Die kleineren Warschauer-Pakt-Staaten in den Ost-West-Beziehungen


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Table of contents :
Kurzfassung 1
Sowjetische Penetration in Osteuropa 7
Wirtschaftliche Aspekte . 9
Die innenpolitische Interessenlage der
osteuropäischen Herrschaftsgruppen 12
Unterschiedliche Kompromisse mit
Bedürfnisse des eigenen Volkes 15
Die sicherheitspolitischen Interessen 22
Außenpolitische Interessendivergenzen 24
Der Sonderfall DDR 28
Die Interessenabstimmung zwischen DDR und
UdSSR an einem Beispielfall 31
Anmerkungen . . . . . . . 37
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Die kleineren Warschauer-Pakt-Staaten in den Ost-West-Beziehungen

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Berichte des Bundesinstituts für ostwissenschaMche und internationale Studien Die kleineren Warschauer-Pakt-Staaten in den Ost-West-Beziehungen Gerhard Wettig

39-1985

Die Meinungen, die in den vom BUNDESINSTITUT FÜR OSTWISSENSCHAFTLICHE UND INTERNATIONALE STUDIEN herausgegebenen Veröffentlichungen geäußert werden, geben ausschließlich die Auffassung der Autoren wieder. © 1985 by Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln. Abdruck und sonstige publizistische Nutzung - auch auszugsweise nur mit vorheriger Zustimmung des Bundesinstituts sowie mit Angabe des Verfassers und der Quelle gestattet. Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien Lindenbornstraße 22, D-5000 Köln 30, Telefon 0221/5747-0

INHALT Seite Kurzfassung

1

Sowjetische Penetration in Osteuropa

7

Wirtschaftliche Aspekte

.

9

Die innenpolitische Interessenlage der osteuropäischen Herrschaftsgruppen

12

Unterschiedliche Kompromisse mit Bedürfnisse des eigenen Volkes

15

Die sicherheitspolitischen Interessen

22

Außenpolitische Interessendivergenzen

24

Der Sonderfall DDR

28

Die Interessenabstimmung zwischen DDR und UdSSR an einem Beispielfall

31

Anmerkungen . . . . . . .

37

Summary

43 September 1985

Gerhard Wettig Die kleineren Warschauer-Pakt-Staaten Beziehungen

in den Ost-West-

Bericht des BlOst Nr. 39/1985 Kurzfassung Die zentrale Frage der Untersuchung lautet, welche westpolitische Rolle die kleineren Warschauer-Pakt-Staaten angesichts ihrer engen Bindung an die sowjetische Führungsmacht spielen können. Es wird eine makroanalytische Betrachtungsweise gewählt, die auf vorliegenden Untersuchungen von Einzelproblemen basiert und die Vielfalt der beobachteten Phänomene generalisierend auf einen Nenner zu bringen sucht. Auch wenn der Autor um ein differenziertes Bild bemüht ist, sind gelegentliche Vereinfachungen und Vergröberungen unvermeidlich. Sie scheinen aber durch den Erkenntnisgewinn gerechtfertigt, der mit einer vergleichenden und überschauenden Bilanzierung der Leitlinien osteuropäischer Politik zu erzielen ist. Die gewählte Analyse-Ebene ist die des beobachtbaren politischen Handelns. Die zugrunde liegenden Einstellungen werden nur so weit erörtert, wie das erforderlich ist, um den Hintergrund des Handelns auszuleuchten. Die Grundsatzdiskussionen, die sich 1984 und 1985 zwischen der UdSSR und verschiedenen verbündeten Ländern über die prinzipielle Seite des wechselseitigen Verhältnisses abgespielt haben, blieben daher unberücksichtigt. Die grundlegenden Kriterien für die Analyse der zwischenstaatlichen Beziehungen sind der von der sowjetischen Dominanz ausgehende Zwang, die innenpolitische Herrschaftsräson der osteuropäischen Führungsgruppen, die Gemeinsamkeit oder Verschiedenheit der einzelstaatlichen Interessen und die von den osteuropäischen Führungen getroffene Auswahl unter den gegebenen Handlungsoptionen.

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Die wichtigsten Ergebnisse sind: 1 . Die Bindungen der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten an die UdSSR beruhen wesentlich auf der sowjetischen Militärpräsenz in Osteurops, auf der sowjetischen Penetration der osteuropäischen Partei- und Staatsapparate, auf den Strukturmerkmalen der WarschauerPakt-Organisation, auf Theorie und Praxis des "sozialistischen Internationalismus" (der sogenannten Breshnew-Doktrin) und auf osteuropäischer Energie- und Rohstoffabhängigkeit von der UdSSR. 2.

Die sowjetkommunistische Herrschafts- und Gesellschaftsordnung ist den osteuropäischen Ländern mit Gewalt von außen her aufgezwungen worden. Das hat zur Folge, daß die osteuropäischen Regime mehr oder weniger der einheimischen Legitimation entbehren und ihre Machtposition weithin auf Repressionsapparate und darüber hinaus auf den Rückhalt an der UdSSR stützen müssen. 3.

Der Schutz, den die Mechanismen des "sozialistischen Internationalismus" den osteuropäischen Herrschaftsgruppen gewähren, hat neben der positiven auch eine negative Seite. Er ist grundsätzlich mit einer Nachordnung der eigenen Interessen gegenüber den sowjetischen Wünschen verbunden und wirkt als Hindernis bei dem Versuch, die Kluft im Verhältnis zum eigenen Volk zu überwinden. 4.

Die sowjetische Führung sieht die Notwendigkeit, daß die osteuropäischen Regime, auf die sie ihre Oberherrschaft abstützt, durch eine bessere Verwurzelung im eigenen Volk größere Stabilität gewinnen. Daher akzeptiert sie in begrenztem Umfange Eigenpolitiken der verbündeten Herrschaftsträger. 5.

Die osteuropäischen Regime suchen durch verbesserte materielle Bedürfnisbefriedigung, Veränderungen der Wirtschaftsstruktur, begrenztes Entgegenkommen gegenüber gesellschaftlichen Tendenzen und Kräften (wie insbesondere die katholische Kirche in Polen), dosierte Zugeständnisse an Westkontaktwünsche der Bevölkerung und/oder Appelle an nationale Gefühle ihre Entfremdung vom eigenen Volk zu überwinden oder doch wenigstens zu verringern. Große Wichtigkeit kommt der kulturellen SelbstdaStellung der Nationen in Osteuropa zu, die auf subtile Weise die eigenständige Identität des jeweiligen Landes hervorhebt. Die Versuche, das sowjetkommunistische Regime in den einzelnen Staaten zu stabilisieren, liegen grundsätzlich im Interesse Moskaus. Allerdings sind deswegen noch nicht

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alle angewendeten Mittel - wie z.B. Ceaugescus Appell an antisowjetische rumänische Stimmungslagen - für die Hegemonialmacht unproblematisch. 6.

Auf sicherheitspolitischem Felde besteht ein grundlegender Konsens zwischen der UdSSR und ihren Verbündeten darüber, daß auf eine fortlaufende Verschiebung des militärischen Kräfteverhältnisses zugunsten des "Sozialismus" hinzuarbeiten sei. Gleichwohl gibt es im einzelnen - verschieden nach den jeweiligen Ländern - auch Differenzen, die in der sowjetischen Partizipationsverweigerung, in dem Wunsch der kleineren Staaten nach mehr Einsicht in die gemeinsamen militärischen Angelegenheiten, in unterschiedlichen Vorstellungen über die Zumutbarkeit budgetärer Belastungen und in dem natürlichen Interesse der Osteuropäer an einer Erstreckung des kriegshemmenden global-strategischen Abschreckungsverhältnisses auf Europa begründet liegen. Insbesondere läßt die Bereitschaft, die ökonomischen Kosten und die politischen Folgen der imperial-expansiven Politik Moskaus mitzutragen, bei manchen der verbündeten Staaten sehr zu wünschen übrig. 7.

In der Außenpolitik sorgen die geschichtlich begründeten kulturell-geistigen Verbindungen der meisten osteuropäischen Länder zum westlichen Teil des Kontinents und die weithin stärker auf Westkooperation hinlenkende wirtschaftliche Interessenlage Osteuropas für unterschiedliche Akzente. Die Führungen aller Warschauer-PaktStaaten sind zwar grundsätzlich der Ansicht, daß die Prinzipien der "friedlichen Koexistenz" eine Fortsetzung des antagonistischen Verhältnisses zum Westen bedeuten. In einigen der kleineren Länder jedoch stehen für die Machthaber ganz andere Sorgen innenpolitischer Art im Vordergrund, für deren Linderung das traditionelle Feindbild zuweilen bemüht wird, aber kaum noch hilfreich - manchmal gar kontraproduktiv - ist. Die Aufforderungen Moskaus, die Beziehungen zu diesen oder jenen westlichen Ländern zwecks politisch-psychologischer Druckausübung willkürlich zu verschärfen, stoßen in den meisten osteuropäischen Hauptstädten auf mehr oder weniger starken Widerstand. Die Entspannung erscheint den meisten Osteuropäern als ein langfristiger politischer Bezugsrahmen, der nicht um irgendwelcher taktischer Erwägungen willen leichthin auf s Spiel gesetzt werden sollte. 8.

