the Press“; lascelles an salisbury, 2. märz 1900, tna, fo 6/192, bl. 202–. lascelles an salisbury, 1. mai 1900, tna, fo 6/193, bl. 11–. saunders an moberly bell, 10. märz 1900, nia, moberly bell Papers. Hale, Publicity, s. 230.

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3. Der Burenkrieg

britische gesandte, die bayerische Presse kommentiere bereits begeistert die bevorstehende Weiterreise krügers nach deutschland. die zeitungen forderten die bevölkerung auf, mit dem burenpräsidenten sympathisierende Postkarten zu versenden, die an allen kiosken und in jedem zigarrenladen zu kaufen seien.9 Vor dem hintergrund dieser aufgeputschten erwartungen stieß die entscheidung des kaisers, krüger nicht zu empfangen, in der deutschen Öffentlichkeit auf wütenden Protest. außenpolitische rücksichtnahme auf england spielte bei dem entschluss ebenso eine rolle wie die sorge um ruhe und ordnung im innern.96 das echo in der Presse war jedoch verheerend. Von den politisch wichtigen blättern unterstützten lediglich die Kölnische, die Vossische und die National-Zeitung den regierungskurs.9 alle anderen – von den alldeutschen über die konservativen, nationalliberalen und fortschrittlichen blätter bis hin zum sozialdemokratischen Vorwärts – kritisierten die entscheidung in mehr oder weniger heftiger form. es war von einem „affront“, einem neuen „olmütz“, von einem „schandfleck für die deutsche ehre“, einem an der deutschen nation verübten „unrecht“ die rede. der Hannoversche Kurier stand nicht allein mit seiner forderung, die regierung solle im reichstag klarstellen, dass die zurückweisung krügers nicht mit blick auf englische empfindsamkeiten erfolgt sei. die Frankfurter Zeitung wollte wissen, warum der kaiser nach großbritannien reisen, aber nicht krüger empfangen könne, während das Berliner Tageblatt klagte, angesichts von krügers überwältigendem empfang in frankreich müsse sich jeder deutsche schämen. der Vorwärts schließlich sah sich durch die affäre in seiner erwartung bestätigt, dass es mit dem bürgerlichen staat zu ende gehe.98 fast zeitgleich publizierte das blatt eine artikelserie, in der das bild der britischen kriegführung in südafrika in den düstersten farben gemalt wurde.99 9

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„the bavarian Press“, bilanzierte der gesandte, „have so poisoned the minds of the public that there are but few who have anything to say in our favour […] i regret to say that the feeling of hatred against england appears to persuade all classes arising from jealousy + ignorance of the real cause of the boer War deliberately kept from them by the press“; drummond an salisbury, . dezember 1900, tna, fo 19/121. ein besuch krügers in berlin „wäre gleich bedeutend mit krieg gegen england“, notierte Wilhelm am rand einer depesche bülows vom 1. dezember 1900; gP, bd. 1, s. 0, fn. anfang Januar 1901 bemerkte der kaiser gegenüber dem britischen botschafter, eine audienz für krüger hätte den berliner mob derart aufgebracht „that there would have been demonstrations in the streets, and probably the embassy windows would have been smashed in which case he would have had to call out the troops to shoot the mob down“; lascelles an lansdowne, . Januar 1901, tna, fo 800/18, s. 2–. Vgl. Hale, Publicity, s. 232. Vorwärts nr. 281 vom 3. dezember 1900, Berliner Tageblatt nr. 619 vom 6. dezember 1899, Frankfurter Zeitung nr. 3 vom 13. dezember 1900, Hannoverscher Kurier zitiert nach Kreuzzeitung nr. 68 vom . dezember 1900, Deutsche Zeitung nr. 286 vom . dezember 1900; vgl. Hale, Publicity, s. 232–3. die serie trug den titel „das hunnentum in südafrika“ und folgte auf die Veröffentlichung einer reihe von briefen deutscher soldaten der boxerexpedition in china unter der Überschrift „briefe von den hunnen“ im oktober und november 1900; Vorwärts nr. 280 vom 1. dezember 1900.

c) Pressepolitische Schwierigkeiten von Bülows Neutralitätskurs

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aus der Presse verlagerten sich die Proteste vom 10. bis 12. dezember in den reichstag, wo sich der gerade zum kanzler ernannte bülow in der haushaltsdebatte – die auch das budget des auswärtigen amtes betraf – gegen dieselben Vorwürfe verteidigen musste, die in den tagen zuvor bereits in den zeitungen vorgebracht und gleichsam für den parlamentarischen gebrauch getestet worden waren. der führer der konservativen fraktion, friedrich Wilhelm graf zu limburg stirum, erklärte, das deutsche reich sei so machtvoll und stark, „dass es nicht rücksichten auf fremde empfindlichkeit nachzugeben braucht, wenn es das gefühl hat, dass es auf dem richtigen Weg ist“.100 der antisemit liebermann von sonnenberg, der keinen unterschied zwischen jüdischer und englischer durchtriebenheit erkennen konnte, behauptete, die reichsregierung habe sich in dem „kapitalistenkrieg“, dem „goldkrieg“ in südafrika keineswegs neutral verhalten, sondern einseitig england unterstützt. anders als das deutsche habe das französische Volk durch den empfang für krüger in Paris seinen „alten ruf der ritterlichkeit gewahrt“. der abgeordnete folgerte daraus, nur unter der devise „los von england!“ könne die deutsche ehre wieder hergestellt werden.101 am deutlichsten wurde der bezug zu den vorangegangenen diskussionen der Presse in den ausführungen des alldeutschen hasse, der am dritten debattentag zufrieden feststellte, fast die ganze deutsche Presse bis hin zum Berliner Tageblatt könne jetzt „als eine alldeutsche bezeichnet“ werden, da sie sich auf den standpunkt gestellt hatte, den sein Verband schon lange vertrete. hasse hatte den auftakt der reichstagsdebatte versäumt, weil er gemeinsam mit dem schriftleiter der Rheinisch-Westfälischen Zeitung, theodor reismann-grone, und einer gruppe alldeutscher funktionäre in den haag gereist war, um dort Präsident krüger zu versichern, sein Verband verurteile die außenpolitik der reichsregierung. in dieser einschätzung wisse man sich „getragen von der mehrheit des deutschen Volkes“, was – wie hasse später im reichstag begründete – „doch durch die deutsche Presse“ und auch die ausführungen fast aller seiner Vorredner „in diesem hohen hause“ bescheinigt werde.102 angesichts einer derart breit gefächerten front publizistischer und parlamentarischer kritiker hatte bülow keinen leichten stand. er verzichtete darauf, im reichstag zu erläutern, in welcher Weise eine kaiserliche audienz für krüger die deutsche neutralität beeinträchtigt hätte, und behauptete lediglich, die außenpolitik des reiches folge keineswegs englischen Vorgaben, renne aber auch nicht überall in der Welt gegen britische Windmühlenflügel an.103 am dritten debattentag konzentrierte er seinen gegenangriff auf die alldeutschen, deren lokale gliederungen in ganz deutschland Protestkundgebungen zu organisieren begannen. bülow präsentierte den regierungskurs als einzige alternative zu den offen100 101 102 103

stenberrt, 10. legislaturperiode, 2. sess., 10. dezember 1900, s. 13. ebd., 11. dezember 1900, s. 0. ebd., 12. dezember 1900, s. 69–0. Vgl. Hering, nation.; Kruck, geschichte; Wertheimer, Pan-german league, s. 1–. stenberrt, 10. legislaturperiode, 2. sess., 10. dezember 1900, s. 13–.

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3. Der Burenkrieg

sichtlich inakzeptablen Vorstellungen des Verbandes.10 Parallel dazu organisierten die Pressereferenten des auswärtigen amtes in der semi-offiziellen Presse eine kampagne gegen die alldeutschen. der Verband, hieß es in der Kölnischen Zeitung in reaktion auf einen „bubenhaften hetzartikel eines alldeutschen blattes“, mache das deutsche Volk zum gespött der ganzen Welt.10 die alldeutschen organe antworteten mit dem Vorwurf, das rheinische blatt werde von briten bestochen. die Leipziger Neuesten Nachrichten behaupteten, in den geheimen rechnungsbüchern von de beers mining company finde sich ein eintrag über 60 000 Pfund für „köln“. der chefredakteur der Deutschen Zeitung, friedrich lange, erklärte, wenn man am kiosk „die charakterlose“ verlange, erhalte man die Kölnische Zeitung.106 drei Wochen später vermerkte der britische gesandte in dresden in einem ausführlichen bericht über den zustand der öffentlichen meinung in sachsen, anteilnahme für die buren und ablehnung englands seien immer noch so weit verbreitet wie zu beginn des krieges. krügers ankunft in europa habe ein aufleben von symptomen akuter anglophobie verursacht: [P]erhaps the most curious fact of all is that neither the Press nor the public seem to attach any importance to the accuracy of their information as long as it accords with their preconceptions and desires. they have been accustomed to regard the boers as invincible and they therefore hail with acclamation the most obviously mendacious reports about british reverses, knowing them to be fabrications all the time.

in sachsen als heimatland des alldeutschen Verbandes und bollwerk des antisemitismus sei die öffentliche meinung besonders aufgebracht, meldete der gesandte. Viele Journalisten, die mit der innenpolitik der reichsregierung unzufrieden seien, nutzten bülows unpopuläre außenpolitik, um ihre Position zu stärken. das gelte neuerdings auch für teile der einstmals probritischen sozialistischen Presse, die im Verlauf des krieges immer stärker proburisch und antibritisch geworden sei und seit kurzem aus der Weigerung des kaisers, krüger zu empfangen, parteipolitisches kapital zu schlagen trachte.10 10 10

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ebd., 12. dezember 1900, s. 3–6. Kölnische Zeitung nr. 9 vom 1. dezember 1900. Vgl. auch Vossische Zeitung nr. 82 und 8 vom 13. und 1. dezember 1900; Berliner Neueste Nachrichten nr. 82 vom 13. dezember 1900. Leipziger Neueste Nachrichten nr. 302 vom 18. dezember 1900; Deutsche Zeitung nr. 290, 292, 293, 29, 298 vom 12., 1., 1., 16. und 21. dezember 1900; siehe auch stephen an lansdowne, 8. Januar 1901, tna, fo 21/6. Vgl. Hale, Publicity, s. 23. stephen an lansdowne, 8. Januar 1901, tna, fo 21/6. selbst bebel, dessen Partei eigentlich ein zusammengehen mit großbritannien begrüßte, hatte die „englische raubpolitik“ im transvaal kritisiert. er verurteilte „die schonungslose abweisung des alten krüger durch die reichsregierung auf das allerschärfste und allernachdrücklichste“, weil sie nach den durch die krügerdepesche von 1896 geweckten erwartungen den „anschein der treulosigkeit“ hervorrufe. Wenn der französische Präsident zeit habe, den burenpräsidenten zu treffen, dann müsse das auch dem deutschen kaiser möglich sein. ansonsten, so bebel, müsse man dem glauben schenken, was die amsterdamer zeitung kürzlich behauptet habe: „die deutschen fürchten nur gott und ihre großmutter“; stenberrt, 10. legislaturperiode, 2. sess., 11. dezember 1900, s. 22–.

c) Pressepolitische Schwierigkeiten von Bülows Neutralitätskurs

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nach diesen erfahrungen war der reichskanzler wenig erbaut, als er mitte Januar 1901 von Plänen des kaisers erfuhr, ans krankenbett seiner großmutter nach england zu reisen, die auf der isle of Wight im sterben lag.108 seine sorge vor einer neuerlichen Welle kritischer Presseberichte erwies sich als berechtigt. nachdem die deutsche Presse Wilhelms aufenthalt jenseits des kanals zunächst beharrlich totgeschwiegen hatte, brach nach der rückkehr des monarchen am . februar ein wahrer Proteststurm los. insbesondere die auszeichnung lord roberts, dem der kaiser während seines aufenthalts in großbritannien den schwarzen adlerorden verliehen hatte, ohne seinen kanzler zu informieren, empfand bülow als „schlag ins gesicht der öffentlichen meinung und der stimmung des landes“.109 die deutsche Presse, die roberts seit monaten als eine art britischen herzog von alba darstellte, war „simply furious“, wie ein englischer berlin-korrespondent an seine heimatredaktion meldete.110 zudem nahmen die zeitungen von rechts bis links dem kaiser übel, dass er nicht einmal zur feier seines geburtstags am 2. Januar nach deutschland zurückgekehrt war.111 derart weit verbreitet war die kritik an Wilhelm, dass ein findiger geschäftsmann aus Österreich dem chef des geheimen zivilkabinetts anbot, „aus allen tagesjournalen, fach- und Wochenschriften des in- und auslandes“ jene zeitungsausschnitte zu sammeln und dem hof zuzusenden, „welche in despectirlicher Weise die handlungen und regierungs-acte seiner majestät besprechen und welche die Persönlichkeit seiner majestät berühren“.112 alldeutsche blätter wie die Leipziger Neuesten Nachrichten konstatierten, zwischen dem kaiser und seinem Volk habe sich eine „kluft“ geöffnet. unter der Überschrift „o kaiser, kehre um!“ musste Wilhelm, dem sein zivilkabinett ein exemplar des artikels vorlegte, in dem sächsischen blatt lesen: so ist es denn geschehen: trotz aller offenheit, mit der die unabhängige deutsche Presse der stimmung des Volkes ausdruck gab. trotz des eisigen schweigens, mit dem sie an all den bunten festlichkeiten in england vorüberging, hat sich zeichen auf zeichen dafür gehäuft, daß kaiser Wilhelm auf unwillkommenen Wegen einem ziel entgegenstrebt, das sein Volk nicht kennt und nicht billigt. [randbemerkung des kaisers: „ist mir völlig egal!“] […] gewiß hat graf bülow recht, wenn er die zweckmäßigkeitsgründe der realpolitik zur herrin aller empfindungen macht – aber dennoch ruht da unten irgendwo,

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zumal er alleingänge seines monarchen im hinblick auf britische bündnisangebote fürchtete; siehe Winzen, Weltmachtkonzept, s. 296–303. Bülow, denkwürdigkeiten, bd. 1, s. 08. Vgl. die entsprechenden nummern der Witzpresse, etwa Kladderadatsch bd. , nr. 0 vom 6. 10. 1901. saunders an moberly bell, 23. februar 1901, nia, moberly bell Papers; vgl. lascelles an lansdowne, 1. februar 1901, tna, fo 6/120, bl. 100–3. siehe auch Rosenbach, transvaal, s. 292–3. der explizite Verweis auf roberts als herzog von alba von südafrika findet sich etwa im Schwäbischen Merkur nr. 6 vom . oktober 1901. lascelles an lansdowne, 16. februar 1901, tna, fo 800/128, bl. 6–. alexander Weigl („erstes österreichisch behördlich concessionirtes bureau für zeitungsausschnitte und Polizeinachrichten“) an lucanus, 2. februar 1901, gsPk, i. ha, rep. 89 (geheimes zivilkabinett), nr. 123, bl. 2–3.

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3. Der Burenkrieg

tief in der seele des Volkes, ein reines, goldschimmerndes metall, das echt und hohen Werthes ist, dasselbe metall, das sonst sich ummünzt in königstreue und Vaterlandsliebe. und wer dieses metall verachtet, der thut nicht wohl daran. allzu hart ist die belastung, der heute das deutsche herz unterworfen wird, und nicht die nörgler sind es, die dem throne nahen und flehen: o kaiser, kehre um. [kaiser: „esel“].113

stärker als derartige ausführungen in der alldeutschen Presse beunruhigte die reichsführung, dass auch das hausblatt der kaisertreuen preußischen Junker, die Kreuzzeitung, vorsichtig aber bestimmt mahnte, Wilhelm dürfe über familienbindungen seine nationalen Pflichten nicht vergessen. er habe als deutscher kaiser eine größere Verantwortung als jeder monarch in einer parlamentarischen demokratie. denn die macht und stärke des herrschers in deutschland beruhe auf der absoluten harmonie zwischen souverän und Volk und der Überzeugung der untertanen, dass ihr kaiser die inspiration für sein tun aus dem herzen des Volkes beziehe. die ereignisse der zurückliegenden Woche und die verbreitete ablehnung, auf die Wilhelms lange reise nach großbritannien in der deutschen Öffentlichkeit gestoßen sei, hätten zweifel aufkommen lassen, ob diese einigkeit nicht erodiere und sich ein graben zwischen souverän und Volk aufzutun beginne.11 bülow blieb nichts übrig, als schadensbegrenzung zu betreiben und eine weitere eskalation zu verhindern. er beauftragte den englandreferenten im auswärtigen amt, lichnowsky, eine liste mit argumenten für die aufrechterhaltung freundschaftlicher beziehungen zu england zusammenzustellen, die von den Pressereferenten des amtes in den „erreichbaren blättern“ platziert werden sollten.11 außerdem sprach der kanzler, wie er dem kaiser am 1. februar schrieb, mit dem preußischen innenminister und dem berliner Polizeipräsidenten über die journalistischen auswüchse der gegenwärtigen englandhetze. Von einer förmlichen erwiderung auf die kritik in form eines offiziösen artikels im reichsanzeiger riet er allerdings ab, um der publizistischen „fronde“ nicht material für neue Polemiken in die hände zu spielen.116

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Leipziger Neueste Nachrichten vom 10. februar 1901, kopie in: gsPk, i. ha, rep. 89 (geheimes zivilkabinett), nr. 132, bl. 92–3. Kreuzzeitung nr. 66 vom 8. februar 1901. der artikel wurde für so wichtig erachtet, dass man ihn nicht nur in den meisten deutschen zeitungen zitierte, sondern auch in den akten des britischen foreign office aufbewahrte. lascelles bemerkte, die kritik der Kreuzzeitung sei umso bemerkenswerter als „they are by tradition the monarchical party in Prussia and do not habitually suffer themselves to be swayed by the tide of popular sentiment“; lascelles an lansdowne, 1. februar 1901, tna, fo 6/120, bl 100–3. siehe lichnowskys memorandum „gedanken zur Verwertung in der Presse über unser Verhältnis zu england“, 8. februar 1901, Pa-aa, deutschland nr. 18 secr., bd. 2, r 218; mit bülows randbemerkungen abgedruckt in Winzen, Weltmachtskonzept, s. 312. bülow an Wilhelm ii., 1. februar 1901, zitiert in Lerman, chancellor, s. 89.

d) Der doppelbödige Charakter der deutschen Pressepolitik

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d) Der doppelbödige Charakter der deutschen Pressepolitik es wäre falsch zu glauben, die deutsche Pressepolitik während des burenkriegs sei rein defensiv angelegt gewesen. Von beginn an war sie ambivalent, doppelbödig. neben dem bemühen, die antienglischen „Presstreibereien“ einzudämmen, versuchte die reichsführung, die öffentliche anglophobie innenpolitisch und diplomatisch auszuschlachten.11 anfang oktober 1899 ließ bülow die deutsche botschaft in london anweisen, sie solle dem britischen kabinett deutlich machen, wie schwierig die beibehaltung des neutralitätskurses für die reichsregierung sei, zumal „nach den samoawirren des frühjahrs“,118 als die zukunft der pazifischen inselgruppe unter tatkräftiger mitwirkung von tirpitz’ Propagandamaschinerie im reichsmarineamt wochenlang die titelseiten der deutschen Presse beherrscht hatte.119 ein weiteres entgegenkommen gegenüber london sei unmöglich, solange die samoafrage nicht in einer „für unsere öffentliche meinung annehmbaren Weise“ geregelt sei. eine deutsche regierung, die ohne greifbare und ausreichende englische gegenkonzessionen sich zu einer derartigen nachgiebigkeit bereit finden ließe, „würde weder von der deutschen öffentlichen meinung ertragen noch von seiner majestät gehalten werden“.120 noch deutlicher wurde das bestreben, die Presseattacken gegen england in den dienst deutscher regierungspolitik zu nehmen, bei der anfang 1900 anstehenden novelle der flottengesetzgebung, als sich die reichsführung darum bemühte, ein skeptisches Parlament von der notwendigkeit eines beschleunigten schlachtflottenbaus zu überzeugen.121 zwar konnten die deutsch-britischen beziehungen in der offiziellen flottenpropaganda keine heraus gehobene rolle spielen, um in england kein misstrauen zu schüren. doch wusste man genau, wie sehr die flottenbegeisterung von der grassierenden anglophobie während des burenkrieges profitierte. als daher am 28. dezember 1899 der deutsche Postdampfer Bundesrath von der englischen marine gestoppt, unter dem Verdacht, kontrabande zu transportieren, festgehalten und durchsucht wurde, kabelte der außenminister unverzüglich an sein Pressebüro, der kaiser wünsche, die angelegenheit mit energie und nachdruck für die flottenmaßnahme zu nutzen – freilich ohne „unkluge bitterkeit und schärfe gegen england“, wie es 11

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schon vor beginn des krieges versuchte bülow, „die (effektive oder vermeintliche) zwangslage“ der briten auszunutzen und „mancherlei zwischen uns und england schwebende angelegenheiten – und vor allem die samoafrage – jetzt zu einem befriedigenden abschluss zu bringen“; bülow an aa, 21. september 1899, gP, bd. 1, s. 396, fn. Vgl. Kennedy, tangle, s. 18–20. bülow an aa, 2. oktober 1899, gP, bd. 1, nr. 38, s. 398. anlass war die intervention britischer und amerikanischer marineeinheiten gegen den von deutschland unterstützten kandidaten in den thronstreitigkeiten auf samoa; vgl. Kennedy, rise, s. 238; Hale, Publicity, s. 192. bülow an aa, 2. oktober 1899, gP, bd. 1, nr. 38, s. 398. siehe Kennedy, tirpitz; Steinberg, deterrent.

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d) Der doppelbödige Charakter der deutschen Pressepolitik

etwas kryptisch hieß.122 nachdem im Verlauf der folgenden tage zwei weitere deutsche schiffe, die Herzog und die General, einer ähnlichen behandlung unterzogen worden waren, ließ bülow durch Wtb verbreiten, die englische regierung tue gut daran, stärker als bisher auf die deutschen nationalen empfindungen rücksicht zu nehmen, wenn ihr daran gelegen sei, die beziehungen mit deutschland nicht zu untergraben.123 der kaiser trieb die angelegenheit weiter voran, indem er ein schreiben an den könig von Württemberg durch Wtb publizieren ließ. darin hieß es, er hoffe, die ereignisse der vergangenen tage hätten immer größere kreise davon überzeugt, dass nicht nur deutschlands interessen, sondern auch deutschlands ehre auf fernen meeren verteidigt werden müssten und dass deutschland zu diesem zweck stark und machtvoll zur see sein müsse.12 die lobbyisten des schlachtflottenbaus nahmen die Vorlage des monarchen und seiner regierung in berlin dankbar auf. in bayern nutzten kolonial- und flottenverein die allgemeine empörung über das schicksal der drei dampfer, um für die flottenrüstung zu werben, wie der britische gesandte aus münchen berichtete.12 sein kollege in dresden klagte, die attacken gegen die britische regierung in der sächsischen Presse seien nicht einmal von grundkenntnissen des Völkerrechts getrübt. das über die deutschen schiffe verhängte embargo werde als bewusste und arrogante herausforderung des deutschen reiches, als brutale Verletzung internationalen rechts und akt der freibeuterei interpretiert, der darauf ziele, den gesamten deutschen handel mit südafrika zu vernichten, und eine bedrohung der handelsinteressen aller nicht-englischen staaten darstelle. inwieweit die reichsregierung direkt für die agitation verantwortlich zu machen war, ließ der diplomat zwar offen. er hielt es aber für ausgemacht, dass die Wilhelmstraße die flottenpropagandisten zumindest gern gewähren ließ, um vor den reichstagsdebatten über die marinevorlage das öffentliche augenmerk auf das Übergewicht britischer seemacht zu richten.126 crowe im foreign office wurde später deutlicher. „the incident“, notierte er einige monate nach den ereignissen im rückblick, „was carefully, and not very honourably, made, provoked, and enlarged for the very purpose of creating the fever heat of anti-english feeling which was considered necessary to pass the navy bill through the reichstag.“12 122 123 12 12 126

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bülow an hammann und esternaux, 31. dezember 1899, Pa-aa, deutschland nr. 138, bd. 12, r 2239. Wolff’s bureau, . Januar 1900. ebd., 9. Januar 1900. drummond an salisbury, . und 2. Januar 1900, tna 19/121. „Whether the german government sympathize with this sentiment or not, it seems to be generally assumed that they will be loath to discourage any agitation which draws attention just now to the preponderance of the naval power of britain over germany in view of the navy bill about to be laid before the reichstag“; stephen an salisbury, 6. Januar 1900, tna, fo 21/6. crowe an seine mutter, . Juli 1900, bod, ms. eng d. 2900, crowe Papers, bl. 10.

d) Der doppelbödige Charakter der deutschen Pressepolitik

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tatsächlich hatte der kaiser seinen reichskanzler gedrängt, auf die aktuelle stimmung zu reagieren und die Vorlage früher als von tirpitz ursprünglich geplant im reichstag einzubringen. in seiner argumentation wurde die ambivalenz der deutschen flottenpropaganda deutlich, die zwischen berechnender manipulation der Öffentlichkeit und der ängstlichen sorge vor deren möglicherweise unkalkulierbaren folgen schwankte. auf der einen seite wollte Wilhelm die – nicht zuletzt auf sein betreiben – aufgeladene atmosphäre nutzen und einen „ableiter“ für die stark wachsende spannung schaffen „auf einem Wege, auf welchem der Patriotismus sich am nützlichsten für unser land betätigen kann“. der reichstag befinde sich in einer zwangslage zwischen krone, bundesrat und Volk, das immer stürmischer nach der flottenvorlage verlange. auf der anderen seite fürchtete der kaiser, der unmut der bevölkerung könne sich über kurz oder lang „mit elementarer gewalt“ bahn zu brechen versuchen. das nächstliegende seien „Volksversammlungen, Protestversammlungen und noch flegelhaftere angriffe gegen england und die königin persönlich“. das, so der kaiser, würde „unsere Verhandlungen, die dampfer betreffend, wesentlich stören und die engländer eventuell bei weiteren schlappen gegen uns zum äußersten bringen“.128 die Pressepolitik der reichsregierung während des burenkrieges war von einer seltsamen zwiespältigkeit geprägt. auf der einen seite spielte der krieg in südafrika der regierung reichhaltiges material für ihre flottenpropaganda in die hände. auf der anderen seite war sie ängstlich darauf bedacht, dass die anglophobie der deutschen bevölkerung in großbritannien keine gegenreaktion hervorrief und misstrauen schürte. selten wurde diese ambivalenz spürbarer als im herbst und Winter 1901 bei der reaktion der reichsführung auf chamberlains rede in edinburgh. Vertreter des außenpolitischen apparates der Wilhelmstraße von staatssekretär richthofen bis zu geheimrat holstein rieten bülow, den konflikt nicht eskalieren zu lassen, mit den bewährten methoden bürokratischer Pressepolitik für eine beruhigung des tonfalls der deutschen zeitungen zu sorgen und den britischen kolonialminister auf keinen fall offen im reichstag zu kritisieren. in dieselbe richtung zielten die ratschläge des berlin-korrespondenten der Kölnischen Zeitung, Justizrat fischers.129 aus london warnte metternich den reichskanzler, welchen schaden in den beziehungen zu großbritannien er herbeiführen würde, wenn er sich „zum champion der öffentlichen meinung deutschlands“ mache.130 hammann hielt eine zurechtweisung chamberlains im reichstag allenfalls dann für vertretbar, wenn bülow sich bei gleicher gelegenheit dazu verstehen könnte, „ein scharfes Wort gegen die 128 129

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kaiser an hohenlohe, 10. Januar 1900, abgedruckt in: Hohenlohe, denkwürdigkeiten, s. 6. tagebuchaufzeichnung holsteins vom 11. Januar 1902, abgedruckt in: Holstein, Papiere, bd. , nr. 92, s. 220; vgl. auch die darstellung in einem brief an seinen cousin im november 1902, abgedruckt in: Holstein, lebensbekenntnis, s. 21. metternich an bülow, 19. november 1901, abgedruckt in: Holstein, Papiere bd. , nr. 8, s. 21.

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3. Der Burenkrieg

vergiftende Wirkung unserer Witzblätter mit ihren z. t. schandbaren karikaturen, besonders gegen den englischen könig, einfließen zu lassen“. auch in deutschland wachse die missstimmung gegen diese „hetzarbeit“, und es sei zu befürchten, dass dem staatsmann, der es unterließe, dieser „störung seiner kreise“ entgegenzutreten, später Vorwürfe von den „eigenen landsleuten und teilnehmern an dem gegenwärtigen treiben“ gemacht würden.131 bülow schien anfangs mit diesen ansichten überein zu stimmen. die semioffizielle Presse wurde instruiert, einer entschärfung der gegen chamberlain gerichteten attacken das Wort zu reden. die sprachregelung lautete: die öffentliche empörung angesichts der taktlosen bemerkungen des britischen kolonialministers über die deutsche armee von 180 sei verständlich, dürfe aber nicht in feindschaft gegenüber england ausarten.132 ihren deutlichsten ausdruck fand die linie in einem artikel der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 22. november, in dem es unter anderem hieß, „die aus akademischen kreisen hervorgegangenen kundgebungen verletzten nationalgefühls“ bedürften keiner „amtlichen aufklärung oder belehrung“. es sei jedoch ungerechtfertigt, die außerhalb des unterhauses von einem einzigen minister vorgebrachten Äußerungen der englischen regierung und dem englischen Volk anzulasten. die forderungen nach diplomatischen konsequenzen könne man sich nicht zu eigen machen. derartige schritte seien unnötig, weil „das ansehen, das sich die deutsche armee sowohl durch manneszucht und menschlichkeit wie durch tapferkeit in der ganzen gesitteten Welt erworben“ habe viel zu fest stehe, „als dass es durch falsche und unpassende Vergleiche berührt werden könnte“.133 Viele deutsche zeitungen schwenkten daraufhin auf den offiziellen kurs ein. theodor schiemann schrieb in der Kreuzzeitung, dass „bei nüchterner Prüfung des Wortlauts der chamberlainschen rede jedermann zugeben müssen wird, dass keinerlei notwendigkeit vorlag, sie auf uns allein zu beziehen“. im ausland könne man deswegen auch nicht recht verstehen, „worüber wir uns entrüstet haben“.13 hans delbrück urteilte, es sei „sehr verkehrt“ gewesen, „wenn in zeitungen und manchen Versammlungen gefordert wurde, unser auswärtiges amt hätte einschreiten und bei der englischen regierung Protest erheben sollen“.13 die Kölnische Volkszeitung identifizierte die alldeutschen als urheber der aufregung, denen es gelungen sei, politisches rabaukentum als festen be131 132

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aufzeichnung hammanns vom 2. november 1901, Pa-aa, england nr. 8, bd. 16, r 68. Berliner Lokal-Anzeiger nr. 36 vom 1. november 1901; Berliner Neuesten Nachrichten nr. 226 vom 23. november 1901; kopie in: Pa-aa, england nr. 8, bd. 16, r 68; Kölnische Zeitung nr. 86, 900, 908 vom 8., 1. und 20. november 1901; siehe auch buchanan an lansdwone, 20. november 1901, abgedruckt in: bd, bd. 1,2, nr. 32, s. 21. Norddeutsche Allgemeine Zeitung nr. 2 vom 22. november 1901; kopie in: tna, fo 2/9. Kreuzzeitung nr. 2, 2. november 1901, abgedruckt in: Schiemann, deutschland, s. 38–9. Preussische Jahrbücher 106 vom 2. november 1901, s. 61.

d) Der doppelbödige Charakter der deutschen Pressepolitik

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standteil des politischen systems zu etablieren.136 selbst chirol, der in diesen Wochen von holstein eingeladen wurde, den 1896 wegen der krügerdepesche abgebrochenen kontakt wieder aufzunehmen, erkannte die pressepolitischen entspannungsbemühungen der reichsregierung an.13 bis mitte dezember setzte sich in den meisten zeitungen die regierungssicht durch, dass eine fortsetzung der „Pressehetze“ lediglich frankreich und russland in die hände spiele und viele der gräuelgeschichten über britische untaten in südafrika auf fälschungen beruhten.138 „the ‚chamberlain affair‘ is losing its attraction“, schrieb holstein erleichtert an chirol.139 bülow selbst betrachtete sein Pressemanagment in dieser angelegenheit rückblickend als erfolg. Jedenfalls wies er später seinen Pressechef an, ihn auch künftig darauf aufmerksam machen zu lassen, wann es angezeigt erscheine, „beginnenden stürmen in der Presse“ wie bei der „chamberlain-rede gegen unsere armee […] rechtzeitig durch ein kurzes offenkundig inspiriertes Entrefilet entgegenzutreten“.10 Wer geglaubt hatte, damit sei die angelegenheit beendet, sah sich getäuscht. in der reichstagsdebatte über den haushalt des auswärtigen amtes erklärte bülow am 8. Januar 1902, es sei durchaus begreiflich, wenn in einem Volke, das mit seinem ruhmreichen heere so innig verwachsen ist, wie das deutsche Volk […] das allgemeine gefühl sich auflehnte gegen den Versuch und selbst den schein, den heroischen charakter und die sittliche grundlage unserer nationalen einheitskämpfe zu entstellen. das deutsche heer steht aber viel zu hoch und sein Wappenschild ist zu blank, als dass es durch schiefe urteile berührt werden könnte! Von so etwas gilt, was friedrich der große einmal sagte, als man ihm davon sprach, dass jemand ihn und die preußische armee angegriffen hätte: ‚laßt den mann gewähren’, sagte der große könig, ‚und regt euch nicht auf, er beißt auf granit.’11

Warum der reichskanzler trotz des erfolgs seiner Pressepolitik doch noch zum öffentlichen gegenschlag gegen den britischen kolonialminister ausholte, blieb auch seinen engen mitarbeitern unklar und ist bis heute strittig.12 holstein vermutete zunächst, es sei der gedanke gewesen, „dass dadurch wieder für eine zeitlang jede annäherung an england unmöglich wird“.13 kurz darauf neigte 136 13 138

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Kölnische Volkszeitung nr. 1108 vom 12. dezember 1901. chirol an holstein, 23. november 1901, abgedruckt in: Holstein, Papiere, bd. , nr. 86, s. 21; ähnlich auch buchanan an lansdowne, 6. dezember 1901, tna, fo 2/9. Vgl. Frankfurter Zeitung nr. 328 vom 26. november 1901; Berliner Tageblatt nr. 60 vom 28. november 1901; Berliner Neueste Nachrichten nr. 0 vom 23. november 1901. siehe auch Hale, Publicity, s. 28–9. holstein an chirol, 11. dezember 1901, abgedruckt in: Holstein, Papiere, bd. , nr. 89, s. 21. bülow an hammann, o. d. (dez. 1902), in: ba lichterfelde, nl 2106, otto hammann, 1/, bl. . Penzler (hrsg.), reden, bd. 1, s. 22– (s. 22). hammann hatte noch kurz zuvor versucht, den kanzler von dieser rede abzubringen; vgl. seine geheime aufzeichnung für bülow, . Januar 1902, ba lichterfelde, nl 2106, otto hammann, 1/. tagebuchaufzeichnung holsteins vom 11. Januar 1902, abgedruckt in Holstein, Papiere, bd. , nr. 92, s. 220. diesen aspekt betont Winzen, Weltmachtkonzept, s. 38–8.

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3. Der Burenkrieg

er jedoch zu der ansicht, bülow sei „aus gründen innerer Politik, d. h. der Popularität“ zu seinen bemerkungen im reichstag veranlasst worden.1 aus dem blickwinkel der frage nach dem Verhältnis von Öffentlichkeit und diplomatie ist der umstand entscheidend, dass bülow die negativen auswirkungen einer als allzu konziliant interpretierbaren entgegnung auf die deutsche Öffentlichkeit in Parlament und Presse für wichtiger hielt als mögliche diplomatische Verwicklungen mit england. in gewissem sinne, schrieb er später an metternich, sehe er britische Presse-attacken auf seine Person sogar als „eine nicht unerwünschte Quittung darüber, dass ich eben nicht die geschäfte des auslands besorge“.1 schon mitte november hatte bülow den botschafter in einem geheimen erlass darauf hingewiesen, dass chamberlains rede in deutschland „sehr böses blut“ gemacht und eine „weite kreise erfassende protestierende bewegung“ hervorgebracht habe. diese stimmung werde auch im reichstag zum ausdruck kommen. als reichskanzler sei er dann genötigt, „die taktlose exemplifizierung chamberlains auf die deutschen kriegstaten 180/1 deutlich und scharf zurückzuweisen“. metternich solle die „leitenden kreise“ in england auf entsprechende Äußerungen vorbereiten.16 zwölf tage später wiederholte er, kein minister könne „die öffentliche meinung des eigenen landes, wo es sich um eine Verletzung berechtigter nationaler und militärischer empfindungen handelt, als quantité négligeable betrachten“. das gelte für die reichsleitung ebenso wie für das englische kabinett, „welches von jeher auf die öffentliche meinung und daraus sich ergebende momentane strömungen ganz besondere rücksicht“ nehme.1 bülows fixierung auf die „öffentliche meinung“ erscheint umso verständlicher, wenn man sich seine schlechten erfahrungen bei der vorausgegangenen haushaltsdebatte im dezember 1900 vergegenwärtigt, als er, mit Vorwürfen wegen der absage des krügerbesuchs konfrontiert, im reichstag keine gute figur abgegeben hatte. nahm man die heftigkeit des Pressesturms zum maßstab für die zu erwartenden anfeindungen im Parlament, so standen diesmal noch stärkere unwetter zu befürchten. der reichskanzler kannte die begrenzten möglichkeiten bürokratischer Presselenkung mittlerweile gut genug um zu wissen, dass auf die im dezember eingetretene Windstille im blätterwald kein Verlass war; der Wirbel von attacken gegen england und seitenhieben auf die eigene 1 1

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tagebuchaufzeichnung holsteins vom 1. Januar 1902, abgedruckt in: Holstein, Papiere, bd. , nr. 9, s. 223. dieser ansicht ist auch Fesser, bülow, s. 8. eine bedeutung, der nachzugehen die mühe lohnen würde, so bülow weiter, hätten solche angriffe nur „insoweit als ihr ursprung […] nicht ausschließlich in england, sondern auch in deutschland liegt“; bülow an metternich, 13. märz 1902, Pa-aa, england nr. 8 secretissima, r 2; ähnlich bülow an hammann, 1. oktober 1902, ba lichterfelde, nl 2106, otto hammann, 1/. geheimer erlass bülows an metternich, 1. november 1901, zitiert nach Winzen, Weltmachtskonzept, s. 3. bülow an metternich, 26. november 1901, gP, bd. 1, nr. 0, s. 196. Ähnlich bülows spätere Äußerung gegenüber dem britischen thronfolger; lascelles an lansdowne, 31. Januar 1902, abgedruckt in bd, bd. 1, s. 21–2.

d) Der doppelbödige Charakter der deutschen Pressepolitik

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regierung konnte jederzeit aufs neue losbrechen.18 bülow wollte sicher gehen, im reichstag die initiative zu behalten und nicht wieder in die defensive gedrängt zu werden. daher arrangierte er eine anfrage des konservativen abgeordneten graf stolberg, „um nicht einer sonst zu gewärtigenden viel unangenehmeren interpellation, etwa von alldeutscher seite, rede stehen“ zu müssen.19 im hinblick auf die öffentliche Wirkung in deutschland ging bülows kalkül auf. die zurückweisung chamberlains wurde von abgeordneten aller fraktionen bis hin zur sozialdemokratie enthusiastisch begrüßt.10 bülow erhielt sogar die gelegenheit, sich als besonnener staatsmann zu präsentieren, der über das ziel hinaus schießender kritik entgegentrat. die chance eröffnete sich, als liebermann von sonnenberg von der rednertribüne des reichstags wiederholte, was in großen teilen der deutschen Presse inzwischen allgemeingut war: die gleichsetzung der englischen armee mit „räuberbanden und diebesgesindel“ und die Verunglimpfung des britischen kolonialministers, welcher „der verruchteste bube [sei], der gottes erdboden schändet“. der kanzler erwiderte darauf, er hoffe, „dass sich nicht die gewohnheit einbürgern möge, von der tribüne des deutschen reichstags aus fremde minister zu beschimpfen“.11 der einzige ernsthafte Vorwurf, gegen den bülow sich zu verteidigen hatte, bestand in der Vorhaltung des nationalliberalen ernst bassermann, die regierung habe zu lange geschwiegen und es versäumt, der Presse und der öffentlichen meinung in deutschland den rechten Weg zu weisen, wodurch die affäre erst aus dem ruder gelaufen sei.12 bassermann griff damit ein argument auf, das seit einigen Wochen in deutschen zeitungen und Witzblättern variiert wurde. zum beispiel hatte die Rheinisch-Westfälischen Zeitung bemerkt, die chamberlain-affäre beweise wieder einmal, dass die neue regierung die öffentliche meinung nicht anführe, wie zu zeiten bismarcks, sondern ihr lahm hinterher hinke.13 auch die zeichner des Kladderadatsch hatten sich darüber mokiert, dass der reichskanzler durch die Norddeutsche Allgemeine Zeitung erst „pünktlich nach beendigung des krawalls“ stellung bezogen habe (abbildung ). bülow rechtfertigte sich mit der behauptung, er habe keinen grund zum eingreifen gesehen, da sich die deutsche Öffentlichkeit richtig verhalten habe. scheinheilig fügte er hinzu: „unsere Presse und unsere öffentliche meinung

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Vor diesem hintergrund erscheint es nicht plausibel, dass Winzen bülows berufung auf die öffentliche meinung für bloß vorgeschoben hält; Winzen, Weltmachtskonzept, s. 36–. das meldete jedenfalls der österreichische botschafter nach einem gespräch mit Wilhelm ii. nach Wien; szögyenyi an goluchowski, 1. Januar 1902, zitiert ebd., s. 392, fn. 90. Vgl. die redebeiträge des konservativen grafen stolberg-Wernigerode und des sozialdemokraten südekum am 8. Januar, des zentrumspolitikers bachem und des freisinnigen richter am 9. Januar sowie des nationalliberalen bassermann am 10. Januar 1902, in: stenberrt, 10. legislaturperiode, 2. sess., s. 3206 ff., 3210 ff., 322 ff., 323 ff., 326 ff. ebd., s. 328–9. ebd., s. 326. Vgl. auch die entsprechenden kommentare in der Kölnischen Volkszeitung, beide zitiert in: Daily Mail vom 2. november 1901.

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3. Der Burenkrieg

Abbildung 7: Kladderadatsch Bd. 54, Nr. 48, 1. Dezember 1901.

e) Die Deutschlandberichterstattung der britischen Presse bis 1901

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müssten auf einer niedrigen stufe stehen, wenn sie in fragen der nationalen ehre des leitmotivs, der Parole von oben bedürften.“1

e) Die Deutschlandberichterstattung der britischen Presse bis 1901 so wunschgemäß für bülow die aufnahme seiner reichstagsauftritte in der deutschen Öffentlichkeit ausfiel, so ungelegen kamen ihm die reaktionen in england. chamberlain entgegnete vier tage später in einer ansprache vor Juwelieren in birmingham, er habe kein einziges Wort zurückzunehmen: „[W]hat i have said i have said. i withdraw nothing. i qualify nothing. i defend nothing. … i do not want to give lessons to a foreign minister and i will not accept any at his hands. i am responsible only to my own sovereign and to my countrymen.“1 das waren Worte, die der britischen Presse gefielen. mit ausnahme des Manchester Guardian, der Daily News und des Daily Chronicle ergriffen alle führenden blätter – egal ob liberal oder konservativ – für den kolonialminister Partei. der konservative Daily Telegraph pries chamberlains „sentences of clear steel“ als „worthy of england“, während die liberale Westminster Gazette versicherte, die briten fühlten sich nicht weniger mit der ehre ihrer armee verbunden als die deutschen.16 die einheitsfront der ablehnung überraschte umso mehr, als die britische Presse in den vorangegangenen drei bis vier Jahren ausgesprochen positiv und freundlich über deutschland berichtet hatte. Vergessen schienen die zeiten als man den kaiser als „William the Witless“ oder „bumptious bill of berlin“ verspottet hatte.1 Vor dem hintergrund weit verbreiteter internationaler kritik am burenkrieg und ständiger gerüchte über mögliche antibritische bündniskonstellationen war man in london erleichtert über die neutralitätspolitik der reichsregierung. die offizielle Position der Wilhelmstraße und nicht die wachsende anglophobie der deutschen Öffentlichkeit bestimmten die berichterstattung. anlässlich des kaiserlichen besuchs in Windsor im november 1899 waren viele zeitungen derart eifrig um die herausstellung der nähe des deutschen monarchen zu england bemüht, dass alfred spender mahnte, man solle Wilhelm durch allzu beflissene lobpreisungen vor der deutschen Öffentlichkeit nicht in Verlegenheit bringen.18 Ähnlich wurde auch in den anderen wichtigen zeitungen die antibritische stimmung in deutschland zwar nicht völlig verschwiegen, doch als nachrangig gegenüber den guten beziehungen zur kaiserli-

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stenberrt, 10. legislaturperiode, 2. sess., 10. Januar 1902, s. 3280. zitiert nach Times vom 13. Januar 1902. Westminster Gazette vom 9. Januar 1902; Daily Telegraph vom 13. Januar 1902. die erste bezeichnung stammt aus der Daily Mail vom 1. august 1896, die zweite aus Bell, life, s. 212; siehe auch Reinermann, kaiser, s. 180–23. Westminster Gazette vom 1. november 1899.

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3. Der Burenkrieg

chen regierung dargestellt.19 zugleich bemühten sich britische Politiker und diplomaten, den gästen aus berlin deutlich zu machen, für wie unwichtig sie die englandhetze in der deutschen Presse hielten. balfour fand, bülow sei „unnecessarily apologetic about the german press“160, während bertie versicherte, die englische regierung messe Verunglimpfungen durch die Presse keine große bedeutung bei: in this country we [do] not care what the newspapers [say]. We [are] accustomed to our actions and motives being misrepresented. […] englishmen, generally, [regard] the bickerings between germany and england in the press and elsewhere as in the nature of family squabbles which are carried on with great heat, but disappear in face of a common danger.161

die positive berichterstattung über die reichsregierung und den deutschen monarchen überdauerte die Wende des kriegsglücks in südafrika im frühjahr 1900. selbst Wilhelms rhetorische entgleisung in der so genannten „hunnenrede“ anlässlich der Verabschiedung der zur niederschlagung des boxeraufstands nach china entsandten deutschen matrosen im Juli 1900 wurde in der englischen Presse zurückhaltend, ja mitunter zustimmend kommentiert. obwohl die rede in großbritannien anders als in deutschland dank des berichts von reuters berlin-korrespondenten im Wortlaut bekannt war, gab es kaum kritische stimmen.162 der Daily Telegraph urteilte sogar, der kaiserliche befehl, kein Pardon zu geben, wäre – wenn er denn wirklich erteilt worden sei – „perhaps the only formula which asiatics understood“.163 ihren höhepunkt fand die Wertschätzung des kaisers in der britischen Presse anlässlich von Wilhelms reise an das krankenbett seiner großmutter im Januar 1901. so sehr sich der monarch damit bei seinen eigenen untertanen suspekt machte, so freudig erregt reagierte die englische Öffentlichkeit. die anrührende szene, wie Victoria in den armen ihres enkels in osborne house auf der isle of Wight verschied, wurde von fast allen britischen zeitungen melodramatisch ausgeschmückt und detailliert geschildert. auf ideale Weise ließen sich die voyeuristischen neigungen und sentimentalen bedürfnisse eines massenpublikums bedienen und zugleich die außenpolitische Übereinstimmung mit dem kaiserlichen deutschland herausstellen. die berichterstattung nach dem tod der königin machte deutlich, „wie stark im Winter 1901 in einigen konservativen und li19

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„the fact“, betonte spender in der Westminster Gazette, „which brings about a particular feeling of friendliness and affection for the german emperor is the full knowledge that, by paying this visit, he has courageously braved unpopularity in his own country“; Westminster Gazette vom 20. november 1899; vgl. auch Times vom 20. november 1899. zitiert nach Dugdale, balfour, bd. 1, s. 292. memorandum berties über ein gespräch mit bülow, 26. november 1899, tna, fo 800/10, bl. 1–. Vgl. Reinermann, kaiser, s. 20. zur Verbreitung des berichts durch reuters siehe Storey, century, s. 1–6. zur unterdrückung in der deutschen Presse siehe Sösemann, hunnenrede; ders., „Pardon“. Daily Telegraph vom 30. Juli 1900. kritischer urteilten liberale blätter wie die Westminster Gazette vom 30. Juli 1900 und der Manchester Guardian vom 28. Juli 1900.

e) Die Deutschlandberichterstattung der britischen Presse bis 1901

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beralen blättern pro-deutsche haltungen und der bündnisgedanke verbreitet waren … [und] dass eine deutsch-britische allianz eine populäre idee gewesen zu sein scheint“.16 in politisch so unterschiedlich ausgerichteten zeitungen wie dem liberalen Daily Chronicle und dem konservativen Daily Telegraph wurden die deutsch-englischen beziehungen fast vollständig personalisiert und auf das Verhältnis des kaisers zu seinen königlichen Verwandten in großbritannien reduziert. gleichzeitig klammerte man die zunehmende antipathie gegen england in weiten teilen der deutschen Presse und bevölkerung nahezu komplett aus. der Daily Telegraph pries Wilhelm als „our ideal of imperial leadership“ und „the most brilliant sovereign since frederick the great“. die freundschaftlichen beziehungen zwischen den beiden ländern würden in den folgenden Jahren noch intensiver werden, erwartete der Daily Chronicle, denn die deutschen seien „a nation much like ourselves in energy, enterprise, stability, and in public honesty of administration“.16 in dieser situation standen die britischen korrespondenten in deutschland und deren auslandsredaktionen in großbritannien vor einer schwierigen frage: sollten sie über die englandfeindlichen eruptionen der deutschen Presse ausführlich berichten, damit womöglich britische gegenreaktionen hervorrufen, die ihrerseits die deutschen zeitungen zu neuen ausfällen verleiten würden? oder sollten sie sich auf die strikte neutralitätspolitik der reichsregierung konzentrieren, hinweise auf antibritische artikel und kundgebungen nach möglichkeit vermeiden, um damit sowohl der englischen als auch der deutschen regierung die fortführung, wenn nicht unbelasteter, so doch halbwegs normaler diplomatischer beziehungen zu erleichtern? fast alle britischen zeitungen, die reguläre korrespondenten in deutschland unterhielten, entschieden sich für die zweite option. sie verschwiegen zwar nicht, dass die ablehnung der britischen Politik in deutschland verbreitet war, verzichteten jedoch auf ausführliche zitate und die Wiedergabe von details. statt dessen nahmen sie zuflucht zu floskeln wie „the majority of the independent organs are not favourable to the english cause“ oder „the hostility of the bismarckian press was to be expected“.166 die zurückhaltung hatte verschiedene gründe. zum einen fügte sie sich in die tradition nachsichtiger geringschätzung, die seit langem die britische haltung zu ausländischen Pressestimmen geprägt hatte. hinzu kam, dass weniger die anglophobie der Presse als vielmehr die relativ kooperative haltung der regierung im kaiserreich die ausnahme in einem europa zu sein schien, das sich in der ablehnung des englischen krieges in südafrika weitgehend einig war. außerdem zögerten viele redaktionen, die beziehungen ihrer korrespondenten zum auswärtigen amt aufs spiel zu setzen, dem erkennbar daran lag, dass britische berichterstattung über deutschen englandhass so weit wie möglich 16 16 166

Reinermann, kaiser, s. 226–3 (zitat s. 23); vgl. auch Schütz, entfremdung, s. 260. Daily Chronicle vom 26. Januar 1901; Daily Telegraph vom 28. Januar 1901. Hale, Publicity, s. 20, der die berlin-berichterstattung der genannten blätter während des burenkrieges systematisch ausgewertet hat.

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3. Der Burenkrieg

unterblieb.16 so verband der korrespondent der Daily Mail seine bitte um auskunft zur offiziellen deutschen Position „über die politischen angelegenheiten, welche zur zeit die aufmerksamkeit der beiden befreundeten nationen in hohem grade fesseln“, mit dem Versprechen, kein Wort ohne erlaubnis des deutschen außenstaatssekretärs zu veröffentlichen.168 auch der britischen regierung lag nichts daran, dass man das thema in englischen zeitungen detailliert erörterte. gerade blätter, die wie der Daily Telegraph gute Verbindungen zum foreign office pflegten, hielten sich in ihrer deutschlandberichterstattung mit kritischen urteilen und berichten auffällig zurück.169 sir edward lawson versicherte dem Privatsekretär der königin, sir arthur bigge, „how anxious the daily telegraph [was] to do nothing to impair the relations [with germany]“.10 anfänglich verstieß nur die Times, genauer gesagt: ihr berlin-korrespondent george saunders, gegen das unausgesprochene stillschweigeabkommen. saunders war ein frommer, schwerblütiger schotte, der zu seinem journalistischen Posten in berlin ein an starrsinn grenzendes Pflichtbewusstsein, missionarischen eifer und ein stolzes Überlegenheitsgefühl gegenüber seinem gastland mitbrachte. er sprach fließend deutsch, wenn auch mit starkem schottischen akzent. durch seine heirat mit der tochter des bankiers und kunstsammlers otto hainauer fand er zugang zur besseren berliner gesellschaft, verkehrte mit offizieren, Professoren, bankiers, industriellen und kaufleuten.11 trotz – oder vielleicht gerade wegen – dieser engen Verbindungen und seines langen aufenthaltes in berlin waren saunders’ telegramme aus der reichshauptstadt während des burenkrieges so kritisch gegenüber deutschland wie die berichte keines anderen britischen korrespondenten.12 saunders’ motivation war vielschichtig. die privaten briefe an seine familie zeigen, dass ihn zum teil nationaler stolz, eine tiefe Überzeugung von großbritanniens imperialer mission und ein fester glaube an die Überlegenheit der angelsächsischen Völker antrieben. Wenn großbritannien die burenfrage ein für allemal geklärt habe, schrieb er im november 1899 an seinen Vater, hätte das 16

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siehe etwa lascelles an salisbury, 9. februar 1900, tna, fo 6/192, bl. 120–31; 1. mai 1900, tna, fo 6/193, bl. 11–. Vgl. auch saunders an chirol, . november 1899, nia, chirol Papers. ferdinand moos an richthofen, 12. februar 1900, Pa-aa, england nr. 3, r 61. Von den beziehungen zwischen Daily Telegraph und foreign office berichtet hatzfeldt an hohenlohe, 1. Juni 1900, Pa-aa, england nr. 8, r 66; während eckardstein den umstand, dass die zeitung gegenüber deutschland wieder „durchaus freundlich und wohlwollend geworden“ sei, seiner eigenen tätigkeit zuschreibt; eckardstein an hohenlohe, 28. september 1900, Pa-aa, england nr. 3, r 61. bigge an lascelles, 2. märz 1900, tna, fo 800/9, bl. 13–. den besten aufschluss über saunders’ lebensweg gibt sein umfangreicher briefwechsel mit seinem Vater david, später mit seiner schwester margaret: ccc, saunders Papers; vgl. auch hot, bd. 3, s. 29–; Morris, saunders; ders., scaremongers, s. 2–36. als einziger breitete er die anglophoben ausbrüche selbst obskurer deutscher blätter in seinen depeschen aus; siehe etwa Times vom 26. oktober, . und 20. november sowie 2. dezember 1899.

e) Die Deutschlandberichterstattung der britischen Presse bis 1901

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land nicht nur die britische hegemonie in südafrika, ja in ganz afrika gesichert, sondern auch seine gerechtigkeit und stärke in einer Weise demonstriert „that even these miserable purblind creatures on the continent will no longer dare to question our mission to establish liberty and orderly government, along with america, throughout the greater part of the world“.13 da die durchsicht der deutschen Presse zu den wichtigsten und zeit aufwendigsten aspekten der korrespondententätigkeit gehörte, verbrachte saunders einen gutteil jeden tages damit, antibritische artikel zu studieren, die seine patriotischen gefühle verletzten. mit Widerwillen und Verachtung sammelte er englandfeindliche meldungen, Postkarten und karikaturen, um sie nach hause zu senden.1 zu alt um selbst als soldat in den transvaal zu gehen, stilisierte saunders seine tätigkeit in berlin als eine art ersatzdienst, als notwendige ergänzung zu den aktionen der britischen armee in südafrika.1 nicht selten beschrieb er seine auseinandersetzung mit der deutschen Presse und der Wilhelmstraße mit militärischen metaphern, sah sich als „a soldier of the ranks“, wie in jenem brief vom Januar 1900 an seinen Vater, in dem er bekannte: „i feel like a scout who has got through the enemy’s lines with the result of his observations. it does not matter if a last long shot hits him, if he only gets his message to headquarters.“16 saunders hatte auch konkrete politische gründe, die anglophobie der deutschen Presse in seinen telegrammen an die Times herauszustreichen. anders als die meisten seiner britischen kollegen in berlin misstraute er den Versicherungen der Wilhelmstraße, die Äußerungen deutscher Journalisten hätten nichts mit der Politik der reichsregierung zu tun. seiner ansicht nach erfüllten die deutschen zeitungen eine funktion, die sich grundsätzlich von den aufgaben der britischen Presse unterschied und verdienten mehr beachtung als die offiziellen stellungnahmen der Politiker, die nur dazu dienten, das ausland zu täuschen.1 zugleich erkannte saunders, dass auch in deutschland Presse und „öffentliche meinung“ zu politischen faktoren geworden waren, die der kaiser und seine regierung nicht ignorieren konnten. natürlich werde die deutsche außenpolitik von Wilhelm ii. und seinen beratern gemacht, nicht vom Volk, notierte er. es wäre aber ein fehler anzunehmen, „that the emperor can permanently steer a course which is opposed to national opinion“.18 es galt, die ge-

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george an david saunders, 3. november 1899, ccc, saunders Papers, saun2, gs/1/13. Ähnliche Überlegungen finden sich auch im brief vom 1. dezember 1899, ebd., gs/1/138. saunders an chirol, 8. dezember 1899, nia, chirol Papers; saunders an bell, 1. april 1900, ebd., moberly bell Papers. george an david saunders, 23. dezember 1899, ccc, saunders Papers, saun2, gs/1/10. george an david saunders, 1. Januar 1900, ebd., gs/1/11. schon monate vor ausbruch des burenkriegs während der „samoawirren“ des frühjahrs hatte bülow den korrespondenten ermahnen lassen, er messe der deutschen Presse allzu große bedeutung zu; saunders an Wallace, . februar 1899, nia, Wallace Papers. saunders an moberly bell, 23. februar 1901, nia, moberly bell Papers.

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3. Der Burenkrieg

genseitige beeinflussung von Wilhelmstraße und Presse, das Wechselspiel zwischen regierungspolitik und öffentlicher meinung zu analysieren und richtig zu deuten. „my theory is“, schrieb er im dezember 1899 an seine redaktion, „that, to take the most charitable view, the government at least tolerates the attacks on england in order to get wind for the sails of the new navy bill.“19 saunders begnügte sich nicht mit der rolle des unbeteiligten beobachters. es war ihm weniger darum zu tun, die britische Öffentlichkeit objektiv zu informieren als vielmehr die politische klasse großbritanniens davon zu überzeugen, dass in einer diplomatischen distanzierung von deutschland das außenpolitische heil zu suchen sei. im millitärstaat der hohenzollernmonarchie sah er eine „parvenu power“ mit all den fehlern eines emporkömmlings: „stilted, affected, envious, sensitive, ambitious, discontented, ill-mannered, self-conscious“. er sah es als seine Pflicht an, „certain german ambitions“ zu entlarven und britische Politiker, die wie chamberlain mit dem gedanken an ein bündnis mit dem deutschen reich spielten, die augen zu öffnen.180 die englandfeindlichen Polemiken, die in der deutschen Presse während des burenkrieges erschienen, boten saunders eine einmalige chance. durch ausführliche Wiedergabe der schärfsten artikel konnte er seine landsleute auf die gefahr hinweisen, die seiner ansicht nach von deutschland ausging, ohne seine befugnisse als korrespondent zu überschreiten, dessen aufgabe darin bestand zu berichten, nicht zu kommentieren.181 zugleich machte er gegenüber der heimatredaktion aber kein geheimnis aus den politischen absichten, die er mit seinen depeschen verfolgte: „[if] our own government will only keep more clear of germany, it will be possible for me with good conscience to ignore a great deal of what the germans do or say. this would be a great relief to myself and saving of the space and money of the times.“182 Über das ungewöhnliche seiner handlungsweise war saunders sich im klaren. mit perfektem understatement schrieb er nach dem ende des krieges: in normalen zeiten sei er bloßer beobachter und berichterstatter, „[but] during the war i had to preach a little“.183 Welchen einfluss hatten saunders telegramme auf die redaktionelle linie seines blattes? die außenpolitischen redakteure und leitartikler der Times in london hatten nicht nur deutschland und den europäischen kontinent im blick, sondern die weltweiten interessen des britischen empire. angesichts der krise in südafrika waren sie überzeugt, das Vereinigte königreich sei dringend auf internationale unterstützung angewiesen.18 diese sichtweise bestimmte 19 180 181

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saunders an chirol, 8. dezember 1899, nia, chirol Papers. george an david saunders, 1. Januar 1900, ccc, saunders Papers, saun2, gs/1/11. er wisse genau, schrieb er an chirol, dass seine „unusual frankness“ in den telegrammen aus berlin die times in keiner Weise binde oder verpflichte; saunders an chirol, 2. oktober 1899, nia, chirol Papers. saunders an moberly bell, 26. april 1903, nia, moberly bell Papers. saunders an maxse, 2. märz 1903, Wsro, maxse Papers 1, s. 63–638. Vgl. hierzu chirol an saunders, . september 1899 und saunders an chirol, 1. september 1899, nia, chirol Papers.

e) Die Deutschlandberichterstattung der britischen Presse bis 1901

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zunächst die kommentare chirols und anderer. Während saunders aus anlass von Wilhelms besuch in Windsor im november 1899 davor warnte, deutschland „nachzulaufen“18, priesen die leitartikel der zeitung „sagacity and foresight“ des kaisers.186 Wegen der entgegenkommenden haltung des monarchen und seiner regierung glaubte chirol den unfreundlichen ton der deutschen Presse vernachlässigen zu können.18 die bewertungsunterschiede hinderten chirol jedoch nicht daran, für die berichte seines berlin-korrespondenten außergewöhnlich viele spalten im blatt frei zu machen. in den ersten drei monaten des krieges druckte die Times  telegramme aus berlin, mehr als dreimal so viele wie jede andere britische zeitung. in dieser zeit nahm die deutschlandberichterstattung mehr raum auf den seiten der Times ein als die artikel über russland und frankreich zusammengenommen, während sich die gewichtung in blättern wie der Morning Post oder dem Standard genau anders herum verhielt.188 zudem näherte sich die redaktionelle linie der Times seit der Jahreswende 1899/1900 den ansichten ihres berlin-korrespondenten an. in der affäre um die beschlagnahmung der deutschen Postschiffe verfocht das blatt eine extrem kritische haltung gegenüber der reichsregierung.189 aus anlass der Publikation des diesbezüglichen diplomatischen schriftwechsels in einem blaubuch der englischen regierung attackierte chirol das auftreten der deutschen diplomatie als „unmannerly and dictatorial rudeness“, die in zwischenstaatlichen beziehungen nicht zu tolerieren sei.190 als chirol zu derselben zeit von deutschen sondierungen in Washington erfuhr, die eine amerikanische intervention im burenkrieg zum ziel hatten, schrieb er an den amerikanischen Times-korrespondenten, er fürchte, man könne nicht länger an der tief sitzenden feindschaft und doppelzüngigkeit des reichs zweifeln. deutschland werde sich zwar nicht offen gegen england stellen, „but in every direction she is doing her best to obstruct and thwart us.“191 die deutschen, schrieb er im märz 1900 an saunders, „have yet to realize the full effect produced in this country – i believe on the man in the 18 186 18 188

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saunders an chirol, 10. november 1899, ebd. [deutsch im original]. Times vom 20. november 1899. siehe chirol an lavino, 3. november 1899, zitiert nach: hot bd. 3, s. 306. Vgl. Morris, saunders. der korrespondent, der zunächst befürchtet hatte, die londoner redaktion würde seine freimütigen telegramme aus berlin missbilligen, wusste die unterstützung zu würdigen und bedankte sich bei chirol „[for] having been so generously bakked up by you and the times“; saunders an chirol, 2. oktober 1899, nia, chirol Papers. Vgl. die leitartikel in der Times vom 9. und 20. Januar 1900; Schütz, entfremdung, s. 1–9. Times vom 1. märz 1900. das britische foreign office war darüber wenig erfreut; siehe die schreiben von sanderson an lascelles, 1. und 21. märz 1900, tna, fo 800/9; metternich an hohenlohe, 1. märz 1900, Pa-aa, england 81 nr. 3, r 98; metternich an hohenlohe, 2. märz 1900, gP, bd. 1, nr. 8, s. 93–. chirol an smalley, 23. Januar 1900, foreign department letter book, abgedruckt in hot, bd. 3, s. 31.

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3. Der Burenkrieg

cabinet as well as on the man in the street – by their attitude towards us during the last three months.“192 in der Wilhelmstraße bemerkte man bald die kritischen berichte über deutschland, die sich seit ausbruch des krieges in der Times häuften.193 bülow bezeichnete den korrespondenten mitte november als „nicht zu unterschätzendes hindernis für die Verbesserung der deutsch-englischen stimmung“ und wies den deutschen botschafter in london an, auf die umbesetzung des Postens hinzuwirken. saunders sammele zwei- bis dreimal wöchentlich bittere kritiken über england und sende sie nach london, schrieb bülow, ohne dabei zu sagen, dass die schärfsten derselben allemal aus frondierenden und agrarischen blättern stammen, d. h. aus solchen, welche der eigenen regierung, die sie noch mehr hassen als england, dadurch schwierigkeiten bereiten wollen. die englische Presse aber bespricht dann jene Äußerungen so, als ob dieselben „von maßgebender stelle“ kämen, und die times schreibt saure leitartikel, auf die hier in gleichem tone repliziert wird. so kann die sache noch lange weitergehen, wenn saunders bleibt.19

bei seinem besuch in england drängte bülow in seinen gesprächen mit balfour und chamberlain persönlich auf saunders’ ablösung. die offizielle begründung lautete, der Journalist mache sich ein Vergnügen daraus, „auch aus den obskursten deutschen blättern alle angriffe gegen england zu sammeln und jeden morgen dem englischen Publikum vorzulegen“. in Wirklichkeit war bülow vor allem besorgt, der Times-korrespondent könne die britischen zeitungsleser über die „tiefe der deutschen abneigung gegen england“ aufklären. Wenn das englische Publikum über die in deutschland jetzt herrschende stimmung klar sähe, „würde dies eine große Wandlung in seiner auffassung des Verhältnisses von england zu deutschland herbeiführen“.19 die reichsführung ließ nichts unversucht, einen kurswechsel bei der Times und eine neubesetzung des berlin-Postens herbeizuführen. holstein regte an, man solle dem britischen botschafter mitteilen, dass seine stellung beim kaiser schaden nehme, wenn er fortfahre, den Journalisten zu empfangen.196 kurz darauf beklagte sich Wilhelm persönlich bei lascelles über die angriffe der Times auf deutschland. „if this is not stopped at once“, telegraphierte er, „disaster may come of it.“19 um den druck weiter zu erhöhen, startete das auswärtige amt eine Pressekampagne, in der die ausweisung des Times-korresondenten 192 193

19 19 196

19

chirol an saunders, . märz 1900, foreign department letter book, zitiert nach hot, bd. 3, s. 31. schon im frühjahr 1899 während der auseinandersetzung um samoa hatte sich der kaiser freilich im gespräch mit dem amerikanischen botschafter White über „saunders’s telegrams“ beklagt; saunders an chirol, 8. april 1899, nia, chirol Papers. bülow an hatzfeldt, 1. november 1899, gP, bd. 1, nr. 39, s. 12. aufzeichnung bülows, 2. november 1899, ebd., nr. 398, s. 13–20 (s. 1, 19). siehe die entsprechenden randbemerkungen holsteins und bülows an der depesche von metternich an das auswärtige amt, . märz 1900, gP, bd. 1, nr. 8, s. 21, fn; siehe auch das schreiben von bülow an lascelles, 21. februar 1900, tna, fo 800/9, bl. 386–. Wilhelm ii. an lascelles, 16. märz 1900, ebd., bl. 62.

e) Die Deutschlandberichterstattung der britischen Presse bis 1901

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mit der begründung gefordert wurde, man solle ihm gelegenheit geben, „jenseits der schwarz-weiß-rothen grenzpfähle, fern von den ihm so verhassten deutschen, die ihm tag aus tag ein anlass zu ernstem tadel und zorniger Pressfehde geben, ein beschauliches und friedlicheres dasein zu führen“.198 saunders selbst war freilich sicher, dass die regierung nur bluffte und nicht daran dachte, ihn auszuweisen: „[they are] not so foolish!“199 tatsächlich finden sich in den akten keine hinweise, dass die deutschen behörden entsprechende schritte planten. im auswärtigen amt erinnerte man sich der schlechten erfahrungen, die man 1896 mit chirols erzwungener ablösung gemacht hatte. bülow fürchtete auch den ansehensverlust im ausland und wollte dem korrespondenten nicht „die märtyrerkrone des ausgewiesenen aufs haupt“ drücken.200 stattdessen setzte er darauf, dass der diplomatische druck auf die britische regierung in kombination mit den anfeindungen der deutschen Presse gegen saunders ausreiche, die Times zum einlenken zu bewegen. das ergebnis war zwiespältig. auf der einen seite bestärkte das deutsche drängen die redaktion der Times in ihrer entschlossenheit an saunders festzuhalten. „so long as i have any influence with the Times“, schrieb chirol an lascelles, „bülow will have to put up with the ‚calamity‘ of [saunders’] presence in berlin. to sacrifice him would not only be a gross injustice but a gross blunder.“201 gleichzeitig wiederholten britische diplomaten unermüdlich, die englische Presse sei frei und unabhängig, die regierung verfüge über keinerlei mittel, einfluss auf sie zu nehmen.202 doch auf der anderen seite wuchs hinter den kulissen die sorge, die deutsche regierung zu verstimmen. in mehreren anläufen wurden persönliche kontakte aktiviert, um den deutschlandpolitischen alleingang der Times zu beenden. es sei bedauerlich, schrieb der Privatsekretär der königin an lascelles, dass niemand der Times deutlich mache, „that the e[mperor] is doing all he can to be friendly and asked to be accordingly judicious in its strictness on our relations with germany“.203 ob nicht der botschafter selbst mit chirol reden könne, schlug der stellvertretende unterstaatssekretär im foreign office, martin gosselin, vor. „he is far more likely to listen to you than anyone else.“20 schließlich übernahm es sanderson, sich mit chirol zu besprechen und ihm den kopf zu waschen, wie der Journalist selbstironisch anmerkte.20 darüber hinaus erging aus dem kabinett eine bitte an lord rothschild, dem chef198 199 200 201 202 203 20 20

Post nr. 8 vom 9. april 1900; ähnlich Berliner Neuesten Nachrichten nr. 106 vom 11. april 1900. saunders an moberly bell, 1. april 1900, nia, moberly bell Papers. so die formulierung im Hannoverschen Courier vom 10. april 1900; siehe auch Daily Chronicle vom 1. april 1900; kopien in: Pa-aa, england 81 nr. 3, r 98. chirol an lascelles, 6. märz 1900, ccc, spring rice Papers, 1/1/39–1. lascelles an salisbury, 16. märz 1900, salisbury an lascelles, 18. märz 1900, lascelles an salisbury, 23. märz 1900, abgedruckt in: bdfa i, reihe f, bd. 19, nr. 3,  und , s. 3–8. bigge an lascelles, 2. märz 1900, tna, fo 800/9, bl. 13–. gosselin an lascelles, 21. märz 1900, ebd., bl. 08–9. sanderson an lascelles, 21. märz 1900, ebd., bl. 0–.

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3. Der Burenkrieg

redakteur der Times, „energisch den text zu lesen“.206 die interventionen blieben nicht folgenlos. er habe zwar keine reumütige einsicht bei chirol bewirkt, meinte sanderson, gehe aber davon aus, dass der Journalist in zukunft ruhiger sein werde.20 obwohl saunders auf seinem Posten in berlin blieb, sah die deutsche diplomatie in den folgenden monaten tatsächlich keinen grund mehr, sich in london über die Times zu beklagen.208 zum zeitpunkt von Wilhelms teilnahme an den beerdigungsfeierlichkeiten für königin Victoria im Januar und februar 1901 hatte sich die kluft zwischen der einschätzung von saunders in berlin und den leitartiklern in london erneut aufgetan. in den kommentaren der Times wurden die Qualitäten des kaisers gepriesen: „[the] tact, the unselfish thoughtfulness for others, the noble dignity, and above all, the manly simplicity of his bearing“.209 der berlin-korrespondent hingegen sah in der reise nichts anderes als den Versuch des deutschen monarchen, sich bei seinen englischen Verwandten und dem britischen Volk einzuschmeicheln und nebenher noch seine private neugierde zu befriedigen: „it is all very german. there is nothing a german housewife likes so much as to get a peep into the pantry of another.“210

f) Der Umschwung in der britischen Berichterstattung auf lange sicht setzte sich saunders’ kritische haltung gegenüber der deutschen Politik durch. schon im frühjahr 1900 hatte metternich bemerkt, dass die englische Presse „den umgekehrten Prozess wie deutschland“ durchmache. Während im kaiserreich die erregung über den burenkrieg zu schwinden scheine, wachse in großbritannien die erbitterung gegen deutschland. zuerst gleichgültig gegen die stimmen des auslandes, werde es jetzt „von tag zu tag empfindlicher gegen dieselben“. sorgfältig werde alles herausgesucht, was im reich gesagt oder getan werde, „um deutschland unter allen ländern als dasjenige land hinzustellen, welches gegen england besonders feindlich gesinnt“ sei.211 in dem maße, in dem der konflikt in südafrika wegen der diskussion über die methoden der britischen kriegführung spätestens seit dem frühjahr 1901 wieder ins zentrum des öffentlichen interesses in deutschland rückte, verschärfte sich der 206

20 208

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so die angebliche formulierung rotschilds gegenüber dem stellvertretenden deutschen botschafter in london, metternich an hohenlohe, 2. märz 1900, gP, bd. 1, nr. 8, s. 93– (s. 96). zufrieden stellte der beamte nach dem gespräch fest „[that] the times has gone tossing and goring elsewhere“; sanderson an lascelles, 21. märz 1900, tna, fo 800/9, s. 0–. das zwischenzeitlich nachlassende interesse der deutschen Presse am burenkrieg trug dazu ebenso bei wie chirols lange abwesenheit – zuerst im april und mai aufgrund einer krankheit, dann wegen einer langen reise nach fernost vom september 1900 bis Juni 1901; hot, bd. 3, s. 318–9, 323. Times vom 6. februar 1901. saunders an moberly bell, 23. februar 1901, nia, moberly bell Papers. metternich an bülow, 19. märz 1900, gP bd. 1, nr. 6, s. 88–9.

f) Der Umschwung in der britischen Berichterstattung

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tonfall in der berichterstattung der englischen Presse über das reich. Vor allem häuften sich artikel über den englandhass der deutschen bevölkerung.212 anfang oktober 1901 berichtete metternich fast täglich über entsprechende berichte in britischen zeitungen.213 der engländer, schrieb der botschafter zwei monate später an den reichskanzler, sei in seinen empfindungen zwar langsam, das ausland sei ihm in der regel gleichgültig. es müsse schon sehr laut gedacht werden, bis er davon notiz nehme. „das ist nun aber seit längerer zeit zur genüge geschehen, und er beginnt aufzumerken.“21 in england, hieß es auch in einem für das auswärtige amt verfassten bericht des londoner Wtb-korrespondenten, bereite sich ein folgenschwerer umschwung der öffentlichen meinung deutschland gegenüber vor. zwar habe man sich schon seit beginn des südafrikanischen krieges „ganz selbstverständlich“ über die deutschen kritiker und burenfreunde geärgert, aber „über die animosität der herren im allgemeinen doch nur die achseln gezuckt, mit einem gewissen mitleid, dass die deutschen nicht im stande seien, die Verhältnisse richtig zu würdigen“. ausschlaggebend sei die Politik der deutschen regierung und vor allem die freundschaftliche haltung des kaisers geblieben: die Januar-tage dieses Jahres [mit dem besuch des kaisers in england, d.g.] liessen alle zum größten theile doch recht unbegründeten angriffe in der deutschen Presse, welche in der hauptsache auf tendenziösen, unwahren correspondenzen beruhten, weit in den schatten zurücktreten. der eindruck der haltung des kaisers in diesen trüben tagen der nationalen trauer war ein so nachhaltiger gewesen, dass man sich unvortheilhafte Änderungen in den beziehungen beider nationen zu einander nicht denken mochte. das hat sich aber allmählig [sic] und in den letzten Wochen mit wachsender geschwindigkeit geändert.21

in diese situation platzte chamberlains rede in edinburgh. der kolonialminister habe mit seinen Vorwürfen an die adresse der deutschen armee vollkommen recht, frohlockte saunders in berlin; er fand nur überflüssig, dass der Politiker auch alle anderen großmächte in seinen Vergleich einbezogen hatte.216 in seinem bericht vom 2. november wies saunders der deutschen Presse die schuld an den öffentlichen Protesten zu, weil sie ihr Publikum über die vergangenen zwei Jahre hinweg mit „infamous lies“ über die britischen soldaten in südafrika systematisch falsch informiert habe.21 haarklein berichtete er über die Welle von kundgebungen, die sich in den folgenden Wochen über deutschland ergoss. chirol schwenkte in seinen leitartikeln nach anfänglichem zögern, das 212

213 21 21 216 21

Vgl. etwa henry W. Wolff, german anglophobia, in: Monthly Review, april 1901; antienglish sentiment in germany, in: Blackwood’s Magazine, april 1901; Patriae Quis exul, anglophobia in germany, in: Contemporary Review, Januar 1902. metternich an bülow, 2. oktober 1901, Pa-aa, england nr. 8, r 68; vgl. metternich an bülow, 1. oktober 1901, ebd. metternich an bülow, 11. dezember 1901, ebd. bericht von hauptmann Piper an das aa, o. d. (herbst 1901), ebd. saunders an moberly bell, 31. oktober 1901, nia, moberly bell Papers. Times vom 2. november 1901.

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3. Der Burenkrieg

aus dem gerade wieder aufgenommenen kontakt zu holstein und dessen andeutungen über eine mögliche deutsch-britische annäherung herrührte, auf saunders’ linie ein.218 in scharfen Wendungen kritisierte er die „campaign of lies and slander“ in der deutschen Öffentlichkeit, hielt aber vorerst noch an der Vorstellung fest, die regierung missbillige die ausfälle der deutschen Presse.219 das Vertrauen in die freundschaft und Weisheit der reichsführung hatte freilich in den vorausgegangenen monaten erheblich gelitten. zunehmend skeptisch blickten britische Journalisten, Politiker und diplomaten auf die ambivalente Pressepolitik der reichsführung. schon in den von der deutschen diplomatie vorgetragenen beschuldigungen während der affäre um die aufbringung der deutschen Postdampfer hatte die konservative Morning Post eine Verletzung von bülows neutralitätsversprechen erblickt, das man dem Wunsch geopfert habe, die flottenvorlage durch den reichstag zu bringen.220 es sei naiv anzunehmen, hieß es wenig später auch in der National Review, that persons in the highest authority in germany are not largely responsible for the hostility to england which is shown throughout the german empire. [...] We all know how Prince bismarck managed the Press, and everyone moderately well informed about german matters is perfectly well aware that many newspapers in every part of the empire are directly or indirectly inspired by the government.221

saunders machte angesichts der fortgesetzten schmähungen gegen die englische königsfamilie die Wilhelmstraße direkt für alle antibritischen karikaturen in deutschen Witzblättern verantwortlich. die deutsche Presse werde von einer eigenen regierungsabteilung kontrolliert, gelenkt, umschmeichelt und gepresst, argumentierte er, das deutsche recht enthalte die schärfsten bestimmungen zur majestätsbeleidigung in europa. daher sei die reichsführung wenigstens teilweise für die unwürdigen ausfälle deutscher zeitungen haftbar zu machen.222 zwar sei es richtig, erklärte er seiner redaktion, „that the german press has got out of hand, and that the government cannot control it as it did in former times. but the chief cause of complaint is the apathy, or worse, of the influential class of germans in view of the constant abuse of all things british.“223 im britischen foreign office war man zu derselben einschätzung gelangt und überzeugt, „dass die sprache [der deutschen Presse] in weitgehender Weise von der regierung hätte gemäßigt werden können“. das sei auch der grund, versicherte sanderson dem deutschen botschafter, weshalb man den deutschen Pressangriffen auf eng218 219

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Vgl. Rich, holstein bd. 2, s. 663–8. es wäre schlimm, so chirol, wenn man in england zu der Überzeugung gelangen müsse, „that […] the passionate enmity of the german people must be regarded as a more powerful and permanent factor in moulding the relations of the two countries than the wise and friendly statesmanship of german rulers“; Times vom 20. november 1901. „[the] anti-british feeling has been exploited for the purposes of the bill“; Morning Post vom 12. Januar 1900; ähnlich auch Times vom 9. Januar 1900. National Review vom märz 1900. Times vom 6. april 1900. saunders an moberly bell, 8. april 1900, nia, moberly bell Papers.

f) Der Umschwung in der britischen Berichterstattung

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land eine soviel größere bedeutung beimesse und sich soviel tiefer durch sie verletzt fühle, „wie dies anderen ländern gegenüber der fall sei, deren größere Pressefreiheit man wohl kenne“.22 zusammen mit dem argwohn gegenüber der deutschen Pressepolitik wuchs im britischen außenministerium die bereitschaft, saunders’ kritischen berichten aus berlin glauben zu schenken. man dürfe, schrieb sanderson, nicht alles wörtlich nehmen, was der Times-korrespondent aus berlin vermelde, aber wenn seine telegramme auch nur annähernd der Wahrheit entsprächen, verlangten sie dringend nach einer erklärung.22 Vor dem hintergrund dieses immer stärker geschärften misstrauens wirkten die halbherzigen Versuche der reichsregierung, die deutsche Presse nach chamberlains edinburgher rede zu beschwichtigen, zunehmend desillusionierend. den ausschlag gab die Verlautbarung in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 22. november. Was als dämpfer für die deutsche Öffentlichkeit gedacht war, interpretierte die mehrzahl der konservativen zeitungen in großbritannien, die bis dahin chirols unterscheidung zwischen einer freundlich gesinnten deutschen regierung und einer feindseligen Öffentlichkeit geteilt hatten, als solidaritätserklärung der Wilhelmstraße mit dem allgemeinen englandhass.226 selbst ein bis dahin so prodeutsches blatt wie der Daily Telegraph druckte eine scharfe Warnung, großbritannien werde in zukunft freundschaft und zusammenarbeit dort suchen, wo man sie zu schätzen wisse.22 anders als bei früheren gelegenheiten zeigten britische Politiker und diplomaten kein Verständnis für die klagen ihrer deutschen gesprächspartner über die „treibereien“ der englischen Presse.228 das hing nicht nur mit ihrer wachsenden skepsis gegenüber der deutschen Pressepolitik zusammen und damit, dass diesmal ein minister zur zielscheibe deutscher Presseattacken geworden war. Vielmehr hatte man im foreign office auch begonnen, die außenpolitische lage 22

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226

22 228

metternich an hohenlohe, 2. märz 1900, gP, bd. 1, nr. 8, s. 9. britische gesandte in deutschland bestätigten das foreign office in dieser ansicht; stephen an lansdowne, 8. Januar 1901, tna, fo 21/6; für bayern vgl. drummond an lansdowne, 2. Juli 1902, tna, fo 19/12. sanderson an lascelles, 11. mai 1901, tna, fo 800/10, bl. 126–9. die französische diplomatie tat ihr möglichstes, den argwohn der briten zu nähren. „there is an autocratic govt. in germany“, pflegten Politiker in Paris auf Vorhaltungen wegen englandfeindlicher berichte und abbildungen in der französischen Presse zu antworten, „why don’t you get these things stopped there?“ mit diesen Worten wird delcassé zitiert in einem schreiben von herbert an lansdowne, 28. märz 1902; kopie ebd., bl. 33–8. der üblicherweise zu großer zurückhaltung verpflichtete reuters-korrespondent in berlin konstatierte: „the hysterical talk of professors, veterans, Pan-germans, and professed anglophobes, is not due to ‚boeritis’, but to anglophobia, which is no product of the transvaal war, but is the result of accumulated rancour dating from the Vienna congress. […] the public have seen their strength and are fully aware of it“; meldung vom 2. november 1901, siehe auch Pall Mall Gazette und Scotsman vom 22. november, Liverpool Daily Post und Birmingham Daily Post vom 23. november 1901. Daily Telegraph vom 2. november 1901. siehe metternichs bericht über ein gespräch mit sanderson, metternich an bülow, . november 1901, Pa-aa, england nr. 8, r 68.

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3. Der Burenkrieg

großbritanniens wieder positiver zu bewerten, die gefahr einer internationalen isolierung geringer zu veranschlagen.229 es bestand aus der sicht der außenpolitischen elite keine notwendigkeit mehr, einer anschwellenden deutschlandkritischen strömung in der Presse entgegenzutreten. im gegenteil, nicht zuletzt mit rücksicht auf das neuerdings in konservativen zeitungen verbreitete misstrauen gegenüber dem reich fanden sich weder chamberlain noch das kabinett zu der von berlin geforderten öffentlichen erklärung des bedauerns bereit.230 die regierung stellte sich auf den standpunkt, unmittelbar im anschluss an die rede wäre eine bedauernde stellungnahme vielleicht möglich gewesen. nach den wüsten attacken der deutschen Presse und den antibritischen kundgebungen in deutschland würde es wie eine entschuldigung aussehen. Wer aber nichts beleidigendes gesagt habe, brauche sich auch nicht zu entschuldigen.231 selbst lascelles in berlin gab seine zurückhaltung auf und schrieb an chirol, sollte es zu der erwarteten antibritischen stellungnahme bülows im reichstag kommen, müsse man dem kanzler unmissverständlich zu verstehen geben, dass öffentliche beleidigungen nicht länger durch private beteuerungen des gegenteils beiseite geschoben werden könnten. „[the] vile and calumnious falsehoods with which the german public had been fed, and which the german government seemed inclined to endorse, had so vitiated public opinion in england as to make anything in the nature of a friendly understanding between the two governments almost impossible“. bülow müsse begreiflich gemacht werden, dass die deutsch-englischen beziehungen in ernster gefahr seien, da nun auch die deutsche regierung neid, hass, bosheit und missgunst der Öffentlichkeit gegenüber großbritannien zu teilen scheine.232 derartiger rückendeckung sicher, nahm die Times wenige Wochen später in ihrer kritik an bülows reichstagsauftritten kein blatt vor den mund. sie bezeichnete die „granitrede“ als „bad day’s work“ und verdammte, was sie als windelweiche antwort des kanzlers an die adresse liebermann von sonnenbergs auffasste.233 saunders durfte zwei lange artikel über „the literature of anglophobia“ verfassen, in denen er detailliert den deutschen englandhass schilderte und minutiös antibritische Äußerungen in Presse, Witzblättern, broschüren und büchern auflistete. kein anderes Volk, schloss er, habe sich der sache der 229 230 231

232 233

Vgl. etwa das memorandum berties vom 2. oktober 1901, abgedruckt in: bdfa i, reihe f, bd. 19, s. 8–9. Vgl. bülow an deutsche botschaft london, 1. dezember 1901, Pa-aa, england nr. 8 secretissima, bd. , r 1. am deutlichsten in der depesche lansdownes, die der britische geschäftsträger in berlin dem deutschen staatssekretär des Äußeren erst verlas und einen tag später in abschrift zusandte; buchanan an richthofen, 2. november 1901, ebd.; vgl. auch buchanan an lansdowne, 20. und 2. november 1901; lansdowne an buchanan, 26. november und 3. dezember 1901; abgedruckt in: bdfa i, reihe f, bd. 19, s. 92–. lascelles an chirol, 2. november 1901, tna, fo 800/18, bl. 3–8. „seldom, if ever, has a friendly nation been so grossly insulted in a foreign Parliament, and never within our memory has the insult met with such a mild rebuke“; Times vom 9. und 11. Januar 1902.

f) Der Umschwung in der britischen Berichterstattung

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buren so mit haut und haaren verschrieben wie die deutschen, „not of sympathy […] but of blind unreasoning, and unaccountable hatred of the british nation“. fünf tage später folgte chirol mit einem leitartikel zu demselben thema.23 der berlin-korrespondent hatte seinen redakteur endgültig überzeugt. da nun auch zeitungen wie die Westminster Gazette, die sich noch im november kritisch über chamberlain geäußert hatte, dem kolonialminister beisprangen, war die front der britischen Presse – mit ausnahme der proburischen blätter – geschlossen.23 fast alle redaktionen erhielten in den folgenden tagen eine flut von leserbriefen, die zeigten, wie sehr das Publikum an der auseinandersetzung anteil nahm. in schreiben an die Times wurde den deutschen „arrogance, malevolence, and falsehood“ vorgehalten und zum boykott deutscher Waren aufgerufen.236 ein anonymer leser forderte unter dem Pseudonym „Voyageur“ in der Daily Mail den britischen kronprinzen auf, eine geplante deutschlandreise abzusagen, während ein „Patriotic british Printer“ aus nottingham erklärte, er habe alle geschäftskontakte mit deutschen zulieferern abgebrochen.23 man sollte nicht den fehler begehen, strategisches kalkül als chamberlains wichtigste triebkraft in der auseinandersetzung mit bülow zu vermuten. so kühl und emotionslos der kolonialminister nach außen hin wirken mochte, so machiavellistisch taktierend ihn die deutsche Presse auch darstellte, in Wirklichkeit war er stolz, impulsiv, zu politischem Vabanquespiel bereit und geneigt, seine meinung abrupt zu ändern. Vieles spricht dafür, dass die deutsche Pressekampagne gegen ihn im zusammenspiel mit der granitrede des reichskanzlers einen solchen gesinnungswandel zumindest beschleunigte, wenn nicht auslöste.238 eckardstein berichtete über sein erstes längeres gespräch mit dem kolonialminister mehrere monate nach der affäre überrascht, in welch heftigen Worten chamberlain seinem unmut über die öffentliche meinung und Presse deutschlands, aber auch über die reichsregierung luft gemacht habe. der botschaftsrat folgerte, dass chamberlains missstimmung gegen deutschland „viel tiefere Wurzeln gefasst hat und einen weit gefährlicheren charakter trägt, als anzunehmen gerechtfertigt erscheinen durfte“.239 chamberlain war nicht der einzige, dessen haltung gegenüber deutschland sich infolge der Pressepolemiken des burenkrieges wandelte. die im reich grassierende anglophobie veränderte das deutschlandbild einer ganzen generation von briten dauerhaft zum negativen. spring-rice fand den stimmungswandel im foreign office „extraordinary“. Jedermann im amt rede so, als habe england nur einen feind in der Welt, nämlich deutschland. „it is no manner of 23 23 236 23 238

239

ebd., 13., 1. und 19. Januar 1902. Westminster Gazette vom 22. november 1902. Vgl. etwa Times vom 9., 11., 1., 16. und 21. Januar 1902. Daily Mail vom 10. und 18. Januar 1902. „the change in chamberlain’s mind is most remarkable“, schrieb spring rice im april 1902. „the last time i saw him he was a mad philogerman, and now! […]“; spring rice an florence lascelles, 1. april 1902, abgedruckt in: Gwynn, letters, bd. 1, s. 30. eckardstein an bülow, 1. september 1902, Pa-aa, england nr. 8 secretissima, r 2.

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3. Der Burenkrieg

good trying to assure us unofficially or officially that they are really our friends. no one believes it now and the only effect is to disgust.“20 reisende, die von einem aufenthalt in deutschland zurückkehrten, wussten von dem hass zu erzählen, der dort immer tiefere Wurzeln schlage. söhne englischer familien, die deutsche schulen oder universitäten besuchten, hatten oft direkt und spürbar unter der deutschen missstimmung gegenüber england zu leiden.21 neben diplomaten, reisenden und studenten erlebten britische Journalisten, die in deutschland arbeiteten oder über das land berichteten, die dortige anglophobie naturgemäß besonders intensiv. nicht nur saunders und chirol wurden von den deutschen reaktionen auf den burenkrieg geprägt. auch der spätere reuters-korrespondent in berlin g. Valentine Williams erinnerte sich in seinen memoiren noch nach 3 Jahren lebhaft an die antienglische stimmung, die ihm 1902 während eines gastaufenthaltes im niederrheinischen städtchen kleve entgegengeschlagen war.22 frederick Wile von der Daily Mail vergaß nie „the miasma of anglophobism generated by the boer War and the systematically propagated hatred of england“, die er 1901 bei seiner ankunft in deutschland vorgefunden hatte.23 ein junger, aufstrebender Journalist beim Daily Telegraph mit namen James louis garvin behauptete im rückblick gar, der ausbruch von englandhass in deutschland zu beginn des burenkrieges und insbesondere bülows öffentliche brüskierung chamberlains hätten ihn und andere erst auf die von deutschland ausgehende bedrohung aufmerksam gemacht: „from that moment in the conviction of a new and growing school of english thinkers […] the future peril was foreshadowed. […] We could not allow the fate of the island and the empire to become dependent on the casting vote of a super-armed germany“.2

g) Zwischenfazit der krieg zwischen buren und briten hatte mediale dimensionen, deren fernwirkungen weit über den südafrikanischen kriegsschauplatz hinaus reichten und auch die deutsch-britischen beziehungen entscheidend berührten. die britische dominanz im internationalen nachrichtenwesen und reuters monopol auf drahtmeldungen aus südafrika wurden in kriegszeiten ebenso zu einem 20 21

22 23 2

spring rice an florence lascelles, 1. april 1902, abgedruckt in: Gwynn, letters, bd. 1, s. 30. Piper an aa, o. d. (herbst 1901), Pa-aa, england nr. 8, r 68; vgl. metternich an bülow, 11. dezember 1901, ebd. sowie den bericht metternichs über ein gespräch mit rosebery, dessen söhne in deutschland zur schule gingen und ähnliche erfahrungen machten; metternich an bülow, 20. november 1901, Pa-aa, england nr. 8 secretissima, r 1. Williams, World, s. 69–3. Wile, news, s. 11. in einer autobiographisch gefärbten Passage seiner chamberlain-biographie: Garvin, life, bd. 3, s. 11.

g) Zwischenfazit

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Politikum wie die geschäftlichen Übereinkünfte deutscher mit britischen telegraphenbüros. in dieser situation blühte der handel mit gewerblich hergestellten und international vertriebenen falschmeldungen aus angeblich unabhängigen Quellen, die gezielt nationale feindbilder und antibritische stereotype bedienten. neben die bereits etablierten klischees von englischer anmaßung, selbstsucht und durchtriebenheit trat zunehmend das image vom dekadenten, verweichlichten inselvolk, dessen große zeit abgelaufen war und das im verlebtfettleibigen edward Vii. eine würdige symbolfigur an seiner spitze hatte. die militärischen führer großbritanniens wurden als konzeptionslose Versager charakterisiert, die einfachen soldaten wahlweise als heruntergekommene trunkenbolde aus der gosse der englischen großstädte oder als skrupellose söldner, die ohne moralische hemmungen raubten, vergewaltigten und mordeten. in jedem fall hob sich vor diesem düsteren hintergrund das selbstbild des ebenso siegreichen wie tugendhaften deutschen Volksheeres unter seiner strategisch brillanten und organisatorisch effizienten führung umso strahlender ab. Ähnlich positiv wurden in der deutschen Presse die buren gezeichnet, deren fehler und schwächen die Journalisten in einem typischen fall selektiver Wahrnehmung ausblendeten, um die einfache frontstellung vom kampf des guten gegen das böse nicht zu verkomplizieren; hermann oncken brachte den von der deutschen Öffentlichkeit wahrgenommenen gegensatz damals auf die formel von der fehde eines Volkes „ritterlicher helden gegen ein von börsenspekulanten und goldjägern auf die schlachtbank geschlepptes söldnerheer“.2 zugleich bewies die berichterstattung über den burenkrieg, dass deutsch-britische „zeitungskriege“ anders als beim krügertelegramm auch eine asymmetrische struktur haben konnten. denn die eskalation publizistischen englandhasses im reich zwischen 1899 und 1901 fand zunächst keine entsprechung im Vereinigten königreich. dort honorierten vielmehr die meisten blätter in Übereinstimmung mit der offiziellen Position der britischen regierung und diplomatie die wohlwollende neutralität der reichsleitung, die sich aus ihrer sicht positiv von der haltung anderer großmächte wie frankreich oder russland abhob. erst seit dem sommer 1901 zeichnete sich ein umschwung ab. dieser hatte mit der Wende des kriegsglücks in südafrika und der Verbesserung der diplomatischen großwetterlage für großbritannien ebenso zu tun wie mit der meinungsführerschaft der Times, die in der Person ihres berlin-korrespondenten schon seit beginn des konflikts einer viel kritischeren sicht auf die deutsche diplomatie und Öffentlichkeit den boden bereitet hatte. im einklang mit den lehren, die man in Whitehall und fleet street aus den auseinandersetzungen um das krügertelegramm gezogen hatte, wurde die anglophobie im reich allerdings weniger der deutschen Presse als vielmehr den machenschaften der deutschen Politik und diplomatie angelastet. in Wirklichkeit lagen die dinge komplizierter, war die Pressepolitik der reichsregierung doppelbödiger, man könnte auch sagen: schizophrener. auf der 2

Oncken, Politik, s. 206.

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3. Der Burenkrieg

einen seite gab es tatsächlich Versuche, aus dem öffentlichen englandhass innen- und außenpolitisches kapital zu schlagen; auf der anderen seite jedoch bemühten sich die bürokratischen Pressepolitiker in der Wilhelmstraße immer wieder – und immer erfolgloser – darum, mäßigend auf die deutsche Presse einzuwirken, weil sie wussten, dass sich das reich einen offen antibritischen kurs zu diesem zeitpunkt nicht leisten konnte. es ist in diesem zusammenhang bemerkenswert, dass auch nationalliberale Parlamentarier wie bassermann nicht die gängelung der Presse durch die reichsregierung beanstandeten, sondern ganz im gegenteil die fehlende anleitung der deutschen zeitungen durch die politische führung als manko deutscher außenpolitik kritisierten. dabei erwies sich während des burenkrieges erstmals, was im Verlauf der folgenden dekade noch häufiger deutlich werden sollte: dass eine beschwichtigung der Presse von regierungsseite viel schwieriger zu bewirken war als das anheizen publizistischer empörung. das von der deutschen führung um bülow angestrebte ideal einer „gemäßigten anglophobie“, die im innern eine nationalistische mobilisierung gegen england ermöglichte, aber nach außen keinen diplomatischen schaden im Verhältnis zur londoner regierung anrichtete, widersprach den selbstradikalisierenden eigengesetzlichkeiten des medienmarktes.26 die explosion des angesammelten publizistischen konfliktpotentials im öffentlichen zusammenstoß zwischen bülow und chamberlain im herbst und Winter 1901/1902 lag in der fluchtlinie dieser selbstradikalisierung. zugleich verdeutlichte sie die innenpolitische konsolidierungswirkung von „Pressekriegen“. eine mediale festigung des eigenen lagers war aus sicht der reichsleitung umso erwünschter, als sich Wilhelm ii. mit seiner haltung im burenkrieg nicht nur in den deutsch-britischen beziehungen zwischen allen stühlen wiederfand, sondern auch bei beträchtlichen teilen seiner eigenen untertanen – namentlich bei konservativ-agrarischen kreisen – in die kritik geraten war; aller parteipolitischen fragmentierung zum trotz hatte sich die Presse als eine von der regierung relativ unabhängige, kaum mehr zu kontrollierende form der Öffentlichkeit etabliert.2 auch aus chamberlains sicht überwogen beim zusammenstoß mit dem reichskanzler die innenpolitischen Vorteile bei weitem den außenpolitischen flurschaden. „[o]n the whole, i think we are stronger than ever“, schrieb er im Januar 1902 an alfred milner. „You will have see the outburst of feeling in connection with the german attacks upon our troops and race. the movement of indignation has been irresistible and no doubt has strengthened us materially.“28 die beurteilung der auseinandersetzung zwischen dem britischen und dem deutschen staatsmann war diesseits wie jenseits des kanals keine frage der klassen- oder Parteizugehörigkeit mehr, sondern eine angelegenheit nationaler 26 2 28

der auf tirpitz zurückgehende begriff der „gemäßigten anglophobie“ wird zitiert von Deist, flottenpolitik, s. 332. das betont auch Daniel, einkreisung, s. 313. chamberlain an milner, 20. Januar 1902, zitiert nach Rosenbach, reich, s. 296.

g) Zwischenfazit

1

ehre. die regierungen in beiden ländern hatten es aufgegeben, mäßigend auf die Presse einzuwirken. beide seiten nahmen eine beträchtliche Verschärfung bilateraler spannungen in kauf, um ihre Position im innern zu stärken. die beiden exponenten der deutsch-britischen Pressefehde avancierten zu helden der stunde: selten war bülow beliebter, chamberlain unangefochtener in der gunst von Presse und Publikum.29 das zusammenwirken der Presse mit anderen teilöffentlichkeiten lässt sich dabei während des südafrikanischen krieges besonders anschaulich studieren. in großbritannien bewirkte die antideutsche Wendung der berichterstattung im herbst 1901 eine fülle von Protestaktionen und boykottaufrufen, die in form von leserbriefen dann oft wieder in die Presse zurückflossen und weitere ähnlich gelagerte aktivitäten inspirierten. im falle der deutschen reaktion auf chamberlains edinburgher rede wurde der konflikt von außen, aus der Versammlungsöffentlichkeit studentischer demonstrationszüge und universitärer Protestkundgebungen, in die tageszeitungen hineingetragen. im Verhältnis von Presse und Parlament hingegen lässt sich ein umgekehrter trend beobachten: in aller regel griffen die reichstagsdebatten gedankengänge wieder auf, die von den zeitungen in den tagen und Wochen zuvor schon angelegt worden waren.20 diese machtverschiebung wurde bereits von den zeitgenossen erkannt. Parlamentarische aussprachen erfüllten selten die in sie gesetzten erwartungen, hieß es in einem leitartikel der liberalen Frankfurter Zeitung aus dem Jahr 1902, weil die Presse meist schon alles vorweg genommen habe: „sie hat sich in der konkurrenz mit unserem Parlament längst als die stärkere macht unseres öffentlichen lebens etabliert. die debatten sind zu zählen, in denen einmal ein anderer gedanke produziert wird als in den zeitungen längst ausgesprochen ist.“21

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die Morning Post brachte die stimmung in fleet street auf den Punkt, wenn sie versicherte: „mr. chamberlain was never so strong in the support of his countrymen as he is at the present moment“; Morning Post vom 13. Januar 1902. zum triumphalen empfang, der chamberlain nach seiner rede in london bereitet wurde, vgl. Marsh, chamberlain, s. 1. selbst ein kritiker des kolonialministers wie W. t. stead räumte ein, dessen rechnung sei vollständig aufgegangen, „that an english minister has only to be insolent to the foreigner, and to be abused by the foreigner, to find all his shortcomings condoned by his countrymen, who will forget all their dislike of a minister who first irritates his neighbours and then defies them“; Review of Reviews, februar 1902, s. 120–2. diese beobachtung stützt martin kohlrauschs these, dass Parlamentarisierungsforderungen in deutschland so schwach geblieben seien, weil sich die politische diskussion zunehmend aus dem reichstag in die Presse verlagert habe; Kohlrausch, monarch, s. 298, . zitiert nach Platthaus, novemberrevolution, s. 11.

4. Die Vorreiterrolle Der richtungspresse: Die „Deutsche gefahr“ in Den englischen MeDien The fruitfulness, self-confidence, vigour, push, and prosperity of the German race, coupled with the fact that the formerly so manly British race is, owing to the blessings of Free Trade, rapidly being converted into a puny sickly, ill-nourished, sterile, incapable, and unhappy slum proletariat, has suggested to Germany the most natural and the most desirable solution for her greatest problem. If Germany should succeed in wresting from Great Britain the rule of the sea, she would find no difficulty in creating a greater Germany overseas. (J. Ellis Barker: The Future of Anglo-German Relations, in: Nineteenth Century, April 1906)

a) Die antideutsche Pressekampagne um die NatioNal Review Der Verweis auf die negativen erfahrungen während des Burenkrieges reicht nicht aus, um den dauerhaften antideutschen umschwung in weiten teilen der veröffentlichten Meinung großbritanniens zu erklären. in der französischen presse fanden sich ähnlich wütende tiraden gegen das „perfide albion“ und vergleichbar obszöne Karikaturen edwards Vii. Dennoch nahmen nicht nur die diplomatischen Beziehungen zwischen london und paris, sondern auch die Berichterstattung der meisten französischen und britischen Zeitungen über das jeweils andere land in den folgenden Monaten und Jahren eine entschiedene Wendung zum Besseren, die im abschluss der Entente Cordiale im frühjahr 904 gipfelte. Vieles spricht dafür, dass die aufhellung des frankreichbildes und die Verdunkelung, ja Dämonisierung des Deutschlandbildes in weiten teilen der britischen presse zwei seiten derselben Medaille waren. Der französische publizist Jacques Bardoux bemerkte nach abschluss des abkommens rückblickend, die Entente mit england hätte niemals erreicht werden können, ohne die 90 begonnene, sorgfältig orchestrierte Kampagne der drei wichtigsten konservativen Blätter großbritanniens, der Times, des Spectator und der National Review: first, they seized every occasion to reveal to their compatriots a french success or quality [...] But [...] with equal perseverance each of these three organs, in a different form, exerted itself to destroy as far as possible the memory of former sympathies for the german empire. [...] as soon as an incident – diplomatic, economic, or military – occurred [...] the three organs, with common accord, insisted upon the danger and hostility of germany and the utility of friendship with france. 



Vgl. etwa Bigge an lascelles, 5. februar 900, tna, fo 800/9, Bl. 374–7; 7. und 5. Januar 90, tna, fo 800/0, Bl. –, 7–8; Barrington an lascelles, . april 90, ebd., Bl. 337–8. Journal des Débats vom 3. april 904, zitiert in Hale, germany, s. 0.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

Die pressekampagne für die Entente Cordiale war teil eines größer angelegten Vorhabens, zu dem sich noch während des Krieges in südafrika eine gruppe von Journalisten lose zusammengefunden hatte. unter ihnen befanden sich redakteure von tageszeitungen wie der Times und der Morning Post, aber auch herausgeber, schriftleiter und autoren von wöchentlich, vierzehntägig und monatlich erscheinenden Zeitschriften, etwa der National Review, dem Spectator, Observer, der Fortnightly und Contemporary Review. Diese Männer, die untereinander oft in regem Kontakt standen, wollten aus den in ihren augen extrem beunruhigenden militärischen, diplomatischen und wirtschaftlichen schwierigkeiten des britischen empire während des Konflikts mit den Buren weit reichende Konsequenzen gezogen wissen.3 eine zentrale rolle in diesem netzwerk spielte leo Maxse, herausgeber der Monatsschrift National Review. Wie kaum ein zweiter verkörperte er eine neue radikale rechte, die sich durch aggressivität, unzufriedenheit mit dem status quo, leidenschaftliche ablehnung überkommener politischer leitgedanken und unbedingten Veränderungswillen auszeichnete. als sohn eines admirals war der in harrow und cambridge erzogene Maxse zwar in der politischen elite des landes verankert, machte jedoch keinen hehl aus seiner Verachtung für titel und Konventionen. als überzeugter Demokrat und populist glaubte er, dass der gesunde Menschenverstand des Durchschnittsbriten den erwägungen von Diplomaten und staatsmännern überlegen war und dass er sich langfristig durchsetzen werde. „as the British foreign office“, schrieb er im august 900 in der National Review, „ultimately conforms to public opinion, of which it stands in exaggerated awe, the opinion of the ordinary englishman on matters of foreign policy is of no little importance.“4 Mitte der 880er Jahre war Maxse von einer zwölfmonatigen reise durch das britische Weltreich und in die usa als glühender imperialist und anhänger einer engen allianz mit amerika zurückgekehrt. nach dem Krügertelegramm des Kaisers und insbesondere seit Beginn des Burenkriegs war er außerdem zu der Überzeugung gelangt, Deutschland stelle in Zukunft die größte gefahr für england dar.5

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4 5

Der Krieg in südafrika, schrieb einer von ihnen schon 900, „[has] not only shaken our military organisation. it has profoundly affected the whole nation in many ways. […] it has transmuted the complacent arrogance and contempt of other nations begotten of long years of peace and prosperity to a truer consciousness both of our strength and of our defects, and has awakened an earnest desire to make those defects good“; Amery (hrsg.), history, Bd. , s. . siehe auch Searle, efficiency; ders., Quest, Kapitel . Zum Wandel der britischen selbsteinschätzung vgl. Wipperfürth, souveränität. leo J. Maxse, episodes of the Month, in National Review 0, august 900, s. 879. 899 soll er Milners angebot, eine große tageszeitung in südafrika zu leiten, mit den Worten abgelehnt haben: „i must stay in england to warn people of the german danger“; so jedenfalls seine schwester Violet in ihrem artikel über leo Maxse im nDoB, 93–40, hrsg. von l. g. Wickham, london 949, s. 607, zur antideutschen Kampagne der National Review in den Jahren nach 899 siehe auch Christian, Maxse, s. 35–8; Morris, scaremongers, s, 37–40.

a) Die antideutsche Pressekampagne um die National Review

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nationalismus und imperialismus waren die verbindenden ideologischen elemente dieser radikalen rechten, die parteipolitisch nicht leicht einzuordnen war. neben konservativen freihändlern wie dem herausgeber des spectator, st. loe strachey, gab es solche, die wie spenser Wilkinson von der Morning Post, george saunders von der Times oder der Marinejournalist arnold White dem liberalismus entstammten. andere hatten wie J. l. garvin, der für den Daily Telegraph und zahlreiche periodika schrieb, ihre Wurzeln im irischen nationalismus oder waren sozialisten wie der herausgeber des Clarion, robert Blatchford.6 Maxses familie verfügte über gute Kontakte ins konservative wie liberale lager, war mit clemenceau in frankreich ebenso befreundet wie mit den chamberlains. Der Vater beendete die politische irrfahrt seines lebens, die bei den tories begonnen hatte, als radikalliberaler, während leos schwester Violet in erster ehe lord edward cecil, den vierten sohn des dritten Marquess of salisbury, und nach dessen tod alfred Milner, den ehemaligen britischen hochkommissar in südafrika heiratete.7 Das Deutschlandbild der publizisten auf der radikalen rechten war dabei keineswegs durchgängig negativ, sondern von einer Mischung aus Verehrung, rivalität und ablehnung geprägt. saunders beispielsweise pries nach einem studienaufenthalt in göttingen „the pure serene atmosphere of german intellectualism“ als glücklichste Zeit seines lebens.8 Der ehemalige irische unterhausabgeordnete sir rowland Blennerhassett, ein freund des bayrischen theologen und Kirchenhistorikers ignaz Döllingers, war ein früher Verehrer Bismarcks, der fest daran glaubte, dass die deutsche Variante staatlich gelenkten fortschritts englischen Methoden überlegen sei.9 auch spenser Wilkinson hegte eine glühende Bewunderung für Deutschlands Kultur, armee, Marine und namentlich die deutschen Bildungseinrichtungen. „every englishman who knows anything“, pflegte er zu sagen, „has learnt it in germany.“ Zugleich war er überzeugt, dass die auf vortrefflicher organisation beruhende Macht Deutschlands in Kürze gegen england anstürmen werde.0 garvin, dessen Bücherregale mit originalausgaben der Werke von Kant, clausewitz, treitschke, von sybel, Mommsen und curtius überquollen, behauptete von sich, wenige nichtdeutsche schätzten das deutsche Volk so sehr wie er. Der publizist bewunderte 6 7 8

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0 

Vgl. Bauerkämper, „radikale rechte“, s. –03; Sykes, radical right. Vgl. Hutcheson, Maxse, s. 468–9; zur freundschaft mit clemenceau siehe Hanks, clemenceau. „goethe was a god. hegel’s philosophy embraced all that was good in christianity and in everything else“; george an David saunders, 0. november 879, ccc, saunders papers, saun/gs//8. „his early desire that england should learn from germany“, schrieb Daniel c. lathbury im Dictionary of national Biography, „passed into a strong desire that she should prepare herself for the rivalry which the new german ambitions were making inevitable“; DnB 90–, s. 8. so zumindest Bernstorff in seiner aufzeichnung über die britische presselandschaft vom 9. Januar 904, pa-aa, england 73, r 567. garvin an stead, . februar 90, ccc, stead papers; Garvin, facts, s. 8.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

viele eigenschaften dessen, was er für den deutschen nationalcharakter hielt. Der deutschen Kultur verdanke er alles, erklärte er: „it is just because [the germans] are so great that the danger is great: they have every qualification for taking our place and are bound to aspire it more ardently as time goes on and their trade and wealth and fleet expand together.“ Zugleich waren sich die publizistischen propheten der deutschen gefahr darüber im Klaren, dass momentan noch großbritannien, nicht das Deutsche reich die meisten trümpfe in der hand hielt. es galt, diese geschickt – und vor allem möglichst rasch – auszuspielen, um die eigene position gegen den emporkömmling jenseits des Kanals zu sichern. Maxse mahnte, „[that] members of the anglosaxon community should be extraordinarily careful before they help germany out of the tight place which is naturally her lot (wedged in between france and russia)“.3 seine landsleute täten geradewegs so, bemerkte saunders auf dem höhepunkt der deutsch-britischen spannungen in fernost im spätsommer 900, als müsse nur england sich sorgen machen, außenpolitisch isoliert dazustehen: only think of the danger germany incurs of being isolated. Dependent as she still is on our naval stations she cannot openly move a finger against us in china without risking that we shut the trap. But she knows that we won’t, that we are in a great funk of russia and that we will allow her to talk big and make the orientals believe that she is the great power of the world. When the new german navy is ready she will speak in a somewhat different tone to us and by that time she will also have increased her vested interests all over the world.4

Zwar bildeten die protagonisten der antideutschen pressekampagne nicht in allen ihren forderungen eine geschlossene front, doch kreisten die gedanken der meisten im Wesentlichen um drei zentrale themen: erstens eine außenpolitische umorientierung und verbesserte Beziehungen nicht nur zu frankreich, sondern auch zu den Vereinigten staaten und russland; zweitens eine reorganisation der britischen Verteidigungspolitik, insbesondere die aufrüstung und Modernisierung einer strategisch besser platzierten royal navy;5 und drittens eine aktive staatliche sozialpolitik verbunden mit einer neuausrichtung der handelspolitik zur Konsolidierung des Weltreichs und zum schutz einheimischer produzenten, was auf die einführung einer wie auch immer gearteten schutzzollpolitik hinauslief. Die Beziehungen zu Deutschland befanden sich in der schnittmenge dieser drei themenkomplexe. Die diplomatische neuausrichtung diente neben der sicherung des eigenen Weltreiches durch kolonialpolitische absprachen mit den anderen großen imperialen Mächten nicht zuletzt der Distanzierung von Berlin und dem, was man immer stärker als erpressungsversuche der Wilhelmstraße empfand. Die Modernisierung der Kriegsmarine erschien als reaktion  3 4

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garvin an northcliffe, 0. august 909, zitiert in: Morris, scaremongers, s. 8. Vgl. Rohe, intelligentsia. Maxse an Mahan, . Mai 90, loc, Mahan papers, container , reel 6. saunders an Maxse, 0. september 900, Wsro, Maxse papers 447, Bl. 783–4; vgl. auch garvins Beitrag in: Fortnightly Review vom Mai 904 (calchas, the Bancruptcy of Bismarckian policy). Dieser aspekt wird eingehender in Kapitel 5 behandelt.

b) Die Venezuelakrise und das Verhältnis zu den USA

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auf die deutsche flottenrüstung, während das reich in der Zollpolitik und bei der armeereform ausdrücklich als Vorbild angeführt wurde.

b) Die Venezuelakrise und das Verhältnis zu den USA im hinblick auf das britische Verhältnis zu den usa forderten die antideutschen publizisten einmütig, es müsse so eng und freundschaftlich wie möglich sein. Maxse bezeichnete freundschaftliche Beziehungen zu den Vereinigten staaten im Dezember 90 als „key note“ britischer außenpolitik.6 garvin hatte sich unter seinem nom de guerre „calchas“ schon im april 90 der frage gewidmet: „Will germany fail?“ gegen die vereinte seemacht großbritanniens und amerikas, so lautete seine antwort, habe das Deutsche reich ebenso wenig eine chance wie gegen die industriemacht der Vereinigten staaten. Die Zukunft Deutschlands liege im aufbau eines europäischen imperiums, das sich von der ostsee bis zum persischen golf erstrecken und in dem sowohl das habsburger als auch das osmanische reich aufgehen würden.7 nicht selten wurden britische und amerikanische interessen derart miteinander gleichgesetzt und als von Deutschland bedroht dargestellt. Beispielsweise verwischte der ehemalige chef-leitartikler des Manchester Guardian, W. t. arnold, unter dem pseudonym „Vigilans sed aequues“ in einer artikelserie im Spectator mit dem titel „german ambitions as they affect Britain and the united states“ bewusst die trennlinie zwischen alldeutschen expansionsfantasien und offizieller außenpolitik.8 gleichzeitig fürchtete man, Deutschland könne großbritannien in der gunst der usa den rang ablaufen. schon vor dem telegramm präsident clevelands vom Dezember 895 hatte es wegen der grenzstreitigkeiten zwischen Venezuela und British guyana spannungen in den Beziehungen zwischen london und Washington gegeben.9 Britische politiker wie publizisten waren sich der Vorbehalte gegen england bewusst, die in amerika trotz der Beilegung der Venezuelakrise von 895/96 und der britischen unterstützung für die usa im Krieg gegen spanien 898 existierten. Das englische Volk könne die amerikaner nicht leiden, schrieb ein britischer Journalist im februar 90 an Wilhelm ii.; man fürchte und beneide sie.0 6 7 8 9 0

Maxse an Mahan, 6. Dezember 90, loc, Mahan papers, container , reel 6. calchas, Will germany fail?, in Fortnightly Review, april 90. Die artikel erregten so großes aufsehen, dass sie anfang 903 auch in Buchform erschienen; vgl. Strachey, strachey, s. 36–7. siehe etwa spring rice an Villiers, . april 895, abgedruckt in Gwynn, letters, Bd. , s. 75. siehe auch Wehler, aufstieg, s. 57–83; Bourne, Britain, s. 339–40. William g. fitzgerald an Wilhelm ii, 7. februar 90, pa-aa, england 8 nr. 3, r 5959. „from the nature of the case“, notierte Balfour in einem Brief an den herausgeber des Spectator, „american patriotism must be fed on histories of the War of independence, and the most stirring memories must be of conflicts with [Britain]“; Balfour an strachey, . Juli 898, hlro, strachey papers, str/4/4/3.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

Das schwanken zwischen dem Vertrauen auf die Bande von sprache, Kultur und dem, was man damals „rasse“ nannte, auf der einen seite und der sorge über deren festigkeit auf der anderen macht verständlich, warum viele in england deutsche Kontakte mit den usa misstrauisch verfolgten. trotz der in Deutschland nach dem spanisch-amerikanischen Krieg weit verbreiteten und von Wilhelm ii. geteilten ressentiments gegen amerika hatte harmsworth den ehemaligen liberalen premierminister rosebery schon im november 898 gedrängt, er solle den prince of Wales zu einer amerikareise überreden, um ein gegengewicht gegen eine angeblich kurz bevorstehende reise des deutschen Kaisers in die usa zu schaffen. Befürworter eines engen deutsch-britischen Zusammengehens wie der publizist sidney Whitman bemerkten diese strömung mit Missvergnügen und kritisierten „ein Wettkriechen in der presse um die gunst amerikas, welches so widerlich ist, dass man höchstens im spital oder beim rosseschinder etwas analoges antreffen dürfte“. Knapp vier Jahre später, anfang 90, löste eine usa-reise von Wilhelms Bruder, prinz heinrich, noch größere sorgen in england aus, da sie mit einem – zumindest taktisch-kurzfristigen – proamerikanischen Kurswechsel der deutschen außenpolitik nach dem scheitern der Bündnisverhandlungen mit england einherzugehen schien.3 angesichts deutscher Bemühungen, den britischen Botschafter in Washington, Julian pauncefote, in der amerikanischen Öffentlichkeit zu diskreditieren, indem man ihm antiamerikanische intrigen während des spanisch-amerikanischen Krieges anzuhängen versuchte, berichtete springrice, die Deutschen trieben in Washington das übliche spiel, ihr Botschafter von holleben unterhalte ein regelrechtes pressebüro und streue antienglische Verleumdungen aus.4 selbst lascelles in Berlin hielt es für wahrscheinlich, „that holleben may have used the press in order to discredit us in america“.5 um das deutsch-britische Verhältnis nicht weiter zu belasten, wollte das foreign office nach der affäre möglichst rasch zur tagesordnung übergehen, zumal pauncefote nur wenige Wochen später starb.6 Zahlreiche der antideutschen Journalisten in london waren allerdings anderer ansicht. chirol machte in einem schreiben an sanderson im foreign office hollebens „perfidie“ für den tod des britischen Botschafters verantwortlich und behielt sich ausdrücklich vor, entsprechendes in den spalten der Times zu  

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harmsworth an rosebery, 8. november 898, zitiert nach Morris, scaremongers, s. 6. Whitman an Delbrück, 0. März 898, sBpK, nl Delbrück (Whitman, Mappe i); ders. an denselben, 9. november 899, ebd. Vgl. auch Metternich an Bülow, . oktober 90, pa-aa, england nr. 78, r 5678. allgemein dazu Perkins, rapprochement. Vgl. Fiebig-von Hase, lateinamerika, s. 0–36; dies., „friendship“, s. 57–63. spring rice an florence lascelles, . Juni 90, abgedruckt in: Gwynn, letters, Bd. , s. 35. Vgl. auch Metternich an Bülow, 4. februar 903, pa-aa, england nr. 78 secretissima, r 577 (in gp, Bd. 7, nr. 549 sind nur die letzten seiten des Briefes abgedruckt). allgemein zur holleben-pauncefote-affäre siehe schon Vagts, Deutschland, s. 400–0. lascelles an sanderson, . März 90, tna, fo 800/8, Bl. 60–. sanderson an lascelles, . Juni 90, tna, fo 800/, Bl. 9–.

b) Die Venezuelakrise und das Verhältnis zu den USA

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schreiben.7 Maxse warnte einen amerikanischen Briefpartner, Deutschland gefalle sich stets in der rolle des störenfrieds, spiele andere länder gegeneinander aus und erpresse beide seiten, wie es das mit england und russland dreißig Jahre lang getan habe. „We earnestly hope that people on your side will be too shrewd to further her little game.“8 saunders ließ sich aus Berlin mit ähnlichen ermahnungen vernehmen. eines der wichtigsten Ziele deutscher politik, schrieb er an seine heimatredaktion, „is to detach us from america […] let us not alienate ourselves from our american brethren – bone of our bone and flesh of our flesh! […] above all, we must go hand in hand with america in good and evil fortune. this is absolutely essential.“9 Vor dem hintergrund dieser hoffnungen und Ängste ist die reaktion der konservativen presse auf die gemeinsame Blockade der venezolanischen Küste durch deutsche und britische Kriegsschiffe im Dezember 90 zu verstehen, die zwar vom Völkerrecht gedeckt war, aber gegen die von Washington hoch gehaltene Monroedoktrin verstieß und die gefahr eines Zusammenstoßes mit den usa beinhaltete. seit langem hatte das von Bürgerkriegen geschwächte und finanziell bankrotte Venezuela seinen ausländischen – vor allem deutschen und britischen – gläubigern keine Zinsen gezahlt, ganz zu schweigen von Wiedergutmachungen für schäden, die ausländischen unternehmern in den vorangegangenen Bürgerkriegswirren entstanden waren.30 neben prestigefragen gab es genug finanzielle, wirtschaftliche, handelspolitische und militärische interessengemeinsamkeiten zwischen Berlin und london, um ein Zusammengehen mit Deutschland zu rechtfertigen. so sahen es jedenfalls der im sommer als nachfolger salisburys zum premier ernannte Balfour und sein außenminister lord lansdowne. sie waren bereit, das risiko einer Konfrontation mit den Vereinigten staaten in Kauf zu nehmen, zumal der regierungschef in der Kooperation mit Berlin eine chance erblickte, die seit dem Burenkrieg gespannten deutschenglischen Beziehungen zu verbessern.3 teile der britischen presse wollten die außenpolitischen prioritäten jedoch anders gesetzt wissen. saunders fürchtete, „[that] this Venezuealan business […] has a symptomatic significance reaching far beyond the enterprise and its immediate consequences. […] how long will america continue to prefer us in her heart to germany and to trust us where she mistrusts germany?“3 Die meisten Journalisten in england stimmten in dieser frage mit dem Berlin-Korrespon7 8 9