Die DDR spielt unter den osteuropäischen Staaten eine Sonderrolle. Gegenüber der UdSSR ist sie mit Resten des besatzungsrechtlichen Erbes von 1945 belastet, und vonseiten der Bundesrepublik Deutschland wird ihr - na-

n

mens der von Ost-Berlin verneinten "innerdeutschen Beziehungen" - eine weitreichende finanzielle und wirtschaftliche Begünstigung zuteil. 9.

Wegen des Mangels an nationaler Identität ist die SED-Führung in besonderem Maße auf Anlehnung an die UdSSR angewiesen. Umgekehrt sieht sich auch der Kreml in besonderem Maße auf die DDR angewiesen, die für ihn u.a. eine unerläßliche Klammer zur Gewährleistung des Blockzusammenhalts und ein willkommenes Instrument der diplomatischen wie gesellschaftlichen Einflußnahme auf die Bundesrepublik Deutschland (in Moskauer Sicht der für den Fortbestand der NATO entscheidende europäische Staat) ist. 10. In Moskauer Sicht ist gegenüber der DDR eine strikte Kontrolle erforderlich, denn die SED-Funktionäre gelten trotz kommunistischer Einfärbung und vielfach bekundeter Dienstbarkeit primär als Deutsche» auf denen der Verdacht latenter Unzuverlässigkeit lastet. 11. Unter der Voraussetzung, daß die sowjetische Kontrolle sicher gewährleistet erscheint, gesteht der Kreml dem ostdeutschen Verbündeten zuweilen auch in Situationen, in denen die Generallinie gegenüber Bonn negativ akzentuiert ist, die Nutzung von finanziellen und wirtschaftlichen Angeboten der Bundesrepublik zu, damit die DDR ihre innenpolitische Stabilität durch begrenzt- Forderung des privaten Konsums festigen und ihre ökonomisch-politische Leistungsfähigkeit im Rahmen der "sozialistischen Gemeinschaft" steigern kann. 12. Das Zusammenwirken mit Westdeutschland wird allerdings von der sowjetischen Hegemonialmacht sorgfältig beobachtet und bei Bedarf auch in Grenzen verwiesen. Die SED-Führung respektiert dann in Kenntnis der Machtverhältnisse diese Grenzen regelmäßig ohne größeres Widerstreben, auch wenn ihr zeitweilig vorsichtige Autonomieregungen nicht fremd gewesen sind. Insgesamt unterliegt Osteuropa einer ebenso massiven wie verläßlichen sowjetischen Kontrolle, solange sich die Rahmenbedingungen nicht entscheidend ändern. 0"oichwohl ist die Region heute weiter als jemals nach dem Zweiten Weltkrieg von jener Gleichschaltung entfernt, die ihr Stalin seinerzeit aufzuzwingen suchte. Auch bedeutet die sowjetische Kontrolle nicht, daß der Kreml alle unerwünschten Entwicklungen westlich seiner Grenzen verhindern könnte. Er kann aber seine Herrschaft über Osteuropa, soweit sie zeitweilig erschüttert scheinen sollte,

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jederzeit neu festigen und sogar, wie das polnische Beispiel von 1980/81 gezeigt hat, durch manifeste Drohung einen begonnenen Destabilisierungsprozeß anhalten und umkehren. Gegenüber dem Westen ist Moskau imstande, unter den Verbündeten politisches Einvernehmen zumindest so weit durchzusetzen, wie dies unerläßlich erscheint.

Die Rolle, welche die kleineren Warschauer-Pakt-Staaten gegenüber dem Westen spielen, ist entscheidend durch ihre Bindungen an die Sowjetunion bestimmt. Ins Auge sticht der Zwangscharakter dieser Bindungen. Nicht zu unterschätzen ist freilich daneben die Bedeutung des Eigeninteresses der osteuropäischen Führungsgruppen.

Sowjetische Penetration in Osteuropa Das augenfälligste Instrument der sowjetischen Herrschaft in Osteuropa sind die Streitkräfte, welche die UdSSR in der DDR, in der Tschechoslowakei, in Polen und in Ungarn stationiert hat. Weniger sichtbar, aber nicht weniger wirksam ist die sowjetische Penetration der osteuropäischen Partei- und Staatsapparate, von der nur Rumänien weithin verschont ist. Berater- und Liaison-Personal der politischen und militärischen Geheimdienste KGB und GRU, des Militärs und der Partei sorgen dafür, daß der sowjetische Einfluß überall zur Geltung kommt und daß die Moskauer Zentrale ständig informiert wird. Die Botschaften und Konsulate der UdSSR in Osteuropa fungieren weithin als Transmissionsriemen sowjetischer Kontrolle. Das Netzwerk sowjetischer Einsicht- und Einflußnahme, das durch einheimische Parteigänger Moskaus - etwa in der Sowjetunion ausgebildete Kader mit fortdauernden Sowjetbindungen - noch ergänzt wird, erfaßt nicht nur die Spitzenbehörden. Es wird vielfach an den nationalen Hierarchien vorbei bis hinunter auf mittlere Entscheidungsebenen direkt wirksam.1

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Die dominierende sowjetische Machtposition in Osteuropa hat sich in vertraglichen Regelungen niedergeschlagen. Die größte Wichtigkeit kommt dem Warschauer Pakt mit seiner Bündnisorganisation zu. Die UdSSR verfügt hier über einen Rahmen, in dem sie ihre Verbündeten zu gemeinsamem politischen Handeln verpflichten kann. Der militärische Teil der Paktorganisation legitimiert die sowjetische Entscheidung über die Ausrichtung und Organisation der osteuropäischen Streitkräfte. Alle entscheidenden Posten sind mit sowjetischen Militärs besetzt. Die Operationsdoktrin und die Organisationsprinzipien der UdSSR sind für die anderen Staaten verbindlich. Der Warschauer Pakt sorgt für Bereitstellung und Vorbereitung der Streitkräfte im Blick auf den Krieg. Dabei werden die Einheiten der kleineren Staaten - in der Planung wie bei Manövern - so auf sowjetische Großverbände verteilt, daß sie nur als deren Bestandteil--' agieren können. Im Kriegsfalle würde das Kommando über' uie zum Einsatz gelangenden Truppen augenblicklich von Oberbefehlshaber des entsprechenden sowjetischen "Kriegsschauplatzes" (TVD, teatr voennych dejstvij) West bzw. Südwest übernommen werden.2 Die Waffenproduktion der kleineren Warschauer-Pakt-Staaten ist so strukturiert, das keine rüstungswirtschaftliche Eigenständigkeit entstehen kann.3 Als theoretische Basis für die Sicherung der sowjetischen Herrschaft im Warschauer-Pakt-Bereich dienen die Prinzipien des "sozialistischen Internationalismus". Danach müssen die Staaten der "sozialistischen Gemeinschaft" ihre auswärtigen und inneren Angelegenheiten, die nach Moskauer Ansicht gemeinsame Interessen berühren, einer gemeinsamen Entscheidung unterwerfen. Es versteht sich von

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selbst, daß die UdSSR, wenn sie über die Angelegenheiten der kleineren Verbündeten mitentscheidet, ein entscheidendes Gewicht in die Waagschale werfen kann. Der dominierende Einfluß des Kreml in Osteuropa läßt sich demgemäß auf die Grundsätze des "sozialistischen Internationalismus" stützen. Dabei gilt, daß einem "Bruderland", das sich der sowjetisch dominierten gemeinsamen Entscheidung nicht beugen will, mit "brüderlicher Hilfe" bis hin zur militärischen Intervention auf den rechten Weg zurückgeholfen werden muß. Diese militärische "Hilfe" ist - ohne Rücksicht auf den Willen der Betroffenen - wiederholt geleistet worden: 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei. Die Drohung eines bewaffneten sowjetischen Eingreifens ist in Osteuropa allgegenwärtig und trägt entscheidend zur Einengung des Handlungsspielraums für alle reform- und autonomiefreudigen Kräfte bei. Die wiederholte nachdrückliche Bekundung des sowjetischen Willens, auch vor militärischen Aktionen nicht zurückzuschrecken, hat im Dezember 1981 in Polen zu einer national durchgeführten "Lösung" des Solidarnosc-Problems veranlaßt.

Wirtschaftliche Aspekte Die sowjetische Führung kann sich auch auf wirtschaftliche Tatbestände stützen, wenn sie ihre Herrschaft über die anderen Warschauer-Pakt-Staaten zu festigen sucht. Den osteuropäischen Ländern wurde nach 1945 von der UdSSR eine Schwerindustrialisierung aufgezwungen, die zu den natürlichen Voraussetzungen - namentlich zu dem weitgehenden Fehlen von eigenen Energie- und Rohstoffressourcen

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- wenig paßt. Da die Osteuropäer zugleich vom Weltmarkt abgekoppelt wurden und darum dort kaum als Einkäufer auftreten können, sind sie seither weithin von Lieferungen aus der UdSSR abhängig. Die innenwirtschaftliche Ausrichtung, welche die osteuropäischen Länder zu übernehmen hatten, läßt ihnen keine Alternative zu einer vom Austausch mit der sowjetischen Führungsmacht dominierten Außenhandelsstruktur.5 Lange Zeit waren die Möglichkeiten und Konditionen des Bezugs von Energiestoffen und Rohmaterialien aus der Sowjetunion günstig. Während des letzten Jahrzehnts jedoch haben sich nicht nur die Preise stark erhöht. Die UdSSR hat auch ihr Angebot verknappt und ihre wirtschaftliche Machtposition dazu benutzt, um die europäischen Länder zu einem verstärkten finanziellen Engagement bei der Erschließung der sowjetischen Ressourcen zu nötigen." Wirtschaftlich betrachtet, läuft das sowjetische Vorgehen auf den Versuch hinaus, sich von den Verbindlichkeiten der politischen Anbindung Osteuropas freizumachen. Die Einführung des sowjetkommunistischen Herrschafts-, Gesellschafts- und Wirtschaftssystems hatte zur Folge, daß sich die osteuropäischen Länder ökonomisch auf die UdSSR orientierten und weithin als Konkurrenten auf dem Weltmarkt nicht mehr in Erscheinung traten. Sie erwarben nur noch wenige Devisen und sahen sich daher gezwungen, ihre Energie- und Rohstoffbedürfnisse bei der Sowjetunion zu befriedigen. Moskau jedoch begann das seit Mitte der siebziger Jahre zunehmend als Last anzusehen: Mit Energie- und Rohstofflieferungen ließen sich besseres Geld und bessere Waren

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im Westen erwirtschaften. Soweit die Verbündeten nicht unversorgt bleiben können, sollen sie für ihre entsprechenden Importe aus der UdSSR in Weltmarktqualität bezahlen. Zugleich werden sie von der Führungsmacht zu einem langfristigen Engagement bei deren wirtschaftlicher Entwicklung genötigt.^ Die durch die wirtschaftlichen "Errungenschaften des Sozialismus" geschwächten osteuropäischen Länder sind dadurch in größte Schwierigkeiten geraten. Das verschafft der sowjetischen Führung die Möglichkeit, ihre Lieferungsbedingungen nach Maßgabe des politischen Wohlverhaltens zu differenzieren. Denjenigen Staaten, die in der Gunst Moskaus stehen, werden relativ günstige Konditionen eingeräumt. Länder dagegen, die dem Kreml weniger förderungswürdig erscheinen, werden mit voller Härte behandelt. Das widerspenstige Rumänien mußte bei der Aushandlung des Erdölieferkontingents besonders große Abstriche von seinen Wünschen hinnehmen. Auch von der dann verbliebenen Menge erhielt es nur einen Teil." Es entsteht der Eindruck, daß die sowjetische Führung bewußt nichts unternimmt, um Bukarests Nöte zu lindern. Soll Ceaugescus Regime gedemütigt und niedergezwungen, vielleicht sogar von innen her destabilisiert werden? Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten Polens nutzte der Kreml dazu, um dem Land im Mai 1984 eine langfristige enge Wirtschaftsbindung an die UdSSR zu wenig günstigen Bedingungen aufzunötigen.9 Auch die anderen osteuropäischen Länder sind wegen der steigenden sowjetischen Preise und steigender sowjetischer Qualitätsforderungen gezwungen, ihre wirtschaftli-

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che Kraft in ungleich stärkerem Maße als zuvor im Handel mit der UdSSR einzusetzen. Die DDR befindet sich durch ihre besonderen wirtschaftlichen Verbindungen zur Bundesrepublik in der einmalig günstigen Lage, eine zumindest teilweise Alternative zur wirtschaftlichen Bindung an die UdSSR zu haben. Allerdings nutzt sie diese Möglichkeit vor allem wohl wegen ihrer starken politischen Bindungen an die Führungsmacht - nur in Ergänzung zu ihrem starken Engagement im Handel mit der Sowjetunion.

Die innenpolitische HerrSchaftsgruppen

Interessenlage

der

osteuropäischen

Die "sozialistische" Machtstruktur und die damit verbundene Gesellschaftsordnung wurden den osteuropäischen Völkern von der UdSSR aufgezwungen. Das hat weitreichende politische Konsequenzen. Keine Führungsgruppe kann sich auf eine autonome nationale Legitimation berufen. Die in Ungarn, Polen und der Tschechoslowakei kurzzeitig unternommenen Versuche, eine solche moralische Grundlage durch Eingehen auf Bedürfnisse des Volkes nachträglich hinzuzugewinnen, sind - nicht zuletzt am sowjetischen Widerstand - gescheitert. Auch soweit die Herrschaftsträger des einen oder anderen Landes inzwischen ein gewisses Maß an Akzeptanz in der Bevölkerung gewonnen haben, können sie sich ihres Erfolges langfristig nicht sicher sein, weil jede erreichte Akzeptanz auch auf dem Fehlen einer Alternative zum bestehenden Regime beruht. Jede der Führungen bedarf daher - wenn auch in verschiedenem Umfange - disproportional großer Sicherheitsapparate und vielfach illiberaler Herrschaftspraktiken, um sich

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an der Macht zu halten. Wenn es darum geht, zwischen den Erfordernissen der Popularität und der Kontrolle10 zu wählen, erhält die Kontrolle unausweichlich den Vorzug. Nur in Ungarn ist bis auf weiteres eine Entschärfung dieses Dilemmas gelungen. Jede osteuropäische Führung muß, dem Ursprung ihrer "sozialistischen" Machtposition entsprechend, letztlich in der UdSSR die Gewähr ihrer Herrschaft sehen. Die latente Drohung einer sowjetischen Militärintervention bildet das überzeugendste Argument dafür, daß die "sozialistische Ordnung" unausweichlich aufrechterhalten bleibt.Keine nationale Führung - auch nicht die Kadars oder Ceaucescus - könnte sich ihrer Macht sicher sein, wenn sie nicht den sowjetischen Willen zum "Schutz der sozialistischen Errungenschaften" in Osteuropa als feste Konstante einkalkulieren- könnte. Der Schutz hat freilich einen hohen Preis. Die Führung jedes osteuropäischen Landes hat zuzeiten erfahren müssen, daß sie wichtige Interessen einem andersartigen sowjetischen Gutdünken unterordnen mußte. Die Moskauer Appelle, daß die notwendige Blockdisziplin einzuhalten sei, haben in den anderen Hauptstädten immer wieder Frustration und Erbitterung ausgelöst. Je mehr die Wünsche und Bedürfnisse des Kreml Beachtung finden müssen, desto schwieriger wird es für die osteuropäischen Herrschaftsgruppen, die Kluft zum eigenen Volk zu überwinden und eine autochthone Legitimation zu etablieren. Ein kritisches Maß an Entfremdung der osteuropäischen Machthaber von ihrem jeweiligen Volk können jedoch die sowjetischen Führer nicht wünschen. Sie haben ein natür-

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liches Interesse daran, daß ein auswärtiges Regime, auf das sie ihre Oberherrschaft stützen, möglichst fest im einheimischen Boden verwurzelt ist. Daher ist der Kreml bereit, den verbündeten Führungsgruppen eine gewisse Entscheidungsfreiheit darüber zuzugestehen, wie sie sich an die jeweils bestehenden politisch-sozialen Bedingungen anpassen. Dabei sollen sie sich freilich an die allgemein vorgeschriebenen "Gesetzmäßigkeiten" halten und insbesondere ein Entstehen "nationaler Abweichungen" verhindern. Wo die Grenze zwischen dem Zulässigen und Unzulässigen jeweils konkret zu ziehen ist, läßt sich allerdings nicht leicht bestimmen und kann zum Gegenstand von Kontroversen mit Moskau, gelegentlich auch von Diskussionen in Moskau, werden. Wenn sich die Führungen der kleineren Warschauer-PaktStaaten um ein organischeres Verhältnis zu ihren Völkern bemühen, geht es ihnen sowohl um mehr politische Akzeptanz als auch um mehr wirtschaftliche Effizienz. Von beidem erhoffen sie eine Konsolidierung ihrer Macht nach innen und nach außen. Im einzelnen gibt es verschiedene Wege, wie man sich der Bevölkerung als legitimer Sachwalter eigener Interessen und der eigenen Identität darzustellen suchen kann: - eine bessere Befriedigung materieller Bedürfnisse, - strukturelle Änderungen vor allem im Bereich der Wirtschaft , - ein gewisses Entgegenkommen gegenüber gesellschaftlich autonom gebliebenen Kirchen, - das Zulassen von mehr Kontakt und Kommunikation mit dem Westen,