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chirol an sanderson, 30. Mai 90, ebd., Bl. 9–. Der Briefpartner war admiral alfred thayer Mahan; Maxse an Mahan, 9. Mai 90, loc, Mahan papers, container , reel 6. saunders an Moberly Bell, 4. Juni 90, nia, Moberly Bell papers; abgedruckt in hot Bd. 3, s. 365–70. Vgl. auch saunders an Maxse, 7. Juni 90, Wsro, Maxse papers 450, Bl. 5. Vgl. zuletzt Mitchell, Danger. Beim Besuch des Kaisers in sandringham im november einigte man sich endgültig auf ein gemeinsames Vorgehen; siehe Fiebig-von Hase, großmachtkonflikte; Rose, calculation. saunders an Maxse, . Dezember 90, Wsro, Maxse papers 450, Bl. 593–4.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

denten der Times überein. Mit ausnahme des Daily Telegraph und dessen außenpolitischem redakteur iwan-Müller protestierten alle konservativen Zeitungen gegen den Kurs der regierung.33 nachdem sich auch sir henry campbell-Bannermann und sir edward grey für die liberale opposition im unterhaus gegen das unternehmen ausgesprochen hatten, hielten liberale Blätter wie die Westminster Gazette, die Daily News und der Manchester Guardian mit ihrer Kritik ebenfalls nicht hinter dem Berg.34 Die presse beider lager schrieb einmütig vom „venezolanischen schlamassel“ und erklärte, die regierung habe es zugelassen, „[to be tied] to germany’s tail“.35 Die aggressivere sprache wurde in konservativen Zeitungen geführt, die einmütig behaupteten, großbritannien habe sich von der reichsregierung vorschieben lassen, deutsche schulden in südamerika einzutreiben. im Spectator konnte man von einem „capital error in international diplomacy“ lesen.36 einen höhepunkt erreichte die Kampagne, als die Times rudyard Kiplings gedicht „the rowers“ abdruckte, in dem die Deutschen als „an open foe“ und „shameless hun“ bezeichnet wurden. in dem begleitenden leitartikel behauptete die redaktion, Kiplings gedicht bringe gefühle zum ausdruck, „which unquestionably prevail far and wide throughout the nation“.37 Wie gut der Dichter die stimmung eines großen teils seiner landsleute getroffen hatte und wie verbreitet ein tiefes Misstrauen gegen Deutschland auch außerhalb der politischen elite londons inzwischen war, ging aus den leserbriefen hervor, mit denen die redaktionen konservativer Zeitungen in den folgenden tagen und Wochen überschüttet wurden. so kritisierte ein clarence M. Dobell in einer Zuschrift an den Spectator an Kiplings gedicht lediglich, der gebrauch des Wortes „hun“ beleidige die ungarn. Die redaktion fühlte sich daraufhin bemüßigt festzustellen, der Dichter habe das Wort metaphorisch, nicht ethnologisch gebraucht; es beziehe sich auf des Kaisers hunnenrede sowie auf die „hunnenbriefe“ aus china, mit denen der sozialdemokratische Vorwärts zwei Jahre zuvor für aufregung gesorgt hatte.38 Das schreiben eines besonders aufgebrachten Briten traf anfang Januar 903 im auswärtigen amt in Berlin ein; Mr. spenly aus lincoln in Mittelengland warf der reichsregierung vor, sie versuche mit allen Mitteln, auf ein Zerwürfnis englands mit den usa hinzuwir33 34 35

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Zur position iwan-Müllers siehe Daily Telegraph vom 3. Dezember 90. Zur Verbindung mit Balfour siehe Kapitel .d). Daily News vom . Dezember, Manchester Guardian vom 8. Dezember und Westminster Gazette vom 6. Dezember 90. Die Bezeichnung „Venezuelan Mess“ wurde von dem statistiker sir robert giffen geprägt in einem leserbrief an die Times vom 8. Dezember. „Why are We tied to germany’s tail?“ lautete eine Überschrift in der Daily Mail vom 7. Dezember 90; ähnlich auch die Überschrift im Spectator vom 7. februar 903: „Why are we tied to germany?“ Spectator vom 7. februar 903. Times vom . Dezember 90; Zustimmung fand Kipling im Spectator vom 7. Dezember und in der St. James’s Gazette vom . Dezember 90. Spectator vom 3. Januar 903. Zu den „hunnenbriefen“ des Vorwärts siehe Wielandt und Kaschner, reichstagsdebatten.

b) Die Venezuelakrise und das Verhältnis zu den USA

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ken, erst durch die reise des Kronprinzen nach amerika und jetzt durch das betrügerische angebot to help you collect your bad debts in Venezuela, owing i suppose to german Jews. until the Boer War was forced upon us, we most of us in england, had only one wish about germany, we all wished her peace + prosperity, as we thought always that you were our good friends, but first the emperor’s insolent telegram, and then the tone of your press undeceived us. for the past 3 years your newspapers have poured forth a raging flood of scandalous abuse, and deliberate falsehoods, about us, monstrous inventions, wicked groundless lies [...] the fact remains that the german press skewed us by its lying slanders + filthy ribald insults, that you germans hated us and that you felt „envy, hatred, malice + all uncharitableness“ towards us. for your emperor to come to us after that + cozen + cheat our Ministers + get our King to help him is simply a piece of colossal impudence. But of course, the english nation will not permit such a treaty. We, the english people, govern ourselves, and we do not allow either King or emperor to interfere with our own will. You have turned our old friendly feeling by your filthy lies, deliberate lies + insults into utterly contemptuous dislike.39

Der Brief ist ein gutes Beispiel, wie sich beim britischen Zeitungspublikum aus der Vielzahl einzelner Meldungen und Kommentare allmählich eine zusammenhängende geschichte herauszuschälen begann, mit deren hilfe sich die immer öfter konstatierte grundlegende Veränderung im deutsch-britischen Verhältnis erklären ließ: Diese geschichte handelte von gutgläubigen, freiheitsliebenden engländern und betrügerischen, obrigkeitsstaatlichen Deutschen. sie begann mit dem Krügertelegramm des Kaisers und führte über die englandhetze der deutschen presse im Burenkrieg geradewegs zu den hinterhältigen umtrieben der deutschen Diplomatie in der Venezuelakrise. Der britischen regierung kam der aufruhr in der britischen Öffentlichkeit zunächst nicht ungelegen. lansdowne und Balfour machten sich zu Beginn der Krise mehr sorgen über die antideutsche stimmung in den usa.40 Die englischen Zeitungen mit ihrer wachsenden teutophobie fand lansdowne zwar „furious and unreasoning“; gleichzeitig stellte er jedoch zufrieden fest, „[that the] violence of the anti-german feeling here has been extraordinary & has produced a profound impression on the german mind“.4 nicht ohne grund hoffte der außenminister, das Wissen um die feindseligkeit der britischen presse werde die reichsregierung kompromissbereit stimmen. Der britische Botschafter in Berlin wusste nach gesprächen mit seinen italienischen und österreichischen Kollegen zu berichten, die Wilhelmstraße sei in sorge wegen des tonfalls der englischen Zeitungen und bestrebt, die Venezuelakrise zu einem raschen ende zu bringen. „they will“, prophezeite lascelles, „therefore agree to anything we propose, as they certainly do not wish to increase our difficulties with public 39 40

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spenly an aa, 9. Dezember 90, pa-aa, england nr. 78, r 568. siehe Kneer, great Britain, s. 36. Vgl. auch die Depesche des britischen Botschafters in Washington; herbert an lansdowne, 9. Dezember 90, zitiert ebd., s. 40, 46. Zur rolle der amerikanischen presse vgl. Holbo, obscurity, s. 49–3. lansdowne an herbert, 7. Dezember 90, zitiert in: Kneer, great Britain, s. 40.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

opinion in england. […] i think there is a certain amount of truth in all this, as the germans are very sensitive about our press which they believe has far more influence than it really has.“4 Je länger sich das diplomatische tauziehen zwischen großbritannien und Deutschland auf der einen und Venezuela auf der anderen seite hinzog und je deutlicher regierung und presse der Vereinigten staaten ihren unmut über die militärische intervention der beiden europäischen Mächte in der westlichen hemisphäre zum ausdruck brachten, desto weniger konnte man in london die kritischen stimmen in presse und parlament des eigenen landes ignorieren. Die schärfsten angriffe kamen von der National Review, wo herbert W. Wilson unter dem pseudonym „ignotus“ dem außenminister vorwarf, er habe Deutschland nicht nur zum geschäftsteilhaber, sondern zum Verbündeten großbritanniens gemacht und england mit händen und füßen an diesen ränkevollen partner gebunden. Berlin bezwecke nicht weniger, als das britische empire in einen Krieg mit den usa zu verwickeln, die beiden nationen angelsächsischer rasse untereinander zu verfeinden und die Welthegemonie auf Deutschland übergehen zu lassen. gäbe es eine patriotische opposition, schloss der artikel, so hätte die affäre längst zum sturz des Ministeriums führen müssen: no Minister has a right to conclude an alliance which departs from the settled and recognised line of national policy, in defiance of public opinion. […] the whole British press with scarcely an exception, had denounced any alliance or entangling with germany during october and early november, and we all know that the press answers to and represents public opinion when it speaks with such unanimity.43

Derartige publizistische attacken gaben all jenen in Kabinett und Whitehall auftrieb, die wie Bertie, Mallet und Villiers im außenministerium, lord george hamilton an der spitze des india office oder chamberlain und der earl of onslow im Kolonialministerium der Kooperation mit Deutschland ohnehin skeptisch gegenüber standen.44 Mitte februar fürchtete lansdowne nicht mehr nur eine explosion öffentlichen unmuts in den usa, sondern bemerkte, auch in großbritannien sei die spannung mittlerweile „acute“ und die position der regierung immer unhaltbarer geworden.45 Der am 4. februar schließlich ausgehandelte Kompromiss sicherte zwar die Zahlung wenigstens eines teils der 4

43 44

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lascelles an lansdowne, 7. Dezember 90, tna, fo 800/8, Bl. 87–8. tatsächlich zeigte sich die deutsche Diplomatie den britischen Vorschlägen gegenüber im Verlauf der folgenden Wochen derart entgegenkommend, dass der außenminister ende februar rückblickend urteilte: „the germans have on the whole behaved well, although they have been fussy & fond of raising unnecessary points, but they have almost invariably given way to us“; lansdowne an herbert, 0. februar 903, zitiert in: Kneer, great Britain, s. 59. ignotus: a lesson to lord lansdowne, in National Review 39, Januar 903, s. 70–4; Kopie in: pa-aa, england nr. 78, Bd. 9, r 568. Vgl. Kennedy, rise, s. 59. Zudem hatte sich inzwischen herausgestellt, dass die zentralen forderungen großbritanniens an Venezuela leichter zu erfüllen waren als diejenigen des Deutschen reiches; Kneer, great Britain, s. 3–67. lansdowne an lascelles, 9. februar 903, tna, fo/40/3; vgl. auch Metternich an Bülow, 4. februar 903, gp, Bd. 7, nr. 549, s. 88–9.

b) Die Venezuelakrise und das Verhältnis zu den USA

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geforderten summen durch Venezuela und half den regierungen in london und Berlin, ihr gesicht zu wahren.46 Die lösung konnte aber kaum darüber hinwegtäuschen, „dass die innenpolitischen Voraussetzungen für eine deutschenglische Entente auf der Basis gemeinsamer interessen kaum noch und gewiss dann nicht gegeben waren, wenn eine solche Kooperation den amerikanischen unwillen heraufbeschwor“.47 insofern hatte Maxse recht, wenn er die deutschenglische Zusammenarbeit in der Venezuelakrise dem amerikanischen admiral alfred thayer Mahan gegenüber als „blessing in disguise“ bezeichnete: it brought out a display of independence towards our government indicative of the virility and vigour of public opinion in this country, which is a great encouragement to those of us who have been working in various spheres to try and get the nation interested in questions of national policy. the manner in which the rather slow British mind at once appreciated the folly of co-operating with germany […] is a great encouragement to those who have been conducting the campaign of education during the last few years. […] the Venezuelan „mess“ […] has dealt a heavy blow at the policy of cooperating anywhere with germany. […] those of us who are at close quarters with the slip-shod methods of British statesmen know that such cooperation would always be detrimental to our interests. germany is perfectly prepared to exploit us wherever she can. […] it is our duty to keep her at arm’s length because she is not to be trusted anywhere.48

Mahans antwort war insofern nicht untypisch für breitere Kreise in den usa, als er sich die sichtweise des Briten auf Deutschland weitgehend zu eigen machte und dem reich, nicht großbritannien, die schuld an den transatlantischen Verstimmungen zuwies.49 er zweifle nicht im geringsten an der feindseligkeit des deutschen Volkes gegenüber england, schrieb der admiral, „and, in a slightly less degree, towards ourselves“.50 Der britische Botschafter in Washington wusste zwar nichts von Mahans Korrespondenz mit Maxse, registrierte den amerikanischen Meinungsumschwung aber genau. Die neue antideutsche stimmung in den Vereinigten staaten könne sich langfristig nur positiv auf die Beziehungen zwischen großbritannien und den usa auswirken, kabelte er nach london, wenn man es in england verstehe, sich künftig von allen Verbindungen mit dem Deutschen reich fernzuhalten. Man müsse sich daran erinnern, schrieb er weiter, that, up to the time of the spanish war, the united states, since they became a nation have had only one enemy worthy of name – great Britain. spain has been disposed of, and is forgotten. germany is now gradually taking great Britain’s place in the american mind as the ‚natural foe‘, and the more general this feeling becomes, the more will the american people be instinctively drawn towards the people of great Britain with whom they have so much in common.5

46 47 48 49

50 5

Vgl. Kneer, great Britain, s. 55–7. Fiebig-von Hase, großmachtkonflikte, s. 554. Maxse an Mahan, 6. März 903, loc, Mahan papers, container , reel 6. Das war auch der eindruck, den saunders in Berlin vom stimmungsumschwung in der amerikanischen Öffentlichkeit gewann; saunders an Maxse, . Dezember 90, Wsro, Maxse papers 450, Bl. 593–4. allgemein dazu Angermann, Wendepunkt. Mahan an Maxse, 4. Juli 903, loc, Mahan papers, container , reel 6. herbert an lansdowne, 5. februar 903, tna, fo 40/4.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

c) Die Bagdadbahndebatte und die Annäherung an den Zweibund Die schlussfolgerungen aus der Venezuelakrise berührten nach ansicht Maxses und seiner gesinnungsgenossen nicht nur das transatlantische Verhältnis. sie betrafen auch die Bündniskonstellation in europa. Denn so wie ein britischamerikanisches Übereinkommen nur ohne, ja gegen Deutschland zu erreichen gewesen war, sollten in ihrer sicht auch die europäischen Koalitionen unter ausschluss des reiches neu geordnet werden. Der Spectator schlug folgerichtig eine britische allianz mit frankreich und russland vor, um das Deutsche reich, den „mischief-maker of the world“, mit einem sicherheitsring zu umgeben.5 Die idee eines Bündnisses mit dem Zarenreich und der Dritten republik war kein Blitz aus heiterem himmel. Die Vorstellung faszinierte britische publizisten schon seit geraumer Zeit.53 saunders hatte schon ende der 880er Jahre in privatbriefen an seine familie den gedanken entwickelt, die angelsächsischen Mächte großbritannien und die usa sollten mit russland als slawischer führungsmacht zusammengehen. Den russen gehöre die Zukunft: „they ought to be our allies. if they were the alliance would carry all before it.“54 in den folgenden Jahren kam der Berlin-Korrespondent immer wieder auf diese Konzeption zurück. großbritannien, so lautete sein credo, solle ein Übereinkommen mit russland anstreben und sich auf einen Krieg mit Deutschland vorbereiten. er hielt einen kolonialen ausgleich mit dem Zarenreich in innerasien für erreichbar, ein auskommen mit den Deutschen, die london und st. petersburg beständig gegeneinander ausspielten, hingegen für unmöglich und auch nicht erstrebenswert.55 Das reich sei ein viel skrupelloserer und gefährlicherer feind als russland oder frankreich, schrieb er an seinen Vater. „Were it not for germany, we could easily manage france and russia and ultimately be friends with them too. this germany thinks she must prevent at all costs; and i fear that this fact will cost the blood of our sons and grandsons.“56 Während des Burenkrieges begann saunders auch außerhalb des engsten familienkreises für seine ansichten zu werben, zunächst in der Times-redaktion und unter den schottischen politikern, zu denen er über seinen Vater Kontakt hatte.57 Bülow wolle zu Bismarcks alter schaukelpolitik zu5 53 54 55

56 57

Spectator vom 7. februar 903, Kopie in: pa-aa, england nr. 78, Bd. 9, r 568. Vgl. frühere artikel im Spectator vom 3. april und . november 90, 4. Januar, 3. august und 4. oktober 90. george an David saunders, 5./6. Mai 888; ccc, saunders papers, saun gs//40. Zum hintergrund siehe Neitzel, Weltmacht. siehe zum Beispiel george an David saunders, 6. Dezember 896 und 9. oktober 899, ccc, saunders papers, saun gs//6 und 34; saunders an Mackenzie Wallace, 8. März 897, nia, Mackenzie Wallace papers. george an David saunders, 8. november 899, ccc, saunders papers, saun gs//37. siehe die Korrespondenz zwischen David saunders und rosebery, henry campbell-Bannermann, John sinclair, george armistead und c. s. parker; insbesondere rosebery an saunders, . Januar 900, ccc, saunders papers, saun Dhs/5.

c) Die Bagdadbahndebatte und die Annäherung an den Zweibund

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rückkehren, warnte er chirol, „england and russia sitting at either end of the log and germany astride in the middle“.58 an amery schrieb er, weder russland noch frankreich seien so feindselig gegenüber england eingestellt wie Deutschland: „she looks upon us as upon an artichoke to be pulled to pieces leaf by leaf.“59 Kein staat, predigte er dem schottischen unterhausabgeordneten John sinclair, sei jemals mit Deutschland befreundet gewesen, ohne seine internationale stellung einzubüßen und für deutsche Zwecke ausgebeutet zu werden. „for my own part, i would prefer good business-like relations with france and russia as the basis of our foreign and colonial policy.“60 anfangs stießen saunders’ ideen auf wenig gegenliebe. einige der liberalen freunde seines Vaters empfanden die Berlin-Berichterstattung der Times als unausgewogen, kriegstreiberisch und ein spiel mit dem feuer.6 in der heimatredaktion betrachtete chirol die Möglichkeit eines Übereinkommens mit russland skeptischer als saunders. er blieb besorgt wegen russischer und französischer expansionsbestrebungen in asien beziehungsweise nordafrika. es war besser, fand er, Berlins engagement in regionen wie Mesopotamien oder china zu unterstützen als das feld st. petersburg und paris zu überlassen.6 Doch seit der Jahreswende 899/900 machte sich chirol die einschätzung seines Mannes in Berlin über die Beziehungen zu russland und frankreich immer stärker zu eigen. Man dürfe nicht zulassen, schrieb er an saunders, dass Berlin im Verhältnis londons zu paris und st. petersburg die strippen ziehe.63 etwa zu derselben Zeit bemerkte er gegenüber eckardstein, es sei vorzuziehen, sich mit offenen feinden wie frankreich und russland selbst unter opfern zu einigen als mit einem „zweideutigen freunde“ wie Deutschland.64 Ähnliche ansichten wurden in verschiedenen Wochen- und Monatsschriften vorgetragen. in der von W. l. courtney herausgegebenen Fortnightly Review propagierte garvin im Verlauf der Jahre 900 und 90 unter den pseudonymen „X“, „pollex“ und „calchas“ wiederholt eine russisch-englische annäherung.65 Deutschland sei englands unversöhnlicher feind, argumentierte er in der april58 59 60 6 6 63

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saunders an chirol, 0. november 899, nia, chirol papers. saunders an amery, 9. Januar 900, zitiert nach: Kennedy, rise, s. 47. saunders an sinclair, 9. Dezember 899, ccc, saunders papers, saun3 gs/6//5. c. s. parker an David saunders, . und 7. Januar 90, ebd., saun Dhs/6 und 65. chirol an saunders, 4. september 899, nia, chirol papers. Vgl. hot Bd. 3, s. 307–. Vgl. auch chirols leitartikel in der Times vom . september 899. chirol an saunders, 5. März 900, foreign Department letter Book (f. 4/55), zitiert nach: hot, Bd. 3, s. 35; vgl. auch chirols leitartikel zu „russia and persia“ in der Times vom 5. februar 900. aufzeichnung eckardsteins vom Januar 900, abgedruckt in: Eckardstein, lebenserinnerungen, Bd. , s. 85. im Jahr darauf stellte chirol derartige erwägungen auch öffentlich an, etwa wenn er in einem leitartikel Mitte september 90 behauptete, „that a comprehensive settlement of all questions between ourselves and russia is not impossible“; Times vom . september 90. Vgl. Courtney, editor, s. 6, 77–8. schon im oktober 900 fragte er: „Why not a treaty with russia?“; Fortnightly Review, oktober 900.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

nummer 90. seit vierzig Jahren spiele das reich russland und england sowie frankreich und england gegeneinander aus; Bülow setze in dieser hinsicht Bismarcks politik fort. Die richtige Konsequenz aus britischer sicht sei eine annäherung an st. petersburg und paris, um sich ganz der auseinandersetzung mit Deutschland widmen zu können.66 im Juli prophezeite er, das 0. Jahrhundert werde vom Kampf zwischen russland und Deutschland um die hegemonie in europa geprägt sein. sowohl die britische als auch die russische position im fernen wie im nahen osten sah er durch deutsche expansionsbestrebungen gefährdet und knüpfte an diese prognose die forderung nach einer russisch-englischen annäherung in Kolonialfragen.67 Die antienglische stimmung der deutschen Bevölkerung sei weniger gefährlich als die antibritische politik der reichsregierung, behauptete er im november. Die Wilhelmstraße betreibe die Bildung einer Kontinentalallianz, um auf diesem Wege england als stärkste seemacht zu beerben. Wieder empfahl er die Verständigung mit dem Zweibund als einzigen Weg aus der sackgasse.68 Den spektakulärsten Vorstoß zu einer neuausrichtung der britischen außenpolitik unternahm im november und Dezember 90 die National Review. unter dem pseudonym „a.B.c. etc.“ veröffentlichte sie zwei ausätze mit den titeln „British foreign policy“ und „some thoughts of an anglo-russian understanding“, in denen sie für einen umfassenden ausgleich mit russland warb: in seeking to close our prolonged contest with russia, we are desirous of doing something which would be for the advantage of civilisation, and should it be effected it would not be the less welcome because it brought us back into friendly relations with france – a country whose history is so closely interwoven with our own, and with which we share so many political sentiments.

Konkret wurde eine einigung über die wichtigsten britisch-russischen streitfragen im fernen und nahen osten sowie in persien vorgeschlagen. ein englischjapanisches abkommen sollte einer dreiseitigen einigung zwischen tokio, london und st. petersburg vorausgehen, die Japans ansprüche in Korea, russlands ambitionen in der Mandschurei und der Mongolei sowie großbritanniens interessen im Jangtse-tal sichern würde. Zudem sollte st. petersburg freie hand für seine „historische Mission“ auf dem Balkan erhalten und im gegenzug den status quo in Ägypten garantieren. gemeinsam sollten russland und england deutschen expansionsbestrebungen in Kleinasien und dem persischen golf entgegenarbeiten.69 Wie sehr bei all diesen Überlegungen die sorge vor der wachsenden Macht Deutschlands im Mittelpunkt stand, geht aus einem schreiben Maxses an admiral Mahan hervor, in dem der Brite einige Wochen später die grundgedanken seiner Konzeption deutlicher herausarbeitete. Die unwiderrufliche feindschaft Deutschlands, so Maxse, ziele auf das herz des britischen 66 67 68 69

ebd., april 90. ebd., Juli 90. ebd., november 90. a. B. c. etc.: British foreign policy, in: National Review 5, november 90, s. 343–58.

c) Die Bagdadbahndebatte und die Annäherung an den Zweibund

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Weltreichs und die Übernahme der Vorherrschaft zur see: „this necessitates a revision of our foreign policy, and an arrangement with russia ought to be within the range of practical politics.“70 Das aufsehen, welches die aBc-artikel über großbritannien hinaus auslösten, erklärt sich zum teil aus der sorgfältigen planung des unternehmens. Maxse ließ entwürfe in seinem weiten Bekanntenkreis in Westminster und Whitehall zirkulieren, verschickte Vorabdrucke an alle britischen und die wichtigsten deutschen tageszeitungen.7 Die entstehungsgeschichte der aufsätze sowie die reaktionen auf ihre Veröffentlichung zeigten deutlich, dass Maxse, saunders und garvin im herbst 90 keine einzelkämpfer mehr waren. sie hatten in den vorausgegangenen Monaten untereinander und mit gleichgesinnten in publizistik, politik und Diplomatie fühlung aufgenommen. Maxses ansichten über Deutschland waren nicht unwesentlich von saunders geprägt, den er im herbst 899 bei einem Berlin-Besuch kennen gelernt hatte und mit dem er seither ebenso in Briefkontakt stand wie mit chirol und garvin. letzterer schrieb seit 900 mehr oder weniger regelmäßig für die National Review. Blennerhassett, der gleichfalls artikel für die National Review beisteuerte, war wie saunders an der entstehung der artikel im november und Dezember 90 beteiligt.7 nicht zu unrecht bezeichnete Maxse die aufsätze in einer Vorbemerkung als das Werk mehrerer autoren, das Vorschläge aus verschiedenen richtungen aufgenommen habe und eher einen Meinungskonsens wiedergebe als die ansicht eines einzelnen Verfassers.73 nicht nur konservative, sondern auch liberale imperialisten, die wie lord rosebery Vorabkopien erhielten, hatten anregungen, ideen und Verbesserungsvorschläge beigetragen.74 Der spätere außenminister grey, der mit Maxse und einer handvoll anderer imperialistischer Modernisierer im so genannten coefficient club auch über außenpolitische fragen diskutierte75, fand zwar die antideutsche stoßrichtung allzu offenkundig, lobte aber 70 7 7

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Maxse an Mahan, 7. februar 90, loc, Mahan papers, container , reel 6. Vgl. Morris, scaremongers, s. 43. saunders an Maxse, 5. Juli 900, Wsro, Maxse papers 447, Bl. 746–7; garvin an Maxse 4 september und 4. oktober 900, ebd. s. 777, 786; Blennerhassett an Maxse, 0. und 3. oktober 90, ebd, 448, Bl. 43, 46. Zu saunders’ Beteiligung siehe saunders an Maxse, 4. und 3. oktober 90, ebd., Bl. 48, 43–. Vgl. auch den leserbrief Blennerhassets in der Times vom 3. august 90, in dem er bereits für eine annäherung an russland warb. leo Maxse, episodes of the Month, in National Review 5, november 90, s. . Der chefredakteur der liberalen Daily News, edward tyas cook, wollte einen hinweis auf das zunehmende Verständnis eingefügt sehen, das man mittlerweile in beiden politischen lagern der Bedeutung außenpolitischer Kontinuität bei wechselnden regierungen zuspreche; cook an Maxse, 8. oktober 90, Wsro, Maxse papers 448, Bl. 4. andere Mitglieder des informellen gesprächszirkels waren neben Maxse und grey unter anderem der geograph harold Mackinder, der schriftsteller herbert g. Wells, der Mathematiker Bertrand russell und der politiker leo amery. ihre Memoiren enthalten alles, was wir über den club wissen; vgl. Wells, Machiavelli, s. 338–9 (wo der club unter dem codenamen „pentagram circle“ figuriert); ders.: experiment, Bd. , s. 76–6; Russell, portraits, s. 77; Amery, political life, Bd. , s. 78; Semmel, imperialism, s. 78–8. Zu Wells siehe Müllenbrock, literatur.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

den grundgedanken „to establish confidence and direct relations with russia and to eliminate in that quarter the german broker who keeps england and russia apart and levies a constant confusion upon us while preventing us from doing any business with russia“.76 Weitere Vorabkopien gingen an charles hardinge, damals Botschaftssekretär in st. petersburg, und William tyrell, seinerzeit privatsekretär von sanderson im foreign office, die wie alle – noch aktiven oder ehemaligen – Diplomaten aufgrund ihrer stellung zu publizistischer enthaltsamkeit verpflichtet waren.77 Dennoch gelang es Maxse, einen pensionierten Diplomaten zu einer stellungnahme in der National Review zu bewegen. sir horace rumbold schrieb im herbst 90, kurz nach seinem abschied vom Botschafterposten in Wien, einen artikel für die Zeitschrift, in dem er mit der deutschen politik streng ins gericht ging und sich die forderung nach einer englischen annäherung an russland zu eigen machte.78 alles, was der publizistischen Kampagne gegen Deutschland und für eine annäherung an das Zarenreich zu diesem Zeitpunkt fehlte, war ein konkreter anlass, um den funken aus den imperialistischen gesprächszirkeln und periodika auf die tagespresse überspringen zu lassen.79 Diesen funken erzeugten die gespräche über das projekt einer eisenbahnlinie nach Bagdad, über das deutsche und englische Bankiers damals verhandelten. auf den ersten Blick schien das unternehmen für alle Beteiligten vorteilhaft. Die unter der Kontrolle deutscher Banken stehende anatolische eisenbahngesellschaft, der 899 der sultan die (zunächst vorläufige) Konzession zum Bau der Bahnlinie erteilt hatte, konnte auf sich gestellt das notwendige Kapital nicht aufbringen und suchte britische wie französische unternehmen zur Beteiligung zu bewegen. Die londoner regierung hielt es für wenig aussichtsreich, alle ausländischen Mächte aus der golfregion fernzuhalten, wie es etwa der indische Vizekönig curzon forderte. stattdessen setzte man in london auf eine internationalisierung sowohl der Bahn als auch des hafens am persischen golf, wo sie enden sollte. ein Konsortium unter deutscher führung schien aus dieser perspektive akzeptabler als eine russische Dominanz, weswegen der britischen regierung daran gelegen war, dass englische finanzleute um ernest cassell and clinton Dawkins anfang 903 in Verhandlungen mit den deutschen Banken einstiegen.80 Die britische presse hatte das unternehmen zunächst entweder kaum beachtet oder gar freudig begrüßt, wie die Times, die im november 899 anlässlich der Konzessionsvergabe an die deutsche anatolische eisenbahngesellschaft schrieb: „there is no power into whose hands englishmen would more gladly see the enterprise fall […] it would be gratifying could the co-operation of this coun76 77 78 79 80

grey an Maxse, 4. november 90, Wsro, Maxse papers 448, Bl. 450–. rosebery an Maxse, 3. oktober 90, ebd., Bl. 47; hardinge an Maxse, 6. oktober 90, ebd., Bl. 49–0; tyrrell an Maxse, 6. oktober 90, ebd., Bl. 4–3. National Review vom oktober 90. Vgl. auch rumbold an Maxse, 3. Dezember 90, Wsro, Maxse papers 450, Bl. 588. Vgl. Schöllgen, „germanophobia“. Vgl. Schöllgen, imperialismus, s. 40–76.

c) Die Bagdadbahndebatte und die Annäherung an den Zweibund

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try and germany, already established in more than one quarter of the globe, be extended to a region in which we must always on many grounds have a substantial interest.“8 Mit der um 90 einsetzenden außenpolitischen neuorientierung innerhalb der imperialistischen publizistik verschwand dieses Wohlwollen und machte wachsendem argwohn hinsichtlich der deutschen Motive und einer möglichen Wirtschaftsexpansion des reiches im nahen osten platz.8 spring-rice, der schon im sommer 90 befürchtet hatte, der Kaiser persönlich werde sich für eine britische Beteiligung am Bagdadbahnprojekt stark machen, warnte strachey im september, eine deutsch-englische Kooperation beim Bau der Bagdadbahn spiele der Wilhelmstraße in die hände.83 entsprechend negativ beurteilte strachey in seinen Kommentaren im Spectator alle Überlegungen einer deutschbritischen Zusammenarbeit im nahen osten. angesichts der tatsache, dass sowohl russland als auch Deutschland an den persischen golf strebten, so erklärte er im Dezember 90, sei die russische expansion vorzuziehen. Das Deutsche reich strebe nicht nur nach einer ausdehnung in Kleinasien, sondern auch nach seemacht, einer Dominanz im Welthandel und der gewinnung von Kolonien in südamerika. Da den deutschen ambitionen in allen drei richtungen das britische Weltreich im Wege stehe, sei eine allianz mit dem reich der unsicherste Boden zum aufbau einer auswärtigen politik. umgekehrt sei die russische Bedrohung indiens so lange zu vernachlässigen, wie das Zarenreich über keine starke flotte verfüge. Zudem werde Deutschland niemals großbritannien gegen russland unterstützen, weil es Verwicklungen mit dem Zweibund fürchten und um jeden preis vermeiden müsse.84 Das letzte argument fand sich wenige Wochen später fast wörtlich in einem Brief Maxses, der Mahan gegenüber bedauernd bemerkte, kein britischer staatsmann sei entschlossen genug, alle ausländischen einflüsse aus der golfregion herauszuhalten: „in my humble opinion, things being as they are and statesmen what they are, it might be wiser to come to terms with russia, who would agree to the exclusion of germany. We cannot come to terms with germany because the key to her policy today, as in the days of Bismarck, is subservience to russia.“85 erst vor dem hintergrund dieser verschobenen außenpolitischen prioritäten wird die schärfe verständlich, mit der die imperialistischen publizisten eine britische Beteiligung am Bagdadbahnprojekt anfeindeten, nachdem sie von den 8 8

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Times vom 30. november 899; siehe auch Morning Post vom 3. Dezember 899. „Whatever may be the risks involved in bringing russia by agreement to the persian gulf“, schrieb garvin anfang Dezember 90 in der Fortnightly Review, „we could not be less sure of the ultimate action of russia than we are of the private intentions of the Wilhelmstrasse“; Fortnightly Review, . Dezember 90. spring rice an strachey, 7. september 90, hlro, strachey papers, str 3/4/; siehe auch das undatierte schreiben, ebd. str 3/4/. Spectator vom 7. Dezember 90, Kopie in: pa-aa, england nr. 78, r 5678. Maxse an Mahan, 5. März 90, loc, Mahan papers, container , reel 6; siehe auch Maxse an Mahan, . Mai 90, ebd.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

Verhandlungen der deutschen und britischen finanzleute erfahren hatten. strachey scheint dabei von spring-rice und Mallet ins Bild gesetzt worden zu sein.86 Maxses gewährsmann war wahrscheinlich entweder der französische Botschafter in Konstantinopel, constans, der britische Bankier Dawkins oder Kolonialminister chamberlain.87 Da die aufregung über die deutsch-englische Zusammenarbeit in Venezuela erst wenige Wochen zurücklag, hielten Maxse und seine publizistischen Verbündeten die gelegenheit für günstig, durch neuerliches anheizen der antideutschen stimmung im lande das britische Kabinett von einer Beteiligung an dem eisenbahnunternehmen in Kleinasien abzubringen. Kaum habe man das Venezuela-schlamassel hinter sich, polemisierte Maxse in der aprilnummer der National Review, da stürze sich die regierung in das mesopotamische abenteuer, „which is far more serious because more lasting, and from which a very determined and vociferous expression of public opinion will be required in order to release us“. Die regierung scheine weit davon entfernt, die richtigen lehren aus der Venezuelakrise zu ziehen und sich von jeder Verwickelung mit Deutschland fern zu halten. stattdessen habe die bedauerliche affäre auf die fachleute in Whitehall einen ähnlichen effekt „as dram-drinking in other classes: the victim simply craves for more“. in Wirklichkeit diene das unternehmen dazu, england und russland zu entzweien, damit Deutschland der lachende Dritte sei.88 strachey griff den schlachtruf auf. es gebe nur eine antwort auf die deutschen Vorschläge, schrieb er, „and that is to have nothing whatever to do with them. this being so, the government, if they are wise, will allay public anxiety by giving the country an early assurance that the rumours as to their contemplated action have no foundation“.89 nachdem sich Balfour aufgrund dieser beiden artikel und einer daran anknüpfenden anfrage des abgeordneten gibson Bowles im unterhaus gezwungen gesehen hatte, öffentlich zu den Verhandlungen stellung zu nehmen, gelangte die Kampagne in die tagespresse.90 fast alle Zeitungen, mit ausnahme der regierungstreuen Daily Telegraph, Standard und des Daily Graphic, folgten der Meinungsführerschaft der National Review und des Spectator. sie attackierten die absicht des Kabinetts als „Bagdad Bungle“, „pan-german scheme“, „financial fraud“, „political conspiracy“ oder „wild cat project“ und widmeten der 86 87

88 89 90

spring rice an strachey, ostern 903, hlro, strachey papers, str 3/4/3; strachey an Milner, 0. Juni 909, zitiert bei: Morris, scaremongers, s. 395, fn. 35. Maxse selbst benannte rückblickend constans als seinen gewährsmann; Maxse, germany, s. 90; ihm folgend Christian, Maxse, s. 74. Morris, scaremongers, s. 55, vermutet hingegen, die information stammte von Dawkins, während Kennedy, rise, s. 55, fn. 5, die Verbindung mit chamberlain hervorhebt. Quellenbelege lassen sich für keine der Varianten finden; der hinweis ist wahrscheinlich mündlich gegeben worden. National Review, april 903, s. 65–76. Spectator vom 4. april 903; siehe auch die ausgabe vom 5. april 903. Bowles, gründer und bis 889 herausgeber der gesellschaftszeitschrift Vanity Fair, hatte in den 890er Jahren eine Karriere als parlamentarier begonnen; zu seiner schillernden persönlichkeit und wechselhaften politischer Karriere siehe die Biographie von Naylor, Victorian.

c) Die Bagdadbahndebatte und die Annäherung an den Zweibund

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angelegenheit in den folgenden zwei Wochen wenigstens einen, meist mehrere leitartikel.9 nicht nur die konservativen, sondern auch liberale Blätter wie die Westminster Gazette und der Manchester Guardian ließen kein gutes haar am Kurs der regierung.9 ein Zeichner des Punch brachte die stoßrichtung der Kampagne auf den punkt. seine Karikatur mit dem titel „the trap that failed“ zeigte einen britischen löwen, der vom deutschen Kaiser (im Jagdanzug, mit gamsbart am hut und gewehr über der schulter) in die falle der Bagdadbahn gelockt werden sollte.93 angesichts eines derartigen echos konnten Maxse und strachey vollauf zufrieden sein. Der Spectator sei „magnificent on the Baghdad railway“, lobte der herausgeber der National Review seinen Verbündeten am . april: if we had not „blown the gaff“, the British public would have been presented with a fait accompli in the beginning of april, and the war between russia and england, for which germany has worked for the last twenty years, would have been brought a step nearer. We are by no means out of the wood, but i think we have a chance of defeating lord lansdowne’s latest.94

ausgerechnet der leiter der deutschen Verhandlungsdelegation, arthur gwinner, Direktor der Deutschen Bank und der anatolischen eisenbahngesellschaft, brachte Maxse und strachey ihrem Ziel unfreiwillig näher, indem er der Times die wesentlichen punkte des mittlerweile ausgehandelten Konzessionsvertrages zugänglich machte, zweifellos um durch das offenlegen seiner Karten die Kritik in großbritannien zum Verstummen zu bringen. Die Times versah das Dokument jedoch mit einem redaktionellen Vermerk und stellte ihm einen derart kritischen leitartikel zur seite, dass gwinners rechnung nicht aufging.95 Die meisten britischen Blätter konzentrierten sich auf den ablehnenden Kommentar und schoben den text der Konvention achtlos beiseite.96 Welchen einfluss die pressekampagne auf die am 3. april im unterhaus verkündete entscheidung des britischen Kabinetts hatte, sich nicht an dem projekt zu beteiligen, lässt sich kaum exakt bemessen. lord esher, ein Vertrauter König edwards, der am rande in die Verhandlungen der finanzleute eingebunden war, notierte in seinem tagebuch, den Bankiers sei ein einträgliches geschäft 9 9

93 94 95 96

Vgl. Daily Mail vom 4., 6., . und 4. april 903; Times vom 9., 8., 0. und 4. april 903; Pall Mall Gazette vom 9. und . april 903. selbst wenn sie wie die Daily News feststellten: „however we may dislike the anti-german campaign of a certain section of the press it has had the indirect advantage of making the public realise that in asia our future depends upon an understanding with russia“; Daily News vom 4. april 903, siehe dort vorher schon die artikel vom ., . und 3. april; vgl. auch Westminster Gazette vom . und 5. april 903; Manchester Guardian vom 9. und 5. april 903. „Don’t like the look of it“, lautete der zugehörige text. „i’ll go round the other way“; Punch vom 9. april 903. Maxse an strachey, . april 903, hlro, strachey papers, str 0/9/6. Times vom . april 903. etwa der Manchester Guardian, der am 3. april den Times-leitartikel in seinen spalten wörtlich abdruckte.

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verdorben worden, weil die britische regierung den Kopf verloren habe. „But the german emperor is a Bogey just now in certain quarters; and the english people, led by a foolish half-informed press, are children in foreign politics.“97 Der britische Bankier Dawkins versicherte seinem deutschen gesprächspartner gwinner, „that the business […] has been sacrificed to the very violent and bitter feeling against germany exhibited by the majority of our newspapers and shared by a large number of people“.98 ein anderer deutscher Bankier, paul von schwabach, zugleich britischer generalkonsul in Berlin, notierte noch im november 903 nach einem Besuch in london: Britische finanziers, die gerne bereit gewesen wären, sich an dem Bagdadbahn-unternehmen zu beteiligen, würden offen eingestehen, die ablehnende haltung der regierung sei nichts weiter gewesen, als „nachgiebigkeit gegen die öffentliche Meinung, die an dem projekt in erster reihe das auszusetzen fand, daß es ein Zusammengehen mit Deutschland in sich geschlossen hätte. ich hörte die ansicht äußern, daß die regierung im parlament hätte zu fall kommen können, wenn sie eine andere haltung eingenommen hätte.“99 auch außenminister lansdowne beklagte sich später in einem privatbrief, er sei gezwungen gewesen einem „insensate outcry“ nachzugeben, der durch ein Wiederaufflackern des antideutschen fiebers ausgelöst worden sei.00 Darin lag jedoch nur die halbe Wahrheit. entscheidend war, dass die publizisten mit chamberlain über einen Verbündeten im Kabinett verfügten, der seit langem mit Maxse in Kontakt stand, über den herausgeber der National Review im frühjahr 90 auch saunders und dessen sichtweise der deutschen Dinge kennen gelernt hatte.0 Der Kolonialminister nutzte die pressekampagne, um die Mehrheit seiner Kabinettskollegen davon zu überzeugen, dass die von gwinner angebotenen Konditionen der deutschen seite den ausschlaggebenden einfluss zusicherten, daher nicht im britischen interesse liegen könnten und auf keinen fall eine Konfrontation mit der gegen Deutschland eingenommenen britischen Öffentlichkeit Wert seien.0 erst das Zusammenspiel von äußerem und innerem Druck bewegte Balfour, lansdowne und die anfangs positiv gestimmte Kabinettsmehrheit, innerhalb von nur zwei Wochen eine Kehrtwendung zu vollziehen und sich aus dem Bagdadbahnprojekt zurückzuziehen. Der wie gewöhnlich gut informierte chirol fasste die Beweggründe richtig zusammen, wenn er nach dem ende der affäre an strachey schrieb, „[that] 97 98 99 00 0

0

tagebucheintrag vom 4. april 903, abgedruckt in: Brett, Journals, Bd. , s. 396–7. Dawkins an gwinner, 3. april 903, gp, Bd. 7, s. 44–3. Bericht schwabachs vom 6. november 903, abschrift mit kaiserlichen randbemerkungen in: gspK, i. ha, rep. 89, nr. 349 (geheimes Zivilkabinett), Bl. –30. Zitiert in Newton, lansdowne, s. 54. chamberlain an Maxse, 6. april 90, Wsro, Maxse papers 450; vgl. Kennedy, rise, s. 54. ein weiteres treffen zwischen chamberlain und saunders fand im frühjahr 903 statt, siehe das schreiben von saunders an seine frau, 7. Mai 903, ccc, saunders papers, saun3 gs/3/4. Vgl. Francis, Withdrawal.

d) Chamberlains Schutzzoll-Kampagne

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h.M.g. took fright at the last moment at the opposition in the press, + chamberlain’s adverse criticism […] in the cabinet“.03 im foreign office hingegen hielten Beamte wie eyre crowe an der illusion fest, der Kurs der britischen außenpolitik werde allein von „nationalen interessen“ bestimmt, bei deren formulierung und Verfolgung der Druck der Öffentlichkeit keine rolle spiele. Venezuela und die Bagdadbahn, notierte crowe vier Jahre später, are the only cases known to me where the foreign policy of his Majesty’s government seemed to be directly influenced by public opinion as expressed in the newspapers and magazines. as regards Venezuela, events showed that co-operation with germany was certainly not „desirable“ in British interests. and the conditions offered to lord lansdowne for British participation in the Baghdad railway were clearly unacceptable at the time.04

crowes argumentation zielte nicht nur darauf, seine skeptisch-feindselige linie in der Deutschlandpolitik zu verteidigen. sie diente auch dazu, das idealbild einer autonomen, von fachleuten innerhalb eines rationalen regelwerks betriebenen Diplomatie aufrecht zu erhalten. in Wirklichkeit durchdrangen sich Diplomatie und Öffentlichkeit jedoch bereits derart, dass eine sorgfältige scheidung unmöglich war. Die Diskussionen um Venezuela und die Bagdadbahn verdeutlichten zudem, dass die öffentliche Debatte in großbritannien nicht ausschließlich reale außenpolitische entwicklungen widerspiegelte, sondern mindestens ebenso sehr den Bewegungsgesetzen britischer innenpolitik gehorchte und auf bewusst aufgebauschte Bedrohungsszenarien reagierte.

d) Chamberlains Schutzzoll-Kampagne Die aufregung über Venezuelakrise und Bagdadbahn war kaum abgeklungen, als chamberlain seine Kampagne zur einführung einer schutzzollpolitik begann. im september 903 trat er als Kolonialminister zurück, um sich ohne die einbindung in die Kabinettsdisziplin ganz der agitation für seine tariff reform widmen zu können. Dabei stand das Bestreben im Mittelpunkt, durch einführung eines systems von Vorzugszöllen die britischen Kolonien wirtschaftlich – und damit auch politisch – enger an das Mutterland zu binden.05 chamberlain selbst präsentierte den gegensatz zwischen ihm und den Kritikern seines programms als „a conflict between imperialism and little englandism“.06 er und seine ökonomischen Berater wie der Birminghamer Wirtschaftshistoriker Wil03 04 05

06

chirol an strachey, 9. april 903, hlro, strachey papers, hlro, str 4/9/. undatierte randbemerkung crowes zu Memorandum sandersons, . februar 907, abgedruckt in: BDfa, teil , reihe f, Bd. 9, s. 47. chamberlain hatte sich 897 für einen imperialen „Zollverein“ nach deutschem Vorbild geworben. erst nachdem dieser gedanke bei den Kolonien auf wenig gegenliebe gestoßen war, hatte er die idee von Vorzugszöllen entwickelt; vgl. Mock, herrschaft; Sykes, tariff reform; Green, crisis, s. 94–06; Cain, economy. Chamberlain, union, s. 48.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

liam James ashley erklärten die Konsolidierung des Weltreiches zur wichtigsten Zukunftsfrage für großbritannien.07 in diesem Zusammenhang spielte das Deutsche reich eine zentrale rolle. es galt als einer der wichtigsten ökonomischen Konkurrenten, gegen den man sich durch einführung von schutzzöllen im wirtschaftlichen Wettbewerb zu verteidigen hatte und zugleich als Vorbild eines hinter hohen Zollmauern geschützten, prosperierenden Wirtschaftsraums, in dem Massenarbeitslosigkeit unbekannt sei und der staat sich weitgehenden sozialreformen verschrieben habe.08 schon im Januar 896 hatte ein anonymer autor in einer artikelserie mit dem titel „Made in germany“ in der Zeitschrift New Review ein düsteres Bild schwindender britischer Wettbewerbsfähigkeit gegenüber einem unaufhaltsam vorwärts strebenden deutschen Konkurrenten gemalt.09 in der propaganda der schutzzoll-anhänger wurde dem angeblich glücklichen los der deutschen arbeiterschaft das bittere schicksal der britischen working class gegenübergestellt. „german labour is very fully employed, and exceedingly prosperous“, schrieb otto eltzbacher, ein nach england emigrierter deutscher Jude, der unter dem namen J. ellis Barker einer der führenden publizistischen Verfechter der tariff reform wurde, „at the very time when the distress among our own unemployed is almost unparalleled. the reason is a simple one. germany carefully protects her industries whilst great Britain has abandoned them, and coldly looks on, whilst foreign nations destroy one by one the sources of her wealth.“0 Die britischen schutzzöllner sahen – im einklang mit der zeitgenössischen geopolitischen analyse eines halford Mackinder und anderer – die Zukunft vom politischen wie ökonomischen Wettbewerb antagonistischer großreiche geprägt. Die Weltpolitik der zurückliegenden drei Jahrzehnte war ihrer ansicht nach von der Bildung großer territorialstaaten wie den usa und Deutschland geprägt. Wenn das Vereinigte Königreich den usa, Deutschland und russland weiterhin auf augenhöhe gegenüberstehen wollte, schrieb lord selborne im september 903, müsse es als handlungseinheit wachsen: „from the uK to the empire“.3 in der publizistischen propaganda für die 07 08

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  3

Ashley, progress. nicht zufällig lautete der titel einer programmatischen schrift ashleys: „the progress of the german Working classes in the last Quarter of a century“; vgl. Yule, Movement; siehe auch Hencock, reform, s. 3. „in all our industries you find a steady slowing-down“, hieß es, „it is germany which is in for the ‚marvellous progress‘ now“; Williams, germany, s. 5. Das interesse war derart groß, dass die artikel noch im selben Jahr in Buchform veröffentlicht wurden. Bis ende 896 erreichte die Kampfschrift sechs auflagen. otto eltzbacher [alias J. ellis Barker], unemployment and the „Moloch of free trade“, in: Nineteenth Century 58, Dezember 905, s. 887–8; ders., germany, s. 546–7. Vgl. auch Kim, public opinion, s. 87–0. Vgl. Neitzel, Weltmacht, s. 0–66. „the days are for great empires and not for little states“, hatte chamberlain am 6. Mai 90 in Birmingham bemerkt, zitiert nach: Garvin, life, Bd. 4, s. 77. selborne an ernest pretyman, 9. september 903, zitiert nach: Green, crisis, s. 95.

d) Chamberlains Schutzzoll-Kampagne

0

tariff reform ließen sich diese gedankengänge leicht mit der im gefolge von Venezuelakrise und Bagdadbahn grassierenden germanophobie verbinden. chamberlain selbst gab diese richtung vor, als er in der rede vom 5. Mai 903 ausdrücklich auf Deutschland Bezug nahm, um seine Zollreformspläne zu begründen.4 seinen publizistischen helfern blieb es überlassen, die argumentationslinie auszubauen und publikumswirksam zu vergröbern. „Will the electors of great Britain play into foreign hands?“, fragte der Daily Express und konstatierte: „Who doesn’t vote for chamberlain, votes for the national enemy“. Die Pall Mall Gazette behauptete, Deutschland habe „evidently the strongest motives for preventing, if possible, the fiscal consolidation of the British empire“.5 Das rasche Bevölkerungswachstum und die expansiven weltpolitischen Bestrebungen des reiches in den Blick nehmend, kontrastierte ellis Barker das aufstrebende schutzzöllnerische Deutschland mit dem angeblich im niedergang begriffenen freihändlerischen großbritannien. Der fruchtbaren, selbstbewussten, vorwärts drängenden und zunehmend prosperierenden „deutschen rasse“ stellte er eine „britische rasse“ gegenüber, die dank der vorherrschenden freihandelsdoktrin immer schwächlicher, kränkelnder, unterernährter, unfruchtbarer, machtloser und unglücklicher wurde.6 Wie wenig dieses Deutschlandbild mit den tatsächlichen Zuständen im Kaiserreich und im Vereinigten Königreich zu tun hatte, wie sehr es hingegen von den innenpolitischen frontstellungen in großbritannien geprägt war, wird deutlich, wenn man betrachtet, wie britische schutzzöllner und freihändler den lebensstandard des durchschnittlichen deutschen arbeiters beschrieben. aus der sicht eines tariff reformers wie ellis Barker war er „fully occupied“, „very well paid“, „very well fed“, „exceedingly prosperous“ und „incomparably better off [than a British workman]“.7 Der freihändlerische Deutschlandkenner William harbutt Dawson hingegen behauptete, aufgrund der schutzzollpolitik des Kaiserreiches verdiene ein deutscher arbeiter „far less than the workman in england, works longer for his scanty pay, is worse fed, clothed and housed, lives altogether on a lower level of comfort and convenience“.8 freilich fand die sichtweise der tariff reformers in der britischen presse ein weitaus größeres echo als die ansichten der freihändler. Der „ring der tarifreform-liga“, berichtete Bernstorff im Januar 904, übe einen ungeheuren einfluss in der presse aus. Die finanziellen Mittel der liga schienen unerschöpflich; namentlich in der provinz kaufe sie eine Zeitung nach der anderen auf.9 tat4 5 6 7 8 9

Vgl. Marsh, chamberlain, s. 563. Pall Mall Gazette vom 7. Juni 903, Daily Express vom 5. september 903. J. ellis Barker, the future of anglo-german relations, in Nineteenth Century, april 906, Kopie in: pa-aa, england presse nr. 73, r 568. Ellis Barker, germany, s. 545–6. Dawson, protection, s. 99. Zu Dawsons lebensweg siehe Berger, Dawson. Bernstorffs aufzeichnung über die englische presselandschaft vom 9. Januar 904, pa-aa, england 73, r 567.

0

4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

sächlich gelang es chamberlain und seinen helfern, zwischen Mai 903 und Dezember 905 fast die gesamte konservative presse auf ihre seite zu bringen und ein spürbares Übergewicht über die fast ausschließlich zum liberalen lager gehörende freihändlerische presse zu gewinnen. ende 905, am Vorabend der unterhauswahl, erreichten die konservativen tageszeitungen, die chamberlains tariff reform mehr oder weniger direkt unterstützten, insgesamt über ,6 Millionen leser, während von den Blättern der freihändler nur wenig mehr als 500 000 exemplare pro tag verkauft wurden.0 einige der publizistischen Wortführer der schutzzoll-Kampagne hatten sich schon seit längerem für die Konzeption eines imperialen Zollverbundes eingesetzt. in Maxses National Review hatte der industrielle sir Vincent caillard, Vorstandsmitglied beim schiffs- und Waffenproduzenten Vickers, später ein führendes Mitglied der tariff reform league und präsident der tariff commission, bereits im frühjahr 90 für entsprechende pläne geworben. im coefficient club hatte der Ökonom W. a. s. hewins den Beifall amerys und Maxses (wenn auch nicht die Zustimmung der übrigen club-Mitglieder) gefunden, als er im Januar 903 seine ideen eines engeren wirtschaftlichen und politischen Zusammenschlusses des empire zur Diskussion stellte. Kurz darauf präsentierte er seine Konzeption auf anregung Maxses und Vermittlung amerys in einer reihe von 6 artikeln in der Times.3 chamberlain war in das Vorhaben eingeweiht und wusste um dessen propagandistischen nutzen.4 amery war nicht der einzige Mitarbeiter der Times, den der Kolonialminister begeisterte. sowohl chirol als auch der assistent des chefredakteurs Buckle, W. f. Monypenny, unterstützten dessen pläne.5 auch saunders ließ sich zur schutzzollpolitik bekehren. ende Mai schrieb er nach einem einstündigen gespräch mit chamberlain in london, es sei „worth a year’s journalistic experience to have seen [him]. […] he is a brick and has put me in an entirely different frame of mind about his proposals. i don’t wonder at the confidence that is felt in him. he […] will force his way through all obstacles ad majorem gloriam patriae.“6 Die Morning Post, deren herausgeber lord glenesk Mitglied der tariff reform league wurde, unterstützte die schutzzollpläne ebenso wie die Pall Mall 0   3 4

5 6

Vgl. Russell, landslide, s. 38; Mock, herrschaft, s. 64. National Review, februar und april 90; später in Buchform publiziert als Caillard, reform. Vgl. Hewins, apologia, Bd. , s. 68. siehe auch Mock, herrschaft, s. 0; Semmel, imperialism, s. 75, 8; Searle, efficiency, s. 50–. Der erste artikel erschien am 5. Juni, der letzte am 9. september 903. „have plenty of quotable phrases“, riet er hewins und räumte zugleich ein: „i do not pretend to be an economic expert […] you must supply the economic arguments“; Hewins, apologia, Bd. , s. 68. Vgl. Koss, rise, Bd. , s. . saunders an Maxse, 7. Mai 903, Wsro, Maxse papers 45, s. 664. in einem Brief an seine frau schwärmte er, der Kolonialminister sei „the best and greatest of them all“; saunders an seine frau, 7. Mai 903, ccc, saunders papers, saun 3/gs/3/4.

d) Chamberlains Schutzzoll-Kampagne

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Gazette.7 garvin zog im Daily Telegraph und in der Fortnightly Review gegen die freihandelspolitik zu felde.8 seine loyalität wurde 905 mit dem chefredakteursposten der Wochenzeitung Outlook belohnt, die kurz zuvor von chamberlains politischem Verbündeten c. s. goldman erworben und in der Dienst der Zollreform gestellt worden war. chamberlain, erinnerte sich garvin später, „practically placed me in the editorial chair of the outlook like a soldier at his post.“9 tatsächlich stand der politiker mit all diesen publizisten in ständigem Kontakt, übersandte manchen von ihnen – wie herbert W. Wilson – ausformulierte Vorschläge für ihre leitartikel.30 Der Verleger cyril arthur pearson entschloss sich nach einem gespräch mit chamberlain im Juni 903 ebenfalls, dessen politik zu unterstützen und die leitung der tariff reform league zu übernehmen, die der politiker ihm angetragen hatte.3 pearson führte nicht nur eine reihe einflussreicher provinzblätter ins lager der tariff reformers, sondern auch den Daily Express, die mit 300 000 exemplaren nach der Daily Mail auflagenstärkste englische tageszeitung.3 pearson erwarb außerdem 903 die St. James’s Gazette und machte den überzeugten chamberlain-anhänger ronald Mcneil (später lord cushendun) zum chefredakteur. im herbst des folgenden Jahres kaufte er überdies den Evening Standard, der bald darauf mit der St. James’s Gazette fusionierte, und den Standard, das letzte sprachrohr der konservativen freihändler unter den londoner tageszeitungen.33 auf chamberlains empfehlung ernannte pearson den ehemaligen reuterskorrespondenten gwynne zum neuen chefredakteur des Standard, während ralph Blumenfeld, der außenpolitische redakteur des Daily Express, der das erste treffen zwischen pearson und chamberlain in die Wege geleitet hatte, zum inoffiziellen leiter der pressekampagne für die politik der „imperial preference“ avancierte.34 trotz der hervorragenden Koordination und der zahlenmäßigen Überlegenheit der chamberlain-presse endete ihre Kampagne bei den Wahlen 906 mit einem fehlschlag und der verheerenden niederlage der Konservativen gegen eine liberale partei, die über die weitaus schwächeren publizistischen Bataillo7 8

9 30 3 3 33 34

Zur haltung der Morning Post nach 905 siehe Wilson, study. siehe seine artikel über „cobdenism and capital“ und „cobdenism and the colonies“ in: Fortnightly Review 74, 903, s. 9–34 und 9– sowie seine artikelserie „Why We should change“ im Daily Telegraph, die am 0. Mai 903 begann. Zur Morning Post siehe Lucas, glenesk, s. 406. garvin an arthur steel-Maitland, 4. april 9, zitiert in: Koss: rise, Bd. , s. 8. Wilson an harmsworth, . oktober 903, Bl, northcliffe papers, add. 60. Blumenfeld, Diary, s. 94. Vgl. Dark, life, s. 3. Vgl. Koss, rise, Bd. , s. 6. Blumenfeld hielt sich zugute den slogan „tariff reform Means Work for all“ erdacht zu haben, der von anderen Blättern übernommen und bis zum Überdruß wiederholt wurde, getreu nach Blumenfelds Devise: „We believed in tariff reform produced by means of constant iteration and reiteration of mass-thinking on our side“; Blumenfeld, press, s. 48; Dark, pearson, s. 7–9.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

ne verfügte, sich aber unter dem Banner des freihandels vereint effektiv gegen die tories in szene zu setzen verstand. Die niederlage der Konservativen ist oft als indiz dafür gewertet worden, dass man die Bedeutung der presse für den ausgang von Wahlkämpfen nicht überbewerten darf. sicherlich demonstrierte sie, dass publizistische unterstützung allein noch keine garantie für einen Wahlsieg darstellte.35 Man darf aber nicht aus dem Blick verlieren, dass die Überlegenheit der imperialistisch-konservativen presse in der frage der Zollreform weniger eindrucksvoll war als es auf den ersten Blick scheinen mochte. Während die konservativen publizisten etwa in der frage der diplomatischen neuorientierung in großer geschlossenheit agierten, ihre argumente sogar bis weit ins liberal-imperialistische lager hinein Zustimmung fanden, blieben zwischen ihnen in der Zollreformfrage große Differenzen, ja gegensätze bestehen. strachey hielt im Spectator an seinem freihändlerischen Kurs fest und forderte seine leser 906 gar dazu auf, die liberalen zu wählen, um die einführung von präferenzzöllen zu verhindern, in denen er den anfang vom ende des auf der idee des freihandels basierenden britischen Weltreiches sah.36 auch die haltung der Times blieb ambivalent: sowohl chefredakteur Buckle als auch der general Manager Moberly Bell hatten ihre Zweifel, wenn nicht am prinzip, so doch an der realisierbarkeit von chamberlains projekt.37 Zwar sei keine konservative Zeitung zu den liberalen übergelaufen, fasste iwan-Müller vom Daily Telegraph nach der Wahl für Balfour die auswirkungen der uneinigkeit in der tory-presse zusammen, [but] the strength of the chamberlainite faction in the london press exaggerated and magnified beyond all reason the importance and depth of our internal divisions. […] the rattling of the „spectator“, the rise of the avowedly chamberlainite „outlook“ and the laodicean attitude of the not very influential „saturday review“, all helped to deepen the impression that we are a hopelessly divided party.38

Mit Blick auf die deutsch-britischen pressebeziehungen ist weniger die tatsache entscheidend, dass chamberlains Zollreform-Kampagne mit einer niederlage an den Wahlurnen endete, als vielmehr die weitgehende personelle identität der publizistischen Verfechter einer tariff reform mit den protagonisten der antideutschen pressekampagnen um Venezuela und Bagdadbahn. insofern ergab sich die publizistische stoßrichtung der Zollreformbewegung gegen das reich nicht so sehr aus deren konkreten politischen forderungen, die schließlich genauso gegen ein land wie die usa gerichtet waren, als vielmehr aus dem Versuch, sie in den größeren Zusammenhang der strategischen neuausrichtung der britischen außenpolitik einzubeziehen.

35 36 37 38

so schon Spender, public life, Bd. , s. 65; vgl. auch Mock, herrschaft, s. 65. Vgl. etwa stracheys leserbrief in der Daily Mail vom 0. Mai 903. Vgl. Koss, rise, Bd. , s. . Memorandum iwan-Müllers „some thoughts upon the present Discontent“, februar 906, in: Bodleian library, Mss eng. hist. 75, sandars papers, Bl. 39–80.

e) Der Primat der Pressepolitik in der deutschen Englandpolitik

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e) Der Primat der Pressepolitik in der deutschen Englandpolitik Die aufmerksamkeit der Wilhelmstraße konzentrierte sich in den ersten Jahren nach dem Burenkrieg auf Journalisten in dem Bereich, den wir heute als „Meinungsführermedien“ oder „leitmedien“ bezeichnen würden.39 Dazu gehörten in england neben der politischen tagespresse – allen voran die Times – in erster linie jene Wochen- und Monatsschriften wie der Spectator, die Fortnightly oder National Review, die strachey, garvin und Maxse als foren für ihre publizistischen Kampagnen dienten. Die deutsche Diplomatie maß diesen periodika mit ihrem kleinen, elitären leserkreis eine überragende Bedeutung bei. nicht zufällig wurde die Fortnightly Review als einziges britisches presseorgan jener Jahre einer eigenen aktensignatur im archiv des auswärtigen amtes für wert befunden.40 Metternich widersprach all jenen, die glaubten, der einfluss der Monatsschriften sei gering, weil ihre auflage sich nach tausenden und nicht nach hunderttausenden bemaß: „Von wenigen geht der impuls aus, der sich auf die Menge überträgt“, schrieb er an den reichskanzler. Bülow stimmte dieser einschätzung in einer notiz an den Kaiser ausdrücklich zu, indem er betonte, dass die „giftpillen [jener Zeitschriften] erst kleinere Kreise, dann weite Bevölkerungsschichten und schließlich die ganze öffentliche Meinung einer generation inficieren“.4 Die deutsche Diplomatie registrierte die tektonischen Verschiebungen in der Deutschlandberichterstattung der britischen Meinungsführermedien schon seit den tagen des Burenkrieges aufmerksam und besorgt. in der englischen presse sei „die tendenz im steigen“, hatte Metternich im oktober 90 berichtet, Deutschland als den „eigentlichen feind englands“ hinzustellen. Dabei, so der Botschafter, wiesen die britischen Zeitungen einerseits auf die handelskonkurrenz sowie den von Kaiser und regierung unterstützten Kolonialhunger hin, andererseits auf den hass, den das deutsche Volk gegen england hege und der besonders während des Burenkrieges deutlich hervorgetreten sei. amerika hingegen werde als fester und natürlicher Bundesgenosse betrachtet und die anglophobie der presse anderer länder, wie frankreichs und russlands, mit stillschweigen übergangen. allen voran gehe die Times mit ihrem „unausrottbaren Misstrauen gegen Deutschland“; aber andere Zeitungen folgten.4 Zeitweise verzichtete der Botschafter tagelang auf eigene Berichte über die antideutsche aufregung in england, 39 40 4 4

Vgl. Wilke (hrsg.), Mediengeschichte, s. 30–5. pa-aa, england nr. 73, r 5645. Metternich an Bülow, 9. Juli 904 (privat), pa-aa, england nr. 78 secretissima, r 5773; Bülow an Wilhelm ii., 5. Juli 904, ebd. Metternich an Bülow, . oktober 90, pa-aa, england nr. 78, r 5678. Der Botschafter verwies auf einen Bericht über „german anglophobia“ in der Times vom . oktober 90 und einen artikel mit der Überschrift „the german dislike of england“ im Spectator vom 8. september 90.

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weil reuter, Wolff und Zeitungen, die ich eingereicht habe, die stimmung ebenso richtig kennzeichnen, wie ein langer Bericht es gethan haben würde und weil sich alles in der weiten oeffentlichkeit abgespielt hat. Das eine gute ist dabei herausgekommen, daß es schlimmer als es ist nicht mehr werden kann, daß die erbitterung ihren höchsten grad erreicht hat und daß auf diese anspannung auch die erschlaffung und damit die Beruhigung folgen muß.43

in dieser hoffnung sah sich Metternich getäuscht. Vier Wochen später schrieb er an Bülow, die deutsch-englischen Beziehungen seien gegenwärtig keine zwei pfennig wert. Der reichskanzler gab sich zwar weniger düster, stimmte den sorgen des Botschafters hinsichtlich der englischen presse aber zu. Diese sei „gegenwärtig bei weitem antideutscher als die deutsche antienglisch ist“.44 als eckardstein im herbst 90 mit chamberlain zusammentraf, warnte ihn der Kolonialminister davor anzunehmen, dass die öffentliche Meinung englands plötzlich wieder in eine deutschfreundlichere richtung umlenke. Die erbitterung gegen die deutsche nation in allen Kreisen der Bevölkerung habe bereits „zu tiefe Wurzeln“ geschlagen.45 als eckardsteins nachfolger, graf Bernstorff, wenige Monate später seinen posten in london antrat, fand er „in allen hiesigen Journalistenkreisen eine solche Verstimmung gegen Deutschland eingewurzelt, dass die ausübung einer gegenwirkung unmöglich schien“. fast keiner von den Zeitungsredakteuren oder Mitarbeitern von Monatsschriften, mit denen Bernstorff Kontakt aufnahm, wollte „gegen den strom schwimmen“. Die meisten machten aus ihren unfreundlichen gesinnungen gegenüber Deutschland „gar kein hehl“; die wenigen Wohlwollenden zuckten bedauernd die achseln und meinten, „es sei doch nichts zu machen“.46 Bei der suche nach den ursachen der teutophobie der britischen presse tappte die deutsche Diplomatie zunächst im Dunkeln. ihre ersten reaktionen nach dem erscheinen der aBc-artikel in der National Review, die für eine annäherung an russland warben, gingen dahin, in chamberlain den Drahtzieher zu vermuten. in londoner politischen Kreisen sei man geneigt, telegrafierte Metternich, die ausführungen der National Review und die zustimmenden Kommentare in Blättern wie der times als „von einzelnen Mitgliedern des Kabinetts inspiriert“ zu betrachten. Man sehe darin bedeutungsvolle anzeichen für einen „radikalen umschwung der gesamten politik englands“. ob und wie weit die annahme einer inspiration zutraf, hatte der Botschafter nicht feststellen können, fand aber, die ausführungen des Times-artikels erinnerten fatal an Äußerungen chamberlains vom Januar. „Der steckt auch dahinter!“, notierte der Kaiser am rande des

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Metternich an Bülow, 5. Januar 90, pa-aa, england nr. 78 secretissima, r 577. Bülow an Metternich, 3. März 90, ebd. (mit Bezug auf Metternichs schreiben vom . februar 90). eckardstein an Bülow, 4. september 90, gp, Bd. 7, nr. 5094, s. 3. Zur rezeption des Kaiserbesuchs durch die englische presse siehe Reinermann, Kaiser, s. 48–58. aufzeichnungen Bernstorffs über die englische presselandschaft, 9. Januar 904, pa-aa, england 73, r 567.

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telegramms.47 Mit sorge registrierte man chamberlains wachsenden einfluss auf die britische presse. solange man mit dessen leidenschaftlicher gegnerschaft zu rechnen habe, behauptete eckardstein, sei es ausgeschlossen, die Beziehungen mit england soweit zu verbessern, „dass wir der im englischen Volke stetig fortschreitenden Bewegung des Misstrauens und der Verstimmung gegen Deutschland mit aussicht auf erfolg entgegen zu arbeiten vermögen“. chamberlain beherrsche einen großen teil der londoner presse, die mehr denn je zuvor den „von ihm ausgehenden Winken unweigerlich folge“ leiste.48 Bülow, der wie der Kaiser dazu neigte, an allen fronten französische und vor allem russische presseagenten am Werk zu sehen, setzte die akzente anders. aus sicht des reichskanzlers ergriffen st. petersburg und paris jede gelegenheit, „uns bei den oft unwissenden und leichtgläubigen Briten zu verdächtigen“.49 schon zu Beginn des Burenkrieges hatten Bülow und Wilhelm befürchtet, die regierung des Zaren könne englandfeindliche Kundgebungen in Deutschland und entsprechende artikel in der deutschen presse benutzen, Keile zwischen london und Berlin zu treiben. Der argwohn des Monarchen war gewachsen, als er aus einer Depesche der deutschen Botschaft in st. petersburg erfuhr, das russische außenministerium habe die staatliche telegrafenagentur beauftragt, alle WtB-Berichte über proburische Versammlungen in Deutschland nach russland zu übermitteln beziehungsweise eigene reporter auszusenden, falls die deutsche nachrichtenagentur keine derartigen Berichte liefere. Das hatte den Kaiser in seinem Verdacht bestärkt, deutsche Zeitungen im russischen sold schürten bewusst die anglophobie im reich. Die deutsche presse, notierte Wilhelm am rande der Depesche, müsse zur Wachsamkeit gegen russische „agents provocateurs“ angehalten und alle „frechen artikel gegen england“ unterbunden werden; dabei sei auch dem russischen Botschafter in Berlin „etwas auf die füße [zu] treten“.50 in Berlin argwöhnte man, russische Mittelsmänner trieben in london ein ähnliches spiel. Botschafter hatzfeldt berichtete, agenten wie der londoner Korrespondent der Novoje Wremja, gabriel Wesselitzky, der auch der foreign press association als präsident vorstand, versuchten in englischen „presskreisen“ die ansicht zu verbreiten, nicht der Kaiser, sondern die friedensliebe des Zaren sei dafür verantwortlich, dass es zu keiner intervention der Kontinentalmächte im Burenkrieg gekommen war.5 insbesondere liberale Blätter wie die 47

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Metternich an Bülow, 9. oktober 90, pa-aa, england nr. 78 secretissima, r 577. Vgl. auch Metternich an Bülow, . november und 3. Dezember 90, gp, Bd. 7, nr. 5343 und 5346, s. 53–3 und 535–6. eckardstein an Bülow, 4. september 90, gp, Bd. 7, nr. 5094, s. 4. Vgl. auch Bernstorffs aufzeichnung über die englische presselandschaft vom 9. Januar 904, pa-aa, england 73, r 567. Bülow an den Kaiser, 30. oktober 90, pa-aa, england nr. 78 secretissima, r 577. randbemerkung Wilhelms zur Depesche von tschirschky an aa, 7. oktober 899, pa-aa, england 78, Bd. , nr. 95, r 5674. hatzfeldt an hohenlohe, . Juni 900, pa-aa, england nr. 78, r 5676.

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Daily News oder die Westminster Gazette standen aus sicht der deutschen Diplomatie „augenblicklich vollständig unter russischem einfluss“.5 Der deutsche Botschafter hielt es zwar für unwahrscheinlich, dass die intrigen erfolg haben könnten, dennoch wurde eckardstein wiederholt angewiesen, gegen vermutete russische Machinationen vorzugehen.53 Die Veröffentlichung der aBc-artikel in der National Review lieferten neue nahrung für den Verdacht russischer Machenschaften. Metternich vermeldete aus london, der russische finanzagent tatitschew und sein nachfolger poklewski entwickelten eine „rege und erfolgreiche thätigkeit“ zur Beeinflussung der englischen presse. außerdem hatte der Botschafter aus „durchaus zuverlässiger Quelle“ erfahren, dass der erste artikel in Maxses Journal vor seiner Veröffentlichung nicht nur sämtlichen britischen Kabinettsmitgliedern, sondern auch dem russischen finanzminister sergej Witte sowie außenminister graf lambsdorff zugegangen sei.54 in das Bild schien auch die Zustimmung zu passen, welche die aBc-artikel im Spectator erfuhren. Denn in Berlin glaubte man seit einiger Zeit, strachey stehe in enger Verbindung mit russischen Kreisen in london.55 als der britische Bankier Dawkins eineinhalb Jahre später das scheitern der Bagdadbahnverhandlungen auf die presseangriffe des Spectator und der National Review zurückführte, die sich auch schon in der Venezuelakrise besonders hervorgetan hätten, vermutete der Kaiser „Wesselitzki, Blennerhassett, poklewski“ als Drahtzieher im hintergrund. Dawkins vermutete, die vertraulichen informationen über die Bagdadbahnverhandlungen, mit denen Maxse und strachey im frühjahr 903 aufwarten konnten, stammten aus der russischen Botschaft in paris, was Wilhelm mit den Worten „yes and london“ kommentierte.56 Der Verdacht des Kaisers war nicht aus der luft gegriffen, erfuhr die deutsche Botschaft in london doch zu derselben Zeit von ihren Zuträgern, Wesselitzky verbreite unter englischen Journalisten, „dass Deutschland die Bagdadbahn baue, um einen angriff auf indien vorzubereiten“.57 hartnäckig hielt sich seither in der Wilhelmstraße der eindruck, die antideutsche Kampagne in der britischen presse werde von st. petersburg aus gesteuert. garvin alias „calchas“ galt als „einer der geschicktesten trabanten des bekannten herrn Wesselitzky“.58 5 53 54

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eckardstein an hammann, . März 90, pa-aa, england 73, r 564. Vgl. hammann an eckardstein, . november 899, zitiert in: Eckardstein, lebenserinnerungen, Bd. , s. 9–; eckardstein an Bülow, 9. März 90, pa-aa, england 73, r 564. Metternich an Bülow, 4. november 90, gp, Bd. 7, nr. 5345, s. 535. tatsächlich hatte Maxse ein Vorabexemplar des artikels auch an tatitschew geschickt; dieser scheint aber keinen entscheidenden einfluss auf den inhalt genommen zu haben; Wsro, Maxse papers. Metternich an hohenlohe, 4. März 900, pa-aa, england 8 nr. 3, r 5958. Vgl. die kaiserlichen randbemerkungen an dem Brief von Dawkins an gwinner, 3. april 903, gp, Bd. 7, nr. 56 (anlage), s. 444. Bernstorff an Bülow, 8. Mai 903, pa-aa, england nr. 78, r 568. Metternich an Bülow, 3. Januar 904, pa-aa, england 73, r 5645. Die ermittlungen der Botschaft, wer sich hinter dem pseudonym verberge, machten nur langsam fortschritte; erst im März 904 berichtete Metternich, „calchas“ sei vermutlich ein „herr garwynne“

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strachey sah sich noch Jahre später mit gerüchten konfrontiert, das deutsche auswärtige amt verfüge über Beweise, dass er in russischen Diensten stehe.59 Der WtB-Vertreter in london wusste zu berichten, dass Wesselitzky nicht nur mit garvin, sondern auch mit sir percy Bunting, dem herausgeber der Contemporary Review, gut bekannt sei; hinzu kämen „seine Beziehungen zur times + Daily Mail, jedenfalls auch zur national review“.60 Metternich fand, es unterliege keinem Zweifel, dass man es mit einer „geheimen Verschwörung“ zu tun habe, die gegen die deutsch-englische Verständigung gerichtet sei.6 Der britische generalkonsul in Berlin, von schwabach, der mit holstein in Kontakt stand, hielt es sogar für notwendig, premierminister Balfour über lord rothschild vor den Machenschaften tatitschews und Wesselitzkys warnen zu lassen. „a direct english attack upon germany“, schrieb er, „might be brought about by no better reason than aggressive articles written by russian journalists in english papers.“6 so unterschiedlich die skizzierten interpretationen der britischen teutophobie auch waren, die man in Berlin diskutierte, sie alle hatten eines gemeinsam: nicht die englische regierung, sondern die presse schien der Kern des problems und damit auch der Dreh- und angelpunkt jeder lösung zu sein. insbesondere in der Times mit ihrem Berliner Korrespondenten erblickte man „den hauptsächlichen grund der Verhetzung zwischen Deutschland und england“ und den „gefährlichsten gegner einer Wiederannäherung der beiden länder“.63 staatssekretär richthofen weigerte sich bei einem empfang im hause des grafen posadowsky, saunders die hand zu geben und rief für alle anwesenden vernehmlich aus, niemand habe die öffentliche Meinung in england derart gegen Deutschland vergiftet wie der schotte.64 hinter vorgehaltener hand äußerten deutsche Diplomaten, sie wollten saunders „am liebsten vergiften“, während der Kaiser den Korrespondenten gegenüber englischen ge-

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[sic] vom Daily Telegraph; Metternich an Bülow, 0. März 904, pa-aa, england 8 nr. 3, r 5959. strachey an Butler, 8. Juni 909, hlro, strachey papers, s/3/4/5. plehn an Mantler, . april 9, pa-aa, england presse nr. 73, r 5638. auch poklewsky musste sich gegen Vorhaltungen deutscher Diplomaten verteidigen, er und Wesselitzky hetzten in der englischen presse gegen Deutschland. Der russe pflegte darauf zu erwidern, dazu sei letzterer gar „nicht intelligent genug“, während er selbst die redakteure der National Review und des Spectator nicht einmal kenne; Bernstorff an Bülow, . Dezember 904, pa-aa, england presse nr. 73, r 56. Metternich an Bülow, 9. Juli 904 (privat), pa-aa, england nr. 78 secretissima, r 5773. schwabach an rothschild, 6. Juli 904, Bl, Balfour papers, add. 49747, Bl. –5. Vgl. den Briefwechsel zwischen Bülow und schiemann vom oktober 908, auszugsweise abgedruckt in Meyer, schiemann, s. 7. Metternich an Bülow, 5. Juni 90, pa-aa, england 73, r 565; eckardstein an Bülow, 4. oktober 90, gp, Bd. 7, nr. 50, s. 30. Buchanan an lansdowne, 9. Juni 90, BDfa, teil i, reihe f, Bd. 9, nr. 5, s. . Buchanan zitiert richthofens Äußerung nach einem artikel des Berliner Tageblatt vom 9. Juni 90, der saunders zufolge die Worte korrekt wiedergegeben habe; vgl. auch Schiemann, Deutschland, Bd. , s. 40; hot, Bd. 3, s. 363; Hammann, Vorgeschichte, s. 4.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

sprächspartnern in gewohnter Direktheit als „erzschweinehund i. Klasse“ bezeichnete.65 aus der Venezuela-affäre zog Metternich die lehre, dass die Verblendung, die sich während des Burenkriegs der öffentlichen Meinung in Deutschland bemächtigt habe, inzwischen über den Kanal gezogen sei und die englische presse befallen habe. Die englische regierung hingegen, die sich durch das Zusammengehen mit Deutschland entschieden unbeliebt gemacht habe, bewähre sich nicht schlecht.66 auch der reichskanzler hielt die teutophobie der britischen presse für bedrohlicher als gelegentliche Meinungsverschiedenheiten mit einer im großen und ganzen wohlwollenden englischen regierung. Daher bemühte er sich seit seinem öffentlichen Zusammenstoß mit chamberlain nach Kräften, deutschbritische „Zeitungsfehden“ zu entschärfen. Dazu musste als erstes ein ende der deutschen presseattacken auf england erreicht werden, an denen sich die britische Kritik immer wieder entzündete. Die Botschaft in london wurde angewiesen, den tonfall der deutschen Korrespondenten vor ort zu mäßigen. Deren „nervosität“ und „übertriebener impressionismus“ gebe in deutschen leserkreisen, „wo man die subjektiven eindrücke der herren für objektive Wahrheit“ nehme, zu falschen Vorstellungen anlass. neben dem Berliner Lokal-Anzeiger und der Kölnischen Zeitung war insbesondere der Vertreter der NationalZeitung und der Münchener Allgemeinen Zeitung, gustav Krause, in der Wilhelmstraße negativ aufgefallen.67 Die genannten Journalisten wurden in die Botschaft zitiert, wo eckardstein „beruhigend“ auf sie einwirkte, wie Metternich vermeldete.68 in Berlin erhielt hammann den auftrag, alle weiteren angriffe der deutschen presse auf chamberlain zu unterbinden. Je weniger die deutschen Zeitungen von dem Kolonialminister sprächen, hoffte Bülow, um so eher werde „sein prestige in england verblassen“.69 Die deutschen Blätter wurden angehalten, über eine betont versöhnliche rede des grafen Waldersee in london „ohne rekrimi65 66

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Bernstorff an hammann, 8. Juni 904, Ba lichterfelde, nl 06, otto hammann, /3, s. 5; Wilhelm ii. an Bülow, gp, Bd. 0ii, nr. 6887, s. 696. Metternich an Bülow, o. D., teilweise abgedruckt in Bülow, Denkwürdigkeiten, Bd. , s. 558. Ähnlich äußerte sich der Kaiser gegenüber dem östereich-ungarischen Botschafter, dem er – einem Bericht lascelles’ zufolge – anvertraute, „that the relations between the english and german governments were excellent, they were acting in complete harmony in the Venezuelan business, but the tone of the english press, and the attacks made on the government, merely because they had taken part in a common action with germany were abominable“; lascelles an lansdowne, 30. Januar 903, tna, fo 800/9, Bl. 70–; Kopie in tna, fo 800/8, s. 96–7. entwurf hammanns für einen entsprechenden erlass an die deutsche Botschaft, 4. Januar 90, pa-aa, england 73, r 565. Metternich an Bülow, 3. Januar 90, ebd. Dasselbe gelte von dem todkranken cecil rhodes. „nur kein schimpfen über ihn, wenn er jetzt stirbt! Das würde nur Wasser auf die Mühle des englischen imperialismus sein“; Bülow an hammann, März 90, Ba lichterfelde, nl 06, otto hammann, /7, Bl. 5; vgl. auch Bülow an hammann, . März 90, ebd., Bl. 6.

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nationen und nörgeleien“ zu berichten, während sich das pressebüro zugleich bemühte, alle Äußerungen der schadenfreude über eine Krankheit König edwards zu unterdrücken, die eine Verschiebung der Krönungsfeierlichkeiten zur folge hatte.70 im oktober 90 verweigerte der Kaiser einer Delegation von Burengeneralen nicht zuletzt deshalb den empfang, um deutsche und britische Zeitungen nicht zu neuen angriffen aufeinander zu reizen. in der deutschen presse dürfe nichts gegen großbritannien gesagt werden, warnte Bülow. „namentlich angriffe in officiösen Blättern [...] würden nur das gegenteil des gewünschten effekts erreichen.“7 Bülow und seine helfer beließen es nicht dabei, auf die deutsche presse einzuwirken. sie wollten auch englische Zeitungen dazu bewegen, positiver über Deutschland zu berichten. ein runderlass des reichskanzlers an die deutschen auslandsvertretungen vom Juli 90, unmittelbar nach ende des Burenkriegs, ließ keinen Zweifel daran, für wie zentral man diesen aspekt des diplomatischen geschäfts in der Wilhelmstraße mittlerweile hielt: Bei der großen Bedeutung, die der presse, namentlich der tagespresse, nicht nur für den gang der inneren politik aller staaten, sondern auch für die internationalen Beziehungen zukommt, genügt es nicht, daß die Missionen die frage der öffentlichen Meinung in den ländern ihrer tätigkeit genau beobachten und über bemerkenswerte erscheinungen hierher berichten. Vielmehr ist die persönliche fühlung mit befähigten, gut unterrichteten und zuverlässigen Vertretern der presse unumgänglich. […] entsprechend den intentionen seiner Majestät des Kaisers und Königs, unseres allerhöchsten herrn, erwarte ich von dem patriotismus der Vertreter seiner Majestät im auslande, daß sie diesem wichtigen teile ihrer aufgabe volle aufmerksamkeit zuwenden. Dazu gehört, daß nicht nur der Missionschef, sondern nach seiner Direktive und unter seiner Verantwortung auch die Mitglieder der Missionen stetige Verbindung sowohl mit einwandfreien Korrespondenten deutscher Blätter, als auch mit den Vertretern der einflußreichen Blätter des landes unterhalten.

als Beispiel, welche erfolge sich durch geschickte Verwertung von pressebeziehungen erzielen ließen, führte Bülow den einfluss an, den die russische Diplomatie in london auszuüben verstehe. Der erlass schloss mit der Mahnung, für den Verkehr mit Journalisten sei Vorsicht und fingerspitzengefühl geboten.7 70 7

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Bülow an hammann, 3. Juni 90, ebd., Bl. 3; Bülow an hammann, 4. Juni 90, ebd., Bl. 3. Bülow an hammann, 7. oktober 90, ebd., Bl. 48, siehe auch gp, Bd. 7, nr. 5095–03, s. 5–34; sowie die Korrespondenz in den nachlässen von lascelles und lansdowne: tna, fo 800/ und 800/9. auf derselben linie lag Bülows Befriedigung darüber, dass die deutsche presse im sommer 903 ein englisches Blaubuch über den Burenkrieg „sachlich und ruhig“ besprach; Bülow an hammann, 7. Juli 903, Ba lichterfelde, nl 06, otto hammann, /8, Bl. 36–7. Bis zum ende des Kalenderjahres verlangte der reichskanzler von jeder Botschaft und gesandtschaft einen „zuammenfassenden Bericht über die hierdurch ausgeübte Wirksamkeit“; Bülows runderlass an die deutschen auslandsvertretungen in Konstantinopel, Madrid, paris, st. petersburg, rom, Wien, Washington, london, athen, Belgrad, Bern, Brüssel, Bukarest, Den haag, Kopenhagen, lissabon, luxemburg und stockholm, . Juli 90, pa-aa, england presse nr. 73, r 566.



4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

eine Zeit der „Waffenruhe“ reiche nicht aus, drängte Bülow ein halbes Jahr später, solange „rückfälle in den alten hader“ noch immer zu befürchten seien. Wieder hielt er die Botschaft an, eine aktive pressearbeit zu betreiben und „die anknüpfung von Verbindungen mit englischen Blättern“, insbesondere der Times, zu suchen: „aufdrängen wollen wir uns nicht, aber uns bereitwillig finden lassen.“ Der Kanzler hoffte, dass es auf diese Weise gelingen werde, der deutschen Diplomatie bei den Vertretern der öffentlichen Meinung in london die stellung zu verschaffen, auf der „ein teil unserer politischen Wirkungsfähigkeit in england beruht“.73

f) Bernstorffs pressepolitische Offensive entsprechend dieser richtlinien verstärkten Metternich und eckardstein ihre pressepolitischen Bemühungen. sowohl in direktem gespräch mit Moberly Bell als auch indirekt durch entsprechende Klagen gegenüber König edward Vii. versuchten sie, einen Wandel in der redaktionslinie der Times herbeizuführen.74 Mit den herausgebern der Pall Mall Gazette und der Morning Post setzte sich der Botschafter ebenfalls zusammen, um ihnen „manche irrige auffassung“ zu nehmen.75 Zugleich bemühte man sich darum, J. l. Bashford, den Berlin-Korrespondenten des Daily Telegraph, auf seinem posten zu halten und der londoner chefredaktion des Blattes pläne auszureden, die auf dessen ablösung zielten. Bashford stand in enger fühlung mit dem pressebüro des auswärtigen amtes und sollte, wenn es nach der Wilhelmstraße ging, als sprachrohr der deutschen Diplomatie in der englischen presse saunders’ kritischen Berichten entgegenwirken.76 Die neugegründete Monatszeitschrift Empire Review wurde von der deutschen Botschaft zunächst mit 5 £, später mit 50 £ und schließlich 60 £ pro Monat unterstützt, nachdem sich ihr chefredakteur sir c. Kinloch cooke bereit erklärt hatte, in den spalten seines Blattes den „gehässigen angriffe(n) der National Review“ entgegenzutreten.77 Metternich sprach sich außerdem dafür aus, dem Marinejournalisten arnold White eine audienz 73 74 75 76

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entwurf hammans für einen erlass von Bülow an Metternich, . Dezember 90, ebd. eckardstein an Bülow, 4. oktober 90, gp, Bd. 7, nr. 50, s. 30; Metternich an Bülow, 3. Juni 90, pa-aa, england 73, r 565. Metternich an Bülow, 9. Januar 903 (privat), pa-aa, england nr. 78 secretissima, r 577. Bashford an Bülow, 9. Dezember 90; Bülow an eckardstein, . Dezember 90; Bashford an Bülow, 30. Juni 90; conrad (reichskanzlei) an Wandel (Kriegsministerium), 5. oktober 903, alle in: pa-aa, england 8 nr. 3, r 5959. Die subvention hatte die form einer monatlichen subskription von anfangs 500, später 000 heften der Zeitschrift durch die deutsche Botschaft; siehe Metternich an Bülow, 6. Dezember 90 (in der anlage Kinloch cooke an Metternich, 3. Dezember 90), pa-aa, england presse nr. 73, r 566; entwurf hammanns für Bülow an Metternich, 6. Dezember 90, ebd; Metternich an Bülow, 0. februar 903, ebd.; Metternich an Bülow, 5. Januar 905, pa-aa, england presse nr. 73, r 56.

f) Bernstorffs pressepolitische Offensive

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beim Kaiser zu gewähren, damit dessen „einflussreiche feder für die Verbesserung der deutsch-englischen Beziehungen im allgemeinen und gegen die russisch-englische gruppe im besonderen“ in Bewegung gesetzt würde.78 Zur zentralen figur der deutschen pressepolitik in england avancierte graf Johann heinrich von Bernstorff, der eckardstein im Januar 903 als Botschaftsrat in london nachfolgte. Bülow hatte den Diplomaten nicht zuletzt deshalb für den posten ausgesucht, weil er sich in seiner vorherigen stellung als preußischer gesandter in München den ruf erworben hatte, exzellent mit Zeitungsleuten umgehen und der reichsregierung eine gute presse verschaffen zu können.79 Bernstorff trat mit großem elan an seine neue aufgabe heran, die er in enger abstimmung mit hammann im auswärtigen amt betrieb. er war wie Bülow vom überragenden einfluss der presse auf die gestaltung der englischen politik überzeugt und empfahl, die regierung „vollkommen in ruhe zu lassen“, sich ganz auf die „eifrige Bearbeitung der hiesigen öffentlichen Meinung“ zu konzentrieren.80 Die britische politik bewege sich in der Öffentlichkeit, lautete Bernstorffs credo, es komme nicht auf die erstere, sondern nur auf die letztere an. „Wenn wir diese überzeugen, ist alles gewonnen; gelingt das nicht, dann ist alle liebesmüh’ verloren.“ im Zeitalter der Massenkommunikation musste das diplomatische geschäft nach Bernstorffs ansicht zumindest in ländern wie großbritannien und den usa von den Werbetechniken der Konsumgüterindustrie lernen. Man müsse den engländern immer wieder dieselben Wahrheiten in möglichst neuer form und in einer Weise vortragen, „dass sie denselben nicht ausweichen können. Wer hier politik machen will, muß ähnliche Mittel anwenden, wie die mit denen man Pears Soap verkauft.“8 Die englische öffentliche Meinung müsse unausgesetzt in Wort und schrift bearbeitet werden; sie sei „an reklame gewöhnt. Wer am meisten schreit, gewinnt die oberhand.“8 Bernstorff bemühte sich, ein netz von Kontakten in londoner Journalistenkreisen zu weben und einflussreiche federn für deutschfreundliche artikel zu gewinnen. Zwar blieben seine Versuche, einen richtungswechsel bei der Times zu bewirken, ohne erfolg.83 Dafür gelang es ihm, lucien Wolf vom Daily Gra78 79 80

8 8 83

Metternich an Bülow 6. Mai 90, pa-aa, england 8 nr. 3, r 5959; Mühlberg an tirpitz, . Mai 90, ebd. Vgl. Bernstorff, erinnerungen; Hammann, Vorgeschichte, s. 3–4. siehe auch Doerries, Washington, s. 9. Deutschland werde in allen englischen Kreisen für „maßlos ehrgeizig und expansionslustig“ gehalten. gelinge es, die Briten allmählich und vorsichtig vom gegenteil zu überzeugen, dann werde man in london auch „wieder anfangen, an die wirklichen gegner englands zu denken“; Bernstorff an Bülow, 7. Mai 903, pa-aa, england nr. 78 secretissima, r 577. Bernstorff an hammann, 30. november 904, Ba lichterfelde, nl 06, otto hammann, /3, Bl. 9–30. Bernstorff an hammann, 6. november 904, ebd., Bl. 7–8. Metternich an Bülow, 6. Juni 903, pa-aa, england presse nr. 73, r 566; vgl. auch Bernstorffs aufzeichnungen über die britische presselandschaft, 9. Januar 904, pa-aa, england 73, r 567.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

phic, der unter dem pseudonym „Diplomaticus“ auch für die Westminster Gazette und die Fortnightly Review außenpolitische Kommentare schrieb, zu einer reihe von deutschfreundlichen artikeln zu überreden, indem er ihn mit entsprechenden hintergrundinformationen versorgte.84 Dieser coup erfreute die Wilhelmstraße umso mehr, als man seit längerem annahm, dass Wolf für die russische Botschaft in london arbeite.85 Zu gwynne hatte Bernstorff schon freundschaftliche Beziehungen aufgenommen, als dieser noch für die nachrichtenagentur reuters arbeitete.86 nach gwynnes Wechsel an die spitze des von pearson aufgekauften Standard blieb die Verbindung bestehen. „You know my ideas on the subject of the relations between germany and england“, schrieb der neue chefredakteur an den Diplomaten, „and i shall do my utmost to give them currency in the paper.“87 triumphierend leitete Bernstorff den inhalt des schreibens nach Berlin weiter und sah anlass zu der hoffnung, „jetzt noch ein, und noch dazu ein so wichtiges Blatt zur Verfügung zu haben“.88 tatsächlich enthielt sich der Standard unter der neuen leitung in den folgejahren aller angriffe auf Deutschland und nahm „trotz mancher anfeindungen von germanophober seite eine deutschfreundliche haltung“ ein.89 selbst mit einem führenden publizistischen Verfechter der tariff reform wie otto eltzbacher alias J. ellis Barker schien Bernstorff ins geschäft zu kommen. Der Journalist deutete an, er könne künftig in deutschfreundlichem sinne schreiben, wenn ihm die Botschaft hochrangige Kontakte mit deutschen staatsmännern vermittle. Der Diplomat blieb zwar skeptisch, ob eltzbachers frontwechsel ernst gemeint sei, hielt es aber für ein erfreuliches Zeichen, dass ein „so gewissenloser und durchtriebener Journalist wie eltzbacher“ den augenblick für gekommen halte, die „hetzerei gegen Deutschland aufzugeben“.90 Von direkten Bestechungsversuchen, wie die Berliner Zentrale sie gern gesehen hätte, hielt Bernstorff bei seiner netzwerkarbeit wenig. Der aufbau persönlicher Beziehungen war aus seiner sicht das a und o erfolgreichen pressemanagements in england. anders als der Kaiser oder Bülow glaubte er nicht, dass russische oder französische schmiergelder hinter der antideutschen Kam84

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Zur anbahnung des Kontakts siehe Wolf an lucanus, 7. März 903; Bülow (entwurf hammanns) an Bernstorff, 8. april 903; Bernstorff an Bülow, . april 903; Bülow an Bernstorff, 4. Mai 903; Bernstorff an Bülow, 8. Mai 903, alle in: pa-aa, england nr. 78, r 568. hatzfeldt an hohenlohe, . november 899, pa-aa, england 73, r 564. Zur Wendung Wolfs gegen russland siehe auch Beloff, Wolf, s. 5. Bernstorff an Bülow, 6. april 904, gp, Bd. 0 i, nr. 6376, s. 9. gwynne an Bernstorff, 6. november 904, abschrift in: pa-aa, england presse nr. 73, r 56. Bernstorff an hammann, 9. november 904, Ba lichterfelde, nl 06, otto hammann, /3, Bl. 3–4; skeptischer Metternich an Bülow, 6. november 904, pa-aa, england 8 nr. 3, r 5960. Metternich an Bülow, . März 905, pa-aa, england presse nr. 73, r 563. Bernstorff an Bülow, 4. august 904; eltzbacher an Bülow, . Juli 904, beide in: pa-aa, england 8 nr. 3, r 5959.

f) Bernstorffs pressepolitische Offensive

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pagne in der englischen presse steckten. an hammann schrieb er: „Wenn wir in der lage wären, mit Bestimmtheit anzugeben, dass einer unserer hiesigen gegner bestochen wäre, so hätten wir ihn lange mundtot gemacht. Von einem solchen Vorwurf – wenn er berechtigt ist – erholt sich keiner. in london kann man nur mit ‚Mache‘ etwas ausrichten, nicht mit geld.“9 Der erfolg von Bernstorffs pressepolitischer offensive war durchwachsen. in der Berichterstattung der deutschen Zeitungen hinterließen die Bemühungen der Wilhelmstraße zweifellos ihre spuren, zumal der englandhass der Journalisten nach dem ende des Burenkrieges zunächst weniger nahrung erhielt. Zufrieden bemerkte hammann Mitte 90, dass die „ruhige haltung aller uns nahe stehenden deutschen Blätter england gegenüber“ allmählich auch von der übrigen deutschen presse angenommen werde.9 im Januar 904 berichtete Bernstorff, die „trüben erfahrungen“, welche die deutschen Korrespondenten in london mit ihrer „Zügellosigkeit“ während des Burenkriegs gemacht hätten, seien nicht ohne eindruck auf sie geblieben: „sie sehen jetzt ihre aufgaben hauptsächlich darin, die aufgeregten Wellen zu glätten, und sind daher gern bereit, den Winken zu folgen, die ich ihnen über den gang unserer politik geben kann.“93 auch in england bemerkte man den veränderten tonfall. ein Karikaturist des Daily Mirror konstatierte im sommer 904 „a change for the Better“ und verwies auf einen erkennbaren Wandel in der englandberichterstattung der deutschen Zeitungen (abbildung 8). Die Karikatur spielte auf eine Zeichnung des Punch an, der im Jahr 90 die deutsche Berichterstattung über den Burenkrieg auf einen kollektiven sehfehler zurückgeführt hatte (abbildung 9). Weniger erfolgreich war das Bemühen der deutschen Diplomatie, einfluss auf die Besetzung von Korrespondentenposten englischer Zeitungen in Berlin zu nehmen. alle Versuche, saunders zu vertreiben, stärkten dessen position statt sie zu schwächen. Weder diplomatischer Druck noch Kampagnen in der deutschen presse bewegten die londoner redaktion zu einem sinneswandel.94 „congratulate you“, kabelte Moberly Bell bei solchen gelegenheiten an seinen Korrespondenten, „on the attacks of the reptile press whose praise would be blame.“95 saunders selbst hatte sich inzwischen derart in seine fehde mit der deutschen presse verbissen, dass ihm ein freiwilliger rückzug wie eine schmachvolle niederlage erschienen wäre.96 9 9 93 94

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Bernstorff an hammann, 6. november 903, Ba lichterfelde, nl 06, otto hammann, /3, Bl. –5. Bülow an Metternich, 4. Juni 90 (entwurf hammanns), pa-aa, england 73, r 565. Bernstorffs aufzeichnungen über die britische presselandschaft, 9. Januar 904, pa-aa, england 73, r 567. Vgl. Münchener Neueste Nachrichten vom 6. Juni 90, Vossische Zeitung vom 8. Juni 90, Tägliche Rundschau vom 9. Juni 90, Kopien in: pa-aa, england 8 nr. 3, r 5959. Moberly Bell an saunders, . Juni 90, zitiert in: hot Bd. 3, s. 364. saunders an Maxse, 7. Juni 90, Wsro, Maxse papers 450, Bl. 5.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

Abbildung 8: Daily Mirror, 25. Juni 1904.

umgekehrt blieben die interventionen der Wilhelmstraße beim Daily Telegraph zugunsten Bashfords fruchtlos. Der Journalist verlor ende 90 seine stellung.97 er wurde durch den ungleich kritischeren emile Joseph Dillon ersetzt, auch wenn die grundsätzlich deutschfreundliche ausrichtung des Blattes fortbestand und der neue Mann sich hinter vorgehaltener hand bei seinen Korrespondentenkollegen in Berlin darüber beklagte, „[that] he is not allowed to give his true views of german policy“.98 selbst in fällen, in denen Bernstorff erfolgreich Kontakte zu den londoner chefredaktionen aufgebaut hatte, gab es enttäuschungen. Das beste einvernehmen mit gwynne reichte beispielsweise nicht aus, den in Berlin geschätzten Standard-Korrespondenten fuller auf sei97

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siehe den Bericht in der Rheinisch-Westfälischen Zeitung vom 3. Dezember 90, in dem Bashfords ablösung dessen allzu deutschfreundlicher „um nicht zu sagen reichsdeutschöffiziös“ gefärbter Berichterstattung zugeschrieben wird; Kopie in: pa-aa, england 8 nr. 3, r 5959. saunders an Maxse, 6. april 903, Wsro, Maxse papers 45, Bl. 65–3.

f) Bernstorffs pressepolitische Offensive

Abbildung 9:

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Punch, 11. Dezember 1901.

nem posten zu halten. er wurde den vom neuen herausgeber pearson verlangten „personalveränderungen geopfert“.99 99

Bernstorff an hammann, o. D. (november 904), Ba lichterfelde, nl 06, otto hammann, /3, Bl. 5.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

noch schwieriger erwies sich das Vorhaben, auf die Berichterstattung und Kommentierung der englischen Zeitungen einzuwirken. ein zentrales problem stellte die schnelligkeit dar, mit der die britische presse arbeitete. telegramme, die nach 0 uhr abends eingingen, bildeten den stoff für die Kommentare der Morgenblätter. Wenn einmal ein solcher leitartikel heraus sei, so Bernstorff, nützten alle nachträglichen Beschwichtigungen nichts mehr. Der beabsichtigte eindruck sei hervorgerufen und nicht mehr zu verwischen. Dauere die erörterung einer frage mehrere tage an, so sei eine einflussnahme vielleicht möglich; ebenso, wenn man ein den engländern verdächtiges oder unangenehmes ereignis vorhersehen könne. „tritt dagegen eine Überraschung ein, so bin ich völlig machtlos. ehe ich eine einwirkung ausüben kann, hat mir der betreffende unfreundliche leitartikel bereits das frühstück verdorben.“00 auch die präventive einwirkung hatte ihre tücken. Die Journalisten seien mit ihren alten Vorurteilen geradezu gepanzert, klagte Bernstorff. „oft halten sie nachts in ihren redaktionsstuben nicht mehr, was sie mir nachmittags versprachen.“0 hinzu kam, dass britische publizisten ungleich selbstbewusster auftraten als ihre deutschen Kollegen. in dem Bewusstsein ihrer gesellschaftlichen stellung ließen sie sich von deutschen offiziellen nicht belehren, sondern allenfalls mit informationen versorgen. alle publizisten, mit denen er bisher zusammengekommen sei, berichtete Bernstorff, hätten ihre „ganz bestimmten anschauungen“ besessen und sich nur dann von ihm mit Material versehen lassen, „wenn dasselbe der richtung der von ihnen vertretenen politik entsprach“.0 Manche Journalisten nahmen die chancen zu exklusiven informationen oder interviews wahr, die ihnen die deutsche presseoffensive eröffnete, ließen sich aber durch gunsterweise der Wilhelmstraße oder des Kaisers nicht von ihren ansichten abbringen. arnold White etwa gab nach einer audienz bei Wilhelm ii. vor, nichts als „gratitude to and admiration for You imperial Majesty“ zu empfinden, schrieb aber gleichzeitig an einen Bekannten, der Monarch sei „a neurotic, with a diseased taste for relieving the Most high of his natural functions of running the universe“.03 Das Druckmittel des informationsentzugs, das im Verkehr mit deutschen Blättern so wirkungsvoll sein konnte, versagte gegenüber englischen Zeitungen, die ungleich weniger auf die Zusammenarbeit mit deutschen offiziellen 00 0 0

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Bernstorff an hammann, 6. november 903, ebd., Bl. –5. Bernstorff an Bülow, 6. april 904, gp, Bd. 0i, nr. 6376, s. 4–. Bernstorff an Bülow, 9. september 903, pa-aa, england presse nr. 73, r 566; wortgleich wiederholt in Bernstorffs aufzeichnungen über die britische presselandschaft, 9. Januar 904, pa-aa, england 73, r 567. White an den Kaiser, 0. Juli 90, pa-aa, england 8 nr. 3, r 5959; White an f. a. W., 5. Juni 90, zitiert nach Kennedy, rise, s. 57. später wollte keine der deutschen stellen für die einladung an White verantwortlich gewesen sein; die Botschaft in london, das reichskanzleramt und das reichsmarineamt schoben sich gegenseitig die schuld zu; siehe die entsprechende Korrespondenz vom Dezember 908 und Januar 909 in: pa-aa, england 8 nr. 3, r 596.

f) Bernstorffs pressepolitische Offensive

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angewiesen waren. an nationale solidarität und patriotismus konnten deutsche Diplomaten kaum appellieren, wenn sie es mit englischen Journalisten zu tun hatten. auch ein emigrant aus dem reich wie eltzbacher war mit hinweisen auf fortbestehende Verpflichtungsgefühle gegenüber seiner „ehemalige[n] heimat“ nicht zu beeindrucken.04 selbst publizisten, die sich zur Zusammenarbeit mit der deutschen Diplomatie bereit fanden, waren mitunter nur von begrenztem nutzen. Die mit deutschem geld subventionierte Empire Review erfüllte die in sie gesetzten erwartungen kaum. Metternich bedauerte, dass keine der führenden tageszeitungen ihre artikel aufgreife.05 in handelspolitischen fragen konnte ihr herausgeber ohnehin nicht für die Zwecke der Wilhelmstraße eingespannt werden, fand Bernstorff, da er, wie schon der name der Zeitschrift andeutete, auf den imperialismus eingeschworen sei: „Durch eine solche Zumutung hätte ich ihn uns vielleicht ganz entfremdet“.06 umgekehrt konnte lucien Wolf im konservativen und schutzzöllnerischen Daily Graphic „nicht immer seinen eigenen ideen entsprechend schreiben“.07 Überhaupt entwickelte sich die Verbindung zu Wolf unglücklich. nachdem ihm Bernstorff ende 903 erfolgreich Material über die deutsch-kanadischen Zollstreitigkeiten zugespielt hatte, wollte er ihn im februar 904 zu einem artikel über Marokko überreden, in dem Wolf die französischen ambitionen in nordafrika entlarven und die britische Öffentlichkeit vor den pariser Machenschaften warnen sollte. ein entsprechender entwurf in deutscher sprache aus der feder Bernstorffs weckte allerdings derart das Misstrauen des Journalisten, dass er ihn lansdownes privatsekretär eric Barrington unterbreitete, der seinerseits den außenminister informierte.08 tags darauf schrieb Wolf an Bernstorff, er sei zwar gern bereit, deutschen ansichten in der britischen Öffentlichkeit gehör zu verschaffen und sie sogar zu verteidigen, er sei aber nicht willens, „to put forward as english what is really a german opinion“.09 Zwar überdauerte die Kooperation zwischen Bernstorff und Wolf den Vorfall.0 Doch die reputation beider Männer nahm irreparablen schaden. Wolf galt seither als lakai der 04

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Der publizist, der sich, wie Bernstorff klagte, mit einem „jüdisch-kosmopolitischen panzer“ umgeben hatte, hielt trotz taktisch motivierter annäherungsversuche an seiner profilierung als Kritiker des Deutschen reiches fest; Bernstorff an Bülow, 4. august 904, pa-aa, england 8 nr. 3, r 5959; vgl. den Bericht richthofens, 3. oktober 905, pa-aa, england 8 nr. 3, r 5960, vgl. auch hammanns Bericht, 8. Dezember 9, pa-aa, england 8 nr. 3, r 5963. Metternich an Bülow, 4. februar 903, pa-aa, england nr. 78, r 568. Bernstorffs aufzeichnungen über die britische presselandschaft, 9. Januar 904, pa-aa, england 73, r 567. ebd. Barrington an lansdowne, 9. februar 904, Bl, Balfour papers, add. 4978, Bl 78–9. Wolf an Bernstorff, 0. februar 904, Kopie in: ebd., add. 49747, Bl. 73–5. Zwei Jahre später schrieb Wolf einen artikel über die Marokkokrise mit dem titel „the german grievance“ in der Pall Mall Gazette vom 6. März 906; vgl. Morris, scaremongers, s. 75.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

deutschen Botschaft. und Bernstorff wurde den ruf nicht mehr los, ein unverbesserlicher ränkeschmied, „a thorough intriguer“, zu sein. schlimmer noch, er hatte das ohnehin vorhandene Misstrauen im britischen foreign office hinsichtlich der Methoden deutscher pressepolitik bestätigt und dem Verdacht neue nahrung gegeben, die Wilhelmstraße arbeite in london und anderswo mit schmutzigen tricks.3 Zugleich sorgte das britische außenministerium dafür, dass die affäre publik wurde. Metternich, der in jenen tagen „in englischen presse-Kreisen hochgradige gereiztheit und Misstrauen gegen uns“ vorfand und bei der Zeitungslektüre auf zahlreiche feindselige Kommentare stieß, erfuhr von einem redakteur des Daily Telegraph, die betreffenden artikel seien auf direkte Veranlassung des foreign office erschienen, wo man wegen des Versuchs der Botschaft, einen britischen Journalisten zu bestechen, aufs Äußerste verstimmt sei.4 Die angelegenheit spitzte sich im herbst 904 weiter zu.5 ende november berichtete WtB-Korrespondent piper seiner Berliner Zentrale über ein gespräch mit eckardstein, der sich als privatmann weiterhin in england aufhielt. Bernstorffs Vorgänger, so piper, habe prophezeit, es sei „ein schrecklicher scandal im anzuge“. eckardstein zufolge hatte lucien Wolf, „dieser so wunderlich überschätzte schreiber“, im garrick-club geprahlt, dass er „von jetzt ab gegen russland schreiben“ wolle und dass er „von der hiesigen Botschaft beziehungsweise von Bernst[orff] dazu angetrieben“ worden sei. Die anwesenden Journalisten, darunter zahlreiche Vertreter großer tageszeitungen wie courtney vom Daily Telegraph, hätten die ankündigung mit hohngelächter aufgenommen und gespottet, wenn man in Berlin glaube, dass Bernstorff eine „erfolgreiche arbeit und einwirkung auf die englische presse vorweisen könne“, liege man falsch. in Wirklichkeit habe er niemanden in der hand als Wolf. selbst beim Daily Telegraph seien nur die herausgeber sir harry lawson und lord Burnham pro-deutsch. Von den hauptamtlichen redakteuren hingegen wolle keiner die geforderten deutschfreundlichen artikel schreiben; neulich habe „ein ganz junger Mensch [dazu] commandirt werden müssen“. gleichzeitig hätten sich 

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„[he] practically ‚lives‘ at the german embassy“, kolportierte chirol ein halbes Jahr später. „he was formerly the factotum of the russian embassy, but has transferred his services for some time to the germans“; chirol an lascelles, . september 904, tna, fo 800/, Bl. 6–7. hardinge an lascelles, 7. März und 6. april 906; fitzmaurice an lascelles, 3. Mai 906, alle in: tna, fo 800/3, Bl. 99–00, 09–0, 57–66. „[if] they are trying that game on here“, schrieb Mallet an Balfours pressebeauftragten sandars, „it is certain that they are doing so in paris where the press can be more easily bought. it is notorious that Berlin news agents are responsible for the dissemination of anti-english views in st. petersburg“; Mallet an sandars, 0. februar 904 (randbemerkung zu Wolfs schreiben an Bernstorff), Bl, Balfour papers, add. 49747, Bl. 73–5; vgl. auch hardinge an Bertie, 6. februar 904, Bertie papers, tna, fo 800/8. Metternich an aa, 6. März 904, abschrift in: pa-aa, england 78, r 5684. Zu den diplomatischen Zusammenhängen siehe McLean, Dreams; immer noch grundlegend Vogel, russlandpolitik; Steinberg, germany.

f) Bernstorffs pressepolitische Offensive



die Journalisten empört über Bernstorff und die „intriguirende Botschaft“ geäußert. Man wolle nur direkte Beweise abwarten, und wenn man die in der hand habe, werde man „mit einem ansturm von allen seiten“ das Wort ergreifen.6 piper zweifelte zwar an eckardsteins aufrichtigkeit und dem Wahrheitsgehalt der kolportierten gerüchte, nahm jedoch die hinweise auf den sturm, der sich gegen Bernstorff zusammenbraute, ernst genug, um sie haarklein nach Berlin weiterzuleiten, „damit die sensationelle anklage ein wenig im Voraus betastet“ werde.7 tatsächlich machten verschiedene Zeitungen und Zeitschriften die im garrick-club diskutierten aktivitäten Bernstorffs kurz darauf zum gegenstand öffentlicher Kritik. Bernstorff, so lautete der Vorwurf, biete britischen Journalisten geld für antirussische und antifranzösische artikel. nicht nur der Daily Graphic, sondern auch Blätter wie der Daily Chronicle würden von der deutschen Botschaft subventioniert und darüber instruiert, was sie zu schreiben hätten.8 Der Diplomat bezeichnete die „ganze intrige“ gegenüber dem Berliner pressebüro als ein „lügengewebe“, das aus „Kombinationen deutschfeindlicher Journalisten“ gesponnen worden sei. Die Kampagne ziele darauf, seine Beziehungen zur londoner presse zu stören. auch wenn der Diplomat nicht glaubte, dass Wolf „Verrat“ geübt habe, gelobte er, bei der anknüpfung neuer Kontakte künftig „doppelt vorsichtig“ zu sein.9 Metternich wollte aus der affäre weiter gehende Konsequenzen gezogen wissen. er sah sich durch die pressekampagne in seiner skepsis gegenüber Bernstorffs aktivismus bestärkt. schon im sommer 903 hatte er „ruhe und abwarten gegenüber der erbitterten und voreingenommenen stimmung in england“ als die für den augenblick beste politik empfohlen. es sei nur eine frage der Zeit, bis die erbitterung in großbritannien nachlasse, und dann verschwinde die „stimme der fremden agenten, die den unfrieden schüren, wie gewölk vor dem klärenden Winde“.0 als die gerüchte über Bernstorffs Bestechungsversuche im frühjahr 904 erstmals auftauchten, drängte der Botschafter, die sache müsse umgehend aufgeklärt werden; die „Verbreitung weiterer gereiztheit“ sei zu vermeiden. Da die Vorwürfe nicht nur Bernstorff trafen, sondern die ar6

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piper an Mantler, 8. november 904, pa-aa, england presse nr. 73, r 56. Mantler deklarierte das schreiben als „geheim“ und leitete es „im verschlossenen umschlag“ an hammann weiter. ebd. ignotus, the need for counter-preparation, in National Review 6, november 904, s. 44–5; abschrift in: pa-aa, england nr. 78, r 5685; siehe auch Bernstorff an hammann, 6. april 905, Ba lichterfelde, nl 06, otto hammann, /3, Bl. 55–6. außerdem beauftragte er hauptmann piper von Wolff’s telegraphenbüro, sich in Zukunft alle pressetelegramme, in denen die deutsche Botschaft erwähnt werde, vorlegen zu lassen, ehe sie nach Deutschland abgeschickt wurden; Bernstorff an hammann, ., 8. februar und 5. März 905, ebd., Bl. 44, 48 und 5. Metternich an Bülow, . Juni 903, pa-aa, england nr. 78 secretissima, r 577; siehe auch Metternich an Bülow, 9. Januar 903, ebd. Metternich an aa, 6. März 904, abschrift in: pa-aa, england 78, r 5684.