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- die Betonung des kulturellen Erbes und der kulturellen Eigenständigkeit gegenüber dem sowjetischen Machtzentrum und - das Appellieren an nationale Gefühle. Alle diese Methoden können einer Führung helfen, sich der Öffentlichkeit ihres Landes zu empfehlen. In sowjetkommunistischer Sicht jedoch, wie sie auch für die osteuropäischen Herrschaftsgruppen verpflichtend ist, ist kaum eine davon unbedenklich. Die geforderte Gleichschaltung der Gesellschaft kann Schaden nehmen; unerwünschte Tendenzen oder gar autonome Kräfte könnten eine Stärkung erfahren. Was der Popularität im einzelstaatlichen Rahmen dient, kann - wie der Kreml vor allem 1956, 1968 und 1980/81 geargwöhnt hat - von der "sozialistischen Gemeinsamkeit" weg in die Richtung einer verdeckten oder gar offenen "Konterrevolution" führen. Was als Stabilisierungsmaßnahme gedacht ist, kann demnach leicht in Destabilisierung enden.

Unterschiedliche Kompromisse mit Bedürfnisse des eigenen Volkes Aus sowjetkommunistischer Sicht ist die Popularisierung der herrschenden Ordnung über die Befriedigung materieller Bedürfnisse am akzeptabelsten. Zwar entsteht dann die Gefahr des "Konsumerismus", d.h. der Umorientierung auf unpolitisch-materielle Zwecke, doch kann dies in Ländern mit starker oppositioneller Tendenz sogar von einigem Vorteil sein. Den latent aufsässigen Leuten wird dann der Mund in einem doppelten Sinne gestopft. Es gilt dann lediglich, den Kadern klarzumachen, daß die eingeschlage-

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ne Politik Mittel zum Zweck - und nicht etwa Endziel ist. In Ungarn hat Kadär, um die Nachwirkungen des Aufstands von 1956 zu überwinden, die durchaus unleninistische Parole ausgegeben, wer nicht gegen das Regime stehe, trete praktisch dafür ein, und den Weg einer Bedürfnisbefriedigung

auf private

abzielenden Wirtschaftsreform

ein-

geschlagen. Auch in der DDR und - mit deutlich geringerem Erfolg - in der Tschechoslowakei wird versucht, den Bürger für die systembedingten Frustrationen so weit wie möglich materiell zu entschädigen. Das Polen Giereks ist in den siebziger Jahren die gleichen Kurs gegangen. Als dann jedoch wegen der zunehmend fehlenden Mittel Einschränkungen unausweichlich wurden, brach der im Lande latent politische Mißmut offen hervor und beschwor die Solidarnosc-Krise herauf. Der polnische Fall macht das Hauptproblem der Bf. iürfnisbefriedigungspolitik deutlich: Es ist der Einsatz erheblicher materieller Ressourcen notwendig, die bei der systembedingten Schwäche der agrarischen und industriellen Produktion und bei der systemtypischen Präferenz für militärische und andere Sicherheitsausgaben nur schwer freizumachen sind. Der Versuch der herrschenden Gruppen, ihr Regime durch die Schaffung eines bescheidenen Wohlstands aufzuwerten, ist nach Anfangserfolgen zu Beginn der siebziger Jahren zunehmend schwerer zu realisieren gewesen. Selbst in den relativ reichen Ländern DDR und Ungarn hat sich weithin Stagnation, wo nicht gar Rückschritt eingestellt. Wenn diese Politik in den genannten beiden Staaten und sogar in der Tschechoslowakei, vielleicht auch wieder in Polen, trotzdem noch etwas hergibt,

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so liegt dies entscheidend daran, daß dort die Bevölkerung ihre Lage noch als relativ vorteilhaft gegenüber anderen Warschauer-Pakt-Staaten, insbesondere gegenüber der UdSSR, ansieht. Ein Regime wie das rumänische, das über ein wirtschaftlich wenig entwickeltes Land gebietet und im übrigen nicht von den alten stalinistischen Mustern abgeht, kann den Weg der Bedürfnisbefriedigung nicht beschreiten. Es muß zu anderen Mitteln greifen, um den Gegensatz zur Bevölkerung abzuschwächen. Seit der Zeit von Gheorghiu-Dej und dann vor allem in der langen Ära Ceaugescu ist der rumänische Nationalismus, vermischt mit unverkennbar antisowjetischen Tönen, zu einem Amalgam geworden, das Führung und Volk bei allen wechselseitigen Spannungen miteinander verbunden hat. Die Zustände im Lande mochten noch so ärmlich und trostlos sein, Ceaugescu stellte sich als Wahrer der nationalen Eigenständigkeit dar, der nicht davor zurückschreckt, zuweilen sogar dem ungeliebten Großen Bruder in Moskau auf die Füße zu treten. Der enge Zusammenhang zwischen innenpolitischer Frustration und nationalem Auftrumpfen gegenüber der UdSSR fällt zuweilen überdeutlich ins Auge. Beispielsweise folgte Ceaugescus berühmte Rede von 1978, in der er dem sowjetischen Verlangen nach Erhöhung des Militärbudgets eine demonstrative Absage erteilte, unmittelbar auf die Niederschlagung eines Bergarbeiterstreiks. Inzwischen ist es allerdings fraglich geworden, ob sich der wirtschaftliche und politische Bankrott des Regimes noch mit nationalen Appellen zu kompensieren ist, zumal die desolate Lage auch den Handlungsspielraum gegenüber der UdSSR fühlbar verringert.

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In Polen trägt das Gefühl nationaler Solidarität auf andere Weise zur Wahrung eines Minimalkonsenses zwischen Führung und Bevölkerung bei. Das Regime Jaruzelskis ist zwar allgemein unpopulär, doch erscheint es den meisten Polen immer noch als das kleinere Übel im Vergleich zu der Gefahr direkter sowjetischer Gewaltanwendung und Unterdrückung. Mindestens ebenso wichtig wie diese Stimmung ist, daß auch die katholische Kirche diese Auffassung vertritt und danach handelt. Der mäßigende Einfluß, der davon auf das gesamte Land ausgeht und der das Regime in gewissem Umfang stabilisiert, setzt die Respektierung dieser nationalen Institution seitens der Machthaber voraus. Der innenpolitische Gewinn, den alle polnischen Führungen seit Gomulka aus dem Verhalten der im Volk moralisch hochgeachteten katholischen Kirche gezogen haben könnte Honecker mit dazu veranlaßt haben, den Kontakt zur evangelischen Kirche seines Landes zu suchen und dabei ein gewisses Entgegenkommen zu zeigen. Die begrenzte Kooperation der Regierenden mit der Kirche, die zugleich das Verhältnis eines begrenzten Gegensatzes beinhaltet, ist am deutlichsten in der Frage der unabhängigen Friedensgruppen zum Ausdruck gekommen. Vor allem in den Jahren 1982 und 1983 wurde die evangelische Kirche in der DDR zum relativen Schutzraum für die Friedens- und Abrüstungsaktivisten. Sie kam damit zugleich in die Lage, für diesen Schutz diejenigen Bedingungen geltend zu machen, die ihr ihrerseits von Partei und Staat als Preis für die Schonung der Aktivitäten unter dem Dach der Kirche genannt worden waren. Im Ergebnis trug dies nicht unwesentlich dazu bei, daß die SED-

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Führung die autonomen Friedensgruppen in enge Grenzen verweisen und allmählich ausschalten konnte, ohne daß unliebsames Aufsehen entstand. Umgekehrt konnte die Kirche humanitäre Erleichterungen für diejenigen Friedensaktivisten erwirken, die mit dem Repressionsapparat der DDR kollidiert waren. Im nördlichen Teil Osteuropas bis hin zu Ungarn ist die kulturelle, geistige und gesellschaftliche Orientierung auf den europäischen Westen durch eine vielhundertjährige Geschichte vorgegeben. Die sowjetische Gleichschaltungspolitik der Stalin-Zeit und die danach fortdauernde Isolierung Osteuropas vom Westen haben es nicht vermocht, das Gefühl der Zugehörigkeit zu Europa und das Verlangen nach Kontakt mit seinem westlichen Teil auszulöschen. In Polen wie in Ungarn, in der Tschechoslowakei und vor allem auch in der DDR mißt die Bevölkerung ihre Führung nicht zuletzt daran, wie weit sie Verbindung und Kommunikation mit dem Westen zuläßt. Die Regime -- in besonders akuter Weise die SED-Führung - sehen sich mit dem Dilemma konfrontiert, daß sie zum einen ihre Völker vor allzu starker unkontrollierter Berührung mit dem Westen bewahren wollen (Abschirmungspolitik) und zum anderen durch die Freigabe von Kontakt- und Kommunikationsmöglichkeiten Popularitätsgewinne erzielen können (Öffnungspolitik). Die Reaktionen auf diese Lage waren unterschiedlich. Die tschechoslowakische Führung verhielt sich, nachdem sie die Reste der 1968 eingeführten Liberalität liquidiert hatte, insgesamt am restriktivsten. Ungarn und Polen dagegen waren und sind relativ großzügig. Das Regime der DDR agierte am differenziertesten.

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Durch den Grundlagenvertrag von 1972 zu einigen Öffnungsmaßnahmen gezwungen, suchte es gleichwohl verlorene Kontroll- und Einschränkungsmöglichkeiten - etwa durch zweimalige drastische Erhöhung der Zwangsumtauschsätze 197^ und 1980, durch eine sich verstärkende Zurückweisungspraxis gegenüber einreisewilligen Westdeutschen oder durch zunehmend erweiterte Kontaktverbote für bestimmte Personenkreise - wieder zurückzugewinnen. Zugleich jedoch war es gegen westdeutsche Zahlungen bereit, diese oder jene Verbesserungen des Besuchs- und Telefonverkehrs durchzuführen. Es stellte auch seine gescheiterten Bemühungen ein, den Empfang westdeutscher Rundfunk- und Fernsehprogramme zu verhindern. Parallel dazu jedoch wurden bis 1979 die westdeutschen Korrespondenten in der DDR der Möglichkeit beraubt, unerwünschte Informationen über das Land zu sammeln und für die eingestrahlten Fernsehprogramme bereitzustellen.11 Ein anderer Faktor der Differenzierung gegenüber der UdSSR ist die Rückbesinnung auf die eigene Identität in der Pflege des kulturellen Erbes, die gelegentlich ois zur Schaffung nationaler Kulturlegenden geht. Der Sinn solchen Unternehmens wird herausgestellt, daß das eigene Land zwar politisch an der Sowjetunion orientiert ist, aber kulturell aus eigenem Ursprung lebt und sogar den dominierenden Russen überlegen ist. Wenn die Bulgaren auf Kyrill und Method, die Rumänen auf ihre angeblich ausschließlich romanisch-dakische Prägung oder die Polen und Ostdeutschen auf ihre durchaus "klassenfremden" Geschichtsheroen hinweisen, setzen sich kulturell gegen die UdSSR ab.

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Die Lösungen, die für das Popularitätsproblem gesucht werden, sind so unterschiedlich wie die Gesellschaften in Osteuropa. Das hat u.a. zur Folge, daß sich keine gemeinsame osteuropäische Interessenlage gegenüber der UdSSR herausbildet. Eher im Gegenteil. Lösungen, die in einem Land angestrebt werden, erscheinen nicht selten der Führung des Nachbarlandes problematisch, ja bedrohlich. Der Weg, auf dem die tschechoslowakische Parteiführung unter Duböek 1968 ihre Volksfremdheit abzubauen suchte, rief scharfe Ablehnung und heftigen Widerstand sowohl in der DDR als auch in Polen hervor. Die Nachgiebigkeit Kanias und Jaruzelskis gegenüber der Solidarnosc-Bewegung führte zu Besorgnis und Abwehr in der DDR und in der Tschechoslowakei. Die Ablehnung beider Länder gegenüber dem polnischen Nachbarn ist bis heute wirksam. Vermutlich ist bei den Blockkrisen von 1968 wie 1980/81 die Ansicht, mit der Abweichung müsse schleunigst und gewaltsam Schluß gemacht werden, zuerst und am stärksten nicht in Moskau, sondern in Ost-Berlin vertreten worden. Der Kreml kann, wenn er die Wiederherstellung gebrochener Blickdisziplin verlangt, immer auf die Unterstützung durch gieichgesinnte Verbündete rechnen. Ein genereller Trend in Osteuropa ist die starke Betonung, welche die einzelnen Führungen auf die kulturelle Besonderheit und Eigenständigkeit des jeweiligen Landes legen. Das kulturelle Erbe wird zunehmend gepflegt; andersartige Minderheiten haben einen immer schwereren Stand; Mythen der Nationalkultur werden weithin propagiert. Der von Moskau abgeleiteten Macht wird gegenübergestellt, daß die Nation und ihre Kultur aus anderer, eigener Wurzel hervorgegangen sind.

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Die sicherheitspolitischen Interessen Die kleineren Verbündeten stimmen in der Sicherheitsfrage grundlegend mit der UdSSR gegenüber dem Westen überein. Sie alle sehen - wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß in der Existenz der westlichen Demokratien prinzipiell eine politische Herausforderung, die ihr Regime in Frage stellt.12 Ais Abhilfe erscheinen zwar primär politische Abwehrmaßnahmen, vor allem Abschirmungspraktiken unterschiedlichen Ausmaßes, notwendig. Zugleich jedoch gilt eine politische Schwächung des Gewichts, das die westlichen Länder in die Waagschale werfen könnten, durch Veränderungen des militärischen Kräfteverhältnisses als grundsätzlich erwünscht. Allerdings ziehen daraus nur die UdSSR und die DDR die klare Konsequenz, daß sie dem Rüsten unbedingte Priorität einräumen und die Militarisierung der Gesellschaft immer weiter vorantreiben. Von den kleineren Staaten haben manche - vor allem Polen, Ungarn und Rumänien - wenig Interesse an den imperialen Zielen der sowjetischen Führungsmacht. Sie wären angesichts konkurrierender Bedürfnisse froh, wenn sie den ständigen sowjetischen Druck los wären, ihre Verteidigungsanstrengungen zu erhöhen, und sich darauf beschränken könnten, die militärische Schwächung der NATO-Staaten politisch zu betreiben - etwa durch Vorschläge des deklaratorischen Ersteinsatzverzichts oder durch die Propagierung kernwaffenfreier Zonen.13 Nur Rumänien freilich hat sich dem sowjetischen Drängen auf höhere militärische Leistungen offen widersetzt.

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Im Warschauer Pakt ist, von Rumänien abgesehen, die Geltung der sowjetischen Militärdoktrin und der sowjetischen Operationsgrundsätze selbstverständlich. Der schroffe Unilateralismus, mit dem der Kreml oft die Entscheidungen trifft1il> ruft jedoch bei allen Verbündeten verdeckte Unzufriedenheit hervor. Das Ausmaß, in dem sich die sowjetische Seite die militärischen Angelegenheiten des Warschauer Pakts vorbehält, läßt zudem in Osteuropa ein deutliches Interesse an den transparenzbildenden Maßnahmen entstehen, welche die westlichen, neutralen und nicht-gebundenen Staaten den sowjetischen Vorstellungen zuwider im KSZE-Rahmen und auf der KVAE vorschlagen. Allerdings ist auch hier Rumänien das einzige Land, das offen für praktische Schritte in diesem Sinne einzutreten wagt.15 Auf sicherheitspolitischem Felde ist das sowjetische Verlangen nach Blockdisziplin besonders strikt. Angesichts dieses Tatbestandes muß es als bemerkenswert gelten, daß die Führungen sowohl der DDR als auch der Tschechoslowakei Ende 1983 ihren Mangel an Begeisterung über den sowjetischen Entschluß zur Stationierung von SS-22Raketen in inren Ländern offen zum Ausdruck brachten. Tabu sind alle Fragen, die mit dem sowjetischen Streben nach Abkopplung des europäischen Schauplatzes vom Abschreckungsverhältnis zwischen den beiden Weltmächten zusammenhängen. In Moskauer Sicht kommt es darauf an, den Schutz des eigenen Territoriums vor großflächiger Zerstörung im Kriegsfalle zu gewährleisten. Aus diesem Grund soll das nukleare Risiko, soweit es trotz des sowjeti-

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sehen Versuchs zur Herstellung einer Eskalationsdominanz über die USA in Europa fortbesteht, auf die europäischen Länder westlich des polnischen Bug abgewälzt werden.16 Die Osteuropäer können von der Aussicht, daß der OstWest-Krieg durch Ausschaltung der kriegsverhütenden nuklearen Abschreckung führbar gemacht wird und dann möglicherweise ihre Heimatgebiete verwüsten wird, nicht angetan sein. Sie sehen jedoch keine andere Möglichkeit, dieser Gefahr entgegenzuwirken, als zusammen mit der Sowjetunion auf eine totale Eliminierung der eskalatorischen Nuklearoptionen auf Seiten der NATO zu dringen. Gleichwohl ist zu vermuten, daß ein latentes Protestpotential gegenüber der sowjetischen Linie vorhanden ist. Als Moskau 1966 dazu überging, das Risiko eines Ost-West-Krieges den Europäern westlich der sowjetischen Grenzen zuzuschieben, rief dies im Warschauer Pakt deutliche Spannungen hervor, die im Vorfeld des "Prager Frühlings" sogar öffentlichen Ausdruck fanden. 17

Außenpolitische Interessendivergenzen Seit den sechziger Jahren ist die Entspannungspolitik, definiert als Vorgehen gemäß den Prinzipien der "friedlichen Koexistenz", die allgemein akzeptierte außenpolitische Handlungsnorm im Warschauer Pakt. Das offizielle Ziel ist, den politischen Kampf gegen den Westen unter Ausschaltung der direkten Krisen- und Kriegsrisiken und bei Nutzung aller Möglichkeiten der wirtschaftlich-technischen Zusammenarbeit fortzuführen.