4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

beit der Botschaft, ja die deutsche politik insgesamt in Misskredit brachten, sah Metternich sich ein Jahr später zu einem vertraulichen schreiben an den reichskanzler veranlasst. er bedrängte Bülow, die pressearbeit der Botschaft für mindestens ein halbes Jahr, wenn nicht länger, einzustellen und nur informelle Verbindungen mit den „publizisten erster Klasse“ aufrecht zu erhalten. angesehene Journalisten klopften nicht an Botschaftstüren, um nachrichten zu erforschen, so Metternich. stattdessen habe man es beständig mit „reportergesindel von halfpenny und anderen papers“ zu tun, auf deren Wort kein Verlass sei und die nach dem zuvorkommendsten empfang „nur noch mehr lügen“ verbreiteten. Der fortgesetzte umgang mit „niederen organen der presse“ führe dazu, dass man „schädlichen Verdächtigungen“ ausgesetzt werde; es entziehe sich jeder Kontrolle, was das „gesindel nachher unter sich“ erzähle. Wenn man hingegen den „Kerls, die aus sensationslust und neugierde auf die Botschaft laufen“, die tür weise, so bekämen sie wieder jene achtung, die ihnen bei andauerndem Kontakt schwinde. Metternich beschuldigte Bernstorff zwar nicht direkt, stellte jedoch fest, einen nutzen habe die pressearbeit der vergangenen Jahre nicht eingebracht, „wohl aber direkten schaden“. Der reichskanzler vermied es, im streit zwischen Metternich und Bernstorff stellung zu beziehen. einerseits unterstützte er den Botschafter in seiner ansicht, vor allem müsse man „publizisten erster Klasse“ durch fortgesetzte „gute gesellschaftliche Beziehungen“ zu gewinnen suchen. andererseits hielt er es für fraglich, ob der Verkehr mit Journalisten auf der Botschaftskanzlei, „wenn auch nur zeitweilig ohne schaden ganz abgebrochen“ werden könne. Bülow überließ es dem „takt“ der beiden Diplomaten, eine lösung zu finden, legte allerdings Wert darauf, dass sorgfältig „jeder schein einer Desavouierung“ der bisherigen pressepolitik Bernstorffs vermieden werde.3

g) Pressepolitik in der Ersten Marokkokrise am ende erwies sich der streit ohnehin als müßig, da schon wenige tage nach dem schreiben Bülows an Metternich ein derartiger sturm der antideutschen empörung durch teile der britischen presse toste, dass jede form der pressepolitik illusorisch zu werden schien. Den anlass bildete die landung Kaiser Wilhelms ii. in tanger am 3. März 905, mit der die reichsführung unter hinweis auf geltendes Völkerrecht das prinzip der „offenen tür“ in Marokko gegen französische Bestrebungen, dort ein protektorat zu errichten, demonstrativ verteidigte. Das eigentliche Ziel dieses von holstein ersonnenen und von Bülow dem zögernden Kaiser aufgedrängten Manövers bestand über die Wahrung  3

Metternich an Bülow, 8. februar 905 (vertraulich), pa-aa, england presse nr. 73, r 563. Bülow an Metternich, 5. März 905 (entwurf hammann, „geheim“), pa-aa, england presse nr. 73, r 563.

g) Pressepolitik in der Ersten Marokkokrise

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deutscher rechtsansprüche und Wirtschaftsinteressen hinaus darin, durch Druck auf das in dieser angelegenheit vermeintlich isolierte frankreich die kurz zuvor geschlossene Entente Cordiale mit england auf die probe zu stellen, zu deren Kernbestandteilen schließlich die von london zugestandene handlungsfreiheit frankreichs in Marokko zählte.4 Die teutophoben publizisten um Maxse nutzten die Zuspitzung der diplomatischen Krise um Marokko, um für die aufwertung der Entente Cordiale zu einem regelrechten Verteidigungsbündnis und teilweise sogar für den aufbau einer britischen streitmacht zu werben, die auf dem europäischen festland an der seite französischer truppen eingesetzt werden konnte. schon frühzeitig hatten sie geargwöhnt, die reichsleitung wolle die Marokkofrage als hebel benutzen, um die französisch-britische Kolonialkoalition aufzubrechen. „i am convinced“, notierte saunders nach einem gespräch mit seinem pariser Times-Kollegen lavino bereits im Januar 905 unter ausdrücklichem Verweis auf die lage in nordafrika, „that Bülow wants to test the strength of the anglo-french entente by the application of indirect pressure to france in a matter which concerns her vital interests.“5 Mit derartigen Vorahnungen gewappnet, fiel es Männern wie Maxse und saunders nicht schwer, den kaiserlichen landgang in ihre sicht der deutschen Diplomatie einzuordnen und entsprechend zu reagieren. in der Times gewann die von saunders und lavino verfochtene linie einer rückhaltlosen unterstützung frankreichs, die auch chirol befürwortete, die oberhand gegenüber den anfangs objektiv-neutralen, ja mitunter durchaus deutschfreundlichen und frankreichkritischen Berichten von Burton harris, dem Times-Korrespondenten vor ort in tanger.6 ein leitartikel bezeichnete Wilhelm als „agent provocateur“, der die interessen frankreichs leugne und den Widerstand der Moslems anstachele. Der Monarch selbst, nicht sein Kanzler und dessen Berater, stand im Mittelpunkt der Kritik – ähnlich wie beim Krügertelegramm, auf das die Times explizit Bezug nahm, indem sie bemerkte, keine handlung des Kaisers seit der glückwunschdepesche an präsident Krüger sei so sensationell gewesen wie sein Besuch in tanger. aus Deutschland merkte saunders an, dem Kaiserbesuch liege die absicht zugrunde, einen Keil zwischen frankreich und england zu treiben, während lavino aus paris hinzufügte, auf diese Weise solle frankreich zu einer annäherung an Deutschland gezwungen werden.7 Maxse ging in der National Review noch einen schritt weiter und bezeichnete Wilhelm ii. als 4

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Zur entstehung der entente cordiale siehe Andrew, Delcassé; Monger, ursachen; zur rolle des britischen Monarchen vgl. Dunlop, edward Vii.. Zum hintergrund der Marokkokrise vgl. Kennedy, rise, s. 75–85; Anderson, Moroccan crisis; zur rolle der Volksvertretungen vgl. Mayer, Diplomatie; zur medialen Dimension Daniel, einkreisung, s. 35–6. saunders an Moberly Bell, 5. Januar 905, nia, Moberly Bell papers. hierzu mehr in der materialreichen, wenn auch tendenziösen studie von Schöttle, times, s. 30–7; vgl. auch Reinermann, Kaiser, s. 69–70. Times vom 4. april 905.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

„perpetual peril to the peace of the world“; im interesse des internationalen friedens müssten all jene reiche, die bereits saturiert seien, Vorsorgemaßnahmen gegen diejenigen treffen, die noch auf territoriale gewinne spekulierten – eine kaum verhüllte anspielung auf weltpolitische absprachen zwischen russland, frankreich und england.8 nicht alle englischen Zeitungen folgten dieser argumentation. spenders liberal-imperialistische Westminster Gazette äußerte sich deutlich zurückhaltender, während der radikal-liberale Manchester Guardian die englisch-französischen Kolonialabsprachen aus freihändlerischer sicht bedenklich fand und dem deutschen Vorgehen deswegen positive seiten abgewinnen konnte. nicht einmal das imperialistisch-patriotische lager stand geschlossen hinter der von der Times und der National Review verfochtenen position. Der Standard und der Daily Telegraph, aber auch führende konservative provinzblätter wie die Yorkshire Post blieben maßvoll in ihrer Kritik; die ultra-konservative Morning Post verdammte die Entente sogar explizit, weil sie die aufgabe britischer imperialer stellungen in Marokko mit sich brachte.9 entscheidend für das Verhältnis von presse und Diplomatie war jedoch nicht das tatsächliche pressecho, sondern dessen Wahrnehmung durch die Zeitgenossen, insbesondere durch die leiter der deutschen außenpolitik. in der Wilhelmstraße hatte man fest damit gerechnet, dass weder die englische Diplomatie noch die presse über eine halbherzige unterstützung frankreichs hinausgehen würden, nachdem großbritannien die früchte seines teils des handels in Ägypten bereits geerntet hatte. um das englische stillhalten zu erleichtern, hatte die reichsleitung die pressekampagne, mit der sie ihre diplomatische offensive um Marokko begleitete, ganz auf das prinzip der „offenen tür“ und die deutschen Wirtschaftsinteressen in nordafrika ausgerichtet. alle Kritik sollte sich gegen die politik Delcassés richten; angriffe auf die Entente Cordiale waren tunlichst zu vermeiden.30 Vor diesem hintergrund traf die profranzösische parteinahme von Blättern wie der Times die deutschen Diplomaten wie ein Blitz aus heiterem himmel. obwohl Deutschland keinerlei englische interessen verletzte, verhielten sich die englischen Zeitungen in dieser frage „französischer als die franzosen selbst“, berichtete Metternich schon zwei tage vor der tangerlandung des Kaisers.3 Die angriffe englischer Blätter auf die deutsche Marokkopolitik dürften nicht zu einem „neuen deutsch-englischen federkrieg“ führen, warnte der stellvertretende staatssekretär Mühlberg die deutsche Botschaft in london. in Berlin bemühe man sich nach Kräften darum, die deutschen Zeitungen zu 8 9

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National Review nr. 67 vom Mai 905, s. 37. insofern ist reinermann zuzustimmen, dass von einer „einhelligen publizistischen Verurteilung“ der deutschen politik durch die britische presse nicht gesprochen werden kann; Reinermann, Kaiser, s. 77–86 (Zitat s. 85); so noch Hale, germany, s. 05–6; ders., publicity, s. 7–3; Morris, scaremongers, s. 66. siehe die aufzeichung holsteins vom 3. März 905, gp, Bd. 0, s. 603 (fussnote); vgl. auch Hale, germany, s. 04. Metternich an Bülow, 8. März 905, gp, nr. 36, Bd. 0, s. 60.

g) Pressepolitik in der Ersten Marokkokrise

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beschwichtigen. aber auch in london gelte es aktiv zu werden, damit die dortigen Korrespondenten deutscher Blätter ihren redaktionen nicht „stoff zu anglophoben artikeln“ lieferten.3 Wiederum stand die deutsche pressepolitik vor der unlösbaren aufgabe, zwei effekte zugleich zu produzieren: im innern sollte die publizistische Zustimmung zur tangerlandung des Kaisers organisiert werden, während es zugleich galt, keinerlei nationalistisch-aggressive töne nach außen dringen zu lassen, die das Misstrauen der ausländischen – speziell der britischen – presse hätten erregen können. Die erste aufgabe konnten hammann und seine helfer lösen, obwohl die Blätter der beiden extremen flügel des politischen spektrums, die alldeutschen und die sozialdemokratischen Zeitungen, aus unterschiedlichen gründen die Marokkopolitik der regierung scharf attackierten – die einen, weil sie die deutsche Marokkopolitik für allzu zögerlich-taktierend, nicht selbstbewusst-auftrumpfend genug empfanden; die anderen, weil sie, vom primat der innenpolitik her denkend, die gesamte Kolonial- und Weltpolitik des reiches prinzipiell ablehnten. Der rest der deutschen presse – von den konservativen organen über die Zentrums- und nationalliberalen Blätter bis hin zu den meisten freisinnigen Zeitungen – versammelte sich jedoch zunächst mehr oder weniger enthusiastisch hinter der regierungspolitik.33 Mit ihren Bemühungen, darüber hinaus auch auf die britischen Blätter einzuwirken, scheiterten die deutschen pressepolitiker weitgehend. er müsse in anbetracht der herrschenden stimmung sehr vorsichtig sein, berichtete Bernstorff. nur der Standard, die Morning Post und die Westminster Gazette seien „vernünftigen erwägungen“ zugänglich. ansonsten erblicke die englische öffentliche Meinung in der Marokkokrise einhellig den Versuch, die Entente Cordiale zu sprengen: „Dass wir nur berechtigte wirtschaftliche interessen vorbringen, glaubt mir kein Mensch, so oft ich es auch sage.“34 Bernstorff musste einräumen, dass sich hinsichtlich der Bearbeitung der presse „in so aufgeregten Zeiten“ wenig machen lasse. er glaubte nicht mehr daran, dass sich die gegen Deutschland gerichtete feindseligkeit der englischen Öffentlichkeit kurz- oder auch nur mittelfristig legen werde. es gelte bis auf weiteres, dem „toben“ der englischen Zeitungen gegenüber gute laune zu behalten. Jeder „ausbruch von Missstimmung unsererseits“ werde nur als neuer agitationsstoff dienen, um zu beweisen, dass Deutschland feindselig gesinnt sei.35 Bei der suche nach den gründen für das unerwartete Verhalten der britischen presse gingen die Meinungen der deutschen Diplomaten auseinander. Metternich sah zum einen den Wunsch der britischen presse am Werke, sich „als eifri3

33 34 35

Wo ein „totschweigen“ nicht angehe, so Mühlberg, seien wenigstens „abschwächende Bemerkungen“ hinzuzufügen; Mühlberg an Metternich, 4. april 905, pa-aa, england presse nr. 73, r 563. lediglich das Berliner Tageblatt und – mit abstrichen – die Frankfurter Zeitung verfolgten einen etwas unabhängigeren Kurs; siehe hierzu ausführlich die arbeit von Ris, Verhältnis. Bernstorff an hammann, 6. april 905, Ba lichterfelde, nl 06, otto hammann, /0. Bernstorff an Bülow, . april 905, gp, Bd. 0ii, nr. 6846, s. 63.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

gen anhänger und Verteidiger des englisch-französischen abkommens und der entente cordiale zu zeigen“, zum anderen aber auch die fortbestehende „Verstimmung und abneigung“ gegenüber Deutschland.36 Bernstorff hingegen glaubte nicht, dass die antideutschen einstellungen so weit verbreitet waren, wie Metternich annahm. seiner ansicht nach hatte vielmehr eine begrenzte, aber einflussreiche gruppe deutschfeindlicher publizisten die Meinungsführerschaft in london gewonnen und damit etwas in gang gesetzt, was die Kommunikationswissenschaft später als „schweigespirale“ beschreiben sollte.37 Weder politiker noch andere Journalisten hätten lust, „sich von dem germanophoben ring angreifen zu lassen“ und hielten deswegen mit abweichenden Meinungen in der Öffentlichkeit hinter dem Berg, auch wenn sie im privaten gespräch oftmals viel positiver über die deutsche politik urteilten. Diese samenkörner, so Bernstorff, könnten gute früchte tragen, „wenn einst der terrorismus aufhört, der jetzt die leiseste frühlingshoffnung zertritt“. Der Botschaftsrat setzte daher alle hoffnungen auf einen baldigen regierungswechsel in london, der unter umständen auch „eine umgestaltung mancher organe der presse“ mit sich bringen werde.38 im britischen foreign office sahen die Vertreter einer antideutschen politik wie crowe, Mallet und spring-rice die gefahren eines möglichen regierungswechsels ebenfalls nur allzu deutlich, der sich im Verlauf des Jahres 905 immer deutlicher abzuzeichnen begann. spring-rice nahm deswegen die Marokkokrise zum anlass, in Briefkontakt mit J. alfred spender, einem Bekannten aus gemeinsamen oxforder studienzeiten, zu treten. spender war als chefredakteur der Westminster Gazette der einflussreichste publizist des imperialistischen flügels der liberalen partei und zugleich ein enger Vertrauter von sir edward grey, dem führenden außenpolitiker bei den liberalen. nachdem sich die Marokkokrise durch den rücktritt des französischen premierministers Delcassé im Juni zwischenzeitlich entschärft zu haben schien, warnte spender anfang august in zwei artikeln in der Westminster Gazette davor, bei der – aus seiner sicht legitimen und richtigen – Verteidigung der Entente Cordiale dürfe großbritannien allzu sehr in antideutsches fahrwasser zu geraten. Das sei keinesfalls im interesse frankreichs, dem nicht daran liegen könne, durch england in einen Konflikt mit Deutschland hineingezogen zu werden. schließlich habe paris das Übereinkommen mit england im interesse des friedens geschlossen, nicht aus kriegerischer absicht. sollte es erneut zu auseinandersetzungen zwischen Deutschland und frankreich kommen, so argumentierte spender, sei es großbritanniens aufgabe, zwischen beiden zu vermitteln.39 36 37 38 39

Metternich an Bülow, 8. März 905, ebd., nr. 36, Bd. 0ii, s. 60–. Noelle-Neumann, schweigespirale. Bernstorff an Bülow, . april 905, gp, nr. 475, Bd. 0ii, s. 609–5. Westminster Gazette vom 5. und 8. august 905. spender hatte diese analyse offenbar nach intensivem gedankenaustausch mit französischen politikern verfasst; in einem schreiben an spring rice erklärte er: „During the last three months i have been approached by frenchmen who are at the fountain head to do anything i could to stop the anti-german

g) Pressepolitik in der Ersten Marokkokrise

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spring-rice griff diese argumentation auf und setzte ihr seine sichtweise entgegen, die darauf hinaus lief, „that france has still very serious reason to suppose that germany will insist on pressing her diplomatic advantage in such a manner as to make war a matter of necessity to france if she is to preserve her honour and independence“. Wenn diese analyse stimme, so spring-rice, sei es großbritanniens pflicht, nicht untätig zuzusehen, wie frankreich vernichtet werde. Deutschland sei in der Vergangenheit bereits zweimal – 875 und 887 – davon abgehalten worden, frankreich zu überfallen und der Bedrohung im Westen ein für allemal ein ende zu bereiten. Der wichtigste abschreckungsfaktor sei damals in beiden fällen russland gewesen, unterstützt durch england und den konservativen einfluss des österreichischen Kaisers. in der gegenwart jedoch fielen infolge der russischen niederlage in fernost und den Veränderungen in der habsburgermonarchie zwei dieser drei großmächte praktisch aus. Daher müssten frankreich und england gegen die drohende deutsche hegemonie in europa zusammenstehen.40 Der Diplomat beließ es nicht bei diesem Mahnruf, sondern warnte in mehreren folgenden schreiben an spender wiederholt vor einem deutschen Übergewicht in europa. Daran schloss sich jedes Mal die aufforderung an, die liberalen sollten bei einem möglichen regierungswechsel die von den tories eingeleitete politik fortführen. Die außenpolitik eigne sich nicht als gegenstand für parteipolitik, sondern müsse sich – innerhalb allgemein akzeptierter rahmenbedingungen – außerhalb der öffentlichen arena abspielen.4 andere Verfechter einer engen französisch-britischen allianz zogen noch weitergehende schlussfolgerungen aus der Kriegsgefahr, die im sommer 905 drohend am diplomatischen horizont aufgezogen war. „the temper of the french has become extremely pacific, and germany trades upon this fact“, schrieb saunders im oktober an Maxse. germany (the government) did not want war during the Morocco crisis, but she risked acting in a way which brought war within a measurable distance. if we had, as we ought to have, those military forces which we and france could honestly regard as capable of taking the field in the low countries or in schleswig as adequate and efficient allies of france, the anglo-french entente would be secure against all machinations; an understanding with russia subject to the cordial approval + inclusion of Japan would almost inevitably follow; and the peace of the world would be secured.4

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agitation over here + told that better relations between england + germany would be acceptable to france since england might then act as a bridge on the Morocco question“; spender an spring rice, 3. august 905, ccc, spring rice papers /6. spring-rice an spender, . august 905, Bl, spender papers, add. 4639. spring rice an spender, . und 4. august, 3. und 6. september, 5. oktober 905, ebd. ein ähnlicher Briefwechsel fand zurselben Zeit zwischen dem foreign office-Beamten louis Mallet und dem herausgeber des Spectator statt, der sich ebenfalls für einen regierungswechsel aussprach; Mallet an strachey, 8. Juli, 4. november, 4. Dezember 905; hlro, strachey papers, str 5/4/8. saunders an Maxse, . oktober 905, Wsro, Maxse papers 453, Bl. 9–.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

h) Zwischenfazit Die Marokkokrise diente den publizistischen Verfechtern der these von der „deutschen gefahr“ somit als weiteres argument in ihrem plädoyer für eine abkehr von der tradition der „splendid isolation“ und für einen Übergang zu einem system militärischer Verteidigungsbündnisse, in dem sich großbritannien mit frankreich, russland und Japan gegen die europäischen Mittelmächte um Deutschland zusammenschließen sollte.43 Zwar war diese sichtweise 906 keinesfalls zum allgemeingut britischer presseberichterstattung über Deutschland geworden; selbst im lager der konservativ-imperialistischen Zeitungen gab es abweichende stimmen, beispielsweise der Morning Post oder des Daily Telegraph, von freihändlerisch-linksliberalen Blättern wie dem Manchester Guardian ganz zu schweigen. Dennoch hatten die teutophoben publizisten mit ihrem anspruch, die „öffentliche Meinung“ großbritanniens zu repräsentieren, in den fünf Jahren seit 90 insofern beträchtliche fortschritte gemacht, als ihre selbstidentifizierung mit „der Öffentlichkeit“ immer öfter für bare Münze genommen wurde – sowohl von seiten der zeitgenössischen deutschen Diplomatie als auch von späteren historikern, die gleichermaßen dazu tendierten, die antideutschen Zeitungen mit „der britischen presse“ gleichzusetzen. Die britische Diplomatie versuchte bisweilen, diese Wahrnehmungsweise auszunutzen, indem sie vorgab, unter dem Druck der „öffentlichen Meinung“ zu handeln, obwohl ihre eigenen Ziele in Wirklichkeit mit denen der antideutschen presse übereinstimmten oder sich zumindest teilweise überlappten. Das galt insbesondere für jene jüngere generation britischer Diplomaten und foreign office-Beamter, die schon seit 896 die sichtweise von publizisten wie Maxse und saunders teilten und oft auch in regem gedankenaustausch mit diesen standen. Dieser zunächst vergleichsweise kleinen, aber gut vernetzten gruppe von Journalisten und Diplomaten gelang es in den Jahren nach 896 und verstärkt von 90 bis 906, die Vorstellung einer „deutschen gefahr“ in den Berichten, analysen und Kommentaren der meinungsführenden britischen presse zu verankern; gedanken, die sie zunächst nur in ihrer privatkorrespondenz äußerten, fanden allmählich eingang in elitäre Monats- und Wochenzeitschriften, von wo sie dann in die seriöse tagespresse gelangten. in diesem Zeitraum schälten sich drei charakteristika heraus, die in Zukunft die publizistische agitation um die „german menace“ bestimmten: erstens der deutsche Wirtschaftsaufschwung und die ökonomische Konkurrenz, also das, was die Deutschen herablassend den britischen „handelsneid“ nannten; zweitens das deutsche Bestreben, die Vormachtstellung auf dem europäischen festland gegen englands interessen auszubauen und durch manipulative Diplomatie die britischen spannungen mit russland und frankreich zu verewigen; drittens der aufbau einer deutschen flotte, der letztlich auf die ablösung der britischen 43

Dieser Zusammenschluss ist treffend als „Quadrupel entente“ bezeichnet worden; siehe White, transition.

h) Zwischenfazit

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durch die deutsche hegemonie zur see zielte.44 Deutschland erfüllte somit eine Doppelfunktion: einerseits als reformmodell im rahmen der britischen Modernisierungsdiskussionen und andererseits als zukünftiger gegner, der die Kräfte der eigenen nation mobilisieren helfen sollte. Dementsprechend changierte der slogan von der „deutschen gefahr“, der in den Jahren zwischen 90 und 906 zum politischen Kampfbegriff der antideutschen presse avancierte, zwischen Bewunderung und ablehnung, imitation und abgrenzung, gefühlen zunehmender schwäche und fortbestehender Überlegenheit.45 Was publizisten wie Maxse, garvin, saunders, Blennerhassett oder spenser Wilkinson über das Kaiserreich schrieben, entbehrte nicht realer grundlagen. Die meisten von ihnen kannten sich gut aus, sprachen – oder lasen wenigstens – deutsch, waren aufmerksame Beobachter der politischen, wirtschaftlichen und kulturellen entwicklungen im Kaiserreich. ihre äußerst misstrauische haltung gegenüber den Methoden und Zielen der deutschen Diplomatie erwies sich vielfach als gerechtfertigt. im falle der deutschen absichten in der ersten Marokkokrise beispielsweise trafen sie mit ihrer analyse ins schwarze. aber mit der einseitigen, verzerrenden Zuspitzung ihrer interpretationen und Kommentare verfolgten sie nicht das Ziel objektiver Berichterstattung, sondern politischer einflussnahme auf den Kurs der britischen regierung, was ihnen nicht immer gelang, aber doch in einzelfällen wie der Venezuelakrise oder dem Bagdadbahnprojekt zu erfolgen führte. oft genug wurde dabei Kaiser Wilhelm ii. als Kraftquelle der von Deutschland ausgehenden Bedrohung identifiziert, während dem reichskanzler und der reichsleitung selbst dann nur untergeordnete rollen zugemessen wurden, wenn wie im fall der ersten Marokkokrise das exakte gegenteil zutraf. lothar reinermann hat darauf hingewiesen, dass mit der ausrichtung auf den Kaiser zum Beispiel die komplexen Zusammenhänge der tangerlandung propagandistisch wirkungsvoll vereinfacht werden konnten; durch die projizierung auf den Kaiser wurden Bedrohungsgefühle personalisiert, das geschehen dramatisiert.46 indem sie den Monarchen ins Zentrum rückte, konnte die britische presse außerdem an Wahrnehmungsmuster anknüpfen, die seit dem Krügertelegramm in den Köpfen vieler Briten verankert waren. Bezeichnenderweise deuteten nicht nur britische Journalisten, sondern auch Diplomaten die tanger-affäre im lichte der erfahrungen mit dem Krügertelegramm. „it seems to me that there is a good deal of analogy between the action of germany now with regard to france and her action with regard to england at the beginning of 896“, notierte beispielsweise der britische Botschafter in Berlin. then the emperor sent his celebrated telegram to Kruger, the german press indulged in the tallest of talk, and Marschall himself told me that germany could not tolerate any interference with the independence of the two south african republics. all this turned 44 45 46

Zu letzterem siehe Kapitel 5. Zum hintergrund siehe Searle, Quest, s. 54–7. Reinermann, Kaiser, s. 74.

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4. Die „deutsche Gefahr“ in den englischen Medien

out to be bluff. now the emperor has made his speech at tangier – the german press is as insolent as possible – and the german government declines to discuss the question through the ordinary diplomatic channels. i suspect this is also a bit of a bluff.47

Die Warnung vor Deutschland und seinem Kaiser waren kein selbstzweck, sie wurden vielmehr eingesetzt, um etwas anderes zu erreichen. es ging, wie saunders einmal formulierte, um die freiheit und unabhängigkeit britischer imperial- und außenpolitik, vor allem um das gewinnen neuen Bewegungsspielraums beim umgang „with our most important european and asiatic neighbours, russia and france“.48 Das publizistisch verstärkte Misstrauen und die feindschaft von einflussreichen sektionen der britischen presse gegenüber dem Deutschen reich wurden nicht nur zum Motor verstärkter rüstungspolitischer anstrengungen, sondern auch zu triebkräften des ausgleichs mit frankreich – und später mit russland. „to allay fears of germany“, erklärte der chefredakteur der Morning Post, fabian Ware, gegenüber der Besitzerin des Blattes, lady Bathurst, „is to throw away our only chance of getting people here to bestir themselves.“49 Die französisch-englische annäherung sei ein produkt der gemeinsamen abneigung gegen Deutschland, hatte der deutsche Botschafter in london schon im sommer 903 berichtet. „ohne die abneigung gegen Deutschland hätte die englische presse nicht seit Monaten an einer aussöhnung mit frankreich arbeiten“ können.50 Die Entente Cordiale, hat der britische historiker Keith Wilson pointiert bemerkt, hatte ebenso wenig den schutz europas vor deutscher hegemonie zum Ziel wie drei Jahre später die Entente mit russland; beide Übereinkommen dienten vielmehr dem schutz des britischen empire gegen die kolonialen rivalen frankreich und russland. Das neue feindbild Deutschland half dabei, den Kurswechsel und das partielle Zurückweichen gegenüber den alten „erzfeinden“ weniger anstößig erscheinen zu lassen. so verstanden, diente die rede von der „deutschen gefahr“ vor allem dazu, die schwäche der britischen position zu verbergen. „the invention of germany“, so Wilson, „was an indispensable part of the projection of Britain.“5 Die deutsche Diplomatie tat sich schwer damit, diese entwicklung zu begreifen und angemessen darauf zu reagieren. Zunächst deutete man das Verhalten der britischen presse im lichte der eigenen pressepolitischen traditionen als ergebnis erfolgreicher Manipulationen durch staatliche stellen: sei es durch die britische regierung, sei es durch die regierungen in paris oder sankt peters47 48 49 50

5

lascelles an lansdowne, 7. april 905, tna, fo 800/8, Bl. 67–9. saunders an Maxse, 7. Juni 90, Wsro, Maxse papers 450, s. 5. Zitiert nach Wilson, study, s. 6. Metternich an Bülow, . Juni 903, pa-aa, england nr. 78 secretissima, r 577. nach abschluss der entente cordiale im april 904 erklärte auch Bernstorff, „dass unleugbar die abneigung gegen Deutschland das unterfutter für die ‚entente‘ abgegeben hat. Wenn hier nicht zur Zeit der Venezuela-angelegenheit ein so maßloser ausbruch von germanophobie erfolgt wäre, hätten die franzosen ‚faschoda‘ sicherlich nicht so leicht vergessen“; Bernstorff an Bülow, 6. april 904, gp, Bd. 0i, nr. 6376, s. 7. Wilson, invention, s. 0; ähnlich schon Hale, publicity, s. 368–9.

h) Zwischenfazit

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burg. Der glaube an die Machenschaften eines chamberlain oder an das treiben russischer und französischer „agents provocateurs“ lag einer an Bismarck geschulten generation deutscher außenpolitiker mit ihrer geringschätzung für „das federvieh der presse“ näher als die einsicht in die eigengesetzlichkeiten des Medienmarktes oder das Verständnis für die grauzonen zwischen politik und publizistik. später setzte sich freilich gerade unter jüngeren Diplomaten und Beamten immer stärker die von graf Bernstorff prominent vertretene sichtweise durch, der zu folge in england nicht die politik die presse lenke, sondern umgekehrt die presse die politik bestimme. Mitunter gerieten Vertreter beider sichtweisen über den richtigen umgang mit der presse in streit. Metternich stand als deutscher Botschafter in london mit seiner skepsis gegenüber Bernstorffs Methoden nicht allein. Vielmehr brachte er in seiner Kritik an dem pressepolitischen aktivismus des Botschaftsrates lediglich zum ausdruck, was die meisten Diplomaten älterer schule über die Behandlung von Journalisten dachten. Der österreichische Botschafter Mensdorff etwa hielt das Vorgehen des deutschen Botschaftsrats ebenfalls für „sehr beklagenswerth und recht gefährlich“. es zieme sich für einen diplomatischen Vertreter nicht, sich „zu sehr in Verbindungen mit presse und öffentlichen Manifestationen“ einzulassen. er selbst, so Mensdorff, stehe so wenig als möglich in Kontakt mit presseleuten, da bei einer ungenauen personalkenntnis der londoner Journalistenwelt alle Versuche, die presse zu beeinflussen, gefährlich seien und „un vaste champ pour des gaffes“ eröffneten.5 letztlich lässt sich das scheitern von Bernstorffs pressepolitischer offensive aber nicht allein mit der uneinigkeit über die anzuwendenden Methoden und die fehlende rückendeckung durch den Botschafter erklären. Vielmehr war sein fehlschlag die logische folge der unausgegorenen englandpolitik des reichskanzlers, die darauf setzte, bestehende streitfragen nicht politisch zu lösen, sondern durch einen primat der pressepolitik propagandistisch zu übertünchen. rhetorische floskeln und leere Worte der freundschaft genügten jedoch nicht, um das tief verwurzelte Misstrauen einer zunehmend großen und einflussreichen gruppe britischer Journalisten und Diplomaten auszuräumen.

5

Mensdorff an goluchowski, 8. Juli 905 (streng vertraulich), hhsta, no. 4f. ich verdanke diese Zitate prof. roy Bridge, der mir seine notizen aus dem haus-, hof- und staatsarchiv Wien zugänglich gemacht hat.

5. SchreckenSnachrichten mit methode: Flottenpropaganda in deutSchland und england The Teutophobe in England plays all the time into the hands of the Pan-German in Germany. His threats and complaints are translated into German and become so many reasons for increasing the German Fleet and checking British diplomacy. The Pan-German does a corresponding work in this country. His extremely irresponsible literature is quoted as evidence of far-reaching German designs, and used as an argument for increasing expenditure to meet the supposed dangers. There are certain English writers who are worth a battleship a year to Germany, and certain Pan-German Professors who are the equivalent of the whole Navy League in this country [...] These campaigns tend to produce the very dangers which they allege (J. Alfred Spender, Westminster Gazette, 5. August 1905).

a) Grundzüge der Flottenpropaganda in Deutschland und England Fast alle deutsch-britischen „Zeitungskriege“ zwischen der ersten und zweiten marokkokrise kreisten auch oder sogar vorrangig um maritime Fragen. Flottenrüstung und Flottenpolitik standen in den Jahren zwischen 1905 und 1912 nicht nur im Brennpunkt diplomatischer erörterungen, sie fesselten auch die öffentliche aufmerksamkeit in beiden ländern in einem bis dahin nicht gekannten ausmaß. Sowohl in der deutschen wie in der britischen presse erschienen zahllose artikel, in denen die sinistren absichten der anderen Seite in ebenso düsteren Farben geschildert wurden wie die mangelhafte Vorbereitung und abwehrbereitschaft des eigenen landes. im Winter 1904/1905 und im Frühjahr 1909 verdichteten sich diese Bedrohungsvisionen zu regelrechten „Flottenschrecken“ beziehungsweise navy scares. lange Zeit hat die historische Forschung die entstehung dieser „Flottenpaniken“ mit hilfe eines modells von aktion und reaktion erklärt. diesem interpretationsansatz zufolge schürte die reichsleitung – und insbesondere das nachrichtenbureau des reichsmarineamts – seit den späten 1890er Jahren bewusst die englandfeindschaft in der deutschen presse, um sich öffentlicher unterstützung für ein ambitioniertes programm maritimer aufrüstung zu vergewissern, das von anfang an gegen großbritannien gerichtet war und letztlich auf eine ablösung der britischen Seeherrschaft durch deutschland zielte.1 manche historiker haben zusätzlich die innenpolitischen konsolidierungseffekte hervorgehoben, die sich die preußisch-deutschen machteliten von einer „gegen parlament und england“ gerichteten Flottenrüstung versprachen: der im Sinne eines „Sozialimperialismus“ instrumentalisierte Schlachtflottenbau sollte dieser auffassung zufolge die grundlage einer von 1

immer noch grundlegend Steinberg, deterrent.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

den konservativen über das Zentrum bis zu den liberalen reichenden Sammlungspolitik zur Bewahrung des innenpolitischen Status quo schaffen.2 die reaktion der britischen Öffentlichkeit erschien vor dem hintergrund dieser machiavellistischen herausforderung als ausdruck legitimen misstrauens und als Vehikel einer notwendigen mobilisierung gesellschaftlicher und politischer kräfte zur abwehr der deutschen kampfansage, die auf das herzstück britischer nationaler interessen zielte.3 der britische Botschafter in Berlin, Sir William e. goschen, hat diese Sichtweise schon vor 1914 auf den punkt gebracht, als er nach abfassung einer langen depesche zu maritimen Fragen am 29. Juli 1910 in seinem tagebuch notierte: [t]here is no more to be said – and violent articles quite unnecessary. they might have been necessary once – on the german side to rouse the enthusiasm necessary to make the german public put its hand into its pocket for a big fleet; on our side – to rouse our public opinion to a sense of danger which threatened our naval supremacy. now press violence only embittered relations and rendered any moderating influence quite powerless.4

Jüngere Forschungen haben Fragezeichen hinter verschiedenen aspekten dieses deutungsmusters angebracht. die marinehistoriker Jon Sumida und nicholas lambert betonen, dass die von der britischen admiralität vorangetriebene Seerüstung keineswegs in erster linie als antwort auf eine deutsche herausforderung in der nordsee zu verstehen sei, sondern als anpassung an veränderte Bedingungen der Verteidigung des britischen Weltreichs.5 rolf hobson bezweifelt, dass die von tirpitz als „risikoflotte“ konzipierte deutsche Schlachtflotte für die britische Seeherrschaft tatsächlich eine ernsthafte herausforderung darstellte. das ihr zugrunde liegende abschreckungskonzept, so lautet die argumentation, beinhaltete für sich genommen keine direkte Bedrohung der maritimen hegemonie großbritanniens; vielmehr diente tirpitz’ „Strategie des Wettrüstens“ in dieser Sichtweise dem Ziel, durch aufrüstung eine Verschiebung des mächtegleichgewichts herbeizuführen, „um in der Zukunft politische konzessionen zu erreichen“. hobson und andere sehen die mit dem tirpitz-plan verbundene Flottenrüstung des kaiserreichs auch nicht als zentrale komponente eines deutschen Sonderwegs, die den eigentümlichen Strukturen der deutschen gesellschaft zugeschrieben werden müsste. Sie interpretieren sie vielmehr ganz im gegenteil als deutsche Spielart des internationalen phänomens eines neuen navalismus’ und maritimen imperialismus’, das seit den 1890er Jahren im gefolge der rezeption von alfred thayer mahans Schriften fast alle europäischen 2

3 4 5 

Siehe vor allem die bahnbrechende Studie Berghahn, tirpitz-plan. Berghahn knüpfte dabei explizit an die Studien eckart kehrs aus der Zwischenkriegszeit an; Kehr, Schlachtflottenbau. Siehe auch Epkenhans, Flottenrüstung. eindrucksvoll belegt ist diese Sichtweise bei Kennedy, rise, S. 291–440; siehe auch Howard, arms race. Howard (hrsg.), diary, S. 214. Sumida, defence; Lambert, revolution, 1999; siehe auch Fairbanks, Jr., origins. Siehe Hobson, imperialismus, Zitat S. 351.

a) Grundzüge der Flottenpropaganda in Deutschland und England

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großmächte und die uSa erfasst hatte. Vor diesem hintergrund wird die englische Flottenrüstung nicht mehr so sehr als notwendige reaktion auf die deutsche herausforderung gesehen, sondern als parallelphänomen im kontext derselben, nationen übergreifenden Seemachtsideologie, die sich aus verschiedenen kanälen speiste und auf unterschiedliche Weise innenpolitisch eingesetzt werden konnte. derartige akzentverschiebungen bleiben nicht ohne auswirkung auf die analyse der öffentlichen diskussionen um die Flottenrüstung. denn erstens wäre zu fragen, ob neben der reichsführung und dem reichsmarineamt nicht auch die britische politik – insbesondere die admiralität – das klima des misstrauens, das sich in Folge der Flottenrivalität zwischen deutschland und england ausbreitete, schürte und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren suchte.8 Zweitens gilt es zu prüfen, inwieweit das Zusammenspiel der manipulation von oben und der mobilisierung radikal-nationalistischer kräfte von unten, das mit Blick auf die maritime propaganda in deutschland gut erforscht ist, nicht auf ähnliche Weise in großbritannien wirksam wurde.9 und drittens liegt es für eine untersuchung der „Flottenschrecken“ nahe, den zeitlichen rahmen des reiz-reaktions-Schemas zu verändern und sich den kurzfristigen Wechselwirkungen zwischen englischen und deutschen pressereaktionen zuzuwenden, nachdem das modell einer um fünf bis zehn Jahre verzögerten britischen „antwort“ auf die deutsche „herausforderung“ fragwürdig geworden ist. die überwiegend auf den deutschen Fall fokussierte Forschung hat diesen Fragen bisher wenig Beachtung geschenkt.10 die folgenden Überlegungen sollen helfen, diese Forschungslücke für die um die Flottenfrage kreisenden deutsch-britischen „pressekriege“ zwischen 1904/5 und 1912 zu schließen. den ausgangspunkt bildet dabei die Frage, in welchem Verhältnis zueinander die propagandistischen anstrengungen der deutschen und britischen marinebehörden standen, eine atmosphäre öffentlicher Zustimmung für maritime rüstungsanstrengungen zu schaffen. durch die konzentration auf nationalgeschichtliche Zusammenhänge ist bisher zumeist übersehen worden, dass in deutschland wie in england das Vorbild des anderen landes jeweils eine zentrale rolle bei der konzeptionierung der eigenen propaganda spielte.11 admiral tirpitz befahl in einer seiner ersten amtshandlungen als Staatssekretär im reichsmarineamt einen ausführlichen Bericht seines marine-attachés in london über die „Bewegung im englischen Volke, die zu der starken Vergröße 8 9 10 11

Vgl. Mollin, „Schlachtflottenbau“; siehe auch Schöllgen, großmacht. Jan rüger hat mit Blick auf die Flottenfeiern in deutschland und england diese Frage eingehend untersucht; Rüger, celebration. Für deutschland siehe insbesondere die arbeiten von Eley, right; ders., Sammlungspolitik; ders., german right. Für england vgl. Coetzee, party. das gilt gerade auch für die grundlegende, institutionengeschichtlich ausgerichtete Studie von Deist, Flottenpolitik. Zur Vorbildrolle der royal navy beim aufbau der deutschen marine Duppler, Juniorpartner.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

rung der englischen marine in den letzten 10–20 Jahren geführt hat“.12 die „Bewegung im englischen Volke“, die tirpitz im Sinn hatte, bestand im wesentlichen aus drei großen, maßgeblich von der politischen richtungspresse vorangetriebenen Flottenkampagnen in den Jahren 1884, 1888 und 1893. Zusammen genommen trugen diese drei „Flottenschrecken“ entscheidend dazu bei, die angeblich mangelhafte Verteidigungsbereitschaft der royal navy ins Zentrum öffentlicher aufmerksamkeit zu rücken, das unterhaus zur Bewilligung zusätzlicher gelder für die Flottenrüstung zu bewegen und auf diese Weise das zu beenden, was ein britischer marinehistoriker die „dark ages“ der britischen admiralität genannt hat.13 am anfang stand im herbst 1884 eine von Stead verfasste, mit insiderinformationen aus der admiralität versehene artikelserie in der Pall Mall Gazette unter dem titel „the truth about the navy“.14 die kampagnen der Jahre 1888 und 1893 folgten in ihren grundzügen dem 1884 etablierten muster: gezielte indiskretionen in der marineverwaltung spielten einer handvoll publizistischer aktivisten in der politischen tages-, Wochenund monatspresse geheime daten über den beklagenswerten ausrüstungsstand der britischen Flotte zu; mit hilfe dieser insiderinformationen wurde ein sich über mehrere Wochen hinziehender pressefeldzug bestritten, in dessen Verlauf die kampagne auf andere Formen der Öffentlichkeit übergriff und die Besorgnis der britischen Bevölkerung über die möglicherweise verheerenden Folgen der missstände immer weiter geschürt wurde. am ende standen jedes mal hektisch zusammengezimmerte gesetzesinitiativen, die zusätzliche Finanzmittel für die marine bereit stellten und die öffentliche unruhe vorübergehend dämpften – bis zum nächsten „Flottenschrecken“.15 der 141 Seiten lange handschriftliche Bericht über diese Zusammenhänge, den korvettenkapitän gülitz ende november 189 in reaktion auf tirpitz anforderung nach Berlin sandte, macht deutlich, wie sehr sich das reichsmarineamt in den folgenden 15 Jahren in seiner eigenen propagandatätigkeit am englischen Beispiel orientierte. obwohl gülitz es vermied, aus seiner darstellung explizite empfehlungen für die deutsche Flottenpropaganda abzuleiten, sind die Übereinstimmungen zwischen seiner analyse des britischen Vorgehens und den folgenden akzentsetzungen in der Öffentlichkeitsarbeit des reichsmarineamtes nicht zu übersehen. das gilt insbesondere für den nachdruck, mit dem der marine-attaché auf die Bedeutung des koordinierten Zusammenspiels von einzelnen Vertretern der marinebehörden und vertrauenswürdigen mitarbeitern führender presseorgane verwies. gezielte inspirationen aus der regierungszentrale waren für einen erfolgreichen pressefeldzug ebenso unabdingbar wie eine publi-

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gülitz an tirpitz, 24. november 189, Ba-ma, rm3/918, Bl. 15. die Formulierung stammt von Rodger, dark ages; vgl. auch ders., admiralty; Marder, anatomy, S. 119–43; Kennedy, mastery, S. 18–9. Siehe Smith, public opinion; Baylen, „new Journalism“, S. 3–80; siehe auch Hirst, panics. Vgl. Hamilton, nation; Marder, anatomy, S. 119–355.

a) Grundzüge der Flottenpropaganda in Deutschland und England

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zistische unterstützung der marineforderungen über parteigrenzen hinweg, daran ließ gülitz keinen Zweifel. detailliert schilderte er, wie sich zwischen September und dezember 1884 die zunächst von der liberalen Pall Mall Gazette vorgebrachten Warnungen auf medien anderer parteipolitischer provenienz ausweiteten: auf die konservative Wochenzeitschrift Saturday Review ebenso wie auf den liberalen Spectator, auf die damals noch liberale Times, aber auch auf die konservativen morgenblätter Standard, Daily Telegraph und die ebenfalls konservative abendzeitung Globe.1 ausführlich analysierte gülitz, wie ausgehend von der presse auch andere Öffentlichkeiten in die Flottenkampagnen einbezogen wurden – sei es durch ansprachen angesehener Seeoffiziere, sei es durch debatten im parlament, durch Flugschriften, publikumswirksame monarchenbesuche in marinehäfen, feierliche Schiffstaufen, ausstellungen oder spektakuläre Vorführungen. in diesem Zusammenhang hob der marine-attaché „die großartige naval exhibition“ von 1891 hervor, bei der unter anderem modelle von Schiffen und torpedos ausgestellt und historische Seeschlachten szenisch nachgestellt wurden.1 Besonderes augenmerk schenkte er der Verbindung maritimer Fakten und Fiktionen, wie sie in populären Seekriegsromanen üblich geworden war, etwa in The Great Naval War of 1887 von W. l. clowes, dem marine-korrespondenten der Times, oder in Down with England, einer Übersetzung aus dem Französischen, die beide 188 veröffentlicht wurden. Schon vier Jahre zuvor war die Flugschrift The Battle of Port Said erschienen, die zunächst als Fortsetzungsroman in der Zeitschrift Engineering publiziert worden war. darin schilderte ein anonymer autor einen auf das Jahr 188 datierten Zukunftskrieg zwischen der britischen und einer türkisch-französischen Flotte, der mit einer vernichtenden niederlage für die royal navy endete. die Schrift wies in dramatischer Form darauf hin, dass der britischen admiralität im mittelmeer zu diesem Zeitpunkt nur 15 veraltete panzerschiffe zur Verfügung standen. die kleine Broschüre sei „sehr geschickt geschrieben“, lobte der deutsche marine-attaché, und habe „beträchtliche aufmerksamkeit“ erregt.18 als weiteren meilenstein erkannte der marine-attaché die gründung der navy league 1894 als lobby-organisation bürgerlicher honoratioren, zu dem „einzigen Zwecke“, wie er schrieb, immer wieder in erinnerung zu bringen, dass die „erhaltung einer starken Flotte von vitaler nothwendigkeit für das land“ sei.19 Bei alldem ließ gülitz keinen Zweifel daran, dass die britische Öffentlichkeit die treibende kraft bei der englischen Flottenmodernisierung darstellte. „Bis zum Jahr 1884 war die nation als ganzes in Bezug auf die Flottenfrage unwissend und gleichgültig“, notierte er in einem absatz der später von tirpitz in den marginalien eigens hervorgehoben wurde: 1 1 18 19

gülitz an tirpitz, 24. november 189, Ba-ma, rm3/918, Bl. 194–8. ebd., Bl. 233. ebd., Bl. 181. Zum hintergrund siehe Clarke, Voices. gülitz an tirpitz, 24. november 189, Ba-ma, rm3/918, Bl. 245.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

es bedurfte erst einer systematischen hinführung auf den gegenstand, der erziehung seitens der presse, diesem mächtigsten aller hebel in einem lande wie england, und die presse ihrerseits musste erst zu einem brauchbaren Werkzeug gemacht werden durch männer, die mit Überzeugung und Beharrlichkeit ihr Ziel verfolgten. als dasselbe erreicht war, als das land ohne rücksicht auf den parteistandpunkt sein interesse der marine zuwandte, als die Flottenfrage einen nationalen charakter angenommen hatte, musste die regierung [...] der Bewegung Folge leisten.20

Zugleich betonte der marine-attaché, dass es sich bei der britischen Flottenpropaganda nicht um einen einmaligen kraftakt gehandelt hatte, sondern um eine langfristig angelegte, beharrlich verfolgte Strategie, die über Jahre hinweg rückschläge und enttäuschungen hinnehmen musste, ehe sie mitte der 1890er Jahre an ihr Ziel gelangt sei. erst dann, so gülitz habe sich in der britischen öffentlichen meinung gezeigt, dass in Folge „jahrelanger erziehung überall ein Verständnis für marinefragen vorhanden“ sei. Was in früheren Jahren, speziell in der periode 189 bis 1889, versehen und unterlassen worden war, sei wieder gut gemacht und die englische Flotte „so mächtig wie nie zuvor“.21 die spätere praxis des reichsmarineamtes lässt kaum einen Zweifel daran, dass man sich dort das englische Beispiel zum Vorbild nahm.22 deutliche anklänge an gülitz’ analyse finden sich etwa in einer denkschrift des scheidenden leiters des nachrichtenbureaus im reichsmarineamt, august von heeringen, vom September 1900, in der es hieß, man dürfe „die öffentliche meinung und den Schauplatz der politischen kämpfe in presse und literatur nicht sich selbst überlassen“, sondern müsse „das Feld selbst dauernd bearbeiten; denn die Masse des deutschen Volkes wird heute und für lange Zeit noch ihren Blick wenig auf die maritimen dinge richten“.23 tatsächlich erinnerten die unter heeringens leitung organisierten pressekampagnen im Vorfeld des ersten und zweiten Flottengesetzes 1898 und 1900 nicht zuletzt in der bewussten Verknüpfung verschiedener Formen der Öffentlichkeit – von der tages-, Wochen- und monatspresse über die Flugschriftenliteratur und die Versammlungsöffentlichkeit bürgerlicher assoziationen wie dem Flottenverein bis hin zu den publizistisch sorgfältig vorbereiteten parlamentsdebatten – an die britischen kampagnen der Jahre 1884, 1888 und 1893.24 auch in späteren Jahren warf das nachrichtenbureau des marineministeriums sein pressepolitisches 20 21 22

23 24

ebd., Bl. 231–2. ebd., Bl. 245–. Siehe etwa die von kapitän zur See heinrich löhlein verfasste „denkschrift über die aufgaben und die tätigkeit des nachrichtenbureaus“ aus dem Jahr 1913; Ba-ma, rm3/9954, Bl. 25–8. denkschrift heeringen vom September 1900, auszugsweise zitiert in Deist, Flottenpolitik, S. 325. dieser Frühphase deutscher Flottenpropaganda ist von der historischen Forschung besondere aufmerksamkeit geschenkt worden – freilich unter fast vollständigem Verzicht auf eine international vergleichende Sichtweise; siehe Oldenhage, Flottenvorlage; Kamberger, Flottenpropaganda; Meyer, propaganda.

a) Grundzüge der Flottenpropaganda in Deutschland und England

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netz bewusst weiter aus als andere deutsche regierungsstellen; bis auf die sozialdemokratische presse suchte man flächendeckend das gesamte parteipolitische Spektrum abzudecken und sich nicht auf die traditionell regierungstreuen und staatstragenden Blätter zu beschränken. die Verbindungen liefen dabei über bestimmte, als vertrauenswürdig erachtete marine-enthusiasten in den Zeitungsredaktionen und nicht wie sonst üblich über die redaktionsleitungen.25 auch die in england erprobte Verbindung von Seekriegsromanen und Flottenpropaganda fand in deutschland nach 1900 eifrige nachahmung. in kurzer Folge erschienen Schriften wie karl eisenharts Die Abrechnung mit England, gustav adolf erdmanns Wehrlos zur See; eine Flottenphantasie an der Jahrhundertwende (beide 1900), Baron von edelsheims Operationen über See (1901) oder admiral livonius’ Die Deutsche Nordseeflotte und die englische Seemacht (1902).2 dass sich das reichsmarineamt mitunter direkt in die produktion derartiger Veröffentlichungen einschaltete, geht aus einem Briefwechsel zwischen tirpitz und dem auswärtigen amt vom Januar 1903 hervor, in dem der admiral eine Broschüre über einen fiktiven Zukunftskrieg zwischen deutschland und england anregte, der zu einem niedergang beider nationen führen würde. die Schrift sollte darauf zielen, die „unheilvollen Folgen“, die ein solcher krieg für beide länder haben müsse, der Öffentlichkeit vor augen zu führen und „auf diese Weise gegen die in der letzten Zeit schärfer hervortretende gefahr eines kriegerischen Zusammenstosses vorbeugend zu wirken“.2 tirpitz hoffte, so scheint es, mit einer derartigen publikation zwei Fliegen mit einer klappe zu schlagen: die deutschen leser sollten davor gewarnt werden, die englische gefahr zu unterschätzen, während man zugleich den engländern die gefahren einer kriegerischen auseinandersetzung mit deutschland verdeutlichen konnte. da weder kanzler Bülow noch außenstaatssekretär richthofen diese argumentation einleuchtete, wurde aus dem projekt nichts. die gedankenspiele belegen aber, wie begierig die von gülitz geschilderten Varianten britischer Flottenpropaganda im reichsmarineamt aufgegriffen und den deutschen Bedürfnissen angepasst wurden.28 dabei gilt es festzuhalten, dass gülitz’ interpretation zwar die grundzüge der britischen Flottenwerbung richtig erfasste, in den einzelheiten aber durchaus fehlerhaft war. So gehörten der britischen navy league, deren agitation gülitz in den höchsten tönen pries, ende der 1890er Jahre keineswegs „die angesehensten männer des landes [...] ohne unterschied ihrer politischen rich25 2

2 28

Deist, Flottenpolitik, S. 132. Eisenhart, abrechnung; Erdmann, Wehrlos; Edelsheim, operationen (noch im oktober desselben Jahres ins englische übersetzt unter dem titel Overseas Operations). Friedrich carl livonius, die deutsche nordseeflotte und die englische Seemacht, in Deutsche Revue, Februar 1902; vgl. Clarke, Voices, S. 138. tirpitz an richthofen, 30. Januar 1903 (ganz geheim), engand 81 nr. 3, r 5959. richthofen an tirpitz, 1. Februar 1903, pa-aa, england nr. 8 secretissima, r 52; vgl. Deist, Flottenpolitik, S. 19–1; Kennedy, rise, S. 258.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

tung“ an, wie der marine-attaché behauptete.29 Vielmehr konnte die navy league bis zur Jahrhundertwende nur bescheidene erfolge vorweisen, was mitgliederzahlen, soziales prestige der anhängerschaft, reichweite ihrer organisationsstruktur und Finanzmittel anbetraf. 189 verfügte sie gerade einmal über 1000 mitglieder, fünf Jahre später über rund 12 000. die Zahl ihrer regionalen untergliederungen war bis 1899 lediglich auf 34 angewachsen, von denen sich neun in Übersee befanden; im Zweigstellennetz klafften bis weit nach der Jahrhundertwende beträchtliche lücken, etwa in manchester und newcastle, wo bis 1902 beziehungsweise 1904 keine Filialen existierten. manche lokalen niederlassungen – beispielsweise in cambridge oder Birmingham – konnten zu dieser Zeit gerade mal ein paar dutzend zahlende mitglieder vorweisen, mit entsprechend negativen auswirkungen auf die finanzielle ausstattung des gesamtverbands, den viele für einen Zusammenschluss von Wirrköpfen – „a body of cranks“ – hielten, wie der Schatzmeister der navy league mitte der 1890er Jahre freimütig einräumte.30 Vor diesem hintergrund wird deutlich, dass gülitz’ analyse weniger als detailgetreue abbildung der englischen realitäten gedacht war, denn als handlungsanleitung für deutschland, wo man sich beim aufbau des Flottenvereins 1898 am englischen idealbild orientierte und nicht so sehr an der weniger eindrucksvollen Wirklichkeit. Schon im ersten Jahr seines Bestehens übertrumpfte der deutsche Verband seinen britischen Vorläufer auf allen ebenen. ende november zählte er bereits 240 000 mitglieder; seine Flugschriften fanden reißenden absatz, und in der Verbandszeitschrift Überall publizierten keine verschrobenen phantasten, sondern die crème de la crème der deutschen Wissenschaft.31 in der englischen publizistik blieben diese errungenschaften nicht unbemerkt. aktivisten der navy league wie maxse, Spenser Wilkinson, arnold White und herbert Wrigley Wilson blickten mit einer mischung aus Bewunderung und neid auf die propagandatätigkeit des deutschen Flottenvereins, dessen methoden sie als vorbildhaft und zugleich bedrohlich empfanden. „public opinion, well directed and instructed, is a force which makes more than anything for efficiency“, schrieb Wilson in einem Daily Mail-artikel mit der Überschrift „how to lose command of the Sea“. darin berichtete er, der deutsche Flottenverein habe im Jahr 1900 allein 000 exemplare seiner Broschüren verteilt und 3000 Vorträge gehalten: „it is educating the german public to form a correct judgement on naval questions and to feel an interest in the fleet.“32 deutschland, schrieb maxse im märz 1902 an mahan, schicke sich an, großbritannien die Seeherrschaft streitig zu machen:

29 30 31 32

gülitz an tirpitz, 24. november 189, Ba-ma, rm3/918, Bl. 245. Coetzee, party, S. 28–30. Vgl. Eley, navy league, S. 104–; Deist, Flottenpolitik, S. 14–3. Daily Mail vom 14. märz 1901; vgl. auch Wilsons Beitrag „the new german navy“ in: Harper’s Magazine, Juli 1901. Siehe auch die Bemerkungen von White, efficiency, S. 25–.

a) Grundzüge der Flottenpropaganda in Deutschland und England

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i feel sure if you could watch the propaganda being carried on throughout the german empire under the highest patronage and auspices you could not help feeling with many englishmen that german hostility is far more serious because it will be so infinitely better equipped than the amorphous russian advance in asia.33

lobeshymnen auf die Überlegenheit der deutschen Flottenpropaganda und Flottenrüstung, wie man sie nicht nur in der National Review, sondern auch in der Morning Post, dem Daily Express und der Fortnightly Review lesen konnte, dienten dazu, die dringlichkeit der umorientierung in der Verteidigungspolitik zu unterstreichen, für die jene Blätter seit ende 1901 warben. im mittelpunkt standen dabei die konzentration der royal navy auf die nordsee statt wie bisher auf das mittelmeer, die Schaffung eines eigenen nordseegeschwaders und die errichtung eines Flottenstützpunktes an der britischen ostküste.34 ihren höhepunkt erreichte die agitation im Februar 1903 mit einer „conference on the navy“ im Westminster palace hotel. publizistische protagonisten der navy league wie Spenser Wilkinson, Strachey, Wilson und maxse propagierten gemeinsam mit politikern wie haldane, dilke und zahlreichen weiteren unterhausabgeordneten der tory- wie der liberalen partei die notwendigkeit eines verteidigungspolitischen kurswechsels, der mit den deutschen Flottenplänen begründet wurde. „the effect“, so Wilkinson, „of germany’s announcement of her intention to create a strong navy was to awaken people here to the fact that we could not have a fixed standard of naval defence.“35 die britische admiralität betrachtete diese aktivitäten mit gemischten gefühlen. auf der einen Seite wusste sie die Werbung zu schätzen, unterstützte sie doch Forderungen nach einer Vergrößerung des eigenen Flottenetats. auf der anderen Seite war man besorgt, dass eine allzu starke Betonung deutscher Vorzüge und britischer Fehler dem internationalen ansehen der royal navy schaden, potentielle gegner großbritanniens ermutigen könnte. das galt insbesondere dann, wenn die Vorwürfe aus Sicht der Verantwortlichen entweder schlichtweg falsch oder doch zumindest in hohem grade irreführend waren. So beklagte sich der britische marine-attaché in Berlin, arthur W. ewart, im april 1902 gegenüber dem stellvertretenden leiter der naval intelligence, F. c. d. Sturdee, über verschiedene artikel in der englischen presse, die matrosen und

33 34

35

maxse an mahan, 15. märz 1902, loc mahan papers, container 11, reel . So schrieb Spenser Wilkinson auf maxses Bitte einen Beitrag für die National Review, „pointing out the urgency of organising a north Sea Squadron and a north Sea dockyard in order to meet the hostile intentions of the german government as regards this country“; henry Spenser Wilkinson, preparation for War, in: National Review 230, april 1902, S. 19–208. Zur Verschiebung des Flottenschwerpunkts vom mittelmeer zur nordsee siehe Spenser Wilkinson, the mediterranean Fleet, in: National Review vom September 1902; W. l. clowes, Should We abandon the mediterranean?, in: World’s Work, dezember 1902. Zum hintergrund Marder, anatomy, S. 42. Zitiert in: Times vom 1. Februar 1903; vgl. auch Morning Post vom 20. Februar 1903, Times vom 21. Februar 1903; zum hintergrund Marder, anatomy, S. 4; Hamilton, nation, S. 323–4; Kennedy, rise, S. 20.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

offiziere der royal navy mit falschen anschuldigungen in misskredit gebracht hätten.3 derartige Berichte, ergänzte ewart in einem beigefügten memorandum, würden von der presse auf dem kontinent nur allzu begierig aufgegriffen: [they are] doing a great deal of harm to our prestige on the continent, and consequently giving encouragement to our enemies […] and having confidence in oneself and one’s comrades counts for a good deal whether in a boat race, at drill or in a fight […] Since i have been in germany i have read, at various times, that nearly everything is wrong with our fleet; our ships cannot steam, our guns are more dangerous to ourselves than to our enemies, our men cannot shoot, our ships’ companies are largely made up of foreigners and are in a state of mutiny etc. etc., all falsehoods, but largely based on statements made in england, and, of course, taken up as gospel by writers such as admiral livonius and others in order to encourage the nation to the idea that, if they only persevere, some day they will be able to beat us.3

als lösung empfahl der marine-attaché eine aktivere pressepolitik nach dem Vorbild des nachrichtenbureaus im deutschen reichsmarineamt, das nicht nur irreführende Berichte über die kaiserliche Flotte richtig stelle, sondern die deutsche Bevölkerung allgemein über alle wichtigen maritimen Fragen informiere.38 „now, would it not be possible“, regte ewart an, „when incorrect statements about our fleet are made in england, for some responsible officer, not necessarily of high rank, to be directed to refute them in the Times?“39 ewarts Vorgesetzte nahmen die anregungen so ernst, dass sie das memorandum durch die gesamte leitungsebene der admiralität zirkulieren ließen und auch dem ersten Seelord, Vize-admiral lord W. t. kerr, sowie dem ersten lord der admiralität, dem earl of Selborne, vorlegten. aus den randbemerkungen geht freilich hervor, dass die argumente für ministerielle Zurückhaltung im umgang mit Journalisten schwerer wogen als die gründe dagegen. Skrupel wegen einer möglichen Verletzung der pressefreiheit, auf die man sich nach außen gern berief, spielten in den internen kommunikationen bezeichnenderweise keine rolle. Statt dessen standen pragmatische Überlegungen im mittelpunkt, wie man sich in den handfesten Verteilungskämpfen der ministerien um den Staatshaushalt am besten durchsetzen und öffentliche Zustimmung zu einer starken Flotte am sichersten gewährleisten konnte. „i believe it may be generally accepted“, schrieb Sturdee, that public opinion has been largely responsible for all the great increases of our Fleet &c. … i believe it would be very serious for the welfare of the navy to stifle public opinion & if the official denial is given to every exaggeration a tendency to optimism will prevail which is even more dangerous for the welfare of the navy. – it is proverbial that the treasury are bound to try and check all increases of expenditure & that official life tends to dislike changes & criticism. therefore criticism if fair is very beneficial.40 3 3 38 39 40

ewart an Sturdee, 2. april 1902, tna, adm 1/59. undatiertes memorandum ewarts, ebd. ewart an custance, 1. mai 1902, ebd. Vgl. Rüger, celebration, S. 103–4. undatiertes memorandum ewarts, tna, adm 1/59. Sturdees randbemerkungen zu ewarts memorandum, ebd.

a) Grundzüge der Flottenpropaganda in Deutschland und England

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auch eine schlechte presse, hieß das, konnte aus Sicht der admiralität eine gute presse sein. es wäre daher falsch, das Fehlen eines nachrichtenbureaus nach deutschem Vorbild als Beleg dafür zu werten, dass die Führungsriege der royal navy der veröffentlichten meinung weniger Beachtung schenkte als ihr deutsches pendant. im gegenteil, die diskussion von ewarts memorandum verdeutlicht, für wie zentral man presse und publizität in Fragen der Flottenrüstung hielt.41 Sie verdeutlichte aber auch, worin der entscheidende unterschied zwischen deutscher und britischer Flottenpropaganda bestand: im Fehlen jeglicher Form von pressepolitischer Bürokratie in großbritannien vor 1914. in der britischen admiralität wurde bis zum Beginn des ersten Weltkriegs ebenso wenig ein staatlicher apparat für die pressepolitik aufgebaut wie im Foreign office. auch bei der Werbung für die Flottenrüstung übernahm man nicht die in deutschland entwickelte bürokratische Form der pressepolitik, sondern vertraute auf informellere instrumentarien publizistischer einflussnahme. Sieht man jedoch von diesem zentralen unterschied einmal ab, so wiesen die deutsche und britische Flottenpropaganda eine reihe wichtiger gemeinsamkeiten auf, die wenig erstaunlich sind, wenn man bedenkt, wie genau sowohl das reichsmarineamt als auch die britische admiralität die Bemühungen der jeweils anderen Seite verfolgten. tatsächlich entwickelten beide Stellen ein besonders feines gespür für die chancen einer professionell betriebenen Öffentlichkeitsarbeit, wenn es darum ging, sich im konkurrenzkampf um knappe haushaltsmittel gegen andere ressorts durchzusetzen und den enthusiasmus eines breiteren publikums für marinefragen zu wecken beziehungsweise wach zu halten. „the real secret of successful administration“, erklärte admiral John Fisher, von 1904 bis 1910 als erster Seelord tirpitz’ gegenspieler in london, „is the intelligent anticipation of agitation!“42 der chef des reichsmarineamtes hätte diesem Satz aus vollem herzen zugestimmt. nicht zufällig erwiesen sich tirpitz’ und Fishers institutionen als die mit abstand aktivsten, erfindungsreichsten ministerien innerhalb des deutschen und britischen regierungsapparates.43 das galt nicht nur für die enge koordinierung und abstimmung mit den massenverbänden der marinelobbyisten im Flottenverein und der navy league, sondern gerade auch für die kontaktpflege mit Journalisten, die von der britischen admiralität und dem reichsmarineamt gleichermaßen umfassend betrieben wurde. das nachrichtenbureau legte zu diesem Zweck sogar eine eigene – leider nicht überlieferte – auskunftsdatei an, die unter anderem vom pressedezernenten des Berliner polizeipräsidiums mit informationen versorgt wurde.44 Fishers pressebeziehungen wurden zwar nicht so systematisch verzeichnet, waren aber doch derart breit verzweigt, dass innenpolitische gegner des admirals über dessen „journalistische Janitscharen“ lästerten und – in anspielung auf das 41 42 43 44

So auch Rüger, celebration, S. 101–5. Fisher an gardiner, 23. Juni 1910, BlpeS, gardiner papers. mit Blick auf das rma so auch die einschätzung von Deist, Flottenpolitik, S. 32. ebd., S. 134.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

deutsche Vorbild – über das „infamous admiralty press Bureau“ schimpften.45 Wie tirpitz legte auch Fisher alle Skrupel ab, die seine Vorgänger im Bezug auf den „korrekten“ umgang mit der presse noch gehegt hatten.4 die spezifische parteipolitische ausrichtung der verschiedenen publizisten und ihrer Blätter spielte dabei keine rolle, solange sie nur ein offenes ohr für die Belange der marine besaßen, wie Fisher sie interpretierte. der admiral stand mit dem konservativen garvin vom Observer und James thurfield, dem marinekorrespondenten der Times, ebenso in kontakt wie mit dem liberalimperialisten Spender von der Westminster Gazette oder den radikalen gardiner bei der Daily News und Stead mit seiner Review of Reviews. „We must have public opinion as an avalanche“, beschrieb Fisher einmal gegenüber garvin die zentrale rolle der presse für die durchsetzung seiner reformen, „to hurl and dash the pessimists into the bottomless pit of perdition, out of the way of progress.“4 der admiral kultivierte seine Beziehungen zur presse ohne Skrupel, dabei auf seine beträchtlichen Überredungskünste und seinen persönlichen charme vertrauend, denen sich viele nicht entziehen konnten und wollten.48 Wie Fisher legten auch die deutschen marinebehörden Wert darauf, ihre publizistischen gesprächspartner zu überzeugen und dauerhaft für sich zu gewinnen. die politik des nachrichtenbureaus sei dann erfolgreich, notierte hollweg in der bereits zitierten denkschrift von 1912, wenn es gelinge, „im Verlauf einer gewissen periode einen oder mehrere gute gedanken so zu lancieren, dass die autoren schließlich glauben, sie seien die erfinder dieser gedanken und ferner dass die öffentliche meinung diese gedanken als eine selbstverständliche Wahrheit aufnimmt“.49 ein wichtiges hilfsmittel bei dieser Überzeugungsarbeit stellte die marine selbst mit ihren hafenanlagen, Schlachtschiffen und unterseebooten dar. die marinebehörden beider länder nutzten die aura des abenteuerlichen, mächtigen und geheimnisvollen, die diese materiellen manifestationen der Flotte umgab, um den enthusiasmus der Journalisten für maritime themen zu befeuern. Schon bei der eröffnung des nord-ostseekanals 1895 gab es ein eigenes presseschiff, das deutschen und ausländischen publizisten eine privilegierte teilnahme an dem dort inszenierten Flottenspektakel ermöglichte.50 richard Bahr, redakteur der konservativen tageszeitung Die Post, durfte beim Flottenbesuch, den Wilhelm ii. im Sommer 189 St. petersburg abstattete, an Bord eines Schiffes mitreisen, um für diverse Zeitungen über die monarchenreise zu berichten. regelmä45 4 4 48

49 50

Fisher an White, 11. Januar 1910, zitiert in Marder (hrsg.), Fear god, Bd. 2, S. 288. Vgl. Kennedy, Fisher, S. 121–2. Fisher an garvin, . märz 1905, zitiert nach: Morris, Scaremongers, S. 129. „he took such pains with each of us“, erinnerte sich Spender später, „was so intimate and affectionate that we never could resist the notion that we were the chosen repositories of his special confidence. he gave with both hands to each in turn, and we rewarded him with such an advertisement of himself and his ideas as no seaman ever received from newspapers“; Spender, life, Bd. 2, S. . Zitiert nach Deist, Flottenpolitik, S. 133. gSpk, i. ha, rep. , tit. 945, nr. 35 (preußisches innenministerium), Bl. –10.

a) Grundzüge der Flottenpropaganda in Deutschland und England

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ßige Brennpunkte öffentlichen interesses an der marine bildeten die alljährliche stattfindenden herbstmanöver. tirpitz hatte schon als chef des Stabes des oberkommandos der marine dafür gesorgt, dass vertrauenswürdige Journalisten aus eigener anschauung von diesen ereignissen berichten konnten. Seit 189 wurden sie für die dauer der manöver sogar in die admiralsmesse aufgenommen.51 die britische admiralität setzte ebenfalls auf das Faszinosum Flotte als propagandamittel. Fisher lud seine journalistischen Vertrauten gern nach portsmouth an Bord seiner Flaggschiffe. Besonders geschätzten Journalisten wurde die Besichtigung der neuesten unterseeboote angekündigt.52 Winston churchill versprach, nachdem er erster lord der admiralität geworden war, lord northcliffe, dem Verleger der Daily Mail, sogar eine testfahrt in einem u-Boot.53 Bewusst oder unbewusst beherzigten die deutschen und britischen marinebehörden einen ratschlag, den august Scherl, der herausgeber des Berliner Lokalanzeigers, im herbst 1899 dem damaligen leiter des nachrichtenbureaus, august von heeringen, gegeben hatte. Bei „ähnlichen massen-manipulationen“, beschrieb Scherl seine eigenen erfahrungen als Verleger und reklamefachmann, habe es sich in der praxis bewährt, mehr an die phantasie als an den Verstand zu appellieren. dazu gehörte es aus Sicht des Zeitungsverlegers, nach dem Vorbild der kommerziellen Werbewirtschaft mit beständig wiederholten, leicht fasslichen Slogans zu operieren.54 obwohl eine reaktion auf Scherls Schreiben nicht überliefert ist, scheint sein rat auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein. denn das plädoyer für die schlagwortartige Wiederholung zentraler losungen durchzog die weiteren aktivitäten des nachrichtenbureaus. noch in einer als handreichung für den umgang mit Journalisten verfassten denkschrift aus dem Jahr 1912 schärfte ein nachfolger heeringens, kapitän zur See karl hollweg, seinen mitarbeitern ein, im gespräch mit presseleuten einprägsame Formulierungen und Schlagworte zu verwenden.55 Fisher verfolgte eine ähnliche Strategie, wenn er in seiner umfangreichen korrespondenz mit britischen Journalisten immer aufs neue wiederholte: „reiteration is the Secret of conviction! repetition is the Soul of Journalism!“5 die stete Wiederholung derselben grundeinsichten werde schließlich im hinblick auf die Flottenrüstung ebenso wie bei der reklame für konsumartikel zum erfolg führen, davon war Fisher überzeugt: „You only have to keep on saying the same thing long enough and everyone will believe it! ‚pears soap is the best‘ – at last you buy a cake of the beastly stuff!“5 51 52 53 54 55 5 5

Vgl. Deist, Flottenpolitik, S. 9–. Fisher an Stead, 10. märz 1903, ccc, Stead papers; Fisher an Spender, 3. november 1904, Bl, Spender papers add. 4390. churchill an northcliffe, 15. oktober 1912 und 9. april 1913, Bl, northcliffe papers, add. 215. Scherl an heeringen, 29. november 1899, zitiert in: Deist, Flottenpolitik, S. 144. ebd., S. 134. Siehe etwa Fisher an Spender, 2. Juli 1909, Bl, Spender papers, add. 4390. Fisher an unbekannt, 22. Februar 1905, abgedruckt in: Marder (hrsg.), Fear god, Bd. 2, S. 51.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

b) Der „Flottenschrecken“ vom Winter 1904/5 das erste feindselige aufeinandertreffen deutscher und britischer Zeitungsöffentlichkeiten in der Flottenfrage ereignete sich während des russisch-japanischen krieges im herbst und Winter 1904/5 im gefolge des sogenannten doggerbank-Zwischenfalls.58 auf ihrem Weg zum kriegsschauplatz in Fernost hatte die russische ostseeflotte die nordsee durchquert, dabei in der nacht vom 22. auf den 23. oktober auf der höhe der Stadt hull einige englische Fischkutter fälschlich für japanische torpedoboote gehalten und beschossen, wobei eine reihe britischer Seeleute den tod fanden. die empörung der britischen presse richtete sich zunächst gegen russland, bald darauf aber zunehmend auch gegen deutschland, das man verdächtigte, die russische Flotte bewusst mit Fehlinformationen über japanische u-Boote versorgt und auf diese Weise zur Beschießung der kutter beigetragen zu haben. einige tage lang schien ein russisch-britischer krieg unmittelbar bevorzustehen, der sich leicht auf das mit russland verbündete Frankreich hätte ausweiten können.59 in deutschland registrierte man alarmiert, dass das heimatgeschwader der royal navy von der schottischen ostküste nach Süden verlagert wurde, wo sie nicht nur eine rückkehr der russischen Flotte in die nordsee verhindern, sondern auch die deutschen marinehäfen besser im auge behalten konnte, was anlass zu der Sorge gab, ein präventivschlag der Briten gegen die noch im aufbau befindliche deutsche Flotte stehe unmittelbar bevor.0 konkreten anlass zu derartigen Schreckensszenarien gaben eine reihe von artikeln in der britischen presse im november 1904. Vanity Fair spekulierte unter der Überschrift „a navy without excuse“ über deutsche pläne, zwischen 1908 und 1913 england zu überfallen.1 die Army and Navy Gazette betonte, „[that] if it should become essential to european peace that a stop should be put to german warship building, the British Fleet at the present time has no particular important business at hand“.2 die panikartige unruhe, welche sich nach erscheinen dieser artikel im kaiserreich nicht nur in der presse, sondern auch in regierungskreisen ausbreitete, ist von der historischen Forschung zumeist als reflex auf die eigene, offensiv gegen england gerichtete Flottenstrategie interpretiert worden: als eine art kollektiv-psychologisch begründeter vorauseilender Schuldkom58 59

0 1

2

Zum russisch-japanischen krieg als erstem globalem krieg siehe Steinberg et al. (hrsg.), War. eine Zusammenschau britischer pressestimmen findet man bei W. t. Stead, his majesty’s public counsillors, in: Review of Reviews, dezember 1904, S. 593–0. Vgl. auch Metz, Flotte. Siehe Marder, anatomy, S. 439, 49–. „if the german Fleet were destroyed“, lautete die Schlussfolgerung des Blattes, „the peace of europe would last for two generations. […] if england waits to be attacked until the kaiser finds a good opening, we shall certainly not win“; Vanity Fair vom 1. november 1904. Army and Navy Gazette vom 12. november 1904.

b) Der „Flottenschrecken“ vom Winter 1904/5

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plex, als Furcht der deutschen politischen elite vor den Folgen ihrer eigenen hoffnungen, wie Jonathan Steinberg pointiert formuliert hat.3 eine derartige deutung hat mit Blick auf die deutschen reaktionen manches für sich. Sie bietet aber keine erklärung für das Verhalten der britischen presse, insbesondere das erstaunlich rasche umschwenken vom russischen auf das deutsche Feindbild nach dem doggerbank-Zwischenfall. und sie vermag auch nicht zu begründen, warum die Furcht vor einem britischen maritimen präventivschlag nicht auf deutschland beschränkt blieb, sondern auch Frankreich erfasste. dort fürchtete man im Jahr 1904 ebenfalls einen britischen erstschlag gegen die eigene Flotte nach dem Vorbild des japanischen Überraschungsangriffs auf die russische Fernostflotte im hafen von port arthur wenige monate zuvor, „a not unnatural suspicion“, wie chirol an Spring-rice schrieb, „given the conviction that prevails on the continent as to our machiavellianism“.4 die verbreitete nervosität der kontinentaleuropäischen Öffentlichkeiten und die Sprunghaftigkeit der veröffentlichten meinung in großbritannien lassen sich nur dann angemessen verstehen, wenn man sie vor dem hintergrund einer zunehmenden mobilisierung der britischen gesellschaft in der Frage der Flottenrüstung versteht und zugleich in rechnung stellt, dass zunächst noch eine beträchtliche unsicherheit über deren strategische Stoßrichtung vorherrschte. mit anderen Worten: das gefühl nahm zu, dass die britische hegemonie auf dem gebiet der Flottenrüstung ernsthaft bedroht sei – von wem jedoch, war weniger klar. in den kalkulationen der britischen admiralität spielten von 1902 bis 1905 die deutsche und die französische marine gleichermaßen zentrale rollen.5 die ambivalenz der seestrategischen planungen fand ihre entsprechung in den öffentlichen diskussionen. Bis zur Jahrhundertwende hatte es als ausgemacht gegolten, dass Frankreich und russland die maritimen rivalen englands waren. Steads kampagne von 1884 war wie selbstverständlich von einer Bedrohung durch Frankreich ausgegangen. Zehn Jahre später argumentierte Spenser Wilkinson in einer viel gelesenen Schrift mit dem titel The Command of the Sea, dass es für die britischen interessen zentral sei, eine starke Flotte im mittelmeer zu unterhalten, damit man kolonialen ambitionen Frankreichs in afrika entgegentreten könne und ein gegengewicht gegen die russisch-französische allianz schaffe. im Jahr darauf konnte man in der Morning Post lesen, Frankreichs marine sei die einzige, die england ernst zu nehmen habe; deutschland werde erst um 1920 eine wirklich starke Flotte besitzen. Vor dem hintergrund der Faschodakrise spekulierten zwei der einflussreichsten marine-experten unter den britischen Journalisten, arnold White und h. W. Wilson, über die Folgen eines russisch-französischen an3 4 5  

Steinberg, copenhagen, S. 4. chirol an Spring rice, 22. Februar 1904, zitiert nach: Morris, Scaremongers, S. 1. Vgl. Marder, anatomy, S. 495. Spenser Wilkinson, command. Zitiert in: Lucas, glenesk, S. 358.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

griffs auf großbritannien.8 im Frühjahr 1900, als die britische Flotte und armee in Südafrika gebunden waren, geisterte die angst vor einem Überraschungsangriff der Franzosen durch die britische presse. die National Review behauptete, Frankreich könne auf einen Schlag mit 50 000 mann in england einmarschieren.9 noch im Sommer 1901 druckte das Pall Mall Magazine den artikel eines französischen offiziers, der untersuchte, ob eine invasion großbritanniens von der normandie aus möglich sei.0 der Beginn der deutschen Flottenrüstung wurde hingegen in der britischen presse nachsichtig, ja teilweise wohlwollend und mit Verständnis beurteilt. der Standard hatte anlässlich der diskussionen um die erste Flottenvorlage im dezember 189 gegen die ausführung der kaiserlichen pläne „not one word to say“, während der Daily Telegraph betonte, der ausbau der deutschen kriegsmarine stelle für niemanden eine Bedrohung dar, am wenigsten für großbritannien.1 die hauptsorge der englischen presse richtete sich nicht gegen die deutsche Flotte als solche, sondern allenfalls gegen mögliche antienglische kombinationsmöglichkeiten im Verbund mit Frankreich und russland.2 Ähnlich gelassen reagierten die englischen Zeitungen auf die Flottennovelle zwei Jahre später. kaum jemand zog die Begründung der reichsregierung in Zweifel, die deutsche Flotte diene dem Schutz des deutschen außenhandels und der kolonien.3 Warnende Stimmen blieben vor der Jahrhundertwende in der minderheit. herbert W. Wilson bemerkte im Juni 189, die deutschen ausgaben für die marine hätten sich in den vergangenen 25 Jahren um 500 prozent erhöht; zugleich räumte er aber ein, ohne Verbündete habe deutschland keine realistischen aussichten gegen england, es sei denn durch einen Überraschungsangriff, wenn der großteil der britischen Flotte anderswo gebunden sei.4 maxse widmete sich im Januar 1898 dem deutschen Flottenbau, sah ihn aber gleichfalls nicht als eigenständige militärische Bedrohung, sondern als diplomatischen Schachzug.5 8 9

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White und Wilson, War. Thompson, northcliffe, S. 3; Marder, anatomy, S. 32–92. in der Pall Mall Gazette konnte man lesen: „if [the French] come we shall know something of the real horrors of war. plundering will not be the worst of their enormities“; Pall Mall Gazette vom 8. august 1900. Wiedergegeben in: Review of Reviews vom august 1901, S. 510. Standard und Daily Telegraph vom 1. dezember 189. Ähnlich Pall Mall Gazette vom 30. november 189, Daily Mail und Daily News vom 1. dezember 189, Manchester Guardian vom 2. dezember 189. kritischer urteilte nur die Morning Post vom 2. und 30. november 189. Vgl. Schütz, entfremdung, S. 5; Marder, anatomy, S. 290–4. die Times schrieb, „that germany should have a fleet strong enough to meet any possible ‚attacks‘ on german commerce and german colonial interests, if any such attacks are conceivable, is a proposition that nobody will dispute“; Times vom 12. dezember 1899; vgl. auch Daily Telegraph, Morning Post, Daily News, Westminster Gazette und Daily Mail vom 12. dezember 1899, Standard und Daily Chronicle vom 13. dezember 1899. Fortnightly Review, Juni 189. „We clearly cannot afford to allow the german emperor to hold the balance of sea power in europe in the early years of the twentieth century“; leo maxse, episodes of the month, in: National Review 19, Januar 1898, S. 9.

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Saunders in Berlin gehörte zu den wenigen, die die anfänge des deutschen Schlachtflottenbaus mit interesse und Skepsis beobachteten. Schon im Frühjahr 189 wies er auf die außenpolitische Bedeutung der Flottenpläne hin und prognostizierte, dass england als kolonialmacht auf einen konflikt mit deutschland zusteuere, sollte der reichstag die Flottenvorlage verabschieden: „the german nation has undoubtedly got the Weltmacht itch.“ gleichzeitig war der korrespondent aber unsicher, ob die Flottenpläne als ernsthafte herausforderung der britischen Weltmacht konzipiert waren oder eher eine innenpolitisch motivierte Strategie der deutschen elite darstellten, ihre Führungsposition gegen die aufstrebenden kräfte des Bürgertums und der arbeiterschaft zu verteidigen und den Sieg der „staatserhaltenden“ kräfte an den Wahlurnen zu sichern. aufs ganze gesehen hatte admiral John Fisher recht, wenn er ende dezember 1899 an Stead schrieb, es sei erstaunlich, „how little the german naval menace is realized!“ das änderte sich mit der Wende im Burenkrieg und der wachsenden Beachtung, die man in großbritannien der deutschen anglophobie schenkte, vor allem aber mit der außenpolitischen umorientierung weiter teile der imperialistischen presse und der agitation für eine annäherung an russland und Frankreich. nur vor dem hintergrund dieser Verschränkung diplomatischer und rüstungspolitischer Überlegungen ist der wachsende argwohn verständlich, mit dem britische Zeitungen und Zeitschriften die umsetzung jenes deutschen Flottenbauprogramms beobachteten, dessen Verabschiedung durch den reichstag ihnen kurz zuvor noch wenig bedrohlich erschienen war.8 gedankenspiele über die chancen einer invasion der britischen inseln, wie sie gleichzeitig in deutschen militärkreisen angestellt und in diversen Zeitschriften und Broschüren veröffentlicht wurden, schürten das britische misstrauen zusätzlich und gaben der englischen Öffentlichkeit anlass, sich erstmals einen deutschen statt eines französischen Überfalls auf großbritannien auszumalen. So vertrat general von der goltz die these, die royal navy sei zu schwerfällig und zu weit verstreut, um kurzfristig an einem bestimmten punkt zusammengezogen zu werden. das eröffne einem an sich unterlegenen angreifer die möglichkeit, kurzfristig ein maritimes Übergewicht vor einem bestimmten küstenstreifen zu gewinnen und eine erfolgreiche invasion zu beginnen.9 Von der goltz’ 

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„[it] would give the nation a ‚cause‘ to spout about and since 180 & more especially since 1888 the government cannot get on with out excitement and fanfaronnades. else the electors would begin to propose reforms, to tinker with the constitution, assail the privileges of the army and other classes“; Saunders an Wallace, 8. märz 189, nia, Wallace papers; vgl. auch Schreiben vom . und 13. märz 189, ebd.; Saunders an chirol, 21. november 1899, ebd., chirol papers. Fisher an Stead, 30. dezember 1899, ccc, Stead papers. Vgl. Spenser Wilkinsons Beiträge in der Morning Post vom . September, 22. oktober und 15. november 1900 sowie vom 20. Juni 1901; siehe auch Blennerhassets artikel in der National Review vom September 1900 („great Britain and the european powers“). Von der goltz, Seemacht und landkrieg, in: Deutsche Rundschau, märz 1900.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

Spekulationen fanden in england kaum Beachtung, aber zwei wenig später publizierte Variationen desselben themas aus der Feder des Stabsoffiziers Freiherrn von edelsheim und des Vize-admirals livonius wurden dafür umso aufmerksamer von der britischen presse registriert. Während edelsheim zu demonstrieren suchte, dass eine landung sechs deutscher Bataillone in großbritannien auch dann von erfolg gekrönt sein würde, wenn das gros der deutschen Flotte von der britischen versenkt werde, ging es livonius darum zu zeigen, dass die zahlenmäßige Überlegenheit der royal navy angesichts der schlechten Schulung englischer offiziere wie mannschaften im kriegsfall nicht ausschlaggebend sein musste.80 derartige Überlegungen wurden von männern wie Saunders sehr ernst genommen. Freilich beurteilte der Times-korrespondent die chancen einer deutschen invasion bis auf weiteres skeptisch. „We have still time“, schrieb er an maxse. „in spite of all her preparations germany cannot yet transport 0.000 men to our coasts without the certainty of disaster.“81 diese einschätzung hinderte seinen Briefpartner nicht daran, die von livonius behauptete Überlegenheit der deutschen Flotte in der nordsee – vom geringeren tiefgang der Schiffe über die raschere mobilmachung und modernere artillerie bis zur besseren ausbildung der Besatzungen – ausführlich in der National Review darzulegen und die möglichkeit einer deutschen invasion der britischen inseln in den düstersten Farben zu schildern.82 Besorgt berichtete der deutsche marine-attaché im Sommer 1902 mit Blick auf das augustheft des Navy League Journal, dort werde „von gewisser Seite“ offenbar daraufhin gearbeitet, das englische publikum auf den gedanken zu bringen, england müsse, ehe es zu spät sei, „dem weiteren Wachstum der deutschen Flotte einhalt gebieten“.83 der japanisch-russische krieg stellte für die publizistischen Verfechter einer strategischen umorientierung der britischen außenpolitik insofern eine bedrohliche entwicklung dar als in ihm englands Verbündeter in Fernost gegen eine macht kämpfte, mit der großbritannien ihrer ansicht nach mittelfristig ebenfalls zu einem ausgleich kommen sollte und die überdies noch durch eine allianz mit englands neuem Entente-partner Frankreich verbunden war.84 die interessenkollisionen, die sich aus dieser konstellation zwangsläufig ergaben, wogen umso schwerer als die französische nationalversammlung die Entente 80 81 82 83 84

edelsheim, operationen. Friedrich carl livonius, die deutsche nordseeflotte und die englische Seemacht, in: Deutsche Revue vom Februar 1902. Saunders an maxse, 2. märz 1903, WSro, maxse papers 451, Bl. 3–8. der artikel erschien unter dem titel „the British admiralty and the german navy“ in: National Review, dezember 1902. marine-attaché an reichsmarineamt, 11. august 1902, abschrift in: pa-aa, england presse nr. 3, r 51. nicht zufällig publizierte garvin im novemberheft der Forthnightly Review einen aufsatz mit dem titel „the limits of Japanese capacity“, in dem er erneut eine annäherung englands an russland propagierte; vgl. metternich an Bülow, 2. november 1904, pa-aa, england presse nr. 3, r 521.

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Cordiale noch nicht ratifiziert hatte.85 männer wie chirol versuchten die potentiell bedrohliche Situation dadurch zu entschärfen, dass sie die ungute rolle des deutschen reiches bei der entstehung und Verlängerung des krieges hervorhoben. nicht ohne grund warfen sie der deutschen diplomatie doppelzüngigkeit und das Bestreben vor, russland und Japan gegeneinander auszuspielen und nach möglichkeit ein deutsch-russisches Bündnis gegen england und Japan zustande zu bringen.8 „the germans deserve no mercy“, schrieb chirol an lascelles. „i know […] how unspeakably treacherous the game they are playing out there is, + how systematically directed against us.“8 Vor diesem hintergrund wird verständlich, wie entsetzt man in den redaktionsstuben der Times und der National Review über den doggerbank-Zwischenfall und die folgende antirussische empörung in der britischen presse war, die einen ernsthaften Zusammenstoß zwischen london und St. petersburg herbeiführen und eine gegen england gerichtete deutsch-russische koalition Wirklichkeit werden lassen konnten. Weder maxse noch chirol hatten Zweifel, dass deutsche machenschaften hinter den ereignissen stecken mussten. chirol war überzeugt, „[t]hat the outrage was deliberate“, wie er an lascelles schrieb.88 die Frage, woher die Berichte stammten, welche den angriff auf die englischen Fischkutter ausgelöst hatten, schien ihm eindeutig beantwortet: „our admiralty is convinced that they came from germany possibly by way of denmark.“ Folgerichtig bestand sein hauptbestreben während der tage nach dem doggerbank-Zwischenfall darin, Frankreich an englands Seite zu halten und einen krieg mit russland zu vermeiden, der nur den deutschen in die hände gespielt hätte.89 maxse sah das ähnlich. die deutschen, schrieb er an Spring-rice, „who have manouevered us twice to the verge of war during the last month are quite capable of reproducing the crisis until it terminates fatally“.90 entscheidend für den weiteren Verlauf der entwicklung erwies sich, dass man in der britischen admiralität, wo man nicht auf dem amtsweg, sondern durch ein telegramm des stellvertretenden chefredakteurs der Daily Mail vom doggerbank-Zwischenfall erfahren hatte, diese einschätzung teilte.91 „the admiralty have at last come to realise“, schrieb chirol an lascelles, „that the german Fleet is a potentially hostile factor.“92 tatsächlich erblickte auch admiral Fisher

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chirol an lascelles, . September 1904, tna, Fo 800/12, Bl. 112–5. Vgl. zur Berichterstattung der Times hot, Bd. 3, S. 395–402. chirol an lascelles, 21. September 1904, tna, Fo 800/12, Bl. 11–; vgl. auch chirol an lascelles, 2. September 1904, ebd., Bl. 118–23. die Times lasse keine gelegenheit verstreichen, berichtete Bertie aus paris nach Berlin, „for digging its knife into the germans“; Bertie an lascelles, 28. 9. 1904, ebd., Bl. 128–9. chirol an lascelles, 2. oktober 1904, tna, Fo 800/12, Bl. 13–8. chirol an Spring rice, 1. november 1904, zitiert nach: Morris, Scaremongers, S. 3; vgl. auch chirol an lascelles, 2. november 1904, tna, Fo 800/12, Bl. 139–42. maxse an Spring rice, 15. november 1904, zitiert nach: Morris, Scaremongers, S. 1. herbert Wrigley Wilson an chas drury, 23. oktober 1904, tna, adm 11/99. chirol an lascelles, 2. oktober 1904, tna, Fo 800/12, Bl. 13–8.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

nicht in russland, sondern in deutschland den eigentlichen urheber der Verwicklungen. „things look very serious“, schrieb er am 28. oktober an seine Frau. „it’s really the germans behind it all.“ Zwei tage später glaubte er zwar, der Friede mit russland sei einstweilen gesichert, „but one never knows, as that german emperor is scheming all he knows to produce war between us and russia.“93 Vor dem hintergrund dieser Verdächtigungen wiederholte Fishers enger publizistischer Vertrauter, arnold White, in der Sonntagszeitung Sun seinen Vorschlag, england möge ohne kriegserklärung über die noch im aufbau befindliche deutsche Schlachtflotte herfallen und sie vernichten wie 1801 die dänische Flotte vor kopenhagen.94 White begeisterte auch den gerade zum ersten Seelord beförderten Fisher für diesen gedanken; jedenfalls räsonierte der admiral in jenen tagen im privaten kreis – auch gegenüber könig edward Vii. – unaufhörlich über einen präventivschlag gegen deutschland, wie sich der Journalist h. W. Wilson später erinnerte.95 ein Juniorminister im britischen marineministerium, der Zivillord Sir arthur lee, äußerte im Februar 1905 ähnliche gedanken, als er in einer ansprache in eastleigh verkündete, dass die britische Flotte unter den momentanen umständen im bedauerlichen Fall eines krieges gegen deutschland gerüstet sei: „[t]he British navy would get its blow in first, before the other side had time even to read in the papers that war had been declared.“9 in der Forschung ist zu recht darauf hingewiesen worden, dass derartige gedankenspiele im Bereich des hypothetischen blieben und von der britischen admiralität zu keinem Zeitpunkt ernsthaft erwogen, geschweige denn in den rang einer förmlichen Strategie erhoben wurden.9 Für den Zusammenhang von diplomatie und Öffentlichkeit in den deutsch-britischen Beziehungen ist diese Feststellung jedoch nebensächlich. entscheidend war, dass die reichsleitung die britischen präventivkriegsüberlegungen durchaus ernst nahm – nicht nur weil sich ein derartiges Vorgehen mit eigenen erwägungen deckte, wie Steinberg und andere hervorgehoben haben, sondern auch weil sie im niemandsland halb öffentlicher, halb privater erwägungen angesiedelt waren, von 93 94

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Fisher an lady Fisher, 28. und 30. oktober 1904, zitiert nach: Marder, dreadnought, S. 111. Sun vom . november 1904. White verwechselte nelsons Sieg gegen die dänische Flotte 1801 mit der Seeschlacht von kopenhagen unter admiral James gambier, die erst 180 stattfand; vgl. Marder, dreadnought, S. 113. White hatte diesen gedanken bereits im Sommer 1902 in einem artikel in der Daily Mail vorgebracht; Daily Mail vom 24. Juli 1902; siehe auch Playne, mind, S. 140. Wilson, War guilt, S. 92; Marder, dreadnought, S. 113. noch im Frühsommer 1905 soll Fisher dem ersten lord der admiralität, cawdor erklärt haben: „Sir, if you want to smash up the german fleet, i am ready to so now. if you wait five or six years, it will be a much more difficult job“; das geht aus einem nicht unterzeichneten Brief an lord northcliffe hervor, dessen absender behauptete, die anekdote von cawdor gehört zu haben; zitiert nach: Pound und Harmsworth, northcliffe, S. 425. Zitiert nach: Marder, anatomy, S. 498. Siehe etwa Marder, dreadnought, S. 113.

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dem man in deutschland annahm, dort sei das ausschlaggebende Forum der politikgestaltung in england zu finden.98 So bemerkte der marine-attaché in london, kapitän zur See coerper, als er mitte november den Vanity Fair-artikel nach Berlin übersandte, die dort „gepredigte lehre, dass die deutsche Flotte vernichtet werden müsse, ehe sie zu stark würde“, habe in jüngster Zeit in london „sehr an Boden gewonnen“ gewonnen.99 noch wichtiger waren aus Sicht des londoner militär-attachés major graf von der Schulenburg die auslassungen in der Army and Navy Gazette, weil diese im gegensatz zum politisch unbedeutenden gesellschaftsblatt Vanity Fair als „halb offiziös“ anzusehen sei.100 Zwar glaubten die deutschen diplomaten in london nicht daran, dass england nach den erst wenige Jahre zurückliegenden erfahrungen des Burenkrieges an einem neuen Waffengang gelegen war.101 doch hielten sie das Verhalten der englischen presse und regierung im gefolge des doggerbank-Zwischenfalls im hinblick auf die prioritäten britischer außenpolitik für symptomatisch. militär-attaché von der Schulenburg betonte, die englische presse sei „viel gebildeter, politisch reifer und disziplinierter“ als die deutsche, weswegen sie in auswärtigen angelegenheiten „immer leicht für regierungsdirektiven zu haben“ sei. die tatsache, dass die englische regierung dem „pressfeldzug gegen deutschland“ keinen einhalt geboten habe, müsse zu dem Schluss führen, dass „ihr dies in ihre politik passt“.102 in Berlin sah man die entwicklung dramatischer. Schon anfang november hatte der kaiser am rande eines Berichts der deutschen Botschaft in london über arnold Whites artikel in der Sun vermerkt: „dieser ansicht bin ich schon lange! danke für die gütige Warnung!“103 auch ein skeptischerer geist wie holstein, der weniger überzeugt von der macht einer wie auch immer gearteten Öffentlichkeit war, zog anfang dezember die „möglichkeit eines krieges mit england, bei welchem der angriff von englischer Seite erfolgen würde“ ernsthaft in Betracht, nachdem ihm „geheime Äußerungen“ aus london zur kenntnis gekommen waren, hinter denen sich höchstwahrscheinlich die Bemerkungen 98

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„die haltung der großen englischen Journale“, notierte beispielsweise Bülow, „sei tatsächlich von eminenter Bedeutung für den gang der englischen politik, die öffentliche meinung bestimme im letzten ende diese politik“; Bülow an Wilhelm ii., 2. dezember 1904, abgedruckt in: gp, Bd. 19, nr. 15, S. 32. Bericht des marineattachés in london kapitän zur See coerper, 18. november 1904, abgedruckt ebd., nr. 149, S. 353. Bezeichnenderweise führte coerper als weiteren beleg für seine these ein gespräch mit einer englischen Bekannten an. Schulenburg an Bülow, 13. dezember 1904, abgedruckt ebd., nr. 154, S. 33. der londoner legationssekretär eulenburg hingegen maß den Äußerungen „nur die Bedeutung ähnlicher auslassungen in unseren alldeutschen und selbst in unseren militärischen Fachzeitungen gegen england“ zu, siehe die randbemerkung Bülows, ebd., S. 3. Siehe etwa den Bericht von eulenburg an Bülow, ebd., nr. 155, S. 3–. aufzeichnung des militärattachés major graf von der Schulenburg an Bülow, 13. dezember 1904, ebd., nr. 154, S. 31–2. randbemerkung Wilhelms ii. am entsprechenden Bericht metternichs vom . november 1904, pa-aa, england nr. 8, r 58.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

Fishers gegenüber edward Vii. verbargen.104 „denken Sie sich, der krieg gegen england steht unmittelbar bevor!“, schrieb in diesen tagen Fürst lichnowsky an hammann. „endlich, es wird höchste Zeit, dass wir der Bande ordentlich auf den kopf schlagen.“105 Bülow trieb in diesem Zusammenhang vor allem die Sorge um, die englische presse könne die regierung in london zu einem Überraschungsangriff auf die noch unfertige deutsche Flotte anstacheln. Schon im oktober 1901 hatte er den Stimmungswandel in großbritannien auf die „Besorgnis vor der möglichkeit eines deutschen Überfalls“ zurückgeführt.10 in einem geheimen erlass vom Frühjahr 1903 wiederholte er, „der springende punkt in der englischen animosität“ gegenüber deutschland sei die Besorgnis, „dass england von uns angegriffen werden könnte, dass wir die deutsche Flotte gegen england bauten, und dass wir nach Vollendung derselben die englischen kolonien erobern würden“.10 entsprechend intensiv bemühte man sich im auswärtigen amt im Winter 1904/1905, die erregung in den deutschen Zeitungen möglichst gering zu halten. er lege besonderes gewicht darauf, wies Bülow seinen pressechef unmittelbar nach den ereignissen bei der doggerbank an, dass die deutschen Blätter den konflikt „nicht sensationell oder gar mit Schadenfreude“ begrüßten; man würde sonst in england wie in russland „zu leicht die absicht durchfühlen“.108 den gesandten in hamburg, der anfang Januar nachfragte, was von der Fama zu halten sei, deutschland stehe dicht vor dem Bruch mit england, ließ der kanzler wissen, das gerücht sei „völlig unbegründet“; am besten sei es, „dasselbe totzuschweigen“.109 daneben gab es in der bekannten doppelbödigen manier deutscher pressepolitik aber auch Bestrebungen der kaiserlichen regierung, aus der unfreundlichen 104 105 10

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aufzeichnung holsteins vom 5. dezember 1904, gp, Bd. 19, nr. 153, S. 359. lichnowsky an hammann, 4. dezember 1904, Ba lichterfelde, nl 210, otto hammann, 1/2, Bl. 4–. diese hatte seiner ansicht nach zwei ursachen: erstens die durch den Burenkrieg hervorgerufene nervosität in england und zweitens die „unvorsichtige und taktlose Sprache einzelner deutscher Blätter“, die mit prahlereien über die deutsche Flottenrüstung die Briten kopfscheu machten. Solche Veröffentlichungen erschwerten die „bisher so erfolgreichen Bemühungen, während des ausbaus unserer Flotte unsere Beziehungen zu england sorgsam zu pflegen und dort kein missverständnis aufkommen zu lassen“; Bülow an Wilhelm ii., 30. oktober 1901, pa-aa, england nr. 8 secretissima, r 51. diese ansicht werde von der alldeutschen presse und durch leichtfertige invasionsthesen von männern wie admiral livonius oder rittmeister von edelsheim „großgezogen“; ganz geheimer erlass Bülows, 20. mai 1903, gp, Bd. 1, nr. 535, S. 589–90. im reichsmarineamt teilte man Bülows unmut über den livonius-artikel. auch tirpitz war der ansicht, dass die „fortgesetzten presstreibereien auf englischer Seite“ mit britischer nervosität wegen der deutschen Flottenrüstung zu tun hatten; tirpitz an richtofen, 30. Januar 1903, pa-aa, england nr. 8 secretissima, r 52. Vgl. Deist, Flottenpolitik, S. 19; Kennedy, rise, S. 25; Marder, anatomy, S. 41. Bülow an hammann, 29. oktober 1904, Ba lichterfelde, nl 210, otto hammann, 1/9, Bl. 4. tschirschky an Bülow, . Januar 1905, pa-aa, england nr. 8, r 588; Bülow an tschirschky, . Januar 1905, ebd.

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haltung der englischen presse für die eigenen maritimen rüstungspläne kapital zu schlagen.110 So wurde otto hammann von Bülow beauftragt, den artikel der Army and Navy Gazette – „vielleicht am besten ohne kommentar, da er für sich selbst wirkt“ – in der deutschen presse zu lancieren, „[t]heils um das Verständnis für die nothwendigkeit der Flotte zu verbreiten, theils aber auch damit man uns nicht beschuldigt, einer ernsten Situation gegenüber Vogel-Strauß-politik getrieben zu haben“.111 die Vorlage wurde von konservativen publizisten in deutschland dankbar aufgenommen. theodor Schiemann nutzte den artikel in der Army and Navy Gazette, um in der Kreuzzeitung das gespenst eines deutschen Verteidigungskrieges gegen ein von handelsneid zum präventiven angriff auf die deutsche Flotte getriebenes england an die Wand zu malen.112 auch die deutsche Flottenbewegung wollte die gelegenheit nicht verstreichen lassen, den „kriegsschrecken“ propagandistisch auszuschlachten, zumal man sich dort im Winter 1904/1905 ohnehin bemühte, das reichsmarineamt zu einer forcierten Flottenrüstung in Form einer ambitionierten gesetzesvorlage zu bewegen.113 der nationalliberale abgeordnete hermann paasche, mitglied des Flottenvereins und Vizepräsident des reichstags, hielt am 4. Januar 1905 eine rede in kreuznach, in der er behauptete für deutschland liege eine größere gefahr im englischen „Brotneide“ als darin, mit dem nachbarn die klinge kreuzen zu müssen. er wisse aus sicherer Quelle, so paasche, dass deutschland dichter am rande eines krieges gegen england gestanden habe als irgendjemand sich träumen lasse und dass nur dank der geschicklichkeit der deutschen diplomatie ein offener konflikt vermieden worden sei.114 admiral august von thomsen, der im präsidium des Flottenvereins saß, steuerte im märz einen artikel in der Deutschen Revue bei, in dem er hart mit arthur lees rede in eastleigh ins gericht ging und die notwendigkeit weiterer deutscher Flottenrüstung unterstrich.115 auf den ersten Blick glichen sich die flottenpolitischen Brandreden arthur lees und hermann paasches so sehr wie ein ei dem anderen, dass eine deutsche Zeitung den englischen Zivillord lee als „englischen paasche“ bezeichnete.11 ein entscheidender unterschied bestand jedoch darin, dass lee die deutschen reaktionen auf seine innenpolitisch motivierte rede gleichgültig sein konnten. er konnte es sich leisten, chamberlains ratschlag zu befolgen, der 110

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als Beleg dafür, dass dies in england sehr wohl wahrgenommen wurde, siehe den Bericht Bernstorffs über einen artikel in der Morning Post; Bernstorff an Bülow, 19. dezember 1904, pa-aa, england presse nr. 3, r 521. Bülow an hammann, 18. november 1904, Ba lichterfelde, nl 210, otto hammann, 1/9, Bl. 4. Kreuzzeitung vom 14. dezember 1904, überliefert als anlage zur depesche nr. 28 vom 1. dezember 1904, tna, Fo 4/1594. Siehe Berghahn, tirpitz-plan, S. 325–30, 30–80; Deist, reichsmarineamt, S. 12–. Siehe den Bericht von lascelles an lansdowne, . Januar 1905, tna, Fo 4/11. Deutsche Revue vom märz 1905. BZ am Mittag nr. 3, . Februar 1905.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

ihn nach seiner rede in eastleigh aufgefordert hatte: „remember. never withdraw; never apologise!“11 paasche hingegen sah sich aus außenpolitischen gründen gezwungen, abstriche von seinen ebenfalls an ein heimisches publikum gerichteten Äußerungen zu machen. nachdem seine rede heftige reaktionen in der britischen presse ausgelöst hatte, sah sich die reichsregierung veranlasst, ein offizielles dementi in der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung zu publizieren, in dem es hieß, zu einer Verwicklung mit großbritannien fehle jeder anlass. daraufhin war auch paasche zu einer „richtigstellung“ in der Kölnischen Zeitung gezwungen, die seiner rede im nachhinein die Spitze gegen england nehmen sollte.118 das ziellose hin und her rief selbst bei deutschfreundlichen britischen diplomaten wie Botschafter lascelles verwundertes kopfschütteln hervor. es gebe nur zwei erklärungen für den jüngsten „kriegsschrecken“ in deutschland, schrieb lascelles mitte Januar 1905 an außenminister lansdowne: entweder hätten die deutschen regierungskreise tatsächlich – „incredible as it may seem“ – an die möglichkeit eines britischen erstschlages geglaubt, oder sie hätten das kriegsgespenst benutzt, um vom reichstag mehr Steuergelder für die Flottenrüstung bewilligt zu bekommen, so wie einst Bismarck vor jeder heeresvorlage einen drohenden konflikt mit Frankreich beschworen habe. „[i]f this really was the idea“, so lascelles, „it has been worked up in an extraordinarily clumsy manner, and the only result has been an authoritative denial of the danger on the part of the german government.“119 der Kladderadatsch hatte kurz zuvor in seinen satirischen Betrachtungen zum Jahreswechsel einen ähnlichen gedanken in reimen formuliert: „nach wie vor im Zickzack-kurs/Fährt Freund Bernhard heiter./als betrübter russenfreund/Fröhlich amt’ er weiter./und die presse, die vertrackte,/der’s noch fehlt am rechten tacte,/pädagogisch leit’ er.“120

c) Offiziöse Interviews und das Dilemma der deutschen Publizitätsstrategie ein zentrales dilemma deutscher Flottenpropaganda, ja der weltpolitischen Strategie à la Bülow und tirpitz überhaupt, bestand in der Verflechtung britischer und deutscher Öffentlichkeiten. ihr kalkül beruhte auf der prämisse, dass es möglich sei, die öffentlichen reaktionen in deutschland und england gegeneinander abzuschirmen und getrennt voneinander in unterschiedlicher richtung zu beeinflussen. Während in deutschland die Zustimmung zur Flottenrüstung durch eine – teils implizit, teils explizit – gegen england gerichtete 11 118 119 120

Clarke (hrsg.), „innings“, S. 88–90. Norddeutsche Allgemeine Zeitung vom 9. Januar 1905; Kölnische Zeitung vom 13. Januar 1905; siehe auch die apologetischen Fußnotenbemerkungen in gp, Bd. 19, S. 3. lascelles an lansdowne, 13. Januar 1905, tna, Fo 800/18, Bl. 10–1. Kladderadatsch 58 vom 1. Januar 1905.

c) Das Dilemma der deutschen Publizitätsstrategie

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propaganda erhalten und wenn möglich gesteigert werden sollte, galt es, die britische Öffentlichkeit (und die britische politik) so lange wie möglich in Sicherheit zu wiegen und von der gutartigkeit der deutschen absichten zu überzeugen. dieses Vorgehen war bereits während des britischen krieges in Südafrika an seine grenzen gestoßen. mit dem „Flottenschrecken“ des Winters 1904/1905 wurde es noch stärker in Frage gestellt. dennoch hielt Bülow auch in den folgenden Jahren bis 1908 an dem primat der pressepolitik in den Beziehungen zu england fest. die Suche nach konkreten inhaltlichen Übereinstimmungen oder kompromissmöglichkeiten – etwa in der Flotten- oder kolonialpolitik – trat hinter einer politik rhetorischer Freundlichkeiten und öffentlicher deklarationen guten Willens zurück. mit hilfe dieser publizitätsstrategie, so nahm Bülow an, ließen sich die englischen Befürchtungen über die „deutsche gefahr“ besänftigen, die mit wachsender panik konstatierte diplomatische „einkreisung“ des deutschen reiches durchbrechen und das eigene Flottenprogramm unbeschadet durch die „gefahrenzone“ eines potentiellen englischen präventivschlags steuern.121 einen zentralen Bestandteil dieser deklamatorischen politik, die Wilhelm ii. enthusiastisch unterstützte, bildeten zahlreiche interviews führender deutscher Staatsmänner, vor allem des reichskanzlers, in englischen Zeitungen und Zeitschriften.122 die reichsleitung machte sich damit ein aus amerika stammendes journalistisches Format zunutze, das im deutschen reich – nicht zuletzt wegen der gesellschaftlichen kluft, die Journalisten und Staatsleute voneinander trennte – noch weitgehend ungebräuchlich war.123 Stead, der anfang der 1880er Jahre als einer der ersten interviews im britischen Journalismus popularisierte, verwies frühzeitig darauf, welche Vorzüge für den politiker mit dieser art der darstellung verbunden sein konnten, wenn das gesagte, wie damals üblich, dem Betreffenden nicht direkt wörtlich zugeschrieben, sondern in Formulierungen des journalistischen interviewpartners gefasst wurde: „it enables one, for instance“, so Stead, „to air ideas or to send up a ballon d’essai without making oneself definitely responsible for them in the form in which they are expressed“.124 dennoch blieben politiker und diplomaten in deutschland anfangs skeptisch. Zwar hatte Bismarck in den 1880er Jahren hin und wieder ausgewählte englische Journalisten wie Sidney Whitman empfangen, aber seine nachfolger hielten sich zunächst bedeckter.125 Steads eigener Versuch, im herbst 1901 ein interview mit Bülow zu arrangieren, wurde abschlägig beschieden; gleiches 121 122

123 124 125

den Begriff „publizitätsstrategie“ habe ich entlehnt von Hale: publicity, S. 293, 313. unter Bülow sei das interview zu einem „fairly common feature in the international press“ geworden, bemerkte der langjährige reuters-korrespondent in Berlin damals; siehe g. Valentine Williams, the german press Bureau, in: Contemporary Review 9, märz 1910, S. 315–25. Für england vgl. Brown, news, S. 10. W. t. Stead, the First public man interviewed, in: Review of Reviews, august 1902, S. 18. Zu interviews als merkmale des britischen new Journalism siehe Koss, rise, Bd. 1, S. 380. Zu Whitmans Bismarck-interviews siehe Whitman, Bismarck; ders., memories.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

galt für die zeitgleichen Versuche J. l. Bashfords vom Daily Telegraph, den kaiser zu einer audienz zu bewegen.12 diese Zurückhaltung schlug in ihr gegenteil um, nachdem sich die deutschbritischen Beziehungen seit 1903/1904 immer erkennbarer verschlechterten. Jetzt erschienen Bülow interviews in der englischen presse als chance, die britische Öffentlichkeit auf einem Forum seiner Wahl anzusprechen und zugleich die negativen rückwirkungen auf deutschland durch gezielte pressepolitische maßnahmen zu minimieren. auf dem höhepunkt des deutsch-britischen „Flottenschreckens“ im Spätherbst 1904 entschied sich der kanzler erstmals, die britische presse direkt anzugehen und dem als vertrauenswürdig geltenden J. l. Bashford ein interview zu geben, das in der dezemberausgabe des Nineteenth Century Magazine publiziert wurde.12 Von da an gehörten interviews in der englischen presse zum Standardrepertoire deutscher außenpolitik, wann immer es galt, Befürchtungen in der englischen Öffentlichkeit zu besänftigen oder angriffen der britischen presse entgegenzutreten – sei es im Zusammenhang mit richard haldanes Berlinbesuch im herbst 190, der in london alarmglocken wegen möglicher negativer auswirkungen auf die Entente mit Frankreich schrillen ließ, sei es im Sommer 190 als publizistische Begleitmusik zum monarchentreffen zwischen Wilhelm ii. und edward Vii. in Wilhelmshöhe oder im September 1908, als in großbritannien die Sorgen wegen der deutschen Flottenrüstung einen grad höchster alarmbereitschaft erreicht hatten, der sich in invasionsphantasien und Spionagehysterien in presse und parlament äußerte.128 Beim kanzlerinterview vom September 190, das in der Daily Mail erschien, diente Sidney Whitman, den schon Bismarck für vertrauenswürdig befunden hatte, als gesprächspartner.129 im august 190 war es J. l. Bashford, der für die liberal-imperialistische Westminster Gazette das interview führte, und im September 1908 erneut Sidney Whitman, diesmal für den konservativen Standard.130 die parteipolitische ausrichtung der Blätter spielte, wie man sieht, eine untergeordnete rolle. entscheidend war die loyalität der journalistischen interviewpartner und der aus politischen wie publizistischen gründen günstige Zeitpunkt im nachrichtenloch der parlamentarischen Sommerpause.131 die Botschaft, die Bülow in seinen interviews verkündete, blieb immer dieselbe: englisch-deutsche Spannungen entbehrten jeder rationalen grundlage; 12 12 128 129 130 131

Stead an goldschmid, 21. September 1901; goldschmid an Bülow, 8. oktober 1901; Bashford an Wilhelm ii., 10. november 1901, alle in: pa-aa, england 81 nr. 3, r 5959. „great Britain and germany. a conversation with count von Bulow, the german chancellor“, Nineteenth Century Magazine, dezember 1904, S. 83–81. Siehe kapitel  b). Daily Mail vom 3. September 190; vgl. auch metternich an Bülow, pa-aa, england 81 nr. 3, r 591. Westminster Gazette vom 1. august 190; Standard vom 14. September 1908. Vgl. die beiden Schreiben von Bashford an Bülow, 18. november und 1. dezember 1904, pa-aa, england nr. 8, r 58; Whitman an Bülow, 31. august 190, pa-aa, england presse nr. 3, r 528 (auch in: england 81 nr. 3, r 591).

c) Das Dilemma der deutschen Publizitätsstrategie

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sie entsprängen entweder einer „art von Volkstollheit“132 oder der bewussten Verdrehung von tatsachen durch böswillige Journalisten. „a certain school of British publicists“, erklärte Bülow in seinem gespräch mit Bashford im herbst 1904, „looks upon a paper warfare with germany as the main object of its life.“ alle Vorwürfe gegen deutschland seien auf die Wahnvorstellungen oder absichtlichen Verdrehungen dieser presseleute zurückzuführen. das gelte etwa für angebliche intrigen der deutschen diplomatie, england und russland gegeneinander auszuspielen.133 im mittelpunkt von Bülows rechtfertigungen stand jedes mal das deutsche Flottenprogramm, das sich keineswegs gegen großbritannien richte und rein defensiven Zielen diene. die Behauptung, das deutsche reich erblicke in der Stärke englands und in dessen Überlegenheit zur See das „haupthindernis zur Verwirklichung seiner eigenen ehrgeizigen absichten“ zu lande und zu Wasser, bezeichnete der kanzler als „blanken unsinn“. er betonte, die Stärke des Flottenvereins werde im ausland ebenso überschätzt wie der einfluss der deutschen „Flottenprofessoren“. im hinblick auf die englischen invasionsängste erklärte er, es wäre natürlicher, wenn die deutschen einen plötzlichen Überfall fürchteten, denn für sie sei wegen ihrer exponierten geographischen lage „ein greifbarer grund zur Besorgnis“ vorhanden.134 immer wieder wies Bülow den gedanken zurück, er persönlich sei ein Feind englands. das gegenteil sei richtig, versicherte er.135 die pressepolitiker im auswärtigen amt trugen Sorge dafür, dass Bülows auslassungen in den deutschen Zeitungen zustimmend kommentiert wurden. es komme darauf an, befahl der kanzler nach seinem ersten interview mit Bashford, dass die deutsche presse den inhalt seiner Bemerkungen „möglichst einstimmig“ als Quintessenz der ansichten „aller vernünftigen deutschen“ hinstelle.13 Viele Blätter hielten sich fast wörtlich an diese direktive. die national-liberale National-Zeitung beispielsweise schrieb, jeder vernunftbegabte deutsche werde Bülow zustimmen, und es sei zu hoffen, dass die englische Öffentlichkeit die kanzlerworte als ausdruck der meinung der überwiegenden mehrheit der deutschen Bevölkerung auffasse. die katholische Germania erklärte die britische reaktion auf das interview zum testfall für die wahre gesinnung der englischen presse, die nun nicht mehr behaupten könne, sie sei nicht über die wirklichen Sachverhalte informiert worden. die Kölnische Zeitung bemerkte, deutschland müsse Bülow für seinen Schritt an die englische Öffentlichkeit dankbar sein, da er die ungerechtigkeit der von der englischen presse in den zurückliegenden Jahren erhobenen Vorwürfe nachweise. auch wenn man bezweifeln müsse, ob das interview die haltung der antideutschen presse in

132 133 134 135 13

Standard vom 14. September 1908. Nineteenth Century vom dezember 1904. Standard vom 14. September 1908. Nineteenth Century vom dezember 1904. Bülow an hammann, 29. november 1904, Ba lichterfelde, nl 210, otto hammann, 1/9, Bl. 48.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

großbritannien wirklich verändern werde, sollte es den englischen lesern wenigstens zeigen, welch geistes kind ihre Zeitungen seien.13 mit den reaktionen der englischen presse zeigte man sich in der Wilhelmstraße anfangs ebenfalls zufrieden. Bashford schrieb an Bülow, das interview habe eine sehr gute Wirkung entfaltet: „[t]he more your words are read in england, the more weight they will have“.138 Bernstorff interpretierte die aufnahme des Bashford-interviews dahingehend, „dass Freundlichkeit von unserer Seite nicht mehr so direkt zurückgewiesen wird wie früher“.139 dabei übersahen Bashford und Bernstorff geflissentlich, dass auch skeptischere Stimmen in england zu vernehmen waren. die Times erinnerte daran, dass ihr misstrauen gegenüber den deutschen absichten älter sei als die offene konfrontation in der Flottenfrage.140 aus Sicht der St. James’s Gazette offenbarte das interview die ganze tiefe der kluft, welche das doppelbödige intrigantentum der deutschen diplomatie von den britischen außenpolitischen traditionen trennte, gerade auch im hinblick auf das Verhältnis von Öffentlichkeit und diplomatie: to draw the picture of lord lansdowne or mr. Balfour or – better still – the late lord Salisbury hobnobbing with a private writer in the public press of another country in order that a full and persuasive account of British policy should be placed before the readers of that country is to stir imagination to the depths of humour. British statesmen may use, and certainly abuse, the press in many ways. But this select and primitive macchiavellianism would not occur to a British chancellor, did such an official go-between exist.141

mittelfristig setzte sich die misstrauische Sicht auf Bülows motive und methoden in großbritannien gegenüber den positiv-optimistischeren einschätzungen durch, und die folgenden kanzler-interviews wurden dementsprechend von der britischen presse weitgehend als belanglos oder betrügerisch ignoriert, wenn man ihnen nicht gar – wie im Falle der Daily Mail im September 190 – explizit einen bissigen leitartikel als redaktionelle kommentierung zur Seite stellte.142 prekärer für die reichsleitung nahm sich die innerdeutsche kritik an den kanzler-interviews aus. der sozialdemokratische Vorwärts nutzte das Bashford-interview vom herbst 1904 zu einem generalangriff auf die deutsche Flottenpoli13

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Germania, National-Zeitung und Kölnische Zeitung vom 30. november 1904; kopien als anlage zur depesche nr. 25 von lascelles an lansdowne, 2. dezember, tna, Fo 4/1594. Bashford an Bülow, 1. dezember 1904, pa-aa, england nr. 8, r 58. Bernstorff an hammann, o. d. (november 1904), Ba lichterfelde, nl 210, otto hammann, 1/3. „the chancellor says he is a ‚weeder‘ bent upon eradicating the tares which certain malicious writers have been sowing in the good wheat of the german Foreign office ‚within the last few months‘. the educational process to which he refers has lasted for more than a few months [...] it has gone on since germany first showed her true disposition towards us in South africa“; Times vom 29. november 1904, zitiert nach: Hale, germany, S. 24. St James’s Gazette, 29. november 1904, kopie in: pa-aa, england nr. 8, r 58. Daily Mail vom 4. September 190, siehe metternich an Bülow, 4. September 190, pa-aa, england 81 nr. 3, r 591. Zur verhaltenen reaktion auf die interviews von 190 und 1908 siehe Hale, publicity, S. 300, 312.

c) Das Dilemma der deutschen Publizitätsstrategie

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tik und verwies darauf, Bülows Behauptung, die deutsche Flotte diene nur der Verteidigung, widerspreche früheren Äußerungen des kanzlers.143 august Bebel griff dieses argument wenige tage später im reichstag auf, indem er Bülow vorwarf, er unterhalte sich lieber mit ausländischen Journalisten, als dem deutschen parlament rede und antwort zu stehen. dass er sich nicht verpflichtet fühle, im reichstag ein ausführliches exposé über die auswärtige lage zu geben sei eine „missachtung der Volksvertretung“. eine öffentliche aussprache wäre umso nötiger gewesen, als „zahllose herren z. d. und a. d.“ die Flottenvorlage mit der notwendigkeit „gegenüber england gerüstet zu sein“, begründet hätten.144 Überraschende unterstützung erhielt der sozialdemokratische parteivorsitzende in diesem punkt vom entgegengesetzten ende des politischen Spektrums, wenn auch aus anderen Beweggründen. der alldeutsche abgeordnete liebermann von Sonnenberg prangerte Bülows gesprächsbereitschaft gegenüber der englischen presse als unpatriotisch an und empfand es als würdelos, dass der reichskanzler einem ausländischen Journalisten auskünfte gab, die er seinen landsleuten vorenthielt. der Kladderadatsch machte sich diese Sichtweise zu eigen, indem er das, was in seinen augen auf einen unangemessenen rollentausch zwischen kanzler und korrespondent hinauslief, karikierend überspitzte. unter der Überschrift „Bernhards Flucht zu mr. Bashford“ bildete er in seiner ausgabe vom dezember 1904 einen liebedienerisch katzbuckelnden reichskanzler ab, der von einem lässig zurückgelehnten, Zigarettenrauch aus den nasenflügeln blasenden Journalisten huldvoll zur „audienz im kanzlerpalais“ empfangen wurde.145 Wie weit verbreitet die vom Kladderadatsch zum ausdruck gebrachten Vorbehalte waren, lässt sich daran ablesen, dass selbst die links-liberale Berliner Morgenpost aus dem ullstein-Verlag bemängelte, Bülow hätte „das souveräne recht deutschlands, seine politik und seine Flotte nach seinem eigensten interesse zu gestalten“ schärfer betonen müssen: „Selbstbewusstsein, unter umständen auch von einiger reizbarkeit und aggressivität, sind den engländern gegenüber, wie überhaupt in der internationalen politik, die besten Faktoren, sich vor fremden Übergriffen zu schützen, allzu große liebenswürdigkeit erzeugt oft nur anmaßung auf der gegenseite“.14 Bis in die national-liberale presse hinein wurde Bülow in den folgenden Jahren wegen seiner interviews „Schwäche“ und „Schlappheit“ vorgeworfen.14 Wenn er sich vor der britischen Öffentlichkeit vom deutschen Flottenverein und den „Flottenprofessoren“ distanzierte, warf ihm die englandfeindliche presse vor, mit gespaltener Zunge zu sprechen, da doch jeder in deutschland wisse, dass generalmajor august von keim als Vor143 144 145 14 14

Vorwärts vom 30. november 1904, kopie als anlage zur depesche nr. 25 von lascelles an lansdowne, 2. dezember, tna, Fo 4/1594. 105. Sitzung vom 5. dezember 1904, zitiert in: Berliner Lokal-anzeiger nr. 51 vom . dezember 1904. Kladderadatsch 5, nr. 50, 11. dezember 1904. Berliner Morgenpost nr. 281 vom 30. november 1904. Bülow an hammann, 8. oktober 190, Bal, nl 210, otto hammann, 1/12.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

sitzender des Flottenvereins in ebenso engem kontakt mit ihm stehe wie theodor Schiemann, der publizistisch aktivste professorale Fürsprecher der maritimen aufrüstung des reiches.148 interviews hatten sich somit schon als fragwürdige instrumentarien der großmächtediplomatie erwiesen, bevor im oktober 1908 das wohl bekannteste „interview“ der Weltgeschichte im Daily Telegraph veröffentlicht wurde.149 Bedenkt man wie gründlich diese publikation von historikern seitdem hin- und hergewendet wurde, ist es verblüffend, dass der Zusammenhang zwischen Bülows pressepolitischer Strategie der Jahre 1904 bis 1908 und der Daily Telegraph-affäre bislang kaum untersucht wurde. Statt dessen hat sich die geschichtswissenschaft überwiegend auf die innenpolitischen Folgewirkungen der Veröffentlichung konzentriert: auf die fundamentale kritik am halbautokratischen regierungsstil des kaisers, auf den dramatischen autoritätsverlust des kanzlers und die „Selbstermächtigung der presse“ als innenpolitische kontrollinstanz.150 Selbst die wenigen Studien, die sich der außenpolitischen dimension der novemberkrise zuwandten, haben das „interview“ in der regel als kaiserlichen alleingang, als absurden höhepunkt der privatdiplomatie Wilhelms ii. begriffen.151 oder sie haben bei der ursachensuche auf die „inkompetenz, ineffizienz und orientierungslosigkeit der damaligen [deutschen] Führung“ verwiesen.152 Für die analyse des Verhältnisses von diplomatie und Öffentlichkeit in den deutsch-britischen Beziehungen ist es dagegen zentral wichtig, darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem „interview“ im Daily Telegraph weder um eine aus dem ruder gelaufene einzelaktion des deutschen monarchen handelte noch um die Folge von momentaner Verwirrung und professioneller unfähigkeit innerhalb der reichsleitung. Vielmehr muss die affäre als kulminationspunkt und endgültiger Bankrott jener publizitätsstrategie interpretiert werden, die der reichskanzler Jahre zuvor begonnen und über einen langen Zeitraum hartnäckig verfolgt hatte. Wie exakt sich das „interview“ des kaisers im Daily Telegraph in das koordinatensystem dieser Strategie einfügte, wird deutlich, wenn man entstehungsgeschichte, inhalt und Folgen der publikation genauer betrachtet. Schon um die Jahrhundertwende hatte Stead mit feinem gespür für das medienbewusstsein Wilhelms ii. eine Friedensbotschaft des deutschen kaisers an den Daily Express mit den Worten kommentiert: „the message is important as an expression of the kaiser’s anxiety to keep on good terms with england. it 148 149 150

151 152

Siehe etwa Leipziger Tageblatt vom 14. September 1908; vgl. auch den Bericht von Finlay (dresden) an grey, 15. September 1908, tna, Fo 31/42/328, Bl. 118–9. Daily Telegraph vom 28. oktober 1908. Zum letztgenannten aspekt siehe Kohlrausch, monarch, S. 243–301; außerdem Platthaus, novemberrevolution, S. 135–2; Cole, daily telegraph affair; Schüssler, dailytelegraph-affäre; Schlegelmilch, Stellung; Teschner, daily-telegraph-affäre; Eschenburg, daily-telegraph-affäre. So etwa Otte, „affair“. Winzen, kaiserreich, S. 10.

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marks a new development in his relations to the press. Some day we shall have him interviewed at length just as if he were an american notable.“153 tatsächlich dauerte es noch mehr als sieben Jahre, bis sich diese prophezeiung erfüllte, wenn auch auf andere Weise als es dem Journalisten vorgeschwebt haben mag. den durchbruch markierte Wilhelms Staatsbesuch in england vom herbst 190, in dessen Vorfeld das auswärtige amt mit interviewwünschen geradezu überschüttet wurde.154 mit einem offiziösen interview für die nachrichtenagentur reuters durch außenminister Schön, der in Vertretung Bülows den kaiser nach england begleitete, war es bei dieser gelegenheit nicht mehr getan.155 die britische presse verlangte authentische Stellungnahmen vom kaiser persönlich. Zwar beschied das auswärtige amt die meisten dieser anfragen negativ und verwies auf ein „streng beobachtetes prinzip“, dass der kaiser keine interviews gebe.15 Wilhelm ii. selbst erinnerte gegenüber seinen englischen gastgebern überdies an die schlechten erfahrungen, die er Jahre zuvor mit der einladung des marinejournalisten arnold White nach kiel gemacht hatte.15 der hinweis auf das „streng beobachtete prinzip“ der interviewabstinenz diente jedoch eher dazu, unwichtig erachtete oder feindselig eingestellte antragsteller abzuweisen, als den kaiser tatsächlich von allen kontakten mit der britischen presse abzuschirmen. das interviewersuchen einer auflagenstarken Zeitung wie der Daily Mail, das auf Vermittlung des Zeremonienmeisters eugen von roeder zustande gekommen war, wurde vom auswärtigen amt ernsthaft geprüft.158 dass man auch diese anfrage letztlich abschlägig beschied, lag nicht an einer grundsätzlichen ablehnung kaiserlicher interviews in der englischen presse, sondern an Botschafter metternichs urteil, die Daily Mail sei „diskreditiert“ und werde, „obgleich gelesen, so doch von der überwiegenden mehrzahl der anständigen elemente in england verachtet“. eine audienz eines Vertreters dieses Blattes beim kaiser würde daher einen schlechten eindruck in england hervorrufen.159 die folgende umfangreiche korrespondenz zwischen auswärtigem amt, londoner Botschaft und kaiserlichem hof macht deutlich, für wie wichtig man in Berlin und potsdam die Daily Mail hielt und wie sorgsam man sich die gründe für die absage zurecht legte. Schließlich entschied man, edward Vii. den Schwarzen peter zuzuspielen und einem interview in Windsor 153 154

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W. t. Stead, the growth of germany – germany and england, in: Review of Reviews, mai 1900, S. 413–4. Siehe etwa J. W. t. mason an Bülow, 23. Februar 190, pa-aa, england 81 nr. 3, r 591; lowe an Bussche, 15. oktober 190, ebd.. allgemein zum Staatsbesuch siehe Steinberg, kaiser. Zum Schoen-interview siehe Hale, publicity, S. 302. hammann an mason, 2. märz 190, pa-aa, england 81 nr. 3, r 591. „[a]ll that resulted“ beklagte sich Wilhelm, „was a series of articles abusive of my fleet“; Wortley an seine gattin, 1. dezember 190, abgedruckt in: Winzen, kaiserreich, S. 94–9 (S. 94). tschirschky an metternich, 21. September 190, pa-aa, england 3 secr., r 544. Siehe auch Watney (Daily Mail) an roeder, 12. Juli 190, ebd. metternich an tschirschky, 2. September 190, ebd.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

zuzustimmen, falls die britische krone den Vertreter der Daily Mail förmlich an den königlichen hof einlade.10 anderen Journalisten, die man für weniger problematisch und vor allem vertrauenswürdiger hielt als die Vertreter der Daily Mail, gelang es durchaus, die Zustimmung zur Veröffentlichung von „interviews“ mit dem kaiser zu erhalten. Bashford etwa publizierte in der Januarausgabe des Strand Magazine einen text, von dem der autor in seinen einleitenden Bemerkungen behauptete, er sei mit dem einverständnis des monarchen entstanden und enthalte „to a great extent his majesty’s own words, his views on men and things“.11 diese Formulierung lässt es fraglich erscheinen, dass Bashford selbst mit dem kaiser gesprochen hatte. Wahrscheinlicher ist es, dass ihm aus der umgebung Wilhelms bestimmte Äußerungen des monarchen zugetragen wurden, die er dann veröffentlicht hat. Bashford hatte sich in langen Jahren loyaler, ja untertäniger Zusammenarbeit mit dem auswärtigen amt eine Vertrauensstellung bei den deutschen Behörden erarbeitet, durch die er in seiner heimat als in deutschen diensten stehender Schreiberling diskreditiert war.12 dies macht es extrem unwahrscheinlich, dass er bei der publikation des kaiser-interviews ohne Wissen oder gar gegen den Willen der deutschen Seite gehandelt haben sollte, zumal er selbst bei erscheinen des aufsatzes einem mitarbeiter in der pressestelle des auswärtigen amtes versicherte, „dass S[eine] m[ajestät] die Veröffentlichung angeregt“ habe.13 Für Bashfords darstellung spricht, dass in diesen Wochen noch ein zweites „kaiser-interview“ auf ähnliche Weise entstand, das anfang dezember 190 in der manchester provinzzeitung Daily Dispatch abgedruckt wurde.14 auch in diesem Fall gaben die verantwortlichen redakteure später an, es habe sich bei dem artikel nicht im eigentlichen Sinne um ein interview gehandelt, sondern um die von Wilhelm ii. ausdrücklich autorisierte, „beinahe wörtliche“ Wiedergabe von Äußerungen, „die Se[ine] majestät im gespräch mit einem bekannten diplomaten und Staatsmann getan hat“.15 10

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Was natürlich nicht geschah; siehe tschirschky an Jenisch, 8. oktober 190; tschirschky an roeder, 10. oktober 190; metternich an Bülow, 15. oktober 190; tschirschky an metternich, 18. 10. 190, ebd. J. l. Bashford: kaiser Wilhelm ii., Strand Magazine, Januar 1908, S. 22. crowe bezeichnete ihn als „discredited journalist who is known to be in the pocket of the german press-bureau“; aufzeichnung crowes vom 2. november 1908, tna, Fo 31/ 43/38154, Bl. 43. aufzeichnung heilbrons vom 4. Juni 1910, zitiert bei: Winzen, kaiserreich, S. 111, Fn. 4. Wenn heilbron zu den akten gab, das auswärtige amt habe „vor dem erscheinen des aufsatzes nichts davon gewusst“, so gibt es hierfür zwei mögliche erklärungen: entweder erfolgte die autorisierung durch eine andere deutsche Stelle (möglicherweise direkt in der entourage des kaisers), oder dem auswärtigen amt schien es nach den turbulenzen um das Daily Telegraph-interview vom herbst 1908 geboten, die Verwicklung in vorangegangene ähnliche unternehmungen abzustreiten. Manchester Daily Dispatch vom 4. dezember 190. auch auf drängende nachfragen des auswärtigen amtes weigerten sich die Journalisten, die identität ihres gewährsmanns preiszugeben; sie gaben nur an, es sei ein „auch hier wohlbekannter, früher in england ‚stationierter‘ deutscher Staatsmann“ gewesen; auf-

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die entstehungsgeschichte dieser „kaiser-interviews“ deckte sich bis ins detail mit der genese der späteren publikation im Daily Telegraph, die zum grossteil ebenfalls auf Äußerungen des monarchen während seines englandaufenthaltes nach dem Staatsbesuch in Windsor vom herbst 190 fußte. Wie die „interviews“ im Strand Magazine und in der Manchester Daily Dispatch war es nicht als Frage-antwort-Spiel zwischen dem kaiser und einem Journalisten zustande gekommen. es beruhte vielmehr auf gesprächsnotizen von Wilhelms gastgeber in highcliffe, dem ehemaligen militär-attaché in Frankreich, edward James monatgu Stuart-Wortley. erst ein dreivierteljahr später, nachdem beide männer sich am rande der herbstmanöver im elsaß noch einmal getroffen hatte, wurden diese aufzeichnungen auf Wunsch Stuart-Wortleys von J. B. Firth, einem mitarbeiter des Daily Telegraph, durch Vermittlung seines Verlegers lord Burnham in jene Form gebracht, die man dann dem auswärtigen amt in Berlin zur korrektur vorlegte.1 auch hier übernahmen somit britische Vertrauensleute und ausgewiesene deutschlandfreunde eine Scharnierfunktion bei der anbahnung und produktion des „interviews“, dessen inhalt sich kaum von demjenigen des Strand Magazines und des Manchester Daily Dispatch unterschied. Bei allen drei gelegenheiten verwies der kaiser den gedanken, er plane einen krieg gegen großbritannien, in das reich der Fantasie. Statt dessen beteuerte Wilhelm ii., er sei ein treuer Freund englands, was nicht zuletzt seine haltung im Burenkrieg beweise, als er sich russischen und französischen intrigen gegen england verweigert habe.1 in der Wilhelmstraße konnte man schon deswegen kaum etwas an der publikation derartiger Äußerungen auszusetzen haben, weil sie in ihrer Stoßrichtung den auslassungen Bülows in seinen gesprächen mit britischen Journalisten entsprachen. darüber hinaus scheint die deutsche Botschaft in london schon im Sommer 1908 bei britischen publizisten vorgefühlt zu haben, welchen eindruck eine Veröffentlichung des „interviews“ in großbritannien machen würde.18 Wie der kanzler, wenn auch in deftigeren Formulierungen, betonte der kaiser, es gebe keine rationalen gründe für das englische misstrauen gegenüber

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zeichnung riezlers vom 30. Januar 1909, pa-aa, england presse nr. 3, r 5435; vgl. e. e. lehmann an Schoen, 29. Januar 1909, ebd. Siehe Otte, „affair“, S. 29–301; Winzen, abgrund, S. 23–3. inhaltlich deckten sich diese Behauptungen mit einem im auswärtigen amt entstandenen, offiziösen artikel über die deutsche haltung im Burenkrieg, der im September 1908 in der Deutschen Revue als antwort auf einen deutschfeindlichen artikel in der National Review erschienen war und in dem behauptet wurde, nicht St. petersburg und paris, sondern Berlin sei die treibende kraft bei dem Versuch gewesen, damals eine anti-englische kontinentalallianz zustande zu bringen; anon [= Friedrich heilbron, d. g.], deutsche intrigen gegen england während des Burenkrieges, in: Deutsche Revue 33, 1908, S. 25–3. Jedenfalls erinnerte sich der chefredakteur der Westminster Gazette Jahre später in einem Brief an seine Frau, „that the material for the interview was put into my hands (some months before it reached the telegraph) by metternich or kühlmann, who asked me to say whether i thought its publication would help British-german relations“; Spender an seine Frau, 30. Juli 1930, zitiert in: Harris, Spender, S. 121.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

deutschland („You english are mad. mad as march hares. What on earth has come over you that you should harbour such suspicions against us“?). im einklang mit Bülow befand sich Wilhelm ii. auch, wenn er die englische presse für die Spannungen zwischen beiden ländern verantwortlich machte; denn sie hätte seine wiederholten Freundschaftsangebote bewusst verdreht und falsch dargestellt: „i have said time after time that i am a friend of england“, versicherte der kaiser, „and your press – or, at least, a considerable section of it – bids the people of england to refuse my proffered hand, and insinuates that the other holds a dagger.“ auch das, was der monarch über den deutschen Flottenbau zu sagen hatte, deckte sich mit den intentionen Bülows. denn Wilhelm ii. versuchte wie sein kanzler die maritime aufrüstung des kaiserreichs auf eine Weise zu erklären, die von der rivalität mit england ablenkte und andere motive in den Vordergrund schob. „germany was a young and growing empire“, erklärte Wilhelm ii. in Wendungen, die wörtlich auch von Bülow hätten stammen können. „She has a world-wide commerce, which is rapidly expaning [...] She has to have a powerful fleet to protect that commerce, and her manifold interests in even the most distant seas.“ neben wirtschaftlichen gesichtspunkten hob der kaiser den aufstieg Japans und die möglichkeit eines nationalen erwachens und machtpolitischen erstarkens von china hervor, die in vielleicht nicht allzu ferner Zukunft ein Zusammengehen deutschlands und englands in Fernost wünschenswert erscheinen lassen mochten.19 nur in einem punkt wich der kaiser von der argumentationslinie Bülows ab: um seine eigene Freundschaft zu england in möglichst hellem glanz erstrahlen zu lassen, zeichnete er die antibritischen einstellungen seiner untertanen in besonders düsteren Farben. der kanzler hingegen hatte stets daran festgehalten, dass die anglophobie der deutschen Bevölkerung von den britischen medien bewusst übertrieben dargestellt werde. nicht zufällig stürzte sich die teutophobe presse in london fast ausschließlich auf diesen aspekt des „kaiser-interviews“ und instrumentalisierte ihn für die eigenen kampagnen, die auf eine Vergrößerung der britischen Flotte zielten.10 die Times beispielsweise interpretierte die entsprechenden passagen als kaiserliches eingeständnis der these von der fundamentalen deutschen Feindseligkeit gegenüber england, die durch das maritime Wettrüsten exemplifiziert wurde. „What the majority of englishmen will have stamped upon their minds“, hieß es in einem leitartikel vom 2. november, „is the emperor’s admission that the majority of the german nation are unfriendly to us, and his contention that this hostile nation mean to go on indefinitely enlarging their navy.“11 die Pall Mall Gazette assistierte mit einem kommentar unter der Überschrift „Forewarned is Forearmed“, während die Daily Mail einen offenen Brief Steads an Wilhelm ii. abdruckte, der explizit den Zusammenhang zwischen dem kaiserlichen „interview“ und der notwendig19 10 11

Daily Telegraph vom 28. oktober 1908. Siehe Reinermann, kaiser, S. 33–41; Hale, publicity, S. 323–4. Times vom 2. november 1908.

c) Das Dilemma der deutschen Publizitätsstrategie

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keit britischer Flottenrüstung formulierte. „Your majesty’s astonishing revelation“, schrieb Stead, that nothing but the frail span of your own life stands between us and the hostility of a majority of your subjects removes the last vestige of doubt in our minds as to the duty of lying down six dreadnoughts, and laying them down at once. the more unfriendly the majority of the germans may be to us, the more incumbent it is upon us to show our fraternal love by leading them not into temptation, but delivering them from evil by making our navy so strong that it will not invite their attack.12

die pressereaktionen in deutschland machten deutlich, wie hilflos die Bemühungen der pressepolitiker im auswärtigen amt angesichts eines beinahe einhelligen Sturms publizistischer kritik geworden waren. es gelang hammann und seinen mitarbeitern, lediglich einige wenige Blätter wie die Kölnische, die Vossische und die National-Zeitung anfangs auf den regierungskurs einzuschwören; auch die Münchener Neuesten Nachrichten folgten in ihrer ersten Stellungnahme den anweisungen der Wilhelmstraße, wenn sie erklärten: „die öffentliche meinung in deutschland begrüßt diese Veröffentlichung und würdigt den inhalt nicht minder wie den Zeitpunkt der publikation.“13 Fast alle übrigen Blätter – von rechts bis links – kritisierten das „interview“ derart heftig, dass auch die zunächst regierungstreuen Zeitungen bald umschwenkten. der konformitätsdruck, der sich in der Vergangenheit stets zugunsten der regierung ausgewirkt hatte, funktionierte in diesem Fall erstmals in der umgekehrten richtung und sorgte dafür, „dass eine Verdammung des interviews zur pflicht wurde“, wie martin kohlrausch treffend beobachtet hat.14 in aller Schärfe wurden hier die grenzen der bürokratischen pressepolitik deutlich. aufgrund der internationalen Vernetzung der medienwelt sowie der damit einher gehenden raschen Verbreitung von nachrichten war an eine unterdrückung des textes nicht zu denken. Selbst wenn die offiziöse nachrichtenagentur WtB die meldung nicht gebracht hätte, wäre sie den deutschen lesern durch die london-korrespondenten der großen Zeitungen zugetragen worden; im Falle der B.Z. am Mittag geschah das bereits drei Stunden nach erscheinen des Daily Telegraph in england.15 daher entschied man sich im auswärtigen amt, der Veröffentlichung durch Wolff’s Bureau zuzustimmen – in der hoffnung, dieser Schritt werde die ganze angelegenheit in den augen des Zeitungspublikums unbedenklicher erscheinen lassen. in Wirklichkeit hatte die offiziöse Bestätigung der nachricht – erst durch WtB, am nächsten tag durch die Norddeutsche Allgemeine Zeitung1 – den gegenteiligen effekt: Sie 12 13

14 15 1

Daily Mail vom 30. oktober 1908. Münchener Neueste Nachrichten nr. 50 vom 29. oktober 1908, zitiert nach: Kohlrausch, monarch, S. 244, Fn. 405; zu den pressepolitischen Bemühungen im auswärtigen amt siehe Winzen, abgrund, S. 39. Kohlrausch, monarch, S. 250. Siehe Schüssler, daily-telegraph-affäre, S. 13–5. Norddeutsche Allgemeine Zeitung nr. 258 vom 31. oktober 1908, abgedruckt bei: Winzen, abgrund, S. 140.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

verlieh dem text einen amtlichen charakter und damit zusätzliches gewicht. unter den Bedingungen moderner medienstrukturen hatte die bürokratische pressepolitik somit ihre Fähigkeit, nachrichtenflüsse zu steuern beziehungsweise abzublocken, weitgehend eingebüßt, während sie zugleich dazu tendierte, die regierung in Fragen festzulegen, in denen sie sich aus freien Stücken eher zurückgehalten hätte. die amtlichen Stellen wurden auf diese Weise für medieninhalte auch dann haftbar gemacht, wenn sie sich am liebsten davon distanziert hätten. Bei alldem kreiste die deutsche kritik um ganz andere aspekte des „kaiserinterviews“ als die britische. Während die deutschfeindliche presse in england die erklärung des monarchen, er sei ein verkannter Freund großbritanniens, als heuchlerische pose abtat, nahm man in deutschland diese Selbststilisierung vollkommen ernst. „nicht der persönliche Freund englands solle der deutsche kaiser sein“, hieß es im üblicherweise regierungstreuen Reichsboten, „sondern der Freund der deutschen nation.“1 insbesondere Wilhelms Behauptung, er habe für die britische armee im Burenkrieg einen Feldzugsplan ausgearbeitet, wurde von einer nationalistisch aufgeheizten Öffentlichkeit im reich als doppelter Verrat aufgefasst: an den „stammverwandten“ Buren einerseits, andererseits aber auch an der deutschen nation, die im Südafrikanischen krieg so einhellig gegen großbritannien eingestellt gewesen war.18 der „novembersturm“ der in den folgenden tagen und Wochen über den kaiser und seine regierung losbrach, richtete sich somit nicht nur gegen das „persönliche regiment“ Wilhelms ii., sondern auch gegen das, was weite kreise der deutschen Bevölkerung für die nationale unzuverlässigkeit von königin Victorias anglophilem enkelsohn hielten. damit lag der Bankrott von Bülows publizitätsstrategie offen zutage. anstatt die vorhandenen antibritischen ressentiments in deutschland für die eigene Flottenrüstung zu nutzen und zugleich die britische Öffentlichkeit und politik durch publizistische Friedensgesten zu besänftigen, hatte der kanzler das gegenteil bewirkt: die anglophoben impulse von teilen der deutschen Öffentlichkeit kehrten sich gegen das eigene herrscherhaus, während sich in großbritannien die deutschfeindlichen elemente in publizistik wie politik nicht nur in ihrem misstrauen gegen eine machiavellistische deutsche diplomatie bestätigt sahen, sondern daraus auch kapital für ihre eigenen rüstungskampagnen zu schlagen vermochten.

1 18

Der Reichsbote vom 29. oktober 1908, zitiert nach Kohlrausch, monarch, S. 244, Fn. 404. Siehe etwa Tägliche Rundschau nr. 509 und 511 vom 29. und 30. oktober 1908; Münchener Neueste Nachrichten nr. 512–4 vom 1. bis 3. november 1908; Frankfurter Zeitung nr. 301 vom 31. oktober 1908.

d) Die Probleme britischer Flottenwerbung

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d) Gezielte Indiskretionen und die Probleme britischer Flottenwerbung auch in england waren probleme mit dem neuartigen journalistischen Format des interviews nicht unbekannt. Fälschungen, Verdrehungen und förmliche dementis waren an der tagesordnung. Schatzkanzler lloyd george beispielsweise, der während einer deutschlandreise im Sommer 1908 diversen deutschen wie britischen Zeitungen interviews gegeben hatte, musste sich nach seiner rückkehr in die heimat von einigen der ihm zugeschriebenen Äußerungen distanzieren.19 Fast zeitgleich bereitete ein von der pariser Depeche Coloniale verbreitetes, später als Fälschung entlarvtes interview dem britischen außenministerium kopfschmerzen, weil darin unter der Überschrift „l’allemagne veut-elle la guerre?“ eine nicht näher benannte hochstehende deutsche persönlichkeit über die unausweichlichkeit eines deutsch-französischen krieges innerhalb der folgenden fünf Jahre räsonierte.180 der britische Botschafter in paris, Sir Francis Bertie, war nicht der einzige der angesichts derartiger entwicklungen glaubte, „[that the] modern system of diplomatists advertising themselves by being interviewed by newspaper reporters [was] a dangerous innovation“.181 insgesamt jedoch stellten offiziöse interviews für die britische Seite ein ungleich geringeres problem dar als für die deutsche. politikern wie lloyd george gelang es in der regel ohne Schwierigkeiten, sich aus der affäre zu ziehen. entweder erklärten sie, man habe sie falsch zitiert, oder sie verwiesen darauf, lediglich als privatmann oder parteipolitiker, nicht als regierungsvertreter gesprochen zu haben.182 diplomaten wie Bertie auf der anderen Seite enthielten sich für gewöhnlich aller förmlichen Stellungnahmen in der Öffentlichkeit; einem französischen Journalisten setzte der Botschafter einmal auseinander „[that it] was his [the reporter’s, dg] metier to make people talk. my metier was de me taire to newspaper reporters.“183 in beiden Fällen verschaffte die doktrin der „liberty of the press“ und das Fehlen einer staatlichen pressepolitik britischen offiziellen eine distanz und handlungsfreiheit im umgang mit der presse, die ihren deutschen gegenspielern fehlte. umgekehrt brachte der informelle Stil der britischen presselenkung probleme mit sich, die der bürokratisch-hierarchisch organisierten Vorgehensweise im kaiserreich fremd waren. die Sollbruchstelle im System des britischen pressemanagements stellten jene gezielten indiskretionen dar, mit deren hilfe geheime informationen aus dem Verwaltungsapparat an die medienöffentlichkeit drangen. diese Form der informationsflüsse durch undichte Stellen in Whitehall, die

19 180 181 182 183

Wile an northcliffe, 1. September 1908, Bl, northcliffe papers, add. 220; siehe auch Irenäus (= august Stein), anders, S. 20–10. Vgl. Otte, „affair“, S. 303–4. Bertie an grey, 21. Februar 1909, tna, Fo 800/11, Bertie papers, Bl. 32. Wile an northcliffe, 1. September 1908, Bl, northcliffe papers add. 220. Bertie an grey, 21. Februar 1909, tna, Fo 800/11, Bl. 32.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

von Zeitgenossen als „lecks“ bezeichnet wurden, hatten aus Sicht der politischen elite großbritanniens den Vorteil, dass handverlesene Journalisten mit insiderkenntnissen ausgestattet werden konnten, um im interesse der informanten im Staatsapparat auf das Zeitungspublikum einzuwirken, ohne dass sich die regierung oder die Verwaltungsspitzen offiziell auf bestimmte Sachverhalte festlegten. der nachteil des Verfahrens bestand darin, dass es unkontrollierbar und tendenziell chaotisch war, leicht aus dem ruder laufen konnte und das potential hatte, Verwaltung und regierung zu paralysieren, wenn unterschiedliche Stellen im Staatsapparat unvereinbare Ziele verfolgten und mit hilfe der presse gegeneinander intrigierten. Vorzüge wie nachteile dieser art der presselenkung lassen sich beispielhaft anhand der informationspolitik der royal navy während der letzten amtsjahre Sir John Fishers als erster Seelord studieren. der admiral war durch seine gesamte karriere hindurch ein Virtuose der gezielten indiskretionen gegenüber der presse. 1884 hatte er als junger, ehrgeiziger kapitän die „the truth about the navy“-kampagne der Pall Mall Gazette mit insiderinformationen aus der admiralität versorgt. Von dieser Zeit an blieb er in regem austausch mit journalistischen Vertrauten wie Stead, arnold White und James r. thursfield, dem marinekorrespondenten der Times. Sie alle wurden mit einer Flut von – oft spät in der nacht verfassten – Briefen in Fishers schwungvoller handschrift überschwemmt, die häufig technische daten und genaue Zahlenangaben über Schiffskonstruktionen sowie einzelheiten strategischer und taktischer planungen der britischen marine, ja manchmal details vertraulicher kabinettssitzungen enthielten. daneben fanden sich zum teil wüste, wenn auch geistreiche Schmähungen und denunziationen gegen rivalen innerhalb wie außerhalb der royal navy. nicht selten unterstützte der admiral seine argumentation durch die Übersendung vertraulicher dokumente, nicht ohne dem adressaten zu versichern, er sei der einzige, dem dieses privileg zuteil werde.184 niemals zuvor, stellte der pensionierte admiral Sir cyprian arthur george Bridge in einem leserbrief an die Times fest, seien ihm solch ausgefuchste Versuche untergekommen, die presse zu beeinflussen, „not even by a politician whose career depended upon it“.185 Fishers Vorgehen bedeutete einen direkten Verstoß gegen die Vorschriften zum umgang mit der presse, wie sie in den admiralty instructions und king’s regulations festgelegt waren. „all persons belonging to the Fleet“, hieß es da, „are forbidden to write for any newspaper on subjects connected with the naval Service, or to publish or cause to be published directly or indirectly in a newspaper or other periodical any matter of information relating to the public Service.“18 Wenn Fishers erster Biograph später behauptete, der admiral habe zwar gegen den Buchstaben der regelung verstoßen, aber sorgfältig darauf geachtet, dass keine geheimnisse preisgegeben wurden, ist das angesichts von dessen sys184 185 18

Siehe die auswahl bei Marder (hrsg.), Fear god. Times vom 19. Februar 190, zitiert bei: Morris, Scaremongers, S. 128. Zitiert nach Morris, Scaremongers, S. 154.

d) Die Probleme britischer Flottenwerbung

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tematischer informationspolitik ebenso unglaubwürdig wie die Behauptung, der erste Seelord habe nur so gehandelt, um die presse mit der Wahrheit anstatt mit lügen zu bedienen.18 es ging nicht um Wahrheit oder lüge, sondern darum, dem Standpunkt der admiralität möglichst starken rückhalt in der medienöffentlichkeit zu verschaffen und auf diese Weise Fishers eigenen reformvorstellungen eine möglichst günstige ausgangsposition in der auseinandersetzung um knappe haushaltsmittel und die gunst des kabinetts zu sichern.188 die Frontlinien verliefen nicht nur zwischen Sozialpolitikern und militärs, sondern auch zwischen der vom kriegsministerium vertretenen armee und der admiralität, die für die Belange der Flotte eintrat. am intensivsten wurden die positionskämpfe immer in den monaten Januar bis märz geführt, bevor der neue haushalt und die höhe der Budgetposten für die einzelnen ministerien und Waffengattungen im unterhaus bekannt gegeben wurden. die verschiedenen Zeitungen dienten als hilfstruppen in den Stellungskriegen der ministerien und wurden mit entsprechender „munition“ versorgt, um den gegner unter publizistischem Beschuss halten zu können. die argumente in der navalistischen presse ließen sich dabei nach Belieben variieren: mal dominierten patriotische appelle, dann wieder hinweise auf die sozialintegrativen effekte des Schlachtflottenbaus. „the era of economy is over and finished“, schrieb die Daily Mail beispielsweise im Februar 1908. „the nation must be prepared to see the naval estimates rise annually or else make ready to surrender the command of the sea and abandon the empire.“ gegen die Befürworter sozialpolitischer reformen um lloyd george gerichtet war ein anderer leitartikel, in dem die rhetorische Frage gestellt wurde: „is Britain ready to surrender her maritime supremacy to provide old age pensions?“ Wenig später wurde der Schlachtflottenbau unter wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischem gesichtspunkten beleuchtet. „if the government is not composed of stoney-hearted pedants“, forderte ein leitartikel mit Blick auf eine zwischenzeitlich spürbar gewordene depression in der Schiffbauindustrie, „the ship-building vote should be given out now. […] 80 per cent of the cost of a battleship goes in wages to the British workers.“189 So verschiedenartig die argumentationswege und gedankenführungen auch waren, am ende stand immer dasselbe ergebnis: die Forderung nach mehr geld für die britische Flottenrüstung.190 dass die haushaltsplanungen des Jahres 1909 besonders heftig umkämpft werden würden, war in der politischen klasse großbritanniens spätestens seit dem herbst 1908 klar. die liberale partei war ende 1905 mit dem Versprechen an die regierung gekommen, weniger geld für rüstung und mehr für Sozialre18

188 189 190

Bacon, life, Bd. 1, S. 13. akkurater ist marders einschätzung, „[that to] convert lay opinion, Fisher made extensive use of newspaper publicity, sending favoured naval journalists what he termed ‚ammunition‘ to support his policies“, Marder (hrsg.), Fear god, S. 3. Vgl. Lambert, revolution. Daily Mail vom . und 25. Februar und 18. april 1908. Fishers Verbindung zur Daily Mail verlief über garvin vom Observer und dessen engen kontakt mit lord northcliffe, dem Verleger der Daily Mail: Gollin, oberver, S. 45–.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

formen auszugeben. entsprechend hatte es in den folgenden Jahren kürzungen an dem vom scheidenden konservativen marineminister, dem ersten lord der admiralität cawdor, im dezember 1905 vorgelegten Schiffbauprogramm gegeben. Statt der von cawdor projektierten vier großkampfschiffe pro Jahr waren 190 und 190 nur je drei, 1908 sogar nur zwei Schlachtschiffe des neuen dreadnought-typs gebaut beziehungsweise begonnen worden. Somit tat sich im Sommer 1908 mit Blick auf den cawdor-plan eine lücke von vier großkampfschiffen auf, welche die admiralität zu füllen bestrebt war. Zusätzliche nahrung erhielt ihre Forderung nach verstärkten britischen rüstungsanstrengungen durch die geplante expansion der deutschen Schlachtflotte, die 190 und 190 um insgesamt vier, 1908 um noch einmal vier großkampfschiffe wachsen und 1909 durch drei weitere Schiffe derselben klasse ergänzt werden sollte. innerhalb der admiralität machte man sich aber nicht nur über das gesetzlich festgelegte deutsche rüstungsprogramm gedanken, sondern auch über die kapazitäten der deutschen Stahl- und Schiffbauindustrie, die nach allgemeiner einschätzung weitaus größer waren als ihre auslastung und daher eine – heimliche und gesetzeswidrige – erhöhung der produktion möglich gemacht hätten.191 diese Überlegungen veranlassten reginald mckenna als neuen ersten lord der admiralität, dem drängen seiner Berater im marineministerium zu folgen und sich die Forderung nach einer erhöhung der britischen produktion auf vier, wenn nicht gar sechs Schiffe für das haushaltsjahr 1909 zu eigen zu machen. die parlamentarischen Verwicklungen der aus dieser entscheidung resultierenden „großen Flottenpanik“ des Jahres 1909 sind zur genüge erforscht.192 hier interessiert vor allem die pressepolitik, die Fisher in den folgenden Wochen und monaten verfolgte, um mckennas position in den Budgetverhandlungen im kabinett und später in den diskussionen im unterhaus zu stärken.193 Bereits im herbst 1908 begann die admiralität, entsprechende informationen an ihre journalistischen Vertrauensleute zu lancieren. So konnte die Times schon mitte oktober (einen monat vor Veröffentlichung der deutschen Flottennovelle!) und dann noch einmal im november berichten, dass die reichsführung die geschwindigkeit ihres Schlachtflottenbaus im Widerspruch zu dem gesetzlich festgelegten Bautempo erhöht habe.194 angesichts der Fülle derartiger inspirierter presseartikel beklagte sich Schatzkanzler lloyd george, einer der wichtigsten Fürsprecher einer einseitigen rüstungsbegrenzung im kabinett, beim premierminister, „that it is most deplorable that whenever there is a controversy for army & navy there should be these disclosures. the times, the dt [Daily Telegraph, dg], the observer and West[minster] gaz[eztte] seem to have been fully informed as to what was going on inside the cabinet weeks ago.“195 191 192 193 194 195

Siehe hierzu schon taylor: „eight“. Siehe etwa Massie, Schalen, S. 50–22; Marder, dreadnought, Bd. 1, S. 154–. Siehe Gollin, observer, S. 4–92; Morris, Scaremongers, S. 14–84. Times vom 15. oktober und 30. november 1908. lloyd george an asquith, 8. Februar 1909, zitiert nach: Morris, Scaremongers, S. 1.

d) Die Probleme britischer Flottenwerbung

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Fishers wichtigster publizistischer Verbündeter war garvin, dessen Observer im Frühjahr und Sommer in der Flottenfrage als meinungsführermedium fungierte und den kurs vorgab, dem eine große anzahl anderer Zeitungen und Zeitschriften folgten. die überlieferte korrespondenz macht deutlich, dass Fisher und garvin in diesen Wochen beinahe täglich, oft sogar mehrmals am tag in brieflichem kontakt standen und ihr Vorgehen detailliert koordinierten.19 der erste Seelord informierte den chefredakteur der Sonntagszeitung über den Stand der diskussionen im kabinett und seine eigenen taktischen manöver. das ermöglichte es dem Journalisten, mit den Forderungen seiner leitartikel den anderen Zeitungen immer einen oder zwei Schritte voraus zu sein und stets punktgenau auf die jeweiligen kräfteverhältnisse und mehrheitsverschiebungen im kabinett zu reagieren. „the beauty of it is“, schrieb Fisher beispielsweise anfang Februar an garvin, „that though Six [battleships, dg] are sufficient i am going to go for eight!!!“19 obwohl das kabinett zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt keinen definitiven Beschluss gefasst hatte, verkündete garvin daraufhin in seinem nächsten leitartikel im Observer, asquith und mckenna hätten zu ihrem Wort gestanden und mit der Zustimmung zum Bau von sechs Schlachtschiffen der dreadnought-klasse die minimalforderung der admiralität erfüllt, was den druck auf den premierminister verstärkte, eine für Fisher akzeptable einigung herbeizuführen.198 Zehn tage später einigte sich das kabinett auf Vorschlag von asquith schließlich auf eine kompromissformel, die allen Seiten helfen sollte, das gesicht zu wahren: im haushalt für 1909 würden vier dreadnoughts eingeplant, zwei für eine kiellegung im Juli und zwei weitere im november; zusätzlich würde die regierung die Zustimmung des parlaments dafür einholen, bis spätestens april 1910 vier weitere Schlachtschiffe auf kiel zu legen, sofern die Beobachtung der Fortschritte des deutschen Schlachtflottenbaus diesen Schritt notwendig machte.199 kaum war diese entscheidung getroffen, bemühten sich Fisher und garvin sie dem Zeitungspublikum in ihrem Sinne zu präsentieren. der admiral mahnte den Journalisten, sein hauptaugenmerk auf die Fußnote der entscheidung zu richten, die sich mit den vier zusätzlichen Schlachtschiffen befasste.200 „as a lady’s letter puts its meaning in a postscript“, verkündete garvin daraufhin zwei tage nach der Veröffentlichung der navy estimates am 14. märz im Observer, „the most significant feature of the proposals is contained in the footnote. […] this stratagem has been devised to save the reputation of certain ministers and […] to pacify the pacifists in the house of commons.“201 nachdem der kabinettskompromiss vom unterhaus verabschiedet worden war, gab Fisher in

19 19 198 199 200 201

Vgl. Gollin, observer, S. 8–. Gollin, observer, S. 0. Observer vom 14. Februar 1909. Massie, Schalen, S. 512. Vgl. Gollin, observer, S. 3. Observer vom 14. märz 1909.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

einem weiteren Brief an garvin die Stoßrichtung für die Fortsetzung der kampagne vor. „We have engineered 8 dreadnoughts this year“, triumphierte er. „they can’t be prevented! […] nevertheless, don’t desist. […] We have got to think in Dreadnoughts! We can build 1 next year if required. […] i expect we shall build 8 […] and go on 8 a year!“.202 entsprechend erhöhte garvin die Schlagzahl seiner Forderungen. „Well it is a great thing to have clear lines to fight on“, schrieb er an den herausgeber des Observer, lord northcliffe. „Eight Dreadnoughts for certain now! But the eight not enough because the two power standard is no longer enough. it is that which is misleading us all. against germany it gives no sufficient margin. the only possible safe formula is two to one“.203 trotz Fishers und garvins optimismus’ waren mit dem unterhausbeschluss formal lediglich vier der acht dreadnoughts gesichert. die Bewilligung der restlichen vier war zwar vom parlament in das ermessen der regierung gestellt worden, bedurfte aber eines zusätzlichen kabinettsentscheids, dass der Bau aufgrund der entwicklung des deutschen Flottenprogramms notwendig geworden war. um sicher zu stellen, dass ein derartiger Beschluss zustande kam, weitete die admiralität ihre kampagne aus. Zu einer Schlüsselfigur avancierte dabei lord esher, ein Vertrauter sowohl könig edwards Vii. als auch admiral Fishers. „[a] naval scare well engineered“, vertraute esher seinem tagebuch an, „will bring us our eight dreadnoughts“. esher tat in den nächsten Wochen sein bestes, um die Flottenpanik in der britischen medienöffentlichkeit nach kräften zu schüren und die pressekampagne der admiralität koordinieren zu helfen. Zweimal innerhalb von sieben tagen traf er sich zum lunch mit kennedy Jones vom harmsworth-konzern, den er bei einer dieser gelegenheiten mit Fisher bekannt machte. abends dinierte er mit northcliffe, „talking for two hours on the navy“.204 das ergebnis der konzertierten Bemühungen konnte sich sehen lassen. garvin forderte im Observer, das oberhaus sollte das house of commons auflösen und neuwahlen erzwingen, falls sich die regierung dem Volkswillen verweigerte und die zusätzlichen vier dreadnoughts nicht bauen ließ.205 die Daily Mail donnerte, großbritannien befinde sich mitten in einem tödlichen kampf ums nationale Überleben; das land stehe am rande eines krieges wie er zerstörerischer und grausamer nicht vorstellbar sei.20 der philosoph und unterhausabgeordnete Frederic harrison verglich in einem leserbrief an die Times die Situation englands und seines empires mit der lage Frankreichs am Vorabend des krieges von 180/1: eingelullt in eine trügerische Sicherheit und im Begriff durch eine reihe schneller militärischer Schläge vernichtend geschlagen zu werden.20 maxse blies bei einer Versammlung der navy league in Bir202 203 204 205 20 20

Zitiert nach: Gollin, observer, S. 5. garvin an northcliffe, o. d. (1. märz 1909), zitiert nach: Morris, Scaremongers, S. 18. Brett (hrsg.), Journals, Bd. 2, S. 3–8. Observer vom 21. märz 1909. „Without the eight dreadnoughts our empire will be on the knees of the gods three years hence“; daily mail vom 19., 23., 2. und 29. mai 1909, vgl. Morris, Scaremongers, S. 19–80. Times vom 20. märz 1909.

d) Die Probleme britischer Flottenwerbung

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mingham in dasselbe horn, wenn er behauptete, „[that British] existence was threatened by a gigantic nation in arms, resolved to secure a redistribution of the good things in the world. […] germany had obtained all her successes by taking unsuspecting victims completely unawares.“208 das letzte Beispiel macht deutlich, dass die Flottenpanik – im gegensatz zum Flottenschrecken von 1904 – nicht auf die presse beschränkt blieb, sondern durch tatkräftige mithilfe patriotischer massenvereine wie der navy league auch die Versammlungsöffentlichkeit erfasste. die ursprüngliche Frage, ob das deutsche reich tatsächlich seine Baugeschwindigkeit über das gesetzlich festgeschriebene tempo hinaus heimlich erhöht habe, geriet dabei immer weiter in den hintergrund, je heftiger sich die massenagitation auflud. Selbst als Fisher ende mai vom britischen marine-attaché in Berlin erfuhr, dass allem anschein nach das deutsche Bauprogramm deutlich hinter den Befürchtungen londons zurückbleibe, sah der admiral keine Veranlassung, die einmal in Fahrt geratene kampagne zu stoppen. „[t]he germans to mislead us have set back their building!“, schrieb er an garvin, den er bat, den Brief unmittelbar nach erhalt zu verbrennen, „no doubt of it and our attaché taken round purposely to verify this […] We haven’t yet fathomed it all – but it’s a bomb. however, we shall fight on as before for the 8“.209 am ende verwies das kabinett nicht auf den deutschen Flottenbau, als es ende Juli die kiellegung der vier zusätzlichen dreadnoughts verkündete. Vielmehr beriefen sich mckenna und asquith zur Begründung ihrer entscheidung auf die entwicklung im mittelmeer, wo Österreich-ungarn und italien jeweils vier großkampschiffe zu bauen begannen, wie kurz zuvor bekannt geworden war. obwohl beide mächte nominell mit deutschland verbündet waren, betrachteten sie sich weniger als allianzpartner im dreibund denn als potentielle Feinde.210 dennoch konnte die regierung in london argumentieren, mit Blick auf 1912 sehe sich die royal navy mindestens 13 deutschen großkampfschiffen in der nordsee sowie acht österreichischen und italienischen Schiffen des dreadnoughts-typs im mittelmeer gegenüber, was eine weitere britische aufrüstung zur See unvermeidbar mache.211 die geschickte inszenierung und instrumentalisierung der Flottenpanik durch die admiralität und ihre publizistischen Verbündeten verdeutlicht aufs neue, wie unentwirrbar reale außen- und rüstungspolitische entwicklungen mit innen- und ressortpolitischen erwägungen verknüpft waren. Fisher wusste, dass die reichsführung mit ihrem Schlachtflottenbau weit hinter den bewusst aufgebauschten Bedrohungsszenarien in der britischen Öffentlichkeit zurückgeblieben war und auf absehbare Zeit keine akute militärische Bedrohung darstellte. dennoch heizte er die entsprechenden Spekulationen in der britischen presse weiter an, um auf diese Weise im interministeriellen Verteilungskampf 208 209 210 211

Birmingham Daily Post vom 1. mai 1909, zitiert nach: Reinermann, kaiser, S. 31. Fisher an garvin, 2. mai 1909, zitiert nach: Morris, Scaremongers, S. 182. Vgl. Afflerbach, dreibund, S. 588–90. Vgl. Massie, Schalen, S. 519–20; Marder, dreadnought, Bd. 1, S. 10–1.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

zusätzliche Finanzmittel für die royal navy sicherzustellen. „We shall certainly be ‚2 keels to 1‘ in march 1912“, schrieb der admiral im Januar 1910 triumphierend an garvin. „aBSolutelY Sure. […] the german navy will have only 11 but i never contradict the 13 given out.“212 die politik einer gezielten lancierung geheimer informationen an verbündete presseleute, die sich in diesem Zusammenhang als extrem wirkungsvoll erwiesen hatte, konnte aber auch gegen die Strippenzieher in der admiralität zurückschlagen, wenn die eigenen kräfte nicht auf das gemeinsame Feindbild deutschland gebündelt wurden, sondern sich in Fraktionskämpfen verhedderten. Fisher war nicht der einzige hochrangige Seeoffizier mit guten Verbindungen in den Journalismus. Sein schärfster Widersacher in der britischen marine, charles William de la poer, lord Beresford, der von 1900 bis 1902 als Fishers Stellvertreter bei der mittelmeerflotte gedient und anschließend bis 1909 nacheinander selbst die wichtigsten Flottenverbände des empires – erst im atlantik und dann in den heimatgewässern – befehligt hatte, verfügte über ähnlich exzellente kontakte. dass Beresford zudem als legendenumwobener kriegsheld und populärer unterhausabgeordneter persönlich bekannter war als der Verwalter und organisator Fisher, verdankte er nicht zuletzt seiner engen tuchfühlung mit der presse. Beresford hatte stets dafür Sorge getragen, dass bei seinen militärischen und politischen erfolgen Berichterstatter in der nähe waren, diese heldentaten zu besingen und zu bebildern. Bei der Bombardierung alexandrias im Jahr 1882 beispielsweise, die seinen ruhm begründete, hatte er eigens einen korrespondenten der Times und einen Zeichner der Illustrated London News an Bord seines Schiffes geladen.213 Später unterhielt er besonders enge Verbindungen zu Blumenfeld vom Daily Express und zu gwynne vom Standard.214 Beresfords Status als berühmtester offizier und personifizierung der royal navy war derart ausgeprägt, dass lord northcliffe noch vier Jahre nach Fishers Berufung an die Spitze der admiralität ein journalistisches porträt des ersten Seelords mit der Begründung anforderte, in der auseinandersetzung Beresfords mit Fisher ergreife die Öffentlichkeit automatisch partei für den ersteren, „because his personality is known to the public while Sir John, having worked quietly is almost unknown“.215 Worum es bei der jahrelang sich hinziehenden kontroverse zwischen Fisher und Beresford im einzelnen ging, ist hier nebensächlich; ehrgeiz, Standesdünkel, persönliche eitelkeiten und antipathien spielten ebenso eine rolle wie in212 213 214 215

Fisher an garvin, 22. Januar 1910, zitiert in Morris, Scaremongers, S. 19. Siehe Massie, Schalen, S. 43. Siehe die korrespondenz in den nachlässen beider Journalisten: Blumenfeld papers, hlro; gwynne papers, Bod.; vgl. auch Morris, Scaremongers, S. 12. northcliffe an garvin, 8. Juli 1908, zitiert nach: Morris, Scaremongers, S. 40, Fn. 4. in seinem bereits zitierten memorandum an das reichsmarineamt war gülitz wie selbstverständlich davon ausgegangen, Beresford und nicht Fisher sei der geheime informant der Pall Mall Gazette bei der „truth about the navy“-kampagne von 1884 gewesen; gülitz an tirpitz, 24. november 189, Ba-ma, rm3/918.

d) Die Probleme britischer Flottenwerbung

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haltliche meinungsverschiedenheiten über die künftige Strategie, Verteilung und ausstattung der royal navy.21 entscheidend für eine geschichte der politischen kommunikation ist der umstand, dass die Fehde im hellen licht der Öffentlichkeit mit hilfe der presse ausgetragen wurde. Beide admirale nutzten ihre drähte zu Fleet Street, um den anderen zu diskreditieren und die eigenen anliegen zu propagieren. die Sicherheit der britischen Flotte, schrieb Beresford an Blumenfeld, „is in the hands of a man who is lamentable as an executive and is criminal as an administrator, all his efforts being for personal grandisement and pecuniary advantage“.21 Blumenfeld sah seine aufgabe darin, Beresfords Vorwürfe in die plakativ-pathetische Sprache der massenpresse zu übersetzen und Fisher öffentlich an den pranger zu stellen: „We arraign Sir John Fisher at the bar of public opinion“, proklamierte der Daily Express auf dem höhepunkt der auseinandersetzung, „and with the imminent possibility of national disaster before the country we say again to him: ‚thou art the man‘!“.218 der erste Seelord ließ sich ebenfalls nicht lumpen. an alfred g. gardiner von der radikalliberalen Daily News schrieb er, Beresford erinnere ihn an einen affen, der einen Fahnenmast hinaufklettere: „the higher he got the more you saw his arse!“219 neben einer derart drastischen Sprache verfügte Fisher aber auch über subtilere mittel, seinem gegner zu schaden. Beresfords anhänger verdächtigten die admiralität nicht ohne grund, eine umfassende pressekampagne gegen ihren helden zu organisieren. „there are many means of making payment for service other than passing money“, schrieb beispielsweise Sir William White, ehemals ziviler direktor der konstruktionsabteilung der royal navy und einer von Fishers sachkundigsten kritikern: early information of a special and quasi-confidential character is one mode of payment which editors and Journalists estimate highly. [...] it is within my knowledge that Beresford has for more than a year been subjected to a persistent policy of pin pricks in the press and elsewhere by agents whose connection with Fisher has been again and again demonstrated.220

ein rationaler austausch von argumenten kam auf diese Weise nicht zustande. das Für und Wider von Fishers reformen mochte in Fachzeitschriften und anderen periodika mit elitärem leserkreis diskutiert werden. in der massenpresse ging es nicht um vernünftige erwägungen, sondern um Stimmungen, nicht um die Vorzüge und nachteile bestimmter politikentwürfe, sondern um den ruf der persönlichkeiten, die für sie einstanden. Fisher oder Beresford, lautete die alternative; andere gegensätze, geschweige denn feinere nuancen zählten nicht. es ist bezeichnend für die von den pressefehden ausgelöste Spirale der leidenschaften, dass weder Fisher noch Beresford daran dachten, im gemeinsamen in21 21 218 219 220

Massie, Schalen, S. 432–54; Morris, Scaremongers, S. 123–34, 185–99; Marder, dreadnought, Bd. 1, S. 88–104. Beresford an Blumenfeld, 12. august 190, hlro, Blumenfeld papers, Bere 2. Zitiert nach: Morris, Scaremongers, S. 191. Fisher an gardiner, 29. Januar 1910, BlpeS, gardiner papers. W. White an Strachey, 8. Juli 1908, hlro, Strachey papers, Str 1/2/32.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

teresse der Flotte zu einem Waffenstillstand zu kommen. es waren vielmehr ihre jeweiligen journalistischen anhänger, die schließlich erkannten, wie destruktiv und potentiell verheerend der öffentlich ausgetragene Zwist innerhalb der marine zu werden drohte. garvin bedrängte Fisher (vergebens), die kampagne gegen Beresford mit rücksicht auf die übergeordneten interessen der royal navy zu beenden.221 auch gwynne kamen Zweifel an der Sinnhaftigkeit seines publizistischen kampfes gegen den ersten Seelord. „do you not think with me“, schrieb er an den Fisher-treuen arnold White, „that it is the duty of everybody who takes an interest in the navy, whether they be critics or approvers of the present admiralty policy, to drop the subject? […] it seems to me that it is bound to react to the detriment of the Service generally if quarrels between high officials are discussed in the press.“222 ein weiteres problem britischer Flottenpropaganda bestand darin, dass die überkommene methode, mit hilfe gezielt an die presse gespielter informationen für die royal navy zu werben, in immer stärkeren gegensatz zu den geheimhaltungsbestimmungen geriet, welche das Bauprogramm der Schlachtschiffe vom dreadnought-typ umgaben.223 im Foreign office beklagte man wieder und wieder „the notorious fact that the admiralty is extraordinarily slack in allowing a mass of information to become public which it would be much better not to give away“. insbesondere die Vertrauensstellung, die Berichterstatter der Times in der admiralität genossen, geriet in die kritik. ausländische marine-attachés hätten ihm wiederholt berichtet, beschwerte sich crowe, „that they get from the columns of the ‚Times‘ much more and more accurate information about the British navy than the public can ever obtain in other countries respecting foreign navies.“224 das naval intelligence department der admiralität teilte diese Sorge; eine reihe marinepolitischer artikel, die im Sommer 190 in der Times erschienen waren, kommentierte dessen direktor, konteradmiral ottley mit der Bemerkung, die Veröffentlichung geheimer informationen in der tagespresse points to newspaper correspondents being in unauthorised communication with persons of trust in h. m. Service, which is very regrettable and in times of emergency might have serious consequences. […] it is of great importance that we should be able to prevent intelligence of movements etc. reaching a possible enemy when considered desirable.225

die marineberichterstattung der tagespresse erwies sich im forcierten Wettrüsten gegen das deutsche reich als zweischneidige angelegenheit. auf der einen Seite hielt sie das interesse des britischen publikums an marinefragen wach, auf 221 222 223

224 225

garvin an Stead, 18. november 1910, ccc, Stead papers. gwynne an a. White, 1. april 1908, zitiert nach: Morris, Scaremongers, S. 198. Vgl. die ausführliche diskussion innerhalb der admiralität über umgang mit der presse im Zusammenhang mit dem Beginn des dreadnought-programms zwischen august 1905 und Juni 190; tna, adm 1/82. randbemerkung crowes vom 25. Januar 1912 zum Schreiben von greene an nicolson, 24. Januar 1912, tna, Fo 31/132, Bl. 295–. memorandum von Vizeadmiral Sir charles langdale ottley, 2. Juni 190, tna, adm, 1/82.

d) Die Probleme britischer Flottenwerbung

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der anderen lieferte sie potentiellen gegnern wie dem deutschen reich informationen über technische Fortschritte gleichsam auf dem präsentierteller. denn wegen der engen Verflochtenheit britischer und deutscher Öffentlichkeiten war es unmöglich, die londoner presse einzelheiten über den neuen Schiffstyp wissen zu lassen, sie aber gegenüber deutschen augen und ohren abzuschirmen. Was gegen den misstand zu tun sei, wurde innerhalb der britischen marine kontrovers diskutiert. ottley schlug vor, von einer bruchstückhaft-informellen zu einer offiziellen und umfassenden informierung der presse durch die admiralität überzugehen, was in etwa der praxis des reichsmarineamtes in deutschland entsprochen hätte. dies werde die unerwünschte eigenständige recherche von reportern in den hafenstädten überflüssig machen und deren Versuchung vermindern, auf unerlaubte Weise an informationen zu gelangen. gleichzeitig erlaube ein derartiges Vorgehen der marineführung, in krisensituationen den informationshahn zuzudrehen oder sogar dem Feind über die presse falsche hinweise zuzuspielen.22 im Sekretariat der admiralität sah man die dinge anders. es sei weder möglich noch wünschenswert, auf diese Weise den Fluss von nachrichten zu kanalisieren, meinte man dort, „as all such items tend to instruct the public in naval matters of which the majority are woefully ignorant“. an den chancen systematischer desinformationskampagnen zweifelte man ebenso wie an der erwartung, dass mit offiziösen informationen versehene Journalisten auf selbständige nachforschungen verzichten würden – insbesondere nicht in jenen krisensituationen, in denen die admiralität sich nach ottley Vorstellungen in Schweigen hüllen sollte. Bessere erfolgsaussichten räumte man einem rundschreiben an alle britischen Zeitungsredaktionen ein, in dem diese in Zeiten außenpolitischer turbulenzen durch einen appell an ihren patriotismus veranlasst werden sollten, auf die publikation brisanter meldungen zu verzichten.22 der erste Seelord schloss sich diesen Überlegungen ausdrücklich an, indem er auf einen weiteren Vorzug der informellen pressepolitik verwies, wie die admiralität sie betrieb. „at present no one knows how much to believe“, argumentierte Fisher, and it is a fact that the press are seldom accurate, this is a distinct advantage which would disappear if the admiralty is to be the fountain head for information. naval attaches often come to me with a press cutting, and i am able to say the admiralty are not responsible for what the press choose to insert. the case of the ‚dreadnought‘ is in favour of leaving the press to themselves. i believe out of the many notices not one has been wholly correct – just what the admiralty desire.228

nicht nur in der admiralität machte man sich gedanken über die unkontrollierte publikation von informationen, die marine und militär betrafen. auch das committee of imperial defence (cid), das premierminister Balfour 1904 als kleine und bewegliche denkfabrik ins leben gerufen hatte, um nach den desas22 22 228

ebd. anmerkungen von c. i. thomas zum ottley-memorandum, . Juni 190, ebd. anmerkungen von admiral Sir John Fisher zum ottley-memorandum, . Juni 190, ebd.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

trösen erfahrungen des Burenkrieges eine strategische Vision für die beiden Waffengattungen zu entwickeln, stellte Überlegungen an, wie pressefreiheit, verlegerisches unternehmertum und die Sicherung nationaler interessen in krisenzeiten miteinander vereinbart werden konnten.229 der Sekretär des komitees, Sir george clarke, unternahm es seit dem Sommer 190, in Zusammenarbeit mit der newspaper Society als interessenvertretung der presseverleger, einen entwurf für eine „naval and military information Bill“ zu erarbeiten; dieses gesetz sollte es dem kabinett ermöglichen, während oder unmittelbar vor ausbruch eines krieges die Verbreitung von nachrichten zu unterbinden, die für den Feind von nutzen sein könnten.230 die Verhandlungen krankten auf der einen Seite daran, dass die pressevertreter eine andere – weniger umfassende und subalterne – auffassung von den „patriotischen pflichten“ der medien hatten als die regierungsvertreter; sie wollten auch in außenpolitischen krisenzeiten keinesfalls auf ihr unabhängiges urteil verzichten, welche nachrichten berichtenswert waren und welche nicht. die zu den Verhandlungen hinzugezogenen Vertreter des kriegsministeriums tendierten auf der anderen Seite dazu, die Suche nach einem einvernehmen mit der presse als bloße Zeitverschwendung abzutun und einseitige maßnahmen der staatlichen autoritäten zur pressekontrolle zu fordern.231 der Formelkompromiss, auf den man sich schließlich mühsam einigte, scheiterte im Februar 1908 auf einer großversammlung der Zeitungsverleger am Veto der eigentümer der einflussreichen londoner Blätter, die sich außerhalb der newspaper Society zu einem eigenen interessenverband, der newspaper proprietors’ association, zusammengetan hatten. in der erklärung, mit der die londoner Verleger ihre entscheidung begründeten, beklagten sie, das geplante gesetz liefere die britischen Zeitungen auf gedeih und Verderb einer regierungsbehörde aus, der es im Zweifelsfalle um nichts anderes zu tun sei, als kritik an marine und militär zu unterbinden. die regierung habe kein recht, am patriotismus und urteilsvermögen der presse zu zweifeln, zumal das unterhaus in krisensituationen immer noch gelegenheit habe, ein auf die spezifischen umstände der notlage passendes gesetz zu erlassen. „We prefer to leave the control of the dissemination of naval and military information in the hands of the parliamentary representatives of the people“, schlossen die londoner Verleger, „instead of empowering government departments, who are proverbially adverse to criticism, to set in motion a secret legislative authority armed with extraordinary and penal powers.“232 damit war das gesetz gestorben, ob229 230 231

232

Zum cid siehe Franklyn, defence. protokoll der 93. Sitzung des cid am 13. november 190, kopie in: tna, adm 11/1058. Zum Verlauf der Verhandlungen und dem Widerstand innerhalb der newspaper Society siehe die korrespondenz zwischen cid, admiralität und kriegsministerium, ebd., sowie Morris, Scaremongers, S. 150–5. das manifest der londoner Verleger wird zitiert im Schreiben des präsidenten der newspaper Society, p. r. glover, an die lords der admiralität, 30. april 1908, tna, adm 11/1058.

d) Die Probleme britischer Flottenwerbung

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wohl die Fachleute in den ministerien noch eine Weile an modifizierten entwürfen bastelten und im Jahr 1911 einige ergänzungen zum official Secrets act von 1889 verabschiedet wurden, die einzelne gedanken aus dem gescheiterten Vorhaben aufgriffen.233 trotz ihres Widerstands sahen viele der londoner Verleger durchaus die notwendigkeit, regularien für die publikation sensiblen nachrichtenmaterials in kriegs- oder krisenzeiten zu entwickeln. die anleitung der presse im krieg, schrieb northcliffe an kriegsminister haldane, sei beinahe ebenso wichtig wie die lenkung der truppen. das hätten moltke, roon und Bismarck schon 180/1 bewiesen, als das moderne Zeitungswesen noch in seinen kinderschuhen steckte.234 Vor dem aufstieg der „durchorganisierten nationen“ habe die britische regierung nur auf die Times und die rothschilds achten müssen, wenn es galt den internationalen informationsfluss zu überwachen; heute gebe sein unternehmen allein täglich so viel für nachrichtenbeschaffung aus wie diese älteren organisationen in einem ganzen monat. kurz: die Branche habe sich derart weiterentwickelt, dass auch drastische Änderungen im Zensurwesen unumgänglich geworden seien.235 Zwei Zusammenhänge waren es in northcliffes augen, die regierung und Verwaltung nicht begriffen: erstens unterschätzten sie die Bedeutung von nachrichtentransfers über landesgrenzen hinweg und überschätzten damit die möglichkeiten nationaler regierungen, den heimischen Zeitungen informationen vorzuenthalten; zweitens müssten sie verstehen, dass die presse nichts gegen Zensurmaßnahmen einzuwenden habe, solange die Zensoren professionelle medienfachleute mit einem gespür für die regeln der Branche seien und nicht wie im Burenkrieg zum Zensurdienst abbestellte armeeoffiziere, „[who] allowed dangerous messages to pass, withheld interesting but quite valueless messages, and, worst of all, interpolated the names of friends in action, in order to attract public attention to them“. als lösung schwebte northcliffe die einrichtung eines „Board of censorship“ bestehend aus gut geschulten Zensoren unmittelbar nach kriegsausbruch vor sowie die sofortige unterbrechung aller aus dem ausland nach großbritannien führenden telegrafenleitungen durch die regierung.23 in Friedenszeiten jedoch sollte sich die regierung auf das patriotische pflichtgefühl verlassen, das die britischen Verleger in der Vergangenheit in entscheidenden Situationen immer wieder unter Beweis gestellt hatten, da war man sich in Verlegerkreisen einig. northcliffe selbst hatte ein musterbeispiel dieser haltung gegeben, als er im Sommer 1908 davon absah, das „hale-interview“ kaiser Wilhelms zu publizieren, das ihm von einem Verbindungsmann in der New York Times zugespielt 233 234 235 23

Siehe das memorandum vom Sekretär an den neuen ersten lord der admiralität, W. graham greene an churchill, 1. Januar 1912, tna, adm 11/4082. northcliffe an haldane, 9. mai 1909, Bl, northcliffe papers, add. 2155. northcliffe an Strachey, 12. november 1910, hlro Str 11/4/25, Strachey papers. northcliffe an roberts, 19. Juni 1909, Bl, northcliffe papers, add. 2155.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

worden war.23 da Wilhelm ii. in seinem gespräch mit dem amerikanischen Journalisten dr. William Bayard hale am 19. Juli an Bord der Jacht „hohenzollern“ seinen antienglischen gefühlen freien lauf gelassen hatte, wäre eine Veröffentlichung ein journalistischer coup größten ausmaßes gewesen, hätte aber zugleich die ohnehin angespannten deutsch-britischen Beziehungen in bedrohlicher Weise weiter belastet.238 anstatt mit einer publikation des textes für eine publizistische Sensation zu sorgen, leitete der Verleger das dokument an den privatsekretär des außenministers weiter und empfahl, grey so rasch als möglich zu informieren. die wenigen engen mitarbeiter, die northicliffe ins Vertrauen zog, verpflichtete er zu strengstem Stillschweigen.239 das „hale-interview“ wird in der Forschung in der regel in engem inhaltlichem Zusammenhang mit dem „Daily Telegraph-interview“ interpretiert, wobei Wilhelms englandfeindliche Äußerungen gegenüber dem amerikanischen Journalisten mit dem probritischen tenor des Telegraph-textes kontrastiert werden, meist mit dem Ziel zu zeigen, „dass nach den militanten antienglischen auslassungen des kaisers gegenüber hale dessen emphatische Freundschaftsbeteuerungen für england völlig unglaubwürdig klangen, dem obersten repräsentanten des reiches also ein unverantwortliche doppelzüngigkeit vorgehalten werden musste“.240 Für eine analyse des Verhältnisses von Öffentlichkeit und diplomatie sind zwei andere gesichtspunkte mindestens ebenso wichtig: erstens die geschwindigkeit, mit der sich die kunde von dem interview in der ganzen diplomatischen Welt verbreitete, allen Bemühungen des deutschen auswärtigen amtes zum trotz, den text zu unterdrücken; und zweitens die tatsache, dass trotz dieses hohen Bekanntheitsgrades in diplomatischen kreisen kaum etwas an die Öffentlichkeit drang. tatsächlich wurde der inhalt des „interviews“ innerhalb weniger monate, nachdem northcliffe das Foreign office informiert hatte, auch könig edward Vii., dem ehemaligen premierminister rosebery, beinahe allen britischen Botschaftern, dem amerikanischen präsidenten roosevelt, dem japanischen Botschafter in england sowie dem schwedischen könig bekannt.241 Weder die deutsche noch die britische und amerikanische presse hingegen kamen über Spekulationen und mutmaßungen hinaus.242 insofern demonstrierte die hale-affäre einerseits die richtigkeit von northclif-

23

238 239 240 241 242

anonymus an northcliffe, o. d. [anfang august 1908], anlage zu northcliffe an tyrrell, 21. august 1908, tna, Fo 31/41, Bl. 499–501; abgedruckt in: Winzen (hrsg.), abgrund, S. 343–4. Vgl. ebd., S. 8–88; Menning und Menning, allegations; Fischer, exzesse. northcliffe an tyrrell, 21. august 1908, tna, Fo 31/41, Bl. 499–501; northcliffe an arthur mee, 23. august 1908, Bl, northcliffe papers, add. 2183. Winzen (hrsg.), abgrund, S. 89. Menning und Menning, allegations, S. 30; Winzen (hrsg.), abgrund, S. 9–82. Vgl. Winzen (hrsg.), abgrund, S. 9–83, der neben der britischen Morning Post auch die B. Z. am Mittag und das Berliner Tageblatt sowie die New York World als Blätter erwähnt, die von der angelegenheit Wind bekommen hatten, aber nichts genaues in erfahrung bringen konnten.

d) Die Probleme britischer Flottenwerbung

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fes Behauptung, „[that] governments cannot prevent news reaching newspapers“.243 Sie machte andererseits aber auch deutlich, wie erfolgreich der appell an den patriotismus britischer Zeitungsverleger sein konnte, aus übergeordneten gesichtspunkten des nationalen interesses heraus, bestimmte nachrichten zu unterdrücken.244 obwohl – oder gerade weil – die britische regierung nicht in das redaktionelle tagesgeschäft eingriff, konnte sie in ausnahmesituationen erfolgreich intervenieren. Vor dem hintergrund dieser aus Sicht der britischen autoritäten positiven erfahrung knüpften admiralität und kriegsministerium im Jahr 1912 noch einmal an ihre Bemühungen an, im einvernehmen mit der presse Verfahrensweisen auszuhandeln, wie im krisenfall die publikation staatsgefährdender nachrichten verhindert werden konnte.245 anders als ein halbes Jahrzehnt zuvor strebte man keine gesetzliche regelung mehr an, sondern die etablierung informeller kontrollgremien, über die sich presseleute und regierungsstellen in notsituationen miteinander ins Benehmen setzen und Verhaltensrichtlinien festlegen konnten. Zu diesem Zweck wurde ein Zentralkomitee gebildet, das die gesamte britische Zeitungspresse vertrat und in direkter Verbindung mit admiralität und kriegsministerium stand: Sollten es die beiden ministerien in einer außenpolitischen krise für notwendig erachten, dass bestimmte informationen nicht publik wurden, konnten sie fortan dieses komitee einberufen, das dann seinerseits nach prüfung der Sachlage die notwendigen geheimhaltungsmaßnahmen veranlassen würde.24 Bei den Verhandlungen standen zwei probleme im mittelpunkt: die presse wollte die unparteilichkeit der amtlichen Stellen gewährleistet wissen und der systematischen Bevorzugung einiger Blätter durch bestimmte regierungsorgane ein ende bereiten. admiralität und kriegsministerium klagten immer noch über die existenz irregulärer kanäle, durch die vertrauliche information an die presse flossen. „this causes and always has caused much uneasiness to the authorities“, konstatierte der Stellvertretende Sekretär des kriegsministeriums, der auf regierungsseite bei den Verhandlungen federführend war, „but if the editors act up to their recent undertakings the market for contraband of this sort – of at least the really important kind – will gradually be closed.“24 mit dieser lösung, so hoffte man, blieben die Vorzüge des Systems der informellen pressepolitik gewahrt, während zugleich den exzessen irregulärer indiskretionen ein riegel vorgeschoben wurde. 243 244

245 24 24

northcliffe an Strachey, 12. november 1910, hlro Strachey papers, Str 11/4/25. „You rendered a real service to the nation“, schrieb kriegsminister haldane Jahre später an northcliffe, „when you succeeded in suppressing the american interview“; haldane an northcliffe, 1. Juli 1912, Bl, northcliffe papers, add. 2155. Siehe dazu die korrespondenz und memoranden in tna, adm 11/4082. greene an churchill, . november 1912, ebd. Vgl. zum Joint committee of admiralty, War office and press representatives auch Rose, aspects, S. 12. memorandum von r. h. Brade, assistant Secretary im War office, 9. Januar 1913, tna, adm 11/4082.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

e) Pressepolitik in der Zweiten Marokkorkrise ein musterbeispiel für die unterschiedlichen Funktionsweisen deutscher und britischer pressepolitik bildete die zweite marokkokrise vom Sommer 1911. der deutsche außenstaatssekretär alfred von kiderlen-Wächter spekulierte, dass die landung des kanonenboots „panther“ in der marokkanischen hafenstadt agadir, mit der das deutsche reich am 1. Juli auf die Besetzung von Fez durch französische truppen reagierte, als machtpolitische „demonstration der Stärke“ in der nationalistisch aufgeheizten deutschen presse populär sein würde; dieses Vorgehen sollte die deutsche Verhandlungsposition gegenüber Frankreich stärken und dem reich einen lange entbehrten außenpolitischen erfolg einbringen.248 auch im britischen kalkül spielte die presse eine zentrale rolle, wie die ansprache von lloyd george am 22. Juli im londoner mansion house deutlich machte. in dieser rede sprach der Schatzkanzler eine öffentliche Warnung an die reichsführung aus, großbritannien werde im marokkokonflikt an der Seite des Entente-partners stehen.249 obwohl deutschland in der rede mit keiner Silbe erwähnt wurde, waren die Worte mit Bedacht gewählt, ein starkes echo in der britischen presse hervorzurufen. mit Blick auf das Verhältnis von diplomatie und presse bestand der bemerkenswerte aspekt dieses Vorgehens darin, dass sich die britische Führung zu einem Zeitpunkt zum Schritt an die Öffentlichkeit entschied, als die diplomatischen möglichkeiten noch lange nicht ausgereizt waren, da deutschland und Frankreich erst am anfang langwieriger Verhandlungen über marokko und mögliche kompensationen im kongo standen.250 der entscheidende unterschied zwischen der deutschen und der britischen publizitätsstrategie ist darin zu sehen, dass letztere funktionierte während erstere scheiterte. die britischen Zeitungen, die sich bis dahin kaum für die außenpolitische krise in nordwestafrika interessiert hatten und fast ausschließlich mit innenpolitischen problemen befasst gewesen waren, stellten sich geschlossen hinter die regierung.251 die hauptaufgabe bestehe darin, schrieb der leiter des 248

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Oncken, panthersprung, S. 419. Zur reaktion der deutschen Zeitungen und kiderlenWächters pressepolitik siehe Meyer, tat, S. 18–211; Wernecke, Wille, S. 2–40; zu kiderlen-Wächters außenpolitik vgl. Forsbach, kiderlen-Wächter, 2 Bde., passim. Zur entstehungsgeschichte vgl. die memoiren der drei Beteiligten, die darin übereinstimmen, dass die initiative vom Schatzkanzler ausging; siehe Lloyd George, War memoirs, Bd. 1, S. 2–; Grey, Years, Bd. 1, S. 224–5; Asquith, genesis, S. 93–4. Siehe auch Cosgrove, note; Dockrill, policy. Worüber die Briten aus paris auch genau informiert waren; vgl. grey an goschen, 25. Juli 1911, Bd, Bd.  i, nr. 419, S. 51–2; metternich an aa, 25. Juli 1911, gp, Bd. 29, nr. 102, S. 213. die Times nannte lloyd georges Worte „clear, decisive, statesmanlike“, sprach vom deutschen Verlangen nach unbeschränkter Vorherrschaft in europa und äußerte die hoffnung, die rede werde Berlins Forderungen auf ein vernünftiges maß reduzieren. der liberale Daily Chronicle erklärte drohend: „Britain Warns germany – national honour is at Stake“. Selbst die schärfste kritikerin von greys außenpolitik, die radikalliberale Daily

e) Pressepolitik in der Zweiten Marokkorkrise

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außenpolitischen ressorts der Times an seinen Berlin-korrespondenten, „to defend our interests and strengthen the entente by demonstrating our loyalty to it. there, as our leaders have shown, we are all at one.“252 das einvernehmen der britischen Zeitungen war kein Zufall, sondern ergebnis kluger pressepolitik. Schon vor der mansion house-rede war der Times eine auflistung der deutschen Forderungen an Frankreich zugespielt worden, deren Veröffentlichung am 20. Juli zahlreiche unfreundliche kommentare in den britischen Zeitungen auslöste.253 der Schatzkanzler sorgte zudem dafür, dass den reportern, die über seine rede berichteten, die entscheidenden passagen des textes vorab vorlagen.254 Skeptische publizisten wie charles p. Scott vom Manchester Guardian wurden bedrängt, ihre Vorbehalte gegen eine rückhaltlose unterstützung Frankreichs im nationalen interesse hintanzustellen.255 nachdem auch bei der außenpolitischen debatte im unterhaus am 2. Juli kaum Widerspruch laut wurde, konnte der ständige unterstaatssekretär im Foreign office, Sir arthur nicolson, zufrieden feststellen, in allen Schichten der Öffentlichkeit zeige sich eine vollkommen einmütige Stimmung.25 in der deutschen presse lösten die britischen Zeitungsberichte über die mansion house-rede in einer art kettenreaktion eine stufenweise Steigerung des englandhasses aus, der gegenüber sich kiderlen-Wächters pressepolitik zunehmend hilflos zeigte. der außenstaatssekretär besaß kein interesse daran, die britische regierung in den konflikt um marokko hineinzuziehen; er strebte im gegenteil ebenso wie kanzler Bethmann hollweg langfristig einen ausgleich mit england an.25 daher wurde die semi-offizielle presse instruiert, lloyd georges Äußerungen herunterzuspielen, jede gegen deutschland gerichtete Spitze abzustreiten.258 als sich diese deutung nach den kommentaren der bri-

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News, behauptete, „that when mr. lloyd george spoke on Friday he spoke for the nation“; Times und Daily Chronicle vom 22. Juli 1911; Daily News vom 24. Juli 1911. Braham an mackenzie, . Juli 1913, nia, Braham papers. Times vom 20. Juli 1911. die wahrscheinlichste Quelle der information war das britische Foreign office, siehe Schön an Bethmann hollweg, 21. Juli 1911, gp, Bd. 29, S. 205; hot Bd. 3, S. 99–00. dafür spricht die fast wortgleiche Wiedergabe der passage in der Times, dem Daily Chronicle und anderen Blättern; so schon Hale, publicity, S. 389, Fn. 44. nicht nur lloyd george, sondern auch asquith, churchill und grey sorgten dafür, dass sie am tag nach der mansion house-rede gelegenheit hatten mit Scott zusammenzutreffen; siehe Scotts tagebucheinträge vom 22. und 25. Juli 1911, guardian archives 133, teilweise abgedruckt in Scott, diaries, S. 4–. Vgl. Hammond, Scott, S. 153–3. nicolson an Buchanan, 1. august 1911, abgedruckt in: Bd, Bd.  ii, nr. 493, S. 4. Selbst die abgeordneten der labour-gruppe vermieden es, die regierung zu attackieren. keine europäische macht solle glauben, erklärte ihr Sprecher, ramsay macdonald, dass parteistreitigkeiten den geist nationaler eintracht in england schwächen würden.; hansard V, Bd. 28, Sp. 182 ff. Vgl. Forsbach, kiderlen-Wächter. Siehe Schiemanns kommentar in der Kreuzzeitung nr. 345 vom 2. Juli 1911; ähnlich der Berliner Lokal-Anzeiger nr. 39 vom 22. Juli 1911; Kölnische Zeitung nr. 819 vom 23. Juli 1911; weitere Belege bei Hale, publicity, S. 394; Wernecke, Wille, S. 59–0.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

tischen Zeitungen nicht mehr aufrechterhalten ließ, ging die regierungsnahe presse dazu über, sich „ein solches unberufenes einmischen eines fremden Staatsmannes in dinge, die ihn nichts angehen“, zu verbitten.259 Wenn kiderlen-Wächter gehofft hatte, der erbitterung der deutschen Zeitungen mit diesen Stellungnahmen die Spitze zu nehmen, sah er sich getäuscht. Während die linksliberale presse eher indigniert als erbost reagierte, attackierten die katholischen Zeitungen das britische eingreifen in scharfer Form.20 die nationalliberalen, alldeutschen und die meisten konservativen Blätter schäumten vor Wut. Von einem zweiten „olmütz“ war die rede – in anspielung auf die olmützer punktation von 1850, als preußens Führung einem krieg mit Österreich aus dem Weg gegangen war und statt dessen einen von vielen als demütigend angesehenen Vertrag unterzeichnet hatte.21 andere bemühten den Vergleich mit Frankreichs Zurückweichen vor england in nordafrika 13 Jahre zuvor und forderten, „agadir“ dürfe nicht zum deutschen „Faschoda“ werden.22 mit derartigen historischen analogien war die mehr oder weniger direkte aufforderung an den kaiser, Bethmann hollweg und kiderlen-Wächter verbunden, diesmal einer bewaffneten auseinandersetzung nicht auszuweichen, die Zuspitzung des konflikts zu suchen, sei es auch um den preis eines europäischen krieges.23 den Briten blieb der ausbruch des Volkszorns in deutschland nicht verborgen. Jeder nerv in deutschland sei angespannt, berichtete der britische generalkonsul in Frankfurt, um sich für den krieg gegen england zu rüsten; die gesamte Bevölkerung stehe geschlossen hinter der regierung.24 dem britischen Botschafter in Berlin versicherten seine wenigen verbliebenen englandfreundlichen Bekannten, „that they [had] never known the feeling of irritation against england so strong and so widely spread as it is at present“.25 man könne, behauptete graf Bernstorff gegenüber dem Daily Mail-korrespondenten Wile, den hass auf england gar nicht überschätzen, der sich in deutschland als Folge der marokkokrise verbreitet habe. die Feindschaft sei „universal and widespread“ und werde von der ganzen nation geteilt. eine ähnlich aufgeladene atmosphäre 259

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Kölnische Zeitung nr. 830 vom 2. Juli 1911. der Berliner Lokal-Anzeiger verbreitete, dass an der Festigkeit des auswärtigen amtes alle englischen und französischen einschüchterungsversuche wirkungslos abprallten, da es von der öffentlichen meinung in deutschland einmütig unterstützt werde; Berliner Lokal-Anzeiger nr. 3 vom 2. Juli 1911. Für die fortschrittliche presse siehe Frankfurter Zeitung nr. 203 vom 24. Juli 1911; Berliner Tageblatt nr. 33 vom 25. Juli 1911; Vossische Zeitung nr. 35 vom 2. Juli 1911. Für die katholische presse siehe Germania vom 2. Juli 1911; Kölnische Volkszeitung nr. 32, 34 vom 25. und 2. Juli 1911. Tag nr. 1, 29. Juli 1911; Post nr. 32, 4. august 1911; siehe Wernecke, Wille, S. 2–3, 0–1. Münchener Neueste Nachrichten nr. 31, 32 vom 4. august 1911; Schwäbischer Merkur nr. 350, 355, 32, 31. Juli, 2., . august 1911; Alldeutsche Blätter nr. 35, 2. September 1911; vgl. Hale, publicity, S. 398. Rheinisch-Westfälische Zeitung nr. 82 vom 2. Juli 1911; Post nr. 32 vom 4. august 1911; ähnlich auch harden in der Zukunft Bd.  vom 5. august 1911. aufzeichnung crowes vom 25. September 1911, tna, Fo 31/132, Bl. 422–4. goschen an nicolson (privat), 12. Januar 1912, tna, Fo 31/133, Bl. 11–9.

e) Pressepolitik in der Zweiten Marokkorkrise

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hatte es nach Bernstorffs einschätzung seit den tagen des Burenkriegs nicht gegeben: germans of all classes are now convinced that england’s hostility to germany is deepseated and irremovable. […] as an indication of the state of feeling in the highest german circles, Bernstorff told me that when he was dining with the kaiser the other night, the speech of lloyd-george was the topic of conversation, and the consensus of opinion was that the speech was as provocative an affront to german honor as was the telegram of napoleon iii, which precipitated the Franco-german War. other personages at the table expressed the view that germany ought to have gone to war with england to avenge lloyd-george’s insult. not having done so, the consequent humiliation would leave its sting for many a year.2

in london war man sich bewusst, dass der Zorn der deutschen Öffentlichkeit einen nicht zu vernachlässigenden Faktor der politischen konstellation darstellte. Schon am 2. Juli bemerkte kriegsminister haldane gegenüber Spender von der Westminster Gazette, die aufregung, die sich in deutschland breit mache, sei eine ernstzunehmende gefahrenquelle.2 noch am abend desselben tages ließ die regierung durch reuters eine amtliche Stellungnahme verbreiten, es sei nichts geschehen, was die diplomatischen gespräche zwischen Berlin und paris stören könne; großbritannien habe nicht die absicht, sich aktiv in die Verhandlungen einzuschalten. am nachmittag des 2. Juli wiederholte asquith diese position noch einmal in einem redebeitrag im unterhaus, der mindestens so sehr für deutsche wie für englische ohren bestimmt war.28 mit der eigenen presse hatte die britische regierung kaum Schwierigkeiten. die deutsche pressekampagne vom august und September sei glücklicherweise von den englischen Zeitungen kaum beachtet worden, konstatierte Spender in der Westminster Gazette zufrieden, „and, still more fortunately, there was little or no answering back on this side“.29 die aufmerksamkeit der britischen Blätter richtete sich weiter vornehmlich auf innenpolitische probleme wie die oberhausreform und die auseinandersetzungen mit den gewerkschaften.20 Selbst notorische deutschlandfeinde wie maxse und Wilson fanden es besser, allzu aggressive artikel über die marokkofrage abzumildern.21 die aufmerksamkeit, die man der auseinandersetzung um marokko nach der mansion house-rede kurzfristig geschenkt hatte, blieb episode – nicht zuletzt deshalb, weil sich auf dem höhepunkt der diplomatischen konfrontation im September die mechanismen informeller Fühlungnahme und des appells an das patriotische Verantwortungsgefühl der Verleger bewährten. northcliffe etwa fand sich offenbar 2 2 28

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Wile an northcliffe, 15. november 1911, Bl, northcliffe papers, add. 220. haldane an Spender, 2. Juli 1911, Bl, Spender papers, add. 4390. Vgl. gp, Bd. 29, S. 221–4; Bd, Bd.  i, S. 3–. Zur skeptischen reaktion der deutschen presse siehe BZ am Mittag nr. 15 vom 28. Juli 1911; Berliner Lokal-Anzeiger nr. 38, 39 vom 2., 28. Juli 1911; Berliner Tageblatt nr. 39 vom 28. Juli 1911. Westminster Gazette vom 4. dezember 1911. Vgl. Morris, radicalism, S. 251. Wilson an maxse, 22. Juli 1911, WSro, maxse papers 43, Bl. 110.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

dazu bereit, eine freiwillige Selbstzensur über seine Blätter zu verhängen, und gab sein einverständnis, „to print nothing to fan the war spirit“.22 auf ein ähnliches entgegenkommen der deutschen presse hoffte kiderlenWächter vergebens. Seine verspäteten Versuche, Beruhigung in die deutsche presse zu bringen, blieben fruchtlos.23 dass sich in deutschland die veröffentlichte meinung in der marokkofrage von der amtlichen politik abkoppelte, während presse und politik in großbritannien während dieser Wochen erfolgreich kooperierten, hing teilweise mit der persönlichkeit des deutschen außenstaatssekretärs und den spezifischen umständen im Sommer und herbst 1911 zusammen.24 anders als in england gab es in deutschland während dieser Wochen keine drängenden innenpolitischen probleme, um die Bevölkerung von der Beschäftigung mit dem marokkoproblem abzulenken, das die regierung durch die entsendung der „panther“ selbst ins Zentrum der allgemeinen aufmerksamkeit katapultiert hatte. Zudem hatte kiderlen-Wächter nach seiner Berufung an die Spitze des auswärtigen amtes die kompetenzen von hammanns presseapparat beschnitten, so dass die Fühlungnahme mit den deutschen Zeitungen weniger routiniert erfolgte als üblich.25 im gegensatz zu lloyd george, asquith und grey, die gezielt mit strategisch wichtigen Zeitungen kontakt aufnahmen, vertraute kiderlen bei seinen Verbindungen zur presse auf zufällige Bekanntschaften.2 eine pressepolitik, die wie die deutsche traditionsgemäß auf die effizienz der mit der presselenkung betrauten Bürokratie setzte, reagierte auf eine derartige Störung der gewohnten abläufe besonders anfällig. es griffe jedoch zu kurz, das Scheitern der deutschen pressepolitik in der agadirkrise allein mit bürokratischen unzulänglichkeiten erklären zu wollen. die Schwierigkeiten und dilemmata reichten tiefer. Zum einen erwies sich das parlamentarische regierungssystem englands gegenüber dem monarchischen konstitutionalismus des deutschen reiches als flexibler und effizienter bei der koordinierung von veröffentlichter meinung und außenpolitik. die schärfsten gegner von greys außenpolitik im lager der radikalliberalen und der arbeiterbewegung hielten sich mit Widerspruch nicht zuletzt deshalb zurück, weil sie den Bestand der liberalen regierung nicht gefährden, eine machtübernahme der konservativen partei verhindern wollten – gerade in einer Situation, die ihnen als nationale notlage erscheinen musste.2 in deutschland hingegen, wo das Überleben der regierung nicht derart eng an das parlament gekoppelt war, 22

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eine entsprechende anordnung northcliffes wird von seinen Biographen zitiert, konnte aber im nachlass nicht mehr aufgefunden werden; Pound und Harmsworth, northcliffe, S. 423. Vgl. Meyer, tat, S. 24–9. der Begriff von der „abkoppelung“ der öffentlichen meinung von der amtlichen politik ist entlehnt von Meyer, tat, S. 249. Siehe kapitel 2.a). Vgl. Forsbach, kiderlen-Wächter, Bd. 1, S. 31–9. darunter Schriftleiter eher randständiger Blätter wie ernst Jäckh von der Neckar-Zeitung oder max Jäenecke vom Hannoverschen Courier; Meyer, tat, S. 138–9. Vgl. Morris, radicalism, S. 251.

f) Die Auseinandersetzung um die Flottennovelle

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brauchten die nationalliberalen und konservativen kritiker eines kompromisses mit Frankreich nicht zu fürchten, dass ihre publizistischen attacken gegen kiderlen, den kanzler und den kaiser eine machtübertragung an die oppositionsparteien im reichstag zur Folge haben könnte. entsprechend hemmungslos fielen ihre angriffe auf die amtliche marokkopolitik aus.28 Zum anderen krankte kiderlen-Wächters Strategie an einer fundamentalen Fehleinschätzung der eskalationsmechanismen, denen außenpolitische krisen im Zeitalter der massenkommunikation unterlagen. der außenstaatssekretär glaubte, die veröffentlichte meinung im reich mit hilfe des „panthersprungs“ erst anheizen und auf seine Seite ziehen, die anschließenden Verhandlungen mit Frankreich aber „ohne hitzige Begleitmusik aus den rotationspressen“ im Stile klassischer geheimdiplomatie führen zu können.29 noch widersprüchlicher wurde kiderlen-Wächters politik dadurch, dass sie einerseits auf geheimverhandlungen mit dem Quai d’orsay setzte, andererseits aber die empörung der deutschen presse als zusätzliches druckmittel bei diesen Verhandlungen zu instrumentalisieren gedachte. der reichstagsabgeordnete eugen Schiffer, mit dem kiderlen im august kontakt aufnahm, um eine mäßigung der nationalliberalen presse zu erwirken, brachte das dilemma auf den punkt. gelinge es, bemerkte er, den Stimmungsthermometer im Volk, zumal in der presse, soweit herabzudrücken, dass man den gedanken auf landerwerb in marokko selbst aufgebe, so erschwere man die Verhandlungen mit Frankreich, „das hierin ein erlahmen unserer tatkraft sehen würde; und gelingt es nicht, so entfesselt man beim Bekanntwerden dessen, was wirklich erreicht wird, einen Sturm der enttäuschung, der nicht bloß den leitenden persönlichkeiten, sondern auch der monarchie und der nation sehr gefährlich werden kann“.280

f) Die Auseinandersetzung um die Flottennovelle 1911/1912 an die agadirkrise schloss sich ein innerministerieller machtkampf an, der ähnlich wie in großbritannien mit hilfe der presse und durch die gezielte lancierung geheimer informationen an die Öffentlichkeit ausgetragen wurde. das reichsmarineamt unter tirpitz nutzte die nationalistisch gegen großbritannien aufgeheizte Stimmung, um eine weitere novelle zum Flottenbauprogramm vorzulegen, nachdem man dort noch wenige Wochen zuvor nicht mehr daran geglaubt hatte, öffentlichen rückenwind für eine über die regelungen von 1908 hinausgehende erweiterung der Seerüstung zu erhalten.281 Zugleich nahm in tirpitz’ augen der Zeitdruck zu, weil man die unerwartet günstige Stimmung in 28 29 280 281

Vgl. die entsprechenden klagen von Bethmann Hollweg, Betrachtungen, 1. teil, S. 99. Meyer, tat, S. 30. Schiffer an hutten czapski, 19. august 1911, Ba lichterfelde, nl 212, hutten czapski, 23, Bl. 34–5. Siehe Deist, Flottenpolitik, S. 2–9; Epkenhans, Flottenrüstung, S. 93–.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

presse und öffentlicher meinung nicht ungenutzt verstreichen lassen durfte. die marokkoangelegenheit nehme eine Wendung, wie er sie schon immer für wahrscheinlich gehalten habe, schrieb tirpitz anfang august an seinen vertrauten mitarbeiter eduard von capelle: „Sind wir dabei stärker blamiert, so ergibt das eine gewaltige entrüstung. die möglichkeit einer novelle rückt damit näher. [...] andererseits kann der Sturm der öffentl[ichen] meinung sehr stark werden u[nd] wir können in gefahr kommen, den moment zu verpassen, wenn wir bis 1913 warten.“282 entsprechend zielstrebig ging der admiral zu Werke, als er kaiser und reichskanzler ende august vorschlug, die novelle noch im oktober im reichstag einzubringen und sie damit nicht nur zum gegenstand parlamentarischer diskussionen und pressedebatten, sondern auch zu einem Zentralthema des anfang 1912 anstehenden reichstagswahlkampfes zu machen. Zugleich brachte er die Formel von der 2:3-relation als neu festzulegender Zielvorgabe der deutschen und britischen Flottenstärken ins Spiel, von der er sich nicht zuletzt eine Vergrößerung der propagandistischen erfolgschancen versprach. denn nur ein derartiges Schlagwort besitze „genügende agitationskraft“, um die durchsetzung des plans in der Öffentlichkeit zu gewährleisten, während es zugleich das gerede vom „Wettbauen“ beende und der novelle dadurch „in d[er] öffentl[ichen] meinung beider länder [die] politisch gefährliche Spitze abgebrochen“ werde.283 trotz – oder gerade wegen – dieser Überlegungen traf tirpitz mit seinem Vorhaben auf breiten Widerstand in der reichsführung: von Seiten der militärs sowie der chefs von marinekabinett, admiralität und hochseeflotte, die allesamt eine heeresverstärkung für wichtiger hielten, über den Staatssekretär des reichsschatzamtes, der sich gegen jede finanziell ungedeckte novelle wehrte, bis zum reichskanzler und dem auswärtigen amt, die nicht ohne grund verheerende auswirkungen für die deutsch-britischen Beziehungen befürchteten.284 der konkrete inhalt der vom oktober 1911 bis in den märz 1912 erbittert geführten auseinandersetzungen innerhalb der regierung, bei denen Bethmann hollweg das reichsmarineamt Stück für Stück von dessen weit gefassten plänen herunterhandelte, ohne die novelle völlig verhindern zu können, ist hier weniger wichtig als die pressepolitische Begleitmusik. denn das reichsmarineamt bemühte sich im herbst und Winter 1911/2 nach kräften, den fehlenden rückhalt innerhalb der regierung durch eine mobilisierung der Öffentlichkeit wettzumachen und auf diesem Wege den druck auf den reichskanzler zu erhöhen. Zwar sah man von direkten propagandistischen aktionen für die Flottennovelle ab, die unmittelbar zum nachrichtenbureau des rma hätten zurückver282 283 284

tirpitz an capelle, 3. august 1911, zitiert nach: Deist, Flottenpolitik, S. 29. aufzeichnung tirpitz’ für seinen immediatvortrag beim kaiser am 2. august 1911, zitiert nach: Epkenhans, Flottenrüstung, S. 99; Tirpitz, dokumente, Bd. 1, S. 213–5. Vgl. den Bericht von oppenheimer an crowe, 8. april 1912, tna, Fo 31/131, Bl. 19; zum hintergrund siehe Epkenhans, Flottenrüstung, S. 99–111; Deist, Flottenpolitik, S. 22–9.

f) Die Auseinandersetzung um die Flottennovelle

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folgt werden können, wohl damit man sich dort nicht dem Vorwurf offener illoyalität gegenüber dem reichskanzler aussetzte. dafür waren tirpitz’ pressepolitiker umso aktiver dabei, indirekt Werbung für die gesetzesinitiative zu machen, indem sie Zeitungsartikel, Broschüren und Vorträge ermunterten, die in den düstersten Farben die englische gefahr schilderten. ende oktober unternahm kapitän zur See hollweg als Vorstand des nachrichtenbureaus den Versuch, maximilian harden in zwei anonymen Schreiben für eine forcierte Flottenrüstung zu gewinnen. Wenige Wochen später lancierte er einen artikel aus der Feder seines mitarbeiters kapitänleutnants gerhard von Jansons in der Leipziger Illustrierten Zeitung, in dem es unter der Überschrift „Bestand im vergangenen Sommer und herbst die gefahr eines Seekrieges?“ darum ging, den eindruck zu schüren, dass im Zuge der agadirkrise tatsächlich die akute gefahr eines britischen angriffs bestanden hätte.285 in der dezember-nummer der Zeitschrift Daheim erschien ein artikel aus der Feder otto von gottbergs, eines beim Berliner Lokalanzeiger beschäftigten Journalisten, in dem der autor ausdrücklich für ein kräfteverhältnis von 2:3 zwischen deutscher und britischer Flotte warb; und der alldeutsche marinepublizist graf reventlow propagierte im Februar in einer artikelserie in der Deutschen Tageszeitung ebenfalls das Schlagwort von der 2:3-relation.28 am meisten aufsehen erregte eine unter dem pseudonym „lookout“ publizierte Broschüre mit dem titel Englands Weltherrschaft und die deutsche Luxusflotte, in der es hieß, die marokkokrise dürfe nicht „zum Wendepunkt für eine politik nach rückwärts gemacht werden“, weswegen deutschland am aufbau eine Flotte festhalten solle, „die von england gefürchtet wird (2:3)“.28 diese vom reichsmarineamt gelenkte abfolge von publikationen in verschiedenen organen der anglophoben rechten vertraute darauf, dass die fraglichen artikel in gewohnter Weise breit in den anderen einschlägigen Blättern zitiert und kommentiert würden – was auch in Zeitungen wie der Täglichen Rundschau, der Post und den Berliner Neuesten Nachrichten prompt geschah.288 Zusätzlich ließ das reichsmarineamt sein material gezielt korrespondenten britischer Blätter in Berlin zukommen. So teilte etwa von gottberg dem korrespondenten der Daily Mail, Frederick Wile, ungefragt mit, dass die im Daheimartikel enthaltenen ansichten sich bis ins detail mit der meinung admiral tirpitz’ deckten; wenig später wurden Wile die Übersetzungsrechte der lookout-Broschüre – noch vor deren Veröffentlichung in deutschland – angeboten, mit der vielsagenden Bemerkung, „[that the] brochure, we may say, even though we may not divulge the name of the author or the source of this material, will on 285 28 28 288

Vgl. Deist, Flottenpolitik, S. 290, 293. memorandum von Wile, anlage zu granville an grey, 2. märz 1912, tna, Fo 31/131, Bl. 134–5 (Bl. 134). Zitiert nach: Deist, Flottenpolitik, S. 289–290; siehe auch memorandum von Wile, anlage zu granville an grey, 2. märz 1912, tna, Fo 31/131, Bl. 134–5. ebd., Bl. 135; siehe auch granville an grey, 2. Februar 1912, tna, Fo 31/131, Bl. 8–9.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

account of its contents arouse extraordinary interest“.289 das Ziel dieser maßnahmen bestand darin, dass die britischen korrespondenten in ihren Blättern über einen neuen englandfeindlichen Feldzug der deutschen Zeitungen berichten und auf diese Weise die deutsche presse indirekt zu weiteren ausfällen gegen großbritannien anstacheln sollten. das reichsmarineamt hatte die Wirkungsweisen deutsch-britischer „pressekriege“ mit ihren wechselseitigen eskalationsmechanismen durchschaut und versuchte, sie für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren – mit erfolg, wie es zunächst schien. mitte Februar telegrafierte der hamburger reeder alfred Ballin an den londoner Bankier ernest cassel, „that owing to the pressure brought to bear by tirpitz and the press the bringing in of the novelle is inevitable“.290 demgegenüber wirkten die Bemühungen der reichskanzlei und des auswärtigen amtes, tirpitz’ antienglische pressekampagne zu konterkarieren, zunächst defensiv und zögerlich. Bethmann hollweg beauftragte hammanns pressebüro, dem kaiser nur solche kommentare britischer Zeitungen vorlegen zu lassen, die einer Besserung des deutsch-englischen Verhältnisses das Wort redeten, wohl wissend dass das nachrichtenbureau des reichsmarineamtes dem monarchen regelmäßig artikel mit der entgegengesetzten tendenz unterbreitete und damit größeren erfolg hatte.291 Zugleich bemühte sich die Botschaft in london, wo „helle Wut über die vom r.m.a. inspirierten artikel“ herrschte, die englandkorrespondenten der deutschen Blätter auf die Sicht des auswärtigen amtes festzulegen und optimistische artikel über die erfolgsaussichten der deutsch-englischen Verständigungsbemühungen zu veranlassen. mitunter reichten die auseinandersetzungen der beiden in entgegengesetzte richtungen agitierenden pressebüros bis in einzelne deutsche Zeitungen hinein, wo die amtlichen Frontverläufe sich auf redaktioneller ebene widerspiegelten – etwa wenn sich der london-korrespondent der Münchener Neuesten Nachrichten, otto gaupp, bei seiner heimatredaktion beklagte, dass man dort seine informationen über die englische entspannungsbereitschaft und deutschfreundlichkeit nicht genügend würdige und sich statt dessen von den „skrupellosen hetzereien des reichs-marine-amts gegen england völlig ins Schlepptau“ nehmen lasse. die Zentrale ihrerseits warf gaupp mangelndes nationales „pflichtbewusstsein“ vor – „es ist eine Schande“ – und versicherte dem rma, dass „wir hier nicht locker lassen“ und dass man auf die „unbedingteste unterstützung durch uns hier“ zählen könne.292 289

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memorandum von Wile, anlage zu granville an grey, 2. märz 1912, tna, Fo 31/131, Bl. 134–5 (Bl. 135); siehe Wiles artikel in der Daily Mail vom 5. märz 1912 unter dem titel „german navy. the new german press campaign. england the enemy“, kopie in tna, Fo 31/131, Bl. 149–50. cassel an haldane, 12. Februar 1912, nlS, haldane papers 5909, Bl. 20. Bethmann hollweg an hammann, . november 1911, zitiert bei: Wernecke, Wille, S. 1. alle Zitate aus der abschrift des Briefes eines leitenden redakteurs der Münchener Neuesten Nachrichten an das nachrichtenbureau des rma, 14. Februar 1912, Ba-ma, rm 3/92, Bl. 138–40.

f) Die Auseinandersetzung um die Flottennovelle

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der Streit eskalierte, als das nachrichtenbureau des reichsmarineamtes anfang märz ausgewählte Journalisten der Münchener Neuesten Nachrichten, der Germania, der Kölnischen Volkszeitung und anderen Blättern über den inhalt der noch unveröffentlichten Flottenvorlage unterrichtete, woraufhin prompt ausführliche Berichte mit detaillierten angaben in einigen der inspirierten Blätter erschienen.293 Für Bethmann hollweg brachte dieser Schritt das Fass zum Überlaufen: er sprach von „rechtswidrigen indiskretionen“ und forderte von tirpitz einen ausführlichen Bericht über deren hintergründe.294 nachdem dieser eingegangen war, beschuldigte der reichskanzler die für die pressepolitik im marineamt verantwortlichen offiziere „ihre dienstpflichten schwer verletzt“, der von ihm geführten politik „ernste Schwierigkeiten bereitet und das ansehen der reichsregierung geschädigt“ zu haben. eine einheitliche Führung der reichspolitik sei unmöglich, so Bethmann hollweg, wenn in den reichsämtern entscheidende referate mit persönlichkeiten besetzt seien, die sich über die „ausdrücklichen Weisungen des höchsten reichsbeamten ohne jede rücksicht auf die von ihm verfolgte allgemeine politik“ hinwegsetzten, um lediglich den „interessen ihres ressorts einen vermeintlichen dienst“ zu erweisen. tirpitz wurde ultimativ aufgefordert, maßnahmen zu treffen, um eine „Wiederkehr derartiger Vorgänge“ ein für allemal auszuschließen.295 Zugleich ging kiderlen-Wächter publizistisch in die offensive, indem er dem hirsch’schen telegraphenbureau eine mitteilung zuspielte, in der von schweren meinungsverschiedenheiten zwischen dem auswärtigen amt und dem reichsmarineamt die rede war. insbesondere im Winter und Frühjahr 1912 habe die oberste marinebehörde die redaktionen deutscher Blätter „mit feindlichen Flugblättern und Broschüren überschwemmt“, um dadurch Stimmung für die Flottennovelle zu machen. das auswärtige amt wurde aufgefordert, „derartigen treibereien energischer Widerstand“ entgegenzusetzen; an den reichstag appellierte man, dem „missstand in der amtlichen presseorganisation“ größere aufmerksamkeit zu schenken.29 tatsächlich meldete sich wenige Wochen später der freisinnige reichstagsabgeordnete conrad haußmann in der aprilnummer der Zeitschrift März mit einem scharfen angriff auf tirpitz und sein marineamt zu Wort. haußmann machte den admiral als „mittelpunkt eines expansiven ressortgeistes und einer finanziell und international expansiven politik“ aus, die dessen ressort nicht nur auf kollisionskurs mit dem Schatzamt, sondern durch die „ausbreitung der Furcht und abneigung vor [sic] england“ auch in Widerspruch zum auswärtigen amt gebracht habe. insbesondere die systematische „Bearbeitung der öffentlichen meinung und des parlaments“ 293 294 295 29

Kölnische Volkszeitung vom . und 8. märz 1912. Bethmann hollweg an tirpitz, 12. märz 1912, Ba-ma, n 253/2, Bl. 290–1. Bethmann hollweg an tirpitz, 2. märz 1912, ebd., Bl. 303–4; siehe die vorausgehende korrespondenz innerhalb des rma, ebd., Bl. 292–300. Vgl. Deist, Flottenpolitik, S. 29–300. Zitiert nach: Berliner Neueste Nachrichten nr. 148 vom 21. märz 1912; vgl. auch Post nr. 13 vom 21. märz 1912; Deutsche Tageszeitung nr. 148 vom 21. märz 1912; Vorwärts nr, 8 vom 21. märz 1912; kopien in: Ba-ma, n 253/2, Bl. 325–8.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

durch das nachrichtenbureau kritisierte der abgeordnete als „desorganisation des öffentlichen dienstes“, weil sie die verfassungsmäßig dem Schatzamt und dem auswärtigen amt zukommenden aufgaben störe und erschwere. die „inneren garantien einer ressortmäßigen Sachkunde der reichsämter“ drohten auf diese Weise abhanden zu kommen: „darunter leiden parlament und Volk, kanzler und kaiser.“29

g) Zwischenfazit Wie in england wenige Jahre zuvor waren auch in deutschland die inneren Widersprüche der Flottenpropaganda durch kompetenzstreitigkeiten innerhalb des Staatsapparates ans licht der Öffentlichkeit gedrungen. So wie die publizistisch ausgetragene Fehde zwischen Fisher und Beresford die dilemmata der informellen pressepolitik britischer prägung offen gelegt hatte, wurden im Streit zwischen reichskanzlei, auswärtigem amt und reichsmarineamt die aporien der im deutschen reich praktizierten bürokratischen pressepolitik deutlich: die von den verschiedenen ressorts aufgebauten pressestellen entwickelten ein eigenleben, das sich im polykratischen chaos der wilhelminischen Staatsorganisation von der reichsführung immer weniger kontrollieren, geschweige denn lenken ließ. entsprechend schadenfroh betrachtete man in london das Schauspiel: „if it were not so serious“, notierte ein Beamter im Foreign office, „the speactacle of the two press bureaux pulling in opposite directions would not be devoid of humour.“298 anders als der britischen regierung gelang es der reichsleitung nicht, das problem in einer für alle Beteiligten zufriedenstellenden Weise in den griff zu bekommen. Zwar nahm Bethmann hollweg den eklat vom Frühjahr zum anlass, im Sommer 1912 eine initiative zur Vereinheitlichung der pressepolitik zu starten. geplant war, ein zentrales „preß- oder nachrichtenbüro“ in der reichskanzlei zu schaffen, zu dem pressedezernenten der einzelnen ressorts als hilfsarbeiter abbestellt werden sollten; auf diese Weise, so hoffte Bethmann hollweg, ließe sich eine „organische Verbindung“ zwischen Zentrale und Fachressorts herstellen.299 das projekt kam jedoch schon deshalb über ansätze nie hinaus, weil es den grundwiderspruch zwischen einheitlicher leitung auf der einen und unabhängigem entscheidungsspielraum der verschiedenen ressorts auf der anderen Seite nicht aufzulösen vermochte und weil außer dem auswärtigen amt keine Stelle ein interesse an der Zentralisierung hatte, die auf den Verlust

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298 299

Zitiert in: Berliner Tageblatt vom . april 1912; siehe auch den kommentar im Berliner Börsen-Courier nr. 10 vom 12. april 1912, kopien in: Ba-ma, n 253/2, Bl. 348, 35. randbemerkung von Villiers zu Bericht von goschen an grey, 25. märz 1912, tna, Fo 31/131, Bl. 151. Vgl. Vogel, organisation, S. 21–5, 80–8; Stöber, pressepolitik, S. 250–1.

g) Zwischenfazit

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eigener kompetenzen hinausgelaufen wäre. die betroffenen Staatssekretäre behandelten den von Bethmann hollweg ohne großen nachdruck betriebenen Vorstoß dilatorisch und hatten damit erfolg.300 erst unter den Zwängen des krieges gelang es, einen „pressechef beim reichskanzler“ zu etablieren.301 in großbritannien hingegen bewährten sich die gerade etablierten konsultationsmechanismen zwischen presse und Whitehall während des auch aus londoner Sicht heiklen tauziehens zwischen Bethmann hollweg und tirpitz. auf Bitte des britischen marine-attachés in Berlin, hugh Watson, verfasste der Daily Mail-korrespondent Wile ein ausführliches memorandum über die pressekampagne des reichsmarineamtes für die admiralität und das Foreign office.302 gleichzeitig verwandte er sich bei seinem Verleger dafür, die nachricht vom antienglischen pressefeldzug des deutschen marineamtes auf drängen der britischen Botschaft in Berlin zunächst nicht zu publizieren, um eine weitere eskalation zu verhindern.303 Zwar beschwerte sich northcliffe beim ersten lord der admiralität über diese Zumutung, hielt aber, wie verlangt, die nachricht mehrere tage lang zurück.304 die informellen lenkungsmechanismen britischer pressepolitik erwiesen sich somit in außenpolitischen krisenzeiten als flexibler und effektiver als die bürokratischen prozeduren in deutschland. Überhaupt fügte sich die maritime propaganda großbritanniens besser in die außen- und verteidigungspolitische gesamtstrategie des landes als die deutschen leitgedanken der Flottenwerbung, die im gegensatz zur englischen nur sehr begrenzt mit den außenpolitischen interessen des landes kompatibel waren: die britischen Flottenpropagandisten brauchten – geschützt durch die insellage und den maritimen rüstungsvorsprung ihres landes – kaum rücksichten auf deutschland zu nehmen, während sich umgekehrt das kaiserreich einen offenen konfrontationskurs gegenüber england nicht leisten konnte, auch wenn das aus agitatorischen gesichtspunkten wünschenswert gewesen wäre. dieser Zwiespalt führte zu jener eigentümlich ambivalenten pressepolitik, die Bülow schon während des Burenkrieges verfolgt hatte: Beschwichtigung der britischen und antienglische mobilisierung der deutschen Öffentlichkeit wurden simultan angestrebt – mit verheerenden ergebnissen. die prämissen von Bülows publizitätsstrategie erwiesen sich als fundamental fehlerhaft. im Zeitalter von telegraphie und telefon war es nicht mehr möglich, englische und deutsche Öffentlich300 301 302 303 304

Siehe etwa das Schreiben von tirpitz an Bethmann hollweg, 1. august 1912, Ba-ma, n253/2, Bl. 24–24; vgl. Vogel, organisation; Stöber, pressepolitik, S. 251–2. Siehe Creutz, pressepolitik, S. 231–45. memorandum von Wile, anlage zu granville an grey, 2. märz 1912, tna, Fo 31/131, Bl. 134–5; siehe auch granville an grey, 29. Februar 1912, ebd., Bl. 12–50. Wile an northcliffe, 1. märz 1912, Bl, northcliffe papers, add. 220; siehe auch Wile an marlowe, 29. Februar 1912, ebd. „Your colleagues are not particularly able in their management of the newspapers“, schrieb er an den ersten lord der admiralität. „my ‚times‘, ‚daily mail‘ and ‚evening news‘ have been really helping them the last two or three days almost against their wish“; northcliffe an churchill, 1. märz 1912, Bl, northcliffe papers, add. 215.

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5. Flottenpropaganda in Deutschland und England

keiten wirksam voneinander abzuschotten, geschweige denn auf je unterschiedliche Weise zu manipulieren. Statt die englische presse durch versöhnliche interviews friedlich zu stimmen, brachte Bülow die nationalistisch gesinnte deutsche presse gegen sich auf, während er zugleich das misstrauen breiter Segmente der britischen medien gegenüber den methoden und Zielen deutscher außenpolitik weiter vertiefte. Sieht man jedoch von diesen grundsätzlichen strategischen differenzen und unterschiedlichen pressepolitischen traditionen ab, lassen sich eine ganze reihe wichtiger Übereinstimmungen bei den mobilisierungsmethoden britischer und deutscher Flottenpropaganda während der „Zeitungskriege“ der Jahre 1904 bis 1912 feststellen. Betrachtet man beispielsweise den „kriegsschrecken“ vom Winter 1904/1905 nicht nur aus der perspektive deutscher Flottenpolitik, sondern in seiner Verflechtung mit deutscher wie britischer politik und Öffentlichkeit so ergibt sich ein komplexeres Bild als es die historische Forschung üblicherweise gezeichnet hat. Segmente der britischen Öffentlichkeit fürchteten sich vor einem künftigen deutschen Überfall ebenso wie teile der deutschen Bevölkerung vor einem unmittelbar bevorstehenden englischen angriff.305 dass derartige Sorgen sachlich unberechtigt waren, änderte nichts daran, dass sie von den Flottenpropagandisten in beiden ländern ausgenutzt wurden, um für weitere maritime rüstungsanstrengungen zu werben. in dieser hinsicht stellte die „pressefehde“ nach dem doggerbank-Zwischenfall für die britische Flottenpropaganda einen wichtigen Zwischenschritt bei der ablösung des alten französischen durch ein neues deutsches Feindbild dar. erstmals wurde die idee eines präventivschlags gegen die deutsche Flotte öffentlich diskutiert. auch wenn diese erörterung keine auswirkungen auf die strategischen planungen der royal navy hatte, trug sie doch dazu bei, dass sich der Wandel in der Wahrnehmung deutschlands weiter festsetzte und öffentliche Zustimmung für veränderte prioritäten in der Verteidigungs- wie außenpolitik gewonnen wurde. Ähnliches lässt sich auch für das deutsche reich feststellen, wo die reichsführung im Verein mit der Flottenlobby alles daran setzte, die deutsch-britischen „pressefehden“ zur Vermarktung der Seerüstung auszuschlachten. Bewusst nahm man sich diesseits wie jenseits der nordsee die methoden der kommerziellen Werbewirtschaft zum Vorbild. nicht zufällig ließen sich die großen kampagnen zur Seerüstung vor 1914 sowohl in deutschland als auch in großbritannien allesamt auf gebetsmühlenhaft vorgetragene, schlagzeilenträchtige merksprüche reduzieren: von der losung des „two power Standard“ über den Schlachtruf des „We want eight, and we won’t wait“ und die devise des „two keels to one“ von 1909 bis zur Formel vom kräfteverhältnis 3:2, mit dem die deutsche marineführung im herbst 1911 in die agitation für eine Flottennovelle starten wollte.30 derartige Vereinfachungen zielten nicht nur darauf, breite 305 30

Zur diskussion angeblicher deutscher invasionspläne im britischen Foreign office siehe kapitel  b). So auch Howard, arms race, S. 8.

g) Zwischenfazit

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unterstützung für die Seerüstung zu mobilisieren, sondern auch deren grundgedanken in Form eingängiger Slogans im alltäglichen Sprachgebrauch der Bevölkerung zu verankern. insofern trugen die „Zeitungskriege“ zu einem massenmedial verbreiteten und auch auf die populärkultur ausstrahlenden Flottenkult bei, der Fragen von macht und abschreckung mit repräsentationen kollektiver identität und nationalen prestiges verschmolz.30

30

Für großbritannien siehe Rüger, nation.

6. Die Verstärkerfunktion Der Massenpresse: Das Beispiel Des northcliffekonzerns At a moment when the public mind is excited, its nerves unstrung and its credulity omnivorous [...] the patriotic press from a vulgar love of sensational headlines and a desire to be the first to disseminate anything that can astound or appal the popular imagination [...] show an utter indifference to the correction of impressions that rest on imperfect information for the spread of which they are themselves responsible. (Sir Almeric Fitzroy: Memoirs, Bd. 1, London 1925, S. 26)

a) Die Deutschlandberichterstattung der D a i l y M a i l (1896 bis 1905) hatte die aufmerksamkeit der deutschen Diplomatie während der ersten vier oder fünf Jahre des 20. Jahrhunderts vor allem der politischen richtungspresse in Großbritannien gegolten, so richtete sie ihr augenmerk seit etwa 1904/1905 verstärkt auf das entgegengesetzte ende des pressespektrums: auf die billigen Massenzeitungen der großen pressekonzerne. im november 1904 berichtete Metternich mit missbilligendem unterton über den trend zu einer konzentration der britischen presse in wenigen händen, mit dem eine „große Verbilligung und leider auch Verpöbelung“ der zeitungen verbunden sei: „Man nennt das hier die ‚amerikanisierung‘ der presse.“1 Mit der zunehmenden Demokratisierung des englischen Volkes habe auch eine Demokratisierung seiner presse stattgefunden, hieß es in einer Übersicht der deutschen Botschaft über die englische presse. als wichtigste entwicklungstendenzen wurden ein rasches steigern der auflage und eine herabsetzung des preises ausgemacht, mit denen „leider auch eine Verschlechterung des inhalts“ einhergegangen sei. Die moderne Massenpresse sei „reizbar, unwissend und impulsiv“. sie richte ihre Veröffentlichungen danach ein, dass der eilige Mensch im omnibus und in der untergrundbahn in wenigen sekunden den inhalt überfliegen könne und habe, um breiten leserschichten zu gefallen, einen „zu tiefen kulturellen standpunkt eingenommen, tiefer als irgendeine andere presse in der Welt – die amerikanische gelbe presse vielleicht ausgenommen“.2 Diese kulturpessimistischen Überlegungen wären weniger Grund zur sorge gewesen, wenn Blätter wie die Daily Mail und der Daily Express nicht zugleich aufgrund ihres „hetzens gegen Deutschland“ unliebsam aufgefallen wären. insbesondere der name des 1 2 

Metternich an Bülow, 5. november 1904, pa-aa, england presse nr. 7, r 5621. kühlmanns Übersicht über die englische presse, 12. september 1912, england 81 nr. , r 5964. Bernstorffs aufzeichnung über die englische presselandschaft vom 9. Januar 1904, pa-aa, england 7, r 5617.

00

6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

Daily Mail-Verlegers alfred harmsworth (seit 1905 lord northcliffe) avancierte zum synonym britischer „pressetreibereien“ gegen Deutschland. ende 1905 bezeichnete ihn der kaiser gegenüber dem finanzier und kunstmäzen alfred Beit in einem atemzug mit Moberly Bell von der Times als „unsere[n] hauptgegner“ in england.4 Der london-korrespondent der Frankfurter Zeitung schrieb, die Daily Mail und andere Blätter des harmsworth-konzerns hätten „eine pilzvegetation billiger publizistik“ über england verbreitet, die sensationen aller Gattungen pflege, immer für die altenglischen „fighting instincts“ kämpfe, dem Militarismus und Jingoismus huldige: „Der einfluss dieses Journalismus auf das früher so hochstehende englische zeitungswesen ist unheilvoll.“5 Wilhelm von stumm, Dirigent der politischen abteilung im auswärtigen amt, behauptete bei einem londonbesuch im frühjahr 1909, die deutsche flottenrüstung habe die spannungen mit england zwar verschärft aber nicht ausgelöst; vielmehr reiche der britische „antagonismus“ gegen Deutschland bis zum krügertelegramm zurück und sei zum großen teil das produkt einer „systematischen hetzarbeit der Maxse und harmsworth und konsorten“.6 im folgenden soll der von stumm behauptete zusammenhang zwischen der herausbildung einer professionell hergestellten und vertriebenen britischen Massenpresse und der zeitgleichen Verschärfung des deutsch-britischen Gegensatzes am Beispiel des northcliffe-konzerns analysiert werden. Dabei kann es nicht nur darum gehen, die Deutschlandberichterstattung der verschiedenen Blätter dieses Verlagsimperiums nachzuzeichnen; es gilt auch, nach den – naturgemäß methodisch schwieriger zu fassenden – auswirkungen dieser Berichterstattung auf die Vorstellungswelt des zeitungspublikums zu fragen und mögliche rückwirkungen der veränderten Medienlandschaft auf die britische wie deutsche Diplomatie und politik zu untersuchen. tatsächlich spielten die Macher der Daily Mail in den ersten Monaten nach Gründung der zeitung im Mai 1896 gekonnt auf der klaviatur antideutscher Gefühle, die zu jener zeit in england vorherrschten. als ein Blatt, das seine leserschaft vornehmlich unter den kleinen angestellten, Buchhaltern und ladenbesitzern der großen städte suchte, griff die Daily Mail die von ernest e. Williams ausgelöste Diskussion über die deutsche handelskonkurrenz durch Dumpingpreise auf und verband sie mit der im Gefolge der aufregungen um die krügerdepesche verbreiteten antipathie gegen die kolonialen ambitionen des reichs und seines kaisers. „Germany gets, or buys, patterns of all the improvements we make, imitates them, and floods our markets at lower prices“, erklärte 4 5 6

Wilhelm ii. an Bülow, 29. Dezember 1905, Gp, Bd. 20 ii, nr. 6887, s. 694. zitiert in: Guttmann, schattenriß, s. 06. aufzeichnung stumm, 7. Mai 1909, Gp, Bd. 28, nr. 1004, s. 160. in der äußeren politik, hieß es in einem Überblick der Botschaft über die englische presse, sei die Daily Mail „Entente-freundlich und außerordentlich deutschfeindlich. Bei hetzen, namentlich in der flottenfrage, hat sie sich immer hervorgetan“; Übersicht über die englische presse, 12. september 1912, england 81 nr. , r 5964.

a) Die Deutschlandberichterstattung der Daily Mail

01

ein leitartikel im Mai 1896. schuld an dem Missstand war nach ansicht des kommentators die deutsche schutzzollpolitik in kombination mit der unverzeihlich großmütigen freihandelspolitik Großbritanniens: [Germany] can spend more in improved machinery than we can, because she can supply our market in addition to her own. […] We make colonies for Germans to trade in them, and her present fever for colonial aggrandizement is merely to find offices for executive administrations. at present she enjoys all the advantages that our colonies can afford as if they were her own, and we keep up the navy merely as the police of the seas to ensure safety of transports for German commerce.7

klagen über unfaire handelsbeziehungen wurden mit dem Vorwurf kombiniert, betrügerische deutsche handlungsgehilfen schlichen sich in britische unternehmen ein, um heimlich listen von deren kundschaft anzufertigen, Geschäftsideen und produkte auszuspionieren und an ihre auftraggeber im reich weiterzuleiten.8 sie arbeiteten billig, so der Vorwurf, weil sie heimlich von ihrem heimatland finanziert würden; sie arbeiteten gewissenhaft, weil es für sie entscheidend sei, die Details des jeweiligen Gewerbes kennen zu lernen und sich in das Vertrauen ihrer britischen arbeitgeber einzuschleichen: „But they are none the less spies, plotting against the interests of the men whose bread they eat.“ Britische arbeitgeber, die billige deutsche arbeitskräfte einstellten, so ging die argumentation weiter, zerstörten aus kurzsichtiger profitsucht ihre langfristigen erfolgsperspektiven und trugen zum wirtschaftlichen niedergang Großbritanniens bei. Deutschland sei der wichtigste handelskonkurrent der zukunft, „and in helping him to learn the art of beating us in our own fields of commerce we are doing as foolish an act as if we built warships and moulded cannon for a nation actively hostile to us“.9 Das telegramm Wilhelms ii. an den Burenpräsidenten sei nur der anlass, der deutsche handlungsgehilfe aber die eigentliche ursache des englischen Deutschlandhasses, wie etwas später in der Daily Mail zu lesen war.10 Wie sehr die redaktion mit dieser these den nerv ihres publikums traf, bewiesen die zahlreichen leserbriefe von britischen einzelhändlern und angestellten, die nicht selten die unterstellungen aus eigener erfahrung bestätigten und neue anschuldigungen erhoben. ein Geschäftsmann mit den initialen „a. f.“ sprach von einer staatlich subventionierten Verschwörung, um britische handelsmethoden auszukundschaften, während eine leserin namens „elsie“ deutsche handlungsgehilfen als bezahlte spione bezeichnete und erklärte, es sei ein Verbrechen, billige deutsche angestellte zu beschäftigen, wenn britische arbeitskräfte, die nicht aus dem ausland finanziert würden, ohne anstellung seien und hungern müssten.11 7 8 9 10 11

Daily Mail vom 26. Mail 1896; vgl auch die leitartikel „Germany as our competitor“ and „Made in Germany“, ebd., 17. august und 14. oktober 1896. zum hintergrund der Diskussion vgl. Panayi, immigrants, s. 5–144, 224–8. Daily Mail vom 9. november 1896; vgl. ebd., 27. oktober 1896. ebd., 11. oktober 1897. Beide leserbriefe ebd., 24. oktober 1896; siehe auch die zusendungen ebd., 29. Mai, . und 6. november 1896.

02

6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

Das thema deutsch-englischer handelsrivalität erschien harmsworth derart reizvoll, dass er seinen freund Gilbert Burgess im sommer 1896 für acht Wochen auf eine rundreise durch Deutschland schickte, um die Gründe für den wirtschaftlichen aufschwung im reich zu ergründen. Was den freischaffenden kunstkritiker Burgess neben seinem einige Jahre zurückliegenden kunststudium in Düsseldorf für diese aufgabe qualifizierte, war unklar; jedenfalls zeichnete er in einer 18 artikel umfassenden serie „Germany as she is“ ein zwar oberflächliches und mit stereotypen behaftetes, aber nicht durchweg unsympathisches Bild eines landes im aufbruch, in dem ordnung, Disziplin und ein sprunghafter kaiser herrschten, preiswertes Bier in strömen floss und eintrittskarten für zweitklassige Varieté- und operetteninszenierungen billig zu haben waren.12 eine wichtige Quelle des ökonomischen erfolgs erblickte Burgess in den überlegenen fähigkeiten der – großenteils jüdischen – handlungsreisenden aus Deutschland, die viel besser ausgebildet seien als ihre britischen kollegen, zahlreiche fremdsprachen beherrschten und genau jene Waren feil zu bieten wüssten, die den Bedürfnissen ihrer kundschaft entsprächen.1 entscheidend war in seinen augen jedoch die allgemeine Wehrpflicht mit ihrer erziehung zur Disziplin, körperlicher wie geistiger ertüchtigung, die nicht nur die Wehrkraft der nation verbesserte, sondern auch ihrer wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit zugute kam. „Militarism is the keynote of modern Germany“, schloss Burgess, „and the chiefest of the honourable causes of the national commercial development.“14 Der Verleger war so zufrieden mit dem experiment, dass er es im folgenden Jahr wiederholte. Diesmal entsandte er George Warrington steevens, einen seiner starreporter, auf eine zweimonatige reise nach Deutschland, die wieder in eine artikelserie mündete.15 steevens Berichte waren nicht nur pointierter und besser geschrieben als Burgess’ texte, aus seiner Darstellung waren auch alle spuren jenes charmanten, etwas rückständig-provinziellen, aber gemütlichen Deutschland verschwunden, die bei Burgess ein Gegengewicht zu den bedrohlicheren facetten preußisch-militaristischer effizienz gebildet hatten. es gab keine essays über deutsches Bier, deutsche Musik, freizeitvergnügungen und eisenbahnreisen mehr. Dafür widmete der reporter drei texte der armee, ihren paraden und Manövern sowie drei weitere dem kaiser, den er als autokraten und Versager beschrieb. ein anderer artikel erinnerte ausführlich an die auflösung hannovers durch preußen 1866. schon der titel der reihe – „under the iron heel“ – machte deutlich, dass steevens das reich als düsteres Gegenbild zu englands freiheit stilisierte: „a land governed on principles almost directly antagonistic to our own“. zugleich sah auch er in Deutschland den wichtigsten rivalen englands, allerdings nicht nur wie Burgess auf ökonomischem, sondern 12 1 14 15

Die serie erschien vom 17. august bis 5. september 1896 in täglicher abfolge in der Daily Mail. ebd., 27. august 1896. ebd., 5. september 1896; vgl. auch ebd., 17. august 1896. Die 16 artikel erschienen vom 24. september bis 12. oktober 1897 in der Daily Mail.

a) Die Deutschlandberichterstattung der Daily Mail

0

ebenso auf diplomatischem und kolonialpolitischem Gebiet. es widerspreche zwar angelsächsischen Vorurteilen, dass eine nation unter autokratischer herrschaft prosperieren könne, aber Deutschland beweise genau das: „Wherever you go you find evidence of growing wealth and greatness. […] for the time Germany is our chiefest rival in all fields.“16 steevens charakterisierte das Deutsche reich als perfekt geölte Militärmaschine und kasernenhofstaat unter der führung eines gefühlskalten Despoten. Gleich beim Grenzübertritt schlage dem Besucher die veränderte atmosphäre ins Gesicht, begann er seinen reisebericht: „an atmosphere of order, discipline, of system, rigidly applied to the smallest detail“.17 Das erscheinungsbild der preußischen hauptstadt beschrieb er als eine Mischung aus fortschritt und ordnung, sparsamkeit und pracht.18 Der kaiser nahm in der Beschreibung durch steevens diabolische züge an. theoretisch sei seine Machtfülle geringer als diejenige des russischen zaren, praktisch jedoch viel größer. Der einzige herrscher der eine vergleichbar umfassende und niemandem verantwortliche autorität ausübe, sei der osmanische sultan.19 als der reporter den hohenzollernmonarchen in der großen herbstparade unter den linden an sich vorbeireiten sah, will er einen Blick auf dessen Gesicht erhascht haben: a face at once repulsive and pathetic, so harsh and stony was it, so grimly solemn. a face in which no individual feature was very dark, but which altogether was black as thunder. […] he looked like a man without joy, without love, without pity, without hope. he looked like a man who had never laughed, like a man who could never sleep. a man might wear such a face who felt himself turning slowly into ice.20

hatte Burgess im Vorjahr Wilhelm ii. noch als reisekaiser bespöttelt, so interessierte er steevens in erster linie als oberbefehlshaber der armee, die der reporter als die beste in der Welt und als hervorragendste einrichtung in Deutschland überhaupt pries: aus sicht der deutschen Bevölkerung sei das Militär ursache und rechtfertigung ihrer existenz als nation; der Deutsche dulde die unterdrückung seines landes als notwendiges Gegenstück zur effizienz seiner armee. „the country exists for the army, not the army for the country. in the army German thoroughness, German industry, German common-sense, German devotion to duty, are found to their full.“ Dass diese beispiellose kriegsmaschinerie eine Bedrohung für england darstellte, stand für steevens außer zweifel.21 Der reisebericht schloss daher mit einer Warnung an die leser der Daily Mail. „Germany“, so steevens, „will keep her hands free to deal with us. let us make no mistake about it. […] for the next ten years, fix your eyes very hard on Germany“.22 16 17 18 19 20 21 22

ebd., 12. oktober 1897. ebd., 24. september 1897. ebd., 25. september 1897. „as near as any man can be absolute, [Wilhelm] is absolute lord over 50,000,000 souls“; ebd., 1. oktober 1897. ebd., 27. september 1897. ebd., 8. oktober 1897. ebd., 12. oktober 1897.