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Dahinter stehen freilich Motive, die sich nicht voll decken. Die Führungen der meisten osteuropäischen Staaten benötigen eine begrenzte und kontrollierte Entspannung, die wenigstens ein gewisses Maß an ökonomischer Prosperität und eine möglichst umfassende innenpolitische Stabilität ermöglicht. Eine Verschärfung des internationalen Klimas in Europa wird als abträglich empfunden. Während das politische Konzept der UdSSR aktivistisch auf Einflußnahme jenseits der Grenzen des Imperiums ausgerichtet ist, steht in vielen osteuropäischen Hauptstädten oft mehr das Bedürfnis nach Ruhe und Absicherung im Vordergrund . Weithin gilt in Osteuropa die Devise, daß die Beziehungen zum Westen eng genug sein sollten, um stabilitätsfördernde wirtschaftliche und politische Ergebnisse zu erbringen, aber nicht eng genug, um die eigenen Gesellschaften "ideologisch" zu infizieren und damit eine Destabilisierung heraufzubeschwören. Die westpolitische Mischung, die diesem Zweck dienlich erscheint, ist von Land zu Land verschieden. Sowjetische Konfrontationsmaßnahmen gegenüber dem Westen, die unmittelbare negative Rückwirkungen auf die mühsam genug hergestellte Ruhelage im eigenen Land haben, sind auch bei sonst treuen Verbündeten nicht beliebt. Die osteuropäischen Staaten haben, von der Tschechoslowakei und teilweise Bulgarien abgesehen, nach Beginn der amerikanischen Raketenstationierung in Westeuropa 1983/8*1 aus ihrer Abneigung gegen die verschärft antiwestliche Linie Moskaus keinen Hehl gemacht. Nach inrer Ansicht sollten die eingetretenen Spannungen nicht noch weiter intensiviert werden.

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Diese Reaktion war wesentlich von dem Wunsch bestimmt, die während der Entspannungsperiode wiederhergestellten bzw. weiter ausgebauten Verbindungen zu Westeuropa aufrechtzuerhalten. Neben Rücksichten auf kulturell-geistige Bedürfnisse der eigenen Bevölkerungen spielten vor allem wirtschaftliche Überlegungen eine Rolle. Die industriell höher entwickelten Länder haben von Handel und Kooperation mit Westeuropa Devisenerlöse zu erwarten, die ihnen den Import von dringend benötigten Gütern und die Durchführung überfälliger technischer Modernisierungen ermöglichen. Wenn sie ihre ökonomischen Kapazitäten, wie von der UdSSR immer stärker gefordert, zur Befriedigung von Bedürfnissen weniger entwickelter RGW-Staaten einsetzen müssen, können sie nicht auf entwicklungsfördernde Wirkungen hoffen. Daraus ergibt sich ein Interesse daran, die Lieferungen in den RGW-Raum, insbesondere auch in die Sowjetunion, auf das durch die eigenen Energie- und Rohstoffimportbedürfnisse angezeigte Maß zu beschränken. Unter den industriell fortgeschrittenen osteuropäischen Ländern stellt allein von der Tschechoslowakei dieses Westhandel.vinteresse nicht in den Vordergrund. Sie hatte in den siebziger Jahren an dem Prozeß der wirtschaftlichen Verflechtung mit dem Westen nur wenig teilgenommen und ist daher auf keine breite Fortsetzung der begonnenen Zusammenarbeit angewiesen. Bei einigen Ländern kommen noch weitere Überlegungen hinzu. In Ungarn und teilweise in Polen sind während der siebziger Jahre Produktionen entstanden, die auf Westabsatz hin orientiert sind. Polen und Rumänien hoffen angesichts ihrer Schuldenprobleme und mangelnder ökonomischer-

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Kooperativität Moskaus darauf, daß ihnen westliche Länder diese oder jene wirtschaftliche Hilfestellung geben. In der Phase nach der Ausrufung des Kriegsrechts ging es der Warschauer Führung vor allem darum, Chancen für einen Abbau der partiellen westlichen Sanktionspolitik nicht zu versäumen. Die osteuropäischen Führungen, die am ökonomischen Zusammenwirken mit dem Westen interessiert sind, sehen nur bei Fortdauer einer Entspannungsnormalität hinreichende Aussichten auf Befriedigung ihrer Bedürfnisse. Das gilt um so mehr, als sich Druck aus Moskau abzeichnet, der sie zu einer Verlagerung der außenwirtschaftlichen Gewichte drängt. Die Verbündeten haben unter diesen Umständen ein deutliches Interesse daran, den zunehmend erschwerten Wirtschaftsaustausch mit dem leistungsfähigen Westen nicht durch politische Spannungslagen noch zusätzlich zu problematisieren. Die kleineren Warschauer-Pakt-Staaten hoffen statt dessen auf guten Willen der westlichen Staaten, wenn sie ungeachtet aller Probleme der 19^5-47 geschaffenen Bindungen an die UdSSR ihre ökonomischen Schwierigkeiten zu bewältigen suchen. Das kommt in ihrer Haltung beim multilateralen Ost-West-Dialog deutlich zum Ausdruck. Im Unterschied zur UdSSR haben die osteuropäischen Länder stets - so auf der KVAE - unzweideutig für eine breite wirtschaftliche und wissenschaftlich-kulturelle Zusammenarbeit mit der westlichen Seite plädiert.18 Für das Rumänien Ceaucescus verbindet sich das dezidierte Eintreten für die Entspannung mit einer weiterreichenden Perspektive. Von einer vorherrschend nationalen statt

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ideologischen Interessendefinition ausgehend"!'}, betont die rumänische Führung die Ideen einer gesamteuropäischen Gemeinsamkeit und einer Anti-Block-Politik.20 Der harte Kern dieses Standpunkts ist der Widerstand gegen eine eventuelle Stationierung sowjetischer Truppen im Lande, gegen eine Ausdehnung von Warschauer-Pakt-Streitkräftemanövern auf rumänisches Territorium und gegen das als "sozialistischer Internationalismus" verkündete sowjetische Interventionskonzept.21 Diese Differenzen zur sowjetischen Linie schließen freilich nicht aus, daß Bukarest, soweit dies mit dem nationalen Eigeninteresse vereinbar ist, vielfach auch Vorschläge unterbreitet, die mit Initiativen Moskaus parallel laufen und diese unterstützen,22

Der Sonderfall DDR Die DDR hat einen besonderen Status in der "sozialistischen Gemeinschaft". Die UdSSR nennt bei der Stationierung ihrer Truppen auf ostdeutschem Territorium nach wie vor "Deutschland" als dem Bezugspunkt. Die SED-Führung hat sich mehrfach vergeblich darum bemüht, statt dessen eine Bezugnahme auf die DDR durchzusetzen.23 Der Grund für diese Differenz ist, daß der Kreml seine mit dem Namen Deutschlands verbundenen besatzungsrechtlichen Restkompetenzen gewahrt sehen will.24 Als Staat, der aus dem besiegten Deutschland des Jahres 19^5 hervorgegangen ist, sieht sich die DDR im Bündnis rechtlich schlechter gestellt als andere WarschauerPakt-Staaten. Die UdSSR beansprucht für ihre Truppen auf ostdeutschem Gebiet eine quasi-souveräne Immunität und unbeschränkte innerstaatliche Eingriffsmöglichkeiten.25