04

6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

Deutschfreundlichen publizisten in Großbritannien waren diese Warnungen peinlich. „Der hass oder vielmehr die Gehässigkeit hier gegen Deutschland grenzt ans unglaubliche“, schrieb einer von ihnen an den herausgeber der Preußischen Jahrbücher. „lesen sie die artikels im [sic] Daily Mail –‚under the iron heel’. es ist wirklich zu toll.“2 tatsächlich war in den redaktionsstuben der Daily Mail eher wetterwendische Gehässigkeit als tief sitzender hass gegen Deutschland zu finden. Bei nächster Gelegenheit richteten sich die attacken des Blattes auf ein anderes ziel. Das nächstliegende opfer war seit den zunehmenden kolonialen spannungen in afrika und dem zusammenstoß in faschoda das frankreich der Dreyfus-affäre. 1899 startete die Daily Mail, zusammen mit den anderen Blättern des harmsworth-konzerns, eine kampagne zum Boykott der pariser Weltausstellung im folgenden Jahr.24 Die franzosen hätten John Bull davon überzeugt, hieß es im herbst 1899 auf dem höhepunkt der britischen empörung über das urteil im revisionsprozess gegen Dreyfus, dass sie seine eingefleischten feinde seien und dass alle aussöhnungsversuche erfolglos bleiben müssten: england has long hesitated between france and Germany. But she has always respected the German character, whereas she has gradually come to feel contempt for france. a country where the most monstrous injustice can be perpetrated with impunity, a nation whose beloved heroes are the forgers of the french General staff, can never be a British ally. nothing like an entente cordiale can subsist between england and her nearest neighbour [...] enough of france; she has neither courage, foresight, nor sense of humour.25

Der unmut über die auf dem europäischen festland grassierende kritik am krieg Großbritanniens in südafrika richtete sich ebenfalls zunächst gegen frankreich, nicht gegen Deutschland. Wenn die franzosen nicht bald mit ihren Beleidigungen aufhörten, erklärte ein leitartikel der Daily Mail, werde man ihnen alle kolonien wegnehmen und sie an das Deutsche reich und italien verteilen.26 umgekehrt empfing die zeitung den deutschen kaiser bei seinem Besuch in Windsor im november 1899 mit der Überschrift: „a friend in need is a friend indeed“ und erklärte, Wilhelm sei zu zwei Dritteln engländer, ziehe das englische erziehungssystem und englische sportarten dem deutschen Bildungswesen und militärischem Drill vor. anspielungen auf eine wünschenswerte allianz zwischen Berlin und london wurden deutlich vorgetragen: „the kaiser is fully alive to the fact that a bond of concord is to the material advantage of both Germany and england in the world-wide career that lies before these two great nations.“27 Wilhelms Verhalten habe dem frieden und der Völkerverständigung gedient, behauptete die Daily Mail, als der Monarch ein Jahr später erneut nach 2 24 25 26 27

Whitman an Delbrück, 7. oktober 1897, sBpk, nl Delbrück (Whitman Mappe i). Vgl. flugblatt „concerning the Daily Mail“, london 1907; kopie in: pa-aa, england presse nr. 7, r 561. Daily Mail vom 9. november 1899. „[We] ourselves want nothing more – france will be rolled in the blood and mud in which her press daily wallows“; ebd., 1. Dezember 1899. ebd., 17. november 1899.

a) Die Deutschlandberichterstattung der Daily Mail

05

england ans totenbett seiner Großmutter reiste, „because by our admiration and respect for the kaiser we are brought nearer to Germany“.28 als sich die stimmung in weiten teilen der londoner presse im herbst 1901 jedoch gegen Deutschland zu wenden begann, änderte auch die Daily Mail ihren kurs. Die Deutschen müssten bemerken, hieß es nun angesichts der deutschen pressekritik an chamberlains rede in edinburgh, dass der britische Dickhäuter die auf ihn nieder prasselnden schläge und tritte sehr wohl gespürt habe und einen warnendes knurren hören lasse. „German surprise at such an unusual proceeding, which is not at all in the programme, is painful.“29 Bülows „Granitrede“ kommentierte die Daily Mail mit der Bemerkung, engländer seien nicht bereit, rüffel aus dem ausland hinzunehmen oder in sack und asche vor einem fremden zensor zu sitzen. Das Blatt vermutete, die angriffe der deutschen zeitungen gegen england seien von der kaiserlichen regierung stillschweigend, wenn nicht aktiv, ermuntert worden.0 zur zeit der Venezuelakrise befand sich die Daily Mail fest im antideutschen lager und prangerte jede form diplomatischer zusammenarbeit mit der Wilhelmstraße als pakt mit dem teufel an. Das kabinett habe Großbritannien in eine lächerliche lage gebracht, behauptete ihr leitartikler, „by allowing herself to become in south america the henchman of a power which she has, and can have, no sympathy, because that power is aiming at her fall“.1 im auswärtigen amt in Berlin machte man die Daily Mail für den Deutschlandhass mitverantwortlich, der in jenen Wochen in england ausgebrochen war. Bernstorff sah die haltung der zeitung in der Venezuela-angelegenheit als wichtigen Beleg dafür, dass die von ihm hervorgehobene „amerikanisierung“ der britischen presse hand in hand mit der tendenz gehe, den Vereinigten staaten auch außenpolitisch zuzuneigen. Der Diplomat hielt diese entwicklung für weitaus bedrohlicher als die russophile strömung in Blättern wie der National Review, da seiner ansicht nach das Misstrauen gegen das zarenreich in Großbritannien tiefer verwurzelt und eine annäherung daher ausgeschlossen war.2 zusätzlich misstrauisch machte die deutsche Diplomatie, dass harmsworth gleichzeitig seine liebe zu frankreich entdeckte und sich der allgemeinen Begeisterung für einen ausgleich mit paris anschloss. ohne rücksicht auf die ansichten, die seine zeitungen zuvor verbreitet hatten, erklärte der Verleger anfang 190 in einem interview mit der französischen zeitung Matin: „Yes, we detest the Germans and we detest them cordially. they render themselves odious to the whole of europe. i would not tolerate that anyone should print in my journal the least thing which might to-day wound france, but on the other hand i would not like anyone to insert anything that could please Germany.“ 28 29 0 1 2 

ebd., 0. Januar 1901. ebd., 25. november 1901. ebd., 9. Januar 1902. ebd., 6. februar 190. Bernstorff an Bülow, 22. april 190, pa-aa, england nr. 78, r 5682. zitiert nach: flugblatt „concerning the Daily Mail“, london 1907; kopie in: pa-aa, england presse nr. 7, r 561.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

spätestens seit dieser zeit galten die Daily Mail und ihr herausgeber als Wortführer der antideutschen „Jingopresse“ in england.4 Wie wenig freund und feind sich jedoch auf ihre politische standfestigkeit verlassen konnten, zeigte ihre haltung zur frage von chamberlains tariff reform. anders als publizisten vom schlage Maxse oder Garvins beurteilte harmsworth das projekt nicht nach seinen auswirkungen auf den zusammenhalt des empire oder die Beziehungen zu Deutschland. für ihn war ausschlaggebend, welche folgen zustimmung oder ablehnung für die auflagenhöhe und das anzeigenaufkommen der Daily Mail haben, wie sich ihre positionierung auf den Wettkampf mit konkurrenten wie dem Daily Express auswirken würde. Der zickzackkurs des Blattes in der zollreformfrage spiegelte vor allem die unsicherheit seines Verlegers wider, ob die vorwiegend kleinbürgerliche leserschaft der zeitung eine politik gut heißen würde, die auf eine Verteuerung von Grundnahrungsmitteln hinauslief. nach anfänglichem zögern opponierte harmsworth gegen chamberlains Vorschläge, die er als „stomach taxes“ denunzierte, stimmte ihnen aber schließlich doch zu, freilich unter dem Vorbehalt, dass die lebensmittelpreise nicht steigen dürften.5 Bernstorff interpretierte dieses lavieren als Beweis für harmsworths Geschäftstüchtigkeit und politischen opportunismus. im Gegensatz zu pearson vom Daily Express besitze der Verleger der Daily Mail eine feine Witterung, die es ihm ermögliche, „ein leckes politisches schiff zu verlassen, bevor noch irgendeine der anderen ratten das bevorstehende sinken desselben bemerkt hatte“. kaum habe die Daily Mail die unpopularität der von chamberlain propagierten Getreidezölle erkannt, berichtete der Diplomat nach Berlin, da habe sie dem „bisher vergötterten kolonialminister den rücken“ gekehrt. Mit einem Male sei auch der außenpolitische redakteur des Blattes, der sich monatelang von der deutschen Botschaft ferngehalten habe, dort wieder vorstellig geworden, um deren auffassungen kennen zu lernen.6 harmsworth selbst pflegte mit den zahlreichen Wendemanövern seiner zeitungen ausgesprochen unbekümmert umzugehen. Was scherten ihn die politischen positionen von gestern, wenn heute und morgen die auflage stimmte. „people must be lunatics who call a little chaff an ‚attack‘“, erklärte er einem anderen Verleger scheinheilig. „the most unfortunate part of the circulation of my paper, is the fact that the immense number of people who see everything that appears in it and the comment they make, magnifies every utterance.“7

4

5 6 7

Vgl. Bernstorff an Bülow, 9. september 190, pa-aa, england presse nr. 7, r 5616; Bernstorff an hammann, 6. Juni 1904, Ba lichterfelde, nl 2106, otto hammann, 1/, Bl. 15–7; Metternich an Bülow, 11. Januar 1905, pa-aa, england nr. 78, r 5687. siehe Thompson, northcliffe, s. 99–119. zur einschätzung durch die deutsche Diplomatie siehe Metternich an Bülow, 5. november 1904, pa-aa, england presse nr. 7, r 5621. Bernstorff an Bülow, 9. september 190, pa-aa, england presse nr. 7, r 5616. northcliffe an strachey, 18. november 1904, hlro, strachey papers, str 11/4/16.

b) Invasionsängste und Spionagehysterie

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b) Invasionsängste und Spionagehysterie northcliffes verlegerischer Genius offenbarte sich in dem Geschick, mit dem er geschäftlichen Vorteil und politische präferenzen zu verbinden wusste. Welch feine Witterung er für den Geschmack seiner leser besaß, zeigte sich selten deutlicher als in der zusammenarbeit mit dem Journalisten, schriftsteller und amateurspion William le Queux. Gemeinsam bedienten sie die wachsende nervosität vieler Briten angesichts zunehmender konkurrenz durch ökonomische und politische rivalen, indem sie die alte angst des inselvolkes vor dem einfall fremder eroberer erfolgreich und lukrativ zum Gegenstand verschiedener fortsetzungsromane in northcliffes Massenblättern machten und auf diese Weise gleichzeitig für verstärkte verteidigungspolitische anstrengungen warben, die ihnen am herzen lagen. Die entstehungsgeschichte dieser romane verdeutlicht, wie intensiv northcliffe daran arbeitete, seine publizistischen produkte stets weiter zu verbessern und den sich wandelnden Bedürfnissen seiner leser anzupassen. Der 1864 als sohn eines franzosen und einer engländerin geborene le Queux hatte in paris kunstgeschichte studiert, ehe er zwischen 1891 und 189 als auslandskorrespondent des Globe arbeitete, für den er unter anderem über die feierlichkeiten zur eröffnung des nordostseekanals berichtete.8 seit Mitte der 1890er Jahre verlegte er sich auf die schriftstellerei und avancierte zu einem produktiven, wenn auch nicht immer seiner syntax sicheren autor reißerischer abenteuergeschichten.9 Die romane, die er wie am fließband produzierte (mehr als 200 an der zahl), waren am königshof – insbesondere bei königin alexandra – ebenso populär wie in den armenviertel von Manchester, liverpool und dem londoner east end. sie gehörten zu den am häufigsten angeschafften Büchern öffentlicher Bibliotheken; im Jahr 1907, so ermittelte eine studie, besaß jede Bücherei in Großbritannien im schnitt 28 titel von le Queux.40 Dessen erzählerisches erfolgsgeheimnis als Massenautor bestand in einer bis zur atemlosigkeit gesteigerten abfolge sensationeller ereignisse, die weder durch tief schürfende charakterstudien der handelnden personen noch durch beschreibende passagen zur schaffung einer stimmigen atmosphäre unterbrochen wurden. Der moderne leser habe keine zeit für langatmige Beschreibungen von landschaft oder Wetter, lautete sein credo, das er 1907 in einem freimütigen artikel mit dem titel „how i Write My sensational news“ darlegte: „We live in the age of the 8

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Vgl. die nicht immer zuverlässige autobiographie Le Queux, things; sowie die unkritische Biographie von Sladen, le Queux. le Queux’ teilnahme an der eröffnung des nordostseekanals ist dokumentiert in den „Vorschläge(n) des presseausschusses über die einladungen für die feierlichkeiten zur eröffnung des nordostseekanals“ (o. D.), in: Gspk, i. ha, rep. 77, tit. 945, nr. 5 (preußisches innenministerium), Bl. 6–10. in seiner autobiographie gestand le Queux, „that my early knowledge of other languages interfered seriously with my knowledge of english. i am a cosmopolitan, and for that i would crave the reader’s forgiveness for any grammatical errors in this book or in others i have written“, Le Queux, things, s. 171. Vgl. Ramsden, War, s. 58.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

motor-bus, and the senational story must be so written that the reader once commencing it cannot lay it down until the last word is reached.“41 le Queux’ kooperation mit northcliffe reichte bis 189 zurück, als er für den Verleger einen thriller mit dem titel The Poisoned Bullet verfasst hatte. Darin griff der schriftsteller die furcht vor einem russisch-französischen Überfall auf, die in england nach dem abschluss der allianz zwischen paris und st. petersburg grassierte, und schilderte einen auf das Jahr 1897 datierten zukunftskrieg. Die Darstellung der kampfhandlungen zu Wasser und zu lande unterschied sich kaum von anderen invasionsromanen, die in Großbritannien nach dem deutsch-französischen krieg 1870/71 erschienen und einen zweiten höhepunkt anfang der 1880er Jahre im zusammenhang mit Gerüchten über den geplanten Bau eines tunnels unter dem ärmelkanal erlebten.42 auch bei le Queux ging es darum, die nation aus ihrer lethargie aufzurütteln, den stand ihrer Verteidigungsfähigkeit zu kritisieren und interesse an einer Vergrößerung der flotte zu propagieren.4 innovativ war nur die form der Veröffentlichung als fortsetzungsgeschichte in harmsworths Wochenzeitschrift Answers, die le Queux’ thriller mit stellungnahmen von pensionierten admiralen und anderen Marinefachleuten über die Vernachlässigung der britischen flottenrüstung einrahmte.44 erst im folgenden Jahr wurde der text in Buchform publiziert, versehen mit einem Vorwort von lord roberts, der le Queux dafür lobte, dass er die britische Öffentlichkeit auf die Gefahren aufmerksam mache, „to which the nation is exposed, unless it maintains a navy and army sufficiently strong and well organised to meet the defensive requirements of the empire“.45 sowohl die fortsetzungsversion in Answers als auch die Buchfassung, die schon innerhalb der ersten vier Wochen fünf auflagen durchlief und 1899 die 16. auflage erreichte, erwiesen sich als ausgesprochen erfolgreich.46 es verwundert daher nicht, dass northcliffe und le Queux ihre zusammenarbeit im Jahr 1906 wieder aufleben ließen, um das Grundmuster des erfolgs zu wiederholen. erneut sollte eine invasionsgeschichte le Queux’ als fortsetzungsroman in einem Blatt des Verlegers erscheinen, wieder ging es um einen krieg der vier Jahre in der zukunft angesiedelt wurde, und ein zweites Mal leistete lord roberts publizitätsträchtige unterstützung. freilich sollte das unternehmen, das den titel The Invasion of 1910 trug, diesmal in der Daily Mail angegangen werden. Der Marineexperte des Blattes, herbert W. Wilson, übernahm die abfassung der passagen über seeschlachten und landungsmanöver, während sich le Queux auf eine viermonatige, von northcliffe finanzierte erkundungsreise entlang der englischen küste begab, um schwachpunkte der britischen Verteidi41 42 4 44 45 46

William le Queux, how i Write My sensational news, in: Pearson’s Weekly 862 vom 24. Januar 1907, zitiert nach: Clarke (hrsg.), War, s. 249. Vgl. Wilson, tunnel. Vgl. Clarke, Voices, s. 27–56, 95–9; Hynes, Mind, s. 4. Vgl. Pound und Harmsworth, northcliffe, s. 151–2. Le Queux, War, s. 5. Clarke, Voices, s. 58; Sladen, le Queux, s. 29.

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gungsanlagen ausfindig zu machen („Weybourne Gap“ in norfolk erschien ihm besonders gefährdet). Mit hilfe von roberts und zweier weiterer offiziere machte er sich sodann daran, die wahrscheinlichste Marschroute eines invasionsheeres durch england zu entwerfen.47 northcliffe behielt sich vor, den plan durch eine stärker den Verkauf seiner zeitung fördernde streckenführung zu ersetzen. Die invasoren sollten sich an die großen städte halten und nicht durch entlegene provinzdörfer marschieren, deren kaufkraft nicht ins Gewicht fiel.48 Der Verlauf des krieges orientierte sich an northcliffes verlegerischen interessen, nicht an den vom autor mit roberts’ hilfe skizzierten militärischen zweckmäßigkeiten oder Wahrscheinlichkeiten. northcliffes Bruder harold hatte an le Queux’ erstem invasionsroman kritisiert, er konzentriere sich zu stark auf die Gefühle seiner protagonisten und enthalte nicht genügend schlachtszenen, um den leser zu fesseln.49 entsprechend entfaltete sich die handlung des romans über die invasion von 1910 als endlose folge von schlachten: um städte wie purleigh, sheffield, royston, chelmsford und harlow, von der großen Belagerung londons ganz zu schweigen. Der wichtigste unterschied zwischen den beiden invasionsromanen bestand in dem Gegner, der ins land einfiel. hatte sich Großbritannien im zukunftskrieg von 1897 mit hilfe des Deutschen reiches gegen einen russisch-französischen Überfall verteidigt, so waren 1910 die Deutschen die invasoren. northcliffe und le Queux wandelten auf den inzwischen breit ausgetretenen pfaden einer ins negative verkehrten sicht auf Deutschland, die Maxse, Garvin, saunders und andere publizisten in den vorangegangenen Jahren angelegt hatten. literarische Vorbilder gab es in england wie in Deutschland zur Genüge: von albert charles curtis A New Trafalgar von 1902 und erskine childers’ 190 erschienenem roman The Riddle of the Sands über eisenharts Abrechnung mit England aus dem Jahr 1900 und august niemanns Der Weltkrieg von 1904, der noch in demselben Jahr ins englische übersetzt worden war, bis zu edelsheims – ebenfalls auf englisch vorliegender – technischer studie Operationen über See.50 Gerade edelsheims publikation nahm derart genau den Verlauf der von le Queux geschilderten invasion vorweg, dass sie als direktes Vorbild gedient haben dürfte, zumal wenigstens der für die maritimen passagen zuständige Wilson die studie vermutlich kannte.51 in beiden fällen folgte auf eine plötzliche kriegserklärung durch 47 48 49

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Le Queux, invasion, s. vii; ders., things, s. 245; Sladen, le Queux, s. 191–2; Clarke, Voices, s. 145. Vgl. Falk, Bouquets, s. 65; Clarke, Voices, s. 122. „i should cut down to a minimum the hero and heroine’s part“, lautete sein rat, „and give plenty of battles, naval and land“; zitiert nach: Pound und Harmsworth, northcliffe, s. 151. Curtis, trafalgar; Childers, riddle; Eisenhart, abrechnung; Niemann, Weltkrieg; Edelsheim, operationen. Vgl. „the future function of the German navy“, in: National Review, april 1904, der laut der redaktion von einem Mitglied des deutschen Generalstabs verfasst worden war und Möglichkeiten einer deutschen invasion englands diskutierte, die edelsheims ausfüh-

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Deutschland eine entscheidende schlacht in der nordsee gegen eine durch ihre weltweiten Verpflichtungen geschwächte britische flotte und anschließend eine landung des deutschen invasionsheeres an der englischen ostküste. Der inhalt der ko-produktion von northcliffe und le Queux war somit weder neu noch originell, auch wenn die negativen charakterzüge der Deutschen weiter vergröbert wurden: Der roman stellt die invasoren als Gewaltmenschen dar, die kinder ermordeten, städte nieder brannten und ihre opfer zwangen, die eigenen Gräber auszuheben.52 hingegen bewies der zeitpunkt der Veröffentlichung nach dem ende der ersten Marokkokrise und vor dem hintergrund der auf der konferenz von algeciras spürbaren internationalen spannungen northcliffes siebten sinn für kommerziellen erfolg. Die propagandatechniken, mit denen er für die publikation warb, waren an kreativität schwer zu überbieten: er ließ plakat-träger, sogenannte „sandwichmen“, in preußisch-blauen uniformen und mit pickelhauben auf dem kopf londons belebteste Geschäftsstraße, die oxford street, auf- und abmarschieren.5 zusätzlich platzierte der Verleger am Vortag der Veröffentlichung der ersten folge ganzseitige inserate in der Daily Mail, der Times, dem Daily Telegraph, der Morning Post, dem Daily Chronicle und den größten provinzzeitungen. Die annoncen markierten auf einer karte englands diejenigen landstriche, welche von den Deutschen im Verlauf der serie besetzt werden würden. „keep this map for reference“, wurde dem leser geraten. „it will be valuable.“ Den kopf der seite schmückte eine empfehlung von lord roberts, der le Queux’ Buch jedem ans herz legte, dem an der Wohlfahrt des britischen imperiums gelegen sei.54 Der aufwand zahlte sich aus. le Queux’ roman avancierte zum Bestseller, nicht nur auf den britischen inseln, sondern beispielsweise auch in indien, wo ihn die Illustrated Times of India in wöchentlichen auszügen veröffentlichte. er wurde in 27 sprachen (darunter arabisch, Japanisch, chinesisch und urdu) übersetzt und verkaufte sich weltweit über eine Million Mal.55 Das simple strickmuster der handlung und die einfache sprache sorgten dafür, dass der roman auch von denen gelesen wurde, die es „im allgemeinen nicht lieben ein dickleibiges Buch zur hand zu nehmen“, wie der deutsche Gesandte aus kalkutta berichtete.56 in england riefen le Queux’ kommerzieller erfolg, die inter-

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rungen fast aufs Wort glichen; vgl. den leserbrief admiral fitzgeralds in der Times vom 1. Mai 1905 und Bashfords entgegnung in Empire Review, Juni 1905, abschriften in: pa-aa, england nr. 78 secretissima, r 577. Vgl. insbesondere die in der Daily Mail am 20. Juni 1906 abgedruckte folge mit dem untertitel „reign of terror increased. Wholesale executions by Germans“. Vgl. den augenzeugenbericht in den erinnerungen von Wingfield-Stratford, lamps, s. 209–10; Clarke, Voices, s. 122. siehe auch stumm an aa, 21. Juni 1906, pa-aa, england 78, r 5717. kopie in: pa-aa, england nr. 78, r 5715. siehe auch Le Queux, things, 245–6; Clarke, Voices, s. 122. Vgl. Le Queux, things, s. 249; Sladen, le Queux, s. 195; Clarke, Voices, s. 122. Quadt an aa, 28. Juli 1906, pa-aa england nr. 78, r 5719. Dort auch der Verweis auf die Illustrated Times of India.

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nationalen krisen der folgenden Jahre sowie die anhaltende agitation für flotten- und armeereformen zahlreiche nachahmer auf den plan.57 nicht wenige davon erschienen wie The Invasion of 1910 zunächst als fortsetzungsgeschichten in der presse, ehe sie in Buchform auf den Markt kamen.58 ein unverzichtbarer Bestandteil fast aller invasionsgeschichten war die figur des deutschen spions, der – getarnt als kellner, friseur oder kleiner angestellter – die topographie der englischen ostküste ausspähte und am „tag X“ des geplanten Überfalls auf die britischen inseln aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht im reich als ausgebildeter soldat bereit stand, um den britischen Verteidigern in den rücken zu fallen.59 Derartige Gerüchte über verborgene ausländische feinde im innern der insel waren in Großbritannien schon in den 1880er Jahren im zusammenhang mit den plänen eines kanaltunnels wiederholt kursiert.60 northcliffe und le Queux hatten unterschiedliche Motive, diesen topos weiterzuspinnen und von französischen auf deutsche spione übertragen zu helfen. Der Verleger hatte 1896 in seiner kampagne gegen deutsche handlungsgehilfen die erfahrung gemacht, dass das publikum seiner Blätter den Gedanken einer deutschen Verschwörung in england begierig aufgriff. Vier Jahre später hatte die Daily Mail behauptet, die invasion englands gehöre zu den standardthemen der militärischen ausbildung in Deutschland.61 einige Journalisten wie Blumenfeld vom Daily Express glaubten selbst an die existenz jener deutschen spionagenetzwerke, vor denen ihre Blätter warnten.62 northcliffe sah das anders. für ihn war entscheidend, dass angesichts des massiv gewachsenen Bedrohungsgefühls in der britischen Öffentlichkeit jede publizistische erwähnung deutscher spionageaktivitäten maximale aufmerksamkeit versprach. Dass england tatsächlich die Gefahr drohte, von deutschen spionen ausgekundschaftet und von deutschen truppen erobert zu werden, glaubte er nicht.6 le Queux hingegen war derart besessen von der idee eines ausländischen spionagenetzwerkes, dessen 57

Bis 1910 explodierte die zahl von invasionsdramen; am bekanntesten wurde Guy du Mauriers Melodram An Englishman’s Home (1909). Vgl. als einige weitere Beispiele unter vielen Oldmeadow, Bubble; Vaux, shock; Burgoyne, War; Blyth, swoop; Curties, england. siehe Husemann, William; Meisel, Germans; Paris, Warrior, s. 8–109. 58 so etwa Williams, raid; der roman erschien zwischen februar und Mai 1909 in wöchentlicher folge in der zeitschrift Black and White; vgl. Clarke, Voices, s. 126. 59 Vgl. charles lowe, about German spies, in: Contemporary Review 97, Januar 1910, s. 42–56; siehe auch French, spy fever; Stafford, spies. tagebucheintragung vom 15. februar 1908, in Blumenfeld, Diary, s. 22. 60 siehe Clarke, Voices, s. 12–4. 61 „every German officer has his own little bit of england marked off upon which he has been examined“; Daily Mail vom 4. Januar 1900, zitiert nach: Morris, scaremongers, s. 149. 62 tagebucheintragung vom 15. februar 1908, in: Blumenfeld, Diary, s. 22. 6 „i do not believe the Germans seriously contemplate invasion at all“, vertraute er im Mai 1909 einem Briefpartner an, „but what they do intend is threat, backed up by the power to execute that threat“; northcliffe an earl Grey, 18. Mai 1909, Bl, northcliffe papers, add. 62155. „i agree with you“, schrieb ein Mitarbeiter aus Berlin an den Verleger, „that Germany has no intention of invading us, and that her victories, if any, will be diplomatic. the longer i remain here the more impressed i am by the fact that Germany’s policy consists

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ziel in der auskundschaftung englands bestand, dass er einen Gutteil seiner zeit, seines Geldes und seiner energien darauf verwandte, den europäischen kontinent zu bereisen, um antienglische umtriebe deutscher agenten aufzudecken.64 im Jahr 1909 veröffentlichte er einen spionageroman, in dem er ausführlich beschrieb, wie „the ingenious spies of the kaiser“ die invasion englands vorbereiteten.65 le Queux war kein bloßer phantast und northcliffe mehr als ein gewiefter Geschäftsmann auf der suche nach profit. Beide verfolgten mit der publikation des romans auch politische ziele. sie wollten lord roberts’ kampagne für eine Vergrößerung und Verbesserung der britischen armee durch einführung der allgemeinen Wehrpflicht popularisieren und dem General als sprachrohr der 1905 gegründeten national service league eine plattform verschaffen, von der aus er ein möglichst großes publikum für seine verteidigungspolitischen ideen erreichen konnte.66 „the catastrophe that may happen“, verkündete roberts in seinem Begleitwort zur Buchausgabe des invasionsromans, „if we remain in our present state of unpreparedness is vividly and forcibly illustrated in Mr. le Queux’s new book“67 seither waren die topoi einer deutschen invasion der britischen inseln und spionierender kellner aus der propaganda der national service league nicht mehr wegzudenken.68 ihren höhepunkt erreichte die – unter anderem vom militärischen korrespondenten der Times, lieutenant-colonel charles à court repington, vorangetriebene – agitation mit roberts’ rede im oberhaus im november 1908.69 „it is calculated that there are 80,000 Germans in the united kingdom“, erklärte der General, „almost all of them trained soldiers. they work many of the hotels at some of the chief railway stations, and if a German force once got into this country it would have the advantage of help

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mainly of absolutely unscrupulous bluff“; Walter an northcliffe, 8. Januar 1910, zitiert nach: Pound und Harmsworth, northcliffe, s. 89. fiktion und realität verschwammen dabei, so dass er in seinem eintrag im Who’s Who behauptete, er besitze „an intimate knowledge of the secret services of the continental powers“ und werde von der regierung in geheimdienstlichen fragen konsultiert; vgl. Le Queux, things, s. 10, 25–57; Sladen, le Queux, s. 181–204. Le Queux, spies, bes. s. 195, 290. Vgl. Morris, scaremongers, s. 224–48. Le Queux, invasion. interne einschätzungen militärischer Beobachter schienen die öffentlich ausgebreiteten Befürchtungen zu bestätigen. Der britische Militär-attaché in Berlin, oberst trench, berichtete, die allgemeine Wehrpflicht verwandle zusammen mit der arbeit vaterländischer Vereinigungen die gesamte männliche Bevölkerung Deutschlands in intelligente und aufmerksame hilfstruppen der polizei, „eager to prevent or detect in Germany that collection of military information which Germans collect with so much system and foresight in less careful countries“; trench an de salis, 15. Dezember 1908, abschrift in: tna, aDM 116/1058; vgl. auch den Bericht von trench, 27. april 1908, abgedruckt in: BD, Bd. 6, nr. 94, s. 244–7. in Wirklichkeit war das ausmaß deutscher agententätigkeit in Großbritannien gering; vgl. Andrew, secret service; Hiley, spying. zu repingtons rolle siehe Ryan, invasion. siehe auch die erinnerungen von Repington, Vestigia.

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and reinforcement such as no other army on foreign soil has ever before enjoyed.“70 Derartige alarmrufe steigerten das interesse an invasions- und spionagebelletristik vom schlage le Queux’, während dessen romane im Gegenzug die rekrutierungs- und Werbeaktionen der national service league beflügelten. Die britische publizistik tat das ihre, um invasionsängste und spionagehysterie anzuheizen. J. ellis Barker behauptete im april 1906, Deutschland werde höchstwahrscheinlich ein landungsunternehmen in Großbritannien versuchen.71 ein Jahr darauf veröffentlichte der Globe eine reihe von leserbriefen unter dem titel „peaceful invasion“. Darin wurde behauptet, dass eine wohlorganisierte deutsche Geheimarmee von etwa 180 000 Mann, deren Mitglieder in verschiedenen stellungen in england lebten, bereit stehe, auf kommando über england herzufallen.72 Garvin erklärte im Juli 1908 in einem essay über „the German peril“, Deutschland besitze ein derart ausgebautes agentennetz in england, wie es noch kein land auf dem staatsgebiet eines anderen unterhalten habe.7 noch im april 1914 brachte der Standard einen alarmierten artikel über „Germany’s spy system“, in dem über die aufdeckung eines deutschen spionagesystems berichtet wurde, das angeblich darauf zielte, schlecht bezahlte britische Marineoffiziere zu ködern und ihnen Geheimnisse abzukaufen.74 indem die britische presse unter führung von northcliffes Daily Mail angebliche deutsche invasionsabsichten und spionagetätigkeiten als feste Bestandteile der öffentlichen Diskussion etablierte, vollbrachte sie das, was die Medienwirkungsforschung als „agenda setting“ bezeichnen würde: Bestimmte themen wurden mit hilfe der Medien auf die politische tagesordnung gesetzt und im Bewusstsein der Bevölkerung verankert. für die Gegenwart kann man die korrelation zwischen der rangordnung der themen in der Berichterstattung der Medien und ihre Dringlichkeit in den augen von politikern und publikum anhand demoskopischer umfragen nachweisen.75 Weil für die zeit vor dem ersten Weltkrieg keine Meinungsumfragen vorliegen, lässt sich ein direkter zusammenhang für die britischen invasionsund spionagefurcht nicht statistisch erhärten. Jedoch finden sich in den Quellen zahlreiche hinweise darauf, dass eine derartige Verbindung bestand. Wiederholt kam es zu anfragen im unterhaus, wo besorgte parlamentarier entsprechende zeitungsartikel ernst genug nahmen, um sich bei der regierung nach deren 70 71 72 7 74 75

roberts im house of lords, 2. november 1908, hansard 196, Bd. 14, sp. 1679–96 (sp. 1690–1). J. ellis Barker, the future of anglo-German relations, in: Nineteenth Century, april 1906, s. 525–42. abschriften der im frühjahr 1907 erschienenen artikel finden sich in: pa-aa, england presse nr. 7, r 561. J. l. Garvin: the German peril, in Quarterly Review 209, Juli 1908, s. 295–6; vgl. Whitman an Bülow, 12. februar 1909, pa-aa, england presse nr. 7, r 545. Standard vom 11. april 1914, abschrift in: pa-aa, england presse nr. 7, r 5642. Vgl. etwa Combs und Shaw, agenda-setting; Ehlers, themenstrukturierung; Combs und Shaw, evolution; Brosius, agenda-setting; Rosenberger, zeitungen, s. 100.

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Wahrheitsgehalt zu erkundigen. Der abgeordnete für epping, oberst lockwood, verlangte von kriegsminister haldane mehr über jene Militärs einer fremden nation zu erfahren, „who had been resident for the last two years on and off in the neighbourhood of epping, and who had been sketching and photographing the whole district and communicating their information directly to their own country“.76 sir George Doughty, der unionistische abgeordnete für Great Grimsby, wollte wissen, was es mit presseberichten über deutsche Manöver in der humber-Mündung auf sich habe.77 sir John Barlow, der den Wahlkreis frome in somerset vertrat, fragte, ob es zutreffe, dass in einem keller unter dem Bahnhof von charing cross in london 50 000 Mauser-Gewehre für 66 000 inkognito in england lebende deutsche soldaten bereit stünden.78 solche Befürchtungen waren nicht auf das konservative lager beschränkt, man konnte sie auch unter liberalen intellektuellen finden. Der mit Georges clemenceau befreundete philosoph frederic harrison schrieb in einem leserbrief an die Times, die deutsche armee sei ausgebildet für „a sudden transmarine descent on our coast; and for this end, every road, well, bridge, and smithy in the east of england and scotland has been docketed in the German War office“.79 akzeptiert man die steigende zahl derartiger leserbriefe als indikator für die Verbreitung von ängsten in der britischen Öffentlichkeit, so kann kaum ein zweifel bestehen, dass mehr und mehr Briten deutsche invasionspläne und spionageringe nicht für hirngespinste, sondern reale Bedrohungen hielten. für diese these sprechen auch die Briefe alarmierter engländer – zivilisten wie Militärs – über verdächtige reisende fremdländischer herkunft oder ungewöhnliche signale auf entlegenen Bauernhöfen, die sich seit 1906 in den akten britischer regierungsstellen finden. ein hauptmann pretyman verständigte die admiralität, dass über einem farmhaus in paglesham in der Grafschaft essex an bestimmten tagen eine weiße und dann wieder eine rote flagge wehte.80 ein herr sullivan hatte bei einem ferienaufenthalt auf der isle of Wight von anderen pensionsgästen erfahren, dass dort kurz zuvor einige verdächtige Gestalten gesichtet worden waren, die man allgemein für deutsche offiziere hielt. Der 76 77

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zitiert nach Clarke, Voices, s. 152; siehe auch Le Queux, things, s. 26. George Doughty im house of commons, 12. Mai 1909, hansard 5, Bd. 4, sp. 1805; vgl. den der anfrage zugrunde liegenden artikel von percival a. hislam (Great Britain and the German navy“) in The Graphic vom 8. Mai 1909 sowie die Berichte in der Times und der Morning Post vom 1. Mai 1909. John Barlow am 24. Mai 1909 im house of commons, in: hansard 5, Bd. 5, sp. 812. in derselben ausgabe der Times kritisierte ein oberst lonsdale jene, die von einem bloßen „spy scare“ sprachen: „i hold, as many do, that the cause is very serious and the alarm well grounded“; Times vom 17. Juli 1908. Wilfrid s. Blunt stimmte zu: „i agree […] that the danger is a very real one of invasion“, notierte er in seinem tagebuch. „i saw George Wyndham [einen konservativen unterhausabgeordneten, DG] in park lane. he is pessimistic about the prospects of a German invasion, and thinks it is certain to happen in a few years“; tagebucheintrag vom 19. März 1909, abgedruckt in: Blunt, Diaries; zur freundschaft mit clemenceau siehe Hanks, clemenceau. pretyman an Greene, 17. Mai 1909, in: tna, aDM 1/800.

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besorgte urlauber fragte beim foreign office an, ob er diese Beobachtungen in leserbriefen an die Times oder die Morning Post publik machen solle und ob man ihm eine erkundungsreise auf die insel bezahlen würde, um die agenten dingfest zu machen.81 Bei näherem hinsehen erwiesen sich solche Warnschreiben stets als produkte überhitzter phantasien. Überraschend war weniger die tatsache, dass die alarmrufe zu nichts führten, als vielmehr der ernst, mit dem Whitehall darauf reagierte. zwar hütete man sich im foreign office, irgendwelche Brandbriefe an die presse zu ermutigen, fand aber, dass die idee einen gewissen reiz hatte. „[p]ublicity given to a prosecution for espionage may be useful“, bemerkte der zuständige Beamte im außenministerium, „but it can only do harm to denounce cases which are untried + may be imaginary“.82 Die admiralität leitete wegen der flaggensignale in essex sogar eine regelrechte untersuchung ein, nur um nach zehn tagen von der küstenwache in harwich zu erfahren, dass es eine harmlose erklärung gab.8 freilich war man in der admiralität im allgemeinen bemüht, die aufregung um angebliche invasionspläne der Deutschen zu dämpfen, weil man befürchtete, das thema spiele lord roberts und anderen Verfechtern einer armeereform in die hände, die unter dem schlagwort der Verteidigung gegen einen deutschen „Bolt from the Blue“ eine heeresvergrößerung forderten. um die privilegien der royal navy im konkurrenzkampf der Waffengattungen zu bewahren, versuchte der erste seelord, sir John fisher, jene invasionsgerüchte herunterzuspielen, die er selbst noch wenige Jahre zuvor befördert und genutzt hatte, um zusätzliche haushaltsmittel für seine flotte zu bekommen. allen pressevertretern, die ihm zuhören wollten, versicherte der admiral nun, wie übertrieben die angst vor einem deutschen angriff auf england sei.84 nach ansicht von Vertretern der „Blue Water“-schule wie fisher drohte die Gefahr nicht zu lande, sondern auf dem Wasser – in form einer Blockade existentiell wichtiger lebensmittelimporte. Die Verteidigung des landes stand und fiel in dieser perspektive mit der britischen seemacht: Jeder penny, der auf kosten der flotte in die armee investiert wurde, verbesserte die nationale sicherheit nicht, sondern schadete ihr. Daher betrachtete man in der admiralität die öffentliche aufregung um mögliche – oder vielmehr unmögliche – invasionsszenarien mit sorge. „the public don’t reason“, schrieb fisher einem anderen liberalen Journalisten. „it’s not invasion 81 82 8

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sullivan an langley, 8. februar 1912, tna, fo 71/174, Bl. 7–9. randbemerkung langley, ohne Datum, ebd., Bl. 40. „the flying of a flag at paglesham appears to be due only to the whim of a Mr. Woods, an englishman and a member of a shipping firm, and is in no way connected with any system of spying“; District office h. M. coast Guard harwich an Greene, 28. Mai 1909, in: tna, aDM 1/800; dort auch der weitere schriftwechsel in der sache. „i am here wasting precious time“, erklärte er einem liberalen Journalisten, „considering an intrusion of england by Germany under the inconceivable conditions of the ‚Bolt from the Blue school‘“; fisher an spender, 11. februar 1908, Bl, spender papers, add. 4690; in der von Marder herausgegebenen edition der korrespondenz sind teile des Briefes abgedruckt, die zitierte passage aber ausgelassen; Marder (hrsg.), fear God, Bd. 2, london 1956, s. 161.

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it’s starvation that has to be contemplated. a British army of 4 Millions led by Moltkes instead of asses [is] no use if we have not command of the sea! the Germans would never land! our bellies would compel surrender! [...] What is the moral? Give the navy every damned thing they want!“85 im foreign office sah man die Dinge anders. crowe behauptete, es stehe „aktenmäßig fest, dass eine so große autorität wie Moltke die invasion englands“ für durchführbar gehalten habe. Der gegenwärtige deutsche Generalstab teile diese ansicht, erklärte der Beamte und verwies als Beleg auf edelsheims schrift von 1901. es lägen zahlreiche anzeichen dafür vor, stimmte hardinge zu, dass in Deutschland die künftige invasion englands sorgfältig vorbereitet werde, und wenn je der augenblick dafür kommen sollte, werde es sich mit sicherheit ergeben, dass „keine Vorsichtsmaßnahme versäumt worden ist, um ihren erfolg zu verbürgen“. außenminister Grey machte sich die Überlegungen zu eigen: es unterliege nicht dem geringsten zweifel, dass die Deutschen die frage in der Vergangenheit studiert hätten und gegenwärtig immer noch studierten. „[B]eurlaubte deutsche offiziere kommen hierher“, argwöhnte Grey, „kundschaften unsere küste aus und senden ohne zweifel Berichte ein, die ihren Behörden interessantes bieten und ihnen willkommen sind. ohne zweifel arbeiten die deutschen stäbe auch eventuelle pläne aus.“86 Dem deutschen Botschafter sagte Grey nach lord roberts alarmrede im oberhaus im november 1908, er nehme alle hinweise auf deutsche invasionsabsichten extrem ernst.87 Berichte des britischen Marine-attachés in Berlin, kapitän Dumas, die sich kritisch über die invasionshysterie in der englischen presse äußerten, las man im foreign office mit Missvergnügen. als Dumas im februar 1908 die realisierbarkeit einer deutschen invasion bezweifelte und die antienglische atmosphäre im reich wenigstens teilweise auf den großen „Wust von unsinn“ zurückführte, der in englischen Blättern und zeitschriften zu diesem thema erschienen sei, sah sich crowe zu einer ausführlichen Gegendarstellung veranlasst.88 Die logik von Dumas’ argument sei schwer zu verstehen, urteilte der Beamte. aus seiner sicht konnten die invasionsängste der britischen Öffentlichkeit die feindseligkeit in Deutschland nicht erklären. Denn erstens stellte die sorge vor einem deutschen angriff in crowes augen eine reale Gefahr dar, war kein hirngespinst, wie Dumas selbst in einem früheren Bericht zugegeben habe.89 und 85 86 87 88

89

fisher an Gardiner, 19. Januar 1911, Blpes, Gardiner papers, 1/1. Vermerke zu einem Bericht des britischen Marine-attachés in Berlin, kapitän philip Dumas, vom 4. februar 1908, abgedruckt in: BD, Bd. 6, s. 196–7. Grey an Goschen, 9. Dezember 1908, tna, fo 71/461/4848, Bl. 426–7. Bericht Dumas’ vom 12. februar 1908, abgedruckt in: BD, Bd. 6, s. 197–219 (s. 205). Vgl. auch Dumas’ Memorandum zu demselben thema von anfang april 1908, beigefügt in: lascelles an Grey, 9. april 1908 (geheim), tna, fo 71/459/12611, Bl. 51–. obwohl ein anderer Beamter anmerkte, Dumas habe sich in dem angesprochenen Bericht nicht mit der Möglichkeit einer invasion, sondern lediglich eines Überfalls (raid) befasst, schlug sich hardinge auf crowes seite. er habe schon wiederholt mit dem Marine-attaché über die chancen einer invasion gesprochen, sagte er, und es sei das erste Mal, dass dieser

b) Invasionsängste und Spionagehysterie

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zweitens war die empörung in der deutschen presse über die englischen invasions- und spionagegerüchte crowes ansicht nach nicht spontan entstanden, sondern „auf Befehl“ herein gezogen, von der reichsregierung bewusst lanciert worden.90 Der Beamte kam damit auf seine analyse der Beziehungen zwischen Wilhelmstraße und deutscher presse zurück, die er im zusammenhang mit dem krügertelegramm 1 Jahre zuvor erstmals entwickelt hatte und an der er bis 1914 konsequent festhalten sollte.91 seiner ansicht nach beeinflusste und manipulierte die reichsregierung die deutsche presse wie zu zeiten Bismarcks und Moritz Buschs, während sie umgekehrt immun gegen jede form des Drucks der veröffentlichten Meinung war. „i cannot recall any instance“, notierte er im april 1909, „when the foreign policy of Germany was influenced by public opinion. on the contrary it is to the habitual practice of the German Gov[ernemen]t. to ‚create‘ the necessary public opinion in order to carry their foreign policy.“92 Weder feindselige noch freundliche artikel gegenüber england in deutschen zeitungen gaben nach crowes Meinung aufschluss über die wirklichen ansichten der deutschen Bevölkerung oder auch nur der beteiligten Journalisten. sie konnten lediglich als indikator für die taktischen Winkelzüge der deutschen Diplomatie dienen.9 crowes hypothese hatte ihre Vorzüge. sie passte zu seiner Vorstellung vom fortbestehenden primat der fachleute in der außenpolitik, in der journalistische amateure nichts zu suchen hatten. zudem konnten mit ihrer hilfe alle reaktionen der presse im Deutschen reich so ausgelegt werden, dass sie die skeptische sicht des foreign office bestätigten, das festhalten an der Entente mit frankreich und später mit russland rechtfertigten. auf diese Weise konnte jeder antienglische ausbruch deutscher zeitungen als Beleg dafür gewertet werden, dass die Wilhelmstraße die deutsche Öffentlichkeit gegen england zu mobilisieren trachtete.94 umgekehrt aber konnte man jede phase publizistischer ruhe ebenfalls als hinweis auf feindselige absichten interpretieren, wenn man davon ausging, dass die Wilhelmstraße die presse manipulierte, um die englische seite in falscher sicherheit zu wiegen.95

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die Meinung vertrete, sie sei unmöglich; randbemerkungen von crowe, langley und hardinge, BD, Bd. 6, s. 220–2. randbemerkungen von crowe, BD, Bd. 6, s. 221. siehe kapitel 2 d). randbemerkung crowe, 19. april 1909, tna, fo 71/67/14622, Bl. 49 (ein expliziter Verweis auf Busch findet sich in einer zweiten randbemerkung vom selben tag, ebd., Bl. 51); ähnlich die randbemerkung vom 14. august 1908, tna, fo 71/461/28481, Bl. 84. Das Wirken des Berliner – und des Wiener – pressebüros war daher „not only the most shameful, but also the most dangerous feature of modern foreign politics“; crowe an akers-Douglas, 6. april 1911, zitiert nach: Bridge, Great Britain, s. 2. randbemerkung crowe vom 21. april 1908, tna, fo 71/461/29260, Bl. 467. randbemerkung crowe, 22. März 1909, BD, Bd. 6, s. 414. „crowe’s fork“, hat der britische historiker John charmley diese Variante des „catch 22“ genannt; Charmley, isolation, s. 60.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

Die annahme hatte nur einen fehler: sie stimmte nicht mit der Wirklichkeit überein. Weder im auswärtigen amt noch im preußischen kriegsministerium oder im reichsmarineamt war man an einer wechselseitigen eskalation von invasions- und spionagepanik in england und Deutschland interessiert. Man erblickte im Gegenteil in den englischen sorgen vor einem deutschen angriff eine unerwünschte folge jener bellizistischen Belletristik, die im reich seit dem Burenkrieg so prächtig gedieh und die aus sicht der reichsleitung auf unerwünschte Weise englisches Misstrauen gegenüber den deutschen flottenplänen schüren half. Der deutsche Marine-attaché in london interpretierte le Queux’ invasionsroman in der Daily Mail denn auch als antwort auf die in Deutschland veröffentlichten kriegsphantasien à la niemann und eisenhart.96 als The Invasion of 1910 in der indischen presse abgedruckt wurde, sah sich der deutsche Gesandte in kalkutta zu ähnlichen schlussfolgerungen veranlasst. auch er kabelte warnend nach Berlin, welchen schaden kampfschriften wie Major Bruchhausens Der kommende Krieg oder Beowulfs Der deutsch-englische Krieg anrichteten, die allesamt in indien ausführlich besprochen würden: Der anglo-inder, „der nur mit wenigen ausnahmen Deutschland kennt und noch weniger unsere flottenvermehrung versteht“, sei nur allzu geneigt, allem, was er in zeitungen über Deutschland gedruckt sehe, Glauben zu schenken. Man dürfe sich daher nicht wundern, wenn derartige Bücher dazu beitrügen, die stimmung gegen Deutschland auf dem subkontinent zu verschlechtern.97 es gab wenig, was die deutsche Diplomatie tun konnte, um dem von le Queux und northcliffe ausgelösten Wirbel entgegenzuwirken. Die deutsche Botschaft beschwerte sich im foreign office unter Berufung auf den Metropolitan streets act von 1867 über den „unfug des Missbrauchs der uniform zu reklame-zwecken in den strassen london’s [sic]“. Daraufhin verschwanden die von der Daily Mail angeheuerten pickelhauben-träger samt ihren Werbeplakaten, „ohne dass die zeitungen hiervon notiz genommen haben“, wie Botschaftsrat stumm nach Berlin berichtete.98 ein protest des auswärtigen amtes gegen die Veröffentlichung von le Queux’ zweitem Buch, Spies of the Kaiser, blieb jedoch folgenlos.99 Berlin-korrespondenten englischer Boulevardzeitungen wie herbert a. White vom Daily Express, die sich aus sicht der Wilhelmstraße bei der Verbreitung von schauergeschichten besonders hervortaten, versuchte man die Berichterstattung und recherche in Deutschland nach kräften zu erschweren. Man empfing sie nicht mehr im auswärtigen amt, heftete Geheimdienstspitzel an ihre fersen und wies deutsche zeitungen an, nicht mehr 96

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coerper an reichsmarineamt, 10. März 1906, abschrift in: pa-aa, england nr. 78, r 5715. niemanns roman Der Weltkrieg, der noch im Jahr seines erscheinens ins englische übersetzt wurde, verkaufte sich auf den britischen inseln mindestens ebenso gut wie im Deutschen reich. Quadt an aa, 28. Juli 1906, pa-aa england nr. 78, r 5719. Vgl. Beowulf, krieg; Bruchhausen, krieg. stumm an aa, 21. Juni 1906, pa-aa, england 78, r 5717. Kölnische Volkszeitung vom 21. Mai 1909.

c) Der Zeppelinschrecken vom Mai 1909

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mit ihnen zu kooperieren. Vor förmlichen Verwarnungen oder gar ausweisungen schreckten die deutschen pressepolitiker aber zurück.100 Die Botschaft in london ermunterte deutschfreundlich gesinnte engländer, invasions- und spionagegerüchten öffentlich entgegenzutreten. Militär-attaché ostertag überzeugte beispielsweise General sir alfred turner, einen leserbrief an den Globe zu richten, in dem er der idee einer „peaceful invasion“ durch deutsche kellner und friseure widersprach. an derartigen erfindungen, so turner, sei „nicht ein wahres Wort“; ein krieg mit england sei das letzte, was man in Deutschland wünsche.101 nachdem ähnliche Behauptungen auch im Standard gedruckt worden waren, versprach ein ehemaliger Berlin-korrespondent der Times, charles lowe, dem Blatt einen Brief zu schreiben, in dem er auf das „lächerliche und unsinnige derartiger Behauptungen“ hinweisen wollte.102 Derartige einwände verpufften ebenso wirkungslos wie wiederholte Beschwerden ostertags und anderer, die im foreign office über artikel in zeitschriften wie der National Review klage führten, in denen eine deutsche invasion der britischen inseln beschworen wurde. solange Deutschland an seinem flottenrüstungsprogramm festhalte, werde man dort mit derartigen artikeln leben müssen, lautete die einschätzung der britischen Diplomaten; die deutsche flotte könne nicht anders denn als „a weapon of offence against england“ interpretiert werden.10

c) Der Zeppelinschrecken vom Mai 1909 le Queux’ roman und das von ihm ausgelöste invasions- und spionagefieber erregten in Deutschland über den kreis diplomatischer fachleute hinaus aufsehen. Der kaiser war derart fasziniert, dass er seinen Militär- und Marinekabinetten anweisung gab, ihm nach dem erscheinen jeder neuen folge in der Daily Mail über den fortgang der virtuellen kampfhandlungen Bericht zu erstatten.104 noch in demselben Jahr erschien eine deutsche Übersetzung des Bestsellers samt illustrationen der Belagerung londons. allerdings hatte der Verleger mit rücksicht auf die Verkaufszahlen das ende der Geschichte in der deutschen fassung verändert, so dass der roman statt mit einer niederlage mit einem sieg der deutschen truppen endete.105 spätestens seit diesem zeitpunkt waren die englischen 100 101 102 10 104 105

Vgl. den gut dokumentierten katalog von Maßnahmen, den das pressebüro 1909 und 1910 gegen White einleiten ließ; pa-aa, england 81 nr. , r 5962 und r 596. stumm an Bülow, 1. März 1907, pa-aa, england 78, r 572. Metternich an Bülow, 11. Juli 1908, pa-aa, england 81 nr. , r 5962. Memorandum von selby mit randbemerkungen von langley und hardinge, 1. august 1908, tna, fo 71/461/27241, Bl. 281–6. Vgl. Steinberg, copenhagen, s. 40. le Queux war besonders empört darüber, dass sein roman in einer sonderausgabe mit Goldeinband in deutschen schulen als preis für besondere leistungen verliehen wurde; Le Queux, things, s. 250.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

ängste vor einer deutschen invasion dem publikum im reich vertraut. sie avancierten in den folgenden Jahren zu einem der bevorzugten themen deutscher presseberichte über Großbritannien. Manche autoren warnten vor den folgen derartiger „panikattacken“.106 andere übten kritik an der „Weltherrschaft der angstneurose“, wie karl leuthner in den Sozialistischen Monatsheften die „englische agitation der angstmacherei“ bezeichnete.107 es war kein zufall, dass sich derartige Berichte im frühjahr und sommer 1909 häuften, als das invasionsfieber während des großen „navy scare“ seinen höhepunkt erreichte.108 Mit sicherem Gespür für das timing eines pressefeldzuges startete northcliffe zu diesem zeitpunkt eine neue kampagne, die deutlich machte, welch weitreichende auswirkungen eine geschickt inszenierte zeitungskampagne haben konnte, wenn sie vorhandene Bedrohungsgefühle aufgriff und zuspitzte. ansatzpunkt waren deutsche erfolge beim luftschiffbau, die seit Jahren in fachzeitschriften wie Flight oder The Aeroplane beschrieben und im Jahr 1908 durch herbert G. Wells’ roman War in the Air einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden.109 Der technikbegeisterte Verleger interessierte sich für die fortschritte auf diesem Gebiet und war überzeugt, dass die leser seiner Blätter ähnlich dachten. schon in den 1890er Jahren hatte er artikel über die pioniere der luftfahrt und ihre experimente verfasst. 1906 setzte er einen preis von £ 10 000 für einen non-stop-flug von london nach Manchester aus.110 zugleich blickte northcliffe argwöhnisch auf die fortschritte der deutschen luftfahrt. einen rekordflug des Grafen zeppelin von friedrichshafen über die schweizerische Grenze im Juli desselben Jahres nahm ein leitartikler der Daily Mail zum anlass, den deutschen Vorsprung in düsteren farben zu schildern. Begleitet wurde der kommentar von einem interview Wiles mit einem deutschen luftfahrtexperten, regierungsrat rudolf Martin, der vorhersagte, Deutschland werde in wenigen Jahren eine flotte von luftschiffen besitzen, die in der lage sei, in einer nacht 50 000 Mann über den ärmelkanal nach Dover zu transportieren.111 im März des folgenden Jahres nahm northcliffe einen flugversuch Wilbur Wrights zum anlass, eine kampagne zu starten, die das kriegsministerium zur anschaffung eines flugzeugs der Gebrüder Wright veranlassen sollte. um den 106 107

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Vgl. etwa Gerhart von schulze-Gävernitz, in: Hilfe, 20. Juni 1909; siehe Fälschle, rivalität, s. 92. karl leuthner, Die Weltherrschaft der angstneurose, in: Sozialistische Monatshefte, 11. november 1911; siehe auch National-Zeitung, 22. Mai 1909, kopie in: pa-aa, england nr. 78, r 578. Vgl. kapitel 5 d). Wells, War; erste diplomatische Berichte zu der thematik datieren bereits aus der zeit um die Jahrhundertwende; siehe Drummond an salisbury, 2. november 1900, tna, 151/6. zum hintergrund siehe Paris, Warfare. Der new York-korrespondent der Daily Mail erhielt 1908 den auftrag, Berichte über die erfolge der Brüder Wright in amerika direkt an den Verleger zu senden; Pound und Harmsworth, northcliffe, s. 272, 01, 24. Daily Mail vom 11. Juli 1908. Vgl. Thompson, northcliffe, s. 15–4; Gollin, island, s. 15–52; Fritzsche, nation, s. 9–58.

c) Der Zeppelinschrecken vom Mai 1909

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forderungen Dringlichkeit zu verleihen, wurden wieder deutsche erfolge beim luftschiffbau hervorgehoben und die für england daraus resultierenden Gefahren geschildert.112 Die Blätter der northcliffe-Gruppe dokumentierten ausführlich einen neuen rekordflug des zeppelin ii. zugleich wurde Wells’ War in the Air in einer preisgünstigen, illustrierten ausgabe in der reihe der „Daily Mail sixpenny novels“ neu aufgelegt und in den schaufenstern der großen kaufhäuser londons prominent platziert. Der Daily Mirror druckte auf seiner titelseite eine fotomontage, die einen zeppelinangriff auf eine kriegsflotte darstellte.11 Die kampagne hatte den erwünschten effekt. noch ehe das unterhaus informiert war, berichtete kriegsminister haldane dem Verleger über den plan des kabinetts, ein „advisory committee of aeronautics“ einrichten zu lassen.114 Der Verleger kritisierte zwar die zusammensetzung des geplanten komitees als altmodisch, wenig zukunftweisend und allzu sehr von akademikern geprägt, während praktiker fehlten. Dennoch konnte er die entsprechende ankündigung von premierminister asquith im unterhaus als einen erfolg seiner Bemühungen verbuchen.115 Beim allgemeinen publikum zeigte der pressefeldzug ebenfalls Wirkung. er trug maßgeblich dazu bei, das in der folge der invasionsängste ohnehin bereits gewachsene Bedrohungsgefühl weiter zu steigern. noch im März häuften sich in polizeistationen und zeitungsredaktionen vor allem im südosten englands anzeigen alarmierter Briten, die mysteriöse luftschiffe am himmel erspäht haben wollten.116 ein polizist aus peterborough erklärte, er habe in den frühen Morgenstunden einen zeppelin mit starken suchscheinwerfern über die stadt hinweggleiten sehen. ähnliche Berichte kamen in den folgenden tagen aus den ortschaften March und Wisbech. ende april wurde ein luftschiff über ipswich gesichtet; wenig später hieß es aus northampton, dort hätten ein polizist und mehrere andere zeugen ebenfalls mysteriöse flugobjekte gesehen. Mitte Mai druckten die Daily Mail und andere Blätter den Bericht eines Mannes aus clacton an der britischen ostküste, der angab, einen langen, wurstförmigen Ballon beobachtet zu haben, der in einer höhe von 600 fuß mehrere Minuten lang über den klippen manövrierte und dann in nordöstlicher richtung gen harwich verschwunden sei.117 112 11 114

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Daily Mail vom 10., 11., 15., 18., 19., 20. und 22. März 1909. Daily Mirror vom 6. april 1909; siehe auch die ausgaben vom . und 4. Juni 1909. haldane beschrieb das komitee als „a real scientific Department of the state“, über das kein anderes land verfüge. Darüber hinaus, beeilte sich der Minister zu versichern, stehe er gern persönlich für nachfragen northcliffes zur Verfügung; haldane an northcliffe, 4. Mai 1909, Bl, northcliffe papers, add 62155. northcliffe an haldane, 9. Mai 1909, ebd. auch nortchliffes chefkommentator Wilson war skeptisch. „engineers pronounced the rocket and the railway impracticable“, schrieb er, „Dr. Dionysius lardner proves that steamers could never cross the atlantic. the scientist is apt to pooh-pooh everything outside his special sphere of knowledge“; Wilson an northcliffe, 22. Mai 1909, ebd., add. 62201. Vgl. Gollin, impact, s. 24–48. Vgl. Manchester Guardian vom 20. Mai 1909. Daily Mail vom 17. Mai 1909.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

zu einer landesweiten panik weiteten sich diese Gerüchte aus, als fast alle großen zeitungen am 20. Mai ausführlich darüber berichteten, dass auf der anderen seite der britischen inseln, an der walisischen küste, ebenfalls verdächtige Gegenstände am himmel gesichtet worden seien. ein Dockarbeiter behauptete, er habe über der Queen alexandra-Werft in cardiff ein zigarrenförmiges „weird object“ durch die luft fliegen sehen. andere arbeiter bestätigten dies. ein reisender berichtete, dass er etwa acht Meilen nördlich von cardiff ein gestrandetes luftschiff am Boden habe liegen sehen: zwei Männer in pelzmänteln seien ausgestiegen, hätten sich aufgeregt in einer fremden sprache unterhalten und seien in eine art Beiboot gesprungen, das sich in die luft erhoben habe und davongeflogen sei.118 Die liberale presse verhöhnte die Berichte als sensationsund angstmache.119 Die Westminster Gazette wies darauf hin, dass ein alarmierender artikel, der am 15. Mai in der zeitschrift John Bull publiziert worden war, fast wörtlich aus der Pall Mall Gazette vom 19. november 1906 übernommen worden war.120 Punch karikierte die Geschichte als verfrühtes produkt der nachrichtenarmen „sauregurkenzeit“ in den sommermonaten, das in konkurrenz zu den Gerüchten über das ungeheuer im schottischen loch ness trete (abbildung 10). angesichts einer derartigen Welle des spotts hielt es selbst die northcliffepresse für angebracht, eine gewisse skepsis gegenüber den phantasievollsten augenzeugenberichten durchblicken zu lassen.121 Jedoch hatte das thema eine eigendynamik gewonnen, die sich der kontrolle durch die initiatoren der kampagne entzog. in einer fragestunde des unterhauses forderte der liberale abgeordnete für north lambeth, horatio Meyer, am 17. Mai kriegsminister haldane auf, „[to] tell us about a certain dirigible to be hovering about our coast“.122 Der parlamentssprecher intervenierte zwar unverzüglich, untersagte haldane, auf den zwischenruf zu antworten, und ermahnte das unterhaus, mit der tagesordnung fortzufahren, aber die tatsache, dass Gerüchte über deutsche luftschiffe am himmel über england im britischen parlament zur sprache gekommen waren, ließ sich nicht mehr rückgängig machen. Deutsche Befürworter verbesserter Beziehungen zwischen beiden ländern reagierten bestürzt. in einem artikel im Berliner Tageblatt erklärte der publizist friedrich Dernburg, er betrachte die entwicklung mit größter sorge, nicht weil es irgendwelche tief verwurzelten feindschaften zwischen Deutschland und england gebe, sondern wegen der gegenwärtigen Gemütslagen beider Völker: invasionspanik, spionagehysterie und Gerüchte über geheimnisvolle deutsche 118 119 120 121 122

Morning Post vom 20. Mai 1909. Vgl. auch Daily Mail, Daily Express, Daily Mirror, Manchester Guardian vom 20. Mai 1909. Daily News vom 20. Mai 1909; Review of Reviews, Juni 1909, s. 497; Nation vom . september 1910, s. 750. Westminster Gazette vom 17. Mai 1909, kopie in: pa-aa, england nr. 78, r 578. „We are not completely satisfied“, hieß es in der Daily Mail vorsichtig, „that these observers have really seen what they believe they have seen“; Daily Mail vom 17. Mai 1909. am 17. Mai 1909 im unterhaus, hansard 5, Bd. 4, sp. 6.

c) Der Zeppelinschrecken vom Mai 1909

Abbildung 10:

Punch, 24. Mai 1909.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

luftschiffe am englischen himmel heizten die Vorstellungskraft der Bevölkerung derart an, dass selbst eine friedlich gestimmte regierung zu verhängnisvollen entscheidungen getrieben werden könne.12 Der britische Botschafter berichtete aus Berlin über beträchtliche Diskussionen, kritik und vor allem spott in der deutschen presse: „[t]he papers here are unanimous in pointing out that, childish as are all these ‚ghost-stories‘ in themselves, the state of mind which could lend one moment’s credence to them is a menace in itself and [...] could at some future time be worked upon by an unscrupulous war party for dangerous ends“.124 ein teil der deutschen presse näherte sich der thematik von ihrer satirischen seite und fühlte sich durch die offenkundig gewordenen englischen ängste im eigenen Überlegenheitsgefühl und kraftbewusstsein bestätigt.125 Der Kladderadatsch malte das Gespenst einer deutschen eroberung des planeten Mars mit hilfe von luftschiffen an die Wand, das ein fiktiver abgeordneter namens sir Makepeace humbug im unterhaus zur sprache gebracht habe. es sei klar, spottete das Witzblatt, welch entsetzliche Gefahr ein derartiges Vorgehen in sich schließe: zunächst in wirtschaftlicher hinsicht. Der Mars wird in kurzem nur noch eine deutsche provinz sein, und die natürlich sehr hochstehende deutsche industrie der Marsbewohner wird die britische einfach totmachen. aber auch in strategischer Beziehung ist die Überrumpelung des Mars durch die Germans für england ein fürchterlicher schlag. nicht nur, daß man aus solcher höhe england ganz einfach mit einem vernichtenden hagel von Geschossen überschütten kann, nein sir Makepeace humbug hat überzeugend nachgewiesen, daß zeppelin seine luftschiffe vor den Mars spannen und diesen so dirigieren wird, daß er in geringer höhe genau über england steht. Dann wird die gewaltige anziehungskraft, die gerade dieser stern schon immer auf england ausgeübt hat, so stark wirken, daß die ganze insel einfach aus dem Meere heraus- und zum Mars emporgehoben wird, wo sie dann mit leichtigkeit der deutschen provinz angegliedert werden kann.126

außerdem war in der satirezeitschrift eine verängstigte Britannia abgebildet, die ihre kinderschar – im sommer 1909 fand in london die imperial conference statt – um sich versammelt hatte und besorgt gen himmel zeigte, wo ein deutsches luftschiff durch finstere sturmwolken pflügte (abbildung 11). selbst die gewöhnlich staatsmännische Norddeutsche Allgemeine Zeitung reagierte mit überheblichem spott: Man sei überrascht, dass sich die invasionsphantasien der vergangenen Jahre zu einer regelrechten spionage- und luftschiffpanik ausgewachsen hätten, wie man sie nicht einmal von den mit blühender Vorstellungskraft begabten franzosen kenne.127 12 124 125 126 127

Berliner Tageblatt vom 20. Mai 1909; zitiert nach reuters telegramm aus Berlin, abgedruckt in: Daily News und Manchester Guardian vom 21. Mai 1909. Goschen an Grey, 25. Mai 1909, tna, fo 71/674/20008, Bl. 152–9. zur deutschen zeppelinbegeisterung siehe Fritzsche, nation, s. 9–58. „the damned Germans“, Kladderadatsch Bd. 62, 2. Mai 1909; vgl. auch das spottgedicht „epistel des in Germany reisenden Mr. Makepeace humbug“, ebd., 27. Juni 1909. Norddeutsche Allgemeine vom 2. Mai 1909; siehe auch Kölnische Zeitung vom 22. Mai 1909, Übersetzungen beider artikel in: tna, fo 71/674/2008, Bl. 155–9.

c) Der Zeppelinschrecken vom Mai 1909

Abbildung 11:

Kladderadatsch Bd. 62, Nr. 25, 20. Juni 1909.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

Der hohn der deutschen presse ärgerte northcliffe, der sich zu dieser zeit zufällig in Berlin aufhielt. „[t]hese ridiculous balloon and other scares“, schrieb er an den chefredakteur der Times, „make english people look very foolish in Germany just now“.128 um den ungünstigen eindruck zu korrigieren, kabelte er einen zwei spalten langen artikel nach london, der am 21. Mai unter der Überschrift „the phantom airship – German View of the scare – the harm it Does“ in der Daily Mail erschien. Darin informierte der Verleger seine leser, die panik über mysteriöse luftschiffe setze england in „[a] ridiculous and humiliating light before the German people“. zunächst habe man die schauergeschichten in Deutschland als scherz abgetan, inzwischen aber äußerten deutsche Meinungsführer abscheu, erstaunen, ungeduld und auch ein wenig Besorgnis. Die Deutschen, so northcliffe, die Großbritannien lange zeit als „a model of national deportment, poise, and cool-headed men“ angesehen hätten, begännen zu glauben, dass england nur von degenerierten nervenkranken bevölkert sei. als Beleg zitierte northcliffe zwei artikel der Berliner Neuesten Nachrichten und der Hamburger Nachrichten, ehe er seine leser aufforderte, zur Vernunft zu kommen und sich auf die wirklichen Gefahren zu konzentrieren, von denen es mit Blick auf Deutschland genug gebe: das beschleunigte flottenbauprogramm, die errichtung neuer Werften, die stärkung des Dreibundes und Berlins annäherungsversuche an die Vereinigten staaten. um seiner Mahnung zusätzliches Gewicht zu verleihen, ließ der Verleger sie mit seiner namenszeile versehen, was er sonst selten tat.129 Was northcliffe nicht zuletzt mit der absicht begonnen hatte, die britische position gegenüber Deutschland zu stärken, endete somit aus seiner sicht mit einer demütigenden niederlage.10 Der chefleitartikler der Daily Mail glaubte rückblickend sogar, dass der zeppelinschrecken in der britischen Bevölkerung dem ziel erhöhter Wachsamkeit gegenüber Deutschland eher geschadet als genützt habe. Man müsse das zeitungspublikum daran erinnern, erklärte er, dass es nicht in erster linie um eine Bedrohung aus der luft gehe, sondern um die deutsche flotte.11 Maxse teilte diese ansicht. „people were making pretty considerable asses of themselves over these imaginary airships“, schrieb er an northcliffe, „and they required sitting upon as you have done. the real thing is so serious it is maddening to have people going off at tangents.“12

d) Presse-Imperien, Parteipolitik und Wahlkampfstrategien Verlegerischer erfolg und möglichst sensationelle Überschriften waren nicht mehr northcliffes einzige anliegen, wie sein Verhalten im Mai 1909 deutlich 128 129 10 11 12

northcliffe an Buckle, 20. Mai 1909, Bl, northcliffe papers, add. 6224. Daily Mail vom 21. Mai 1909. northcliffe an Garvin, 22. Mai 1909, zitiert nach: Gollin, impact, s. 60. Wilson an northcliffe, 22. Mai 1909, Bl, northcliffe papers, add. 62201. Maxse an northcliffe, 26. Mai 1909, ebd., add. 62175.

d) Presse-Imperien, Parteipolitik und Wahlkampfstrategien

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machte. Vielmehr war er sich der politischen Breitenwirkung seiner zeitungen zunehmend bewusst und strebte danach, mit seinen Blättern einfluss auszuüben. er wollte aber nicht nur die Gespräche in den kneipen der kleinbürgerlichen Vororte prägen, sondern auch die Diskussionen in pall Malls elitären herrenclubs und im parlament mitgestalten, direkt auf politische entscheidungsprozesse einwirken.1 Die hohen auflagenzahlen und die enorme Verbreitung seiner zeitungen waren dabei mitunter eher hinderlich. Mit charakteristischer Geringschätzung für die niederungen kommerziellen erfolgs erklärte beispielsweise der chefredakteur der Westminster Gazette: „long meditation on the probable opinions of large numbers of inarticulate people produces this singular detachment from what is called the merits of an argument.“14 ähnlich verächtlich äußerte rolfe arnold scott-James, leitartikler und literaturkritiker der liberalen Daily News, in der northcliffe-presse könne man vielleicht für pillen werben, aber nicht für ideen.15 northcliffes ehrgeiz, nicht nur als lautsprecher zu dienen, sondern selbst in die politik einzugreifen, reichte bis vor die Jahrhundertwende zurück, als er bei den unterhauswahlen 1895 erfolglos als konservativer kandidat für den Wahlkreis portsmouth angetreten war. aus der damaligen enttäuschung hatte er die schlussfolgerung gezogen, sein platz sei nicht im unterhaus, sondern im house of lords, „where they don’t fight elections“.16 nachdem der Verleger 1905 tatsächlich einen sitz im oberhaus erhalten hatte, war er freilich noch lange nicht am ziel seiner Wünsche. seine Daily Mail besaß zwar die höchste auflage aller englischen tageszeitungen, aber keinen nennenswerten einfluss in der politischen elite. Die Daily Mail werde nicht ernst genommen, schrieb Garvin an den Verleger, weil das Blatt sich selbst nicht ernst nehme: „[its] comments on public questions are meagre, inconspicuous, detached, spasmodic and incalculable. With a magnificent business system, it has no intellectual and moral system, which is not needed for obtaining circulation but is indispensable if power and authority are to be conquered.“17 northcliffe sah das ähnlich. hartnäckig hielten sich Gerüchte, er beabsichtige, eine der beiden in chronischen finanznöten schwebenden großen politischen Morgenzeitungen – den Standard oder die Times – aufzukaufen und zu seinem politischen sprachrohr zu machen.18 nachdem mehrere anläufe, die Times zu übernehmen, gescheitert waren und sein rivale pearson ihm beim standard zuvorgekommen war, entschied sich northcliffe im Mai 1905, zu1

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zu den politischen ambitionen großer presseverleger siehe die vergleichende analyse von Requate, Medienmacht, der sich allerdings im falle northcliffes auf die kriegsjahre und das Verhältnis zu lloyd George konzentriert; außerdem Boyce, crusaders. Spender, life, Bd. 1, s. 108. Scott-James, influence, s. 14–5. zitiert nach: Thompson, northcliffe, s. 0. Vgl. Koss, rise, Bd. 1, s. 54–5; Pound und Harmsworth, northcliffe, s. 157–90. Garvin an northcliffe, 1. Dezember 1906, zitiert nach: Gollin, observer, s. 18–9. Metternich an Bülow, 5. november 1904, pa-aa, england presse nr. 7, r 5621.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

nächst ein anderes traditionsreiches Blatt der politischen richtungspresse zu erwerben: londons älteste sonntagszeitung Observer, deren auflage auf 2000 bis 4000 exemplare zurückgegangen war und die northcliffe daher für die vergleichsweise geringe summe von 4000 £ zum kauf angeboten wurde.19 nach einem kurzen zwischenspiel unter der leitung des früheren reuters-korrespondenten in Berlin, austin harrison, gewann northcliffe im herbst 1907 seinen Wunschkandidaten Garvin für den posten des chefredakteurs. Der publizist war nicht zuletzt deswegen des Verlegers erste Wahl, weil er prophezeit hatte, northcliffe stünden alle Wege zur ausübung politischer Macht offen, „if you would put real earnestness, conviction, steady hammering, advocacy of the right things against the histrionic solemnity [of the other papers]. […] it is a big thing […] to make a nation and its government as you might do. nothing less!“140 Wenig später eröffnete sich northcliffe eine neue chance, die Times zu übernehmen, deren finanzielle lage sich infolge einer Mischung aus Missmanagement, uneinigkeit unter den aktionären und der konkurrenz durch die neue Massenpresse weiter verschlechtert hatte. im herbst und Winter 1907/1908 kursierten Gerüchte über kaufverhandlungen mit verschiedenen interessenten, darunter northcliffe und pearson.141 sogar die reichsleitung witterte zwischenzeitlich eine Gelegenheit, über das finanzielle engagement eines konsortiums deutscher und österreichischer industrieller und Bankiers einen außenpolitischen kurswechsel des Blattes herbeizuführen. Jedenfalls raunte man sich das in londoner pressekreisen hinter vorgehaltener hand zu. insbesondere die kontakte einiger anteilseigner der Times zum Wiener Bank-Verein um die finanziers koch und speyer betrachteten viele in london mit Misstrauen.142 „i fear speyer and koch“, schrieb der Times-korrespondent in Wien, henry Wickham steed, an seine zentrale: even if they have no direct commission from the German Government, they are German Jews, and five years’ experience here has taught me one thing: for some unexplained reason, interest, clannishness, unconscious linguistic or racial fanaticism, every Jew in this part of the world is a strong pro-German who looks towards Berlin, as the Musselman towards Mecca. i have studied them, high and low, rich and poor, learned and ignorant – in their heart of hearts they are pro-German to a man.14

Das Gerede entbehrte nicht der Grundlage. in der Wilhelmstraße dachte man seit längerer zeit – spätestens seit 1906 – darüber nach, entweder eine in london bereits existierende Morgenzeitung zu kaufen oder ein englisches abendblatt in london zu gründen, um darin „in geschicktester Weise […] für eine annäherung 19 140 141 142 14

Thompson, northcliffe, s. 120–1; Koss, rise, Bd. 2, s. 4–5; Pound und Harmsworth, northcliffe, s. 240, 268, 271. Garvin an northcliffe, 1. Dezember 1906, zitiert nach Gollin, observer, s. 19. Vgl. hot Bd. , s. 509–6; siehe auch Koss, rise, Bd. 2, s. 84–92; Pound und Harmsworth, northcliffe, s. 08–17. Vgl. hot Bd. , s. 56–565; Pound und Harmsworth, northcliffe, s. 11–2. zitiert nach: Pound und Harmsworth, northcliffe, s. 12.

d) Presse-Imperien, Parteipolitik und Wahlkampfstrategien

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zwischen england und Deutschland“ zu wirken.144 in den folgenden Monaten konzentrierte sich das interesse auf die Times. ende november 1907 wandte sich Metternich im auftrag von außenstaatssekretär schön an den Bankier und Direktor der Berliner handelsgesellschaft carl fürstenberg, freilich „ohne den namen der zeitung zu nennen, für die sie möchten, dass er sich finanziell interessieren soll“. Die antwort fürstenbergs fiel hinhaltend aus. Da es sich um eine größere summe „wie 100 000 Mark“ handele, sei das opfer für ihn im augenblick zu groß, beschied er. sobald die allgemeine finanzlage sich besser gestalte, „also vielleicht schon im nächsten frühjahr“, wäre er nicht abgeneigt sich zu beteiligen. augenblicklich könne er dies aber zu seinem Bedauern nicht tun; prinzipiell stehe er der sache aber „sympathisch“ gegenüber.145 sechs Wochen später hatte Bernstorffs nachfolger, Botschaftsrat stumm, die hoffnung noch nicht aufgegeben. es sei zwar nicht ratsam, schrieb er aus london, einen direkten einfluss auf die zeitung zu gewinnen. er hielt es aber für denkbar, „dritte persönlichkeiten, die eine Gewähr dafür bieten würden, dass das Blatt in zukunft uns gegenüber eine etwas maßvollere haltung einnimmt“, für die angelegenheit zu interessieren.146 in der Wilhelmstraße überwog jedoch die sorge vor kompromittierenden Verwicklungen, nicht zuletzt nach den schlechten erfahrungen, die man mit Bernstorffs gescheiterter presseoffensive in london gemacht hatte. so sehr es erwünscht sei, wenn die neuen Geldgeber der Times sich in deutschfreundlichen kreisen finden sollten, beschied man stumm, so notwendig erscheine es, dass die Botschaft gegenüber anregungen, die sich auf finanzielle Beteiligung an englischen zeitungsunternehmungen bezögen, „größte Vorsicht beobachtet“.147 letztlich zerschlugen sich diese pläne ohnehin. Denn northcliffe gelang es dank der unterstützung von Moberly Bell, seinen rivalen pearson auszumanövrieren, sich für eine summe von mehr als 470 000 £ einen leitenden einfluss auf das Blatt zu sichern und seinen engen Vertrauten kennedy Jones mit der wirtschaftlichen sanierung der zeitung zu beauftragen. im Gegenzug versprach der Verleger, nach außen zunächst als „Mr. X“ seine anonymität zu wahren und die überkommene redaktionslinie unter der leitung von Buckle und chirol weder in der innen- noch in der außenpolitik anzutasten.148 trotz der strengen Geheimhaltungsabsprachen drangen Details des Geschäftsabschlusses nach außen. 144

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Boas an Ballin, 7. Dezember 1906, pa-aa, england 7 secr., r 5644. für einen ähnlichen plan in Bezug auf frankreich siehe Bülow an hammann, 2. Juli 1906, Ba lichterfelde, nl 2106, otto hammann, 1/12, Bl. 2–4. Metternich an schön, 0. november 1907, pa-aa, england 7 secr., r 5644. stumm an Bülow, 0. Dezember 1907, ebd. aa an Geschäftsträger london, 7. Januar 1908 (geheim), ebd. schreiben Moberly Bells vom 9. februar 1908, zitiert nach: hot Bd. , s. 549, aus dem freilich auch hervorgeht, dass northcliffe die Beibehaltung der redaktionellen kontinuität nicht als Bedingung für den kauf der zeitung akzeptierte. zu den Details der kaufverhandlungen siehe hot Bd. , s. 56–54; vgl. stumm an Bülow, 25. april 1908, pa-aa, england 7 secr., r 5644. Der damalige assistant Manager der Times, f. harcourt kitchin, erinnerte sich später, northcliffe habe erklärt, er werde dem chefredakteur die uneingeschränkte kontrolle über die redaktionslinie überlassen, „unless he should – which is quite incredib-

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

Die deutsche Botschaft hatte im april 1908 „keinen zweifel“ mehr, wer der neue herr in printing house square war. für die Deutschlandberichterstattung der Times verhieß das aus sicht der deutschen Diplomatie nichts Gutes. Wenn das Blatt den anspruch erhebe, in unparteiischer Weise die tagesereignisse zu besprechen, meldete stumm nach Berlin, so treffe das bezüglich der auswärtigen politik gewiss nicht zu, „und auch innerpolitisch dürfte es unter dem einfluss des herrn harmsworth allmählig [sic] vollständig in das konservativ-schutzzöllnerische fahrwasser übergleiten“.149 northcliffes Berater in der Daily Mail waren sich weniger sicher, ob die redakteure der Times wirklich an einem strang mit ihnen zogen. „[t]his is a crisis in our national life“, beschwerte sich Wilson gegenüber northcliffe im Mai 1909 auf dem höhepunkt der flottenpanik, „and the times is writing of tulips when it should be leading us into battle“.150 auch in der parteiführung der britischen konservativen war man sich über den künftigen kurs der Times im unklaren. „Where is the power lodged?“, fragte Balfours privatsekretär und pressebeauftragter, Jack sandars, noch im herbst 1909. Wenn man mit der alten Garde in der redaktion spreche, versicherten diese, sie allein bestimmten die linie; andere behaupteten, northcliffes Vertrauter kennedy Jones habe das sagen, „but it is difficult to detect it in the undecided tones of our leading paper“.151 Mit Blick auf die anfang 1910 ins haus stehende unterhauswahl war die frage nach der politischen ausrichtung der Times und der anderen Blätter des northcliffe-konzerns für die tories von mehr als akademischem interesse. Der konservative Wahlkampf sollte um drei themen kreisen: den radikalen – von den tories als „sozialistisch“ verdammten – haushalt von schatzkanzler lloyd George, die Verhinderung der von den liberalen geplanten reform des oberhauses und die einführung eines schutzzollsystems. Die unterstützung der konservativen presse in diesen fragen galt aus sicht der parteiführung als zentral. sandars, in dessen aufgabenbereich die koordination der unionistischen pressearbeit fiel, bemühte sich nach kräften, die führenden persönlichkeiten des northcliffe’schen zeitungsimperiums in den Wahlkampf seiner partei einzubinden.152 nicht zuletzt sandars’ Wirken hinter den kulissen verdankte Garvin seine einflussreiche rolle in den strategischen und programmatischen planungen der konservativen partei. im herbst 1909 war Garvins einfluss so bedeutend geworden, dass andere Journalisten ihn als „Director in chief of the tory party“ und „Balfour’s master“ bezeichneten.15 noch wichtiger als Garvin und der Observer

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le – fail to warn the British people of the coming German peril. i insist upon that duty being discharged“; Kitchin, times, s. 28. stumm an Bülow, 25. april 1908, pa-aa, england 7 secr., r 5644. Vgl. auch Whitman an Bülow, 28. Mai 1908, pa-aa, england presse nr. 7, r 564. Wilson an northcliffe, 22. Mai 1909, Bl, northcliffe papers, add. 62201. sandars an esher, 16. september 1909, zitiert nach: Morris, scaremongers, s. 22. Vgl. Gollin, observer, s. 116–1; Blewett, peers. stead an Garvin, 14. oktober 1909, zitiert nach: Gollin, observer, s. 124; vgl. auch Review of Reviews, februar 1910, s. 111–112; Review of Reviews, Januar 1911, s. 19–26.

e) Die Blatchford-Artikel in der Daily Mail

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waren für die tories northcliffe und die Daily Mail. ein großer teil der Gespräche zwischen sandars und Garvin kreiste um die frage, wie man den Verleger enger an die konservativen binden könne.154 ein Weg war schmeichelei. „let me say how admirably the party is served by the ‚Daily Mail’“, schrieb sandars im Dezember 1909 an northcliffe. „it is a most potent auxiliary. everyone reads it; it is a brief for all our speakers. its arguments, its facts, its criticisms supply the best and the most modern ammunition“155 eine andere Möglichkeit bestand darin, den professionellen rat des Verlegers einzuholen, wie die pressearbeit der partei verbessert werden könne; northcliffes empfehlung, ein eigenes pressebüro beim parteivorstand einzurichten, wurde dankbar aufgenommen.156 als schwieriger erwies es sich, inhaltliche Meinungsunterschiede auszuräumen. Der Verleger hielt an seiner skepsis gegenüber der zollreform fest, von der er weiterhin glaubte, sie werde sich wegen der damit verbundenen angst vor erhöhten lebensmittelpreisen beim Wahlvolk als unpopulär erweisen. „i only wish“, stöhnte sandars, „northcliffe knew as much about politics as he does about business.“157

e) Die Blatchford-Artikel in der D a i l y M a i l eine der größten herausforderungen für die konservativen Wahlkampfplaner bestand darin, northcliffes Geschäftsinteressen mit ihren eigenen politischen strategien zur Deckung zu bringen. Wie man diesen zusammenklang unternehmerischer und politischer ziele zur allgemeinen zufriedenheit herstellen konnte, lässt sich besonders deutlich am Beispiel des unterhauswahlkampfs vom Winter 1909/10 untersuchen. im sommer 1909 hatte Garvin für Balfour einen sieben seiten langen Bericht über die Wahlkampfschriften der tories verfasst. „to seize the imagination“, argumentierte der Journalist, „we […] must have two things. a. a Dream, B. a Bogey. our dream is imperial strength and industrial security based upon tariff reform; and our bogey must be the freely importing foreigner.“158 Dass sich der akzent des konservativen Wahlkampfs in den folgenden Monaten weg von den zollreformträumen, hin zur Betonung des feindbildes – des „German Bogey“ – verschob, hatte seine ursache nicht zuletzt in redaktionellen entscheidungen der northcliffe-presse. Damit sollte sich zeigen, welch entscheidende Mitspracherechte einem einflussreichen Verleger von konservativen parteipolitikern in Wahlkampfzeiten eingeräumt wurden und für wie wertvoll man in diesen situationen die unterstützung der kommerziellen Massenpresse hielt.

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sandars an Balfour, 18. Dezember 1909, Bl, Balfour papers, add. 49795, Bl. 1–41. sandars an northcliffe, 1. Dezember 1909, Bl, northcliffe papers, add. 6215. sandars an northcliffe, 18. Dezember 1909, ebd.; sandars an Balfour, 24. Januar 1910, Bl, Balfour papers, add. 49766, Bl. 81–9. sandars an Balfour, 16. Dezember 1909, ebd., Bl. 29. zitiert nach: Morris, scaremongers, s. 209. siehe auch Fest, Jingoism, s. 179–81.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

im august 1909 hatte northcliffe wieder eine der großen artikelserien über Deutschland in auftrag gegeben, mit der sich die Daily Mail bereits wiederholt hervorgetan hatte. Diesmal entsandte das Blatt aber keinen eigenen Mitarbeiter, sondern den herausgeber der sozialistischen Wochenzeitung The Clarion, robert Blatchford, um von den deutschen herbstmanövern zu berichten.159 Der 1851 geborene sohn zweier Wanderschauspieler schien aus verschiedenen Gründen für die aufgabe geeignet. zum einen hatte er nach einer lehre als Bürstenmacher während der 1870er Jahre sechs Jahre lang in der britischen armee gedient, es dort bis zum rang eines sergeant gebracht und konnte daher – mit ein wenig gutem Willen – als Militärexperte gelten. außerdem besaß er einen anschaulichen, leicht zugänglichen schreibstil, der gut zu einem populären Blatt wie der Daily Mail passte. Vor allem aber war Blatchford ein anhänger der einführung der allgemeinen Wehrpflicht, der sich als einer von wenigen britischen sozialisten während des Burenkrieges hinter die regierung gestellt und verkündet hatte, er sei vor allem engländer, erst dann sozialist.160 obwohl – oder gerade weil – Blatchford kein Deutsch sprach und auf die hilfe eines Übersetzers angewiesen war, kehrte er mit entschiedenen ansichten aus dem kaiserreich zurück. „Berlin?“, schrieb er einem Journalistenkollegen, „pish! lots of nicer places in england: putney, and st. helens, and sheffield.“161 kaum in england angekommen, verfasste Blatchford zehn artikel zu je 1500 Worten, die zur einleitung der heißen Wahlkampfphase vom 1. bis 24. Dezember in der Daily Mail abgedruckt wurden.162 Bereits Blatchfords erster Beitrag, der unter dem titel „the Menace“ erschien, enthielt die Quintessenz seiner Botschaft. „i write these articles“, schrieb er, „because i believe that Germany is deliberately preparing to destroy the British empire; and because i know that we are not ready or able to defend ourselves against a sudden and formidable attack.“ Die anderen themen des Wahlkampfes müssten neben dieser existentiellen Bedrohung bis zur Bedeutungslosigkeit verblassen, so Blatchford. „at the present moment the whole country is in a ferment about the Budget and the peers and the election. it seems sheer criminal lunacy to waste time and strength in chasing such political bubbles when the existence of the empire is threatened.“16 Der rest der artikelreihe variierte dieses leitmotiv auf vielfältige Weise. in eingängiger und zugespitzter form reihte Blatchford die mittlerweile gängigen klischees über Deutschland, die tödliche Gefährdung englands und die notwendigkeit verstärkter Verteidigungsanstrengungen aneinander. er brachte 159

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Vgl. den schriftwechsel zu Blatchfords akkreditierung, insbesondere die Verbalnote der britischen Botschaft an aa, 26. august 1909, und die zustimmung durch den Generalstab des heeres (an den staatssekretär des aa), 24. august 1909; beide in: pa-aa, england 81 nr. , r 596. Vgl. Blatchford, Years. Blatchford an a. M. thompson, o. D. (oktober 1909), central library, Manchester, Blatchford papers. Vgl. Jones, Downing street, s. 249–25; siehe auch Blatchford, Years, s. 22–224. Daily Mail vom 1. Dezember 1909.

e) Die Blatchford-Artikel in der Daily Mail



das angeblich friedliebende und gutmütige deutsche Volk in einen Gegensatz zur kriegslustigen deutschen regierung, ermahnte seine landsleute, alle trennenden parteifragen zur seite zu setzen und nur daran zu denken, mit geeinten kräften dem deutschen Gegner Widerstand zu leisten. „Germany has ships, quays, equipment and men ready for an invasion of an enemy’s country“, schrieb er.164 Der feind bedrohe nicht nur die britischen inseln, sondern strebe nach der hegemonie in europa und gefährde den fortbestand des Mächtegleichgewichts auf dem kontinent.165 nur durch einführung der allgemeinen Wehrpflicht könne der deutschen Gefahr wirksam begegnet werden, zumal der Militärdienst darüber hinaus noch andere Vorteile für die britische Jugend und das ganze Volk mit sich bringe: i have seen coster boys, mill hands, town-bred hooligans, ignorant, round-shouldered, pallid, unwashed, and morally loose, come into a regiment; and in six months they were clean, smart, well-conducted, well-spoken, well-built soldiers. i have seen the transformation effected. i have myself gone through the mill. i am convinced that the army saved my life.166

Was Blatchford schrieb war weder neu noch originell – und auch in vielen einzelheiten sachlich falsch.167 es traf aber den nerv vieler Briten. „nothing that has appeared in the ‚Daily Mail‘ in recent years“, behauptete ein leitartikler des Blattes, „has attracted more attention, has aroused more discussion or has been followed by our readers with closer interest.“168 tatsächlich verkaufte sich die artikelserie, die schon einen tag nach erscheinen der letzten folge als flugschrift erhältlich war, innerhalb von nur vier Wochen 1,6 Millionen Mal. Weitere 250 000 exemplare wurden von verschiedenen Gliederungen der konservativen partei als propagandamaterial bei unionistischen Wahlkampfveranstaltungen unentgeltlich verteilt.169 obwohl Blatchford von der Daily Mail ein honorar von zehn Guinees pro tausend Worte und fünfzig prozent der Verkaufserlöse der flugschriftfassung erhielt, musste er für seine Verbindung mit der Daily Mail und den tories teuer bezahlen, indem sein ruf innerhalb der arbeiterbewegung irreparablen schaden nahm.170 Der parteichef der independent labour party, keir hardie, bedauerte, dass die größten feinde der arbeiterpartei jetzt mit einem namen

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ebd., 15. Dezember 1909. „[t]he command of the seas will not enable us to maintain the balance of power. […] therefore, the Blue-Water theory is wrong, and lord roberts is right“; ebd., 20. Dezember 1909. ebd., 22. Dezember 1909. Vgl. etwa die richtigstellung hinsichtlich der zahl der in den stahlwerken von krupp beschäftigten arbeiter in einem leserbrief eines John leyland an die Daily News vom 5. Januar 1910. siehe auch Metternich an Bethmann hollweg, 10. februar 1910, Gp, Bd. 28, nr. 1071, s. 294. Daily Mail vom 2. Dezember 1909. Vgl. auch Jones, Downing street, s. 25. ebd., 2. Dezember 1909 und 22. Januar 1910. Vgl. Jones, Downing street, s. 249–5.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

Missbrauch treiben könnten, der einst unter den sozialisten einen guten klang gehabt habe. anders als Blatchford behaupte, sei die einzig wirklich drohende Gefahr eine regierung derer, die jetzt mit dem kriegsgespenst spielten. es sei aufgabe einer starken arbeiterpartei, so hardie, die Bluthunde in Großbritannien am riemen zu halten, so wie die pflicht der deutschen Genossen darin bestehe, in ihrem land dasselbe zu tun. krieg und die unseligen ausgaben für kriegsrüstungen würden dann für immer unmöglich gemacht werden.171 nach dieser Verdammung durch den politischen führer der britischen arbeiterschaft sank die auflage von Blatchfords Clarion dramatisch. „the man is a noble fellow“, schrieb northcliffe mit dem für ihn typischen Blick auf die geschäftliche seite jeder aktion, „because it has almost killed his ‚clarion‘. the circulation has already gone down by half.“172 Die konservative presse hingegen griff Blatchfords Vorlage begierig auf. Garvin strich im Observer ebenfalls die flottenrivalität mit Deutschland und die notwendigkeit verstärkter britischer rüstungsanstrengungen heraus. er bezeichnete Blatchford als genauesten kenner der deutschen regierung und ihrer ziele und erklärte, jede für die liberalen abgegebene stimme sei eine stimme gegen england, gegen die englische und für die deutsche flotte.17 seine früheren Betrachtungen über die Bedeutung der zollreform beiseite schiebend, schrieb er an sandars, die Verteidigung des empire müsse zum schlachtruf der tories im Wahlkampf werden. „it would inspire enthusiasm in the party and would take the country. it would be intelligible to the dullest elector. it would be navally sound; and yet first class politics.“ Das thema sei nicht zuletzt deswegen so gut für den Wahlkampf geeignet, weil es einen keil zwischen den imperialistischen und den radikalen flügel der liberalen treibe und die partei entzweie.174 in der National Review schlachtete Maxse die Blatchford-artikel ebenfalls weidlich aus. „they are so admirable“, schrieb er an northcliffe, „and express views which i have been trying to express for the last ten years with such terseness and force, that i could not resist borrowing freely, and shall want to buy the pamphlet by the thousand to take about with me.“175 auch im Spectator wurde der herausgeber des Clarion lobend erwähnt. strachey fand die artikel „excellent“ und konnte Blatchfords ansichten über den zweck der deutschen rüstungen nur zustimmen.176 Der Daily Express kolportierte Gerüchte, nach einer Wiederwahl strebe das liberale kabinett eine Entente mit Deutschland an, die nur durch einen konservativen Wahlsieg verhindert werden 171 172 17 174 175 176

Vgl. den Bericht Metternichs an Bethmann hollweg vom 2. Dezember 1909, pa-aa, england nr. 78, r 5741. northcliffe an Maxse, 29. Dezember 1909, Wsro, Maxse papers 460, Bl. 50. Observer vom 19. Dezember 1909. Garvin an sandars, 20. Dezember 1909, zitiert nach: Gollin, observer, s. 10. Maxse an northcliffe, 24. Dezember 1909, Bl, northcliffe papers, add 62175; Maxse an northcliffe, 1. Januar 1910, ebd. Spectator vom 18. Dezember 1909; vgl. Metternich an Bethmann hollweg, 20. Dezember 1909, pa-aa, england nr. 78, r 5741.

e) Die Blatchford-Artikel in der Daily Mail

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könne.177 Die Morning Post veröffentlichte einen artikel des ehemaligen kriegsberichterstatters der Times, archibald colquhoun, über „the national crisis. the lesson of 1866–1870“. politiker beider großen parteien hätten zugegeben, führte colquhoun aus, dass Großbritannien gegenwärtig so gefährdet sei wie frankreich vor 1870. aus parteipolitischen rücksichten versichere die regierung jedoch, alles sei in ordnung, und es bleibe einem sozialisten überlassen, die Wahrheit zu sagen. Deutschland werde gegen england losschlagen, weil das land ihm den Weg zur erlangung der hegemonie in europa versperre. Die reichsregierung bereite systematisch einen angriff vor; im geeigneten augenblick werde sich dann wie 1870 ein Vorwand für eine aggression finden.178 Direkte hinweise und versteckte anspielungen auf die artikel in der Daily Mail fanden sich nicht nur in der tory-presse, sie gehörten seit Mitte Dezember auch zum standardrepertoire konservativer Wahlkampfreden. Der ehemalige erste lord der admiralität, cawdor, warnte vor deutschen invasionsabsichten, während sich lord cromer explizit auf Blatchford bezog, als er feststellte, trotz aller politischen Meinungsverschiedenheiten gebe es einen Bezugspunkt zwischen ihm und dem sozialisten: sie seien beide vaterlandsliebende engländer. alle gemäßigt gesinnten Wähler sollten sich Blatchfords aufruf zu herzen nehmen und konservativ wählen, weil die tories den verteidigungspolitischen herausforderungen der zukunft besser gewachsen seien.179 sir George elliot armstrong, ein ehemaliger Marineoffizier und herausgeber des Globe, prophezeite einer Versammlung walisischer konservativer in pembroke, „[that] the day might come when they would hear the enemy’s guns booming in Milford haven“.180 ähnliche reden konnte man nicht nur von lord curzon, lord Beresford und dem earl of Denbigh vernehmen, sondern auch von carlyon Bellairs, einem unterhausabgeordneten, der wegen der flottenfrage von den liberalen zu den tories übergewechselt war.181 parteichef Balfour stimmte trotz anfänglicher Bedenken in den chor mit ein. es herrsche seltene einigkeit unter den staatsmännern und Diplomaten der kleineren europäischen Mächte, versicherte er auf einer Wahlkampfveranstaltung in henley, „that a struggle sooner or later between this country and Germany is inevitable“.182 es werde immer deutli177

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„Germans naturally view with considerable misgiving“, schrieb der Berlin-korrespondent des Blattes, „the return of the unionist party to power, for they feel assured that no sooner will the unionists take over the reins of office than the tampering with Great Britain’s navy will cease“; Daily Express vom 29. Dezember 1909; vgl. auch Daily Express vom 1. Dezember 1909; kopien in: pa-aa, england 81 nr. , r 596. Morning Post vom 27. Dezember 1909; vgl. Metternich an Bethmann hollweg, 27. Dezember 1909, pa-aa, england nr. 78, r 5741. Vgl. die Berichte Metternichs an Bethmann hollweg vom 18.und 21. Dezember 1909, ebd. zitiert nach: Daily News vom 6. Januar 1910. Vgl. Metternichs Berichte an Bethmann hollweg vom 16., und 18. Dezember 1909, pa-aa, england nr. 78, r 5741. zitiert nach: Daily News vom 6. Januar 1910. zu Balfours anfänglichen Bedenken siehe sein schreiben an Garvin vom 0. Dezember 1909, abgedruckt in: Gollin, observer, s. 10, sowie seinen Brief an northcliffe vom . Januar 1910, Bl, northcliffe papers, add. 6215.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

cher, berichtete Metternich aus london, dass die unionisten seit dem erscheinen der Blatchford-artikel die agitation für die zollfreform in den hintergrund treten ließen, dafür aber versuchten die flotte und das Verhältnis zu Deutschland als „hauptsächliche Grundlage ihrer Wahlagitation“ zu nutzen.18 entsprechend abwehrend reagierte das liberale lager. Gewiefte Wahlkämpfer wie schatzkanzler lloyd George suchten die Vorwürfe der tories zu entkräften, indem sie selbst nationalistische töne anschlugen. „there is not a German“, prahlte lloyd George auf einer Veranstaltung in Grimsby, „who does not know that if the German fleet in a moment of madness ever attempted to take us, that German fleet would be at the bottom of the German ocean in a very few hours.“184 andere liberale politiker wie lord lyveden erklärten jeden Versuch, der englischen nation einzureden, dass ein krieg mit Deutschland bevorstehe oder unvermeidlich sei, für „ungerecht und grundlos“. publizisten, die weit verbreitete Blätter dazu missbrauchten, aus parteipolitischem interesse heraus andere nationen zu verhetzen, seien „Verbrecher gegen ihr land, gegen die zivilisation und gegen das christentum“.185 Die torheiten der Daily Mail könnten einem den schlaf rauben, behauptete lord kimberley, während der liberale Minister augustine Birrell das Bestreben der tories, zwischen Deutschland und england „dauernde feindschaft und aufreizung“ herbeizureden, als „feig und empörend“ bezeichnete.186 Die liberale presse verurteilte Blatchfords artikel einhellig als durchsichtiges Manöver, das Wahlvolk durch chauvinistische alarmrufe zur stimmabgabe für die tories zu bewegen.187 Der Daily Chronicle druckte einen langen leserbrief des historikers J. holland rose, der Blatchfords artikel einer eingehenden kritik unterwarf. Der angeblich von Deutschland geplante eroberungskrieg war roses argumentation zufolge in anbetracht der russisch-französischen allianz ein bloßes phantasiegebilde. Wenn Wilhelm ii. tatsächlich die absicht verfolge, über england herzufallen, wäre die Gelegenheit während des Burenkrieges viel günstiger gewesen. Das ende des krieges in südafrika sowie die abkommen mit paris und st. petersburg hätten die britische lage klar verbessert.188 Besonders besorgt waren britische liberale über mögliche auswirkungen, die Blatchfords artikel in Deutschland haben könnten. Die international arbitration & peace association protestierte bei außenminister Grey gegen „certain anti-German articles contributed to the Daily Mail by a well-known writer“. Blatchfords Behauptungen seien faktisch weitgehend unbegründet und dienten dazu, die öffentliche Meinung gegen ein land aufzuhetzen, mit dem sich Groß18 184 185 186 187

188

Metternich an Bethmann hollweg, 21. Dezember 1909, pa-aa, england nr. 78, r 5741. zitiert nach Owen, Journey, s. 186–7. Metternich an Bethmann-hollweg, 15. Dezember 1909, pa-aa, england nr. 78, r 5741. Vgl. die Berichte Metternichs an Bethmann hollweg vom 18. und 2. Dezember 1909, ebd. „Deliberate raking of the fires of hell for votes“, schrieb der Manchester Guardian, „is an act of political depravity and no party extremity can excuse such behaviour“; Manchester Guardian vom 20. Dezember 1909. Daily Chronicle vom 8. Januar 1910, kopie in: pa-aa, england nr. 78, r 5742.

e) Die Blatchford-Artikel in der Daily Mail

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britannien im frieden befinde. Die Deutschen dürften sich durch derartige artikel nicht über die öffentliche Meinung in england täuschen lassen.189 Derartige Beschwichtigungsversuche dokumentieren den einfluss, den man northcliffes Massenpresse im liberalen lager zumaß. percy William Bunting, herausgeber der Contemporary Review und Mitglied der national liberal foundation, schrieb an den herausgeber der Preußischen Jahrbücher, hans Delbrück, er hoffe, Delbrück und andere intelligente Deutsche schenkten den skandalösen Versuchen der tories, aus Gerüchten bezüglich deutscher feindseligkeit gegenüber england politisches kapital zu schlagen, keine Beachtung. Besonders empört war Bunting über Balfours rede in henley. Der ex-premierminister sei zwar ein intellektueller und hoch gebildeter, aber kein starker Mann, der besondere schwäche zeige, wenn es um parteifragen gehe.190 Diese sorgen waren nicht auf die liberale partei beschränkt. auch im umkreis des königs fürchtete man negative auswirkungen auf das deutsch-britische Verhältnis. edwards Vertrauter, lord esher, übersandte seinem sohn ein exemplar der Daily Mail als Beleg für die skrupellosigkeit von leuten, die einen krieg mit Deutschland in kauf nähmen, um eine parteipolitische niederlage zu verhindern, wie er schrieb: „i don’t think political crime can go much lower than that.“ es bleibe zu hoffen, so esher, dass engländer wie Deutsche den trick durchschauten. auch der Monarch selbst beklagte laut esher „Blatchford’s violence“. edward beabsichtige, dem kaiser zu schreiben, „that the two countries have no cause for quarrel and jealousy, and that the press should not be allowed to stir up ill-feeling“.191 Die Befürchtungen waren nicht unbegründet. im reich nahm man die antideutsche stoßrichtung des konservativen Wahlkampfs ernst, auch wenn man dem phänomen mit einem Gefühl staunender Machtlosigkeit gegenüberstand. es sei nicht leicht, erklärte Metternich auf einer feier zu ehren von Wilhelms Geburtstag, „to reply to the hallucinations of timorous souls“. Wer sich ernsthaft vorstellen könne, Deutschland warte nur auf eine Gelegenheit, schwächere Mächte zu überfallen, sei vernünftigen argumenten nicht zugänglich.192 kurz darauf hielt er Balfour in einem Gespräch unter vier augen vor, die „provokatorischen reden und schriften“ englischer staatsmänner und publizisten würden sich zu einer ernsten „Gefahr für den frieden“ entwickeln, sollte die kampagne über den Wahltag hinaus fortgesetzt oder bei späterer Gelegenheit wieder aufgenommen werden.19 Der neue reichskanzler Bethmann hollweg zeigte sich gegenüber dem britischen Botschafter ebenfalls „verstimmt und enttäuscht“, während der kaiser Blatchfords artikel „sehr unheilvoll und höchst unzeitgemäß“ fand. in england seien alle verrückt, erklärte er dem britischen Botschafter sir 189 190 191 192 19

frederik Green an Grey, 24. Dezember 1909, tna, fo 71/677/47009, Bl. 88–9. Bunting an Delbrück, 10. Januar 1910, sBpk, nl Delbrück. esher an seinen sohn, 9. Dezember 1909 und 25. Januar 1910, abgedruckt in Brett, Journals, Bd. 2, s. 426, 442. zitiert nach: Times vom 29. Januar 1910. Metternich an Bethmann hollweg, 10. februar 1910, Gp, Bd. 28, nr. 1071, s. 292.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

William Goschen. Die leute schienen zu glauben, „dass ich hier mit meiner streitaxt hinterm rücken dastehe, bereit, jeden augenblick über sie herzufallen“.194 noch Monate später warf Wilhelm britischen Diplomaten vor, seit dem krimkrieg habe sich in england nichts zugetragen, was der letzten „flottenpanik“ nahe komme, die sich von den „herzögen bis zu den niedrigsten im land“ zu erstrecken scheine.195 anders als seinem Vorgänger Bülow war Bethmann hollweg nicht daran gelegen, aus derartigen Verstimmungen politisches kapital für eine ehrgeizige flottenpolitik zu schlagen. ihm ging es im Gegenteil darum, über eine marinepolitische entspannung eine allgemeine Détente mit england zu herbeizuführen, die Deutschland aus der drohenden isolierung befreien und an der seite der britischen Weltmacht greifbarere kolonialpolitische Gewinne ermöglichen sollte als dies mit Bülows ebenso hochfliegenden wie unbestimmten weltpolitischen ambitionen gelungen war.196 Wie die Dinge lagen, konnte die reichsführung in dieser hinsicht von der liberalen regierungspartei in Großbritannien größere kooperationsbereitschaft erwarten als von der konservativen opposition. Das auswärtige amt wies daher den WtB-Vertreter in london an, von den Blatchford-artikeln, die lediglich als „Wahlmunition der Daily Mail“ dienten, „keine notiz zu nehmen“.197 obwohl die nachrichtenagentur unverzüglich „entsprechend verständigt“ wurde, gelang es dem auswärtigen amt nicht, eine Diskussion der artikel in der deutschen presse zu verhindern.198 Die meisten deutschen Blätter sahen darin nicht nur alarmistische propaganda, sondern gezielte Wahlkampfhilfe für die konservativen durch Blatchford, der von der Daily Mail bezahlt werde, um ein zusammengehen der liberalen mit keir hardies independent labour party zu verhindern und sozialistische stimmen für die unionisten zu fangen. teutophobie und rüstung zum krieg gegen Deutschland, so die Kreuzzeitung, werde damit zum zentralen Bestandteil des unionistischen programms.199 „in a long experience“, kabelte der Berlin-korrespondent der Daily Mail an seinen arbeitgeber, „i do not recall a foreign journalistic event which so focussed the attention of the German press and public.“200 auch Goschen berichtete dem foreign office, die artikel hätten in Deutschland beträchtliche empörung ausgelöst.201 in seinem Jahresbericht für 1909 bemerkte der Botschafter einige Monate später, zwischen Bethmann holl194 195 196 197 198 199 200 201

Grey an Goschen, 1. Dezember 1909, BD, Bd. 6,1, nr. 210, s. 55; Goschen an Grey, 1. Januar 1910, BD, Bd. 6,2, nr. 25, s. 721–2. kapitän heath an Goschen, 7. März 1910, BD. Bd. 6,2, nr. 5, s. 72. Hildebrand, reich, s. 250–1. handschriftliche notiz zur Veranlassung innerhalb des aa, 1. Dezember 1909, pa-aa, england nr. 78, r 5741. notiz Mühlbergs, 1. Dezember 1909, pa-aa, england nr. 78, r 5741. Kreuzzeitung nr. 567 vom 1. Dezember 1909. Wile an nortchliffe, 15. Dezember 1909, zitiert nach: Morris, scaremongers, s. 214. Goschen an Grey, 1. Dezember 1909, BD, Bd. 6,1, nr. 209, s. 52. Vgl. auch schon Goschen an Grey, 1. Dezember 1909, tna, fo 71/677/45624, Bl. 79–8.

e) Die Blatchford-Artikel in der Daily Mail

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wegs amtsantritt und der Veröffentlichung von Blatchfords artikeln sei „in den Beziehungen zwischen den beiden ländern eine beträchtliche Besserung“ eingetreten. Bei der kaiserlichen regierung sowie bei einem nicht unbeträchtlichen teil des deutschen Volkes habe in der zweiten Jahreshälfte 1909 ein starker Wunsch bestanden, „mit Großbritannien zu einer Verständigung zu kommen“. Die Blatchford-artikel in der Daily Mail und einige der darauf beruhenden politischen reden hätten jedoch „die größte entrüstung“ erregt.202 Die falken im britischen foreign office störte das wenig – im Gegenteil. „Mr. Blatchford writes what he considers to be the truth“, bemerkte crowe zustimmend, auch wenn er offen ließ, ob der zeitpunkt und die Begleitumstände der Veröffentlichung so kurz vor der Wahl glücklich gewählt seien. Die kommentare der deutschen presse, Blatchford sei von den tories „gekauft“, bezeichnete der Beamte als „farfetched nonsense“.20 Überdies bewiesen die deutschen reaktionen aus seiner sicht einmal mehr, wie sehr man sich vor dem reich in acht zu nehmen hatte. als der britische Militärattaché in Berlin, oberst trench, berichtete, die deutsche presse wie deutsche Militärs hätten besorgt auf Blatchfords Befürwortung der einführung der allgemeinen Wehrpflicht in Großbritannien reagiert, notierte crowe: „if it is really the case that German military authorities would be alarmed by our adoption of general service, it would be some evidence that they do after all at present contemplate the possibility of invasion.“204 außenminister Grey ging zwar nicht so weit wie crowe, aber auch er zeigte kein Verständnis für die Verärgerung der reichsführung. Die artikel und reden seien „nicht wirklich antideutsch“, instruierte er Goschen, „sondern alarmistisch“. sie entsprängen teilweise der Überzeugung, dass england zwischen krieg und diplomatischer Demütigung zu wählen hätte, wenn die deutsche flotte stark genug wäre, um sich mit der britischen zu messen. „Dies halte ich für richtig.“ hinzu komme der Wunsch, zu Wahlzwecken einen schrecken (scare) zu erzeugen, wozu es notwendig sei, dass Bild der Gefahr zu vergrößern. er werde sich, versicherte Grey, „von der Daily Mail und den peers, die ihre Wahlreden halten, nicht von meinem Weg abbringen lassen; aber wenn ich oder sonst einer von uns versuchen wollte, ihre schreibereien und reden zu mäßigen, so würde das nur zu einer Verdopplung ihrer Bemühungen führen.“ Bethmann hollweg bleibe nichts anderes übrig als das, was gegenwärtig in england vor sich gehe, zu „diskontieren“ und bis nach der Wahl zu warten, um zu sehen, was für ein kern darin stecke.205 202 20 204

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Goschens Jahresbericht 1909, 24. Juni 1910, BD, Bd. 6,1, s. 56–44 (s. 542–). randbemerkung crowe, 16. Dezember 1909, tna, fo 71/677/45624, Bl. 8. randbemerkung crowe, 20. Dezember 1909, zu trench an Goschen, 17. Dezember 1909, tna, fo 71/677/4607, Bl. 86. nicht einmal hardinge mochte dieser interpretation zustimmen. „i do not think that argument conclusive“, entgegnete der permanent undersecreatry. „What Germany would dislike would be the existence of a large British army ready for action on the continent. in fact it is their fear of invasion“; randbemerkung hardinge vom 20. Dezember 1909, ebd. Grey an Goschen, 1. Dezember 1909, BD 6,1, nr. 210, s. 55.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

am ende gelang es den konservativen nicht, an die regierung zu gelangen. asquiths liberales kabinett blieb im amt, wenn auch mit einer dramatisch geschrumpften Mehrheit im unterhaus.206 es ist unmöglich festzustellen, welchen einfluss die Daily Mail, Blatchfords artikelserie und die dadurch eingeleitete antideutsche kampagne auf den Wahlausgang hatten. Viele der schwer angeschlagenen liberalen waren aber überzeugt, dass es nicht zuletzt die von der Gegenseite inszenierte „flottenpanik“ gewesen war, die sie an den rand einer niederlage gebracht hatte.207 spender von der liberal-imperialistischen Westminster Gazette hielt die konservative strategie im rückblick für derart erfolgreich, dass er eine Wiederholung nicht ausschloss.208 northcliffe seinerseits war überzeugt, dass es ihm allein zu verdanken gewesen war, dass Balfour die richtige taktik angewandt habe. seinen eigenen anteil an der Verlagerung des schwerpunktes im tory-Wahlkampf hielt er für größer als Garvins Verdienste. schließlich hatte er direkt mit dem parteichef korrespondiert, während Garvin lediglich mit dem sekretär des tory-leaders in kontakt gestanden hatte.209 erst sein eingreifen habe bewirkt, glaubte der Verleger, dass sich die aufmerksamkeit vor den Wahlen dorthin gerichtet hatte „where it should be – the navy, in my opinion, at the most important moment in our history“.210

f) Northcliffe: Mythos und Wirklichkeit spektakuläre aktionen wie le Queux’ invasionsroman, die luftschiffkampagne vom frühjahr 1909 oder die publikation von Blatchfords artikelserie brachten northcliffe und die Daily Mail in den Verruf, gewissenlose kriegstreiber zu sein. im sommer 1907 bezeichnete ein britischer flugblattschreiber, dessen pamphlet innerhalb kurzer zeit vier auflagen in einer höhe von insgesamt 60 000 stück erreichte, die Daily Mail als „foul-visaged anti-christ of journalism“. Der anonyme autor warf der zeitung neben der Verbreitung von falschmeldungen, skrupelloser Übertreibung, Verleumdung von politikern, falschem

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Die unionisten gewannen 116 sitze, während die liberalen 122 verloren und nur noch eine Mehrheit von zwei stimmen (274 gegenüber 272) besaßen, die freilich mit hilfe der labour party um weitere vierzig vergrößert werden konnte. „the most disagreeable feature of the whole campaign“, schrieb ein liberaler politiker an spender, „seemed to me to be [Balfour’s] bringing in Germany and the navy scare“; Bryce an spender, 25. Januar 1910, Bl, spender papers, add. 46,92. als es während der sich über tage hinziehenden stimmauszählung zwischenzeitlich aussah als könnte den tories ein knapper sieg gelingen, beschrieb spender seinem kollegen Gardiner von der Daily News den zu erwartenden schlachtplan der tories: „it is, shortly, to get in, to propose a hundred million loan for the navy, to dissolve [parliament] again, + to make the election turn on this – in fact to hold a khaki election“; spender an Gardiner, 24. Januar 1910, Blpes, Gardiner papers. Garvin an sandars, 1. Mai 1910, Bod., Mss eng. hist. 760, sandars papers, Bl. 119–21. northcliffe an alfred Butes, 7. Januar 1910, zitiert nach: Morris, scaremongers, s. 42.

f) Northcliffe: Mythos und Wirklichkeit

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zitieren und dem anheizen innenpolitischer Gegensätze vor allem vor, sie schüre bewusst außenpolitische zwistigkeiten: here is a paper which deliberately and of set purpose panders to the lowest instincts of a degrading patriotism by writing despitefully of foreign nations; and, in the interest of its circulation with the unthinking many, does not hesitate to foster and promote the antiforeign bias of its readers, which if it does not cause may some day facilitate the disaster of a great european war.211

für den radikalen flügel der britischen liberalen waren die Daily Mail und ihr Verleger der inbegriff jenes verantwortungslosen Jingoismus, der das land sehenden auges in den großen krieg trieb. „[t]here is nothing to be done with such journalism“, klagte die zeitschrift The Nation, „but to tell other countries what we at home know about its crude sensationalism, the vulgarity of its method, and, above all, its purely commercial character.“212 im Dezember 1914 schrieb der chefredakteur der radikal-liberalen Daily News, alfred G. Gardiner, außer dem deutschen kaiser habe niemand so viel zum ausbruch des krieges beigetragen wie lord northcliffe. „Your claim to be the true prophet of war does not call for dispute“, erklärte Gardiner in einem offenen Brief an den Verleger: it has always been your part to prophesy war and cultivate hate. there is nothing more tempting to the journalist than to be an incendiary. it is the short cut to success, for it is always easier to appeal to the lower passions of men than to their better instincts. there is a larger crowd to address, and you have never deserted the larger crowd. […] we will have no difficulty in pointing to the wars you have fomented, the hatreds you have cultivated, the causes you have deserted, the sensations […] that you have spread broadcast. You have done these things, not because of any principle you cherished. You have done them because they were the short cut to success – that success which is the only thing you reverence amidst all the mysteries and sanctities of life.21

in Deutschland wurde diese sichtweise während des Weltkrieges in zahllosen pamphleten und kampfschriften weiter zugespitzt und popularisiert, vor allem seit northcliffe im frühjahr 1918 für die britische kriegspropaganda zuständig war.214 alle Welt wisse, hieß es in einer 1917 im ullstein-Verlag erschienenen Broschüre über Englische Staatsmänner, dass northcliffe „als stärkster Blasebalg“ in den südafrikanischen krieg gehetzt habe, dass ihm ein krieg mit Deutschland nicht unwillkommen gewesen sei, ja dass er seinen teil der Verantwortung an dem Völkergemetzel trage. Der Verleger liebe den krieg, weil er eine sensation sei und daher förderlich auf die entwicklung der auflagenhöhe wirke, so lautete die these des autors G. sil-Vara, der vor dem krieg als london-korrespondent unter anderem für ullsteins Berliner Morgenpost und die

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flugblatt „concerning the Daily Mail“ (london 1907), kopie in: pa-aa, england presse nr. 7, r 561. „harmsworth at home and abroad“, The Nation vom . september 1910. Vgl. kühlmann an Bethmann hollweg, . september 1910, pa-aa, london 12. Gardiner, Daily Mail, s. 10–1. Vgl. Thomson, politicians.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

B.Z. am Mittag gearbeitet hatte. unter allen kriegshetzern sei northcliffe der „kühlste, unmysteriöseste, von prinzipien am wenigsten beschwerte, gradlinigste“. Man nenne ihn den napoleon seiner zunft; er ähnele aber eher einem tanzenden Derwisch, der sich drehe und drehe, wilde schreie ausstoße und das erstaunen der Menge errege: „Gepredigt wird die religion der skrupellosigkeit. ihr Gott heißt Jingo. und lord northcliffe ist sein prophet.“215 northcliffe war mitschuldig an dem Bild, das man von ihm zeichnete. unmittelbar nach Beginn des ersten Weltkriegs erteilte er einem seiner schreiber den auftrag, eine anthologie von deutschfeindlichen artikeln aus der Daily Mail zusammenzustellen. Die publikation, die im november 1914 unter dem titel Scaremongerings from the Daily Mail 1896–1914: the paper that foretold the war erschien, zielte darauf, die patriotisch aufgeladene stimmung der ersten kriegsmonate auszunutzen, das image northcliffes und der Daily Mail als einsame Warner vor der deutschen Gefahr zu etablieren und kritiker des krieges wie Gardiners Daily News als „pro-German press“ zu denunzieren.216 Die selbststilisierung war nicht aus der luft gegriffen. Wie Maxse, saunders oder Garvin war der herausgeber der Daily Mail ein überzeugter imperialist, der Großbritanniens Weltmachtstellung zunehmend von Deutschland bedroht sah und ein tiefes unbehagen gegenüber den diplomatischen Methoden des kaisers und seiner Berater verspürte.217 schon 1898 hatte er einem Briefpartner anvertraut („as one imperialist to another“), seine nerven litten „from a little too much of the emperor and his world movements“.218 im Weltbild northcliffes, der wie viele seiner zeitgenossen an die existenz unverrückbarer Volkscharaktere glaubte, standen die Deutschen für neid und argwohn, so wie die spanier stolz verkörperten, die franzosen eifersucht, die amerikaner renommierlust und die Briten – kaltblütigkeit.219 seine sicht auf Deutschland war von der gleichen Mixtur aus abgrenzung, rivalität und Bewunderung geprägt, die sich auch bei publizisten wie Garvin oder saunders finden ließ. „Germany is new, alive, brutal, masterful, and horribly nouveau riche“, schrieb er einem Mitarbeiter und fügte düster hinzu: „one may as well get acquainted with our future rulers.“220 Während einer Deutschlandreise im Mai 1909 überschüttete er seine Briefpartner in england mit Beschreibungen des gewaltigen fortschritts, den das reich in den vergangenen Jahren seiner ansicht nach gemacht hatte.221 seinem chefleitartik215 216 217

218 219 220 221

Sil-Vara, staatsmänner, s. 2–4 (s. 24). Brex, scaremongerings. „northcliffe is sound about Germany“, behauptete Garvin, der keineswegs in allen fragen mit dem Verleger übereinstimmte; Garvin an Maxse, o. D. (1908), Wsro, Maxse papers 458, Bl. 81. harmsworth an rosebery, 8. november 1898, zitiert nach Morris, scaremongers, s. 6. northcliffe an Mee, 22. august 1908, Bl, northcliffe papers, add. 6218. northcliffe an Mee, o. D. (1910), ebd. Der Weg nach Berlin habe 50 Meilen lang über felder und Wiesen geführt, schrieb er, „all dotted with new factories, and model factories at that – not the patched-up, make-shifts so often seen at home“; northcliffe an Buckle, 18. Mai 1909, Bl, ebd., add 6224.

f) Northcliffe: Mythos und Wirklichkeit

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ler Wilson berichtete er von dem enormen aufschwung der deutschen industrie, der beinahe in jeder stadt mit händen zu greifen sei: „everyone of these new factory chimneys is a gun pointed at england, and in many cases a very powerful one.“222 nichts und niemand könne die Deutschen von ihrer unerbittlichen zielstrebigkeit abbringen, schrieb er an Garvin. „My Gracious! What a penance it is to be here amidst this marvellous organization and prosperity.“22 zugleich glaubte northcliffe immer stärker daran, dass auf lange sicht ein krieg zwischen Deutschland und england unvermeidlich sei. schon während des Burenkrieges soll er Blumenfeld, damals nachrichtenredakteur der Daily Mail, prophezeit haben, „that the Germans are being led definitely and irrevocably to make war on the rest of europe and that we will have to take part in it“.224 ein anderer Vertrauter schrieb im rückblick, der Verleger sei seit 1908 überzeugt gewesen, dass ein konflikt zwischen beiden ländern bevorstehe.225 Während einer amerikareise, die er im sommer 1909 zusammen mit Moberly Bell von der Times unternahm, erklärten beide Männer übereinstimmend einem reporter des San Francisco Chronicle, ein derartiger krieg sei so unausweichlich wie der zusammenstoß zwischen Deutschland und frankreich 1870 und der kampf zwischen russland und Japan 1904. Bell fügte noch hinzu, „[that] the situation was like that of two trains rushing towards each other on a single track“.226 tatsächlich klagte Botschafter lascelles dem foreign office wiederholt, wie negativ sich die Deutschlandberichterstattung der Daily Mail auf die zwischenstaatlichen Beziehungen auswirke: Deren korrespondent in Berlin prahle gegenüber anderen pressevertretern, er sei von northcliffe beauftragt, „to send home sensational news at any cost. he was not to be particular about its accuracy as it was easy to contradict it afterwards.“ Wile, fügte der Botschafter hinzu, scheine diese instruktionen ziemlich buchstabengetreu zu befolgen.227 Der korrespondent der Daily Mail, stimmte hammann zu, könne nicht einmal als 222 22 224 225 226

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northcliffe an Wilson, 19. Mai 1909, Bl, ebd., add. 62201. northcliffe an Garvin, 22. Mai 1909, zitiert nach: Gollin, impact, s. 60. zitiert nach: Pound und Harmsworth, northcliffe, s. 252. Wrench, uphill, s. 198. zitiert nach Pound und Harmsworth, northcliffe, s. 8. in der deutschen presse wurde northcliffe vorgeworfen, die amerikanische Meinung zum nachteil Deutschlands zu beeinflussen und Misstrauen gegen Deutschland zu säen, indem er „mit eifriger Geflissenheit“ darauf hingewiesen habe, dass Deutschland der alleinige störenfried in der Welt sei, dass der kaiser darauf brenne, seine kriegerischen Gelüste zu betätigen, und dass auch die usa vor seinen angriffsplänen auf der hut sein müssten. „i know“, schrieb der Berlinkorrespondent der Daily Mail, der die entsprechenden artikel an seine londoner zentrale übersandte, „the chief will enjoy reading this tirade“; Wile an price, 6. april 1912, Bl, add 62207, northcliffe papers; vgl. Tägliche Rundschau vom 5. april 1912. lascelles an hardinge, 25. Januar 1907, tna, fo 800/19. Wenn eine zeitung seine Berichterstatter aussende, stimmte der ehemalige unterstaatssekretär sanderson anlässlich einer besonderes aufsehen erregenden artikelserie im Observer zu, seien diese geradezu verpflichtet „to produce something sensational and to adopt the procedure which lloyd George recomments in legislation of ‚beginning with a bang‘“; sanderson an lascelles, 1. Mai 1907, tna, fo 800/1, Bl. 90–.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

besonders „übelwollend“ betrachtet werden, aber er scheine zu glauben, dass er im sinn der Daily Mail arbeite, wenn er „möglichst sensationelle sachen, wenn es geht mit einem tick ins unfreundliche“, bringe.228 Dennoch führten northcliffes Blätter keine kontinuierliche kampagne gegen das reich, trieben Großbritannien keineswegs bewusst in den krieg gegen Deutschland. in northcliffes augen war es eine fehlannahme, „that wars […] pay newspapers“. Von einem betriebswirtschaftlichen standpunkt aus betrachtet, versicherte er strachey, fürchte jede tageszeitung einen krieg wie der teufel das Weihwasser.229 aus sicht der tagespresse war vor allem an den rückgang des anzeigengeschäfts sowie an die enormen kosten zu denken, die jede kriegsberichterstattung mit sich brachte.20 Wochen- und Monatsschriften hingegen liefen als „luxusartikel“ Gefahr, in notzeiten als erstes eingespart und somit abgeschafft zu werden. Der Burenkrieg habe gelehrt, urteilte der leitartikler der Westminster Gazette im herbst 1911, dass sich ein krieg im endresultat negativ auf die Bilanzen von zeitungen auswirke.21 für northcliffe spielten derartige Gesichtspunkte eine besonders große rolle; denn anders als Maxse, Garvin oder saunders war er kein Überzeugungstäter, sondern Geschäftsmann, der Wert darauf legte, dass die Bilanzen stimmten und seine zeitungen mit Gewinn arbeiteten.22 im Gegensatz zu zeitschriften wie der National Review oder dem Spectator verstanden sich die Blätter des harmsworth-konzerns nicht als Meinungsmacher, sondern als nachrichtenorgane, die den „Mann auf der straße“ ansprachen, nicht die politische oder finanzielle elite. „We don’t direct the ordinary man’s opinion“, pflegte der Verleger seinen Mitarbeitern zu predigen, „we reflect it.“2 Die deutsche Diplomatie erkannte den opportunistischen Grundzug der northcliffe-presse frühzeitig. in einem Überblick über die britische presselandschaft charakterisierte Bernstorff die Daily Mail im Januar 1904 als „pulsschlag der öffentlichen Meinung“; ihre Devise laute „popularität und sensation um jeden preis“.24 northcliffe habe keinen anderen ehrgeiz als eine hohe auflage, hieß es in einer ähnlichen Übersicht acht Jahre später: „infolgedessen ist die 228 229

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hammann an Whitman, 10. 6. 1907, pa-aa, england presse nr. 7, r 561. northcliffe an strachey, 10. März 1909, hlro, strachey papers, str 11/4/21. zehn Jahre zuvor hatte die Daily Mail mit Blick auf den spanisch-amerikanischen krieg der these widersprochen, dass krieg gut für die presse sei; Daily Mail vom 25. november 1898. nach einer zeitgenössischen schätzung soll allein der russisch-japanische krieg eine zeitung wie die Times, die eigens einen Dampfer mit drahtloser telegraphie nach fernost entsandte, £ 50 000 (umgerechnet rund eine Million reichsmark) gekostet haben; Peters, england, s. 126. Man könne jedoch nicht bestreiten, fügte er hinzu, dass es meist ein lohnendes Geschäft für die presse darstelle, einen krieg an die Wand zu malen; Westminster Gazette vom 1. september 1911; ähnlich Metternich an kiderlen-Wächter, 1. september 1911, pa-aa, england presse nr. 7, r 568. siehe Pemberton, northcliffe, s. 87; Spender, life, Bd. 2, s. 167. Clarke, northcliffe, s. 15. Bernstorffs aufzeichnung über die englische presselandschaft vom 9. Januar 1904, pa-aa, england 7, r 5617.

f) Northcliffe: Mythos und Wirklichkeit

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‚Mail‘ ziemlich platt, immer sensationell und selten langweilig.“25 Die Deutschlandberichterstattung der Daily Mail sei „lange nicht so schlimm, so boshaft wie die haltung der times“, schrieb der deutschlandfreundliche publizist Whitman an hammann und riet, die deutsche presse solle sich in Bezug auf die angebliche feindschaft des Blattes „nicht so verrennen“. Vielmehr entstehe die hälfte von dem, was die zeitung schreibe, „mehr aus Geschäftssinn für das sensationelle“. es gebe in Deutschland „viel giftigere feinde englands (wenngleich mit wenig einfluss) als die D[aily] M[ail] in Bezug auf Deutschland feindlich ist“.26 northcliffe zögerte nicht, mit deutschen partnern wie dem Berliner Lokalanzeiger beim austausch aktueller nachrichten zu kooperieren, wenn das aussicht auf Gewinn versprach.27 umgekehrt erhielten seine Mitarbeiter in Deutschland strikte anweisungen, sich nicht durch unliebsame artikel zu exponieren, wenn es dem Verleger gefährlich erschien, sich mit der Wilhelmstraße anzulegen. in der eulenburg-affäre beispielsweise bewahrten die Blätter des harmsworth-konzerns durch Vermittlung von zeremonienmeister eugen von roeder weitgehend „stillschweigen“.28 northcliffes rücksichtnahme auf kaiserliche empfindsamkeiten ging dabei so weit, dass ein Mann wie saunders ihm im rückblick der kriecherei bezichtigte.29 in der tat musste sich frederick Wile als Berlin-korrespondent der Daily Mail 1909 und 1910 wiederholt gegen Vorwürfe seines arbeitgebers verteidigen, allzu kritische artikel über den kaiser verfasst zu haben. „Your directions to be careful about baiting the kaiser will, of course, be rigorously followed“, schrieb Wile im Januar 1909 an northcliffe. „i have made an earnest effort to restrain myself. [...] During the past week i have sought out stories particularly friendly to the kaiser and to Germany.“240 ein Jahr später wiederholte der korrespondent, er sei sich nicht bewusst, in den vergangenen Monaten „much kaiser-baiting“ betrieben zu haben. als Beleg fügte er eine aufstellung bei, in der elf artikel über Wilhelm ii. aus den zurückliegenden drei Monaten aufgelistet waren: von der kaiserlichen Beobachtung der flugversuche orville Wrights am 16. oktober 1909 über Wilhelms zusammentreffen mit der französischen schauspielerin Madame Grenier am 27. november bis zum traditionellen neujahrsempfang für seine Generäle am . Januar 1910. „each one of these stories was sent strictly on its news merits“, betonte Wile. „none ever sent by me is deliberately unfriendly. all are scrupulously accurate.“241 25 26 27 28 29 240 241

kühlmanns Übersicht über die englische presse, 12. september 1912, england 81 nr. , r 5964. Whitman an hammann, 27. Mai 1907, pa-aa, england presse nr. 7, r 561. Wile an northcliffe, 6. oktober 1906 und 11. februar 1908, Bl, northcliffe papers, add. 62207. tschirschky an Metternich, 21. september 1907, pa-aa, england 7 secr., r 5644. zur eulenburg-affäre Kohlrausch, Monarch, s. 186–228. George an Margaret saunders, 19. august 1915, ccc, saunders papers, saun/Gs/2/58. Wile an northcliffe, 1. Januar 1909, Bl, northcliffe papers, add. 62207. Wile an northcliffe, 6. Januar 1910, ebd. tatsächlich galt Wile im auswärtigen amt zunächst als deutschfreundlich; vgl. Bernstorff an hammann, 2. oktober 1905, Ba lichter-

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

Das Verhalten des Verlegers hatte teilweise mit seinem plan zu tun, eine Deutschlandausgabe der Daily Mail in Berlin produzieren und vertreiben zu lassen. entsprechende Überlegungen reichten bis ins Jahr 1908 zurück.242 sie zielten keineswegs darauf, dem deutschen zeitungspublikum den drohenden krieg mit england auszureden, wie einige von northcliffes Biographen später behauptet haben.24 Vielmehr glaubten der Verleger und sein Berlin-korrespondent, der ein enthusiastischer Befürworter des projekts war (nicht zuletzt weil er sich davon eine Beförderung zum chefredakteur erhoffte), eine lukrative Marktlücke für eine populäre Morgenzeitung entdeckt zu haben. sie waren überzeugt, ihren lesern die wichtigsten Weltnachrichten zwölf stunden eher präsentieren zu können als die deutsche presse. Deutsche zeitungen waren ebenso langweilig wie weitschweifig, fanden sie, weil sie häufig erst am abend internationale Meldungen brachten, die noch dazu oft aus englischen Morgenblättern abgeschrieben waren.244 Der angepeilte leserkreis war nach Wiles ansicht in jener klasse ehrgeiziger Deutscher jeden alters zu suchen, „who are so aggressively anxious to learn and know the english language, and who would welcome an opportunity to take a lesson in it every day in the shape of news events“. erste sondierungen über eugen zimmermann, den politischen redakteur des Berliner Lokalanzeigers, der als ehemaliger Diplomat über exzellente kontakte ins auswärtige amt verfügte, ergaben, dass die Wilhelmstraße dem unternehmen nicht grundsätzlich ablehnend gegenüberstand.245 Vor diesem hintergrund wird verständlich, warum northcliffe deutschen nachrichtenagenturen freundliche interviews über Verständigungsmöglichkeiten zwischen beiden Völkern gab, während er zu derselben zeit in privatbriefen und Gesprächen vor Deutschlands rüstungen zum kriege warnte.246 Die expansionspläne erklären auch, warum der Verleger northcliffe seinen Berlin-korrespondenten beauftragte, zusammen mit Valentine Williams, dem reuters-Vertreter in der preußischen hauptstadt, eine studie über Our German Cousins zu schreiben, die ausdrücklich ein „faires“ Bild des reiches zeichnen sollte.247 außerdem ermunterte northcliffe den Journalisten oskar schweriner vom Berliner Lokalanzeiger zu einer artikelserie in der Daily Mail, die den titel „a German in england“ trug und in der schweriner die existenz deutschen englandhasses kategorisch bestritt.248

242 24 244 245 246 247 248

felde, nl 2106, otto hammann, 1/, Bl. 65–6; Whitman an Bülow, 1. august 1906, pa-aa, england presse nr. 7, r 5628. Wile an northcliffe, 11. februar 1908, Bl, northcliffe papers, add. 62207. etwa Pound und Harmsworth, northcliffe, s. 442–; vgl. auch Wile, news, s. 162–6. Wile an northcliffe, 25. november 191, Bl, northcliffe papers, add. 62207. Wile an northcliffe, 11. februar 1908, ebd. Vgl. Pound und Harmsworth, northcliffe, s. 66–8. siehe ebd., s. 90. Vgl. Wile an northcliffe, 17. Juli 1909, Bl, northcliffe papers, add. 62207. Die serie wurde von der londoner redaktion mit der Bemerkung angekündigt, nichts sei besser geeignet, die Beziehungen der beiden großen reiche Deutschland und Großbritan-

g) Zwischenfazit

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Die charmeoffensive hatte aber noch einen anderen Grund. northcliffe beobachtete mit sorge, wie immer mehr Werbekunden im kaiserreich seine Blätter wegen ihrer antideutschen reputation mieden. für ein unternehmen, das derart auf das Werbegeschäft angewiesen war wie northcliffes anzeigenfinanzierte Massenzeitungen, barg diese entwicklung ein ernsthaftes risiko, dem es entgegenzusteuern galt. Wile wurde daher angewiesen, dem anzeigenakquisiteur für den kontinentaleuropäischen Markt, Goldschmidt, ein schreiben an potentielle deutsche inserenten aufzusetzen, in dem er ausführlich darlegte, wie unbegründet das negative image der Daily Mail im reich sei. „our anti-German reputation is simply a fiction of the anti-British press of Germany“, behauptete der korrespondent: Because [...] the Daily Mail’s policy is to give a true and faithful picture of German public sentiment in international questions we are condemned to the role of an „anti-German“ newspaper. i go farther, and contend that of ten Germans who are accustomed to describe the Daily Mail as hostile to their country, nine never read the Daily Mail. […] how many of them know that the Daily Mail has published in the past, and still publishes, countless articles revealing Germany and the Germans in the most favourable possible light? […] how many of them know that we neglect no opportunity to speak in the most respectful terms of the German emperor, crown prince and admiral prince henry of prussia? how many of them know that we have filled columns on the attractions of Berlin, on the excellence of German watering-places, railway-travelling, etc., etc.? how many of them know that the Daily Mail in 1909 published a book, „our German cousins“, which from beginning to end is a hymn of praise of almost everything German?249

g) Zwischenfazit Das Bild, das Wile in diesem schreiben zeichnete, war einseitig und irreführend. Genauso falsch aber wäre es, dem nachträglich konstruierten Mythos von northcliffe als nemesis der Wilhelmstraße und hellsichtigem propheten des krieges zwischen england und Deutschland unkritisch Glauben zu schenken. in Wirklichkeit verfolgte der Verleger den wirtschaftlichen aufstieg des Deutschen reiches und dessen weltpolitische ambitionen – wie viele seiner landsleute – zwar zunehmend misstrauisch. er gehörte aber anders als Maxse, saunders oder Garvin keineswegs zu den journalistischen Wegbereitern einer antideutschen Wendung der britischen außenpolitik. er war zwar nicht prinzipiell abgeneigt, mit seinen zeitungen gegen das reich publizistisch zu felde zu ziehen, aber es musste sich rechnen. Weil northcliffe in erster linie als Geschäftsmann handelte

249

nien zu verbessern als genauere kenntnis voneinander; Daily Mail vom 14. Juni 1909. schweriners serie von neun artikeln erschien zwischen dem 14. und 2. Juni 1909. zur kritischen aufnahme der artikel siehe das schreiben des Deutsch-amerikaners ferdinand kaegebehn an die redaktion der New York Sun, . september 1909, abschrift in: Gspk, nl schiemann, rep. 92, nr. 1. Wile an Goldschmidt, 1. oktober 1912, Bl, northcliffe papers, add. 62207; vgl. auch Golschmidt an Wile, . oktober 1912, und Wile an northcliffe, 4. oktober 1912, ebd.

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6. Das Beispiel des Northcliffe-Konzerns

und sich an unternehmerischen leitlinien orientierte, wäre es falsch, nach kontinuitäten oder unveränderbaren kernprinzipien der Deutschlandberichterstattung seiner Blätter zu suchen. parteistandpunkte waren ihm ebenso wenig sakrosankt wie die außenpolitischen traditionen seines landes oder persönliche Überzeugungen von redakteuren und korrespondenten. unantastbar blieb nur die ausrichtung auf möglichst hohe auflagen und möglichst große anzeigeneinnahmen. Wurden diese ziele erreicht, war aus northcliffes sicht jede redaktionslinie gerechtfertigt. Das erklärt die kampagne gegen die angebliche spionagetätigkeit deutscher handlungsgehilfen nach dem krügertelegramm ebenso wie die folgende Wendung gegen frankreich im Gefolge der faschodakrise und der Dreyfus-affäre. erst als sich der Wind in der politischen richtungspresse nach dem ende des Burenkrieges gegen Deutschland zu drehen begann, änderten auch die zeitungen des northcliffe-konzerns wieder ihren kurs, ohne jedoch jemals konsequent gegen das reich stimmung zu machen, wie die zwischenzeitliche reserve der Jahre nach 1908 belegt, als der Verleger in der hoffnung, eine deutsche ausgabe seiner Daily Mail ins leben zu rufen, seine Mitarbeiter zu zurückhaltung mahnte. Weil pressekampagnen, die keine aussicht auf wirtschaftlichen erfolg hatten, in northcliffes Blättern nicht statt fanden, waren zeitungen wie die Daily Mail wenig geeignet, neuartige ideen zu formulieren oder außenseiteransichten zum Durchbruch zu verhelfen. sie konnten jedoch positionen, die sich im kreis politischer und publizistischer eliten bereits durchgesetzt hatten, aufgreifen, den interessen und lebenserfahrungen ihrer kleinbürgerlichen leserschichten anpassen und auf diese Weise einem größeren publikum vertraut machen. insofern erfüllte die populäre presse im zeitalter des politischen Massenmarktes eine unverzichtbare Verstärkerfunktion für die meinungsbildenden organe der politischen richtungspresse. zugleich eignete sie sich hervorragend als scharnier für verschiedene formen von Öffentlichkeit: die in preußische uniformen gewandeten plakatträger auf londons oxford street sorgten dafür, dass le Queux’ invasionsroman nicht auf die spalten der Daily Mail beschränkt blieb, sondern auch als straßenöffentlichkeit im stadtbild der britischen hauptstadt zu erleben war; die ängste, die von derartigen aktionen geschürt wurden, fanden ihren niederschlag nicht nur als parlamentarische anfragen im britischen unterhauses, sie dienten auch der Mitgliederwerbung und der Mobilisierung von Massenversammlungen im interesse von lobbygruppen wie lord roberts national service league. für alle seiten gewinnbringende Wechselwirkungen ließen sich dann erzielen, wenn – wie im falle der invasionsromane – die kommerziellen interessen des zeitungsverlegers mit den politisch-strategischen interessen der politiker und lobbyisten harmonierten. Dass dies nicht immer der fall war, zeigt das Beispiel von Joseph chamberlains zollreformbewegung, der northcliffe mit rücksicht auf seine geschäftlichen interessen die rückhaltlose unterstützung verweigerte. selbst dort jedoch, wo verlegerisches und politisches kalkül in dieselbe richtung wiesen, blieb aufgrund der komplexen Wirkungsmechanismen derartiger

g) Zwischenfazit

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pressefeldzüge stets ein unsicherheitsfaktor bestehen. Der zeppelinschrecken vom frühsommer 1909 beispielsweise verdeutlichte, wie unmöglich es für die urheber von pressekampagnen war, die auswirkungen ihrer handlungen im einzelnen vorauszusehen oder im Detail zu planen. Was von northcliffe als publizitätsträchtige aktion zur steigerung englischer Wehrbereitschaft in der luft geplant war, drohte gerade aufgrund des unvorhergesehenen erfolges der agitation ins Gegenteil umzuschlagen: eine potentielle schwächung britischer seerüstung und einen ansehensverlust im ausland, insbesondere in Deutschland. für die deutsche Diplomatie stellte die britische Massenpresse à la northcliffe aus verschiedenen Gründen ein ideales feindbild dar: zum einen fügte sich das kulturpessimistische klischee der reißerischen, niveaulosen und lügenhaften Boulevardpresse wunderbar in das stereotyp vom materialistischen, dekadenten england, dem außer geschäftlichem profit nichts heilig war; zum anderen konnte man durch Verweis auf die „hetzereien“ der englischen Massenpresse als ursache des deutsch-britischen antagonismus’ das Wunschbild aufrecht erhalten, dass es keine ernsthaften interessengegensätze zwischen beiden ländern gebe und – mehr noch – dass die deutsche seite keinerlei schuld an der Verschlechterung der Beziehungen traf.

7. Versuche einer „Abrüstung der Presse“: die JournAlistenreisen 1906 und 1907 The special difficulty of the press in these times was that there was no quiet corner in it in which the journalist could speak to his own people without being overheard by other people. Everything was overheard, and there appeared to be an extreme sensitiveness in all countries about what was said by other countries. Journalists in such circumstances should be merciful to each other’s indiscretions and do what they could to induce tolerance and good-humour and a spirit of give and take. (J. Alfred Spender, zitiert in Manchester Guardian vom 30. Mai 1907)

a) Kritik an den „Pressefehden“ Anhänger besserer beziehungen zwischen deutschland und england blickten mit wachsender sorge auf die Fülle feindseliger Zeitungsartikel diesseits wie jenseits des Ärmelkanals. Vor dem hintergrund einer Jahrzehnte zurückreichenden tradition freundschaftlicher beziehungen zwischen beiden ländern und angesichts des Fehlens offenkundiger gravierender interessendifferenzen, wie sie das englisch-französische oder das englisch-russische Verhältnis bestimmten, suchte man nach erklärungen für diese entwicklung. dabei wurde die behauptung, schuld an den politischen Missstimmungen seien allein die streitigkeiten der Presse, zum standardargument derjenigen, die eine Verbesserung des deutsch-britischen Verhältnisses anstrebten. insbesondere die kommerzielle Massenpresse geriet ins Visier der Kritik. sowohl J. A. hobson als auch l. t. hobhouse räumten der chauvinistischen berichterstattung von blättern wie der Daily Mail in ihren publizistischen Anklagen gegen den burenkrieg einen prominenten rang ein.1 Während hobhouse schwankte, ob die kommerzielle Massenpresse die „öffentliche Meinung“ großbritanniens vergiftet oder lediglich deren bedauernswerten Zustand widergespiegelt habe, sah hobson eine Verschwörung englischer Wirtschaftsinteressen in südafrika und einer handvoll einflussreicher Pressebarone in london am Werk. um eine wirkungsvolle lenkung der Presse zu gewährleisten, behauptete er, sei es nur notwendig gewesen, eine bestimmte Anzahl einflussreicher blätter zu kaufen oder zu kontrollieren, um die richtung und das tempo der sensationsberichterstattung vorzugeben: „the self-interest of yellow journalism will do the rest“. Für stead markierte der burenkrieg einen Wendepunkt in seinem glauben an jene segensreichen Wirkungen der Pressemacht, die er wie kein zweiter propagiert hatte. der Publizist vergaß, wie viel er selbst dazu beigetragen hatte, den 1  

Hobson, Psychology, s. 107–4; Hobhouse, democracy, s. 167–87. Hobson, Psychology, s. 116. siehe vor allem W. t. stead, government by Journalism, in: Contemporary Review 49, 1886, s. 65–74. Vgl. auch Boston, W. t. stead; Francke, stead.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

neuen Formen des Journalismus den Weg zu ebnen, und bezeichnete die kommerzielle Massenpresse angesichts ihrer superpatriotischen haltung im burenkrieg als „teufelszeug“. die neue gefahr, so stead, liege in der bereitschaft sensationssüchtiger Zeitungen, jede lüge ohne rücksicht auf die Konsequenzen begierig aufzugreifen, wenn sie nur die kurzfristige erregung öffentlicher Aufmerksamkeit versprach: „Peace, union, harmony, good feeling – there is no ‚copy‘ in any of these things.“4 Aus sicht des Karikaturisten Francis carruther gould von der Westminster Gazette waren insbesondere die deutschen und britischen Massenzeitungen ein Ärgernis, das den nachbarlichen Frieden zwischen deutschland und england massiv störte. beiden Völkern musste daran gelegen sein, das Kläffen und geifern der Presse, die gould als struppigen straßenköter karikierte, so rasch wie möglich abzustellen – zur not mit der Peitsche oder einem Knüppel (Abbildung 1). Ähnliche töne konnte man in deutschland vernehmen. die Deutsche Tageszeitung kritisierte, dass die Presse keine ihrer Macht entsprechende Verantwortung wahrnehme, nicht als erzieherin, lenkerin der öffentlichen Meinung fungiere, sondern „niedrige instinkte und sensationsbedürfnisse der breiten Masse“ bediene, „sklave eines irregeleiteten Massengeschmackes“ sei.5 in leipzig erschien eine 55 seiten lange Kampfschrift, in der Walter hoersterey unter dem Pseudonym Walter hammer die generalanzeigerpresse als „herd der Korruption“ brandmarkte. die liste der Vorwürfe in der Flugschrift, die innerhalb eines Jahres vier Auflagen durchlief, reichte von „sensationslüsternheit“, „Verlogenheit“, „Phrasengeklingel“ und „Verbrecherromantik“ über die „Konzentration der Presse“ in den händen weniger mächtiger Zeitungsbarone, die freie schriftsteller „zum Kommis des Verlegers“ erniedrige und zur Produktion von „schundliteratur“ verdamme, bis zur angeblichen politischen neutralität der Massenpresse, die nur einen „Vorwand zur täuschung der leser“ darstelle.6 in den Anklagepunkten mischten sich antikapitalistische Vorbehalte mit kulturpessimistischen untertönen und der offenkundigen Angst vor dem heraufziehen einer uniformierenden Massengesellschaft: Von der „überspannung des inserateninteresses“, der „umschmeichelung der Abonnenten“ und der „Anbetung blöder Majoritäten“ war die rede; der „Massenmensch“ wurde als „sklave der Kapitalmacht“ bezeichnet, die „Verflachung unserer geistigen Kultur“ und 4

5 6

W. t. stead, newspapers and satan, in: Review of Reviews, August 1900, s. 41–4. Acht Jahre später zitierte stead zustimmend aus einem schreiben Papsts Pius X. an die Präsidenten der Katholischen Presse-Vereinigung ungarns, in dem „the depraved Press“ als „the poisoned and damnable source of the spreading evil of our time“ bezeichnet wurde: „the Press incites and augments hostility towards religion, engenders and spreads damnable morals, awakens hatred and unbridled passions among citizens, and daily publishes abroad everything calculated to ruin the soul and spirit of man“; ders., the Press, the Pope and the chinese, in: Review of Reviews, März 1908, s. 1. Deutsche Tageszeitung vom 1. März 1910. Hammer, generalanzeiger-Presse, s. 18–0, 5, 9, 4, 7. Zu Anspruch und Wirklichkeit der unparteilichkeitsbehauptung der generalanzeigerpresse vgl. Requate, Journalismus, s. 66–8.

a) Kritik an den „Pressefehden“

Abbildung 12:

5

Westminster Gazette, 10. Juni 1907

die „zirkusmäßige belustigung der breiten Massen“ beklagt. Wie in england gipfelte die Kritik in der behauptung, die generalanzeigerpresse hetze zum Kriege; sie erweise sich als die mächtigste Weltbeherrscherin. sie ist der ungekrönte Autokrat, der über Krieg und Frieden selbstherrlich entscheidet. [...] Mit bewusster Absicht, nicht zuletzt zur befriedigung des sensationsbedürfnisses, streut die generalanzeiger-Presse gehässige nachrichten über das Ausland aus. sie nährt die kriegerische stimmung durch Aufhetzung der Massen.7

in england waren die exponenten derartiger Pressekritik meist im liberalen lager und dort vor allem bei dessen radikalem Flügel zu finden. „Press polemics“, schrieb der radikalliberale Journalist und Pazifist george herbert Perris im Februar 1906, „are the greatest single danger to good international relations.“8 später argumentierte er in einem buch über „germany and the german emperor“, nur wenige deutsche und engländer seien feindselig gegen die jeweils andere nation eingestellt. Vielmehr würden zahllose Verdächtigungen – von der 7 8

Hammer, generalanzeiger-Presse, s. 7–8, 10, 1, 15. Concord , nr. , Februar 1906.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

„sensationspresse“ auf beiden seiten eifrig verbreitet – die Atmosphäre mit Furcht und Misstrauen aufladen, so Perris, weil die „öffentliche Meinung“ nun einmal nicht spontan entstehe, sondern durch Manipulation: „[it] is precisely in the region of foreign affairs that it is most malleable, for it is there that ignorance and indifference are most complete.“9 stead forderte auf typisch drastische Art und Weise „the extirpation of the pestilent school of public writers“, die seiner Ansicht nach vom teufel persönlich dazu angestachelt wurden, in england hass und Misstrauen gegen deutschland zu säen. Publizisten vom schlage stracheys, Maxses und Arnold Whites, so stead, hätten ihre Federn der Aufgabe gewidmet, die nation davon zu überzeugen, dass die deutschen halsabschneider seien, die man nur mit Waffengewalt davon abhalten könne, london zu erobern und das empire zu plündern. leider gebe es in deutschland eine entsprechende bande journalistischer schurken, die alles daran setzten, großbritannien hörner, Pferdefuss und einen teufelsschwanz anzudichten: „it is devil’s work, this transforming of honest brother peoples into satans!“10 Je länger sich die Zeitungsstreitigkeiten zwischen deutschland und england hinzogen und je prominenter die rolle der aufstrebenden Massenpresse dabei ausfiel, desto weitere Verbreitung fand diese these auch unter liberalen Politikern in england.11 Asquith bezeichnete im gespräch mit dem deutschen botschafter die Times als eine „internationale gefahr“, weil sie die beziehungen zwischen england und deutschland in einer Weise vergifte, „die in der Zukunft ernste Folgen haben könnte“.1 Man müsse sich vor der „patriotischen“ Presse auf beiden seiten der nordsee hüten, warnte 1906 auch ein kurz zuvor von den tories zu den liberalen übergewechselter junger Parlamentsabgeordneter namens Winston churchill: „the lord deliver the nations from the ‚patriotic‘ press!“1 im Kern zielte die Pressekritik der liberalen darauf, die britische bevölkerung – und seit dezember 1905 auch die liberale regierung – gegen den Vorwurf des deutschenhasses in schutz zu nehmen und der überwiegend kon9 10

11

1

1

Perris, germany, s. 441. W. t. stead, Anti-germanism. Voilà l’ennemi, in: Review of Reviews, Januar 1905, s. 5–6; vgl. auch ders., the real Yellow Peril – the Psychology of a War scare, in: Review of Reviews, August 1907, s. 11–4. sie fand auch eingang ins literarische genre. in e. M. Forsters 1910 erschienenem roman „howards end“ heißt es an einer stelle: Verantwortungsloses gerede von der unvermeidlichkeit eines Krieges zwischen beiden ländern „renders war a little more likely each time that it is made, and is therefore made all the more readily by the gutter press of either nation“; Forster, howards end, s. 6; vgl. Firchow, death, s. 61–76. diese „Verhetzungsarbeit“ war in Metternichs Augen umso verheerender als „der im bezug auf das Ausland ignorante engländer“ sein Wissen über deutschland vor allem aus der Times beziehe; Metternich an bülow, 15. Juni 190, PA-AA, england 7, r 5615. Zitiert in: Manchester Guardian vom 18. Mai 1906. richard haldane erklärte in einer rede im londoner Alexandra Palace, die Presse beider länder trage eine hauptschuld an der gegenwärtig herrschenden „nervosität“; glücklicherweise, fügte er hinzu, befänden sich diejenigen Journalisten, die es für ihre Aufgabe hielten, unbedeutende Zwischenfälle zu übertreiben, in der Minderheit; stumm an bülow, 16. Mai 1907, PA-AA, england 78, r 57.

a) Kritik an den „Pressefehden“

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servativen Massenpresse die Verantwortung zuzuschieben. Auf diese Weise ließ sich der optimistische liberale glaube an die gutartigkeit der menschlichen natur und die theoretisch unbegrenzten Möglichkeiten ihrer Verbesserung mit der tatsache in einklang bringen, dass sich im alltäglichen leben so viele briten als xenophobe nationalisten erwiesen. so erklärte der radikalliberale unterhausabgeordnete J. Allen baker, ein Quäker, das englische Volk sei im grunde friedlich gesinnt, aber unglücklicherweise übe die „gelbe Presse“ als die eigentlich an der gegenwärtigen situation schuldige „immer größeren verderblichen einfluss“ aus.14 Als lord Ampthill, sohn des britischen botschafters in berlin während der bismarck-Ära, nach dem ende der zweiten Marokkokrise von einem deutschen reporter gefragt wurde, wer die schuld an den deutsch-britischen spannungen der letzten Jahre trage, antwortete er ohne Zögern: „unsere Presse! sie ist verantwortlich; sie bildet die Meinung unseres Volkes! ich habe zu unserer englischen Presse auch nicht das geringste Vertrauen! hinter unserer Presse stecken einflüsse, die nicht für das gute sind.“15 dieser Analyse konnten sich konservative Politiker und Publizisten auf der anderen seite des Ärmelkanals umso leichter anschließen als sie der Presse – insbesondere der neuartigen Massenpresse – ohnehin verderbliche Wirkungen zuschrieben. überdies ließ sich mit dem hinweis auf deutsch-britische „Zeitungsfehden“ von den politischen gründen für die spannungen zwischen berlin und london – allen voran die deutsche Flottenrüstung – ablenken. in diesem sinne bezeichnete ein konservativer deutscher Publizist wie theodor schiemann in der Kreuzzeitung die „krankhafte erregung einer systematisch erhitzten Volksstimmung“ als wichtigstes hindernis für verbesserte deutsch-britische beziehungen.16 einem englischen Journalisten erklärte schiemann bei anderer gelegenheit, die meisten internationalen turbulenzen seien auf die Presse zurückzuführen: „if only we could have a perfect press we might look forward to a perfect world.“17 der Kaiser bewegte sich in denselben argumentativen bahnen, als er nach der ersten Marokkokrise im Februar 1906 an edward Vii. schrieb, „that the political relations between the two countries had little by little become charged with electrical fluid to an extent that its discharge might have created endless woe to both“. in beiden ländern, so Wilhelm, hätten Zeitungen die Volksstimmung derart aufgepeitscht, dass die beiden nationen begonnen hätten, einander zu misstrauen.18 über die ursachen, die den „Pressefehden“ zugrunde lagen, gingen die Ansichten auseinander. Manche radikal-liberalen Journalisten in großbritannien 14

15 16 17 18

Zitiert in: Berliner Tageblatt vom . Mai 1909. Zu bakers lebensweg, seiner politischen Karriere und den bemühungen um eine Verbesserung der deutsch-britischen beziehungen siehe Baker und Baker, baker, s. 169–05. Vossische Zeitung vom 10. Februar 191. Kreuzzeitung vom 10. Februar 1909. Hirst, Panics, s. 14. Wilhelm ii. an edward Vii., 1. Februar 1906, PA-AA, england 78 secretissima, r 5774. Vgl. auch tschirschky an haldane, 9. dezember 1906, nls, haldane Papers, 5907, bl. 19–0.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

sahen eine Verschwörung ihrer konservativen und imperialistischen gegenspieler am Werk. „Was there in the year 1905 a conspiracy within a large portion of the english Press to provoke an Anglo-german war?“, fragte die Daily News, als die publizistische erregung während der ersten Marokkokrise im sommer 1905 einen gipfelpunkt erreichte. niemand, der regelmäßig die Times lese, könne diese Frage guten gewissens mit nein beantworten: „if war should come, a terrible guilt will rest on those men who have so persistently used the great engines of our press, whether purposely or carelessly towards that issue.“19 Andere machten gegenseitige Fehlwahrnehmungen, Verzerrungen und Missverständnisse verantwortlich. die extremisten in beiden ländern schaukelten sich gegenseitig hoch, so lautete ihr erklärungsansatz, erlangten eine Aufmerksamkeit, die in keinem Verhältnis zu ihrer wirklichen stärke stand, und gewannen auf diese Weise einen ebenso unverdienten wie schädlichen einfluss auf die deutsch-britischen beziehungen. leider sei es ihren landsleuten nicht auszureden, klagte etwa die herzogin von Albany ihrem cousin, dem Fürsten Wilhelm von stolberg, dass blätter wie die Tägliche Rundschau, die Deutsche Tageszeitung oder der Reichsbote nicht maßgebend für die stimmung in deutschland seien.0 diese sichtweise war besonders unter liberalen imperialisten in großbritannien verbreitet, die sich selbst als ausgleichende Kraft und ruhenden Pol der britischen Politik sahen. die teutophoben in der englischen Presse spielten den Alldeutschen und ihren Zeitungen in die hände, argumentierte beispielsweise Alfred spender. Jede ihrer drohungen avanciere durch übersetzung ins deutsche zu einem zusätzlichen grund, die deutsche Flotte zu vergrößern und sich der britischen diplomatie in den Weg zu stellen. Mit den Alldeutschen verhalte es sich umgekehrt genauso. ihre unverantwortlichen Kampfschriften würden in england als belege für die territorialen Ambitionen des reiches interpretiert und als Argumente benutzt, um die erhöhung der Verteidigungsausgaben zu rechtfertigen.1 eine dritte interpretation hob auf die genuin publizistischen gründe für die entstehung der „Zeitungsschlachten“ ab. sie betonte den dem Journalismus innewohnenden Zwang, neuheiten aufzutun und sachverhalte zuzuspitzen, welcher der berichterstattung über das jeweils andere land oft eine besondere schroffheit verleihe. der liberale unterhausabgeordnete sir thomas barclay, der selbst Journalist gewesen war, beschuldigte Zeitungsredaktionen in england und deutschland, sie beauftragten ihre Auslandskorrespondenten, um jeden Preis Material aufzustöbern, mit dem man andere länder herabsetzen, verächtlich machen könne – wohl wissend, dass sie damit internationale streitigkeiten heraufbeschworen. „the newspaper writer is never content with quiet words 19 0 1 

Daily News vom 1. August 1905. Wilhelm von stolberg an AA, 1. Juni 1906, PA-AA, england 78 secretissima, r 5774. Westminster Gazette vom 5. August 1905. Vgl. auch W. t. stead, A good Word for germany, in: Review of Reviews, Januar 1908, s. 9–10. Daily News vom 17. november 1904.

a) Kritik an den „Pressefehden“

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and everyday expressions“, erklärte der herausgeber der Preußischen Jahrbücher, hans delbrück, einem englischen Journalisten. „he must give force to his sentences and strength to his periods. he must flourish and gesticulate, thunder and surge.“ im sprachgebrauch des Journalisten, so delbrück, sei „rivalität“ nichts anderes als ein allzu schwaches synonym für „abgrundtiefen hass“, wirtschaftlicher Wettbewerb verwandle sich in seinen texten geradezu zwangsläufig in handelsneid und böswillige intrigen. Auch einer der prominentesten britischen Publizisten, sidney low vom Standard, gab den Zwängen und Pflichten des journalistischen Alltags die schuld für einen großen teil der gehässigen berichterstattung englischer Zeitungen über deutschland. die gewöhnliche Funktion eines Auslandskorrespondenten sei ziemlich langweilig, so low: he knows that readers at home are not much interested in the internal affairs of the country in which he resides, except perhaps when a court scandal or a sensational trial is in progress. he seeks for something piquant and finds it in attacks upon his own nation, which he snaps up with avidity. A long and careful analysis of social and political conditions in germany would be deemed poor copy in some london newspaper offices, whereas a furious diatribe by a wild Pan-german professor would make good reading and be worth the cost of telegraphing.4

An ideen, wie dem Problem beizukommen sei, mangelte es nicht. ein Vorschlag zielte darauf, die schriftsetzer aller länder sollten sich zu Zensoren der Presse erklären und alle nationalistischen, kriegstreiberischen Presseartikel boykottieren.5 der straßburger rechtsprofessor Friedrich van calker empfahl in der Deutschen Juristenzeitung, „Friedensgefährdungen durch Zeitungsnachrichten“ zu sanktionieren. die „leichtfertige Veröffentlichung und Verbreitung von falschen nachrichten“, die geeignet seien, das friedliche Verhältnis des deutschen reiches zu anderen staaten zu stören, sollte unter strafe gestellt werden, wobei „die gewinnsüchtige Absicht“ als qualifizierendes – also strafverschärfendes – Moment zu betrachten sei.6 im sommer 1907 wurde auf dem national Peace congress im nordenglischen scarborough ein Antrag eingebracht, die Freiheit 

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Daily Mail vom 10. dezember 1904; Kopie in: PA-AA, england nr. 78, r 5687; vgl. auch Whitman an delbrück, 5. dezember 1904, sbPK, nl delbrück (Whitman Mappe i). über der sucht einen „schlager“ im blatt zu haben, hieß es an anderer stelle, vergesse man in den redaktionen gewisser Zeitungen leider häufig, sich von der richtigkeit des zu veröffentlichenden Materials zu überzeugen; nicht selten brächten manche blätter „gänzlich verzerrte Abbilder“ der Zustände in anderen ländern, die dann wiederum von der Presse der jeweils kritisierten nation scharf zurückgewiesen würden und schließlich zu den bekannten Polemiken führten, „in deren Verlauf viele Zeitungsschreiber sich über die gewöhnlichsten gebote des Anstands hinwegsetzen zu dürfen glauben“; Anglo-German Courier vom 9. März 1906. Contemporary Review 9, Juli 1907, s. 1–11 (s. 6–7). Matthew davoren, languages and Peace, in: The World’s Work and Play, Januar 1908. Mit blick auf Korrespondenten ausländischer blätter forderte van calker, die bestimmung müsse auch auf „im inland handelnde Korrespondenten auswärtiger Zeitungen“ anwendbar sein; Friedrich van calker, Friedensgefährdung durch Zeitungs-nachichten, in: Deutsche Juristenzeitung, März 1906, nr. 5, 11. Jahrgang, s. 78–81.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

der Presse zur negativen berichterstattung über andere nationen auf dem gesetzeswege einzuschränken.7 Zwar wurde der Vorschlag abgelehnt, doch geisterte der Plan im umfeld der Zweiten haager Friedenskonferenz in mehr oder weniger ernsthafter Form noch eine Weile durch die liberale Publizistik großbritanniens. stead schlug vor, nicht nur Privatpersonen sollten künftig Verleumdungsklagen gegen Zeitungsredaktionen oder einzelne Journalisten anstrengen dürfen, sondern auch nationen, weil falsche behauptungen und beleidigungen den internationalen Frieden mindestens ebenso sehr gefährdeten wie das Zusammenleben innerhalb eines staates.8 steads sohn Alfred äußerte einige Jahre später die hoffnung, „[that] some day, perhaps, the journalist that lies a nation into an unjust war will be given a fair trial and – hanged“.9

b) Die Entstehungsgeschichte der Journalistenbesuche ein besonders spektakulärer Versuch, eine „Abrüstung der Presse“0 zu erreichen, wurde nach der ersten Marokkokrise unternommen, als im sommer 1906 fünfzig deutsche redakteure und Publizisten auf einladung ihrer englischen Kollegen nach großbritannien reisten und zwölf Monate später im gegenzug eine englische delegation zur tour durch das Kaiserreich baten.1 die initiativen waren keine einzelfälle. sie gehörten zu einer reihe von unternehmungen, die nach der diplomatischen Konfrontation in der ersten Jahreshälfte 1905 auf eine Verbesserung der deutsch-britischen beziehungen zielten. sie setzten dabei – nach dem Vorbild der französisch-englischen Annäherung vor 1904 – nicht auf der ebene der regierungen, sondern der beiden gesellschaften an, um die „policy of international pin-pricks“ durch eine „policy of international picnics“ zu ersetzen, wie einer der publizistischen Protagonisten es formulierte. „[M]uch may depend in the next few months on getting into better relations whith germany“, hatte spender schon im herbst 1905 gegenüber einem Kollegen bemerkt. „[A]s regards germany no change of policy is called for + least of 7

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gefordert wurde ein gesetz, „which will make the publication of false or misleading statements, likely to inflame national animosity and endanger the maintenance of peace, or of any matter judged to be a wanton incitement to war, an offence punishable by imprisonment“; zitiert von W. t. stead, the licence and liberty of the Press, in: Review of Reviews, Juli 1907, s. 16. W. t. stead, What about libelled nations?, in: Review of Reviews, August 1907, s. 1. Alfred stead, regnant Journalism, in: Review of Reviews, september 191, s. 75–6. der begriff „Abrüstung der Presse“ tauchte erstmals im Juni 1907 auf, in: Deutsche Revue , 1907 (), s. 8–7; er wurde wenig später von englischen radikalliberalen und Pazifisten in der übersetzung „disarmament of the press“ übernommen; Review of Reviews, August 1907, s. 4. die Journalistenbesuche sind bislang nicht gründlich untersucht worden. eine oberflächliche behandlung findet sich bei Deckart, Verständigung, s. 71–89; gestreift wird das thema bei Hollenberg, interesse, s. 79–80. W. t. stead, in: Anglo-German Courier vom 16. Februar 1906, s. 74.

b) Die Entstehungsgeschichte der Journalistenbesuche

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all an weakening of our agreement with France. but at the same time it seems to me that a change of feeling is necessary“. ideengeber und organisatoren dieser auf atmosphärischen Wandel zielenden entspannungsunternehmungen waren meist pazifistische oder radikal-liberale idealisten, während die Finanzmittel in der regel von britischen wie deutschen bankiers, Kaufleuten oder reedern bereitgestellt wurden, die schon aus geschäftlichen gründen spannungen im deutsch-englischen Verhältnis mehr als andere zu fürchten hatten.4 im Mai 1905 wurde in london ein kurzlebiger „Anglo-german union club“ ins leben gerufen, dem als gründungsmitglieder prominente Finanziers wie baron Percy de Worms, baron bruno schröder, Alfred beit und edgar speyer angehörten.5 im september desselben Jahres taten sich die britische und die deutsche delegation auf dem 14. Weltfriedenskongreß in luzern zusammen, um die gründung eines „Anglo-german conciliation committee“ zu beschließen, das kurz darauf in „Anglo-german Friendship committee“ umbenannt wurde, da man den eindruck vermeiden wollte, zwischen deutschland und england sei es bereits zu einem bruch gekommen, der eine „Versöhnung“ notwendig mache.6 unter der Präsidentschaft des bankiers lord Avebury und mit dem tiefbauingenieur Francis William Fox, einem Quäker, als treibende Kraft, organisierte das Komitee in den folgenden Monaten Massenversammlungen in der londoner caxton hall und der berliner börse.7 es mobilisierte öffentliche stellungnahmen zahlreicher handelskammern in beiden ländern, regte besuchsreisen deutscher bürgermeister und stadträte nach england an und produzierte eine eigene Wochenzeitung, den von beit finanzierten und von stead mit leitartikeln versehenen Anglo-German Courier. Zum chefredakteur bestimmte man leo Weinthal, den herausgeber der südafrikanischen Wirtschaftsinteressen verpflichteten Zeitschrift African World.8 die idee, deutsche redakteure nach england einzuladen, damit sie sich vor ort von den friedlichen Absichten ihrer englischen Kollegen überzeugen könnten, wurde Mitte Januar 1906 im gespräch zwischen stead und beit geboren, der kurz nach Weihnachten 1905 von Wilhelm ii. in berlin empfangen worden war. im Verlauf der Audienz hatte sich der Kaiser ausführlich über eines seiner lieblingsthemen ausgelassen: die antideutschen treibereien der englischen Pres 4

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spender an strachey, 1. oktober 1905, hlro, strachey Papers, str 1/1/6. Vgl. Kennedy, rise, s. 04–5. Zur geschichte der Friedensbewegung vor 1914 siehe für deutschland Chickering, germany; Riesenberger, geschichte, s. 7–97; Holl, Pazifismus, s. 41–10; für großbritannien siehe Morris, radicalism; Robbins, Abolition, s. 7–6. g. bennett an lascelles, 6. Mai 1905, tnA, Fo 800/1; bennett an Metternich 16. Januar 1905, und Metternich an bülow, 17. Januar 1905, PA-AA, england nr. 78, r 5688. Vgl. auch Berliner Tageblatt vom 0. Januar 1905; stumm an bülow, 18. April 1907, PA-AA, england 78, r 57. siehe Hollenberg, interesse, s. 60–11; Kennedy, rise, s. 87–8. eine ähnliche Veranstaltung fand auf einladung des oberbürgermeisters auch in dresden statt; gough an grey, 16. Januar 1906, tnA, Fo 15/5. bernstorff an hammann, 7. Februar 1906, PA-AA, england nr. 78, r 5715; vgl. Hollenberg, interesse, s. 75–6.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

se, namentlich der Times und der Daily Mail.9 Als beit nach seiner rückkehr aus berlin stead von der unterredung mit dem deutschen Monarchen berichtete, schlug der selten um hochfliegende ideen verlegene Journalist vor, die deutsch-englischen „Zeitungskriege“ mit einer gegenkampagne zu beantworten, die auf Ausgleich und Versöhnung zielte.40 in einem seiner nächsten leitartikel im Anglo-German Courier machte stead den Plan publik und lud als selbsternannter sprecher des britischen Journalismus seine deutschen Kollegen zu einer erkundungsreise nach großbritannien ein. „here are people in both countries“, schrieb er, „continually writing about the same questions, discussing the characters of the same statesmen, replying to each other, and attacking each other, and yet have never met. so some of us thought […] that a determined effort ought to be made to bring german and english newspaper men into closer touch“.41 Mit hilfe von Weinthal und thomas rhodes, dem londoner Agenten des norddeutschen lloyd, bemühte sich stead, möglichst breite unterstützung für das Projekt zu organisieren. beit versprach einen Zuschuss in höhe von fünfzig Pfund und versicherte, die restliche summe unter seinen geschäftsfreunden leicht eintreiben zu können.4 der norddeutsche lloyd sagte eine teilfinanzierung der besuchsreise zu.4 Alfred rotschild war ebenfalls „enthusiastic“ und bot an, ein feierliches Abendessen für die deutschen gäste auszurichten.44 Als schwieriger erwies es sich, einigkeit über die Ausgestaltung des besuchsprogramms zu erzielen. Während dem professionellen selbstdarsteller stead ein pompöser besuch vorschwebte, der auch eine Audienz bei König edward Vii. in Windsor einschließen sollte, bevorzugte der umsichtige organisator rhodes eine möglichst kurze reise, „auf der nicht viel schief gehen kann“.45 ein anderes Problem stellte die institutionelle Anbindung dar und die Frage, wer die offizielle einladung an die deutschen gäste aussprechen sollte. der herausgeber des Daily Telegraph, lord burnham, wollte nichts mit Weinthal zu tun haben, den er als „buren“ verabscheute, während das institute of Journalists als britische standesorganisation es ablehnte, mit stead zusammenzuarbeiten, weil dieser als unseriös und egozentrisch galt. schließlich verfiel man darauf, das Anglo-ger9

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Wilhelm ii. an bülow, 9. dezember 1905, gP, bd. 0, nr. 6887, s. 694–6; beit an grey, 9. dezember 1905, tnA, Fo 800/1, bl. 4–7. Ähnlich äußerte sich der Kaiser wenige tage später gegenüber dem britischen botschafter, lascelles an grey, . Januar 1906, tnA, Fo 71/75, bl. 7. Vgl. steads Aufzeichung der unterhaltung in einem maschinenschriftlichen Memorandum vom 1. Januar 1906, ccc, stead Papers, section 1, ordner 5. Zitiert nach: Manchester Guardian vom . Mai 1906. rhodes an bernstorff, 7. Februar 1906, PA-AA, england nr. 78, 5715. stumm an AA, 8. Mai 1906, PA-AA, england nr. 78, r 5717. die englischen schiffslinien zeigten sich anfangs deutlich zurückhaltender; siehe stead an Weinthal, 9. März 1906, in: PA-AA, england nr. 78, r 5715. haldane an stead, 1. Mai 1906, ccc, stead Papers. rhodes an von helmholt (direktor des norddeutschen lloyd), 18. April 1906, PA-AA, england nr. 78, r 5716.

b) Die Entstehungsgeschichte der Journalistenbesuche

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man Friendship committee und dessen allseits geachteten Präsidenten lord Avebury in den Vordergrund zu schieben, während sich die eigentlichen organisatoren – stead, Weinthal und rhodes – als drahtzieher im hintergrund hielten.46 dementsprechend vorsichtig waren die einladungen formuliert, die das Komitee im Mai an mehr als fünfzig deutsche redakteure und Publizisten verschickte. die erörterung politischer Fragen, hieß es, würde weniger leicht zu bitterkeiten führen, wenn die disputanten einander als Mitmenschen kennen lernten, mit denen sie in angenehmem geselligen Verkehr gestanden hätten. der besuch solle „keinerlei Verpflichtung irgendwelcher Art“ auferlegen, die Annahme der einladung würde „keine politische bedeutung“ haben; es solle einzig und allein ein „rein freundschaftlicher, geselliger besuch“ sein.47 bei der deutschen diplomatie löste der Plan gemischte gefühle aus. bernstorff in london war Feuer und Flamme. schon Jahre zuvor hatte er seine Vorgesetzten in berlin beschworen, die einzige chance zur beeinflussung der englischen Presse bestehe in dem, was er „Mache“ nannte: netze von Freundschaften, bekanntschaften und persönlichen Kontakten zu knüpfen, wie es den Franzosen vor Abschluss der Entente Cordiale so ausgezeichnet gelungen sei. natürlich koste diese Vorgehensweise geld, aber man könne das weder bestechung nennen noch ziffernmäßig ausdrücken, da so viele „Privatmittel“ dabei mitwirkten. das scheine dem deutschen national-charakter aber nicht zu liegen, schrieb bernstorff an hammann, wenigstens mühe er sich schon seit drei Jahren vergeblich, „die unbedingt notwendigen organisationen zu schaffen. hüben wie drüben sehen unsere landsleute immer schwierigkeiten, und es findet sich keiner, der die sache in die hand nimmt.“48 umso freudiger reagierte der diplomat auf die bemühungen von stead, Weinthal und rhodes. „hierzulande gehören derartige demonstrationen zum politischen handwerkszeug“, berichtete er nach berlin. „sie sind meiner Ansicht nach sogar das einzige Mittel, der hiesigen öffentlichen Meinung beizukommen.“49 der Zeitpunkt erschien günstig, weil bernstorffs Analyse zufolge die gerade neu ins Amt gekommene liberale regierung in london, anders als die konservative Vorgängeradministration, ernsthaft an einem Ausgleich mit deutschland interessiert war.50 Wichtig war in bernstorffs Augen, dass neben der reichsregierung auch die deutsche öffentliche Meinung an der Versöhnung teilnehme. seit die „englische 46 47 48 49 50

ebd. Avebury an schiemann, . Mai 1906, gsPK, hA Vi, nl schiemann, rep. 9, nr. 78; ähnlich Fox an delbrück, 7. Mai 1906, sbPK, nl delbrück. bernstorff an hammann, 6. november 190, bA lichterfelde, nl 106, otto hammann, 1/, bl. 1–5. bernstorff an hammann, 7. Februar 1906, PA-AA, england nr. 78, r 5715. schon Mitte dezember 1905 hatte der botschaftsrat eine Verbesserung der stimmung gegenüber deutschland verzeichnet, obgleich eine wirkliche Versöhnung nicht eintreten könne, „bis sich die Marokko-Wunde geschlossen“ habe. danach jedoch sei mit der neuen englischen regierung eine völlige Aussöhnung erreichbar, „wenn wir sie wirklich wollen“; bernstorff an hammann, 15. dezember 1905, bA lichterfelde, nl 106, otto hammann, 1/, bl. 7–5.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

Jingopresse“ in gestalt der Times oder der Daily Mail nicht mehr für die herrschende Partei und die herrschende stimmung in england stehe, beruhten die deutsch-britischen spannungen für bernstorff „auf einem großen Missverständnis“, da die öffentliche Meinung in beiden ländern fortgesetzt an die Feindseligkeit der anderen seite glaube und „dadurch naturgemäß selbst feindselig“ werde.51 Früher habe man die britischen Kriegstreiber für mächtiger gehalten als sie in Wahrheit waren, schrieb er im März 1906 an einen Freund. Jetzt herrsche die Friedenspartei unbedingt.5 seither falle hier alles auf guten boden, notierte er im April in seinem letzten bericht aus london, ehe er an die gesandtschaft nach Kairo überwechselte. Von der liberalen regierung sei bei Projekten wie der geplanten Journalistenreise hilfe zu erwarten, „anstatt des früheren – zum mindesten passiven – Widerstandes“.5 Wilhelm von stumm, seit Frühsommer 1906 bernstorffs nachfolger in london, war skeptischer. in seinem ersten längeren bericht aus london vermerkte er, jeder aufrichtige Freund deutschlands in london habe ihm abgeraten, „die deutsch-englische Annäherung zu forcieren“. Zeit sei in england die hauptsache, um alte Wunden vernarben zu lassen. Man solle in den „demonstrativen sympathiekundgebungen“ wie bürgermeister- und Journalistenbesuchen „Maß halten“. Je weniger gelegenheit die „öffentliche Meinung“ habe, sich mit den deutsch-englischen beziehungen zu beschäftigen, desto eher werde die „erinnerung an Vergangenes erlöschen“.54 im Auswärtigen Amt in berlin teilte man stumms skepsis – nicht zuletzt aus der sorge heraus, ein unfreundlicher empfang in london könne dem deutschen Prestige schaden. die Journalisten müssten eines herzlichen empfangs in england sicher sein, gab hammann zu bedenken, und vor dem eindruck bewahrt bleiben, „dass man sie als aufdringlich betrachtet“. sorgen bereitete der Wilhelmstraße auch die Zusammensetzung der deutschen delegation. einerseits wollte man deren Auswahl kontrollieren, um zu gewährleisten, dass nur „zuverlässigen Journalisten“ die reise gestattet werde. hammann legte Wert darauf, alle Zeitungsleute auszuschließen, die „aus Mangel an politischer bildung und anderen notwendigen eigenschaften gar nicht in der lage wären, der deutsch-englischen Verständigung einen dienst zu leisten“. Auf der anderen seite wollte er den eindruck vermeiden, die deutsche regierung mische sich in die Angelegenheiten der Presse ein und sei in irgendeiner Weise für das Verhalten der deutschen Journalisten während ihrer englandreise verantwortlich zu machen.55 die Zusammenstellung möglicher Kandidaten wurde daher an deutsche Korrespondenten in london delegiert. diese erstellten in enger Absprache sowohl mit rhodes und stead als auch mit der botschaft eine gästeliste, die 51 5 5 54 55

bernstorff an hammann, 15. dezember 1905, ebd. bernstorff an hutten-czapski, 11. März 1906, bA lichterfelde, nl 16, hutten-czapski, 1, bl. 4–5. bernstorff an hammann, 15. April 1906, bA lichterfelde, nl 106, otto hammann, 1/, bl. 91–. stumm an tschirschky, 1. Juni 1906, PA-AA, england 78 secretissima, r 5774. hammann an bernstorff, 15. März 1906, PA-AA, england nr. 78, r 5715.

b) Die Entstehungsgeschichte der Journalistenbesuche

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zusammen mit dem besuchsprogramm ins Auswärtige Amt weitergeleitet wurde.56 selbst dieses Verfahren schien den beamten in der Wilhelmstraße schließlich zu riskant, zumal das ergebnis nicht in allen einzelheiten ihren Wünschen entsprach. bei der Aufstellung der einladungsliste sei „nicht allenthalben glücklich verfahren“ worden, telegrafierte man kurz vor beginn der besuchsreise an die botschaft in london, angesehene Presseorgane seien übergangen, untergeordnete mit einladungen bedacht worden. da am ende die unternehmung nicht sorgfältig genug vorbereitet sei, „um ungeschicklichkeiten zu vermeiden und einen guten erfolg zu verbürgen“, wurde stumm anheim gestellt, „im Foreign office u[nd] nöthigenfalls auch s. M. den König wissen zu lassen, dass die deutsche regierung u[nd] die botschaft auf die für die einladung getroffene Auswahl deutscher Pressevertreter keinen einfluss ausgeübt“ hätten.57 im britischen Foreign office blickte man dem Journalistenbesuch ebenfalls misstrauisch entgegen – aber aus anderen gründen. dort befürchtete man, dass gerüchte über eine bevorstehende deutsch-britische Annäherung oder gar eine Entente nach dem Vorbild der Verbindung mit Frankreich in Paris irritationen auslösen und die Entente Cordiale beschädigen würden. eine solche entwicklung wollte der neue liberal-imperialistische Außenminister grey schon im Keim ersticken. bereits Wochen vor dem liberalen Wahlsieg hatte er spender anvertraut, es gelte um jeden Preis den eindruck zu vermeiden, „that a liberal government would unsettle the understanding with France in order to make up to germany“.58 in einem seiner ersten amtlichen telegramme an die britische botschaft in berlin wies er lascelles an, zwar englands grundsätzliche entspannungsbereitschaft zu signalisieren, gleichzeitig aber unmissverständlich klar zu machen, „that better relations [mit deutschland, d.g.] must be compatible with our attachment to other friendships“.59 Mit entsprechend argwöhnischen blicken prüften die beamten im Foreign office die Zusammensetzung der deutschen Journalistendelegation. in der betreffenden depesche der berliner botschaft, die nicht nur dem Außenminister, sondern auch dem Premierminister und dem König vorgelegt wurde, unterstrichen sie mit dickem stift alle hinweise auf antienglische einstellungen bestimmter blätter und Journalisten. crowe bezeichnete die Veranstaltung in einer randnotiz wegwerfend als „alleged peace-making business“ und vermerkte ausdrücklich: „the majority of the papers are evidently those whose anti-english tendencies and unscrupulous ma56 57

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Metternich an AA, 1. April 1906, PA-AA, england nr. 78, r 5716; vgl. auch Metternich an AA, 5. Mai 1906, PA-AA, england nr. 78, r 5717. Mühlberg an stumm, 8. Juni 1906, PA-AA, deutschland 1, nr. , bd. 15, r 11; der handschriftliche entwurf aus hammanns Feder findet sich in: PA-AA, england nr. 78, r 5717. siehe auch das schreiben von Julius Ferdinand Wolff (Dresdner Neueste Nachrichten) an bülow, 1. Juni 1906, sowie bülows Antwort (o. d.) in: PA-AA, england nr. 78, r 5717. grey fürchtete, sein land laufe gefahr, Frankreich zu verlieren, ohne deutschland zu gewinnen, „who won’t want us, if she can detach France from us“; grey an spender, 19. oktober 1905, bl, spender Papers, Add. 4689. grey an lascelles, 1. 1. 1906, tnA, Fo 800/11, bl. 0–4.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

nufacture of news are well known.“ Angesichts der tatsache, dass sowohl die deutsche regierung als auch die kaiserliche botschaft in london den Journalisten die kalte schulter zeigten, so crowe, sei es ratsam, „to be very cautious and reserved in dealing with the german journalists“.60

c) Der Verlauf der beiden Journalistenbesuche Allen bedenken der diplomaten in london und berlin zum trotz fand der besuch programmgemäß statt. Zwischen dem 0. und 9. Juni 1906 reisten fünfzig deutsche redakteure und Publizisten durch südengland.61 stead war mit seiner tochter nach bremen gereist, um die delegation schon von der überfahrt nach england zu begrüßen – auf deutsch, wie er selbstbewusst ankündigte, obwohl er die sprache nicht beherrschte.6 Was das britische organisationskomitee unter seiner leitung den deutschen gästen in den folgenden tagen bot, ähnelte eher einem staatsbesuch als jenem informellen, unpolitischen Zusammentreffen, das lord Avebury in seiner einladung angekündigt hatte. die delegation setzte an bord der vom norddeutschen lloyd zur Verfügung gestellten „Kronprinz Wilhelm“ nach southampton über, wo sie vor der Weiterreise nach london von lokalen honoratioren begrüßt wurde. das dicht gedrängte, mehrtägige Programm in der hauptstadt umfasste neben einem empfang in der deutschen botschaft, besuchen im Parlament, in der londoner city und der st. Paul’s cathedral drei von zahlreichen Festreden unterbrochene dinners. das erste wurde vom Anglo-german Friendship committee ausgerichtet, das zweite fand auf einladung lord burnhams in den räumen des Daily Telegraph statt, zum dritten bat der lord Mayor in die guildhall. dabei trafen die deutschen gäste unter anderem mit dem gerade zum Juniorminister im Kolonialministerium aufgestiegenen Winston churchill, dem Präsidenten des board of trade, david lloyd george, Kriegsminister richard haldane, dem earl of crewe als Kolonialminister, dem liberalen Politiker James bryce sowie mit lord chancellor loreburn und den Führern der Arbeiterbewegung John burns und Keir hardie zusammen.6 Außerdem unternahm die gruppe Ausflüge nach stratford-upon-Avon ans grab shakespeares, nach Windsor castle, wo man am grab Königin Victorias einen Kranz niederlegte, ins Peter60 61

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Whitehead an grey, 1. Juni 1906, tnA, Fo 71/78, bl. 196; randnotiz crowe vom 18. Juni 1906, ebd. Zu den ausführlichsten zeitgenössischen berichten gehören W. t. stead, Visit of the german editors to england, in: Review of Reviews, Juli 1906, s. 7–5; Wilhelm von Massow, eine englandfahrt deutscher Journalisten, in: Deutsche Monatsschrift 10, 1906, s. 596–60. stead an Jerome s. Waring, 7. Juni 1906, Jerome s. Waring collection. ich danke Prof. Josef o. baylen dafür, dass er mir seine Abschriften aus der Waring collection zugänglich gemacht hat. Vgl. die berichte im Daily Telegraph, Daily News und Manchester Guardian vom ., 7. und 0. Juni 1906.

c) Der Verlauf der beiden Journalistenbesuche

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house college nach cambridge und eine Fahrt die themse hinunter nach greenwich, ehe sie am 9. Juni über Plymouth nach deutschland zurückkehrte.64 „everything is going absolutely splendidly beyond all hope + expectation“, notierte ein enthusiasmierter stead, der zusammen mit seiner vielköpfigen Familie den cicerone für die deutschen gäste spielte.65 der zehntägige gegenbesuch britischer Journalisten in deutschland, der ein knappes Jahr später vom 9. Mai bis zum 7. Juni 1907 stattfand, trug noch deutlicher die Züge eines staatsbesuchs.66 die Vorarbeiten fanden in enger Abstimmung mit der reichskanzlei statt, deren billigung als „unerlässliche Voraussetzung“ des unternehmens betrachtet wurde.67 dem Vorbereitungskomitee unter Vorsitz des grafen zu stolberg-Wernigerode und des Fürsten hatzfeldtrachenberg gehörten  Würdenträger aus Politik, Wirtschaft und geistesleben an. die liste reichte von den reichstagsvizepräsidenten Paasche und Kaempf sowie dem Fürsten zu inn-und-Knyphausen als Präsidenten des Preußischen herrenhauses über die bürgermeister von Köln, breslau, bremen, düsseldorf, dortmund und heidelberg bis zu bankiers und Wirtschaftsführern wie emil rathenau von der Aeg und Albert ballin von der hamburgAmerika-schifffahrtslinie. die direktoren der deutschen und der nationalbank zählten ebenso dazu wie die rektoren der universitäten von berlin und bonn, die direktoren des Preußischen hoftheaters sowie des Königlichen theaters zu dresden.68 dem regionalen begrüßungskomitee in sachsen, das den empfang in dresden vorbereitete, gehörten neben dem oberbürgermeister drei Kommerzienräte, ein generalkonsul, der Vorsitzende des Vereins für Fremdenverkehr, ein landtagsabgeordneter, vier chefredakteure, der stadtbaurat, der landgerichtsdirektor, zwei weitere stadt- und drei weitere hofräte, drei bürgermeister, drei stadtverordnete, der generalintendant, der stadtverordnetenvorsteher und ein Justizrat an.69 Allerorten empfing man die gäste mit größtmöglichem Aufwand. „We were the popular heroes of an empire“, schrieb ein britischer teilnehmer im rückblick, „announced wherever we went by trumpets and drums“.70 tatsächlich säumten tausende deutsche die straßen und jubelten, als die britische Abordnung durch die innenstädte von bremen, hamburg, berlin, dresden, München, Frankfurt und Köln gefahren wurde.71 in bremen wie in hamburg veranstaltete 64 65 66

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Vgl. die ausführlichen berichte im Daily Telegraph, Daily News und Manchester Guardian zwischen dem 0. und 0. Juni 1906. stead an Waring, 4. Juni 1906, Jerome s. Waring collection. siehe die publizierten reiseberichte einiger britischer teilnehmer, zum beispiel Mackinnon, Journalists; sidney low und Percy W. bunting, the Journalistic tour in germany, in: Contemporary Review, Juli 1907, s. 1–15; Alfred g. gardiner, the editors’ tour in germany, in: The Albany Review, Juli 1907, s. 90–6. heinrich rippler an bülow, 14. Februar 1907, PA-AA, england 78, r 57. Times vom 9. April 1907; Deckart, Verständigung, s. 80. Vgl. die Auflistung von gough an grey, 9. Mai 1907, tnA, Fo 15/54. gardiner in der Daily News vom 8. Juni 1907. Vgl. etwa den bericht von trench (dresden) an grey, . Juni 1906, tnA, Fo 15/54.

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der senat der hansestädte festliche Abendessen in den rathäusern.7 in berlin gab es ein bankett im Zoologischen garten, „attended by the Ambassador, ministers and dignitaries of all sorts“, wie einer der teilnehmer erschöpft in seinem reisetagebuch notierte. „Much eating, drinking, speaking.“7 Außerdem umfasste das Programm einen besuch in der redaktion des Berliner Lokalanzeigers, ein gespräch mit Vertretern des Magistrats über die besonderheiten des preußischen dreiklassenwahlrechts, ein treffen mit Vertretern der berliner handelskammer sowie einen bierabend im reichstag, einen Ausflug nach Potsdam und einen empfang beim britischen generalkonsul. in dresden war die Abordnung nach einem besuch in der semperoper zum bankett beim oberbürgermeister geladen. in München wurde sie durch das deutsche Museum geführt, von wo es mit dem Zug zum schloss neuschwanstein ging. Am folgenden tag stand in Frankfurt neben dem Mittagessen im rathaus und einem empfang beim britischen Konsul ein ortstermin in goethes geburtshaus auf dem Programm, ehe man über rüdesheim nach Koblenz und Köln weiterfuhr, wo der besuch mit einem Festessen im rathaus gürzenich und einem besuch der Kölnischen Zeitung endete.74 überall überhäufte man die besucher derart mit Aufmerksamkeiten und gastgeschenken, dass sie nach ihrer rückkehr als dank eine kleine Festschrift erstellten, auf deren titelbild ein mit souvenirs überschütteter englischer Journalist nach dem Verlassen eines fürstlichen Festmahls zu sehen war (Abbildung 1). „the people who receive us have taken enormous pains with this thing“, schrieb ein britischer teilnehmer an seine Frau. „i am sure it isn’t all bunkum; nobody could put their hearts into bunkum in just this way.“75 besonders geschmeichelt zeigten sich die englischen gäste von der Vielzahl prominenter deutscher aus Politik, Wirtschaft und gesellschaft, die an den empfängen teilnahmen. die staatssekretäre von tirpitz, dernburg, Posadowsky, rheinbaben und bethmann hollweg gaben sich ebenso die ehre wie die zahlreiche unterstaatssekretäre und Minister, darunter loebell, delbrück und sydow sowie Mühlberg aus dem Auswärtigen Amt. die besucher seien mit „all the most eminent men“ in germany in Kontakt gekommen, berichtete ein englischer teilnehmer: mit Ministern, Verwaltungschefs, hofbeamten, politischen Führern und industriekapitänen, aber auch mit gelehrten wie dem theologen Adolf harnack, dem Militärhistoriker hans delbrück und dem nationalökonomen gustav schmoller.76 bülow ließ es sich nicht nehmen, zu7 7 74 75 76

Vgl. spender briefe an seine Frau, 7. und 8. Mai 1907, abgedruckt in Harris, spender, s. 150. Vgl. die tagebuchaufzeichnungen gardiners vom 9. Mai bis 5. Juni 1907, blPes, gardiner Papers, /. ein gedrucktes Programm in englischer sprache mit dem titel „return Visit of british Journalists to germany 1907“ befindet sich in den beständen der bl in london. spender an seine Frau, 7. Mai 1907, zitiert in: Harris, spender, s. 150. low, in Contemporary Review 9, Juli 1907, s. 1–11 (s. ); vgl. auch Stein, die englischen Journalisten, s. 19.

c) Der Verlauf der beiden Journalistenbesuche

Abbildung 13: 5/55.

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Festschrift „The Jolly Good Fellows“, Kopie in: BLPES, Gardiner Papers

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

sätzlich zum offiziellen bankett im Zoologischen garten einen empfang im garten der reichskanzlei auszurichten, bei dem er jedem englischen gast einzeln die hand schüttelte und ihm versicherte, wie aufmerksam und mit wie viel gewinn er gerade das blatt des jeweiligen gesprächspartners immer lese.77 noch bemerkenswerter fielen die reaktionen der gekrönten häupter in deutschland und großbritannien aus. der König von sachsen empfing eine Abordnung der englischen redakteure, ebenso der greise bayrische Prinzregent luitpold.78 gegen alles herkommen zeichneten auch König edward Vii. und Kaiser Wilhelm ii. die Journalisten mit gesten monarchischer huld aus. Als Zeichen seines guten Willens gegenüber deutschland entschied sich edward, die Presseleute zum Mittagsmahl nach Windsor einzuladen.79 er achtete freilich sorgfältig darauf, selbst nicht in erscheinung zu treten, und überließ es seinem haushofmeister, lord Farquhar, die gäste zu bewirten und durch die königlichen gemächer zu führen.80 dennoch jubilierte stead anschließend, niemals zuvor in der britischen geschichte sei Vertretern der Presse eine solche ehrung von königlicher seite zuteil geworden. das gros britischer Journalisten sei niemals „mit so huldreicher gastlichkeit“ im schloss Windsor empfangen worden. die tatsache, dass bei dieser gelegenheit eine derart bemerkenswerte Abweichung von der hergebrachten übung unternommen wurde, empfand stead als Zeichen dafür, wie allgemein man in england lande die entfremdung zwischen beiden Völkern bedauere und wünsche, „die bitteren Zänkereien der Vergangenheit zu vergessen“.81 Auch Wilhelm ii. umwarb die britischen gäste. Anders als sein onkel hielt er sich dabei nicht vornehm zurück, sondern drängte mit typischem ungestüm in den Vordergrund. Als bühne diente ihm der Ausflug der britischen gäste nach Potsdam. dort sah das offizielle Programm die teilnahme an der Frühlingsparade der Potsdamer garnison im lustgarten vor, gefolgt von einem rundgang durch das neue Palais, eine Fahrt durch den schlossgarten nach sanssouci, unterbrochen durch ein Mittagessen in der orangerie auf halbem Weg. der Kaiser würde bei der truppenparade anwesend sein, hieß es offiziell, ein direktes Zusammentreffen mit den Journalisten sei nicht geplant. unter der hand bedeutete man den briten jedoch, sie sollten aus ihrer gruppe eine Abordnung von vier herausragenden Publizisten bestimmen, denen bei einem „spontanen“ Auftau77 78

79 80 81

Vgl. den tagebucheintrag gardiners vom 0. Mai 1907, blPes, gardiner Papers, /. Zur Audienz beim sächsischen König vgl. gough an grey, 9. und 1. Mai 1907, tnA, Fo 15/54, gough an lascelles, . Juni 1907, tnA, Fo 800/1, bl. 4–4; zur Audienz in München siehe Münchener Neueste Nachrichten vom 4. Juni 1907, Westminster Gazette vom 6. Juni 1907. hardinge an lascelles, 16. Mai 1906, tnA, Fo 800/1, bl. 146–9; stumm an AA, 6. Juni 1906, PA-AA, england nr. 78, r 5717. stead an Waring, 7. Mai 1906, Jerome s. Waring collection; Daily News vom 6. Juni 1906. Anglo-German Courier vom 15. Juni 1906, Kopie in: PA-AA, england nr. 78, r 5718.

c) Der Verlauf der beiden Journalistenbesuche

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chen des Kaisers während des Mittagsmahls die ehre eine kurzen unterhaltung zuteil werden würde.8 „As we were in the middle of our luxurious meal“, erinnerte sich ein britischer gast später, the word went round, „the Kaiser is coming!“ We all ran out of the orangerie, and presently there appeared over the brow of a hill, the figure of the emperor, in all the gorgeous array of his picturesque and favourite uniform of the gard du corps, and with him an orderly. it was a theatrical display, quite after the Kaiser’s manner, and intended, no doubt, as a compliment to the visitors.8

„lohengrin!“, entfuhr es dem einen oder anderen Zeugen bei diesem Anblick, ehe der Kaiser, leutselig hände schüttelnd, mit den Journalisten zu plaudern begann. Wilhelm habe die gabe, notierte einer der anwesenden deutschen Pressevertreter, „wenn er will, Menschen zu gewinnen, und die gefühle der englischen gäste machten sich in einem dreimaligen hipp, hipp, hurra! luft, als er freundlich Abschied nahm“.84 es wäre falsch, das Verhalten des Monarchen als symptom einer narzistischen Persönlichkeitsstörung oder simple eitelkeit abzutun. Vielmehr bewies er mit seinem theatralischen Auftreten im Potsdamer schlosspark, dass er ein ausgeprägtes gespür für imagepflege besaß.85 Kurzfristig hatte der Kaiser damit durchaus erfolg. die anwesenden Vertreter deutscher Zeitungen fühlten sich durch die Auszeichnung geschmeichelt und im gefühl ihrer zunehmenden bedeutung anerkannt. ein Mitarbeiter der Kölnischen Zeitung, der die britische delegation begleitete, versicherte Alfred gardiner, dies sei ein großartiger Augenblick für die deutsche Presse: „it is the first recognition the emperor has made of the Press. i must send a wire to my paper to-night.“86 in den berichten der britischen Journalisten an ihre heimatredaktionen nahm kein anderer Aspekt der reise so großen raum ein wie die begegnung mit dem Kaiser. „he left in our minds the impression of a personality“, schrieb James McKinnon, der für die Aberdeen Free Press berichtete, „distinguished not only by the great position he fills, but by great force of character, by a fascinating naturalness of manner, combined with a splendid dignity of presence and by a vivid sense of his high mission as the maintainer of the political and racial unity, which it cost so much sacrifice and suffering to achieve“.87 s. James Pryor von der liberalen Tribune verfasste ein gedicht, in dem er das in england gängige Klischeebild des Kaisers mit dem eindruck kontrastierte, den die englischen gäste von ihrer begegnung im Potsdamer schlosspark mitnahmen: 8 8 84 85

86 87

Daily News, 5. Juni 1907, Observer, 6. Juni 1907; Higginbotham, life, s. 195–6; Spender, life, bd. 1, s. 05–7. Higginbotham, life, s. 196. Stein, die englischen Journalisten, s. 194. so auch Clark, Kaiser Wilhelm ii, s. 161. Zur theatralischen dimension monarchischen Verhaltens siehe Paulmann, Pomp. Vgl auch die kommunikationswissenschaftliche literatur zur imagebildung: Kunczik, Meinung; Wilke, imagebildung; Boulding, image. Daily News vom 5. Juni 1907. Mackinnon, Journalists.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

We heard the Kaiser was the fiercest man you ever saw, that he lived on human beings and preferred to eat them raw! but we found that day we met him, in the sun at sans souci, he was quite a different party from the man he’s thought to be. his manner was so friendly, his smile so frank and kind – they seemed to be the reflex of a really royal mind – And he greeted us with graciousness and kingliness combined.88

sogar radikal-liberale Journalisten wie gardiner, die dem autokratischen charakter der kaiserlichen herrschaft in deutschland skeptisch gegenüberstanden, zeigten sich beeindruckt: Wilhelm sei ein König vom scheitel bis zur sohle, schrieb gardiner. „divest him of his office and he would still be one of the halfdozen most considerable men in his empire. When the british editors visited germany last summer they were brought into intimate contact with all the leaders of action and thought in the country, and i believe it is true to say that the Kaiser left the sharpest and most vivid personal impression on the mind.“89 die liberale Presse in england berichtete ausgiebig und positiv über die beiden Journalistenbegegnungen. der Manchester Guardian und die Daily News versahen ihre schilderungen der redakteursbesuche mehrfach mit dem Attribut „historisch“. Aber auch ein konservatives blatt wie der Standard erblickte in den Kundgebungen der reise von 1907 beweise für den Wunsch der amtlichen, industriellen und der arbeitenden Kreise deutschlands zu zeigen, dass die alte Achtung und freundliche gesinnung für england nicht verloren sei. „der durchschnittsdeutsche liebt den durchschnittsengländer.“90 ein Kenner des britischen Journalismus wie Whitman prophezeite den Pressepolitikern in der Wilhelmstraße zuversichtlich, dass der besuch „viel gutes“ bewirken werde: „erstens weil der engländer sehr ungern gegen leute schreibt, die ihm gastfreundschaft geboten u[nd] zweitens muss deutschland einen sehr günstigen eindruck auf sie gemacht haben, wie es ja auch stets auf mich gemacht hat – trotz den vielen Plebejern, welche sich dort wie auch andernorts aufhalten“.91 in der deutschen Presse überwog ebenfalls das lob für die gastfreundschaft der engländer im Jahr 1906 und die betonung der vielfältigen deutsch-britischen gemeinsamkeiten beim gegenbesuch 1907. der Vertreter der Schlesischen Zeitung schrieb an seine chefredaktion, die deutschen Journalisten seien durch die 88 89 90

91

s. James Pryor, „them days in deutschland (And nights Also)“, abgedruckt in der Festschrift The Jolly Good Fellows, Kopie in: blPes, gardiner Papers 5/55. Daily News vom 9. november 1907. Zitiert nach: Münchener Neuesten Nachrichten nr. 71 vom 1. Juni 1907. sidney low, der für den Standard an der deutschlandreise teilgenommen hatte, war sich mit gardiner, dem chefredakteur der Daily News, über die segensreichen resultate der initiative einig, die dafür sorgen werde, „to bring home that friendliness of the germans which was the striking feature of it“; low an gardiner, 6. Juni 1907, blPes, gardiner Papers, 1/19. Whitmann an hammann, 7. Mai 1907, PA-AA, england Presse nr. 7, r 561; vgl. auch das Antwortschreiben hammanns, der die positive einschätzung teilte; hammann an Whitman, 10. Juni 1907, ebd.

d) Gründe für die Folgenlosigkeit der Initiative

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ebenso aufrichtige wie nüchterne Aufnahme in england „angenehm überrascht gewesen“ und hätten den eindruck gewonnen, „den mancher von ihnen nicht vermutet hatte“, dass man es in den besseren Kreisen englands ehrlich mit den freundschaftlichen beziehungen zu deutschland meine.9 selbst ein anglophober Journalist wie Paul liman, der alldeutsche chefredakteur der Leipziger Neuesten Nachrichten, hätte am schluss der englandreise „mit einer gewissen befriedigung von ihrem Aufenthalt gesprochen“, vermeldete botschafter Metternich erfreut nach berlin.9 in deutschland zeigte man sich denn auch vorsichtig optimistisch über die Wirkungen des unternehmens. Wenn die besuche ein wenig beigetragen hätten, schrieb der Vorsitzende des deutschen begrüßungskomitees, Fürst trachenberg, die streitigkeiten und Missverständnisse auszuräumen, welche die beziehungen zwischen beiden ländern verunstalteten, dann sei er zufrieden.94 unter einer liberalen regierung in england, glaubte direktor Wiegand vom norddeutschen lloyd, drohe nun keine Krieg mehr; gefahr sei erst wieder im Verzug, wenn die konservative Partei ans ruder komme und die persönliche Politik König edwards Vii. stärker durchschlage. deshalb sollte man „kein Mittel unversucht lassen, um die sympathie für deutschland, welche seit dem Journalistenbesuche langsam wiederum Fuß gefasst hat, durch weitere ununterbrochene Arbeit zu stärken“.95 Man könne sagen, urteilte auch Metternich nach der rückkehr der deutschen redakteure, „dass der Verlauf des besuches ein gelungener und sein erfolg ein guter war“. Zugleich warnte er jedoch davor, übertriebene hoffnungen an die Versöhnungsreisen von Journalisten zu knüpfen. „bei erster gelegenheit werden sie doch wieder auf einander schimpfen“. in einer randbemerkung stimmte der Kaiser dieser einschätzung zu: „richtig! Pack schlägt sich, Pack verträgt sich.“96

d) Gründe für die Folgenlosigkeit der Initiative die skeptiker behielten recht. trotz allen engagements und guten Willens auf beiden seiten verpufften die publizistischen Versöhnungsinitiativen der Jahre 1906 und 1907 folgenlos. Mittel- und langfristig hatten sie kaum Auswirkungen auf die in weiten teilen der deutschen und englischen Presse vorherrschenden einstellungen und darstellungsweisen. die deutsch-britischen Pressebeziehungen erreichten bald wieder den inzwischen üblich gewordenen schlechten Zustand. in großbritannien spielten die von vielen Zeitungen dramatisierte „deut9 9 94 95 96

Whitman an röse, o. d., zitiert in: below an hammann, 0. Juni 1906, bA lichterfelde, nl 106, otto hammann, 1/1, bl. 8–9. Metternich an bülow, 0. Juni 1906, PA-AA, england nr. 78, r 5715. trachenberg an spender, 0. Juni 1907, bl, spender Papers, Add. 4691. Wiegand an von huhn (Kölnische Zeitung), 1. August 1908, PA-AA, england 7 secr., r 5644. Metternich an bülow, 0. Juni 1906, PA-AA, england nr. 78, r 5715.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

sche gefahr“ weiter eine herausgehobene rolle in der berichterstattung über das reich, und in deutschland erreichte der englandhass 1911 einen neuen höhepunkt. Als sich im Mai 191 einige Veteranen der Journalistenreisen zu einem erinnerungsessen zusammenfanden, konstatierte der london-Korrespondent der Frankfurter Zeitung, die deutsch-britischen beziehungen hätten seither schlimme Zeiten erlebt.97 „the petty fiction of mutual trust and amity is belied by the stern reality of gigantic armaments“, hieß es im Januar 1911 in der Zeitschrift Concord, „and we may well ask: is it not a farce to toast one another and swear eternal friendship whilst we are openly sharpening our swords on every political grindstone and proclaiming the vital importance of keeping our powder dry?“98 die gründe für das scheitern der initiative waren vielfältig. Zum einen setzten mangelnde sprachkenntnisse auf beiden seiten echtem Austausch und wirklicher Verständigung grenzen. Wenige englische redakteure waren des deutschen mächtig; selbst stead als treibende Kraft des unternehmens konnte nur radebrechen.99 in der deutschen delegation sah es umgekehrt nicht viel besser aus. eine der größten sorgen des Auswärtigen Amtes bezog sich auf die ungenügenden englischkenntnisse vieler deutscher schriftleiter; in der Wilhelmstraße hatte man deswegen eigens eine liste von Journalisten zusammengestellt hatte, die des englischen kundig genug waren, um als redner in Frage zu kommen.100 der unterschiedliche charakter der politischen Kulturen beider länder, insbesondere die fehlende tradition öffentlich erprobter rhetorik und debattierkunst in deutschland, erwies sich ebenfalls als hinderlich. Wenn die deutschen gastgeber bei den begegnungen würdevolle Minen und staatstragende gemessenheit an den tag legten, die der festliche Anlass in ihren Augen gebot, so empfanden viele briten das als unverständliche reserve und fehlende Wärme. die deutsche redekunst sei steif und förmlich, vertraute ein britischer gast seinem tagebuch an, das Publikum applaudiere prinzipiell nicht. „band played, people stood in a military way. then the national anthem. We went out joined in it + gave cheers. no response from the crowd. the ‚reserve‘ is bad.“101 überhaupt bereiteten die nationalen Feinheiten sozial kodierten Verhaltens ein ums andere Mal Verdruss. die Festlegung der Kleiderordnung beispielsweise, die das offizielle Programm für jede station der deutschlandreise genau verzeichnete, erschien manchem gast aus england als ungehörige bevormundung. schließlich 97 98 99

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guttmann zitiert in: Westminster Gazette vom 1. Mai 191; vgl. auch Berliner Tageblatt vom 1. Mai 191, Kopie in: PA-AA, england nr. 78, r 5760. Concord 7, nr. 1 vom Januar 1911, s. 15. „i am talking german“, schrieb er selbstironisch an einen Mitstreiter. „such german all day long.“; stead and Waring, 4. Juni 1906, Jerome s. Waring collection. Vgl. auch cartwright an grey, 8. Juni 1907, bdFA teil 1, reihe F, bd. 0, nr. 8, s. 8. Mühlberg an stumm, 8. Juni 1906, PA-AA, deutschland 1, nr. , r 11; entwurf hammans, in: PA-AA, england nr. 78, r 5717. tagebuchaufzeichnung gardiners, 7. Mai 1907, blPes, gardiner Papers, /.

d) Gründe für die Folgenlosigkeit der Initiative

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wusste ein gentleman selbst, welche garderobe man zu welchem Anlass zu tragen hatte.10 ein weiteres Manko stellten die Persönlichkeiten und politischen Ansichten der beiden Männer dar, die auf britischer seite die organisatorische Federführung hatten. sowohl stead als auch Weinthal haftete seit dem Krieg in südafrika der ruf an, proburisch und somit unpatriotisch eingestellt zu sein. stead galt außerdem als unseriöser, sensationsgieriger und publizitätssüchtiger selbstdarsteller. selbst ein überzeugter Anhänger deutsch-britischer entspannungsbestrebungen wie lordkanzler loreburn bezeichnete es als „misfortune“, dass stead beim empfang in england den großteil der Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.10 Metternich erfuhr aus londoner Pressekreisen, dem besuch der deutschen schriftleiter wäre ein größerer erfolg beschieden gewesen, wenn die organisation nicht in den händen steads und Weinthals gelegen hätte, die in england „nicht ernst genommen würden, resp[ektive] keinen guten ruf genössen“.104 in deutschland stießen steads theatralisches Auftreten sowie sein enthusiastischer Pazifismus auf Amüsement und unverständnis. Auf einer Karikatur des Kladderadatsch war der Journalist beim Abschreiten einer ehrenformation deutscher soldaten zu sehen, die Palmzweige in den händen hielten und ihre heiterkeit darüber kaum verbergen konnten.105 die Verbindung der initiative mit den namen prominenter Proburen erleichterte es betont patriotischen Zeitungen wie der Times, der Daily Mail und der Morning Post zu begründen, warum sie nicht an den begegnungsreisen teilnahmen. die blätter beließen es nicht beim stummen boykott, sondern nutzten jede gelegenheit, das unternehmen zu diffamieren. einige Wochen vor dem besuch der deutschen delegation in england entsandte northcliffe den schriftsteller bart Kennedy nach deutschland, der als Verfasser impressionistischer reiseberichte über spanien und Frankreich eine gewisse bekanntheit erlangt hatte und für die Daily Mail den wirklichen Zustand des reiches sowie die tatsächliche 10

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„With the characteristic german attention to details and punctiliousness in seeing that instructions are carried out“, mokierte sich ein berlin-Korrespondent, „the official programme for the entertainment of the english journalists now visiting germany contains fixed ‚rules‘ for their attire. the ‚costume‘ to be worn at each function is specifically prescribed. the visitors are notified to appear in a ‚travelling suit‘ when a railway journey is to be undertaken, in a ‚promenade suit‘ at luncheon, in a ‚frock-coat‘ at afternoon parties, while it is even thought necessary to remind this delegation of english gentlemen to put on evening dress for night affairs. the visitors are also asked to violate a sacred british tradition and don evening dress at daylight functions. they are also adjured to remember to wear the ‚cylinder‘ (silk) hat with their frock-coat“; Daily Mail, 9. Mai 1907; ähnlich: Observer, . Juni 1907. randnotiz loreburns zu Whitehead an grey, 1. Juni 1906, tnA, Fo 71/78, bl. 196. Metternich an AA, PA-AA, england nr. 78, r 5718. die Zeichnung spielte auf eine rede vor der berliner handelskammer an, in der stead die deutsche Armee als einzige Armee der Welt bezeichnet hatte, die in den zurückliegenden 6 Jahren keinen Krieg geführt hatte; Kladderadatsch 60 nr. , 8. Juni 1907.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

einstellung der deutschen gegenüber england beschreiben sollte, wie sie sich aus seiner sicht darstellten.106 obwohl Kennedy laut Auskunft bernstorffs einen „verständigen eindruck“ machte und dem Auswärtigen Amt von einigen deutschen Korrespondenten in london als verlässlich empfohlen worden war, ließ seine Artikelserie „in the Fatherland. the life of the german People“ keinen Zweifel daran, wie er das wilhelminische deutschland einschätzte.107 in einem Artikel mit dem titel „the Prussian danger“ behauptete Kennedy unter Anspielung auf den sieben tage später beginnenden besuch der deutschen Journalisten, wohlmeinende Versuche, die zwischenstaatlichen beziehungen zu verbessern schadeten mehr als sie nützten. es sei gefährlich für großbritannien, so Kennedy, to pay any attention to those who are befogged and bamboozled into thinking that germany and england can be united in the bonds of brotherly love through the medium of high teas and tea-fights generally. [...] the evidence of this danger is overwhelming. the english people must know. And the english people must realize that the vote-catching politicians of Westminster are the unsafest of guides in this matter. in the first place Westminster is not here on the spot. And politicians are too busy either catching votes or getting in the limelight to know much that is of real value to england. the real situation will have to be explained in the Press.108

einem ähnlichen Muster folgend, veröffentlichte die ebenfalls zum northcliffeKonzern gehörende sonntagszeitung Observer rechtzeitig zum beginn des gegenbesuchs der britischen Journalisten im sommer 1907 eine Artikelserie über den Machtzuwachs des deutschen reiches. darin legte ihr chefredakteur Austin harrison, der lange als reuters-Korrepondent in berlin stationiert gewesen war, ausführlich dar, „that a great Power and empire are rising in europe, with a great navy to create and complete it“.109 Zugleich machte harrison alle Anzeichen von Meinungsverschiedenheiten oder Missstimmungen publik, die es innerhalb der britischen Abordnung oder im Verhältnis zu den deutschen gastgebern geben mochte. die gerüchte wurden von anderen blättern bereitwillig aufgegriffen.110 Maxse betrieb in seiner National Review ähnliche „Aufklärungsarbeit“ und bekräftigte seine Ansicht, die englische haltung gegenüber deutschland könne nur „toujours en vendette“ lauten. Man war in großbritan-

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empfehlungsschreiben von lunge an bernstorff, 6. April 1906, bA lichterfelde, nl 106, otto hammann, 1/, bl. 85–6. Vgl. das empfehlungsschreiben von otto brandes (Berliner Tageblatt), 9. April 1906, in: bA lichterfelde, nl 106, otto hammann, 1/, bl. 84, sowie bernstorff an hammann, 10. April 1906, ebd., s. 8–. Kennedys serie erschien zwischen dem 7. und . Juni 1906 in der Daily Mail. Daily Mail vom 1. Juni 1906. die serie erschien unter dem titel „england and germany“ zwischen dem 1. Mai und dem 1. Juli 1907 (Zitat aus Abschlussartikel vom 1. Juli); vgl. auch die betreffenden berichte des deutschen botschaftsrats stumm an bülow, PA-AA, england 78, r 57, sowie bussche an gardiner, . Juli 1907, blPes, gardiner Papers, 1/. Observer vom . Juni 1907; Daily Mail und Daily Express vom . Juni 1907.

d) Gründe für die Folgenlosigkeit der Initiative

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nien seiner Ansicht nach leider nur allzu bereit, „to be lulled into the old attitude of trustful confidence“.111 die Times beschränkte ihre berichterstattung über die beiden begegnungsreisen auf ein Minimum, räumte aber im Mai 1907 einem anonymen leserbriefschreiber breiten raum ein, der vor den negativen Folgen der Versöhnungsinitiative warnte. die deutsche Presse stehe nicht nur unter der Kuratel der regierung, sie beschimpfe, verunglimpfe und beleidige auch weiterhin die britische Krone, die britische regierung sowie die wichtigsten britischen Verbündeten (gemeint war Frankreich). es sei zweifelhaft, schloss der brief, ob internationale Pilgerfahrten dieser Art überhaupt irgendeinen sinn hätten, wenn sie nicht von einer starken strömung der öffentlichen Meinung auf beiden seiten getragen würden: „except in such cases, they are apt to be a snare and a delusion“.11 Wichtiger als die unmittelbare Wirkung derartiger nadelstiche war die tatsache, dass die publizistische entspannung mit deutschland nicht zum Projekt der gesamten britischen Presse wurde, sondern lediglich ein Anliegen liberaler Zeitungen blieb. in deutschland genoss das Projekt politisch, geographisch und mit blick auf die vertretenen Zeitungstypen breitere unterstützung. Zu den fünfzig schriftleitern, die im sommer 1906 nach england reisten, gehörten repräsentanten traditionsreicher blätter der politischen richtungspresse wie dr. M. grünwald von der Vossischen Zeitung aus berlin und ernst Posse von der Kölnischen Zeitung ebenso wie redakteure der neuen Massenpresse, die unter anderem durch hugo von Kupffer vom Berliner Lokal-Anzeiger und dr. lier vom Dresdner Anzeiger vertreten wurde. die regionale Verteilung reichte von der Badischen Landeszeitung aus Mannheim bis zum Hamburger Correspondenten, von der Danziger Zeitung bis zum schwäbischen Merkur, von der Weser-Zeitung aus bremen bis zur Allgemeinen Zeitung mit sitz in München. der österreichische Pazifist und gründer der deutschen Friedensgesellschaft Alfred Fried traf als Vertreter der Zeitschrift Friedenswarte in der delegation auf Paul liman, den alldeutschen chefredakteur der Leipziger Neuesten Nachrichten, und dr. seeliger von der antisemitischen Zeitschrift Der Hammer; dr. theodor Müller-Fürer von der preußisch-konservativen Kreuzzeitung reiste zusammen mit dem linksliberalen rudolf breitscheid und hermann ten brink von der katholischen Germania.11 die breite des politischen spektrums der teilnehmer führte jedoch innerhalb der gruppe zu „mancherlei Misshelligkeiten“, die sich in erregten Wortgefechten entluden, da die deutschen Journalisten nicht gewöhnt waren, mit Kollegen gesellschaftlich zu verkehren, die Zeitungen anderer parteipolitischer oder welt111 11

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Maxse an g. b. hunter, 4. April 1907, PA-AA, england 78, r 57. Times vom . Mai 1907. Vgl. den bericht von stumm an bülow, . Mai 1907, PA-AA, england 78, r 57, sowie die Artikel in der Pall Mall Gazette und der Westminster Gazette vom . Mai 1907, die kritisch darauf bezug nahmen. siehe die teilnehmerliste in stumm an AA, 1. Mai 1906, PA-AA, england nr. 78, r 5717.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

anschaulicher Ausrichtung vertraten.114 Manche zweifelten ohnehin am sinn der initiative. es bedürfe mehr als freundlicher empfänge für englische und deutsche Pressevertreter, hieß es in der National-Zeitung, um den tonfall der öffentlichen Meinung englands gegenüber deutschland zu ändern.115 trotz derartiger bedenken ließ sich ihr chefredakteur nebel die gelegenheit einer reise nach großbritannien nicht entgehen. Andere waren konsequenter. Maximilian harden, der prominenteste deutsche Publizist seiner Zeit, verweigerte seine teilnahme, weil er einer Aussöhnung mit england skeptisch gegenüberstand.116 hans delbrück sagte ab, weil die deutsche delegation seiner Meinung nach schlecht ausgesucht war, nicht die Führer der „öffentlichen Meinung“ im reich enthielt, sondern lediglich unbedeutende Köpfe, mit denen sich die gastgeber in großbritannien lächerlich zu machen drohten.117 der überwiegende teil der sozialdemokratischen Presse lehnte es ebenfalls ab, an der reise teilzunehmen, da auf deutscher seite „die verbrecherischsten scharfmacher und die gemeinsten Verleumder der sozialdemokratie die hauptflöte“ spielten, wie es im Vorwärts hieß. überdies ging es nach Meinung der redaktion des Vorwärts bei dieser idee „gutbürgerlicher englischer Journalisten“ ohnehin nicht um echte Völkerverständigung, sondern lediglich um „offizielle empfänge und Fressereien“. Jeder echte Vertreter der Arbeiterbewegung, der etwas auf sich und die Partei hielt, müsse die einladung zu jener „Meerfahrt der scharfmacher und Verleumder“ mit „einer unzweideutigen Absage“ beantworten.118 lily braun von der Monatsschrift Die Neue Gesellschaft, die sich der offiziellen linie widersetzte und – als einzige Frau – dennoch an der englandfahrt teilnahm, warf man „Parteiverrat“ vor. Zunächst wehrte sich die Publizistin mit dem hinweis, die deutsche Arbeiterbewegung habe nichts „mit den Quertreibereien einzelner von preußischem Polizeigeist durchsetzter genossen zu tun“.119 doch als die strafpredigten des Vorwärts in der restlichen Parteipresse wiederholt wurde, zog sie es vor, dem empfang in Windsor castle demonstrativ fernzubleiben, um sich nicht weiterer Kritik auszusetzen. stead hielt der sozialdemokratin in einem von der englischen Presse publizierten brief vor, sie treibe ihre republikanische gesinnung ins Absurde, wenn sie sich der gastfreundlichen einladung eines ausländischen staatsoberhaupts allein deshalb verweigere, „because that nation has not remodelled its own old institutions so as 114

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Metternich an AA, 0. Juni 1906, PA-AA, england nr. 78, r 5718; Daily News vom 9. Juni 1906. Vgl. Braun, Memoiren, s. 576–8; Wilhelm von Massow, eine englandfahrt deutscher Journalisten, in: Deutsche Monatsschrift 10, 1906, s. 598. National-Zeitung vom 15. Mai 1906, Kopie in: tnA, Fo 71/78, bl. 59–60. Vgl. randnotiz von crowe, 8. Juni 1906, tnA, Fo 71/166, bl. 168–7; siehe auch hardens Kommentar in Zukunft 14, nr. 4 vom 1. Juli 1906, s. 88. das schreiben delbrücks an stead ist nicht überliefert; delbrücks begründung lässt sich jedoch rekonstruieren aus dem Antwortschreiben von stead an delbrück, 4. Mai 1906, sbPK, nl delbrück. Vorwärts nr. 140 vom 0. Juni 1906. Vgl. Braun, Memoiren, s. 579–81.

e) Reaktionen der deutschen und britischen Diplomatie

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to make them conform to your old ideas“. Auch stead musste jedoch einräumen, dass brauns Anwesenheit am englischen Königshof erneuten Angriffen ihrer Parteifreunde nahrung gegeben hätte.10 Weder in deutschland noch in england gelang es somit, die innenpolitischen gegensätze zu überwinden, die einer allgemeinen „Abrüstung der Presse“ im Wege standen. neben der deutschen sozialdemokratie waren es vor allem die Zeitungen der nationalistischen rechten in beiden ländern, die sich dem Projekt verweigerten. es dürfe nicht übersehen werden, schrieb ein deutscher teilnehmer nach dem ende der reise von 1906, „dass ein voll harmonischer Klang ausbleiben musste, wenn gerade ein teil der national besonders eifrigen blätter sich ausschloss“.11 dass die spaltung entlang parteipolitischer linien zumindest in großbritannien kein unüberwindliches hindernis für gemeinsame initiativen darstellte, erwies sich zwei Jahre später bei dem ähnlich gelagerten Plan, eine „imperial Press conference“ nach london einzuberufen, die eine stärkung der publizistischen Verbindungen zwischen weißen dominions und dem Mutterland zum Ziel hatte.1 Zu diesem Zweck versammelten sich nicht nur herausragende Pressevertreter und Politiker beider politischen lager, sondern es gelang auch, die Konferenz in einen dauerhaften institutionellen rahmen – die empire Press union – zu überführen.1 im Falle der deutsch-britischen Journalistenreise hingegen gab es zwar ein gedenkessen der englischen reiseteilnehmer am 10. Juli 1907 im londoner hotel Metropol sowie das bereits erwähnte erinnerungsdinner im sommer 191, doch zu einer auf stetigkeit angelegten einrichtung zur Pflege deutsch-britischer Pressebeziehungen kam es weder zu diesem Zeitpunkt noch später.14

e) Reaktionen der deutschen und britischen Diplomatie dass publizistische entspannungsinitiativen wie die beiden Journalistenreisen von 1906 und 1907 ohne resonanz und institutionelle Verankerung blieben, hing nicht zuletzt mit der teils reservierten und zweideutigen, teils offen feindseligen haltung zusammen, die das britische Foreign office und das Auswärtige Amt in berlin einnahmen. in Whitehall fürchtete man mögliche Versuche der 10 11 1 1

14

stead an braun, 5. Juni 1906, abgedruckt in: Review of Reviews, Juli 1906, s. 48–9. Paul liman, die englischen Feste. ein rückblick und Ausblick, in: Die Finanz-Chronik 11, nr. 6 vom 0. Juni 1906, Kopie in: PA-AA, england nr. 78, r 5718. Vgl. Kapitel 1. f). brittain an northcliffe, 4. Januar 1908; northcliffe an brittain, 1. Juni 1909, bl, northcliffe Papers, Add. 6166; Amery an northcliffe, 9. Januar und 0. Mai 1909, ebd., Add. 6157; Add. 6166; Pearson an northcliffe, 4. Juni 1910, ebd., Add. 617. das gedenkessen von 1907 ist dokumentiert in der dankeszeitschrift der britischen Journalisten „dedicated to ‚the Jolly good Fellows‘“, Kopie in: blPes, gardiner Papers 5/55; das dinner von 191 wird erwähnt in hatzfeldt an spender, 1. Juni 191, bl, spender Papers, Add. 469.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

deutschen Politik, den begegnungen eine antifranzösische stoßrichtung zu geben und damit das diplomatische einvernehmen zwischen london und Paris zu untergraben. crowe warnte, dass der eigentlich „harmlose besuch“ dem Pressebüro der Wilhelmstraße in die hände spielen könnte und dass „Männer des englischen öffentlichen lebens sich in ihrer nicht unnatürlichen unkenntnis der Wege der deutschen Politik von einer schar unverantwortlicher, zum teil von derselben unkenntnis, zum teil von weniger achtbaren beweggründen inspirierter Wichtigtuer ausschlachten lassen“.15 crowes Argwohn wurde vollends geweckt, als saunders in der Times über einen „bedauerlichen“ Artikel in der Kölnischen Zeitung berichtete, in dem es hieß, die französische unruhe anlässlich der Journalistenreise mache deutlich, welcher erfolg das unternehmen sei.16 crowe fand den Artikel „bezeichnend“ und verlangte nach Maßnahmen, um dem eindruck entgegenzuwirken, der in Paris durch die „plötzliche und unterschiedslose Verbrüderung“ mit leuten entstehen müsse, die seit Jahren „ihr gift gegen england ausgespritzt haben und die sich Frankreich gegenüber ebenso wütend und anmaßend“ gebärdeten. unverzügliche schritte waren aus crowes sicht umso dringender erforderlich als er hinter dem Artikel in der Kölnischen Zeitung die Machenschaften des Auswärtigen Amtes vermutete. „die deutsche Presse beeinflusst die deutsche regierung nicht“, notierte er. „im gegenteil: die deutsche regierung beeinflusst die deutsche Presse.“17 Außenminister grey teilte diese bedenken. er hielt die Versöhnungsbemühungen der liberalen englischen Presse für den Ausdruck einer gefühlsgeleiteten Außenpolitik von Amateuren, die sich ungefragt in das geschäft der professionellen diplomatie einmischten. die Freundschaftsbeteuerungen gegenüber deutschland entsprangen in seinen Augen dem bedürfnis, sich in „überschwänglichkeiten“ zu ergehen. es sei ebenso schwer, „überschwänglichkeiten zu unterdrücken wie tränen, wenn die leute eben heulen wollen“.18 Ausdrücklich bedankte sich der Außenminister für die schützenhilfe, welche die Times dem Foreign office durch saunders’ hinweis auf den Artikel in der Kölnischen Zeitung geleistet hatte. grey, schrieb chirol einem Kollegen, „did not conceal from me the other day his annoyance at the whole business. he was good enough to say that the leader we had on the cologne gazette message, which let the cat out of the bag, had been exceedingly useful […] all this pro-german gush is very undesirable“.19 grey fürchtete ähnlich wie crowe, 15 16 17

18 19

Aufzeichnungen von crowe, 6. Juni 1906, bd, bd. , nr. 419, s. 579. Times vom 4. Juni 1906; vgl. Kölnische Zeitung nr. 674 und nr. 677 vom . Juni 1906. Aufzeichnungen von crowe, 6. Juni 1906, bd, bd. , nr. 419, s. 579. Andere beamte im Foreign office teilten crowes Analyse. Wenn die deutsche Presse auch nur den geringsten einfluss auf die deutsche regierung ausüben würde, erklärte hilfssekretär spicer, könnte die Journalistenbegegnung einige positive ergebnisse zeitigen; „but we know that the Press cannot possibly be regarded as ‚free‘ + that it will continue to write precisely in the strain desired by the government“; randnotiz spicer, 4. Juli 1906, tnA, Fo 71/78, bl. 06. randnotiz von grey, 6. Juni 1906, bd, bd. , nr. 419, s. 580. chirol an strachey, . Juli 1906, hlro, strachey Papers, str 4/9/9.

e) Reaktionen der deutschen und britischen Diplomatie

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die begegnungen der deutschen und englischen Journalisten könnten in Frankreich Zweifel an der Verlässlichkeit großbritanniens aufkommen lassen. Zwar vermeldete die britische botschaft aus Paris, der besuch habe keinerlei eindruck auf die öffentliche Meinung des Entente-Partners gemacht.10 dennoch hielt es der Außenminister für notwendig, sowohl im unterhaus als auch in einem brief an botschafter bertie in Paris, zu Protokoll zu geben, „[that] civilities and hospitality, which are promoted here by independent persons in no way connected with the government, do not imply any present or future change of policy“.11 das britische Außenministerium sah auch später keinen grund, von seiner Position abzurücken. die erfahrung lehre, notierte crowe verschiedentlich, dass „Zeitungspilgerfahrten“ keinem nützlichen Zweck dienten, außer der bereicherung der kommerziellen Veranstalter, die sie organisierten.1 derartige besuche hätten in den vergangenen Jahren überhand genommen, bemerkte Francis Villiers, „they are nothing but ‚picnics‘ got up almost entirely for the amusement of those who take part in them“.1 entsprechend skeptisch beurteilte das Foreign office, das im sommer 1907 kurz vor dem Abschluss des Abkommens mit russland stand, den gegenbesuch der englischen redakteure in deutschland.14 hardinge hielt die reise bestenfalls für nutzlos, eher für schädlich: „i hate these […] visits and doubt their doing any good“.15 die deutsche diplomatie war nicht unschuldig an dem ungünstigen eindruck, den man in großbritannien von ihren Methoden und Absichten hatte. in der Wilhelmstraße sah man den gegenbesuch der englischen Journalisten in erster linie als chance, die regierung unter campbell-bannermann von den friedfertigen Absichten des reiches zu überzeugen und den Verdacht zu zerstreuen, großbritannien sei durch die deutsche Flottenrüstung bedroht. Zu diesem Zweck richtete sich das hauptinteresse der Pressepolitiker im Auswärtigen Amt auf Alfred spender, der Metternich zufolge „in weit höherem Maße als irgendein anderer Journalist das Vertrauen der liberalen regierung“ besaß.16 spender erhielt eine einladung, bülow außerhalb des offiziellen Programms zu einem „streng geheimen“ gespräch in der reichskanzlei zu treffen, während der Kanzler gleichzeitig alle anderen interviewbitten abschlägig bescheiden ließ, auch 10 11 1

1 14

15 16

Vgl. die depesche von graham an grey, . Juli 1906, in der die entsprechende Passage mit dickem stift am rand markiert ist; tnA, Fo 71/7, bl. . grey an bertie, 9. Juli 1906, bdFA, teil i, reihe F, bd. 19, nr. 9, s. 04. randnotiz crowe, 7. April 1907, tnA, Fo 71/59, bl. 446–447; vgl. die randbemerkung crowes zu einem bericht von colonel trench, 1. August 1908, tnA, Fo 71/461/960, bl. 46–7. randbemerkung Villiers, 8. März 1909, tnA, Fo 71/67/90, bl. 44. die britischen Journalisten, prophezeite crowe, „will crawl on their bellies all the time“; randnotiz crowe, 1. Mai 1907, tnA, Fo 71/59, bl. 448–5; vgl. auch dessen randbemerkung vom . Juni 1907, ebd., bl. 456–9. hardinge an lascelles, 4. Juni 1907, tnA, Fo 800/1, bl. 47–8. Metternich an bülow, 9. Mai 1907, PA-AA, england 78, r 57; vgl. Metternich an bülow, 1. Mai 1907, ebd.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

wenn sie von so einflussreichen deutschlandfreunden vorgetragen wurden wie c. P. scott vom Manchester Guardian.17 der chefredakteur der Westminster Gazette fand die Aufmerksamkeit, die ihm zuteil wurde, „rather embarrassing“; nicht zu unrecht fürchtete er, seine Vorzugsbehandlung werde sich kaum verbergen lassen und eifersüchteleien innerhalb der britischen delegation Vorschub leisten.18 tatsächlich sorgte es für Verstimmung, dass man ihm beim bankett im hamburger rathaus den ehrenplatz zuwies, während der herausgeber der Empire Review, sir clement Kinloch-cooke, der als ritter auf einer höheren gesellschaftlichen stufe stand, weiter unten an der tafel platziert wurde.19 lucien Wolf vom Daily Graphic empfand die ungleichbehandlung der verschiedenen delegationsteilnehmer und vor allem seine eigene Zurücksetzung sogar als derart empörend, dass er die reise zornerfüllt abbrach – mit rücksicht auf seine persönliche Würde und berufliche stellung, wie er den britischen botschafter in berlin wissen ließ.140 Wichtiger noch war die unklarheit über die politischen Ziele, die man in berlin mit dem besuch der englischen Journalisten verband. seit dem Kollaps von bülows Weltpolitik im gefolge der Marokkokrise und der Konferenz von Algeciras ersetzten zunehmend floskelhafte beteuerungen des guten Willens und der friedfertigen Absichten des reiches langfristige außenpolitische strategien, zumal die regierung auch innenpolitisch durch den spektakulären gesellschaftsskandal um den Kaiserfreund Philipp eulenburg unter druck geriet.141 darüber hinaus herrschte im inland wie im Ausland nach dem tod des langjährigen Außenstaatssekretärs richthofen im Januar 1906 und dem Ausscheiden holsteins wenig später immer größere Konfusion darüber, wer die deutsche Außenpolitik eigentlich bestimmte. die situation verschärfte sich weiter, als bülow kurz darauf im reichstag zusammenbrach und sich anschließend zur erholung monatelang nach norderney zurückzog.14 Auch nach der rückkehr des Kanzlers besserten sich die Verhältnisse kaum. das durcheinander im Auswärtigen Amt sei vollkommen unerträglich, berichtete charles tower, berlin-Korrespondent der liberalen tageszeitung Tribune, im Juni 1907: nobody seems to know what anybody else is doing […] several of the departmental ministers have told sir Frank that they could get nothing attended to by the chancellor who seems to write speeches and then go away. [...] sir Frank lascelles believes that the „liebaugelei“ [sic] or „jeu des beaux yeux“ is being played partly no doubt to still the insistent warnings of the staider english press but chiefly to gain time to clear things up at home.14 17 18 19 140 141 14 14

bussche an spender, 1. Mai 1907, bl, spender Papers, Add. 4691; scott an bülow, . Mai 1907; bülow an sidebotham, 9. Mai 1907, PA-AA, england 78, r 57. spender an seine Frau, 8. Mai 1907, abgedruckt in: Harris, spender, s. 150; vgl. stumm an bussche, 5. Mai 1907, PA-AA, england 78, r 57. rhodes an bussche, 8. Mai 1907, ebd. Wolf an lascelles, 1. Mai 1907, tnA, Fo 800/1, bl. 418. siehe Rogge, holstein, s. 157–76; Rich, holstein, bd. , s. 766–97. hardinge an lascelles, 6. April 1906, tnA, Fo 800/1, bl. 109–10. tower an strachey, 16. Juni 1907, hlro, strachey Papers, str 16/1/10.

e) Reaktionen der deutschen und britischen Diplomatie

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im Zentrum des britischen interesses stand aus naheliegenden gründen die deutsche Flottenrüstung und die Frage, ob das reich großbritannien entgegenkommen, die Aufrüstung zu see begrenzen würde. der Kanzler und das Auswärtige Amt schienen in diesem Punkt, anders als der Kaiser und tirpitz, seit einiger Zeit kompromissgeneigt.144 umso aufmerksamer registrierten die englischen Journalisten die marinepolitischen Passagen in der Ansprache, die unterstaatssekretär Mühlberg beim Festbankett im Zoologischen garten hielt. Mühlbergs bemerkungen liefen auf die Versicherung hinaus, die deutschen rüstungen seien rein defensiver natur, der schlachtschiffbau diene allein dem schutz der deutschen handelsmarine. in der sache war an diesen Äußerungen nichts neues oder bemerkenswertes.145 doch vor dem hintergrund der überschwänglichen gastfreundschaft ließen sie sich als hinweis verstehen, dass die reichsregierung einlenken und das Flottenwettrennen beenden wolle. dieser eindruck wurde durch Mühlbergs ernsthaften tonfall sowie den umstand verstärkt, dass die gastgeber vorab eine offizielle englische übersetzung des textes hatten verteilen lassen.146 im Foreign office in london kursierten gerüchte, bülow habe die rede selbst geschrieben, der Kaiser sie anschließend redigiert.147 spender interpretierte Mühlbergs Worte dahingehend, „that the worst of the naval competition was now over and that we might look forward to a period in which our relations would not be complicated by this cause of friction. this, said in the presence of tirpitz, seemed to me of real importance“.148 bülow tat sein bestes, um diesen eindruck bei dem geheimtreffen mit dem Journalisten noch zu verstärken. er versicherte spender, dass niemand in deutschland – „from the Kaiser down to the man in the street“ – die Absicht habe, großbritannien zu überfallen. Alle Probleme seien auf Missverständnisse zurückzuführen, begründete interessendifferenzen gebe es nicht. Mit dem Ärger zwischen england und deutschland während der zurückliegenden zwei Jahre, so bülow, verhalte es sich wie mit einer granate, die ein störenfried in einem garten deponiert habe. „if you let it alone it would do no harm and in time would die, but if you kicked it about, it might easily become dangerous. happily the shell was dying, and he hoped in future it would be let alone.“149 um seinen Worten nachdruck zu verleihen, führte bülow den englischen gast im Anschluss an das gespräch in einen nebenraum, wo er ihn mit holstein bekannt machte, von dem man in großbritannien allgemein annahm, er sei seit seinem Ausscheiden aus dem Auswärtigen Amt in ungnade gefallen und 144 145 146 147

148 149

Hildebrand, reich, s. 9–40; anders: Kennedy, rise, s. 44–. cartwright an grey, 8. Juni 1907, bdFA teil 1, reihe F, bd. 0, nr. 8, s. 8–4. Vgl. lascelles an grey, 1. Mai 1907, tnA, Fo 1/59, bl. 460–9. randbemerkung von barrington, . Juni 1907, tnA, Fo 1/59, bl. 464. selbst die Times räumte ein, „that the organizers of the reception […] desired not only the removal of the misunderstandings between the two nations, but also the establishment of friendly relations to the advantage and benefit of both“; Times vom 0. Mai 1907. Spender, life, bd. 1, s. 04. spender an lascelles, 4. Juni 1907, tnA 800/1, bl. 49–0.