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Die DDR stellt ihre militärischen Verbände der Warschauer-Pakt-Organisation ausnahmslos zur Verfügung, so daß die Einordnung ihrer Truppen in die Sowjetstreitkräfte besonders ausgeprägt ist. Bis hinunter zur Regimentsebene ist jeder ostdeutsche Einheitskommandeur dem Befehlshaber einer entsprechenden sowjetischen Formation zugeordnet26, Die DDR hat in ihrem Verteidigungsministerium ein besonders umfangreiches sowjetisches Personal^ und muß sich allem Anschein nach im Gegensatz zu den übrigen Bundesgenossen bei der Erfüllung ihrer Beistandspflichten in aller Form fremdem Entscheid unterwerfen.28 Dem Nachdruck, mit dem die sowjetische Führung die DDR auch rechtlich zu binden sucht, entspricht das sowjetische Angewiesensein auf den ostdeutschen Staat. Die DDR ist für den Kreml eine unerläßliche Klammer, die den Zusammenhalt des Warschauer Pakts sichert. Die Blockkrisen der Jahre 1956, 1968 und 1980/81 wären ohne die sowjetische Verfügung über das DDR-Territorium und ohne politische Unterstützung durch eine der UdSSR gegenüber loyale DDR kaum so glatt im Moskauer Sinne zu meistern gewesen. Zugleich ist das wirtschaftliche und wissenschaftlichtechnische Potential des ostdeutschen Staates für die belieferungs- und modernisierungshungrige UdSSR von großer Wichtigkeit. Schließlich ist die DDR für Moskau das entscheidende Instrument der Einflußnahme auf die Bundesrepublik Deutschland, die als der für die Fortdauer des NATO-Zusammenhalts und der US-Anwesenheit in Europa entscheidende Faktor gilt.29

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Die sowjetische Westpolitik - und besonders die Politik des Kreml gegenüber der Bundesrepublik - bewegt sich auf zwei verschiedenen Aktionsfeldern. Das "zwischenstaatliche" Handeln auf der traditionellen diplomatischen Ebene wird ergänzt durch den "ideologischen Kampf" auf "gesellschaftlicher" Ebene innerhalb westlicher Staaten. Was sich im Gespräch von Regierung zu Regierung nicht erreichen läßt, soll mittels eines über westliche Gesellschaftskräfte ausgeübten Drucks auf westliche Regierungen durchgesetzt werden. In beiden Hinsichten kommt der DDR für den Kreml eine wichtige Funktion gegenüber der Bundesrepublik zu. Auf "zwischenstaatlicher" Ebene läßt sich die DDR als Hebel gegenüber Bonn nutzen, weil die Regungslosigkeit des Verkehrs nach und von West-Berlin und die Möglichkeit menschlicher Kontakte über die innerdeutsche Grenzlinie hinweg von ihrem guten Willen abhängen. Darüber hinaus setzen die von Bonn angestrebten Fortschritte bei der Regelung innerdeutscher Fragen, namentlich der Probleme des zwischenmenschlichen Kontakts über die Grenze hinweg, ein Einvernehmen mit der SED-Führung voraus. Der Kreml hat diese Lage wiederholt - beispielsweise während der Debatte über die Stationierung amerikanischer Raketen in Westeuropa - dazu benutzt, um Regierung und Öffentlichkeit in der Bundesrepublik zur Rücksichtnahme auf östliche Wünsche und Interessen anzuhalten.30 Auf der Ebene des politischen Kampfes in der westdeutschen Gesellschaft hat die "Westabteilung" beim ZK der SED eine wichtige Rolle zu spielen. Sie instruiert und finanziert die DKP und das Netzwerk der kommunistischen Front-

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Organisationen in der Bundesrepublik Deutschland. Jedem SED-Bezirk ist ein Teilgebiet des westdeutschen Staates zur "patenschaftlichen" Betreuung zugewiesen.31 Das enge Zusammenwirken zwischen der sowjetischen und der ostdeutschen Führung beruht nicht zuletzt darauf, daß die SED-Machthaber im besonderen Maße den Schutz Moskaus benötigen. Die von ihnen beherrschte DDR ist - im Unterschied zu den anderen osteuropäischen Ländern - ein künstliches Gebilde ohne nationale Identität.32 j)±e DDR ist bei vielen ihrer Bürger traditionell mit dem Odium des "Spalterstaates" behaftet, der um der Anbindung an Moskau willen aus der gesamtdeutschen Gemeinsamkeit herausgebrochen wurde. Dazu befindet sich die DDR in ständiger Systemkonkurrenz mit der Bundesrepublik als dem größeren, freieren und besser gedeihenden Teil Deutschlands. Unter diesen Umständen kann die SED-Führung sich nur schwer als Sachwalter des nationalen Interesses darstellen, wie dies manche der anderen osteuropäischen Herrschaftsträger mit einigem Erfolg tun.33 Eine verstärkte Anlehnung an die "sozialistische Staatengemeinschaft" bzw. an die UdSSR als deren führende Kraft ist die logische Konsequenz aus dieser Lage.

Die Interessenabstimmung zwischen DDR und UdSSR an einem Beispielfall Das breite Einvernehmen zwischen Ost-Berlin und Moskau verhindert nicht, daß es gelegentlich unterschiedlich akzentuierte Interessenlagen auf beiden Seiten gibt. Das zeigte sich beispielsweise nach Beginn der amerikanischen

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Raketenstationierung in Westeuropa. Die sowjetische Seite hatte im Sommer und Herbst 1983 die Westdeutschen mit der Drohung zu beeindrucken gesucht, daß es im zwischendeutschen Verhältnis zu einer "Eiszeit" kommen werde, falls man nur noch durch "Raketenzäune" hindurch miteinander sprechen könne. Als derartige "Warnungen" ihren Zweck verfehlt hatten und die Aufstellung der Raketen in der Bundesrepublik begann, waren zunächst weder die sowjetische noch die ostdeutsche Führung willens, das Verhältnis zu Bonn zu verschärfen. Sie bemühten sich im Gegenteil um eine Intensivierung der Beziehungen - anscheinend in der Hoffnung, daß sie auf diese Weise doch noch einen Keil zwischen die Westdeutschen und die Amerikaner treiben könnten. Solche Hoffnungen trogen jedoch. Die Bundesregierung nutzte überdies die sich ihr bietende Gelegenheit, um der Öffentlichkeit klarzumachen, daß die vielfach befürchtete Katastrophe einer dramatischen Spannungsverschärfung oder gar herannahenden Kriegsgefahr im Ost-West-Verhältnis nicht eingetreten sei. Diese Darlegung wirkte der sowjetischen Propaganda entgegen, die nach wie vor die Raketenstationierung als einen ebenso unmoralischen wie verderblichen Vorgang hinstellte. Das wiederum veranlagte den Kreml schließlich im Frühjahr 1984 dazu, seine Taten und Worte in eine bessere Übereinstimmung miteinander zu bringen: Die Linie des ostentativen Zusammenwirkens mit Bonn wurde aufgegeben; propagandistisch sah sich die Bundesrepublik - ebenso wie bisher schon die USA - als Widersacher behandelt.

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Der Moskauer Kurswechsel warf die Frage auf, ob nicht die DDR-Führung mit ihrer erfolgreich eingeleiteten Politik des wirtschaftlichen Zusammenwirkens mit der Bundesregierung die antiwestdeutsch ausgerichtete sowjetische Generallinie desavouiere. SED-Generalsekretär Honecker hatte freilich verschiedene Argumente zur Hand, um die maßgeblichen Männer im Kreml davon zu überzeugen, daß die Fortsetzung seiner Linie auch in ihrem Interesse liege: - Die DDR befinde sich in einer finanziell und wirtschaftlich schwierigen Lage und müsse sich, wenn sie ihren Verpflichtungen gegenüber der sowjetischen Führungsmacht, dem notleidenden Polen, dem verbündeten Vietnam und anderen "sozialistischen" Entwicklungsländern nachkommen solle, die ökonomische Hilfsbereitschaft der Westdeutschen zunutze machen; - Die DDR stehe vor einer sich öffnenden Schere zwischen nachlassender sowjetischer Lieferbereitschaft und zunehmender sowjetischer Leistungsanforderung, die daraus sich ergebenden Probleme ließen sich nur lösen, wenn man alle sich bietenden Aushilfen nutze, auch die von der Bundesrepublik gebotenen; - Die materielle Decke für eine ausreichende Befriedigung der Konsumbedürfnisse im Lande sei bedenklich kurz geworden, und daher brauche man etwas zum Zubuttern, wenn die innenpolitische Stabilität der DDR zuverlässig gewahrt bleiben solle; - Das technische Know-how aus der Bundesrepublik, dessen man sich durch die angelaufene wirtschaftliche Zusammenarbeit im größtmöglichen Umfang versichere, komme nicht nur der DDR, sondern auch der Sowjetunion zugute.