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7. Die Journalistenreisen 1906 und 1907

intrigiere gegen den Kaiser und seinen Kanzler.150 bülow schien es jedoch angebracht, dem englischen Publizisten vor Augen zu führen, dass ein entschiedener gegner der Flottenrüstung wie holstein in der Wilhelmstraße keineswegs persona non grata sei.151 spender zog aus seinen erlebnissen in berlin denn auch zunächst die von bülow gewünschte schlussfolgerung, „that we were nearing the end of the naval competition“. Als die deutsche seerüstung jedoch nicht nachließ, sondern sich im gegenteil als Folge der Marinevorlage von 1908 weiter beschleunigte, fühlte sich der Journalist von der deutschen diplomatie hinters licht geführt.15 Fortan misstraute er allen deutschen Versprechungen einer rüstungsbegrenzung und avancierte zu einem wichtigen publizistischen Verbündeten der britischen Admiralität in ihrem innenpolitischen Kampf für die Forcierung des dreadnought-Programms.15 Wie beim umgang mit chirol in der Affäre um das Krügertelegramm hatte sich die deutsche diplomatie durch taktische Winkelzüge einen ursprünglich wohlmeinenden britischen Journalisten zum gegner gemacht. Auch bei dieser gelegenheit zeigte sich, dass kurzfristige pressepolitische erfolge die fehlende außenpolitische strategie auf mittlere und lange sicht nicht ersetzen konnten. es gebe für großbritannien keine Kompensation für den Verlust der Vormachtstellung zur see, schrieb spender in der einleitung zur deutschen Ausgabe seines buches über „die grundlagen der britischen Politik“, die 191 als sonderheft der Zeitschrift für Politik erschien.154 „so far as i was concerned“, notierte er im rückblick, „this was the net result of our visit to germany in 1907, and i record it as a warning to official people, when they are tempted to conciliate journalists without being sure of their ground.“155

f) Zwischenfazit Wie in einem brennglas bündelten die beiden Journalistenreisen 1906 und 1907 die Möglichkeiten und grenzen der Vermischung einer öffentlichen inszenierung von Pressemacht mit den eingespielten gepflogenheiten geheimer diplomatie. die botschaft, die beide besuche über Versöhnungsworte und entspannungsrhetorik hinaus vermittelten, war eindeutig: die Presse war – zumindest in ihrer selbstwahrnehmung und nach einschätzung vieler Politiker und diplo150 151

15

15 154 155

Zum hintergrund vgl. Rich, holstein, bd. , s. 757–97. spenders notat über die begegnung (o. d.) ist abgedruckt in Spender, life bd. 1, s. 09–11; der text deckt sich weitgehend mit spenders bericht an lascelles vom 4. Juni 1907, in dem die begegnung mit holstein allerdings unerwähnt bleibt; tnA 800/1, bl. 49–0. Spender, life bd. 1, s. 05. Zur Marinevorlage von 1908 vgl. Berghahn, tirpitz-Plan, s. 505–9; Deist, Flottenpolitik, s. 194–47; Herwig, Fleet, s. 6–68; Epkenhans, Flottenrüstung, s. 8. Spender, life bd. 1, s. 15–. Vgl. Marder, dreadnought, bd. 1, s. 15–41. Spender, grundlagen, Kopie in: PA-AA, england Presse nr. 7, r 5641. Spender, life bd. 1, s. 05.

f) Zwischenfazit

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maten – zu einem Faktor der internationalen beziehungen geworden, mit dem die offizielle Außenpolitik zu rechnen hatte. regelmäßig wurde in Ansprachen und grußworten die rolle von Journalisten mit den Aufgaben von diplomaten gleichgesetzt. der Präsident des bremer senats bezeichnete die englischen redakteure als „botschafter der Öffentlichkeit“ ihres landes; der oberbürgermeister von dresden nannte sie „Vertreter der öffentlichen Meinung“ einer großen und mächtigen nation, während spender zu Protokoll gab, das Ausräumen von Missverständnissen gehöre zu den edelsten Pflichten von diplomatie und Presse.156 „in former times the exchange of international visits of courtesy was the province of sovereigns and ambassadors“, hieß es in einem leitartikel des Daily Telegraph: the rulers of the nations and their representatives alone concerned themselves with such matters, and the different classes in the community bore no part in them. nations have passed beyond that stage of intercourse. the peoples of the various countries begin to recognize that international amity is as much an intimate concern of theirs as it is of kings and governments, and one class after another in the social fabric of each takes upon itself the duty of becoming acquainted with its counterpart, and doing what it may to smooth asperities and angularities which lead to international friction.157

die Journalisten waren jedoch – zumindest in ihren eigenen Augen – weit mehr als bloß „one class in the social fabric“. sie beanspruchten für sich, ihr Volk zu verkörpern. der Verleger des Daily Telegraph, lord burnham, kontrastierte in seiner begrüßungsrede die Aufgabe von Politikern und staatsmännern, das zu wahren und zu schützen, was sie für das nationale interesse ihres landes hielten, mit der Aufgabe der Presse „to give expression to generous sentiments and age-long friendship, just because we represent – or ought to represent – our respective nations at the highest and most thoughtful level of their individual lives“.158 James bryce erklärte beim empfang in der londoner guildhall, die Arbeit von Journalisten sei ebenso wichtig wie das Werk der diplomaten, denn die Presse zeichne nicht nur die öffentliche Meinung auf, sondern forme und lenke sie auch in einem beträchtlichen Ausmaß: „[A]nd by what it said as the guide of opinion, by the news it selected for publication, it had an influence as great as that of the diplomacy, because the Press helped to create the state of public opinion with which diplomatists had to deal and against which diplomatists sometimes could not struggle with success“. in seiner erwiderung auf bryces toast unterstrich auch theodor barth, herausgeber der liberalen Wochenzeitschrift Die Nation, seinen glauben an die enorme Macht der Presse. diese könne, so barth, Frieden schaffen und Kriege herbeischreiben, die beziehungen zwischen Arbeit und Kapital zum guten wie zum schlechten beeinflussen, Völker und 156 157

Vgl. berichte im Manchester Guardian vom 8. Mai und . Juni 1907; Daily News vom 8. Mai 1907. Daily Telegraph vom 1. Juni 1906.

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ebd., . Juni 1906.

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nationen in Freundschaft verbinden.159 natürlich war bei alldem viel übertreibung im spiel, Wortgeklingel und hohle rhetorik, die auf unmittelbare Wirkung bedacht war und nicht zu ernst genommen werden sollte. dennoch dokumentierte die ausgiebige selbstbeweihräucherung der Journalisten einen spürbaren bedeutungszuwachs der Presse in außenpolitischen Fragen, wobei die Verschiebung im Kräfteverhältnis zwischen diplomatie und Öffentlichkeit nicht zuletzt in der großen Anzahl hochrangiger Minister und staatssekretäre zum Ausdruck kam, die an den banketten und anderen Festveranstaltungen teilnahmen. Zugleich war die große publizistische Aufmerksamkeit, die den reisen zu teil wurde, das ergebnis einer ausgeprägten neigung der Presse zur selbstreferentialität. die teilnehmer der Journalistenreisen berichteten nicht nur, sondern wirkten auch an zentraler stelle bei der schaffung der ereignisse mit, über die sie schrieben. schon weil sie über sich selbst, ihre eigenen erlebnisse und erkenntnisse schreiben konnten, wurde ihren texten ungewöhnlich viel raum in deutschen wie britischen Zeitungen zugebilligt. Verstärkt wurde dieser trend noch durch etwas, das man den internationalen echoeffekt der berichterstattung nennen könnte. dieser echoeffekt sorgte dafür, dass die reiseberichte britischer teilnehmer in englischen Zeitungen über nachrichtenagenturen und deutsche london-Korrespondenten in die deutsche Presse gelangten, wo sie als Material für weitere nachrichten und leitartikel dienten. Auf diese Weise entstand ein Kreislauf, in dem englische nachrichten über ereignisse in deutschland ihrerseits zum gegenstand von Meldungen und Kommentaren in deutschen Zeitungen werden konnten und umgekehrt. die hohen erwartungen, die viele Journalisten an die besuchsreisen knüpften, entsprangen dabei wenigstens teilweise ihrer berufsbedingten Vorprägung, einer déformation professionnelle, wenn man so will: Als Fachleute für gesellschaftliche Kommunikation lag es für sie nahe, Probleme aller Art auf Verständigungsschwierigkeiten zurückzuführen und sich von einem verbesserten freien gedankenaustausch, wie er bei den rundreisen möglich wurde, die überwindung selbst vertracktester hindernisse zu versprechen.160 diese erwartung deckte sich keinesfalls mit der sichtweise professioneller diplomaten in deutschland und england. bülow hatte kein gespür dafür, dass vertrauensbildende Maßnahmen die bereitschaft aller beteiligten voraussetzten, mit offenen Karten zu spielen. statt dessen versuchte der reichskanzler, die besuchsreise von 1907 zu einem seiner diplomatischen Winkelzüge zu nutzen, indem er den vermeintlich einflussreichsten englischen gast zu einer heimlichen sonderaudienz bat. dabei erwies sich die innenpolitisch erprobte Praxis der Wilhelmstraße, als besonders „zuverlässig“ erachteten oder politisch nahe stehenden Journalisten insiderinformationen zuzuspielen beziehungsweise privilegierten Zugang zu Vertretern der reichsregierung zu verschaffen, im umgang mit der britischen Presse erneut als kontraproduktiv. denn was als Auszeich159 160

Vgl. berichte im Daily Telegraph und Daily News vom 7. Juni 1906. Vgl. Kohlrausch, Monarch, s. 448.

f) Zwischenfazit

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nung für spender gedacht war, wurde von den übrigen besuchern als brüskierung empfunden. umgekehrt betrachteten die britischen diplomatischen eliten die initiative der Publizisten als dilettantisches störmanöver, das ihre eigenen strategien zu durchkreuzen drohte und das es deswegen nach Kräften zu entschärfen galt, um eine schwächung der Entente Cordiale mit Frankreich zu verhindern. Wenn eine „Abrüstung der Presse“ überhaupt vorstellbar sei, so hilfssekretär spicer, dann spiele sie deutschland in die hände, „who would quietly pursue her policy, having allayed our suspicions, until her plans were fully matured + she herself ready to act“.161

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randnotiz spicer vom 10. Juni 1907, tnA, Fo 71/59, bl. 475–9; vgl. auch dessen randbemerkung zu McKinnon an grey, 0. oktober 1907, ebd., bl. 480–.

8. Publizistische entsPannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise If the Morocco settlement is achieved, there ought to be some serious attempt to improve press relations between England and Germany, so that the Governments might get into touch. I feel certain that the growth of armaments is becoming a positive danger to peace and established order. (Francis W. Hirst an Theodor Schiemann, 19. September 1911)

a) Kritik an Greys Geheimdiplomatie wie die beiden Journalistenbesuche der Jahre 1906 und 1907 als strategie publizistischer schadensbegrenzung nach der ersten Marokkokrise zu verstehen sind, so müssen die vielfältigen entspannungsinitiativen der Jahre 1911 und 1912 als reaktion auf den schrecken der zweiten Marokkokrise im sommer und herbst 1911 interpretiert werden. es war kein zufall, dass Presse und Publizistik wieder im Mittelpunkt zahlreicher dieser bemühungen standen. denn die agadirkrise hatte in den augen vieler zeitgenossen bewiesen, wie wenig geltung die überkommenen regeln der kabinettsdiplomatie für die außenpolitik der großmächte noch besaßen und wie zentral zugleich die pressepolitischen Überlegungen der außenämter in internationalen krisensituationen geworden waren.1 trotzdem reagierten die radikal-liberalen kritiker außenminister greys in england mit verzögerung auf die zweite Marokkokrise. unmittelbar nach lloyd georges rede im Mansion house hatten sie sich teils aus patriotischer loyalität zu ihrer regierung, teils mit rücksicht auf die innenpolitischen Frontverläufe, zum teil aber auch schlicht überrumpelt ruhig verhalten. Mittelfristig führte die internationale konfrontation der sommermonate jedoch zu einer verschärfung der angriffe gegen die vom außenminister verkörperte Politik der Entente mit Frankreich und russland samt ihrer Frontstellung gegen das kaiserliche deutschland.2 im zusammenhang mit dem spannungsverhältnis zwischen diplomatie und Öffentlichkeit sind zwei aspekte dieser kritik, die in der Forderung nach dem rücktritt des außenministers gipfelte, von interesse. zum einen beinhaltete sie einen allgemeinen Protest gegen das Prinzip der geheimdiplomatie. zahlreiche britische radikal-liberale fürchteten, grey oder sein konservativer amtsvorgänger hätten ihr land in einem geheimvertrag verpflichtet, Frankreich im Falle eines deutsch-französischen krieges zu hilfe zu kommen. zum anderen setzte sich bei redakteuren der wichtigsten radikal-liberalen zeitungen und 1

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„You will do well to disbelieve any ‚authoritative‘ statement in german newspapers“, warnte crowe bereits zu beginn der krise seine deutsche Frau. „there [sic] statements are concocted in the berlin Foreign office and are always untrue and misleading“; crowe an seine Frau, 20. Juli 1911, bod, Ms. eng d. 2903, crowe Papers, bl. 33. vgl. Murray, Foreign Policy; Morris, radicalism, s. 259–81.

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

zeitschriften die Überzeugung durch, es liege nicht zuletzt an ihnen als Pressevertreter, den außenpolitischen Missständen abzuhelfen und eine annäherung an deutschland anzubahnen. neben der Marokkokrise verstärkten vor allem die spannungen mit dem russischen Entente-Partner in Persien den unmut der radikal-liberalen über das, was sie zunehmend lauter und schärfer als greys „geheimniskrämerei“ (secre­ cy) brandmarkten.3 Mitte november polemisierte henry william Massingham, chefredakteur der zeitschrift The Nation, in einer artikelserie gegen „our secret diplomacy“; wenige tage später folgte gardiner in der Daily News mit einer ähnlichen anklage gegen „the Perils of secret diplomacy“. kurz zuvor hatte der cambridger orientalist und Persienfreund edward g. browne bereits in einem leserbrief an den Manchester Guardian aufgelistet, was ihm an greys außenpolitik missfiel: die wohlwollende duldung der zerstörung Marokkos und der britischen geschäftsinteressen dort, um Frankreich zufrieden zu stellen; tatenlosigkeit angesichts der vernichtung Persiens, um russland nicht zu verärgern; die entfremdung von Moslems in der ganzen welt wegen der britischen komplizenschaft mit Paris und st. Petersburg; das verschleudern nationalen Prestiges und die entwertung moralischer standards in der internationalen Politik, vor allem aber: an unceasing feud with germany, giving rise to perpetual war scares and ever-increasing expenditure on armaments; a reputation for tortuous and secret diplomacy without parallel … in the history of this country; and an undisguised impatience of Parliamentary criticism and contempt for public opinion which can scarcely be matched outside russia, whence the present ideals of the british Foreign office seems to be derived.5

eine woche später behauptete die redaktion des Manchester Guardian in einem leitartikel, das englische unterhaus werde in größerer unkenntnis über die offizielle außenpolitik des landes gehalten als irgendein anderes Parlament in europa.6 die von keir hardie begründete wochenzeitschrift Labour Leader forderte als sprachrohr der independent labour Party indirekt greys rücktritt, indem sie erklärte: „this autocratic ruler of the foreign office must be stopped.“ william t. stead schloss sich in seiner Review of Reviews der kritik an und erinnerte an die von ihm initiierten redakteursreisen 1906 und 1907, die von reichskanzler bülow tatkräftig unterstützt worden seien, während das britische außenministerium „[a] cold and forbidding attitude“ an den tag gelegt habe. deutschland, befand henry noel brailsford in The Nation, sei „the great grey bogey“. Massingham erklärte in derselben zeitschrift, die öffentliche Mei3 

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zum hintergrund vgl. Sweet und Langthorne, great britain; Hauser, deutschland, s. 136–181. The Nation vom 11. und 18. november 1911; Daily News vom 16. und 20. november 1911. vgl. Daily News vom 10. Januar 1912, wo gardiner erklärte, grey sei als außenminister unmöglich geworden. Manchester Guardian, 1. november 1911, kopien in: Pa-aa, england Presse nr. 73, r 5638. Manchester Guardian, 21. november 1911, kopien ebd.

a) Kritik an Greys Geheimdiplomatie

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nung englands habe die regierung nicht ermächtigt, eine derartige außenpolitik zu verfolgen; deswegen müsse man grey das handwerk legen. selbst spender als treuester publizistischer verbündeter des außenministers räumte ein, „that there was neither enough prominence given to foreign affairs in parliament nor adequate information about them afforded the general public“.7 der Protest blieb nicht auf die Medienöffentlichkeit beschränkt, sondern fand unter Politikern innerhalb wie außerhalb des Parlaments unterstützung. die radikal-liberalen unterhausabgeordneten noel buxton und arthur Ponsonby machten sich für eine demokratische kontrolle der diplomatie stark und forderten die einrichtung eines Parlamentsausschusses, der sich mit außenpolitischen Fragen beschäftigen sollte.8 unerwartete schützenhilfe erhielten die hinterbänkler vom ehemaligen Parteiführer lord rosebery, der sich aus der aktiven Politik zurückgezogen hatte und kein anhänger des radikal-liberalen Parteiflügels war. doch angesichts der zunehmenden verfestigung der Entente mit Frankreich und russland sah er sich veranlasst, vor den gefahren einer als geheimdiplomatie betriebenen blockpolitik zu warnen. kein kaufmann, erklärte er, würde sich so verhalten wie die britischen Parlamentarier – „that is, to engage in vast and unknown liabilities and affix his signature to them without knowing their nature and extent“9 selbst der inzwischen als erster seelord ausgeschiedene admiral Fisher stimmte in den chor der kritik an der traditionellen diplomatie und ihres zumeist aristokratischen Personals ein. nach der lektüre eines gegen grey und das Foreign office gerichteten leitartikels in den Daily News schrieb er an deren chefredakteur, es sei bedauerlich, „that some fifth rate diplomatic fool supported by his ‚sisters and his cousins and his aunts‘ at the Foreign office […] is able to plunge our great empire into a beastly mess before the public have any power to intervene!“10 angesichts eines derart breit gefächerten unmuts in den eigenen reihen sah sich die liberale Führung genötigt, den kritikern entgegenzukommen. grey veranlasste, dass noch im november der vertragstext der Entente Cordiale von 190 vollständig veröffentlicht wurde, samt der bislang unbekannten geheimen zusatzartikel. asquith beraumte für den 27. november eine unterhausdebatte zur außenpolitik ein, auf die am tag darauf eine aussprache im house of lords folgte. zusammen mit der einwilligung des außenministers, lordkanzler hal7

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Labour Leader vom 27. november 1911; Review of Reviews, dezember 1911; The Nation vom 2., 9. und 16. dezember 1911; Westminster Gazette, 15. dezember 1911. vgl. Murray, grey, s. 159–60. Ponsonby, control; vgl. ders., Parliament; ders., democracy and diplomacy. zu noel buxton siehe Anderson, buxton; Evans, Foreign Policy. am 13. Januar 1912 in glasgow, zitiert nach: Murray, grey, s. 163. „My pretty big experience of our diplomats is“, fuhr Fisher fort, „that their habitual residence abroad + their marriage with foreigners lead to their ceasing being englishmen“; Fisher an gardiner, 5. oktober 1911, blPes, gardiner Papers; der verweis auf die „schwestern, cousinen und tanten“ war eine anspielung auf eine populäre operette von gilbert und sullivan.

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

dane zu sondierungsgesprächen nach berlin zu entsenden, nahmen diese schritte den gegnern der amtlichen außenpolitik den wind aus den segeln, zumal sich innerhalb des kabinetts kein organisierter widerstand gegen greys linie zusammenfand.11 in dieser lage kam den führenden organen der radikal-liberalen Presse eine besonders wichtige Funktion bei der Formulierung einer innerparteilichen alternativstrategie zu. „could you persuade [the radical cabinet ministers]“, hatte scott schon im Frühjahr 1909 einem in die Politik übergewechselten früheren Mitarbeiter geschrieben, „of the necessity of saying something and not leaving the whole fight to the guardian with the help of the nation and an occasional faint bleat from the d[aily] news? they really owe something to their Press which incurs all the obloquy.“12 seit beginn der agadirkrise hatte sich die situation aus sicht der auf einen ausgleich mit deutschland drängenden radikal-liberalen Pressevertreter noch verschlechtert, weil lloyd george mit seiner rede im Mansion house dem lager der entspannungsfreunde anscheinend den rücken zugekehrt hatte.13 umso wichtiger erschien es Männern wie scott, Massingham und gardiner, selbst tätig zu werden und einer Détente im zwischenstaatlichen verhältnis publizistisch den boden zu bereiten.1

b) Francis W. Hirst und Theodor Schiemann zu einer treibenden kraft der publizistischen entspannungsinitiativen avancierte Francis wrigley hirst, der chefredakteur der radikal-liberalen wochenzeitschrift The Economist. er stand in enger verbindung mit lord Morley, dem letzten vertreter der gladstone’schen tradition des liberalismus im britischen kabinett, den er bei der arbeit an dessen dreibändiger gladstone-biographie unterstützt hatte. seither war hirst, der eine großnichte richard cobdens geheiratet hatte, ein glühender anhänger der überkommenen Prinzipien jenes mittelviktorianischen, moralisch eingetönten Freihandelsliberalismus, der verstrickungen in bündnispolitik sorgfältig zu vermeiden suchte und jede Form kolonialer expansion mit Misstrauen betrachtete.15 obwohl – oder gerade weil

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aus der umfangreichen literatur zur haldane-Mission sei hier nur auf die studie von koss verwiesen, die sich mit deren publizistischen begleitumständen befasst und nicht zuletzt die mangelhafte Öffentlichkeitsarbeit für das scheitern der initiative verantwortlich macht; Koss, haldane, s. 65–9. zur britischen Presseberichterstattung über die haldane-Mission siehe auch Schramm, deutschlandbild, s. 150–5. scott an hobhouse, 7. april 1909, guardian archives 132/150. vgl. hirst an scott, 19. Februar 1912, ebd., a/h61/8. nach gesprächen mit Massingham und gardiner notierte scott in seinem tagebuch: „all were almost equally strong in feeling against grey’s dependence on russia & antagonism to germany & M[assingham] & g[ardiner] were prepared to go to all lengths in opposition“; scotts tagebucheintrag, 19. september 1912, ebd., 133. siehe Hirst, days.

b) Francis W. Hirst und Theodor Schiemann

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– er mit seinen Überzeugungen quer zum imperialistisch-interventionistischen zeitgeist stand, hielt der Publizist umso unerschütterlicher daran fest.16 in anbetracht der Machtverteilung in kabinett und unterhaus sah hirst die einzige chance, einen außenpolitischen kurswechsel herbeizuführen, in der Mobilisierung der liberalen basis und Presse.17 ein zentrales Manko der radikal-liberalen Presse, deren stärke in der Provinz lag, bestand darin, dass sie – anders als die konservativ und liberal-imperialistisch ausgerichteten hauptstadtblätter – kaum über eigene korrespondenten in berlin verfügten und für ihre deutschlandberichterstattung auf nachrichten derjenigen zeitungen angewiesen waren, die sie als „Jingo-Presse“ verabscheuten. die meisten Provinzblätter waren zu klein, um sich eigene vertretungen außerhalb großbritanniens leisten zu können. aber selbst eine überregional bedeutende zeitung wie der Manches­ ter Guardian beschäftigte vor 1911 keine auslandskorrespondenten, sondern baute erst in den Folgejahren allmählich ein internationales netz von berichterstattern auf.18 auch die Daily News bemühten sich jahrelang vergeblich, einen geeigneten kandidaten für den Posten in berlin zu finden: eine zeitlang berichtete ein Mitarbeiter des Berliner Lokalanzeigers namens Philipp goldschmied nebenher für das blatt; nach 1909 übernahm die aufgabe charles tower, der zuvor für die inzwischen eingestellte Tribune und den Daily Graphic tätig gewesen war.19 beide genügten den ansprüchen der radikal-liberalen entspannungsfreunde in großbritannien nicht. „the daily news man“, klagte hirst, „is as bad as anyone.“20 hirst bemühte sich im herbst 1911 darum, diesem Missstand abzuhelfen. er brachte eine reihe radikal-liberaler zeitungen dazu, sich zusammenzutun und einen geeigneten Journalisten als gemeinsamen korrespondenten nach berlin zu entsenden. neben kleineren liberalen Provinzzeitungen21 hoffte hirst, auch den Manchester Guardian und die beiden hauptstadtblätter Daily Chronicle und Daily News für sein Projekt zu gewinnen. Für die Finanzierung sorgte der industrielle sir John brunner, ein radikal-liberaler unterhausabgeordneter und Präsident der neu gegründeten national liberal Foundation, zusammen mit 16

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„Mr. hirst was a true fanatic“, erinnerte sich ein Freund, „and his faith that men would eventually see the light was inexhaustible. Meanwhile, his zest in observing their folly was unbounded“; a. F. thompson, in: F. w. hirst, s. 35–9. „the liberal Press and the opinion of the rank and file are powerful agencies“, schrieb er in einem anonymen leserbrief an Massinghams The Nation vom 30. dezember 1911. Ayerst, guardian. vgl. stead an gardiner, . Juli 1906, blPes, gardiner Papers, 1/33. zu goldschmied vgl. chirol an steed, 10. Juni 1896, nia, steed Papers; saunders an bell, 23. november 1898, Moberly bell Papers, ebd.; zu tower siehe die aktennotiz hammanns für kiderlen, o. d. (herbst 1909), Pa-aa, england 81 nr. 3, r 5963; vgl. auch wile an northcliffe, 25. november 1913; bl, northcliffe Papers, add. 62207. hirst an brunner, 5. dezember 1911, zitiert nach: Koss, radical, s. 102. etwa der Liverpool Post, South Wales Daily News, Aberdeen Free Press, Western Daily Mercury, dem Yorkshire Observer, Sheffield Independent, Darlington Echo, Eastern Morn­ ing News und dem Dundee Advertiser.

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

dem liberalen Finanzier ernest schuster. den zuschlag für den korrespondentenposten bekam dudley ward, „an honest journalist“ und „a real lover of peace“, wie hirst schrieb. ward wurde ausdrücklich damit beauftragt, „to act as press-correspondent with the object of promoting friendly relations between germany and england“.22 ein weiteres Problem für hirst und seine gesinnungsgenossen bestand darin, kooperationspartner in deutschland zu finden, die den geheimdiplomatischen Methoden der regierungen ähnlich skeptisch gegenüberstanden und ebenso sehr an publizistischen entspannungsinitiativen interessiert waren. scott stand einige zeit lang mit theodor barth, dem herausgeber der zeitschrift Die Na­ tion, in kontakt, der sich bereit erklärt hatte, in unregelmäßigen abständen artikel über den stand der öffentlichen Meinung in deutschland für den Manche­ ster Guardian zu verfassen: „in order to combat the attempts made both here and in england to excite enmity between the two countries“, wie er schrieb, „to defend commonsense in politics and economics, not to yield to national prejudices and to form a strong international line against jingoism“.23 nach barths tod im Juni 1909 konnte die lücke nicht gefüllt werden. hans delbrück, der zwischen dezember 1908 und april 1911 mit Percy william bunting, dem radikalliberalen herausgeber der Contemporary Review, in briefkontakt stand, verfasste zwar gelegentlich aufsätze für dessen zeitschrift, in denen er sich gegen das tempo der tirpitz’schen Flottenbaupolitik und gegen die Politik der alldeutschen aussprach, weil er darin eine gefährdung des europäischen gleichgewichts und eine belastung des deutsch-englischen verhältnisses erblickte. doch blieben die weltanschaulichen unterschiede zwischen dem hegelianischen Militärhistoriker und dem freihändlerisch-pazifistischen radikalismus von greys britischen kritikern zu groß, um die Möglichkeit wirkungsvoller gemeinsamer initiativen zu eröffnen.2 bei ihrer suche nach ansprechpartnern in deutschland gerieten greys radikal-liberale kritiker schließlich an einen Mann, mit dem sie noch weniger verband. theodor schiemann war Professor für osteuropäische geschichte an der berliner universität und zugleich außenpolitischer kommentator der konservativen Kreuzzeitung. der gebürtige balte sah sich als „erbe treitschkes“, dessen verbindung von akademischer lehre und publizistischer tätigkeit er fortzusetzen trachtete.25 er stand auf vertrautem Fuße mit den meisten außenpolitischen entscheidungsträgern des kaiserreichs.26 Mit wilhelm ii. verband ihn seit 190 22 23 2

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hirst an brunner, 5. und 19. dezember 1911, zitiert nach: Koss, brunner, s. 27. barth an scott, 26. september 1908, guardian archives 128/38. nachdem bunting 1911 gestorben war, pflegte Francis william Fox vom anglo-german Friendship committee die beziehung weiter; siehe die entsprechenden schreiben von bunting (1908–1911) und Fox (1911–1915) an delbrück, sbPk, nl delbrück. vgl. Meyer, schiemann, s. 77. holstein sah er während der ersten Marokkokrise regelmäßig; mit Mühlberg und anderen leitenden Mitarbeitern des auswärtigen amtes wie klehmet, kiderlen und zimmermann war er bekannt. bülows bekanntschaft hatte schiemann schon 1901 gemacht; seither war er

b) Francis W. Hirst und Theodor Schiemann

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gar so etwas wie eine Freundschaft. der historiker war oft im neuen Palais in Potsdam zu gast und gehörte im herbst 1908 zu den wenigen Publizisten, die in der Daily­Telegraph-affäre zum kaiser standen.27 schiemanns außenpolitische konzeption stand im zeichen staatlicher Machtpolitik. die wichtigste aufgabe bestehe darin, schrieb er, „alles zu fördern, was deutschland stark macht, denn nur der genießt achtung und sicherheit, der beides zu behaupten und zu verteidigen vermag“.28 von dieser Prämisse ausgehend und geprägt durch seine baltische herkunft, befürwortete der russlandhistoriker schiemann eine scharf antirussische ausrichtung der deutschen außenpolitik, mit der in seiner vorstellung ein zusammengehen mit großbritannien korrespondieren sollte. das zarenreich hielt er für krank und morsch, nur durch einen gewaltsamen absolutismus zusammengehalten, während das in seinen augen staatlich gesunde, politisch überlegene Preußen-deutschland mit england nicht nur „blutsverwandtschaft, richtung der kulturarbeit und ethische grundanschauungen“ verbanden, sondern auch gemeinsame interessen.29 zwischen den beiden ländern liege kein wesentlicher gegensatz, erklärte er im Februar 1905: „in uns beiden hat die gedankenwelt des Protestantismus den lautersten ausdruck gefunden und die edelsten Früchte gezeigt, in wissenschaft, kunst, literatur und technik [...] vereinigt stellen sie die stärkste kombination dar, die heute möglich ist. weshalb sollten sie sich nicht die hände erreichen?“30 später kam ein weiterer Faktor hinzu, der schiemanns interesse an einem einvernehmen mit england steigerte. seit 1909 übersetzte er für die wilhelmstraße abschriften der streng geheimen korrespondenz zwischen dem russischen außenministerium und dem botschafter in london, graf benckendorff, die der reichsregierung durch einen Mitarbeiter benckendorffs zugespielt wurden.31 diese tätigkeit machte den historiker zu einem der am besten informierten außenpolitischen experten im reich und verschaffte ihm, wie er im rückblick schrieb, einen einblick in die „gesamte Politik“ der Entente-staaten. seither verfestigte sich schiemanns Überzeugung, es existiere eine „sich immer fester konsolidierende verschwörung gegen deutschland“, deren drahtzieher das britische Foreign office sei.32 auf der grundlage dieser kenntnisse und der

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gast auf dessen dinner-Partys, zu denen nur vertraute des Fürsten eingeladen wurden – was bülow später nicht abhielt, schiemann in seinen erinnerungen als „byzantiner“, „charakterlosen gelehrten“, „speichellecker und ohrenbläser“ zu beschreiben; Bülow, denkwürdigkeiten, bd. 1, s. 526; bd. 2, s. 15, 57. zu bülows dinner-Partys vgl. Finlay (dresden) an grey, 15. september 1908, tna, Fo 371/62/32686, bl. 118–9. siehe Meyer, schiemann, s. 15–67; vgl. crowes randbemerkung zur depesche von de salis an grey, 1. oktober 1909, tna, Fo 371/676/36585, bl. 259–63. Schiemann, deutschland, vorwort. so etwa in der Kreuzzeitung vom 23. Mai 1906. Deutsche Monatsschrift vom Februar 1905, s. 67. der informant selbst veröffentlichte die betreffenden aktenstücke nach dem ersten weltkrieg; Siebert (hrsg.), aktenstücke; ders. (hrsg.), schriftwechsel. Tägliche Rundschau vom 1. März 1919, Kreuzzeitung vom 2. März 1919; vgl. Meyer, schiemann, s. 173.

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

darauf basierenden vermutungen über die absichten des Foreign office erschien für schiemann eine deutsch-britische annäherung mit dem Fernziel einer allianz und einer auflösung der englisch-französisch-russischen Entente immer erstrebenswerter.33 in diesem Punkt deckte sich schiemanns Position mit den Plänen von greys radikal-liberalen kritikern in großbritannien. schon im Januar 1906 hatte der Professor den sekretär des anglo-german Friendship committee, Francis w. Fox, kennen gelernt.3 in den folgenden Jahren entspann sich ein briefwechsel, der in Phasen deutsch-britischer spannungen wie 1909 und 1911 besonders intensiv war. es gebe niemanden in deutschland, versicherte schiemann auf dem höhepunkt der englischen zeppelinpanik im Frühsommer 1909, der sich nicht freuen würde, „wenn der unnatürliche conflikt zwischen deutschland und england schwände. Meiner persönlichen Überzeugung nach giebt es dafür ein unfehlbares heilmittel und das wäre eine deutsch-englische allianz“.35 während der zweiten Marokkokrise wandte sich Fox mit dem vorschlag an schiemann, sie beide sollten als Mittelsmänner zwischen den deutschen und britischen außenämtern fungieren und versuchen, den konflikt beizulegen.36 „we must try and find some planks“, schrieb er nach dem ende der agadirkrise im dezember 1911, „upon which we can create a basis for removing the unfriendliness and distrust now existing between our two nations.“37 auch hirst forcierte seine korrespondenz mit dem berliner Professor während der agadirkrise und reiste während der folgenden Monate mehrmals nach berlin.38 wie schiemann war er überzeugt, dass eine einigung nicht zuletzt an der Presse in beiden ländern und der durch sie bewirkten „krankhafte[n] erregung einer systematisch erhitzten volksstimmung“ zu scheitern drohte.39 was wirklich not tue, schrieb hirst, sei ein offener austausch zwischen Publizisten auf beiden seiten der nordsee.0 er sorgte deswegen dafür, dass schiemanns kolumnen in der Kreuzzeitung an führende blätter der radikal-liberalen Pro33

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im wohlverstandenen deutschen interesse, insistierte er im März 1912, „liegt ebenso wie in dem wohlverstandenen interesse englands ein zusammengehen beider Mächte“; Kreuzzeitung nr. 110 vom 6. März 1912. Fox an schiemann, 26. oktober 1906, gsPk, ha vi, nl schiemann, rep. 92, nr. 1. schiemann an Fox (abschrift), 10. Juni 1909, ebd., nr. 32. vgl. auch die schreiben von Fox an schiemann, 8. Mai und 8. Juli 1909, ebd. „i greatly regret“, schrieb Fox, „the apparent renewal of friction between our two governments or shall i say between the german and the british Foreign offices“; Fox an schiemann, 26. Juli 1911, ebd., nr. 78. Fox an schiemann, 8. dezember 1911, ebd. in einem Folgeschreiben verbesserte er sich und sprach von „the painful and distressing misunderstandings which have arisen between i trust only our two governments and not i trust between our two nations“; Fox an schiemann, 13. dezember 1911, ebd. der briefwechsel hatte im Januar 1911 begonnen; vgl. ebd. Kreuzzeitung vom 10. Februar 1909; vgl. hirst an schiemann, 28. august 1911, gsPk, ha vi, nl schiemann, rep. 92, nr. 78. hirst an schiemann, 28. März 1912, ebd.

b) Francis W. Hirst und Theodor Schiemann

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vinzpresse verteilt wurden, und lud ihn ein, den deutschen standpunkt in beiträgen für den Economist zu vertreten.1 in einem redaktionellen kommentar zu einem leserbrief des historikers im september 1911 vertrat hirst die these, dass ein zusammengehen englands und deutschlands in Marokko auf dem boden des Prinzips der offenen tür wünschenswert sei.2 an schiemann schrieb er, wenn die einigung auf diesen grundsatz den beiden regierungen und nationen helfe, die gegenwärtigen Friktionen zu überwinden und eine vernunftgeleitete außenpolitik zu verfolgen, werde man eines tages für die Marokkofrage dankbar sein. Jedenfalls sei es nach beendigung der krise an der zeit, einen ernsthaften vorstoß zur verbesserung der deutsch-britischen Pressebeziehungen zu unternehmen und einer annäherung der beiden regierungen den weg zu bahnen.3 ende oktober glaubte hirst, erste erfolge verzeichnen zu können. er sah allerorten den gedanken auf dem vormarsch, dass freundschaftlichere beziehungen zu deutschland, wie er und schiemann sie wünschten, im nationalen interesse großbritanniens lägen. „the really important thing“, konstatierte er wenige wochen später triumphierend, „is the great change of sentiment that has come about in england. Moderate opinion has never been anti-german, but now there is a strong and general inclination for a friendly business understanding.“5 als beleg für den stimmungswandel in england führte hirst vertrauliche Äußerungen lloyd georges ins Feld, der in wirklichkeit immer noch ein anhänger verbesserter beziehungen zu deutschland sei und die wirkung seiner Mansion house-rede im nachhinein bedauere.6 außerdem verwies hirst auf seine eigenen bemühungen, einen korrespondenten der radikal-liberalen Presse nach berlin zu entsenden, „who will be able to supply our press with true information“.7 es waren nicht zuletzt die zuversichtlichen briefe hirsts, die schiemann veranlassten, gegenüber außenstaatssekretär kiderlenwächter von einer „großen wendung in der internationalen Politik“ zu sprechen. in england, so schiemann, werde sich die deutschfeindliche Politik nicht behaupten können, grey müsse über kurz oder lang stürzen. „kommen wir 1 2 3  5 6 7

Für die verbreitung von schiemanns kolumnen an die Provinzpresse siehe hirst an schiemann, 28. März 1912, ebd. vgl. schiemanns tagebucheintrag vom 28. september 1911, zitiert bei Meyer, schiemann, s. 177, Fn. 518. hirst an schiemann, 19. september 1911, gsPk, ha vi, nl schiemann, rep. 92, nr. 78. hirst an schiemann, 27. oktober 1911, ebd. Ähnlich hirsts schreiben an schiemann vom 22. november 1911, ebd. hirst an schiemann, o. d. (november 1911), ebd. hirst an schiemann, 18. november 1911, ebd. hirst an schiemann, 7. dezember 1911, Pa-aa, england Presse nr. 73, r 5638. schiemann hielt dieses schreiben für derart wichtig, dass er es mit der bemerkung an reichskanzler bethmann-hollweg weiterleitete, es könne nur nützlich sein, wenn der Economist in berlin einen korrespondenten hält, „der beauftragt ist die deutsche Politik nicht missgünstig zu beurteilen“; schiemann an bethmann hollweg, 9. dezember 1911, ebd.; siehe auch die antwort von bethmann hollweg an schiemann, 20. dezember 1911, ebd.

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dann zu einer deutsch-englischen verständigung, so ist der bann gebrochen, der uns so lange gelähmt hat.“8 schiemanns und hirsts optimismus war jedoch fehl am Platze. dass ihre gemeinsamen bemühungen erfolglos blieben, hatte verschiedene gründe. schon die ideologischen unterschiede setzten ihrer zusammenarbeit grenzen. schiemanns machtfixierte realpolitik trennte welten von dem moralischen idealismus, der hirst und seine gesinnungsgenossen antrieb. deutlich traten diese weltanschaulichen differenzen angesichts einer konferenz des carnegie endowment for international Peace zutage, die im sommer 1911 in bern stattfand. während die tagung für die britischen radikal-liberalen ein herzensanliegen darstellte, stand schiemann ihr innerlich fremd und misstrauisch gegenüber. Für ihn hatte die teilnahme taktische bedeutung, wie er in einem briefentwurf an den kaiser hervorhob. er habe die einladung lediglich angenommen, um „den resolutionen dieser versammlung eine wendung zu geben, die ihnen die gefährliche spitze abbricht“.9 hinzu kam, dass die britischen radikal-liberalen schiemanns einfluss überschätzten. dessen wort hatte weder in berlin noch in london das gewicht, das Männer wie Fox und hirst ihm zuschrieben. der charakter seiner beziehung zum kaiser erlaubte es nicht, dass der Professor politische Probleme von sich aus ansprach oder ungefragt seine ansichten zum besten gab.50 bülow hatte sich stets nach kräften bemüht, dem eindruck entgegenzutreten, dass schiemanns ansichten notwendigerweise die Politik der wilhelmstraße widerspiegelten. umgekehrt war zweifellos viel wunschdenken im spiel, wenn hirst dem historiker beschrieb, welchen wirbel dessen Economist-artikel in großbritannien angeblich auslösten: „Your articles have created a great stir in our newspapers!“, behauptete er beispielsweise im november 1911. „the daily Mail has quite changed its tone. i think our For[eign] office is a little bit frightened!“51 in wirklichkeit galt schiemann im britischen Foreign office als unversöhnlicher gegner großbritanniens. crowe hatte ihn bereits im sommer 1906 als „the most unscrupulous and venomous of anti-english writers“ bezeichnet.52 an dieser einschätzung änderte sich nichts. noch im Januar 1912 zitierte bot8 9

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schiemann an kiderlen-wächter, 23. november 1911, zitiert nach: Jäckh (hrsg.), kiderlen-wächter, bd. 2, s. 1. Für besonders verderblich hielt er den in bern diskutierten gedanken, „durch ein bevorzugtes unterrichtssystem die kommende generation zum abscheu gegen den Militärdienst zu erziehen“; schiemanns undatierter briefentwurf an wilhelm ii., der vom Juli 1911 stammt, wird zitiert bei Meyer, schiemann, s. 177–178, Fn. 521. ob der brief in diesem wortlaut an den kaiser abgeschickt wurde, muss offen bleiben. das räumte schiemann selbst ein, siehe die abschrift seiner antwort auf einen brief Fox’ vom 26. oktober 1906; gsPk, ha vi, nl schiemann, rep. 92, nr. 1. hirst an schiemann, 21. november 1911, ebd., nr. 78. crowes randnotiz zu whitehead an grey, 13. Juni 1906, tna, Fo 371/78, bl. 196; ähnlich de salis an grey, 1. oktober 1909, tna, Fo 371/676/36585, bl. 259–63; randbemerkungen von villiers zum bericht trench an goschen, 21. Februar 1909, abgedruckt in: bd, bd. 6 i, nr. 19, s. 396.

b) Francis W. Hirst und Theodor Schiemann

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schafter goschen aus einem artikel schiemanns in der Kreuzzeitung, um darzulegen, welchen grad der englandfeindschaft die deutsche Presse nach der agadirkrise erreicht habe.53 der Professor war an dieser Fehleinschätzung nicht schuldlos. er hatte sich in der ersten Marokkokrise zum sprachrohr holsteins als verfechter einer Politik der scharfen konfrontation gegenüber Frankreich machen lassen.5 seither sah man ihn – allen gegenteiligen beteuerungen der reichsführung zum trotz – als „mouthpiece“ der wilhelmstraße.55 dass in schiemanns wochenübersichten die auseinandersetzung mit ausländischen, insbesondere britischen, zeitungskommentaren fast ebensoviel raum einnahm wie seine darstellung der politischen geschehnisse, trug ebenso wenig dazu bei, ihm im Foreign office Freunde zu machen.56 die wochenschauen der Kreuzzeitung hätten niemals england angegriffen, betonte der historiker zwar, sondern nur die von der englischen Presse „seit dem venezuelakonflikt systematisch gegen die regierung der deutschen Politik geführten kampagne“ zurückgewiesen, ihr verfasser sei kein Feind englands, sondern habe stets die ansicht vertreten, dass „ein deutsch-englisches bündnis die weltstellung beider Mächte kräftigen und einer gesunden entwicklung der großen Politik förderlich sein müsse“.57 wenn es der Professor jedoch für seine verpflichtung als vaterländischer Publizist hielt, deutschfeindlichen Äußerungen in der internationalen Presse mit demonstrativ zur schau gestelltem nationalen selbstbewusstsein entgegenzutreten, so wurde dies im britischen außenministerium als ausdruck antienglischer ressentiments interpretiert.58 entsprechend misstrauisch beobachtete man schiemanns kontakte nach england. aus greys sicht gehörte der Professor zu jenen alldeutschen, die seit Jahren „die deutschenfreunde hierzulande“ systematisch bearbeiteten. zwar seien die alldeutschen chauvinisten und die britischen deutschenfreunde Pazifisten, so der außenminister, dennoch seien diese „dem einfluss der ersteren stark unterworfen“.59 53 5

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goschen an nicolson, 26. Januar 1912, abgedruckt in: bd 6 ii, nr. 86, s. 1091–2. siehe den brief von holstein an ida von stülpnagel, 16. Juni 1905, abgedruckt in Holstein, lebensbekenntnis, s. 20; Bülow, denkwürdigkeiten, bd. 2, s. 80–1; Hammann, vorgeschichte, s. 217; Meyer, schiemann, s. 122–7. vgl. lascelles an grey, 23. september 1908, tna, Fo 371/62/33369, bl. 125–7; bertie an grey, 31. März 1907, abgedruckt in: bd, bd. 7 i, nr. 22, s. 32. siehe Meyer, schiemann, s. 168. Kreuzzeitung vom 21. oktober 1908. siehe die reaktionen verschiedener beamter im Foreign office auf schiemanns kritik an der zeppelinpanik vom Mai 1909; randbemerkungen von villiers und barrington, 1. Juni 1909; tna, Fo 371/67/2207, bl. 167–71. das von schiemann angestrebte bündnis englands mit deutschland und Österreich konnte nach dem urteil des Foreign office ohnehin nicht von dauer sein, da es die vorherrschaft deutschlands in europa in sich schließen und unvermeidlich mit einem krieg zwischen deutschland und england endigen würde, „weil die letztere Macht sich in völlig isolierter lage befände und nicht einmal die sympathie einer der Mächte genösse“; randbemerkung von hardinge, 5. april 1909, zu goschen an grey, 2. april 1909, abgedruckt in: bd, bd. 6 i, nr. 169, s. 36. grey an goschen, 5. März 1913, abgedruckt in: bd, bd. 10 ii 2, nr. 65, s. 1115.

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

greys radikal-liberale kritiker waren sich über den ruf, der schiemann anhaftete, ebenso im unklaren wie über die schwäche ihrer eigenen Position. zwar legte die lang anhaltende kritik an grey in Presse und unterhaus ein verbreitetes unbehagen über den außenpolitischen kurs des landes frei. doch zu keiner zeit verfügten die kritiker auch nur annähernd über die parlamentarischen Mehrheiten, um den außenminister zu stürzen und einen richtungswechsel zu erzwingen.60 wenn Fox versicherte, seine politischen Freunde und er seien in der lage, beträchtlichen einfluss und druck auf die britische regierung auszuüben, „so as to induce them to take some definite line of action to endeavour to bring about a friendly rapprochement between our two nations“, übertrieb er gewaltig.61 auch hirst täuschte sich und andere über das ausmaß der zustimmung, die seine konzepte innerhalb des liberalen Führungszirkels fanden – beispielsweise wenn er im dezember 1912 an schiemann schrieb, das britische kabinett sei „now definitely in favour of the policy suggested by the national liberal Federation. i think that grey has for some time been moving in that direction“.62 in wirklichkeit war der außenminister keineswegs von seinen außenpolitischen grundsätzen abgerückt. vieles spricht dafür, dass zugeständnisse an die radikal-liberalen wie die haldane-Mission vor allem dazu dienten, die kritiker ruhig zu stellen und das zentrum der öffentlichen aufmerksamkeit nach berlin zu verschieben, wo alle praktischen schritte in richtung einer deutsch-britischen annäherung nach greys Überzeugung bald an der Flottenfrage scheitern würden.63 wie richtig grey mit dieser annahme lag und wie falsch vor allem hirst, aber anfangs auch schiemann die fortdauernde brisanz der Flottenthematik einschätzten, geht aus ihrem briefwechsel deutlich hervor. beide waren sich einig, dass eine dauerhafte politische annäherung einer drosselung der Flottenrüstung vorauszugehen habe.6 zugleich wusste hirst im Februar 1911 aus angeblich sicherer Quelle zu berichten, dass die britischen Marineausgaben deutlich gesenkt werden sollten, wenn deutschland sein rüstungstempo nicht erhöhe. „[i]n that case“, schrieb hirst an schiemann, „it will be much easier for the british government with the support of public opinion to make real concessions to germany. so i hope you will not bring in a new navy law“.65 auch nach der Marokkokrise hielt der Publizist an dieser sichtweise fest. churchills wechsel an die spitze 60 61

62 63 6

65

Murray, Foreign Policy, s. 170; Robbins, Public opinion. Fox an schiemann, 13. dezember 1911, gsPk, ha vi, nl schiemann, rep. 92, nr. 78. wenig spricht dafür, dass der sekretär des anglo-german Friendship committee beim zustandekommen der haldane-Mission eine derart zentrale rolle gespielt hatte, wie er selbst im rückblick anzunehmen schien; vgl. Fox’ Flugschrift mit dem titel a Brief Record of Some of the Circumstances which led up to Viscount Haldane’s Special Mission to Berlin in February, 1912, von der sich ein exemplar in schiemanns nachlass befindet; ebd. hirst an schiemann, 3. dezember 1912, ebd. vgl. Murray, Foreign Policy, s. 168; vgl. auch Jordan, Pensions. hirst an schiemann, 16. Februar 1911, gsPk, ha vi, nl schiemann, rep. 92, nr. 78; vgl. schiemanns tagebucheintrag vom 19. Februar 1912, zitiert in: Meyer, schiemann, s. 179, Fn. 530. hirst an schiemann, 16. Februar 1911, gsPk, ha vi, nl schiemann, rep. 92, nr. 78.

b) Francis W. Hirst und Theodor Schiemann

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der admiralität deutete er als weiteren beleg für den britischen wunsch nach einem ausgleich mit deutschland. „i had a very cautious but friendly letter from [churchill] yesterday“, berichtete er am 27. oktober, „and i think that if your government sticks to the naval act and does not extend its programme, a very helpful situation may develop.“66 schiemann hingegen ahnte seit anfang Januar, als man die Flottenfrage auf einer abendgesellschaft im neuen Palais im kleinen kreis diskutiert hatte, dass wilhelm ii. nicht von einer Flottennovelle abzubringen war.67 nachdem die haldane-Mission ohne greifbares ergebnis geblieben war, vertraute schiemann anfang März seinem tagebuch an, die aussicht auf eine verständigung mit england sei „seither ständig gesunken“. an demselben tag schrieb er hirst, er sei pessimistisch gestimmt. komme man jetzt nicht zu einer verständigung mit england, halte er einen „krieg für unbedingt sicher“.68 hirst wollte die hoffnung jedoch nicht aufgeben. „we must not despair“, bedrängte er schiemann, „it is so much in the interests both of the nations and of the governments to shake hands, and our policy is so obviously the policy of common sense, that we must not lose hope of its adaption.“ eine woche später versicherte er, es bestehe kein zweifel daran, „that our government is really working for an agreement with yours and that the anglo-French entanglement will be gradually unravelled“.69 auch der chefredakteur des Economist musste freilich eingestehen, dass sich das kräfteverhältnis im britischen kabinett weiter zuungunsten der radikal-liberalen verschoben hatte, seit nicht nur lloyd george, sondern auch churchill als neuer erster lord der admiralität zu den „Jingoes“ übergelaufen waren, wie hirst es in einem brief an scott formulierte.70 aus schiemanns sicht nahm sich die lage noch düsterer aus. eine verständigung mit england sah er „in weite Ferne gerückt“. london, Paris und st. Petersburg standen seiner ansicht nach „in verhandlungen für den kriegsfall“.71 an hirst schrieb der historiker, er sei mittlerweile fest davon überzeugt, dass grey „ganz mit russland“ gehe, und glaube nicht, dass in diesem Falle „ein großer krieg europa erspart“ bleibe.72 66 67

68 69 70 71 72

hirst an schiemann, 27. oktober 1911, ebd. obwohl sich schiemann zusammen mit generalstabschef helmuth von Moltke, admiral georg alexander von Müller und rudolf von valentini, den chefs der kaiserlichen Marine- und zivilkabinette, arthur zimmermann vom auswärtigen amt und dem vorstandsvorsitzenden der deutschen bank, arthur gwinner für eine verschiebung der Flottenvorlage stark machte, hielt der kaiser zum staatssekretär im reichsinnenministerium clemens delbrück, dem einzigen in der runde, der sich dagegen aussprach; vgl. schiemanns tagebucheintrag vom 9. Januar 1912, zitiert bei: Meyer, schiemann, s. 179, Fn. 529, der allerdings fälschlich von ludwig delbrück spricht. schiemanns tagebuchnotiz vom 2. März 1912, zitiert bei Meyer, schiemann, s. 179; schiemann an hirst, 2. März 1912, gsPk, ha vi, nl schiemann, rep. 92, nr. 78. hirst an schiemann, 6. und 13. März 1912, ebd. hirst an scott, 19. Februar 1912, guardian archives a/h61/8. schiemanns tagebucheintragungen vom 2. august und 1. oktober 1912, zitiert bei: Meyer, schiemann, s. 181, Fn. 535. schiemann an hirst (konzept), 29. oktober 1912, zitiert bei ebd., s. 181.

00

8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

c) Norman Angells Versuch, die „öffentliche Meinung“ zu erziehen Überraschender als die entspannungsinitiativen der radikal-liberalen Presse war die tatsache, dass es auch im northcliffe-konzern bestrebungen gab, die deutschbritischen beziehungen zu verbessern und dafür die techniken der kommerziellen Massenpresse einzusetzen. verantwortlich für diese bemühungen war der Manager der europa-ausgabe der Daily Mail, deren redaktionssitz sich in Paris befand. die karriere von ralph norman angell lane – besser bekannt unter seinen beiden mittleren namen: norman angell – illustriert, wie indifferent northcliffe gegenüber den politischen ansichten seiner angestellten sein konnte, wenn er sie für geschäftstüchtig, durchsetzungsstark, findig, selbstbewusst und kreativ hielt. angell, der aus einer angesehenen kaufmannsfamilie der gehobenen Mittelschicht in lincolnshire stammte, besaß diese eigenschaften im Übermaß. nachdem sein vater ihn nach Frankreich zur schule und für kurze zeit nach genf auf die universität geschickt hatte, wandte er mit siebzehn Jahren einem europa, das er als rückständig, reaktionär und in inakzeptablen konventionen erstarrt ansah, den rücken zu, um in amerika ein, wie er hoffte, freieres und selbstbestimmteres leben zu führen. acht Jahre lang schlug er sich dort mit gelegenheitsjobs durchs leben – erst als landarbeiter, cowboy und viehzüchter an der mexikanischen grenze, später als reporter für verschiedene amerikanische zeitungen. nach mehreren gescheiterten geschäftsunternehmungen kehrte er 1898 nach europa zurück und brachte es zum chefredakteur einer englischsprachigen zeitung in Paris, dem Daily Messenger, die 1905 wegen erfolglosigkeit eingestellt wurde. angells vorschlag an northcliffe, den Daily Messenger zu übernehmen, führte zu nichts. statt dessen rief der verleger in Paris eine ausgabe seiner eigenen Daily Mail ins leben und machte angell zu deren Manager.73 die anfänge von angells journalistischer tätigkeit fielen in eine zeit, in der nationalistische gefühle in den usa, Frankreich und england hohe wellen schlugen. die kollektiven emotionen wurden nicht zuletzt durch die einseitige berichterstattung der zeitungen eines randolph hearst oder alfred harmsworth aufgepeitscht, glaubte angell. er verarbeitete seine gedanken zu diesem thema in einem buch mit dem titel Patriotism under Three Flags, in dem er die these vertrat, der amerikanische chauvinismus während des krieges gegen spanien, die anti-dreyfus-hysterie in Frankreich und der britische Jingoismus während des burenkrieges seien verwandte Phänomene, die allesamt auf dieselben ursachen zurückzuführen seien: „that national policy was in each case dominated by pride of place and mastery rather than by the needs of civil wellbeing, that passions were excited most in defence of a policy which affected material interest little, or not at all, or affected it adversely.“7 die ursache für 73 7

vgl. die – nicht in allen details immer verlässliche – autobiographie; Angell, after all, s. 1–135. Lane, Patriotism, s. 17.

c) Norman Angells Versuch, die „öffentliche Meinung“ zu erziehen

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das aus seiner sicht irrationale verhalten weiter teile der bevölkerung suchte angell im anschluss an die von gustave le bon popularisierten theorien der Massenpsychologie in der existenz eines „crowd-mind“, die dafür verantwortlich sei, dass sich menschliches kollektivverhalten negativ von den rationalen handlungsweisen von individuen unterschied.75 neben demagogischen Politikern war für angell vor allem die kommerzielle Massenpresse schuld daran, dass gefühlsgeleitete unvernunft immer öfter über rationalität – oder: „ratiocination“, um angells begrifflichkeit zu verwenden – siegte. „our cheap press“, schrieb er, presents to enormous numbers simultaneously the same suggestion of (for instance) national insult, danger, or aggression, exciting by this means a national vanity to which it also panders. to simultaneity of suggestion has to be added the effect of propinquity and movement, the light chatter of trains and buses, the association of great numbers of halfeducated persons in factories and workshops. against agents so powerful as these working for the formation of the mob-mind, the relatively feeble ratiocinative element has no chance.76

diese thesen fanden 1903 kaum beachtung. angells zweites buch hingegen, das er sechs Jahre später veröffentlichte, avancierte zu einem bestseller. The Great Illusion – 1909 zunächst unter dem titel Europe’s Optical Illusion erschienen – durchlief bis 191 sechs auflagen, wurde mehr als zwei Millionen Mal verkauft und in 25 sprachen übersetzt.77 der erfolg verdankte sich zum teil angells talent für selbstwerbung und den vielfältigen Pressekontakten, die er im dienste northcliffes geknüpft hatte, zum teil aber auch den veränderten weltpolitischen rahmenbedingungen; dazu kam eine gewandelte stimmungslage angesichts des verschärften deutsch-britischen gegensatzes, eines beschleunigten wettrüstens zur see und auf dem land und einer reihe internationaler verwicklungen von der bosnienkrise 1908/1909 bis zur agadirkrise im sommer 1911, die angell in die zahlreichen neuauflagen seiner schrift einarbeitete.78 auch in seinem zweiten buch ging es angell um den zusammenhang zwischen krieg, irrationalismus und internationalem nachrichtenverkehr in einer politisch, wirtschaftlich, finanziell und technologisch hochgradig vernetzten welt. Mittlerweile war er freilich in seinen Überlegungen zu hoffnungsvolleren schlussfolgerungen gelangt. Moderne kriege, so lautete seine zentrale these, waren unter diesen bedingungen ökonomisch unvernünftig. die herausbildung eines weltmarktes und die ausweitung der arbeitsteilung in globale dimensionen müssten zwangsläufig zu einem rückgang zwischenstaatlicher konflikte führen, weil kriegerische Mittel unter diesen umständen keinen wirtschaftlichen erfolg versprachen, sondern im gegenteil den volkswirtschaften aller be75 76 77 78

ebd., s. 9, wo ausdrücklich auf le bons Psychologie des Foules verwiesen wird, die 1895 in Paris erschienen war; vgl. Fournial, essai. Lane, Patriotism, s. 1. Angell, europe’s illusion; ders., great illusion. vgl. Weinroth, angell. vgl. Angell, great illusion, s. 123–5, 18–51, 296, 335.

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

teiligten – ob sieger oder besiegte – schaden würden. auf den deutsch-britischen gegensatz angewandt bedeutete das für angell, „that germany could do us relatively little harm, since the harm which she inflicted on us would immediately react on german prosperity […] if germans are convinced that they will obtain no benefit by conquest they will not attempt that conquest“.79 das größte praktische Problem bestand aus angells sicht in der diskrepanz zwischen der zwingenden logik seiner argumentation und der unvernunft einer vom „Massengeist“ bestimmten Politik. diese kluft konnte nur durch eine systematische erziehung der „öffentlichen Meinung“ überbrückt werden, davon war angell überzeugt. da er gleichzeitig weiterhin an den alles überragenden einfluss der Massenzeitungen auf die Meinungsbildung der bevölkerung glaubte, musste in seinen augen jeder besserungsversuch bei der Presse ansetzen: „[i]f any progress at all was to be made against the prevailing disorders of the public mind, that mind had to be reached largely through the Press. [...] how could sense and rationalism be made as attractive as the hearsts and harmsworths seemed to make nonsense and irrationalism?“80 dank des großen erfolgs seiner schrift nicht nur im pazifistischen, radikalliberalen und sozialistischen lager, sondern auch in konservativen und liberalimperialistischen kreisen des politischen und publizistischen establishments standen angell zahlreiche kanäle offen, um seine erziehungsoffensive zu lancieren. die konservative Quarterly Review bezeichnete sein buch im hinblick auf die herkömmliche analyse zwischenstaatlicher beziehungen als „one of the most damaging indictments that have yet appeared“, während die Times zugestand, „[that] few writers have stimulated reflection upon international Politics more than Mr. norman angell“.81 der vertraute des verstorbenen königs edward vii., lord esher, legte die abhandlung sowohl außenminister grey als auch balfour ans herz und prophezeite, sie könne auf dem Felde der internationalen Politik ähnlich bahnbrechend wirken wie Mahans Sea Power für die Flottenrüstung oder darwins The Origin of Species in der biologie.82 auch northcliffe zeigte interesse. „if your view about politics can be put in such a way that they will interest my readers and not put them off, rest assured that my columns are open to you“, versicherte er angell, der tatsächlich in der Folgezeit seine thesen wiederholt in langen leitartikeln in der Daily Mail vortragen durfte.83 während angell zu traditionellen Fürsprechern des Pazifismus unter den radikal-liberalen und in der arbeiterbewegung distanz hielt, suchte er die nähe und unterstützung liberal-imperialistischer und konservativer zirkel. seine 79 80 81 82 83

ebd., s. 32. vgl. angell an stead, 16. dezember 1911, ccc, stead Papers. Angell, after all, s. 108. the new Pacifism in: Quarterly Review, oktober 1912; Times, 15. Februar 1912, beide zitiert nach: Weinroth, angell, s. 55. zitiert nach: Angell, after all, s. 163; vgl. auch Weinroth, angell, s. 551. zu grey siehe Robbins, grey, s. 232. Angell, after all, s. 129, 137; vgl. auch wilson an northcliffe, 12. november 1910, bl, northcliffe Papers, add. 62201.

c) Norman Angells Versuch, die „öffentliche Meinung“ zu erziehen

03

strategie bestand darin, nicht denen zu predigen, die ohnehin schon bekehrt waren, sondern vielmehr diejenigen zu überzeugen, die dem Pazifismus bisher skeptisch oder feindselig gegenübergestanden hatten.8 bereitwilliger ging er auf eshers vorschlag ein, seine stellung bei northcliffe in Paris aufzugeben und an die spitze einer stiftung zu treten, die sich der verbreitung und Popularisierung seiner ideen widmete. als Finanzier hatte esher den konservativen industriellen sir richard garton gewonnen, zu dessen ehren die stiftung „the garton Foundation for encouraging the study of international Polity“ benannt wurde. garton, esher und balfour saßen im beirat, eshers sohn Maurice fungierte als geschäftsführer und angell selbst als direktor.85 zu den aktivitäten der organisation zählte die Propagierung von angells thesen in universitäten, colleges, technischen hochschulen, Y.M.c.a’s und gymnasien, die gründung von diskussionsrunden, die veranstaltung von aufsatzwettbewerben sowie die vermittlung von versammlungsrednern, die in vereinen, handelskammern und anderen assoziationen im ganzen land referieren sollten. bis ende 1913 waren auf diese weise debattierklubs in wenigstens zehn universitäten entstanden sowie mehr als vierzig norman angell-vereine und -lesezirkel, mit regionalen schwerpunkten in Manchester, leeds, glasgow, oxford und vor allem in cambridge, an dessen universität sich über 180 angell-anhänger zusammenfanden.86 seit oktober 1913 existierte auch eine norman angell-Monatsschrift mit dem titel War and Peace, die sich zum ziel setzte, wie sie in einem programmatischen leitartikel deutlich machte, „[to] bring before the mind of the european public the significance of a few, simple, ascertainable, tangible facts in such fashion that they will frame unconsciously a working hypothesis of international society“.87 die originalität von angells ansatz bestand nicht so sehr in der these, dass kriege ökonomisch irrational seien, sondern vielmehr in der konsequenten vermeidung eines nationalen blickwinkels. statt dessen stellte er sich auf den standpunkt eines – angeblich objektiven – „europäischen“ oder „internationalen“ beobachters.88 nach dem positiven echo auf seine bestrebungen in großbritannien war es nur folgerichtig, dass angell versuchte, seinen tätigkeitskreis über die britischen grenzen hinweg auszuweiten, nicht nur in Frankreich und den usa, sondern auch im deutschen reich aktiv zu werden. er wolle nicht dahingehend missverstanden werden, schrieb er an stead, dass er seinen landsleuten rate, angesichts einer möglichen deutschen bedrohung klein beizugeben: 8 85 86

87 88

vgl. Weinroth, angell, s. 555–63, zu den schwierigkeiten, die solch eine unterfangen mit sich brachte. vgl. Angell, after all, s. 162–; Weinroth, angell, s. 557. vgl. Angell: after all, s. 165–71; Weinroth, angell, s. 557, 560. siehe die broschüre der 1912 gegründeten „cambridge university war and Peace society“, die sich unter den akten des deutschen auswärtigen amtes befindet, als anlage zu angell an stumm, 1. Juli 1912, Pa-aa, england Presse nr. 73, r 5639. zitiert nach: Angell, after all, s. 168–9. Weinroth, angell, s. 56.

0

8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

i do not, addressing myself to the englishman say: ‚let the german come‘, but addressing myself to the german i say: ‚what advantage have you in going?‘; and if we can keep the discussion of politics interesting european Public opinion on that objective plane (‚what are you, the prospective aggressor, going to get out of it?‘) i believe that a decade would see the face of europe changed.89

wie in london suchte angell auch in berlin seine kontakte nicht unter den klassischen anhängern des Pazifismus, sondern im politischen, wirtschaftlichen und wissenschaftlichen establishment. neben veteranen der deutsch-britischen verständigung wie dem reeder albert ballin und dem freikonservativen reichstagsabgeordneten hermann von hatzfeldt-trachenberg plante er im sommer 1912 besuche bei den bankiers gwinner und Fürstenberg, dem direktor der anatolischen eisenbahngesellschaft und vorstandsmitglied der deutschen bank karl helfferich, walther rathenau von der aeg sowie dem schwerindustriellen august thyssen; der theologe adolf harnack stand ebenso auf der liste der ins auge gefassten gesprächspartner wie der liberale würzburger rechtsprofessor und spätere begründer des hamburger instituts für auswärtige Politik albrecht Mendelssohn bartholdy, der reichstagsabgeordnete heinrich Prinz zu schönaich-carolath, der ehemalige staatssekretär des reichskolonialamts bernhard dernburg und der berliner oberbürgermeister adolf wermuth.90 vor allem aber nahm angell auch in deutschland die Presse ins visier. in einem schreiben an thomas rhodes, ballins vertreter in london, der bereits am zustandekommen der Journalistenreisen 1906 und 1907 beteiligt gewesen war, schilderte er seine Pläne: er wolle nach berlin reisen und eine reihe renommierter und unabhängiger deutscher Publizisten dafür gewinnen, gelegentlich für die Daily Mail zu schreiben, „so that the Mail may serve as a hyphen between informed german opinion and the british public“.91 obwohl er zehn Jahre lang geschäftlich mit der Daily Mail verbunden gewesen sei, teile er deren antideutsche vorurteile nicht, schrieb angell an rhodes. lord northcliffe habe ihm jedoch versichert, er wolle nichts anderes als die bloßen tatsachen drucken, auch wenn es um die deutsch-britischen beziehungen gehe. der verleger habe außerdem deutlich gemacht, so angell weiter, „that if i could indicate the means of securing a more impartial presentation of the facts he would print them, and […] that if i cared to go to the chief european capitals and arrange for his correspondents to be put in touch with such persons and organs, he would officially commission me to make these arrangements“. das verhalten northcliffes und seiner londoner Mitarbeiter sei durchaus rational und geschäftsorientiert, erklärte angell. schließlich hätten sie ein verständliches interesse daran, „to live down their reputation for sensationalism […] [and] to 89 90

91

angell an stead, 16. dezember 1911, ccc, stead Papers. vgl. die namensliste in der anlage zu kühlmann an bethmann hollweg, 12. Juni 1912, Pa-aa, england Presse nr. 73, r 5639. welche besuche tatsächlich zustande kamen, ließ sich nicht ermitteln. angell an rhodes, 8. Juni 1912, Pa-aa, england Presse nr. 73, r 5639.

c) Norman Angells Versuch, die „öffentliche Meinung“ zu erziehen

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get in touch with the best sources of information and opinion“. er selbst, schloss angell, habe nichts dagegen, auf diese weise für northcliffes geschäftsinteressen eingespannt zu werden, „if the final outcome is to be a saner public opinion and a somewhat better popular press“.92 in einem schreiben an stumm, der inzwischen zum leiter der Politischen abteilung im auswärtigen amt ernannt worden war, empfahl rhodes der wilhelmstraße, den kontakt mit dem Publizisten zu suchen „on the ground that he is very able and very sincere, his mission may with assistance in the right quarters accomplish great things“.93 richard von kühlmann, der seit 1908 stumms nachfolger als Pressebeauftragter an der deutschen botschaft in london war und von rhodes ins bild gesetzt wurde, plädierte ebenfalls dafür, angell und northcliffe entgegenzukommen. wenn man auch kaum erwarten könne, dass die Daily Mail mit einem Male ihre richtung ändere, schrieb er an bethmann hollweg, so wiesen doch verschiedene Äußerungen des verlegers darauf hin, dass er entschlossen sei, „falls in der englischen öffentlichen Meinung eine deutschfreundliche stimmung die oberhand erhalten sollte, als einer der ersten in diese bewegung einzutreten“. northcliffe sei ein reiner zeitungsgeschäftsmann „ohne tiefergehende politische Überzeugung irgendwelcher art, nur bestrebt, dem Publikum das vorzusetzen, was der augenblicklichen zeitströmung“ entspreche.9 obwohl das geplante treffen mit stumm aus terminlichen gründen nicht zustande kam, ließ angell sich nicht entmutigen.95 nachdem die carnegie-stiftung eine groß angelegte anzeigenkampagne für die deutsche Übersetzung der Great Illusion finanziert hatte, die 1913 unter dem titel Die falsche Rechnung erschien, begab sich der Publizist auf eine lesereise durch deutschland.96 auf einladung der internationalen studentenvereinigung stellte er an den universitäten von Jena, göttingen, hannover, heidelberg, würzburg, leipzig, Frankfurt, München und berlin seine thesen vor – in der hoffnung, dort eine ähnliche bewegung auszulösen wie in großbritannien.97 die meisten veranstaltungen verliefen in förmlich-korrekter, wenn auch nicht gerade herzlicher atmosphäre.98 in göttingen jedoch verabschiedeten die studenten eine resolution, in der sie sich entschieden gegen angells ideen verwahrten, die deutschem wesen und deutschen gefühlen zutiefst fremd seien. zugleich bedauerten sie, 92 93 9

95 96 97 98

ebd. rhodes an stumm, 11. Juni 1912, ebd. kühlmann an bethmann hollweg, 12. Juni 1912, ebd. auf kühlmanns empfehlung bat rhodes den londoner wtb-vertreter hans Plehn, angell mit entsprechenden empfehlungsschreiben an deutsche Journalisten auszustatten; rhodes an stumm, 11. Juni 1912, ebd. angell an stumm, 25. Juni 1912, und wedel an angell, 27. Juni 1912, ebd. Angell, rechnung. Angell, after all, s. 171–2; Weinroth, angell, s. 573. vgl. den leserbrief des Münchener anglistikprofessor sieper in der Times vom 9. september 1913.

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

dass die internationale studentenvereinigung angell gelegenheit gegeben habe, seine ansichten in öffentlichem vortrag an deutschen universitäten zu vertreten. in berlin flogen sogar stühle und bänke, als burschenschafter im verein mit einigen Professoren den redner angriffen und ihm zuriefen, er solle nach england zurückkehren, wo er seine heuchlerischen lehren ungestraft predigen könne. angell, der kein deutsch konnte und die sprache auch kaum verstand, wie der anwesende berlin-korrespondent der Times notierte, „fortunately could not appreciate all the comments made, and bore his browbeating extremely well“.99 angells thesen stießen nicht nur in deutschland auf unverständnis und ablehnung. in weniger offenkundig feindseliger Form begegnete er denselben einwänden und gegenargumenten auch in england, gerade innerhalb des northcliffe-konzerns. kennedy Jones fand angells ideen nicht nur wenig überzeugend, sondern direkt gefährlich.100 Ähnlich argumentierte herbert w. wilson, der die ansicht vertrat, solange großbritannien seine rüstungsanstrengungen aufrecht erhalte, werde das kaiserreich keinen angriff wagen. deutschland habe niemals in seiner geschichte einen krieg begonnen, wenn es sich nicht chancen auf einen sieg ausgerechnet habe. „[w]hen ‚angell‘ denounces the modern colossal armaments, it is well to remember that they have kept the peace of the world most effectually“, schrieb er an northcliffe. „still, ‚norman‘ is very clever and it would be difficult to write a better work in defence of his particular thesis than his; let us hope that he will succeed better in fooling the germans than in convincing me.“101 derartige bedenken wurden selbst von angells Mitstreitern im beirat der garton Foundation geteilt. balfour fand, manche von angells gedanken führten in gefährliche nähe zu sozialistischen doktrinen, während die these von den wirtschaftsschädigenden Folgen des wettrüstens den notwendigen vorkehrungen einer nation für den kriegsfall im weg stand.102 esher betonte in einem vortrag an der sorbonne in Paris im Frühjahr 191, die garton Foundation sei weder unpatriotisch noch unterstütze sie bedingungslose abrüstungspläne, wenn sie auf die gefahren des wettrüstens hinweise.103 angells idee, dass es möglich sei, die „öffentliche Meinung“ zu erziehen, stand esher ebenfalls ohne verständnis und ablehnend gegenüber. er sei bestimmt kein demokrat, behauptete er von sich, vielmehr erblicke er in der kritik an überkommenen traditionen durch eine schlecht informierte Massenpres99 100

101 102

103

Memorandum von J. e. Mackenzie „Mr. norman angell in germany“, nia, Mackenzie Papers, bns/3; vgl. Times vom 1. september 1913; Angell, after all, s. 172. „they did not appeal to me“, erinnerte er sich später, „they seemed capable of being turned to the dangerous use of lulling the british public into a false sense of security“; Jones, Fleet street, s. 165. wilson an northcliffe, 7. november 1910, bl, northcliffe Papers, add. 62201. auch garton riet, seine stiftung „[should] not at present have anything to do with the relaxation of armaments“; zitiert nach Weinroth, angell, s. 558, wo auch die bedenken balfours aufgeführt sind. Lee-Milne, enigmatic edwardian, s. 251; Angell, after all, s. 17–5.

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d) Ludwig Steins Zeitschrift nord und süd

se, ein halbgebildetes wahlvolk und ehrgeizige berufspolitiker eine allgegenwärtige gefahr, „against which prudent people should be on the watch“.10 damit verkannte esher einen kernpunkt von angells bemühungen; denn diese zielten gerade darauf, die kommerzielle Massenpresse nicht länger als vehikel der volksverdummung oder völkerverhetzung zu denunzieren, sondern im gegenteil, die Möglichkeiten und Methoden dieser Pressegattung für eine breit angelegte, über die kreise traditioneller eliten hinaus wirkende verständigungsstrategie zu nutzen.

d) Ludwig Steins Zeitschrift N o r d

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auch von deutscher seite gingen nach der zweiten Marokkokrise publizistische unternehmungen aus, die auf eine verbesserung des deutsch-britischen verhältnisses zielten. die größte aufmerksamkeit zogen die initiativen des berliner Philosophen ludwig stein auf sich, der im sommer 1912 führende englische und deutsche Politiker, bankiers, industrielle und Journalisten bat, in seiner zeitschrift Nord und Süd zum deutsch-britischen verhältnis stellung zu nehmen und vorschläge für eine verbesserung der beziehungen zu machen.105 stein war in vielfacher hinsicht ein grenzgänger. 1859 in ungarn geboren, wurde er später schweizer staatsbürger und heiratete die tochter eines reichen deutschen bankiers, als dessen universalerbe er zum größten hausbesitzer berlins avancierte. der sohn eines jüdischen weinhändlers studierte ende der 1870er Jahre in berlin theologie und Philosophie mit dem ziel rabbiner zu werden, gab jedoch die theologischen studien auf, wurde in Jena zum dr. phil. promoviert und habilitierte sich 1886 in zürich mit einer arbeit über die Psychologie der stoa.106 vier Jahre später wurde er Philosophieprofessor an der universität bern, wandte sich dort bald auch historischen und soziologischen Fragen zu.107 im Jahr 1910 legte er sein lehramt in bern nieder und ließ sich – da er als Jude keinen lehrstuhl erhalten konnte – als freier Publizist in berlin nieder, wo er seit 1911 als dozent an der humboldt-akademie tätig war.108 anfang 1912 erwarb stein die breslauer zeitschrift Nord und Süd, die er dank seiner vielfältigen kontakte in wissenschaft und Politik (unter anderem zu bernhard von bülow und dem Fürsten lichnowsky) zu einer einflussreichen Monatsschrift ausbaute. der Philosoph war seit seinen berner tagen über die interparlamentarische union und das internationale Friedensbüro, die seit 1892 beide ihren sitz in der schweizerischen hauptstadt hatten, in die arbeit

10 105 106 107 108

esher an Mallet, . dezember 1913, abgedruckt in Brett, Journals, bd. 3, s. 16–7. vgl. die lückenhaften und ungenauen darstellungen bei Wernecke, wille, s. 151–5; Deckart, verständigung, s. 165–80. Stein, Psychologie. vgl. etwa Stein, optimismus. vgl. steins – nicht immer völlig zuverlässige – erinnerungen; Stein, leben.

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

der Friedensbewegung eingebunden.109 sein ziel bestand darin, die revue unter dem slogan Détente entre Entente et Alliance zu einem vehikel internationaler verständigungsbemühungen zu machen. in einem programmatischen aufsatz im septemberheft 1912 von Nord und Süd begründete er seinen vorstoß damit, dass bei einem großen europäischen krieg „unser ganzes kultursystem“ auf dem spiel stehe. deshalb müssten sich „kulturpolitiker“ wie er, die aller Mystik abhold seien und nur der logik der tatsachen rechnung trügen, für eine Festigung des „europäischen gleichgewichts“ einsetzen. dass der Philosoph unter diesem begriff etwas anderes als eine traditionelle Politik der balance of power verstand, wurde aus seiner Forderung ersichtlich, ein europäisches gleichgewicht sei nur möglich, wenn die Entente-Mächte und die dreibundmächte planmäßig und zielsicher an einer „entspannung“ zusammenarbeiteten.110 im Februar 1912 veröffentlichte stein eine sondernummer zu dem in jenen wochen besonders gespannten österreichisch-italienischen verhältnis, in dem Politiker der beiden länder zu Mäßigung und besonnenheit mahnten.111 nachdem der italienische botschafter in berlin gegenüber seinem britischen kollegen goschen die positive wirkung der öffentlichen aussprache in der zeitschrift erwähnt hatte, machte sich stein im april – nach „eingehender rücksprache und mit rückhaltloser gutheißung“ des reichskanzlers – auf den weg nach london, „um eine offene aussprache über eine behebung des konflikts zwischen großbritannien und deutschland“ herbeizuführen.112 ein empfehlungsschreiben goschens öffnete ihm türen im Foreign office, wo er mit greys Privatsekretär william tyrrell zusammentraf.113 Mit lordkanzler haldane verband stein eine fast vierzigjährige bekanntschaft, die auf haldanes tätigkeit als junger Privatdozent für Philosophie an der universität im schottischen st. andrews zurückging. der Politiker versprach nicht nur, selbst einen beitrag für die verständigungsnummer von Nord und Süd zu schreiben, sondern riet auch entschieden zur einbeziehung der konservativen, insbesondere balfours, um die breite politische verankerung der unternehmung deutlich werden zu lassen.11 tatsächlich unterschieden sich die 2 beiträge britischer Führungspersönlichkeiten in der Juninummer von Nord und Süd, auf die in der Juliausgabe 21 texte deutscher würdenträger folgten, von vorausgegangenen initiativen ähnlicher art vor allem durch das parteiübergreifende spektrum der verfasser. unter den englischen autoren fanden sich neben prominenten anhängern einer verständi109 110 111 112 113 11

vgl. Chickering, germany, s. 10. Nord und Süd, september 1912; vgl. Stein, leben, s. 195, 207. Nord und Süd, Februar 1912. Stein, leben, s. 206. goschen an stein, 6. april 1912, sbPk, nl stein; tyrell an stein, 13. und 1. april 1912, ebd. Stein, leben, s. 195–7; siehe auch haldane an stein, 21. april 1912, sbPk, nl stein; balfour an stein, 23. april und 17. Mai 1912, ebd.

d) Ludwig Steins Zeitschrift nord und süd

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gung mit deutschland wie haldane, ex-botschafter lascelles, dem bankier alfred von rothschild, dem radikal-liberalen hinterbänkler noel buxton und norman angell auch Politiker und Publizisten, die in der vergangenheit zu den entschiedenen gegnern einer annäherung an deutschland gezählt hatten: James l. garvin, der ehemalige tory-chef balfour und sein nachfolger andrew bonar law. Ähnliches galt für die deutsche seite. bekannte anglophile wie Fürst lichnowsky, heinrich Prinz zu schönaich-carolath oder der ehemalige botschafter in washington von holleben befanden sich ebenso darunter wie traditionell antienglisch eingestellte admiräle, schwerindustrielle und nationalliberale Politiker, zum beispiel vizeadmiral von ahlefeld, hugo stinnes, august thyssen oder ernst bassermann.115 anders als bei den Journalistenreisen 1906 und 1907 vertrauten nur noch wenige autoren darauf, persönlicher kontakt und austausch könne für sich genommen zu einer verbesserung der beziehungen führen. die in der Presse ausgetragenen konflikte wurden nicht mehr als ursache, sondern meist nur noch als symptome des deutsch-britischen antagonismus’ wahrgenommen. im zentrum der diskussion standen handfeste interessengegensätze, nicht mehr angebliche Missverständnisse und Fehleinschätzungen.116 nicht nur konservative argumentierten so, sondern – in etwas abgewandelter Form – auch britische radikal-liberale und Pazifisten. lord courtney etwa fragte sich, wie es zu erklären sei, dass sowohl england als auch deutschland nach Frieden strebten und dennoch am rande eines krieges zu stehen schienen. „wir tadeln die zeitungen, aber zeitungen sind nur das, was ihre leser daraus machen. wir tadeln die regierungen, aber sie sind so –, wie das volk sie sich gefallen lässt. daraus sollte hervorgehen, dass, wenn die Presse und die regierungen im unrecht sind, wir das volk, dafür zu tadeln wären.“117 Ähnlich argumentierte angell in seinem artikel über die rolle der öffentlichen Meinung in den deutsch-britischen beziehungen: „we are apt to talk in times of international difficulty as though the explosion of public opinion which creates the dangers in the international field were due to forces outside ourselves, not realising that public opinion is what the individuals who form it make it.“118 obwohl die versöhnlichen stimmen in den beiden nummern von Nord und Süd zahlenmäßig überwogen, hatten die konfrontativen beiträge den durchdringenderen klang. garvin etwa sah in der herausforderung durch den aufbau der deutschen Flotte und den ausbau eines kontinentalen bündnissystems, gegen das großbritannien sich verteidigen müsse, den kern des Pro115 116

117 118

Nord und Süd vom Juli 1912, abgedruckt in: Stein, england. „on this subject patriotic englishmen are free from emotional hostility, excited illusions, or mean prejudice“, behauptete garvin. „they believe the anglo-german difficulty to be caused, not by a state of feeling, but by the state of the facts“; Stein, england, s. 80–7 (s. 80) courtney an stein, 1. Mai 1912, abgedruckt in: Nord und Süd 11, Juni 1912, s. 327; siehe auch Gooch, life, s. 575. Stein, england, s. 100– (s. 100)

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

blems.119 balfour erblickte die größte gefahr für england „in der co-existenz jenes wunderbaren instruments für kriegsführung, das in der deutschen landund seemacht zu eins geworden ist, und der geradlinigen [...] vertretung einer Politik, die unmöglich mit dem weltfrieden und den völkerrechten vereinbar zu sein scheint“.120 umgekehrt beklagte vize-admiral von ahlefeld, direktor des schiffbauunternehmens „weser“, dass england dem deutschen reich „die gleichberechtigung zur see verweigert und sie nur zu lande oder auf dem gebiete der kultur oder sonst wo“ anerkenne; deutschland aber verlange „volle gleichberechtigung mit england auf der hohen see“, nur wenn diese zugestanden werde, gebe es eine „détente zwischen entente und allianz“.121 walther rathenau steuerte einen artikel mit der Überschrift „den Finger auf die wunde“ bei, in dem er nicht das Flottenwettrüsten, sondern die englische bindung an Frankreich sowie großbritanniens „seit Jahrhunderten“ angemaßte schiedsrichterrolle auf dem kontinent als wurzel des Übels identifizierte. ohne einen kurswechsel werde die gegenwärtige Politik zwangsläufig zum konflikt führen, prophezeite rathenau, „und zwar zu einem solchen, der aus englischen notwendigkeiten“ hervorgehe.122 die gegensätzlichen Positionen stießen somit unvereinbar aufeinander. konkrete vorschläge für eine Überwindung des antagonismus wurden auch von den anhängern eines ausgleichs nicht gemacht, während die skeptiker auf beiden seiten sich gegenseitig in ihren ansichten bestätigten. balfours außenpolitische berater erblickten denn auch in steins initiative weniger eine realistische chance für eine deutsch-britische annäherung als vielmehr eine günstige gelegenheit „to educate public opinion here [in britain, dg], in order that the government of the day may have the necessary backing when the next crisis occurs“. deutliche worte balfours zur internationalen lage seien wünschenswert, äußerte einer von ihnen, denn zu wenige briten verstünden, „[that] the best way of being on good terms with germany is being on better terms with France + russia + that by the policy so happily inaugurated by Mr. balfour’s government the outbreak of war has been averted for 8 years.“123 angesichts derartiger hintergedanken war es mehr als fraglich, ob die „Methode der wechselseitigen offenen aussprache“ tatsächlich wirkungsvoll der „kriegerischen Massensugges119

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„das Flottenproblem ist daher völlig untrennbar von dem diplomatischen. keine wirkliche verbesserung der deutsch-englischen beziehungen ist unter bedingungen möglich die die britischen beziehungen zu Frankreich und russland verletzen würden.“; J. l. garvin, die zukunft der deutsch-englischen beziehungen, in: Nord und Süd 12, Juli 1912, s. 6–9 (s. 66). arthur balfour, offener brief an den herausgeber, in: Nord und Süd 12, Juni 1912, s. 28–9 (s. 287). vizeadmiral a. d. von ahlefeld, deutsch-englische entspannung, in: Nord und Süd 12, Juli 1912, s. –8 (s. 8). walther rathenau, den Finger auf die wunde, in: Nord und Süd 12, Juli 1912, s. 73–5 (s. 75), nachgedruckt in: Frankfurter Zeitung nr. 177 vom 28. Juni 1912; vgl. Wernecke, wille, s. 152. Mallet an short, . Mai 1912, bl, balfour Papers, add. 977.

d) Ludwig Steins Zeitschrift nord und süd

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tion, der politischen autohypnose“ entgegenzuwirken vermochte, wie stein hoffte.12 in den außenämtern der europäischen Mächte blickte man dennoch mit äußerster skepsis auf die initiativen steins und anderer Publizisten. „[a]t the present moment“, notierte ein beamter im Foreign office, „peace propaganda and anglo-german friendship resolutions are thick as leaves in vallombrosa“.125 unterstaatssekretär nicolson sprach misstrauisch und alarmiert von einer „sehr rege[n] Propaganda zugunsten enger beziehungen mit deutschland“, die von „Finanzleuten, Pazifisten, schwärmern und anderen“ betrieben werde.126 der französische botschafter in london äußerte sich in einem brief an Premierminister raymond Poincaré ebenfalls besorgt über die „campagne pro-germanique“. berlin verfüge über mehr Möglichkeiten, die englische öffentliche Meinung zu beeinflussen als Paris, glaubte er, weil sympathien für deutschland in kreisen des hochadels weiter verbreitet seien, weil viele englische sozialisten mit dem vaterland von karl Marx sympathisierten, weil es mehr zu geld gekommene deutsche in großbritannien gebe als Franzosen, vor allem aber auch weil englische Journalisten – nicht so sehr die zeitungsbesitzer – einflüsterungen der wilhelmstraße zugänglich, für deutsche argumente empfänglich und zum teil selbst gebürtige deutsche seien.127 stein selbst hielt man für wohlmeinend. offenbar liege ihm der weltfrieden tatsächlich am herzen, so ein beamter im Foreign office, „my only fear about these anglo-german friendship associations is that they have absolutely no influence in germany + tend to mislead the public here“.128 crowe merkte säuerlich an, das hauptanliegen der verleger und redakteure von Nord und Süd bestehe natürlich darin, ihre zeitschrift bekannt zu machen und möglichst viele exemplare zu verkaufen, wobei ihnen zustatten komme, dass sie alle beiträge für die verständigungsnummern umsonst bekommen hätten. „whether the ostensible, secondary, object of promoting anglo-german harmony, is also furthered in this way, is a question respecting which some scepticism is permissible“129 tyrrell wurde angewiesen, der anfrage des berliner Philosophen, ob nicht auch grey einen beitrag für die Juninummer von Nord und Süd schreiben wolle, eine freundliche, aber klare absage zu erteilen.130 auch in berliner regierungskreisen blieb man auf der hut. generalleutnant von Janson vom nachrichtenbureau des reichsmarineamtes lehnte die bitte um 12 125 126 127 128 129 130

Stein, leben, s. 199. randbemerkung von villiers an einem schreiben des schatzamtes an tyrrell, 1. Januar 1912, zitiert nach: Kiessling, krieg, s. 21. Memorandum nicolsons über ein gespräch mit cambon, 15. april 1912, bd, bd. 6 ii, nr. 576, s. 1237–9 (s. 1239). cambon an Poincaré, 7. Februar 1912, ddF, 3. reihe, bd. 1, s. 631–2. Mallet an short, . Mai 1912, bl, balfour Papers, add. 977. randbemerkung crowe, . Juni 1912, zur depesche von goschen an grey, 29. Mai 1912, tna, Fo 371/1371, bl. 255–8. tyrrell an stein, 13. april 1912, sbPk, nl stein.

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

Mitarbeit „eben so höflich wie entschieden“ ab und machte in seinem absageschreiben kein hehl daraus, für wie verfehlt er die ganze initiative hielt. von der armee fand sich ebenfalls niemand zu einem beitrag bereit.131 und als die Daily Mail anregte, nach dem vorbild von steins aktion sollten deutsche Politiker mit stellungnahmen in englischen blättern zu wort kommen, lehnte außenstaatssekretär kiderlen-wächter ab und vertröstete die redaktion vage auf einen späteren zeitpunkt.132

e) Epilog: Die Deutsch-britischen Pressebeziehungen 1913–1914 im rückblick sind weniger die schwierigkeiten verwunderlich, in die hirsts, angells und steins unternehmungen gerieten, als vielmehr der große optimismus, mit dem sie in angriff genommen wurden, und die zustimmung, die sie in weiten kreisen fanden. im vergleich zu den bemühungen nach der ersten Marokkokrise fällt auch die ungleich breitere streuung der initiativen ins auge, außerdem ein geschärftes bewusstsein für die gefahren der kabinettsdiplomatie sowie die verbesserten kontakte zwischen den Presseleuten auf der einen und Politikern und diplomaten auf der anderen seite. die publizistischen Protagonisten waren nicht mehr als unseriös, exzentrisch und politisch unzuverlässig angesehene einzelkämpfer wie stead oder weinthal, sondern Männer, die über exzellente kontakte in Politik, diplomatie, wirtschaft und gesellschaft verfügten. ihre aktivitäten entwickelten eine sogwirkung, der sich viele zeitgenossen nicht entziehen konnten oder wollten. wie drängend gerade Journalisten die sorge quälte, sie könnten womöglich den zug der zeit verpassen, wird am beispiel J. ellis barkers deutlich, der im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts zu den journalistischen wortführern der schutzzollpolitik und der damit verbundenen antideutschen agitation gehört hatte.133 im dezember 1911 schrieb er an bethmann hollweg, er hoffe in zukunft „für eine besserung der englisch-deutschen beziehungen wirken zu können“. er bat um eine audienz beim reichskanzler und um empfehlungsschreiben an „massgebende Persönlichkeiten“ des kaiserreichs, die ihm „in kürzester zeit einen Überblick über die lage“ in deutschland geben könnten.13 vier wochen später schrieb er in demselben sinne an hammann und stumm und pries sich als einen der „einflussreichsten politischen schriftsteller in england“, der mit seinem besuch in deutschland zur verbesserung der deutsch-englischen

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siehe den auszug aus dem schreiben von Janson, o. d. (Frühjahr 1912), ba-Ma, rM 3/9762, bl. 123. Price (Daily Mail) an kiderlen-wächter, 12. august 1912, Pa-aa, england 81 nr. 3, r 5963; aa an Price, 13. august 1912, ebd. vgl. kapitel . f) ellis barker an bethmann hollweg, 6. dezember 1911, Pa-aa, england 81 nr. 3, r 5963.

e) Epilog: Deutsch­britische Pressebeziehungen

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beziehungen beitragen wolle.135 im auswärtigen amt erblickte man darin einen weiteren beleg für „den stimmungswechsel in england“.136 botschafter Metternich hielt es für wahrscheinlich, dass ellis barker, der sich in der tendenz seiner kommentare der „stimmung der öffentlichen Meinung“ anpasse, es jetzt auch einmal „mit einer deutschfreundlichen note“ versuchen wolle.137 die episode verdeutlicht gleichzeitig, welche schwierigkeiten die außenämter hatten, sich auf die gewandelte atmosphäre einzustellen. in der wilhelmstraße empfand man ellis barkers wunsch in anbetracht von dessen vergangenheit als „kolossale Frechheit“ und schloss einen empfang durch den reichskanzler kategorisch aus.138 Metternich sprach sich zwar dafür aus, den Publizisten wenigstens zu den Pressereferenten vorzulassen, doch hammann weigerte sich, mit ihm zusammenzutreffen. stumm, der sich der angelegenheit schließlich annahm, lehnte jede diskussion politischer Fragen ab. er möge doch erst einmal zeigen, forderte der diplomat den Publizisten auf, dass „er auch einer objektiven politischen schriftstellerischen tätigkeit“ fähig sei.139 konfrontiert mit einer derartigen abfuhr, sah ellis barker sich in seinen negativen urteilen über die deutsche diplomatie bestätigt. ohne aussicht auf vertrauliche Fühlungnahme mit den führenden Persönlichkeiten der deutschen außenpolitik gab es für ihn keinen grund mehr, seinen unmut zurückzuhalten. in einem wütenden brief an stumm behauptete er, die englisch-deutschen beziehungen litten nicht darunter, was geschrieben, sondern was getan werde: „wenn die englische Presse deutschland nie erwähnt hätte, so würde durch den bau der deutschen Flotte, die antienglische Flottenagitation, des wortlauts der ersten einführung zum Flottengesetz von 1900 und das herausfordernde gebaren und die unzuverlässigkeit der deutschen Politik [sic] [...] zu der gleichen spannung zwischen den beiden Mächten geführt haben.“ er sei überzeugt, dass weder das deutsche volk noch die deutsche Presse, sondern nur die deutsche diplomatie schuld an der verschlechterung der englisch-deutschen beziehungen trage. naturgemäß hätten die englische diplomatie und Presse entsprechend reagiert, und es zeuge „von der geistesarmut der deutschen diplomatie, dass ihre berufenen vertreter deutschlands vereinsamung und allgemeine unbeliebtheit unter den völkern der eher passiven englischen diplomatie und der englischen Presse zuzuschreiben“ versuchten.10 Mit diesem vorwurf brachte ellis barker noch einmal die ansichten auf den Punkt, die seit 1896 135 136 137 138 139

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ellis barker an hammann, 5. Januar 1912, ebd.; ellis barker an stumm, 5. Januar 1912, ebd. vgl. auch das empfehlungsschreiben von goschen an stumm, 2. Januar 1912, ebd. vermerk hammanns, 8. Februar 1912, ebd. Metternich an bethmann hollweg, 23. dezember 1911, ebd. vermerk hammanns, 8. Februar 1912, ebd.; kiderlen an Metternich, 10. dezember 1912, Pa-aa, london 1332; kühlmann an ellis barker, 19. dezember 1912, ebd. Metternich an bethmann hollweg, 23. dezember 1911, Pa-aa, england 81 nr. 3, r 5963; handschriftlicher vermerk hammanns, 6. Januar 1912, ebd; handschriftlicher randvermerk stumms zum schreiben von ellis barker an stumm, 5. Januar 1912, ebd. ellis barker an stumm, 1. Februar 1912, ebd.

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

das deutschlandbild weiter teile der britischen Presse zunehmend bestimmt hatten. zu den bemerkenswertesten aspekten der deutsch-britischen Pressebeziehungen der beiden letzten Jahre vor beginn des ersten weltkrieges gehörte die rasanz und gründlichkeit, mit welcher derartige einschätzungen an Überzeugungskraft verloren. deutsch-britische „zeitungskriege“ wurden zwischen 1912 und 191 nicht mehr registriert. stattdessen trat spätestens seit den gemeinsamen diplomatischen anstrengungen der balkankriege sowohl in den verlautbarungen der Politiker als auch in den texten von Publizisten diesseits wie jenseits des Ärmelkanals der gedanke einer entspannung, annäherung oder gar Entente immer stärker in den vordergrund. symptomatisch für den stimmungswandel waren die artikel, mit denen die britische Presse des silbernen thronjubiläums wilhelms ii. im Juni 1913 gedachte. der deutsche kaiser wurde darin als „Prince of Peace“ und „Peace emperor“ gefeiert, als „the safest bulwark of european peace“ und garant für die lang anhaltende Friedensperiode, die deutschland und europa während seiner herrschaftszeit genießen durften.11 „People in this country“, kritisierte eine walisische Provinzzeitung, „are too apt to think of the kaiser as the great war lord, or as the emperor who sent the telegram to kruger, or, again as a man of blood and iron who delights in rattling the sabre.“ in wirklichkeit habe sich wilhelm mehr als einmal gegen die kriegstreiber in deutschland für die wahrung des Friedens eingesetzt.12 „[o]ur relations with germany are excellent, indeed better than they have been for 15 years“, habe asquith vertretern des radikal-liberalen Parteiflügels versichert, schrieb hirst anfang Februar 1913 an schiemann und fügte hinzu: „Public opinion in both countries seems to point to an intimate and friendly understanding.“13 wenige tage später ergänzte er, der gedanke, dass man mit hilfe einer deutsch-englischen verständigung einen großen europäischen krieg verhindern könne, gewinne immer mehr anhänger in großbritannien – nicht zuletzt den außenminister: „i hear that grey has changed very much + is now anxious for what you + i so much desire.“1 selbst als anfang 191 gerüchte über englisch-russische Flottengespräche und den kurz bevorstehenden abschluss einer Marinekonvention in deutschland für beunruhigung sorgten, gab hirst sich zuversichtlich. er sehe keine gefahr einer stärkung der russisch-englischen Entente, versicherte er. entsprechende „enthüllungen“ in der Presse 11

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die bezeichnung „Prince of Peace“ findet sich im Daily Telegraph vom 16. Juni, in der Westminster Gazette vom 1. Juni und in den News of the World vom 15. Juni 1913; vom „peace emperor“ schreiben beispielsweise der Manchester Guardian vom 16. Juni und die Times vom 1. Juni 1913; die rede vom bollwerk des Friedens findet sich im Daily Express vom 1. Juni 1913; alle zitate nach: Schramm, deutschlandbild, s. 76–7. South Wales Daily News vom 12. august 1913, zitiert nach: Schramm, deutschlandbild, s. 77. hirst an schiemann, 6. Februar 1913, gsPk, ha vi, nl schiemann, rep. 92, nr. 78. hirst an schiemann, 11. Februar 1913, ebd. Ähnlich auch in einem brief vom 27. März 1913, ebd.

e) Epilog: Deutsch­britische Pressebeziehungen

Abbildung 14:

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Daily Graphic, 8. Mai 1913.

hätten ihre ursache in dem bestreben der rüstungslobby, durch das erfinden von schreckensmeldungen das Flottenwettrüsten aufs neue anzuheizen.15 nicht nur in der radikal-liberalen Presse herrschte die Überzeugung vor, eine neue Ära im deutsch-britischen verhältnis habe begonnen. der konservative Daily Graphic druckte im Mai 1913 eine karikatur, auf der dargestellt wurde, wie nach dem abziehen europäischer gewitterwolken die Pflanze der deutschenglischen verständigung hervor spross (abbildung 1).16 zu derselben zeit entwickelte man bei dem in steten Finanznöten schwebenden Standard Pläne, wie aus der neuen wetterlage verlegerisches kapital zu schlagen sei. in einem schreiben an die deutsche botschaft schlug die redaktion vor, für £ 8.000 eine 15 16

hirst an schiemann, 2. Juli 191, Pa-aa, england 81 nr. 3, r 5963. vgl. auch lichnowsky an bethmann hollweg, 8. Mai 1913, Pa-aa, england nr. 78, r 5760.

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

spezialbeilage zu drucken, die dem britischen Publikum handel und wandel im modernen deutschland nahe bringen würde – vom eisenbahnnetz über die schifffahrt, industrie und landwirtschaft bis zur armee und Flotte. die verwirklichung dieses vorhabens, hieß es in dem begleitschreiben, „would undoubtedly create new currents of friendship, and greatly develop those already existing between england and germany“.17 selbst im publizistischen umkreis der tory-Partei gab es anzeichen für ein umdenken. der wtb-korrespondent in london, hans Plehn, berichtete seiner zentrale im august 1913 über ein gespräch mit einem konservativen Journalisten namens a. w. tilby, der „durchaus seriös“ sei und gute beziehungen, „namentlich auch im Parlament“ habe. dieser tilby, so Plehn, habe dargelegt, wie bei den jüngeren unionisten „eine feste entente mit deutschland“ immer populärer werde. der Franzosen sei man überdrüssig; die Entente Cordiale habe keinen politischen wert mehr für england. und „das persönliche element spräche doch auch erheblich mit, dass die engländer sich im Privatleben mit den deutschen im grunde immer, aber mit den Franzosen eigentlich nie verständen“. zudem hege der neue Parteiführer andrew bonar law aus seiner zeit als geschäftsmann große sympathien für deutschland. tilby behauptete außerdem, „selbstverständlich“ würden die unionisten, wenn sie ans ruder kämen, nicht die „albernen“ versuche der liberalen erneuern, ein abkommen über die Flottenrüstungen herbeizuführen. so etwas könne man „Portugal bieten, aber nicht deutschland“. im Übrigen werde sich die Flottenrivalität wohl legen, wenn einmal eine Entente bestünde.18 auch wenn bei dieser einschätzung viel wunschdenken im spiel war, setzte sich in der deutschen diplomatie doch die Überzeugung durch, dass ein gezeitenwechsel in der britischen Öffentlichkeit stattgefunden habe und dass seither nur noch unverbesserliche und ewiggestrige am Mantra des deutsch-englischen gegensatzes festhielten. in diesem sinne berichtete botschaftsrat kühlmann im dezember 1913 über einen leitartikel in der Morning Post aus der Feder spenser wilkinsons, der von Feindschaft und Misstrauen erfüllt sei und wieder einmal vor allzu großer intimität zwischen deutschland und england warne. spenser wilkinson lebe außerhalb der politischen kontakte londons in oxford, betonte kühlmann. dort habe er sich „immer tiefer in seine deutschfeindlichen ideen eingesponnen“; sein artikel lese sich, als wäre er „aus versehen drei Jahre zu spät in die zeitung geraten“. spenser wilkinson gehöre zu der glücklicherweise mehr und mehr aus der Öffentlichkeit verschwindenden zahl der „verbissenen alten garde, die, bei einem gewissen Moment der politischen ereignisse stehen geblieben, fortfahren, die welt nach der alten schablone zu beurteilen“.19 17 18 19

„Proposed general scheme of german Publicity in the united kingdom“, 20. Mai 1913; siehe kühlmann an aa, 30. Mai 1913, Pa-aa, london 1333. Plehn an Mantler, 19. august 1913, Pa-aa, england nr. 78, r 5760. kühlmann an bethmann hollweg, 12. dezember 1913, ebd.

e) Epilog: Deutsch­britische Pressebeziehungen

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sogar das reichsmarineamt sah sich gezwungen, der veränderten atmosphäre rechnung zu tragen. Man hielt ein „segeln gegen strom und wind“ der öffentlichen Meinung für „zwecklos“ und bemühte sich nach kräften, publizistischen angriffen auf england die spitze zu nehmen.150 als das nachrichtenbureau im herbst 1912 davon erfuhr, dass kapitänleutnant zur see walther Frobenius eine broschüre mit dem titel Und die englische Landungsarmee? Eine Studie über den Zukunftskrieg schrieb, tat man alles, um deren veröffentlichung zu verhindern. gegenüber tirpitz bezeichnete der neue chef des nachrichtenbureaus, heinrich löhlein, die schrift als „kompromittierend“ für die Marine, und zwar gegenüber der britischen Öffentlichkeit ebenso wie im verhältnis zur reichsleitung. Mit „rücksicht auf englische Presse, reichskanzler, pp.“ müsse eine drucklegung unterbunden werden.151 die „Frage einer verstärkung unserer rüstungen zur see“ galt den erfahrenen Pressepolitikern im nachrichtenbureau „für die nächste zeit als erledigt“, wie löhlein im Januar 1913 schrieb.152 umgekehrt trat auch in england die rede von der „deutschen gefahr“ als rechtfertigung weiterer Flottenrüstungen spätestens seit anfang 1913 immer weiter in den hintergrund. trotz hoher Militärausgaben könne man deutschland nicht vorwerfen, das tempo des maritimen wettrüstens zu bestimmen, stellte der Daily Chronicle im november 1913 fest. „[t]he british advocates of naval expansion are driven from their old field, the german peril, to find new perils elsewhere.“153 angesichts derartiger veränderungen konnte sich selbst eine deutschland gegenüber so skeptische zeitung wie die Times nicht dem eindruck verschließen, dass auch im reich die öffentliche stimmung im wandel begriffen war. der berlin-korrespondent John e. Mackenzie hielt sich zunehmend damit zurück, antibritische artikel der deutschen Presse nach london zu übermitteln, weil er derartige texte nicht mehr für repräsentativ hielt. „i think the article is quite out of the picture“, schrieb er im Februar 191 zur erklärung, warum er einen anstößigen artikel der zeitung Die Post in seinem telegramm aus berlin nicht erwähnt hatte, „the violence of its language has not, so far as i have observed, attracted the attention of a single german newspaper. the Post has practically no influence now of its own“.15 als charakteristisch für die deutsche haltung galten vielen beobachtern jetzt eher die Plädoyers schiemanns in der Kreuzzeitung für ein deutsch-britisches bündnis. es habe keine zeit gegeben, behauptete der Professor im Februar 191, „in der, mehr als heute, durch einen erlösenden entschluss alle schwierigkeiten der europäischen wie der weltpolitik in die bahnen ruhiger und gedeihlicher entwicklung gelenkt werden könnten. dieser ent150 151 152 153 15

das zitat stammt aus einer denkschrift karl hollwegs aus dem Jahr 1912, zitiert in: Deist, Flottenpolitik, s. 318. löhlein an tirpitz, 30. november 1912, zitiert ebd., s. 315. löhlein an kontreadmiral z. d. Metzler, 22. Januar 1913, zitiert ebd., s. 319. Daily Chronicle vom 25. november 1913, zitiert nach: Schramm, deutschlandbild, s. 9. Mackenzie an steed, 25. Februar 191, nia, wickham steed Papers.

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

schluss aber würde lauten: englisch-deutsche allianz“.155 an lordkanzler haldane, mit dem er im Frühjahr 191 zu einem vertraulichen gespräch in london zusammengekommen war, schrieb schiemann im april 191, er hoffe, „dass die détente die zwischen deutschland und england ohne zweifel eingetreten ist, sobald die zeit reif ist, in eine entente einmündet“.156 in seiner antwort versicherte haldane, er habe die feste absicht, deutschland und england „in beziehungen von immer engerer vertrautheit und Freundschaft“ zu bringen.157 lloyd george hob noch am 23. Juli in einer unterhausrede hervor, wie sehr sich die deutsch-britischen beziehungen – gerade auch in der Presse – verbessert hätten: „there is none of that snarling which we used to see, more especially in the Press of those two great, i will not say rival nations, but two great empires. the feeling is better altogether between them.“158

f) Zwischenfazit es ist verführerisch, derartige beteuerungen angesichts des krieges, der nur wenige tage später in europa ausbrach, rückblickend als verblendete selbsttäuschung abzutun. schließlich hatte sich an den machtpolitischen realitäten der antagonistischen bündnissysteme nichts wesentliches geändert. allenfalls war eine verlagerung der spannungen von der deutsch-britischen Flottenrivalität auf das militärische wettrüsten der kontinentalmächte deutschland, Frankreich und russland zu konstatieren, die atmosphärische verbesserungen der bilateralen deutsch-britischen beziehungen gestatteten, ohne den kern des konflikts zwischen dem dreibund und der russisch-französisch-britischen Entente zu berühren.159 Manche historiker argumentieren sogar, dass die Détente zwischen london und berlin letztlich insofern zum ausbruch des großen krieges beitrug als sie in der wilhelmstraße die trügerische hoffnung nährte, großbritannien werde in einem kontinentaleuropäischen konflikt neutral bleiben.160 andere Forscher weisen darauf hin, dass die offiziellen entspannungsbemühungen vor 191 vor allem mit den Methoden konventioneller geheimdiplomatie betrieben wurden, die leicht mit den ganz anders gearteten erwartungen der Öffentlichkeit in konflikt geraten konnten: „was diplomatischen erfolg ver155 156 157 158 159 160

Kreuzzeitung vom 11. Februar 191; ähnlich auch in Kreuzzeitung vom 25. Februar 191. schiemann an haldane, 10. april 191, nls, haldane Papers, 5910, bl. 21–5. haldane an schiemann, 17. april 191, gsPk, ha vi, nl schiemann, rep. 92, nr. 78. zitiert nach: Schramm, deutschlandbild, s. 28. zur diplomatischen Détente vgl. Kiessling, krieg, s. 22–35; Schöllgen, kühlmann; zur aufrüstung siehe Stevenson, armaments. so zuletzt noch einmal Peter Pulzer und John röhl in ihren redebeiträgen auf der konferenz „wilhelmine germany and edwardian britain: cultural contacts and transfers“, oxford, 23./2. März 2006; siehe Frankfurter Allgemeine vom 1. april 2006. Ähnlich auch Schramm, deutschlandbild, s. 281.

f) Zwischenfazit

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hieß, konnte von der Öffentlichkeit als Misserfolg gedeutet werden; was zur stärkung der eigenen außenpolitischen Position beitragen sollte, führte zur politischen schwächung.“161 tatsächlich machten die journalistischen entspannungsversuche von hirst, angell und stein deutlich, in welch unterschiedlichen kategorien außenpolitische und publizistische eliten vor 191 dachten und welch verschiedenartigen handlungsvorgaben sie folgten. hirst und schiemann machten sich völlig falsche vorstellungen von ihren Möglichkeiten, die offizielle außenpolitik zu beeinflussen. angell verstand unter „erziehung der Öffentlichkeit“ etwas ganz anderes als die beamten im Foreign office.162 und stein galt den preußisch-deutschen Machteliten schon wegen seines „jüdischen einschlag[s]“ als störender eindringling in das, was sie als ihren exklusiven zuständigkeitsbereich verteidigten.163 zu einem konstruktiven zusammenwirken von geheimer diplomatie und öffentlicher Meinung kam es zu keiner zeit. dennoch bleibt bemerkenswert, dass es zwischen 1912 und 191 neben den offiziellen entspannungsinitiativen der kabinettsdiplomatie auch zahlreiche journalistische Détente-bemühungen aus der Mitte der deutschen und britischen gesellschaften heraus gab. anders als 1906 und 1907 standen jetzt auch konservative und liberal-imperialistische beziehungsweise nationalliberale kreise in deutschland wie england dem gedanken einer publizistisch vorangetriebenen entspannung nicht mehr rundweg ablehnend gegenüber. in deutschland spiegelte die neue bereitschaft zum öffentlichen dialog den grad der besorgnis über die zunehmend schwierige außenpolitische lage des kaiserreichs wider. bei den britischen tories spielte das innenpolitische Motiv eine rolle, die schwierigkeiten auszunutzen, in die außenminister grey im eigenen lager durch sein Festhalten an den verbindungen mit Frankreich und russland geraten war. Man darf aber auch den kumulativen effekt der verschiedenen entspannungsbemühungen nicht unterschätzen, die jede für sich genommen wenig wirkung zeigen mochten, in ihrer summe jedoch nicht unerheblich zu einer veränderung des politischen klimas beitrugen, zumal die reibungspunkte, an denen sich frühere „Pressekriege“ entzündet hatten, weitestgehend beseitigt schienen. die rede von der „deutschen gefahr“ trat in england in dem Maße in den hintergrund, in dem die gewissheit Platz griff, dass das Flottenwettrüsten zugunsten großbritanniens entschieden war. in deutschen Marinekreisen hingegen schwand mit dem glauben an die realisierbarkeit der eigenen hochfliegenden Pläne auch die notwendigkeit der fortgesetzten antienglischen agitation. nicht zufällig machte das seit den tagen des krügertelegramms verbreitete negative image des deutschen kaisers in england zunehmend klischeebildern vom Friedensfürsten und Pazifisten auf dem thron Platz, während der als phantasielos, pedantisch und langweilig geltende georg v. in der deutschen Öffentlichkeit zu 161 162 163

Kiessling, wege, s. 289. Wilson, Foreign office. schreiben von Janson, o. d. (Frühjahr 1912), ba-Ma, rM 3/9762, bl. 123.

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8. Entspannungsinitiativen nach der zweiten Marokkokrise

keiner zeit derart heftig angefeindet wurde wie sein vater, edward vii. die atmosphärischen verbesserungen, die sich nicht zuletzt im wandel der deutschbritischen Pressebeziehungen niederschlugen, stellten in sich selbst einen politisch bedeutsamen Faktor dar, dessen potentielle wirkungsmächtigkeit man in einem zunehmend von der relevanz der „öffentlichen Meinung“ für die außenpolitik überzeugten zeitalter nicht unterschätzen sollte.

Die Transformation der Diplomatie durch die Massenpresse „Zeitungskriege“ spielten in den 16 Jahren zwischen 1896 und 1912 eine zentrale Rolle im deutsch-britischen Verhältnis. In den Augen von Reportern, Redakteuren und Verlegern avancierten sie zu einem ernst zu nehmenden Faktor in den zwischenstaatlichen Beziehungen und unterstrichen auf diese Weise die gewachsene Bedeutung, die den Medien aus ihrer eigenen Sicht in der modernen Welt zukam. Aus der Perspektive von Politikern und Diplomaten beider Länder stellten „Pressefehden“ ein Phänomen dar, das es wegen seiner negativen Auswirkungen auf die internationale Politik genau zu beobachten galt. Streitigkeiten zwischen deutschen und englischen Zeitungen wurden von den Zeitgenossen nicht zuletzt deswegen als bedrohliche Erscheinungen wahrgenommen, weil sie ihre Entstehung und Ausbreitung einer Mischung aus kommerziellen und politischen Triebkräften, neuester Technologie und althergebrachten Denkschablonen, rational definierbaren Interessen und schwer zu fassenden Emotionen verdankten, die es allen Beteiligten unmöglich machte, Ablauf und Folgen dieser „unblutigen Kriege“ zu planen oder auch nur vorauszusehen. Das laute publizistische Echo auf die Glückwunschdepesche Wilhelms II. an den Burenpräsidenten Paul Krüger diente dabei als Initialzündung einer Entwicklung, die ihren Höhepunkt in den Jahren 1909 bis 1911 fand. Dem Krügertelegramm kam als Medienereignis ein Gewicht zu, das weit über seine politisch-diplomatische Bedeutung hinausreichte. Es prägte die Selbstwahrnehmung und die Sicht auf das jeweilige Gegenüber in Großbritannien wie im Deutschen Reich. Es etablierte Handlungsmuster und Perzeptionsschemata, auf die in den folgenden Jahren immer wieder rekurriert wurde. In Deutschland verfestigte sich das Stereotyp des überheblichen, eigennützigen, bigotten, aber auch dekadenten England während des Burenkrieges, der fast in ganz Europa eine Flutwelle massenmedialer Aversion gegen Großbritannien auslöste. Im deutschen Kaiserreich wirkten sich diese Ressentiments verheerender aus als anderswo, weil sie mit innenpolitischer Kritik radikalkonservativer Kreise an der eigenen Staatsführung zusammenflossen, deren Neutralitätspolitik im Südafrikanischen Krieg sich krass von der proburischen Proklamationspolitik des Krügertelegramms unterschied und daher als Verrat – an den „stammverwandten“ Buren und den deutschen nationalen Interessen – empfunden wurde.1 In Großbritannien gelang es einer relativ kleinen, aber einflussreichen Gruppe von Publizisten und Diplomaten, das negative Deutschlandbild, das in der Auseinandersetzung um das Krügertelegramm erstmals massenwirksam aufgeblitzt war, als festen Topos in der Berichterstattung der meinungsführenden Presse zu konsolidieren. Dabei ging es nicht nur, oft nicht einmal vorrangig, um das Verhältnis zu Deutschland oder um die von dort ausgehende Bedrohung, 1

Vgl. Daniel, Einkreisung, S. 305–6.

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sondern um eine umfassendere Neuausrichtung der britischen Imperial- und Außenpolitik angesichts einer als zunehmend problematisch empfundenen strategischen Überdehnung des britischen Weltreichs. Die von der wirtschaftlichen Dynamik, militärischen Macht, politischen Unrast und diplomatischen Grobschlächtigkeit des Deutschen Reiches ausgehende Gefährdung des Status quo erleichterte dabei die massenmediale Agitation für einen Ausgleich mit Frankreich und Russland ungemein. Ähnliches galt für die Flottenrüstung, die unter Admiral Fisher propagandistisch ganz auf die deutsche Gefahr hin ausgerichtet wurde, hinter den Kulissen aber von anderen Triebkräften maßgeblich mitbestimmt war. In dieser Hinsicht unterschied sie sich kaum von der deutschen Seerüstung und den antibritischen Mobilisierungsmethoden des Reichsmarineamtes. Sowohl die britische als auch die deutsche Marineführung kooperierten eng mit Journalisten aller Art, insbesondere auch mit Vertretern der aufkommenden Massenpresse, deren Eigengesetzlichkeiten sie besser begriffen und zu bedienen wussten als andere Ressorts. Nicht nur im Deutschen Reich, wo die innenpolitischen Triebkräfte des Schlachtflottenbaus seit den Arbeiten von Volker Berghahn und anderen gut erforscht worden sind, sondern auch in Großbritannien wurden „Flottenpaniken“ für innenpolitische Zwecke gezielt orchestriert und instrumentalisiert: sei es aus eigennützigen Ressortinteressen durch die Admiralität, die auf eine jahrzehntelange Erfahrung mit derartigen Kampagnen zurückgreifen konnte, sei es – seit 1905 – durch die Tory-Opposition in ihrem Kampf gegen die liberale Regierung oder durch die Liberal-Imperialisten innerhalb der Regierungspartei in ihrer Auseinandersetzung mit dem radikalliberalen Parteiflügel. In Deutschland wie in England spielten dabei amtliche Manipulationsversuche und das Erstarken eines radikalen Nationalismus’ zusammen, wobei nicht von einer einfachen Wechselwirkung zwischen „oben“ und „unten“ auszugehen ist, sondern von sich vielfach überlappenden, gegenseitig verstärkenden, aber auch behindernden Kräfte- und Interessenkonstellationen, in denen die Presse ebenso mitwirkte wie Regierung, Parteien und Massenverbände. Das kriegerische Vokabular, mit dem diese „Kampagnen“ beschrieben wurden, verwies dabei nicht nur auf das, was der britische Ökonom und Publizist John Hobson, die „Militarisierung des politischen Lebens“ genannt hat.2 Es deutete auch an, dass publizistische Unternehmungen als Spiegelbild staatlicher Aktivitäten beziehungsweise auch als Ersatz für Regierungshandeln angesehen wurden. Nicht zufällig übernahmen Presseveranstaltungen in dieser Zeit oft die Begrifflichkeiten, die Symbolsprache und das Zeremoniell staatlich-militärischen Handelns: Man focht „Scharmützel“, „Schlachten“ oder ganze „Kriege“, erklärte „Waffenstillstände“ und ging ins „Winterquartier“, verglich Auslandskorrespondenten mit Botschaftern, inszenierte Journalistenreisen als Staatsbesuche, forderte „Abrüstung“ und „Entspannung“ nicht nur für die diplomatischen Beziehungen, sondern auch im Verhältnis der Presseöffentlichkeiten bei2

Hobson, Imperialism, S. 133.

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der Länder zueinander. Die beiden größten Nachrichtenagenturen Deutschlands und Englands fungierten als halboffizielle Staatsagenturen, deren Operationsgebiete sich weitgehend mit den Kolonialreichen und informellen Einflusssphären der beiden Mächte deckten. Der Eindruck eines quasi-staatlichen Charakters der Presse wurde dadurch noch verstärkt, dass einige der führenden Publizisten beider Länder nicht nur durch ihre Texte an den „Zeitungskriegen“ teilnahmen, sondern durch ihr persönliches Handeln als Berater oder inoffizielle Emissäre auch auf andere Weise in das außenpolitische Geschehen eingriffen. Ein weiteres Strukturmerkmal der „Pressekriege“ ist in dem hohen Grad der Personalisierung politischer und diplomatischer Vorgänge zu sehen, mit deren Hilfe unübersichtliche Problemlagen auf charakterliche Dispositionen oder psychologische Eigenheiten einiger weniger Protagonisten reduziert und zugleich emotional aufgeladen werden konnten. Man werde nie eine Reform des Kriegsministeriums erreichen, notierte beispielsweise der Chef des Außenressorts der Times, solange man mit kunstvollen Leitartikeln und ausgefeilten Plänen von irgendwelchen Experten operiere. „What you have to do is to fix upon two or three men to whom you can pin your faith & then run them for all you are worth.“3 Dieser Prozess der Komplexitätsreduktion kam den Plakativitätsanforderungen der Massenmedien entgegen.4 Diese Personalisierung von Politik schlug sich in der wachsenden Bedeutung des Interviews als einer journalistischen Darstellungsform nieder, die ganz auf ein bestimmtes Individuum und dessen Ansichten ausgerichtet war. Außerdem war die englische Presse der spätviktorianischen und edwardianischen Ära, aber auch die Zeitungen und Zeitschriften des wilhelminischen Deutschlands voll von so genannten „Charakterskizzen“ von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die als Verkörperung einer bestimmten politischen Richtung oder Einstellung angesehen wurden. Auf diese Weise personifizierte Joseph Chamberlain in England den Schutzzollgedanken und den Zusammenhalt des Empires, Lord Roberts die Idee der Wehrpflicht und Admiral Fisher die britische Hegemonie zur See; im Kaiserreich stand Admiral Tirpitz für den Aufstieg Deutschlands zur Seemacht, Bernhard von Bülow für den Übergang zur Weltpolitik und ein Mann wie Graf Zeppelin für den Traum vom Fliegen.5 Aus der Sicht des jeweils anderen Landes hingegen dominierten andere Zuschreibungen: Chamberlain galt in Deutschland als Inbegriff britischer Heimtücke, Durchtriebenheit und imperialer Anmaßung, Roberts war als Burenschlächter verhasst, Fisher als Exekutor eines möglichen britischen Präventivschlags gegen die im Aufbau befindliche deutsche Flotte gefürchtet. Umgekehrt stand Tirpitz aus englischer Sicht für deutsche Weltmacht3 4 5

Chirol an Amery, 16. Mai 1900, zitiert nach Koss, Rise, Bd. 1, S. 419. Kohlrausch, Monarch, S. 451. Ein besonders produktiver und gewandter Verfasser derartiger publizistischer Miniaturporträts war der langjährige Chefredakteur der radikalliberalen Daily News, Alfred Gardiner, der mehrere Bände seiner Porträtskizzen veröffentlichte; Gardiner, Prophets; ders., People; vgl. Koss, Radical, S. 80. Ein deutscher Meister dieser Form war Harden, Köpfe, 4 Bde. Zur Idolisierung Zeppelins siehe Fritzsche, Nation.

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pläne, Bülow personifizierte die diplomatische Doppelzüngigkeit und Lügenhaftigkeit des Reiches, während der Name Zeppelin in Großbritannien als Synonym für deutsche Luftkriegspläne gebraucht wurde. Besonders markant war der Kontrast im Hinblick auf die öffentlichen Images der beiden Monarchen, die der Ära vor dem Ersten Weltkrieg in England und Deutschland ihren Namen gaben. Während Edward VII. in Großbritannien als „Onkel Europas“ und Sinnbild einer diplomatischen Friedenspolitik geschätzt wurde, galt er jenseits der Nordsee zunächst als dekadenter Weichling, später in zunehmendem Maße als hinterlistiger Drahtzieher der Einkreisung Deutschlands. Wilhelm II. seinerseits erschien aus britischem Blickwinkel häufig als Personifizierung der Unzuverlässigkeit und Sprunghaftigkeit deutscher Diplomatie, mitunter auch als bramarbasierender Kriegsherr und unversöhnlicher Feind Großbritanniens; in seinem eigenen Land hingegen wurde er immer häufiger als allzu friedensliebender, in England vernarrter Enkel Königin Victorias und Neffe Edwards VII. kritisiert. Die Presse in Deutschland wie Großbritannien spielte ausgiebig auf der Klaviatur derartiger personalisierender Simplifikationen, teils weil sie damit einem voyeuristischen Bedürfnis ihrer Leser nach Informationen über die fürstlichen Berühmtheiten nachkam, teils weil die Namen der Monarchen als praktische Kürzel benutzt werden konnten, um die gesamte Nation auf einen einfachen Nenner zu bringen. „Ein englischer oder französischer Zeitungskorrespondent“, hieß es unter der Überschrift „Kaiserjournalistik“ im April 1907 in der BZ am Mittag, der sein Organ mit einer fachkundigen Schilderung über Berliner Kommunalwirtschaft oder die Streitigkeiten innerhalb der evangelischen Kirche bediente, würde sofort telegraphisch entlassen werden. Wenn er aber den freien Bürgern seines Vaterlandes heute schon zu künden vermag, was für Hosen der Kaiser bei seiner nächsten Nordlandreise tragen wird, so kann er daraufhin von seinem Verleger eine Gehaltserhöhung verlangen. [...] Der Versuch, bei uns alles auf das Cäsarentum hinauszuspielen, steht Völkern schlecht an, die im Personenkultus uns beinahe über sind. „Le Kaiser“ und „the Kaiser“ sind nämlich sprachliche Malicen, die nicht gegen den Kaiser, sondern gegen das deutsche Volk gemünzt sind.6

In der Forschung hat man die „Pressefehden“ meist als Ausdruck einer antienglischen beziehungsweise antideutschen „öffentlichen Meinung“ interpretiert oder darauf hingewiesen, dass die Presse von interessierten Kreisen – etwa der Schiffbau- und Rüstungsindustrie – instrumentalisiert worden sei. Dabei wurden genuin publizistische Gründe für die Herausbildung des Phänomens, wie sie in dem Zitat der BZ am Mittag zum Ausdruck kommen, häufig übersehen. Zum einen verlieh der dem Journalismus inhärente Zwang, Neuigkeiten aufzutun, Sachverhalte zuzuspitzen, der Berichterstattung über das andere Land oft eine besondere Schärfe. Zum anderen verbrachten Korrespondenten und Redakteure (und im Übrigen auch Diplomaten) einen großen Teil ihres beruflichen Alltags damit, Artikel anderer Journalisten zu lesen und zu verarbeiten. Sie ma6

BZ am Mittag, 13. April 1907.

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ßen Pressestimmen größere Bedeutung bei als andere Menschen, was nicht selten zur Eskalation von Konflikten führte. Darüber hinaus verstanden sich viele Auslandskorrespondenten als publizistische Vertreter ihres Landes, die auf ihrem Gebiet die Interessen ihrer Nation mit ebensolchem – wenn nicht größerem – Nachdruck zu vertreten hatten wie die akkreditierten Botschafter. Außerdem entdeckten Verleger der aufkommenden populären Massenpresse, allen voran Lord Northcliffe in Großbritannien, die auflagensteigernde Wirkung von Schreckensnachrichten, „Pressekampagnen“ und „Zeitungskreuzzügen“. Schließlich darf man die Selbstreferentialität der Medien als Faktor nicht zu gering veranschlagen. Die einzelnen „Zeitungskriege“ erschienen in der Berichterstattung der Presse nicht als isolierte Ereignisse, sondern als Glieder einer Kette, bei der anlässlich jeder neuen Episode auf frühere Referenzpunkte verwiesen werden konnte. Die Erfahrungen vorangegangener Zwischenfälle wurden bei jedem weiteren Zusammenstoss mitreflektiert. Auf diese Weise wuchs der publizistische Ballast, der auf den deutsch-britischen Beziehungen lastete, stetig weiter an. Die „Zeitungskriege“ sind ein gutes Beispiel dafür, wie eng deutsche und britische Öffentlichkeiten vor 1914 miteinander verkoppelt, um nicht zu sagen: kurzgeschlossen waren. Die Presse beider Länder reagierte sensibel auf jede Regung ihres Gegenüber – freilich nicht unbedingt nach dem Muster, dass auf die Eskalation der einen Seite notwendigerweise eine Eskalation der anderen Seite folgte, wie etwa beim Krügertelegramm im Januar und Februar 1896 oder dem öffentlichen Zusammenstoß zwischen Chamberlain und Bülow im Winter 1901/1902. Vielmehr ähnelte das Grundmodell oft eher einem System kommunizierender Röhren, in dem beispielsweise die Mäßigung der deutschen Presse nach dem Burenkrieg in Großbritannien noch zu einer Verstärkung des Misstrauens führte, weil man darin eine Bestätigung der eigenen Sichtweise erblickte, dass die deutsche Presse am Gängelband der Regierung gehalten wurde. Umgekehrt verhielt es sich während der zweiten Marokkokrise, als die vehemente Reaktion der deutschen Presse auf englischer Seite mit Zurückhaltung beantwortet wurde, was man im Kaiserreich wahlweise als Schuldeingeständnis oder besondere Hinterlist interpretierte. Sowohl die traditionelle politische Richtungspresse als auch die aufkommende Massenpresse in Deutschland und England beteiligten sich an den „Zeitungskriegen“, wenn auch in verschiedenen Funktionen und mit unterschiedlicher Wirkung. Blätter der politischen Richtungspresse – insbesondere die politischen Monats- und Wochenschriften – übernahmen eine Vorreiterrolle beim Lancieren von Themen, bei der Durchsetzung bestimmter Sichtweisen, der Etablierung von Klischeebildern und Stereotypen. So wurde die These von der „deutschen Gefahr“ zunächst über Monate, wenn nicht Jahre hinweg in Periodika wie der National Review und dem Spectator diskutiert, ehe sie Eingang in die Tagespresse fand. Die kommerziellen Massenzeitungen fungierten dann als Verstärker schon bestehender Trends, als Popularisierer dessen, was sich in den Kreisen politischer und publizistischer Eliten als herrschende Meinung durch-

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gesetzt hatte. Daher vermochte eine Zeitung wie die Daily Mail, die täglich ein Millionenpublikum erreichte, kaum unmittelbaren Einfluss auf die Ideen oder Sichtweisen der politischen Eliten in Westminster und Whitehall auszuüben. Die indirekte Einwirkung des Blattes auf die Entscheidungen von Regierung und Parlament war dafür umso größer: Nicht die Originalität der in ihren Spalten publizierten Gedanken, sondern die ihr zugeschriebene Wirkung auf die Leser- und Wählermassen bildete die Grundlage ihres Einflusses. In dieser Hinsicht darf man die Verhältnisse in England und Deutschland nicht ohne weiteres gleichsetzen. Die für die Herausbildung einer kommerziellen Massenpresse charakteristischen Prozesse der Sensationalisierung, Skandalisierung und der Lösung von parteipolitischen Bindungen verliefen im Deutschen Reich langsamer als in Großbritannien. Hinzu kam, dass in London die größten Massenblätter dem konservativ-imperialistischen Lager zuneigten, während die populäre Massenpresse Berlins mit Ausnahme von Scherls Berliner Lokalanzeiger der linksliberalen Opposition zuzuordnen war. Aus diesen Gründen spielte keine deutsche Massenzeitung in den „Pressefehden“ eine derart prominente Rolle wie die Daily Mail oder der Daily Express in England. Während in den Akten der Wilhelmstraße seit etwa 1904 die Auseinandersetzung mit der kommerziellen Massenpresse in Großbritannien immer größeren Raum einnahm, finden sich in den Unterlagen des britischen Außenamtes bis zum Ersten Weltkrieg kaum Verweise auf die deutsche Boulevard- oder Generalanzeigerpresse. Bis zum Schluss prägten dort vielmehr Organe der politischen Richtungspresse wie die Kreuzzeitung, das Berliner Tageblatt, die Kölnische Zeitung oder die Norddeutsche Allgemeine Zeitung das Bild. Hinzu kam, dass in Großbritannien die Vorstellung weithin akzeptiert war, herausragende Publizisten könnten einen entscheidenden Beitrag zur Diskussion zentraler politischer Fragen leisten. „[T]he journalist has the absolute monopoly of political thought“, behauptete der Diplomat Spring-Rice sogar, „no one in politics has the time for anything except the business of the moment“.7 In Bezug auf Deutschland wäre eine derartige Aussage undenkbar gewesen. Dort wurde die Funktion des Journalisten als eines „schreibenden Volkstribunen“ von der Staatsleitung und den gesellschaftlichen Eliten „nicht anerkannt, in der Achtung herabgesetzt, gehemmt“, wie der liberale Journalist Bernhard Guttmann im Rückblick bemerkte. Guttmanns Ansicht nach hatte man auf diese Weise dem Kaiserreich die „Hauptader des geistigen Blutkreislaufes“ abgeschnürt.8 Insofern prallten in den „Zeitungskriegen“ nicht nur unterschiedliche nationale Sichtweisen aufeinander, sondern auch zwei verschiedenartig strukturierte nationale Medienwelten und zwei gegensätzliche Auffassungen von der Aufgabe des Journalisten in Gesellschaft und Politik. Dennoch nahm auch in Deutschland die Bedeutung der Presse in außenpolitischen Fragen zu. Wie in England beruhte ihr Einfluss dabei nicht so sehr auf 7 8

Spring Rice an Strachey, 17. September 1901, HLRO, Strachey Papers, STR 13/14/2. Guttmann, Schattenriß, S. 215.

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ihren realen Möglichkeiten, etwas Bestimmtes zu bewirken, sondern auf den Annahmen der politischen Entscheidungsträger über das, was sie für die wachsende Macht der Zeitungen hielten. In Großbritannien profitierten davon vor allem die Verleger der kommerziellen Massenpresse, denen die Politik aus Furcht, sich an den Wahlurnen den Unmut der nach Hunderttausenden zählenden Leserschaft dieser Blätter zuzuziehen, zuvor unbekannte Mitbestimmungsrechte einräumte. In Deutschland, wo die Reichsregierung nicht auf derart direkte Weise vom Wählerwillen abhängig war, schenkten die politischen Eliten der populären Massenpresse weniger Aufmerksamkeit. Dafür nahmen sie umso größere Rücksichten auf die nationalistischen Blätter der traditionellen Richtungspresse, deren Vertreter im Gegensatz zu linksliberalen oder gar sozialdemokratischen Journalisten als gesellschaftlich respektabel galten und viele Grundannahmen über das Wesen der Außenpolitik als Machtpolitik mit der Reichsführung teilten. Im Hinblick auf das Verhältnis von Presse und Außenpolitik stellten die Jahre zwischen 1896 und 1912 eine Übergangszeit dar, in der eine sich rasch verzweigende und ausweitende Presse ihre wachsende Macht zunehmend erkannte. Bülow sprach von einer „Zeit schrankenloser Publizität, wo so zahllose Fäden hin und her laufen und keine Glocke geläutet wird, ohne dass jeder sich ein Urteil über ihren Ton bildet“.9 Politik und Diplomatie mussten lernen, mit dieser Publizität zu leben. Es wäre zu einfach, dabei vom Gegensatz einer „freien“ Presse in Großbritannien und einer „gelenkten“ Presse in Deutschland auszugehen. Vielmehr mussten beide Regierungen Mittel und Wege finden, mit einer einflussreicher und selbstbewusster werdenden Presse umzugehen. Die interessante Frage lautet, inwieweit die überkommenen Methoden der Pressepolitik – die staatlich-bürokratische Praxis in Deutschland und die auf der gesellschaftlichen Ebene ansetzende Koordination durch Klüngelei in Großbritannien – den sich wandelnden Bedingungen angepasst werden konnten. Der bürokratische Ansatz der deutschen Pressepolitik geriet dabei unverkennbar in immer größere Schwierigkeiten. Die zunehmende Zahl der „Pressefehden“, die das Auswärtige Amt nicht in den Griff bekam, machte deutlich, wie weitgehend die „öffentliche Meinung“ in Deutschland der Kontrolle der Reichsregierung entglitt: Was mit Blick auf das Daily Telegraph-Interview des Kaisers oft beobachtet worden ist, hatte sich bereits während des Burenkrieges angedeutet und während der Agadirkrise noch einmal bestätigt. Weder Bülows pressepolitischer Aktivismus noch Bethmann Hollwegs zurückhaltenderes Vorgehen vermochten daran etwas zu ändern. Der britische Botschafter Lascelles hat diesen Wandel treffend beschrieben, als er in seinem Überblicksbericht für das Jahr 1906 eine tektonische Verschiebung im Verhältnis zwischen dem deutschem Volk und seiner Regierung konstatierte. „When I first came to Berlin, eleven years ago“, schrieb Lascelles, 9

Bülow an Eulenburg, 9. Januar 1893, abgedruckt in Röhl (Hrsg.), Korrespondenz, Bd. 2, S. 1006–9 (S. 1007).

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I was told that the attitude of an ordinary German in reading a newspaper was to ask whether the statements contained in it were official. If the answer was affirmative, he would read it with attention and respect; if in the negative he would attach but little importance to what he read. Now, anything published by authority is received with suspicion and closely criticized, and constant attacks have been made in newspapers, which might be expected to support the authorities.10

Auch in Großbritannien, wo die Regierung größere Erfahrung im Umgang mit einer unabhängigen Presse besaß, stießen die traditionellen Instrumente der Pressepolitik an ihre Grenzen. Private Kontakte zwischen Politikern, Diplomaten und Journalisten beruhten auf der Prämisse der Zugehörigkeit zur gleichen sozialen Schicht oder wenigstens der Verbindung durch geteilte politische Loyalitäten. Die neue populäre Massenpresse entzog sich jedoch in immer stärkerem Maße dem Denken und Handeln in diesen Zusammenhängen. Vertrauliche Gespräche zwischen alten Schulfreunden in Clubs oder anderswo waren in den Beziehungen zu Blättern der politischen Richtungspresse wie der Times, dem Standard, Daily Chronicle oder Daily News immer noch nützlich. Aber Redakteure der kommerziellen Massenpresse wie der Amerikaner Ralph Blumenfeld vom Daily Express betrachteten sich mit Stolz als soziale Außenseiter, die nicht „clubbable“, also nicht gesellschaftsfähig, waren.11 „I would be delighted to join your Club“, schrieb Northcliffe an Churchill, „were it not that long ago I came to the conclusion, from my own experience and that of others, that a man who owns newspapers should not belong to Clubs of any kind.“12 Im britischen Foreign Office reagierte man auf diese Entwicklungen gereizt und nervös. „Zeitungskriege“ wurden als bedauerlicher Einbruch der Irrationalität in das vernunftgeleitete Geschäft der Außenpolitik interpretiert, als unwillkommene Einmischung von Amateuren in Angelegenheiten, die man besser den Fachleuten überließ. Trotz aller Lippenbekenntnisse zur Bedeutung der Presse in England schirmte sich die außenpolitische Elite in Whitehall immer effektiver gegen die Außenwelt ab, hielt eifersüchtig an ihren vermeintlichen Vorrechten fest und bestritt der Öffentlichkeit mit zunehmender Vehemenz Einblick in diplomatische Prozesse. Das britische Außenamt habe zu keiner Zeit begriffen, resümierte der Oxforder Regius Professor of Modern History, Sir Charles Firth, am Ende des Ersten Weltkriegs, „that the British Empire is a democracy and must be persuaded and convinced by being informed. During the years of tension before the war less information about foreign affairs was given to the public than was usual during the latter part of the 19th century or the middle of it“.13 10 11 12 13

Jahresüberblick des britischen Botschafters in Berlin, Sir Frank Lascelles, 24. Mai 1907, abgedruckt in: BDFA, Teil I, Reihe F, Bd. 20, Nr. 35, S. 46. Blumenfeld, Press, S. 196. Northcliffe an Churchill, 11. Mai 1911, BL, Add. 62156, Northcliffe Papers. Firth an Haldane, 26. September 1918, NLS, Haldane Papers, 5914, Bl. 83–90; vgl. Zara Steiner, The Foreign Office under Sir Edward Grey, 1906–1914, in: Hinsley (Hrsg.), Foreign Policy, S. 22–69 (S. 66–7).

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Dennoch bleibt festzuhalten, dass sich aufs Ganze gesehen der britische Ansatz einer pressepolitischen Steuerung durch soziale Kontakte besser bewährte als die Methoden der Wilhelmstraße. Das lag teilweise daran, dass in Großbritannien der Aufstieg ins Establishment – symbolisiert durch Adelstitel oder die Zugehörigkeit zu exklusiven Clubs – für soziale Außenseiter erstrebenswert blieb und von den etablierten Kreisen in wohldosiertem Maße ermöglicht wurde. Auch ein Mann wie Blumenfeld, der sich in der Rolle des Outsiders gefiel, war nicht immun dagegen und betrieb heimlich seine Aufnahme in den traditionsreichen Carlton Club.14 Außerdem funktionierten die informellen Abstimmungsmechanismen, die im journalistischen Alltag immer öfter wirkungslos blieben, in Krisensituationen weiterhin, wenn die Regierung an den Patriotismus der Redakteure und Verleger appellieren konnte, wie sie es beispielsweise auf dem Höhepunkt der zweiten Marokkokrise tat. In Deutschland lagen die Dinge umgekehrt. Dort verlief die Pressepolitik der Wilhelmstraße in der alltäglichen Routine mehr oder weniger reibungsfrei. Dafür geriet sie in außergewöhnlichen Situationen zunehmend oft aus dem Gleis, so dass ein Kenner der deutschen und englischen Medienwelt wie Bernstorff forderte, die deutsche Presse müsse von ihrer englischen Konkurrentin „Selbstzucht und politischen Sinn“ lernen.15 Was der Diplomat für fehlende Selbstdisziplin und mangelhaft ausgeprägtes politisches Urteilsvermögen hielt, betrachteten viele Journalisten als gewachsenes Selbstbewusstsein und zunehmende Unabhängigkeit der außenpolitischen Meinungsbildung in ihrem Berufsstand. Der gegensätzlichen Bewertung zum Trotz stimmten die beiden Sichtweisen in der Einschätzung der Fakten jedoch überein: In internationalen Krisensituationen gelang die Abstimmung zwischen der offiziellen Diplomatie und der außenpolitischen Berichterstattung weiter Teile der deutschen Presse immer weniger. Der bürokratische Apparat der Wilhelmstraße konnte die Koordinierung nicht mehr wie gewohnt gewährleisten, während alternative Steuerungsmechanismen etwa nach dem britischen Muster informeller Fühlungnahme innerhalb elitärer Netzwerke an den Rigiditäten der deutschen Berufsstandsgesellschaft scheiterten. Auch in ihrem Verhältnis zu britischen Zeitungen und Zeitschriften stieß die deutsche Pressepolitik an ihre Grenzen. Staatliche Repressionen erwiesen sich schon gegen deutsche Pressevertreter als immer stumpfere Waffe; gegenüber ausländischen Korrespondenten versagten sie beinahe vollständig, weil die Reichsregierung mit Rücksicht auf ihr internationales Prestige vor der Ausweisung missliebiger Journalisten wie Saunders von der Times zurückschreckte. Die direkte Einflussnahme durch Subventionierung britischer Zeitungen über14

15

Die ihm im Frühjahr 1911 – als erstem Juden – auch ermöglicht wurde; Streatfield an Blumenfeld, 9. Mai 1911, HLRO, Blumenfeld Papers, BLU/1/5/CARL 1; vgl. den Nachruf auf Blumenfeld in der New York Herald Tribune vom 18. Juni 1948, Kopie: ebd. Bernstorff an Bethmann-Hollweg, 13. Dezember 1909, PA-AA, Deutschland 126 Bd. 4, R 1482.

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stieg in fast allen Fällen die finanziellen Möglichkeiten des Reiches, wenn derartige Bestechungsversuche nicht ohnehin am nationalen Ehrgefühl englischer Journalisten scheiterten. Außerdem durften lancierte Artikel nicht auf den Einfluss der Wilhelmstraße zurückzuführen sein, wenn sie den beabsichtigten Effekt erzielen sollten. Verwischte man jedoch erfolgreich alle Spuren staatlicher deutscher Einwirkungen, waren die Blätter, in denen sie erschienen, meist nicht wie gewünscht zu kontrollieren, wie der Versuch, die Empire Review für die Ziele deutscher Außenpolitik einzuspannen, gezeigt hatte. Darüber hinaus trug der pressepolitische Aktivismus der Wilhelmstraße maßgeblich dazu bei, dass sich in der außenpolitischen Elite Großbritanniens ein denkbar ungünstiger Eindruck von den Methoden der deutschen Diplomatie festsetzte. Die Geschichte der deutsch-britischen Pressebeziehungen war in dieser Hinsicht – zumindest teilweise – von einem Missverständnis bestimmt. Die britische Seite überschätzte den Einfluss der deutschen Regierung auf die Presse und unterschätzte gleichzeitig die Rücksichten, welche die Reichsregierung auf das nahm, was sie für die „öffentliche Meinung“ im Lande hielt. Eyre Crowe setzte sich mit seiner Sichtweise durch, dass nahezu jeder Artikel zu außenpolitischen Fragen, der in einer der großen deutschen Zeitungen erschien, letztlich auf die Machenschaften des „Pressebüros“ im Auswärtigen Amt zurückgehe. Austin Harrison, der langjährige Reuters-Korrespondent in Berlin, behauptete, die deutschen Zeitungen würden so eng am Gängelband staatlicher Lenkung geführt wie keine andere Presse in Europa: „[It] reflects the whims, aims, and ambitions of the government in a way that no other foreign Press does […] The Press is an executive part of the administrative police and bureaucratic machine.“16 Angesichts derartiger Einschätzungen sah sich die deutsche Regierung oft mit der Frage der Zurechenbarkeit von Artikeln in inspirierten oder gelenkten Zeitungen konfrontiert. Blätter, die häufig offiziöses Material enthielten, gleichzeitig aber auch Artikel abdruckten, die nicht lanciert waren, brachten die Reichspolitik zunehmend in schwierige Situationen, weil für Beobachter im Inland wie im Ausland unklar war, welchen Status die fraglichen Kommentare jeweils besaßen. Bei der deutschen Sicht auf die britische Presse gab es zwei sich widersprechende Interpretationsansätze. Einige Politiker, Diplomaten und Publizisten hielten es für abgemacht, dass die britische Politik von der Presse bestimmt werde, und unterschätzten damit den unabhängigen Spielraum, den sich die britische Diplomatie und Politik trotz des wachsenden Einflusses der Presse bewahrt hatten. Bernstorff war nicht der einzige, der die britische Politik letztlich nur für ein ausführendes Organ der britischen Öffentlichkeit hielt. Der Publizist Paul Rohrbach beispielsweise vertrat die These, letztlich sei die „öffentliche Meinung“ der „eigentliche Souverän Englands“. Ein „tägliches Werben“ um diesen neuen Herrscher leite die englische Politik.17 Andere glaubten, dass die 16 17

Harrison, England, S. 111–2. Paul Rohrbach: streng vertrauliches Memorandum für den Staatssekretär des Reichskolonialamts Wilhelm Solf über „Die innerpolitische Lage in England und die Möglichkeit ihrer

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englische Presse im Gegenteil besonders gut geschult sei, von der englischen Politik geschickt gelenkt werde und außerordentlich eng dem Regierungskurs folge. So behauptete Admiral Tirpitz im Gespräch mit dem britischen MarineAttaché Captain Henderson: „In spite of your liberty of the press, at a hint from your Government your whole national press becomes unanimous on questions outside your domestic politics – it is the best handled press in the world.“18 Beiden Sichtweisen gemeinsam war die Befürchtung, dass die Presse in Deutschland ihrem englischen Gegenstück unterlegen war, sich als zu tumb und tölpelhaft erwies, um im Wettkampf mit England bestehen zu können. Bülow pflegte nach kritischen Äußerungen der deutschen Publizistik über seine außenpolitischen Reden im Reichstag zu klagen, wie gering in Deutschland das Verständnis „für auswärtige Fragen, alles, was damit zusammenhängt und namentlich die richtige Art ihrer Behandlung“ sei, während die Zeitungen in England seiner Ansicht nach allgemein mit einem guten Gespür für ihre politischen Verpflichtungen ausgestattet waren.19 Bernstorff hielt die „schreckliche Rückständigkeit unserer Zeitungen und unseres internationalen Nachrichtendienstes“ für den schwersten „Krebsschaden, an dem die deutschen auswärtigen Beziehungen“ litten.20 Und in Rohrbachs Augen waren deutsche Zeitungen ein „Tummelplatz von Meinungsäußerungen unvollkommen unterrichteter Redakteure“, die sich unvorteilhaft von der „Homogenität“ der britischen Presse unterschieden.21 Umgekehrt waren nicht wenige Politiker und Diplomaten in England überzeugt, dass die aus ihrer Sicht effizient geordnete, zentral gelenkte Pressepolitik in Deutschland dem unorganisierten Vorgehen in Großbritannien überlegen war, bei dem allzu viel dem Zufall persönlicher Bekanntschaften und Sympathien überlassen blieb. Das staatliche Engagement auf diesem Gebiet galt ihnen nicht als Relikt einer autoritären Vergangenheit, sondern im Gegenteil als weiterer Ausweis der Modernität des Deutschen Reiches. Marine-Attaché Ewart stand mit seiner Bewunderung für die Arbeit des Nachrichtenbureaus des Reichsmarineamtes nicht allein. Der liberale Ex-Premierminister Lord Rosebery bedauerte kurz nach dem Ende des Burenkrieges ausdrücklich, dass es in seinem Land kein Pressebüro gab, um die britischen Zeitungen anzuleiten.22

18 19 20

21

22

Beeinflussung von Deutschland aus“, teilweise abgedruckt in Meyer, Tat, S. 100. Siehe auch Rohrbach, Gedanke; Mogk, Rohrbach. Henderson an Goschen, 21. März 1914, TNA, FO 371/1989, Bl. 147. Die erste Bemerkung wird zitiert von Hammann, Bilder, S. 45–6. Die zweite Einschätzung stammt aus einem Brief von Bülow an Onslow, 28. Januar 1905, PA-AA, R 5622. Die äußere Politik jeden Staates musste in seinen Augen „Schiffbruch leiden, wenn sie nicht von der öffentlichen Meinung […] getragen wird. Wie kann das aber erreicht werden, wenn die deutsche Presse so wenig weiß, wie es im Ausland aussieht, und keinerlei Selbstzucht übt?“; Bernstorff an Bethmann-Hollweg, 13. Dezember 1909, PA-AA, Deutschland 126 Bd. 4, R 1482. Paul Rohrbach: Memorandum über „Die innerpolitische Lage in England und die Möglichkeit ihrer Beeinflussung von Deutschland aus“, teilweise abgedruckt in Meyer, Tat, S. 100. Vgl. Bridge, Great Britain, S. 29.

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„[W]ithout a press bureau what can we do against Berlin“, seufzte der Diplomat Louis Mallet. „[W]e have no means of counteracting their influences“.23 Das gegenseitige Misstrauen und die Unterlegenheitsgefühle hüben wie drüben rührten dabei nicht nur aus dem sich zuspitzenden englisch-deutschen Antagonismus her. Sie waren auch Ausdruck des Unbehagens über die sich wandelnde Gestalt dessen, was man allgemein als „öffentliche Meinung“ bezeichnete. Zwar bestand in den gesellschaftlichen Eliten in Deutschland und Großbritannien weitgehend Einigkeit darüber, dass im Zuge der Ausweitung der politischen Öffentlichkeit durch Demokratisierung und Massenpresse diese „öffentliche Meinung“ stark an Bedeutung gewonnen hatte, auch und gerade auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen. Zugleich war aber immer weniger klar, was eigentlich unter dem Begriff zu verstehen sei, wo und wie sich „öffentliche Meinung“ artikulierte: in Presse, Parlament, Verbänden oder im persönlichen Gespräch diplomatischer Würdenträger mit ihren Bekannten. Das Problem wurde dadurch zusätzlich kompliziert, dass die unterschiedlichen Teilöffentlichkeiten in verschiedener Weise aufeinander bezogen und miteinander verwoben waren. Verleger gehörten als Lords dem britischen Oberhaus an; Journalisten saßen als Abgeordnete im Reichstag und im britischen Unterhaus oder als Mitglieder in den Leitungsgremien nationalistischer Massenorganisationen wie dem Flottenverein, der Navy League, dem Alldeutschen Verband oder der National Service League. Zeitungsartikel führten zu Anfragen im Parlament oder zu Protestversammlungen auf Straßen und Plätzen, die ihrerseits weitere Presseberichte nach sich zogen. Die auf diese Weise verstärkte Konfusion ließ mehr und mehr Raum für subjektive Interpretationen oder gar bewusste Manipulation der „öffentlichen Meinung“, etwa wenn Presseberichte kleinen, aber lautstarken Segmenten der Gesellschaft – wie den Alldeutschen oder den britischen Germanophoben – unverhältnismäßig große Aufmerksamkeit widmeten und damit über Gebühr Publizität verliehen. „There are journals in Berlin“, schrieb der britische Publizist Sidney Whitman, „the main importance of which consists in the publicity our English newspapers gratuitously afford them by quoting their irresponsible outpourings.“24 Ähnliches ließ sich von den britischen Deutschlandfeinden behaupten, deren Ansichten in der deutschen Presse überproportional viel Beachtung fanden und als willkommene Vorwände dienten, eine Vergrößerung der Flotte oder eine gegen England gerichtete Außenpolitik zu fordern. Diese Selbstreferentialität der Berichterstattung trug entscheidend dazu bei, dass sich die Medien immer stärker von denjenigen Teilen der Wirklichkeit abkoppelten, die sich nicht mit ihrem vorgefertigten Bild vom jeweils anderen Land deckten. Zugleich halfen die Massenmedien erheblich dabei mit, außen- oder rüstungspolitische Differenzen symbolisch aufzuladen und verhandelbare Interessens23 24

Mallet an Strachey, 2. März 1904 und 18. Juli 1905, HLRO, Strachey Papers, STR 15/4/2 und 7. Pall Mall Gazette vom 8. Mai 1907; Kopie in: PA-AA, England 78, R 5723.

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unterschiede in nicht zur Disposition stehende Prestigefragen zu verwandeln.25 Das galt für koloniale Themen ebenso wie für den Schlachtflottenbau. Im extremen Fall konnte sich die Kategorie des Prestiges sogar völlig von dem abkoppeln, was die außenpolitische Elite für das nationale Interesse ihres Landes hielt, etwa wenn Holstein mit Blick auf Marokko feststellte, koloniale Erwerbungen interessierten ihn persönlich nicht, „aber eine Menge Menschen schreien danach“.26 Je deutlicher die öffentliche Präsentation außenpolitischer Ziele von den intern diskutierten Plänen abwich, desto größer war die Gefahr eines blamablen Gesichtsverlustes und dramatischer Prestigeeinbußen der politischen Führung, wie die Reichsleitung sowohl im Burenkrieg als auch bei den beiden Marokkokrisen schmerzhaft erfahren musste. So betrachtet wirkte die Presse ohne Zweifel als komplizierender Faktor der Vorkriegsdiplomatie. Sie trug nicht unbeträchtlich zur Verschlechterung der deutsch-britischen Beziehungen bei, indem sie bestehende Differenzen verschärfte, den Ausgleich von Interessengegensätzen erschwerte, das Verhältnis dramatisierte und emotionalisierte. Die internationale Politik wurde unberechenbarer und schwieriger mit den überkommenen diplomatischen Methoden zu steuern. Eine pressehistorische Analyse kann zwar nicht den Ausbruch des Krieges in der Juli-Krise erklären. Sie kann aber verstehen helfen, warum die Krisen im deutsch-englischen Verhältnis heftiger und häufiger waren als sachlich gerechtfertigt. Es ist nicht zuletzt diese Dimension der deutsch-britischen Pressebeziehungen, die zur mentalen Aufrüstung und zur kulturellen Konfrontation am Vorabend des Ersten Weltkriegs beitrug.27 Es wäre aber falsch, die konfrontativen Aspekte der Beziehungen allzu stark zu betonen. Kaum eine Veränderung im Nachrichtenverkehr oder Zeitungswesen war von sich aus dazu angetan, Spannungen zwischen Deutschland und England zu verschärfen. Die großen halbamtlichen Nachrichtenagenturen Reuters und WTB arbeiteten zum gegenseitigen Vorteil zusammen. Ähnliches galt für erfolgreiche Blätter der kommerziellen Massenpresse wie die Daily Mail und den Berliner Lokalanzeiger. Unter Journalisten und Verlegern gab es nicht nur Kriegstreiber, sondern auch zahlreiche an Kooperation und Entspannung Interessierte. Konfliktverschärfend wirkte die Presse meist erst durch die Unsicherheit der Politik, wie man mit dem neuen Mitspieler im diplomatischen Spiel umgehen sollte. Oft war die Presse auch nur der Sündenbock, den Politiker und Diplomaten suchten, wenn sie zu erklären hatten, wie es zu außenpolitischen Spannungen und Krisen kommen konnte. Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs war nicht der Höhepunkt sich ständig verschärfender „Zeitungskriege“. Er platzte vielmehr in eine Zeit relativer Ruhe, was das Verhältnis der deutschen und britischen Presse anbetraf. In den Jahren 25 26 27

Vgl. für Deutschland Wächter, Prestigegedanke; siehe auch Mayer, Diplomatie, S. 331–2; Daniel, Einkreisung, S. 294–5. Tagebucheintragung vom 10. April 1904; Holstein, Lebensbekenntnis, S. 231. Zum Begriff der „mentalen Aufrüstung“ siehe Ingenlath, Aufrüstung.

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davor hatte es nicht an Versuchen gefehlt, eine „Abrüstung der Presse“ zu erreichen, ja die Presse selbst zum Vehikel der Annäherung beider Länder zu machen. Schon die Tatsache, dass derartige Initiativen in wachsender Zahl in Angriff genommen wurden, sagt viel über die zunehmende Bedeutung, die der Presse in der internationalen Politik beigemessen wurde. Auch wenn die deutsche wie die englische Diplomatie derartigen Unternehmungen größtenteils skeptisch gegenüberstanden, belegt die Aufmerksamkeit, die man ihnen in den Außenämtern schenkte, dass publizistische Aktivitäten auf diesem Feld nicht länger ignoriert werden konnten. Zugleich macht die weitgehende Folgenlosigkeit vieler dieser Projekte deutlich, wie wenig einzelne Zeitungen oder Publizisten auszurichten vermochten, wenn ihnen die Unterstützung der amtlichen Diplomatie fehlte. Der Kontrast zu den Beziehungen zwischen London und Paris, in denen Presse und Diplomatie bei der Entstehung der Entente Cordiale im Frühjahr 1904 zusammenwirkten, könnte nicht deutlicher sein: Publizistische Entspannungsinitiativen hatten dann Aussicht auf Erfolg, wenn sie wie im britisch-französischen Falle von den diplomatischen Eliten beider Länder unterstützt und mitgetragen wurden; sie scheiterten, wenn sie lediglich als Ersatz für politische Verständigung in den zentralen Streitfragen dienten, so wie zwischen Deutschland und England über weite Strecken der Jahre 1896 bis 1912. Ein Vergleich der deutsch-britischen und britisch-französischen Pressebeziehungen verdeutlicht auch, welchen – zumindest indirekten – Einfluss diplomatische Konstellationen auf die außenpolitische Berichterstattung der Presse hatten. Die Tatsache, dass London und Paris seit 1904 in der Entente Cordiale verbunden waren, wirkte mäßigend auf viele britische Korrespondenten in Frankreich und ihre französischen Kollegen in England, die jede Kritik am Partner wenigstens unbewusst oder halb-bewusst mehrfach überdachten aus Sorge, sie könnten den außenpolitischen Bindungen ihres Landes schaden. Dieselbe Form der Selbstzensur, so ist zu vermuten, war in den Pressebeziehungen zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn wirksam. Im deutsch-britischen Fall hingegen konnte jeder Reporter mit bestem Gewissen und nach Herzenslust kritisieren und polemisieren.28 Beide Seiten – sowohl die Journalisten als auch Diplomaten und Politiker – waren somit zugleich Triebkräfte und Getriebene; sie schufen die Rahmenbedingungen mit, unter denen sie selbst und andere zu agieren hatten. Die Medien – und darin liegt eine der über den hier untersuchten deutschenglischen Beispielfall und die Zeit vor 1914 hinausreichenden Schlussfolgerungen dieser Studie – waren somit seit Ende des 19. Jahrhunderts in viel größerem Maße, als das bisher anerkannt wurde, an der Gestaltung außenpolitischer Handlungsoptionen und Wahrnehmungszusammenhänge beteiligt. Das gilt für die Formulierung nationaler Interessen ebenso wie für die Ausprägung der Wertvorstellungen und Weltbilder, auf die sich diese Interessen bezogen und 28

Vgl. den Artikel „Germany and the British Press“, in New Statesman, 30. Mai 1914.

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durch die sie legitimiert wurden. Ohne die Erweiterung durch eine Mediengeschichte der internationalen Beziehungen ist die diplomatiegeschichtliche Kategorie des „nationalen Interesses“ unter den Bedingungen des massenmedialen Zeitalters nicht angemessen zu beschreiben. Seitdem bei diplomatischen Entscheidungen immer mehr Rücksicht auf innenpolitische Faktoren zu nehmen war, blieben außenpolitische Fragen nicht mehr nur dem Urteil einer kleinen, international gesinnten Elite von – meist aristokratischen – Staatsmännern vorbehalten, sondern wurden in einem komplizierter werdenden Geflecht von Personen, Institutionen und Beweggründen entschieden, in dem auch die Presse und ihre Produzenten eine immer wichtigere Rolle spielten. Auf lange Sicht unterminierte diese Entwicklung die reine Lehre der Gleichgewichtspolitik, die wesentlich darauf beruhte, dass diplomatische Entscheidungen ohne Rücksichtnahme auf innenpolitische Faktoren getroffen werden konnten. Die Zeiten seien vorüber, schrieb Otto Hammann 1908 in einem Redeentwurf für den Reichskanzler, „wo die Geschicke der Völker in einem kleinen und abgeschlossenen Kreise höfischer und diplomatischer Persönlichkeiten entschieden wurden. […] auf die politischen Entscheidungen haben die öffentlichen Meinungen der Völker einen vorher nicht geahnten Einfluss errungen“.29 Man dürfe die amtliche Pressepolitik, mahnte er an anderer Stelle, nicht nur auf „diplomatische Wirkungen, d. h. wenige Leser, Potentaten, Minister und Gesandte“ ausrichten; vielmehr erfordere die Gegenwart mit der wachsenden Abhängigkeit der Regierungen von Parlamenten und Volksabstimmungen „eine viel sorgfältigere Beobachtung und Bearbeitung all dessen, was öffentliche Meinung heißt“.30 Eine moderne Diplomatiegeschichte muss diesen Schritt mitmachen, will sie nicht hinter ihrem Untersuchungsgegenstand zurückbleiben. Das bedeutet nicht, dass ein wie auch immer gearteter Primat der Innenpolitik einen Primat der Außenpolitik ablöste. Vielmehr ist die zunehmende Verschränkung dessen zu konstatieren, was Eckart Conze „Staatenwelt und Gesellschaftswelt“ genannt hat.31 Neben der Neubestimmung der Kategorie des nationalen Interesses rückt auch die Frage nach der Bedeutung von Ideen und Identitäten ins Blickfeld. Wer Medien nicht als Spiegelbilder der Wirklichkeit begreift und ihre Produzenten nicht als bloße Chronisten ihrer Zeit, sondern als aktive Mitgestalter von Wahrnehmungsmustern, Deutungsangeboten und Sinnstiftungsweisen, nimmt gleichsam automatisch eine kulturhistorische Sichtweise ein, die den „kulturellen Kontext von Meinen und Glauben, Fürchten und Wissen“ analysiert, wie Ute

29 30 31

Redeentwurf Hammanns für Bülow zum Thema „Pressepolitik im Auslande“ (o. D., ca. 1908), BA Lichterfelde, NL 2106, Otto Hammann, 4/63. Denkschrift Hammanns für Außenstaatssekretär Jagow, März 1914, BA Lichterfelde, NL 2106, Otto Hammann, 1/25, Bl. 9–18 (Zitat Bl. 10). Eckart Conze, Zwischen Staatenwelt und Gesellschaftswelt. Die gesellschaftliche Dimension in der Internationalen Geschichte, in: Loth et al. (Hrsg.), Internationale Geschichte, S. 117–40 (S. 124).

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Daniel das genannt hat.32 Dass diese Perspektive auch in der Analyse der internationalen Beziehungen ihre Berechtigung hat, formulierte mit Blick auf die Gegenwart der britische Diplomat Robert Cooper, ein enger Berater Javier Solanas: „Identity“, so Cooper, „[is] more important than interests in determining policy when it comes to the big strategic decisions“. Seiner Interpretation zufolge vertreten Politiker und Diplomaten auf der internationalen Bühne nicht nur Staaten mit genau definierbaren nationalen Interessen, sondern auch Identitätsgemeinschaften, die auf schwieriger zu bestimmenden, nicht-rationalen Wertvorstellungen beruhen.33 Die These ist auch für die deutsch-britischen Pressebeziehungen in der wilhelminisch-edwardianischen Epoche von Belang. Denn im Vergleich zur Ära Bismarcks und Salisburys hatten sich weniger die objektiven Fundamente der deutschen oder britischen Interessenlage verändert als vielmehr die Definition dieser Interessen auf der Grundlage der vorherrschenden Welt- und Selbstbilder. Die Massenpresse spiegelte diese gewandelten Stereotype wider und diente als wichtiger Katalysator für ihre Verbreitung und Durchsetzung. Gleichzeitig war auch die Wahrnehmung der Presse selbst stark von nationalen Klischeebildern geprägt. Die deutsche Presse erschien aus britischer Sicht als Sinnbild des deutschen Obrigkeitsstaates, von dem sich die alten englischen „Freiheiten“ positiv unterschieden. Elemente einer zunehmenden Liberalisierung und Pluralisierung des deutschen Pressewesens wurden entweder bewusst ausgeblendet oder wenigstens unbewusst verdrängt. Umgekehrt sahen viele Deutsche in der englischen Presse all das verkörpert, was ihrer Ansicht nach England und den englischen Nationalcharakter ausmachte: Geschäftssinn, Heuchelei, Hinterlist, geistlosen Materialismus, „Machertum“, sittlichen und kulturellen Niedergang. Durch ihren Beitrag zur Verfestigung derartiger Stereotype hatten die deutschbritischen „Pressefehden“ Auswirkungen, die weit über den Ersten Weltkrieg hinausreichten. Eine Mediengeschichte als Verflechtungsgeschichte kann darüber hinaus zeigen, wie weder die Herausbildung nationaler Interessen noch die Ausformung nationaler Identitäten unter bloßem Rückgriff auf nationale Bedingungsfaktoren der Medienlandschaften – gleichsam aus der Nation selbst heraus – erklärt werden können. Vielmehr ist es notwendig internationale und transnationale Prozesse der Medienentwicklung mitzubedenken. Dazu gehört nicht nur der Transfer journalistischer Darstellungsweisen und Recherchetechniken, der weltweite Wettbewerb um die aktuellsten Meldungen, die Konkurrenz grenzüberschreitend agierender Nachrichtenagenturen, sondern auch die Reaktion auf journalistische Produktionen anderer Länder, wie sie in den „Pressekriegen“ stattfanden. Im Hinblick auf die Funktionsweise des internationalen Systems barg die Transformation der Diplomatie durch die Massenpresse, die in den Jahrzehnten 32 33

Daniel, Kulturgeschichte, S. 17. Cooper, Nations, S. 136.

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vor 1914 einsetzte, Chancen und Risiken. Auf der einen Seite eröffnete die partielle Ausdehnung des öffentlichen Raumes auf das ehemals nur einer kleinen, demokratisch unzureichend legitimierten Elite zugängliche Feld der internationalen Politik die Möglichkeit, das wachsende Legitimationsdefizit der Diplomatie zu verringern. Auf der anderen Seite führten die drastischen Grenzverschiebungen zwischen Öffentlichem und Geheimem zu einer wachsenden Verunsicherung aller Beteiligten über die Grundregeln der Diplomatie. „It is a complicated game“, schrieb Crowe auf dem Höhepunkt der Zweiten Marokokrise mit Blick auf das Verhältnis von Pressepolitik und Außenpolitik, „with no rules of play“.34 Daher beinhaltete jede noch so geringe Abkehr von den eingespielten Mechanismen der Kabinettsdiplomatie und Geheimverhandlungen die Gefahr zusätzlicher Destabilisierung eines ohnehin immer krisenanfälliger werdenden Systems. Mit Blick auf die internationalen Beziehungen der Vorkriegszeit beobachtete Spender von der Westminster Gazette in den 1920er Jahren, es sei seit dem Ende des Krieges zwar viel vom Übel der Geheimdiplomatie die Rede gewesen. Die Gefahren übereilter und ungeschickter Einbeziehung der Öffentlichkeit erschienen in der Rückschau allerdings mindestens ebenso bedrohlich.35 Das diplomatische Spiel sei damals auf strenge Geheimhaltung angewiesen gewesen, betonte Spender: [So] long as the game went on, its dangers were limited by excluding an audience which must have taken sides. What a Foreign Secretary feared in nine cases out of ten was not the craft of his opponent but the too zealous backing of his own side, which would have cut off his retreat. Keep the public out of it and it was a relatively safe game; let the public in, and it instantly became full of deadly peril.36

34 35 36

Crowe an seine Frau, 20. Juli 1911, BOD, MS. Eng d. 2903, Crowe Papers, Bl. 33. Spender: Fifty Years, S. 239. Spender: Public Life, Bd. 2, S. 40–41.

DANK Diese Studie ist zwischen 2000 und 2005 am Deutschen Historischen Institut in London entstanden und im Wintersemester 2005/2006 vom Fachbereich Geschichts- und Kulturwissenschaften der Freien Universität Berlin als Habilitationsschrift angenommen worden; in den folgenden zwölf Monaten habe ich sie für den Druck überarbeitet und erweitert. In dieser Zeit haben mir viele Menschen und Institutionen geholfen. Ihnen will ich hier abschließend danken. Professor Dr. Hagen Schulze hat meine Arbeit als Betreuer mit gutem Rat und tatkräftiger Hilfsbereitschaft begleitet und als Direktor am DHI London über Jahre hinweg eine ebenso menschlich angenehme wie akademisch anregende Arbeitsatmosphäre geschaffen. Das gilt auch für meine Kollegen am Institut, ohne die meine Arbeit weniger Freude gemacht hätte und um viele spannende Diskussionen ärmer gewesen wäre. Professor John Röhl hat mich in einem frühen Gespräch darin bestärkt, die deutsch-britischen Pressebeziehungen vor 1914 als Forschungsfeld zu erschließen; später hat er mir wiederholt Funde aus seinen eigenen Quellenrecherchen zugänglich gemacht. Professor Keith Robbins und Dr. Gunda Stöber haben mir im Anfangsstadium meiner Überlegungen wichtige Ratschläge gegeben. Professor Francis Roy Bridge und Professor Joseph O. Baylen haben mich ihre Notizen aus dem Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv beziehungsweise aus der Korrespondenz von William Thomas Stead einsehen lassen. Clive Freeman hat mich mit Informationen über den Verein Ausländische Presse versorgt, und Christian Schubert ist mit mir in den Keller von 11 Carlton House Terrace in Westminster hinabgestiegen, um nach alten Unterlagen der Foreign Press Association zu suchen. Ein weiterer Dank gilt den Archivaren und Bibliothekaren in Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten, ohne die meine Arbeit nicht möglich gewesen wäre: den Mitarbeitern in den National Archives in Kew, der British Library, dem News International Archive, dem Reuters Archive, der British Library of Political and Economic Science und dem House of Lords Record Office in London, dem Guardian Archive in der John Rylands University Library sowie der Central Library in Manchester, der Bodleian Library in Oxford, dem Churchill College in Cambridge, der National Library of Scotland in Edinburgh, dem British Cartoon Archive der University of Kent in Canterbury und dem West Sussex Records Office in Chichester, dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes, dem Preußischen Geheimen Staatsarchiv, der Staatsbibliothek, dem Bundesarchiv Lichterfelde in Berlin, dem Bundesarchiv-Militärarchiv in Freiburg i. Br. und der Library of Congress in Washington D. C. Professor Dr. Bernd Sösemann, Dr. Christopher Clark und Dr. Frank L. Müller haben den ganzen Text gelesen. Professor Dr. Frank Bösch, Andreas Rose M. A. und Andreas Steinsieck M. A. sind Teile des Manuskripts durchgegangen. Ihnen allen verdanke ich wertvolle Denkanstöße und Hinweise. Die GerdaHenkel-Stiftung hat mir ein großzügiges Forschungsstipendium gewährt, das es

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Dank

mir ermöglichte, den Text im letzten Jahr noch einmal zu überarbeiten und die Flottenpropaganda stärker zu berücksichtigen. Von Dr. Markus Mößlangs gründlichem, engagiertem Lektorat hat meine Untersuchung am Ende noch einmal sehr profitiert. Dr. Julia Schreiner und Jane Rafferty haben mit versierter Hand beim Feinschliff geholfen. Dem Beirat des DHI London und dessen neuem Direktor, Professor Dr. Andreas Gestrich, danke ich für die Aufnahme in die Schriftenreihe des Instituts. Anton, Charlotte und Paul, die geboren wurden, während diese Studie entstand, haben deren Fertigstellung nach Kräften verzögert und mein Leben unermesslich bereichert. Ohne den Beistand und die Liebe meiner Frau Christina hätte ich dieses Buch wahrscheinlich nicht begonnen und bestimmt nie beendet; ihr ist es gewidmet. Berlin, im April 2007

Dominik Geppert

Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 1 daily Mirror, 6. Mai 1905, british cartoon Archive, university of Kent (Wh 0056) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 2 Kladderadatsch bd. 49, nr. 2, 12. Januar 1896 . . . . . . . . Abbildung 3 Kladderadatsch bd. 49, nr. 2, 12. Januar 1896 . . . . . . . . Abbildung 4 ulk bd. 49, nr. 3, 14. dezember 1899 . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 5 simplicissimus bd. 4 (1899/1900), nr. 32 . . . . . . . . . . . . Abbildung 6 simplicissimus bd. 6 (1901/1902), nr. 32 . . . . . . . . . . . . Abbildung 7 Kladderadatsch bd. 54, nr. 48, 1. dezember 1901. . . . . Abbildung 8 daily Mirror, 25. Juni 1904, british cartoon Archive, university of Kent (Wh 0565) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 9 Punch, 11. dezember 1901 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 10 Punch, 24. Mai 1909 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 11 Kladderadatsch bd. 62, nr. 25, 20. Juni 1909 . . . . . . . . . Abbildung 12 Westminster gazette, 10. Juni 1907 . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 13 Festschrift „The Jolly good Fellows“, Kopie in: blPes, gardiner Papers 5/55 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abbildung 14 daily graphic, 8. Mai 1913 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

s. 2 s. 97 s. 104 s. 130 s. 139 s. 140 s. 158 s. 216 s. 217 s. 323 s. 325 s. 353 s. 367 s. 415

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Admiralty Archiv für sozialgeschichte American historical review Auswärtiges Amt bundesarchiv british documents of the Origins of the War, 1898–1914 british documents on Foreign Affairs british library british library of Political and economic science bodleian library, Oxford churchill college cambridge central european history contemporary record deutsches biographisches Archiv documents diplomatiques Français dictionary of national biography english historical review Foreign Office Foreign Press Association, london die große Politik der europäischen Kabinette, 1871–1914 geschichte und gesellschaft geheimes staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz geschichte in Wissenschaft und unterricht hauptabteilung haus-, hof- und staatsarchiv, Wien house of lords record Office history of The Times historical Journal historische zeitschrift Journal of contemporary history Journal of Modern history library of congress Militärarchiv neue deutsche biographie national dictionary of biography nachlass national library of scotland, edinburgh news international Archive (= Times Archive), london Oxford dictionary of national biography Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes reuters Archive

444 rep. rMA sbPK secr. sPd stenberrT TnA VAP VdzV WO WsrO WTb Y.M.c.A. zfg

Abkürzungsverzeichnis

repositorium reichsmarineamt staatsbibliothek berlin, Preußischer Kulturbesitz secretum sozialdemokratische Partei deutschlands stenographische berichte des reichstags The national Archives of england, Wales and the united Kingdom (= ehemals Public record Office), Kew Verein der ausländischen Presse, berlin Verein deutscher zeitungsverleger War Office West sussex record Office Wolff’s Telegraphisches bureau Young Men’s christian Association zeitschrift für geschichtswissenschaft

Quellen- und liTerATurVerzeichnis 1. Archivalische Quellen A. Großbritannien The National Archives: Public Record Office, Kew Admiralty AdM 1 (correspondence and Papers) AdM 116 (north sea Outrage, 1904–5) AdM 1036b (War with germany) AdM 1058 (control of the Press during or in Anticipation of War) AdM 4082 (control of the Press)

Foreign Office FO 64 (germany 1895–1905) FO 80 (Venezuela, 1902/1903) FO 83 (censorship, cable correspondence, south African War) FO 149 (Munich) FO 215 (dresden) FO 244 (berlin embassy) FO 255 (hesse – darmstadt and baden) FO 366 (chief clerk’s Office) FO 368 (commercial) FO 371 (Political departments: general correspondence from 1906–1966) FO 372 (Treaty, netherlands = 2. hague conference, 1907; germany 1908) FO 800/1, 2 (sanderson Papers) FO 800/9–20 (lascelles Papers) FO 800/23 (Villiers Papers) FO 800/128–129 (lansdowne Papers) FO 800/159, 170–171, 182 (bertie Papers)

War Office WO 33/280 (censorship, cable correspondence, south African War)

British Library, London lord northcliffe Papers J. Alfred spender Papers Arthur balfour Papers ernest bruce iwan-Müller Papers

News International Archive (= Times Archive), London donald Mackenzie Wallace Papers Valentine chirol Papers

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charles Frederick Moberly bell Papers henry Wickham steed Papers dudley d. braham Papers

British Library of Political and Economic Science, London Alfred g. gardiner Papers e. d. Morel Papers

The Guardian Archive (John Rylands University Library of Manchester) Korrespondenz scott, 1906–1907, 1908–1910 Korrespondenz scott mit hobhouse, Fisher, hirst, harold spender scott: Tagebuch, 1911–14 Foreign correspondence, 1912–1929

Bodleian Library, Oxford John sandars Papers howell A. gwynne Papers eyre crowe Papers

Churchill College, Cambridge george and david saunders Papers cecil spring-rice Papers William Thomas stead Papers

House of Lords Records Office, London ralph d. blumenfeld Papers John st. loe strachey Papers

National Library of Scotland, Edinburgh lord haldane Papers

West Sussex Records Office, Chichester leo Maxse Papers

Manchester Archives, Central Library robert blatchford Papers

Reuters Archive, London Foreign Press Association (Private Archive), London

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B. Deutschland Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Berlin europa generalia ia 33, bd. 1 (Acta betr. die telegraphischen bureaus des in- und Auslandes und die Verbreitung von nachrichten durch dieselben) 86 secr., bd. 1–18 (Telegraphen-institute des in- und Auslandes) nr. 1 (das reuter’sche Telegraphenbureau) nr. 3, bd. 1 (die Agence havas) nr. 4, bd. 1–4 (das Wolff’sche Telegraphenbureau) nr. 4 secr., bd. 1–4 (die deutsche Kabelgramm-gesellschaft)

deutschland 122, nr. 3, bd. 15 (Journalisten) 126 bde. 1–7 (die Presse/generalia) 126a secr. (geheimakten betreffend geheime Ausgaben für Preßzwecke und Maßregeln zur beeinflussung der Auslandspresse) 126 nr. 2h, bde. 1–3 (die Weltkorrespondenz) nr. 2i, bde. 1–14 (die continental-Korrespondenz) 138, bde. 12, 16–17 (die kaiserliche Marine)

england 73 (Presse) 73 secr. (geheimakten Presse) 78 (Politische beziehungen englands zu deutschland) 78 secretissima (Politische beziehungen englands zu deutschland) 81 nr. 2 (englische staatsmänner) 81 nr. 3 (englische Journalisten) 86 (diplomatische Vertretung englands im Auslande)

Afrika 13 (generalia)

botschaft london london 792, 1019, 1085, 1332–1335

Personalakten 159 (Otto hammann) 246 (richard von Kühlmann) 289 (Wilhelm von stumm) nl Paul Weitz (bd. 1, 3, 5, 7) nl Johann heinrich graf bernstorff

Bundesarchiv Lichterfelde, Berlin r 901/80740 (Auswärtiges Amt: Akten betreffend das deutsche Kabel von emden über die Azoren bis Amerika)

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Quellen- und Literaturverzeichnis

r 901/80742 (Auswärtiges Amt: Akten betreffend die herstellung einer Telegraphenbzw. Kabellinie über bukarest-constanza und Konstantinopel nach dem Persischen golf und weiter) r 4701/4360 (reichspostamt: übersicht der unterseekabel, 1870–1906) r 4701/16362 (reichspostamt: übersicht der unterseekabel, 1906–1927) r 4701/16363–4 (reichspostamt: Auskunft über die lage der unterseekabel, bd. 1: 1898–1909; bd. 2: 1910–1922) r 4701/6228 (reichspostamt: einrichtung von Kabelverbindungen für unterseekabel und für unterirdische Kabel) nl Otto hammann nl graf bogdan von hutten czapski

Bundesarchiv-Militärarchiv, Freiburg reichsmarineamt, nachrichtenbüro rM 3/9951–9956, 9988 (geschäftsbetrieb) rM 3/9618 (Medien und Verlage) rM 3/9762 (deutsch-englische beziehungen) rM 3/10211–2 (Verfügungen und berichte der Marine-Attachés) rM 3/9690, 9694–7 (zeitungsausschnitte mit randbemerkungen des Kaisers) nl Alfred von Tirpitz (n 253/21, 24–27, 54, 129, 345, 426, 428)

Geheimes Staatsarchiv, Preußischer Kulturbesitz, Berlin i. hA, rep. 77 (Preußisches innenministerium) i. hA, rep. 89 (geheimes zivilkabinett) Vi. hA, rep. 92 (nl Theodor schiemann)

Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz nl ludwig stein nl hans delbrück

C. Vereinigte Staaten Library of Congress, Washington D. C. Frederick W. Wile Papers Admiral Alfred Thayer Mahan Papers

Quellen- und Literaturverzeichnis

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2. Gedruckte Quellen A. Zeitungen und Zeitschriften Großbritannien contemporary review, The daily chronicle, The daily express, The daily Mail, daily news, The daily Telegraph, The echo, The economist, edinburgh review, evening news, Fortnightly review, The globe, Morning Post, The nation, national review, news of the World, nineteenth century (and After), The Observer, The Outlook, The Pall Mall gazette, Punch, Quarterly review, reynolds news, st. James gazette, The spectator, The standard, The star, The sunday Times, The Times, Westminster gazette.

Deutschland Alldeutsche blätter, berliner lokalanzeiger, berliner Morgenpost, berliner Tageblatt, deutsche rundschau, deutsche Tageszeitung, Frankfurter zeitung, Freisinnige zeitung, die gegenwart, germania, grenzboten, Kladderadatsch, Kölnische Volkszeitung, Kölnische zeitung, Kreuzzeitung (= neue Preußische zeitung), leipziger neueste nachrichten, leipziger Volkszeitung, Münchener neueste nachrichten, die nation, national-zeitung, nord und süd, die Post, Preußische Jahrbücher, rheinisch-Westfälische zeitung, der reichsbote, simplicissismus, sozialistische Monatshefte, Tägliche rundschau, ulk, Vorwärts, Vossische zeitung (= Königlich Privilegierte zeitung von staatsund gelehrten sachen), die zukunft.

B. Amtliche Aktenpublikationen die britischen Amtlichen dokumente über den ursprung des Weltkrieges 1898–1914. im Auftrage des britischen Auswärtigen Amtes in elf bänden herausgegeben von george Peabody gooch und harold Temperley; vom britischen Auswärtigen Amt autorisierte einzige deutsche Ausgabe herausgegeben von hermann lutz, berlin und leipzig, 1928–1935 [abgekürzt als bd]. british documents on Foreign Affairs, Teil i, reihe F [abgekürzt als bdFA]. documents diplomatiques Français, 1. reihe (1871–1897), 2. reihe (1898–1911), 3. reihe (1911–1914), 40 bände, Paris 1930–1953 [abgekürzt als ddF]. die große Politik der europäischen Kabinette 1871–1914. sammlung der diplomatischen Akten des Auswärtigen Amtes, im Auftrage des Auswärtigen Amtes, hrsg. von Johannes lepsius, Albrecht Mendelssohn-bartholdy und Friedrich Thimme, 40 bände in 54, berlin 1922–1927 [abgekürzt als gP].

C. Flugschriften, Redensammlungen, zeitgenössische Belletristik A Parliament of the Press. The First imperial Press conference, aufgeschrieben und zusammengestellt von Thomas h. hardman mit einem Vorwort von lord rosebery, london 1909.

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AbsTrAcT Taking german-british „newspaper wars“ as an example, this study looks at the interaction between the emerging mass press and foreign policy, traditionally conducted as secret diplomacy, in the 25 years before the First World War. „Press feuds“ are construed as focal points that highlighted contemporary discourses and the actions of various individuals and social groups. They represented phases in which media and political communication intensified, and in which enemy images were created or confirmed, self-perceptions modified or consolidated. At the same time they presented an opportunity to examine and re-adjust the relationship between diplomacy and the public sphere. The example of Anglo-german relations is particularly suitable for an analysis of the tension between „public opinion“ and diplomacy. For diplomatic friction due to hostile newspaper articles, critical press commentaries, or caricatures seen as insulting, played a crucial role between germany and britain in the years 1896 to 1912. At the same time the assertion that there was actually no conflict of interests between the two countries, and that these unfortunate „press feuds“ were solely responsible for political discord, became the standard argument of all those seeking to improve relations. The background to all this was the massive extension of the boundaries of the public sphere. The dividing line between legitimate general interest and what should be withheld from this interest, was moved. This applied not only to the relationship between public and private, but also to the pair of opposites „public – secret“. There was increasing pressure for sectors that had long-since been regarded as the exclusive domain of political and social elites to be opened up to the general public. governments felt challenged to maintain responsibility for key areas such as foreign policy in the face of this onslaught of publicity. Technical innovations such as the rotary press, the telegraph, and the telephone, along with the emergence of a mass press that saw itself as politically neutral and was financed by advertisements, as well as increased professional self-confidence on the part of the journalists, brought about a dramatic shift in the system of coordinates of publicity and diplomacy. Thus the commercial mass press and its producers fundamentally changed the conditions under which foreign policy was conducted, and indeed is still conducted today.

PERSONENREGISTER Aufgeführt werden alle im Text auftauchenden historischen Personen, die für den Fort­ gang der Studie bedeutsam sind, mit ihren in diesem Zusammenhang relevanten Funktio­ nen, Titeln und Ämtern. Lebensdaten, Dienstzeiten und Nobilitierungen sind, wo ermit­ telbar, ebenfalls aufgelistet, sofern sie in Bezug zum Untersuchungsgegenstand stehen; vollständige Kurzbiographien sind nicht angestrebt. Historiker und Historikerinnen, de­ ren Forschungspositionen im Text diskutiert oder erwähnt werden, sowie heute aktive Politiker und Publizisten sind nur mit Namen, ohne Lebensdaten oder biographische Details verzeichnet.

Ahlefeld, Hunold von (1851–1919); Vize­ admiral 409–10 Albany, Herzogin Alice von; Fürstin von Teck (1883–1981) 356 Alexandra von Dänemark (1844–1925): Königin von Großbritannien u. Irland (1901–10) 58, 307 Amery, Leopold (1873–1955): engl. Jour­ nalist u. konserv. Politiker 191, 202 Ampthill, Arthur Russell (1869–1935); 2nd Baron (seit 1884): brit. Diplomat 355 Anderson, Sir Robert (1841–1918): Metro­ politan Police Assistant Commissioner (1888–1901) 34 Angell, Norman; Pseudonym von Ralph Norman Angell Lane (1872–1967): engl. Publizist u. Politiker 401–7, 409, 412, 419 Armstrong, George Elliott: ehem. Marine­ offizier, Herausgeber d. Globe, Teil­ haber d. Zeitschr. People 335 Arnold, William Thomas (1852–1904): brit. Journalist, Mitarbeiter d. Manchester Guardian (seit 1879) 183 Asch, Ludwig: Herausgeber d. Weltkorrspondenz u. Continental-Correspondenz 86 Ashley, William James (1860–1927): engl. Wirtschaftshistoriker 199–200 Asquith, Herbert (1852–1928): lib. Politi­ ker, brit. Schatzkanzler (1905–08) u. Pre­ mierminister (1908–16) 62, 64, 88, 272– 3, 275, 285, 288, 321, 340, 354, 389, 414 Avebury, John Lubbock (1834–1913); 1st Baron of (seit 1900): engl. Bankier u. Politiker 359, 361, 364 Bahr, Richard (1867–1936): Chefredakteur d. Post 244

Baker, Joseph Allen (1852–1918): lib. Unterhausabgeordneter 355 Balfour, Arthur (1848–1930): brit. Pre­ mierminister (1902–05), konserv. Oppo­ sitionsführer (1905–11) 61–2, 160, 166, 185, 187, 195, 198, 204, 279, 330–1, 335, 337, 340, 403, 406, 408–10 Ballin, Albert (1857–1918): Hamburger Reeder, Generaldirektor d. HAPAG (1899–1918) 292, 365, 404 Barclay, Sir Thomas (1858–1941): lib. Unterhausabgeordneter 356 Bardoux, Jacques (1874–1959): frz. Publi­ zist 179 Barker, J. Ellis alias Otto Eltzbacher (1870–1948): dt.­brit. Publizist 200–1, 214, 313, 412–3 Barlow, Sir John Emmott (1857–1932): lib. Unterhausabgeordneter (1892–95, 1896– 1918) 314 Barrington, Eric (1847–1918): brit. Diplomat, Senior Clerk i. Foreign Office 219 Barth, Theodor (1849–1909): lib. Politiker u. Publizist, Herausgeber d. Zeitschrift Die Nation (1883–1909) 22, 383, 392 Bashford, J. L. (gest. 1908): Berlin­Korre­ spondent d. Daily Telegraph (bis 1902), danach u. a. für Westminster Gazette 57, 65, 212, 215, 258–61, 264 Bassermann, Ernst (1854–1917): national­ lib. Reichstagsabgeordneter (1893– 1917) 157, 176, 409 Bathurst, Lilias Countess of (1871–1965): Verlegerin d. Morning Post (1908–24) 230 Baylen, Joseph O. 364 Bebel, August (1840–1913): Parteivorsit­ zender d. SPD 261

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Personenregister

Beit, Alfred (1853–1906): brit.­südafrikan. Bankier 300, 359–60 Bell, Charles Frederick Moberly (1847– 1911): Managing Director d. Times (1890–1911) 204, 212, 215, 300, 329, 343 Bellairs, Carlyon (1871–1955): brit. Unter­ hausabgeordneter, zunächst lib. (1906– 09), dann konserv. (1909–10) 335 Benckendorff, Graf Alexander von (1849– 1916): russ. Botschafter i. London (1903–17) 393 Beowulf (Pseudonym) 318 Beresford, Charles William de la Poer (1846–1919); 1st Baron (1916): brit. Admiral u. konserv. Unterhausabgeord­ neter (1874–1880, 1885–1888, 1898–1900, 1902–1903, 1910–1916) 276–8, 294, 335 Berghahn, Volker 234, 422 Bernstorff, Johann Heinrich Graf von (1862–1939): dt. Diplomat, Botschafts­ rat i. London (1902–06), Botschafter i. Washington (1908–17) 54, 201, 206, 213–6, 218–22, 225–6, 231, 260, 286–7, 305–6, 329, 344, 361–2, 374, 429–31 Bertie, Sir Francis (1844–1919): brit. Diplomat, Botschafter i. Paris (1905– 18) 67, 144, 160, 188, 269, 379 Bethmann Hollweg, Theobald von (1856–1921): Reichskanzler (1909– 17) 33, 49–51, 53–4, 285–6, 289–90, 292–5, 337–9, 366, 405, 412, 427 Bigge, Sir Arthur; siehe 1st Baron Stam­ fordham Birrell, Augustine (1850–1933): liberaler Politiker, Chief Secretary for Ireland (1907–16) 336 Bismarck, Otto Eduard Leopold von (1815–98); Graf (1865), Fürst (1871), Herzog von Lauenburg (1890): preuß. Ministerpräsident (1862–90) u. Reichs­ kanzler (1871–90) 47–8, 56, 72, 79, 91, 112, 114–5, 157, 181, 190, 192, 195, 231, 256–7, 281, 317, 436 Bismarck, Herbert von (1849–1904): Reichstagsabgeordneter (1894– 1904) 142 Blackbourn, David 16 Blatchford, Robert (1851–1943): Heraus­ geber d. sozialist. Wochenzeitung The Clarion 46, 181, 332–40 Bleibtreu, Karl (1859–1928): naturalist. Schriftsteller 138

Blennerhassett, Sir Rowland (1839–1909): brit. Publizist u. Politiker 181, 193, 208, 229 Blumenfeld, Ralph David (1864–1948): Redakteur d. Daily Mail (1902–04), Cheredakteur d. Daily Express (1904– 32) 276–7, 311, 343, 428–9 Bonar Law, Andrew (1858–1923): konserv. Oppositionsführer (1911–15) 409 Bowles, Thomas Gibson (1842–1922): Gründer u. Chefredakteur d. Gesell­ schaftszeitschr. Vanity Fair (1868–1889), zuerst konserv. (1892–1906), später lib. (1910) Unterhausabgeordneter 196 Borries, Georg von (1857–1922): Berliner Polizeipräsident (1902–08) 58 Brailsford, Henry Noel (1873–1958): Leit­ artikler d. Daily News 388 Braun, Lily (1865–1916): Mitarbeiterin d. sozialist. Monatszeitschr. Die Neue Gesellschaft 376 Brechtken, Magnus 11 Breitscheid, Rudolf (1874–1944): lib. Poli­ tiker, Mitglied d. Berliner Stadtverord­ netenversammlung (1904–08), Abgeord­ neter d. brandenburgischen Provinzial­ landtags (1904–20) 375 Brett, Maurice (1882–1934): brit. Militär, Sohn Viscount Eshers 403 Breuer, Hans (1869–1961): Hamburger Fotograf 51 Bridge, Sir Cyprian Arthur George (1839– 1924): brit. Admiral (ausgeschieden 1904) 270 Browne, Edward Granville (1862–1926): Cambridger Orientalist 388 Bruchhausen, Karl von (1851–1906): dt. Offizier u. Schriftsteller 318 Brunner, Sir John (1842–1919): brit. Industrieller, lib. Unterhausabgeord­ neter (1885–85, 1887–1910), Präsident d. National Liberal Foundation 69, 391 Bryce, James (1838–1922): lib. Unterhaus­ abgeordneter (1880–1907), Botschafter i. Washington (1907–13) 364, 383 Bucher, Lothar (1817–92): dt. Publizist, Mitarbeiter Bismarcks 48 Buckle, George Earle (1854–1935): Chef­ redakteur d. Times (1884–1912) 202, 204, 329 Buller, Sir Redvers (1839–1908): brit. General 135

Personenregister Bülow, Bernhard von (1849–1929), Graf (1899), Fürst (1905): Staatssekretär i. AA (1897–1900), Reichskanzler (1900–09) 2, 29, 31–3, 49–53, 55, 125, 141–6, 149–56, 159–60, 166, 172–3, 176–7, 190, 192, 205–7, 210–4, 222–3, 231, 239, 253–66, 295–6, 305, 338, 366, 379–82, 384, 392, 396, 407, 423–5, 427, 431 Bunting, Sir Percy William (1836–1911): Herausgeber d. Contemporary Review (1882–1911) 208, 337, 392 Burgess, Gilbert: Mitarbeiter d. Daily Mail 302 Burnham, Edward Levy Lawson (1833– 1916); 1st Baron (1903): Verleger d. Daily Telegraph (1873–1903) 69, 162, 220, 265, 360, 364, 383 Burnham, Harry Webster Levy Lawson (1862–1933); 2nd Baron (1916): Ver­ leger d. Daily Telegraph (1903–28) 63, 220 Burns, John (1858–1943): brit. Sozialist u. Gewerkschafter, President of the Local Government Board (1906–14) 62, 364 Busch, Moritz (1821–99): dt. Publizist u. Mitarbeiter Bismarcks 48, 56, 317 Buxton, Noel (1869–1948): lib. Unterhaus­ abgeordneter (1910–18) 389, 409 Cadbury, George (1839–1922): Verleger d. Daily News 69 Caillard, Sir Vincent (1856–1930): brit. Bankier 202 Calker, Friedrich van (1864–1957): Profes­ sor für Strafrecht, Zivil­ u. Strafpro­ zessrecht i. Straßburg 357 Campbell­Bannermann, Sir Henry (1836– 1908): lib. Politiker, brit. Premiermini­ ster (1905–08) 186, 363, 379 Capelle, Eduard von (1855–1931); Vizead­ miral: Mitarbeiter v. Tirpitz i. RMA (seit 1891), Direktor d. Verwaltungsabt. d. RMA (1904–16) 290 Caprivi, Leo Graf von (1831–99): preuß. General, Reichskanzler (1890–94) 48, 91 Cassell, Sir Ernest (1852–1921): dt.­brit. Bankier 194, 292 Cawdor, Frederick Archibald Vaughan Campbell (1847–1911); 3rd Earl of (1898): Erster Lord d. Admiralität (1905) 252, 272, 335

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Cecil, Lord Edward Herbert Gascoyne­ Cecil (1867–1918): brit. Militär u. Kolo­ nialbeamter 181 Chamberlain, Joseph (1836–1914): brit. Kolonialminister (1895–1903) 61–2, 65, 88, 93, 100–1, 106, 122, 125, 132–6, 153–6, 159, 166, 169, 171–4, 176–7, 181, 188, 196, 198–9, 201–3, 205–7, 210, 231, 255, 305–6, 348, 423, 425 Charmley, John 317 Childers, Erskine (1870–1922): brit. Schriftsteller 309 Chirol, Valentine (1852–1929): Berlin­ Korrespondent (1892–96) u. Leiter des außenpolit. Ressorts (1899–1912) d. Times 65, 102–6, 108, 117, 122, 129, 155, 165, 167–70, 172–4, 184, 191, 193, 198, 202, 223, 247, 251, 329, 378, 382 Churchill, Winston Spencer (1874–1965): erst konserv. (1901–04), dann lib. (1904– 15) Unterhausabgeordneter, Unter­ staatssekretär für die Kolonien (1906– 08), Handelsminister (1908–10), Innen­ minister (1910–11), Erster Lord d. Admiralität (1911–15) 62, 64, 245, 285, 354, 364, 398–9, 428 Clarke, Sir George Sydenham (1848– 1933): Erster Sekretär d. Imperial Defense Committee 280 Clausewitz, Carl von (1780–1831): preuß. General u. Militärtheoretiker 7, 181 Clemenceau, Georges (1841–1929): frz. Premierminister (1906–09) 181, 314 Cleveland, Grover (1837–1908): Präsident d. USA (1885–89, 1893–97) 99–100, 183 Clowes, Sir William Laird (1856–1905): Marine­Korrespondent d. Times 237 Cobden, Richard (1804–65): brit. Industri­ eller, lib. Politiker u. Freihändler 390 Coerper, Karl von; Kapitän zur See: dt. Marine­Attaché i. London (1904–07) 253 Colquhoun, Archibald (1848–1914): brit. Entdecker, Kolonialverwalter, ehem. Kriegsberichterstatter d. Times 335 Conrad, Michael Georg (1846–1927): na­ turalist. Schriftsteller 138 Constans, Jean Antoine Ernest (1833– 1913), frz. Botschafter i. Konstantinopel (1898–1909) 196 Conze, Eckart 10, 435 Cooper, Robert 436

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Personenregister

Courtney, William Leonard (1850–1928): Redakteur d. Daily Telegraph (1890– 1925) 220 Courtney, Leonard (1832–1918), 1st Baron Courtney of Penwith (1906): lib. Poli­ tiker 409 Cromer, Evelyn Baring (1841–1917); Bar­ on (1892), 1st Earl of (1901): brit. Gene­ ralkonsul i. Ägypten (1883–1907) 335 Crewe­Milnes, Robert Offley Ashburton (1858–1945); 1st Earl of (1895): brit. Kolonialminister (1908–15) 364 Crowe, Sir Eyre Alexander Barby Witch­ ard (1864–1925): brit. Diplomat, Resi­ dent Clerk (1885–97), Senior Clerk (1906–12) u. Assistant Under­Secretary i. Foreign Office (seit 1912) 65, 99– 100, 110–1, 118–20, 122–3, 152, 199, 226, 278, 316–7, 339, 363–4, 378–9, 387, 396, 411, 430, 437 Curtis, Albert Charles (1835–1907): brit. Schriftsteller 309 Curtius, Ernst (1814–96): klass. Archäolo­ ge u. Historiker 181 Curzon, George Nathanael (1859–1925); Baron (1898), 1st Marquess of (1921): Vizekönig von Indien (1899–1905) 64, 88, 194, 335 Daniel, Ute 435–6 Dawkins, Sir Clinton Edward (1859– 1905): brit. Bankier u. Geschäfts­ mann 194, 196, 198, 208 Dawson, William Harbutt (1860–1948): brit. Publizist u. Deutschlandexperte 201 Delane, John Thadeus (1817–79): Chef­ redakteur d. Times (1841–77) 25 Delbrück, Hans (1848–1929): dt. Historiker, Politiker u. Publizist, Herausgeber d. Preußischen Jahrbücher (seit 1883) 22, 34, 129, 154, 337, 357, 366, 376, 392 Delbrück, Clemens von (1856–1921): preuß. Handelsminister (1905–09) 366 Delcassé, Théophile (1852–1923): frz. Au­ ßenminister (1898–1905) 224, 226 Denbigh, Rudolph Robert Basil Aloysius Augustine Feilding (1859–1939); 9th Earl of (1892): konserv. Peer im brit. Oberhaus 335 Dernburg, Bernhard (1865–1937): Staats­ sekretär i. Reichskolonialamt (1907– 10) 366, 404

Dernburg, Friedrich (1833–1911): Feuille­ tonredakteur d. Berliner Tageblatts (seit 1894) 322 Dickinson, Frederic William (1856–1922): Chefredakteur von Reuter (1902–22) 74 Diez, Hermann (geb. 1866): dt. Publizist, Co­Direktor von WTB (seit 1912) 71 Dilke, Sir Charles Wentworth, (1843– 1911), 2nd Baronet (1869): lib. Politi­ ker 241 Dillon, Emile Joseph (1854–1933): Aus­ landskorrespondent d. Daily Telegraph 216 Disraeli, Benjamin (1804–81), Earl of Bea­ consfield (1876): brit. Premierminister (1868/9, 1874–80) 61, 91 Döllinger, Johann Joseph Ignaz (1799– 1890): kath. Theologe 181 Donald, Sir Robert (1860–1933): Chefredakteur d. Daily Chronicle (1904–18) 62 Doughty, Sir George (1854–1914): Reeder, Kaufmann, konserv. Unterhausabge­ ordneter (1895–1910) 314 Drummond, Sir Victor (1833–1907): brit. Diplomat, Gesandter i. Dresden 126, 152 Dumas, Philip Wylie (1868–1948); Kapi­ tän: brit. Marine­Attaché i. Berlin (1906–08) 316 Du Moulin­Eckart, Richard Graf (1864– 1938): dt. Historiker 133 Dunn, James Nicol (1856–1919): Chef­ redakteur d. Morning Post (1897– 1905) 61 Eckardstein, Hermann Freiherr von (1864–1933): dt. Diplomat, Legationsrat (1891–98) u. Botschaftsrat i. London (1899–1902) 54, 125, 142, 206–8, 210, 212–3, 220 Edelsheim, Franz Wilhelm Leopold Hein­ rich Friedrich Ludwig Baron von: dt. Militär u. Publizist 239, 250, 309, 316 Edward VII. (1841–1910): König v. Groß­ britannien u. Irland, Kaiser v. Indien (1901–10) 3, 58–59, 63, 113, 135–8, 140, 179, 184, 197, 211–2, 252, 258, 263, 274, 282, 337, 355, 360, 363, 371, 420, 424 Eisenhart, Karl: dt. Schriftsteller 239, 318

Personenregister Engländer, Sigmund (1823–1902): leitender Mitarbeiter von Reuter 74–5 Erdmann, Gustav Adolf (geb. 1859): dt. Lehrer u. Schriftsteller 239 Erler, Curt: Redakteur einer liberalen Tübinger Tageszeitung 43 Escott, Thomas Hay Sweet (1844–1924): brit. Pressehistoriker 3 Esher, Reginald Brett (1852–1930); 2nd Viscount (1899): lib. Politiker, Vertrau­ ter Edwards VII. 3, 62, 100, 197, 274, 337, 402–3, 406–7 Esternaux, Ernst (1864–1924): dt. Beamter i. Pressereferat d. AA (1895–1915) 52 Eulenburg und Hertefeld, Philipp Fürst zu (1847–1921): dt. Diplomat, Vertrau­ ter Wilhelms II. 345, 380 Ewart, Arthur W. (1862–1922): brit. Marine­Attaché i. Berlin (1902) 241–3, 431 Farquhar, Horace (1844–1923); 1st Earl of (1898): brit. Bankier u. Politiker, Haus­ hofmeister Edwards VII. (1901–07) 368 Firth, Sir Charles (1857–1936): Regius Professor of Modern History i. Oxford (seit 1904) 428 Firth, John Benjamin (1868–1943): Mitar­ beiter d. Daily Telegraph 265 Fischer, Franz (1847–1904); Justizrat: Ber­ lin­Korrespondent d. Kölnischen Zeitung (1884–1904) 53, 95, 153 Fischer, Fritz 8 Fisher, John (1841–1920), 1st Baron Fisher of Kilverstone (1909): brit. Admiral, Er­ ster Seelord (1905–10) 243–5, 249, 251–2, 270–9, 294, 315, 389, 422–3 Forster, Edward Morgan (1879–1970): brit. Schriftsteller 354 Fox, Francis William (1841–1918): brit. Pazifist 359, 394, 396, 398 Francke, Ernst (1852–1921): Chefredak­ teur d. Münchener Neuesten Nachrichten (bis 1892), danach deren Berliner Vertreter 53 Freud, Sigmund (1856–1939): österr. Arzt u. Tiefenpsychologe 135 Fried, Alfred (1864–1921): österr. Pazifist, Herausgeber d. Zeitschr. Friedenswarte 375 Friedrich II. (1712–86): König von Preu­ ßen (1772–86) 161

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Friedrich August III. (1865–1932): König von Sachsen (1904–18) 368 Frobenius, Walther; Kapitänleutnant zur See 417 Fry, Sir Edward (1827–1918): brit. Rich­ ter 59 Fuller: Berlin­Korrespondent d. Standard (bis 1904) 216 Fürstenberg, Carl (1850–1933): dt. Ban­ kier 329, 404 Gardiner, Alfred George (1865–1946): Chefredakteur d. Daily News (1902– 19) 121, 244, 277, 340–2, 369–70, 388, 390 Garfield, James A. (1831–81): Präsident d. USA (1881) 35 Garton, Sir Richard (1854–1937) : brit. Industrieller 403 Garvin, James Louis (1868–1947): Chef­ redakteur d. Observer (1907–41) 174, 181, 183, 191, 193, 203, 208, 229, 244, 250, 271, 273–6, 278, 306, 309, 313, 327– 8, 330–1, 334, 340, 342–4, 347, 409 Gaupp, Otto (geb. 1866): London­Korres­ pondent d. Münchener Neuesten Nachrichten 292 Gawthorp, Arnold: diplomat. Korrespon­ dent von Reuter 73 Georg V. (1865–1936): britischer König u. Kaiser v. Indien (1910–36) 419 Girardet, Wilhelm (1838–1918): dt. Presse­ verleger u. Druckereibesitzer 21, 39 Gladstone, Sir William Ewart (1809–98): brit. Premierminister (1868–74, 1880–85, 1886, 1892–94) 61, 390 Glenesk, Algernon Borthwick (1830– 1908), 1st Baron (1887): Verleger d. Morning Post (1877–95, 1905–08) 101, 202 Goethe, Johann Wolfgang von (1749– 1832): dt. Dichter 366 Goldschmidt: Anzeigenakquisiteur d. Daily Mail 347 Goldschmied, Philipp: Redakteur d. Berliner Lokalanzeiger 391 Goltz, Colmar Freiherr von der (1843– 1916): dt. General 249 Goluchowski, Graf Agenor (1849–1921). österr.­ungar. Außenminister (1895– 1906) 120 Goschen, Sir William Edward (1847– 1924): brit. Botschafter i. Wien (1905–

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Personenregister

08) u. Berlin (1908–14) 234, 286, 338– 9, 397, 408 Gosselin, Martin (1847–1905): Assistant Under­Secretary of Foreign Affairs (1898–1902) 167 Gottberg, Otto von (geb. 1867): Redak­ teur d. Berliner Lokalanzeiger 291 Gould, Francis Carruther (1844–1925): Karikaturist u. Redakteur d. Westminster Gazette (1896–1914) 352 Grant Duff, Sir Mountstuart Elphinstone (1829–1906): schott. Staatsmann 3 Greenwood, Frederick (1830–1909): engl. Journalist, Gründer d. Pall Mall Gazette 34 Grey, Sir Edward (1862–1933): brit. Au­ ßenminister (1905–16) 60, 62, 64, 186, 193, 226, 282, 285, 288, 316, 336, 339, 363, 378, 387–90, 392, 394–5, 397–9, 402, 408, 411, 414, 419 Grünwald, M.: Chefredakteur d. Vossischen Zeitung 375 Gülitz, Korvettenkapitän: dt. Marine­At­ taché i. London (1897) 236–40, 276 Guttmann, Bernhard (1869–1959): Lon­ don­Korrespondent d. Frankfurter Zeitung (1908–14) 32, 426 Gwinner, Arthur von (1856–1931): dt. Bankier, Vorstand d. Deutschen Bank (1894–1919) 197–8, 404 Gwynne, Howell Arthur (1865–1950): Chefredakteur d. Standard (1905–11) 129, 214, 216, 276, 278 Habermas, Jürgen 23 Hainauer, Oscar (gest. 1894): Berliner Bankier u. Kunstsammler 162 Hale, Dr. William Bayard (1869–1924): amerik. Journalist 282 Haldane, Richard (1856–1928); 1st Vis­ count Haldane (1911): lib. Politiker, Kriegsminister (1905–11), Lord Chan­ cellor (1911–15) 241, 258, 280, 283, 287, 314, 321–2, 364, 389–90, 398–9, 408–9, 418 Hamilton, Lord George Francis (1845– 1927): Secretary of State for India (1895–1903) 188 Hammann, Otto (1852–1928): Leiter d. Pressereferats i. AA (1893–1916) 49– 50, 52–3, 55, 153, 210, 213–5, 225, 254–5, 267, 288, 292, 343, 361–2, 412–3, 435

Harden, Maximilian (1861–1927): dt. Publizist, Herausgeber d. Zeitschr. Die Zukunft (1892–1922) 22, 291, 376 Hardie, Keir (1856–1915): schott. Sozialist u. Arbeiterführer, Unterhausabgeord­ neter (1892–95, 1900–15) 43, 46, 333–4, 338, 364, 388 Hardinge, Charles (1858–1944): brit. Di­ plomat, Botschafter i. St. Petersburg (1904–06), Permanent Under­Secretary i. Foreign Office (1906–10), Vizekönig von Indien (1910–16) 65, 194, 316, 379 Harmsworth, Alfred (1865–1922), Baron Northcliffe (1906): brit. Presseverleger, u. a. Herausgeber d. Daily Mail (1896– 1922) u. Times (1908–22) 7, 18, 30, 39– 41, 44, 62, 69, 106–7, 184, 245, 252, 271, 274, 276, 281–3, 287, 295, 300, 302, 305– 13, 318, 320, 326–7, 329–31, 334, 337, 340–9, 373–4, 400–6, 425, 428 Harmsworth, Harold (1868–1940): brit. Presseverleger 39, 69, 309 Harnack, Adolf (1851–1930): protestant. Theologe u. Kirchenhistoriker 366, 404 Harris, Walter Burton (1866–1933): Ma­ rokko­Korrespondent d. Times (seit 1887) 223 Harrison, Austin (1873–1928): Berlin­ Korrespondent von Reuters (1900–05), Chefredakteur d. Observer (1905– 07) 328, 374, 430 Harrison, Frederic (1831–1923): positivist. Philosoph u. Publizist 35, 274, 314 Haselden, William Kerridge (1872–1953): Karikaturist d. Daily Mirror 1, 3 Hasse, Ernst (1846–1908): Vorsitzender d. Alldt. Verbandes (1893–1908) 147 Hatzfeldt zu Trachenberg, Paul Graf von (1831–1901): dt. Botschafter i. London (1885–1901) 98, 109–10, 117, 123, 207 Hatzfeldt­Trachenberg, Fürst Hermann von (1848–1933) 365, 404 Haußmann, Conrad (1857–1922): Reichs­ tagsabgeordneter d. Fortschrittlichen Volkspartei, Mitgründer d. Zeitschrift März (1907) 293 Havas, Charles­Louis (1783–1851): Grün­ der d. frz. Nachrichtenagentur Bureau Havas 70–1 Hearst, William Randolph (1863–1951): amerik. Presseverleger 400, 402

Personenregister Heeringen, August von (1855–1927): Lei­ ter d. Nachrichtenbureaus i. RMA 238, 245 Heidorn, Günter 8 Heilbron, Friedrich (1872–1954): Beamter i. Pressereferat d. AA (1902–18) 52 Heine, Thomas Theodor (1867–1948): Ka­ rikaturist d. Simplicissimus 138 Heinrich, Prinz von Preußen (1862–1929): Bruder Kaiser Wilhelms II., Chef d. dt. Hochseeflotte (1906–09), Großadmiral (seit 1909) 184 Helfferich, Karl (1872–1924): dt. Bankier u. Politiker 404 Henderson, Kapitän: brit. Marine­Attaché i. Berlin (1912–14) 431 Henkell von Donnersmarck, Guido von (1830–1916): dt. Industrieller 56 Hewins, William Albert Samuel (1865– 1931): brit. Ökonom u. Politiker 202 Higginbotham, Frederick James (1859– 1943): Manager (1900–09) u. Chefredak­ teur (1909–12) d. Pall Mall Gazette 25 Hirst, Francis Wrigley (1873–1953): Chef­ redakteur d. Economist (1907–16) 390–2, 394–6, 398–9, 412, 414, 419 Hobhouse, Leonard Trelawny (1864– 1929): brit. Sozialphilosoph u. Journa­ list 351 Hobson, John Atkinson (1858–1940): brit. Sozialtheoretiker u. Ökonom 351, 422 Hobson, Rolf 234 Hoersterey, Walter 352 Hohenlohe­Schillingsfürst, Chlodwig Fürst zu (1819–1901): Reichskanzler (1894–1900) 96, 141 Hohenlohe­Öhringen, Christian Kraft von (1848–1926); Fürst v. Hohenlohe­ Öhringen u. Herzog v. Ujest (1897– 1926) 56 Holleben, Theodor von (1838–1913): dt. Diplomat, Botschafter i. Washington (1897–1903) 184, 409 Hollweg, Carl (1867–1932); Kapitän zur See: Leiter d. Nachrichtenbureaus i. RMA (1909–12) 244–5, 291 Holstein, Friedrich August von (1837– 1909): dt. Diplomat, i. d. Polit. Abt. d. AA (1876–1906) 94, 100, 102–3, 105, 112, 114, 122, 123, 153, 155, 166, 170, 209, 253, 380–2, 392, 397, 433 Huck, August (1849–1911): dt. Pressever­ leger 22

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Huck, Wolfgang (1889–1967): dt. Presse­ verleger 39 Huhn, Arthur von (1851–1913): Berlin­ Korrespondent d. Kölnischen Zeitung (1892–1913) 32, 53 Hyndman, Henry Mayers (1842–1921): Herausgeber d. sozialist. Zeitschrift Justice (1884–1923) 46 Inn­und­Knyphausen, Edzard Fürst zu (1837–1908): Präsident d. Preuß. Her­ renhauses (1904) 365 Iwan­Müller, Ernest Bruce (1853–1910): Chefredakteur d. Daily Telegraph 61, 186, 204 Jäckh, Ernst (1875–1959): Chefredakteur d. Neckar-Zeitung (1902–12) 288 Jänecke, Max (1869–1911): Chefredakteur d. Hannoverschen Courier 87, 288 Jameson, Leander Starr (1853–1917): brit. Mediziner u. Kolonialverwalter 93, 95, 98–101, 105–9, 120, 123 Janson, Gerhard von; Kapitänleutnant: Mitarbeiter i. Nachrichtenbureau d. RMA 291, 411 Johnson, Sir Henry: Generalgouverneur von Britisch­Zentralafrika 34 Jones, Kennedy (1865–1921): Chefredak­ teur d. Evening News, Mitarbeiter Northcliffes 39, 41–2, 106–7, 274, 329– 30, 406 Kaempf, Johannes (1842–1918): dt. Politi­ ker u. Bankier, Vizepräsident d. Reichs­ tags 365 Kant, Immanuel (1724–1804): dt. Philo­ soph 181 Keim, August von (1845–1926); General­ major: i. Präsidium d. Flottenvereins (1900–08), Vorsitzender (1907–08) 261 Kennedy, Bart (geb. 1865): brit. Reise­ schriftsteller 373–4 Kennedy, Paul M. 6 Kerr, Lord Walter Talbot (1839–1927): brit. Admiral, Erster Seelord (1900–04) 242 Ketteler, Freiherr Klemens von (1856– 1900): dt. Diplomat 37 Kiderlen­Wächter, Alfred von (1852– 1912): Staatsekretär i. AA (1910–12) 284–6, 288–9, 293, 392, 395, 412

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Personenregister

Kimberley, John Wodehouse (1826–1902), 1st Earl of (1866): brit. Kolonialminister (1874–80) 75 Kimberley, John Wodehouse, (1848–1932), 2nd Earl of (1902): lib. Peer im Ober­ haus 336 Kinloch­Cooke, Sir Clement (1854–1944): Herausgeber d. Empire Review 212, 380 Kipling, Rudyard (1865–1936): brit. Schriftsteller u. Dichter 186 Kitchener, Horatio Herbert (1850–1916), Viscount Kitchener of Khartoum (1902): brit. General 127, 129, 136 Klehmet, Reinhold (1859–1915): dt. Diplomat i. d. Polit. Abt. d. AA (1894– 1908), Generalkonsul i. Athen (1908– 11) 392 Kohlrausch, Martin 267 Knollys, Francis (1837–1924); Baron (1902), 1st Viscount (1911): Privatsekre­ tär König Edwards VII (1901–10) u. König Georgs V. (1910–13) 62 Krause, Gustav: London­Korrespondent d. National-Zeitung u. Münchener Allgemeinen Zeitung (1902–04) 210 Krüger, Stephanus Johannes Paulus (1825– 1904): Präsident d. Burenrepublik Transvaal (seit 1883) 80, 93, 96, 103, 108–9, 122, 145–8, 301, 421 Kühlmann, Richard von (1873–1948): dt. Diplomat, Botschaftsrat i. London (1908–14) 54, 265, 405, 416 Kupffer, Hugo von (1853–1928): Chefre­ dakteur d. Berliner Lokalanzeiger 375 Lambert, Nicholas A. 234 Lambsdorff, Wladimir Graf von der Wen­ ge (1844–1907): russ. Außenminister (1900–06) 208 Lange, Friedrich (1852–1918): Chefredak­ teur d. Deutschen Tageszeitung (1896– 1917) 148 Lansdowne, Henry Charles Keith Petty Fitzmaurice (1845–1927); 5th Marquess of (1866): brit. Außenminister (1900– 05) 185, 187–8, 198–9, 219, 256 Lascelles, Sir Frank Cavendish (1841– 1920): brit. Botschafter i. Berlin (1896– 1908) 60, 65–6, 98, 102–3, 105, 109, 111, 117, 141, 145, 166–7, 172, 184, 187, 229, 251, 256, 343, 363, 380, 409, 427

Lavino, William Edward (1846–1908): Korrespondent d. Times i. Wien (1892– 1903) u. Paris (1903–08) 223 Le Bon, Gustave (1841–1931): frz. Arzt, Soziologe u. Psychologe 401 Lee, Arthur Hamilton (1868–1947): kon­ serv. Unterhausabgeordneter, Civil Lord of the Admiralty (1903–05) 1, 252, 255 Le Queux, William Tufnell (1864–1927): brit. Schriftsteller 307–13, 318–9, 340, 348 Leuthner, Karl (1869–1944): sozialdem. Politiker u. Journalist, Mitglied d. österr. Abgeordnetenhauses (1911– 18) 320 Lichnowsky, Karl Max Fürst von (1860– 1928): dt. Diplomat, Botschafter i. London (1912–14) 150, 254, 407, 409 Liebermann von Sonnenberg, Max (1848– 1911): antisemitischer Publizist u. Reichstagsabgeordneter (1890– 1911) 57, 147, 157, 261 Lier, Leonhard (1864–1917): Chefredak­ teur d. Dresdner Anzeiger 375 Liman, Paul (1860–1916): Redakteur d. Leipziger Neuesten Nachrichten (seit 1893) 371, 375 Limburg Stirum, Friedrich Wilhelm Graf von (1835–1912): Reichstagsabgeordne­ ter u. Rittergutsbesitzer 147 Lincoln, Abraham (1809–65): Präsident d. USA (1860–65) 35 Lindau, Paul (1839–1919): dt. Journalist u. Dramatiker, Herausgeber d. Zeitschrift Nord und Süd (1878–1904) 22 Livonius, Otto (1829–1917); Vize­Admi­ ral 239, 242, 250 Lloyd George, David (1863–1945): lib. Politiker, President of the Board of Trade (1905–08), Schatzkanzler (1908– 15) 62, 65, 269, 271–2, 284–5, 287–8, 330, 336, 364, 387, 390, 395, 399, 418 Loebell, Friedrich Wilhelm von (1855– 1931): Vortragender Rat (1904–07) u. Unterstaatssekretär (1907–09) i. d. Reichskanzlei 53, 366 Löhlein, Heinrich; Kapitän zur See: Leiter d. Nachrichtenbureaus d. RMA (seit 1912) 417 Loubet, Émile (1838–1929): frz. Staats­ präsident (1899–1906) 145

Personenregister Loreburn, Robert Reid (1846–1923), 1st Earl (1906): Lord Chancellor (1905– 12) 364, 372 Low, Sir Sidney James Mark (1857–1932): Redakteur d. Standard (1898– 1908) 357, 370 Lowe, Charles (1848–1931): Berlin­Korre­ spondent d. Times (1878–90) 319 Lowther, Hugh (1854–1944); 5th Earl of Lonsdale (1882): brit. Aristokrat u. Sportler 111 Luitpold (1821–1912): Prinzregent von Bayern (1886–1912) 368 Lyveden, Courtenay Robert Percy Vernon (1857–1926); 3rd Baron (1900): lib. Mitglied d. brit. Oberhauses 336 MacCarthy, Justin (1830–1912): irischer Politiker u. Publizist 113 MacDonald, Ramsay (1866–1937): brit. Unterhausabgeordneter (1906–14), Vorsitzender d. Parliamentary Labour Party (1911–14) 46, 285 MacDonnell, Sir Schomberg Kerr (1861– 1915): Privatsekretär Lord Salisbu­ rys 61, 101 MacKenna, Reginald (1863–1943): lib. Politiker, Erster Lord d. Admiralität (1908–11), Innenminister (1911– 14) 272–3, 275 Mackenzie, John E. (1878–1919): Berlin­ Korrespondent d. Times (1909– 14) 417 Mackinder, Sir Halford (1861–1947): brit. Geograph u. Geopolitiker 200 MacKinnon, James (1860–1945): schott. Kirchenhistoriker 369 MacNeil, Ronald (1861–1934): Chefredak­ teur d. St. James’s Gazette (1900–04) 203 Mahan, Alfred Thayer (1840–1914); Kon­ teradmiral: amerik. Marineoffizier u. Geostratege 189, 192, 195, 234, 240 Malet, Sir Edward (1837–1908): brit. Di­ plomat, Botschafter i. Berlin (1884–95) 66, 93 Mallet, Louis du Pan (1864–1936): Privat­ sekretär Edward Greys (1905–07), Assistant Under­Secretary i. Foreign Office 188, 196, 226, 432 Mantler, Heinrich (1861–1937): Direktor von WTB 85

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Marlborough, John Churchill, (1650– 1722), 1st Duke of (1702): engl. Militär u. Staatsmann 42 Marschall von Bieberstein, Freiherr Adolf (1842–1912): dt. Diplomat, Staatssekre­ tär im Auswärtigen Amt (1890–97), Botschafter i. Konstantinopel (1897– 1912) u. London (1912) 58–9, 94–6, 98, 102–5, 109, 122 Martin, Rudolf (1867–1916): dt. Beamter u. Schriftsteller 320 Martin, Sir Theodore (1816–1909): schott. Jurist u. Publizist, Vertrauter Königin Victorias, Biograph Prinz Alberts 63, 112 Marx, Karl (1818–83): dt. Philosoph 411 Massingham, Henry William (1860–1924): Chefredakteur d. Zeitschrift The Nation (1907–23) 388, 390 Maurier, Guy du (1865–1915): brit. Militär u. Schriftsteller 311 Maxse, Leopold James (1864–1932): Her­ ausgeber d. National Review (1893– 1917) 65, 180–5, 189–90, 192–7, 202, 205, 208, 223, 227–9, 240–1, 248, 250–1, 274, 287, 300, 306, 309, 326, 334, 342, 344, 347, 354, 374 Mendelssohn­Bartholdy, Albrecht (1864– 1936): dt. Prozess­ u. Auslandsrecht­ ler 404 Mensdorff, Albert Graf von Mensdorff­ Poully­Dietrichstein (1861–1945): österr. Diplomat, Botschafter i. Lon­ don 231 Metternich, siehe Wolff­Metternich Meyer, Horatio: lib. Unterhausabgeordne­ ter 322 Milner, Alfred, (1854–1924), 1st Viscount (1902): brit. Staatsmann u. Kolonialver­ walter, High Commissioner for Southern Africa (1897–1905) 176, 180–1 Milner, Violet, geb. Maxse (1872– 1958) 181 Moltke, Helmuth Graf von (1800–91): Ge­ neralfeldmarschall, preuß. Heerführer (1858–71) 281, 316 Mommsen, Theodor (1817–1903): dt. Historiker u. Altertumswissenschaft­ ler 181 Mommsen, Wolfgang J. 6 Mond, Alfred (1868–1930), Baronet (1910): brit. Industrieller, Bankier u. lib.

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Personenregister

Politiker, Unterhausabgeordneter (1906–23) 69 Monypenny, William Flavelle (1866–1912): Redakteur d. Times (1893–99, 1903– 12) 202 Morley, John (1838–1923); 1st Viscount of (1908): lib. Politiker u. Publizist, Secre­ tary of State for India (1905–10), Lord President of the Council (1910–14) 390 Morse, Samuel F. B. (1791–1872): amerik. Erfinder 35 Mühlberg, Otto von (geb. 1847): Unter­ staatssekretär i. AA 224, 366, 381, 392 Müller­Fürer, Theodor (geb. 1853): Chef­ redakteur d. Kreuzzeitung 375 Napoleon I., Napoleon Bonaparte (1769– 1821): frz. Staatsmann u. Feldherr 4, 42, 342 Napoleon III., Charles­Louis­Napoléon Bonaparte (1808–73): frz. Präsident (1849–52) u. Kaiser d. Franzosen (1852– 70) 91, 287 Naujoks, Eberhard 8 Nebel, Heinrich C. (1875–1937): Chefre­ dakteur d. National-Zeitung 376 Nicolson, Sir Arthur (1849–1928): brit. Diplomat, Botschafter i. St. Petersburg (1905–10), Under Secretary for Foreign Affairs (1910–16) 65, 285, 411 Niemann, August (1839–1919): dt. Schrift­ steller 309, 318 Nikolaus II. (1868–1918): Zar d. Russi­ schen Reiches (1894–1917) 207 Northcliffe, Baron; siehe Harmsworth, Alfred Oncken, Hermann (1869–1945): dt. Histo­ riker u. Publizist 23, 51, 175 Onslow, William Hillier (1853–1911), 4th Earl of (1870): konserv. Politiker u. Ko­ lonialverwalter, Unterstaatssekretär für Indien (1895–1901) u. für d. Kolonien (1900–03) 188 Ostertag, Roland Friedrich Wilhelm (geb. 1869), Hauptmann: dt. Militär­Attaché i. London (1910–12) 319 Ottley, Sir Charles Langdale (1858–1932); Konteradmiral: Direktor d. Naval Intel­ ligence Department d. brit. Admiralität (1905–07) 278–9

Paasche, Hermann (1851–1925): national­ lib. Reichstagsabgeordneter (1893– 1918), Vizepräsident d. Reichstags (1903–09, 1912–18) 255–6, 365 Palmerston, Henry John Temple (1784– 1865); 3rd Viscount of (1802): brit. Staatsmann, Außenminister (1830–34, 1835–41, 1846–51) u. Premierminister (1855–58, 1859–65) 61 Paul, Bruno (1874–1968): Karikaturist d. Simplicissimus (1897–1910) 138 Pauncefote, Julian (1828–1902); 1st Baron (1899): brit. Diplomat, Botschafter i. Washington (1893–1902) 184 Pearson, Cyril Arthur (1866–1921): brit. Zeitungsverleger, Gründer d. Daily Express (1900), u. a. Herausgeber d. Standard (1904–10) 39, 44, 203, 214, 217, 306, 327–8, 329 Perris, George Herbert (1866–1920): brit. Publizist u. Pazifist 32, 353–4 Piper, Max; Hauptmann: London­Vertre­ ter von WTB (1896–1904) 220–1 Plehn, Hans (1868–1918): London­Vertre­ ter von WTB (1904–14) 416 Poklewski­Koziell, Wladislaw (1866– 1921): Erster Sekretär bei der russ. Botschaft i. London (1901–9), Gesand­ ter i. Teheran (1909–13) u. Bukarest (1913–17) 208 Poincaré, Raymond (1860–1934): frz. Mi­ nisterpräsident u. Außenminister (1912– 13) u. Staatspräsident (1913–20) 411 Ponsonby, Arthur (1871–1946): lib. Unter­ hausabgeordneter (1908–14) 389 Posadowsky­Wehner, Arthur Graf von (1845–1932): Staatssekretär im Reichs­ amt d. Innern (1897–1907) 209, 366 Posse, Ernst (1860–1943): Chefredakteur d. Kölnischen Zeitung (1901–22) 375 Pryor, S. James (geb. 1865): brit. Journa­ list, Redakteur d. Daily Mail (1896– 1900), Daily Express (1900–04), St. James’s Gazette (1904–06) u. Tribune (1906–07) 369 Rathenau, Emil (1838–1915): dt. Industri­ eller, Generaldirektor d. AEG (1887– 1912) 365 Rathenau, Walther (1867–1922): dt. Indu­ strieller, Publizist u. Politiker 404, 410 Read, Donald 73 Reinermann, Lothar 229

Personenregister Reismann­Grone, Theodor (1863–1949): konserv. Politiker u. Herausgeber d. Rheinisch-Westfälischen Zeitung 147 Repington, Charles à Court (1858–1925): Militär­Korrespondent d. Times 312 Reuter, Baron Herbert de (1852–1915): Managing Director d. Nachrichten­ agentur Reuter 129 Reuter, Paul Julius (1816–99), Baron (1891): Gründer d. Nachrichtenagentur Reuter 70–1, 76 Reventlow, Graf Ernst von (1869–1943); Kapitänleutnant: dt. Publizist 43, 291 Rheinbaben, Georg Freiherr von (1855– 1921): Staatssekretär i. Reichsfinanzmi­ nisterium (1901–10) 366 Rhodes, Cecil (1853–1902): brit. Ge­ schäftsmann u. Politiker 93, 101, 113, 123, 129 Rhodes, Thomas: Londoner Agent d. Norddeutschen Lloyd 360–362, 404– 405 Richthofen, Freiherr Oswald von (1847– 1906): Staatsekretär i. AA (1900– 06) 153, 209, 239, 380 Riddell, George Allardice (1865–1934): brit. Presseverleger, u. a. News of the World (seit 1893) 62 Riezler, Kurt (1882–1955): dt. Diplomat i. Pressereferat d. AA (1906–14) 52–4 Roberts, Frederick Sleigh (1832–1914); Lord Roberts of Kandahar (1892): brit. General 127, 135, 149, 308–310, 312, 315–316, 348, 423 Roeder, Eugen von, Zeremonienmei­ ster 263, 345 Rohrbach, Paul (1869–1956): dt. Publizist u. Kolonialbeamter 430–1 Roon, Albrecht von (1803–79): preuß. Ge­ neral und Minister 281 Roosevelt, Theodore (1858–1919): Präsi­ dent d. USA (1901–08) 282 Rose, John Holland (1855–1942): brit. Historiker 336 Rosebery, Lord Archibald Philipp Prim­ rose (1847–1929): lib. Politiker, brit. Außenminister (1892–94) u. Premiermi­ nister (1894–95) 174, 184, 193, 282, 389, 431 Rothschild, Alfred Charles (1842–1918): brit. Bankier 144, 167, 209, 360, 409 Rumbold, Sir Horace (1829–1913): brit. Diplomat 194

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Salisbury, Robert Arthur Talbot Gas­ coyne­Cecil (1830–1903), Marquess of (1868): brit. Premierminister (1885–86, 1886–92, 1895–1902) u. (bis 1900) fast immer zeitgleich auch Außenmini­ ster 60–1, 75, 92, 98, 100–1, 103, 105, 110–1, 115, 119, 122, 185, 436 Sandars, John Satterfield (1853–1934): Privatsekretär Balfours 61, 330–1, 334 Sanderson, Thomas Henry (1841–1923), Baron (1905): brit. Diplomat, Perma­ nent Under­Secretary im Foreign Of­ fice (1894–1906) 65, 73, 112, 167–8, 170–1, 184, 194, 212, 309 Saunders, David Hogg (gest. 1904): schott. Publizist, Herausgeber d. People’s Journal 190 Saunders, George (1859–1922): Berlin­ Korrespondent d. Morning Post (1888– 96) u. Times (1897–1908), Times­Korres­ pondent i. Paris (1908–14) 52, 64–6, 99, 112, 121, 129, 145, 162–74, 181–2, 185, 189–91, 193, 198, 202, 209, 215, 223, 227–30, 249–50, 342, 344–5, 347, 378, 429 Scherl, August (1849–1921): dt. Zeitungs­ verleger, u. a. Berliner Lokalanzeiger 41, 245, 426 Schiemann, Theodor (1847–1921): dt. His­ toriker u. Publizist, u. a. für die Kreuzzeitung 154, 255, 262, 355, 392–399, 414, 417–419 Schiffer, Eugen (1860–1954): nationallib. Reichstagsabgeordneter (1912–17) 49, 289 Schmoller, Gustav von (1838–1917): dt. Nationalökonom 366 Schön, Wilhelm Eduard (1851–1933); Frei­ herr (1909): Botschafter i. St. Petersburg (1905–07), Staatssekretär i. AA (1907–10), Botschafter i. Paris (1910–14) 263, 329 Schönaich­Carolath, Heinrich Prinz zu (1852–1920) 404, 409 Schröder, Baron Bruno (1867–1940): dt.­ brit. Bankier 359 Schulenburg, Friedrich Bernhard Karl Gustav Ulrich Erich Graf von der (1865–1939): dt. Militär­Attaché i. Lon­ don (1902–06) 253 Schuster, Ernest Joseph (1850–1924): brit. Bankier 392 Schwabach, Paul (1867–1938); nobilitiert (1907): dt. Bankier, brit. Generalkon­ sul 198, 209

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Personenregister

Schweriner, Oskar Theodor (1873–1934): dt.­amerik. Journalist, u. a. für Berliner Lokalanzeiger, Vossische Zeitung u. Daily Mail 346 Scott, Charles Prestwich (1846–1932): Chefredakteur d. Manchester Guardian (1872–1929) u. lib. Unterhausabgeord­ neter (1895–1906) 25, 44, 62, 64, 285, 380, 392 Scott­James, Rolfe Arnold (1878–1959): Leitartikler u. Literaturkritiker d. Daily News (1902–12) 327 Seeliger, Alfred (1867–1938): Mitarbeiter d. völkischen Zeitschrift Der Hammer 375 Selborne, William Waldegrave Palmer (1859–1942), 2nd Earl of (1895): Erster Lord d. Admiralität (1900–05) 200, 242 Shakespeare, William (1564–1616): engl. Dichter u. Dramatiker 364 Shaw, Stanley: Berlin­Korrespondent d. amerik. Zeitung The Sun 57 Sil­Vara; Pseudonym von Geza Silberer (1876–1938): London­Korrespondent d. Berliner Morgenpost u. BZ am Mittag (1912–14) 341 Sinclair, Sir John George Tollmache (1824– 1912); 3rd Baronet (1868): schott. Un­ terhausabgeordneter (1869–85) 191 Slevogt, Max (1868–1932): dt. Maler u. Graphiker, Zeichner u. a. für den Simplicissimus 138 Solana, Javier 436 Sösemann, Bernd 47 Spender, John Alfred (1862–1942): Chef­ redakteur d. Westminster Gazette (1896–1922) 62, 64–5, 159, 224, 226–7, 233, 244, 265, 287, 327, 340, 356, 358, 363, 379, 381–5, 389, 437 Spengler, Oswald (1880–1936): dt. Kultur­ u. Geschichtsphilosoph 7 Speyer, Sir Edgar (1862–1932), Baronet (1906): brit. Bankier 328, 359 Spicer, Gerald Sidney (1874–1942): brit. Diplomat 385 Spitzemberg, Hildegard Baronin von (1843–1914) 116 Spring­Rice, Sir Cecil (1859–1918): brit. Diplomat, u. a. i. Berlin (1895–98), Bot­ schaftsrat i. St. Petersburg (1903–06), Gesandter i. Teheran (1906–08), u. Stockholm (1908–13), Botschafter i.

Washington (1914–18) 56–7, 64–6, 102, 107, 110–1, 117–8, 173, 184, 195–6, 226– 7, 247, 251, 426 Stamfordham, Arthur Bigge (1849–1931), 1st Baron (1911): Privatsekretär v. Köni­ gin Victoria (1895–1901) u. König Georg V. (1910–31) 62, 162 Stead, Alfred (1877–1933): Herausgeber d. Review of Reviews (seit 1912) 358 Stead, William Thomas (1849–1912): engl. Journalist, Herausgeber d. Review of Reviews (1890–1912) 3, 29–32, 34, 120, 137, 235, 244, 247, 249, 257, 262, 266, 270, 351–2, 354, 358–62, 365, 368, 372–3, 376–7, 388, 403, 412 Steed, Henry Wickham (1871–1956): Kor­ respondent d. Times i. Berlin (1896), Rom (1897–1902) u. Wien (1902–13), Leiter d. außenpolit. Ressorts (1913–19) 328 Steevens, George Warrington (1869–1900): Kriegsberichterstatter d. Daily Mail 302–3 Stein, August (1851–1920): Berlin­Korres­ pondent d. Frankfurter Zeitung (1891– 1914) 53 Stein, Ludwig (1859–1930): Philosoph u. Publizist 407–8, 410–2, 419 Steinberg, Jonathan 247, 252 Steiner, Zara 7 Stengel, Karl Freiherr von (geb. 1840): Professor für Staats­ u. Kirchenrecht i. München, i. Vorstand d. Dt. Kolonial­ gesellschaft (seit 1885) 133 Stephen, Sir Alexander Condie (1850– 1908): brit. Diplomat, Gesandter i. Dresden 126, 148, 152 Stern, Fritz 73 Stinnes, Hugo (1870–1924): dt. Industriel­ ler 409 Stolberg­Wernigerode, Udo Graf zu (1840–1910): konserv. Reichstagsabge­ ordneter, Vizepräsident (1901–07) u. Präsident d. Reichstags (1907–10) 157, 356, 365 Strachey, John St. Loe (1860–1927): Her­ ausgeber d. Spectator (1898–1925) 64– 5, 101, 181, 195–8, 203, 205, 208–9, 241, 334, 344, 354 Stumm, Wilhelm von (1869–1935): dt. Di­ plomat, Botschaftsrat i. London (1906– 08), i. d. Polit. Abt. d. AA (1908–16) 54, 300, 318, 329–30, 362–3, 405, 412–3

Personenregister

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Sturdee, Frederick C. D. (1859–1925): stellv. Leiter d. Naval Intelligence De­ partment d. brit. Admiralität (1899– 1902) 241–2 Sumida, Jon 234 Swaine, Leopold (1840–1931), Oberst: brit. Militär­Attaché i. Berlin (1896) 100, 123 Sybel, Heinrich von (1817–95): dt. Histo­ riker 181 Sydow, Chlodwig von (1824–1907): preuß. Regierungspräsident 366

Tschirschky, Heinrich Leonhard von Tschirschky und Bögendorff (1858– 1916): dt. Diplomat, Staatssekretär i. AA (1906–07) 254 Tocqueville, Alexis de (1805–59): frz. Publizist 33 Turner, Sir Alfred Eduard (1842–1918), General: brit. Militär 319 Tyrrell, Sir William (1866–1947): brit. Di­ plomat, Privatsekretär Thomas Sander­ sons (1896–1903) u. Edward Greys (seit 1907) 64, 194, 408, 411

Tatitschew: russ. Finanzagent i. Lon­ don 208–209 ten Brink, Hermann (geb. 1851): Chefre­ dakteur d. Germania 375 Thoma, Ludwig (1867–1921): dt. Schrift­ steller, Mitarbeiter d. Simplicissimus (seit 1899) 137–8, 141 Thomsen, August von (1846–1920): dt. Admiral, i. Präsidium d. Flottenver­ eins 255 Thursfield, James Richard (1840–1923): Marine­Korrespondent d. Times (seit 1881) 244, 270 Thyssen, August (1842–1926): dt. Indu­ strieller 404, 409 Tilby, Alexander Wyatt, konserv. Unter­ hausabgeordneter 416 Tirpitz, Alfred (1849–1930); nobilitiert (1900), Admiral (1903), Großadmiral (1911): Staatssekretär i. RMA (1897– 1916) 47, 151, 234–7, 239, 243–5, 256, 289–93, 295, 366, 381, 392, 417, 423, 431 Tower, Charles: Berlin­Korrespondent d. Tribune (1906–07), Daily Graphic (1906– 09) u. Daily News (1909–13) 380 Trefz, Friedrich: Redakteur d. Münchener Neuesten Nachrichten (1892–1926) 63 Treitschke, Heinrich von (1834–1896): dt. Historiker u. Publizist, Herausgeber d. Preußischen Jahrbücher (1858–89) 22, 181, 392 Trench, Frederic John Arthur (1857–1942); Oberst: brit. Militär­Attaché i. Berlin (1908–10) 312, 339 Trojan, Johannes (1837–1915): Chefredak­ teur d. Kladderadatsch (1886– 1909) 138 Tschiedel, Johannes: London­Korrespon­ dent d. Vossischen Zeitung (1910–14) 54

Ullstein, Hans (1859–1935): dt. Zeitungs­ verleger 46 Ullstein, Hermann (1875–1943): dt. Zei­ tungsverleger 46 Victoria (1819–1901): Königin von Groß­ britannien u. Irland (1837–1901), Kaise­ rin von Indien (1871–1901) 63, 109–10, 112, 137–9, 144, 159, 268, 364 Victoria von Sachsen­Coburg u. Gotha (1840–1901): preuß. Königin u. dt. Kai­ serin (1888) 96, 115 Villiers, Francis Hyde (1852–1925): Assist­ ant Under­Secretary im Foreign Office (1896–1905) 188 Wahnschaffe, Arnold (1865–1941): Unter­ staatssekretär i. d. Reichskanzlei (1909– 14) 53 Waldersee, Alfred Graf von (1832–1904): dt. Militär, preuß. Generalfeldmar­ schall 115, 210 Wallace, Alfred Russel (1823–1913): brit. Naturforscher, Philosoph u. Sozia­ list 34 Wallace, Sir Donald Mackenzie (1841– 1919): Leiter d. außenpolit. Ressorts d. Times (1891–99) 61, 63, 103, 105–6, 117 Ward, Dudley: Berlin­Korrespondent d. Daily News (1911–14) Ware, Fabian (1869–1949): Chefredakteur d. Morning Post (1905–11) 230 Watson, Hugh (1881–1938): brit. Marine­ Attaché i. Berlin (1910–12) 295 Weber, Max (1864–1920): dt. Jurist, Natio­ nalökonom u. Soziologe 26 Weinthal, Leo (1865–1930): südafrikan. Journalist, Mitarbeiter Alfred Beits 359–61, 372, 412

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Personenregister

Weitz, Paul (1862–1939): dt. Journalist, Korrespondent d. Frankfurter Zeitung i. Konstantinopel, Mitarbeiter Mar­ schall v. Biebersteins 58–59 Wells, Herbert G. (1866–1946): brit. Schriftsteller 320–1 Werle, Franz: dt. Presseverleger 39 Wermuth, Adolf (1855–1927): Oberbür­ germeister v. Berlin (1912–20) 404 Wernecke, Klaus 8 Werner, Michael 15 Wesselitzky, Gabriel de: London­Korres­ pondent d. Nowoje Wremja (1900–11) 207–9 Wiegand, Heinrich (1855–1909): Direktor d. Norddt. Lloyd (seit 1892) 371 White, Arnold Henry (1848–1925): brit. Marinepublizist 181, 218, 240, 247, 252–3, 263, 270, 278, 354 White, Herbert A.: Berlin­Korrespondent d. Daily Express u. Standard (1904–11) 65, 318 White, Sir William (1845–1913): Direktor d. Konstruktionsabteilung d. Royal Navy 277 Whitman, Sidney (1848–1925): brit. Publi­ zist 34, 129, 184, 257–8, 304, 345, 370, 432 Wile, Frederic William (1873–1941): Berlin­Korrespondent d. Daily Mail (1904–14) 57–8, 174, 286, 291, 295, 320, 338, 343, 345, 347 Wilhelm II. (1859–1941) dt. Kaiser u. Kö­ nig v. Preußen (1888–1918) 18, 29, 32, 50–1, 60, 80, 83, 92–4, 96, 98, 100, 107–9, 112–6, 120–2, 143–53, 159–63, 166, 168– 9, 183–4, 186–7, 205, 207–8, 211, 214, 218, 222–3, 229–30, 244, 252–3, 257–8, 262–8, 281–2, 286–7, 289, 294, 300–5, 319, 336, 338, 341–342, 355–6, 359, 368– 71, 381–2, 392, 396, 399, 414, 419, 421, 424 Wilhelm II. (1848–1921): König von Württemberg (1891–1918) 152 Wilhelm III. (1650–1702): Statthalter d. Niederlande u. König v. England, Schottland u. Irland 35 Wilkinson, Henry Spenser (1853–1937): brit. Publizist u. Militärhistoriker, Re­ dakteur d. Manchester Guardian (1883– 92) u. Morning Post (1892–1914) 65, 98–99, 181, 229, 240–1, 247, 416

Williams, Ernest E. (1866–1935): brit. Pu­ blizist 300 Williams, G. Valentine (1883–1946): Ber­ lin­Vertreter von Reuters, Paris­Korre­ spondent d. Daily Mail 57, 174, 346 Wilson, Herbert Wrigley (1866–1940): Chefleitartikler d. Daily Mail (seit 1896) 188, 203, 240–1, 247–8, 252, 287, 308–9, 321, 326, 330, 343, 406 Wilson, Keith M. 230 Witte, Sergej Juljewitsch (1849–1915), Graf (1905): russ. Finanzminister (1893– 1903) u. Vorsitzender d. Ministerrates (1905–06) 208 Wolf, Lucien (1857–1930): Auslandsredak­ teur d. Daily Graphic (1890– 1909) 213–4, 219–21, 380 Wolff, Bernhard (1811–1879): Gründer d. National-Zeitung (1848) u. des Wolff’schen Telegraphenbureaus (1849) 71 Wolff, Theodor (1868–1943): Chefredak­ teur d. Berliner Tageblatt (1906–33) 113 Wolff­Metternich zur Gracht, Paul Graf von (1853–1934): dt. Diplomat, Bot­ schafter i. London (1903–12) 153, 155, 168–9, 205–10, 212, 219–22, 224–5, 230– 1, 263, 265, 299, 329, 336–7, 371–2, 379, 413 Worms, Baron Percy de (1869–1938): brit. Bankier 359 Wortley, Edward James Montagu­Stuart­ (1857–1934): brit. Militär, Militär­Atta­ ché i. Paris (1901–03) 265 Wright, Orville (1871–1948): amerik. Flug­ pionier 320 Wright, Wilbur (1867–1912): amerik. Flug­ pionier 320 Zech, Julius Graf von (1868–1914): dt. Ko­ lonialbeamter, Gouverneur von Togo 82 Zeppelin, Ferdinand Graf von (1838– 1917): dt. General u. Luftschiffkon­ strukteur 320, 423–424 Zimmermann, Arthur (1864–1940): dt. Di­ plomat, Staatssekretär i. AA 392 Zimmermann, Eugen (1862–1935): polit. Redakteur d. Berliner Lokalanzeigers 346 Zimmermann, Bénédicte 15