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Die ostdeutschen Argumente verfehlten ihre Wirkung in Moskau nicht. Die sowjetischen Führer akzeptierten, daß die DDR einen Sonderkurs verfolgen konnte, so wie es ihr schon einmal in der Periode nach der Afghanistan-Invasion gestattet worden war. Mit diesem Rückhalt konnte Honecker den angestrebten 960Millionen-DM-Kredit der Bundesrepublik Mitte Juli 1984 in die Scheuern fahren. Als Krönung des zwischendeutschen Zusammenwirkens war ein Besuch des Generalsekretärs in Westdeutschland für den Frühherbst geplant. In der Sicht der SED sollte dieses Ereignis den DDR-Bürgern vor Augen führen, daß ihr Führer nun endgültig von den Repräsentanten des anderen Deutschlands akzeptiert sei. Davon erhoffte man sich einen entscheidenden Legitimationsgewinn für das Regime. Teile der sowjetischen Führung jedoch waren schon seit dem Frühjahr der Meinung gewesen, das Zusammenwirken Ost-Berlins mit Bonn sei den westpolitischen Interessen der UdSSR abträglich. Sie suchten daher den ostdeutschen Verbündeten nach der westdeutschen Kreditgewährung nochmals dazu zu bewegen, den eingeschlagenen Kurs nicht weiter fortsetzen. Die Demonstration einer weiteren Annäherung an die westdeutsche Seite sei schädlich. Das gelte aus der Sicht nicht allein der UdSSR, sondern auch der DDR. Wenn Honecker in die Bundesrepublik reise, während Bonn demonstrativ jedes Eingehen auf die Geraer Forderungen, vor allem auf das Verlangen nach Anerkennung der DDRStaatsbürgerschaft, verweigere, tue er seinem Lande keinen guten Dienst.

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Die sowjetischen Kritiker konnten jedoch ihrem Verlangen nur wenig Nachdruck verleihen. Der zentrale Parteiapparat der KPdSU deckte die Politik Honeckers, so daß dieser sich in der Lage fühlte, an seiner Linie gegenüber der Bundesrepublik festzuhalten. Die sowjetischen Kritiker konnten ihm keine offiziellen Empfehlungen geben. Ersatzweise entfesselten sie in einem Teil der sowjetischen Presse eine Polemik, die sich zwar unausgesprochen, aber unverkennbar gegen die amtliche Linie Ost-Berlins richtete. Die öffentlichen Angriffe aus Moskau verunsicherten die SED-Führung. Gleichwohl konnte sich Honecker bis in die zweite Augusthälfte hinein auf die Rückendeckung der führenden KPdSU-Funktionäre berufen. Als sich der Kreml dann zur Wiederanknüpfung des Dialogs mit Washington entschloß, gewannen die Kritiker die Oberhand. Die Kleinen sollten schweigen, wenn die Großen miteinander redeten. Dem SED-Generalsekretär ging aus Moskau die Anregung zu, er möge von dem geplanten Besuch in der Bundesrepublik Abstand nehmen. Wie nicht anders zu erwarten, folgt der Empfehlung aus Moskau in kurzer Frist die Absage Ost-Berlins an Bonn.31) Die hier näher dargelegten Vorgänge lassen allgemeine Schlüsse auf den Charakter der ostdeutschen Politik zu. Diese stimmen mit anderweitig gewonnenen Einschätzungen überein.35 D as Bedürfnis der DDR nach bestmöglicher Ausnutzung der wirtschaftlichen Möglichkeiten, die sich aus den "innerdeutschen" Leitvorstellungen Bonns ergeben, paßt nicht in jedem Augenblick zu den den Erfordernissen der wechselhaften Beziehungen Moskaus zu Bonn. Da jedoch die SED-Führung generell in engem Einvernehmen mit Moskau

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agiert und die Früchte der zwischendeutschen Wirtschaftskooperation auch der UdSSR zugute kommen, kann sie sich vielfach besonderer Indulgenzen erfreuen. Für den Kreml heißt dies jedoch nicht, daß der ostdeutsche Verbündete einen politischen Freiraum haben darf. Die sowjetischen Führung sind sich des vielfach unterschwellig mit antisowjetischer Verachtung gepaarten Leistungs- und Selbstbewußtseins der Ost-Berliner Funktionäre bewußt. Sie fürchten auch, daß "ihre Deutschen" unter dem Mantel der kommunistischen Gesinnung und der Bundesgenossenschaft mit der UdSSR ein unverändert nationaldeutsches Herz haben.36 Daher scheint ihnen gegenüber strikteste Kontrolle - und nicht etwa großzügiges Vertrauen - angebracht. Der DDR werden zwar im Einzelfalle von Moskau spezifische Kooperationsbeziehungen zu Bonn zugestanden, wenn dies auch für die Hegemonialmacht überwiegend vorteilhaft erscheint. Aber sobald der Kreml zu der Ansicht gelangt ist, daß ein solches Sonderverhalten der UdSSR mehr schadet als nützt, hat die Führung in Ost-Berlin die Loyalität zur sowjetischen Führungsmacht über ihre eigenen Wünsche zu stellen.37

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Vgl. James F. Brown, Soviet Relations with the Northern Tier in East Europe, The EAI Papers No. 9, Spring 1985, Marina del Rey/CA: European American Institute for Security Research, S. 9-11; Robert L. Hutchings, Comment fonctionne le pacte de Varsovie, in: Le Temps Strategique, Sept.-Okt. 1983, S. 43; Ausführungen von Christopher Jones und Teresa Rakowska-Harmstone, in: The Warsaw Pact and the Question of Cohesion. A Conference Report, Kennan Institute for Advanced Russian Studies, The Wilson Center, Washington/I). D. , Mai 1985, insbes. S. 27 f. (fiber den Sonderfall Rumänien), 32-34 (über Polen), 49 f. (über die DDR); Interview-Forschung von Jit*f Hochman, Ohio State University. - Vgl. Robert L. Hutchings, a.a.O., S. 38-43; Kristofer Dzouns , SSSR i VarSavskij pakt, in: Obozrenie, Juli 1983, S. 5 f.; Edgar O'Ballance, The Three Southern Members of the Warsaw Pact, in: The Warsaw Pact, hrsg. von Robert W. Clawson und Lawrence S. Kaplan, Wilmington/Delaware: Scholarly Resources Inc. 1982, S. 59; Konstantin George/Clifford Gaddy, Soviet military creates a wartime High Command, in: EIR Special Report, 5.3-1985, S. 28-35. Zu den internen Auseinandersetzungen Liber die Entscheidungsstrukturen in der WPO 1966-69 s. Robert L. Hutchings, 25 Years of the Warsaw Pact, Radio Free Europe Research, RAD 105/EE, 7.5.1980, S. 3-5; Robert L. Hutchings, SovietEast European Relations. Consolidation and Conflict 1968-1980, Madison/Wise.: University of Wisconsin Press 1983, S. 67-76; Ausführungen von Christopher Jones, in: The Warsaw Pact, a.a.O., S. 22-24. ^ Joachim Krause, Der internationale Handel mit konventionellen Waffen und Rüstungsgütern, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-AZ 2437, Ebenhausen/Isartal, August 1985, S. 21-24. ü

Vgl. Die Breschnew-Doktrin. Dokumentation, hrsg. von Boris Meissner, Köln: Verlag Wissenschaft und Politik 1969 . } ~ Paul Marer, The Political Economy of Soviet Relations with Eastern Europe, in: Soviet Policy in Eastern Europe, hrsg. von Sarah Meiklejohn Terry, New Haven-London: Yale University Press 1980, S. 156-160; George W. Hoffman, Eastern Europe: Fifty Years of Changes and Constraints, Kennan Institute for Advanced Russian Studies, Occasional Paper Nr. 198, Washington, D.C., 1985, S. 6.

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Vgl. u.a. James F. Brown, a.a.O. (Anm. 1 ) , S. 23 f. Ein Musterbeispiel dafür bietet das Anfang 1985 abgeschlossene 15-Jahres-Wirtschaftsabkommen mit der DDR (vgl. George W. Hoffman, a.a.O., S. 15 f.). Slobodan Stankovich, A Jugoslav Journalist's Report from Romania, Radio Free Europe Research, RAD 79/Rom., 13.8.1985, S. 3-5. Vgl. Marian Barczewski, The Polish-Soviet Economic Agreement, Polish Situation Report 10, Radio Free Europe Research, 25.5.1984, S. 4-5. "Analog dazu spricht James Brown von einem Dilemma zwischen "viability" und "cohesion" (s. James F. Brown, a.a.O. , S. 13). Vgl. Gerhard Wettig, Die Abschirmung in der Westpolitik der DDR, in: Außenpolitik, 2/1981, S. 120-128; Gerhard Wettig, Relations between the two German states, in: Policymaking in the German Democratic Republic, ed.